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+Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for
+eBook #69893 (https://www.gutenberg.org/ebooks/69893)
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-The Project Gutenberg eBook of Deutsche und Französische
-Orgelbaukunst und Orgelkunst, by Albert Schweitzer
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
-of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you
-will have to check the laws of the country where you are located before
-using this eBook.
-
-Title: Deutsche und Französische Orgelbaukunst und Orgelkunst
-
-Author: Albert Schweitzer
-
-Release Date: January 28, 2023 [eBook #69893]
-
-Language: German
-
-Produced by: the Online Distributed Proofreading Team at
- https://www.pgdp.net (This file was produced from images
- generously made available by The Internet Archive)
-
-*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DEUTSCHE UND FRANZÖSISCHE
-ORGELBAUKUNST UND ORGELKUNST ***
-
-
- ####################################################################
-
- Anmerkungen zur Transkription
-
- Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1906 so weit
- wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler
- wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr
- verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert;
- fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert.
-
- Im Originaltext wurde die akustisch wirksame Länge der Orgelpfeifen
- (in Fuß) mit schließenden Anführungszeichen (“) gekennzeichnet. Die
- vorliegende Bearbeitung verwendet dagegen das allgemein übliche
- Prime-Symbol (′).
-
- Besondere Schriftschnitte werden im vorliegenden Text mit Hilfe der
- folgenden Sonderzeichen gekennzeichnet:
-
- fett: =Gleichheitszeichen=
- gesperrt: +Pluszeichen+
-
- Das Caret-Zeichen (^) geht einem hochtestellten Zeichen voran.
-
- ####################################################################
-
-
-
-
- ALBERT SCHWEITZER
-
- ORGANIST DER BACHAUFFÜHRUNGEN
- DES CHORES ZU ST. WILHELM
- IN STRASSBURG
-
-
- Deutsche und Französische
-
- Orgelbaukunst
- und
- Orgelkunst
-
- [Illustration]
-
- LEIPZIG
-
- DRUCK UND VERLAG VON BREITKOPF & HÄRTEL
-
- 1906
-
-
-
-
- PROFESSOR ERNST MÜNCH
- DEM ERZIEHER DER ELSÄSSISCHEN ORGANISTEN
- IN HERZLICHER FREUNDSCHAFT
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-Wenn es wahr ist, daß wir im Zeichen des Verkehrs stehen, so muß doch
-auch zugestanden werden, daß er nicht allen Gebieten der Kunst in
-gleicher Weise zugute gekommen ist und daß gewisse Erscheinungen einen
-fast irre daran machen könnten, daß auch die Kunst in das Zeichen des
-Verkehrs getreten ist. Man kann sich geradezu fragen, ob von ihm nicht
-fast ausschließlich ein gewisses wanderndes Virtuosentum profitiert
-hat, und ob dabei gerade die lernende Kunst, die in aller Herren
-Ländern das Beste sich anzueignen sucht, nicht eher zurückgetreten
-ist? Es will einen fast bedünken, als ob zu Bachs Zeiten die Kunst
-in gewissem Sinne künstlerischer in ihrer Internationalität war als
-heute, sofern man damals reiste, um zu lernen und zu lehren, heute mehr
-ausschließlich, um sich zu produzieren.
-
-Daß die künstlerischen Grenzwälle trotz der Zeichen des Verkehrs
-existieren, mehr als man meinen sollte, wird mir jedesmal klar, wenn
-ich mit einem französischen Organisten von deutschen Orgeln und
-deutscher Orgelkunst, mit einem deutschen von französischen Orgeln und
-französischer Orgelkunst rede. Es ist mehr als ein totales Nichtwissen
-um die Verhältnisse drüben, das hier zutage tritt: es ist fast eine
-Unmöglichkeit, sich beim besten Willen zu verstehen. Es nützt nichts,
-in Paris für Reger und die andern unserer vielversprechenden jungen
-Organistengeneration einzutreten und in Deutschland auf Widors
-Orgel-Symphonien aufmerksam zu machen. Wozu? Regers Werke sind auf
-der Orgel von Notre-Dame oder auf der von St. Sulpice unausführbar
-und Widors Symphonien sind auf deutschen Orgeln auch nur mit einer
-gewissen Vergewaltigung des Wesens und der Anlage des Instruments
-wiederzugeben.
-
-„Also“, sagt jeder Teil, „taugt des andern Orgel nichts“. Dabei kennt
-keiner des andern Orgel. Um dieses Urteilen, bei dem doch nichts
-herauskommt, in die Wege einer vernünftigen Diskussion zu leiten, die
-für Orgel und Orgelkunst förderlich sein kann, und um die streitenden
-Parteien miteinander bekannt zu machen, ergreife ich das Wort, als
-einer, der durch die deutsche und die französische Schule hindurch
-gegangen ist, als einer, der durch die Verhältnisse genötigt, seit
-mehr denn zwölf Jahren auf beiden Orgeln heimisch ist, als einer, der
-in Paris für deutsche Orgelkunst, in Deutschland für die französische
-eintritt und der Überzeugung lebt, daß ein Ausgleich zwischen den
-beiderseitigen Orgeln und Auffassungen kommen muß, und daß mit diesem
-Ausgleich, mit diesem Durchdringen deutscher und französischer
-Orgelkunst eine neue, ideenreiche und formbeherrschende Periode in der
-Geschichte des Orgelspiels anbrechen wird. Wenn die Zeichen der Zeit
-nicht trügen, ist der Augenblick gekommen, voneinander zu lernen.
-
-
-Die schärfere Differenzierung zwischen deutscher und französischer
-Orgel setzte etwa vor einem Menschenalter ein. Als der alte Hesse die
-eben vollendete Orgel zu St. Clothilde spielte, fand er sich alsbald
-auf ihr zurecht und erklärte sie für das Ideal der Orgel, das ihm
-vorschwebte. Heute dürfte es keinen deutschen Organisten geben, der
-sich alsbald auf einer französischen Orgel zurecht fände und keinen
-französischen, der ohne längeres Vorstudium oder verständnisvolle Hilfe
-beim Registrieren sich auf einer deutschen hören lassen könnte.
-
-Die Differenzierung rührt von der verschiedenen Art her, wie der
-Orgelbau in beiden Ländern durch die neuen Mittel, Elektrizität und
-Pneumatik, beeinflußt worden ist. Der französische Orgelbau blieb
-mehr konservativ. Die Orgel von St. Sulpice, die bald fünfzig Jahre
-alt ist, ist der Typus aller französischen Orgeln geblieben. Der
-deutsche Orgelbau begab sich auf die Bahn der Erfindungen, nutzte alle
-technischen Vorteile der Pneumatik aus und gebrauchte die Elektrizität
-zur Erzeugung unbegrenzter Windmengen und Winddrucke.
-
-Dazu kommt eine rein äußerliche Unterscheidung. In den französischen
-Orgeln sind die Koppeln und Kombinationszüge ausschließlich in
-den Füßen angelegt. Die deutsche Entwicklung führte zum fast
-ausschließlichen Gebrauch der Druckknöpfe.
-
-Aber auch das innere künstlerische Prinzip ist verschieden. Das
-künstlerische Wesen einer Orgel, und noch viel mehr das ganze Wesen der
-Orgelmusik, wird bestimmt durch die Art, wie man auf diesem Instrument
-vom Piano zum Forte, vom Forte zum Fortissimo gelangt und von letzterem
-wieder in die Anfangsklangfarbe zurückkehrt. In der deutschen Orgel
-hat sich das Registerrad oder die Walze durchgesetzt. Sie beherrscht
-die Orgel, wie das Spiel unserer Virtuosen zeigt; sie beherrscht die
-Literatur und Komposition, wie es sattsam aus einem Blick in ein
-neues Werk für Orgel erhellt. Anders gesagt: wir schwellen, indem wir
-sämtliche Register lückenlos aufeinander folgen lassen, so daß sie
-unterschiedslos auf das Hauptklavier wirken; wir verzichten darauf,
-in der Schwellung die künstlerische Individualität der Klaviere zur
-Geltung kommen zu lassen; wir setzen es als selbstverständlich voraus,
-daß jede Schwellung zugleich eine Klangfarbenveränderung bedeutet; wir
-finden uns in die Monotonie, die damit notwendig gegeben ist, daß die
-Aufeinanderfolge der Stimmen ein für allemal dieselbe ist, nämlich die,
-welche der Orgelbauer im Registerrad zu realisieren für gut befand;
-wir schicken uns darein, nicht zu bestimmen, wann wir 16′, wann wir
-8′, wann wir 4′ und 2′, wann wir Mixturen, wann wir Zungen in die
-Klangmasse einführen wollen; wir nehmen die ewige Sklaverei des die
-Walze entwerfenden Orgelbauers auf uns, verzichten auf jede Freiheit
-in der Durchführung der Steigerung, wo doch Freiheit und Kunst so
-eng zusammen gehören: dies alles, um dafür in den Stand gesetzt zu
-sein, durch die einfache Bewegung eines Rades oder eines Trittes die
-Steigerung zu regieren.
-
-Anders der französische Organist. Er wählt die zweite Alternative.
-Er verzichtet darauf, mit einer einzigen Bewegung die Steigerung
-durchführen zu können und schickt sich darein, hierfür eine Mehrzahl
-von Bewegungen aufwenden zu müssen. Dafür behält er sich aber die
-Freiheit vor, in jedem Falle die Stimmen sich so zum Fortissimo
-steigern zu lassen, wie es ihm durch den Charakter der betreffenden
-Steigerung geboten erscheint.
-
-Die Steigerung auf der französischen Orgel beruht zunächst auf
-dem An- und Abkoppeln der Klaviere. Dadurch erst kommen die drei
-Persönlichkeiten, welche die göttliche Trinität der Orgel ausmachen,
-zur Geltung. Soll dies aber wirklich durchführbar sein, so darf der
-Spieler nicht darauf beschränkt bleiben, sein II. und III. Klavier
-(Positiv und Récit) zum ersten zu koppeln, sondern er muß die
-unbeschränkte Möglichkeit haben, jedes Klavier zum Ausgangspunkt
-zu wählen und die andern darauf zu koppeln. Darum ist in allen
-französischen Orgeln das I. Klavier, Grand Orgue genannt, zugleich
-neutrales, leerlaufendes Klavier, Koppelklavier. Die darauf
-eingestellten Register, also die gezogenen Register des I. Klaviers,
-erklingen erst, wenn der mit „G. O.“, d. h. Grand Orgue, bezeichnete
-Tritt niedergedrückt wird. Man kann also auf das leerlaufende I.
-Klavier (Grand Orgue) zuerst das Récit, dann das Positiv, dann,
-durch die Einführung des G. O., das Hauptwerk koppeln, beliebig die
-Reihenfolge II I III, II III I, I III II, oder die uns geläufige I II
-III herstellen. Die Möglichkeiten sind vollzählig gegeben.
-
-In der Abkoppelung ebenfalls. Es liegt in dem Belieben des Spielers,
-ohne von der Hauptklaviatur herunter zu gehen, zuletzt das I., II. oder
-III. Klavier zu behalten.
-
-Zu jedem Klavier gehört ein „Appel des mixtures et des anches“, d. h.
-ein Tritt, durch welchen die nach Gutdünken auf denselben für jenes
-Klavier eingestellten Mixturen und Zungen in Wirkung treten, so daß
-der Spieler es in der Hand, oder besser gesagt, in den Füßen hat, in
-die vorhandene Grundstimmenfarbe die Mixturen der drei Klaviere in
-beliebiger Reihenfolge einzutragen, sei es vor, während oder nach der
-Koppelung derselben, sei es abwechselnd mit ihr.
-
-Die drei Koppeln und die drei Kombinationstritte stellen also eine
-Menge von Steigerungsmöglichkeiten dar und bieten zugleich den Vorteil,
-daß man die betreffende Teilsteigerung bei einer bestimmten Peripetie,
-auf den charakteristischen, starken Taktteil derselben, eintreten
-lassen kann, was bei der Walze unmöglich ist, da sie, sofern sie ein
-Register nach dem andern, nie eine ganze Gesellschaft, einführt, einen
-Zeitraum beansprucht.
-
-Als drittes, die andern vollendendes Steigerungsmittel kommt das
-Schwellwerk des III. Klaviers hinzu. Das III. Klavier ist in der
-französischen Orgel bedeutender als das zweite. Der Schwellkasten
-schließt nicht etliche schwach intonierte Registerlein, sondern eine
-sowohl an Zahl als an Intensität bedeutende Klangmasse ein. Die
-Klangcharaktere sind darauf womöglich in allen Fußzahlen vertreten, so
-vollständig, fast noch vollständiger als auf dem I. Klavier. Das will
-heißen, daß an einem solchen III. Klavier etwas zu schwellen ist, daß
-der Jalousieschweller nicht nur dazu dient, auf dem III. Klavier ein
-gewisses Nuancieren zu ermöglichen, sondern dazu da ist, die Steigerung
-der ganzen Orgel bis zu einem bestimmten Grad hinzuführen. Ich erinnere
-mich einer Orgel von Cavaillé-Coll, wo man das volle, gekoppelte Werk
-durch den Schwellkasten des III. Klaviers noch beeinflussen konnte.
-
-Die Steigerung auf der französischen Orgel beruht also auf den Koppeln,
-den Einführungen der Mixturen und Zungen und der Verwendung des
-Jalousieschwellers.
-
-Zum Exempel. Wir haben das dritte Werk -- Schweller geschlossen --
-auf das leerlaufende erste gekoppelt. Gezogen auf allen dreien:
-Grundstimmen 16′, 18′, 4′, 2′; präpariert: Mixturen und Zungen. Im
-Pedal ebenso. Wir koppeln das II. Klavier ans dritte; bei der nächsten
-Peripetie lassen wir, indem wir das G. O. drücken, die Grundstimmen
-des ersten hinzutreten. Darauf koppeln wir das Pedal nach Bedarf an
-die Klaviere. Wie nun aber ohne „Ruck“ aus dem Grundstimmencharakter
-in die Mixturen- und Zungenklangfarbe kommen? Indem wir die Mixturen
-und Zungen zuerst auf dem III. Klavier einführen. Bei geschlossenem
-Schweller geschieht dies fast unmerklich. Nun Öffnen wir den Schweller
-langsam. Der Mixturen- und Zungenklang flutet in langen feinen Wellen
-über den Grundstimmenklang einher und verbindet sich mit demselben.
-Dieses Realwerden der vorher, bei geschlossenem Schweller, nur virtuell
-vorhandenen Mixturen- und Zungenklangfarbe ist der entscheidende
-Moment der Steigerung. Weil auf dem III. Klavier alle Klangcharaktere
-vertreten sind, ist das volle Werk vom Moment jener ersten Einführung
-der Mixturen und Zungen des im Schwellkasten gebändigten III. Klaviers
-an in Kraft getreten. Es kommt nur noch auf die Entfaltung an. Die nun
-folgenden Einführungen der Mixturen und Zungen des II., des I. Klaviers
-und des Pedals und die Einführung der Sub- und Superoktavkoppeln
-(Octave grave und Octave aigüe) ändern an dieser Klangfarbe nichts: sie
-machen sie nur intensiver.
-
-Danach sind die dynamischen Angaben in den französischen Kompositionen
-zu deuten. Das Zeichen für crescendo oder decrescendo bezieht sich
-nur auf die Handhabung des Schwellkastens, auch wenn der Spieler sich
-auf dem ersten Klavier befindet. Ausdrücklich wird am Kopf des Stücks
-angegeben, ob neben den Grundstimmen (Jeux de fonds, kurzweg Fonds
-genannt) noch Zungen und Mixturen, und welche, auf den verschiedenen
-Klavieren präpariert sind. Ihr Eintreten wird dann besonders angegeben,
-ebenso die An- und Abkoppelungen. Crescendo poco a poco in einer in
-kurzer Linie zum Fortissimo führenden Steigerung bedeutet, daß der
-Spieler, wenn er das volle III. Klavier sich auf den Grundstimmen
-der zwei ersten hat entfalten lassen, auf den entscheidenden starken
-Taktteilen die Mixturen und Zungen der übrigen Klaviere und des
-Pedals einführen soll. Erst diese letzte Steigerung entspricht
-unserm Schwellen mit der Walze. Die Zeichen <>, und mögen sie sich
-über noch so viele Takte erstrecken, beziehen sich immer nur auf den
-Schwellkasten.
-
-Ich hebe diese grundsätzliche Verschiedenheit in den dynamischen
-Angaben hervor, weil ich gefunden habe, daß fast alle deutschen
-Organisten, aus Gewohnheit, das Crescendo- und Decrescendozeichen,
-wenn sie auf dem ersten Klavier waren, mit der Walze realisierten
-und so die vom Komponisten gewollte Wirkung, da dieser mit einer
-Klangfarbenveränderung nicht rechnete, total zerstörten.
-
-
-Die Grundvoraussetzung des französischen Systems bildet die Anlage
-aller Ressourcen als Pedaltritte. Die französische Orgel kennt keine
-Druckknöpfe unter der Klaviatur. Für welches System sich entscheiden?
-
-Ich sitze noch keine fünf Minuten neben Vater Guilmant auf der Bank
-seiner schönen Hausorgel zu Meudon, so fragt er schon, als fiele er da
-ein, wo wir das letzte Mal stehen geblieben: „Und in Deutschland bauen
-sie noch immer Druckknöpfe? Das kann ich nicht verstehen. Sehen Sie
-doch, wie einfach es ist, wenn man alles in den Füßen hat“ ..., und die
-kurzen behenden Füße drücken Koppeln und Kombinationstritte lautlos
-nieder und lösen sie im Nu wieder aus.
-
-Am andern Tag fängt Widor, zum fünfundzwanzigsten Male, wieder von
-derselben Sache an. „Sagen Sie doch meinem Freund Professor Münch in
-Straßburg, er soll mir eine Stelle in einem Bachschen Präludium oder
-in einer Fuge aufzeigen, wo er im richtigen Augenblicke eine Hand frei
-hat, um nach einem Druckknopf zu greifen! Er soll mir jemand nennen,
-der auf dem Manual spielen und zugleich mit dem Daumen den Druckknopf
-auf der Vorsatzleiste drücken kann.“
-
-Ich schweige, denn der erste deutsche Organist, dem ich einige Wochen
-nachher in die Hände laufe und dem ich die Streitfrage vorlege,
-antwortet mir unfehlbar: „Die Franzosen sind eben rückständig. Früher
-hatten wir das auch in den Füßen; jetzt aber haben wir unsere schönen
-Druckknöpfe.“
-
-Zunächst handelt es sich da um eine Gewohnheitssache. Der französische
-Organist sitzt ratlos vor den Druckknöpfen; der deutsche findet sich
-in den Pedaltritten nicht zurecht. Die Frage ist aber dennoch eine
-Prinzipienfrage. Hat man eher eine Hand oder einen Fuß frei?
-
-Im Prinzip muß man den Franzosen recht geben. Man hat fast nie eine
-Hand, sehr oft einen der Füße frei. Und die Erfahrung bestätigt das
-Prinzip. Ich höre auf deutschen Orgeln immer die Verzögerungen, die
-unrhythmischen Verschiebungen, die davon herrühren, daß der Spieler bei
-der betreffenden Peripetie den richtigen Moment nicht findet, seine
-Knöpfe zu drücken. Ich kenne Virtuosen, die, um dies zu vermeiden,
-sich mit zwei Helfern umgeben, welche ihnen die Knöpfe drücken. Das
-heißt sich aber in Abhängigkeit begeben. Und wer hat schon einmal mit
-Helfern gespielt, ohne daß dabei etwas passiert wäre? Die ganze durch
-das System der Druckknöpfe geschaffene Kompliziertheit kommt einem aber
-erst zum Bewußtsein, wenn man das Gegenteil zu beobachten Gelegenheit
-hat. Man sehe Guilmant, Widor, Gigout oder Vierne auf ihren Orgeln!
-Sie brauchen keinen Helfer. Lautlos, ruhig und unfehlbar tun sie alles
-selbst. Wer dies mit angesehen hat, wird nicht mehr im Zweifel sein,
-welchem der beiden Systeme der Sieg zufallen wird.
-
-Ich selbst, der ich auf beiden Orgeln heimisch bin und mich in
-beide Systeme eingelebt habe, muß gestehen, daß die Ressourcen des
-französischen Systems einfacher, d. h. besser sind. Zunächst weil alle
-Orgeln sich gleichen. Unten links finden sich die drei Pedalkoppeln;
-in der Mitte die Manualkoppeln; daran anschließend die Oktavkoppeln;
-dann kommt gewöhnlich der Jalousieschweller; rechts davon die
-Kombinationszüge für Mixturen- und Trompeteneinführung: alles immer in
-der Anordnung I, II, III. Wenn Saint-Saëns, wie es vor der Ernennung
-Viernes zum Organisten von Notre-Dame der Fall war, bei offiziellen
-Anlässen vom Präsidenten der Republik auf die Orgel der Cathedrale
-befohlen wurde, brauchte er keine fünf Minuten, um darauf so heimisch
-zu sein, wie auf der Orgel von St. Séverin, auf der er sich in
-wundervollen Improvisationen zu ergehen pflegt.
-
-Bei uns ist jede Orgel von der andern in der Anlage der Ressourcen
-verschieden. Um mit Erfolg darauf zu spielen, muß man sich zum
-mindesten einige Tage darauf einleben. Man würde sich mit dieser
-Verschiedenheit noch abfinden, wenn sie gewissermaßen nur der
-chaotische Zustand wäre, aus dem dann der vollendete Orgeltypus
-hervorgehen könnte. Dies ist aber nicht der Fall, denn es ist in den
-Differenzen weder Sinn noch Verstand, sondern nur Zufall, Gewohnheit,
-Willkür. Es kann nur einen wirklich vollendeten Orgeltypus geben. Statt
-daß wir uns aber auf diesen hinbewegen, bleiben wir in der regellosen
-Vielheit stecken und meinen noch, es müßte so sein.
-
-Nun verdankt zwar Deutschlands Kunst, und gerade die Musik, dem
-Kleinstaatentum viel, unendlich viel, was man erst entdeckt, wenn man
-in Ländern lebt, die dieses Stadium nie gekannt haben. Aber im Orgelbau
-ist es vom Übel. Möge Frankreich hier im Guten, wie in der Geschichte
-einst im Bösen, die einigende Macht sein.
-
-Der Vorteil, der dem Spieler auf der französischen Orgel fast am
-lebhaftesten zum Bewußtsein kommt, ist das Vermögen, durch An- und
-Abkoppelung der Klaviere an das Pedal die Klangstärke und Klangfarbe
-des Basses jederzeit zu regeln, ohne in den Manualen etwas zu
-verändern. Man empfindet dies fast noch angenehmer als die jederzeitige
-Möglichkeit, die Manuale untereinander zu koppeln, obwohl unseren
-neueren Orgeleinrichtungen gerade dies zum größten Vorwurf gemacht
-werden muß, daß sie das Operieren mit An- und Abkoppelungen der
-Klaviere, das Regulieren des Zusammenwirkens der drei Persönlichkeiten,
-die die Orgeleinheit ausmachen, zur Ausnahme statt zur Regel erheben.
-
-Wer von uns seufzt nicht fast in jedem Bachschen Stück darunter, es
-auf unsern Orgeln nicht in der Gewalt zu haben, bald einen weniger,
-bald einen besser genährten Baß reden zu lassen? Wem sind gewisse
-längere gehaltene Baßnoten, besonders wenn die linke Hand in der
-Tiefe zu tun hat, nicht eine Qual? Auf der französischen Orgel
-existiert diese Schwierigkeit nicht. Man höre Widor ohne Veränderung
-der Manualklangfarbe den großen Orgelpunkt des Pedals in der
-F-dur-Toccata von Bach anschwellen lassen! Man höre ihn den Bässen im
-G-moll-Präludium gebieten! Ehe die gehaltene Baßnote einsetzt, fliegen
-durch fünf kurze aufeinanderfolgende Bewegungen seine sämtlichen
-Pedalkoppeln ab. Nun, gegen Ende der gehaltenen Note, tritt jede
-zu ihrer Zeit auf dem starken Taktteil, die Betonung verstärkend,
-wieder ein: V, IV, III, II, I Klavier! Dasselbe Manöver wird sechs-
-oder siebenmal wiederholt. Aber ich gestehe, daß ich sonst das
-G-moll-Präludium noch nie ohne „Baßbeschwerden“ gehört habe.
-
-Das Beherrschen der in den Füßen angelegten Koppeln und Kollektivtritte
-bedeutet nun freilich eine ganz besonders zu erlernende Technik, die
-in ihrer Art fast noch schwerer ist als die Pedaltechnik. Wie oft
-spielt der Schüler unter Guilmants, Gigouts oder Widors unerbittlichem
-Blick eine Übergangsstelle, bis er es endlich heraus hat, auf die
-hundertstel Sekunde genau, ohne daß das Spiel im geringsten alteriert
-wird, lautlos, ohne Kontorsion, unfehlbar sicher die Koppel oder
-die Kombination niederzudrücken und im nächsten Augenblick für die
-kommende in Bereitschaftsstellung zu sein! Fast für jedes Stück muß
-man sich die Peripetien, wo die Aufeinanderfolge der Bewegungen eine
-gewisse Kompliziertheit erreicht, besonders „anlernen“. Ich stand
-neben Widor, als er seine letzte, die „Romanische Symphonie“ für sich
-einstudierte. Wievielmal nahm er bestimmte Stellen vor, ehe die Koppeln
-und Kollektivtritte ihm gehorchten, wie er wollte!
-
-Aber wenn die betreffenden Bewegungen einmal angelernt sind, ist man
-eben vollständig frei und Herr der Steigerungen, die man ausführen
-will. Man stelle sich neben Vierne, den jungen, kaum noch einen
-Schimmer des Augenlichts besitzenden Organisten von Notre-Dame, und
-folge ihm, wie er ohne irgendwelche Beihilfe, nur durch die sehend
-gewordenen Füße sein wundervolles Instrument vom Pianissimo zum
-Fortissimo leitet!
-
-Ein Organist warf mir einst ein, daß nur die talentvolleren Schüler
-diese zweite „Pedaltechnik“ erlernen könnten. Von Guilmant und Gigout,
-den Lehrern der neuen französischen Organistengeneration, wird man
-aber jederzeit erfahren, daß mit Fleiß ein jeder auch nur einigermaßen
-begabte Schüler die Schwierigkeiten überwindet.
-
-Was hindert uns nun aber, die französische und die deutsche Einrichtung
-auf einer Orgel zu vereinigen und die Hauptkoppeln und Kombinationszüge
-sowohl als Druckknöpfe als auch als Pedaltritte anzubringen, und
-zwar so, daß jedesmal Knopf und Tritt korrespondieren? Dann wäre
-man imstande, jedesmal dasjenige Glied zu benutzen, das man gerade
-frei hat. Man würde z. B. eine Koppel mit der Hand einstellen, und
-nun, da sie sich zugleich automatisch im Fuß einstellt, in der Lage
-sein, sie entweder wieder mit der Hand, oder, wenn gerade besser
-angängig, mit dem Fuß auszuschalten. Wir triumphieren, und mit Recht,
-daß es für unsere Pneumatik keine technischen Unmöglichkeiten gibt.
-Der Orgelbauer, der es unternimmt, dem Spieler die Hauptressourcen
-in dieser Art doppelt anzulegen, hat dann den Knoten, den alle
-Diskussionen nicht lösen können, in der richtigen Art durchhauen.
-Diese doppelte Anlage läßt sich übrigens auch durch eine einfache
-unpneumatische, rein mechanische Einrichtung an jeder Orgel anbringen.
-
-Auf dieselbe Weise ließe sich auch die Frage: Rollschweller oder nicht,
-lösen. Ich selber weiß sehr gut die Vorteile eines Rollschwellers
-z. B. bei Begleitung von Oratorien mit großen Chören zu schätzen und
-gestehe zu, daß man damit in bestimmten Fällen einzigartige Wirkungen
-hervorbringen kann. Aber mit seiner alleinigen Herrschaft bin ich
-nicht einverstanden, besonders nicht, wenn es sich um Orgeln von
-unter dreißig Stimmen handelt, wo er geradezu barbarisch wirkt. Ich
-fürchte auch, daß er auf das künstlerische Empfinden unserer jungen
-Organisten und, ganz besonders, auf unsere Orgelkomponisten nicht den
-besten Einfluß ausgeübt hat, indem er beide von dem wahren, einfachen,
-suchenden Registrieren abbrachte und sie in Versuchung führte, die
-Orgel als ein Instrument zu betrachten, auf dem man „stark und schwach“
-spielt, nicht als die vielgestaltige Einheit, in der jede Steigerung
-aus dem Zusammenwirken bestimmter Klangeinheiten resultieren muß.
-Ich glaube, wenn man eine Umfrage unter den erfahrenen Organisten
-anstellte, würden manche gestehen, daß sie von der einseitigen Wertung
-des Rollschwellers aus künstlerischen Gründen abgekommen sind.
-
-Hier heißt es wieder: das eine tun und das andere nicht lassen. Man
-lasse uns den Rollschweller, gebe uns aber zugleich die französischen
-Ressourcen, damit wir nicht einzig auf ihn angewiesen sind. Dann tritt
-der verderbliche Einfluß, den der Rollschweller in der Auffassung
-unserer jungen Organisten und in der neueren Literatur ausgeübt hat,
-von selbst zurück.
-
-Merkwürdigerweise fehlt nämlich auf unsern deutschen Orgeln gerade
-das, was wir am meisten brauchten. Wir haben den Rollschweller, die
-freien Kombinationen, Chöre, Tuttizüge usw., d. h. alles Ressourcen,
-in denen ein Registeraggregat das andere ablöst. Wir haben aber
-keine Möglichkeit, zu einer vorhandenen Registrierung, indem wir sie
-fortbestehen lassen, auf jedem Klavier neue Stimmen je nach Bedarf
-einzuführen. Diese elementarste und durch die Kompositionen in
-allererster Linie verlangte Ressource existiert tatsächlich nicht.
-
-Geradezu verderblich ist, daß sehr oft nicht einmal die Klaviere
-unabhängig voneinander sind, da der Knopf, der die freien Kombinationen
-in Aktivität setzt, oder der, welcher die Tutti und Mezzoforti
-einführt, der Vereinfachung halber -- sonst hätten wir ja jedesmal vier
-statt eines Knopfes -- auf die drei Klaviere und das Pedal zugleich
-wirkt! Unser scheinbarer Reichtum ist tatsächlich eine furchtbare
-Armut. Unmöglich, wenn Tutti eingestellt ist, zum dritten Klavier das
-Pedal zu gebrauchen, da dieses ja auch auf Tutti steht. Man könnte
-ein Buch über die Pedalnot auf unserer modernen Orgel schreiben,
-die einen mit ihren zahllosen glänzenden Knöpfchen so reich und
-verheißungsvoll anlächelt, während doch dieser ganze Fassadenreichtum
-zuletzt nur glänzende Armut ist, weil er gerade die einfachen und daher
-künstlerischen Ressourcen nicht enthält.
-
-Und wenn, um dieser Not zu wehren, die Orgelbauer uns heute ein
-automatisch eintretendes schwächeres Pedal offerieren, welches das
-andere ablöst, sobald man bei eingestelltem Tuttiknopf auf das II.
-oder III. Klavier übergeht, so ist das nur ein jämmerlicher Notbehelf,
-mehr geeignet die Not zu beleuchten als Abhilfe zu schaffen, denn ein
-ehrlicher Organist will das Pedal, das er will und braucht, nicht
-ein Pedal, das ihm der Orgelbauer zum II. oder III. vollen Klavier
-vorzuschreiben für gut befindet.
-
-Es handelt sich also darum, das Hinzutreten und das Abtreten neuer
-Klangaggregate zu ermöglichen. Auch hier glaube ich, wird sich wieder
-die Vermittlung zwischen französischem und deutschem Typus empfehlen,
-nämlich eine Vermittlung zwischen unserer freien Kombination und der
-französischen Einführung der Mixturen und Zungen. Die französische
-Einrichtung hat den Nachteil, daß sie nur die Einführung von Mixturen
-und Zungen gestattet; die deutsche, daß die eintretende freie
-Kombination die gezogene Registrierung aufhebt. Nun richte man es
-so ein -- der Pneumatik ist ja alles möglich --, daß die auf die
-freie Kombination eingestellte Registrierung die gezogene, je nach
-Belieben des Organisten, aufhebt oder komplementierend hinzutritt,
-um durch dieselbe Druckknopf- oder Trittbewegung wieder wegzutreten,
-je nachdem der Spieler vor Beginn des Spiels einen Tritt oder Knopf,
-der das Stehenbleiben der Hauptregistrierung bewirkt oder annulliert,
-niederdrückt oder nicht.
-
-
-Wir hätten demnach als +Ressourcen für eine mittlere Orgel+:
-
-Pedalkoppeln, Manualkoppeln, Super- und Suboktavkoppel, doppelt
-verwendbare freie Kombination in der oben beschriebenen Art für jedes
-Klavier und für das Pedal, dazu noch den Rollschweller. Bei den Koppeln
-wäre noch eine Einführung der Stimmen des ersten Klaviers, in der Art
-des französischen G. O. anzubringen.
-
-Dieser Typus hat sich mir durch ein jahrelanges Nachdenken über
-französische und deutsche Orgeln und durch ein fortgesetztes Streben
-nach der zweckmäßigen Vermittlung zwischen beiden aufgedrängt, wobei
-anregende Unterhaltungen mit den Orgelbauern von hüben und drüben mir
-wertvolle Fingerzeige boten. Man probiere diese einfachen Ressourcen
-in Gedanken durch und man wird finden, daß ihr Reichtum im umgekehrten
-Verhältnis zu ihrer Einfachheit steht[1]. Alles, was auf einer
-französischen und deutschen Orgel möglich ist, ist es auch auf dieser.
-Bach, César Franck, Guilmant, Widor und Reger lassen sich in gleicher
-Weise darauf spielen.
-
-Freilich, man wird vielleicht gegen diese Orgel einwenden, daß sie zu
-einfach ist, denn die Kompliziertheit unserer Orgeln ist nachgerade,
-trotz einiger warnenden Stimmen, bei uns zur Manie geworden. Wenn
-eine Orgel nicht aussieht wie das Zentralstellwerk eines großen
-Bahnhofs, taugt sie für eine gewisse Kategorie unserer Organisten von
-vornherein nichts. Sie wollen ein halbes Dutzend übereinandergelagerter
-freier Kombinationen, wenn sie sie auch auf einer Tafel hinter ihrem
-Rücken anbringen müßten, dazu Druckknöpfe für Chöre, Tutti- und
-Kombinationsknöpfe, alles womöglich in größter Menge. Ich gestehe,
-daß ich auf so komplizierten Orgeln nie besser als auf andern spielen
-hörte, gewöhnlich aber die Bemerkung machte, daß entsprechend dem
-Reichtum der sich kreuzenden Ressourcen entsprechend viel „passiert“
-war.
-
-Von unseren +Echo-Fernwerken+ mag ich nicht reden. Sie haben mit der
-Orgel an sich nichts zu tun und sind eine gefährliche Spielerei, die
-den Geschmack des Publikums und, was noch schlimmer, des Organisten
-verdirbt.
-
-Das „+Organola+“ gar ist der Sündenfall unseres modernen Orgelbaues.
-Wann werden in der Öffentlichkeit genug Stimmen laut werden, die das
-Anbringen eines solchen Apparats zum Mechanisch-Spielen als das, was
-es ist: als eine Beleidigung der Orgelkunst hinstellen! Für mich hat
-das Organola nur eine soziale Bedeutung: daß man in Zukunft Krüppel und
-Kriegsinvaliden mit Organistenplätzen versorgen kann.
-
-Welche Geschmacksverirrung liegt aber schon darin, daß unser Orgelbau
-uns solche nichtssagende Dinge wie Echowerke und Organola zu offerieren
-wagt!
-
-Fast lächerlich ist, wie für die kleinen Orgeln das Moderne geradezu
-ausschließlich in der Überladung mit Druckknöpfen gesucht wird. Auf
-Orgeln von 10 oder 12 Stimmen findet man Kombinationszüge für Piano,
-Mezzoforte, Forte und Fortissimo! In gedankenloser Bequemlichkeit
-kommen unsere Organisten von der ausgedachten Handregistrierung ganz ab.
-
-Es scheint mir fast, als wären wir alle von dem Trugbild der
-„Konzertorgel“ getäuscht. Was heißt denn Konzertorgel? Gibt es denn
-zwei Arten von Orgeln? Oder gibt es nicht nur eine beste Orgel und ist
-nicht diese zur Kirchenorgel gerade gut genug? Was würde der alte Bach
-sagen, wenn er von unseren Unterscheidungen hörte? Was würde er erst
-sagen, wenn er wüßte, daß wir zwischen Organisten und Orgelvirtuosen
-unterscheiden? Gibt es denn noch etwas, das höher ist als ein „guter
-Organist“ sein, ein solcher, der sich bewußt ist, nicht seinen Ruhm
-zu suchen, sondern hinter der Objektivität des heiligen Instrumentes
-zu verschwinden und es allein reden zu lassen, als redete es von sich
-selber, ad majorem Dei gloriam?
-
-„Denken Sie sich,“ sagte mir einmal Widor, „man hat mich beleidigt. Man
-hat mich in einer Zeitschrift einen Orgelvirtuosen genannt. Ich bin
-aber ein ehrlicher Organist. Ein Orgelvirtuose ist nur der Wildling des
-Organisten.“
-
-Daß die „Konzertorgel“ und der „Orgelvirtuose“ in Frankreich
-fast unbekannt sind, ist das Verdienst des Orgelbauers Aristide
-+Cavaillé-Coll+, des Schöpfers des einfachen und in seiner Art
-vollendeten Typus der französischen Orgel. Er war mehr als ein großer
-Orgelbauer: er war, wie Silbermann, ein Genius des Orgelbaues. Ich kann
-seiner nicht vergessen und sehe ihn heute noch mit dem Käppchen, mit
-den treuen guten Augen, in denen so viel Kunst und Intelligenz lag,
-allsonntäglich neben Widor auf der Orgelbank zu St. Sulpice sitzen und
-mit der Hand über den Spieltisch seiner Lieblingsorgel fahren.
-
-Man hat es mir in deutschen Organistenkreisen verschiedentlich übel
-genommen, daß ich in meinem französischen Buch über Bach behauptete,
-Bach würde das Ideal seiner Orgel eher in dem von Cavaillé-Coll
-geschaffenen Typus wiederfinden als in unseren Instrumenten. Da ich
-diese Behauptung auch in den demnächst erscheinenden deutschen und
-englischen Ausgaben meines Werkes aufrecht erhalte, +möchte ich sie
-hier begründen und zur Diskussion stellen+.
-
-
-Maßstab einer jeglichen Orgel, bester und alleiniger Maßstab, ist
-die Bachsche Orgelmusik. Man wende diesen Satz künstlerisch auf den
-Orgelbau an und male sich nicht immer wieder aus, wie Bach vor Freude
-über unsere Druckknöpfe seine Perücke in die Luft werfen und wieder
-auffangen würde, um sich dann hinzusetzen und sich von einem modernen
-Orgelvirtuosen belehren zu lassen, was man auf der modernen Orgel alles
-aus seiner Musik „herausholen“ kann.
-
-Als ein auf das Wesen der Dinge dringender Geist würde er alsbald
-fragen, wie denn die Mechanik unserer Orgel ist?
-
-Nun sind ja die praktischen Vorteile der Röhrenpneumatik in die Augen
-springend: Leichtigkeit und Rapidität des Anschlags, Vereinfachung
-der Anlage, unbeschränkte Möglichkeit aller Ressourcen. Sind das aber
-ebenso viele ästhetische Vorteile?
-
-Nein. Unsere Röhrenpneumatik ist eine tote Präzision. Sie besteht
-aus einer Kraftübertragung rein durch Luftdruck. Es fehlt ihr das
-lebendige und elastische des Hebels. Alle Federn können die elastische
-direkte Übertragung durch den Hebel nicht ersetzen. Alle Anstrengungen
-des Spielers müssen darauf gerichtet sein, das Tote dieser Präzision zu
-verdecken. Es gehört ein Künstler dazu, um auf einer guten Pneumatik
-gut zu spielen. Und die pneumatischen Systeme unserer +Walker+ und
-+Sauer+, um nur zwei der hervorragendsten zu nennen, sind wahre
-Meisterwerke.
-
-Wenn man dann gar den Durchschnitt der vielsystemigen Pneumatiken
-nimmt, mit schlechtregulierten Tasten, ohne Tiefgang, ohne Leergang,
-ohne Druckpunkt, wo die geringste Fingersubstitution ein Wagnis ist,
-weil die Nebentaste bei der geringsten Berührung anspricht, mit
-Pedalen, wo es dem besten Organisten unmöglich ist, korrekt und sauber
-zu spielen ... wenn man diese Durchschnittspneumatiken nimmt, wo man
-nervös bis zum Exzeß und verzweifelt die Orgelbank verläßt, frage ich
-mich, ob wir nicht künstlerisch durch unsere Pneumatiken verloren
-haben. Kein Organist will mehr eine Mechanik[2]. Und doch, wie viele,
-die auf ihrer alten Mechanik gut und sauber gespielt haben, schmieren
-auf der neuen, auf die sie so stolz sind, und spielen unpräzis, ohne
-es zu wissen, weil sie den Anforderungen der Pneumatik nicht gewachsen
-sind.
-
-Ich glaube, daß wir in Deutschland von der blinden Begeisterung
-für die Pneumatik zurückgekommen sind und einzusehen beginnen, daß,
-künstlerisch betrachtet, Pneumatik nur ein Notbehelf für Verhältnisse
-ist, wo die Traktur nicht mehr verwendbar ist. Bei der Traktur fühlt
-der Finger an einer gewissen Anstrengung genau, wann der Ton kommt;
-er nimmt Druckpunkt. Und die niedergedrückte Taste strebt unter dem
-Finger empor, um, sobald derselbe den geringsten Impuls zeigt, sie zu
-verlassen, durch ihre Schwerkraft alsbald emporzusteigen und den Finger
-mit aufzuheben. Die Kraft der Taste kooperiert mit dem Willen! Auch
-der mittelmäßige Organist kann auf Traktur nicht schmieren. Bei der
-Pneumatik fehlt die Kooperation der Taste. Sie verschlechtert das Spiel,
-statt es zu verbessern, und bringt den geringsten Fehler an den Tag.
-
-Nur bei der Traktur steht man mit seiner Orgel in wirklicher lebendiger
-Verbindung. Bei der Pneumatik verkehrt man mit seinem Instrument per
-Telegraph ... denn auch der Morseapparat beruht auf einer federnden
-Taste. Die Traktur der Orgel von St. Thomä zu Straßburg ist wohl über
-hundert Jahre alt. Aber es ist eine Wonne, eine Fuge von Bach darauf
-zu spielen. Ich wüßte keine Orgel, auf der alles so klar und präzis
-herauskommt.
-
-Nicht davon zu reden, daß die Pneumatik durch geringste Dinge
-beeinflußt wird. Einst, zwischen einer Hauptprobe und einer Aufführung,
-mußte der Orgelbauer telegraphisch herbeigerufen werden, weil etwas an
-der Pneumatik gestört war. Der Schaden ist gehoben. Triumphierend zeigt
-er mir den Störenfried: ein von der Decke gefallenes Sandkörnchen. „Nur
-ein Sandkörnchen!“ ... „Das ist das Schlimme“, erwiderte ich, „daß ein
-Sandkörnchen so eine Störung verursachen kann. Wenn’s ein Erdbeben
-gewesen wäre, würde ich nichts sagen. Und dann noch! Sie werden sehen,
-daß die alten Trakturorgeln nicht einmal beim Weltuntergang leiden,
-sondern bestehen bleiben werden, daß die Engel des jüngsten Gerichts
-das Gloria drauf spielen“. Er war so perplex über diese „Umwertung der
-Werte“, daß er sogar die Redensart von den heißen Sommern vergaß, die
-man gewöhnlich gegen die Traktur ins Feld führt.
-
-„Aber die Pneumatik geht so leicht!“ Der dies einwarf, war ein Hüne,
-der auf jedem Jahrmarkt als Kraftmensch hätte auftreten können.
-
-Daß eine gute Traktur in kleinen Verhältnissen besser ist als
-Pneumatik, wissen unsere Orgelbauer ganz gut und gestehen es auch ein.
-Aber Pneumatik ist einfacher und billiger zu bauen. Und sie sind durch
-die Verhältnisse gezwungen, das Billige zu bevorzugen.
-
-Diesen Vorzug hat die französische Pneumatik, die auf dem Prinzip der
-bald sechzig Jahre alten Barckerlade beruht, nicht. Sie kommt fast um
-die Hälfte teurer zu stehen als unsere Röhrenpneumatik. Aber sie ist
-künstlerischer und elastischer, da sie mit dem pneumatischen Hebel
-operiert und also alle künstlerischen Vorteile der reinen Traktur
-gewissermaßen in die Pneumatik hinübergerettet hat. Wenn ich in Paris
-eine Orgel von Cavaillé-Coll oder Merklins schöne Orgel im Oratoire
-der Rue de Rivoli spiele, bin ich jedesmal aufs neue beglückt von der
-elastischen und sicheren Präzision dieser Kraftübertragung und habe
-nachher immer Mühe, mich wieder an unsere Pneumatiken zu gewöhnen. Aber
-die Preisfrage entscheidet bei uns eben alles.
-
-Überhaupt könnten wir für die Details der Anlage von der französischen
-Orgel viel lernen. Ihre Tasten sind etwas kleiner als die
-unsrigen; die Obertasten raffiniert abgerundet; die Klaviere näher
-übereinanderliegend als unsere. Für möglichst genaue Bindung und
-leichten und sicheren Klavierwechsel, worauf ja Bach bekanntlich
-allen Wert legte, ist alles vorgesehen. Und erst die französischen
-Pedale! Sie kosten zwar etwa das Doppelte der unsrigen. Aber welche
-Vollkommenheit! Alle im Kreis angelegt, geschweift, neuerdings bis zum
-G reichend, und mit einer geradezu idealen Federung. Wir stellen weit
-geringere Anforderungen.
-
-Das geschweifte Pedal hat sich bei uns noch nicht durchgesetzt,
-trotzdem seine Vorteile auf der Hand liegen, und jeder, der einmal
-über die radiäre Fußbewegung beim Pedalspiel nachgedacht hat, es als
-das einzig sinngemäße bezeichnen muß. Ich hätte mich unlängst mit
-einem befreundeten Organisten, dem ich beim Umbau seines Instruments
-geschweiftes Pedal aufnötigte, beinahe verfeindet und mußte ihm
-versprechen, ihm nach Jahresfrist das geschweifte eventuell durch ein
-gerades zu ersetzen, wenn er sich von der Zweckmäßigkeit der Neuerung
-nicht überzeugen könnte.
-
-Als ich einen unserer bedeutendsten Orgelbauer darüber zur Rede
-stellte, daß er für das Ausland nur schöne geschweifte Pedale, für
-Deutschland aber fast nur gerade baute, antwortete er mir: „Im Ausland
-muß ich eben diese Pedale bauen. In Deutschland verlangt man sie nicht,
-und da manche Revisoren noch keine geschweiften unter den Füßen hatten,
-darf ich gar nicht damit kommen.“
-
-Mit einem Wort: auf einer französischen Orgel ist leichter gut zu
-spielen als auf einer deutschen. Man ist, durch das einfache praktische
-Raffinement der Anlage, manchen Dingen, die einem bei uns passieren
-können, einfach nicht ausgesetzt. Wir schauen mehr auf das äußerliche
-für das Auge bestimmte Raffinement. Statt der Registerzüge fangen wir
-an, Registertasten zu bevorzugen; wir bringen zierliche Druckknöpfe an
-und finden es reizend zu tippen, statt einen ehrlichen Register- oder
-Koppelknopf zu ziehen.
-
-Ich hatte soeben auf einer wundervollen alten Silbermann-Orgel eine
-Bachsche Fuge beendet und war noch ganz gefangen in dem zauberischen
-Klang der alten Mixturen, da bemerkte einer, der seit zwei Jahren
-„seine moderne Orgel“ hat, neben mir: „Es muß doch unangenehm sein,
-auf einer Orgel zu spielen, die noch nicht einmal Registertasten hat.“
-Er hatte über der Entrüstung über die unmodernen Registerzüge ... die
-Orgel nicht gehört.
-
-
-Ich möchte die Frage aufwerfen, ob wir nicht überhaupt über den
-sichtbaren Veränderungen an unsern Spieltischen die Hauptsache, die
-Klangwirkung, weniger beachtet haben? Sind die Fortschritte des
-Orgelbaues der klanglichen Wirkung zugute gekommen?
-
-Nein! Nicht immer. Unsere Orgeln sind wohl „stärker“, aber nicht mehr
-so schön wie die alten. Unsere alten Orgeln, noch die vor zwanzig
-Jahren gebauten, sind schöner und künstlerischer intoniert als die
-unserer Zeit.
-
-Merkwürdig bleibt mir, daß die Laien dies vor den Organisten bemerkten.
-Schon so und so oft wagten musikalische Laien, wenn eine alte Orgel
-durch eine neue ersetzt worden war, nach einiger Zeit mir gegenüber die
-schüchterne Bemerkung, „daß die alte doch fast schöner gewesen sei“.
-Bei den Organisten bricht sich diese Erkenntnis erst langsam Bahn. Wir
-müssen erst aus dem Erfindungstaumel aufwachen, um unser Gehör wieder
-zu erlangen.
-
-Daß der Klang von den modernen Erfindungen nichts profitiert hat,
-liegt einerseits daran, daß eine der Haupterfindungen, die Möglichkeit
-der unbegrenzten Winderzeugung durch den elektrisch betriebenen Balg,
-uns naturgemäß -- die besonnensten unter uns machten keine Ausnahme
--- auf eine falsche Bahn brachte. Wir fingen an, Klangstärke und
-Klangreichtum zu verwechseln. Auf den alten Orgeln mußte man mit der
-Windzufuhr sparen. Als wir dies nicht mehr brauchten, lachten wir
-über die engen Windkanäle unserer Väter und fingen an, „kräftig“ und
-„kernig“ zu intonieren, immer kräftiger, immer kerniger und freuten
-uns der tosenden und brausenden Orgeln. Den Höhepunkt erreichte die
-Begeisterung mit der Einführung der labialen Hochdruckstimmen[3].
-„Nun haben wir es erreicht“, schrieb damals ein bedeutender Organist,
-„daß eine Orgel von fünfzehn Stimmen dasselbe volle Werk liefert wie
-früher eine von dreißig.“ Besser kann sich die Verirrung selbst nicht
-charakterisieren.
-
-Die Ernüchterung kam; sie schreitet fort. Aber wie lange wird’s
-noch dauern, bis wir wieder einzig Klangreichtum erstreben, auf das
-Danaergeschenk der Klangstärke, das uns der elektrische Balg bot,
-verzichten und uns wieder freiwillig in die künstlerischen Grenzen
-zurückbegeben, in denen wir früher durch die Schwierigkeit, beliebige
-Windmassen zu erzeugen, gehalten wurden?
-
-Eine fette Person ist weder schön noch stark. Künstlerisch schön und
-stark ist nur die Form mit dem vollkommenen Spiel der Muskeln. So
-werden wir auch mit der Zeit von der durch Windmassen aufgeblasenen
-modernen Orgel abkommen und das reiche und schöne volle Werk nur in
-dem Zusammenwirken der normalen, differenzierten und künstlerisch
-intonierten Register suchen und es aufgeben, ein volles Werk
-„zusammenzulügen“. Lüge besteht nicht in der Kunst, denn Kunst ist
-Wahrheit.
-
-Aber, sogar wenn wir die künstlerische Einsicht besessen hätten,
-uns nicht durch die gesteigerte Möglichkeit der Winderzeugung auf
-falsche Bahn leiten zu lassen, wäre unser Orgelbau doch auf diese Bahn
-gedrängt worden. Das Ganze ist nämlich eine finanzielle Frage. Unser
-Orgelbau befand sich in der Zwangslage, auf diejenigen Erfindungen
-auszugehen, die Verbilligung, d. h. Bestehen in der Konkurrenz
-ermöglichten. Alles andere, die rein künstlerischen Probleme, mußten
-notgedrungen mehr daneben liegen bleiben. Die letzten vierzig Jahre,
-das Erfindungszeitalter im Orgelbau, werden vor der Geschichte einst
-nicht als die großen Jahre des künstlerischen Fortschritts dastehen,
-wie manche unter uns meinen, sondern man wird sie überschreiben: „Kampf
-des Kaufmännischen mit dem Künstlerischen. Sieg des Kaufmännischen über
-das Künstlerische.“
-
-Ein Haus, das das Künstlerische über das Kaufmännische stellte, war von
-vornherein verloren. Der Erfindungstaumel, der uns Organisten in dieser
-Periode ergriff, verlangte äußere, epochemachende, verbilligende
-Entdeckungen. Diesem Geiste mußten sich unsere Orgelbauer, manche, wie
-ich weiß, innerlich ergrimmt, beugen.
-
-
-So sind wir bei der Fabrikorgel angelangt, der guten braven
-Fabrikorgel. Was von Kunst an ihr ist, verdanken wir der Aufopferung
-unserer Orgelbauer, die auch bei diesen herabgesetzten Preisen noch
-das Beste leisteten, was zu leisten war, und zufrieden waren, wenn sie
-überhaupt bestehen konnten. Vor dem richtenden Urteil der Geschichte
-werden sie einst, trotzdem ihre Orgeln nur gute Fabrikorgeln sind,
-ehrenvoll bestehen; wir aber, die wir über die zu bauenden Orgeln
-entschieden und wähnten, daß die Kunst von der sich unterbietenden
-Konkurrenz profitieren könne, werden klein dastehen, weil wir nicht
-hinreichend begriffen, was wir als Schüler des alten Bach hätten
-begreifen müssen: daß ein Orgelbauer nur dann ein Künstler sein
-kann, wenn er als Künstler von einem Künstler gehalten wird. Fehlt
-ihm dieser Halt, so wird er durch die Macht der Umstände Kaufmann in
-Kunstgegenständen.
-
-Gewiß gab es auch Ausnahmen. Aber im allgemeinen können wir Organisten
-es nicht leugnen, daß wir dem Zug der Zeit nach Verbilligung folgten,
-und daß derjenige oft die Bestellung erhielt, der für denselben Preis
-ein oder zwei Register -- und war es nur ein mageres Äolinlein oder
-ein Druckknöpfchen -- mehr bot, ohne daß wir uns fragten, ob damit
-künstlerische Arbeit, d. h. solche, die weder mit Zeit noch mit Lohn
-ängstlich zu rechnen braucht, noch möglich ist.
-
-Ein gütiges Schicksal bewahrte zu derselben Zeit Cavaillé-Coll, in
-diese Bahn gedrängt zu werden. Seine Haupttätigkeit fiel in das
-letzte Jahrzehnt des Kaiserreichs, wo Geld für kirchliche Zwecke
-reichlich vorhanden war. Nachher boten ihm Guilmant und Widor, seine
-künstlerischen Berater, durch ihren Halt eine solche Superiorität, daß
-er seine Preise nicht nach der Konkurrenz zu richten brauchte. „Ja,
-der alte Cavaillé“, sagte mir unlängst einer unserer sympathischsten
-Orgelbauer, „wenn bei dem ein Arbeiter drei Wochen an etwas gearbeitet
-hatte und es paßte ihm nicht ganz, ließ er’s von vorne anfangen, und
-wenn’s wieder nicht paßte, noch einmal. Wer von uns kann das? Wir
-würden keine drei Monate existieren.“
-
-Zuletzt zwar ereilte ihn das Schicksal. In den letzten Jahren hatte er
-mit Zahlungsschwierigkeiten zu kämpfen. Zwar wurde die Firma in dem
-ehrwürdigen Haus, 15 Avenue du Maine, in dem geschäftigen Viertel der
-Gare Montparnasse gerettet; Cavaillé aber starb arm, ohne den Seinen
-etwas zu hinterlassen. Dafür aber singen die Orgeln von St. Sulpice und
-Notre-Dame seinen Ruhm, solange noch ein Stein auf dem andern bleibt.
-Bis einst Paris wie Babel ein Trümmerhaufe ist, werden diejenigen,
-welche für die zauberhafte Schönheit seiner Orgeln empfänglich sind,
-beim Verlassen von Notre-Dame und St. Sulpice mit Ergriffenheit
-desjenigen gedenken, der es wagte, der Zeit trotzend, rein Künstler zu
-bleiben.
-
-Cavaillé-Coll war sich bewußt, in der Barckerlade, die er zum ersten
-Male in der Basilikakirche zu St. Denis anwendete, das Ideal der
-Übertragung der Taste zur Pfeife gefunden zu haben. An Ressourcen
-begnügte er sich mit Koppeln und den Appels der Mixturen und Zungen.
-Für große Orgeln gab er eine einfache Reihe freier Kombinationen zu;
-so schon auf der Orgel zu St. Sulpice und auf der zu Notre-Dame.
-Alle in dieser Richtung weitergehenden Bestrebungen interessierten
-ihn nicht: seine ganzen Erfindungen und Anstrengungen waren auf die
-Vervollkommnung der Intonation und der Ansprache gerichtet, also gerade
-auf das, was beim deutschen Orgelbau zurücktreten mußte.
-
-In der Klangstärke, die er dem einzelnen Register gab, blieb er
-konservativ. Er konstruierte zwar Hochdruckzungen (trompettes en
-chamade) für Schwellwerke; für die anderen Register suchte er nur
-die Tonschönheit. Auch seine Flöten, nicht nur seine Prinzipale und
-Gamben, sind von wunderbarer Schönheit. Vielleicht fehlt ihnen die
-interessante Mannigfaltigkeit, die einzelne deutsche Orgelbauer in der
-Flötenfamilie erreicht haben.
-
-Um sich den Unterschied zwischen französischer und deutscher Orgel zu
-vergegenwärtigen, ziehe man auf beiden alle Grundstimmen 16, 8, 4, 2
-auf allen Manualen. Auf der deutschen Orgel wirkt das Ensemble sehr
-oft hart, zuweilen unausstehlich. Ich kenne moderne Orgeln, auf denen
-sogar die sämtlichen achtfüßigen Grundstimmen des I. Manuals nicht eine
-erträgliche Wirkung hervorbringen. Von unseren Doppelflöten laßt uns
-schweigen. Ein Orgelbauer gestand mir, daß ihm vor den Doppelflöten,
-die man ihm zu bauen auferlegt, graute, und ich selbst höre in gewissen
-Orgeln die Doppelflöte deutlich noch im vollen Werk!
-
-Nun bilden aber die sämtlichen Grundstimmen die Grundlage des vollen
-Werks. Wenn schon die Grundlage keine schöne Toneinheit ist, was soll
-aus dem vollen Werk werden?
-
-Ganz anders bei Cavaillé. Die Grundstimmen werden im Hinblick auf die
-Toneinheit, die sie bilden sollen, intoniert. Sowohl die jedes Manuals
-für sich als die vereinigten bilden ein ausgeglichenes harmonisches
-Ganzes, und zwar so, daß in dem Ganzen die Individualitäten der drei
-Klaviere voll zur Geltung kommen. Die Grundstimmen des Hauptwerks
-geben die Grundierung ab. Sie sind unverhältnismäßig weich, aber in
-einem vollendet gesunden Ton gehalten; die des II. Klaviers bringen
-gewissermaßen die Helligkeit hinein; die des III. liefern die
-Intensität. Die Intonation auf dem Schwellwerk ist viel intensiver als
-auf dem Hauptwerk. Bei uns merkt man bei voll gezogenen Grundstimmen
-die Ankoppelung des dritten Werks nicht. Bei Cavaillé hingegen ist
-es, als ob mit jenem Augenblicke Licht, weißleuchtendes Licht, in die
-Grundstimmenmasse hereinflutete.
-
-Dabei keine Härte, auch nicht in den obersten Lagen. Weil sie für
-solche Orgeln gedacht sind, wirken französische Kompositionen auf
-unseren Orgeln unerträglich. „Wie kann Widor solche gehaltenen
-Dissonanzen schreiben!“ sagte mir einst ein Berliner Organist, dem
-ich sehr viel verdanke. Wirklich waren sie auf der betreffenden Orgel
-unausstehlich, eine Qual ... aber nicht auf St. Sulpice!
-
-Um dies zu vermeiden, nehme ich für französische Kompositionen auf
-deutschen Orgeln nur die Hälfte der Grundstimmen, fast keine 4 und
-2 Füße auf dem ersten Klavier, wegen der oberen Lage. Ich ziehe im
-Prinzip nur so viel Grundstimmen auf dem I. und II. Klavier, daß die
-dazu gekoppelten vollzähligen Grundstimmen des III. noch deutlich
-bemerkbar werden und der Schwellkasten auf die Grundstimmenmasse
-wirkt. Erst wenn man dies beobachtet, bringt man César Franck, Widor,
-Guilmant, Saint-Saëns, Gigout und die anderen auf unseren Orgeln so zu
-Gehör, wie sie sich auf den ihren anhörten und anhören.
-
-Unsere nicht auf das Ensemble gerichtete Intonierung der Grundstimmen
-hat nun zur Folge, daß die Mixturen sich damit nicht vermischen,
-sondern nur „stark“ machen, wozu ihre eigene überkräftige Intonation
-noch das ihrige beiträgt. Wenn man eine moderne Orgel hört, sieht
-man immer den Grundstimmen- und den Mixturenstrom sich unvermischt
-einherwälzen, während die Bestimmung der Mixturen doch diese ist, in
-der Grundstimmenklangfarbe aufzugehen, sie lichtreich und durchsichtig,
-d. h. für das polyphone Spiel geeignet zu machen.
-
-Auf unseren Orgeln ist es aber einfach unmöglich, eine Fuge und ein
-Präludium von Bach mit Grundstimmen und Mixturen, welch letztere bald
-hinzu-, bald abtreten, zu spielen und die Peripetien durch die An-
-und Abkoppelungen der Manuale oder durch Manualwechsel hervortreten
-zu lassen, d. h. sie als architektonische lebenerfüllte Gebilde der
-Musik erstehen zu lassen. Auf Cavaillés Orgel ist dies möglich, weil
-alles auf den schönen Zusammenklang von Grundstimmen und Mixturen
-eingerichtet ist. Darum spielen die französischen Organisten die
-Bachschen Fugen in manchem einfacher, klarer und sachgemäßer als wir:
-ihre Orgel steht der Bachschen näher als die unsrige.
-
-Wir aber müssen die Bachsche Fuge unserer Orgel anpassen. Unsere
-„Auffassungen“ entspringen z. T. nur der Not, was nicht hindert, daß
-diese „Auffassungen“ von den meisten als ein künstlerischer Fortschritt
-angesehen werden. Weil wir sie nicht so einfach spielen können, wie sie
-gedacht ist, registrieren wir sie und behandeln sie orchestral. Wir
-gießen sie in eine neue Form, bringen Steigerungen und Diminuendi an,
-wo keine im Fugenplan vorgesehen sind, weil wir die von Bach gedachte
-klare und gesättigte Klangfarbe auf unserer Orgel nicht produzieren
-können.
-
-Und zuletzt hilft doch alles nichts, denn auf unseren Orgeln hört man
-nur Diskant und Baß: die Figuren der Mittelstimmen darauf zu verfolgen,
-ist unmöglich. Von den Geschmacklosigkeiten, die beim Registrieren
-passieren, will ich nicht reden. Ich habe einmal das Thema der großen
-G-moll-Fuge mit den Flöten des III. Klaviers intonieren hören, worauf
-dann die ganze Fuge fischleibartig anwuchs. Aber geschmacklos oder
-geschmackvoll registriert: es bleibt die so gespielte Fuge unwahr
-und unnatürlich, als wollte man Dürersche Stiche in kolorierter
-Kreidezeichnung herausgeben, damit sie „wirken“[4].
-
-Ich sehe heute noch das überraschte Gesicht einer unserer berufensten
-und bekanntesten Bachsängerinnen, als sie unlängst auf der Orgel zu St.
-Sulpice unter Widors Händen die G-moll-Phantasie in ihrer einfachen
-tongesättigten durchsichtigen Form erstehen sah.
-
-Zurück zu den von Bach verlangten polyphonen, nicht orchestralen
-Orgeln! Feinere Grundstimmen! Harmonische Einheit der Grundstimmen!
-Weg mit unseren wenigen schreienden Mixturen! Viele und weiche Mixturen!
-
-Wo ist auf unseren Orgeln die Mixturenfamilie auf einem Manual auch
-nur einigermaßen vollständig vertreten? Unsere II. und III. Klaviere
-waren lange Zeit von Mixturen entblößt. Langsam kommt man dazu, ihnen
-auch auf kleinen Orgeln wieder eine Mixtur zuzugestehen. Aber wie lange
-wird es dauern, bis die richtige Mixturenproportion auf allen Klavieren
-erreicht ist, bis es zum Dogma erhoben ist, daß eine Orgel desto
-wahrer, schöner und reicher ist, je mehr schöne feine Mixturen sie
-hat, daß sie überhaupt davon nie zuviel haben kann und daß auch unsere
-Schwellkastenklaviere damit geladen sein müssen? Denn die Bachsche Fuge
-verlangt Homogenität der Klangfarbe auf allen drei Klavieren! Sie ist
-einfarbig gedacht, wie der Kupferstich.
-
-Das ist aber wieder eine Geldfrage. Eine Orgel mit den richtigen
-Mixturen von 40 Stimmen stellt sich mindestens ebenso teuer als unsere
-heutigen Orgeln mit 50 Stimmen, wenn nicht teurer. Aber es kommt
-sicher eine Zeit, wo wir wieder nicht auf die Zahl, sondern auf den
-klanglichen Reichtum der Stimmen sehen, wo wir die richtige teuere
-Orgel von 40 Stimmen der falschen von 50 vorziehen werden und auf
-unsere Instrumente, bei denen einige wenige brutale Mixturen gegen
-den formlosen Gigantenleib unserer Grundstimmen in unaufgelöstem
-Widerstreit liegen, als auf etwas Überwundenes zurückblicken werden.
-
-Dann, nicht eher, ist auch die Pedalfrage gelöst. Unsere Pedale sind
-zu stark und zugleich zu schwach, weil der Ton uncharakteristisch
-und undeutlich ist. Wenn man ein Pedalsolo auf einer unserer Orgeln
-hört, meint man, es wälze sich ein Drachenleib aus dem Hintergrunde
-der Kirche in wilden schwerfälligen Windungen heraus. Setzt dagegen
-das Manual zum Pedal ein, so fragt man sich alsbald: wo ist denn das
-Pedal? Unsere volle Orgel ruht auf tönernen Füßen, denn im Vergleich
-zum vollen Werk unserer gekoppelten Manuale sind unsere Pedale
-dann doch immer wieder schwach, besonders da dann unsere gierigen
-Manualgrundstimmen, da sie schneller zuschnappen als die bedächtigen
-großen sechzehnfüßigen Holztiere, ihnen den Wind wegfressen.
-
-Die Sättigung des Pedals mit schönen Mixturen ist die einzige Lösung
-der Pedalfrage für das volle Werk. Nun finden sich aber auf unsern
-Pedalen fast keine Mixturen. Auch die Vierfüße fehlen durchschnittlich.
-Und die ein oder zwei Mixturen, die sich eventuell darauf befinden,
-sind unbrauchbar, weil sie sich nicht mit der Grundstimmenmasse
-vermischen, sondern in unaufgelöstem Zwiespalt mit ihr die Figuren nur
-undeutlich machen, manchmal geradezu akustisch entstellen. Andererseits
-sind wir in der Steigerung des Tonvolumens unserer Pedalgrundstimmen
-schon weit jenseits der Grenze des künstlerisch Erlaubten. Man
-höre einmal die F-dur-Toccata auf unseren Orgeln. Wer kann dieses
-Hervorkollern der übermäßigen Töne schön finden? Wer darin die
-wunderbare Bachsche Linie heraushören?
-
-Nicht übermäßig starke, sondern tonreiche, tonintensive, biegsame,
-sich auch bei gekoppelten Grundstimmen und Mixturen aller Klaviere
-wie von selbst durchsetzende Pedale müssen wir bauen. Das heißt:
-nicht übermäßig starke und nicht übermäßig viele Grundstimmen 16′ und
-8′, aber fast genau so viel schön und weich intonierte Mixturen. Ein
-solches Pedal ist nie zu schwach und nie zu stark und besonders: es
-verdunkelt und verdeckt die Mittelstimmen des Manuals nicht.
-
-Diese Erkenntnis, daß wir wieder zu den vielen und schönen Mixturen
-zurückkehren müssen, brach sich bei Cavaillé-Coll in der letzten
-Periode seines Schaffens immer mehr Bahn. Sein Schüler Mutin, der das
-Haus jetzt leitet, wandelt in des Meisters Bahnen und verwirklicht die
-Erkenntnis. Ich werde den Augenblick nie vergessen, wo ich zum ersten
-Male verwirklicht hörte, was ich erträumte: ein ideales Pedal. Es war
-auf der Musterorgel, die Cavaillés Atelier ziert, einem mixturenreichen
-Werk von etwa 70 Stimmen. Auf dem Pedal sind fast alle Mixturen, auch
-die Septime, vertreten. Ich spielte Bachs A-moll-Fuge mit gekoppelten
-Klavieren, alle 8, 4 und 2 Grundstimmen und Mixturen gezogen. Die
-Linien der Pedalfiguren standen einem ohne jede Aufdringlichkeit, aber
-mit intensiver Plastik, vor Augen. „Spielen Sie sie noch einmal“, sagte
-Mutin, „ohne Mixturen“. Als ich die Pedalmixturen einstoßen wollte:
-„Halt“, sagte er, „die bleiben“. Und dasselbe Pedal, das vorher für
-das volle Werk ohne Zungen überaus stark genug gewesen war ... war für
-die neue Registrierung, obwohl unverändert, nicht zu stark. Zuletzt
-gebrauchte ich dasselbe volle Pedal und beließ auf den Klavieren nur
-die Prinzipale 8 und 4 ... und es war auch nicht zu stark ... Da war
-mir zumut wie einem, der einen Blick in die Zukunft tun durfte, und ich
-stieg von der Bank herunter, nun innerlich ganz überzeugt, daß die Zeit
-der „tonstarken“ Orgel im Vergehen ist und die Zeit der „tonreichen“
-Orgel, der Orgel Bachs, der in neuer Glorie erstehenden alten Orgel
-heraufzieht.
-
-Eine tonreiche Orgel setzt voraus, daß die Wellen der einzelnen Töne
-unvermischt, ohne sich gewissermaßen ineinander zu legen, zum Ohr des
-Hörers kommen und sich erst dort als selbständige Persönlichkeiten
-zu der künstlerischen Einheit in der reichsten Mannigfaltigkeit
-verbinden[5]. Schon Cavaillé hatte den Phänomenen der „entrainements
-harmoniques“ seine Aufmerksamkeit zugewendet und auf Mittel gesonnen,
-zu verhindern, daß im vollen Werk eine Pfeife dieselben Töne anderer
-Pfeifen frißt, wie die magern Kühe Pharaos die fetten fraßen, so,
-daß wir im vollen Werk einer Orgel von 50 Stimmen tatsächlich nur 25
-hören, wobei die andern nur bis zu einem gewissen Grade verstärken,
-nicht bereichern, weil sie als Individualitäten physikalisch nicht mehr
-existieren.
-
-Mutin hat diese Versuche zu einem gewissen praktischen Abschluß
-gebracht und verwertet sie auf allen Orgeln. Pfeifen mit minimal
-differenzierten Mensuren entrainieren sich nie gegenseitig, sondern
-jede besteht als Persönlichkeit, auch in der größten Tonmasse. Sind die
-Durchmesser gleich oder ist die Verschiedenheit größer, so ist das
-Entrainement im Bereiche der Möglichkeit. Bei der Aufstellung einer
-Disposition sieht also Mutin-Cavaillé darauf, daß die reichste minimale
-Differenzierung der Mensuren durchgeführt wird.
-
-Befriedigt nun aber die Ansprache unserer Orgel? Ja ... wenn man
-rasches Eintreten des Tones mit gutem Ansprechen identisch setzt. Und
-dann nicht einmal. Man führe einmal rapide Triller in der unteren Lage
-des Manuals aus und schnelle Passagen mit den Sechzehnfüßen auf dem
-Pedal!
-
-Aber schnelles Eintreten des Tones ist noch kein gutes Ansprechen,
-denn Ansprechen heißt eben An-Sprechen: daß der Ton von der Pfeife
-richtig angesetzt und gewissermaßen artikuliert wird. Auf unsern Orgeln
-poltert der Ton oft heraus; er wird nicht angesetzt. Eine richtige
-Bindung zwischen den einzelnen Tönen ist dabei unmöglich. Bei genauem
-Hören erfaßt man immer einen Zwischenraum zwischen beiden oder, im
-Gegenteil, sie klingen einen kleinen Bruchteil einer Sekunde zusammen.
-Sie legen sich nicht lebendig aneinander, sondern rollen einander nach
-wie Kugeln. Die Orgel ist ein idealer Chor, dem nur die Worte versagt
-sind. Ist es da zu begreifen, daß zuweilen so geringer Wert auf eine
-künstlerische Ansprache der Stimmen gelegt wird?
-
-Auch hier ist, wie mir scheint, Cavaillés Schüler Mutin auf dem
-richtigen Weg. Er geht von der Beobachtung aus, daß ein Holzbläser
-seinem Instrument in den verschiedenen Lagen verschiedenen Wind
-mitteilt. Unten viel, aber mit vorsichtigem Druck, in der Mitte
-mittelstark, aber an Quantität weniger als unten, oben sehr wenig,
-aber sehr intensiven Wind; das Quantum also jedesmal im umgekehrten
-Verhältnis zur Intensität. Wenn nun der Tonumfang eines Blasinstruments
-im Verhältnis zu dem eines Orgelregisters sehr klein ist und doch
-die Winddifferenzierung zur richtigen Ansprache erfordert, wieviel
-mehr ein Orgelregister! Also wird die Lade des Registers in drei oder
-vier Teile geteilt und jede Einzel-Teillade bekommt den Winddruck und
-die Windzufuhr, die für jene Lage die ideale Ansprache ermöglichen.
-Die große Musterorgel im Atelier von Cavaillé-Mutin arbeitet mit
-dreigeteilten Windladen, die mit Wind von differenziertem Druck
-gespeist werden. Natürlich ist der Bau viel komplizierter, und die
-Kosten erhöhen sich bedeutend. Aber man höre den Erfolg! Ein solches
-Register ist drei andere wert, davon nicht zu reden, daß nun auch
-bei vollem Werk die unteren Lagen ihren richtigen Wind bekommen. Man
-höre einmal die Mittelstimmen einer Bachschen Fuge bei so gebauten
-Registern! Es geht kein Ton, kein einziger Ton verloren, da er von
-einer andern Individualität als oben und unten ist. Ich stehe nicht
-an, diese Orgel im Atelier Mutins, von der sich der Erbauer nicht
-zu trennen vermag, für die technisch und künstlerisch vollendetste
-zu erklären, die vielleicht je gebaut worden ist. Sie stellt das
-Instrument dar, das zu Bachs Werken paßt, sofern es die Forderungen
-verwirklicht, die seine Orgelmusik für die ideale Orgel aufstellt.
-
-Wann wird es dahin kommen, daß auf allen Orgeln diese allerelementarste
-ästhetische Forderung der Differenzierung des Winddrucks erfüllt wird?
-Bis jetzt hat, wenn’s gut geht, jedes Klavier seinen Wind, das erste
-den stärksten, das zweite einen etwas weniger starken, das dritte den
-schwächsten, wobei der des ersten viel zu stark ist, weil man ihm
-ungefähr denselben Druck gibt, den man für die Speisung der Pneumatik
-braucht. Man höre, was dabei für die Prinzipale und Flöten herauskommt!
-Wie reich wirkt hingegen die Orgel, in der die Register desselben
-Klaviers mit zwei oder drei Arten von Wind gespeist werden, und zwar
-so, daß jedes den Wind erhält, der durch die vollendetste Intonation
-gefordert wird, wobei noch darauf Rücksicht zu nehmen wäre, ob es vorn
-oder hinten, tief oder hoch steht. Welch ein Reichtum an vollendeten
-Tonindividualitäten ist in einem solchen Instrument eingeschlossen!
-
-Statt dessen findet man bei uns übermäßig stark intonierte Mixturen
-ganz zuvorderst oben disponiert, die eigens dazu erbaut zu sein
-scheinen, die Schönheit des vollen Werkes zu zerstören. Geradezu
-unglaublich aber ist, daß manche Orgelbauer meinen, sie könnten
-durch Differenzierung der Windzufuhr dasselbe erreichen wie durch
-Differenzierung des Winddrucks, wo es sich doch beide Male um ganz
-verschiedene Dinge handelt. Es gehört das Ineinanderwirken beider
-Differenzierungen dazu, um einer Orgel den schönen Tonreichtum zu geben.
-
-Und die Zungen? Sie befriedigen weder auf deutschen noch auf
-französischen Orgeln, da sie auf beiden zu stark dominieren. Als
-ich Widor gelegentlich sagte, daß ich die niederschmetternde Wucht
-der sonst so prächtig gearbeiteten französischen Zungen für einen
-künstlerischen Nachteil hielte, gestand er mir, daß er dieselbe
-Überlegung schon seit Jahren mit sich herumtrage und der Ansicht
-sei, daß wir dazu zurückkehren müßten, Zungen zu bauen, die das
-volle Werk nicht beherrschen, sondern sich der Grundstimmen- und
-Mixturenklangfarbe einpassen und sie gewissermaßen nur vergolden.
-Gigout vertritt dieselbe Ansicht. Aber welche Arbeit und Mühe, schöne,
-weiche und dabei gut ansprechende Zungen zu bauen!
-
-Wenn wir sie einmal haben, ist auch die Frage gelöst, ob man Bach
-mit Zungen spielen darf. Mit unsern gewiß nicht. Aber es scheint
-mir sicher, daß er bei seiner Pedalzusammensetzung auf seine acht-
-und vierfüßigen Zungen angewiesen war. Und wer wollte leugnen, daß
-ein Pedal mit feinen Zungen, die zu den Mixturen hinzutreten, nicht
-geradezu ideal sein muß? Man vergesse aber die Vierfüße nicht. Flöte 4,
-Prinzipal 4 und Trompete 4, nicht grob intoniert, sollten auf keinem
-einigermaßen vollständigen Pedal fehlen. Keine Koppel kann sie für das
-volle Werk ersetzen. Ohne sie wälzt sich die Pedalfigur am Boden, statt
-aufrecht in der Reihe der Stimmen einherzugehen.
-
-
-Und dies alles ist eine Geldfrage! Bei den heutigen Preisen können
-die künstlerischen technischen Probleme, die zusammen das Problem
-der tonreichen, d. h. der tonschönen Orgel ausmachen, nicht in den
-Vordergrund gestellt werden, sondern es heißt, für möglichst wenig
-Geld möglichst viele Register zu bieten und manchmal gegen die bessere
-Überzeugung den Leuten liefern, was sie wollen und nicht, was nach der
-künstlerischen Erfahrung des Erbauers das Beste ist: fürs Auge, nicht
-für das Ohr bauen! Unnötiges an Stelle des Nötigen.
-
-Wenn man die geniale Erfindungsgabe unserer deutschen Orgelbauer,
-die in den letzten zehn Jahren fast nur auf Verbilligung ausging und
-ausgehen mußte, auf die rein künstlerischen Fragen losließe! Das kommt
-aber erst, wenn wir nicht mehr gedankenlos auf die Zahl der Register
-sehen und uns darein finden, daß die Preise gut um ein Drittel in die
-Höhe gehen! Bis dahin leben wir in der Periode der guten Fabrikorgel.
-
-Wer kann denn bei diesen Preisen nur prima Material haben? Wie ist
-eine künstlerische Intonation dabei möglich? Ein Intonieren nach dem
-Lokal, in künstlerischer Gewissenhaftigkeit, d. h. viermal so langsam
-als jetzt, wo man ängstlich die Spesen für jeden Tag des Intonateurs
-ausrechnen muß und wo schon der Versuch, künstlerisch zu intonieren,
-allen Gewinn verschlingen würde.
-
-Die guten Intonateure sollten wie Minister bezahlt sein und in dem
-Range der Künstler so stehen, daß ein künstlerischer Intonateur gleich
-sechs Durchschnittsvirtuosen geachtet würde, da ein halbes Dutzend der
-letzteren leichter zu finden ist als ein künstlerischer Intonateur.
-Von den Ministern hat die Nachwelt nur die Folgen der Fehler, die sie
-gemacht haben, zu tragen; von den Virtuosen behält sie vielleicht den
-Namen; von den Intonateuren aber das Werk, so, wie es aus ihrer Hand
-hervorgegangen ist, daß sich Generation auf Generation daran erbaut.
-
-Wo soll der Orgelbauer bei den heutigen Preisen die Mittel zu Versuchen
-hernehmen, ohne die es keinen Fortschritt gibt? Man sagt, daß wir im
-Begriff sind, ein reiches Land zu werden. An unsern Orgeln wird man
-das dereinst nicht sehen, denn das frühere arme Deutschland baute sie
-reicher.
-
-Man täusche sich nicht! Wie die Orgeln, so die Organisten. Kein
-Instrument übt einen solchen Einfluß auf die Künstler aus. Vollkommene
-Orgeln erziehen Organisten zur Vollkommenheit; unvollkommene erziehen
-sie zur Unvollkommenheit und zum falschen Virtuosentum. Dagegen hilft
-kein Talent und kein Genie. Die Orgelkunst ist immer das Produkt der
-Orgelbaukunst. Ohne die in ihrer Art vollendete Orgelbaukunst seiner
-Zeit wäre die Bachsche Orgelkunst nie entstanden.
-
-
-So ist auch die heutige französische Orgelschule ein Produkt des
-vollendeten Orgelbaues. Wir sind in Deutschland an Talenten unbedingt
-reicher. Aber einen Kreis von so außerordentlichen Meistern, wie er in
-Frankreich in den Namen Saint-Saëns, Guilmant, Widor, Gigout und Vierne
-charakterisiert ist, besitzen wir nicht.
-
-Der französische Organist unterscheidet sich vom deutschen durch
-die Einfachheit des Spiels. Das Virtuosenhafte, das bei uns zum
-bedeutenden Organisten gehört, existiert dort weniger. Erstrebt wird
-vor allem die ruhige Plastik, die das Tongebilde in seiner ganzen
-Größe vor dem Hörer erstehen läßt. Es kommt mir vor, als säße der
-französische Organist sogar ruhiger auf seiner Orgelbank als wir.
-Bei allen findet man absolute Präzision des Niederdrückens und des
-Aufsteigenlassens der Taste, konsequente Bindung und eine klare,
-natürliche Phrasierung. Es gibt bei uns gewiß viele Organisten, die
-diese Eigenschaften in demselben Maße besitzen, aber in Frankreich
-sind sie eben Produkt der Schule. Jeder, auch der sonst mittelmäßige,
-besitzt sie, während es bei uns hervorragende Spieler gibt, die z. B.
-die absolute Präzision nicht besitzen, bei denen Hände und Pedal nicht
-mathematisch genau miteinander gehen, wodurch die übrigen Eigenschaften
-ihres Spiels für den Hörer, der „hört“, beeinträchtigt werden.
-Allerdings ist es auf unsern Orgeln auch schwerer, absolut präzis zu
-spielen, als auf den französischen mit ihrer Kraftübersetzung. Was ich
-an den französischen Organisten immer besonders bewundre, ist die Ruhe
-und Unfehlbarkeit des Pedalspiels.
-
-Ich kann meine Empfindung nicht besser ausdrücken als wenn ich
-sage: der französische Organist spielt objektiver, der deutsche
-persönlicher. Auch dies liegt wieder an der Schule. Wir haben
-keine, sondern ein jeder geht seinen eigenen Weg. So viel
-Organisten, so viel Auffassungen. Das ist bis zu einem gewissen
-Grade ein Vorteil, den wir vor den Franzosen haben. Ich erfreue
-mich oft an der individuellen Lebhaftigkeit deutscher Organisten,
-wenn sie geschmackvoll ist. Andererseits aber gehen wir viel zu
-weit und bringen aus lauter „Persönlichkeit“ im Spiel und in der
-Komposition die Leidenschaftlichkeit auf die Orgel, die natürliche
-Menschenleidenschaftlichkeit, nicht die wunderbar verklärte objektive
-Leidenschaftlichkeit der letzten großen Präludien und Fugen Bachs,
-und entstellen die Werke unseres großen Meisters, indem wir sie durch
-unsere Menschenleidenschaftlichkeit lebendig machen wollen. Die Orgel
-selbst soll reden. Der Organist und seine Auffassung sollen dahinter
-verschwinden, „s’effacer“, wie man auf französisch sagt. Er ist, mit
-allen seinen Gedanken, zu klein für die sich schon im äußeren Anblick
-bekundende, ruhende Majestät des Instruments, das, wie uns Bach lehrt,
-alle Gefühle in Verklärung darstellt[6].
-
-Vielleicht gehen die Franzosen ihrerseits in der Objektivität des
-Spiels zuweilen zu weit. Aber die Ruhe und Größe, die darin liegt, ist
-so wohltuend, daß man das Zurücktreten jedes ausgesprochen persönlichen
-Gefühls nicht wahrnimmt. „Orgelspielen“, sagte mir Widor einmal auf
-der Orgelbank zu Notre-Dame[7], als die Strahlen der untergehenden
-Sonne in verklärter Ruhe das dämmerige Schiff durchzogen, „heißt
-einen mit dem Schauen der Ewigkeit erfüllten Willen manifestieren.
-Aller Orgelunterricht, der technische und der künstlerische,
-geht nur darauf aus, einen Menschen zu dieser höheren reinen
-Willensmanifestation zu erziehen. Dieser Wille des Organisten, der sich
-in der Orgel objektiviert, soll den Hörer überwältigen. Wer den großen
-konzentrierten Willen nicht in ein Bachsches Fugenthema hineinlegen
-kann, daß auch der gedankenlose Hörer sich ihm nicht entziehen kann,
-sondern nach dem zweiten Takt eben auffassen und begreifen muß, ob er
-will oder nicht, und nun die ganze Fuge hört und zugleich sieht: wer
-über diesen konzentrierten, mitteilungskräftigen, ruhigen Willen nicht
-verfügt, kann zwar dennoch ein großer Künstler sein, ist aber kein
-geborener Organist. Er hat sich eben im Instrument geirrt, da die Orgel
-die Objektivierung des Geistes zum ewigen, unendlichen Geist darstellt
-und ihrem Wesen und ihrem Ort entfremdet wird, sobald sie nur Ausdruck
-des subjektiven Geistes ist.“
-
-Guilmants Spiel liegt dieselbe Auffassung vom Wesen der Orgel zugrunde,
-nur daß bei ihm die Objektivität durch ein gewisses lyrisches Empfinden
-eigentümlich und interessant belebt wird.
-
-Man kann sagen, daß in der französischen Orgelkunst das Empfinden für
-Architektur, das gewissermaßen das Grundelement jeder französischen
-Kunst ist, zutage tritt. Darum hat auch der Schwellkasten eine ganz
-andere Bedeutung als bei uns. Er dient nicht dem „Gefühlsausdruck“,
-sondern der architektonischen Linie. Auf allen französischen Orgeln
-sind die Schwellkastenklaviere so bedeutend, daß man mit der in ihnen
-eingeschlossenen Klangmasse den Grundstimmenton der ganzen Orgel noch
-modellieren kann. „Derjenige“, sagt Gigout seinen Schülern, „behandelt
-den Schwellkasten recht, bei dem der Hörer nicht ahnt, daß überhaupt
-ein Schwellkasten in Funktion tritt, sondern nur das unmerkliche An-
-und Abschwellen als notwendig empfindet.“ Dasselbe Prinzip bringt
-Guilmant seinen Schülern bei.
-
-Das Großzügige und Einfache in der Schwellkastenbehandlung tritt in der
-französischen Orgelkunst immer klarer zutage. Bei César Franck und in
-den älteren Kompositionen von Saint-Saëns findet sich noch die kleine,
-häufige Benutzung des Schwellkastens, wo dieses Mittel gewissermaßen
-einen Ersatz für den der Orgel fehlenden Gefühlsausdruck ist, d. h. die
-Schwellkastenbehandlung, die bei uns noch vorwiegt. Immer mehr aber
-setzt sich in der Folge die einfache, sparsame, nur auf die große Linie
-ausgehende Schwellkastenbenutzung durch, wie sie dann in den letzten
-Werken von Guilmant und Widor triumphiert. Ihren Schülern, und nicht
-weniger denen Gigouts, ist sie in Fleisch und Blut übergegangen. Man
-lese die erste Orgelsymphonie Viernes daraufhin durch und vergleiche
-damit die Angaben in unseren modernen Orgelkompositionen. Unschwer
-wird man dann von dem Vorurteil abkommen, als ob die Franzosen mit dem
-Schwellkasten Effekthascherei trieben und eingestehen, daß wir gerade
-hierin von ihnen lernen können[8].
-
-Aber wann werden wir solche richtigen Schwellkasten haben? Es ist noch
-nicht so lange her, daß bei uns bedeutende Organisten den Grundsatz
-vertraten, daß eine kleine Orgel keinen Schwellkasten brauche,
-ebensowenig wie es nötig sei, bei solchen Orgeln das Pedal bis zum F
-zu führen. Aber Schwellkasten und vollständiges Pedal gehören eben
-zum Wesen der Orgel, wie die vier Füße zum Pferd. Lieber zwei oder
-drei Register weniger, denn mit einem richtigen Schwellkasten kann man
-aus jedem Register zwei machen. Gerade bei den kleinen Orgeln treten
-gewisse Vorzüge der französischen Instrumente ungleich stärker hervor
-als bei den großen.
-
-Auch im Registrieren sind die Franzosen einfacher als wir. In einer
-deutschen Orgelkomposition steht fast doppelt so viel Registerwechsel
-vorgeschrieben als in einer französischen. Ein Meister der geistreichen
-Registrierung ist Saint-Saëns. Guilmant registriert äußerst geschickt
-und geschmackvoll. Widor verzichtet fast, und dies je mehr und mehr,
-auf Registrierung. „Ich kann das Registrieren als Registerwechsel, rein
-auf Veränderung der Klangfarbe berechnet, nicht mehr gut begreifen“,
-sagte er mir einst, „und empfinde nur diejenige Veränderung in der
-Klangfarbe als richtig, die durch eine Peripetie des Stückes unbedingt
-gefordert ist. Je einfacher wir registrieren, desto näher kommen wir
-Bach“. In dem ersten Stück seiner Symphonie „Romane“ besteht alles
-Registrieren, zehn Seiten lang, nur darin, daß Mixturen und Zungen zu
-den gekoppelten Grundstimmen zu- und wegtreten. Freilich darf man nicht
-vergessen, daß der französische Schwellkasten in seiner Wirkung auf die
-Gesamtorgel vieles ermöglicht, was wir auf unseren Orgeln nur durch
-Registrieren ausführen können.
-
-Zu den formellen Vorzügen der französischen Orgelkompositionen möchte
-ich noch die klug berechnete, wirkungsvolle Verwendung des Pedals und
-das Vermeiden jeglicher unnötigen Oktavenverdoppelungen sowohl im
-Manual wie im Pedal rechnen. Es scheint mir, als ob unsere jüngeren
-Komponisten die Pedalverwertung in den großen Präludien und Fugen Bachs
-nicht hinreichend studiert haben, sonst müßten sie von selbst auf das
-Verfehlte einer ununterbrochenen Mitwirkung des Pedals aufmerksam
-werden. Von den in modernen Kompositionen so häufig vorgeschriebenen
-Oktaven sind über achtzig Prozent gewöhnlich sinnlos, verschulden nur
-ein ungebundenes Spiel und wirken nicht. Man studiere einmal Widors
-Werke auf die Verwendung des Pedals und der Oktaven hin!
-
-
-Bei genauem Zusehen entdeckt man eigentlich zwei französische Schulen:
-eine altfranzösische, von deutscher Kunst direkt nicht beeinflußte,
-und eine jüngere, die deutschen Einfluß aufweist. Zur spezifisch
-französischen würde ich in der älteren Generation +Boëly+ (gest.
-1858), +Chauvet+ und César +Franck+ zählen. Die jüngere Generation
-wird etwa durch +Saint-Saëns+ und +Gigout+ repräsentiert. Auch Gabriel
-+Pierné+ und der leider so früh verstorbene +Boëllmann+ (geb. zu
-Ensisheim 1862, gest. als Organist von St. Vincent de Paul zu Paris
-1897) gehörten hierher[9].
-
-Diese ältere Schule mußte erst mühsam nach einem Orgelstil ringen,
-ohne ihn, in ihren besten Vertretern, jemals ganz zu erreichen. César
-Francks und Saint-Saëns’ Werke[10] sind Improvisationen genialer
-Musiker auf der Orgel, nicht so sehr Orgelwerke, wenn auch bei den
-späteren Werken von César Franck der Inhalt gewisse Vergewaltigungen
-des Orgelstils ganz übersehen läßt. Boëllmanns Kompositionen sind
-interessante Jugendversuche, die sicher zu etwas Bedeutendem geführt
-hätten.
-
-+Gigout+[11] steht in dieser Schule für sich. Er ist der Klassiker, der
-zum reinen Orgelstil durchgedrungen ist. Er hat etwas Händelsche Art
-an sich. Sein Einfluß als Lehrer ist ganz hervorragend und sein Spiel
-wunderbar.
-
-Diese spezifisch französische Schule kultiviert die Improvisation, zwar
-nicht so wie der alte Organist von Notre-Dame -- sein Name möge der
-Nachwelt nicht aufbewahrt werden -- der sich rühmte, auf seiner Orgel
-nie etwas nach Noten gespielt zu haben, aber doch so, daß sie einen
-ganz besonderen Wert darauf legt. Man würdigt Saint-Saëns erst, wenn
-man ihn zu St. Séverin hat improvisieren hören, wo er zuweilen den
-geistreichen Périlhou ersetzt. Auch Gigouts Stärke liegt eigentlich vor
-allem auf diesem Gebiet.
-
-Von César Francks Improvisationen erzählt Vincent d’Indy in seinem
-soeben erschienenen meisterhaften Buche über seinen Lehrer (Ed. Alcan,
-Paris 1906). Als Franz Liszt am 3. April 1866 aus St. Clothilde
-heraustrat, war er so ergriffen, daß er zu seiner Umgebung sagte, seit
-Bach hätte niemals jemand so auf der Orgel improvisiert.
-
-Guilmant improvisiert gern. Widor nicht so sehr, „nur wenn er sich
-gedrungen fühlt, etwas zu sagen.“ Viernes Improvisationen zu Notre-Dame
-zeichnen sich durch ihre Formvollendung aus. Zu den hervorragenden
-Improvisatoren gehört auch Schmidt, einer der begabtesten der jungen
-Generation, der leider durch seine Ernennung zum Maître de Chapelle an
-St. Philipp du Roule für die Orgel vorläufig verloren ist.
-
-Im allgemeinen spielen Improvisation und ebenso Auswendigspielen im
-französischen Orgelunterricht, wie ihn früher Widor, jetzt Guilmant und
-sein Gehilfe Vierne am Konservatorium erteilen, und nicht minder im
-Unterrichte Gigouts, eine größere Rolle als bei uns. Für den Wettbewerb
-um den Organistenposten zu Notre-Dame wurde gefordert: Improvisierung
-einer Fuge über ein gegebenes Thema, eine freie Improvisation und
-zwanzig moderne oder klassische Orgelwerke auswendig. Der pädagogische
-Wert des Auswendigspielens auf der Orgel ist aber auch tatsächlich
-ganz ungeheuer, da der Schüler dabei gezwungen ist, sich über alles
-Rechenschaft zu geben. Wir vernachlässigen das Auswendigspielen auf der
-Orgel vielleicht etwas zu sehr.
-
-Die andere französische Orgelschule, durch +Guilmant+, früher an der
-Trinité, und +Widor+, zu St. Sulpice, repräsentiert, ging von Belgien
-aus. Guilmant und Widor waren Schüler von Lemmens, der seinerseits
-wieder Schüler von Hesse war. So waren Guilmant[12] und Widor, wie
-ihre ersten Werke zeigen, von Anfang an mit dem aus Bach geflossenen
-Orgelstil bekannt und brauchten nicht erst zu suchen und zu tasten.
-
-Guilmant ist nicht nur einer der hervorragendsten Spieler, sondern auch
-zugleich der universellste Lehrer der Jetztzeit, von hervorragender
-pädagogischer Begabung und musikhistorischer Bildung. Er ist es, der
-die alte, vorbachische Orgelmusik in Frankreich bekannt machte. Was
-die deutsche Orgelmusik aus seinen Werken betreffs der Form und des
-Aufbaus lernen kann, ist in der deutschen Kritik seit Jahren immer
-betont worden.
-
-Widor ist mehr ein nach innen gekehrter Geist. Seine zehn
-Symphonien[13] stellen die Entwicklung der Orgelkunst, wie er sie
-an sich erlebt hat, dar. Die ersten sind formvollendete, mehr von
-lyrisch-melodischem, manchmal sogar sentimentalem Geiste durchwehte
-Schöpfungen, die aber in der wunderbar großen Struktur der Themen
-die einzigartig organistische Begabung des Schöpfers zeigen. Mit der
-fünften Symphonie verläßt er diese Bahn. Das Lyrische tritt zurück;
-etwas anderes ringt nach Gestaltung. Zunächst noch in melodischer Form,
-in der fünften und sechsten Symphonie, die zu seinen bekanntesten
-gehören. Die siebente und achte sind Übergangswerke. Sie sind
-orgelmäßig und doch gewagt orchestral gedacht. Welch ein Wunderwerk,
-der erste Satz der achten Symphonie! Zugleich aber tritt das Herbe
-immer stärker hervor, das Herbe, das Widor dann in den beiden letzten
-Symphonien zur heiligen Kunst zurückführt. „Es ergeht mir merkwürdig“,
-sagte er mir in jener Periode, „außer Bachs Präludien und Fugen, oder
-mehr noch, außer gewissen Präludien und Fugen von Bach, kann ich keine
-Orgelkunst mehr als heilig empfinden, die nicht durch ihre Themen,
-sei es aus dem Choral, sei es aus dem Gregorianischen Gesang, für
-die Kirche geheiligt ist“. Darum ist die neunte Symphonie (Symphonie
-Gothique) über das „Puer natus est“ als Weihnachtssymphonie geschrieben
-und die zehnte (Symphonie Romane) über das wunderbare Motiv des „Haec
-dies“ als Ostersymphonie gedacht. Und als er an einem Maisonntag, mit
-dem Technischen noch ringend, das Finale der Romanischen Symphonie zum
-erstenmal zu St. Sulpice spielte, da fühlte ich mit ihm, daß in diesem
-Werk die französische Orgelkunst in die heilige Kunst eingegangen,
-jenen Tod und jene Auferstehung erlebt hatte, die jede Orgelkunst, und
-in jedem Individuum, erleben muß, wenn sie Bleibendes schaffen will.
-
-Louis Vierne, der 1900 als kaum Dreißigjähriger an die
-Notre-Dame-Kirche berufen wurde, ist Schüler von César Franck, Widor
-und Guilmant. Seine zwei groß angelegten Orgelsymphonien versprechen
-sehr viel[14].
-
-Nicht vergessen möchte ich des wackeren +Dallier+, eines Schülers
-Francks, früher an St. Eustache, jetzt an der Madeleine, wo er
-Nachfolger Gabriel +Faurés+, des wunderbaren und vollendeten
-Improvisators und Bachkenners, wurde, der seinerseits +Dubois’+
-Nachfolger war. Eine Wiedergabe der Bachschen Es-dur-Tripelfuge während
-einer musikalischen Feier zu St. Eustache wird mir unvergeßlich bleiben.
-
-Von den Jungen seien genannt: +Quef+, Nachfolger Guilmants an
-der Trinité, +Tournemire+ an St. Clothilde, +Jacob+, ein ganz
-hervorragender Spieler, an St. Louis d’Antin, +Marti+ zu St.
-François-Xavier, +Libert+ an der Basilique St. Denis, +Maquaire+,
-der Ersatzmann Widors zu St. Sulpice, von dem eine sehr interessante
-Orgelsymphonie bei Hamelle erschienen ist, +Bret+, der als Dirigent
-der Bachgesellschaft seine Kräfte jetzt ausschließlich in den Dienst
-der Sache des Altmeisters stellt, +Mahaut+, ein vollendeter Spieler,
-zugleich begeisterter Interpret der Werke seines Lehrers César Franck
-und Bonnet, der Nachfolger Dalliers an St. Eustache.
-
-Gemeinsam ist den beiden Schulen, und in beiden den Alten wie den
-Jungen, die Verehrung für Bach. Es wird bei uns kaum mehr und so
-ausschließlich Bach gespielt als in manchen Pariser Kirchen. Während
-des Offertoriums zu Notre-Dame zieht Bachs Choralvorspiel über „O
-Mensch bewein’ dein’ Sünde groß“ durch die mächtigen Hallen der
-Kathedrale.
-
-Von der Zukunft der französischen Schule vermag ich nichts zu
-sagen. „L’orgue Moderne“, eine unter Widors Patronat periodisch
-erscheinende Sammlung der neueren und neuesten Versuche, befriedigt
-mich eigentlich nicht. Formell ist darin alles gut, weit ausgereifter
-als die Erstlingswerke unserer deutschen Organistenjugend. Aber es
-fehlt die Erfindung, der Sturm und Drang, die Gärung, die einem die
-Gewißheit geben könnten, daß aus dieser tüchtigen jungen Generation
-etwas mehr als Tüchtiges, etwas Großes, Bleibendes hervorgehen wird.
-Die gleichzeitigen Werke der jungen deutschen Organistenwelt zeigen
-ein weniger großes formelles Können, zuweilen eine Verneinung des
-Orgelstils, weniger Überlegung und Klarheit, aber dafür in manchen
-einen vielversprechenden Ideenreichtum.
-
-
-Aber was wird überhaupt aus dem französischen Orgelbau und der
-französischen Orgelkunst werden? Was wird die Trennung von Kirche und
-Staat bringen? Schon jetzt richten sich die Kirchen auf die Trennung
-ein und streichen an den ohnehin schon kleinen Gehältern, was zu
-streichen ist. Den meisten Organisten ist schon ein Viertel ihrer
-Bezahlung gekündigt worden. Dallier verlor an St. Eustache zuerst ein
-Drittel, dann die Hälfte seines Einkommens und meldete sich daraufhin
-an die eben freiwerdende Madeleinekirche. Der Organistenposten zu
-Notre-Dame dürfte in Zukunft kaum mehr als 1000 frcs. eintragen. Der
-Orgelbau stockt. Herrliche Orgeln, die früher in den Kirchen der
-Kongregationen standen, sind zu Spottpreisen zu verkaufen. Manchmal
-fragt man sich, ob das sicherste Ergebnis der Trennung vorerst nicht
-der Ruin des Orgelbaues und der Orgelkunst sein wird. Die Krise, die
-beide durchmachen werden, wird jedenfalls sehr schwer sein.
-
-Lassen wir die Zukunft. Für jetzt kommt es darauf an, daß der Grenzwall
-zwischen französischer und deutscher Orgelkunst niedergelegt werde, und
-daß beide voneinander lernen. Der deutsche und der französische Genius
-sind in der Kunst angewiesen, einander anzuregen. In der Orgelkunst
-ganz besonders, da wir Deutschen von den Franzosen unendlich viel in
-Technik und Form lernen können, die Franzosen aber durch den Geist der
-deutschen Kunst von einer Verarmung in ihren reinen und vollendeten
-Formen bewahrt werden. Aus der Durchdringung beider Geistesrichtungen
-wird neues Leben hüben und drüben erstehen. Bisher profitieren
-eigentlich nur die amerikanischen Organisten von dem Vorteil, durch
-die deutsche und die französische Schule hindurchzugehen, insofern
-als sie gewöhnlich die Hälfte ihrer Lehrzeit in Deutschland, die
-andere Hälfte in Paris zubringen. Mögen in Zukunft die deutschen und
-die französischen, um denselben Vorteil zu haben, sich von dem alten
-künstlerischen Organisten-Lern- und Wandertrieb erfassen lassen.
-Vielleicht wird dann ein französischer Organist seine Kollegen mit
-der Kunst der Reger, Wolfrum, Lang, Franke, De Lange, Reimann, Egidi,
-Irrgang, Sittard, Homeyer, Otto Reubke, Straube, Beckmann, Radecke, G.
-A. Brandt und wie sie alle heißen mögen, bekannt machen, wie ich es
-hiermit versucht habe, deutschen Organisten das Wesen der französischen
-Orgel und der französischen Orgelkunst näher zu bringen[15].
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Anhang.
-
-
-Die Disposition der Orgel zu St^e Clothilde, auf welcher César Franck
-spielte.
-
-3 Klaviere mit 46 klingenden Stimmen.
-
- =Grand-Orgue=:
-
- 14 klingende Stimmen.
-
- Montre 16. Montre 8. Gambe 8. Bourdon 16. Flûte harmonique 8. Bourdon
- 8. Prestant 4. Octave 4. Doublette 2. Quinte 3. Plein-Jeu. Bombarde
- 16. Trompette 8. Clairon 4.
-
- =Positif=:
-
- 14 klingende Stimmen.
-
- Bourdon 16. Montre 8. Gambe 8. Flûte harmonique 8. Bourdon 8.
- Salicional 8. Prestant 4. Flûte octaviante 4. Quinte 3. Plein-Jeu.
- Doublette Clarinette 8. Trompette 8. Clairon 4.
-
- =Récit=:
-
- (im Schwellkasten)
-
- 10 klingende Stimmen.
-
- Viole de Gambe 8. Voix céleste 8. Bourdon 8. Flûte harmonique 8.
- Flûte octaviante 8. Octavin 2. Basson-Hautbois 8. Trompette 8.
- Clairon 4. Voix humaine 8.
-
- =Pédale=:
-
- 8 klingende Stimmen.
-
- Contre-Basse 16. Flûte 8. Quintaton 32. Octave 4. Basson 16. Bombarde
- 16. Trompette 8. Clairon 4.
-
- 13 Koppeln und Kombinationszüge.
-
-
-Die Disposition der Orgel Widors zu St. Sulpice.
-
-(Erbaut 1861-62.) 5 Klaviere. 100 klingende Stimmen.
-
- =Premier Clavier. Grand Chœur=:
-
- 13 klingende Stimmen.
-
- Doublette 2. Octave 4. Große Fourniture 4 r. Große Cymbale 6 r.
- Plein-Jeu 4 r. Cornet 5 r. 1^e Trompette 8. 2^e Trompette 8. Clairon
- 4. Clairon-Doublette 2. Basson 16. Basson 8. Bombarde 16.
-
- =Deuxième Clavier. Grand Orgue=:
-
- 13 klingende Stimmen.
-
- Principal 16. Montre 16. Bourdon 16. Flûte conique 16. Flûte
- harmonique 8. Flûte traversière 8. Montre 8. Diapason 8. Bourdon 8.
- Flûte à pavillon 8. Salicional 8. Prestant 4. Große Quinte 5⅓.
-
- =Troisième Clavier. Positif=:
-
- 20 klingende Stimmen.
-
- Violon Basse 16. Quintaton 16. Quintaton 8. Flûte traversière 8.
- Salicional 8. Gamba 8. Unda maris 8. Flûte douce 4. Flûte octaviante
- 4. Dulciana 4. Plein-Jeu 3 et 6 r. Quinte 2⅔. Doublette 2. Tièrce
- 1⅗. Larigot 1⅓. Piccolo 1. Basson 16. Baryton 8. Clairon 4.
- Trompette 8.
-
- =Quatrième Clavier. Récit Expressif=:
-
- 21 klingende Stimmen.
-
- Quintaton 16. Diapason 8. Violoncelle 8. Bourdon 8. Flûte harmonique
- 8. Voix céleste 8. Flûte octaviante 4. Prestant 4. Doublette 2.
- Basson-Hautbois 8. Cromorne 8. Voix humaine 8. Dulciana 4. Fourniture
- 4 r. Cymbale 5 r. Nazard 2⅔. Octavin 2. Cornet 5 r. Bombarde 16.
- Trompette 8. Clairon 4.
-
- =Cinquième Clavier. Solo=:
-
- 21 klingende Stimmen.
-
- Bourdon 16. Flûte conique 16. Principal 8. Flûte harmonique 8. Viola
- da Gamba 8. Bourdon 8. Violoncelle 8. Kéraulophon 8. Flûte octaviante
- 4. Prestant 4. Große Quinte 5⅓. Große Tièrce 3⅕. Quinte 2⅔.
- Octave 4. Octavin 2. Cornet 5 r. Septième 2²⁄₇. Bombarde 16.
- Trompette 8. Clairon 4.
-
- Trompette harmonique 8 (Hochdruck).
-
- =Pédale=:
-
- 12 klingende Stimmen.
-
- Principal-Basse 32. Contrebasse 16. Soubasse 16. Flûte 8. Violoncelle
- 8. Flûte 4. Clairon 4. Ophicléide 8. Trompette 8. Basson 16. Bombarde
- 16. Contre Bombarde 32.
-
- 20 Koppeln und Kombinationszüge; dazu eine freie Kombination für
- jedes Klavier. Das vierte Klavier steht im Schwellkasten.
-
-Die Orgel zu Notre-Dame ist ähnlich disponiert, nur daß sie 14
-klingende Stimmen weniger hat.
-
-Der Fortschritt der Orgeln zu St. Sulpice und Notre-Dame verglichen mit
-der zu St^e Clothilde besteht also in der Verwendung der Mixturen, die
-auf den früheren Orgeln Cavaillés nicht so reich vertreten waren. Man
-lasse die glänzenden Zungenstimmen beiseite: dann sind St. Sulpice und
-Notre-Dame die idealsten Bach-Orgeln, die man sich denken kann.
-
-Mutin, Cavaillés Nachfolger, zieht nur die Konsequenzen der Evolution
-seines großen Lehrers, indem er nun auch dem Pedal entsprechend viele
-Mixturen zugesteht, wozu Cavaillé sich noch nicht hatte entschließen
-können.
-
-[Illustration]
-
-
-Fußnoten:
-
-[1] Diesen Typus verwirklicht die eben vollendete Orgel zu St. Nicolaï
-in Straßburg, ein Werk der beiden jungen elsässischen Orgelbauer
-Dalstein und Härpfer zu Bolchen in Lothringen.
-
-Alle Koppeln und Kombinationszüge sind doppelt, als Pedaltritte und
-als Druckknöpfe angelegt, wobei der Knopf und der Tritt untereinander
-durch eine von Herrn Dalstein erfundene einfache Mechanik verbunden
-sind, welche den Preis jeder Koppel oder Kombination um etwa zwanzig
-Mark erhöht. Die doppelte Verwendbarkeit der freien Kombination,
-die die Handregistrierung nach Belieben aufhebt oder ergänzt, macht
-alle anderen Ressourcen tatsächlich überflüssig, wovon sich auch
-diejenigen Organisten überzeugten, welche anfangs die „Neuerung“,
-die auf die Abschaffung des „Piano“, „Mezzoforte“, „Forte“, „Tutti“
-ging, beargwöhnten. Der Vorteil der Möglichkeit, das erste Klavier
-von den andern abzukoppeln und es als Koppelklavier zu benutzen,
-leuchtete nach der ersten praktischen Demonstration ein. Die ganze
-Spieltischeinrichtung stellt sich um etwa 200 Mark teurer als die
-gewöhnliche.
-
-Für eine zweiklavierige Orgel von zwanzig Stimmen, bei der also zwei
-doppelt angelegte Pedalkoppeln, zwei doppelt angelegte Manualkoppeln,
-und drei doppelt verwendbare freie Kombinationen (Kl. I, II und Ped.)
-in Betracht kämen, dürfte die Differenz etwa hundert Mark betragen!
-
-[2] Von den in der „Übergangszeit“ von Häusern zweiten Ranges gebauten
-Pneumatiken wage ich nicht zu reden. Welche Summen wären nötig, um
-jene Instrumente, die als Opfer der ersten Versuche allsonntäglich zum
-Himmel schreien, zu erlösen und ihnen einen „neuen gewissen Geist zu
-geben“!
-
-Und wie viele unserer mittleren Orgelbauer, die einst einfache und
-schönklingende, zuweilen geradezu künstlerisch intonierte Werke bauten,
-sind zugrunde gegangen, weil sie in den Erfindungen mitmachen mußten!
-
-[3] In sehr großen Kirchen können zwei oder drei künstlerisch gebaute
-Hochdruckstimmen von einer grandiosen Wirkung sein und gehören daher
-zur Vollkommenheit des Instruments. In mittleren Räumen aber können
-sie den Orgelklang nur verunstalten und müssen daher im Orgelbau eine
-Ausnahme bleiben.
-
-[4] Auch unser moderner Flügel paßt nicht für Bachsche Musik. Diese
-Erkenntnis beginnt sich allenthalben zu regen. Siehe darüber Wanda
-Landowska: Sur l’interprétation des œuvres de Clavecin de J. S. Bach,
-Mercure de France 1905.
-
-[5] Es ist mir von jeher aufgefallen, daß gewisse herrliche
-Silbermannorgeln in der Nähe geradezu unschön wirken, weil die
-Individualität der einzelnen Register zu ungebrochen fortbesteht. Desto
-herrlicher ist aber ihr Ton in dem Schiff der Kirche.
-
-Man beobachte auch, wie solche alte Orgeln, auch wenn sie schwach
-intoniert sind, durch die Wände der Kirche hindurch wirken! Jeder Ton
-in der Polyphonie gelangt klar zum Ohr des Hörers auf dem Vorplatz. Wie
-steht es aber in dieser Hinsicht mit der modernen Orgel? Sie vermag bei
-all ihrer Kraft nur ein dunkles Sausen und Gestöhne durch die Steine
-hinauszusenden. So zeugen sogar die Steine wider sie und erbringen den
-Beweis, daß ihr Ton nicht „trägt“.
-
-[6] Dazu gehört auch, daß der Organist unsichtbar ist, was besonders
-in den neueren protestantischen Kirchen sehr oft nicht der Fall ist.
-Mir verleidet es die schönste Bachsche Fuge, wenn ich vom Schiff aus
-den Organisten an seinem Instrument herumzappeln sehe, als wollte er
-den Gläubigen ad oculos demonstrieren, wie schwer das Orgelspielen ist.
-Ein Menschlein vor dem großen Instrument kann nur grotesk wirken. Man
-erspare uns diesen Anblick, indem man um den sichtbaren Spieltisch ein
-zum Orgelgehäuse passendes Gitter aufführt.
-
-[7] In der ersten Zeit nach der Ernennung Viernes zum Organisten von
-Notre-Dame spielte Widor öfters auf der Orgel der Cathedrale. Er
-studierte damals gerade seine letzte Orgelsymphonie ein.
-
-[8] Was automatische Schwellkasten sollen, kann ich nicht begreifen.
-Sie öffnen und schließen sich in einer von vornherein ein für alle
-Male festgelegten Zeit, bringen also unter Umständen das Pianissimo,
-wo der Komponist den Höhepunkt des crescendos hinsetzt. Diese
-„epochemachende“ Erfindung erhält also ihre praktische Bedeutung
-erst dann, wenn es gelingt, dasselbe Uhrwerk in dem Gehirn der
-Orgelkomponisten anzubringen, so daß sie nicht anders können, als ihre
-Crescendo- und Decrescendoperioden in den Maßen des automatischen
-„Einheitsschwellkastens“ zu erdenken. Bis dahin muß das automatische
-Crescendo der Vorzug des Harmoniums bleiben, wo es als „Expression“
-reichlich zur Geltung gelangt.
-
-Eine der bekanntesten Berliner Orgeln besitzt einen automatischen
-Schweller für das Fernwerk.
-
-Sogar automatisch laufende Walzencrescendi besitzen wir schon. Das ist
-die letzte Konsequenz der mechanischen Sklaverei.
-
-[9] +Boëlys+ und +Chauvets+ Werke haben kaum bleibende Bedeutung; César
-+Francks+ Anfängerkompositionen eigentlich (6 Pièces, d’Orgue. Bei
-Durand) auch nicht. +Aber seine Trois Pièces pour Grand-Orgue und seine
-„Chorals“ betitelten Großen Phantasien werden als etwas Einzigartiges
-bestehen+ (Ed. Durand). Diese drei Choräle sind das letzte Werk
-Francks. Sie stammen aus dem Jahre 1890. Als er nicht mehr gehen
-konnte, hatte er sich noch nach St. Clothilde schleppen wollen, um die
-Registrierungsangaben zu vervollständigen.
-
-Um Mißverständnissen vorzubeugen, bemerke ich, daß „Choral“ in
-der modernen französischen Orgelliteratur nur eine Phantasie über
-ein gemessenes, großzügiges Thema, das aber frei erfunden wird,
-bedeutet. Diese Bezeichnung kam auf, weil gewisse Organisten der
-ältesten Generation gemeint hatten, die Choralthemen in den Bachschen
-Choralphantasien stammten von Bach selber.
-
-Unter +Boëllmanns+ Kompositionen führe ich an: Douze Pièces en Recueil.
-2^e Suite; Fantaisie (Leduc); Suite gothique; Fantaisie dialoguée
-(Orgel und Orchester; für Orgel allein von Eug. Gigout arrangiert)
-(Durand). Gabriel +Pierné+: Trois Pièces pour Orgue (Durand).
-
-[10] Von +Saint-Saëns+ seien erwähnt: Trois Rhapsodies sur des
-Cantiques Bretons (op. 7. Ed. Durand), von denen die erste und die
-dritte wirklich Wunderwerke sind, die noch dazu den in diesem Fall
-seltenen Vorzug haben, dem Hörer alsbald zu gefallen. Trois Préludes et
-Fugues pour Orgue (op. 99. Durand); Fantaisie pour Grand-Orgue (op.
-101. Durand). Die beiden letzten Opera sind geistreich und gehaltvoll,
-dürften aber als Orgelstil nicht voll befriedigen.
-
-[11] Von +Gigouts+ Werken seien genannt: Six Pièces (Durand); Trois
-Pièces (Durand); Prélude et Fugue en Mi (Durand); Méditation (Laudy,
-London); Dix Pièces en Recueil (Leduc); Suite de Pièces (Richault);
-Suite de trois Morceaux (Rosenberg); Poèmes mystiques (Durand).
-
-[12] Alexandre +Guilmant+: Sieben Sonaten (Durand-Schott) (op. 42, 50,
-56, 61, 80, 86, 89); Pièces dans différents Styles (18 Hefte, op. 15,
-16, 17, 18, 19, 20, 24, 25, 33, 40, 44, 45, 69, 70, 71, 72, 74, 75)
-(Durand-Schott). L’organiste Pratique; 12 Lieferungen (Durand-Schott);
-Noëls, Offertoires Elévations; 4 Lieferungen (Durand-Schott);
-L’organiste Liturgiste; 10 Lieferungen. Concert historique d’Orgue.
-Besonderes Verdienst erwirbt sich Guilmant durch die Herausgabe
-der französischen Orgelmeister des 16., 17. und 18. Jahrhunderts.
-Erschienen sind bisher 6 Jahrgänge.
-
-[13] Charles Marie +Widor+: Symphonies pour Orgue (Hamelle). No. 1-4
-op. 13; No. 5-8 op. 42 (2. Aufl. 1900); No. 9 Symphonie Gothique (op.
-70); No. 10 Symphonie Romane (op. 73).
-
-[14] Ed. Hamelle.
-
-[15] Diese Abhandlung erschien zuerst in Heft 13 u. 14 der „Musik“
-1906. 5. Jahr.
-
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-ORGELBAUKUNST UND ORGELKUNST ***
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-<div lang='en' xml:lang='en'>
-<p style='text-align:center; font-size:1.2em; font-weight:bold'>The Project Gutenberg eBook of <span lang='de' xml:lang='de'>Deutsche und Französische Orgelbaukunst und Orgelkunst</span>, by Albert Schweitzer</p>
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
-of the Project Gutenberg License included with this eBook or online
-at <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>. If you
-are not located in the United States, you will have to check the laws of the
-country where you are located before using this eBook.
-</div>
-</div>
-
-<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:1em; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Title: <span lang='de' xml:lang='de'>Deutsche und Französische Orgelbaukunst und Orgelkunst</span></p>
-<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Author: Albert Schweitzer</p>
-<p style='display:block; text-indent:0; margin:1em 0'>Release Date: January 28, 2023 [eBook #69893]</p>
-<p style='display:block; text-indent:0; margin:1em 0'>Language: German</p>
- <p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em; text-align:left'>Produced by: the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by The Internet Archive)</p>
-<div style='margin-top:2em; margin-bottom:4em'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK <span lang='de' xml:lang='de'>DEUTSCHE UND FRANZÖSISCHE ORGELBAUKUNST UND ORGELKUNST</span> ***</div>
-
-<div class="transnote mbot3">
-
-<p class="s3 center"><b>Anmerkungen zur Transkription</b></p>
-
-<p class="p0">Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von
-1906 so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische
-Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute
-nicht mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original
-unverändert; fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert.</p>
-
-<p class="p0">Im Originaltext wurde die akustisch wirksame Länge
-der Orgelpfeifen (in Fuß) mit schließenden Anführungszeichen (“)
-gekennzeichnet. Die vorliegende Bearbeitung verwendet dagegen das
-allgemein übliche Prime-Symbol (′).</p>
-
-<p class="p0 nohtml">Abhängig von der im jeweiligen Lesegerät
-installierten Schriftart können die im Original <em
-class="gesperrt">gesperrt</em> gedruckten Passagen gesperrt, in
-serifenloser Schrift, oder aber sowohl serifenlos als auch gesperrt
-erscheinen.</p>
-
-</div>
-
-<div class="titelei break-before">
-
-<div class="right-box-container">
- <div class="right-box">
- <div class="s3 right">ALBERT SCHWEITZER</div>
- <div class="s6 right mtop1">ORGANIST DER BACHAUFFÜHRUNGEN<br>
- <span class="mright4">DES CHORES ZU ST. WILHELM&#160;</span></div>
- <div class="s6 right">IN STRASSBURG</div>
- </div>
-</div>
-
-<h1><span class="s7">Deutsche und Französische</span><br>
-Orgelbaukunst<br>
-<span class="s7">und</span><br>
-Orgelkunst</h1>
-
-<figure class="figcenter illowe6" id="signet">
- <img class="w100 padtop3" src="images/signet.png" alt="Verlagssignet">
-</figure>
-
-<p class="s3 center mtop3 break-before">LEIPZIG<br>
-DRUCK UND VERLAG VON BREITKOPF &amp; HÄRTEL<br>
-1906</p>
-
-<div class="right-box-container mtop5 break-before">
- <div class="right-box">
- <div class="s4 right">PROFESSOR ERNST MÜNCH</div>
- <div class="s6 right mtop1">DEM ERZIEHER DER ELSÄSSISCHEN ORGANISTEN<br>
- <span class="mright4">IN HERZLICHER FREUNDSCHAFT</span></div>
- </div>
-</div>
-
-</div>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_1">[S. 1]</span></p>
-</div>
-
-<div class="chapter">
-
-<figure class="figcenter illowe50" id="kopfleiste">
- <img class="w100 mtop5" src="images/kopfleiste.png" alt="Kopfleiste">
-</figure>
-
-</div>
-
-<p class="p0 mtop3"><span class="drop-cap">W</span>enn es wahr ist, daß wir im Zeichen des Verkehrs stehen, so muß doch
-auch zugestanden werden, daß er nicht allen Gebieten der Kunst in
-gleicher Weise zugute gekommen ist und daß gewisse Erscheinungen einen
-fast irre daran machen könnten, daß auch die Kunst in das Zeichen des
-Verkehrs getreten ist. Man kann sich geradezu fragen, ob von ihm nicht
-fast ausschließlich ein gewisses wanderndes Virtuosentum profitiert
-hat, und ob dabei gerade die lernende Kunst, die in aller Herren
-Ländern das Beste sich anzueignen sucht, nicht eher zurückgetreten
-ist? Es will einen fast bedünken, als ob zu Bachs Zeiten die Kunst
-in gewissem Sinne künstlerischer in ihrer Internationalität war als
-heute, sofern man damals reiste, um zu lernen und zu lehren, heute mehr
-ausschließlich, um sich zu produzieren.</p>
-
-<p>Daß die künstlerischen Grenzwälle trotz der Zeichen des Verkehrs
-existieren, mehr als man meinen sollte, wird mir jedesmal klar, wenn
-ich mit einem französischen Organisten von deutschen Orgeln und
-deutscher Orgelkunst, mit einem deutschen von französischen Orgeln und
-französischer Orgelkunst rede. Es ist mehr als ein totales Nichtwissen
-um die Verhältnisse drüben, das hier zutage tritt: es ist fast eine
-Unmöglichkeit, sich beim besten Willen zu verstehen. Es nützt nichts,
-in Paris für Reger und die andern unserer vielversprechenden jungen
-Organistengeneration einzutreten und in Deutschland auf Widors
-Orgel-Symphonien aufmerksam zu machen. Wozu? Regers Werke sind auf
-der Orgel von Notre-Dame oder auf der von St. Sulpice unausführbar
-und Widors Symphonien sind auf deutschen Orgeln<span class="pagenum" id="Seite_2">[S. 2]</span> auch nur mit einer
-gewissen Vergewaltigung des Wesens und der Anlage des Instruments
-wiederzugeben.</p>
-
-<p>„Also“, sagt jeder Teil, „taugt des andern Orgel nichts“. Dabei kennt
-keiner des andern Orgel. Um dieses Urteilen, bei dem doch nichts
-herauskommt, in die Wege einer vernünftigen Diskussion zu leiten, die
-für Orgel und Orgelkunst förderlich sein kann, und um die streitenden
-Parteien miteinander bekannt zu machen, ergreife ich das Wort, als
-einer, der durch die deutsche und die französische Schule hindurch
-gegangen ist, als einer, der durch die Verhältnisse genötigt, seit
-mehr denn zwölf Jahren auf beiden Orgeln heimisch ist, als einer, der
-in Paris für deutsche Orgelkunst, in Deutschland für die französische
-eintritt und der Überzeugung lebt, daß ein Ausgleich zwischen den
-beiderseitigen Orgeln und Auffassungen kommen muß, und daß mit diesem
-Ausgleich, mit diesem Durchdringen deutscher und französischer
-Orgelkunst eine neue, ideenreiche und formbeherrschende Periode in der
-Geschichte des Orgelspiels anbrechen wird. Wenn die Zeichen der Zeit
-nicht trügen, ist der Augenblick gekommen, voneinander zu lernen.</p>
-
-<p class="mtop2">Die schärfere Differenzierung zwischen deutscher und französischer
-Orgel setzte etwa vor einem Menschenalter ein. Als der alte Hesse die
-eben vollendete Orgel zu St. Clothilde spielte, fand er sich alsbald
-auf ihr zurecht und erklärte sie für das Ideal der Orgel, das ihm
-vorschwebte. Heute dürfte es keinen deutschen Organisten geben, der
-sich alsbald auf einer französischen Orgel zurecht fände und keinen
-französischen, der ohne längeres Vorstudium oder verständnisvolle Hilfe
-beim Registrieren sich auf einer deutschen hören lassen könnte.</p>
-
-<p>Die Differenzierung rührt von der verschiedenen Art her, wie der
-Orgelbau in beiden Ländern durch die neuen Mittel, Elektrizität und
-Pneumatik, beeinflußt worden ist. Der französische Orgelbau blieb
-mehr konservativ. Die Orgel von St. Sulpice, die bald fünfzig Jahre
-alt ist, ist der Typus aller<span class="pagenum" id="Seite_3">[S. 3]</span> französischen Orgeln geblieben. Der
-deutsche Orgelbau begab sich auf die Bahn der Erfindungen, nutzte alle
-technischen Vorteile der Pneumatik aus und gebrauchte die Elektrizität
-zur Erzeugung unbegrenzter Windmengen und Winddrucke.</p>
-
-<p>Dazu kommt eine rein äußerliche Unterscheidung. In den französischen
-Orgeln sind die Koppeln und Kombinationszüge ausschließlich in
-den Füßen angelegt. Die deutsche Entwicklung führte zum fast
-ausschließlichen Gebrauch der Druckknöpfe.</p>
-
-<p>Aber auch das innere künstlerische Prinzip ist verschieden. Das
-künstlerische Wesen einer Orgel, und noch viel mehr das ganze Wesen der
-Orgelmusik, wird bestimmt durch die Art, wie man auf diesem Instrument
-vom Piano zum Forte, vom Forte zum Fortissimo gelangt und von letzterem
-wieder in die Anfangsklangfarbe zurückkehrt. In der deutschen Orgel
-hat sich das Registerrad oder die Walze durchgesetzt. Sie beherrscht
-die Orgel, wie das Spiel unserer Virtuosen zeigt; sie beherrscht die
-Literatur und Komposition, wie es sattsam aus einem Blick in ein
-neues Werk für Orgel erhellt. Anders gesagt: wir schwellen, indem wir
-sämtliche Register lückenlos aufeinander folgen lassen, so daß sie
-unterschiedslos auf das Hauptklavier wirken; wir verzichten darauf,
-in der Schwellung die künstlerische Individualität der Klaviere zur
-Geltung kommen zu lassen; wir setzen es als selbstverständlich voraus,
-daß jede Schwellung zugleich eine Klangfarbenveränderung bedeutet; wir
-finden uns in die Monotonie, die damit notwendig gegeben ist, daß die
-Aufeinanderfolge der Stimmen ein für allemal dieselbe ist, nämlich die,
-welche der Orgelbauer im Registerrad zu realisieren für gut befand;
-wir schicken uns darein, nicht zu bestimmen, wann wir 16′, wann wir
-8′, wann wir 4′ und 2′, wann wir Mixturen, wann wir Zungen in die
-Klangmasse einführen wollen; wir nehmen die ewige Sklaverei des die
-Walze entwerfenden Orgelbauers auf uns, verzichten auf jede Freiheit
-in der Durchführung der Steigerung, wo doch Freiheit und Kunst so
-eng zusammen gehören: dies<span class="pagenum" id="Seite_4">[S. 4]</span> alles, um dafür in den Stand gesetzt zu
-sein, durch die einfache Bewegung eines Rades oder eines Trittes die
-Steigerung zu regieren.</p>
-
-<p>Anders der französische Organist. Er wählt die zweite Alternative.
-Er verzichtet darauf, mit einer einzigen Bewegung die Steigerung
-durchführen zu können und schickt sich darein, hierfür eine Mehrzahl
-von Bewegungen aufwenden zu müssen. Dafür behält er sich aber die
-Freiheit vor, in jedem Falle die Stimmen sich so zum Fortissimo
-steigern zu lassen, wie es ihm durch den Charakter der betreffenden
-Steigerung geboten erscheint.</p>
-
-<p>Die Steigerung auf der französischen Orgel beruht zunächst auf
-dem An- und Abkoppeln der Klaviere. Dadurch erst kommen die drei
-Persönlichkeiten, welche die göttliche Trinität der Orgel ausmachen,
-zur Geltung. Soll dies aber wirklich durchführbar sein, so darf der
-Spieler nicht darauf beschränkt bleiben, sein II. und III. Klavier
-(Positiv und Récit) zum ersten zu koppeln, sondern er muß die
-unbeschränkte Möglichkeit haben, jedes Klavier zum Ausgangspunkt
-zu wählen und die andern darauf zu koppeln. Darum ist in allen
-französischen Orgeln das I. Klavier, Grand Orgue genannt, zugleich
-neutrales, leerlaufendes Klavier, Koppelklavier. Die darauf
-eingestellten Register, also die gezogenen Register des I. Klaviers,
-erklingen erst, wenn der mit „G. O.“, d.&#160;h. Grand Orgue, bezeichnete
-Tritt niedergedrückt wird. Man kann also auf das leerlaufende I.
-Klavier (Grand Orgue) zuerst das Récit, dann das Positiv, dann,
-durch die Einführung des G. O., das Hauptwerk koppeln, beliebig die
-Reihenfolge II I III, II III I, I III II, oder die uns geläufige I II
-III herstellen. Die Möglichkeiten sind vollzählig gegeben.</p>
-
-<p>In der Abkoppelung ebenfalls. Es liegt in dem Belieben des Spielers,
-ohne von der Hauptklaviatur herunter zu gehen, zuletzt das I., II. oder
-III. Klavier zu behalten.</p>
-
-<p>Zu jedem Klavier gehört ein „Appel des mixtures et des anches“, d.&#160;h.
-ein Tritt, durch welchen die nach Gutdünken auf denselben für jenes
-Klavier eingestellten Mixturen und<span class="pagenum" id="Seite_5">[S. 5]</span> Zungen in Wirkung treten, so daß
-der Spieler es in der Hand, oder besser gesagt, in den Füßen hat, in
-die vorhandene Grundstimmenfarbe die Mixturen der drei Klaviere in
-beliebiger Reihenfolge einzutragen, sei es vor, während oder nach der
-Koppelung derselben, sei es abwechselnd mit ihr.</p>
-
-<p>Die drei Koppeln und die drei Kombinationstritte stellen also eine
-Menge von Steigerungsmöglichkeiten dar und bieten zugleich den Vorteil,
-daß man die betreffende Teilsteigerung bei einer bestimmten Peripetie,
-auf den charakteristischen, starken Taktteil derselben, eintreten
-lassen kann, was bei der Walze unmöglich ist, da sie, sofern sie ein
-Register nach dem andern, nie eine ganze Gesellschaft, einführt, einen
-Zeitraum beansprucht.</p>
-
-<p>Als drittes, die andern vollendendes Steigerungsmittel kommt das
-Schwellwerk des III. Klaviers hinzu. Das III. Klavier ist in der
-französischen Orgel bedeutender als das zweite. Der Schwellkasten
-schließt nicht etliche schwach intonierte Registerlein, sondern eine
-sowohl an Zahl als an Intensität bedeutende Klangmasse ein. Die
-Klangcharaktere sind darauf womöglich in allen Fußzahlen vertreten, so
-vollständig, fast noch vollständiger als auf dem I. Klavier. Das will
-heißen, daß an einem solchen III. Klavier etwas zu schwellen ist, daß
-der Jalousieschweller nicht nur dazu dient, auf dem III. Klavier ein
-gewisses Nuancieren zu ermöglichen, sondern dazu da ist, die Steigerung
-der ganzen Orgel bis zu einem bestimmten Grad hinzuführen. Ich erinnere
-mich einer Orgel von Cavaillé-Coll, wo man das volle, gekoppelte Werk
-durch den Schwellkasten des III. Klaviers noch beeinflussen konnte.</p>
-
-<p>Die Steigerung auf der französischen Orgel beruht also auf den Koppeln,
-den Einführungen der Mixturen und Zungen und der Verwendung des
-Jalousieschwellers.</p>
-
-<p>Zum Exempel. Wir haben das dritte Werk — Schweller geschlossen —
-auf das leerlaufende erste gekoppelt. Gezogen auf allen dreien:
-Grundstimmen 16′, 18′, 4′, 2′;<span class="pagenum" id="Seite_6">[S. 6]</span> präpariert: Mixturen und Zungen. Im
-Pedal ebenso. Wir koppeln das II. Klavier ans dritte; bei der nächsten
-Peripetie lassen wir, indem wir das G. O. drücken, die Grundstimmen
-des ersten hinzutreten. Darauf koppeln wir das Pedal nach Bedarf an
-die Klaviere. Wie nun aber ohne „Ruck“ aus dem Grundstimmencharakter
-in die Mixturen- und Zungenklangfarbe kommen? Indem wir die Mixturen
-und Zungen zuerst auf dem III. Klavier einführen. Bei geschlossenem
-Schweller geschieht dies fast unmerklich. Nun Öffnen wir den Schweller
-langsam. Der Mixturen- und Zungenklang flutet in langen feinen Wellen
-über den Grundstimmenklang einher und verbindet sich mit demselben.
-Dieses Realwerden der vorher, bei geschlossenem Schweller, nur virtuell
-vorhandenen Mixturen- und Zungenklangfarbe ist der entscheidende
-Moment der Steigerung. Weil auf dem III. Klavier alle Klangcharaktere
-vertreten sind, ist das volle Werk vom Moment jener ersten Einführung
-der Mixturen und Zungen des im Schwellkasten gebändigten III. Klaviers
-an in Kraft getreten. Es kommt nur noch auf die Entfaltung an. Die nun
-folgenden Einführungen der Mixturen und Zungen des II., des I. Klaviers
-und des Pedals und die Einführung der Sub- und Superoktavkoppeln
-(Octave grave und Octave aigüe) ändern an dieser Klangfarbe nichts: sie
-machen sie nur intensiver.</p>
-
-<p>Danach sind die dynamischen Angaben in den französischen Kompositionen
-zu deuten. Das Zeichen für crescendo oder decrescendo bezieht sich
-nur auf die Handhabung des Schwellkastens, auch wenn der Spieler sich
-auf dem ersten Klavier befindet. Ausdrücklich wird am Kopf des Stücks
-angegeben, ob neben den Grundstimmen (Jeux de fonds, kurzweg Fonds
-genannt) noch Zungen und Mixturen, und welche, auf den verschiedenen
-Klavieren präpariert sind. Ihr Eintreten wird dann besonders angegeben,
-ebenso die An- und Abkoppelungen. Crescendo poco a poco in einer in
-kurzer Linie zum Fortissimo führenden Steigerung bedeutet, daß der
-Spieler, wenn er das volle III. Klavier sich auf den<span class="pagenum" id="Seite_7">[S. 7]</span> Grundstimmen
-der zwei ersten hat entfalten lassen, auf den entscheidenden starken
-Taktteilen die Mixturen und Zungen der übrigen Klaviere und des
-Pedals einführen soll. Erst diese letzte Steigerung entspricht
-unserm Schwellen mit der Walze. Die Zeichen <span class="s3 vab lh1">&lt;&#160;&gt;</span>, und mögen sie sich
-über noch so viele Takte erstrecken, beziehen sich immer nur auf den
-Schwellkasten.</p>
-
-<p>Ich hebe diese grundsätzliche Verschiedenheit in den dynamischen
-Angaben hervor, weil ich gefunden habe, daß fast alle deutschen
-Organisten, aus Gewohnheit, das Crescendo- und Decrescendozeichen,
-wenn sie auf dem ersten Klavier waren, mit der Walze realisierten
-und so die vom Komponisten gewollte Wirkung, da dieser mit einer
-Klangfarbenveränderung nicht rechnete, total zerstörten.</p>
-
-<p class="mtop2">Die Grundvoraussetzung des französischen Systems bildet die Anlage
-aller Ressourcen als Pedaltritte. Die französische Orgel kennt keine
-Druckknöpfe unter der Klaviatur. Für welches System sich entscheiden?</p>
-
-<p>Ich sitze noch keine fünf Minuten neben Vater Guilmant auf der Bank
-seiner schönen Hausorgel zu Meudon, so fragt er schon, als fiele er da
-ein, wo wir das letzte Mal stehen geblieben: „Und in Deutschland bauen
-sie noch immer Druckknöpfe? Das kann ich nicht verstehen. Sehen Sie
-doch, wie einfach es ist, wenn man alles in den Füßen hat“ ..., und die
-kurzen behenden Füße drücken Koppeln und Kombinationstritte lautlos
-nieder und lösen sie im Nu wieder aus.</p>
-
-<p>Am andern Tag fängt Widor, zum fünfundzwanzigsten Male, wieder von
-derselben Sache an. „Sagen Sie doch meinem Freund Professor Münch in
-Straßburg, er soll mir eine Stelle in einem Bachschen Präludium oder
-in einer Fuge aufzeigen, wo er im richtigen Augenblicke eine Hand frei
-hat, um nach einem Druckknopf zu greifen! Er soll mir jemand nennen,
-der auf dem Manual spielen und zugleich<span class="pagenum" id="Seite_8">[S. 8]</span> mit dem Daumen den Druckknopf
-auf der Vorsatzleiste drücken kann.“</p>
-
-<p>Ich schweige, denn der erste deutsche Organist, dem ich einige Wochen
-nachher in die Hände laufe und dem ich die Streitfrage vorlege,
-antwortet mir unfehlbar: „Die Franzosen sind eben rückständig. Früher
-hatten wir das auch in den Füßen; jetzt aber haben wir unsere schönen
-Druckknöpfe.“</p>
-
-<p>Zunächst handelt es sich da um eine Gewohnheitssache. Der französische
-Organist sitzt ratlos vor den Druckknöpfen; der deutsche findet sich
-in den Pedaltritten nicht zurecht. Die Frage ist aber dennoch eine
-Prinzipienfrage. Hat man eher eine Hand oder einen Fuß frei?</p>
-
-<p>Im Prinzip muß man den Franzosen recht geben. Man hat fast nie eine
-Hand, sehr oft einen der Füße frei. Und die Erfahrung bestätigt das
-Prinzip. Ich höre auf deutschen Orgeln immer die Verzögerungen, die
-unrhythmischen Verschiebungen, die davon herrühren, daß der Spieler bei
-der betreffenden Peripetie den richtigen Moment nicht findet, seine
-Knöpfe zu drücken. Ich kenne Virtuosen, die, um dies zu vermeiden,
-sich mit zwei Helfern umgeben, welche ihnen die Knöpfe drücken. Das
-heißt sich aber in Abhängigkeit begeben. Und wer hat schon einmal mit
-Helfern gespielt, ohne daß dabei etwas passiert wäre? Die ganze durch
-das System der Druckknöpfe geschaffene Kompliziertheit kommt einem aber
-erst zum Bewußtsein, wenn man das Gegenteil zu beobachten Gelegenheit
-hat. Man sehe Guilmant, Widor, Gigout oder Vierne auf ihren Orgeln!
-Sie brauchen keinen Helfer. Lautlos, ruhig und unfehlbar tun sie alles
-selbst. Wer dies mit angesehen hat, wird nicht mehr im Zweifel sein,
-welchem der beiden Systeme der Sieg zufallen wird.</p>
-
-<p>Ich selbst, der ich auf beiden Orgeln heimisch bin und mich in
-beide Systeme eingelebt habe, muß gestehen, daß die Ressourcen des
-französischen Systems einfacher, d.&#160;h. besser sind. Zunächst weil alle
-Orgeln sich gleichen. Unten links finden sich die drei Pedalkoppeln;
-in der Mitte die<span class="pagenum" id="Seite_9">[S. 9]</span> Manualkoppeln; daran anschließend die Oktavkoppeln;
-dann kommt gewöhnlich der Jalousieschweller; rechts davon die
-Kombinationszüge für Mixturen- und Trompeteneinführung: alles immer in
-der Anordnung I, II, III. Wenn Saint-Saëns, wie es vor der Ernennung
-Viernes zum Organisten von Notre-Dame der Fall war, bei offiziellen
-Anlässen vom Präsidenten der Republik auf die Orgel der Cathedrale
-befohlen wurde, brauchte er keine fünf Minuten, um darauf so heimisch
-zu sein, wie auf der Orgel von St. Séverin, auf der er sich in
-wundervollen Improvisationen zu ergehen pflegt.</p>
-
-<p>Bei uns ist jede Orgel von der andern in der Anlage der Ressourcen
-verschieden. Um mit Erfolg darauf zu spielen, muß man sich zum
-mindesten einige Tage darauf einleben. Man würde sich mit dieser
-Verschiedenheit noch abfinden, wenn sie gewissermaßen nur der
-chaotische Zustand wäre, aus dem dann der vollendete Orgeltypus
-hervorgehen könnte. Dies ist aber nicht der Fall, denn es ist in den
-Differenzen weder Sinn noch Verstand, sondern nur Zufall, Gewohnheit,
-Willkür. Es kann nur einen wirklich vollendeten Orgeltypus geben. Statt
-daß wir uns aber auf diesen hinbewegen, bleiben wir in der regellosen
-Vielheit stecken und meinen noch, es müßte so sein.</p>
-
-<p>Nun verdankt zwar Deutschlands Kunst, und gerade die Musik, dem
-Kleinstaatentum viel, unendlich viel, was man erst entdeckt, wenn man
-in Ländern lebt, die dieses Stadium nie gekannt haben. Aber im Orgelbau
-ist es vom Übel. Möge Frankreich hier im Guten, wie in der Geschichte
-einst im Bösen, die einigende Macht sein.</p>
-
-<p>Der Vorteil, der dem Spieler auf der französischen Orgel fast am
-lebhaftesten zum Bewußtsein kommt, ist das Vermögen, durch An- und
-Abkoppelung der Klaviere an das Pedal die Klangstärke und Klangfarbe
-des Basses jederzeit zu regeln, ohne in den Manualen etwas zu
-verändern. Man empfindet dies fast noch angenehmer als die jederzeitige
-Möglichkeit, die Manuale untereinander zu koppeln, obwohl unseren
-neueren Orgeleinrichtungen gerade dies zum größten<span class="pagenum" id="Seite_10">[S. 10]</span> Vorwurf gemacht
-werden muß, daß sie das Operieren mit An- und Abkoppelungen der
-Klaviere, das Regulieren des Zusammenwirkens der drei Persönlichkeiten,
-die die Orgeleinheit ausmachen, zur Ausnahme statt zur Regel erheben.</p>
-
-<p>Wer von uns seufzt nicht fast in jedem Bachschen Stück darunter, es
-auf unsern Orgeln nicht in der Gewalt zu haben, bald einen weniger,
-bald einen besser genährten Baß reden zu lassen? Wem sind gewisse
-längere gehaltene Baßnoten, besonders wenn die linke Hand in der
-Tiefe zu tun hat, nicht eine Qual? Auf der französischen Orgel
-existiert diese Schwierigkeit nicht. Man höre Widor ohne Veränderung
-der Manualklangfarbe den großen Orgelpunkt des Pedals in der
-F-dur-Toccata von Bach anschwellen lassen! Man höre ihn den Bässen im
-G-moll-Präludium gebieten! Ehe die gehaltene Baßnote einsetzt, fliegen
-durch fünf kurze aufeinanderfolgende Bewegungen seine sämtlichen
-Pedalkoppeln ab. Nun, gegen Ende der gehaltenen Note, tritt jede
-zu ihrer Zeit auf dem starken Taktteil, die Betonung verstärkend,
-wieder ein: V, IV, III, II, I Klavier! Dasselbe Manöver wird sechs-
-oder siebenmal wiederholt. Aber ich gestehe, daß ich sonst das
-G-moll-Präludium noch nie ohne „Baßbeschwerden“ gehört habe.</p>
-
-<p>Das Beherrschen der in den Füßen angelegten Koppeln und Kollektivtritte
-bedeutet nun freilich eine ganz besonders zu erlernende Technik, die
-in ihrer Art fast noch schwerer ist als die Pedaltechnik. Wie oft
-spielt der Schüler unter Guilmants, Gigouts oder Widors unerbittlichem
-Blick eine Übergangsstelle, bis er es endlich heraus hat, auf die
-hundertstel Sekunde genau, ohne daß das Spiel im geringsten alteriert
-wird, lautlos, ohne Kontorsion, unfehlbar sicher die Koppel oder
-die Kombination niederzudrücken und im nächsten Augenblick für die
-kommende in Bereitschaftsstellung zu sein! Fast für jedes Stück muß
-man sich die Peripetien, wo die Aufeinanderfolge der Bewegungen eine
-gewisse Kompliziertheit erreicht, besonders „anlernen“. Ich stand
-neben Widor, als er seine letzte, die „Romanische Symphonie“<span class="pagenum" id="Seite_11">[S. 11]</span> für sich
-einstudierte. Wievielmal nahm er bestimmte Stellen vor, ehe die Koppeln
-und Kollektivtritte ihm gehorchten, wie er wollte!</p>
-
-<p>Aber wenn die betreffenden Bewegungen einmal angelernt sind, ist man
-eben vollständig frei und Herr der Steigerungen, die man ausführen
-will. Man stelle sich neben Vierne, den jungen, kaum noch einen
-Schimmer des Augenlichts besitzenden Organisten von Notre-Dame, und
-folge ihm, wie er ohne irgendwelche Beihilfe, nur durch die sehend
-gewordenen Füße sein wundervolles Instrument vom Pianissimo zum
-Fortissimo leitet!</p>
-
-<p>Ein Organist warf mir einst ein, daß nur die talentvolleren Schüler
-diese zweite „Pedaltechnik“ erlernen könnten. Von Guilmant und Gigout,
-den Lehrern der neuen französischen Organistengeneration, wird man
-aber jederzeit erfahren, daß mit Fleiß ein jeder auch nur einigermaßen
-begabte Schüler die Schwierigkeiten überwindet.</p>
-
-<p>Was hindert uns nun aber, die französische und die deutsche Einrichtung
-auf einer Orgel zu vereinigen und die Hauptkoppeln und Kombinationszüge
-sowohl als Druckknöpfe als auch als Pedaltritte anzubringen, und
-zwar so, daß jedesmal Knopf und Tritt korrespondieren? Dann wäre
-man imstande, jedesmal dasjenige Glied zu benutzen, das man gerade
-frei hat. Man würde z.&#160;B. eine Koppel mit der Hand einstellen, und
-nun, da sie sich zugleich automatisch im Fuß einstellt, in der Lage
-sein, sie entweder wieder mit der Hand, oder, wenn gerade besser
-angängig, mit dem Fuß auszuschalten. Wir triumphieren, und mit Recht,
-daß es für unsere Pneumatik keine technischen Unmöglichkeiten gibt.
-Der Orgelbauer, der es unternimmt, dem Spieler die Hauptressourcen
-in dieser Art doppelt anzulegen, hat dann den Knoten, den alle
-Diskussionen nicht lösen können, in der richtigen Art durchhauen.
-Diese doppelte Anlage läßt sich übrigens auch durch eine einfache
-unpneumatische, rein mechanische Einrichtung an jeder Orgel anbringen.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_12">[S. 12]</span></p>
-
-<p>Auf dieselbe Weise ließe sich auch die Frage: Rollschweller oder nicht,
-lösen. Ich selber weiß sehr gut die Vorteile eines Rollschwellers
-z.&#160;B. bei Begleitung von Oratorien mit großen Chören zu schätzen und
-gestehe zu, daß man damit in bestimmten Fällen einzigartige Wirkungen
-hervorbringen kann. Aber mit seiner alleinigen Herrschaft bin ich
-nicht einverstanden, besonders nicht, wenn es sich um Orgeln von
-unter dreißig Stimmen handelt, wo er geradezu barbarisch wirkt. Ich
-fürchte auch, daß er auf das künstlerische Empfinden unserer jungen
-Organisten und, ganz besonders, auf unsere Orgelkomponisten nicht den
-besten Einfluß ausgeübt hat, indem er beide von dem wahren, einfachen,
-suchenden Registrieren abbrachte und sie in Versuchung führte, die
-Orgel als ein Instrument zu betrachten, auf dem man „stark und schwach“
-spielt, nicht als die vielgestaltige Einheit, in der jede Steigerung
-aus dem Zusammenwirken bestimmter Klangeinheiten resultieren muß.
-Ich glaube, wenn man eine Umfrage unter den erfahrenen Organisten
-anstellte, würden manche gestehen, daß sie von der einseitigen Wertung
-des Rollschwellers aus künstlerischen Gründen abgekommen sind.</p>
-
-<p>Hier heißt es wieder: das eine tun und das andere nicht lassen. Man
-lasse uns den Rollschweller, gebe uns aber zugleich die französischen
-Ressourcen, damit wir nicht einzig auf ihn angewiesen sind. Dann tritt
-der verderbliche Einfluß, den der Rollschweller in der Auffassung
-unserer jungen Organisten und in der neueren Literatur ausgeübt hat,
-von selbst zurück.</p>
-
-<p>Merkwürdigerweise fehlt nämlich auf unsern deutschen Orgeln gerade
-das, was wir am meisten brauchten. Wir haben den Rollschweller, die
-freien Kombinationen, Chöre, Tuttizüge usw., d.&#160;h. alles Ressourcen,
-in denen ein Registeraggregat das andere ablöst. Wir haben aber
-keine Möglichkeit, zu einer vorhandenen Registrierung, indem wir sie
-fortbestehen lassen, auf jedem Klavier neue Stimmen je nach Bedarf
-einzuführen. Diese elementarste und durch<span class="pagenum" id="Seite_13">[S. 13]</span> die Kompositionen in
-allererster Linie verlangte Ressource existiert tatsächlich nicht.</p>
-
-<p>Geradezu verderblich ist, daß sehr oft nicht einmal die Klaviere
-unabhängig voneinander sind, da der Knopf, der die freien Kombinationen
-in Aktivität setzt, oder der, welcher die Tutti und Mezzoforti
-einführt, der Vereinfachung halber — sonst hätten wir ja jedesmal vier
-statt eines Knopfes — auf die drei Klaviere und das Pedal zugleich
-wirkt! Unser scheinbarer Reichtum ist tatsächlich eine furchtbare
-Armut. Unmöglich, wenn Tutti eingestellt ist, zum dritten Klavier das
-Pedal zu gebrauchen, da dieses ja auch auf Tutti steht. Man könnte
-ein Buch über die Pedalnot auf unserer modernen Orgel schreiben,
-die einen mit ihren zahllosen glänzenden Knöpfchen so reich und
-verheißungsvoll anlächelt, während doch dieser ganze Fassadenreichtum
-zuletzt nur glänzende Armut ist, weil er gerade die einfachen und daher
-künstlerischen Ressourcen nicht enthält.</p>
-
-<p>Und wenn, um dieser Not zu wehren, die Orgelbauer uns heute ein
-automatisch eintretendes schwächeres Pedal offerieren, welches das
-andere ablöst, sobald man bei eingestelltem Tuttiknopf auf das II.
-oder III. Klavier übergeht, so ist das nur ein jämmerlicher Notbehelf,
-mehr geeignet die Not zu beleuchten als Abhilfe zu schaffen, denn ein
-ehrlicher Organist will das Pedal, das er will und braucht, nicht
-ein Pedal, das ihm der Orgelbauer zum II. oder III. vollen Klavier
-vorzuschreiben für gut befindet.</p>
-
-<p>Es handelt sich also darum, das Hinzutreten und das Abtreten neuer
-Klangaggregate zu ermöglichen. Auch hier glaube ich, wird sich wieder
-die Vermittlung zwischen französischem und deutschem Typus empfehlen,
-nämlich eine Vermittlung zwischen unserer freien Kombination und der
-französischen Einführung der Mixturen und Zungen. Die französische
-Einrichtung hat den Nachteil, daß sie nur die Einführung von Mixturen
-und Zungen gestattet; die deutsche, daß die eintretende freie
-Kombination die gezogene Registrierung aufhebt. Nun richte man es
-so ein — der Pneumatik<span class="pagenum" id="Seite_14">[S. 14]</span> ist ja alles möglich —, daß die auf die
-freie Kombination eingestellte Registrierung die gezogene, je nach
-Belieben des Organisten, aufhebt oder komplementierend hinzutritt,
-um durch dieselbe Druckknopf- oder Trittbewegung wieder wegzutreten,
-je nachdem der Spieler vor Beginn des Spiels einen Tritt oder Knopf,
-der das Stehenbleiben der Hauptregistrierung bewirkt oder annulliert,
-niederdrückt oder nicht.</p>
-
-<p class="mtop2">Wir hätten demnach als <em class="gesperrt">Ressourcen für eine mittlere Orgel</em>:</p>
-
-<p>Pedalkoppeln, Manualkoppeln, Super- und Suboktavkoppel, doppelt
-verwendbare freie Kombination in der oben beschriebenen Art für jedes
-Klavier und für das Pedal, dazu noch den Rollschweller. Bei den Koppeln
-wäre noch eine Einführung der Stimmen des ersten Klaviers, in der Art
-des französischen G. O. anzubringen.</p>
-
-<p>Dieser Typus hat sich mir durch ein jahrelanges Nachdenken über
-französische und deutsche Orgeln und durch ein fortgesetztes Streben
-nach der zweckmäßigen Vermittlung zwischen beiden aufgedrängt, wobei
-anregende Unterhaltungen mit den Orgelbauern von hüben und drüben mir
-wertvolle Fingerzeige boten. Man probiere diese einfachen Ressourcen
-in Gedanken durch und man wird finden, daß ihr Reichtum im umgekehrten
-Verhältnis zu ihrer Einfachheit steht<a id="FNAnker_1" href="#Fussnote_1" class="fnanchor">[1]</a>. Alles,<span class="pagenum" id="Seite_15">[S. 15]</span> was auf einer
-französischen und deutschen Orgel möglich ist, ist es auch auf dieser.
-Bach, César Franck, Guilmant, Widor und Reger lassen sich in gleicher
-Weise darauf spielen.</p>
-
-<p>Freilich, man wird vielleicht gegen diese Orgel einwenden, daß sie zu
-einfach ist, denn die Kompliziertheit unserer Orgeln ist nachgerade,
-trotz einiger warnenden Stimmen, bei uns zur Manie geworden. Wenn
-eine Orgel nicht aussieht wie das Zentralstellwerk eines großen
-Bahnhofs, taugt sie für eine gewisse Kategorie unserer Organisten von
-vornherein nichts. Sie wollen ein halbes Dutzend übereinandergelagerter
-freier Kombinationen, wenn sie sie auch auf einer Tafel hinter ihrem
-Rücken anbringen müßten, dazu Druckknöpfe für Chöre, Tutti- und
-Kombinationsknöpfe, alles womöglich in größter Menge. Ich gestehe,
-daß ich auf so komplizierten Orgeln nie besser als auf andern spielen
-hörte, gewöhnlich aber die Bemerkung machte, daß entsprechend dem
-Reichtum der sich kreuzenden Ressourcen entsprechend viel „passiert“
-war.</p>
-
-<p>Von unseren <em class="gesperrt">Echo-Fernwerken</em> mag ich nicht reden. Sie haben mit
-der Orgel an sich nichts zu tun und sind eine gefährliche Spielerei,
-die den Geschmack des Publikums und, was noch schlimmer, des Organisten
-verdirbt.</p>
-
-<p>Das „<em class="gesperrt">Organola</em>“ gar ist der Sündenfall unseres modernen
-Orgelbaues. Wann werden in der Öffentlichkeit genug Stimmen
-laut werden, die das Anbringen eines solchen<span class="pagenum" id="Seite_16">[S. 16]</span> Apparats zum
-Mechanisch-Spielen als das, was es ist: als eine Beleidigung der
-Orgelkunst hinstellen! Für mich hat das Organola nur eine soziale
-Bedeutung: daß man in Zukunft Krüppel und Kriegsinvaliden mit
-Organistenplätzen versorgen kann.</p>
-
-<p>Welche Geschmacksverirrung liegt aber schon darin, daß unser Orgelbau
-uns solche nichtssagende Dinge wie Echowerke und Organola zu offerieren
-wagt!</p>
-
-<p>Fast lächerlich ist, wie für die kleinen Orgeln das Moderne geradezu
-ausschließlich in der Überladung mit Druckknöpfen gesucht wird. Auf
-Orgeln von 10 oder 12 Stimmen findet man Kombinationszüge für Piano,
-Mezzoforte, Forte und Fortissimo! In gedankenloser Bequemlichkeit
-kommen unsere Organisten von der ausgedachten Handregistrierung ganz ab.</p>
-
-<p>Es scheint mir fast, als wären wir alle von dem Trugbild der
-„Konzertorgel“ getäuscht. Was heißt denn Konzertorgel? Gibt es denn
-zwei Arten von Orgeln? Oder gibt es nicht nur eine beste Orgel und ist
-nicht diese zur Kirchenorgel gerade gut genug? Was würde der alte Bach
-sagen, wenn er von unseren Unterscheidungen hörte? Was würde er erst
-sagen, wenn er wüßte, daß wir zwischen Organisten und Orgelvirtuosen
-unterscheiden? Gibt es denn noch etwas, das höher ist als ein „guter
-Organist“ sein, ein solcher, der sich bewußt ist, nicht seinen Ruhm
-zu suchen, sondern hinter der Objektivität des heiligen Instrumentes
-zu verschwinden und es allein reden zu lassen, als redete es von sich
-selber, ad majorem Dei gloriam?</p>
-
-<p>„Denken Sie sich,“ sagte mir einmal Widor, „man hat mich beleidigt. Man
-hat mich in einer Zeitschrift einen Orgelvirtuosen genannt. Ich bin
-aber ein ehrlicher Organist. Ein Orgelvirtuose ist nur der Wildling des
-Organisten.“</p>
-
-<p>Daß die „Konzertorgel“ und der „Orgelvirtuose“ in Frankreich
-fast unbekannt sind, ist das Verdienst des Orgelbauers Aristide
-<em class="gesperrt">Cavaillé-Coll</em>, des Schöpfers des einfachen<span class="pagenum" id="Seite_17">[S. 17]</span> und in seiner Art
-vollendeten Typus der französischen Orgel. Er war mehr als ein großer
-Orgelbauer: er war, wie Silbermann, ein Genius des Orgelbaues. Ich kann
-seiner nicht vergessen und sehe ihn heute noch mit dem Käppchen, mit
-den treuen guten Augen, in denen so viel Kunst und Intelligenz lag,
-allsonntäglich neben Widor auf der Orgelbank zu St. Sulpice sitzen und
-mit der Hand über den Spieltisch seiner Lieblingsorgel fahren.</p>
-
-<p>Man hat es mir in deutschen Organistenkreisen verschiedentlich übel
-genommen, daß ich in meinem französischen Buch über Bach behauptete,
-Bach würde das Ideal seiner Orgel eher in dem von Cavaillé-Coll
-geschaffenen Typus wiederfinden als in unseren Instrumenten. Da ich
-diese Behauptung auch in den demnächst erscheinenden deutschen und
-englischen Ausgaben meines Werkes aufrecht erhalte, <em class="gesperrt">möchte ich sie
-hier begründen und zur Diskussion stellen</em>.</p>
-
-<p class="mtop2">Maßstab einer jeglichen Orgel, bester und alleiniger Maßstab, ist
-die Bachsche Orgelmusik. Man wende diesen Satz künstlerisch auf den
-Orgelbau an und male sich nicht immer wieder aus, wie Bach vor Freude
-über unsere Druckknöpfe seine Perücke in die Luft werfen und wieder
-auffangen würde, um sich dann hinzusetzen und sich von einem modernen
-Orgelvirtuosen belehren zu lassen, was man auf der modernen Orgel alles
-aus seiner Musik „herausholen“ kann.</p>
-
-<p>Als ein auf das Wesen der Dinge dringender Geist würde er alsbald
-fragen, wie denn die Mechanik unserer Orgel ist?</p>
-
-<p>Nun sind ja die praktischen Vorteile der Röhrenpneumatik in die Augen
-springend: Leichtigkeit und Rapidität des Anschlags, Vereinfachung
-der Anlage, unbeschränkte Möglichkeit aller Ressourcen. Sind das aber
-ebenso viele ästhetische Vorteile?</p>
-
-<p>Nein. Unsere Röhrenpneumatik ist eine tote Präzision. Sie besteht
-aus einer Kraftübertragung rein durch Luftdruck.<span class="pagenum" id="Seite_18">[S. 18]</span> Es fehlt ihr das
-lebendige und elastische des Hebels. Alle Federn können die elastische
-direkte Übertragung durch den Hebel nicht ersetzen. Alle Anstrengungen
-des Spielers müssen darauf gerichtet sein, das Tote dieser Präzision zu
-verdecken. Es gehört ein Künstler dazu, um auf einer guten Pneumatik
-gut zu spielen. Und die pneumatischen Systeme unserer <em class="gesperrt">Walker</em> und
-<em class="gesperrt">Sauer</em>, um nur zwei der hervorragendsten zu nennen, sind wahre
-Meisterwerke.</p>
-
-<p>Wenn man dann gar den Durchschnitt der vielsystemigen Pneumatiken
-nimmt, mit schlechtregulierten Tasten, ohne Tiefgang, ohne Leergang,
-ohne Druckpunkt, wo die geringste Fingersubstitution ein Wagnis ist,
-weil die Nebentaste bei der geringsten Berührung anspricht, mit
-Pedalen, wo es dem besten Organisten unmöglich ist, korrekt und sauber
-zu spielen ... wenn man diese Durchschnittspneumatiken nimmt, wo man
-nervös bis zum Exzeß und verzweifelt die Orgelbank verläßt, frage ich
-mich, ob wir nicht künstlerisch durch unsere Pneumatiken verloren
-haben. Kein Organist will mehr eine Mechanik<a id="FNAnker_2" href="#Fussnote_2" class="fnanchor">[2]</a>. Und doch, wie viele,
-die auf ihrer alten Mechanik gut und sauber gespielt haben, schmieren
-auf der neuen, auf die sie so stolz sind, und spielen unpräzis, ohne
-es zu wissen, weil sie den Anforderungen der Pneumatik nicht gewachsen
-sind.</p>
-
-<p>Ich glaube, daß wir in Deutschland von der blinden Begeisterung
-für die Pneumatik zurückgekommen sind und einzusehen beginnen, daß,
-künstlerisch betrachtet, Pneumatik nur ein Notbehelf für Verhältnisse
-ist, wo die Traktur nicht<span class="pagenum" id="Seite_19">[S. 19]</span> mehr verwendbar ist. Bei der Traktur fühlt
-der Finger an einer gewissen Anstrengung genau, wann der Ton kommt;
-er nimmt Druckpunkt. Und die niedergedrückte Taste strebt unter dem
-Finger empor, um, sobald derselbe den geringsten Impuls zeigt, sie zu
-verlassen, durch ihre Schwerkraft alsbald emporzusteigen und den Finger
-mit aufzuheben. Die Kraft der Taste kooperiert mit dem Willen! Auch
-der mittelmäßige Organist kann auf Traktur nicht schmieren. Bei der
-Pneumatik fehlt die Kooperation der Taste. Sie verschlechtert das Spiel,
-statt es zu verbessern, und bringt den geringsten Fehler an den Tag.</p>
-
-<p>Nur bei der Traktur steht man mit seiner Orgel in wirklicher lebendiger
-Verbindung. Bei der Pneumatik verkehrt man mit seinem Instrument per
-Telegraph ... denn auch der Morseapparat beruht auf einer federnden
-Taste. Die Traktur der Orgel von St. Thomä zu Straßburg ist wohl über
-hundert Jahre alt. Aber es ist eine Wonne, eine Fuge von Bach darauf
-zu spielen. Ich wüßte keine Orgel, auf der alles so klar und präzis
-herauskommt.</p>
-
-<p>Nicht davon zu reden, daß die Pneumatik durch geringste Dinge
-beeinflußt wird. Einst, zwischen einer Hauptprobe und einer Aufführung,
-mußte der Orgelbauer telegraphisch herbeigerufen werden, weil etwas an
-der Pneumatik gestört war. Der Schaden ist gehoben. Triumphierend zeigt
-er mir den Störenfried: ein von der Decke gefallenes Sandkörnchen. „Nur
-ein Sandkörnchen!“ ... „Das ist das Schlimme“, erwiderte ich, „daß ein
-Sandkörnchen so eine Störung verursachen kann. Wenn’s ein Erdbeben
-gewesen wäre, würde ich nichts sagen. Und dann noch! Sie werden sehen,
-daß die alten Trakturorgeln nicht einmal beim Weltuntergang leiden,
-sondern bestehen bleiben werden, daß die Engel des jüngsten Gerichts
-das Gloria drauf spielen“. Er war so perplex über diese „Umwertung der
-Werte“, daß er sogar die Redensart von den heißen Sommern vergaß, die
-man gewöhnlich gegen die Traktur ins Feld führt.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_20">[S. 20]</span></p>
-
-<p>„Aber die Pneumatik geht so leicht!“ Der dies einwarf, war ein Hüne,
-der auf jedem Jahrmarkt als Kraftmensch hätte auftreten können.</p>
-
-<p>Daß eine gute Traktur in kleinen Verhältnissen besser ist als
-Pneumatik, wissen unsere Orgelbauer ganz gut und gestehen es auch ein.
-Aber Pneumatik ist einfacher und billiger zu bauen. Und sie sind durch
-die Verhältnisse gezwungen, das Billige zu bevorzugen.</p>
-
-<p>Diesen Vorzug hat die französische Pneumatik, die auf dem Prinzip der
-bald sechzig Jahre alten Barckerlade beruht, nicht. Sie kommt fast um
-die Hälfte teurer zu stehen als unsere Röhrenpneumatik. Aber sie ist
-künstlerischer und elastischer, da sie mit dem pneumatischen Hebel
-operiert und also alle künstlerischen Vorteile der reinen Traktur
-gewissermaßen in die Pneumatik hinübergerettet hat. Wenn ich in Paris
-eine Orgel von Cavaillé-Coll oder Merklins schöne Orgel im Oratoire
-der Rue de Rivoli spiele, bin ich jedesmal aufs neue beglückt von der
-elastischen und sicheren Präzision dieser Kraftübertragung und habe
-nachher immer Mühe, mich wieder an unsere Pneumatiken zu gewöhnen. Aber
-die Preisfrage entscheidet bei uns eben alles.</p>
-
-<p>Überhaupt könnten wir für die Details der Anlage von der französischen
-Orgel viel lernen. Ihre Tasten sind etwas kleiner als die
-unsrigen; die Obertasten raffiniert abgerundet; die Klaviere näher
-übereinanderliegend als unsere. Für möglichst genaue Bindung und
-leichten und sicheren Klavierwechsel, worauf ja Bach bekanntlich
-allen Wert legte, ist alles vorgesehen. Und erst die französischen
-Pedale! Sie kosten zwar etwa das Doppelte der unsrigen. Aber welche
-Vollkommenheit! Alle im Kreis angelegt, geschweift, neuerdings bis zum
-G reichend, und mit einer geradezu idealen Federung. Wir stellen weit
-geringere Anforderungen.</p>
-
-<p>Das geschweifte Pedal hat sich bei uns noch nicht durchgesetzt,
-trotzdem seine Vorteile auf der Hand liegen, und jeder, der einmal
-über die radiäre Fußbewegung beim Pedalspiel<span class="pagenum" id="Seite_21">[S. 21]</span> nachgedacht hat, es als
-das einzig sinngemäße bezeichnen muß. Ich hätte mich unlängst mit
-einem befreundeten Organisten, dem ich beim Umbau seines Instruments
-geschweiftes Pedal aufnötigte, beinahe verfeindet und mußte ihm
-versprechen, ihm nach Jahresfrist das geschweifte eventuell durch ein
-gerades zu ersetzen, wenn er sich von der Zweckmäßigkeit der Neuerung
-nicht überzeugen könnte.</p>
-
-<p>Als ich einen unserer bedeutendsten Orgelbauer darüber zur Rede
-stellte, daß er für das Ausland nur schöne geschweifte Pedale, für
-Deutschland aber fast nur gerade baute, antwortete er mir: „Im Ausland
-muß ich eben diese Pedale bauen. In Deutschland verlangt man sie nicht,
-und da manche Revisoren noch keine geschweiften unter den Füßen hatten,
-darf ich gar nicht damit kommen.“</p>
-
-<p>Mit einem Wort: auf einer französischen Orgel ist leichter gut zu
-spielen als auf einer deutschen. Man ist, durch das einfache praktische
-Raffinement der Anlage, manchen Dingen, die einem bei uns passieren
-können, einfach nicht ausgesetzt. Wir schauen mehr auf das äußerliche
-für das Auge bestimmte Raffinement. Statt der Registerzüge fangen wir
-an, Registertasten zu bevorzugen; wir bringen zierliche Druckknöpfe an
-und finden es reizend zu tippen, statt einen ehrlichen Register- oder
-Koppelknopf zu ziehen.</p>
-
-<p>Ich hatte soeben auf einer wundervollen alten Silbermann-Orgel eine
-Bachsche Fuge beendet und war noch ganz gefangen in dem zauberischen
-Klang der alten Mixturen, da bemerkte einer, der seit zwei Jahren
-„seine moderne Orgel“ hat, neben mir: „Es muß doch unangenehm sein,
-auf einer Orgel zu spielen, die noch nicht einmal Registertasten hat.“
-Er hatte über der Entrüstung über die unmodernen Registerzüge ... die
-Orgel nicht gehört.</p>
-
-<p class="mtop2">Ich möchte die Frage aufwerfen, ob wir nicht überhaupt über den
-sichtbaren Veränderungen an unsern Spieltischen die Hauptsache, die
-Klangwirkung, weniger beachtet haben?<span class="pagenum" id="Seite_22">[S. 22]</span> Sind die Fortschritte des
-Orgelbaues der klanglichen Wirkung zugute gekommen?</p>
-
-<p>Nein! Nicht immer. Unsere Orgeln sind wohl „stärker“, aber nicht mehr
-so schön wie die alten. Unsere alten Orgeln, noch die vor zwanzig
-Jahren gebauten, sind schöner und künstlerischer intoniert als die
-unserer Zeit.</p>
-
-<p>Merkwürdig bleibt mir, daß die Laien dies vor den Organisten bemerkten.
-Schon so und so oft wagten musikalische Laien, wenn eine alte Orgel
-durch eine neue ersetzt worden war, nach einiger Zeit mir gegenüber die
-schüchterne Bemerkung, „daß die alte doch fast schöner gewesen sei“.
-Bei den Organisten bricht sich diese Erkenntnis erst langsam Bahn. Wir
-müssen erst aus dem Erfindungstaumel aufwachen, um unser Gehör wieder
-zu erlangen.</p>
-
-<p>Daß der Klang von den modernen Erfindungen nichts profitiert hat,
-liegt einerseits daran, daß eine der Haupterfindungen, die Möglichkeit
-der unbegrenzten Winderzeugung durch den elektrisch betriebenen Balg,
-uns naturgemäß — die besonnensten unter uns machten keine Ausnahme
-— auf eine falsche Bahn brachte. Wir fingen an, Klangstärke und
-Klangreichtum zu verwechseln. Auf den alten Orgeln mußte man mit der
-Windzufuhr sparen. Als wir dies nicht mehr brauchten, lachten wir
-über die engen Windkanäle unserer Väter und fingen an, „kräftig“ und
-„kernig“ zu intonieren, immer kräftiger, immer kerniger und freuten
-uns der tosenden und brausenden Orgeln. Den Höhepunkt erreichte die
-Begeisterung mit der Einführung der labialen Hochdruckstimmen<a id="FNAnker_3" href="#Fussnote_3" class="fnanchor">[3]</a>.
-„Nun haben wir es erreicht“, schrieb damals ein bedeutender Organist,
-„daß eine Orgel von fünfzehn Stimmen dasselbe volle Werk liefert wie
-früher eine von<span class="pagenum" id="Seite_23">[S. 23]</span> dreißig.“ Besser kann sich die Verirrung selbst nicht
-charakterisieren.</p>
-
-<p>Die Ernüchterung kam; sie schreitet fort. Aber wie lange wird’s
-noch dauern, bis wir wieder einzig Klangreichtum erstreben, auf das
-Danaergeschenk der Klangstärke, das uns der elektrische Balg bot,
-verzichten und uns wieder freiwillig in die künstlerischen Grenzen
-zurückbegeben, in denen wir früher durch die Schwierigkeit, beliebige
-Windmassen zu erzeugen, gehalten wurden?</p>
-
-<p>Eine fette Person ist weder schön noch stark. Künstlerisch schön und
-stark ist nur die Form mit dem vollkommenen Spiel der Muskeln. So
-werden wir auch mit der Zeit von der durch Windmassen aufgeblasenen
-modernen Orgel abkommen und das reiche und schöne volle Werk nur in
-dem Zusammenwirken der normalen, differenzierten und künstlerisch
-intonierten Register suchen und es aufgeben, ein volles Werk
-„zusammenzulügen“. Lüge besteht nicht in der Kunst, denn Kunst ist
-Wahrheit.</p>
-
-<p>Aber, sogar wenn wir die künstlerische Einsicht besessen hätten,
-uns nicht durch die gesteigerte Möglichkeit der Winderzeugung auf
-falsche Bahn leiten zu lassen, wäre unser Orgelbau doch auf diese Bahn
-gedrängt worden. Das Ganze ist nämlich eine finanzielle Frage. Unser
-Orgelbau befand sich in der Zwangslage, auf diejenigen Erfindungen
-auszugehen, die Verbilligung, d.&#160;h. Bestehen in der Konkurrenz
-ermöglichten. Alles andere, die rein künstlerischen Probleme, mußten
-notgedrungen mehr daneben liegen bleiben. Die letzten vierzig Jahre,
-das Erfindungszeitalter im Orgelbau, werden vor der Geschichte einst
-nicht als die großen Jahre des künstlerischen Fortschritts dastehen,
-wie manche unter uns meinen, sondern man wird sie überschreiben: „Kampf
-des Kaufmännischen mit dem Künstlerischen. Sieg des Kaufmännischen über
-das Künstlerische.“</p>
-
-<p>Ein Haus, das das Künstlerische über das Kaufmännische stellte, war von
-vornherein verloren. Der Erfindungstaumel, der uns Organisten in dieser
-Periode ergriff, verlangte äußere,<span class="pagenum" id="Seite_24">[S. 24]</span> epochemachende, verbilligende
-Entdeckungen. Diesem Geiste mußten sich unsere Orgelbauer, manche, wie
-ich weiß, innerlich ergrimmt, beugen.</p>
-
-<p class="mtop2">So sind wir bei der Fabrikorgel angelangt, der guten braven
-Fabrikorgel. Was von Kunst an ihr ist, verdanken wir der Aufopferung
-unserer Orgelbauer, die auch bei diesen herabgesetzten Preisen noch
-das Beste leisteten, was zu leisten war, und zufrieden waren, wenn sie
-überhaupt bestehen konnten. Vor dem richtenden Urteil der Geschichte
-werden sie einst, trotzdem ihre Orgeln nur gute Fabrikorgeln sind,
-ehrenvoll bestehen; wir aber, die wir über die zu bauenden Orgeln
-entschieden und wähnten, daß die Kunst von der sich unterbietenden
-Konkurrenz profitieren könne, werden klein dastehen, weil wir nicht
-hinreichend begriffen, was wir als Schüler des alten Bach hätten
-begreifen müssen: daß ein Orgelbauer nur dann ein Künstler sein
-kann, wenn er als Künstler von einem Künstler gehalten wird. Fehlt
-ihm dieser Halt, so wird er durch die Macht der Umstände Kaufmann in
-Kunstgegenständen.</p>
-
-<p>Gewiß gab es auch Ausnahmen. Aber im allgemeinen können wir Organisten
-es nicht leugnen, daß wir dem Zug der Zeit nach Verbilligung folgten,
-und daß derjenige oft die Bestellung erhielt, der für denselben Preis
-ein oder zwei Register — und war es nur ein mageres Äolinlein oder
-ein Druckknöpfchen — mehr bot, ohne daß wir uns fragten, ob damit
-künstlerische Arbeit, d.&#160;h. solche, die weder mit Zeit noch mit Lohn
-ängstlich zu rechnen braucht, noch möglich ist.</p>
-
-<p>Ein gütiges Schicksal bewahrte zu derselben Zeit Cavaillé-Coll, in
-diese Bahn gedrängt zu werden. Seine Haupttätigkeit fiel in das
-letzte Jahrzehnt des Kaiserreichs, wo Geld für kirchliche Zwecke
-reichlich vorhanden war. Nachher boten ihm Guilmant und Widor, seine
-künstlerischen Berater, durch ihren Halt eine solche Superiorität, daß
-er seine Preise nicht nach der Konkurrenz zu richten brauchte. „Ja,
-der<span class="pagenum" id="Seite_25">[S. 25]</span> alte Cavaillé“, sagte mir unlängst einer unserer sympathischsten
-Orgelbauer, „wenn bei dem ein Arbeiter drei Wochen an etwas gearbeitet
-hatte und es paßte ihm nicht ganz, ließ er’s von vorne anfangen, und
-wenn’s wieder nicht paßte, noch einmal. Wer von uns kann das? Wir
-würden keine drei Monate existieren.“</p>
-
-<p>Zuletzt zwar ereilte ihn das Schicksal. In den letzten Jahren hatte er
-mit Zahlungsschwierigkeiten zu kämpfen. Zwar wurde die Firma in dem
-ehrwürdigen Haus, 15 Avenue du Maine, in dem geschäftigen Viertel der
-Gare Montparnasse gerettet; Cavaillé aber starb arm, ohne den Seinen
-etwas zu hinterlassen. Dafür aber singen die Orgeln von St. Sulpice und
-Notre-Dame seinen Ruhm, solange noch ein Stein auf dem andern bleibt.
-Bis einst Paris wie Babel ein Trümmerhaufe ist, werden diejenigen,
-welche für die zauberhafte Schönheit seiner Orgeln empfänglich sind,
-beim Verlassen von Notre-Dame und St. Sulpice mit Ergriffenheit
-desjenigen gedenken, der es wagte, der Zeit trotzend, rein Künstler zu
-bleiben.</p>
-
-<p>Cavaillé-Coll war sich bewußt, in der Barckerlade, die er zum ersten
-Male in der Basilikakirche zu St. Denis anwendete, das Ideal der
-Übertragung der Taste zur Pfeife gefunden zu haben. An Ressourcen
-begnügte er sich mit Koppeln und den Appels der Mixturen und Zungen.
-Für große Orgeln gab er eine einfache Reihe freier Kombinationen zu;
-so schon auf der Orgel zu St. Sulpice und auf der zu Notre-Dame.
-Alle in dieser Richtung weitergehenden Bestrebungen interessierten
-ihn nicht: seine ganzen Erfindungen und Anstrengungen waren auf die
-Vervollkommnung der Intonation und der Ansprache gerichtet, also gerade
-auf das, was beim deutschen Orgelbau zurücktreten mußte.</p>
-
-<p>In der Klangstärke, die er dem einzelnen Register gab, blieb er
-konservativ. Er konstruierte zwar Hochdruckzungen (trompettes en
-chamade) für Schwellwerke; für die anderen Register suchte er nur
-die Tonschönheit. Auch seine Flöten, nicht nur seine Prinzipale und
-Gamben, sind von wunderbarer<span class="pagenum" id="Seite_26">[S. 26]</span> Schönheit. Vielleicht fehlt ihnen die
-interessante Mannigfaltigkeit, die einzelne deutsche Orgelbauer in der
-Flötenfamilie erreicht haben.</p>
-
-<p>Um sich den Unterschied zwischen französischer und deutscher Orgel zu
-vergegenwärtigen, ziehe man auf beiden alle Grundstimmen 16, 8, 4, 2
-auf allen Manualen. Auf der deutschen Orgel wirkt das Ensemble sehr
-oft hart, zuweilen unausstehlich. Ich kenne moderne Orgeln, auf denen
-sogar die sämtlichen achtfüßigen Grundstimmen des I. Manuals nicht eine
-erträgliche Wirkung hervorbringen. Von unseren Doppelflöten laßt uns
-schweigen. Ein Orgelbauer gestand mir, daß ihm vor den Doppelflöten,
-die man ihm zu bauen auferlegt, graute, und ich selbst höre in gewissen
-Orgeln die Doppelflöte deutlich noch im vollen Werk!</p>
-
-<p>Nun bilden aber die sämtlichen Grundstimmen die Grundlage des vollen
-Werks. Wenn schon die Grundlage keine schöne Toneinheit ist, was soll
-aus dem vollen Werk werden?</p>
-
-<p>Ganz anders bei Cavaillé. Die Grundstimmen werden im Hinblick auf die
-Toneinheit, die sie bilden sollen, intoniert. Sowohl die jedes Manuals
-für sich als die vereinigten bilden ein ausgeglichenes harmonisches
-Ganzes, und zwar so, daß in dem Ganzen die Individualitäten der drei
-Klaviere voll zur Geltung kommen. Die Grundstimmen des Hauptwerks
-geben die Grundierung ab. Sie sind unverhältnismäßig weich, aber in
-einem vollendet gesunden Ton gehalten; die des II. Klaviers bringen
-gewissermaßen die Helligkeit hinein; die des III. liefern die
-Intensität. Die Intonation auf dem Schwellwerk ist viel intensiver als
-auf dem Hauptwerk. Bei uns merkt man bei voll gezogenen Grundstimmen
-die Ankoppelung des dritten Werks nicht. Bei Cavaillé hingegen ist
-es, als ob mit jenem Augenblicke Licht, weißleuchtendes Licht, in die
-Grundstimmenmasse hereinflutete.</p>
-
-<p>Dabei keine Härte, auch nicht in den obersten Lagen. Weil sie für
-solche Orgeln gedacht sind, wirken französische<span class="pagenum" id="Seite_27">[S. 27]</span> Kompositionen auf
-unseren Orgeln unerträglich. „Wie kann Widor solche gehaltenen
-Dissonanzen schreiben!“ sagte mir einst ein Berliner Organist, dem
-ich sehr viel verdanke. Wirklich waren sie auf der betreffenden Orgel
-unausstehlich, eine Qual ... aber nicht auf St. Sulpice!</p>
-
-<p>Um dies zu vermeiden, nehme ich für französische Kompositionen auf
-deutschen Orgeln nur die Hälfte der Grundstimmen, fast keine 4 und
-2 Füße auf dem ersten Klavier, wegen der oberen Lage. Ich ziehe im
-Prinzip nur so viel Grundstimmen auf dem I. und II. Klavier, daß die
-dazu gekoppelten vollzähligen Grundstimmen des III. noch deutlich
-bemerkbar werden und der Schwellkasten auf die Grundstimmenmasse
-wirkt. Erst wenn man dies beobachtet, bringt man César Franck, Widor,
-Guilmant, Saint-Saëns, Gigout und die anderen auf unseren Orgeln so zu
-Gehör, wie sie sich auf den ihren anhörten und anhören.</p>
-
-<p>Unsere nicht auf das Ensemble gerichtete Intonierung der Grundstimmen
-hat nun zur Folge, daß die Mixturen sich damit nicht vermischen,
-sondern nur „stark“ machen, wozu ihre eigene überkräftige Intonation
-noch das ihrige beiträgt. Wenn man eine moderne Orgel hört, sieht
-man immer den Grundstimmen- und den Mixturenstrom sich unvermischt
-einherwälzen, während die Bestimmung der Mixturen doch diese ist, in
-der Grundstimmenklangfarbe aufzugehen, sie lichtreich und durchsichtig,
-d.&#160;h. für das polyphone Spiel geeignet zu machen.</p>
-
-<p>Auf unseren Orgeln ist es aber einfach unmöglich, eine Fuge und ein
-Präludium von Bach mit Grundstimmen und Mixturen, welch letztere bald
-hinzu-, bald abtreten, zu spielen und die Peripetien durch die An-
-und Abkoppelungen der Manuale oder durch Manualwechsel hervortreten
-zu lassen, d.&#160;h. sie als architektonische lebenerfüllte Gebilde der
-Musik erstehen zu lassen. Auf Cavaillés Orgel ist dies möglich, weil
-alles auf den schönen Zusammenklang von Grundstimmen und Mixturen
-eingerichtet ist. Darum spielen die französischen Organisten die
-Bachschen Fugen in manchem einfacher,<span class="pagenum" id="Seite_28">[S. 28]</span> klarer und sachgemäßer als wir:
-ihre Orgel steht der Bachschen näher als die unsrige.</p>
-
-<p>Wir aber müssen die Bachsche Fuge unserer Orgel anpassen. Unsere
-„Auffassungen“ entspringen z.&#160;T. nur der Not, was nicht hindert, daß
-diese „Auffassungen“ von den meisten als ein künstlerischer Fortschritt
-angesehen werden. Weil wir sie nicht so einfach spielen können, wie sie
-gedacht ist, registrieren wir sie und behandeln sie orchestral. Wir
-gießen sie in eine neue Form, bringen Steigerungen und Diminuendi an,
-wo keine im Fugenplan vorgesehen sind, weil wir die von Bach gedachte
-klare und gesättigte Klangfarbe auf unserer Orgel nicht produzieren
-können.</p>
-
-<p>Und zuletzt hilft doch alles nichts, denn auf unseren Orgeln hört man
-nur Diskant und Baß: die Figuren der Mittelstimmen darauf zu verfolgen,
-ist unmöglich. Von den Geschmacklosigkeiten, die beim Registrieren
-passieren, will ich nicht reden. Ich habe einmal das Thema der großen
-G-moll-Fuge mit den Flöten des III. Klaviers intonieren hören, worauf
-dann die ganze Fuge fischleibartig anwuchs. Aber geschmacklos oder
-geschmackvoll registriert: es bleibt die so gespielte Fuge unwahr
-und unnatürlich, als wollte man Dürersche Stiche in kolorierter
-Kreidezeichnung herausgeben, damit sie „wirken“<a id="FNAnker_4" href="#Fussnote_4" class="fnanchor">[4]</a>.</p>
-
-<p>Ich sehe heute noch das überraschte Gesicht einer unserer berufensten
-und bekanntesten Bachsängerinnen, als sie unlängst auf der Orgel zu St.
-Sulpice unter Widors Händen die G-moll-Phantasie in ihrer einfachen
-tongesättigten durchsichtigen Form erstehen sah.</p>
-
-<p>Zurück zu den von Bach verlangten polyphonen, nicht orchestralen
-Orgeln! Feinere Grundstimmen! Harmonische<span class="pagenum" id="Seite_29">[S. 29]</span> Einheit der Grundstimmen!
-Weg mit unseren wenigen schreienden Mixturen! Viele und weiche Mixturen!</p>
-
-<p>Wo ist auf unseren Orgeln die Mixturenfamilie auf einem Manual auch
-nur einigermaßen vollständig vertreten? Unsere II. und III. Klaviere
-waren lange Zeit von Mixturen entblößt. Langsam kommt man dazu, ihnen
-auch auf kleinen Orgeln wieder eine Mixtur zuzugestehen. Aber wie lange
-wird es dauern, bis die richtige Mixturenproportion auf allen Klavieren
-erreicht ist, bis es zum Dogma erhoben ist, daß eine Orgel desto
-wahrer, schöner und reicher ist, je mehr schöne feine Mixturen sie
-hat, daß sie überhaupt davon nie zuviel haben kann und daß auch unsere
-Schwellkastenklaviere damit geladen sein müssen? Denn die Bachsche Fuge
-verlangt Homogenität der Klangfarbe auf allen drei Klavieren! Sie ist
-einfarbig gedacht, wie der Kupferstich.</p>
-
-<p>Das ist aber wieder eine Geldfrage. Eine Orgel mit den richtigen
-Mixturen von 40 Stimmen stellt sich mindestens ebenso teuer als unsere
-heutigen Orgeln mit 50 Stimmen, wenn nicht teurer. Aber es kommt
-sicher eine Zeit, wo wir wieder nicht auf die Zahl, sondern auf den
-klanglichen Reichtum der Stimmen sehen, wo wir die richtige teuere
-Orgel von 40 Stimmen der falschen von 50 vorziehen werden und auf
-unsere Instrumente, bei denen einige wenige brutale Mixturen gegen
-den formlosen Gigantenleib unserer Grundstimmen in unaufgelöstem
-Widerstreit liegen, als auf etwas Überwundenes zurückblicken werden.</p>
-
-<p>Dann, nicht eher, ist auch die Pedalfrage gelöst. Unsere Pedale sind
-zu stark und zugleich zu schwach, weil der Ton uncharakteristisch
-und undeutlich ist. Wenn man ein Pedalsolo auf einer unserer Orgeln
-hört, meint man, es wälze sich ein Drachenleib aus dem Hintergrunde
-der Kirche in wilden schwerfälligen Windungen heraus. Setzt dagegen
-das Manual zum Pedal ein, so fragt man sich alsbald: wo ist denn das
-Pedal? Unsere volle Orgel ruht auf tönernen Füßen, denn im Vergleich
-zum vollen Werk unserer gekoppelten Manuale sind unsere Pedale
-dann doch immer<span class="pagenum" id="Seite_30">[S. 30]</span> wieder schwach, besonders da dann unsere gierigen
-Manualgrundstimmen, da sie schneller zuschnappen als die bedächtigen
-großen sechzehnfüßigen Holztiere, ihnen den Wind wegfressen.</p>
-
-<p>Die Sättigung des Pedals mit schönen Mixturen ist die einzige Lösung
-der Pedalfrage für das volle Werk. Nun finden sich aber auf unsern
-Pedalen fast keine Mixturen. Auch die Vierfüße fehlen durchschnittlich.
-Und die ein oder zwei Mixturen, die sich eventuell darauf befinden,
-sind unbrauchbar, weil sie sich nicht mit der Grundstimmenmasse
-vermischen, sondern in unaufgelöstem Zwiespalt mit ihr die Figuren nur
-undeutlich machen, manchmal geradezu akustisch entstellen. Andererseits
-sind wir in der Steigerung des Tonvolumens unserer Pedalgrundstimmen
-schon weit jenseits der Grenze des künstlerisch Erlaubten. Man
-höre einmal die F-dur-Toccata auf unseren Orgeln. Wer kann dieses
-Hervorkollern der übermäßigen Töne schön finden? Wer darin die
-wunderbare Bachsche Linie heraushören?</p>
-
-<p>Nicht übermäßig starke, sondern tonreiche, tonintensive, biegsame,
-sich auch bei gekoppelten Grundstimmen und Mixturen aller Klaviere
-wie von selbst durchsetzende Pedale müssen wir bauen. Das heißt:
-nicht übermäßig starke und nicht übermäßig viele Grundstimmen 16′ und
-8′, aber fast genau so viel schön und weich intonierte Mixturen. Ein
-solches Pedal ist nie zu schwach und nie zu stark und besonders: es
-verdunkelt und verdeckt die Mittelstimmen des Manuals nicht.</p>
-
-<p>Diese Erkenntnis, daß wir wieder zu den vielen und schönen Mixturen
-zurückkehren müssen, brach sich bei Cavaillé-Coll in der letzten
-Periode seines Schaffens immer mehr Bahn. Sein Schüler Mutin, der das
-Haus jetzt leitet, wandelt in des Meisters Bahnen und verwirklicht die
-Erkenntnis. Ich werde den Augenblick nie vergessen, wo ich zum ersten
-Male verwirklicht hörte, was ich erträumte: ein ideales Pedal. Es war
-auf der Musterorgel, die Cavaillés Atelier ziert, einem mixturenreichen
-Werk von etwa 70 Stimmen.<span class="pagenum" id="Seite_31">[S. 31]</span> Auf dem Pedal sind fast alle Mixturen, auch
-die Septime, vertreten. Ich spielte Bachs A-moll-Fuge mit gekoppelten
-Klavieren, alle 8, 4 und 2 Grundstimmen und Mixturen gezogen. Die
-Linien der Pedalfiguren standen einem ohne jede Aufdringlichkeit, aber
-mit intensiver Plastik, vor Augen. „Spielen Sie sie noch einmal“, sagte
-Mutin, „ohne Mixturen“. Als ich die Pedalmixturen einstoßen wollte:
-„Halt“, sagte er, „die bleiben“. Und dasselbe Pedal, das vorher für
-das volle Werk ohne Zungen überaus stark genug gewesen war ... war für
-die neue Registrierung, obwohl unverändert, nicht zu stark. Zuletzt
-gebrauchte ich dasselbe volle Pedal und beließ auf den Klavieren nur
-die Prinzipale 8 und 4 ... und es war auch nicht zu stark ... Da war
-mir zumut wie einem, der einen Blick in die Zukunft tun durfte, und ich
-stieg von der Bank herunter, nun innerlich ganz überzeugt, daß die Zeit
-der „tonstarken“ Orgel im Vergehen ist und die Zeit der „tonreichen“
-Orgel, der Orgel Bachs, der in neuer Glorie erstehenden alten Orgel
-heraufzieht.</p>
-
-<p>Eine tonreiche Orgel setzt voraus, daß die Wellen der einzelnen Töne
-unvermischt, ohne sich gewissermaßen ineinander zu legen, zum Ohr des
-Hörers kommen und sich erst dort als selbständige Persönlichkeiten
-zu der künstlerischen Einheit in der reichsten Mannigfaltigkeit
-verbinden<a id="FNAnker_5" href="#Fussnote_5" class="fnanchor">[5]</a>. Schon Cavaillé hatte den Phänomenen der „entrainements<span class="pagenum" id="Seite_32">[S. 32]</span>
-harmoniques“ seine Aufmerksamkeit zugewendet und auf Mittel gesonnen,
-zu verhindern, daß im vollen Werk eine Pfeife dieselben Töne anderer
-Pfeifen frißt, wie die magern Kühe Pharaos die fetten fraßen, so,
-daß wir im vollen Werk einer Orgel von 50 Stimmen tatsächlich nur 25
-hören, wobei die andern nur bis zu einem gewissen Grade verstärken,
-nicht bereichern, weil sie als Individualitäten physikalisch nicht mehr
-existieren.</p>
-
-<p>Mutin hat diese Versuche zu einem gewissen praktischen Abschluß
-gebracht und verwertet sie auf allen Orgeln. Pfeifen mit minimal
-differenzierten Mensuren entrainieren sich nie gegenseitig, sondern
-jede besteht als Persönlichkeit, auch in der größten Tonmasse. Sind die
-Durchmesser gleich oder ist die Verschiedenheit größer, so ist das
-Entrainement im Bereiche der Möglichkeit. Bei der Aufstellung einer
-Disposition sieht also Mutin-Cavaillé darauf, daß die reichste minimale
-Differenzierung der Mensuren durchgeführt wird.</p>
-
-<p>Befriedigt nun aber die Ansprache unserer Orgel? Ja ... wenn man
-rasches Eintreten des Tones mit gutem Ansprechen identisch setzt. Und
-dann nicht einmal. Man führe einmal rapide Triller in der unteren Lage
-des Manuals aus und schnelle Passagen mit den Sechzehnfüßen auf dem
-Pedal!</p>
-
-<p>Aber schnelles Eintreten des Tones ist noch kein gutes Ansprechen,
-denn Ansprechen heißt eben An-Sprechen: daß der Ton von der Pfeife
-richtig angesetzt und gewissermaßen artikuliert wird. Auf unsern Orgeln
-poltert der Ton oft heraus; er wird nicht angesetzt. Eine richtige
-Bindung zwischen den einzelnen Tönen ist dabei unmöglich. Bei genauem
-Hören erfaßt man immer einen Zwischenraum zwischen beiden oder, im
-Gegenteil, sie klingen einen kleinen Bruchteil einer Sekunde zusammen.
-Sie legen sich nicht lebendig aneinander, sondern rollen einander nach
-wie Kugeln. Die Orgel ist ein idealer Chor, dem nur die Worte versagt
-sind. Ist es da zu begreifen, daß zuweilen<span class="pagenum" id="Seite_33">[S. 33]</span> so geringer Wert auf eine
-künstlerische Ansprache der Stimmen gelegt wird?</p>
-
-<p>Auch hier ist, wie mir scheint, Cavaillés Schüler Mutin auf dem
-richtigen Weg. Er geht von der Beobachtung aus, daß ein Holzbläser
-seinem Instrument in den verschiedenen Lagen verschiedenen Wind
-mitteilt. Unten viel, aber mit vorsichtigem Druck, in der Mitte
-mittelstark, aber an Quantität weniger als unten, oben sehr wenig,
-aber sehr intensiven Wind; das Quantum also jedesmal im umgekehrten
-Verhältnis zur Intensität. Wenn nun der Tonumfang eines Blasinstruments
-im Verhältnis zu dem eines Orgelregisters sehr klein ist und doch
-die Winddifferenzierung zur richtigen Ansprache erfordert, wieviel
-mehr ein Orgelregister! Also wird die Lade des Registers in drei oder
-vier Teile geteilt und jede Einzel-Teillade bekommt den Winddruck und
-die Windzufuhr, die für jene Lage die ideale Ansprache ermöglichen.
-Die große Musterorgel im Atelier von Cavaillé-Mutin arbeitet mit
-dreigeteilten Windladen, die mit Wind von differenziertem Druck
-gespeist werden. Natürlich ist der Bau viel komplizierter, und die
-Kosten erhöhen sich bedeutend. Aber man höre den Erfolg! Ein solches
-Register ist drei andere wert, davon nicht zu reden, daß nun auch
-bei vollem Werk die unteren Lagen ihren richtigen Wind bekommen. Man
-höre einmal die Mittelstimmen einer Bachschen Fuge bei so gebauten
-Registern! Es geht kein Ton, kein einziger Ton verloren, da er von
-einer andern Individualität als oben und unten ist. Ich stehe nicht
-an, diese Orgel im Atelier Mutins, von der sich der Erbauer nicht
-zu trennen vermag, für die technisch und künstlerisch vollendetste
-zu erklären, die vielleicht je gebaut worden ist. Sie stellt das
-Instrument dar, das zu Bachs Werken paßt, sofern es die Forderungen
-verwirklicht, die seine Orgelmusik für die ideale Orgel aufstellt.</p>
-
-<p>Wann wird es dahin kommen, daß auf allen Orgeln diese allerelementarste
-ästhetische Forderung der Differenzierung des Winddrucks erfüllt wird?
-Bis jetzt hat, wenn’s gut geht,<span class="pagenum" id="Seite_34">[S. 34]</span> jedes Klavier seinen Wind, das erste
-den stärksten, das zweite einen etwas weniger starken, das dritte den
-schwächsten, wobei der des ersten viel zu stark ist, weil man ihm
-ungefähr denselben Druck gibt, den man für die Speisung der Pneumatik
-braucht. Man höre, was dabei für die Prinzipale und Flöten herauskommt!
-Wie reich wirkt hingegen die Orgel, in der die Register desselben
-Klaviers mit zwei oder drei Arten von Wind gespeist werden, und zwar
-so, daß jedes den Wind erhält, der durch die vollendetste Intonation
-gefordert wird, wobei noch darauf Rücksicht zu nehmen wäre, ob es vorn
-oder hinten, tief oder hoch steht. Welch ein Reichtum an vollendeten
-Tonindividualitäten ist in einem solchen Instrument eingeschlossen!</p>
-
-<p>Statt dessen findet man bei uns übermäßig stark intonierte Mixturen
-ganz zuvorderst oben disponiert, die eigens dazu erbaut zu sein
-scheinen, die Schönheit des vollen Werkes zu zerstören. Geradezu
-unglaublich aber ist, daß manche Orgelbauer meinen, sie könnten
-durch Differenzierung der Windzufuhr dasselbe erreichen wie durch
-Differenzierung des Winddrucks, wo es sich doch beide Male um ganz
-verschiedene Dinge handelt. Es gehört das Ineinanderwirken beider
-Differenzierungen dazu, um einer Orgel den schönen Tonreichtum zu geben.</p>
-
-<p>Und die Zungen? Sie befriedigen weder auf deutschen noch auf
-französischen Orgeln, da sie auf beiden zu stark dominieren. Als
-ich Widor gelegentlich sagte, daß ich die niederschmetternde Wucht
-der sonst so prächtig gearbeiteten französischen Zungen für einen
-künstlerischen Nachteil hielte, gestand er mir, daß er dieselbe
-Überlegung schon seit Jahren mit sich herumtrage und der Ansicht
-sei, daß wir dazu zurückkehren müßten, Zungen zu bauen, die das
-volle Werk nicht beherrschen, sondern sich der Grundstimmen- und
-Mixturenklangfarbe einpassen und sie gewissermaßen nur vergolden.
-Gigout vertritt dieselbe Ansicht. Aber welche Arbeit und Mühe, schöne,
-weiche und dabei gut ansprechende Zungen zu bauen!</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_35">[S. 35]</span></p>
-
-<p>Wenn wir sie einmal haben, ist auch die Frage gelöst, ob man Bach
-mit Zungen spielen darf. Mit unsern gewiß nicht. Aber es scheint
-mir sicher, daß er bei seiner Pedalzusammensetzung auf seine acht-
-und vierfüßigen Zungen angewiesen war. Und wer wollte leugnen, daß
-ein Pedal mit feinen Zungen, die zu den Mixturen hinzutreten, nicht
-geradezu ideal sein muß? Man vergesse aber die Vierfüße nicht. Flöte 4,
-Prinzipal 4 und Trompete 4, nicht grob intoniert, sollten auf keinem
-einigermaßen vollständigen Pedal fehlen. Keine Koppel kann sie für das
-volle Werk ersetzen. Ohne sie wälzt sich die Pedalfigur am Boden, statt
-aufrecht in der Reihe der Stimmen einherzugehen.</p>
-
-<p class="mtop2">Und dies alles ist eine Geldfrage! Bei den heutigen Preisen können
-die künstlerischen technischen Probleme, die zusammen das Problem
-der tonreichen, d.&#160;h. der tonschönen Orgel ausmachen, nicht in den
-Vordergrund gestellt werden, sondern es heißt, für möglichst wenig
-Geld möglichst viele Register zu bieten und manchmal gegen die bessere
-Überzeugung den Leuten liefern, was sie wollen und nicht, was nach der
-künstlerischen Erfahrung des Erbauers das Beste ist: fürs Auge, nicht
-für das Ohr bauen! Unnötiges an Stelle des Nötigen.</p>
-
-<p>Wenn man die geniale Erfindungsgabe unserer deutschen Orgelbauer,
-die in den letzten zehn Jahren fast nur auf Verbilligung ausging und
-ausgehen mußte, auf die rein künstlerischen Fragen losließe! Das kommt
-aber erst, wenn wir nicht mehr gedankenlos auf die Zahl der Register
-sehen und uns darein finden, daß die Preise gut um ein Drittel in die
-Höhe gehen! Bis dahin leben wir in der Periode der guten Fabrikorgel.</p>
-
-<p>Wer kann denn bei diesen Preisen nur prima Material haben? Wie ist
-eine künstlerische Intonation dabei möglich? Ein Intonieren nach dem
-Lokal, in künstlerischer Gewissenhaftigkeit, d.&#160;h. viermal so langsam
-als jetzt, wo man ängstlich die Spesen für jeden Tag des Intonateurs
-ausrechnen<span class="pagenum" id="Seite_36">[S. 36]</span> muß und wo schon der Versuch, künstlerisch zu intonieren,
-allen Gewinn verschlingen würde.</p>
-
-<p>Die guten Intonateure sollten wie Minister bezahlt sein und in dem
-Range der Künstler so stehen, daß ein künstlerischer Intonateur gleich
-sechs Durchschnittsvirtuosen geachtet würde, da ein halbes Dutzend der
-letzteren leichter zu finden ist als ein künstlerischer Intonateur.
-Von den Ministern hat die Nachwelt nur die Folgen der Fehler, die sie
-gemacht haben, zu tragen; von den Virtuosen behält sie vielleicht den
-Namen; von den Intonateuren aber das Werk, so, wie es aus ihrer Hand
-hervorgegangen ist, daß sich Generation auf Generation daran erbaut.</p>
-
-<p>Wo soll der Orgelbauer bei den heutigen Preisen die Mittel zu Versuchen
-hernehmen, ohne die es keinen Fortschritt gibt? Man sagt, daß wir im
-Begriff sind, ein reiches Land zu werden. An unsern Orgeln wird man
-das dereinst nicht sehen, denn das frühere arme Deutschland baute sie
-reicher.</p>
-
-<p>Man täusche sich nicht! Wie die Orgeln, so die Organisten. Kein
-Instrument übt einen solchen Einfluß auf die Künstler aus. Vollkommene
-Orgeln erziehen Organisten zur Vollkommenheit; unvollkommene erziehen
-sie zur Unvollkommenheit und zum falschen Virtuosentum. Dagegen hilft
-kein Talent und kein Genie. Die Orgelkunst ist immer das Produkt der
-Orgelbaukunst. Ohne die in ihrer Art vollendete Orgelbaukunst seiner
-Zeit wäre die Bachsche Orgelkunst nie entstanden.</p>
-
-<p class="mtop2">So ist auch die heutige französische Orgelschule ein Produkt des
-vollendeten Orgelbaues. Wir sind in Deutschland an Talenten unbedingt
-reicher. Aber einen Kreis von so außerordentlichen Meistern, wie er in
-Frankreich in den Namen Saint-Saëns, Guilmant, Widor, Gigout und Vierne
-charakterisiert ist, besitzen wir nicht.</p>
-
-<p>Der französische Organist unterscheidet sich vom deutschen durch
-die Einfachheit des Spiels. Das Virtuosenhafte,<span class="pagenum" id="Seite_37">[S. 37]</span> das bei uns zum
-bedeutenden Organisten gehört, existiert dort weniger. Erstrebt wird
-vor allem die ruhige Plastik, die das Tongebilde in seiner ganzen
-Größe vor dem Hörer erstehen läßt. Es kommt mir vor, als säße der
-französische Organist sogar ruhiger auf seiner Orgelbank als wir.
-Bei allen findet man absolute Präzision des Niederdrückens und des
-Aufsteigenlassens der Taste, konsequente Bindung und eine klare,
-natürliche Phrasierung. Es gibt bei uns gewiß viele Organisten, die
-diese Eigenschaften in demselben Maße besitzen, aber in Frankreich
-sind sie eben Produkt der Schule. Jeder, auch der sonst mittelmäßige,
-besitzt sie, während es bei uns hervorragende Spieler gibt, die z.&#160;B.
-die absolute Präzision nicht besitzen, bei denen Hände und Pedal nicht
-mathematisch genau miteinander gehen, wodurch die übrigen Eigenschaften
-ihres Spiels für den Hörer, der „hört“, beeinträchtigt werden.
-Allerdings ist es auf unsern Orgeln auch schwerer, absolut präzis zu
-spielen, als auf den französischen mit ihrer Kraftübersetzung. Was ich
-an den französischen Organisten immer besonders bewundre, ist die Ruhe
-und Unfehlbarkeit des Pedalspiels.</p>
-
-<p>Ich kann meine Empfindung nicht besser ausdrücken als wenn ich
-sage: der französische Organist spielt objektiver, der deutsche
-persönlicher. Auch dies liegt wieder an der Schule. Wir haben
-keine, sondern ein jeder geht seinen eigenen Weg. So viel
-Organisten, so viel Auffassungen. Das ist bis zu einem gewissen
-Grade ein Vorteil, den wir vor den Franzosen haben. Ich erfreue
-mich oft an der individuellen Lebhaftigkeit deutscher Organisten,
-wenn sie geschmackvoll ist. Andererseits aber gehen wir viel zu
-weit und bringen aus lauter „Persönlichkeit“ im Spiel und in der
-Komposition die Leidenschaftlichkeit auf die Orgel, die natürliche
-Menschenleidenschaftlichkeit, nicht die wunderbar verklärte objektive
-Leidenschaftlichkeit der letzten großen Präludien und Fugen Bachs,
-und entstellen die Werke unseres großen Meisters, indem wir sie durch
-unsere Menschenleidenschaftlichkeit lebendig machen wollen. Die Orgel
-selbst<span class="pagenum" id="Seite_38">[S. 38]</span> soll reden. Der Organist und seine Auffassung sollen dahinter
-verschwinden, „s’effacer“, wie man auf französisch sagt. Er ist, mit
-allen seinen Gedanken, zu klein für die sich schon im äußeren Anblick
-bekundende, ruhende Majestät des Instruments, das, wie uns Bach lehrt,
-alle Gefühle in Verklärung darstellt<a id="FNAnker_6" href="#Fussnote_6" class="fnanchor">[6]</a>.</p>
-
-<p>Vielleicht gehen die Franzosen ihrerseits in der Objektivität des
-Spiels zuweilen zu weit. Aber die Ruhe und Größe, die darin liegt, ist
-so wohltuend, daß man das Zurücktreten jedes ausgesprochen persönlichen
-Gefühls nicht wahrnimmt. „Orgelspielen“, sagte mir Widor einmal auf
-der Orgelbank zu Notre-Dame<a id="FNAnker_7" href="#Fussnote_7" class="fnanchor">[7]</a>, als die Strahlen der untergehenden
-Sonne in verklärter Ruhe das dämmerige Schiff durchzogen, „heißt
-einen mit dem Schauen der Ewigkeit erfüllten Willen manifestieren.
-Aller Orgelunterricht, der technische und der künstlerische,
-geht nur darauf aus, einen Menschen zu dieser höheren reinen
-Willensmanifestation zu erziehen. Dieser Wille des Organisten, der sich
-in der Orgel objektiviert, soll den Hörer überwältigen. Wer den großen
-konzentrierten Willen nicht in ein Bachsches Fugenthema hineinlegen
-kann, daß auch der gedankenlose Hörer sich ihm nicht entziehen kann,
-sondern nach dem zweiten Takt eben auffassen und begreifen muß, ob er
-will oder<span class="pagenum" id="Seite_39">[S. 39]</span> nicht, und nun die ganze Fuge hört und zugleich sieht: wer
-über diesen konzentrierten, mitteilungskräftigen, ruhigen Willen nicht
-verfügt, kann zwar dennoch ein großer Künstler sein, ist aber kein
-geborener Organist. Er hat sich eben im Instrument geirrt, da die Orgel
-die Objektivierung des Geistes zum ewigen, unendlichen Geist darstellt,
-und ihrem Wesen und ihrem Ort entfremdet wird, sobald sie nur Ausdruck
-des subjektiven Geistes ist.“</p>
-
-<p>Guilmants Spiel liegt dieselbe Auffassung vom Wesen der Orgel zugrunde,
-nur daß bei ihm die Objektivität durch ein gewisses lyrisches Empfinden
-eigentümlich und interessant belebt wird.</p>
-
-<p>Man kann sagen, daß in der französischen Orgelkunst das Empfinden für
-Architektur, das gewissermaßen das Grundelement jeder französischen
-Kunst ist, zutage tritt. Darum hat auch der Schwellkasten eine ganz
-andere Bedeutung als bei uns. Er dient nicht dem „Gefühlsausdruck“,
-sondern der architektonischen Linie. Auf allen französischen Orgeln
-sind die Schwellkastenklaviere so bedeutend, daß man mit der in ihnen
-eingeschlossenen Klangmasse den Grundstimmenton der ganzen Orgel noch
-modellieren kann. „Derjenige“, sagt Gigout seinen Schülern, „behandelt
-den Schwellkasten recht, bei dem der Hörer nicht ahnt, daß überhaupt
-ein Schwellkasten in Funktion tritt, sondern nur das unmerkliche An-
-und Abschwellen als notwendig empfindet.“ Dasselbe Prinzip bringt
-Guilmant seinen Schülern bei.</p>
-
-<p>Das Großzügige und Einfache in der Schwellkastenbehandlung tritt in der
-französischen Orgelkunst immer klarer zutage. Bei César Franck und in
-den älteren Kompositionen von Saint-Saëns findet sich noch die kleine,
-häufige Benutzung des Schwellkastens, wo dieses Mittel gewissermaßen
-einen Ersatz für den der Orgel fehlenden Gefühlsausdruck ist, d.&#160;h. die
-Schwellkastenbehandlung, die bei uns noch vorwiegt. Immer mehr aber
-setzt sich in der Folge die einfache, sparsame, nur auf die große Linie
-ausgehende Schwellkastenbenutzung durch, wie sie dann in den letzten<span class="pagenum" id="Seite_40">[S. 40]</span>
-Werken von Guilmant und Widor triumphiert. Ihren Schülern, und nicht
-weniger denen Gigouts, ist sie in Fleisch und Blut übergegangen. Man
-lese die erste Orgelsymphonie Viernes daraufhin durch und vergleiche
-damit die Angaben in unseren modernen Orgelkompositionen. Unschwer
-wird man dann von dem Vorurteil abkommen, als ob die Franzosen mit dem
-Schwellkasten Effekthascherei trieben und eingestehen, daß wir gerade
-hierin von ihnen lernen können<a id="FNAnker_8" href="#Fussnote_8" class="fnanchor">[8]</a>.</p>
-
-<p>Aber wann werden wir solche richtigen Schwellkasten haben? Es ist noch
-nicht so lange her, daß bei uns bedeutende Organisten den Grundsatz
-vertraten, daß eine kleine Orgel keinen Schwellkasten brauche,
-ebensowenig wie es nötig sei, bei solchen Orgeln das Pedal bis zum F
-zu führen. Aber Schwellkasten und vollständiges Pedal gehören eben
-zum Wesen der Orgel, wie die vier Füße zum Pferd. Lieber zwei oder
-drei Register weniger, denn mit einem richtigen Schwellkasten kann man
-aus jedem Register zwei machen. Gerade bei den kleinen Orgeln treten
-gewisse Vorzüge der französischen Instrumente ungleich stärker hervor
-als bei den großen.</p>
-
-<p>Auch im Registrieren sind die Franzosen einfacher als wir. In einer
-deutschen Orgelkomposition steht fast doppelt<span class="pagenum" id="Seite_41">[S. 41]</span> so viel Registerwechsel
-vorgeschrieben als in einer französischen. Ein Meister der geistreichen
-Registrierung ist Saint-Saëns. Guilmant registriert äußerst geschickt
-und geschmackvoll. Widor verzichtet fast, und dies je mehr und mehr,
-auf Registrierung. „Ich kann das Registrieren als Registerwechsel, rein
-auf Veränderung der Klangfarbe berechnet, nicht mehr gut begreifen“,
-sagte er mir einst, „und empfinde nur diejenige Veränderung in der
-Klangfarbe als richtig, die durch eine Peripetie des Stückes unbedingt
-gefordert ist. Je einfacher wir registrieren, desto näher kommen wir
-Bach“. In dem ersten Stück seiner Symphonie „Romane“ besteht alles
-Registrieren, zehn Seiten lang, nur darin, daß Mixturen und Zungen zu
-den gekoppelten Grundstimmen zu- und wegtreten. Freilich darf man nicht
-vergessen, daß der französische Schwellkasten in seiner Wirkung auf die
-Gesamtorgel vieles ermöglicht, was wir auf unseren Orgeln nur durch
-Registrieren ausführen können.</p>
-
-<p>Zu den formellen Vorzügen der französischen Orgelkompositionen möchte
-ich noch die klug berechnete, wirkungsvolle Verwendung des Pedals und
-das Vermeiden jeglicher unnötigen Oktavenverdoppelungen sowohl im
-Manual wie im Pedal rechnen. Es scheint mir, als ob unsere jüngeren
-Komponisten die Pedalverwertung in den großen Präludien und Fugen Bachs
-nicht hinreichend studiert haben, sonst müßten sie von selbst auf das
-Verfehlte einer ununterbrochenen Mitwirkung des Pedals aufmerksam
-werden. Von den in modernen Kompositionen so häufig vorgeschriebenen
-Oktaven sind über achtzig Prozent gewöhnlich sinnlos, verschulden nur
-ein ungebundenes Spiel und wirken nicht. Man studiere einmal Widors
-Werke auf die Verwendung des Pedals und der Oktaven hin!</p>
-
-<p class="mtop2">Bei genauem Zusehen entdeckt man eigentlich zwei französische Schulen:
-eine altfranzösische, von deutscher Kunst direkt nicht beeinflußte,
-und eine jüngere, die deutschen Einfluß aufweist. Zur spezifisch
-französischen würde ich in<span class="pagenum" id="Seite_42">[S. 42]</span> der älteren Generation <em class="gesperrt">Boëly</em> (gest.
-1858), <em class="gesperrt">Chauvet</em> und César <em class="gesperrt">Franck</em> zählen. Die jüngere
-Generation wird etwa durch <em class="gesperrt">Saint-Saëns</em> und <em class="gesperrt">Gigout</em>
-repräsentiert. Auch Gabriel <em class="gesperrt">Pierné</em> und der leider so früh
-verstorbene <em class="gesperrt">Boëllmann</em> (geb. zu Ensisheim 1862, gest. als
-Organist von St. Vincent de Paul zu Paris 1897) gehörten hierher<a id="FNAnker_9" href="#Fussnote_9" class="fnanchor">[9]</a>.</p>
-
-<p>Diese ältere Schule mußte erst mühsam nach einem Orgelstil ringen,
-ohne ihn, in ihren besten Vertretern, jemals ganz zu erreichen. César
-Francks und Saint-Saëns’ Werke<a id="FNAnker_10" href="#Fussnote_10" class="fnanchor">[10]</a> sind Improvisationen genialer
-Musiker auf der Orgel, nicht so sehr Orgelwerke, wenn auch bei den
-späteren Werken von César Franck der Inhalt gewisse Vergewaltigungen<span class="pagenum" id="Seite_43">[S. 43]</span>
-des Orgelstils ganz übersehen läßt. Boëllmanns Kompositionen sind
-interessante Jugendversuche, die sicher zu etwas Bedeutendem geführt
-hätten.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Gigout</em><a id="FNAnker_11" href="#Fussnote_11" class="fnanchor">[11]</a> steht in dieser Schule für sich. Er ist der
-Klassiker, der zum reinen Orgelstil durchgedrungen ist. Er hat etwas
-Händelsche Art an sich. Sein Einfluß als Lehrer ist ganz hervorragend
-und sein Spiel wunderbar.</p>
-
-<p>Diese spezifisch französische Schule kultiviert die Improvisation, zwar
-nicht so wie der alte Organist von Notre-Dame — sein Name möge der
-Nachwelt nicht aufbewahrt werden — der sich rühmte, auf seiner Orgel
-nie etwas nach Noten gespielt zu haben, aber doch so, daß sie einen
-ganz besonderen Wert darauf legt. Man würdigt Saint-Saëns erst, wenn
-man ihn zu St. Séverin hat improvisieren hören, wo er zuweilen den
-geistreichen Périlhou ersetzt. Auch Gigouts Stärke liegt eigentlich vor
-allem auf diesem Gebiet.</p>
-
-<p>Von César Francks Improvisationen erzählt Vincent d’Indy in seinem
-soeben erschienenen meisterhaften Buche über seinen Lehrer (Ed. Alcan,
-Paris 1906). Als Franz Liszt am 3. April 1866 aus St. Clothilde
-heraustrat, war er so ergriffen, daß er zu seiner Umgebung sagte, seit
-Bach hätte niemals jemand so auf der Orgel improvisiert.</p>
-
-<p>Guilmant improvisiert gern. Widor nicht so sehr, „nur wenn er sich
-gedrungen fühlt, etwas zu sagen.“ Viernes Improvisationen zu Notre-Dame
-zeichnen sich durch ihre Formvollendung aus. Zu den hervorragenden
-Improvisatoren gehört auch Schmidt, einer der begabtesten der jungen
-Generation, der leider durch seine Ernennung zum Maître de Chapelle an
-St. Philipp du Roule für die Orgel vorläufig verloren ist.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_44">[S. 44]</span></p>
-
-<p>Im allgemeinen spielen Improvisation und ebenso Auswendigspielen im
-französischen Orgelunterricht, wie ihn früher Widor, jetzt Guilmant und
-sein Gehilfe Vierne am Konservatorium erteilen, und nicht minder im
-Unterrichte Gigouts, eine größere Rolle als bei uns. Für den Wettbewerb
-um den Organistenposten zu Notre-Dame wurde gefordert: Improvisierung
-einer Fuge über ein gegebenes Thema, eine freie Improvisation und
-zwanzig moderne oder klassische Orgelwerke auswendig. Der pädagogische
-Wert des Auswendigspielens auf der Orgel ist aber auch tatsächlich
-ganz ungeheuer, da der Schüler dabei gezwungen ist, sich über alles
-Rechenschaft zu geben. Wir vernachlässigen das Auswendigspielen auf der
-Orgel vielleicht etwas zu sehr.</p>
-
-<p>Die andere französische Orgelschule, durch <em class="gesperrt">Guilmant</em>, früher an
-der Trinité, und <em class="gesperrt">Widor</em>, zu St. Sulpice, repräsentiert, ging
-von Belgien aus. Guilmant und Widor waren Schüler von Lemmens, der
-seinerseits wieder Schüler von Hesse war. So waren Guilmant<a id="FNAnker_12" href="#Fussnote_12" class="fnanchor">[12]</a> und
-Widor, wie ihre ersten Werke zeigen, von Anfang an mit dem aus Bach
-geflossenen Orgelstil bekannt und brauchten nicht erst zu suchen und zu
-tasten.</p>
-
-<p>Guilmant ist nicht nur einer der hervorragendsten Spieler, sondern auch
-zugleich der universellste Lehrer der Jetztzeit, von hervorragender
-pädagogischer Begabung und musikhistorischer Bildung. Er ist es, der
-die alte, vorbachische Orgelmusik in Frankreich bekannt machte. Was
-die deutsche Orgelmusik aus seinen Werken betreffs der Form und des<span class="pagenum" id="Seite_45">[S. 45]</span>
-Aufbaus lernen kann, ist in der deutschen Kritik seit Jahren immer
-betont worden.</p>
-
-<p>Widor ist mehr ein nach innen gekehrter Geist. Seine zehn
-Symphonien<a id="FNAnker_13" href="#Fussnote_13" class="fnanchor">[13]</a> stellen die Entwicklung der Orgelkunst, wie er sie
-an sich erlebt hat, dar. Die ersten sind formvollendete, mehr von
-lyrisch-melodischem, manchmal sogar sentimentalem Geiste durchwehte
-Schöpfungen, die aber in der wunderbar großen Struktur der Themen
-die einzigartig organistische Begabung des Schöpfers zeigen. Mit der
-fünften Symphonie verläßt er diese Bahn. Das Lyrische tritt zurück;
-etwas anderes ringt nach Gestaltung. Zunächst noch in melodischer Form,
-in der fünften und sechsten Symphonie, die zu seinen bekanntesten
-gehören. Die siebente und achte sind Übergangswerke. Sie sind
-orgelmäßig und doch gewagt orchestral gedacht. Welch ein Wunderwerk,
-der erste Satz der achten Symphonie! Zugleich aber tritt das Herbe
-immer stärker hervor, das Herbe, das Widor dann in den beiden letzten
-Symphonien zur heiligen Kunst zurückführt. „Es ergeht mir merkwürdig“,
-sagte er mir in jener Periode, „außer Bachs Präludien und Fugen, oder
-mehr noch, außer gewissen Präludien und Fugen von Bach, kann ich keine
-Orgelkunst mehr als heilig empfinden, die nicht durch ihre Themen,
-sei es aus dem Choral, sei es aus dem Gregorianischen Gesang, für
-die Kirche geheiligt ist“. Darum ist die neunte Symphonie (Symphonie
-Gothique) über das „Puer natus est“ als Weihnachtssymphonie geschrieben
-und die zehnte (Symphonie Romane) über das wunderbare Motiv des „Haec
-dies“ als Ostersymphonie gedacht. Und als er an einem Maisonntag, mit
-dem Technischen noch ringend, das Finale der Romanischen Symphonie zum
-erstenmal zu St. Sulpice spielte, da fühlte ich mit ihm, daß in diesem
-Werk die französische Orgelkunst in die heilige Kunst eingegangen,<span class="pagenum" id="Seite_46">[S. 46]</span>
-jenen Tod und jene Auferstehung erlebt hatte, die jede Orgelkunst, und
-in jedem Individuum, erleben muß, wenn sie Bleibendes schaffen will.</p>
-
-<p>Louis Vierne, der 1900 als kaum Dreißigjähriger an die
-Notre-Dame-Kirche berufen wurde, ist Schüler von César Franck, Widor
-und Guilmant. Seine zwei groß angelegten Orgelsymphonien versprechen
-sehr viel<a id="FNAnker_14" href="#Fussnote_14" class="fnanchor">[14]</a>.</p>
-
-<p>Nicht vergessen möchte ich des wackeren <em class="gesperrt">Dallier</em>, eines Schülers
-Francks, früher an St. Eustache, jetzt an der Madeleine, wo er
-Nachfolger Gabriel <em class="gesperrt">Faurés</em>, des wunderbaren und vollendeten
-Improvisators und Bachkenners, wurde, der seinerseits <em class="gesperrt">Dubois’</em>
-Nachfolger war. Eine Wiedergabe der Bachschen Es-dur-Tripelfuge während
-einer musikalischen Feier zu St. Eustache wird mir unvergeßlich bleiben.</p>
-
-<p>Von den Jungen seien genannt: <em class="gesperrt">Quef</em>, Nachfolger Guilmants an
-der Trinité, <em class="gesperrt">Tournemire</em> an St. Clothilde, <em class="gesperrt">Jacob</em>, ein
-ganz hervorragender Spieler, an St. Louis d’Antin, <em class="gesperrt">Marti</em>
-zu St. François-Xavier, <em class="gesperrt">Libert</em> an der Basilique St. Denis,
-<em class="gesperrt">Maquaire</em>, der Ersatzmann Widors zu St. Sulpice, von dem
-eine sehr interessante Orgelsymphonie bei Hamelle erschienen ist,
-<em class="gesperrt">Bret</em>, der als Dirigent der Bachgesellschaft seine Kräfte
-jetzt ausschließlich in den Dienst der Sache des Altmeisters stellt,
-<em class="gesperrt">Mahaut</em>, ein vollendeter Spieler, zugleich begeisterter Interpret
-der Werke seines Lehrers César Franck und Bonnet, der Nachfolger
-Dalliers an St. Eustache.</p>
-
-<p>Gemeinsam ist den beiden Schulen, und in beiden den Alten wie den
-Jungen, die Verehrung für Bach. Es wird bei uns kaum mehr und so
-ausschließlich Bach gespielt als in manchen Pariser Kirchen. Während
-des Offertoriums zu Notre-Dame zieht Bachs Choralvorspiel über „O
-Mensch bewein’ dein’ Sünde groß“ durch die mächtigen Hallen der
-Kathedrale.</p>
-
-<p>Von der Zukunft der französischen Schule vermag ich nichts zu
-sagen. „L’orgue Moderne“, eine unter Widors<span class="pagenum" id="Seite_47">[S. 47]</span> Patronat periodisch
-erscheinende Sammlung der neueren und neuesten Versuche, befriedigt
-mich eigentlich nicht. Formell ist darin alles gut, weit ausgereifter
-als die Erstlingswerke unserer deutschen Organistenjugend. Aber es
-fehlt die Erfindung, der Sturm und Drang, die Gärung, die einem die
-Gewißheit geben könnten, daß aus dieser tüchtigen jungen Generation
-etwas mehr als Tüchtiges, etwas Großes, Bleibendes hervorgehen wird.
-Die gleichzeitigen Werke der jungen deutschen Organistenwelt zeigen
-ein weniger großes formelles Können, zuweilen eine Verneinung des
-Orgelstils, weniger Überlegung und Klarheit, aber dafür in manchen
-einen vielversprechenden Ideenreichtum.</p>
-
-<p class="mtop2">Aber was wird überhaupt aus dem französischen Orgelbau und der
-französischen Orgelkunst werden? Was wird die Trennung von Kirche und
-Staat bringen? Schon jetzt richten sich die Kirchen auf die Trennung
-ein und streichen an den ohnehin schon kleinen Gehältern, was zu
-streichen ist. Den meisten Organisten ist schon ein Viertel ihrer
-Bezahlung gekündigt worden. Dallier verlor an St. Eustache zuerst ein
-Drittel, dann die Hälfte seines Einkommens und meldete sich daraufhin
-an die eben freiwerdende Madeleinekirche. Der Organistenposten zu
-Notre-Dame dürfte in Zukunft kaum mehr als 1000 frcs. eintragen. Der
-Orgelbau stockt. Herrliche Orgeln, die früher in den Kirchen der
-Kongregationen standen, sind zu Spottpreisen zu verkaufen. Manchmal
-fragt man sich, ob das sicherste Ergebnis der Trennung vorerst nicht
-der Ruin des Orgelbaues und der Orgelkunst sein wird. Die Krise, die
-beide durchmachen werden, wird jedenfalls sehr schwer sein.</p>
-
-<p>Lassen wir die Zukunft. Für jetzt kommt es darauf an, daß der Grenzwall
-zwischen französischer und deutscher Orgelkunst niedergelegt werde, und
-daß beide voneinander lernen. Der deutsche und der französische Genius
-sind in der Kunst angewiesen, einander anzuregen. In der Orgelkunst
-ganz besonders, da wir Deutschen von den Franzosen<span class="pagenum" id="Seite_48">[S. 48]</span> unendlich viel in
-Technik und Form lernen können, die Franzosen aber durch den Geist der
-deutschen Kunst von einer Verarmung in ihren reinen und vollendeten
-Formen bewahrt werden. Aus der Durchdringung beider Geistesrichtungen
-wird neues Leben hüben und drüben erstehen. Bisher profitieren
-eigentlich nur die amerikanischen Organisten von dem Vorteil, durch
-die deutsche und die französische Schule hindurchzugehen, insofern
-als sie gewöhnlich die Hälfte ihrer Lehrzeit in Deutschland, die
-andere Hälfte in Paris zubringen. Mögen in Zukunft die deutschen und
-die französischen, um denselben Vorteil zu haben, sich von dem alten
-künstlerischen Organisten-Lern- und Wandertrieb erfassen lassen.
-Vielleicht wird dann ein französischer Organist seine Kollegen mit
-der Kunst der Reger, Wolfrum, Lang, Franke, De Lange, Reimann, Egidi,
-Irrgang, Sittard, Homeyer, Otto Reubke, Straube, Beckmann, Radecke, G.
-A. Brandt und wie sie alle heißen mögen, bekannt machen, wie ich es
-hiermit versucht habe, deutschen Organisten das Wesen der französischen
-Orgel und der französischen Orgelkunst näher zu bringen<a id="FNAnker_15" href="#Fussnote_15" class="fnanchor">[15]</a>.</p>
-
-<figure class="figcenter illowe10" id="schlussvignette">
- <img class="w100 padtop3" src="images/schlussvignette.png" alt="Schlussvignette">
-</figure>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_49">[S. 49]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Anhang">Anhang.</h2>
-
-</div>
-
-<p class="s3 center"><b>Die Disposition der Orgel zu St<sup>e</sup> Clothilde,
-auf welcher César Franck spielte.</b></p>
-
-<p class="s4 center">3 Klaviere mit 46 klingenden Stimmen.</p>
-
-<div class="schmal">
-
-<table>
- <tr>
- <td class="vat padright0_5 br10em">
- <div class="center nowrap"><b>Grand-Orgue:</b><br>
- <span class="s5">14 klingende Stimmen.</span></div>
- </td>
- <td class="vat">
- <div class="left hang_1">Montre 16. Montre 8. Gambe 8. Bourdon 16. Flûte
- harmonique 8. Bourdon 8. Prestant 4. Octave 4. Doublette 2. Quinte 3.
- Plein-Jeu. Bombarde 16. Trompette 8. Clairon 4.</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat padright0_5 br10em">
- <div class="center nowrap"><b>Positif:</b><br>
- <span class="s5">14 klingende Stimmen.</span></div>
- </td>
- <td class="vat">
- <div class="left hang_1">Bourdon 16. Montre 8. Gambe 8. Flûte harmonique
- 8. Bourdon 8. Salicional 8. Prestant 4. Flûte octaviante 4. Quinte 3.
- Plein-Jeu. Doublette Clarinette 8. Trompette 8. Clairon 4.</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat padright0_5 br10em">
- <div class="center nowrap"><b>Récit:</b><br>
- <span class="s5">(im Schwellkasten)<br>
- 10 klingende Stimmen.</span></div>
- </td>
- <td class="vat">
- <div class="left hang_1">Viole de Gambe 8. Voix céleste 8. Bourdon 8.
- Flûte harmonique 8. Flûte octaviante 8. Octavin 2. Basson-Hautbois 8.
- Trompette 8. Clairon 4. Voix humaine 8.</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat padright0_5 br10em">
- <div class="center nowrap"><b>Pédale:</b><br>
- <span class="s5">8 klingende Stimmen.</span></div>
- </td>
- <td class="vat">
- <div class="left hang_1">Contre-Basse 16. Flûte 8. Quintaton 32. Octave
- 4. Basson 16. Bombarde 16. Trompette 8. Clairon 4.</div>
- <div class="left hang_1">13 Koppeln und Kombinationszüge.</div>
- </td>
- </tr>
-</table>
-
-</div>
-
-<p class="s3 center mtop1 break-before"><b>Die Disposition der Orgel Widors zu St. Sulpice.</b></p>
-
-<p class="s4 center">(Erbaut 1861–62.) 5 Klaviere. 100 klingende Stimmen.</p>
-
-<div class="schmal">
-
-<table>
- <tr>
- <td class="vat padright0_5 br10em">
- <div class="center nowrap"><b>Premier Clavier.<br>
- Grand Chœur:</b><br>
- <span class="s5">13 klingende Stimmen.</span></div>
- </td>
- <td class="vat">
- <div class="left hang_1">Doublette 2. Octave 4. Große Fourniture 4 r.
- Große Cymbale 6 r. Plein-Jeu 4 r. Cornet 5 r. 1<sup>e</sup> Trompette 8.
- 2<sup>e</sup> Trompette 8. Clairon 4. Clairon-Doublette 2. Basson 16.
- Basson 8. Bombarde 16.</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat padright0_5 br10em">
-<span class="pagenum" id="Seite_50">[S. 50]</span>
- <div class="center nowrap"><b>Deuxième Clavier.<br>
- Grand Orgue:</b><br>
- <span class="s5">13 klingende Stimmen.</span></div>
- </td>
- <td class="vat">
- <div class="left hang_1">Principal 16. Montre 16. Bourdon 16. Flûte
- conique 16. Flûte harmonique 8. Flûte traversière 8. Montre 8. Diapason
- 8. Bourdon 8. Flûte à pavillon 8. Salicional 8. Prestant 4. Große Quinte
- 5⅓.</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat padright0_5 br10em">
- <div class="center nowrap"><b>Troisième Clavier.<br>
- Positif:</b><br>
- <span class="s5">20 klingende Stimmen.</span></div>
- </td>
- <td class="vat">
- <div class="left hang_1">Violon Basse 16. Quintaton 16. Quintaton 8.
- Flûte traversière 8. Salicional 8. Gamba 8. Unda maris 8. Flûte douce 4.
- Flûte octaviante 4. Dulciana 4. Plein-Jeu 3 et 6 r. Quinte 2⅔. Doublette
- 2. Tièrce 1³⁄₅. Larigot 1⅓. Piccolo 1. Basson 16. Baryton 8. Clairon 4.
- Trompette 8.</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat padright0_5 br10em">
- <div class="center nowrap"><b>Quatrième Clavier.<br>
- Récit Expressif:</b><br>
- <span class="s5">21 klingende Stimmen.</span></div>
- </td>
- <td class="vat">
- <div class="left hang_1">Quintaton 16. Diapason 8. Violoncelle 8.
- Bourdon 8. Flûte harmonique 8. Voix céleste 8. Flûte octaviante 4.
- Prestant 4. Doublette 2. Basson-Hautbois 8. Cromorne 8. Voix humaine 8.
- Dulciana 4. Fourniture 4 r. Cymbale 5 r. Nazard 2⅔. Octavin 2.
- Cornet 5 r. Bombarde 16. Trompette 8. Clairon 4.</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat padright0_5 br10em">
- <div class="center nowrap"><b>Cinquième Clavier.<br>
- Solo:</b><br>
- <span class="s5">21 klingende Stimmen.</span></div>
- </td>
- <td class="vat">
- <div class="left hang_1">Bourdon 16. Flûte conique 16. Principal 8.
- Flûte harmonique 8. Viola da Gamba 8. Bourdon 8. Violoncelle 8.
- Kéraulophon 8. Flûte octaviante 4. Prestant 4. Große Quinte 5⅓. Große
- Tièrce 3¹⁄₅. Quinte 2⅔. Octave 4. Octavin 2. Cornet 5 r. Septième 2²⁄₇.
- Bombarde 16. Trompette 8. Clairon 4.</div>
- <div class="left hang_1">Trompette harmonique 8 (Hochdruck).</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat padright0_5 br10em">
- <div class="center nowrap"><b>Pédale:</b><br>
- <span class="s5">12 klingende Stimmen.</span></div>
- </td>
- <td class="vat">
- <div class="left hang_1">Principal-Basse 32. Contrebasse 16. Soubasse 16.
- Flûte 8. Violoncelle 8. Flûte 4. Clairon 4. Ophicléide 8. Trompette 8.
- Basson 16. Bombarde 16. Contre Bombarde 32.</div>
- <div class="left hang_1">20 Koppeln und Kombinationszüge; dazu eine
- freie Kombination für jedes Klavier. Das vierte Klavier steht im
- Schwellkasten.</div>
- </td>
- </tr>
-
-</table>
-
-</div>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_51">[S. 51]</span></p>
-
-<p>Die Orgel zu Notre-Dame ist ähnlich disponiert, nur daß sie 14
-klingende Stimmen weniger hat.</p>
-
-<p>Der Fortschritt der Orgeln zu St. Sulpice und Notre-Dame verglichen mit
-der zu St<sup>e</sup> Clothilde besteht also in der Verwendung der Mixturen, die
-auf den früheren Orgeln Cavaillés nicht so reich vertreten waren. Man
-lasse die glänzenden Zungenstimmen beiseite: dann sind St. Sulpice und
-Notre-Dame die idealsten Bach-Orgeln, die man sich denken kann.</p>
-
-<p>Mutin, Cavaillés Nachfolger, zieht nur die Konsequenzen der Evolution
-seines großen Lehrers, indem er nun auch dem Pedal entsprechend viele
-Mixturen zugesteht, wozu Cavaillé sich noch nicht hatte entschließen
-können.</p>
-
-<figure class="figcenter illowe6" id="ende">
- <img class="w100 padtop3" src="images/ende.png" alt="Dekoration, Ende">
-</figure>
-
-<div class="footnotes">
-
-<p class="s3 center padtop1">Fußnoten:</p>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_1" href="#FNAnker_1" class="label">[1]</a> Diesen Typus verwirklicht die eben vollendete Orgel zu
-St. Nicolaï in Straßburg, ein Werk der beiden jungen elsässischen
-Orgelbauer Dalstein und Härpfer zu Bolchen in Lothringen.</p>
-
-<p>Alle Koppeln und Kombinationszüge sind doppelt, als Pedaltritte und
-als Druckknöpfe angelegt, wobei der Knopf und der Tritt untereinander
-durch eine von Herrn Dalstein erfundene einfache Mechanik verbunden
-sind, welche den Preis jeder Koppel oder Kombination um etwa zwanzig
-Mark erhöht. Die doppelte Verwendbarkeit der freien Kombination,
-die die Handregistrierung nach Belieben aufhebt oder ergänzt, macht
-alle anderen Ressourcen tatsächlich überflüssig, wovon sich auch
-diejenigen Organisten überzeugten, welche anfangs die „Neuerung“,
-die auf die Abschaffung des „Piano“, „Mezzoforte“, „Forte“, „Tutti“
-ging, beargwöhnten. Der Vorteil der Möglichkeit, das erste Klavier
-von den andern abzukoppeln und es als Koppelklavier zu benutzen,
-leuchtete nach der ersten praktischen Demonstration ein. Die ganze
-Spieltischeinrichtung stellt sich um etwa 200 Mark teurer als die
-gewöhnliche.</p>
-
-<p>Für eine zweiklavierige Orgel von zwanzig Stimmen, bei der also zwei
-doppelt angelegte Pedalkoppeln, zwei doppelt angelegte Manualkoppeln,
-und drei doppelt verwendbare freie Kombinationen (Kl. I, II und Ped.)
-in Betracht kämen, dürfte die Differenz etwa hundert Mark betragen!</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_2" href="#FNAnker_2" class="label">[2]</a> Von den in der „Übergangszeit“ von Häusern zweiten
-Ranges gebauten Pneumatiken wage ich nicht zu reden. Welche Summen
-wären nötig, um jene Instrumente, die als Opfer der ersten Versuche
-allsonntäglich zum Himmel schreien, zu erlösen und ihnen einen „neuen
-gewissen Geist zu geben“!</p>
-
-<p>Und wie viele unserer mittleren Orgelbauer, die einst einfache und
-schönklingende, zuweilen geradezu künstlerisch intonierte Werke bauten,
-sind zugrunde gegangen, weil sie in den Erfindungen mitmachen mußten!</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_3" href="#FNAnker_3" class="label">[3]</a> In sehr großen Kirchen können zwei oder drei künstlerisch
-gebaute Hochdruckstimmen von einer grandiosen Wirkung sein und gehören
-daher zur Vollkommenheit des Instruments. In mittleren Räumen aber
-können sie den Orgelklang nur verunstalten und müssen daher im
-Orgelbau eine Ausnahme bleiben.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_4" href="#FNAnker_4" class="label">[4]</a> Auch unser moderner Flügel paßt nicht für Bachsche Musik.
-Diese Erkenntnis beginnt sich allenthalben zu regen. Siehe darüber
-Wanda Landowska: Sur l’interprétation des œuvres de Clavecin de J. S.
-Bach, Mercure de France 1905.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_5" href="#FNAnker_5" class="label">[5]</a> Es ist mir von jeher aufgefallen, daß gewisse herrliche
-Silbermannorgeln in der Nähe geradezu unschön wirken, weil die
-Individualität der einzelnen Register zu ungebrochen fortbesteht. Desto
-herrlicher ist aber ihr Ton in dem Schiff der Kirche.</p>
-
-<p>Man beobachte auch, wie solche alte Orgeln, auch wenn sie schwach
-intoniert sind, durch die Wände der Kirche hindurch wirken! Jeder Ton
-in der Polyphonie gelangt klar zum Ohr des Hörers auf dem Vorplatz. Wie
-steht es aber in dieser Hinsicht mit der modernen Orgel? Sie vermag bei
-all ihrer Kraft nur ein dunkles Sausen und Gestöhne durch die Steine
-hinauszusenden. So zeugen sogar die Steine wider sie und erbringen den
-Beweis, daß ihr Ton nicht „trägt“.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_6" href="#FNAnker_6" class="label">[6]</a> Dazu gehört auch, daß der Organist unsichtbar ist, was
-besonders in den neueren protestantischen Kirchen sehr oft nicht der
-Fall ist. Mir verleidet es die schönste Bachsche Fuge, wenn ich vom
-Schiff aus den Organisten an seinem Instrument herumzappeln sehe,
-als wollte er den Gläubigen ad oculos demonstrieren, wie schwer das
-Orgelspielen ist. Ein Menschlein vor dem großen Instrument kann nur
-grotesk wirken. Man erspare uns diesen Anblick, indem man um den
-sichtbaren Spieltisch ein zum Orgelgehäuse passendes Gitter aufführt.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_7" href="#FNAnker_7" class="label">[7]</a> In der ersten Zeit nach der Ernennung Viernes zum
-Organisten von Notre-Dame spielte Widor öfters auf der Orgel der
-Cathedrale. Er studierte damals gerade seine letzte Orgelsymphonie ein.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_8" href="#FNAnker_8" class="label">[8]</a> Was automatische Schwellkasten sollen, kann ich nicht
-begreifen. Sie öffnen und schließen sich in einer von vornherein
-ein für alle Male festgelegten Zeit, bringen also unter Umständen
-das Pianissimo, wo der Komponist den Höhepunkt des crescendos
-hinsetzt. Diese „epochemachende“ Erfindung erhält also ihre praktische
-Bedeutung erst dann, wenn es gelingt, dasselbe Uhrwerk in dem Gehirn
-der Orgelkomponisten anzubringen, so daß sie nicht anders können, als
-ihre Crescendo- und Decrescendoperioden in den Maßen des automatischen
-„Einheitsschwellkastens“ zu erdenken. Bis dahin muß das automatische
-Crescendo der Vorzug des Harmoniums bleiben, wo es als „Expression“
-reichlich zur Geltung gelangt.</p>
-
-<p>Eine der bekanntesten Berliner Orgeln besitzt einen automatischen
-Schweller für das Fernwerk.</p>
-
-<p>Sogar automatisch laufende Walzencrescendi besitzen wir schon. Das ist
-die letzte Konsequenz der mechanischen Sklaverei.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_9" href="#FNAnker_9" class="label">[9]</a> <em class="gesperrt">Boëlys</em> und <em class="gesperrt">Chauvets</em> Werke haben kaum
-bleibende Bedeutung; César <em class="gesperrt">Francks</em> Anfängerkompositionen
-eigentlich (6 Pièces, d’Orgue. Bei Durand) auch nicht. <em class="gesperrt">Aber seine
-Trois Pièces pour Grand-Orgue und seine „Chorals“ betitelten Großen
-Phantasien werden als etwas Einzigartiges bestehen</em> (Ed. Durand).
-Diese drei Choräle sind das letzte Werk Francks. Sie stammen aus
-dem Jahre 1890. Als er nicht mehr gehen konnte, hatte er sich noch
-nach St. Clothilde schleppen wollen, um die Registrierungsangaben zu
-vervollständigen.</p>
-
-<p>Um Mißverständnissen vorzubeugen, bemerke ich, daß „Choral“ in
-der modernen französischen Orgelliteratur nur eine Phantasie über
-ein gemessenes, großzügiges Thema, das aber frei erfunden wird,
-bedeutet. Diese Bezeichnung kam auf, weil gewisse Organisten der
-ältesten Generation gemeint hatten, die Choralthemen in den Bachschen
-Choralphantasien stammten von Bach selber.</p>
-
-<p>Unter <em class="gesperrt">Boëllmanns</em> Kompositionen führe ich an: Douze Pièces en
-Recueil. 2<sup>e</sup> Suite; Fantaisie (Leduc); Suite gothique; Fantaisie
-dialoguée (Orgel und Orchester; für Orgel allein von Eug. Gigout
-arrangiert) (Durand). Gabriel <em class="gesperrt">Pierné</em>: Trois Pièces pour Orgue
-(Durand).</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_10" href="#FNAnker_10" class="label">[10]</a> Von <em class="gesperrt">Saint-Saëns</em> seien erwähnt: Trois Rhapsodies
-sur des Cantiques Bretons (op. 7. Ed. Durand), von denen die erste und
-die dritte wirklich Wunderwerke sind, die noch dazu den in diesem Fall
-seltenen Vorzug haben, dem Hörer alsbald zu gefallen. Trois Préludes et
-Fugues pour Orgue (op. 99. Durand); Fantaisie pour Grand-Orgue (op.
-101. Durand). Die beiden letzten Opera sind geistreich und gehaltvoll,
-dürften aber als Orgelstil nicht voll befriedigen.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_11" href="#FNAnker_11" class="label">[11]</a> Von <em class="gesperrt">Gigouts</em> Werken seien genannt: Six Pièces
-(Durand); Trois Pièces (Durand); Prélude et Fugue en Mi (Durand);
-Méditation (Laudy, London); Dix Pièces en Recueil (Leduc); Suite
-de Pièces (Richault); Suite de trois Morceaux (Rosenberg); Poèmes
-mystiques (Durand).</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_12" href="#FNAnker_12" class="label">[12]</a> Alexandre <em class="gesperrt">Guilmant</em>: Sieben Sonaten (Durand-Schott)
-(op. 42, 50, 56, 61, 80, 86, 89); Pièces dans différents Styles (18
-Hefte, op. 15, 16, 17, 18, 19, 20, 24, 25, 33, 40, 44, 45, 69, 70,
-71, 72, 74, 75) (Durand-Schott). L’organiste Pratique; 12 Lieferungen
-(Durand-Schott); Noëls, Offertoires Elévations; 4 Lieferungen
-(Durand-Schott); L’organiste Liturgiste; 10 Lieferungen. Concert
-historique d’Orgue. Besonderes Verdienst erwirbt sich Guilmant durch
-die Herausgabe der französischen Orgelmeister des 16., 17. und 18.
-Jahrhunderts. Erschienen sind bisher 6 Jahrgänge.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_13" href="#FNAnker_13" class="label">[13]</a> Charles Marie <em class="gesperrt">Widor</em>: Symphonies pour Orgue
-(Hamelle). No. 1–4 op. 13; No. 5–8 op. 42 (2. Aufl. 1900); No. 9
-Symphonie Gothique (op. 70); No. 10 Symphonie Romane (op. 73).</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_14" href="#FNAnker_14" class="label">[14]</a> Ed. Hamelle.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_15" href="#FNAnker_15" class="label">[15]</a> Diese Abhandlung erschien zuerst in Heft 13 u. 14 der
-„Musik“ 1906. 5. Jahr.</p>
-
-</div>
-</div>
-
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-<div style='display:block; margin-top:4em'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK <span lang='de' xml:lang='de'>DEUTSCHE UND FRANZÖSISCHE ORGELBAUKUNST UND ORGELKUNST</span> ***</div>
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-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg&#8482;
-</div>
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-Project Gutenberg&#8482; is synonymous with the free distribution of
-electronic works in formats readable by the widest variety of
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-exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
-from people in all walks of life.
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-Volunteers and financial support to provide volunteers with the
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-goals and ensuring that the Project Gutenberg&#8482; collection will
-remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
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-generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
-Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation&#8217;s EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
-U.S. federal laws and your state&#8217;s laws.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Foundation&#8217;s business office is located at 809 North 1500 West,
-Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
-to date contact information can be found at the Foundation&#8217;s website
-and official page at www.gutenberg.org/contact
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Project Gutenberg&#8482; depends upon and cannot survive without widespread
-public support and donations to carry out its mission of
-increasing the number of public domain and licensed works that can be
-freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
-array of equipment including outdated equipment. Many small donations
-($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
-status with the IRS.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Foundation is committed to complying with the laws regulating
-charities and charitable donations in all 50 states of the United
-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
-considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
-with these requirements. We do not solicit donations in locations
-where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
-DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
-visit <a href="https://www.gutenberg.org/donate/">www.gutenberg.org/donate</a>.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-While we cannot and do not solicit contributions from states where we
-have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
-against accepting unsolicited donations from donors in such states who
-approach us with offers to donate.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-International donations are gratefully accepted, but we cannot make
-any statements concerning tax treatment of donations received from
-outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
-methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
-ways including checks, online payments and credit card donations. To
-donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 5. General Information About Project Gutenberg&#8482; electronic works
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
-Gutenberg&#8482; concept of a library of electronic works that could be
-freely shared with anyone. For forty years, he produced and
-distributed Project Gutenberg&#8482; eBooks with only a loose network of
-volunteer support.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Project Gutenberg&#8482; eBooks are often created from several printed
-editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
-the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
-necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
-edition.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Most people start at our website which has the main PG search
-facility: <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-This website includes information about Project Gutenberg&#8482;,
-including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
-subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
-</div>
-
-</div>
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-</body>
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