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+This eBook, including all associated images, markup, improvements,
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-The Project Gutenberg eBook of Yussuf Khans Heirat, by Frank Heller
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
-of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you
-will have to check the laws of the country where you are located before
-using this eBook.
-
-Title: Yussuf Khans Heirat
-
-Author: Frank Heller
-
-Translator: Marie Franzos
-
-Release Date: April 20, 2022 [eBook #67885]
-
-Language: German
-
-Produced by: the Online Distributed Proofreading Team at
- https://www.pgdp.net
-
-*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK YUSSUF KHANS HEIRAT ***
-
-
- ####################################################################
-
- Anmerkungen zur Transkription
-
- Der vorliegende Text wurde anhand der 1919 erschienenen Buchausgabe
- so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische
- Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute
- nicht mehr gebräuchliche Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original
- unverändert; fremdsprachliche Zitate und Ausdrücke wurden nicht
- korrigiert. Umlaute in Großbuchstaben (Ä, Ö, Ü) werden durch ihre
- Umschreibungen dargestellt (Ae, Oe, Ue).
-
- Die Seitenzahlen des Inhaltsverzeichnisses wurden, falls notwendig,
- entsprechend des jeweiligen Kapitelanfangs in der Buchausgabe
- korrigiert. Die dort aufgeführten Kapitelüberschriften stimmen nicht
- in allen Fällen mit den Überschriften im Text überein; dies wurde
- aber so belassen.
-
- Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt. Besondere
- Schriftschnitte wurden mit Hilfe der folgenden Sonderzeichen
- gekennzeichnet:
-
- gesperrt: +Pluszeichen+
- Antiqua: _Unterstriche_
-
- ####################################################################
-
-
-
-
- Frank Heller / Yussuf Khans Heirat
-
- Autorisierte Uebertragung aus dem Schwedischen von Marie Franzos
-
- [Illustration]
-
-
-
-
- Frank Heller
-
- Yussuf Khans Heirat
-
- Roman
-
- München 1919 bei Georg Müller
-
-
-
-
- 1. bis 10. Tausend
-
- _Copyright 1919 by Georg Müller in München_
-
-
-
-
-Inhalt
-
-
- Erstes Kapitel
-
- Lyrischer Prolog 7
-
- Zweites Kapitel
-
- Vorsicht bei Eisenbahnfahrten 21
-
- Drittes Kapitel
-
- Das große Hotel 57
-
- Viertes Kapitel
-
- Yussuf Khan, Maharadscha von Nasirabad 82
-
- Fünftes Kapitel
-
- Das große Hotel (Fortsetzung) 92
-
- Sechstes Kapitel
-
- Das Loch in der Wand und das Loch im Boden 108
-
- Siebentes Kapitel
-
- Ein Verschwinden mit Nebenumständen 143
-
- Achtes Kapitel
-
- Mynheer van Schleetens Erlebnisse 162
-
- Neuntes Kapitel
-
- Yussuf Khans Wiederkehr 187
-
- Zehntes Kapitel
-
- Die Nachwirkung einer tollen Nacht auf Fürsten und Poeten 211
-
- Elftes Kapitel
-
- das seinen Zweck erfüllt, den Leser zu verwirren 239
-
- Zwölftes Kapitel
-
- Ein Fest und sein Abschluß 256
-
- Dreizehntes Kapitel
-
- Yussuf Khans Heirat 269
-
- Vierzehntes Kapitel
-
- Einfach, Nasirabad 286
-
-
-
-
-I
-
-Lyrischer Prolog
-
-
-Held eines Romans, Held einer Folge von Abenteuern -- klingt das nicht
-wie törichter Nonsens? Wer glaubt an Romane im wirklichen Leben, wer
-glaubt daran, daß es noch Abenteuer gibt? Die Abenteuer, sagte man im
-achtzehnten Jahrhundert, sind vor zweihundert Jahren ausgestorben. Zur
-Zeit der Renaissance, +da+ gab es Abenteuer!
-
-Sie sprechen heute von Abenteuern, wiederholt man im neunzehnten
-Jahrhundert, ha ha! Sie entschuldigen schon ... Die Abenteuer sind mit
-Napoleon ausgestorben, dem leibhaftigen Abenteuer in Fleisch und Blut.
-Zu Napoleons Zeit gab es Abenteuer. Aber +jetzt+! Nein wirklich,
-Sie müssen schon entschuldigen.
-
-Herrn Allan Kraghs Zeit fiel in das zwanzigste Jahrhundert, das heißt
-jener Teil seines Lebens, den er wirklich so nennen konnte. Er war
-nämlich 1885 geboren; und wenn auch die ersten fünfzehn Jahre unseres
-Lebens später fast immer mit einem Seufzer zu den glücklichsten
-gerechnet werden, ist es zweifelhaft, ob sie während ihres Verlaufes
-auch in dieser Weise aufgefaßt werden. Höchst zweifelhaft. Ja, warum
-sollte man Haeckels berühmte These vom Leben des Individuums als Resumé
-des Lebens der Gattung nicht darauf anwenden können? Genau wie es für
-die meisten Menschen ein Glaubensartikel ist, daß alles Romantische
-sich zur Zeit Roms, zur Zeit der Renaissance, zur Zeit der Revolution
-zugetragen hat und auf jeden Falls jetzt, seit der eigene kleine
-Privatlebensbetrieb des Betreffenden begonnen hat, so ferne und tot
-ist, wie ein geologisches Zeitalter -- genau in derselben Weise denkt
-man mit dreißig Jahren an die Zwanzig zurück (+da+ war es noch
-eine Freude zu leben), mit Fünfzig an die Dreißig, und überhaupt die
-ganze Zeit, seit man lange Hosen oder Röcke zu tragen bekommen hat, an
-die unaussprechlich fröhliche, spannende, romantische Kindheit, die
-jetzt tot und begraben ist, und nie zu einem armen Teufel wiederkehrt,
-der in einem grauen, uninteressanten Alltagsleben verkümmern muß.
-
-Und dabei sind die ganze Zeit die Abenteuer da, für den, der sie zu
-finden weiß. Sie sind überall da, wie Sonnenschein und Regen, aber
-im Gegensatz zu diesen mehr oder weniger ungleichmäßig verteilt auf
-Gerechte und Ungerechte. Es gibt Individuen, in deren Leben die
-Abenteuer sich geradezu häufen, ohne daß sie eigentlich etwas dafür
-können, und es gibt andere, die in die Grube fahren, ohne daß ihnen ein
-Abenteuer begegnet ist. Wer weiß? Vielleicht begegnet es ihnen dort!
-
-Daß Allan Kragh Abenteuer erlebte, lag sowohl an ihm selbst wie an den
-Umständen, deren Verlauf wir in Kürze skizzieren wollen. Sein Dasein
-begann so uninteressant als nur möglich; denn was ist uninteressanter
-als ein junger Mann, dessen Leben im Alter von einundzwanzig
-Jahren schon Punkt für Punkt arrangiert vor ihm liegt, wie ein
-Konzertprogramm? Zuerst ein Einzugsmarsch: einige flotte Studienjahre;
-ein Walzer: eine bessere Verlobung; Stimmungsstück: die Ehe beginnt,
-und so weiter bis zum Schlußmarsch hinter dem Sarg. So sah es aus,
-als sollte Allan Kraghs Leben sich gestalten, und dann kam von dem
-ursprünglichen Programm eigentlich nur der Einzugsmarsch zur Ausführung.
-
-Jetzt fragt wohl der Leser: Wie konnte Herrn Allan Kraghs Leben schon
-im Alter von einundzwanzig Jahren so wohlgeordnet aussehen? Es steht
-in der Regel, Gott sei’s geklagt, um die jungen Männer nicht so gut.
-Sollte Herr Kragh vermögend gewesen sein? Auf diese Frage beeilen wir
-uns wahrheitsgetreu zu antworten: Herr Allan Kragh war vermögend.
-Und er war sogar mit einundzwanzig Jahren Herr über sein Vermögen,
-da seine Eltern tot waren. Und in diesem Alter finden wir ihn an der
-Universität, ohne beschützende Verwandte, als Herr über fünfzigtausend
-Kronen und im übrigen als einen etwas trägen, gutmütigen, ziemlich
-begabten, hübsch gewachsenen schwedischen Jungen; außerdem (oder
-folglich) so wie König Erik XIV., leichtsinnig und mit einer Umgebung
-von nicht gerade trefflichen Ratgebern.
-
-Herrn Allan Kraghs Studien interessieren uns nicht im besonderen
-Grade. Schon zur Zeit Mäcenas’ gab es solche, die Freude daran hatten,
-den olympischen Staub der Rennbahn mit dem Rade aufzuwirbeln; andere
-wiederum, die größeres Interesse daran fanden, in wechselndem Metrum
-den von Königen herstammenden Mäcenas zu preisen. Allan Kragh zeigte
-sich bald von der erstgenannten dieser beiden Tätigkeiten gefesselt;
-er wirbelte recht viel Staub auf seiner akademischen Rennbahn auf,
-während Personen seiner Umgebung, ohne seine Genealogie von so
-hohem Ursprung wie die Mäcenas’ abzuleiten, ihn doch als geeigneten
-Gegenstand für Huldigungsoden erkannten und ihn ihren Schutz und Schirm
-nannten.
-
-Was sagt doch der Dichter von einem achtjährigen rauschenden Gelage?
-Allan Kragh brachte es nicht weiter als bis zu sechs Jahren an der
-Universität, aber daß diese von rauschenden Festen erfüllt waren, hätte
-nur ein sehr weitgehender Jünger Zenos bezweifeln können. Jedenfalls
-nicht die Kellner der Universitätsstadt oder ihrer Umgebung, auch nicht
-die Kellermeister, auch nicht die Schneider. Und schon gar nicht die
-Bank, wo seine Fünfzigtausend standen und sich nicht nur hartnäckig
-weigerten, sich zu verzinsen, sondern vielmehr eine unheimliche Tendenz
-zeigten, zum Kassagitter hinauszurutschen.
-
-Schon in seinen ersten Studienjahren lernte er Hermann Bergius kennen,
-der der Feldmarschall bei den Feldzügen von Allans sechsjähriger
-Glanzzeit wurde. Hermann Bergius war ein spätgeborener Sprößling der
-großen Freibeuterführer; die verweichlichten Zeiten hinderten ihn,
-gleich diesen mit dem Schwert zu kämpfen und sich zu bereichern;
-er stritt deshalb mit der Zunge. Jahr um Jahr war vergangen, eine
-Generation war der anderen an der Universität gefolgt, der ungestüme
-Strom der Zeit war vorbeigebraust, und jede neue Generation fand
-Hermann Bergius da, wo er, wenn nicht tausend, so doch fünfzehn runde
-Jahre gestanden hatte, den Blick, zwar nicht in den trüben Strom der
-Zeit, so doch in den des Punsches versenkt. Wie gewisse griechische
-Philosophen vor Sokrates teilte er den Weg in eine unendliche
-Anzahl kleiner Teilchen; und so wie jene auf diese Art nachwiesen,
-daß Achilles die Schildkröte nicht einholen konnte, bewies Hermann
-Bergius auf seine Weise, daß die Zeit ihn nie zu erreichen vermochte.
-Seine Bildung war umfassend, sein Humor ungewöhnlich, sein Appetit
-unermeßlich, sein Durst noch größer; seine Fähigkeit, Strapazen und
-Ausschweifungen gleich gut zu ertragen, des Größten aller Römer würdig.
-
-In seiner Armee spielte Allan Kragh hauptsächlich die Rolle des
-Quartiermeisters; er bezahlte die Tagesrationen aus, sorgte für die
-Verpflegung und das Nachtlager der Truppen und hatte nach der Regel
-des siebzehnten Jahrhunderts vor allem dafür einzustehen, daß sie,
-wenn schon nichts anderes, so doch jeden Tag einen tüchtigen Trunk
-erhielten. Dank dem freundschaftlichen Fuße, auf dem er mit den Banken
-stand, war dies ein zwar schwieriger, aber doch zu bewältigender
-Posten. Seine Belohnung war die Freundschaft des großen Feldmarschalls
-und verschiedentliche Erwähnungen in den Tagesrapporten.
-
-Es würde zu weit führen, alle Helden der Armee der großen Zeit
-aufzuzählen. Da war John Peter S., Hermann Bergius’ nächster
-Mann und Adjutant. Da war eine unzählige Schar Kombattanten und
-Nichtkombattanten, Freibeuter aus allen Teilen des Reiches, Söldner
-für längere oder kürzere Zeit. Da war O. B., ein alter Spartaner,
-wie Bergius sagte, der sich auch in gebettete Betten nur mit den
-Kleidern legte. Da war der Amanuensis, unabsetzbarer Amanuensis in
-den Kaffeehäusern, aber von der Institution in dieser Eigenschaft
-längst verabschiedet. Sein Wahlspruch war: „Kreuzdonnerwetter, was ein
-alter Feldwebel ist, der kann immer noch eins vertragen.“ Abgesehen
-vom Amanuensis war er nämlich auch Feldwebel, und zwar mit ebenso
-großem Recht, ganz wie der König von Dänemark in seinen Kundgebungen
-noch immer über Dithmarschen, Lauenburg, Venden und weiß Gott was
-regiert. Da war Aistjerna, der eine kurze Gastrolle gab, bevor ihn
-seine hochadelige Familie noch rasch rettete, und dessen berühmtester
-Ausspruch fiel, als er Hermann Bergius über seine schon längere Zeit
-andauernde Obdachlosigkeit trösten wollte: „Ja, lieber Hermann, auch
-ich -- äh -- habe die Schrecken des Bohemelebens kennen gelernt --
-es hat Nächte gegeben, -- äh -- wo ich mich nicht nach Hause traute,
-sondern -- äh -- tatsächlich im Bristol übernachten mußte.“ Berühmt
-waren auch seine Reflexionen über die Spatzen: „So ein Spatz -- äh
--- das ist wohl so ’ne Art Müller oder Schulze in der Vogelwelt.“ --
-Eine kurze, vielversprechende Laufbahn, so lautete Hermann Bergius’
-Grabschrift für ihn, als die hochadeligen Verwandten ihr Rettungswerk
-vollendet hatten. -- Da war noch der berühmte Baron vom Altmarkt, der
-Schrecken errötender Jungfrauen und die Sorge weinender Mütter, ein
-Casanova, fehl an Zeit und Ort -- ja es war ein buntes Gefolge, und
-es waren bunte Erlebnisse, die Allan in ihrer Gesellschaft hatte.
-Natürlich immer in einem engen geographischen Kreis: Von Langfahrten
-war eigentlich nur die große Expedition nach Berlin zu verzeichnen,
-hauptsächlich denkwürdig durch den von Allan meisterlich geleiteten
-Rückzug: Fast ohne Geld, bedroht von der Meuterei der erregten
-Truppen und zu beständigen Hinterhutgefechten mit der rachedurstigen
-Bevölkerung genötigt, hatte er eine nichts weniger als leichte
-Aufgabe. Endlich stand man tiefbewegt wieder auf schwedischem Grund
-und Boden, wo Allan bei der großen Festmahlzeit vom Feldmarschall
-mit einer Umarmung vor den Truppen ausgezeichnet wurde, worauf man
-telegraphischen Rapport über den Rückzug an Seine Majestät den König
-absandte, an das deutsche Departement des Aeußern und den Sultan von
-Marokko, dem es augenblicklich auch dreckig ging.
-
-Sechs Jahre von goldenen Sekunden waren auf diese Weise verronnen, da
-kam ein schöner Tag, der Allans großer Zeit ein katastrophales Ende
-bereitete. Und die direkte Ursache war so unbedeutend, daß sie auf den
-ersten Blick lächerlich erscheinen kann. Es begab sich, daß Allan am
-ersten Tage des Wintersemesters des siebenten Jahres an einen Ort kam,
-den er schon sehr lange nicht gesehen hatte -- die Universität. Die
-Vorlesungen in den Sälen sollten eben beginnen. Der Gedanke, eine davon
-zu besuchen, berührte Allan höchst humoristisch und barock -- eine gute
-Geschichte für den Freundeskreis. Es waren gut drei Jahre her, seit er
-zuletzt da oben gewesen war. Er ging in den ersten besten Hörsaal, ohne
-auch nur nachzusehen, was in seinen Mauern verkündet wurde. Er nahm
-Platz; der Vortragende kam und begann. Es erwies sich, daß Allan zu dem
-englischen Lektor der Universität geraten war.
-
-Als Allan das merkte, gab es ihm einen Ruck. Gerade die Vorlesungen
-der fremden Lektoren hatte er während seiner ersten Jahre an der
-Universität tatsächlich besucht ... Er besaß Sprachentalent und
-hatte sich in den ersten Jahren das Deutsche und Englische in
-anerkennenswerter Weise angeeignet. Erinnerungen erwachten in ihm. Der
-jetzige Lektor war ein athletisch gebauter junger Mann mit klaren,
-kühnen Augen. Er hielt einen einleitenden Vortrag über die englische
-Kolonialliteratur; er war selbst rings um die halbe Erde gewesen und
-verflocht in seinen Vortrag persönliche Erinnerungen und Beobachtungen.
-Allan merkte, daß er noch genügend Englisch konnte, um ihn vollständig
-zu verstehen; er war, wie gesagt, nicht auf den Kopf gefallen. Er
-hörte zu, er fühlte sich interessiert, ja mehr als das, gefesselt von
-den Schilderungen der Länder dort draußen, und plötzlich spürte er,
-wie ihm eine heiße Röte ins Gesicht stieg. Was war das eigentlich für
-ein Leben, das er und die anderen hier führten! Was war das doch für
-ein Provinz-Sybaris! Wie konnte man nur Jahr für Jahr in diesem engen
-Kreis totschlagen? Wie konnte man! ... Jahr für Jahr ... Jahr für
-Jahr ... Was dachte er sich eigentlich, was wollte er? War es denn
-überhaupt amüsant? ... Was er und die anderen da trieben, waren ja doch
-Kindereien, ohne Spannung, ohne Interesse.
-
-Schließlich war die Vorlesung zu Ende, und das Publikum strömte heraus.
-Allan blieb als letzter zurück und ging, von Gedanken erfüllt, die
-wie Blasen in ihm aufstiegen, aber zerstoben, bevor sie sich noch
-ganz geklärt hatten. Gleich vor der Universität stieß er mit der
-ganzen Armee zusammen und wurde mit Jubelrufen begrüßt. Es gab ein
-Mittagessen im Park; es gab Kaffee und Punsch. Der Abend verging, und
-das große Hauptquartier der großen Armee begann die Pläne für den
-Feldzug des kommenden Jahres zu entwerfen. Es war das erstemal, daß man
-sich nach den Sommerferien traf. Die kommende Jahreskampagne sollte
-alle vorhergegangenen der Kriegsgeschichte schlagen; man erörterte
-ihre Einzelheiten unter mehr oder weniger formeller Befragung des
-Quartiermeisters, der stumm und grübelnd vor seinem Whiskyglas saß,
-die Ohren erfüllt von dem Geplauder der Kampfgenossen, den Kopf voll
-von einem Gefühl, das neu schien, alt war und sehr rasch allmächtig
-wurde: Jetzt ist Schluß! Schluß für immer. Das war die letzte Revue
-der Truppen; Fontainebleau; Abschied ohne Tränen, Umarmungen oder
-Ueberreichung des Degens; und dann fort, sei es auch nach Elba oder
-Sankt Helena!
-
-Mit anderen Worten: Eine Pflanze, deren Keim schon lange in Allans Herz
-gelegen war, hatte an diesem Tage endlich die Hülse gesprengt, die
-Wurzeln ausgebreitet und war zum vollen Tageslicht hinaufgedrungen. Das
-einzige Verwundernswerte war, daß dies nicht schon längst geschehen war.
-
-Sein ganzes Leben lang hatte Allan eigentlich den Zug hinaus gehabt,
-den Zug zum Fernen, Neuen, Unbekannten. Vielleicht war es Hermann
-Bergius gerade dadurch, daß er diese Saite berührte, gelungen, ihn
-zum Quartiermeister des sechsjährigen Krieges zu machen. An diesem
-Abend merkte er, wie es ihm vorkam, plötzlich, mit einem Male, wie
-unbefriedigt ihn alle Eskapaden dieser sechs Jahre eigentlich gelassen
-hatten. Kinderstreiche ... ohne Bedeutung ... ohne Spannung ... Er
-dachte all der Morgen, an denen er durch irgendeine dämmergraue Straße
-einer fremden Stadt, in die der Zufall und Bergius ihn verschlagen
-hatten, heimwärts gewandert war, und der Lust, die er auf diesen
-einsamen Morgenwanderungen verspürt, von den anderen zu desertieren
-und von dem ganzen großen Frühschoppen am nächsten Tage, der der Clou
-dieser Eskapaden war. Jedesmal war dieser Impuls von irgendeinem
-anderen verdrängt worden. Jetzt begriff er, was dies eigentlich
-bedeutet hatte. Er durchforschte sein Gedächtnis und verstand auch
-andere kleine, fast kindische Züge an sich selbst, seine Lust (zu
-Bergius’ großem Verdruß), mit exotischen Gestalten anzubändeln, die man
-zufällig in Schenken und auf Dampfern traf; sein Versinken in trockene,
-dicke, ausländische Fahrpläne, Henschel und Bradshaw, die er in den
-Vestibüls der Hotels fand; seine Manie für die großen ausländischen
-Zeitungsdrachen ...
-
-Und während man die Becher leerte, die die Ouvertüre zu einem weiteren
-Jahr kriegerischer Heldentaten und Idyllen bilden sollten, saß Allan
-da, ohne sein Glas zu berühren. Die verheißenen Idyllen erschienen
-ihm mit einem Male überaus banal und der Wein der Freudenbecher schal
-geworden ... Fort, auf neuen Straßen, fort, um die Sonne über Städten
-zu sehen, wo noch etwas Neues geschah und wo man dem Abenteuer
-begegnen konnte! Denn was war er eigentlich alle diese sechs Jahre
-nachgejagt, wenn nicht den Abenteuern, dem Neuen? Morgen! ...
-
-So dachte Allan Kragh, weil er eine jener Naturen war, die dazu
-bestimmt sind, Abenteuer zu suchen; während er, wenn er das nicht
-gewesen wäre, daran gedacht hätte, ein neues Leben zu beginnen und die
-weiteren Vorlesungen des englischen Lektors zu besuchen.
-
-Die Uhr zeigte am nächsten Morgen halbzehn, als Allan auf dem Trottoir
-vor dem großen Hotel der Universitätsstadt seine Pläne in dem
-Septembersonnenlicht einer Musterung unterzog. Und während er dasaß
-und überlegte, ob ein gesunder und normaler Mensch den Schritt, den
-er machte, machen konnte, ohne verfolgt zu werden, entdeckte er so
-allmählich noch einen Grund, seinen unklaren Plan ins Werk zu setzen,
-einen Grund, der möglicherweise etwas unkameradschaftlich war, aber
-dafür in gewissem Maße das sonst recht Phantastische seines Vorhabens
-aufwog.
-
-Allan Kragh und seine Freunde waren schwedische akademische Bürger;
-damit ist gesagt, in welcher Weise Allan seine Quartiermeisterschaft in
-den berühmten Heerzügen der sechs Jahre ausgeübt hatte.
-
-Selbst war er ja durch vorsorgliche Eltern von der Notwendigkeit
-befreit, aus eigener Vernunft oder Kraft Geld aufzubringen; aber die
-Eltern seiner Freunde waren nicht ebenso vorsichtig gewesen, und darum
-war es auf Allans Los gefallen, ihnen in der erwähnten Hinsicht durch
-verschiedentliche Autogramme zu Hilfe zu kommen. „Nicht der Endossent
-allein gewinnt die Schlachten, die namenlosen Reihen gewinnen sie ihm,“
-pflegte Hermann Bergius jedesmal zu versichern, wenn er, wie er sich
-ausdrückte, Allan wieder einmal einen Ehrenposten zugedacht hatte;
-aber in der Regel hatte Allan gefunden, daß der Endossent sich wie die
-Feldherren früherer Zeiten selbst ins Kampfgewühl stürzen mußte, um
-die Feinde nicht triumphieren zu lassen -- in diesem Falle die Banken.
-Mit einem Wort: er hatte sich auf Dokumenten von einer Anzahl, die er
-selbst nicht näher kannte, verewigt; und obgleich er zu dem Zeitpunkt,
-zu dem der Feldzug des siebenten Jahres beginnen sollte, noch nicht
-völlig erschöpft war, war er doch nicht allzu weit davon entfernt.
-Wenn er nun, dachte er mit einem stillen Lächeln, seinen rasch
-entstandenen Plan verwirklichte, und er schon zu gar nichts anderem
-führte, konnte er doch wenigstens zur Folge haben, daß die namenlosen
-Reihen sich gezwungen sahen, sich auf eigene Hand ohne den Feldherrn
-durchzuschlagen -- bekanntlich der erstrebenswerteste Höhepunkt, den
-die militärische Erziehung erreichen kann ... und das wäre ja immerhin
-ein gewisser Vorteil für den in sechs Kriegsjahren geprüften Feldherrn,
-für den Fall, daß sein eigener Kriegszug in unbekannte Länder mit
-Niederlage und Rückzug enden sollte ...
-
-Allan war boshaft genug, sich bei dem Gedanken an die nicht sehr
-platonischen Dialoge, denen die namenlosen Reihen sich hingeben
-würden, wenn sie die Niedertracht ihres Führers erkannten, ein Lächeln
-zu gönnen. Dann klopfte er dem bejahrten, rotnasigen Kellner, der
-seine einstündige Morgengrübelei an dem Trottoirtisch ehrfurchtsvoll
-beobachtet hatte. Als dieser Allans Klopfen vernahm, stürzte er, wie
-aus der Kanone geschossen, herbei.
-
-„Wieviel?“
-
-„Zwei Pilsner, sechzig Oere.“
-
-Allan legte das Geld auf den Tisch und stand auf.
-
-„Soll ich drinnen ein Frühstück für den Herrn Doktor bestellen?“
-
-Allans Doktorpromotion hatte in den Hotels, nicht in der Universität,
-stattgefunden. Allan schüttelte den Kopf.
-
-„Herr Doktor warten vielleicht auf die anderen Herren Doktoren?“
-
-„Das glaube ich nicht,“ sagte Allan, „sagen Sie ihnen, sie können auf
-mich warten!“
-
-Er warf einen Blick auf die Uhr. Halb elf; das Schiff ging um ein Uhr;
-die Bank, das Packen, ein Paß -- er hatte gerade noch Zeit!
-
-Zweiundeinehalbe Stunde später sah das Vaterland Herrn Allan Kragh an
-Bord eines kleinen weißen Raddampfers steigen, einer von jenen, die
-während der sechsjährigen Kriegsfahrten in das näher gelegene Ausland
-oft als Wikingerschiffe gedient hatten. Die Taue wurden gelöst; die
-Dampfpfeife tutete mit einem heiseren, versoffenen Baßton; die Räder
-schaufelten das Wasser auf, und Herr Allan Kragh hatte mit zwölftausend
-Kronen Bargeld (dem Rest eines einstmals fürstlichen Vermögens) sowie
-zwei wohlgefüllten Reisekoffern und einem Spazierstock seine große
-Reise in die Welt angetreten.
-
-Vorwärts! Den Abenteuern entgegen! Schicksal _en garde_!
-
-
-
-
-II
-
-Vorsicht bei Eisenbahnfahrten!
-
-
-„Diner, meine Herrschaften! Wünschen die Herrschaften zu dinieren?
-Diner, meine Herrschaften, zweites Service jetzt fertig.“
-
-Der Zug flog über die blinkenden Stahlschienen, Köln zu. Die Wagen
-schlingerten in den Kurven und neigten sich bald auf die eine, bald auf
-die andere Seite. Die Landschaft flog vorbei, flach und nichtssagend;
-vor ein paar Stunden hatte man Osnabrück passiert. Der Septemberhimmel
-war klar, blau, unendlich hoch, mit leuchtenden, weißen Wolkenmassen,
-die einander jagten; der Wind war frisch, kühl mit einem feinen, schon
-vernehmlichen Herbstduft. Ab und zu, wenn man an irgendeinem Fluß oder
-Kanal vorbeiflog, war sein Wasser durchsichtig grün, und hier und dort
-segelten früh abgefallene Blätter auf seinem Spiegel. Der Zug hastete
-weiter und weiter; und Allan Kragh stand in private Meditationen
-versunken, den Kopf halb zu einem Korridorfenster hinausgestreckt,
-ohne sich daran zu kehren, daß der Wind ihm ins Gesicht peitschte und
-hie und da Rußflocken von der Lokomotive mitbrachte. Die Stimme des
-Speisewagenkellners weckte ihn aus seinen Grübeleien; er sah auf seine
-Uhr, die etwas über eins zeigte und erinnerte sich plötzlich, daß er
-seit den zwei Eiern und dem Kaffee im Hauptbahnhof in Hamburg nichts
-gegessen hatte. Zugleich mit diesem Gedanken verspürte er mit einem
-Male einen vortrefflichen Appetit. Er nickte dem Mann in der weißen
-Jacke zu und bekam von ihm eine Platzkarte.
-
-„Ganz besetzt heute, für alle Diners,“ vertraute er Allan an, wie um
-diskret anzudeuten, daß das Trinkgeld danach sein sollte.
-
-„Hat das Service schon begonnen?“ fragte Allan.
-
-„In zwei Minuten, mein Herr.“
-
-Der Abgesandte des Speisewagens eilte weiter, und Allan ging durch den
-schwankenden Korridor in die Toilette am anderen Ende des Wagens.
-
-Aus welchen Anlässen Allan Kragh sich in diesem Zug befand, ist
-eigentlich nicht leicht zu erklären -- richtiger gesagt, der einzige
-Anlaß, der vorlag, war so bizarr, daß er lächerlich wirkt, wenn man
-ihn erzählt. Am frühen Morgen dieses Septembertages war er nach
-Hamburg gekommen, ohne die leiseste Ahnung, wohin er seine Schritte
-lenken oder was er zunächst unternehmen sollte. Er machte aufs
-Geratewohl einen Spaziergang um das Viertel gegenüber der Ankunftseite
-des Hauptbahnhofes, befand sich nach einigem Herumirren unten an
-der Alster, und dachte schon daran, bis auf weiteres in Hamburg zu
-bleiben, das eine schöne und anziehende Stadt zu sein schien. Dann
-verabschiedete er diesen Gedanken wieder und kehrte durch die noch
-morgenleeren Straßen (die Uhr war etwas über sieben) zum Hauptbahnhof
-zurück. Er fand ihn mit allen modernen Bequemlichkeiten versehen, ließ
-sich rasieren, wechselte etwas Geld und nahm ein hastiges Frühstück in
-dem großen Restaurant ein. Fünf Minuten vor halb acht Uhr wurde von
-einem galonierten Bediensteten ein Zug nach Paris ausgerufen; Allan
-verließ das Restaurant, noch immer im Unklaren, was er tun sollte,
-und ging zu den Billettschaltern. Fahrpläne bedeckten die Wände in
-militärischen Kolonnen; keine verlockenden Affichen mit Bildern des
-blauen Meeres und der grünen Wälder, nur Betriebsverordnungen und
-Ziffern. Vor einem der Billettschalter für den Fernverkehr standen drei
-Personen, die plötzlich Allans Aufmerksamkeit erregten: Ein junger
-Mann von vielleicht dreißig, etwa von seiner eigenen Statur, mit einem
-glattrasierten dunklen Schauspielergesicht, kurzen Koteletten und
-goldgefaßtem Zwicker; ein alter Herr mit roter Raubvogelnase, gelben,
-stechenden Trinkeraugen und einem gelbgrauen Schnurrbart; ferner eine
-junge Dame in grünem Reisekostüm, um den Hals ausgeschnitten, über
-die Hüften knapp anschließend und so fußfrei, daß zwei Knöpfelschuhe
-mit grauen Gamaschen zu sehen waren. Ihr Gesicht hatte einen etwas
-hochmütigen Ausdruck, mit zwei großen grauen Augen und einer etwas
-geschürzten Oberlippe. Es war äußerst frappierend unter dem Reisehut
-in schwarz und grün, der wie ein Musketierhut auf ihrem rotblonden
-Haar saß. Sie hatte drei oder vier amerikanische Zeitschriften in
-der Hand. Allan verschlang sie mit den Augen: Sie hätte d’Artagnans
-Geliebte sein können oder eine der schönen blonden Agentinnen des
-Kardinals. Jetzt eilte der jüngere Herr vom Billettschalter fort; der
-ältere nahm seinen Platz ein, auf dem Fuß gefolgt von der auffallenden
-jungen Dame, die einige Goldmünzen zwischen ihren behandschuhten
-Fingern hielt. Nun ging der ältere Herr, und sie nahm seinen Platz ein.
-Allan kam ein Einfall, und er folgte nach. Er hörte sie in vollkommen
-korrektem Deutsch sagen: „Erste einfach, Paris.“ Sie stellte noch
-ein paar Fragen, die der Mann am Schalter beantwortete. Sie war also
-eine Deutsche, obwohl sie so amerikanisch aussah. Nun hatte sie ihre
-Fahrkarte. Allan verließ den Billettschalter und folgte ihr in einiger
-Entfernung. Er sah sie etwas Reisegepäck aufgeben und die Treppe zum
-Perron hinuntergehen. Sie war in ihrem raschen, elastischen Gang noch
-schöner, als wenn sie stille stand. Er sah sie noch dort unten den Zug
-entlang gehen, dann war sie außer Sehweite. Der galonierte Mann kam
-durch die Bahnhofshalle gewandert und schrie mit Stentorstimme:
-
-„Schnellzug nach Paris und Holland! Eine Minute!“
-
-Da kam Allan eine barocke Idee. Ohne zu überlegen, was er tat, oder
-weshalb er es tat, stürzte er zum Billettschalter zurück, an dem er die
-drei gesehen, riß eine Banknote heraus und rief dem Mann dahinter, der
-ihn vorhin, als er gegangen war, ohne eine Karte zu lösen, erstaunt
-angestarrt hatte, zu:
-
-„Paris, einfach, erste!“
-
-„Sie müssen sich aber eilen!“ schrie der Mann zurück. „Der Zug geht um
-sieben Uhr neununddreißig. -- Sie haben gerade noch vierzig Sekunden.“
-
-Allan stürzte zurück, das Billett in der Hand, während in seinem
-Kopf sich die Gedanken kreuzten. Das war der helle Wahnwitz ... Sein
-Gepäck stand in der Garderobe deponiert; er hatte unmöglich Zeit,
-es herauszubekommen; er mußte natürlich diesen geistesgestörten
-Einfall aufgeben. -- Oder sollte er das Gepäck hier lassen und später
-telegraphieren? Das war offenkundig vollkommen irrsinnig ... Es gingen
-ja noch Züge, aber ... aber sie fuhr mit diesem! Wenn es ihm gelang,
-ihr von dem Opfer zu erzählen, das er um ihretwillen gebracht, würde
-sie das vielleicht rühren ... Ohne daß er wußte wie, hatte er die
-Kontrolle passiert, stürzte Hals über Kopf eine Treppe hinunter, zu
-einem Zug, der sich eben in Bewegung setzte, während die Schaffner die
-letzten Türen zuschmetterten. -- Da, gerade noch in der letzten Sekunde
-war er mit einem Sprung in einem der rückwärtigsten Waggons. Glücklich
-hinaufgekommen, zauderte er wieder. Das war ja der reine Wahnsinn!
-Sollte er wieder abspringen? Dann zuckte er die Achseln mit einem
-Lächeln über sich selbst.
-
-„Fahre ich mit,“ murmelte er vertraulich dem Korridorfenster zu,
-„dann brauche ich wenigstens keine Polizeistrafe wegen unerlaubten
-Abspringens zu bezahlen.“
-
-Nachdem er sich überzeugt hatte, daß er sich im letzten Personenwagen
-befand, machte er sich auf die Wanderung durch die Korridore, um nach
-der Unbekannten auszuschauen.
-
-Der Wagen, in dem er gelandet war, war ein Waggon dritter Klasse; er
-ging durch, ohne sich die Passagiere näher anzusehen. Darauf folgte
-ein durchgehender Waggon zweiter Klasse nach Amsterdam, er drängte
-sich mit einer gewissen Schwierigkeit hindurch, so voll war er von
-Passagieren. Darauf kam ein direkter Wagen nach Süddeutschland, beinahe
-ganz besetzt. Daran schloß sich der Speisewagen. Hier war es verboten,
-zu passieren, da man sich durch die Küche hätte drängen müssen. Allan
-versuchte es mit Bestechungen, deren Annahme verweigert wurde, und
-erhielt den Bescheid, daß er bis Bremen warten müsse, wo man eine
-Minute Aufenthalt hatte. Er setzte sich an einem Fenster im Korridor
-des süddeutschen Wagens zur Ruhe, wo er sich von dem Morgensonnenschein
-durchrieseln ließ und nach Herzenslust die kühle Septemberluft
-einatmete. Er dehnte die Brust und lachte in sich hinein; das war doch
-etwas anderes, als auf den ausgetretenen Straßen dieses Provinz-Sybaris
-herumzustampfen! Plötzlich begannen die Wagen gegeneinanderzurasseln,
-der Zug wurde langsamer und rollte durch eine Vorstadt von roten
-Ziegelvillen in Bremen ein. Im Handumdrehen war Allan draußen in der
-Bahnhofshalle, kaufte sich ein Päckchen Zigaretten, etwas Obst und
-einige Zeitungen und sprang in das nächste Coupé nach dem hinderlichen
-Speisewagen.
-
-Er wartete, bis der Zug sich in Bewegung setzte, bevor er seine
-Forschungen wieder aufnahm. Dieses Mal waren sie von besserem Erfolg
-gekrönt. Der Wagen hinter dem, in den er aufgesprungen war, war
-ein Wagen erster und zweiter Klasse nach Paris, und in der dritten
-Coupéabteilung der ersten Klasse saß die Unbekannte.
-
-Leider war sie nicht allein. Der alte Herr mit der roten Raubvogelnase
-und dem buschigen, graugelben Schnurrbart, saß ihr gegenüber am
-Fenster; sie fuhr zurück, er in der Richtung des Zuges. Sie schienen
-einander fremd zu sein. Allan sah einen Augenblick zögernd in den
-Wagen; der alte Herr mit der feinen Rotweinnase hatte das Netz auf
-seiner Seite mit einer Menge Gepäck beladen -- _suitcases_,
-_gladstone-bags_, Reiseplaids, Fernstecherfutterale und weiß
-Gott was -- es stand im Verhältnis zum vornehmen Aussehen seines
-Riechorganes. Die Unbekannte ihm gegenüber hatte zwei kleine Täschchen,
-eine Hutschachtel und einige Reisekissen. Im Augenblick saß sie in
-einer künstlerisch berechneten Pose zwischen vier Stück der letzteren
-hingegossen und schien zu schlafen. Allan starrte bewundernd ihr
-Rasseprofil an und den Schatten, den ihre Wimpern auf der feinen
-Wange bildeten; ihr rotblondes Haar, das wellig und reich war,
-schien ein wenig derangiert. Der fußfreie Reiserock war ein bißchen
-hinaufgeglitten und zeigte eine schlanke, aber volle Wade über der
-grauen Gamasche. Nach ein paar Augenblicken andächtiger Versunkenheit
-trat er ein und setzte sich auf das Sofa des alten Herrn.
-
-Dieser begrüßte sein Erscheinen mit einem Blick des herzlichsten
-Widerwillens. Er schlug sein Auge zum Netz auf, wie um anzudeuten,
-daß, wenn Allan (der sich zu allen Teufeln scheren mochte) sein ganz
-unerwünschtes Reisegepäck dort placieren wollte (was Gott verhüte),
-er genötigt wäre, seine eigenen, dort befindlichen Habseligkeiten
-fortzuschieben. Allan zuckte die Achseln mit einer Miene, die der der
-Rotweinnase an Mitreisendenverachtung nur wenig nachgab, und kundgeben
-sollte, daß er (der nach internationalen Konventionen das volle Recht
-hatte, in der Klasse zu reisen, für die er eine Karte gekauft hatte) es
-aus einer Laune vorzog, während er in diesem preußisch-hessischen Wagen
-fuhr, sein Reisegepäck, das den Vergleich mit dem des bordeauxnasigen
-alten Herrn in diesem Zug keineswegs zu scheuen brauchte, von der
-Garderobe des Hamburger Hauptbahnhofs verwahren zu lassen. Nach diesem
-Austausch von Florettblicken ließen sich die beiden Herren in Ruhe
-auf ihren Plätzen nieder; die Raubvogelnase im Schutze des Hamburger
-Fremdenblattes, Allan ohne Bedeckung. Die Augenwimpern der jungen Dame,
-die sich ein paar Sekunden eine Ahnung gehoben hatten, ohne daß jemand
-es gesehen, nahmen ihre frühere entzückende Lage auf den Wangen wieder
-ein.
-
-Der Zug sauste weiter, und die Wolken leuchteten im
-Septembersonnenschein. Allan versank in vage Träumereien, während seine
-Augen über sein Visavis hin und her wanderten.
-
-Man war nun etwa auf halbem Wege von Bremen nach Osnabrück (die Uhr
-zeigte ungefähr zehn), als plötzlich ein Kondukteur erschien, um die
-Billette zu markieren und Platzkarten auszufertigen. Allan reichte sein
-Billett hin, das besichtigt wurde; der alte Herr mit der Raubvogelnase
-desgleichen. Die Unbekannte in der Fensterecke schlief noch immer. Der
-Kondukteur räusperte sich und ließ ein paar vergebliche „Gnädige!“
-hören. Sie rührte sich nicht. Allan glaubte eine Chance zu sehen. Er
-beugte sich vor und legte seine Hand vorsichtig auf jene Stelle ihres
-grünen Reisekostüms, wo man die Rundung des Knies ahnte. Sie schlug die
-Augen auf, starrte einen Augenblick Allans Hand an, die dieser noch
-nicht zurückgezogen hatte und fuhr mit einer Miene so unverkennbaren
-Widerwillens auf, daß Allan zurückprallte, während eine lebhafte Röte
-sich über sein Gesicht verbreitete. Der Kondukteur lächelte diskret und
-wiederholte sein: „Gnädige!“ Die Unbekannte reichte ihm ihre Fahrkarte,
-während ihre Augen damit beschäftigt waren, Allan zu morden; worauf
-sie plötzlich vom stummen Spiel zur Sprechszene überging. Und zwar auf
-englisch. -- Allan war ein wenig erstaunt, da sie auf dem Bahnhof in
-Hamburg perfekt deutsch gesprochen hatte. Sie mußte doch voraussetzen,
-daß er ein Deutscher war. Sie wandte sich an den alten Herrn mit der
-Raubvogelnase.
-
-„Sir, ich vermute, Sie verstehen meine Sprache? Ich spreche die Ihre
-nicht.“
-
-Lüge, dachte Allan, aber warum?
-
-„Ich spreche Ihre Sprache,“ sagte der alte Herr.
-
-„Danke. Wissen Sie, ob dieser junge Mensch dort sich noch andere
-Freiheiten gegen mich herausgenommen hat, während ich geschlafen habe?“
-
-Der alte Herr warf Allan einen Dolchblick zu und sagte:
-
-„Das weiß ich nicht, ich habe Zeitung gelesen.“
-
-„Es ist gut. Ich danke Ihnen.“
-
-Sie brach in einen Strom von indigniertem Amerikanisch aus: Eine Dame
-konnte also in Europa nicht allein mit der Eisenbahn fahren, ohne vom
-ersten besten beleidigt zu werden? -- Warum gab es keine Damencoupés?
-Man sollte glauben, daß Leute, die die Mittel hatten, erster Klasse zu
-reisen, Gentlemen wären.
-
-Der alte Herr hörte ihr mit sichtlicher Billigung zu. Allan, der kaum
-wußte, ob er schlief oder wachte, begann eine stammelnde Entschuldigung:
-
-„Madame, gestatten Sie mir, Ihnen zu erklären ...“
-
-„Wie können Sie es +wagen+, mich anzusprechen?“ rief sie.
-
-Das war Allan doch zu stark. Er erhob sich mit der ironischsten Miene,
-die er aufbringen konnte -- er fühlte, daß seine Wangen vor Verblüffung
-und Zorn noch ganz rot waren -- und sagte mit einer untertänigen
-Verbeugung:
-
-„Gestatten Sie mir, Sie in einem Punkte zu korrigieren, Madame. Wenn
-Sie es vermeiden wollen, noch mehr Gentlemen von meiner Art zu treffen,
-steht dem kein Hindernis im Wege: Das nächste Coupé ist ein Damencoupé.“
-
-Mit so viel Würde, als man aufbringen kann, wenn man mit einem Stock,
-vier Zeitungen und einem Obstsack beladen ist, verließ er das Coupé.
-Ein langes, eiskaltes „_im--per--ti--nence_“ der Unbekannten
-durchbohrte seinen Rücken mit einem letzten Stich.
-
-Der erste Mensch, den er im Korridor erblickte, war zu seiner
-Ueberraschung niemand anders als der dritte des Trios, das er beim
-Billettschalter in Hamburg gesehen -- der dunkle Mann mit dem
-Schauspielergesicht, den Koteletten und dem goldgefaßten Zwicker. Als
-Allan aus der Coupétür trat, hatte er einen Augenblick den Eindruck,
-daß dieser Herr die ganze Szene drinnen verfolgt hatte und daß ein
-halb unmerkliches Lächeln um seine Mundwinkel zitterte. Aber im
-nächsten Augenblick waren seine Augen schon gerade durch die offene
-Türe seines eigenen Coupés gerichtet, in fernschauende Bewunderung
-der Heidelandschaft dort draußen versunken. Allan warf ihm einen
-kurzen Blick zu und ging an ihm vorbei den Korridor hinunter. Die
-anderen Wagenabteile waren mehr oder weniger voll, mit Ausnahme des
-Damencoupés, über dessen Existenz er die Unbekannte eben aufgeklärt
-hatte. Er kehrte zu dem Abteil zurück, vor dem der Mann mit dem Zwicker
-postiert war und fragte mit einer leichten Handbewegung:
-
-„Sie gestatten?“
-
-„Natürlich.“
-
-Der Mann mit dem Schauspielergesicht neigte artig den Kopf. Allan ging
-hinein, warf sich auf das unbesetzte Sofa und zündete eine Zigarette
-an, nachdem er sich vorsichtig vergewissert hatte, daß er sich in einem
-Rauchcoupé befand.
-
-Solch eine kleine, unverschämte Hexe! Amörrica, Amörrica! Hol’ der
-Teufel Amörrica und alle Amörrikanerinnen. Ferner mochte der Teufel
-ihn selbst holen und alle anderen Idioten, die sich auf sogenannte
-Abenteuerfahrten einließen, von falschen Irrlichtern gelockt. Und
-schließlich mochte er ihn selbst noch einmal holen, weil er von seinem
-Gepäck in Hamburg weggereist war, um sich ohne allen Anlaß von einer
-unverschämten, kleinen, schönen, verdammten Hexe beschimpfen zu
-lassen....
-
-Seine ärgerlichen Betrachtungen dauerten ein paar Stunden. Der
-Zug sauste durch Osnabrück mit einigen Augenblicken der Pause in
-dieser friedenschließenden Stadt; er brauste weiter gegen Köln;
-Leute wanderten dem Speisewagen zu, um sich an dem Zwölfuhrdiner zu
-erquicken; unter anderen sah er die Amerikanerin und den alten Herrn
-mit der Raubvogelnase hinpilgern, jetzt im eifrigen Gespräch; aber
-Allan hatte das Interesse für das Ganze verloren. Die Septemberluft,
-die eben noch klar und blau gewesen, wie die Luft bei einem Abenteuer
-sein muß, war nunmehr kalt und von abstoßender Farbe; die Sonne ohne
-jede Wärme. Der Herr mit dem Zwicker kam in den Wagen und vertiefte
-sich in das Studium eines illustrierten Katalogs. Hie und da warf er
-einen verstohlenen Blick auf Allan, den dieser jedesmal mit einem
-herausfordernden Starren erwiderte. Schließlich ging Allan in den
-Korridor hinaus und hatte da wohl dreiviertel Stunden lang den Kopf zu
-einem Fenster heraushängen lassen, als der Agitator des Speisewagens
-ihn mit seinem: Wünschen die Herrschaften zu dinieren? aus seiner
-mißmutigen Laune riß. Er machte eine rasche Toilette und steuerte durch
-die Korridore dem Speisewagen zu.
-
-Im Waggon neben seinem eigenen hatte er noch einen kleinen Chok; die
-heißblütige Amerikanerin wandelte gerade in ladylikem Balancegang
-durch den Korridor. Hinter ihr wurde der bordeauxnasige alte Herr
-sichtbar, dessen Riechorgan leuchtender denn je war; im Munde hatte
-er eine frischangezündete Havanna, deren rote Spitze neben besagtem
-Organ nur unbedeutenden Effekt erzielte. Allan trat rasch in ein
-Coupé, um das Paar vorbei zu lassen; als die junge Dame passierte,
-entging ihm jedoch nicht ein Blick aus ihren grauen Augen -- aber
--- o Wunder! Sah er recht? Diese Augen schienen nun fast freundlich
-mit der Ahnung eines Lächelns ganz tief drinnen. Sie fegte mit einem
-Rauschen von Seidenunterkleidern vorbei. Der alte Herr, dessen Augen
-einen befriedigten Sultanglanz angenommen hatten, watschelte hinter
-ihr drein, ohne einen Blick für Allan oder überhaupt etwas anderes als
-den weidenschlanken Rücken der Amerikanerin. Allan starrte ihnen nach,
-und zuckte zusammen, als er am Ende des Korridors den Herrn mit dem
-Schauspielergesicht erblickte, der die beiden mit dem hundertsten Teil
-eines Lächelns durch seinen goldgefaßten Zwicker musterte. Allan sah
-ihn einen Augenblick an und ging weiter.
-
-Der Speisewagen war beinahe ganz besetzt; unten in der Ecke zunächst
-der Küche fand sich noch ein Tisch für zwei, der frei war. Der
-weißbejackte Agitator von vorhin wedelte mit einer Serviette quer über
-den Wagen, um anzudeuten, daß es ihm mit unerhörter Schwierigkeit
-gelungen war, Allan einen Platz an diesem Tisch zu reservieren. Allan
-ließ sich nieder, sah die Speisekarte an und ging sodann zur Weinliste
-über. Er war eben zu der Ueberzeugung gekommen, daß Graacher Auslese
-der richtige September- und Reisewein ist, als sich jemand an dem
-anderen Platz am Tisch niederließ. Er sah auf. Mit einer unlogischen
-Ueberraschung erkannte er in seinem Tischkameraden den Mann mit dem
-goldgefaßten Zwicker und dem Schauspielergesicht.
-
-Dieser lächelte Allan wiedererkennend zu und begann dann zum Fenster
-hinauszusehen. Allan betrachtete eine Weile die Zirkusnummer des
-Kellners mit Schüsseln und Tellern zwischen den Tischen; jedesmal, wenn
-der Zug sich in einer Kurve seitlich neigte und er selbst vom Schwung
-auf eine Seite geschleudert wurde, dachte er mit einem Kitzeln in der
-Magengrube: Jetzt geht die ganze Bescherung zum Teufel! Aber kein
-einziges Mal gab es auch nur einen Fleck auf dem Tischtuch. Plötzlich
-stand der Kellner mit einem Suppenteller vor seinem Platz. Allan
-schnitt eine unwillkürliche Grimasse und schüttelte den Kopf. Suppe
-um diese Tageszeit! Der Mann mit dem Zwicker lächelte wieder leise,
-während er seinen Löffel in die Suppe tauchte.
-
-„Sie sind kein Freund der deutschen Speiseordnung?“ sagte er.
-
-„Nein, weiß Gott.“
-
-„Der deutsche Wein sagt Ihnen besser zu?“
-
-„Allerdings. Trinken Sie vielleicht ein Glas mit mir?“
-
-Allans Laune stieg rasch um einige Grade, sowie er den Mund geöffnet
-hatte; er begann zu erfahren, daß der Mensch ein Gesellschaftstier
-ist, auch wenn er auf eigene Faust auf Abenteuer auszieht. Der Fremde
-verbeugte sich leicht.
-
-„Mit Vergnügen, wenn Sie mir gestatten, Ihre Liebenswürdigkeit später
-zu erwidern.“
-
-Allan winkte dem Kellner, ein Glas zu bringen. Er und der Fremde
-tranken sich zu.
-
-„Sie sind Skandinavier?“
-
-„Warum glauben Sie das? Hört man es mir an?“
-
-„Das eigentlich nicht, aber Ihr Aussehen sagt es mir, und dann noch so
-irgend etwas Unbestimmtes. Ich möchte sogar wetten, daß Sie entweder
-Schwede oder Norweger sind.“
-
-„So?“
-
-„Die Dänen erlernen nie unser a -- sie meckern. Und da Sie das nicht
-tun --“
-
-Allan nickte ohne die Hypothese des Fremden zu bestätigen. Allerdings
-war er ja ziemlich groß und schlank, aber da er dunkel war, hätte ihn
-das nicht verraten müssen, wenn seine Sprache es nicht besorgt hätte.
-Der Mann mit dem Zwicker, der nun seine Suppe verzehrt hatte, beugte
-sich vor und knüpfte die Konversation wieder an. Allan betrachtete
-sein Gesicht, das energisch und intelligent war; die Augen unter den
-Zwickergläsern schienen durchaus nicht von Kurzsichtigkeit geschwächt.
-Es war unleugbar ein sympathisches Gesicht. Einmal, als der Fremde
-nach einer Aeußerung, die er selbst gemacht hatte, in ein Gelächter
-ausbrach, bemerkte Allan im Flug, daß einer seiner Backenzähne über
-und über mit Gold plombiert war. Eigentümlicherweise grub sich dieser
-kleine Zug, so wie es bei solchen kleinen Zügen oft der Fall ist,
-in sein Gedächtnis ein; und obgleich er für den Augenblick kaum an
-die Sache dachte -- er konnte ja nicht ahnen, daß er den Mann je
-wiedersehen würde -- sollte es bei einer späteren Gelegenheit von einer
-Bedeutung werden, die er jetzt unmöglich vorausahnen konnte. Plötzlich
-merkte er, daß er so ganz damit beschäftigt gewesen war, den Fremden zu
-beobachten, daß er ganz vergessen hatte, zuzuhören, was dieser sagte;
-er zuckte zusammen, als er das Wort Paris mit fragender Betonung hörte
-und nahm in der Eile an, daß sein Tischgenosse ihn gefragt hätte, wann
-man dorthin käme.
-
-„Ich weiß nicht,“ sagte er.
-
-Der Mann mit dem goldgefaßten Zwicker sah ihn überrascht an.
-
-„Sie wissen nicht, ob Sie nach Paris fahren?“ wiederholte er. „Dieser
-Zug geht auf jeden Fall hin, wenn Sie es nicht wissen sollten!“
-
-Allan wandelte eine plötzliche Lust an, mit sich selbst und seiner
-heutigen Heldentat zu brillieren.
-
-„+Das+ weiß ich,“ sagte er ernst. „Aber ich weiß hingegen nicht,
-ob ich nach Paris fahre. Ich weiß es ebensowenig, als ich weiß, warum
-ich überhaupt mit diesem Zug fahre.“
-
-„Sie wissen nicht, warum Sie mit diesem Zug fahren?“
-
-„Nein, oder warum ich überhaupt fahre.“
-
-„Donnerwetter! Sie pflegen ganz einfach in einen Expreß einzusteigen,
-ohne zu wissen, wohin er geht?“
-
-„Ich habe es wenigstens heute morgen getan.“
-
-„Donnerwetter! Darf ich fragen: Finden Sie bei solchen
-Reisegewohnheiten Zeit zu vielem Packen?“
-
-„Heute morgens nicht, das muß ich gestehen -- ich war gezwungen, mein
-Gepäck in der Eile in Hamburg zurückzulassen.“
-
-Und Allan ließ mit einer Gleichgültigkeit, eines Phileas Fogg würdig,
-die rote Kontramarke aus dem Hamburger Hauptbahnhof durch die Luft
-flattern. Nr. 374 stand in gotischem schwarzen Druck darauf. Der Fremde
-starrte den Zettel und ihn mit einer Achtung an, die unter diesen
-Verhältnissen höchst schmeichelhaft war, und trank nach noch einem
-Donnerwetter einen Schluck aus seinem Rheinweinglas; Allan füllte es
-mit Mäzengefühlen nach. Im selben Augenblicke kam der Fisch; nachdem
-sich der Mann mit dem Zwicker vom Kellner hatte vorlegen lassen, nahm
-er den Faden wieder auf.
-
-„Verzeihen Sie, wenn ich indiskret bin: Sind Sie wirklich aus einer
-bloßen Laune von Ihrem Gepäck mit einem Zug weggereist, an dem Sie kein
-besonderes Interesse hatten?“
-
-Er fixierte Allan, der jetzt gerade der Gegenstand der Obsorge des
-Kellners war und für den Moment für nichts anderes Augen hatte als für
-das Essen.
-
-Es lag ein eigentümlicher Ausdruck der Spannung in den Augen des
-Fremden; und wenn Allan aufgeblickt hätte, hätte er sehen können, wie
-sein Visavis dem Kellner eine eigentümliche Grimasse schnitt: ein
-Vorschieben der Lippen und zwei kurze Signale mit dem Kopf in der
-Richtung nach Allan. Aber Allan hatte kein Auge für diese Grimasse,
-und ebensowenig sah er, was darauf folgte: Der Kellner drehte hastig
-den Kopf, fixierte ihn und zog die Augenbrauen in die Höhe, wobei er
-den Mann mit dem goldgefaßten Zwicker ansah. Dieser formte hastig
-ein Wort mit den Lippen, das der Kellner offenbar verstand, denn
-er zog die Augenbrauen noch höher, und zum ersten Male während
-des ganzen Mittagessens zitterte seine Hand. Das Ganze hatte kaum
-fünfzehn Sekunden gedauert. Allan, der noch überlegte, ob er seinem
-Tischkameraden die Episode mit der unbekannten Dame in Hamburg
-mitteilen sollte, sah endlich auf.
-
-„Eigentlich hatte ich einen Grund,“ sagte er, „mein Gepäck so im Stich
-zu lassen, aber -- nun ja, ich weiß nicht recht, ob ich wagen kann, ihn
-Ihnen zu erzählen. Aber es ist derselbe Grund, der mich veranlaßte,
-diesen Expreßzug zu nehmen -- und der ist etwas delikater Natur.“
-
-Der Herr mit dem Zwicker konnte gerade noch dem Kellner, der aufmerksam
-gelauscht hatte, eine fast unmerkliche Geste machen, bevor dieser mit
-den Schüsseln wieder verschwand. Dann hob er sein Glas.
-
-„Gestatten Sie mir, zu fragen, ob Sie Bordeaux oder Burgunder
-vorziehen,“ sagte er.
-
-Sie blieben nach dem Dessert noch etwa eine halbe Stunde sitzen und
-nippten an ihrem Kaffee, während der Zug weiter durch den klaren
-Herbsttag brauste. Allan empfand mehr und mehr Interesse für seinen
-Reisekameraden; er war unterhaltend, originell, offenbar viel gereist
-und wußte Geschichten aus allen Ecken und Enden Europas zu erzählen.
-Hie und da kam er wieder auf sein Erstaunen über Allans Art, einfach
-von seinem Gepäck fortzufahren, zurück, und Allan fühlte sich mehr
-und mehr befriedigt von sich selbst. Einmal verschwand er für einen
-Augenblick und wechselte in der äußeren, nunmehr leeren Wagenhälfte
-einige Worte mit dem Kellner, ohne daß Allan dies beachtete oder
-weiter daran dachte. Als er zurückkam, begann er eine Geschichte, die
-Allan Gelegenheit gab, seine Theorie, daß er ein Schauspieler sein
-müsse, zu bestätigen; er erwähnte sogar flüchtig seinen Namen -- Ludwig
-Koch. Allan erwog eben, ob es korrekt sei, sich vorzustellen oder
-nicht, als der Zug in eine große Station einfuhr, wo er langsamer wurde
-und stehen blieb. Der Mann mit dem Zwicker lehnte das Gesicht an die
-Fensterscheibe, während man dem Perron entlang rollte. Mit der Hand
-über den Augen musterte er rasch die Menschen auf dem Perron; offenbar
-erkannte er jemand, denn ein leichter Ausruf entschlüpfte ihm. Er erhob
-sich von seinem Platz, nickte Allan zu und eilte hinaus.
-
-„Komme gleich wieder!“ rief er.
-
-„Fahren Sie nur nicht von Ihrem Gepäck weg, wie ich,“ rief Allan zurück.
-
-Der Mann mit dem Zwicker verschwand ohne weitere Repliken. Zu Allans
-Erstaunen waren nach seinem Abgang kaum fünfzehn Sekunden verstrichen,
-als der Zug mit einem Ruck aus der Station hinausrollte, deren Namen
-Allan nicht bemerkte, so sehr war er damit beschäftigt, nach seinem
-Tischgenossen auszulugen. Er sah keine Spur von ihm auf der Plattform;
-er mußte also in eines der Coupés weiter vorne aufgesprungen sein.
-Allan drehte den Kopf dem Eingang des Speisewagens zu, bereit, Herrn
-Koch mit einem Glückwunsch zu begrüßen, daß die Sache noch gut
-abgelaufen war, aber es vergingen ein und zwei Minuten, ohne daß Herr
-Koch sich zeigte. Allan setzte sich wieder auf seinen Platz zurecht
-und begann die Landschaft zu betrachten.
-
-Der Zug rollte jetzt durch einen Fabrikdistrikt. Man sah nur hohe
-Schlote, von denen der fette Rauch in langen, schweren Streifen,
-die Meertang glichen, über den blauen Himmel wogte; graugelbe
-Fabrikfassaden, Massen von Seitengleisen, wo schmutzigrote Güterwagen
-angehäuft standen. Gras und Unkraut wucherte mager und gelb, als
-hätte es Fieber; die Schlackenhaufen türmten sich darum wie um einen
-Krater. Das Ganze war beklemmend, trostlos. In einer solchen Umgebung
-zu existieren, für sein ganzes Leben lang an ein solches Gefängnis
-gebunden zu sein ... Allan schauderte. Er sah zu dem abenteuerblauen
-Septemberhimmel empor und freute sich, in diesem Wagen zu sitzen, der
-in taktfesten Wellenbewegungen dahinrollte, und er zitierte halblaut
-und pathetisch vier Zeilen von Snoilsky, die den Unterschied zwischen
-einem Passagier erster Klasse und einem Lokomotivführer hervorheben.
-Dann fiel ihm wieder Herr Koch ein, und er klopfte dem Kellner.
-
-„Ich möchte zahlen, Ober. Ich muß dann hineingehen und mich nach meinem
-Freunde umsehen.“
-
-Ueber das Gesicht des Kellners huschte ein rasches Zucken, aber er
-sagte nichts anderes als: „Sehr wohl,“ und kritzelte hastig einige
-Hieroglyphen auf ein Blatt Papier.
-
-„Neun Mark, sechzig Pfennig!“
-
-Allan bezahlte und gab ein Trinkgeld. Plötzlich fiel ihm etwas ein.
-
-„Aber Herr -- -- -- aber der andere Herr?“
-
-„Hat schon bezahlt.“
-
-„Hat schon bezahlt?“
-
-„Jawohl, schon längst.“
-
-Die Stimme des Kellners war so gleichgültig als nur möglich, und er
-eilte weiter, sowie er geantwortet hatte. Allan unterdrückte ein
-hastiges Gefühl des Staunens. Herr Koch hatte bezahlt! Pflegte man im
-Speisewagen zu bezahlen, bevor man fertig war? Und insgeheim? Er für
-seine Person hatte Herrn Koch dem Kellner keinen Pfennig geben sehen.
-Er zuckte die Achseln und ging in sein Coupé zurück, um Herrn Koch zu
-interviewen, wie die Sache zugegangen war.
-
-Der Zug hatte wieder begonnen zu schwanken und zu schlingern, und
-es brauchte einige Zeit, und nicht wenig Balancierungskunst, um
-glücklich durch die Korridore zu kommen, die jetzt leer waren.
-Einmal kam ein so heftiger Stoß von einem Stationswechsel, den man
-im Eilzugstempo passierte, daß Allan ganz linksum geworfen wurde.
-Zu seiner Ueberraschung erblickte er am anderen Ende des Korridors
-keinen geringeren als den Speisewagenkellner, der ihm zu folgen
-schien. Im selben Augenblicke, in dem Allan den Mann ansah, verschwand
-er jedoch in ein Coupé. Allan erinnerte sich, daß man sich auch in
-den Coupés servieren lassen konnte, und vermutend, daß der Mann zu
-diesem Behufe da war, ging er weiter. Endlich hatte er seinen Wagen
-erreicht. Er ging an dem Coupé vorbei, das die Amerikanerin und der
-alte Herr mit Beschlag belegt hatten, und zog die Schiebetüre zu seinem
-eigenen Abteil zurück. -- Nun, Herr Koch, Sie sind ja gar nicht
-wiedergekommen! hatte er auf den Lippen, als er plötzlich innehielt.
-
-Herr Koch befand sich nicht in dem Coupé. Das Coupé war leer.
-
-Allan blieb eine Minute in der Türe stehen, bevor er sich entschloß,
-einzutreten. Was in aller Welt? Er war gar nicht da? Sehen wir mal,
-sein Gepäck ... Es war auch kein Gepäck da! Nur eine ganz diminutive
-Handtasche. Plötzlich kam ihm eine blitzartige Erinnerung: Es war
-ja auch zu der Zeit, als Herr Koch noch im Coupé saß, kein anderes
-Gepäck dagewesen. Herr Koch reiste fast ebenso ohne Gepäck wie er
-selbst ... Er fuhr aus seinen Gedanken bei dem Laut diskreter, beinahe
-schleichender Schritte im Korridor auf. Bei allen Göttern, war das
-nicht schon wieder der Speisewagenkellner!
-
-Diesmal berührte seine Anwesenheit und sein blitzschnelles
-Hineinblicken in Allans Coupé diesen als so unnötig, ja geradezu
-eigentümlich, daß er von seinem Platz aufsprang und in den Korridor
-hinausstürzte, um mit dem dienenden Bruder ein Wörtchen zu sprechen.
-Aber dieser war schon in den nächsten Wagen verschwunden, und Allan
-kehrte mit gerunzelter Stirne zu seinem Platz zurück. Ein paar
-Augenblicke dachte er daran, den Schaffner aufzusuchen und mit ihm über
-Herrn Kochs Schicksal zu beratschlagen; dann beschloß er, sich einen
-blauen Teufel darum zu scheren -- er kannte den Mann ja gar nicht --
-und versank in das Studium des einzigen Gepäckstückes, das dieser,
-abgesehen von der diminutiven Handtasche auf dem Sofa zurückgelassen
-hatte, einen illustrierten Katalog einer Zauberfirma in Berlin.
-
-Es war ungefähr fünf Uhr, als der Zug in die Bahnhofshalle von Köln
-rollte, wo Allans erstes wirkliches Abenteuer begann. Er vergaß
-nachher nie das Nachmittagssonnenlicht, das die gewaltige Halle mit
-gelben Staubgürteln durchzog. Der breite Perron war voll von Menschen,
-die durcheinanderwimmelten, von Zeitungs- und Bücherkiosken, von
-Verkaufsständen, wo man Bier, Bananen und Bäckereien bekam. Eine alte
-Vettel, im Hinblick auf die Gestalt von frappanter Aehnlichkeit mit
-einem _Ballon captif_, im Begriffe, die Vertauungen zu lösen,
-hatte die Rolle des Blumenmädchens übernommen. Allan zog den Kopf vom
-Coupéfenster zurück und streckte die Hand zum Netz nach seinen einzigen
-Gepäckstücken aus -- einem Hut und einem Stock (der Ueberrock war in
-Hamburg geblieben). Er wollte aussteigen, um seine Beine ein bißchen
-auszugraden. Eben hatte er den Hut auf den Kopf gesetzt, als die Türe
-seines Coupés von drei Gestalten verdunkelt wurde. Der vorderste trug
-einen diskreten zivilen blauen Sakkoanzug; hinter ihm gewahrte Allan
-zu seiner unaussprechlichen Verwunderung einerseits den weißbejackten
-Kellner aus dem Speisewagen, andererseits einen kolossalen behelmten
-Schutzmann.
-
-Allans erster Impuls (wie wahrscheinlich auch der des Lesers) war,
-einen Schritt zurückzutreten, während er das Trio anstarrte; er hatte
-Zeit zu einem Schritt, aber nicht zu mehr, denn offenbar befürchtend,
-daß er zum Fenster hinausspringen könnte, stürzten der Mann in Zivil
-und der Polizist auf ihn los, legten jeder eine Hand auf seine
-Schulter und riefen mit Stentorstimme:
-
-„Im Namen des Gesetzes, Sie sind verhaftet!“
-
-Allan war zu betäubt, um an Widerstand zu denken. Der einzige Gedanke,
-den er formulieren konnte, war: Was zum Teufel soll das heißen? Ist
-das die Rache der Akzeptanten? Lassen sie mich durch diese Schergen
-heimholen? Nun tat der Zivilist (ein schwammiger Herr mit schwitzenden
-Händen) seinen Mund auf und sagte hohnvoll:
-
-„Machen Sie kein so erstauntes Gesicht, mein lieber Benjamin Mirzl! Man
-weiß schon, daß Sie sich verkleiden können. Aber es gibt Leute, die
-Ihre kleinen Kniffe durchschauen. Kommen Sie ohne Aufsehen mit. Sie
-können sich dieses Mal einen Träger für Ihr Gepäck ersparen.“
-
-„Gepäck? Das ist nicht meine Tasche,“ gelang es Allan hervorzustoßen.
-
-„Natürlich nicht! Haha, natürlich nicht!“
-
-„Mein Gepäck steht in Hamburg,“ schrie Allan außer sich, während eine
-dunkle Ahnung des Zusammenhanges sich aus den Nebeln in seinem Innern
-kristallisierte.
-
-„Haha, ja gewiß, ja gewiß! Warum nicht in Petersburg? Nein, nein,
-Mirzl, Sie sind in der Schlinge gefangen. Machen Sie gute Miene, das
-ist wohl das einzige, was Sie tun können.“
-
-„Ich heiße nicht Mirzl, oder was Sie da zum Donnerwetter sagen, ich
-heiße Kragh, und ...“
-
-„Stillschweigen!“ brüllte der gigantische Schutzmann, dessen Gemütsruhe
-durch die Lorbeeren des Zivilisten gestört wurde. „Mit aufs Amt, und
-keinen Ton, dann werde ich mich hinter Ihnen halten.“
-
-„Aber ...“ setzte Allan an und hielt inne; es hatte ja keinen Zweck,
-+hier+ zu protestieren. Mit einem Achselzucken trat er in den
-Korridor. Der Zivilist mit Herrn Kochs diminutiver Tasche folgte
-ihm auf dem Fuße und der Mammut-Schutzmann beschloß die Prozession.
-Plötzlich hörte Kragh den Kellner rufen:
-
-„Aber meine Belohnung! Wo kann ich mir die abholen?“
-
-„Das werden Sie später erfahren!“ rief der Mann in Zivil über die
-Achsel zurück. „Uebrigens sind Sie ja zwei; der in Essen ausgestiegen
-ist, wird Ihnen schon nicht das Ganze lassen.“
-
-Mit diesen Worten des Zivilisten im Ohr, ihn selbst an seiner Seite
-und den gewaltigen Gesetzeswächter hinter sich, passierte Allan das
-Paar im anderen Coupé -- die Amerikanerin und den alten Herrn mit der
-Raubvogelnase. Er sah, wie sie ihre feinen Augenbrauen emporzog und dem
-bordeauxnasigen Alten etwas zuflüsterte -- die waren jetzt offenbar ein
-Herz und eine Seele. Er senkte den Kopf, um nicht mehr zu sehen und
-ging nach rechts, in der Richtung, die der Zivilgekleidete angab. Was
-hatte das Ganze zu bedeuten? Abenteuer, Septemberabenteuer in Sonne
-und blauer Luft -- das sah mehr nach totaler Sonnenfinsternis und sehr
-eingeschlossener Luft aus. Was hatte das Ganze zu bedeuten?
-
-Kein Philosoph hätte sich diese Frage mit mehr Nachdruck stellen können.
-
- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
-
-„Das ist Ihr Paß? Sie sind Herr Allan Kragh, Student, schwedischer
-Bürger?“
-
-Allan bejahte diese beiden Fragen mit einem Nachdruck, der nur von
-seiner Furcht, den kleinen dicken Polizeirichter, der Geijerstam
-ähnlich sah, unwiderruflich zu verletzen, gedämpft war. Keine schwarzen
-Fahnen jetzt, nur weiße Friedensflaggen, bis man loskam. Anderthalb
-Tage im schwarzen Loch!
-
-„Warum haben Sie nicht schon früher bei mir protestiert, wenn das Ihr
-Paß ist?“
-
-Allan fixierte den geijerstamähnlichen Repräsentanten der Gerechtigkeit
-und schluckte erst einige kernige schwedische Ausdrücke, bevor er
-erwiderte:
-
-„Ich habe doch vom ersten Augenblick an gesagt, wer ich bin, obgleich
-Ihre verdamm -- -- -- obgleich niemand auf mich hören wollte. Es wurde
-als mathematisch feststehend angesehen, daß ich Mirzl sein muß -- wer
-zum Teufel nun dieser Mirzl ist! Mirzl! In meinem Leben habe ich nichts
-von einem Mirzl gehört.“
-
-„Dann lesen Sie die Zeitungen schlecht, oder auch sind die schwedischen
-Zeitungen hinter ihrer Zeit zurück. Nun gut, wir werden telegraphisch
-anfragen. Fällt die Antwort zu Ihren Gunsten aus, werden wir Ihre Sache
-schon heute nachmittag in Erwägung ziehen.“
-
-„Danke allerergebenst, danke +aller+...“
-
-„Aber ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß uns die Sache mit der
-Handtasche sehr bedenklich vorkommt. Sie enthielt allerdings nichts
-direkt Kompromittierendes, aber es ist bekannt, daß Mirzl eine solche
-Tasche in seinem Besitz hatte, als er aus Berlin verschwand.“
-
-„Die Tasche! Wie oft muß ich noch sagen, daß das nicht mein Gepäck ist?
-Daß mein Gepäck in der Garderobe in Hamburg mit dieser Kontramarke
-steht und ...“
-
-„Sie werden zugeben, daß man nicht gerade häufig sein Gepäck in der
-Garderobe in Hamburg läßt, wenn man mit dem Expreßzug nach Paris fährt?
-... Nun ja, nun ja, wir werden telegraphieren!“
-
-Es vergingen sechs Stunden, bis Allan den Polizeirichter mit dem
-rundbäckigen Aussehen, den Brillen und dem Schnurrbart wiedersah. Als
-es dazu kam, war es in einem kleinen, ganz ungestörten Raum des großen
-Amtsgebäudes. Der kleine Mann mit dem literarischen Aussehen hielt ein
-paar Telegramme in der Hand und betrachtete abwechselnd eine Karte des
-Deutschen Reiches und ein Album mit vielen Photographien.
-
-„Ja, ja, wir haben untersucht, wir haben telegraphiert ... ich muß
-sagen, Herr Kragh, Sie haben höchst außerordentliche Erfahrungen
-gemacht. Ist das Ihre erste längere Reise ins Ausland?“
-
-„Ja“ (erbittert).
-
-„Das glaube ich, ich konnte es mir denken. Höchst außerordentliche
-Erfahrungen, das muß ich sagen.“
-
-„Ist Ihnen meine Identität bestätigt worden?“ (äußert erbittert, denn
-sechs Stunden der Abgeschiedenheit bei spartanischer Kost tragen nicht
-gerade dazu bei, die Laune zu verbessern.)
-
-„Wir glauben es. Ja, wir glauben, überzeugt sein zu dürfen, daß Sie
-tatsächlich Herr Allan Kragh aus Schweden sind.“
-
-„Gedenken Sie mich also loszulassen? Gedenken Sie die Bevölkerung von
-Köln diesem Risiko auszusetzen? Ist das Kölnischwasser eingesperrt? Und
-der Dom bewacht?“
-
-„Einen Augenblick, Herr Kragh. Wir bedauern den Mißgriff sehr, wir
-bedauern ihn außerordentlich, und wir wollen Sie gerne, soweit es in
-unseren Kräften steht, schadlos halten. Natürlich werden Sie sofort
-in Freiheit gesetzt (die Stimme des Polizeirichters war so sanft und
-versöhnlich, daß es beinahe klang, als spräche er finnisch). Gestatten
-Sie mir nur eine Frage: Waren in Ihrem Gepäck in Hamburg große Werte
-enthalten?“
-
-„Werte? Hm. Das gewöhnliche Reisegepäck, einige Anzüge und dergleichen.
-Gold und Juwelen nicht.“
-
-„Ausgezeichnet ... Ihr Garderobeschein hatte die Nummer 374?“
-
-„Ja, was meinen Sie?“
-
-„Warten Sie ein bißchen! Hm ... 374. Nun wohl, Herr Kragh, warum sollte
-ich Ihnen die Sache verbergen: Ihr Gepäck ist gestohlen.“
-
-„Gestohlen? Stiehlt man Gepäck, das einer deutschen Eisenbahngarderobe
-eingeliefert ist? Ich habe meinen Schein.“
-
-„Ja, ja, Ihren Schein, Nr. 374, drei Kolli. Aber vorgestern, als Sie
-... als Sie irrtümlich angehalten wurden, kam ein Telegramm an die
-Garderobe, die drei Kolli auf Nummer 374 expreß nach Osnabrück zu
-schicken; der Inhaber habe nicht Zeit gefunden, sie abzuholen. Die
-Garderobe sandte sie noch am selben Tage ab, sie wurden um sechs Uhr
-abends in Osnabrück (mit einem falschen Gepäckschein, wie wir allen
-Grund haben, zu vermuten, ja allen Grund) von einem Herrn abgeholt,
-der sofort nach Holland weiterreiste ... Ihre zwei Handkoffer und Ihr
-Ueberrock, Herr Kragh, sind also gestohlen.“
-
-„Putz weg! Donnerwetter ...“ Allan starrte den sanftäugigen
-Polizeirichter ganz verblüfft an. „Wer in Teufels Namen ...“
-
-„Ja, wer kann die Nummer Ihres Garderobescheines wissen! Hat man Sie im
-Hamburger Bahnhof darangekriegt? Wir verstehen die Sache ebensowenig
-wie Sie selbst -- und Sie sollten sie besser verstehen als wir. Ja, das
-sollten Sie wirklich.“
-
-Allan bog in einen neuen Gedankenkanal ein.
-
-„Das sollte ich! Aber wie konnten Sie sich unterstehen, mich zu
-arretieren? Warum haben Sie diesem Kerl Gelegenheit gegeben, mein
-Gepäck zu stehlen? Haben Sie die Güte und erklären Sie mir, was hinter
-dieser anderen Geschichte steckt! Jetzt bin ich nicht mehr Angeklagter!“
-
-„Herr Kragh!“ Die Stimme des Polizeirichters war voll sanftem
-Tadel, aber Allan hörte nicht mehr auf diesem Ohr, seine erlittenen
-Verunrechtungen begannen ihm zu Kopf zu steigen. Wie ein Verbrecher
-arretiert und obendrein noch bestohlen werden! Das war zuviel. Wozu
-hatte man Konsuln?
-
-Er hörte die sanfte, gleichsam bebrillte Stimme des Polizeirichters:
-
-„... daß die ganze Geschichte im Speisewagen entstanden ist. Sie haben
-den Mann nicht gekannt, mit dem Sie zu Mittag gegessen haben?“
-
-„Gekannt? Habe den Kerl noch nie im Leben gesehen. Es ist das erstemal,
-daß ich im Ausland bin.“
-
-„Hm, ja, ich kann ... nun schön, dieser Mann -- Aber warten Sie, Sie
-sollen die Geschichte aus erster Hand hören.“
-
-Der Polizeirichter drückte auf einen Knopf, gab einem Bediensteten
-eine Weisung und begann in der Erwartung, daß sie ausgeführt werde,
-wieder in dem Album mit den vielen Photographien zu blättern. Hie
-und da schob er die Unterlippe auf halbem Wege zur Nase hinauf,
-offenbar in tiefe Grübeleien versunken. Von Zeit zu Zeit fanden diese
-in einem gedankenvollen p--r--m, p--r--m Ausdruck, das an den Ton
-erinnerte, den eine Kindertrompete von sich gibt, wenn ihr kleiner
-Besitzer hineingespuckt hat. Plötzlich öffnete sich die Türe, und der
-Bedienstete kam mit jemand herein, der sich als der Speisewagenkellner
-von vorgestern entpuppte. Der kleine Polizeirichter schnitt die
-untertänigen Bücklinge des Sangmeds mit einer Geste ab und sagte kurz:
-
-„Erzählen Sie. Erklären Sie dem Herrn die Sache.“
-
-„Ach, gnädiger Herr, es ist ein Irrtum, ein furchtbarer Irrtum. Man
-hat mich beschwindelt, man hat mich betrogen, gnädiger Herr. Es war
-der Herr, der an Ihrem Tische gespeist hat -- hol’ ihn der Teufel.
-Gerade als ich dem gnädigen Herrn den Fisch serviert habe, machte
-mir der andere Herr Grimassen: Sehen Sie den Herrn an, das ist ein
-durchgegangener Verbrecher -- ganz vorsichtig, so daß der gnädige
-Herr nichts gemerkt hat. Ich sah den gnädigen Herrn an und hörte, wie
-der gnädige Herr sagte, daß er von seinem Gepäck und allem fortreisen
-mußte; und der andere Herr nickte mir nur immer zu -- der Teufel soll
-ihn holen. Auf einmal kommt er zu mir hinaus in den rückwärtigen Teil
-des Wagens und sagt: Der Herr an meinem Tisch ist kein anderer als
-Mirzl selbst.“
-
-„Aber wer ist denn dieser Mirzl?“ rief Allan, dem nun schon zum
-dritten Male dieser Name ins Gesicht geschleudert wurde. Statt aller
-Antwort reichte der Polizeirichter ihm stumm das Album mit den vielen
-Bildern und eine zwei Tage alte Berliner Zeitung. Da fand er fett
-gedruckt die Ueberschriften: -- +Großer Hoteldiebstahl in Berlin W.
--- Benjamin Mirzl wieder in Aktion -- der Betrag über siebzigtausend.
--- Mirzl entkommt im Auto.+ -- Und im Album fand Allan eine
-Serie Photographien _en face_, im Profil, von rückwärts, einen
-dreißigjährigen Herrn darstellend, an dessen Züge er sich dunkel zu
-erinnern glaubte, vermutlich aus irgendeiner illustrierten Zeitung. --
-
-„Unser größter Schwindler,“ sagte der Polizeirichter. „Er ist noch nie
-gefaßt worden, aber diesmal ist er mit knapper Not entwischt und mußte
-das meiste im Stich lassen.“
-
-„Das war am Tage, bevor ich mit dem Expreß abreiste!“ rief Allan.
-
-„Ja, so war es.“
-
-Der dienende Bruder setzte unverdrossen seinen Bericht fort.
-
-„Ich spitzte natürlich die Ohren; der andere Herr zog eine Visitkarte
-hervor und sagte: ‚Ich bin Rechtsanwalt Dr. Hauser.‘“
-
-„Aber mir sagte er doch, er hieße Koch und sei Schauspieler!“ rief
-Allan.
-
-„Er hat den gnädigen Herrn irreführen wollen. ‚Mein Name ist
-Rechtsanwalt Dr. Hauser,‘ sagte er zu mir. ‚Ich springe in Essen ab,
-um einen Detektiv zu holen und Mirzl zu arretieren. Komme ich nicht
-zurecht, so lassen Sie ihn um Gottes willen in Köln festnehmen! Auf
-dem dortigen Bahnhof sind immer Polizisten. Bedenken Sie, daß nur für
-seinen letzten Streich allein fünftausend Mark Belohnung ausgesetzt
-sind!‘ So sagte der gottverdammte Mensch, und in Essen sprang er ab. Er
-kam nicht wieder. Ich behielt den gnädigen Herrn im Auge, und in Köln
-...“
-
-„Das übrige weiß ich,“ sagte Allan.
-
-„Ach, gnädiger Herr, ich bin ein armer Mann, verheiratet, Familienvater
-mit vier Kindern, wie sollte ich ahnen, daß dieser elende Mensch mich
-ins Verderben stürzen wollte. Nicht einmal sein Mittagessen hat er
-bezahlt, bevor er in Essen abgesprungen ist.“
-
-„Ich bezahle es nicht. Aber ich unternehme auch nichts gegen Sie. Ich
-rate Ihnen nur, ein andermal mehr an das Service und weniger an die
-Gäste zu denken. Das ist eine gute Regel für einen Kellner, glaube ich.“
-
-„O gnädiger Herr ...“
-
-„Es ist schon gut. Kann ich gehen, Herr Polizeirichter?“
-
-„Aber -- aber natürlich. Und Sie -- Sie gedenken die Sache nicht weiter
-zu verfolgen?“
-
-„Diesmal nicht. Ich zog aus, um Abenteuer zu suchen, wenn ich sie
-auf den Hals bekomme, kann ich nicht klagen. Falls mein Gepäck noch
-auftauchen sollte -- aber das kommt wohl nicht in Frage. Darauf wird
-Herr Mirzl wohl auch Beschlag gelegt haben.“
-
-„P--r--m -- ach nein, der bewegt sich in einem höheren Genre.“
-
-„Ich bin ebenso gespannt, seine nähere Bekanntschaft zu machen, wie
-Sie, Herr Polizeirichter. Leben Sie wohl.“
-
-Allan verließ das kleine Zimmer des großen Gebäudes; der kleine
-Polizeirichter folgte ihm durch die Korridore bis zum Ausgang, wo Allan
-und er sich voneinander unter tiefen Verbeugungen verabschiedeten.
-Allan ging nun durch die Straßen, etwas wirr im Kopf von all den
-Ereignissen, ohne daran zu denken, welche Richtung er einschlug. Es war
-nun, wie ein Blick auf die Uhr ihm sagte, fast vier Uhr nachmittags.
-Plötzlich, als er an einer Straßenecke stehen blieb, um zu überlegen,
-was nun zu tun sei, spürte er eine Hand auf seiner Schulter und zuckte
-zusammen. Eine neue Arretierung? Das wäre doch zuviel des Guten. Er
-drehte sich um. Ein junger Mann im Strohhut grüßte ihn lächelnd und
-reichte ihm einen Brief.
-
-„An Sie,“ sagte er.
-
-Bevor Allan ihn noch aufhalten konnte, war er verschwunden. Allan
-starrte ihm in dem Volksgewühl nach, ohne zu wissen, was er eigentlich
-glauben sollte. Er lief einige Schritte in der Richtung, die der
-Unbekannte eingeschlagen hatte, aber ohne ihn zu erblicken; der Verkehr
-war im Augenblicke überwältigend. Dann sah er den Brief an, der die
-Aufschrift trug: „Herrn Allan Kragh aus Schweden“, und riß ihn auf, von
-einer plötzlichen Ahnung gepackt.
-
-Was er las, war dies:
-
- „Lieber Herr Kragh! Sie haben ohne Zweifel viele Flüche auf mein
- Haupt herabbeschworen, seit wir uns zuletzt sahen, obwohl es fraglich
- ist, ob Sie diese Flüche richtig adressieren konnten. Verzeihen
- Sie mir, daß ich Ihre Freundlichkeit, mir im Speisewagen Graacher
- Auslese vorzusetzen, so schlecht gelohnt habe; verzeihen Sie mir in
- noch höherem Grade die Unannehmlichkeiten, die ich Ihnen späterhin
- verursacht habe -- Unannehmlichkeiten, deren Charakter ich selbst nur
- zu gut einzuschätzen verstehe.
-
- Ich weiß, daß der Verlust Ihres Reisegepäcks auf den Garderobeschein
- 374 des Hamburger Hauptbahnhofes, den Sie so unvorsichtig waren,
- mir beim Diner zu zeigen, gegen die eben erwähnten anderen
- Unannehmlichkeiten nicht ins Gewicht fällt. Leider war ich wirklich
- durch die Verhältnisse gezwungen, so zu handeln. Seien Sie überzeugt,
- daß es eine zwingende Notwendigkeit war.
-
- Sollten Sie geneigt sein, mich sämtliche Unannehmlichkeiten
- sühnen und Ihnen natürlich in erster Linie Ihr elegantes Gepäck
- zurückstellen zu lassen, so können Sie mich Freitag abend, den
- zwölften dieses, um zehn Uhr in The Leicester Lounge am Leicester
- Square in London treffen. Seien Sie überzeugt, daß ich Sie erkennen
- werde, wenn Sie sich einfinden, auch wenn Sie mich nicht erkennen
- sollten. Ich mache Ihnen diesen Vorschlag, um zu sehen, ob ich den
- Charakter eines Mannes, der ohne weiteres einer Laune wegen sein
- Gepäck im Stiche läßt, richtig beurteilt habe.
-
- Also auf Wiedersehen!
-
- Ihr ergebener
- Ludwig Koch,
- alias Dr. Hauser,
- alias .....
-
- (nach Belieben von Ihnen selbst auszufüllen.)“
-
- _P. S._ Daß ich Ihren Namen in Erfahrung gebracht habe, werden
- Sie hoffentlich nicht übelnehmen.“
-
-Wie oft Allan, mitten im Gewühl der Jülichstraße stehend, diese Epistel
-durchlas, ist ungewiß. Schließlich sahen doch die Passanten dieser
-Straße, wie er sich aufraffte, den Brief in die Tasche steckte, einen
-Polizisten über irgend etwas befragte und in der Richtung zum Bahnhof
-forteilte. Es war über vier Uhr; er hatte eine knappe Stunde, um den
-Zug zu erreichen, über dessen Abgang er eben den kölnischen Wächter des
-Gesetzes konsultiert hatte. Diese Stunde mußte genügen, um seinen Magen
-nach den Prüfungen im Arrest zu befriedigen.
-
-„Es fängt an!“ murmelte Herr Kragh für sich. „Das war ja eine feine
-Reisegesellschaft, die ich hatte! Auf diese Weise sind die Koffer also
-fortgekommen. Nun wollen wir vor allem das tun, was Hermann Bergius als
-das oberste und unveräußerlichste Menschenrecht erklärte -- Frühstück
-essen. Es ist spät und wohlverdient. Und dann auf nach London, um mit
-Herrn Benjamin Mirzl Bekanntschaft zu machen! Das dürfte interessant
-sein.“
-
-
-
-
-III
-
-Das große Hotel
-
-
-Einmal hatte Allan die größte der großen Turbinenanlagen in Südschweden
-besucht. Es war ihm, als wäre er in ihre maschinendruckvibrierende und
-dröhnende Luft gekommen, als er am 11. September spät abends in London
-eintraf.
-
-Er rieb sich die Augen, wie er da in seinem Taxi saß. Das war eine
-Stadt! Hier mußten die Abenteuer zu Hause sein; hier mußten sie gerade
-an jeder Straßenecke lauern. Was war dagegen Hamburg und Köln! Was
-war die unbeschreibliche Atmosphäre von jagender Eile, raffiniertem
-Luxus und unerhörtem Geldzustrom, die sein Eindruck des Luxuszuges von
-Köln nordwärts war, gegen dieses London! Schon die Luft war neu, eine
-phantasiereizende Mischung von tausend Ingredienzien: Dem Geruch des
-heißen Steinpflasters, von parfümiertem Virginiatabak, Benzindämpfen
-der zahllosen Autos, deren Gummiräder über den spiegelblanken Asphalt
-zischten; dem Duft des parfümierten Reichtums der ganzen Welt und
-all ihres unaussprechlichen stinkendsten Elends. Die Häuser jagten
-wie im Traum an seinem Auto vorbei; gigantische Fassaden verloren
-sich nach oben zu in der nebligen Abendluft; es flammte und zuckte
-von unzähligen Lichtern; die Reklamen krochen wie regenbogenfarbene
-Schlangen die Mauern auf und ab; der Himmel über den offenen Plätzen
-brannte schlackenrot wie vom Widerschein einer kolossalen Feuersbrunst
-oder dem Ausbruch eines Riesenkraters. Und der Menschenstrom brauste
-und brauste. Das Auto, das Herrn Allan Kragh aus Schweden auf der Suche
-nach Abenteuern und eventuell einer Zukunft umschloß, eilte lautlos
-durch das Gewirr, vermied es zu kollidieren, vermied es, jemand zu
-töten, zog hier und da an einer Straßenecke eine augenblickliche Ritze
-durch die Menschenfluten; stürzte dahin, scheinbar ebenso sinnlos, wie
-die tausend anderen Autos, denen es begegnete, hundertmal schneller
-als die dahinströmenden Menschenfluten, aber ebenso sinnlos. Plötzlich
-bog es in einen offenen Platz, der weniger lichtflammend war, als die
-vorhergehenden Straßen und hielt vor einer Fassade, an der die Lichter
-sich zu einem gewaltigen Feston zusammengeballt hatten. „Grand Hotel
-Hermitage“ sagten die Lichtkränze; der Chauffeur wiederholte es, indem
-er die Türe des Autos aufriß, und Herr Allan Kragh ging über eine
-breite Treppe hinauf, in eine große Halle, die nach dem Souza-Marsch
-der Straßen unerhört still wirkte -- die ungeheure Drehtüre des
-Vestibüls schnitt den Lärm der Außenwelt ab wie eine Klosterpforte.
-
-Das war also das berühmte Grand Hotel Hermitage. Hundertmal hatte Allan
-diese drei Worte im Henschel, Bradshaw und den großen ausländischen
-Zeitungen gesehen; jedesmal hatte er gedacht: Wer doch da wäre; und als
-er nun auf seiner großen Reise vom Zufall und Herrn Mirzl nach London
-verschlagen wurde, da war es ihm ganz selbstverständlich erschienen,
-dem Chauffeur die Adresse des großen Hotels anzugeben.
-
-Auf dem Wege von Köln hatte Allan sich in Belgien mit den notwendigsten
-Reiseeffekten versehen -- man durfte vielleicht Herrn Mirzls
-Versprechen nicht allzu ernst nehmen; aber andererseits wäre es töricht
-gewesen, sich mit einer doppelten Ausstattung zu belasten; und er
-war folglich nicht ganz gepäcklos, als er, den Hotelträger hinter
-sich, durch die Drehtüre eintrat. Dennoch war es nur natürlich, daß
-der ernste Portier des Luxushotels (dessen Figur am ehesten an eine
-Benediktinerflasche erinnerte) ihn mit einer etwas herablassenden
-Nuance im Ton empfing. Hinter dem Portier bemerkte Allan im Kontor
-einen vierschrötigen Herrn mit graugesprenkeltem Yankeebart ohne
-Schnurrbart, der Direktor des Hotels, wie er später erfahren sollte.
-Hätte der Direktor und der Portier die Ereignisse vorausahnen können,
-die sich während Allans Aufenthalt im Grand Hotel Hermitage abspielen
-sollten und die Rolle, die Allan darin zu spielen bestimmt war, hätten
-sie ihn vermutlich mit Grüßen ganz anderer Art aufgenommen als die, mit
-denen der Portier Allan jetzt empfing.
-
-„Das ist Ihr ganzes Gepäck, Sir?“
-
-„Ja. Ich erwarte noch mehr. Ich möchte ein Zimmer haben.“
-
-Der Portier musterte ihn noch einen Augenblick, und weichere Gefühle
-erlangten die Oberhand.
-
-„Kleines Zimmer für diesen Gentleman, Jones. Ist 417 frei?“
-
-Es stellte sich heraus, daß 417 frei war. Ein uniformierter magerer
-junger Mann übernahm Allans unbeträchtliches Gepäck und geleitete
-ihn zum Lift. Dieser machte sich mit der würdigen Langsamkeit eines
-alten Herrschaftsdieners auf den Weg und blieb mit derselben Würde im
-vierten Stock stehen. Der uniformierte Herr führte Allan über einen
-teppichbelegten Korridor in das kleine Gemach, das geeignet befunden
-worden war, ihn zu beherbergen. Es war wirklich klein, das heißt, in
-der Breite, denn die Höhe ließ nichts zu wünschen übrig. Es wurde zum
-größeren Teil von einem Bett und einem Toilettetisch ausgefüllt und
-erinnerte infolge seiner architektonischen Gestalt in hohem Grade
-an eine Grabkammer in einer ägyptischen Pyramide. Dahinter befand
-sich, wie Allan sah, ein Badezimmer. Aber Allan hatte von Hermann
-Bergius gelernt, daß nichts gleichgültiger ist, als das Zimmer, das
-man auf seinen Reisen bewohnt, da man sich ja doch nie in wachem oder
-nüchternem Zustande darin aufhält. Er erklärte sich folglich mit der
-ägyptischen Grabkammer zufrieden, drückte dem uniformierten Herrn einen
-Schilling in die Hand und ging dazu über, Toilette zu machen.
-
-Als er eine halbe Stunde später, ohne sich wegen seines Reiseanzuges
-zu genieren, in den Speisesaal des großen Hotels wanderte, fand er
-Gelegenheit, zu konstatieren, daß nicht nur die Zimmer für Reisende
-mit unbedeutendem Gepäck klein sind, auch die Welt selbst ist überaus
-klein. Ja, offenbar, denn als er sich an einem Tisch niedergelassen,
-die Speisekarte verlangt hatte und sich im Speisesaal umzusehen begann,
-wen erblickte er an dem Nebentisch rechts, wenn nicht die Dame, die
-ihn vom Hamburger Bahnhof in die Welt hinausgelockt hatte, und als
-ihren Kavalier den alten Herrn mit der Raubvogelnase und dem gelbgrauen
-Schnurrbart.
-
-Allan fixierte sie überrascht. Es war unleugbar kurios, dieses Paar
-gerade hier zu treffen! Es gab doch tausend Hotels in London. Nun, es
-war natürlich ein Zufall, aber ... das Freundschaftsbündnis, das er
-im Expreß beginnen gesehen und zu dem er selbst teilweise die direkte
-Ursache gewesen, war offenbar von nachhaltigerer Art geworden, als
-Reisebekanntschaften zu sein pflegen. Er konnte die alte Bordeauxnase
-gut verstehen ... trotz des Grolls, den er noch gegen die junge Dame
-wegen ihres Auftretens im Coupé hegte, mußte er sich selbst gestehen,
-daß sie eine Messe wert war ... sie schien ihm sogar mehrere Messen
-wert. Es bedurfte der Phantasie einer Pariserin, dachte er, um sich
-eine solche Toilette, wie sie sie heute abend trug, auszudenken,
-und der Courage einer Amerikanerin, um sie zu tragen. Seine Blicke
-irrten über die Linie des Ausschnittes um ihren weißen Busen, der so
-herausfordernd entblößt war wie auf einer Zeichnung von Rops, und
-wenn sie nicht da umherirrten auf der Grenzlinie zwischen der weißen
-Haut und der grünen Seide, ist es möglich, daß sie etwas weiter
-hinabschweiften, wo der knapp anliegende Rock fast bis zum Knie
-aufgeschlitzt war ... Welche Linie ist mystischer und verlockender zu
-verfolgen als die Linie einer schönen Frauenwade? Namentlich wenn sie
-von einem Strumpf von jener diskreten Durchsichtigkeit umschlossen
-ist, wie sie Madame offenbar bevorzugte ... Die Wellenlinie ihrer
-Wade zeichnete sich durch den grünen Strumpf ab wie Marmor durch den
-adriatischen Wasserspiegel. Allan starrte, ganz im klaren darüber, daß
-er zudringlich war, und plötzlich drehte Madame den Kopf nach Allans
-Seite (sie saß im Halbprofil) und ließ den Blick über ihn hingleiten;
-Allan sah, daß sie ihn erkannte. Im selben Augenblick stand der Kellner
-an seinem Tisch, mit Speisekarte und Weinliste, und er war genötigt,
-seine Augen von ihr loszureißen.
-
-Wer konnte sie sein, und wie kam es, daß sie in dieser Gesellschaft
-hier war? Diese Frage summte Allan im Kopf, während er ein paar
-Gerichte der Speisekarte und einen Bordeaux von der Weinliste wählte.
-Der Kellner verschwand, und er hatte die Aussicht auf den anderen Tisch
-wieder frei.
-
-Man sprach dort ziemlich eifrig. Ueber ihn? Nicht unmöglich, denn
-eine flüchtige Sekunde flog ihr Blick wieder zu ihm hinüber; der alte
-Herr mit der Raubvogelnase bekundete hingegen kein Interesse für
-ihn, wenn nun wirklich über ihn gesprochen wurde. Allan nahm seine
-bewundernde Betrachtung ihrer Person wieder auf, ohne daß sie sie
-nunmehr zu berühren schien, und war noch damit beschäftigt, als der
-Kellner mit der Omelette und dem Wein, den er bestellt hatte, erschien.
-Er machte einen Schluck aus seinem Glas und begann zu essen, während
-seine Gedanken von dem geheimnisvollen Paar dort drüben zu Herrn
-Benjamin Mirzl schweiften. Plötzlich kam es ihm, eigentümlicherweise
-zum erstenmal, zum Bewußtsein, daß er gerade dieses Trio in seiner
-Gesamtheit -- den alten Herrn, die junge Dame und Herrn Mirzl -- vor
-dem Billettschalter in Hamburg gesehen hatte. Allerdings schienen
-sie damals ganz unabhängig voneinander, aber ... Herr Mirzl war ein
-internationaler Schwindler, wenn auch vielleicht ein exzentrischer,
-wohlwollender; waren die beiden anderen von derselben Sorte? Das
-war natürlich nicht ausgeschlossen, und Allan beschäftigte sich mit
-dieser Möglichkeit, während er vom Poulard und Bordeaux zum Dessert
-und einem Glas Madeira überging (man mußte doch die Bekanntschaft mit
-der Mutter aller Städte feiern), aber verwarf sie nach dem zweiten
-Glas Madeira als unwahrscheinlich. Er bestellte Kaffee und Likör,
-wobei das Wesen des Kellners ebenso milde zu werden begann, als
-wenn er im _evening-dress_ gewesen wäre, und blieb bei diesen
-angenehmen Getränken sitzen, auch als das Paar, das ihn intrigierte,
-den Speisesaal verlassen hatte. Zu seiner nicht geringen Ueberraschung
-sah er, als die Rechnung beglichen wurde, daß sie für beide bezahlte;
-der alte Herr war also offenbar von ihr eingeladen. Kontinental, dachte
-Allan. Sie passierten seinen Tisch ohne ein Zeichen des Wiedererkennens
--- oder sah er recht, als er ein kleines Blinzeln zu merken glaubte,
-die Ahnung eines spöttischen Lächelns in ihren Augen? Es war unmöglich
-zu entscheiden.
-
-Um halb elf Uhr, als Allan sich zu einem Abendspaziergang mit Zigarre
-durch London entschlossen hatte, zeigte es sich, daß die Stadt
-ihrerseits entschlossen war, seine Ankunft mit einem undurchsichtigen,
-gelbgrauen, brandrauchduftenden Nebel zu feiern, der zur Folge hatte,
-daß er (nach zwei Whisky mit Soda, zu Ehren der Riesenstadt) in der
-ägyptischen Grabkammer zu Bette ging. Er schlummerte sofort ein und
-schlief wie ein Stück Holz.
-
-London ist eine wunderbare Stadt, voll Ueberraschungen, unerforschlich
-wie das Menschenherz, mehr Dinge bergend als die Philosophie sich
-träumen läßt oder Baedeker in seinen roten Büchern mit Sternen
-bezeichnet hat. Und Herr Allan Kragh fand in seinem bescheidenen Maße
-Gelegenheit, diese Binsenwahrheiten schon im Laufe des folgenden
-Tages bestätigt zu finden. Die Nebel des Abends waren von einem
-sanften Sonnenschein, der von einem milden, veronikablauen Himmel
-erstrahlte, abgelöst, als er am Vormittag seine Streifzüge vom
-Grand Hotel Hermitage antrat, und, Goethe gehorchend, ins volle
-Menschenleben der Straßen hineingriff. Seine Streifzüge gehen jedoch
-diese wahrheitsgetreue Erzählung nichts an, und wir begnügen uns damit,
-den Kontakt mit ihm wieder aufzunehmen, als er gegen ein Uhr nachts
-ins Grand Hotel Hermitage heimkehrte. Da beschäftigten ihn nicht die
-Geheimnisse von London, sondern das Geheimnis Benjamin Mirzl.
-
-Was hatte Herr Mirzl mit dem Brief beabsichtigt, den er Allan durch
-einen seiner Helfershelfer vor zwei Tagen in Köln hatte zustecken
-lassen? Ein Bluff? Aber warum? Konnte einem Herrn seines Schlages
-etwas derartiges Spaß machen? Es war ja denkbar, aber paßte nicht zu
-der Vorstellung, die Allan sich von Herrn Mirzl gemacht hatte. Es war
-ja auch möglich, daß dieses Vorstellungsbild Herrn Mirzl ebensowenig
-ähnlich sah, wie dieser sich selbst in seinen verschiedenen
-Verkleidungen. Auf jeden Fall: Schlag neun Uhr, eine Stunde vor der
-angegebenen Zeit, hatte sich Allan in dem von Mirzl bezeichneten Kaffee
-„The Leicester Lounge“ eingefunden. Seine Londoner Eindrücke waren
-dadurch um noch einen vermehrt worden, aber als er gegen halb ein Uhr
-aus dem Kaffee hinausgeworfen wurde (Polizeivorschrift), war dies auch
-seine einzige Ausbeute. Dem Kaffee hatte sein dreiundeinhalbstündiger
-Besuch etwas mehr Ausbeute gebracht. „The Leicester Lounge“ erwies
-sich als ein Kaffee von der Art, wo Maria Magdalena auch vor ihrer
-Reue Zutritt hat. Es gab dort ein paar Dutzend Magdalenen vor der Bar
-und ein halbes Dutzend innerhalb derselben. Der Raum im übrigen, der
-sehr beschränkt war, wurde von dem leichtlebigen männlichen London in
-Anspruch genommen. Die Losung sowohl für das leichtlebige männliche
-London wie für die Direktion des Lokales war fixe Expedition. Das
-größtmöglichste Glück der größtmöglichsten Anzahl: ein schöner
-Leitsatz. Die Zirkulationsgeschwindigkeit war bewunderungswürdig:
-Entree, ein Drink, Bekanntschaft, noch ein Drink, Sortie. Herren,
-die keine Bekanntschaften machten, wurden über die Achsel angesehen.
-Herr Allan Kragh wurde über die Achsel angesehen. Es nützte nichts,
-daß er, so oft das dunkle Auge des Kellners ihn traf, einen Drink
-bestellte, oder daß eine unbestimmte Anzahl Magdalenen sich an seinem
-Tisch bezechten; er blieb sitzen und wurde folglich über die Achsel
-angesehen. Und Herr Mirzl kam nicht. Oder gab sich wenigstens nicht
-zu erkennen. Konnte es ihn amüsieren, Allans drinkerfüllte Erwartung
-in einer Verkleidung zu beobachten? Konnte er (da war der Kellner mit
-dem Auge schon wieder -- _Whisky and soda, please!_) -- konnte
-er vielleicht von der weltlichen Gerechtigkeit arretiert sein? Die
-Polizisten Londons waren ja so flink. Reichte Herrn Mirzls Schlauheit
-nicht hin, um sie zu überlisten? Sherlock Holmes, _you know_. Auf
-jeden Fall (_Whisky and soda please_, der Kellner mit dem Auge)
--- reichte sie für Allan Kragh aus. Nach einer dreiundeinhalbstündigen
-Whisky-Orgie verließ Herr Allan Kragh (auf Grund der polizeilichen
-Bestimmungen und Müdigkeit in der Kehle) The Leicester Lounge,
-durchdrungen von der eben erwähnten Ueberzeugung.
-
-Und das erste, was er in der ägyptischen Grabkammer Nr. 417 erblickte,
-waren seine ehrlichen schwedischen Handkoffer. Es fehlte nicht viel,
-und er hätte geglaubt, eine Säufervision zu haben.
-
-Aber faktisch; da standen seine beiden Handkoffer, der aus braunem
-Rindsleder und der aus eisenbeschlagenem Holz ... Sein Klingeln rief in
-weniger als einer Minute einen uniformierten Herrn in die Grabkammer
-hinauf.
-
-„Diese Koffer?“
-
-„Wurden heute abend um halbzehn Uhr von einem Träger abgegeben, Sir. Es
-liegt ein Brief an Sie auf dem Toilettetisch, Sir. Wünschen Sie noch
-etwas, Sir?“
-
-Allan machte eine stumme Handbewegung. Jetzt wurde die Sache aber doch
-zu mystisch. Wie in -- -- konnte Herr Benjamin Mirzl denn wissen, wo
-er wohnte. -- Er stürzte sich über den Brief auf dem Tisch, ohne seine
-verwirrten Fragen zu Ende zu denken. Er enthielt zwei Schlüssel und
-folgende Zeilen:
-
-„Lieber Herr Kragh! Entschuldigen Sie, daß ich Sie vergeblich in The
-Leicester Lounge warten ließ. _Business, you know_; unmöglich
-für mich, abzukommen. Hoffe, Sie waren nicht gezwungen, allzu viele
-Whisky mit Soda zu nehmen; kenne das Lokal; sollte mir leid tun. Füge
-die Schlüssel bei, die ich während der Zeit, als ich Ihr prächtiges
-Gepäck inne hatte, zu verwenden pflegte; hoffe, Sie können sie als
-Reserveschlüssel brauchen; danke Ihnen nochmals für die freundliche
-Ueberlassung des Gepäcks; bitte Sie um Entschuldigung wegen all der
-Mühe, die ich Ihnen verursacht habe und verbleibe in aller Eile
-
- Ihr ergebener
- Ludwig Koch,
- alias Dr. Hauser,
- alias ......
- (nach Belieben auszufüllen.)“
-
-Es ist unnötig, die Ausrufe, Fragen und Gesten zu verzeichnen, mit
-denen Allan Kragh diese Epistel kommentierte. Das Leben ist kurz, wie
-schon Mark Twain sagte; es war drei Uhr, als er sich nach der dritten
-Visitierung der Koffer -- nichts fehlte -- und der achtundneunzigsten
-Lektüre von Benjamin Mirzls Brief zu Bett legte. Es dauerte noch eine
-Stunde, bis er einschlief, und als er es tat, war sein Schlummer
-unruhig.
-
-Er hätte gar zu gerne Herrn Mirzl getroffen.
-
-Es war bestimmt, daß er seinen Willen in dieser Hinsicht durchsetzen
-sollte, aber das dauerte noch eine Weile.
-
- * *
- *
-
-Es war spät, als Allan am nächsten Tag die Augen aufschlug. Sein erster
-Blick galt den Koffern und sein zweiter Herrn Mirzls Brief, den er nun
-schon auswendig wußte, wie einen Bibelspruch im Katechismus. Erst sein
-dritter Blick galt der Uhr. Sie zeigte fünf Minuten vor zwölf. Allan
-flog aus dem Bett und begann sich anzukleiden. Unmittelbar vor dem
-Einschlafen war ihm etwas eingefallen: Es gab eine Möglichkeit, Herrn
-Mirzl aufzuspüren, durch den Dienstmann, der die Koffer gebracht hatte!
-Allan runzelte die Stirn und entwarf in Gedanken einen Kriegsplan, der
-auf besagtem Dienstmann aufgebaut war, und durch den Herr Mirzl sich
-wohl bald in seiner Höhle aufgespürt sehen sollte.
-
-Aber ach, schon der erste Faden riß, als er gegen halb ein Uhr sein
-Verhör im Hotelbureau anstellte. Der Dienstmann? Ein gewöhnlicher
-Träger. Nummer? Weiß Gott, was für eine Nummer er hatte. Er hatte ganz
-einfach die Koffer niedergestellt, erklärt, daß sie dem Herrn auf Nr.
-417 gehörten, dessen Namen auf beifolgendem Briefe stand, und daß alles
-bezahlt sei, worauf er sich ohne weiteres entfernt hatte. Nun, wenn man
-es sich recht überlegte, hatte er wohl überhaupt keine Nummer gehabt.
-Es war vermutlich ein gewöhnlicher Arbeitsloser gewesen. Stimmte etwas
-mit den Koffern nicht? Hatte der Mann etwas gestohlen oder verschlampt?
-
-Allan beeilte sich, nein zu sagen und verschwand. Es war nicht so
-leicht, die Sachlage mit einem unromantischen Hotelkontoristen zu
-diskutieren. Er versuchte sich vorzustellen, was Sherlock Holmes in
-seiner Lage getan hätte, und da kam ihm plötzlich eine Idee. Eine
-Annonce! Das war es. Sherlock Holmes hätte eine Annonce eingerückt und
-dem unnumerierten Dienstmann eine Belohnung in Aussicht gestellt.
-
-Allan erkundigte sich und suchte das Zeitungsbureau des Hotels auf; er
-fand es in einer kleineren Halle rechts von dem großen Entree gelegen.
-Es war eine weitläufige Anlage, wo alle Zeitungen der Welt verkauft,
-Annoncen für sie, Abonnements auf sie und (gegen eine kleine Abgabe)
-persönliche Notizen für sie über den Aufenthalt der Betreffenden
-im Grand Hotel Hermitage, ihre Gewohnheiten, ihren Lieblingssport,
-aufgenommen wurden. Allan erhielt ein Blankett und formulierte nach
-einiger Gedankenarbeit folgende Annonce:
-
-Träger! Zwei Pfund Belohnung erhält der Träger, der am Abend des 12.
-dieses, halb zehn Uhr, drei Gepäckstücke im Grand Hotel Hermitage
-abgegeben hat, wenn er sich ehestens im besagten Hotel einfindet.
-
-
-Der Kontorist des Zeitungsbureaus war ein ernster junger Mann vom
-Detektivtypus. Er nahm Allans Annonce ohne jeden Kommentar entgegen und
-fragte nur, in welche Zeitungen Allan sie aufgenommen wünsche. Allan
-überließ ihm selbst, dies zu bestimmen, worauf der hagere junge Mann
-dekretierte, daß Star, Daily Mail und Daily Citizen am besten seien,
-und einen Betrag für die zweimalige Einschaltung in jeder derselben
-entgegennahm. Sehr zufrieden mit sich selbst begab sich Allan in die
-Stadt, um sein Lunch einzunehmen.
-
-Im Laufe des Nachmittags, während er in Pall Mall promenierte, kam
-ihm jedoch eine Idee, die zur Folge hatte, daß er eine Viertelstunde
-später aus einem Auto vor dem Grand Hotel Hermitage sprang. Er hatte
-ja ganz verabsäumt, in Erfahrung zu bringen, wer seine mystische
-Reisegenossin war, die Dame aus Hamburg! Und sie wohnte doch in
-demselben Hotel! So ist es, wenn man den Kopf mit einer Sache voll
-hat. Der benediktinerflaschenähnliche Portier selbst führte den Befehl
-im Hotelbureau, als Allan hereinkam, um sein Verhör anzustellen. Die
-Wärme seines Tones war seit der Ankunft von Allans Gepäck um fünf Grad
-gestiegen.
-
-„Wünschen Sie ein größeres Zimmer, Sir?“ fragte er.
-
-„Vielleicht später,“ sagte Allan. „Ich möchte Sie gerne etwas fragen,
-Portier.“
-
-Er wühlte einen Augenblick in seinen Erinnerungen an Sherlock Holmes.
-
-„Ich glaube hier im Hotel eine Bekannte gesehen zu haben, eine
-Dame. Ich bin meiner Sache aber nicht ganz sicher und möchte nicht
-zudringlich erscheinen, Sie verstehen, Portier. Sie ist blond, schlank,
-von Mittelgröße oder etwas darüber, sieht sehr gut, aber ein bißchen
-hochmütig aus und speiste vorgestern mittag im Speisesaal -- -- --“
-
-Ein plötzliches Rauschen von Seidenröcken neben ihm ließ ihn
-zusammenzucken. Er wandte sich seitwärts und da stand die Unbekannte
-selbst!
-
-„Ich hörte zufällig Ihre freundliche Anfrage,“ sagte sie. „Sollte am
-Ende ich es sein, die Sie dem Portier beschrieben haben?“
-
-Diesmal konnte kein Zweifel über ihren Gesichtsausdruck herrschen, wie
-vor zwei Tagen im Speisesaal. Jetzt war es genau dieselbe Miene, die er
-vom Expreß her kannte; und ihre grauen Augen hatten einen Blick, der
-ihm kalt über das Rückgrat lief. Endlich gelang es ihm, sich zu fassen.
-
-„Sie, Madame? Soviel ich weiß, habe ich nicht das Vergnügen, Sie zu
-kennen.“
-
-„Ich Sie auch nicht -- dem Namen nach.“
-
-Es lag eine vernichtende Betonung auf den letzten zwei Worten, die
-nur zu gut ausdrückten, was sie meinte -- die Szene in Köln, wo sie
-ihn vor fünf Tagen arretieren gesehen hatte. Allan nahm eine hübsche
-Preißelbeerfarbe an, aber es gelang ihm zu sagen:
-
-„Sie haben gewiß etwas mit dem Portier zu besprechen. Ich will mich
-außer Hörweite zurückziehen, damit ich Sie nicht zu belauschen brauche.“
-
-Er wußte, daß dieser Abschiedspfeil sie in das Tiefste ihrer
-anglosächsischen Seele treffen mußte, aber trotzdem empfand er seine
-Sortie aus dem Bureau nicht als eine _Sortie d’éclat_. Er kreuzte
-die Halle so rasch, als es seine Würde zuließ. -- Was er hauptsächlich
-befürchtete, war, daß sie ihn zurückrufen und bitten würde, das
-Interview mit dem Portier fortzusetzen; er fühlte sich dieser Aufgabe
-jetzt nicht gewachsen. Und plötzlich fand er sich im Konversationssalon
-des Hotels, in den seine Beine ihn, ohne daß er es selbst wußte,
-getragen hatten, und hörte ein _damn and confound_, das mit
-ungeheurer Energie in seiner unmittelbaren Nähe ausgestoßen wurde.
-Erst im nächsten Augenblick dämmerte es ihm auf, daß ihm selbst diese
-Worte entschlüpft waren; und noch ganz erstaunt über seine rasche
-Akklimatisierung hörte er eine schrille Stimme, die sagte:
-
-„Hallo, junger Mann! Solche Worte pflegt man nicht in Damengesellschaft
-zu sagen.“
-
-Allan drehte sich um. Trotz der wenig menschenfreundlichen Laune, in
-der er sich für den Augenblick befand, mußte er lächeln. Auf einem der
-roten Lederstühle saß eine alte Dame mit dem New York Herald in der
-Hand -- sie wäre von der Zeitung verdeckt gewesen, wenn sie sie nicht
-gesenkt und Allan über den Rand angeguckt hätte. Ihr Gesicht glich
-auf das I-Tüpfelchen einem alten, schlauen Papagei. Sie hatte graues
-Haar, das von den Ohren abstand, zwei scharfe kohlschwarze Augen und
-eine Nase, die den Rest des Gesichtes ebenso gründlich ausfüllte,
-wie die Sankt Paulskathedrale den offenen Platz, an dem sie liegt.
-So wie die Kathedrale kam sie architektonisch nicht zu ihrem vollen
-Recht, aus Mangel an Perspektive ... Man sah jedoch einen breiten Mund
-mit schmalen und offenbar sehr scharfen Lippen, und ein Kinn, das
-napoleonisch zu wirken versuchte. Die kohlschwarzen Augen fixierten
-Allan schräg, ganz wie die eines Papageis. Allan verbeugte sich
-ehrfurchtsvoll:
-
-„Ich bitte Sie tausendmal um Entschuldigung, Madame! Ich dachte
-wirklich nicht daran, was ich sagte, und ich wußte kaum, wo ich mich
-befand.“
-
-„Warum haben Sie geflucht?“ sagte die alte Dame. Sie betonte das Wort
-geflucht so, daß es klang, wie gemordet oder falsches Zeugnis abgelegt.
-
-Allan wandelte die barocke Lust an, ihr alles zu erzählen.
-
-„Ich will versuchen, es Ihnen zu erklären,“ begann er. „Sind Sie
-Amerikanerin, wenn ich fragen darf?“
-
-„Ja. Haben Sie deshalb geflucht?“
-
-„Nicht weil +Sie+ Amerikanerin sind. Gott bewahre mich. Aber
-aufrichtig gesagt, war es eine Ihrer Landsmänninnen, die mich zum
-Fluchen brachte.“
-
-„Ein Gentleman flucht nie über eine Dame oder in Damengesellschaft.“
-
-„Sie haben recht. Ich bereue aus der Tiefe meines Herzens. Sehen Sie,
-diese Dame überraschte mich gerade, als ich dabei war, den Portier
-auszufragen ...“
-
-„Hat sie gehorcht? Dann ist sie keine Dame. Dann haben Sie das Recht zu
-fluchen.“
-
-„Hm, sehen Sie, ich war eben im Begriff, den Portier nach ihr selbst
-auszufragen ...“
-
-„Sind Sie in sie verliebt? Dann haben Sie ein Recht dazu. Dann verstehe
-ich Sie.“
-
-„Sie interessiert mich. Und Sie begreifen, daß ...“
-
-„Haben Sie vom Portier erfahren, wer sie ist? Sind Sie ein Engländer?“
-
-„Sie kam gerade zurecht, um mich daran zu verhindern. Nein, ich bin ein
-Schwede, Madame.“
-
-„Warum fluchen Sie dann auf englisch?“
-
-„Ja, wer das sagen könnte! Das Klima, vermute ich. Nochmals, ich bitte
-Sie um Entschuldigung, Madame.“
-
-„Oh, _demmit_, ist nicht nötig. Ich fluche selber, wenns sein
-muß. Setzen Sie sich nieder, Sie interessieren mich. Was machen Sie in
-London?“
-
-„Ja, wenn ich das wüßte. Eigentlich bin ich hier, um einen Herrn zu
-treffen, der meine Koffer gestohlen hat.“
-
-„Die kriegen Sie nie zurück. In London kriegt man nie etwas zurück,
-nicht einmal das Geld, das bei den Rechnungen übrig bleibt. Ich kenne
-die Engländer. Hat er Ihre Koffer hier in London gestohlen?“
-
-„Nein, im Expreß in Deutschland; und sehen Sie, das Lächerliche ist --“
-
-„Was ist das Lächerliche? Da ist Helen. Grüß Gott, mein Kind. Was ist
-das Lächerliche?“
-
-„Daß er sie mir unversehrt hierher zurückgeschickt hat.“
-
-„_Now demmit_ ... ich meine, sitzen Sie da und machen Sie sich
-über mich lustig, junger Mann? Helen, komm her, dann wirst du etwas
-hören. Hier ist ein junger Mann, der Märchen aus Tausendundeiner Nacht
-erzählt. Außerdem flucht er in Damengesellschaft.“
-
-Allan sah auf und erblickte ein junges Mädchen von zwanzig Jahren,
-die jetzt auf die alte Dame im Klubsessel zukam. Sie war schlank,
-blond und unaussprechlich amerikanisch. Allan fühlte eine instinktive
-Sympathie, die, wie er ebenso instinktiv empfand, verschieden von dem
-war, was er sonst für junge Damen zu empfinden pflegte. Sie hatte graue
-Augen und sehr reine Züge. War sie die Tochter der alten Dame auf dem
-Klubfauteuil, dann mußte sie wohl mehr ihrem Vater nachgeraten sein ...
-
-„Das hier ist meine Tochter, junger Mann, ob Sie es glauben oder nicht.“
-
-Die kohlschwarzen Papageienaugen hatten offenbar seine Gedanken
-gelesen. Allan verbeugte sich und zog eine Visitkarte hervor.
-
-„Ich weiß nicht, was in Amerika korrekt ist,“ sagte er ein bißchen
-befangen. „Gestatten Sie?“
-
-Die alte Dame erfaßte seine Karte mit einer krallenähnlichen Hand,
-hielt sie vorsichtig auf Armeslänge von sich ab (in diesem Falle keine
-besonders große Distanz) und betrachtete sie mit schräggelegtem Kopf.
-
-„K--r--a--g--h, Kragh, ist das ein komischer Name! Well, mein Name ist
-Mrs. Bowlby aus Worcester, Massachusetts, Sir!“
-
-Sie sprach Allans Namen aus, als bedeutete er Kreide[1].
-
- [1] Auf englisch _Cray_. Vorsichtige Bemerkung.
-
-Allan versuchte, ihr eine skandinavischere Aussprache beizubringen.
-
-„_Now demmit_, glauben Sie, ich bin nach England gekommen, um
-Schwedisch zu lernen? Wenn Sie auf englisch fluchen, können Sie sich
-auch auf englisch titulieren lassen. _There_, fahren Sie in Ihrer
-Erzählung fort.“
-
-Seine weiteren Erlebnisse in Mrs. Bowlbys Gesellschaft hatte Allan
-folglich als Mr. Cray.
-
-Unter einem Regen von Interpellationen berichtete er seine Abenteuer im
-deutschen Expreßzug, in Köln und in London. Plötzlich schweiften die
-Gedanken der alten Dame zum Ausgangspunkt zurück.
-
-„Und die Dame, die Sie am Hamburger Bahnhof sahen, ist dieselbe, die
-hier im Hotel wohnt?“
-
-„Ja.“
-
-„Wie kann das Hotel so etwas zulassen, das ist doch natürlich eine
-Hochstaplerin. Schon die Art, wie sie einen feinen jungen Mann wie Sie
-behandelt, beweist es.“
-
-„Mrs. Bowlby, ich war sehr unbescheiden ...“
-
-„Gewiß nicht. Absolut nicht. Das ist eine Schwindlerin, denken Sie an
-meine Worte! Wie sieht sie aus?“
-
-„Sie ist ein bißchen mehr als mittelgroß und etwas hochmütig. Mit
-grauen Augen wie Miß Bowlby und recht kurzer Oberlippe. Sie sieht aus
-wie eine blonde spanische Infantin, wenn Sie verstehen, was ich meine,
-Mrs. Bowlby.“
-
-„Natürlich. Und sie ist Amerikanerin?“
-
-„Ja. Ich glaube wenigstens. Das heißt, auf dem Bahnhof sprach sie
-allerdings deutsch, wie ich Ihnen schon erzählt habe -- aber später ...“
-
-„Haha!!“
-
-Mrs. Bowlbys Lachen war so triumphierend-krächzend, wie das eines
-Papageis, dem es soeben gelungen ist, einen Feind so recht tüchtig in
-den Zeigefinger zu beißen.
-
-„Haha! Die habe ich schon im Hotel gesehen, ganz richtig. Jetzt weiß
-ich’s. Sie hätte ebensogut französisch sprechen können, junger Mann.
-Sie sind in gute Gesellschaft gekommen! Glauben Sie, ich weiß nicht,
-wer sie ist?
-
-Mrs. Langtrey, erinnerst du dich an Mrs. Langtrey, Helen?“
-
-„Ich glaube, du hast von ihr gesprochen, Mama.“
-
-„Ich? Nie im Leben. Ich spreche von solchen Personen nicht. Andere
-Menschen haben vielleicht mit dir von ihr gesprochen ... Vor vier
-Jahren sprachen alle Leute von ihr, obgleich sie sich schämen sollten,
-überhaupt von so etwas zu sprechen.“
-
-„Aber Mama!“
-
-„Sch! Ich weiß, was ich sage. _Dash it_, ich sollte gar nicht
-zu dir von ihr sprechen, Helen. Sie war mit dem Obersten Langtrey
-in Boston verheiratet und eine große Modedame. Kurz bevor Langtrey
-starb, hatte sie einen +gräßlichen+ Flirt mit einem französischen
-Windbeutel, der sich Baron nannte oder Marquis oder König. De Citrac
-hieß er. Langtrey hatte kaum die Augen geschlossen, als sie nach Europa
-verduftete. Natürlich weiß man, was sie da wollte. Seither hat niemand
-in Amerika von ihr gehört, obwohl alle von ihr gesprochen haben. Aber
-ich glaubte sie gestern, als wir kamen, hier im Hotel zu sehen, und nun
-nach Mr. Crays Beschreibung ...“
-
-Mrs. Bowlbys Rede wurde dadurch unterbrochen, daß die Türe des
-Lesesalons sich öffnete und jemand hereinkam, in strahlender,
-rosafarbener Nachmittagstoilette, die um sie rauschte, wie der Schaum
-um eine schlanke Säule. Sie warf einen eisig gleichgültigen Blick
-auf Allan, ohne die beiden Damen auch nur zu sehen, und ging mit
-königlicher Grazie auf einen der Tische mit den illustrierten Zeitungen
-zu. Sie wählte The Queen aus und versank in einem Lederfauteuil im
-rückwärtigen Teil des Lesesalons.
-
-„_Well!_“ Mrs. Bowlbys Interjektion barg eine Welt von Bedeutung
--- „ist das nicht sie, die ...“
-
-Allan, dessen Augen in dieselbe Richtung starrten, wie ihre
-steinkohlenschwarzen Aeuglein, zog langsam seinen Blick wieder zurück.
-Mrs. Bowlby, die diesen Blick gesehen hatte, erhob sich fünf Fuß hoch
-aus ihrem Sessel.
-
-„Zeit, Tee zu trinken,“ sagte sie. „Wollen Sie mit Helen und mir den
-Tee nehmen, Mr. Cray? Sie brauchen Schutz und Schirm gegen die Welt,
-junger Mann, sie ist voll Sünde, und unser eigen Fleisch der Sünde
-bester Bundesgenosse.“
-
-Allan riß die Tür für sie und Fräulein Helen auf, während er innerlich
-im stillen bedauerte, daß die Sünde einerseits so verlockend aussehen
-muß und andererseits nicht immer so geneigt ist, den Menschen zu
-attackieren, wie die Theologen behaupten.
-
- * *
- *
-
-Beim Tee in Mrs. Bowlbys Salon im ersten Stock gesellte sich Mr.
-Bowlby hinzu. Mr. Bowlby war ein langer, breitschultriger, blonder
-Mann, offenbar jünger als seine Gattin. Sein glattrasiertes Gesicht
-erhielt seinen Charakter von dem breiten lustigen Mund. Er sah aus
-wie ein Schuljunge. Mrs. Bowlby stellte Allan unter der Signatur vor,
-unter der sie ein für allemal entschlossen war, ihn zu verbergen. Sie
-entwarf eine farbenprächtige Schilderung seiner Abenteuer und eine noch
-koloriertere Darstellung von Mrs. Langtrey und ihren Ansichten, wes
-Geistes Kind diese Dame war. Mr. Bowlby interpunktierte ihre Erzählung
-mit einer größeren Anzahl _blow me_ und ebenso vielen Tassen Tee.
-Dann wischte er sich den Mund und sagte:
-
-„_Well_, Susan (seine Stimme war laut und lärmend wie die eines
-großen jungen Hundes), ich habe auch Neuigkeiten. Wir müssen in den
-zweiten Stock ziehen.“
-
-„Früher siehst du mich am höchsten Ast baumeln,“ sagte Mrs. Bowlby,
-ohne einen Augenblick zu zaudern. „Ist die Börse zurückgegangen, John?
-Du solltest sie sein lassen, wenn du auf Ferien bist.“
-
-„Es ist nicht die Börse;“ sagte John. „Es ist ein König.“
-
-„Ein König? Hast du einem König Geld geliehen, John?“
-
-„Unsinn, ich leihe kein Geld aus, das weißt du. Der König soll hier
-wohnen, ein richtiger König, der übermorgen herkommt, um sich in London
-zu verheiraten. Der Direktor hat es eben als eine Gnade von mir erbeten
-...“
-
-„Ich sage dir eines, John, versuche nicht unser armes Kind an ihn
-zu verheiraten! Helen! Du darfst nie an derartige Menschen denken,
-versprich mir das, Kind.“
-
-„Du phantasierst, Susan. Helen mit ihm verheiraten! Ebensogut könnte
-ich sie mit einem Mormonen-Bischof verheiraten. Der König, der kommt,
-hat schon hundertfünfzig Frauen.“
-
-„Barmherziger Jesus! Was ist das für ein Untier, das uns aus unserer
-Wohnung vertreiben will, John?“
-
-„Ein König, ein richtiger König mit fünfzehn Millionen Untertanen, die
-meisten davon braun, aber, _blow it_, ein richtiger König. Der
-Direktor war geradezu verzweifelt, daß ...“
-
-„Komme mir nicht mit dem Direktor! Bist du ein freigeborener
-Amerikaner? Gibt es nicht noch andere Hotels in London?“
-
-„Einige, Susan, aber das hier ist wohl das einzige, wo ein König
-absteigen kann. Und wir bekommen eine Wohnung einen Stock höher, wo
-Prinz Hieronymus von Bulgarien wohnte, als er zuletzt in London war.“
-
-„Dann kann sich dieser König auch damit zufrieden geben. Was dem einen
-recht ist, ist dem anderen billig.“
-
-„Das ist aber ein regierender Fürst, Susan, und ein regierender Fürst
-kann nicht höher wohnen als im ersten Stock.“
-
-Mrs. Bowlbys steinkohlenschwarze Augen wanderten von John zu Fräulein
-Helen und von ihr zu Allan.
-
-„Hat er die hundertfünfzig Frauen mit, John?“
-
-„Das weiß ich nicht, liebe Susan. Dann muß er wohl ein besonderes Hotel
-für sie mieten, oder vielmehr hundertfünfzig besondere Hotels, damit
-sie ihm das Leben nicht zu sauer machen.“
-
-Mrs. Bowlby wurde weich.
-
-„Ich bin überzeugt; daß er sie mit hat, John, ich kenne die Männer.
-Ziehen wir also in die Wohnung des Prinzen! Ich muß hier bleiben und
-diesen jungen Mann beschützen. Das ist meine Pflicht, Mr. Cray, denn
-ich kenne auch die Frauen.“
-
-Mrs. Bowlby stellte ihre Teetasse energisch hin und betrachtete Allan,
-als wäre er ein junger Papagei vor seinem ersten unsicheren Flug. Dann
-wendete sie sich an Mr. Bowlby.
-
-„Wie heißt das Untier, John?“
-
-„Yussuf Khan,“ antwortete Mr. Bowlby, indem er eine Zigarre ansteckte.
-„Yussuf Khan, Maharadscha von Nasirabad.“
-
-
-
-
-IV
-
-Yussuf Khan, Maharadscha von Nasirabad
-
-
-Als Ibrahim Khan, selbständiger Maharadscha des Staates Nasirabad,
-in der nordwestlichsten Ecke Indiens, im Jahre 1885 am Khawakpasse
-vom damaligen Obersten der angloindischen Armee, Sir George Merriman,
-besiegt wurde, war es nicht ein Fürst, oder ein Volk, das fiel; es
-war ein System. Ibrahim Khan hatte sich während einer vierzigjährigen
-Regierung als der erbittertste Gegner bekannt gemacht, den das
-englische Regime seit Tippo Sahib gehabt hatte; nur die Kleinheit
-und Entlegenheit seines Staates hatte seine Feindschaft verhindert,
-ebenso furchtbar zu werden als sie erbittert war. Als die Nachricht
-vom Ausgang der Schlacht am Khawakpasse in Nasirabad eintraf, und es
-klar wurde, daß die Tage von Ibrahim Khans Selbständigkeit gezählt
-waren, beschloß er, wenigstens selbst über die Anzahl dieser Tage zu
-bestimmen. Gleich einem berühmten König des alten Testamentes stürzte
-sich Ibrahim Khan auf sein Schwert, und die Gesänge, die Sir George bei
-seinem Einzug in Nasirabad begrüßten, waren keineswegs Lobeshymnen.
-
-Es ist jedoch wohlbekannt (wir verweisen auf Alexander Carsons
-vortreffliche Lebensbeschreibung Sir Georges, Heinemann & Co., London
-1908), wie gut Ibrahim Khans Besieger die Kunst beherrschte, die
-Hannibal nie erlernen konnte, den Sieg auszunützen. Zum Administrator
-des Reiches ernannt, das er der Königin erworben, verwaltete er es
-mit einer Pflichttreue und einem Eifer, der sogar in Indien wenig
-Gegenstücke gehabt haben dürfte. Nicht genug damit: er sah sich
-durch einen Erfolg belohnt, der wohl noch seltener erreicht worden
-sein dürfte. Als er im Jahre 1905, am Jahrestage der Schlacht am
-Khawakpasse, die Bergtäler Nasirabads verließ, war es als Vater des
-Landes, nicht als sein Besieger; aufrichtige Tränen der Bevölkerung aus
-allen Landesteilen folgten ihm; und diese Tränen verdoppelten sich,
-als die Nachricht von seinem drei Monate später erfolgten Tode das
-schlichte Gebirgsvolk erreichte. „Er schlug uns, und er wurde unser
-Vater; als er seinem Herzen unsere Herzen nicht mehr entgegenschlagen
-fühlte, hörte es selbst auf zu schlagen,“ sang der alte Hofdichter
-Abdul Mahbub.
-
-Der Schmerz über Sir Georges Hingang wurde einigermaßen dadurch
-gemildert, daß ein Sohn des alten Fürstenhauses gleichzeitig (unter
-Oberaufsicht des neuen Residenten, Sir Herbert Layson) die Regierung
-übernahm. Es war Yussuf Khan, Ibrahim Khans ältester lebender Sohn --
-selbst eines der Produkte und vielleicht nicht das glücklichste, von
-Sir George Merrimans Reformen. Bei Sir Georges Einzug in Nasirabad
-erst vier Jahre alt, wurde der junge Prinz sofort unter die Leitung
-eines englischen Hofmeisters gestellt; es war Sir Georges Ueberzeugung,
-daß die Reformen sowie die Kultur von oben nach unten gehen müssen.
-Zum Hofmeister des jungen Prinzen Yussuf Khan wählte er einen alten
-Oxforder Freund namens Bowles. Vermutlich sah Sir George diesen mehr
-durch die Brillen der Freundschaft, als der Pädagogik; es ist auch
-möglich, daß er zu sehr von den übrigen Einwohnern Nasirabads und
-ihren bunten Angelegenheiten in Anspruch genommen war, um viel Zeit
-für die zahlreichen Angehörigen des fürstlichen Hauses übrig zu haben.
-Und jedenfalls trug der Nimbus, der den Eroberer Nasirabads umgab,
-dazu bei, alle Exzesse des jungen Thronfolgers zu verhindern, solange
-Sir George selbst die Leitung des Reiches inne hatte. Uebrigens
-war Dr. Bowles dem Prinzen ein so guter Lehrer, daß er die Sprache
-seines Vaterlandes fast ganz über der der Eroberer vergaß. Sogar mit
-seinem eingeborenen Lehrer, dem alten Dichter Ali, sprach er meistens
-englisch. Aber das Jahr 1906 -- Yussuf Khans fünfundzwanzigstes
-Jahr -- war kaum angebrochen, als er auch schon Sir Herbert Layson
-verschiedentliche Nüsse aufzuknacken gab.
-
-Zu dieser Zeit war sein alter Erzieher Bowles schon aus dem Spiele,
-mit einer schönen Pension und sämtlichen Orden des Staates Nasirabads
-an seiner Brust nach England heimbefördert; es war also Sir Herbert
-selbst, der dem Anprall des ersten Sturmlaufes des jungen Regenten
-gegen das neue Regime standhalten mußte. Er tat es in seiner eigenen
-Weise, und vielleicht wäre das, was nun geschah, nie eingetroffen, wenn
-ein Mann von anderem Charakter Sir Herberts Platz bekleidet hätte, in
-welchem Falle auch dieses Buch nie das Licht der Welt erblickt hätte.
-_Habent sua fata libelli_, sagt mit Recht der römische Dichter.
-Nun war Sir Herbert Layson gerade ein Jünger dieses römischen Dichters
-sowie seines großen Namensvetters Herbert Spencer; er war ein stiller,
-ironischer, arbeitsamer, verschlossener Mann, der seine Tagesarbeit
-verrichtete und es liebte, auf das Leben von einer ebenso kühlen und
-klaren Höhe herabzublicken, wie er von seinem Palast in Nasirabad
-auf die Bergtäler unter der Hauptstadt herniedersah. Yussuf Khans
-jugendliche Heißblütigkeiten fing er wie Wurfgeschosse mit dem Schild
-seiner Ironie auf; es muß zugegeben werden, daß dieser Schild auf harte
-Proben gestellt wurde. Es begann mit Regierungsfragen, in denen der
-junge Regent seinen Willen durchsetzen wollte; die Angriffe auf diesem
-Gebiet waren von kurzer Dauer. Sir Herbert ließ den jungen Mann bei
-einer oder zwei passenden Gelegenheiten seinen Willen durchsetzen;
-das war genug. Die Unruhe und Erregung der Bevölkerung, die sich
-schon an die maßvollen Verordnungen und Auflagen des englischen
-Residenten gewöhnt hatte, überzeugte sogar Yussuf Khan sehr bald, daß
-seine Anlagen nach anderen Richtungen wiesen. Recht bald hatte er
-auch herausgefunden, welche diese Richtungen waren: Pferdesport und
-militärische Uebungen. Der Anfall dauerte gut zwei Jahre, von 1907
-bis Ende 1909. Daraus folgte eine kurze Periode der Mattigkeit beim
-Patienten, bis die neue Phase der Krankheit auftrat. Und als dies
-geschah, wurde Sir Herbert zum ersten Male unruhig. Denn nun hatte das
-Weib seinen Einzug in Yussuf Khans Leben gehalten, und was schlimmer
-war, das geträumte, nur mit den Augen des Ideals gesehene Weib. Sir
-Herbert hatte Grund zur Unruhe.
-
-Bei diesem Punkt fragt sich der flüchtige Leser erstaunt: Was weiter?
-Hat man nicht von diesen indischen Fürsten und ihren Harems gelesen,
-wo die schönsten, üppigsten Frauen der Welt ausschließlich für ihre
-Rechnung verwahrt werden, wie eine Bibliothek von Luxusausgaben?
-Sind nicht ihre mandelförmigen Augen schwärzer und sanfter als
-die der Gazelle, ihre Glieder geschmeidiger als Schlingpflanzen,
-ihre Zärtlichkeit berauschender als Haschisch! Gibt es nicht eine
-schwedische Zenanamission für diese Unglücklichen? Oder war Yussuf
-Khan schlechter daran als seine Kollegen? -- Dem Leser, der diese
-elegant formulierten Fragen stellt, können wir nur antworten: Möge
-er sich selbst in Yussuf Khans Lage versetzen, als souveräner Gatte
-von einhundertfünfzig schönen Asiatinnen aller Völkerschaften! Was
-nützt ein Harem und seine arabeskengeschmückten Mauern gegen das
-Ideal? Das Ideal findet immer eine Ritze in den Arabesken, durch die
-es sich eindrängt; es ahmt die Stimme der Nachtigallen nach, um von
-Frauen zu singen, tausendmal verführerischer als die Haremskönigin,
-es flüstert im Palmenrauschen; sein Sirenengesang klingt aus dem
-Rieseln der Springbrunnen. Oder, um so prosaisch zu sprechen wie Seine
-allerchristlichste Majestät Franz I. von Frankreich, auch er Herr
-eines (höchst christlichen) Harems -- „_toujours perdrix_“! Immer
-Rebhühner! -- Leben Sie einmal einen Monat von Rebhühnern und Bordeaux,
-und Sie sehnen sich nach Käse und Brot und einem Schluck Wasser. Leben
-Sie ein paar Jahre von Rebhühnern, und Sie werden Vegetarianer. Yussuf
-Khan, Maharadscha von Nasirabad war schon um die Mitte des Jahres 1909
-definitiv zum Vegetarismus übergegangen, und zu Ende dieses Jahres
-war seine idealistische Krankheit in ein bösartiges, akutes Stadium
-getreten.
-
-Er wollte eine europäische Prinzessin heiraten!
-
-Hatte Sir Herbert Layson Grund, unruhig zu sein oder nicht?
-
-Was die Sache noch verschlimmerte, war der Charakter des trefflichen
-Sir Herbert. Sein Schädel entbehrte gänzlich jener idealistischen
-Knollen, die ein Phrenologe an dem Yussuf Khans gefunden hätte; als
-Yussuf Khan seine Gesellschaft aufsuchte und ihn zögernd in die stumme
-Qual seines Geistes einzuweihen begann, begegnete ihm Sir Herbert mit
-einem trockenen Lächeln und mit Reflexionen über die europäischen
-Frauen, die Yussuf Khan vor Empörung aufflammen ließen, wie einen
-neuen Bayard. Erst als es zu spät war, erkannte Sir Herbert, wie die
-Dinge standen, und änderte seine Taktik; aber seine Versuche, den
-jungen Regenten für Polo- oder für Regierungsfragen zu interessieren,
-hatten keinerlei Erfolg mehr. Seine einzige Hoffnung war, daß der
-Frühling, der die Liebe im Menschen wieder entzündet, auch seine
-Wirkung auf Yussuf Khan nicht verfehlen würde. Der Frühling kam;
-doch anstatt bei Yussuf Khan die Liebe zu den hundertfünfzig Frauen
-wieder zu entflammen, ließ er seinen Idealismus auflodern wie die
-Scheiterhaufen an den Landstraßen oben im Gebirge. Und was mehr war:
-der Frühling brachte ihm einen Plan. Da es unwahrscheinlich war, daß
-die europäischen Prinzessinnen ihn in Nasirabad aufsuchen würden, blieb
-offenbar nichts anderes übrig, als daß er sie in Europa aufsuchte.
-
-Nun begann Sir Herberts wirkliches Inferno. Endlose Ermahnungen und
-ironische Ausfälle erwiesen sich als gleich fruchtlos. Den ganzen
-Sommer streifte Yussuf Khan wie ein unversöhnter Schatten um seinen
-Palast herum, einen einzigen Wunsch auf den Lippen. Der Sommer
-Nasirabads, sonst kühl und angenehm gegen den Sommer im übrigen
-Indien, wurde für Sir Herbert so allmählich heißer als der Bikanirs.
-Die Quellen seiner Ironie vertrockneten vor Yussuf Khans asiatisch
-glühender Halsstarrigkeit. Er wurde nervös und reizbar, er verlor
-seine kühle Erhabenheit gegenüber den Phänomenen des Lebens und seine
-Arbeitsfreude. Endlich faßte er Ende Juli seinen Entschluß und schrieb
-an den Vizekönig in Simla: Konnte man es riskieren, einen vom Gifte des
-Idealismus fieberkranken Himalaya-Löwen auf Europa loszulassen? Waren
-die heiratsfähigen europäischen Prinzessinnen unfallversichert? Hatte
-nicht Pasteur irgendeine Behandlungsmethode für diese neue Form der
-Rabies?
-
-Die Antwort des Vizekönigs, die mit bis dahin unbekannter Spannung in
-Nasirabad erwartet wurde, lautete kurz und bündig: +Lassen Sie den
-jungen Idioten reisen, aber sorgen Sie für Bewachung.+
-
-Sir Herbert stieß einen Seufzer unsäglicher Erleichterung aus. In
-einer Woche waren die Arbeiten an Yussuf Khans Ausrüstung in vollem
-Gange -- dieser Zeitraum war nötig, um die Begriffe des jungen
-Regenten über die Pracht, die bei der Werbung um eine weiße Prinzessin
-entfaltet werden sollte, ein wenig zu modifizieren. Nachdem Elefanten,
-goldschabrackengeschmückte Stuten und eine Eskorte von zweihundert
-stummen Sklaven aus dem Programm gestrichen waren, blieb noch ein
-Punkt; in dem er sich unerschütterlich zeigte: Die Kronjuwelen
-Nasirabads vom ersten bis zum letzten mußten mitgenommen werden. Selbst
-mit dieser Pracht wußte er nur zu gut, wie unendlich gering seine
-Aussichten waren, die geträumte stolze Prinzessin zu erringen: ohne die
-Juwelen waren diese Aussichten winziger als die Eier der weißen Ameise.
-Sir Herbert zuckte die Achseln; tatsächlich konnte er in diesem Punkte
-nichts machen, denn die Juwelen waren Yussuf Khans Privateigentum. Er
-begnügte sich damit, sich die Juwelen zeigen zu lassen; es war ein
-sehenswerter Anblick. Er wußte vom Hörensagen, welche Schätze der alte
-Ibrahim Khan in seiner Juwelenkammer aufgestapelt hatte, aber bisher
-waren sie ebenso sorgsam vor seinen Augen verborgen gewesen, wie die
-hundertfünfzig Damen in Yussuf Khans Harem. Es war eine Pyramide
-von Diamanten, Perlen, Topasen, Smaragden, Rubinen und Gold, ein
-lichtsprühender Wasserfall von Farben. Halb geblendet von dem, was er
-gesehen, beeilte er sich, für eine möglichst solide Verpackung der
-Schätze Sorge zu tragen.
-
-Wir werden Gelegenheit finden, später von ihnen zu sprechen.
-
-Am 15. August ums Morgengrauen verließ Yussuf Khans Freierzug
-Nasirabad. Die Sonne ging eben hinter den Kämmen des Himalaya auf,
-und das Schloß Nasirabad mit seinen schlanken Türmen war wie in ein
-Netz von weißem Licht verstrickt. Die Kanonen der Bastion verkündeten
-dröhnend die Botschaft von der Abfahrt des Regenten, und das Volk
-wimmelte in den Straßen, um Yussuf Khan auf seinem Schimmel zum
-Stadttor hinausreiten zu sehen, durch das Sir George Merriman vor
-fünfundzwanzig Jahren eingezogen war. Sir Herbert gab dem Maharadscha
-bis zum ersten Pferdewechsel des Abends das Geleite. Dann kehrte er
-zu seinem Tagewerk zurück, froh in dem Bewußtsein, daß die Aufsicht
-über diesen beschwerlichen Schützling seinem alten barschen Freunde,
-Oberst Morrel, anvertraut war, seit zehn Jahren Militärkommandant
-von Nasirabad. Außer diesem befand sich keine andere Persönlichkeit
-von Rang im Gefolge als Yussuf Khans alter eingeborener Lehrer, der
-sechzigjährige Hofdichter Ali.
-
-Der Abendhimmel zwischen den Talwänden, durch die Yussuf Khan mit
-seinem Gefolge verschwand, war ein feuerlilienflammender Gürtel
-über einer Region von blendendem Pfingstlilienweiß -- gleichsam ein
-himmlischer Versuch zu einer Heraldik für seine Rechnung, als er nun
-seine Freierfahrt in das Land der weißen Prinzessinnen antrat. Mit
-einem Lächeln über die Aussichten von Yussuf Khans Werbeplänen wandte
-Sir Herbert seinen Traber wieder Nasirabad zu, froh, in Ruhe seine
-Arbeit wieder aufnehmen zu können, und seine ironische Betrachtung
-der Phänomene des Lebens aus den Fenstern der Residenz, die auf die
-Felsentäler Nasirabads blickten.
-
-
-
-
-V
-
-+Das große Hotel+ (Fortsetzung)
-
-
-„Waren Sie oben, und haben Sie ihn gesehen, Miß Helen?“
-
-„Gewiß. Nicht alle bleiben bis zum Lunch liegen, wie Sie, Mr. Cray.
-Einen hübschen Schlips haben Sie da.“
-
-„Sehr erfreut, das von Ihnen zu hören. Aber wie sieht er aus?“
-
-„Prachtvoll. Er hatte weiße Tennishosen und einen Zylinder.“
-
-„Nicht viel für September.“
-
-„Machen Sie keine schlechten Witze! Er hatte noch eine Menge anderer
-Dinge an. Uebrigens sieht er sehr gut aus, obwohl er ein bißchen dick
-zu werden anfängt.“
-
-„Wie alt ist er denn?“
-
-„Er sieht aus, wie ungefähr dreißig. Er hat einen schwarzen Schnurrbart
-und wunderschöne Zähne. Und das Gefolge -- Sie sollten sich wirklich
-schämen, so lange zu schlafen.“
-
-„Waren Elefanten, Kamele und Nigger dabei?“
-
-„Wenigstens Nigger. Es war überhaupt nur ein weißer Mann in der
-Gesellschaft, ein alter barscher Herr mit weißem Schnurrbart. Der
-Portier sagte, es ist ein englischer Oberst, der dazu angestellt ist,
-das Untier, wie Mama ihn nennt, zu bewachen.“
-
-„Und die übrigen waren Nigger?“
-
-„Wenn man sie so nennen will. Sie haben eine dunkle Gesichtsfarbe,
-aber ich versichere Ihnen, sie sehen stattlich aus. Er hat so eine Art
-Leibwache von zehn Mann mit Turbanen und Krummsäbeln, die seine Zimmer
-Tag und Nacht bewachen sollen. Und dann war da noch ein alter Herr, so
-irgendeine Art Würdenträger, vermute ich, der war in Zivil und sah so
-ehrwürdig aus, wie ein Erzbischof. Er hatte einen grauen Bart, der nach
-beiden Seiten weggekämmt war, ganz wie auf dieser Zeitungsreklame.“
-
-„Die ungarische Pomade?“
-
-„Ja, ganz richtig. Als sie die Eingangstreppe hinaufgingen, sprach er
-irgend etwas in Versen. Es klang wie eine Beschwörung. Mir wurde ganz
-andächtig zumute.“
-
-„Kam ein Djinn? Hat er nicht auch irgendeine Kupferlampe gerieben?“
-
-„Das weiß ich nicht. Er hatte so weite Kleider, das konnte man nicht
-sehen.“
-
-„Asiatische?“
-
-„Jedenfalls nicht aus Newyork. Aber sonst ein stattlicher alter Herr.
-Er sah ein bißchen wild aus, aber gebildet, wenn Sie verstehen, was ich
-meine.“
-
-„Aber sicherlich. Wie ein gebildeter Amerikaner.“
-
-„Herrgott, wie witzig Sie sind, Mr. Cray! Hier kommt Mama.“
-
-Mrs. Bowlby kam in weißer Morgentoilette in die Halle des Grand Hotel
-Hermitage hereingehopst; es sah aus, als setzte sie, wenn sie ging,
-beide Füße gleichzeitig vor wie ein Vogel. Sie ließ ein schrilles
-Zwitschern der Befriedigung hören, als sie ihre Tochter und Allan
-auf zwei der schwarzen Büffelledersessel der Halle entdeckte. Allan
-beeilte sich, noch einen herbeizuziehen, in dessen Tiefen Mrs. Bowlby
-verschwand wie ein Zuckerwürfel in einer Tasse Kaffee.
-
-„Gott sei Dank! Ich habe geglaubt, das Untier hat dich schon entführt,
-Helen.“
-
-„Aber Mama! Er hat ja schon hundertfünfzig Sultaninnen.“
-
-„Ach, ich kenne die Männer! Ob sie hundertfünfzig haben oder eine,
-immer sind sie gleich bereit, zu betrügen.“
-
-„Aber ich versichere dir, er hat mich nicht einmal angesehen.“
-
-„Wie sieht er aus, Helen?“
-
-„Er sieht sehr gut aus, nur ein bißchen fett.“
-
-„Mit hundertfünfzig Frauen!“
-
-„Er war natürlich ein bißchen exzentrisch angezogen. Aber du hättest
-die Leibwache sehen sollen. Zehn -- Aber hier kommt Papa. Er sieht aus,
-als hätte er etwas zu erzählen.“
-
-Mr. Bowlby kreuzte die Halle, das Gesicht voll unerzählter Neuigkeiten.
-
-„Guten Morgen, alle miteinander!“ rief er. „_Well!_“
-
-„Nun, John, was gibt es?“
-
-„Sei ruhig, Susan, du wirst es schon erfahren, obgleich es so geheim
-als möglich gehalten werden soll, der Londoner Diebe wegen.“
-
-„Was ist es, John? Etwas mit den hundertfünfzig?“
-
-„Nicht mit denen, die du meinst. Er hat noch hundertfünfzig
-Kleinigkeiten mit --“
-
-„Also alles in allem dreihundert!“
-
-„... auf die er wohl bedeutend mehr Wert legt. _By Jove!_ Der
-Direktor zittert an allen Gliedern. Es gibt ihresgleichen wohl nicht in
-Europa und kaum in Indien.“
-
-„Wovon sprichst du denn, Papa?“
-
-„Von seinen Juwelen, mein Kind! Hundertfünfzig Schmuckstücke und
-eine Anzahl einzelner Steine, alle von einer Qualität, die _hors
-concours_ ist. Oberst Morrel, der alte Engländer, der als sein
-Beschützer mit ist, sprach davon wie vom achten Weltwunder, sagte
-der Direktor, obwohl er sonst nicht den Eindruck macht, sich leicht
-imponieren zu lassen.“
-
-„Er hat sie natürlich dem Hotel zur Aufbewahrung im Safe übergeben, Mr.
-Bowlby?“
-
-„Nein, junger Freund, das ist eben das Arge. Der Oberst drang darauf,
-daß sie übergeben werden sollten. Aber der Maharadscha will sie oben
-in seiner Wohnung haben. Sie werden begreifen, daß der Direktor nervös
-ist! Denken Sie sich, wenn so irgendeine Hotelratte ...“
-
-„Aber in das Grand Hotel Hermitage kommt doch keine Hotelratte,
-Mr. Bowlby! Ist das nicht überhaupt eine ausgestorbene Gattung wie
-Plesiosauren und Pterodaktylen?“
-
-„Glauben Sie das nicht so sicher, Mr. Cray. Ich erinnere mich, wie vor
-zwei Jahren in Newyork -- aber das tut nichts zur Sache. Nun hat er
-natürlich seine Leibwache, die Tag und Nacht vor seiner Suite ...“
-
-„Unserer Suite, John.“
-
-„... Wache hält. Die zehn wilden Gesellen mit den Krummsäbeln, die du
-gesehen hast, Helen. Das wird wohl Schutz genug sein. Aber der Direktor
-hat mir noch etwas erzählt.“
-
-„Was denn, Papa? Etwas über den graubärtigen Bischof?“
-
-„Bischof? Das ist sein Hofpoet und Lehrer! Ali heißt er, scheint mir.
-Hast du ihn deklamieren gehört, als er die Treppe hinaufging, Helen?
-Nein, vom Maharadscha selbst. Der ist noch verrückter als Pierpont
-Morgan, nur in anderer Art. Pierpont J. sammelt alte Sachen, da das
-Alte das einzige Neue ist, was er finden kann. Der Maharadscha, der
-alle Hände mit alten Sachen voll hat, ist ihrer müde, und wißt ihr,
-was er zu tun gedenkt? Er will die Fassungen aller Diademe ändern
-lassen! Sonst, glaubt er, würde er von den Europäern ausgelacht werden.
-_Well!_“
-
-Mr. Bowlbys Ausruf kam ihm vom Herzen. Er sah sich in der Halle um, und
-kaum hatte er das getan, als er einen neuen Ausruf von sich gab.
-
-„_Blow me!_ Wenn man den Wolf nennt ... Da habt ihr schon den
-Mann, der geholt wurde, um die Aenderungen vorzunehmen. Der Maharadscha
-hat es aber eilig! Er hat noch kaum Zeit gehabt zu frühstücken!“
-
-„Wo siehst du ihn, Papa?“
-
-„Dort drüben. Der mit dem großen Schnurrbart, der da steht und mit dem
-Direktor spricht.“
-
-„_By Jove!_“
-
-Nun war es an Allan, einen anglosächsischen Ausdruck des Erstaunens
-hervorzustoßen. Gerade beim Eingang zum Hotelkorridor, im Gespräch
-mit dem breitschultrigen, bocksbärtigen Herrn, der, wie er wußte,
-der Direktor des großen Hotels war, stand kein anderer, als sein
-alter Bekannter aus dem Hamburger Bahnhof -- der Mann mit der
-bordeauxfarbenen Raubvogelnase und dem borstigen, graugelben
-Schnurrbart. Der Direktor sprach überaus ehrerbietig zu ihm und schien
-Erklärungen abzugeben. Er zuckte unaufhörlich die Achseln, so als
-erzählte er etwas, wofür er jede Verantwortung ablehnen wollte.
-
-„Was ist denn, Mr. Cray?“
-
-Allan wandte endlich den Blick von den beiden Herren ab. Er zögerte
-einen Augenblick, bevor er mit seiner dramatischesten Stimme erklärte:
-
-„Was es ist, Miß Bowlby? Nichts anderes, als daß ich den Mann kenne,
-von dem Mr. Bowlby eben sprach!“
-
-„Sie kennen ihn? Wie heißt er?“
-
-„Ja ... das weiß ich nicht.“
-
-„Aber ich weiß es,“ sagte Mr. Bowlby, „er ist ein Holländer und heißt
-van Schleeten. Er ist einer der größten Juweliere oder jedenfalls
-Juwelenspezialisten Europas. Er hat das große Diadem gemacht, das
-die französische Republik der Kaiserin von Rußland geschickt hat und
-Dutzende ähnlicher Dinge. Der Direktor hat es mir erzählt. Er hat mir
-auch anvertraut, daß der gute Mynheer van Schleeten seiner Zeit ein
-großer Don Juan gewesen ist. Wie können Sie ihn kennen, ohne zu wissen,
-wer er ist, Mr. Cray?“
-
-„Das ist eine Spezialität von Mr. Cray! Er kannte ja auch Mrs.
-Langtrey, ohne zu wissen, wie sie heißt.“
-
-Allan nickte.
-
-„Sie haben recht, Miß Bowlby, und das Wunderliche ist, daß ich sie von
-derselben Gelegenheit her kenne. Ich fuhr damals mit ihnen, Sie wissen,
-als man mein Gepäck stahl. Sie waren miteinander.“
-
-„Dann ist der Juwelier ein Hochstapler. Langtreys Frau kennt nur
-Hochstapler. Dann will er die Juwelen des Untiers stehlen.“
-
-„Susan, sei doch vorsichtiger mit dem, was du über die Leute sagst. Ich
-habe dir doch schon erzählt, wer er ist. Glaubst du, der Direktor würde
-es wagen, eine zweifelhafte Persönlichkeit in die Nähe der Juwelen des
-Maharadschas zu lassen, was er doch offenbar jetzt zu tun gedenkt?“
-
-Mrs. Bowlby antwortete nur mit einem verächtlichen Kopfschütteln.
-Sie fixierte den bordeauxnasigen Juwelier mit einem durchdringenden
-Blick, während er an der Seite des Direktors durch die Halle zum
-Aufzug ging. Ihre Nase drückte stumm, aber beredt die Auffassung aus,
-die sie sich von Herrn van Schleeten nach dem, was Allan von seinen
-Damenbekanntschaften erzählt, gebildet hatte. Der Direktor und der
-Holländer verschwanden im Aufzug, und Mrs. Bowlby schnellte aus ihrem
-Klubsessel empor wie aus einer chinesischen Schachtel.
-
-„Zeit zu lunchen,“ dekretierte sie. „Leisten Sie uns Gesellschaft, Mr.
-Cray, und erzählen Sie uns, was Langtreys Frau mit dem Juwelier zu tun
-gehabt hat.“
-
- * *
- *
-
-Der Tag brachte noch eine Sensation für Allan, und zwar kam sie von
-jemand, den er in der Gesellschaft der Familie Bowlby schon fast
-vergessen hätte, nämlich Herrn Benjamin Mirzl.
-
-Die Sensation hatte wieder einmal die Form eines Briefes. Allan hatte
-eben eine Nachmittagszigarre im Rauchzimmer beendet, als einer der
-unzähligen dienstbaren Geister des Hotels hereinkam und nach einer
-kurzen Inspektion des Zimmers auf Allan lossteuerte.
-
-„Ein Brief für Sie, Sir.“
-
-Allan sah auf, ein wenig erstaunt. Wer schrieb ihm hier einen Brief?
-
-„An mich?“
-
-„An Sie, Sir. Sie sind doch der Herr, der auf Nr. 417 wohnt, nicht
-wahr?“
-
-„Das stimmt.“
-
-Allan nahm den Brief von dem Tablett des Livrierten und belohnte ihn
-mit einem Sixpence. Aus alter Gewohnheit prüfte er das Kuvert, das eine
-verwischt abgestempelte Marke trug und suchte vergeblich zu ergründen,
-ob Paddington, Kensington oder Kennington daraufstand. Dann riß er das
-Kuvert auf, das, wie es sich zeigte, folgendes Schreiben enthielt:
-
- „Lieber Herr Kragh! Nehmen Sie es nicht übel, wenn ich Ihnen einen
- guten Rat gebe: Verannoncieren Sie doch nicht Ihr Geld, um diesen
- Träger zu erwischen. Das einzige Resultat, wenn Sie so fortfahren,
- wird sein, daß Sie den Besuch irgendeines Schwindlers bekommen, der
- Ihre zwei Pfund nimmt und Ihnen den Buckel vollügt. Der wirkliche
- Träger kommt nie; sein Trägeramt währte nur einen einzigen Abend, und
- seine Ehrlichkeit ist zu groß, als daß er es so machen würde, wie
- jene Schwindler, vor denen er Sie soeben gewarnt hat.
-
- Also, inhibieren Sie weitere Annoncen!
-
- In Eile Ihr ergebener
- Dr. Hauser,
- alias Ludwig Koch,
- alias ...... (nach Belieben).
-
- _P. S._ Ich freute mich, daß Sie Star, Daily Mail und Daily
- Citizen für die Annonce gewählt haben und nicht die großen teuren
- Pennyzeitungen! D. O.“
-
-Allan starrte stumm das kleine Schriftstück an. Das war doch ein
-Teufelskerl! Der mußte im Nacken und an allen Fingern Augen haben! Die
-Annonce hatte ja gar keinen Namen enthalten, nur die Adresse Grand
-Hotel Hermitage, und trotzdem hatte dieser Erzschelm sofort begriffen,
-von wem sie herrührte. Allan gab sich eine Weile der Bewunderung für
-Herrn Benjamin Mirzl hin und überlegte, was dieser Herr wohl in London
-vorhaben mochte. Nicht zum mindesten wunderte es ihn, daß Herr Mirzl
-sich Zeit nahm, sich mit einer so unbedeutenden Person, wie er es war,
-abzugeben. Schließlich steckte er den Brief in die Tasche und nahm sich
-vor, Bowlbys von der Sache zu erzählen.
-
-Er fand dazu Gelegenheit, als er gegen sieben Uhr in den Speisesaal
-des Hotels kam. Mr. Bowlby mit Familie saß an einem der Tische in der
-Mitte des großen Speisesaales, im Schatten der Palmen rings um den ewig
-rieselnden Gold- und Marmorspringbrunnen. Er winkte Allan einladend
-zu, und dieser beeilte sich, der Aufforderung nachzukommen. Diese
-originellen, urwüchsigen Menschen waren ihm höchst sympathisch. Er ließ
-sich nieder und erzählte Herrn Mirzls neue Leistungen, unter eifrigen
-Kommentaren von Mrs. Bowlby.
-
-„Wollen wir wetten, Mr. Cray, daß dieser Kerl die Leute in London
-ausplündert! Das ist eine feine Nummer! Warum glauben Sie, hat er Ihnen
-Ihre Koffer zurückgeschickt?“
-
-„Um das zu erfahren, habe ich ja die Annonce eingerückt, und da sehen
-Sie nun das Resultat.“
-
-„Ein Erzgauner,“ bestätigte Mrs. Bowlby noch einmal. Dann unterbrach
-sie sich plötzlich.
-
-„Sehen Sie!“ flüsterte sie, „sehen Sie, dort, Mr. Cray! John!
-Wahrhaftig, wird das wilde Tier nicht mit uns anderen zu Mittag essen!
-Sieh dir doch ihre Kostüme an, Helen!“
-
-Allan drehte sich hastig um und sah ein Bild, das er nicht sobald
-vergaß. Im Parademarsch kam über die schweren gelben Teppiche des
-Dinersaales ein Zug von fünf Personen, wie das Grand Hotel Hermitage
-sie mit Ausnahme eines einzigen, wohl noch nie gesehen hatte. Voran,
-mit unnachahmlicher angeborener Grandezza schritt ein junger Mann von
-dreißig Jahren, etwas beleibt, aber von jener Beleibtheit, die Würde
-gibt. Sein Gesicht war schön oval mit einem kurzen, glänzenden,
-schwarzen Schnurrbart über einem unzufriedenen Mund. Der Teint
-war mattbraun, aber kaum dunkler, als der eines sonnverbrannten
-Sportsmannes. Yussuf Khan, Maharadscha von Nasirabad! Er trug
-europäische Abendkleidung, aber hatte einen glänzenden weißen Turban
-auf dem Kopf und um den Hals ein breites Band aus grauen Perlen,
-das er wie einen Orden trug. In dem Turban stak eine Aigrette aus
-großen funkelnden Smaragden. Einen halben Schritt hinter ihm kam ein
-alter, ganz und gar englischer Gentleman mit frischer Gesichtsfarbe
-und buschigem, weißem Schnurrbart. Seine Augen waren klar blau und
-leuchteten augenblicklich vor Erregung; von welcher Art diese war,
-verriet sein Mund, der noch größeres Mißvergnügen ausdrückte als der
-des Maharadschas von Nasirabad. Es war sonnenklar, daß dieser Einzug im
-Cortège in das Grand Hotel Hermitage ihm als englischem Gentleman nicht
-gerade zusagte. Offenbar war dies Oberst Morrel, der die Verantwortung
-für den Maharadscha hatte. Und im Hinblick auf die drei übrigen
-Personen des Gefolges konnte man seine Gefühle nicht unberechtigt
-nennen. Ihm zunächst kam ein Hindu, der in Bezug auf die Jahre wohl ein
-Altersgenosse des Obersten sein konnte, aber dessen Aussehen im übrigen
-wenig Aehnlichkeit mit dem dieses Militärs hatte. Sein Gesicht, das
-von sechzig Jahren der Lebenserfahrungen gefurcht war, war lächelnd
-und freundlich; es wurde von einem gescheitelten, üppigen, grauen
-Barte umgeben, und Allan begriff sofort, warum Miß Helen mit ihrer
-amerikanisch-presbyterianischen Phantasie gesagt hatte, er sehe aus
-wie ein Erzbischof. Denn offenbar war dies die Persönlichkeit, die Mr.
-Bowlby als den alten Hofdichter und Lehrer des Maharadschas bezeichnet
-hatte -- Ali. Gleich seinem Herrn hatte er sich in europäische
-Gewandung gehüllt, aber es war offenbar, daß er sie zum ersten Male
-trug, und ebenso offenbar, daß es ihm kein Vergnügen bereitete. Das
-einzige Kleidungsstück, das ihm zu passen schien, war der Turban.
-Hinter ihm kamen die zwei letzten Personen der Eskorte, zwei schwarze
-Krieger in ganz indischer Tracht, mit kurzen, vergoldeten Krummsäbeln
-in bunten Gürteln. Ihre schwarzen Augen funkelten beim Anblick des
-Speisesaales des Grand Hotel Hermitage und seiner Gäste. Aber im
-übrigen zuckten sie mit keiner Muskel ihrer bärtigen Gesichter, während
-sie in den Fußstapfen ihres Herrn einem rückwärtigen Tisch des Saales
-zuschritten. Ein rotbefrackter Oberkellner stand mit einer tiefen
-Verbeugung daneben; Yussuf Khan, Oberst Morrel und der alte Hofdichter
-setzten sich, und die schwarzbärtige Leibwache faßte hinter dem Stuhl
-ihres Herrn Posto. Rings an den Tischen in dem großen Saal schöpfte man
-tief Atem, und ein leises Gemurmel erhob sich.
-
-Miß Bowlby war die erste an Allans Tisch, die ihren Gefühlen Worte lieh:
-
-„Mama, du kannst sagen, was du willst, aber solche Perlen und solche
-Smaragden habe ich in meinem ganzen Leben nicht bei Tiffany gesehen!“
-
-„Dacht’ ich mir’s nicht -- Helen! Mir scheint, du bist schon verl...“
-
-„Aber Mama, rede doch nicht so! Sei aufrichtig und sage, ob du je so
-etwas gesehen hast!“
-
-Mrs. Bowlby schluckte eine Portion Gefrorenes, die ihr Inneres für
-ewige Zeiten vereist hätte, wenn sie keine Amerikanerin gewesen wäre.
-
-Dann kniff sie den Mund zusammen, so daß er ganz im Schatten der Nase
-verschwand; so geschützt, gab sie zu:
-
-„Nein, wenn du es durchaus wissen willst, ich auch nicht. Aber was
-nützt es dem Menschen, wenn er ...“
-
-Allan war unartig genug zu unterbrechen.
-
-„Oberst Morrel scheint nicht gerade erbaut davon zu sein, mit seinem
-Schützling hier zu essen, oder was meinen Sie, Mr. Bowlby?“
-
-„Anscheinend nicht,“ gab Mr. Bowlby zu. „Er ist ein Engländer, und
-dieses Perlenband und der schwarze Hofdichter gehen ihm auf die Nerven.
-Wollen Sie um einen Cent wetten, Mr. Cray, daß er sich gesträubt hat,
-bevor er in dem Triumphzug mitging! Und ich setze meinen letzten Dollar
-gegen einen Hosenknopf, wenn er sich oft sträubt, dann gibt es Krach.
-Yussuf Khan sieht aus, als hätte er seinen eigenen Willen, und den zu
-zähmen braucht es eine Frau, vermute ich.“
-
-Mr. Bowlby sah auf seine Uhr.
-
-„_Well_, Susan, wir müssen aufbrechen, wenn wir zurecht kommen
-wollen. Sie erinnern sich vielleicht, Mr. Cray, daß ich Ihnen erzählt
-habe, daß wir beim amerikanischen Gesandten zum Souper geladen sind und
-wohl erst nach vier Uhr heimkommen werden.“
-
-Allan beeilte sich, Mrs. Bowlby, die nach dem Zugeständnis, das
-sie ihrer Tochter eben in Bezug auf das Untier gemacht hatte, etwas
-verstimmt schien, wieder aufzumuntern.
-
-„Glauben Sie, daß Mrs. Langtrey auch beim Gesandten sein wird, Mrs.
-Bowlby?“
-
-„Langtreys Frau!“ Mrs. Bowlbys Mund kam wieder aus seinem Schlupfwinkel
-hervor. „Die! Wenn die da ist, dann haben Sie uns in einer halben
-Stunde wieder hier.“
-
-Mr. Bowlby lachte.
-
-„Na, Mr. Cray, wenn Sie nichts anderes vorhaben, so schauen Sie doch in
-mein Rauchzimmer hinauf und trinken Sie dort einen Whisky, bevor Sie zu
-Bett gehen. Ist doch immerhin gemütlicher als unten in der Bar, nicht?“
-
-Allan verbeugte sich.
-
-„Sie sind zu liebenswürdig, Mr. Bowlby ...“
-
-„Keine Zeremonien, junger Freund. Sie gefallen mir, und ich lade Sie
-ein. Gefielen Sie mir nicht, würde ich Sie nicht einladen. Gehen Sie
-nur hinauf und machen Sie es sich oben bequem.“
-
-„Aber was wird Ihre Dienerschaft sagen?“
-
-„Ich werde Henry schon verständigen. _Well_, adieu einstweilen,
-lieber Cray! Ich bin schon neugierig, welche Ueberraschungen der
-Maharadscha morgen für uns _in petto_ hat!“
-
-Die Familie erhob sich und nickte Allan zu. Allan sah sie in die
-Vorhalle verschwinden. Er steckte sich eine Zigarrette an und warf
-einen Blick auf den Tisch des Maharadscha. Oberst Morrels Laune
-schien während des Mittagessens nicht besser geworden zu sein.
-Er war krebsrot im Gesicht und richtete hier und da ein Wort, das
-offensichtlich kein Kompliment war, an den alten Hofdichter, dessen
-Kenntnisse der verschiedenen Gabeln und Messer bei einem europäischen
-Galadiner augenscheinlich nicht sehr eingehender Natur waren.
-
-Plötzlich fuhr Allan in dem eigentümlichen Gefühl zusammen, das man
-manchmal hat, daß jemand einen fixiert. Er drehte rasch den Kopf nach
-rechts und sah zu seinem Staunen am nächsten Tische Mrs. Bowlbys
-Erzfeindin, Mrs. Langtrey. Sie saß tief im Schatten einer überhängenden
-Palme, ihre grauen Augen funkelten in dem Dunkel unter den großen
-grünen Blättern wie die einer Wildkatze. Hatte sie gehört, was Mrs.
-Bowlby gesagt hatte? Unmöglich, es zu entscheiden; auf jeden Fall saß
-sie vermutlich schon eine ganze Weile da, denn sie hatte eine Tasse
-Kaffee und ein Likörglas vor sich und eine Zigarette zwischen den
-Fingern.
-
-Allan sah auf seine Uhr. Es war nach halb neun. Da Bowlbys so spät
-fortblieben, beschloß er, in irgendein Varieté zu gehen. Eventuell
-konnte man ja später von Mr. Bowlbys Einladung Gebrauch machen. Er
-winkte dem Kellner, beglich seine Rechnung und verließ den Saal.
-
-Zwei Sekunden, nachdem er gegangen war, ging Mrs. Langtrey.
-
-„Ich bin schon neugierig, was für Ueberraschungen der Maharadscha
-morgen für uns _in petto_ hat,“ hatte Mr. Bowlby im Gehen zu
-Allan gesagt. Aber weder er noch Allan ahnte, was schon diese selbe
-Nacht an Ueberraschungen bringen sollte.
-
-
-
-
-VI
-
-Das Loch in der Wand und das Loch im Boden
-
-
-Aus Diskretion -- sowohl gegen das Etablissement wie gegen die
-hochgestellte Person, deren Name sich auf dem Titelblatt dieses Buches
-findet -- müssen wir das Lokal, das den Rahmen um das sechste Kapitel
-bildet, mit den fünf ersten Worten benennen, die hier oben stehen. In
-gewisser Weise weicht dieser Name auch nicht so sehr von dem wirklichen
-Namen ab; und wer London gut kennt, kann vielleicht herausfinden,
-was für ein Lokal wir meinen und wo Allan Kragh gewisse wunderliche
-Abenteuer in der Nacht zum 16. September erlebte.
-
-Als Allan das Grand Hotel Hermitage nach halb neun verließ, hatte er
-keinen bestimmten Plan für den Abend. Er schlenderte nach Leicester
-Square hinunter, ging ins Empire und sah eine Vorstellung, die aufs
-Haar allen anderen Varietévorstellungen glich. Sie bereitete ihm
-keinerlei Enttäuschung, aber, wie ein hervorragender Schriftsteller von
-der Zigarette, dem Typus des Genusses sagt -- sie reizte ihn und ließ
-ihn unbefriedigt. Er empfand das, was er so oft bei den Eskapaden der
-Studentenzeit empfunden und was ihn schon soviel Geld gekostet hatte,
-eine ausgesprochene Unlust, nach Hause zu gehen. Er bog in eines der
-Gäßchen hinter dem Empire ein, schlenderte da aufs Geratewohl herum,
-ohne irgendwelche Angst vor den Typen, die das Londoner Abendleben bot,
-und ohne die zweifelhafte Beleuchtung weiter zu beachten. Wenn wir
-sagen würden, daß er sich dabei beobachtet oder verfolgt fühlte, so
-wäre dies eine Unwahrheit; aber trotzdem ist es, wie die Fortsetzung
-zeigen wird, Tatsache, daß er seit dem Verlassen des Hotels beobachtet
-und verfolgt und mit infernalischer Geschicklichkeit gerade an jenen
-Ort gelotst wurde, wo man ihn haben wollte. Urplötzlich befand er sich
-in, ja, in der Straße, in der +Das Loch in der Wand gelegen+ ist.
-Er blieb vor der diskret beleuchteten Fassade stehen, die irgendeinem
-kleinen Café in kontinentalem Stil anzugehören schien. Sollte man nach
-Hause gehen und Mr. Bowlbys Einladung Folge leisten oder nicht? Ein
-anderer Herr tauchte plötzlich auf, öffnete die Türe zum Loch in der
-Wand und blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen; Allan sah im
-Flug einen Raum, der einladend aussah, und faßte seinen Entschluß. Fast
-in den Fußstapfen desjenigen, der die Türe geöffnet hatte, trat er ein,
-nachdem er auf seine Uhr gesehen. Sie zeigte zwanzig Minuten über elf.
-
-Das „Loch in der Wand“ erwies sich als eine Kombination von englischer
-_private bar_ und kontinentalem Café, dem Aussehen nach überaus
-respektabel. Ein mattglänzendes Mahagonibüfett in Halbmondform wölbte
-sich um die rechte Längsseite des Raumes, dahinter thronten drei
-diskret gekleidete Barmaids. Alle schön, aber von ebenso respektablem
-Aussehen wie die Bar, in der sie figurierten. Die linke Hälfte des
-Raumes hatte Korbstühle und kleine Tischchen. Da war ein offener
-Kamin, augenblicklich unbenützt, und ein Tischchen mit Zeitungen und
-Zeitschriften. Die Beleuchtung war ebenso diskret und angemessen wie
-die übrige Einrichtung.
-
-Für den Augenblick waren sämtliche hochbeinige Stühle an der Bar
-von Herren in Frack und weißer Krawatte besetzt, die offenbar, so
-wie Allan, auf dem Heimwege vom Theater oder von einer Gesellschaft
-einen Blick hereingeworfen hatten. Der Mann, der unmittelbar vor
-Allan eingetreten war, saß an einem der kleinen Tischchen. Allan ließ
-sich am Nebentisch nieder, bestellte einen Whisky und gab sich der
-Betrachtung der drei schönen Barmädchen hin. Die eine von ihnen war
-von schwedischem Typus, mit länglicher Kopfform, schmalem Gesicht und
-hellblauen Augen. Allan, der eben den ersten Schluck von seinem Whisky
-getrunken hatte, fühlte sich mit einem Male heimisch und verspürte
-die Lust, mit jemand zu plaudern. Er wendete sich seinem Nachbar am
-nächsten Tisch zu und fand, daß dieser ihn beobachtete. Allans Wunsch
-gleichsam zuvorkommend, beugte er sich lächelnd vor und sagte auf
-deutsch:
-
-„Entschuldigen Sie, wenn ich mich vielleicht irre, aber sind wir nicht
-Landsleute?“
-
-Allan hatte jetzt lange Zeit immer nur englisch gesprochen und empfand
-es als eine angenehme Abwechslung, einmal eine andere Sprache zu reden.
-Er schüttelte den Kopf:
-
-„Nein, ich bin kein Deutscher, aber ich spreche Ihre Sprache. Sie
-finden, daß ich deutsch aussehe?“
-
-Der Fremde fuhr fort ihn zu mustern.
-
-„Hm, vielleicht ja, bei näherer Betrachtung vielleicht nein. Sie haben
-etwas Unenglisches ... ich weiß nicht recht was, und ich bildete mir
-ein ...“
-
-Allan nickte.
-
-„Es ist nicht das erstemal, daß ich für einen Deutschen angesehen
-werde. Aber das vorigemal war es nicht gerade angenehm!“
-
-„Wieso? War es in Frankreich?“
-
-„Nein, in Deutschland.“
-
-„Aber wirklich? In Deutschland kann es doch keine Unannehmlichkeiten
-verursachen, für einen Deutschen gehalten zu werden. Das ist ja nur
-sehr schmeichelhaft für Ihre Sprachenkenntnisse.“
-
-„Es war leider in anderer Beziehung weniger schmeichelhaft. Die Sache
-verhält sich nämlich so, daß ich für eine bekannte, ja allzu bekannte
-Persönlichkeit gehalten wurde, von der ich nicht weiß, ob +Sie+
-sie kennen, nämlich Benjamin Mirzl. Ja, ich wurde sogar als er
-angehalten.“
-
-„Von der Polizei? Als Benjamin Mirzl?“
-
-„Allerdings, und mußte fast zwei Tage für Herrn Mirzl sitzen. Sie
-kennen diesen Mirzl also?“
-
-„Wer kennt Mirzl nicht dem Namen nach? Und da Sie für ihn gehalten
-wurden, weiß ich jetzt also wie er ausschaut.“
-
-„Er wird wohl nicht lange dasselbe Aussehen beibehalten, damit können
-Sie also nicht so sicher rechnen. Trinken Sie etwas?“ fügte Allan
-hinzu, tief wurzelnden nationalen Instinkten folgend.
-
-Der Fremde lachte.
-
-„Mit Vergnügen, danke, Herr Mirzl.“
-
-Allan lachte.
-
-„Ich glaube, Sie können ebenso gut Mirzl sein, wie ich. Zwei Whisky mit
-Soda, _please_!“
-
-Sein Gegenüber schob seinen Stuhl näher heran. „Wollen Sie nicht
-diese Geschichte mit Mirzl erzählen?“ sagte er. „Wenn es kein allzu
-schmerzliches Thema für Sie ist!“
-
-„Keineswegs. Mirzl ist vielleicht ein Schurke ...“
-
-„Sicherlich! Ich kann Ihnen später einiges darüber erzählen.“
-
-„... Aber wenigstens ein Schurke, der sein Handwerk versteht, -- Sie
-werden es aus meiner Erzählung ersehen -- und der Humor hat. Ich bin
-ihm gar nicht böse, daß er mir mein ganzes Gepäck gestohlen hat und
-mich zwei Tage für ihn im Arrest sitzen ließ!“
-
-„Er hat Ihr ganzes Gepäck gestohlen? Und Sie sind nicht böse! Sie sind
-wirklich freisinnig. Erzählen Sie doch!“
-
-Allan stärkte sich aus dem Glas und wiederholte noch einmal die
-Geschichte, mit der er schon die Familie Bowlby erquickt hatte. Der
-Fremde horchte mit weit offenen Augen und stieß hier und da einen
-Ausruf aus. Als Allan zu Herrn Mirzls Ausbleiben vom Rendezvous in
-Leicester Lounge kam, zur Zurückgabe der Koffer und dem vergeblichen
-Versuch, den Dienstmann aufzuspüren, fing er so zu lachen an, daß es in
-der Bar widerhallte. Als Allan geschlossen hatte, beugte er sich mit
-Tränen in den Augen vor.
-
-„Ein Dienst ist des anderen wert,“ sagte er. „Ihre Geschichte ist
-das Tollste, was ich seit langer Zeit gehört habe. Haben Sie heute
-abend Zeit, so möchte ich Ihnen etwas zeigen, das, wie ich glaube,
-+Ihnen+ ein bißchen Spaß machen wird, da Sie neu in London sind.
-Haben Sie Lust?“
-
-Allan sah auf seine Uhr. Es fehlten zehn Minuten auf zwölf.
-
-„Ich glaubte, man schließt um diese Zeit überall in London?“
-
-„Man schließt spätestens um eins, aber +nicht überall+. Es gibt
-Orte ... hier zum Beispiel.“
-
-„Hier! In dieser kleinen Bar! Ich finde, es sieht so aus, als ob der
-Barmann sich schon anschicken würde, uns hinauszubefördern.“
-
-„Das würde er auch mit Ihnen tun, wenn Sie allein wären. Aber
-zufälligerweise gehöre ich zu den Eingeweihten.“
-
-„Aber in dieser kleinen Bar sitzen zu bleiben ...“
-
-„Urteilen Sie nicht nach dem äußeren Schein, junger Mann. Nur bei den
-Römern war der Eingang zum Avernus leicht. Hier muß sogar der Eingang
-zu einer Taverne schwer sein.“
-
-Der Fremde lachte herzlich über sein eigenes philologisches Wortspiel
-und ging zur Bar, wo der Bartender -- ein dicker glattrasierter junger
-Mann von dem Aussehen eines Wettrenntrainers -- jetzt allein war und
-die Kasse überzählte. Die drei schönen Barmädchen waren verschwunden.
-Allan sah seinem neuen Bekannten interessiert nach. Es war ein kleiner,
-ziemlich untersetzter Herr mit glänzendem, schwarzem Haar und jener,
-beinahe blauvioletten Gesichtsfarbe, die vom vielen Rasieren kommt und
-bei Schauspielern nicht selten ist. Nun kam er zu Allan zurück.
-
-„Nun, wie ist es? Haben Sie Lust, sich das kleine Lokal des
-internationalen Feuerfresserklubs anzusehen?“
-
-„Internationaler Feuerfresserklub?“ wiederholte Allan. „Hat der Klub
-strenge Eintrittsbedingungen?“
-
-„Ueberaus milde, wenn man von einem Klubmitglied vorgestellt wird.
-Sonst sehr strenge. Uebrigens heißt der Klub nicht so. Das ist nur ein
-Kosename unter den Mitgliedern.“
-
-Allan erhob sich.
-
-„Führen Sie mich in den Klub ein, wenn Sie wollen,“ sagte er. „Es wird
-mir ein großes Vergnügen sein, die Gepflogenheiten der Feuerfresser
-kennen zu lernen.“
-
-Der Fremde rief dem Mann, der eben die Eingangstüre der Bar
-verriegelte, etwas zu. Der Barmann zog pfeifend eine Draperie zurück,
-die im Hintergrunde des Cafés hing, und einige Schritte weiter in
-einem Korridor erblickte Allan einen Aufzug. Der Fremde winkte ihm,
-vor ihm einzusteigen, und Allan tat es arglos. Als er später über die
-Abenteuer dieser Nacht nachdachte, wunderte es ihn am meisten, daß man
-nicht -- aber der Leser wird noch früh genug Gelegenheit finden, seine
-Verwunderung zu teilen.
-
-Der Fremde stieg nach ihm ein und drückte auf einen Knopf. Der Lift
-glitt hinauf, so überaus langsam, daß er noch die Lifts des Grand Hotel
-Hermitage bei weitem übertraf, und machte es Allan ganz unmöglich, zu
-beurteilen, wie hoch er hinaufging -- er war mit mattgeschliffenen
-Glasscheiben versehen. Allan dachte jedoch im Augenblicke nicht daran,
-er dachte nämlich an etwas ganz anderes und wandte sich an seinen
-Begleiter:
-
-„Verzeihen Sie mir, aber wie soll ich denn wieder hinauskommen? Die Bar
-schließt ja.“
-
-Der Fremde lachte.
-
-„Dabei werde ich Ihnen schon behilflich sein. Es gibt einen anderen
-Ausgang. Nun sind wir da.“
-
-Der Fahrstuhl blieb so vorsichtig stehen, als hielte er vor einer
-Krankenwohnung. Der Fremde zog die mattgeschliffene Doppeltüre auf
-und schob Allan in eine große Vorhalle, deren Boden mit dicken
-Teppichen belegt war. Ein Diener in orientalischem Phantasiekostüm kam
-herbeigeeilt und verbeugte sich, als er Allans Begleiter erblickte,
-sehr tief.
-
-„Die Loge Nummer fünf steht bereit, Sir,“ sagte er.
-
-Das ist eigentümlich, dachte Allan, hat er die Loge schon vorher
-reserviert? Oder kommt er jeden Abend her?
-
-Sein Begleiter hatte sich rasch zu dem Diener herabgebeugt und
-flüsterte ihm etwas zu. Der Diener erwiderte etwas, worauf der
-Schwarzhaarige einen Pfiff hören ließ.
-
-„Schon in der Loge Nummer sechs!“
-
-„Ja, Sir, sie sind vor einer halben Stunde gekommen.“
-
-„_All right._ Ist die Passage frei?“
-
-„Ja, Sir.“
-
-Allans Begleiter drehte sich lächelnd zu ihm um.
-
-„Entschuldigen Sie, wenn ich geheimnisvoll wirke,“ sagte er. „Ich habe
-mich nur nach einem Bekannten erkundigt.“
-
-„Sie müssen oft herkommen,“ sagte Allan, „da eine Loge für Sie
-reserviert ist.“
-
-„Ja, ich komme hie und da her. Wollen Sie nicht den Ueberrock ablegen?
-Es pflegt hier sehr warm zu sein.“
-
-Allan legte Rock und Hut ab und reichte sie dem Diener; sein Begleiter
-tat das gleiche und ging auf eine Türe zu, die einen vergoldeten Fünfer
-zeigte. Allan ging ihm nach, aber folgte halb unbewußt dem orientalisch
-gekleideten Diener mit dem Blick. Er sah ihn auf einen Knopf drücken,
-wobei die Türe zu einer Art Garderobe aufsprang, in der er die
-Ueberkleider unterbrachte, die er in Empfang genommen hatte. Rechts in
-der Garderobe sah Allan flüchtig eine halb geöffnete Türe mit einem
-schmalen Treppenaufgang dahinter. Alles dies nahm kaum drei Sekunden in
-Anspruch; aber wie es sich später zeigte, hing von diesen drei Sekunden
-der Ausgang der Abenteuer des Abends ab. Nun war er wieder an der Seite
-seines Begleiters. Dieser drehte sich lächelnd zu ihm um.
-
-„Ich habe das Vergnügen, Sie in den Klub der internationalen
-Feuerfresser einzuführen,“ sagte er und öffnete die Türe, die die
-vergoldete Ziffer 5 zeigte. „Treten Sie ein!“
-
-Allan trat vor ihm ein. Bei dem Anblick, der sich ihm bot, zuckte er
-erstaunt zusammen. Er hatte sich irgendein kleines Klublokal von halb
-zweideutiger Sorte erwartet, aber was er sah, war unleugbar etwas ganz
-anderes.
-
-Die „Loge“, in der er stand, war eine Art Mittelding zwischen
-gewöhnlicher Theaterloge und Tribüne -- sie lag ein paar Fuß über
-dem Boden der großen Halle und war von dieser durch eine Rampe von
-flackernden Kerzenflammen getrennt, die der Halle zugekehrt waren. Die
-Beleuchtung der Loge kam von oben, aus einem Netz von Geißlerschen
-Röhren, durch die ein regenbogenschimmerndes Licht in feinen, lautlosen
-Fluten strömte. Die Wände waren ganz unter schweren Draperien
-verborgen. Es stand ein gedeckter Tisch da, mit Kuverts für zwei
-Personen. Der Tisch hätte jedoch reichlich Platz für sechs gehabt.
-Drei große Champagnerkühler auf hohen Silberfüßen standen daneben. Die
-Stühle waren durch orientalische Diwane ersetzt. -- Auf der anderen
-Seite der beständig flackernden Lichtrampe lag ein großer Saal in
-groteskem Rokokostil mit einem mattgeschliffenen, durchsichtigen
-Glasboden. Die Beleuchtung kam von tief unten in rhythmischen Kaskaden
-von verschiedenfarbigen Lichtern, die aufwallten und erloschen und
-den Paaren, die dort drinnen tanzten -- denn der Saal war offenbar
-als Tanzsaal gedacht -- ein wunderliches Cachet der Unwirklichkeit
-gaben. Eine Menge Menschen, Herren und Damen in bunten Kostümen,
-morgen- und abendländischen, ethnographischen und rein phantastischen,
-weitwallenden und zuweilen mehr als leichten, bewegten sich über den
-regenbogenschimmernden Glasboden zum Takt einer Kapelle, die Allan
-schließlich am entferntesten Ende des Saales entdeckte. Diese Kapelle,
-in roten Mänteln, an jene erinnernd, mit denen die Inquisition ihre
-Opfer ausstaffierte, saß auf einer Art schwarzen Insel des leuchtenden
-Glasbodens. Das Ganze machte einen so verwirrenden Eindruck, daß Allan
-sich mit beiden Händen an den Kopf griff. War er wach? Wie konnte ein
-solches Lokal seinen Zugang durch das unscheinbare Loch in der Wand
-haben? Er wendete den Blick seinem Begleiter zu und fand, daß er ihn
-von einem der Diwane mit einem amüsierten Lächeln betrachtete.
-
-„Das kleine Lokal der Feuerfresser macht Ihnen Eindruck?“ sagte er.
-
-„Ich habe nie in meinem Leben etwas Aehnliches gesehen,“ sagte Allan
-wahrheitsgemäß. „Aber wie --“
-
-„Keine Fragen, lieber Freund. Sie begreifen, ein Klub wie der unsrige
-ist exklusiv und will keine fremden Personen in seine Geheimnisse
-einweihen. Sie haben mich dort unten amüsiert, und es hat mich
-amüsiert, Ihnen einen kleinen Gegendienst zu erweisen. Aber keine
-Fragen!“
-
-Allan verbeugte sich.
-
-„Gestatten Sie,“ sagte er, zum zweitenmal tiefverwurzelten Trieben
-folgend, „daß ich mich vorstelle?“
-
-„Ach, was ist ein Name! Lassen Sie mich Mirzl zu Ihnen sagen, wenn es
-schon eine Ansprache sein muß. Name ist Schall und Rauch. Setzen Sie
-sich und kosten Sie, was der Klub vermag. Trocken oder halbtrocken?“
-
-„Trocken, danke,“ stammelte Allan und sank auf den Diwan gegenüber
-seinem wunderlichen Begleiter. Dieser fuhr fort:
-
-„Ich weiß nicht, ob es Sie interessiert, aber ich kann mir Ihre
-Abenteuer mit Mirzl nicht aus dem Kopf schlagen. Würde es Sie
-amüsieren, ihre Lösung zu hören? Ich glaube, merken Sie wohl, glaube,
-daß ich sie gefunden habe.“
-
-Allan riß die Augen auf und vergaß im Nu das wunderliche Lokal, in dem
-er sich befand, sowie die tanzende Schar draußen auf dem Glasboden.
-
-„Sie glauben, Sie haben die Lösung?“
-
-„Ach, eigentlich ist sie doch ganz naheliegend. Ich weiß nicht, ob Sie
-wissen, daß Mirzl vor acht Tagen in Berlin einen größeren Coup gemacht
-hat.“
-
-„Man sagte es mir in der Polizeikammer in Köln. An dem Tage, bevor ich
-mit dem Expreß reiste. Hunderttausend Mark in irgendeinem Hotel des
-Westens, nicht wahr?“
-
-„Auf jeden Fall gut siebzigtausend. Er war diesmal ein bißchen gar zu
-tollkühn gewesen. Er entkam gerade noch mit knapper Not, aber sein
-Gepäck mußte er im Stich lassen. Nun können Sie sich denken, daß er
-am liebsten aus Deutschland heraus wollte, und dabei wußte er, daß
-die Polizei überall Spione hatte. Seine Helfershelfer wagte er nicht
-aufzusuchen. Kam er an die Grenze und wollte sie ohne Gepäck passieren,
-war er sofort verdächtig und wurde hoppgenommen. Suchte er sich Gepäck
-von genügenden Dimensionen und entsprechender Qualität zu kaufen,
-so war sein Signalement so verbreitet, daß er höchstwahrscheinlich
-hängen blieb. Und der Boden brannte ihm unter den Füßen! Es handelte
-sich um Stunden. Er war im Auto nach Hamburg geflohen, er stieg ohne
-irgendeinen Plan in den Expreß, traf Sie -- und das übrige wissen Sie.
-Aber nachdem er einmal glücklich in London war, brauchte er Ihre Sachen
-nicht mehr. Und da er ein Freund von Exzentrizitäten ist, stellte
-er sie eben zurück. -- Sie trinken nichts? Was sagen Sie zu meiner
-Erklärung?“
-
-Allan starrte seinen Begleiter mit weitgeöffneten Augen an. Das
-war wirklich ein Sherlock Holmes! Er hob sein Glas, um ihm seine
-Anerkennung auszusprechen, als eine Unterbrechung kam.
-
-Die Draperien links begannen zu wogen, sie wallten auf und nieder
-wie ein Wasserspiegel bei einem Unterseebootangriff und teilten sich
-endlich. Jemand tauchte aus ihnen empor, wie Neptun aus den Fluten,
-taumelte ein paar Schritte in die Loge, wo Allan und sein Begleiter
-saßen, und blieb endlich auf ein paar nicht allzu festen Beinen mit dem
-Rücken gegen sie stehen, während er mit der einen Hand die Draperien
-festhielt, durch die er aufgetaucht war. Zu seinem Staunen merkte
-Allan, daß gar keine Wand zwischen den Logen war; die Draperien waren
-das einzige, was sie trennte. Offenbar waren sie schwer genug, um
-alle Laute zu dämpfen, wenn man sie ruhig hängen ließ, denn während
-er bisher keinen Ton aus der Nebenloge vernommen hatte, drang jetzt
-ein Stimmengewirr heraus. Aber was war denn das für ein ungebetener
-Gast? wollte er eben seinem Begleiter zurufen, als der Mann, der
-hereingetaumelt war, ihnen plötzlich das Gesicht zukehrte. Allans
-Ausruf sank zu einem Flüstern herab:
-
-„Yussuf Khan! Der Maharadscha!“
-
-Es war wirklich und unzweifelhaft der Maharadscha von Nasirabad, und
-ebenso zweifellos war es, daß dieser mohammedanische Herrscher an
-diesem Abend das Gebot des Propheten gröblich übertreten hatte: er war
-sichtlich das, was man in höflicher Sprache angeheitert nennt und wofür
-man in weniger höflicher Sprache eine Unzahl anderer Bezeichnungen
-hat. Es war jedenfalls offenbar, daß sein Schwips von der guten
-sanguinischen Sorte war. Jetzt wandte er sich mit einer vorsichtigen
-Kreisbewegung Allan und seinem Begleiter zu, machte ein feierliches
-Salaam und sagte mit Würde, wenn auch ein bißchen undeutlich:
-
-„Edelgeborene Sahibs, ein armer Sohn eines toten Paria bittet euch um
-Entschuldigung ob dieses Eindringens in euer königliches Z--z--ze--l--“
-
-Er kam nicht weiter. Die Anstrengung war zu groß gewesen. Er fiel sanft
-auf einen der Diwane und schloß seine Rede in sitzender Stellung ab:
-
-„... Ze--zelt. Ich, Yussuf, der Sohn von tausend unwürdigen Vorvätern,
-bitte euch um Entschuldigung.“
-
-Allans Begleiter hatte sich hastig erhoben und eine Champagnerflasche
-aus einem der silberfüßigen Kühler genommen.
-
-„Yussuf, Sohn himmelgeborener Eltern, geruhe mit dem verächtlichsten
-der weißen Männer zu trinken.“
-
-Er schenkte ein Glas ein, das der Maharadscha mit einem wohlwollenden,
-aber abwesenden Lächeln automatisch ergriff und austrank. Er blieb
-mit dem Glas in der Hand sitzen, als die purpurroten, gelbgeflammten
-Draperien zum zweitenmal zu wogen begannen, diesmal jedoch planmäßiger
-als früher, worauf ein graubärtiger Kopf im Turban (der Maharadscha
-hatte seinen verloren) sich in einer Spalte zeigte, so allmählich
-folgte sein Besitzer nach, der sich als der alte Hofdichter Ali
-entpuppte.
-
-Er rief dem Maharadscha etwas zu, der nur mit einem Winken des
-Champagnerglases und einem herzlichen Lachen antwortete, worauf er sich
-wohlbehaglich seiner ganzen Länge nach auf dem Diwan ausstreckte. Der
-alte Hofdichter, der selbst in aufgeräumter Stimmung zu sein schien,
-zog die Draperie zurück und rief in die andere Loge hinein:
-
-„Stanton Sahib, er hat sich hier drinnen zur Ruhe gelegt. Er weigert
-sich, meinen weisen guten Ratschlägen Gehör zu schenken.“
-
-Die Folge dieses Rufes war, daß eine dritte Person sich zwischen den
-Draperien zeigte, ein junger blonder, scharfäugiger Engländer, mit dem
-denkbar korrektesten Scheitel und dem denkbar reinsten Rasseprofil.
-Auch er schien in brillanter Laune zu sein. Er puffte lächelnd den
-alten Hofdichter in die Loge Nr. 5 und kam selbst nach. Dann wandte er
-sich mit einem tiefen orientalischen Salaam an Allans Begleiter und
-sagte mit singender Stimme:
-
-„Edelgeborene Feuerfresser, verzeiht diese Zudringlichkeit meiner
-zwei Schützlinge und meiner selbst, dem unwürdigen Sohn von zehn
-Generationen von Sklaven! Salaam, edle Feuerfresser! Möge euer Schatten
-stets zunehmen und eure Widersacher keine andere Speise finden als den
-Schmutz der Erde.“
-
-Allan beobachtete diesen Auftritt mit offenem Munde. Er blickte in
-den Saal hinaus, wo der Tanz auf dem Glasboden herumwirbelte, um sich
-selbst zu bestätigen, daß er wach war. Der Anblick der Tanzenden in
-dieser phantastischen Beleuchtung trug nicht gerade dazu bei, sein
-Zutrauen zu seinen Sinnen zu stärken. Yussuf Khan hier in dieser
-Gesellschaft! Sein mystischer Begleiter aus dem ‚Loch in der Wand‘
-war aufgestanden und hatte den Gruß des jungen Engländers mit einigen
-ebenso orientalischen Wendungen erwidert, indem er erklärte, daß sein
-Zelt (womit die Loge Nr. 5 gemeint war) der Ehre, die ihm von diesen
-erhabenen Fremdlingen, deren Aussehen zur Genüge ihre Geburt und
-ihre Tugenden bezeugte, erwiesen wurde, gänzlich unwürdig sei; doch
-wenn sie sich in besagtem Zelt niederlassen wollten, wage er ihnen
-vorzuschlagen, einen Becher elenden und essigsauren Weins zu leeren.
-
-Der junge Engländer sank laut lachend auf einen Diwan und akzeptierte
-ohne Umstände ein Glas; der alte Hofdichter trank das seine auf einen
-Zug aus und erhob sich dann. Trotz des Weines stand er ziemlich
-sicher. Der Maharadscha lag auf seinem Diwan und betrachtete sämtliche
-Anwesende mit einem Lächeln des äußersten Wohlwollens. Der alte
-Hofdichter hob die Hand und begann zu sprechen:
-
-„Erhabene Sahibs! Sicherlich ist London die wunderbarste Stadt der
-Welt. Ihre Schönheit ist märchenhaft, wenn auch von Nebeln verhüllt,
-und die Tugenden und die Liebenswürdigkeit ihrer Einwohner übertreffen
-die aller anderen Städte so wie der Koran alle anderen Bücher
-übertrifft. Wisset (er wendete sich an Allan und seinen Begleiter),
-erst heute morgens kam ich in Gesellschaft meines jungen Schülers, der
-uns alle von seinem Diwan mit einem seligen Lächeln betrachtet, hier
-an. Erst heute morgen trafen wir in dieser Stadt ein, wo wir niemand
-kannten, und noch vor dem nächsten Morgen haben ich und mein Schüler
-so viele Freunde gefunden, und sind in diesem Hause der Zehntausend
-Freuden bewirtet worden, alles durch Stanton Sahibs Verdienst. An
-diesem Abend, als wir uns von der Tyrannei, die ein alter Sahib,
-dessen Namen ich nicht nennen will, gegen uns ausübt, befreit hatten,
-machten mein Schüler und ich uns insgeheim auf einen Streifzug durch
-London auf (Allan zuckte zusammen), um seine tausend Reize kennen zu
-lernen, von denen wir in den Lehmhütten, die uns zur Welt kommen sahen,
-soviel gehört haben. Kaum, o fremde Sahibs, waren wir hundert Schritte
-gegangen, als wir uns schon verirrt hatten, verwirrt durch die Nebel,
-die Londons Schönheiten zu verhüllen suchen, und von dem Getöse der
-zehntausend Feuerwagen. Wir waren verirrt wie die Gottlosen, die die
-Wahrheit außerhalb des Korans suchen (gepriesen sei sein Name). Wie
-Abdul Mahbub, mein alter Lehrmeister, singt: ‚Weh dem, der die Wahrheit
-anderwärts sucht.‘ So verirrt waren wir, als Stanton Sahib, dessen
-Namen auf dem ganzen Erdenrund gerühmt werden wird, uns auf der Straße
-sah, sich unser erbarmte (Allan zuckte wieder zusammen), und uns in
-dieses Haus der Zehntausend Freuden führte. Immer und allezeit wird
-Stanton Sahibs Name ob dieser Guttat gegen zwei arme Wanderer gepriesen
-werden. Lasset uns auf Stanton Sahib, den edelsten der Engländer, mit
-diesem Wein trinken, der frischer ist als Morgentau und kitzelnder als
-die Lippen eines Weibes. Lasset uns dabei bedenken, was der göttliche
-Zeltmacher sagt:
-
- O trinke Wein, die Sorgen dir zu brechen,
- Die zweiundsiebzig Sekten durchzurechen! --
- Nie trenne dich von dieser Alchimie,
- Ein Men davon heilt tausend von Gebrechen![2]
-
- [2] Diese und die folgenden Verse nach der Uebersetzung von
- Maximilian Rudolf Schenck.
-
-Erhabene Sahibs, lasset uns ...“
-
-Der alte Hofdichter kam nicht weiter; die Anstrengung war zu viel für
-ihn gewesen, und mitten in seinem letzten Satz plumpste er plötzlich
-auf einen Diwan, trank die letzten Tropfen aus dem Glas und sah sich
-mit einem unsteten Lächeln um. Allans Begleiter füllte die Gläser
-wieder und ließ sich bei dem jungen Engländer nieder, den man Stanton
-genannt hatte. Allan saß da, in Grübeleien versunken, während seine
-Augen auf die Tanzenden draußen auf dem Glasboden geheftet waren; das
-war doch ein mehr als eigentümliches Zusammentreffen, daß er, der nie
-von diesem Lokal gehört, und die beiden Hindu, die den ersten Tag in
-London waren, alle drei von wohlwollenden Fremdlingen hier eingeführt
-wurden ... Er starrte seinen Begleiter an, der mit dem jungen Engländer
-beschäftigt war. Plötzlich kam ihm eine flüchtige Idee: Hatte er
-den Mann, der ihn hier eingeführt hatte, nicht in dem Varieté im
-Leicester Square gesehen? Unmöglich es zu sagen, man sieht ja an einem
-solchen Ort tausend Gesichter, und das seines Begleiters war nicht
-besonders auffallend. Und wenn er ihn auch in dem Varieté gesehen
-hatte? ... Er fuhr unwillkürlich fort, darüber nachzugrübeln, was ihm
-eigentlich daran, daß gerade +er+ und die beiden Hindu hier im
-Feuerfresser-Klub saßen, so eigentümlich vorgekommen war. Plötzlich sah
-er, wie der alte Hofdichter sich erhob und auf etwas unsicheren Beinen
-zu seinem Platz herankam.
-
-„Junger Mann,“ sagte er und setzte sich auf den Diwan neben dem Allans,
-„ich will Ihnen etwas anvertrauen.“
-
-Allan neigte lächelnd den Kopf.
-
-„Ich will Ihnen etwas anvertrauen,“ wiederholte der alte Poet. „Dieser
-Wein, der frischer ist als der Morgentau auf den Berghängen und
-kitzelnder als die Lippen eines Weibes, ist auch ebenso hinterlistig
-wie das Herz eines Bewohners der Ebene. Ach, was haben wir von den
-Frauen, die wir lieben, und dem Wein, den wir trinken? Beide Räusche
-verschwinden mit dem Morgen. Doch weiß ich nicht, ob der Rausch dieses
-kitzelnden Weines, der wie ein Frühlingsbach perlt, morgen mit dem
-Morgen verschwinden wird. Ich bin fast geneigt, es zu bezweifeln; aber
-wenn es der Fall ist, so denke ich daran, was der göttliche Zeltmacher
-sagte:
-
- Wein trinken will ich! Trinken, daß der Duft,
- Wo ich begraben, füllet einst die Luft;
- Daß all die Waller, trunken noch vom Abend,
- Im Rausche sinken rings um meine Gruft.
-
-Junger Mann, hüten Sie sich vor dem Wein und den Frauen. Nehmen
-Sie diesen Rat von dem alten Sänger Ali. Vernehmen Sie, daß mein
-Schüler, der uns von seinem Diwan aus mit einem milden glücklichen
-Lächeln betrachtet, über das große Wasser hergekommen ist, um sich zu
-vermählen. Es ist eine Folge seiner jugendlichen Torheit, daß er zu
-diesem Zweck einen so weiten Weg macht. Er ist wie der Steinbock, der
-mühsam ins Dschungel herabwandert, um dort von den Tigern gefressen zu
-werden. Das beweist, daß ich ihm ein schlechter Lehrer gewesen bin.
-Lasset uns trinken!“
-
-Allan erhob sein Glas.
-
-„Verehrungswürdiger Dichter,“ sagte er, „wissen Sie, daß wir im selben
-Hotel wohnen?“
-
-Der alte Poet sah ihn mit Augen an, die vom Wein verdunkelt waren.
-
-„Und wenn dem so ist?“ sagte er. „Ein Wohnort, was ist ein Wohnort? Je
-mehr ich von diesem gelben Wein trinke, desto besser verstehe ich den
-göttlichen Zeltmacher, und wenn Sie von Hotels sprechen, junger Mann,
-denke ich daran, was er gesagt hat:
-
- O alte Welt! Du altes Herbergshaus,
- Wo Tag und Nacht gehn ewig ein und aus,
- Du warst die Bettstatt schon von tausend Dschemschids,
- Der Rest von tausend Behrams reichem Schmaus.
-
-Was bedeutet es, ob wir im selben Hotel wohnen. Ein anderer liegt
-morgen in dem Bett, das noch von uns lau ist.“
-
-„Gottlob ist der Champagner für uns noch kalt,“ sagte Allan. „Prost!
-Seine Königliche Hoheit dort auf dem Diwan scheint ein bißchen
-ermüdet.“
-
-„Mein Schüler“, sagte der alte Hofdichter, indem er sein Glas austrank,
-„ist noch nicht recht vertraut mit dem Wein der weißen Sahibs. Seine
-verräterische Süßigkeit hat ihn überwältigt. Bei der Erkenntnis dessen
-schaudere ich, wenn ich an die blauäugigen weißen Frauen denke,
-von denen er träumt. Sicherlich hat Nasirabads letztes Stündlein
-geschlagen, wenn eine von ihnen ihn in ihre Arme schließt. Woher wissen
-Sie, wer mein Schüler ist?“
-
-„Ich habe ja schon gesagt, daß wir im selben Hotel wohnen.“
-
-Kurz nach dieser letzten Antwort mußte auch Allans Bewußtsein sich
-umnebelt haben. Auf jeden Fall war es das Letzte, was er am nächsten
-Tag aus seiner Erinnerung hervorzuholen vermochte. Auch in die
-Handlungen, die er und die anderen Anwesenden darnach vornahmen, konnte
-er keine Klarheit bringen. Er erinnerte sich undeutlich, daß er,
-nachdem er noch ein paar Gläser getrunken, aufgestanden und unter der
-heiteren Zustimmung seines eigentümlichen Begleiters, der noch immer im
-Gespräch mit Mr. Stanton dasaß, durch die Draperien in die Loge Nr. 6
-gewankt war, aus der Mr. Stanton und seine Schützlinge gekommen waren.
-Ein paar Augenblicke starrte er die Loge an, die ebenso eingerichtet
-war wie die andere, und den Tanz, der draußen auf dem Glasboden
-unablässig weiterging. Dann legte er sich auf einen Diwan.
-
-Das nächste, woran er sich dann erinnerte, war, daß sein Begleiter und
-Mr. Stanton durch die Draperie zu ihm hineinguckten; sie sahen auf ihre
-Uhren, lächelten und zogen sich in die Loge Nr. 5 zurück; er fing
-noch den Laut der Stimme des alten Hofdichters auf, der irgend etwas
-rezitierte, und ein Schnarchen, das vermutlich von Yussuf Khan kam.
-
-Vermutlich war er selbst gleich darauf eingeschlummert, aber es ist
-unsicher, wie lange er geschlafen hatte, als er mit einemmal klar
-wach war, so wie es manchmal vorkommt, von einer Idee gepackt, einer
-halben Ahnung, wie man sie im Schlaf hat, einer Idee, die ihn dazu
-brachte, sich kerzengerade auf dem Diwan aufzusetzen und vor sich
-hinzustarren. War +das+ der Zweck des Ganzen. Waren deshalb gerade
-er und die beiden Inder in dieses eigentümliche Lokal geführt worden?
-Hatte deshalb sein Begleiter eine so plausible Erklärung für Herrn
-Mirzls Vorgehen geben können? ... Dann war +eine+ Sache sicher
--- er mußte sich eilen, wollte er ihre Pläne durchkreuzen; und eine
-andere Sache beinahe noch sicherer -- er mußte mit äußerster Vorsicht
-zu Werke gehen, wenn es ihm gelingen sollte ... Noch wirr im Kopf von
-dem Champagner und unsicher auf den Beinen nach dem Schlaf erhob er
-sich von dem Diwan und schlich, so leise er konnte, zur Logentüre.
-Dort angelangt, blieb er stehen und sah vorsichtig nach den Draperien
-zur Loge Nr. 5. Sie hingen regungslos, kein Laut war von dort drinnen
-zu hören. Er drückte vorsichtig die Klinke nieder. Sie gab lautlos
-nach. Gott sei Dank, die Türe war also nicht verriegelt, wie er schon
-befürchtet hatte.
-
-Er öffnete sie so behutsam er konnte, und guckte mit einem Auge in
-die Halle. Sie war leer; von dem orientalisch gekleideten Diener war
-nichts zu sehen. Mit noch einem gemurmelten Segensspruch auf den Zufall
-oder die Vorsehung ging er zur Türe hinaus, schloß sie hinter sich
-zu und schlich auf den Zehen zu zwei großen Doppeltüren mit elegant
-vergitterter Glasfüllung. Nur fort, so rasch als möglich. Er sah hastig
-auf seine Uhr, die fast zwei zeigte -- keine Zeit, an Ueberrock und Hut
-zu denken -- als er eine Entdeckung machte, die ihn zurücktaumeln ließ.
-
-Die großen Hallentüren waren ebenso fest und unerschütterlich
-verschlossen wie eine Gefängnispforte!
-
-Für einen Augenblick stand er wie gelähmt da, fast bereit, in die Loge
-zurückzukehren und die Dinge ihren Lauf nehmen zu lassen. Dann jedoch
-gewann die Empörung die Oberhand, und er begann mit zusammengebissenen
-Zähnen nach einer Möglichkeit zu suchen, den Leuten dort drinnen ein
-Schnippchen zu schlagen. Er grübelte und grübelte, während seine
-Augen rings um die Halle irrten, jeden Augenblick darauf gefaßt, den
-Diener auftauchen zu sehen. Die Halle bog sich nach rechts und links
-zu Korridoren um, die die Logen rings um den Saal mit dem gläsernen
-Boden umschlossen. Vielleicht war dort irgendein Ausgang? Er verjagte
-den Gedanken an diese Möglichkeit ebenso rasch, als er aufgetaucht
-war. Fand sich dort irgendein Ausgang, so war er sicherlich ebenso
-fest verrammelt wie der Hauptausgang. Der Diener in der orientalischen
-Gewandung hatte natürlich dafür zu sorgen, daß kein Unberufener herein
-oder heraus kam; und diesem Diener wollte er keinesfalls begegnen. Er
-hätte darauf schwören mögen, daß er seine Weisungen hatte! -- War das
-Spiel also verloren? Schon waren drei Minuten vergangen, seit er die
-Loge verlassen hatte -- hallo!
-
-Mit einem Male fiel ihm etwas ein.
-
-Er sah die Szene wieder, als er mit seinem wunderlichen Begleiter
-herausgekommen war; der Diener hatte ihre Ueberkleider genommen und
-sie in die Garderobe hinüber getragen, deren Türe er durch den Druck
-auf einen Knopf geöffnet hatte. Und drinnen in der Garderobe hatte
-Allan einen Augenblick eine halb offene Türe gesehen, die zu einer
-Hintertreppe führte. ... Ohne diesen Gedanken zu Ende zu denken oder
-die Chancen zu berechnen, ob er auch den Knopf zur Garderobetüre
-entdecken und die andere Türe geöffnet finden würde, stürzte Allan
-quer durch die Halle zur Garderobetüre. Er ließ die Finger über die
-Wand fahren, auf die er den Diener drücken gesehen hatte; Sekunde für
-Sekunde verging, von seinem Herzen mit einem Hämmern markiert, das
-man seiner Empfindung nach durch das ganze Haus hören mußte; seine
-Finger flogen über die Wand hin und her, ohne jedes Resultat. Halb
-verzweifelt ließ er die Hände sinken und starrte die Wand an. Seine
-Verzweiflung ging in kindische Erbitterung über; er versetzte der Wand
-einen Faustschlag, der dumpf krachte und weh tat, aber -- o Wunder! --
-im selben Augenblicke öffnete sich die Türe. Im nächsten war Allan in
-der Garderobe und zog die Türe hinter sich zu, ohne zu bedenken, daß er
-keine Zündhölzchen bei sich hatte. Er tappte zu den Ueberkleidern, die
-er dort drinnen hängen gesehen hatte, und durchsuchte mit fiebernden
-Händen eine Tasche nach der andern: Die internationalen Feuerfresser
-schienen den Gebrauch von Zündhölzchen abgeschworen zu haben, und sie
-hätten doch die Nächsten dazu sein sollen! Ohne daran zu denken, was
-er in Gestalt von gebrochenen Beinen und ähnlichem riskierte, gab er
-seine Nachforschungen in den Ueberrocktaschen auf und tastete sich zu
-jener Ecke der Garderobe, wo er am Abend die offene Türe gesehen hatte.
-Eigentümlicherweise fand er sie so gut wie gleich, und zwar noch immer
-angelehnt.
-
-Er öffnete sie ganz und machte mit ausgestreckten Händen ein paar
-vorsichtige Schritte über die Schwelle. Er fand ein eisernes Geländer
-und konstatierte, daß da eine Wendeltreppe sein mußte. Er trat einen
-Schritt zurück und schloß die Türe zur Garderobe wieder, um keinerlei
-Spuren zu hinterlassen; dann begann er die Wendeltreppe herabzusteigen,
-so rasch er es bei dieser Dunkelheit wagen konnte.
-
-Wenn der Leser je eine dunkle Treppe in einem fremden Hause ohne andere
-Richtschnur als das Gefühl hinauf oder hinunter gegangen ist, dürfte
-dem Leser eines aufgefallen sein: Sie erscheint ebenso endlos wie
-ein Satz eines besseren lateinischen Schriftstellers. Wenn der Leser
-diese Beobachtung nicht gemacht hat, hat der Leser nie einen besseren
-lateinischen Schriftsteller gelesen. Allan Kragh, der in dieser
-Hinsicht zu den Bevorzugten gehörte, hatte Gelegenheit zu konstatieren,
-daß die Wendeltreppe, die er gefunden, gut und reichlich so lang
-war, wie der Satz, wo Livius seine Reflexionen über die Schlacht bei
-Cannae beginnt. Er glaubte Aeonen gegangen zu sein und fragte sich
-schon, ob die Treppe zu den Verließen des Feuerfresserklubs führte,
-zum Inferno oder zu irgendeiner Station der Londoner Untergrundbahn,
-als die Treppe plötzlich ein Ende nahm und er vor einer Türöffnung
-stand, durch die graues Nachtlicht hereinrieselte. Er eilte so eifrig
-hinaus, als sei es die Pforte zu einem verzauberten Garten. Sie führte
-jedoch nur zu einem dunklen Brunnen -- wenigstens kam es ihm so vor.
-Himmelhohe Hausgiebel und Feuermauern erhoben sich auf allen Seiten,
-mit oder ohne Reihen von dunklen Fenstern. Er suchte die Finsternis
-rings um sich mit den Blicken zu durchdringen. Sollte er seine Flucht
-nur unternommen haben, um in eine Falle geraten zu sein? Er begann sich
-zwischen den Gegenständen auf dem Grund dieses Schachtes, der sich
-nach links ausbuchtete, weiterzutasten. Er folgte der Hausmauer. Nun
-kam eine Biegung im rechten Winkel, dann wieder eine in der früheren
-Richtung. Plötzlich fand sich Allan, mit einem Ruf der Erleichterung,
-vor einem Gitter zwischen zwei hohen Hausgiebeln, von denen der eine
-mit Efeu bewachsen war. Ohne eine Sekunde zu zögern, begann er das
-Gitter zu überklettern und kam mit einem zerrissenen Hosenbein auf die
-andere Seite hinüber. Die Straße, in der er nun stand, war kurz und sah
-sehr vornehm aus. An ihrem einen Ende war ein offener Platz, undeutlich
-beleuchtet; und auf diesem entdeckte Allan zu seiner unbeschreiblichen
-Freude nichts Geringeres als ein Cab.
-
-Der Cabby unterzog ihn einer genauen Okularbesichtigung und stellte
-die Forderung eines Vorschußerlages, bevor er das Pferd aus seinem
-beschaulichen Schlummer riß und es dem Grand Hotel Hermitage zutraben
-ließ. Herren ohne Hut und Ueberrock um diese Tageszeit flößten ihm
-offenbar gemischte Gefühle ein. Allan drinnen im Cab kam es vor, als
-rührte sich dieser gar nicht vom Fleck; Straße um Straße passierten
-in unendlicher Prozession vorbei, Häuser, Häuser und Häuser,
-Firmenschilder und Schilder, die eine rotgelbe Gaslaterne nach der
-anderen. Er starrte die Zeiger seiner Uhr an, wie sie dahinkrochen --
-immerhin bedeutend schneller als der Cab, schien es ihm. Hier und da
-sandte er durch die Dachluke dem Cabby einen flehentlichen Ruf zu;
-jedesmal kam ein Ruck der Zügel als Antwort und eine schwache Reaktion
-in der Mähne des Pferdes. Es wurde zehn Minuten vor halb drei, fünf
-Minuten vor halb drei. Jetzt kam er sicherlich zu spät ... Endlich bog
-der Cab in eine breitere asphaltierte Straße ein, die er erkannte, und
-stand auf dem Monmouth Square.
-
-Das Grand Hotel Hermitage lag stumm und schlummernd da, kaum ein
-Fenster der großen Fassade war beleuchtet; es schien Allans Ahnungen
-wenig Berechtigung zu geben. Und doch dauerte es kaum so lange, bis er
-in die Halle gekommen war, als ihm auch schon die Bestätigung wurde,
-die er zugleich befürchtet und ersehnt hatte.
-
-Der Nachtportier, der den Seiteneingang mit einem erstickten Gähnen
-geöffnet hatte, erstickte dieses gänzlich, als er Allan erblickte. Er
-prallte zwei Schritte zurück und starrte Allan wie ein Gespenst an.
-
-„Wer sind Sie?“ rief er.
-
-„Nr. 417!“ rief Allan. „Rasch! Kommen Sie mit! Es ist keine Minute zu
-verlieren.“
-
-„Aber ich habe Sie doch vor zwei Stunden nach Hause kommen sehen ...“
-
-„Ich weiß! Ich weiß! Ich werde Ihnen schon alles später erklären. Man
-hat ein Verbrechen geplant -- ist Mr. Bowlby mit seiner Familie schon
-nach Hause gekommen?“
-
-„Nein, aber -- --“
-
-„Kein Aber! Die Stiege hinauf in ihre Wohnung, und rasch, wenn wir
-verhindern wollen, was man geplant hat!“
-
-Ohne sich auf weitere Erklärungen einzulassen, packte Allan den
-verblüfften Portier beim Arm und zog ihn die Treppe hinauf, zur
-Suite der Familie Bowlby im zweiten Stockwerk. Als sie den großen
-Treppenabsatz im ersten Stockwerk passierten, warf Allan einen Blick in
-den Korridor, wo die Zimmerflucht lag, die Bowlbys früher inne gehabt
-hatten und die nun vom Maharadscha bewohnt wurde. Er sah seine Annahme
-bestätigt: Fünf Mann von Yussuf Khans zehn Mann starker Leibgarde
-hielten vor den Türen seiner Wohnung Wache. Diesen Weg hatten also die
-Betreffenden nicht einschlagen können, und deshalb hatten sie eben -- --
-er verdoppelte seine Schritte. Würde er noch zurecht kommen? war der
-einzige Gedanke, für den er Raum hatte. Den Portier hinter sich
-herschleppend, erreichte er die Türe zu Mr. Bowlbys Privatrauchzimmer
--- dem Zimmer, das infolge seiner Lage und aus anderen Gründen das sein
-mußte, das die Betreffenden für ihre Operationen gewählt hatten. Der
-dicke Teppich im Korridor dämpfte den Laut ihrer Schritte; und richtig,
-als sie die Türe erreicht hatten, und einen Augenblick davor stehen
-blieben, war drinnen eben jenes Geräusch zu hören, das Allan erwartet
-hatte, ein gedämpftes Scharren wie von einer Feile oder Säge ... Allan
-packte die Klinke.
-
-Die Türe war verriegelt.
-
-„Ich verdammter Esel,“ murmelte Allan heiser. „Portier, haben Sie
-Doppelschlüssel? Uebrigens was wollen wir mit Doppelschlüsseln? Ein
-Stemmeisen, und zwar rasch!“
-
-„Ein Stemmeisen?“ Der Portier starrte Allan wie einen Wahnsinnigen an.
-
-„Ich sage,“ flüsterte Allan atemlos, „hier wird ein Attentat begangen,
-das das Hotel für immer in Verruf bringen wird! Wissen Sie, was für ein
-Zimmer unmittelbar hier darunter liegt?“
-
-Der Portier dachte eine Sekunde mit weit aufgerissenen Augen nach.
-
-„Das Privatschlafzimmer des Maharadscha!“ murmelte er schließlich.
-
-„Wo er alle seine Juwelen hat! Verstehen Sie jetzt? Begreifen Sie, daß
-dieser Herr, der vor zwei Stunden herkam, nicht ich war, sondern ein
-verkleideter Einbruchsdieb! Rasch, ein Stemmeisen, und lassen Sie ihn
-uns fangen, so lange es noch Zeit ist.“
-
-Endlich ging dem Portier ein Licht auf. Er schoß wie ein Pfeil die
-Treppen hinunter, und Allan stand allein vor der verriegelten Türe, die
-er mit den Augen verschlang. Der verdammte Mirzl! +Wenn+ Allan
-nicht auf die Gedanken verfallen wäre, dies ihm im Feuerfresserklub
-gekommen waren, hätte jetzt wohl +er+ die Ehre des Einbruchs ...
-
-Allan kam in seinem Gedankengang nicht weiter. Urplötzlich, ohne
-daß er einen Laut gehört hatte, wurde die Türe vor ihm aufgerissen;
-Jemand im _evening-dress_, der ihm selbst ähnlich sah, packte
-ihn bei den Armen, drehte ihn im Kreise herum wie ein Kind und warf
-ihn in das Zimmer hinein, vor dem er gewartet hatte. Er wurde einfach
-hingeschleudert wie ein toter Gegenstand und konnte noch gar nicht
-daran denken, sich zu erheben, als das elektrische Licht im Zimmer
-erlosch und er sich in abgrundtiefer Finsternis befand. Sein Kopf
-tickte und summte wie ein Uhrmacherladen, und seine Augen sahen mehr
-Sterne als sich je auf einer Kognakflasche befunden haben. Endlich war
-er wieder auf den Beinen und tappte, so rasch er konnte, zur Türe. Sie
-war versperrt. Er warf sich dagegen, ohne daß sie nachgab. Es gelang
-ihm, den elektrischen Kontakt zu finden, und er drehte ihn herum, so
-wie man eine Uhr aufzieht, ohne daß auch nur ein Lichtfünkchen kam.
-Endlich hörte er eilige Schritte dort draußen, ein Rütteln an der Türe
-und die Stimme des Portiers:
-
-„Haben Sie ihn drinnen? Haben Sie den Hauptkontakt abgedreht?“
-
-Allan bemühte sich die Worte zu unterdrücken, die ihm auf der Zunge
-lagen.
-
-„Um Gottes willen!“ schrie er, „so lassen Sie ihn doch nicht
-entwischen! Versperren Sie den Ausgang! Telephonieren Sie der Polizei!
-Er hat mich hier drinnen eingesperrt!“
-
-Er hörte den Portier die Treppe hinunter verschwinden, ohne sich auch
-nur die Zeit zu nehmen, den elektrischen Kontakt aufzudrehen, und es
-verging eine Ewigkeit, während der er, vor Ungeduld schnaubend, vor
-der verriegelten Türe auf und ab tanzte. Von Zeit zu Zeit unternahm
-er einen neuen Versuch, sie zu sprengen. Immer vergeblich. Es mochten
-vielleicht zehn Minuten vergangen sein, die ihm wie zehn Jahrhunderte
-vorkamen, als er zum zweiten Male draußen Schritte hörte, diesmal von
-mehreren Personen. Das Zimmer füllte sich plötzlich mit Licht, und ein
-Schlüssel drehte sich im Schloß. Er riß selbst die Türe auf und fand
-draußen den Portier, atemlos vor Erregung, in Gesellschaft von zwei
-Polizisten. Er setzte zu Erklärungen und Fragen an, aber ein Ausruf des
-einen Polizisten kam ihm zuvor.
-
-„Nanu! Einbruchsversuch, todsicher! Sehen Sie mal!“
-
-Allan drehte sich nach der Richtung um, in die der Konstabler wies.
-Wenn es noch eines Beweises für die Richtigkeit seiner Ahnungen bedurft
-hätte, so hatte er ihn nun.
-
-Eine Oeffnung von etwa sechzig Zentimeter im Durchschnitt klaffte
-im Fußboden, daneben lag ein geschlossener Regenschirm und eine
-Anzahl Holzscheiben und etwas Mörtel. Er starrte verständnislos den
-Regenschirm an, bis der eine Polizist auf das Loch im Boden zueilte und
-den Regenschirm aufhob. Er spannte ihn auf; es zeigte sich, daß er eine
-Quantität Sägespäne, Mörtel und Gips enthielt. Der Polizist nickte:
-
-„Der gewöhnliche Trick, damit der Mörtel nicht in das Zimmer darunter
-fällt! Seine Strickleiter hat er glücklich mitgenommen.“
-
-Endlich fand Allan die Sprache wieder.
-
-„Ist er entwischt?“
-
-Der Portier nickte düster.
-
-„Er hat sowohl den Hauptkontakt abgedreht wie den Etagenkontakt für
-dieses Stockwerk. Die sind beide hier drüben in der Treppenhalle. Ich
-stand unten im Bureau und klingelte die Polizei an. Als es plötzlich
-dunkel wurde, stürzte ich die Treppe hinauf. -- Sie brauchen mich nicht
-so anzusehen, Sir; was hätten denn Sie getan? In solchen Fällen ist man
-immer nachher am klügsten. Ich merkte in der Dunkelheit nichts, bis ich
-den Hauptkontakt aufgedreht hatte -- den Etagenkontakt vergaß ich ganz.
-Im selben Augenblicke sehe ich jemand die Treppe hinunter verschwinden.
-Ich stürze nach --“
-
-„Ist er denn +erst dann gegangen+?“ rief Allan, „warum ist er so
-lange dageblieben?“
-
-„Da müssen Sie einen anderen fragen, Sir. Ich stürzte ihm nach, aber es
-war zu spät. Er war, bevor ich nur mau sagen konnte, schon draußen und
-in einem Auto, das in der Nähe des Hotels stand. In diesem Moment kamen
-die Konstabler --“
-
-Der eine der erwähnten Konstabler unterbrach ihn.
-
-„Wir müssen ein Protokoll aufnehmen,“ sagte er.
-
-„Ist das notwendig?“ murmelte der Portier. „Der Maharadscha -- Bedenken
-Sie den Ruf des Hotels!“
-
-„Wir halten einstweilen alles geheim, wenn Sie selbst nicht darüber
-sprechen.“
-
-Noch halb wirr im Kopf nach seinen Erlebnissen, mußte Allan den
-Polizisten erzählen, was er wußte. Bei seinem Bericht über den
-Feuerfresserklub schüttelten sie den Kopf.
-
-„Sicher, daß Sie nüchtern waren, Sir? Nichts für ungut, aber --“
-
-Allan wiederholte seine Schilderungen mit einer gewissen Heftigkeit.
-
-„Und die Adresse des Lokals, Sir?“
-
-Allan wich einen Schritt zurück. Er hatte weiß Gott bei seiner Flucht
-aus dem betreffenden Lokal solche Eile gehabt, daß er ganz vergessen
-hatte, sich den Namen der Straße anzusehen, in der es gelegen war.
-
-„Denn Sie sagten doch,“ fuhr der Polizist gelassen fort, „daß dieser
-indische Prinz, dem die Juwelen im Zimmer unten gehören oder gehörten,
-noch da war, als Sie fortgingen?“
-
-Allan nickte stumm. Gütiger Gott, was würden die Verbrecher mit dem
-Maharadscha beginnen, wenn sie merkten, daß der andere Plan mißlungen
-war -- falls er nun mißlungen war.
-
-„Der Maharadscha war noch dort, als es mir gelang, mich aus dem
-Staube zu machen,“ stammelte er schließlich. „Mein Gott, wenn ich den
-Einbruchsversuch nur verhütet hätte, um ...“
-
-„Ob Sie den Einbruch verhütet haben, werden wir wohl kaum heute nacht
-erfahren. Oder wollen Sie es auf Ihre Kappe nehmen, Portier, uns in die
-Wohnung des Maharadscha zu bringen?“
-
-Der Portier schüttelte energisch den Kopf. Nach einigen weiteren
-Fragen steckte der Konstabler sein Notizbuch in die Tasche.
-
-„Lassen Sie das Zimmer unberührt stehen. Die Detektivs kommen morgen
-in aller Frühe, wenn nicht noch früher,“ sagte er und nahm mit seinem
-Kollegen Abschied.
-
-Allan wankte die Treppen in sein Zimmer hinauf, nachdem er den Portier
-gebeten hatte, Mr. Bowlby mit einigen vorsichtigen Worten von dem
-Vorgefallenen zu verständigen. Er war todmüde nach all dem Champagner,
-der Spannung und dem Ringkampf mit Mirzl -- wenn es nun Mirzl gewesen
-war.
-
-Hatte er in diesem Punkte noch irgendwelche Zweifel gehegt, so sollten
-sie jedoch behoben werden, als er glücklich in der ägyptischen
-Grabkammer Nr. 417 angelangt war. Das Zimmer lag, als er die Tür
-öffnete, in voller Beleuchtung da; und das erste, was er sah,
-war sein einer Reisekoffer, in dem er außer auf Eisenbahnfahrten
-unpraktischerweise sein Geld unter Schloß und Riegel zu verwahren
-pflegte -- er hatte noch nicht die kluge Gewohnheit angenommen, es
-im Bureau des Hotels, wo er wohnte, zu deponieren. Der Deckel, der
-durch zwei gute Hängeschlösser geschützt wurde, stand offen, und der
-Inhalt des Koffers -- allerlei Kleinigkeiten, darunter eine Kassette,
-die seine Reisekasse enthielt -- lag in völliger Wirrnis da. Von
-einer düsteren Ahnung ergriffen, stürzte er auf den Koffer zu und
-riß die betreffende Kassette heraus -- ein kleines Silberkunstwerk,
-das er einmal in Dänemark gekauft hatte. Sie hatte noch am Morgen
-elftausendsechshundert Kronen in schwedischem Geld enthalten. Davon
-waren jetzt nur fünftausendsechshundert da ...
-
-Es dauerte etliche Minuten, bis er seine Sinne genügend in Ordnung
-hatte, um auch den Rest des Zimmers zu sehen; und das erste, was er da
-erblickte, war ein Brief, der an das elektrische Lämpchen auf seinem
-Nachtkästchen gelehnt war. Er riß ihn mit einem wütenden Knurren auf:
-
- „Lieber Herr Kragh!
-
- Vielleicht finden Sie mein Vorgehen heute abend unlogisch und
- ungentlemanlike. Unlogisch, weil ich Ihnen früher, nach dem Dienst,
- den Sie mir in Deutschland erwiesen haben, Wohlwollen bezeigte;
- ungentlemanlike, weil ich Ihnen sechstausend schwedische Kronen
- raube. Es war, nebenbei gesagt, der reine Zufall, daß ich sie
- gefunden habe; es war nämlich nur meine Absicht, Ihnen hier oben in
- Frieden und Ruhe einige Zeilen zu schreiben. Aber lassen Sie mich
- Ihnen eines sagen: Sie haben heute abend meine Pläne durchkreuzt,
- und man durchkreuzt meine Pläne nicht ungestraft. Ihre Strafe für
- das erstemal ist sechstausend Kronen Buße -- das halbe Vermögen
- im Koffer. Sollte das Vergehen sich wiederholen -- aber ich bin
- überzeugt, daß Sie jetzt klug genug sind, es nicht zu wiederholen.
-
- In Eile
- Dr. Hauser,
- (alias Ludwig Koch, alias Benjamin Mirzl).“
-
-
-
-
-VII
-
-Ein Verschwinden mit Nebenumständen
-
-
-Es war Mr. Bowlby, der Allan am nächsten Morgen etwas nach halb neun
-Uhr weckte. Allan schnellte aus dem Bett, schlaftrunken und ganz
-überzeugt, daß es Herr Benjamin Mirzl war, der kam, um sich sein
-übriges Geld zu holen.
-
-„Sie, Mr. Bowlby!“
-
-„Allerdings ich, junger Freund. Ich erhielt Ihre Botschaft durch den
-Portier, als ich heute nach vier Uhr nach Hause kam. Entschuldigen Sie,
-daß ich so in Ihr Schlafgemach eindringe -- _damn it_, es ist
-eines der kleinsten, das ich je gesehen habe! -- aber Sie werden doch
-meine Neugierde begreifen! Ein Loch in meinem Rauchzimmer, groß genug,
-um einen Indianer drinnen zu fangen! Das Zimmer voll von Detektivs,
-die mich verhört haben und Sie zu verhören gedenken, und eine tolle
-Deliriumsgeschichte des Nachtportiers von +zwei+ Herren auf
-Nr. 417. Ich hatte erwartet, Sie schon früher zu sehen, aber Helen
-vertraute mir eben an, daß Sie nie vor dem Lunch aufstehen.“
-
-„Miß Bowlby ist zu strenge in ihren Urteilen. Gestatten Sie, daß ich
-Toilette mache, dann will ich versuchen, Ihnen das Ganze zu erzählen.
-Aber Sie wissen doch, daß alles vorderhand geheim bleiben muß?“
-
-„Die Detektivs faselten irgend etwas vom Maharadscha.“
-
-„Ich fürchte, es ist kein Gefasel, Mr. Bowlby.“
-
-Allan hüpfte aus dem Bett und begann ungeniert seine Waschungen vor den
-Augen des Amerikaners, während er die Abenteuer der Nacht erzählte.
-Die Beschreibung des Feuerfresser-Klubs entlockte Mr. Bowlby eine
-Serie Pfiffe, eines durchgehenden Expreßzuges würdig. Als Allan zu dem
-Bericht über seine Flucht kam und wie es Mirzl gelungen war, ihn und
-den Portier zu überlisten, unterbrach er ihn mit dem Ausruf:
-
-„Aber das muß ja ein Teufelskerl sein, dieser Mirzl? Eine solche
-Kaltblütigkeit! Das ist doch das Frechste, was mir noch im Leben
-untergekommen ist!“
-
-„Warten Sie einen Augenblick mit Ihrem Lob!“ sagte Allan. „Was glauben
-Sie, tat der Mann, als er mich in das Rauchzimmer eingesperrt und die
-Kontakte abgedreht hatte?“
-
-„Verduftete, natürlich.“
-
-„Verduften! Da kennen Sie Mirzl schlecht. Er ging in mein Zimmer hinauf
-und setzte sich nieder, um mir eine Warnung zu schreiben, mich nicht
-mehr in seine Angelegenheiten einzumischen --“
-
-„Da hört sich aber alles auf!“
-
-„Und als er dabei zufällig fand, daß ich einen verriegelten Koffer
-hatte, der nach wertvollem Inhalt aussah, öffnete er ihn. Bedenken Sie,
-daß der Portier die ganze Zeit dastand und der Polizei telephonierte.
-Im Koffer hatte ich meine Reisekasse, elftausend schwedische Kronen und
-etwas darüber --“
-
-„Sie sind aber höchst unvorsichtig! Und die nahm er?“
-
-„Von diesen nahm er die Hälfte oder ein bißchen mehr, worauf er sich
-niedersetzte und mir diesen Brief schrieb.“
-
-Allan reichte Mr. Bowlby nicht ohne einen gewissen Stolz Herrn Mirzls
-Brief.
-
-Der Amerikaner las ihn langsam durch und gab eine neue Serie
-betäubender Expreßsignale von sich.
-
-„Sie haben doch natürlich der Polizei telephoniert?“
-
-„Der Polizei! Warum nicht gleich einer Kleinkinderbewahranstalt und
-habe sie um eine Amme gebeten? Ich ging zu Bett.“
-
-In das Gesicht Mr. Bowlbys trat ein Ausdruck von ehrlichem Respekt.
-
-„_Well!_ Ich muß sagen -- --!“
-
-Er starrte Allan an, während dieser sich das Jackett anzog. Allan
-öffnete ihm die Türe, und sie gingen die Stiege hinunter. Mr. Bowlby
-wiederholte:
-
-„Ich muß sagen! Und gedenken Sie die Sache jetzt nicht anzuzeigen?“
-
-„Da die Detektivs schon hier sind, werde ich ihnen die Sache natürlich
-anzeigen, aber es ist nur der Form wegen.“
-
-„Mirzl scheint Ihnen Respekt eingeflößt zu haben!“
-
-Allan nickte zustimmend. Im selben Augenblick erblickten sie
-Mrs. Bowlby und Miß Helen, die in der Treppenhalle des zweiten
-Stockwerks saßen. Mrs. Bowlby, die ein grellgrünes Kleid trug und
-papageienähnlicher aussah denn je, begrüßte Allan mit einem kleinen
-Schrei, der des erwähnten Vogelgeschlechtes durchaus nicht unwürdig war.
-
-„Mister Cray! So! Also auf diese Art verbringen Sie die Nächte, wenn
-ich außer Sehweite bin! Ein großes Loch im Boden, und die Detektivs
-darum geschart wie Fliegen um eine offene Marmeladendose. Sie
-wollten mich nicht einmal in die Nähe lassen. Sie glaubten wohl, ich
-gedächte in das Schlafgemach des Untiers hinunterzuspringen. -- Na,
-was haben Sie zu sagen? Setzen Sie sich und lassen Sie uns hören,
-aber +alles+, verstehen Sie? Sie waren natürlich in irgendeinem
-entsetzlichen Lokal? Haben also +Sie+ das Loch in den Boden
-gemacht?“
-
-„Wenn Sie zwischen halb eins und halb drei in Mr. Bowlbys Rauchzimmer
-gekommen wären, hätten Sie es sicherlich geglaubt, Mrs. Bowlby.“
-
-Allan begann zum zweiten Male seine Erzählung. Mrs. Bowlby beehrte
-seine Beschreibung des Feuerfresser-Klubs nicht mit denselben
-Expreßpfiffen wie ihr Mann, aber ihre Kommentare waren darum nicht
-weniger ausdrucksvoll. Als Allan zum Schlusse von Herrn Mirzls
-Leistungen gekommen war, ergriff sie das Wort:
-
-„Ja, dieser Herr ist natürlich ein Schurke. Aber ich sage Ihnen eines,
-ich würde tausendmal lieber das Untier hoppnehmen sehen als ihn.“
-
-„Ich für mein Teil sechstausendmal lieber Herrn Mirzl,“ meinte Allan.
-
-„Denken Sie nur, den +ersten+ Abend, den er in London
-verbringt, in +solche+ Lokale zu gehen,“ setzte die alte Dame
-ihren Anklageakt fort. „Natürlich war er in Damengesellschaft --
-versuchen Sie das nicht zu leugnen, ich glaube Ihnen ja doch nicht.
-Natürlich, obwohl er daheim bei sich das Haus voll und +mehr+
-als voll hat. Und natürlich ist es furchtbar unrecht von Ihnen, in
-ein solches Lokal zu gehen, aber ein verheirateter Mann, ein Mann,
-der +hundertfünfzigfach+ verheiratet ist -- -- Und dieser alte,
-graubärtige Wüstling -- --“
-
-Allan wagte sie zu unterbrechen.
-
-„Sind sie noch nicht nach Hause gekommen, Mrs. Bowlby?“
-
-„Die! Die werden sich nicht beeilen, nach Hause zu kommen, da seien Sie
-ganz beruhigt! Ich kenne die Männer.“
-
-Mr. Bowlby hatte gedankenvoll dem Reglement des Hotels getrotzt und
-während Allans Erzählung eine Zigarre geraucht. Jetzt nahm er sie
-plötzlich aus dem Mund und hinderte Allan, seine Befürchtungen über das
-Schicksal des Maharadschas auszusprechen, nun der Einbruch mißlungen
-war.
-
-„Da sind zwei Dinge,“ sagte er, „die ich nicht begreife, wie
-durchtrieben auch dieser Gauner und seine Bande sein mögen. Sie haben
-Sie natürlich von dem Augenblicke an, in dem Sie das Hotel verließen,
-beobachtet. Aber wie konnten sie Sie gerade in das Haus lotsen, wo sie
-den Maharadscha hatten?“
-
-„Hm, Mr. Bowlby, das ist ja nicht so merkwürdig. Zufälligerweise
-marschierte ich ja in Gesellschaft des Helfershelfers in jenes Café,
-und wurde von ihm angesprochen. Das war ein Zufall. Aber in einem
-anderen Lokal wäre das Resultat dasselbe gewesen. Im Notfall wären sie
-wohl auch nicht vor Gewalt zurückgeschreckt.“
-
-„_Well_, soviel kann ich zugeben, aber da ist noch eine Sache.
-Sie haben natürlich im Hause und außer dem Hause nach dem Maharadscha
-Ausschau gehalten. Aber +Sie+ sind ja in keinerlei Verbindung mit
-dem Maharadscha oder jemand aus seiner Gesellschaft gestanden, und Ihr
-eigenes Zimmer liegt im vierten Stock. Gestern abend forderte ich Sie
-allerdings auf, bei mir einen Whisky zu trinken ... Aber wie zum Teufel
-konnten die Kerls das wissen und sich darnach richten? Das frage ich.
-Wir saßen doch, soweit ich sah, allein an dem Tisch.“
-
-„Und woher konnten sie wissen, daß wir die halbe Nacht wegbleiben
-würden, Papa?“
-
-„Das ist keine Kunst, liebe Helen, wenn sie Spione im Hotel haben.
-Aber als ich diesen jungen Mann zu mir einlud, war, soviel ich mich
-erinnere, keine Seele in der Nähe, und ich habe ein gutes Gedächtnis.“
-
-„Sie brauchten es ja nicht zu wissen, Papa. Sie hätten das Attentat auf
-die Juwelen auf jeden Fall unternehmen können. Sie haben gesehen, daß
-Mr. Cray und wir verkehren, sie haben ihn den ganzen Abend beobachtet,
-wie er selbst sagt und ihn aus dem Wege geschafft, und dann hat sich
-dieser Mirzl als Mr. Cray verkleidet --“
-
-Miß Bowlby kam in ihrer Erklärung nicht weiter. Allan war von seinem
-Stuhl aufgesprungen und hatte Mrs. Bowlby beim Handgelenk gepackt. Die
-alte Dame schnellte, den Kopf im streitbaren Papageienwinkel schräg
-gelegt, in die Höhe:
-
-„Was fällt Ihnen ein, Sir? Glauben Sie, Sie sind noch in diesem Lokal?“
-
-„Mrs. Bowlby! Sie haben bestimmt mit dem, was Sie über Ihre Landsmännin
-sagten, recht gehabt! Jetzt verstehe ich, oder glaube wenigstens zu
-verstehen! Aha! Sie gehörten also doch zusammen!“
-
-„Meine Landsmännin? Wer?! Was verstehen Sie?“
-
-„Mrs. Langtrey! Jetzt erinnere ich mich. Gerade als Sie gestern vom
-Speisen aufstanden, sah ich zufällig nach rechts, und da, tief im
-Schatten der Palmblätter, saß Mrs. Langtrey. Sie wissen, Sie machten
-einige ... hm, offenherzige Bemerkungen, bevor Sie gingen, wie groß die
-Aussichten dieser Dame wären, auf den Gesandtschaftsball zu kommen.
-Als ich sie erblickte, sah sie aus wie eine Tigerin. Seien Sie sicher,
-sie hat sowohl das gehört, was Sie über sie sagten, wie das, was Mr.
-Bowlby zu mir sagte, ich möge heraufkommen und einen Whisky trinken.
-Ihr Mann versprach mir ja sogar, den Bedienten von meinem Kommen zu
-verständigen. Und sie hat eben -- -- Sie wissen doch, daß ich sie und
-Mirzl zusammen auf dem Hamburger Bahnhof sah, wenn ich auch damals
-nicht glaubte, daß sie sich kannten -- --“
-
-Allan hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als Mrs. Bowlby aus ihrem
-Sessel aufflog wie der Habicht aus seinem Horst und mit raschen
-Flügelschlägen die Stiege hinuntersauste. Ihre Augen strahlten vor
-Triumph. Mr. Bowlby zuckte philosophisch die Achseln und steckte
-eine neue Zigarre an. Allan, der über die Kampfesmiene der alten
-Dame lächeln mußte, wollte eben seine Erklärungen ergänzen, als ein
-Hotelangestellter auf ihn zukam.
-
-„Der Detektivinspektor ist in Mr. Bowlbys Rauchzimmer und möchte Ihre
-Aussage hören, Sir.“
-
-Allan folgte ihm in den Raum, der am vorhergehenden Tage Zeuge von
-Herrn Mirzls Niederlage gewesen -- und seiner eigenen. Er war nicht
-ganz so mit Detektivs angefüllt, wie Mrs. Bowlbys Worte ihm Anlaß
-gegeben hatten zu vermuten. Aber er beherbergte auf jeden Fall doch die
-respektable Anzahl von vier Kollegen Sherlock Holmes’. Der unter ihnen,
-der dem Aussehen nach seinem berühmten mageren Kollegen am ähnlichsten
-sah, war offenbar auch der Inspektor; denn bei Allans Eintreten bat er
-ihn, Platz zu nehmen und begann dann ihn zu verhören. Er saß an einem
-kleinen Tischchen, das mit Dokumenten und mystischen Dingen in Kuverts
-und Schachteln bedeckt war.
-
-Allan appellierte an seine Sherlock Holmes-Erinnerungen und zog den
-Schlußsatz, daß die Kuverts und Schachteln die „Spuren“ enthielten, die
-man gefunden hatte. Der magere Mann blätterte ein paar Seiten in seinem
-Notizbuch um und brachte die Füllfeder in Ordnung.
-
-„Sie sind Mr. Allan K--r--a--g--h?“
-
-Er buchstabierte den Zunamen, offenbar gänzlich abgeneigt, sich in
-irgendwelche phonetische Fallen zu verstricken.
-
-„Ja. Aus Schweden.“
-
-„Aus Schweden. Ja. Sie wohnen auf Nr. 417?“
-
-„Ja.“
-
-„Sie waren derjenige, der gegen halb drei Uhr nachts nach Hause kam
-und in Gesellschaft des Nachtportiers einen Versuch machte, die
-Einbruchsdiebe zu überraschen?“
-
-„Ich war es.“
-
-„Erzählen Sie, wie es kommt, daß Sie überhaupt eine Ahnung hatten, daß
-ein Einbruchsdieb hier war.“
-
-Allan begann zum dritten Male an diesem Morgen seine Erzählung in
-derselben Form wie früher, er beschrieb seinen Besuch im ‚Loch in der
-Wand‘, den Fremden, der ihn dort angesprochen, den Lift, der sie in den
-Feuerfresser-Klub geführt, das Erscheinen des Maharadschas in ihrer
-Loge, und wie ihm plötzlich der Verdacht aufgestiegen war, der ihn
-dann dazu gebracht hatte, aus dem Klub zu flüchten. Offenbar hatte der
-Detektivkommissar die Erzählung schon durch die Polizisten gehört, die
-in der Nacht dagewesen waren; denn er verglich sie mit einem Papier,
-das er bei sich hatte. Hier und da machte er eine Notiz. Er ließ Allan
-zu Ende sprechen, bevor er sein Verhör begann.
-
-„Wollen Sie den Mann, der Sie im ‚Loch in der Wand‘ ansprach, so genau
-Sie können, beschreiben.“
-
-„Er war ziemlich untersetzt, hatte ein viereckiges Gesicht, glänzende
-schwarze Haare und eine blauviolette Schattierung am Kinn und an den
-Wangen. Ich fürchte, nicht viel, wonach man sich richten kann. Er war
-in Abendkleidung. Er behauptete ein Deutscher zu sein; auf jeden Fall
-sprach er fließend Deutsch.“
-
-„Sie sprechen selbst Deutsch?“
-
-„Ja.“
-
-„Und der Mann, der in Gesellschaft des Maharadscha war?“
-
-„Das war ein Engländer, wenigstens sagten es die anderen; sie nannten
-ihn Stanton. Er war blond, scharfäugig und überaus korrekt seinem
-ganzen Aussehen nach -- eine ungewöhnlich typische Rasseerscheinung,
-wenn ich so sagen darf.“
-
-Der Detektivinspektor blätterte einen Augenblick in seinen Papieren.
-
-„Sie hatten gestern abend die Adresse des mystischen Hauses vergessen.
-Sie ist Ihnen nicht etwa heute nacht eingefallen?“
-
-„Nein, ich hatte, als ich fortlief, zu große Eile, um daran zu denken,
-aber wenn Sie wissen, daß die kleine Schenke das ‚Loch in der Wand‘
-heißt --“
-
-„Es gibt hundert Bars mit diesem Namen und von diesem Aussehen in
-London. Wo war sie denn ungefähr gelegen?“
-
-„Etwa eine halbe Stunde weit von Leicester Square. Ich kenne mich
-in London nicht aus, aber ich glaube, so lange brauchte ich im
-gemächlichen Schlendern, um hinzukommen. -- Darf ich eines fragen, Herr
-Inspektor?“
-
-„Lassen Sie hören!“
-
-„Der Maharadscha ist also nicht zurückgekommen?“
-
-„Nein, wir haben seit halb vier Uhr nachts Nachforschungen angestellt,
-aber sie mußten so diskret als möglich durchgeführt werden. Sowohl des
-Maharadschas, wie auch des Hotels wegen. Was uns freut, ist, daß der
-Einbruchsdiebstahl verhütet wurde.“
-
-Allan flog auf:
-
-„Darf ich fragen, woher Sie das wissen?“
-
-Der Detektivinspektor lächelte zum erstenmal.
-
-„Ich weiß es durch einen ... hm ... eigentümlichen Zufall ... Wie ist
-es denn, haben Sie nicht auch für Ihre eigene Person eine Anzeige zu
-machen?“
-
-Allan zuckte heftig zusammen. Das schlug jeden Rekord. Von solchem
-Detektivscharfsinn hatte er noch nie gelesen oder auch nur geträumt!
-Hatte der magere Inspektor seinen Geldverlust an der Art gemerkt, wie
-er sein Schuhband knüpfte, oder an irgendeinem Fleck auf dem linken
-Rockärmel? Er starrte den Inspektor an, ohne etwas zu sagen. Dieser zog
-lächelnd ein Papier aus dem Haufen vor sich und reichte es ihm.
-
-„Bitte lesen Sie,“ sagte er. „Das ist mit der ersten Morgenpost
-gekommen.“
-
-Allan nahm das Papier, das ihm gereicht wurde, und durchflog die Zeilen
-mit ihrer nur allzubekannten Schrift:
-
- „An die Scotland Yard!
-
- Herr Allan Kragh aus Schweden, wohnhaft Zimmer Nr. 417 Grand Hotel
- Hermitage, wurde heute nacht zwischen halb drei Uhr und drei Uhr in
- seinem Zimmer um eine Summe von sechstausend schwedischen Kronen (in
- Tausendkronenscheinen) bestohlen.
-
- Der Verüber des Diebstahls möchte darauf aufmerksam machen, daß
- dies die überaus milde Strafe ist, die Herrn Kragh aufzuerlegen
- für angemessen befunden wurde, wegen seines Eingreifens in die
- andere Affäre, die sich in derselben Nacht im Grand Hotel Hermitage
- abspielte.
-
- Für den Fall, daß Herr Kragh die Sache noch nicht angezeigt haben
- sollte, gestatte ich mir hiermit Sie davon zu benachrichtigen.
- Herr Kragh ist ein liebenswürdiger junger Mann, der Ihre eifrigen
- Bemühungen verdient.
-
- In Eile
-
- Benjamin Mirzl.
-
- _P. S._ Die Zeit gestattet mir nicht ‚alias‘ hinzuzufügen.“
-
-Der Detektivkommissar beobachtete lächelnd Allans Mienenspiel bei der
-Lektüre dieser Epistel.
-
-„Sie kennen Mirzl offenbar nicht, da Sie so überrascht sind,“ sagte er.
-
-„Ich kenne ihn nicht? O doch, ein bißchen, wie schon aus dem Brief
-hervorgeht. Und Sie? Kennen Sie ihn?“
-
-„Ich kann antworten wie Sie, ein bißchen! Er hat uns vor drei Jahren
-hier in London das Leben zur Hölle gemacht -- die zehn Einbrüche in
-Regent Street, die Entführung des Ascotpokales, die Eskamotierung der
-irländischen Kronjuwelen und ein Dutzend anderer Dinge, die man ihm
-allerdings nicht direkt nachweisen kann, aber von denen wir schwören
-möchten, daß er dahinter steckt. Ja, wir kennen Herrn Mirzl ein wenig.
-Gottlob verließ er das Land nach den Ascotrennen und ging dazu über,
-sich den Behörden seiner Heimat unangenehm zu machen. Jetzt hat er das
-wohl satt bekommen und --“
-
-„Und wäre wohl nie über die Grenze gekommen, wenn ich ihm nicht dazu
-verholfen hätte!“
-
-Allan konnte es nicht unterlassen, diesen kleinen Trumpf auszuspielen.
-Die Detektivs hörten schweigend die Schilderung seines Abenteuers im
-Expreßzug an. Als er zu Ende gesprochen, sagte der Inspektor:
-
-„Ich will Ihnen einen guten Rat geben: sprechen Sie drüben nicht von
-dieser Geschichte, ich bezweifle, daß Sie eine Medaille dafür kriegen
-werden.“
-
-„Und welchen Dank ich von Mirzl selbst habe, haben Sie gesehen. Darf
-ich fragen: Da Sie nun wissen, daß Mirzl im Spiel gewesen ist, und
-so gründliche Untersuchungen angestellt haben, haben Sie doch wohl
-Hoffnung, ihn wenigstens diesmal zu fangen?“
-
-„Offiziell, offiziell,“ nickte der Detektivinspektor, „haben wir
-überaus günstige Hoffnungen. Aber was uns für den Augenblick beinahe
-noch mehr am Herzen liegt, als Herrn Mirzls habhaft zu werden, ist, Se.
-Königliche Hoheit Yussuf Khan zu finden.“
-
-Der Detektivinspektor verstummte und schlug mit gerunzelter Stirn
-sein Notizbuch ein Mal ums andere auf den Tisch. Allan fing einen
-gemurmelten Fluch auf, der sich den Weg aus seines Herzens Tiefen
-bahnte. Im selben Augenblicke wurde die Türe aufgerissen, und ein
-grimmiger alter Herr mit weißem Schnurrbart kam hereingestürzt. Allan
-erkannte in ihm den europäischen Mentor des Maharadscha, Oberst Morrel.
-
-„Na!“ rief er. „Neuigkeiten? Spuren?“
-
-Der Detektivinspektor schüttelte den Kopf.
-
-„Wir hoffen, im Laufe des Tages ...“ begann er.
-
-„Im Laufe des Tages, im Laufe der Woche, warum nicht gleich im Laufe
-des Jahres!“ brüllte der alte Oberst und stampfte auf den Boden, daß
-alles dröhnte. „Sie müssen, hören Sie, Sie müssen meinen schwarzen
-Ado -- Seine Hoheit vor heute abend finden. Wir sind zum Empfang beim
-Minister für Indien gebeten, diesem Ziviltrott -- hm, -- für fünf Uhr.
-Tee, und der Himmel weiß was! Sie +müssen+ ihn bis dahin hier
-haben, hören Sie, sonst schlage ich alles kurz und klein --“
-
-„Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, Herr Oberst, ich würde eine Absage
-schicken. Unbedingt. Wenn wir noch irgendeinen Zweifel gehegt haben,
-daß Benjamin Mirzl im Spiel ist, so ist er nach der Aussage dieses
-jungen Herrn zerstreut; und Mirzl, der die irländischen Kronjuwelen
-gestohlen hat, hat wohl auch nichts dagegen, einen regierenden Fürsten
-zu stehlen --“
-
-„Dieser junge Herr! Wer, zum Geier, ist dieser junge Herr?“ Der Oberst
-starrte Allan an wie einen kleinen renitenten Trommelschläger.
-
-„Mr. Allan K--r--a--g--h,“ buchstabierte der Kommissar aus seinen
-Papieren, „aus Schweden.“
-
-„Schweden, Norwegen, ist mir total schnuppe. Wer zum Henker ist Mr.
-Allan K--r--a--g--h?“
-
-„Der Herr, der seine Fürstliche Hoheit in dem mystischen Klub, von dem
-Sie gehört haben, Herr Oberst, zuletzt gesehen hat!“
-
-„Ah--h--h!“ Der Oberst brüllte auf, wie ein zuschanden geschossener
-Tiger. „Sie waren es, Sir, der meinen schwarzen Ado -- Se. Hoheit durch
-Gassen und Gäßchen in dieses verdammte Lokal hinaufgelockt hat, wo er
-jetzt ausgeraubt und ermordet liegt. Sie waren es, versuchen Sie nicht
-zu leugnen! Sie waren es!“
-
-Allan, der aufgestanden war, hatte alle Mühe, ernst zu bleiben.
-Der Oberst war burgunderrot vor Wut bei dem Gedanken an Allans
-Schurkenstreich. Wahrlich, es lohnte sich, gute Werke zu tun und die
-Kronjuwelen indischer Fürsten vor dem Gestohlenwerden zu retten! Es
-schien eine ebenso dankbare Sache, wie den Personen, welche besagte
-Juwelen zu stehlen wünschten, behilflich zu sein, sich ihrem allzu
-anhänglichen Vaterland zu entziehen.
-
-„Nicht ich habe Seine Hoheit dorthin gelockt --“
-
-„Doch, Sie! Das sieht man Ihnen an. Ich pfeife auf alles, was Sie da
-zusammenreden!“
-
-„Ich nicht,“ sagte Allan, der schon befürchtete, daß den Oberst bei
-seinem hartnäckigen Leugnen der Schlag treffen könnte. „Es war ein
-Mithelfer von Mirzl, von dem Sie den Herrn Inspektor sprechen gehört
-haben. Ich wurde selbst in den Klub hinaufgelockt --“
-
-„Haha! Hahaha! Hinaufgelockt! Arretieren Sie ihn doch, Inspektor! Er
-war es, zu allen Teufeln, das müssen Sie doch sehen und hören.“
-
-„Ich wurde selbst von einem anderen Genossen Mirzls in den Klub
-hinaufgelockt. Wir wurden freigebig mit Wein bewirtet, ich und der
-Maharadscha und der alte Hofdichter, die nach einer Weile in die Loge
-kamen, in der ich saß. Darf ich fragen, Herr Oberst, kennen Sie jemand,
-der Stanton heißt?“
-
-„Stanton? Stilton? Wer zum Teufel ist dieser Stanton?“
-
-„Das war der Mann, der Se. Hoheit dort hinaufgelockt hatte.“
-
-„Haha! Natürlich! Inspektor --“
-
-„Nach einiger Zeit gelang es mir durchzubrennen, und ich kam
-glücklicherweise noch zur rechten Zeit, um den Einbruch hier zu
-verhindern, der von Mirzl selbst in höchsteigener Person ausgeführt
-wurde. Er hatte sich so kostümiert, daß er mir ähnlich sah --“
-
-„Gütiger Gott im Himmel, Inspektor, hören Sie, oder sind Sie taub?
-Können Sie noch mehr Lügen dieses Menschen hinunterschlucken ohne
-daß Sie daran ersticken? Kostümiert wie +er+. Da will ich doch
-gleich tot niederfallen, wenn ich je etwas Aehnliches gehört habe! Er
-+war+ es, natürlich, er +war+ es, wie ich Ihnen jetzt schon
-seit einer Stunde in die Ohren schreie!“
-
-„Lieber Oberst, darf ich Sie eines fragen: Kann man zugleich hinter und
-vor einer Türe sein?“
-
-„Natürlich, wenn man will!“
-
-„Das ist nämlich die einzige Möglichkeit dafür, daß der Portier diesen
-jungen Herrn einerseits durchs Eingangstor entfliehen sah und ihn
-andrerseits, als er mit den Konstablern heraufkam, übel zugerichtet
-hier im Zimmer fand.“
-
-„Dann ist er einfach durch das Loch im Boden wieder heraufgeklettert.“
-
-„Und ist also an den Wächtern vorbei in das Schlafgemach des
-Maharadscha gekommen und ohne Leiter durch das Loch im Boden hier
-herauf, um den Polizisten in die Arme zu laufen?“
-
-Der Oberst verstummte endlich. Die Möglichkeiten, die der Inspektor
-dafür dargelegt hatte, daß Allan der Verbrecher war, schienen sogar
-seiner bereitwilligen Phantasie etwas zu vage. Er sank auf einen Stuhl
-und wischte sich mit dem Taschentuch die Stirne.
-
-„Aber gütiger Gott im Himmel,“ stöhnte er, „der Minister erwartet uns
-um fünf Uhr mit Tee und der Himmel weiß was noch! Und mein Ruf! Und die
-Regierung in Indien!“
-
-„Sie sollten diesem jungen Mann dankbar sein,“ fuhr der Kommissar
-sanft, aber unerbittlich fort, „daß er doch wenigstens verhindert hat,
-daß die Juwelen gestohlen wurden. Es hing an einem Haar. Dankbar, ganz
-gewiß.“
-
-Der Oberst heftete ein blutunterlaufenes Auge auf Allan, das gerade
-keine lebhaftere Potenz von Dankbarkeit ausdrückte. Er murmelte etwas
-Unhörbares, sprang auf und stürzte zur Türe hinaus.
-
-Allan sah den Kommissar an, der sein Lächeln erwiderte. Im selben
-Augenblicke wurde die Türe aufgerissen, und Mrs. Bowlby sauste herein
-wie eine grüne Bombe. Sie erblickte Allan und pflanzte sich vor ihm auf.
-
-„Haben Sie ihnen von Langtreys Frau erzählt?“ rief sie, sich bald zu
-Allan, bald zum Kommissar umwendend. „Ja?“
-
-„Langtreys Frau?“ fragte der Kommissar. „Wer ist denn das?“
-
-„Eine gräßliche Person,“ rief Mrs. Bowlby triumphierend. „Gräßlich. Sie
-steckt hinter der ganzen Geschichte, Sie werden schon sehen.“
-
-„Darf ich einen von Ihnen bitten, zu erzählen, aber so klar als
-möglich,“ sagte der Kommissar und ergriff die Feder.
-
-„Darf ich, Mrs. Bowlby?“ sagte Allan.
-
-Mrs. Bowlby nickte, indem sie sich triumphstrahlend bereit hielt, alle
-erforderlichen Randbemerkungen beizusteuern. Allan begann:
-
-„Unmittelbar vor dem Verhör ist mir eine Sache eingefallen, die mir
-zu denken gegeben hat, Herr Inspektor. Offenbar hat Mirzl und seine
-Bande über alles, was im Grand Hotel Hermitage vorging, durch Spione
-genaue Kontrolle ausgeübt. Es können ja Bediente, Kammerjungfern,
-Kellner, Laufburschen gewesen sein, von denen es hier wimmelt. Durch
-sie wußten sie Bescheid über die Lokalitäten, und auch, daß ich mich
-mit der Familie Bowlby, die die Zimmerflucht über Seiner Hoheit hat,
-angefreundet habe. Sie haben erfahren, daß Mr. Bowlby mit Familie
-gestern bis spät nachts ausbleiben würde. Diese Sache war schon Freitag
-bestimmt, und sie haben sofort ihren Coup geplant. Daß er unter
-normalen Verhältnissen diese Form angenommen haben würde, nämlich
-daß Mirzl sich gerade in meine Gestalt gehüllt hätte, ist wohl nicht
-ausgemacht, wenn auch immerhin möglich. Aber nun kam hinzu, daß Mr.
-Bowlby mich gestern, bevor er vom Mittagstisch aufstand, freundlich
-aufforderte, ungeniert in sein Rauchzimmer hinaufzukommen, wenn ich
-Lust hätte, einen Whisky mit Soda zu trinken. Dies war gegen acht Uhr,
-und Mr. Bowlby versprach sogar, seinen Diener zu verständigen, daß ich
-vielleicht kommen würde. Frappiert Sie dieses Detail? Wir waren damals
-allein bei Tisch; es war niemand vom Personal in der Nähe. Sollte
-Mirzl das im letzten Moment erfahren haben, hat es ihn natürlich in
-seiner Wahl der Verkleidung bestimmt. Aber wie konnte er es erfahren
-haben? Wie ich Ihnen schon sagte, war niemand von der Dienerschaft in
-der Nähe. Aber kurz nachdem Mr. Bowlby mit seiner Familie gegangen
-war, warf ich zufällig einen Blick nach rechts, von unserem Tisch
-aus gerechnet; und da, tief im Schatten der Palmen, die diesen Teil
-des Speisesaales dekorieren, und so gut wie von ihnen verborgen, saß
-eine Dame, von der Mrs. Bowlby behauptet, daß sie von zweifelhaftem
-Charakter ist, eine Amerikanerin aus guter Familie, die vor mehreren
-Jahren aus Amerika durchgegangen ist und sich vermutlich hier in Europa
-mit einem Abenteurer zusammengetan hat. Ihr Name ist Mrs. Langtrey ...“
-
-„Und heute,“ ertönte Mrs. Bowlbys schrille Stimme wie ein Trompetenton,
-„heute um halb acht Uhr morgens ist Mrs. Langtrey aus dem Hotel
-verschwunden, nachdem sie ein Lokal-Expreßtelegramm bekommen hat!“
-
-
-
-
-VIII
-
-Mynheer van Schleetens Erlebnisse
-
-
-Mynheer van Schleetens Leben hatte seine Wechselfälle gehabt; das
-Angenehme daran für Mynheer van Schleeten war, daß sie sich in einer
-stets aufsteigenden Kurve bewegt hatten. Aus einem Unbekannten war
-er eine europäische Berühmtheit geworden; aus einem armen Schlucker
-ein reicher Mann, aus einem reichen ein noch reicherer. In dem
-Jahre, in dem Yussuf Khan von Nasirabad seinen ersten Besuch in dem
-Weltteil machte, war Herr van Schleeten in demselben der berühmteste
-Juwelenspezialist. Wie Mr. Bowlby schon Allan Kragh mitgeteilt hatte,
-hatte er das Diadem angefertigt, das die französische Republik bei
-einem denkwürdigen Anlaß der Kaiserin von Rußland sandte, und noch ein
-Dutzend ähnlicher Dinge. Sein Hauptgeschäft war in Amsterdam, aber sein
-Beruf brachte es mit sich, daß er sich fast ebensoviel in Berlin, Paris
-und London aufhielt wie in seiner Heimatstadt. In allen diesen Städten
-hatte er Filialen oder Korrespondenten.
-
-Ende August des obenerwähnten Jahres hatte er in Berlin (wo er sich im
-Auftrage eines später geadelten Finanzmannes befand, dessen Name mit
-B. anfängt) einen Brief von seinem Korrespondenten in London erhalten,
-daß ein gewisser Oberst Morrel seine Dienste für seinen Schützling,
-den Maharadscha von Nasirabad wünsche. Mynheer van Schleeten, der noch
-nie mit orientalischen Fürsten zu tun gehabt, aber um so mehr von ihren
-Juwelen gehört hatte, hatte sich beeilt, das Anerbieten anzunehmen,
-namentlich da es von einem sehr schmeichelhaften Honorarvorschlag
-begleitet war. Er teilte seine Freude den Zeitungen mit, die sich in
-mehreren Notizen mit ihm freuten. Es handelte sich um neue Fassungen
-und Aenderungen der Edelsteine des Maharadscha. Der junge Fürst war
-etwas exzentrisch, und war der Dinge, die seit tausend Jahren dasselbe
-Aussehen hatten, müde geworden.
-
-Anfangs September reiste Mynheer van Schleeten nach Hamburg, wo er ein
-kleineres Geschäft hatte; und am selben Tage, an dem Herr Allan Kragh
-aus Schweden in dieser Stadt ankam, verließ Herr van Schleeten sie mit
-dem Morgenexpreß nach Paris, wohin ihn eine kleine Angelegenheit rief,
-die ihm gestattete, ganz bequem zur festgesetzten Zeit in London zu
-sein.
-
-Mynheer van Schleetens Erlebnisse begannen im Expreß.
-
-Er war als Holländer ein phlegmatischer Herr; die Erfolge, die er in
-seinem fast sechzigjährigen Leben gehabt, hatten dazu beigetragen,
-dieses holländische Phlegma noch zu erhöhen. Er ereiferte sich selten;
-er hatte nur zwei Passionen, denen er sich in passender, phlegmatischer
-Weise hingab. Die eine, die mit den Jahren gekommen war, galt altem
-molligem Bordeaux; die andere, die mit den Jahren etwas abgenommen
-hatte, jungen molligen Frauen. Mynheer van Schleetens Jugend war von
-verschiedenen lustigen Soupers in Damengesellschaft belebt gewesen;
-sein phlegmatisches Temperament hatte ihn jedoch abgehalten, so oft zu
-soupieren, daß es ihm die Fähigkeit oder die Freude am Dinieren geraubt
-hätte. In späteren Jahren hatte Herr van Schleeten viel häufiger
-diniert als soupiert. Das ging auch aus seinem Aussehen hervor; seine
-Nase war groß, gebogen, und hatte allmählich die Farbe des guten
-französischen Weines angenommen, in dem er sie am liebsten spiegelte.
-Sein gelbgrauer Schnurrbart war bei diesen Libationen gewachsen wie
-ein Baum, am Bachesrand gepflanzt; und wenn Herr van Schleeten jetzt
-trank, hing er auf das Bordeauxglas herab wie ein Grasbüschel über ein
-Bächlein.
-
-Diese Bemerkungen werden vorausgeschickt, um Herrn van Schleetens
-Abenteuer im Expreß Hamburg-Köln und später zu erklären.
-
-Sogleich, nachdem Herr van Schleeten seinen Platz in einem Coupé erster
-Klasse eingenommen hatte, -- seiner Gewohnheit gemäß den Fensterplatz
-in der Fahrtrichtung -- kam eine Dame ins Coupé. Sie betrachtete einen
-Augenblick Herrn van Schleeten, der sie seinerseits betrachtete. Er
-konstatierte, daß sie jung, ziemlich mollig war und sehr hübsch aussah,
-wenn auch ein bißchen hochmütig, und daß er folglich in der Zeit seines
-Leichtsinnes nichts dagegen gehabt hätte, mit ihr zu soupieren. Welche
-Resultate ihre Prüfung seiner Person ergaben, ist unbekannt; jedoch
-waren sie offenbar befriedigend, denn sie placierte ihre Reiseeffekten
-in das Netz und sich selbst auf dem Sitz gegenüber Herrn van
-Schleeten. Dann setzte sich der Zug in Bewegung, und Herr van Schleeten
-versenkte sich, um seine phlegmatische Natur zu dokumentieren, in das
-Studium der Morgenzeitungen.
-
-Es dauerte bis Bremen, bevor sich etwas ereignete.
-
-Kaum war der Zug in dieser Station stehen geblieben, als Herr van
-Schleeten Schritte im Korridor hörte und sah, wie die Türe seines
-Coupéabteils von einem jungen Manne geöffnet wurde, der auf der Suche
-nach einem Platz zu sein schien. Herr van Schleeten konstatierte, daß
-der junge Mann ein ganz sympathisches Aussehen hatte; aber da er es
-höchst ungerne sah, wenn das Coupé, in dem er reiste, mehrere Personen
-beherbergte, betrachtete er den jungen Mann mit einer bestimmten,
-barschen, abweisenden Miene, die ausdrücken sollte: Gehen Sie in
-das nächste Coupé, junger Freund. Ohne sich im geringsten daran zu
-kehren, ließ sich der junge Mann ungeniert auf Herrn van Schleetens
-Sofa nieder, ihm dadurch alle Chancen raubend, sich nach dem Lunch
-auszustrecken und ein kleines Schläfchen zu machen. Herr van Schleeten
-repetierte seinen barsch abweisenden Blick und legte noch eine Portion
-wohlerzogenen Staunens über ein solches Betragen hinein. Leider merkte
-er, daß dieser Blick an den jungen Mann (der übrigens gar kein Gepäck
-hatte) verschwendet war; dieser war ganz und gar damit beschäftigt,
-Herrn van Schleetens schönes Visavis mit den Augen zu verschlingen; sie
-ihrerseits schien eingeschlummert zu sein. Herr van Schleeten gab sich
-selbst seine Ansichten über die jungen Leute von heute kund, und nahm
-nach einer Weile sein Studium der Morgenblätter wieder auf.
-
-Die nächste Episode ereignete sich, als der Zug etwa eine halbe Stunde
-weitergesaust war. Die Coupétüre wurde plötzlich wieder geöffnet,
-diesmal zu Herrn van Schleetens Befriedigung vom Kondukteur, der die
-Fahrkarten zu sehen wünschte. Der junge Mann wies die seine vor, die
-zu Herrn van Schleetens Enttäuschung in Ordnung zu sein schien. Der
-Schaffner wendete sich nun an Herrn van Schleeten, betrachtete seine
-Fahrkarte und hustete dann zweimal ein „Gnädige“, um die Aufmerksamkeit
-der jungen Dame zu erregen, die Herrn van Schleeten gegenüber saß. Dies
-erwies sich jedoch als vergeblich. Sie schlief noch immer. Der junge
-Mann schien einen Augenblick nachzudenken, dann beugte er sich vor und
-tätschelte Herrn van Schleetens Visavis sanft das Knie.
-
-Die Wirkung war eine momentane. Die junge Dame schnellte von ihrem
-Platze auf, warf ihm einen furchtbaren, empörten Blick zu, starrte um
-sich, reichte dem Schaffner die Karte und brach dabei in eine Sturzflut
-von englischen Worten aus: Wie konnte dieser junge Mann es wagen?
-Was meinte er eigentlich? Konnte man nicht in Europa reisen (sie war
-also Amerikanerin), ohne beleidigt zu werden? Herr van Schleeten fand
-ihren Zorn etwas übertrieben, in Gedanken an die Damen amerikanischer
-Abstammung, die er sowohl am Knie wie auch anderswo getätschelt hatte;
-aber als er bedachte, daß er durch eine feindselige Haltung den jungen
-Mann möglicherweise von seinem (Herrn van Schleetens) Sofa vertreiben
-konnte, hütete er sich wohl, sie zu unterbrechen. Plötzlich wendete sie
-sich an ihn:
-
-„Sir, haben Sie gesehen, ob dieser junge Mensch sich noch andere
-Freiheiten gegen mich herausgenommen hat, während ich schlief?“
-
-„Ich weiß nicht,“ sagte Herr van Schleeten diplomatisch, noch immer in
-Gedanken an sein kleines Mittagschläfchen. „Ich habe Zeitungen gelesen.“
-
-„Es ist gut!“
-
-Sie setzte ihre Ausfälle gegen den jungen Mann fort, der zuerst ganz
-verblüfft zugehört hatte und nun zu einer Entgegnung ansetzte. Sie
-unterbrach ihn sofort.
-
-„Wie können Sie es wagen, mich anzusprechen?“
-
-Nun wurde es ihrem Widersacher zu toll. Er erhob sich zu Herrn van
-Schleetens Entzücken von dem Sofa und verschwand in den Korridor.
-Im selben Augenblick verspürte Herr van Schleeten eine leise Reue,
-daß er dazu geholfen hatte, ihn in die Flucht zu jagen: es würde
-wohl nicht sehr angenehm sein, allein mit solch einer empfindlichen,
-streitsüchtigen, kleinen Xantippe zu reisen. Kaum war jedoch der
-junge Mann zur Türe hinaus, als sie ihr Aussehen veränderte wie ein
-Aprilhimmel und sich mit dem sonnigsten Lächeln der Welt Herrn van
-Schleeten zuwendete:
-
-„Ich war vielleicht ein bißchen heftig,“ sagte sie, „aber ich kann nun
-einmal die Zudringlichkeit solcher junger Laffen nicht vertragen.“
-
-Sie legte einen Akzent auf „solche junge Laffen“, der Herrn van
-Schleeten angenehm berührte. Er konstatierte, daß sie weiße starke
-Zähne hatte, und daß ihre Augen, wenn sie lächelte, ungewöhnlich
-anziehend waren. Der Farbe nach waren sie grau; grau war mit den Jahren
-Herrn van Schleetens Lieblingsfarbe geworden, nachdem er in allzuviel
-blaue und schwarze Augen zu tief gesehen und dafür hatte büßen müssen.
-
-„Madame,“ sagte er, „die Zudringlichkeit dieses jungen Mannes war
-einfach unerhört.“
-
-Bald waren sie in ein interessantes Gespräch vertieft, das nur dadurch
-unterbrochen wurde, daß der Speisewagenkellner in ihr Coupé kam und
-meldete, daß das Diner serviert sei. Obgleich Herr Van Schleeten jetzt
-mit sich schon darüber einig war, daß er gar nichts dagegen hätte,
-mit seinem Visavis zu soupieren, schob er den Gedanken daran doch bis
-auf weiteres auf, und schlug ihr vor, mit ihm zu dinieren. Sie nickte
-gnädig:
-
-„Natürlich unter der Voraussetzung, daß ich selbst für mich bezahle.“
-
-Herr van Schleeten verbeugte sich.
-
-Nach dem Mittagessen, das bei gutem alten Bordeaux auf das angenehmste
-verstrichen war, vergingen einige Stunden, bis Herr van Schleeten
-wieder etwas von dem jungen Mann sah, der gedroht hatte, ihn seines
-Mittagschläfchens zu berauben. Gegen die junge Dame, die ihm diesen
-Genuß nun tatsächlich geraubt hatte, hegte er keinerlei Groll; sie
-hatte ihm durch ihre höchst flirtoyante Konversation soviele andere
-bereitet. Der Zug stand in Köln, als Herr van Schleeten und die junge
-Amerikanerin, deren Name, wie er jetzt wußte, Mrs. Langtrey war,
-durch aufgeregte Stimmen im Korridor mitten aus einem interessanten
-Meinungsaustausch, ob gemeinschaftliche Schulen für Knaben und Mädchen
-ratsam seien, gerissen wurden. Sie blickten hinaus und sahen den jungen
-Mann, der sie beide zum Zorn gereizt hatte, in Gesellschaft eines
-Polizeikonstablers und eines Zivilisten verschwinden, den Herr van
-Schleeten sofort als Detektiv agnoszierte. Herr van Schleeten sah Mrs.
-Langtrey an. Mrs. Langtrey sah ihn an und rief:
-
-„Sehen Sie, was habe ich gesagt! Ich habe es förmlich im Gefühl, wenn
-ich in der Nähe eines Verbrechers bin!“
-
-Während Herr van Schleeten ihr seine Bewunderung für diese Clairvoyance
-ausdrückte, mußte er sich selbst gestehen, daß seine Gefühle für sie
-durchaus nicht telepathischer Natur waren.
-
-Bei der Ankunft in Paris um halb elf Uhr abends machte es sich ganz
-natürlich, daß sie im selben Hotel abstiegen. Herr van Schleeten wählte
-ein ruhiges Familienhotel in der Nähe der Madeleinekirche, und sie
-erklärte sich damit einverstanden. Wie sie sagte, war sie noch nie in
-Paris gewesen. Sie war mit einem der Schiffe der Hamburg-Amerika-Linie
-herübergekommen und reiste nur, um den Schmerz über den Verlust ihres
-ersten Mannes zu betäuben, der gestorben war, und einem zudringlichen
-Freier auszuweichen, der sich einbildete, daß sie ihn liebte.
-
-Herr van Schleeten war gerne bereit, ihr schon am ersten Abend in Paris
-behilflich zu sein, alle Schmerzen zu vergessen, aber er fand keine
-Gelegenheit dazu. Nach einer Tasse Tee verschwand Mrs. Langtrey in ihr
-Zimmer.
-
-Zwei Tage später fuhren sie nach London, noch immer zusammen. Sie hatte
-ein Telegramm bekommen, das sie zwang, am selben Morgen wie Herr van
-Schleeten hinzufahren; sie würde im Grand Hotel Hermitage absteigen.
-Bei der Ankunft in Charing Croß drückte sie Herrn van Schleeten so
-ungeschminkt herzlich die Hand, wie es nur eine junge Amerikanerin
-wagt, und bat ihn am nächsten Tage zum Diner im großen Hotel ihr Gast
-zu sein.
-
-Dieses Diner war entzückend; vor allem dekretierte sie mit
-Prinzessinnenmiene, daß nur sie allein bezahlen dürfe. Herr van
-Schleeten war der Gastgeber vieler junger Damen gewesen, doch nie der
-Gast einer Dame. Es war ein eigentümlich prickelndes Gefühl, so etwa
-wie ein neuer holländischer Likör. Er beeilte sich zu betonen, daß dies
-nur unter der Voraussetzung denkbar sei, daß sie sobald als möglich mit
-ihm im Savoy soupieren wollte. Sie akzeptierte, immer mit derselben
-freimütigen Prinzessinnenmiene.
-
-Beim Abschluß dieses Mittagessens entdeckten Herr van Schleeten und
-seine Partnerin zu ihrem Staunen an einem Tisch im Speisesaal des
-Hotels keinen Geringeren als den jungen Mann aus dem Eisenbahnzug.
-
-„Sollten wir nicht eigentlich die Polizei verständigen, Mrs. Langtrey?“
-sagte Herr van Schleeten.
-
-Mrs. Langtrey schüttelte ihr schönes Haupt.
-
-„Ich liebe meine Nächsten immer, wenn ich Champagner getrunken habe,“
-sagte sie.
-
-Herr van Schleeten beschloß, daß beim Souper im Savoy Champagner und
-nicht Bordeaux serviert werden sollte.
-
-Dies war Donnerstag, den 11. September. Herrn van Schleetens Geschäfte
-zwangen ihn zu einer Spritztour nach Amsterdam, die auf die nächsten
-drei Tage Beschlag legte. Als er Montag, den fünfzehnten, zu früher
-Morgenstunde nach London zurückkehrte, erwartete ihn die Mitteilung,
-daß Seine Hoheit, der Maharadscha von Nasirabad am selben Tage in
-der Weltstadt eintreffen sollte, und, um sobald als möglich mit
-präsentablen Juwelen auftreten zu können, sein sofortiges Erscheinen im
-Grand Hotel Hermitage wünschte.
-
-Herr van Schleeten empfand einen Augenblick Verwunderung, daß Seine
-Hoheit und Mrs. Langtrey dasselbe Hotel gewählt hatten, aber vergaß
-sie bald über der angenehmen Perspektive, sie im Hotel zu treffen und
-das Datum für das kleine Souper festzusetzen, das er nun halb und halb
-an einen bedeutend diskreteren Ort als das Savoy zu verlegen gedachte,
-beispielsweise seine eigene überaus diskrete Privatwohnung. Er verfügte
-sich ohne Aufschub in das Hotel.
-
-Der Direktor empfing ihn selbst und führte ihn in die Suite des
-Maharadscha im ersten Stock. Nach ein paar Minuten des Wartens wurde
-Herr van Schleeten in die Privaträume des Maharadscha geleitet, und sah
-sich einem bräunlichen, etwas korpulenten, jungen Manne mit dunklem
-Schnurrbart gegenüber, offenbar Sr. Hoheit, einem graubärtigen alten
-Hindu, dessen Identität ihm unbekannt blieb, und einem Engländer von
-militärischem Typus mit weißem Schnurrbart. Der letztere ergriff das
-Wort:
-
-„Sie sind Mr. van Schleeten aus Amsterdam, Spezialist in Juwelen?“
-
-„Ja.“
-
-„Seine Hoheit wünscht Sie wegen Aenderungen einiger besonders
-wertvoller Schmuckstücke zu konsultieren. Sie verstehen, besonders
-wertvoll!“
-
-„Wertvoll!“ unterbrach der junge Maharadscha, „Morrel Sahib, wie könnt
-Ihr sie wertvoll nennen! Sie sind ebenso unwürdig der weißen Fürstinnen
-wie ich selbst. Vielleicht können sie ihrer würdig werden durch die
-Hilfe dieses Mannes, dessen Belohnung und Ehre in solchem Falle nicht
-gering sein werden.“
-
-„Kann ich die Schmucksachen sehen?“ sagte Herr van Schleeten, der
-fand, daß dieser Meinungsaustausch den Juwelen kein gutes Prognostikon
-stellte, und der an Mrs. Langtrey dachte.
-
-Auf einen Ruf von Oberst Morrel öffneten sich die Türen zu
-einem inneren Gemach, und zwei schwarze Diener von ernstem und
-drohendem Aussehen kamen herein, eine eisen- und kupferbeschlagene
-Mahagonikassette von ansehnlichen Proportionen schleppend. Die
-schwarzen Diener verschwanden wieder, Herr van Schleeten wurde
-aufgefordert, sich abzuwenden und hörte einiges Knirschen und Knacken.
-Offenbar wurde diese Kassette durch ein verwickeltes Sesam geöffnet, in
-das man ihn nicht einweihen wollte.
-
-Nun, wenn die Steine nicht besser waren, als der Maharadscha meinte,
-dann! Glaubten sie vielleicht, daß er das erstemal Juwelen sah? Nun
-wurde er aufgefordert, sich umzudrehen. Er tat es und wäre fast
-umgefallen.
-
-Natürlich hatte er von den Juwelenkammern der orientalischen
-Fürsten gehört und hatte selbst die Mehrzahl ihrer europäischen
-Kollegen gesehen, aber das übertraf seine wildesten Phantasien.
-Das war Tausendundeine Nacht. Das war der Todesstoß sogar für sein
-holländisches Phlegma. Eine Flut von verschiedenfarbigen Steinen, von
-denen ein jeder würdig war, ein Kronjuwel zu sein; ein Springbrunnen
-von Licht; schwere blaue Trauben von Saphiren; Perlenschnüre, die sich
-durch das Juwelengewühl ringelten wie matt blinkende graue Schlangen;
-Smaragden, brennend wie Raubtieraugen; ein Blutgeriesel von Rubinen
-über dem Ganzen, so, als wäre irgendein unredlicher Wächter über
-der Truhe geköpft und gezwungen worden, sein Blut über ihren Inhalt
-sprühen zu lassen -- und überall zwischen die anderen versprengt,
-Diamanten und Diamanten, deren kaltes Feuer wie Wintersterne und
-Nordlicht flammte. Diese ganze Eruption von farbenstrahlendem, aus sich
-selbst geborenem Licht, die Herrn van Schleeten entgegengeschleudert
-wurde, benahm ihm fast den Atem. Erst nach einiger Zeit sah er die
-Einzelheiten, die seltenen Steine, deren Ton von dem normalen abwich;
-schwarze Diamanten und Diamanten, deren blaue Farbe die Morgenbläue
-um die Bergfirne des Himalaya war; Smaragden, deren grüner Glanz in
-einen Opalton überging wie ein eben entflammter Abendhimmel, Rubine,
-deren rotes Blut einen Stich ins Blaue hatte, wie um ihren uralten Adel
-zu zeigen -- schließlich auch die Goldfassung um die Steine. Sie war
-schwer, phantastisch, zuweilen grotesk, aber welcher Gedanke, sie zu
-modernisieren! Herr van Schleeten schöpfte tief Atem und stammelte an
-den Maharadscha gewendet:
-
-„Und Hoheit wollen, daß ich das ändere?“
-
-„Natürlich,“ sagte Yussuf Khan würdevoll. „Warum hätte ich Euch sonst
-durch Oberst Morrel Sahib rufen lassen? Er hat mir gesagt, daß Ihr in
-Europa der erste unter jenen seid, die edle Steine behandeln. Obwohl
-die meinen von geringem Werte sind und Euch nicht fesseln können, bitte
-ich Euch doch, sie der weißen Fürstinnen so würdig zu machen, als sie
-werden können. Wisset, daß ich in Europa bin, um eine Sahibprinzessin
-zu erringen. Und denkt daran, wenn Eure Hand an diesen Steinen
-arbeitet. Euer Lohn und Eure Ehre werden groß sein.“
-
-Herr van Schleeten, dessen Augen an der Kassette und ihrem Inhalt
-hingen, wie die des Vogels am Reptil, wollte eben neue Einwände
-erheben, als Oberst Morrel ihm zuvorkam.
-
-„Die Sache ist durch den Willen Seiner Hoheit entschieden,“ sagte er
-scharf. „Wollen Sie die Arbeit übernehmen oder müssen wir uns an einen
-anderen wenden? Lassen Sie mich das gleich wissen.“
-
-Herr van Schleeten stand noch einen Augenblick stumm da, bevor es ihm
-gelang zu erwidern:
-
-„Natürlich ... wenn es der Wille Seiner Hoheit ist ... Aber darf ich
-fragen, in welcher Richtung Seine Hoheit wünscht, daß ...“
-
-„Welche Richtung immer,“ unterbrach der Oberst. „Bestimmen Sie selbst.
-Es ist ja Ihre Spezialität.“
-
-Herr van Schleeten stand einen Augenblick stumm da und hörte den Oberst
-in sich hineinmurmeln:
-
-„Welche gottverdammte Richtung immer, kommt schon auf eins heraus.“
-
-Herr van Schleeten begann zu verstehen, wie die Dinge standen, und fuhr
-fort:
-
-„Ist es gestattet, daß ich die Juwelen Seiner Hoheit in mein Atelier
-hier in London bringe, oder --“
-
-„Sie müssen hier arbeiten,“ sagte der Oberst. „Sie bekommen ein Zimmer
-zu Ihrer Verfügung, und dorthin müssen Sie die Instrumente, die Sie
-brauchen, schaffen lassen. Außerdem müssen Sie schon entschuldigen,
-wenn vor dem Arbeitszimmer von der Leibgarde Sr. Hoheit Wache gehalten
-wird. Es ist nicht Ihretwegen, sondern um einem Attentat von außen
-vorzubeugen.“
-
-„Ich verstehe,“ murmelte Herr van Schleeten, den Blick auf die Kassette
-und ihren Inhalt geheftet. „Und wann soll ich anfangen?“
-
-„Sobald als möglich, sobald als möglich!“ rief der Maharadscha eifrig.
-„Am besten heute.“
-
-„Heute, fürchte ich, muß ich mich damit begnügen, meine Instrumente
-herzubringen,“ sagte Herr van Schleeten, „aber morgen.“
-
-„Nun gut, morgen! Und Ihr versprecht, so rasch zu arbeiten, als Ihr
-könnt, nicht wahr? Eure Ehre und Eure Belohnung werden nicht gering
-sein, so wahr ich Yussuf Khan von Nasirabad bin, Sohn des Ibrahim Khan.“
-
-„Ich werde mein Möglichstes tun, Hoheit,“ sagte Herr van Schleeten und
-verabschiedete sich unter tiefen Verbeugungen. „Wenn es notwendig sein
-sollte, werde ich Tag und Nacht arbeiten.“
-
-Der Maharadscha klatschte vor Freude in die Hände, als er zur Türe
-hinausschritt. Herr van Schleeten sah die schwarzen Diener auf einen
-Ruf ihres Herrschers hereineilen.
-
-Zu seiner Enttäuschung fand er, daß Mrs. Langtrey ausgegangen war, als
-er sich beim Portier nach ihr erkundigte. Er schrieb einige Zeilen,
-in denen er sie fragte, ob er sie nicht treffen könnte, bevor er am
-nächsten Tage seine Arbeit in der Wohnung des Maharadscha begann, und
-bat den Portier sie zu übergeben.
-
-Dies war am 15. September. Dienstag, der 16., brachte für Herrn van
-Schleeten ungeahnte Ueberraschungen.
-
-Schon aus dem Gesicht des Portiers konnte er, als er sich gegen zehn
-Uhr im Grand Hotel Hermitage einfand, sehen, daß nicht alles so war,
-wie es sein sollte. Er war kaum zur Türe herein, als der Portier den
-Direktor anklingelte und ihn bat, ins Kontor hinunterzukommen. Herr van
-Schleeten beugte sich diskret zum Portier vor.
-
-„Ich habe Ihnen gestern ein Briefchen gegeben,“ sagte er mit einem
-bedeutungsvollen Blick und strich sich seinen gelbgrauen Schnurrbart.
-
-Der Portier schien einen Augenblick nachzudenken.
-
-„Ach ja!“ sagte er, „gewiß. An die Dame auf Nr. 320/21. Sie ist
-abgereist, ohne eine Antwort zu hinterlassen.“
-
-„+Sie ist abgereist!+“
-
-In seiner Verblüffung und Enttäuschung sprach Herr van Schleeten in
-gesperrten Lettern wie ein Schauspieler.
-
-„Sie ist heute morgen abgereist,“ sagte der Portier, „so gegen halb
-acht. Kurz zuvor ist ein Expreß-Telegramm gekommen.“
-
-„Aus Amerika,“ murmelte Herr van Schleeten, plötzlich überzeugt, daß
-der zudringliche Freier aufgetaucht war. Was würde nun aus dem Souper
-werden?
-
-„Nein, aus Paddington,“ sagte der Portier. „Ich habe es zufällig auf
-dem Blankett gesehen. Hier kommt der Herr Direktor.“
-
-Herr van Schleeten, der in diesem Augenblick den Direktor des großen
-Hotels durch die Halle herankommen sah, war von dem Schlage, den der
-Portier ihm ahnungslos versetzt hatte, so betäubt, daß er weder denken
-noch sprechen konnte. Es dauerte darum eine Weile, bis er merkte, daß
-der Direktor ebenso aufgeregt war wie er selbst.
-
-Er blieb vor Herrn van Schleeten stehen und schien nach Worten zu
-suchen. Endlich fiel es Herrn van Schleeten auf, wie eigentümlich es
-doch war, daß man den Direktor überhaupt gerufen hatte. Er hatte ja gar
-nichts mit ihm zu tun. Er wollte eben fragen, was denn los sei, als der
-Direktor sich zu einem Entschluß aufzuraffen schien.
-
-„Wollen Sie mit mir zum Herrn Oberst kommen, Herr van Schleeten,“ sagte
-er. „Sprechen Sie mit ihm selber; das wird das beste sein.“
-
-„Ja, was gibt es denn?“ fragte Herr van Schleeten erstaunt.
-
-„Sie müssen über das, was ich Ihnen sage, Diskretion bewahren, Herr van
-Schleeten, aber Sie müssen doch in die Sache eingeweiht werden. Der
-Maharadscha ist verschwunden, und in seiner Wohnung ist heute nacht
-ein Einbruch verübt worden.“
-
-„Einbruch!“ stammelte Herr van Schleeten, für den Augenblick Mrs.
-Langtrey und alles andere vergessend, als die wunderbaren Juwelen.
-„Sind die Juwelen gestohlen?“
-
-„Nein, glücklicherweise wurde der Diebstahl im letzten Moment von einem
-jungen Manne verhindert, der hier im Hotel wohnt. Aber der Maharadscha
-ist verschwunden, und Gott weiß, wann wir ihn wiedersehen.“
-
-Herr van Schleeten brachte kein Wort der Erwiderung hervor. Was
-waren das für Mysterien? Sowohl Mrs. Langtrey wie der Maharadscha
-verschwunden! Waren sie zusammen durchgegangen? Hatte er sie entführt?
-Dann, bei allen Mächten der Unterwelt, wollte sich Herr van Schleeten
-mit den Juwelen nicht mehr abgeben, als mit dem Schmutz der Straße.
-„Wann ist er verschwunden?“ stammelte er.
-
-„Gestern abend. Er wurde an irgendeinen infernalischen Ort gelockt und
-konnte nicht wieder gefunden werden. Aber um Gottes willen, seien Sie
-diskret!“
-
-Herr van Schleeten atmete wieder.
-
-Herrn van Schleetens Unterredung mit Oberst Morrel auf dessen Zimmer in
-der fürstlichen Suite war summarisch. Er fand den Oberst von einer Wand
-zur anderen rennend, wie ein frisch gefangener Tiger und kaum weniger
-blutdürstig anzusehen.
-
-„Was zum Geier gibt es?“ war sein artiger Begrüßungsruf.
-
-„Dies ist Herr van Schleeten, Herr Oberst,“ sagte der Direktor. „Der
-Juwelier, der --“
-
-„Juwelier her, Juwelier hin! Wenn mein schwarzer Diamant beim Teu--“
-
-Herr van Schleeten begann sich verletzt zu fühlen. Er hatte
-augenblicklich selbst seine Sorgen und fand sie groß genug, um nicht
-noch mit denen anderer belastet zu werden. Er machte einen Schritt auf
-die Türe zu.
-
-„Ich werde meine Instrumente wieder holen lassen,“ sagte er mit
-eiskalter Stimme, „gestatten Sie mir, Ihnen zu sagen, Herr Oberst, daß
-ich nicht --“
-
-„Gut! Gut! Zum Teufel hinein!“ rief der Oberst, aber hielt dann
-inne, von einem Gedanken gepackt. „Ja, richtig -- es ist ja doch
-eine Möglichkeit, daß die Blindschleichen dort oben (offenbar Oberst
-Morrels Kosename für die Detektive) meinen schwarzen Ado -- Sr. Hoheit
-finden ... Also arbeiten Sie nur nach Belieben, mein bester Herr van
-Schleeten, ganz nach Belieben. Dann erweisen Sie meinem schwar... Sr.
-Hoheit einen großen Dienst. Adieu!“
-
-Der Oberst stürzte zur Türe hinaus und schlug sie mit einem Krach zu,
-der an einen Felssturz gemahnte. Der Direktor wendete sich mit einem
-entschuldigenden Lächeln Herrn van Schleeten zu.
-
-„Der Oberst ist ein bißchen erregt,“ sagte er. „Nehmen Sie es nicht
-krumm, Herr van Schleeten, Sie wissen, ein alter Soldat ... er hat es
-momentan nicht sehr angenehm.“
-
-„Das ist kein Grund, mich zu behandeln wie einen Kutscher, der falsch
-gefahren ist,“ sagte Herr van Schleeten mit gerunzelter Stirne. „Ein
-jeder hat seine Sorgen.“
-
-„Herr van Schleeten, Sie sind doch ein Weltmann. Beachten Sie den
-schlechten Humor eines alten Herrn nicht. Gestatten Sie mir, Sie in das
-Zimmer zu führen, das für Sie reserviert ist.“
-
-Noch etwas grollend wurde Herr van Schleeten in den Arbeitsraum
-geleitet. Der erste Anblick der märchenhaften Edelsteine war genug,
-um ihn sowohl den Obersten wie Mrs. Langtrey vergessen zu lassen. Er
-verbrachte eine Stunde damit, sie einen nach dem anderen zu bewundern;
-zwei damit, nachzudenken, wie er die Fassungen „ändern“ sollte, damit
-sie nach dem Geschmack des Maharadscha ausfielen. Dann klingelte er
-und ließ sich ein leichtes Frühstück mit einer halben Chateau-Lafitte
-bringen und machte sich dann gegen zwei Uhr an die Arbeit. Er blieb bis
-sieben Uhr dabei und merkte kaum, wie die Zeit verflog, so hypnotisiert
-war er von den Steinen; was er hingegen, als er seine Instrumente
-weglegte, merkte, war, daß er eine Hilfskraft haben mußte, wenn er die
-Arbeit in annehmbarer Zeit fertig bringen sollte, ganz abgesehen von
-der nervösen Eile des Maharadschas. Gegen halb acht Uhr verließ er das
-Hotel.
-
-Die schwarze Leibgarde hielt noch immer treue, stumme Wache vor
-den Türen des Arbeitsgemaches. Herr van Schleeten sprach sie im
-Vorüberstreifen auf englisch an, aber bekam keine Antwort. Offenbar
-verstanden sie nur ihre Muttersprache.
-
-Unten auf der Straße angelangt, ging er anfangs halb abwesend durch
-das Menschengewühl. Der Septemberabend war etwas kühl, mit einem
-herbstlichen Ton in der Luft. Herr van Schleeten, dessen Kopf ganz von
-den wunderbaren Steinen erfüllt war, wurde sich erst nach einiger Zeit
-bewußt, daß er Hunger hatte.
-
-Er ging in ein kleines französisch-italienisches Restaurant, an dessen
-Türe er gerade vorbeikam, setzte sich nieder, und wählte einige
-Gerichte _à la carte_ und eine Halbe Kirwan-Cantenac. Er war zum
-Kompott nach dem Huhn gekommen, als er aufblickte und sah, daß Mrs.
-Langtrey an seinem Tische stand, allein, im Straßenkleid.
-
-Herr van Schleeten flog in die Höhe.
-
-„Sie!“ rief er. „Sie!“
-
-„Ja, ich ...“ murmelte sie. „Ah, daß ich Sie treffe! ... Gott sei Dank!
-Gestatten Sie, daß ich mich niedersetze?“
-
-Herr van Schleeten riß einen Stuhl unter dem Tisch mit einem Schwung
-hervor, als wollte er ihn als Wurfgeschoß verwenden und half ihr die
-Ueberkleider ablegen. Das kleine Souper winkte, und in dem rosigen
-Wachskerzenschein seiner Hoffnungen sah er sich ihr schon weit mehr
-ablegen helfen als die Ueberkleider. Sie ließ sich nieder und blätterte
-zerstreut in dem Menü, das der französische Kellner sich beeilt hatte,
-ihr zu überreichen.
-
-„Aber heute abend müssen Sie mir gestatten,“ sagte Herr van Schleeten
-hastig. „Geben Sie mir die Weinkarte, Kellner.“
-
-Sie nickte leicht und wählte ein paar Speisen. Herr van Schleeten, der
-die Champagnerliste durchforschte, bemerkte, daß sie auf französisch
-bestellte. Er war ein bißchen verwundert, und nachdem der Kellner
-verschwunden war, sagte er:
-
-„Ich habe geglaubt, Sie waren nie in Frankreich, Mrs. Langtrey.“
-
-„In Frankreich?“ wiederholte sie nach einem Augenblick. „Nein, warum
-denn? Ach so, weil ich Französisch spreche! Das tut doch jeder
-gebildete Mensch.“
-
-Herr van Schleeten beeilte sich, das einzuräumen.
-
-Erst beim Dessert begannen sie von ihm und dem, was er vor hatte,
-zu sprechen. Die Zeit bis dahin war mit ihren Berichten über die
-Gründe ihrer überstürzten Abreise ausgefüllt gewesen, und Herrn van
-Schleetens Sympathieausbrüchen bei der Anhörung derselben. Es war
-dieser zudringliche Freier! Natürlich! Der brutale Egoist! (Herrn van
-Schleetens Generalurteil.) Der rücksichtslose Geselle. Ganz einfach
-telegraphieren: „Ich komme, erwarten Sie mich,“ und sich einbilden, daß
-alles in Ordnung ist! Daß die Heirat ohne weiteres stattfinden kann!
-Ach, was für verächtliche Typen es doch in der menschlichen Komödie
-gibt (Herr van Schleeten); Wie schwer das Leben für eine arme Frau
-ohne Freunde ist (Mrs. Langtrey); Aber schön für den, der +einen
-einzigen+ guten Freund hat (Herr van Schleeten).
-
-„Wollen Sie wirklich mein Freund sein?“ murmelte sie.
-
-Herr van Schleeten erklärte sich bereit, diese Rolle ohne alle
-Einschränkungen zu übernehmen.
-
-„Mein wirklich guter Freund, nichts anderes?“ setzte sie fort.
-
-Herr van Schleeten ging auch darauf ein, allerdings nicht so eifrig wie
-auf das erste Programm. Aber er schenkte noch Champagner in ihr Glas,
-im Vertrauen auf diesen gelben Wein, im Notfalle auf die Zukunft. Sie
-war ja Amerikanerin, und die Amerikanerinnen -- man weiß schon. Ein
-bißchen Belagerung.
-
-„Wie froh bin ich, daß ich Sie getroffen habe!“ flüsterte sie und ließ,
-wie zerstreut, ihre kleinen Finger Herrn van Schleetens etwas volle
-Hand streifen. „Nein, wie der Zufall einem manchmal helfen kann, wenn
-man es am schwersten hat. Wenn es nun der Zufall war!“
-
-Herr van Schleeten sprach die feste Ueberzeugung aus, daß es die
-Vorsehung gewesen, und suchte die kleinen Finger zu erhaschen, die sich
-rasch aus seinem gierigen Griff retteten.
-
-„Sprechen wir von Ihnen,“ unterbrach sie. „Was machen Sie denn jetzt?
-Sind Sie sehr beschäftigt?“
-
-Herrn van Schleeten wandelte die Lust an, sich interessant zu machen
-und zu zeigen, was er alles konnte, dieselbe Lust, die der Grund ist,
-daß er und wir alle, dank unserem Stammvater, nicht mehr im Paradiese
-wohnhaft sind. Mit einer Beredsamkeit, die sie offenbar ganz und gar
-bestrickte, beschrieb er den Auftrag, den er vom Maharadscha empfangen,
-und wurde bei der Schilderung der Juwelen geradezu dramatisch.
-Plötzlich fiel sie ihm mit funkelnden Augen ins Wort:
-
-„Ich +muß+ sie sehen!“ rief sie. „Ich +liebe+ Juwelen! Ueber
-alles andere auf Erden.“
-
-„Ueber alles andere auf Erden?“ wiederholte Herr van Schleeten
-enttäuscht. „Ich fürchte, das ist unmöglich, Mrs. Langtrey, es war
-schon indiskret von mir, Ihnen überhaupt davon zu sprechen.“
-
-„Mir! Haben Sie schon vergessen, daß Sie versprachen, mein Freund zu
-sein? Wenn es etwas auf Erden gibt, das mehr wert ist als Diamanten,
-ist es wahre Freundschaft. Und einem Freunde muß man seine intimsten
-Geheimnisse erzählen können, nicht wahr, Herr van Schleeten?“
-
-Herr van Schleeten gab zu, daß sie recht hatte. Aber ihr die Juwelen zu
-zeigen --
-
-„_All right._ Wir sprechen nicht mehr darüber,“ sagte sie, mit
-einem kleinen Unterton kühler Verwunderung in der Stimme, der Herrn van
-Schleeten einen Schauer über den Rücken jagte. „Sie brauchen sich wegen
-Ihrer Indiskretion keine Sorgen zu machen. Ich plaudere nichts aus.“
-
-Der rosige Wachskerzenschimmer über Herrn van Schleetens
-Zukunftsträumen zuckte bei ihrer kalten Stimme wie unter einem Luftzug.
-Er beeilte sich, einen stammelnden Satz zu beginnen:
-
-„Mrs. Langtrey ... liebste Freundin ... sehen Sie ... ja, was soll ich
-sagen? ... Warten Sie, unterbrechen Sie mich nicht! Es +gäbe+ ja
-eine Möglichkeit ...“
-
-Ihre Augen begannen ihn warm und strahlend anzusehen.
-
-„Lassen Sie mich hören!“ rief sie. „Sie sind ein Engel!“
-
-Herr van Schleeten strich sich seinen gelbgrauen Schnurrbart.
-
-„Es ist nämlich so,“ flüsterte er, „daß ich bei meiner Arbeit eine
-Hilfskraft brauche, das habe ich heute nachmittag konstatiert. Und wenn
--- ja das heißt, dann müßten Sie aber Männerkleider anziehen -- und das
---“
-
-„Männerkleider! Gott, wie lustig! Was Sie sich alles ausdenken können,
-lieber Freund! Sie +sind+ ein Engel.“
-
-Herr van Schleeten begann seine Worte schon halb und halb zu bereuen.
-
-„Aber das wäre doch eine schwierige Sache,“ sagte er zögernd. „Sie
-verstehen, wenn jemand im Hotel Sie erkennen sollte, dann wären sowohl
-Sie wie ich rettungslos kompromittiert.“
-
-„Aber wenn es dunkel wird,“ sagte sie. „In der Verkleidung bei
-elektrischem Licht wird man mich doch nicht erkennen. Wie lange
-arbeiten Sie denn dort?“
-
-„So lange ich will,“ gestand Herr van Schleeten.
-
-„Gott, da können Sie ja auch in der Nacht dort sein!“
-
-„Das kann ich,“ räumte Herr van Schleeten ein.
-
-„Aber dann komme ich eben bei Nacht,“ rief sie entzückt, ganz glücklich
-über diese einfache Lösung eines schwierigen Problems.
-
-Herr van Schleeten erbebte innerlich. Wie wäre es mit einem kleinen
-Souper, nur von der Glut der wunderbaren Juwelen beleuchtet?
-
-„Sie müßten abends kommen, gegen zehn Uhr,“ sagte er, „und ich müßte
-den Obersten vorbereiten, daß ich jemand zu meiner Hilfe mitbringe. Um
-diese Zeit sind die meisten Hotelgäste zu Bett oder im Theater.“
-
-Sie klatschte vor Entzücken in die Hände und drückte über den Tisch
-hinweg seine Hand.
-
-„Gott, wie reizend! Das wird das Reizendste, was ich noch im Leben
-mitgemacht habe, und Ihnen habe ich es zu verdanken!“
-
-„Aber,“ stammelte Herr van Schleeten wieder reuig und sich an diese
-letzte Chance festklammernd, „es steht eine schwarze Leibwache mit
-gezogenen Säbeln vor den Türen, und --“
-
-„Das macht nichts,“ rief Mrs. Langtrey, „gar nichts, wenn ich weiß, daß
-ich mit einem wirklichen Freund bin!“
-
-Das Souper schloß in scharmanter Stimmung von seiten Mrs. Langtreys.
-Aber die Hoffnung, die Herr van Schleeten an den Champagner geknüpft,
-erfüllte sich nicht; trotz dieses gelben und verräterischen Trankes
-mußte er Mrs. Langtrey an der Türe eines Autos Adieu sagen (sie war
-in ein kleines Familienhotel irgendwo gezogen, sagte sie). Ein Druck
-ihrer weichen festen Hand und ein Blick durch den Schleier, versprachen
-immerhin deliziöse Möglichkeiten für die Zukunft, und während Herr
-van Schleeten heimwärts ging, gelang es ihm bald, sich selbst zu
-überzeugen, daß er ein verfluchter Kerl war und daß alles gut gehen
-würde. Morgen abend, im Zimmer des Maharadscha ...
-
-
-
-
-IX
-
-Yussuf Khans Wiederkehr
-
-
-Als die Detektivs endlich gegangen waren und die Familie Bowlby unter
-dem Präsidium Mrs. Bowlbys die Einbruchsaffäre und Mrs. Langtreys
-Verschwinden zu Ende debattiert hatte, dachte Allan an sein eigenes
-Privatmißgeschick; aber es wäre unwahr zu sagen, daß er es sehr schwer
-nahm. Was hatte er sich doch zugeflüstert, als er vor einigen Tagen die
-Küste der Heimat verbleichen sah? Vorwärts, den Abenteuern entgegen!
-Schicksal, _en garde_! Unleugbar waren ihm Abenteuer begegnet;
-aber das Schicksal hatte seine Herausforderung ebenfalls angenommen und
-zu einem recht fühlbaren ersten Gegenstoß ausgeholt. Wäre Herr Mirzl
-nicht ebenso exzentrisch gewesen, als er kühn war, so stünde Allan
-heute ohne Koffer und Kasse da -- und was hätte er dann angefangen?
-Nach Hause telegraphiert ...? Das Vorstellungsbild der jetzt wohl laut
-brüllenden Akzeptanten ließ ihn rasch davon abstehen, diesen Gedanken
-zu Ende zu verfolgen. Auf jeden Fall wollte er einer Wiederholung
-vorbeugen. Es konnte ja geschehen, daß Herr Mirzl in seiner
-Exzentrizität sein Urteil kassierte und die Geldbuße in gleicher Weise
-zurückschickte wie damals die Koffer; aber in der Erwartung dessen war
-es wohl am besten, den Rest der Reisekasse außer Reichweite für ihn zu
-placieren. Am Mittwoch deponierte Allan ihn folglich im Bankkontor des
-Hotels, nur gegen von ihm signierte Schecks oder Quittung zu beheben.
-Zwei Exemplare seiner eigenhändigen Namensunterschrift wurden dem
-Bankbeamten eingehändigt.
-
-Am selben Abend gegen sieben Uhr sah Allan den alten Herrn mit der
-Raubvogelnase, der, wie er nun wußte, der Juwelenspezialist Mynheer
-van Schleeten war, die Treppe von der Wohnung des Maharadscha
-herunterkommen. Er sah ein bißchen erregt aus. Als der Hoteldirektor
-etwas später die Halle passierte, nahm Allan seinen ganzen Mut zusammen
-und ging auf ihn zu.
-
-„Darf ich Sie etwas fragen, Herr Direktor?“
-
-Der Direktor, der Allan von dem gestrigen Verhör kannte, nickte
-wohlwollend. Das war ja dieser junge Mann, dem man es zu danken hatte,
-daß nicht alles verloren war.
-
-„Sie haben noch keine Nachrichten vom Maharadscha?“
-
-Der Direktor schüttelte düster den Kopf.
-
-„Leider nicht. Sie sind doch diskret gewesen, hoffe ich?“
-
-„Absolut. Ich habe kein Wort über die Sache zu irgend jemand verlauten
-lassen außer der Familie Bowlby. Aber darf ich Sie etwas fragen? Ich
-sah gerade den alten Juwelier, den der Maharadscha berufen hat, aus
-seinem Appartement herunterkommen. Arbeitet er denn an den Juwelen,
-obwohl Se. Hoheit verschwunden ist?“
-
-„Ja, er kam heute morgen, und da ich nicht wußte, was ich tun sollte,
-führte ich ihn zu Oberst Morrel hinauf ...“
-
-Der Direktor brach ab und bemühte sich ein Lachen zu verbeißen.
-
-„Ich hatte selbst das Vergnügen, den Oberst gestern morgen zu treffen,“
-sagte Allan. „Herr van Schleeten bekam vermutlich die Aufforderung,
-sich an einen heißen Ort zu verfügen?“
-
-„Etwas Aehnliches. Aber dann reute es den Obersten, und er bat ihn
--- na ja, +bat+, hm, -- die Arbeit in Angriff zu nehmen. Herr
-van Schleeten hat den ganzen Tag oben in der Suite des Maharadscha
-gearbeitet.“
-
-„Glauben Sie nicht, daß er in der Einsamkeit in Versuchung kommen
-könnte?“ fragte Allan. „Er geht ganz nach Belieben aus und ein?“
-
-„Er! Er ist ja selbst ein Krösus und einer der bestrenommierten
-Juwelenspezialisten in Europa! Ebensogut könnten Sie ihn des Einbruchs
-verdächtigen.“
-
-„Ich bitte um Entschuldigung,“ sagte Allan, „vermutlich geht mir der
-Einbruch im Kopfe herum. Und dann ist da noch eine andere Sache, die
-ich zufällig weiß.“
-
-„Was denn?“
-
-„Ich weiß zufällig, daß Herr van Schleeten intim oder zumindest bekannt
-mit Mrs. Langtrey war, die gestern früh verschwunden ist.“
-
-„Ich habe Mrs. Bowlbys Insinuationen gegen die betreffende Dame gehört.
-Aber die Detektivs zuckten nur die Achseln darüber, und weder uns
-noch ihnen ist etwas Nachteiliges über sie bekannt. Und wenn Sie sie
-auch im selben Zug gesehen haben wie Mirzl, könnten Sie doch nicht
-behaupten, daß sie einander kannten. Aber man wird sie natürlich im
-Auge behalten.“
-
-„_All right_,“ sagte Allan. „Ich wollte Ihnen nur sagen, was ich
-weiß.“
-
-Der Direktor neigte den Kopf und ging in das Bureau.
-
-Kurz darauf wurde Allan Zeuge einer Szene, über die er hell aufgelacht
-haben würde, wenn er ihren Ernst nicht erkannt hätte. Der alte Oberst
-kam die Treppen herunter und stürzte mit nervösen Schritten auf das
-Bureau zu. Im Vorbeieilen warf er Allan einen ergrimmten Blick zu.
-Offenbar war er noch durchaus nicht überzeugt, daß nicht alle Attentate
-ihren Ursprung von Allan herleiteten. Bevor er noch das Bureau erreicht
-hatte, kam der Direktor wieder herausgeeilt; in seinem Gesicht prägte
-sich die lebhafteste Erregung aus. Bei dem Anblick des Obersten stieß
-er einen kleinen Schrei aus. Allan sah ihn mit gesenkter Stimme dem
-alten Krieger etwas mitteilen. Der Oberst starrte ihn regungslos an und
-stieß dann ein Gebrüll aus, bei dem die Leute rings in der Halle von
-ihren Klubsesseln emporfuhren. In der nächsten Sekunde stürzte er wie
-ein Wahnsinniger die Treppen hinauf. Allan eilte auf den Direktor zu,
-um ihn zu fragen, was denn los sei. Hatten sie den Maharadscha ermordet?
-
-„Der arme Oberst Morrel,“ sagte der Direktor. „Mich soll es wundern,
-wenn nach seinem letzten Geheul nicht das ganze Hotel weiß, wie die
-Dinge stehen.“
-
-„Was gibt es denn? Ist Seine Hoheit tot aufgefunden?“
-
-„So schlimm ist es nicht -- noch nicht. Aber er ist überhaupt nicht
-gefunden, und das ist fast ebenso arg.“
-
-„Aber das wußte ja der Oberst schon?“
-
-„Ja, aber wir hatten eben eine telephonische Botschaft vom Inspektor
-Mc. Lowndes -- Sie wissen, der magere Mann, der Sie gestern früh
-verhört hat. Seine Leute haben das Lokal herausgeschnüffelt, von dem
-Sie sprachen!“
-
-„Sie haben den Feuerfresserklub gefunden?“
-
-„Offiziell heißt er irgendwie anders -- englisch-französische
-Theaterfreunde oder so ähnlich. Feuerfresserklub ist nur ein Kosename
-unter den Mitgliedern. Ein Mann namens Hardy steht dem Ganzen vor. Die
-Papiere waren in Ordnung. Hardy hat nie etwas von Mirzl oder seinem
-Anhang gehört. Vor zwei Tagen erhielt er den Besuch der zwei Herren,
-die Sie beschrieben haben, Stanton und dem anderen, der unter dem Namen
-Müller eingeschrieben war. Sie bestellten die Logen Nr. 5 und 6 für
-den Abend, das war das Ganze, und alles was Hardy wußte oder wissen
-wollte. Der Diener konnte auch nicht viel mehr sagen. Wie es Ihnen
-gelungen ist, herauszukommen, war ihm ein Rätsel, da er allein die
-Gäste ein und aus ließ. Gegen drei Uhr morgens war er durch ein Signal
-aus Nr. 5 alarmiert worden, wo er sowohl die Gesellschaft von Nr. 6
-wie die von Nr. 5 vorfand, mit Ausnahme von Ihnen. Er stellte eine
-Frage nach Ihnen an Müller, der antwortete, daß Sie drinnen seien und
-tanzten und solange bleiben könnten als Sie wollten. Er, Stanton und
-die zwei dunklen Herren, die leider etwas angeheitert waren, wollten
-jetzt gehen. Sie verstehen, sie hatten nun Ihre Flucht entdeckt und
-waren erschrocken. Der Diener half ihnen, den Maharadscha und den alten
-Hofdichter, von deren Identität er keine Ahnung hatte, in den Lift
-hinauszutragen. Unten auf der Straße bestiegen sie ein Auto, und er sah
-sie fortrollen. Die Autonummer sah er nicht an, und die Adresse hörte
-er nicht. -- Das ist das Ganze. Sie verstehen also, daß der Maharadscha
-in den Krallen der Gauner ist, und Sie verstehen wohl auch, was das
-bedeutet.“
-
-„Erpressung?“
-
-„Das ist das Geringste, und wir müssen leider sagen, das Günstigste.
-Erpressung von mir, des Hotels wegen, und vom Obersten Seiner Hoheit
-wegen. -- Ach, wenn ich doch diese Menschen nie in das Hotel gelassen
-hätte!“
-
-Der Direktor murmelte etwas, das Allan nicht hören konnte, aber das er
-ohne Zögern als einen energischen Fluch agnoszierte. Allan wollte noch
-einige Fragen stellen, aber plötzlich eilte der Direktor auf und davon,
-ohne auch nur guten Abend zu sagen.
-
-Allan ließ sich auf einem Fauteuil in der Halle nieder, bestellte einen
-Whisky mit Soda und fing an, die letzten Nachrichten zu überdenken.
-Einiges davon war ihm noch unklar, infolge der abrupten Art des
-Direktors, die Konversation abzuschließen. Hatte die Polizei die
-Angelegenheiten dieses Klubs nicht gründlicher durchwühlt? Kannte
-Hardy die Herren Stanton und Müller als Klubmitglieder? In diesem Falle
-mußte er doch ihre Adresse wissen. Suchte die Polizei sie durch das
-Auto aufzuspüren?
-
-Allan ging zu Bett, ohne den Direktor wiedergesehen oder eine Antwort
-auf diese Fragen gefunden zu haben. Bowlbys waren an diesem Abend
-eingeladen; in ihrer Suite wurde Wache gehalten, um einer Wiederholung
-von Herrn Mirzls Besuch vorzubeugen.
-
-Der nächste Tag war ebenso arm an Ereignissen, als ein paar der
-vorangegangenen reich daran gewesen waren. Der Maharadscha war und
-blieb verschwunden, und kein Wort von Erpressung kam von seinen
-Entführern. Gegen sieben Uhr morgens sah Allan den Obersten wieder und
-fühlte eine Anwandlung von Mitleid mit dem alten Herrn, so verstört und
-nervös sah er aus. Kurz darauf, während er am Eingang des Speisesaales
-stand und mit Mr. Bowlby plauderte, kam der Direktor vorbei.
-
-„Wenn die Schurken doch wenigstens schreiben und ihren Preis sagen
-wollten,“ rief er. „Der arme alte Morrel wird noch verrückt, wenn nicht
-bald Nachrichten eintreffen.“
-
-Allan benutzte die Gelegenheit, seine Fragen zu stellen. Der Direktor
-zuckte die Achseln, und die Worte überkollerten sich förmlich in seinem
-Munde.
-
-„Untersuchungen! Natürlich tut die Polizei was sie kann, aber man
-weiß ja, wieviel das ist! Dem Auto wird nachgespürt, Hardy und der
-Diener sind heute ein halbes Dutzend mal verhört worden, und man hat
-die Klubliste mit Argusaugen durchgesehen. Natürlich hatten Stanton
-und Müller, seit sie sich einschrieben, ihre Adressen ein dutzendmal
-gewechselt, und keine Menschenseele weiß, wo sie sich aufhalten. Der
-Mann, der sie in den Klub, der eigentümlicherweise verdammt heikel
-ist, eingeführt hat, war ein französischer Baron, de Citrac oder so
-irgendwie --“
-
-„De Citrac!“ Allan zuckte zusammen. „Kennen Sie den Namen, Mr. Bowlby?
-Der Mann, der nach dem, was Mrs. Bowlby erzählt hat, in Amerika mit
-Mrs. Langtrey geflirtet hat! Seien Sie sicher, de Citrac ist kein
-anderer als Mirzl in höchsteigener Person!“
-
-Der Direktor und Mrs. Bowlby starrten ihn an, und Mr. Bowlby ließ ein
-schrilles, reich moduliertes Expreßsignal als Ausdruck seiner Gedanken
-ertönen.
-
-„_By Jove!_ Sie haben recht, junger Freund! Sicher! Sie haben
-recht! Ich fühle es!“
-
-Der Direktor zuckte die Achseln.
-
-„Auf jeden Fall, behauptet Hardy, daß er steinreich ist und zwei, drei
-Schlösser in Frankreich hat. Und wenn das auch unwahr ist, so hilft das
-jetzt nicht viel, wo es so eilt, des armen Morrels wegen. Es wäre eine
-Gnade des Himmels, wenn die Schurken schreiben und ihren Preis angeben
-wollten, das sage ich, wenn es auch feige klingt.“
-
-Mrs. Bowlby war nicht so sehr von Mitleid mit dem Maharadscha und
-seinem Mentor erfüllt wie der Direktor, als man beim Diner die Debatte
-wieder aufnahm.
-
-„Der arme Oberst! Hätte er besser auf das Untier aufgepaßt. +Er+
-müßte doch wissen, wie er ist. Wenn man hundertfünfzig zum täglichen
-Gebrauch hat, gewöhnt man es sich nicht so plötzlich ab. Sie können
-sagen, was Sie wollen, Mr. Cray, ich +weiß+, daß er in diesem
-Lokal in Damengesellschaft war. Helen, mein Kind, höre nicht zu, was
-ich sage.“
-
-„Nein, Mama.“
-
-„Und Langtreys Frau! Denken Sie, diese dickschädligen Detektivs wollten
-nicht einmal auf das hören, was ich ihnen über sie sagte! Unschuldig!
-Natürlich ist sie unschuldig, weil sie lange Haare hat. Ich kenne die
-Männer. Sie hat den Verbrechern rapportiert, daß John Mr. Cray zu sich
-eingeladen hat. Bitte stellen Sie das nicht in Abrede, Mr. Cray.“
-
-„Nein, Mrs. Bowlby. Sie haben gehört, daß ein Baron de Citrac Mirzls
-zwei Helfershelfer in den Feuerfresserklub eingeführt hat?“
-
-„In das Lokal!“
-
-„Ja. Und glauben Sie nicht, daß de Citrac und Mirzl eine und dieselbe
-Person sind?“
-
-„Sicher!! Sie sind genial, Mr. Cray. Sicher! Dann bedauere ich Mirzl.
-Er war mir früher eigentlich nicht so unsympathisch, aber wenn er einen
-solchen Geschmack hat. -- Aber +wissen+ Sie, was ich jetzt glaube,
-Mr. Cray?“
-
-„Nein, Mrs Bowlby.“
-
-„Ja, daß Langtreys Frau den Prinzen für ihre private kleine Rechnung
-entführt hat! Die ganze Welt weiß ja, wie sie ist, und sie -- Helen,
-mein Kind, höre nicht zu, was ich sage.“
-
-„Nein, Mama.“
-
-Allan fiel etwas ein.
-
-„Weiß jemand, ob der alte Juwelier auch heute dagewesen ist und
-gearbeitet hat?“
-
-Mr. Bowlby nickte.
-
-„Er kam heute morgens wie gewöhnlich und arbeitete hier bis halb
-sieben. Er sprach mit dem Direktor -- mit dem Obersten ist ja nicht
-mehr zu reden -- und sagte, die Arbeit sei doch viel langwieriger als
-er geglaubt hatte. Er bat um die Erlaubnis, am Abend wieder zu arbeiten
-und einen Mann aus seinem Geschäfte zu seiner Hilfe mitzubringen.
-Der Direktor sprach mit dem Obersten, und der Oberst gab seine
-Einwilligung.“
-
-„Ich kann mir denken, wie er sie formuliert hat,“ sagte Allan.
-
-Nach dem Diner verfügte man sich in die Appartements der Familie
-Bowlby, wo sich außer anderen Annehmlichkeiten auch ein amerikanischer
-Whisky vorfand, der von Mr. und Mrs. Bowlby in hohem Grade goutiert
-wurde, von der letzteren allerdings nur ferne von der Oeffentlichkeit.
-
-Allan blieb bis kurz vor zehn Uhr sitzen, zu welcher Stunde die
-amerikanische Familie erklärte zu Bett gehen zu wollen, da sie die
-Nacht vorher lang aufgewesen waren. Allan wurde aufgefordert, sitzen zu
-bleiben und sich allein zu erfrischen, aber lehnte ab und sagte gute
-Nacht. In die Halle gekommen, dachte er einen Augenblick nach, was er
-anfangen sollte. Die große Halle war leer bis auf einen Kellner und ein
-paar Hotelbedienstete. Er beschloß, einen Abendspaziergang zu machen
-und zog seinen Ulster an, der beim Garderobier hing. Gerade als er sich
-anschickte zu gehen, ging die Drehtüre auf, und zum Vorschein kam der
-alte Juwelier und ein einfach gekleideter Mensch. Offenbar hielt Herr
-van Schleeten Wort und erschien nun zur Nachtarbeit an den Juwelen des
-Maharadschas. Es war zu hoffen, daß der Maharadscha Gelegenheit finden
-würde, ihn für seinen Eifer zu belohnen. Allan trat beiseite, um Herrn
-van Schleeten und seinen Gehilfen passieren zu lassen. Er musterte
-sie ohne weiter daran zu denken; Herr van Schleeten erwiderte seine
-Blicke mit zornigem Funkeln. Was hatte er eigentlich für einen Grund
-Allan böse zu sein? Es war doch Allans Verdienst, daß er überhaupt in
-die Lage gekommen war, an den Juwelen zu arbeiten. Allan ging vorbei,
-mit einem flüchtigen Blick auf den Gehilfen, der durch die Pracht des
-großen Hotels befangen und geniert zu sein schien, er nahm nicht einmal
-seine tief hineingezogene Sportmütze ab. Ganz flüchtig kam Allan die
-Idee, daß er schon einmal ein paar graue Augen gesehen hatte, die denen
-des Arbeiters glichen. Dann war er zur Drehtüre hinaus und ging die
-breiten Marmorstufen hinunter.
-
-Er blickte zur Hotelfassade empor. In der Suite der Familie Bowlby
-waren noch ein paar Fenster hell. In der des Maharadscha war alles
-dunkel bis auf ein einziges Fenster -- offenbar eines von denen,
-die dem Obersten gehörten. Während Allan noch dastand und vor sich
-hinblickte, wurden noch zwei Fenster hell. Herr van Schleeten war also
-mit seinem Gehilfen oben angelangt. Allan wollte eben weitergehen, als
-sich etwas Eigentümliches ereignete.
-
-Eine Hand zeichnete sich seinen Augenblick von der Scheibe ab, die
-eben erleuchtet worden war, mit ausgespreizten Fingern. Die Finger
-schlossen sich, öffneten sich und schlossen sich abermals. Dann zeigten
-sich nur zwei davon, ganz ausgespreizt; dann verschwand die Hand.
-Alles war mit Blitzesschnelle gegangen. Allan, der noch dastand und
-hinaufsah, wußte nicht recht, ob er richtig gesehen oder das Opfer
-einer Halluzination gewesen war. Herrn van Schleetens guter Name und
-Ruf war ja von keinem Geringeren als dem Direktor des Hotels bezeugt
-worden. Aber wie sollte diese Hand an der Scheibe aufgefaßt werden,
-wenn nicht als ein Signal für jemanden draußen? Und warum signalisiert
-man jemandem draußen, wenn man das ganze Personal eines großen Hotels
-zur Verfügung hat? Bei aller Achtung vor dem Direktor ...
-
-Allan machte mit philosophisch gerunzelter Stirne einige Schritte der
-Hotelfassade entlang. Verwirrte Gedanken wirbelten wie Schneeflocken
-durch seinen Kopf. War Mirzl im Komplott mit Herrn van Schleeten? Erst
-eine halbe Minute nach dem Verschwinden der geheimnisvollen Hand fiel
-ihm etwas ein, das doch ganz selbstverständlich war: +Wenn+ man
-von dem beleuchteten Fenster aus signalisierte, in der Hoffnung, von
-jemand draußen verstanden zu werden, so mußte dieser Jemand in der Nähe
-sein, um das Signal aufzufangen. Er begann sich auf dem ziemlich matt
-beleuchteten Square, an dem das große Hotel gelegen war, umzusehen.
-Massen von Menschen strömten vorbei, obgleich Monmouth Square nicht
-zu den belebtesten gehört. Die Person, der man eventuell signalisiert
-hatte, mußte also vor dem Hotel stehen und warten. War irgendeine
-mystische stationäre Person da? Soweit Allan sehen konnte, war das
-einzige Stationäre fünf oder sechs Autos. Nun, nichts hinderte ja, daß
-es eines von ihnen war, dem man ...
-
-Allan fuhr mit einem innerlichen Triumphschrei auf. Haha! War das der
-kleine Plan? War Herr van Schleeten mit im Komplott? Oder war er nur
-eine Marionette, an der man mit dem Faden manövrierte, von dem sie
-sich am liebsten lenken ließ? Mr. Bowlby hatte ja von seiner Schwäche
-für das schöne Geschlecht gehört und erzählt -- war Mrs. Langtrey in
-Kenntnis dessen und in spezieller Absicht im Expreß so gnädig gegen ihn
-gewesen und so aufgebracht gegen Allan, der ihr Tete-a-tete zu stören
-drohte? ... Und war es denkbar, daß ihm darum die grauen Augen des
-Gehilfen so bekannt vorgekommen waren?
-
-Ein Schwarm von Gedanken, deren Ausgangspunkt der letztgenannte war,
-summte durch Allans Kopf. Und nachdem er rasch die Ueberzeugung erlangt
-hatte, die sowohl seine Eigenliebe wie seine Revanchelust kitzelte, daß
-er recht hatte, blieb nur eine Frage: Was sollte er tun?
-
-Er ging auf dem Trottoir auf und ab, die Augen bald auf das erleuchtete
-Fenster geheftet, wo jetzt keine Hand zu sehen war, bald auf die Leute,
-die vorbeipassierten, um den eventuellen Mitschuldigen zu entdecken.
-Der Direktor? Ihn aufsuchen? Er würde unfehlbar ausgelacht werden.
-Der Direktor hatte seinen Glauben an Herrn van Schleeten zu energisch
-betont, als daß er seinen Standpunkt auf eine unbegründete Einbildung
-eines jungen Herrn wie Allan ändern würde -- wenn es sich auch schon
-erwiesen hatte, daß Allan glückliche Einfälle haben konnte.
-
-Denn vielleicht war es doch nur eine unbegründete Einbildung, daß es
-nicht ein Arbeiter war, der mit Herrn van Schleeten hinaufgegangen war,
-das Signal, das Ganze. Was konnten die Betreffenden eigentlich gegen
-Herrn van Schleeten unternehmen, +wenn+ Allan recht hatte? Es
-stand ja eine Wache vor dem Eingang.
-
-Ein neuer Gedanke ließ Allan zusammenzucken. Was ihn hervorgerufen
-hatte, war nichts anderes, als der Anblick von Oberst Morrels Fenster,
-wo noch Licht brannte.
-
-Der Oberst! +Der+ ließ an Bereitwilligkeit nichts zu wünschen
-übrig, jeden, wer es auch sein mochte, zu verdächtigen -- vermutlich
-in erster Linie Allan! ... Aber ohne die Zeit mit weiteren Erwägungen
-zu verschwenden, ob ein anderer Weg geeigneter wäre, oder wie dies
-ausgehen würde, stürzte Allan die Eingangstreppe des Hotels hinauf und
-weiter zur Suite des Maharadschas. Er sah die schwarze Leibgarde, die
-in dem Korridor vor den Räumen, die ihr Herrscher inne hatte, Wache
-hielt. Das Zimmer des Obersten lag am äußersten Ende des Korridors,
-und davor stand ein Mann in Livree mit einem Syphon und einer Flasche
-Whisky auf einem Tablett; er stand, den Knöchel an der Türe, als wenn
-er eben angeklopft hätte. Offenbar wollte der Oberst versuchen, seine
-Kümmernisse in einem kleinen Abendrausch zu ertränken. Im selben
-Augenblick, in dem der Mann die Türe öffnete, stand Allan auch schon
-davor.
-
-„Ich muß mit dem Herrn Oberst sprechen!“ rief er und faßte den Mann am
-Arm.
-
-Der Livrierte betrachtete ihn kalt.
-
-„Der Herr Oberst empfängt nicht um diese Tageszeit,“ sagte er und
-versuchte, sich aus Allans Griff zu befreien. Aber Allan hielt sich
-fest wie an einer Rettungsboje.
-
-„Sie werden es zu verantworten haben, wenn Sie sich weigern, mich
-anzumelden. Hören Sie, zu verantworten! Mein Name ist Allan Kragh, der
-Oberst weiß, wer ich bin. Hören Sie!“
-
-Allan konnte nicht zu Ende sprechen. Oberst Morrel zeigte sich
-plötzlich in der Türöffnung, leichenblaß vor Erregung. Es war
-unverkennbar, daß der Whisky, den der Bediente jetzt brachte, nicht der
-erste war, den er heute sah. Es fiel ihm schwer, gerade zu stehen, und
-seine Augen, die Blicke wie Lanzen um sich schleuderten, konnten nur
-schwer damit zielen.
-
-Als er Allan erblickte, stieß er ein Tigergebrüll aus.
-
-„Sie! Was zum Teufel tun Sie hier? Ist es Ihnen gelungen die Juwelen zu
-stehlen oder haben Sie Nachrichten von Ihren Kameraden, was sie für den
-Maharadscha bezahlt haben wollen?“
-
-Allan verzichtete auf alle Umschweife.
-
-„Oberst Morrel, ich denke nicht daran, auf Ihre Insinuationen zu
-antworten. Falls es Sie interessiert, daß man wahrscheinlich gerade
-heute abend die Juwelen zu stehlen beabsichtigt, so wissen Sie es
-jetzt. Gute Nacht!“
-
-Der Oberst war mit einem Sprung zur Türe hinaus und packte Allan am
-Arm.
-
-„Gute Nacht! Was zum Henker meinen Sie? Gedenken Sie die Juwelen heute
-nacht zu stehlen, und kommen Sie, um mir das im vorhinein zu erzählen!
-So wahr mir Gott helfe, Sie werden ...“
-
-Allan heftete einen Blick auf den alten Krieger, der ihn tatsächlich
-dazu brachte, Allans Arm loszulassen und mitten im Satze zu verstummen.
-Er starrte einen Augenblick um sich und sah dann Allan an.
-
-„Was zum Teufel haben Sie gesagt?“ murmelte er undeutlich.
-
-„Was ich Ihnen gesagt habe, Oberst Morrel, war, daß ich glaube, daß man
-heute nacht den Versuch zu machen gedenkt, die Juwelen zu stehlen. Sie
-hören, +heute nacht+? Vielleicht gerade jetzt, vielleicht in einer
-Stunde. Ich weiß es nicht bestimmt, aber ich glaube es. Interessiert
-Sie das genügend, um diesen Whisky zurückzuschicken?“
-
-Der Oberst richtete sich heftig auf, aber senkte dann wieder den Blick.
-
-„Nimm das weg, John,“ sagte er. „Heute abend nichts mehr! Kommen Sie
-herein, junger Mann.“
-
-Er wies den Weg in sein Zimmer, ging in das Badezimmer und fuhr sich
-ein paarmal mit einem Schwamm über die Stirn. Dann kam er wieder zu
-Allan heraus.
-
-„Rauchen Sie?“ sagte er „Nicht? Erzählen Sie mir, was Sie zu wissen
-glauben.“
-
-Allan ging, so langsam und deutlich er konnte, die wenigen Tatsachen
-durch, auf die er seine Theorie stützte. Der Oberst hörte mit
-gerunzelter Stirne zu. Ein paarmal zeigten seine Augen, daß es ihm
-schwer fiel, die Gedanken zusammenzuhalten. Allan wiederholte, bis er
-glaubte, das Ganze klargelegt zu haben. Als er zum Schlusse gelangt
-war, schüttelte der Oberst den Kopf.
-
-„Ich will Sie nicht beleidigen,“ sagte er. „Das habe ich wohl schon oft
-genug getan. Aber ... ist das Beweismaterial für Ihre Theorie nicht
-recht mager im Verhältnis zur Theorie selbst?“
-
-„Ganz wie Sie sagen. Aber wie erklären Sie sich die Hand?“
-
-„Ein Zufall. Und wenn Ihre Theorie wahr wäre, was könnte eine Frau tun?
-Van Schleeten ist doch kein Kind. Und wie sollte sie mit ihrer Beute
-wieder hinauskommen?“
-
-„Das kann ich Ihnen nicht sagen; aber van Schleetens Eifer zu arbeiten,
-sogar um diese Tageszeit?“
-
-„Er wurde dazu von Sr. Hoheit besonders aufgefordert. Und er erklärte
-sich schon damals zur Nachtarbeit bereit, lange vor dem ersten
-Attentat.“
-
-Allan senkte den Kopf und überlegte. Der Oberst hatte recht. Seine
-Theorie war phantastisch, aber dennnoch ... Er wendete sich dem alten
-Krieger zu.
-
-„Oberst Morrel!“ sagte er. „Ich verlange von Ihnen nichts anderes, als
-eine einfache Probe. Sie verstehen, die Sache geht mich doch eigentlich
-gar nichts an. Aber gehen wir in das Zimmer, wo van Schleeten arbeitet,
-und sehen wir, ob dort alles mit rechten Dingen zugeht. Oder gehen nur
-Sie hinein! Das können Sie ja, ohne das mindeste Aufsehen zu erregen.“
-
-Der Oberst überlegte. Ein paarmal zuckte er die Achseln, und Allan
-glaubte schon das Spiel verloren zu haben, als er plötzlich von seinem
-Sessel aufsprang.
-
-„_All right!_“ sagte er. „Es wäre unverzeihlich von mir, Ihnen
-nicht diese einfache Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Ich gehe
-gleich hinüber. Sie können mir nachkommen, wenn Sie wollen, so daß Sie
-ins Zimmer hineinsehen können. Mit hinein möchte ich Sie nicht nehmen,
-Sie verstehen doch.“
-
-Sie verließen das Zimmer des Obersten unter gegenseitigen
-Höflichkeitsbezeigungen -- Allan wollte den alten Herrn vorangehen
-lassen, und dieser wollte seinem Gast diese Ehre geben. Schließlich
-gewann Allan mit seiner schwedischen höflichen Beharrlichkeit das
-Spiel. Einige Schritte über den dicken orientalischen Teppich des
-Korridors, und sie waren an der Türe des Zimmers, das Herr van
-Schleeten überlassen worden war. Die schwarze Leibwache schulterte bei
-dem Anblick des Obersten ihre krummen Yatagans. Dieser richtete in
-einem krächzenden Dialekt einige Worte an sie.
-
-„Ob sie etwas Verdächtiges gehört haben,“ wendete er sich erklärend an
-Allan.
-
-„Nun, haben sie das?“
-
-„Nein. Aber nehmen wir die Untersuchung nur vor.“
-
-Er faßte die Türklinke. Die Türe war verriegelt. Bevor Allan es
-verhindern konnte, hatte er die Hand gehoben und geklopft.
-
-„Oberst Morrel!“ flüsterte Allan. „Was tun Sie? +Wenn+ nun --“
-
-Er konnte seinen Satz nicht abschließen. Von drinnen war keine Antwort
-auf das Klopfen erfolgt, und plötzlich loderte die nur schlummernde
-Whiskyraserei des Obersten in hellen Flammen auf. Er stieß ein Brüllen
-aus, riß einen der Säbel der schwarzen Krieger an sich und hatte,
-bevor Allan noch wußte, wie ihm geschah, den Türspiegel mit einem
-Hieb gespalten, der wie ein Kanonenschuß durch den Korridor dröhnte.
-Noch zwei Hiebe, dann warf er sich mit voller Kraft gegen die Türe.
-Diese stürzte krachend ein; der Oberst flog hindurch, Allan in seinen
-Fußstapfen und die schwarzen Krieger in einem Strom hinterdrein. Sie
-erhaschten eben noch sein wunderliches Bild, bevor es, von sechs
-aufeinander folgenden Revolverschüssen des Obersten begleitet,
-verschwand.
-
-Das Fenster stand offen, und über dem Fensterbrett tauchte in dem
-Augenblicke, in dem sie das Zimmer betraten, ein einfach gekleideter
-Mensch auf, oder richtiger der Kopf dieses Menschen, von einer grauen
-Sportmütze bedeckt. Er verschwand gerade, als sie über die Schwelle
-kamen, über den Rand des Fensterbrettes, von sechs Revolverkugeln des
-Obersten gefolgt, und Allan konnte sich noch nicht recht von seinem
-Staunen erholen, wie er da verschwinden konnte, als er auch schon am
-Fenster stand und die Lösung hatte. Eine feine Strickleiter fiel die
-Hausmauer entlang bis auf das Trottoir hinunter; die Person, die sie
-verschwinden gesehen, war schon unten angelangt; und gerade, als Allan
-und Oberst Morrel das Fenster erreicht hatten, kam das Ueberraschendste
-in dieser blitzschnellen Folge von Ereignissen. Der Flüchtling, der mit
-schlangenhafter Geschmeidigkeit die Strickleiter hinuntergeklettert
-sein mußte, und nunmehr, offenbar schon ganz im klaren über den Ernst
-der Situation war, hatte noch Zeit, eine hastige Bewegung mit der
-Hand zu machen -- es war ein Zündhölzchen, das angerieben wurde.
-Gerade als Allan die Beine über das Fensterbrett warf um sich die
-Strickleiter hinunterzuschwingen, stand diese von einem Ende bis zum
-anderen in hellen Flammen; sie mußte wohl schon früher mit irgendeinem
-entzündlichen Stoff präpariert worden sein. Allan hatte gerade noch
-Zeit, sich über das Fensterbrett zurückzuziehen, bevor die Flammen
-darüber zusammenschlugen. In ohnmächtiger Wut schleuderte der Oberst
-seinen leeren Revolver dem Entwichenen nach. Er fehlte, und binnen
-einer Sekunde war der Flüchtling in einem schwarzen blanken Auto, das
-aus dem Nichts aufzutauchen schien ...
-
-Allan und der Oberst wendeten sich einander zu, und ihre Augen riefen
-dasselbe Wort: Zu spät! -- als sie beide etwas erblickten, das ihren
-Gedanken eine andere Richtung gab.
-
-Und dieses etwas war Mynheer Jan van Schleeten, der berühmte
-Juwelenspezialist, der sich in einer Ecke des Zimmers auf dem Ellbogen
-von einer Chaiselongue aufrichtete und mit abwesenden Augen und offenem
-Munde um sich starrte. Neben ihm stand ein Werkzeugtisch und eine
-Mahagonikassette, die von glänzenden Edelsteinen überquoll. Und die
-ersten Worte, die Herr van Schleeten sagte, waren: „Sie! Wo ist sie?“
-
-Jetzt war Allan Herr der Situation. Mit zwei Schritten war er bei Herrn
-van Schleeten; er nahm ein durchtränktes Taschentuch von der Brust
-dieses Herrn und schwenkte es gegen den Obersten:
-
-„Sehen Sie, Oberst Morrel, was ein schwaches Weib vermag! Chloroform
-genug für ein Roß! Jetzt gilt es zu sehen, ob wir noch zurecht gekommen
-sind oder nicht. Herr van Schleeten, auf, helfen Sie uns, und denken
-Sie daran, daß Ihre Ehre und Ihr Name auf dem Spiele steht!“
-
-Der alte Holländer erhob sich von der Chaiselongue, wankend wie ein
-Schwertrunkener. Der Oberst war nach der Flucht des Verbrechers
-plötzlich in einen Zustand der Lethargie versunken und starrte ratlos
-um sich. Allan mußte das ganze in die Hand nehmen.
-
-„Wollen Sie dafür sorgen, daß wir etwas Kaffee heraufbekommen, Oberst
-Morrel!“ rief er. „Sie sehen, in welchem Zustande Herr van Schleeten
-sich befindet. Starker Kaffee, das ist das einzige, was ihn auf die
-Beine bringen kann.“
-
-Der Oberst murmelte einem Mann von der schwarzen Leibwache einige Worte
-zu, und dieser stürzte davon; eine Minute später goß Herr van Schleeten
-mit Allans Hilfe eine Tasse dampfenden schwarzen Kaffee hinunter. Das
-erste, was er dann tat, war, sich aufzurichten und Allan anzustarren.
-
-„Sie kenne ich,“ sagte er mit lallender Stimme. „Sie sind -- Sie sind
-ein Verbrecher.“
-
-„Mund halten, Kerl,“ schrie der Oberst, plötzlich aus seiner Betäubung
-erwachend. „Danken Sie Ihrem Schöpfer, daß dieser junge Mann gekommen
-ist! Sonst säßen Sie morgigen Tags hinter Schloß und Riegel.“
-
-Herr van Schleeten starrte ihn mit stumpfen Blicken an.
-
-„Aber ich sah ihn doch,“ murmelte er, „sah ihn doch auf einer
-Station -- wie hieß sie nur? -- ja -- K--köln -- und da wurde er
-arre--arretiert. Er hat n--nämlich --“
-
-„Trinken Sie Ihren Kaffee aus, und halten Sie den Mund!“ brüllte der
-Oberst. „Und dann zur Kassette, und sagen Sie uns, wieviel fehlt!“
-
-Es verging noch eine Weile, bis es Herrn van Schleeten gelang, diese
-drei Wünsche zu erfüllen. Die Untersuchung der Mahagonikassette nahm
-lange Zeit in Anspruch, eine Zeit, während der Allan unten war und
-einen verstörten Nachtportier an die Polizei telephonieren ließ. Aber
-als er wieder heraufkam, hatte er die Befriedigung, daß Oberst Morrel
-ihm entgegenstürmte; der Oberst packte seine beiden Hände, es schien
-nicht viel zu fehlen, und er hätte sie geküßt.
-
-„Die Fassungen sind zu groß und hinderlich gewesen, und sie hat es zu
-eilig gehabt!“ schrie er. „Es ist möglich, daß eins der Diademe fehlt,
-aber mehr nicht. Darauf schwört der verdammte Holländer. Ganz richtig,
-diese kleine listige Hexe von einer Abenteuerin hat ihn bestrickt, und
-ihr Streich wäre ihr gelungen, wenn nicht Sie --“
-
-Allan versuchte ihn mit schwedischer Bescheidenheit zu unterbrechen. Es
-dauerte noch lange, bis er diese Nacht ins Bett kam. Denn einerseits
-mußten alle von dem erschienenen Detektivinspektor Mr. Mc. Lowndes
-in aller Form verhört werden (nach welchem Verhör Herr van Schleeten
-die Heimfahrt in Gesellschaft eines Detektivs antreten durfte);
-andererseits wollte Oberst Morrel nicht zu Bett gehen, ohne seinen
-morgigen Katzenjammer durch eine Flasche Champagner mit Allan
-verschärft zu haben. Zu Ende dieser Flasche erklärte er ohne alle
-Einschränkungen, daß er seines Wissens noch nie einem Menschen begegnet
-war, auf dessen Stirn alle guten Eigenschaften sich ein so harmonisches
-Stelldichein gegeben hatten wie bei Allan.
-
- * *
- *
-
-Allan wurde am nächsten Morgen gegen zehn Uhr in seiner Morgentoilette
-dadurch unterbrochen, daß Mr. Bowlby höchst unzeremoniös die Türe zu
-seinem Zimmer aufriß. Was er zu verkünden hatte, war nichts Geringeres,
-als daß Yussuf Khan und der alte Ali am selben Morgen gegen halb sieben
-Uhr im Viktoria-Park im East End in vollkommen bewußtlosem Zustand
-aufgefunden worden waren, jeder mit der aufgeklebten Etikette versehen:
-Abzugeben Grand Hotel Hermitage.
-
-Allan hatte noch nicht zu Ende gefragt -- Mr. Bowlby wußte übrigens
-kaum mehr als die Tatsache, die er vom Direktor erfahren hatte -- und
-selbst noch nicht mehr erzählt als die Konturen der Ereignisse der
-Nacht, als eine neue Sensation über ihn hereinbrach. Noch immer von Mr.
-Bowlby begleitet, ging er in das Bankkontor des Hotels hinunter, um
-einige Pfund seines deponierten Geldes zu beheben.
-
-Der junge Mann hinter dem Schalter starrte ihn einen Augenblick
-an und fragte ihn dann mit halb erschrockenem, halb mißtrauischem
-Gesichtsausdruck, ob er denn vergessen habe, daß er erst vor einer
-Stunde dagewesen war und sein ganzes Guthaben an der Kasse behoben
-hatte.
-
-
-
-
-X
-
-Die Nachwirkungen einer tollen Nacht auf Fürsten und Poeten
-
-
-Allan starrte Mr. Bowlby an und Mr. Bowlby Allan. Dann gab er ein
-Expreßsignal von sich, das wie ein Schwert durch alle Stockwerke
-des Hotels ging und klang wie: Lebensgefahr, alle Bremsen anziehen,
-augenblicklich stoppen!
-
-„Schon wieder Mirzl! _By Jove!_“
-
-Endlich fand Allan die Stimme wieder und wendete sich an den Beamten.
-„Kann ich mit Ihrem Chef sprechen?“
-
-„Im Augenblick bin ich allein hier, Sir, aber wenn Sie es wünschen,
-kann ich den Hoteldirektor anrufen. Ich sehe ja, daß da etwas nicht
-klappt, obwohl ich es nicht verstehe.“
-
-„Danke, rufen Sie ihn sofort.“
-
-Drei Minuten später kam der Direktor in das Kontor gestürzt. Es war
-schon von weitem unverkennbar, daß er nicht in rosiger Laune war, und
-die Aeußerung, die er in der Türe Mr. Bowlby zuwarf, verriet sofort die
-Ursache.
-
-„Weiß Gott, warum ich Sie je gebeten habe, aus Ihrer Wohnung
-auszuziehen, Mr. Bowlby!“
-
-„Gibt es etwas neues?“
-
-„Neues! Nichts anderes, als daß ich diesen Morgen vier Dutzend
-Journalisten hinter mir her habe. Die Wiederauffindung des Maharadschas
-im East End in einem solchen Zustande war in zehn Minuten in Fleet
-Street verbreitet. Die dummen Polizisten, die ihn fanden, hatten
-natürlich nicht den Verstand, das Maul zu halten ... Und dazu ein Loch
-im Boden, das geflickt werden muß -- und eine Türe, vom Obersten ärger
-zugerichtet als der Birnbaum von George Washington. Ein Vergnügen,
-feine Gäste zu haben, was?“
-
-„Sie haben auch heute Morgen feine Gäste hier gehabt, ohne daß Sie es
-wissen,“ sagte Mr. Bowlby. „Hören Sie nur!“
-
-Und er erzählte, was Allan widerfahren war. Der Direktor starrte ihn
-an, wie ein Gespenst. Schließlich stammelte er:
-
-„Also ... was meinen Sie? Wer ist hier gewesen?“
-
-„Mirzl! Sie wissen doch, daß er meinem jungen Freunde die Hälfte
-seines Geldes abgenommen hat, als er sich das erstemal konterkarriert
-sah. Woher er weiß, daß der Rest hier deponiert wurde, kann ich nicht
-verstehen.“
-
-„Es ist vielleicht nicht so schwer zu erklären,“ sagte Allan. „Sie
-sagen (er wendete sich an den Bankbeamten), daß ich vor einer Stunde
-hier war und mein ganzes Guthaben behoben habe. Erzählen Sie, wie das
-zuging.“
-
-Der junge Bankbeamte warf einen scheuen Blick auf den Direktor und
-begann:
-
-„Es war eben, als ich öffnete. Da kam ein Herr herein, der Ihnen aufs
-Haar ähnlich sah, Sir, und wendete sich an mich: ‚Wieviel habe ich doch
-hier deponiert?‘ ‚Ihr Name, Sir,‘ sagte ich der Form wegen, denn ich
-erkannte Sie ja ganz gut, Sir. ‚Am besten, ich buchstabiere ihn Ihnen
-vor,‘ sagte er und lächelte. ‚Allan K--r--a--g--h. Schwer, den Namen
-auszusprechen.‘ ‚_All right_, Sir,‘ sagte ich und schlug im Buche
-nach. ‚Sie haben etwas über fünftausend schwedische Kronen deponiert --
-dreihundert englische Pfund.‘ ‚Es ist gut, ich nehme sie heraus,‘ sagte
-er, ‚geben Sie mir eine Quittung, dann werde ich unterzeichnen.‘ ‚Sie
-haben den Depotschein, den Sie seiner Zeit bekamen, nicht bei sich,
-Sir?‘ fragte ich. Er suchte in seinen Taschen. ‚Na aber! den muß ich in
-meinem anderen Anzug vergessen haben. Aber wenn ich einstweilen hier
-quittiere, kann ich ihn ja später bringen.‘ ‚_All right_, Sir,‘
-sagte ich, denn ich dachte ja mit keinem Gedanken daran, daß es jemand
-anderes sein könnte, als Mr. Kragh. Und die Schrift war ...“
-
-„Der Teufel soll das ganze holen!“ schrie der Direktor. „Ich
-werde schon bald ebenso verrückt, wie der Oberst. Journalisten,
-Einbruchsdiebe, andere Diebe, schwarze Regenten, die um sechs Uhr früh
-in öffentlichen Parks gefunden werden -- man kann ja toll werden! Von
-heute an müssen die Leute sich einem Polizeiverhör unterziehen, bevor
-sie die Nase zur Türe meines Hotels hereinstecken dürfen!“
-
-Mr. Bowlby fiel ihm ins Wort.
-
-„Sie sollten ein bißchen dankbarer gegen meinen jungen Freund aus
-Schweden sein,“ sagte er. „Er hat nun schon zweimal die Diebstähle
-beim Maharadscha verhindert ...“
-
-„Dann sollte er zum Teufel doch auch die Diebstähle bei sich selbst
-verhindern,“ rief der Direktor. „Dankbar! Gewiß bin ich dankbar.
-Wieviel hatten Sie doch in englischer Münze?“
-
-„Fünftausendvierhundert in schwedischer -- dreihundert englische
-Pfund,“ sagte Allan kurz. „Bitte, machen Sie sich keine Gedanken
-darüber, Herr Direktor. Aber ich muß um einen kleinen Aufschub bei der
-Rechnung bitten, nachdem Herr Mirzl meine ganze Reisekasse übernommen
-hat.“
-
-Der Direktor schüttelte ihm die Hand.
-
-„Aber, aber!“ rief er, „nehmen Sie es doch nicht übel. Mißverstehen
-Sie mich nicht. Natürlich ist das Hotel für deponiertes Geld
-verantwortlich. Aber die Umstände in diesem Falle sind solche, daß ich
-nicht auf eigene Hand entscheiden kann. Mißverstehen Sie mich nicht.
-Wenn Sie den Obersten drei Tage lang hinter sich her gehabt hätten,
-und heute morgen einen Schwarm von Journalisten, die Ihnen die Ohren
-vollschreien -- bei Gott, da kommt der Oberst. Was ist denn schon
-wieder geschehen? Was für ein Verbrechen ist denn jetzt im Hotel verübt
-worden?“
-
-Die Miene des Obersten war wirklich nicht so sonnig, daß der Direktor
-mit seinen Befürchtungen nicht recht haben konnte. Immerhin erwiesen
-sie sich als unbegründet.
-
-„Ich hörte, daß Sie hier sind, Direktor!“ rief er. „Warum um Himmels
-willen lassen Sie dieses verdammte Zeitungsschmiererpack nicht
-hinausschmeißen?! Sie setzen mir nach wie Hunde einem Fuchs. Ob
-es wahr ist, daß der Maharadscha so gut wie ermordet in einem Park
-aufgefunden wurde? Ob es wahr ist, daß man ein Attentat auf seine
-Juwelen und ein anderes auf ihn selbst verübt hat? Welche Ansicht der
-Maharadscha über London hat? Welche Ansicht ich über das eigentümliche
-Attentat auf ihn habe -- -- Gentlemen, schrie ich, ich habe die
-unmaßgebliche Ansicht, daß Sie ein Haufen gottverdammter Vampire sind,
-und wenn Sie sich nicht augenblicklich packen, werde ich versuchen,
-sie Ihnen mit meinem Sechsläufigen klarzumachen. Die Ansicht des
-Maharadscha über London ist, daß es eine entzückende Stadt sein würde,
-wenn die Londoner nicht wären, und um sie so wenig als möglich zu
-sehen, pflegt Se. Hoheit jeden Morgen in aller Frühe einen Spaziergang
-durch die Parks in East End zu machen, wo er heute von einer
-bedauerlichen Schwindelattacke befallen wurde, die Anlaß zu tausend
-idiotischen Gerüchten gab, die nur Leute glauben können, die dumm genug
-sind, Zeitungen zu lesen, die von noch größeren Idioten geschrieben
-werden als sie selbst; und wenn Sie mit diesem Bescheid nicht zufrieden
-sind, meine Herren, dann können Sie mir den Bu -- --“
-
-Die Stimme des Obersten kippte vor Gemütserregung um, ohne daß es
-seinen Zuhörern Schwierigkeiten bereitete, seinen elliptischen Satz zu
-ergänzen. Mr. Bowlby wischte sich die Augen und sagte:
-
-„Sie sollten Minister des Aeußeren sein, Herr Oberst, dann käme doch
-ein bißchen mehr Schwung in den diplomatischen Verkehr! Haben Sie
-Herrn van Schleeten heute schon gesehen?“
-
-„Schleeten! Ich habe mit den Tintenkulis genug zu tun gehabt. Er
-wird schon im Laufe des Tages kommen, und dann werde ich ihm meine
-Meinung sagen. Heute früh ist mir etwas eingefallen. Wer beweist mir,
-daß Schleeten nicht mit im Spiel war? Ich glaube, das Ganze war ein
-Komplott, und ich werde die Detektive davon verständigen.“
-
-„Aber Herr Oberst, einer der ältesten und angesehensten Juwe ...“
-
-„Der sich von einer verdammten kleinen Abenteuerin in Hosen düpieren
-läßt. Es +war+ ein Komplott. Da können Sie Gift darauf nehmen.“
-
-„Sie ging ja wohl nicht immer in Hosen herum, Herr Oberst. Und was
-sagen Sie zum Chloroform? Sie haben doch selbst gesehen, daß er betäubt
-dalag.“
-
-„Als ob das nicht gerade das Komplott beweisen würde! Hat man nicht
-schon tausendmal gehört, wie Leute falsche Einbrüche arrangieren!
-Das ist mir nur nicht früher eingefallen. Das werde ich sofort den
-Detektiven telephonieren! -- Guten Morgen, junger Freund! Wie steht es?“
-
-Er schien Allan erst jetzt zu bemerken.
-
-„Danke, Herr Oberst,“ sagte Allan. „Es geht mir so gut, als es einem
-gehen kann, wenn man eben um seine ganze Barschaft bestohlen worden
-ist.“
-
-„Ihre ganze Barschaft! Das ist sie und Schleeten!“
-
-„Ich bezweifle nicht, daß Herr van Schleeten ebenso bereit wäre, zu
-behaupten, daß ich und sie das Attentat heute nacht arrangiert haben.
-Nein, es war ein anderer ihrer Freunde, den sie in letzter Zeit auch
-kennen gelernt haben -- Herr Benjamin Mirzl.“
-
-Der Oberst lauschte mit weitaufgerissenen Augen Allans Erzählung,
-drehte seinen weißen Schnurrbart und sprach in einigen kernigen Worten
-seine Ansicht über Mrs. Langtrey und Herrn Mirzl aus:
-
-„Wielange werden diese Blindschleichen die Herrschaften noch frei
-herumlaufen lassen? Ich glaube wirklich, dieser Mirzl ist der
-leibhaftige Teufel!“
-
-Der Direktor unterbrach ihn.
-
-„Wie steht es mit Seiner Hoheit, Herr Oberst?“
-
-Die Stirne des Obersten umwölkte sich.
-
-„Er und das andere Prachtexemplar liegen noch todbesoffen da,“ sagte
-er. „Weiß Gott, was die Räuber ihnen eingetrichtert haben. Der Doktor
-und die Krankenschwestern plagen sich schon eine Stunde lang mit
-Massage, Injektionen und Elektrizität ab, sie stellen sie bald auf den
-Kopf, bald auf die Füße, ohne daß sie sich mucksen. Der Doktor glaubt,
-es wird Aether oder Morphium sein oder vielleicht beides.“
-
-„Ist es nicht eigentlich merkwürdig, daß die Verbrecher sie losgelassen
-haben, Herr Oberst?“ wagte Allan einzuwerfen. „Ohne den Versuch zu
-machen, etwas zu erpressen! Und gerade in derselben Nacht, in der ihr
-anderer Plan mißlungen ist!“
-
-„Das ist mir total schnuppe,“ sagte der Oberst behaglich. „Sobald sie
-nur wieder die Schnauze in die Luft strecken können, geht es nach
-Indien zurück, da lassen Sie nur mich dafür sorgen. Ich gehe zum
-Minister für Indien und erzähle ihm die ganze Sache privatim. Und
-dann kann sich Se. Hoheit meinetwegen grün und blau protestieren, aber
-es gibt keinen weiteren Europa-Séjour für ihn und keine Werbungen um
-schöne weiße Prinzessinnen.“
-
-Der Direktor des großen Hotels wendete die Augen mit einem Ausdruck der
-lebhaftesten Dankbarkeit himmelwärts und verabschiedete sich, nachdem
-er dem jungen Bankbeamten die Weisung gegeben, Allan auszuzahlen, was
-er momentan von ihm haben wollte. Allan wendete sich an den Obersten.
-
-„Kann man die Patienten sehen, Herr Oberst?“
-
-„Noch nicht, junger Freund. Jetzt muß ich selbst hinauf und sie ein
-wenig beaugapfeln. Wir treffen uns noch!“
-
-Er stürzte davon. Mr. Bowlby sah auf seine Uhr.
-
-„An der Zeit, etwas zu essen,“ sagte er. „Kommen Sie, wir wollen doch
-sehen, was Susan und Helen machen.“
-
-Sie fanden Mrs. Bowlby und Miß Helen im Salon der Familie Bowlby.
-Mrs. Bowlby trug eine purpurfarbene Toilette, die ihr eine frappante
-Aehnlichkeit mit einem brasilianischen Kakadu gab.
-
-„Nun endlich!“ rief sie. „Wo hast du dich so lange herumgetrieben,
-John? Ich und Helen, wir vergehen ja schon vor Neugierde. Was ist also
-geschehen? Ist es wahr, daß man das Untier halb tot von Ausschweifungen
-auf der Straße gefunden hat? Die Dienerschaft sagt es. Und den alten
-grauhaarigen Wüstling? So erzähle doch, John! Und der Dritte aus der
-sauberen Gesellschaft soll ja einen Anfall von Delirium gehabt haben,
-er hat die Leibwache niedergemetzelt und große Löcher in den Fußboden
-und die Wände gestoßen? So erzähle doch, John!“
-
-„Sobald du mich läßt, liebe Susan. Der Ma...“
-
-„Es ist also wahr, natürlich! Halbtot von Ausschweifungen! Helen, du
-solltest nicht zuhören, mein Kind, aber es kann ganz gut für dich sein,
-zu wissen, wie es die Männer treiben. Und der Oberst, John?“
-
-„Liebe Susan, lasse mich doch zuerst nur zwei Worte über den
-Maharadscha sagen.“
-
-„Natürlich, du willst ihn in Schutz nehmen!“
-
-„Der Maharadscha, geliebte Susan, wurde heute Morgen in einem Park in
-East End aufgefunden, betäubt ...“
-
-„Von Ausschweifungen!“
-
-„Betäubt mit Aether oder Morphium von der Bande, die ihn und den alten
-Hofdichter geraubt haben.“
-
-„Behaupten sie selbst, haha!“
-
-„Behaupten sie nicht selbst, da die Belebungsversuche des Arztes bis
-jetzt weder beim Maharadscha, noch bei dem alten Ali gelungen sind.“
-
-„Haha, John, du bist wirklich +zu+ naiv!“
-
-„_All right._ Aber du hast nach dem Obersten gefragt.“
-
-„Der gestern abend das Delirium hatte, das sagt die Dienerschaft. Ich
-+will+ ja zugeben, daß der arme Prinz nicht gerade von leuchtenden
-Beispielen umgeben war. Diese Gerechtigkeit muß man ihm widerfahren
-lassen. Wenn er von einem alten Wüstling seiner eigenen Religion in
-entsetzliche Lokale gelockt wird und sieht, wie sich ein weißhaariger
-Heuchler, der sich Christ nennt, bis zur Besinnungslosigkeit betrinkt,
-kann man ja verstehen, daß ein Mensch, von schwachem Charakter in
-Versuchung geraten kann. Und dann fehlt ihm doch auch die Stütze einer
-Frau.“
-
-„Er hat doch hundertfünfzig, liebe Susan.“
-
-„Solche nenne ich nicht Frauen, John, das weißt du.“
-
-„Aber du hast es doch bisher getan, liebe Susan.“
-
-„Weil ich die Ohren meiner kleinen Helen schonen wollte. Sie bekommt
-ohnehin genug zu hören, das arme Kind.“
-
-„Geniere dich meinethalben nicht, Mama, ich weiß sehr gut, was für ein
-Wort du anwenden wolltest.“
-
-„Helen!“
-
-„Liebe Mama, es steht doch im Shakespeare und in der Bibel.“
-
-Mrs. Bowlby wechselte das Gesprächsthema.
-
-„Wie ist es also mit dem Obersten, John? Ist er in eine Irrenanstalt
-gebracht worden?“
-
-„Noch nicht, liebe Susan. Wir trennten uns eben vor einem Augenblick.
-Er ging zu seinen Schützlingen hinauf. Er war ein bißchen erregt
-nach seinen Gesprächen mit dreißig oder vierzig Reportern. Sonst
-befand er sich ganz wohl. Und wenn du Mr. Cray so halbwegs in Frieden
-erzählen lassen willst, kannst du hören, wie das mit seinem Delirium
-zusammenhängt. Du glaubst doch Mr. Cray?“
-
-„Soviel ich nach zwanzigjähriger Ehe einem Mann glauben kann, John.“
-
-„Liebe Susan, sei mir nun nicht böse, weil ich dir deine Illusionen
-über den Maharadscha und die beiden anderen geraubt habe. Erzählen Sie,
-Mr. Cray!“
-
-Allan wiederholte seinen Bericht über das, was am vorhergehenden Abend
-passiert war. Mrs. Bowlby hörte halbwegs ruhig zu, bis er zu der Szene
-kam, die sich dem Obersten und ihm selbst im Arbeitszimmer Herrn van
-Schleetens geboten hatte. Da stieß sie einen Schrei aus, der der
-baseballspielenden amerikanischen Nation würdig war.
-
-„Der auch! Ein Schwindler! Der alte Roué! Jetzt sind die Juwelen also
-gestohlen?“
-
-„Noch nicht, Mrs. Bowlby. Der Oberst und ich kamen gerade in der
-letzten Sekunde, um es zu verhindern, und sicherlich hat die
-Säbelattacke des Obersten gegen die Türe den Dieb in die Flucht gejagt.“
-
-„Den Dieb? Sie meinen den Mitschuldigen!“
-
-„Sie sind derselben Ansicht wie der Oberst, wenn Sie das sagen, Mrs.
-Bowlby. Aber sie ist, mit Ihrer Erlaubnis gesagt, nicht richtig. Es war
-eine Schwindlerin, die Herrn van Schleeten düpiert hatte.“
-
-In Mrs. Bowlbys Gedankennetz trat ein Kurzschluß ein.
-
-„+Eine Schwindlerin!+ Sie haben doch gesagt, daß jemand in
-Männerkleidern mit ihm hinaufging?“
-
-„Ja, aber es war doch eine Schwindlerin, Mrs. Bowlby, verkleidet.“
-
-„In Hosen! Da würde ich doch lieber ... Helen, du siehst, wie Frauen
-werden können, wenn sie einmal anfangen. Tausendmal ärger als die
-Männer. Wer war es, Mr. Cray? Weiß man es? Eine Holländerin?“
-
-„Eine Amerikanerin, Mrs. Bowlby. Schöpfen Sie tief Atem, bevor ich
-Ihnen den Namen sage.“
-
-„Sie meinen doch nicht --“
-
-„Ja, allerdings: Mrs. Langtrey!“
-
-Es war offensichtlich, daß Mrs. Bowlby seiner Aufforderung in Bezug auf
-das Atmen nachgekommen war, denn der Ruf, den sie ausstieß, ging durch
-Mark und Bein.
-
-„Hatte ich also recht, Mr. Cray?!“
-
-„Es sieht so aus, Mrs. Bowlby.“
-
-„So etwas, dieser alte ausschweifende Schwindler läßt sich verlocken,
-von einem Frauenzimmer -- Helen, mein Kind, höre nicht zu was wir
-sprechen -- in Hosen!“
-
-„Er ist seiner Strafe nicht entgangen, Mrs. Bowlby. Sie hat ihn
-chloroformiert und würde alle Juwelen gestohlen haben, wenn wir nicht
-rechtzeitig gekommen wären. Nun gelang es ihr zu entkommen, aber
-die Juwelen mußte sie im Stiche lassen. Es war ihr Glück, daß dem
-Obersten die Hand zitterte. Er hat ihr sechs Schüsse durch das Fenster
-nachgeschickt. Aber ich muß gestehen, daß ich ihre Kaltblütigkeit
-bewundere, die Strickleiter anzuzünden!“
-
-„Sie sollen nie etwas bewundern, was unmoralisch ist, Mr. Cray. Und um
-die Juwelen ist sie also gekommen?“
-
-„Ja, und zum Dank dafür bin ich heute durch Herrn Mirzl von dem Rest
-meines Geldes befreit worden.“
-
-„_Now, demmit lively!_ Was sagen Sie?“
-
-Allan beschrieb, was im Bankkontor passiert war. Mrs. Bowlby hörte ihn
-mit weit aufgerissenen Augen an. Als er zu Ende war, atmete sie tief
-und sagte:
-
-„Ich muß gestehen, dieser Mirzl ... Nein, daß er Langtreys Frau in
-die Krallen geraten mußte! Ich bin überzeugt, sie hat ihn auf Abwege
-gebracht wie diesen alten Roué von einem Juwelier.“
-
-„Glauben Sie, sie hat ihn mit Chloroform betäubt, Mrs. Bowlby?“
-
-„Eine Frau braucht zu so etwas kein Chloroform. Ich muß sagen, daß ich
-diesen Mirzl auf jeden Fall beinahe bewundern muß.“
-
-„Sie sollen nie bewundern, was unmoralisch ...“
-
-„Keine vorlauten Bemerkungen, junger Mann. _Demmit._ Also jetzt
-haben Sie es das zweitemal verhindert! Glauben Sie, er wird sich damit
-zufrieden geben?“
-
-„Wahrscheinlich ist es nicht. Aber sobald der Maharadscha sich erholt
-hat -- die Schnauze in die Luft stecken kann, wie der Oberst sich so
-schön ausdrückte -- soll er wieder nach Indien zurückgebracht werden.
-Darauf schwor der Oberst. Und dann hat Mirzl keine Chancen mehr.“
-
-Nach dem Lunch unternahm Allan einen Ausflug in das erste Stockwerk.
-Aber die schwarze Leibwache versperrte ihm den Weg mit einem
-wiedererkennenden Zähneblecken. Vor die Türe, die der Oberst gesprengt
-hatte, hatte man eine Draperie gehängt. Allan suchte sich den schwarzen
-Kriegern verständlich zu machen, aber sie antworteten nur mit einem
-Wort, von dem Allan schließlich begriff, daß es +Oberst+ bedeute.
-Der Oberst hatte offenbar allen den Zutritt verboten.
-
-„Lassen Sie mich mit dem Oberst sprechen,“ sagte er.
-
-Sie schüttelten den Kopf und sagten irgend etwas Unverständliches, als
-sich im selben Augenblicke eine Türspalte öffnete und ein blasser Kopf
-im Turban sichtbar wurde. Es war der alte Ali.
-
-„Verehrungswürdiger Poet,“ rief Allan. „Lassen Sie mich hereinkommen
-und Ihnen die Hand drücken! Wie geht es Ihnen? Erinnern Sie sich meiner
-nicht aus dem Hause der Tausend Freuden, auch Feuerfresserklub genannt?“
-
-Der alte Hofdichter fuhr sich über die Stirne.
-
-„Das Haus der Tausend Freuden war ein vermummter Eingang zum Palast der
-Plagen,“ sagte er. „Es kommt mir nun vor, daß ich mich Ihrer erinnere,
-junger Mann. Von Ihnen hat man uns gesprochen! Sie waren es, dem es
-gelang, von diesen Söhnen Scheitans zu flüchten und es zu verhüten, daß
-die Juwelen meines Schülers gestohlen wurden.“
-
-„Es war meine Wenigkeit,“ sagte Allan.
-
-„Kommen Sie also herein, und seien Sie gesegnet! Nicht so sehr von
-mir -- denn was sind wohl Juwelen anderes als farbiger Kies? -- aber
-von meinem Schüler, dessen Herz in jugendlicher Torheit von den
-vielfarbigen Lichtnebeln dieser Welt erfüllt ist, von denen diese
-Steine ein Symbol sind. Beim Propheten, mein Kopf schmerzt. Seit
-Jamshyd König von Kaikobad war, hat es einen solchen Rausch nicht
-gegeben, der große Richter sei mir gnädig. Kommen Sie herein!“
-
-Allan passierte ein Spalier von Säbeln. Drinnen fand er den Mann, um
-den so viele Intrigen gesponnen waren, in derselben Stellung liegen,
-wie er ihn zuletzt im Feuerfresser-Klub gesehen, auf einem Diwan
-ausgestreckt, aber mit einem bedeutend matteren und weniger freudigem
-Lächeln als damals. In der halbgeöffneten Türe zu einem inneren Zimmer
-sah er eine Krankenpflegerin. Bei Allans Eintritt hob Yussuf Khan beide
-Hände zum Gruß.
-
-„Seid mehr als tausendmal gegrüßt!“ sagte er mit schwacher Stimme.
-„Verzeiht mir, daß ich mich nicht erhebe, edelster der Sahibs. Man hat
-es mir verboten. Sagt, was Ihr als Belohnung für das, was Ihr an mir
-getan, wünschet! Sprecht frei!“
-
-„Wir wollen ein andermal darüber reden,“ sagte Allan, „es ist mehr dem
-Zufall als mir zu verdanken, daß den Verbrechern ihr Anschlag mißlungen
-ist. Lassen Sie mich lieber hören, was für Abenteuer Ew. Hoheit und
-dieser verehrungswürdigste der Dichter, seit wir uns zuletzt sahen,
-erlebt haben.“
-
-Der alte Ali sank auf einen Stuhl, nachdem er Allan einen hingestellt
-hatte.
-
-„Setzen Sie sich,“ sagte er. „Ich bin, wie mein Schüler, ermattet von
-der Behandlung, der die Söhne Scheitans uns unterworfen haben. Nach
-dem, was mir Oberst Morrel Sahib sogleich, als ich hier wieder zum
-Leben erwachte, anvertraute, habe ich für immer meinen guten Namen und
-meinen Ruf verwirkt. Mit Recht sagt der göttliche Zeltmacher von sich
-selbst:
-
- Gurt, Kleid und Seele, alles, was mir teuer,
- Gab ich als Pfand dem Schenken-Ungeheuer.
- Nun denn, so bin ich frei von Furcht und Hoffen
- Und los von Erde, Wasser, Luft und Feuer.
-
-Dasselbe sagte Oberst Morrel Sahib von mir, nur nicht in so melodischer
-Sprache wie der göttliche Omar. Ich weiß kaum, was ich erlebt habe,
-junger Freund, und noch weniger, was mein Schüler erlebt hat. Von
-dem Augenblicke, wo ich ihn mit mildem, freundlichem Lächeln um die
-Lippen auf einem Diwan im Hause der Freuden ausgestreckt sah, habe ich
-ihn nicht wieder gesehen, bis ich heute die bleischweren Augenlider
-in diesem Zimmer aufschlug. Da war ich von weißgekleideten jungen
-Frauen umgeben, die mich rieben, so wie der Wucherer sein Gold reibt
-und beinahe noch eifriger. Außerdem befanden sich im Zimmer ein
-weißgekleideter Hakim (Arzt) und mein Schüler sowie Oberst Morrel
-Sahib, der mir sofort sagte, ich sollte geköpft und vor den Stadtmauern
-Nasirabads aufgehängt werden, als milde Strafe für meine Untaten, für
-die es in der Sprache der Sahibs gar keinen Ausdruck gibt.“
-
-„Wo ist Oberst Morrel jetzt?“ warf Allan ein. Er konnte sich die Suada
-des Obersten vorstellen.
-
-„Oberst Morrel Sahib ist ausgegangen, um mit dem Minister für Indien
-über wichtige Angelegenheiten zu sprechen, die er uns andeutete. Mein
-Schüler und ich, die wir unseren guten Namen und unseren guten Ruf in
-dieser Stadt verloren haben, die noch nie von ähnlichen Dingen gehört
-hat, sollen so still und verschwiegen als möglich wieder heimgebracht
-werden. Das will Oberst Morrel Sahib als eine Gnade vom Minister zu
-erwirken trachten, der beabsichtigt hat, uns ohne Turbans und mit
-geschorenen Köpfen fortzujagen.“
-
-„Aber erinnern Sie sich an nichts aus dem Feuerfresser-Klub bis heute?“
-rief Allan. „Das ist ja drei Tage her!“
-
-„Junger Freund,“ sagte der alte Hofdichter, „ich bin ein rechtgläubiger
-Anhänger des Propheten und habe stets getrachtet, mich unbefleckt
-von den Irrlehren zu erhalten, die an Nirwana und ähnliche Einfälle
-einer irregeleiteten Phantasie glauben. Aber wenn ich an den Zeitraum
-zurückdenke, den Sie eben erwähnt haben, fühle ich eine bedauerliche
-Neigung zu glauben, daß die Reden dieser Irrlehrer doch etwas für sich
-haben, so vollständig erloschen war mein Bewußtsein in dieser Zeit, von
-der Sie sagen, daß sie drei Tage währte. Und mein Schüler, den ich nach
-seinen Erfahrungen befragt habe, sagt für seine Person das gleiche aus.“
-
-„Das ist wahr,“ kam Yussuf Khans Stimme vom Sofa. „Was mein Lehrer
-sagt, ist wahr wie der Koran. Ich erinnere mich an nichts anderes,
-als an eine große Dunkelheit, in der ich auf einem unruhigen Meer zu
-treiben glaubte und von bösen Träumen gequält wurde. Plötzlich faßte
-jemand meine Seele, wie man einen Ertrinkenden faßt, und als ich den
-Kopf wieder über das schwarze Meer hob, befand ich mich in diesem
-Gemach, umgeben von weißgekleideten Krankenpflegerinnen und einem
-weißgekleideten Hakim. Die Verbrecher, die uns in das Haus der Freuden
-gelockt und dann entführt haben, konnten, dank Euch, meine Juwelen
-nicht stehlen, aber sie stahlen mir drei Tage meines Lebens.“
-
-„Mein Schüler spricht gut,“ sagte der alte Ali bewundernd. „Wenn
-ich ihm auch, wie Oberst Morrel Sahib versicherte, ein so schlechtes
-Vorbild gewesen bin, daß diese ganze Stadt darüber empört ist und
-mich in vier Teile zerstückelt sehen will, merke ich doch, daß es mir
-einigermaßen gelungen ist, seinen Sinn für Poesie und Beredsamkeit
-auszubilden. Allah -- dessen Name ewig gepriesen sei -- gebührt die
-Ehre dafür. Jetzt erinnere ich mich doch an etwas, das ich früher
-vergessen hatte. Während meine Seele von dieser Dunkelheit umschlossen
-dalag, wie von einem Gefängnis mit unendlich dicken Mauern, rieselte
-plötzlich ein kleiner Lichtschimmer durch die Mauer hinein. Wie in
-einem Traum, oder so wie man durch dichten Nebel sieht, entsinne ich
-mich, daß ich ausgestreckt auf einem Lager lag, ob entkleidet oder
-nicht, weiß ich nicht. Nicht weit von mir, auf einem anderen Lager
-dünkte es mir, daß mein Schüler sich befand. Gerade als ich diese
-Empfindung hatte, glaubte ich zu sehen, daß ein Mann, der über mich
-gebeugt dagestanden hatte, von meinem Lager zu dem meines Schülers ging
-und sich über ihn beugte, mit einem bösartigen Grinsen, wie es die
-Götzenbilder in den Tempeln der Ungläubigen auf ihrem Antlitz tragen.
-Und seltsamerweise glaubte ich dicht neben ihm eine Frau zu gewahren.
-Doch, was wäre daran seltsam? Wo böse Menschen ihren Versammlungsort
-haben, da ist auch das Haus voll Weiber, sagt das Sprichwort, und der
-Koran -- der allzeit gepriesen sei -- teilt diese Anschauung.“
-
-„Es ist um so wahrscheinlicher, daß Sie richtig gesehen haben,“ rief
-Allan, „als eine Frau in das gestrige Attentat verwickelt war.
-Vielleicht haben Se. Hoheit und Sie noch nicht davon gehört?“
-
-Yussuf Khan, der sich lebhaft auf dem Ellbogen aufgerichtet und seinen
-Lehrer während seiner Erzählung unverwandt angestarrt hatte, schüttelte
-den Kopf, und der alte Ali sagte:
-
-„Oberst Morrel Sahib nahm sich wenig Zeit zu anderem, als mir meinen
-Mangel an guten Eigenschaften vorzuhalten, und wie ich ihn sühnen
-könnte. Dann eilte er zum Minister, um einen Aufschub der Strafen zu
-erwirken, die dieser mir zugedacht hat. Oberst Morrel Sahib hat ein
-gutes Herz.“
-
-Ohne dem alten Hofdichter seine Auffassung von Oberst Morrels Maßnahmen
-zu rauben, erzählte Allan, was sich am vorhergehenden Abend zugetragen
-hatte. Die Libationen des Obersten hüllte er in einen Schleier, aber
-machte eine große Nummer aus seiner Attacke gegen die Türe. Die beiden
-anderen lauschten ihm wie einem Märchenerzähler im Basar. Allan hatte
-kaum zu Ende gesprochen, als im Korridor Schritte ertönten und die Türe
-aufgerissen wurde. Es war der Oberst selbst, in Gesellschaft Herrn van
-Schleetens. Der alte Ali erhob sich mit ängstlicher Miene von seinem
-Sitz.
-
-„Wie ist es abgelaufen, Oberst Morrel Sahib?“ fragte er. „Kann Se.
-Exzellenz der Minister uns verzeihen, oder sollen wir wie Pferdediebe
-aus der Stadt gejagt werden?“
-
-Oberst Morrel zögerte einen Augenblick mit der Antwort, während er
-den Maharadscha und den alten Hofdichter fixierte. Endlich sagte er
-mit derselben Langsamkeit wie ein Klassenvorstand, wenn er zu zwei
-schlechten Schülern spricht:
-
-„Ich habe ein sehr schweres Stück Arbeit gehabt. Ich fand Se.
-Exzellenz, den Minister für Indien, meinen hochgeschätzten Freund“
-(Allan erinnerte sich, diesen Herrn von Oberst Morrel anders titulieren
-gehört zu haben), „in äußerst erregter Verfassung. Die Ansichten, die
-er über das Vorgefallene aussprach, und die ich leider nicht ganz
-mißbilligen konnte, die Befürchtungen, die er davor hatte, was man
-Allerhöchsten Orts sagen und denken würde; die Kommentare, die leider
-in der Presse gemacht werden -- all dies hatte seine Gemütsstimmung
-derart beeinflußt, daß ich fürchten mußte, meine Aufgabe würde sich als
-unlösbar erweisen. Nur durch Aufgebot meiner ganzen Ueberredungskunst,
-nur durch wiederholte Berufung auf unsere alte Freundschaft und nur
-indem ich heilig und teuer versprach, daß die Abreise Ew. Hoheit
-augenblicklich erfolgen würde, gelang es mir, zu erwirken, daß Se.
-Exzellenz ihren Entschluß änderte. Ich kann also mitteilen, daß wir
-unbehelligt abreisen dürfen, wenn dies längstens übermorgen geschieht.
-Ein Dampfer nach Bombay geht an diesem Tage um drei Uhr ab.“
-
-Während der alte Ali mit einem tiefen Salaam seine Hand zu fassen
-suchte, wischte sich der Oberst die Stirne, ermattet von der
-Anstrengung seiner Rede, und fuhr in einem völlig veränderten Tone fort:
-
-„Jetzt habe ich für Ew. Hoheit getan, was ich konnte. Nun ist es Ew.
-Hoheit Sache, mit diesem Herrn zu tun, was Sie für angemessen finden.
-Es hängt von Ihnen ab, was mit ihm geschehen soll.“
-
-Der Maharadscha, der nach der Rede des Obersten in die Hände geklatscht
-hatte und eigentümlicherweise gar nicht enttäuscht darüber schien,
-Europa so rasch verlassen und alle Träume von weißen Prinzessinnen
-aufgeben zu müssen, wendete sich an Herrn van Schleeten.
-
-„Das ist ja der Juwelenkünstler,“ rief er, „wie weit ist die Arbeit an
-meinen Steinen gediehen?“
-
-„Ich ... ich habe die Arbeit vorgestern begonnen,“ stammelte Herr van
-Schleeten, „mit Erlaubnis des Herrn Obersten ...“
-
-„Mit meiner Erlaubnis, an den Juwelen zu arbeiten,“ schrie der Oberst,
-„aber nicht Frauenzimmer heraufzuschleppen, die Sie betäuben und jene
-stehlen.“
-
-„Ich ... ich sah mich gestern in die Notwendigkeit versetzt, einen
-Mitarbeiter heranzuziehen, um ... um die Arbeit so rasch als möglich zu
-Ende zu führen ... so rasch als möglich ... wie Ew. Hoheit wünschten.
-Leider fiel meine Wahl auf eine ungeeignete Persönlichkeit, die ...“
-
-„Auf ein Dämchen, in das Sie verliebt waren, das Sie mit Chloroform
-betäubte wie in einer Klinik und alles in Bausch und Bogen gestohlen
-hätte, wenn nicht der Zufall und dieser junge Herr dazwischengekommen
-wäre! Heraus mit der Sprache!“ rief der Oberst. „Bedenken Sie, daß
-niemand weiß, wieviel Sie von ihr wußten!“
-
-Herr van Schleeten warf einen wütenden Blick auf Allan, getreu dem
-Prinzip, sich über andere zu ärgern, wenn man sich selbst zürnen sollte.
-
-„Es ist ja möglich, daß die Sache sich so verhält, wie der Herr Oberst
-sagt,“ murmelte er, „aber diesen jungen Herrn habe ich auf jeden Fall
-vor knapp einer Woche auf einem Bahnhof in Deutschland verhaften sehen.
-Wer weiß, was er ...“
-
-„Sie sollten sich schämen,“ rief der Oberst, „nun schon zum zweiten
-Male mit solchem verdammten Gerede zu kommen. Sie wissen, daß es nur
-Gerede ist. Versuchen Sie nicht zu leugnen!“
-
-„Es ist leider kein Gerede, Herr Oberst,“ sagte Allan und berichtete in
-wenigen Worten, was er im Expreß erlebt hatte.
-
-„Ich fiel Herrn Mirzls List zum Opfer. Aber was Herr van Schleeten
-nicht unerwähnt lassen sollte, ist, daß er bei dieser Gelegenheit die
-Bekanntschaft der Dame von gestern Abend machte. Ich war selbst Zeuge
-davon. Und daß diese Bekanntschaft in ihrem Plane lag, von Mirzl gar
-nicht zu sprechen, ist wohl recht sicher. In der einen oder anderen
-Weise haben sie Wind bekommen, welchen Auftrag Herr van Schleeten in
-London hatte, und waren entschlossen, alle Möglichkeiten wahrzunehmen.
-Herr van Schleeten ging in die Falle, begreiflicherweise, denn die
-betreffende Dame spielt ihre Karten geschickt aus und ist ungewöhnlich
-schön.“
-
-„Hat sie blaue Augen,“ fragte der Maharadscha „und blondes Haar? Ah,
-daß ich sobald nach Indien zurückreisen muß!“ (Oberst Morrel fuhr von
-seinem Sessel in die Höhe und starrte ihn an.) „Nein, Oberst Morrel
-Sahib, ich reise, beglückt über die Gnade Sr. Exzellenz des Ministers.
-Aber ...“
-
-„Und was sagen Ew. Hoheit zu der Affäre mit Herrn van Schleeten?“ sagte
-der Oberst wieder beruhigt. „Hoheit wissen, daß man gestern abend eine
-Anzahl Juwelen gestohlen hat.“
-
-„Ach, ein paar Juwelen mehr oder weniger!“ sagte Yussuf Khan mit einem
-müden, mißmutigen Kopfschütteln. „Ich kam nach Europa, um mein Herz an
-eine weiße Frau zu verlieren, wie die Sahibs es tun, und alles, was ich
-verloren habe, ist mein guter Name und ein paar Juwelen.“
-
-„Mein Schüler spricht schön,“ sagte der alte Ali befriedigt. „Der
-Aufenthalt in dieser Stadt hat ihm in dieser Beziehung merklich gut
-getan.“
-
-„Nun, und Herr van Schleeten?“ beharrte der Oberst, der den Holländer
-ungerne dem Schandpfahl entgehen sah.
-
-„Ich sage ja,“ sagte Yussuf Khan, „daß ich diesen Juwelenkünstler
-beneide, dem es gelungen ist, sein Herz an eine Frau zu verlieren. Ich
-habe hundertfünfzig Frauen in meinem Palast, schön wie Gazellen und
-zärtlich wie Turteltauben im Lenzmonat, und noch hat keine von ihnen
-mich für mehr als eine Stunde bezaubert. Seinen Namen und seinen Ruf
-für eine Frau zu wagen wie dieser Mann -- das muß wunderbar sein. Der
-Juwelenkünstler hat meine Vergebung und meinen Neid.“
-
-„Wahrlich,“ sagte der alte Ali, „mein Schüler spricht immer besser und
-besser! Die Lehren, die ich ihm eingepflanzt habe, tragen späte, aber
-schöne Früchte. Es muß der Aufenthalt in dieser Stadt sein, der sie
-zur Reife gebracht hat.“
-
-Herr van Schleeten, dessen bordeauxfarbene Nase sich bei Yussuf Khans
-Rede, die er als Hohn auffaßte, zornig gerümpft hatte, richtete
-sich nach seinen letzten Worten erleichtert auf. Er begann etwas zu
-stammeln, aber Yussuf Khan schnitt seine Danksagungen ab, indem er zum
-Obersten sagte:
-
-„Nun liegen mir noch zwei Sachen am Herzen, Oberst Morrel Sahib,
-erstens, daß eine angemessene Belohnung diesem jungen Mann überreicht
-wird, der nun zweimal den listigen Verbrechern zuvorgekommen ist. Wollt
-Ihr dies besorgen, da ich der europäischen Gebräuche ungewohnt bin?“
-
-Allan wollte protestieren, aber der Oberst schnitt ihm das Wort ab.
-
-„Eine Weigerung würde den Maharadscha zwecklos verletzen,“ sagte er.
-„Was meinen Ew. Hoheit zu einigen der Juwelen, die der junge Mann
-gerettet hat? Und was sagen Sie selbst, junger Freund?“
-
-Allan murmelte etwas, und Yussuf Khan klatschte in die Hände.
-
-„Ausgezeichnet! Ausgezeichnet!“ rief er. „Man bringe die Juwelen
-herein.“
-
-Eine Minute später durfte Allan zum erstenmal die Juwelen in ihrem
-vollen Glanze schauen, die er mitgeholfen hatte, ihrem rechten Besitzer
-zu bewahren. Es wäre zu wenig gesagt, daß sie ihm den Atem benahmen.
-Etwas Aehnliches hatte er nie gesehen, ja nicht einmal geträumt. Es
-war das Morgenland, das ihm aus den Fassetten dieser tausend Steine
-entgegenstrahlte, wie durch ein vielfarbiges Fenster. Als er sich
-halbwegs erholt hatte, wählte er befangen ein paar einzelne Edelsteine
-aus, aber der Maharadscha, in den beim Anblick der Juwelen neues
-Leben gekommen zu sein schien, nahm ein Diamantenhalsband mit einem
-blutroten Rubin in der Mitte, in einer Goldkettenfassung, die vom Alter
-verblichen war, und reichte es Allan.
-
-„Nehmt dies,“ sagte er, „wenn Ihr wollt. Es ist ein unwürdiger Beweis
-meiner Dankbarkeit.“
-
-„Es gehörte einmal,“ schaltete der alte Ali ein, „Mahmud, Sultan von
-Naishapur, an dessen Hof der göttliche Zeltmacher lebte. Vielleicht
-hat er es am Halse einer der Favoritinnen des Sultans bewundert und
-vielleicht besang er dieses Diadem mit den Worten ...“
-
-„Ja, ja! Vortrefflich!“ sagte der Oberst. „Und die andere Sache, die
-Ew. Hoheit wünschten?“
-
-Es war klar, daß der Oberst die Poesie des göttlichen Zeltmachers
-nicht im gleichen Grade liebte wie der alte Ali, und auch, daß er in
-glänzender Laune war, nun er die Abreise gesichert sah. Yussuf Khan
-erwiderte:
-
-„Die andere Sache war, daß ich gerne mit dem Mann sprechen möchte, der
-diese Karawanserei innehat ... wenn er kommt, werde ich schon erklären,
-warum. Wollt Ihr ihn rufen lassen, Oberst Morrel Sahib?“
-
-Mit wieder unruhigem Gesichtsausdruck klingelte der Oberst; ein paar
-Minuten später erschien der Direktor des großen Hotels, von einem
-Angestellten gerufen. Er begann den Maharadscha zu seiner Genesung zu
-beglückwünschen. Der Oberst unterbrach ihn:
-
-„Se. Hoheit mit Gefolge reist übermorgen, Herr Direktor!“
-
-Der Direktor schlug einen dankbaren Blick zur Höhe auf, während er sich
-verbeugte.
-
-„Nicht so eilig, Oberst Morrel Sahib!“ sagte Yussuf Khan. Der Direktor
-blieb erschrocken in seiner Verbeugung stecken. „Nicht so eilig! Wir
-reisen übermorgen, Dank der Gnade Sr. Exzellenz des Ministers, aber
-vorher wünsche ich noch etwas.“
-
-Er wendete sich an den Direktor:
-
-„Zweifelsohne habt Ihr einen Saal, wo Festlichkeiten abgehalten werden?
-Einen Saal mit Raum für viele, so wie ich ihn in dem Hause der Freuden
-sah?“
-
-Der Direktor bejahte es.
-
-„Gut. Hört also meinen Willen. Dieser Saal soll für morgen abend zu
-einem Feste bereitet werden, und alles soll dem, was wir in Indien
-haben, so ähnlich als möglich sein. Da ich nicht mehr von dem Lande der
-Sahibs sehen kann, will ich den Sahibs mein eigenes Land zeigen. Darum
-ist es mein Wille, daß alles dem, was wir in meinem Lande haben, so
-ähnlich als möglich sein soll.“
-
-Der Direktor verbeugte sich tief.
-
-„Zu diesem Feste,“ fuhr Yussuf Khan fort, „das so festlich sein soll
-wie die Vermählung eines Maharadschas, ist es mein Wille, daß alle
-jene eingeladen werden, die in der Zeit, die ich hier war, unangenehme
-Erlebnisse gehabt haben.“
-
-Er machte eine Geste, die sämtliche Anwesende umfaßte; Allan murmelte
-dem Obersten zu:
-
-„Dann müßten Bowlbys mit dabei sein.“
-
-„Was sagte der junge Mann?“ fragte Yussuf Khan.
-
-„Er meinte, daß eine amerikanische Familie, aus deren Wohnung das erste
-Attentat unternommen wurde, eingeladen werden sollte,“ sagte der Oberst.
-
-„Sie soll eingeladen werden,“ sagte Yussuf Khan ohne Zögern. „Und
-dieser Mann, dem die Karawanserei gehört?“
-
-Der Direktor erklärte mit einer Verbeugung, daß es ihm erstens
-unmöglich sei, in seinem eigenen Hotel zu Gast zu sein, daß er sich
-zweitens undenkbar zu der Kategorie von Personen rechnen könne, die
-durch die Anwesenheit Sr. Hoheit Unannehmlichkeiten gehabt hatten. Die
-Anwesenheit Sr. Hoheit im Hotel habe im Gegenteil ...
-
-Yussuf Khan unterbrach ihn mit einer Handbewegung. Der Oberst warf
-knurrig ein:
-
-„Und Herr van Schleeten?“
-
-„Natürlich auch der Juwelenkünstler,“ sagte Yussuf Khan. „Von allen
-beneidet soll der Mann an der festlichen Tafel sitzen, der sein Herz an
-eine Frau verlieren konnte.“
-
-Herr van Schleeten verbeugte sich, ohne daß besondere Freude über
-die Rolle, die ihm bei der Festtafel zugedacht war, sich auf seiner
-bordeauxfarbenen Nase spiegelte. Der alte Ali rief hingegen:
-
-„Mein Schüler spricht immer besser und poetischer! Der Aufenthalt in
-dieser Stadt, die wir Dank Oberst Morrel Sahib mit unversehrtem Turban
-und ungeschorenem Kopfe verlassen dürfen; hat ihm in dieser Beziehung
-wunderbar gut getan.“
-
-
-
-
-XI
-
-Das vielleicht seine Aufgabe erfüllt, den Leser zu verwirren
-
-
-In der Ziegelwüste des nordwestlichen Londons liegt, nicht weit von
-Maida Vale, ein Ziegelkanon Chesterton Mansions genannt. Tatsächlich
-erinnert er mit seinen steilen hohen Ziegelmauern an nichts so sehr wie
-an die berühmten Schluchten, die sich die Flüsse im Westen Amerikas
-gegraben haben. Warum er die Bezeichnung Mansions führt, ist unbekannt;
-im allgemeinen pflegt dieses Wort anzudeuten, daß eine Straße mit
-Bäumen bepflanzt ist; aber wenn das bei Chesterton Mansions einstmals
-der Fall war, so ist jetzt nur mehr der Name als einziges Rudiment
-übrig. Die siebenstöckigen Häuser der Straße sind in Mietwohnungen
-geteilt, zwei in jedem Stockwerk, so wie man es bei uns zulande kennt,
-aber wie es in England etwas relativ Neues ist. Da der Ruf der Straße
-nicht der beste ist, stehen oft eine Menge Wohnungen leer. In jenem
-September, in dem die Ereignisse dieses Buches sich abspielten, stand
-beispielsweise das Haus Nr. 48, das die Mietwohnungen Nr. 659-672
-enthält, noch am 11. September leer. Am 12. fand sich jedoch ein Herr
-beim Hausverwalter ein, stellte sich als Baron de Citrac vor und
-wünschte eine so ungestörte Wohnung als möglich zu mieten. Er sei
-wissenschaftlicher Arbeiten wegen nach London gekommen und bringe seine
-Frau mit, für die er am liebsten eine separate Wohnung gegenüber seiner
-eigenen haben wolle. Der Häuserverwalter Mr. Markham, beeilte sich,
-ihm das Haus Nr. 48 zu zeigen. Der Baron entschied sich sofort für
-die Wohnungen Nr. 661-662 im ersten Stock, bezahlte im vorhinein und
-bat den Verwalter, ein einfaches, aber solides Ameublement für beide
-Wohnungen zu beschaffen. Er drückte seine Anerkennung für Mr. Markhams
-Entgegenkommen durch eine Fünfpfundnote aus, die Mr. Markham zu seinem
-Sklaven machte, und nahm dann Abschied.
-
-Montag, den 15., zog er ein. Der Verwalter war selbst zugegen, und
-fand Gelegenheit, seine Meinung über den neuen Mieter in einem Punkte
-zu ändern. Die Reden des Barons von wissenschaftlichen Arbeiten
-hatte er nur als einen durchsichtigen Vorwand für etwas ganz anderes
-aufgefaßt, worin die Franzosen eine traurige Berühmtheit besitzen und
-dem auch Chesterton Mansions nicht fremd war: eine Eskapade mit einer
-nicht offiziellen Baronin. Er gab den Glauben daran auf, als er die
-Baronin de Citrac erblickte; denn gewiß war sie schön und pikant, mit
-grauen Augen und rotblondem Haar, aber dabei sah sie so vornehm aus,
-daß der Verwalter die ganze Zeit, die sie da war, mit dem Hute in der
-Hand dastand. Der Baron, der zwei Diener mit hatte, drückte seine
-Zufriedenheit mit der Möblierung der Wohnungen aus und verabschiedete
-den Verwalter.
-
-Es dauerte bis zum 16., bevor dieser den neuen Mieter wiedersah, denn
-er wohnte selbst in einer Quergasse; aber als dies geschah, war es
-unter Umständen, die ihn aufs neue an dem Ernst von Herrn de Citracs
-wissenschaftlichen Studien zweifeln ließen. Mr. Markham war am Abend
-des 15. Septembers in einer Gesellschaft gewesen, die sich bedenklich
-in die Länge gezogen hatte; ein Freund von ihm, der Junggeselle war
-und ein Geschäft in einer Quergasse von Chesterton Mansions hatte,
-hatte ihn zu einer Geburtstagsfeier eingeladen. Diese hatte im „Roten
-Löwen“ in Maida Vale begonnen und war nach Schließung dieses populären
-Lokales in der Junggesellenwohnung des Freundes fortgesetzt worden.
-Die Haupterfrischung war irländischer Whisky gewesen, und Mr. Markham
-war sich des Einflusses dieses Getränkes auf die Balancierfähigkeit
-ganz bewußt, als er gegen halb vier Uhr morgens heimwanderte. Er nahm
-den Weg durch Chesterton Mansions aus dem Grunde, weil diese Straße
-eine unerklärliche Anziehung auf seine Beine auszuüben schien, doch
-ohne daß diese irgendwelche Parteilichkeit für eine bestimmte Seite
-derselben zeigten; und er hatte sich eben an einem Laternenpfahl auf
-dem linken Trottoir verankert, als die Nachtruhe von etwas anderem als
-dem Trommelwirbel, den seine Stöckel auf dem Pflaster vollführten,
-unterbrochen wurde. Ein Auto kam nach Chesterton Mansions gesaust und
-hielt vor dem Hause gegenüber von Mr. Markhams Laternenpfahl. Mr.
-Markhams irrender Blick hatte soeben konstatiert, daß es das Haus Nr.
-48 war. Jetzt sah er zwei Herren mit aufgestellten Rockkragen aus dem
-Auto steigen und mit großer Anstrengung zwei andere herausheben,
-die in beträchtlich schlimmerer Verfassung schienen als Mr. Markham
-selbst. Sie konnten faktisch nicht auf den Beinen stehen. Mr. Markham
-glaubte zu sehen, daß sie in irgendein exzentrisches Kostüm gekleidet
-waren. Der Kontrast zwischen den Evolutionen der vier Herren und seiner
-eigenen sicheren Position am Laternenpfahl erfüllte ihn mit einer
-Befriedigung, die in einem herzlichen Lachen Ausdruck fand.
-
-„Mi--mir scheint, die haben g--genug,“ sagte Mr. Markham.
-
-Die Laterne, unter der Mr. Markham stand, war ausgelöscht, und Mr.
-Markham erregte daher nicht die Aufmerksamkeit der vier Herren.
-Jetzt sprang der Chauffeur ab und übernahm den einen der beiden
-übererfrischten Herren, während einer der Herren, die zuerst
-ausgestiegen waren, das Haustor von Nr. 48 öffnete. Der Mann, den der
-Chauffeur stützte, fiel seinem Helfer in die Arme, und verlor dabei
-einen weißen Turban, der auf das Trottoir rollte.
-
-„Der ist wohl auf einem Ma--maskenball gewesen,“ sagte Mr. Markham.
-„Mir scheint, der hat genug. Und jetzt trei--treiben sie es, scheint
-mir, noch weiter!“
-
-Jetzt öffnete sich die Haustüre, und ein mühsamer Transport begann,
-dem Mr. Markham unter großer Heiterkeit zusah. Schließlich kehrte der
-Chauffeur allein zurück, schloß das Tor und fuhr im Auto fort, ohne Mr.
-Markham gesehen zu haben.
-
-„De--der wird sich auch ein schönes Trinkgeld verdient haben,“ murmelte
-Mr. Markham mit einem verständnisvollen Lächeln und löste sich von dem
-Laternenpfahl los. Er erreichte die nächste Straßenecke, wo er sich
-wieder verankerte, um einem Gedanken Luft zu machen, der sich in seinem
-Innern emporgearbeitet hatte.
-
-„Nummer ach--achtundvierzig, hol mich der und jener!“ brummte Mr.
-Markham. „Die Wohnung des B--barons. Die einzige, die vermietet
-ist! Wissenschaftliche Arbeiten, hahaha! Go--gott helfe mir,
-wissenschaftliche Arbeiten!“
-
-Er gewann diesem Gedanken alle Ergötzlichkeit ab, die er bot, bevor
-er den Laternenpfahl wieder losließ und seinen unsicheren Heimweg
-fortsetzte.
-
-Mr. Markhams Gedächtnis war von jener beneidenswerten Sorte, die auch
-an einem Morgen nach irländischem Whisky funktioniert. Er erinnerte
-sich folglich am nächsten Morgen an die vier Herren, die er in das Haus
-Nr. 48 gehen gesehen hatte; und in der Morgenbeleuchtung erschien ihm
-dieser Vorfall nicht ganz so ausschließlich humoristisch wie in der
-Nacht. Nur der Chauffeur war wieder aus dem Hause herausgekommen; waren
-also die drei Herren die Nacht über beim Baron geblieben? Dann hatten
-sie sicherlich Lärm gemacht und die Nachtruhe der Nachbarn gestört. Mr.
-Markham machte einen Vormittagsbesuch in Nr. 46, um sich beim Nachbar
-des Barons darnach zu erkundigen.
-
-Dieser war ein jüdischer Geldverleiher, der immer mit der Sonne
-aufstand, um soviel als möglich aus seinem fragwürdigen Beruf
-herauszuschlagen. An diesem Morgen war er schon seit halb sechs Uhr
-auf, wie er Mr. Markham erklärte, aber durchaus nicht infolge von Lärm
-im Nebenhause. Er hatte im Gegenteil kaum einen Laut von dort gehört;
-aber gegen sechs Uhr hatte er einen Herrn mit aufgestelltem Rockkragen
-Nr. 48 verlassen und die Sutherland Avenue hinuntergehen sehen.
-
-„Einen?“ fragte Mr. Markham, „nur einen, Herr Streptowitz?“
-
-„Nur einen,“ bestätigte Herr Streptowitz mit dem melancholischen
-Tonfall, den seine Stimme bei der Erwähnung so geringfügiger Zahlen
-annahm.
-
-„Nur einer!“ wiederholte Mr. Markham. „Aber ich sah doch vier
-hineingehen, und da müßten wohl drei wieder herausgekommen sein, wenn
-der eine der vier der Baron war!“
-
-„Die andern zwei Herren sind wohl vorangegangen,“ sagte Mr.
-Streptowitz, so melancholisch, als wollte er andeuten, daß die beiden
-Herren in eine andere Welt gegangen seien.
-
-Mr. Markham gab zu, daß dies wahrscheinlich sei, und verabschiedete
-sich.
-
-Am selben Nachmittag sah er den Baron und die Baronin. Sie standen im
-Stiegenhaus vor der offenen Türe ihrer Wohnung und sprachen eifrig mit
-gesenkter Stimme. Mr. Markham, der die Treppen hinaufkam, um die leeren
-Wohnungen zu besichtigen und seiner Gewohnheit gemäß in Gummischuhen
-ging, kam in Hörweite, ohne daß sie ihn bemerkten. Er fing einige Worte
-des Barons auf:
-
-„Der verdammte schwedische Schlingel! Diese Nacht gehörte ihm, aber
-übermorgen gedenke ich durch dich Revanche zu nehmen ...“ Er erblickte
-Mr. Markham und verstummte plötzlich.
-
-Mr. Markham, der innerlich zu der Schlußfolgerung gelangt war, daß der
-eine der Teilnehmer an der Orgie der Nacht -- vermutlich der Herr mit
-dem Turban -- ein Schwede war und offenbar seinen Gastgebern lästig
-geworden war, lächelte dem Baron diskret zu, während er grüßte. Er
-wollte eben eine feine Anspielung machen, um zu zeigen, daß er von den
-wissenschaftlichen Studien seines Mieters wußte, was er wußte, aber sah
-aus Respekt vor der Baronin davon ab.
-
-Es dauerte bis Freitag, den 19. September, ehe er Anlaß hatte, wieder
-an die Herrschaften in Nr. 48 zu denken. Früh am Vormittag dieses Tages
-ging er an Mr. Streptowitz’ Wohnung vorbei. Dieser Herr stand in der
-Türe und rauchte in Hemdärmeln eine Pfeife. Als er Mr. Markham sah,
-nahm er die Pfeife aus dem Mund und winkte ihm.
-
-„Jetzt sind die aus Nr. 48 abgereist,“ sagte er mit betrübter Stimme.
-
-„Abgereist? Der Baron ist abgereist?“ stammelte Mr. Markham.
-
-„Das weiß ich nicht, aber die zwei Herren, von denen Sie dieser Tage
-sagten, daß sie Ihnen fehlten.“
-
-„Was meinen Sie, Mr. Streptowitz?“
-
-„Die zwei Herren, die dieser Tage fehlten. Sie sagten doch, Sie hätten
-drei fremde Herren hineingehen sehen, und ich sah nur einen wieder
-fortgehen. Heute morgens um halb fünf Uhr, als ich mich ankleidete, sah
-ich sie in einem Auto in Gesellschaft eines anderen Herrn fortfahren.
-Sie sahen aus wie Inder und wie schwer betrunken. Es war noch kaum
-taghell. Ich stehe am Freitag immer so früh auf, weil die Leute für den
-Sabbath Geld brauchen.“
-
-„Inder und bis jetzt da!“ rief Mr. Markham, „und um halb fünf Uhr früh
-schwer betrunken! Das ist ja unanständig, Mr. Streptowitz.“
-
-„Das ist es auch,“ gab Mr. Streptowitz mit einem etwas freudigerem
-Tonfall zu. „Um fünf Uhr soll man aufstehen und arbeiten, und nicht
-betrunken sein. Was macht denn der Baron auf Nr. 48?“
-
-„Er studiert!“ rief Mr. Markham mit einem schrillen Lachen. „Studiert
-die Wissenschaften, Streptowitz! Gott helfe mir, die Wissenschaften!“
-
-„Das ist traurig,“ sagte Mr. Streptowitz, „sehr traurig. Sie werden
-schon sehen, bei dem kommt noch etwas Merkwürdiges heraus, Mr. Markham.“
-
-Mr. Markham, der sich an seine Fünfpfundnote erinnerte, erklärte
-energisch, seine Mieter stünden hoch über jedem Verdacht.
-
-Am selben Tage etwas später führte ihn sein Weg zum Baron. Chesterton
-Mansions war bis jetzt nur mit Gas versehen gewesen; nun war die
-Rede davon, Elektrizität einzuführen, wenn die Mieter sich dafür
-aussprachen. Mr. Markham klingelte beim Baron an, um sich zu
-erkundigen. In der Wohnung reagierte niemand darauf. Mr. Markham
-klingelte bei der Baronin an. Zu seinem Staunen kam sie selbst und
-öffnete. Sie machte nur einen kleinen Spalt der Türe auf, um zu sehen,
-wer da war. Sie sah etwas übernächtig aus, ihre grauen Augen waren
-nicht so ruhig und kalt wie sonst, und Mr. Markham bemerkte, daß sie
-Ringe unter denselben hatte. Mr. Markham brachte sein Anliegen vor und
-sagte, daß er schon an der Wohnung ihres Mannes geklingelt habe.
-
-„Mein Mann ist ausgegangen,“ sagte sie kurz, aber verbesserte sich
-sofort: „verreist, meine ich. Nach Oxford, seiner Arbeit wegen.“
-
-Mr. Markham, der sich an Mr. Streptowitz’ Erzählung von den drei Herren
-erinnerte, die am Morgen abgereist waren, starrte sie an und machte
-seiner Neugierde Luft.
-
-„Hat der Baron Besuch gehabt?“ fragte er.
-
-Sie zog die Augenbrauen zusammen.
-
-„Was meinen Sie?“
-
-„Jemand hat heute morgens zu sehr früher Stunde drei Herren abreisen
-sehen,“ stammelte Mr. Markham.
-
-Die Baronin sah ihm fest in die Augen.
-
-„Der Baron ist heute früh mit seinen zwei Dienern abgereist,“ sagte
-sie kurz. „Ich bin bis morgen allein in der Wohnung, aber seien Sie
-so gut und lassen Sie das nicht bekannt werden. Eine Dame allein kann
-Unannehmlichkeiten haben.“
-
-„Und die Elektrizität?“ murmelte Mr. Markham mit einer demütigen
-Verbeugung.
-
-„Hat Zeit, bis der Baron in ein oder zwei Tagen wiederkommt. Guten
-Abend.“
-
-Sie schloß die Türe artig, aber bestimmt Mr. Markham vor der Nase zu.
-Dieser blieb stehen und starrte die Türe an, und plötzlich zuckte er
-zusammen. Er hätte es nicht beschwören können -- aber war das nicht
-eine Männerstimme, die er drinnen aus der Wohnung gehört hatte, in der
-die Baronin +allein+ war? Nur einen Augenblick, dann war es wieder
-still ... Mr. Markham machte einer ententefeindlichen Ansicht über die
-Moral der Franzosen Luft und ging, indem er murmelte:
-
-„Streptowitz hat recht, das ist bestimmt eine merkwürdige Gesellschaft,
-die hier auf Nr. 48.“
-
-Hätte Mr. Markham die Gabe gehabt, in dem Augenblicke, in dem er diese
-Aeußerung machte, durch die geschlossene Türe zu sehen, wäre sie noch
-berechtigter gewesen. Mr. Markhams Ohren hatten ihn nicht getäuscht; es
-war eine Männerstimme, die er soeben aus der Wohnung der Baronin gehört
-hatte, und was sie gesagt hatte, war:
-
-„Wer war das? Der Verbrecherkönig?“
-
-Die Stimme kam von einem jungen Manne, der auf einem Diwan lag. Er
-war von bräunlicher Gesichtsfarbe mit einem kurzen Schnurrbart, nicht
-ohne Spuren von Wohlleben, und seine Augen waren von schwarzen Ringen
-umgeben, die ebenso gut von Wohlleben wie von Entbehrungen stammen
-konnten. Denn der junge Mann, der auf dem Diwan lag, war an Händen und
-Füßen gebunden und wurde außerdem durch einen losen Gürtel über der
-Brust an dem Diwan festgehalten. Die Baronin hatte sich ruhig in einem
-Fauteuil niedergelassen; der Gefangene auf dem Diwan wiederholte seine
-Frage:
-
-„War das Euer Gatte, der Verbrecherkönig?“
-
-Sie schüttelte den Kopf.
-
-„Sie sind beharrlich in Ihrer Ausdrucksweise,“ sagte sie. „Wie oft
-soll ich Ihnen noch sagen, daß der Mann, den Sie den Verbrecherkönig
-nennen, nicht mein Gatte ist?“
-
-„Aber ihr wohnt doch hier zusammen?“
-
-„Nein, sage ich Ihnen. Wir haben jeder unsere Wohnung. Die seine liegt
-meiner gegenüber, und der jetzt angeläutet hat, war der Mann, der
-die Wohnungen vermietet. Er hatte eine Anfrage. Sind Sie jetzt nicht
-durstig? Soll ich Ihnen Zitrone und Wasser geben?“
-
-Der Gefangene auf dem Diwan runzelte heftig die Stirne.
-
-„Ich nehme ebenso wenig von Euch etwas an, wie von ihm, von dem Ihr
-behauptet, daß er nicht Euer Gatte ist,“ sagte er.
-
-Seine Stimme zitterte vor unterdrückter Empörung.
-
-„Ihr beide habt unauslöschliche Schmach auf meinen Namen gehäuft und
-die Pläne ganz durchkreuzt, um deretwillen ich in diesen Weltteil
-gekommen bin, der ewig verflucht sein möge.“
-
-„Aber ich sage Ihnen, es dauert mindestens zwei Tage, bis Sie frei
-werden. Sie werden verhungern oder verdursten.“
-
-„Lieber das, als etwas von Euch annehmen.“
-
-Dies junge Frau neigte den Kopf.
-
-„Wie Sie wollen,“ sagte sie. „Vielleicht können Sie zwei Tage leben,
-ohne sich so tief zu demütigen. Die Menschen in Ihrem Lande können sich
-ja sogar lebend begraben lassen ohne zu sterben. Im übrigen müßte ja
-Zitrone und Wasser nicht als Salz und Brot gelten.“
-
-Der Gefangene lag mit geschlossenen Augen da, ohne zu antworten. Sie
-fuhr langsam wie für sich selbst fort:
-
-„Als Sie vor einigen Stunden zum Bewußtsein erwachten, tranken Sie zwei
-ganze Gläser, die Ihnen gut zu tun schienen.“
-
-Er öffnete die Augen und starrte sie an.
-
-„Ist das wahr, oder lügt Ihr, um mich in einer Falle zu fangen?“
-
-„Ich bin eine Abenteurerin, aber ich lüge Sie nicht an. Nicht einmal,
-um Sie in eine Falle zu locken.“
-
-Er starrte sie an ohne zu antworten. Endlich sagte er:
-
-„Eine Abenteurerin? Was ist das?“
-
-Sie zog die Augenbrauen empor.
-
-„Wie soll ich es Ihnen sagen? Ich war verheiratet, mein Mann starb, ich
-war des Lebens, das ich kannte, müde und zog aus, um etwas Neues kennen
-zu lernen.“
-
-„Und Ihr fandet es?“ Seine Stimme war eifrig, aber ohne die frühere
-Erregung.
-
-„Ich fand wenigstens eine neue Sorte von Mann,“ sagte sie.
-
-„Wen? Den Verbrecherkönig?“
-
-„Ja. Er glich keinem anderen Mann, den ich getroffen hatte. Er beging
-Torheiten, die ihm das Leben und die Freiheit kosten konnten, um einer
-Laune willen, und er konnte den Gewinn um einer Laune willen hinwerfen,
-die törichter war, als andere Menschen es sich auch nur träumen lassen
-können.“
-
-Der Gefangene auf dem Diwan starrte vor sich hin und murmelte:
-
-„Auch ich war des Lebens, das ich kannte, müde und zog aus, um etwas
-Neues zu suchen, das ich nicht kannte.“
-
-Sie lächelte.
-
-„Aber das haben Sie ja unleugbar gefunden!“
-
-„Was ich suchte, war ein Weib, dessengleichen ich noch nie gesehen.“
-
-Sie lächelte wieder.
-
-„Und ich suchte einen solchen Mann, vermute ich!“
-
-Er starrte sie verachtungsvoll an.
-
-„Und Ihr begnügtet Euch mit einem Verbrecherkönig!“
-
-„Es gilt König auf irgendeinem Gebiete zu sein,“ sagte sie.
-
-„Und Ihr, die Ihr es verdient, Königin, wo es auch sein mag, zu sein,
-entscheidet Euch dafür, die Königin der Verbrecher zu sein. Beim
-Propheten, ich kann meinen Sinnen nicht glauben.“
-
-„Sie sind artig gegen mich,“ sagte sie. „Sie würden es vermutlich nicht
-sein, wenn ich Ihnen sagte, daß ich mich nicht wie andere Königinnen
-damit begnüge, den König regieren zu lassen. Heute nacht unternahm ich
-einen Versuch, das zu tun, was dem König vor drei Tagen mißlungen ist.
-Sie haben schon selbst herausgefunden, warum Sie hier sind.“
-
-„Einer Anzahl farbiger Steine wegen; die weißen Sahibs denken nie an
-etwas anderes als an Gewinn.“
-
-„Einer Anzahl recht ungewöhnlicher, farbiger Steine wegen,“ wendete sie
-ein. „Aber farbig oder nicht farbig hätten sie für mich nur durch das
-Bewußtsein Wert gehabt, daß mir gelungen ist, was dem König mißlang.“
-
-„Eurem Gemahl! Dem Mann, den Ihr liebt!“
-
-„Nein, sage ich Ihnen!“ Sie stampfte mit ihrem schwarzen Samtschuh auf
-den Boden, „ein Bewerber um meine Hand. Nichts anderes. Lassen Sie mich
-erzählen, was er und was ich getan haben, und sagen Sie mir, wer bisher
-des Throns würdiger ist.“
-
-Indem sie ihre Finger miteinander verschlang und hie und da nach der
-Sonne sah, die hinter dem Ziegelhorizont von Chesterton Mansions
-verschwand und ihr Haar zu einer goldroten Krone machte, begann sie
-zu sprechen. Der Gefangene auf dem Diwan hörte ihr schweigend zu,
-während der Blick seiner Augen die ganze Skala von Verachtung bis
-zum Enthusiasmus durchlief. Nach einiger Zeit verstummte sie und sah
-ihn an, die Augenbrauen über ihren grauen Augen fragend gehoben. Er
-schwieg, dann sagte er langsam:
-
-„Und alles wegen ein paar farbiger Steine! Wäre ich frei, sie wären in
-diesem Augenblicke die Euren.“
-
-Sie richtete sich ein wenig auf.
-
-„Meinen Sie, was Sie sagen?“ fragte sie. „Könnten Sie Juwelen, die in
-Geld gar nicht zu schätzen sind, einem Wesen schenken, das alles dazu
-getan hat, Sie derselben zu berauben? Ach, Sie sprechen wie andere
-Männer -- der schönen Worte wegen.“
-
-Er sah sie mit einem intensiven und zugleich müden Blick an.
-
-„Ihr könnt so etwas nicht für möglich halten,“ sagte er, „seid Ihr
-doch eine aus dem Volke der Sahibs. In meinem Lande werden Reichtum
-und edle Steine nur für das geschätzt, was sie sind, und was ein Mann
-leistet, gilt alles. Aber Ihr seid aus dem Volke der Sahibs, und Euch
-scheint es undenkbar, daß ich aus einer Laune etwas wegwerfe, was für
-Euch Ziel und Zweck des Lebens ist.“
-
-Sie erhob sich aus ihrem Fauteuil und glitt zu dem Diwan, auf dem er
-lag.
-
-„Was würden Sie tun, wenn ich jetzt Ihre Bande löste?“ sagte sie.
-
-Er sah sie mit derselben Ruhe im Blick an.
-
-„Mein Versprechen lockt Euch?“ sagte er. „Ihr wollt sehen, ob eines
-Königs Wort auch eines Königs Wort ist, wenn es sich um hundertfünfzig
-Juwelen handelt?“
-
-In ihren Augen blitzte es auf, und sie machte zwei Schritte zurück.
-
-„Sie könnten mir die Steine jetzt geben, und ich würde sie Ihnen ins
-Gesicht werfen,“ sagte sie. „Wenn es mir heute nacht gelungen wäre,
-mich Ihrer Juwelen zu bemächtigen, für deren Besitz ich viele hundert
-Meilen gereist bin, ich würde dasselbe damit tun. Sie können mir aufs
-Wort glauben. So sehr Sie König sind, bin ich Königin.“
-
-Er machte einen Versuch, sich auf dem Diwan aufzurichten, aber wurde
-von den Banden gehindert und sank zurück. Er starrte sie lange und
-unverwandt an, wie um sich von dem Gehalt ihrer Worte zu überzeugen.
-Sie hielt stand und betrachtete ihn mit demselben Licht in den Pupillen
-und derselben leichtgeschürzten Oberlippe. Endlich sagte er langsam und
-beinahe demütig:
-
-„Ich bin blind gewesen. Verzeiht! Ihr seid das, was Ihr sagtet, und
-meine Kehle ist trockener als eine Wüste. Aus Eurer Hand empfange ich
-alles, was sie gibt, wie der Bettler eine Gabe.“
-
-Sie zuckte zusammen; ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln, und sie
-eilte durch das Zimmer zu einem Tisch mit Gläsern und Flaschen. Nach
-einem Augenblick war sie wieder bei ihm, mit einem Glas, dessen Inhalt
-er auf einen Zug austrank. Er sank auf den Diwan zurück, sie zog den
-Fauteuil etwas näher heran und setzte sich. Sie maßen einander noch
-immer mit den Blicken, und schließlich sagte er:
-
-„Erzählt mir noch mehr aus Eurem Leben. Seid Ihr wirklich mehrere
-hundert Meilen gefahren, um meine Juwelen zu erringen? Ohne sie auch
-nur um ihres Geldwertes willen zu begehren?“
-
-Sie neigte den Kopf.
-
-„Mich dünkt,“ sagte er langsam, „als wäre ich einen noch weiteren Weg
-gepilgert, oh Maharaneeh, um Euch zu begegnen.“
-
- * *
- *
-
-Am Nachmittag des nächsten Tages, als Mr. Markham bei der Baronin und
-dem Baron anklingelte, meldete sich niemand. Mr. Markham stürzte zu Mr.
-Streptowitz hinauf. Dieser nickte bestätigend.
-
-„Jawohl, sie ist abgereist. Ich habe sie selbst gesehen. Aber sie war
-nicht allein!“
-
-„Nicht allein? War sie in Gesellschaft des Barons?“
-
-„Nein,“ sagte Mr. Streptowitz, „sie war mit einem Hindu. Das Haus muß
-voller Hindu sein. Ich bin überzeugt, das sind Anarchisten. Und dieser
-Hindu und die Baronin lächelten sich an wie ein verliebtes Paar.“
-
-Und das war das letzte, was Chesterton Mansions von dem freiherrlichen
-Paar de Citrac sah.
-
-
-
-
-XII
-
-Ein Fest und sein Abschluß
-
-
-Allan fiel der Auftrag zu, Yussuf Khans Einladung der Familie Bowlby
-zu übermitteln, einerseits, weil der Maharadscha und der alte Ali
-noch nicht fest genug auf den Füßen standen, um die fürstliche Suite
-zu verlassen, andererseits, weil Allan als persönlicher Freund der
-amerikanischen Familie sich für den Auftrag am besten eignete. Er
-machte folglich am selben Abend einen Besuch bei ihnen und überbrachte
-die Einladung.
-
-Eine Debatte folgte. Mrs. Bowlby hatte ihn kaum bis zu Ende gehört, als
-sie von ihrem Sessel aufsprang und erklärte, was sie alles eher sein
-wollte, als zu einer solchen Veranstaltung zu gehen.
-
-„Glauben Sie, ich durchschaue ihn nicht? Er will sich durch uns
-rehabilitieren, nachdem er durch den heutigen Skandal in aller Leute
-Mund gekommen ist! Das will er!“
-
-„Aber er reist doch übermorgen ab, Mrs. Bowlby.“
-
-„Und was wird nun mit der Prinzessin, um die er werben wollte?“
-
-„Das muß er aufgeben, und ehrlich gestanden, schien er es ungewöhnlich
-leicht zu nehmen. Ich hatte Proteste erwartet, aber der Oberst hatte
-ihn sofort umgestimmt. Das einzige, was er in dieser Richtung sagte,
-war, daß er Herrn van Schleeten beneide, dem es gelungen sei, sein Herz
-an ein Weib zu verlieren. Das habe er selbst nie zustande gebracht,
-obwohl er hundertfünfzig hat, die es ihm stehlen wollen.“
-
-„Das ist wieder echt männlich, ha! Dasitzen und mit seinen Erfolgen bei
-den armen Geschöpfen und seiner eigenen Gleichgültigkeit zu prahlen! Er
-sollte hundertfünfzig Rutenstreiche auf die Fußsohlen haben, das sollte
-er!“
-
-„Sie wollen also nicht kommen, Mrs. Bowlby?“
-
-„Da ginge ich noch eher in das Lokal, wo er und Sie sich kürzlich
-herumgetrieben haben.“
-
-„Ich werde Se. Hoheit bitten, den Schauplatz dorthin zu verlegen.“
-
-„Keine Keckheiten, _demmit_, junger Freund. Helen, mein Kind, ich
-hoffe, du hast auch +keinen Augenblick+ Lust gehabt, zu gehen?“
-
-„Ich ginge gerne, Mama, furchtbar gerne.“
-
-„Und ich gedenke, zu gehen, wenn niemand anderer sich entschließt,“
-sagte Mr. Bowlby.
-
-Mrs. Bowlby konnte nur einen ganz kurzen Entsetzensschrei ausstoßen,
-als Allan auch schon diplomatisch etwas aus der Tasche zog -- das
-Halsband, das er am selben Nachmittag von Yussuf Khan erhalten hatte.
-Mrs. Bowlby blieb ihr Schrei in der Kehle stecken.
-
-„Mr. Cray! +Wo+ haben Sie das aufgegabelt? Mirzl hat doch Ihr Geld
-gestohlen!“
-
-„Das Geld, von dem Mirzl mich befreit hat, hätte nicht einmal gelangt,
-um die Goldeinfassung dieser Steine zu bezahlen, Mrs. Bowlby. Ich bekam
-dies heute nachmittag vom Maharadscha als geringen Dank dafür, daß es
-mir zweimal gelang, Mirzl und seiner Bande zuvorzukommen. Wollen Sie es
-ansehen?“
-
-Mrs. Bowlbys Arm schnellte gierig und diebisch vor, wie die Klaue eines
-Papageis. Sie ließ die Juwelen durch ihre Finger rinnen.
-
-„Wunderbar,“ flüsterte sie. „Und das haben Sie von ihm bekommen? Und
-Sie haben seine anderen Juwelen gesehen?“
-
-„Ich habe das von ihm bekommen. Es hat einmal einem persischen Sultan
-gehört, sagte der alte Ali. Der Maharadscha hat es mir ausgewählt.
-Selbst hätte ich ein Jahr gebraucht, um unter seinen Juwelen eine Wahl
-zu treffen. Das einzige, was ich zu nehmen wagte, waren diese einzelnen
-Steine.“
-
-„Opale! Die Unglück bringen!“
-
-„Wer weiß? Vielleicht bringen sie mir Glück -- ich habe meistens gerade
-umgekehrt gehandelt, wie vernünftige Menschen.“
-
-„Und wie waren die andern?“
-
-„Bitten Sie mich einen Regenbogen zu beschreiben, Mrs. Bowlby! Wenn Sie
-einen Begriff davon haben wollen, weiß ich keinen anderen Weg, als daß
-Sie zum Fest des Maharadscha kommen.“
-
-„Dorthin? Nie! Eher will ich -- gehst du, John?“
-
-„Ja, liebe Susan.“
-
-„Und du, Helen, du machst es wie ich, nicht wahr?“
-
-„Ja, Mama, wenn du Papa folgst. Eheleute sollen einander nahe sein, das
-haben wir in meiner Schule gelernt.“
-
-Mrs. Bowlby stieß einen Seufzer aus, den sie nur mäßig überzeugend
-gestalten konnte.
-
-„So sagen Sie also dem Untier, daß ich komme,“ sagte sie. „Aber
-+anständiges Benehmen+ ist meine Bedingung. Und +was+ soll
-man anziehen, Mr. Cray?“
-
- * *
- *
-
-Wahrscheinlich hatte Yussuf Khan seine Weisungen etwas modifiziert,
-oder auch war London außerstande gewesen, sie in vollem Ausmaß
-durchzuführen, denn ganz asiatisch war das Bild nicht, das sich den
-Eingeladenen -- Familie Bowlby, Herrn van Schleeten und Allan --
-bot, als sie am folgenden Abend in einer Prozession in den großen
-Festsaal des Grand Hotel Hermitage wanderten und dort von Yussuf
-Khan, dem Obersten und dem alten Ali empfangen wurden. Der Oberst,
-Herr van Schleeten, Mr. Bowlby und Allan waren im Frack; Miß Bowlby
-in ausgeschnittenem Tüll und Mrs. Bowlby in einer grünschwarzen
-Brokattoilette mit einer Schleppe, die ebenso lang war wie sie selbst,
-mit ihren besten Juwelen geschmückt und fest entschlossen, das
-Sternenbanner hochzuhalten. Yussuf Khan und der alte Ali waren in ganz
-orientalischen weißen weiten Gewändern, mit Turbans auf dem Kopfe.
-Yussuf Khans Turban trug eine Aigrette von Diamanten, alle weiß bis
-auf einen einzigen großen schwarzen, der wie ein brennender Pechsee
-flammte. Ueber sein rechtes Ohr hing ein Büschel Smaragden, das Mrs.
-Bowlbys Lippen ein unwillkürliches Ah! entlockte. Yussuf Khan begrüßte
-sie mit einem tiefen Salaam.
-
-„Willkommen, Gäste des Abends!“ sagte er. „Willkommen zu dieser
-Festlichkeit, und nehmet meinen Dank, daß ihr sie durch eure Gegenwart
-beehren wollt. Ich bitte euch, gütigst zu entschuldigen, daß die
-Anordnungen, die getroffen wurden, euer ganz unwürdig sind, und bevor
-wir zu dem dürftigen Tische gehen, bitte ich euch, Oberst Morrel
-Sahib, diejenigen meiner Gäste vorzustellen, mit denen ich noch nicht
-zusammengetroffen bin.“
-
-Während der Oberst diese Vorstellung vornahm, hatte Allan Zeit, sich
-umzusehen.
-
-Der Festsaal des Hotels hatte, um nach Yussuf Khans Wünschen angeordnet
-zu werden, die Voraussetzung gehabt, daß er in einer Art Tempelstil
-erbaut war, mit sehr breiten Säulen an den Seiten, die eine nicht
-besonders hohe Decke trugen. Jetzt waren sowohl Decke wie Wände und
-Boden von ungeheuren schweren Teppichen in phantastischen teheranischen
-Mustern verdeckt, zwischen denen die grünblauen breiten Marmorsäulen,
-wenigstens für Allans Phantasie, asiatisch wirkten. Von der Decke
-sanken die Draperien in einer weichen Kurve herab, in der Mitte
-des Saales von zehn langen Lanzen gerafft; unter dem so gebildeten
-Baldachin war die niedrige Festtafel gedeckt. Davor befanden sich an
-der Stelle von Sesseln förmliche Berge von Kissen. Neben jedem Platz
-stand ein niedriges Metallgestell, das eine Spülschale aus grünem
-Porphyr trug. Die Beleuchtung war ein Kompromiß zwischen Europa und
-der Religion des Propheten: Elektrische Lampen, die zusammen einen
-gewaltigen Halbmond bildeten, glitzerten an der draperieverhüllten
-Decke von der einen Längsseite bis zur anderen. In einem entsprechenden
-Halbkreis stand die schwarze Leibwache, die Krummsäbel im Gürtel rings
-um den Platz, wo der Maharadscha sitzen sollte und wo die Kissen
-etwas höher aufgetürmt waren, als auf den anderen Plätzen. Zuletzt
-erblickte Allan mit einem leichten Schauer in einer Ecke einige
-halbnackte Tänzerinnen mit goldenen Ringen um Arme und Fußknöchel. Sie
-hatten breite, groteske Saiteninstrumente und blinkende Tamburine.
-Was würde Mrs. Bowlby dazu sagen? Er wandte die Aufmerksamkeit von
-den Tänzerinnen gerade rechtzeitig ab, um zu hören, wie diese Dame zu
-Yussuf Khan sagte:
-
-„Ich muß gestehen, daß ich schwankte, bevor ich Ihre ... Ew. Hoheit (es
-fiel ihr merklich schwer, den Titel hervorzubringen) Einladung annahm.“
-
-„Und warum?“ sagte Yussuf Khan. „Hat der junge Sahib, der meine Juwelen
-gerettet hat, meine Einladung so lau oder schlecht vorgebracht?“
-
-„Nein,“ sagte Mrs. Bowlby, „aber ich befürchtete, daß, wenn das Fest
-so werden sollte, wie die Feste in Ihrem ... in Ew. Hoheit Heimat zu
-sein pflegen, ich ... hm ... Dinge zu sehen bekommen würde, die eine
-anständige Frau nicht zu sehen gewohnt ist.“
-
-„Das ist richtig,“ sagte Yussuf Khan, „in meinem Lande kommen ehrbare
-Frauen nicht zu den Festen der Männer.“
-
-Mrs. Bowlby zuckte bei dieser orientalischen Aufrichtigkeit zusammen.
-Im Nu vergaß sie Zeremonien und Titel über Dinge, die ihr schon lange
-am Herzen lagen.
-
-„Und in meinem Lande“, rief sie, „hat kein anständiger Mann
-hundertfünfzig Frauen auf einmal!“
-
-Yussuf Khan überlegte einen Augenblick.
-
-„Aber habe ich nicht gehört,“ sagte er ernst, „daß eine Frau
-hundertfünfzig Männer hintereinander haben kann, wenn sie es darauf
-anlegt?“
-
-Mrs. Bowlby starrte ihn an.
-
-„Wir wollen uns die Hand schütteln,“ sagte sie schließlich. „Das haben
-Sie gut gemacht! _Demmit_, das ist mir noch nie eingefallen.“
-
-„Jedes Land“, warf der alte Hofdichter ein, „hat seine Sitten, die zwei
-Meilen von der Grenze lächerlich und unbegreiflich erscheinen. Dies
-sollte uns lehren, zu bedenken, daß wir alle nichts anderes sind, als
-Spielbälle des Schicksals, wie der göttliche Zeltmacher es so treffend
-ausdrückt:
-
- Nur Puppen sind wir auf dem Schachbrett Welt,
- Ein Spielzeug nur, geschoben und gestellt;
- Ein Zeitvertreib! -- Und hat’s das Schicksal satt,
- Zum Kasten wandert, Stück an Stück gesellt!“
-
-Er wiederholte eine Zeile für sich selbst in einer Sprache, die Allan
-nicht kannte und die etwa klang wie:
-
-„_U danad u danad u danad u_ ...“
-
-Oberst Morrel beeilte sich das Wort zu ergreifen; Poesie gehörte
-offenbar nicht zu seiner Vorstellung von _hors d’oeuvres_.
-
-„Wäre es nicht an der Zeit zu Tisch zu gehen?“ sagte er. „Ew. Hoheit
-wissen, daß wir morgen in aller Frühe abreisen.“
-
-Yussuf Khan brach in ein Lachen aus, das Allan überraschte. Eine solche
-Heiterkeit erwartete man nicht von einem passiven Orientalen. Aber
-tatsächlich lachte Seine Hoheit so, daß er alle Zähne zeigte, wobei
-Allan flüchtig bemerkte, daß einer davon ganz überplombiert mit Gold
-war. Yussuf Khan wischte sich die Augen und sagte noch immer lachend:
-
-„Ihr habt recht, Oberst Morrel Sahib, morgen verliert mich diese Stadt
-für lange Zeit aus den Augen. Gehen wir also zu Tisch!“
-
-Der Oberst, der diese Heiterkeit, deren Ursache ihm offenbar
-unbegreiflich war, ganz verblüfft beobachtet hatte, zuckte die Achseln.
-Yussuf Khan wiederholte:
-
-„Zu Tisch!“
-
-Er führte selbst die Gäste zu der gedeckten Festtafel und wartete, bis
-alle unter dem niedrigen Baldachin versammelt waren, um dann zu sagen:
-
-„In meinem Lande nehmen wir unsere Mahlzeiten nicht an einem Tische wie
-diesem ein. Aber als ich mit mir selbst über das Fest zu Rate ging,
-sagte ich mir zwei Dinge. Ich dachte zuerst: diese edlen Sahibs sind
-nicht an die Sitten meines Landes gewöhnt, und was das Essen betrifft,
-so lieben alle Menschen ihre eigenen Sitten am meisten.“
-
-„Das ist wahr,“ sagte der alte Ali, „und mein Schüler spricht gut.“
-
-„Ferner“, fuhr Yussuf Khan fort, „sagte ich mir selbst: was ist schuld
-daran, daß ich diesen edlen Sahibs Unannehmlichkeiten bereitet habe,
-die ich sie nun in unwürdiger Weise durch dieses Fest bitten möchte,
-zu entschuldigen? Ich sagte mir selbst: meine Juwelen, denen von
-schlauen, kühnen Dieben nachgetrachtet wurde. Wenn nun meine Gäste
-diese Juwelen zu sehen bekommen, die trotz alldem von einer gewissen
-Schönheit sind, können sie vielleicht den Grund der Gier der Diebe
-begreifen und dadurch auch die Unannehmlichkeiten, die sie selbst
-erdulden mußten. Und deshalb --“
-
-Er brach plötzlich ab und klatschte in die Hände.
-
-Im Nu, plötzlich, wie der Nebel bei einem Sonnenaufgang in den Tropen
-verschwindet, verschwand eine Hülle aus weißer Seide, die über der
-Festtafel ausgebreitet gelegen war -- wie es zuging, konnte niemand
-sehen -- und Yussuf Khans Gäste starrten mit halbgeblendeten Augen
-auf die Juwelen Nasirabads, die sich in einer Pyramide mitten auf
-dem Tische auftürmten. Eine nette Tischdekoration! Allan, der Oberst
-und Herr van Schleeten, die sie schon gesehen hatten, standen stumm
-da, wieder ganz bezaubert von dem phantastischen Glanz der Steine.
-Aber der Familie Bowlby, die sie noch nicht gesehen hatte, entrang
-sich ein dreifacher erstickter Schrei. Mrs. Bowlbys Augen irrten von
-einem Diadem und Halsband zum anderen, halb mit naiver Bestürzung,
-halb mit Mißtrauen. Endlich wendete sie sich dem Maharadscha zu,
-der sie ernsthaft beobachtet hatte, und murmelte, indem sie auf die
-Familienjuwelen wies, die sie trug:
-
-„Wollen Ew. Hoheit einen Augenblick warten, ich springe nur hinauf und
-lege das ab!“
-
-Yussuf Khan winkte majestätisch mit der Hand.
-
-„Das wäre töricht, und wir würden Zeit verlieren,“ sagte er, ohne sich
-auf irgendwelche Versuche zu Höflichkeiten einzulassen. „Nehmen wir
-Platz!“
-
-Er winkte den Gästen, sich zu setzen. Neben sich placierte er Mr. und
-Mrs. Bowlby, dann Allan mit Miß Helen, dann den Obersten, Herrn van
-Schleeten und den alten Ali. Selbst setzte er sich zu allerletzt,
-indem er den rechten Arm zu dem Baldachin erhob. Im selben Augenblicke
-tauchten von allen Seiten, wie es schien, aus dem Nichts, Diener mit
-blinkender schwarzer Haut auf, füllten die Porphyrschalen vor jedem
-Gaste mit parfümiertem Wasser und stellten vor jeden einen Becher mit
-einem rosafarbenem Getränk hin.
-
-„Das ist Sorbet,“ sagte Yussuf Khan, „später kommen die Getränke, die
-die Sahibs lieben, aber zum Willkommengruß wünschte ich den Trank
-meines eigenen Landes.“
-
-Er erhob das Glas mit einer majestätischen Bewegung und trank es aus.
-
-„Möchte diese unwürdige Mahlzeit euch alle Beschwerden vergessen
-lassen, die ihr meinetwegen erduldet habt.“
-
-Im selben Augenblicke, in dem er seinen Becher niederstellte, fiel ein
-Regen von Rosen auf die Festtafel und die Gäste, und im Hintergrunde
-des Saales begannen die braunen Tänzerinnen einen wirbelnden Tanz, den
-sie auf ihren seltsamen Instrumenten begleiteten. Während Mrs. Bowlby
-von ihren Kissen empor schnellte, um sie anzustarren, beugte Allan
-sich zu Miß Helen herab, die mit träumenden Augen dasaß, als wüßte sie
-nicht, ob sie wachte, und sagte:
-
-„Se. Hoheit scheint kein weiteres Attentat auf seine Edelsteine zu
-befürchten, da er sie hier so ausbreitet.“
-
-„Er hat ja die Leibwache um sich,“ sagte sie, ohne ihre Blicke von
-der Pyramide auf dem Tisch abzuwenden. „Sie haben aber auch gehörigen
-Respekt vor diesem Mirzl!“
-
-„Ich muß gestehen, daß ich ihn im Verdacht habe, wo immer zwei oder
-drei versammelt sind und etwas in der Nähe ist, das des Stehlens wert
-ist.“
-
-„Da müßte er ja hier drinnen sein,“ lachte sie.
-
-Allan fuhr bei ihren leicht hingeworfenen Worten zusammen. Was war ihm
-doch früher am Abend eingefallen? Und nach welcher anderen Erinnerung
-fahndete er nur?
-
-Yussuf Khan, der Mrs. Bowlby mit tiefem Ernst beobachtet hatte, sagte:
-
-„Es ist unbestreitbar, daß einige der Tänzerinnen, die der Besitzer
-dieser Karawanserei aufgetrieben hat, nicht des Reizes entbehren. Aber
-ich für meine Person finde weit größeres Gefallen an Eurer Tochter, die
-mir herangewachsen genug scheint, um verehelicht zu werden.“
-
-Mrs. Bowlby stieß einen Schrei aus, wie ein in der Schlinge gefangener
-Papagei und wandte sich jäh von den Tänzerinnen ab, die in einem Zyklon
-von nackten Gliedern und blinkendem Gold umherwirbelten.
-
-„Helen!“ rief sie. „Helen, du darfst kein Wort von dem hören, was er
-sagt!“
-
-„Nein, Mama.“
-
-„Sie sollten sich schämen!“ fuhr Mrs. Bowlby an Yussuf Khan gewendet
-fort. „Sie sollten sich die Augen aus dem Kopfe schämen! Wo Sie
-hundertfünfzig Weiber haben, die Sie Frauen nennen, Sie sollten sich
-schämen, meinem armen, unschuldigen Kinde Fallstricke zu legen!“
-
-„Diese hundertfünfzig Frauen“, sagte Yussuf Khan, „sind schon lange
-in meinem Palast. Ueberdies können sie weggeschickt werden, wenn
-es nötig ist. Vielleicht ist es leichter, eine Frau zu lieben als
-hundertfünfzig.“
-
-Mrs. Bowlby umklammerte ihren Sorbetbecher, wie um ihn ihm an den Kopf
-zu werfen und starrte ihn sprachlos an. Yussuf Khan fuhr ebenso ruhig
-wie immer fort:
-
-„Mein Geschlecht zählt achtundvierzig Ahnen, und von meinem Palast
-und meinen Besitztümern legen diese Juwelen ein wenn auch unwürdiges
-Zeugnis ab. Wäre der Juwelenkünstler, der zur Linken meines Lehrers
-sitzt, nicht von einem Weibe betört worden, worum wir ihn alle beneiden
-müssen, hätten diese Juwelen ein anderes und gewinnenderes Aussehen.“
-
-„Helen!“ schrie Mrs. Bowlby mit erstickter Stimme, „Helen, höre nicht
-auf ihn!“
-
-Miß Helen wollte etwas antworten, und die schwarzen Diener erschienen
-eben in feierlicher Prozession mit einer Reihe Silberschüsseln in den
-erhobenen Händen, als Allan eine Idee durchzuckte. Die Erinnerung, nach
-der er gesucht hatte, war aufgetaucht, und im selben Augenblick war die
-Idee gekommen -- wahnsinnig, aber!! Er beugte sich hinter Miß Helens
-Rücken zu Oberst Morrel vor. Er flüsterte dem Obersten zwei Fragen zu,
-worauf dieser ihn anstarrte wie einen Wahnsinnigen, bis er endlich die
-Sprache wieder fand.
-
-„Ja, was zum Henker soll das heißen?“ brüllte er. „Sind Sie denn ganz
-toll?“
-
-Allan erhob sich von seinem Platz.
-
-„Was das heißen soll?“ rief er, indem er mit blitzenden Augen auf
-Yussuf Khan deutete. „Das soll heißen, daß der Mann, der da sitzt, gar
-nicht Yussuf Khan, Maharadscha von Nasirabad ist!“
-
-Er hatte kaum diesen Satz herausgeschleudert, als an die Eingangstür
-des Festsaals geklopft wurde. Sie öffnete sich, und drei wunderliche
-Gestalten erschienen auf der Schwelle.
-
-Zuerst kam der Mann, der behauptet hatte, einem Feste in seinem
-eigenen Hotel nicht beiwohnen zu können -- der Direktor des Grand
-Hotels Hermitage. Dann kam eine Frau, bei deren Anblick Mrs. Bowlby
-zurückprallte wie vor dem Anblick einer Klapperschlange, und
-schließlich ein Mensch im zerdrückten Anzug und nicht ganz reinem
-Kragen, der eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Maharadscha von Nasirabad
-aufwies.
-
-
-
-
-XIII
-
-Yussuf Khans Heirat
-
-
-Der Direktor des großen Hotels brach das Schweigen, das durch
-seinen und den Eintritt der anderen zwei Personen in den Festsaal
-entstanden war. Er wendete sich an Oberst Morrel und sagte mit einer
-entschuldigenden Betonung auf jedem Wort, das er sprach:
-
-„Herr Oberst, Sie müssen mein Eindringen in Ihre Gesellschaft
-verzeihen. Sie können sich denken, daß es nicht ohne zwingende Gründe
-geschieht. Ich werde das, was vorgefallen ist, so kurz und deutlich
-erzählen, als ich kann.
-
-Vor zwanzig Minuten wurde ich in das Bureau gerufen, mit dem Bedeuten,
-daß meine Anwesenheit unumgänglich notwendig sei. Ich eilte hinunter
-und fand diese Dame, in der ich Mrs. Langtrey erkannte, die einige Zeit
-im Hotel gewohnt hat, und diesen Herrn, der eine gewisse Aehnlichkeit
-mit Sr. Hoheit hat (der Direktor verbeugte sich in der Richtung von
-Yussuf Khan). Ich traute meinen Augen nicht, als ich Mrs. Langtrey
-sah, die, wie wir wissen, vor zwei Tagen ein kühnes Attentat auf die
-Juwelen Sr. Hoheit versucht hatte, über das einer der Gäste Sr. Hoheit
-die ausführlichsten Aufklärungen geben kann. (Der Direktor verbeugte
-sich leicht gegen Herrn van Schleeten, der ganz starr dasaß, die
-Augen auf Mrs. Langtrey geheftet). Bevor ich noch meine Bestürzung
-aussprechen konnte, sagte Mrs. Langtrey: ‚Ich weiß genau, was Sie
-sagen wollen. Es ist unnötig. Ich bin Mrs. Langtrey, die in Ihrem
-Hotel gewohnt hat; das ist der Maharadscha von Nasirabad, der vor fünf
-Tagen geraubt wurde.‘ ‚Wie können Sie es wagen, zu behaupten, daß
-dieser Mensch der Maharadscha ist,‘ rief ich aus, ‚ich weiß doch, daß
-der Maharadscha gerade jetzt ein Abschiedsfest in meinem Hotel gibt!‘
-‚Der Maharadscha,‘ erwiderte Mrs Langtrey, ‚ein sauberer Maharadscha!
-Der Mensch, der heute abend in Ihrem Hotel das Fest gibt, ist nicht
-mehr Maharadscha als Sie selbst oder der Portier hier. Ich verlange
-augenblicklich in den Festsaal hinaufgeführt zu werden.‘ Jetzt wurde
-mir die Sache zu bunt, und ich wollte die Dienerschaft rufen, um Mrs.
-Langtrey aus dem Hotel zu weisen, als sie mir zuvorkam und sagte: ‚Tun
-Sie nicht etwas, was Sie bereuen würden! Wir wollen nur ungerne mit
-Hilfe der Polizei eindringen, aber wenn es notwendig ist, werden wir
-es tun.‘ Nach dieser Aeußerung glaubte ich nichts anderes machen zu
-können, als die Gesellschaft hierher zu begleiten, wie sie es wünschte.“
-
-Der Direktor verstummte. Der Oberst blickte wie ein Schlaftrunkener
-um sich, bald starrte er den Direktor, bald Allan an, bald die zwei
-Personen, die auf den Thron von Nasirabad Anspruch erhoben. Der
-zuletzt Erschienene, der Mann in Mrs. Langtreys Gesellschaft mit dem
-zerdrückten Frack, ergriff das Wort:
-
-„Wie lange werde ich noch warten müssen, bis dieser Verbrecher, der
-mein Aussehen gestohlen hat, in Ketten gelegt wird?“ sagte er. „Fünf
-Tage bin ich in seinen und seiner Bande Händen gewesen, und nun ich
-wiederkomme und finde, daß er meinen Namen, wenn auch nicht mein Hab
-und Gut, gestohlen hat, werde ich behandelt, als wäre +ich+ er.
-Oberst Morrel Sahib, wie lange werde ich noch warten müssen, daß der
-Verbrecher in Ketten gelegt wird?“
-
-Der Oberst starrte von ihm zum Maharadscha am Tisch, ohne eine Silbe
-hervorbringen zu können. Er kannte den Maharadscha seit vielen Jahren;
-am Tische saß ein Yussuf Khan, an den er sich von tausend Gelegenheiten
-her erinnerte, in der Türe stand ein Mann mit eingefallenen Wangen und
-zerknitterter Kleidung, der wohl eine gewisse Aehnlichkeit mit dem
-anderen Yussuf Khan hatte, aber auch nicht mehr als das.
-
-Aber dieses Zusammentreffen mit dem jungen Mann aus Schweden, der seine
-absurde Behauptung fast im selben Augenblicke hinausgeschleudert hatte,
-in dem sie in so eigentümlicher Weise von anderer Seite vorgebracht
-wurde! Er stand noch total konfus da, als das Schweigen gebrochen
-wurde: Der Maharadscha am Tische wollte sprechen, aber Allan Kragh fiel
-ihm höchst unartig ins Wort.
-
-„Oberst Morrel,“ sagte er. „Ich stellte kürzlich zwei Fragen an Sie,
-die Sie, wie ich sah, wahnwitzig fanden. Gestatten Sie, daß ich sie
-noch einmal wiederhole?“
-
-Der Oberst nickte starr, vermutlich ohne aufzufassen, was Allan sagte,
-so verblüfft starrte er noch immer die beiden Kronprätendenten an.
-
-„Ich habe Sie gefragt,“ sagte Allan, „ob Se. Hoheit, der Maharadscha,
-Gelegenheit hatte in Nasirabad seine Zähne plombieren zu lassen? Wollen
-Sie mir diesmal ausdrücklich darauf antworten?“
-
-Der Oberst wendete seinen starren Blick ihm zu.
-
-„Zähne plombieren,“ schrie er. „Das ist wirklich nicht die rechte Zeit
-für Geschwätz und Dummheiten.“
-
-„Es sind vielleicht nicht solche Dummheiten, wie Sie glauben,“ sagte
-Allan. „Ich ziehe aus Ihrer Antwort den Schluß, daß Se. Hoheit keine
-Gelegenheit hatte, seine Zähne in Nasirabad plombieren zu lassen. Und
-in London?“
-
-„Jetzt hören Sie aber, junger Freund --“
-
-„_All right._ Also auch nicht in London. Nun weiß ich aber, daß
-der Mann, der hier am Tische sitzt, einen Backenzahn hat, der mit einer
-Goldplombe überzogen ist. Kann er dies widerlegen, entfällt einer der
-Gründe für meine Behauptung, daß er nicht der Maharadscha von Nasirabad
-ist. Ich gebe ihm hiermit Gelegenheit, es sofort zu widerlegen.“
-
-Yussuf Khan sprang mit blitzenden Augen vom Tische auf.
-
-„Ich weiß nichts von der Gastfreundschaft der Sahibs,“ sagte er, „wenn
-sie die Gastgeber sind. Aber wenn jemand in meinem Lande zu mir, seinem
-Gastgeber, so spräche, wie dieser junge Mann zu mir spricht, ich würde
-ihn mit Hieben und Schlägen von meinen Dienern aus dem Hause jagen
-lassen. Bin ich ein Pferd, daß ich mir auf einen Wink in den Mund
-schauen lasse? Man treibe diese Menschen hinaus, die ich nicht kenne
-und die sich hier eingedrängt haben wie freche Bettler, und zugleich
-mit ihnen diesen jungen Mann, der mich beleidigt hat, wie ich noch nie
-beleidigt wurde!“
-
-Er betrachtete Allan und die ungebetenen Gäste mit blitzenden Augen.
-Der Oberst richtete sich auf und war im Begriff seinen Wunsch zu
-erfüllen, als Allan ihn mit einer Geste und einem leisen Lächeln
-aufhielt.
-
-„Oberst Morrel,“ sagte er, „einen Augenblick! Ich will mich gerne in
-der Weise, wie Se. Hoheit es wünscht, hinausjagen lassen, aber unter
-einer Bedingung. Ich glaube, daß Mrs. Langtrey und ihr Begleiter sich
-mir anschließen werden, wenn sie diese Bedingung hören.“
-
-Er wandte sich dem Maharadscha am Tisch zu:
-
-„Benjamin Mirzl, du Sonne der Rechtgläubigen und aller Verbrecher
-König, habe die Gewogenheit, deiner schwarzen Leibwache selbst den
-Befehl meiner Verjagung zu geben! Ich weiß zufällig, daß sie nicht
-englisch spricht!“
-
-Die Züge des Maharadscha nahmen, während Allan sprach, einen
-furchtbaren Ausdruck an. Er verließ seinen Platz und kam mit langsamen
-Schritten auf die Gruppe zu, die in der Nähe des Eingangs stand. Seine
-Augen waren durchbohrend auf Allan geheftet und funkelten wie die
-eines Königstigers. Er blieb vor Allan stehen und fixierte ihn einen
-Augenblick mit einem Ausdruck solchen Zornes, daß der Oberst eine
-Bewegung machte, um einzuschreiten; es sah aus, als wollte er Allan
-auf der Stelle niederschlagen. Im selben Augenblick geschah jedoch
-etwas ganz anderes. Der Maharadscha machte an ihnen allen vorbei
-einen Riesensprung, nicht unwürdig des königlichen Raubtieres, dem
-er glich; und bevor jemand sich noch gerührt hatte, lag der Saal in
-Stockfinsternis versunken; sie hörten die Eingangstüre zufliegen und
-das Einschnappen eines Riegels. Für einen Augenblick war alles ein
-wüstes Durcheinander; Rufe ertönten von Mrs. Bowlby, vom Obersten,
-von der schwarzen Leibwache, vom Direktor und den eben eingetroffenen
-ungebetenen Gästen. Dann kam ein Ausruf der Befriedigung von jemand,
-dem es gelungen war, den Kontakt zu finden, und der Saal lag wieder im
-Licht da. Ein Gewimmel von Armen und Beinen bearbeitete die Türe mit
-Schlägen und Stößen; verschiedene Ausrufe des Obersten, der mitten im
-Kampfgewühl war, deuteten an, daß nicht alle Schläge den Türspiegel
-trafen. Endlich flog die Türe auf, und eine wilde Jagd begann die
-Treppe hinunter in die große Halle. Zum Glück für den zukünftigen Ruf
-des Hotels war die Halle bis auf ein paar Bedienstete und den Portier
-ganz leer. Der Direktor schleuderte ihm mit Tigergebrüll eine Frage zu,
-und nach einem Augenblick des erstaunten Starrens kam die Antwort von
-dem würdigen Portier mit der Benediktinerfigur:
-
-„Der falsche Maharadscha? Der Maharadscha ist vor einem Augenblick die
-Treppe hinuntergekommen und ... nun ja, er schien ein bißchen unsicher
-auf den Beinen. ‚Will b--bißchen an die f--frische Luft‘, hat er uns
-zugemurmelt, Sir, und uns ein wenig unsicher angesehen. Wir hörten Rufe
-oben aus dem Festsaal und dachten uns: Jetzt sind die Gäste in Stimmung
-gekommen, und --“
-
-Im nächsten Augenblicke waren sie an dem würdigen Portier vorbei, wie
-ein Koppel Hunde, die die Fährte gefunden haben. Leider führte diese
-Fährte nicht weiter als bis zum Monmouth Square. Der patrouillierende
-Polizeikonstabler rapportierte, daß er vor zwei Minuten einem
-asiatischen Gentleman, der etwas bezecht zu sein schien, in ein Auto
-geholfen hatte, das dann zur Wohnung dieses Herrn, Grosvenor Hotel,
-fortgerollt war.
-
-Der Oberst sah Allan an, während er sich den Schweiß von der Stirne
-wischte.
-
-„Der verdammte Schurke,“ murmelte er. „Das drittemal! Und auf ein Haar
-wäre es ihm geglückt ... Hol’s der Teufel -- ich kann nicht umhin, den
-Kerl zu bewundern.“
-
-„Gehen wir wieder hinauf,“ sagte der Direktor. „Seine Hoheit ... Seine
-wirkliche Hoheit kann Entschuldigungen und Erklärungen verlangen.“
-
-Er, der Oberst und Allan gingen die Treppe wieder hinauf; Herr van
-Schleeten hatte an der Jagd auf den falschen Maharadscha nicht
-teilgenommen. Die Leute auf dem Monmouth Square starrten die drei
-Herren an, von deren Gesichtern der Schweiß troff, trotzdem sie in
-Frack und weißer Krawatte waren. Im Festsaal angelangt, bot sich ihnen
-eine bunte Szene.
-
-Links von dem Eingange stand die Familie Bowlby unter dem Präsidium
-von Mrs. Bowlby, die mit ausgebreiteten Röcken bereit war, ihr
-Haus zu verteidigen, wie die Henne ihre Küchlein. Sie führte eine
-eifrige, leise Konversation mit ihrem Mann und ihrer Tochter und
-schleuderte hie und da einen herausfordernden Blick auf Mrs. Langtrey.
-Mrs. Langtrey stand mitten im Saale mit stolzer Haltung und einem
-unergründlichen Lächeln. Ihre Augen hingen an Yussuf Khan -- dem nun
-anerkannt richtigen -- und auf ein Kissen an der Festtafel gesunken,
-die Nasenfarbe von Chateau Lafitte in Haut Sauterne verwandelt, saß
-ein Herr mit dickem, gelbgrauem, jetzt schlaff hängendem Schnurrbart,
-dessen Augen nichts anderes sahen als Mrs. Langtrey -- Herr van
-Schleeten.
-
-Die schwarzen Diener und die Leibwache hatten sich in einem Kreis
-versammelt, wie eine Krähenkolonie über das Passierte schnatternd.
-Yussuf Khan -- der richtige -- stand, noch etwas schlapp, mit einem
-geleerten Weinglas in der Hand da und war der Gegenstand zärtlicher
-Worte und entschuldigender Bitten von seiten seines alten Lehrers.
-
-„Beim Propheten, mein Sohn, ich schäme mich wie ein Dieb, der im Basar
-auf frischer Tat ertappt wurde! Ich, ich selbst, dein Lehrer, ließ mich
-zwei Tage von diesem frechsten unter den Betrügern täuschen. Sogar
-seine Sprache war die deine, nur poetischer, worin ich eine Frucht
-der Lehren sah, die ich dir beizubringen bemüht. Mein Hochmut darüber
-machte mich noch blinder gegen seinen wirklichen Charakter, wofür Allah
-mir gnädig sein möge. Wahrlich, beim Propheten! Ich schäme mich! Wäre
-nicht dieser junge Mann mit dem wunderbar scharfen Falkenblick gewesen,
-du wärest jetzt vertrieben, und er, der Betrüger wäre in wenigen
-Wochen, wenn wir unser Land wiedersehen, nach dem ich mich sehne, wie
-der Hirsch nach der Quelle, auf den Thron von Nasirabad erhoben worden.
-Ueberaus treffend sagt der göttliche Zeltmacher --“
-
-Der Maharadscha unterbrach ihn, ohne die treffende Aeußerung des
-göttlichen Zeltmachers abzuwarten.
-
-„Ohne Zweifel“, sagte er, indem er sich aufrichtete, „hat der junge
-Mann, der mir unbekannt ist, jetzt das Verdienst, daß der Betrüger
-entlarvt wurde, aber ich hatte jemanden in meiner Gesellschaft, der
-bereit war, ihn zu entlarven. Sie wollte nur ihren Zeitpunkt wählen.“
-
-„Mein Sohn, ich bedauere, daß du mir den Schmerz bereitest, den Worten
-des göttlichen Zeltmachers nicht so gerne zu lauschen wie der elende
-Betrüger, Sohn Scheitans. Aber du sagtest +sie+? Meinst du die
-Frau, die in deiner Gesellschaft kam?“
-
-„Wie du sagst. Sie, die in meiner Gesellschaft kam, die von diesem
-Betrüger und Menschenräuber zu meiner Gefängniswärterin ausersehen
-war, die sich meiner in meiner Gefangenschaft erbarmte, und von der
-ich gleich noch mehr mit dir und Oberst Morrel Sahib sprechen werde.
-Fünf Tage war sie meine Wächterin, nur anfangs von dem Verbrecherkönig
-abgelöst. Ihre Milde zugleich mit der Festigkeit ihres Willens war
-bewunderungswürdig, und die Zeit in meinem Gefängnis, wo sie über mich
-wachte, war mir süßer als alle Stunden, die ich in der Gesellschaft
-anderer Frauen verbracht habe. Sie war fest wie die Hand des Reiters,
-wenn sie den Zügel hält, und sanft wie sie es ist, wenn sie das Fohlen
-streichelt. Heute -- doch später mehr davon. Du sagtest, daß wir schon
-in einigen Wochen unser Vaterland wiedersehen werden? War denn die Zeit
-für Eure Abreise schon bestimmt?“
-
-„Sie war von Oberst Morrel Sahib für morgen bestimmt, der es gestern
-als eine Gnade von Sr. Exzellenz dem Minister erwirkte, daß wir diese
-Stadt mit unversehrter Ehre und Turbans verlassen dürfen. Von solchen
-Dingen wie die, die unsere Anwesenheit hier verursacht hat, hat diese
-Stadt noch nie gehört, und sowohl die Bevölkerung hier wie Oberst
-Morrel Sahib sind mit Recht über mich empört, der ich dir ein so
-elendes Vorbild gewesen. Ach, du kannst in Wahrheit auf deinen Lehrer
-anwenden, was der göttliche Omar von seinen Lehrern sagte:
-
- Die hellsten Leuchten von den klügsten Köpfen,
- Die von den Sternen selbst die Weisheit schöpfen,
- Da liegen sie ...“
-
-„Da kommt Oberst Morrel Sahib,“ schnitt Yussuf Khan ab. „Das ist gut.
-Ich will sogleich mit ihm von dem sprechen, was mir am Herzen liegt.“
-
-Er ging dem Obersten entgegen, der sich noch nach der Verbrecherjagd
-die Stirne wischte und hie und da mit einem gemurmelten energischen
-Ausdruck die Fußknöchel rieb, die im Kampf gegen die Eingangstüre
-mitgewirkt hatten. Er starrte Yussuf Khan mit Blicken an, in denen
-allzu geringe Freude über die Rückkehr des rechten Thronprätendenten zu
-lesen war.
-
-„Eine saubere Geschichte,“ rief er, als trüge Yussuf Khan die Schuld
-an Herrn Mirzls Missetaten. „Habe ich gesagt eine verdammt saubere
-Geschichte? Was sage ich, ein ganzer Knäuel von verdammt sauberen
-Geschichten! Hätte Gott uns nicht diesen jungen Mann gesandt“ -- er
-wies auf Allan -- „so weiß der Teufel, wie es jetzt aussehen würde.“
-
-„Wer ist dieser junge Mann?“ sagte Yussuf Khan.
-
-„Er hat einen Namen, an dem man sich die Zunge zerbricht. Aber das tut
-nichts. Das ist das drittemal, daß es ihm gelungen ist, den Erzgauner
-zu überlisten, der sonst gewiß den Satan selbst beschwindeln kann,
-wenn er es darauf anlegt. Haben sie viele solche in Deutschland, wo er
-herkommt, dann begreife ich, daß wir Zölle gegen alles brauchen, was
-aus diesem Lande kommt. Dieser junge Mann -- ja hören Sie nur!“
-
-Er gab dem Maharadscha eine kurze, aber bunte und pittoreske
-Beschreibung Von Herrn Mirzls und Allans drei Duellen und unterließ
-es nicht, moralische Reflexionen über Yussuf Khans eigenen Anteil an
-den Malheurs einzuflechten, die ihn (Oberst Morrel) seit der Ankunft
-in Europa heimgesucht hatten, einem Weltteil, der vor Scham errötete,
-daß sich solche Dinge vor seinen Augen abspielten. Yussuf Khan hörte
-geduldig zu, bis er zu Ende war, und sagte dann:
-
-„Mein Lehrer Ali hat mir gesagt, daß es Eure Absicht war, Oberst Morrel
-Sahib, morgen nach Nasirabad mit diesem Betrüger als König an meiner
-Statt abzureisen. Ist das richtig?“
-
-Der Oberst knurrte ein halb zorniges, halb verlegenes „Ja“.
-
-„Es ist gut. Dasselbe ist nun meine eigene Absicht. Was diesen jungen
-Mann betrifft, werde ich mir später überlegen, was geschehen soll, um
-ihm meine Dankbarkeit zu bezeigen. Vorher kommt etwas anderes. Ich bin
-über das Meer in dieses Land gereist, um mir eine passende Gemahlin aus
-dem Volke der Sahibs zu erringen.“
-
-„Eine Prinzessin,“ knurrte der Oberst. „Diesen Plan müssen wir schon
-auf den Nagel hängen, nach allem, was Ew. Hoheit hier in London
-angestellt haben. Weiße Prinzessinnen sind ein bißchen heikel.“
-
-„Ihr sprecht töricht, Oberst Morrel Sahib, wir müssen diesen Plan nicht
-auf den Nagel hängen, wie Ihr sagt. Vielmehr wird schon an diesem Abend
-meine Vermählung gefeiert werden.“
-
-„Haha! Das ist gut! Wo ist denn die Prinzessin?“
-
-„Hier,“ sagte Yussuf Khan gelassen und wendete sich Mrs. Langtrey zu.
-
-So allmählich hatte sich ein Kreis aus allen Personen, die im Saal
-waren, um ihn gebildet. Bei seinen letzten Worten ertönte ein schriller
-Schrei von dem Punkt des Kreises, wo Mrs. Bowlby stand, noch immer ihre
-Familie hinter ihren ausgebreiteten grünen Brokatflügeln schützend:
-
-„+Haha! Die wird Königin!+“
-
-Yussuf Khan sah Mrs. Bowlby an.
-
-„Wer ist diese Frau, die törichte Worte durch die Nase entsendet?“
-fragte er.
-
-„Ew. Hoheit müssen das nicht beachten,“ sagte Mr. Bowlby, „wodurch
-sollte sie sie sonst entsenden?“
-
-„John! Du auch! Du verläßt deine Gattin und beleidigst sie öffentlich!“
-
-„Geliebte Susan. Bist du auf deine alten Tage eitel geworden? Du weißt,
-daß deine Nase Format zehn ist. Außerdem bist du Gast Sr. Hoheit,
-und es schickt sich nicht für dich, ihn oder seine anderen Gäste zu
-beleidigen.“
-
-Mrs. Bowlby schien nahe daran, in ihrem grünen Brokat zu explodieren,
-aber es gelang ihr, ihre Gefühle in ihren Busen hinabzupressen, und
-sie schwieg, nachdem sie dem Kreis im übrigen eine tiefe ironische
-Verneigung gemacht hatte. Yussuf Khan nahm Mrs. Langtrey bei der Hand
-und wandte sich seinem alten Lehrer zu.
-
-„Mein Lehrer Ali“, sagte er, „ist nächst mir selbst Scheik-ul-Islam in
-Nasirabad. Als solcher ist er bei fürstlichen Vermählungen derjenige,
-der das Ehepaar verbindet, und auch der berufenste, meiner Gemahlin
-später Unterricht in der Lehre des Propheten zu erteilen.“
-
-Bei diesen Worten bahnte sich trotz alledem ein heiserer Schrei den Weg
-aus Mrs. Bowlbys Brust.
-
-„+Die wird Mohammedanerin! Und die hundertfünfzig anderen?+“
-
-Yussuf Khan wandte sich ihr wieder mit erstauntem Ernst zu.
-
-„Wie töricht spricht doch diese Frau, jedesmal wenn sie sich äußert!
-Ein Bekenner der Lehre des Propheten hat nur vier Frauen. Ich
-persönlich habe nur zwei.“
-
-„Zwei! Wie kann man nur ... die ganze Welt weiß doch ...“
-
-„Die übrigen sind nur Nebenfrauen,“ sagte Yussuf Khan. „Und nun werden
-alle aus dem Palast entfernt und an einen passenden Aufenthaltsort
-gebracht werden. Von meiner Rückkehr nach Nasirabad an habe ich gleich
-den Regenten der Sahib nur eine Gemahlin.“
-
-Er machte einen ernsten Salaam vor Mrs. Langtrey, die ihm mit Blicken
-gefolgt war, aus denen zärtliche Heiterkeit sprach, und wandte sich an
-den Direktor.
-
-„Lasset alles für das Vermählungsfest in meinen Gemächern anordnen,“
-sagte er. „Ein Fest von passender Art soll dort nach der Vermählung
-gegeben werden. In diesem Saal, der von dem Betrüger verunreinigt
-wurde, will ich nicht länger weilen.“
-
- * *
- *
-
-Trotz alldem besiegte die Neugierde Mrs. Bowlbys übrige Gefühle,
-und als gegen elf Uhr abends das Vermählungsfest in Yussuf Khans
-Appartements gefeiert wurde, war sie auch mit dabei, vom Maharadscha
-eingeladen, der alles, was sie sagte, mit demselben erstaunten
-Interesse anhörte wie einen Papagei, der sprechen gelernt hat. Das
-Fest spielte sich diesmal nach europäischer Weise ab, und die Juwelen
-Nasirabads waren in der Mahagonikassette wohl verwahrt und wurden von
-der schwarzen Leibwache gegen alle neuen Versuche von seiten Herrn
-Mirzls geschützt. Der einzige orientalische Einschlag war der alte Ali,
-der in morgenländischem Kostüm ein hochgestimmtes Poem zu Ehren seines
-Schülers deklamierte, das nur etwas darunter litt, daß man _Pommery
-nature_ in ausgedehntem Maße serviert hatte. Mrs. Langtrey feierte
-ihren letzten Abend in europäischer Tracht mit einer Modestie, die
-sogar Mrs. Bowlby halb und halb versöhnte. Doch konnte diese Dame es
-nicht lassen, bei der ersten Gelegenheit auf den Maharadscha Beschlag
-zu legen, um zu fragen:
-
-„Aber wissen Hoheit nicht, daß Ew. Hoheit ... hm ... Gemahlin
-mindestens einmal verheiratet war?“
-
-„Was bedeutet das für mich?“ sagte Yussuf Khan, „das war ich doch
-selbst auch.“
-
-Mrs. Bowlby konnte diese Tatsache schwer in Abrede stellen.
-
-„Und daß sie die Freundin des Mannes war, der drei Attentate auf die
-Juwelen Ew. Hoheit und auf Ew. Hoheit selbst unternommen hat?“ beharrte
-Mrs. Bowlby, die ihren Ohren nicht trauen wollte. „Und daß sie selbst
--- --“
-
-„Ich weiß alles. Was macht mir das? Sie ist mein Auge und mein Ohr. Was
-ich nicht schauen konnte, werde ich durch sie schauen, und was ich nie
-gehört, wird sie mir erzählen. Nie habe ich süßere Tage durchlebt, als
-die zwei letzten, wo sie meine Wächterin war und wo sie während unserer
-Gespräche allmählich etwas anderes wurde und mich wählte anstatt des
-Mannes, der sie erstrebt hat und an dem sie durch seine Kühnheit
-Gefallen gefunden. Vielleicht war er durch seinen Mut ihrer würdiger
-als ich, der ich auch sonst ihrer unwürdig bin. In der Gesellschaft
-keiner Frau habe ich ein Glück gekostet, wie damals, als sie mir Trank
-und Speise reichte, und schließlich meine Bande löste. Ihr Wille ist
-fest wie eine Stahlklinge und weich wie der Brustflaum einer Taube. Vor
-allen anderen ist sie meine _Maharaneeh_.“
-
-Das Fest hatte etwa eine Stunde gedauert, als der Direktor sich mit
-einer Verbeugung auf der Schwelle des Speisesaales zeigte, mit einem
-Silbertablett, auf dem zwei Telegramme lagen. Der Maharadscha kannte
-die europäischen Gebräuche bei Hochzeiten nicht genügend, um die
-Bedeutung dieser Gegenstände zu verstehen, aber Oberst Morrel beeilte
-sich, die Telegramme in Empfang zu nehmen. Er riß das eine auf, starrte
-es einen Augenblick an und wurde vor Zorn ganz rot. Er wollte es
-wegwerfen, aber Yussuf Khan kam ihm zuvor.
-
-„Was steht auf diesem Papier geschrieben?“ sagte er. „Ich will es
-wissen. Handelt es von mir?“
-
-Der Oberst räusperte sich.
-
-„Es ist ein Telegramm von dem Schwindler,“ murmelte er.
-
-„Gut, lasset hören! Wenn dieser Mann auch ein Betrüger ist, so hat er
-doch Mut. Lasset hören, Oberst Morrel Sahib!“
-
-Der Oberst las:
-
- „An das königliche Brautpaar, Grand Hotel Hermitage.
-
- Unwürdige Glückwünsche des gestürzten Prätendenten. Möge der legitime
- Stamm sich allzeit fortpflanzen! Saget Ihrer Majestät, ich begreife,
- daß es einer Frau interessanter erscheint, über fünfzehn Millionen
- Mann zu regieren, als über einen einzigen, der allerdings vielleicht
- die fünfzehn Millionen aufwiegt, und ruhmreicher, die Regentenreihe
- Nasirabads fortzupflanzen als den Stamm de Citrac!
-
- Benjamin Mirzl, Ex-Maharadscha,
- Ex-Baron de Citrac.“
-
-
-„Und das andere?“ fragte Yussuf Khan, der den Oberst mit
-unerschütterlichem Ernst angehört hatte.
-
-„Das ist an den jungen Mann mit dem unaussprechlichen Namen.“
-
-„An mich!“ rief Allan. „Ich konnte mir denken, daß ich nicht leer
-ausgehen würde. Lesen Sie es nur, Oberst Morrel!“
-
-„Wie Sie wollen,“ sagte der Oberst und öffnete das Telegramm:
-
- „Mr. Allan Kragh, Suite des Maharadscha von
- Nasirabad, Grand Hotel Hermitage!
-
- Sie haben meine Pläne dreimal durchkreuzt, aber ich bin Ihnen nicht
- böse. Ich bin ja selbst in die Falle gegangen. Wie Herr van Schleeten
- ließ ich mich von einer Frau betören. Ich strebte drei Jahre nach
- ihrer Hand, und sie verschmähte mich, um über fünfzehn Millionen
- Neger zu herrschen. Aber einen Rat: Lassen Sie uns kein viertesmal
- zusammentreffen!
-
- Mirzl.“
-
-
- * *
- *
-
-Die Privatauseinandersetzung zwischen Allan und der ehemaligen Mrs.
-Langtrey gestaltete sich kurz und bestand nur in einem Lächeln und
-einem Händedruck.
-
-
-
-
-XIV
-
-Einfach, Nasirabad!
-
-
-Es besteht eine eingewurzelte Ueberzeugung bei alten Alkoholikern,
-daß kein Katzenjammer schlimmer ist, als der, den man vom Champagner
-bekommt. Allan Kragh war nicht abgeneigt, dieser Anschauung am Morgen
-nach Yussuf Khans Vermählung beizupflichten.
-
-Eigentlich war seine Lage nicht sehr angenehm. Nun wohl, er
-hatte Abenteuer gehabt, Abenteuer aus Tausendundeine Nacht,
-Champagnerabenteuer -- aber an diesem Morgen verspürte er hauptsächlich
-den Katzenjammer darnach. Seine Kasse hatte Herr Mirzl übernommen, und
-er wußte noch nicht, ob das Hotel dafür Ersatz leistete. Daß Herr Mirzl
-es nicht tat, war ziemlich ausgemacht. Yussuf Khan hatte von Belohnung
-für die Dienste gesprochen, die er dem Herrscher Nasirabads erwiesen,
-aber nach einer unbestimmten Aeußerung in dieser Richtung hatte er den
-Abend vorübergehen lassen, ohne daß mehr darüber verlautete. Allerdings
-hatte er das Halsband aus der Kronjuwelensammlung Nasirabads, aber da
-er es von Herrn Mirzl während dessen kurzer Regierungszeit erhalten,
-konnte er offenbar nichts anderes tun, als es zurückerstatten. Und
-selbst, wenn er vom Hotel Ersatz bekam, was sollte er dann anfangen?
-Nach den Abenteuern, die er nun gehabt, würden die meisten Erlebnisse
-schal wirken. Nach Hause reisen? Bei dem Gedanken an die brüllenden
-Akzeptanten daheim fühlte er einen Schauer wie der Gladiator bei dem
-Gedanken an die ausgehungerten Löwen der Arena. Nun, fürs erste war
-wohl nichts anderes zu tun, als zum Direktor zu gehen und zu fragen,
-wie es mit dem Ersatz für das gestohlene Geld stand.
-
-Der Direktor hatte offenbar denselben Champagnerkatzenjammer nach den
-Erlebnissen des gestrigen Tages wie Allan. Er war verschlossen und
-nicht besonders entgegenkommend.
-
-„Wie ich Ihnen schon gesagt habe, ich kann die Sache selber nicht
-entscheiden. Natürlich weiß ich alles zu schätzen, was Sie, wenn nicht
-für das Hotel, so für einen der Gäste getan haben, aber wie gesagt, ich
-kann nichts Bestimmtes versprechen, bevor ich nicht mit der Direktion
-gesprochen habe.“
-
-Allan ging mit einem Achselzucken und spazierte ein paarmal durch die
-große Halle, bis er sich erinnerte, daß Yussuf Khan und sein Gefolge
-schon zu Mittag abreisen sollte, und daß es daher an der Zeit war,
-das Halsband des Ex-Maharadschas Mirzl zurückzustellen. Er hatte es
-im Bankkontor bei dem jungen Manne deponiert, der einmal Herrn Mirzl
-sein Geld ausgeliefert hatte. Seltsamerweise war es noch da! Aber es
-brauchte Zeit, bis der junge Bankbeamte genügend von seiner Identität
-überzeugt war; und die Mühe, ihn zu überzeugen, brachte Allan nicht
-gerade in bessere Laune.
-
-„Wären Sie das vorigemal nur halb so genau gewesen, so wäre ich jetzt
-um dreihundert Pfund reicher,“ knurrte er den Bankbeamten an und begab
-sich in den ersten Stock. Die schwarze Leibwache, die im Korridor über
-die Sicherheit ihres Herrschers wachte, schien nicht unter derselben
-Depression zu leiden wie Allan. Sie schnatterte und wisperte in ihrem
-krähenähnlichen Dialekt. Offenbar hatten sie schon von der Heimreise
-erfahren und freuten sich bereits darauf. Sie ließen Allan mit einem
-Grinsen ein. Nun kannten sie ihn schon.
-
-Im Vorraum befand sich nur der alte Ali. Er begrüßte Allan mit
-demselben heiteren Lächeln, das die Leibwache draußen zur Schau
-getragen hatte.
-
-„Ah!“ sagte er. „In einigen Stunden befinden wir uns auf dem großen
-Wasser, von der Krankheit geplagt, die die Dämonen des Wassers die
-Eigenschaft haben, bei den Reisenden hervorzurufen. Ja, nur einige
-Stunden, und wir verlassen diese große wunderbare Stadt, von der wir
-dank dem König der Betrüger so wenig gesehen haben.“
-
-„Sie scheinen nicht gerade betrübt darüber, den Wasserdämonen zu
-begegnen,“ sagte Allan.
-
-„Nein, denn sie müssen mich ja doch in mein Land zurücktragen.
-Treffend und anmutig sagt ein Dichter, der sich freilich nicht mit
-dem göttlichen Zeltmacher messen kann: ‚Wer unter Palmen geboren ist,
-findet die Tannen häßlich, und für die Einwohner Delhis ist der Gestank
-ihrer Stadt schön.‘“
-
-„Ausgezeichnet, auf Ehre,“ sagte Allan. „Wie sieht es denn jetzt in
-Delhi aus?“
-
-„Wahrlich, junger Freund, ich kann es Ihnen nicht sagen. Es ist
-viermal zehn Jahre her, seit ich diese Stadt besucht habe. Und ich
-erinnere mich tatsächlich nur an einen großen Gestank und an eine
-Sonne, wie sie sich die Bevölkerung in London nicht träumen läßt,
-selbst wenn sie Haschisch kaut, und die unerträglich war wie Allahs
-Augen für den Ungläubigen.“
-
-„Das klingt ja lockend,“ sagte Allan.
-
-„Junger Freund,“ sagte der alte Hofdichter, „verstehe ich recht, Sie
-sind nie in Delhi gewesen?“
-
-„Sie haben mich recht verstanden,“ sagte Allan, „eigentümlicherweise
-habe ich total vergessen, Delhi zu besuchen.“
-
-„Aber sicherlich sind Sie in Indien gewesen,“ sagte Ali zuversichtlich.
-
-„Ich schäme mich, Ihnen eine Enttäuschung bereiten zu müssen,“ sagte
-Allan, „aber wie lächerlich es auch klingt, ich bin nicht einmal in
-Indien gewesen. Ich bin ein unerzogener Esel, mit abgeschnittenen Ohren
-und Scheuklappen um die Augen. Sagt das nicht der göttliche Zeltmacher
-irgendwo?“
-
-„Der göttliche Omar hat diese Aeußerung nie gemacht,“ sagte Ali. „Das
-muß irgendein anderer Dichter von geringerer Bedeutung gewesen sein.
-Aber wer nie in Indien war, der ist wie ein unerfahrenes Kind, und
-wer nie in Nasirabad gewesen, wie ein Ungeborener. Da ist der Himmel
-blauer denn irgendwo und die Luft kühler. Dort scheint die Sonne mit
-ungewöhnlicher Klarheit, aber sie brennt nicht wie über den Ungläubigen
-in Delhi. Die Berge sind mit Zedern und Pinien bewachsen, und in ihrem
-Schatten duftet es süßer als aus dem Haar eines Weibes. Karawanen mit
-bewaffnetem Schutzgefolge ziehen durch die Pässe auf und nieder, und
-am Abend duftet es von ihren Lagerfeuern nach gekochtem Hammelfleisch,
-Reis und guter Butter. Dieser Duft ist köstlicher als andere Düfte, und
-wer ihn nie geatmet hat, ist wie einer, der nie Wein getrunken oder den
-Mund einer Geliebten geküßt. Die Frauen in Nasirabad haben schlankere
-Mitte, üppigere Hüften und kleinere Händchen und Füßchen als andere
-Frauen, und ihre Augen sind schwarz und funkelnd wie die Nacht im
-Winter. Nein, wer nie in Nasirabad gewesen, hat nie gelebt.“
-
-„Ich beginne es zu glauben,“ murmelte Allan zu sich selbst; und während
-der alte Dichter fortfuhr, in langen Sätzen und mit zahlreichen Zitaten
-aus dem göttlichen Zeltmacher und anderen Dichtern von geringerer
-Bedeutung sein Vaterland zu beschreiben, sah er vor seiner Seele in
-einem Blitz den ganzen Orient, bunt flammend von Düften und Visionen,
-so wie Yussuf Khans Juwelen von Licht und Farben flammten. Er stand
-noch halb traumbefangen, als die Türe des inneren Gemaches sich öffnete
-und Yussuf Khan selbst erschien, begleitet von seiner Gemahlin und dem
-Obersten. Allan verbeugte sich und zog das Halsband hervor, das Yussuf
-Khan mit erstaunter Miene betrachtete.
-
-„Das habe ich von Ew. Hoheit falschem Repräsentanten bekommen,“ sagte
-Allan, „darf ich bitten, es Ew. Hoheit selbst zurückgeben zu dürfen,
-bevor er es mir wieder stiehlt.“
-
-„Bekommen?“ wiederholte Yussuf Khan.
-
-„Zur Belohnung,“ schaltete der alte Ali ein. „Weil dieser junge Mann
-ihn zweimal verhindert hat, deine Juwelen zu stehlen, mein Sohn,
-hat ihm der König der Betrüger dieses Geschmeide geschenkt, ich war
-selbst anwesend. Die Schamlosigkeit dieses Betrügers wurde durch eine
-Scherzhaftigkeit gemildert, die ich zuweilen bewundern muß.“
-
-Yussuf Khan sah Allan an.
-
-„Und nun wollt Ihr das zurückgeben,“ fragte er. „Warum?“
-
-„Ich habe es doch von einem Schwindler bekommen,“ begann Allan.
-
-Yussuf Khan unterbrach ihn:
-
-„Es ist gut. Der Betrügerkönig, der meine Juwelen stehlen wollte und
-zwei Tage hindurch meinen Namen stahl, hat ein Werk getan, das ihm zum
-Verdienst gereicht. Ich bin Euch, junger Sahib, mehr schuldig, als mit
-diesem Schmuckstück bezahlt werden kann. Sagt mir, was ich tun kann, um
-meine Schuld zu tilgen. Sprechet frei, und wisset, daß alles, was Ihr
-begehrt, im vorhinein bewilligt ist.“
-
-Allan sah das Halsband, das er in der Hand hielt, unentschlossen
-an. Geschenke und Belohnungen anzunehmen, widerstrebte seinem
-Nationalinstinkt; aber dennoch wußte er, daß eine Weigerung verletzend
-wirken würde, und dabei konnte er sich nicht von dem Gedanken
-losmachen, was er eigentlich anfangen sollte, wenn diese Personen fort
-waren, in deren Drama er mitgespielt hatte. Der alte Ali sagte zum
-Maharadscha:
-
-„Mein Sohn, denke dir, dieser junge Mann, aus dessen Zügen Begabung
-und edle Gesinnung sprechen, und der uns große Dienste erwiesen hat,
-hat in seinem ganzen Leben weder Delhi noch Nasirabad gesehen, ja,
-er hat nicht einmal Indien besucht. Mit Worten, dem besten unserer
-Dichter entnommen, zu denen ich für mein eigen Teil viel zu unwürdig
-bin gezählt zu werden, habe ich versucht, ihm ein mattes Bild von
-Nasirabads Schönheit zu geben.“
-
-Allan kam eine Idee, die ihn erzittern ließ. Nach diesen Abenteuern aus
-Tausendundeiner Nacht mußte alles andere als Tausendundeine Nacht einen
-faden Geschmack haben ... und war Tausendundeine Nacht denn anderswo zu
-finden als in dem uralten Märchenlande selbst?
-
-„Hoheit,“ sagte er, „wollen mir Ew. Hoheit irgendeinen Posten in Ihren
-Diensten in Nasirabad verleihen?“
-
-Yussuf Khan starrte ihn an.
-
-„Ist das alles, was Ihr wünscht?“ fragte er.
-
-„Ja,“ sagte Allan, „welchen Platz immer.“
-
-Yussuf Khan betrachtete ihn noch einen Augenblick.
-
-„Gut,“ sagte er, „ich habe versprochen, Euren Wunsch zu erfüllen, was
-immer Ihr begehrt. Von heute an seid Ihr mein nächster Mann in allem,
-was nicht die Regierung der Sahibs in meinem Lande betrifft. Aber
-wisset, daß wir diese Stadt in wenigen Stunden verlassen.“
-
-„Ich weiß es,“ sagte Allan, „und ich werde mich mit dem Packen beeilen.
-Ich packe jetzt meine Koffer zu einer Reise nach Tausendundeine Nacht!“
-
- * *
- *
-
-Dasselbe sagte er ein paar Stunden später zur Familie Bowlby, als er
--- obendrein mit seinen dreihundert Pfund vom Hotel in der Tasche --
-auf der Eingangstreppe des Hotels von ihr Abschied nahm. Mrs. Bowlby,
-skeptisch bis zuletzt, sagte:
-
-„Ich bin überzeugt, er wird Sie nur dazu verwenden, seine
-Hundertundfünfzig zu bewachen.“
-
-„Mrs. Bowlby,“ sagte Allan, „ich glaube, daß es Kompetenzbedingungen
-für eine solche Stellung gibt, die ich nicht erfüllen kann.“
-
-Oberst Morrel, der daneben stand, lachte barsch in seinen weißen
-Schnurrbart und bemerkte:
-
-„_All right_, junger Freund, Indien hat sich seit der Zeit
-Harun al Raschids ein bißchen verändert. Es ist nicht gesagt, daß
-Sie dieselben Abenteuer finden, wie in Tausendundeine Nacht. Aber im
-Notfalle können Sie immer einen Platz unter dem Residenten haben und
-mit etwas Bekanntschaft machen, worin Sie, wie ich glaube, noch keine
-große Erfahrung haben, nämlich die Arbeit. -- Es ist Zeit, in das Auto
-zu steigen.“
-
-„Und die Arbeit“, rief Mr. Bowlby Allan nach, indem er ihm ein Lebewohl
-zuwinkte -- „ist doch endlich und schließlich das größte Abenteuer.“
-
-
-
-
-Frank Heller
-
-Herrn Collins Abenteuer
-
-Roman
-
-Autorisierte Uebersetzung aus dem Schwedischen von Marie Franzos
-
-21.-30. Tausend
-
- Geheftet Mk. 5.50 Gebunden Mk. 7.50
-
-+Münchener Neueste Nachrichten+: ... mit dem vergnüglichsten
-und kurzweiligsten Buch sei begonnen. Herrn Philipp Collins
-Abenteuer von dem gewandten geschliffenen Schweden Frank Heller ist
-ein Detektivroman, aber keiner jener dutzendhaften, langweiligen,
-angelsächsischen Art, die nur mehr Köchinnen und Gymnasiasten gruseln
-macht. In dem Buche ist Abwechslung, Spannung, unverbrauchter Witz.
-Blitzschnelle Phantasie, die wie der elektrische Funke um den Erdball
-springt, wirbelt die Geschehnisse durcheinander; dem Verfasser gelingt
-die Verblüffung, die schließlich das Kunststück der Detektivgeschichte
-ist.
-
-+Das Literarische Echo+: Es hat nichts mit großer Literatur zu
-tun, dieses famose Buch, und das ist seine oberste Tugend. Seine zweite
-ist seine Tugendlosigkeit. Das Böse triumphiert zu unserem Entzücken,
-und die Bravheit muß mit langer Nase abziehen. Man lacht nicht, aber --
-was viel schöner ist -- man wird durch und durch heiter, stillvergnügt,
-spitzbübisch froh. Es fließt kein Blut, kein Mord muß gesühnt werden;
-unsere Spannung wird edler erregt. Das ist sympathischer als Doyle,
-Green, Gaboriau. Also, Herr Heller, es hat uns sehr gefreut. Beehren
-Sie uns wieder.
-
-
-Georg Müller Verlag, München
-
-
-
-
-Frank Heller
-
-Die Finanzen des Großherzogs
-
-Roman
-
-Autorisierte Uebersetzung aus dem Schwedischen von Marie Franzos
-
-13.-22. Tausend
-
- Geheftet Mk. 5.50 Gebunden Mk. 7.50
-
-+Wiener Abendpost+: Dieser Autor läßt einen nicht zu Atem kommen,
-bevor man auf der letzten Seite angekommen ist. Er hat ein Buch
-geschrieben, das man verschlingt, wie man es in der seligen Bubenzeit
-mit den Indianergeschichten getan hat. Wahrhaftig, dieser Frank Heller
-ist ein Indianerromancier für Erwachsene, ein glänzend begabter,
-ideenreicher, witziger, gescheiter noch dazu.
-
-+Neue Züricher Zeitung+: So spannend in der Handlung die Romane
-des jungen Schweden sind, so humorvoll sind sie zu gleicher Zeit. Wie
-er es fertig bringt, das Ernsthaft-Gefährliche einer Situation und
-deren komischen Moment stilistisch wiederzugeben, das verdient alle
-Aufmerksamkeit. Zutiefst kollert immer ein befreiendes Lachen. Und
-dieser Humor ist nichts Gesuchtes, sondern wirkt selbstverständlich und
-berechtigt. Die Originalität dieses Kriminalromans stellt ihn auf eine
-literarische Stufe, die bis jetzt auf diesem Gebiete wohl noch selten
-oder nie erreicht worden ist.
-
-
-Georg Müller Verlag, München
-
-
-
-
-Frank Heller
-
-Lavertisse macht den Haupttreffer
-
-Roman
-
-Autorisierte Uebersetzung aus dem Schwedischen von Marie Franzos
-
-9.-18. Tausend
-
- Geheftet Mk. 5.50 Gebunden Mk. 7.50
-
-+München-Augsburger Abendzeitung+: Wir bedürfen der leichtern
-Kunst gegenüber den schweren Lasten des ernsten Lebens, wir brauchen
-eine Stunde des Untertauchens, wenn unsere Seele oder unser Geist in
-hochgespannter Arbeit sich heiß gelaufen haben. Der Roman Hellers
-ist in diesem Sinne sogar ein Kohlensäure-Bad, prickelnd von einem
-geistigen Fluidum, das erfrischend wirkt, gegossen in das Gefäß eines
-glatten, blanken, glitzernden Stils und angereichert durch überlegenen
-Humor von snobistischer Färbung.
-
-+Neueste Hamburger Zeitung+: Was die Bücher Frank Hellers so
-anziehend macht, ist die fast übermütige Darstellung der Gauner-
-und Heldenstreiche, die famose Ueberlegenheit, mit der hier die
-Wirklichkeiten durcheinandergeschoben und in immer neue, überraschende
-Kombinationen gebracht werden. Es fehlt die Betonung des reinen
-Handwerks (die bei Conan Doyle etwa vorherrscht), er ist nicht vom
-„Fall“ ausgegangen, sondern vom Charakter des Helden. Das ist viel
-interessanter als Sherlock Holmes, weil er ein lebendiger, beweglicher,
-blendender Kerl ist.
-
-
-Georg Müller Verlag, München
-
-
-Druck von Mänicke und Jahn in Rudolstadt
-
-*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK YUSSUF KHANS HEIRAT ***
-
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-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
-and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
-generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
-Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
-www.gutenberg.org
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-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation
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-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
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-Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
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-Literary Archive Foundation
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-<p style='text-align:center; font-size:1.2em; font-weight:bold'>The Project Gutenberg eBook of <span lang='de' xml:lang='de'>Yussuf Khans Heirat</span>, by Frank Heller</p>
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
-of the Project Gutenberg License included with this eBook or online
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-</div>
-</div>
-
-<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:1em; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Title: <span lang='de' xml:lang='de'>Yussuf Khans Heirat</span></p>
-<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Author: Frank Heller</p>
-<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Translator: Marie Franzos</p>
-<p style='display:block; text-indent:0; margin:1em 0'>Release Date: April 20, 2022 [eBook #67885]</p>
-<p style='display:block; text-indent:0; margin:1em 0'>Language: German</p>
- <p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em; text-align:left'>Produced by: the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net</p>
-<div style='margin-top:2em; margin-bottom:4em'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK <span lang='de' xml:lang='de'>YUSSUF KHANS HEIRAT</span> ***</div>
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-<div class="transnote mbot3">
-
-<p class="s3 center"><b>Anmerkungen zur Transkription</b></p>
-
-<p class="p0">Der vorliegende Text wurde anhand der 1919 erschienenen
-Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben.
-Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche
-und heute nicht mehr gebräuchliche Schreibweisen bleiben gegenüber dem
-Original unverändert; fremdsprachliche Zitate und Ausdrücke wurden
-nicht korrigiert. Umlaute in Großbuchstaben (Ä, Ö, Ü) werden durch ihre
-Umschreibungen dargestellt (Ae, Oe, Ue).</p>
-
-<p class="p0">Die Seitenzahlen des <a
-href="#Inhalt">Inhaltsverzeichnisses</a> wurden, falls notwendig,
-entsprechend des jeweiligen Kapitelanfangs in der Buchausgabe
-korrigiert. Die dort aufgeführten Kapitelüberschriften stimmen nicht in
-allen Fällen mit den Überschriften im Text überein; dies wurde aber so
-belassen.</p>
-
-<p class="p0">Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt; Passagen
-in <span class="antiqua">Antiquaschrift</span> werden im vorliegenden
-Text kursiv dargestellt. <span class="hidehtml">Abhängig von der im
-jeweiligen Lesegerät installierten Schriftart können die im Original
-<em class="gesperrt">gesperrt</em> gedruckten Passagen gesperrt, in
-serifenloser Schrift, oder aber sowohl serifenlos als auch gesperrt
-erscheinen.</span></p>
-
-</div>
-
-<div class="figcenter illowe32 x-ebookmaker-drop break-before" id="cover">
- <img class="w100" src="images/cover.jpg" alt="" />
- <div class="caption">Original-Einband</div>
-</div>
-
-<div class="titelei">
-
-<p class="s3 center padtop3 break-before">Frank Heller / Yussuf Khans Heirat</p>
-
-<p class="s4 center">Autorisierte Uebertragung aus dem Schwedischen von Marie
-Franzos</p>
-
-<div class="figcenter illowe5" id="signet">
- <img class="w100" src="images/signet.jpg" alt="Verlagssignet" />
-</div>
-
-<p class="s2 center mtop3 padtop3 break-before">Frank Heller</p>
-
-<h1> Yussuf Khans Heirat</h1>
-
-<p class="s3 center">Roman</p>
-
-<hr class="zier" />
-
-<p class="s4 center">München 1919 bei Georg Müller</p>
-
-<p class="s5 center padtop5 break-before">1. bis 10. Tausend</p>
-
-<p class="s5 center antiqua">Copyright 1919 by Georg Müller in München</p>
-
-</div>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="nobreak" id="Inhalt">Inhalt</h2>
-
-</div>
-
-<table class="toc" summary="Inhaltsverzeichnis">
- <tr>
- <td colspan="2">
- <div class="kapitelnummer">Erstes Kapitel</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td>
- <div class="ueberschrift">Lyrischer Prolog</div>
- </td>
- <td>
- <div class="seitennummer"><a href="#I">7</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td colspan="2">
- <div class="kapitelnummer">Zweites Kapitel</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td>
- <div class="ueberschrift">Vorsicht bei Eisenbahnfahrten</div>
- </td>
- <td>
- <div class="seitennummer"><a href="#II">21</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td colspan="2">
- <div class="kapitelnummer">Drittes Kapitel</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td>
- <div class="ueberschrift">Das große Hotel</div>
- </td>
- <td>
- <div class="seitennummer"><a href="#III">57</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td colspan="2">
- <div class="kapitelnummer">Viertes Kapitel</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td>
- <div class="ueberschrift">Yussuf Khan, Maharadscha von Nasirabad</div>
- </td>
- <td>
- <div class="seitennummer"><a href="#IV">82</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td colspan="2">
- <div class="kapitelnummer">Fünftes Kapitel</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td>
- <div class="ueberschrift">Das große Hotel (Fortsetzung)</div>
- </td>
- <td>
- <div class="seitennummer"><a href="#V">92</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td colspan="2">
- <div class="kapitelnummer">Sechstes Kapitel</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td>
- <div class="ueberschrift">Das Loch in der Wand und das Loch im Boden</div>
- </td>
- <td>
- <div class="seitennummer"><a href="#VI">108</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td colspan="2">
- <div class="kapitelnummer">Siebentes Kapitel</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td>
- <div class="ueberschrift">Ein Verschwinden mit Nebenumständen</div>
- </td>
- <td>
- <div class="seitennummer"><a href="#VII">143</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td colspan="2">
- <div class="kapitelnummer">Achtes Kapitel</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td>
- <div class="ueberschrift">Mynheer van Schleetens Erlebnisse</div>
- </td>
- <td>
- <div class="seitennummer"><a href="#VIII">162</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td colspan="2">
- <div class="kapitelnummer">Neuntes Kapitel</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td>
- <div class="ueberschrift">Yussuf Khans Wiederkehr</div>
- </td>
- <td>
- <div class="seitennummer"><a href="#IX">187</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td colspan="2">
- <div class="kapitelnummer">Zehntes Kapitel</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td>
- <div class="ueberschrift">Die Nachwirkung einer tollen Nacht auf Fürsten
- und Poeten</div>
- </td>
- <td>
- <div class="seitennummer"><a href="#X">211</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td colspan="2">
- <div class="kapitelnummer">Elftes Kapitel</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td>
- <div class="ueberschrift">das seinen Zweck erfüllt, den Leser zu verwirren</div>
- </td>
- <td>
- <div class="seitennummer"><a href="#XI">239</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td colspan="2">
- <div class="kapitelnummer">Zwölftes Kapitel</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td>
- <div class="ueberschrift">Ein Fest und sein Abschluß</div>
- </td>
- <td>
- <div class="seitennummer"><a href="#XII">256</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td colspan="2">
- <div class="kapitelnummer">Dreizehntes Kapitel</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td>
- <div class="ueberschrift">Yussuf Khans Heirat</div>
- </td>
- <td>
- <div class="seitennummer"><a href="#XIII">269</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td colspan="2">
- <div class="kapitelnummer">Vierzehntes Kapitel</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td>
- <div class="ueberschrift">Einfach, Nasirabad</div>
- </td>
- <td>
- <div class="seitennummer"><a href="#XIV">286</a></div>
- </td>
- </tr>
-</table>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_7">[S. 7]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="I">I<br />
-
-<em class="gesperrt">Lyrischer Prolog</em></h2>
-
-</div>
-
-<p>Held eines Romans, Held einer Folge von Abenteuern — klingt das nicht
-wie törichter Nonsens? Wer glaubt an Romane im wirklichen Leben, wer
-glaubt daran, daß es noch Abenteuer gibt? Die Abenteuer, sagte man im
-achtzehnten Jahrhundert, sind vor zweihundert Jahren ausgestorben. Zur
-Zeit der Renaissance, <em class="gesperrt">da</em> gab es Abenteuer!</p>
-
-<p>Sie sprechen heute von Abenteuern, wiederholt man im neunzehnten
-Jahrhundert, ha ha! Sie entschuldigen schon ... Die Abenteuer sind mit
-Napoleon ausgestorben, dem leibhaftigen Abenteuer in Fleisch und Blut.
-Zu Napoleons Zeit gab es Abenteuer. Aber <em class="gesperrt">jetzt</em>! Nein wirklich,
-Sie müssen schon entschuldigen.</p>
-
-<p>Herrn Allan Kraghs Zeit fiel in das zwanzigste Jahrhundert, das heißt
-jener Teil seines Lebens, den er wirklich so nennen konnte. Er war
-nämlich 1885 geboren; und wenn auch die ersten fünfzehn Jahre unseres
-Lebens später fast immer mit einem Seufzer zu den glücklichsten
-gerechnet werden, ist es zweifelhaft, ob sie während ihres Verlaufes
-auch in dieser Weise aufgefaßt werden. Höchst zweifelhaft. Ja, warum
-sollte man Haeckels berühmte These vom Leben des Individuums als Resumé
-des Lebens der Gattung nicht darauf anwenden können? Genau wie es<span class="pagenum" id="Seite_8">[S. 8]</span> für
-die meisten Menschen ein Glaubensartikel ist, daß alles Romantische
-sich zur Zeit Roms, zur Zeit der Renaissance, zur Zeit der Revolution
-zugetragen hat und auf jeden Falls jetzt, seit der eigene kleine
-Privatlebensbetrieb des Betreffenden begonnen hat, so ferne und tot
-ist, wie ein geologisches Zeitalter — genau in derselben Weise denkt
-man mit dreißig Jahren an die Zwanzig zurück (<em class="gesperrt">da</em> war es noch
-eine Freude zu leben), mit Fünfzig an die Dreißig, und überhaupt die
-ganze Zeit, seit man lange Hosen oder Röcke zu tragen bekommen hat, an
-die unaussprechlich fröhliche, spannende, romantische Kindheit, die
-jetzt tot und begraben ist, und nie zu einem armen Teufel wiederkehrt,
-der in einem grauen, uninteressanten Alltagsleben verkümmern muß.</p>
-
-<p>Und dabei sind die ganze Zeit die Abenteuer da, für den, der sie zu
-finden weiß. Sie sind überall da, wie Sonnenschein und Regen, aber
-im Gegensatz zu diesen mehr oder weniger ungleichmäßig verteilt auf
-Gerechte und Ungerechte. Es gibt Individuen, in deren Leben die
-Abenteuer sich geradezu häufen, ohne daß sie eigentlich etwas dafür
-können, und es gibt andere, die in die Grube fahren, ohne daß ihnen ein
-Abenteuer begegnet ist. Wer weiß? Vielleicht begegnet es ihnen dort!</p>
-
-<p>Daß Allan Kragh Abenteuer erlebte, lag sowohl an ihm selbst wie an den
-Umständen, deren Verlauf wir in Kürze skizzieren wollen. Sein Dasein
-begann so uninteressant als nur möglich; denn was ist uninteressanter
-als ein junger Mann, dessen Leben im Alter von einundzwanzig
-Jahren schon Punkt für Punkt<span class="pagenum" id="Seite_9">[S. 9]</span> arrangiert vor ihm liegt, wie ein
-Konzertprogramm? Zuerst ein Einzugsmarsch: einige flotte Studienjahre;
-ein Walzer: eine bessere Verlobung; Stimmungsstück: die Ehe beginnt,
-und so weiter bis zum Schlußmarsch hinter dem Sarg. So sah es aus,
-als sollte Allan Kraghs Leben sich gestalten, und dann kam von dem
-ursprünglichen Programm eigentlich nur der Einzugsmarsch zur Ausführung.</p>
-
-<p>Jetzt fragt wohl der Leser: Wie konnte Herrn Allan Kraghs Leben schon
-im Alter von einundzwanzig Jahren so wohlgeordnet aussehen? Es steht
-in der Regel, Gott sei’s geklagt, um die jungen Männer nicht so gut.
-Sollte Herr Kragh vermögend gewesen sein? Auf diese Frage beeilen wir
-uns wahrheitsgetreu zu antworten: Herr Allan Kragh war vermögend.
-Und er war sogar mit einundzwanzig Jahren Herr über sein Vermögen,
-da seine Eltern tot waren. Und in diesem Alter finden wir ihn an der
-Universität, ohne beschützende Verwandte, als Herr über fünfzigtausend
-Kronen und im übrigen als einen etwas trägen, gutmütigen, ziemlich
-begabten, hübsch gewachsenen schwedischen Jungen; außerdem (oder
-folglich) so wie König Erik XIV., leichtsinnig und mit einer Umgebung
-von nicht gerade trefflichen Ratgebern.</p>
-
-<p>Herrn Allan Kraghs Studien interessieren uns nicht im besonderen
-Grade. Schon zur Zeit Mäcenas’ gab es solche, die Freude daran hatten,
-den olympischen Staub der Rennbahn mit dem Rade aufzuwirbeln; andere
-wiederum, die größeres Interesse daran fanden, in wechselndem Metrum
-den von Königen herstammenden Mäcenas zu preisen. Allan Kragh zeigte
-sich<span class="pagenum" id="Seite_10">[S. 10]</span> bald von der erstgenannten dieser beiden Tätigkeiten gefesselt;
-er wirbelte recht viel Staub auf seiner akademischen Rennbahn auf,
-während Personen seiner Umgebung, ohne seine Genealogie von so
-hohem Ursprung wie die Mäcenas’ abzuleiten, ihn doch als geeigneten
-Gegenstand für Huldigungsoden erkannten und ihn ihren Schutz und Schirm
-nannten.</p>
-
-<p>Was sagt doch der Dichter von einem achtjährigen rauschenden Gelage?
-Allan Kragh brachte es nicht weiter als bis zu sechs Jahren an der
-Universität, aber daß diese von rauschenden Festen erfüllt waren, hätte
-nur ein sehr weitgehender Jünger Zenos bezweifeln können. Jedenfalls
-nicht die Kellner der Universitätsstadt oder ihrer Umgebung, auch nicht
-die Kellermeister, auch nicht die Schneider. Und schon gar nicht die
-Bank, wo seine Fünfzigtausend standen und sich nicht nur hartnäckig
-weigerten, sich zu verzinsen, sondern vielmehr eine unheimliche Tendenz
-zeigten, zum Kassagitter hinauszurutschen.</p>
-
-<p>Schon in seinen ersten Studienjahren lernte er Hermann Bergius kennen,
-der der Feldmarschall bei den Feldzügen von Allans sechsjähriger
-Glanzzeit wurde. Hermann Bergius war ein spätgeborener Sprößling der
-großen Freibeuterführer; die verweichlichten Zeiten hinderten ihn,
-gleich diesen mit dem Schwert zu kämpfen und sich zu bereichern;
-er stritt deshalb mit der Zunge. Jahr um Jahr war vergangen, eine
-Generation war der anderen an der Universität gefolgt, der ungestüme
-Strom der Zeit war vorbeigebraust, und jede neue Generation fand
-Hermann Bergius da, wo er, wenn nicht tausend, so doch fünfzehn runde
-Jahre<span class="pagenum" id="Seite_11">[S. 11]</span> gestanden hatte, den Blick, zwar nicht in den trüben Strom der
-Zeit, so doch in den des Punsches versenkt. Wie gewisse griechische
-Philosophen vor Sokrates teilte er den Weg in eine unendliche
-Anzahl kleiner Teilchen; und so wie jene auf diese Art nachwiesen,
-daß Achilles die Schildkröte nicht einholen konnte, bewies Hermann
-Bergius auf seine Weise, daß die Zeit ihn nie zu erreichen vermochte.
-Seine Bildung war umfassend, sein Humor ungewöhnlich, sein Appetit
-unermeßlich, sein Durst noch größer; seine Fähigkeit, Strapazen und
-Ausschweifungen gleich gut zu ertragen, des Größten aller Römer würdig.</p>
-
-<p>In seiner Armee spielte Allan Kragh hauptsächlich die Rolle des
-Quartiermeisters; er bezahlte die Tagesrationen aus, sorgte für die
-Verpflegung und das Nachtlager der Truppen und hatte nach der Regel
-des siebzehnten Jahrhunderts vor allem dafür einzustehen, daß sie,
-wenn schon nichts anderes, so doch jeden Tag einen tüchtigen Trunk
-erhielten. Dank dem freundschaftlichen Fuße, auf dem er mit den Banken
-stand, war dies ein zwar schwieriger, aber doch zu bewältigender
-Posten. Seine Belohnung war die Freundschaft des großen Feldmarschalls
-und verschiedentliche Erwähnungen in den Tagesrapporten.</p>
-
-<p>Es würde zu weit führen, alle Helden der Armee der großen Zeit
-aufzuzählen. Da war John Peter S., Hermann Bergius’ nächster
-Mann und Adjutant. Da war eine unzählige Schar Kombattanten und
-Nichtkombattanten, Freibeuter aus allen Teilen des Reiches, Söldner
-für längere oder kürzere Zeit. Da war O. B., ein alter Spartaner,
-wie Bergius sagte,<span class="pagenum" id="Seite_12">[S. 12]</span> der sich auch in gebettete Betten nur mit den
-Kleidern legte. Da war der Amanuensis, unabsetzbarer Amanuensis in
-den Kaffeehäusern, aber von der Institution in dieser Eigenschaft
-längst verabschiedet. Sein Wahlspruch war: „Kreuzdonnerwetter, was ein
-alter Feldwebel ist, der kann immer noch eins vertragen.“ Abgesehen
-vom Amanuensis war er nämlich auch Feldwebel, und zwar mit ebenso
-großem Recht, ganz wie der König von Dänemark in seinen Kundgebungen
-noch immer über Dithmarschen, Lauenburg, Venden und weiß Gott was
-regiert. Da war Aistjerna, der eine kurze Gastrolle gab, bevor ihn
-seine hochadelige Familie noch rasch rettete, und dessen berühmtester
-Ausspruch fiel, als er Hermann Bergius über seine schon längere Zeit
-andauernde Obdachlosigkeit trösten wollte: „Ja, lieber Hermann, auch
-ich — äh — habe die Schrecken des Bohemelebens kennen gelernt —
-es hat Nächte gegeben, — äh — wo ich mich nicht nach Hause traute,
-sondern — äh — tatsächlich im Bristol übernachten mußte.“ Berühmt
-waren auch seine Reflexionen über die Spatzen: „So ein Spatz — äh
-— das ist wohl so ’ne Art Müller oder Schulze in der Vogelwelt.“ —
-Eine kurze, vielversprechende Laufbahn, so lautete Hermann Bergius’
-Grabschrift für ihn, als die hochadeligen Verwandten ihr Rettungswerk
-vollendet hatten. — Da war noch der berühmte Baron vom Altmarkt, der
-Schrecken errötender Jungfrauen und die Sorge weinender Mütter, ein
-Casanova, fehl an Zeit und Ort — ja es war ein buntes Gefolge, und
-es waren bunte Erlebnisse, die Allan in ihrer Gesellschaft hatte.
-Natürlich immer in einem<span class="pagenum" id="Seite_13">[S. 13]</span> engen geographischen Kreis: Von Langfahrten
-war eigentlich nur die große Expedition nach Berlin zu verzeichnen,
-hauptsächlich denkwürdig durch den von Allan meisterlich geleiteten
-Rückzug: Fast ohne Geld, bedroht von der Meuterei der erregten
-Truppen und zu beständigen Hinterhutgefechten mit der rachedurstigen
-Bevölkerung genötigt, hatte er eine nichts weniger als leichte
-Aufgabe. Endlich stand man tiefbewegt wieder auf schwedischem Grund
-und Boden, wo Allan bei der großen Festmahlzeit vom Feldmarschall
-mit einer Umarmung vor den Truppen ausgezeichnet wurde, worauf man
-telegraphischen Rapport über den Rückzug an Seine Majestät den König
-absandte, an das deutsche Departement des Aeußern und den Sultan von
-Marokko, dem es augenblicklich auch dreckig ging.</p>
-
-<p>Sechs Jahre von goldenen Sekunden waren auf diese Weise verronnen, da
-kam ein schöner Tag, der Allans großer Zeit ein katastrophales Ende
-bereitete. Und die direkte Ursache war so unbedeutend, daß sie auf den
-ersten Blick lächerlich erscheinen kann. Es begab sich, daß Allan am
-ersten Tage des Wintersemesters des siebenten Jahres an einen Ort kam,
-den er schon sehr lange nicht gesehen hatte — die Universität. Die
-Vorlesungen in den Sälen sollten eben beginnen. Der Gedanke, eine davon
-zu besuchen, berührte Allan höchst humoristisch und barock — eine gute
-Geschichte für den Freundeskreis. Es waren gut drei Jahre her, seit er
-zuletzt da oben gewesen war. Er ging in den ersten besten Hörsaal, ohne
-auch nur nachzusehen, was in seinen Mauern verkündet wurde.<span class="pagenum" id="Seite_14">[S. 14]</span> Er nahm
-Platz; der Vortragende kam und begann. Es erwies sich, daß Allan zu dem
-englischen Lektor der Universität geraten war.</p>
-
-<p>Als Allan das merkte, gab es ihm einen Ruck. Gerade die Vorlesungen
-der fremden Lektoren hatte er während seiner ersten Jahre an der
-Universität tatsächlich besucht ... Er besaß Sprachentalent und
-hatte sich in den ersten Jahren das Deutsche und Englische in
-anerkennenswerter Weise angeeignet. Erinnerungen erwachten in ihm. Der
-jetzige Lektor war ein athletisch gebauter junger Mann mit klaren,
-kühnen Augen. Er hielt einen einleitenden Vortrag über die englische
-Kolonialliteratur; er war selbst rings um die halbe Erde gewesen und
-verflocht in seinen Vortrag persönliche Erinnerungen und Beobachtungen.
-Allan merkte, daß er noch genügend Englisch konnte, um ihn vollständig
-zu verstehen; er war, wie gesagt, nicht auf den Kopf gefallen. Er
-hörte zu, er fühlte sich interessiert, ja mehr als das, gefesselt von
-den Schilderungen der Länder dort draußen, und plötzlich spürte er,
-wie ihm eine heiße Röte ins Gesicht stieg. Was war das eigentlich für
-ein Leben, das er und die anderen hier führten! Was war das doch für
-ein Provinz-Sybaris! Wie konnte man nur Jahr für Jahr in diesem engen
-Kreis totschlagen? Wie konnte man! ... Jahr für Jahr ... Jahr für
-Jahr ... Was dachte er sich eigentlich, was wollte er? War es denn
-überhaupt amüsant? ... Was er und die anderen da trieben, waren ja doch
-Kindereien, ohne Spannung, ohne Interesse.</p>
-
-<p>Schließlich war die Vorlesung zu Ende, und das Publikum strömte heraus.
-Allan blieb als letzter zurück<span class="pagenum" id="Seite_15">[S. 15]</span> und ging, von Gedanken erfüllt, die
-wie Blasen in ihm aufstiegen, aber zerstoben, bevor sie sich noch
-ganz geklärt hatten. Gleich vor der Universität stieß er mit der
-ganzen Armee zusammen und wurde mit Jubelrufen begrüßt. Es gab ein
-Mittagessen im Park; es gab Kaffee und Punsch. Der Abend verging, und
-das große Hauptquartier der großen Armee begann die Pläne für den
-Feldzug des kommenden Jahres zu entwerfen. Es war das erstemal, daß man
-sich nach den Sommerferien traf. Die kommende Jahreskampagne sollte
-alle vorhergegangenen der Kriegsgeschichte schlagen; man erörterte
-ihre Einzelheiten unter mehr oder weniger formeller Befragung des
-Quartiermeisters, der stumm und grübelnd vor seinem Whiskyglas saß,
-die Ohren erfüllt von dem Geplauder der Kampfgenossen, den Kopf voll
-von einem Gefühl, das neu schien, alt war und sehr rasch allmächtig
-wurde: Jetzt ist Schluß! Schluß für immer. Das war die letzte Revue
-der Truppen; Fontainebleau; Abschied ohne Tränen, Umarmungen oder
-Ueberreichung des Degens; und dann fort, sei es auch nach Elba oder
-Sankt Helena!</p>
-
-<p>Mit anderen Worten: Eine Pflanze, deren Keim schon lange in Allans Herz
-gelegen war, hatte an diesem Tage endlich die Hülse gesprengt, die
-Wurzeln ausgebreitet und war zum vollen Tageslicht hinaufgedrungen. Das
-einzige Verwundernswerte war, daß dies nicht schon längst geschehen war.</p>
-
-<p>Sein ganzes Leben lang hatte Allan eigentlich den Zug hinaus gehabt,
-den Zug zum Fernen, Neuen, Unbekannten. Vielleicht war es Hermann
-Bergius gerade<span class="pagenum" id="Seite_16">[S. 16]</span> dadurch, daß er diese Saite berührte, gelungen, ihn
-zum Quartiermeister des sechsjährigen Krieges zu machen. An diesem
-Abend merkte er, wie es ihm vorkam, plötzlich, mit einem Male, wie
-unbefriedigt ihn alle Eskapaden dieser sechs Jahre eigentlich gelassen
-hatten. Kinderstreiche ... ohne Bedeutung ... ohne Spannung ... Er
-dachte all der Morgen, an denen er durch irgendeine dämmergraue Straße
-einer fremden Stadt, in die der Zufall und Bergius ihn verschlagen
-hatten, heimwärts gewandert war, und der Lust, die er auf diesen
-einsamen Morgenwanderungen verspürt, von den anderen zu desertieren
-und von dem ganzen großen Frühschoppen am nächsten Tage, der der Clou
-dieser Eskapaden war. Jedesmal war dieser Impuls von irgendeinem
-anderen verdrängt worden. Jetzt begriff er, was dies eigentlich
-bedeutet hatte. Er durchforschte sein Gedächtnis und verstand auch
-andere kleine, fast kindische Züge an sich selbst, seine Lust (zu
-Bergius’ großem Verdruß), mit exotischen Gestalten anzubändeln, die man
-zufällig in Schenken und auf Dampfern traf; sein Versinken in trockene,
-dicke, ausländische Fahrpläne, Henschel und Bradshaw, die er in den
-Vestibüls der Hotels fand; seine Manie für die großen ausländischen
-Zeitungsdrachen ...</p>
-
-<p>Und während man die Becher leerte, die die Ouvertüre zu einem weiteren
-Jahr kriegerischer Heldentaten und Idyllen bilden sollten, saß Allan
-da, ohne sein Glas zu berühren. Die verheißenen Idyllen erschienen
-ihm mit einem Male überaus banal und der Wein der Freudenbecher schal
-geworden ... Fort, auf neuen Straßen, fort, um die Sonne über Städten
-zu sehen,<span class="pagenum" id="Seite_17">[S. 17]</span> wo noch etwas Neues geschah und wo man dem Abenteuer
-begegnen konnte! Denn was war er eigentlich alle diese sechs Jahre
-nachgejagt, wenn nicht den Abenteuern, dem Neuen? Morgen! ...</p>
-
-<p>So dachte Allan Kragh, weil er eine jener Naturen war, die dazu
-bestimmt sind, Abenteuer zu suchen; während er, wenn er das nicht
-gewesen wäre, daran gedacht hätte, ein neues Leben zu beginnen und die
-weiteren Vorlesungen des englischen Lektors zu besuchen.</p>
-
-<p>Die Uhr zeigte am nächsten Morgen halbzehn, als Allan auf dem Trottoir
-vor dem großen Hotel der Universitätsstadt seine Pläne in dem
-Septembersonnenlicht einer Musterung unterzog. Und während er dasaß
-und überlegte, ob ein gesunder und normaler Mensch den Schritt, den
-er machte, machen konnte, ohne verfolgt zu werden, entdeckte er so
-allmählich noch einen Grund, seinen unklaren Plan ins Werk zu setzen,
-einen Grund, der möglicherweise etwas unkameradschaftlich war, aber
-dafür in gewissem Maße das sonst recht Phantastische seines Vorhabens
-aufwog.</p>
-
-<p>Allan Kragh und seine Freunde waren schwedische akademische Bürger;
-damit ist gesagt, in welcher Weise Allan seine Quartiermeisterschaft in
-den berühmten Heerzügen der sechs Jahre ausgeübt hatte.</p>
-
-<p>Selbst war er ja durch vorsorgliche Eltern von der Notwendigkeit
-befreit, aus eigener Vernunft oder Kraft Geld aufzubringen; aber die
-Eltern seiner Freunde waren nicht ebenso vorsichtig gewesen, und darum
-war es auf Allans Los gefallen, ihnen in der erwähnten Hinsicht durch
-verschiedentliche Autogramme<span class="pagenum" id="Seite_18">[S. 18]</span> zu Hilfe zu kommen. „Nicht der Endossent
-allein gewinnt die Schlachten, die namenlosen Reihen gewinnen sie ihm,“
-pflegte Hermann Bergius jedesmal zu versichern, wenn er, wie er sich
-ausdrückte, Allan wieder einmal einen Ehrenposten zugedacht hatte;
-aber in der Regel hatte Allan gefunden, daß der Endossent sich wie die
-Feldherren früherer Zeiten selbst ins Kampfgewühl stürzen mußte, um
-die Feinde nicht triumphieren zu lassen — in diesem Falle die Banken.
-Mit einem Wort: er hatte sich auf Dokumenten von einer Anzahl, die er
-selbst nicht näher kannte, verewigt; und obgleich er zu dem Zeitpunkt,
-zu dem der Feldzug des siebenten Jahres beginnen sollte, noch nicht
-völlig erschöpft war, war er doch nicht allzu weit davon entfernt.
-Wenn er nun, dachte er mit einem stillen Lächeln, seinen rasch
-entstandenen Plan verwirklichte, und er schon zu gar nichts anderem
-führte, konnte er doch wenigstens zur Folge haben, daß die namenlosen
-Reihen sich gezwungen sahen, sich auf eigene Hand ohne den Feldherrn
-durchzuschlagen — bekanntlich der erstrebenswerteste Höhepunkt, den
-die militärische Erziehung erreichen kann ... und das wäre ja immerhin
-ein gewisser Vorteil für den in sechs Kriegsjahren geprüften Feldherrn,
-für den Fall, daß sein eigener Kriegszug in unbekannte Länder mit
-Niederlage und Rückzug enden sollte ...</p>
-
-<p>Allan war boshaft genug, sich bei dem Gedanken an die nicht sehr
-platonischen Dialoge, denen die namenlosen Reihen sich hingeben
-würden, wenn sie die Niedertracht ihres Führers erkannten, ein Lächeln
-zu<span class="pagenum" id="Seite_19">[S. 19]</span> gönnen. Dann klopfte er dem bejahrten, rotnasigen Kellner, der
-seine einstündige Morgengrübelei an dem Trottoirtisch ehrfurchtsvoll
-beobachtet hatte. Als dieser Allans Klopfen vernahm, stürzte er, wie
-aus der Kanone geschossen, herbei.</p>
-
-<p>„Wieviel?“</p>
-
-<p>„Zwei Pilsner, sechzig Oere.“</p>
-
-<p>Allan legte das Geld auf den Tisch und stand auf.</p>
-
-<p>„Soll ich drinnen ein Frühstück für den Herrn Doktor bestellen?“</p>
-
-<p>Allans Doktorpromotion hatte in den Hotels, nicht in der Universität,
-stattgefunden. Allan schüttelte den Kopf.</p>
-
-<p>„Herr Doktor warten vielleicht auf die anderen Herren Doktoren?“</p>
-
-<p>„Das glaube ich nicht,“ sagte Allan, „sagen Sie ihnen, sie können auf
-mich warten!“</p>
-
-<p>Er warf einen Blick auf die Uhr. Halb elf; das Schiff ging um ein Uhr;
-die Bank, das Packen, ein Paß — er hatte gerade noch Zeit!</p>
-
-<p>Zweiundeinehalbe Stunde später sah das Vaterland Herrn Allan Kragh an
-Bord eines kleinen weißen Raddampfers steigen, einer von jenen, die
-während der sechsjährigen Kriegsfahrten in das näher gelegene Ausland
-oft als Wikingerschiffe gedient hatten. Die Taue wurden gelöst; die
-Dampfpfeife tutete mit einem heiseren, versoffenen Baßton; die Räder
-schaufelten das Wasser auf, und Herr Allan Kragh hatte mit zwölftausend
-Kronen Bargeld (dem Rest eines einstmals fürstlichen Vermögens) sowie<span class="pagenum" id="Seite_20">[S. 20]</span>
-zwei wohlgefüllten Reisekoffern und einem Spazierstock seine große
-Reise in die Welt angetreten.</p>
-
-<p>Vorwärts! Den Abenteuern entgegen! Schicksal <span class="antiqua">en garde</span>!</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_21">[S. 21]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="II">II<br />
-
-<em class="gesperrt">Vorsicht bei Eisenbahnfahrten!</em></h2>
-
-</div>
-
-<p>„Diner, meine Herrschaften! Wünschen die Herrschaften zu dinieren?
-Diner, meine Herrschaften, zweites Service jetzt fertig.“</p>
-
-<p>Der Zug flog über die blinkenden Stahlschienen, Köln zu. Die Wagen
-schlingerten in den Kurven und neigten sich bald auf die eine, bald auf
-die andere Seite. Die Landschaft flog vorbei, flach und nichtssagend;
-vor ein paar Stunden hatte man Osnabrück passiert. Der Septemberhimmel
-war klar, blau, unendlich hoch, mit leuchtenden, weißen Wolkenmassen,
-die einander jagten; der Wind war frisch, kühl mit einem feinen, schon
-vernehmlichen Herbstduft. Ab und zu, wenn man an irgendeinem Fluß oder
-Kanal vorbeiflog, war sein Wasser durchsichtig grün, und hier und dort
-segelten früh abgefallene Blätter auf seinem Spiegel. Der Zug hastete
-weiter und weiter; und Allan Kragh stand in private Meditationen
-versunken, den Kopf halb zu einem Korridorfenster hinausgestreckt,
-ohne sich daran zu kehren, daß der Wind ihm ins Gesicht peitschte und
-hie und da Rußflocken von der Lokomotive mitbrachte. Die Stimme des
-Speisewagenkellners weckte ihn aus seinen Grübeleien; er sah auf seine
-Uhr, die etwas über<span class="pagenum" id="Seite_22">[S. 22]</span> eins zeigte und erinnerte sich plötzlich, daß er
-seit den zwei Eiern und dem Kaffee im Hauptbahnhof in Hamburg nichts
-gegessen hatte. Zugleich mit diesem Gedanken verspürte er mit einem
-Male einen vortrefflichen Appetit. Er nickte dem Mann in der weißen
-Jacke zu und bekam von ihm eine Platzkarte.</p>
-
-<p>„Ganz besetzt heute, für alle Diners,“ vertraute er Allan an, wie um
-diskret anzudeuten, daß das Trinkgeld danach sein sollte.</p>
-
-<p>„Hat das Service schon begonnen?“ fragte Allan.</p>
-
-<p>„In zwei Minuten, mein Herr.“</p>
-
-<p>Der Abgesandte des Speisewagens eilte weiter, und Allan ging durch den
-schwankenden Korridor in die Toilette am anderen Ende des Wagens.</p>
-
-<p>Aus welchen Anlässen Allan Kragh sich in diesem Zug befand, ist
-eigentlich nicht leicht zu erklären — richtiger gesagt, der einzige
-Anlaß, der vorlag, war so bizarr, daß er lächerlich wirkt, wenn man
-ihn erzählt. Am frühen Morgen dieses Septembertages war er nach
-Hamburg gekommen, ohne die leiseste Ahnung, wohin er seine Schritte
-lenken oder was er zunächst unternehmen sollte. Er machte aufs
-Geratewohl einen Spaziergang um das Viertel gegenüber der Ankunftseite
-des Hauptbahnhofes, befand sich nach einigem Herumirren unten an
-der Alster, und dachte schon daran, bis auf weiteres in Hamburg zu
-bleiben, das eine schöne und anziehende Stadt zu sein schien. Dann
-verabschiedete er diesen Gedanken wieder und kehrte durch die noch
-morgenleeren Straßen (die Uhr war etwas über sieben) zum Hauptbahnhof
-zurück. Er fand ihn mit allen modernen Bequemlichkeiten versehen,<span class="pagenum" id="Seite_23">[S. 23]</span> ließ
-sich rasieren, wechselte etwas Geld und nahm ein hastiges Frühstück in
-dem großen Restaurant ein. Fünf Minuten vor halb acht Uhr wurde von
-einem galonierten Bediensteten ein Zug nach Paris ausgerufen; Allan
-verließ das Restaurant, noch immer im Unklaren, was er tun sollte,
-und ging zu den Billettschaltern. Fahrpläne bedeckten die Wände in
-militärischen Kolonnen; keine verlockenden Affichen mit Bildern des
-blauen Meeres und der grünen Wälder, nur Betriebsverordnungen und
-Ziffern. Vor einem der Billettschalter für den Fernverkehr standen drei
-Personen, die plötzlich Allans Aufmerksamkeit erregten: Ein junger
-Mann von vielleicht dreißig, etwa von seiner eigenen Statur, mit einem
-glattrasierten dunklen Schauspielergesicht, kurzen Koteletten und
-goldgefaßtem Zwicker; ein alter Herr mit roter Raubvogelnase, gelben,
-stechenden Trinkeraugen und einem gelbgrauen Schnurrbart; ferner eine
-junge Dame in grünem Reisekostüm, um den Hals ausgeschnitten, über
-die Hüften knapp anschließend und so fußfrei, daß zwei Knöpfelschuhe
-mit grauen Gamaschen zu sehen waren. Ihr Gesicht hatte einen etwas
-hochmütigen Ausdruck, mit zwei großen grauen Augen und einer etwas
-geschürzten Oberlippe. Es war äußerst frappierend unter dem Reisehut
-in schwarz und grün, der wie ein Musketierhut auf ihrem rotblonden
-Haar saß. Sie hatte drei oder vier amerikanische Zeitschriften in
-der Hand. Allan verschlang sie mit den Augen: Sie hätte d’Artagnans
-Geliebte sein können oder eine der schönen blonden Agentinnen des
-Kardinals. Jetzt eilte der jüngere Herr vom Billettschalter fort; der<span class="pagenum" id="Seite_24">[S. 24]</span>
-ältere nahm seinen Platz ein, auf dem Fuß gefolgt von der auffallenden
-jungen Dame, die einige Goldmünzen zwischen ihren behandschuhten
-Fingern hielt. Nun ging der ältere Herr, und sie nahm seinen Platz ein.
-Allan kam ein Einfall, und er folgte nach. Er hörte sie in vollkommen
-korrektem Deutsch sagen: „Erste einfach, Paris.“ Sie stellte noch
-ein paar Fragen, die der Mann am Schalter beantwortete. Sie war also
-eine Deutsche, obwohl sie so amerikanisch aussah. Nun hatte sie ihre
-Fahrkarte. Allan verließ den Billettschalter und folgte ihr in einiger
-Entfernung. Er sah sie etwas Reisegepäck aufgeben und die Treppe zum
-Perron hinuntergehen. Sie war in ihrem raschen, elastischen Gang noch
-schöner, als wenn sie stille stand. Er sah sie noch dort unten den Zug
-entlang gehen, dann war sie außer Sehweite. Der galonierte Mann kam
-durch die Bahnhofshalle gewandert und schrie mit Stentorstimme:</p>
-
-<p>„Schnellzug nach Paris und Holland! Eine Minute!“</p>
-
-<p>Da kam Allan eine barocke Idee. Ohne zu überlegen, was er tat, oder
-weshalb er es tat, stürzte er zum Billettschalter zurück, an dem er die
-drei gesehen, riß eine Banknote heraus und rief dem Mann dahinter, der
-ihn vorhin, als er gegangen war, ohne eine Karte zu lösen, erstaunt
-angestarrt hatte, zu:</p>
-
-<p>„Paris, einfach, erste!“</p>
-
-<p>„Sie müssen sich aber eilen!“ schrie der Mann zurück. „Der Zug geht um
-sieben Uhr neununddreißig. — Sie haben gerade noch vierzig Sekunden.“</p>
-
-<p>Allan stürzte zurück, das Billett in der Hand, während<span class="pagenum" id="Seite_25">[S. 25]</span> in seinem
-Kopf sich die Gedanken kreuzten. Das war der helle Wahnwitz ... Sein
-Gepäck stand in der Garderobe deponiert; er hatte unmöglich Zeit,
-es herauszubekommen; er mußte natürlich diesen geistesgestörten
-Einfall aufgeben. — Oder sollte er das Gepäck hier lassen und später
-telegraphieren? Das war offenkundig vollkommen irrsinnig ... Es gingen
-ja noch Züge, aber ... aber sie fuhr mit diesem! Wenn es ihm gelang,
-ihr von dem Opfer zu erzählen, das er um ihretwillen gebracht, würde
-sie das vielleicht rühren ... Ohne daß er wußte wie, hatte er die
-Kontrolle passiert, stürzte Hals über Kopf eine Treppe hinunter, zu
-einem Zug, der sich eben in Bewegung setzte, während die Schaffner die
-letzten Türen zuschmetterten. — Da, gerade noch in der letzten Sekunde
-war er mit einem Sprung in einem der rückwärtigsten Waggons. Glücklich
-hinaufgekommen, zauderte er wieder. Das war ja der reine Wahnsinn!
-Sollte er wieder abspringen? Dann zuckte er die Achseln mit einem
-Lächeln über sich selbst.</p>
-
-<p>„Fahre ich mit,“ murmelte er vertraulich dem Korridorfenster zu,
-„dann brauche ich wenigstens keine Polizeistrafe wegen unerlaubten
-Abspringens zu bezahlen.“</p>
-
-<p>Nachdem er sich überzeugt hatte, daß er sich im letzten Personenwagen
-befand, machte er sich auf die Wanderung durch die Korridore, um nach
-der Unbekannten auszuschauen.</p>
-
-<p>Der Wagen, in dem er gelandet war, war ein Waggon dritter Klasse; er
-ging durch, ohne sich die Passagiere näher anzusehen. Darauf folgte
-ein durchgehender<span class="pagenum" id="Seite_26">[S. 26]</span> Waggon zweiter Klasse nach Amsterdam, er drängte
-sich mit einer gewissen Schwierigkeit hindurch, so voll war er von
-Passagieren. Darauf kam ein direkter Wagen nach Süddeutschland, beinahe
-ganz besetzt. Daran schloß sich der Speisewagen. Hier war es verboten,
-zu passieren, da man sich durch die Küche hätte drängen müssen. Allan
-versuchte es mit Bestechungen, deren Annahme verweigert wurde, und
-erhielt den Bescheid, daß er bis Bremen warten müsse, wo man eine
-Minute Aufenthalt hatte. Er setzte sich an einem Fenster im Korridor
-des süddeutschen Wagens zur Ruhe, wo er sich von dem Morgensonnenschein
-durchrieseln ließ und nach Herzenslust die kühle Septemberluft
-einatmete. Er dehnte die Brust und lachte in sich hinein; das war doch
-etwas anderes, als auf den ausgetretenen Straßen dieses Provinz-Sybaris
-herumzustampfen! Plötzlich begannen die Wagen gegeneinanderzurasseln,
-der Zug wurde langsamer und rollte durch eine Vorstadt von roten
-Ziegelvillen in Bremen ein. Im Handumdrehen war Allan draußen in der
-Bahnhofshalle, kaufte sich ein Päckchen Zigaretten, etwas Obst und
-einige Zeitungen und sprang in das nächste Coupé nach dem hinderlichen
-Speisewagen.</p>
-
-<p>Er wartete, bis der Zug sich in Bewegung setzte, bevor er seine
-Forschungen wieder aufnahm. Dieses Mal waren sie von besserem Erfolg
-gekrönt. Der Wagen hinter dem, in den er aufgesprungen war, war
-ein Wagen erster und zweiter Klasse nach Paris, und in der dritten
-Coupéabteilung der ersten Klasse saß die Unbekannte.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_27">[S. 27]</span></p>
-
-<p>Leider war sie nicht allein. Der alte Herr mit der roten Raubvogelnase
-und dem buschigen, graugelben Schnurrbart, saß ihr gegenüber am
-Fenster; sie fuhr zurück, er in der Richtung des Zuges. Sie schienen
-einander fremd zu sein. Allan sah einen Augenblick zögernd in den
-Wagen; der alte Herr mit der feinen Rotweinnase hatte das Netz auf
-seiner Seite mit einer Menge Gepäck beladen — <span class="antiqua">suitcases</span>,
-<span class="antiqua">gladstone-bags</span>, Reiseplaids, Fernstecherfutterale und weiß
-Gott was — es stand im Verhältnis zum vornehmen Aussehen seines
-Riechorganes. Die Unbekannte ihm gegenüber hatte zwei kleine Täschchen,
-eine Hutschachtel und einige Reisekissen. Im Augenblick saß sie in
-einer künstlerisch berechneten Pose zwischen vier Stück der letzteren
-hingegossen und schien zu schlafen. Allan starrte bewundernd ihr
-Rasseprofil an und den Schatten, den ihre Wimpern auf der feinen
-Wange bildeten; ihr rotblondes Haar, das wellig und reich war,
-schien ein wenig derangiert. Der fußfreie Reiserock war ein bißchen
-hinaufgeglitten und zeigte eine schlanke, aber volle Wade über der
-grauen Gamasche. Nach ein paar Augenblicken andächtiger Versunkenheit
-trat er ein und setzte sich auf das Sofa des alten Herrn.</p>
-
-<p>Dieser begrüßte sein Erscheinen mit einem Blick des herzlichsten
-Widerwillens. Er schlug sein Auge zum Netz auf, wie um anzudeuten,
-daß, wenn Allan (der sich zu allen Teufeln scheren mochte) sein ganz
-unerwünschtes Reisegepäck dort placieren wollte (was Gott verhüte),
-er genötigt wäre, seine eigenen, dort befindlichen Habseligkeiten
-fortzuschieben. Allan zuckte die Achseln mit einer Miene, die der der
-Rotweinnase an<span class="pagenum" id="Seite_28">[S. 28]</span> Mitreisendenverachtung nur wenig nachgab, und kundgeben
-sollte, daß er (der nach internationalen Konventionen das volle Recht
-hatte, in der Klasse zu reisen, für die er eine Karte gekauft hatte) es
-aus einer Laune vorzog, während er in diesem preußisch-hessischen Wagen
-fuhr, sein Reisegepäck, das den Vergleich mit dem des bordeauxnasigen
-alten Herrn in diesem Zug keineswegs zu scheuen brauchte, von der
-Garderobe des Hamburger Hauptbahnhofs verwahren zu lassen. Nach diesem
-Austausch von Florettblicken ließen sich die beiden Herren in Ruhe
-auf ihren Plätzen nieder; die Raubvogelnase im Schutze des Hamburger
-Fremdenblattes, Allan ohne Bedeckung. Die Augenwimpern der jungen Dame,
-die sich ein paar Sekunden eine Ahnung gehoben hatten, ohne daß jemand
-es gesehen, nahmen ihre frühere entzückende Lage auf den Wangen wieder
-ein.</p>
-
-<p>Der Zug sauste weiter, und die Wolken leuchteten im
-Septembersonnenschein. Allan versank in vage Träumereien, während seine
-Augen über sein Visavis hin und her wanderten.</p>
-
-<p>Man war nun etwa auf halbem Wege von Bremen nach Osnabrück (die Uhr
-zeigte ungefähr zehn), als plötzlich ein Kondukteur erschien, um die
-Billette zu markieren und Platzkarten auszufertigen. Allan reichte sein
-Billett hin, das besichtigt wurde; der alte Herr mit der Raubvogelnase
-desgleichen. Die Unbekannte in der Fensterecke schlief noch immer. Der
-Kondukteur räusperte sich und ließ ein paar vergebliche „Gnädige!“
-hören. Sie rührte sich nicht. Allan glaubte eine Chance zu sehen. Er
-beugte sich vor und<span class="pagenum" id="Seite_29">[S. 29]</span> legte seine Hand vorsichtig auf jene Stelle ihres
-grünen Reisekostüms, wo man die Rundung des Knies ahnte. Sie schlug die
-Augen auf, starrte einen Augenblick Allans Hand an, die dieser noch
-nicht zurückgezogen hatte und fuhr mit einer Miene so unverkennbaren
-Widerwillens auf, daß Allan zurückprallte, während eine lebhafte Röte
-sich über sein Gesicht verbreitete. Der Kondukteur lächelte diskret und
-wiederholte sein: „Gnädige!“ Die Unbekannte reichte ihm ihre Fahrkarte,
-während ihre Augen damit beschäftigt waren, Allan zu morden; worauf
-sie plötzlich vom stummen Spiel zur Sprechszene überging. Und zwar auf
-englisch. — Allan war ein wenig erstaunt, da sie auf dem Bahnhof in
-Hamburg perfekt deutsch gesprochen hatte. Sie mußte doch voraussetzen,
-daß er ein Deutscher war. Sie wandte sich an den alten Herrn mit der
-Raubvogelnase.</p>
-
-<p>„Sir, ich vermute, Sie verstehen meine Sprache? Ich spreche die Ihre
-nicht.“</p>
-
-<p>Lüge, dachte Allan, aber warum?</p>
-
-<p>„Ich spreche Ihre Sprache,“ sagte der alte Herr.</p>
-
-<p>„Danke. Wissen Sie, ob dieser junge Mensch dort sich noch andere
-Freiheiten gegen mich herausgenommen hat, während ich geschlafen habe?“</p>
-
-<p>Der alte Herr warf Allan einen Dolchblick zu und sagte:</p>
-
-<p>„Das weiß ich nicht, ich habe Zeitung gelesen.“</p>
-
-<p>„Es ist gut. Ich danke Ihnen.“</p>
-
-<p>Sie brach in einen Strom von indigniertem Amerikanisch aus: Eine Dame
-konnte also in Europa nicht allein mit der Eisenbahn fahren, ohne vom
-ersten besten<span class="pagenum" id="Seite_30">[S. 30]</span> beleidigt zu werden? — Warum gab es keine Damencoupés?
-Man sollte glauben, daß Leute, die die Mittel hatten, erster Klasse zu
-reisen, Gentlemen wären.</p>
-
-<p>Der alte Herr hörte ihr mit sichtlicher Billigung zu. Allan, der kaum
-wußte, ob er schlief oder wachte, begann eine stammelnde Entschuldigung:</p>
-
-<p>„Madame, gestatten Sie mir, Ihnen zu erklären ...“</p>
-
-<p>„Wie können Sie es <em class="gesperrt">wagen</em>, mich anzusprechen?“ rief sie.</p>
-
-<p>Das war Allan doch zu stark. Er erhob sich mit der ironischsten Miene,
-die er aufbringen konnte — er fühlte, daß seine Wangen vor Verblüffung
-und Zorn noch ganz rot waren — und sagte mit einer untertänigen
-Verbeugung:</p>
-
-<p>„Gestatten Sie mir, Sie in einem Punkte zu korrigieren, Madame. Wenn
-Sie es vermeiden wollen, noch mehr Gentlemen von meiner Art zu treffen,
-steht dem kein Hindernis im Wege: Das nächste Coupé ist ein Damencoupé.“</p>
-
-<p>Mit so viel Würde, als man aufbringen kann, wenn man mit einem Stock,
-vier Zeitungen und einem Obstsack beladen ist, verließ er das Coupé.
-Ein langes, eiskaltes „<span class="antiqua">im—per—ti—nence</span>“ der Unbekannten
-durchbohrte seinen Rücken mit einem letzten Stich.</p>
-
-<p>Der erste Mensch, den er im Korridor erblickte, war zu seiner
-Ueberraschung niemand anders als der dritte des Trios, das er beim
-Billettschalter in Hamburg gesehen — der dunkle Mann mit dem
-Schauspielergesicht,<span class="pagenum" id="Seite_31">[S. 31]</span> den Koteletten und dem goldgefaßten Zwicker. Als
-Allan aus der Coupétür trat, hatte er einen Augenblick den Eindruck,
-daß dieser Herr die ganze Szene drinnen verfolgt hatte und daß ein
-halb unmerkliches Lächeln um seine Mundwinkel zitterte. Aber im
-nächsten Augenblick waren seine Augen schon gerade durch die offene
-Türe seines eigenen Coupés gerichtet, in fernschauende Bewunderung
-der Heidelandschaft dort draußen versunken. Allan warf ihm einen
-kurzen Blick zu und ging an ihm vorbei den Korridor hinunter. Die
-anderen Wagenabteile waren mehr oder weniger voll, mit Ausnahme des
-Damencoupés, über dessen Existenz er die Unbekannte eben aufgeklärt
-hatte. Er kehrte zu dem Abteil zurück, vor dem der Mann mit dem Zwicker
-postiert war und fragte mit einer leichten Handbewegung:</p>
-
-<p>„Sie gestatten?“</p>
-
-<p>„Natürlich.“</p>
-
-<p>Der Mann mit dem Schauspielergesicht neigte artig den Kopf. Allan ging
-hinein, warf sich auf das unbesetzte Sofa und zündete eine Zigarette
-an, nachdem er sich vorsichtig vergewissert hatte, daß er sich in einem
-Rauchcoupé befand.</p>
-
-<p>Solch eine kleine, unverschämte Hexe! Amörrica, Amörrica! Hol’ der
-Teufel Amörrica und alle Amörrikanerinnen. Ferner mochte der Teufel
-ihn selbst holen und alle anderen Idioten, die sich auf sogenannte
-Abenteuerfahrten einließen, von falschen Irrlichtern gelockt. Und
-schließlich mochte er ihn selbst noch einmal holen, weil er von seinem
-Gepäck in Hamburg weggereist war, um sich ohne allen Anlaß von einer<span class="pagenum" id="Seite_32">[S. 32]</span>
-unverschämten, kleinen, schönen, verdammten Hexe beschimpfen zu
-lassen....</p>
-
-<p>Seine ärgerlichen Betrachtungen dauerten ein paar Stunden. Der
-Zug sauste durch Osnabrück mit einigen Augenblicken der Pause in
-dieser friedenschließenden Stadt; er brauste weiter gegen Köln;
-Leute wanderten dem Speisewagen zu, um sich an dem Zwölfuhrdiner zu
-erquicken; unter anderen sah er die Amerikanerin und den alten Herrn
-mit der Raubvogelnase hinpilgern, jetzt im eifrigen Gespräch; aber
-Allan hatte das Interesse für das Ganze verloren. Die Septemberluft,
-die eben noch klar und blau gewesen, wie die Luft bei einem Abenteuer
-sein muß, war nunmehr kalt und von abstoßender Farbe; die Sonne ohne
-jede Wärme. Der Herr mit dem Zwicker kam in den Wagen und vertiefte
-sich in das Studium eines illustrierten Katalogs. Hie und da warf er
-einen verstohlenen Blick auf Allan, den dieser jedesmal mit einem
-herausfordernden Starren erwiderte. Schließlich ging Allan in den
-Korridor hinaus und hatte da wohl dreiviertel Stunden lang den Kopf zu
-einem Fenster heraushängen lassen, als der Agitator des Speisewagens
-ihn mit seinem: Wünschen die Herrschaften zu dinieren? aus seiner
-mißmutigen Laune riß. Er machte eine rasche Toilette und steuerte durch
-die Korridore dem Speisewagen zu.</p>
-
-<p>Im Waggon neben seinem eigenen hatte er noch einen kleinen Chok; die
-heißblütige Amerikanerin wandelte gerade in ladylikem Balancegang
-durch den Korridor. Hinter ihr wurde der bordeauxnasige alte Herr
-sichtbar, dessen Riechorgan leuchtender denn je<span class="pagenum" id="Seite_33">[S. 33]</span> war; im Munde hatte
-er eine frischangezündete Havanna, deren rote Spitze neben besagtem
-Organ nur unbedeutenden Effekt erzielte. Allan trat rasch in ein
-Coupé, um das Paar vorbei zu lassen; als die junge Dame passierte,
-entging ihm jedoch nicht ein Blick aus ihren grauen Augen — aber
-— o Wunder! Sah er recht? Diese Augen schienen nun fast freundlich
-mit der Ahnung eines Lächelns ganz tief drinnen. Sie fegte mit einem
-Rauschen von Seidenunterkleidern vorbei. Der alte Herr, dessen Augen
-einen befriedigten Sultanglanz angenommen hatten, watschelte hinter
-ihr drein, ohne einen Blick für Allan oder überhaupt etwas anderes als
-den weidenschlanken Rücken der Amerikanerin. Allan starrte ihnen nach,
-und zuckte zusammen, als er am Ende des Korridors den Herrn mit dem
-Schauspielergesicht erblickte, der die beiden mit dem hundertsten Teil
-eines Lächelns durch seinen goldgefaßten Zwicker musterte. Allan sah
-ihn einen Augenblick an und ging weiter.</p>
-
-<p>Der Speisewagen war beinahe ganz besetzt; unten in der Ecke zunächst
-der Küche fand sich noch ein Tisch für zwei, der frei war. Der
-weißbejackte Agitator von vorhin wedelte mit einer Serviette quer über
-den Wagen, um anzudeuten, daß es ihm mit unerhörter Schwierigkeit
-gelungen war, Allan einen Platz an diesem Tisch zu reservieren. Allan
-ließ sich nieder, sah die Speisekarte an und ging sodann zur Weinliste
-über. Er war eben zu der Ueberzeugung gekommen, daß Graacher Auslese
-der richtige September- und Reisewein ist, als sich jemand an dem
-anderen Platz am Tisch niederließ. Er sah auf. Mit einer unlogischen<span class="pagenum" id="Seite_34">[S. 34]</span>
-Ueberraschung erkannte er in seinem Tischkameraden den Mann mit dem
-goldgefaßten Zwicker und dem Schauspielergesicht.</p>
-
-<p>Dieser lächelte Allan wiedererkennend zu und begann dann zum Fenster
-hinauszusehen. Allan betrachtete eine Weile die Zirkusnummer des
-Kellners mit Schüsseln und Tellern zwischen den Tischen; jedesmal, wenn
-der Zug sich in einer Kurve seitlich neigte und er selbst vom Schwung
-auf eine Seite geschleudert wurde, dachte er mit einem Kitzeln in der
-Magengrube: Jetzt geht die ganze Bescherung zum Teufel! Aber kein
-einziges Mal gab es auch nur einen Fleck auf dem Tischtuch. Plötzlich
-stand der Kellner mit einem Suppenteller vor seinem Platz. Allan
-schnitt eine unwillkürliche Grimasse und schüttelte den Kopf. Suppe
-um diese Tageszeit! Der Mann mit dem Zwicker lächelte wieder leise,
-während er seinen Löffel in die Suppe tauchte.</p>
-
-<p>„Sie sind kein Freund der deutschen Speiseordnung?“ sagte er.</p>
-
-<p>„Nein, weiß Gott.“</p>
-
-<p>„Der deutsche Wein sagt Ihnen besser zu?“</p>
-
-<p>„Allerdings. Trinken Sie vielleicht ein Glas mit mir?“</p>
-
-<p>Allans Laune stieg rasch um einige Grade, sowie er den Mund geöffnet
-hatte; er begann zu erfahren, daß der Mensch ein Gesellschaftstier
-ist, auch wenn er auf eigene Faust auf Abenteuer auszieht. Der Fremde
-verbeugte sich leicht.</p>
-
-<p>„Mit Vergnügen, wenn Sie mir gestatten, Ihre Liebenswürdigkeit später
-zu erwidern.“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_35">[S. 35]</span></p>
-
-<p>Allan winkte dem Kellner, ein Glas zu bringen. Er und der Fremde
-tranken sich zu.</p>
-
-<p>„Sie sind Skandinavier?“</p>
-
-<p>„Warum glauben Sie das? Hört man es mir an?“</p>
-
-<p>„Das eigentlich nicht, aber Ihr Aussehen sagt es mir, und dann noch so
-irgend etwas Unbestimmtes. Ich möchte sogar wetten, daß Sie entweder
-Schwede oder Norweger sind.“</p>
-
-<p>„So?“</p>
-
-<p>„Die Dänen erlernen nie unser a — sie meckern. Und da Sie das nicht
-tun —“</p>
-
-<p>Allan nickte ohne die Hypothese des Fremden zu bestätigen. Allerdings
-war er ja ziemlich groß und schlank, aber da er dunkel war, hätte ihn
-das nicht verraten müssen, wenn seine Sprache es nicht besorgt hätte.
-Der Mann mit dem Zwicker, der nun seine Suppe verzehrt hatte, beugte
-sich vor und knüpfte die Konversation wieder an. Allan betrachtete
-sein Gesicht, das energisch und intelligent war; die Augen unter den
-Zwickergläsern schienen durchaus nicht von Kurzsichtigkeit geschwächt.
-Es war unleugbar ein sympathisches Gesicht. Einmal, als der Fremde
-nach einer Aeußerung, die er selbst gemacht hatte, in ein Gelächter
-ausbrach, bemerkte Allan im Flug, daß einer seiner Backenzähne über
-und über mit Gold plombiert war. Eigentümlicherweise grub sich dieser
-kleine Zug, so wie es bei solchen kleinen Zügen oft der Fall ist,
-in sein Gedächtnis ein; und obgleich er für den Augenblick kaum an
-die Sache dachte — er konnte ja nicht ahnen, daß er den Mann je
-wiedersehen würde — sollte es bei einer späteren Gelegenheit von einer
-Bedeutung werden,<span class="pagenum" id="Seite_36">[S. 36]</span> die er jetzt unmöglich vorausahnen konnte. Plötzlich
-merkte er, daß er so ganz damit beschäftigt gewesen war, den Fremden zu
-beobachten, daß er ganz vergessen hatte, zuzuhören, was dieser sagte;
-er zuckte zusammen, als er das Wort Paris mit fragender Betonung hörte
-und nahm in der Eile an, daß sein Tischgenosse ihn gefragt hätte, wann
-man dorthin käme.</p>
-
-<p>„Ich weiß nicht,“ sagte er.</p>
-
-<p>Der Mann mit dem goldgefaßten Zwicker sah ihn überrascht an.</p>
-
-<p>„Sie wissen nicht, ob Sie nach Paris fahren?“ wiederholte er. „Dieser
-Zug geht auf jeden Fall hin, wenn Sie es nicht wissen sollten!“</p>
-
-<p>Allan wandelte eine plötzliche Lust an, mit sich selbst und seiner
-heutigen Heldentat zu brillieren.</p>
-
-<p>„<em class="gesperrt">Das</em> weiß ich,“ sagte er ernst. „Aber ich weiß hingegen nicht,
-ob ich nach Paris fahre. Ich weiß es ebensowenig, als ich weiß, warum
-ich überhaupt mit diesem Zug fahre.“</p>
-
-<p>„Sie wissen nicht, warum Sie mit diesem Zug fahren?“</p>
-
-<p>„Nein, oder warum ich überhaupt fahre.“</p>
-
-<p>„Donnerwetter! Sie pflegen ganz einfach in einen Expreß einzusteigen,
-ohne zu wissen, wohin er geht?“</p>
-
-<p>„Ich habe es wenigstens heute morgen getan.“</p>
-
-<p>„Donnerwetter! Darf ich fragen: Finden Sie bei solchen
-Reisegewohnheiten Zeit zu vielem Packen?“</p>
-
-<p>„Heute morgens nicht, das muß ich gestehen — ich war gezwungen, mein
-Gepäck in der Eile in Hamburg zurückzulassen.“</p>
-
-<p>Und Allan ließ mit einer Gleichgültigkeit, eines<span class="pagenum" id="Seite_37">[S. 37]</span> Phileas Fogg würdig,
-die rote Kontramarke aus dem Hamburger Hauptbahnhof durch die Luft
-flattern. Nr. 374 stand in gotischem schwarzen Druck darauf. Der Fremde
-starrte den Zettel und ihn mit einer Achtung an, die unter diesen
-Verhältnissen höchst schmeichelhaft war, und trank nach noch einem
-Donnerwetter einen Schluck aus seinem Rheinweinglas; Allan füllte es
-mit Mäzengefühlen nach. Im selben Augenblicke kam der Fisch; nachdem
-sich der Mann mit dem Zwicker vom Kellner hatte vorlegen lassen, nahm
-er den Faden wieder auf.</p>
-
-<p>„Verzeihen Sie, wenn ich indiskret bin: Sind Sie wirklich aus einer
-bloßen Laune von Ihrem Gepäck mit einem Zug weggereist, an dem Sie kein
-besonderes Interesse hatten?“</p>
-
-<p>Er fixierte Allan, der jetzt gerade der Gegenstand der Obsorge des
-Kellners war und für den Moment für nichts anderes Augen hatte als für
-das Essen.</p>
-
-<p>Es lag ein eigentümlicher Ausdruck der Spannung in den Augen des
-Fremden; und wenn Allan aufgeblickt hätte, hätte er sehen können, wie
-sein Visavis dem Kellner eine eigentümliche Grimasse schnitt: ein
-Vorschieben der Lippen und zwei kurze Signale mit dem Kopf in der
-Richtung nach Allan. Aber Allan hatte kein Auge für diese Grimasse,
-und ebensowenig sah er, was darauf folgte: Der Kellner drehte hastig
-den Kopf, fixierte ihn und zog die Augenbrauen in die Höhe, wobei er
-den Mann mit dem goldgefaßten Zwicker ansah. Dieser formte hastig
-ein Wort mit den Lippen, das der Kellner offenbar verstand, denn
-er<span class="pagenum" id="Seite_38">[S. 38]</span> zog die Augenbrauen noch höher, und zum ersten Male während
-des ganzen Mittagessens zitterte seine Hand. Das Ganze hatte kaum
-fünfzehn Sekunden gedauert. Allan, der noch überlegte, ob er seinem
-Tischkameraden die Episode mit der unbekannten Dame in Hamburg
-mitteilen sollte, sah endlich auf.</p>
-
-<p>„Eigentlich hatte ich einen Grund,“ sagte er, „mein Gepäck so im Stich
-zu lassen, aber — nun ja, ich weiß nicht recht, ob ich wagen kann, ihn
-Ihnen zu erzählen. Aber es ist derselbe Grund, der mich veranlaßte,
-diesen Expreßzug zu nehmen — und der ist etwas delikater Natur.“</p>
-
-<p>Der Herr mit dem Zwicker konnte gerade noch dem Kellner, der aufmerksam
-gelauscht hatte, eine fast unmerkliche Geste machen, bevor dieser mit
-den Schüsseln wieder verschwand. Dann hob er sein Glas.</p>
-
-<p>„Gestatten Sie mir, zu fragen, ob Sie Bordeaux oder Burgunder
-vorziehen,“ sagte er.</p>
-
-<p>Sie blieben nach dem Dessert noch etwa eine halbe Stunde sitzen und
-nippten an ihrem Kaffee, während der Zug weiter durch den klaren
-Herbsttag brauste. Allan empfand mehr und mehr Interesse für seinen
-Reisekameraden; er war unterhaltend, originell, offenbar viel gereist
-und wußte Geschichten aus allen Ecken und Enden Europas zu erzählen.
-Hie und da kam er wieder auf sein Erstaunen über Allans Art, einfach
-von seinem Gepäck fortzufahren, zurück, und Allan fühlte sich mehr
-und mehr befriedigt von sich selbst. Einmal verschwand er für einen
-Augenblick und wechselte in der äußeren, nunmehr leeren Wagenhälfte
-einige Worte mit dem Kellner, ohne daß Allan dies<span class="pagenum" id="Seite_39">[S. 39]</span> beachtete oder
-weiter daran dachte. Als er zurückkam, begann er eine Geschichte, die
-Allan Gelegenheit gab, seine Theorie, daß er ein Schauspieler sein
-müsse, zu bestätigen; er erwähnte sogar flüchtig seinen Namen — Ludwig
-Koch. Allan erwog eben, ob es korrekt sei, sich vorzustellen oder
-nicht, als der Zug in eine große Station einfuhr, wo er langsamer wurde
-und stehen blieb. Der Mann mit dem Zwicker lehnte das Gesicht an die
-Fensterscheibe, während man dem Perron entlang rollte. Mit der Hand
-über den Augen musterte er rasch die Menschen auf dem Perron; offenbar
-erkannte er jemand, denn ein leichter Ausruf entschlüpfte ihm. Er erhob
-sich von seinem Platz, nickte Allan zu und eilte hinaus.</p>
-
-<p>„Komme gleich wieder!“ rief er.</p>
-
-<p>„Fahren Sie nur nicht von Ihrem Gepäck weg, wie ich,“ rief Allan zurück.</p>
-
-<p>Der Mann mit dem Zwicker verschwand ohne weitere Repliken. Zu Allans
-Erstaunen waren nach seinem Abgang kaum fünfzehn Sekunden verstrichen,
-als der Zug mit einem Ruck aus der Station hinausrollte, deren Namen
-Allan nicht bemerkte, so sehr war er damit beschäftigt, nach seinem
-Tischgenossen auszulugen. Er sah keine Spur von ihm auf der Plattform;
-er mußte also in eines der Coupés weiter vorne aufgesprungen sein.
-Allan drehte den Kopf dem Eingang des Speisewagens zu, bereit, Herrn
-Koch mit einem Glückwunsch zu begrüßen, daß die Sache noch gut
-abgelaufen war, aber es vergingen ein und zwei Minuten, ohne daß Herr
-Koch sich zeigte. Allan setzte sich<span class="pagenum" id="Seite_40">[S. 40]</span> wieder auf seinen Platz zurecht
-und begann die Landschaft zu betrachten.</p>
-
-<p>Der Zug rollte jetzt durch einen Fabrikdistrikt. Man sah nur hohe
-Schlote, von denen der fette Rauch in langen, schweren Streifen,
-die Meertang glichen, über den blauen Himmel wogte; graugelbe
-Fabrikfassaden, Massen von Seitengleisen, wo schmutzigrote Güterwagen
-angehäuft standen. Gras und Unkraut wucherte mager und gelb, als
-hätte es Fieber; die Schlackenhaufen türmten sich darum wie um einen
-Krater. Das Ganze war beklemmend, trostlos. In einer solchen Umgebung
-zu existieren, für sein ganzes Leben lang an ein solches Gefängnis
-gebunden zu sein ... Allan schauderte. Er sah zu dem abenteuerblauen
-Septemberhimmel empor und freute sich, in diesem Wagen zu sitzen, der
-in taktfesten Wellenbewegungen dahinrollte, und er zitierte halblaut
-und pathetisch vier Zeilen von Snoilsky, die den Unterschied zwischen
-einem Passagier erster Klasse und einem Lokomotivführer hervorheben.
-Dann fiel ihm wieder Herr Koch ein, und er klopfte dem Kellner.</p>
-
-<p>„Ich möchte zahlen, Ober. Ich muß dann hineingehen und mich nach meinem
-Freunde umsehen.“</p>
-
-<p>Ueber das Gesicht des Kellners huschte ein rasches Zucken, aber er
-sagte nichts anderes als: „Sehr wohl,“ und kritzelte hastig einige
-Hieroglyphen auf ein Blatt Papier.</p>
-
-<p>„Neun Mark, sechzig Pfennig!“</p>
-
-<p>Allan bezahlte und gab ein Trinkgeld. Plötzlich fiel ihm etwas ein.</p>
-
-<p>„Aber Herr — — — aber der andere Herr?“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_41">[S. 41]</span></p>
-
-<p>„Hat schon bezahlt.“</p>
-
-<p>„Hat schon bezahlt?“</p>
-
-<p>„Jawohl, schon längst.“</p>
-
-<p>Die Stimme des Kellners war so gleichgültig als nur möglich, und er
-eilte weiter, sowie er geantwortet hatte. Allan unterdrückte ein
-hastiges Gefühl des Staunens. Herr Koch hatte bezahlt! Pflegte man im
-Speisewagen zu bezahlen, bevor man fertig war? Und insgeheim? Er für
-seine Person hatte Herrn Koch dem Kellner keinen Pfennig geben sehen.
-Er zuckte die Achseln und ging in sein Coupé zurück, um Herrn Koch zu
-interviewen, wie die Sache zugegangen war.</p>
-
-<p>Der Zug hatte wieder begonnen zu schwanken und zu schlingern, und
-es brauchte einige Zeit, und nicht wenig Balancierungskunst, um
-glücklich durch die Korridore zu kommen, die jetzt leer waren.
-Einmal kam ein so heftiger Stoß von einem Stationswechsel, den man
-im Eilzugstempo passierte, daß Allan ganz linksum geworfen wurde.
-Zu seiner Ueberraschung erblickte er am anderen Ende des Korridors
-keinen geringeren als den Speisewagenkellner, der ihm zu folgen
-schien. Im selben Augenblicke, in dem Allan den Mann ansah, verschwand
-er jedoch in ein Coupé. Allan erinnerte sich, daß man sich auch in
-den Coupés servieren lassen konnte, und vermutend, daß der Mann zu
-diesem Behufe da war, ging er weiter. Endlich hatte er seinen Wagen
-erreicht. Er ging an dem Coupé vorbei, das die Amerikanerin und der
-alte Herr mit Beschlag belegt hatten, und zog die Schiebetüre zu seinem
-eigenen Abteil zurück. — Nun, Herr Koch, Sie sind ja gar<span class="pagenum" id="Seite_42">[S. 42]</span> nicht
-wiedergekommen! hatte er auf den Lippen, als er plötzlich innehielt.</p>
-
-<p>Herr Koch befand sich nicht in dem Coupé. Das Coupé war leer.</p>
-
-<p>Allan blieb eine Minute in der Türe stehen, bevor er sich entschloß,
-einzutreten. Was in aller Welt? Er war gar nicht da? Sehen wir mal,
-sein Gepäck ... Es war auch kein Gepäck da! Nur eine ganz diminutive
-Handtasche. Plötzlich kam ihm eine blitzartige Erinnerung: Es war
-ja auch zu der Zeit, als Herr Koch noch im Coupé saß, kein anderes
-Gepäck dagewesen. Herr Koch reiste fast ebenso ohne Gepäck wie er
-selbst ... Er fuhr aus seinen Gedanken bei dem Laut diskreter, beinahe
-schleichender Schritte im Korridor auf. Bei allen Göttern, war das
-nicht schon wieder der Speisewagenkellner!</p>
-
-<p>Diesmal berührte seine Anwesenheit und sein blitzschnelles
-Hineinblicken in Allans Coupé diesen als so unnötig, ja geradezu
-eigentümlich, daß er von seinem Platz aufsprang und in den Korridor
-hinausstürzte, um mit dem dienenden Bruder ein Wörtchen zu sprechen.
-Aber dieser war schon in den nächsten Wagen verschwunden, und Allan
-kehrte mit gerunzelter Stirne zu seinem Platz zurück. Ein paar
-Augenblicke dachte er daran, den Schaffner aufzusuchen und mit ihm über
-Herrn Kochs Schicksal zu beratschlagen; dann beschloß er, sich einen
-blauen Teufel darum zu scheren — er kannte den Mann ja gar nicht —
-und versank in das Studium des einzigen Gepäckstückes, das dieser,
-abgesehen von der diminutiven Handtasche auf dem Sofa<span class="pagenum" id="Seite_43">[S. 43]</span> zurückgelassen
-hatte, einen illustrierten Katalog einer Zauberfirma in Berlin.</p>
-
-<p>Es war ungefähr fünf Uhr, als der Zug in die Bahnhofshalle von Köln
-rollte, wo Allans erstes wirkliches Abenteuer begann. Er vergaß
-nachher nie das Nachmittagssonnenlicht, das die gewaltige Halle mit
-gelben Staubgürteln durchzog. Der breite Perron war voll von Menschen,
-die durcheinanderwimmelten, von Zeitungs- und Bücherkiosken, von
-Verkaufsständen, wo man Bier, Bananen und Bäckereien bekam. Eine alte
-Vettel, im Hinblick auf die Gestalt von frappanter Aehnlichkeit mit
-einem <span class="antiqua">Ballon captif</span>, im Begriffe, die Vertauungen zu lösen,
-hatte die Rolle des Blumenmädchens übernommen. Allan zog den Kopf vom
-Coupéfenster zurück und streckte die Hand zum Netz nach seinen einzigen
-Gepäckstücken aus — einem Hut und einem Stock (der Ueberrock war in
-Hamburg geblieben). Er wollte aussteigen, um seine Beine ein bißchen
-auszugraden. Eben hatte er den Hut auf den Kopf gesetzt, als die Türe
-seines Coupés von drei Gestalten verdunkelt wurde. Der vorderste trug
-einen diskreten zivilen blauen Sakkoanzug; hinter ihm gewahrte Allan
-zu seiner unaussprechlichen Verwunderung einerseits den weißbejackten
-Kellner aus dem Speisewagen, andererseits einen kolossalen behelmten
-Schutzmann.</p>
-
-<p>Allans erster Impuls (wie wahrscheinlich auch der des Lesers) war,
-einen Schritt zurückzutreten, während er das Trio anstarrte; er hatte
-Zeit zu einem Schritt, aber nicht zu mehr, denn offenbar befürchtend,
-daß er zum Fenster hinausspringen könnte, stürzten der Mann in Zivil
-und der Polizist auf ihn los, legten jeder eine<span class="pagenum" id="Seite_44">[S. 44]</span> Hand auf seine
-Schulter und riefen mit Stentorstimme:</p>
-
-<p>„Im Namen des Gesetzes, Sie sind verhaftet!“</p>
-
-<p>Allan war zu betäubt, um an Widerstand zu denken. Der einzige Gedanke,
-den er formulieren konnte, war: Was zum Teufel soll das heißen? Ist
-das die Rache der Akzeptanten? Lassen sie mich durch diese Schergen
-heimholen? Nun tat der Zivilist (ein schwammiger Herr mit schwitzenden
-Händen) seinen Mund auf und sagte hohnvoll:</p>
-
-<p>„Machen Sie kein so erstauntes Gesicht, mein lieber Benjamin Mirzl! Man
-weiß schon, daß Sie sich verkleiden können. Aber es gibt Leute, die
-Ihre kleinen Kniffe durchschauen. Kommen Sie ohne Aufsehen mit. Sie
-können sich dieses Mal einen Träger für Ihr Gepäck ersparen.“</p>
-
-<p>„Gepäck? Das ist nicht meine Tasche,“ gelang es Allan hervorzustoßen.</p>
-
-<p>„Natürlich nicht! Haha, natürlich nicht!“</p>
-
-<p>„Mein Gepäck steht in Hamburg,“ schrie Allan außer sich, während eine
-dunkle Ahnung des Zusammenhanges sich aus den Nebeln in seinem Innern
-kristallisierte.</p>
-
-<p>„Haha, ja gewiß, ja gewiß! Warum nicht in Petersburg? Nein, nein,
-Mirzl, Sie sind in der Schlinge gefangen. Machen Sie gute Miene, das
-ist wohl das einzige, was Sie tun können.“</p>
-
-<p>„Ich heiße nicht Mirzl, oder was Sie da zum Donnerwetter sagen, ich
-heiße Kragh, und ...“</p>
-
-<p>„Stillschweigen!“ brüllte der gigantische Schutzmann, dessen Gemütsruhe
-durch die Lorbeeren des Zivilisten<span class="pagenum" id="Seite_45">[S. 45]</span> gestört wurde. „Mit aufs Amt, und
-keinen Ton, dann werde ich mich hinter Ihnen halten.“</p>
-
-<p>„Aber ...“ setzte Allan an und hielt inne; es hatte ja keinen Zweck,
-<em class="gesperrt">hier</em> zu protestieren. Mit einem Achselzucken trat er in den
-Korridor. Der Zivilist mit Herrn Kochs diminutiver Tasche folgte
-ihm auf dem Fuße und der Mammut-Schutzmann beschloß die Prozession.
-Plötzlich hörte Kragh den Kellner rufen:</p>
-
-<p>„Aber meine Belohnung! Wo kann ich mir die abholen?“</p>
-
-<p>„Das werden Sie später erfahren!“ rief der Mann in Zivil über die
-Achsel zurück. „Uebrigens sind Sie ja zwei; der in Essen ausgestiegen
-ist, wird Ihnen schon nicht das Ganze lassen.“</p>
-
-<p>Mit diesen Worten des Zivilisten im Ohr, ihn selbst an seiner Seite
-und den gewaltigen Gesetzeswächter hinter sich, passierte Allan das
-Paar im anderen Coupé — die Amerikanerin und den alten Herrn mit der
-Raubvogelnase. Er sah, wie sie ihre feinen Augenbrauen emporzog und dem
-bordeauxnasigen Alten etwas zuflüsterte — die waren jetzt offenbar ein
-Herz und eine Seele. Er senkte den Kopf, um nicht mehr zu sehen und
-ging nach rechts, in der Richtung, die der Zivilgekleidete angab. Was
-hatte das Ganze zu bedeuten? Abenteuer, Septemberabenteuer in Sonne
-und blauer Luft — das sah mehr nach totaler Sonnenfinsternis und sehr
-eingeschlossener Luft aus. Was hatte das Ganze zu bedeuten?</p>
-
-<p>Kein Philosoph hätte sich diese Frage mit mehr Nachdruck stellen können.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_46">[S. 46]</span></p>
-
-<p class="center">— &#160;— &#160;— &#160;— &#160;— &#160;— &#160;— &#160;— &#160;— &#160;— &#160;— &#160;—</p>
-
-<p>„Das ist Ihr Paß? Sie sind Herr Allan Kragh, Student, schwedischer
-Bürger?“</p>
-
-<p>Allan bejahte diese beiden Fragen mit einem Nachdruck, der nur von
-seiner Furcht, den kleinen dicken Polizeirichter, der Geijerstam
-ähnlich sah, unwiderruflich zu verletzen, gedämpft war. Keine schwarzen
-Fahnen jetzt, nur weiße Friedensflaggen, bis man loskam. Anderthalb
-Tage im schwarzen Loch!</p>
-
-<p>„Warum haben Sie nicht schon früher bei mir protestiert, wenn das Ihr
-Paß ist?“</p>
-
-<p>Allan fixierte den geijerstamähnlichen Repräsentanten der Gerechtigkeit
-und schluckte erst einige kernige schwedische Ausdrücke, bevor er
-erwiderte:</p>
-
-<p>„Ich habe doch vom ersten Augenblick an gesagt, wer ich bin, obgleich
-Ihre verdamm — — — obgleich niemand auf mich hören wollte. Es wurde
-als mathematisch feststehend angesehen, daß ich Mirzl sein muß — wer
-zum Teufel nun dieser Mirzl ist! Mirzl! In meinem Leben habe ich nichts
-von einem Mirzl gehört.“</p>
-
-<p>„Dann lesen Sie die Zeitungen schlecht, oder auch sind die schwedischen
-Zeitungen hinter ihrer Zeit zurück. Nun gut, wir werden telegraphisch
-anfragen. Fällt die Antwort zu Ihren Gunsten aus, werden wir Ihre Sache
-schon heute nachmittag in Erwägung ziehen.“</p>
-
-<p>„Danke allerergebenst, danke <em class="gesperrt">aller</em>...“</p>
-
-<p>„Aber ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß uns die Sache mit der
-Handtasche sehr bedenklich vorkommt. Sie enthielt allerdings nichts
-direkt Kompromittierendes, aber es ist bekannt, daß Mirzl eine solche<span class="pagenum" id="Seite_47">[S. 47]</span>
-Tasche in seinem Besitz hatte, als er aus Berlin verschwand.“</p>
-
-<p>„Die Tasche! Wie oft muß ich noch sagen, daß das nicht mein Gepäck ist?
-Daß mein Gepäck in der Garderobe in Hamburg mit dieser Kontramarke
-steht und ...“</p>
-
-<p>„Sie werden zugeben, daß man nicht gerade häufig sein Gepäck in der
-Garderobe in Hamburg läßt, wenn man mit dem Expreßzug nach Paris fährt?
-... Nun ja, nun ja, wir werden telegraphieren!“</p>
-
-<p>Es vergingen sechs Stunden, bis Allan den Polizeirichter mit dem
-rundbäckigen Aussehen, den Brillen und dem Schnurrbart wiedersah. Als
-es dazu kam, war es in einem kleinen, ganz ungestörten Raum des großen
-Amtsgebäudes. Der kleine Mann mit dem literarischen Aussehen hielt ein
-paar Telegramme in der Hand und betrachtete abwechselnd eine Karte des
-Deutschen Reiches und ein Album mit vielen Photographien.</p>
-
-<p>„Ja, ja, wir haben untersucht, wir haben telegraphiert ... ich muß
-sagen, Herr Kragh, Sie haben höchst außerordentliche Erfahrungen
-gemacht. Ist das Ihre erste längere Reise ins Ausland?“</p>
-
-<p>„Ja“ (erbittert).</p>
-
-<p>„Das glaube ich, ich konnte es mir denken. Höchst außerordentliche
-Erfahrungen, das muß ich sagen.“</p>
-
-<p>„Ist Ihnen meine Identität bestätigt worden?“ (äußert erbittert, denn
-sechs Stunden der Abgeschiedenheit bei spartanischer Kost tragen nicht
-gerade dazu bei, die Laune zu verbessern.)</p>
-
-<p>„Wir glauben es. Ja, wir glauben, überzeugt sein<span class="pagenum" id="Seite_48">[S. 48]</span> zu dürfen, daß Sie
-tatsächlich Herr Allan Kragh aus Schweden sind.“</p>
-
-<p>„Gedenken Sie mich also loszulassen? Gedenken Sie die Bevölkerung von
-Köln diesem Risiko auszusetzen? Ist das Kölnischwasser eingesperrt? Und
-der Dom bewacht?“</p>
-
-<p>„Einen Augenblick, Herr Kragh. Wir bedauern den Mißgriff sehr, wir
-bedauern ihn außerordentlich, und wir wollen Sie gerne, soweit es in
-unseren Kräften steht, schadlos halten. Natürlich werden Sie sofort
-in Freiheit gesetzt (die Stimme des Polizeirichters war so sanft und
-versöhnlich, daß es beinahe klang, als spräche er finnisch). Gestatten
-Sie mir nur eine Frage: Waren in Ihrem Gepäck in Hamburg große Werte
-enthalten?“</p>
-
-<p>„Werte? Hm. Das gewöhnliche Reisegepäck, einige Anzüge und dergleichen.
-Gold und Juwelen nicht.“</p>
-
-<p>„Ausgezeichnet ... Ihr Garderobeschein hatte die Nummer 374?“</p>
-
-<p>„Ja, was meinen Sie?“</p>
-
-<p>„Warten Sie ein bißchen! Hm ... 374. Nun wohl, Herr Kragh, warum sollte
-ich Ihnen die Sache verbergen: Ihr Gepäck ist gestohlen.“</p>
-
-<p>„Gestohlen? Stiehlt man Gepäck, das einer deutschen Eisenbahngarderobe
-eingeliefert ist? Ich habe meinen Schein.“</p>
-
-<p>„Ja, ja, Ihren Schein, Nr. 374, drei Kolli. Aber vorgestern, als Sie
-... als Sie irrtümlich angehalten wurden, kam ein Telegramm an die
-Garderobe, die drei Kolli auf Nummer 374 expreß nach Osnabrück zu
-schicken; der Inhaber habe nicht Zeit gefunden, sie abzuholen.<span class="pagenum" id="Seite_49">[S. 49]</span> Die
-Garderobe sandte sie noch am selben Tage ab, sie wurden um sechs Uhr
-abends in Osnabrück (mit einem falschen Gepäckschein, wie wir allen
-Grund haben, zu vermuten, ja allen Grund) von einem Herrn abgeholt,
-der sofort nach Holland weiterreiste ... Ihre zwei Handkoffer und Ihr
-Ueberrock, Herr Kragh, sind also gestohlen.“</p>
-
-<p>„Putz weg! Donnerwetter ...“ Allan starrte den sanftäugigen
-Polizeirichter ganz verblüfft an. „Wer in Teufels Namen ...“</p>
-
-<p>„Ja, wer kann die Nummer Ihres Garderobescheines wissen! Hat man Sie im
-Hamburger Bahnhof darangekriegt? Wir verstehen die Sache ebensowenig
-wie Sie selbst — und Sie sollten sie besser verstehen als wir. Ja, das
-sollten Sie wirklich.“</p>
-
-<p>Allan bog in einen neuen Gedankenkanal ein.</p>
-
-<p>„Das sollte ich! Aber wie konnten Sie sich unterstehen, mich zu
-arretieren? Warum haben Sie diesem Kerl Gelegenheit gegeben, mein
-Gepäck zu stehlen? Haben Sie die Güte und erklären Sie mir, was hinter
-dieser anderen Geschichte steckt! Jetzt bin ich nicht mehr Angeklagter!“</p>
-
-<p>„Herr Kragh!“ Die Stimme des Polizeirichters war voll sanftem
-Tadel, aber Allan hörte nicht mehr auf diesem Ohr, seine erlittenen
-Verunrechtungen begannen ihm zu Kopf zu steigen. Wie ein Verbrecher
-arretiert und obendrein noch bestohlen werden! Das war zuviel. Wozu
-hatte man Konsuln?</p>
-
-<p>Er hörte die sanfte, gleichsam bebrillte Stimme des Polizeirichters:</p>
-
-<p>„... daß die ganze Geschichte im Speisewagen<span class="pagenum" id="Seite_50">[S. 50]</span> entstanden ist. Sie haben
-den Mann nicht gekannt, mit dem Sie zu Mittag gegessen haben?“</p>
-
-<p>„Gekannt? Habe den Kerl noch nie im Leben gesehen. Es ist das erstemal,
-daß ich im Ausland bin.“</p>
-
-<p>„Hm, ja, ich kann ... nun schön, dieser Mann — Aber warten Sie, Sie
-sollen die Geschichte aus erster Hand hören.“</p>
-
-<p>Der Polizeirichter drückte auf einen Knopf, gab einem Bediensteten
-eine Weisung und begann in der Erwartung, daß sie ausgeführt werde,
-wieder in dem Album mit den vielen Photographien zu blättern. Hie
-und da schob er die Unterlippe auf halbem Wege zur Nase hinauf,
-offenbar in tiefe Grübeleien versunken. Von Zeit zu Zeit fanden diese
-in einem gedankenvollen p—r—m, p—r—m Ausdruck, das an den Ton
-erinnerte, den eine Kindertrompete von sich gibt, wenn ihr kleiner
-Besitzer hineingespuckt hat. Plötzlich öffnete sich die Türe, und der
-Bedienstete kam mit jemand herein, der sich als der Speisewagenkellner
-von vorgestern entpuppte. Der kleine Polizeirichter schnitt die
-untertänigen Bücklinge des Sangmeds mit einer Geste ab und sagte kurz:</p>
-
-<p>„Erzählen Sie. Erklären Sie dem Herrn die Sache.“</p>
-
-<p>„Ach, gnädiger Herr, es ist ein Irrtum, ein furchtbarer Irrtum. Man
-hat mich beschwindelt, man hat mich betrogen, gnädiger Herr. Es war
-der Herr, der an Ihrem Tische gespeist hat — hol’ ihn der Teufel.
-Gerade als ich dem gnädigen Herrn den Fisch serviert habe, machte
-mir der andere Herr Grimassen: Sehen Sie den Herrn an, das ist ein
-durchgegangener Verbrecher<span class="pagenum" id="Seite_51">[S. 51]</span> — ganz vorsichtig, so daß der gnädige
-Herr nichts gemerkt hat. Ich sah den gnädigen Herrn an und hörte, wie
-der gnädige Herr sagte, daß er von seinem Gepäck und allem fortreisen
-mußte; und der andere Herr nickte mir nur immer zu — der Teufel soll
-ihn holen. Auf einmal kommt er zu mir hinaus in den rückwärtigen Teil
-des Wagens und sagt: Der Herr an meinem Tisch ist kein anderer als
-Mirzl selbst.“</p>
-
-<p>„Aber wer ist denn dieser Mirzl?“ rief Allan, dem nun schon zum
-dritten Male dieser Name ins Gesicht geschleudert wurde. Statt aller
-Antwort reichte der Polizeirichter ihm stumm das Album mit den vielen
-Bildern und eine zwei Tage alte Berliner Zeitung. Da fand er fett
-gedruckt die Ueberschriften: — <em class="gesperrt">Großer Hoteldiebstahl in Berlin W.
-— Benjamin Mirzl wieder in Aktion — der Betrag über siebzigtausend.
-— Mirzl entkommt im Auto.</em> — Und im Album fand Allan eine
-Serie Photographien <span class="antiqua">en face</span>, im Profil, von rückwärts, einen
-dreißigjährigen Herrn darstellend, an dessen Züge er sich dunkel zu
-erinnern glaubte, vermutlich aus irgendeiner illustrierten Zeitung. —</p>
-
-<p>„Unser größter Schwindler,“ sagte der Polizeirichter. „Er ist noch nie
-gefaßt worden, aber diesmal ist er mit knapper Not entwischt und mußte
-das meiste im Stich lassen.“</p>
-
-<p>„Das war am Tage, bevor ich mit dem Expreß abreiste!“ rief Allan.</p>
-
-<p>„Ja, so war es.“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_52">[S. 52]</span></p>
-
-<p>Der dienende Bruder setzte unverdrossen seinen Bericht fort.</p>
-
-<p>„Ich spitzte natürlich die Ohren; der andere Herr zog eine Visitkarte
-hervor und sagte: ‚Ich bin Rechtsanwalt Dr. Hauser.‘“</p>
-
-<p>„Aber mir sagte er doch, er hieße Koch und sei Schauspieler!“ rief
-Allan.</p>
-
-<p>„Er hat den gnädigen Herrn irreführen wollen. ‚Mein Name ist
-Rechtsanwalt Dr. Hauser,‘ sagte er zu mir. ‚Ich springe in Essen ab,
-um einen Detektiv zu holen und Mirzl zu arretieren. Komme ich nicht
-zurecht, so lassen Sie ihn um Gottes willen in Köln festnehmen! Auf
-dem dortigen Bahnhof sind immer Polizisten. Bedenken Sie, daß nur für
-seinen letzten Streich allein fünftausend Mark Belohnung ausgesetzt
-sind!‘ So sagte der gottverdammte Mensch, und in Essen sprang er ab. Er
-kam nicht wieder. Ich behielt den gnädigen Herrn im Auge, und in Köln
-...“</p>
-
-<p>„Das übrige weiß ich,“ sagte Allan.</p>
-
-<p>„Ach, gnädiger Herr, ich bin ein armer Mann, verheiratet, Familienvater
-mit vier Kindern, wie sollte ich ahnen, daß dieser elende Mensch mich
-ins Verderben stürzen wollte. Nicht einmal sein Mittagessen hat er
-bezahlt, bevor er in Essen abgesprungen ist.“</p>
-
-<p>„Ich bezahle es nicht. Aber ich unternehme auch nichts gegen Sie. Ich
-rate Ihnen nur, ein andermal mehr an das Service und weniger an die
-Gäste zu denken. Das ist eine gute Regel für einen Kellner, glaube ich.“</p>
-
-<p>„O gnädiger Herr ...“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_53">[S. 53]</span></p>
-
-<p>„Es ist schon gut. Kann ich gehen, Herr Polizeirichter?“</p>
-
-<p>„Aber — aber natürlich. Und Sie — Sie gedenken die Sache nicht weiter
-zu verfolgen?“</p>
-
-<p>„Diesmal nicht. Ich zog aus, um Abenteuer zu suchen, wenn ich sie
-auf den Hals bekomme, kann ich nicht klagen. Falls mein Gepäck noch
-auftauchen sollte — aber das kommt wohl nicht in Frage. Darauf wird
-Herr Mirzl wohl auch Beschlag gelegt haben.“</p>
-
-<p>„P—r—m — ach nein, der bewegt sich in einem höheren Genre.“</p>
-
-<p>„Ich bin ebenso gespannt, seine nähere Bekanntschaft zu machen, wie
-Sie, Herr Polizeirichter. Leben Sie wohl.“</p>
-
-<p>Allan verließ das kleine Zimmer des großen Gebäudes; der kleine
-Polizeirichter folgte ihm durch die Korridore bis zum Ausgang, wo Allan
-und er sich voneinander unter tiefen Verbeugungen verabschiedeten.
-Allan ging nun durch die Straßen, etwas wirr im Kopf von all den
-Ereignissen, ohne daran zu denken, welche Richtung er einschlug. Es war
-nun, wie ein Blick auf die Uhr ihm sagte, fast vier Uhr nachmittags.
-Plötzlich, als er an einer Straßenecke stehen blieb, um zu überlegen,
-was nun zu tun sei, spürte er eine Hand auf seiner Schulter und zuckte
-zusammen. Eine neue Arretierung? Das wäre doch zuviel des Guten. Er
-drehte sich um. Ein junger Mann im Strohhut grüßte ihn lächelnd und
-reichte ihm einen Brief.</p>
-
-<p>„An Sie,“ sagte er.</p>
-
-<p>Bevor Allan ihn noch aufhalten konnte, war er verschwunden. Allan
-starrte ihm in dem Volksgewühl<span class="pagenum" id="Seite_54">[S. 54]</span> nach, ohne zu wissen, was er eigentlich
-glauben sollte. Er lief einige Schritte in der Richtung, die der
-Unbekannte eingeschlagen hatte, aber ohne ihn zu erblicken; der Verkehr
-war im Augenblicke überwältigend. Dann sah er den Brief an, der die
-Aufschrift trug: „Herrn Allan Kragh aus Schweden“, und riß ihn auf, von
-einer plötzlichen Ahnung gepackt.</p>
-
-<p>Was er las, war dies:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„Lieber Herr Kragh! Sie haben ohne Zweifel viele Flüche auf mein
-Haupt herabbeschworen, seit wir uns zuletzt sahen, obwohl es fraglich
-ist, ob Sie diese Flüche richtig adressieren konnten. Verzeihen
-Sie mir, daß ich Ihre Freundlichkeit, mir im Speisewagen Graacher
-Auslese vorzusetzen, so schlecht gelohnt habe; verzeihen Sie mir in
-noch höherem Grade die Unannehmlichkeiten, die ich Ihnen späterhin
-verursacht habe — Unannehmlichkeiten, deren Charakter ich selbst nur
-zu gut einzuschätzen verstehe.</p>
-
-<p>Ich weiß, daß der Verlust Ihres Reisegepäcks auf den Garderobeschein
-374 des Hamburger Hauptbahnhofes, den Sie so unvorsichtig waren,
-mir beim Diner zu zeigen, gegen die eben erwähnten anderen
-Unannehmlichkeiten nicht ins Gewicht fällt. Leider war ich wirklich
-durch die Verhältnisse gezwungen, so zu handeln. Seien Sie überzeugt,
-daß es eine zwingende Notwendigkeit war.</p>
-
-<p>Sollten Sie geneigt sein, mich sämtliche Unannehmlichkeiten
-sühnen und Ihnen natürlich in erster Linie Ihr elegantes Gepäck
-zurückstellen zu lassen, so können Sie mich Freitag abend, den
-zwölften dieses, um zehn Uhr in The Leicester Lounge am Leicester<span class="pagenum" id="Seite_55">[S. 55]</span>
-Square in London treffen. Seien Sie überzeugt, daß ich Sie erkennen
-werde, wenn Sie sich einfinden, auch wenn Sie mich nicht erkennen
-sollten. Ich mache Ihnen diesen Vorschlag, um zu sehen, ob ich den
-Charakter eines Mannes, der ohne weiteres einer Laune wegen sein
-Gepäck im Stiche läßt, richtig beurteilt habe.</p>
-
-<p>Also auf Wiedersehen!</p>
-
-<p class="right">
-<span class="mright4">Ihr ergebener</span><br />
-<span class="mright2">Ludwig Koch,</span><br />
-<span class="mright1">alias Dr. Hauser,&#160;</span><br />
-<span class="mright4">alias .....</span>&#160;&#160;<br />
-(nach Belieben von Ihnen selbst auszufüllen.)“</p>
-
-<p><span class="antiqua">P. S.</span> Daß ich Ihren Namen in Erfahrung gebracht habe, werden
-Sie hoffentlich nicht übelnehmen.“</p>
-</div>
-
-<p>Wie oft Allan, mitten im Gewühl der Jülichstraße stehend, diese Epistel
-durchlas, ist ungewiß. Schließlich sahen doch die Passanten dieser
-Straße, wie er sich aufraffte, den Brief in die Tasche steckte, einen
-Polizisten über irgend etwas befragte und in der Richtung zum Bahnhof
-forteilte. Es war über vier Uhr; er hatte eine knappe Stunde, um den
-Zug zu erreichen, über dessen Abgang er eben den kölnischen Wächter des
-Gesetzes konsultiert hatte. Diese Stunde mußte genügen, um seinen Magen
-nach den Prüfungen im Arrest zu befriedigen.</p>
-
-<p>„Es fängt an!“ murmelte Herr Kragh für sich. „Das war ja eine feine
-Reisegesellschaft, die ich hatte! Auf diese Weise sind die Koffer also
-fortgekommen. Nun wollen wir vor allem das tun, was Hermann Bergius als
-das oberste und unveräußerlichste Menschenrecht<span class="pagenum" id="Seite_56">[S. 56]</span> erklärte — Frühstück
-essen. Es ist spät und wohlverdient. Und dann auf nach London, um mit
-Herrn Benjamin Mirzl Bekanntschaft zu machen! Das dürfte interessant
-sein.“</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_57">[S. 57]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="III">III<br />
-
-<em class="gesperrt">Das große Hotel</em></h2>
-
-</div>
-
-<p>Einmal hatte Allan die größte der großen Turbinenanlagen in Südschweden
-besucht. Es war ihm, als wäre er in ihre maschinendruckvibrierende und
-dröhnende Luft gekommen, als er am 11. September spät abends in London
-eintraf.</p>
-
-<p>Er rieb sich die Augen, wie er da in seinem Taxi saß. Das war eine
-Stadt! Hier mußten die Abenteuer zu Hause sein; hier mußten sie gerade
-an jeder Straßenecke lauern. Was war dagegen Hamburg und Köln! Was
-war die unbeschreibliche Atmosphäre von jagender Eile, raffiniertem
-Luxus und unerhörtem Geldzustrom, die sein Eindruck des Luxuszuges von
-Köln nordwärts war, gegen dieses London! Schon die Luft war neu, eine
-phantasiereizende Mischung von tausend Ingredienzien: Dem Geruch des
-heißen Steinpflasters, von parfümiertem Virginiatabak, Benzindämpfen
-der zahllosen Autos, deren Gummiräder über den spiegelblanken Asphalt
-zischten; dem Duft des parfümierten Reichtums der ganzen Welt und
-all ihres unaussprechlichen stinkendsten Elends. Die Häuser jagten
-wie im Traum an seinem Auto vorbei; gigantische Fassaden verloren
-sich nach oben zu in der nebligen Abendluft; es flammte und zuckte
-von unzähligen Lichtern; die Reklamen krochen wie regenbogenfarbene
-Schlangen<span class="pagenum" id="Seite_58">[S. 58]</span> die Mauern auf und ab; der Himmel über den offenen Plätzen
-brannte schlackenrot wie vom Widerschein einer kolossalen Feuersbrunst
-oder dem Ausbruch eines Riesenkraters. Und der Menschenstrom brauste
-und brauste. Das Auto, das Herrn Allan Kragh aus Schweden auf der Suche
-nach Abenteuern und eventuell einer Zukunft umschloß, eilte lautlos
-durch das Gewirr, vermied es zu kollidieren, vermied es, jemand zu
-töten, zog hier und da an einer Straßenecke eine augenblickliche Ritze
-durch die Menschenfluten; stürzte dahin, scheinbar ebenso sinnlos, wie
-die tausend anderen Autos, denen es begegnete, hundertmal schneller
-als die dahinströmenden Menschenfluten, aber ebenso sinnlos. Plötzlich
-bog es in einen offenen Platz, der weniger lichtflammend war, als die
-vorhergehenden Straßen und hielt vor einer Fassade, an der die Lichter
-sich zu einem gewaltigen Feston zusammengeballt hatten. „Grand Hotel
-Hermitage“ sagten die Lichtkränze; der Chauffeur wiederholte es, indem
-er die Türe des Autos aufriß, und Herr Allan Kragh ging über eine
-breite Treppe hinauf, in eine große Halle, die nach dem Souza-Marsch
-der Straßen unerhört still wirkte — die ungeheure Drehtüre des
-Vestibüls schnitt den Lärm der Außenwelt ab wie eine Klosterpforte.</p>
-
-<p>Das war also das berühmte Grand Hotel Hermitage. Hundertmal hatte Allan
-diese drei Worte im Henschel, Bradshaw und den großen ausländischen
-Zeitungen gesehen; jedesmal hatte er gedacht: Wer doch da wäre; und als
-er nun auf seiner großen Reise vom Zufall und Herrn Mirzl nach London
-verschlagen wurde, da war es ihm ganz selbstverständlich erschienen,<span class="pagenum" id="Seite_59">[S. 59]</span>
-dem Chauffeur die Adresse des großen Hotels anzugeben.</p>
-
-<p>Auf dem Wege von Köln hatte Allan sich in Belgien mit den notwendigsten
-Reiseeffekten versehen — man durfte vielleicht Herrn Mirzls
-Versprechen nicht allzu ernst nehmen; aber andererseits wäre es töricht
-gewesen, sich mit einer doppelten Ausstattung zu belasten; und er
-war folglich nicht ganz gepäcklos, als er, den Hotelträger hinter
-sich, durch die Drehtüre eintrat. Dennoch war es nur natürlich, daß
-der ernste Portier des Luxushotels (dessen Figur am ehesten an eine
-Benediktinerflasche erinnerte) ihn mit einer etwas herablassenden
-Nuance im Ton empfing. Hinter dem Portier bemerkte Allan im Kontor
-einen vierschrötigen Herrn mit graugesprenkeltem Yankeebart ohne
-Schnurrbart, der Direktor des Hotels, wie er später erfahren sollte.
-Hätte der Direktor und der Portier die Ereignisse vorausahnen können,
-die sich während Allans Aufenthalt im Grand Hotel Hermitage abspielen
-sollten und die Rolle, die Allan darin zu spielen bestimmt war, hätten
-sie ihn vermutlich mit Grüßen ganz anderer Art aufgenommen als die, mit
-denen der Portier Allan jetzt empfing.</p>
-
-<p>„Das ist Ihr ganzes Gepäck, Sir?“</p>
-
-<p>„Ja. Ich erwarte noch mehr. Ich möchte ein Zimmer haben.“</p>
-
-<p>Der Portier musterte ihn noch einen Augenblick, und weichere Gefühle
-erlangten die Oberhand.</p>
-
-<p>„Kleines Zimmer für diesen Gentleman, Jones. Ist 417 frei?“</p>
-
-<p>Es stellte sich heraus, daß 417 frei war. Ein uniformierter<span class="pagenum" id="Seite_60">[S. 60]</span> magerer
-junger Mann übernahm Allans unbeträchtliches Gepäck und geleitete
-ihn zum Lift. Dieser machte sich mit der würdigen Langsamkeit eines
-alten Herrschaftsdieners auf den Weg und blieb mit derselben Würde im
-vierten Stock stehen. Der uniformierte Herr führte Allan über einen
-teppichbelegten Korridor in das kleine Gemach, das geeignet befunden
-worden war, ihn zu beherbergen. Es war wirklich klein, das heißt, in
-der Breite, denn die Höhe ließ nichts zu wünschen übrig. Es wurde zum
-größeren Teil von einem Bett und einem Toilettetisch ausgefüllt und
-erinnerte infolge seiner architektonischen Gestalt in hohem Grade
-an eine Grabkammer in einer ägyptischen Pyramide. Dahinter befand
-sich, wie Allan sah, ein Badezimmer. Aber Allan hatte von Hermann
-Bergius gelernt, daß nichts gleichgültiger ist, als das Zimmer, das
-man auf seinen Reisen bewohnt, da man sich ja doch nie in wachem oder
-nüchternem Zustande darin aufhält. Er erklärte sich folglich mit der
-ägyptischen Grabkammer zufrieden, drückte dem uniformierten Herrn einen
-Schilling in die Hand und ging dazu über, Toilette zu machen.</p>
-
-<p>Als er eine halbe Stunde später, ohne sich wegen seines Reiseanzuges
-zu genieren, in den Speisesaal des großen Hotels wanderte, fand er
-Gelegenheit, zu konstatieren, daß nicht nur die Zimmer für Reisende
-mit unbedeutendem Gepäck klein sind, auch die Welt selbst ist überaus
-klein. Ja, offenbar, denn als er sich an einem Tisch niedergelassen,
-die Speisekarte verlangt hatte und sich im Speisesaal umzusehen begann,
-wen erblickte er an dem Nebentisch rechts, wenn nicht<span class="pagenum" id="Seite_61">[S. 61]</span> die Dame, die
-ihn vom Hamburger Bahnhof in die Welt hinausgelockt hatte, und als
-ihren Kavalier den alten Herrn mit der Raubvogelnase und dem gelbgrauen
-Schnurrbart.</p>
-
-<p>Allan fixierte sie überrascht. Es war unleugbar kurios, dieses Paar
-gerade hier zu treffen! Es gab doch tausend Hotels in London. Nun, es
-war natürlich ein Zufall, aber ... das Freundschaftsbündnis, das er
-im Expreß beginnen gesehen und zu dem er selbst teilweise die direkte
-Ursache gewesen, war offenbar von nachhaltigerer Art geworden, als
-Reisebekanntschaften zu sein pflegen. Er konnte die alte Bordeauxnase
-gut verstehen ... trotz des Grolls, den er noch gegen die junge Dame
-wegen ihres Auftretens im Coupé hegte, mußte er sich selbst gestehen,
-daß sie eine Messe wert war ... sie schien ihm sogar mehrere Messen
-wert. Es bedurfte der Phantasie einer Pariserin, dachte er, um sich
-eine solche Toilette, wie sie sie heute abend trug, auszudenken,
-und der Courage einer Amerikanerin, um sie zu tragen. Seine Blicke
-irrten über die Linie des Ausschnittes um ihren weißen Busen, der so
-herausfordernd entblößt war wie auf einer Zeichnung von Rops, und
-wenn sie nicht da umherirrten auf der Grenzlinie zwischen der weißen
-Haut und der grünen Seide, ist es möglich, daß sie etwas weiter
-hinabschweiften, wo der knapp anliegende Rock fast bis zum Knie
-aufgeschlitzt war ... Welche Linie ist mystischer und verlockender zu
-verfolgen als die Linie einer schönen Frauenwade? Namentlich wenn sie
-von einem Strumpf von jener diskreten Durchsichtigkeit umschlossen
-ist, wie sie Madame offenbar bevorzugte ... Die<span class="pagenum" id="Seite_62">[S. 62]</span> Wellenlinie ihrer
-Wade zeichnete sich durch den grünen Strumpf ab wie Marmor durch den
-adriatischen Wasserspiegel. Allan starrte, ganz im klaren darüber, daß
-er zudringlich war, und plötzlich drehte Madame den Kopf nach Allans
-Seite (sie saß im Halbprofil) und ließ den Blick über ihn hingleiten;
-Allan sah, daß sie ihn erkannte. Im selben Augenblick stand der Kellner
-an seinem Tisch, mit Speisekarte und Weinliste, und er war genötigt,
-seine Augen von ihr loszureißen.</p>
-
-<p>Wer konnte sie sein, und wie kam es, daß sie in dieser Gesellschaft
-hier war? Diese Frage summte Allan im Kopf, während er ein paar
-Gerichte der Speisekarte und einen Bordeaux von der Weinliste wählte.
-Der Kellner verschwand, und er hatte die Aussicht auf den anderen Tisch
-wieder frei.</p>
-
-<p>Man sprach dort ziemlich eifrig. Ueber ihn? Nicht unmöglich, denn
-eine flüchtige Sekunde flog ihr Blick wieder zu ihm hinüber; der alte
-Herr mit der Raubvogelnase bekundete hingegen kein Interesse für
-ihn, wenn nun wirklich über ihn gesprochen wurde. Allan nahm seine
-bewundernde Betrachtung ihrer Person wieder auf, ohne daß sie sie
-nunmehr zu berühren schien, und war noch damit beschäftigt, als der
-Kellner mit der Omelette und dem Wein, den er bestellt hatte, erschien.
-Er machte einen Schluck aus seinem Glas und begann zu essen, während
-seine Gedanken von dem geheimnisvollen Paar dort drüben zu Herrn
-Benjamin Mirzl schweiften. Plötzlich kam es ihm, eigentümlicherweise
-zum erstenmal, zum Bewußtsein, daß er gerade dieses Trio in seiner
-Gesamtheit —<span class="pagenum" id="Seite_63">[S. 63]</span> den alten Herrn, die junge Dame und Herrn Mirzl — vor
-dem Billettschalter in Hamburg gesehen hatte. Allerdings schienen
-sie damals ganz unabhängig voneinander, aber ... Herr Mirzl war ein
-internationaler Schwindler, wenn auch vielleicht ein exzentrischer,
-wohlwollender; waren die beiden anderen von derselben Sorte? Das
-war natürlich nicht ausgeschlossen, und Allan beschäftigte sich mit
-dieser Möglichkeit, während er vom Poulard und Bordeaux zum Dessert
-und einem Glas Madeira überging (man mußte doch die Bekanntschaft mit
-der Mutter aller Städte feiern), aber verwarf sie nach dem zweiten
-Glas Madeira als unwahrscheinlich. Er bestellte Kaffee und Likör,
-wobei das Wesen des Kellners ebenso milde zu werden begann, als
-wenn er im <span class="antiqua">evening-dress</span> gewesen wäre, und blieb bei diesen
-angenehmen Getränken sitzen, auch als das Paar, das ihn intrigierte,
-den Speisesaal verlassen hatte. Zu seiner nicht geringen Ueberraschung
-sah er, als die Rechnung beglichen wurde, daß sie für beide bezahlte;
-der alte Herr war also offenbar von ihr eingeladen. Kontinental, dachte
-Allan. Sie passierten seinen Tisch ohne ein Zeichen des Wiedererkennens
-— oder sah er recht, als er ein kleines Blinzeln zu merken glaubte,
-die Ahnung eines spöttischen Lächelns in ihren Augen? Es war unmöglich
-zu entscheiden.</p>
-
-<p>Um halb elf Uhr, als Allan sich zu einem Abendspaziergang mit Zigarre
-durch London entschlossen hatte, zeigte es sich, daß die Stadt
-ihrerseits entschlossen war, seine Ankunft mit einem undurchsichtigen,
-gelbgrauen, brandrauchduftenden Nebel zu feiern, der zur Folge hatte,<span class="pagenum" id="Seite_64">[S. 64]</span>
-daß er (nach zwei Whisky mit Soda, zu Ehren der Riesenstadt) in der
-ägyptischen Grabkammer zu Bette ging. Er schlummerte sofort ein und
-schlief wie ein Stück Holz.</p>
-
-<p>London ist eine wunderbare Stadt, voll Ueberraschungen, unerforschlich
-wie das Menschenherz, mehr Dinge bergend als die Philosophie sich
-träumen läßt oder Baedeker in seinen roten Büchern mit Sternen
-bezeichnet hat. Und Herr Allan Kragh fand in seinem bescheidenen Maße
-Gelegenheit, diese Binsenwahrheiten schon im Laufe des folgenden
-Tages bestätigt zu finden. Die Nebel des Abends waren von einem
-sanften Sonnenschein, der von einem milden, veronikablauen Himmel
-erstrahlte, abgelöst, als er am Vormittag seine Streifzüge vom
-Grand Hotel Hermitage antrat, und, Goethe gehorchend, ins volle
-Menschenleben der Straßen hineingriff. Seine Streifzüge gehen jedoch
-diese wahrheitsgetreue Erzählung nichts an, und wir begnügen uns damit,
-den Kontakt mit ihm wieder aufzunehmen, als er gegen ein Uhr nachts
-ins Grand Hotel Hermitage heimkehrte. Da beschäftigten ihn nicht die
-Geheimnisse von London, sondern das Geheimnis Benjamin Mirzl.</p>
-
-<p>Was hatte Herr Mirzl mit dem Brief beabsichtigt, den er Allan durch
-einen seiner Helfershelfer vor zwei Tagen in Köln hatte zustecken
-lassen? Ein Bluff? Aber warum? Konnte einem Herrn seines Schlages
-etwas derartiges Spaß machen? Es war ja denkbar, aber paßte nicht zu
-der Vorstellung, die Allan sich von Herrn Mirzl gemacht hatte. Es war
-ja auch möglich, daß dieses Vorstellungsbild Herrn Mirzl ebensowenig<span class="pagenum" id="Seite_65">[S. 65]</span>
-ähnlich sah, wie dieser sich selbst in seinen verschiedenen
-Verkleidungen. Auf jeden Fall: Schlag neun Uhr, eine Stunde vor der
-angegebenen Zeit, hatte sich Allan in dem von Mirzl bezeichneten Kaffee
-„The Leicester Lounge“ eingefunden. Seine Londoner Eindrücke waren
-dadurch um noch einen vermehrt worden, aber als er gegen halb ein Uhr
-aus dem Kaffee hinausgeworfen wurde (Polizeivorschrift), war dies auch
-seine einzige Ausbeute. Dem Kaffee hatte sein dreiundeinhalbstündiger
-Besuch etwas mehr Ausbeute gebracht. „The Leicester Lounge“ erwies
-sich als ein Kaffee von der Art, wo Maria Magdalena auch vor ihrer
-Reue Zutritt hat. Es gab dort ein paar Dutzend Magdalenen vor der Bar
-und ein halbes Dutzend innerhalb derselben. Der Raum im übrigen, der
-sehr beschränkt war, wurde von dem leichtlebigen männlichen London in
-Anspruch genommen. Die Losung sowohl für das leichtlebige männliche
-London wie für die Direktion des Lokales war fixe Expedition. Das
-größtmöglichste Glück der größtmöglichsten Anzahl: ein schöner
-Leitsatz. Die Zirkulationsgeschwindigkeit war bewunderungswürdig:
-Entree, ein Drink, Bekanntschaft, noch ein Drink, Sortie. Herren,
-die keine Bekanntschaften machten, wurden über die Achsel angesehen.
-Herr Allan Kragh wurde über die Achsel angesehen. Es nützte nichts,
-daß er, so oft das dunkle Auge des Kellners ihn traf, einen Drink
-bestellte, oder daß eine unbestimmte Anzahl Magdalenen sich an seinem
-Tisch bezechten; er blieb sitzen und wurde folglich über die Achsel
-angesehen. Und Herr Mirzl kam nicht. Oder gab sich wenigstens nicht
-zu erkennen. Konnte es ihn<span class="pagenum" id="Seite_66">[S. 66]</span> amüsieren, Allans drinkerfüllte Erwartung
-in einer Verkleidung zu beobachten? Konnte er (da war der Kellner mit
-dem Auge schon wieder — <span class="antiqua">Whisky and soda, please!</span>) — konnte
-er vielleicht von der weltlichen Gerechtigkeit arretiert sein? Die
-Polizisten Londons waren ja so flink. Reichte Herrn Mirzls Schlauheit
-nicht hin, um sie zu überlisten? Sherlock Holmes, <span class="antiqua">you know</span>. Auf
-jeden Fall (<span class="antiqua">Whisky and soda please</span>, der Kellner mit dem Auge)
-— reichte sie für Allan Kragh aus. Nach einer dreiundeinhalbstündigen
-Whisky-Orgie verließ Herr Allan Kragh (auf Grund der polizeilichen
-Bestimmungen und Müdigkeit in der Kehle) The Leicester Lounge,
-durchdrungen von der eben erwähnten Ueberzeugung.</p>
-
-<p>Und das erste, was er in der ägyptischen Grabkammer Nr. 417 erblickte,
-waren seine ehrlichen schwedischen Handkoffer. Es fehlte nicht viel,
-und er hätte geglaubt, eine Säufervision zu haben.</p>
-
-<p>Aber faktisch; da standen seine beiden Handkoffer, der aus braunem
-Rindsleder und der aus eisenbeschlagenem Holz ... Sein Klingeln rief in
-weniger als einer Minute einen uniformierten Herrn in die Grabkammer
-hinauf.</p>
-
-<p>„Diese Koffer?“</p>
-
-<p>„Wurden heute abend um halbzehn Uhr von einem Träger abgegeben, Sir. Es
-liegt ein Brief an Sie auf dem Toilettetisch, Sir. Wünschen Sie noch
-etwas, Sir?“</p>
-
-<p>Allan machte eine stumme Handbewegung. Jetzt wurde die Sache aber doch
-zu mystisch. Wie in — — konnte Herr Benjamin Mirzl denn wissen, wo
-er<span class="pagenum" id="Seite_67">[S. 67]</span> wohnte. — Er stürzte sich über den Brief auf dem Tisch, ohne seine
-verwirrten Fragen zu Ende zu denken. Er enthielt zwei Schlüssel und
-folgende Zeilen:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„Lieber Herr Kragh! Entschuldigen Sie, daß ich Sie vergeblich in The
-Leicester Lounge warten ließ. <span class="antiqua">Business, you know</span>; unmöglich
-für mich, abzukommen. Hoffe, Sie waren nicht gezwungen, allzu viele
-Whisky mit Soda zu nehmen; kenne das Lokal; sollte mir leid tun. Füge
-die Schlüssel bei, die ich während der Zeit, als ich Ihr prächtiges
-Gepäck inne hatte, zu verwenden pflegte; hoffe, Sie können sie als
-Reserveschlüssel brauchen; danke Ihnen nochmals für die freundliche
-Ueberlassung des Gepäcks; bitte Sie um Entschuldigung wegen all der
-Mühe, die ich Ihnen verursacht habe und verbleibe in aller Eile</p>
-
-<p class="right">
-<span class="mright4">Ihr ergebener</span><br />
-<span class="mright2">Ludwig Koch,</span><br />
-<span class="mright1">alias Dr. Hauser,&#160;</span><br />
-<span class="mright4">alias ......</span>&#160;<br />
-(nach Belieben auszufüllen.)“</p>
-
-</div>
-
-<p>Es ist unnötig, die Ausrufe, Fragen und Gesten zu verzeichnen, mit
-denen Allan Kragh diese Epistel kommentierte. Das Leben ist kurz, wie
-schon Mark Twain sagte; es war drei Uhr, als er sich nach der dritten
-Visitierung der Koffer — nichts fehlte — und der achtundneunzigsten
-Lektüre von Benjamin Mirzls Brief zu Bett legte. Es dauerte noch eine
-Stunde, bis er einschlief, und als er es tat, war sein Schlummer
-unruhig.</p>
-
-<p>Er hätte gar zu gerne Herrn Mirzl getroffen.</p>
-
-<p>Es war bestimmt, daß er seinen Willen in dieser<span class="pagenum" id="Seite_68">[S. 68]</span> Hinsicht durchsetzen
-sollte, aber das dauerte noch eine Weile.</p>
-
-<p class="center">* <span class="mleft7">*</span><br />
-*</p>
-
-<p>Es war spät, als Allan am nächsten Tag die Augen aufschlug. Sein erster
-Blick galt den Koffern und sein zweiter Herrn Mirzls Brief, den er nun
-schon auswendig wußte, wie einen Bibelspruch im Katechismus. Erst sein
-dritter Blick galt der Uhr. Sie zeigte fünf Minuten vor zwölf. Allan
-flog aus dem Bett und begann sich anzukleiden. Unmittelbar vor dem
-Einschlafen war ihm etwas eingefallen: Es gab eine Möglichkeit, Herrn
-Mirzl aufzuspüren, durch den Dienstmann, der die Koffer gebracht hatte!
-Allan runzelte die Stirn und entwarf in Gedanken einen Kriegsplan, der
-auf besagtem Dienstmann aufgebaut war, und durch den Herr Mirzl sich
-wohl bald in seiner Höhle aufgespürt sehen sollte.</p>
-
-<p>Aber ach, schon der erste Faden riß, als er gegen halb ein Uhr sein
-Verhör im Hotelbureau anstellte. Der Dienstmann? Ein gewöhnlicher
-Träger. Nummer? Weiß Gott, was für eine Nummer er hatte. Er hatte ganz
-einfach die Koffer niedergestellt, erklärt, daß sie dem Herrn auf Nr.
-417 gehörten, dessen Namen auf beifolgendem Briefe stand, und daß alles
-bezahlt sei, worauf er sich ohne weiteres entfernt hatte. Nun, wenn man
-es sich recht überlegte, hatte er wohl überhaupt keine Nummer gehabt.
-Es war vermutlich ein gewöhnlicher Arbeitsloser gewesen. Stimmte etwas
-mit den Koffern nicht? Hatte der Mann etwas gestohlen oder verschlampt?</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_69">[S. 69]</span></p>
-
-<p>Allan beeilte sich, nein zu sagen und verschwand. Es war nicht so
-leicht, die Sachlage mit einem unromantischen Hotelkontoristen zu
-diskutieren. Er versuchte sich vorzustellen, was Sherlock Holmes in
-seiner Lage getan hätte, und da kam ihm plötzlich eine Idee. Eine
-Annonce! Das war es. Sherlock Holmes hätte eine Annonce eingerückt und
-dem unnumerierten Dienstmann eine Belohnung in Aussicht gestellt.</p>
-
-<p>Allan erkundigte sich und suchte das Zeitungsbureau des Hotels auf; er
-fand es in einer kleineren Halle rechts von dem großen Entree gelegen.
-Es war eine weitläufige Anlage, wo alle Zeitungen der Welt verkauft,
-Annoncen für sie, Abonnements auf sie und (gegen eine kleine Abgabe)
-persönliche Notizen für sie über den Aufenthalt der Betreffenden
-im Grand Hotel Hermitage, ihre Gewohnheiten, ihren Lieblingssport,
-aufgenommen wurden. Allan erhielt ein Blankett und formulierte nach
-einiger Gedankenarbeit folgende Annonce:</p>
-
-<p>Träger! Zwei Pfund Belohnung erhält der Träger, der am Abend des 12.
-dieses, halb zehn Uhr, drei Gepäckstücke im Grand Hotel Hermitage
-abgegeben hat, wenn er sich ehestens im besagten Hotel einfindet.</p>
-
-<p class="mtop2">Der Kontorist des Zeitungsbureaus war ein ernster junger Mann vom
-Detektivtypus. Er nahm Allans Annonce ohne jeden Kommentar entgegen und
-fragte nur, in welche Zeitungen Allan sie aufgenommen wünsche. Allan
-überließ ihm selbst, dies zu bestimmen, worauf der hagere junge Mann
-dekretierte, daß Star, Daily Mail und Daily Citizen am besten seien,
-und einen<span class="pagenum" id="Seite_70">[S. 70]</span> Betrag für die zweimalige Einschaltung in jeder derselben
-entgegennahm. Sehr zufrieden mit sich selbst begab sich Allan in die
-Stadt, um sein Lunch einzunehmen.</p>
-
-<p>Im Laufe des Nachmittags, während er in Pall Mall promenierte, kam
-ihm jedoch eine Idee, die zur Folge hatte, daß er eine Viertelstunde
-später aus einem Auto vor dem Grand Hotel Hermitage sprang. Er hatte
-ja ganz verabsäumt, in Erfahrung zu bringen, wer seine mystische
-Reisegenossin war, die Dame aus Hamburg! Und sie wohnte doch in
-demselben Hotel! So ist es, wenn man den Kopf mit einer Sache voll
-hat. Der benediktinerflaschenähnliche Portier selbst führte den Befehl
-im Hotelbureau, als Allan hereinkam, um sein Verhör anzustellen. Die
-Wärme seines Tones war seit der Ankunft von Allans Gepäck um fünf Grad
-gestiegen.</p>
-
-<p>„Wünschen Sie ein größeres Zimmer, Sir?“ fragte er.</p>
-
-<p>„Vielleicht später,“ sagte Allan. „Ich möchte Sie gerne etwas fragen,
-Portier.“</p>
-
-<p>Er wühlte einen Augenblick in seinen Erinnerungen an Sherlock Holmes.</p>
-
-<p>„Ich glaube hier im Hotel eine Bekannte gesehen zu haben, eine
-Dame. Ich bin meiner Sache aber nicht ganz sicher und möchte nicht
-zudringlich erscheinen, Sie verstehen, Portier. Sie ist blond, schlank,
-von Mittelgröße oder etwas darüber, sieht sehr gut, aber ein bißchen
-hochmütig aus und speiste vorgestern mittag im Speisesaal — — —“</p>
-
-<p>Ein plötzliches Rauschen von Seidenröcken neben<span class="pagenum" id="Seite_71">[S. 71]</span> ihm ließ ihn
-zusammenzucken. Er wandte sich seitwärts und da stand die Unbekannte
-selbst!</p>
-
-<p>„Ich hörte zufällig Ihre freundliche Anfrage,“ sagte sie. „Sollte am
-Ende ich es sein, die Sie dem Portier beschrieben haben?“</p>
-
-<p>Diesmal konnte kein Zweifel über ihren Gesichtsausdruck herrschen, wie
-vor zwei Tagen im Speisesaal. Jetzt war es genau dieselbe Miene, die er
-vom Expreß her kannte; und ihre grauen Augen hatten einen Blick, der
-ihm kalt über das Rückgrat lief. Endlich gelang es ihm, sich zu fassen.</p>
-
-<p>„Sie, Madame? Soviel ich weiß, habe ich nicht das Vergnügen, Sie zu
-kennen.“</p>
-
-<p>„Ich Sie auch nicht — dem Namen nach.“</p>
-
-<p>Es lag eine vernichtende Betonung auf den letzten zwei Worten, die
-nur zu gut ausdrückten, was sie meinte — die Szene in Köln, wo sie
-ihn vor fünf Tagen arretieren gesehen hatte. Allan nahm eine hübsche
-Preißelbeerfarbe an, aber es gelang ihm zu sagen:</p>
-
-<p>„Sie haben gewiß etwas mit dem Portier zu besprechen. Ich will mich
-außer Hörweite zurückziehen, damit ich Sie nicht zu belauschen brauche.“</p>
-
-<p>Er wußte, daß dieser Abschiedspfeil sie in das Tiefste ihrer
-anglosächsischen Seele treffen mußte, aber trotzdem empfand er seine
-Sortie aus dem Bureau nicht als eine <span class="antiqua">Sortie d’éclat</span>. Er kreuzte
-die Halle so rasch, als es seine Würde zuließ. — Was er hauptsächlich
-befürchtete, war, daß sie ihn zurückrufen und bitten würde, das
-Interview mit dem Portier fortzusetzen; er fühlte sich dieser Aufgabe
-jetzt nicht gewachsen. Und plötzlich fand er sich im Konversationssalon
-des Hotels,<span class="pagenum" id="Seite_72">[S. 72]</span> in den seine Beine ihn, ohne daß er es selbst wußte,
-getragen hatten, und hörte ein <span class="antiqua">damn and confound</span>, das mit
-ungeheurer Energie in seiner unmittelbaren Nähe ausgestoßen wurde.
-Erst im nächsten Augenblick dämmerte es ihm auf, daß ihm selbst diese
-Worte entschlüpft waren; und noch ganz erstaunt über seine rasche
-Akklimatisierung hörte er eine schrille Stimme, die sagte:</p>
-
-<p>„Hallo, junger Mann! Solche Worte pflegt man nicht in Damengesellschaft
-zu sagen.“</p>
-
-<p>Allan drehte sich um. Trotz der wenig menschenfreundlichen Laune, in
-der er sich für den Augenblick befand, mußte er lächeln. Auf einem der
-roten Lederstühle saß eine alte Dame mit dem New York Herald in der
-Hand — sie wäre von der Zeitung verdeckt gewesen, wenn sie sie nicht
-gesenkt und Allan über den Rand angeguckt hätte. Ihr Gesicht glich
-auf das I-Tüpfelchen einem alten, schlauen Papagei. Sie hatte graues
-Haar, das von den Ohren abstand, zwei scharfe kohlschwarze Augen und
-eine Nase, die den Rest des Gesichtes ebenso gründlich ausfüllte,
-wie die Sankt Paulskathedrale den offenen Platz, an dem sie liegt.
-So wie die Kathedrale kam sie architektonisch nicht zu ihrem vollen
-Recht, aus Mangel an Perspektive ... Man sah jedoch einen breiten Mund
-mit schmalen und offenbar sehr scharfen Lippen, und ein Kinn, das
-napoleonisch zu wirken versuchte. Die kohlschwarzen Augen fixierten
-Allan schräg, ganz wie die eines Papageis. Allan verbeugte sich
-ehrfurchtsvoll:</p>
-
-<p>„Ich bitte Sie tausendmal um Entschuldigung, Madame!<span class="pagenum" id="Seite_73">[S. 73]</span> Ich dachte
-wirklich nicht daran, was ich sagte, und ich wußte kaum, wo ich mich
-befand.“</p>
-
-<p>„Warum haben Sie geflucht?“ sagte die alte Dame. Sie betonte das Wort
-geflucht so, daß es klang, wie gemordet oder falsches Zeugnis abgelegt.</p>
-
-<p>Allan wandelte die barocke Lust an, ihr alles zu erzählen.</p>
-
-<p>„Ich will versuchen, es Ihnen zu erklären,“ begann er. „Sind Sie
-Amerikanerin, wenn ich fragen darf?“</p>
-
-<p>„Ja. Haben Sie deshalb geflucht?“</p>
-
-<p>„Nicht weil <em class="gesperrt">Sie</em> Amerikanerin sind. Gott bewahre mich. Aber
-aufrichtig gesagt, war es eine Ihrer Landsmänninnen, die mich zum
-Fluchen brachte.“</p>
-
-<p>„Ein Gentleman flucht nie über eine Dame oder in Damengesellschaft.“</p>
-
-<p>„Sie haben recht. Ich bereue aus der Tiefe meines Herzens. Sehen Sie,
-diese Dame überraschte mich gerade, als ich dabei war, den Portier
-auszufragen ...“</p>
-
-<p>„Hat sie gehorcht? Dann ist sie keine Dame. Dann haben Sie das Recht zu
-fluchen.“</p>
-
-<p>„Hm, sehen Sie, ich war eben im Begriff, den Portier nach ihr selbst
-auszufragen ...“</p>
-
-<p>„Sind Sie in sie verliebt? Dann haben Sie ein Recht dazu. Dann verstehe
-ich Sie.“</p>
-
-<p>„Sie interessiert mich. Und Sie begreifen, daß ...“</p>
-
-<p>„Haben Sie vom Portier erfahren, wer sie ist? Sind Sie ein Engländer?“</p>
-
-<p>„Sie kam gerade zurecht, um mich daran zu verhindern. Nein, ich bin ein
-Schwede, Madame.“</p>
-
-<p>„Warum fluchen Sie dann auf englisch?“</p>
-
-<p>„Ja, wer das sagen könnte! Das Klima, vermute<span class="pagenum" id="Seite_74">[S. 74]</span> ich. Nochmals, ich bitte
-Sie um Entschuldigung, Madame.“</p>
-
-<p>„Oh, <span class="antiqua">demmit</span>, ist nicht nötig. Ich fluche selber, wenns sein
-muß. Setzen Sie sich nieder, Sie interessieren mich. Was machen Sie in
-London?“</p>
-
-<p>„Ja, wenn ich das wüßte. Eigentlich bin ich hier, um einen Herrn zu
-treffen, der meine Koffer gestohlen hat.“</p>
-
-<p>„Die kriegen Sie nie zurück. In London kriegt man nie etwas zurück,
-nicht einmal das Geld, das bei den Rechnungen übrig bleibt. Ich kenne
-die Engländer. Hat er Ihre Koffer hier in London gestohlen?“</p>
-
-<p>„Nein, im Expreß in Deutschland; und sehen Sie, das Lächerliche ist —“</p>
-
-<p>„Was ist das Lächerliche? Da ist Helen. Grüß Gott, mein Kind. Was ist
-das Lächerliche?“</p>
-
-<p>„Daß er sie mir unversehrt hierher zurückgeschickt hat.“</p>
-
-<p>„<span class="antiqua">Now demmit</span> ... ich meine, sitzen Sie da und machen Sie sich
-über mich lustig, junger Mann? Helen, komm her, dann wirst du etwas
-hören. Hier ist ein junger Mann, der Märchen aus Tausendundeiner Nacht
-erzählt. Außerdem flucht er in Damengesellschaft.“</p>
-
-<p>Allan sah auf und erblickte ein junges Mädchen von zwanzig Jahren,
-die jetzt auf die alte Dame im Klubsessel zukam. Sie war schlank,
-blond und unaussprechlich amerikanisch. Allan fühlte eine instinktive
-Sympathie, die, wie er ebenso instinktiv empfand, verschieden von dem
-war, was er sonst für junge Damen zu empfinden pflegte. Sie hatte graue
-Augen und sehr reine Züge. War sie die Tochter der alten Dame auf dem<span class="pagenum" id="Seite_75">[S. 75]</span>
-Klubfauteuil, dann mußte sie wohl mehr ihrem Vater nachgeraten sein ...</p>
-
-<p>„Das hier ist meine Tochter, junger Mann, ob Sie es glauben oder nicht.“</p>
-
-<p>Die kohlschwarzen Papageienaugen hatten offenbar seine Gedanken
-gelesen. Allan verbeugte sich und zog eine Visitkarte hervor.</p>
-
-<p>„Ich weiß nicht, was in Amerika korrekt ist,“ sagte er ein bißchen
-befangen. „Gestatten Sie?“</p>
-
-<p>Die alte Dame erfaßte seine Karte mit einer krallenähnlichen Hand,
-hielt sie vorsichtig auf Armeslänge von sich ab (in diesem Falle keine
-besonders große Distanz) und betrachtete sie mit schräggelegtem Kopf.</p>
-
-<p>„K—r—a—g—h, Kragh, ist das ein komischer Name! Well, mein Name ist
-Mrs. Bowlby aus Worcester, Massachusetts, Sir!“</p>
-
-<p>Sie sprach Allans Namen aus, als bedeutete er Kreide<a id="FNAnker_1" href="#Fussnote_1" class="fnanchor">[1]</a>.</p>
-
-<div class="footnotes">
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_1" href="#FNAnker_1" class="label">[1]</a> Auf englisch <span class="antiqua">Cray</span>. Vorsichtige Bemerkung.</p>
-
-</div>
-
-</div>
-
-<p>Allan versuchte, ihr eine skandinavischere Aussprache beizubringen.</p>
-
-<p>„<span class="antiqua">Now demmit</span>, glauben Sie, ich bin nach England gekommen, um
-Schwedisch zu lernen? Wenn Sie auf englisch fluchen, können Sie sich
-auch auf englisch titulieren lassen. <span class="antiqua">There</span>, fahren Sie in Ihrer
-Erzählung fort.“</p>
-
-<p>Seine weiteren Erlebnisse in Mrs. Bowlbys Gesellschaft hatte Allan
-folglich als Mr. Cray.</p>
-
-<p>Unter einem Regen von Interpellationen berichtete er seine Abenteuer im
-deutschen Expreßzug, in Köln<span class="pagenum" id="Seite_76">[S. 76]</span> und in London. Plötzlich schweiften die
-Gedanken der alten Dame zum Ausgangspunkt zurück.</p>
-
-<p>„Und die Dame, die Sie am Hamburger Bahnhof sahen, ist dieselbe, die
-hier im Hotel wohnt?“</p>
-
-<p>„Ja.“</p>
-
-<p>„Wie kann das Hotel so etwas zulassen, das ist doch natürlich eine
-Hochstaplerin. Schon die Art, wie sie einen feinen jungen Mann wie Sie
-behandelt, beweist es.“</p>
-
-<p>„Mrs. Bowlby, ich war sehr unbescheiden ...“</p>
-
-<p>„Gewiß nicht. Absolut nicht. Das ist eine Schwindlerin, denken Sie an
-meine Worte! Wie sieht sie aus?“</p>
-
-<p>„Sie ist ein bißchen mehr als mittelgroß und etwas hochmütig. Mit
-grauen Augen wie Miß Bowlby und recht kurzer Oberlippe. Sie sieht aus
-wie eine blonde spanische Infantin, wenn Sie verstehen, was ich meine,
-Mrs. Bowlby.“</p>
-
-<p>„Natürlich. Und sie ist Amerikanerin?“</p>
-
-<p>„Ja. Ich glaube wenigstens. Das heißt, auf dem Bahnhof sprach sie
-allerdings deutsch, wie ich Ihnen schon erzählt habe — aber später ...“</p>
-
-<p>„Haha!!“</p>
-
-<p>Mrs. Bowlbys Lachen war so triumphierend-krächzend, wie das eines
-Papageis, dem es soeben gelungen ist, einen Feind so recht tüchtig in
-den Zeigefinger zu beißen.</p>
-
-<p>„Haha! Die habe ich schon im Hotel gesehen, ganz richtig. Jetzt weiß
-ich’s. Sie hätte ebensogut französisch sprechen können, junger Mann.
-Sie sind in gute Gesellschaft gekommen! Glauben Sie, ich weiß nicht,
-wer sie ist?</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_77">[S. 77]</span></p>
-
-<p>Mrs. Langtrey, erinnerst du dich an Mrs. Langtrey, Helen?“</p>
-
-<p>„Ich glaube, du hast von ihr gesprochen, Mama.“</p>
-
-<p>„Ich? Nie im Leben. Ich spreche von solchen Personen nicht. Andere
-Menschen haben vielleicht mit dir von ihr gesprochen ... Vor vier
-Jahren sprachen alle Leute von ihr, obgleich sie sich schämen sollten,
-überhaupt von so etwas zu sprechen.“</p>
-
-<p>„Aber Mama!“</p>
-
-<p>„Sch! Ich weiß, was ich sage. <span class="antiqua">Dash it</span>, ich sollte gar nicht
-zu dir von ihr sprechen, Helen. Sie war mit dem Obersten Langtrey
-in Boston verheiratet und eine große Modedame. Kurz bevor Langtrey
-starb, hatte sie einen <em class="gesperrt">gräßlichen</em> Flirt mit einem französischen
-Windbeutel, der sich Baron nannte oder Marquis oder König. De Citrac
-hieß er. Langtrey hatte kaum die Augen geschlossen, als sie nach Europa
-verduftete. Natürlich weiß man, was sie da wollte. Seither hat niemand
-in Amerika von ihr gehört, obwohl alle von ihr gesprochen haben. Aber
-ich glaubte sie gestern, als wir kamen, hier im Hotel zu sehen, und nun
-nach Mr. Crays Beschreibung ...“</p>
-
-<p>Mrs. Bowlbys Rede wurde dadurch unterbrochen, daß die Türe des
-Lesesalons sich öffnete und jemand hereinkam, in strahlender,
-rosafarbener Nachmittagstoilette, die um sie rauschte, wie der Schaum
-um eine schlanke Säule. Sie warf einen eisig gleichgültigen Blick
-auf Allan, ohne die beiden Damen auch nur zu sehen, und ging mit
-königlicher Grazie auf einen der Tische mit den illustrierten Zeitungen
-zu. Sie wählte<span class="pagenum" id="Seite_78">[S. 78]</span> The Queen aus und versank in einem Lederfauteuil im
-rückwärtigen Teil des Lesesalons.</p>
-
-<p>„<span class="antiqua">Well!</span>“ Mrs. Bowlbys Interjektion barg eine Welt von Bedeutung
-— „ist das nicht sie, die ...“</p>
-
-<p>Allan, dessen Augen in dieselbe Richtung starrten, wie ihre
-steinkohlenschwarzen Aeuglein, zog langsam seinen Blick wieder zurück.
-Mrs. Bowlby, die diesen Blick gesehen hatte, erhob sich fünf Fuß hoch
-aus ihrem Sessel.</p>
-
-<p>„Zeit, Tee zu trinken,“ sagte sie. „Wollen Sie mit Helen und mir den
-Tee nehmen, Mr. Cray? Sie brauchen Schutz und Schirm gegen die Welt,
-junger Mann, sie ist voll Sünde, und unser eigen Fleisch der Sünde
-bester Bundesgenosse.“</p>
-
-<p>Allan riß die Tür für sie und Fräulein Helen auf, während er innerlich
-im stillen bedauerte, daß die Sünde einerseits so verlockend aussehen
-muß und andererseits nicht immer so geneigt ist, den Menschen zu
-attackieren, wie die Theologen behaupten.</p>
-
-<p class="center">* <span class="mleft7">*</span><br />
-*</p>
-
-<p>Beim Tee in Mrs. Bowlbys Salon im ersten Stock gesellte sich Mr.
-Bowlby hinzu. Mr. Bowlby war ein langer, breitschultriger, blonder
-Mann, offenbar jünger als seine Gattin. Sein glattrasiertes Gesicht
-erhielt seinen Charakter von dem breiten lustigen Mund. Er sah aus
-wie ein Schuljunge. Mrs. Bowlby stellte Allan unter der Signatur vor,
-unter der sie ein für allemal entschlossen war, ihn zu verbergen. Sie
-entwarf eine farbenprächtige Schilderung seiner Abenteuer und eine noch
-koloriertere Darstellung von Mrs.<span class="pagenum" id="Seite_79">[S. 79]</span> Langtrey und ihren Ansichten, wes
-Geistes Kind diese Dame war. Mr. Bowlby interpunktierte ihre Erzählung
-mit einer größeren Anzahl <span class="antiqua">blow me</span> und ebenso vielen Tassen Tee.
-Dann wischte er sich den Mund und sagte:</p>
-
-<p>„<span class="antiqua">Well</span>, Susan (seine Stimme war laut und lärmend wie die eines
-großen jungen Hundes), ich habe auch Neuigkeiten. Wir müssen in den
-zweiten Stock ziehen.“</p>
-
-<p>„Früher siehst du mich am höchsten Ast baumeln,“ sagte Mrs. Bowlby,
-ohne einen Augenblick zu zaudern. „Ist die Börse zurückgegangen, John?
-Du solltest sie sein lassen, wenn du auf Ferien bist.“</p>
-
-<p>„Es ist nicht die Börse;“ sagte John. „Es ist ein König.“</p>
-
-<p>„Ein König? Hast du einem König Geld geliehen, John?“</p>
-
-<p>„Unsinn, ich leihe kein Geld aus, das weißt du. Der König soll hier
-wohnen, ein richtiger König, der übermorgen herkommt, um sich in London
-zu verheiraten. Der Direktor hat es eben als eine Gnade von mir erbeten
-...“</p>
-
-<p>„Ich sage dir eines, John, versuche nicht unser armes Kind an ihn
-zu verheiraten! Helen! Du darfst nie an derartige Menschen denken,
-versprich mir das, Kind.“</p>
-
-<p>„Du phantasierst, Susan. Helen mit ihm verheiraten! Ebensogut könnte
-ich sie mit einem Mormonen-Bischof verheiraten. Der König, der kommt,
-hat schon hundertfünfzig Frauen.“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_80">[S. 80]</span></p>
-
-<p>„Barmherziger Jesus! Was ist das für ein Untier, das uns aus unserer
-Wohnung vertreiben will, John?“</p>
-
-<p>„Ein König, ein richtiger König mit fünfzehn Millionen Untertanen, die
-meisten davon braun, aber, <span class="antiqua">blow it</span>, ein richtiger König. Der
-Direktor war geradezu verzweifelt, daß ...“</p>
-
-<p>„Komme mir nicht mit dem Direktor! Bist du ein freigeborener
-Amerikaner? Gibt es nicht noch andere Hotels in London?“</p>
-
-<p>„Einige, Susan, aber das hier ist wohl das einzige, wo ein König
-absteigen kann. Und wir bekommen eine Wohnung einen Stock höher, wo
-Prinz Hieronymus von Bulgarien wohnte, als er zuletzt in London war.“</p>
-
-<p>„Dann kann sich dieser König auch damit zufrieden geben. Was dem einen
-recht ist, ist dem anderen billig.“</p>
-
-<p>„Das ist aber ein regierender Fürst, Susan, und ein regierender Fürst
-kann nicht höher wohnen als im ersten Stock.“</p>
-
-<p>Mrs. Bowlbys steinkohlenschwarze Augen wanderten von John zu Fräulein
-Helen und von ihr zu Allan.</p>
-
-<p>„Hat er die hundertfünfzig Frauen mit, John?“</p>
-
-<p>„Das weiß ich nicht, liebe Susan. Dann muß er wohl ein besonderes Hotel
-für sie mieten, oder vielmehr hundertfünfzig besondere Hotels, damit
-sie ihm das Leben nicht zu sauer machen.“</p>
-
-<p>Mrs. Bowlby wurde weich.</p>
-
-<p>„Ich bin überzeugt; daß er sie mit hat, John, ich kenne die Männer.
-Ziehen wir also in die Wohnung des Prinzen! Ich muß hier bleiben und
-diesen jungen<span class="pagenum" id="Seite_81">[S. 81]</span> Mann beschützen. Das ist meine Pflicht, Mr. Cray, denn
-ich kenne auch die Frauen.“</p>
-
-<p>Mrs. Bowlby stellte ihre Teetasse energisch hin und betrachtete Allan,
-als wäre er ein junger Papagei vor seinem ersten unsicheren Flug. Dann
-wendete sie sich an Mr. Bowlby.</p>
-
-<p>„Wie heißt das Untier, John?“</p>
-
-<p>„Yussuf Khan,“ antwortete Mr. Bowlby, indem er eine Zigarre ansteckte.
-„Yussuf Khan, Maharadscha von Nasirabad.“</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_82">[S. 82]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="IV">IV<br />
-
-<em class="gesperrt">Yussuf Khan, Maharadscha von Nasirabad</em></h2>
-
-</div>
-
-<p>Als Ibrahim Khan, selbständiger Maharadscha des Staates Nasirabad,
-in der nordwestlichsten Ecke Indiens, im Jahre 1885 am Khawakpasse
-vom damaligen Obersten der angloindischen Armee, Sir George Merriman,
-besiegt wurde, war es nicht ein Fürst, oder ein Volk, das fiel; es
-war ein System. Ibrahim Khan hatte sich während einer vierzigjährigen
-Regierung als der erbittertste Gegner bekannt gemacht, den das
-englische Regime seit Tippo Sahib gehabt hatte; nur die Kleinheit
-und Entlegenheit seines Staates hatte seine Feindschaft verhindert,
-ebenso furchtbar zu werden als sie erbittert war. Als die Nachricht
-vom Ausgang der Schlacht am Khawakpasse in Nasirabad eintraf, und es
-klar wurde, daß die Tage von Ibrahim Khans Selbständigkeit gezählt
-waren, beschloß er, wenigstens selbst über die Anzahl dieser Tage zu
-bestimmen. Gleich einem berühmten König des alten Testamentes stürzte
-sich Ibrahim Khan auf sein Schwert, und die Gesänge, die Sir George bei
-seinem Einzug in Nasirabad begrüßten, waren keineswegs Lobeshymnen.</p>
-
-<p>Es ist jedoch wohlbekannt (wir verweisen auf Alexander Carsons
-vortreffliche Lebensbeschreibung Sir Georges, Heinemann &amp; Co., London
-1908), wie gut<span class="pagenum" id="Seite_83">[S. 83]</span> Ibrahim Khans Besieger die Kunst beherrschte, die
-Hannibal nie erlernen konnte, den Sieg auszunützen. Zum Administrator
-des Reiches ernannt, das er der Königin erworben, verwaltete er es
-mit einer Pflichttreue und einem Eifer, der sogar in Indien wenig
-Gegenstücke gehabt haben dürfte. Nicht genug damit: er sah sich
-durch einen Erfolg belohnt, der wohl noch seltener erreicht worden
-sein dürfte. Als er im Jahre 1905, am Jahrestage der Schlacht am
-Khawakpasse, die Bergtäler Nasirabads verließ, war es als Vater des
-Landes, nicht als sein Besieger; aufrichtige Tränen der Bevölkerung aus
-allen Landesteilen folgten ihm; und diese Tränen verdoppelten sich,
-als die Nachricht von seinem drei Monate später erfolgten Tode das
-schlichte Gebirgsvolk erreichte. „Er schlug uns, und er wurde unser
-Vater; als er seinem Herzen unsere Herzen nicht mehr entgegenschlagen
-fühlte, hörte es selbst auf zu schlagen,“ sang der alte Hofdichter
-Abdul Mahbub.</p>
-
-<p>Der Schmerz über Sir Georges Hingang wurde einigermaßen dadurch
-gemildert, daß ein Sohn des alten Fürstenhauses gleichzeitig (unter
-Oberaufsicht des neuen Residenten, Sir Herbert Layson) die Regierung
-übernahm. Es war Yussuf Khan, Ibrahim Khans ältester lebender Sohn —
-selbst eines der Produkte und vielleicht nicht das glücklichste, von
-Sir George Merrimans Reformen. Bei Sir Georges Einzug in Nasirabad
-erst vier Jahre alt, wurde der junge Prinz sofort unter die Leitung
-eines englischen Hofmeisters gestellt; es war Sir Georges Ueberzeugung,
-daß die Reformen sowie die Kultur von oben nach unten gehen<span class="pagenum" id="Seite_84">[S. 84]</span> müssen.
-Zum Hofmeister des jungen Prinzen Yussuf Khan wählte er einen alten
-Oxforder Freund namens Bowles. Vermutlich sah Sir George diesen mehr
-durch die Brillen der Freundschaft, als der Pädagogik; es ist auch
-möglich, daß er zu sehr von den übrigen Einwohnern Nasirabads und
-ihren bunten Angelegenheiten in Anspruch genommen war, um viel Zeit
-für die zahlreichen Angehörigen des fürstlichen Hauses übrig zu haben.
-Und jedenfalls trug der Nimbus, der den Eroberer Nasirabads umgab,
-dazu bei, alle Exzesse des jungen Thronfolgers zu verhindern, solange
-Sir George selbst die Leitung des Reiches inne hatte. Uebrigens
-war Dr. Bowles dem Prinzen ein so guter Lehrer, daß er die Sprache
-seines Vaterlandes fast ganz über der der Eroberer vergaß. Sogar mit
-seinem eingeborenen Lehrer, dem alten Dichter Ali, sprach er meistens
-englisch. Aber das Jahr 1906 — Yussuf Khans fünfundzwanzigstes
-Jahr — war kaum angebrochen, als er auch schon Sir Herbert Layson
-verschiedentliche Nüsse aufzuknacken gab.</p>
-
-<p>Zu dieser Zeit war sein alter Erzieher Bowles schon aus dem Spiele,
-mit einer schönen Pension und sämtlichen Orden des Staates Nasirabads
-an seiner Brust nach England heimbefördert; es war also Sir Herbert
-selbst, der dem Anprall des ersten Sturmlaufes des jungen Regenten
-gegen das neue Regime standhalten mußte. Er tat es in seiner eigenen
-Weise, und vielleicht wäre das, was nun geschah, nie eingetroffen, wenn
-ein Mann von anderem Charakter Sir Herberts Platz bekleidet hätte, in
-welchem Falle auch dieses Buch nie das Licht der Welt erblickt hätte.
-<span class="antiqua">Habent sua<span class="pagenum" id="Seite_85">[S. 85]</span> fata libelli</span>, sagt mit Recht der römische Dichter.
-Nun war Sir Herbert Layson gerade ein Jünger dieses römischen Dichters
-sowie seines großen Namensvetters Herbert Spencer; er war ein stiller,
-ironischer, arbeitsamer, verschlossener Mann, der seine Tagesarbeit
-verrichtete und es liebte, auf das Leben von einer ebenso kühlen und
-klaren Höhe herabzublicken, wie er von seinem Palast in Nasirabad
-auf die Bergtäler unter der Hauptstadt herniedersah. Yussuf Khans
-jugendliche Heißblütigkeiten fing er wie Wurfgeschosse mit dem Schild
-seiner Ironie auf; es muß zugegeben werden, daß dieser Schild auf harte
-Proben gestellt wurde. Es begann mit Regierungsfragen, in denen der
-junge Regent seinen Willen durchsetzen wollte; die Angriffe auf diesem
-Gebiet waren von kurzer Dauer. Sir Herbert ließ den jungen Mann bei
-einer oder zwei passenden Gelegenheiten seinen Willen durchsetzen;
-das war genug. Die Unruhe und Erregung der Bevölkerung, die sich
-schon an die maßvollen Verordnungen und Auflagen des englischen
-Residenten gewöhnt hatte, überzeugte sogar Yussuf Khan sehr bald, daß
-seine Anlagen nach anderen Richtungen wiesen. Recht bald hatte er
-auch herausgefunden, welche diese Richtungen waren: Pferdesport und
-militärische Uebungen. Der Anfall dauerte gut zwei Jahre, von 1907
-bis Ende 1909. Daraus folgte eine kurze Periode der Mattigkeit beim
-Patienten, bis die neue Phase der Krankheit auftrat. Und als dies
-geschah, wurde Sir Herbert zum ersten Male unruhig. Denn nun hatte das
-Weib seinen Einzug in Yussuf Khans Leben gehalten, und was schlimmer
-war, das geträumte,<span class="pagenum" id="Seite_86">[S. 86]</span> nur mit den Augen des Ideals gesehene Weib. Sir
-Herbert hatte Grund zur Unruhe.</p>
-
-<p>Bei diesem Punkt fragt sich der flüchtige Leser erstaunt: Was weiter?
-Hat man nicht von diesen indischen Fürsten und ihren Harems gelesen,
-wo die schönsten, üppigsten Frauen der Welt ausschließlich für ihre
-Rechnung verwahrt werden, wie eine Bibliothek von Luxusausgaben?
-Sind nicht ihre mandelförmigen Augen schwärzer und sanfter als
-die der Gazelle, ihre Glieder geschmeidiger als Schlingpflanzen,
-ihre Zärtlichkeit berauschender als Haschisch! Gibt es nicht eine
-schwedische Zenanamission für diese Unglücklichen? Oder war Yussuf
-Khan schlechter daran als seine Kollegen? — Dem Leser, der diese
-elegant formulierten Fragen stellt, können wir nur antworten: Möge
-er sich selbst in Yussuf Khans Lage versetzen, als souveräner Gatte
-von einhundertfünfzig schönen Asiatinnen aller Völkerschaften! Was
-nützt ein Harem und seine arabeskengeschmückten Mauern gegen das
-Ideal? Das Ideal findet immer eine Ritze in den Arabesken, durch die
-es sich eindrängt; es ahmt die Stimme der Nachtigallen nach, um von
-Frauen zu singen, tausendmal verführerischer als die Haremskönigin,
-es flüstert im Palmenrauschen; sein Sirenengesang klingt aus dem
-Rieseln der Springbrunnen. Oder, um so prosaisch zu sprechen wie Seine
-allerchristlichste Majestät Franz I. von Frankreich, auch er Herr
-eines (höchst christlichen) Harems — „<span class="antiqua">toujours perdrix</span>“! Immer
-Rebhühner! — Leben Sie einmal einen Monat von Rebhühnern und Bordeaux,
-und Sie sehnen sich nach Käse und Brot und einem Schluck Wasser. Leben
-Sie ein paar Jahre<span class="pagenum" id="Seite_87">[S. 87]</span> von Rebhühnern, und Sie werden Vegetarianer. Yussuf
-Khan, Maharadscha von Nasirabad war schon um die Mitte des Jahres 1909
-definitiv zum Vegetarismus übergegangen, und zu Ende dieses Jahres
-war seine idealistische Krankheit in ein bösartiges, akutes Stadium
-getreten.</p>
-
-<p>Er wollte eine europäische Prinzessin heiraten!</p>
-
-<p>Hatte Sir Herbert Layson Grund, unruhig zu sein oder nicht?</p>
-
-<p>Was die Sache noch verschlimmerte, war der Charakter des trefflichen
-Sir Herbert. Sein Schädel entbehrte gänzlich jener idealistischen
-Knollen, die ein Phrenologe an dem Yussuf Khans gefunden hätte; als
-Yussuf Khan seine Gesellschaft aufsuchte und ihn zögernd in die stumme
-Qual seines Geistes einzuweihen begann, begegnete ihm Sir Herbert mit
-einem trockenen Lächeln und mit Reflexionen über die europäischen
-Frauen, die Yussuf Khan vor Empörung aufflammen ließen, wie einen
-neuen Bayard. Erst als es zu spät war, erkannte Sir Herbert, wie die
-Dinge standen, und änderte seine Taktik; aber seine Versuche, den
-jungen Regenten für Polo- oder für Regierungsfragen zu interessieren,
-hatten keinerlei Erfolg mehr. Seine einzige Hoffnung war, daß der
-Frühling, der die Liebe im Menschen wieder entzündet, auch seine
-Wirkung auf Yussuf Khan nicht verfehlen würde. Der Frühling kam;
-doch anstatt bei Yussuf Khan die Liebe zu den hundertfünfzig Frauen
-wieder zu entflammen, ließ er seinen Idealismus auflodern wie die
-Scheiterhaufen an den Landstraßen oben im Gebirge. Und was mehr war:
-der Frühling brachte ihm einen Plan. Da<span class="pagenum" id="Seite_88">[S. 88]</span> es unwahrscheinlich war, daß
-die europäischen Prinzessinnen ihn in Nasirabad aufsuchen würden, blieb
-offenbar nichts anderes übrig, als daß er sie in Europa aufsuchte.</p>
-
-<p>Nun begann Sir Herberts wirkliches Inferno. Endlose Ermahnungen und
-ironische Ausfälle erwiesen sich als gleich fruchtlos. Den ganzen
-Sommer streifte Yussuf Khan wie ein unversöhnter Schatten um seinen
-Palast herum, einen einzigen Wunsch auf den Lippen. Der Sommer
-Nasirabads, sonst kühl und angenehm gegen den Sommer im übrigen
-Indien, wurde für Sir Herbert so allmählich heißer als der Bikanirs.
-Die Quellen seiner Ironie vertrockneten vor Yussuf Khans asiatisch
-glühender Halsstarrigkeit. Er wurde nervös und reizbar, er verlor
-seine kühle Erhabenheit gegenüber den Phänomenen des Lebens und seine
-Arbeitsfreude. Endlich faßte er Ende Juli seinen Entschluß und schrieb
-an den Vizekönig in Simla: Konnte man es riskieren, einen vom Gifte des
-Idealismus fieberkranken Himalaya-Löwen auf Europa loszulassen? Waren
-die heiratsfähigen europäischen Prinzessinnen unfallversichert? Hatte
-nicht Pasteur irgendeine Behandlungsmethode für diese neue Form der
-Rabies?</p>
-
-<p>Die Antwort des Vizekönigs, die mit bis dahin unbekannter Spannung in
-Nasirabad erwartet wurde, lautete kurz und bündig: <em class="gesperrt">Lassen Sie den
-jungen Idioten reisen, aber sorgen Sie für Bewachung.</em></p>
-
-<p>Sir Herbert stieß einen Seufzer unsäglicher Erleichterung aus. In
-einer Woche waren die Arbeiten an Yussuf Khans Ausrüstung in vollem
-Gange — dieser<span class="pagenum" id="Seite_89">[S. 89]</span> Zeitraum war nötig, um die Begriffe des jungen
-Regenten über die Pracht, die bei der Werbung um eine weiße Prinzessin
-entfaltet werden sollte, ein wenig zu modifizieren. Nachdem Elefanten,
-goldschabrackengeschmückte Stuten und eine Eskorte von zweihundert
-stummen Sklaven aus dem Programm gestrichen waren, blieb noch ein
-Punkt; in dem er sich unerschütterlich zeigte: Die Kronjuwelen
-Nasirabads vom ersten bis zum letzten mußten mitgenommen werden. Selbst
-mit dieser Pracht wußte er nur zu gut, wie unendlich gering seine
-Aussichten waren, die geträumte stolze Prinzessin zu erringen: ohne die
-Juwelen waren diese Aussichten winziger als die Eier der weißen Ameise.
-Sir Herbert zuckte die Achseln; tatsächlich konnte er in diesem Punkte
-nichts machen, denn die Juwelen waren Yussuf Khans Privateigentum. Er
-begnügte sich damit, sich die Juwelen zeigen zu lassen; es war ein
-sehenswerter Anblick. Er wußte vom Hörensagen, welche Schätze der alte
-Ibrahim Khan in seiner Juwelenkammer aufgestapelt hatte, aber bisher
-waren sie ebenso sorgsam vor seinen Augen verborgen gewesen, wie die
-hundertfünfzig Damen in Yussuf Khans Harem. Es war eine Pyramide
-von Diamanten, Perlen, Topasen, Smaragden, Rubinen und Gold, ein
-lichtsprühender Wasserfall von Farben. Halb geblendet von dem, was er
-gesehen, beeilte er sich, für eine möglichst solide Verpackung der
-Schätze Sorge zu tragen.</p>
-
-<p>Wir werden Gelegenheit finden, später von ihnen zu sprechen.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_90">[S. 90]</span></p>
-
-<p>Am 15. August ums Morgengrauen verließ Yussuf Khans Freierzug
-Nasirabad. Die Sonne ging eben hinter den Kämmen des Himalaya auf,
-und das Schloß Nasirabad mit seinen schlanken Türmen war wie in ein
-Netz von weißem Licht verstrickt. Die Kanonen der Bastion verkündeten
-dröhnend die Botschaft von der Abfahrt des Regenten, und das Volk
-wimmelte in den Straßen, um Yussuf Khan auf seinem Schimmel zum
-Stadttor hinausreiten zu sehen, durch das Sir George Merriman vor
-fünfundzwanzig Jahren eingezogen war. Sir Herbert gab dem Maharadscha
-bis zum ersten Pferdewechsel des Abends das Geleite. Dann kehrte er
-zu seinem Tagewerk zurück, froh in dem Bewußtsein, daß die Aufsicht
-über diesen beschwerlichen Schützling seinem alten barschen Freunde,
-Oberst Morrel, anvertraut war, seit zehn Jahren Militärkommandant
-von Nasirabad. Außer diesem befand sich keine andere Persönlichkeit
-von Rang im Gefolge als Yussuf Khans alter eingeborener Lehrer, der
-sechzigjährige Hofdichter Ali.</p>
-
-<p>Der Abendhimmel zwischen den Talwänden, durch die Yussuf Khan mit
-seinem Gefolge verschwand, war ein feuerlilienflammender Gürtel
-über einer Region von blendendem Pfingstlilienweiß — gleichsam ein
-himmlischer Versuch zu einer Heraldik für seine Rechnung, als er nun
-seine Freierfahrt in das Land der weißen Prinzessinnen antrat. Mit
-einem Lächeln über die Aussichten von Yussuf Khans Werbeplänen wandte
-Sir Herbert seinen Traber wieder Nasirabad zu, froh, in Ruhe seine
-Arbeit wieder aufnehmen zu können, und<span class="pagenum" id="Seite_91">[S. 91]</span> seine ironische Betrachtung
-der Phänomene des Lebens aus den Fenstern der Residenz, die auf die
-Felsentäler Nasirabads blickten.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_92">[S. 92]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="V">V<br />
-
-<em class="gesperrt">Das große Hotel</em> (Fortsetzung)</h2>
-
-</div>
-
-<p>„Waren Sie oben, und haben Sie ihn gesehen, Miß Helen?“</p>
-
-<p>„Gewiß. Nicht alle bleiben bis zum Lunch liegen, wie Sie, Mr. Cray.
-Einen hübschen Schlips haben Sie da.“</p>
-
-<p>„Sehr erfreut, das von Ihnen zu hören. Aber wie sieht er aus?“</p>
-
-<p>„Prachtvoll. Er hatte weiße Tennishosen und einen Zylinder.“</p>
-
-<p>„Nicht viel für September.“</p>
-
-<p>„Machen Sie keine schlechten Witze! Er hatte noch eine Menge anderer
-Dinge an. Uebrigens sieht er sehr gut aus, obwohl er ein bißchen dick
-zu werden anfängt.“</p>
-
-<p>„Wie alt ist er denn?“</p>
-
-<p>„Er sieht aus, wie ungefähr dreißig. Er hat einen schwarzen Schnurrbart
-und wunderschöne Zähne. Und das Gefolge — Sie sollten sich wirklich
-schämen, so lange zu schlafen.“</p>
-
-<p>„Waren Elefanten, Kamele und Nigger dabei?“</p>
-
-<p>„Wenigstens Nigger. Es war überhaupt nur ein weißer Mann in der
-Gesellschaft, ein alter barscher Herr mit weißem Schnurrbart. Der
-Portier sagte, es<span class="pagenum" id="Seite_93">[S. 93]</span> ist ein englischer Oberst, der dazu angestellt ist,
-das Untier, wie Mama ihn nennt, zu bewachen.“</p>
-
-<p>„Und die übrigen waren Nigger?“</p>
-
-<p>„Wenn man sie so nennen will. Sie haben eine dunkle Gesichtsfarbe,
-aber ich versichere Ihnen, sie sehen stattlich aus. Er hat so eine Art
-Leibwache von zehn Mann mit Turbanen und Krummsäbeln, die seine Zimmer
-Tag und Nacht bewachen sollen. Und dann war da noch ein alter Herr, so
-irgendeine Art Würdenträger, vermute ich, der war in Zivil und sah so
-ehrwürdig aus, wie ein Erzbischof. Er hatte einen grauen Bart, der nach
-beiden Seiten weggekämmt war, ganz wie auf dieser Zeitungsreklame.“</p>
-
-<p>„Die ungarische Pomade?“</p>
-
-<p>„Ja, ganz richtig. Als sie die Eingangstreppe hinaufgingen, sprach er
-irgend etwas in Versen. Es klang wie eine Beschwörung. Mir wurde ganz
-andächtig zumute.“</p>
-
-<p>„Kam ein Djinn? Hat er nicht auch irgendeine Kupferlampe gerieben?“</p>
-
-<p>„Das weiß ich nicht. Er hatte so weite Kleider, das konnte man nicht
-sehen.“</p>
-
-<p>„Asiatische?“</p>
-
-<p>„Jedenfalls nicht aus Newyork. Aber sonst ein stattlicher alter Herr.
-Er sah ein bißchen wild aus, aber gebildet, wenn Sie verstehen, was ich
-meine.“</p>
-
-<p>„Aber sicherlich. Wie ein gebildeter Amerikaner.“</p>
-
-<p>„Herrgott, wie witzig Sie sind, Mr. Cray! Hier kommt Mama.“</p>
-
-<p>Mrs. Bowlby kam in weißer Morgentoilette in die Halle des Grand Hotel
-Hermitage hereingehopst; es<span class="pagenum" id="Seite_94">[S. 94]</span> sah aus, als setzte sie, wenn sie ging,
-beide Füße gleichzeitig vor wie ein Vogel. Sie ließ ein schrilles
-Zwitschern der Befriedigung hören, als sie ihre Tochter und Allan
-auf zwei der schwarzen Büffelledersessel der Halle entdeckte. Allan
-beeilte sich, noch einen herbeizuziehen, in dessen Tiefen Mrs. Bowlby
-verschwand wie ein Zuckerwürfel in einer Tasse Kaffee.</p>
-
-<p>„Gott sei Dank! Ich habe geglaubt, das Untier hat dich schon entführt,
-Helen.“</p>
-
-<p>„Aber Mama! Er hat ja schon hundertfünfzig Sultaninnen.“</p>
-
-<p>„Ach, ich kenne die Männer! Ob sie hundertfünfzig haben oder eine,
-immer sind sie gleich bereit, zu betrügen.“</p>
-
-<p>„Aber ich versichere dir, er hat mich nicht einmal angesehen.“</p>
-
-<p>„Wie sieht er aus, Helen?“</p>
-
-<p>„Er sieht sehr gut aus, nur ein bißchen fett.“</p>
-
-<p>„Mit hundertfünfzig Frauen!“</p>
-
-<p>„Er war natürlich ein bißchen exzentrisch angezogen. Aber du hättest
-die Leibwache sehen sollen. Zehn — Aber hier kommt Papa. Er sieht aus,
-als hätte er etwas zu erzählen.“</p>
-
-<p>Mr. Bowlby kreuzte die Halle, das Gesicht voll unerzählter Neuigkeiten.</p>
-
-<p>„Guten Morgen, alle miteinander!“ rief er. „<span class="antiqua">Well!</span>“</p>
-
-<p>„Nun, John, was gibt es?“</p>
-
-<p>„Sei ruhig, Susan, du wirst es schon erfahren, obgleich es so geheim
-als möglich gehalten werden soll, der Londoner Diebe wegen.“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_95">[S. 95]</span></p>
-
-<p>„Was ist es, John? Etwas mit den hundertfünfzig?“</p>
-
-<p>„Nicht mit denen, die du meinst. Er hat noch hundertfünfzig
-Kleinigkeiten mit —“</p>
-
-<p>„Also alles in allem dreihundert!“</p>
-
-<p>„... auf die er wohl bedeutend mehr Wert legt. <span class="antiqua">By Jove!</span> Der
-Direktor zittert an allen Gliedern. Es gibt ihresgleichen wohl nicht in
-Europa und kaum in Indien.“</p>
-
-<p>„Wovon sprichst du denn, Papa?“</p>
-
-<p>„Von seinen Juwelen, mein Kind! Hundertfünfzig Schmuckstücke und
-eine Anzahl einzelner Steine, alle von einer Qualität, die <span class="antiqua">hors
-concours</span> ist. Oberst Morrel, der alte Engländer, der als sein
-Beschützer mit ist, sprach davon wie vom achten Weltwunder, sagte
-der Direktor, obwohl er sonst nicht den Eindruck macht, sich leicht
-imponieren zu lassen.“</p>
-
-<p>„Er hat sie natürlich dem Hotel zur Aufbewahrung im Safe übergeben, Mr.
-Bowlby?“</p>
-
-<p>„Nein, junger Freund, das ist eben das Arge. Der Oberst drang darauf,
-daß sie übergeben werden sollten. Aber der Maharadscha will sie oben
-in seiner Wohnung haben. Sie werden begreifen, daß der Direktor nervös
-ist! Denken Sie sich, wenn so irgendeine Hotelratte ...“</p>
-
-<p>„Aber in das Grand Hotel Hermitage kommt doch keine Hotelratte,
-Mr. Bowlby! Ist das nicht überhaupt eine ausgestorbene Gattung wie
-Plesiosauren und Pterodaktylen?“</p>
-
-<p>„Glauben Sie das nicht so sicher, Mr. Cray. Ich erinnere mich, wie vor
-zwei Jahren in Newyork —<span class="pagenum" id="Seite_96">[S. 96]</span> aber das tut nichts zur Sache. Nun hat er
-natürlich seine Leibwache, die Tag und Nacht vor seiner Suite ...“</p>
-
-<p>„Unserer Suite, John.“</p>
-
-<p>„... Wache hält. Die zehn wilden Gesellen mit den Krummsäbeln, die du
-gesehen hast, Helen. Das wird wohl Schutz genug sein. Aber der Direktor
-hat mir noch etwas erzählt.“</p>
-
-<p>„Was denn, Papa? Etwas über den graubärtigen Bischof?“</p>
-
-<p>„Bischof? Das ist sein Hofpoet und Lehrer! Ali heißt er, scheint mir.
-Hast du ihn deklamieren gehört, als er die Treppe hinaufging, Helen?
-Nein, vom Maharadscha selbst. Der ist noch verrückter als Pierpont
-Morgan, nur in anderer Art. Pierpont J. sammelt alte Sachen, da das
-Alte das einzige Neue ist, was er finden kann. Der Maharadscha, der
-alle Hände mit alten Sachen voll hat, ist ihrer müde, und wißt ihr,
-was er zu tun gedenkt? Er will die Fassungen aller Diademe ändern
-lassen! Sonst, glaubt er, würde er von den Europäern ausgelacht werden.
-<span class="antiqua">Well!</span>“</p>
-
-<p>Mr. Bowlbys Ausruf kam ihm vom Herzen. Er sah sich in der Halle um, und
-kaum hatte er das getan, als er einen neuen Ausruf von sich gab.</p>
-
-<p>„<span class="antiqua">Blow me!</span> Wenn man den Wolf nennt ... Da habt ihr schon den
-Mann, der geholt wurde, um die Aenderungen vorzunehmen. Der Maharadscha
-hat es aber eilig! Er hat noch kaum Zeit gehabt zu frühstücken!“</p>
-
-<p>„Wo siehst du ihn, Papa?“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_97">[S. 97]</span></p>
-
-<p>„Dort drüben. Der mit dem großen Schnurrbart, der da steht und mit dem
-Direktor spricht.“</p>
-
-<p>„<span class="antiqua">By Jove!</span>“</p>
-
-<p>Nun war es an Allan, einen anglosächsischen Ausdruck des Erstaunens
-hervorzustoßen. Gerade beim Eingang zum Hotelkorridor, im Gespräch
-mit dem breitschultrigen, bocksbärtigen Herrn, der, wie er wußte,
-der Direktor des großen Hotels war, stand kein anderer, als sein
-alter Bekannter aus dem Hamburger Bahnhof — der Mann mit der
-bordeauxfarbenen Raubvogelnase und dem borstigen, graugelben
-Schnurrbart. Der Direktor sprach überaus ehrerbietig zu ihm und schien
-Erklärungen abzugeben. Er zuckte unaufhörlich die Achseln, so als
-erzählte er etwas, wofür er jede Verantwortung ablehnen wollte.</p>
-
-<p>„Was ist denn, Mr. Cray?“</p>
-
-<p>Allan wandte endlich den Blick von den beiden Herren ab. Er zögerte
-einen Augenblick, bevor er mit seiner dramatischesten Stimme erklärte:</p>
-
-<p>„Was es ist, Miß Bowlby? Nichts anderes, als daß ich den Mann kenne,
-von dem Mr. Bowlby eben sprach!“</p>
-
-<p>„Sie kennen ihn? Wie heißt er?“</p>
-
-<p>„Ja ... das weiß ich nicht.“</p>
-
-<p>„Aber ich weiß es,“ sagte Mr. Bowlby, „er ist ein Holländer und heißt
-van Schleeten. Er ist einer der größten Juweliere oder jedenfalls
-Juwelenspezialisten Europas. Er hat das große Diadem gemacht, das
-die französische Republik der Kaiserin von Rußland geschickt hat und
-Dutzende ähnlicher Dinge. Der Direktor hat es mir erzählt. Er hat mir
-auch anvertraut,<span class="pagenum" id="Seite_98">[S. 98]</span> daß der gute Mynheer van Schleeten seiner Zeit ein
-großer Don Juan gewesen ist. Wie können Sie ihn kennen, ohne zu wissen,
-wer er ist, Mr. Cray?“</p>
-
-<p>„Das ist eine Spezialität von Mr. Cray! Er kannte ja auch Mrs.
-Langtrey, ohne zu wissen, wie sie heißt.“</p>
-
-<p>Allan nickte.</p>
-
-<p>„Sie haben recht, Miß Bowlby, und das Wunderliche ist, daß ich sie von
-derselben Gelegenheit her kenne. Ich fuhr damals mit ihnen, Sie wissen,
-als man mein Gepäck stahl. Sie waren miteinander.“</p>
-
-<p>„Dann ist der Juwelier ein Hochstapler. Langtreys Frau kennt nur
-Hochstapler. Dann will er die Juwelen des Untiers stehlen.“</p>
-
-<p>„Susan, sei doch vorsichtiger mit dem, was du über die Leute sagst. Ich
-habe dir doch schon erzählt, wer er ist. Glaubst du, der Direktor würde
-es wagen, eine zweifelhafte Persönlichkeit in die Nähe der Juwelen des
-Maharadschas zu lassen, was er doch offenbar jetzt zu tun gedenkt?“</p>
-
-<p>Mrs. Bowlby antwortete nur mit einem verächtlichen Kopfschütteln.
-Sie fixierte den bordeauxnasigen Juwelier mit einem durchdringenden
-Blick, während er an der Seite des Direktors durch die Halle zum
-Aufzug ging. Ihre Nase drückte stumm, aber beredt die Auffassung aus,
-die sie sich von Herrn van Schleeten nach dem, was Allan von seinen
-Damenbekanntschaften erzählt, gebildet hatte. Der Direktor und der
-Holländer verschwanden im Aufzug, und Mrs. Bowlby schnellte aus ihrem
-Klubsessel empor wie aus einer chinesischen Schachtel.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_99">[S. 99]</span></p>
-
-<p>„Zeit zu lunchen,“ dekretierte sie. „Leisten Sie uns Gesellschaft, Mr.
-Cray, und erzählen Sie uns, was Langtreys Frau mit dem Juwelier zu tun
-gehabt hat.“</p>
-
-<p class="center">* <span class="mleft7">*</span><br />
-*</p>
-
-<p>Der Tag brachte noch eine Sensation für Allan, und zwar kam sie von
-jemand, den er in der Gesellschaft der Familie Bowlby schon fast
-vergessen hätte, nämlich Herrn Benjamin Mirzl.</p>
-
-<p>Die Sensation hatte wieder einmal die Form eines Briefes. Allan hatte
-eben eine Nachmittagszigarre im Rauchzimmer beendet, als einer der
-unzähligen dienstbaren Geister des Hotels hereinkam und nach einer
-kurzen Inspektion des Zimmers auf Allan lossteuerte.</p>
-
-<p>„Ein Brief für Sie, Sir.“</p>
-
-<p>Allan sah auf, ein wenig erstaunt. Wer schrieb ihm hier einen Brief?</p>
-
-<p>„An mich?“</p>
-
-<p>„An Sie, Sir. Sie sind doch der Herr, der auf Nr. 417 wohnt, nicht
-wahr?“</p>
-
-<p>„Das stimmt.“</p>
-
-<p>Allan nahm den Brief von dem Tablett des Livrierten und belohnte ihn
-mit einem Sixpence. Aus alter Gewohnheit prüfte er das Kuvert, das eine
-verwischt abgestempelte Marke trug und suchte vergeblich zu ergründen,
-ob Paddington, Kensington oder Kennington daraufstand. Dann riß er das
-Kuvert auf, das, wie es sich zeigte, folgendes Schreiben enthielt:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„Lieber Herr Kragh! Nehmen Sie es nicht übel, wenn ich Ihnen einen
-guten Rat gebe: Verannoncieren<span class="pagenum" id="Seite_100">[S. 100]</span> Sie doch nicht Ihr Geld, um diesen
-Träger zu erwischen. Das einzige Resultat, wenn Sie so fortfahren,
-wird sein, daß Sie den Besuch irgendeines Schwindlers bekommen, der
-Ihre zwei Pfund nimmt und Ihnen den Buckel vollügt. Der wirkliche
-Träger kommt nie; sein Trägeramt währte nur einen einzigen Abend, und
-seine Ehrlichkeit ist zu groß, als daß er es so machen würde, wie
-jene Schwindler, vor denen er Sie soeben gewarnt hat.</p>
-
-<p>Also, inhibieren Sie weitere Annoncen!</p>
-
-<p class="right">
-<span class="mright4">In Eile Ihr ergebener</span><br />
-<span class="mright6">Dr. Hauser,&#160; &#160;</span><br />
-<span class="mright3">alias Ludwig Koch,&#160;&#160;</span><br />
-<span class="mright1">alias ...... (nach Belieben)</span>.</p>
-
-<p><span class="antiqua">P. S.</span> Ich freute mich, daß Sie Star, Daily Mail und Daily
-Citizen für die Annonce gewählt haben und nicht die großen teuren
-Pennyzeitungen! D. O.“</p>
-</div>
-
-<p>Allan starrte stumm das kleine Schriftstück an. Das war doch ein
-Teufelskerl! Der mußte im Nacken und an allen Fingern Augen haben! Die
-Annonce hatte ja gar keinen Namen enthalten, nur die Adresse Grand
-Hotel Hermitage, und trotzdem hatte dieser Erzschelm sofort begriffen,
-von wem sie herrührte. Allan gab sich eine Weile der Bewunderung für
-Herrn Benjamin Mirzl hin und überlegte, was dieser Herr wohl in London
-vorhaben mochte. Nicht zum mindesten wunderte es ihn, daß Herr Mirzl
-sich Zeit nahm, sich mit einer so unbedeutenden Person, wie er es war,
-abzugeben. Schließlich steckte er den Brief in die Tasche und nahm sich
-vor, Bowlbys von der Sache zu erzählen.</p>
-
-<p>Er fand dazu Gelegenheit, als er gegen sieben Uhr<span class="pagenum" id="Seite_101">[S. 101]</span> in den Speisesaal
-des Hotels kam. Mr. Bowlby mit Familie saß an einem der Tische in der
-Mitte des großen Speisesaales, im Schatten der Palmen rings um den ewig
-rieselnden Gold- und Marmorspringbrunnen. Er winkte Allan einladend
-zu, und dieser beeilte sich, der Aufforderung nachzukommen. Diese
-originellen, urwüchsigen Menschen waren ihm höchst sympathisch. Er ließ
-sich nieder und erzählte Herrn Mirzls neue Leistungen, unter eifrigen
-Kommentaren von Mrs. Bowlby.</p>
-
-<p>„Wollen wir wetten, Mr. Cray, daß dieser Kerl die Leute in London
-ausplündert! Das ist eine feine Nummer! Warum glauben Sie, hat er Ihnen
-Ihre Koffer zurückgeschickt?“</p>
-
-<p>„Um das zu erfahren, habe ich ja die Annonce eingerückt, und da sehen
-Sie nun das Resultat.“</p>
-
-<p>„Ein Erzgauner,“ bestätigte Mrs. Bowlby noch einmal. Dann unterbrach
-sie sich plötzlich.</p>
-
-<p>„Sehen Sie!“ flüsterte sie, „sehen Sie, dort, Mr. Cray! John!
-Wahrhaftig, wird das wilde Tier nicht mit uns anderen zu Mittag essen!
-Sieh dir doch ihre Kostüme an, Helen!“</p>
-
-<p>Allan drehte sich hastig um und sah ein Bild, das er nicht sobald
-vergaß. Im Parademarsch kam über die schweren gelben Teppiche des
-Dinersaales ein Zug von fünf Personen, wie das Grand Hotel Hermitage
-sie mit Ausnahme eines einzigen, wohl noch nie gesehen hatte. Voran,
-mit unnachahmlicher angeborener Grandezza schritt ein junger Mann von
-dreißig Jahren, etwas beleibt, aber von jener Beleibtheit, die Würde
-gibt. Sein Gesicht war schön oval<span class="pagenum" id="Seite_102">[S. 102]</span> mit einem kurzen, glänzenden,
-schwarzen Schnurrbart über einem unzufriedenen Mund. Der Teint
-war mattbraun, aber kaum dunkler, als der eines sonnverbrannten
-Sportsmannes. Yussuf Khan, Maharadscha von Nasirabad! Er trug
-europäische Abendkleidung, aber hatte einen glänzenden weißen Turban
-auf dem Kopf und um den Hals ein breites Band aus grauen Perlen,
-das er wie einen Orden trug. In dem Turban stak eine Aigrette aus
-großen funkelnden Smaragden. Einen halben Schritt hinter ihm kam ein
-alter, ganz und gar englischer Gentleman mit frischer Gesichtsfarbe
-und buschigem, weißem Schnurrbart. Seine Augen waren klar blau und
-leuchteten augenblicklich vor Erregung; von welcher Art diese war,
-verriet sein Mund, der noch größeres Mißvergnügen ausdrückte als der
-des Maharadschas von Nasirabad. Es war sonnenklar, daß dieser Einzug im
-Cortège in das Grand Hotel Hermitage ihm als englischem Gentleman nicht
-gerade zusagte. Offenbar war dies Oberst Morrel, der die Verantwortung
-für den Maharadscha hatte. Und im Hinblick auf die drei übrigen
-Personen des Gefolges konnte man seine Gefühle nicht unberechtigt
-nennen. Ihm zunächst kam ein Hindu, der in Bezug auf die Jahre wohl ein
-Altersgenosse des Obersten sein konnte, aber dessen Aussehen im übrigen
-wenig Aehnlichkeit mit dem dieses Militärs hatte. Sein Gesicht, das
-von sechzig Jahren der Lebenserfahrungen gefurcht war, war lächelnd
-und freundlich; es wurde von einem gescheitelten, üppigen, grauen
-Barte umgeben, und Allan begriff sofort, warum Miß Helen mit ihrer
-amerikanisch-presbyterianischen Phantasie gesagt<span class="pagenum" id="Seite_103">[S. 103]</span> hatte, er sehe aus
-wie ein Erzbischof. Denn offenbar war dies die Persönlichkeit, die Mr.
-Bowlby als den alten Hofdichter und Lehrer des Maharadschas bezeichnet
-hatte — Ali. Gleich seinem Herrn hatte er sich in europäische
-Gewandung gehüllt, aber es war offenbar, daß er sie zum ersten Male
-trug, und ebenso offenbar, daß es ihm kein Vergnügen bereitete. Das
-einzige Kleidungsstück, das ihm zu passen schien, war der Turban.
-Hinter ihm kamen die zwei letzten Personen der Eskorte, zwei schwarze
-Krieger in ganz indischer Tracht, mit kurzen, vergoldeten Krummsäbeln
-in bunten Gürteln. Ihre schwarzen Augen funkelten beim Anblick des
-Speisesaales des Grand Hotel Hermitage und seiner Gäste. Aber im
-übrigen zuckten sie mit keiner Muskel ihrer bärtigen Gesichter, während
-sie in den Fußstapfen ihres Herrn einem rückwärtigen Tisch des Saales
-zuschritten. Ein rotbefrackter Oberkellner stand mit einer tiefen
-Verbeugung daneben; Yussuf Khan, Oberst Morrel und der alte Hofdichter
-setzten sich, und die schwarzbärtige Leibwache faßte hinter dem Stuhl
-ihres Herrn Posto. Rings an den Tischen in dem großen Saal schöpfte man
-tief Atem, und ein leises Gemurmel erhob sich.</p>
-
-<p>Miß Bowlby war die erste an Allans Tisch, die ihren Gefühlen Worte lieh:</p>
-
-<p>„Mama, du kannst sagen, was du willst, aber solche Perlen und solche
-Smaragden habe ich in meinem ganzen Leben nicht bei Tiffany gesehen!“</p>
-
-<p>„Dacht’ ich mir’s nicht — Helen! Mir scheint, du bist schon verl...“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_104">[S. 104]</span></p>
-
-<p>„Aber Mama, rede doch nicht so! Sei aufrichtig und sage, ob du je so
-etwas gesehen hast!“</p>
-
-<p>Mrs. Bowlby schluckte eine Portion Gefrorenes, die ihr Inneres für
-ewige Zeiten vereist hätte, wenn sie keine Amerikanerin gewesen wäre.</p>
-
-<p>Dann kniff sie den Mund zusammen, so daß er ganz im Schatten der Nase
-verschwand; so geschützt, gab sie zu:</p>
-
-<p>„Nein, wenn du es durchaus wissen willst, ich auch nicht. Aber was
-nützt es dem Menschen, wenn er ...“</p>
-
-<p>Allan war unartig genug zu unterbrechen.</p>
-
-<p>„Oberst Morrel scheint nicht gerade erbaut davon zu sein, mit seinem
-Schützling hier zu essen, oder was meinen Sie, Mr. Bowlby?“</p>
-
-<p>„Anscheinend nicht,“ gab Mr. Bowlby zu. „Er ist ein Engländer, und
-dieses Perlenband und der schwarze Hofdichter gehen ihm auf die Nerven.
-Wollen Sie um einen Cent wetten, Mr. Cray, daß er sich gesträubt hat,
-bevor er in dem Triumphzug mitging! Und ich setze meinen letzten Dollar
-gegen einen Hosenknopf, wenn er sich oft sträubt, dann gibt es Krach.
-Yussuf Khan sieht aus, als hätte er seinen eigenen Willen, und den zu
-zähmen braucht es eine Frau, vermute ich.“</p>
-
-<p>Mr. Bowlby sah auf seine Uhr.</p>
-
-<p>„<span class="antiqua">Well</span>, Susan, wir müssen aufbrechen, wenn wir zurecht kommen
-wollen. Sie erinnern sich vielleicht, Mr. Cray, daß ich Ihnen erzählt
-habe, daß wir beim amerikanischen Gesandten zum Souper geladen sind und
-wohl erst nach vier Uhr heimkommen werden.“</p>
-
-<p>Allan beeilte sich, Mrs. Bowlby, die nach dem Zugeständnis,<span class="pagenum" id="Seite_105">[S. 105]</span> das
-sie ihrer Tochter eben in Bezug auf das Untier gemacht hatte, etwas
-verstimmt schien, wieder aufzumuntern.</p>
-
-<p>„Glauben Sie, daß Mrs. Langtrey auch beim Gesandten sein wird, Mrs.
-Bowlby?“</p>
-
-<p>„Langtreys Frau!“ Mrs. Bowlbys Mund kam wieder aus seinem Schlupfwinkel
-hervor. „Die! Wenn die da ist, dann haben Sie uns in einer halben
-Stunde wieder hier.“</p>
-
-<p>Mr. Bowlby lachte.</p>
-
-<p>„Na, Mr. Cray, wenn Sie nichts anderes vorhaben, so schauen Sie doch in
-mein Rauchzimmer hinauf und trinken Sie dort einen Whisky, bevor Sie zu
-Bett gehen. Ist doch immerhin gemütlicher als unten in der Bar, nicht?“</p>
-
-<p>Allan verbeugte sich.</p>
-
-<p>„Sie sind zu liebenswürdig, Mr. Bowlby ...“</p>
-
-<p>„Keine Zeremonien, junger Freund. Sie gefallen mir, und ich lade Sie
-ein. Gefielen Sie mir nicht, würde ich Sie nicht einladen. Gehen Sie
-nur hinauf und machen Sie es sich oben bequem.“</p>
-
-<p>„Aber was wird Ihre Dienerschaft sagen?“</p>
-
-<p>„Ich werde Henry schon verständigen. <span class="antiqua">Well</span>, adieu einstweilen,
-lieber Cray! Ich bin schon neugierig, welche Ueberraschungen der
-Maharadscha morgen für uns <span class="antiqua">in petto</span> hat!“</p>
-
-<p>Die Familie erhob sich und nickte Allan zu. Allan sah sie in die
-Vorhalle verschwinden. Er steckte sich eine Zigarrette an und warf
-einen Blick auf den Tisch des Maharadscha. Oberst Morrels Laune
-schien während des Mittagessens nicht besser geworden zu sein.<span class="pagenum" id="Seite_106">[S. 106]</span>
-Er war krebsrot im Gesicht und richtete hier und da ein Wort, das
-offensichtlich kein Kompliment war, an den alten Hofdichter, dessen
-Kenntnisse der verschiedenen Gabeln und Messer bei einem europäischen
-Galadiner augenscheinlich nicht sehr eingehender Natur waren.</p>
-
-<p>Plötzlich fuhr Allan in dem eigentümlichen Gefühl zusammen, das man
-manchmal hat, daß jemand einen fixiert. Er drehte rasch den Kopf nach
-rechts und sah zu seinem Staunen am nächsten Tische Mrs. Bowlbys
-Erzfeindin, Mrs. Langtrey. Sie saß tief im Schatten einer überhängenden
-Palme, ihre grauen Augen funkelten in dem Dunkel unter den großen
-grünen Blättern wie die einer Wildkatze. Hatte sie gehört, was Mrs.
-Bowlby gesagt hatte? Unmöglich, es zu entscheiden; auf jeden Fall saß
-sie vermutlich schon eine ganze Weile da, denn sie hatte eine Tasse
-Kaffee und ein Likörglas vor sich und eine Zigarette zwischen den
-Fingern.</p>
-
-<p>Allan sah auf seine Uhr. Es war nach halb neun. Da Bowlbys so spät
-fortblieben, beschloß er, in irgendein Varieté zu gehen. Eventuell
-konnte man ja später von Mr. Bowlbys Einladung Gebrauch machen. Er
-winkte dem Kellner, beglich seine Rechnung und verließ den Saal.</p>
-
-<p>Zwei Sekunden, nachdem er gegangen war, ging Mrs. Langtrey.</p>
-
-<p>„Ich bin schon neugierig, was für Ueberraschungen der Maharadscha
-morgen für uns <span class="antiqua">in petto</span> hat,“ hatte<span class="pagenum" id="Seite_107">[S. 107]</span> Mr. Bowlby im Gehen zu
-Allan gesagt. Aber weder er noch Allan ahnte, was schon diese selbe
-Nacht an Ueberraschungen bringen sollte.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_108">[S. 108]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="VI">VI<br />
-
-<em class="gesperrt">Das Loch in der Wand und das Loch im Boden</em></h2>
-
-</div>
-
-<p>Aus Diskretion — sowohl gegen das Etablissement wie gegen die
-hochgestellte Person, deren Name sich auf dem Titelblatt dieses Buches
-findet — müssen wir das Lokal, das den Rahmen um das sechste Kapitel
-bildet, mit den fünf ersten Worten benennen, die hier oben stehen. In
-gewisser Weise weicht dieser Name auch nicht so sehr von dem wirklichen
-Namen ab; und wer London gut kennt, kann vielleicht herausfinden,
-was für ein Lokal wir meinen und wo Allan Kragh gewisse wunderliche
-Abenteuer in der Nacht zum 16. September erlebte.</p>
-
-<p>Als Allan das Grand Hotel Hermitage nach halb neun verließ, hatte er
-keinen bestimmten Plan für den Abend. Er schlenderte nach Leicester
-Square hinunter, ging ins Empire und sah eine Vorstellung, die aufs
-Haar allen anderen Varietévorstellungen glich. Sie bereitete ihm
-keinerlei Enttäuschung, aber, wie ein hervorragender Schriftsteller von
-der Zigarette, dem Typus des Genusses sagt — sie reizte ihn und ließ
-ihn unbefriedigt. Er empfand das, was er so oft bei den Eskapaden der
-Studentenzeit empfunden und was ihn schon soviel Geld gekostet hatte,
-eine ausgesprochene Unlust, nach Hause zu gehen. Er bog in eines<span class="pagenum" id="Seite_109">[S. 109]</span> der
-Gäßchen hinter dem Empire ein, schlenderte da aufs Geratewohl herum,
-ohne irgendwelche Angst vor den Typen, die das Londoner Abendleben bot,
-und ohne die zweifelhafte Beleuchtung weiter zu beachten. Wenn wir
-sagen würden, daß er sich dabei beobachtet oder verfolgt fühlte, so
-wäre dies eine Unwahrheit; aber trotzdem ist es, wie die Fortsetzung
-zeigen wird, Tatsache, daß er seit dem Verlassen des Hotels beobachtet
-und verfolgt und mit infernalischer Geschicklichkeit gerade an jenen
-Ort gelotst wurde, wo man ihn haben wollte. Urplötzlich befand er sich
-in, ja, in der Straße, in der <em class="gesperrt">Das Loch in der Wand gelegen</em> ist.
-Er blieb vor der diskret beleuchteten Fassade stehen, die irgendeinem
-kleinen Café in kontinentalem Stil anzugehören schien. Sollte man nach
-Hause gehen und Mr. Bowlbys Einladung Folge leisten oder nicht? Ein
-anderer Herr tauchte plötzlich auf, öffnete die Türe zum Loch in der
-Wand und blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen; Allan sah im
-Flug einen Raum, der einladend aussah, und faßte seinen Entschluß. Fast
-in den Fußstapfen desjenigen, der die Türe geöffnet hatte, trat er ein,
-nachdem er auf seine Uhr gesehen. Sie zeigte zwanzig Minuten über elf.</p>
-
-<p>Das „Loch in der Wand“ erwies sich als eine Kombination von englischer
-<span class="antiqua">private bar</span> und kontinentalem Café, dem Aussehen nach überaus
-respektabel. Ein mattglänzendes Mahagonibüfett in Halbmondform wölbte
-sich um die rechte Längsseite des Raumes, dahinter thronten drei
-diskret gekleidete Barmaids. Alle schön, aber von ebenso respektablem
-Aussehen wie die Bar, in der sie figurierten. Die linke<span class="pagenum" id="Seite_110">[S. 110]</span> Hälfte des
-Raumes hatte Korbstühle und kleine Tischchen. Da war ein offener
-Kamin, augenblicklich unbenützt, und ein Tischchen mit Zeitungen und
-Zeitschriften. Die Beleuchtung war ebenso diskret und angemessen wie
-die übrige Einrichtung.</p>
-
-<p>Für den Augenblick waren sämtliche hochbeinige Stühle an der Bar
-von Herren in Frack und weißer Krawatte besetzt, die offenbar, so
-wie Allan, auf dem Heimwege vom Theater oder von einer Gesellschaft
-einen Blick hereingeworfen hatten. Der Mann, der unmittelbar vor
-Allan eingetreten war, saß an einem der kleinen Tischchen. Allan ließ
-sich am Nebentisch nieder, bestellte einen Whisky und gab sich der
-Betrachtung der drei schönen Barmädchen hin. Die eine von ihnen war
-von schwedischem Typus, mit länglicher Kopfform, schmalem Gesicht und
-hellblauen Augen. Allan, der eben den ersten Schluck von seinem Whisky
-getrunken hatte, fühlte sich mit einem Male heimisch und verspürte
-die Lust, mit jemand zu plaudern. Er wendete sich seinem Nachbar am
-nächsten Tisch zu und fand, daß dieser ihn beobachtete. Allans Wunsch
-gleichsam zuvorkommend, beugte er sich lächelnd vor und sagte auf
-deutsch:</p>
-
-<p>„Entschuldigen Sie, wenn ich mich vielleicht irre, aber sind wir nicht
-Landsleute?“</p>
-
-<p>Allan hatte jetzt lange Zeit immer nur englisch gesprochen und empfand
-es als eine angenehme Abwechslung, einmal eine andere Sprache zu reden.
-Er schüttelte den Kopf:</p>
-
-<p>„Nein, ich bin kein Deutscher, aber ich spreche Ihre Sprache. Sie
-finden, daß ich deutsch aussehe?“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_111">[S. 111]</span></p>
-
-<p>Der Fremde fuhr fort ihn zu mustern.</p>
-
-<p>„Hm, vielleicht ja, bei näherer Betrachtung vielleicht nein. Sie haben
-etwas Unenglisches ... ich weiß nicht recht was, und ich bildete mir
-ein ...“</p>
-
-<p>Allan nickte.</p>
-
-<p>„Es ist nicht das erstemal, daß ich für einen Deutschen angesehen
-werde. Aber das vorigemal war es nicht gerade angenehm!“</p>
-
-<p>„Wieso? War es in Frankreich?“</p>
-
-<p>„Nein, in Deutschland.“</p>
-
-<p>„Aber wirklich? In Deutschland kann es doch keine Unannehmlichkeiten
-verursachen, für einen Deutschen gehalten zu werden. Das ist ja nur
-sehr schmeichelhaft für Ihre Sprachenkenntnisse.“</p>
-
-<p>„Es war leider in anderer Beziehung weniger schmeichelhaft. Die Sache
-verhält sich nämlich so, daß ich für eine bekannte, ja allzu bekannte
-Persönlichkeit gehalten wurde, von der ich nicht weiß, ob <em class="gesperrt">Sie</em>
-sie kennen, nämlich Benjamin Mirzl. Ja, ich wurde sogar als er
-angehalten.“</p>
-
-<p>„Von der Polizei? Als Benjamin Mirzl?“</p>
-
-<p>„Allerdings, und mußte fast zwei Tage für Herrn Mirzl sitzen. Sie
-kennen diesen Mirzl also?“</p>
-
-<p>„Wer kennt Mirzl nicht dem Namen nach? Und da Sie für ihn gehalten
-wurden, weiß ich jetzt also wie er ausschaut.“</p>
-
-<p>„Er wird wohl nicht lange dasselbe Aussehen beibehalten, damit können
-Sie also nicht so sicher rechnen. Trinken Sie etwas?“ fügte Allan
-hinzu, tief wurzelnden nationalen Instinkten folgend.</p>
-
-<p>Der Fremde lachte.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_112">[S. 112]</span></p>
-
-<p>„Mit Vergnügen, danke, Herr Mirzl.“</p>
-
-<p>Allan lachte.</p>
-
-<p>„Ich glaube, Sie können ebenso gut Mirzl sein, wie ich. Zwei Whisky mit
-Soda, <span class="antiqua">please</span>!“</p>
-
-<p>Sein Gegenüber schob seinen Stuhl näher heran. „Wollen Sie nicht
-diese Geschichte mit Mirzl erzählen?“ sagte er. „Wenn es kein allzu
-schmerzliches Thema für Sie ist!“</p>
-
-<p>„Keineswegs. Mirzl ist vielleicht ein Schurke ...“</p>
-
-<p>„Sicherlich! Ich kann Ihnen später einiges darüber erzählen.“</p>
-
-<p>„... Aber wenigstens ein Schurke, der sein Handwerk versteht, — Sie
-werden es aus meiner Erzählung ersehen — und der Humor hat. Ich bin
-ihm gar nicht böse, daß er mir mein ganzes Gepäck gestohlen hat und
-mich zwei Tage für ihn im Arrest sitzen ließ!“</p>
-
-<p>„Er hat Ihr ganzes Gepäck gestohlen? Und Sie sind nicht böse! Sie sind
-wirklich freisinnig. Erzählen Sie doch!“</p>
-
-<p>Allan stärkte sich aus dem Glas und wiederholte noch einmal die
-Geschichte, mit der er schon die Familie Bowlby erquickt hatte. Der
-Fremde horchte mit weit offenen Augen und stieß hier und da einen
-Ausruf aus. Als Allan zu Herrn Mirzls Ausbleiben vom Rendezvous in
-Leicester Lounge kam, zur Zurückgabe der Koffer und dem vergeblichen
-Versuch, den Dienstmann aufzuspüren, fing er so zu lachen an, daß es in
-der Bar widerhallte. Als Allan geschlossen hatte, beugte er sich mit
-Tränen in den Augen vor.</p>
-
-<p>„Ein Dienst ist des anderen wert,“ sagte er. „Ihre Geschichte ist
-das Tollste, was ich seit langer Zeit gehört<span class="pagenum" id="Seite_113">[S. 113]</span> habe. Haben Sie heute
-abend Zeit, so möchte ich Ihnen etwas zeigen, das, wie ich glaube,
-<em class="gesperrt">Ihnen</em> ein bißchen Spaß machen wird, da Sie neu in London sind.
-Haben Sie Lust?“</p>
-
-<p>Allan sah auf seine Uhr. Es fehlten zehn Minuten auf zwölf.</p>
-
-<p>„Ich glaubte, man schließt um diese Zeit überall in London?“</p>
-
-<p>„Man schließt spätestens um eins, aber <em class="gesperrt">nicht überall</em>. Es gibt
-Orte ... hier zum Beispiel.“</p>
-
-<p>„Hier! In dieser kleinen Bar! Ich finde, es sieht so aus, als ob der
-Barmann sich schon anschicken würde, uns hinauszubefördern.“</p>
-
-<p>„Das würde er auch mit Ihnen tun, wenn Sie allein wären. Aber
-zufälligerweise gehöre ich zu den Eingeweihten.“</p>
-
-<p>„Aber in dieser kleinen Bar sitzen zu bleiben ...“</p>
-
-<p>„Urteilen Sie nicht nach dem äußeren Schein, junger Mann. Nur bei den
-Römern war der Eingang zum Avernus leicht. Hier muß sogar der Eingang
-zu einer Taverne schwer sein.“</p>
-
-<p>Der Fremde lachte herzlich über sein eigenes philologisches Wortspiel
-und ging zur Bar, wo der Bartender — ein dicker glattrasierter junger
-Mann von dem Aussehen eines Wettrenntrainers — jetzt allein war und
-die Kasse überzählte. Die drei schönen Barmädchen waren verschwunden.
-Allan sah seinem neuen Bekannten interessiert nach. Es war ein kleiner,
-ziemlich untersetzter Herr mit glänzendem, schwarzem Haar und jener,
-beinahe blauvioletten Gesichtsfarbe, die vom<span class="pagenum" id="Seite_114">[S. 114]</span> vielen Rasieren kommt und
-bei Schauspielern nicht selten ist. Nun kam er zu Allan zurück.</p>
-
-<p>„Nun, wie ist es? Haben Sie Lust, sich das kleine Lokal des
-internationalen Feuerfresserklubs anzusehen?“</p>
-
-<p>„Internationaler Feuerfresserklub?“ wiederholte Allan. „Hat der Klub
-strenge Eintrittsbedingungen?“</p>
-
-<p>„Ueberaus milde, wenn man von einem Klubmitglied vorgestellt wird.
-Sonst sehr strenge. Uebrigens heißt der Klub nicht so. Das ist nur ein
-Kosename unter den Mitgliedern.“</p>
-
-<p>Allan erhob sich.</p>
-
-<p>„Führen Sie mich in den Klub ein, wenn Sie wollen,“ sagte er. „Es wird
-mir ein großes Vergnügen sein, die Gepflogenheiten der Feuerfresser
-kennen zu lernen.“</p>
-
-<p>Der Fremde rief dem Mann, der eben die Eingangstüre der Bar
-verriegelte, etwas zu. Der Barmann zog pfeifend eine Draperie zurück,
-die im Hintergrunde des Cafés hing, und einige Schritte weiter in
-einem Korridor erblickte Allan einen Aufzug. Der Fremde winkte ihm,
-vor ihm einzusteigen, und Allan tat es arglos. Als er später über die
-Abenteuer dieser Nacht nachdachte, wunderte es ihn am meisten, daß man
-nicht — aber der Leser wird noch früh genug Gelegenheit finden, seine
-Verwunderung zu teilen.</p>
-
-<p>Der Fremde stieg nach ihm ein und drückte auf einen Knopf. Der Lift
-glitt hinauf, so überaus langsam, daß er noch die Lifts des Grand Hotel
-Hermitage bei weitem übertraf, und machte es Allan ganz unmöglich, zu
-beurteilen, wie hoch er hinaufging — er war mit mattgeschliffenen
-Glasscheiben versehen.<span class="pagenum" id="Seite_115">[S. 115]</span> Allan dachte jedoch im Augenblicke nicht daran,
-er dachte nämlich an etwas ganz anderes und wandte sich an seinen
-Begleiter:</p>
-
-<p>„Verzeihen Sie mir, aber wie soll ich denn wieder hinauskommen? Die Bar
-schließt ja.“</p>
-
-<p>Der Fremde lachte.</p>
-
-<p>„Dabei werde ich Ihnen schon behilflich sein. Es gibt einen anderen
-Ausgang. Nun sind wir da.“</p>
-
-<p>Der Fahrstuhl blieb so vorsichtig stehen, als hielte er vor einer
-Krankenwohnung. Der Fremde zog die mattgeschliffene Doppeltüre auf
-und schob Allan in eine große Vorhalle, deren Boden mit dicken
-Teppichen belegt war. Ein Diener in orientalischem Phantasiekostüm kam
-herbeigeeilt und verbeugte sich, als er Allans Begleiter erblickte,
-sehr tief.</p>
-
-<p>„Die Loge Nummer fünf steht bereit, Sir,“ sagte er.</p>
-
-<p>Das ist eigentümlich, dachte Allan, hat er die Loge schon vorher
-reserviert? Oder kommt er jeden Abend her?</p>
-
-<p>Sein Begleiter hatte sich rasch zu dem Diener herabgebeugt und
-flüsterte ihm etwas zu. Der Diener erwiderte etwas, worauf der
-Schwarzhaarige einen Pfiff hören ließ.</p>
-
-<p>„Schon in der Loge Nummer sechs!“</p>
-
-<p>„Ja, Sir, sie sind vor einer halben Stunde gekommen.“</p>
-
-<p>„<span class="antiqua">All right.</span> Ist die Passage frei?“</p>
-
-<p>„Ja, Sir.“</p>
-
-<p>Allans Begleiter drehte sich lächelnd zu ihm um.</p>
-
-<p>„Entschuldigen Sie, wenn ich geheimnisvoll wirke,“ sagte er. „Ich habe
-mich nur nach einem Bekannten erkundigt.“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_116">[S. 116]</span></p>
-
-<p>„Sie müssen oft herkommen,“ sagte Allan, „da eine Loge für Sie
-reserviert ist.“</p>
-
-<p>„Ja, ich komme hie und da her. Wollen Sie nicht den Ueberrock ablegen?
-Es pflegt hier sehr warm zu sein.“</p>
-
-<p>Allan legte Rock und Hut ab und reichte sie dem Diener; sein Begleiter
-tat das gleiche und ging auf eine Türe zu, die einen vergoldeten Fünfer
-zeigte. Allan ging ihm nach, aber folgte halb unbewußt dem orientalisch
-gekleideten Diener mit dem Blick. Er sah ihn auf einen Knopf drücken,
-wobei die Türe zu einer Art Garderobe aufsprang, in der er die
-Ueberkleider unterbrachte, die er in Empfang genommen hatte. Rechts in
-der Garderobe sah Allan flüchtig eine halb geöffnete Türe mit einem
-schmalen Treppenaufgang dahinter. Alles dies nahm kaum drei Sekunden in
-Anspruch; aber wie es sich später zeigte, hing von diesen drei Sekunden
-der Ausgang der Abenteuer des Abends ab. Nun war er wieder an der Seite
-seines Begleiters. Dieser drehte sich lächelnd zu ihm um.</p>
-
-<p>„Ich habe das Vergnügen, Sie in den Klub der internationalen
-Feuerfresser einzuführen,“ sagte er und öffnete die Türe, die die
-vergoldete Ziffer 5 zeigte. „Treten Sie ein!“</p>
-
-<p>Allan trat vor ihm ein. Bei dem Anblick, der sich ihm bot, zuckte er
-erstaunt zusammen. Er hatte sich irgendein kleines Klublokal von halb
-zweideutiger Sorte erwartet, aber was er sah, war unleugbar etwas ganz
-anderes.</p>
-
-<p>Die „Loge“, in der er stand, war eine Art Mittelding zwischen
-gewöhnlicher Theaterloge und Tribüne<span class="pagenum" id="Seite_117">[S. 117]</span> — sie lag ein paar Fuß über
-dem Boden der großen Halle und war von dieser durch eine Rampe von
-flackernden Kerzenflammen getrennt, die der Halle zugekehrt waren. Die
-Beleuchtung der Loge kam von oben, aus einem Netz von Geißlerschen
-Röhren, durch die ein regenbogenschimmerndes Licht in feinen, lautlosen
-Fluten strömte. Die Wände waren ganz unter schweren Draperien
-verborgen. Es stand ein gedeckter Tisch da, mit Kuverts für zwei
-Personen. Der Tisch hätte jedoch reichlich Platz für sechs gehabt.
-Drei große Champagnerkühler auf hohen Silberfüßen standen daneben. Die
-Stühle waren durch orientalische Diwane ersetzt. — Auf der anderen
-Seite der beständig flackernden Lichtrampe lag ein großer Saal in
-groteskem Rokokostil mit einem mattgeschliffenen, durchsichtigen
-Glasboden. Die Beleuchtung kam von tief unten in rhythmischen Kaskaden
-von verschiedenfarbigen Lichtern, die aufwallten und erloschen und
-den Paaren, die dort drinnen tanzten — denn der Saal war offenbar
-als Tanzsaal gedacht — ein wunderliches Cachet der Unwirklichkeit
-gaben. Eine Menge Menschen, Herren und Damen in bunten Kostümen,
-morgen- und abendländischen, ethnographischen und rein phantastischen,
-weitwallenden und zuweilen mehr als leichten, bewegten sich über den
-regenbogenschimmernden Glasboden zum Takt einer Kapelle, die Allan
-schließlich am entferntesten Ende des Saales entdeckte. Diese Kapelle,
-in roten Mänteln, an jene erinnernd, mit denen die Inquisition ihre
-Opfer ausstaffierte, saß auf einer Art schwarzen Insel des leuchtenden
-Glasbodens. Das Ganze machte einen<span class="pagenum" id="Seite_118">[S. 118]</span> so verwirrenden Eindruck, daß Allan
-sich mit beiden Händen an den Kopf griff. War er wach? Wie konnte ein
-solches Lokal seinen Zugang durch das unscheinbare Loch in der Wand
-haben? Er wendete den Blick seinem Begleiter zu und fand, daß er ihn
-von einem der Diwane mit einem amüsierten Lächeln betrachtete.</p>
-
-<p>„Das kleine Lokal der Feuerfresser macht Ihnen Eindruck?“ sagte er.</p>
-
-<p>„Ich habe nie in meinem Leben etwas Aehnliches gesehen,“ sagte Allan
-wahrheitsgemäß. „Aber wie —“</p>
-
-<p>„Keine Fragen, lieber Freund. Sie begreifen, ein Klub wie der unsrige
-ist exklusiv und will keine fremden Personen in seine Geheimnisse
-einweihen. Sie haben mich dort unten amüsiert, und es hat mich
-amüsiert, Ihnen einen kleinen Gegendienst zu erweisen. Aber keine
-Fragen!“</p>
-
-<p>Allan verbeugte sich.</p>
-
-<p>„Gestatten Sie,“ sagte er, zum zweitenmal tiefverwurzelten Trieben
-folgend, „daß ich mich vorstelle?“</p>
-
-<p>„Ach, was ist ein Name! Lassen Sie mich Mirzl zu Ihnen sagen, wenn es
-schon eine Ansprache sein muß. Name ist Schall und Rauch. Setzen Sie
-sich und kosten Sie, was der Klub vermag. Trocken oder halbtrocken?“</p>
-
-<p>„Trocken, danke,“ stammelte Allan und sank auf den Diwan gegenüber
-seinem wunderlichen Begleiter. Dieser fuhr fort:</p>
-
-<p>„Ich weiß nicht, ob es Sie interessiert, aber ich kann mir Ihre
-Abenteuer mit Mirzl nicht aus dem Kopf schlagen. Würde es Sie
-amüsieren, ihre Lösung<span class="pagenum" id="Seite_119">[S. 119]</span> zu hören? Ich glaube, merken Sie wohl, glaube,
-daß ich sie gefunden habe.“</p>
-
-<p>Allan riß die Augen auf und vergaß im Nu das wunderliche Lokal, in dem
-er sich befand, sowie die tanzende Schar draußen auf dem Glasboden.</p>
-
-<p>„Sie glauben, Sie haben die Lösung?“</p>
-
-<p>„Ach, eigentlich ist sie doch ganz naheliegend. Ich weiß nicht, ob Sie
-wissen, daß Mirzl vor acht Tagen in Berlin einen größeren Coup gemacht
-hat.“</p>
-
-<p>„Man sagte es mir in der Polizeikammer in Köln. An dem Tage, bevor ich
-mit dem Expreß reiste. Hunderttausend Mark in irgendeinem Hotel des
-Westens, nicht wahr?“</p>
-
-<p>„Auf jeden Fall gut siebzigtausend. Er war diesmal ein bißchen gar zu
-tollkühn gewesen. Er entkam gerade noch mit knapper Not, aber sein
-Gepäck mußte er im Stich lassen. Nun können Sie sich denken, daß er
-am liebsten aus Deutschland heraus wollte, und dabei wußte er, daß
-die Polizei überall Spione hatte. Seine Helfershelfer wagte er nicht
-aufzusuchen. Kam er an die Grenze und wollte sie ohne Gepäck passieren,
-war er sofort verdächtig und wurde hoppgenommen. Suchte er sich Gepäck
-von genügenden Dimensionen und entsprechender Qualität zu kaufen,
-so war sein Signalement so verbreitet, daß er höchstwahrscheinlich
-hängen blieb. Und der Boden brannte ihm unter den Füßen! Es handelte
-sich um Stunden. Er war im Auto nach Hamburg geflohen, er stieg ohne
-irgendeinen Plan in den Expreß, traf Sie — und das übrige wissen Sie.
-Aber nachdem er einmal glücklich in London war, brauchte er Ihre Sachen
-nicht mehr. Und da er ein<span class="pagenum" id="Seite_120">[S. 120]</span> Freund von Exzentrizitäten ist, stellte
-er sie eben zurück. — Sie trinken nichts? Was sagen Sie zu meiner
-Erklärung?“</p>
-
-<p>Allan starrte seinen Begleiter mit weitgeöffneten Augen an. Das
-war wirklich ein Sherlock Holmes! Er hob sein Glas, um ihm seine
-Anerkennung auszusprechen, als eine Unterbrechung kam.</p>
-
-<p>Die Draperien links begannen zu wogen, sie wallten auf und nieder
-wie ein Wasserspiegel bei einem Unterseebootangriff und teilten sich
-endlich. Jemand tauchte aus ihnen empor, wie Neptun aus den Fluten,
-taumelte ein paar Schritte in die Loge, wo Allan und sein Begleiter
-saßen, und blieb endlich auf ein paar nicht allzu festen Beinen mit dem
-Rücken gegen sie stehen, während er mit der einen Hand die Draperien
-festhielt, durch die er aufgetaucht war. Zu seinem Staunen merkte
-Allan, daß gar keine Wand zwischen den Logen war; die Draperien waren
-das einzige, was sie trennte. Offenbar waren sie schwer genug, um
-alle Laute zu dämpfen, wenn man sie ruhig hängen ließ, denn während
-er bisher keinen Ton aus der Nebenloge vernommen hatte, drang jetzt
-ein Stimmengewirr heraus. Aber was war denn das für ein ungebetener
-Gast? wollte er eben seinem Begleiter zurufen, als der Mann, der
-hereingetaumelt war, ihnen plötzlich das Gesicht zukehrte. Allans
-Ausruf sank zu einem Flüstern herab:</p>
-
-<p>„Yussuf Khan! Der Maharadscha!“</p>
-
-<p>Es war wirklich und unzweifelhaft der Maharadscha von Nasirabad, und
-ebenso zweifellos war es, daß dieser mohammedanische Herrscher an
-diesem<span class="pagenum" id="Seite_121">[S. 121]</span> Abend das Gebot des Propheten gröblich übertreten hatte: er war
-sichtlich das, was man in höflicher Sprache angeheitert nennt und wofür
-man in weniger höflicher Sprache eine Unzahl anderer Bezeichnungen
-hat. Es war jedenfalls offenbar, daß sein Schwips von der guten
-sanguinischen Sorte war. Jetzt wandte er sich mit einer vorsichtigen
-Kreisbewegung Allan und seinem Begleiter zu, machte ein feierliches
-Salaam und sagte mit Würde, wenn auch ein bißchen undeutlich:</p>
-
-<p>„Edelgeborene Sahibs, ein armer Sohn eines toten Paria bittet euch um
-Entschuldigung ob dieses Eindringens in euer königliches Z—z—ze—l—“</p>
-
-<p>Er kam nicht weiter. Die Anstrengung war zu groß gewesen. Er fiel sanft
-auf einen der Diwane und schloß seine Rede in sitzender Stellung ab:</p>
-
-<p>„... Ze—zelt. Ich, Yussuf, der Sohn von tausend unwürdigen Vorvätern,
-bitte euch um Entschuldigung.“</p>
-
-<p>Allans Begleiter hatte sich hastig erhoben und eine Champagnerflasche
-aus einem der silberfüßigen Kühler genommen.</p>
-
-<p>„Yussuf, Sohn himmelgeborener Eltern, geruhe mit dem verächtlichsten
-der weißen Männer zu trinken.“</p>
-
-<p>Er schenkte ein Glas ein, das der Maharadscha mit einem wohlwollenden,
-aber abwesenden Lächeln automatisch ergriff und austrank. Er blieb
-mit dem Glas in der Hand sitzen, als die purpurroten, gelbgeflammten
-Draperien zum zweitenmal zu wogen begannen, diesmal jedoch planmäßiger
-als früher, worauf ein graubärtiger Kopf im Turban (der Maharadscha
-hatte<span class="pagenum" id="Seite_122">[S. 122]</span> seinen verloren) sich in einer Spalte zeigte, so allmählich
-folgte sein Besitzer nach, der sich als der alte Hofdichter Ali
-entpuppte.</p>
-
-<p>Er rief dem Maharadscha etwas zu, der nur mit einem Winken des
-Champagnerglases und einem herzlichen Lachen antwortete, worauf er sich
-wohlbehaglich seiner ganzen Länge nach auf dem Diwan ausstreckte. Der
-alte Hofdichter, der selbst in aufgeräumter Stimmung zu sein schien,
-zog die Draperie zurück und rief in die andere Loge hinein:</p>
-
-<p>„Stanton Sahib, er hat sich hier drinnen zur Ruhe gelegt. Er weigert
-sich, meinen weisen guten Ratschlägen Gehör zu schenken.“</p>
-
-<p>Die Folge dieses Rufes war, daß eine dritte Person sich zwischen den
-Draperien zeigte, ein junger blonder, scharfäugiger Engländer, mit dem
-denkbar korrektesten Scheitel und dem denkbar reinsten Rasseprofil.
-Auch er schien in brillanter Laune zu sein. Er puffte lächelnd den
-alten Hofdichter in die Loge Nr. 5 und kam selbst nach. Dann wandte er
-sich mit einem tiefen orientalischen Salaam an Allans Begleiter und
-sagte mit singender Stimme:</p>
-
-<p>„Edelgeborene Feuerfresser, verzeiht diese Zudringlichkeit meiner
-zwei Schützlinge und meiner selbst, dem unwürdigen Sohn von zehn
-Generationen von Sklaven! Salaam, edle Feuerfresser! Möge euer Schatten
-stets zunehmen und eure Widersacher keine andere Speise finden als den
-Schmutz der Erde.“</p>
-
-<p>Allan beobachtete diesen Auftritt mit offenem Munde. Er blickte in
-den Saal hinaus, wo der Tanz auf dem Glasboden herumwirbelte, um sich
-selbst zu bestätigen,<span class="pagenum" id="Seite_123">[S. 123]</span> daß er wach war. Der Anblick der Tanzenden in
-dieser phantastischen Beleuchtung trug nicht gerade dazu bei, sein
-Zutrauen zu seinen Sinnen zu stärken. Yussuf Khan hier in dieser
-Gesellschaft! Sein mystischer Begleiter aus dem ‚Loch in der Wand‘
-war aufgestanden und hatte den Gruß des jungen Engländers mit einigen
-ebenso orientalischen Wendungen erwidert, indem er erklärte, daß sein
-Zelt (womit die Loge Nr. 5 gemeint war) der Ehre, die ihm von diesen
-erhabenen Fremdlingen, deren Aussehen zur Genüge ihre Geburt und
-ihre Tugenden bezeugte, erwiesen wurde, gänzlich unwürdig sei; doch
-wenn sie sich in besagtem Zelt niederlassen wollten, wage er ihnen
-vorzuschlagen, einen Becher elenden und essigsauren Weins zu leeren.</p>
-
-<p>Der junge Engländer sank laut lachend auf einen Diwan und akzeptierte
-ohne Umstände ein Glas; der alte Hofdichter trank das seine auf einen
-Zug aus und erhob sich dann. Trotz des Weines stand er ziemlich
-sicher. Der Maharadscha lag auf seinem Diwan und betrachtete sämtliche
-Anwesende mit einem Lächeln des äußersten Wohlwollens. Der alte
-Hofdichter hob die Hand und begann zu sprechen:</p>
-
-<p>„Erhabene Sahibs! Sicherlich ist London die wunderbarste Stadt der
-Welt. Ihre Schönheit ist märchenhaft, wenn auch von Nebeln verhüllt,
-und die Tugenden und die Liebenswürdigkeit ihrer Einwohner übertreffen
-die aller anderen Städte so wie der Koran alle anderen Bücher
-übertrifft. Wisset (er wendete sich an Allan und seinen Begleiter),
-erst heute morgens kam ich in Gesellschaft meines jungen Schülers,<span class="pagenum" id="Seite_124">[S. 124]</span> der
-uns alle von seinem Diwan mit einem seligen Lächeln betrachtet, hier
-an. Erst heute morgen trafen wir in dieser Stadt ein, wo wir niemand
-kannten, und noch vor dem nächsten Morgen haben ich und mein Schüler
-so viele Freunde gefunden, und sind in diesem Hause der Zehntausend
-Freuden bewirtet worden, alles durch Stanton Sahibs Verdienst. An
-diesem Abend, als wir uns von der Tyrannei, die ein alter Sahib,
-dessen Namen ich nicht nennen will, gegen uns ausübt, befreit hatten,
-machten mein Schüler und ich uns insgeheim auf einen Streifzug durch
-London auf (Allan zuckte zusammen), um seine tausend Reize kennen zu
-lernen, von denen wir in den Lehmhütten, die uns zur Welt kommen sahen,
-soviel gehört haben. Kaum, o fremde Sahibs, waren wir hundert Schritte
-gegangen, als wir uns schon verirrt hatten, verwirrt durch die Nebel,
-die Londons Schönheiten zu verhüllen suchen, und von dem Getöse der
-zehntausend Feuerwagen. Wir waren verirrt wie die Gottlosen, die die
-Wahrheit außerhalb des Korans suchen (gepriesen sei sein Name). Wie
-Abdul Mahbub, mein alter Lehrmeister, singt: ‚Weh dem, der die Wahrheit
-anderwärts sucht.‘ So verirrt waren wir, als Stanton Sahib, dessen
-Namen auf dem ganzen Erdenrund gerühmt werden wird, uns auf der Straße
-sah, sich unser erbarmte (Allan zuckte wieder zusammen), und uns in
-dieses Haus der Zehntausend Freuden führte. Immer und allezeit wird
-Stanton Sahibs Name ob dieser Guttat gegen zwei arme Wanderer gepriesen
-werden. Lasset uns auf Stanton<span class="pagenum" id="Seite_125">[S. 125]</span> Sahib, den edelsten der Engländer, mit
-diesem Wein trinken, der frischer ist als Morgentau und kitzelnder als
-die Lippen eines Weibes. Lasset uns dabei bedenken, was der göttliche
-Zeltmacher sagt:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent2">O trinke Wein, die Sorgen dir zu brechen,</div>
- <div class="verse indent2">Die zweiundsiebzig Sekten durchzurechen! —</div>
- <div class="verse indent2">Nie trenne dich von dieser Alchimie,</div>
- <div class="verse indent2">Ein Men davon heilt tausend von Gebrechen!<a id="FNAnker_2" href="#Fussnote_2" class="fnanchor">[2]</a></div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<div class="footnotes">
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_2" href="#FNAnker_2" class="label">[2]</a> Diese und die folgenden Verse nach der Uebersetzung von
-Maximilian Rudolf Schenck.</p>
-
-</div>
-
-</div>
-
-<p>Erhabene Sahibs, lasset uns ...“</p>
-
-<p>Der alte Hofdichter kam nicht weiter; die Anstrengung war zu viel für
-ihn gewesen, und mitten in seinem letzten Satz plumpste er plötzlich
-auf einen Diwan, trank die letzten Tropfen aus dem Glas und sah sich
-mit einem unsteten Lächeln um. Allans Begleiter füllte die Gläser
-wieder und ließ sich bei dem jungen Engländer nieder, den man Stanton
-genannt hatte. Allan saß da, in Grübeleien versunken, während seine
-Augen auf die Tanzenden draußen auf dem Glasboden geheftet waren; das
-war doch ein mehr als eigentümliches Zusammentreffen, daß er, der nie
-von diesem Lokal gehört, und die beiden Hindu, die den ersten Tag in
-London waren, alle drei von wohlwollenden Fremdlingen hier eingeführt
-wurden ... Er starrte seinen Begleiter an, der mit dem jungen Engländer
-beschäftigt war. Plötzlich kam ihm eine flüchtige Idee: Hatte er
-den Mann, der ihn hier eingeführt hatte, nicht in dem Varieté im
-Leicester Square gesehen? Unmöglich es zu sagen, man sieht ja an<span class="pagenum" id="Seite_126">[S. 126]</span> einem
-solchen Ort tausend Gesichter, und das seines Begleiters war nicht
-besonders auffallend. Und wenn er ihn auch in dem Varieté gesehen
-hatte? ... Er fuhr unwillkürlich fort, darüber nachzugrübeln, was ihm
-eigentlich daran, daß gerade <em class="gesperrt">er</em> und die beiden Hindu hier im
-Feuerfresser-Klub saßen, so eigentümlich vorgekommen war. Plötzlich sah
-er, wie der alte Hofdichter sich erhob und auf etwas unsicheren Beinen
-zu seinem Platz herankam.</p>
-
-<p>„Junger Mann,“ sagte er und setzte sich auf den Diwan neben dem Allans,
-„ich will Ihnen etwas anvertrauen.“</p>
-
-<p>Allan neigte lächelnd den Kopf.</p>
-
-<p>„Ich will Ihnen etwas anvertrauen,“ wiederholte der alte Poet. „Dieser
-Wein, der frischer ist als der Morgentau auf den Berghängen und
-kitzelnder als die Lippen eines Weibes, ist auch ebenso hinterlistig
-wie das Herz eines Bewohners der Ebene. Ach, was haben wir von den
-Frauen, die wir lieben, und dem Wein, den wir trinken? Beide Räusche
-verschwinden mit dem Morgen. Doch weiß ich nicht, ob der Rausch dieses
-kitzelnden Weines, der wie ein Frühlingsbach perlt, morgen mit dem
-Morgen verschwinden wird. Ich bin fast geneigt, es zu bezweifeln; aber
-wenn es der Fall ist, so denke ich daran, was der göttliche Zeltmacher
-sagte:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent2">Wein trinken will ich! Trinken, daß der Duft,</div>
- <div class="verse indent2">Wo ich begraben, füllet einst die Luft;</div>
- <div class="verse indent2">Daß all die Waller, trunken noch vom Abend,</div>
- <div class="verse indent2">Im Rausche sinken rings um meine Gruft.</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Junger Mann, hüten Sie sich vor dem Wein und<span class="pagenum" id="Seite_127">[S. 127]</span> den Frauen. Nehmen
-Sie diesen Rat von dem alten Sänger Ali. Vernehmen Sie, daß mein
-Schüler, der uns von seinem Diwan aus mit einem milden glücklichen
-Lächeln betrachtet, über das große Wasser hergekommen ist, um sich zu
-vermählen. Es ist eine Folge seiner jugendlichen Torheit, daß er zu
-diesem Zweck einen so weiten Weg macht. Er ist wie der Steinbock, der
-mühsam ins Dschungel herabwandert, um dort von den Tigern gefressen zu
-werden. Das beweist, daß ich ihm ein schlechter Lehrer gewesen bin.
-Lasset uns trinken!“</p>
-
-<p>Allan erhob sein Glas.</p>
-
-<p>„Verehrungswürdiger Dichter,“ sagte er, „wissen Sie, daß wir im selben
-Hotel wohnen?“</p>
-
-<p>Der alte Poet sah ihn mit Augen an, die vom Wein verdunkelt waren.</p>
-
-<p>„Und wenn dem so ist?“ sagte er. „Ein Wohnort, was ist ein Wohnort? Je
-mehr ich von diesem gelben Wein trinke, desto besser verstehe ich den
-göttlichen Zeltmacher, und wenn Sie von Hotels sprechen, junger Mann,
-denke ich daran, was er gesagt hat:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent2">O alte Welt! Du altes Herbergshaus,</div>
- <div class="verse indent2">Wo Tag und Nacht gehn ewig ein und aus,</div>
- <div class="verse indent2">Du warst die Bettstatt schon von tausend Dschemschids,</div>
- <div class="verse indent2">Der Rest von tausend Behrams reichem Schmaus.</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Was bedeutet es, ob wir im selben Hotel wohnen. Ein anderer liegt
-morgen in dem Bett, das noch von uns lau ist.“</p>
-
-<p>„Gottlob ist der Champagner für uns noch kalt,“ sagte Allan. „Prost!
-Seine Königliche Hoheit dort auf dem Diwan scheint ein bißchen
-ermüdet.“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_128">[S. 128]</span></p>
-
-<p>„Mein Schüler“, sagte der alte Hofdichter, indem er sein Glas austrank,
-„ist noch nicht recht vertraut mit dem Wein der weißen Sahibs. Seine
-verräterische Süßigkeit hat ihn überwältigt. Bei der Erkenntnis dessen
-schaudere ich, wenn ich an die blauäugigen weißen Frauen denke,
-von denen er träumt. Sicherlich hat Nasirabads letztes Stündlein
-geschlagen, wenn eine von ihnen ihn in ihre Arme schließt. Woher wissen
-Sie, wer mein Schüler ist?“</p>
-
-<p>„Ich habe ja schon gesagt, daß wir im selben Hotel wohnen.“</p>
-
-<p>Kurz nach dieser letzten Antwort mußte auch Allans Bewußtsein sich
-umnebelt haben. Auf jeden Fall war es das Letzte, was er am nächsten
-Tag aus seiner Erinnerung hervorzuholen vermochte. Auch in die
-Handlungen, die er und die anderen Anwesenden darnach vornahmen, konnte
-er keine Klarheit bringen. Er erinnerte sich undeutlich, daß er,
-nachdem er noch ein paar Gläser getrunken, aufgestanden und unter der
-heiteren Zustimmung seines eigentümlichen Begleiters, der noch immer im
-Gespräch mit Mr. Stanton dasaß, durch die Draperien in die Loge Nr. 6
-gewankt war, aus der Mr. Stanton und seine Schützlinge gekommen waren.
-Ein paar Augenblicke starrte er die Loge an, die ebenso eingerichtet
-war wie die andere, und den Tanz, der draußen auf dem Glasboden
-unablässig weiterging. Dann legte er sich auf einen Diwan.</p>
-
-<p>Das nächste, woran er sich dann erinnerte, war, daß sein Begleiter und
-Mr. Stanton durch die Draperie zu ihm hineinguckten; sie sahen auf ihre
-Uhren,<span class="pagenum" id="Seite_129">[S. 129]</span> lächelten und zogen sich in die Loge Nr. 5 zurück; er fing
-noch den Laut der Stimme des alten Hofdichters auf, der irgend etwas
-rezitierte, und ein Schnarchen, das vermutlich von Yussuf Khan kam.</p>
-
-<p>Vermutlich war er selbst gleich darauf eingeschlummert, aber es ist
-unsicher, wie lange er geschlafen hatte, als er mit einemmal klar
-wach war, so wie es manchmal vorkommt, von einer Idee gepackt, einer
-halben Ahnung, wie man sie im Schlaf hat, einer Idee, die ihn dazu
-brachte, sich kerzengerade auf dem Diwan aufzusetzen und vor sich
-hinzustarren. War <em class="gesperrt">das</em> der Zweck des Ganzen. Waren deshalb gerade
-er und die beiden Inder in dieses eigentümliche Lokal geführt worden?
-Hatte deshalb sein Begleiter eine so plausible Erklärung für Herrn
-Mirzls Vorgehen geben können? ... Dann war <em class="gesperrt">eine</em> Sache sicher
-— er mußte sich eilen, wollte er ihre Pläne durchkreuzen; und eine
-andere Sache beinahe noch sicherer — er mußte mit äußerster Vorsicht
-zu Werke gehen, wenn es ihm gelingen sollte ... Noch wirr im Kopf von
-dem Champagner und unsicher auf den Beinen nach dem Schlaf erhob er
-sich von dem Diwan und schlich, so leise er konnte, zur Logentüre.
-Dort angelangt, blieb er stehen und sah vorsichtig nach den Draperien
-zur Loge Nr. 5. Sie hingen regungslos, kein Laut war von dort drinnen
-zu hören. Er drückte vorsichtig die Klinke nieder. Sie gab lautlos
-nach. Gott sei Dank, die Türe war also nicht verriegelt, wie er schon
-befürchtet hatte.</p>
-
-<p>Er öffnete sie so behutsam er konnte, und guckte mit einem Auge in
-die Halle. Sie war leer; von dem<span class="pagenum" id="Seite_130">[S. 130]</span> orientalisch gekleideten Diener war
-nichts zu sehen. Mit noch einem gemurmelten Segensspruch auf den Zufall
-oder die Vorsehung ging er zur Türe hinaus, schloß sie hinter sich
-zu und schlich auf den Zehen zu zwei großen Doppeltüren mit elegant
-vergitterter Glasfüllung. Nur fort, so rasch als möglich. Er sah hastig
-auf seine Uhr, die fast zwei zeigte — keine Zeit, an Ueberrock und Hut
-zu denken — als er eine Entdeckung machte, die ihn zurücktaumeln ließ.</p>
-
-<p>Die großen Hallentüren waren ebenso fest und unerschütterlich
-verschlossen wie eine Gefängnispforte!</p>
-
-<p>Für einen Augenblick stand er wie gelähmt da, fast bereit, in die Loge
-zurückzukehren und die Dinge ihren Lauf nehmen zu lassen. Dann jedoch
-gewann die Empörung die Oberhand, und er begann mit zusammengebissenen
-Zähnen nach einer Möglichkeit zu suchen, den Leuten dort drinnen ein
-Schnippchen zu schlagen. Er grübelte und grübelte, während seine
-Augen rings um die Halle irrten, jeden Augenblick darauf gefaßt, den
-Diener auftauchen zu sehen. Die Halle bog sich nach rechts und links
-zu Korridoren um, die die Logen rings um den Saal mit dem gläsernen
-Boden umschlossen. Vielleicht war dort irgendein Ausgang? Er verjagte
-den Gedanken an diese Möglichkeit ebenso rasch, als er aufgetaucht
-war. Fand sich dort irgendein Ausgang, so war er sicherlich ebenso
-fest verrammelt wie der Hauptausgang. Der Diener in der orientalischen
-Gewandung hatte natürlich dafür zu sorgen, daß kein Unberufener herein
-oder heraus kam; und diesem Diener wollte er keinesfalls begegnen. Er
-hätte darauf schwören mögen, daß er seine Weisungen hatte!<span class="pagenum" id="Seite_131">[S. 131]</span> — War das
-Spiel also verloren? Schon waren drei Minuten vergangen, seit er die
-Loge verlassen hatte — hallo!</p>
-
-<p>Mit einem Male fiel ihm etwas ein.</p>
-
-<p>Er sah die Szene wieder, als er mit seinem wunderlichen Begleiter
-herausgekommen war; der Diener hatte ihre Ueberkleider genommen und
-sie in die Garderobe hinüber getragen, deren Türe er durch den Druck
-auf einen Knopf geöffnet hatte. Und drinnen in der Garderobe hatte
-Allan einen Augenblick eine halb offene Türe gesehen, die zu einer
-Hintertreppe führte. ... Ohne diesen Gedanken zu Ende zu denken oder
-die Chancen zu berechnen, ob er auch den Knopf zur Garderobetüre
-entdecken und die andere Türe geöffnet finden würde, stürzte Allan
-quer durch die Halle zur Garderobetüre. Er ließ die Finger über die
-Wand fahren, auf die er den Diener drücken gesehen hatte; Sekunde für
-Sekunde verging, von seinem Herzen mit einem Hämmern markiert, das
-man seiner Empfindung nach durch das ganze Haus hören mußte; seine
-Finger flogen über die Wand hin und her, ohne jedes Resultat. Halb
-verzweifelt ließ er die Hände sinken und starrte die Wand an. Seine
-Verzweiflung ging in kindische Erbitterung über; er versetzte der Wand
-einen Faustschlag, der dumpf krachte und weh tat, aber — o Wunder! —
-im selben Augenblicke öffnete sich die Türe. Im nächsten war Allan in
-der Garderobe und zog die Türe hinter sich zu, ohne zu bedenken, daß er
-keine Zündhölzchen bei sich hatte. Er tappte zu den Ueberkleidern, die
-er dort drinnen hängen gesehen hatte, und durchsuchte mit fiebernden<span class="pagenum" id="Seite_132">[S. 132]</span>
-Händen eine Tasche nach der andern: Die internationalen Feuerfresser
-schienen den Gebrauch von Zündhölzchen abgeschworen zu haben, und sie
-hätten doch die Nächsten dazu sein sollen! Ohne daran zu denken, was
-er in Gestalt von gebrochenen Beinen und ähnlichem riskierte, gab er
-seine Nachforschungen in den Ueberrocktaschen auf und tastete sich zu
-jener Ecke der Garderobe, wo er am Abend die offene Türe gesehen hatte.
-Eigentümlicherweise fand er sie so gut wie gleich, und zwar noch immer
-angelehnt.</p>
-
-<p>Er öffnete sie ganz und machte mit ausgestreckten Händen ein paar
-vorsichtige Schritte über die Schwelle. Er fand ein eisernes Geländer
-und konstatierte, daß da eine Wendeltreppe sein mußte. Er trat einen
-Schritt zurück und schloß die Türe zur Garderobe wieder, um keinerlei
-Spuren zu hinterlassen; dann begann er die Wendeltreppe herabzusteigen,
-so rasch er es bei dieser Dunkelheit wagen konnte.</p>
-
-<p>Wenn der Leser je eine dunkle Treppe in einem fremden Hause ohne andere
-Richtschnur als das Gefühl hinauf oder hinunter gegangen ist, dürfte
-dem Leser eines aufgefallen sein: Sie erscheint ebenso endlos wie
-ein Satz eines besseren lateinischen Schriftstellers. Wenn der Leser
-diese Beobachtung nicht gemacht hat, hat der Leser nie einen besseren
-lateinischen Schriftsteller gelesen. Allan Kragh, der in dieser
-Hinsicht zu den Bevorzugten gehörte, hatte Gelegenheit zu konstatieren,
-daß die Wendeltreppe, die er gefunden, gut und reichlich so lang
-war, wie der Satz, wo Livius seine Reflexionen über die Schlacht bei
-Cannae beginnt. Er glaubte Aeonen gegangen zu sein und<span class="pagenum" id="Seite_133">[S. 133]</span> fragte sich
-schon, ob die Treppe zu den Verließen des Feuerfresserklubs führte,
-zum Inferno oder zu irgendeiner Station der Londoner Untergrundbahn,
-als die Treppe plötzlich ein Ende nahm und er vor einer Türöffnung
-stand, durch die graues Nachtlicht hereinrieselte. Er eilte so eifrig
-hinaus, als sei es die Pforte zu einem verzauberten Garten. Sie führte
-jedoch nur zu einem dunklen Brunnen — wenigstens kam es ihm so vor.
-Himmelhohe Hausgiebel und Feuermauern erhoben sich auf allen Seiten,
-mit oder ohne Reihen von dunklen Fenstern. Er suchte die Finsternis
-rings um sich mit den Blicken zu durchdringen. Sollte er seine Flucht
-nur unternommen haben, um in eine Falle geraten zu sein? Er begann sich
-zwischen den Gegenständen auf dem Grund dieses Schachtes, der sich
-nach links ausbuchtete, weiterzutasten. Er folgte der Hausmauer. Nun
-kam eine Biegung im rechten Winkel, dann wieder eine in der früheren
-Richtung. Plötzlich fand sich Allan, mit einem Ruf der Erleichterung,
-vor einem Gitter zwischen zwei hohen Hausgiebeln, von denen der eine
-mit Efeu bewachsen war. Ohne eine Sekunde zu zögern, begann er das
-Gitter zu überklettern und kam mit einem zerrissenen Hosenbein auf die
-andere Seite hinüber. Die Straße, in der er nun stand, war kurz und sah
-sehr vornehm aus. An ihrem einen Ende war ein offener Platz, undeutlich
-beleuchtet; und auf diesem entdeckte Allan zu seiner unbeschreiblichen
-Freude nichts Geringeres als ein Cab.</p>
-
-<p>Der Cabby unterzog ihn einer genauen Okularbesichtigung und stellte
-die Forderung eines Vorschußerlages, bevor er das Pferd aus seinem
-beschaulichen<span class="pagenum" id="Seite_134">[S. 134]</span> Schlummer riß und es dem Grand Hotel Hermitage zutraben
-ließ. Herren ohne Hut und Ueberrock um diese Tageszeit flößten ihm
-offenbar gemischte Gefühle ein. Allan drinnen im Cab kam es vor, als
-rührte sich dieser gar nicht vom Fleck; Straße um Straße passierten
-in unendlicher Prozession vorbei, Häuser, Häuser und Häuser,
-Firmenschilder und Schilder, die eine rotgelbe Gaslaterne nach der
-anderen. Er starrte die Zeiger seiner Uhr an, wie sie dahinkrochen —
-immerhin bedeutend schneller als der Cab, schien es ihm. Hier und da
-sandte er durch die Dachluke dem Cabby einen flehentlichen Ruf zu;
-jedesmal kam ein Ruck der Zügel als Antwort und eine schwache Reaktion
-in der Mähne des Pferdes. Es wurde zehn Minuten vor halb drei, fünf
-Minuten vor halb drei. Jetzt kam er sicherlich zu spät ... Endlich bog
-der Cab in eine breitere asphaltierte Straße ein, die er erkannte, und
-stand auf dem Monmouth Square.</p>
-
-<p>Das Grand Hotel Hermitage lag stumm und schlummernd da, kaum ein
-Fenster der großen Fassade war beleuchtet; es schien Allans Ahnungen
-wenig Berechtigung zu geben. Und doch dauerte es kaum so lange, bis er
-in die Halle gekommen war, als ihm auch schon die Bestätigung wurde,
-die er zugleich befürchtet und ersehnt hatte.</p>
-
-<p>Der Nachtportier, der den Seiteneingang mit einem erstickten Gähnen
-geöffnet hatte, erstickte dieses gänzlich, als er Allan erblickte. Er
-prallte zwei Schritte zurück und starrte Allan wie ein Gespenst an.</p>
-
-<p>„Wer sind Sie?“ rief er.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_135">[S. 135]</span></p>
-
-<p>„Nr. 417!“ rief Allan. „Rasch! Kommen Sie mit! Es ist keine Minute zu
-verlieren.“</p>
-
-<p>„Aber ich habe Sie doch vor zwei Stunden nach Hause kommen sehen ...“</p>
-
-<p>„Ich weiß! Ich weiß! Ich werde Ihnen schon alles später erklären. Man
-hat ein Verbrechen geplant — ist Mr. Bowlby mit seiner Familie schon
-nach Hause gekommen?“</p>
-
-<p>„Nein, aber — —“</p>
-
-<p>„Kein Aber! Die Stiege hinauf in ihre Wohnung, und rasch, wenn wir
-verhindern wollen, was man geplant hat!“</p>
-
-<p>Ohne sich auf weitere Erklärungen einzulassen, packte Allan den
-verblüfften Portier beim Arm und zog ihn die Treppe hinauf, zur
-Suite der Familie Bowlby im zweiten Stockwerk. Als sie den großen
-Treppenabsatz im ersten Stockwerk passierten, warf Allan einen Blick in
-den Korridor, wo die Zimmerflucht lag, die Bowlbys früher inne gehabt
-hatten und die nun vom Maharadscha bewohnt wurde. Er sah seine Annahme
-bestätigt: Fünf Mann von Yussuf Khans zehn Mann starker Leibgarde
-hielten vor den Türen seiner Wohnung Wache. Diesen Weg hatten also die
-Betreffenden nicht einschlagen können, und deshalb hatten sie eben — —
-er verdoppelte seine Schritte. Würde er noch zurecht kommen? war der
-einzige Gedanke, für den er Raum hatte. Den Portier hinter sich
-herschleppend, erreichte er die Türe zu Mr. Bowlbys Privatrauchzimmer
-— dem Zimmer, das infolge seiner Lage und aus anderen Gründen das sein
-mußte, das die Betreffenden für ihre Operationen gewählt<span class="pagenum" id="Seite_136">[S. 136]</span> hatten. Der
-dicke Teppich im Korridor dämpfte den Laut ihrer Schritte; und richtig,
-als sie die Türe erreicht hatten, und einen Augenblick davor stehen
-blieben, war drinnen eben jenes Geräusch zu hören, das Allan erwartet
-hatte, ein gedämpftes Scharren wie von einer Feile oder Säge ... Allan
-packte die Klinke.</p>
-
-<p>Die Türe war verriegelt.</p>
-
-<p>„Ich verdammter Esel,“ murmelte Allan heiser. „Portier, haben Sie
-Doppelschlüssel? Uebrigens was wollen wir mit Doppelschlüsseln? Ein
-Stemmeisen, und zwar rasch!“</p>
-
-<p>„Ein Stemmeisen?“ Der Portier starrte Allan wie einen Wahnsinnigen an.</p>
-
-<p>„Ich sage,“ flüsterte Allan atemlos, „hier wird ein Attentat begangen,
-das das Hotel für immer in Verruf bringen wird! Wissen Sie, was für ein
-Zimmer unmittelbar hier darunter liegt?“</p>
-
-<p>Der Portier dachte eine Sekunde mit weit aufgerissenen Augen nach.</p>
-
-<p>„Das Privatschlafzimmer des Maharadscha!“ murmelte er schließlich.</p>
-
-<p>„Wo er alle seine Juwelen hat! Verstehen Sie jetzt? Begreifen Sie, daß
-dieser Herr, der vor zwei Stunden herkam, nicht ich war, sondern ein
-verkleideter Einbruchsdieb! Rasch, ein Stemmeisen, und lassen Sie ihn
-uns fangen, so lange es noch Zeit ist.“</p>
-
-<p>Endlich ging dem Portier ein Licht auf. Er schoß wie ein Pfeil die
-Treppen hinunter, und Allan stand allein vor der verriegelten Türe, die
-er mit den Augen verschlang. Der verdammte Mirzl! <em class="gesperrt">Wenn</em> Allan
-nicht auf die Gedanken verfallen wäre, dies ihm im Feuerfresserklub<span class="pagenum" id="Seite_137">[S. 137]</span>
-gekommen waren, hätte jetzt wohl <em class="gesperrt">er</em> die Ehre des Einbruchs ...</p>
-
-<p>Allan kam in seinem Gedankengang nicht weiter. Urplötzlich, ohne
-daß er einen Laut gehört hatte, wurde die Türe vor ihm aufgerissen;
-Jemand im <span class="antiqua">evening-dress</span>, der ihm selbst ähnlich sah, packte
-ihn bei den Armen, drehte ihn im Kreise herum wie ein Kind und warf
-ihn in das Zimmer hinein, vor dem er gewartet hatte. Er wurde einfach
-hingeschleudert wie ein toter Gegenstand und konnte noch gar nicht
-daran denken, sich zu erheben, als das elektrische Licht im Zimmer
-erlosch und er sich in abgrundtiefer Finsternis befand. Sein Kopf
-tickte und summte wie ein Uhrmacherladen, und seine Augen sahen mehr
-Sterne als sich je auf einer Kognakflasche befunden haben. Endlich war
-er wieder auf den Beinen und tappte, so rasch er konnte, zur Türe. Sie
-war versperrt. Er warf sich dagegen, ohne daß sie nachgab. Es gelang
-ihm, den elektrischen Kontakt zu finden, und er drehte ihn herum, so
-wie man eine Uhr aufzieht, ohne daß auch nur ein Lichtfünkchen kam.
-Endlich hörte er eilige Schritte dort draußen, ein Rütteln an der Türe
-und die Stimme des Portiers:</p>
-
-<p>„Haben Sie ihn drinnen? Haben Sie den Hauptkontakt abgedreht?“</p>
-
-<p>Allan bemühte sich die Worte zu unterdrücken, die ihm auf der Zunge
-lagen.</p>
-
-<p>„Um Gottes willen!“ schrie er, „so lassen Sie ihn doch nicht
-entwischen! Versperren Sie den Ausgang! Telephonieren Sie der Polizei!
-Er hat mich hier drinnen eingesperrt!“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_138">[S. 138]</span></p>
-
-<p>Er hörte den Portier die Treppe hinunter verschwinden, ohne sich auch
-nur die Zeit zu nehmen, den elektrischen Kontakt aufzudrehen, und es
-verging eine Ewigkeit, während der er, vor Ungeduld schnaubend, vor
-der verriegelten Türe auf und ab tanzte. Von Zeit zu Zeit unternahm
-er einen neuen Versuch, sie zu sprengen. Immer vergeblich. Es mochten
-vielleicht zehn Minuten vergangen sein, die ihm wie zehn Jahrhunderte
-vorkamen, als er zum zweiten Male draußen Schritte hörte, diesmal von
-mehreren Personen. Das Zimmer füllte sich plötzlich mit Licht, und ein
-Schlüssel drehte sich im Schloß. Er riß selbst die Türe auf und fand
-draußen den Portier, atemlos vor Erregung, in Gesellschaft von zwei
-Polizisten. Er setzte zu Erklärungen und Fragen an, aber ein Ausruf des
-einen Polizisten kam ihm zuvor.</p>
-
-<p>„Nanu! Einbruchsversuch, todsicher! Sehen Sie mal!“</p>
-
-<p>Allan drehte sich nach der Richtung um, in die der Konstabler wies.
-Wenn es noch eines Beweises für die Richtigkeit seiner Ahnungen bedurft
-hätte, so hatte er ihn nun.</p>
-
-<p>Eine Oeffnung von etwa sechzig Zentimeter im Durchschnitt klaffte
-im Fußboden, daneben lag ein geschlossener Regenschirm und eine
-Anzahl Holzscheiben und etwas Mörtel. Er starrte verständnislos den
-Regenschirm an, bis der eine Polizist auf das Loch im Boden zueilte und
-den Regenschirm aufhob. Er spannte ihn auf; es zeigte sich, daß er eine
-Quantität Sägespäne, Mörtel und Gips enthielt. Der Polizist nickte:</p>
-
-<p>„Der gewöhnliche Trick, damit der Mörtel nicht in<span class="pagenum" id="Seite_139">[S. 139]</span> das Zimmer darunter
-fällt! Seine Strickleiter hat er glücklich mitgenommen.“</p>
-
-<p>Endlich fand Allan die Sprache wieder.</p>
-
-<p>„Ist er entwischt?“</p>
-
-<p>Der Portier nickte düster.</p>
-
-<p>„Er hat sowohl den Hauptkontakt abgedreht wie den Etagenkontakt für
-dieses Stockwerk. Die sind beide hier drüben in der Treppenhalle. Ich
-stand unten im Bureau und klingelte die Polizei an. Als es plötzlich
-dunkel wurde, stürzte ich die Treppe hinauf. — Sie brauchen mich nicht
-so anzusehen, Sir; was hätten denn Sie getan? In solchen Fällen ist man
-immer nachher am klügsten. Ich merkte in der Dunkelheit nichts, bis ich
-den Hauptkontakt aufgedreht hatte — den Etagenkontakt vergaß ich ganz.
-Im selben Augenblicke sehe ich jemand die Treppe hinunter verschwinden.
-Ich stürze nach —“</p>
-
-<p>„Ist er denn <em class="gesperrt">erst dann gegangen</em>?“ rief Allan, „warum ist er so
-lange dageblieben?“</p>
-
-<p>„Da müssen Sie einen anderen fragen, Sir. Ich stürzte ihm nach, aber es
-war zu spät. Er war, bevor ich nur mau sagen konnte, schon draußen und
-in einem Auto, das in der Nähe des Hotels stand. In diesem Moment kamen
-die Konstabler —“</p>
-
-<p>Der eine der erwähnten Konstabler unterbrach ihn.</p>
-
-<p>„Wir müssen ein Protokoll aufnehmen,“ sagte er.</p>
-
-<p>„Ist das notwendig?“ murmelte der Portier. „Der Maharadscha — Bedenken
-Sie den Ruf des Hotels!“</p>
-
-<p>„Wir halten einstweilen alles geheim, wenn Sie selbst nicht darüber
-sprechen.“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_140">[S. 140]</span></p>
-
-<p>Noch halb wirr im Kopf nach seinen Erlebnissen, mußte Allan den
-Polizisten erzählen, was er wußte. Bei seinem Bericht über den
-Feuerfresserklub schüttelten sie den Kopf.</p>
-
-<p>„Sicher, daß Sie nüchtern waren, Sir? Nichts für ungut, aber —“</p>
-
-<p>Allan wiederholte seine Schilderungen mit einer gewissen Heftigkeit.</p>
-
-<p>„Und die Adresse des Lokals, Sir?“</p>
-
-<p>Allan wich einen Schritt zurück. Er hatte weiß Gott bei seiner Flucht
-aus dem betreffenden Lokal solche Eile gehabt, daß er ganz vergessen
-hatte, sich den Namen der Straße anzusehen, in der es gelegen war.</p>
-
-<p>„Denn Sie sagten doch,“ fuhr der Polizist gelassen fort, „daß dieser
-indische Prinz, dem die Juwelen im Zimmer unten gehören oder gehörten,
-noch da war, als Sie fortgingen?“</p>
-
-<p>Allan nickte stumm. Gütiger Gott, was würden die Verbrecher mit dem
-Maharadscha beginnen, wenn sie merkten, daß der andere Plan mißlungen
-war — falls er nun mißlungen war.</p>
-
-<p>„Der Maharadscha war noch dort, als es mir gelang, mich aus dem
-Staube zu machen,“ stammelte er schließlich. „Mein Gott, wenn ich den
-Einbruchsversuch nur verhütet hätte, um ...“</p>
-
-<p>„Ob Sie den Einbruch verhütet haben, werden wir wohl kaum heute nacht
-erfahren. Oder wollen Sie es auf Ihre Kappe nehmen, Portier, uns in die
-Wohnung des Maharadscha zu bringen?“</p>
-
-<p>Der Portier schüttelte energisch den Kopf. Nach<span class="pagenum" id="Seite_141">[S. 141]</span> einigen weiteren
-Fragen steckte der Konstabler sein Notizbuch in die Tasche.</p>
-
-<p>„Lassen Sie das Zimmer unberührt stehen. Die Detektivs kommen morgen
-in aller Frühe, wenn nicht noch früher,“ sagte er und nahm mit seinem
-Kollegen Abschied.</p>
-
-<p>Allan wankte die Treppen in sein Zimmer hinauf, nachdem er den Portier
-gebeten hatte, Mr. Bowlby mit einigen vorsichtigen Worten von dem
-Vorgefallenen zu verständigen. Er war todmüde nach all dem Champagner,
-der Spannung und dem Ringkampf mit Mirzl — wenn es nun Mirzl gewesen
-war.</p>
-
-<p>Hatte er in diesem Punkte noch irgendwelche Zweifel gehegt, so sollten
-sie jedoch behoben werden, als er glücklich in der ägyptischen
-Grabkammer Nr. 417 angelangt war. Das Zimmer lag, als er die Tür
-öffnete, in voller Beleuchtung da; und das erste, was er sah,
-war sein einer Reisekoffer, in dem er außer auf Eisenbahnfahrten
-unpraktischerweise sein Geld unter Schloß und Riegel zu verwahren
-pflegte — er hatte noch nicht die kluge Gewohnheit angenommen, es
-im Bureau des Hotels, wo er wohnte, zu deponieren. Der Deckel, der
-durch zwei gute Hängeschlösser geschützt wurde, stand offen, und der
-Inhalt des Koffers — allerlei Kleinigkeiten, darunter eine Kassette,
-die seine Reisekasse enthielt — lag in völliger Wirrnis da. Von
-einer düsteren Ahnung ergriffen, stürzte er auf den Koffer zu und
-riß die betreffende Kassette heraus — ein kleines Silberkunstwerk,
-das er einmal in Dänemark gekauft hatte. Sie hatte noch am Morgen
-elftausendsechshundert Kronen in schwedischem Geld<span class="pagenum" id="Seite_142">[S. 142]</span> enthalten. Davon
-waren jetzt nur fünftausendsechshundert da ...</p>
-
-<p>Es dauerte etliche Minuten, bis er seine Sinne genügend in Ordnung
-hatte, um auch den Rest des Zimmers zu sehen; und das erste, was er da
-erblickte, war ein Brief, der an das elektrische Lämpchen auf seinem
-Nachtkästchen gelehnt war. Er riß ihn mit einem wütenden Knurren auf:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„Lieber Herr Kragh!</p>
-
-<p>Vielleicht finden Sie mein Vorgehen heute abend unlogisch und
-ungentlemanlike. Unlogisch, weil ich Ihnen früher, nach dem Dienst,
-den Sie mir in Deutschland erwiesen haben, Wohlwollen bezeigte;
-ungentlemanlike, weil ich Ihnen sechstausend schwedische Kronen
-raube. Es war, nebenbei gesagt, der reine Zufall, daß ich sie
-gefunden habe; es war nämlich nur meine Absicht, Ihnen hier oben in
-Frieden und Ruhe einige Zeilen zu schreiben. Aber lassen Sie mich
-Ihnen eines sagen: Sie haben heute abend meine Pläne durchkreuzt,
-und man durchkreuzt meine Pläne nicht ungestraft. Ihre Strafe für
-das erstemal ist sechstausend Kronen Buße — das halbe Vermögen
-im Koffer. Sollte das Vergehen sich wiederholen — aber ich bin
-überzeugt, daß Sie jetzt klug genug sind, es nicht zu wiederholen.</p>
-
-<p class="right">
-<span class="mright10">In Eile</span><br />
-<span class="mright7">Dr. Hauser,</span><br />
-(alias Ludwig Koch, alias Benjamin Mirzl).“</p>
-
-</div>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_143">[S. 143]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="VII">VII<br />
-
-<em class="gesperrt">Ein Verschwinden mit Nebenumständen</em></h2>
-
-</div>
-
-<p>Es war Mr. Bowlby, der Allan am nächsten Morgen etwas nach halb neun
-Uhr weckte. Allan schnellte aus dem Bett, schlaftrunken und ganz
-überzeugt, daß es Herr Benjamin Mirzl war, der kam, um sich sein
-übriges Geld zu holen.</p>
-
-<p>„Sie, Mr. Bowlby!“</p>
-
-<p>„Allerdings ich, junger Freund. Ich erhielt Ihre Botschaft durch den
-Portier, als ich heute nach vier Uhr nach Hause kam. Entschuldigen Sie,
-daß ich so in Ihr Schlafgemach eindringe — <span class="antiqua">damn it</span>, es ist
-eines der kleinsten, das ich je gesehen habe! — aber Sie werden doch
-meine Neugierde begreifen! Ein Loch in meinem Rauchzimmer, groß genug,
-um einen Indianer drinnen zu fangen! Das Zimmer voll von Detektivs,
-die mich verhört haben und Sie zu verhören gedenken, und eine tolle
-Deliriumsgeschichte des Nachtportiers von <em class="gesperrt">zwei</em> Herren auf
-Nr. 417. Ich hatte erwartet, Sie schon früher zu sehen, aber Helen
-vertraute mir eben an, daß Sie nie vor dem Lunch aufstehen.“</p>
-
-<p>„Miß Bowlby ist zu strenge in ihren Urteilen. Gestatten Sie, daß ich
-Toilette mache, dann will ich versuchen,<span class="pagenum" id="Seite_144">[S. 144]</span> Ihnen das Ganze zu erzählen.
-Aber Sie wissen doch, daß alles vorderhand geheim bleiben muß?“</p>
-
-<p>„Die Detektivs faselten irgend etwas vom Maharadscha.“</p>
-
-<p>„Ich fürchte, es ist kein Gefasel, Mr. Bowlby.“</p>
-
-<p>Allan hüpfte aus dem Bett und begann ungeniert seine Waschungen vor den
-Augen des Amerikaners, während er die Abenteuer der Nacht erzählte.
-Die Beschreibung des Feuerfresser-Klubs entlockte Mr. Bowlby eine
-Serie Pfiffe, eines durchgehenden Expreßzuges würdig. Als Allan zu dem
-Bericht über seine Flucht kam und wie es Mirzl gelungen war, ihn und
-den Portier zu überlisten, unterbrach er ihn mit dem Ausruf:</p>
-
-<p>„Aber das muß ja ein Teufelskerl sein, dieser Mirzl? Eine solche
-Kaltblütigkeit! Das ist doch das Frechste, was mir noch im Leben
-untergekommen ist!“</p>
-
-<p>„Warten Sie einen Augenblick mit Ihrem Lob!“ sagte Allan. „Was glauben
-Sie, tat der Mann, als er mich in das Rauchzimmer eingesperrt und die
-Kontakte abgedreht hatte?“</p>
-
-<p>„Verduftete, natürlich.“</p>
-
-<p>„Verduften! Da kennen Sie Mirzl schlecht. Er ging in mein Zimmer hinauf
-und setzte sich nieder, um mir eine Warnung zu schreiben, mich nicht
-mehr in seine Angelegenheiten einzumischen —“</p>
-
-<p>„Da hört sich aber alles auf!“</p>
-
-<p>„Und als er dabei zufällig fand, daß ich einen verriegelten Koffer
-hatte, der nach wertvollem Inhalt aussah, öffnete er ihn. Bedenken Sie,
-daß der Portier die ganze Zeit dastand und der Polizei telephonierte.<span class="pagenum" id="Seite_145">[S. 145]</span>
-Im Koffer hatte ich meine Reisekasse, elftausend schwedische Kronen und
-etwas darüber —“</p>
-
-<p>„Sie sind aber höchst unvorsichtig! Und die nahm er?“</p>
-
-<p>„Von diesen nahm er die Hälfte oder ein bißchen mehr, worauf er sich
-niedersetzte und mir diesen Brief schrieb.“</p>
-
-<p>Allan reichte Mr. Bowlby nicht ohne einen gewissen Stolz Herrn Mirzls
-Brief.</p>
-
-<p>Der Amerikaner las ihn langsam durch und gab eine neue Serie
-betäubender Expreßsignale von sich.</p>
-
-<p>„Sie haben doch natürlich der Polizei telephoniert?“</p>
-
-<p>„Der Polizei! Warum nicht gleich einer Kleinkinderbewahranstalt und
-habe sie um eine Amme gebeten? Ich ging zu Bett.“</p>
-
-<p>In das Gesicht Mr. Bowlbys trat ein Ausdruck von ehrlichem Respekt.</p>
-
-<p>„<span class="antiqua">Well!</span> Ich muß sagen — —!“</p>
-
-<p>Er starrte Allan an, während dieser sich das Jackett anzog. Allan
-öffnete ihm die Türe, und sie gingen die Stiege hinunter. Mr. Bowlby
-wiederholte:</p>
-
-<p>„Ich muß sagen! Und gedenken Sie die Sache jetzt nicht anzuzeigen?“</p>
-
-<p>„Da die Detektivs schon hier sind, werde ich ihnen die Sache natürlich
-anzeigen, aber es ist nur der Form wegen.“</p>
-
-<p>„Mirzl scheint Ihnen Respekt eingeflößt zu haben!“</p>
-
-<p>Allan nickte zustimmend. Im selben Augenblick erblickten sie
-Mrs. Bowlby und Miß Helen, die in der Treppenhalle des zweiten
-Stockwerks saßen. Mrs.<span class="pagenum" id="Seite_146">[S. 146]</span> Bowlby, die ein grellgrünes Kleid trug und
-papageienähnlicher aussah denn je, begrüßte Allan mit einem kleinen
-Schrei, der des erwähnten Vogelgeschlechtes durchaus nicht unwürdig war.</p>
-
-<p>„Mister Cray! So! Also auf diese Art verbringen Sie die Nächte, wenn
-ich außer Sehweite bin! Ein großes Loch im Boden, und die Detektivs
-darum geschart wie Fliegen um eine offene Marmeladendose. Sie
-wollten mich nicht einmal in die Nähe lassen. Sie glaubten wohl, ich
-gedächte in das Schlafgemach des Untiers hinunterzuspringen. — Na,
-was haben Sie zu sagen? Setzen Sie sich und lassen Sie uns hören,
-aber <em class="gesperrt">alles</em>, verstehen Sie? Sie waren natürlich in irgendeinem
-entsetzlichen Lokal? Haben also <em class="gesperrt">Sie</em> das Loch in den Boden
-gemacht?“</p>
-
-<p>„Wenn Sie zwischen halb eins und halb drei in Mr. Bowlbys Rauchzimmer
-gekommen wären, hätten Sie es sicherlich geglaubt, Mrs. Bowlby.“</p>
-
-<p>Allan begann zum zweiten Male seine Erzählung. Mrs. Bowlby beehrte
-seine Beschreibung des Feuerfresser-Klubs nicht mit denselben
-Expreßpfiffen wie ihr Mann, aber ihre Kommentare waren darum nicht
-weniger ausdrucksvoll. Als Allan zum Schlusse von Herrn Mirzls
-Leistungen gekommen war, ergriff sie das Wort:</p>
-
-<p>„Ja, dieser Herr ist natürlich ein Schurke. Aber ich sage Ihnen eines,
-ich würde tausendmal lieber das Untier hoppnehmen sehen als ihn.“</p>
-
-<p>„Ich für mein Teil sechstausendmal lieber Herrn Mirzl,“ meinte Allan.</p>
-
-<p>„Denken Sie nur, den <em class="gesperrt">ersten</em> Abend, den er in<span class="pagenum" id="Seite_147">[S. 147]</span> London
-verbringt, in <em class="gesperrt">solche</em> Lokale zu gehen,“ setzte die alte Dame
-ihren Anklageakt fort. „Natürlich war er in Damengesellschaft —
-versuchen Sie das nicht zu leugnen, ich glaube Ihnen ja doch nicht.
-Natürlich, obwohl er daheim bei sich das Haus voll und <em class="gesperrt">mehr</em>
-als voll hat. Und natürlich ist es furchtbar unrecht von Ihnen, in
-ein solches Lokal zu gehen, aber ein verheirateter Mann, ein Mann,
-der <em class="gesperrt">hundertfünfzigfach</em> verheiratet ist — — Und dieser alte,
-graubärtige Wüstling — —“</p>
-
-<p>Allan wagte sie zu unterbrechen.</p>
-
-<p>„Sind sie noch nicht nach Hause gekommen, Mrs. Bowlby?“</p>
-
-<p>„Die! Die werden sich nicht beeilen, nach Hause zu kommen, da seien Sie
-ganz beruhigt! Ich kenne die Männer.“</p>
-
-<p>Mr. Bowlby hatte gedankenvoll dem Reglement des Hotels getrotzt und
-während Allans Erzählung eine Zigarre geraucht. Jetzt nahm er sie
-plötzlich aus dem Mund und hinderte Allan, seine Befürchtungen über das
-Schicksal des Maharadschas auszusprechen, nun der Einbruch mißlungen
-war.</p>
-
-<p>„Da sind zwei Dinge,“ sagte er, „die ich nicht begreife, wie
-durchtrieben auch dieser Gauner und seine Bande sein mögen. Sie haben
-Sie natürlich von dem Augenblicke an, in dem Sie das Hotel verließen,
-beobachtet. Aber wie konnten sie Sie gerade in das Haus lotsen, wo sie
-den Maharadscha hatten?“</p>
-
-<p>„Hm, Mr. Bowlby, das ist ja nicht so merkwürdig. Zufälligerweise
-marschierte ich ja in Gesellschaft des Helfershelfers in jenes Café,
-und wurde von ihm<span class="pagenum" id="Seite_148">[S. 148]</span> angesprochen. Das war ein Zufall. Aber in einem
-anderen Lokal wäre das Resultat dasselbe gewesen. Im Notfall wären sie
-wohl auch nicht vor Gewalt zurückgeschreckt.“</p>
-
-<p>„<span class="antiqua">Well</span>, soviel kann ich zugeben, aber da ist noch eine Sache.
-Sie haben natürlich im Hause und außer dem Hause nach dem Maharadscha
-Ausschau gehalten. Aber <em class="gesperrt">Sie</em> sind ja in keinerlei Verbindung mit
-dem Maharadscha oder jemand aus seiner Gesellschaft gestanden, und Ihr
-eigenes Zimmer liegt im vierten Stock. Gestern abend forderte ich Sie
-allerdings auf, bei mir einen Whisky zu trinken ... Aber wie zum Teufel
-konnten die Kerls das wissen und sich darnach richten? Das frage ich.
-Wir saßen doch, soweit ich sah, allein an dem Tisch.“</p>
-
-<p>„Und woher konnten sie wissen, daß wir die halbe Nacht wegbleiben
-würden, Papa?“</p>
-
-<p>„Das ist keine Kunst, liebe Helen, wenn sie Spione im Hotel haben.
-Aber als ich diesen jungen Mann zu mir einlud, war, soviel ich mich
-erinnere, keine Seele in der Nähe, und ich habe ein gutes Gedächtnis.“</p>
-
-<p>„Sie brauchten es ja nicht zu wissen, Papa. Sie hätten das Attentat auf
-die Juwelen auf jeden Fall unternehmen können. Sie haben gesehen, daß
-Mr. Cray und wir verkehren, sie haben ihn den ganzen Abend beobachtet,
-wie er selbst sagt und ihn aus dem Wege geschafft, und dann hat sich
-dieser Mirzl als Mr. Cray verkleidet —“</p>
-
-<p>Miß Bowlby kam in ihrer Erklärung nicht weiter. Allan war von seinem
-Stuhl aufgesprungen und hatte Mrs. Bowlby beim Handgelenk gepackt. Die
-alte Dame<span class="pagenum" id="Seite_149">[S. 149]</span> schnellte, den Kopf im streitbaren Papageienwinkel schräg
-gelegt, in die Höhe:</p>
-
-<p>„Was fällt Ihnen ein, Sir? Glauben Sie, Sie sind noch in diesem Lokal?“</p>
-
-<p>„Mrs. Bowlby! Sie haben bestimmt mit dem, was Sie über Ihre Landsmännin
-sagten, recht gehabt! Jetzt verstehe ich, oder glaube wenigstens zu
-verstehen! Aha! Sie gehörten also doch zusammen!“</p>
-
-<p>„Meine Landsmännin? Wer?! Was verstehen Sie?“</p>
-
-<p>„Mrs. Langtrey! Jetzt erinnere ich mich. Gerade als Sie gestern vom
-Speisen aufstanden, sah ich zufällig nach rechts, und da, tief im
-Schatten der Palmblätter, saß Mrs. Langtrey. Sie wissen, Sie machten
-einige ... hm, offenherzige Bemerkungen, bevor Sie gingen, wie groß die
-Aussichten dieser Dame wären, auf den Gesandtschaftsball zu kommen.
-Als ich sie erblickte, sah sie aus wie eine Tigerin. Seien Sie sicher,
-sie hat sowohl das gehört, was Sie über sie sagten, wie das, was Mr.
-Bowlby zu mir sagte, ich möge heraufkommen und einen Whisky trinken.
-Ihr Mann versprach mir ja sogar, den Bedienten von meinem Kommen zu
-verständigen. Und sie hat eben — — Sie wissen doch, daß ich sie und
-Mirzl zusammen auf dem Hamburger Bahnhof sah, wenn ich auch damals
-nicht glaubte, daß sie sich kannten — —“</p>
-
-<p>Allan hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als Mrs. Bowlby aus ihrem
-Sessel aufflog wie der Habicht aus seinem Horst und mit raschen
-Flügelschlägen die Stiege hinuntersauste. Ihre Augen strahlten vor
-Triumph. Mr. Bowlby zuckte philosophisch die Achseln<span class="pagenum" id="Seite_150">[S. 150]</span> und steckte
-eine neue Zigarre an. Allan, der über die Kampfesmiene der alten
-Dame lächeln mußte, wollte eben seine Erklärungen ergänzen, als ein
-Hotelangestellter auf ihn zukam.</p>
-
-<p>„Der Detektivinspektor ist in Mr. Bowlbys Rauchzimmer und möchte Ihre
-Aussage hören, Sir.“</p>
-
-<p>Allan folgte ihm in den Raum, der am vorhergehenden Tage Zeuge von
-Herrn Mirzls Niederlage gewesen — und seiner eigenen. Er war nicht
-ganz so mit Detektivs angefüllt, wie Mrs. Bowlbys Worte ihm Anlaß
-gegeben hatten zu vermuten. Aber er beherbergte auf jeden Fall doch die
-respektable Anzahl von vier Kollegen Sherlock Holmes’. Der unter ihnen,
-der dem Aussehen nach seinem berühmten mageren Kollegen am ähnlichsten
-sah, war offenbar auch der Inspektor; denn bei Allans Eintreten bat er
-ihn, Platz zu nehmen und begann dann ihn zu verhören. Er saß an einem
-kleinen Tischchen, das mit Dokumenten und mystischen Dingen in Kuverts
-und Schachteln bedeckt war.</p>
-
-<p>Allan appellierte an seine Sherlock Holmes-Erinnerungen und zog den
-Schlußsatz, daß die Kuverts und Schachteln die „Spuren“ enthielten, die
-man gefunden hatte. Der magere Mann blätterte ein paar Seiten in seinem
-Notizbuch um und brachte die Füllfeder in Ordnung.</p>
-
-<p>„Sie sind Mr. Allan K—r—a—g—h?“</p>
-
-<p>Er buchstabierte den Zunamen, offenbar gänzlich abgeneigt, sich in
-irgendwelche phonetische Fallen zu verstricken.</p>
-
-<p>„Ja. Aus Schweden.“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_151">[S. 151]</span></p>
-
-<p>„Aus Schweden. Ja. Sie wohnen auf Nr. 417?“</p>
-
-<p>„Ja.“</p>
-
-<p>„Sie waren derjenige, der gegen halb drei Uhr nachts nach Hause kam
-und in Gesellschaft des Nachtportiers einen Versuch machte, die
-Einbruchsdiebe zu überraschen?“</p>
-
-<p>„Ich war es.“</p>
-
-<p>„Erzählen Sie, wie es kommt, daß Sie überhaupt eine Ahnung hatten, daß
-ein Einbruchsdieb hier war.“</p>
-
-<p>Allan begann zum dritten Male an diesem Morgen seine Erzählung in
-derselben Form wie früher, er beschrieb seinen Besuch im ‚Loch in der
-Wand‘, den Fremden, der ihn dort angesprochen, den Lift, der sie in den
-Feuerfresser-Klub geführt, das Erscheinen des Maharadschas in ihrer
-Loge, und wie ihm plötzlich der Verdacht aufgestiegen war, der ihn
-dann dazu gebracht hatte, aus dem Klub zu flüchten. Offenbar hatte der
-Detektivkommissar die Erzählung schon durch die Polizisten gehört, die
-in der Nacht dagewesen waren; denn er verglich sie mit einem Papier,
-das er bei sich hatte. Hier und da machte er eine Notiz. Er ließ Allan
-zu Ende sprechen, bevor er sein Verhör begann.</p>
-
-<p>„Wollen Sie den Mann, der Sie im ‚Loch in der Wand‘ ansprach, so genau
-Sie können, beschreiben.“</p>
-
-<p>„Er war ziemlich untersetzt, hatte ein viereckiges Gesicht, glänzende
-schwarze Haare und eine blauviolette Schattierung am Kinn und an den
-Wangen. Ich fürchte, nicht viel, wonach man sich richten kann. Er war
-in Abendkleidung. Er behauptete ein Deutscher zu sein; auf jeden Fall
-sprach er fließend Deutsch.“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_152">[S. 152]</span></p>
-
-<p>„Sie sprechen selbst Deutsch?“</p>
-
-<p>„Ja.“</p>
-
-<p>„Und der Mann, der in Gesellschaft des Maharadscha war?“</p>
-
-<p>„Das war ein Engländer, wenigstens sagten es die anderen; sie nannten
-ihn Stanton. Er war blond, scharfäugig und überaus korrekt seinem
-ganzen Aussehen nach — eine ungewöhnlich typische Rasseerscheinung,
-wenn ich so sagen darf.“</p>
-
-<p>Der Detektivinspektor blätterte einen Augenblick in seinen Papieren.</p>
-
-<p>„Sie hatten gestern abend die Adresse des mystischen Hauses vergessen.
-Sie ist Ihnen nicht etwa heute nacht eingefallen?“</p>
-
-<p>„Nein, ich hatte, als ich fortlief, zu große Eile, um daran zu denken,
-aber wenn Sie wissen, daß die kleine Schenke das ‚Loch in der Wand‘
-heißt —“</p>
-
-<p>„Es gibt hundert Bars mit diesem Namen und von diesem Aussehen in
-London. Wo war sie denn ungefähr gelegen?“</p>
-
-<p>„Etwa eine halbe Stunde weit von Leicester Square. Ich kenne mich
-in London nicht aus, aber ich glaube, so lange brauchte ich im
-gemächlichen Schlendern, um hinzukommen. — Darf ich eines fragen, Herr
-Inspektor?“</p>
-
-<p>„Lassen Sie hören!“</p>
-
-<p>„Der Maharadscha ist also nicht zurückgekommen?“</p>
-
-<p>„Nein, wir haben seit halb vier Uhr nachts Nachforschungen angestellt,
-aber sie mußten so diskret als möglich durchgeführt werden. Sowohl des
-Maharadschas,<span class="pagenum" id="Seite_153">[S. 153]</span> wie auch des Hotels wegen. Was uns freut, ist, daß der
-Einbruchsdiebstahl verhütet wurde.“</p>
-
-<p>Allan flog auf:</p>
-
-<p>„Darf ich fragen, woher Sie das wissen?“</p>
-
-<p>Der Detektivinspektor lächelte zum erstenmal.</p>
-
-<p>„Ich weiß es durch einen ... hm ... eigentümlichen Zufall ... Wie ist
-es denn, haben Sie nicht auch für Ihre eigene Person eine Anzeige zu
-machen?“</p>
-
-<p>Allan zuckte heftig zusammen. Das schlug jeden Rekord. Von solchem
-Detektivscharfsinn hatte er noch nie gelesen oder auch nur geträumt!
-Hatte der magere Inspektor seinen Geldverlust an der Art gemerkt, wie
-er sein Schuhband knüpfte, oder an irgendeinem Fleck auf dem linken
-Rockärmel? Er starrte den Inspektor an, ohne etwas zu sagen. Dieser zog
-lächelnd ein Papier aus dem Haufen vor sich und reichte es ihm.</p>
-
-<p>„Bitte lesen Sie,“ sagte er. „Das ist mit der ersten Morgenpost
-gekommen.“</p>
-
-<p>Allan nahm das Papier, das ihm gereicht wurde, und durchflog die Zeilen
-mit ihrer nur allzubekannten Schrift:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„An die Scotland Yard!</p>
-
-<p>Herr Allan Kragh aus Schweden, wohnhaft Zimmer Nr. 417 Grand Hotel
-Hermitage, wurde heute nacht zwischen halb drei Uhr und drei Uhr in
-seinem Zimmer um eine Summe von sechstausend schwedischen Kronen (in
-Tausendkronenscheinen) bestohlen.</p>
-
-<p>Der Verüber des Diebstahls möchte darauf aufmerksam machen, daß
-dies die überaus milde Strafe ist, die Herrn Kragh aufzuerlegen
-für angemessen befunden<span class="pagenum" id="Seite_154">[S. 154]</span> wurde, wegen seines Eingreifens in die
-andere Affäre, die sich in derselben Nacht im Grand Hotel Hermitage
-abspielte.</p>
-
-<p>Für den Fall, daß Herr Kragh die Sache noch nicht angezeigt haben
-sollte, gestatte ich mir hiermit Sie davon zu benachrichtigen.
-Herr Kragh ist ein liebenswürdiger junger Mann, der Ihre eifrigen
-Bemühungen verdient.</p>
-
-<p>In Eile</p>
-
-<p class="right mright2">Benjamin Mirzl.</p>
-
-<p><span class="antiqua">P. S.</span> Die Zeit gestattet mir nicht ‚alias‘
-hinzuzufügen.“</p>
-
-</div>
-
-<p>Der Detektivkommissar beobachtete lächelnd Allans Mienenspiel bei der
-Lektüre dieser Epistel.</p>
-
-<p>„Sie kennen Mirzl offenbar nicht, da Sie so überrascht sind,“ sagte er.</p>
-
-<p>„Ich kenne ihn nicht? O doch, ein bißchen, wie schon aus dem Brief
-hervorgeht. Und Sie? Kennen Sie ihn?“</p>
-
-<p>„Ich kann antworten wie Sie, ein bißchen! Er hat uns vor drei Jahren
-hier in London das Leben zur Hölle gemacht — die zehn Einbrüche in
-Regent Street, die Entführung des Ascotpokales, die Eskamotierung der
-irländischen Kronjuwelen und ein Dutzend anderer Dinge, die man ihm
-allerdings nicht direkt nachweisen kann, aber von denen wir schwören
-möchten, daß er dahinter steckt. Ja, wir kennen Herrn Mirzl ein wenig.
-Gottlob verließ er das Land nach den Ascotrennen und ging dazu über,
-sich den Behörden seiner Heimat unangenehm zu machen. Jetzt hat er das
-wohl satt bekommen und —“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_155">[S. 155]</span></p>
-
-<p>„Und wäre wohl nie über die Grenze gekommen, wenn ich ihm nicht dazu
-verholfen hätte!“</p>
-
-<p>Allan konnte es nicht unterlassen, diesen kleinen Trumpf auszuspielen.
-Die Detektivs hörten schweigend die Schilderung seines Abenteuers im
-Expreßzug an. Als er zu Ende gesprochen, sagte der Inspektor:</p>
-
-<p>„Ich will Ihnen einen guten Rat geben: sprechen Sie drüben nicht von
-dieser Geschichte, ich bezweifle, daß Sie eine Medaille dafür kriegen
-werden.“</p>
-
-<p>„Und welchen Dank ich von Mirzl selbst habe, haben Sie gesehen. Darf
-ich fragen: Da Sie nun wissen, daß Mirzl im Spiel gewesen ist, und
-so gründliche Untersuchungen angestellt haben, haben Sie doch wohl
-Hoffnung, ihn wenigstens diesmal zu fangen?“</p>
-
-<p>„Offiziell, offiziell,“ nickte der Detektivinspektor, „haben wir
-überaus günstige Hoffnungen. Aber was uns für den Augenblick beinahe
-noch mehr am Herzen liegt, als Herrn Mirzls habhaft zu werden, ist, Se.
-Königliche Hoheit Yussuf Khan zu finden.“</p>
-
-<p>Der Detektivinspektor verstummte und schlug mit gerunzelter Stirn
-sein Notizbuch ein Mal ums andere auf den Tisch. Allan fing einen
-gemurmelten Fluch auf, der sich den Weg aus seines Herzens Tiefen
-bahnte. Im selben Augenblicke wurde die Türe aufgerissen, und ein
-grimmiger alter Herr mit weißem Schnurrbart kam hereingestürzt. Allan
-erkannte in ihm den europäischen Mentor des Maharadscha, Oberst Morrel.</p>
-
-<p>„Na!“ rief er. „Neuigkeiten? Spuren?“</p>
-
-<p>Der Detektivinspektor schüttelte den Kopf.</p>
-
-<p>„Wir hoffen, im Laufe des Tages ...“ begann er.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_156">[S. 156]</span></p>
-
-<p>„Im Laufe des Tages, im Laufe der Woche, warum nicht gleich im Laufe
-des Jahres!“ brüllte der alte Oberst und stampfte auf den Boden, daß
-alles dröhnte. „Sie müssen, hören Sie, Sie müssen meinen schwarzen
-Ado — Seine Hoheit vor heute abend finden. Wir sind zum Empfang beim
-Minister für Indien gebeten, diesem Ziviltrott — hm, — für fünf Uhr.
-Tee, und der Himmel weiß was! Sie <em class="gesperrt">müssen</em> ihn bis dahin hier
-haben, hören Sie, sonst schlage ich alles kurz und klein —“</p>
-
-<p>„Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, Herr Oberst, ich würde eine Absage
-schicken. Unbedingt. Wenn wir noch irgendeinen Zweifel gehegt haben,
-daß Benjamin Mirzl im Spiel ist, so ist er nach der Aussage dieses
-jungen Herrn zerstreut; und Mirzl, der die irländischen Kronjuwelen
-gestohlen hat, hat wohl auch nichts dagegen, einen regierenden Fürsten
-zu stehlen —“</p>
-
-<p>„Dieser junge Herr! Wer, zum Geier, ist dieser junge Herr?“ Der Oberst
-starrte Allan an wie einen kleinen renitenten Trommelschläger.</p>
-
-<p>„Mr. Allan K—r—a—g—h,“ buchstabierte der Kommissar aus seinen
-Papieren, „aus Schweden.“</p>
-
-<p>„Schweden, Norwegen, ist mir total schnuppe. Wer zum Henker ist Mr.
-Allan K—r—a—g—h?“</p>
-
-<p>„Der Herr, der seine Fürstliche Hoheit in dem mystischen Klub, von dem
-Sie gehört haben, Herr Oberst, zuletzt gesehen hat!“</p>
-
-<p>„Ah—h—h!“ Der Oberst brüllte auf, wie ein zuschanden geschossener
-Tiger. „Sie waren es, Sir, der meinen schwarzen Ado — Se. Hoheit durch
-Gassen und Gäßchen in dieses verdammte Lokal hinaufgelockt<span class="pagenum" id="Seite_157">[S. 157]</span> hat, wo er
-jetzt ausgeraubt und ermordet liegt. Sie waren es, versuchen Sie nicht
-zu leugnen! Sie waren es!“</p>
-
-<p>Allan, der aufgestanden war, hatte alle Mühe, ernst zu bleiben.
-Der Oberst war burgunderrot vor Wut bei dem Gedanken an Allans
-Schurkenstreich. Wahrlich, es lohnte sich, gute Werke zu tun und die
-Kronjuwelen indischer Fürsten vor dem Gestohlenwerden zu retten! Es
-schien eine ebenso dankbare Sache, wie den Personen, welche besagte
-Juwelen zu stehlen wünschten, behilflich zu sein, sich ihrem allzu
-anhänglichen Vaterland zu entziehen.</p>
-
-<p>„Nicht ich habe Seine Hoheit dorthin gelockt —“</p>
-
-<p>„Doch, Sie! Das sieht man Ihnen an. Ich pfeife auf alles, was Sie da
-zusammenreden!“</p>
-
-<p>„Ich nicht,“ sagte Allan, der schon befürchtete, daß den Oberst bei
-seinem hartnäckigen Leugnen der Schlag treffen könnte. „Es war ein
-Mithelfer von Mirzl, von dem Sie den Herrn Inspektor sprechen gehört
-haben. Ich wurde selbst in den Klub hinaufgelockt —“</p>
-
-<p>„Haha! Hahaha! Hinaufgelockt! Arretieren Sie ihn doch, Inspektor! Er
-war es, zu allen Teufeln, das müssen Sie doch sehen und hören.“</p>
-
-<p>„Ich wurde selbst von einem anderen Genossen Mirzls in den Klub
-hinaufgelockt. Wir wurden freigebig mit Wein bewirtet, ich und der
-Maharadscha und der alte Hofdichter, die nach einer Weile in die Loge
-kamen, in der ich saß. Darf ich fragen, Herr Oberst, kennen Sie jemand,
-der Stanton heißt?“</p>
-
-<p>„Stanton? Stilton? Wer zum Teufel ist dieser Stanton?“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_158">[S. 158]</span></p>
-
-<p>„Das war der Mann, der Se. Hoheit dort hinaufgelockt hatte.“</p>
-
-<p>„Haha! Natürlich! Inspektor —“</p>
-
-<p>„Nach einiger Zeit gelang es mir durchzubrennen, und ich kam
-glücklicherweise noch zur rechten Zeit, um den Einbruch hier zu
-verhindern, der von Mirzl selbst in höchsteigener Person ausgeführt
-wurde. Er hatte sich so kostümiert, daß er mir ähnlich sah —“</p>
-
-<p>„Gütiger Gott im Himmel, Inspektor, hören Sie, oder sind Sie taub?
-Können Sie noch mehr Lügen dieses Menschen hinunterschlucken ohne
-daß Sie daran ersticken? Kostümiert wie <em class="gesperrt">er</em>. Da will ich doch
-gleich tot niederfallen, wenn ich je etwas Aehnliches gehört habe! Er
-<em class="gesperrt">war</em> es, natürlich, er <em class="gesperrt">war</em> es, wie ich Ihnen jetzt schon
-seit einer Stunde in die Ohren schreie!“</p>
-
-<p>„Lieber Oberst, darf ich Sie eines fragen: Kann man zugleich hinter und
-vor einer Türe sein?“</p>
-
-<p>„Natürlich, wenn man will!“</p>
-
-<p>„Das ist nämlich die einzige Möglichkeit dafür, daß der Portier diesen
-jungen Herrn einerseits durchs Eingangstor entfliehen sah und ihn
-andrerseits, als er mit den Konstablern heraufkam, übel zugerichtet
-hier im Zimmer fand.“</p>
-
-<p>„Dann ist er einfach durch das Loch im Boden wieder heraufgeklettert.“</p>
-
-<p>„Und ist also an den Wächtern vorbei in das Schlafgemach des
-Maharadscha gekommen und ohne Leiter durch das Loch im Boden hier
-herauf, um den Polizisten in die Arme zu laufen?“</p>
-
-<p>Der Oberst verstummte endlich. Die Möglichkeiten, die der Inspektor
-dafür dargelegt hatte, daß Allan der<span class="pagenum" id="Seite_159">[S. 159]</span> Verbrecher war, schienen sogar
-seiner bereitwilligen Phantasie etwas zu vage. Er sank auf einen Stuhl
-und wischte sich mit dem Taschentuch die Stirne.</p>
-
-<p>„Aber gütiger Gott im Himmel,“ stöhnte er, „der Minister erwartet uns
-um fünf Uhr mit Tee und der Himmel weiß was noch! Und mein Ruf! Und die
-Regierung in Indien!“</p>
-
-<p>„Sie sollten diesem jungen Mann dankbar sein,“ fuhr der Kommissar
-sanft, aber unerbittlich fort, „daß er doch wenigstens verhindert hat,
-daß die Juwelen gestohlen wurden. Es hing an einem Haar. Dankbar, ganz
-gewiß.“</p>
-
-<p>Der Oberst heftete ein blutunterlaufenes Auge auf Allan, das gerade
-keine lebhaftere Potenz von Dankbarkeit ausdrückte. Er murmelte etwas
-Unhörbares, sprang auf und stürzte zur Türe hinaus.</p>
-
-<p>Allan sah den Kommissar an, der sein Lächeln erwiderte. Im selben
-Augenblicke wurde die Türe aufgerissen, und Mrs. Bowlby sauste herein
-wie eine grüne Bombe. Sie erblickte Allan und pflanzte sich vor ihm auf.</p>
-
-<p>„Haben Sie ihnen von Langtreys Frau erzählt?“ rief sie, sich bald zu
-Allan, bald zum Kommissar umwendend. „Ja?“</p>
-
-<p>„Langtreys Frau?“ fragte der Kommissar. „Wer ist denn das?“</p>
-
-<p>„Eine gräßliche Person,“ rief Mrs. Bowlby triumphierend. „Gräßlich. Sie
-steckt hinter der ganzen Geschichte, Sie werden schon sehen.“</p>
-
-<p>„Darf ich einen von Ihnen bitten, zu erzählen, aber<span class="pagenum" id="Seite_160">[S. 160]</span> so klar als
-möglich,“ sagte der Kommissar und ergriff die Feder.</p>
-
-<p>„Darf ich, Mrs. Bowlby?“ sagte Allan.</p>
-
-<p>Mrs. Bowlby nickte, indem sie sich triumphstrahlend bereit hielt, alle
-erforderlichen Randbemerkungen beizusteuern. Allan begann:</p>
-
-<p>„Unmittelbar vor dem Verhör ist mir eine Sache eingefallen, die mir
-zu denken gegeben hat, Herr Inspektor. Offenbar hat Mirzl und seine
-Bande über alles, was im Grand Hotel Hermitage vorging, durch Spione
-genaue Kontrolle ausgeübt. Es können ja Bediente, Kammerjungfern,
-Kellner, Laufburschen gewesen sein, von denen es hier wimmelt. Durch
-sie wußten sie Bescheid über die Lokalitäten, und auch, daß ich mich
-mit der Familie Bowlby, die die Zimmerflucht über Seiner Hoheit hat,
-angefreundet habe. Sie haben erfahren, daß Mr. Bowlby mit Familie
-gestern bis spät nachts ausbleiben würde. Diese Sache war schon Freitag
-bestimmt, und sie haben sofort ihren Coup geplant. Daß er unter
-normalen Verhältnissen diese Form angenommen haben würde, nämlich
-daß Mirzl sich gerade in meine Gestalt gehüllt hätte, ist wohl nicht
-ausgemacht, wenn auch immerhin möglich. Aber nun kam hinzu, daß Mr.
-Bowlby mich gestern, bevor er vom Mittagstisch aufstand, freundlich
-aufforderte, ungeniert in sein Rauchzimmer hinaufzukommen, wenn ich
-Lust hätte, einen Whisky mit Soda zu trinken. Dies war gegen acht Uhr,
-und Mr. Bowlby versprach sogar, seinen Diener zu verständigen, daß ich
-vielleicht kommen würde. Frappiert Sie dieses Detail? Wir waren damals<span class="pagenum" id="Seite_161">[S. 161]</span>
-allein bei Tisch; es war niemand vom Personal in der Nähe. Sollte
-Mirzl das im letzten Moment erfahren haben, hat es ihn natürlich in
-seiner Wahl der Verkleidung bestimmt. Aber wie konnte er es erfahren
-haben? Wie ich Ihnen schon sagte, war niemand von der Dienerschaft in
-der Nähe. Aber kurz nachdem Mr. Bowlby mit seiner Familie gegangen
-war, warf ich zufällig einen Blick nach rechts, von unserem Tisch
-aus gerechnet; und da, tief im Schatten der Palmen, die diesen Teil
-des Speisesaales dekorieren, und so gut wie von ihnen verborgen, saß
-eine Dame, von der Mrs. Bowlby behauptet, daß sie von zweifelhaftem
-Charakter ist, eine Amerikanerin aus guter Familie, die vor mehreren
-Jahren aus Amerika durchgegangen ist und sich vermutlich hier in Europa
-mit einem Abenteurer zusammengetan hat. Ihr Name ist Mrs. Langtrey ...“</p>
-
-<p>„Und heute,“ ertönte Mrs. Bowlbys schrille Stimme wie ein Trompetenton,
-„heute um halb acht Uhr morgens ist Mrs. Langtrey aus dem Hotel
-verschwunden, nachdem sie ein Lokal-Expreßtelegramm bekommen hat!“</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_162">[S. 162]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="VIII">VIII<br />
-
-<em class="gesperrt">Mynheer van Schleetens Erlebnisse</em></h2>
-
-</div>
-
-<p>Mynheer van Schleetens Leben hatte seine Wechselfälle gehabt; das
-Angenehme daran für Mynheer van Schleeten war, daß sie sich in einer
-stets aufsteigenden Kurve bewegt hatten. Aus einem Unbekannten war
-er eine europäische Berühmtheit geworden; aus einem armen Schlucker
-ein reicher Mann, aus einem reichen ein noch reicherer. In dem
-Jahre, in dem Yussuf Khan von Nasirabad seinen ersten Besuch in dem
-Weltteil machte, war Herr van Schleeten in demselben der berühmteste
-Juwelenspezialist. Wie Mr. Bowlby schon Allan Kragh mitgeteilt hatte,
-hatte er das Diadem angefertigt, das die französische Republik bei
-einem denkwürdigen Anlaß der Kaiserin von Rußland sandte, und noch ein
-Dutzend ähnlicher Dinge. Sein Hauptgeschäft war in Amsterdam, aber sein
-Beruf brachte es mit sich, daß er sich fast ebensoviel in Berlin, Paris
-und London aufhielt wie in seiner Heimatstadt. In allen diesen Städten
-hatte er Filialen oder Korrespondenten.</p>
-
-<p>Ende August des obenerwähnten Jahres hatte er in Berlin (wo er sich im
-Auftrage eines später geadelten Finanzmannes befand, dessen Name mit
-B. anfängt) einen Brief von seinem Korrespondenten in London erhalten,
-daß ein gewisser Oberst Morrel seine Dienste<span class="pagenum" id="Seite_163">[S. 163]</span> für seinen Schützling,
-den Maharadscha von Nasirabad wünsche. Mynheer van Schleeten, der noch
-nie mit orientalischen Fürsten zu tun gehabt, aber um so mehr von ihren
-Juwelen gehört hatte, hatte sich beeilt, das Anerbieten anzunehmen,
-namentlich da es von einem sehr schmeichelhaften Honorarvorschlag
-begleitet war. Er teilte seine Freude den Zeitungen mit, die sich in
-mehreren Notizen mit ihm freuten. Es handelte sich um neue Fassungen
-und Aenderungen der Edelsteine des Maharadscha. Der junge Fürst war
-etwas exzentrisch, und war der Dinge, die seit tausend Jahren dasselbe
-Aussehen hatten, müde geworden.</p>
-
-<p>Anfangs September reiste Mynheer van Schleeten nach Hamburg, wo er ein
-kleineres Geschäft hatte; und am selben Tage, an dem Herr Allan Kragh
-aus Schweden in dieser Stadt ankam, verließ Herr van Schleeten sie mit
-dem Morgenexpreß nach Paris, wohin ihn eine kleine Angelegenheit rief,
-die ihm gestattete, ganz bequem zur festgesetzten Zeit in London zu
-sein.</p>
-
-<p>Mynheer van Schleetens Erlebnisse begannen im Expreß.</p>
-
-<p>Er war als Holländer ein phlegmatischer Herr; die Erfolge, die er in
-seinem fast sechzigjährigen Leben gehabt, hatten dazu beigetragen,
-dieses holländische Phlegma noch zu erhöhen. Er ereiferte sich selten;
-er hatte nur zwei Passionen, denen er sich in passender, phlegmatischer
-Weise hingab. Die eine, die mit den Jahren gekommen war, galt altem
-molligem Bordeaux; die andere, die mit den Jahren etwas abgenommen
-hatte, jungen molligen Frauen. Mynheer van<span class="pagenum" id="Seite_164">[S. 164]</span> Schleetens Jugend war von
-verschiedenen lustigen Soupers in Damengesellschaft belebt gewesen;
-sein phlegmatisches Temperament hatte ihn jedoch abgehalten, so oft zu
-soupieren, daß es ihm die Fähigkeit oder die Freude am Dinieren geraubt
-hätte. In späteren Jahren hatte Herr van Schleeten viel häufiger
-diniert als soupiert. Das ging auch aus seinem Aussehen hervor; seine
-Nase war groß, gebogen, und hatte allmählich die Farbe des guten
-französischen Weines angenommen, in dem er sie am liebsten spiegelte.
-Sein gelbgrauer Schnurrbart war bei diesen Libationen gewachsen wie
-ein Baum, am Bachesrand gepflanzt; und wenn Herr van Schleeten jetzt
-trank, hing er auf das Bordeauxglas herab wie ein Grasbüschel über ein
-Bächlein.</p>
-
-<p>Diese Bemerkungen werden vorausgeschickt, um Herrn van Schleetens
-Abenteuer im Expreß Hamburg-Köln und später zu erklären.</p>
-
-<p>Sogleich, nachdem Herr van Schleeten seinen Platz in einem Coupé erster
-Klasse eingenommen hatte, — seiner Gewohnheit gemäß den Fensterplatz
-in der Fahrtrichtung — kam eine Dame ins Coupé. Sie betrachtete einen
-Augenblick Herrn van Schleeten, der sie seinerseits betrachtete. Er
-konstatierte, daß sie jung, ziemlich mollig war und sehr hübsch aussah,
-wenn auch ein bißchen hochmütig, und daß er folglich in der Zeit seines
-Leichtsinnes nichts dagegen gehabt hätte, mit ihr zu soupieren. Welche
-Resultate ihre Prüfung seiner Person ergaben, ist unbekannt; jedoch
-waren sie offenbar befriedigend, denn sie placierte ihre Reiseeffekten
-in das Netz und sich selbst auf dem Sitz gegenüber<span class="pagenum" id="Seite_165">[S. 165]</span> Herrn van
-Schleeten. Dann setzte sich der Zug in Bewegung, und Herr van Schleeten
-versenkte sich, um seine phlegmatische Natur zu dokumentieren, in das
-Studium der Morgenzeitungen.</p>
-
-<p>Es dauerte bis Bremen, bevor sich etwas ereignete.</p>
-
-<p>Kaum war der Zug in dieser Station stehen geblieben, als Herr van
-Schleeten Schritte im Korridor hörte und sah, wie die Türe seines
-Coupéabteils von einem jungen Manne geöffnet wurde, der auf der Suche
-nach einem Platz zu sein schien. Herr van Schleeten konstatierte, daß
-der junge Mann ein ganz sympathisches Aussehen hatte; aber da er es
-höchst ungerne sah, wenn das Coupé, in dem er reiste, mehrere Personen
-beherbergte, betrachtete er den jungen Mann mit einer bestimmten,
-barschen, abweisenden Miene, die ausdrücken sollte: Gehen Sie in
-das nächste Coupé, junger Freund. Ohne sich im geringsten daran zu
-kehren, ließ sich der junge Mann ungeniert auf Herrn van Schleetens
-Sofa nieder, ihm dadurch alle Chancen raubend, sich nach dem Lunch
-auszustrecken und ein kleines Schläfchen zu machen. Herr van Schleeten
-repetierte seinen barsch abweisenden Blick und legte noch eine Portion
-wohlerzogenen Staunens über ein solches Betragen hinein. Leider merkte
-er, daß dieser Blick an den jungen Mann (der übrigens gar kein Gepäck
-hatte) verschwendet war; dieser war ganz und gar damit beschäftigt,
-Herrn van Schleetens schönes Visavis mit den Augen zu verschlingen; sie
-ihrerseits schien eingeschlummert zu sein. Herr van Schleeten gab sich
-selbst seine Ansichten über die jungen Leute von<span class="pagenum" id="Seite_166">[S. 166]</span> heute kund, und nahm
-nach einer Weile sein Studium der Morgenblätter wieder auf.</p>
-
-<p>Die nächste Episode ereignete sich, als der Zug etwa eine halbe Stunde
-weitergesaust war. Die Coupétüre wurde plötzlich wieder geöffnet,
-diesmal zu Herrn van Schleetens Befriedigung vom Kondukteur, der die
-Fahrkarten zu sehen wünschte. Der junge Mann wies die seine vor, die
-zu Herrn van Schleetens Enttäuschung in Ordnung zu sein schien. Der
-Schaffner wendete sich nun an Herrn van Schleeten, betrachtete seine
-Fahrkarte und hustete dann zweimal ein „Gnädige“, um die Aufmerksamkeit
-der jungen Dame zu erregen, die Herrn van Schleeten gegenüber saß. Dies
-erwies sich jedoch als vergeblich. Sie schlief noch immer. Der junge
-Mann schien einen Augenblick nachzudenken, dann beugte er sich vor und
-tätschelte Herrn van Schleetens Visavis sanft das Knie.</p>
-
-<p>Die Wirkung war eine momentane. Die junge Dame schnellte von ihrem
-Platze auf, warf ihm einen furchtbaren, empörten Blick zu, starrte um
-sich, reichte dem Schaffner die Karte und brach dabei in eine Sturzflut
-von englischen Worten aus: Wie konnte dieser junge Mann es wagen?
-Was meinte er eigentlich? Konnte man nicht in Europa reisen (sie war
-also Amerikanerin), ohne beleidigt zu werden? Herr van Schleeten fand
-ihren Zorn etwas übertrieben, in Gedanken an die Damen amerikanischer
-Abstammung, die er sowohl am Knie wie auch anderswo getätschelt hatte;
-aber als er bedachte, daß er durch eine feindselige Haltung den jungen
-Mann möglicherweise von seinem (Herrn van Schleetens) Sofa vertreiben<span class="pagenum" id="Seite_167">[S. 167]</span>
-konnte, hütete er sich wohl, sie zu unterbrechen. Plötzlich wendete sie
-sich an ihn:</p>
-
-<p>„Sir, haben Sie gesehen, ob dieser junge Mensch sich noch andere
-Freiheiten gegen mich herausgenommen hat, während ich schlief?“</p>
-
-<p>„Ich weiß nicht,“ sagte Herr van Schleeten diplomatisch, noch immer in
-Gedanken an sein kleines Mittagschläfchen. „Ich habe Zeitungen gelesen.“</p>
-
-<p>„Es ist gut!“</p>
-
-<p>Sie setzte ihre Ausfälle gegen den jungen Mann fort, der zuerst ganz
-verblüfft zugehört hatte und nun zu einer Entgegnung ansetzte. Sie
-unterbrach ihn sofort.</p>
-
-<p>„Wie können Sie es wagen, mich anzusprechen?“</p>
-
-<p>Nun wurde es ihrem Widersacher zu toll. Er erhob sich zu Herrn van
-Schleetens Entzücken von dem Sofa und verschwand in den Korridor.
-Im selben Augenblick verspürte Herr van Schleeten eine leise Reue,
-daß er dazu geholfen hatte, ihn in die Flucht zu jagen: es würde
-wohl nicht sehr angenehm sein, allein mit solch einer empfindlichen,
-streitsüchtigen, kleinen Xantippe zu reisen. Kaum war jedoch der
-junge Mann zur Türe hinaus, als sie ihr Aussehen veränderte wie ein
-Aprilhimmel und sich mit dem sonnigsten Lächeln der Welt Herrn van
-Schleeten zuwendete:</p>
-
-<p>„Ich war vielleicht ein bißchen heftig,“ sagte sie, „aber ich kann nun
-einmal die Zudringlichkeit solcher junger Laffen nicht vertragen.“</p>
-
-<p>Sie legte einen Akzent auf „solche junge Laffen“, der Herrn van
-Schleeten angenehm berührte. Er konstatierte, daß sie weiße starke
-Zähne hatte, und daß<span class="pagenum" id="Seite_168">[S. 168]</span> ihre Augen, wenn sie lächelte, ungewöhnlich
-anziehend waren. Der Farbe nach waren sie grau; grau war mit den Jahren
-Herrn van Schleetens Lieblingsfarbe geworden, nachdem er in allzuviel
-blaue und schwarze Augen zu tief gesehen und dafür hatte büßen müssen.</p>
-
-<p>„Madame,“ sagte er, „die Zudringlichkeit dieses jungen Mannes war
-einfach unerhört.“</p>
-
-<p>Bald waren sie in ein interessantes Gespräch vertieft, das nur dadurch
-unterbrochen wurde, daß der Speisewagenkellner in ihr Coupé kam und
-meldete, daß das Diner serviert sei. Obgleich Herr Van Schleeten jetzt
-mit sich schon darüber einig war, daß er gar nichts dagegen hätte,
-mit seinem Visavis zu soupieren, schob er den Gedanken daran doch bis
-auf weiteres auf, und schlug ihr vor, mit ihm zu dinieren. Sie nickte
-gnädig:</p>
-
-<p>„Natürlich unter der Voraussetzung, daß ich selbst für mich bezahle.“</p>
-
-<p>Herr van Schleeten verbeugte sich.</p>
-
-<p>Nach dem Mittagessen, das bei gutem alten Bordeaux auf das angenehmste
-verstrichen war, vergingen einige Stunden, bis Herr van Schleeten
-wieder etwas von dem jungen Mann sah, der gedroht hatte, ihn seines
-Mittagschläfchens zu berauben. Gegen die junge Dame, die ihm diesen
-Genuß nun tatsächlich geraubt hatte, hegte er keinerlei Groll; sie
-hatte ihm durch ihre höchst flirtoyante Konversation soviele andere
-bereitet. Der Zug stand in Köln, als Herr van Schleeten und die junge
-Amerikanerin, deren Name, wie er jetzt wußte, Mrs. Langtrey war,
-durch aufgeregte Stimmen im Korridor mitten aus einem interessanten
-Meinungsaustausch,<span class="pagenum" id="Seite_169">[S. 169]</span> ob gemeinschaftliche Schulen für Knaben und Mädchen
-ratsam seien, gerissen wurden. Sie blickten hinaus und sahen den jungen
-Mann, der sie beide zum Zorn gereizt hatte, in Gesellschaft eines
-Polizeikonstablers und eines Zivilisten verschwinden, den Herr van
-Schleeten sofort als Detektiv agnoszierte. Herr van Schleeten sah Mrs.
-Langtrey an. Mrs. Langtrey sah ihn an und rief:</p>
-
-<p>„Sehen Sie, was habe ich gesagt! Ich habe es förmlich im Gefühl, wenn
-ich in der Nähe eines Verbrechers bin!“</p>
-
-<p>Während Herr van Schleeten ihr seine Bewunderung für diese Clairvoyance
-ausdrückte, mußte er sich selbst gestehen, daß seine Gefühle für sie
-durchaus nicht telepathischer Natur waren.</p>
-
-<p>Bei der Ankunft in Paris um halb elf Uhr abends machte es sich ganz
-natürlich, daß sie im selben Hotel abstiegen. Herr van Schleeten wählte
-ein ruhiges Familienhotel in der Nähe der Madeleinekirche, und sie
-erklärte sich damit einverstanden. Wie sie sagte, war sie noch nie in
-Paris gewesen. Sie war mit einem der Schiffe der Hamburg-Amerika-Linie
-herübergekommen und reiste nur, um den Schmerz über den Verlust ihres
-ersten Mannes zu betäuben, der gestorben war, und einem zudringlichen
-Freier auszuweichen, der sich einbildete, daß sie ihn liebte.</p>
-
-<p>Herr van Schleeten war gerne bereit, ihr schon am ersten Abend in Paris
-behilflich zu sein, alle Schmerzen zu vergessen, aber er fand keine
-Gelegenheit dazu. Nach einer Tasse Tee verschwand Mrs. Langtrey in ihr
-Zimmer.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_170">[S. 170]</span></p>
-
-<p>Zwei Tage später fuhren sie nach London, noch immer zusammen. Sie hatte
-ein Telegramm bekommen, das sie zwang, am selben Morgen wie Herr van
-Schleeten hinzufahren; sie würde im Grand Hotel Hermitage absteigen.
-Bei der Ankunft in Charing Croß drückte sie Herrn van Schleeten so
-ungeschminkt herzlich die Hand, wie es nur eine junge Amerikanerin
-wagt, und bat ihn am nächsten Tage zum Diner im großen Hotel ihr Gast
-zu sein.</p>
-
-<p>Dieses Diner war entzückend; vor allem dekretierte sie mit
-Prinzessinnenmiene, daß nur sie allein bezahlen dürfe. Herr van
-Schleeten war der Gastgeber vieler junger Damen gewesen, doch nie der
-Gast einer Dame. Es war ein eigentümlich prickelndes Gefühl, so etwa
-wie ein neuer holländischer Likör. Er beeilte sich zu betonen, daß dies
-nur unter der Voraussetzung denkbar sei, daß sie sobald als möglich mit
-ihm im Savoy soupieren wollte. Sie akzeptierte, immer mit derselben
-freimütigen Prinzessinnenmiene.</p>
-
-<p>Beim Abschluß dieses Mittagessens entdeckten Herr van Schleeten und
-seine Partnerin zu ihrem Staunen an einem Tisch im Speisesaal des
-Hotels keinen Geringeren als den jungen Mann aus dem Eisenbahnzug.</p>
-
-<p>„Sollten wir nicht eigentlich die Polizei verständigen, Mrs. Langtrey?“
-sagte Herr van Schleeten.</p>
-
-<p>Mrs. Langtrey schüttelte ihr schönes Haupt.</p>
-
-<p>„Ich liebe meine Nächsten immer, wenn ich Champagner getrunken habe,“
-sagte sie.</p>
-
-<p>Herr van Schleeten beschloß, daß beim Souper im<span class="pagenum" id="Seite_171">[S. 171]</span> Savoy Champagner und
-nicht Bordeaux serviert werden sollte.</p>
-
-<p>Dies war Donnerstag, den 11. September. Herrn van Schleetens Geschäfte
-zwangen ihn zu einer Spritztour nach Amsterdam, die auf die nächsten
-drei Tage Beschlag legte. Als er Montag, den fünfzehnten, zu früher
-Morgenstunde nach London zurückkehrte, erwartete ihn die Mitteilung,
-daß Seine Hoheit, der Maharadscha von Nasirabad am selben Tage in
-der Weltstadt eintreffen sollte, und, um sobald als möglich mit
-präsentablen Juwelen auftreten zu können, sein sofortiges Erscheinen im
-Grand Hotel Hermitage wünschte.</p>
-
-<p>Herr van Schleeten empfand einen Augenblick Verwunderung, daß Seine
-Hoheit und Mrs. Langtrey dasselbe Hotel gewählt hatten, aber vergaß
-sie bald über der angenehmen Perspektive, sie im Hotel zu treffen und
-das Datum für das kleine Souper festzusetzen, das er nun halb und halb
-an einen bedeutend diskreteren Ort als das Savoy zu verlegen gedachte,
-beispielsweise seine eigene überaus diskrete Privatwohnung. Er verfügte
-sich ohne Aufschub in das Hotel.</p>
-
-<p>Der Direktor empfing ihn selbst und führte ihn in die Suite des
-Maharadscha im ersten Stock. Nach ein paar Minuten des Wartens wurde
-Herr van Schleeten in die Privaträume des Maharadscha geleitet, und sah
-sich einem bräunlichen, etwas korpulenten, jungen Manne mit dunklem
-Schnurrbart gegenüber, offenbar Sr. Hoheit, einem graubärtigen alten
-Hindu, dessen Identität ihm unbekannt blieb, und einem Engländer von
-militärischem Typus mit weißem Schnurrbart. Der letztere ergriff das
-Wort:</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_172">[S. 172]</span></p>
-
-<p>„Sie sind Mr. van Schleeten aus Amsterdam, Spezialist in Juwelen?“</p>
-
-<p>„Ja.“</p>
-
-<p>„Seine Hoheit wünscht Sie wegen Aenderungen einiger besonders
-wertvoller Schmuckstücke zu konsultieren. Sie verstehen, besonders
-wertvoll!“</p>
-
-<p>„Wertvoll!“ unterbrach der junge Maharadscha, „Morrel Sahib, wie könnt
-Ihr sie wertvoll nennen! Sie sind ebenso unwürdig der weißen Fürstinnen
-wie ich selbst. Vielleicht können sie ihrer würdig werden durch die
-Hilfe dieses Mannes, dessen Belohnung und Ehre in solchem Falle nicht
-gering sein werden.“</p>
-
-<p>„Kann ich die Schmucksachen sehen?“ sagte Herr van Schleeten, der
-fand, daß dieser Meinungsaustausch den Juwelen kein gutes Prognostikon
-stellte, und der an Mrs. Langtrey dachte.</p>
-
-<p>Auf einen Ruf von Oberst Morrel öffneten sich die Türen zu
-einem inneren Gemach, und zwei schwarze Diener von ernstem und
-drohendem Aussehen kamen herein, eine eisen- und kupferbeschlagene
-Mahagonikassette von ansehnlichen Proportionen schleppend. Die
-schwarzen Diener verschwanden wieder, Herr van Schleeten wurde
-aufgefordert, sich abzuwenden und hörte einiges Knirschen und Knacken.
-Offenbar wurde diese Kassette durch ein verwickeltes Sesam geöffnet, in
-das man ihn nicht einweihen wollte.</p>
-
-<p>Nun, wenn die Steine nicht besser waren, als der Maharadscha meinte,
-dann! Glaubten sie vielleicht, daß er das erstemal Juwelen sah? Nun
-wurde er aufgefordert, sich umzudrehen. Er tat es und wäre fast
-umgefallen.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_173">[S. 173]</span></p>
-
-<p>Natürlich hatte er von den Juwelenkammern der orientalischen
-Fürsten gehört und hatte selbst die Mehrzahl ihrer europäischen
-Kollegen gesehen, aber das übertraf seine wildesten Phantasien.
-Das war Tausendundeine Nacht. Das war der Todesstoß sogar für sein
-holländisches Phlegma. Eine Flut von verschiedenfarbigen Steinen, von
-denen ein jeder würdig war, ein Kronjuwel zu sein; ein Springbrunnen
-von Licht; schwere blaue Trauben von Saphiren; Perlenschnüre, die sich
-durch das Juwelengewühl ringelten wie matt blinkende graue Schlangen;
-Smaragden, brennend wie Raubtieraugen; ein Blutgeriesel von Rubinen
-über dem Ganzen, so, als wäre irgendein unredlicher Wächter über
-der Truhe geköpft und gezwungen worden, sein Blut über ihren Inhalt
-sprühen zu lassen — und überall zwischen die anderen versprengt,
-Diamanten und Diamanten, deren kaltes Feuer wie Wintersterne und
-Nordlicht flammte. Diese ganze Eruption von farbenstrahlendem, aus sich
-selbst geborenem Licht, die Herrn van Schleeten entgegengeschleudert
-wurde, benahm ihm fast den Atem. Erst nach einiger Zeit sah er die
-Einzelheiten, die seltenen Steine, deren Ton von dem normalen abwich;
-schwarze Diamanten und Diamanten, deren blaue Farbe die Morgenbläue
-um die Bergfirne des Himalaya war; Smaragden, deren grüner Glanz in
-einen Opalton überging wie ein eben entflammter Abendhimmel, Rubine,
-deren rotes Blut einen Stich ins Blaue hatte, wie um ihren uralten Adel
-zu zeigen — schließlich auch die Goldfassung um die Steine. Sie war
-schwer, phantastisch, zuweilen grotesk, aber welcher Gedanke, sie zu<span class="pagenum" id="Seite_174">[S. 174]</span>
-modernisieren! Herr van Schleeten schöpfte tief Atem und stammelte an
-den Maharadscha gewendet:</p>
-
-<p>„Und Hoheit wollen, daß ich das ändere?“</p>
-
-<p>„Natürlich,“ sagte Yussuf Khan würdevoll. „Warum hätte ich Euch sonst
-durch Oberst Morrel Sahib rufen lassen? Er hat mir gesagt, daß Ihr in
-Europa der erste unter jenen seid, die edle Steine behandeln. Obwohl
-die meinen von geringem Werte sind und Euch nicht fesseln können, bitte
-ich Euch doch, sie der weißen Fürstinnen so würdig zu machen, als sie
-werden können. Wisset, daß ich in Europa bin, um eine Sahibprinzessin
-zu erringen. Und denkt daran, wenn Eure Hand an diesen Steinen
-arbeitet. Euer Lohn und Eure Ehre werden groß sein.“</p>
-
-<p>Herr van Schleeten, dessen Augen an der Kassette und ihrem Inhalt
-hingen, wie die des Vogels am Reptil, wollte eben neue Einwände
-erheben, als Oberst Morrel ihm zuvorkam.</p>
-
-<p>„Die Sache ist durch den Willen Seiner Hoheit entschieden,“ sagte er
-scharf. „Wollen Sie die Arbeit übernehmen oder müssen wir uns an einen
-anderen wenden? Lassen Sie mich das gleich wissen.“</p>
-
-<p>Herr van Schleeten stand noch einen Augenblick stumm da, bevor es ihm
-gelang zu erwidern:</p>
-
-<p>„Natürlich ... wenn es der Wille Seiner Hoheit ist ... Aber darf ich
-fragen, in welcher Richtung Seine Hoheit wünscht, daß ...“</p>
-
-<p>„Welche Richtung immer,“ unterbrach der Oberst. „Bestimmen Sie selbst.
-Es ist ja Ihre Spezialität.“</p>
-
-<p>Herr van Schleeten stand einen Augenblick stumm da und hörte den Oberst
-in sich hineinmurmeln:</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_175">[S. 175]</span></p>
-
-<p>„Welche gottverdammte Richtung immer, kommt schon auf eins heraus.“</p>
-
-<p>Herr van Schleeten begann zu verstehen, wie die Dinge standen, und fuhr
-fort:</p>
-
-<p>„Ist es gestattet, daß ich die Juwelen Seiner Hoheit in mein Atelier
-hier in London bringe, oder —“</p>
-
-<p>„Sie müssen hier arbeiten,“ sagte der Oberst. „Sie bekommen ein Zimmer
-zu Ihrer Verfügung, und dorthin müssen Sie die Instrumente, die Sie
-brauchen, schaffen lassen. Außerdem müssen Sie schon entschuldigen,
-wenn vor dem Arbeitszimmer von der Leibgarde Sr. Hoheit Wache gehalten
-wird. Es ist nicht Ihretwegen, sondern um einem Attentat von außen
-vorzubeugen.“</p>
-
-<p>„Ich verstehe,“ murmelte Herr van Schleeten, den Blick auf die Kassette
-und ihren Inhalt geheftet. „Und wann soll ich anfangen?“</p>
-
-<p>„Sobald als möglich, sobald als möglich!“ rief der Maharadscha eifrig.
-„Am besten heute.“</p>
-
-<p>„Heute, fürchte ich, muß ich mich damit begnügen, meine Instrumente
-herzubringen,“ sagte Herr van Schleeten, „aber morgen.“</p>
-
-<p>„Nun gut, morgen! Und Ihr versprecht, so rasch zu arbeiten, als Ihr
-könnt, nicht wahr? Eure Ehre und Eure Belohnung werden nicht gering
-sein, so wahr ich Yussuf Khan von Nasirabad bin, Sohn des Ibrahim Khan.“</p>
-
-<p>„Ich werde mein Möglichstes tun, Hoheit,“ sagte Herr van Schleeten und
-verabschiedete sich unter tiefen Verbeugungen. „Wenn es notwendig sein
-sollte, werde ich Tag und Nacht arbeiten.“</p>
-
-<p>Der Maharadscha klatschte vor Freude in die Hände,<span class="pagenum" id="Seite_176">[S. 176]</span> als er zur Türe
-hinausschritt. Herr van Schleeten sah die schwarzen Diener auf einen
-Ruf ihres Herrschers hereineilen.</p>
-
-<p>Zu seiner Enttäuschung fand er, daß Mrs. Langtrey ausgegangen war, als
-er sich beim Portier nach ihr erkundigte. Er schrieb einige Zeilen,
-in denen er sie fragte, ob er sie nicht treffen könnte, bevor er am
-nächsten Tage seine Arbeit in der Wohnung des Maharadscha begann, und
-bat den Portier sie zu übergeben.</p>
-
-<p>Dies war am 15. September. Dienstag, der 16., brachte für Herrn van
-Schleeten ungeahnte Ueberraschungen.</p>
-
-<p>Schon aus dem Gesicht des Portiers konnte er, als er sich gegen zehn
-Uhr im Grand Hotel Hermitage einfand, sehen, daß nicht alles so war,
-wie es sein sollte. Er war kaum zur Türe herein, als der Portier den
-Direktor anklingelte und ihn bat, ins Kontor hinunterzukommen. Herr van
-Schleeten beugte sich diskret zum Portier vor.</p>
-
-<p>„Ich habe Ihnen gestern ein Briefchen gegeben,“ sagte er mit einem
-bedeutungsvollen Blick und strich sich seinen gelbgrauen Schnurrbart.</p>
-
-<p>Der Portier schien einen Augenblick nachzudenken.</p>
-
-<p>„Ach ja!“ sagte er, „gewiß. An die Dame auf Nr. 320/21. Sie ist
-abgereist, ohne eine Antwort zu hinterlassen.“</p>
-
-<p>„<em class="gesperrt">Sie ist abgereist!</em>“</p>
-
-<p>In seiner Verblüffung und Enttäuschung sprach Herr van Schleeten in
-gesperrten Lettern wie ein Schauspieler.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_177">[S. 177]</span></p>
-
-<p>„Sie ist heute morgen abgereist,“ sagte der Portier, „so gegen halb
-acht. Kurz zuvor ist ein Expreß-Telegramm gekommen.“</p>
-
-<p>„Aus Amerika,“ murmelte Herr van Schleeten, plötzlich überzeugt, daß
-der zudringliche Freier aufgetaucht war. Was würde nun aus dem Souper
-werden?</p>
-
-<p>„Nein, aus Paddington,“ sagte der Portier. „Ich habe es zufällig auf
-dem Blankett gesehen. Hier kommt der Herr Direktor.“</p>
-
-<p>Herr van Schleeten, der in diesem Augenblick den Direktor des großen
-Hotels durch die Halle herankommen sah, war von dem Schlage, den der
-Portier ihm ahnungslos versetzt hatte, so betäubt, daß er weder denken
-noch sprechen konnte. Es dauerte darum eine Weile, bis er merkte, daß
-der Direktor ebenso aufgeregt war wie er selbst.</p>
-
-<p>Er blieb vor Herrn van Schleeten stehen und schien nach Worten zu
-suchen. Endlich fiel es Herrn van Schleeten auf, wie eigentümlich es
-doch war, daß man den Direktor überhaupt gerufen hatte. Er hatte ja gar
-nichts mit ihm zu tun. Er wollte eben fragen, was denn los sei, als der
-Direktor sich zu einem Entschluß aufzuraffen schien.</p>
-
-<p>„Wollen Sie mit mir zum Herrn Oberst kommen, Herr van Schleeten,“ sagte
-er. „Sprechen Sie mit ihm selber; das wird das beste sein.“</p>
-
-<p>„Ja, was gibt es denn?“ fragte Herr van Schleeten erstaunt.</p>
-
-<p>„Sie müssen über das, was ich Ihnen sage, Diskretion bewahren, Herr van
-Schleeten, aber Sie müssen doch in die Sache eingeweiht werden. Der
-Maharadscha<span class="pagenum" id="Seite_178">[S. 178]</span> ist verschwunden, und in seiner Wohnung ist heute nacht
-ein Einbruch verübt worden.“</p>
-
-<p>„Einbruch!“ stammelte Herr van Schleeten, für den Augenblick Mrs.
-Langtrey und alles andere vergessend, als die wunderbaren Juwelen.
-„Sind die Juwelen gestohlen?“</p>
-
-<p>„Nein, glücklicherweise wurde der Diebstahl im letzten Moment von einem
-jungen Manne verhindert, der hier im Hotel wohnt. Aber der Maharadscha
-ist verschwunden, und Gott weiß, wann wir ihn wiedersehen.“</p>
-
-<p>Herr van Schleeten brachte kein Wort der Erwiderung hervor. Was
-waren das für Mysterien? Sowohl Mrs. Langtrey wie der Maharadscha
-verschwunden! Waren sie zusammen durchgegangen? Hatte er sie entführt?
-Dann, bei allen Mächten der Unterwelt, wollte sich Herr van Schleeten
-mit den Juwelen nicht mehr abgeben, als mit dem Schmutz der Straße.
-„Wann ist er verschwunden?“ stammelte er.</p>
-
-<p>„Gestern abend. Er wurde an irgendeinen infernalischen Ort gelockt und
-konnte nicht wieder gefunden werden. Aber um Gottes willen, seien Sie
-diskret!“</p>
-
-<p>Herr van Schleeten atmete wieder.</p>
-
-<p>Herrn van Schleetens Unterredung mit Oberst Morrel auf dessen Zimmer in
-der fürstlichen Suite war summarisch. Er fand den Oberst von einer Wand
-zur anderen rennend, wie ein frisch gefangener Tiger und kaum weniger
-blutdürstig anzusehen.</p>
-
-<p>„Was zum Geier gibt es?“ war sein artiger Begrüßungsruf.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_179">[S. 179]</span></p>
-
-<p>„Dies ist Herr van Schleeten, Herr Oberst,“ sagte der Direktor. „Der
-Juwelier, der —“</p>
-
-<p>„Juwelier her, Juwelier hin! Wenn mein schwarzer Diamant beim Teu—“</p>
-
-<p>Herr van Schleeten begann sich verletzt zu fühlen. Er hatte
-augenblicklich selbst seine Sorgen und fand sie groß genug, um nicht
-noch mit denen anderer belastet zu werden. Er machte einen Schritt auf
-die Türe zu.</p>
-
-<p>„Ich werde meine Instrumente wieder holen lassen,“ sagte er mit
-eiskalter Stimme, „gestatten Sie mir, Ihnen zu sagen, Herr Oberst, daß
-ich nicht —“</p>
-
-<p>„Gut! Gut! Zum Teufel hinein!“ rief der Oberst, aber hielt dann
-inne, von einem Gedanken gepackt. „Ja, richtig — es ist ja doch
-eine Möglichkeit, daß die Blindschleichen dort oben (offenbar Oberst
-Morrels Kosename für die Detektive) meinen schwarzen Ado — Sr. Hoheit
-finden ... Also arbeiten Sie nur nach Belieben, mein bester Herr van
-Schleeten, ganz nach Belieben. Dann erweisen Sie meinem schwar... Sr.
-Hoheit einen großen Dienst. Adieu!“</p>
-
-<p>Der Oberst stürzte zur Türe hinaus und schlug sie mit einem Krach zu,
-der an einen Felssturz gemahnte. Der Direktor wendete sich mit einem
-entschuldigenden Lächeln Herrn van Schleeten zu.</p>
-
-<p>„Der Oberst ist ein bißchen erregt,“ sagte er. „Nehmen Sie es nicht
-krumm, Herr van Schleeten, Sie wissen, ein alter Soldat ... er hat es
-momentan nicht sehr angenehm.“</p>
-
-<p>„Das ist kein Grund, mich zu behandeln wie einen<span class="pagenum" id="Seite_180">[S. 180]</span> Kutscher, der falsch
-gefahren ist,“ sagte Herr van Schleeten mit gerunzelter Stirne. „Ein
-jeder hat seine Sorgen.“</p>
-
-<p>„Herr van Schleeten, Sie sind doch ein Weltmann. Beachten Sie den
-schlechten Humor eines alten Herrn nicht. Gestatten Sie mir, Sie in das
-Zimmer zu führen, das für Sie reserviert ist.“</p>
-
-<p>Noch etwas grollend wurde Herr van Schleeten in den Arbeitsraum
-geleitet. Der erste Anblick der märchenhaften Edelsteine war genug,
-um ihn sowohl den Obersten wie Mrs. Langtrey vergessen zu lassen. Er
-verbrachte eine Stunde damit, sie einen nach dem anderen zu bewundern;
-zwei damit, nachzudenken, wie er die Fassungen „ändern“ sollte, damit
-sie nach dem Geschmack des Maharadscha ausfielen. Dann klingelte er
-und ließ sich ein leichtes Frühstück mit einer halben Chateau-Lafitte
-bringen und machte sich dann gegen zwei Uhr an die Arbeit. Er blieb bis
-sieben Uhr dabei und merkte kaum, wie die Zeit verflog, so hypnotisiert
-war er von den Steinen; was er hingegen, als er seine Instrumente
-weglegte, merkte, war, daß er eine Hilfskraft haben mußte, wenn er die
-Arbeit in annehmbarer Zeit fertig bringen sollte, ganz abgesehen von
-der nervösen Eile des Maharadschas. Gegen halb acht Uhr verließ er das
-Hotel.</p>
-
-<p>Die schwarze Leibgarde hielt noch immer treue, stumme Wache vor
-den Türen des Arbeitsgemaches. Herr van Schleeten sprach sie im
-Vorüberstreifen auf englisch an, aber bekam keine Antwort. Offenbar
-verstanden sie nur ihre Muttersprache.</p>
-
-<p>Unten auf der Straße angelangt, ging er anfangs<span class="pagenum" id="Seite_181">[S. 181]</span> halb abwesend durch
-das Menschengewühl. Der Septemberabend war etwas kühl, mit einem
-herbstlichen Ton in der Luft. Herr van Schleeten, dessen Kopf ganz von
-den wunderbaren Steinen erfüllt war, wurde sich erst nach einiger Zeit
-bewußt, daß er Hunger hatte.</p>
-
-<p>Er ging in ein kleines französisch-italienisches Restaurant, an dessen
-Türe er gerade vorbeikam, setzte sich nieder, und wählte einige
-Gerichte <span class="antiqua">à la carte</span> und eine Halbe Kirwan-Cantenac. Er war zum
-Kompott nach dem Huhn gekommen, als er aufblickte und sah, daß Mrs.
-Langtrey an seinem Tische stand, allein, im Straßenkleid.</p>
-
-<p>Herr van Schleeten flog in die Höhe.</p>
-
-<p>„Sie!“ rief er. „Sie!“</p>
-
-<p>„Ja, ich ...“ murmelte sie. „Ah, daß ich Sie treffe! ... Gott sei Dank!
-Gestatten Sie, daß ich mich niedersetze?“</p>
-
-<p>Herr van Schleeten riß einen Stuhl unter dem Tisch mit einem Schwung
-hervor, als wollte er ihn als Wurfgeschoß verwenden und half ihr die
-Ueberkleider ablegen. Das kleine Souper winkte, und in dem rosigen
-Wachskerzenschein seiner Hoffnungen sah er sich ihr schon weit mehr
-ablegen helfen als die Ueberkleider. Sie ließ sich nieder und blätterte
-zerstreut in dem Menü, das der französische Kellner sich beeilt hatte,
-ihr zu überreichen.</p>
-
-<p>„Aber heute abend müssen Sie mir gestatten,“ sagte Herr van Schleeten
-hastig. „Geben Sie mir die Weinkarte, Kellner.“</p>
-
-<p>Sie nickte leicht und wählte ein paar Speisen. Herr van Schleeten, der
-die Champagnerliste durchforschte,<span class="pagenum" id="Seite_182">[S. 182]</span> bemerkte, daß sie auf französisch
-bestellte. Er war ein bißchen verwundert, und nachdem der Kellner
-verschwunden war, sagte er:</p>
-
-<p>„Ich habe geglaubt, Sie waren nie in Frankreich, Mrs. Langtrey.“</p>
-
-<p>„In Frankreich?“ wiederholte sie nach einem Augenblick. „Nein, warum
-denn? Ach so, weil ich Französisch spreche! Das tut doch jeder
-gebildete Mensch.“</p>
-
-<p>Herr van Schleeten beeilte sich, das einzuräumen.</p>
-
-<p>Erst beim Dessert begannen sie von ihm und dem, was er vor hatte,
-zu sprechen. Die Zeit bis dahin war mit ihren Berichten über die
-Gründe ihrer überstürzten Abreise ausgefüllt gewesen, und Herrn van
-Schleetens Sympathieausbrüchen bei der Anhörung derselben. Es war
-dieser zudringliche Freier! Natürlich! Der brutale Egoist! (Herrn van
-Schleetens Generalurteil.) Der rücksichtslose Geselle. Ganz einfach
-telegraphieren: „Ich komme, erwarten Sie mich,“ und sich einbilden, daß
-alles in Ordnung ist! Daß die Heirat ohne weiteres stattfinden kann!
-Ach, was für verächtliche Typen es doch in der menschlichen Komödie
-gibt (Herr van Schleeten); Wie schwer das Leben für eine arme Frau
-ohne Freunde ist (Mrs. Langtrey); Aber schön für den, der <em class="gesperrt">einen
-einzigen</em> guten Freund hat (Herr van Schleeten).</p>
-
-<p>„Wollen Sie wirklich mein Freund sein?“ murmelte sie.</p>
-
-<p>Herr van Schleeten erklärte sich bereit, diese Rolle ohne alle
-Einschränkungen zu übernehmen.</p>
-
-<p>„Mein wirklich guter Freund, nichts anderes?“ setzte sie fort.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_183">[S. 183]</span></p>
-
-<p>Herr van Schleeten ging auch darauf ein, allerdings nicht so eifrig wie
-auf das erste Programm. Aber er schenkte noch Champagner in ihr Glas,
-im Vertrauen auf diesen gelben Wein, im Notfalle auf die Zukunft. Sie
-war ja Amerikanerin, und die Amerikanerinnen — man weiß schon. Ein
-bißchen Belagerung.</p>
-
-<p>„Wie froh bin ich, daß ich Sie getroffen habe!“ flüsterte sie und ließ,
-wie zerstreut, ihre kleinen Finger Herrn van Schleetens etwas volle
-Hand streifen. „Nein, wie der Zufall einem manchmal helfen kann, wenn
-man es am schwersten hat. Wenn es nun der Zufall war!“</p>
-
-<p>Herr van Schleeten sprach die feste Ueberzeugung aus, daß es die
-Vorsehung gewesen, und suchte die kleinen Finger zu erhaschen, die sich
-rasch aus seinem gierigen Griff retteten.</p>
-
-<p>„Sprechen wir von Ihnen,“ unterbrach sie. „Was machen Sie denn jetzt?
-Sind Sie sehr beschäftigt?“</p>
-
-<p>Herrn van Schleeten wandelte die Lust an, sich interessant zu machen
-und zu zeigen, was er alles konnte, dieselbe Lust, die der Grund ist,
-daß er und wir alle, dank unserem Stammvater, nicht mehr im Paradiese
-wohnhaft sind. Mit einer Beredsamkeit, die sie offenbar ganz und gar
-bestrickte, beschrieb er den Auftrag, den er vom Maharadscha empfangen,
-und wurde bei der Schilderung der Juwelen geradezu dramatisch.
-Plötzlich fiel sie ihm mit funkelnden Augen ins Wort:</p>
-
-<p>„Ich <em class="gesperrt">muß</em> sie sehen!“ rief sie. „Ich <em class="gesperrt">liebe</em> Juwelen! Ueber
-alles andere auf Erden.“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_184">[S. 184]</span></p>
-
-<p>„Ueber alles andere auf Erden?“ wiederholte Herr van Schleeten
-enttäuscht. „Ich fürchte, das ist unmöglich, Mrs. Langtrey, es war
-schon indiskret von mir, Ihnen überhaupt davon zu sprechen.“</p>
-
-<p>„Mir! Haben Sie schon vergessen, daß Sie versprachen, mein Freund zu
-sein? Wenn es etwas auf Erden gibt, das mehr wert ist als Diamanten,
-ist es wahre Freundschaft. Und einem Freunde muß man seine intimsten
-Geheimnisse erzählen können, nicht wahr, Herr van Schleeten?“</p>
-
-<p>Herr van Schleeten gab zu, daß sie recht hatte. Aber ihr die Juwelen zu
-zeigen —</p>
-
-<p>„<span class="antiqua">All right.</span> Wir sprechen nicht mehr darüber,“ sagte sie, mit
-einem kleinen Unterton kühler Verwunderung in der Stimme, der Herrn van
-Schleeten einen Schauer über den Rücken jagte. „Sie brauchen sich wegen
-Ihrer Indiskretion keine Sorgen zu machen. Ich plaudere nichts aus.“</p>
-
-<p>Der rosige Wachskerzenschimmer über Herrn van Schleetens
-Zukunftsträumen zuckte bei ihrer kalten Stimme wie unter einem Luftzug.
-Er beeilte sich, einen stammelnden Satz zu beginnen:</p>
-
-<p>„Mrs. Langtrey ... liebste Freundin ... sehen Sie ... ja, was soll ich
-sagen? ... Warten Sie, unterbrechen Sie mich nicht! Es <em class="gesperrt">gäbe</em> ja
-eine Möglichkeit ...“</p>
-
-<p>Ihre Augen begannen ihn warm und strahlend anzusehen.</p>
-
-<p>„Lassen Sie mich hören!“ rief sie. „Sie sind ein Engel!“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_185">[S. 185]</span></p>
-
-<p>Herr van Schleeten strich sich seinen gelbgrauen Schnurrbart.</p>
-
-<p>„Es ist nämlich so,“ flüsterte er, „daß ich bei meiner Arbeit eine
-Hilfskraft brauche, das habe ich heute nachmittag konstatiert. Und wenn
-— ja das heißt, dann müßten Sie aber Männerkleider anziehen — und das
-—“</p>
-
-<p>„Männerkleider! Gott, wie lustig! Was Sie sich alles ausdenken können,
-lieber Freund! Sie <em class="gesperrt">sind</em> ein Engel.“</p>
-
-<p>Herr van Schleeten begann seine Worte schon halb und halb zu bereuen.</p>
-
-<p>„Aber das wäre doch eine schwierige Sache,“ sagte er zögernd. „Sie
-verstehen, wenn jemand im Hotel Sie erkennen sollte, dann wären sowohl
-Sie wie ich rettungslos kompromittiert.“</p>
-
-<p>„Aber wenn es dunkel wird,“ sagte sie. „In der Verkleidung bei
-elektrischem Licht wird man mich doch nicht erkennen. Wie lange
-arbeiten Sie denn dort?“</p>
-
-<p>„So lange ich will,“ gestand Herr van Schleeten.</p>
-
-<p>„Gott, da können Sie ja auch in der Nacht dort sein!“</p>
-
-<p>„Das kann ich,“ räumte Herr van Schleeten ein.</p>
-
-<p>„Aber dann komme ich eben bei Nacht,“ rief sie entzückt, ganz glücklich
-über diese einfache Lösung eines schwierigen Problems.</p>
-
-<p>Herr van Schleeten erbebte innerlich. Wie wäre es mit einem kleinen
-Souper, nur von der Glut der wunderbaren Juwelen beleuchtet?</p>
-
-<p>„Sie müßten abends kommen, gegen zehn Uhr,“ sagte er, „und ich müßte
-den Obersten vorbereiten,<span class="pagenum" id="Seite_186">[S. 186]</span> daß ich jemand zu meiner Hilfe mitbringe. Um
-diese Zeit sind die meisten Hotelgäste zu Bett oder im Theater.“</p>
-
-<p>Sie klatschte vor Entzücken in die Hände und drückte über den Tisch
-hinweg seine Hand.</p>
-
-<p>„Gott, wie reizend! Das wird das Reizendste, was ich noch im Leben
-mitgemacht habe, und Ihnen habe ich es zu verdanken!“</p>
-
-<p>„Aber,“ stammelte Herr van Schleeten wieder reuig und sich an diese
-letzte Chance festklammernd, „es steht eine schwarze Leibwache mit
-gezogenen Säbeln vor den Türen, und —“</p>
-
-<p>„Das macht nichts,“ rief Mrs. Langtrey, „gar nichts, wenn ich weiß, daß
-ich mit einem wirklichen Freund bin!“</p>
-
-<p>Das Souper schloß in scharmanter Stimmung von seiten Mrs. Langtreys.
-Aber die Hoffnung, die Herr van Schleeten an den Champagner geknüpft,
-erfüllte sich nicht; trotz dieses gelben und verräterischen Trankes
-mußte er Mrs. Langtrey an der Türe eines Autos Adieu sagen (sie war
-in ein kleines Familienhotel irgendwo gezogen, sagte sie). Ein Druck
-ihrer weichen festen Hand und ein Blick durch den Schleier, versprachen
-immerhin deliziöse Möglichkeiten für die Zukunft, und während Herr
-van Schleeten heimwärts ging, gelang es ihm bald, sich selbst zu
-überzeugen, daß er ein verfluchter Kerl war und daß alles gut gehen
-würde. Morgen abend, im Zimmer des Maharadscha ...</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_187">[S. 187]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="IX">IX<br />
-
-<em class="gesperrt">Yussuf Khans Wiederkehr</em></h2>
-
-</div>
-
-<p>Als die Detektivs endlich gegangen waren und die Familie Bowlby unter
-dem Präsidium Mrs. Bowlbys die Einbruchsaffäre und Mrs. Langtreys
-Verschwinden zu Ende debattiert hatte, dachte Allan an sein eigenes
-Privatmißgeschick; aber es wäre unwahr zu sagen, daß er es sehr schwer
-nahm. Was hatte er sich doch zugeflüstert, als er vor einigen Tagen die
-Küste der Heimat verbleichen sah? Vorwärts, den Abenteuern entgegen!
-Schicksal, <span class="antiqua">en garde</span>! Unleugbar waren ihm Abenteuer begegnet;
-aber das Schicksal hatte seine Herausforderung ebenfalls angenommen und
-zu einem recht fühlbaren ersten Gegenstoß ausgeholt. Wäre Herr Mirzl
-nicht ebenso exzentrisch gewesen, als er kühn war, so stünde Allan
-heute ohne Koffer und Kasse da — und was hätte er dann angefangen?
-Nach Hause telegraphiert ...? Das Vorstellungsbild der jetzt wohl laut
-brüllenden Akzeptanten ließ ihn rasch davon abstehen, diesen Gedanken
-zu Ende zu verfolgen. Auf jeden Fall wollte er einer Wiederholung
-vorbeugen. Es konnte ja geschehen, daß Herr Mirzl in seiner
-Exzentrizität sein Urteil kassierte und die Geldbuße in gleicher Weise
-zurückschickte wie damals die Koffer; aber in der Erwartung dessen war
-es wohl am besten, den Rest der Reisekasse außer<span class="pagenum" id="Seite_188">[S. 188]</span> Reichweite für ihn zu
-placieren. Am Mittwoch deponierte Allan ihn folglich im Bankkontor des
-Hotels, nur gegen von ihm signierte Schecks oder Quittung zu beheben.
-Zwei Exemplare seiner eigenhändigen Namensunterschrift wurden dem
-Bankbeamten eingehändigt.</p>
-
-<p>Am selben Abend gegen sieben Uhr sah Allan den alten Herrn mit der
-Raubvogelnase, der, wie er nun wußte, der Juwelenspezialist Mynheer
-van Schleeten war, die Treppe von der Wohnung des Maharadscha
-herunterkommen. Er sah ein bißchen erregt aus. Als der Hoteldirektor
-etwas später die Halle passierte, nahm Allan seinen ganzen Mut zusammen
-und ging auf ihn zu.</p>
-
-<p>„Darf ich Sie etwas fragen, Herr Direktor?“</p>
-
-<p>Der Direktor, der Allan von dem gestrigen Verhör kannte, nickte
-wohlwollend. Das war ja dieser junge Mann, dem man es zu danken hatte,
-daß nicht alles verloren war.</p>
-
-<p>„Sie haben noch keine Nachrichten vom Maharadscha?“</p>
-
-<p>Der Direktor schüttelte düster den Kopf.</p>
-
-<p>„Leider nicht. Sie sind doch diskret gewesen, hoffe ich?“</p>
-
-<p>„Absolut. Ich habe kein Wort über die Sache zu irgend jemand verlauten
-lassen außer der Familie Bowlby. Aber darf ich Sie etwas fragen? Ich
-sah gerade den alten Juwelier, den der Maharadscha berufen hat, aus
-seinem Appartement herunterkommen. Arbeitet er denn an den Juwelen,
-obwohl Se. Hoheit verschwunden ist?“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_189">[S. 189]</span></p>
-
-<p>„Ja, er kam heute morgen, und da ich nicht wußte, was ich tun sollte,
-führte ich ihn zu Oberst Morrel hinauf ...“</p>
-
-<p>Der Direktor brach ab und bemühte sich ein Lachen zu verbeißen.</p>
-
-<p>„Ich hatte selbst das Vergnügen, den Oberst gestern morgen zu treffen,“
-sagte Allan. „Herr van Schleeten bekam vermutlich die Aufforderung,
-sich an einen heißen Ort zu verfügen?“</p>
-
-<p>„Etwas Aehnliches. Aber dann reute es den Obersten, und er bat ihn
-— na ja, <em class="gesperrt">bat</em>, hm, — die Arbeit in Angriff zu nehmen. Herr
-van Schleeten hat den ganzen Tag oben in der Suite des Maharadscha
-gearbeitet.“</p>
-
-<p>„Glauben Sie nicht, daß er in der Einsamkeit in Versuchung kommen
-könnte?“ fragte Allan. „Er geht ganz nach Belieben aus und ein?“</p>
-
-<p>„Er! Er ist ja selbst ein Krösus und einer der bestrenommierten
-Juwelenspezialisten in Europa! Ebensogut könnten Sie ihn des Einbruchs
-verdächtigen.“</p>
-
-<p>„Ich bitte um Entschuldigung,“ sagte Allan, „vermutlich geht mir der
-Einbruch im Kopfe herum. Und dann ist da noch eine andere Sache, die
-ich zufällig weiß.“</p>
-
-<p>„Was denn?“</p>
-
-<p>„Ich weiß zufällig, daß Herr van Schleeten intim oder zumindest bekannt
-mit Mrs. Langtrey war, die gestern früh verschwunden ist.“</p>
-
-<p>„Ich habe Mrs. Bowlbys Insinuationen gegen die betreffende Dame gehört.
-Aber die Detektivs zuckten nur die Achseln darüber, und weder uns
-noch ihnen ist<span class="pagenum" id="Seite_190">[S. 190]</span> etwas Nachteiliges über sie bekannt. Und wenn Sie sie
-auch im selben Zug gesehen haben wie Mirzl, könnten Sie doch nicht
-behaupten, daß sie einander kannten. Aber man wird sie natürlich im
-Auge behalten.“</p>
-
-<p>„<span class="antiqua">All right</span>,“ sagte Allan. „Ich wollte Ihnen nur sagen, was ich
-weiß.“</p>
-
-<p>Der Direktor neigte den Kopf und ging in das Bureau.</p>
-
-<p>Kurz darauf wurde Allan Zeuge einer Szene, über die er hell aufgelacht
-haben würde, wenn er ihren Ernst nicht erkannt hätte. Der alte Oberst
-kam die Treppen herunter und stürzte mit nervösen Schritten auf das
-Bureau zu. Im Vorbeieilen warf er Allan einen ergrimmten Blick zu.
-Offenbar war er noch durchaus nicht überzeugt, daß nicht alle Attentate
-ihren Ursprung von Allan herleiteten. Bevor er noch das Bureau erreicht
-hatte, kam der Direktor wieder herausgeeilt; in seinem Gesicht prägte
-sich die lebhafteste Erregung aus. Bei dem Anblick des Obersten stieß
-er einen kleinen Schrei aus. Allan sah ihn mit gesenkter Stimme dem
-alten Krieger etwas mitteilen. Der Oberst starrte ihn regungslos an und
-stieß dann ein Gebrüll aus, bei dem die Leute rings in der Halle von
-ihren Klubsesseln emporfuhren. In der nächsten Sekunde stürzte er wie
-ein Wahnsinniger die Treppen hinauf. Allan eilte auf den Direktor zu,
-um ihn zu fragen, was denn los sei. Hatten sie den Maharadscha ermordet?</p>
-
-<p>„Der arme Oberst Morrel,“ sagte der Direktor. „Mich soll es wundern,
-wenn nach seinem letzten Geheul<span class="pagenum" id="Seite_191">[S. 191]</span> nicht das ganze Hotel weiß, wie die
-Dinge stehen.“</p>
-
-<p>„Was gibt es denn? Ist Seine Hoheit tot aufgefunden?“</p>
-
-<p>„So schlimm ist es nicht — noch nicht. Aber er ist überhaupt nicht
-gefunden, und das ist fast ebenso arg.“</p>
-
-<p>„Aber das wußte ja der Oberst schon?“</p>
-
-<p>„Ja, aber wir hatten eben eine telephonische Botschaft vom Inspektor
-Mc. Lowndes — Sie wissen, der magere Mann, der Sie gestern früh
-verhört hat. Seine Leute haben das Lokal herausgeschnüffelt, von dem
-Sie sprachen!“</p>
-
-<p>„Sie haben den Feuerfresserklub gefunden?“</p>
-
-<p>„Offiziell heißt er irgendwie anders — englisch-französische
-Theaterfreunde oder so ähnlich. Feuerfresserklub ist nur ein Kosename
-unter den Mitgliedern. Ein Mann namens Hardy steht dem Ganzen vor. Die
-Papiere waren in Ordnung. Hardy hat nie etwas von Mirzl oder seinem
-Anhang gehört. Vor zwei Tagen erhielt er den Besuch der zwei Herren,
-die Sie beschrieben haben, Stanton und dem anderen, der unter dem Namen
-Müller eingeschrieben war. Sie bestellten die Logen Nr. 5 und 6 für
-den Abend, das war das Ganze, und alles was Hardy wußte oder wissen
-wollte. Der Diener konnte auch nicht viel mehr sagen. Wie es Ihnen
-gelungen ist, herauszukommen, war ihm ein Rätsel, da er allein die
-Gäste ein und aus ließ. Gegen drei Uhr morgens war er durch ein Signal
-aus Nr. 5 alarmiert worden, wo er sowohl die Gesellschaft von Nr. 6
-wie die von Nr. 5 vorfand, mit Ausnahme von Ihnen. Er stellte eine
-Frage nach Ihnen an Müller,<span class="pagenum" id="Seite_192">[S. 192]</span> der antwortete, daß Sie drinnen seien und
-tanzten und solange bleiben könnten als Sie wollten. Er, Stanton und
-die zwei dunklen Herren, die leider etwas angeheitert waren, wollten
-jetzt gehen. Sie verstehen, sie hatten nun Ihre Flucht entdeckt und
-waren erschrocken. Der Diener half ihnen, den Maharadscha und den alten
-Hofdichter, von deren Identität er keine Ahnung hatte, in den Lift
-hinauszutragen. Unten auf der Straße bestiegen sie ein Auto, und er sah
-sie fortrollen. Die Autonummer sah er nicht an, und die Adresse hörte
-er nicht. — Das ist das Ganze. Sie verstehen also, daß der Maharadscha
-in den Krallen der Gauner ist, und Sie verstehen wohl auch, was das
-bedeutet.“</p>
-
-<p>„Erpressung?“</p>
-
-<p>„Das ist das Geringste, und wir müssen leider sagen, das Günstigste.
-Erpressung von mir, des Hotels wegen, und vom Obersten Seiner Hoheit
-wegen. — Ach, wenn ich doch diese Menschen nie in das Hotel gelassen
-hätte!“</p>
-
-<p>Der Direktor murmelte etwas, das Allan nicht hören konnte, aber das er
-ohne Zögern als einen energischen Fluch agnoszierte. Allan wollte noch
-einige Fragen stellen, aber plötzlich eilte der Direktor auf und davon,
-ohne auch nur guten Abend zu sagen.</p>
-
-<p>Allan ließ sich auf einem Fauteuil in der Halle nieder, bestellte einen
-Whisky mit Soda und fing an, die letzten Nachrichten zu überdenken.
-Einiges davon war ihm noch unklar, infolge der abrupten Art des
-Direktors, die Konversation abzuschließen. Hatte die Polizei die
-Angelegenheiten dieses Klubs nicht gründlicher<span class="pagenum" id="Seite_193">[S. 193]</span> durchwühlt? Kannte
-Hardy die Herren Stanton und Müller als Klubmitglieder? In diesem Falle
-mußte er doch ihre Adresse wissen. Suchte die Polizei sie durch das
-Auto aufzuspüren?</p>
-
-<p>Allan ging zu Bett, ohne den Direktor wiedergesehen oder eine Antwort
-auf diese Fragen gefunden zu haben. Bowlbys waren an diesem Abend
-eingeladen; in ihrer Suite wurde Wache gehalten, um einer Wiederholung
-von Herrn Mirzls Besuch vorzubeugen.</p>
-
-<p>Der nächste Tag war ebenso arm an Ereignissen, als ein paar der
-vorangegangenen reich daran gewesen waren. Der Maharadscha war und
-blieb verschwunden, und kein Wort von Erpressung kam von seinen
-Entführern. Gegen sieben Uhr morgens sah Allan den Obersten wieder und
-fühlte eine Anwandlung von Mitleid mit dem alten Herrn, so verstört und
-nervös sah er aus. Kurz darauf, während er am Eingang des Speisesaales
-stand und mit Mr. Bowlby plauderte, kam der Direktor vorbei.</p>
-
-<p>„Wenn die Schurken doch wenigstens schreiben und ihren Preis sagen
-wollten,“ rief er. „Der arme alte Morrel wird noch verrückt, wenn nicht
-bald Nachrichten eintreffen.“</p>
-
-<p>Allan benutzte die Gelegenheit, seine Fragen zu stellen. Der Direktor
-zuckte die Achseln, und die Worte überkollerten sich förmlich in seinem
-Munde.</p>
-
-<p>„Untersuchungen! Natürlich tut die Polizei was sie kann, aber man
-weiß ja, wieviel das ist! Dem Auto wird nachgespürt, Hardy und der
-Diener sind heute ein halbes Dutzend mal verhört worden, und man hat
-die Klubliste mit Argusaugen durchgesehen. Natürlich<span class="pagenum" id="Seite_194">[S. 194]</span> hatten Stanton
-und Müller, seit sie sich einschrieben, ihre Adressen ein dutzendmal
-gewechselt, und keine Menschenseele weiß, wo sie sich aufhalten. Der
-Mann, der sie in den Klub, der eigentümlicherweise verdammt heikel
-ist, eingeführt hat, war ein französischer Baron, de Citrac oder so
-irgendwie —“</p>
-
-<p>„De Citrac!“ Allan zuckte zusammen. „Kennen Sie den Namen, Mr. Bowlby?
-Der Mann, der nach dem, was Mrs. Bowlby erzählt hat, in Amerika mit
-Mrs. Langtrey geflirtet hat! Seien Sie sicher, de Citrac ist kein
-anderer als Mirzl in höchsteigener Person!“</p>
-
-<p>Der Direktor und Mrs. Bowlby starrten ihn an, und Mr. Bowlby ließ ein
-schrilles, reich moduliertes Expreßsignal als Ausdruck seiner Gedanken
-ertönen.</p>
-
-<p>„<span class="antiqua">By Jove!</span> Sie haben recht, junger Freund! Sicher! Sie haben
-recht! Ich fühle es!“</p>
-
-<p>Der Direktor zuckte die Achseln.</p>
-
-<p>„Auf jeden Fall, behauptet Hardy, daß er steinreich ist und zwei, drei
-Schlösser in Frankreich hat. Und wenn das auch unwahr ist, so hilft das
-jetzt nicht viel, wo es so eilt, des armen Morrels wegen. Es wäre eine
-Gnade des Himmels, wenn die Schurken schreiben und ihren Preis angeben
-wollten, das sage ich, wenn es auch feige klingt.“</p>
-
-<p>Mrs. Bowlby war nicht so sehr von Mitleid mit dem Maharadscha und
-seinem Mentor erfüllt wie der Direktor, als man beim Diner die Debatte
-wieder aufnahm.</p>
-
-<p>„Der arme Oberst! Hätte er besser auf das Untier aufgepaßt. <em class="gesperrt">Er</em>
-müßte doch wissen, wie er ist. Wenn man hundertfünfzig zum täglichen
-Gebrauch hat, gewöhnt<span class="pagenum" id="Seite_195">[S. 195]</span> man es sich nicht so plötzlich ab. Sie können
-sagen, was Sie wollen, Mr. Cray, ich <em class="gesperrt">weiß</em>, daß er in diesem
-Lokal in Damengesellschaft war. Helen, mein Kind, höre nicht zu, was
-ich sage.“</p>
-
-<p>„Nein, Mama.“</p>
-
-<p>„Und Langtreys Frau! Denken Sie, diese dickschädligen Detektivs wollten
-nicht einmal auf das hören, was ich ihnen über sie sagte! Unschuldig!
-Natürlich ist sie unschuldig, weil sie lange Haare hat. Ich kenne die
-Männer. Sie hat den Verbrechern rapportiert, daß John Mr. Cray zu sich
-eingeladen hat. Bitte stellen Sie das nicht in Abrede, Mr. Cray.“</p>
-
-<p>„Nein, Mrs. Bowlby. Sie haben gehört, daß ein Baron de Citrac Mirzls
-zwei Helfershelfer in den Feuerfresserklub eingeführt hat?“</p>
-
-<p>„In das Lokal!“</p>
-
-<p>„Ja. Und glauben Sie nicht, daß de Citrac und Mirzl eine und dieselbe
-Person sind?“</p>
-
-<p>„Sicher!! Sie sind genial, Mr. Cray. Sicher! Dann bedauere ich Mirzl.
-Er war mir früher eigentlich nicht so unsympathisch, aber wenn er einen
-solchen Geschmack hat. — Aber <em class="gesperrt">wissen</em> Sie, was ich jetzt glaube,
-Mr. Cray?“</p>
-
-<p>„Nein, Mrs Bowlby.“</p>
-
-<p>„Ja, daß Langtreys Frau den Prinzen für ihre private kleine Rechnung
-entführt hat! Die ganze Welt weiß ja, wie sie ist, und sie — Helen,
-mein Kind, höre nicht zu, was ich sage.“</p>
-
-<p>„Nein, Mama.“</p>
-
-<p>Allan fiel etwas ein.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_196">[S. 196]</span></p>
-
-<p>„Weiß jemand, ob der alte Juwelier auch heute dagewesen ist und
-gearbeitet hat?“</p>
-
-<p>Mr. Bowlby nickte.</p>
-
-<p>„Er kam heute morgens wie gewöhnlich und arbeitete hier bis halb
-sieben. Er sprach mit dem Direktor — mit dem Obersten ist ja nicht
-mehr zu reden — und sagte, die Arbeit sei doch viel langwieriger als
-er geglaubt hatte. Er bat um die Erlaubnis, am Abend wieder zu arbeiten
-und einen Mann aus seinem Geschäfte zu seiner Hilfe mitzubringen.
-Der Direktor sprach mit dem Obersten, und der Oberst gab seine
-Einwilligung.“</p>
-
-<p>„Ich kann mir denken, wie er sie formuliert hat,“ sagte Allan.</p>
-
-<p>Nach dem Diner verfügte man sich in die Appartements der Familie
-Bowlby, wo sich außer anderen Annehmlichkeiten auch ein amerikanischer
-Whisky vorfand, der von Mr. und Mrs. Bowlby in hohem Grade goutiert
-wurde, von der letzteren allerdings nur ferne von der Oeffentlichkeit.</p>
-
-<p>Allan blieb bis kurz vor zehn Uhr sitzen, zu welcher Stunde die
-amerikanische Familie erklärte zu Bett gehen zu wollen, da sie die
-Nacht vorher lang aufgewesen waren. Allan wurde aufgefordert, sitzen zu
-bleiben und sich allein zu erfrischen, aber lehnte ab und sagte gute
-Nacht. In die Halle gekommen, dachte er einen Augenblick nach, was er
-anfangen sollte. Die große Halle war leer bis auf einen Kellner und ein
-paar Hotelbedienstete. Er beschloß, einen Abendspaziergang zu machen
-und zog seinen Ulster an, der beim Garderobier hing. Gerade als er sich
-anschickte zu gehen, ging die Drehtüre auf, und zum Vorschein kam der<span class="pagenum" id="Seite_197">[S. 197]</span>
-alte Juwelier und ein einfach gekleideter Mensch. Offenbar hielt Herr
-van Schleeten Wort und erschien nun zur Nachtarbeit an den Juwelen des
-Maharadschas. Es war zu hoffen, daß der Maharadscha Gelegenheit finden
-würde, ihn für seinen Eifer zu belohnen. Allan trat beiseite, um Herrn
-van Schleeten und seinen Gehilfen passieren zu lassen. Er musterte
-sie ohne weiter daran zu denken; Herr van Schleeten erwiderte seine
-Blicke mit zornigem Funkeln. Was hatte er eigentlich für einen Grund
-Allan böse zu sein? Es war doch Allans Verdienst, daß er überhaupt in
-die Lage gekommen war, an den Juwelen zu arbeiten. Allan ging vorbei,
-mit einem flüchtigen Blick auf den Gehilfen, der durch die Pracht des
-großen Hotels befangen und geniert zu sein schien, er nahm nicht einmal
-seine tief hineingezogene Sportmütze ab. Ganz flüchtig kam Allan die
-Idee, daß er schon einmal ein paar graue Augen gesehen hatte, die denen
-des Arbeiters glichen. Dann war er zur Drehtüre hinaus und ging die
-breiten Marmorstufen hinunter.</p>
-
-<p>Er blickte zur Hotelfassade empor. In der Suite der Familie Bowlby
-waren noch ein paar Fenster hell. In der des Maharadscha war alles
-dunkel bis auf ein einziges Fenster — offenbar eines von denen,
-die dem Obersten gehörten. Während Allan noch dastand und vor sich
-hinblickte, wurden noch zwei Fenster hell. Herr van Schleeten war also
-mit seinem Gehilfen oben angelangt. Allan wollte eben weitergehen, als
-sich etwas Eigentümliches ereignete.</p>
-
-<p>Eine Hand zeichnete sich seinen Augenblick von der Scheibe ab, die
-eben erleuchtet worden war, mit ausgespreizten<span class="pagenum" id="Seite_198">[S. 198]</span> Fingern. Die Finger
-schlossen sich, öffneten sich und schlossen sich abermals. Dann zeigten
-sich nur zwei davon, ganz ausgespreizt; dann verschwand die Hand.
-Alles war mit Blitzesschnelle gegangen. Allan, der noch dastand und
-hinaufsah, wußte nicht recht, ob er richtig gesehen oder das Opfer
-einer Halluzination gewesen war. Herrn van Schleetens guter Name und
-Ruf war ja von keinem Geringeren als dem Direktor des Hotels bezeugt
-worden. Aber wie sollte diese Hand an der Scheibe aufgefaßt werden,
-wenn nicht als ein Signal für jemanden draußen? Und warum signalisiert
-man jemandem draußen, wenn man das ganze Personal eines großen Hotels
-zur Verfügung hat? Bei aller Achtung vor dem Direktor ...</p>
-
-<p>Allan machte mit philosophisch gerunzelter Stirne einige Schritte der
-Hotelfassade entlang. Verwirrte Gedanken wirbelten wie Schneeflocken
-durch seinen Kopf. War Mirzl im Komplott mit Herrn van Schleeten? Erst
-eine halbe Minute nach dem Verschwinden der geheimnisvollen Hand fiel
-ihm etwas ein, das doch ganz selbstverständlich war: <em class="gesperrt">Wenn</em> man
-von dem beleuchteten Fenster aus signalisierte, in der Hoffnung, von
-jemand draußen verstanden zu werden, so mußte dieser Jemand in der Nähe
-sein, um das Signal aufzufangen. Er begann sich auf dem ziemlich matt
-beleuchteten Square, an dem das große Hotel gelegen war, umzusehen.
-Massen von Menschen strömten vorbei, obgleich Monmouth Square nicht
-zu den belebtesten gehört. Die Person, der man eventuell signalisiert
-hatte, mußte also vor dem Hotel stehen und warten. War irgendeine
-mystische stationäre Person<span class="pagenum" id="Seite_199">[S. 199]</span> da? Soweit Allan sehen konnte, war das
-einzige Stationäre fünf oder sechs Autos. Nun, nichts hinderte ja, daß
-es eines von ihnen war, dem man ...</p>
-
-<p>Allan fuhr mit einem innerlichen Triumphschrei auf. Haha! War das der
-kleine Plan? War Herr van Schleeten mit im Komplott? Oder war er nur
-eine Marionette, an der man mit dem Faden manövrierte, von dem sie
-sich am liebsten lenken ließ? Mr. Bowlby hatte ja von seiner Schwäche
-für das schöne Geschlecht gehört und erzählt — war Mrs. Langtrey in
-Kenntnis dessen und in spezieller Absicht im Expreß so gnädig gegen ihn
-gewesen und so aufgebracht gegen Allan, der ihr Tete-a-tete zu stören
-drohte? ... Und war es denkbar, daß ihm darum die grauen Augen des
-Gehilfen so bekannt vorgekommen waren?</p>
-
-<p>Ein Schwarm von Gedanken, deren Ausgangspunkt der letztgenannte war,
-summte durch Allans Kopf. Und nachdem er rasch die Ueberzeugung erlangt
-hatte, die sowohl seine Eigenliebe wie seine Revanchelust kitzelte, daß
-er recht hatte, blieb nur eine Frage: Was sollte er tun?</p>
-
-<p>Er ging auf dem Trottoir auf und ab, die Augen bald auf das erleuchtete
-Fenster geheftet, wo jetzt keine Hand zu sehen war, bald auf die Leute,
-die vorbeipassierten, um den eventuellen Mitschuldigen zu entdecken.
-Der Direktor? Ihn aufsuchen? Er würde unfehlbar ausgelacht werden.
-Der Direktor hatte seinen Glauben an Herrn van Schleeten zu energisch
-betont, als daß er seinen Standpunkt auf eine unbegründete Einbildung
-eines jungen Herrn wie Allan ändern<span class="pagenum" id="Seite_200">[S. 200]</span> würde — wenn es sich auch schon
-erwiesen hatte, daß Allan glückliche Einfälle haben konnte.</p>
-
-<p>Denn vielleicht war es doch nur eine unbegründete Einbildung, daß es
-nicht ein Arbeiter war, der mit Herrn van Schleeten hinaufgegangen war,
-das Signal, das Ganze. Was konnten die Betreffenden eigentlich gegen
-Herrn van Schleeten unternehmen, <em class="gesperrt">wenn</em> Allan recht hatte? Es
-stand ja eine Wache vor dem Eingang.</p>
-
-<p>Ein neuer Gedanke ließ Allan zusammenzucken. Was ihn hervorgerufen
-hatte, war nichts anderes, als der Anblick von Oberst Morrels Fenster,
-wo noch Licht brannte.</p>
-
-<p>Der Oberst! <em class="gesperrt">Der</em> ließ an Bereitwilligkeit nichts zu wünschen
-übrig, jeden, wer es auch sein mochte, zu verdächtigen — vermutlich
-in erster Linie Allan! ... Aber ohne die Zeit mit weiteren Erwägungen
-zu verschwenden, ob ein anderer Weg geeigneter wäre, oder wie dies
-ausgehen würde, stürzte Allan die Eingangstreppe des Hotels hinauf und
-weiter zur Suite des Maharadschas. Er sah die schwarze Leibgarde, die
-in dem Korridor vor den Räumen, die ihr Herrscher inne hatte, Wache
-hielt. Das Zimmer des Obersten lag am äußersten Ende des Korridors,
-und davor stand ein Mann in Livree mit einem Syphon und einer Flasche
-Whisky auf einem Tablett; er stand, den Knöchel an der Türe, als wenn
-er eben angeklopft hätte. Offenbar wollte der Oberst versuchen, seine
-Kümmernisse in einem kleinen Abendrausch zu ertränken. Im selben
-Augenblick, in dem der Mann die Türe öffnete, stand Allan auch schon
-davor.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_201">[S. 201]</span></p>
-
-<p>„Ich muß mit dem Herrn Oberst sprechen!“ rief er und faßte den Mann am
-Arm.</p>
-
-<p>Der Livrierte betrachtete ihn kalt.</p>
-
-<p>„Der Herr Oberst empfängt nicht um diese Tageszeit,“ sagte er und
-versuchte, sich aus Allans Griff zu befreien. Aber Allan hielt sich
-fest wie an einer Rettungsboje.</p>
-
-<p>„Sie werden es zu verantworten haben, wenn Sie sich weigern, mich
-anzumelden. Hören Sie, zu verantworten! Mein Name ist Allan Kragh, der
-Oberst weiß, wer ich bin. Hören Sie!“</p>
-
-<p>Allan konnte nicht zu Ende sprechen. Oberst Morrel zeigte sich
-plötzlich in der Türöffnung, leichenblaß vor Erregung. Es war
-unverkennbar, daß der Whisky, den der Bediente jetzt brachte, nicht der
-erste war, den er heute sah. Es fiel ihm schwer, gerade zu stehen, und
-seine Augen, die Blicke wie Lanzen um sich schleuderten, konnten nur
-schwer damit zielen.</p>
-
-<p>Als er Allan erblickte, stieß er ein Tigergebrüll aus.</p>
-
-<p>„Sie! Was zum Teufel tun Sie hier? Ist es Ihnen gelungen die Juwelen zu
-stehlen oder haben Sie Nachrichten von Ihren Kameraden, was sie für den
-Maharadscha bezahlt haben wollen?“</p>
-
-<p>Allan verzichtete auf alle Umschweife.</p>
-
-<p>„Oberst Morrel, ich denke nicht daran, auf Ihre Insinuationen zu
-antworten. Falls es Sie interessiert, daß man wahrscheinlich gerade
-heute abend die Juwelen zu stehlen beabsichtigt, so wissen Sie es
-jetzt. Gute Nacht!“</p>
-
-<p>Der Oberst war mit einem Sprung zur Türe hinaus und packte Allan am
-Arm.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_202">[S. 202]</span></p>
-
-<p>„Gute Nacht! Was zum Henker meinen Sie? Gedenken Sie die Juwelen heute
-nacht zu stehlen, und kommen Sie, um mir das im vorhinein zu erzählen!
-So wahr mir Gott helfe, Sie werden ...“</p>
-
-<p>Allan heftete einen Blick auf den alten Krieger, der ihn tatsächlich
-dazu brachte, Allans Arm loszulassen und mitten im Satze zu verstummen.
-Er starrte einen Augenblick um sich und sah dann Allan an.</p>
-
-<p>„Was zum Teufel haben Sie gesagt?“ murmelte er undeutlich.</p>
-
-<p>„Was ich Ihnen gesagt habe, Oberst Morrel, war, daß ich glaube, daß man
-heute nacht den Versuch zu machen gedenkt, die Juwelen zu stehlen. Sie
-hören, <em class="gesperrt">heute nacht</em>? Vielleicht gerade jetzt, vielleicht in einer
-Stunde. Ich weiß es nicht bestimmt, aber ich glaube es. Interessiert
-Sie das genügend, um diesen Whisky zurückzuschicken?“</p>
-
-<p>Der Oberst richtete sich heftig auf, aber senkte dann wieder den Blick.</p>
-
-<p>„Nimm das weg, John,“ sagte er. „Heute abend nichts mehr! Kommen Sie
-herein, junger Mann.“</p>
-
-<p>Er wies den Weg in sein Zimmer, ging in das Badezimmer und fuhr sich
-ein paarmal mit einem Schwamm über die Stirn. Dann kam er wieder zu
-Allan heraus.</p>
-
-<p>„Rauchen Sie?“ sagte er „Nicht? Erzählen Sie mir, was Sie zu wissen
-glauben.“</p>
-
-<p>Allan ging, so langsam und deutlich er konnte, die wenigen Tatsachen
-durch, auf die er seine Theorie stützte. Der Oberst hörte mit
-gerunzelter Stirne zu. Ein paarmal zeigten seine Augen, daß es ihm
-schwer<span class="pagenum" id="Seite_203">[S. 203]</span> fiel, die Gedanken zusammenzuhalten. Allan wiederholte, bis er
-glaubte, das Ganze klargelegt zu haben. Als er zum Schlusse gelangt
-war, schüttelte der Oberst den Kopf.</p>
-
-<p>„Ich will Sie nicht beleidigen,“ sagte er. „Das habe ich wohl schon oft
-genug getan. Aber ... ist das Beweismaterial für Ihre Theorie nicht
-recht mager im Verhältnis zur Theorie selbst?“</p>
-
-<p>„Ganz wie Sie sagen. Aber wie erklären Sie sich die Hand?“</p>
-
-<p>„Ein Zufall. Und wenn Ihre Theorie wahr wäre, was könnte eine Frau tun?
-Van Schleeten ist doch kein Kind. Und wie sollte sie mit ihrer Beute
-wieder hinauskommen?“</p>
-
-<p>„Das kann ich Ihnen nicht sagen; aber van Schleetens Eifer zu arbeiten,
-sogar um diese Tageszeit?“</p>
-
-<p>„Er wurde dazu von Sr. Hoheit besonders aufgefordert. Und er erklärte
-sich schon damals zur Nachtarbeit bereit, lange vor dem ersten
-Attentat.“</p>
-
-<p>Allan senkte den Kopf und überlegte. Der Oberst hatte recht. Seine
-Theorie war phantastisch, aber dennnoch ... Er wendete sich dem alten
-Krieger zu.</p>
-
-<p>„Oberst Morrel!“ sagte er. „Ich verlange von Ihnen nichts anderes, als
-eine einfache Probe. Sie verstehen, die Sache geht mich doch eigentlich
-gar nichts an. Aber gehen wir in das Zimmer, wo van Schleeten arbeitet,
-und sehen wir, ob dort alles mit rechten Dingen zugeht. Oder gehen nur
-Sie hinein! Das können Sie ja, ohne das mindeste Aufsehen zu erregen.“</p>
-
-<p>Der Oberst überlegte. Ein paarmal zuckte er die Achseln, und Allan
-glaubte schon das Spiel verloren<span class="pagenum" id="Seite_204">[S. 204]</span> zu haben, als er plötzlich von seinem
-Sessel aufsprang.</p>
-
-<p>„<span class="antiqua">All right!</span>“ sagte er. „Es wäre unverzeihlich von mir, Ihnen
-nicht diese einfache Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Ich gehe
-gleich hinüber. Sie können mir nachkommen, wenn Sie wollen, so daß Sie
-ins Zimmer hineinsehen können. Mit hinein möchte ich Sie nicht nehmen,
-Sie verstehen doch.“</p>
-
-<p>Sie verließen das Zimmer des Obersten unter gegenseitigen
-Höflichkeitsbezeigungen — Allan wollte den alten Herrn vorangehen
-lassen, und dieser wollte seinem Gast diese Ehre geben. Schließlich
-gewann Allan mit seiner schwedischen höflichen Beharrlichkeit das
-Spiel. Einige Schritte über den dicken orientalischen Teppich des
-Korridors, und sie waren an der Türe des Zimmers, das Herr van
-Schleeten überlassen worden war. Die schwarze Leibwache schulterte bei
-dem Anblick des Obersten ihre krummen Yatagans. Dieser richtete in
-einem krächzenden Dialekt einige Worte an sie.</p>
-
-<p>„Ob sie etwas Verdächtiges gehört haben,“ wendete er sich erklärend an
-Allan.</p>
-
-<p>„Nun, haben sie das?“</p>
-
-<p>„Nein. Aber nehmen wir die Untersuchung nur vor.“</p>
-
-<p>Er faßte die Türklinke. Die Türe war verriegelt. Bevor Allan es
-verhindern konnte, hatte er die Hand gehoben und geklopft.</p>
-
-<p>„Oberst Morrel!“ flüsterte Allan. „Was tun Sie? <em class="gesperrt">Wenn</em> nun —“</p>
-
-<p>Er konnte seinen Satz nicht abschließen. Von drinnen war keine Antwort
-auf das Klopfen erfolgt, und plötzlich loderte die nur schlummernde
-Whiskyraserei<span class="pagenum" id="Seite_205">[S. 205]</span> des Obersten in hellen Flammen auf. Er stieß ein Brüllen
-aus, riß einen der Säbel der schwarzen Krieger an sich und hatte,
-bevor Allan noch wußte, wie ihm geschah, den Türspiegel mit einem
-Hieb gespalten, der wie ein Kanonenschuß durch den Korridor dröhnte.
-Noch zwei Hiebe, dann warf er sich mit voller Kraft gegen die Türe.
-Diese stürzte krachend ein; der Oberst flog hindurch, Allan in seinen
-Fußstapfen und die schwarzen Krieger in einem Strom hinterdrein. Sie
-erhaschten eben noch sein wunderliches Bild, bevor es, von sechs
-aufeinander folgenden Revolverschüssen des Obersten begleitet,
-verschwand.</p>
-
-<p>Das Fenster stand offen, und über dem Fensterbrett tauchte in dem
-Augenblicke, in dem sie das Zimmer betraten, ein einfach gekleideter
-Mensch auf, oder richtiger der Kopf dieses Menschen, von einer grauen
-Sportmütze bedeckt. Er verschwand gerade, als sie über die Schwelle
-kamen, über den Rand des Fensterbrettes, von sechs Revolverkugeln des
-Obersten gefolgt, und Allan konnte sich noch nicht recht von seinem
-Staunen erholen, wie er da verschwinden konnte, als er auch schon am
-Fenster stand und die Lösung hatte. Eine feine Strickleiter fiel die
-Hausmauer entlang bis auf das Trottoir hinunter; die Person, die sie
-verschwinden gesehen, war schon unten angelangt; und gerade, als Allan
-und Oberst Morrel das Fenster erreicht hatten, kam das Ueberraschendste
-in dieser blitzschnellen Folge von Ereignissen. Der Flüchtling, der mit
-schlangenhafter Geschmeidigkeit die Strickleiter hinuntergeklettert
-sein mußte, und nunmehr, offenbar schon ganz im klaren über den Ernst
-der Situation<span class="pagenum" id="Seite_206">[S. 206]</span> war, hatte noch Zeit, eine hastige Bewegung mit der
-Hand zu machen — es war ein Zündhölzchen, das angerieben wurde.
-Gerade als Allan die Beine über das Fensterbrett warf um sich die
-Strickleiter hinunterzuschwingen, stand diese von einem Ende bis zum
-anderen in hellen Flammen; sie mußte wohl schon früher mit irgendeinem
-entzündlichen Stoff präpariert worden sein. Allan hatte gerade noch
-Zeit, sich über das Fensterbrett zurückzuziehen, bevor die Flammen
-darüber zusammenschlugen. In ohnmächtiger Wut schleuderte der Oberst
-seinen leeren Revolver dem Entwichenen nach. Er fehlte, und binnen
-einer Sekunde war der Flüchtling in einem schwarzen blanken Auto, das
-aus dem Nichts aufzutauchen schien ...</p>
-
-<p>Allan und der Oberst wendeten sich einander zu, und ihre Augen riefen
-dasselbe Wort: Zu spät! — als sie beide etwas erblickten, das ihren
-Gedanken eine andere Richtung gab.</p>
-
-<p>Und dieses etwas war Mynheer Jan van Schleeten, der berühmte
-Juwelenspezialist, der sich in einer Ecke des Zimmers auf dem Ellbogen
-von einer Chaiselongue aufrichtete und mit abwesenden Augen und offenem
-Munde um sich starrte. Neben ihm stand ein Werkzeugtisch und eine
-Mahagonikassette, die von glänzenden Edelsteinen überquoll. Und die
-ersten Worte, die Herr van Schleeten sagte, waren: „Sie! Wo ist sie?“</p>
-
-<p>Jetzt war Allan Herr der Situation. Mit zwei Schritten war er bei Herrn
-van Schleeten; er nahm ein durchtränktes Taschentuch von der Brust
-dieses Herrn und schwenkte es gegen den Obersten:</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_207">[S. 207]</span></p>
-
-<p>„Sehen Sie, Oberst Morrel, was ein schwaches Weib vermag! Chloroform
-genug für ein Roß! Jetzt gilt es zu sehen, ob wir noch zurecht gekommen
-sind oder nicht. Herr van Schleeten, auf, helfen Sie uns, und denken
-Sie daran, daß Ihre Ehre und Ihr Name auf dem Spiele steht!“</p>
-
-<p>Der alte Holländer erhob sich von der Chaiselongue, wankend wie ein
-Schwertrunkener. Der Oberst war nach der Flucht des Verbrechers
-plötzlich in einen Zustand der Lethargie versunken und starrte ratlos
-um sich. Allan mußte das ganze in die Hand nehmen.</p>
-
-<p>„Wollen Sie dafür sorgen, daß wir etwas Kaffee heraufbekommen, Oberst
-Morrel!“ rief er. „Sie sehen, in welchem Zustande Herr van Schleeten
-sich befindet. Starker Kaffee, das ist das einzige, was ihn auf die
-Beine bringen kann.“</p>
-
-<p>Der Oberst murmelte einem Mann von der schwarzen Leibwache einige Worte
-zu, und dieser stürzte davon; eine Minute später goß Herr van Schleeten
-mit Allans Hilfe eine Tasse dampfenden schwarzen Kaffee hinunter. Das
-erste, was er dann tat, war, sich aufzurichten und Allan anzustarren.</p>
-
-<p>„Sie kenne ich,“ sagte er mit lallender Stimme. „Sie sind — Sie sind
-ein Verbrecher.“</p>
-
-<p>„Mund halten, Kerl,“ schrie der Oberst, plötzlich aus seiner Betäubung
-erwachend. „Danken Sie Ihrem Schöpfer, daß dieser junge Mann gekommen
-ist! Sonst säßen Sie morgigen Tags hinter Schloß und Riegel.“</p>
-
-<p>Herr van Schleeten starrte ihn mit stumpfen Blicken an.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_208">[S. 208]</span></p>
-
-<p>„Aber ich sah ihn doch,“ murmelte er, „sah ihn doch auf einer
-Station — wie hieß sie nur? — ja — K—köln — und da wurde er
-arre—arretiert. Er hat n—nämlich —“</p>
-
-<p>„Trinken Sie Ihren Kaffee aus, und halten Sie den Mund!“ brüllte der
-Oberst. „Und dann zur Kassette, und sagen Sie uns, wieviel fehlt!“</p>
-
-<p>Es verging noch eine Weile, bis es Herrn van Schleeten gelang, diese
-drei Wünsche zu erfüllen. Die Untersuchung der Mahagonikassette nahm
-lange Zeit in Anspruch, eine Zeit, während der Allan unten war und
-einen verstörten Nachtportier an die Polizei telephonieren ließ. Aber
-als er wieder heraufkam, hatte er die Befriedigung, daß Oberst Morrel
-ihm entgegenstürmte; der Oberst packte seine beiden Hände, es schien
-nicht viel zu fehlen, und er hätte sie geküßt.</p>
-
-<p>„Die Fassungen sind zu groß und hinderlich gewesen, und sie hat es zu
-eilig gehabt!“ schrie er. „Es ist möglich, daß eins der Diademe fehlt,
-aber mehr nicht. Darauf schwört der verdammte Holländer. Ganz richtig,
-diese kleine listige Hexe von einer Abenteuerin hat ihn bestrickt, und
-ihr Streich wäre ihr gelungen, wenn nicht Sie —“</p>
-
-<p>Allan versuchte ihn mit schwedischer Bescheidenheit zu unterbrechen. Es
-dauerte noch lange, bis er diese Nacht ins Bett kam. Denn einerseits
-mußten alle von dem erschienenen Detektivinspektor Mr. Mc. Lowndes
-in aller Form verhört werden (nach welchem Verhör Herr van Schleeten
-die Heimfahrt in Gesellschaft eines Detektivs antreten durfte);
-andererseits wollte Oberst Morrel nicht zu Bett gehen, ohne seinen
-morgigen<span class="pagenum" id="Seite_209">[S. 209]</span> Katzenjammer durch eine Flasche Champagner mit Allan
-verschärft zu haben. Zu Ende dieser Flasche erklärte er ohne alle
-Einschränkungen, daß er seines Wissens noch nie einem Menschen begegnet
-war, auf dessen Stirn alle guten Eigenschaften sich ein so harmonisches
-Stelldichein gegeben hatten wie bei Allan.</p>
-
-<p class="center">* <span class="mleft7">*</span><br />
-*</p>
-
-<p>Allan wurde am nächsten Morgen gegen zehn Uhr in seiner Morgentoilette
-dadurch unterbrochen, daß Mr. Bowlby höchst unzeremoniös die Türe zu
-seinem Zimmer aufriß. Was er zu verkünden hatte, war nichts Geringeres,
-als daß Yussuf Khan und der alte Ali am selben Morgen gegen halb sieben
-Uhr im Viktoria-Park im East End in vollkommen bewußtlosem Zustand
-aufgefunden worden waren, jeder mit der aufgeklebten Etikette versehen:
-Abzugeben Grand Hotel Hermitage.</p>
-
-<p>Allan hatte noch nicht zu Ende gefragt — Mr. Bowlby wußte übrigens
-kaum mehr als die Tatsache, die er vom Direktor erfahren hatte — und
-selbst noch nicht mehr erzählt als die Konturen der Ereignisse der
-Nacht, als eine neue Sensation über ihn hereinbrach. Noch immer von Mr.
-Bowlby begleitet, ging er in das Bankkontor des Hotels hinunter, um
-einige Pfund seines deponierten Geldes zu beheben.</p>
-
-<p>Der junge Mann hinter dem Schalter starrte ihn einen Augenblick
-an und fragte ihn dann mit halb erschrockenem, halb mißtrauischem
-Gesichtsausdruck, ob<span class="pagenum" id="Seite_210">[S. 210]</span> er denn vergessen habe, daß er erst vor einer
-Stunde dagewesen war und sein ganzes Guthaben an der Kasse behoben
-hatte.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_211">[S. 211]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="X">X<br />
-
-<em class="gesperrt">Die Nachwirkungen einer tollen Nacht auf Fürsten und
-Poeten</em></h2>
-
-</div>
-
-<p>Allan starrte Mr. Bowlby an und Mr. Bowlby Allan. Dann gab er ein
-Expreßsignal von sich, das wie ein Schwert durch alle Stockwerke
-des Hotels ging und klang wie: Lebensgefahr, alle Bremsen anziehen,
-augenblicklich stoppen!</p>
-
-<p>„Schon wieder Mirzl! <span class="antiqua">By Jove!</span>“</p>
-
-<p>Endlich fand Allan die Stimme wieder und wendete sich an den Beamten.
-„Kann ich mit Ihrem Chef sprechen?“</p>
-
-<p>„Im Augenblick bin ich allein hier, Sir, aber wenn Sie es wünschen,
-kann ich den Hoteldirektor anrufen. Ich sehe ja, daß da etwas nicht
-klappt, obwohl ich es nicht verstehe.“</p>
-
-<p>„Danke, rufen Sie ihn sofort.“</p>
-
-<p>Drei Minuten später kam der Direktor in das Kontor gestürzt. Es war
-schon von weitem unverkennbar, daß er nicht in rosiger Laune war, und
-die Aeußerung, die er in der Türe Mr. Bowlby zuwarf, verriet sofort die
-Ursache.</p>
-
-<p>„Weiß Gott, warum ich Sie je gebeten habe, aus Ihrer Wohnung
-auszuziehen, Mr. Bowlby!“</p>
-
-<p>„Gibt es etwas neues?“</p>
-
-<p>„Neues! Nichts anderes, als daß ich diesen Morgen<span class="pagenum" id="Seite_212">[S. 212]</span> vier Dutzend
-Journalisten hinter mir her habe. Die Wiederauffindung des Maharadschas
-im East End in einem solchen Zustande war in zehn Minuten in Fleet
-Street verbreitet. Die dummen Polizisten, die ihn fanden, hatten
-natürlich nicht den Verstand, das Maul zu halten ... Und dazu ein Loch
-im Boden, das geflickt werden muß — und eine Türe, vom Obersten ärger
-zugerichtet als der Birnbaum von George Washington. Ein Vergnügen,
-feine Gäste zu haben, was?“</p>
-
-<p>„Sie haben auch heute Morgen feine Gäste hier gehabt, ohne daß Sie es
-wissen,“ sagte Mr. Bowlby. „Hören Sie nur!“</p>
-
-<p>Und er erzählte, was Allan widerfahren war. Der Direktor starrte ihn
-an, wie ein Gespenst. Schließlich stammelte er:</p>
-
-<p>„Also ... was meinen Sie? Wer ist hier gewesen?“</p>
-
-<p>„Mirzl! Sie wissen doch, daß er meinem jungen Freunde die Hälfte
-seines Geldes abgenommen hat, als er sich das erstemal konterkarriert
-sah. Woher er weiß, daß der Rest hier deponiert wurde, kann ich nicht
-verstehen.“</p>
-
-<p>„Es ist vielleicht nicht so schwer zu erklären,“ sagte Allan. „Sie
-sagen (er wendete sich an den Bankbeamten), daß ich vor einer Stunde
-hier war und mein ganzes Guthaben behoben habe. Erzählen Sie, wie das
-zuging.“</p>
-
-<p>Der junge Bankbeamte warf einen scheuen Blick auf den Direktor und
-begann:</p>
-
-<p>„Es war eben, als ich öffnete. Da kam ein Herr<span class="pagenum" id="Seite_213">[S. 213]</span> herein, der Ihnen aufs
-Haar ähnlich sah, Sir, und wendete sich an mich: ‚Wieviel habe ich doch
-hier deponiert?‘ ‚Ihr Name, Sir,‘ sagte ich der Form wegen, denn ich
-erkannte Sie ja ganz gut, Sir. ‚Am besten, ich buchstabiere ihn Ihnen
-vor,‘ sagte er und lächelte. ‚Allan K—r—a—g—h. Schwer, den Namen
-auszusprechen.‘ ‚<span class="antiqua">All right</span>, Sir,‘ sagte ich und schlug im Buche
-nach. ‚Sie haben etwas über fünftausend schwedische Kronen deponiert —
-dreihundert englische Pfund.‘ ‚Es ist gut, ich nehme sie heraus,‘ sagte
-er, ‚geben Sie mir eine Quittung, dann werde ich unterzeichnen.‘ ‚Sie
-haben den Depotschein, den Sie seiner Zeit bekamen, nicht bei sich,
-Sir?‘ fragte ich. Er suchte in seinen Taschen. ‚Na aber! den muß ich in
-meinem anderen Anzug vergessen haben. Aber wenn ich einstweilen hier
-quittiere, kann ich ihn ja später bringen.‘ ‚<span class="antiqua">All right</span>, Sir,‘
-sagte ich, denn ich dachte ja mit keinem Gedanken daran, daß es jemand
-anderes sein könnte, als Mr. Kragh. Und die Schrift war ...“</p>
-
-<p>„Der Teufel soll das ganze holen!“ schrie der Direktor. „Ich
-werde schon bald ebenso verrückt, wie der Oberst. Journalisten,
-Einbruchsdiebe, andere Diebe, schwarze Regenten, die um sechs Uhr früh
-in öffentlichen Parks gefunden werden — man kann ja toll werden! Von
-heute an müssen die Leute sich einem Polizeiverhör unterziehen, bevor
-sie die Nase zur Türe meines Hotels hereinstecken dürfen!“</p>
-
-<p>Mr. Bowlby fiel ihm ins Wort.</p>
-
-<p>„Sie sollten ein bißchen dankbarer gegen meinen jungen Freund aus
-Schweden sein,“ sagte er. „Er<span class="pagenum" id="Seite_214">[S. 214]</span> hat nun schon zweimal die Diebstähle
-beim Maharadscha verhindert ...“</p>
-
-<p>„Dann sollte er zum Teufel doch auch die Diebstähle bei sich selbst
-verhindern,“ rief der Direktor. „Dankbar! Gewiß bin ich dankbar.
-Wieviel hatten Sie doch in englischer Münze?“</p>
-
-<p>„Fünftausendvierhundert in schwedischer — dreihundert englische
-Pfund,“ sagte Allan kurz. „Bitte, machen Sie sich keine Gedanken
-darüber, Herr Direktor. Aber ich muß um einen kleinen Aufschub bei der
-Rechnung bitten, nachdem Herr Mirzl meine ganze Reisekasse übernommen
-hat.“</p>
-
-<p>Der Direktor schüttelte ihm die Hand.</p>
-
-<p>„Aber, aber!“ rief er, „nehmen Sie es doch nicht übel. Mißverstehen
-Sie mich nicht. Natürlich ist das Hotel für deponiertes Geld
-verantwortlich. Aber die Umstände in diesem Falle sind solche, daß ich
-nicht auf eigene Hand entscheiden kann. Mißverstehen Sie mich nicht.
-Wenn Sie den Obersten drei Tage lang hinter sich her gehabt hätten,
-und heute morgen einen Schwarm von Journalisten, die Ihnen die Ohren
-vollschreien — bei Gott, da kommt der Oberst. Was ist denn schon
-wieder geschehen? Was für ein Verbrechen ist denn jetzt im Hotel verübt
-worden?“</p>
-
-<p>Die Miene des Obersten war wirklich nicht so sonnig, daß der Direktor
-mit seinen Befürchtungen nicht recht haben konnte. Immerhin erwiesen
-sie sich als unbegründet.</p>
-
-<p>„Ich hörte, daß Sie hier sind, Direktor!“ rief er. „Warum um Himmels
-willen lassen Sie dieses verdammte Zeitungsschmiererpack nicht
-hinausschmeißen?!<span class="pagenum" id="Seite_215">[S. 215]</span> Sie setzen mir nach wie Hunde einem Fuchs. Ob
-es wahr ist, daß der Maharadscha so gut wie ermordet in einem Park
-aufgefunden wurde? Ob es wahr ist, daß man ein Attentat auf seine
-Juwelen und ein anderes auf ihn selbst verübt hat? Welche Ansicht der
-Maharadscha über London hat? Welche Ansicht ich über das eigentümliche
-Attentat auf ihn habe — — Gentlemen, schrie ich, ich habe die
-unmaßgebliche Ansicht, daß Sie ein Haufen gottverdammter Vampire sind,
-und wenn Sie sich nicht augenblicklich packen, werde ich versuchen,
-sie Ihnen mit meinem Sechsläufigen klarzumachen. Die Ansicht des
-Maharadscha über London ist, daß es eine entzückende Stadt sein würde,
-wenn die Londoner nicht wären, und um sie so wenig als möglich zu
-sehen, pflegt Se. Hoheit jeden Morgen in aller Frühe einen Spaziergang
-durch die Parks in East End zu machen, wo er heute von einer
-bedauerlichen Schwindelattacke befallen wurde, die Anlaß zu tausend
-idiotischen Gerüchten gab, die nur Leute glauben können, die dumm genug
-sind, Zeitungen zu lesen, die von noch größeren Idioten geschrieben
-werden als sie selbst; und wenn Sie mit diesem Bescheid nicht zufrieden
-sind, meine Herren, dann können Sie mir den Bu — —“</p>
-
-<p>Die Stimme des Obersten kippte vor Gemütserregung um, ohne daß es
-seinen Zuhörern Schwierigkeiten bereitete, seinen elliptischen Satz zu
-ergänzen. Mr. Bowlby wischte sich die Augen und sagte:</p>
-
-<p>„Sie sollten Minister des Aeußeren sein, Herr Oberst, dann käme doch
-ein bißchen mehr Schwung in<span class="pagenum" id="Seite_216">[S. 216]</span> den diplomatischen Verkehr! Haben Sie
-Herrn van Schleeten heute schon gesehen?“</p>
-
-<p>„Schleeten! Ich habe mit den Tintenkulis genug zu tun gehabt. Er
-wird schon im Laufe des Tages kommen, und dann werde ich ihm meine
-Meinung sagen. Heute früh ist mir etwas eingefallen. Wer beweist mir,
-daß Schleeten nicht mit im Spiel war? Ich glaube, das Ganze war ein
-Komplott, und ich werde die Detektive davon verständigen.“</p>
-
-<p>„Aber Herr Oberst, einer der ältesten und angesehensten Juwe ...“</p>
-
-<p>„Der sich von einer verdammten kleinen Abenteuerin in Hosen düpieren
-läßt. Es <em class="gesperrt">war</em> ein Komplott. Da können Sie Gift darauf nehmen.“</p>
-
-<p>„Sie ging ja wohl nicht immer in Hosen herum, Herr Oberst. Und was
-sagen Sie zum Chloroform? Sie haben doch selbst gesehen, daß er betäubt
-dalag.“</p>
-
-<p>„Als ob das nicht gerade das Komplott beweisen würde! Hat man nicht
-schon tausendmal gehört, wie Leute falsche Einbrüche arrangieren!
-Das ist mir nur nicht früher eingefallen. Das werde ich sofort den
-Detektiven telephonieren! — Guten Morgen, junger Freund! Wie steht es?“</p>
-
-<p>Er schien Allan erst jetzt zu bemerken.</p>
-
-<p>„Danke, Herr Oberst,“ sagte Allan. „Es geht mir so gut, als es einem
-gehen kann, wenn man eben um seine ganze Barschaft bestohlen worden
-ist.“</p>
-
-<p>„Ihre ganze Barschaft! Das ist sie und Schleeten!“</p>
-
-<p>„Ich bezweifle nicht, daß Herr van Schleeten ebenso bereit wäre, zu
-behaupten, daß ich und sie das Attentat<span class="pagenum" id="Seite_217">[S. 217]</span> heute nacht arrangiert haben.
-Nein, es war ein anderer ihrer Freunde, den sie in letzter Zeit auch
-kennen gelernt haben — Herr Benjamin Mirzl.“</p>
-
-<p>Der Oberst lauschte mit weitaufgerissenen Augen Allans Erzählung,
-drehte seinen weißen Schnurrbart und sprach in einigen kernigen Worten
-seine Ansicht über Mrs. Langtrey und Herrn Mirzl aus:</p>
-
-<p>„Wielange werden diese Blindschleichen die Herrschaften noch frei
-herumlaufen lassen? Ich glaube wirklich, dieser Mirzl ist der
-leibhaftige Teufel!“</p>
-
-<p>Der Direktor unterbrach ihn.</p>
-
-<p>„Wie steht es mit Seiner Hoheit, Herr Oberst?“</p>
-
-<p>Die Stirne des Obersten umwölkte sich.</p>
-
-<p>„Er und das andere Prachtexemplar liegen noch todbesoffen da,“ sagte
-er. „Weiß Gott, was die Räuber ihnen eingetrichtert haben. Der Doktor
-und die Krankenschwestern plagen sich schon eine Stunde lang mit
-Massage, Injektionen und Elektrizität ab, sie stellen sie bald auf den
-Kopf, bald auf die Füße, ohne daß sie sich mucksen. Der Doktor glaubt,
-es wird Aether oder Morphium sein oder vielleicht beides.“</p>
-
-<p>„Ist es nicht eigentlich merkwürdig, daß die Verbrecher sie losgelassen
-haben, Herr Oberst?“ wagte Allan einzuwerfen. „Ohne den Versuch zu
-machen, etwas zu erpressen! Und gerade in derselben Nacht, in der ihr
-anderer Plan mißlungen ist!“</p>
-
-<p>„Das ist mir total schnuppe,“ sagte der Oberst behaglich. „Sobald sie
-nur wieder die Schnauze in die Luft strecken können, geht es nach
-Indien zurück, da lassen Sie nur mich dafür sorgen. Ich gehe zum
-Minister für Indien und erzähle ihm die ganze Sache<span class="pagenum" id="Seite_218">[S. 218]</span> privatim. Und
-dann kann sich Se. Hoheit meinetwegen grün und blau protestieren, aber
-es gibt keinen weiteren Europa-Séjour für ihn und keine Werbungen um
-schöne weiße Prinzessinnen.“</p>
-
-<p>Der Direktor des großen Hotels wendete die Augen mit einem Ausdruck der
-lebhaftesten Dankbarkeit himmelwärts und verabschiedete sich, nachdem
-er dem jungen Bankbeamten die Weisung gegeben, Allan auszuzahlen, was
-er momentan von ihm haben wollte. Allan wendete sich an den Obersten.</p>
-
-<p>„Kann man die Patienten sehen, Herr Oberst?“</p>
-
-<p>„Noch nicht, junger Freund. Jetzt muß ich selbst hinauf und sie ein
-wenig beaugapfeln. Wir treffen uns noch!“</p>
-
-<p>Er stürzte davon. Mr. Bowlby sah auf seine Uhr.</p>
-
-<p>„An der Zeit, etwas zu essen,“ sagte er. „Kommen Sie, wir wollen doch
-sehen, was Susan und Helen machen.“</p>
-
-<p>Sie fanden Mrs. Bowlby und Miß Helen im Salon der Familie Bowlby.
-Mrs. Bowlby trug eine purpurfarbene Toilette, die ihr eine frappante
-Aehnlichkeit mit einem brasilianischen Kakadu gab.</p>
-
-<p>„Nun endlich!“ rief sie. „Wo hast du dich so lange herumgetrieben,
-John? Ich und Helen, wir vergehen ja schon vor Neugierde. Was ist also
-geschehen? Ist es wahr, daß man das Untier halb tot von Ausschweifungen
-auf der Straße gefunden hat? Die Dienerschaft sagt es. Und den alten
-grauhaarigen Wüstling? So erzähle doch, John! Und der Dritte aus der
-sauberen Gesellschaft soll ja einen Anfall von Delirium gehabt haben,
-er hat die Leibwache niedergemetzelt<span class="pagenum" id="Seite_219">[S. 219]</span> und große Löcher in den Fußboden
-und die Wände gestoßen? So erzähle doch, John!“</p>
-
-<p>„Sobald du mich läßt, liebe Susan. Der Ma...“</p>
-
-<p>„Es ist also wahr, natürlich! Halbtot von Ausschweifungen! Helen, du
-solltest nicht zuhören, mein Kind, aber es kann ganz gut für dich sein,
-zu wissen, wie es die Männer treiben. Und der Oberst, John?“</p>
-
-<p>„Liebe Susan, lasse mich doch zuerst nur zwei Worte über den
-Maharadscha sagen.“</p>
-
-<p>„Natürlich, du willst ihn in Schutz nehmen!“</p>
-
-<p>„Der Maharadscha, geliebte Susan, wurde heute Morgen in einem Park in
-East End aufgefunden, betäubt ...“</p>
-
-<p>„Von Ausschweifungen!“</p>
-
-<p>„Betäubt mit Aether oder Morphium von der Bande, die ihn und den alten
-Hofdichter geraubt haben.“</p>
-
-<p>„Behaupten sie selbst, haha!“</p>
-
-<p>„Behaupten sie nicht selbst, da die Belebungsversuche des Arztes bis
-jetzt weder beim Maharadscha, noch bei dem alten Ali gelungen sind.“</p>
-
-<p>„Haha, John, du bist wirklich <em class="gesperrt">zu</em> naiv!“</p>
-
-<p>„<span class="antiqua">All right.</span> Aber du hast nach dem Obersten gefragt.“</p>
-
-<p>„Der gestern abend das Delirium hatte, das sagt die Dienerschaft. Ich
-<em class="gesperrt">will</em> ja zugeben, daß der arme Prinz nicht gerade von leuchtenden
-Beispielen umgeben war. Diese Gerechtigkeit muß man ihm widerfahren
-lassen. Wenn er von einem alten Wüstling seiner eigenen Religion in
-entsetzliche Lokale gelockt wird und sieht, wie sich ein weißhaariger
-Heuchler, der sich Christ nennt, bis zur Besinnungslosigkeit betrinkt,<span class="pagenum" id="Seite_220">[S. 220]</span>
-kann man ja verstehen, daß ein Mensch, von schwachem Charakter in
-Versuchung geraten kann. Und dann fehlt ihm doch auch die Stütze einer
-Frau.“</p>
-
-<p>„Er hat doch hundertfünfzig, liebe Susan.“</p>
-
-<p>„Solche nenne ich nicht Frauen, John, das weißt du.“</p>
-
-<p>„Aber du hast es doch bisher getan, liebe Susan.“</p>
-
-<p>„Weil ich die Ohren meiner kleinen Helen schonen wollte. Sie bekommt
-ohnehin genug zu hören, das arme Kind.“</p>
-
-<p>„Geniere dich meinethalben nicht, Mama, ich weiß sehr gut, was für ein
-Wort du anwenden wolltest.“</p>
-
-<p>„Helen!“</p>
-
-<p>„Liebe Mama, es steht doch im Shakespeare und in der Bibel.“</p>
-
-<p>Mrs. Bowlby wechselte das Gesprächsthema.</p>
-
-<p>„Wie ist es also mit dem Obersten, John? Ist er in eine Irrenanstalt
-gebracht worden?“</p>
-
-<p>„Noch nicht, liebe Susan. Wir trennten uns eben vor einem Augenblick.
-Er ging zu seinen Schützlingen hinauf. Er war ein bißchen erregt
-nach seinen Gesprächen mit dreißig oder vierzig Reportern. Sonst
-befand er sich ganz wohl. Und wenn du Mr. Cray so halbwegs in Frieden
-erzählen lassen willst, kannst du hören, wie das mit seinem Delirium
-zusammenhängt. Du glaubst doch Mr. Cray?“</p>
-
-<p>„Soviel ich nach zwanzigjähriger Ehe einem Mann glauben kann, John.“</p>
-
-<p>„Liebe Susan, sei mir nun nicht böse, weil ich dir deine Illusionen
-über den Maharadscha und die beiden anderen geraubt habe. Erzählen Sie,
-Mr. Cray!“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_221">[S. 221]</span></p>
-
-<p>Allan wiederholte seinen Bericht über das, was am vorhergehenden Abend
-passiert war. Mrs. Bowlby hörte halbwegs ruhig zu, bis er zu der Szene
-kam, die sich dem Obersten und ihm selbst im Arbeitszimmer Herrn van
-Schleetens geboten hatte. Da stieß sie einen Schrei aus, der der
-baseballspielenden amerikanischen Nation würdig war.</p>
-
-<p>„Der auch! Ein Schwindler! Der alte Roué! Jetzt sind die Juwelen also
-gestohlen?“</p>
-
-<p>„Noch nicht, Mrs. Bowlby. Der Oberst und ich kamen gerade in der
-letzten Sekunde, um es zu verhindern, und sicherlich hat die
-Säbelattacke des Obersten gegen die Türe den Dieb in die Flucht gejagt.“</p>
-
-<p>„Den Dieb? Sie meinen den Mitschuldigen!“</p>
-
-<p>„Sie sind derselben Ansicht wie der Oberst, wenn Sie das sagen, Mrs.
-Bowlby. Aber sie ist, mit Ihrer Erlaubnis gesagt, nicht richtig. Es war
-eine Schwindlerin, die Herrn van Schleeten düpiert hatte.“</p>
-
-<p>In Mrs. Bowlbys Gedankennetz trat ein Kurzschluß ein.</p>
-
-<p>„<em class="gesperrt">Eine Schwindlerin!</em> Sie haben doch gesagt, daß jemand in
-Männerkleidern mit ihm hinaufging?“</p>
-
-<p>„Ja, aber es war doch eine Schwindlerin, Mrs. Bowlby, verkleidet.“</p>
-
-<p>„In Hosen! Da würde ich doch lieber ... Helen, du siehst, wie Frauen
-werden können, wenn sie einmal anfangen. Tausendmal ärger als die
-Männer. Wer war es, Mr. Cray? Weiß man es? Eine Holländerin?“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_222">[S. 222]</span></p>
-
-<p>„Eine Amerikanerin, Mrs. Bowlby. Schöpfen Sie tief Atem, bevor ich
-Ihnen den Namen sage.“</p>
-
-<p>„Sie meinen doch nicht —“</p>
-
-<p>„Ja, allerdings: Mrs. Langtrey!“</p>
-
-<p>Es war offensichtlich, daß Mrs. Bowlby seiner Aufforderung in Bezug auf
-das Atmen nachgekommen war, denn der Ruf, den sie ausstieß, ging durch
-Mark und Bein.</p>
-
-<p>„Hatte ich also recht, Mr. Cray?!“</p>
-
-<p>„Es sieht so aus, Mrs. Bowlby.“</p>
-
-<p>„So etwas, dieser alte ausschweifende Schwindler läßt sich verlocken,
-von einem Frauenzimmer — Helen, mein Kind, höre nicht zu was wir
-sprechen — in Hosen!“</p>
-
-<p>„Er ist seiner Strafe nicht entgangen, Mrs. Bowlby. Sie hat ihn
-chloroformiert und würde alle Juwelen gestohlen haben, wenn wir nicht
-rechtzeitig gekommen wären. Nun gelang es ihr zu entkommen, aber
-die Juwelen mußte sie im Stiche lassen. Es war ihr Glück, daß dem
-Obersten die Hand zitterte. Er hat ihr sechs Schüsse durch das Fenster
-nachgeschickt. Aber ich muß gestehen, daß ich ihre Kaltblütigkeit
-bewundere, die Strickleiter anzuzünden!“</p>
-
-<p>„Sie sollen nie etwas bewundern, was unmoralisch ist, Mr. Cray. Und um
-die Juwelen ist sie also gekommen?“</p>
-
-<p>„Ja, und zum Dank dafür bin ich heute durch Herrn Mirzl von dem Rest
-meines Geldes befreit worden.“</p>
-
-<p>„<span class="antiqua">Now, demmit lively!</span> Was sagen Sie?“</p>
-
-<p>Allan beschrieb, was im Bankkontor passiert war.<span class="pagenum" id="Seite_223">[S. 223]</span> Mrs. Bowlby hörte ihn
-mit weit aufgerissenen Augen an. Als er zu Ende war, atmete sie tief
-und sagte:</p>
-
-<p>„Ich muß gestehen, dieser Mirzl ... Nein, daß er Langtreys Frau in
-die Krallen geraten mußte! Ich bin überzeugt, sie hat ihn auf Abwege
-gebracht wie diesen alten Roué von einem Juwelier.“</p>
-
-<p>„Glauben Sie, sie hat ihn mit Chloroform betäubt, Mrs. Bowlby?“</p>
-
-<p>„Eine Frau braucht zu so etwas kein Chloroform. Ich muß sagen, daß ich
-diesen Mirzl auf jeden Fall beinahe bewundern muß.“</p>
-
-<p>„Sie sollen nie bewundern, was unmoralisch ...“</p>
-
-<p>„Keine vorlauten Bemerkungen, junger Mann. <span class="antiqua">Demmit.</span> Also jetzt
-haben Sie es das zweitemal verhindert! Glauben Sie, er wird sich damit
-zufrieden geben?“</p>
-
-<p>„Wahrscheinlich ist es nicht. Aber sobald der Maharadscha sich erholt
-hat — die Schnauze in die Luft stecken kann, wie der Oberst sich so
-schön ausdrückte — soll er wieder nach Indien zurückgebracht werden.
-Darauf schwor der Oberst. Und dann hat Mirzl keine Chancen mehr.“</p>
-
-<p>Nach dem Lunch unternahm Allan einen Ausflug in das erste Stockwerk.
-Aber die schwarze Leibwache versperrte ihm den Weg mit einem
-wiedererkennenden Zähneblecken. Vor die Türe, die der Oberst gesprengt
-hatte, hatte man eine Draperie gehängt. Allan suchte sich den schwarzen
-Kriegern verständlich zu machen, aber sie antworteten nur mit einem
-Wort, von dem Allan schließlich begriff, daß es <em class="gesperrt">Oberst</em> bedeute.
-Der Oberst hatte offenbar allen den Zutritt verboten.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_224">[S. 224]</span></p>
-
-<p>„Lassen Sie mich mit dem Oberst sprechen,“ sagte er.</p>
-
-<p>Sie schüttelten den Kopf und sagten irgend etwas Unverständliches, als
-sich im selben Augenblicke eine Türspalte öffnete und ein blasser Kopf
-im Turban sichtbar wurde. Es war der alte Ali.</p>
-
-<p>„Verehrungswürdiger Poet,“ rief Allan. „Lassen Sie mich hereinkommen
-und Ihnen die Hand drücken! Wie geht es Ihnen? Erinnern Sie sich meiner
-nicht aus dem Hause der Tausend Freuden, auch Feuerfresserklub genannt?“</p>
-
-<p>Der alte Hofdichter fuhr sich über die Stirne.</p>
-
-<p>„Das Haus der Tausend Freuden war ein vermummter Eingang zum Palast der
-Plagen,“ sagte er. „Es kommt mir nun vor, daß ich mich Ihrer erinnere,
-junger Mann. Von Ihnen hat man uns gesprochen! Sie waren es, dem es
-gelang, von diesen Söhnen Scheitans zu flüchten und es zu verhüten, daß
-die Juwelen meines Schülers gestohlen wurden.“</p>
-
-<p>„Es war meine Wenigkeit,“ sagte Allan.</p>
-
-<p>„Kommen Sie also herein, und seien Sie gesegnet! Nicht so sehr von
-mir — denn was sind wohl Juwelen anderes als farbiger Kies? — aber
-von meinem Schüler, dessen Herz in jugendlicher Torheit von den
-vielfarbigen Lichtnebeln dieser Welt erfüllt ist, von denen diese
-Steine ein Symbol sind. Beim Propheten, mein Kopf schmerzt. Seit
-Jamshyd König von Kaikobad war, hat es einen solchen Rausch nicht
-gegeben, der große Richter sei mir gnädig. Kommen Sie herein!“</p>
-
-<p>Allan passierte ein Spalier von Säbeln. Drinnen fand er den Mann, um
-den so viele Intrigen<span class="pagenum" id="Seite_225">[S. 225]</span> gesponnen waren, in derselben Stellung liegen,
-wie er ihn zuletzt im Feuerfresser-Klub gesehen, auf einem Diwan
-ausgestreckt, aber mit einem bedeutend matteren und weniger freudigem
-Lächeln als damals. In der halbgeöffneten Türe zu einem inneren Zimmer
-sah er eine Krankenpflegerin. Bei Allans Eintritt hob Yussuf Khan beide
-Hände zum Gruß.</p>
-
-<p>„Seid mehr als tausendmal gegrüßt!“ sagte er mit schwacher Stimme.
-„Verzeiht mir, daß ich mich nicht erhebe, edelster der Sahibs. Man hat
-es mir verboten. Sagt, was Ihr als Belohnung für das, was Ihr an mir
-getan, wünschet! Sprecht frei!“</p>
-
-<p>„Wir wollen ein andermal darüber reden,“ sagte Allan, „es ist mehr dem
-Zufall als mir zu verdanken, daß den Verbrechern ihr Anschlag mißlungen
-ist. Lassen Sie mich lieber hören, was für Abenteuer Ew. Hoheit und
-dieser verehrungswürdigste der Dichter, seit wir uns zuletzt sahen,
-erlebt haben.“</p>
-
-<p>Der alte Ali sank auf einen Stuhl, nachdem er Allan einen hingestellt
-hatte.</p>
-
-<p>„Setzen Sie sich,“ sagte er. „Ich bin, wie mein Schüler, ermattet von
-der Behandlung, der die Söhne Scheitans uns unterworfen haben. Nach
-dem, was mir Oberst Morrel Sahib sogleich, als ich hier wieder zum
-Leben erwachte, anvertraute, habe ich für immer meinen guten Namen und
-meinen Ruf verwirkt. Mit Recht sagt der göttliche Zeltmacher von sich
-selbst:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent2">Gurt, Kleid und Seele, alles, was mir teuer,</div>
- <div class="verse indent2">Gab ich als Pfand dem Schenken-Ungeheuer.</div>
- <div class="verse indent2">Nun denn, so bin ich frei von Furcht und Hoffen</div>
- <div class="verse indent2">Und los von Erde, Wasser, Luft und Feuer.</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-<p><span class="pagenum" id="Seite_226">[S. 226]</span></p>
-<p>Dasselbe sagte Oberst Morrel Sahib von mir, nur nicht in so melodischer
-Sprache wie der göttliche Omar. Ich weiß kaum, was ich erlebt habe,
-junger Freund, und noch weniger, was mein Schüler erlebt hat. Von
-dem Augenblicke, wo ich ihn mit mildem, freundlichem Lächeln um die
-Lippen auf einem Diwan im Hause der Freuden ausgestreckt sah, habe ich
-ihn nicht wieder gesehen, bis ich heute die bleischweren Augenlider
-in diesem Zimmer aufschlug. Da war ich von weißgekleideten jungen
-Frauen umgeben, die mich rieben, so wie der Wucherer sein Gold reibt
-und beinahe noch eifriger. Außerdem befanden sich im Zimmer ein
-weißgekleideter Hakim (Arzt) und mein Schüler sowie Oberst Morrel
-Sahib, der mir sofort sagte, ich sollte geköpft und vor den Stadtmauern
-Nasirabads aufgehängt werden, als milde Strafe für meine Untaten, für
-die es in der Sprache der Sahibs gar keinen Ausdruck gibt.“</p>
-
-<p>„Wo ist Oberst Morrel jetzt?“ warf Allan ein. Er konnte sich die Suada
-des Obersten vorstellen.</p>
-
-<p>„Oberst Morrel Sahib ist ausgegangen, um mit dem Minister für Indien
-über wichtige Angelegenheiten zu sprechen, die er uns andeutete. Mein
-Schüler und ich, die wir unseren guten Namen und unseren guten Ruf in
-dieser Stadt verloren haben, die noch nie von ähnlichen Dingen gehört
-hat, sollen so still und verschwiegen als möglich wieder heimgebracht
-werden. Das will Oberst Morrel Sahib als eine Gnade vom Minister zu
-erwirken trachten, der beabsichtigt hat, uns ohne Turbans und mit
-geschorenen Köpfen fortzujagen.“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_227">[S. 227]</span></p>
-
-<p>„Aber erinnern Sie sich an nichts aus dem Feuerfresser-Klub bis heute?“
-rief Allan. „Das ist ja drei Tage her!“</p>
-
-<p>„Junger Freund,“ sagte der alte Hofdichter, „ich bin ein rechtgläubiger
-Anhänger des Propheten und habe stets getrachtet, mich unbefleckt
-von den Irrlehren zu erhalten, die an Nirwana und ähnliche Einfälle
-einer irregeleiteten Phantasie glauben. Aber wenn ich an den Zeitraum
-zurückdenke, den Sie eben erwähnt haben, fühle ich eine bedauerliche
-Neigung zu glauben, daß die Reden dieser Irrlehrer doch etwas für sich
-haben, so vollständig erloschen war mein Bewußtsein in dieser Zeit, von
-der Sie sagen, daß sie drei Tage währte. Und mein Schüler, den ich nach
-seinen Erfahrungen befragt habe, sagt für seine Person das gleiche aus.“</p>
-
-<p>„Das ist wahr,“ kam Yussuf Khans Stimme vom Sofa. „Was mein Lehrer
-sagt, ist wahr wie der Koran. Ich erinnere mich an nichts anderes,
-als an eine große Dunkelheit, in der ich auf einem unruhigen Meer zu
-treiben glaubte und von bösen Träumen gequält wurde. Plötzlich faßte
-jemand meine Seele, wie man einen Ertrinkenden faßt, und als ich den
-Kopf wieder über das schwarze Meer hob, befand ich mich in diesem
-Gemach, umgeben von weißgekleideten Krankenpflegerinnen und einem
-weißgekleideten Hakim. Die Verbrecher, die uns in das Haus der Freuden
-gelockt und dann entführt haben, konnten, dank Euch, meine Juwelen
-nicht stehlen, aber sie stahlen mir drei Tage meines Lebens.“</p>
-
-<p>„Mein Schüler spricht gut,“ sagte der alte Ali bewundernd.<span class="pagenum" id="Seite_228">[S. 228]</span> „Wenn
-ich ihm auch, wie Oberst Morrel Sahib versicherte, ein so schlechtes
-Vorbild gewesen bin, daß diese ganze Stadt darüber empört ist und
-mich in vier Teile zerstückelt sehen will, merke ich doch, daß es mir
-einigermaßen gelungen ist, seinen Sinn für Poesie und Beredsamkeit
-auszubilden. Allah — dessen Name ewig gepriesen sei — gebührt die
-Ehre dafür. Jetzt erinnere ich mich doch an etwas, das ich früher
-vergessen hatte. Während meine Seele von dieser Dunkelheit umschlossen
-dalag, wie von einem Gefängnis mit unendlich dicken Mauern, rieselte
-plötzlich ein kleiner Lichtschimmer durch die Mauer hinein. Wie in
-einem Traum, oder so wie man durch dichten Nebel sieht, entsinne ich
-mich, daß ich ausgestreckt auf einem Lager lag, ob entkleidet oder
-nicht, weiß ich nicht. Nicht weit von mir, auf einem anderen Lager
-dünkte es mir, daß mein Schüler sich befand. Gerade als ich diese
-Empfindung hatte, glaubte ich zu sehen, daß ein Mann, der über mich
-gebeugt dagestanden hatte, von meinem Lager zu dem meines Schülers ging
-und sich über ihn beugte, mit einem bösartigen Grinsen, wie es die
-Götzenbilder in den Tempeln der Ungläubigen auf ihrem Antlitz tragen.
-Und seltsamerweise glaubte ich dicht neben ihm eine Frau zu gewahren.
-Doch, was wäre daran seltsam? Wo böse Menschen ihren Versammlungsort
-haben, da ist auch das Haus voll Weiber, sagt das Sprichwort, und der
-Koran — der allzeit gepriesen sei — teilt diese Anschauung.“</p>
-
-<p>„Es ist um so wahrscheinlicher, daß Sie richtig gesehen haben,“ rief
-Allan, „als eine Frau in das gestrige<span class="pagenum" id="Seite_229">[S. 229]</span> Attentat verwickelt war.
-Vielleicht haben Se. Hoheit und Sie noch nicht davon gehört?“</p>
-
-<p>Yussuf Khan, der sich lebhaft auf dem Ellbogen aufgerichtet und seinen
-Lehrer während seiner Erzählung unverwandt angestarrt hatte, schüttelte
-den Kopf, und der alte Ali sagte:</p>
-
-<p>„Oberst Morrel Sahib nahm sich wenig Zeit zu anderem, als mir meinen
-Mangel an guten Eigenschaften vorzuhalten, und wie ich ihn sühnen
-könnte. Dann eilte er zum Minister, um einen Aufschub der Strafen zu
-erwirken, die dieser mir zugedacht hat. Oberst Morrel Sahib hat ein
-gutes Herz.“</p>
-
-<p>Ohne dem alten Hofdichter seine Auffassung von Oberst Morrels Maßnahmen
-zu rauben, erzählte Allan, was sich am vorhergehenden Abend zugetragen
-hatte. Die Libationen des Obersten hüllte er in einen Schleier, aber
-machte eine große Nummer aus seiner Attacke gegen die Türe. Die beiden
-anderen lauschten ihm wie einem Märchenerzähler im Basar. Allan hatte
-kaum zu Ende gesprochen, als im Korridor Schritte ertönten und die Türe
-aufgerissen wurde. Es war der Oberst selbst, in Gesellschaft Herrn van
-Schleetens. Der alte Ali erhob sich mit ängstlicher Miene von seinem
-Sitz.</p>
-
-<p>„Wie ist es abgelaufen, Oberst Morrel Sahib?“ fragte er. „Kann Se.
-Exzellenz der Minister uns verzeihen, oder sollen wir wie Pferdediebe
-aus der Stadt gejagt werden?“</p>
-
-<p>Oberst Morrel zögerte einen Augenblick mit der Antwort, während er
-den Maharadscha und den alten Hofdichter fixierte. Endlich sagte er
-mit derselben<span class="pagenum" id="Seite_230">[S. 230]</span> Langsamkeit wie ein Klassenvorstand, wenn er zu zwei
-schlechten Schülern spricht:</p>
-
-<p>„Ich habe ein sehr schweres Stück Arbeit gehabt. Ich fand Se.
-Exzellenz, den Minister für Indien, meinen hochgeschätzten Freund“
-(Allan erinnerte sich, diesen Herrn von Oberst Morrel anders titulieren
-gehört zu haben), „in äußerst erregter Verfassung. Die Ansichten, die
-er über das Vorgefallene aussprach, und die ich leider nicht ganz
-mißbilligen konnte, die Befürchtungen, die er davor hatte, was man
-Allerhöchsten Orts sagen und denken würde; die Kommentare, die leider
-in der Presse gemacht werden — all dies hatte seine Gemütsstimmung
-derart beeinflußt, daß ich fürchten mußte, meine Aufgabe würde sich als
-unlösbar erweisen. Nur durch Aufgebot meiner ganzen Ueberredungskunst,
-nur durch wiederholte Berufung auf unsere alte Freundschaft und nur
-indem ich heilig und teuer versprach, daß die Abreise Ew. Hoheit
-augenblicklich erfolgen würde, gelang es mir, zu erwirken, daß Se.
-Exzellenz ihren Entschluß änderte. Ich kann also mitteilen, daß wir
-unbehelligt abreisen dürfen, wenn dies längstens übermorgen geschieht.
-Ein Dampfer nach Bombay geht an diesem Tage um drei Uhr ab.“</p>
-
-<p>Während der alte Ali mit einem tiefen Salaam seine Hand zu fassen
-suchte, wischte sich der Oberst die Stirne, ermattet von der
-Anstrengung seiner Rede, und fuhr in einem völlig veränderten Tone fort:</p>
-
-<p>„Jetzt habe ich für Ew. Hoheit getan, was ich konnte. Nun ist es Ew.
-Hoheit Sache, mit diesem Herrn<span class="pagenum" id="Seite_231">[S. 231]</span> zu tun, was Sie für angemessen finden.
-Es hängt von Ihnen ab, was mit ihm geschehen soll.“</p>
-
-<p>Der Maharadscha, der nach der Rede des Obersten in die Hände geklatscht
-hatte und eigentümlicherweise gar nicht enttäuscht darüber schien,
-Europa so rasch verlassen und alle Träume von weißen Prinzessinnen
-aufgeben zu müssen, wendete sich an Herrn van Schleeten.</p>
-
-<p>„Das ist ja der Juwelenkünstler,“ rief er, „wie weit ist die Arbeit an
-meinen Steinen gediehen?“</p>
-
-<p>„Ich ... ich habe die Arbeit vorgestern begonnen,“ stammelte Herr van
-Schleeten, „mit Erlaubnis des Herrn Obersten ...“</p>
-
-<p>„Mit meiner Erlaubnis, an den Juwelen zu arbeiten,“ schrie der Oberst,
-„aber nicht Frauenzimmer heraufzuschleppen, die Sie betäuben und jene
-stehlen.“</p>
-
-<p>„Ich ... ich sah mich gestern in die Notwendigkeit versetzt, einen
-Mitarbeiter heranzuziehen, um ... um die Arbeit so rasch als möglich zu
-Ende zu führen ... so rasch als möglich ... wie Ew. Hoheit wünschten.
-Leider fiel meine Wahl auf eine ungeeignete Persönlichkeit, die ...“</p>
-
-<p>„Auf ein Dämchen, in das Sie verliebt waren, das Sie mit Chloroform
-betäubte wie in einer Klinik und alles in Bausch und Bogen gestohlen
-hätte, wenn nicht der Zufall und dieser junge Herr dazwischengekommen
-wäre! Heraus mit der Sprache!“ rief der Oberst. „Bedenken Sie, daß
-niemand weiß, wieviel Sie von ihr wußten!“</p>
-
-<p>Herr van Schleeten warf einen wütenden Blick auf<span class="pagenum" id="Seite_232">[S. 232]</span> Allan, getreu dem
-Prinzip, sich über andere zu ärgern, wenn man sich selbst zürnen sollte.</p>
-
-<p>„Es ist ja möglich, daß die Sache sich so verhält, wie der Herr Oberst
-sagt,“ murmelte er, „aber diesen jungen Herrn habe ich auf jeden Fall
-vor knapp einer Woche auf einem Bahnhof in Deutschland verhaften sehen.
-Wer weiß, was er ...“</p>
-
-<p>„Sie sollten sich schämen,“ rief der Oberst, „nun schon zum zweiten
-Male mit solchem verdammten Gerede zu kommen. Sie wissen, daß es nur
-Gerede ist. Versuchen Sie nicht zu leugnen!“</p>
-
-<p>„Es ist leider kein Gerede, Herr Oberst,“ sagte Allan und berichtete in
-wenigen Worten, was er im Expreß erlebt hatte.</p>
-
-<p>„Ich fiel Herrn Mirzls List zum Opfer. Aber was Herr van Schleeten
-nicht unerwähnt lassen sollte, ist, daß er bei dieser Gelegenheit die
-Bekanntschaft der Dame von gestern Abend machte. Ich war selbst Zeuge
-davon. Und daß diese Bekanntschaft in ihrem Plane lag, von Mirzl gar
-nicht zu sprechen, ist wohl recht sicher. In der einen oder anderen
-Weise haben sie Wind bekommen, welchen Auftrag Herr van Schleeten in
-London hatte, und waren entschlossen, alle Möglichkeiten wahrzunehmen.
-Herr van Schleeten ging in die Falle, begreiflicherweise, denn die
-betreffende Dame spielt ihre Karten geschickt aus und ist ungewöhnlich
-schön.“</p>
-
-<p>„Hat sie blaue Augen,“ fragte der Maharadscha „und blondes Haar? Ah,
-daß ich sobald nach Indien zurückreisen muß!“ (Oberst Morrel fuhr von
-seinem Sessel in die Höhe und starrte ihn an.) „Nein,<span class="pagenum" id="Seite_233">[S. 233]</span> Oberst Morrel
-Sahib, ich reise, beglückt über die Gnade Sr. Exzellenz des Ministers.
-Aber ...“</p>
-
-<p>„Und was sagen Ew. Hoheit zu der Affäre mit Herrn van Schleeten?“ sagte
-der Oberst wieder beruhigt. „Hoheit wissen, daß man gestern abend eine
-Anzahl Juwelen gestohlen hat.“</p>
-
-<p>„Ach, ein paar Juwelen mehr oder weniger!“ sagte Yussuf Khan mit einem
-müden, mißmutigen Kopfschütteln. „Ich kam nach Europa, um mein Herz an
-eine weiße Frau zu verlieren, wie die Sahibs es tun, und alles, was ich
-verloren habe, ist mein guter Name und ein paar Juwelen.“</p>
-
-<p>„Mein Schüler spricht schön,“ sagte der alte Ali befriedigt. „Der
-Aufenthalt in dieser Stadt hat ihm in dieser Beziehung merklich gut
-getan.“</p>
-
-<p>„Nun, und Herr van Schleeten?“ beharrte der Oberst, der den Holländer
-ungerne dem Schandpfahl entgehen sah.</p>
-
-<p>„Ich sage ja,“ sagte Yussuf Khan, „daß ich diesen Juwelenkünstler
-beneide, dem es gelungen ist, sein Herz an eine Frau zu verlieren. Ich
-habe hundertfünfzig Frauen in meinem Palast, schön wie Gazellen und
-zärtlich wie Turteltauben im Lenzmonat, und noch hat keine von ihnen
-mich für mehr als eine Stunde bezaubert. Seinen Namen und seinen Ruf
-für eine Frau zu wagen wie dieser Mann — das muß wunderbar sein. Der
-Juwelenkünstler hat meine Vergebung und meinen Neid.“</p>
-
-<p>„Wahrlich,“ sagte der alte Ali, „mein Schüler spricht immer besser und
-besser! Die Lehren, die ich ihm eingepflanzt habe, tragen späte, aber
-schöne<span class="pagenum" id="Seite_234">[S. 234]</span> Früchte. Es muß der Aufenthalt in dieser Stadt sein, der sie
-zur Reife gebracht hat.“</p>
-
-<p>Herr van Schleeten, dessen bordeauxfarbene Nase sich bei Yussuf Khans
-Rede, die er als Hohn auffaßte, zornig gerümpft hatte, richtete
-sich nach seinen letzten Worten erleichtert auf. Er begann etwas zu
-stammeln, aber Yussuf Khan schnitt seine Danksagungen ab, indem er zum
-Obersten sagte:</p>
-
-<p>„Nun liegen mir noch zwei Sachen am Herzen, Oberst Morrel Sahib,
-erstens, daß eine angemessene Belohnung diesem jungen Mann überreicht
-wird, der nun zweimal den listigen Verbrechern zuvorgekommen ist. Wollt
-Ihr dies besorgen, da ich der europäischen Gebräuche ungewohnt bin?“</p>
-
-<p>Allan wollte protestieren, aber der Oberst schnitt ihm das Wort ab.</p>
-
-<p>„Eine Weigerung würde den Maharadscha zwecklos verletzen,“ sagte er.
-„Was meinen Ew. Hoheit zu einigen der Juwelen, die der junge Mann
-gerettet hat? Und was sagen Sie selbst, junger Freund?“</p>
-
-<p>Allan murmelte etwas, und Yussuf Khan klatschte in die Hände.</p>
-
-<p>„Ausgezeichnet! Ausgezeichnet!“ rief er. „Man bringe die Juwelen
-herein.“</p>
-
-<p>Eine Minute später durfte Allan zum erstenmal die Juwelen in ihrem
-vollen Glanze schauen, die er mitgeholfen hatte, ihrem rechten Besitzer
-zu bewahren. Es wäre zu wenig gesagt, daß sie ihm den Atem benahmen.
-Etwas Aehnliches hatte er nie gesehen, ja nicht einmal geträumt. Es
-war das Morgenland, das ihm aus den Fassetten dieser tausend Steine
-entgegenstrahlte,<span class="pagenum" id="Seite_235">[S. 235]</span> wie durch ein vielfarbiges Fenster. Als er sich
-halbwegs erholt hatte, wählte er befangen ein paar einzelne Edelsteine
-aus, aber der Maharadscha, in den beim Anblick der Juwelen neues
-Leben gekommen zu sein schien, nahm ein Diamantenhalsband mit einem
-blutroten Rubin in der Mitte, in einer Goldkettenfassung, die vom Alter
-verblichen war, und reichte es Allan.</p>
-
-<p>„Nehmt dies,“ sagte er, „wenn Ihr wollt. Es ist ein unwürdiger Beweis
-meiner Dankbarkeit.“</p>
-
-<p>„Es gehörte einmal,“ schaltete der alte Ali ein, „Mahmud, Sultan von
-Naishapur, an dessen Hof der göttliche Zeltmacher lebte. Vielleicht
-hat er es am Halse einer der Favoritinnen des Sultans bewundert und
-vielleicht besang er dieses Diadem mit den Worten ...“</p>
-
-<p>„Ja, ja! Vortrefflich!“ sagte der Oberst. „Und die andere Sache, die
-Ew. Hoheit wünschten?“</p>
-
-<p>Es war klar, daß der Oberst die Poesie des göttlichen Zeltmachers
-nicht im gleichen Grade liebte wie der alte Ali, und auch, daß er in
-glänzender Laune war, nun er die Abreise gesichert sah. Yussuf Khan
-erwiderte:</p>
-
-<p>„Die andere Sache war, daß ich gerne mit dem Mann sprechen möchte, der
-diese Karawanserei innehat ... wenn er kommt, werde ich schon erklären,
-warum. Wollt Ihr ihn rufen lassen, Oberst Morrel Sahib?“</p>
-
-<p>Mit wieder unruhigem Gesichtsausdruck klingelte der Oberst; ein paar
-Minuten später erschien der Direktor des großen Hotels, von einem
-Angestellten<span class="pagenum" id="Seite_236">[S. 236]</span> gerufen. Er begann den Maharadscha zu seiner Genesung zu
-beglückwünschen. Der Oberst unterbrach ihn:</p>
-
-<p>„Se. Hoheit mit Gefolge reist übermorgen, Herr Direktor!“</p>
-
-<p>Der Direktor schlug einen dankbaren Blick zur Höhe auf, während er sich
-verbeugte.</p>
-
-<p>„Nicht so eilig, Oberst Morrel Sahib!“ sagte Yussuf Khan. Der Direktor
-blieb erschrocken in seiner Verbeugung stecken. „Nicht so eilig! Wir
-reisen übermorgen, Dank der Gnade Sr. Exzellenz des Ministers, aber
-vorher wünsche ich noch etwas.“</p>
-
-<p>Er wendete sich an den Direktor:</p>
-
-<p>„Zweifelsohne habt Ihr einen Saal, wo Festlichkeiten abgehalten werden?
-Einen Saal mit Raum für viele, so wie ich ihn in dem Hause der Freuden
-sah?“</p>
-
-<p>Der Direktor bejahte es.</p>
-
-<p>„Gut. Hört also meinen Willen. Dieser Saal soll für morgen abend zu
-einem Feste bereitet werden, und alles soll dem, was wir in Indien
-haben, so ähnlich als möglich sein. Da ich nicht mehr von dem Lande der
-Sahibs sehen kann, will ich den Sahibs mein eigenes Land zeigen. Darum
-ist es mein Wille, daß alles dem, was wir in meinem Lande haben, so
-ähnlich als möglich sein soll.“</p>
-
-<p>Der Direktor verbeugte sich tief.</p>
-
-<p>„Zu diesem Feste,“ fuhr Yussuf Khan fort, „das so festlich sein soll
-wie die Vermählung eines Maharadschas, ist es mein Wille, daß alle
-jene eingeladen werden, die in der Zeit, die ich hier war, unangenehme
-Erlebnisse gehabt haben.“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_237">[S. 237]</span></p>
-
-<p>Er machte eine Geste, die sämtliche Anwesende umfaßte; Allan murmelte
-dem Obersten zu:</p>
-
-<p>„Dann müßten Bowlbys mit dabei sein.“</p>
-
-<p>„Was sagte der junge Mann?“ fragte Yussuf Khan.</p>
-
-<p>„Er meinte, daß eine amerikanische Familie, aus deren Wohnung das erste
-Attentat unternommen wurde, eingeladen werden sollte,“ sagte der Oberst.</p>
-
-<p>„Sie soll eingeladen werden,“ sagte Yussuf Khan ohne Zögern. „Und
-dieser Mann, dem die Karawanserei gehört?“</p>
-
-<p>Der Direktor erklärte mit einer Verbeugung, daß es ihm erstens
-unmöglich sei, in seinem eigenen Hotel zu Gast zu sein, daß er sich
-zweitens undenkbar zu der Kategorie von Personen rechnen könne, die
-durch die Anwesenheit Sr. Hoheit Unannehmlichkeiten gehabt hatten. Die
-Anwesenheit Sr. Hoheit im Hotel habe im Gegenteil ...</p>
-
-<p>Yussuf Khan unterbrach ihn mit einer Handbewegung. Der Oberst warf
-knurrig ein:</p>
-
-<p>„Und Herr van Schleeten?“</p>
-
-<p>„Natürlich auch der Juwelenkünstler,“ sagte Yussuf Khan. „Von allen
-beneidet soll der Mann an der festlichen Tafel sitzen, der sein Herz an
-eine Frau verlieren konnte.“</p>
-
-<p>Herr van Schleeten verbeugte sich, ohne daß besondere Freude über
-die Rolle, die ihm bei der Festtafel zugedacht war, sich auf seiner
-bordeauxfarbenen Nase spiegelte. Der alte Ali rief hingegen:</p>
-
-<p>„Mein Schüler spricht immer besser und poetischer! Der Aufenthalt in
-dieser Stadt, die wir Dank<span class="pagenum" id="Seite_238">[S. 238]</span> Oberst Morrel Sahib mit unversehrtem Turban
-und ungeschorenem Kopfe verlassen dürfen; hat ihm in dieser Beziehung
-wunderbar gut getan.“</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_239">[S. 239]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="XI">XI<br />
-
-<em class="gesperrt">Das vielleicht seine Aufgabe erfüllt, den Leser zu
-verwirren</em></h2>
-
-</div>
-
-<p>In der Ziegelwüste des nordwestlichen Londons liegt, nicht weit von
-Maida Vale, ein Ziegelkanon Chesterton Mansions genannt. Tatsächlich
-erinnert er mit seinen steilen hohen Ziegelmauern an nichts so sehr wie
-an die berühmten Schluchten, die sich die Flüsse im Westen Amerikas
-gegraben haben. Warum er die Bezeichnung Mansions führt, ist unbekannt;
-im allgemeinen pflegt dieses Wort anzudeuten, daß eine Straße mit
-Bäumen bepflanzt ist; aber wenn das bei Chesterton Mansions einstmals
-der Fall war, so ist jetzt nur mehr der Name als einziges Rudiment
-übrig. Die siebenstöckigen Häuser der Straße sind in Mietwohnungen
-geteilt, zwei in jedem Stockwerk, so wie man es bei uns zulande kennt,
-aber wie es in England etwas relativ Neues ist. Da der Ruf der Straße
-nicht der beste ist, stehen oft eine Menge Wohnungen leer. In jenem
-September, in dem die Ereignisse dieses Buches sich abspielten, stand
-beispielsweise das Haus Nr. 48, das die Mietwohnungen Nr. 659&ndash;672
-enthält, noch am 11. September leer. Am 12. fand sich jedoch ein Herr
-beim Hausverwalter ein, stellte sich als Baron de Citrac vor und
-wünschte eine so ungestörte Wohnung als möglich zu<span class="pagenum" id="Seite_240">[S. 240]</span> mieten. Er sei
-wissenschaftlicher Arbeiten wegen nach London gekommen und bringe seine
-Frau mit, für die er am liebsten eine separate Wohnung gegenüber seiner
-eigenen haben wolle. Der Häuserverwalter Mr. Markham, beeilte sich,
-ihm das Haus Nr. 48 zu zeigen. Der Baron entschied sich sofort für
-die Wohnungen Nr. 661&ndash;662 im ersten Stock, bezahlte im vorhinein und
-bat den Verwalter, ein einfaches, aber solides Ameublement für beide
-Wohnungen zu beschaffen. Er drückte seine Anerkennung für Mr. Markhams
-Entgegenkommen durch eine Fünfpfundnote aus, die Mr. Markham zu seinem
-Sklaven machte, und nahm dann Abschied.</p>
-
-<p>Montag, den 15., zog er ein. Der Verwalter war selbst zugegen, und
-fand Gelegenheit, seine Meinung über den neuen Mieter in einem Punkte
-zu ändern. Die Reden des Barons von wissenschaftlichen Arbeiten
-hatte er nur als einen durchsichtigen Vorwand für etwas ganz anderes
-aufgefaßt, worin die Franzosen eine traurige Berühmtheit besitzen und
-dem auch Chesterton Mansions nicht fremd war: eine Eskapade mit einer
-nicht offiziellen Baronin. Er gab den Glauben daran auf, als er die
-Baronin de Citrac erblickte; denn gewiß war sie schön und pikant, mit
-grauen Augen und rotblondem Haar, aber dabei sah sie so vornehm aus,
-daß der Verwalter die ganze Zeit, die sie da war, mit dem Hute in der
-Hand dastand. Der Baron, der zwei Diener mit hatte, drückte seine
-Zufriedenheit mit der Möblierung der Wohnungen aus und verabschiedete
-den Verwalter.</p>
-
-<p>Es dauerte bis zum 16., bevor dieser den neuen<span class="pagenum" id="Seite_241">[S. 241]</span> Mieter wiedersah, denn
-er wohnte selbst in einer Quergasse; aber als dies geschah, war es
-unter Umständen, die ihn aufs neue an dem Ernst von Herrn de Citracs
-wissenschaftlichen Studien zweifeln ließen. Mr. Markham war am Abend
-des 15. Septembers in einer Gesellschaft gewesen, die sich bedenklich
-in die Länge gezogen hatte; ein Freund von ihm, der Junggeselle war
-und ein Geschäft in einer Quergasse von Chesterton Mansions hatte,
-hatte ihn zu einer Geburtstagsfeier eingeladen. Diese hatte im „Roten
-Löwen“ in Maida Vale begonnen und war nach Schließung dieses populären
-Lokales in der Junggesellenwohnung des Freundes fortgesetzt worden.
-Die Haupterfrischung war irländischer Whisky gewesen, und Mr. Markham
-war sich des Einflusses dieses Getränkes auf die Balancierfähigkeit
-ganz bewußt, als er gegen halb vier Uhr morgens heimwanderte. Er nahm
-den Weg durch Chesterton Mansions aus dem Grunde, weil diese Straße
-eine unerklärliche Anziehung auf seine Beine auszuüben schien, doch
-ohne daß diese irgendwelche Parteilichkeit für eine bestimmte Seite
-derselben zeigten; und er hatte sich eben an einem Laternenpfahl auf
-dem linken Trottoir verankert, als die Nachtruhe von etwas anderem als
-dem Trommelwirbel, den seine Stöckel auf dem Pflaster vollführten,
-unterbrochen wurde. Ein Auto kam nach Chesterton Mansions gesaust und
-hielt vor dem Hause gegenüber von Mr. Markhams Laternenpfahl. Mr.
-Markhams irrender Blick hatte soeben konstatiert, daß es das Haus Nr.
-48 war. Jetzt sah er zwei Herren mit aufgestellten Rockkragen aus dem
-Auto steigen und mit<span class="pagenum" id="Seite_242">[S. 242]</span> großer Anstrengung zwei andere herausheben,
-die in beträchtlich schlimmerer Verfassung schienen als Mr. Markham
-selbst. Sie konnten faktisch nicht auf den Beinen stehen. Mr. Markham
-glaubte zu sehen, daß sie in irgendein exzentrisches Kostüm gekleidet
-waren. Der Kontrast zwischen den Evolutionen der vier Herren und seiner
-eigenen sicheren Position am Laternenpfahl erfüllte ihn mit einer
-Befriedigung, die in einem herzlichen Lachen Ausdruck fand.</p>
-
-<p>„Mi—mir scheint, die haben g—genug,“ sagte Mr. Markham.</p>
-
-<p>Die Laterne, unter der Mr. Markham stand, war ausgelöscht, und Mr.
-Markham erregte daher nicht die Aufmerksamkeit der vier Herren.
-Jetzt sprang der Chauffeur ab und übernahm den einen der beiden
-übererfrischten Herren, während einer der Herren, die zuerst
-ausgestiegen waren, das Haustor von Nr. 48 öffnete. Der Mann, den der
-Chauffeur stützte, fiel seinem Helfer in die Arme, und verlor dabei
-einen weißen Turban, der auf das Trottoir rollte.</p>
-
-<p>„Der ist wohl auf einem Ma—maskenball gewesen,“ sagte Mr. Markham.
-„Mir scheint, der hat genug. Und jetzt trei—treiben sie es, scheint
-mir, noch weiter!“</p>
-
-<p>Jetzt öffnete sich die Haustüre, und ein mühsamer Transport begann,
-dem Mr. Markham unter großer Heiterkeit zusah. Schließlich kehrte der
-Chauffeur allein zurück, schloß das Tor und fuhr im Auto fort, ohne Mr.
-Markham gesehen zu haben.</p>
-
-<p>„De—der wird sich auch ein schönes Trinkgeld verdient haben,“ murmelte
-Mr. Markham mit einem<span class="pagenum" id="Seite_243">[S. 243]</span> verständnisvollen Lächeln und löste sich von dem
-Laternenpfahl los. Er erreichte die nächste Straßenecke, wo er sich
-wieder verankerte, um einem Gedanken Luft zu machen, der sich in seinem
-Innern emporgearbeitet hatte.</p>
-
-<p>„Nummer ach—achtundvierzig, hol mich der und jener!“ brummte Mr.
-Markham. „Die Wohnung des B—barons. Die einzige, die vermietet
-ist! Wissenschaftliche Arbeiten, hahaha! Go—gott helfe mir,
-wissenschaftliche Arbeiten!“</p>
-
-<p>Er gewann diesem Gedanken alle Ergötzlichkeit ab, die er bot, bevor
-er den Laternenpfahl wieder losließ und seinen unsicheren Heimweg
-fortsetzte.</p>
-
-<p>Mr. Markhams Gedächtnis war von jener beneidenswerten Sorte, die auch
-an einem Morgen nach irländischem Whisky funktioniert. Er erinnerte
-sich folglich am nächsten Morgen an die vier Herren, die er in das Haus
-Nr. 48 gehen gesehen hatte; und in der Morgenbeleuchtung erschien ihm
-dieser Vorfall nicht ganz so ausschließlich humoristisch wie in der
-Nacht. Nur der Chauffeur war wieder aus dem Hause herausgekommen; waren
-also die drei Herren die Nacht über beim Baron geblieben? Dann hatten
-sie sicherlich Lärm gemacht und die Nachtruhe der Nachbarn gestört. Mr.
-Markham machte einen Vormittagsbesuch in Nr. 46, um sich beim Nachbar
-des Barons darnach zu erkundigen.</p>
-
-<p>Dieser war ein jüdischer Geldverleiher, der immer mit der Sonne
-aufstand, um soviel als möglich aus seinem fragwürdigen Beruf
-herauszuschlagen. An diesem Morgen war er schon seit halb sechs Uhr
-auf,<span class="pagenum" id="Seite_244">[S. 244]</span> wie er Mr. Markham erklärte, aber durchaus nicht infolge von Lärm
-im Nebenhause. Er hatte im Gegenteil kaum einen Laut von dort gehört;
-aber gegen sechs Uhr hatte er einen Herrn mit aufgestelltem Rockkragen
-Nr. 48 verlassen und die Sutherland Avenue hinuntergehen sehen.</p>
-
-<p>„Einen?“ fragte Mr. Markham, „nur einen, Herr Streptowitz?“</p>
-
-<p>„Nur einen,“ bestätigte Herr Streptowitz mit dem melancholischen
-Tonfall, den seine Stimme bei der Erwähnung so geringfügiger Zahlen
-annahm.</p>
-
-<p>„Nur einer!“ wiederholte Mr. Markham. „Aber ich sah doch vier
-hineingehen, und da müßten wohl drei wieder herausgekommen sein, wenn
-der eine der vier der Baron war!“</p>
-
-<p>„Die andern zwei Herren sind wohl vorangegangen,“ sagte Mr.
-Streptowitz, so melancholisch, als wollte er andeuten, daß die beiden
-Herren in eine andere Welt gegangen seien.</p>
-
-<p>Mr. Markham gab zu, daß dies wahrscheinlich sei, und verabschiedete
-sich.</p>
-
-<p>Am selben Nachmittag sah er den Baron und die Baronin. Sie standen im
-Stiegenhaus vor der offenen Türe ihrer Wohnung und sprachen eifrig mit
-gesenkter Stimme. Mr. Markham, der die Treppen hinaufkam, um die leeren
-Wohnungen zu besichtigen und seiner Gewohnheit gemäß in Gummischuhen
-ging, kam in Hörweite, ohne daß sie ihn bemerkten. Er fing einige Worte
-des Barons auf:</p>
-
-<p>„Der verdammte schwedische Schlingel! Diese Nacht gehörte ihm, aber
-übermorgen gedenke ich durch dich<span class="pagenum" id="Seite_245">[S. 245]</span> Revanche zu nehmen ...“ Er erblickte
-Mr. Markham und verstummte plötzlich.</p>
-
-<p>Mr. Markham, der innerlich zu der Schlußfolgerung gelangt war, daß der
-eine der Teilnehmer an der Orgie der Nacht — vermutlich der Herr mit
-dem Turban — ein Schwede war und offenbar seinen Gastgebern lästig
-geworden war, lächelte dem Baron diskret zu, während er grüßte. Er
-wollte eben eine feine Anspielung machen, um zu zeigen, daß er von den
-wissenschaftlichen Studien seines Mieters wußte, was er wußte, aber sah
-aus Respekt vor der Baronin davon ab.</p>
-
-<p>Es dauerte bis Freitag, den 19. September, ehe er Anlaß hatte, wieder
-an die Herrschaften in Nr. 48 zu denken. Früh am Vormittag dieses Tages
-ging er an Mr. Streptowitz’ Wohnung vorbei. Dieser Herr stand in der
-Türe und rauchte in Hemdärmeln eine Pfeife. Als er Mr. Markham sah,
-nahm er die Pfeife aus dem Mund und winkte ihm.</p>
-
-<p>„Jetzt sind die aus Nr. 48 abgereist,“ sagte er mit betrübter Stimme.</p>
-
-<p>„Abgereist? Der Baron ist abgereist?“ stammelte Mr. Markham.</p>
-
-<p>„Das weiß ich nicht, aber die zwei Herren, von denen Sie dieser Tage
-sagten, daß sie Ihnen fehlten.“</p>
-
-<p>„Was meinen Sie, Mr. Streptowitz?“</p>
-
-<p>„Die zwei Herren, die dieser Tage fehlten. Sie sagten doch, Sie hätten
-drei fremde Herren hineingehen sehen, und ich sah nur einen wieder
-fortgehen. Heute morgens um halb fünf Uhr, als ich mich ankleidete, sah
-ich sie in einem Auto in Gesellschaft eines<span class="pagenum" id="Seite_246">[S. 246]</span> anderen Herrn fortfahren.
-Sie sahen aus wie Inder und wie schwer betrunken. Es war noch kaum
-taghell. Ich stehe am Freitag immer so früh auf, weil die Leute für den
-Sabbath Geld brauchen.“</p>
-
-<p>„Inder und bis jetzt da!“ rief Mr. Markham, „und um halb fünf Uhr früh
-schwer betrunken! Das ist ja unanständig, Mr. Streptowitz.“</p>
-
-<p>„Das ist es auch,“ gab Mr. Streptowitz mit einem etwas freudigerem
-Tonfall zu. „Um fünf Uhr soll man aufstehen und arbeiten, und nicht
-betrunken sein. Was macht denn der Baron auf Nr. 48?“</p>
-
-<p>„Er studiert!“ rief Mr. Markham mit einem schrillen Lachen. „Studiert
-die Wissenschaften, Streptowitz! Gott helfe mir, die Wissenschaften!“</p>
-
-<p>„Das ist traurig,“ sagte Mr. Streptowitz, „sehr traurig. Sie werden
-schon sehen, bei dem kommt noch etwas Merkwürdiges heraus, Mr. Markham.“</p>
-
-<p>Mr. Markham, der sich an seine Fünfpfundnote erinnerte, erklärte
-energisch, seine Mieter stünden hoch über jedem Verdacht.</p>
-
-<p>Am selben Tage etwas später führte ihn sein Weg zum Baron. Chesterton
-Mansions war bis jetzt nur mit Gas versehen gewesen; nun war die
-Rede davon, Elektrizität einzuführen, wenn die Mieter sich dafür
-aussprachen. Mr. Markham klingelte beim Baron an, um sich zu
-erkundigen. In der Wohnung reagierte niemand darauf. Mr. Markham
-klingelte bei der Baronin an. Zu seinem Staunen kam sie selbst und
-öffnete. Sie machte nur einen kleinen Spalt der Türe auf, um zu sehen,
-wer da war. Sie sah etwas übernächtig aus, ihre grauen Augen waren
-nicht so ruhig und kalt wie<span class="pagenum" id="Seite_247">[S. 247]</span> sonst, und Mr. Markham bemerkte, daß sie
-Ringe unter denselben hatte. Mr. Markham brachte sein Anliegen vor und
-sagte, daß er schon an der Wohnung ihres Mannes geklingelt habe.</p>
-
-<p>„Mein Mann ist ausgegangen,“ sagte sie kurz, aber verbesserte sich
-sofort: „verreist, meine ich. Nach Oxford, seiner Arbeit wegen.“</p>
-
-<p>Mr. Markham, der sich an Mr. Streptowitz’ Erzählung von den drei Herren
-erinnerte, die am Morgen abgereist waren, starrte sie an und machte
-seiner Neugierde Luft.</p>
-
-<p>„Hat der Baron Besuch gehabt?“ fragte er.</p>
-
-<p>Sie zog die Augenbrauen zusammen.</p>
-
-<p>„Was meinen Sie?“</p>
-
-<p>„Jemand hat heute morgens zu sehr früher Stunde drei Herren abreisen
-sehen,“ stammelte Mr. Markham.</p>
-
-<p>Die Baronin sah ihm fest in die Augen.</p>
-
-<p>„Der Baron ist heute früh mit seinen zwei Dienern abgereist,“ sagte
-sie kurz. „Ich bin bis morgen allein in der Wohnung, aber seien Sie
-so gut und lassen Sie das nicht bekannt werden. Eine Dame allein kann
-Unannehmlichkeiten haben.“</p>
-
-<p>„Und die Elektrizität?“ murmelte Mr. Markham mit einer demütigen
-Verbeugung.</p>
-
-<p>„Hat Zeit, bis der Baron in ein oder zwei Tagen wiederkommt. Guten
-Abend.“</p>
-
-<p>Sie schloß die Türe artig, aber bestimmt Mr. Markham vor der Nase zu.
-Dieser blieb stehen und starrte die Türe an, und plötzlich zuckte er
-zusammen. Er hätte es nicht beschwören können — aber war das<span class="pagenum" id="Seite_248">[S. 248]</span> nicht
-eine Männerstimme, die er drinnen aus der Wohnung gehört hatte, in der
-die Baronin <em class="gesperrt">allein</em> war? Nur einen Augenblick, dann war es wieder
-still ... Mr. Markham machte einer ententefeindlichen Ansicht über die
-Moral der Franzosen Luft und ging, indem er murmelte:</p>
-
-<p>„Streptowitz hat recht, das ist bestimmt eine merkwürdige Gesellschaft,
-die hier auf Nr. 48.“</p>
-
-<p>Hätte Mr. Markham die Gabe gehabt, in dem Augenblicke, in dem er diese
-Aeußerung machte, durch die geschlossene Türe zu sehen, wäre sie noch
-berechtigter gewesen. Mr. Markhams Ohren hatten ihn nicht getäuscht; es
-war eine Männerstimme, die er soeben aus der Wohnung der Baronin gehört
-hatte, und was sie gesagt hatte, war:</p>
-
-<p>„Wer war das? Der Verbrecherkönig?“</p>
-
-<p>Die Stimme kam von einem jungen Manne, der auf einem Diwan lag. Er
-war von bräunlicher Gesichtsfarbe mit einem kurzen Schnurrbart, nicht
-ohne Spuren von Wohlleben, und seine Augen waren von schwarzen Ringen
-umgeben, die ebenso gut von Wohlleben wie von Entbehrungen stammen
-konnten. Denn der junge Mann, der auf dem Diwan lag, war an Händen und
-Füßen gebunden und wurde außerdem durch einen losen Gürtel über der
-Brust an dem Diwan festgehalten. Die Baronin hatte sich ruhig in einem
-Fauteuil niedergelassen; der Gefangene auf dem Diwan wiederholte seine
-Frage:</p>
-
-<p>„War das Euer Gatte, der Verbrecherkönig?“</p>
-
-<p>Sie schüttelte den Kopf.</p>
-
-<p>„Sie sind beharrlich in Ihrer Ausdrucksweise,“<span class="pagenum" id="Seite_249">[S. 249]</span> sagte sie. „Wie oft
-soll ich Ihnen noch sagen, daß der Mann, den Sie den Verbrecherkönig
-nennen, nicht mein Gatte ist?“</p>
-
-<p>„Aber ihr wohnt doch hier zusammen?“</p>
-
-<p>„Nein, sage ich Ihnen. Wir haben jeder unsere Wohnung. Die seine liegt
-meiner gegenüber, und der jetzt angeläutet hat, war der Mann, der
-die Wohnungen vermietet. Er hatte eine Anfrage. Sind Sie jetzt nicht
-durstig? Soll ich Ihnen Zitrone und Wasser geben?“</p>
-
-<p>Der Gefangene auf dem Diwan runzelte heftig die Stirne.</p>
-
-<p>„Ich nehme ebenso wenig von Euch etwas an, wie von ihm, von dem Ihr
-behauptet, daß er nicht Euer Gatte ist,“ sagte er.</p>
-
-<p>Seine Stimme zitterte vor unterdrückter Empörung.</p>
-
-<p>„Ihr beide habt unauslöschliche Schmach auf meinen Namen gehäuft und
-die Pläne ganz durchkreuzt, um deretwillen ich in diesen Weltteil
-gekommen bin, der ewig verflucht sein möge.“</p>
-
-<p>„Aber ich sage Ihnen, es dauert mindestens zwei Tage, bis Sie frei
-werden. Sie werden verhungern oder verdursten.“</p>
-
-<p>„Lieber das, als etwas von Euch annehmen.“</p>
-
-<p>Dies junge Frau neigte den Kopf.</p>
-
-<p>„Wie Sie wollen,“ sagte sie. „Vielleicht können Sie zwei Tage leben,
-ohne sich so tief zu demütigen. Die Menschen in Ihrem Lande können sich
-ja sogar lebend begraben lassen ohne zu sterben. Im übrigen müßte ja
-Zitrone und Wasser nicht als Salz und Brot gelten.“</p>
-
-<p>Der Gefangene lag mit geschlossenen Augen da,<span class="pagenum" id="Seite_250">[S. 250]</span> ohne zu antworten. Sie
-fuhr langsam wie für sich selbst fort:</p>
-
-<p>„Als Sie vor einigen Stunden zum Bewußtsein erwachten, tranken Sie zwei
-ganze Gläser, die Ihnen gut zu tun schienen.“</p>
-
-<p>Er öffnete die Augen und starrte sie an.</p>
-
-<p>„Ist das wahr, oder lügt Ihr, um mich in einer Falle zu fangen?“</p>
-
-<p>„Ich bin eine Abenteurerin, aber ich lüge Sie nicht an. Nicht einmal,
-um Sie in eine Falle zu locken.“</p>
-
-<p>Er starrte sie an ohne zu antworten. Endlich sagte er:</p>
-
-<p>„Eine Abenteurerin? Was ist das?“</p>
-
-<p>Sie zog die Augenbrauen empor.</p>
-
-<p>„Wie soll ich es Ihnen sagen? Ich war verheiratet, mein Mann starb, ich
-war des Lebens, das ich kannte, müde und zog aus, um etwas Neues kennen
-zu lernen.“</p>
-
-<p>„Und Ihr fandet es?“ Seine Stimme war eifrig, aber ohne die frühere
-Erregung.</p>
-
-<p>„Ich fand wenigstens eine neue Sorte von Mann,“ sagte sie.</p>
-
-<p>„Wen? Den Verbrecherkönig?“</p>
-
-<p>„Ja. Er glich keinem anderen Mann, den ich getroffen hatte. Er beging
-Torheiten, die ihm das Leben und die Freiheit kosten konnten, um einer
-Laune willen, und er konnte den Gewinn um einer Laune willen hinwerfen,
-die törichter war, als andere Menschen es sich auch nur träumen lassen
-können.“</p>
-
-<p>Der Gefangene auf dem Diwan starrte vor sich hin und murmelte:</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_251">[S. 251]</span></p>
-
-<p>„Auch ich war des Lebens, das ich kannte, müde und zog aus, um etwas
-Neues zu suchen, das ich nicht kannte.“</p>
-
-<p>Sie lächelte.</p>
-
-<p>„Aber das haben Sie ja unleugbar gefunden!“</p>
-
-<p>„Was ich suchte, war ein Weib, dessengleichen ich noch nie gesehen.“</p>
-
-<p>Sie lächelte wieder.</p>
-
-<p>„Und ich suchte einen solchen Mann, vermute ich!“</p>
-
-<p>Er starrte sie verachtungsvoll an.</p>
-
-<p>„Und Ihr begnügtet Euch mit einem Verbrecherkönig!“</p>
-
-<p>„Es gilt König auf irgendeinem Gebiete zu sein,“ sagte sie.</p>
-
-<p>„Und Ihr, die Ihr es verdient, Königin, wo es auch sein mag, zu sein,
-entscheidet Euch dafür, die Königin der Verbrecher zu sein. Beim
-Propheten, ich kann meinen Sinnen nicht glauben.“</p>
-
-<p>„Sie sind artig gegen mich,“ sagte sie. „Sie würden es vermutlich nicht
-sein, wenn ich Ihnen sagte, daß ich mich nicht wie andere Königinnen
-damit begnüge, den König regieren zu lassen. Heute nacht unternahm ich
-einen Versuch, das zu tun, was dem König vor drei Tagen mißlungen ist.
-Sie haben schon selbst herausgefunden, warum Sie hier sind.“</p>
-
-<p>„Einer Anzahl farbiger Steine wegen; die weißen Sahibs denken nie an
-etwas anderes als an Gewinn.“</p>
-
-<p>„Einer Anzahl recht ungewöhnlicher, farbiger Steine wegen,“ wendete sie
-ein. „Aber farbig oder nicht farbig hätten sie für mich nur durch das
-Bewußtsein<span class="pagenum" id="Seite_252">[S. 252]</span> Wert gehabt, daß mir gelungen ist, was dem König mißlang.“</p>
-
-<p>„Eurem Gemahl! Dem Mann, den Ihr liebt!“</p>
-
-<p>„Nein, sage ich Ihnen!“ Sie stampfte mit ihrem schwarzen Samtschuh auf
-den Boden, „ein Bewerber um meine Hand. Nichts anderes. Lassen Sie mich
-erzählen, was er und was ich getan haben, und sagen Sie mir, wer bisher
-des Throns würdiger ist.“</p>
-
-<p>Indem sie ihre Finger miteinander verschlang und hie und da nach der
-Sonne sah, die hinter dem Ziegelhorizont von Chesterton Mansions
-verschwand und ihr Haar zu einer goldroten Krone machte, begann sie
-zu sprechen. Der Gefangene auf dem Diwan hörte ihr schweigend zu,
-während der Blick seiner Augen die ganze Skala von Verachtung bis
-zum Enthusiasmus durchlief. Nach einiger Zeit verstummte sie und sah
-ihn an, die Augenbrauen über ihren grauen Augen fragend gehoben. Er
-schwieg, dann sagte er langsam:</p>
-
-<p>„Und alles wegen ein paar farbiger Steine! Wäre ich frei, sie wären in
-diesem Augenblicke die Euren.“</p>
-
-<p>Sie richtete sich ein wenig auf.</p>
-
-<p>„Meinen Sie, was Sie sagen?“ fragte sie. „Könnten Sie Juwelen, die in
-Geld gar nicht zu schätzen sind, einem Wesen schenken, das alles dazu
-getan hat, Sie derselben zu berauben? Ach, Sie sprechen wie andere
-Männer — der schönen Worte wegen.“</p>
-
-<p>Er sah sie mit einem intensiven und zugleich müden Blick an.</p>
-
-<p>„Ihr könnt so etwas nicht für möglich halten,“ sagte er, „seid Ihr
-doch eine aus dem Volke der Sahibs. In meinem Lande werden Reichtum
-und edle<span class="pagenum" id="Seite_253">[S. 253]</span> Steine nur für das geschätzt, was sie sind, und was ein Mann
-leistet, gilt alles. Aber Ihr seid aus dem Volke der Sahibs, und Euch
-scheint es undenkbar, daß ich aus einer Laune etwas wegwerfe, was für
-Euch Ziel und Zweck des Lebens ist.“</p>
-
-<p>Sie erhob sich aus ihrem Fauteuil und glitt zu dem Diwan, auf dem er
-lag.</p>
-
-<p>„Was würden Sie tun, wenn ich jetzt Ihre Bande löste?“ sagte sie.</p>
-
-<p>Er sah sie mit derselben Ruhe im Blick an.</p>
-
-<p>„Mein Versprechen lockt Euch?“ sagte er. „Ihr wollt sehen, ob eines
-Königs Wort auch eines Königs Wort ist, wenn es sich um hundertfünfzig
-Juwelen handelt?“</p>
-
-<p>In ihren Augen blitzte es auf, und sie machte zwei Schritte zurück.</p>
-
-<p>„Sie könnten mir die Steine jetzt geben, und ich würde sie Ihnen ins
-Gesicht werfen,“ sagte sie. „Wenn es mir heute nacht gelungen wäre,
-mich Ihrer Juwelen zu bemächtigen, für deren Besitz ich viele hundert
-Meilen gereist bin, ich würde dasselbe damit tun. Sie können mir aufs
-Wort glauben. So sehr Sie König sind, bin ich Königin.“</p>
-
-<p>Er machte einen Versuch, sich auf dem Diwan aufzurichten, aber wurde
-von den Banden gehindert und sank zurück. Er starrte sie lange und
-unverwandt an, wie um sich von dem Gehalt ihrer Worte zu überzeugen.
-Sie hielt stand und betrachtete ihn mit demselben Licht in den Pupillen
-und derselben leichtgeschürzten Oberlippe. Endlich sagte er langsam und
-beinahe demütig:</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_254">[S. 254]</span></p>
-
-<p>„Ich bin blind gewesen. Verzeiht! Ihr seid das, was Ihr sagtet, und
-meine Kehle ist trockener als eine Wüste. Aus Eurer Hand empfange ich
-alles, was sie gibt, wie der Bettler eine Gabe.“</p>
-
-<p>Sie zuckte zusammen; ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln, und sie
-eilte durch das Zimmer zu einem Tisch mit Gläsern und Flaschen. Nach
-einem Augenblick war sie wieder bei ihm, mit einem Glas, dessen Inhalt
-er auf einen Zug austrank. Er sank auf den Diwan zurück, sie zog den
-Fauteuil etwas näher heran und setzte sich. Sie maßen einander noch
-immer mit den Blicken, und schließlich sagte er:</p>
-
-<p>„Erzählt mir noch mehr aus Eurem Leben. Seid Ihr wirklich mehrere
-hundert Meilen gefahren, um meine Juwelen zu erringen? Ohne sie auch
-nur um ihres Geldwertes willen zu begehren?“</p>
-
-<p>Sie neigte den Kopf.</p>
-
-<p>„Mich dünkt,“ sagte er langsam, „als wäre ich einen noch weiteren Weg
-gepilgert, oh Maharaneeh, um Euch zu begegnen.“</p>
-
-<p class="center">* <span class="mleft7">*</span><br />
-*</p>
-
-<p>Am Nachmittag des nächsten Tages, als Mr. Markham bei der Baronin und
-dem Baron anklingelte, meldete sich niemand. Mr. Markham stürzte zu Mr.
-Streptowitz hinauf. Dieser nickte bestätigend.</p>
-
-<p>„Jawohl, sie ist abgereist. Ich habe sie selbst gesehen. Aber sie war
-nicht allein!“</p>
-
-<p>„Nicht allein? War sie in Gesellschaft des Barons?“</p>
-
-<p>„Nein,“ sagte Mr. Streptowitz, „sie war mit einem<span class="pagenum" id="Seite_255">[S. 255]</span> Hindu. Das Haus muß
-voller Hindu sein. Ich bin überzeugt, das sind Anarchisten. Und dieser
-Hindu und die Baronin lächelten sich an wie ein verliebtes Paar.“</p>
-
-<p>Und das war das letzte, was Chesterton Mansions von dem freiherrlichen
-Paar de Citrac sah.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_256">[S. 256]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="XII">XII<br />
-
-<em class="gesperrt">Ein Fest und sein Abschluß</em></h2>
-
-</div>
-
-<p>Allan fiel der Auftrag zu, Yussuf Khans Einladung der Familie Bowlby
-zu übermitteln, einerseits, weil der Maharadscha und der alte Ali
-noch nicht fest genug auf den Füßen standen, um die fürstliche Suite
-zu verlassen, andererseits, weil Allan als persönlicher Freund der
-amerikanischen Familie sich für den Auftrag am besten eignete. Er
-machte folglich am selben Abend einen Besuch bei ihnen und überbrachte
-die Einladung.</p>
-
-<p>Eine Debatte folgte. Mrs. Bowlby hatte ihn kaum bis zu Ende gehört, als
-sie von ihrem Sessel aufsprang und erklärte, was sie alles eher sein
-wollte, als zu einer solchen Veranstaltung zu gehen.</p>
-
-<p>„Glauben Sie, ich durchschaue ihn nicht? Er will sich durch uns
-rehabilitieren, nachdem er durch den heutigen Skandal in aller Leute
-Mund gekommen ist! Das will er!“</p>
-
-<p>„Aber er reist doch übermorgen ab, Mrs. Bowlby.“</p>
-
-<p>„Und was wird nun mit der Prinzessin, um die er werben wollte?“</p>
-
-<p>„Das muß er aufgeben, und ehrlich gestanden, schien er es ungewöhnlich
-leicht zu nehmen. Ich hatte Proteste erwartet, aber der Oberst hatte
-ihn sofort umgestimmt. Das einzige, was er in dieser Richtung<span class="pagenum" id="Seite_257">[S. 257]</span> sagte,
-war, daß er Herrn van Schleeten beneide, dem es gelungen sei, sein Herz
-an ein Weib zu verlieren. Das habe er selbst nie zustande gebracht,
-obwohl er hundertfünfzig hat, die es ihm stehlen wollen.“</p>
-
-<p>„Das ist wieder echt männlich, ha! Dasitzen und mit seinen Erfolgen bei
-den armen Geschöpfen und seiner eigenen Gleichgültigkeit zu prahlen! Er
-sollte hundertfünfzig Rutenstreiche auf die Fußsohlen haben, das sollte
-er!“</p>
-
-<p>„Sie wollen also nicht kommen, Mrs. Bowlby?“</p>
-
-<p>„Da ginge ich noch eher in das Lokal, wo er und Sie sich kürzlich
-herumgetrieben haben.“</p>
-
-<p>„Ich werde Se. Hoheit bitten, den Schauplatz dorthin zu verlegen.“</p>
-
-<p>„Keine Keckheiten, <span class="antiqua">demmit</span>, junger Freund. Helen, mein Kind, ich
-hoffe, du hast auch <em class="gesperrt">keinen Augenblick</em> Lust gehabt, zu gehen?“</p>
-
-<p>„Ich ginge gerne, Mama, furchtbar gerne.“</p>
-
-<p>„Und ich gedenke, zu gehen, wenn niemand anderer sich entschließt,“
-sagte Mr. Bowlby.</p>
-
-<p>Mrs. Bowlby konnte nur einen ganz kurzen Entsetzensschrei ausstoßen,
-als Allan auch schon diplomatisch etwas aus der Tasche zog — das
-Halsband, das er am selben Nachmittag von Yussuf Khan erhalten hatte.
-Mrs. Bowlby blieb ihr Schrei in der Kehle stecken.</p>
-
-<p>„Mr. Cray! <em class="gesperrt">Wo</em> haben Sie das aufgegabelt? Mirzl hat doch Ihr Geld
-gestohlen!“</p>
-
-<p>„Das Geld, von dem Mirzl mich befreit hat, hätte nicht einmal gelangt,
-um die Goldeinfassung dieser Steine zu bezahlen, Mrs. Bowlby. Ich bekam
-dies<span class="pagenum" id="Seite_258">[S. 258]</span> heute nachmittag vom Maharadscha als geringen Dank dafür, daß es
-mir zweimal gelang, Mirzl und seiner Bande zuvorzukommen. Wollen Sie es
-ansehen?“</p>
-
-<p>Mrs. Bowlbys Arm schnellte gierig und diebisch vor, wie die Klaue eines
-Papageis. Sie ließ die Juwelen durch ihre Finger rinnen.</p>
-
-<p>„Wunderbar,“ flüsterte sie. „Und das haben Sie von ihm bekommen? Und
-Sie haben seine anderen Juwelen gesehen?“</p>
-
-<p>„Ich habe das von ihm bekommen. Es hat einmal einem persischen Sultan
-gehört, sagte der alte Ali. Der Maharadscha hat es mir ausgewählt.
-Selbst hätte ich ein Jahr gebraucht, um unter seinen Juwelen eine Wahl
-zu treffen. Das einzige, was ich zu nehmen wagte, waren diese einzelnen
-Steine.“</p>
-
-<p>„Opale! Die Unglück bringen!“</p>
-
-<p>„Wer weiß? Vielleicht bringen sie mir Glück — ich habe meistens gerade
-umgekehrt gehandelt, wie vernünftige Menschen.“</p>
-
-<p>„Und wie waren die andern?“</p>
-
-<p>„Bitten Sie mich einen Regenbogen zu beschreiben, Mrs. Bowlby! Wenn Sie
-einen Begriff davon haben wollen, weiß ich keinen anderen Weg, als daß
-Sie zum Fest des Maharadscha kommen.“</p>
-
-<p>„Dorthin? Nie! Eher will ich — gehst du, John?“</p>
-
-<p>„Ja, liebe Susan.“</p>
-
-<p>„Und du, Helen, du machst es wie ich, nicht wahr?“</p>
-
-<p>„Ja, Mama, wenn du Papa folgst. Eheleute sollen einander nahe sein, das
-haben wir in meiner Schule gelernt.“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_259">[S. 259]</span></p>
-
-<p>Mrs. Bowlby stieß einen Seufzer aus, den sie nur mäßig überzeugend
-gestalten konnte.</p>
-
-<p>„So sagen Sie also dem Untier, daß ich komme,“ sagte sie. „Aber
-<em class="gesperrt">anständiges Benehmen</em> ist meine Bedingung. Und <em class="gesperrt">was</em> soll
-man anziehen, Mr. Cray?“</p>
-
-<p class="center">* <span class="mleft7">*</span><br />
-*</p>
-
-<p>Wahrscheinlich hatte Yussuf Khan seine Weisungen etwas modifiziert,
-oder auch war London außerstande gewesen, sie in vollem Ausmaß
-durchzuführen, denn ganz asiatisch war das Bild nicht, das sich den
-Eingeladenen — Familie Bowlby, Herrn van Schleeten und Allan —
-bot, als sie am folgenden Abend in einer Prozession in den großen
-Festsaal des Grand Hotel Hermitage wanderten und dort von Yussuf
-Khan, dem Obersten und dem alten Ali empfangen wurden. Der Oberst,
-Herr van Schleeten, Mr. Bowlby und Allan waren im Frack; Miß Bowlby
-in ausgeschnittenem Tüll und Mrs. Bowlby in einer grünschwarzen
-Brokattoilette mit einer Schleppe, die ebenso lang war wie sie selbst,
-mit ihren besten Juwelen geschmückt und fest entschlossen, das
-Sternenbanner hochzuhalten. Yussuf Khan und der alte Ali waren in ganz
-orientalischen weißen weiten Gewändern, mit Turbans auf dem Kopfe.
-Yussuf Khans Turban trug eine Aigrette von Diamanten, alle weiß bis
-auf einen einzigen großen schwarzen, der wie ein brennender Pechsee
-flammte. Ueber sein rechtes Ohr hing ein Büschel Smaragden, das Mrs.
-Bowlbys Lippen ein unwillkürliches Ah! entlockte. Yussuf Khan begrüßte
-sie mit einem tiefen Salaam.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_260">[S. 260]</span></p>
-
-<p>„Willkommen, Gäste des Abends!“ sagte er. „Willkommen zu dieser
-Festlichkeit, und nehmet meinen Dank, daß ihr sie durch eure Gegenwart
-beehren wollt. Ich bitte euch, gütigst zu entschuldigen, daß die
-Anordnungen, die getroffen wurden, euer ganz unwürdig sind, und bevor
-wir zu dem dürftigen Tische gehen, bitte ich euch, Oberst Morrel
-Sahib, diejenigen meiner Gäste vorzustellen, mit denen ich noch nicht
-zusammengetroffen bin.“</p>
-
-<p>Während der Oberst diese Vorstellung vornahm, hatte Allan Zeit, sich
-umzusehen.</p>
-
-<p>Der Festsaal des Hotels hatte, um nach Yussuf Khans Wünschen angeordnet
-zu werden, die Voraussetzung gehabt, daß er in einer Art Tempelstil
-erbaut war, mit sehr breiten Säulen an den Seiten, die eine nicht
-besonders hohe Decke trugen. Jetzt waren sowohl Decke wie Wände und
-Boden von ungeheuren schweren Teppichen in phantastischen teheranischen
-Mustern verdeckt, zwischen denen die grünblauen breiten Marmorsäulen,
-wenigstens für Allans Phantasie, asiatisch wirkten. Von der Decke
-sanken die Draperien in einer weichen Kurve herab, in der Mitte
-des Saales von zehn langen Lanzen gerafft; unter dem so gebildeten
-Baldachin war die niedrige Festtafel gedeckt. Davor befanden sich an
-der Stelle von Sesseln förmliche Berge von Kissen. Neben jedem Platz
-stand ein niedriges Metallgestell, das eine Spülschale aus grünem
-Porphyr trug. Die Beleuchtung war ein Kompromiß zwischen Europa und
-der Religion des Propheten: Elektrische Lampen, die zusammen einen
-gewaltigen Halbmond bildeten, glitzerten an der draperieverhüllten<span class="pagenum" id="Seite_261">[S. 261]</span>
-Decke von der einen Längsseite bis zur anderen. In einem entsprechenden
-Halbkreis stand die schwarze Leibwache, die Krummsäbel im Gürtel rings
-um den Platz, wo der Maharadscha sitzen sollte und wo die Kissen
-etwas höher aufgetürmt waren, als auf den anderen Plätzen. Zuletzt
-erblickte Allan mit einem leichten Schauer in einer Ecke einige
-halbnackte Tänzerinnen mit goldenen Ringen um Arme und Fußknöchel. Sie
-hatten breite, groteske Saiteninstrumente und blinkende Tamburine.
-Was würde Mrs. Bowlby dazu sagen? Er wandte die Aufmerksamkeit von
-den Tänzerinnen gerade rechtzeitig ab, um zu hören, wie diese Dame zu
-Yussuf Khan sagte:</p>
-
-<p>„Ich muß gestehen, daß ich schwankte, bevor ich Ihre ... Ew. Hoheit (es
-fiel ihr merklich schwer, den Titel hervorzubringen) Einladung annahm.“</p>
-
-<p>„Und warum?“ sagte Yussuf Khan. „Hat der junge Sahib, der meine Juwelen
-gerettet hat, meine Einladung so lau oder schlecht vorgebracht?“</p>
-
-<p>„Nein,“ sagte Mrs. Bowlby, „aber ich befürchtete, daß, wenn das Fest
-so werden sollte, wie die Feste in Ihrem ... in Ew. Hoheit Heimat zu
-sein pflegen, ich ... hm ... Dinge zu sehen bekommen würde, die eine
-anständige Frau nicht zu sehen gewohnt ist.“</p>
-
-<p>„Das ist richtig,“ sagte Yussuf Khan, „in meinem Lande kommen ehrbare
-Frauen nicht zu den Festen der Männer.“</p>
-
-<p>Mrs. Bowlby zuckte bei dieser orientalischen Aufrichtigkeit zusammen.
-Im Nu vergaß sie Zeremonien und Titel über Dinge, die ihr schon lange
-am Herzen lagen.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_262">[S. 262]</span></p>
-
-<p>„Und in meinem Lande“, rief sie, „hat kein anständiger Mann
-hundertfünfzig Frauen auf einmal!“</p>
-
-<p>Yussuf Khan überlegte einen Augenblick.</p>
-
-<p>„Aber habe ich nicht gehört,“ sagte er ernst, „daß eine Frau
-hundertfünfzig Männer hintereinander haben kann, wenn sie es darauf
-anlegt?“</p>
-
-<p>Mrs. Bowlby starrte ihn an.</p>
-
-<p>„Wir wollen uns die Hand schütteln,“ sagte sie schließlich. „Das haben
-Sie gut gemacht! <span class="antiqua">Demmit</span>, das ist mir noch nie eingefallen.“</p>
-
-<p>„Jedes Land“, warf der alte Hofdichter ein, „hat seine Sitten, die zwei
-Meilen von der Grenze lächerlich und unbegreiflich erscheinen. Dies
-sollte uns lehren, zu bedenken, daß wir alle nichts anderes sind, als
-Spielbälle des Schicksals, wie der göttliche Zeltmacher es so treffend
-ausdrückt:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent2">Nur Puppen sind wir auf dem Schachbrett Welt,</div>
- <div class="verse indent2">Ein Spielzeug nur, geschoben und gestellt;</div>
- <div class="verse indent2">Ein Zeitvertreib! — Und hat’s das Schicksal satt,</div>
- <div class="verse indent2">Zum Kasten wandert, Stück an Stück gesellt!“</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Er wiederholte eine Zeile für sich selbst in einer Sprache, die Allan
-nicht kannte und die etwa klang wie:</p>
-
-<p>„<span class="antiqua">U danad u danad u danad u</span> ...“</p>
-
-<p>Oberst Morrel beeilte sich das Wort zu ergreifen; Poesie gehörte
-offenbar nicht zu seiner Vorstellung von <span class="antiqua">hors d’oeuvres</span>.</p>
-
-<p>„Wäre es nicht an der Zeit zu Tisch zu gehen?“ sagte er. „Ew. Hoheit
-wissen, daß wir morgen in aller Frühe abreisen.“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_263">[S. 263]</span></p>
-
-<p>Yussuf Khan brach in ein Lachen aus, das Allan überraschte. Eine solche
-Heiterkeit erwartete man nicht von einem passiven Orientalen. Aber
-tatsächlich lachte Seine Hoheit so, daß er alle Zähne zeigte, wobei
-Allan flüchtig bemerkte, daß einer davon ganz überplombiert mit Gold
-war. Yussuf Khan wischte sich die Augen und sagte noch immer lachend:</p>
-
-<p>„Ihr habt recht, Oberst Morrel Sahib, morgen verliert mich diese Stadt
-für lange Zeit aus den Augen. Gehen wir also zu Tisch!“</p>
-
-<p>Der Oberst, der diese Heiterkeit, deren Ursache ihm offenbar
-unbegreiflich war, ganz verblüfft beobachtet hatte, zuckte die Achseln.
-Yussuf Khan wiederholte:</p>
-
-<p>„Zu Tisch!“</p>
-
-<p>Er führte selbst die Gäste zu der gedeckten Festtafel und wartete, bis
-alle unter dem niedrigen Baldachin versammelt waren, um dann zu sagen:</p>
-
-<p>„In meinem Lande nehmen wir unsere Mahlzeiten nicht an einem Tische wie
-diesem ein. Aber als ich mit mir selbst über das Fest zu Rate ging,
-sagte ich mir zwei Dinge. Ich dachte zuerst: diese edlen Sahibs sind
-nicht an die Sitten meines Landes gewöhnt, und was das Essen betrifft,
-so lieben alle Menschen ihre eigenen Sitten am meisten.“</p>
-
-<p>„Das ist wahr,“ sagte der alte Ali, „und mein Schüler spricht gut.“</p>
-
-<p>„Ferner“, fuhr Yussuf Khan fort, „sagte ich mir selbst: was ist schuld
-daran, daß ich diesen edlen Sahibs Unannehmlichkeiten bereitet habe,
-die ich sie nun in unwürdiger Weise durch dieses Fest bitten möchte,
-zu entschuldigen? Ich sagte mir selbst: meine<span class="pagenum" id="Seite_264">[S. 264]</span> Juwelen, denen von
-schlauen, kühnen Dieben nachgetrachtet wurde. Wenn nun meine Gäste
-diese Juwelen zu sehen bekommen, die trotz alldem von einer gewissen
-Schönheit sind, können sie vielleicht den Grund der Gier der Diebe
-begreifen und dadurch auch die Unannehmlichkeiten, die sie selbst
-erdulden mußten. Und deshalb —“</p>
-
-<p>Er brach plötzlich ab und klatschte in die Hände.</p>
-
-<p>Im Nu, plötzlich, wie der Nebel bei einem Sonnenaufgang in den Tropen
-verschwindet, verschwand eine Hülle aus weißer Seide, die über der
-Festtafel ausgebreitet gelegen war — wie es zuging, konnte niemand
-sehen — und Yussuf Khans Gäste starrten mit halbgeblendeten Augen
-auf die Juwelen Nasirabads, die sich in einer Pyramide mitten auf
-dem Tische auftürmten. Eine nette Tischdekoration! Allan, der Oberst
-und Herr van Schleeten, die sie schon gesehen hatten, standen stumm
-da, wieder ganz bezaubert von dem phantastischen Glanz der Steine.
-Aber der Familie Bowlby, die sie noch nicht gesehen hatte, entrang
-sich ein dreifacher erstickter Schrei. Mrs. Bowlbys Augen irrten von
-einem Diadem und Halsband zum anderen, halb mit naiver Bestürzung,
-halb mit Mißtrauen. Endlich wendete sie sich dem Maharadscha zu,
-der sie ernsthaft beobachtet hatte, und murmelte, indem sie auf die
-Familienjuwelen wies, die sie trug:</p>
-
-<p>„Wollen Ew. Hoheit einen Augenblick warten, ich springe nur hinauf und
-lege das ab!“</p>
-
-<p>Yussuf Khan winkte majestätisch mit der Hand.</p>
-
-<p>„Das wäre töricht, und wir würden Zeit verlieren,“<span class="pagenum" id="Seite_265">[S. 265]</span> sagte er, ohne sich
-auf irgendwelche Versuche zu Höflichkeiten einzulassen. „Nehmen wir
-Platz!“</p>
-
-<p>Er winkte den Gästen, sich zu setzen. Neben sich placierte er Mr. und
-Mrs. Bowlby, dann Allan mit Miß Helen, dann den Obersten, Herrn van
-Schleeten und den alten Ali. Selbst setzte er sich zu allerletzt,
-indem er den rechten Arm zu dem Baldachin erhob. Im selben Augenblicke
-tauchten von allen Seiten, wie es schien, aus dem Nichts, Diener mit
-blinkender schwarzer Haut auf, füllten die Porphyrschalen vor jedem
-Gaste mit parfümiertem Wasser und stellten vor jeden einen Becher mit
-einem rosafarbenem Getränk hin.</p>
-
-<p>„Das ist Sorbet,“ sagte Yussuf Khan, „später kommen die Getränke, die
-die Sahibs lieben, aber zum Willkommengruß wünschte ich den Trank
-meines eigenen Landes.“</p>
-
-<p>Er erhob das Glas mit einer majestätischen Bewegung und trank es aus.</p>
-
-<p>„Möchte diese unwürdige Mahlzeit euch alle Beschwerden vergessen
-lassen, die ihr meinetwegen erduldet habt.“</p>
-
-<p>Im selben Augenblicke, in dem er seinen Becher niederstellte, fiel ein
-Regen von Rosen auf die Festtafel und die Gäste, und im Hintergrunde
-des Saales begannen die braunen Tänzerinnen einen wirbelnden Tanz, den
-sie auf ihren seltsamen Instrumenten begleiteten. Während Mrs. Bowlby
-von ihren Kissen empor schnellte, um sie anzustarren, beugte Allan
-sich zu Miß Helen herab, die mit träumenden Augen dasaß, als wüßte sie
-nicht, ob sie wachte, und sagte:</p>
-
-<p>„Se. Hoheit scheint kein weiteres Attentat auf<span class="pagenum" id="Seite_266">[S. 266]</span> seine Edelsteine zu
-befürchten, da er sie hier so ausbreitet.“</p>
-
-<p>„Er hat ja die Leibwache um sich,“ sagte sie, ohne ihre Blicke von
-der Pyramide auf dem Tisch abzuwenden. „Sie haben aber auch gehörigen
-Respekt vor diesem Mirzl!“</p>
-
-<p>„Ich muß gestehen, daß ich ihn im Verdacht habe, wo immer zwei oder
-drei versammelt sind und etwas in der Nähe ist, das des Stehlens wert
-ist.“</p>
-
-<p>„Da müßte er ja hier drinnen sein,“ lachte sie.</p>
-
-<p>Allan fuhr bei ihren leicht hingeworfenen Worten zusammen. Was war ihm
-doch früher am Abend eingefallen? Und nach welcher anderen Erinnerung
-fahndete er nur?</p>
-
-<p>Yussuf Khan, der Mrs. Bowlby mit tiefem Ernst beobachtet hatte, sagte:</p>
-
-<p>„Es ist unbestreitbar, daß einige der Tänzerinnen, die der Besitzer
-dieser Karawanserei aufgetrieben hat, nicht des Reizes entbehren. Aber
-ich für meine Person finde weit größeres Gefallen an Eurer Tochter, die
-mir herangewachsen genug scheint, um verehelicht zu werden.“</p>
-
-<p>Mrs. Bowlby stieß einen Schrei aus, wie ein in der Schlinge gefangener
-Papagei und wandte sich jäh von den Tänzerinnen ab, die in einem Zyklon
-von nackten Gliedern und blinkendem Gold umherwirbelten.</p>
-
-<p>„Helen!“ rief sie. „Helen, du darfst kein Wort von dem hören, was er
-sagt!“</p>
-
-<p>„Nein, Mama.“</p>
-
-<p>„Sie sollten sich schämen!“ fuhr Mrs. Bowlby an Yussuf Khan gewendet
-fort. „Sie sollten sich die Augen<span class="pagenum" id="Seite_267">[S. 267]</span> aus dem Kopfe schämen! Wo Sie
-hundertfünfzig Weiber haben, die Sie Frauen nennen, Sie sollten sich
-schämen, meinem armen, unschuldigen Kinde Fallstricke zu legen!“</p>
-
-<p>„Diese hundertfünfzig Frauen“, sagte Yussuf Khan, „sind schon lange
-in meinem Palast. Ueberdies können sie weggeschickt werden, wenn
-es nötig ist. Vielleicht ist es leichter, eine Frau zu lieben als
-hundertfünfzig.“</p>
-
-<p>Mrs. Bowlby umklammerte ihren Sorbetbecher, wie um ihn ihm an den Kopf
-zu werfen und starrte ihn sprachlos an. Yussuf Khan fuhr ebenso ruhig
-wie immer fort:</p>
-
-<p>„Mein Geschlecht zählt achtundvierzig Ahnen, und von meinem Palast
-und meinen Besitztümern legen diese Juwelen ein wenn auch unwürdiges
-Zeugnis ab. Wäre der Juwelenkünstler, der zur Linken meines Lehrers
-sitzt, nicht von einem Weibe betört worden, worum wir ihn alle beneiden
-müssen, hätten diese Juwelen ein anderes und gewinnenderes Aussehen.“</p>
-
-<p>„Helen!“ schrie Mrs. Bowlby mit erstickter Stimme, „Helen, höre nicht
-auf ihn!“</p>
-
-<p>Miß Helen wollte etwas antworten, und die schwarzen Diener erschienen
-eben in feierlicher Prozession mit einer Reihe Silberschüsseln in den
-erhobenen Händen, als Allan eine Idee durchzuckte. Die Erinnerung, nach
-der er gesucht hatte, war aufgetaucht, und im selben Augenblick war die
-Idee gekommen — wahnsinnig, aber!! Er beugte sich hinter Miß Helens
-Rücken zu Oberst Morrel vor. Er flüsterte dem Obersten zwei Fragen zu,
-worauf dieser ihn anstarrte wie einen Wahnsinnigen, bis er endlich die
-Sprache wieder fand.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_268">[S. 268]</span></p>
-
-<p>„Ja, was zum Henker soll das heißen?“ brüllte er. „Sind Sie denn ganz
-toll?“</p>
-
-<p>Allan erhob sich von seinem Platz.</p>
-
-<p>„Was das heißen soll?“ rief er, indem er mit blitzenden Augen auf
-Yussuf Khan deutete. „Das soll heißen, daß der Mann, der da sitzt, gar
-nicht Yussuf Khan, Maharadscha von Nasirabad ist!“</p>
-
-<p>Er hatte kaum diesen Satz herausgeschleudert, als an die Eingangstür
-des Festsaals geklopft wurde. Sie öffnete sich, und drei wunderliche
-Gestalten erschienen auf der Schwelle.</p>
-
-<p>Zuerst kam der Mann, der behauptet hatte, einem Feste in seinem
-eigenen Hotel nicht beiwohnen zu können — der Direktor des Grand
-Hotels Hermitage. Dann kam eine Frau, bei deren Anblick Mrs. Bowlby
-zurückprallte wie vor dem Anblick einer Klapperschlange, und
-schließlich ein Mensch im zerdrückten Anzug und nicht ganz reinem
-Kragen, der eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Maharadscha von Nasirabad
-aufwies.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_269">[S. 269]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="XIII">XIII<br />
-
-<em class="gesperrt">Yussuf Khans Heirat</em></h2>
-
-</div>
-
-<p>Der Direktor des großen Hotels brach das Schweigen, das durch
-seinen und den Eintritt der anderen zwei Personen in den Festsaal
-entstanden war. Er wendete sich an Oberst Morrel und sagte mit einer
-entschuldigenden Betonung auf jedem Wort, das er sprach:</p>
-
-<p>„Herr Oberst, Sie müssen mein Eindringen in Ihre Gesellschaft
-verzeihen. Sie können sich denken, daß es nicht ohne zwingende Gründe
-geschieht. Ich werde das, was vorgefallen ist, so kurz und deutlich
-erzählen, als ich kann.</p>
-
-<p>Vor zwanzig Minuten wurde ich in das Bureau gerufen, mit dem Bedeuten,
-daß meine Anwesenheit unumgänglich notwendig sei. Ich eilte hinunter
-und fand diese Dame, in der ich Mrs. Langtrey erkannte, die einige Zeit
-im Hotel gewohnt hat, und diesen Herrn, der eine gewisse Aehnlichkeit
-mit Sr. Hoheit hat (der Direktor verbeugte sich in der Richtung von
-Yussuf Khan). Ich traute meinen Augen nicht, als ich Mrs. Langtrey
-sah, die, wie wir wissen, vor zwei Tagen ein kühnes Attentat auf die
-Juwelen Sr. Hoheit versucht hatte, über das einer der Gäste Sr. Hoheit
-die ausführlichsten Aufklärungen geben kann. (Der Direktor verbeugte
-sich leicht gegen Herrn van Schleeten, der ganz starr dasaß, die
-Augen auf Mrs. Langtrey geheftet).<span class="pagenum" id="Seite_270">[S. 270]</span> Bevor ich noch meine Bestürzung
-aussprechen konnte, sagte Mrs. Langtrey: ‚Ich weiß genau, was Sie
-sagen wollen. Es ist unnötig. Ich bin Mrs. Langtrey, die in Ihrem
-Hotel gewohnt hat; das ist der Maharadscha von Nasirabad, der vor fünf
-Tagen geraubt wurde.‘ ‚Wie können Sie es wagen, zu behaupten, daß
-dieser Mensch der Maharadscha ist,‘ rief ich aus, ‚ich weiß doch, daß
-der Maharadscha gerade jetzt ein Abschiedsfest in meinem Hotel gibt!‘
-‚Der Maharadscha,‘ erwiderte Mrs Langtrey, ‚ein sauberer Maharadscha!
-Der Mensch, der heute abend in Ihrem Hotel das Fest gibt, ist nicht
-mehr Maharadscha als Sie selbst oder der Portier hier. Ich verlange
-augenblicklich in den Festsaal hinaufgeführt zu werden.‘ Jetzt wurde
-mir die Sache zu bunt, und ich wollte die Dienerschaft rufen, um Mrs.
-Langtrey aus dem Hotel zu weisen, als sie mir zuvorkam und sagte: ‚Tun
-Sie nicht etwas, was Sie bereuen würden! Wir wollen nur ungerne mit
-Hilfe der Polizei eindringen, aber wenn es notwendig ist, werden wir
-es tun.‘ Nach dieser Aeußerung glaubte ich nichts anderes machen zu
-können, als die Gesellschaft hierher zu begleiten, wie sie es wünschte.“</p>
-
-<p>Der Direktor verstummte. Der Oberst blickte wie ein Schlaftrunkener
-um sich, bald starrte er den Direktor, bald Allan an, bald die zwei
-Personen, die auf den Thron von Nasirabad Anspruch erhoben. Der
-zuletzt Erschienene, der Mann in Mrs. Langtreys Gesellschaft mit dem
-zerdrückten Frack, ergriff das Wort:</p>
-
-<p>„Wie lange werde ich noch warten müssen, bis dieser Verbrecher, der
-mein Aussehen gestohlen hat, in Ketten<span class="pagenum" id="Seite_271">[S. 271]</span> gelegt wird?“ sagte er. „Fünf
-Tage bin ich in seinen und seiner Bande Händen gewesen, und nun ich
-wiederkomme und finde, daß er meinen Namen, wenn auch nicht mein Hab
-und Gut, gestohlen hat, werde ich behandelt, als wäre <em class="gesperrt">ich</em> er.
-Oberst Morrel Sahib, wie lange werde ich noch warten müssen, daß der
-Verbrecher in Ketten gelegt wird?“</p>
-
-<p>Der Oberst starrte von ihm zum Maharadscha am Tisch, ohne eine Silbe
-hervorbringen zu können. Er kannte den Maharadscha seit vielen Jahren;
-am Tische saß ein Yussuf Khan, an den er sich von tausend Gelegenheiten
-her erinnerte, in der Türe stand ein Mann mit eingefallenen Wangen und
-zerknitterter Kleidung, der wohl eine gewisse Aehnlichkeit mit dem
-anderen Yussuf Khan hatte, aber auch nicht mehr als das.</p>
-
-<p>Aber dieses Zusammentreffen mit dem jungen Mann aus Schweden, der seine
-absurde Behauptung fast im selben Augenblicke hinausgeschleudert hatte,
-in dem sie in so eigentümlicher Weise von anderer Seite vorgebracht
-wurde! Er stand noch total konfus da, als das Schweigen gebrochen
-wurde: Der Maharadscha am Tische wollte sprechen, aber Allan Kragh fiel
-ihm höchst unartig ins Wort.</p>
-
-<p>„Oberst Morrel,“ sagte er. „Ich stellte kürzlich zwei Fragen an Sie,
-die Sie, wie ich sah, wahnwitzig fanden. Gestatten Sie, daß ich sie
-noch einmal wiederhole?“</p>
-
-<p>Der Oberst nickte starr, vermutlich ohne aufzufassen, was Allan sagte,
-so verblüfft starrte er noch immer die beiden Kronprätendenten an.</p>
-
-<p>„Ich habe Sie gefragt,“ sagte Allan, „ob Se. Hoheit,<span class="pagenum" id="Seite_272">[S. 272]</span> der Maharadscha,
-Gelegenheit hatte in Nasirabad seine Zähne plombieren zu lassen? Wollen
-Sie mir diesmal ausdrücklich darauf antworten?“</p>
-
-<p>Der Oberst wendete seinen starren Blick ihm zu.</p>
-
-<p>„Zähne plombieren,“ schrie er. „Das ist wirklich nicht die rechte Zeit
-für Geschwätz und Dummheiten.“</p>
-
-<p>„Es sind vielleicht nicht solche Dummheiten, wie Sie glauben,“ sagte
-Allan. „Ich ziehe aus Ihrer Antwort den Schluß, daß Se. Hoheit keine
-Gelegenheit hatte, seine Zähne in Nasirabad plombieren zu lassen. Und
-in London?“</p>
-
-<p>„Jetzt hören Sie aber, junger Freund —“</p>
-
-<p>„<span class="antiqua">All right.</span> Also auch nicht in London. Nun weiß ich aber, daß
-der Mann, der hier am Tische sitzt, einen Backenzahn hat, der mit einer
-Goldplombe überzogen ist. Kann er dies widerlegen, entfällt einer der
-Gründe für meine Behauptung, daß er nicht der Maharadscha von Nasirabad
-ist. Ich gebe ihm hiermit Gelegenheit, es sofort zu widerlegen.“</p>
-
-<p>Yussuf Khan sprang mit blitzenden Augen vom Tische auf.</p>
-
-<p>„Ich weiß nichts von der Gastfreundschaft der Sahibs,“ sagte er, „wenn
-sie die Gastgeber sind. Aber wenn jemand in meinem Lande zu mir, seinem
-Gastgeber, so spräche, wie dieser junge Mann zu mir spricht, ich würde
-ihn mit Hieben und Schlägen von meinen Dienern aus dem Hause jagen
-lassen. Bin ich ein Pferd, daß ich mir auf einen Wink in den Mund
-schauen lasse? Man treibe diese Menschen hinaus, die ich nicht kenne
-und die sich hier eingedrängt haben wie freche Bettler, und zugleich
-mit ihnen diesen jungen<span class="pagenum" id="Seite_273">[S. 273]</span> Mann, der mich beleidigt hat, wie ich noch nie
-beleidigt wurde!“</p>
-
-<p>Er betrachtete Allan und die ungebetenen Gäste mit blitzenden Augen.
-Der Oberst richtete sich auf und war im Begriff seinen Wunsch zu
-erfüllen, als Allan ihn mit einer Geste und einem leisen Lächeln
-aufhielt.</p>
-
-<p>„Oberst Morrel,“ sagte er, „einen Augenblick! Ich will mich gerne in
-der Weise, wie Se. Hoheit es wünscht, hinausjagen lassen, aber unter
-einer Bedingung. Ich glaube, daß Mrs. Langtrey und ihr Begleiter sich
-mir anschließen werden, wenn sie diese Bedingung hören.“</p>
-
-<p>Er wandte sich dem Maharadscha am Tisch zu:</p>
-
-<p>„Benjamin Mirzl, du Sonne der Rechtgläubigen und aller Verbrecher
-König, habe die Gewogenheit, deiner schwarzen Leibwache selbst den
-Befehl meiner Verjagung zu geben! Ich weiß zufällig, daß sie nicht
-englisch spricht!“</p>
-
-<p>Die Züge des Maharadscha nahmen, während Allan sprach, einen
-furchtbaren Ausdruck an. Er verließ seinen Platz und kam mit langsamen
-Schritten auf die Gruppe zu, die in der Nähe des Eingangs stand. Seine
-Augen waren durchbohrend auf Allan geheftet und funkelten wie die
-eines Königstigers. Er blieb vor Allan stehen und fixierte ihn einen
-Augenblick mit einem Ausdruck solchen Zornes, daß der Oberst eine
-Bewegung machte, um einzuschreiten; es sah aus, als wollte er Allan
-auf der Stelle niederschlagen. Im selben Augenblick geschah jedoch
-etwas ganz anderes. Der Maharadscha machte an ihnen allen vorbei
-einen Riesensprung, nicht unwürdig des königlichen Raubtieres, dem
-er glich;<span class="pagenum" id="Seite_274">[S. 274]</span> und bevor jemand sich noch gerührt hatte, lag der Saal in
-Stockfinsternis versunken; sie hörten die Eingangstüre zufliegen und
-das Einschnappen eines Riegels. Für einen Augenblick war alles ein
-wüstes Durcheinander; Rufe ertönten von Mrs. Bowlby, vom Obersten,
-von der schwarzen Leibwache, vom Direktor und den eben eingetroffenen
-ungebetenen Gästen. Dann kam ein Ausruf der Befriedigung von jemand,
-dem es gelungen war, den Kontakt zu finden, und der Saal lag wieder im
-Licht da. Ein Gewimmel von Armen und Beinen bearbeitete die Türe mit
-Schlägen und Stößen; verschiedene Ausrufe des Obersten, der mitten im
-Kampfgewühl war, deuteten an, daß nicht alle Schläge den Türspiegel
-trafen. Endlich flog die Türe auf, und eine wilde Jagd begann die
-Treppe hinunter in die große Halle. Zum Glück für den zukünftigen Ruf
-des Hotels war die Halle bis auf ein paar Bedienstete und den Portier
-ganz leer. Der Direktor schleuderte ihm mit Tigergebrüll eine Frage zu,
-und nach einem Augenblick des erstaunten Starrens kam die Antwort von
-dem würdigen Portier mit der Benediktinerfigur:</p>
-
-<p>„Der falsche Maharadscha? Der Maharadscha ist vor einem Augenblick die
-Treppe hinuntergekommen und ... nun ja, er schien ein bißchen unsicher
-auf den Beinen. ‚Will b—bißchen an die f—frische Luft‘, hat er uns
-zugemurmelt, Sir, und uns ein wenig unsicher angesehen. Wir hörten Rufe
-oben aus dem Festsaal und dachten uns: Jetzt sind die Gäste in Stimmung
-gekommen, und —“</p>
-
-<p>Im nächsten Augenblicke waren sie an dem würdigen Portier vorbei, wie
-ein Koppel Hunde, die die<span class="pagenum" id="Seite_275">[S. 275]</span> Fährte gefunden haben. Leider führte diese
-Fährte nicht weiter als bis zum Monmouth Square. Der patrouillierende
-Polizeikonstabler rapportierte, daß er vor zwei Minuten einem
-asiatischen Gentleman, der etwas bezecht zu sein schien, in ein Auto
-geholfen hatte, das dann zur Wohnung dieses Herrn, Grosvenor Hotel,
-fortgerollt war.</p>
-
-<p>Der Oberst sah Allan an, während er sich den Schweiß von der Stirne
-wischte.</p>
-
-<p>„Der verdammte Schurke,“ murmelte er. „Das drittemal! Und auf ein Haar
-wäre es ihm geglückt ... Hol’s der Teufel — ich kann nicht umhin, den
-Kerl zu bewundern.“</p>
-
-<p>„Gehen wir wieder hinauf,“ sagte der Direktor. „Seine Hoheit ... Seine
-wirkliche Hoheit kann Entschuldigungen und Erklärungen verlangen.“</p>
-
-<p>Er, der Oberst und Allan gingen die Treppe wieder hinauf; Herr van
-Schleeten hatte an der Jagd auf den falschen Maharadscha nicht
-teilgenommen. Die Leute auf dem Monmouth Square starrten die drei
-Herren an, von deren Gesichtern der Schweiß troff, trotzdem sie in
-Frack und weißer Krawatte waren. Im Festsaal angelangt, bot sich ihnen
-eine bunte Szene.</p>
-
-<p>Links von dem Eingange stand die Familie Bowlby unter dem Präsidium
-von Mrs. Bowlby, die mit ausgebreiteten Röcken bereit war, ihr
-Haus zu verteidigen, wie die Henne ihre Küchlein. Sie führte eine
-eifrige, leise Konversation mit ihrem Mann und ihrer Tochter und
-schleuderte hie und da einen herausfordernden Blick auf Mrs. Langtrey.
-Mrs. Langtrey stand mitten im Saale mit stolzer Haltung und einem
-unergründlichen<span class="pagenum" id="Seite_276">[S. 276]</span> Lächeln. Ihre Augen hingen an Yussuf Khan — dem nun
-anerkannt richtigen — und auf ein Kissen an der Festtafel gesunken,
-die Nasenfarbe von Chateau Lafitte in Haut Sauterne verwandelt, saß
-ein Herr mit dickem, gelbgrauem, jetzt schlaff hängendem Schnurrbart,
-dessen Augen nichts anderes sahen als Mrs. Langtrey — Herr van
-Schleeten.</p>
-
-<p>Die schwarzen Diener und die Leibwache hatten sich in einem Kreis
-versammelt, wie eine Krähenkolonie über das Passierte schnatternd.
-Yussuf Khan — der richtige — stand, noch etwas schlapp, mit einem
-geleerten Weinglas in der Hand da und war der Gegenstand zärtlicher
-Worte und entschuldigender Bitten von seiten seines alten Lehrers.</p>
-
-<p>„Beim Propheten, mein Sohn, ich schäme mich wie ein Dieb, der im Basar
-auf frischer Tat ertappt wurde! Ich, ich selbst, dein Lehrer, ließ mich
-zwei Tage von diesem frechsten unter den Betrügern täuschen. Sogar
-seine Sprache war die deine, nur poetischer, worin ich eine Frucht
-der Lehren sah, die ich dir beizubringen bemüht. Mein Hochmut darüber
-machte mich noch blinder gegen seinen wirklichen Charakter, wofür Allah
-mir gnädig sein möge. Wahrlich, beim Propheten! Ich schäme mich! Wäre
-nicht dieser junge Mann mit dem wunderbar scharfen Falkenblick gewesen,
-du wärest jetzt vertrieben, und er, der Betrüger wäre in wenigen
-Wochen, wenn wir unser Land wiedersehen, nach dem ich mich sehne, wie
-der Hirsch nach der Quelle, auf den Thron von Nasirabad erhoben worden.
-Ueberaus treffend sagt der göttliche Zeltmacher —“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_277">[S. 277]</span></p>
-
-<p>Der Maharadscha unterbrach ihn, ohne die treffende Aeußerung des
-göttlichen Zeltmachers abzuwarten.</p>
-
-<p>„Ohne Zweifel“, sagte er, indem er sich aufrichtete, „hat der junge
-Mann, der mir unbekannt ist, jetzt das Verdienst, daß der Betrüger
-entlarvt wurde, aber ich hatte jemanden in meiner Gesellschaft, der
-bereit war, ihn zu entlarven. Sie wollte nur ihren Zeitpunkt wählen.“</p>
-
-<p>„Mein Sohn, ich bedauere, daß du mir den Schmerz bereitest, den Worten
-des göttlichen Zeltmachers nicht so gerne zu lauschen wie der elende
-Betrüger, Sohn Scheitans. Aber du sagtest <em class="gesperrt">sie</em>? Meinst du die
-Frau, die in deiner Gesellschaft kam?“</p>
-
-<p>„Wie du sagst. Sie, die in meiner Gesellschaft kam, die von diesem
-Betrüger und Menschenräuber zu meiner Gefängniswärterin ausersehen
-war, die sich meiner in meiner Gefangenschaft erbarmte, und von der
-ich gleich noch mehr mit dir und Oberst Morrel Sahib sprechen werde.
-Fünf Tage war sie meine Wächterin, nur anfangs von dem Verbrecherkönig
-abgelöst. Ihre Milde zugleich mit der Festigkeit ihres Willens war
-bewunderungswürdig, und die Zeit in meinem Gefängnis, wo sie über mich
-wachte, war mir süßer als alle Stunden, die ich in der Gesellschaft
-anderer Frauen verbracht habe. Sie war fest wie die Hand des Reiters,
-wenn sie den Zügel hält, und sanft wie sie es ist, wenn sie das Fohlen
-streichelt. Heute — doch später mehr davon. Du sagtest, daß wir schon
-in einigen Wochen unser Vaterland wiedersehen werden? War denn die Zeit
-für Eure Abreise schon bestimmt?“</p>
-
-<p>„Sie war von Oberst Morrel Sahib für morgen bestimmt,<span class="pagenum" id="Seite_278">[S. 278]</span> der es gestern
-als eine Gnade von Sr. Exzellenz dem Minister erwirkte, daß wir diese
-Stadt mit unversehrter Ehre und Turbans verlassen dürfen. Von solchen
-Dingen wie die, die unsere Anwesenheit hier verursacht hat, hat diese
-Stadt noch nie gehört, und sowohl die Bevölkerung hier wie Oberst
-Morrel Sahib sind mit Recht über mich empört, der ich dir ein so
-elendes Vorbild gewesen. Ach, du kannst in Wahrheit auf deinen Lehrer
-anwenden, was der göttliche Omar von seinen Lehrern sagte:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent2">Die hellsten Leuchten von den klügsten Köpfen,</div>
- <div class="verse indent2">Die von den Sternen selbst die Weisheit schöpfen,</div>
- <div class="verse indent2">Da liegen sie ...“</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>„Da kommt Oberst Morrel Sahib,“ schnitt Yussuf Khan ab. „Das ist gut.
-Ich will sogleich mit ihm von dem sprechen, was mir am Herzen liegt.“</p>
-
-<p>Er ging dem Obersten entgegen, der sich noch nach der Verbrecherjagd
-die Stirne wischte und hie und da mit einem gemurmelten energischen
-Ausdruck die Fußknöchel rieb, die im Kampf gegen die Eingangstüre
-mitgewirkt hatten. Er starrte Yussuf Khan mit Blicken an, in denen
-allzu geringe Freude über die Rückkehr des rechten Thronprätendenten zu
-lesen war.</p>
-
-<p>„Eine saubere Geschichte,“ rief er, als trüge Yussuf Khan die Schuld
-an Herrn Mirzls Missetaten. „Habe ich gesagt eine verdammt saubere
-Geschichte? Was sage ich, ein ganzer Knäuel von verdammt sauberen
-Geschichten! Hätte Gott uns nicht diesen jungen Mann gesandt“ — er
-wies auf Allan — „so weiß der Teufel, wie es jetzt aussehen würde.“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_279">[S. 279]</span></p>
-
-<p>„Wer ist dieser junge Mann?“ sagte Yussuf Khan.</p>
-
-<p>„Er hat einen Namen, an dem man sich die Zunge zerbricht. Aber das tut
-nichts. Das ist das drittemal, daß es ihm gelungen ist, den Erzgauner
-zu überlisten, der sonst gewiß den Satan selbst beschwindeln kann,
-wenn er es darauf anlegt. Haben sie viele solche in Deutschland, wo er
-herkommt, dann begreife ich, daß wir Zölle gegen alles brauchen, was
-aus diesem Lande kommt. Dieser junge Mann — ja hören Sie nur!“</p>
-
-<p>Er gab dem Maharadscha eine kurze, aber bunte und pittoreske
-Beschreibung Von Herrn Mirzls und Allans drei Duellen und unterließ
-es nicht, moralische Reflexionen über Yussuf Khans eigenen Anteil an
-den Malheurs einzuflechten, die ihn (Oberst Morrel) seit der Ankunft
-in Europa heimgesucht hatten, einem Weltteil, der vor Scham errötete,
-daß sich solche Dinge vor seinen Augen abspielten. Yussuf Khan hörte
-geduldig zu, bis er zu Ende war, und sagte dann:</p>
-
-<p>„Mein Lehrer Ali hat mir gesagt, daß es Eure Absicht war, Oberst Morrel
-Sahib, morgen nach Nasirabad mit diesem Betrüger als König an meiner
-Statt abzureisen. Ist das richtig?“</p>
-
-<p>Der Oberst knurrte ein halb zorniges, halb verlegenes „Ja“.</p>
-
-<p>„Es ist gut. Dasselbe ist nun meine eigene Absicht. Was diesen jungen
-Mann betrifft, werde ich mir später überlegen, was geschehen soll, um
-ihm meine Dankbarkeit zu bezeigen. Vorher kommt etwas anderes. Ich bin
-über das Meer in dieses Land gereist, um mir eine passende Gemahlin aus
-dem Volke der Sahibs zu erringen.“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_280">[S. 280]</span></p>
-
-<p>„Eine Prinzessin,“ knurrte der Oberst. „Diesen Plan müssen wir schon
-auf den Nagel hängen, nach allem, was Ew. Hoheit hier in London
-angestellt haben. Weiße Prinzessinnen sind ein bißchen heikel.“</p>
-
-<p>„Ihr sprecht töricht, Oberst Morrel Sahib, wir müssen diesen Plan nicht
-auf den Nagel hängen, wie Ihr sagt. Vielmehr wird schon an diesem Abend
-meine Vermählung gefeiert werden.“</p>
-
-<p>„Haha! Das ist gut! Wo ist denn die Prinzessin?“</p>
-
-<p>„Hier,“ sagte Yussuf Khan gelassen und wendete sich Mrs. Langtrey zu.</p>
-
-<p>So allmählich hatte sich ein Kreis aus allen Personen, die im Saal
-waren, um ihn gebildet. Bei seinen letzten Worten ertönte ein schriller
-Schrei von dem Punkt des Kreises, wo Mrs. Bowlby stand, noch immer ihre
-Familie hinter ihren ausgebreiteten grünen Brokatflügeln schützend:</p>
-
-<p>„<em class="gesperrt">Haha! Die wird Königin!</em>“</p>
-
-<p>Yussuf Khan sah Mrs. Bowlby an.</p>
-
-<p>„Wer ist diese Frau, die törichte Worte durch die Nase entsendet?“
-fragte er.</p>
-
-<p>„Ew. Hoheit müssen das nicht beachten,“ sagte Mr. Bowlby, „wodurch
-sollte sie sie sonst entsenden?“</p>
-
-<p>„John! Du auch! Du verläßt deine Gattin und beleidigst sie öffentlich!“</p>
-
-<p>„Geliebte Susan. Bist du auf deine alten Tage eitel geworden? Du weißt,
-daß deine Nase Format zehn ist. Außerdem bist du Gast Sr. Hoheit,
-und es schickt sich nicht für dich, ihn oder seine anderen Gäste zu
-beleidigen.“</p>
-
-<p>Mrs. Bowlby schien nahe daran, in ihrem grünen<span class="pagenum" id="Seite_281">[S. 281]</span> Brokat zu explodieren,
-aber es gelang ihr, ihre Gefühle in ihren Busen hinabzupressen, und
-sie schwieg, nachdem sie dem Kreis im übrigen eine tiefe ironische
-Verneigung gemacht hatte. Yussuf Khan nahm Mrs. Langtrey bei der Hand
-und wandte sich seinem alten Lehrer zu.</p>
-
-<p>„Mein Lehrer Ali“, sagte er, „ist nächst mir selbst Scheik-ul-Islam in
-Nasirabad. Als solcher ist er bei fürstlichen Vermählungen derjenige,
-der das Ehepaar verbindet, und auch der berufenste, meiner Gemahlin
-später Unterricht in der Lehre des Propheten zu erteilen.“</p>
-
-<p>Bei diesen Worten bahnte sich trotz alledem ein heiserer Schrei den Weg
-aus Mrs. Bowlbys Brust.</p>
-
-<p>„<em class="gesperrt">Die wird Mohammedanerin! Und die hundertfünfzig anderen?</em>“</p>
-
-<p>Yussuf Khan wandte sich ihr wieder mit erstauntem Ernst zu.</p>
-
-<p>„Wie töricht spricht doch diese Frau, jedesmal wenn sie sich äußert!
-Ein Bekenner der Lehre des Propheten hat nur vier Frauen. Ich
-persönlich habe nur zwei.“</p>
-
-<p>„Zwei! Wie kann man nur ... die ganze Welt weiß doch ...“</p>
-
-<p>„Die übrigen sind nur Nebenfrauen,“ sagte Yussuf Khan. „Und nun werden
-alle aus dem Palast entfernt und an einen passenden Aufenthaltsort
-gebracht werden. Von meiner Rückkehr nach Nasirabad an habe ich gleich
-den Regenten der Sahib nur eine Gemahlin.“</p>
-
-<p>Er machte einen ernsten Salaam vor Mrs. Langtrey, die ihm mit Blicken
-gefolgt war, aus denen zärtliche Heiterkeit sprach, und wandte sich an
-den Direktor.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_282">[S. 282]</span></p>
-
-<p>„Lasset alles für das Vermählungsfest in meinen Gemächern anordnen,“
-sagte er. „Ein Fest von passender Art soll dort nach der Vermählung
-gegeben werden. In diesem Saal, der von dem Betrüger verunreinigt
-wurde, will ich nicht länger weilen.“</p>
-
-<p class="center">* <span class="mleft7">*</span><br />
-*</p>
-
-<p>Trotz alldem besiegte die Neugierde Mrs. Bowlbys übrige Gefühle,
-und als gegen elf Uhr abends das Vermählungsfest in Yussuf Khans
-Appartements gefeiert wurde, war sie auch mit dabei, vom Maharadscha
-eingeladen, der alles, was sie sagte, mit demselben erstaunten
-Interesse anhörte wie einen Papagei, der sprechen gelernt hat. Das
-Fest spielte sich diesmal nach europäischer Weise ab, und die Juwelen
-Nasirabads waren in der Mahagonikassette wohl verwahrt und wurden von
-der schwarzen Leibwache gegen alle neuen Versuche von seiten Herrn
-Mirzls geschützt. Der einzige orientalische Einschlag war der alte Ali,
-der in morgenländischem Kostüm ein hochgestimmtes Poem zu Ehren seines
-Schülers deklamierte, das nur etwas darunter litt, daß man <span class="antiqua">Pommery
-nature</span> in ausgedehntem Maße serviert hatte. Mrs. Langtrey feierte
-ihren letzten Abend in europäischer Tracht mit einer Modestie, die
-sogar Mrs. Bowlby halb und halb versöhnte. Doch konnte diese Dame es
-nicht lassen, bei der ersten Gelegenheit auf den Maharadscha Beschlag
-zu legen, um zu fragen:</p>
-
-<p>„Aber wissen Hoheit nicht, daß Ew. Hoheit ... hm ... Gemahlin
-mindestens einmal verheiratet war?“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_283">[S. 283]</span></p>
-
-<p>„Was bedeutet das für mich?“ sagte Yussuf Khan, „das war ich doch
-selbst auch.“</p>
-
-<p>Mrs. Bowlby konnte diese Tatsache schwer in Abrede stellen.</p>
-
-<p>„Und daß sie die Freundin des Mannes war, der drei Attentate auf die
-Juwelen Ew. Hoheit und auf Ew. Hoheit selbst unternommen hat?“ beharrte
-Mrs. Bowlby, die ihren Ohren nicht trauen wollte. „Und daß sie selbst
-— —“</p>
-
-<p>„Ich weiß alles. Was macht mir das? Sie ist mein Auge und mein Ohr. Was
-ich nicht schauen konnte, werde ich durch sie schauen, und was ich nie
-gehört, wird sie mir erzählen. Nie habe ich süßere Tage durchlebt, als
-die zwei letzten, wo sie meine Wächterin war und wo sie während unserer
-Gespräche allmählich etwas anderes wurde und mich wählte anstatt des
-Mannes, der sie erstrebt hat und an dem sie durch seine Kühnheit
-Gefallen gefunden. Vielleicht war er durch seinen Mut ihrer würdiger
-als ich, der ich auch sonst ihrer unwürdig bin. In der Gesellschaft
-keiner Frau habe ich ein Glück gekostet, wie damals, als sie mir Trank
-und Speise reichte, und schließlich meine Bande löste. Ihr Wille ist
-fest wie eine Stahlklinge und weich wie der Brustflaum einer Taube. Vor
-allen anderen ist sie meine <span class="antiqua">Maharaneeh</span>.“</p>
-
-<p>Das Fest hatte etwa eine Stunde gedauert, als der Direktor sich mit
-einer Verbeugung auf der Schwelle des Speisesaales zeigte, mit einem
-Silbertablett, auf dem zwei Telegramme lagen. Der Maharadscha kannte
-die europäischen Gebräuche bei Hochzeiten nicht genügend, um die
-Bedeutung dieser Gegenstände zu verstehen,<span class="pagenum" id="Seite_284">[S. 284]</span> aber Oberst Morrel beeilte
-sich, die Telegramme in Empfang zu nehmen. Er riß das eine auf, starrte
-es einen Augenblick an und wurde vor Zorn ganz rot. Er wollte es
-wegwerfen, aber Yussuf Khan kam ihm zuvor.</p>
-
-<p>„Was steht auf diesem Papier geschrieben?“ sagte er. „Ich will es
-wissen. Handelt es von mir?“</p>
-
-<p>Der Oberst räusperte sich.</p>
-
-<p>„Es ist ein Telegramm von dem Schwindler,“ murmelte er.</p>
-
-<p>„Gut, lasset hören! Wenn dieser Mann auch ein Betrüger ist, so hat er
-doch Mut. Lasset hören, Oberst Morrel Sahib!“</p>
-
-<p>Der Oberst las:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>
-
-„An das königliche Brautpaar, Grand Hotel Hermitage.<br />
-</p>
-
-<p>Unwürdige Glückwünsche des gestürzten Prätendenten. Möge der legitime
-Stamm sich allzeit fortpflanzen! Saget Ihrer Majestät, ich begreife,
-daß es einer Frau interessanter erscheint, über fünfzehn Millionen
-Mann zu regieren, als über einen einzigen, der allerdings vielleicht
-die fünfzehn Millionen aufwiegt, und ruhmreicher, die Regentenreihe
-Nasirabads fortzupflanzen als den Stamm de Citrac!</p>
-
-<p class="right mright2">Benjamin Mirzl, Ex-Maharadscha,<br />
-<span class="mright3">Ex-Baron de Citrac.“</span></p>
-
-</div>
-
-<p>„Und das andere?“ fragte Yussuf Khan, der den Oberst mit
-unerschütterlichem Ernst angehört hatte.</p>
-
-<p>„Das ist an den jungen Mann mit dem unaussprechlichen Namen.“</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_285">[S. 285]</span></p>
-
-<p>„An mich!“ rief Allan. „Ich konnte mir denken, daß ich nicht leer
-ausgehen würde. Lesen Sie es nur, Oberst Morrel!“</p>
-
-<p>„Wie Sie wollen,“ sagte der Oberst und öffnete das Telegramm:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>
-
-„Mr. Allan Kragh, Suite des Maharadscha von Nasirabad, Grand Hotel Hermitage!</p>
-
-<p>Sie haben meine Pläne dreimal durchkreuzt, aber ich bin Ihnen nicht
-böse. Ich bin ja selbst in die Falle gegangen. Wie Herr van Schleeten
-ließ ich mich von einer Frau betören. Ich strebte drei Jahre nach
-ihrer Hand, und sie verschmähte mich, um über fünfzehn Millionen
-Neger zu herrschen. Aber einen Rat: Lassen Sie uns kein viertesmal
-zusammentreffen!</p>
-
-<p class="right mright2">Mirzl.“</p>
-
-</div>
-
-<p class="center">* <span class="mleft7">*</span><br />
-*</p>
-
-<p>Die Privatauseinandersetzung zwischen Allan und der ehemaligen Mrs.
-Langtrey gestaltete sich kurz und bestand nur in einem Lächeln und
-einem Händedruck.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_286">[S. 286]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="XIV">XIV<br />
-
-<em class="gesperrt">Einfach, Nasirabad!</em></h2>
-
-</div>
-
-<p>Es besteht eine eingewurzelte Ueberzeugung bei alten Alkoholikern,
-daß kein Katzenjammer schlimmer ist, als der, den man vom Champagner
-bekommt. Allan Kragh war nicht abgeneigt, dieser Anschauung am Morgen
-nach Yussuf Khans Vermählung beizupflichten.</p>
-
-<p>Eigentlich war seine Lage nicht sehr angenehm. Nun wohl, er
-hatte Abenteuer gehabt, Abenteuer aus Tausendundeine Nacht,
-Champagnerabenteuer — aber an diesem Morgen verspürte er hauptsächlich
-den Katzenjammer darnach. Seine Kasse hatte Herr Mirzl übernommen, und
-er wußte noch nicht, ob das Hotel dafür Ersatz leistete. Daß Herr Mirzl
-es nicht tat, war ziemlich ausgemacht. Yussuf Khan hatte von Belohnung
-für die Dienste gesprochen, die er dem Herrscher Nasirabads erwiesen,
-aber nach einer unbestimmten Aeußerung in dieser Richtung hatte er den
-Abend vorübergehen lassen, ohne daß mehr darüber verlautete. Allerdings
-hatte er das Halsband aus der Kronjuwelensammlung Nasirabads, aber da
-er es von Herrn Mirzl während dessen kurzer Regierungszeit erhalten,
-konnte er offenbar nichts anderes tun, als es zurückerstatten. Und
-selbst, wenn er vom Hotel Ersatz bekam, was sollte er dann anfangen?
-Nach den Abenteuern,<span class="pagenum" id="Seite_287">[S. 287]</span> die er nun gehabt, würden die meisten Erlebnisse
-schal wirken. Nach Hause reisen? Bei dem Gedanken an die brüllenden
-Akzeptanten daheim fühlte er einen Schauer wie der Gladiator bei dem
-Gedanken an die ausgehungerten Löwen der Arena. Nun, fürs erste war
-wohl nichts anderes zu tun, als zum Direktor zu gehen und zu fragen,
-wie es mit dem Ersatz für das gestohlene Geld stand.</p>
-
-<p>Der Direktor hatte offenbar denselben Champagnerkatzenjammer nach den
-Erlebnissen des gestrigen Tages wie Allan. Er war verschlossen und
-nicht besonders entgegenkommend.</p>
-
-<p>„Wie ich Ihnen schon gesagt habe, ich kann die Sache selber nicht
-entscheiden. Natürlich weiß ich alles zu schätzen, was Sie, wenn nicht
-für das Hotel, so für einen der Gäste getan haben, aber wie gesagt, ich
-kann nichts Bestimmtes versprechen, bevor ich nicht mit der Direktion
-gesprochen habe.“</p>
-
-<p>Allan ging mit einem Achselzucken und spazierte ein paarmal durch die
-große Halle, bis er sich erinnerte, daß Yussuf Khan und sein Gefolge
-schon zu Mittag abreisen sollte, und daß es daher an der Zeit war,
-das Halsband des Ex-Maharadschas Mirzl zurückzustellen. Er hatte es
-im Bankkontor bei dem jungen Manne deponiert, der einmal Herrn Mirzl
-sein Geld ausgeliefert hatte. Seltsamerweise war es noch da! Aber es
-brauchte Zeit, bis der junge Bankbeamte genügend von seiner Identität
-überzeugt war; und die Mühe, ihn zu überzeugen, brachte Allan nicht
-gerade in bessere Laune.</p>
-
-<p>„Wären Sie das vorigemal nur halb so genau gewesen,<span class="pagenum" id="Seite_288">[S. 288]</span> so wäre ich jetzt
-um dreihundert Pfund reicher,“ knurrte er den Bankbeamten an und begab
-sich in den ersten Stock. Die schwarze Leibwache, die im Korridor über
-die Sicherheit ihres Herrschers wachte, schien nicht unter derselben
-Depression zu leiden wie Allan. Sie schnatterte und wisperte in ihrem
-krähenähnlichen Dialekt. Offenbar hatten sie schon von der Heimreise
-erfahren und freuten sich bereits darauf. Sie ließen Allan mit einem
-Grinsen ein. Nun kannten sie ihn schon.</p>
-
-<p>Im Vorraum befand sich nur der alte Ali. Er begrüßte Allan mit
-demselben heiteren Lächeln, das die Leibwache draußen zur Schau
-getragen hatte.</p>
-
-<p>„Ah!“ sagte er. „In einigen Stunden befinden wir uns auf dem großen
-Wasser, von der Krankheit geplagt, die die Dämonen des Wassers die
-Eigenschaft haben, bei den Reisenden hervorzurufen. Ja, nur einige
-Stunden, und wir verlassen diese große wunderbare Stadt, von der wir
-dank dem König der Betrüger so wenig gesehen haben.“</p>
-
-<p>„Sie scheinen nicht gerade betrübt darüber, den Wasserdämonen zu
-begegnen,“ sagte Allan.</p>
-
-<p>„Nein, denn sie müssen mich ja doch in mein Land zurücktragen.
-Treffend und anmutig sagt ein Dichter, der sich freilich nicht mit
-dem göttlichen Zeltmacher messen kann: ‚Wer unter Palmen geboren ist,
-findet die Tannen häßlich, und für die Einwohner Delhis ist der Gestank
-ihrer Stadt schön.‘“</p>
-
-<p>„Ausgezeichnet, auf Ehre,“ sagte Allan. „Wie sieht es denn jetzt in
-Delhi aus?“</p>
-
-<p>„Wahrlich, junger Freund, ich kann es Ihnen nicht<span class="pagenum" id="Seite_289">[S. 289]</span> sagen. Es ist
-viermal zehn Jahre her, seit ich diese Stadt besucht habe. Und ich
-erinnere mich tatsächlich nur an einen großen Gestank und an eine
-Sonne, wie sie sich die Bevölkerung in London nicht träumen läßt,
-selbst wenn sie Haschisch kaut, und die unerträglich war wie Allahs
-Augen für den Ungläubigen.“</p>
-
-<p>„Das klingt ja lockend,“ sagte Allan.</p>
-
-<p>„Junger Freund,“ sagte der alte Hofdichter, „verstehe ich recht, Sie
-sind nie in Delhi gewesen?“</p>
-
-<p>„Sie haben mich recht verstanden,“ sagte Allan, „eigentümlicherweise
-habe ich total vergessen, Delhi zu besuchen.“</p>
-
-<p>„Aber sicherlich sind Sie in Indien gewesen,“ sagte Ali zuversichtlich.</p>
-
-<p>„Ich schäme mich, Ihnen eine Enttäuschung bereiten zu müssen,“ sagte
-Allan, „aber wie lächerlich es auch klingt, ich bin nicht einmal in
-Indien gewesen. Ich bin ein unerzogener Esel, mit abgeschnittenen Ohren
-und Scheuklappen um die Augen. Sagt das nicht der göttliche Zeltmacher
-irgendwo?“</p>
-
-<p>„Der göttliche Omar hat diese Aeußerung nie gemacht,“ sagte Ali. „Das
-muß irgendein anderer Dichter von geringerer Bedeutung gewesen sein.
-Aber wer nie in Indien war, der ist wie ein unerfahrenes Kind, und
-wer nie in Nasirabad gewesen, wie ein Ungeborener. Da ist der Himmel
-blauer denn irgendwo und die Luft kühler. Dort scheint die Sonne mit
-ungewöhnlicher Klarheit, aber sie brennt nicht wie über den Ungläubigen
-in Delhi. Die Berge sind mit Zedern und Pinien bewachsen, und in ihrem
-Schatten duftet es süßer als aus dem Haar eines Weibes. Karawanen mit
-bewaffnetem<span class="pagenum" id="Seite_290">[S. 290]</span> Schutzgefolge ziehen durch die Pässe auf und nieder, und
-am Abend duftet es von ihren Lagerfeuern nach gekochtem Hammelfleisch,
-Reis und guter Butter. Dieser Duft ist köstlicher als andere Düfte, und
-wer ihn nie geatmet hat, ist wie einer, der nie Wein getrunken oder den
-Mund einer Geliebten geküßt. Die Frauen in Nasirabad haben schlankere
-Mitte, üppigere Hüften und kleinere Händchen und Füßchen als andere
-Frauen, und ihre Augen sind schwarz und funkelnd wie die Nacht im
-Winter. Nein, wer nie in Nasirabad gewesen, hat nie gelebt.“</p>
-
-<p>„Ich beginne es zu glauben,“ murmelte Allan zu sich selbst; und während
-der alte Dichter fortfuhr, in langen Sätzen und mit zahlreichen Zitaten
-aus dem göttlichen Zeltmacher und anderen Dichtern von geringerer
-Bedeutung sein Vaterland zu beschreiben, sah er vor seiner Seele in
-einem Blitz den ganzen Orient, bunt flammend von Düften und Visionen,
-so wie Yussuf Khans Juwelen von Licht und Farben flammten. Er stand
-noch halb traumbefangen, als die Türe des inneren Gemaches sich öffnete
-und Yussuf Khan selbst erschien, begleitet von seiner Gemahlin und dem
-Obersten. Allan verbeugte sich und zog das Halsband hervor, das Yussuf
-Khan mit erstaunter Miene betrachtete.</p>
-
-<p>„Das habe ich von Ew. Hoheit falschem Repräsentanten bekommen,“ sagte
-Allan, „darf ich bitten, es Ew. Hoheit selbst zurückgeben zu dürfen,
-bevor er es mir wieder stiehlt.“</p>
-
-<p>„Bekommen?“ wiederholte Yussuf Khan.</p>
-
-<p>„Zur Belohnung,“ schaltete der alte Ali ein. „Weil dieser junge Mann
-ihn zweimal verhindert hat, deine<span class="pagenum" id="Seite_291">[S. 291]</span> Juwelen zu stehlen, mein Sohn,
-hat ihm der König der Betrüger dieses Geschmeide geschenkt, ich war
-selbst anwesend. Die Schamlosigkeit dieses Betrügers wurde durch eine
-Scherzhaftigkeit gemildert, die ich zuweilen bewundern muß.“</p>
-
-<p>Yussuf Khan sah Allan an.</p>
-
-<p>„Und nun wollt Ihr das zurückgeben,“ fragte er. „Warum?“</p>
-
-<p>„Ich habe es doch von einem Schwindler bekommen,“ begann Allan.</p>
-
-<p>Yussuf Khan unterbrach ihn:</p>
-
-<p>„Es ist gut. Der Betrügerkönig, der meine Juwelen stehlen wollte und
-zwei Tage hindurch meinen Namen stahl, hat ein Werk getan, das ihm zum
-Verdienst gereicht. Ich bin Euch, junger Sahib, mehr schuldig, als mit
-diesem Schmuckstück bezahlt werden kann. Sagt mir, was ich tun kann, um
-meine Schuld zu tilgen. Sprechet frei, und wisset, daß alles, was Ihr
-begehrt, im vorhinein bewilligt ist.“</p>
-
-<p>Allan sah das Halsband, das er in der Hand hielt, unentschlossen
-an. Geschenke und Belohnungen anzunehmen, widerstrebte seinem
-Nationalinstinkt; aber dennoch wußte er, daß eine Weigerung verletzend
-wirken würde, und dabei konnte er sich nicht von dem Gedanken
-losmachen, was er eigentlich anfangen sollte, wenn diese Personen fort
-waren, in deren Drama er mitgespielt hatte. Der alte Ali sagte zum
-Maharadscha:</p>
-
-<p>„Mein Sohn, denke dir, dieser junge Mann, aus dessen Zügen Begabung
-und edle Gesinnung sprechen, und der uns große Dienste erwiesen hat,
-hat in seinem ganzen Leben weder Delhi noch Nasirabad gesehen,<span class="pagenum" id="Seite_292">[S. 292]</span> ja,
-er hat nicht einmal Indien besucht. Mit Worten, dem besten unserer
-Dichter entnommen, zu denen ich für mein eigen Teil viel zu unwürdig
-bin gezählt zu werden, habe ich versucht, ihm ein mattes Bild von
-Nasirabads Schönheit zu geben.“</p>
-
-<p>Allan kam eine Idee, die ihn erzittern ließ. Nach diesen Abenteuern aus
-Tausendundeiner Nacht mußte alles andere als Tausendundeine Nacht einen
-faden Geschmack haben ... und war Tausendundeine Nacht denn anderswo zu
-finden als in dem uralten Märchenlande selbst?</p>
-
-<p>„Hoheit,“ sagte er, „wollen mir Ew. Hoheit irgendeinen Posten in Ihren
-Diensten in Nasirabad verleihen?“</p>
-
-<p>Yussuf Khan starrte ihn an.</p>
-
-<p>„Ist das alles, was Ihr wünscht?“ fragte er.</p>
-
-<p>„Ja,“ sagte Allan, „welchen Platz immer.“</p>
-
-<p>Yussuf Khan betrachtete ihn noch einen Augenblick.</p>
-
-<p>„Gut,“ sagte er, „ich habe versprochen, Euren Wunsch zu erfüllen, was
-immer Ihr begehrt. Von heute an seid Ihr mein nächster Mann in allem,
-was nicht die Regierung der Sahibs in meinem Lande betrifft. Aber
-wisset, daß wir diese Stadt in wenigen Stunden verlassen.“</p>
-
-<p>„Ich weiß es,“ sagte Allan, „und ich werde mich mit dem Packen beeilen.
-Ich packe jetzt meine Koffer zu einer Reise nach Tausendundeine Nacht!“</p>
-
-<p class="center">* <span class="mleft7">*</span><br />
-*</p>
-
-<p>Dasselbe sagte er ein paar Stunden später zur Familie Bowlby, als er
-— obendrein mit seinen dreihundert<span class="pagenum" id="Seite_293">[S. 293]</span> Pfund vom Hotel in der Tasche —
-auf der Eingangstreppe des Hotels von ihr Abschied nahm. Mrs. Bowlby,
-skeptisch bis zuletzt, sagte:</p>
-
-<p>„Ich bin überzeugt, er wird Sie nur dazu verwenden, seine
-Hundertundfünfzig zu bewachen.“</p>
-
-<p>„Mrs. Bowlby,“ sagte Allan, „ich glaube, daß es Kompetenzbedingungen
-für eine solche Stellung gibt, die ich nicht erfüllen kann.“</p>
-
-<p>Oberst Morrel, der daneben stand, lachte barsch in seinen weißen
-Schnurrbart und bemerkte:</p>
-
-<p>„<span class="antiqua">All right</span>, junger Freund, Indien hat sich seit der Zeit
-Harun al Raschids ein bißchen verändert. Es ist nicht gesagt, daß
-Sie dieselben Abenteuer finden, wie in Tausendundeine Nacht. Aber im
-Notfalle können Sie immer einen Platz unter dem Residenten haben und
-mit etwas Bekanntschaft machen, worin Sie, wie ich glaube, noch keine
-große Erfahrung haben, nämlich die Arbeit. — Es ist Zeit, in das Auto
-zu steigen.“</p>
-
-<p>„Und die Arbeit“, rief Mr. Bowlby Allan nach, indem er ihm ein Lebewohl
-zuwinkte — „ist doch endlich und schließlich das größte Abenteuer.“</p>
-
-<hr class="full" />
-
-<div class="titelei">
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_294">[S. 294]</span></p>
-
-<p class="s2 center mtop3">Frank Heller</p>
-
-</div>
-
-<p class="s1 center"><b>Herrn Collins Abenteuer</b></p>
-
-<p class="s3 center">Roman</p>
-
-<p class="s4 center">Autorisierte Uebersetzung aus dem Schwedischen von Marie Franzos</p>
-
-<p class="center">21.–30. Tausend</p>
-
-<p class="center">Geheftet Mk. 5.50 <span class="mleft3">Gebunden Mk. 7.50</span></p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p class="p0"><em class="gesperrt">Münchener Neueste Nachrichten</em>: ... mit dem vergnüglichsten
-und kurzweiligsten Buch sei begonnen. Herrn Philipp Collins
-Abenteuer von dem gewandten geschliffenen Schweden Frank Heller ist
-ein Detektivroman, aber keiner jener dutzendhaften, langweiligen,
-angelsächsischen Art, die nur mehr Köchinnen und Gymnasiasten gruseln
-macht. In dem Buche ist Abwechslung, Spannung, unverbrauchter Witz.
-Blitzschnelle Phantasie, die wie der elektrische Funke um den Erdball
-springt, wirbelt die Geschehnisse durcheinander; dem Verfasser gelingt
-die Verblüffung, die schließlich das Kunststück der Detektivgeschichte
-ist.</p>
-
-<p class="p0"><em class="gesperrt">Das Literarische Echo</em>: Es hat nichts mit großer Literatur zu
-tun, dieses famose Buch, und das ist seine oberste Tugend. Seine zweite
-ist seine Tugendlosigkeit. Das Böse triumphiert zu unserem Entzücken,
-und die Bravheit muß mit langer Nase abziehen. Man lacht nicht, aber —
-was viel schöner ist — man wird durch und durch heiter, stillvergnügt,
-spitzbübisch froh. Es fließt kein Blut, kein Mord muß gesühnt werden;
-unsere Spannung wird edler erregt. Das ist sympathischer als Doyle,
-Green, Gaboriau. Also, Herr Heller, es hat uns sehr gefreut. Beehren
-Sie uns wieder.</p>
-
-</div>
-
-<hr class="dot" />
-
-<p class="s3 center">Georg Müller Verlag, München</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_295">[S. 295]</span></p>
-
-<p class="s2 center mtop3">Frank Heller</p>
-
-</div>
-
-<p class="s1 center"><b>Die Finanzen des Großherzogs</b></p>
-
-<p class="s3 center">Roman</p>
-
-<p class="s4 center">Autorisierte Uebersetzung aus dem Schwedischen von Marie
-Franzos</p>
-
-<p class="center">13.–22. Tausend</p>
-
-<p class="center">Geheftet Mk. 5.50 <span class="mleft3">Gebunden Mk. 7.50</span></p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p class="p0"><em class="gesperrt">Wiener Abendpost</em>: Dieser Autor läßt einen nicht zu Atem kommen,
-bevor man auf der letzten Seite angekommen ist. Er hat ein Buch
-geschrieben, das man verschlingt, wie man es in der seligen Bubenzeit
-mit den Indianergeschichten getan hat. Wahrhaftig, dieser Frank Heller
-ist ein Indianerromancier für Erwachsene, ein glänzend begabter,
-ideenreicher, witziger, gescheiter noch dazu.</p>
-
-<p class="p0"><em class="gesperrt">Neue Züricher Zeitung</em>: So spannend in der Handlung die Romane
-des jungen Schweden sind, so humorvoll sind sie zu gleicher Zeit. Wie
-er es fertig bringt, das Ernsthaft-Gefährliche einer Situation und
-deren komischen Moment stilistisch wiederzugeben, das verdient alle
-Aufmerksamkeit. Zutiefst kollert immer ein befreiendes Lachen. Und
-dieser Humor ist nichts Gesuchtes, sondern wirkt selbstverständlich und
-berechtigt. Die Originalität dieses Kriminalromans stellt ihn auf eine
-literarische Stufe, die bis jetzt auf diesem Gebiete wohl noch selten
-oder nie erreicht worden ist.</p>
-
-</div>
-
-<hr class="dot" />
-
-<p class="s3 center">Georg Müller Verlag, München</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_296">[S. 296]</span></p>
-
-<p class="s2 center mtop3">Frank Heller</p>
-
-</div>
-
-<p class="s1 center"><b>Lavertisse macht den Haupttreffer</b></p>
-
-<p class="s3 center">Roman</p>
-
-<p class="s4 center">Autorisierte Uebersetzung aus dem Schwedischen von Marie
-Franzos</p>
-
-<p class="center">9.–18. Tausend</p>
-
-<p class="center">Geheftet Mk. 5.50 <span class="mleft3">Gebunden Mk. 7.50</span></p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p class="p0"><em class="gesperrt">München-Augsburger Abendzeitung</em>: Wir bedürfen der leichtern
-Kunst gegenüber den schweren Lasten des ernsten Lebens, wir brauchen
-eine Stunde des Untertauchens, wenn unsere Seele oder unser Geist in
-hochgespannter Arbeit sich heiß gelaufen haben. Der Roman Hellers
-ist in diesem Sinne sogar ein Kohlensäure-Bad, prickelnd von einem
-geistigen Fluidum, das erfrischend wirkt, gegossen in das Gefäß eines
-glatten, blanken, glitzernden Stils und angereichert durch überlegenen
-Humor von snobistischer Färbung.</p>
-
-<p class="p0"><em class="gesperrt">Neueste Hamburger Zeitung</em>: Was die Bücher Frank Hellers so
-anziehend macht, ist die fast übermütige Darstellung der Gauner-
-und Heldenstreiche, die famose Ueberlegenheit, mit der hier die
-Wirklichkeiten durcheinandergeschoben und in immer neue, überraschende
-Kombinationen gebracht werden. Es fehlt die Betonung des reinen
-Handwerks (die bei Conan Doyle etwa vorherrscht), er ist nicht vom
-„Fall“ ausgegangen, sondern vom Charakter des Helden. Das ist viel
-interessanter als Sherlock Holmes, weil er ein lebendiger, beweglicher,
-blendender Kerl ist.</p>
-
-</div>
-
-<hr class="dot" />
-
-<p class="s3 center">Georg Müller Verlag, München</p>
-
-</div>
-
-<p class="s5 center mtop3">Druck von Mänicke und Jahn in Rudolstadt</p>
-
-<div lang='en' xml:lang='en'>
-<div style='display:block; margin-top:4em'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK <span lang='de' xml:lang='de'>YUSSUF KHANS HEIRAT</span> ***</div>
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-
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-</div>
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-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-</div>
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-
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-
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