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If you are not located in the United States, you -will have to check the laws of the country where you are located before -using this eBook. - -Title: Yussuf Khans Heirat - -Author: Frank Heller - -Translator: Marie Franzos - -Release Date: April 20, 2022 [eBook #67885] - -Language: German - -Produced by: the Online Distributed Proofreading Team at - https://www.pgdp.net - -*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK YUSSUF KHANS HEIRAT *** - - - #################################################################### - - Anmerkungen zur Transkription - - Der vorliegende Text wurde anhand der 1919 erschienenen Buchausgabe - so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische - Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute - nicht mehr gebräuchliche Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original - unverändert; fremdsprachliche Zitate und Ausdrücke wurden nicht - korrigiert. Umlaute in Großbuchstaben (Ä, Ö, Ü) werden durch ihre - Umschreibungen dargestellt (Ae, Oe, Ue). - - Die Seitenzahlen des Inhaltsverzeichnisses wurden, falls notwendig, - entsprechend des jeweiligen Kapitelanfangs in der Buchausgabe - korrigiert. Die dort aufgeführten Kapitelüberschriften stimmen nicht - in allen Fällen mit den Überschriften im Text überein; dies wurde - aber so belassen. - - Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt. Besondere - Schriftschnitte wurden mit Hilfe der folgenden Sonderzeichen - gekennzeichnet: - - gesperrt: +Pluszeichen+ - Antiqua: _Unterstriche_ - - #################################################################### - - - - - Frank Heller / Yussuf Khans Heirat - - Autorisierte Uebertragung aus dem Schwedischen von Marie Franzos - - [Illustration] - - - - - Frank Heller - - Yussuf Khans Heirat - - Roman - - München 1919 bei Georg Müller - - - - - 1. bis 10. Tausend - - _Copyright 1919 by Georg Müller in München_ - - - - -Inhalt - - - Erstes Kapitel - - Lyrischer Prolog 7 - - Zweites Kapitel - - Vorsicht bei Eisenbahnfahrten 21 - - Drittes Kapitel - - Das große Hotel 57 - - Viertes Kapitel - - Yussuf Khan, Maharadscha von Nasirabad 82 - - Fünftes Kapitel - - Das große Hotel (Fortsetzung) 92 - - Sechstes Kapitel - - Das Loch in der Wand und das Loch im Boden 108 - - Siebentes Kapitel - - Ein Verschwinden mit Nebenumständen 143 - - Achtes Kapitel - - Mynheer van Schleetens Erlebnisse 162 - - Neuntes Kapitel - - Yussuf Khans Wiederkehr 187 - - Zehntes Kapitel - - Die Nachwirkung einer tollen Nacht auf Fürsten und Poeten 211 - - Elftes Kapitel - - das seinen Zweck erfüllt, den Leser zu verwirren 239 - - Zwölftes Kapitel - - Ein Fest und sein Abschluß 256 - - Dreizehntes Kapitel - - Yussuf Khans Heirat 269 - - Vierzehntes Kapitel - - Einfach, Nasirabad 286 - - - - -I - -Lyrischer Prolog - - -Held eines Romans, Held einer Folge von Abenteuern -- klingt das nicht -wie törichter Nonsens? Wer glaubt an Romane im wirklichen Leben, wer -glaubt daran, daß es noch Abenteuer gibt? Die Abenteuer, sagte man im -achtzehnten Jahrhundert, sind vor zweihundert Jahren ausgestorben. Zur -Zeit der Renaissance, +da+ gab es Abenteuer! - -Sie sprechen heute von Abenteuern, wiederholt man im neunzehnten -Jahrhundert, ha ha! Sie entschuldigen schon ... Die Abenteuer sind mit -Napoleon ausgestorben, dem leibhaftigen Abenteuer in Fleisch und Blut. -Zu Napoleons Zeit gab es Abenteuer. Aber +jetzt+! Nein wirklich, -Sie müssen schon entschuldigen. - -Herrn Allan Kraghs Zeit fiel in das zwanzigste Jahrhundert, das heißt -jener Teil seines Lebens, den er wirklich so nennen konnte. Er war -nämlich 1885 geboren; und wenn auch die ersten fünfzehn Jahre unseres -Lebens später fast immer mit einem Seufzer zu den glücklichsten -gerechnet werden, ist es zweifelhaft, ob sie während ihres Verlaufes -auch in dieser Weise aufgefaßt werden. Höchst zweifelhaft. Ja, warum -sollte man Haeckels berühmte These vom Leben des Individuums als Resumé -des Lebens der Gattung nicht darauf anwenden können? Genau wie es für -die meisten Menschen ein Glaubensartikel ist, daß alles Romantische -sich zur Zeit Roms, zur Zeit der Renaissance, zur Zeit der Revolution -zugetragen hat und auf jeden Falls jetzt, seit der eigene kleine -Privatlebensbetrieb des Betreffenden begonnen hat, so ferne und tot -ist, wie ein geologisches Zeitalter -- genau in derselben Weise denkt -man mit dreißig Jahren an die Zwanzig zurück (+da+ war es noch -eine Freude zu leben), mit Fünfzig an die Dreißig, und überhaupt die -ganze Zeit, seit man lange Hosen oder Röcke zu tragen bekommen hat, an -die unaussprechlich fröhliche, spannende, romantische Kindheit, die -jetzt tot und begraben ist, und nie zu einem armen Teufel wiederkehrt, -der in einem grauen, uninteressanten Alltagsleben verkümmern muß. - -Und dabei sind die ganze Zeit die Abenteuer da, für den, der sie zu -finden weiß. Sie sind überall da, wie Sonnenschein und Regen, aber -im Gegensatz zu diesen mehr oder weniger ungleichmäßig verteilt auf -Gerechte und Ungerechte. Es gibt Individuen, in deren Leben die -Abenteuer sich geradezu häufen, ohne daß sie eigentlich etwas dafür -können, und es gibt andere, die in die Grube fahren, ohne daß ihnen ein -Abenteuer begegnet ist. Wer weiß? Vielleicht begegnet es ihnen dort! - -Daß Allan Kragh Abenteuer erlebte, lag sowohl an ihm selbst wie an den -Umständen, deren Verlauf wir in Kürze skizzieren wollen. Sein Dasein -begann so uninteressant als nur möglich; denn was ist uninteressanter -als ein junger Mann, dessen Leben im Alter von einundzwanzig -Jahren schon Punkt für Punkt arrangiert vor ihm liegt, wie ein -Konzertprogramm? Zuerst ein Einzugsmarsch: einige flotte Studienjahre; -ein Walzer: eine bessere Verlobung; Stimmungsstück: die Ehe beginnt, -und so weiter bis zum Schlußmarsch hinter dem Sarg. So sah es aus, -als sollte Allan Kraghs Leben sich gestalten, und dann kam von dem -ursprünglichen Programm eigentlich nur der Einzugsmarsch zur Ausführung. - -Jetzt fragt wohl der Leser: Wie konnte Herrn Allan Kraghs Leben schon -im Alter von einundzwanzig Jahren so wohlgeordnet aussehen? Es steht -in der Regel, Gott sei’s geklagt, um die jungen Männer nicht so gut. -Sollte Herr Kragh vermögend gewesen sein? Auf diese Frage beeilen wir -uns wahrheitsgetreu zu antworten: Herr Allan Kragh war vermögend. -Und er war sogar mit einundzwanzig Jahren Herr über sein Vermögen, -da seine Eltern tot waren. Und in diesem Alter finden wir ihn an der -Universität, ohne beschützende Verwandte, als Herr über fünfzigtausend -Kronen und im übrigen als einen etwas trägen, gutmütigen, ziemlich -begabten, hübsch gewachsenen schwedischen Jungen; außerdem (oder -folglich) so wie König Erik XIV., leichtsinnig und mit einer Umgebung -von nicht gerade trefflichen Ratgebern. - -Herrn Allan Kraghs Studien interessieren uns nicht im besonderen -Grade. Schon zur Zeit Mäcenas’ gab es solche, die Freude daran hatten, -den olympischen Staub der Rennbahn mit dem Rade aufzuwirbeln; andere -wiederum, die größeres Interesse daran fanden, in wechselndem Metrum -den von Königen herstammenden Mäcenas zu preisen. Allan Kragh zeigte -sich bald von der erstgenannten dieser beiden Tätigkeiten gefesselt; -er wirbelte recht viel Staub auf seiner akademischen Rennbahn auf, -während Personen seiner Umgebung, ohne seine Genealogie von so -hohem Ursprung wie die Mäcenas’ abzuleiten, ihn doch als geeigneten -Gegenstand für Huldigungsoden erkannten und ihn ihren Schutz und Schirm -nannten. - -Was sagt doch der Dichter von einem achtjährigen rauschenden Gelage? -Allan Kragh brachte es nicht weiter als bis zu sechs Jahren an der -Universität, aber daß diese von rauschenden Festen erfüllt waren, hätte -nur ein sehr weitgehender Jünger Zenos bezweifeln können. Jedenfalls -nicht die Kellner der Universitätsstadt oder ihrer Umgebung, auch nicht -die Kellermeister, auch nicht die Schneider. Und schon gar nicht die -Bank, wo seine Fünfzigtausend standen und sich nicht nur hartnäckig -weigerten, sich zu verzinsen, sondern vielmehr eine unheimliche Tendenz -zeigten, zum Kassagitter hinauszurutschen. - -Schon in seinen ersten Studienjahren lernte er Hermann Bergius kennen, -der der Feldmarschall bei den Feldzügen von Allans sechsjähriger -Glanzzeit wurde. Hermann Bergius war ein spätgeborener Sprößling der -großen Freibeuterführer; die verweichlichten Zeiten hinderten ihn, -gleich diesen mit dem Schwert zu kämpfen und sich zu bereichern; -er stritt deshalb mit der Zunge. Jahr um Jahr war vergangen, eine -Generation war der anderen an der Universität gefolgt, der ungestüme -Strom der Zeit war vorbeigebraust, und jede neue Generation fand -Hermann Bergius da, wo er, wenn nicht tausend, so doch fünfzehn runde -Jahre gestanden hatte, den Blick, zwar nicht in den trüben Strom der -Zeit, so doch in den des Punsches versenkt. Wie gewisse griechische -Philosophen vor Sokrates teilte er den Weg in eine unendliche -Anzahl kleiner Teilchen; und so wie jene auf diese Art nachwiesen, -daß Achilles die Schildkröte nicht einholen konnte, bewies Hermann -Bergius auf seine Weise, daß die Zeit ihn nie zu erreichen vermochte. -Seine Bildung war umfassend, sein Humor ungewöhnlich, sein Appetit -unermeßlich, sein Durst noch größer; seine Fähigkeit, Strapazen und -Ausschweifungen gleich gut zu ertragen, des Größten aller Römer würdig. - -In seiner Armee spielte Allan Kragh hauptsächlich die Rolle des -Quartiermeisters; er bezahlte die Tagesrationen aus, sorgte für die -Verpflegung und das Nachtlager der Truppen und hatte nach der Regel -des siebzehnten Jahrhunderts vor allem dafür einzustehen, daß sie, -wenn schon nichts anderes, so doch jeden Tag einen tüchtigen Trunk -erhielten. Dank dem freundschaftlichen Fuße, auf dem er mit den Banken -stand, war dies ein zwar schwieriger, aber doch zu bewältigender -Posten. Seine Belohnung war die Freundschaft des großen Feldmarschalls -und verschiedentliche Erwähnungen in den Tagesrapporten. - -Es würde zu weit führen, alle Helden der Armee der großen Zeit -aufzuzählen. Da war John Peter S., Hermann Bergius’ nächster -Mann und Adjutant. Da war eine unzählige Schar Kombattanten und -Nichtkombattanten, Freibeuter aus allen Teilen des Reiches, Söldner -für längere oder kürzere Zeit. Da war O. B., ein alter Spartaner, -wie Bergius sagte, der sich auch in gebettete Betten nur mit den -Kleidern legte. Da war der Amanuensis, unabsetzbarer Amanuensis in -den Kaffeehäusern, aber von der Institution in dieser Eigenschaft -längst verabschiedet. Sein Wahlspruch war: „Kreuzdonnerwetter, was ein -alter Feldwebel ist, der kann immer noch eins vertragen.“ Abgesehen -vom Amanuensis war er nämlich auch Feldwebel, und zwar mit ebenso -großem Recht, ganz wie der König von Dänemark in seinen Kundgebungen -noch immer über Dithmarschen, Lauenburg, Venden und weiß Gott was -regiert. Da war Aistjerna, der eine kurze Gastrolle gab, bevor ihn -seine hochadelige Familie noch rasch rettete, und dessen berühmtester -Ausspruch fiel, als er Hermann Bergius über seine schon längere Zeit -andauernde Obdachlosigkeit trösten wollte: „Ja, lieber Hermann, auch -ich -- äh -- habe die Schrecken des Bohemelebens kennen gelernt -- -es hat Nächte gegeben, -- äh -- wo ich mich nicht nach Hause traute, -sondern -- äh -- tatsächlich im Bristol übernachten mußte.“ Berühmt -waren auch seine Reflexionen über die Spatzen: „So ein Spatz -- äh --- das ist wohl so ’ne Art Müller oder Schulze in der Vogelwelt.“ -- -Eine kurze, vielversprechende Laufbahn, so lautete Hermann Bergius’ -Grabschrift für ihn, als die hochadeligen Verwandten ihr Rettungswerk -vollendet hatten. -- Da war noch der berühmte Baron vom Altmarkt, der -Schrecken errötender Jungfrauen und die Sorge weinender Mütter, ein -Casanova, fehl an Zeit und Ort -- ja es war ein buntes Gefolge, und -es waren bunte Erlebnisse, die Allan in ihrer Gesellschaft hatte. -Natürlich immer in einem engen geographischen Kreis: Von Langfahrten -war eigentlich nur die große Expedition nach Berlin zu verzeichnen, -hauptsächlich denkwürdig durch den von Allan meisterlich geleiteten -Rückzug: Fast ohne Geld, bedroht von der Meuterei der erregten -Truppen und zu beständigen Hinterhutgefechten mit der rachedurstigen -Bevölkerung genötigt, hatte er eine nichts weniger als leichte -Aufgabe. Endlich stand man tiefbewegt wieder auf schwedischem Grund -und Boden, wo Allan bei der großen Festmahlzeit vom Feldmarschall -mit einer Umarmung vor den Truppen ausgezeichnet wurde, worauf man -telegraphischen Rapport über den Rückzug an Seine Majestät den König -absandte, an das deutsche Departement des Aeußern und den Sultan von -Marokko, dem es augenblicklich auch dreckig ging. - -Sechs Jahre von goldenen Sekunden waren auf diese Weise verronnen, da -kam ein schöner Tag, der Allans großer Zeit ein katastrophales Ende -bereitete. Und die direkte Ursache war so unbedeutend, daß sie auf den -ersten Blick lächerlich erscheinen kann. Es begab sich, daß Allan am -ersten Tage des Wintersemesters des siebenten Jahres an einen Ort kam, -den er schon sehr lange nicht gesehen hatte -- die Universität. Die -Vorlesungen in den Sälen sollten eben beginnen. Der Gedanke, eine davon -zu besuchen, berührte Allan höchst humoristisch und barock -- eine gute -Geschichte für den Freundeskreis. Es waren gut drei Jahre her, seit er -zuletzt da oben gewesen war. Er ging in den ersten besten Hörsaal, ohne -auch nur nachzusehen, was in seinen Mauern verkündet wurde. Er nahm -Platz; der Vortragende kam und begann. Es erwies sich, daß Allan zu dem -englischen Lektor der Universität geraten war. - -Als Allan das merkte, gab es ihm einen Ruck. Gerade die Vorlesungen -der fremden Lektoren hatte er während seiner ersten Jahre an der -Universität tatsächlich besucht ... Er besaß Sprachentalent und -hatte sich in den ersten Jahren das Deutsche und Englische in -anerkennenswerter Weise angeeignet. Erinnerungen erwachten in ihm. Der -jetzige Lektor war ein athletisch gebauter junger Mann mit klaren, -kühnen Augen. Er hielt einen einleitenden Vortrag über die englische -Kolonialliteratur; er war selbst rings um die halbe Erde gewesen und -verflocht in seinen Vortrag persönliche Erinnerungen und Beobachtungen. -Allan merkte, daß er noch genügend Englisch konnte, um ihn vollständig -zu verstehen; er war, wie gesagt, nicht auf den Kopf gefallen. Er -hörte zu, er fühlte sich interessiert, ja mehr als das, gefesselt von -den Schilderungen der Länder dort draußen, und plötzlich spürte er, -wie ihm eine heiße Röte ins Gesicht stieg. Was war das eigentlich für -ein Leben, das er und die anderen hier führten! Was war das doch für -ein Provinz-Sybaris! Wie konnte man nur Jahr für Jahr in diesem engen -Kreis totschlagen? Wie konnte man! ... Jahr für Jahr ... Jahr für -Jahr ... Was dachte er sich eigentlich, was wollte er? War es denn -überhaupt amüsant? ... Was er und die anderen da trieben, waren ja doch -Kindereien, ohne Spannung, ohne Interesse. - -Schließlich war die Vorlesung zu Ende, und das Publikum strömte heraus. -Allan blieb als letzter zurück und ging, von Gedanken erfüllt, die -wie Blasen in ihm aufstiegen, aber zerstoben, bevor sie sich noch -ganz geklärt hatten. Gleich vor der Universität stieß er mit der -ganzen Armee zusammen und wurde mit Jubelrufen begrüßt. Es gab ein -Mittagessen im Park; es gab Kaffee und Punsch. Der Abend verging, und -das große Hauptquartier der großen Armee begann die Pläne für den -Feldzug des kommenden Jahres zu entwerfen. Es war das erstemal, daß man -sich nach den Sommerferien traf. Die kommende Jahreskampagne sollte -alle vorhergegangenen der Kriegsgeschichte schlagen; man erörterte -ihre Einzelheiten unter mehr oder weniger formeller Befragung des -Quartiermeisters, der stumm und grübelnd vor seinem Whiskyglas saß, -die Ohren erfüllt von dem Geplauder der Kampfgenossen, den Kopf voll -von einem Gefühl, das neu schien, alt war und sehr rasch allmächtig -wurde: Jetzt ist Schluß! Schluß für immer. Das war die letzte Revue -der Truppen; Fontainebleau; Abschied ohne Tränen, Umarmungen oder -Ueberreichung des Degens; und dann fort, sei es auch nach Elba oder -Sankt Helena! - -Mit anderen Worten: Eine Pflanze, deren Keim schon lange in Allans Herz -gelegen war, hatte an diesem Tage endlich die Hülse gesprengt, die -Wurzeln ausgebreitet und war zum vollen Tageslicht hinaufgedrungen. Das -einzige Verwundernswerte war, daß dies nicht schon längst geschehen war. - -Sein ganzes Leben lang hatte Allan eigentlich den Zug hinaus gehabt, -den Zug zum Fernen, Neuen, Unbekannten. Vielleicht war es Hermann -Bergius gerade dadurch, daß er diese Saite berührte, gelungen, ihn -zum Quartiermeister des sechsjährigen Krieges zu machen. An diesem -Abend merkte er, wie es ihm vorkam, plötzlich, mit einem Male, wie -unbefriedigt ihn alle Eskapaden dieser sechs Jahre eigentlich gelassen -hatten. Kinderstreiche ... ohne Bedeutung ... ohne Spannung ... Er -dachte all der Morgen, an denen er durch irgendeine dämmergraue Straße -einer fremden Stadt, in die der Zufall und Bergius ihn verschlagen -hatten, heimwärts gewandert war, und der Lust, die er auf diesen -einsamen Morgenwanderungen verspürt, von den anderen zu desertieren -und von dem ganzen großen Frühschoppen am nächsten Tage, der der Clou -dieser Eskapaden war. Jedesmal war dieser Impuls von irgendeinem -anderen verdrängt worden. Jetzt begriff er, was dies eigentlich -bedeutet hatte. Er durchforschte sein Gedächtnis und verstand auch -andere kleine, fast kindische Züge an sich selbst, seine Lust (zu -Bergius’ großem Verdruß), mit exotischen Gestalten anzubändeln, die man -zufällig in Schenken und auf Dampfern traf; sein Versinken in trockene, -dicke, ausländische Fahrpläne, Henschel und Bradshaw, die er in den -Vestibüls der Hotels fand; seine Manie für die großen ausländischen -Zeitungsdrachen ... - -Und während man die Becher leerte, die die Ouvertüre zu einem weiteren -Jahr kriegerischer Heldentaten und Idyllen bilden sollten, saß Allan -da, ohne sein Glas zu berühren. Die verheißenen Idyllen erschienen -ihm mit einem Male überaus banal und der Wein der Freudenbecher schal -geworden ... Fort, auf neuen Straßen, fort, um die Sonne über Städten -zu sehen, wo noch etwas Neues geschah und wo man dem Abenteuer -begegnen konnte! Denn was war er eigentlich alle diese sechs Jahre -nachgejagt, wenn nicht den Abenteuern, dem Neuen? Morgen! ... - -So dachte Allan Kragh, weil er eine jener Naturen war, die dazu -bestimmt sind, Abenteuer zu suchen; während er, wenn er das nicht -gewesen wäre, daran gedacht hätte, ein neues Leben zu beginnen und die -weiteren Vorlesungen des englischen Lektors zu besuchen. - -Die Uhr zeigte am nächsten Morgen halbzehn, als Allan auf dem Trottoir -vor dem großen Hotel der Universitätsstadt seine Pläne in dem -Septembersonnenlicht einer Musterung unterzog. Und während er dasaß -und überlegte, ob ein gesunder und normaler Mensch den Schritt, den -er machte, machen konnte, ohne verfolgt zu werden, entdeckte er so -allmählich noch einen Grund, seinen unklaren Plan ins Werk zu setzen, -einen Grund, der möglicherweise etwas unkameradschaftlich war, aber -dafür in gewissem Maße das sonst recht Phantastische seines Vorhabens -aufwog. - -Allan Kragh und seine Freunde waren schwedische akademische Bürger; -damit ist gesagt, in welcher Weise Allan seine Quartiermeisterschaft in -den berühmten Heerzügen der sechs Jahre ausgeübt hatte. - -Selbst war er ja durch vorsorgliche Eltern von der Notwendigkeit -befreit, aus eigener Vernunft oder Kraft Geld aufzubringen; aber die -Eltern seiner Freunde waren nicht ebenso vorsichtig gewesen, und darum -war es auf Allans Los gefallen, ihnen in der erwähnten Hinsicht durch -verschiedentliche Autogramme zu Hilfe zu kommen. „Nicht der Endossent -allein gewinnt die Schlachten, die namenlosen Reihen gewinnen sie ihm,“ -pflegte Hermann Bergius jedesmal zu versichern, wenn er, wie er sich -ausdrückte, Allan wieder einmal einen Ehrenposten zugedacht hatte; -aber in der Regel hatte Allan gefunden, daß der Endossent sich wie die -Feldherren früherer Zeiten selbst ins Kampfgewühl stürzen mußte, um -die Feinde nicht triumphieren zu lassen -- in diesem Falle die Banken. -Mit einem Wort: er hatte sich auf Dokumenten von einer Anzahl, die er -selbst nicht näher kannte, verewigt; und obgleich er zu dem Zeitpunkt, -zu dem der Feldzug des siebenten Jahres beginnen sollte, noch nicht -völlig erschöpft war, war er doch nicht allzu weit davon entfernt. -Wenn er nun, dachte er mit einem stillen Lächeln, seinen rasch -entstandenen Plan verwirklichte, und er schon zu gar nichts anderem -führte, konnte er doch wenigstens zur Folge haben, daß die namenlosen -Reihen sich gezwungen sahen, sich auf eigene Hand ohne den Feldherrn -durchzuschlagen -- bekanntlich der erstrebenswerteste Höhepunkt, den -die militärische Erziehung erreichen kann ... und das wäre ja immerhin -ein gewisser Vorteil für den in sechs Kriegsjahren geprüften Feldherrn, -für den Fall, daß sein eigener Kriegszug in unbekannte Länder mit -Niederlage und Rückzug enden sollte ... - -Allan war boshaft genug, sich bei dem Gedanken an die nicht sehr -platonischen Dialoge, denen die namenlosen Reihen sich hingeben -würden, wenn sie die Niedertracht ihres Führers erkannten, ein Lächeln -zu gönnen. Dann klopfte er dem bejahrten, rotnasigen Kellner, der -seine einstündige Morgengrübelei an dem Trottoirtisch ehrfurchtsvoll -beobachtet hatte. Als dieser Allans Klopfen vernahm, stürzte er, wie -aus der Kanone geschossen, herbei. - -„Wieviel?“ - -„Zwei Pilsner, sechzig Oere.“ - -Allan legte das Geld auf den Tisch und stand auf. - -„Soll ich drinnen ein Frühstück für den Herrn Doktor bestellen?“ - -Allans Doktorpromotion hatte in den Hotels, nicht in der Universität, -stattgefunden. Allan schüttelte den Kopf. - -„Herr Doktor warten vielleicht auf die anderen Herren Doktoren?“ - -„Das glaube ich nicht,“ sagte Allan, „sagen Sie ihnen, sie können auf -mich warten!“ - -Er warf einen Blick auf die Uhr. Halb elf; das Schiff ging um ein Uhr; -die Bank, das Packen, ein Paß -- er hatte gerade noch Zeit! - -Zweiundeinehalbe Stunde später sah das Vaterland Herrn Allan Kragh an -Bord eines kleinen weißen Raddampfers steigen, einer von jenen, die -während der sechsjährigen Kriegsfahrten in das näher gelegene Ausland -oft als Wikingerschiffe gedient hatten. Die Taue wurden gelöst; die -Dampfpfeife tutete mit einem heiseren, versoffenen Baßton; die Räder -schaufelten das Wasser auf, und Herr Allan Kragh hatte mit zwölftausend -Kronen Bargeld (dem Rest eines einstmals fürstlichen Vermögens) sowie -zwei wohlgefüllten Reisekoffern und einem Spazierstock seine große -Reise in die Welt angetreten. - -Vorwärts! Den Abenteuern entgegen! Schicksal _en garde_! - - - - -II - -Vorsicht bei Eisenbahnfahrten! - - -„Diner, meine Herrschaften! Wünschen die Herrschaften zu dinieren? -Diner, meine Herrschaften, zweites Service jetzt fertig.“ - -Der Zug flog über die blinkenden Stahlschienen, Köln zu. Die Wagen -schlingerten in den Kurven und neigten sich bald auf die eine, bald auf -die andere Seite. Die Landschaft flog vorbei, flach und nichtssagend; -vor ein paar Stunden hatte man Osnabrück passiert. Der Septemberhimmel -war klar, blau, unendlich hoch, mit leuchtenden, weißen Wolkenmassen, -die einander jagten; der Wind war frisch, kühl mit einem feinen, schon -vernehmlichen Herbstduft. Ab und zu, wenn man an irgendeinem Fluß oder -Kanal vorbeiflog, war sein Wasser durchsichtig grün, und hier und dort -segelten früh abgefallene Blätter auf seinem Spiegel. Der Zug hastete -weiter und weiter; und Allan Kragh stand in private Meditationen -versunken, den Kopf halb zu einem Korridorfenster hinausgestreckt, -ohne sich daran zu kehren, daß der Wind ihm ins Gesicht peitschte und -hie und da Rußflocken von der Lokomotive mitbrachte. Die Stimme des -Speisewagenkellners weckte ihn aus seinen Grübeleien; er sah auf seine -Uhr, die etwas über eins zeigte und erinnerte sich plötzlich, daß er -seit den zwei Eiern und dem Kaffee im Hauptbahnhof in Hamburg nichts -gegessen hatte. Zugleich mit diesem Gedanken verspürte er mit einem -Male einen vortrefflichen Appetit. Er nickte dem Mann in der weißen -Jacke zu und bekam von ihm eine Platzkarte. - -„Ganz besetzt heute, für alle Diners,“ vertraute er Allan an, wie um -diskret anzudeuten, daß das Trinkgeld danach sein sollte. - -„Hat das Service schon begonnen?“ fragte Allan. - -„In zwei Minuten, mein Herr.“ - -Der Abgesandte des Speisewagens eilte weiter, und Allan ging durch den -schwankenden Korridor in die Toilette am anderen Ende des Wagens. - -Aus welchen Anlässen Allan Kragh sich in diesem Zug befand, ist -eigentlich nicht leicht zu erklären -- richtiger gesagt, der einzige -Anlaß, der vorlag, war so bizarr, daß er lächerlich wirkt, wenn man -ihn erzählt. Am frühen Morgen dieses Septembertages war er nach -Hamburg gekommen, ohne die leiseste Ahnung, wohin er seine Schritte -lenken oder was er zunächst unternehmen sollte. Er machte aufs -Geratewohl einen Spaziergang um das Viertel gegenüber der Ankunftseite -des Hauptbahnhofes, befand sich nach einigem Herumirren unten an -der Alster, und dachte schon daran, bis auf weiteres in Hamburg zu -bleiben, das eine schöne und anziehende Stadt zu sein schien. Dann -verabschiedete er diesen Gedanken wieder und kehrte durch die noch -morgenleeren Straßen (die Uhr war etwas über sieben) zum Hauptbahnhof -zurück. Er fand ihn mit allen modernen Bequemlichkeiten versehen, ließ -sich rasieren, wechselte etwas Geld und nahm ein hastiges Frühstück in -dem großen Restaurant ein. Fünf Minuten vor halb acht Uhr wurde von -einem galonierten Bediensteten ein Zug nach Paris ausgerufen; Allan -verließ das Restaurant, noch immer im Unklaren, was er tun sollte, -und ging zu den Billettschaltern. Fahrpläne bedeckten die Wände in -militärischen Kolonnen; keine verlockenden Affichen mit Bildern des -blauen Meeres und der grünen Wälder, nur Betriebsverordnungen und -Ziffern. Vor einem der Billettschalter für den Fernverkehr standen drei -Personen, die plötzlich Allans Aufmerksamkeit erregten: Ein junger -Mann von vielleicht dreißig, etwa von seiner eigenen Statur, mit einem -glattrasierten dunklen Schauspielergesicht, kurzen Koteletten und -goldgefaßtem Zwicker; ein alter Herr mit roter Raubvogelnase, gelben, -stechenden Trinkeraugen und einem gelbgrauen Schnurrbart; ferner eine -junge Dame in grünem Reisekostüm, um den Hals ausgeschnitten, über -die Hüften knapp anschließend und so fußfrei, daß zwei Knöpfelschuhe -mit grauen Gamaschen zu sehen waren. Ihr Gesicht hatte einen etwas -hochmütigen Ausdruck, mit zwei großen grauen Augen und einer etwas -geschürzten Oberlippe. Es war äußerst frappierend unter dem Reisehut -in schwarz und grün, der wie ein Musketierhut auf ihrem rotblonden -Haar saß. Sie hatte drei oder vier amerikanische Zeitschriften in -der Hand. Allan verschlang sie mit den Augen: Sie hätte d’Artagnans -Geliebte sein können oder eine der schönen blonden Agentinnen des -Kardinals. Jetzt eilte der jüngere Herr vom Billettschalter fort; der -ältere nahm seinen Platz ein, auf dem Fuß gefolgt von der auffallenden -jungen Dame, die einige Goldmünzen zwischen ihren behandschuhten -Fingern hielt. Nun ging der ältere Herr, und sie nahm seinen Platz ein. -Allan kam ein Einfall, und er folgte nach. Er hörte sie in vollkommen -korrektem Deutsch sagen: „Erste einfach, Paris.“ Sie stellte noch -ein paar Fragen, die der Mann am Schalter beantwortete. Sie war also -eine Deutsche, obwohl sie so amerikanisch aussah. Nun hatte sie ihre -Fahrkarte. Allan verließ den Billettschalter und folgte ihr in einiger -Entfernung. Er sah sie etwas Reisegepäck aufgeben und die Treppe zum -Perron hinuntergehen. Sie war in ihrem raschen, elastischen Gang noch -schöner, als wenn sie stille stand. Er sah sie noch dort unten den Zug -entlang gehen, dann war sie außer Sehweite. Der galonierte Mann kam -durch die Bahnhofshalle gewandert und schrie mit Stentorstimme: - -„Schnellzug nach Paris und Holland! Eine Minute!“ - -Da kam Allan eine barocke Idee. Ohne zu überlegen, was er tat, oder -weshalb er es tat, stürzte er zum Billettschalter zurück, an dem er die -drei gesehen, riß eine Banknote heraus und rief dem Mann dahinter, der -ihn vorhin, als er gegangen war, ohne eine Karte zu lösen, erstaunt -angestarrt hatte, zu: - -„Paris, einfach, erste!“ - -„Sie müssen sich aber eilen!“ schrie der Mann zurück. „Der Zug geht um -sieben Uhr neununddreißig. -- Sie haben gerade noch vierzig Sekunden.“ - -Allan stürzte zurück, das Billett in der Hand, während in seinem -Kopf sich die Gedanken kreuzten. Das war der helle Wahnwitz ... Sein -Gepäck stand in der Garderobe deponiert; er hatte unmöglich Zeit, -es herauszubekommen; er mußte natürlich diesen geistesgestörten -Einfall aufgeben. -- Oder sollte er das Gepäck hier lassen und später -telegraphieren? Das war offenkundig vollkommen irrsinnig ... Es gingen -ja noch Züge, aber ... aber sie fuhr mit diesem! Wenn es ihm gelang, -ihr von dem Opfer zu erzählen, das er um ihretwillen gebracht, würde -sie das vielleicht rühren ... Ohne daß er wußte wie, hatte er die -Kontrolle passiert, stürzte Hals über Kopf eine Treppe hinunter, zu -einem Zug, der sich eben in Bewegung setzte, während die Schaffner die -letzten Türen zuschmetterten. -- Da, gerade noch in der letzten Sekunde -war er mit einem Sprung in einem der rückwärtigsten Waggons. Glücklich -hinaufgekommen, zauderte er wieder. Das war ja der reine Wahnsinn! -Sollte er wieder abspringen? Dann zuckte er die Achseln mit einem -Lächeln über sich selbst. - -„Fahre ich mit,“ murmelte er vertraulich dem Korridorfenster zu, -„dann brauche ich wenigstens keine Polizeistrafe wegen unerlaubten -Abspringens zu bezahlen.“ - -Nachdem er sich überzeugt hatte, daß er sich im letzten Personenwagen -befand, machte er sich auf die Wanderung durch die Korridore, um nach -der Unbekannten auszuschauen. - -Der Wagen, in dem er gelandet war, war ein Waggon dritter Klasse; er -ging durch, ohne sich die Passagiere näher anzusehen. Darauf folgte -ein durchgehender Waggon zweiter Klasse nach Amsterdam, er drängte -sich mit einer gewissen Schwierigkeit hindurch, so voll war er von -Passagieren. Darauf kam ein direkter Wagen nach Süddeutschland, beinahe -ganz besetzt. Daran schloß sich der Speisewagen. Hier war es verboten, -zu passieren, da man sich durch die Küche hätte drängen müssen. Allan -versuchte es mit Bestechungen, deren Annahme verweigert wurde, und -erhielt den Bescheid, daß er bis Bremen warten müsse, wo man eine -Minute Aufenthalt hatte. Er setzte sich an einem Fenster im Korridor -des süddeutschen Wagens zur Ruhe, wo er sich von dem Morgensonnenschein -durchrieseln ließ und nach Herzenslust die kühle Septemberluft -einatmete. Er dehnte die Brust und lachte in sich hinein; das war doch -etwas anderes, als auf den ausgetretenen Straßen dieses Provinz-Sybaris -herumzustampfen! Plötzlich begannen die Wagen gegeneinanderzurasseln, -der Zug wurde langsamer und rollte durch eine Vorstadt von roten -Ziegelvillen in Bremen ein. Im Handumdrehen war Allan draußen in der -Bahnhofshalle, kaufte sich ein Päckchen Zigaretten, etwas Obst und -einige Zeitungen und sprang in das nächste Coupé nach dem hinderlichen -Speisewagen. - -Er wartete, bis der Zug sich in Bewegung setzte, bevor er seine -Forschungen wieder aufnahm. Dieses Mal waren sie von besserem Erfolg -gekrönt. Der Wagen hinter dem, in den er aufgesprungen war, war -ein Wagen erster und zweiter Klasse nach Paris, und in der dritten -Coupéabteilung der ersten Klasse saß die Unbekannte. - -Leider war sie nicht allein. Der alte Herr mit der roten Raubvogelnase -und dem buschigen, graugelben Schnurrbart, saß ihr gegenüber am -Fenster; sie fuhr zurück, er in der Richtung des Zuges. Sie schienen -einander fremd zu sein. Allan sah einen Augenblick zögernd in den -Wagen; der alte Herr mit der feinen Rotweinnase hatte das Netz auf -seiner Seite mit einer Menge Gepäck beladen -- _suitcases_, -_gladstone-bags_, Reiseplaids, Fernstecherfutterale und weiß -Gott was -- es stand im Verhältnis zum vornehmen Aussehen seines -Riechorganes. Die Unbekannte ihm gegenüber hatte zwei kleine Täschchen, -eine Hutschachtel und einige Reisekissen. Im Augenblick saß sie in -einer künstlerisch berechneten Pose zwischen vier Stück der letzteren -hingegossen und schien zu schlafen. Allan starrte bewundernd ihr -Rasseprofil an und den Schatten, den ihre Wimpern auf der feinen -Wange bildeten; ihr rotblondes Haar, das wellig und reich war, -schien ein wenig derangiert. Der fußfreie Reiserock war ein bißchen -hinaufgeglitten und zeigte eine schlanke, aber volle Wade über der -grauen Gamasche. Nach ein paar Augenblicken andächtiger Versunkenheit -trat er ein und setzte sich auf das Sofa des alten Herrn. - -Dieser begrüßte sein Erscheinen mit einem Blick des herzlichsten -Widerwillens. Er schlug sein Auge zum Netz auf, wie um anzudeuten, -daß, wenn Allan (der sich zu allen Teufeln scheren mochte) sein ganz -unerwünschtes Reisegepäck dort placieren wollte (was Gott verhüte), -er genötigt wäre, seine eigenen, dort befindlichen Habseligkeiten -fortzuschieben. Allan zuckte die Achseln mit einer Miene, die der der -Rotweinnase an Mitreisendenverachtung nur wenig nachgab, und kundgeben -sollte, daß er (der nach internationalen Konventionen das volle Recht -hatte, in der Klasse zu reisen, für die er eine Karte gekauft hatte) es -aus einer Laune vorzog, während er in diesem preußisch-hessischen Wagen -fuhr, sein Reisegepäck, das den Vergleich mit dem des bordeauxnasigen -alten Herrn in diesem Zug keineswegs zu scheuen brauchte, von der -Garderobe des Hamburger Hauptbahnhofs verwahren zu lassen. Nach diesem -Austausch von Florettblicken ließen sich die beiden Herren in Ruhe -auf ihren Plätzen nieder; die Raubvogelnase im Schutze des Hamburger -Fremdenblattes, Allan ohne Bedeckung. Die Augenwimpern der jungen Dame, -die sich ein paar Sekunden eine Ahnung gehoben hatten, ohne daß jemand -es gesehen, nahmen ihre frühere entzückende Lage auf den Wangen wieder -ein. - -Der Zug sauste weiter, und die Wolken leuchteten im -Septembersonnenschein. Allan versank in vage Träumereien, während seine -Augen über sein Visavis hin und her wanderten. - -Man war nun etwa auf halbem Wege von Bremen nach Osnabrück (die Uhr -zeigte ungefähr zehn), als plötzlich ein Kondukteur erschien, um die -Billette zu markieren und Platzkarten auszufertigen. Allan reichte sein -Billett hin, das besichtigt wurde; der alte Herr mit der Raubvogelnase -desgleichen. Die Unbekannte in der Fensterecke schlief noch immer. Der -Kondukteur räusperte sich und ließ ein paar vergebliche „Gnädige!“ -hören. Sie rührte sich nicht. Allan glaubte eine Chance zu sehen. Er -beugte sich vor und legte seine Hand vorsichtig auf jene Stelle ihres -grünen Reisekostüms, wo man die Rundung des Knies ahnte. Sie schlug die -Augen auf, starrte einen Augenblick Allans Hand an, die dieser noch -nicht zurückgezogen hatte und fuhr mit einer Miene so unverkennbaren -Widerwillens auf, daß Allan zurückprallte, während eine lebhafte Röte -sich über sein Gesicht verbreitete. Der Kondukteur lächelte diskret und -wiederholte sein: „Gnädige!“ Die Unbekannte reichte ihm ihre Fahrkarte, -während ihre Augen damit beschäftigt waren, Allan zu morden; worauf -sie plötzlich vom stummen Spiel zur Sprechszene überging. Und zwar auf -englisch. -- Allan war ein wenig erstaunt, da sie auf dem Bahnhof in -Hamburg perfekt deutsch gesprochen hatte. Sie mußte doch voraussetzen, -daß er ein Deutscher war. Sie wandte sich an den alten Herrn mit der -Raubvogelnase. - -„Sir, ich vermute, Sie verstehen meine Sprache? Ich spreche die Ihre -nicht.“ - -Lüge, dachte Allan, aber warum? - -„Ich spreche Ihre Sprache,“ sagte der alte Herr. - -„Danke. Wissen Sie, ob dieser junge Mensch dort sich noch andere -Freiheiten gegen mich herausgenommen hat, während ich geschlafen habe?“ - -Der alte Herr warf Allan einen Dolchblick zu und sagte: - -„Das weiß ich nicht, ich habe Zeitung gelesen.“ - -„Es ist gut. Ich danke Ihnen.“ - -Sie brach in einen Strom von indigniertem Amerikanisch aus: Eine Dame -konnte also in Europa nicht allein mit der Eisenbahn fahren, ohne vom -ersten besten beleidigt zu werden? -- Warum gab es keine Damencoupés? -Man sollte glauben, daß Leute, die die Mittel hatten, erster Klasse zu -reisen, Gentlemen wären. - -Der alte Herr hörte ihr mit sichtlicher Billigung zu. Allan, der kaum -wußte, ob er schlief oder wachte, begann eine stammelnde Entschuldigung: - -„Madame, gestatten Sie mir, Ihnen zu erklären ...“ - -„Wie können Sie es +wagen+, mich anzusprechen?“ rief sie. - -Das war Allan doch zu stark. Er erhob sich mit der ironischsten Miene, -die er aufbringen konnte -- er fühlte, daß seine Wangen vor Verblüffung -und Zorn noch ganz rot waren -- und sagte mit einer untertänigen -Verbeugung: - -„Gestatten Sie mir, Sie in einem Punkte zu korrigieren, Madame. Wenn -Sie es vermeiden wollen, noch mehr Gentlemen von meiner Art zu treffen, -steht dem kein Hindernis im Wege: Das nächste Coupé ist ein Damencoupé.“ - -Mit so viel Würde, als man aufbringen kann, wenn man mit einem Stock, -vier Zeitungen und einem Obstsack beladen ist, verließ er das Coupé. -Ein langes, eiskaltes „_im--per--ti--nence_“ der Unbekannten -durchbohrte seinen Rücken mit einem letzten Stich. - -Der erste Mensch, den er im Korridor erblickte, war zu seiner -Ueberraschung niemand anders als der dritte des Trios, das er beim -Billettschalter in Hamburg gesehen -- der dunkle Mann mit dem -Schauspielergesicht, den Koteletten und dem goldgefaßten Zwicker. Als -Allan aus der Coupétür trat, hatte er einen Augenblick den Eindruck, -daß dieser Herr die ganze Szene drinnen verfolgt hatte und daß ein -halb unmerkliches Lächeln um seine Mundwinkel zitterte. Aber im -nächsten Augenblick waren seine Augen schon gerade durch die offene -Türe seines eigenen Coupés gerichtet, in fernschauende Bewunderung -der Heidelandschaft dort draußen versunken. Allan warf ihm einen -kurzen Blick zu und ging an ihm vorbei den Korridor hinunter. Die -anderen Wagenabteile waren mehr oder weniger voll, mit Ausnahme des -Damencoupés, über dessen Existenz er die Unbekannte eben aufgeklärt -hatte. Er kehrte zu dem Abteil zurück, vor dem der Mann mit dem Zwicker -postiert war und fragte mit einer leichten Handbewegung: - -„Sie gestatten?“ - -„Natürlich.“ - -Der Mann mit dem Schauspielergesicht neigte artig den Kopf. Allan ging -hinein, warf sich auf das unbesetzte Sofa und zündete eine Zigarette -an, nachdem er sich vorsichtig vergewissert hatte, daß er sich in einem -Rauchcoupé befand. - -Solch eine kleine, unverschämte Hexe! Amörrica, Amörrica! Hol’ der -Teufel Amörrica und alle Amörrikanerinnen. Ferner mochte der Teufel -ihn selbst holen und alle anderen Idioten, die sich auf sogenannte -Abenteuerfahrten einließen, von falschen Irrlichtern gelockt. Und -schließlich mochte er ihn selbst noch einmal holen, weil er von seinem -Gepäck in Hamburg weggereist war, um sich ohne allen Anlaß von einer -unverschämten, kleinen, schönen, verdammten Hexe beschimpfen zu -lassen.... - -Seine ärgerlichen Betrachtungen dauerten ein paar Stunden. Der -Zug sauste durch Osnabrück mit einigen Augenblicken der Pause in -dieser friedenschließenden Stadt; er brauste weiter gegen Köln; -Leute wanderten dem Speisewagen zu, um sich an dem Zwölfuhrdiner zu -erquicken; unter anderen sah er die Amerikanerin und den alten Herrn -mit der Raubvogelnase hinpilgern, jetzt im eifrigen Gespräch; aber -Allan hatte das Interesse für das Ganze verloren. Die Septemberluft, -die eben noch klar und blau gewesen, wie die Luft bei einem Abenteuer -sein muß, war nunmehr kalt und von abstoßender Farbe; die Sonne ohne -jede Wärme. Der Herr mit dem Zwicker kam in den Wagen und vertiefte -sich in das Studium eines illustrierten Katalogs. Hie und da warf er -einen verstohlenen Blick auf Allan, den dieser jedesmal mit einem -herausfordernden Starren erwiderte. Schließlich ging Allan in den -Korridor hinaus und hatte da wohl dreiviertel Stunden lang den Kopf zu -einem Fenster heraushängen lassen, als der Agitator des Speisewagens -ihn mit seinem: Wünschen die Herrschaften zu dinieren? aus seiner -mißmutigen Laune riß. Er machte eine rasche Toilette und steuerte durch -die Korridore dem Speisewagen zu. - -Im Waggon neben seinem eigenen hatte er noch einen kleinen Chok; die -heißblütige Amerikanerin wandelte gerade in ladylikem Balancegang -durch den Korridor. Hinter ihr wurde der bordeauxnasige alte Herr -sichtbar, dessen Riechorgan leuchtender denn je war; im Munde hatte -er eine frischangezündete Havanna, deren rote Spitze neben besagtem -Organ nur unbedeutenden Effekt erzielte. Allan trat rasch in ein -Coupé, um das Paar vorbei zu lassen; als die junge Dame passierte, -entging ihm jedoch nicht ein Blick aus ihren grauen Augen -- aber --- o Wunder! Sah er recht? Diese Augen schienen nun fast freundlich -mit der Ahnung eines Lächelns ganz tief drinnen. Sie fegte mit einem -Rauschen von Seidenunterkleidern vorbei. Der alte Herr, dessen Augen -einen befriedigten Sultanglanz angenommen hatten, watschelte hinter -ihr drein, ohne einen Blick für Allan oder überhaupt etwas anderes als -den weidenschlanken Rücken der Amerikanerin. Allan starrte ihnen nach, -und zuckte zusammen, als er am Ende des Korridors den Herrn mit dem -Schauspielergesicht erblickte, der die beiden mit dem hundertsten Teil -eines Lächelns durch seinen goldgefaßten Zwicker musterte. Allan sah -ihn einen Augenblick an und ging weiter. - -Der Speisewagen war beinahe ganz besetzt; unten in der Ecke zunächst -der Küche fand sich noch ein Tisch für zwei, der frei war. Der -weißbejackte Agitator von vorhin wedelte mit einer Serviette quer über -den Wagen, um anzudeuten, daß es ihm mit unerhörter Schwierigkeit -gelungen war, Allan einen Platz an diesem Tisch zu reservieren. Allan -ließ sich nieder, sah die Speisekarte an und ging sodann zur Weinliste -über. Er war eben zu der Ueberzeugung gekommen, daß Graacher Auslese -der richtige September- und Reisewein ist, als sich jemand an dem -anderen Platz am Tisch niederließ. Er sah auf. Mit einer unlogischen -Ueberraschung erkannte er in seinem Tischkameraden den Mann mit dem -goldgefaßten Zwicker und dem Schauspielergesicht. - -Dieser lächelte Allan wiedererkennend zu und begann dann zum Fenster -hinauszusehen. Allan betrachtete eine Weile die Zirkusnummer des -Kellners mit Schüsseln und Tellern zwischen den Tischen; jedesmal, wenn -der Zug sich in einer Kurve seitlich neigte und er selbst vom Schwung -auf eine Seite geschleudert wurde, dachte er mit einem Kitzeln in der -Magengrube: Jetzt geht die ganze Bescherung zum Teufel! Aber kein -einziges Mal gab es auch nur einen Fleck auf dem Tischtuch. Plötzlich -stand der Kellner mit einem Suppenteller vor seinem Platz. Allan -schnitt eine unwillkürliche Grimasse und schüttelte den Kopf. Suppe -um diese Tageszeit! Der Mann mit dem Zwicker lächelte wieder leise, -während er seinen Löffel in die Suppe tauchte. - -„Sie sind kein Freund der deutschen Speiseordnung?“ sagte er. - -„Nein, weiß Gott.“ - -„Der deutsche Wein sagt Ihnen besser zu?“ - -„Allerdings. Trinken Sie vielleicht ein Glas mit mir?“ - -Allans Laune stieg rasch um einige Grade, sowie er den Mund geöffnet -hatte; er begann zu erfahren, daß der Mensch ein Gesellschaftstier -ist, auch wenn er auf eigene Faust auf Abenteuer auszieht. Der Fremde -verbeugte sich leicht. - -„Mit Vergnügen, wenn Sie mir gestatten, Ihre Liebenswürdigkeit später -zu erwidern.“ - -Allan winkte dem Kellner, ein Glas zu bringen. Er und der Fremde -tranken sich zu. - -„Sie sind Skandinavier?“ - -„Warum glauben Sie das? Hört man es mir an?“ - -„Das eigentlich nicht, aber Ihr Aussehen sagt es mir, und dann noch so -irgend etwas Unbestimmtes. Ich möchte sogar wetten, daß Sie entweder -Schwede oder Norweger sind.“ - -„So?“ - -„Die Dänen erlernen nie unser a -- sie meckern. Und da Sie das nicht -tun --“ - -Allan nickte ohne die Hypothese des Fremden zu bestätigen. Allerdings -war er ja ziemlich groß und schlank, aber da er dunkel war, hätte ihn -das nicht verraten müssen, wenn seine Sprache es nicht besorgt hätte. -Der Mann mit dem Zwicker, der nun seine Suppe verzehrt hatte, beugte -sich vor und knüpfte die Konversation wieder an. Allan betrachtete -sein Gesicht, das energisch und intelligent war; die Augen unter den -Zwickergläsern schienen durchaus nicht von Kurzsichtigkeit geschwächt. -Es war unleugbar ein sympathisches Gesicht. Einmal, als der Fremde -nach einer Aeußerung, die er selbst gemacht hatte, in ein Gelächter -ausbrach, bemerkte Allan im Flug, daß einer seiner Backenzähne über -und über mit Gold plombiert war. Eigentümlicherweise grub sich dieser -kleine Zug, so wie es bei solchen kleinen Zügen oft der Fall ist, -in sein Gedächtnis ein; und obgleich er für den Augenblick kaum an -die Sache dachte -- er konnte ja nicht ahnen, daß er den Mann je -wiedersehen würde -- sollte es bei einer späteren Gelegenheit von einer -Bedeutung werden, die er jetzt unmöglich vorausahnen konnte. Plötzlich -merkte er, daß er so ganz damit beschäftigt gewesen war, den Fremden zu -beobachten, daß er ganz vergessen hatte, zuzuhören, was dieser sagte; -er zuckte zusammen, als er das Wort Paris mit fragender Betonung hörte -und nahm in der Eile an, daß sein Tischgenosse ihn gefragt hätte, wann -man dorthin käme. - -„Ich weiß nicht,“ sagte er. - -Der Mann mit dem goldgefaßten Zwicker sah ihn überrascht an. - -„Sie wissen nicht, ob Sie nach Paris fahren?“ wiederholte er. „Dieser -Zug geht auf jeden Fall hin, wenn Sie es nicht wissen sollten!“ - -Allan wandelte eine plötzliche Lust an, mit sich selbst und seiner -heutigen Heldentat zu brillieren. - -„+Das+ weiß ich,“ sagte er ernst. „Aber ich weiß hingegen nicht, -ob ich nach Paris fahre. Ich weiß es ebensowenig, als ich weiß, warum -ich überhaupt mit diesem Zug fahre.“ - -„Sie wissen nicht, warum Sie mit diesem Zug fahren?“ - -„Nein, oder warum ich überhaupt fahre.“ - -„Donnerwetter! Sie pflegen ganz einfach in einen Expreß einzusteigen, -ohne zu wissen, wohin er geht?“ - -„Ich habe es wenigstens heute morgen getan.“ - -„Donnerwetter! Darf ich fragen: Finden Sie bei solchen -Reisegewohnheiten Zeit zu vielem Packen?“ - -„Heute morgens nicht, das muß ich gestehen -- ich war gezwungen, mein -Gepäck in der Eile in Hamburg zurückzulassen.“ - -Und Allan ließ mit einer Gleichgültigkeit, eines Phileas Fogg würdig, -die rote Kontramarke aus dem Hamburger Hauptbahnhof durch die Luft -flattern. Nr. 374 stand in gotischem schwarzen Druck darauf. Der Fremde -starrte den Zettel und ihn mit einer Achtung an, die unter diesen -Verhältnissen höchst schmeichelhaft war, und trank nach noch einem -Donnerwetter einen Schluck aus seinem Rheinweinglas; Allan füllte es -mit Mäzengefühlen nach. Im selben Augenblicke kam der Fisch; nachdem -sich der Mann mit dem Zwicker vom Kellner hatte vorlegen lassen, nahm -er den Faden wieder auf. - -„Verzeihen Sie, wenn ich indiskret bin: Sind Sie wirklich aus einer -bloßen Laune von Ihrem Gepäck mit einem Zug weggereist, an dem Sie kein -besonderes Interesse hatten?“ - -Er fixierte Allan, der jetzt gerade der Gegenstand der Obsorge des -Kellners war und für den Moment für nichts anderes Augen hatte als für -das Essen. - -Es lag ein eigentümlicher Ausdruck der Spannung in den Augen des -Fremden; und wenn Allan aufgeblickt hätte, hätte er sehen können, wie -sein Visavis dem Kellner eine eigentümliche Grimasse schnitt: ein -Vorschieben der Lippen und zwei kurze Signale mit dem Kopf in der -Richtung nach Allan. Aber Allan hatte kein Auge für diese Grimasse, -und ebensowenig sah er, was darauf folgte: Der Kellner drehte hastig -den Kopf, fixierte ihn und zog die Augenbrauen in die Höhe, wobei er -den Mann mit dem goldgefaßten Zwicker ansah. Dieser formte hastig -ein Wort mit den Lippen, das der Kellner offenbar verstand, denn -er zog die Augenbrauen noch höher, und zum ersten Male während -des ganzen Mittagessens zitterte seine Hand. Das Ganze hatte kaum -fünfzehn Sekunden gedauert. Allan, der noch überlegte, ob er seinem -Tischkameraden die Episode mit der unbekannten Dame in Hamburg -mitteilen sollte, sah endlich auf. - -„Eigentlich hatte ich einen Grund,“ sagte er, „mein Gepäck so im Stich -zu lassen, aber -- nun ja, ich weiß nicht recht, ob ich wagen kann, ihn -Ihnen zu erzählen. Aber es ist derselbe Grund, der mich veranlaßte, -diesen Expreßzug zu nehmen -- und der ist etwas delikater Natur.“ - -Der Herr mit dem Zwicker konnte gerade noch dem Kellner, der aufmerksam -gelauscht hatte, eine fast unmerkliche Geste machen, bevor dieser mit -den Schüsseln wieder verschwand. Dann hob er sein Glas. - -„Gestatten Sie mir, zu fragen, ob Sie Bordeaux oder Burgunder -vorziehen,“ sagte er. - -Sie blieben nach dem Dessert noch etwa eine halbe Stunde sitzen und -nippten an ihrem Kaffee, während der Zug weiter durch den klaren -Herbsttag brauste. Allan empfand mehr und mehr Interesse für seinen -Reisekameraden; er war unterhaltend, originell, offenbar viel gereist -und wußte Geschichten aus allen Ecken und Enden Europas zu erzählen. -Hie und da kam er wieder auf sein Erstaunen über Allans Art, einfach -von seinem Gepäck fortzufahren, zurück, und Allan fühlte sich mehr -und mehr befriedigt von sich selbst. Einmal verschwand er für einen -Augenblick und wechselte in der äußeren, nunmehr leeren Wagenhälfte -einige Worte mit dem Kellner, ohne daß Allan dies beachtete oder -weiter daran dachte. Als er zurückkam, begann er eine Geschichte, die -Allan Gelegenheit gab, seine Theorie, daß er ein Schauspieler sein -müsse, zu bestätigen; er erwähnte sogar flüchtig seinen Namen -- Ludwig -Koch. Allan erwog eben, ob es korrekt sei, sich vorzustellen oder -nicht, als der Zug in eine große Station einfuhr, wo er langsamer wurde -und stehen blieb. Der Mann mit dem Zwicker lehnte das Gesicht an die -Fensterscheibe, während man dem Perron entlang rollte. Mit der Hand -über den Augen musterte er rasch die Menschen auf dem Perron; offenbar -erkannte er jemand, denn ein leichter Ausruf entschlüpfte ihm. Er erhob -sich von seinem Platz, nickte Allan zu und eilte hinaus. - -„Komme gleich wieder!“ rief er. - -„Fahren Sie nur nicht von Ihrem Gepäck weg, wie ich,“ rief Allan zurück. - -Der Mann mit dem Zwicker verschwand ohne weitere Repliken. Zu Allans -Erstaunen waren nach seinem Abgang kaum fünfzehn Sekunden verstrichen, -als der Zug mit einem Ruck aus der Station hinausrollte, deren Namen -Allan nicht bemerkte, so sehr war er damit beschäftigt, nach seinem -Tischgenossen auszulugen. Er sah keine Spur von ihm auf der Plattform; -er mußte also in eines der Coupés weiter vorne aufgesprungen sein. -Allan drehte den Kopf dem Eingang des Speisewagens zu, bereit, Herrn -Koch mit einem Glückwunsch zu begrüßen, daß die Sache noch gut -abgelaufen war, aber es vergingen ein und zwei Minuten, ohne daß Herr -Koch sich zeigte. Allan setzte sich wieder auf seinen Platz zurecht -und begann die Landschaft zu betrachten. - -Der Zug rollte jetzt durch einen Fabrikdistrikt. Man sah nur hohe -Schlote, von denen der fette Rauch in langen, schweren Streifen, -die Meertang glichen, über den blauen Himmel wogte; graugelbe -Fabrikfassaden, Massen von Seitengleisen, wo schmutzigrote Güterwagen -angehäuft standen. Gras und Unkraut wucherte mager und gelb, als -hätte es Fieber; die Schlackenhaufen türmten sich darum wie um einen -Krater. Das Ganze war beklemmend, trostlos. In einer solchen Umgebung -zu existieren, für sein ganzes Leben lang an ein solches Gefängnis -gebunden zu sein ... Allan schauderte. Er sah zu dem abenteuerblauen -Septemberhimmel empor und freute sich, in diesem Wagen zu sitzen, der -in taktfesten Wellenbewegungen dahinrollte, und er zitierte halblaut -und pathetisch vier Zeilen von Snoilsky, die den Unterschied zwischen -einem Passagier erster Klasse und einem Lokomotivführer hervorheben. -Dann fiel ihm wieder Herr Koch ein, und er klopfte dem Kellner. - -„Ich möchte zahlen, Ober. Ich muß dann hineingehen und mich nach meinem -Freunde umsehen.“ - -Ueber das Gesicht des Kellners huschte ein rasches Zucken, aber er -sagte nichts anderes als: „Sehr wohl,“ und kritzelte hastig einige -Hieroglyphen auf ein Blatt Papier. - -„Neun Mark, sechzig Pfennig!“ - -Allan bezahlte und gab ein Trinkgeld. Plötzlich fiel ihm etwas ein. - -„Aber Herr -- -- -- aber der andere Herr?“ - -„Hat schon bezahlt.“ - -„Hat schon bezahlt?“ - -„Jawohl, schon längst.“ - -Die Stimme des Kellners war so gleichgültig als nur möglich, und er -eilte weiter, sowie er geantwortet hatte. Allan unterdrückte ein -hastiges Gefühl des Staunens. Herr Koch hatte bezahlt! Pflegte man im -Speisewagen zu bezahlen, bevor man fertig war? Und insgeheim? Er für -seine Person hatte Herrn Koch dem Kellner keinen Pfennig geben sehen. -Er zuckte die Achseln und ging in sein Coupé zurück, um Herrn Koch zu -interviewen, wie die Sache zugegangen war. - -Der Zug hatte wieder begonnen zu schwanken und zu schlingern, und -es brauchte einige Zeit, und nicht wenig Balancierungskunst, um -glücklich durch die Korridore zu kommen, die jetzt leer waren. -Einmal kam ein so heftiger Stoß von einem Stationswechsel, den man -im Eilzugstempo passierte, daß Allan ganz linksum geworfen wurde. -Zu seiner Ueberraschung erblickte er am anderen Ende des Korridors -keinen geringeren als den Speisewagenkellner, der ihm zu folgen -schien. Im selben Augenblicke, in dem Allan den Mann ansah, verschwand -er jedoch in ein Coupé. Allan erinnerte sich, daß man sich auch in -den Coupés servieren lassen konnte, und vermutend, daß der Mann zu -diesem Behufe da war, ging er weiter. Endlich hatte er seinen Wagen -erreicht. Er ging an dem Coupé vorbei, das die Amerikanerin und der -alte Herr mit Beschlag belegt hatten, und zog die Schiebetüre zu seinem -eigenen Abteil zurück. -- Nun, Herr Koch, Sie sind ja gar nicht -wiedergekommen! hatte er auf den Lippen, als er plötzlich innehielt. - -Herr Koch befand sich nicht in dem Coupé. Das Coupé war leer. - -Allan blieb eine Minute in der Türe stehen, bevor er sich entschloß, -einzutreten. Was in aller Welt? Er war gar nicht da? Sehen wir mal, -sein Gepäck ... Es war auch kein Gepäck da! Nur eine ganz diminutive -Handtasche. Plötzlich kam ihm eine blitzartige Erinnerung: Es war -ja auch zu der Zeit, als Herr Koch noch im Coupé saß, kein anderes -Gepäck dagewesen. Herr Koch reiste fast ebenso ohne Gepäck wie er -selbst ... Er fuhr aus seinen Gedanken bei dem Laut diskreter, beinahe -schleichender Schritte im Korridor auf. Bei allen Göttern, war das -nicht schon wieder der Speisewagenkellner! - -Diesmal berührte seine Anwesenheit und sein blitzschnelles -Hineinblicken in Allans Coupé diesen als so unnötig, ja geradezu -eigentümlich, daß er von seinem Platz aufsprang und in den Korridor -hinausstürzte, um mit dem dienenden Bruder ein Wörtchen zu sprechen. -Aber dieser war schon in den nächsten Wagen verschwunden, und Allan -kehrte mit gerunzelter Stirne zu seinem Platz zurück. Ein paar -Augenblicke dachte er daran, den Schaffner aufzusuchen und mit ihm über -Herrn Kochs Schicksal zu beratschlagen; dann beschloß er, sich einen -blauen Teufel darum zu scheren -- er kannte den Mann ja gar nicht -- -und versank in das Studium des einzigen Gepäckstückes, das dieser, -abgesehen von der diminutiven Handtasche auf dem Sofa zurückgelassen -hatte, einen illustrierten Katalog einer Zauberfirma in Berlin. - -Es war ungefähr fünf Uhr, als der Zug in die Bahnhofshalle von Köln -rollte, wo Allans erstes wirkliches Abenteuer begann. Er vergaß -nachher nie das Nachmittagssonnenlicht, das die gewaltige Halle mit -gelben Staubgürteln durchzog. Der breite Perron war voll von Menschen, -die durcheinanderwimmelten, von Zeitungs- und Bücherkiosken, von -Verkaufsständen, wo man Bier, Bananen und Bäckereien bekam. Eine alte -Vettel, im Hinblick auf die Gestalt von frappanter Aehnlichkeit mit -einem _Ballon captif_, im Begriffe, die Vertauungen zu lösen, -hatte die Rolle des Blumenmädchens übernommen. Allan zog den Kopf vom -Coupéfenster zurück und streckte die Hand zum Netz nach seinen einzigen -Gepäckstücken aus -- einem Hut und einem Stock (der Ueberrock war in -Hamburg geblieben). Er wollte aussteigen, um seine Beine ein bißchen -auszugraden. Eben hatte er den Hut auf den Kopf gesetzt, als die Türe -seines Coupés von drei Gestalten verdunkelt wurde. Der vorderste trug -einen diskreten zivilen blauen Sakkoanzug; hinter ihm gewahrte Allan -zu seiner unaussprechlichen Verwunderung einerseits den weißbejackten -Kellner aus dem Speisewagen, andererseits einen kolossalen behelmten -Schutzmann. - -Allans erster Impuls (wie wahrscheinlich auch der des Lesers) war, -einen Schritt zurückzutreten, während er das Trio anstarrte; er hatte -Zeit zu einem Schritt, aber nicht zu mehr, denn offenbar befürchtend, -daß er zum Fenster hinausspringen könnte, stürzten der Mann in Zivil -und der Polizist auf ihn los, legten jeder eine Hand auf seine -Schulter und riefen mit Stentorstimme: - -„Im Namen des Gesetzes, Sie sind verhaftet!“ - -Allan war zu betäubt, um an Widerstand zu denken. Der einzige Gedanke, -den er formulieren konnte, war: Was zum Teufel soll das heißen? Ist -das die Rache der Akzeptanten? Lassen sie mich durch diese Schergen -heimholen? Nun tat der Zivilist (ein schwammiger Herr mit schwitzenden -Händen) seinen Mund auf und sagte hohnvoll: - -„Machen Sie kein so erstauntes Gesicht, mein lieber Benjamin Mirzl! Man -weiß schon, daß Sie sich verkleiden können. Aber es gibt Leute, die -Ihre kleinen Kniffe durchschauen. Kommen Sie ohne Aufsehen mit. Sie -können sich dieses Mal einen Träger für Ihr Gepäck ersparen.“ - -„Gepäck? Das ist nicht meine Tasche,“ gelang es Allan hervorzustoßen. - -„Natürlich nicht! Haha, natürlich nicht!“ - -„Mein Gepäck steht in Hamburg,“ schrie Allan außer sich, während eine -dunkle Ahnung des Zusammenhanges sich aus den Nebeln in seinem Innern -kristallisierte. - -„Haha, ja gewiß, ja gewiß! Warum nicht in Petersburg? Nein, nein, -Mirzl, Sie sind in der Schlinge gefangen. Machen Sie gute Miene, das -ist wohl das einzige, was Sie tun können.“ - -„Ich heiße nicht Mirzl, oder was Sie da zum Donnerwetter sagen, ich -heiße Kragh, und ...“ - -„Stillschweigen!“ brüllte der gigantische Schutzmann, dessen Gemütsruhe -durch die Lorbeeren des Zivilisten gestört wurde. „Mit aufs Amt, und -keinen Ton, dann werde ich mich hinter Ihnen halten.“ - -„Aber ...“ setzte Allan an und hielt inne; es hatte ja keinen Zweck, -+hier+ zu protestieren. Mit einem Achselzucken trat er in den -Korridor. Der Zivilist mit Herrn Kochs diminutiver Tasche folgte -ihm auf dem Fuße und der Mammut-Schutzmann beschloß die Prozession. -Plötzlich hörte Kragh den Kellner rufen: - -„Aber meine Belohnung! Wo kann ich mir die abholen?“ - -„Das werden Sie später erfahren!“ rief der Mann in Zivil über die -Achsel zurück. „Uebrigens sind Sie ja zwei; der in Essen ausgestiegen -ist, wird Ihnen schon nicht das Ganze lassen.“ - -Mit diesen Worten des Zivilisten im Ohr, ihn selbst an seiner Seite -und den gewaltigen Gesetzeswächter hinter sich, passierte Allan das -Paar im anderen Coupé -- die Amerikanerin und den alten Herrn mit der -Raubvogelnase. Er sah, wie sie ihre feinen Augenbrauen emporzog und dem -bordeauxnasigen Alten etwas zuflüsterte -- die waren jetzt offenbar ein -Herz und eine Seele. Er senkte den Kopf, um nicht mehr zu sehen und -ging nach rechts, in der Richtung, die der Zivilgekleidete angab. Was -hatte das Ganze zu bedeuten? Abenteuer, Septemberabenteuer in Sonne -und blauer Luft -- das sah mehr nach totaler Sonnenfinsternis und sehr -eingeschlossener Luft aus. Was hatte das Ganze zu bedeuten? - -Kein Philosoph hätte sich diese Frage mit mehr Nachdruck stellen können. - - -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- - -„Das ist Ihr Paß? Sie sind Herr Allan Kragh, Student, schwedischer -Bürger?“ - -Allan bejahte diese beiden Fragen mit einem Nachdruck, der nur von -seiner Furcht, den kleinen dicken Polizeirichter, der Geijerstam -ähnlich sah, unwiderruflich zu verletzen, gedämpft war. Keine schwarzen -Fahnen jetzt, nur weiße Friedensflaggen, bis man loskam. Anderthalb -Tage im schwarzen Loch! - -„Warum haben Sie nicht schon früher bei mir protestiert, wenn das Ihr -Paß ist?“ - -Allan fixierte den geijerstamähnlichen Repräsentanten der Gerechtigkeit -und schluckte erst einige kernige schwedische Ausdrücke, bevor er -erwiderte: - -„Ich habe doch vom ersten Augenblick an gesagt, wer ich bin, obgleich -Ihre verdamm -- -- -- obgleich niemand auf mich hören wollte. Es wurde -als mathematisch feststehend angesehen, daß ich Mirzl sein muß -- wer -zum Teufel nun dieser Mirzl ist! Mirzl! In meinem Leben habe ich nichts -von einem Mirzl gehört.“ - -„Dann lesen Sie die Zeitungen schlecht, oder auch sind die schwedischen -Zeitungen hinter ihrer Zeit zurück. Nun gut, wir werden telegraphisch -anfragen. Fällt die Antwort zu Ihren Gunsten aus, werden wir Ihre Sache -schon heute nachmittag in Erwägung ziehen.“ - -„Danke allerergebenst, danke +aller+...“ - -„Aber ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß uns die Sache mit der -Handtasche sehr bedenklich vorkommt. Sie enthielt allerdings nichts -direkt Kompromittierendes, aber es ist bekannt, daß Mirzl eine solche -Tasche in seinem Besitz hatte, als er aus Berlin verschwand.“ - -„Die Tasche! Wie oft muß ich noch sagen, daß das nicht mein Gepäck ist? -Daß mein Gepäck in der Garderobe in Hamburg mit dieser Kontramarke -steht und ...“ - -„Sie werden zugeben, daß man nicht gerade häufig sein Gepäck in der -Garderobe in Hamburg läßt, wenn man mit dem Expreßzug nach Paris fährt? -... Nun ja, nun ja, wir werden telegraphieren!“ - -Es vergingen sechs Stunden, bis Allan den Polizeirichter mit dem -rundbäckigen Aussehen, den Brillen und dem Schnurrbart wiedersah. Als -es dazu kam, war es in einem kleinen, ganz ungestörten Raum des großen -Amtsgebäudes. Der kleine Mann mit dem literarischen Aussehen hielt ein -paar Telegramme in der Hand und betrachtete abwechselnd eine Karte des -Deutschen Reiches und ein Album mit vielen Photographien. - -„Ja, ja, wir haben untersucht, wir haben telegraphiert ... ich muß -sagen, Herr Kragh, Sie haben höchst außerordentliche Erfahrungen -gemacht. Ist das Ihre erste längere Reise ins Ausland?“ - -„Ja“ (erbittert). - -„Das glaube ich, ich konnte es mir denken. Höchst außerordentliche -Erfahrungen, das muß ich sagen.“ - -„Ist Ihnen meine Identität bestätigt worden?“ (äußert erbittert, denn -sechs Stunden der Abgeschiedenheit bei spartanischer Kost tragen nicht -gerade dazu bei, die Laune zu verbessern.) - -„Wir glauben es. Ja, wir glauben, überzeugt sein zu dürfen, daß Sie -tatsächlich Herr Allan Kragh aus Schweden sind.“ - -„Gedenken Sie mich also loszulassen? Gedenken Sie die Bevölkerung von -Köln diesem Risiko auszusetzen? Ist das Kölnischwasser eingesperrt? Und -der Dom bewacht?“ - -„Einen Augenblick, Herr Kragh. Wir bedauern den Mißgriff sehr, wir -bedauern ihn außerordentlich, und wir wollen Sie gerne, soweit es in -unseren Kräften steht, schadlos halten. Natürlich werden Sie sofort -in Freiheit gesetzt (die Stimme des Polizeirichters war so sanft und -versöhnlich, daß es beinahe klang, als spräche er finnisch). Gestatten -Sie mir nur eine Frage: Waren in Ihrem Gepäck in Hamburg große Werte -enthalten?“ - -„Werte? Hm. Das gewöhnliche Reisegepäck, einige Anzüge und dergleichen. -Gold und Juwelen nicht.“ - -„Ausgezeichnet ... Ihr Garderobeschein hatte die Nummer 374?“ - -„Ja, was meinen Sie?“ - -„Warten Sie ein bißchen! Hm ... 374. Nun wohl, Herr Kragh, warum sollte -ich Ihnen die Sache verbergen: Ihr Gepäck ist gestohlen.“ - -„Gestohlen? Stiehlt man Gepäck, das einer deutschen Eisenbahngarderobe -eingeliefert ist? Ich habe meinen Schein.“ - -„Ja, ja, Ihren Schein, Nr. 374, drei Kolli. Aber vorgestern, als Sie -... als Sie irrtümlich angehalten wurden, kam ein Telegramm an die -Garderobe, die drei Kolli auf Nummer 374 expreß nach Osnabrück zu -schicken; der Inhaber habe nicht Zeit gefunden, sie abzuholen. Die -Garderobe sandte sie noch am selben Tage ab, sie wurden um sechs Uhr -abends in Osnabrück (mit einem falschen Gepäckschein, wie wir allen -Grund haben, zu vermuten, ja allen Grund) von einem Herrn abgeholt, -der sofort nach Holland weiterreiste ... Ihre zwei Handkoffer und Ihr -Ueberrock, Herr Kragh, sind also gestohlen.“ - -„Putz weg! Donnerwetter ...“ Allan starrte den sanftäugigen -Polizeirichter ganz verblüfft an. „Wer in Teufels Namen ...“ - -„Ja, wer kann die Nummer Ihres Garderobescheines wissen! Hat man Sie im -Hamburger Bahnhof darangekriegt? Wir verstehen die Sache ebensowenig -wie Sie selbst -- und Sie sollten sie besser verstehen als wir. Ja, das -sollten Sie wirklich.“ - -Allan bog in einen neuen Gedankenkanal ein. - -„Das sollte ich! Aber wie konnten Sie sich unterstehen, mich zu -arretieren? Warum haben Sie diesem Kerl Gelegenheit gegeben, mein -Gepäck zu stehlen? Haben Sie die Güte und erklären Sie mir, was hinter -dieser anderen Geschichte steckt! Jetzt bin ich nicht mehr Angeklagter!“ - -„Herr Kragh!“ Die Stimme des Polizeirichters war voll sanftem -Tadel, aber Allan hörte nicht mehr auf diesem Ohr, seine erlittenen -Verunrechtungen begannen ihm zu Kopf zu steigen. Wie ein Verbrecher -arretiert und obendrein noch bestohlen werden! Das war zuviel. Wozu -hatte man Konsuln? - -Er hörte die sanfte, gleichsam bebrillte Stimme des Polizeirichters: - -„... daß die ganze Geschichte im Speisewagen entstanden ist. Sie haben -den Mann nicht gekannt, mit dem Sie zu Mittag gegessen haben?“ - -„Gekannt? Habe den Kerl noch nie im Leben gesehen. Es ist das erstemal, -daß ich im Ausland bin.“ - -„Hm, ja, ich kann ... nun schön, dieser Mann -- Aber warten Sie, Sie -sollen die Geschichte aus erster Hand hören.“ - -Der Polizeirichter drückte auf einen Knopf, gab einem Bediensteten -eine Weisung und begann in der Erwartung, daß sie ausgeführt werde, -wieder in dem Album mit den vielen Photographien zu blättern. Hie -und da schob er die Unterlippe auf halbem Wege zur Nase hinauf, -offenbar in tiefe Grübeleien versunken. Von Zeit zu Zeit fanden diese -in einem gedankenvollen p--r--m, p--r--m Ausdruck, das an den Ton -erinnerte, den eine Kindertrompete von sich gibt, wenn ihr kleiner -Besitzer hineingespuckt hat. Plötzlich öffnete sich die Türe, und der -Bedienstete kam mit jemand herein, der sich als der Speisewagenkellner -von vorgestern entpuppte. Der kleine Polizeirichter schnitt die -untertänigen Bücklinge des Sangmeds mit einer Geste ab und sagte kurz: - -„Erzählen Sie. Erklären Sie dem Herrn die Sache.“ - -„Ach, gnädiger Herr, es ist ein Irrtum, ein furchtbarer Irrtum. Man -hat mich beschwindelt, man hat mich betrogen, gnädiger Herr. Es war -der Herr, der an Ihrem Tische gespeist hat -- hol’ ihn der Teufel. -Gerade als ich dem gnädigen Herrn den Fisch serviert habe, machte -mir der andere Herr Grimassen: Sehen Sie den Herrn an, das ist ein -durchgegangener Verbrecher -- ganz vorsichtig, so daß der gnädige -Herr nichts gemerkt hat. Ich sah den gnädigen Herrn an und hörte, wie -der gnädige Herr sagte, daß er von seinem Gepäck und allem fortreisen -mußte; und der andere Herr nickte mir nur immer zu -- der Teufel soll -ihn holen. Auf einmal kommt er zu mir hinaus in den rückwärtigen Teil -des Wagens und sagt: Der Herr an meinem Tisch ist kein anderer als -Mirzl selbst.“ - -„Aber wer ist denn dieser Mirzl?“ rief Allan, dem nun schon zum -dritten Male dieser Name ins Gesicht geschleudert wurde. Statt aller -Antwort reichte der Polizeirichter ihm stumm das Album mit den vielen -Bildern und eine zwei Tage alte Berliner Zeitung. Da fand er fett -gedruckt die Ueberschriften: -- +Großer Hoteldiebstahl in Berlin W. --- Benjamin Mirzl wieder in Aktion -- der Betrag über siebzigtausend. --- Mirzl entkommt im Auto.+ -- Und im Album fand Allan eine -Serie Photographien _en face_, im Profil, von rückwärts, einen -dreißigjährigen Herrn darstellend, an dessen Züge er sich dunkel zu -erinnern glaubte, vermutlich aus irgendeiner illustrierten Zeitung. -- - -„Unser größter Schwindler,“ sagte der Polizeirichter. „Er ist noch nie -gefaßt worden, aber diesmal ist er mit knapper Not entwischt und mußte -das meiste im Stich lassen.“ - -„Das war am Tage, bevor ich mit dem Expreß abreiste!“ rief Allan. - -„Ja, so war es.“ - -Der dienende Bruder setzte unverdrossen seinen Bericht fort. - -„Ich spitzte natürlich die Ohren; der andere Herr zog eine Visitkarte -hervor und sagte: ‚Ich bin Rechtsanwalt Dr. Hauser.‘“ - -„Aber mir sagte er doch, er hieße Koch und sei Schauspieler!“ rief -Allan. - -„Er hat den gnädigen Herrn irreführen wollen. ‚Mein Name ist -Rechtsanwalt Dr. Hauser,‘ sagte er zu mir. ‚Ich springe in Essen ab, -um einen Detektiv zu holen und Mirzl zu arretieren. Komme ich nicht -zurecht, so lassen Sie ihn um Gottes willen in Köln festnehmen! Auf -dem dortigen Bahnhof sind immer Polizisten. Bedenken Sie, daß nur für -seinen letzten Streich allein fünftausend Mark Belohnung ausgesetzt -sind!‘ So sagte der gottverdammte Mensch, und in Essen sprang er ab. Er -kam nicht wieder. Ich behielt den gnädigen Herrn im Auge, und in Köln -...“ - -„Das übrige weiß ich,“ sagte Allan. - -„Ach, gnädiger Herr, ich bin ein armer Mann, verheiratet, Familienvater -mit vier Kindern, wie sollte ich ahnen, daß dieser elende Mensch mich -ins Verderben stürzen wollte. Nicht einmal sein Mittagessen hat er -bezahlt, bevor er in Essen abgesprungen ist.“ - -„Ich bezahle es nicht. Aber ich unternehme auch nichts gegen Sie. Ich -rate Ihnen nur, ein andermal mehr an das Service und weniger an die -Gäste zu denken. Das ist eine gute Regel für einen Kellner, glaube ich.“ - -„O gnädiger Herr ...“ - -„Es ist schon gut. Kann ich gehen, Herr Polizeirichter?“ - -„Aber -- aber natürlich. Und Sie -- Sie gedenken die Sache nicht weiter -zu verfolgen?“ - -„Diesmal nicht. Ich zog aus, um Abenteuer zu suchen, wenn ich sie -auf den Hals bekomme, kann ich nicht klagen. Falls mein Gepäck noch -auftauchen sollte -- aber das kommt wohl nicht in Frage. Darauf wird -Herr Mirzl wohl auch Beschlag gelegt haben.“ - -„P--r--m -- ach nein, der bewegt sich in einem höheren Genre.“ - -„Ich bin ebenso gespannt, seine nähere Bekanntschaft zu machen, wie -Sie, Herr Polizeirichter. Leben Sie wohl.“ - -Allan verließ das kleine Zimmer des großen Gebäudes; der kleine -Polizeirichter folgte ihm durch die Korridore bis zum Ausgang, wo Allan -und er sich voneinander unter tiefen Verbeugungen verabschiedeten. -Allan ging nun durch die Straßen, etwas wirr im Kopf von all den -Ereignissen, ohne daran zu denken, welche Richtung er einschlug. Es war -nun, wie ein Blick auf die Uhr ihm sagte, fast vier Uhr nachmittags. -Plötzlich, als er an einer Straßenecke stehen blieb, um zu überlegen, -was nun zu tun sei, spürte er eine Hand auf seiner Schulter und zuckte -zusammen. Eine neue Arretierung? Das wäre doch zuviel des Guten. Er -drehte sich um. Ein junger Mann im Strohhut grüßte ihn lächelnd und -reichte ihm einen Brief. - -„An Sie,“ sagte er. - -Bevor Allan ihn noch aufhalten konnte, war er verschwunden. Allan -starrte ihm in dem Volksgewühl nach, ohne zu wissen, was er eigentlich -glauben sollte. Er lief einige Schritte in der Richtung, die der -Unbekannte eingeschlagen hatte, aber ohne ihn zu erblicken; der Verkehr -war im Augenblicke überwältigend. Dann sah er den Brief an, der die -Aufschrift trug: „Herrn Allan Kragh aus Schweden“, und riß ihn auf, von -einer plötzlichen Ahnung gepackt. - -Was er las, war dies: - - „Lieber Herr Kragh! Sie haben ohne Zweifel viele Flüche auf mein - Haupt herabbeschworen, seit wir uns zuletzt sahen, obwohl es fraglich - ist, ob Sie diese Flüche richtig adressieren konnten. Verzeihen - Sie mir, daß ich Ihre Freundlichkeit, mir im Speisewagen Graacher - Auslese vorzusetzen, so schlecht gelohnt habe; verzeihen Sie mir in - noch höherem Grade die Unannehmlichkeiten, die ich Ihnen späterhin - verursacht habe -- Unannehmlichkeiten, deren Charakter ich selbst nur - zu gut einzuschätzen verstehe. - - Ich weiß, daß der Verlust Ihres Reisegepäcks auf den Garderobeschein - 374 des Hamburger Hauptbahnhofes, den Sie so unvorsichtig waren, - mir beim Diner zu zeigen, gegen die eben erwähnten anderen - Unannehmlichkeiten nicht ins Gewicht fällt. Leider war ich wirklich - durch die Verhältnisse gezwungen, so zu handeln. Seien Sie überzeugt, - daß es eine zwingende Notwendigkeit war. - - Sollten Sie geneigt sein, mich sämtliche Unannehmlichkeiten - sühnen und Ihnen natürlich in erster Linie Ihr elegantes Gepäck - zurückstellen zu lassen, so können Sie mich Freitag abend, den - zwölften dieses, um zehn Uhr in The Leicester Lounge am Leicester - Square in London treffen. Seien Sie überzeugt, daß ich Sie erkennen - werde, wenn Sie sich einfinden, auch wenn Sie mich nicht erkennen - sollten. Ich mache Ihnen diesen Vorschlag, um zu sehen, ob ich den - Charakter eines Mannes, der ohne weiteres einer Laune wegen sein - Gepäck im Stiche läßt, richtig beurteilt habe. - - Also auf Wiedersehen! - - Ihr ergebener - Ludwig Koch, - alias Dr. Hauser, - alias ..... - - (nach Belieben von Ihnen selbst auszufüllen.)“ - - _P. S._ Daß ich Ihren Namen in Erfahrung gebracht habe, werden - Sie hoffentlich nicht übelnehmen.“ - -Wie oft Allan, mitten im Gewühl der Jülichstraße stehend, diese Epistel -durchlas, ist ungewiß. Schließlich sahen doch die Passanten dieser -Straße, wie er sich aufraffte, den Brief in die Tasche steckte, einen -Polizisten über irgend etwas befragte und in der Richtung zum Bahnhof -forteilte. Es war über vier Uhr; er hatte eine knappe Stunde, um den -Zug zu erreichen, über dessen Abgang er eben den kölnischen Wächter des -Gesetzes konsultiert hatte. Diese Stunde mußte genügen, um seinen Magen -nach den Prüfungen im Arrest zu befriedigen. - -„Es fängt an!“ murmelte Herr Kragh für sich. „Das war ja eine feine -Reisegesellschaft, die ich hatte! Auf diese Weise sind die Koffer also -fortgekommen. Nun wollen wir vor allem das tun, was Hermann Bergius als -das oberste und unveräußerlichste Menschenrecht erklärte -- Frühstück -essen. Es ist spät und wohlverdient. Und dann auf nach London, um mit -Herrn Benjamin Mirzl Bekanntschaft zu machen! Das dürfte interessant -sein.“ - - - - -III - -Das große Hotel - - -Einmal hatte Allan die größte der großen Turbinenanlagen in Südschweden -besucht. Es war ihm, als wäre er in ihre maschinendruckvibrierende und -dröhnende Luft gekommen, als er am 11. September spät abends in London -eintraf. - -Er rieb sich die Augen, wie er da in seinem Taxi saß. Das war eine -Stadt! Hier mußten die Abenteuer zu Hause sein; hier mußten sie gerade -an jeder Straßenecke lauern. Was war dagegen Hamburg und Köln! Was -war die unbeschreibliche Atmosphäre von jagender Eile, raffiniertem -Luxus und unerhörtem Geldzustrom, die sein Eindruck des Luxuszuges von -Köln nordwärts war, gegen dieses London! Schon die Luft war neu, eine -phantasiereizende Mischung von tausend Ingredienzien: Dem Geruch des -heißen Steinpflasters, von parfümiertem Virginiatabak, Benzindämpfen -der zahllosen Autos, deren Gummiräder über den spiegelblanken Asphalt -zischten; dem Duft des parfümierten Reichtums der ganzen Welt und -all ihres unaussprechlichen stinkendsten Elends. Die Häuser jagten -wie im Traum an seinem Auto vorbei; gigantische Fassaden verloren -sich nach oben zu in der nebligen Abendluft; es flammte und zuckte -von unzähligen Lichtern; die Reklamen krochen wie regenbogenfarbene -Schlangen die Mauern auf und ab; der Himmel über den offenen Plätzen -brannte schlackenrot wie vom Widerschein einer kolossalen Feuersbrunst -oder dem Ausbruch eines Riesenkraters. Und der Menschenstrom brauste -und brauste. Das Auto, das Herrn Allan Kragh aus Schweden auf der Suche -nach Abenteuern und eventuell einer Zukunft umschloß, eilte lautlos -durch das Gewirr, vermied es zu kollidieren, vermied es, jemand zu -töten, zog hier und da an einer Straßenecke eine augenblickliche Ritze -durch die Menschenfluten; stürzte dahin, scheinbar ebenso sinnlos, wie -die tausend anderen Autos, denen es begegnete, hundertmal schneller -als die dahinströmenden Menschenfluten, aber ebenso sinnlos. Plötzlich -bog es in einen offenen Platz, der weniger lichtflammend war, als die -vorhergehenden Straßen und hielt vor einer Fassade, an der die Lichter -sich zu einem gewaltigen Feston zusammengeballt hatten. „Grand Hotel -Hermitage“ sagten die Lichtkränze; der Chauffeur wiederholte es, indem -er die Türe des Autos aufriß, und Herr Allan Kragh ging über eine -breite Treppe hinauf, in eine große Halle, die nach dem Souza-Marsch -der Straßen unerhört still wirkte -- die ungeheure Drehtüre des -Vestibüls schnitt den Lärm der Außenwelt ab wie eine Klosterpforte. - -Das war also das berühmte Grand Hotel Hermitage. Hundertmal hatte Allan -diese drei Worte im Henschel, Bradshaw und den großen ausländischen -Zeitungen gesehen; jedesmal hatte er gedacht: Wer doch da wäre; und als -er nun auf seiner großen Reise vom Zufall und Herrn Mirzl nach London -verschlagen wurde, da war es ihm ganz selbstverständlich erschienen, -dem Chauffeur die Adresse des großen Hotels anzugeben. - -Auf dem Wege von Köln hatte Allan sich in Belgien mit den notwendigsten -Reiseeffekten versehen -- man durfte vielleicht Herrn Mirzls -Versprechen nicht allzu ernst nehmen; aber andererseits wäre es töricht -gewesen, sich mit einer doppelten Ausstattung zu belasten; und er -war folglich nicht ganz gepäcklos, als er, den Hotelträger hinter -sich, durch die Drehtüre eintrat. Dennoch war es nur natürlich, daß -der ernste Portier des Luxushotels (dessen Figur am ehesten an eine -Benediktinerflasche erinnerte) ihn mit einer etwas herablassenden -Nuance im Ton empfing. Hinter dem Portier bemerkte Allan im Kontor -einen vierschrötigen Herrn mit graugesprenkeltem Yankeebart ohne -Schnurrbart, der Direktor des Hotels, wie er später erfahren sollte. -Hätte der Direktor und der Portier die Ereignisse vorausahnen können, -die sich während Allans Aufenthalt im Grand Hotel Hermitage abspielen -sollten und die Rolle, die Allan darin zu spielen bestimmt war, hätten -sie ihn vermutlich mit Grüßen ganz anderer Art aufgenommen als die, mit -denen der Portier Allan jetzt empfing. - -„Das ist Ihr ganzes Gepäck, Sir?“ - -„Ja. Ich erwarte noch mehr. Ich möchte ein Zimmer haben.“ - -Der Portier musterte ihn noch einen Augenblick, und weichere Gefühle -erlangten die Oberhand. - -„Kleines Zimmer für diesen Gentleman, Jones. Ist 417 frei?“ - -Es stellte sich heraus, daß 417 frei war. Ein uniformierter magerer -junger Mann übernahm Allans unbeträchtliches Gepäck und geleitete -ihn zum Lift. Dieser machte sich mit der würdigen Langsamkeit eines -alten Herrschaftsdieners auf den Weg und blieb mit derselben Würde im -vierten Stock stehen. Der uniformierte Herr führte Allan über einen -teppichbelegten Korridor in das kleine Gemach, das geeignet befunden -worden war, ihn zu beherbergen. Es war wirklich klein, das heißt, in -der Breite, denn die Höhe ließ nichts zu wünschen übrig. Es wurde zum -größeren Teil von einem Bett und einem Toilettetisch ausgefüllt und -erinnerte infolge seiner architektonischen Gestalt in hohem Grade -an eine Grabkammer in einer ägyptischen Pyramide. Dahinter befand -sich, wie Allan sah, ein Badezimmer. Aber Allan hatte von Hermann -Bergius gelernt, daß nichts gleichgültiger ist, als das Zimmer, das -man auf seinen Reisen bewohnt, da man sich ja doch nie in wachem oder -nüchternem Zustande darin aufhält. Er erklärte sich folglich mit der -ägyptischen Grabkammer zufrieden, drückte dem uniformierten Herrn einen -Schilling in die Hand und ging dazu über, Toilette zu machen. - -Als er eine halbe Stunde später, ohne sich wegen seines Reiseanzuges -zu genieren, in den Speisesaal des großen Hotels wanderte, fand er -Gelegenheit, zu konstatieren, daß nicht nur die Zimmer für Reisende -mit unbedeutendem Gepäck klein sind, auch die Welt selbst ist überaus -klein. Ja, offenbar, denn als er sich an einem Tisch niedergelassen, -die Speisekarte verlangt hatte und sich im Speisesaal umzusehen begann, -wen erblickte er an dem Nebentisch rechts, wenn nicht die Dame, die -ihn vom Hamburger Bahnhof in die Welt hinausgelockt hatte, und als -ihren Kavalier den alten Herrn mit der Raubvogelnase und dem gelbgrauen -Schnurrbart. - -Allan fixierte sie überrascht. Es war unleugbar kurios, dieses Paar -gerade hier zu treffen! Es gab doch tausend Hotels in London. Nun, es -war natürlich ein Zufall, aber ... das Freundschaftsbündnis, das er -im Expreß beginnen gesehen und zu dem er selbst teilweise die direkte -Ursache gewesen, war offenbar von nachhaltigerer Art geworden, als -Reisebekanntschaften zu sein pflegen. Er konnte die alte Bordeauxnase -gut verstehen ... trotz des Grolls, den er noch gegen die junge Dame -wegen ihres Auftretens im Coupé hegte, mußte er sich selbst gestehen, -daß sie eine Messe wert war ... sie schien ihm sogar mehrere Messen -wert. Es bedurfte der Phantasie einer Pariserin, dachte er, um sich -eine solche Toilette, wie sie sie heute abend trug, auszudenken, -und der Courage einer Amerikanerin, um sie zu tragen. Seine Blicke -irrten über die Linie des Ausschnittes um ihren weißen Busen, der so -herausfordernd entblößt war wie auf einer Zeichnung von Rops, und -wenn sie nicht da umherirrten auf der Grenzlinie zwischen der weißen -Haut und der grünen Seide, ist es möglich, daß sie etwas weiter -hinabschweiften, wo der knapp anliegende Rock fast bis zum Knie -aufgeschlitzt war ... Welche Linie ist mystischer und verlockender zu -verfolgen als die Linie einer schönen Frauenwade? Namentlich wenn sie -von einem Strumpf von jener diskreten Durchsichtigkeit umschlossen -ist, wie sie Madame offenbar bevorzugte ... Die Wellenlinie ihrer -Wade zeichnete sich durch den grünen Strumpf ab wie Marmor durch den -adriatischen Wasserspiegel. Allan starrte, ganz im klaren darüber, daß -er zudringlich war, und plötzlich drehte Madame den Kopf nach Allans -Seite (sie saß im Halbprofil) und ließ den Blick über ihn hingleiten; -Allan sah, daß sie ihn erkannte. Im selben Augenblick stand der Kellner -an seinem Tisch, mit Speisekarte und Weinliste, und er war genötigt, -seine Augen von ihr loszureißen. - -Wer konnte sie sein, und wie kam es, daß sie in dieser Gesellschaft -hier war? Diese Frage summte Allan im Kopf, während er ein paar -Gerichte der Speisekarte und einen Bordeaux von der Weinliste wählte. -Der Kellner verschwand, und er hatte die Aussicht auf den anderen Tisch -wieder frei. - -Man sprach dort ziemlich eifrig. Ueber ihn? Nicht unmöglich, denn -eine flüchtige Sekunde flog ihr Blick wieder zu ihm hinüber; der alte -Herr mit der Raubvogelnase bekundete hingegen kein Interesse für -ihn, wenn nun wirklich über ihn gesprochen wurde. Allan nahm seine -bewundernde Betrachtung ihrer Person wieder auf, ohne daß sie sie -nunmehr zu berühren schien, und war noch damit beschäftigt, als der -Kellner mit der Omelette und dem Wein, den er bestellt hatte, erschien. -Er machte einen Schluck aus seinem Glas und begann zu essen, während -seine Gedanken von dem geheimnisvollen Paar dort drüben zu Herrn -Benjamin Mirzl schweiften. Plötzlich kam es ihm, eigentümlicherweise -zum erstenmal, zum Bewußtsein, daß er gerade dieses Trio in seiner -Gesamtheit -- den alten Herrn, die junge Dame und Herrn Mirzl -- vor -dem Billettschalter in Hamburg gesehen hatte. Allerdings schienen -sie damals ganz unabhängig voneinander, aber ... Herr Mirzl war ein -internationaler Schwindler, wenn auch vielleicht ein exzentrischer, -wohlwollender; waren die beiden anderen von derselben Sorte? Das -war natürlich nicht ausgeschlossen, und Allan beschäftigte sich mit -dieser Möglichkeit, während er vom Poulard und Bordeaux zum Dessert -und einem Glas Madeira überging (man mußte doch die Bekanntschaft mit -der Mutter aller Städte feiern), aber verwarf sie nach dem zweiten -Glas Madeira als unwahrscheinlich. Er bestellte Kaffee und Likör, -wobei das Wesen des Kellners ebenso milde zu werden begann, als -wenn er im _evening-dress_ gewesen wäre, und blieb bei diesen -angenehmen Getränken sitzen, auch als das Paar, das ihn intrigierte, -den Speisesaal verlassen hatte. Zu seiner nicht geringen Ueberraschung -sah er, als die Rechnung beglichen wurde, daß sie für beide bezahlte; -der alte Herr war also offenbar von ihr eingeladen. Kontinental, dachte -Allan. Sie passierten seinen Tisch ohne ein Zeichen des Wiedererkennens --- oder sah er recht, als er ein kleines Blinzeln zu merken glaubte, -die Ahnung eines spöttischen Lächelns in ihren Augen? Es war unmöglich -zu entscheiden. - -Um halb elf Uhr, als Allan sich zu einem Abendspaziergang mit Zigarre -durch London entschlossen hatte, zeigte es sich, daß die Stadt -ihrerseits entschlossen war, seine Ankunft mit einem undurchsichtigen, -gelbgrauen, brandrauchduftenden Nebel zu feiern, der zur Folge hatte, -daß er (nach zwei Whisky mit Soda, zu Ehren der Riesenstadt) in der -ägyptischen Grabkammer zu Bette ging. Er schlummerte sofort ein und -schlief wie ein Stück Holz. - -London ist eine wunderbare Stadt, voll Ueberraschungen, unerforschlich -wie das Menschenherz, mehr Dinge bergend als die Philosophie sich -träumen läßt oder Baedeker in seinen roten Büchern mit Sternen -bezeichnet hat. Und Herr Allan Kragh fand in seinem bescheidenen Maße -Gelegenheit, diese Binsenwahrheiten schon im Laufe des folgenden -Tages bestätigt zu finden. Die Nebel des Abends waren von einem -sanften Sonnenschein, der von einem milden, veronikablauen Himmel -erstrahlte, abgelöst, als er am Vormittag seine Streifzüge vom -Grand Hotel Hermitage antrat, und, Goethe gehorchend, ins volle -Menschenleben der Straßen hineingriff. Seine Streifzüge gehen jedoch -diese wahrheitsgetreue Erzählung nichts an, und wir begnügen uns damit, -den Kontakt mit ihm wieder aufzunehmen, als er gegen ein Uhr nachts -ins Grand Hotel Hermitage heimkehrte. Da beschäftigten ihn nicht die -Geheimnisse von London, sondern das Geheimnis Benjamin Mirzl. - -Was hatte Herr Mirzl mit dem Brief beabsichtigt, den er Allan durch -einen seiner Helfershelfer vor zwei Tagen in Köln hatte zustecken -lassen? Ein Bluff? Aber warum? Konnte einem Herrn seines Schlages -etwas derartiges Spaß machen? Es war ja denkbar, aber paßte nicht zu -der Vorstellung, die Allan sich von Herrn Mirzl gemacht hatte. Es war -ja auch möglich, daß dieses Vorstellungsbild Herrn Mirzl ebensowenig -ähnlich sah, wie dieser sich selbst in seinen verschiedenen -Verkleidungen. Auf jeden Fall: Schlag neun Uhr, eine Stunde vor der -angegebenen Zeit, hatte sich Allan in dem von Mirzl bezeichneten Kaffee -„The Leicester Lounge“ eingefunden. Seine Londoner Eindrücke waren -dadurch um noch einen vermehrt worden, aber als er gegen halb ein Uhr -aus dem Kaffee hinausgeworfen wurde (Polizeivorschrift), war dies auch -seine einzige Ausbeute. Dem Kaffee hatte sein dreiundeinhalbstündiger -Besuch etwas mehr Ausbeute gebracht. „The Leicester Lounge“ erwies -sich als ein Kaffee von der Art, wo Maria Magdalena auch vor ihrer -Reue Zutritt hat. Es gab dort ein paar Dutzend Magdalenen vor der Bar -und ein halbes Dutzend innerhalb derselben. Der Raum im übrigen, der -sehr beschränkt war, wurde von dem leichtlebigen männlichen London in -Anspruch genommen. Die Losung sowohl für das leichtlebige männliche -London wie für die Direktion des Lokales war fixe Expedition. Das -größtmöglichste Glück der größtmöglichsten Anzahl: ein schöner -Leitsatz. Die Zirkulationsgeschwindigkeit war bewunderungswürdig: -Entree, ein Drink, Bekanntschaft, noch ein Drink, Sortie. Herren, -die keine Bekanntschaften machten, wurden über die Achsel angesehen. -Herr Allan Kragh wurde über die Achsel angesehen. Es nützte nichts, -daß er, so oft das dunkle Auge des Kellners ihn traf, einen Drink -bestellte, oder daß eine unbestimmte Anzahl Magdalenen sich an seinem -Tisch bezechten; er blieb sitzen und wurde folglich über die Achsel -angesehen. Und Herr Mirzl kam nicht. Oder gab sich wenigstens nicht -zu erkennen. Konnte es ihn amüsieren, Allans drinkerfüllte Erwartung -in einer Verkleidung zu beobachten? Konnte er (da war der Kellner mit -dem Auge schon wieder -- _Whisky and soda, please!_) -- konnte -er vielleicht von der weltlichen Gerechtigkeit arretiert sein? Die -Polizisten Londons waren ja so flink. Reichte Herrn Mirzls Schlauheit -nicht hin, um sie zu überlisten? Sherlock Holmes, _you know_. Auf -jeden Fall (_Whisky and soda please_, der Kellner mit dem Auge) --- reichte sie für Allan Kragh aus. Nach einer dreiundeinhalbstündigen -Whisky-Orgie verließ Herr Allan Kragh (auf Grund der polizeilichen -Bestimmungen und Müdigkeit in der Kehle) The Leicester Lounge, -durchdrungen von der eben erwähnten Ueberzeugung. - -Und das erste, was er in der ägyptischen Grabkammer Nr. 417 erblickte, -waren seine ehrlichen schwedischen Handkoffer. Es fehlte nicht viel, -und er hätte geglaubt, eine Säufervision zu haben. - -Aber faktisch; da standen seine beiden Handkoffer, der aus braunem -Rindsleder und der aus eisenbeschlagenem Holz ... Sein Klingeln rief in -weniger als einer Minute einen uniformierten Herrn in die Grabkammer -hinauf. - -„Diese Koffer?“ - -„Wurden heute abend um halbzehn Uhr von einem Träger abgegeben, Sir. Es -liegt ein Brief an Sie auf dem Toilettetisch, Sir. Wünschen Sie noch -etwas, Sir?“ - -Allan machte eine stumme Handbewegung. Jetzt wurde die Sache aber doch -zu mystisch. Wie in -- -- konnte Herr Benjamin Mirzl denn wissen, wo -er wohnte. -- Er stürzte sich über den Brief auf dem Tisch, ohne seine -verwirrten Fragen zu Ende zu denken. Er enthielt zwei Schlüssel und -folgende Zeilen: - -„Lieber Herr Kragh! Entschuldigen Sie, daß ich Sie vergeblich in The -Leicester Lounge warten ließ. _Business, you know_; unmöglich -für mich, abzukommen. Hoffe, Sie waren nicht gezwungen, allzu viele -Whisky mit Soda zu nehmen; kenne das Lokal; sollte mir leid tun. Füge -die Schlüssel bei, die ich während der Zeit, als ich Ihr prächtiges -Gepäck inne hatte, zu verwenden pflegte; hoffe, Sie können sie als -Reserveschlüssel brauchen; danke Ihnen nochmals für die freundliche -Ueberlassung des Gepäcks; bitte Sie um Entschuldigung wegen all der -Mühe, die ich Ihnen verursacht habe und verbleibe in aller Eile - - Ihr ergebener - Ludwig Koch, - alias Dr. Hauser, - alias ...... - (nach Belieben auszufüllen.)“ - -Es ist unnötig, die Ausrufe, Fragen und Gesten zu verzeichnen, mit -denen Allan Kragh diese Epistel kommentierte. Das Leben ist kurz, wie -schon Mark Twain sagte; es war drei Uhr, als er sich nach der dritten -Visitierung der Koffer -- nichts fehlte -- und der achtundneunzigsten -Lektüre von Benjamin Mirzls Brief zu Bett legte. Es dauerte noch eine -Stunde, bis er einschlief, und als er es tat, war sein Schlummer -unruhig. - -Er hätte gar zu gerne Herrn Mirzl getroffen. - -Es war bestimmt, daß er seinen Willen in dieser Hinsicht durchsetzen -sollte, aber das dauerte noch eine Weile. - - * * - * - -Es war spät, als Allan am nächsten Tag die Augen aufschlug. Sein erster -Blick galt den Koffern und sein zweiter Herrn Mirzls Brief, den er nun -schon auswendig wußte, wie einen Bibelspruch im Katechismus. Erst sein -dritter Blick galt der Uhr. Sie zeigte fünf Minuten vor zwölf. Allan -flog aus dem Bett und begann sich anzukleiden. Unmittelbar vor dem -Einschlafen war ihm etwas eingefallen: Es gab eine Möglichkeit, Herrn -Mirzl aufzuspüren, durch den Dienstmann, der die Koffer gebracht hatte! -Allan runzelte die Stirn und entwarf in Gedanken einen Kriegsplan, der -auf besagtem Dienstmann aufgebaut war, und durch den Herr Mirzl sich -wohl bald in seiner Höhle aufgespürt sehen sollte. - -Aber ach, schon der erste Faden riß, als er gegen halb ein Uhr sein -Verhör im Hotelbureau anstellte. Der Dienstmann? Ein gewöhnlicher -Träger. Nummer? Weiß Gott, was für eine Nummer er hatte. Er hatte ganz -einfach die Koffer niedergestellt, erklärt, daß sie dem Herrn auf Nr. -417 gehörten, dessen Namen auf beifolgendem Briefe stand, und daß alles -bezahlt sei, worauf er sich ohne weiteres entfernt hatte. Nun, wenn man -es sich recht überlegte, hatte er wohl überhaupt keine Nummer gehabt. -Es war vermutlich ein gewöhnlicher Arbeitsloser gewesen. Stimmte etwas -mit den Koffern nicht? Hatte der Mann etwas gestohlen oder verschlampt? - -Allan beeilte sich, nein zu sagen und verschwand. Es war nicht so -leicht, die Sachlage mit einem unromantischen Hotelkontoristen zu -diskutieren. Er versuchte sich vorzustellen, was Sherlock Holmes in -seiner Lage getan hätte, und da kam ihm plötzlich eine Idee. Eine -Annonce! Das war es. Sherlock Holmes hätte eine Annonce eingerückt und -dem unnumerierten Dienstmann eine Belohnung in Aussicht gestellt. - -Allan erkundigte sich und suchte das Zeitungsbureau des Hotels auf; er -fand es in einer kleineren Halle rechts von dem großen Entree gelegen. -Es war eine weitläufige Anlage, wo alle Zeitungen der Welt verkauft, -Annoncen für sie, Abonnements auf sie und (gegen eine kleine Abgabe) -persönliche Notizen für sie über den Aufenthalt der Betreffenden -im Grand Hotel Hermitage, ihre Gewohnheiten, ihren Lieblingssport, -aufgenommen wurden. Allan erhielt ein Blankett und formulierte nach -einiger Gedankenarbeit folgende Annonce: - -Träger! Zwei Pfund Belohnung erhält der Träger, der am Abend des 12. -dieses, halb zehn Uhr, drei Gepäckstücke im Grand Hotel Hermitage -abgegeben hat, wenn er sich ehestens im besagten Hotel einfindet. - - -Der Kontorist des Zeitungsbureaus war ein ernster junger Mann vom -Detektivtypus. Er nahm Allans Annonce ohne jeden Kommentar entgegen und -fragte nur, in welche Zeitungen Allan sie aufgenommen wünsche. Allan -überließ ihm selbst, dies zu bestimmen, worauf der hagere junge Mann -dekretierte, daß Star, Daily Mail und Daily Citizen am besten seien, -und einen Betrag für die zweimalige Einschaltung in jeder derselben -entgegennahm. Sehr zufrieden mit sich selbst begab sich Allan in die -Stadt, um sein Lunch einzunehmen. - -Im Laufe des Nachmittags, während er in Pall Mall promenierte, kam -ihm jedoch eine Idee, die zur Folge hatte, daß er eine Viertelstunde -später aus einem Auto vor dem Grand Hotel Hermitage sprang. Er hatte -ja ganz verabsäumt, in Erfahrung zu bringen, wer seine mystische -Reisegenossin war, die Dame aus Hamburg! Und sie wohnte doch in -demselben Hotel! So ist es, wenn man den Kopf mit einer Sache voll -hat. Der benediktinerflaschenähnliche Portier selbst führte den Befehl -im Hotelbureau, als Allan hereinkam, um sein Verhör anzustellen. Die -Wärme seines Tones war seit der Ankunft von Allans Gepäck um fünf Grad -gestiegen. - -„Wünschen Sie ein größeres Zimmer, Sir?“ fragte er. - -„Vielleicht später,“ sagte Allan. „Ich möchte Sie gerne etwas fragen, -Portier.“ - -Er wühlte einen Augenblick in seinen Erinnerungen an Sherlock Holmes. - -„Ich glaube hier im Hotel eine Bekannte gesehen zu haben, eine -Dame. Ich bin meiner Sache aber nicht ganz sicher und möchte nicht -zudringlich erscheinen, Sie verstehen, Portier. Sie ist blond, schlank, -von Mittelgröße oder etwas darüber, sieht sehr gut, aber ein bißchen -hochmütig aus und speiste vorgestern mittag im Speisesaal -- -- --“ - -Ein plötzliches Rauschen von Seidenröcken neben ihm ließ ihn -zusammenzucken. Er wandte sich seitwärts und da stand die Unbekannte -selbst! - -„Ich hörte zufällig Ihre freundliche Anfrage,“ sagte sie. „Sollte am -Ende ich es sein, die Sie dem Portier beschrieben haben?“ - -Diesmal konnte kein Zweifel über ihren Gesichtsausdruck herrschen, wie -vor zwei Tagen im Speisesaal. Jetzt war es genau dieselbe Miene, die er -vom Expreß her kannte; und ihre grauen Augen hatten einen Blick, der -ihm kalt über das Rückgrat lief. Endlich gelang es ihm, sich zu fassen. - -„Sie, Madame? Soviel ich weiß, habe ich nicht das Vergnügen, Sie zu -kennen.“ - -„Ich Sie auch nicht -- dem Namen nach.“ - -Es lag eine vernichtende Betonung auf den letzten zwei Worten, die -nur zu gut ausdrückten, was sie meinte -- die Szene in Köln, wo sie -ihn vor fünf Tagen arretieren gesehen hatte. Allan nahm eine hübsche -Preißelbeerfarbe an, aber es gelang ihm zu sagen: - -„Sie haben gewiß etwas mit dem Portier zu besprechen. Ich will mich -außer Hörweite zurückziehen, damit ich Sie nicht zu belauschen brauche.“ - -Er wußte, daß dieser Abschiedspfeil sie in das Tiefste ihrer -anglosächsischen Seele treffen mußte, aber trotzdem empfand er seine -Sortie aus dem Bureau nicht als eine _Sortie d’éclat_. Er kreuzte -die Halle so rasch, als es seine Würde zuließ. -- Was er hauptsächlich -befürchtete, war, daß sie ihn zurückrufen und bitten würde, das -Interview mit dem Portier fortzusetzen; er fühlte sich dieser Aufgabe -jetzt nicht gewachsen. Und plötzlich fand er sich im Konversationssalon -des Hotels, in den seine Beine ihn, ohne daß er es selbst wußte, -getragen hatten, und hörte ein _damn and confound_, das mit -ungeheurer Energie in seiner unmittelbaren Nähe ausgestoßen wurde. -Erst im nächsten Augenblick dämmerte es ihm auf, daß ihm selbst diese -Worte entschlüpft waren; und noch ganz erstaunt über seine rasche -Akklimatisierung hörte er eine schrille Stimme, die sagte: - -„Hallo, junger Mann! Solche Worte pflegt man nicht in Damengesellschaft -zu sagen.“ - -Allan drehte sich um. Trotz der wenig menschenfreundlichen Laune, in -der er sich für den Augenblick befand, mußte er lächeln. Auf einem der -roten Lederstühle saß eine alte Dame mit dem New York Herald in der -Hand -- sie wäre von der Zeitung verdeckt gewesen, wenn sie sie nicht -gesenkt und Allan über den Rand angeguckt hätte. Ihr Gesicht glich -auf das I-Tüpfelchen einem alten, schlauen Papagei. Sie hatte graues -Haar, das von den Ohren abstand, zwei scharfe kohlschwarze Augen und -eine Nase, die den Rest des Gesichtes ebenso gründlich ausfüllte, -wie die Sankt Paulskathedrale den offenen Platz, an dem sie liegt. -So wie die Kathedrale kam sie architektonisch nicht zu ihrem vollen -Recht, aus Mangel an Perspektive ... Man sah jedoch einen breiten Mund -mit schmalen und offenbar sehr scharfen Lippen, und ein Kinn, das -napoleonisch zu wirken versuchte. Die kohlschwarzen Augen fixierten -Allan schräg, ganz wie die eines Papageis. Allan verbeugte sich -ehrfurchtsvoll: - -„Ich bitte Sie tausendmal um Entschuldigung, Madame! Ich dachte -wirklich nicht daran, was ich sagte, und ich wußte kaum, wo ich mich -befand.“ - -„Warum haben Sie geflucht?“ sagte die alte Dame. Sie betonte das Wort -geflucht so, daß es klang, wie gemordet oder falsches Zeugnis abgelegt. - -Allan wandelte die barocke Lust an, ihr alles zu erzählen. - -„Ich will versuchen, es Ihnen zu erklären,“ begann er. „Sind Sie -Amerikanerin, wenn ich fragen darf?“ - -„Ja. Haben Sie deshalb geflucht?“ - -„Nicht weil +Sie+ Amerikanerin sind. Gott bewahre mich. Aber -aufrichtig gesagt, war es eine Ihrer Landsmänninnen, die mich zum -Fluchen brachte.“ - -„Ein Gentleman flucht nie über eine Dame oder in Damengesellschaft.“ - -„Sie haben recht. Ich bereue aus der Tiefe meines Herzens. Sehen Sie, -diese Dame überraschte mich gerade, als ich dabei war, den Portier -auszufragen ...“ - -„Hat sie gehorcht? Dann ist sie keine Dame. Dann haben Sie das Recht zu -fluchen.“ - -„Hm, sehen Sie, ich war eben im Begriff, den Portier nach ihr selbst -auszufragen ...“ - -„Sind Sie in sie verliebt? Dann haben Sie ein Recht dazu. Dann verstehe -ich Sie.“ - -„Sie interessiert mich. Und Sie begreifen, daß ...“ - -„Haben Sie vom Portier erfahren, wer sie ist? Sind Sie ein Engländer?“ - -„Sie kam gerade zurecht, um mich daran zu verhindern. Nein, ich bin ein -Schwede, Madame.“ - -„Warum fluchen Sie dann auf englisch?“ - -„Ja, wer das sagen könnte! Das Klima, vermute ich. Nochmals, ich bitte -Sie um Entschuldigung, Madame.“ - -„Oh, _demmit_, ist nicht nötig. Ich fluche selber, wenns sein -muß. Setzen Sie sich nieder, Sie interessieren mich. Was machen Sie in -London?“ - -„Ja, wenn ich das wüßte. Eigentlich bin ich hier, um einen Herrn zu -treffen, der meine Koffer gestohlen hat.“ - -„Die kriegen Sie nie zurück. In London kriegt man nie etwas zurück, -nicht einmal das Geld, das bei den Rechnungen übrig bleibt. Ich kenne -die Engländer. Hat er Ihre Koffer hier in London gestohlen?“ - -„Nein, im Expreß in Deutschland; und sehen Sie, das Lächerliche ist --“ - -„Was ist das Lächerliche? Da ist Helen. Grüß Gott, mein Kind. Was ist -das Lächerliche?“ - -„Daß er sie mir unversehrt hierher zurückgeschickt hat.“ - -„_Now demmit_ ... ich meine, sitzen Sie da und machen Sie sich -über mich lustig, junger Mann? Helen, komm her, dann wirst du etwas -hören. Hier ist ein junger Mann, der Märchen aus Tausendundeiner Nacht -erzählt. Außerdem flucht er in Damengesellschaft.“ - -Allan sah auf und erblickte ein junges Mädchen von zwanzig Jahren, -die jetzt auf die alte Dame im Klubsessel zukam. Sie war schlank, -blond und unaussprechlich amerikanisch. Allan fühlte eine instinktive -Sympathie, die, wie er ebenso instinktiv empfand, verschieden von dem -war, was er sonst für junge Damen zu empfinden pflegte. Sie hatte graue -Augen und sehr reine Züge. War sie die Tochter der alten Dame auf dem -Klubfauteuil, dann mußte sie wohl mehr ihrem Vater nachgeraten sein ... - -„Das hier ist meine Tochter, junger Mann, ob Sie es glauben oder nicht.“ - -Die kohlschwarzen Papageienaugen hatten offenbar seine Gedanken -gelesen. Allan verbeugte sich und zog eine Visitkarte hervor. - -„Ich weiß nicht, was in Amerika korrekt ist,“ sagte er ein bißchen -befangen. „Gestatten Sie?“ - -Die alte Dame erfaßte seine Karte mit einer krallenähnlichen Hand, -hielt sie vorsichtig auf Armeslänge von sich ab (in diesem Falle keine -besonders große Distanz) und betrachtete sie mit schräggelegtem Kopf. - -„K--r--a--g--h, Kragh, ist das ein komischer Name! Well, mein Name ist -Mrs. Bowlby aus Worcester, Massachusetts, Sir!“ - -Sie sprach Allans Namen aus, als bedeutete er Kreide[1]. - - [1] Auf englisch _Cray_. Vorsichtige Bemerkung. - -Allan versuchte, ihr eine skandinavischere Aussprache beizubringen. - -„_Now demmit_, glauben Sie, ich bin nach England gekommen, um -Schwedisch zu lernen? Wenn Sie auf englisch fluchen, können Sie sich -auch auf englisch titulieren lassen. _There_, fahren Sie in Ihrer -Erzählung fort.“ - -Seine weiteren Erlebnisse in Mrs. Bowlbys Gesellschaft hatte Allan -folglich als Mr. Cray. - -Unter einem Regen von Interpellationen berichtete er seine Abenteuer im -deutschen Expreßzug, in Köln und in London. Plötzlich schweiften die -Gedanken der alten Dame zum Ausgangspunkt zurück. - -„Und die Dame, die Sie am Hamburger Bahnhof sahen, ist dieselbe, die -hier im Hotel wohnt?“ - -„Ja.“ - -„Wie kann das Hotel so etwas zulassen, das ist doch natürlich eine -Hochstaplerin. Schon die Art, wie sie einen feinen jungen Mann wie Sie -behandelt, beweist es.“ - -„Mrs. Bowlby, ich war sehr unbescheiden ...“ - -„Gewiß nicht. Absolut nicht. Das ist eine Schwindlerin, denken Sie an -meine Worte! Wie sieht sie aus?“ - -„Sie ist ein bißchen mehr als mittelgroß und etwas hochmütig. Mit -grauen Augen wie Miß Bowlby und recht kurzer Oberlippe. Sie sieht aus -wie eine blonde spanische Infantin, wenn Sie verstehen, was ich meine, -Mrs. Bowlby.“ - -„Natürlich. Und sie ist Amerikanerin?“ - -„Ja. Ich glaube wenigstens. Das heißt, auf dem Bahnhof sprach sie -allerdings deutsch, wie ich Ihnen schon erzählt habe -- aber später ...“ - -„Haha!!“ - -Mrs. Bowlbys Lachen war so triumphierend-krächzend, wie das eines -Papageis, dem es soeben gelungen ist, einen Feind so recht tüchtig in -den Zeigefinger zu beißen. - -„Haha! Die habe ich schon im Hotel gesehen, ganz richtig. Jetzt weiß -ich’s. Sie hätte ebensogut französisch sprechen können, junger Mann. -Sie sind in gute Gesellschaft gekommen! Glauben Sie, ich weiß nicht, -wer sie ist? - -Mrs. Langtrey, erinnerst du dich an Mrs. Langtrey, Helen?“ - -„Ich glaube, du hast von ihr gesprochen, Mama.“ - -„Ich? Nie im Leben. Ich spreche von solchen Personen nicht. Andere -Menschen haben vielleicht mit dir von ihr gesprochen ... Vor vier -Jahren sprachen alle Leute von ihr, obgleich sie sich schämen sollten, -überhaupt von so etwas zu sprechen.“ - -„Aber Mama!“ - -„Sch! Ich weiß, was ich sage. _Dash it_, ich sollte gar nicht -zu dir von ihr sprechen, Helen. Sie war mit dem Obersten Langtrey -in Boston verheiratet und eine große Modedame. Kurz bevor Langtrey -starb, hatte sie einen +gräßlichen+ Flirt mit einem französischen -Windbeutel, der sich Baron nannte oder Marquis oder König. De Citrac -hieß er. Langtrey hatte kaum die Augen geschlossen, als sie nach Europa -verduftete. Natürlich weiß man, was sie da wollte. Seither hat niemand -in Amerika von ihr gehört, obwohl alle von ihr gesprochen haben. Aber -ich glaubte sie gestern, als wir kamen, hier im Hotel zu sehen, und nun -nach Mr. Crays Beschreibung ...“ - -Mrs. Bowlbys Rede wurde dadurch unterbrochen, daß die Türe des -Lesesalons sich öffnete und jemand hereinkam, in strahlender, -rosafarbener Nachmittagstoilette, die um sie rauschte, wie der Schaum -um eine schlanke Säule. Sie warf einen eisig gleichgültigen Blick -auf Allan, ohne die beiden Damen auch nur zu sehen, und ging mit -königlicher Grazie auf einen der Tische mit den illustrierten Zeitungen -zu. Sie wählte The Queen aus und versank in einem Lederfauteuil im -rückwärtigen Teil des Lesesalons. - -„_Well!_“ Mrs. Bowlbys Interjektion barg eine Welt von Bedeutung --- „ist das nicht sie, die ...“ - -Allan, dessen Augen in dieselbe Richtung starrten, wie ihre -steinkohlenschwarzen Aeuglein, zog langsam seinen Blick wieder zurück. -Mrs. Bowlby, die diesen Blick gesehen hatte, erhob sich fünf Fuß hoch -aus ihrem Sessel. - -„Zeit, Tee zu trinken,“ sagte sie. „Wollen Sie mit Helen und mir den -Tee nehmen, Mr. Cray? Sie brauchen Schutz und Schirm gegen die Welt, -junger Mann, sie ist voll Sünde, und unser eigen Fleisch der Sünde -bester Bundesgenosse.“ - -Allan riß die Tür für sie und Fräulein Helen auf, während er innerlich -im stillen bedauerte, daß die Sünde einerseits so verlockend aussehen -muß und andererseits nicht immer so geneigt ist, den Menschen zu -attackieren, wie die Theologen behaupten. - - * * - * - -Beim Tee in Mrs. Bowlbys Salon im ersten Stock gesellte sich Mr. -Bowlby hinzu. Mr. Bowlby war ein langer, breitschultriger, blonder -Mann, offenbar jünger als seine Gattin. Sein glattrasiertes Gesicht -erhielt seinen Charakter von dem breiten lustigen Mund. Er sah aus -wie ein Schuljunge. Mrs. Bowlby stellte Allan unter der Signatur vor, -unter der sie ein für allemal entschlossen war, ihn zu verbergen. Sie -entwarf eine farbenprächtige Schilderung seiner Abenteuer und eine noch -koloriertere Darstellung von Mrs. Langtrey und ihren Ansichten, wes -Geistes Kind diese Dame war. Mr. Bowlby interpunktierte ihre Erzählung -mit einer größeren Anzahl _blow me_ und ebenso vielen Tassen Tee. -Dann wischte er sich den Mund und sagte: - -„_Well_, Susan (seine Stimme war laut und lärmend wie die eines -großen jungen Hundes), ich habe auch Neuigkeiten. Wir müssen in den -zweiten Stock ziehen.“ - -„Früher siehst du mich am höchsten Ast baumeln,“ sagte Mrs. Bowlby, -ohne einen Augenblick zu zaudern. „Ist die Börse zurückgegangen, John? -Du solltest sie sein lassen, wenn du auf Ferien bist.“ - -„Es ist nicht die Börse;“ sagte John. „Es ist ein König.“ - -„Ein König? Hast du einem König Geld geliehen, John?“ - -„Unsinn, ich leihe kein Geld aus, das weißt du. Der König soll hier -wohnen, ein richtiger König, der übermorgen herkommt, um sich in London -zu verheiraten. Der Direktor hat es eben als eine Gnade von mir erbeten -...“ - -„Ich sage dir eines, John, versuche nicht unser armes Kind an ihn -zu verheiraten! Helen! Du darfst nie an derartige Menschen denken, -versprich mir das, Kind.“ - -„Du phantasierst, Susan. Helen mit ihm verheiraten! Ebensogut könnte -ich sie mit einem Mormonen-Bischof verheiraten. Der König, der kommt, -hat schon hundertfünfzig Frauen.“ - -„Barmherziger Jesus! Was ist das für ein Untier, das uns aus unserer -Wohnung vertreiben will, John?“ - -„Ein König, ein richtiger König mit fünfzehn Millionen Untertanen, die -meisten davon braun, aber, _blow it_, ein richtiger König. Der -Direktor war geradezu verzweifelt, daß ...“ - -„Komme mir nicht mit dem Direktor! Bist du ein freigeborener -Amerikaner? Gibt es nicht noch andere Hotels in London?“ - -„Einige, Susan, aber das hier ist wohl das einzige, wo ein König -absteigen kann. Und wir bekommen eine Wohnung einen Stock höher, wo -Prinz Hieronymus von Bulgarien wohnte, als er zuletzt in London war.“ - -„Dann kann sich dieser König auch damit zufrieden geben. Was dem einen -recht ist, ist dem anderen billig.“ - -„Das ist aber ein regierender Fürst, Susan, und ein regierender Fürst -kann nicht höher wohnen als im ersten Stock.“ - -Mrs. Bowlbys steinkohlenschwarze Augen wanderten von John zu Fräulein -Helen und von ihr zu Allan. - -„Hat er die hundertfünfzig Frauen mit, John?“ - -„Das weiß ich nicht, liebe Susan. Dann muß er wohl ein besonderes Hotel -für sie mieten, oder vielmehr hundertfünfzig besondere Hotels, damit -sie ihm das Leben nicht zu sauer machen.“ - -Mrs. Bowlby wurde weich. - -„Ich bin überzeugt; daß er sie mit hat, John, ich kenne die Männer. -Ziehen wir also in die Wohnung des Prinzen! Ich muß hier bleiben und -diesen jungen Mann beschützen. Das ist meine Pflicht, Mr. Cray, denn -ich kenne auch die Frauen.“ - -Mrs. Bowlby stellte ihre Teetasse energisch hin und betrachtete Allan, -als wäre er ein junger Papagei vor seinem ersten unsicheren Flug. Dann -wendete sie sich an Mr. Bowlby. - -„Wie heißt das Untier, John?“ - -„Yussuf Khan,“ antwortete Mr. Bowlby, indem er eine Zigarre ansteckte. -„Yussuf Khan, Maharadscha von Nasirabad.“ - - - - -IV - -Yussuf Khan, Maharadscha von Nasirabad - - -Als Ibrahim Khan, selbständiger Maharadscha des Staates Nasirabad, -in der nordwestlichsten Ecke Indiens, im Jahre 1885 am Khawakpasse -vom damaligen Obersten der angloindischen Armee, Sir George Merriman, -besiegt wurde, war es nicht ein Fürst, oder ein Volk, das fiel; es -war ein System. Ibrahim Khan hatte sich während einer vierzigjährigen -Regierung als der erbittertste Gegner bekannt gemacht, den das -englische Regime seit Tippo Sahib gehabt hatte; nur die Kleinheit -und Entlegenheit seines Staates hatte seine Feindschaft verhindert, -ebenso furchtbar zu werden als sie erbittert war. Als die Nachricht -vom Ausgang der Schlacht am Khawakpasse in Nasirabad eintraf, und es -klar wurde, daß die Tage von Ibrahim Khans Selbständigkeit gezählt -waren, beschloß er, wenigstens selbst über die Anzahl dieser Tage zu -bestimmen. Gleich einem berühmten König des alten Testamentes stürzte -sich Ibrahim Khan auf sein Schwert, und die Gesänge, die Sir George bei -seinem Einzug in Nasirabad begrüßten, waren keineswegs Lobeshymnen. - -Es ist jedoch wohlbekannt (wir verweisen auf Alexander Carsons -vortreffliche Lebensbeschreibung Sir Georges, Heinemann & Co., London -1908), wie gut Ibrahim Khans Besieger die Kunst beherrschte, die -Hannibal nie erlernen konnte, den Sieg auszunützen. Zum Administrator -des Reiches ernannt, das er der Königin erworben, verwaltete er es -mit einer Pflichttreue und einem Eifer, der sogar in Indien wenig -Gegenstücke gehabt haben dürfte. Nicht genug damit: er sah sich -durch einen Erfolg belohnt, der wohl noch seltener erreicht worden -sein dürfte. Als er im Jahre 1905, am Jahrestage der Schlacht am -Khawakpasse, die Bergtäler Nasirabads verließ, war es als Vater des -Landes, nicht als sein Besieger; aufrichtige Tränen der Bevölkerung aus -allen Landesteilen folgten ihm; und diese Tränen verdoppelten sich, -als die Nachricht von seinem drei Monate später erfolgten Tode das -schlichte Gebirgsvolk erreichte. „Er schlug uns, und er wurde unser -Vater; als er seinem Herzen unsere Herzen nicht mehr entgegenschlagen -fühlte, hörte es selbst auf zu schlagen,“ sang der alte Hofdichter -Abdul Mahbub. - -Der Schmerz über Sir Georges Hingang wurde einigermaßen dadurch -gemildert, daß ein Sohn des alten Fürstenhauses gleichzeitig (unter -Oberaufsicht des neuen Residenten, Sir Herbert Layson) die Regierung -übernahm. Es war Yussuf Khan, Ibrahim Khans ältester lebender Sohn -- -selbst eines der Produkte und vielleicht nicht das glücklichste, von -Sir George Merrimans Reformen. Bei Sir Georges Einzug in Nasirabad -erst vier Jahre alt, wurde der junge Prinz sofort unter die Leitung -eines englischen Hofmeisters gestellt; es war Sir Georges Ueberzeugung, -daß die Reformen sowie die Kultur von oben nach unten gehen müssen. -Zum Hofmeister des jungen Prinzen Yussuf Khan wählte er einen alten -Oxforder Freund namens Bowles. Vermutlich sah Sir George diesen mehr -durch die Brillen der Freundschaft, als der Pädagogik; es ist auch -möglich, daß er zu sehr von den übrigen Einwohnern Nasirabads und -ihren bunten Angelegenheiten in Anspruch genommen war, um viel Zeit -für die zahlreichen Angehörigen des fürstlichen Hauses übrig zu haben. -Und jedenfalls trug der Nimbus, der den Eroberer Nasirabads umgab, -dazu bei, alle Exzesse des jungen Thronfolgers zu verhindern, solange -Sir George selbst die Leitung des Reiches inne hatte. Uebrigens -war Dr. Bowles dem Prinzen ein so guter Lehrer, daß er die Sprache -seines Vaterlandes fast ganz über der der Eroberer vergaß. Sogar mit -seinem eingeborenen Lehrer, dem alten Dichter Ali, sprach er meistens -englisch. Aber das Jahr 1906 -- Yussuf Khans fünfundzwanzigstes -Jahr -- war kaum angebrochen, als er auch schon Sir Herbert Layson -verschiedentliche Nüsse aufzuknacken gab. - -Zu dieser Zeit war sein alter Erzieher Bowles schon aus dem Spiele, -mit einer schönen Pension und sämtlichen Orden des Staates Nasirabads -an seiner Brust nach England heimbefördert; es war also Sir Herbert -selbst, der dem Anprall des ersten Sturmlaufes des jungen Regenten -gegen das neue Regime standhalten mußte. Er tat es in seiner eigenen -Weise, und vielleicht wäre das, was nun geschah, nie eingetroffen, wenn -ein Mann von anderem Charakter Sir Herberts Platz bekleidet hätte, in -welchem Falle auch dieses Buch nie das Licht der Welt erblickt hätte. -_Habent sua fata libelli_, sagt mit Recht der römische Dichter. -Nun war Sir Herbert Layson gerade ein Jünger dieses römischen Dichters -sowie seines großen Namensvetters Herbert Spencer; er war ein stiller, -ironischer, arbeitsamer, verschlossener Mann, der seine Tagesarbeit -verrichtete und es liebte, auf das Leben von einer ebenso kühlen und -klaren Höhe herabzublicken, wie er von seinem Palast in Nasirabad -auf die Bergtäler unter der Hauptstadt herniedersah. Yussuf Khans -jugendliche Heißblütigkeiten fing er wie Wurfgeschosse mit dem Schild -seiner Ironie auf; es muß zugegeben werden, daß dieser Schild auf harte -Proben gestellt wurde. Es begann mit Regierungsfragen, in denen der -junge Regent seinen Willen durchsetzen wollte; die Angriffe auf diesem -Gebiet waren von kurzer Dauer. Sir Herbert ließ den jungen Mann bei -einer oder zwei passenden Gelegenheiten seinen Willen durchsetzen; -das war genug. Die Unruhe und Erregung der Bevölkerung, die sich -schon an die maßvollen Verordnungen und Auflagen des englischen -Residenten gewöhnt hatte, überzeugte sogar Yussuf Khan sehr bald, daß -seine Anlagen nach anderen Richtungen wiesen. Recht bald hatte er -auch herausgefunden, welche diese Richtungen waren: Pferdesport und -militärische Uebungen. Der Anfall dauerte gut zwei Jahre, von 1907 -bis Ende 1909. Daraus folgte eine kurze Periode der Mattigkeit beim -Patienten, bis die neue Phase der Krankheit auftrat. Und als dies -geschah, wurde Sir Herbert zum ersten Male unruhig. Denn nun hatte das -Weib seinen Einzug in Yussuf Khans Leben gehalten, und was schlimmer -war, das geträumte, nur mit den Augen des Ideals gesehene Weib. Sir -Herbert hatte Grund zur Unruhe. - -Bei diesem Punkt fragt sich der flüchtige Leser erstaunt: Was weiter? -Hat man nicht von diesen indischen Fürsten und ihren Harems gelesen, -wo die schönsten, üppigsten Frauen der Welt ausschließlich für ihre -Rechnung verwahrt werden, wie eine Bibliothek von Luxusausgaben? -Sind nicht ihre mandelförmigen Augen schwärzer und sanfter als -die der Gazelle, ihre Glieder geschmeidiger als Schlingpflanzen, -ihre Zärtlichkeit berauschender als Haschisch! Gibt es nicht eine -schwedische Zenanamission für diese Unglücklichen? Oder war Yussuf -Khan schlechter daran als seine Kollegen? -- Dem Leser, der diese -elegant formulierten Fragen stellt, können wir nur antworten: Möge -er sich selbst in Yussuf Khans Lage versetzen, als souveräner Gatte -von einhundertfünfzig schönen Asiatinnen aller Völkerschaften! Was -nützt ein Harem und seine arabeskengeschmückten Mauern gegen das -Ideal? Das Ideal findet immer eine Ritze in den Arabesken, durch die -es sich eindrängt; es ahmt die Stimme der Nachtigallen nach, um von -Frauen zu singen, tausendmal verführerischer als die Haremskönigin, -es flüstert im Palmenrauschen; sein Sirenengesang klingt aus dem -Rieseln der Springbrunnen. Oder, um so prosaisch zu sprechen wie Seine -allerchristlichste Majestät Franz I. von Frankreich, auch er Herr -eines (höchst christlichen) Harems -- „_toujours perdrix_“! Immer -Rebhühner! -- Leben Sie einmal einen Monat von Rebhühnern und Bordeaux, -und Sie sehnen sich nach Käse und Brot und einem Schluck Wasser. Leben -Sie ein paar Jahre von Rebhühnern, und Sie werden Vegetarianer. Yussuf -Khan, Maharadscha von Nasirabad war schon um die Mitte des Jahres 1909 -definitiv zum Vegetarismus übergegangen, und zu Ende dieses Jahres -war seine idealistische Krankheit in ein bösartiges, akutes Stadium -getreten. - -Er wollte eine europäische Prinzessin heiraten! - -Hatte Sir Herbert Layson Grund, unruhig zu sein oder nicht? - -Was die Sache noch verschlimmerte, war der Charakter des trefflichen -Sir Herbert. Sein Schädel entbehrte gänzlich jener idealistischen -Knollen, die ein Phrenologe an dem Yussuf Khans gefunden hätte; als -Yussuf Khan seine Gesellschaft aufsuchte und ihn zögernd in die stumme -Qual seines Geistes einzuweihen begann, begegnete ihm Sir Herbert mit -einem trockenen Lächeln und mit Reflexionen über die europäischen -Frauen, die Yussuf Khan vor Empörung aufflammen ließen, wie einen -neuen Bayard. Erst als es zu spät war, erkannte Sir Herbert, wie die -Dinge standen, und änderte seine Taktik; aber seine Versuche, den -jungen Regenten für Polo- oder für Regierungsfragen zu interessieren, -hatten keinerlei Erfolg mehr. Seine einzige Hoffnung war, daß der -Frühling, der die Liebe im Menschen wieder entzündet, auch seine -Wirkung auf Yussuf Khan nicht verfehlen würde. Der Frühling kam; -doch anstatt bei Yussuf Khan die Liebe zu den hundertfünfzig Frauen -wieder zu entflammen, ließ er seinen Idealismus auflodern wie die -Scheiterhaufen an den Landstraßen oben im Gebirge. Und was mehr war: -der Frühling brachte ihm einen Plan. Da es unwahrscheinlich war, daß -die europäischen Prinzessinnen ihn in Nasirabad aufsuchen würden, blieb -offenbar nichts anderes übrig, als daß er sie in Europa aufsuchte. - -Nun begann Sir Herberts wirkliches Inferno. Endlose Ermahnungen und -ironische Ausfälle erwiesen sich als gleich fruchtlos. Den ganzen -Sommer streifte Yussuf Khan wie ein unversöhnter Schatten um seinen -Palast herum, einen einzigen Wunsch auf den Lippen. Der Sommer -Nasirabads, sonst kühl und angenehm gegen den Sommer im übrigen -Indien, wurde für Sir Herbert so allmählich heißer als der Bikanirs. -Die Quellen seiner Ironie vertrockneten vor Yussuf Khans asiatisch -glühender Halsstarrigkeit. Er wurde nervös und reizbar, er verlor -seine kühle Erhabenheit gegenüber den Phänomenen des Lebens und seine -Arbeitsfreude. Endlich faßte er Ende Juli seinen Entschluß und schrieb -an den Vizekönig in Simla: Konnte man es riskieren, einen vom Gifte des -Idealismus fieberkranken Himalaya-Löwen auf Europa loszulassen? Waren -die heiratsfähigen europäischen Prinzessinnen unfallversichert? Hatte -nicht Pasteur irgendeine Behandlungsmethode für diese neue Form der -Rabies? - -Die Antwort des Vizekönigs, die mit bis dahin unbekannter Spannung in -Nasirabad erwartet wurde, lautete kurz und bündig: +Lassen Sie den -jungen Idioten reisen, aber sorgen Sie für Bewachung.+ - -Sir Herbert stieß einen Seufzer unsäglicher Erleichterung aus. In -einer Woche waren die Arbeiten an Yussuf Khans Ausrüstung in vollem -Gange -- dieser Zeitraum war nötig, um die Begriffe des jungen -Regenten über die Pracht, die bei der Werbung um eine weiße Prinzessin -entfaltet werden sollte, ein wenig zu modifizieren. Nachdem Elefanten, -goldschabrackengeschmückte Stuten und eine Eskorte von zweihundert -stummen Sklaven aus dem Programm gestrichen waren, blieb noch ein -Punkt; in dem er sich unerschütterlich zeigte: Die Kronjuwelen -Nasirabads vom ersten bis zum letzten mußten mitgenommen werden. Selbst -mit dieser Pracht wußte er nur zu gut, wie unendlich gering seine -Aussichten waren, die geträumte stolze Prinzessin zu erringen: ohne die -Juwelen waren diese Aussichten winziger als die Eier der weißen Ameise. -Sir Herbert zuckte die Achseln; tatsächlich konnte er in diesem Punkte -nichts machen, denn die Juwelen waren Yussuf Khans Privateigentum. Er -begnügte sich damit, sich die Juwelen zeigen zu lassen; es war ein -sehenswerter Anblick. Er wußte vom Hörensagen, welche Schätze der alte -Ibrahim Khan in seiner Juwelenkammer aufgestapelt hatte, aber bisher -waren sie ebenso sorgsam vor seinen Augen verborgen gewesen, wie die -hundertfünfzig Damen in Yussuf Khans Harem. Es war eine Pyramide -von Diamanten, Perlen, Topasen, Smaragden, Rubinen und Gold, ein -lichtsprühender Wasserfall von Farben. Halb geblendet von dem, was er -gesehen, beeilte er sich, für eine möglichst solide Verpackung der -Schätze Sorge zu tragen. - -Wir werden Gelegenheit finden, später von ihnen zu sprechen. - -Am 15. August ums Morgengrauen verließ Yussuf Khans Freierzug -Nasirabad. Die Sonne ging eben hinter den Kämmen des Himalaya auf, -und das Schloß Nasirabad mit seinen schlanken Türmen war wie in ein -Netz von weißem Licht verstrickt. Die Kanonen der Bastion verkündeten -dröhnend die Botschaft von der Abfahrt des Regenten, und das Volk -wimmelte in den Straßen, um Yussuf Khan auf seinem Schimmel zum -Stadttor hinausreiten zu sehen, durch das Sir George Merriman vor -fünfundzwanzig Jahren eingezogen war. Sir Herbert gab dem Maharadscha -bis zum ersten Pferdewechsel des Abends das Geleite. Dann kehrte er -zu seinem Tagewerk zurück, froh in dem Bewußtsein, daß die Aufsicht -über diesen beschwerlichen Schützling seinem alten barschen Freunde, -Oberst Morrel, anvertraut war, seit zehn Jahren Militärkommandant -von Nasirabad. Außer diesem befand sich keine andere Persönlichkeit -von Rang im Gefolge als Yussuf Khans alter eingeborener Lehrer, der -sechzigjährige Hofdichter Ali. - -Der Abendhimmel zwischen den Talwänden, durch die Yussuf Khan mit -seinem Gefolge verschwand, war ein feuerlilienflammender Gürtel -über einer Region von blendendem Pfingstlilienweiß -- gleichsam ein -himmlischer Versuch zu einer Heraldik für seine Rechnung, als er nun -seine Freierfahrt in das Land der weißen Prinzessinnen antrat. Mit -einem Lächeln über die Aussichten von Yussuf Khans Werbeplänen wandte -Sir Herbert seinen Traber wieder Nasirabad zu, froh, in Ruhe seine -Arbeit wieder aufnehmen zu können, und seine ironische Betrachtung -der Phänomene des Lebens aus den Fenstern der Residenz, die auf die -Felsentäler Nasirabads blickten. - - - - -V - -+Das große Hotel+ (Fortsetzung) - - -„Waren Sie oben, und haben Sie ihn gesehen, Miß Helen?“ - -„Gewiß. Nicht alle bleiben bis zum Lunch liegen, wie Sie, Mr. Cray. -Einen hübschen Schlips haben Sie da.“ - -„Sehr erfreut, das von Ihnen zu hören. Aber wie sieht er aus?“ - -„Prachtvoll. Er hatte weiße Tennishosen und einen Zylinder.“ - -„Nicht viel für September.“ - -„Machen Sie keine schlechten Witze! Er hatte noch eine Menge anderer -Dinge an. Uebrigens sieht er sehr gut aus, obwohl er ein bißchen dick -zu werden anfängt.“ - -„Wie alt ist er denn?“ - -„Er sieht aus, wie ungefähr dreißig. Er hat einen schwarzen Schnurrbart -und wunderschöne Zähne. Und das Gefolge -- Sie sollten sich wirklich -schämen, so lange zu schlafen.“ - -„Waren Elefanten, Kamele und Nigger dabei?“ - -„Wenigstens Nigger. Es war überhaupt nur ein weißer Mann in der -Gesellschaft, ein alter barscher Herr mit weißem Schnurrbart. Der -Portier sagte, es ist ein englischer Oberst, der dazu angestellt ist, -das Untier, wie Mama ihn nennt, zu bewachen.“ - -„Und die übrigen waren Nigger?“ - -„Wenn man sie so nennen will. Sie haben eine dunkle Gesichtsfarbe, -aber ich versichere Ihnen, sie sehen stattlich aus. Er hat so eine Art -Leibwache von zehn Mann mit Turbanen und Krummsäbeln, die seine Zimmer -Tag und Nacht bewachen sollen. Und dann war da noch ein alter Herr, so -irgendeine Art Würdenträger, vermute ich, der war in Zivil und sah so -ehrwürdig aus, wie ein Erzbischof. Er hatte einen grauen Bart, der nach -beiden Seiten weggekämmt war, ganz wie auf dieser Zeitungsreklame.“ - -„Die ungarische Pomade?“ - -„Ja, ganz richtig. Als sie die Eingangstreppe hinaufgingen, sprach er -irgend etwas in Versen. Es klang wie eine Beschwörung. Mir wurde ganz -andächtig zumute.“ - -„Kam ein Djinn? Hat er nicht auch irgendeine Kupferlampe gerieben?“ - -„Das weiß ich nicht. Er hatte so weite Kleider, das konnte man nicht -sehen.“ - -„Asiatische?“ - -„Jedenfalls nicht aus Newyork. Aber sonst ein stattlicher alter Herr. -Er sah ein bißchen wild aus, aber gebildet, wenn Sie verstehen, was ich -meine.“ - -„Aber sicherlich. Wie ein gebildeter Amerikaner.“ - -„Herrgott, wie witzig Sie sind, Mr. Cray! Hier kommt Mama.“ - -Mrs. Bowlby kam in weißer Morgentoilette in die Halle des Grand Hotel -Hermitage hereingehopst; es sah aus, als setzte sie, wenn sie ging, -beide Füße gleichzeitig vor wie ein Vogel. Sie ließ ein schrilles -Zwitschern der Befriedigung hören, als sie ihre Tochter und Allan -auf zwei der schwarzen Büffelledersessel der Halle entdeckte. Allan -beeilte sich, noch einen herbeizuziehen, in dessen Tiefen Mrs. Bowlby -verschwand wie ein Zuckerwürfel in einer Tasse Kaffee. - -„Gott sei Dank! Ich habe geglaubt, das Untier hat dich schon entführt, -Helen.“ - -„Aber Mama! Er hat ja schon hundertfünfzig Sultaninnen.“ - -„Ach, ich kenne die Männer! Ob sie hundertfünfzig haben oder eine, -immer sind sie gleich bereit, zu betrügen.“ - -„Aber ich versichere dir, er hat mich nicht einmal angesehen.“ - -„Wie sieht er aus, Helen?“ - -„Er sieht sehr gut aus, nur ein bißchen fett.“ - -„Mit hundertfünfzig Frauen!“ - -„Er war natürlich ein bißchen exzentrisch angezogen. Aber du hättest -die Leibwache sehen sollen. Zehn -- Aber hier kommt Papa. Er sieht aus, -als hätte er etwas zu erzählen.“ - -Mr. Bowlby kreuzte die Halle, das Gesicht voll unerzählter Neuigkeiten. - -„Guten Morgen, alle miteinander!“ rief er. „_Well!_“ - -„Nun, John, was gibt es?“ - -„Sei ruhig, Susan, du wirst es schon erfahren, obgleich es so geheim -als möglich gehalten werden soll, der Londoner Diebe wegen.“ - -„Was ist es, John? Etwas mit den hundertfünfzig?“ - -„Nicht mit denen, die du meinst. Er hat noch hundertfünfzig -Kleinigkeiten mit --“ - -„Also alles in allem dreihundert!“ - -„... auf die er wohl bedeutend mehr Wert legt. _By Jove!_ Der -Direktor zittert an allen Gliedern. Es gibt ihresgleichen wohl nicht in -Europa und kaum in Indien.“ - -„Wovon sprichst du denn, Papa?“ - -„Von seinen Juwelen, mein Kind! Hundertfünfzig Schmuckstücke und -eine Anzahl einzelner Steine, alle von einer Qualität, die _hors -concours_ ist. Oberst Morrel, der alte Engländer, der als sein -Beschützer mit ist, sprach davon wie vom achten Weltwunder, sagte -der Direktor, obwohl er sonst nicht den Eindruck macht, sich leicht -imponieren zu lassen.“ - -„Er hat sie natürlich dem Hotel zur Aufbewahrung im Safe übergeben, Mr. -Bowlby?“ - -„Nein, junger Freund, das ist eben das Arge. Der Oberst drang darauf, -daß sie übergeben werden sollten. Aber der Maharadscha will sie oben -in seiner Wohnung haben. Sie werden begreifen, daß der Direktor nervös -ist! Denken Sie sich, wenn so irgendeine Hotelratte ...“ - -„Aber in das Grand Hotel Hermitage kommt doch keine Hotelratte, -Mr. Bowlby! Ist das nicht überhaupt eine ausgestorbene Gattung wie -Plesiosauren und Pterodaktylen?“ - -„Glauben Sie das nicht so sicher, Mr. Cray. Ich erinnere mich, wie vor -zwei Jahren in Newyork -- aber das tut nichts zur Sache. Nun hat er -natürlich seine Leibwache, die Tag und Nacht vor seiner Suite ...“ - -„Unserer Suite, John.“ - -„... Wache hält. Die zehn wilden Gesellen mit den Krummsäbeln, die du -gesehen hast, Helen. Das wird wohl Schutz genug sein. Aber der Direktor -hat mir noch etwas erzählt.“ - -„Was denn, Papa? Etwas über den graubärtigen Bischof?“ - -„Bischof? Das ist sein Hofpoet und Lehrer! Ali heißt er, scheint mir. -Hast du ihn deklamieren gehört, als er die Treppe hinaufging, Helen? -Nein, vom Maharadscha selbst. Der ist noch verrückter als Pierpont -Morgan, nur in anderer Art. Pierpont J. sammelt alte Sachen, da das -Alte das einzige Neue ist, was er finden kann. Der Maharadscha, der -alle Hände mit alten Sachen voll hat, ist ihrer müde, und wißt ihr, -was er zu tun gedenkt? Er will die Fassungen aller Diademe ändern -lassen! Sonst, glaubt er, würde er von den Europäern ausgelacht werden. -_Well!_“ - -Mr. Bowlbys Ausruf kam ihm vom Herzen. Er sah sich in der Halle um, und -kaum hatte er das getan, als er einen neuen Ausruf von sich gab. - -„_Blow me!_ Wenn man den Wolf nennt ... Da habt ihr schon den -Mann, der geholt wurde, um die Aenderungen vorzunehmen. Der Maharadscha -hat es aber eilig! Er hat noch kaum Zeit gehabt zu frühstücken!“ - -„Wo siehst du ihn, Papa?“ - -„Dort drüben. Der mit dem großen Schnurrbart, der da steht und mit dem -Direktor spricht.“ - -„_By Jove!_“ - -Nun war es an Allan, einen anglosächsischen Ausdruck des Erstaunens -hervorzustoßen. Gerade beim Eingang zum Hotelkorridor, im Gespräch -mit dem breitschultrigen, bocksbärtigen Herrn, der, wie er wußte, -der Direktor des großen Hotels war, stand kein anderer, als sein -alter Bekannter aus dem Hamburger Bahnhof -- der Mann mit der -bordeauxfarbenen Raubvogelnase und dem borstigen, graugelben -Schnurrbart. Der Direktor sprach überaus ehrerbietig zu ihm und schien -Erklärungen abzugeben. Er zuckte unaufhörlich die Achseln, so als -erzählte er etwas, wofür er jede Verantwortung ablehnen wollte. - -„Was ist denn, Mr. Cray?“ - -Allan wandte endlich den Blick von den beiden Herren ab. Er zögerte -einen Augenblick, bevor er mit seiner dramatischesten Stimme erklärte: - -„Was es ist, Miß Bowlby? Nichts anderes, als daß ich den Mann kenne, -von dem Mr. Bowlby eben sprach!“ - -„Sie kennen ihn? Wie heißt er?“ - -„Ja ... das weiß ich nicht.“ - -„Aber ich weiß es,“ sagte Mr. Bowlby, „er ist ein Holländer und heißt -van Schleeten. Er ist einer der größten Juweliere oder jedenfalls -Juwelenspezialisten Europas. Er hat das große Diadem gemacht, das -die französische Republik der Kaiserin von Rußland geschickt hat und -Dutzende ähnlicher Dinge. Der Direktor hat es mir erzählt. Er hat mir -auch anvertraut, daß der gute Mynheer van Schleeten seiner Zeit ein -großer Don Juan gewesen ist. Wie können Sie ihn kennen, ohne zu wissen, -wer er ist, Mr. Cray?“ - -„Das ist eine Spezialität von Mr. Cray! Er kannte ja auch Mrs. -Langtrey, ohne zu wissen, wie sie heißt.“ - -Allan nickte. - -„Sie haben recht, Miß Bowlby, und das Wunderliche ist, daß ich sie von -derselben Gelegenheit her kenne. Ich fuhr damals mit ihnen, Sie wissen, -als man mein Gepäck stahl. Sie waren miteinander.“ - -„Dann ist der Juwelier ein Hochstapler. Langtreys Frau kennt nur -Hochstapler. Dann will er die Juwelen des Untiers stehlen.“ - -„Susan, sei doch vorsichtiger mit dem, was du über die Leute sagst. Ich -habe dir doch schon erzählt, wer er ist. Glaubst du, der Direktor würde -es wagen, eine zweifelhafte Persönlichkeit in die Nähe der Juwelen des -Maharadschas zu lassen, was er doch offenbar jetzt zu tun gedenkt?“ - -Mrs. Bowlby antwortete nur mit einem verächtlichen Kopfschütteln. -Sie fixierte den bordeauxnasigen Juwelier mit einem durchdringenden -Blick, während er an der Seite des Direktors durch die Halle zum -Aufzug ging. Ihre Nase drückte stumm, aber beredt die Auffassung aus, -die sie sich von Herrn van Schleeten nach dem, was Allan von seinen -Damenbekanntschaften erzählt, gebildet hatte. Der Direktor und der -Holländer verschwanden im Aufzug, und Mrs. Bowlby schnellte aus ihrem -Klubsessel empor wie aus einer chinesischen Schachtel. - -„Zeit zu lunchen,“ dekretierte sie. „Leisten Sie uns Gesellschaft, Mr. -Cray, und erzählen Sie uns, was Langtreys Frau mit dem Juwelier zu tun -gehabt hat.“ - - * * - * - -Der Tag brachte noch eine Sensation für Allan, und zwar kam sie von -jemand, den er in der Gesellschaft der Familie Bowlby schon fast -vergessen hätte, nämlich Herrn Benjamin Mirzl. - -Die Sensation hatte wieder einmal die Form eines Briefes. Allan hatte -eben eine Nachmittagszigarre im Rauchzimmer beendet, als einer der -unzähligen dienstbaren Geister des Hotels hereinkam und nach einer -kurzen Inspektion des Zimmers auf Allan lossteuerte. - -„Ein Brief für Sie, Sir.“ - -Allan sah auf, ein wenig erstaunt. Wer schrieb ihm hier einen Brief? - -„An mich?“ - -„An Sie, Sir. Sie sind doch der Herr, der auf Nr. 417 wohnt, nicht -wahr?“ - -„Das stimmt.“ - -Allan nahm den Brief von dem Tablett des Livrierten und belohnte ihn -mit einem Sixpence. Aus alter Gewohnheit prüfte er das Kuvert, das eine -verwischt abgestempelte Marke trug und suchte vergeblich zu ergründen, -ob Paddington, Kensington oder Kennington daraufstand. Dann riß er das -Kuvert auf, das, wie es sich zeigte, folgendes Schreiben enthielt: - - „Lieber Herr Kragh! Nehmen Sie es nicht übel, wenn ich Ihnen einen - guten Rat gebe: Verannoncieren Sie doch nicht Ihr Geld, um diesen - Träger zu erwischen. Das einzige Resultat, wenn Sie so fortfahren, - wird sein, daß Sie den Besuch irgendeines Schwindlers bekommen, der - Ihre zwei Pfund nimmt und Ihnen den Buckel vollügt. Der wirkliche - Träger kommt nie; sein Trägeramt währte nur einen einzigen Abend, und - seine Ehrlichkeit ist zu groß, als daß er es so machen würde, wie - jene Schwindler, vor denen er Sie soeben gewarnt hat. - - Also, inhibieren Sie weitere Annoncen! - - In Eile Ihr ergebener - Dr. Hauser, - alias Ludwig Koch, - alias ...... (nach Belieben). - - _P. S._ Ich freute mich, daß Sie Star, Daily Mail und Daily - Citizen für die Annonce gewählt haben und nicht die großen teuren - Pennyzeitungen! D. O.“ - -Allan starrte stumm das kleine Schriftstück an. Das war doch ein -Teufelskerl! Der mußte im Nacken und an allen Fingern Augen haben! Die -Annonce hatte ja gar keinen Namen enthalten, nur die Adresse Grand -Hotel Hermitage, und trotzdem hatte dieser Erzschelm sofort begriffen, -von wem sie herrührte. Allan gab sich eine Weile der Bewunderung für -Herrn Benjamin Mirzl hin und überlegte, was dieser Herr wohl in London -vorhaben mochte. Nicht zum mindesten wunderte es ihn, daß Herr Mirzl -sich Zeit nahm, sich mit einer so unbedeutenden Person, wie er es war, -abzugeben. Schließlich steckte er den Brief in die Tasche und nahm sich -vor, Bowlbys von der Sache zu erzählen. - -Er fand dazu Gelegenheit, als er gegen sieben Uhr in den Speisesaal -des Hotels kam. Mr. Bowlby mit Familie saß an einem der Tische in der -Mitte des großen Speisesaales, im Schatten der Palmen rings um den ewig -rieselnden Gold- und Marmorspringbrunnen. Er winkte Allan einladend -zu, und dieser beeilte sich, der Aufforderung nachzukommen. Diese -originellen, urwüchsigen Menschen waren ihm höchst sympathisch. Er ließ -sich nieder und erzählte Herrn Mirzls neue Leistungen, unter eifrigen -Kommentaren von Mrs. Bowlby. - -„Wollen wir wetten, Mr. Cray, daß dieser Kerl die Leute in London -ausplündert! Das ist eine feine Nummer! Warum glauben Sie, hat er Ihnen -Ihre Koffer zurückgeschickt?“ - -„Um das zu erfahren, habe ich ja die Annonce eingerückt, und da sehen -Sie nun das Resultat.“ - -„Ein Erzgauner,“ bestätigte Mrs. Bowlby noch einmal. Dann unterbrach -sie sich plötzlich. - -„Sehen Sie!“ flüsterte sie, „sehen Sie, dort, Mr. Cray! John! -Wahrhaftig, wird das wilde Tier nicht mit uns anderen zu Mittag essen! -Sieh dir doch ihre Kostüme an, Helen!“ - -Allan drehte sich hastig um und sah ein Bild, das er nicht sobald -vergaß. Im Parademarsch kam über die schweren gelben Teppiche des -Dinersaales ein Zug von fünf Personen, wie das Grand Hotel Hermitage -sie mit Ausnahme eines einzigen, wohl noch nie gesehen hatte. Voran, -mit unnachahmlicher angeborener Grandezza schritt ein junger Mann von -dreißig Jahren, etwas beleibt, aber von jener Beleibtheit, die Würde -gibt. Sein Gesicht war schön oval mit einem kurzen, glänzenden, -schwarzen Schnurrbart über einem unzufriedenen Mund. Der Teint -war mattbraun, aber kaum dunkler, als der eines sonnverbrannten -Sportsmannes. Yussuf Khan, Maharadscha von Nasirabad! Er trug -europäische Abendkleidung, aber hatte einen glänzenden weißen Turban -auf dem Kopf und um den Hals ein breites Band aus grauen Perlen, -das er wie einen Orden trug. In dem Turban stak eine Aigrette aus -großen funkelnden Smaragden. Einen halben Schritt hinter ihm kam ein -alter, ganz und gar englischer Gentleman mit frischer Gesichtsfarbe -und buschigem, weißem Schnurrbart. Seine Augen waren klar blau und -leuchteten augenblicklich vor Erregung; von welcher Art diese war, -verriet sein Mund, der noch größeres Mißvergnügen ausdrückte als der -des Maharadschas von Nasirabad. Es war sonnenklar, daß dieser Einzug im -Cortège in das Grand Hotel Hermitage ihm als englischem Gentleman nicht -gerade zusagte. Offenbar war dies Oberst Morrel, der die Verantwortung -für den Maharadscha hatte. Und im Hinblick auf die drei übrigen -Personen des Gefolges konnte man seine Gefühle nicht unberechtigt -nennen. Ihm zunächst kam ein Hindu, der in Bezug auf die Jahre wohl ein -Altersgenosse des Obersten sein konnte, aber dessen Aussehen im übrigen -wenig Aehnlichkeit mit dem dieses Militärs hatte. Sein Gesicht, das -von sechzig Jahren der Lebenserfahrungen gefurcht war, war lächelnd -und freundlich; es wurde von einem gescheitelten, üppigen, grauen -Barte umgeben, und Allan begriff sofort, warum Miß Helen mit ihrer -amerikanisch-presbyterianischen Phantasie gesagt hatte, er sehe aus -wie ein Erzbischof. Denn offenbar war dies die Persönlichkeit, die Mr. -Bowlby als den alten Hofdichter und Lehrer des Maharadschas bezeichnet -hatte -- Ali. Gleich seinem Herrn hatte er sich in europäische -Gewandung gehüllt, aber es war offenbar, daß er sie zum ersten Male -trug, und ebenso offenbar, daß es ihm kein Vergnügen bereitete. Das -einzige Kleidungsstück, das ihm zu passen schien, war der Turban. -Hinter ihm kamen die zwei letzten Personen der Eskorte, zwei schwarze -Krieger in ganz indischer Tracht, mit kurzen, vergoldeten Krummsäbeln -in bunten Gürteln. Ihre schwarzen Augen funkelten beim Anblick des -Speisesaales des Grand Hotel Hermitage und seiner Gäste. Aber im -übrigen zuckten sie mit keiner Muskel ihrer bärtigen Gesichter, während -sie in den Fußstapfen ihres Herrn einem rückwärtigen Tisch des Saales -zuschritten. Ein rotbefrackter Oberkellner stand mit einer tiefen -Verbeugung daneben; Yussuf Khan, Oberst Morrel und der alte Hofdichter -setzten sich, und die schwarzbärtige Leibwache faßte hinter dem Stuhl -ihres Herrn Posto. Rings an den Tischen in dem großen Saal schöpfte man -tief Atem, und ein leises Gemurmel erhob sich. - -Miß Bowlby war die erste an Allans Tisch, die ihren Gefühlen Worte lieh: - -„Mama, du kannst sagen, was du willst, aber solche Perlen und solche -Smaragden habe ich in meinem ganzen Leben nicht bei Tiffany gesehen!“ - -„Dacht’ ich mir’s nicht -- Helen! Mir scheint, du bist schon verl...“ - -„Aber Mama, rede doch nicht so! Sei aufrichtig und sage, ob du je so -etwas gesehen hast!“ - -Mrs. Bowlby schluckte eine Portion Gefrorenes, die ihr Inneres für -ewige Zeiten vereist hätte, wenn sie keine Amerikanerin gewesen wäre. - -Dann kniff sie den Mund zusammen, so daß er ganz im Schatten der Nase -verschwand; so geschützt, gab sie zu: - -„Nein, wenn du es durchaus wissen willst, ich auch nicht. Aber was -nützt es dem Menschen, wenn er ...“ - -Allan war unartig genug zu unterbrechen. - -„Oberst Morrel scheint nicht gerade erbaut davon zu sein, mit seinem -Schützling hier zu essen, oder was meinen Sie, Mr. Bowlby?“ - -„Anscheinend nicht,“ gab Mr. Bowlby zu. „Er ist ein Engländer, und -dieses Perlenband und der schwarze Hofdichter gehen ihm auf die Nerven. -Wollen Sie um einen Cent wetten, Mr. Cray, daß er sich gesträubt hat, -bevor er in dem Triumphzug mitging! Und ich setze meinen letzten Dollar -gegen einen Hosenknopf, wenn er sich oft sträubt, dann gibt es Krach. -Yussuf Khan sieht aus, als hätte er seinen eigenen Willen, und den zu -zähmen braucht es eine Frau, vermute ich.“ - -Mr. Bowlby sah auf seine Uhr. - -„_Well_, Susan, wir müssen aufbrechen, wenn wir zurecht kommen -wollen. Sie erinnern sich vielleicht, Mr. Cray, daß ich Ihnen erzählt -habe, daß wir beim amerikanischen Gesandten zum Souper geladen sind und -wohl erst nach vier Uhr heimkommen werden.“ - -Allan beeilte sich, Mrs. Bowlby, die nach dem Zugeständnis, das -sie ihrer Tochter eben in Bezug auf das Untier gemacht hatte, etwas -verstimmt schien, wieder aufzumuntern. - -„Glauben Sie, daß Mrs. Langtrey auch beim Gesandten sein wird, Mrs. -Bowlby?“ - -„Langtreys Frau!“ Mrs. Bowlbys Mund kam wieder aus seinem Schlupfwinkel -hervor. „Die! Wenn die da ist, dann haben Sie uns in einer halben -Stunde wieder hier.“ - -Mr. Bowlby lachte. - -„Na, Mr. Cray, wenn Sie nichts anderes vorhaben, so schauen Sie doch in -mein Rauchzimmer hinauf und trinken Sie dort einen Whisky, bevor Sie zu -Bett gehen. Ist doch immerhin gemütlicher als unten in der Bar, nicht?“ - -Allan verbeugte sich. - -„Sie sind zu liebenswürdig, Mr. Bowlby ...“ - -„Keine Zeremonien, junger Freund. Sie gefallen mir, und ich lade Sie -ein. Gefielen Sie mir nicht, würde ich Sie nicht einladen. Gehen Sie -nur hinauf und machen Sie es sich oben bequem.“ - -„Aber was wird Ihre Dienerschaft sagen?“ - -„Ich werde Henry schon verständigen. _Well_, adieu einstweilen, -lieber Cray! Ich bin schon neugierig, welche Ueberraschungen der -Maharadscha morgen für uns _in petto_ hat!“ - -Die Familie erhob sich und nickte Allan zu. Allan sah sie in die -Vorhalle verschwinden. Er steckte sich eine Zigarrette an und warf -einen Blick auf den Tisch des Maharadscha. Oberst Morrels Laune -schien während des Mittagessens nicht besser geworden zu sein. -Er war krebsrot im Gesicht und richtete hier und da ein Wort, das -offensichtlich kein Kompliment war, an den alten Hofdichter, dessen -Kenntnisse der verschiedenen Gabeln und Messer bei einem europäischen -Galadiner augenscheinlich nicht sehr eingehender Natur waren. - -Plötzlich fuhr Allan in dem eigentümlichen Gefühl zusammen, das man -manchmal hat, daß jemand einen fixiert. Er drehte rasch den Kopf nach -rechts und sah zu seinem Staunen am nächsten Tische Mrs. Bowlbys -Erzfeindin, Mrs. Langtrey. Sie saß tief im Schatten einer überhängenden -Palme, ihre grauen Augen funkelten in dem Dunkel unter den großen -grünen Blättern wie die einer Wildkatze. Hatte sie gehört, was Mrs. -Bowlby gesagt hatte? Unmöglich, es zu entscheiden; auf jeden Fall saß -sie vermutlich schon eine ganze Weile da, denn sie hatte eine Tasse -Kaffee und ein Likörglas vor sich und eine Zigarette zwischen den -Fingern. - -Allan sah auf seine Uhr. Es war nach halb neun. Da Bowlbys so spät -fortblieben, beschloß er, in irgendein Varieté zu gehen. Eventuell -konnte man ja später von Mr. Bowlbys Einladung Gebrauch machen. Er -winkte dem Kellner, beglich seine Rechnung und verließ den Saal. - -Zwei Sekunden, nachdem er gegangen war, ging Mrs. Langtrey. - -„Ich bin schon neugierig, was für Ueberraschungen der Maharadscha -morgen für uns _in petto_ hat,“ hatte Mr. Bowlby im Gehen zu -Allan gesagt. Aber weder er noch Allan ahnte, was schon diese selbe -Nacht an Ueberraschungen bringen sollte. - - - - -VI - -Das Loch in der Wand und das Loch im Boden - - -Aus Diskretion -- sowohl gegen das Etablissement wie gegen die -hochgestellte Person, deren Name sich auf dem Titelblatt dieses Buches -findet -- müssen wir das Lokal, das den Rahmen um das sechste Kapitel -bildet, mit den fünf ersten Worten benennen, die hier oben stehen. In -gewisser Weise weicht dieser Name auch nicht so sehr von dem wirklichen -Namen ab; und wer London gut kennt, kann vielleicht herausfinden, -was für ein Lokal wir meinen und wo Allan Kragh gewisse wunderliche -Abenteuer in der Nacht zum 16. September erlebte. - -Als Allan das Grand Hotel Hermitage nach halb neun verließ, hatte er -keinen bestimmten Plan für den Abend. Er schlenderte nach Leicester -Square hinunter, ging ins Empire und sah eine Vorstellung, die aufs -Haar allen anderen Varietévorstellungen glich. Sie bereitete ihm -keinerlei Enttäuschung, aber, wie ein hervorragender Schriftsteller von -der Zigarette, dem Typus des Genusses sagt -- sie reizte ihn und ließ -ihn unbefriedigt. Er empfand das, was er so oft bei den Eskapaden der -Studentenzeit empfunden und was ihn schon soviel Geld gekostet hatte, -eine ausgesprochene Unlust, nach Hause zu gehen. Er bog in eines der -Gäßchen hinter dem Empire ein, schlenderte da aufs Geratewohl herum, -ohne irgendwelche Angst vor den Typen, die das Londoner Abendleben bot, -und ohne die zweifelhafte Beleuchtung weiter zu beachten. Wenn wir -sagen würden, daß er sich dabei beobachtet oder verfolgt fühlte, so -wäre dies eine Unwahrheit; aber trotzdem ist es, wie die Fortsetzung -zeigen wird, Tatsache, daß er seit dem Verlassen des Hotels beobachtet -und verfolgt und mit infernalischer Geschicklichkeit gerade an jenen -Ort gelotst wurde, wo man ihn haben wollte. Urplötzlich befand er sich -in, ja, in der Straße, in der +Das Loch in der Wand gelegen+ ist. -Er blieb vor der diskret beleuchteten Fassade stehen, die irgendeinem -kleinen Café in kontinentalem Stil anzugehören schien. Sollte man nach -Hause gehen und Mr. Bowlbys Einladung Folge leisten oder nicht? Ein -anderer Herr tauchte plötzlich auf, öffnete die Türe zum Loch in der -Wand und blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen; Allan sah im -Flug einen Raum, der einladend aussah, und faßte seinen Entschluß. Fast -in den Fußstapfen desjenigen, der die Türe geöffnet hatte, trat er ein, -nachdem er auf seine Uhr gesehen. Sie zeigte zwanzig Minuten über elf. - -Das „Loch in der Wand“ erwies sich als eine Kombination von englischer -_private bar_ und kontinentalem Café, dem Aussehen nach überaus -respektabel. Ein mattglänzendes Mahagonibüfett in Halbmondform wölbte -sich um die rechte Längsseite des Raumes, dahinter thronten drei -diskret gekleidete Barmaids. Alle schön, aber von ebenso respektablem -Aussehen wie die Bar, in der sie figurierten. Die linke Hälfte des -Raumes hatte Korbstühle und kleine Tischchen. Da war ein offener -Kamin, augenblicklich unbenützt, und ein Tischchen mit Zeitungen und -Zeitschriften. Die Beleuchtung war ebenso diskret und angemessen wie -die übrige Einrichtung. - -Für den Augenblick waren sämtliche hochbeinige Stühle an der Bar -von Herren in Frack und weißer Krawatte besetzt, die offenbar, so -wie Allan, auf dem Heimwege vom Theater oder von einer Gesellschaft -einen Blick hereingeworfen hatten. Der Mann, der unmittelbar vor -Allan eingetreten war, saß an einem der kleinen Tischchen. Allan ließ -sich am Nebentisch nieder, bestellte einen Whisky und gab sich der -Betrachtung der drei schönen Barmädchen hin. Die eine von ihnen war -von schwedischem Typus, mit länglicher Kopfform, schmalem Gesicht und -hellblauen Augen. Allan, der eben den ersten Schluck von seinem Whisky -getrunken hatte, fühlte sich mit einem Male heimisch und verspürte -die Lust, mit jemand zu plaudern. Er wendete sich seinem Nachbar am -nächsten Tisch zu und fand, daß dieser ihn beobachtete. Allans Wunsch -gleichsam zuvorkommend, beugte er sich lächelnd vor und sagte auf -deutsch: - -„Entschuldigen Sie, wenn ich mich vielleicht irre, aber sind wir nicht -Landsleute?“ - -Allan hatte jetzt lange Zeit immer nur englisch gesprochen und empfand -es als eine angenehme Abwechslung, einmal eine andere Sprache zu reden. -Er schüttelte den Kopf: - -„Nein, ich bin kein Deutscher, aber ich spreche Ihre Sprache. Sie -finden, daß ich deutsch aussehe?“ - -Der Fremde fuhr fort ihn zu mustern. - -„Hm, vielleicht ja, bei näherer Betrachtung vielleicht nein. Sie haben -etwas Unenglisches ... ich weiß nicht recht was, und ich bildete mir -ein ...“ - -Allan nickte. - -„Es ist nicht das erstemal, daß ich für einen Deutschen angesehen -werde. Aber das vorigemal war es nicht gerade angenehm!“ - -„Wieso? War es in Frankreich?“ - -„Nein, in Deutschland.“ - -„Aber wirklich? In Deutschland kann es doch keine Unannehmlichkeiten -verursachen, für einen Deutschen gehalten zu werden. Das ist ja nur -sehr schmeichelhaft für Ihre Sprachenkenntnisse.“ - -„Es war leider in anderer Beziehung weniger schmeichelhaft. Die Sache -verhält sich nämlich so, daß ich für eine bekannte, ja allzu bekannte -Persönlichkeit gehalten wurde, von der ich nicht weiß, ob +Sie+ -sie kennen, nämlich Benjamin Mirzl. Ja, ich wurde sogar als er -angehalten.“ - -„Von der Polizei? Als Benjamin Mirzl?“ - -„Allerdings, und mußte fast zwei Tage für Herrn Mirzl sitzen. Sie -kennen diesen Mirzl also?“ - -„Wer kennt Mirzl nicht dem Namen nach? Und da Sie für ihn gehalten -wurden, weiß ich jetzt also wie er ausschaut.“ - -„Er wird wohl nicht lange dasselbe Aussehen beibehalten, damit können -Sie also nicht so sicher rechnen. Trinken Sie etwas?“ fügte Allan -hinzu, tief wurzelnden nationalen Instinkten folgend. - -Der Fremde lachte. - -„Mit Vergnügen, danke, Herr Mirzl.“ - -Allan lachte. - -„Ich glaube, Sie können ebenso gut Mirzl sein, wie ich. Zwei Whisky mit -Soda, _please_!“ - -Sein Gegenüber schob seinen Stuhl näher heran. „Wollen Sie nicht -diese Geschichte mit Mirzl erzählen?“ sagte er. „Wenn es kein allzu -schmerzliches Thema für Sie ist!“ - -„Keineswegs. Mirzl ist vielleicht ein Schurke ...“ - -„Sicherlich! Ich kann Ihnen später einiges darüber erzählen.“ - -„... Aber wenigstens ein Schurke, der sein Handwerk versteht, -- Sie -werden es aus meiner Erzählung ersehen -- und der Humor hat. Ich bin -ihm gar nicht böse, daß er mir mein ganzes Gepäck gestohlen hat und -mich zwei Tage für ihn im Arrest sitzen ließ!“ - -„Er hat Ihr ganzes Gepäck gestohlen? Und Sie sind nicht böse! Sie sind -wirklich freisinnig. Erzählen Sie doch!“ - -Allan stärkte sich aus dem Glas und wiederholte noch einmal die -Geschichte, mit der er schon die Familie Bowlby erquickt hatte. Der -Fremde horchte mit weit offenen Augen und stieß hier und da einen -Ausruf aus. Als Allan zu Herrn Mirzls Ausbleiben vom Rendezvous in -Leicester Lounge kam, zur Zurückgabe der Koffer und dem vergeblichen -Versuch, den Dienstmann aufzuspüren, fing er so zu lachen an, daß es in -der Bar widerhallte. Als Allan geschlossen hatte, beugte er sich mit -Tränen in den Augen vor. - -„Ein Dienst ist des anderen wert,“ sagte er. „Ihre Geschichte ist -das Tollste, was ich seit langer Zeit gehört habe. Haben Sie heute -abend Zeit, so möchte ich Ihnen etwas zeigen, das, wie ich glaube, -+Ihnen+ ein bißchen Spaß machen wird, da Sie neu in London sind. -Haben Sie Lust?“ - -Allan sah auf seine Uhr. Es fehlten zehn Minuten auf zwölf. - -„Ich glaubte, man schließt um diese Zeit überall in London?“ - -„Man schließt spätestens um eins, aber +nicht überall+. Es gibt -Orte ... hier zum Beispiel.“ - -„Hier! In dieser kleinen Bar! Ich finde, es sieht so aus, als ob der -Barmann sich schon anschicken würde, uns hinauszubefördern.“ - -„Das würde er auch mit Ihnen tun, wenn Sie allein wären. Aber -zufälligerweise gehöre ich zu den Eingeweihten.“ - -„Aber in dieser kleinen Bar sitzen zu bleiben ...“ - -„Urteilen Sie nicht nach dem äußeren Schein, junger Mann. Nur bei den -Römern war der Eingang zum Avernus leicht. Hier muß sogar der Eingang -zu einer Taverne schwer sein.“ - -Der Fremde lachte herzlich über sein eigenes philologisches Wortspiel -und ging zur Bar, wo der Bartender -- ein dicker glattrasierter junger -Mann von dem Aussehen eines Wettrenntrainers -- jetzt allein war und -die Kasse überzählte. Die drei schönen Barmädchen waren verschwunden. -Allan sah seinem neuen Bekannten interessiert nach. Es war ein kleiner, -ziemlich untersetzter Herr mit glänzendem, schwarzem Haar und jener, -beinahe blauvioletten Gesichtsfarbe, die vom vielen Rasieren kommt und -bei Schauspielern nicht selten ist. Nun kam er zu Allan zurück. - -„Nun, wie ist es? Haben Sie Lust, sich das kleine Lokal des -internationalen Feuerfresserklubs anzusehen?“ - -„Internationaler Feuerfresserklub?“ wiederholte Allan. „Hat der Klub -strenge Eintrittsbedingungen?“ - -„Ueberaus milde, wenn man von einem Klubmitglied vorgestellt wird. -Sonst sehr strenge. Uebrigens heißt der Klub nicht so. Das ist nur ein -Kosename unter den Mitgliedern.“ - -Allan erhob sich. - -„Führen Sie mich in den Klub ein, wenn Sie wollen,“ sagte er. „Es wird -mir ein großes Vergnügen sein, die Gepflogenheiten der Feuerfresser -kennen zu lernen.“ - -Der Fremde rief dem Mann, der eben die Eingangstüre der Bar -verriegelte, etwas zu. Der Barmann zog pfeifend eine Draperie zurück, -die im Hintergrunde des Cafés hing, und einige Schritte weiter in -einem Korridor erblickte Allan einen Aufzug. Der Fremde winkte ihm, -vor ihm einzusteigen, und Allan tat es arglos. Als er später über die -Abenteuer dieser Nacht nachdachte, wunderte es ihn am meisten, daß man -nicht -- aber der Leser wird noch früh genug Gelegenheit finden, seine -Verwunderung zu teilen. - -Der Fremde stieg nach ihm ein und drückte auf einen Knopf. Der Lift -glitt hinauf, so überaus langsam, daß er noch die Lifts des Grand Hotel -Hermitage bei weitem übertraf, und machte es Allan ganz unmöglich, zu -beurteilen, wie hoch er hinaufging -- er war mit mattgeschliffenen -Glasscheiben versehen. Allan dachte jedoch im Augenblicke nicht daran, -er dachte nämlich an etwas ganz anderes und wandte sich an seinen -Begleiter: - -„Verzeihen Sie mir, aber wie soll ich denn wieder hinauskommen? Die Bar -schließt ja.“ - -Der Fremde lachte. - -„Dabei werde ich Ihnen schon behilflich sein. Es gibt einen anderen -Ausgang. Nun sind wir da.“ - -Der Fahrstuhl blieb so vorsichtig stehen, als hielte er vor einer -Krankenwohnung. Der Fremde zog die mattgeschliffene Doppeltüre auf -und schob Allan in eine große Vorhalle, deren Boden mit dicken -Teppichen belegt war. Ein Diener in orientalischem Phantasiekostüm kam -herbeigeeilt und verbeugte sich, als er Allans Begleiter erblickte, -sehr tief. - -„Die Loge Nummer fünf steht bereit, Sir,“ sagte er. - -Das ist eigentümlich, dachte Allan, hat er die Loge schon vorher -reserviert? Oder kommt er jeden Abend her? - -Sein Begleiter hatte sich rasch zu dem Diener herabgebeugt und -flüsterte ihm etwas zu. Der Diener erwiderte etwas, worauf der -Schwarzhaarige einen Pfiff hören ließ. - -„Schon in der Loge Nummer sechs!“ - -„Ja, Sir, sie sind vor einer halben Stunde gekommen.“ - -„_All right._ Ist die Passage frei?“ - -„Ja, Sir.“ - -Allans Begleiter drehte sich lächelnd zu ihm um. - -„Entschuldigen Sie, wenn ich geheimnisvoll wirke,“ sagte er. „Ich habe -mich nur nach einem Bekannten erkundigt.“ - -„Sie müssen oft herkommen,“ sagte Allan, „da eine Loge für Sie -reserviert ist.“ - -„Ja, ich komme hie und da her. Wollen Sie nicht den Ueberrock ablegen? -Es pflegt hier sehr warm zu sein.“ - -Allan legte Rock und Hut ab und reichte sie dem Diener; sein Begleiter -tat das gleiche und ging auf eine Türe zu, die einen vergoldeten Fünfer -zeigte. Allan ging ihm nach, aber folgte halb unbewußt dem orientalisch -gekleideten Diener mit dem Blick. Er sah ihn auf einen Knopf drücken, -wobei die Türe zu einer Art Garderobe aufsprang, in der er die -Ueberkleider unterbrachte, die er in Empfang genommen hatte. Rechts in -der Garderobe sah Allan flüchtig eine halb geöffnete Türe mit einem -schmalen Treppenaufgang dahinter. Alles dies nahm kaum drei Sekunden in -Anspruch; aber wie es sich später zeigte, hing von diesen drei Sekunden -der Ausgang der Abenteuer des Abends ab. Nun war er wieder an der Seite -seines Begleiters. Dieser drehte sich lächelnd zu ihm um. - -„Ich habe das Vergnügen, Sie in den Klub der internationalen -Feuerfresser einzuführen,“ sagte er und öffnete die Türe, die die -vergoldete Ziffer 5 zeigte. „Treten Sie ein!“ - -Allan trat vor ihm ein. Bei dem Anblick, der sich ihm bot, zuckte er -erstaunt zusammen. Er hatte sich irgendein kleines Klublokal von halb -zweideutiger Sorte erwartet, aber was er sah, war unleugbar etwas ganz -anderes. - -Die „Loge“, in der er stand, war eine Art Mittelding zwischen -gewöhnlicher Theaterloge und Tribüne -- sie lag ein paar Fuß über -dem Boden der großen Halle und war von dieser durch eine Rampe von -flackernden Kerzenflammen getrennt, die der Halle zugekehrt waren. Die -Beleuchtung der Loge kam von oben, aus einem Netz von Geißlerschen -Röhren, durch die ein regenbogenschimmerndes Licht in feinen, lautlosen -Fluten strömte. Die Wände waren ganz unter schweren Draperien -verborgen. Es stand ein gedeckter Tisch da, mit Kuverts für zwei -Personen. Der Tisch hätte jedoch reichlich Platz für sechs gehabt. -Drei große Champagnerkühler auf hohen Silberfüßen standen daneben. Die -Stühle waren durch orientalische Diwane ersetzt. -- Auf der anderen -Seite der beständig flackernden Lichtrampe lag ein großer Saal in -groteskem Rokokostil mit einem mattgeschliffenen, durchsichtigen -Glasboden. Die Beleuchtung kam von tief unten in rhythmischen Kaskaden -von verschiedenfarbigen Lichtern, die aufwallten und erloschen und -den Paaren, die dort drinnen tanzten -- denn der Saal war offenbar -als Tanzsaal gedacht -- ein wunderliches Cachet der Unwirklichkeit -gaben. Eine Menge Menschen, Herren und Damen in bunten Kostümen, -morgen- und abendländischen, ethnographischen und rein phantastischen, -weitwallenden und zuweilen mehr als leichten, bewegten sich über den -regenbogenschimmernden Glasboden zum Takt einer Kapelle, die Allan -schließlich am entferntesten Ende des Saales entdeckte. Diese Kapelle, -in roten Mänteln, an jene erinnernd, mit denen die Inquisition ihre -Opfer ausstaffierte, saß auf einer Art schwarzen Insel des leuchtenden -Glasbodens. Das Ganze machte einen so verwirrenden Eindruck, daß Allan -sich mit beiden Händen an den Kopf griff. War er wach? Wie konnte ein -solches Lokal seinen Zugang durch das unscheinbare Loch in der Wand -haben? Er wendete den Blick seinem Begleiter zu und fand, daß er ihn -von einem der Diwane mit einem amüsierten Lächeln betrachtete. - -„Das kleine Lokal der Feuerfresser macht Ihnen Eindruck?“ sagte er. - -„Ich habe nie in meinem Leben etwas Aehnliches gesehen,“ sagte Allan -wahrheitsgemäß. „Aber wie --“ - -„Keine Fragen, lieber Freund. Sie begreifen, ein Klub wie der unsrige -ist exklusiv und will keine fremden Personen in seine Geheimnisse -einweihen. Sie haben mich dort unten amüsiert, und es hat mich -amüsiert, Ihnen einen kleinen Gegendienst zu erweisen. Aber keine -Fragen!“ - -Allan verbeugte sich. - -„Gestatten Sie,“ sagte er, zum zweitenmal tiefverwurzelten Trieben -folgend, „daß ich mich vorstelle?“ - -„Ach, was ist ein Name! Lassen Sie mich Mirzl zu Ihnen sagen, wenn es -schon eine Ansprache sein muß. Name ist Schall und Rauch. Setzen Sie -sich und kosten Sie, was der Klub vermag. Trocken oder halbtrocken?“ - -„Trocken, danke,“ stammelte Allan und sank auf den Diwan gegenüber -seinem wunderlichen Begleiter. Dieser fuhr fort: - -„Ich weiß nicht, ob es Sie interessiert, aber ich kann mir Ihre -Abenteuer mit Mirzl nicht aus dem Kopf schlagen. Würde es Sie -amüsieren, ihre Lösung zu hören? Ich glaube, merken Sie wohl, glaube, -daß ich sie gefunden habe.“ - -Allan riß die Augen auf und vergaß im Nu das wunderliche Lokal, in dem -er sich befand, sowie die tanzende Schar draußen auf dem Glasboden. - -„Sie glauben, Sie haben die Lösung?“ - -„Ach, eigentlich ist sie doch ganz naheliegend. Ich weiß nicht, ob Sie -wissen, daß Mirzl vor acht Tagen in Berlin einen größeren Coup gemacht -hat.“ - -„Man sagte es mir in der Polizeikammer in Köln. An dem Tage, bevor ich -mit dem Expreß reiste. Hunderttausend Mark in irgendeinem Hotel des -Westens, nicht wahr?“ - -„Auf jeden Fall gut siebzigtausend. Er war diesmal ein bißchen gar zu -tollkühn gewesen. Er entkam gerade noch mit knapper Not, aber sein -Gepäck mußte er im Stich lassen. Nun können Sie sich denken, daß er -am liebsten aus Deutschland heraus wollte, und dabei wußte er, daß -die Polizei überall Spione hatte. Seine Helfershelfer wagte er nicht -aufzusuchen. Kam er an die Grenze und wollte sie ohne Gepäck passieren, -war er sofort verdächtig und wurde hoppgenommen. Suchte er sich Gepäck -von genügenden Dimensionen und entsprechender Qualität zu kaufen, -so war sein Signalement so verbreitet, daß er höchstwahrscheinlich -hängen blieb. Und der Boden brannte ihm unter den Füßen! Es handelte -sich um Stunden. Er war im Auto nach Hamburg geflohen, er stieg ohne -irgendeinen Plan in den Expreß, traf Sie -- und das übrige wissen Sie. -Aber nachdem er einmal glücklich in London war, brauchte er Ihre Sachen -nicht mehr. Und da er ein Freund von Exzentrizitäten ist, stellte -er sie eben zurück. -- Sie trinken nichts? Was sagen Sie zu meiner -Erklärung?“ - -Allan starrte seinen Begleiter mit weitgeöffneten Augen an. Das -war wirklich ein Sherlock Holmes! Er hob sein Glas, um ihm seine -Anerkennung auszusprechen, als eine Unterbrechung kam. - -Die Draperien links begannen zu wogen, sie wallten auf und nieder -wie ein Wasserspiegel bei einem Unterseebootangriff und teilten sich -endlich. Jemand tauchte aus ihnen empor, wie Neptun aus den Fluten, -taumelte ein paar Schritte in die Loge, wo Allan und sein Begleiter -saßen, und blieb endlich auf ein paar nicht allzu festen Beinen mit dem -Rücken gegen sie stehen, während er mit der einen Hand die Draperien -festhielt, durch die er aufgetaucht war. Zu seinem Staunen merkte -Allan, daß gar keine Wand zwischen den Logen war; die Draperien waren -das einzige, was sie trennte. Offenbar waren sie schwer genug, um -alle Laute zu dämpfen, wenn man sie ruhig hängen ließ, denn während -er bisher keinen Ton aus der Nebenloge vernommen hatte, drang jetzt -ein Stimmengewirr heraus. Aber was war denn das für ein ungebetener -Gast? wollte er eben seinem Begleiter zurufen, als der Mann, der -hereingetaumelt war, ihnen plötzlich das Gesicht zukehrte. Allans -Ausruf sank zu einem Flüstern herab: - -„Yussuf Khan! Der Maharadscha!“ - -Es war wirklich und unzweifelhaft der Maharadscha von Nasirabad, und -ebenso zweifellos war es, daß dieser mohammedanische Herrscher an -diesem Abend das Gebot des Propheten gröblich übertreten hatte: er war -sichtlich das, was man in höflicher Sprache angeheitert nennt und wofür -man in weniger höflicher Sprache eine Unzahl anderer Bezeichnungen -hat. Es war jedenfalls offenbar, daß sein Schwips von der guten -sanguinischen Sorte war. Jetzt wandte er sich mit einer vorsichtigen -Kreisbewegung Allan und seinem Begleiter zu, machte ein feierliches -Salaam und sagte mit Würde, wenn auch ein bißchen undeutlich: - -„Edelgeborene Sahibs, ein armer Sohn eines toten Paria bittet euch um -Entschuldigung ob dieses Eindringens in euer königliches Z--z--ze--l--“ - -Er kam nicht weiter. Die Anstrengung war zu groß gewesen. Er fiel sanft -auf einen der Diwane und schloß seine Rede in sitzender Stellung ab: - -„... Ze--zelt. Ich, Yussuf, der Sohn von tausend unwürdigen Vorvätern, -bitte euch um Entschuldigung.“ - -Allans Begleiter hatte sich hastig erhoben und eine Champagnerflasche -aus einem der silberfüßigen Kühler genommen. - -„Yussuf, Sohn himmelgeborener Eltern, geruhe mit dem verächtlichsten -der weißen Männer zu trinken.“ - -Er schenkte ein Glas ein, das der Maharadscha mit einem wohlwollenden, -aber abwesenden Lächeln automatisch ergriff und austrank. Er blieb -mit dem Glas in der Hand sitzen, als die purpurroten, gelbgeflammten -Draperien zum zweitenmal zu wogen begannen, diesmal jedoch planmäßiger -als früher, worauf ein graubärtiger Kopf im Turban (der Maharadscha -hatte seinen verloren) sich in einer Spalte zeigte, so allmählich -folgte sein Besitzer nach, der sich als der alte Hofdichter Ali -entpuppte. - -Er rief dem Maharadscha etwas zu, der nur mit einem Winken des -Champagnerglases und einem herzlichen Lachen antwortete, worauf er sich -wohlbehaglich seiner ganzen Länge nach auf dem Diwan ausstreckte. Der -alte Hofdichter, der selbst in aufgeräumter Stimmung zu sein schien, -zog die Draperie zurück und rief in die andere Loge hinein: - -„Stanton Sahib, er hat sich hier drinnen zur Ruhe gelegt. Er weigert -sich, meinen weisen guten Ratschlägen Gehör zu schenken.“ - -Die Folge dieses Rufes war, daß eine dritte Person sich zwischen den -Draperien zeigte, ein junger blonder, scharfäugiger Engländer, mit dem -denkbar korrektesten Scheitel und dem denkbar reinsten Rasseprofil. -Auch er schien in brillanter Laune zu sein. Er puffte lächelnd den -alten Hofdichter in die Loge Nr. 5 und kam selbst nach. Dann wandte er -sich mit einem tiefen orientalischen Salaam an Allans Begleiter und -sagte mit singender Stimme: - -„Edelgeborene Feuerfresser, verzeiht diese Zudringlichkeit meiner -zwei Schützlinge und meiner selbst, dem unwürdigen Sohn von zehn -Generationen von Sklaven! Salaam, edle Feuerfresser! Möge euer Schatten -stets zunehmen und eure Widersacher keine andere Speise finden als den -Schmutz der Erde.“ - -Allan beobachtete diesen Auftritt mit offenem Munde. Er blickte in -den Saal hinaus, wo der Tanz auf dem Glasboden herumwirbelte, um sich -selbst zu bestätigen, daß er wach war. Der Anblick der Tanzenden in -dieser phantastischen Beleuchtung trug nicht gerade dazu bei, sein -Zutrauen zu seinen Sinnen zu stärken. Yussuf Khan hier in dieser -Gesellschaft! Sein mystischer Begleiter aus dem ‚Loch in der Wand‘ -war aufgestanden und hatte den Gruß des jungen Engländers mit einigen -ebenso orientalischen Wendungen erwidert, indem er erklärte, daß sein -Zelt (womit die Loge Nr. 5 gemeint war) der Ehre, die ihm von diesen -erhabenen Fremdlingen, deren Aussehen zur Genüge ihre Geburt und -ihre Tugenden bezeugte, erwiesen wurde, gänzlich unwürdig sei; doch -wenn sie sich in besagtem Zelt niederlassen wollten, wage er ihnen -vorzuschlagen, einen Becher elenden und essigsauren Weins zu leeren. - -Der junge Engländer sank laut lachend auf einen Diwan und akzeptierte -ohne Umstände ein Glas; der alte Hofdichter trank das seine auf einen -Zug aus und erhob sich dann. Trotz des Weines stand er ziemlich -sicher. Der Maharadscha lag auf seinem Diwan und betrachtete sämtliche -Anwesende mit einem Lächeln des äußersten Wohlwollens. Der alte -Hofdichter hob die Hand und begann zu sprechen: - -„Erhabene Sahibs! Sicherlich ist London die wunderbarste Stadt der -Welt. Ihre Schönheit ist märchenhaft, wenn auch von Nebeln verhüllt, -und die Tugenden und die Liebenswürdigkeit ihrer Einwohner übertreffen -die aller anderen Städte so wie der Koran alle anderen Bücher -übertrifft. Wisset (er wendete sich an Allan und seinen Begleiter), -erst heute morgens kam ich in Gesellschaft meines jungen Schülers, der -uns alle von seinem Diwan mit einem seligen Lächeln betrachtet, hier -an. Erst heute morgen trafen wir in dieser Stadt ein, wo wir niemand -kannten, und noch vor dem nächsten Morgen haben ich und mein Schüler -so viele Freunde gefunden, und sind in diesem Hause der Zehntausend -Freuden bewirtet worden, alles durch Stanton Sahibs Verdienst. An -diesem Abend, als wir uns von der Tyrannei, die ein alter Sahib, -dessen Namen ich nicht nennen will, gegen uns ausübt, befreit hatten, -machten mein Schüler und ich uns insgeheim auf einen Streifzug durch -London auf (Allan zuckte zusammen), um seine tausend Reize kennen zu -lernen, von denen wir in den Lehmhütten, die uns zur Welt kommen sahen, -soviel gehört haben. Kaum, o fremde Sahibs, waren wir hundert Schritte -gegangen, als wir uns schon verirrt hatten, verwirrt durch die Nebel, -die Londons Schönheiten zu verhüllen suchen, und von dem Getöse der -zehntausend Feuerwagen. Wir waren verirrt wie die Gottlosen, die die -Wahrheit außerhalb des Korans suchen (gepriesen sei sein Name). Wie -Abdul Mahbub, mein alter Lehrmeister, singt: ‚Weh dem, der die Wahrheit -anderwärts sucht.‘ So verirrt waren wir, als Stanton Sahib, dessen -Namen auf dem ganzen Erdenrund gerühmt werden wird, uns auf der Straße -sah, sich unser erbarmte (Allan zuckte wieder zusammen), und uns in -dieses Haus der Zehntausend Freuden führte. Immer und allezeit wird -Stanton Sahibs Name ob dieser Guttat gegen zwei arme Wanderer gepriesen -werden. Lasset uns auf Stanton Sahib, den edelsten der Engländer, mit -diesem Wein trinken, der frischer ist als Morgentau und kitzelnder als -die Lippen eines Weibes. Lasset uns dabei bedenken, was der göttliche -Zeltmacher sagt: - - O trinke Wein, die Sorgen dir zu brechen, - Die zweiundsiebzig Sekten durchzurechen! -- - Nie trenne dich von dieser Alchimie, - Ein Men davon heilt tausend von Gebrechen![2] - - [2] Diese und die folgenden Verse nach der Uebersetzung von - Maximilian Rudolf Schenck. - -Erhabene Sahibs, lasset uns ...“ - -Der alte Hofdichter kam nicht weiter; die Anstrengung war zu viel für -ihn gewesen, und mitten in seinem letzten Satz plumpste er plötzlich -auf einen Diwan, trank die letzten Tropfen aus dem Glas und sah sich -mit einem unsteten Lächeln um. Allans Begleiter füllte die Gläser -wieder und ließ sich bei dem jungen Engländer nieder, den man Stanton -genannt hatte. Allan saß da, in Grübeleien versunken, während seine -Augen auf die Tanzenden draußen auf dem Glasboden geheftet waren; das -war doch ein mehr als eigentümliches Zusammentreffen, daß er, der nie -von diesem Lokal gehört, und die beiden Hindu, die den ersten Tag in -London waren, alle drei von wohlwollenden Fremdlingen hier eingeführt -wurden ... Er starrte seinen Begleiter an, der mit dem jungen Engländer -beschäftigt war. Plötzlich kam ihm eine flüchtige Idee: Hatte er -den Mann, der ihn hier eingeführt hatte, nicht in dem Varieté im -Leicester Square gesehen? Unmöglich es zu sagen, man sieht ja an einem -solchen Ort tausend Gesichter, und das seines Begleiters war nicht -besonders auffallend. Und wenn er ihn auch in dem Varieté gesehen -hatte? ... Er fuhr unwillkürlich fort, darüber nachzugrübeln, was ihm -eigentlich daran, daß gerade +er+ und die beiden Hindu hier im -Feuerfresser-Klub saßen, so eigentümlich vorgekommen war. Plötzlich sah -er, wie der alte Hofdichter sich erhob und auf etwas unsicheren Beinen -zu seinem Platz herankam. - -„Junger Mann,“ sagte er und setzte sich auf den Diwan neben dem Allans, -„ich will Ihnen etwas anvertrauen.“ - -Allan neigte lächelnd den Kopf. - -„Ich will Ihnen etwas anvertrauen,“ wiederholte der alte Poet. „Dieser -Wein, der frischer ist als der Morgentau auf den Berghängen und -kitzelnder als die Lippen eines Weibes, ist auch ebenso hinterlistig -wie das Herz eines Bewohners der Ebene. Ach, was haben wir von den -Frauen, die wir lieben, und dem Wein, den wir trinken? Beide Räusche -verschwinden mit dem Morgen. Doch weiß ich nicht, ob der Rausch dieses -kitzelnden Weines, der wie ein Frühlingsbach perlt, morgen mit dem -Morgen verschwinden wird. Ich bin fast geneigt, es zu bezweifeln; aber -wenn es der Fall ist, so denke ich daran, was der göttliche Zeltmacher -sagte: - - Wein trinken will ich! Trinken, daß der Duft, - Wo ich begraben, füllet einst die Luft; - Daß all die Waller, trunken noch vom Abend, - Im Rausche sinken rings um meine Gruft. - -Junger Mann, hüten Sie sich vor dem Wein und den Frauen. Nehmen -Sie diesen Rat von dem alten Sänger Ali. Vernehmen Sie, daß mein -Schüler, der uns von seinem Diwan aus mit einem milden glücklichen -Lächeln betrachtet, über das große Wasser hergekommen ist, um sich zu -vermählen. Es ist eine Folge seiner jugendlichen Torheit, daß er zu -diesem Zweck einen so weiten Weg macht. Er ist wie der Steinbock, der -mühsam ins Dschungel herabwandert, um dort von den Tigern gefressen zu -werden. Das beweist, daß ich ihm ein schlechter Lehrer gewesen bin. -Lasset uns trinken!“ - -Allan erhob sein Glas. - -„Verehrungswürdiger Dichter,“ sagte er, „wissen Sie, daß wir im selben -Hotel wohnen?“ - -Der alte Poet sah ihn mit Augen an, die vom Wein verdunkelt waren. - -„Und wenn dem so ist?“ sagte er. „Ein Wohnort, was ist ein Wohnort? Je -mehr ich von diesem gelben Wein trinke, desto besser verstehe ich den -göttlichen Zeltmacher, und wenn Sie von Hotels sprechen, junger Mann, -denke ich daran, was er gesagt hat: - - O alte Welt! Du altes Herbergshaus, - Wo Tag und Nacht gehn ewig ein und aus, - Du warst die Bettstatt schon von tausend Dschemschids, - Der Rest von tausend Behrams reichem Schmaus. - -Was bedeutet es, ob wir im selben Hotel wohnen. Ein anderer liegt -morgen in dem Bett, das noch von uns lau ist.“ - -„Gottlob ist der Champagner für uns noch kalt,“ sagte Allan. „Prost! -Seine Königliche Hoheit dort auf dem Diwan scheint ein bißchen -ermüdet.“ - -„Mein Schüler“, sagte der alte Hofdichter, indem er sein Glas austrank, -„ist noch nicht recht vertraut mit dem Wein der weißen Sahibs. Seine -verräterische Süßigkeit hat ihn überwältigt. Bei der Erkenntnis dessen -schaudere ich, wenn ich an die blauäugigen weißen Frauen denke, -von denen er träumt. Sicherlich hat Nasirabads letztes Stündlein -geschlagen, wenn eine von ihnen ihn in ihre Arme schließt. Woher wissen -Sie, wer mein Schüler ist?“ - -„Ich habe ja schon gesagt, daß wir im selben Hotel wohnen.“ - -Kurz nach dieser letzten Antwort mußte auch Allans Bewußtsein sich -umnebelt haben. Auf jeden Fall war es das Letzte, was er am nächsten -Tag aus seiner Erinnerung hervorzuholen vermochte. Auch in die -Handlungen, die er und die anderen Anwesenden darnach vornahmen, konnte -er keine Klarheit bringen. Er erinnerte sich undeutlich, daß er, -nachdem er noch ein paar Gläser getrunken, aufgestanden und unter der -heiteren Zustimmung seines eigentümlichen Begleiters, der noch immer im -Gespräch mit Mr. Stanton dasaß, durch die Draperien in die Loge Nr. 6 -gewankt war, aus der Mr. Stanton und seine Schützlinge gekommen waren. -Ein paar Augenblicke starrte er die Loge an, die ebenso eingerichtet -war wie die andere, und den Tanz, der draußen auf dem Glasboden -unablässig weiterging. Dann legte er sich auf einen Diwan. - -Das nächste, woran er sich dann erinnerte, war, daß sein Begleiter und -Mr. Stanton durch die Draperie zu ihm hineinguckten; sie sahen auf ihre -Uhren, lächelten und zogen sich in die Loge Nr. 5 zurück; er fing -noch den Laut der Stimme des alten Hofdichters auf, der irgend etwas -rezitierte, und ein Schnarchen, das vermutlich von Yussuf Khan kam. - -Vermutlich war er selbst gleich darauf eingeschlummert, aber es ist -unsicher, wie lange er geschlafen hatte, als er mit einemmal klar -wach war, so wie es manchmal vorkommt, von einer Idee gepackt, einer -halben Ahnung, wie man sie im Schlaf hat, einer Idee, die ihn dazu -brachte, sich kerzengerade auf dem Diwan aufzusetzen und vor sich -hinzustarren. War +das+ der Zweck des Ganzen. Waren deshalb gerade -er und die beiden Inder in dieses eigentümliche Lokal geführt worden? -Hatte deshalb sein Begleiter eine so plausible Erklärung für Herrn -Mirzls Vorgehen geben können? ... Dann war +eine+ Sache sicher --- er mußte sich eilen, wollte er ihre Pläne durchkreuzen; und eine -andere Sache beinahe noch sicherer -- er mußte mit äußerster Vorsicht -zu Werke gehen, wenn es ihm gelingen sollte ... Noch wirr im Kopf von -dem Champagner und unsicher auf den Beinen nach dem Schlaf erhob er -sich von dem Diwan und schlich, so leise er konnte, zur Logentüre. -Dort angelangt, blieb er stehen und sah vorsichtig nach den Draperien -zur Loge Nr. 5. Sie hingen regungslos, kein Laut war von dort drinnen -zu hören. Er drückte vorsichtig die Klinke nieder. Sie gab lautlos -nach. Gott sei Dank, die Türe war also nicht verriegelt, wie er schon -befürchtet hatte. - -Er öffnete sie so behutsam er konnte, und guckte mit einem Auge in -die Halle. Sie war leer; von dem orientalisch gekleideten Diener war -nichts zu sehen. Mit noch einem gemurmelten Segensspruch auf den Zufall -oder die Vorsehung ging er zur Türe hinaus, schloß sie hinter sich -zu und schlich auf den Zehen zu zwei großen Doppeltüren mit elegant -vergitterter Glasfüllung. Nur fort, so rasch als möglich. Er sah hastig -auf seine Uhr, die fast zwei zeigte -- keine Zeit, an Ueberrock und Hut -zu denken -- als er eine Entdeckung machte, die ihn zurücktaumeln ließ. - -Die großen Hallentüren waren ebenso fest und unerschütterlich -verschlossen wie eine Gefängnispforte! - -Für einen Augenblick stand er wie gelähmt da, fast bereit, in die Loge -zurückzukehren und die Dinge ihren Lauf nehmen zu lassen. Dann jedoch -gewann die Empörung die Oberhand, und er begann mit zusammengebissenen -Zähnen nach einer Möglichkeit zu suchen, den Leuten dort drinnen ein -Schnippchen zu schlagen. Er grübelte und grübelte, während seine -Augen rings um die Halle irrten, jeden Augenblick darauf gefaßt, den -Diener auftauchen zu sehen. Die Halle bog sich nach rechts und links -zu Korridoren um, die die Logen rings um den Saal mit dem gläsernen -Boden umschlossen. Vielleicht war dort irgendein Ausgang? Er verjagte -den Gedanken an diese Möglichkeit ebenso rasch, als er aufgetaucht -war. Fand sich dort irgendein Ausgang, so war er sicherlich ebenso -fest verrammelt wie der Hauptausgang. Der Diener in der orientalischen -Gewandung hatte natürlich dafür zu sorgen, daß kein Unberufener herein -oder heraus kam; und diesem Diener wollte er keinesfalls begegnen. Er -hätte darauf schwören mögen, daß er seine Weisungen hatte! -- War das -Spiel also verloren? Schon waren drei Minuten vergangen, seit er die -Loge verlassen hatte -- hallo! - -Mit einem Male fiel ihm etwas ein. - -Er sah die Szene wieder, als er mit seinem wunderlichen Begleiter -herausgekommen war; der Diener hatte ihre Ueberkleider genommen und -sie in die Garderobe hinüber getragen, deren Türe er durch den Druck -auf einen Knopf geöffnet hatte. Und drinnen in der Garderobe hatte -Allan einen Augenblick eine halb offene Türe gesehen, die zu einer -Hintertreppe führte. ... Ohne diesen Gedanken zu Ende zu denken oder -die Chancen zu berechnen, ob er auch den Knopf zur Garderobetüre -entdecken und die andere Türe geöffnet finden würde, stürzte Allan -quer durch die Halle zur Garderobetüre. Er ließ die Finger über die -Wand fahren, auf die er den Diener drücken gesehen hatte; Sekunde für -Sekunde verging, von seinem Herzen mit einem Hämmern markiert, das -man seiner Empfindung nach durch das ganze Haus hören mußte; seine -Finger flogen über die Wand hin und her, ohne jedes Resultat. Halb -verzweifelt ließ er die Hände sinken und starrte die Wand an. Seine -Verzweiflung ging in kindische Erbitterung über; er versetzte der Wand -einen Faustschlag, der dumpf krachte und weh tat, aber -- o Wunder! -- -im selben Augenblicke öffnete sich die Türe. Im nächsten war Allan in -der Garderobe und zog die Türe hinter sich zu, ohne zu bedenken, daß er -keine Zündhölzchen bei sich hatte. Er tappte zu den Ueberkleidern, die -er dort drinnen hängen gesehen hatte, und durchsuchte mit fiebernden -Händen eine Tasche nach der andern: Die internationalen Feuerfresser -schienen den Gebrauch von Zündhölzchen abgeschworen zu haben, und sie -hätten doch die Nächsten dazu sein sollen! Ohne daran zu denken, was -er in Gestalt von gebrochenen Beinen und ähnlichem riskierte, gab er -seine Nachforschungen in den Ueberrocktaschen auf und tastete sich zu -jener Ecke der Garderobe, wo er am Abend die offene Türe gesehen hatte. -Eigentümlicherweise fand er sie so gut wie gleich, und zwar noch immer -angelehnt. - -Er öffnete sie ganz und machte mit ausgestreckten Händen ein paar -vorsichtige Schritte über die Schwelle. Er fand ein eisernes Geländer -und konstatierte, daß da eine Wendeltreppe sein mußte. Er trat einen -Schritt zurück und schloß die Türe zur Garderobe wieder, um keinerlei -Spuren zu hinterlassen; dann begann er die Wendeltreppe herabzusteigen, -so rasch er es bei dieser Dunkelheit wagen konnte. - -Wenn der Leser je eine dunkle Treppe in einem fremden Hause ohne andere -Richtschnur als das Gefühl hinauf oder hinunter gegangen ist, dürfte -dem Leser eines aufgefallen sein: Sie erscheint ebenso endlos wie -ein Satz eines besseren lateinischen Schriftstellers. Wenn der Leser -diese Beobachtung nicht gemacht hat, hat der Leser nie einen besseren -lateinischen Schriftsteller gelesen. Allan Kragh, der in dieser -Hinsicht zu den Bevorzugten gehörte, hatte Gelegenheit zu konstatieren, -daß die Wendeltreppe, die er gefunden, gut und reichlich so lang -war, wie der Satz, wo Livius seine Reflexionen über die Schlacht bei -Cannae beginnt. Er glaubte Aeonen gegangen zu sein und fragte sich -schon, ob die Treppe zu den Verließen des Feuerfresserklubs führte, -zum Inferno oder zu irgendeiner Station der Londoner Untergrundbahn, -als die Treppe plötzlich ein Ende nahm und er vor einer Türöffnung -stand, durch die graues Nachtlicht hereinrieselte. Er eilte so eifrig -hinaus, als sei es die Pforte zu einem verzauberten Garten. Sie führte -jedoch nur zu einem dunklen Brunnen -- wenigstens kam es ihm so vor. -Himmelhohe Hausgiebel und Feuermauern erhoben sich auf allen Seiten, -mit oder ohne Reihen von dunklen Fenstern. Er suchte die Finsternis -rings um sich mit den Blicken zu durchdringen. Sollte er seine Flucht -nur unternommen haben, um in eine Falle geraten zu sein? Er begann sich -zwischen den Gegenständen auf dem Grund dieses Schachtes, der sich -nach links ausbuchtete, weiterzutasten. Er folgte der Hausmauer. Nun -kam eine Biegung im rechten Winkel, dann wieder eine in der früheren -Richtung. Plötzlich fand sich Allan, mit einem Ruf der Erleichterung, -vor einem Gitter zwischen zwei hohen Hausgiebeln, von denen der eine -mit Efeu bewachsen war. Ohne eine Sekunde zu zögern, begann er das -Gitter zu überklettern und kam mit einem zerrissenen Hosenbein auf die -andere Seite hinüber. Die Straße, in der er nun stand, war kurz und sah -sehr vornehm aus. An ihrem einen Ende war ein offener Platz, undeutlich -beleuchtet; und auf diesem entdeckte Allan zu seiner unbeschreiblichen -Freude nichts Geringeres als ein Cab. - -Der Cabby unterzog ihn einer genauen Okularbesichtigung und stellte -die Forderung eines Vorschußerlages, bevor er das Pferd aus seinem -beschaulichen Schlummer riß und es dem Grand Hotel Hermitage zutraben -ließ. Herren ohne Hut und Ueberrock um diese Tageszeit flößten ihm -offenbar gemischte Gefühle ein. Allan drinnen im Cab kam es vor, als -rührte sich dieser gar nicht vom Fleck; Straße um Straße passierten -in unendlicher Prozession vorbei, Häuser, Häuser und Häuser, -Firmenschilder und Schilder, die eine rotgelbe Gaslaterne nach der -anderen. Er starrte die Zeiger seiner Uhr an, wie sie dahinkrochen -- -immerhin bedeutend schneller als der Cab, schien es ihm. Hier und da -sandte er durch die Dachluke dem Cabby einen flehentlichen Ruf zu; -jedesmal kam ein Ruck der Zügel als Antwort und eine schwache Reaktion -in der Mähne des Pferdes. Es wurde zehn Minuten vor halb drei, fünf -Minuten vor halb drei. Jetzt kam er sicherlich zu spät ... Endlich bog -der Cab in eine breitere asphaltierte Straße ein, die er erkannte, und -stand auf dem Monmouth Square. - -Das Grand Hotel Hermitage lag stumm und schlummernd da, kaum ein -Fenster der großen Fassade war beleuchtet; es schien Allans Ahnungen -wenig Berechtigung zu geben. Und doch dauerte es kaum so lange, bis er -in die Halle gekommen war, als ihm auch schon die Bestätigung wurde, -die er zugleich befürchtet und ersehnt hatte. - -Der Nachtportier, der den Seiteneingang mit einem erstickten Gähnen -geöffnet hatte, erstickte dieses gänzlich, als er Allan erblickte. Er -prallte zwei Schritte zurück und starrte Allan wie ein Gespenst an. - -„Wer sind Sie?“ rief er. - -„Nr. 417!“ rief Allan. „Rasch! Kommen Sie mit! Es ist keine Minute zu -verlieren.“ - -„Aber ich habe Sie doch vor zwei Stunden nach Hause kommen sehen ...“ - -„Ich weiß! Ich weiß! Ich werde Ihnen schon alles später erklären. Man -hat ein Verbrechen geplant -- ist Mr. Bowlby mit seiner Familie schon -nach Hause gekommen?“ - -„Nein, aber -- --“ - -„Kein Aber! Die Stiege hinauf in ihre Wohnung, und rasch, wenn wir -verhindern wollen, was man geplant hat!“ - -Ohne sich auf weitere Erklärungen einzulassen, packte Allan den -verblüfften Portier beim Arm und zog ihn die Treppe hinauf, zur -Suite der Familie Bowlby im zweiten Stockwerk. Als sie den großen -Treppenabsatz im ersten Stockwerk passierten, warf Allan einen Blick in -den Korridor, wo die Zimmerflucht lag, die Bowlbys früher inne gehabt -hatten und die nun vom Maharadscha bewohnt wurde. Er sah seine Annahme -bestätigt: Fünf Mann von Yussuf Khans zehn Mann starker Leibgarde -hielten vor den Türen seiner Wohnung Wache. Diesen Weg hatten also die -Betreffenden nicht einschlagen können, und deshalb hatten sie eben -- -- -er verdoppelte seine Schritte. Würde er noch zurecht kommen? war der -einzige Gedanke, für den er Raum hatte. Den Portier hinter sich -herschleppend, erreichte er die Türe zu Mr. Bowlbys Privatrauchzimmer --- dem Zimmer, das infolge seiner Lage und aus anderen Gründen das sein -mußte, das die Betreffenden für ihre Operationen gewählt hatten. Der -dicke Teppich im Korridor dämpfte den Laut ihrer Schritte; und richtig, -als sie die Türe erreicht hatten, und einen Augenblick davor stehen -blieben, war drinnen eben jenes Geräusch zu hören, das Allan erwartet -hatte, ein gedämpftes Scharren wie von einer Feile oder Säge ... Allan -packte die Klinke. - -Die Türe war verriegelt. - -„Ich verdammter Esel,“ murmelte Allan heiser. „Portier, haben Sie -Doppelschlüssel? Uebrigens was wollen wir mit Doppelschlüsseln? Ein -Stemmeisen, und zwar rasch!“ - -„Ein Stemmeisen?“ Der Portier starrte Allan wie einen Wahnsinnigen an. - -„Ich sage,“ flüsterte Allan atemlos, „hier wird ein Attentat begangen, -das das Hotel für immer in Verruf bringen wird! Wissen Sie, was für ein -Zimmer unmittelbar hier darunter liegt?“ - -Der Portier dachte eine Sekunde mit weit aufgerissenen Augen nach. - -„Das Privatschlafzimmer des Maharadscha!“ murmelte er schließlich. - -„Wo er alle seine Juwelen hat! Verstehen Sie jetzt? Begreifen Sie, daß -dieser Herr, der vor zwei Stunden herkam, nicht ich war, sondern ein -verkleideter Einbruchsdieb! Rasch, ein Stemmeisen, und lassen Sie ihn -uns fangen, so lange es noch Zeit ist.“ - -Endlich ging dem Portier ein Licht auf. Er schoß wie ein Pfeil die -Treppen hinunter, und Allan stand allein vor der verriegelten Türe, die -er mit den Augen verschlang. Der verdammte Mirzl! +Wenn+ Allan -nicht auf die Gedanken verfallen wäre, dies ihm im Feuerfresserklub -gekommen waren, hätte jetzt wohl +er+ die Ehre des Einbruchs ... - -Allan kam in seinem Gedankengang nicht weiter. Urplötzlich, ohne -daß er einen Laut gehört hatte, wurde die Türe vor ihm aufgerissen; -Jemand im _evening-dress_, der ihm selbst ähnlich sah, packte -ihn bei den Armen, drehte ihn im Kreise herum wie ein Kind und warf -ihn in das Zimmer hinein, vor dem er gewartet hatte. Er wurde einfach -hingeschleudert wie ein toter Gegenstand und konnte noch gar nicht -daran denken, sich zu erheben, als das elektrische Licht im Zimmer -erlosch und er sich in abgrundtiefer Finsternis befand. Sein Kopf -tickte und summte wie ein Uhrmacherladen, und seine Augen sahen mehr -Sterne als sich je auf einer Kognakflasche befunden haben. Endlich war -er wieder auf den Beinen und tappte, so rasch er konnte, zur Türe. Sie -war versperrt. Er warf sich dagegen, ohne daß sie nachgab. Es gelang -ihm, den elektrischen Kontakt zu finden, und er drehte ihn herum, so -wie man eine Uhr aufzieht, ohne daß auch nur ein Lichtfünkchen kam. -Endlich hörte er eilige Schritte dort draußen, ein Rütteln an der Türe -und die Stimme des Portiers: - -„Haben Sie ihn drinnen? Haben Sie den Hauptkontakt abgedreht?“ - -Allan bemühte sich die Worte zu unterdrücken, die ihm auf der Zunge -lagen. - -„Um Gottes willen!“ schrie er, „so lassen Sie ihn doch nicht -entwischen! Versperren Sie den Ausgang! Telephonieren Sie der Polizei! -Er hat mich hier drinnen eingesperrt!“ - -Er hörte den Portier die Treppe hinunter verschwinden, ohne sich auch -nur die Zeit zu nehmen, den elektrischen Kontakt aufzudrehen, und es -verging eine Ewigkeit, während der er, vor Ungeduld schnaubend, vor -der verriegelten Türe auf und ab tanzte. Von Zeit zu Zeit unternahm -er einen neuen Versuch, sie zu sprengen. Immer vergeblich. Es mochten -vielleicht zehn Minuten vergangen sein, die ihm wie zehn Jahrhunderte -vorkamen, als er zum zweiten Male draußen Schritte hörte, diesmal von -mehreren Personen. Das Zimmer füllte sich plötzlich mit Licht, und ein -Schlüssel drehte sich im Schloß. Er riß selbst die Türe auf und fand -draußen den Portier, atemlos vor Erregung, in Gesellschaft von zwei -Polizisten. Er setzte zu Erklärungen und Fragen an, aber ein Ausruf des -einen Polizisten kam ihm zuvor. - -„Nanu! Einbruchsversuch, todsicher! Sehen Sie mal!“ - -Allan drehte sich nach der Richtung um, in die der Konstabler wies. -Wenn es noch eines Beweises für die Richtigkeit seiner Ahnungen bedurft -hätte, so hatte er ihn nun. - -Eine Oeffnung von etwa sechzig Zentimeter im Durchschnitt klaffte -im Fußboden, daneben lag ein geschlossener Regenschirm und eine -Anzahl Holzscheiben und etwas Mörtel. Er starrte verständnislos den -Regenschirm an, bis der eine Polizist auf das Loch im Boden zueilte und -den Regenschirm aufhob. Er spannte ihn auf; es zeigte sich, daß er eine -Quantität Sägespäne, Mörtel und Gips enthielt. Der Polizist nickte: - -„Der gewöhnliche Trick, damit der Mörtel nicht in das Zimmer darunter -fällt! Seine Strickleiter hat er glücklich mitgenommen.“ - -Endlich fand Allan die Sprache wieder. - -„Ist er entwischt?“ - -Der Portier nickte düster. - -„Er hat sowohl den Hauptkontakt abgedreht wie den Etagenkontakt für -dieses Stockwerk. Die sind beide hier drüben in der Treppenhalle. Ich -stand unten im Bureau und klingelte die Polizei an. Als es plötzlich -dunkel wurde, stürzte ich die Treppe hinauf. -- Sie brauchen mich nicht -so anzusehen, Sir; was hätten denn Sie getan? In solchen Fällen ist man -immer nachher am klügsten. Ich merkte in der Dunkelheit nichts, bis ich -den Hauptkontakt aufgedreht hatte -- den Etagenkontakt vergaß ich ganz. -Im selben Augenblicke sehe ich jemand die Treppe hinunter verschwinden. -Ich stürze nach --“ - -„Ist er denn +erst dann gegangen+?“ rief Allan, „warum ist er so -lange dageblieben?“ - -„Da müssen Sie einen anderen fragen, Sir. Ich stürzte ihm nach, aber es -war zu spät. Er war, bevor ich nur mau sagen konnte, schon draußen und -in einem Auto, das in der Nähe des Hotels stand. In diesem Moment kamen -die Konstabler --“ - -Der eine der erwähnten Konstabler unterbrach ihn. - -„Wir müssen ein Protokoll aufnehmen,“ sagte er. - -„Ist das notwendig?“ murmelte der Portier. „Der Maharadscha -- Bedenken -Sie den Ruf des Hotels!“ - -„Wir halten einstweilen alles geheim, wenn Sie selbst nicht darüber -sprechen.“ - -Noch halb wirr im Kopf nach seinen Erlebnissen, mußte Allan den -Polizisten erzählen, was er wußte. Bei seinem Bericht über den -Feuerfresserklub schüttelten sie den Kopf. - -„Sicher, daß Sie nüchtern waren, Sir? Nichts für ungut, aber --“ - -Allan wiederholte seine Schilderungen mit einer gewissen Heftigkeit. - -„Und die Adresse des Lokals, Sir?“ - -Allan wich einen Schritt zurück. Er hatte weiß Gott bei seiner Flucht -aus dem betreffenden Lokal solche Eile gehabt, daß er ganz vergessen -hatte, sich den Namen der Straße anzusehen, in der es gelegen war. - -„Denn Sie sagten doch,“ fuhr der Polizist gelassen fort, „daß dieser -indische Prinz, dem die Juwelen im Zimmer unten gehören oder gehörten, -noch da war, als Sie fortgingen?“ - -Allan nickte stumm. Gütiger Gott, was würden die Verbrecher mit dem -Maharadscha beginnen, wenn sie merkten, daß der andere Plan mißlungen -war -- falls er nun mißlungen war. - -„Der Maharadscha war noch dort, als es mir gelang, mich aus dem -Staube zu machen,“ stammelte er schließlich. „Mein Gott, wenn ich den -Einbruchsversuch nur verhütet hätte, um ...“ - -„Ob Sie den Einbruch verhütet haben, werden wir wohl kaum heute nacht -erfahren. Oder wollen Sie es auf Ihre Kappe nehmen, Portier, uns in die -Wohnung des Maharadscha zu bringen?“ - -Der Portier schüttelte energisch den Kopf. Nach einigen weiteren -Fragen steckte der Konstabler sein Notizbuch in die Tasche. - -„Lassen Sie das Zimmer unberührt stehen. Die Detektivs kommen morgen -in aller Frühe, wenn nicht noch früher,“ sagte er und nahm mit seinem -Kollegen Abschied. - -Allan wankte die Treppen in sein Zimmer hinauf, nachdem er den Portier -gebeten hatte, Mr. Bowlby mit einigen vorsichtigen Worten von dem -Vorgefallenen zu verständigen. Er war todmüde nach all dem Champagner, -der Spannung und dem Ringkampf mit Mirzl -- wenn es nun Mirzl gewesen -war. - -Hatte er in diesem Punkte noch irgendwelche Zweifel gehegt, so sollten -sie jedoch behoben werden, als er glücklich in der ägyptischen -Grabkammer Nr. 417 angelangt war. Das Zimmer lag, als er die Tür -öffnete, in voller Beleuchtung da; und das erste, was er sah, -war sein einer Reisekoffer, in dem er außer auf Eisenbahnfahrten -unpraktischerweise sein Geld unter Schloß und Riegel zu verwahren -pflegte -- er hatte noch nicht die kluge Gewohnheit angenommen, es -im Bureau des Hotels, wo er wohnte, zu deponieren. Der Deckel, der -durch zwei gute Hängeschlösser geschützt wurde, stand offen, und der -Inhalt des Koffers -- allerlei Kleinigkeiten, darunter eine Kassette, -die seine Reisekasse enthielt -- lag in völliger Wirrnis da. Von -einer düsteren Ahnung ergriffen, stürzte er auf den Koffer zu und -riß die betreffende Kassette heraus -- ein kleines Silberkunstwerk, -das er einmal in Dänemark gekauft hatte. Sie hatte noch am Morgen -elftausendsechshundert Kronen in schwedischem Geld enthalten. Davon -waren jetzt nur fünftausendsechshundert da ... - -Es dauerte etliche Minuten, bis er seine Sinne genügend in Ordnung -hatte, um auch den Rest des Zimmers zu sehen; und das erste, was er da -erblickte, war ein Brief, der an das elektrische Lämpchen auf seinem -Nachtkästchen gelehnt war. Er riß ihn mit einem wütenden Knurren auf: - - „Lieber Herr Kragh! - - Vielleicht finden Sie mein Vorgehen heute abend unlogisch und - ungentlemanlike. Unlogisch, weil ich Ihnen früher, nach dem Dienst, - den Sie mir in Deutschland erwiesen haben, Wohlwollen bezeigte; - ungentlemanlike, weil ich Ihnen sechstausend schwedische Kronen - raube. Es war, nebenbei gesagt, der reine Zufall, daß ich sie - gefunden habe; es war nämlich nur meine Absicht, Ihnen hier oben in - Frieden und Ruhe einige Zeilen zu schreiben. Aber lassen Sie mich - Ihnen eines sagen: Sie haben heute abend meine Pläne durchkreuzt, - und man durchkreuzt meine Pläne nicht ungestraft. Ihre Strafe für - das erstemal ist sechstausend Kronen Buße -- das halbe Vermögen - im Koffer. Sollte das Vergehen sich wiederholen -- aber ich bin - überzeugt, daß Sie jetzt klug genug sind, es nicht zu wiederholen. - - In Eile - Dr. Hauser, - (alias Ludwig Koch, alias Benjamin Mirzl).“ - - - - -VII - -Ein Verschwinden mit Nebenumständen - - -Es war Mr. Bowlby, der Allan am nächsten Morgen etwas nach halb neun -Uhr weckte. Allan schnellte aus dem Bett, schlaftrunken und ganz -überzeugt, daß es Herr Benjamin Mirzl war, der kam, um sich sein -übriges Geld zu holen. - -„Sie, Mr. Bowlby!“ - -„Allerdings ich, junger Freund. Ich erhielt Ihre Botschaft durch den -Portier, als ich heute nach vier Uhr nach Hause kam. Entschuldigen Sie, -daß ich so in Ihr Schlafgemach eindringe -- _damn it_, es ist -eines der kleinsten, das ich je gesehen habe! -- aber Sie werden doch -meine Neugierde begreifen! Ein Loch in meinem Rauchzimmer, groß genug, -um einen Indianer drinnen zu fangen! Das Zimmer voll von Detektivs, -die mich verhört haben und Sie zu verhören gedenken, und eine tolle -Deliriumsgeschichte des Nachtportiers von +zwei+ Herren auf -Nr. 417. Ich hatte erwartet, Sie schon früher zu sehen, aber Helen -vertraute mir eben an, daß Sie nie vor dem Lunch aufstehen.“ - -„Miß Bowlby ist zu strenge in ihren Urteilen. Gestatten Sie, daß ich -Toilette mache, dann will ich versuchen, Ihnen das Ganze zu erzählen. -Aber Sie wissen doch, daß alles vorderhand geheim bleiben muß?“ - -„Die Detektivs faselten irgend etwas vom Maharadscha.“ - -„Ich fürchte, es ist kein Gefasel, Mr. Bowlby.“ - -Allan hüpfte aus dem Bett und begann ungeniert seine Waschungen vor den -Augen des Amerikaners, während er die Abenteuer der Nacht erzählte. -Die Beschreibung des Feuerfresser-Klubs entlockte Mr. Bowlby eine -Serie Pfiffe, eines durchgehenden Expreßzuges würdig. Als Allan zu dem -Bericht über seine Flucht kam und wie es Mirzl gelungen war, ihn und -den Portier zu überlisten, unterbrach er ihn mit dem Ausruf: - -„Aber das muß ja ein Teufelskerl sein, dieser Mirzl? Eine solche -Kaltblütigkeit! Das ist doch das Frechste, was mir noch im Leben -untergekommen ist!“ - -„Warten Sie einen Augenblick mit Ihrem Lob!“ sagte Allan. „Was glauben -Sie, tat der Mann, als er mich in das Rauchzimmer eingesperrt und die -Kontakte abgedreht hatte?“ - -„Verduftete, natürlich.“ - -„Verduften! Da kennen Sie Mirzl schlecht. Er ging in mein Zimmer hinauf -und setzte sich nieder, um mir eine Warnung zu schreiben, mich nicht -mehr in seine Angelegenheiten einzumischen --“ - -„Da hört sich aber alles auf!“ - -„Und als er dabei zufällig fand, daß ich einen verriegelten Koffer -hatte, der nach wertvollem Inhalt aussah, öffnete er ihn. Bedenken Sie, -daß der Portier die ganze Zeit dastand und der Polizei telephonierte. -Im Koffer hatte ich meine Reisekasse, elftausend schwedische Kronen und -etwas darüber --“ - -„Sie sind aber höchst unvorsichtig! Und die nahm er?“ - -„Von diesen nahm er die Hälfte oder ein bißchen mehr, worauf er sich -niedersetzte und mir diesen Brief schrieb.“ - -Allan reichte Mr. Bowlby nicht ohne einen gewissen Stolz Herrn Mirzls -Brief. - -Der Amerikaner las ihn langsam durch und gab eine neue Serie -betäubender Expreßsignale von sich. - -„Sie haben doch natürlich der Polizei telephoniert?“ - -„Der Polizei! Warum nicht gleich einer Kleinkinderbewahranstalt und -habe sie um eine Amme gebeten? Ich ging zu Bett.“ - -In das Gesicht Mr. Bowlbys trat ein Ausdruck von ehrlichem Respekt. - -„_Well!_ Ich muß sagen -- --!“ - -Er starrte Allan an, während dieser sich das Jackett anzog. Allan -öffnete ihm die Türe, und sie gingen die Stiege hinunter. Mr. Bowlby -wiederholte: - -„Ich muß sagen! Und gedenken Sie die Sache jetzt nicht anzuzeigen?“ - -„Da die Detektivs schon hier sind, werde ich ihnen die Sache natürlich -anzeigen, aber es ist nur der Form wegen.“ - -„Mirzl scheint Ihnen Respekt eingeflößt zu haben!“ - -Allan nickte zustimmend. Im selben Augenblick erblickten sie -Mrs. Bowlby und Miß Helen, die in der Treppenhalle des zweiten -Stockwerks saßen. Mrs. Bowlby, die ein grellgrünes Kleid trug und -papageienähnlicher aussah denn je, begrüßte Allan mit einem kleinen -Schrei, der des erwähnten Vogelgeschlechtes durchaus nicht unwürdig war. - -„Mister Cray! So! Also auf diese Art verbringen Sie die Nächte, wenn -ich außer Sehweite bin! Ein großes Loch im Boden, und die Detektivs -darum geschart wie Fliegen um eine offene Marmeladendose. Sie -wollten mich nicht einmal in die Nähe lassen. Sie glaubten wohl, ich -gedächte in das Schlafgemach des Untiers hinunterzuspringen. -- Na, -was haben Sie zu sagen? Setzen Sie sich und lassen Sie uns hören, -aber +alles+, verstehen Sie? Sie waren natürlich in irgendeinem -entsetzlichen Lokal? Haben also +Sie+ das Loch in den Boden -gemacht?“ - -„Wenn Sie zwischen halb eins und halb drei in Mr. Bowlbys Rauchzimmer -gekommen wären, hätten Sie es sicherlich geglaubt, Mrs. Bowlby.“ - -Allan begann zum zweiten Male seine Erzählung. Mrs. Bowlby beehrte -seine Beschreibung des Feuerfresser-Klubs nicht mit denselben -Expreßpfiffen wie ihr Mann, aber ihre Kommentare waren darum nicht -weniger ausdrucksvoll. Als Allan zum Schlusse von Herrn Mirzls -Leistungen gekommen war, ergriff sie das Wort: - -„Ja, dieser Herr ist natürlich ein Schurke. Aber ich sage Ihnen eines, -ich würde tausendmal lieber das Untier hoppnehmen sehen als ihn.“ - -„Ich für mein Teil sechstausendmal lieber Herrn Mirzl,“ meinte Allan. - -„Denken Sie nur, den +ersten+ Abend, den er in London -verbringt, in +solche+ Lokale zu gehen,“ setzte die alte Dame -ihren Anklageakt fort. „Natürlich war er in Damengesellschaft -- -versuchen Sie das nicht zu leugnen, ich glaube Ihnen ja doch nicht. -Natürlich, obwohl er daheim bei sich das Haus voll und +mehr+ -als voll hat. Und natürlich ist es furchtbar unrecht von Ihnen, in -ein solches Lokal zu gehen, aber ein verheirateter Mann, ein Mann, -der +hundertfünfzigfach+ verheiratet ist -- -- Und dieser alte, -graubärtige Wüstling -- --“ - -Allan wagte sie zu unterbrechen. - -„Sind sie noch nicht nach Hause gekommen, Mrs. Bowlby?“ - -„Die! Die werden sich nicht beeilen, nach Hause zu kommen, da seien Sie -ganz beruhigt! Ich kenne die Männer.“ - -Mr. Bowlby hatte gedankenvoll dem Reglement des Hotels getrotzt und -während Allans Erzählung eine Zigarre geraucht. Jetzt nahm er sie -plötzlich aus dem Mund und hinderte Allan, seine Befürchtungen über das -Schicksal des Maharadschas auszusprechen, nun der Einbruch mißlungen -war. - -„Da sind zwei Dinge,“ sagte er, „die ich nicht begreife, wie -durchtrieben auch dieser Gauner und seine Bande sein mögen. Sie haben -Sie natürlich von dem Augenblicke an, in dem Sie das Hotel verließen, -beobachtet. Aber wie konnten sie Sie gerade in das Haus lotsen, wo sie -den Maharadscha hatten?“ - -„Hm, Mr. Bowlby, das ist ja nicht so merkwürdig. Zufälligerweise -marschierte ich ja in Gesellschaft des Helfershelfers in jenes Café, -und wurde von ihm angesprochen. Das war ein Zufall. Aber in einem -anderen Lokal wäre das Resultat dasselbe gewesen. Im Notfall wären sie -wohl auch nicht vor Gewalt zurückgeschreckt.“ - -„_Well_, soviel kann ich zugeben, aber da ist noch eine Sache. -Sie haben natürlich im Hause und außer dem Hause nach dem Maharadscha -Ausschau gehalten. Aber +Sie+ sind ja in keinerlei Verbindung mit -dem Maharadscha oder jemand aus seiner Gesellschaft gestanden, und Ihr -eigenes Zimmer liegt im vierten Stock. Gestern abend forderte ich Sie -allerdings auf, bei mir einen Whisky zu trinken ... Aber wie zum Teufel -konnten die Kerls das wissen und sich darnach richten? Das frage ich. -Wir saßen doch, soweit ich sah, allein an dem Tisch.“ - -„Und woher konnten sie wissen, daß wir die halbe Nacht wegbleiben -würden, Papa?“ - -„Das ist keine Kunst, liebe Helen, wenn sie Spione im Hotel haben. -Aber als ich diesen jungen Mann zu mir einlud, war, soviel ich mich -erinnere, keine Seele in der Nähe, und ich habe ein gutes Gedächtnis.“ - -„Sie brauchten es ja nicht zu wissen, Papa. Sie hätten das Attentat auf -die Juwelen auf jeden Fall unternehmen können. Sie haben gesehen, daß -Mr. Cray und wir verkehren, sie haben ihn den ganzen Abend beobachtet, -wie er selbst sagt und ihn aus dem Wege geschafft, und dann hat sich -dieser Mirzl als Mr. Cray verkleidet --“ - -Miß Bowlby kam in ihrer Erklärung nicht weiter. Allan war von seinem -Stuhl aufgesprungen und hatte Mrs. Bowlby beim Handgelenk gepackt. Die -alte Dame schnellte, den Kopf im streitbaren Papageienwinkel schräg -gelegt, in die Höhe: - -„Was fällt Ihnen ein, Sir? Glauben Sie, Sie sind noch in diesem Lokal?“ - -„Mrs. Bowlby! Sie haben bestimmt mit dem, was Sie über Ihre Landsmännin -sagten, recht gehabt! Jetzt verstehe ich, oder glaube wenigstens zu -verstehen! Aha! Sie gehörten also doch zusammen!“ - -„Meine Landsmännin? Wer?! Was verstehen Sie?“ - -„Mrs. Langtrey! Jetzt erinnere ich mich. Gerade als Sie gestern vom -Speisen aufstanden, sah ich zufällig nach rechts, und da, tief im -Schatten der Palmblätter, saß Mrs. Langtrey. Sie wissen, Sie machten -einige ... hm, offenherzige Bemerkungen, bevor Sie gingen, wie groß die -Aussichten dieser Dame wären, auf den Gesandtschaftsball zu kommen. -Als ich sie erblickte, sah sie aus wie eine Tigerin. Seien Sie sicher, -sie hat sowohl das gehört, was Sie über sie sagten, wie das, was Mr. -Bowlby zu mir sagte, ich möge heraufkommen und einen Whisky trinken. -Ihr Mann versprach mir ja sogar, den Bedienten von meinem Kommen zu -verständigen. Und sie hat eben -- -- Sie wissen doch, daß ich sie und -Mirzl zusammen auf dem Hamburger Bahnhof sah, wenn ich auch damals -nicht glaubte, daß sie sich kannten -- --“ - -Allan hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als Mrs. Bowlby aus ihrem -Sessel aufflog wie der Habicht aus seinem Horst und mit raschen -Flügelschlägen die Stiege hinuntersauste. Ihre Augen strahlten vor -Triumph. Mr. Bowlby zuckte philosophisch die Achseln und steckte -eine neue Zigarre an. Allan, der über die Kampfesmiene der alten -Dame lächeln mußte, wollte eben seine Erklärungen ergänzen, als ein -Hotelangestellter auf ihn zukam. - -„Der Detektivinspektor ist in Mr. Bowlbys Rauchzimmer und möchte Ihre -Aussage hören, Sir.“ - -Allan folgte ihm in den Raum, der am vorhergehenden Tage Zeuge von -Herrn Mirzls Niederlage gewesen -- und seiner eigenen. Er war nicht -ganz so mit Detektivs angefüllt, wie Mrs. Bowlbys Worte ihm Anlaß -gegeben hatten zu vermuten. Aber er beherbergte auf jeden Fall doch die -respektable Anzahl von vier Kollegen Sherlock Holmes’. Der unter ihnen, -der dem Aussehen nach seinem berühmten mageren Kollegen am ähnlichsten -sah, war offenbar auch der Inspektor; denn bei Allans Eintreten bat er -ihn, Platz zu nehmen und begann dann ihn zu verhören. Er saß an einem -kleinen Tischchen, das mit Dokumenten und mystischen Dingen in Kuverts -und Schachteln bedeckt war. - -Allan appellierte an seine Sherlock Holmes-Erinnerungen und zog den -Schlußsatz, daß die Kuverts und Schachteln die „Spuren“ enthielten, die -man gefunden hatte. Der magere Mann blätterte ein paar Seiten in seinem -Notizbuch um und brachte die Füllfeder in Ordnung. - -„Sie sind Mr. Allan K--r--a--g--h?“ - -Er buchstabierte den Zunamen, offenbar gänzlich abgeneigt, sich in -irgendwelche phonetische Fallen zu verstricken. - -„Ja. Aus Schweden.“ - -„Aus Schweden. Ja. Sie wohnen auf Nr. 417?“ - -„Ja.“ - -„Sie waren derjenige, der gegen halb drei Uhr nachts nach Hause kam -und in Gesellschaft des Nachtportiers einen Versuch machte, die -Einbruchsdiebe zu überraschen?“ - -„Ich war es.“ - -„Erzählen Sie, wie es kommt, daß Sie überhaupt eine Ahnung hatten, daß -ein Einbruchsdieb hier war.“ - -Allan begann zum dritten Male an diesem Morgen seine Erzählung in -derselben Form wie früher, er beschrieb seinen Besuch im ‚Loch in der -Wand‘, den Fremden, der ihn dort angesprochen, den Lift, der sie in den -Feuerfresser-Klub geführt, das Erscheinen des Maharadschas in ihrer -Loge, und wie ihm plötzlich der Verdacht aufgestiegen war, der ihn -dann dazu gebracht hatte, aus dem Klub zu flüchten. Offenbar hatte der -Detektivkommissar die Erzählung schon durch die Polizisten gehört, die -in der Nacht dagewesen waren; denn er verglich sie mit einem Papier, -das er bei sich hatte. Hier und da machte er eine Notiz. Er ließ Allan -zu Ende sprechen, bevor er sein Verhör begann. - -„Wollen Sie den Mann, der Sie im ‚Loch in der Wand‘ ansprach, so genau -Sie können, beschreiben.“ - -„Er war ziemlich untersetzt, hatte ein viereckiges Gesicht, glänzende -schwarze Haare und eine blauviolette Schattierung am Kinn und an den -Wangen. Ich fürchte, nicht viel, wonach man sich richten kann. Er war -in Abendkleidung. Er behauptete ein Deutscher zu sein; auf jeden Fall -sprach er fließend Deutsch.“ - -„Sie sprechen selbst Deutsch?“ - -„Ja.“ - -„Und der Mann, der in Gesellschaft des Maharadscha war?“ - -„Das war ein Engländer, wenigstens sagten es die anderen; sie nannten -ihn Stanton. Er war blond, scharfäugig und überaus korrekt seinem -ganzen Aussehen nach -- eine ungewöhnlich typische Rasseerscheinung, -wenn ich so sagen darf.“ - -Der Detektivinspektor blätterte einen Augenblick in seinen Papieren. - -„Sie hatten gestern abend die Adresse des mystischen Hauses vergessen. -Sie ist Ihnen nicht etwa heute nacht eingefallen?“ - -„Nein, ich hatte, als ich fortlief, zu große Eile, um daran zu denken, -aber wenn Sie wissen, daß die kleine Schenke das ‚Loch in der Wand‘ -heißt --“ - -„Es gibt hundert Bars mit diesem Namen und von diesem Aussehen in -London. Wo war sie denn ungefähr gelegen?“ - -„Etwa eine halbe Stunde weit von Leicester Square. Ich kenne mich -in London nicht aus, aber ich glaube, so lange brauchte ich im -gemächlichen Schlendern, um hinzukommen. -- Darf ich eines fragen, Herr -Inspektor?“ - -„Lassen Sie hören!“ - -„Der Maharadscha ist also nicht zurückgekommen?“ - -„Nein, wir haben seit halb vier Uhr nachts Nachforschungen angestellt, -aber sie mußten so diskret als möglich durchgeführt werden. Sowohl des -Maharadschas, wie auch des Hotels wegen. Was uns freut, ist, daß der -Einbruchsdiebstahl verhütet wurde.“ - -Allan flog auf: - -„Darf ich fragen, woher Sie das wissen?“ - -Der Detektivinspektor lächelte zum erstenmal. - -„Ich weiß es durch einen ... hm ... eigentümlichen Zufall ... Wie ist -es denn, haben Sie nicht auch für Ihre eigene Person eine Anzeige zu -machen?“ - -Allan zuckte heftig zusammen. Das schlug jeden Rekord. Von solchem -Detektivscharfsinn hatte er noch nie gelesen oder auch nur geträumt! -Hatte der magere Inspektor seinen Geldverlust an der Art gemerkt, wie -er sein Schuhband knüpfte, oder an irgendeinem Fleck auf dem linken -Rockärmel? Er starrte den Inspektor an, ohne etwas zu sagen. Dieser zog -lächelnd ein Papier aus dem Haufen vor sich und reichte es ihm. - -„Bitte lesen Sie,“ sagte er. „Das ist mit der ersten Morgenpost -gekommen.“ - -Allan nahm das Papier, das ihm gereicht wurde, und durchflog die Zeilen -mit ihrer nur allzubekannten Schrift: - - „An die Scotland Yard! - - Herr Allan Kragh aus Schweden, wohnhaft Zimmer Nr. 417 Grand Hotel - Hermitage, wurde heute nacht zwischen halb drei Uhr und drei Uhr in - seinem Zimmer um eine Summe von sechstausend schwedischen Kronen (in - Tausendkronenscheinen) bestohlen. - - Der Verüber des Diebstahls möchte darauf aufmerksam machen, daß - dies die überaus milde Strafe ist, die Herrn Kragh aufzuerlegen - für angemessen befunden wurde, wegen seines Eingreifens in die - andere Affäre, die sich in derselben Nacht im Grand Hotel Hermitage - abspielte. - - Für den Fall, daß Herr Kragh die Sache noch nicht angezeigt haben - sollte, gestatte ich mir hiermit Sie davon zu benachrichtigen. - Herr Kragh ist ein liebenswürdiger junger Mann, der Ihre eifrigen - Bemühungen verdient. - - In Eile - - Benjamin Mirzl. - - _P. S._ Die Zeit gestattet mir nicht ‚alias‘ hinzuzufügen.“ - -Der Detektivkommissar beobachtete lächelnd Allans Mienenspiel bei der -Lektüre dieser Epistel. - -„Sie kennen Mirzl offenbar nicht, da Sie so überrascht sind,“ sagte er. - -„Ich kenne ihn nicht? O doch, ein bißchen, wie schon aus dem Brief -hervorgeht. Und Sie? Kennen Sie ihn?“ - -„Ich kann antworten wie Sie, ein bißchen! Er hat uns vor drei Jahren -hier in London das Leben zur Hölle gemacht -- die zehn Einbrüche in -Regent Street, die Entführung des Ascotpokales, die Eskamotierung der -irländischen Kronjuwelen und ein Dutzend anderer Dinge, die man ihm -allerdings nicht direkt nachweisen kann, aber von denen wir schwören -möchten, daß er dahinter steckt. Ja, wir kennen Herrn Mirzl ein wenig. -Gottlob verließ er das Land nach den Ascotrennen und ging dazu über, -sich den Behörden seiner Heimat unangenehm zu machen. Jetzt hat er das -wohl satt bekommen und --“ - -„Und wäre wohl nie über die Grenze gekommen, wenn ich ihm nicht dazu -verholfen hätte!“ - -Allan konnte es nicht unterlassen, diesen kleinen Trumpf auszuspielen. -Die Detektivs hörten schweigend die Schilderung seines Abenteuers im -Expreßzug an. Als er zu Ende gesprochen, sagte der Inspektor: - -„Ich will Ihnen einen guten Rat geben: sprechen Sie drüben nicht von -dieser Geschichte, ich bezweifle, daß Sie eine Medaille dafür kriegen -werden.“ - -„Und welchen Dank ich von Mirzl selbst habe, haben Sie gesehen. Darf -ich fragen: Da Sie nun wissen, daß Mirzl im Spiel gewesen ist, und -so gründliche Untersuchungen angestellt haben, haben Sie doch wohl -Hoffnung, ihn wenigstens diesmal zu fangen?“ - -„Offiziell, offiziell,“ nickte der Detektivinspektor, „haben wir -überaus günstige Hoffnungen. Aber was uns für den Augenblick beinahe -noch mehr am Herzen liegt, als Herrn Mirzls habhaft zu werden, ist, Se. -Königliche Hoheit Yussuf Khan zu finden.“ - -Der Detektivinspektor verstummte und schlug mit gerunzelter Stirn -sein Notizbuch ein Mal ums andere auf den Tisch. Allan fing einen -gemurmelten Fluch auf, der sich den Weg aus seines Herzens Tiefen -bahnte. Im selben Augenblicke wurde die Türe aufgerissen, und ein -grimmiger alter Herr mit weißem Schnurrbart kam hereingestürzt. Allan -erkannte in ihm den europäischen Mentor des Maharadscha, Oberst Morrel. - -„Na!“ rief er. „Neuigkeiten? Spuren?“ - -Der Detektivinspektor schüttelte den Kopf. - -„Wir hoffen, im Laufe des Tages ...“ begann er. - -„Im Laufe des Tages, im Laufe der Woche, warum nicht gleich im Laufe -des Jahres!“ brüllte der alte Oberst und stampfte auf den Boden, daß -alles dröhnte. „Sie müssen, hören Sie, Sie müssen meinen schwarzen -Ado -- Seine Hoheit vor heute abend finden. Wir sind zum Empfang beim -Minister für Indien gebeten, diesem Ziviltrott -- hm, -- für fünf Uhr. -Tee, und der Himmel weiß was! Sie +müssen+ ihn bis dahin hier -haben, hören Sie, sonst schlage ich alles kurz und klein --“ - -„Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, Herr Oberst, ich würde eine Absage -schicken. Unbedingt. Wenn wir noch irgendeinen Zweifel gehegt haben, -daß Benjamin Mirzl im Spiel ist, so ist er nach der Aussage dieses -jungen Herrn zerstreut; und Mirzl, der die irländischen Kronjuwelen -gestohlen hat, hat wohl auch nichts dagegen, einen regierenden Fürsten -zu stehlen --“ - -„Dieser junge Herr! Wer, zum Geier, ist dieser junge Herr?“ Der Oberst -starrte Allan an wie einen kleinen renitenten Trommelschläger. - -„Mr. Allan K--r--a--g--h,“ buchstabierte der Kommissar aus seinen -Papieren, „aus Schweden.“ - -„Schweden, Norwegen, ist mir total schnuppe. Wer zum Henker ist Mr. -Allan K--r--a--g--h?“ - -„Der Herr, der seine Fürstliche Hoheit in dem mystischen Klub, von dem -Sie gehört haben, Herr Oberst, zuletzt gesehen hat!“ - -„Ah--h--h!“ Der Oberst brüllte auf, wie ein zuschanden geschossener -Tiger. „Sie waren es, Sir, der meinen schwarzen Ado -- Se. Hoheit durch -Gassen und Gäßchen in dieses verdammte Lokal hinaufgelockt hat, wo er -jetzt ausgeraubt und ermordet liegt. Sie waren es, versuchen Sie nicht -zu leugnen! Sie waren es!“ - -Allan, der aufgestanden war, hatte alle Mühe, ernst zu bleiben. -Der Oberst war burgunderrot vor Wut bei dem Gedanken an Allans -Schurkenstreich. Wahrlich, es lohnte sich, gute Werke zu tun und die -Kronjuwelen indischer Fürsten vor dem Gestohlenwerden zu retten! Es -schien eine ebenso dankbare Sache, wie den Personen, welche besagte -Juwelen zu stehlen wünschten, behilflich zu sein, sich ihrem allzu -anhänglichen Vaterland zu entziehen. - -„Nicht ich habe Seine Hoheit dorthin gelockt --“ - -„Doch, Sie! Das sieht man Ihnen an. Ich pfeife auf alles, was Sie da -zusammenreden!“ - -„Ich nicht,“ sagte Allan, der schon befürchtete, daß den Oberst bei -seinem hartnäckigen Leugnen der Schlag treffen könnte. „Es war ein -Mithelfer von Mirzl, von dem Sie den Herrn Inspektor sprechen gehört -haben. Ich wurde selbst in den Klub hinaufgelockt --“ - -„Haha! Hahaha! Hinaufgelockt! Arretieren Sie ihn doch, Inspektor! Er -war es, zu allen Teufeln, das müssen Sie doch sehen und hören.“ - -„Ich wurde selbst von einem anderen Genossen Mirzls in den Klub -hinaufgelockt. Wir wurden freigebig mit Wein bewirtet, ich und der -Maharadscha und der alte Hofdichter, die nach einer Weile in die Loge -kamen, in der ich saß. Darf ich fragen, Herr Oberst, kennen Sie jemand, -der Stanton heißt?“ - -„Stanton? Stilton? Wer zum Teufel ist dieser Stanton?“ - -„Das war der Mann, der Se. Hoheit dort hinaufgelockt hatte.“ - -„Haha! Natürlich! Inspektor --“ - -„Nach einiger Zeit gelang es mir durchzubrennen, und ich kam -glücklicherweise noch zur rechten Zeit, um den Einbruch hier zu -verhindern, der von Mirzl selbst in höchsteigener Person ausgeführt -wurde. Er hatte sich so kostümiert, daß er mir ähnlich sah --“ - -„Gütiger Gott im Himmel, Inspektor, hören Sie, oder sind Sie taub? -Können Sie noch mehr Lügen dieses Menschen hinunterschlucken ohne -daß Sie daran ersticken? Kostümiert wie +er+. Da will ich doch -gleich tot niederfallen, wenn ich je etwas Aehnliches gehört habe! Er -+war+ es, natürlich, er +war+ es, wie ich Ihnen jetzt schon -seit einer Stunde in die Ohren schreie!“ - -„Lieber Oberst, darf ich Sie eines fragen: Kann man zugleich hinter und -vor einer Türe sein?“ - -„Natürlich, wenn man will!“ - -„Das ist nämlich die einzige Möglichkeit dafür, daß der Portier diesen -jungen Herrn einerseits durchs Eingangstor entfliehen sah und ihn -andrerseits, als er mit den Konstablern heraufkam, übel zugerichtet -hier im Zimmer fand.“ - -„Dann ist er einfach durch das Loch im Boden wieder heraufgeklettert.“ - -„Und ist also an den Wächtern vorbei in das Schlafgemach des -Maharadscha gekommen und ohne Leiter durch das Loch im Boden hier -herauf, um den Polizisten in die Arme zu laufen?“ - -Der Oberst verstummte endlich. Die Möglichkeiten, die der Inspektor -dafür dargelegt hatte, daß Allan der Verbrecher war, schienen sogar -seiner bereitwilligen Phantasie etwas zu vage. Er sank auf einen Stuhl -und wischte sich mit dem Taschentuch die Stirne. - -„Aber gütiger Gott im Himmel,“ stöhnte er, „der Minister erwartet uns -um fünf Uhr mit Tee und der Himmel weiß was noch! Und mein Ruf! Und die -Regierung in Indien!“ - -„Sie sollten diesem jungen Mann dankbar sein,“ fuhr der Kommissar -sanft, aber unerbittlich fort, „daß er doch wenigstens verhindert hat, -daß die Juwelen gestohlen wurden. Es hing an einem Haar. Dankbar, ganz -gewiß.“ - -Der Oberst heftete ein blutunterlaufenes Auge auf Allan, das gerade -keine lebhaftere Potenz von Dankbarkeit ausdrückte. Er murmelte etwas -Unhörbares, sprang auf und stürzte zur Türe hinaus. - -Allan sah den Kommissar an, der sein Lächeln erwiderte. Im selben -Augenblicke wurde die Türe aufgerissen, und Mrs. Bowlby sauste herein -wie eine grüne Bombe. Sie erblickte Allan und pflanzte sich vor ihm auf. - -„Haben Sie ihnen von Langtreys Frau erzählt?“ rief sie, sich bald zu -Allan, bald zum Kommissar umwendend. „Ja?“ - -„Langtreys Frau?“ fragte der Kommissar. „Wer ist denn das?“ - -„Eine gräßliche Person,“ rief Mrs. Bowlby triumphierend. „Gräßlich. Sie -steckt hinter der ganzen Geschichte, Sie werden schon sehen.“ - -„Darf ich einen von Ihnen bitten, zu erzählen, aber so klar als -möglich,“ sagte der Kommissar und ergriff die Feder. - -„Darf ich, Mrs. Bowlby?“ sagte Allan. - -Mrs. Bowlby nickte, indem sie sich triumphstrahlend bereit hielt, alle -erforderlichen Randbemerkungen beizusteuern. Allan begann: - -„Unmittelbar vor dem Verhör ist mir eine Sache eingefallen, die mir -zu denken gegeben hat, Herr Inspektor. Offenbar hat Mirzl und seine -Bande über alles, was im Grand Hotel Hermitage vorging, durch Spione -genaue Kontrolle ausgeübt. Es können ja Bediente, Kammerjungfern, -Kellner, Laufburschen gewesen sein, von denen es hier wimmelt. Durch -sie wußten sie Bescheid über die Lokalitäten, und auch, daß ich mich -mit der Familie Bowlby, die die Zimmerflucht über Seiner Hoheit hat, -angefreundet habe. Sie haben erfahren, daß Mr. Bowlby mit Familie -gestern bis spät nachts ausbleiben würde. Diese Sache war schon Freitag -bestimmt, und sie haben sofort ihren Coup geplant. Daß er unter -normalen Verhältnissen diese Form angenommen haben würde, nämlich -daß Mirzl sich gerade in meine Gestalt gehüllt hätte, ist wohl nicht -ausgemacht, wenn auch immerhin möglich. Aber nun kam hinzu, daß Mr. -Bowlby mich gestern, bevor er vom Mittagstisch aufstand, freundlich -aufforderte, ungeniert in sein Rauchzimmer hinaufzukommen, wenn ich -Lust hätte, einen Whisky mit Soda zu trinken. Dies war gegen acht Uhr, -und Mr. Bowlby versprach sogar, seinen Diener zu verständigen, daß ich -vielleicht kommen würde. Frappiert Sie dieses Detail? Wir waren damals -allein bei Tisch; es war niemand vom Personal in der Nähe. Sollte -Mirzl das im letzten Moment erfahren haben, hat es ihn natürlich in -seiner Wahl der Verkleidung bestimmt. Aber wie konnte er es erfahren -haben? Wie ich Ihnen schon sagte, war niemand von der Dienerschaft in -der Nähe. Aber kurz nachdem Mr. Bowlby mit seiner Familie gegangen -war, warf ich zufällig einen Blick nach rechts, von unserem Tisch -aus gerechnet; und da, tief im Schatten der Palmen, die diesen Teil -des Speisesaales dekorieren, und so gut wie von ihnen verborgen, saß -eine Dame, von der Mrs. Bowlby behauptet, daß sie von zweifelhaftem -Charakter ist, eine Amerikanerin aus guter Familie, die vor mehreren -Jahren aus Amerika durchgegangen ist und sich vermutlich hier in Europa -mit einem Abenteurer zusammengetan hat. Ihr Name ist Mrs. Langtrey ...“ - -„Und heute,“ ertönte Mrs. Bowlbys schrille Stimme wie ein Trompetenton, -„heute um halb acht Uhr morgens ist Mrs. Langtrey aus dem Hotel -verschwunden, nachdem sie ein Lokal-Expreßtelegramm bekommen hat!“ - - - - -VIII - -Mynheer van Schleetens Erlebnisse - - -Mynheer van Schleetens Leben hatte seine Wechselfälle gehabt; das -Angenehme daran für Mynheer van Schleeten war, daß sie sich in einer -stets aufsteigenden Kurve bewegt hatten. Aus einem Unbekannten war -er eine europäische Berühmtheit geworden; aus einem armen Schlucker -ein reicher Mann, aus einem reichen ein noch reicherer. In dem -Jahre, in dem Yussuf Khan von Nasirabad seinen ersten Besuch in dem -Weltteil machte, war Herr van Schleeten in demselben der berühmteste -Juwelenspezialist. Wie Mr. Bowlby schon Allan Kragh mitgeteilt hatte, -hatte er das Diadem angefertigt, das die französische Republik bei -einem denkwürdigen Anlaß der Kaiserin von Rußland sandte, und noch ein -Dutzend ähnlicher Dinge. Sein Hauptgeschäft war in Amsterdam, aber sein -Beruf brachte es mit sich, daß er sich fast ebensoviel in Berlin, Paris -und London aufhielt wie in seiner Heimatstadt. In allen diesen Städten -hatte er Filialen oder Korrespondenten. - -Ende August des obenerwähnten Jahres hatte er in Berlin (wo er sich im -Auftrage eines später geadelten Finanzmannes befand, dessen Name mit -B. anfängt) einen Brief von seinem Korrespondenten in London erhalten, -daß ein gewisser Oberst Morrel seine Dienste für seinen Schützling, -den Maharadscha von Nasirabad wünsche. Mynheer van Schleeten, der noch -nie mit orientalischen Fürsten zu tun gehabt, aber um so mehr von ihren -Juwelen gehört hatte, hatte sich beeilt, das Anerbieten anzunehmen, -namentlich da es von einem sehr schmeichelhaften Honorarvorschlag -begleitet war. Er teilte seine Freude den Zeitungen mit, die sich in -mehreren Notizen mit ihm freuten. Es handelte sich um neue Fassungen -und Aenderungen der Edelsteine des Maharadscha. Der junge Fürst war -etwas exzentrisch, und war der Dinge, die seit tausend Jahren dasselbe -Aussehen hatten, müde geworden. - -Anfangs September reiste Mynheer van Schleeten nach Hamburg, wo er ein -kleineres Geschäft hatte; und am selben Tage, an dem Herr Allan Kragh -aus Schweden in dieser Stadt ankam, verließ Herr van Schleeten sie mit -dem Morgenexpreß nach Paris, wohin ihn eine kleine Angelegenheit rief, -die ihm gestattete, ganz bequem zur festgesetzten Zeit in London zu -sein. - -Mynheer van Schleetens Erlebnisse begannen im Expreß. - -Er war als Holländer ein phlegmatischer Herr; die Erfolge, die er in -seinem fast sechzigjährigen Leben gehabt, hatten dazu beigetragen, -dieses holländische Phlegma noch zu erhöhen. Er ereiferte sich selten; -er hatte nur zwei Passionen, denen er sich in passender, phlegmatischer -Weise hingab. Die eine, die mit den Jahren gekommen war, galt altem -molligem Bordeaux; die andere, die mit den Jahren etwas abgenommen -hatte, jungen molligen Frauen. Mynheer van Schleetens Jugend war von -verschiedenen lustigen Soupers in Damengesellschaft belebt gewesen; -sein phlegmatisches Temperament hatte ihn jedoch abgehalten, so oft zu -soupieren, daß es ihm die Fähigkeit oder die Freude am Dinieren geraubt -hätte. In späteren Jahren hatte Herr van Schleeten viel häufiger -diniert als soupiert. Das ging auch aus seinem Aussehen hervor; seine -Nase war groß, gebogen, und hatte allmählich die Farbe des guten -französischen Weines angenommen, in dem er sie am liebsten spiegelte. -Sein gelbgrauer Schnurrbart war bei diesen Libationen gewachsen wie -ein Baum, am Bachesrand gepflanzt; und wenn Herr van Schleeten jetzt -trank, hing er auf das Bordeauxglas herab wie ein Grasbüschel über ein -Bächlein. - -Diese Bemerkungen werden vorausgeschickt, um Herrn van Schleetens -Abenteuer im Expreß Hamburg-Köln und später zu erklären. - -Sogleich, nachdem Herr van Schleeten seinen Platz in einem Coupé erster -Klasse eingenommen hatte, -- seiner Gewohnheit gemäß den Fensterplatz -in der Fahrtrichtung -- kam eine Dame ins Coupé. Sie betrachtete einen -Augenblick Herrn van Schleeten, der sie seinerseits betrachtete. Er -konstatierte, daß sie jung, ziemlich mollig war und sehr hübsch aussah, -wenn auch ein bißchen hochmütig, und daß er folglich in der Zeit seines -Leichtsinnes nichts dagegen gehabt hätte, mit ihr zu soupieren. Welche -Resultate ihre Prüfung seiner Person ergaben, ist unbekannt; jedoch -waren sie offenbar befriedigend, denn sie placierte ihre Reiseeffekten -in das Netz und sich selbst auf dem Sitz gegenüber Herrn van -Schleeten. Dann setzte sich der Zug in Bewegung, und Herr van Schleeten -versenkte sich, um seine phlegmatische Natur zu dokumentieren, in das -Studium der Morgenzeitungen. - -Es dauerte bis Bremen, bevor sich etwas ereignete. - -Kaum war der Zug in dieser Station stehen geblieben, als Herr van -Schleeten Schritte im Korridor hörte und sah, wie die Türe seines -Coupéabteils von einem jungen Manne geöffnet wurde, der auf der Suche -nach einem Platz zu sein schien. Herr van Schleeten konstatierte, daß -der junge Mann ein ganz sympathisches Aussehen hatte; aber da er es -höchst ungerne sah, wenn das Coupé, in dem er reiste, mehrere Personen -beherbergte, betrachtete er den jungen Mann mit einer bestimmten, -barschen, abweisenden Miene, die ausdrücken sollte: Gehen Sie in -das nächste Coupé, junger Freund. Ohne sich im geringsten daran zu -kehren, ließ sich der junge Mann ungeniert auf Herrn van Schleetens -Sofa nieder, ihm dadurch alle Chancen raubend, sich nach dem Lunch -auszustrecken und ein kleines Schläfchen zu machen. Herr van Schleeten -repetierte seinen barsch abweisenden Blick und legte noch eine Portion -wohlerzogenen Staunens über ein solches Betragen hinein. Leider merkte -er, daß dieser Blick an den jungen Mann (der übrigens gar kein Gepäck -hatte) verschwendet war; dieser war ganz und gar damit beschäftigt, -Herrn van Schleetens schönes Visavis mit den Augen zu verschlingen; sie -ihrerseits schien eingeschlummert zu sein. Herr van Schleeten gab sich -selbst seine Ansichten über die jungen Leute von heute kund, und nahm -nach einer Weile sein Studium der Morgenblätter wieder auf. - -Die nächste Episode ereignete sich, als der Zug etwa eine halbe Stunde -weitergesaust war. Die Coupétüre wurde plötzlich wieder geöffnet, -diesmal zu Herrn van Schleetens Befriedigung vom Kondukteur, der die -Fahrkarten zu sehen wünschte. Der junge Mann wies die seine vor, die -zu Herrn van Schleetens Enttäuschung in Ordnung zu sein schien. Der -Schaffner wendete sich nun an Herrn van Schleeten, betrachtete seine -Fahrkarte und hustete dann zweimal ein „Gnädige“, um die Aufmerksamkeit -der jungen Dame zu erregen, die Herrn van Schleeten gegenüber saß. Dies -erwies sich jedoch als vergeblich. Sie schlief noch immer. Der junge -Mann schien einen Augenblick nachzudenken, dann beugte er sich vor und -tätschelte Herrn van Schleetens Visavis sanft das Knie. - -Die Wirkung war eine momentane. Die junge Dame schnellte von ihrem -Platze auf, warf ihm einen furchtbaren, empörten Blick zu, starrte um -sich, reichte dem Schaffner die Karte und brach dabei in eine Sturzflut -von englischen Worten aus: Wie konnte dieser junge Mann es wagen? -Was meinte er eigentlich? Konnte man nicht in Europa reisen (sie war -also Amerikanerin), ohne beleidigt zu werden? Herr van Schleeten fand -ihren Zorn etwas übertrieben, in Gedanken an die Damen amerikanischer -Abstammung, die er sowohl am Knie wie auch anderswo getätschelt hatte; -aber als er bedachte, daß er durch eine feindselige Haltung den jungen -Mann möglicherweise von seinem (Herrn van Schleetens) Sofa vertreiben -konnte, hütete er sich wohl, sie zu unterbrechen. Plötzlich wendete sie -sich an ihn: - -„Sir, haben Sie gesehen, ob dieser junge Mensch sich noch andere -Freiheiten gegen mich herausgenommen hat, während ich schlief?“ - -„Ich weiß nicht,“ sagte Herr van Schleeten diplomatisch, noch immer in -Gedanken an sein kleines Mittagschläfchen. „Ich habe Zeitungen gelesen.“ - -„Es ist gut!“ - -Sie setzte ihre Ausfälle gegen den jungen Mann fort, der zuerst ganz -verblüfft zugehört hatte und nun zu einer Entgegnung ansetzte. Sie -unterbrach ihn sofort. - -„Wie können Sie es wagen, mich anzusprechen?“ - -Nun wurde es ihrem Widersacher zu toll. Er erhob sich zu Herrn van -Schleetens Entzücken von dem Sofa und verschwand in den Korridor. -Im selben Augenblick verspürte Herr van Schleeten eine leise Reue, -daß er dazu geholfen hatte, ihn in die Flucht zu jagen: es würde -wohl nicht sehr angenehm sein, allein mit solch einer empfindlichen, -streitsüchtigen, kleinen Xantippe zu reisen. Kaum war jedoch der -junge Mann zur Türe hinaus, als sie ihr Aussehen veränderte wie ein -Aprilhimmel und sich mit dem sonnigsten Lächeln der Welt Herrn van -Schleeten zuwendete: - -„Ich war vielleicht ein bißchen heftig,“ sagte sie, „aber ich kann nun -einmal die Zudringlichkeit solcher junger Laffen nicht vertragen.“ - -Sie legte einen Akzent auf „solche junge Laffen“, der Herrn van -Schleeten angenehm berührte. Er konstatierte, daß sie weiße starke -Zähne hatte, und daß ihre Augen, wenn sie lächelte, ungewöhnlich -anziehend waren. Der Farbe nach waren sie grau; grau war mit den Jahren -Herrn van Schleetens Lieblingsfarbe geworden, nachdem er in allzuviel -blaue und schwarze Augen zu tief gesehen und dafür hatte büßen müssen. - -„Madame,“ sagte er, „die Zudringlichkeit dieses jungen Mannes war -einfach unerhört.“ - -Bald waren sie in ein interessantes Gespräch vertieft, das nur dadurch -unterbrochen wurde, daß der Speisewagenkellner in ihr Coupé kam und -meldete, daß das Diner serviert sei. Obgleich Herr Van Schleeten jetzt -mit sich schon darüber einig war, daß er gar nichts dagegen hätte, -mit seinem Visavis zu soupieren, schob er den Gedanken daran doch bis -auf weiteres auf, und schlug ihr vor, mit ihm zu dinieren. Sie nickte -gnädig: - -„Natürlich unter der Voraussetzung, daß ich selbst für mich bezahle.“ - -Herr van Schleeten verbeugte sich. - -Nach dem Mittagessen, das bei gutem alten Bordeaux auf das angenehmste -verstrichen war, vergingen einige Stunden, bis Herr van Schleeten -wieder etwas von dem jungen Mann sah, der gedroht hatte, ihn seines -Mittagschläfchens zu berauben. Gegen die junge Dame, die ihm diesen -Genuß nun tatsächlich geraubt hatte, hegte er keinerlei Groll; sie -hatte ihm durch ihre höchst flirtoyante Konversation soviele andere -bereitet. Der Zug stand in Köln, als Herr van Schleeten und die junge -Amerikanerin, deren Name, wie er jetzt wußte, Mrs. Langtrey war, -durch aufgeregte Stimmen im Korridor mitten aus einem interessanten -Meinungsaustausch, ob gemeinschaftliche Schulen für Knaben und Mädchen -ratsam seien, gerissen wurden. Sie blickten hinaus und sahen den jungen -Mann, der sie beide zum Zorn gereizt hatte, in Gesellschaft eines -Polizeikonstablers und eines Zivilisten verschwinden, den Herr van -Schleeten sofort als Detektiv agnoszierte. Herr van Schleeten sah Mrs. -Langtrey an. Mrs. Langtrey sah ihn an und rief: - -„Sehen Sie, was habe ich gesagt! Ich habe es förmlich im Gefühl, wenn -ich in der Nähe eines Verbrechers bin!“ - -Während Herr van Schleeten ihr seine Bewunderung für diese Clairvoyance -ausdrückte, mußte er sich selbst gestehen, daß seine Gefühle für sie -durchaus nicht telepathischer Natur waren. - -Bei der Ankunft in Paris um halb elf Uhr abends machte es sich ganz -natürlich, daß sie im selben Hotel abstiegen. Herr van Schleeten wählte -ein ruhiges Familienhotel in der Nähe der Madeleinekirche, und sie -erklärte sich damit einverstanden. Wie sie sagte, war sie noch nie in -Paris gewesen. Sie war mit einem der Schiffe der Hamburg-Amerika-Linie -herübergekommen und reiste nur, um den Schmerz über den Verlust ihres -ersten Mannes zu betäuben, der gestorben war, und einem zudringlichen -Freier auszuweichen, der sich einbildete, daß sie ihn liebte. - -Herr van Schleeten war gerne bereit, ihr schon am ersten Abend in Paris -behilflich zu sein, alle Schmerzen zu vergessen, aber er fand keine -Gelegenheit dazu. Nach einer Tasse Tee verschwand Mrs. Langtrey in ihr -Zimmer. - -Zwei Tage später fuhren sie nach London, noch immer zusammen. Sie hatte -ein Telegramm bekommen, das sie zwang, am selben Morgen wie Herr van -Schleeten hinzufahren; sie würde im Grand Hotel Hermitage absteigen. -Bei der Ankunft in Charing Croß drückte sie Herrn van Schleeten so -ungeschminkt herzlich die Hand, wie es nur eine junge Amerikanerin -wagt, und bat ihn am nächsten Tage zum Diner im großen Hotel ihr Gast -zu sein. - -Dieses Diner war entzückend; vor allem dekretierte sie mit -Prinzessinnenmiene, daß nur sie allein bezahlen dürfe. Herr van -Schleeten war der Gastgeber vieler junger Damen gewesen, doch nie der -Gast einer Dame. Es war ein eigentümlich prickelndes Gefühl, so etwa -wie ein neuer holländischer Likör. Er beeilte sich zu betonen, daß dies -nur unter der Voraussetzung denkbar sei, daß sie sobald als möglich mit -ihm im Savoy soupieren wollte. Sie akzeptierte, immer mit derselben -freimütigen Prinzessinnenmiene. - -Beim Abschluß dieses Mittagessens entdeckten Herr van Schleeten und -seine Partnerin zu ihrem Staunen an einem Tisch im Speisesaal des -Hotels keinen Geringeren als den jungen Mann aus dem Eisenbahnzug. - -„Sollten wir nicht eigentlich die Polizei verständigen, Mrs. Langtrey?“ -sagte Herr van Schleeten. - -Mrs. Langtrey schüttelte ihr schönes Haupt. - -„Ich liebe meine Nächsten immer, wenn ich Champagner getrunken habe,“ -sagte sie. - -Herr van Schleeten beschloß, daß beim Souper im Savoy Champagner und -nicht Bordeaux serviert werden sollte. - -Dies war Donnerstag, den 11. September. Herrn van Schleetens Geschäfte -zwangen ihn zu einer Spritztour nach Amsterdam, die auf die nächsten -drei Tage Beschlag legte. Als er Montag, den fünfzehnten, zu früher -Morgenstunde nach London zurückkehrte, erwartete ihn die Mitteilung, -daß Seine Hoheit, der Maharadscha von Nasirabad am selben Tage in -der Weltstadt eintreffen sollte, und, um sobald als möglich mit -präsentablen Juwelen auftreten zu können, sein sofortiges Erscheinen im -Grand Hotel Hermitage wünschte. - -Herr van Schleeten empfand einen Augenblick Verwunderung, daß Seine -Hoheit und Mrs. Langtrey dasselbe Hotel gewählt hatten, aber vergaß -sie bald über der angenehmen Perspektive, sie im Hotel zu treffen und -das Datum für das kleine Souper festzusetzen, das er nun halb und halb -an einen bedeutend diskreteren Ort als das Savoy zu verlegen gedachte, -beispielsweise seine eigene überaus diskrete Privatwohnung. Er verfügte -sich ohne Aufschub in das Hotel. - -Der Direktor empfing ihn selbst und führte ihn in die Suite des -Maharadscha im ersten Stock. Nach ein paar Minuten des Wartens wurde -Herr van Schleeten in die Privaträume des Maharadscha geleitet, und sah -sich einem bräunlichen, etwas korpulenten, jungen Manne mit dunklem -Schnurrbart gegenüber, offenbar Sr. Hoheit, einem graubärtigen alten -Hindu, dessen Identität ihm unbekannt blieb, und einem Engländer von -militärischem Typus mit weißem Schnurrbart. Der letztere ergriff das -Wort: - -„Sie sind Mr. van Schleeten aus Amsterdam, Spezialist in Juwelen?“ - -„Ja.“ - -„Seine Hoheit wünscht Sie wegen Aenderungen einiger besonders -wertvoller Schmuckstücke zu konsultieren. Sie verstehen, besonders -wertvoll!“ - -„Wertvoll!“ unterbrach der junge Maharadscha, „Morrel Sahib, wie könnt -Ihr sie wertvoll nennen! Sie sind ebenso unwürdig der weißen Fürstinnen -wie ich selbst. Vielleicht können sie ihrer würdig werden durch die -Hilfe dieses Mannes, dessen Belohnung und Ehre in solchem Falle nicht -gering sein werden.“ - -„Kann ich die Schmucksachen sehen?“ sagte Herr van Schleeten, der -fand, daß dieser Meinungsaustausch den Juwelen kein gutes Prognostikon -stellte, und der an Mrs. Langtrey dachte. - -Auf einen Ruf von Oberst Morrel öffneten sich die Türen zu -einem inneren Gemach, und zwei schwarze Diener von ernstem und -drohendem Aussehen kamen herein, eine eisen- und kupferbeschlagene -Mahagonikassette von ansehnlichen Proportionen schleppend. Die -schwarzen Diener verschwanden wieder, Herr van Schleeten wurde -aufgefordert, sich abzuwenden und hörte einiges Knirschen und Knacken. -Offenbar wurde diese Kassette durch ein verwickeltes Sesam geöffnet, in -das man ihn nicht einweihen wollte. - -Nun, wenn die Steine nicht besser waren, als der Maharadscha meinte, -dann! Glaubten sie vielleicht, daß er das erstemal Juwelen sah? Nun -wurde er aufgefordert, sich umzudrehen. Er tat es und wäre fast -umgefallen. - -Natürlich hatte er von den Juwelenkammern der orientalischen -Fürsten gehört und hatte selbst die Mehrzahl ihrer europäischen -Kollegen gesehen, aber das übertraf seine wildesten Phantasien. -Das war Tausendundeine Nacht. Das war der Todesstoß sogar für sein -holländisches Phlegma. Eine Flut von verschiedenfarbigen Steinen, von -denen ein jeder würdig war, ein Kronjuwel zu sein; ein Springbrunnen -von Licht; schwere blaue Trauben von Saphiren; Perlenschnüre, die sich -durch das Juwelengewühl ringelten wie matt blinkende graue Schlangen; -Smaragden, brennend wie Raubtieraugen; ein Blutgeriesel von Rubinen -über dem Ganzen, so, als wäre irgendein unredlicher Wächter über -der Truhe geköpft und gezwungen worden, sein Blut über ihren Inhalt -sprühen zu lassen -- und überall zwischen die anderen versprengt, -Diamanten und Diamanten, deren kaltes Feuer wie Wintersterne und -Nordlicht flammte. Diese ganze Eruption von farbenstrahlendem, aus sich -selbst geborenem Licht, die Herrn van Schleeten entgegengeschleudert -wurde, benahm ihm fast den Atem. Erst nach einiger Zeit sah er die -Einzelheiten, die seltenen Steine, deren Ton von dem normalen abwich; -schwarze Diamanten und Diamanten, deren blaue Farbe die Morgenbläue -um die Bergfirne des Himalaya war; Smaragden, deren grüner Glanz in -einen Opalton überging wie ein eben entflammter Abendhimmel, Rubine, -deren rotes Blut einen Stich ins Blaue hatte, wie um ihren uralten Adel -zu zeigen -- schließlich auch die Goldfassung um die Steine. Sie war -schwer, phantastisch, zuweilen grotesk, aber welcher Gedanke, sie zu -modernisieren! Herr van Schleeten schöpfte tief Atem und stammelte an -den Maharadscha gewendet: - -„Und Hoheit wollen, daß ich das ändere?“ - -„Natürlich,“ sagte Yussuf Khan würdevoll. „Warum hätte ich Euch sonst -durch Oberst Morrel Sahib rufen lassen? Er hat mir gesagt, daß Ihr in -Europa der erste unter jenen seid, die edle Steine behandeln. Obwohl -die meinen von geringem Werte sind und Euch nicht fesseln können, bitte -ich Euch doch, sie der weißen Fürstinnen so würdig zu machen, als sie -werden können. Wisset, daß ich in Europa bin, um eine Sahibprinzessin -zu erringen. Und denkt daran, wenn Eure Hand an diesen Steinen -arbeitet. Euer Lohn und Eure Ehre werden groß sein.“ - -Herr van Schleeten, dessen Augen an der Kassette und ihrem Inhalt -hingen, wie die des Vogels am Reptil, wollte eben neue Einwände -erheben, als Oberst Morrel ihm zuvorkam. - -„Die Sache ist durch den Willen Seiner Hoheit entschieden,“ sagte er -scharf. „Wollen Sie die Arbeit übernehmen oder müssen wir uns an einen -anderen wenden? Lassen Sie mich das gleich wissen.“ - -Herr van Schleeten stand noch einen Augenblick stumm da, bevor es ihm -gelang zu erwidern: - -„Natürlich ... wenn es der Wille Seiner Hoheit ist ... Aber darf ich -fragen, in welcher Richtung Seine Hoheit wünscht, daß ...“ - -„Welche Richtung immer,“ unterbrach der Oberst. „Bestimmen Sie selbst. -Es ist ja Ihre Spezialität.“ - -Herr van Schleeten stand einen Augenblick stumm da und hörte den Oberst -in sich hineinmurmeln: - -„Welche gottverdammte Richtung immer, kommt schon auf eins heraus.“ - -Herr van Schleeten begann zu verstehen, wie die Dinge standen, und fuhr -fort: - -„Ist es gestattet, daß ich die Juwelen Seiner Hoheit in mein Atelier -hier in London bringe, oder --“ - -„Sie müssen hier arbeiten,“ sagte der Oberst. „Sie bekommen ein Zimmer -zu Ihrer Verfügung, und dorthin müssen Sie die Instrumente, die Sie -brauchen, schaffen lassen. Außerdem müssen Sie schon entschuldigen, -wenn vor dem Arbeitszimmer von der Leibgarde Sr. Hoheit Wache gehalten -wird. Es ist nicht Ihretwegen, sondern um einem Attentat von außen -vorzubeugen.“ - -„Ich verstehe,“ murmelte Herr van Schleeten, den Blick auf die Kassette -und ihren Inhalt geheftet. „Und wann soll ich anfangen?“ - -„Sobald als möglich, sobald als möglich!“ rief der Maharadscha eifrig. -„Am besten heute.“ - -„Heute, fürchte ich, muß ich mich damit begnügen, meine Instrumente -herzubringen,“ sagte Herr van Schleeten, „aber morgen.“ - -„Nun gut, morgen! Und Ihr versprecht, so rasch zu arbeiten, als Ihr -könnt, nicht wahr? Eure Ehre und Eure Belohnung werden nicht gering -sein, so wahr ich Yussuf Khan von Nasirabad bin, Sohn des Ibrahim Khan.“ - -„Ich werde mein Möglichstes tun, Hoheit,“ sagte Herr van Schleeten und -verabschiedete sich unter tiefen Verbeugungen. „Wenn es notwendig sein -sollte, werde ich Tag und Nacht arbeiten.“ - -Der Maharadscha klatschte vor Freude in die Hände, als er zur Türe -hinausschritt. Herr van Schleeten sah die schwarzen Diener auf einen -Ruf ihres Herrschers hereineilen. - -Zu seiner Enttäuschung fand er, daß Mrs. Langtrey ausgegangen war, als -er sich beim Portier nach ihr erkundigte. Er schrieb einige Zeilen, -in denen er sie fragte, ob er sie nicht treffen könnte, bevor er am -nächsten Tage seine Arbeit in der Wohnung des Maharadscha begann, und -bat den Portier sie zu übergeben. - -Dies war am 15. September. Dienstag, der 16., brachte für Herrn van -Schleeten ungeahnte Ueberraschungen. - -Schon aus dem Gesicht des Portiers konnte er, als er sich gegen zehn -Uhr im Grand Hotel Hermitage einfand, sehen, daß nicht alles so war, -wie es sein sollte. Er war kaum zur Türe herein, als der Portier den -Direktor anklingelte und ihn bat, ins Kontor hinunterzukommen. Herr van -Schleeten beugte sich diskret zum Portier vor. - -„Ich habe Ihnen gestern ein Briefchen gegeben,“ sagte er mit einem -bedeutungsvollen Blick und strich sich seinen gelbgrauen Schnurrbart. - -Der Portier schien einen Augenblick nachzudenken. - -„Ach ja!“ sagte er, „gewiß. An die Dame auf Nr. 320/21. Sie ist -abgereist, ohne eine Antwort zu hinterlassen.“ - -„+Sie ist abgereist!+“ - -In seiner Verblüffung und Enttäuschung sprach Herr van Schleeten in -gesperrten Lettern wie ein Schauspieler. - -„Sie ist heute morgen abgereist,“ sagte der Portier, „so gegen halb -acht. Kurz zuvor ist ein Expreß-Telegramm gekommen.“ - -„Aus Amerika,“ murmelte Herr van Schleeten, plötzlich überzeugt, daß -der zudringliche Freier aufgetaucht war. Was würde nun aus dem Souper -werden? - -„Nein, aus Paddington,“ sagte der Portier. „Ich habe es zufällig auf -dem Blankett gesehen. Hier kommt der Herr Direktor.“ - -Herr van Schleeten, der in diesem Augenblick den Direktor des großen -Hotels durch die Halle herankommen sah, war von dem Schlage, den der -Portier ihm ahnungslos versetzt hatte, so betäubt, daß er weder denken -noch sprechen konnte. Es dauerte darum eine Weile, bis er merkte, daß -der Direktor ebenso aufgeregt war wie er selbst. - -Er blieb vor Herrn van Schleeten stehen und schien nach Worten zu -suchen. Endlich fiel es Herrn van Schleeten auf, wie eigentümlich es -doch war, daß man den Direktor überhaupt gerufen hatte. Er hatte ja gar -nichts mit ihm zu tun. Er wollte eben fragen, was denn los sei, als der -Direktor sich zu einem Entschluß aufzuraffen schien. - -„Wollen Sie mit mir zum Herrn Oberst kommen, Herr van Schleeten,“ sagte -er. „Sprechen Sie mit ihm selber; das wird das beste sein.“ - -„Ja, was gibt es denn?“ fragte Herr van Schleeten erstaunt. - -„Sie müssen über das, was ich Ihnen sage, Diskretion bewahren, Herr van -Schleeten, aber Sie müssen doch in die Sache eingeweiht werden. Der -Maharadscha ist verschwunden, und in seiner Wohnung ist heute nacht -ein Einbruch verübt worden.“ - -„Einbruch!“ stammelte Herr van Schleeten, für den Augenblick Mrs. -Langtrey und alles andere vergessend, als die wunderbaren Juwelen. -„Sind die Juwelen gestohlen?“ - -„Nein, glücklicherweise wurde der Diebstahl im letzten Moment von einem -jungen Manne verhindert, der hier im Hotel wohnt. Aber der Maharadscha -ist verschwunden, und Gott weiß, wann wir ihn wiedersehen.“ - -Herr van Schleeten brachte kein Wort der Erwiderung hervor. Was -waren das für Mysterien? Sowohl Mrs. Langtrey wie der Maharadscha -verschwunden! Waren sie zusammen durchgegangen? Hatte er sie entführt? -Dann, bei allen Mächten der Unterwelt, wollte sich Herr van Schleeten -mit den Juwelen nicht mehr abgeben, als mit dem Schmutz der Straße. -„Wann ist er verschwunden?“ stammelte er. - -„Gestern abend. Er wurde an irgendeinen infernalischen Ort gelockt und -konnte nicht wieder gefunden werden. Aber um Gottes willen, seien Sie -diskret!“ - -Herr van Schleeten atmete wieder. - -Herrn van Schleetens Unterredung mit Oberst Morrel auf dessen Zimmer in -der fürstlichen Suite war summarisch. Er fand den Oberst von einer Wand -zur anderen rennend, wie ein frisch gefangener Tiger und kaum weniger -blutdürstig anzusehen. - -„Was zum Geier gibt es?“ war sein artiger Begrüßungsruf. - -„Dies ist Herr van Schleeten, Herr Oberst,“ sagte der Direktor. „Der -Juwelier, der --“ - -„Juwelier her, Juwelier hin! Wenn mein schwarzer Diamant beim Teu--“ - -Herr van Schleeten begann sich verletzt zu fühlen. Er hatte -augenblicklich selbst seine Sorgen und fand sie groß genug, um nicht -noch mit denen anderer belastet zu werden. Er machte einen Schritt auf -die Türe zu. - -„Ich werde meine Instrumente wieder holen lassen,“ sagte er mit -eiskalter Stimme, „gestatten Sie mir, Ihnen zu sagen, Herr Oberst, daß -ich nicht --“ - -„Gut! Gut! Zum Teufel hinein!“ rief der Oberst, aber hielt dann -inne, von einem Gedanken gepackt. „Ja, richtig -- es ist ja doch -eine Möglichkeit, daß die Blindschleichen dort oben (offenbar Oberst -Morrels Kosename für die Detektive) meinen schwarzen Ado -- Sr. Hoheit -finden ... Also arbeiten Sie nur nach Belieben, mein bester Herr van -Schleeten, ganz nach Belieben. Dann erweisen Sie meinem schwar... Sr. -Hoheit einen großen Dienst. Adieu!“ - -Der Oberst stürzte zur Türe hinaus und schlug sie mit einem Krach zu, -der an einen Felssturz gemahnte. Der Direktor wendete sich mit einem -entschuldigenden Lächeln Herrn van Schleeten zu. - -„Der Oberst ist ein bißchen erregt,“ sagte er. „Nehmen Sie es nicht -krumm, Herr van Schleeten, Sie wissen, ein alter Soldat ... er hat es -momentan nicht sehr angenehm.“ - -„Das ist kein Grund, mich zu behandeln wie einen Kutscher, der falsch -gefahren ist,“ sagte Herr van Schleeten mit gerunzelter Stirne. „Ein -jeder hat seine Sorgen.“ - -„Herr van Schleeten, Sie sind doch ein Weltmann. Beachten Sie den -schlechten Humor eines alten Herrn nicht. Gestatten Sie mir, Sie in das -Zimmer zu führen, das für Sie reserviert ist.“ - -Noch etwas grollend wurde Herr van Schleeten in den Arbeitsraum -geleitet. Der erste Anblick der märchenhaften Edelsteine war genug, -um ihn sowohl den Obersten wie Mrs. Langtrey vergessen zu lassen. Er -verbrachte eine Stunde damit, sie einen nach dem anderen zu bewundern; -zwei damit, nachzudenken, wie er die Fassungen „ändern“ sollte, damit -sie nach dem Geschmack des Maharadscha ausfielen. Dann klingelte er -und ließ sich ein leichtes Frühstück mit einer halben Chateau-Lafitte -bringen und machte sich dann gegen zwei Uhr an die Arbeit. Er blieb bis -sieben Uhr dabei und merkte kaum, wie die Zeit verflog, so hypnotisiert -war er von den Steinen; was er hingegen, als er seine Instrumente -weglegte, merkte, war, daß er eine Hilfskraft haben mußte, wenn er die -Arbeit in annehmbarer Zeit fertig bringen sollte, ganz abgesehen von -der nervösen Eile des Maharadschas. Gegen halb acht Uhr verließ er das -Hotel. - -Die schwarze Leibgarde hielt noch immer treue, stumme Wache vor -den Türen des Arbeitsgemaches. Herr van Schleeten sprach sie im -Vorüberstreifen auf englisch an, aber bekam keine Antwort. Offenbar -verstanden sie nur ihre Muttersprache. - -Unten auf der Straße angelangt, ging er anfangs halb abwesend durch -das Menschengewühl. Der Septemberabend war etwas kühl, mit einem -herbstlichen Ton in der Luft. Herr van Schleeten, dessen Kopf ganz von -den wunderbaren Steinen erfüllt war, wurde sich erst nach einiger Zeit -bewußt, daß er Hunger hatte. - -Er ging in ein kleines französisch-italienisches Restaurant, an dessen -Türe er gerade vorbeikam, setzte sich nieder, und wählte einige -Gerichte _à la carte_ und eine Halbe Kirwan-Cantenac. Er war zum -Kompott nach dem Huhn gekommen, als er aufblickte und sah, daß Mrs. -Langtrey an seinem Tische stand, allein, im Straßenkleid. - -Herr van Schleeten flog in die Höhe. - -„Sie!“ rief er. „Sie!“ - -„Ja, ich ...“ murmelte sie. „Ah, daß ich Sie treffe! ... Gott sei Dank! -Gestatten Sie, daß ich mich niedersetze?“ - -Herr van Schleeten riß einen Stuhl unter dem Tisch mit einem Schwung -hervor, als wollte er ihn als Wurfgeschoß verwenden und half ihr die -Ueberkleider ablegen. Das kleine Souper winkte, und in dem rosigen -Wachskerzenschein seiner Hoffnungen sah er sich ihr schon weit mehr -ablegen helfen als die Ueberkleider. Sie ließ sich nieder und blätterte -zerstreut in dem Menü, das der französische Kellner sich beeilt hatte, -ihr zu überreichen. - -„Aber heute abend müssen Sie mir gestatten,“ sagte Herr van Schleeten -hastig. „Geben Sie mir die Weinkarte, Kellner.“ - -Sie nickte leicht und wählte ein paar Speisen. Herr van Schleeten, der -die Champagnerliste durchforschte, bemerkte, daß sie auf französisch -bestellte. Er war ein bißchen verwundert, und nachdem der Kellner -verschwunden war, sagte er: - -„Ich habe geglaubt, Sie waren nie in Frankreich, Mrs. Langtrey.“ - -„In Frankreich?“ wiederholte sie nach einem Augenblick. „Nein, warum -denn? Ach so, weil ich Französisch spreche! Das tut doch jeder -gebildete Mensch.“ - -Herr van Schleeten beeilte sich, das einzuräumen. - -Erst beim Dessert begannen sie von ihm und dem, was er vor hatte, -zu sprechen. Die Zeit bis dahin war mit ihren Berichten über die -Gründe ihrer überstürzten Abreise ausgefüllt gewesen, und Herrn van -Schleetens Sympathieausbrüchen bei der Anhörung derselben. Es war -dieser zudringliche Freier! Natürlich! Der brutale Egoist! (Herrn van -Schleetens Generalurteil.) Der rücksichtslose Geselle. Ganz einfach -telegraphieren: „Ich komme, erwarten Sie mich,“ und sich einbilden, daß -alles in Ordnung ist! Daß die Heirat ohne weiteres stattfinden kann! -Ach, was für verächtliche Typen es doch in der menschlichen Komödie -gibt (Herr van Schleeten); Wie schwer das Leben für eine arme Frau -ohne Freunde ist (Mrs. Langtrey); Aber schön für den, der +einen -einzigen+ guten Freund hat (Herr van Schleeten). - -„Wollen Sie wirklich mein Freund sein?“ murmelte sie. - -Herr van Schleeten erklärte sich bereit, diese Rolle ohne alle -Einschränkungen zu übernehmen. - -„Mein wirklich guter Freund, nichts anderes?“ setzte sie fort. - -Herr van Schleeten ging auch darauf ein, allerdings nicht so eifrig wie -auf das erste Programm. Aber er schenkte noch Champagner in ihr Glas, -im Vertrauen auf diesen gelben Wein, im Notfalle auf die Zukunft. Sie -war ja Amerikanerin, und die Amerikanerinnen -- man weiß schon. Ein -bißchen Belagerung. - -„Wie froh bin ich, daß ich Sie getroffen habe!“ flüsterte sie und ließ, -wie zerstreut, ihre kleinen Finger Herrn van Schleetens etwas volle -Hand streifen. „Nein, wie der Zufall einem manchmal helfen kann, wenn -man es am schwersten hat. Wenn es nun der Zufall war!“ - -Herr van Schleeten sprach die feste Ueberzeugung aus, daß es die -Vorsehung gewesen, und suchte die kleinen Finger zu erhaschen, die sich -rasch aus seinem gierigen Griff retteten. - -„Sprechen wir von Ihnen,“ unterbrach sie. „Was machen Sie denn jetzt? -Sind Sie sehr beschäftigt?“ - -Herrn van Schleeten wandelte die Lust an, sich interessant zu machen -und zu zeigen, was er alles konnte, dieselbe Lust, die der Grund ist, -daß er und wir alle, dank unserem Stammvater, nicht mehr im Paradiese -wohnhaft sind. Mit einer Beredsamkeit, die sie offenbar ganz und gar -bestrickte, beschrieb er den Auftrag, den er vom Maharadscha empfangen, -und wurde bei der Schilderung der Juwelen geradezu dramatisch. -Plötzlich fiel sie ihm mit funkelnden Augen ins Wort: - -„Ich +muß+ sie sehen!“ rief sie. „Ich +liebe+ Juwelen! Ueber -alles andere auf Erden.“ - -„Ueber alles andere auf Erden?“ wiederholte Herr van Schleeten -enttäuscht. „Ich fürchte, das ist unmöglich, Mrs. Langtrey, es war -schon indiskret von mir, Ihnen überhaupt davon zu sprechen.“ - -„Mir! Haben Sie schon vergessen, daß Sie versprachen, mein Freund zu -sein? Wenn es etwas auf Erden gibt, das mehr wert ist als Diamanten, -ist es wahre Freundschaft. Und einem Freunde muß man seine intimsten -Geheimnisse erzählen können, nicht wahr, Herr van Schleeten?“ - -Herr van Schleeten gab zu, daß sie recht hatte. Aber ihr die Juwelen zu -zeigen -- - -„_All right._ Wir sprechen nicht mehr darüber,“ sagte sie, mit -einem kleinen Unterton kühler Verwunderung in der Stimme, der Herrn van -Schleeten einen Schauer über den Rücken jagte. „Sie brauchen sich wegen -Ihrer Indiskretion keine Sorgen zu machen. Ich plaudere nichts aus.“ - -Der rosige Wachskerzenschimmer über Herrn van Schleetens -Zukunftsträumen zuckte bei ihrer kalten Stimme wie unter einem Luftzug. -Er beeilte sich, einen stammelnden Satz zu beginnen: - -„Mrs. Langtrey ... liebste Freundin ... sehen Sie ... ja, was soll ich -sagen? ... Warten Sie, unterbrechen Sie mich nicht! Es +gäbe+ ja -eine Möglichkeit ...“ - -Ihre Augen begannen ihn warm und strahlend anzusehen. - -„Lassen Sie mich hören!“ rief sie. „Sie sind ein Engel!“ - -Herr van Schleeten strich sich seinen gelbgrauen Schnurrbart. - -„Es ist nämlich so,“ flüsterte er, „daß ich bei meiner Arbeit eine -Hilfskraft brauche, das habe ich heute nachmittag konstatiert. Und wenn --- ja das heißt, dann müßten Sie aber Männerkleider anziehen -- und das ---“ - -„Männerkleider! Gott, wie lustig! Was Sie sich alles ausdenken können, -lieber Freund! Sie +sind+ ein Engel.“ - -Herr van Schleeten begann seine Worte schon halb und halb zu bereuen. - -„Aber das wäre doch eine schwierige Sache,“ sagte er zögernd. „Sie -verstehen, wenn jemand im Hotel Sie erkennen sollte, dann wären sowohl -Sie wie ich rettungslos kompromittiert.“ - -„Aber wenn es dunkel wird,“ sagte sie. „In der Verkleidung bei -elektrischem Licht wird man mich doch nicht erkennen. Wie lange -arbeiten Sie denn dort?“ - -„So lange ich will,“ gestand Herr van Schleeten. - -„Gott, da können Sie ja auch in der Nacht dort sein!“ - -„Das kann ich,“ räumte Herr van Schleeten ein. - -„Aber dann komme ich eben bei Nacht,“ rief sie entzückt, ganz glücklich -über diese einfache Lösung eines schwierigen Problems. - -Herr van Schleeten erbebte innerlich. Wie wäre es mit einem kleinen -Souper, nur von der Glut der wunderbaren Juwelen beleuchtet? - -„Sie müßten abends kommen, gegen zehn Uhr,“ sagte er, „und ich müßte -den Obersten vorbereiten, daß ich jemand zu meiner Hilfe mitbringe. Um -diese Zeit sind die meisten Hotelgäste zu Bett oder im Theater.“ - -Sie klatschte vor Entzücken in die Hände und drückte über den Tisch -hinweg seine Hand. - -„Gott, wie reizend! Das wird das Reizendste, was ich noch im Leben -mitgemacht habe, und Ihnen habe ich es zu verdanken!“ - -„Aber,“ stammelte Herr van Schleeten wieder reuig und sich an diese -letzte Chance festklammernd, „es steht eine schwarze Leibwache mit -gezogenen Säbeln vor den Türen, und --“ - -„Das macht nichts,“ rief Mrs. Langtrey, „gar nichts, wenn ich weiß, daß -ich mit einem wirklichen Freund bin!“ - -Das Souper schloß in scharmanter Stimmung von seiten Mrs. Langtreys. -Aber die Hoffnung, die Herr van Schleeten an den Champagner geknüpft, -erfüllte sich nicht; trotz dieses gelben und verräterischen Trankes -mußte er Mrs. Langtrey an der Türe eines Autos Adieu sagen (sie war -in ein kleines Familienhotel irgendwo gezogen, sagte sie). Ein Druck -ihrer weichen festen Hand und ein Blick durch den Schleier, versprachen -immerhin deliziöse Möglichkeiten für die Zukunft, und während Herr -van Schleeten heimwärts ging, gelang es ihm bald, sich selbst zu -überzeugen, daß er ein verfluchter Kerl war und daß alles gut gehen -würde. Morgen abend, im Zimmer des Maharadscha ... - - - - -IX - -Yussuf Khans Wiederkehr - - -Als die Detektivs endlich gegangen waren und die Familie Bowlby unter -dem Präsidium Mrs. Bowlbys die Einbruchsaffäre und Mrs. Langtreys -Verschwinden zu Ende debattiert hatte, dachte Allan an sein eigenes -Privatmißgeschick; aber es wäre unwahr zu sagen, daß er es sehr schwer -nahm. Was hatte er sich doch zugeflüstert, als er vor einigen Tagen die -Küste der Heimat verbleichen sah? Vorwärts, den Abenteuern entgegen! -Schicksal, _en garde_! Unleugbar waren ihm Abenteuer begegnet; -aber das Schicksal hatte seine Herausforderung ebenfalls angenommen und -zu einem recht fühlbaren ersten Gegenstoß ausgeholt. Wäre Herr Mirzl -nicht ebenso exzentrisch gewesen, als er kühn war, so stünde Allan -heute ohne Koffer und Kasse da -- und was hätte er dann angefangen? -Nach Hause telegraphiert ...? Das Vorstellungsbild der jetzt wohl laut -brüllenden Akzeptanten ließ ihn rasch davon abstehen, diesen Gedanken -zu Ende zu verfolgen. Auf jeden Fall wollte er einer Wiederholung -vorbeugen. Es konnte ja geschehen, daß Herr Mirzl in seiner -Exzentrizität sein Urteil kassierte und die Geldbuße in gleicher Weise -zurückschickte wie damals die Koffer; aber in der Erwartung dessen war -es wohl am besten, den Rest der Reisekasse außer Reichweite für ihn zu -placieren. Am Mittwoch deponierte Allan ihn folglich im Bankkontor des -Hotels, nur gegen von ihm signierte Schecks oder Quittung zu beheben. -Zwei Exemplare seiner eigenhändigen Namensunterschrift wurden dem -Bankbeamten eingehändigt. - -Am selben Abend gegen sieben Uhr sah Allan den alten Herrn mit der -Raubvogelnase, der, wie er nun wußte, der Juwelenspezialist Mynheer -van Schleeten war, die Treppe von der Wohnung des Maharadscha -herunterkommen. Er sah ein bißchen erregt aus. Als der Hoteldirektor -etwas später die Halle passierte, nahm Allan seinen ganzen Mut zusammen -und ging auf ihn zu. - -„Darf ich Sie etwas fragen, Herr Direktor?“ - -Der Direktor, der Allan von dem gestrigen Verhör kannte, nickte -wohlwollend. Das war ja dieser junge Mann, dem man es zu danken hatte, -daß nicht alles verloren war. - -„Sie haben noch keine Nachrichten vom Maharadscha?“ - -Der Direktor schüttelte düster den Kopf. - -„Leider nicht. Sie sind doch diskret gewesen, hoffe ich?“ - -„Absolut. Ich habe kein Wort über die Sache zu irgend jemand verlauten -lassen außer der Familie Bowlby. Aber darf ich Sie etwas fragen? Ich -sah gerade den alten Juwelier, den der Maharadscha berufen hat, aus -seinem Appartement herunterkommen. Arbeitet er denn an den Juwelen, -obwohl Se. Hoheit verschwunden ist?“ - -„Ja, er kam heute morgen, und da ich nicht wußte, was ich tun sollte, -führte ich ihn zu Oberst Morrel hinauf ...“ - -Der Direktor brach ab und bemühte sich ein Lachen zu verbeißen. - -„Ich hatte selbst das Vergnügen, den Oberst gestern morgen zu treffen,“ -sagte Allan. „Herr van Schleeten bekam vermutlich die Aufforderung, -sich an einen heißen Ort zu verfügen?“ - -„Etwas Aehnliches. Aber dann reute es den Obersten, und er bat ihn --- na ja, +bat+, hm, -- die Arbeit in Angriff zu nehmen. Herr -van Schleeten hat den ganzen Tag oben in der Suite des Maharadscha -gearbeitet.“ - -„Glauben Sie nicht, daß er in der Einsamkeit in Versuchung kommen -könnte?“ fragte Allan. „Er geht ganz nach Belieben aus und ein?“ - -„Er! Er ist ja selbst ein Krösus und einer der bestrenommierten -Juwelenspezialisten in Europa! Ebensogut könnten Sie ihn des Einbruchs -verdächtigen.“ - -„Ich bitte um Entschuldigung,“ sagte Allan, „vermutlich geht mir der -Einbruch im Kopfe herum. Und dann ist da noch eine andere Sache, die -ich zufällig weiß.“ - -„Was denn?“ - -„Ich weiß zufällig, daß Herr van Schleeten intim oder zumindest bekannt -mit Mrs. Langtrey war, die gestern früh verschwunden ist.“ - -„Ich habe Mrs. Bowlbys Insinuationen gegen die betreffende Dame gehört. -Aber die Detektivs zuckten nur die Achseln darüber, und weder uns -noch ihnen ist etwas Nachteiliges über sie bekannt. Und wenn Sie sie -auch im selben Zug gesehen haben wie Mirzl, könnten Sie doch nicht -behaupten, daß sie einander kannten. Aber man wird sie natürlich im -Auge behalten.“ - -„_All right_,“ sagte Allan. „Ich wollte Ihnen nur sagen, was ich -weiß.“ - -Der Direktor neigte den Kopf und ging in das Bureau. - -Kurz darauf wurde Allan Zeuge einer Szene, über die er hell aufgelacht -haben würde, wenn er ihren Ernst nicht erkannt hätte. Der alte Oberst -kam die Treppen herunter und stürzte mit nervösen Schritten auf das -Bureau zu. Im Vorbeieilen warf er Allan einen ergrimmten Blick zu. -Offenbar war er noch durchaus nicht überzeugt, daß nicht alle Attentate -ihren Ursprung von Allan herleiteten. Bevor er noch das Bureau erreicht -hatte, kam der Direktor wieder herausgeeilt; in seinem Gesicht prägte -sich die lebhafteste Erregung aus. Bei dem Anblick des Obersten stieß -er einen kleinen Schrei aus. Allan sah ihn mit gesenkter Stimme dem -alten Krieger etwas mitteilen. Der Oberst starrte ihn regungslos an und -stieß dann ein Gebrüll aus, bei dem die Leute rings in der Halle von -ihren Klubsesseln emporfuhren. In der nächsten Sekunde stürzte er wie -ein Wahnsinniger die Treppen hinauf. Allan eilte auf den Direktor zu, -um ihn zu fragen, was denn los sei. Hatten sie den Maharadscha ermordet? - -„Der arme Oberst Morrel,“ sagte der Direktor. „Mich soll es wundern, -wenn nach seinem letzten Geheul nicht das ganze Hotel weiß, wie die -Dinge stehen.“ - -„Was gibt es denn? Ist Seine Hoheit tot aufgefunden?“ - -„So schlimm ist es nicht -- noch nicht. Aber er ist überhaupt nicht -gefunden, und das ist fast ebenso arg.“ - -„Aber das wußte ja der Oberst schon?“ - -„Ja, aber wir hatten eben eine telephonische Botschaft vom Inspektor -Mc. Lowndes -- Sie wissen, der magere Mann, der Sie gestern früh -verhört hat. Seine Leute haben das Lokal herausgeschnüffelt, von dem -Sie sprachen!“ - -„Sie haben den Feuerfresserklub gefunden?“ - -„Offiziell heißt er irgendwie anders -- englisch-französische -Theaterfreunde oder so ähnlich. Feuerfresserklub ist nur ein Kosename -unter den Mitgliedern. Ein Mann namens Hardy steht dem Ganzen vor. Die -Papiere waren in Ordnung. Hardy hat nie etwas von Mirzl oder seinem -Anhang gehört. Vor zwei Tagen erhielt er den Besuch der zwei Herren, -die Sie beschrieben haben, Stanton und dem anderen, der unter dem Namen -Müller eingeschrieben war. Sie bestellten die Logen Nr. 5 und 6 für -den Abend, das war das Ganze, und alles was Hardy wußte oder wissen -wollte. Der Diener konnte auch nicht viel mehr sagen. Wie es Ihnen -gelungen ist, herauszukommen, war ihm ein Rätsel, da er allein die -Gäste ein und aus ließ. Gegen drei Uhr morgens war er durch ein Signal -aus Nr. 5 alarmiert worden, wo er sowohl die Gesellschaft von Nr. 6 -wie die von Nr. 5 vorfand, mit Ausnahme von Ihnen. Er stellte eine -Frage nach Ihnen an Müller, der antwortete, daß Sie drinnen seien und -tanzten und solange bleiben könnten als Sie wollten. Er, Stanton und -die zwei dunklen Herren, die leider etwas angeheitert waren, wollten -jetzt gehen. Sie verstehen, sie hatten nun Ihre Flucht entdeckt und -waren erschrocken. Der Diener half ihnen, den Maharadscha und den alten -Hofdichter, von deren Identität er keine Ahnung hatte, in den Lift -hinauszutragen. Unten auf der Straße bestiegen sie ein Auto, und er sah -sie fortrollen. Die Autonummer sah er nicht an, und die Adresse hörte -er nicht. -- Das ist das Ganze. Sie verstehen also, daß der Maharadscha -in den Krallen der Gauner ist, und Sie verstehen wohl auch, was das -bedeutet.“ - -„Erpressung?“ - -„Das ist das Geringste, und wir müssen leider sagen, das Günstigste. -Erpressung von mir, des Hotels wegen, und vom Obersten Seiner Hoheit -wegen. -- Ach, wenn ich doch diese Menschen nie in das Hotel gelassen -hätte!“ - -Der Direktor murmelte etwas, das Allan nicht hören konnte, aber das er -ohne Zögern als einen energischen Fluch agnoszierte. Allan wollte noch -einige Fragen stellen, aber plötzlich eilte der Direktor auf und davon, -ohne auch nur guten Abend zu sagen. - -Allan ließ sich auf einem Fauteuil in der Halle nieder, bestellte einen -Whisky mit Soda und fing an, die letzten Nachrichten zu überdenken. -Einiges davon war ihm noch unklar, infolge der abrupten Art des -Direktors, die Konversation abzuschließen. Hatte die Polizei die -Angelegenheiten dieses Klubs nicht gründlicher durchwühlt? Kannte -Hardy die Herren Stanton und Müller als Klubmitglieder? In diesem Falle -mußte er doch ihre Adresse wissen. Suchte die Polizei sie durch das -Auto aufzuspüren? - -Allan ging zu Bett, ohne den Direktor wiedergesehen oder eine Antwort -auf diese Fragen gefunden zu haben. Bowlbys waren an diesem Abend -eingeladen; in ihrer Suite wurde Wache gehalten, um einer Wiederholung -von Herrn Mirzls Besuch vorzubeugen. - -Der nächste Tag war ebenso arm an Ereignissen, als ein paar der -vorangegangenen reich daran gewesen waren. Der Maharadscha war und -blieb verschwunden, und kein Wort von Erpressung kam von seinen -Entführern. Gegen sieben Uhr morgens sah Allan den Obersten wieder und -fühlte eine Anwandlung von Mitleid mit dem alten Herrn, so verstört und -nervös sah er aus. Kurz darauf, während er am Eingang des Speisesaales -stand und mit Mr. Bowlby plauderte, kam der Direktor vorbei. - -„Wenn die Schurken doch wenigstens schreiben und ihren Preis sagen -wollten,“ rief er. „Der arme alte Morrel wird noch verrückt, wenn nicht -bald Nachrichten eintreffen.“ - -Allan benutzte die Gelegenheit, seine Fragen zu stellen. Der Direktor -zuckte die Achseln, und die Worte überkollerten sich förmlich in seinem -Munde. - -„Untersuchungen! Natürlich tut die Polizei was sie kann, aber man -weiß ja, wieviel das ist! Dem Auto wird nachgespürt, Hardy und der -Diener sind heute ein halbes Dutzend mal verhört worden, und man hat -die Klubliste mit Argusaugen durchgesehen. Natürlich hatten Stanton -und Müller, seit sie sich einschrieben, ihre Adressen ein dutzendmal -gewechselt, und keine Menschenseele weiß, wo sie sich aufhalten. Der -Mann, der sie in den Klub, der eigentümlicherweise verdammt heikel -ist, eingeführt hat, war ein französischer Baron, de Citrac oder so -irgendwie --“ - -„De Citrac!“ Allan zuckte zusammen. „Kennen Sie den Namen, Mr. Bowlby? -Der Mann, der nach dem, was Mrs. Bowlby erzählt hat, in Amerika mit -Mrs. Langtrey geflirtet hat! Seien Sie sicher, de Citrac ist kein -anderer als Mirzl in höchsteigener Person!“ - -Der Direktor und Mrs. Bowlby starrten ihn an, und Mr. Bowlby ließ ein -schrilles, reich moduliertes Expreßsignal als Ausdruck seiner Gedanken -ertönen. - -„_By Jove!_ Sie haben recht, junger Freund! Sicher! Sie haben -recht! Ich fühle es!“ - -Der Direktor zuckte die Achseln. - -„Auf jeden Fall, behauptet Hardy, daß er steinreich ist und zwei, drei -Schlösser in Frankreich hat. Und wenn das auch unwahr ist, so hilft das -jetzt nicht viel, wo es so eilt, des armen Morrels wegen. Es wäre eine -Gnade des Himmels, wenn die Schurken schreiben und ihren Preis angeben -wollten, das sage ich, wenn es auch feige klingt.“ - -Mrs. Bowlby war nicht so sehr von Mitleid mit dem Maharadscha und -seinem Mentor erfüllt wie der Direktor, als man beim Diner die Debatte -wieder aufnahm. - -„Der arme Oberst! Hätte er besser auf das Untier aufgepaßt. +Er+ -müßte doch wissen, wie er ist. Wenn man hundertfünfzig zum täglichen -Gebrauch hat, gewöhnt man es sich nicht so plötzlich ab. Sie können -sagen, was Sie wollen, Mr. Cray, ich +weiß+, daß er in diesem -Lokal in Damengesellschaft war. Helen, mein Kind, höre nicht zu, was -ich sage.“ - -„Nein, Mama.“ - -„Und Langtreys Frau! Denken Sie, diese dickschädligen Detektivs wollten -nicht einmal auf das hören, was ich ihnen über sie sagte! Unschuldig! -Natürlich ist sie unschuldig, weil sie lange Haare hat. Ich kenne die -Männer. Sie hat den Verbrechern rapportiert, daß John Mr. Cray zu sich -eingeladen hat. Bitte stellen Sie das nicht in Abrede, Mr. Cray.“ - -„Nein, Mrs. Bowlby. Sie haben gehört, daß ein Baron de Citrac Mirzls -zwei Helfershelfer in den Feuerfresserklub eingeführt hat?“ - -„In das Lokal!“ - -„Ja. Und glauben Sie nicht, daß de Citrac und Mirzl eine und dieselbe -Person sind?“ - -„Sicher!! Sie sind genial, Mr. Cray. Sicher! Dann bedauere ich Mirzl. -Er war mir früher eigentlich nicht so unsympathisch, aber wenn er einen -solchen Geschmack hat. -- Aber +wissen+ Sie, was ich jetzt glaube, -Mr. Cray?“ - -„Nein, Mrs Bowlby.“ - -„Ja, daß Langtreys Frau den Prinzen für ihre private kleine Rechnung -entführt hat! Die ganze Welt weiß ja, wie sie ist, und sie -- Helen, -mein Kind, höre nicht zu, was ich sage.“ - -„Nein, Mama.“ - -Allan fiel etwas ein. - -„Weiß jemand, ob der alte Juwelier auch heute dagewesen ist und -gearbeitet hat?“ - -Mr. Bowlby nickte. - -„Er kam heute morgens wie gewöhnlich und arbeitete hier bis halb -sieben. Er sprach mit dem Direktor -- mit dem Obersten ist ja nicht -mehr zu reden -- und sagte, die Arbeit sei doch viel langwieriger als -er geglaubt hatte. Er bat um die Erlaubnis, am Abend wieder zu arbeiten -und einen Mann aus seinem Geschäfte zu seiner Hilfe mitzubringen. -Der Direktor sprach mit dem Obersten, und der Oberst gab seine -Einwilligung.“ - -„Ich kann mir denken, wie er sie formuliert hat,“ sagte Allan. - -Nach dem Diner verfügte man sich in die Appartements der Familie -Bowlby, wo sich außer anderen Annehmlichkeiten auch ein amerikanischer -Whisky vorfand, der von Mr. und Mrs. Bowlby in hohem Grade goutiert -wurde, von der letzteren allerdings nur ferne von der Oeffentlichkeit. - -Allan blieb bis kurz vor zehn Uhr sitzen, zu welcher Stunde die -amerikanische Familie erklärte zu Bett gehen zu wollen, da sie die -Nacht vorher lang aufgewesen waren. Allan wurde aufgefordert, sitzen zu -bleiben und sich allein zu erfrischen, aber lehnte ab und sagte gute -Nacht. In die Halle gekommen, dachte er einen Augenblick nach, was er -anfangen sollte. Die große Halle war leer bis auf einen Kellner und ein -paar Hotelbedienstete. Er beschloß, einen Abendspaziergang zu machen -und zog seinen Ulster an, der beim Garderobier hing. Gerade als er sich -anschickte zu gehen, ging die Drehtüre auf, und zum Vorschein kam der -alte Juwelier und ein einfach gekleideter Mensch. Offenbar hielt Herr -van Schleeten Wort und erschien nun zur Nachtarbeit an den Juwelen des -Maharadschas. Es war zu hoffen, daß der Maharadscha Gelegenheit finden -würde, ihn für seinen Eifer zu belohnen. Allan trat beiseite, um Herrn -van Schleeten und seinen Gehilfen passieren zu lassen. Er musterte -sie ohne weiter daran zu denken; Herr van Schleeten erwiderte seine -Blicke mit zornigem Funkeln. Was hatte er eigentlich für einen Grund -Allan böse zu sein? Es war doch Allans Verdienst, daß er überhaupt in -die Lage gekommen war, an den Juwelen zu arbeiten. Allan ging vorbei, -mit einem flüchtigen Blick auf den Gehilfen, der durch die Pracht des -großen Hotels befangen und geniert zu sein schien, er nahm nicht einmal -seine tief hineingezogene Sportmütze ab. Ganz flüchtig kam Allan die -Idee, daß er schon einmal ein paar graue Augen gesehen hatte, die denen -des Arbeiters glichen. Dann war er zur Drehtüre hinaus und ging die -breiten Marmorstufen hinunter. - -Er blickte zur Hotelfassade empor. In der Suite der Familie Bowlby -waren noch ein paar Fenster hell. In der des Maharadscha war alles -dunkel bis auf ein einziges Fenster -- offenbar eines von denen, -die dem Obersten gehörten. Während Allan noch dastand und vor sich -hinblickte, wurden noch zwei Fenster hell. Herr van Schleeten war also -mit seinem Gehilfen oben angelangt. Allan wollte eben weitergehen, als -sich etwas Eigentümliches ereignete. - -Eine Hand zeichnete sich seinen Augenblick von der Scheibe ab, die -eben erleuchtet worden war, mit ausgespreizten Fingern. Die Finger -schlossen sich, öffneten sich und schlossen sich abermals. Dann zeigten -sich nur zwei davon, ganz ausgespreizt; dann verschwand die Hand. -Alles war mit Blitzesschnelle gegangen. Allan, der noch dastand und -hinaufsah, wußte nicht recht, ob er richtig gesehen oder das Opfer -einer Halluzination gewesen war. Herrn van Schleetens guter Name und -Ruf war ja von keinem Geringeren als dem Direktor des Hotels bezeugt -worden. Aber wie sollte diese Hand an der Scheibe aufgefaßt werden, -wenn nicht als ein Signal für jemanden draußen? Und warum signalisiert -man jemandem draußen, wenn man das ganze Personal eines großen Hotels -zur Verfügung hat? Bei aller Achtung vor dem Direktor ... - -Allan machte mit philosophisch gerunzelter Stirne einige Schritte der -Hotelfassade entlang. Verwirrte Gedanken wirbelten wie Schneeflocken -durch seinen Kopf. War Mirzl im Komplott mit Herrn van Schleeten? Erst -eine halbe Minute nach dem Verschwinden der geheimnisvollen Hand fiel -ihm etwas ein, das doch ganz selbstverständlich war: +Wenn+ man -von dem beleuchteten Fenster aus signalisierte, in der Hoffnung, von -jemand draußen verstanden zu werden, so mußte dieser Jemand in der Nähe -sein, um das Signal aufzufangen. Er begann sich auf dem ziemlich matt -beleuchteten Square, an dem das große Hotel gelegen war, umzusehen. -Massen von Menschen strömten vorbei, obgleich Monmouth Square nicht -zu den belebtesten gehört. Die Person, der man eventuell signalisiert -hatte, mußte also vor dem Hotel stehen und warten. War irgendeine -mystische stationäre Person da? Soweit Allan sehen konnte, war das -einzige Stationäre fünf oder sechs Autos. Nun, nichts hinderte ja, daß -es eines von ihnen war, dem man ... - -Allan fuhr mit einem innerlichen Triumphschrei auf. Haha! War das der -kleine Plan? War Herr van Schleeten mit im Komplott? Oder war er nur -eine Marionette, an der man mit dem Faden manövrierte, von dem sie -sich am liebsten lenken ließ? Mr. Bowlby hatte ja von seiner Schwäche -für das schöne Geschlecht gehört und erzählt -- war Mrs. Langtrey in -Kenntnis dessen und in spezieller Absicht im Expreß so gnädig gegen ihn -gewesen und so aufgebracht gegen Allan, der ihr Tete-a-tete zu stören -drohte? ... Und war es denkbar, daß ihm darum die grauen Augen des -Gehilfen so bekannt vorgekommen waren? - -Ein Schwarm von Gedanken, deren Ausgangspunkt der letztgenannte war, -summte durch Allans Kopf. Und nachdem er rasch die Ueberzeugung erlangt -hatte, die sowohl seine Eigenliebe wie seine Revanchelust kitzelte, daß -er recht hatte, blieb nur eine Frage: Was sollte er tun? - -Er ging auf dem Trottoir auf und ab, die Augen bald auf das erleuchtete -Fenster geheftet, wo jetzt keine Hand zu sehen war, bald auf die Leute, -die vorbeipassierten, um den eventuellen Mitschuldigen zu entdecken. -Der Direktor? Ihn aufsuchen? Er würde unfehlbar ausgelacht werden. -Der Direktor hatte seinen Glauben an Herrn van Schleeten zu energisch -betont, als daß er seinen Standpunkt auf eine unbegründete Einbildung -eines jungen Herrn wie Allan ändern würde -- wenn es sich auch schon -erwiesen hatte, daß Allan glückliche Einfälle haben konnte. - -Denn vielleicht war es doch nur eine unbegründete Einbildung, daß es -nicht ein Arbeiter war, der mit Herrn van Schleeten hinaufgegangen war, -das Signal, das Ganze. Was konnten die Betreffenden eigentlich gegen -Herrn van Schleeten unternehmen, +wenn+ Allan recht hatte? Es -stand ja eine Wache vor dem Eingang. - -Ein neuer Gedanke ließ Allan zusammenzucken. Was ihn hervorgerufen -hatte, war nichts anderes, als der Anblick von Oberst Morrels Fenster, -wo noch Licht brannte. - -Der Oberst! +Der+ ließ an Bereitwilligkeit nichts zu wünschen -übrig, jeden, wer es auch sein mochte, zu verdächtigen -- vermutlich -in erster Linie Allan! ... Aber ohne die Zeit mit weiteren Erwägungen -zu verschwenden, ob ein anderer Weg geeigneter wäre, oder wie dies -ausgehen würde, stürzte Allan die Eingangstreppe des Hotels hinauf und -weiter zur Suite des Maharadschas. Er sah die schwarze Leibgarde, die -in dem Korridor vor den Räumen, die ihr Herrscher inne hatte, Wache -hielt. Das Zimmer des Obersten lag am äußersten Ende des Korridors, -und davor stand ein Mann in Livree mit einem Syphon und einer Flasche -Whisky auf einem Tablett; er stand, den Knöchel an der Türe, als wenn -er eben angeklopft hätte. Offenbar wollte der Oberst versuchen, seine -Kümmernisse in einem kleinen Abendrausch zu ertränken. Im selben -Augenblick, in dem der Mann die Türe öffnete, stand Allan auch schon -davor. - -„Ich muß mit dem Herrn Oberst sprechen!“ rief er und faßte den Mann am -Arm. - -Der Livrierte betrachtete ihn kalt. - -„Der Herr Oberst empfängt nicht um diese Tageszeit,“ sagte er und -versuchte, sich aus Allans Griff zu befreien. Aber Allan hielt sich -fest wie an einer Rettungsboje. - -„Sie werden es zu verantworten haben, wenn Sie sich weigern, mich -anzumelden. Hören Sie, zu verantworten! Mein Name ist Allan Kragh, der -Oberst weiß, wer ich bin. Hören Sie!“ - -Allan konnte nicht zu Ende sprechen. Oberst Morrel zeigte sich -plötzlich in der Türöffnung, leichenblaß vor Erregung. Es war -unverkennbar, daß der Whisky, den der Bediente jetzt brachte, nicht der -erste war, den er heute sah. Es fiel ihm schwer, gerade zu stehen, und -seine Augen, die Blicke wie Lanzen um sich schleuderten, konnten nur -schwer damit zielen. - -Als er Allan erblickte, stieß er ein Tigergebrüll aus. - -„Sie! Was zum Teufel tun Sie hier? Ist es Ihnen gelungen die Juwelen zu -stehlen oder haben Sie Nachrichten von Ihren Kameraden, was sie für den -Maharadscha bezahlt haben wollen?“ - -Allan verzichtete auf alle Umschweife. - -„Oberst Morrel, ich denke nicht daran, auf Ihre Insinuationen zu -antworten. Falls es Sie interessiert, daß man wahrscheinlich gerade -heute abend die Juwelen zu stehlen beabsichtigt, so wissen Sie es -jetzt. Gute Nacht!“ - -Der Oberst war mit einem Sprung zur Türe hinaus und packte Allan am -Arm. - -„Gute Nacht! Was zum Henker meinen Sie? Gedenken Sie die Juwelen heute -nacht zu stehlen, und kommen Sie, um mir das im vorhinein zu erzählen! -So wahr mir Gott helfe, Sie werden ...“ - -Allan heftete einen Blick auf den alten Krieger, der ihn tatsächlich -dazu brachte, Allans Arm loszulassen und mitten im Satze zu verstummen. -Er starrte einen Augenblick um sich und sah dann Allan an. - -„Was zum Teufel haben Sie gesagt?“ murmelte er undeutlich. - -„Was ich Ihnen gesagt habe, Oberst Morrel, war, daß ich glaube, daß man -heute nacht den Versuch zu machen gedenkt, die Juwelen zu stehlen. Sie -hören, +heute nacht+? Vielleicht gerade jetzt, vielleicht in einer -Stunde. Ich weiß es nicht bestimmt, aber ich glaube es. Interessiert -Sie das genügend, um diesen Whisky zurückzuschicken?“ - -Der Oberst richtete sich heftig auf, aber senkte dann wieder den Blick. - -„Nimm das weg, John,“ sagte er. „Heute abend nichts mehr! Kommen Sie -herein, junger Mann.“ - -Er wies den Weg in sein Zimmer, ging in das Badezimmer und fuhr sich -ein paarmal mit einem Schwamm über die Stirn. Dann kam er wieder zu -Allan heraus. - -„Rauchen Sie?“ sagte er „Nicht? Erzählen Sie mir, was Sie zu wissen -glauben.“ - -Allan ging, so langsam und deutlich er konnte, die wenigen Tatsachen -durch, auf die er seine Theorie stützte. Der Oberst hörte mit -gerunzelter Stirne zu. Ein paarmal zeigten seine Augen, daß es ihm -schwer fiel, die Gedanken zusammenzuhalten. Allan wiederholte, bis er -glaubte, das Ganze klargelegt zu haben. Als er zum Schlusse gelangt -war, schüttelte der Oberst den Kopf. - -„Ich will Sie nicht beleidigen,“ sagte er. „Das habe ich wohl schon oft -genug getan. Aber ... ist das Beweismaterial für Ihre Theorie nicht -recht mager im Verhältnis zur Theorie selbst?“ - -„Ganz wie Sie sagen. Aber wie erklären Sie sich die Hand?“ - -„Ein Zufall. Und wenn Ihre Theorie wahr wäre, was könnte eine Frau tun? -Van Schleeten ist doch kein Kind. Und wie sollte sie mit ihrer Beute -wieder hinauskommen?“ - -„Das kann ich Ihnen nicht sagen; aber van Schleetens Eifer zu arbeiten, -sogar um diese Tageszeit?“ - -„Er wurde dazu von Sr. Hoheit besonders aufgefordert. Und er erklärte -sich schon damals zur Nachtarbeit bereit, lange vor dem ersten -Attentat.“ - -Allan senkte den Kopf und überlegte. Der Oberst hatte recht. Seine -Theorie war phantastisch, aber dennnoch ... Er wendete sich dem alten -Krieger zu. - -„Oberst Morrel!“ sagte er. „Ich verlange von Ihnen nichts anderes, als -eine einfache Probe. Sie verstehen, die Sache geht mich doch eigentlich -gar nichts an. Aber gehen wir in das Zimmer, wo van Schleeten arbeitet, -und sehen wir, ob dort alles mit rechten Dingen zugeht. Oder gehen nur -Sie hinein! Das können Sie ja, ohne das mindeste Aufsehen zu erregen.“ - -Der Oberst überlegte. Ein paarmal zuckte er die Achseln, und Allan -glaubte schon das Spiel verloren zu haben, als er plötzlich von seinem -Sessel aufsprang. - -„_All right!_“ sagte er. „Es wäre unverzeihlich von mir, Ihnen -nicht diese einfache Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Ich gehe -gleich hinüber. Sie können mir nachkommen, wenn Sie wollen, so daß Sie -ins Zimmer hineinsehen können. Mit hinein möchte ich Sie nicht nehmen, -Sie verstehen doch.“ - -Sie verließen das Zimmer des Obersten unter gegenseitigen -Höflichkeitsbezeigungen -- Allan wollte den alten Herrn vorangehen -lassen, und dieser wollte seinem Gast diese Ehre geben. Schließlich -gewann Allan mit seiner schwedischen höflichen Beharrlichkeit das -Spiel. Einige Schritte über den dicken orientalischen Teppich des -Korridors, und sie waren an der Türe des Zimmers, das Herr van -Schleeten überlassen worden war. Die schwarze Leibwache schulterte bei -dem Anblick des Obersten ihre krummen Yatagans. Dieser richtete in -einem krächzenden Dialekt einige Worte an sie. - -„Ob sie etwas Verdächtiges gehört haben,“ wendete er sich erklärend an -Allan. - -„Nun, haben sie das?“ - -„Nein. Aber nehmen wir die Untersuchung nur vor.“ - -Er faßte die Türklinke. Die Türe war verriegelt. Bevor Allan es -verhindern konnte, hatte er die Hand gehoben und geklopft. - -„Oberst Morrel!“ flüsterte Allan. „Was tun Sie? +Wenn+ nun --“ - -Er konnte seinen Satz nicht abschließen. Von drinnen war keine Antwort -auf das Klopfen erfolgt, und plötzlich loderte die nur schlummernde -Whiskyraserei des Obersten in hellen Flammen auf. Er stieß ein Brüllen -aus, riß einen der Säbel der schwarzen Krieger an sich und hatte, -bevor Allan noch wußte, wie ihm geschah, den Türspiegel mit einem -Hieb gespalten, der wie ein Kanonenschuß durch den Korridor dröhnte. -Noch zwei Hiebe, dann warf er sich mit voller Kraft gegen die Türe. -Diese stürzte krachend ein; der Oberst flog hindurch, Allan in seinen -Fußstapfen und die schwarzen Krieger in einem Strom hinterdrein. Sie -erhaschten eben noch sein wunderliches Bild, bevor es, von sechs -aufeinander folgenden Revolverschüssen des Obersten begleitet, -verschwand. - -Das Fenster stand offen, und über dem Fensterbrett tauchte in dem -Augenblicke, in dem sie das Zimmer betraten, ein einfach gekleideter -Mensch auf, oder richtiger der Kopf dieses Menschen, von einer grauen -Sportmütze bedeckt. Er verschwand gerade, als sie über die Schwelle -kamen, über den Rand des Fensterbrettes, von sechs Revolverkugeln des -Obersten gefolgt, und Allan konnte sich noch nicht recht von seinem -Staunen erholen, wie er da verschwinden konnte, als er auch schon am -Fenster stand und die Lösung hatte. Eine feine Strickleiter fiel die -Hausmauer entlang bis auf das Trottoir hinunter; die Person, die sie -verschwinden gesehen, war schon unten angelangt; und gerade, als Allan -und Oberst Morrel das Fenster erreicht hatten, kam das Ueberraschendste -in dieser blitzschnellen Folge von Ereignissen. Der Flüchtling, der mit -schlangenhafter Geschmeidigkeit die Strickleiter hinuntergeklettert -sein mußte, und nunmehr, offenbar schon ganz im klaren über den Ernst -der Situation war, hatte noch Zeit, eine hastige Bewegung mit der -Hand zu machen -- es war ein Zündhölzchen, das angerieben wurde. -Gerade als Allan die Beine über das Fensterbrett warf um sich die -Strickleiter hinunterzuschwingen, stand diese von einem Ende bis zum -anderen in hellen Flammen; sie mußte wohl schon früher mit irgendeinem -entzündlichen Stoff präpariert worden sein. Allan hatte gerade noch -Zeit, sich über das Fensterbrett zurückzuziehen, bevor die Flammen -darüber zusammenschlugen. In ohnmächtiger Wut schleuderte der Oberst -seinen leeren Revolver dem Entwichenen nach. Er fehlte, und binnen -einer Sekunde war der Flüchtling in einem schwarzen blanken Auto, das -aus dem Nichts aufzutauchen schien ... - -Allan und der Oberst wendeten sich einander zu, und ihre Augen riefen -dasselbe Wort: Zu spät! -- als sie beide etwas erblickten, das ihren -Gedanken eine andere Richtung gab. - -Und dieses etwas war Mynheer Jan van Schleeten, der berühmte -Juwelenspezialist, der sich in einer Ecke des Zimmers auf dem Ellbogen -von einer Chaiselongue aufrichtete und mit abwesenden Augen und offenem -Munde um sich starrte. Neben ihm stand ein Werkzeugtisch und eine -Mahagonikassette, die von glänzenden Edelsteinen überquoll. Und die -ersten Worte, die Herr van Schleeten sagte, waren: „Sie! Wo ist sie?“ - -Jetzt war Allan Herr der Situation. Mit zwei Schritten war er bei Herrn -van Schleeten; er nahm ein durchtränktes Taschentuch von der Brust -dieses Herrn und schwenkte es gegen den Obersten: - -„Sehen Sie, Oberst Morrel, was ein schwaches Weib vermag! Chloroform -genug für ein Roß! Jetzt gilt es zu sehen, ob wir noch zurecht gekommen -sind oder nicht. Herr van Schleeten, auf, helfen Sie uns, und denken -Sie daran, daß Ihre Ehre und Ihr Name auf dem Spiele steht!“ - -Der alte Holländer erhob sich von der Chaiselongue, wankend wie ein -Schwertrunkener. Der Oberst war nach der Flucht des Verbrechers -plötzlich in einen Zustand der Lethargie versunken und starrte ratlos -um sich. Allan mußte das ganze in die Hand nehmen. - -„Wollen Sie dafür sorgen, daß wir etwas Kaffee heraufbekommen, Oberst -Morrel!“ rief er. „Sie sehen, in welchem Zustande Herr van Schleeten -sich befindet. Starker Kaffee, das ist das einzige, was ihn auf die -Beine bringen kann.“ - -Der Oberst murmelte einem Mann von der schwarzen Leibwache einige Worte -zu, und dieser stürzte davon; eine Minute später goß Herr van Schleeten -mit Allans Hilfe eine Tasse dampfenden schwarzen Kaffee hinunter. Das -erste, was er dann tat, war, sich aufzurichten und Allan anzustarren. - -„Sie kenne ich,“ sagte er mit lallender Stimme. „Sie sind -- Sie sind -ein Verbrecher.“ - -„Mund halten, Kerl,“ schrie der Oberst, plötzlich aus seiner Betäubung -erwachend. „Danken Sie Ihrem Schöpfer, daß dieser junge Mann gekommen -ist! Sonst säßen Sie morgigen Tags hinter Schloß und Riegel.“ - -Herr van Schleeten starrte ihn mit stumpfen Blicken an. - -„Aber ich sah ihn doch,“ murmelte er, „sah ihn doch auf einer -Station -- wie hieß sie nur? -- ja -- K--köln -- und da wurde er -arre--arretiert. Er hat n--nämlich --“ - -„Trinken Sie Ihren Kaffee aus, und halten Sie den Mund!“ brüllte der -Oberst. „Und dann zur Kassette, und sagen Sie uns, wieviel fehlt!“ - -Es verging noch eine Weile, bis es Herrn van Schleeten gelang, diese -drei Wünsche zu erfüllen. Die Untersuchung der Mahagonikassette nahm -lange Zeit in Anspruch, eine Zeit, während der Allan unten war und -einen verstörten Nachtportier an die Polizei telephonieren ließ. Aber -als er wieder heraufkam, hatte er die Befriedigung, daß Oberst Morrel -ihm entgegenstürmte; der Oberst packte seine beiden Hände, es schien -nicht viel zu fehlen, und er hätte sie geküßt. - -„Die Fassungen sind zu groß und hinderlich gewesen, und sie hat es zu -eilig gehabt!“ schrie er. „Es ist möglich, daß eins der Diademe fehlt, -aber mehr nicht. Darauf schwört der verdammte Holländer. Ganz richtig, -diese kleine listige Hexe von einer Abenteuerin hat ihn bestrickt, und -ihr Streich wäre ihr gelungen, wenn nicht Sie --“ - -Allan versuchte ihn mit schwedischer Bescheidenheit zu unterbrechen. Es -dauerte noch lange, bis er diese Nacht ins Bett kam. Denn einerseits -mußten alle von dem erschienenen Detektivinspektor Mr. Mc. Lowndes -in aller Form verhört werden (nach welchem Verhör Herr van Schleeten -die Heimfahrt in Gesellschaft eines Detektivs antreten durfte); -andererseits wollte Oberst Morrel nicht zu Bett gehen, ohne seinen -morgigen Katzenjammer durch eine Flasche Champagner mit Allan -verschärft zu haben. Zu Ende dieser Flasche erklärte er ohne alle -Einschränkungen, daß er seines Wissens noch nie einem Menschen begegnet -war, auf dessen Stirn alle guten Eigenschaften sich ein so harmonisches -Stelldichein gegeben hatten wie bei Allan. - - * * - * - -Allan wurde am nächsten Morgen gegen zehn Uhr in seiner Morgentoilette -dadurch unterbrochen, daß Mr. Bowlby höchst unzeremoniös die Türe zu -seinem Zimmer aufriß. Was er zu verkünden hatte, war nichts Geringeres, -als daß Yussuf Khan und der alte Ali am selben Morgen gegen halb sieben -Uhr im Viktoria-Park im East End in vollkommen bewußtlosem Zustand -aufgefunden worden waren, jeder mit der aufgeklebten Etikette versehen: -Abzugeben Grand Hotel Hermitage. - -Allan hatte noch nicht zu Ende gefragt -- Mr. Bowlby wußte übrigens -kaum mehr als die Tatsache, die er vom Direktor erfahren hatte -- und -selbst noch nicht mehr erzählt als die Konturen der Ereignisse der -Nacht, als eine neue Sensation über ihn hereinbrach. Noch immer von Mr. -Bowlby begleitet, ging er in das Bankkontor des Hotels hinunter, um -einige Pfund seines deponierten Geldes zu beheben. - -Der junge Mann hinter dem Schalter starrte ihn einen Augenblick -an und fragte ihn dann mit halb erschrockenem, halb mißtrauischem -Gesichtsausdruck, ob er denn vergessen habe, daß er erst vor einer -Stunde dagewesen war und sein ganzes Guthaben an der Kasse behoben -hatte. - - - - -X - -Die Nachwirkungen einer tollen Nacht auf Fürsten und Poeten - - -Allan starrte Mr. Bowlby an und Mr. Bowlby Allan. Dann gab er ein -Expreßsignal von sich, das wie ein Schwert durch alle Stockwerke -des Hotels ging und klang wie: Lebensgefahr, alle Bremsen anziehen, -augenblicklich stoppen! - -„Schon wieder Mirzl! _By Jove!_“ - -Endlich fand Allan die Stimme wieder und wendete sich an den Beamten. -„Kann ich mit Ihrem Chef sprechen?“ - -„Im Augenblick bin ich allein hier, Sir, aber wenn Sie es wünschen, -kann ich den Hoteldirektor anrufen. Ich sehe ja, daß da etwas nicht -klappt, obwohl ich es nicht verstehe.“ - -„Danke, rufen Sie ihn sofort.“ - -Drei Minuten später kam der Direktor in das Kontor gestürzt. Es war -schon von weitem unverkennbar, daß er nicht in rosiger Laune war, und -die Aeußerung, die er in der Türe Mr. Bowlby zuwarf, verriet sofort die -Ursache. - -„Weiß Gott, warum ich Sie je gebeten habe, aus Ihrer Wohnung -auszuziehen, Mr. Bowlby!“ - -„Gibt es etwas neues?“ - -„Neues! Nichts anderes, als daß ich diesen Morgen vier Dutzend -Journalisten hinter mir her habe. Die Wiederauffindung des Maharadschas -im East End in einem solchen Zustande war in zehn Minuten in Fleet -Street verbreitet. Die dummen Polizisten, die ihn fanden, hatten -natürlich nicht den Verstand, das Maul zu halten ... Und dazu ein Loch -im Boden, das geflickt werden muß -- und eine Türe, vom Obersten ärger -zugerichtet als der Birnbaum von George Washington. Ein Vergnügen, -feine Gäste zu haben, was?“ - -„Sie haben auch heute Morgen feine Gäste hier gehabt, ohne daß Sie es -wissen,“ sagte Mr. Bowlby. „Hören Sie nur!“ - -Und er erzählte, was Allan widerfahren war. Der Direktor starrte ihn -an, wie ein Gespenst. Schließlich stammelte er: - -„Also ... was meinen Sie? Wer ist hier gewesen?“ - -„Mirzl! Sie wissen doch, daß er meinem jungen Freunde die Hälfte -seines Geldes abgenommen hat, als er sich das erstemal konterkarriert -sah. Woher er weiß, daß der Rest hier deponiert wurde, kann ich nicht -verstehen.“ - -„Es ist vielleicht nicht so schwer zu erklären,“ sagte Allan. „Sie -sagen (er wendete sich an den Bankbeamten), daß ich vor einer Stunde -hier war und mein ganzes Guthaben behoben habe. Erzählen Sie, wie das -zuging.“ - -Der junge Bankbeamte warf einen scheuen Blick auf den Direktor und -begann: - -„Es war eben, als ich öffnete. Da kam ein Herr herein, der Ihnen aufs -Haar ähnlich sah, Sir, und wendete sich an mich: ‚Wieviel habe ich doch -hier deponiert?‘ ‚Ihr Name, Sir,‘ sagte ich der Form wegen, denn ich -erkannte Sie ja ganz gut, Sir. ‚Am besten, ich buchstabiere ihn Ihnen -vor,‘ sagte er und lächelte. ‚Allan K--r--a--g--h. Schwer, den Namen -auszusprechen.‘ ‚_All right_, Sir,‘ sagte ich und schlug im Buche -nach. ‚Sie haben etwas über fünftausend schwedische Kronen deponiert -- -dreihundert englische Pfund.‘ ‚Es ist gut, ich nehme sie heraus,‘ sagte -er, ‚geben Sie mir eine Quittung, dann werde ich unterzeichnen.‘ ‚Sie -haben den Depotschein, den Sie seiner Zeit bekamen, nicht bei sich, -Sir?‘ fragte ich. Er suchte in seinen Taschen. ‚Na aber! den muß ich in -meinem anderen Anzug vergessen haben. Aber wenn ich einstweilen hier -quittiere, kann ich ihn ja später bringen.‘ ‚_All right_, Sir,‘ -sagte ich, denn ich dachte ja mit keinem Gedanken daran, daß es jemand -anderes sein könnte, als Mr. Kragh. Und die Schrift war ...“ - -„Der Teufel soll das ganze holen!“ schrie der Direktor. „Ich -werde schon bald ebenso verrückt, wie der Oberst. Journalisten, -Einbruchsdiebe, andere Diebe, schwarze Regenten, die um sechs Uhr früh -in öffentlichen Parks gefunden werden -- man kann ja toll werden! Von -heute an müssen die Leute sich einem Polizeiverhör unterziehen, bevor -sie die Nase zur Türe meines Hotels hereinstecken dürfen!“ - -Mr. Bowlby fiel ihm ins Wort. - -„Sie sollten ein bißchen dankbarer gegen meinen jungen Freund aus -Schweden sein,“ sagte er. „Er hat nun schon zweimal die Diebstähle -beim Maharadscha verhindert ...“ - -„Dann sollte er zum Teufel doch auch die Diebstähle bei sich selbst -verhindern,“ rief der Direktor. „Dankbar! Gewiß bin ich dankbar. -Wieviel hatten Sie doch in englischer Münze?“ - -„Fünftausendvierhundert in schwedischer -- dreihundert englische -Pfund,“ sagte Allan kurz. „Bitte, machen Sie sich keine Gedanken -darüber, Herr Direktor. Aber ich muß um einen kleinen Aufschub bei der -Rechnung bitten, nachdem Herr Mirzl meine ganze Reisekasse übernommen -hat.“ - -Der Direktor schüttelte ihm die Hand. - -„Aber, aber!“ rief er, „nehmen Sie es doch nicht übel. Mißverstehen -Sie mich nicht. Natürlich ist das Hotel für deponiertes Geld -verantwortlich. Aber die Umstände in diesem Falle sind solche, daß ich -nicht auf eigene Hand entscheiden kann. Mißverstehen Sie mich nicht. -Wenn Sie den Obersten drei Tage lang hinter sich her gehabt hätten, -und heute morgen einen Schwarm von Journalisten, die Ihnen die Ohren -vollschreien -- bei Gott, da kommt der Oberst. Was ist denn schon -wieder geschehen? Was für ein Verbrechen ist denn jetzt im Hotel verübt -worden?“ - -Die Miene des Obersten war wirklich nicht so sonnig, daß der Direktor -mit seinen Befürchtungen nicht recht haben konnte. Immerhin erwiesen -sie sich als unbegründet. - -„Ich hörte, daß Sie hier sind, Direktor!“ rief er. „Warum um Himmels -willen lassen Sie dieses verdammte Zeitungsschmiererpack nicht -hinausschmeißen?! Sie setzen mir nach wie Hunde einem Fuchs. Ob -es wahr ist, daß der Maharadscha so gut wie ermordet in einem Park -aufgefunden wurde? Ob es wahr ist, daß man ein Attentat auf seine -Juwelen und ein anderes auf ihn selbst verübt hat? Welche Ansicht der -Maharadscha über London hat? Welche Ansicht ich über das eigentümliche -Attentat auf ihn habe -- -- Gentlemen, schrie ich, ich habe die -unmaßgebliche Ansicht, daß Sie ein Haufen gottverdammter Vampire sind, -und wenn Sie sich nicht augenblicklich packen, werde ich versuchen, -sie Ihnen mit meinem Sechsläufigen klarzumachen. Die Ansicht des -Maharadscha über London ist, daß es eine entzückende Stadt sein würde, -wenn die Londoner nicht wären, und um sie so wenig als möglich zu -sehen, pflegt Se. Hoheit jeden Morgen in aller Frühe einen Spaziergang -durch die Parks in East End zu machen, wo er heute von einer -bedauerlichen Schwindelattacke befallen wurde, die Anlaß zu tausend -idiotischen Gerüchten gab, die nur Leute glauben können, die dumm genug -sind, Zeitungen zu lesen, die von noch größeren Idioten geschrieben -werden als sie selbst; und wenn Sie mit diesem Bescheid nicht zufrieden -sind, meine Herren, dann können Sie mir den Bu -- --“ - -Die Stimme des Obersten kippte vor Gemütserregung um, ohne daß es -seinen Zuhörern Schwierigkeiten bereitete, seinen elliptischen Satz zu -ergänzen. Mr. Bowlby wischte sich die Augen und sagte: - -„Sie sollten Minister des Aeußeren sein, Herr Oberst, dann käme doch -ein bißchen mehr Schwung in den diplomatischen Verkehr! Haben Sie -Herrn van Schleeten heute schon gesehen?“ - -„Schleeten! Ich habe mit den Tintenkulis genug zu tun gehabt. Er -wird schon im Laufe des Tages kommen, und dann werde ich ihm meine -Meinung sagen. Heute früh ist mir etwas eingefallen. Wer beweist mir, -daß Schleeten nicht mit im Spiel war? Ich glaube, das Ganze war ein -Komplott, und ich werde die Detektive davon verständigen.“ - -„Aber Herr Oberst, einer der ältesten und angesehensten Juwe ...“ - -„Der sich von einer verdammten kleinen Abenteuerin in Hosen düpieren -läßt. Es +war+ ein Komplott. Da können Sie Gift darauf nehmen.“ - -„Sie ging ja wohl nicht immer in Hosen herum, Herr Oberst. Und was -sagen Sie zum Chloroform? Sie haben doch selbst gesehen, daß er betäubt -dalag.“ - -„Als ob das nicht gerade das Komplott beweisen würde! Hat man nicht -schon tausendmal gehört, wie Leute falsche Einbrüche arrangieren! -Das ist mir nur nicht früher eingefallen. Das werde ich sofort den -Detektiven telephonieren! -- Guten Morgen, junger Freund! Wie steht es?“ - -Er schien Allan erst jetzt zu bemerken. - -„Danke, Herr Oberst,“ sagte Allan. „Es geht mir so gut, als es einem -gehen kann, wenn man eben um seine ganze Barschaft bestohlen worden -ist.“ - -„Ihre ganze Barschaft! Das ist sie und Schleeten!“ - -„Ich bezweifle nicht, daß Herr van Schleeten ebenso bereit wäre, zu -behaupten, daß ich und sie das Attentat heute nacht arrangiert haben. -Nein, es war ein anderer ihrer Freunde, den sie in letzter Zeit auch -kennen gelernt haben -- Herr Benjamin Mirzl.“ - -Der Oberst lauschte mit weitaufgerissenen Augen Allans Erzählung, -drehte seinen weißen Schnurrbart und sprach in einigen kernigen Worten -seine Ansicht über Mrs. Langtrey und Herrn Mirzl aus: - -„Wielange werden diese Blindschleichen die Herrschaften noch frei -herumlaufen lassen? Ich glaube wirklich, dieser Mirzl ist der -leibhaftige Teufel!“ - -Der Direktor unterbrach ihn. - -„Wie steht es mit Seiner Hoheit, Herr Oberst?“ - -Die Stirne des Obersten umwölkte sich. - -„Er und das andere Prachtexemplar liegen noch todbesoffen da,“ sagte -er. „Weiß Gott, was die Räuber ihnen eingetrichtert haben. Der Doktor -und die Krankenschwestern plagen sich schon eine Stunde lang mit -Massage, Injektionen und Elektrizität ab, sie stellen sie bald auf den -Kopf, bald auf die Füße, ohne daß sie sich mucksen. Der Doktor glaubt, -es wird Aether oder Morphium sein oder vielleicht beides.“ - -„Ist es nicht eigentlich merkwürdig, daß die Verbrecher sie losgelassen -haben, Herr Oberst?“ wagte Allan einzuwerfen. „Ohne den Versuch zu -machen, etwas zu erpressen! Und gerade in derselben Nacht, in der ihr -anderer Plan mißlungen ist!“ - -„Das ist mir total schnuppe,“ sagte der Oberst behaglich. „Sobald sie -nur wieder die Schnauze in die Luft strecken können, geht es nach -Indien zurück, da lassen Sie nur mich dafür sorgen. Ich gehe zum -Minister für Indien und erzähle ihm die ganze Sache privatim. Und -dann kann sich Se. Hoheit meinetwegen grün und blau protestieren, aber -es gibt keinen weiteren Europa-Séjour für ihn und keine Werbungen um -schöne weiße Prinzessinnen.“ - -Der Direktor des großen Hotels wendete die Augen mit einem Ausdruck der -lebhaftesten Dankbarkeit himmelwärts und verabschiedete sich, nachdem -er dem jungen Bankbeamten die Weisung gegeben, Allan auszuzahlen, was -er momentan von ihm haben wollte. Allan wendete sich an den Obersten. - -„Kann man die Patienten sehen, Herr Oberst?“ - -„Noch nicht, junger Freund. Jetzt muß ich selbst hinauf und sie ein -wenig beaugapfeln. Wir treffen uns noch!“ - -Er stürzte davon. Mr. Bowlby sah auf seine Uhr. - -„An der Zeit, etwas zu essen,“ sagte er. „Kommen Sie, wir wollen doch -sehen, was Susan und Helen machen.“ - -Sie fanden Mrs. Bowlby und Miß Helen im Salon der Familie Bowlby. -Mrs. Bowlby trug eine purpurfarbene Toilette, die ihr eine frappante -Aehnlichkeit mit einem brasilianischen Kakadu gab. - -„Nun endlich!“ rief sie. „Wo hast du dich so lange herumgetrieben, -John? Ich und Helen, wir vergehen ja schon vor Neugierde. Was ist also -geschehen? Ist es wahr, daß man das Untier halb tot von Ausschweifungen -auf der Straße gefunden hat? Die Dienerschaft sagt es. Und den alten -grauhaarigen Wüstling? So erzähle doch, John! Und der Dritte aus der -sauberen Gesellschaft soll ja einen Anfall von Delirium gehabt haben, -er hat die Leibwache niedergemetzelt und große Löcher in den Fußboden -und die Wände gestoßen? So erzähle doch, John!“ - -„Sobald du mich läßt, liebe Susan. Der Ma...“ - -„Es ist also wahr, natürlich! Halbtot von Ausschweifungen! Helen, du -solltest nicht zuhören, mein Kind, aber es kann ganz gut für dich sein, -zu wissen, wie es die Männer treiben. Und der Oberst, John?“ - -„Liebe Susan, lasse mich doch zuerst nur zwei Worte über den -Maharadscha sagen.“ - -„Natürlich, du willst ihn in Schutz nehmen!“ - -„Der Maharadscha, geliebte Susan, wurde heute Morgen in einem Park in -East End aufgefunden, betäubt ...“ - -„Von Ausschweifungen!“ - -„Betäubt mit Aether oder Morphium von der Bande, die ihn und den alten -Hofdichter geraubt haben.“ - -„Behaupten sie selbst, haha!“ - -„Behaupten sie nicht selbst, da die Belebungsversuche des Arztes bis -jetzt weder beim Maharadscha, noch bei dem alten Ali gelungen sind.“ - -„Haha, John, du bist wirklich +zu+ naiv!“ - -„_All right._ Aber du hast nach dem Obersten gefragt.“ - -„Der gestern abend das Delirium hatte, das sagt die Dienerschaft. Ich -+will+ ja zugeben, daß der arme Prinz nicht gerade von leuchtenden -Beispielen umgeben war. Diese Gerechtigkeit muß man ihm widerfahren -lassen. Wenn er von einem alten Wüstling seiner eigenen Religion in -entsetzliche Lokale gelockt wird und sieht, wie sich ein weißhaariger -Heuchler, der sich Christ nennt, bis zur Besinnungslosigkeit betrinkt, -kann man ja verstehen, daß ein Mensch, von schwachem Charakter in -Versuchung geraten kann. Und dann fehlt ihm doch auch die Stütze einer -Frau.“ - -„Er hat doch hundertfünfzig, liebe Susan.“ - -„Solche nenne ich nicht Frauen, John, das weißt du.“ - -„Aber du hast es doch bisher getan, liebe Susan.“ - -„Weil ich die Ohren meiner kleinen Helen schonen wollte. Sie bekommt -ohnehin genug zu hören, das arme Kind.“ - -„Geniere dich meinethalben nicht, Mama, ich weiß sehr gut, was für ein -Wort du anwenden wolltest.“ - -„Helen!“ - -„Liebe Mama, es steht doch im Shakespeare und in der Bibel.“ - -Mrs. Bowlby wechselte das Gesprächsthema. - -„Wie ist es also mit dem Obersten, John? Ist er in eine Irrenanstalt -gebracht worden?“ - -„Noch nicht, liebe Susan. Wir trennten uns eben vor einem Augenblick. -Er ging zu seinen Schützlingen hinauf. Er war ein bißchen erregt -nach seinen Gesprächen mit dreißig oder vierzig Reportern. Sonst -befand er sich ganz wohl. Und wenn du Mr. Cray so halbwegs in Frieden -erzählen lassen willst, kannst du hören, wie das mit seinem Delirium -zusammenhängt. Du glaubst doch Mr. Cray?“ - -„Soviel ich nach zwanzigjähriger Ehe einem Mann glauben kann, John.“ - -„Liebe Susan, sei mir nun nicht böse, weil ich dir deine Illusionen -über den Maharadscha und die beiden anderen geraubt habe. Erzählen Sie, -Mr. Cray!“ - -Allan wiederholte seinen Bericht über das, was am vorhergehenden Abend -passiert war. Mrs. Bowlby hörte halbwegs ruhig zu, bis er zu der Szene -kam, die sich dem Obersten und ihm selbst im Arbeitszimmer Herrn van -Schleetens geboten hatte. Da stieß sie einen Schrei aus, der der -baseballspielenden amerikanischen Nation würdig war. - -„Der auch! Ein Schwindler! Der alte Roué! Jetzt sind die Juwelen also -gestohlen?“ - -„Noch nicht, Mrs. Bowlby. Der Oberst und ich kamen gerade in der -letzten Sekunde, um es zu verhindern, und sicherlich hat die -Säbelattacke des Obersten gegen die Türe den Dieb in die Flucht gejagt.“ - -„Den Dieb? Sie meinen den Mitschuldigen!“ - -„Sie sind derselben Ansicht wie der Oberst, wenn Sie das sagen, Mrs. -Bowlby. Aber sie ist, mit Ihrer Erlaubnis gesagt, nicht richtig. Es war -eine Schwindlerin, die Herrn van Schleeten düpiert hatte.“ - -In Mrs. Bowlbys Gedankennetz trat ein Kurzschluß ein. - -„+Eine Schwindlerin!+ Sie haben doch gesagt, daß jemand in -Männerkleidern mit ihm hinaufging?“ - -„Ja, aber es war doch eine Schwindlerin, Mrs. Bowlby, verkleidet.“ - -„In Hosen! Da würde ich doch lieber ... Helen, du siehst, wie Frauen -werden können, wenn sie einmal anfangen. Tausendmal ärger als die -Männer. Wer war es, Mr. Cray? Weiß man es? Eine Holländerin?“ - -„Eine Amerikanerin, Mrs. Bowlby. Schöpfen Sie tief Atem, bevor ich -Ihnen den Namen sage.“ - -„Sie meinen doch nicht --“ - -„Ja, allerdings: Mrs. Langtrey!“ - -Es war offensichtlich, daß Mrs. Bowlby seiner Aufforderung in Bezug auf -das Atmen nachgekommen war, denn der Ruf, den sie ausstieß, ging durch -Mark und Bein. - -„Hatte ich also recht, Mr. Cray?!“ - -„Es sieht so aus, Mrs. Bowlby.“ - -„So etwas, dieser alte ausschweifende Schwindler läßt sich verlocken, -von einem Frauenzimmer -- Helen, mein Kind, höre nicht zu was wir -sprechen -- in Hosen!“ - -„Er ist seiner Strafe nicht entgangen, Mrs. Bowlby. Sie hat ihn -chloroformiert und würde alle Juwelen gestohlen haben, wenn wir nicht -rechtzeitig gekommen wären. Nun gelang es ihr zu entkommen, aber -die Juwelen mußte sie im Stiche lassen. Es war ihr Glück, daß dem -Obersten die Hand zitterte. Er hat ihr sechs Schüsse durch das Fenster -nachgeschickt. Aber ich muß gestehen, daß ich ihre Kaltblütigkeit -bewundere, die Strickleiter anzuzünden!“ - -„Sie sollen nie etwas bewundern, was unmoralisch ist, Mr. Cray. Und um -die Juwelen ist sie also gekommen?“ - -„Ja, und zum Dank dafür bin ich heute durch Herrn Mirzl von dem Rest -meines Geldes befreit worden.“ - -„_Now, demmit lively!_ Was sagen Sie?“ - -Allan beschrieb, was im Bankkontor passiert war. Mrs. Bowlby hörte ihn -mit weit aufgerissenen Augen an. Als er zu Ende war, atmete sie tief -und sagte: - -„Ich muß gestehen, dieser Mirzl ... Nein, daß er Langtreys Frau in -die Krallen geraten mußte! Ich bin überzeugt, sie hat ihn auf Abwege -gebracht wie diesen alten Roué von einem Juwelier.“ - -„Glauben Sie, sie hat ihn mit Chloroform betäubt, Mrs. Bowlby?“ - -„Eine Frau braucht zu so etwas kein Chloroform. Ich muß sagen, daß ich -diesen Mirzl auf jeden Fall beinahe bewundern muß.“ - -„Sie sollen nie bewundern, was unmoralisch ...“ - -„Keine vorlauten Bemerkungen, junger Mann. _Demmit._ Also jetzt -haben Sie es das zweitemal verhindert! Glauben Sie, er wird sich damit -zufrieden geben?“ - -„Wahrscheinlich ist es nicht. Aber sobald der Maharadscha sich erholt -hat -- die Schnauze in die Luft stecken kann, wie der Oberst sich so -schön ausdrückte -- soll er wieder nach Indien zurückgebracht werden. -Darauf schwor der Oberst. Und dann hat Mirzl keine Chancen mehr.“ - -Nach dem Lunch unternahm Allan einen Ausflug in das erste Stockwerk. -Aber die schwarze Leibwache versperrte ihm den Weg mit einem -wiedererkennenden Zähneblecken. Vor die Türe, die der Oberst gesprengt -hatte, hatte man eine Draperie gehängt. Allan suchte sich den schwarzen -Kriegern verständlich zu machen, aber sie antworteten nur mit einem -Wort, von dem Allan schließlich begriff, daß es +Oberst+ bedeute. -Der Oberst hatte offenbar allen den Zutritt verboten. - -„Lassen Sie mich mit dem Oberst sprechen,“ sagte er. - -Sie schüttelten den Kopf und sagten irgend etwas Unverständliches, als -sich im selben Augenblicke eine Türspalte öffnete und ein blasser Kopf -im Turban sichtbar wurde. Es war der alte Ali. - -„Verehrungswürdiger Poet,“ rief Allan. „Lassen Sie mich hereinkommen -und Ihnen die Hand drücken! Wie geht es Ihnen? Erinnern Sie sich meiner -nicht aus dem Hause der Tausend Freuden, auch Feuerfresserklub genannt?“ - -Der alte Hofdichter fuhr sich über die Stirne. - -„Das Haus der Tausend Freuden war ein vermummter Eingang zum Palast der -Plagen,“ sagte er. „Es kommt mir nun vor, daß ich mich Ihrer erinnere, -junger Mann. Von Ihnen hat man uns gesprochen! Sie waren es, dem es -gelang, von diesen Söhnen Scheitans zu flüchten und es zu verhüten, daß -die Juwelen meines Schülers gestohlen wurden.“ - -„Es war meine Wenigkeit,“ sagte Allan. - -„Kommen Sie also herein, und seien Sie gesegnet! Nicht so sehr von -mir -- denn was sind wohl Juwelen anderes als farbiger Kies? -- aber -von meinem Schüler, dessen Herz in jugendlicher Torheit von den -vielfarbigen Lichtnebeln dieser Welt erfüllt ist, von denen diese -Steine ein Symbol sind. Beim Propheten, mein Kopf schmerzt. Seit -Jamshyd König von Kaikobad war, hat es einen solchen Rausch nicht -gegeben, der große Richter sei mir gnädig. Kommen Sie herein!“ - -Allan passierte ein Spalier von Säbeln. Drinnen fand er den Mann, um -den so viele Intrigen gesponnen waren, in derselben Stellung liegen, -wie er ihn zuletzt im Feuerfresser-Klub gesehen, auf einem Diwan -ausgestreckt, aber mit einem bedeutend matteren und weniger freudigem -Lächeln als damals. In der halbgeöffneten Türe zu einem inneren Zimmer -sah er eine Krankenpflegerin. Bei Allans Eintritt hob Yussuf Khan beide -Hände zum Gruß. - -„Seid mehr als tausendmal gegrüßt!“ sagte er mit schwacher Stimme. -„Verzeiht mir, daß ich mich nicht erhebe, edelster der Sahibs. Man hat -es mir verboten. Sagt, was Ihr als Belohnung für das, was Ihr an mir -getan, wünschet! Sprecht frei!“ - -„Wir wollen ein andermal darüber reden,“ sagte Allan, „es ist mehr dem -Zufall als mir zu verdanken, daß den Verbrechern ihr Anschlag mißlungen -ist. Lassen Sie mich lieber hören, was für Abenteuer Ew. Hoheit und -dieser verehrungswürdigste der Dichter, seit wir uns zuletzt sahen, -erlebt haben.“ - -Der alte Ali sank auf einen Stuhl, nachdem er Allan einen hingestellt -hatte. - -„Setzen Sie sich,“ sagte er. „Ich bin, wie mein Schüler, ermattet von -der Behandlung, der die Söhne Scheitans uns unterworfen haben. Nach -dem, was mir Oberst Morrel Sahib sogleich, als ich hier wieder zum -Leben erwachte, anvertraute, habe ich für immer meinen guten Namen und -meinen Ruf verwirkt. Mit Recht sagt der göttliche Zeltmacher von sich -selbst: - - Gurt, Kleid und Seele, alles, was mir teuer, - Gab ich als Pfand dem Schenken-Ungeheuer. - Nun denn, so bin ich frei von Furcht und Hoffen - Und los von Erde, Wasser, Luft und Feuer. - -Dasselbe sagte Oberst Morrel Sahib von mir, nur nicht in so melodischer -Sprache wie der göttliche Omar. Ich weiß kaum, was ich erlebt habe, -junger Freund, und noch weniger, was mein Schüler erlebt hat. Von -dem Augenblicke, wo ich ihn mit mildem, freundlichem Lächeln um die -Lippen auf einem Diwan im Hause der Freuden ausgestreckt sah, habe ich -ihn nicht wieder gesehen, bis ich heute die bleischweren Augenlider -in diesem Zimmer aufschlug. Da war ich von weißgekleideten jungen -Frauen umgeben, die mich rieben, so wie der Wucherer sein Gold reibt -und beinahe noch eifriger. Außerdem befanden sich im Zimmer ein -weißgekleideter Hakim (Arzt) und mein Schüler sowie Oberst Morrel -Sahib, der mir sofort sagte, ich sollte geköpft und vor den Stadtmauern -Nasirabads aufgehängt werden, als milde Strafe für meine Untaten, für -die es in der Sprache der Sahibs gar keinen Ausdruck gibt.“ - -„Wo ist Oberst Morrel jetzt?“ warf Allan ein. Er konnte sich die Suada -des Obersten vorstellen. - -„Oberst Morrel Sahib ist ausgegangen, um mit dem Minister für Indien -über wichtige Angelegenheiten zu sprechen, die er uns andeutete. Mein -Schüler und ich, die wir unseren guten Namen und unseren guten Ruf in -dieser Stadt verloren haben, die noch nie von ähnlichen Dingen gehört -hat, sollen so still und verschwiegen als möglich wieder heimgebracht -werden. Das will Oberst Morrel Sahib als eine Gnade vom Minister zu -erwirken trachten, der beabsichtigt hat, uns ohne Turbans und mit -geschorenen Köpfen fortzujagen.“ - -„Aber erinnern Sie sich an nichts aus dem Feuerfresser-Klub bis heute?“ -rief Allan. „Das ist ja drei Tage her!“ - -„Junger Freund,“ sagte der alte Hofdichter, „ich bin ein rechtgläubiger -Anhänger des Propheten und habe stets getrachtet, mich unbefleckt -von den Irrlehren zu erhalten, die an Nirwana und ähnliche Einfälle -einer irregeleiteten Phantasie glauben. Aber wenn ich an den Zeitraum -zurückdenke, den Sie eben erwähnt haben, fühle ich eine bedauerliche -Neigung zu glauben, daß die Reden dieser Irrlehrer doch etwas für sich -haben, so vollständig erloschen war mein Bewußtsein in dieser Zeit, von -der Sie sagen, daß sie drei Tage währte. Und mein Schüler, den ich nach -seinen Erfahrungen befragt habe, sagt für seine Person das gleiche aus.“ - -„Das ist wahr,“ kam Yussuf Khans Stimme vom Sofa. „Was mein Lehrer -sagt, ist wahr wie der Koran. Ich erinnere mich an nichts anderes, -als an eine große Dunkelheit, in der ich auf einem unruhigen Meer zu -treiben glaubte und von bösen Träumen gequält wurde. Plötzlich faßte -jemand meine Seele, wie man einen Ertrinkenden faßt, und als ich den -Kopf wieder über das schwarze Meer hob, befand ich mich in diesem -Gemach, umgeben von weißgekleideten Krankenpflegerinnen und einem -weißgekleideten Hakim. Die Verbrecher, die uns in das Haus der Freuden -gelockt und dann entführt haben, konnten, dank Euch, meine Juwelen -nicht stehlen, aber sie stahlen mir drei Tage meines Lebens.“ - -„Mein Schüler spricht gut,“ sagte der alte Ali bewundernd. „Wenn -ich ihm auch, wie Oberst Morrel Sahib versicherte, ein so schlechtes -Vorbild gewesen bin, daß diese ganze Stadt darüber empört ist und -mich in vier Teile zerstückelt sehen will, merke ich doch, daß es mir -einigermaßen gelungen ist, seinen Sinn für Poesie und Beredsamkeit -auszubilden. Allah -- dessen Name ewig gepriesen sei -- gebührt die -Ehre dafür. Jetzt erinnere ich mich doch an etwas, das ich früher -vergessen hatte. Während meine Seele von dieser Dunkelheit umschlossen -dalag, wie von einem Gefängnis mit unendlich dicken Mauern, rieselte -plötzlich ein kleiner Lichtschimmer durch die Mauer hinein. Wie in -einem Traum, oder so wie man durch dichten Nebel sieht, entsinne ich -mich, daß ich ausgestreckt auf einem Lager lag, ob entkleidet oder -nicht, weiß ich nicht. Nicht weit von mir, auf einem anderen Lager -dünkte es mir, daß mein Schüler sich befand. Gerade als ich diese -Empfindung hatte, glaubte ich zu sehen, daß ein Mann, der über mich -gebeugt dagestanden hatte, von meinem Lager zu dem meines Schülers ging -und sich über ihn beugte, mit einem bösartigen Grinsen, wie es die -Götzenbilder in den Tempeln der Ungläubigen auf ihrem Antlitz tragen. -Und seltsamerweise glaubte ich dicht neben ihm eine Frau zu gewahren. -Doch, was wäre daran seltsam? Wo böse Menschen ihren Versammlungsort -haben, da ist auch das Haus voll Weiber, sagt das Sprichwort, und der -Koran -- der allzeit gepriesen sei -- teilt diese Anschauung.“ - -„Es ist um so wahrscheinlicher, daß Sie richtig gesehen haben,“ rief -Allan, „als eine Frau in das gestrige Attentat verwickelt war. -Vielleicht haben Se. Hoheit und Sie noch nicht davon gehört?“ - -Yussuf Khan, der sich lebhaft auf dem Ellbogen aufgerichtet und seinen -Lehrer während seiner Erzählung unverwandt angestarrt hatte, schüttelte -den Kopf, und der alte Ali sagte: - -„Oberst Morrel Sahib nahm sich wenig Zeit zu anderem, als mir meinen -Mangel an guten Eigenschaften vorzuhalten, und wie ich ihn sühnen -könnte. Dann eilte er zum Minister, um einen Aufschub der Strafen zu -erwirken, die dieser mir zugedacht hat. Oberst Morrel Sahib hat ein -gutes Herz.“ - -Ohne dem alten Hofdichter seine Auffassung von Oberst Morrels Maßnahmen -zu rauben, erzählte Allan, was sich am vorhergehenden Abend zugetragen -hatte. Die Libationen des Obersten hüllte er in einen Schleier, aber -machte eine große Nummer aus seiner Attacke gegen die Türe. Die beiden -anderen lauschten ihm wie einem Märchenerzähler im Basar. Allan hatte -kaum zu Ende gesprochen, als im Korridor Schritte ertönten und die Türe -aufgerissen wurde. Es war der Oberst selbst, in Gesellschaft Herrn van -Schleetens. Der alte Ali erhob sich mit ängstlicher Miene von seinem -Sitz. - -„Wie ist es abgelaufen, Oberst Morrel Sahib?“ fragte er. „Kann Se. -Exzellenz der Minister uns verzeihen, oder sollen wir wie Pferdediebe -aus der Stadt gejagt werden?“ - -Oberst Morrel zögerte einen Augenblick mit der Antwort, während er -den Maharadscha und den alten Hofdichter fixierte. Endlich sagte er -mit derselben Langsamkeit wie ein Klassenvorstand, wenn er zu zwei -schlechten Schülern spricht: - -„Ich habe ein sehr schweres Stück Arbeit gehabt. Ich fand Se. -Exzellenz, den Minister für Indien, meinen hochgeschätzten Freund“ -(Allan erinnerte sich, diesen Herrn von Oberst Morrel anders titulieren -gehört zu haben), „in äußerst erregter Verfassung. Die Ansichten, die -er über das Vorgefallene aussprach, und die ich leider nicht ganz -mißbilligen konnte, die Befürchtungen, die er davor hatte, was man -Allerhöchsten Orts sagen und denken würde; die Kommentare, die leider -in der Presse gemacht werden -- all dies hatte seine Gemütsstimmung -derart beeinflußt, daß ich fürchten mußte, meine Aufgabe würde sich als -unlösbar erweisen. Nur durch Aufgebot meiner ganzen Ueberredungskunst, -nur durch wiederholte Berufung auf unsere alte Freundschaft und nur -indem ich heilig und teuer versprach, daß die Abreise Ew. Hoheit -augenblicklich erfolgen würde, gelang es mir, zu erwirken, daß Se. -Exzellenz ihren Entschluß änderte. Ich kann also mitteilen, daß wir -unbehelligt abreisen dürfen, wenn dies längstens übermorgen geschieht. -Ein Dampfer nach Bombay geht an diesem Tage um drei Uhr ab.“ - -Während der alte Ali mit einem tiefen Salaam seine Hand zu fassen -suchte, wischte sich der Oberst die Stirne, ermattet von der -Anstrengung seiner Rede, und fuhr in einem völlig veränderten Tone fort: - -„Jetzt habe ich für Ew. Hoheit getan, was ich konnte. Nun ist es Ew. -Hoheit Sache, mit diesem Herrn zu tun, was Sie für angemessen finden. -Es hängt von Ihnen ab, was mit ihm geschehen soll.“ - -Der Maharadscha, der nach der Rede des Obersten in die Hände geklatscht -hatte und eigentümlicherweise gar nicht enttäuscht darüber schien, -Europa so rasch verlassen und alle Träume von weißen Prinzessinnen -aufgeben zu müssen, wendete sich an Herrn van Schleeten. - -„Das ist ja der Juwelenkünstler,“ rief er, „wie weit ist die Arbeit an -meinen Steinen gediehen?“ - -„Ich ... ich habe die Arbeit vorgestern begonnen,“ stammelte Herr van -Schleeten, „mit Erlaubnis des Herrn Obersten ...“ - -„Mit meiner Erlaubnis, an den Juwelen zu arbeiten,“ schrie der Oberst, -„aber nicht Frauenzimmer heraufzuschleppen, die Sie betäuben und jene -stehlen.“ - -„Ich ... ich sah mich gestern in die Notwendigkeit versetzt, einen -Mitarbeiter heranzuziehen, um ... um die Arbeit so rasch als möglich zu -Ende zu führen ... so rasch als möglich ... wie Ew. Hoheit wünschten. -Leider fiel meine Wahl auf eine ungeeignete Persönlichkeit, die ...“ - -„Auf ein Dämchen, in das Sie verliebt waren, das Sie mit Chloroform -betäubte wie in einer Klinik und alles in Bausch und Bogen gestohlen -hätte, wenn nicht der Zufall und dieser junge Herr dazwischengekommen -wäre! Heraus mit der Sprache!“ rief der Oberst. „Bedenken Sie, daß -niemand weiß, wieviel Sie von ihr wußten!“ - -Herr van Schleeten warf einen wütenden Blick auf Allan, getreu dem -Prinzip, sich über andere zu ärgern, wenn man sich selbst zürnen sollte. - -„Es ist ja möglich, daß die Sache sich so verhält, wie der Herr Oberst -sagt,“ murmelte er, „aber diesen jungen Herrn habe ich auf jeden Fall -vor knapp einer Woche auf einem Bahnhof in Deutschland verhaften sehen. -Wer weiß, was er ...“ - -„Sie sollten sich schämen,“ rief der Oberst, „nun schon zum zweiten -Male mit solchem verdammten Gerede zu kommen. Sie wissen, daß es nur -Gerede ist. Versuchen Sie nicht zu leugnen!“ - -„Es ist leider kein Gerede, Herr Oberst,“ sagte Allan und berichtete in -wenigen Worten, was er im Expreß erlebt hatte. - -„Ich fiel Herrn Mirzls List zum Opfer. Aber was Herr van Schleeten -nicht unerwähnt lassen sollte, ist, daß er bei dieser Gelegenheit die -Bekanntschaft der Dame von gestern Abend machte. Ich war selbst Zeuge -davon. Und daß diese Bekanntschaft in ihrem Plane lag, von Mirzl gar -nicht zu sprechen, ist wohl recht sicher. In der einen oder anderen -Weise haben sie Wind bekommen, welchen Auftrag Herr van Schleeten in -London hatte, und waren entschlossen, alle Möglichkeiten wahrzunehmen. -Herr van Schleeten ging in die Falle, begreiflicherweise, denn die -betreffende Dame spielt ihre Karten geschickt aus und ist ungewöhnlich -schön.“ - -„Hat sie blaue Augen,“ fragte der Maharadscha „und blondes Haar? Ah, -daß ich sobald nach Indien zurückreisen muß!“ (Oberst Morrel fuhr von -seinem Sessel in die Höhe und starrte ihn an.) „Nein, Oberst Morrel -Sahib, ich reise, beglückt über die Gnade Sr. Exzellenz des Ministers. -Aber ...“ - -„Und was sagen Ew. Hoheit zu der Affäre mit Herrn van Schleeten?“ sagte -der Oberst wieder beruhigt. „Hoheit wissen, daß man gestern abend eine -Anzahl Juwelen gestohlen hat.“ - -„Ach, ein paar Juwelen mehr oder weniger!“ sagte Yussuf Khan mit einem -müden, mißmutigen Kopfschütteln. „Ich kam nach Europa, um mein Herz an -eine weiße Frau zu verlieren, wie die Sahibs es tun, und alles, was ich -verloren habe, ist mein guter Name und ein paar Juwelen.“ - -„Mein Schüler spricht schön,“ sagte der alte Ali befriedigt. „Der -Aufenthalt in dieser Stadt hat ihm in dieser Beziehung merklich gut -getan.“ - -„Nun, und Herr van Schleeten?“ beharrte der Oberst, der den Holländer -ungerne dem Schandpfahl entgehen sah. - -„Ich sage ja,“ sagte Yussuf Khan, „daß ich diesen Juwelenkünstler -beneide, dem es gelungen ist, sein Herz an eine Frau zu verlieren. Ich -habe hundertfünfzig Frauen in meinem Palast, schön wie Gazellen und -zärtlich wie Turteltauben im Lenzmonat, und noch hat keine von ihnen -mich für mehr als eine Stunde bezaubert. Seinen Namen und seinen Ruf -für eine Frau zu wagen wie dieser Mann -- das muß wunderbar sein. Der -Juwelenkünstler hat meine Vergebung und meinen Neid.“ - -„Wahrlich,“ sagte der alte Ali, „mein Schüler spricht immer besser und -besser! Die Lehren, die ich ihm eingepflanzt habe, tragen späte, aber -schöne Früchte. Es muß der Aufenthalt in dieser Stadt sein, der sie -zur Reife gebracht hat.“ - -Herr van Schleeten, dessen bordeauxfarbene Nase sich bei Yussuf Khans -Rede, die er als Hohn auffaßte, zornig gerümpft hatte, richtete -sich nach seinen letzten Worten erleichtert auf. Er begann etwas zu -stammeln, aber Yussuf Khan schnitt seine Danksagungen ab, indem er zum -Obersten sagte: - -„Nun liegen mir noch zwei Sachen am Herzen, Oberst Morrel Sahib, -erstens, daß eine angemessene Belohnung diesem jungen Mann überreicht -wird, der nun zweimal den listigen Verbrechern zuvorgekommen ist. Wollt -Ihr dies besorgen, da ich der europäischen Gebräuche ungewohnt bin?“ - -Allan wollte protestieren, aber der Oberst schnitt ihm das Wort ab. - -„Eine Weigerung würde den Maharadscha zwecklos verletzen,“ sagte er. -„Was meinen Ew. Hoheit zu einigen der Juwelen, die der junge Mann -gerettet hat? Und was sagen Sie selbst, junger Freund?“ - -Allan murmelte etwas, und Yussuf Khan klatschte in die Hände. - -„Ausgezeichnet! Ausgezeichnet!“ rief er. „Man bringe die Juwelen -herein.“ - -Eine Minute später durfte Allan zum erstenmal die Juwelen in ihrem -vollen Glanze schauen, die er mitgeholfen hatte, ihrem rechten Besitzer -zu bewahren. Es wäre zu wenig gesagt, daß sie ihm den Atem benahmen. -Etwas Aehnliches hatte er nie gesehen, ja nicht einmal geträumt. Es -war das Morgenland, das ihm aus den Fassetten dieser tausend Steine -entgegenstrahlte, wie durch ein vielfarbiges Fenster. Als er sich -halbwegs erholt hatte, wählte er befangen ein paar einzelne Edelsteine -aus, aber der Maharadscha, in den beim Anblick der Juwelen neues -Leben gekommen zu sein schien, nahm ein Diamantenhalsband mit einem -blutroten Rubin in der Mitte, in einer Goldkettenfassung, die vom Alter -verblichen war, und reichte es Allan. - -„Nehmt dies,“ sagte er, „wenn Ihr wollt. Es ist ein unwürdiger Beweis -meiner Dankbarkeit.“ - -„Es gehörte einmal,“ schaltete der alte Ali ein, „Mahmud, Sultan von -Naishapur, an dessen Hof der göttliche Zeltmacher lebte. Vielleicht -hat er es am Halse einer der Favoritinnen des Sultans bewundert und -vielleicht besang er dieses Diadem mit den Worten ...“ - -„Ja, ja! Vortrefflich!“ sagte der Oberst. „Und die andere Sache, die -Ew. Hoheit wünschten?“ - -Es war klar, daß der Oberst die Poesie des göttlichen Zeltmachers -nicht im gleichen Grade liebte wie der alte Ali, und auch, daß er in -glänzender Laune war, nun er die Abreise gesichert sah. Yussuf Khan -erwiderte: - -„Die andere Sache war, daß ich gerne mit dem Mann sprechen möchte, der -diese Karawanserei innehat ... wenn er kommt, werde ich schon erklären, -warum. Wollt Ihr ihn rufen lassen, Oberst Morrel Sahib?“ - -Mit wieder unruhigem Gesichtsausdruck klingelte der Oberst; ein paar -Minuten später erschien der Direktor des großen Hotels, von einem -Angestellten gerufen. Er begann den Maharadscha zu seiner Genesung zu -beglückwünschen. Der Oberst unterbrach ihn: - -„Se. Hoheit mit Gefolge reist übermorgen, Herr Direktor!“ - -Der Direktor schlug einen dankbaren Blick zur Höhe auf, während er sich -verbeugte. - -„Nicht so eilig, Oberst Morrel Sahib!“ sagte Yussuf Khan. Der Direktor -blieb erschrocken in seiner Verbeugung stecken. „Nicht so eilig! Wir -reisen übermorgen, Dank der Gnade Sr. Exzellenz des Ministers, aber -vorher wünsche ich noch etwas.“ - -Er wendete sich an den Direktor: - -„Zweifelsohne habt Ihr einen Saal, wo Festlichkeiten abgehalten werden? -Einen Saal mit Raum für viele, so wie ich ihn in dem Hause der Freuden -sah?“ - -Der Direktor bejahte es. - -„Gut. Hört also meinen Willen. Dieser Saal soll für morgen abend zu -einem Feste bereitet werden, und alles soll dem, was wir in Indien -haben, so ähnlich als möglich sein. Da ich nicht mehr von dem Lande der -Sahibs sehen kann, will ich den Sahibs mein eigenes Land zeigen. Darum -ist es mein Wille, daß alles dem, was wir in meinem Lande haben, so -ähnlich als möglich sein soll.“ - -Der Direktor verbeugte sich tief. - -„Zu diesem Feste,“ fuhr Yussuf Khan fort, „das so festlich sein soll -wie die Vermählung eines Maharadschas, ist es mein Wille, daß alle -jene eingeladen werden, die in der Zeit, die ich hier war, unangenehme -Erlebnisse gehabt haben.“ - -Er machte eine Geste, die sämtliche Anwesende umfaßte; Allan murmelte -dem Obersten zu: - -„Dann müßten Bowlbys mit dabei sein.“ - -„Was sagte der junge Mann?“ fragte Yussuf Khan. - -„Er meinte, daß eine amerikanische Familie, aus deren Wohnung das erste -Attentat unternommen wurde, eingeladen werden sollte,“ sagte der Oberst. - -„Sie soll eingeladen werden,“ sagte Yussuf Khan ohne Zögern. „Und -dieser Mann, dem die Karawanserei gehört?“ - -Der Direktor erklärte mit einer Verbeugung, daß es ihm erstens -unmöglich sei, in seinem eigenen Hotel zu Gast zu sein, daß er sich -zweitens undenkbar zu der Kategorie von Personen rechnen könne, die -durch die Anwesenheit Sr. Hoheit Unannehmlichkeiten gehabt hatten. Die -Anwesenheit Sr. Hoheit im Hotel habe im Gegenteil ... - -Yussuf Khan unterbrach ihn mit einer Handbewegung. Der Oberst warf -knurrig ein: - -„Und Herr van Schleeten?“ - -„Natürlich auch der Juwelenkünstler,“ sagte Yussuf Khan. „Von allen -beneidet soll der Mann an der festlichen Tafel sitzen, der sein Herz an -eine Frau verlieren konnte.“ - -Herr van Schleeten verbeugte sich, ohne daß besondere Freude über -die Rolle, die ihm bei der Festtafel zugedacht war, sich auf seiner -bordeauxfarbenen Nase spiegelte. Der alte Ali rief hingegen: - -„Mein Schüler spricht immer besser und poetischer! Der Aufenthalt in -dieser Stadt, die wir Dank Oberst Morrel Sahib mit unversehrtem Turban -und ungeschorenem Kopfe verlassen dürfen; hat ihm in dieser Beziehung -wunderbar gut getan.“ - - - - -XI - -Das vielleicht seine Aufgabe erfüllt, den Leser zu verwirren - - -In der Ziegelwüste des nordwestlichen Londons liegt, nicht weit von -Maida Vale, ein Ziegelkanon Chesterton Mansions genannt. Tatsächlich -erinnert er mit seinen steilen hohen Ziegelmauern an nichts so sehr wie -an die berühmten Schluchten, die sich die Flüsse im Westen Amerikas -gegraben haben. Warum er die Bezeichnung Mansions führt, ist unbekannt; -im allgemeinen pflegt dieses Wort anzudeuten, daß eine Straße mit -Bäumen bepflanzt ist; aber wenn das bei Chesterton Mansions einstmals -der Fall war, so ist jetzt nur mehr der Name als einziges Rudiment -übrig. Die siebenstöckigen Häuser der Straße sind in Mietwohnungen -geteilt, zwei in jedem Stockwerk, so wie man es bei uns zulande kennt, -aber wie es in England etwas relativ Neues ist. Da der Ruf der Straße -nicht der beste ist, stehen oft eine Menge Wohnungen leer. In jenem -September, in dem die Ereignisse dieses Buches sich abspielten, stand -beispielsweise das Haus Nr. 48, das die Mietwohnungen Nr. 659-672 -enthält, noch am 11. September leer. Am 12. fand sich jedoch ein Herr -beim Hausverwalter ein, stellte sich als Baron de Citrac vor und -wünschte eine so ungestörte Wohnung als möglich zu mieten. Er sei -wissenschaftlicher Arbeiten wegen nach London gekommen und bringe seine -Frau mit, für die er am liebsten eine separate Wohnung gegenüber seiner -eigenen haben wolle. Der Häuserverwalter Mr. Markham, beeilte sich, -ihm das Haus Nr. 48 zu zeigen. Der Baron entschied sich sofort für -die Wohnungen Nr. 661-662 im ersten Stock, bezahlte im vorhinein und -bat den Verwalter, ein einfaches, aber solides Ameublement für beide -Wohnungen zu beschaffen. Er drückte seine Anerkennung für Mr. Markhams -Entgegenkommen durch eine Fünfpfundnote aus, die Mr. Markham zu seinem -Sklaven machte, und nahm dann Abschied. - -Montag, den 15., zog er ein. Der Verwalter war selbst zugegen, und -fand Gelegenheit, seine Meinung über den neuen Mieter in einem Punkte -zu ändern. Die Reden des Barons von wissenschaftlichen Arbeiten -hatte er nur als einen durchsichtigen Vorwand für etwas ganz anderes -aufgefaßt, worin die Franzosen eine traurige Berühmtheit besitzen und -dem auch Chesterton Mansions nicht fremd war: eine Eskapade mit einer -nicht offiziellen Baronin. Er gab den Glauben daran auf, als er die -Baronin de Citrac erblickte; denn gewiß war sie schön und pikant, mit -grauen Augen und rotblondem Haar, aber dabei sah sie so vornehm aus, -daß der Verwalter die ganze Zeit, die sie da war, mit dem Hute in der -Hand dastand. Der Baron, der zwei Diener mit hatte, drückte seine -Zufriedenheit mit der Möblierung der Wohnungen aus und verabschiedete -den Verwalter. - -Es dauerte bis zum 16., bevor dieser den neuen Mieter wiedersah, denn -er wohnte selbst in einer Quergasse; aber als dies geschah, war es -unter Umständen, die ihn aufs neue an dem Ernst von Herrn de Citracs -wissenschaftlichen Studien zweifeln ließen. Mr. Markham war am Abend -des 15. Septembers in einer Gesellschaft gewesen, die sich bedenklich -in die Länge gezogen hatte; ein Freund von ihm, der Junggeselle war -und ein Geschäft in einer Quergasse von Chesterton Mansions hatte, -hatte ihn zu einer Geburtstagsfeier eingeladen. Diese hatte im „Roten -Löwen“ in Maida Vale begonnen und war nach Schließung dieses populären -Lokales in der Junggesellenwohnung des Freundes fortgesetzt worden. -Die Haupterfrischung war irländischer Whisky gewesen, und Mr. Markham -war sich des Einflusses dieses Getränkes auf die Balancierfähigkeit -ganz bewußt, als er gegen halb vier Uhr morgens heimwanderte. Er nahm -den Weg durch Chesterton Mansions aus dem Grunde, weil diese Straße -eine unerklärliche Anziehung auf seine Beine auszuüben schien, doch -ohne daß diese irgendwelche Parteilichkeit für eine bestimmte Seite -derselben zeigten; und er hatte sich eben an einem Laternenpfahl auf -dem linken Trottoir verankert, als die Nachtruhe von etwas anderem als -dem Trommelwirbel, den seine Stöckel auf dem Pflaster vollführten, -unterbrochen wurde. Ein Auto kam nach Chesterton Mansions gesaust und -hielt vor dem Hause gegenüber von Mr. Markhams Laternenpfahl. Mr. -Markhams irrender Blick hatte soeben konstatiert, daß es das Haus Nr. -48 war. Jetzt sah er zwei Herren mit aufgestellten Rockkragen aus dem -Auto steigen und mit großer Anstrengung zwei andere herausheben, -die in beträchtlich schlimmerer Verfassung schienen als Mr. Markham -selbst. Sie konnten faktisch nicht auf den Beinen stehen. Mr. Markham -glaubte zu sehen, daß sie in irgendein exzentrisches Kostüm gekleidet -waren. Der Kontrast zwischen den Evolutionen der vier Herren und seiner -eigenen sicheren Position am Laternenpfahl erfüllte ihn mit einer -Befriedigung, die in einem herzlichen Lachen Ausdruck fand. - -„Mi--mir scheint, die haben g--genug,“ sagte Mr. Markham. - -Die Laterne, unter der Mr. Markham stand, war ausgelöscht, und Mr. -Markham erregte daher nicht die Aufmerksamkeit der vier Herren. -Jetzt sprang der Chauffeur ab und übernahm den einen der beiden -übererfrischten Herren, während einer der Herren, die zuerst -ausgestiegen waren, das Haustor von Nr. 48 öffnete. Der Mann, den der -Chauffeur stützte, fiel seinem Helfer in die Arme, und verlor dabei -einen weißen Turban, der auf das Trottoir rollte. - -„Der ist wohl auf einem Ma--maskenball gewesen,“ sagte Mr. Markham. -„Mir scheint, der hat genug. Und jetzt trei--treiben sie es, scheint -mir, noch weiter!“ - -Jetzt öffnete sich die Haustüre, und ein mühsamer Transport begann, -dem Mr. Markham unter großer Heiterkeit zusah. Schließlich kehrte der -Chauffeur allein zurück, schloß das Tor und fuhr im Auto fort, ohne Mr. -Markham gesehen zu haben. - -„De--der wird sich auch ein schönes Trinkgeld verdient haben,“ murmelte -Mr. Markham mit einem verständnisvollen Lächeln und löste sich von dem -Laternenpfahl los. Er erreichte die nächste Straßenecke, wo er sich -wieder verankerte, um einem Gedanken Luft zu machen, der sich in seinem -Innern emporgearbeitet hatte. - -„Nummer ach--achtundvierzig, hol mich der und jener!“ brummte Mr. -Markham. „Die Wohnung des B--barons. Die einzige, die vermietet -ist! Wissenschaftliche Arbeiten, hahaha! Go--gott helfe mir, -wissenschaftliche Arbeiten!“ - -Er gewann diesem Gedanken alle Ergötzlichkeit ab, die er bot, bevor -er den Laternenpfahl wieder losließ und seinen unsicheren Heimweg -fortsetzte. - -Mr. Markhams Gedächtnis war von jener beneidenswerten Sorte, die auch -an einem Morgen nach irländischem Whisky funktioniert. Er erinnerte -sich folglich am nächsten Morgen an die vier Herren, die er in das Haus -Nr. 48 gehen gesehen hatte; und in der Morgenbeleuchtung erschien ihm -dieser Vorfall nicht ganz so ausschließlich humoristisch wie in der -Nacht. Nur der Chauffeur war wieder aus dem Hause herausgekommen; waren -also die drei Herren die Nacht über beim Baron geblieben? Dann hatten -sie sicherlich Lärm gemacht und die Nachtruhe der Nachbarn gestört. Mr. -Markham machte einen Vormittagsbesuch in Nr. 46, um sich beim Nachbar -des Barons darnach zu erkundigen. - -Dieser war ein jüdischer Geldverleiher, der immer mit der Sonne -aufstand, um soviel als möglich aus seinem fragwürdigen Beruf -herauszuschlagen. An diesem Morgen war er schon seit halb sechs Uhr -auf, wie er Mr. Markham erklärte, aber durchaus nicht infolge von Lärm -im Nebenhause. Er hatte im Gegenteil kaum einen Laut von dort gehört; -aber gegen sechs Uhr hatte er einen Herrn mit aufgestelltem Rockkragen -Nr. 48 verlassen und die Sutherland Avenue hinuntergehen sehen. - -„Einen?“ fragte Mr. Markham, „nur einen, Herr Streptowitz?“ - -„Nur einen,“ bestätigte Herr Streptowitz mit dem melancholischen -Tonfall, den seine Stimme bei der Erwähnung so geringfügiger Zahlen -annahm. - -„Nur einer!“ wiederholte Mr. Markham. „Aber ich sah doch vier -hineingehen, und da müßten wohl drei wieder herausgekommen sein, wenn -der eine der vier der Baron war!“ - -„Die andern zwei Herren sind wohl vorangegangen,“ sagte Mr. -Streptowitz, so melancholisch, als wollte er andeuten, daß die beiden -Herren in eine andere Welt gegangen seien. - -Mr. Markham gab zu, daß dies wahrscheinlich sei, und verabschiedete -sich. - -Am selben Nachmittag sah er den Baron und die Baronin. Sie standen im -Stiegenhaus vor der offenen Türe ihrer Wohnung und sprachen eifrig mit -gesenkter Stimme. Mr. Markham, der die Treppen hinaufkam, um die leeren -Wohnungen zu besichtigen und seiner Gewohnheit gemäß in Gummischuhen -ging, kam in Hörweite, ohne daß sie ihn bemerkten. Er fing einige Worte -des Barons auf: - -„Der verdammte schwedische Schlingel! Diese Nacht gehörte ihm, aber -übermorgen gedenke ich durch dich Revanche zu nehmen ...“ Er erblickte -Mr. Markham und verstummte plötzlich. - -Mr. Markham, der innerlich zu der Schlußfolgerung gelangt war, daß der -eine der Teilnehmer an der Orgie der Nacht -- vermutlich der Herr mit -dem Turban -- ein Schwede war und offenbar seinen Gastgebern lästig -geworden war, lächelte dem Baron diskret zu, während er grüßte. Er -wollte eben eine feine Anspielung machen, um zu zeigen, daß er von den -wissenschaftlichen Studien seines Mieters wußte, was er wußte, aber sah -aus Respekt vor der Baronin davon ab. - -Es dauerte bis Freitag, den 19. September, ehe er Anlaß hatte, wieder -an die Herrschaften in Nr. 48 zu denken. Früh am Vormittag dieses Tages -ging er an Mr. Streptowitz’ Wohnung vorbei. Dieser Herr stand in der -Türe und rauchte in Hemdärmeln eine Pfeife. Als er Mr. Markham sah, -nahm er die Pfeife aus dem Mund und winkte ihm. - -„Jetzt sind die aus Nr. 48 abgereist,“ sagte er mit betrübter Stimme. - -„Abgereist? Der Baron ist abgereist?“ stammelte Mr. Markham. - -„Das weiß ich nicht, aber die zwei Herren, von denen Sie dieser Tage -sagten, daß sie Ihnen fehlten.“ - -„Was meinen Sie, Mr. Streptowitz?“ - -„Die zwei Herren, die dieser Tage fehlten. Sie sagten doch, Sie hätten -drei fremde Herren hineingehen sehen, und ich sah nur einen wieder -fortgehen. Heute morgens um halb fünf Uhr, als ich mich ankleidete, sah -ich sie in einem Auto in Gesellschaft eines anderen Herrn fortfahren. -Sie sahen aus wie Inder und wie schwer betrunken. Es war noch kaum -taghell. Ich stehe am Freitag immer so früh auf, weil die Leute für den -Sabbath Geld brauchen.“ - -„Inder und bis jetzt da!“ rief Mr. Markham, „und um halb fünf Uhr früh -schwer betrunken! Das ist ja unanständig, Mr. Streptowitz.“ - -„Das ist es auch,“ gab Mr. Streptowitz mit einem etwas freudigerem -Tonfall zu. „Um fünf Uhr soll man aufstehen und arbeiten, und nicht -betrunken sein. Was macht denn der Baron auf Nr. 48?“ - -„Er studiert!“ rief Mr. Markham mit einem schrillen Lachen. „Studiert -die Wissenschaften, Streptowitz! Gott helfe mir, die Wissenschaften!“ - -„Das ist traurig,“ sagte Mr. Streptowitz, „sehr traurig. Sie werden -schon sehen, bei dem kommt noch etwas Merkwürdiges heraus, Mr. Markham.“ - -Mr. Markham, der sich an seine Fünfpfundnote erinnerte, erklärte -energisch, seine Mieter stünden hoch über jedem Verdacht. - -Am selben Tage etwas später führte ihn sein Weg zum Baron. Chesterton -Mansions war bis jetzt nur mit Gas versehen gewesen; nun war die -Rede davon, Elektrizität einzuführen, wenn die Mieter sich dafür -aussprachen. Mr. Markham klingelte beim Baron an, um sich zu -erkundigen. In der Wohnung reagierte niemand darauf. Mr. Markham -klingelte bei der Baronin an. Zu seinem Staunen kam sie selbst und -öffnete. Sie machte nur einen kleinen Spalt der Türe auf, um zu sehen, -wer da war. Sie sah etwas übernächtig aus, ihre grauen Augen waren -nicht so ruhig und kalt wie sonst, und Mr. Markham bemerkte, daß sie -Ringe unter denselben hatte. Mr. Markham brachte sein Anliegen vor und -sagte, daß er schon an der Wohnung ihres Mannes geklingelt habe. - -„Mein Mann ist ausgegangen,“ sagte sie kurz, aber verbesserte sich -sofort: „verreist, meine ich. Nach Oxford, seiner Arbeit wegen.“ - -Mr. Markham, der sich an Mr. Streptowitz’ Erzählung von den drei Herren -erinnerte, die am Morgen abgereist waren, starrte sie an und machte -seiner Neugierde Luft. - -„Hat der Baron Besuch gehabt?“ fragte er. - -Sie zog die Augenbrauen zusammen. - -„Was meinen Sie?“ - -„Jemand hat heute morgens zu sehr früher Stunde drei Herren abreisen -sehen,“ stammelte Mr. Markham. - -Die Baronin sah ihm fest in die Augen. - -„Der Baron ist heute früh mit seinen zwei Dienern abgereist,“ sagte -sie kurz. „Ich bin bis morgen allein in der Wohnung, aber seien Sie -so gut und lassen Sie das nicht bekannt werden. Eine Dame allein kann -Unannehmlichkeiten haben.“ - -„Und die Elektrizität?“ murmelte Mr. Markham mit einer demütigen -Verbeugung. - -„Hat Zeit, bis der Baron in ein oder zwei Tagen wiederkommt. Guten -Abend.“ - -Sie schloß die Türe artig, aber bestimmt Mr. Markham vor der Nase zu. -Dieser blieb stehen und starrte die Türe an, und plötzlich zuckte er -zusammen. Er hätte es nicht beschwören können -- aber war das nicht -eine Männerstimme, die er drinnen aus der Wohnung gehört hatte, in der -die Baronin +allein+ war? Nur einen Augenblick, dann war es wieder -still ... Mr. Markham machte einer ententefeindlichen Ansicht über die -Moral der Franzosen Luft und ging, indem er murmelte: - -„Streptowitz hat recht, das ist bestimmt eine merkwürdige Gesellschaft, -die hier auf Nr. 48.“ - -Hätte Mr. Markham die Gabe gehabt, in dem Augenblicke, in dem er diese -Aeußerung machte, durch die geschlossene Türe zu sehen, wäre sie noch -berechtigter gewesen. Mr. Markhams Ohren hatten ihn nicht getäuscht; es -war eine Männerstimme, die er soeben aus der Wohnung der Baronin gehört -hatte, und was sie gesagt hatte, war: - -„Wer war das? Der Verbrecherkönig?“ - -Die Stimme kam von einem jungen Manne, der auf einem Diwan lag. Er -war von bräunlicher Gesichtsfarbe mit einem kurzen Schnurrbart, nicht -ohne Spuren von Wohlleben, und seine Augen waren von schwarzen Ringen -umgeben, die ebenso gut von Wohlleben wie von Entbehrungen stammen -konnten. Denn der junge Mann, der auf dem Diwan lag, war an Händen und -Füßen gebunden und wurde außerdem durch einen losen Gürtel über der -Brust an dem Diwan festgehalten. Die Baronin hatte sich ruhig in einem -Fauteuil niedergelassen; der Gefangene auf dem Diwan wiederholte seine -Frage: - -„War das Euer Gatte, der Verbrecherkönig?“ - -Sie schüttelte den Kopf. - -„Sie sind beharrlich in Ihrer Ausdrucksweise,“ sagte sie. „Wie oft -soll ich Ihnen noch sagen, daß der Mann, den Sie den Verbrecherkönig -nennen, nicht mein Gatte ist?“ - -„Aber ihr wohnt doch hier zusammen?“ - -„Nein, sage ich Ihnen. Wir haben jeder unsere Wohnung. Die seine liegt -meiner gegenüber, und der jetzt angeläutet hat, war der Mann, der -die Wohnungen vermietet. Er hatte eine Anfrage. Sind Sie jetzt nicht -durstig? Soll ich Ihnen Zitrone und Wasser geben?“ - -Der Gefangene auf dem Diwan runzelte heftig die Stirne. - -„Ich nehme ebenso wenig von Euch etwas an, wie von ihm, von dem Ihr -behauptet, daß er nicht Euer Gatte ist,“ sagte er. - -Seine Stimme zitterte vor unterdrückter Empörung. - -„Ihr beide habt unauslöschliche Schmach auf meinen Namen gehäuft und -die Pläne ganz durchkreuzt, um deretwillen ich in diesen Weltteil -gekommen bin, der ewig verflucht sein möge.“ - -„Aber ich sage Ihnen, es dauert mindestens zwei Tage, bis Sie frei -werden. Sie werden verhungern oder verdursten.“ - -„Lieber das, als etwas von Euch annehmen.“ - -Dies junge Frau neigte den Kopf. - -„Wie Sie wollen,“ sagte sie. „Vielleicht können Sie zwei Tage leben, -ohne sich so tief zu demütigen. Die Menschen in Ihrem Lande können sich -ja sogar lebend begraben lassen ohne zu sterben. Im übrigen müßte ja -Zitrone und Wasser nicht als Salz und Brot gelten.“ - -Der Gefangene lag mit geschlossenen Augen da, ohne zu antworten. Sie -fuhr langsam wie für sich selbst fort: - -„Als Sie vor einigen Stunden zum Bewußtsein erwachten, tranken Sie zwei -ganze Gläser, die Ihnen gut zu tun schienen.“ - -Er öffnete die Augen und starrte sie an. - -„Ist das wahr, oder lügt Ihr, um mich in einer Falle zu fangen?“ - -„Ich bin eine Abenteurerin, aber ich lüge Sie nicht an. Nicht einmal, -um Sie in eine Falle zu locken.“ - -Er starrte sie an ohne zu antworten. Endlich sagte er: - -„Eine Abenteurerin? Was ist das?“ - -Sie zog die Augenbrauen empor. - -„Wie soll ich es Ihnen sagen? Ich war verheiratet, mein Mann starb, ich -war des Lebens, das ich kannte, müde und zog aus, um etwas Neues kennen -zu lernen.“ - -„Und Ihr fandet es?“ Seine Stimme war eifrig, aber ohne die frühere -Erregung. - -„Ich fand wenigstens eine neue Sorte von Mann,“ sagte sie. - -„Wen? Den Verbrecherkönig?“ - -„Ja. Er glich keinem anderen Mann, den ich getroffen hatte. Er beging -Torheiten, die ihm das Leben und die Freiheit kosten konnten, um einer -Laune willen, und er konnte den Gewinn um einer Laune willen hinwerfen, -die törichter war, als andere Menschen es sich auch nur träumen lassen -können.“ - -Der Gefangene auf dem Diwan starrte vor sich hin und murmelte: - -„Auch ich war des Lebens, das ich kannte, müde und zog aus, um etwas -Neues zu suchen, das ich nicht kannte.“ - -Sie lächelte. - -„Aber das haben Sie ja unleugbar gefunden!“ - -„Was ich suchte, war ein Weib, dessengleichen ich noch nie gesehen.“ - -Sie lächelte wieder. - -„Und ich suchte einen solchen Mann, vermute ich!“ - -Er starrte sie verachtungsvoll an. - -„Und Ihr begnügtet Euch mit einem Verbrecherkönig!“ - -„Es gilt König auf irgendeinem Gebiete zu sein,“ sagte sie. - -„Und Ihr, die Ihr es verdient, Königin, wo es auch sein mag, zu sein, -entscheidet Euch dafür, die Königin der Verbrecher zu sein. Beim -Propheten, ich kann meinen Sinnen nicht glauben.“ - -„Sie sind artig gegen mich,“ sagte sie. „Sie würden es vermutlich nicht -sein, wenn ich Ihnen sagte, daß ich mich nicht wie andere Königinnen -damit begnüge, den König regieren zu lassen. Heute nacht unternahm ich -einen Versuch, das zu tun, was dem König vor drei Tagen mißlungen ist. -Sie haben schon selbst herausgefunden, warum Sie hier sind.“ - -„Einer Anzahl farbiger Steine wegen; die weißen Sahibs denken nie an -etwas anderes als an Gewinn.“ - -„Einer Anzahl recht ungewöhnlicher, farbiger Steine wegen,“ wendete sie -ein. „Aber farbig oder nicht farbig hätten sie für mich nur durch das -Bewußtsein Wert gehabt, daß mir gelungen ist, was dem König mißlang.“ - -„Eurem Gemahl! Dem Mann, den Ihr liebt!“ - -„Nein, sage ich Ihnen!“ Sie stampfte mit ihrem schwarzen Samtschuh auf -den Boden, „ein Bewerber um meine Hand. Nichts anderes. Lassen Sie mich -erzählen, was er und was ich getan haben, und sagen Sie mir, wer bisher -des Throns würdiger ist.“ - -Indem sie ihre Finger miteinander verschlang und hie und da nach der -Sonne sah, die hinter dem Ziegelhorizont von Chesterton Mansions -verschwand und ihr Haar zu einer goldroten Krone machte, begann sie -zu sprechen. Der Gefangene auf dem Diwan hörte ihr schweigend zu, -während der Blick seiner Augen die ganze Skala von Verachtung bis -zum Enthusiasmus durchlief. Nach einiger Zeit verstummte sie und sah -ihn an, die Augenbrauen über ihren grauen Augen fragend gehoben. Er -schwieg, dann sagte er langsam: - -„Und alles wegen ein paar farbiger Steine! Wäre ich frei, sie wären in -diesem Augenblicke die Euren.“ - -Sie richtete sich ein wenig auf. - -„Meinen Sie, was Sie sagen?“ fragte sie. „Könnten Sie Juwelen, die in -Geld gar nicht zu schätzen sind, einem Wesen schenken, das alles dazu -getan hat, Sie derselben zu berauben? Ach, Sie sprechen wie andere -Männer -- der schönen Worte wegen.“ - -Er sah sie mit einem intensiven und zugleich müden Blick an. - -„Ihr könnt so etwas nicht für möglich halten,“ sagte er, „seid Ihr -doch eine aus dem Volke der Sahibs. In meinem Lande werden Reichtum -und edle Steine nur für das geschätzt, was sie sind, und was ein Mann -leistet, gilt alles. Aber Ihr seid aus dem Volke der Sahibs, und Euch -scheint es undenkbar, daß ich aus einer Laune etwas wegwerfe, was für -Euch Ziel und Zweck des Lebens ist.“ - -Sie erhob sich aus ihrem Fauteuil und glitt zu dem Diwan, auf dem er -lag. - -„Was würden Sie tun, wenn ich jetzt Ihre Bande löste?“ sagte sie. - -Er sah sie mit derselben Ruhe im Blick an. - -„Mein Versprechen lockt Euch?“ sagte er. „Ihr wollt sehen, ob eines -Königs Wort auch eines Königs Wort ist, wenn es sich um hundertfünfzig -Juwelen handelt?“ - -In ihren Augen blitzte es auf, und sie machte zwei Schritte zurück. - -„Sie könnten mir die Steine jetzt geben, und ich würde sie Ihnen ins -Gesicht werfen,“ sagte sie. „Wenn es mir heute nacht gelungen wäre, -mich Ihrer Juwelen zu bemächtigen, für deren Besitz ich viele hundert -Meilen gereist bin, ich würde dasselbe damit tun. Sie können mir aufs -Wort glauben. So sehr Sie König sind, bin ich Königin.“ - -Er machte einen Versuch, sich auf dem Diwan aufzurichten, aber wurde -von den Banden gehindert und sank zurück. Er starrte sie lange und -unverwandt an, wie um sich von dem Gehalt ihrer Worte zu überzeugen. -Sie hielt stand und betrachtete ihn mit demselben Licht in den Pupillen -und derselben leichtgeschürzten Oberlippe. Endlich sagte er langsam und -beinahe demütig: - -„Ich bin blind gewesen. Verzeiht! Ihr seid das, was Ihr sagtet, und -meine Kehle ist trockener als eine Wüste. Aus Eurer Hand empfange ich -alles, was sie gibt, wie der Bettler eine Gabe.“ - -Sie zuckte zusammen; ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln, und sie -eilte durch das Zimmer zu einem Tisch mit Gläsern und Flaschen. Nach -einem Augenblick war sie wieder bei ihm, mit einem Glas, dessen Inhalt -er auf einen Zug austrank. Er sank auf den Diwan zurück, sie zog den -Fauteuil etwas näher heran und setzte sich. Sie maßen einander noch -immer mit den Blicken, und schließlich sagte er: - -„Erzählt mir noch mehr aus Eurem Leben. Seid Ihr wirklich mehrere -hundert Meilen gefahren, um meine Juwelen zu erringen? Ohne sie auch -nur um ihres Geldwertes willen zu begehren?“ - -Sie neigte den Kopf. - -„Mich dünkt,“ sagte er langsam, „als wäre ich einen noch weiteren Weg -gepilgert, oh Maharaneeh, um Euch zu begegnen.“ - - * * - * - -Am Nachmittag des nächsten Tages, als Mr. Markham bei der Baronin und -dem Baron anklingelte, meldete sich niemand. Mr. Markham stürzte zu Mr. -Streptowitz hinauf. Dieser nickte bestätigend. - -„Jawohl, sie ist abgereist. Ich habe sie selbst gesehen. Aber sie war -nicht allein!“ - -„Nicht allein? War sie in Gesellschaft des Barons?“ - -„Nein,“ sagte Mr. Streptowitz, „sie war mit einem Hindu. Das Haus muß -voller Hindu sein. Ich bin überzeugt, das sind Anarchisten. Und dieser -Hindu und die Baronin lächelten sich an wie ein verliebtes Paar.“ - -Und das war das letzte, was Chesterton Mansions von dem freiherrlichen -Paar de Citrac sah. - - - - -XII - -Ein Fest und sein Abschluß - - -Allan fiel der Auftrag zu, Yussuf Khans Einladung der Familie Bowlby -zu übermitteln, einerseits, weil der Maharadscha und der alte Ali -noch nicht fest genug auf den Füßen standen, um die fürstliche Suite -zu verlassen, andererseits, weil Allan als persönlicher Freund der -amerikanischen Familie sich für den Auftrag am besten eignete. Er -machte folglich am selben Abend einen Besuch bei ihnen und überbrachte -die Einladung. - -Eine Debatte folgte. Mrs. Bowlby hatte ihn kaum bis zu Ende gehört, als -sie von ihrem Sessel aufsprang und erklärte, was sie alles eher sein -wollte, als zu einer solchen Veranstaltung zu gehen. - -„Glauben Sie, ich durchschaue ihn nicht? Er will sich durch uns -rehabilitieren, nachdem er durch den heutigen Skandal in aller Leute -Mund gekommen ist! Das will er!“ - -„Aber er reist doch übermorgen ab, Mrs. Bowlby.“ - -„Und was wird nun mit der Prinzessin, um die er werben wollte?“ - -„Das muß er aufgeben, und ehrlich gestanden, schien er es ungewöhnlich -leicht zu nehmen. Ich hatte Proteste erwartet, aber der Oberst hatte -ihn sofort umgestimmt. Das einzige, was er in dieser Richtung sagte, -war, daß er Herrn van Schleeten beneide, dem es gelungen sei, sein Herz -an ein Weib zu verlieren. Das habe er selbst nie zustande gebracht, -obwohl er hundertfünfzig hat, die es ihm stehlen wollen.“ - -„Das ist wieder echt männlich, ha! Dasitzen und mit seinen Erfolgen bei -den armen Geschöpfen und seiner eigenen Gleichgültigkeit zu prahlen! Er -sollte hundertfünfzig Rutenstreiche auf die Fußsohlen haben, das sollte -er!“ - -„Sie wollen also nicht kommen, Mrs. Bowlby?“ - -„Da ginge ich noch eher in das Lokal, wo er und Sie sich kürzlich -herumgetrieben haben.“ - -„Ich werde Se. Hoheit bitten, den Schauplatz dorthin zu verlegen.“ - -„Keine Keckheiten, _demmit_, junger Freund. Helen, mein Kind, ich -hoffe, du hast auch +keinen Augenblick+ Lust gehabt, zu gehen?“ - -„Ich ginge gerne, Mama, furchtbar gerne.“ - -„Und ich gedenke, zu gehen, wenn niemand anderer sich entschließt,“ -sagte Mr. Bowlby. - -Mrs. Bowlby konnte nur einen ganz kurzen Entsetzensschrei ausstoßen, -als Allan auch schon diplomatisch etwas aus der Tasche zog -- das -Halsband, das er am selben Nachmittag von Yussuf Khan erhalten hatte. -Mrs. Bowlby blieb ihr Schrei in der Kehle stecken. - -„Mr. Cray! +Wo+ haben Sie das aufgegabelt? Mirzl hat doch Ihr Geld -gestohlen!“ - -„Das Geld, von dem Mirzl mich befreit hat, hätte nicht einmal gelangt, -um die Goldeinfassung dieser Steine zu bezahlen, Mrs. Bowlby. Ich bekam -dies heute nachmittag vom Maharadscha als geringen Dank dafür, daß es -mir zweimal gelang, Mirzl und seiner Bande zuvorzukommen. Wollen Sie es -ansehen?“ - -Mrs. Bowlbys Arm schnellte gierig und diebisch vor, wie die Klaue eines -Papageis. Sie ließ die Juwelen durch ihre Finger rinnen. - -„Wunderbar,“ flüsterte sie. „Und das haben Sie von ihm bekommen? Und -Sie haben seine anderen Juwelen gesehen?“ - -„Ich habe das von ihm bekommen. Es hat einmal einem persischen Sultan -gehört, sagte der alte Ali. Der Maharadscha hat es mir ausgewählt. -Selbst hätte ich ein Jahr gebraucht, um unter seinen Juwelen eine Wahl -zu treffen. Das einzige, was ich zu nehmen wagte, waren diese einzelnen -Steine.“ - -„Opale! Die Unglück bringen!“ - -„Wer weiß? Vielleicht bringen sie mir Glück -- ich habe meistens gerade -umgekehrt gehandelt, wie vernünftige Menschen.“ - -„Und wie waren die andern?“ - -„Bitten Sie mich einen Regenbogen zu beschreiben, Mrs. Bowlby! Wenn Sie -einen Begriff davon haben wollen, weiß ich keinen anderen Weg, als daß -Sie zum Fest des Maharadscha kommen.“ - -„Dorthin? Nie! Eher will ich -- gehst du, John?“ - -„Ja, liebe Susan.“ - -„Und du, Helen, du machst es wie ich, nicht wahr?“ - -„Ja, Mama, wenn du Papa folgst. Eheleute sollen einander nahe sein, das -haben wir in meiner Schule gelernt.“ - -Mrs. Bowlby stieß einen Seufzer aus, den sie nur mäßig überzeugend -gestalten konnte. - -„So sagen Sie also dem Untier, daß ich komme,“ sagte sie. „Aber -+anständiges Benehmen+ ist meine Bedingung. Und +was+ soll -man anziehen, Mr. Cray?“ - - * * - * - -Wahrscheinlich hatte Yussuf Khan seine Weisungen etwas modifiziert, -oder auch war London außerstande gewesen, sie in vollem Ausmaß -durchzuführen, denn ganz asiatisch war das Bild nicht, das sich den -Eingeladenen -- Familie Bowlby, Herrn van Schleeten und Allan -- -bot, als sie am folgenden Abend in einer Prozession in den großen -Festsaal des Grand Hotel Hermitage wanderten und dort von Yussuf -Khan, dem Obersten und dem alten Ali empfangen wurden. Der Oberst, -Herr van Schleeten, Mr. Bowlby und Allan waren im Frack; Miß Bowlby -in ausgeschnittenem Tüll und Mrs. Bowlby in einer grünschwarzen -Brokattoilette mit einer Schleppe, die ebenso lang war wie sie selbst, -mit ihren besten Juwelen geschmückt und fest entschlossen, das -Sternenbanner hochzuhalten. Yussuf Khan und der alte Ali waren in ganz -orientalischen weißen weiten Gewändern, mit Turbans auf dem Kopfe. -Yussuf Khans Turban trug eine Aigrette von Diamanten, alle weiß bis -auf einen einzigen großen schwarzen, der wie ein brennender Pechsee -flammte. Ueber sein rechtes Ohr hing ein Büschel Smaragden, das Mrs. -Bowlbys Lippen ein unwillkürliches Ah! entlockte. Yussuf Khan begrüßte -sie mit einem tiefen Salaam. - -„Willkommen, Gäste des Abends!“ sagte er. „Willkommen zu dieser -Festlichkeit, und nehmet meinen Dank, daß ihr sie durch eure Gegenwart -beehren wollt. Ich bitte euch, gütigst zu entschuldigen, daß die -Anordnungen, die getroffen wurden, euer ganz unwürdig sind, und bevor -wir zu dem dürftigen Tische gehen, bitte ich euch, Oberst Morrel -Sahib, diejenigen meiner Gäste vorzustellen, mit denen ich noch nicht -zusammengetroffen bin.“ - -Während der Oberst diese Vorstellung vornahm, hatte Allan Zeit, sich -umzusehen. - -Der Festsaal des Hotels hatte, um nach Yussuf Khans Wünschen angeordnet -zu werden, die Voraussetzung gehabt, daß er in einer Art Tempelstil -erbaut war, mit sehr breiten Säulen an den Seiten, die eine nicht -besonders hohe Decke trugen. Jetzt waren sowohl Decke wie Wände und -Boden von ungeheuren schweren Teppichen in phantastischen teheranischen -Mustern verdeckt, zwischen denen die grünblauen breiten Marmorsäulen, -wenigstens für Allans Phantasie, asiatisch wirkten. Von der Decke -sanken die Draperien in einer weichen Kurve herab, in der Mitte -des Saales von zehn langen Lanzen gerafft; unter dem so gebildeten -Baldachin war die niedrige Festtafel gedeckt. Davor befanden sich an -der Stelle von Sesseln förmliche Berge von Kissen. Neben jedem Platz -stand ein niedriges Metallgestell, das eine Spülschale aus grünem -Porphyr trug. Die Beleuchtung war ein Kompromiß zwischen Europa und -der Religion des Propheten: Elektrische Lampen, die zusammen einen -gewaltigen Halbmond bildeten, glitzerten an der draperieverhüllten -Decke von der einen Längsseite bis zur anderen. In einem entsprechenden -Halbkreis stand die schwarze Leibwache, die Krummsäbel im Gürtel rings -um den Platz, wo der Maharadscha sitzen sollte und wo die Kissen -etwas höher aufgetürmt waren, als auf den anderen Plätzen. Zuletzt -erblickte Allan mit einem leichten Schauer in einer Ecke einige -halbnackte Tänzerinnen mit goldenen Ringen um Arme und Fußknöchel. Sie -hatten breite, groteske Saiteninstrumente und blinkende Tamburine. -Was würde Mrs. Bowlby dazu sagen? Er wandte die Aufmerksamkeit von -den Tänzerinnen gerade rechtzeitig ab, um zu hören, wie diese Dame zu -Yussuf Khan sagte: - -„Ich muß gestehen, daß ich schwankte, bevor ich Ihre ... Ew. Hoheit (es -fiel ihr merklich schwer, den Titel hervorzubringen) Einladung annahm.“ - -„Und warum?“ sagte Yussuf Khan. „Hat der junge Sahib, der meine Juwelen -gerettet hat, meine Einladung so lau oder schlecht vorgebracht?“ - -„Nein,“ sagte Mrs. Bowlby, „aber ich befürchtete, daß, wenn das Fest -so werden sollte, wie die Feste in Ihrem ... in Ew. Hoheit Heimat zu -sein pflegen, ich ... hm ... Dinge zu sehen bekommen würde, die eine -anständige Frau nicht zu sehen gewohnt ist.“ - -„Das ist richtig,“ sagte Yussuf Khan, „in meinem Lande kommen ehrbare -Frauen nicht zu den Festen der Männer.“ - -Mrs. Bowlby zuckte bei dieser orientalischen Aufrichtigkeit zusammen. -Im Nu vergaß sie Zeremonien und Titel über Dinge, die ihr schon lange -am Herzen lagen. - -„Und in meinem Lande“, rief sie, „hat kein anständiger Mann -hundertfünfzig Frauen auf einmal!“ - -Yussuf Khan überlegte einen Augenblick. - -„Aber habe ich nicht gehört,“ sagte er ernst, „daß eine Frau -hundertfünfzig Männer hintereinander haben kann, wenn sie es darauf -anlegt?“ - -Mrs. Bowlby starrte ihn an. - -„Wir wollen uns die Hand schütteln,“ sagte sie schließlich. „Das haben -Sie gut gemacht! _Demmit_, das ist mir noch nie eingefallen.“ - -„Jedes Land“, warf der alte Hofdichter ein, „hat seine Sitten, die zwei -Meilen von der Grenze lächerlich und unbegreiflich erscheinen. Dies -sollte uns lehren, zu bedenken, daß wir alle nichts anderes sind, als -Spielbälle des Schicksals, wie der göttliche Zeltmacher es so treffend -ausdrückt: - - Nur Puppen sind wir auf dem Schachbrett Welt, - Ein Spielzeug nur, geschoben und gestellt; - Ein Zeitvertreib! -- Und hat’s das Schicksal satt, - Zum Kasten wandert, Stück an Stück gesellt!“ - -Er wiederholte eine Zeile für sich selbst in einer Sprache, die Allan -nicht kannte und die etwa klang wie: - -„_U danad u danad u danad u_ ...“ - -Oberst Morrel beeilte sich das Wort zu ergreifen; Poesie gehörte -offenbar nicht zu seiner Vorstellung von _hors d’oeuvres_. - -„Wäre es nicht an der Zeit zu Tisch zu gehen?“ sagte er. „Ew. Hoheit -wissen, daß wir morgen in aller Frühe abreisen.“ - -Yussuf Khan brach in ein Lachen aus, das Allan überraschte. Eine solche -Heiterkeit erwartete man nicht von einem passiven Orientalen. Aber -tatsächlich lachte Seine Hoheit so, daß er alle Zähne zeigte, wobei -Allan flüchtig bemerkte, daß einer davon ganz überplombiert mit Gold -war. Yussuf Khan wischte sich die Augen und sagte noch immer lachend: - -„Ihr habt recht, Oberst Morrel Sahib, morgen verliert mich diese Stadt -für lange Zeit aus den Augen. Gehen wir also zu Tisch!“ - -Der Oberst, der diese Heiterkeit, deren Ursache ihm offenbar -unbegreiflich war, ganz verblüfft beobachtet hatte, zuckte die Achseln. -Yussuf Khan wiederholte: - -„Zu Tisch!“ - -Er führte selbst die Gäste zu der gedeckten Festtafel und wartete, bis -alle unter dem niedrigen Baldachin versammelt waren, um dann zu sagen: - -„In meinem Lande nehmen wir unsere Mahlzeiten nicht an einem Tische wie -diesem ein. Aber als ich mit mir selbst über das Fest zu Rate ging, -sagte ich mir zwei Dinge. Ich dachte zuerst: diese edlen Sahibs sind -nicht an die Sitten meines Landes gewöhnt, und was das Essen betrifft, -so lieben alle Menschen ihre eigenen Sitten am meisten.“ - -„Das ist wahr,“ sagte der alte Ali, „und mein Schüler spricht gut.“ - -„Ferner“, fuhr Yussuf Khan fort, „sagte ich mir selbst: was ist schuld -daran, daß ich diesen edlen Sahibs Unannehmlichkeiten bereitet habe, -die ich sie nun in unwürdiger Weise durch dieses Fest bitten möchte, -zu entschuldigen? Ich sagte mir selbst: meine Juwelen, denen von -schlauen, kühnen Dieben nachgetrachtet wurde. Wenn nun meine Gäste -diese Juwelen zu sehen bekommen, die trotz alldem von einer gewissen -Schönheit sind, können sie vielleicht den Grund der Gier der Diebe -begreifen und dadurch auch die Unannehmlichkeiten, die sie selbst -erdulden mußten. Und deshalb --“ - -Er brach plötzlich ab und klatschte in die Hände. - -Im Nu, plötzlich, wie der Nebel bei einem Sonnenaufgang in den Tropen -verschwindet, verschwand eine Hülle aus weißer Seide, die über der -Festtafel ausgebreitet gelegen war -- wie es zuging, konnte niemand -sehen -- und Yussuf Khans Gäste starrten mit halbgeblendeten Augen -auf die Juwelen Nasirabads, die sich in einer Pyramide mitten auf -dem Tische auftürmten. Eine nette Tischdekoration! Allan, der Oberst -und Herr van Schleeten, die sie schon gesehen hatten, standen stumm -da, wieder ganz bezaubert von dem phantastischen Glanz der Steine. -Aber der Familie Bowlby, die sie noch nicht gesehen hatte, entrang -sich ein dreifacher erstickter Schrei. Mrs. Bowlbys Augen irrten von -einem Diadem und Halsband zum anderen, halb mit naiver Bestürzung, -halb mit Mißtrauen. Endlich wendete sie sich dem Maharadscha zu, -der sie ernsthaft beobachtet hatte, und murmelte, indem sie auf die -Familienjuwelen wies, die sie trug: - -„Wollen Ew. Hoheit einen Augenblick warten, ich springe nur hinauf und -lege das ab!“ - -Yussuf Khan winkte majestätisch mit der Hand. - -„Das wäre töricht, und wir würden Zeit verlieren,“ sagte er, ohne sich -auf irgendwelche Versuche zu Höflichkeiten einzulassen. „Nehmen wir -Platz!“ - -Er winkte den Gästen, sich zu setzen. Neben sich placierte er Mr. und -Mrs. Bowlby, dann Allan mit Miß Helen, dann den Obersten, Herrn van -Schleeten und den alten Ali. Selbst setzte er sich zu allerletzt, -indem er den rechten Arm zu dem Baldachin erhob. Im selben Augenblicke -tauchten von allen Seiten, wie es schien, aus dem Nichts, Diener mit -blinkender schwarzer Haut auf, füllten die Porphyrschalen vor jedem -Gaste mit parfümiertem Wasser und stellten vor jeden einen Becher mit -einem rosafarbenem Getränk hin. - -„Das ist Sorbet,“ sagte Yussuf Khan, „später kommen die Getränke, die -die Sahibs lieben, aber zum Willkommengruß wünschte ich den Trank -meines eigenen Landes.“ - -Er erhob das Glas mit einer majestätischen Bewegung und trank es aus. - -„Möchte diese unwürdige Mahlzeit euch alle Beschwerden vergessen -lassen, die ihr meinetwegen erduldet habt.“ - -Im selben Augenblicke, in dem er seinen Becher niederstellte, fiel ein -Regen von Rosen auf die Festtafel und die Gäste, und im Hintergrunde -des Saales begannen die braunen Tänzerinnen einen wirbelnden Tanz, den -sie auf ihren seltsamen Instrumenten begleiteten. Während Mrs. Bowlby -von ihren Kissen empor schnellte, um sie anzustarren, beugte Allan -sich zu Miß Helen herab, die mit träumenden Augen dasaß, als wüßte sie -nicht, ob sie wachte, und sagte: - -„Se. Hoheit scheint kein weiteres Attentat auf seine Edelsteine zu -befürchten, da er sie hier so ausbreitet.“ - -„Er hat ja die Leibwache um sich,“ sagte sie, ohne ihre Blicke von -der Pyramide auf dem Tisch abzuwenden. „Sie haben aber auch gehörigen -Respekt vor diesem Mirzl!“ - -„Ich muß gestehen, daß ich ihn im Verdacht habe, wo immer zwei oder -drei versammelt sind und etwas in der Nähe ist, das des Stehlens wert -ist.“ - -„Da müßte er ja hier drinnen sein,“ lachte sie. - -Allan fuhr bei ihren leicht hingeworfenen Worten zusammen. Was war ihm -doch früher am Abend eingefallen? Und nach welcher anderen Erinnerung -fahndete er nur? - -Yussuf Khan, der Mrs. Bowlby mit tiefem Ernst beobachtet hatte, sagte: - -„Es ist unbestreitbar, daß einige der Tänzerinnen, die der Besitzer -dieser Karawanserei aufgetrieben hat, nicht des Reizes entbehren. Aber -ich für meine Person finde weit größeres Gefallen an Eurer Tochter, die -mir herangewachsen genug scheint, um verehelicht zu werden.“ - -Mrs. Bowlby stieß einen Schrei aus, wie ein in der Schlinge gefangener -Papagei und wandte sich jäh von den Tänzerinnen ab, die in einem Zyklon -von nackten Gliedern und blinkendem Gold umherwirbelten. - -„Helen!“ rief sie. „Helen, du darfst kein Wort von dem hören, was er -sagt!“ - -„Nein, Mama.“ - -„Sie sollten sich schämen!“ fuhr Mrs. Bowlby an Yussuf Khan gewendet -fort. „Sie sollten sich die Augen aus dem Kopfe schämen! Wo Sie -hundertfünfzig Weiber haben, die Sie Frauen nennen, Sie sollten sich -schämen, meinem armen, unschuldigen Kinde Fallstricke zu legen!“ - -„Diese hundertfünfzig Frauen“, sagte Yussuf Khan, „sind schon lange -in meinem Palast. Ueberdies können sie weggeschickt werden, wenn -es nötig ist. Vielleicht ist es leichter, eine Frau zu lieben als -hundertfünfzig.“ - -Mrs. Bowlby umklammerte ihren Sorbetbecher, wie um ihn ihm an den Kopf -zu werfen und starrte ihn sprachlos an. Yussuf Khan fuhr ebenso ruhig -wie immer fort: - -„Mein Geschlecht zählt achtundvierzig Ahnen, und von meinem Palast -und meinen Besitztümern legen diese Juwelen ein wenn auch unwürdiges -Zeugnis ab. Wäre der Juwelenkünstler, der zur Linken meines Lehrers -sitzt, nicht von einem Weibe betört worden, worum wir ihn alle beneiden -müssen, hätten diese Juwelen ein anderes und gewinnenderes Aussehen.“ - -„Helen!“ schrie Mrs. Bowlby mit erstickter Stimme, „Helen, höre nicht -auf ihn!“ - -Miß Helen wollte etwas antworten, und die schwarzen Diener erschienen -eben in feierlicher Prozession mit einer Reihe Silberschüsseln in den -erhobenen Händen, als Allan eine Idee durchzuckte. Die Erinnerung, nach -der er gesucht hatte, war aufgetaucht, und im selben Augenblick war die -Idee gekommen -- wahnsinnig, aber!! Er beugte sich hinter Miß Helens -Rücken zu Oberst Morrel vor. Er flüsterte dem Obersten zwei Fragen zu, -worauf dieser ihn anstarrte wie einen Wahnsinnigen, bis er endlich die -Sprache wieder fand. - -„Ja, was zum Henker soll das heißen?“ brüllte er. „Sind Sie denn ganz -toll?“ - -Allan erhob sich von seinem Platz. - -„Was das heißen soll?“ rief er, indem er mit blitzenden Augen auf -Yussuf Khan deutete. „Das soll heißen, daß der Mann, der da sitzt, gar -nicht Yussuf Khan, Maharadscha von Nasirabad ist!“ - -Er hatte kaum diesen Satz herausgeschleudert, als an die Eingangstür -des Festsaals geklopft wurde. Sie öffnete sich, und drei wunderliche -Gestalten erschienen auf der Schwelle. - -Zuerst kam der Mann, der behauptet hatte, einem Feste in seinem -eigenen Hotel nicht beiwohnen zu können -- der Direktor des Grand -Hotels Hermitage. Dann kam eine Frau, bei deren Anblick Mrs. Bowlby -zurückprallte wie vor dem Anblick einer Klapperschlange, und -schließlich ein Mensch im zerdrückten Anzug und nicht ganz reinem -Kragen, der eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Maharadscha von Nasirabad -aufwies. - - - - -XIII - -Yussuf Khans Heirat - - -Der Direktor des großen Hotels brach das Schweigen, das durch -seinen und den Eintritt der anderen zwei Personen in den Festsaal -entstanden war. Er wendete sich an Oberst Morrel und sagte mit einer -entschuldigenden Betonung auf jedem Wort, das er sprach: - -„Herr Oberst, Sie müssen mein Eindringen in Ihre Gesellschaft -verzeihen. Sie können sich denken, daß es nicht ohne zwingende Gründe -geschieht. Ich werde das, was vorgefallen ist, so kurz und deutlich -erzählen, als ich kann. - -Vor zwanzig Minuten wurde ich in das Bureau gerufen, mit dem Bedeuten, -daß meine Anwesenheit unumgänglich notwendig sei. Ich eilte hinunter -und fand diese Dame, in der ich Mrs. Langtrey erkannte, die einige Zeit -im Hotel gewohnt hat, und diesen Herrn, der eine gewisse Aehnlichkeit -mit Sr. Hoheit hat (der Direktor verbeugte sich in der Richtung von -Yussuf Khan). Ich traute meinen Augen nicht, als ich Mrs. Langtrey -sah, die, wie wir wissen, vor zwei Tagen ein kühnes Attentat auf die -Juwelen Sr. Hoheit versucht hatte, über das einer der Gäste Sr. Hoheit -die ausführlichsten Aufklärungen geben kann. (Der Direktor verbeugte -sich leicht gegen Herrn van Schleeten, der ganz starr dasaß, die -Augen auf Mrs. Langtrey geheftet). Bevor ich noch meine Bestürzung -aussprechen konnte, sagte Mrs. Langtrey: ‚Ich weiß genau, was Sie -sagen wollen. Es ist unnötig. Ich bin Mrs. Langtrey, die in Ihrem -Hotel gewohnt hat; das ist der Maharadscha von Nasirabad, der vor fünf -Tagen geraubt wurde.‘ ‚Wie können Sie es wagen, zu behaupten, daß -dieser Mensch der Maharadscha ist,‘ rief ich aus, ‚ich weiß doch, daß -der Maharadscha gerade jetzt ein Abschiedsfest in meinem Hotel gibt!‘ -‚Der Maharadscha,‘ erwiderte Mrs Langtrey, ‚ein sauberer Maharadscha! -Der Mensch, der heute abend in Ihrem Hotel das Fest gibt, ist nicht -mehr Maharadscha als Sie selbst oder der Portier hier. Ich verlange -augenblicklich in den Festsaal hinaufgeführt zu werden.‘ Jetzt wurde -mir die Sache zu bunt, und ich wollte die Dienerschaft rufen, um Mrs. -Langtrey aus dem Hotel zu weisen, als sie mir zuvorkam und sagte: ‚Tun -Sie nicht etwas, was Sie bereuen würden! Wir wollen nur ungerne mit -Hilfe der Polizei eindringen, aber wenn es notwendig ist, werden wir -es tun.‘ Nach dieser Aeußerung glaubte ich nichts anderes machen zu -können, als die Gesellschaft hierher zu begleiten, wie sie es wünschte.“ - -Der Direktor verstummte. Der Oberst blickte wie ein Schlaftrunkener -um sich, bald starrte er den Direktor, bald Allan an, bald die zwei -Personen, die auf den Thron von Nasirabad Anspruch erhoben. Der -zuletzt Erschienene, der Mann in Mrs. Langtreys Gesellschaft mit dem -zerdrückten Frack, ergriff das Wort: - -„Wie lange werde ich noch warten müssen, bis dieser Verbrecher, der -mein Aussehen gestohlen hat, in Ketten gelegt wird?“ sagte er. „Fünf -Tage bin ich in seinen und seiner Bande Händen gewesen, und nun ich -wiederkomme und finde, daß er meinen Namen, wenn auch nicht mein Hab -und Gut, gestohlen hat, werde ich behandelt, als wäre +ich+ er. -Oberst Morrel Sahib, wie lange werde ich noch warten müssen, daß der -Verbrecher in Ketten gelegt wird?“ - -Der Oberst starrte von ihm zum Maharadscha am Tisch, ohne eine Silbe -hervorbringen zu können. Er kannte den Maharadscha seit vielen Jahren; -am Tische saß ein Yussuf Khan, an den er sich von tausend Gelegenheiten -her erinnerte, in der Türe stand ein Mann mit eingefallenen Wangen und -zerknitterter Kleidung, der wohl eine gewisse Aehnlichkeit mit dem -anderen Yussuf Khan hatte, aber auch nicht mehr als das. - -Aber dieses Zusammentreffen mit dem jungen Mann aus Schweden, der seine -absurde Behauptung fast im selben Augenblicke hinausgeschleudert hatte, -in dem sie in so eigentümlicher Weise von anderer Seite vorgebracht -wurde! Er stand noch total konfus da, als das Schweigen gebrochen -wurde: Der Maharadscha am Tische wollte sprechen, aber Allan Kragh fiel -ihm höchst unartig ins Wort. - -„Oberst Morrel,“ sagte er. „Ich stellte kürzlich zwei Fragen an Sie, -die Sie, wie ich sah, wahnwitzig fanden. Gestatten Sie, daß ich sie -noch einmal wiederhole?“ - -Der Oberst nickte starr, vermutlich ohne aufzufassen, was Allan sagte, -so verblüfft starrte er noch immer die beiden Kronprätendenten an. - -„Ich habe Sie gefragt,“ sagte Allan, „ob Se. Hoheit, der Maharadscha, -Gelegenheit hatte in Nasirabad seine Zähne plombieren zu lassen? Wollen -Sie mir diesmal ausdrücklich darauf antworten?“ - -Der Oberst wendete seinen starren Blick ihm zu. - -„Zähne plombieren,“ schrie er. „Das ist wirklich nicht die rechte Zeit -für Geschwätz und Dummheiten.“ - -„Es sind vielleicht nicht solche Dummheiten, wie Sie glauben,“ sagte -Allan. „Ich ziehe aus Ihrer Antwort den Schluß, daß Se. Hoheit keine -Gelegenheit hatte, seine Zähne in Nasirabad plombieren zu lassen. Und -in London?“ - -„Jetzt hören Sie aber, junger Freund --“ - -„_All right._ Also auch nicht in London. Nun weiß ich aber, daß -der Mann, der hier am Tische sitzt, einen Backenzahn hat, der mit einer -Goldplombe überzogen ist. Kann er dies widerlegen, entfällt einer der -Gründe für meine Behauptung, daß er nicht der Maharadscha von Nasirabad -ist. Ich gebe ihm hiermit Gelegenheit, es sofort zu widerlegen.“ - -Yussuf Khan sprang mit blitzenden Augen vom Tische auf. - -„Ich weiß nichts von der Gastfreundschaft der Sahibs,“ sagte er, „wenn -sie die Gastgeber sind. Aber wenn jemand in meinem Lande zu mir, seinem -Gastgeber, so spräche, wie dieser junge Mann zu mir spricht, ich würde -ihn mit Hieben und Schlägen von meinen Dienern aus dem Hause jagen -lassen. Bin ich ein Pferd, daß ich mir auf einen Wink in den Mund -schauen lasse? Man treibe diese Menschen hinaus, die ich nicht kenne -und die sich hier eingedrängt haben wie freche Bettler, und zugleich -mit ihnen diesen jungen Mann, der mich beleidigt hat, wie ich noch nie -beleidigt wurde!“ - -Er betrachtete Allan und die ungebetenen Gäste mit blitzenden Augen. -Der Oberst richtete sich auf und war im Begriff seinen Wunsch zu -erfüllen, als Allan ihn mit einer Geste und einem leisen Lächeln -aufhielt. - -„Oberst Morrel,“ sagte er, „einen Augenblick! Ich will mich gerne in -der Weise, wie Se. Hoheit es wünscht, hinausjagen lassen, aber unter -einer Bedingung. Ich glaube, daß Mrs. Langtrey und ihr Begleiter sich -mir anschließen werden, wenn sie diese Bedingung hören.“ - -Er wandte sich dem Maharadscha am Tisch zu: - -„Benjamin Mirzl, du Sonne der Rechtgläubigen und aller Verbrecher -König, habe die Gewogenheit, deiner schwarzen Leibwache selbst den -Befehl meiner Verjagung zu geben! Ich weiß zufällig, daß sie nicht -englisch spricht!“ - -Die Züge des Maharadscha nahmen, während Allan sprach, einen -furchtbaren Ausdruck an. Er verließ seinen Platz und kam mit langsamen -Schritten auf die Gruppe zu, die in der Nähe des Eingangs stand. Seine -Augen waren durchbohrend auf Allan geheftet und funkelten wie die -eines Königstigers. Er blieb vor Allan stehen und fixierte ihn einen -Augenblick mit einem Ausdruck solchen Zornes, daß der Oberst eine -Bewegung machte, um einzuschreiten; es sah aus, als wollte er Allan -auf der Stelle niederschlagen. Im selben Augenblick geschah jedoch -etwas ganz anderes. Der Maharadscha machte an ihnen allen vorbei -einen Riesensprung, nicht unwürdig des königlichen Raubtieres, dem -er glich; und bevor jemand sich noch gerührt hatte, lag der Saal in -Stockfinsternis versunken; sie hörten die Eingangstüre zufliegen und -das Einschnappen eines Riegels. Für einen Augenblick war alles ein -wüstes Durcheinander; Rufe ertönten von Mrs. Bowlby, vom Obersten, -von der schwarzen Leibwache, vom Direktor und den eben eingetroffenen -ungebetenen Gästen. Dann kam ein Ausruf der Befriedigung von jemand, -dem es gelungen war, den Kontakt zu finden, und der Saal lag wieder im -Licht da. Ein Gewimmel von Armen und Beinen bearbeitete die Türe mit -Schlägen und Stößen; verschiedene Ausrufe des Obersten, der mitten im -Kampfgewühl war, deuteten an, daß nicht alle Schläge den Türspiegel -trafen. Endlich flog die Türe auf, und eine wilde Jagd begann die -Treppe hinunter in die große Halle. Zum Glück für den zukünftigen Ruf -des Hotels war die Halle bis auf ein paar Bedienstete und den Portier -ganz leer. Der Direktor schleuderte ihm mit Tigergebrüll eine Frage zu, -und nach einem Augenblick des erstaunten Starrens kam die Antwort von -dem würdigen Portier mit der Benediktinerfigur: - -„Der falsche Maharadscha? Der Maharadscha ist vor einem Augenblick die -Treppe hinuntergekommen und ... nun ja, er schien ein bißchen unsicher -auf den Beinen. ‚Will b--bißchen an die f--frische Luft‘, hat er uns -zugemurmelt, Sir, und uns ein wenig unsicher angesehen. Wir hörten Rufe -oben aus dem Festsaal und dachten uns: Jetzt sind die Gäste in Stimmung -gekommen, und --“ - -Im nächsten Augenblicke waren sie an dem würdigen Portier vorbei, wie -ein Koppel Hunde, die die Fährte gefunden haben. Leider führte diese -Fährte nicht weiter als bis zum Monmouth Square. Der patrouillierende -Polizeikonstabler rapportierte, daß er vor zwei Minuten einem -asiatischen Gentleman, der etwas bezecht zu sein schien, in ein Auto -geholfen hatte, das dann zur Wohnung dieses Herrn, Grosvenor Hotel, -fortgerollt war. - -Der Oberst sah Allan an, während er sich den Schweiß von der Stirne -wischte. - -„Der verdammte Schurke,“ murmelte er. „Das drittemal! Und auf ein Haar -wäre es ihm geglückt ... Hol’s der Teufel -- ich kann nicht umhin, den -Kerl zu bewundern.“ - -„Gehen wir wieder hinauf,“ sagte der Direktor. „Seine Hoheit ... Seine -wirkliche Hoheit kann Entschuldigungen und Erklärungen verlangen.“ - -Er, der Oberst und Allan gingen die Treppe wieder hinauf; Herr van -Schleeten hatte an der Jagd auf den falschen Maharadscha nicht -teilgenommen. Die Leute auf dem Monmouth Square starrten die drei -Herren an, von deren Gesichtern der Schweiß troff, trotzdem sie in -Frack und weißer Krawatte waren. Im Festsaal angelangt, bot sich ihnen -eine bunte Szene. - -Links von dem Eingange stand die Familie Bowlby unter dem Präsidium -von Mrs. Bowlby, die mit ausgebreiteten Röcken bereit war, ihr -Haus zu verteidigen, wie die Henne ihre Küchlein. Sie führte eine -eifrige, leise Konversation mit ihrem Mann und ihrer Tochter und -schleuderte hie und da einen herausfordernden Blick auf Mrs. Langtrey. -Mrs. Langtrey stand mitten im Saale mit stolzer Haltung und einem -unergründlichen Lächeln. Ihre Augen hingen an Yussuf Khan -- dem nun -anerkannt richtigen -- und auf ein Kissen an der Festtafel gesunken, -die Nasenfarbe von Chateau Lafitte in Haut Sauterne verwandelt, saß -ein Herr mit dickem, gelbgrauem, jetzt schlaff hängendem Schnurrbart, -dessen Augen nichts anderes sahen als Mrs. Langtrey -- Herr van -Schleeten. - -Die schwarzen Diener und die Leibwache hatten sich in einem Kreis -versammelt, wie eine Krähenkolonie über das Passierte schnatternd. -Yussuf Khan -- der richtige -- stand, noch etwas schlapp, mit einem -geleerten Weinglas in der Hand da und war der Gegenstand zärtlicher -Worte und entschuldigender Bitten von seiten seines alten Lehrers. - -„Beim Propheten, mein Sohn, ich schäme mich wie ein Dieb, der im Basar -auf frischer Tat ertappt wurde! Ich, ich selbst, dein Lehrer, ließ mich -zwei Tage von diesem frechsten unter den Betrügern täuschen. Sogar -seine Sprache war die deine, nur poetischer, worin ich eine Frucht -der Lehren sah, die ich dir beizubringen bemüht. Mein Hochmut darüber -machte mich noch blinder gegen seinen wirklichen Charakter, wofür Allah -mir gnädig sein möge. Wahrlich, beim Propheten! Ich schäme mich! Wäre -nicht dieser junge Mann mit dem wunderbar scharfen Falkenblick gewesen, -du wärest jetzt vertrieben, und er, der Betrüger wäre in wenigen -Wochen, wenn wir unser Land wiedersehen, nach dem ich mich sehne, wie -der Hirsch nach der Quelle, auf den Thron von Nasirabad erhoben worden. -Ueberaus treffend sagt der göttliche Zeltmacher --“ - -Der Maharadscha unterbrach ihn, ohne die treffende Aeußerung des -göttlichen Zeltmachers abzuwarten. - -„Ohne Zweifel“, sagte er, indem er sich aufrichtete, „hat der junge -Mann, der mir unbekannt ist, jetzt das Verdienst, daß der Betrüger -entlarvt wurde, aber ich hatte jemanden in meiner Gesellschaft, der -bereit war, ihn zu entlarven. Sie wollte nur ihren Zeitpunkt wählen.“ - -„Mein Sohn, ich bedauere, daß du mir den Schmerz bereitest, den Worten -des göttlichen Zeltmachers nicht so gerne zu lauschen wie der elende -Betrüger, Sohn Scheitans. Aber du sagtest +sie+? Meinst du die -Frau, die in deiner Gesellschaft kam?“ - -„Wie du sagst. Sie, die in meiner Gesellschaft kam, die von diesem -Betrüger und Menschenräuber zu meiner Gefängniswärterin ausersehen -war, die sich meiner in meiner Gefangenschaft erbarmte, und von der -ich gleich noch mehr mit dir und Oberst Morrel Sahib sprechen werde. -Fünf Tage war sie meine Wächterin, nur anfangs von dem Verbrecherkönig -abgelöst. Ihre Milde zugleich mit der Festigkeit ihres Willens war -bewunderungswürdig, und die Zeit in meinem Gefängnis, wo sie über mich -wachte, war mir süßer als alle Stunden, die ich in der Gesellschaft -anderer Frauen verbracht habe. Sie war fest wie die Hand des Reiters, -wenn sie den Zügel hält, und sanft wie sie es ist, wenn sie das Fohlen -streichelt. Heute -- doch später mehr davon. Du sagtest, daß wir schon -in einigen Wochen unser Vaterland wiedersehen werden? War denn die Zeit -für Eure Abreise schon bestimmt?“ - -„Sie war von Oberst Morrel Sahib für morgen bestimmt, der es gestern -als eine Gnade von Sr. Exzellenz dem Minister erwirkte, daß wir diese -Stadt mit unversehrter Ehre und Turbans verlassen dürfen. Von solchen -Dingen wie die, die unsere Anwesenheit hier verursacht hat, hat diese -Stadt noch nie gehört, und sowohl die Bevölkerung hier wie Oberst -Morrel Sahib sind mit Recht über mich empört, der ich dir ein so -elendes Vorbild gewesen. Ach, du kannst in Wahrheit auf deinen Lehrer -anwenden, was der göttliche Omar von seinen Lehrern sagte: - - Die hellsten Leuchten von den klügsten Köpfen, - Die von den Sternen selbst die Weisheit schöpfen, - Da liegen sie ...“ - -„Da kommt Oberst Morrel Sahib,“ schnitt Yussuf Khan ab. „Das ist gut. -Ich will sogleich mit ihm von dem sprechen, was mir am Herzen liegt.“ - -Er ging dem Obersten entgegen, der sich noch nach der Verbrecherjagd -die Stirne wischte und hie und da mit einem gemurmelten energischen -Ausdruck die Fußknöchel rieb, die im Kampf gegen die Eingangstüre -mitgewirkt hatten. Er starrte Yussuf Khan mit Blicken an, in denen -allzu geringe Freude über die Rückkehr des rechten Thronprätendenten zu -lesen war. - -„Eine saubere Geschichte,“ rief er, als trüge Yussuf Khan die Schuld -an Herrn Mirzls Missetaten. „Habe ich gesagt eine verdammt saubere -Geschichte? Was sage ich, ein ganzer Knäuel von verdammt sauberen -Geschichten! Hätte Gott uns nicht diesen jungen Mann gesandt“ -- er -wies auf Allan -- „so weiß der Teufel, wie es jetzt aussehen würde.“ - -„Wer ist dieser junge Mann?“ sagte Yussuf Khan. - -„Er hat einen Namen, an dem man sich die Zunge zerbricht. Aber das tut -nichts. Das ist das drittemal, daß es ihm gelungen ist, den Erzgauner -zu überlisten, der sonst gewiß den Satan selbst beschwindeln kann, -wenn er es darauf anlegt. Haben sie viele solche in Deutschland, wo er -herkommt, dann begreife ich, daß wir Zölle gegen alles brauchen, was -aus diesem Lande kommt. Dieser junge Mann -- ja hören Sie nur!“ - -Er gab dem Maharadscha eine kurze, aber bunte und pittoreske -Beschreibung Von Herrn Mirzls und Allans drei Duellen und unterließ -es nicht, moralische Reflexionen über Yussuf Khans eigenen Anteil an -den Malheurs einzuflechten, die ihn (Oberst Morrel) seit der Ankunft -in Europa heimgesucht hatten, einem Weltteil, der vor Scham errötete, -daß sich solche Dinge vor seinen Augen abspielten. Yussuf Khan hörte -geduldig zu, bis er zu Ende war, und sagte dann: - -„Mein Lehrer Ali hat mir gesagt, daß es Eure Absicht war, Oberst Morrel -Sahib, morgen nach Nasirabad mit diesem Betrüger als König an meiner -Statt abzureisen. Ist das richtig?“ - -Der Oberst knurrte ein halb zorniges, halb verlegenes „Ja“. - -„Es ist gut. Dasselbe ist nun meine eigene Absicht. Was diesen jungen -Mann betrifft, werde ich mir später überlegen, was geschehen soll, um -ihm meine Dankbarkeit zu bezeigen. Vorher kommt etwas anderes. Ich bin -über das Meer in dieses Land gereist, um mir eine passende Gemahlin aus -dem Volke der Sahibs zu erringen.“ - -„Eine Prinzessin,“ knurrte der Oberst. „Diesen Plan müssen wir schon -auf den Nagel hängen, nach allem, was Ew. Hoheit hier in London -angestellt haben. Weiße Prinzessinnen sind ein bißchen heikel.“ - -„Ihr sprecht töricht, Oberst Morrel Sahib, wir müssen diesen Plan nicht -auf den Nagel hängen, wie Ihr sagt. Vielmehr wird schon an diesem Abend -meine Vermählung gefeiert werden.“ - -„Haha! Das ist gut! Wo ist denn die Prinzessin?“ - -„Hier,“ sagte Yussuf Khan gelassen und wendete sich Mrs. Langtrey zu. - -So allmählich hatte sich ein Kreis aus allen Personen, die im Saal -waren, um ihn gebildet. Bei seinen letzten Worten ertönte ein schriller -Schrei von dem Punkt des Kreises, wo Mrs. Bowlby stand, noch immer ihre -Familie hinter ihren ausgebreiteten grünen Brokatflügeln schützend: - -„+Haha! Die wird Königin!+“ - -Yussuf Khan sah Mrs. Bowlby an. - -„Wer ist diese Frau, die törichte Worte durch die Nase entsendet?“ -fragte er. - -„Ew. Hoheit müssen das nicht beachten,“ sagte Mr. Bowlby, „wodurch -sollte sie sie sonst entsenden?“ - -„John! Du auch! Du verläßt deine Gattin und beleidigst sie öffentlich!“ - -„Geliebte Susan. Bist du auf deine alten Tage eitel geworden? Du weißt, -daß deine Nase Format zehn ist. Außerdem bist du Gast Sr. Hoheit, -und es schickt sich nicht für dich, ihn oder seine anderen Gäste zu -beleidigen.“ - -Mrs. Bowlby schien nahe daran, in ihrem grünen Brokat zu explodieren, -aber es gelang ihr, ihre Gefühle in ihren Busen hinabzupressen, und -sie schwieg, nachdem sie dem Kreis im übrigen eine tiefe ironische -Verneigung gemacht hatte. Yussuf Khan nahm Mrs. Langtrey bei der Hand -und wandte sich seinem alten Lehrer zu. - -„Mein Lehrer Ali“, sagte er, „ist nächst mir selbst Scheik-ul-Islam in -Nasirabad. Als solcher ist er bei fürstlichen Vermählungen derjenige, -der das Ehepaar verbindet, und auch der berufenste, meiner Gemahlin -später Unterricht in der Lehre des Propheten zu erteilen.“ - -Bei diesen Worten bahnte sich trotz alledem ein heiserer Schrei den Weg -aus Mrs. Bowlbys Brust. - -„+Die wird Mohammedanerin! Und die hundertfünfzig anderen?+“ - -Yussuf Khan wandte sich ihr wieder mit erstauntem Ernst zu. - -„Wie töricht spricht doch diese Frau, jedesmal wenn sie sich äußert! -Ein Bekenner der Lehre des Propheten hat nur vier Frauen. Ich -persönlich habe nur zwei.“ - -„Zwei! Wie kann man nur ... die ganze Welt weiß doch ...“ - -„Die übrigen sind nur Nebenfrauen,“ sagte Yussuf Khan. „Und nun werden -alle aus dem Palast entfernt und an einen passenden Aufenthaltsort -gebracht werden. Von meiner Rückkehr nach Nasirabad an habe ich gleich -den Regenten der Sahib nur eine Gemahlin.“ - -Er machte einen ernsten Salaam vor Mrs. Langtrey, die ihm mit Blicken -gefolgt war, aus denen zärtliche Heiterkeit sprach, und wandte sich an -den Direktor. - -„Lasset alles für das Vermählungsfest in meinen Gemächern anordnen,“ -sagte er. „Ein Fest von passender Art soll dort nach der Vermählung -gegeben werden. In diesem Saal, der von dem Betrüger verunreinigt -wurde, will ich nicht länger weilen.“ - - * * - * - -Trotz alldem besiegte die Neugierde Mrs. Bowlbys übrige Gefühle, -und als gegen elf Uhr abends das Vermählungsfest in Yussuf Khans -Appartements gefeiert wurde, war sie auch mit dabei, vom Maharadscha -eingeladen, der alles, was sie sagte, mit demselben erstaunten -Interesse anhörte wie einen Papagei, der sprechen gelernt hat. Das -Fest spielte sich diesmal nach europäischer Weise ab, und die Juwelen -Nasirabads waren in der Mahagonikassette wohl verwahrt und wurden von -der schwarzen Leibwache gegen alle neuen Versuche von seiten Herrn -Mirzls geschützt. Der einzige orientalische Einschlag war der alte Ali, -der in morgenländischem Kostüm ein hochgestimmtes Poem zu Ehren seines -Schülers deklamierte, das nur etwas darunter litt, daß man _Pommery -nature_ in ausgedehntem Maße serviert hatte. Mrs. Langtrey feierte -ihren letzten Abend in europäischer Tracht mit einer Modestie, die -sogar Mrs. Bowlby halb und halb versöhnte. Doch konnte diese Dame es -nicht lassen, bei der ersten Gelegenheit auf den Maharadscha Beschlag -zu legen, um zu fragen: - -„Aber wissen Hoheit nicht, daß Ew. Hoheit ... hm ... Gemahlin -mindestens einmal verheiratet war?“ - -„Was bedeutet das für mich?“ sagte Yussuf Khan, „das war ich doch -selbst auch.“ - -Mrs. Bowlby konnte diese Tatsache schwer in Abrede stellen. - -„Und daß sie die Freundin des Mannes war, der drei Attentate auf die -Juwelen Ew. Hoheit und auf Ew. Hoheit selbst unternommen hat?“ beharrte -Mrs. Bowlby, die ihren Ohren nicht trauen wollte. „Und daß sie selbst --- --“ - -„Ich weiß alles. Was macht mir das? Sie ist mein Auge und mein Ohr. Was -ich nicht schauen konnte, werde ich durch sie schauen, und was ich nie -gehört, wird sie mir erzählen. Nie habe ich süßere Tage durchlebt, als -die zwei letzten, wo sie meine Wächterin war und wo sie während unserer -Gespräche allmählich etwas anderes wurde und mich wählte anstatt des -Mannes, der sie erstrebt hat und an dem sie durch seine Kühnheit -Gefallen gefunden. Vielleicht war er durch seinen Mut ihrer würdiger -als ich, der ich auch sonst ihrer unwürdig bin. In der Gesellschaft -keiner Frau habe ich ein Glück gekostet, wie damals, als sie mir Trank -und Speise reichte, und schließlich meine Bande löste. Ihr Wille ist -fest wie eine Stahlklinge und weich wie der Brustflaum einer Taube. Vor -allen anderen ist sie meine _Maharaneeh_.“ - -Das Fest hatte etwa eine Stunde gedauert, als der Direktor sich mit -einer Verbeugung auf der Schwelle des Speisesaales zeigte, mit einem -Silbertablett, auf dem zwei Telegramme lagen. Der Maharadscha kannte -die europäischen Gebräuche bei Hochzeiten nicht genügend, um die -Bedeutung dieser Gegenstände zu verstehen, aber Oberst Morrel beeilte -sich, die Telegramme in Empfang zu nehmen. Er riß das eine auf, starrte -es einen Augenblick an und wurde vor Zorn ganz rot. Er wollte es -wegwerfen, aber Yussuf Khan kam ihm zuvor. - -„Was steht auf diesem Papier geschrieben?“ sagte er. „Ich will es -wissen. Handelt es von mir?“ - -Der Oberst räusperte sich. - -„Es ist ein Telegramm von dem Schwindler,“ murmelte er. - -„Gut, lasset hören! Wenn dieser Mann auch ein Betrüger ist, so hat er -doch Mut. Lasset hören, Oberst Morrel Sahib!“ - -Der Oberst las: - - „An das königliche Brautpaar, Grand Hotel Hermitage. - - Unwürdige Glückwünsche des gestürzten Prätendenten. Möge der legitime - Stamm sich allzeit fortpflanzen! Saget Ihrer Majestät, ich begreife, - daß es einer Frau interessanter erscheint, über fünfzehn Millionen - Mann zu regieren, als über einen einzigen, der allerdings vielleicht - die fünfzehn Millionen aufwiegt, und ruhmreicher, die Regentenreihe - Nasirabads fortzupflanzen als den Stamm de Citrac! - - Benjamin Mirzl, Ex-Maharadscha, - Ex-Baron de Citrac.“ - - -„Und das andere?“ fragte Yussuf Khan, der den Oberst mit -unerschütterlichem Ernst angehört hatte. - -„Das ist an den jungen Mann mit dem unaussprechlichen Namen.“ - -„An mich!“ rief Allan. „Ich konnte mir denken, daß ich nicht leer -ausgehen würde. Lesen Sie es nur, Oberst Morrel!“ - -„Wie Sie wollen,“ sagte der Oberst und öffnete das Telegramm: - - „Mr. Allan Kragh, Suite des Maharadscha von - Nasirabad, Grand Hotel Hermitage! - - Sie haben meine Pläne dreimal durchkreuzt, aber ich bin Ihnen nicht - böse. Ich bin ja selbst in die Falle gegangen. Wie Herr van Schleeten - ließ ich mich von einer Frau betören. Ich strebte drei Jahre nach - ihrer Hand, und sie verschmähte mich, um über fünfzehn Millionen - Neger zu herrschen. Aber einen Rat: Lassen Sie uns kein viertesmal - zusammentreffen! - - Mirzl.“ - - - * * - * - -Die Privatauseinandersetzung zwischen Allan und der ehemaligen Mrs. -Langtrey gestaltete sich kurz und bestand nur in einem Lächeln und -einem Händedruck. - - - - -XIV - -Einfach, Nasirabad! - - -Es besteht eine eingewurzelte Ueberzeugung bei alten Alkoholikern, -daß kein Katzenjammer schlimmer ist, als der, den man vom Champagner -bekommt. Allan Kragh war nicht abgeneigt, dieser Anschauung am Morgen -nach Yussuf Khans Vermählung beizupflichten. - -Eigentlich war seine Lage nicht sehr angenehm. Nun wohl, er -hatte Abenteuer gehabt, Abenteuer aus Tausendundeine Nacht, -Champagnerabenteuer -- aber an diesem Morgen verspürte er hauptsächlich -den Katzenjammer darnach. Seine Kasse hatte Herr Mirzl übernommen, und -er wußte noch nicht, ob das Hotel dafür Ersatz leistete. Daß Herr Mirzl -es nicht tat, war ziemlich ausgemacht. Yussuf Khan hatte von Belohnung -für die Dienste gesprochen, die er dem Herrscher Nasirabads erwiesen, -aber nach einer unbestimmten Aeußerung in dieser Richtung hatte er den -Abend vorübergehen lassen, ohne daß mehr darüber verlautete. Allerdings -hatte er das Halsband aus der Kronjuwelensammlung Nasirabads, aber da -er es von Herrn Mirzl während dessen kurzer Regierungszeit erhalten, -konnte er offenbar nichts anderes tun, als es zurückerstatten. Und -selbst, wenn er vom Hotel Ersatz bekam, was sollte er dann anfangen? -Nach den Abenteuern, die er nun gehabt, würden die meisten Erlebnisse -schal wirken. Nach Hause reisen? Bei dem Gedanken an die brüllenden -Akzeptanten daheim fühlte er einen Schauer wie der Gladiator bei dem -Gedanken an die ausgehungerten Löwen der Arena. Nun, fürs erste war -wohl nichts anderes zu tun, als zum Direktor zu gehen und zu fragen, -wie es mit dem Ersatz für das gestohlene Geld stand. - -Der Direktor hatte offenbar denselben Champagnerkatzenjammer nach den -Erlebnissen des gestrigen Tages wie Allan. Er war verschlossen und -nicht besonders entgegenkommend. - -„Wie ich Ihnen schon gesagt habe, ich kann die Sache selber nicht -entscheiden. Natürlich weiß ich alles zu schätzen, was Sie, wenn nicht -für das Hotel, so für einen der Gäste getan haben, aber wie gesagt, ich -kann nichts Bestimmtes versprechen, bevor ich nicht mit der Direktion -gesprochen habe.“ - -Allan ging mit einem Achselzucken und spazierte ein paarmal durch die -große Halle, bis er sich erinnerte, daß Yussuf Khan und sein Gefolge -schon zu Mittag abreisen sollte, und daß es daher an der Zeit war, -das Halsband des Ex-Maharadschas Mirzl zurückzustellen. Er hatte es -im Bankkontor bei dem jungen Manne deponiert, der einmal Herrn Mirzl -sein Geld ausgeliefert hatte. Seltsamerweise war es noch da! Aber es -brauchte Zeit, bis der junge Bankbeamte genügend von seiner Identität -überzeugt war; und die Mühe, ihn zu überzeugen, brachte Allan nicht -gerade in bessere Laune. - -„Wären Sie das vorigemal nur halb so genau gewesen, so wäre ich jetzt -um dreihundert Pfund reicher,“ knurrte er den Bankbeamten an und begab -sich in den ersten Stock. Die schwarze Leibwache, die im Korridor über -die Sicherheit ihres Herrschers wachte, schien nicht unter derselben -Depression zu leiden wie Allan. Sie schnatterte und wisperte in ihrem -krähenähnlichen Dialekt. Offenbar hatten sie schon von der Heimreise -erfahren und freuten sich bereits darauf. Sie ließen Allan mit einem -Grinsen ein. Nun kannten sie ihn schon. - -Im Vorraum befand sich nur der alte Ali. Er begrüßte Allan mit -demselben heiteren Lächeln, das die Leibwache draußen zur Schau -getragen hatte. - -„Ah!“ sagte er. „In einigen Stunden befinden wir uns auf dem großen -Wasser, von der Krankheit geplagt, die die Dämonen des Wassers die -Eigenschaft haben, bei den Reisenden hervorzurufen. Ja, nur einige -Stunden, und wir verlassen diese große wunderbare Stadt, von der wir -dank dem König der Betrüger so wenig gesehen haben.“ - -„Sie scheinen nicht gerade betrübt darüber, den Wasserdämonen zu -begegnen,“ sagte Allan. - -„Nein, denn sie müssen mich ja doch in mein Land zurücktragen. -Treffend und anmutig sagt ein Dichter, der sich freilich nicht mit -dem göttlichen Zeltmacher messen kann: ‚Wer unter Palmen geboren ist, -findet die Tannen häßlich, und für die Einwohner Delhis ist der Gestank -ihrer Stadt schön.‘“ - -„Ausgezeichnet, auf Ehre,“ sagte Allan. „Wie sieht es denn jetzt in -Delhi aus?“ - -„Wahrlich, junger Freund, ich kann es Ihnen nicht sagen. Es ist -viermal zehn Jahre her, seit ich diese Stadt besucht habe. Und ich -erinnere mich tatsächlich nur an einen großen Gestank und an eine -Sonne, wie sie sich die Bevölkerung in London nicht träumen läßt, -selbst wenn sie Haschisch kaut, und die unerträglich war wie Allahs -Augen für den Ungläubigen.“ - -„Das klingt ja lockend,“ sagte Allan. - -„Junger Freund,“ sagte der alte Hofdichter, „verstehe ich recht, Sie -sind nie in Delhi gewesen?“ - -„Sie haben mich recht verstanden,“ sagte Allan, „eigentümlicherweise -habe ich total vergessen, Delhi zu besuchen.“ - -„Aber sicherlich sind Sie in Indien gewesen,“ sagte Ali zuversichtlich. - -„Ich schäme mich, Ihnen eine Enttäuschung bereiten zu müssen,“ sagte -Allan, „aber wie lächerlich es auch klingt, ich bin nicht einmal in -Indien gewesen. Ich bin ein unerzogener Esel, mit abgeschnittenen Ohren -und Scheuklappen um die Augen. Sagt das nicht der göttliche Zeltmacher -irgendwo?“ - -„Der göttliche Omar hat diese Aeußerung nie gemacht,“ sagte Ali. „Das -muß irgendein anderer Dichter von geringerer Bedeutung gewesen sein. -Aber wer nie in Indien war, der ist wie ein unerfahrenes Kind, und -wer nie in Nasirabad gewesen, wie ein Ungeborener. Da ist der Himmel -blauer denn irgendwo und die Luft kühler. Dort scheint die Sonne mit -ungewöhnlicher Klarheit, aber sie brennt nicht wie über den Ungläubigen -in Delhi. Die Berge sind mit Zedern und Pinien bewachsen, und in ihrem -Schatten duftet es süßer als aus dem Haar eines Weibes. Karawanen mit -bewaffnetem Schutzgefolge ziehen durch die Pässe auf und nieder, und -am Abend duftet es von ihren Lagerfeuern nach gekochtem Hammelfleisch, -Reis und guter Butter. Dieser Duft ist köstlicher als andere Düfte, und -wer ihn nie geatmet hat, ist wie einer, der nie Wein getrunken oder den -Mund einer Geliebten geküßt. Die Frauen in Nasirabad haben schlankere -Mitte, üppigere Hüften und kleinere Händchen und Füßchen als andere -Frauen, und ihre Augen sind schwarz und funkelnd wie die Nacht im -Winter. Nein, wer nie in Nasirabad gewesen, hat nie gelebt.“ - -„Ich beginne es zu glauben,“ murmelte Allan zu sich selbst; und während -der alte Dichter fortfuhr, in langen Sätzen und mit zahlreichen Zitaten -aus dem göttlichen Zeltmacher und anderen Dichtern von geringerer -Bedeutung sein Vaterland zu beschreiben, sah er vor seiner Seele in -einem Blitz den ganzen Orient, bunt flammend von Düften und Visionen, -so wie Yussuf Khans Juwelen von Licht und Farben flammten. Er stand -noch halb traumbefangen, als die Türe des inneren Gemaches sich öffnete -und Yussuf Khan selbst erschien, begleitet von seiner Gemahlin und dem -Obersten. Allan verbeugte sich und zog das Halsband hervor, das Yussuf -Khan mit erstaunter Miene betrachtete. - -„Das habe ich von Ew. Hoheit falschem Repräsentanten bekommen,“ sagte -Allan, „darf ich bitten, es Ew. Hoheit selbst zurückgeben zu dürfen, -bevor er es mir wieder stiehlt.“ - -„Bekommen?“ wiederholte Yussuf Khan. - -„Zur Belohnung,“ schaltete der alte Ali ein. „Weil dieser junge Mann -ihn zweimal verhindert hat, deine Juwelen zu stehlen, mein Sohn, -hat ihm der König der Betrüger dieses Geschmeide geschenkt, ich war -selbst anwesend. Die Schamlosigkeit dieses Betrügers wurde durch eine -Scherzhaftigkeit gemildert, die ich zuweilen bewundern muß.“ - -Yussuf Khan sah Allan an. - -„Und nun wollt Ihr das zurückgeben,“ fragte er. „Warum?“ - -„Ich habe es doch von einem Schwindler bekommen,“ begann Allan. - -Yussuf Khan unterbrach ihn: - -„Es ist gut. Der Betrügerkönig, der meine Juwelen stehlen wollte und -zwei Tage hindurch meinen Namen stahl, hat ein Werk getan, das ihm zum -Verdienst gereicht. Ich bin Euch, junger Sahib, mehr schuldig, als mit -diesem Schmuckstück bezahlt werden kann. Sagt mir, was ich tun kann, um -meine Schuld zu tilgen. Sprechet frei, und wisset, daß alles, was Ihr -begehrt, im vorhinein bewilligt ist.“ - -Allan sah das Halsband, das er in der Hand hielt, unentschlossen -an. Geschenke und Belohnungen anzunehmen, widerstrebte seinem -Nationalinstinkt; aber dennoch wußte er, daß eine Weigerung verletzend -wirken würde, und dabei konnte er sich nicht von dem Gedanken -losmachen, was er eigentlich anfangen sollte, wenn diese Personen fort -waren, in deren Drama er mitgespielt hatte. Der alte Ali sagte zum -Maharadscha: - -„Mein Sohn, denke dir, dieser junge Mann, aus dessen Zügen Begabung -und edle Gesinnung sprechen, und der uns große Dienste erwiesen hat, -hat in seinem ganzen Leben weder Delhi noch Nasirabad gesehen, ja, -er hat nicht einmal Indien besucht. Mit Worten, dem besten unserer -Dichter entnommen, zu denen ich für mein eigen Teil viel zu unwürdig -bin gezählt zu werden, habe ich versucht, ihm ein mattes Bild von -Nasirabads Schönheit zu geben.“ - -Allan kam eine Idee, die ihn erzittern ließ. Nach diesen Abenteuern aus -Tausendundeiner Nacht mußte alles andere als Tausendundeine Nacht einen -faden Geschmack haben ... und war Tausendundeine Nacht denn anderswo zu -finden als in dem uralten Märchenlande selbst? - -„Hoheit,“ sagte er, „wollen mir Ew. Hoheit irgendeinen Posten in Ihren -Diensten in Nasirabad verleihen?“ - -Yussuf Khan starrte ihn an. - -„Ist das alles, was Ihr wünscht?“ fragte er. - -„Ja,“ sagte Allan, „welchen Platz immer.“ - -Yussuf Khan betrachtete ihn noch einen Augenblick. - -„Gut,“ sagte er, „ich habe versprochen, Euren Wunsch zu erfüllen, was -immer Ihr begehrt. Von heute an seid Ihr mein nächster Mann in allem, -was nicht die Regierung der Sahibs in meinem Lande betrifft. Aber -wisset, daß wir diese Stadt in wenigen Stunden verlassen.“ - -„Ich weiß es,“ sagte Allan, „und ich werde mich mit dem Packen beeilen. -Ich packe jetzt meine Koffer zu einer Reise nach Tausendundeine Nacht!“ - - * * - * - -Dasselbe sagte er ein paar Stunden später zur Familie Bowlby, als er --- obendrein mit seinen dreihundert Pfund vom Hotel in der Tasche -- -auf der Eingangstreppe des Hotels von ihr Abschied nahm. Mrs. Bowlby, -skeptisch bis zuletzt, sagte: - -„Ich bin überzeugt, er wird Sie nur dazu verwenden, seine -Hundertundfünfzig zu bewachen.“ - -„Mrs. Bowlby,“ sagte Allan, „ich glaube, daß es Kompetenzbedingungen -für eine solche Stellung gibt, die ich nicht erfüllen kann.“ - -Oberst Morrel, der daneben stand, lachte barsch in seinen weißen -Schnurrbart und bemerkte: - -„_All right_, junger Freund, Indien hat sich seit der Zeit -Harun al Raschids ein bißchen verändert. Es ist nicht gesagt, daß -Sie dieselben Abenteuer finden, wie in Tausendundeine Nacht. Aber im -Notfalle können Sie immer einen Platz unter dem Residenten haben und -mit etwas Bekanntschaft machen, worin Sie, wie ich glaube, noch keine -große Erfahrung haben, nämlich die Arbeit. -- Es ist Zeit, in das Auto -zu steigen.“ - -„Und die Arbeit“, rief Mr. Bowlby Allan nach, indem er ihm ein Lebewohl -zuwinkte -- „ist doch endlich und schließlich das größte Abenteuer.“ - - - - -Frank Heller - -Herrn Collins Abenteuer - -Roman - -Autorisierte Uebersetzung aus dem Schwedischen von Marie Franzos - -21.-30. Tausend - - Geheftet Mk. 5.50 Gebunden Mk. 7.50 - -+Münchener Neueste Nachrichten+: ... mit dem vergnüglichsten -und kurzweiligsten Buch sei begonnen. Herrn Philipp Collins -Abenteuer von dem gewandten geschliffenen Schweden Frank Heller ist -ein Detektivroman, aber keiner jener dutzendhaften, langweiligen, -angelsächsischen Art, die nur mehr Köchinnen und Gymnasiasten gruseln -macht. In dem Buche ist Abwechslung, Spannung, unverbrauchter Witz. -Blitzschnelle Phantasie, die wie der elektrische Funke um den Erdball -springt, wirbelt die Geschehnisse durcheinander; dem Verfasser gelingt -die Verblüffung, die schließlich das Kunststück der Detektivgeschichte -ist. - -+Das Literarische Echo+: Es hat nichts mit großer Literatur zu -tun, dieses famose Buch, und das ist seine oberste Tugend. Seine zweite -ist seine Tugendlosigkeit. Das Böse triumphiert zu unserem Entzücken, -und die Bravheit muß mit langer Nase abziehen. Man lacht nicht, aber -- -was viel schöner ist -- man wird durch und durch heiter, stillvergnügt, -spitzbübisch froh. Es fließt kein Blut, kein Mord muß gesühnt werden; -unsere Spannung wird edler erregt. Das ist sympathischer als Doyle, -Green, Gaboriau. Also, Herr Heller, es hat uns sehr gefreut. Beehren -Sie uns wieder. - - -Georg Müller Verlag, München - - - - -Frank Heller - -Die Finanzen des Großherzogs - -Roman - -Autorisierte Uebersetzung aus dem Schwedischen von Marie Franzos - -13.-22. Tausend - - Geheftet Mk. 5.50 Gebunden Mk. 7.50 - -+Wiener Abendpost+: Dieser Autor läßt einen nicht zu Atem kommen, -bevor man auf der letzten Seite angekommen ist. Er hat ein Buch -geschrieben, das man verschlingt, wie man es in der seligen Bubenzeit -mit den Indianergeschichten getan hat. Wahrhaftig, dieser Frank Heller -ist ein Indianerromancier für Erwachsene, ein glänzend begabter, -ideenreicher, witziger, gescheiter noch dazu. - -+Neue Züricher Zeitung+: So spannend in der Handlung die Romane -des jungen Schweden sind, so humorvoll sind sie zu gleicher Zeit. Wie -er es fertig bringt, das Ernsthaft-Gefährliche einer Situation und -deren komischen Moment stilistisch wiederzugeben, das verdient alle -Aufmerksamkeit. Zutiefst kollert immer ein befreiendes Lachen. Und -dieser Humor ist nichts Gesuchtes, sondern wirkt selbstverständlich und -berechtigt. Die Originalität dieses Kriminalromans stellt ihn auf eine -literarische Stufe, die bis jetzt auf diesem Gebiete wohl noch selten -oder nie erreicht worden ist. - - -Georg Müller Verlag, München - - - - -Frank Heller - -Lavertisse macht den Haupttreffer - -Roman - -Autorisierte Uebersetzung aus dem Schwedischen von Marie Franzos - -9.-18. Tausend - - Geheftet Mk. 5.50 Gebunden Mk. 7.50 - -+München-Augsburger Abendzeitung+: Wir bedürfen der leichtern -Kunst gegenüber den schweren Lasten des ernsten Lebens, wir brauchen -eine Stunde des Untertauchens, wenn unsere Seele oder unser Geist in -hochgespannter Arbeit sich heiß gelaufen haben. Der Roman Hellers -ist in diesem Sinne sogar ein Kohlensäure-Bad, prickelnd von einem -geistigen Fluidum, das erfrischend wirkt, gegossen in das Gefäß eines -glatten, blanken, glitzernden Stils und angereichert durch überlegenen -Humor von snobistischer Färbung. - -+Neueste Hamburger Zeitung+: Was die Bücher Frank Hellers so -anziehend macht, ist die fast übermütige Darstellung der Gauner- -und Heldenstreiche, die famose Ueberlegenheit, mit der hier die -Wirklichkeiten durcheinandergeschoben und in immer neue, überraschende -Kombinationen gebracht werden. Es fehlt die Betonung des reinen -Handwerks (die bei Conan Doyle etwa vorherrscht), er ist nicht vom -„Fall“ ausgegangen, sondern vom Charakter des Helden. Das ist viel -interessanter als Sherlock Holmes, weil er ein lebendiger, beweglicher, -blendender Kerl ist. - - -Georg Müller Verlag, München - - -Druck von Mänicke und Jahn in Rudolstadt - -*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK YUSSUF KHANS HEIRAT *** - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the -United States without permission and without paying copyright -royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part -of this license, apply to copying and distributing Project -Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm -concept and trademark. 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Hart was the originator of the Project -Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be -freely shared with anyone. For forty years, he produced and -distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of -volunteer support. - -Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed -editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in -the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not -necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper -edition. - -Most people start at our website which has the main PG search -facility: www.gutenberg.org - -This website includes information about Project Gutenberg-tm, -including how to make donations to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to -subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. diff --git a/old/67885-0.zip b/old/67885-0.zip Binary files differdeleted file mode 100644 index 56a9bb4..0000000 --- a/old/67885-0.zip +++ /dev/null diff --git a/old/67885-h.zip b/old/67885-h.zip Binary files differdeleted file mode 100644 index 1f54d16..0000000 --- a/old/67885-h.zip +++ /dev/null diff --git a/old/67885-h/67885-h.htm b/old/67885-h/67885-h.htm deleted file mode 100644 index 70849b2..0000000 --- a/old/67885-h/67885-h.htm +++ /dev/null @@ -1,9449 +0,0 @@ -<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.0 Strict//EN" - "http://www.w3.org/TR/xhtml1/DTD/xhtml1-strict.dtd"> -<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml" xml:lang="de" lang="de"> - <head> - <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html;charset=utf-8" /> - <meta http-equiv="Content-Style-Type" content="text/css" /> - <title> - Yussuf Khans Heirat, by Frank Heller—A Project Gutenberg eBook - </title> - <link rel="coverpage" href="images/cover.jpg" /> - <style type="text/css"> - -body { - margin-left: 10%; 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Ungewöhnliche -und heute nicht mehr gebräuchliche Schreibweisen bleiben gegenüber dem -Original unverändert; fremdsprachliche Zitate und Ausdrücke wurden -nicht korrigiert. Umlaute in Großbuchstaben (Ä, Ö, Ü) werden durch ihre -Umschreibungen dargestellt (Ae, Oe, Ue).</p> - -<p class="p0">Die Seitenzahlen des <a -href="#Inhalt">Inhaltsverzeichnisses</a> wurden, falls notwendig, -entsprechend des jeweiligen Kapitelanfangs in der Buchausgabe -korrigiert. Die dort aufgeführten Kapitelüberschriften stimmen nicht in -allen Fällen mit den Überschriften im Text überein; dies wurde aber so -belassen.</p> - -<p class="p0">Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt; Passagen -in <span class="antiqua">Antiquaschrift</span> werden im vorliegenden -Text kursiv dargestellt. <span class="hidehtml">Abhängig von der im -jeweiligen Lesegerät installierten Schriftart können die im Original -<em class="gesperrt">gesperrt</em> gedruckten Passagen gesperrt, in -serifenloser Schrift, oder aber sowohl serifenlos als auch gesperrt -erscheinen.</span></p> - -</div> - -<div class="figcenter illowe32 x-ebookmaker-drop break-before" id="cover"> - <img class="w100" src="images/cover.jpg" alt="" /> - <div class="caption">Original-Einband</div> -</div> - -<div class="titelei"> - -<p class="s3 center padtop3 break-before">Frank Heller / Yussuf Khans Heirat</p> - -<p class="s4 center">Autorisierte Uebertragung aus dem Schwedischen von Marie -Franzos</p> - -<div class="figcenter illowe5" id="signet"> - <img class="w100" src="images/signet.jpg" alt="Verlagssignet" /> -</div> - -<p class="s2 center mtop3 padtop3 break-before">Frank Heller</p> - -<h1> Yussuf Khans Heirat</h1> - -<p class="s3 center">Roman</p> - -<hr class="zier" /> - -<p class="s4 center">München 1919 bei Georg Müller</p> - -<p class="s5 center padtop5 break-before">1. bis 10. Tausend</p> - -<p class="s5 center antiqua">Copyright 1919 by Georg Müller in München</p> - -</div> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="nobreak" id="Inhalt">Inhalt</h2> - -</div> - -<table class="toc" summary="Inhaltsverzeichnis"> - <tr> - <td colspan="2"> - <div class="kapitelnummer">Erstes Kapitel</div> - </td> - </tr> - <tr> - <td> - <div class="ueberschrift">Lyrischer Prolog</div> - </td> - <td> - <div class="seitennummer"><a href="#I">7</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td colspan="2"> - <div class="kapitelnummer">Zweites Kapitel</div> - </td> - </tr> - <tr> - <td> - <div class="ueberschrift">Vorsicht bei Eisenbahnfahrten</div> - </td> - <td> - <div class="seitennummer"><a href="#II">21</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td colspan="2"> - <div class="kapitelnummer">Drittes Kapitel</div> - </td> - </tr> - <tr> - <td> - <div class="ueberschrift">Das große Hotel</div> - </td> - <td> - <div class="seitennummer"><a href="#III">57</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td colspan="2"> - <div class="kapitelnummer">Viertes Kapitel</div> - </td> - </tr> - <tr> - <td> - <div class="ueberschrift">Yussuf Khan, Maharadscha von Nasirabad</div> - </td> - <td> - <div class="seitennummer"><a href="#IV">82</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td colspan="2"> - <div class="kapitelnummer">Fünftes Kapitel</div> - </td> - </tr> - <tr> - <td> - <div class="ueberschrift">Das große Hotel (Fortsetzung)</div> - </td> - <td> - <div class="seitennummer"><a href="#V">92</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td colspan="2"> - <div class="kapitelnummer">Sechstes Kapitel</div> - </td> - </tr> - <tr> - <td> - <div class="ueberschrift">Das Loch in der Wand und das Loch im Boden</div> - </td> - <td> - <div class="seitennummer"><a href="#VI">108</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td colspan="2"> - <div class="kapitelnummer">Siebentes Kapitel</div> - </td> - </tr> - <tr> - <td> - <div class="ueberschrift">Ein Verschwinden mit Nebenumständen</div> - </td> - <td> - <div class="seitennummer"><a href="#VII">143</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td colspan="2"> - <div class="kapitelnummer">Achtes Kapitel</div> - </td> - </tr> - <tr> - <td> - <div class="ueberschrift">Mynheer van Schleetens Erlebnisse</div> - </td> - <td> - <div class="seitennummer"><a href="#VIII">162</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td colspan="2"> - <div class="kapitelnummer">Neuntes Kapitel</div> - </td> - </tr> - <tr> - <td> - <div class="ueberschrift">Yussuf Khans Wiederkehr</div> - </td> - <td> - <div class="seitennummer"><a href="#IX">187</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td colspan="2"> - <div class="kapitelnummer">Zehntes Kapitel</div> - </td> - </tr> - <tr> - <td> - <div class="ueberschrift">Die Nachwirkung einer tollen Nacht auf Fürsten - und Poeten</div> - </td> - <td> - <div class="seitennummer"><a href="#X">211</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td colspan="2"> - <div class="kapitelnummer">Elftes Kapitel</div> - </td> - </tr> - <tr> - <td> - <div class="ueberschrift">das seinen Zweck erfüllt, den Leser zu verwirren</div> - </td> - <td> - <div class="seitennummer"><a href="#XI">239</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td colspan="2"> - <div class="kapitelnummer">Zwölftes Kapitel</div> - </td> - </tr> - <tr> - <td> - <div class="ueberschrift">Ein Fest und sein Abschluß</div> - </td> - <td> - <div class="seitennummer"><a href="#XII">256</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td colspan="2"> - <div class="kapitelnummer">Dreizehntes Kapitel</div> - </td> - </tr> - <tr> - <td> - <div class="ueberschrift">Yussuf Khans Heirat</div> - </td> - <td> - <div class="seitennummer"><a href="#XIII">269</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td colspan="2"> - <div class="kapitelnummer">Vierzehntes Kapitel</div> - </td> - </tr> - <tr> - <td> - <div class="ueberschrift">Einfach, Nasirabad</div> - </td> - <td> - <div class="seitennummer"><a href="#XIV">286</a></div> - </td> - </tr> -</table> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_7">[S. 7]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="I">I<br /> - -<em class="gesperrt">Lyrischer Prolog</em></h2> - -</div> - -<p>Held eines Romans, Held einer Folge von Abenteuern — klingt das nicht -wie törichter Nonsens? Wer glaubt an Romane im wirklichen Leben, wer -glaubt daran, daß es noch Abenteuer gibt? Die Abenteuer, sagte man im -achtzehnten Jahrhundert, sind vor zweihundert Jahren ausgestorben. Zur -Zeit der Renaissance, <em class="gesperrt">da</em> gab es Abenteuer!</p> - -<p>Sie sprechen heute von Abenteuern, wiederholt man im neunzehnten -Jahrhundert, ha ha! Sie entschuldigen schon ... Die Abenteuer sind mit -Napoleon ausgestorben, dem leibhaftigen Abenteuer in Fleisch und Blut. -Zu Napoleons Zeit gab es Abenteuer. Aber <em class="gesperrt">jetzt</em>! Nein wirklich, -Sie müssen schon entschuldigen.</p> - -<p>Herrn Allan Kraghs Zeit fiel in das zwanzigste Jahrhundert, das heißt -jener Teil seines Lebens, den er wirklich so nennen konnte. Er war -nämlich 1885 geboren; und wenn auch die ersten fünfzehn Jahre unseres -Lebens später fast immer mit einem Seufzer zu den glücklichsten -gerechnet werden, ist es zweifelhaft, ob sie während ihres Verlaufes -auch in dieser Weise aufgefaßt werden. Höchst zweifelhaft. Ja, warum -sollte man Haeckels berühmte These vom Leben des Individuums als Resumé -des Lebens der Gattung nicht darauf anwenden können? Genau wie es<span class="pagenum" id="Seite_8">[S. 8]</span> für -die meisten Menschen ein Glaubensartikel ist, daß alles Romantische -sich zur Zeit Roms, zur Zeit der Renaissance, zur Zeit der Revolution -zugetragen hat und auf jeden Falls jetzt, seit der eigene kleine -Privatlebensbetrieb des Betreffenden begonnen hat, so ferne und tot -ist, wie ein geologisches Zeitalter — genau in derselben Weise denkt -man mit dreißig Jahren an die Zwanzig zurück (<em class="gesperrt">da</em> war es noch -eine Freude zu leben), mit Fünfzig an die Dreißig, und überhaupt die -ganze Zeit, seit man lange Hosen oder Röcke zu tragen bekommen hat, an -die unaussprechlich fröhliche, spannende, romantische Kindheit, die -jetzt tot und begraben ist, und nie zu einem armen Teufel wiederkehrt, -der in einem grauen, uninteressanten Alltagsleben verkümmern muß.</p> - -<p>Und dabei sind die ganze Zeit die Abenteuer da, für den, der sie zu -finden weiß. Sie sind überall da, wie Sonnenschein und Regen, aber -im Gegensatz zu diesen mehr oder weniger ungleichmäßig verteilt auf -Gerechte und Ungerechte. Es gibt Individuen, in deren Leben die -Abenteuer sich geradezu häufen, ohne daß sie eigentlich etwas dafür -können, und es gibt andere, die in die Grube fahren, ohne daß ihnen ein -Abenteuer begegnet ist. Wer weiß? Vielleicht begegnet es ihnen dort!</p> - -<p>Daß Allan Kragh Abenteuer erlebte, lag sowohl an ihm selbst wie an den -Umständen, deren Verlauf wir in Kürze skizzieren wollen. Sein Dasein -begann so uninteressant als nur möglich; denn was ist uninteressanter -als ein junger Mann, dessen Leben im Alter von einundzwanzig -Jahren schon Punkt für Punkt<span class="pagenum" id="Seite_9">[S. 9]</span> arrangiert vor ihm liegt, wie ein -Konzertprogramm? Zuerst ein Einzugsmarsch: einige flotte Studienjahre; -ein Walzer: eine bessere Verlobung; Stimmungsstück: die Ehe beginnt, -und so weiter bis zum Schlußmarsch hinter dem Sarg. So sah es aus, -als sollte Allan Kraghs Leben sich gestalten, und dann kam von dem -ursprünglichen Programm eigentlich nur der Einzugsmarsch zur Ausführung.</p> - -<p>Jetzt fragt wohl der Leser: Wie konnte Herrn Allan Kraghs Leben schon -im Alter von einundzwanzig Jahren so wohlgeordnet aussehen? Es steht -in der Regel, Gott sei’s geklagt, um die jungen Männer nicht so gut. -Sollte Herr Kragh vermögend gewesen sein? Auf diese Frage beeilen wir -uns wahrheitsgetreu zu antworten: Herr Allan Kragh war vermögend. -Und er war sogar mit einundzwanzig Jahren Herr über sein Vermögen, -da seine Eltern tot waren. Und in diesem Alter finden wir ihn an der -Universität, ohne beschützende Verwandte, als Herr über fünfzigtausend -Kronen und im übrigen als einen etwas trägen, gutmütigen, ziemlich -begabten, hübsch gewachsenen schwedischen Jungen; außerdem (oder -folglich) so wie König Erik XIV., leichtsinnig und mit einer Umgebung -von nicht gerade trefflichen Ratgebern.</p> - -<p>Herrn Allan Kraghs Studien interessieren uns nicht im besonderen -Grade. Schon zur Zeit Mäcenas’ gab es solche, die Freude daran hatten, -den olympischen Staub der Rennbahn mit dem Rade aufzuwirbeln; andere -wiederum, die größeres Interesse daran fanden, in wechselndem Metrum -den von Königen herstammenden Mäcenas zu preisen. Allan Kragh zeigte -sich<span class="pagenum" id="Seite_10">[S. 10]</span> bald von der erstgenannten dieser beiden Tätigkeiten gefesselt; -er wirbelte recht viel Staub auf seiner akademischen Rennbahn auf, -während Personen seiner Umgebung, ohne seine Genealogie von so -hohem Ursprung wie die Mäcenas’ abzuleiten, ihn doch als geeigneten -Gegenstand für Huldigungsoden erkannten und ihn ihren Schutz und Schirm -nannten.</p> - -<p>Was sagt doch der Dichter von einem achtjährigen rauschenden Gelage? -Allan Kragh brachte es nicht weiter als bis zu sechs Jahren an der -Universität, aber daß diese von rauschenden Festen erfüllt waren, hätte -nur ein sehr weitgehender Jünger Zenos bezweifeln können. Jedenfalls -nicht die Kellner der Universitätsstadt oder ihrer Umgebung, auch nicht -die Kellermeister, auch nicht die Schneider. Und schon gar nicht die -Bank, wo seine Fünfzigtausend standen und sich nicht nur hartnäckig -weigerten, sich zu verzinsen, sondern vielmehr eine unheimliche Tendenz -zeigten, zum Kassagitter hinauszurutschen.</p> - -<p>Schon in seinen ersten Studienjahren lernte er Hermann Bergius kennen, -der der Feldmarschall bei den Feldzügen von Allans sechsjähriger -Glanzzeit wurde. Hermann Bergius war ein spätgeborener Sprößling der -großen Freibeuterführer; die verweichlichten Zeiten hinderten ihn, -gleich diesen mit dem Schwert zu kämpfen und sich zu bereichern; -er stritt deshalb mit der Zunge. Jahr um Jahr war vergangen, eine -Generation war der anderen an der Universität gefolgt, der ungestüme -Strom der Zeit war vorbeigebraust, und jede neue Generation fand -Hermann Bergius da, wo er, wenn nicht tausend, so doch fünfzehn runde -Jahre<span class="pagenum" id="Seite_11">[S. 11]</span> gestanden hatte, den Blick, zwar nicht in den trüben Strom der -Zeit, so doch in den des Punsches versenkt. Wie gewisse griechische -Philosophen vor Sokrates teilte er den Weg in eine unendliche -Anzahl kleiner Teilchen; und so wie jene auf diese Art nachwiesen, -daß Achilles die Schildkröte nicht einholen konnte, bewies Hermann -Bergius auf seine Weise, daß die Zeit ihn nie zu erreichen vermochte. -Seine Bildung war umfassend, sein Humor ungewöhnlich, sein Appetit -unermeßlich, sein Durst noch größer; seine Fähigkeit, Strapazen und -Ausschweifungen gleich gut zu ertragen, des Größten aller Römer würdig.</p> - -<p>In seiner Armee spielte Allan Kragh hauptsächlich die Rolle des -Quartiermeisters; er bezahlte die Tagesrationen aus, sorgte für die -Verpflegung und das Nachtlager der Truppen und hatte nach der Regel -des siebzehnten Jahrhunderts vor allem dafür einzustehen, daß sie, -wenn schon nichts anderes, so doch jeden Tag einen tüchtigen Trunk -erhielten. Dank dem freundschaftlichen Fuße, auf dem er mit den Banken -stand, war dies ein zwar schwieriger, aber doch zu bewältigender -Posten. Seine Belohnung war die Freundschaft des großen Feldmarschalls -und verschiedentliche Erwähnungen in den Tagesrapporten.</p> - -<p>Es würde zu weit führen, alle Helden der Armee der großen Zeit -aufzuzählen. Da war John Peter S., Hermann Bergius’ nächster -Mann und Adjutant. Da war eine unzählige Schar Kombattanten und -Nichtkombattanten, Freibeuter aus allen Teilen des Reiches, Söldner -für längere oder kürzere Zeit. Da war O. B., ein alter Spartaner, -wie Bergius sagte,<span class="pagenum" id="Seite_12">[S. 12]</span> der sich auch in gebettete Betten nur mit den -Kleidern legte. Da war der Amanuensis, unabsetzbarer Amanuensis in -den Kaffeehäusern, aber von der Institution in dieser Eigenschaft -längst verabschiedet. Sein Wahlspruch war: „Kreuzdonnerwetter, was ein -alter Feldwebel ist, der kann immer noch eins vertragen.“ Abgesehen -vom Amanuensis war er nämlich auch Feldwebel, und zwar mit ebenso -großem Recht, ganz wie der König von Dänemark in seinen Kundgebungen -noch immer über Dithmarschen, Lauenburg, Venden und weiß Gott was -regiert. Da war Aistjerna, der eine kurze Gastrolle gab, bevor ihn -seine hochadelige Familie noch rasch rettete, und dessen berühmtester -Ausspruch fiel, als er Hermann Bergius über seine schon längere Zeit -andauernde Obdachlosigkeit trösten wollte: „Ja, lieber Hermann, auch -ich — äh — habe die Schrecken des Bohemelebens kennen gelernt — -es hat Nächte gegeben, — äh — wo ich mich nicht nach Hause traute, -sondern — äh — tatsächlich im Bristol übernachten mußte.“ Berühmt -waren auch seine Reflexionen über die Spatzen: „So ein Spatz — äh -— das ist wohl so ’ne Art Müller oder Schulze in der Vogelwelt.“ — -Eine kurze, vielversprechende Laufbahn, so lautete Hermann Bergius’ -Grabschrift für ihn, als die hochadeligen Verwandten ihr Rettungswerk -vollendet hatten. — Da war noch der berühmte Baron vom Altmarkt, der -Schrecken errötender Jungfrauen und die Sorge weinender Mütter, ein -Casanova, fehl an Zeit und Ort — ja es war ein buntes Gefolge, und -es waren bunte Erlebnisse, die Allan in ihrer Gesellschaft hatte. -Natürlich immer in einem<span class="pagenum" id="Seite_13">[S. 13]</span> engen geographischen Kreis: Von Langfahrten -war eigentlich nur die große Expedition nach Berlin zu verzeichnen, -hauptsächlich denkwürdig durch den von Allan meisterlich geleiteten -Rückzug: Fast ohne Geld, bedroht von der Meuterei der erregten -Truppen und zu beständigen Hinterhutgefechten mit der rachedurstigen -Bevölkerung genötigt, hatte er eine nichts weniger als leichte -Aufgabe. Endlich stand man tiefbewegt wieder auf schwedischem Grund -und Boden, wo Allan bei der großen Festmahlzeit vom Feldmarschall -mit einer Umarmung vor den Truppen ausgezeichnet wurde, worauf man -telegraphischen Rapport über den Rückzug an Seine Majestät den König -absandte, an das deutsche Departement des Aeußern und den Sultan von -Marokko, dem es augenblicklich auch dreckig ging.</p> - -<p>Sechs Jahre von goldenen Sekunden waren auf diese Weise verronnen, da -kam ein schöner Tag, der Allans großer Zeit ein katastrophales Ende -bereitete. Und die direkte Ursache war so unbedeutend, daß sie auf den -ersten Blick lächerlich erscheinen kann. Es begab sich, daß Allan am -ersten Tage des Wintersemesters des siebenten Jahres an einen Ort kam, -den er schon sehr lange nicht gesehen hatte — die Universität. Die -Vorlesungen in den Sälen sollten eben beginnen. Der Gedanke, eine davon -zu besuchen, berührte Allan höchst humoristisch und barock — eine gute -Geschichte für den Freundeskreis. Es waren gut drei Jahre her, seit er -zuletzt da oben gewesen war. Er ging in den ersten besten Hörsaal, ohne -auch nur nachzusehen, was in seinen Mauern verkündet wurde.<span class="pagenum" id="Seite_14">[S. 14]</span> Er nahm -Platz; der Vortragende kam und begann. Es erwies sich, daß Allan zu dem -englischen Lektor der Universität geraten war.</p> - -<p>Als Allan das merkte, gab es ihm einen Ruck. Gerade die Vorlesungen -der fremden Lektoren hatte er während seiner ersten Jahre an der -Universität tatsächlich besucht ... Er besaß Sprachentalent und -hatte sich in den ersten Jahren das Deutsche und Englische in -anerkennenswerter Weise angeeignet. Erinnerungen erwachten in ihm. Der -jetzige Lektor war ein athletisch gebauter junger Mann mit klaren, -kühnen Augen. Er hielt einen einleitenden Vortrag über die englische -Kolonialliteratur; er war selbst rings um die halbe Erde gewesen und -verflocht in seinen Vortrag persönliche Erinnerungen und Beobachtungen. -Allan merkte, daß er noch genügend Englisch konnte, um ihn vollständig -zu verstehen; er war, wie gesagt, nicht auf den Kopf gefallen. Er -hörte zu, er fühlte sich interessiert, ja mehr als das, gefesselt von -den Schilderungen der Länder dort draußen, und plötzlich spürte er, -wie ihm eine heiße Röte ins Gesicht stieg. Was war das eigentlich für -ein Leben, das er und die anderen hier führten! Was war das doch für -ein Provinz-Sybaris! Wie konnte man nur Jahr für Jahr in diesem engen -Kreis totschlagen? Wie konnte man! ... Jahr für Jahr ... Jahr für -Jahr ... Was dachte er sich eigentlich, was wollte er? War es denn -überhaupt amüsant? ... Was er und die anderen da trieben, waren ja doch -Kindereien, ohne Spannung, ohne Interesse.</p> - -<p>Schließlich war die Vorlesung zu Ende, und das Publikum strömte heraus. -Allan blieb als letzter zurück<span class="pagenum" id="Seite_15">[S. 15]</span> und ging, von Gedanken erfüllt, die -wie Blasen in ihm aufstiegen, aber zerstoben, bevor sie sich noch -ganz geklärt hatten. Gleich vor der Universität stieß er mit der -ganzen Armee zusammen und wurde mit Jubelrufen begrüßt. Es gab ein -Mittagessen im Park; es gab Kaffee und Punsch. Der Abend verging, und -das große Hauptquartier der großen Armee begann die Pläne für den -Feldzug des kommenden Jahres zu entwerfen. Es war das erstemal, daß man -sich nach den Sommerferien traf. Die kommende Jahreskampagne sollte -alle vorhergegangenen der Kriegsgeschichte schlagen; man erörterte -ihre Einzelheiten unter mehr oder weniger formeller Befragung des -Quartiermeisters, der stumm und grübelnd vor seinem Whiskyglas saß, -die Ohren erfüllt von dem Geplauder der Kampfgenossen, den Kopf voll -von einem Gefühl, das neu schien, alt war und sehr rasch allmächtig -wurde: Jetzt ist Schluß! Schluß für immer. Das war die letzte Revue -der Truppen; Fontainebleau; Abschied ohne Tränen, Umarmungen oder -Ueberreichung des Degens; und dann fort, sei es auch nach Elba oder -Sankt Helena!</p> - -<p>Mit anderen Worten: Eine Pflanze, deren Keim schon lange in Allans Herz -gelegen war, hatte an diesem Tage endlich die Hülse gesprengt, die -Wurzeln ausgebreitet und war zum vollen Tageslicht hinaufgedrungen. Das -einzige Verwundernswerte war, daß dies nicht schon längst geschehen war.</p> - -<p>Sein ganzes Leben lang hatte Allan eigentlich den Zug hinaus gehabt, -den Zug zum Fernen, Neuen, Unbekannten. Vielleicht war es Hermann -Bergius gerade<span class="pagenum" id="Seite_16">[S. 16]</span> dadurch, daß er diese Saite berührte, gelungen, ihn -zum Quartiermeister des sechsjährigen Krieges zu machen. An diesem -Abend merkte er, wie es ihm vorkam, plötzlich, mit einem Male, wie -unbefriedigt ihn alle Eskapaden dieser sechs Jahre eigentlich gelassen -hatten. Kinderstreiche ... ohne Bedeutung ... ohne Spannung ... Er -dachte all der Morgen, an denen er durch irgendeine dämmergraue Straße -einer fremden Stadt, in die der Zufall und Bergius ihn verschlagen -hatten, heimwärts gewandert war, und der Lust, die er auf diesen -einsamen Morgenwanderungen verspürt, von den anderen zu desertieren -und von dem ganzen großen Frühschoppen am nächsten Tage, der der Clou -dieser Eskapaden war. Jedesmal war dieser Impuls von irgendeinem -anderen verdrängt worden. Jetzt begriff er, was dies eigentlich -bedeutet hatte. Er durchforschte sein Gedächtnis und verstand auch -andere kleine, fast kindische Züge an sich selbst, seine Lust (zu -Bergius’ großem Verdruß), mit exotischen Gestalten anzubändeln, die man -zufällig in Schenken und auf Dampfern traf; sein Versinken in trockene, -dicke, ausländische Fahrpläne, Henschel und Bradshaw, die er in den -Vestibüls der Hotels fand; seine Manie für die großen ausländischen -Zeitungsdrachen ...</p> - -<p>Und während man die Becher leerte, die die Ouvertüre zu einem weiteren -Jahr kriegerischer Heldentaten und Idyllen bilden sollten, saß Allan -da, ohne sein Glas zu berühren. Die verheißenen Idyllen erschienen -ihm mit einem Male überaus banal und der Wein der Freudenbecher schal -geworden ... Fort, auf neuen Straßen, fort, um die Sonne über Städten -zu sehen,<span class="pagenum" id="Seite_17">[S. 17]</span> wo noch etwas Neues geschah und wo man dem Abenteuer -begegnen konnte! Denn was war er eigentlich alle diese sechs Jahre -nachgejagt, wenn nicht den Abenteuern, dem Neuen? Morgen! ...</p> - -<p>So dachte Allan Kragh, weil er eine jener Naturen war, die dazu -bestimmt sind, Abenteuer zu suchen; während er, wenn er das nicht -gewesen wäre, daran gedacht hätte, ein neues Leben zu beginnen und die -weiteren Vorlesungen des englischen Lektors zu besuchen.</p> - -<p>Die Uhr zeigte am nächsten Morgen halbzehn, als Allan auf dem Trottoir -vor dem großen Hotel der Universitätsstadt seine Pläne in dem -Septembersonnenlicht einer Musterung unterzog. Und während er dasaß -und überlegte, ob ein gesunder und normaler Mensch den Schritt, den -er machte, machen konnte, ohne verfolgt zu werden, entdeckte er so -allmählich noch einen Grund, seinen unklaren Plan ins Werk zu setzen, -einen Grund, der möglicherweise etwas unkameradschaftlich war, aber -dafür in gewissem Maße das sonst recht Phantastische seines Vorhabens -aufwog.</p> - -<p>Allan Kragh und seine Freunde waren schwedische akademische Bürger; -damit ist gesagt, in welcher Weise Allan seine Quartiermeisterschaft in -den berühmten Heerzügen der sechs Jahre ausgeübt hatte.</p> - -<p>Selbst war er ja durch vorsorgliche Eltern von der Notwendigkeit -befreit, aus eigener Vernunft oder Kraft Geld aufzubringen; aber die -Eltern seiner Freunde waren nicht ebenso vorsichtig gewesen, und darum -war es auf Allans Los gefallen, ihnen in der erwähnten Hinsicht durch -verschiedentliche Autogramme<span class="pagenum" id="Seite_18">[S. 18]</span> zu Hilfe zu kommen. „Nicht der Endossent -allein gewinnt die Schlachten, die namenlosen Reihen gewinnen sie ihm,“ -pflegte Hermann Bergius jedesmal zu versichern, wenn er, wie er sich -ausdrückte, Allan wieder einmal einen Ehrenposten zugedacht hatte; -aber in der Regel hatte Allan gefunden, daß der Endossent sich wie die -Feldherren früherer Zeiten selbst ins Kampfgewühl stürzen mußte, um -die Feinde nicht triumphieren zu lassen — in diesem Falle die Banken. -Mit einem Wort: er hatte sich auf Dokumenten von einer Anzahl, die er -selbst nicht näher kannte, verewigt; und obgleich er zu dem Zeitpunkt, -zu dem der Feldzug des siebenten Jahres beginnen sollte, noch nicht -völlig erschöpft war, war er doch nicht allzu weit davon entfernt. -Wenn er nun, dachte er mit einem stillen Lächeln, seinen rasch -entstandenen Plan verwirklichte, und er schon zu gar nichts anderem -führte, konnte er doch wenigstens zur Folge haben, daß die namenlosen -Reihen sich gezwungen sahen, sich auf eigene Hand ohne den Feldherrn -durchzuschlagen — bekanntlich der erstrebenswerteste Höhepunkt, den -die militärische Erziehung erreichen kann ... und das wäre ja immerhin -ein gewisser Vorteil für den in sechs Kriegsjahren geprüften Feldherrn, -für den Fall, daß sein eigener Kriegszug in unbekannte Länder mit -Niederlage und Rückzug enden sollte ...</p> - -<p>Allan war boshaft genug, sich bei dem Gedanken an die nicht sehr -platonischen Dialoge, denen die namenlosen Reihen sich hingeben -würden, wenn sie die Niedertracht ihres Führers erkannten, ein Lächeln -zu<span class="pagenum" id="Seite_19">[S. 19]</span> gönnen. Dann klopfte er dem bejahrten, rotnasigen Kellner, der -seine einstündige Morgengrübelei an dem Trottoirtisch ehrfurchtsvoll -beobachtet hatte. Als dieser Allans Klopfen vernahm, stürzte er, wie -aus der Kanone geschossen, herbei.</p> - -<p>„Wieviel?“</p> - -<p>„Zwei Pilsner, sechzig Oere.“</p> - -<p>Allan legte das Geld auf den Tisch und stand auf.</p> - -<p>„Soll ich drinnen ein Frühstück für den Herrn Doktor bestellen?“</p> - -<p>Allans Doktorpromotion hatte in den Hotels, nicht in der Universität, -stattgefunden. Allan schüttelte den Kopf.</p> - -<p>„Herr Doktor warten vielleicht auf die anderen Herren Doktoren?“</p> - -<p>„Das glaube ich nicht,“ sagte Allan, „sagen Sie ihnen, sie können auf -mich warten!“</p> - -<p>Er warf einen Blick auf die Uhr. Halb elf; das Schiff ging um ein Uhr; -die Bank, das Packen, ein Paß — er hatte gerade noch Zeit!</p> - -<p>Zweiundeinehalbe Stunde später sah das Vaterland Herrn Allan Kragh an -Bord eines kleinen weißen Raddampfers steigen, einer von jenen, die -während der sechsjährigen Kriegsfahrten in das näher gelegene Ausland -oft als Wikingerschiffe gedient hatten. Die Taue wurden gelöst; die -Dampfpfeife tutete mit einem heiseren, versoffenen Baßton; die Räder -schaufelten das Wasser auf, und Herr Allan Kragh hatte mit zwölftausend -Kronen Bargeld (dem Rest eines einstmals fürstlichen Vermögens) sowie<span class="pagenum" id="Seite_20">[S. 20]</span> -zwei wohlgefüllten Reisekoffern und einem Spazierstock seine große -Reise in die Welt angetreten.</p> - -<p>Vorwärts! Den Abenteuern entgegen! Schicksal <span class="antiqua">en garde</span>!</p> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_21">[S. 21]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="II">II<br /> - -<em class="gesperrt">Vorsicht bei Eisenbahnfahrten!</em></h2> - -</div> - -<p>„Diner, meine Herrschaften! Wünschen die Herrschaften zu dinieren? -Diner, meine Herrschaften, zweites Service jetzt fertig.“</p> - -<p>Der Zug flog über die blinkenden Stahlschienen, Köln zu. Die Wagen -schlingerten in den Kurven und neigten sich bald auf die eine, bald auf -die andere Seite. Die Landschaft flog vorbei, flach und nichtssagend; -vor ein paar Stunden hatte man Osnabrück passiert. Der Septemberhimmel -war klar, blau, unendlich hoch, mit leuchtenden, weißen Wolkenmassen, -die einander jagten; der Wind war frisch, kühl mit einem feinen, schon -vernehmlichen Herbstduft. Ab und zu, wenn man an irgendeinem Fluß oder -Kanal vorbeiflog, war sein Wasser durchsichtig grün, und hier und dort -segelten früh abgefallene Blätter auf seinem Spiegel. Der Zug hastete -weiter und weiter; und Allan Kragh stand in private Meditationen -versunken, den Kopf halb zu einem Korridorfenster hinausgestreckt, -ohne sich daran zu kehren, daß der Wind ihm ins Gesicht peitschte und -hie und da Rußflocken von der Lokomotive mitbrachte. Die Stimme des -Speisewagenkellners weckte ihn aus seinen Grübeleien; er sah auf seine -Uhr, die etwas über<span class="pagenum" id="Seite_22">[S. 22]</span> eins zeigte und erinnerte sich plötzlich, daß er -seit den zwei Eiern und dem Kaffee im Hauptbahnhof in Hamburg nichts -gegessen hatte. Zugleich mit diesem Gedanken verspürte er mit einem -Male einen vortrefflichen Appetit. Er nickte dem Mann in der weißen -Jacke zu und bekam von ihm eine Platzkarte.</p> - -<p>„Ganz besetzt heute, für alle Diners,“ vertraute er Allan an, wie um -diskret anzudeuten, daß das Trinkgeld danach sein sollte.</p> - -<p>„Hat das Service schon begonnen?“ fragte Allan.</p> - -<p>„In zwei Minuten, mein Herr.“</p> - -<p>Der Abgesandte des Speisewagens eilte weiter, und Allan ging durch den -schwankenden Korridor in die Toilette am anderen Ende des Wagens.</p> - -<p>Aus welchen Anlässen Allan Kragh sich in diesem Zug befand, ist -eigentlich nicht leicht zu erklären — richtiger gesagt, der einzige -Anlaß, der vorlag, war so bizarr, daß er lächerlich wirkt, wenn man -ihn erzählt. Am frühen Morgen dieses Septembertages war er nach -Hamburg gekommen, ohne die leiseste Ahnung, wohin er seine Schritte -lenken oder was er zunächst unternehmen sollte. Er machte aufs -Geratewohl einen Spaziergang um das Viertel gegenüber der Ankunftseite -des Hauptbahnhofes, befand sich nach einigem Herumirren unten an -der Alster, und dachte schon daran, bis auf weiteres in Hamburg zu -bleiben, das eine schöne und anziehende Stadt zu sein schien. Dann -verabschiedete er diesen Gedanken wieder und kehrte durch die noch -morgenleeren Straßen (die Uhr war etwas über sieben) zum Hauptbahnhof -zurück. Er fand ihn mit allen modernen Bequemlichkeiten versehen,<span class="pagenum" id="Seite_23">[S. 23]</span> ließ -sich rasieren, wechselte etwas Geld und nahm ein hastiges Frühstück in -dem großen Restaurant ein. Fünf Minuten vor halb acht Uhr wurde von -einem galonierten Bediensteten ein Zug nach Paris ausgerufen; Allan -verließ das Restaurant, noch immer im Unklaren, was er tun sollte, -und ging zu den Billettschaltern. Fahrpläne bedeckten die Wände in -militärischen Kolonnen; keine verlockenden Affichen mit Bildern des -blauen Meeres und der grünen Wälder, nur Betriebsverordnungen und -Ziffern. Vor einem der Billettschalter für den Fernverkehr standen drei -Personen, die plötzlich Allans Aufmerksamkeit erregten: Ein junger -Mann von vielleicht dreißig, etwa von seiner eigenen Statur, mit einem -glattrasierten dunklen Schauspielergesicht, kurzen Koteletten und -goldgefaßtem Zwicker; ein alter Herr mit roter Raubvogelnase, gelben, -stechenden Trinkeraugen und einem gelbgrauen Schnurrbart; ferner eine -junge Dame in grünem Reisekostüm, um den Hals ausgeschnitten, über -die Hüften knapp anschließend und so fußfrei, daß zwei Knöpfelschuhe -mit grauen Gamaschen zu sehen waren. Ihr Gesicht hatte einen etwas -hochmütigen Ausdruck, mit zwei großen grauen Augen und einer etwas -geschürzten Oberlippe. Es war äußerst frappierend unter dem Reisehut -in schwarz und grün, der wie ein Musketierhut auf ihrem rotblonden -Haar saß. Sie hatte drei oder vier amerikanische Zeitschriften in -der Hand. Allan verschlang sie mit den Augen: Sie hätte d’Artagnans -Geliebte sein können oder eine der schönen blonden Agentinnen des -Kardinals. Jetzt eilte der jüngere Herr vom Billettschalter fort; der<span class="pagenum" id="Seite_24">[S. 24]</span> -ältere nahm seinen Platz ein, auf dem Fuß gefolgt von der auffallenden -jungen Dame, die einige Goldmünzen zwischen ihren behandschuhten -Fingern hielt. Nun ging der ältere Herr, und sie nahm seinen Platz ein. -Allan kam ein Einfall, und er folgte nach. Er hörte sie in vollkommen -korrektem Deutsch sagen: „Erste einfach, Paris.“ Sie stellte noch -ein paar Fragen, die der Mann am Schalter beantwortete. Sie war also -eine Deutsche, obwohl sie so amerikanisch aussah. Nun hatte sie ihre -Fahrkarte. Allan verließ den Billettschalter und folgte ihr in einiger -Entfernung. Er sah sie etwas Reisegepäck aufgeben und die Treppe zum -Perron hinuntergehen. Sie war in ihrem raschen, elastischen Gang noch -schöner, als wenn sie stille stand. Er sah sie noch dort unten den Zug -entlang gehen, dann war sie außer Sehweite. Der galonierte Mann kam -durch die Bahnhofshalle gewandert und schrie mit Stentorstimme:</p> - -<p>„Schnellzug nach Paris und Holland! Eine Minute!“</p> - -<p>Da kam Allan eine barocke Idee. Ohne zu überlegen, was er tat, oder -weshalb er es tat, stürzte er zum Billettschalter zurück, an dem er die -drei gesehen, riß eine Banknote heraus und rief dem Mann dahinter, der -ihn vorhin, als er gegangen war, ohne eine Karte zu lösen, erstaunt -angestarrt hatte, zu:</p> - -<p>„Paris, einfach, erste!“</p> - -<p>„Sie müssen sich aber eilen!“ schrie der Mann zurück. „Der Zug geht um -sieben Uhr neununddreißig. — Sie haben gerade noch vierzig Sekunden.“</p> - -<p>Allan stürzte zurück, das Billett in der Hand, während<span class="pagenum" id="Seite_25">[S. 25]</span> in seinem -Kopf sich die Gedanken kreuzten. Das war der helle Wahnwitz ... Sein -Gepäck stand in der Garderobe deponiert; er hatte unmöglich Zeit, -es herauszubekommen; er mußte natürlich diesen geistesgestörten -Einfall aufgeben. — Oder sollte er das Gepäck hier lassen und später -telegraphieren? Das war offenkundig vollkommen irrsinnig ... Es gingen -ja noch Züge, aber ... aber sie fuhr mit diesem! Wenn es ihm gelang, -ihr von dem Opfer zu erzählen, das er um ihretwillen gebracht, würde -sie das vielleicht rühren ... Ohne daß er wußte wie, hatte er die -Kontrolle passiert, stürzte Hals über Kopf eine Treppe hinunter, zu -einem Zug, der sich eben in Bewegung setzte, während die Schaffner die -letzten Türen zuschmetterten. — Da, gerade noch in der letzten Sekunde -war er mit einem Sprung in einem der rückwärtigsten Waggons. Glücklich -hinaufgekommen, zauderte er wieder. Das war ja der reine Wahnsinn! -Sollte er wieder abspringen? Dann zuckte er die Achseln mit einem -Lächeln über sich selbst.</p> - -<p>„Fahre ich mit,“ murmelte er vertraulich dem Korridorfenster zu, -„dann brauche ich wenigstens keine Polizeistrafe wegen unerlaubten -Abspringens zu bezahlen.“</p> - -<p>Nachdem er sich überzeugt hatte, daß er sich im letzten Personenwagen -befand, machte er sich auf die Wanderung durch die Korridore, um nach -der Unbekannten auszuschauen.</p> - -<p>Der Wagen, in dem er gelandet war, war ein Waggon dritter Klasse; er -ging durch, ohne sich die Passagiere näher anzusehen. Darauf folgte -ein durchgehender<span class="pagenum" id="Seite_26">[S. 26]</span> Waggon zweiter Klasse nach Amsterdam, er drängte -sich mit einer gewissen Schwierigkeit hindurch, so voll war er von -Passagieren. Darauf kam ein direkter Wagen nach Süddeutschland, beinahe -ganz besetzt. Daran schloß sich der Speisewagen. Hier war es verboten, -zu passieren, da man sich durch die Küche hätte drängen müssen. Allan -versuchte es mit Bestechungen, deren Annahme verweigert wurde, und -erhielt den Bescheid, daß er bis Bremen warten müsse, wo man eine -Minute Aufenthalt hatte. Er setzte sich an einem Fenster im Korridor -des süddeutschen Wagens zur Ruhe, wo er sich von dem Morgensonnenschein -durchrieseln ließ und nach Herzenslust die kühle Septemberluft -einatmete. Er dehnte die Brust und lachte in sich hinein; das war doch -etwas anderes, als auf den ausgetretenen Straßen dieses Provinz-Sybaris -herumzustampfen! Plötzlich begannen die Wagen gegeneinanderzurasseln, -der Zug wurde langsamer und rollte durch eine Vorstadt von roten -Ziegelvillen in Bremen ein. Im Handumdrehen war Allan draußen in der -Bahnhofshalle, kaufte sich ein Päckchen Zigaretten, etwas Obst und -einige Zeitungen und sprang in das nächste Coupé nach dem hinderlichen -Speisewagen.</p> - -<p>Er wartete, bis der Zug sich in Bewegung setzte, bevor er seine -Forschungen wieder aufnahm. Dieses Mal waren sie von besserem Erfolg -gekrönt. Der Wagen hinter dem, in den er aufgesprungen war, war -ein Wagen erster und zweiter Klasse nach Paris, und in der dritten -Coupéabteilung der ersten Klasse saß die Unbekannte.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_27">[S. 27]</span></p> - -<p>Leider war sie nicht allein. Der alte Herr mit der roten Raubvogelnase -und dem buschigen, graugelben Schnurrbart, saß ihr gegenüber am -Fenster; sie fuhr zurück, er in der Richtung des Zuges. Sie schienen -einander fremd zu sein. Allan sah einen Augenblick zögernd in den -Wagen; der alte Herr mit der feinen Rotweinnase hatte das Netz auf -seiner Seite mit einer Menge Gepäck beladen — <span class="antiqua">suitcases</span>, -<span class="antiqua">gladstone-bags</span>, Reiseplaids, Fernstecherfutterale und weiß -Gott was — es stand im Verhältnis zum vornehmen Aussehen seines -Riechorganes. Die Unbekannte ihm gegenüber hatte zwei kleine Täschchen, -eine Hutschachtel und einige Reisekissen. Im Augenblick saß sie in -einer künstlerisch berechneten Pose zwischen vier Stück der letzteren -hingegossen und schien zu schlafen. Allan starrte bewundernd ihr -Rasseprofil an und den Schatten, den ihre Wimpern auf der feinen -Wange bildeten; ihr rotblondes Haar, das wellig und reich war, -schien ein wenig derangiert. Der fußfreie Reiserock war ein bißchen -hinaufgeglitten und zeigte eine schlanke, aber volle Wade über der -grauen Gamasche. Nach ein paar Augenblicken andächtiger Versunkenheit -trat er ein und setzte sich auf das Sofa des alten Herrn.</p> - -<p>Dieser begrüßte sein Erscheinen mit einem Blick des herzlichsten -Widerwillens. Er schlug sein Auge zum Netz auf, wie um anzudeuten, -daß, wenn Allan (der sich zu allen Teufeln scheren mochte) sein ganz -unerwünschtes Reisegepäck dort placieren wollte (was Gott verhüte), -er genötigt wäre, seine eigenen, dort befindlichen Habseligkeiten -fortzuschieben. Allan zuckte die Achseln mit einer Miene, die der der -Rotweinnase an<span class="pagenum" id="Seite_28">[S. 28]</span> Mitreisendenverachtung nur wenig nachgab, und kundgeben -sollte, daß er (der nach internationalen Konventionen das volle Recht -hatte, in der Klasse zu reisen, für die er eine Karte gekauft hatte) es -aus einer Laune vorzog, während er in diesem preußisch-hessischen Wagen -fuhr, sein Reisegepäck, das den Vergleich mit dem des bordeauxnasigen -alten Herrn in diesem Zug keineswegs zu scheuen brauchte, von der -Garderobe des Hamburger Hauptbahnhofs verwahren zu lassen. Nach diesem -Austausch von Florettblicken ließen sich die beiden Herren in Ruhe -auf ihren Plätzen nieder; die Raubvogelnase im Schutze des Hamburger -Fremdenblattes, Allan ohne Bedeckung. Die Augenwimpern der jungen Dame, -die sich ein paar Sekunden eine Ahnung gehoben hatten, ohne daß jemand -es gesehen, nahmen ihre frühere entzückende Lage auf den Wangen wieder -ein.</p> - -<p>Der Zug sauste weiter, und die Wolken leuchteten im -Septembersonnenschein. Allan versank in vage Träumereien, während seine -Augen über sein Visavis hin und her wanderten.</p> - -<p>Man war nun etwa auf halbem Wege von Bremen nach Osnabrück (die Uhr -zeigte ungefähr zehn), als plötzlich ein Kondukteur erschien, um die -Billette zu markieren und Platzkarten auszufertigen. Allan reichte sein -Billett hin, das besichtigt wurde; der alte Herr mit der Raubvogelnase -desgleichen. Die Unbekannte in der Fensterecke schlief noch immer. Der -Kondukteur räusperte sich und ließ ein paar vergebliche „Gnädige!“ -hören. Sie rührte sich nicht. Allan glaubte eine Chance zu sehen. Er -beugte sich vor und<span class="pagenum" id="Seite_29">[S. 29]</span> legte seine Hand vorsichtig auf jene Stelle ihres -grünen Reisekostüms, wo man die Rundung des Knies ahnte. Sie schlug die -Augen auf, starrte einen Augenblick Allans Hand an, die dieser noch -nicht zurückgezogen hatte und fuhr mit einer Miene so unverkennbaren -Widerwillens auf, daß Allan zurückprallte, während eine lebhafte Röte -sich über sein Gesicht verbreitete. Der Kondukteur lächelte diskret und -wiederholte sein: „Gnädige!“ Die Unbekannte reichte ihm ihre Fahrkarte, -während ihre Augen damit beschäftigt waren, Allan zu morden; worauf -sie plötzlich vom stummen Spiel zur Sprechszene überging. Und zwar auf -englisch. — Allan war ein wenig erstaunt, da sie auf dem Bahnhof in -Hamburg perfekt deutsch gesprochen hatte. Sie mußte doch voraussetzen, -daß er ein Deutscher war. Sie wandte sich an den alten Herrn mit der -Raubvogelnase.</p> - -<p>„Sir, ich vermute, Sie verstehen meine Sprache? Ich spreche die Ihre -nicht.“</p> - -<p>Lüge, dachte Allan, aber warum?</p> - -<p>„Ich spreche Ihre Sprache,“ sagte der alte Herr.</p> - -<p>„Danke. Wissen Sie, ob dieser junge Mensch dort sich noch andere -Freiheiten gegen mich herausgenommen hat, während ich geschlafen habe?“</p> - -<p>Der alte Herr warf Allan einen Dolchblick zu und sagte:</p> - -<p>„Das weiß ich nicht, ich habe Zeitung gelesen.“</p> - -<p>„Es ist gut. Ich danke Ihnen.“</p> - -<p>Sie brach in einen Strom von indigniertem Amerikanisch aus: Eine Dame -konnte also in Europa nicht allein mit der Eisenbahn fahren, ohne vom -ersten besten<span class="pagenum" id="Seite_30">[S. 30]</span> beleidigt zu werden? — Warum gab es keine Damencoupés? -Man sollte glauben, daß Leute, die die Mittel hatten, erster Klasse zu -reisen, Gentlemen wären.</p> - -<p>Der alte Herr hörte ihr mit sichtlicher Billigung zu. Allan, der kaum -wußte, ob er schlief oder wachte, begann eine stammelnde Entschuldigung:</p> - -<p>„Madame, gestatten Sie mir, Ihnen zu erklären ...“</p> - -<p>„Wie können Sie es <em class="gesperrt">wagen</em>, mich anzusprechen?“ rief sie.</p> - -<p>Das war Allan doch zu stark. Er erhob sich mit der ironischsten Miene, -die er aufbringen konnte — er fühlte, daß seine Wangen vor Verblüffung -und Zorn noch ganz rot waren — und sagte mit einer untertänigen -Verbeugung:</p> - -<p>„Gestatten Sie mir, Sie in einem Punkte zu korrigieren, Madame. Wenn -Sie es vermeiden wollen, noch mehr Gentlemen von meiner Art zu treffen, -steht dem kein Hindernis im Wege: Das nächste Coupé ist ein Damencoupé.“</p> - -<p>Mit so viel Würde, als man aufbringen kann, wenn man mit einem Stock, -vier Zeitungen und einem Obstsack beladen ist, verließ er das Coupé. -Ein langes, eiskaltes „<span class="antiqua">im—per—ti—nence</span>“ der Unbekannten -durchbohrte seinen Rücken mit einem letzten Stich.</p> - -<p>Der erste Mensch, den er im Korridor erblickte, war zu seiner -Ueberraschung niemand anders als der dritte des Trios, das er beim -Billettschalter in Hamburg gesehen — der dunkle Mann mit dem -Schauspielergesicht,<span class="pagenum" id="Seite_31">[S. 31]</span> den Koteletten und dem goldgefaßten Zwicker. Als -Allan aus der Coupétür trat, hatte er einen Augenblick den Eindruck, -daß dieser Herr die ganze Szene drinnen verfolgt hatte und daß ein -halb unmerkliches Lächeln um seine Mundwinkel zitterte. Aber im -nächsten Augenblick waren seine Augen schon gerade durch die offene -Türe seines eigenen Coupés gerichtet, in fernschauende Bewunderung -der Heidelandschaft dort draußen versunken. Allan warf ihm einen -kurzen Blick zu und ging an ihm vorbei den Korridor hinunter. Die -anderen Wagenabteile waren mehr oder weniger voll, mit Ausnahme des -Damencoupés, über dessen Existenz er die Unbekannte eben aufgeklärt -hatte. Er kehrte zu dem Abteil zurück, vor dem der Mann mit dem Zwicker -postiert war und fragte mit einer leichten Handbewegung:</p> - -<p>„Sie gestatten?“</p> - -<p>„Natürlich.“</p> - -<p>Der Mann mit dem Schauspielergesicht neigte artig den Kopf. Allan ging -hinein, warf sich auf das unbesetzte Sofa und zündete eine Zigarette -an, nachdem er sich vorsichtig vergewissert hatte, daß er sich in einem -Rauchcoupé befand.</p> - -<p>Solch eine kleine, unverschämte Hexe! Amörrica, Amörrica! Hol’ der -Teufel Amörrica und alle Amörrikanerinnen. Ferner mochte der Teufel -ihn selbst holen und alle anderen Idioten, die sich auf sogenannte -Abenteuerfahrten einließen, von falschen Irrlichtern gelockt. Und -schließlich mochte er ihn selbst noch einmal holen, weil er von seinem -Gepäck in Hamburg weggereist war, um sich ohne allen Anlaß von einer<span class="pagenum" id="Seite_32">[S. 32]</span> -unverschämten, kleinen, schönen, verdammten Hexe beschimpfen zu -lassen....</p> - -<p>Seine ärgerlichen Betrachtungen dauerten ein paar Stunden. Der -Zug sauste durch Osnabrück mit einigen Augenblicken der Pause in -dieser friedenschließenden Stadt; er brauste weiter gegen Köln; -Leute wanderten dem Speisewagen zu, um sich an dem Zwölfuhrdiner zu -erquicken; unter anderen sah er die Amerikanerin und den alten Herrn -mit der Raubvogelnase hinpilgern, jetzt im eifrigen Gespräch; aber -Allan hatte das Interesse für das Ganze verloren. Die Septemberluft, -die eben noch klar und blau gewesen, wie die Luft bei einem Abenteuer -sein muß, war nunmehr kalt und von abstoßender Farbe; die Sonne ohne -jede Wärme. Der Herr mit dem Zwicker kam in den Wagen und vertiefte -sich in das Studium eines illustrierten Katalogs. Hie und da warf er -einen verstohlenen Blick auf Allan, den dieser jedesmal mit einem -herausfordernden Starren erwiderte. Schließlich ging Allan in den -Korridor hinaus und hatte da wohl dreiviertel Stunden lang den Kopf zu -einem Fenster heraushängen lassen, als der Agitator des Speisewagens -ihn mit seinem: Wünschen die Herrschaften zu dinieren? aus seiner -mißmutigen Laune riß. Er machte eine rasche Toilette und steuerte durch -die Korridore dem Speisewagen zu.</p> - -<p>Im Waggon neben seinem eigenen hatte er noch einen kleinen Chok; die -heißblütige Amerikanerin wandelte gerade in ladylikem Balancegang -durch den Korridor. Hinter ihr wurde der bordeauxnasige alte Herr -sichtbar, dessen Riechorgan leuchtender denn je<span class="pagenum" id="Seite_33">[S. 33]</span> war; im Munde hatte -er eine frischangezündete Havanna, deren rote Spitze neben besagtem -Organ nur unbedeutenden Effekt erzielte. Allan trat rasch in ein -Coupé, um das Paar vorbei zu lassen; als die junge Dame passierte, -entging ihm jedoch nicht ein Blick aus ihren grauen Augen — aber -— o Wunder! Sah er recht? Diese Augen schienen nun fast freundlich -mit der Ahnung eines Lächelns ganz tief drinnen. Sie fegte mit einem -Rauschen von Seidenunterkleidern vorbei. Der alte Herr, dessen Augen -einen befriedigten Sultanglanz angenommen hatten, watschelte hinter -ihr drein, ohne einen Blick für Allan oder überhaupt etwas anderes als -den weidenschlanken Rücken der Amerikanerin. Allan starrte ihnen nach, -und zuckte zusammen, als er am Ende des Korridors den Herrn mit dem -Schauspielergesicht erblickte, der die beiden mit dem hundertsten Teil -eines Lächelns durch seinen goldgefaßten Zwicker musterte. Allan sah -ihn einen Augenblick an und ging weiter.</p> - -<p>Der Speisewagen war beinahe ganz besetzt; unten in der Ecke zunächst -der Küche fand sich noch ein Tisch für zwei, der frei war. Der -weißbejackte Agitator von vorhin wedelte mit einer Serviette quer über -den Wagen, um anzudeuten, daß es ihm mit unerhörter Schwierigkeit -gelungen war, Allan einen Platz an diesem Tisch zu reservieren. Allan -ließ sich nieder, sah die Speisekarte an und ging sodann zur Weinliste -über. Er war eben zu der Ueberzeugung gekommen, daß Graacher Auslese -der richtige September- und Reisewein ist, als sich jemand an dem -anderen Platz am Tisch niederließ. Er sah auf. Mit einer unlogischen<span class="pagenum" id="Seite_34">[S. 34]</span> -Ueberraschung erkannte er in seinem Tischkameraden den Mann mit dem -goldgefaßten Zwicker und dem Schauspielergesicht.</p> - -<p>Dieser lächelte Allan wiedererkennend zu und begann dann zum Fenster -hinauszusehen. Allan betrachtete eine Weile die Zirkusnummer des -Kellners mit Schüsseln und Tellern zwischen den Tischen; jedesmal, wenn -der Zug sich in einer Kurve seitlich neigte und er selbst vom Schwung -auf eine Seite geschleudert wurde, dachte er mit einem Kitzeln in der -Magengrube: Jetzt geht die ganze Bescherung zum Teufel! Aber kein -einziges Mal gab es auch nur einen Fleck auf dem Tischtuch. Plötzlich -stand der Kellner mit einem Suppenteller vor seinem Platz. Allan -schnitt eine unwillkürliche Grimasse und schüttelte den Kopf. Suppe -um diese Tageszeit! Der Mann mit dem Zwicker lächelte wieder leise, -während er seinen Löffel in die Suppe tauchte.</p> - -<p>„Sie sind kein Freund der deutschen Speiseordnung?“ sagte er.</p> - -<p>„Nein, weiß Gott.“</p> - -<p>„Der deutsche Wein sagt Ihnen besser zu?“</p> - -<p>„Allerdings. Trinken Sie vielleicht ein Glas mit mir?“</p> - -<p>Allans Laune stieg rasch um einige Grade, sowie er den Mund geöffnet -hatte; er begann zu erfahren, daß der Mensch ein Gesellschaftstier -ist, auch wenn er auf eigene Faust auf Abenteuer auszieht. Der Fremde -verbeugte sich leicht.</p> - -<p>„Mit Vergnügen, wenn Sie mir gestatten, Ihre Liebenswürdigkeit später -zu erwidern.“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_35">[S. 35]</span></p> - -<p>Allan winkte dem Kellner, ein Glas zu bringen. Er und der Fremde -tranken sich zu.</p> - -<p>„Sie sind Skandinavier?“</p> - -<p>„Warum glauben Sie das? Hört man es mir an?“</p> - -<p>„Das eigentlich nicht, aber Ihr Aussehen sagt es mir, und dann noch so -irgend etwas Unbestimmtes. Ich möchte sogar wetten, daß Sie entweder -Schwede oder Norweger sind.“</p> - -<p>„So?“</p> - -<p>„Die Dänen erlernen nie unser a — sie meckern. Und da Sie das nicht -tun —“</p> - -<p>Allan nickte ohne die Hypothese des Fremden zu bestätigen. Allerdings -war er ja ziemlich groß und schlank, aber da er dunkel war, hätte ihn -das nicht verraten müssen, wenn seine Sprache es nicht besorgt hätte. -Der Mann mit dem Zwicker, der nun seine Suppe verzehrt hatte, beugte -sich vor und knüpfte die Konversation wieder an. Allan betrachtete -sein Gesicht, das energisch und intelligent war; die Augen unter den -Zwickergläsern schienen durchaus nicht von Kurzsichtigkeit geschwächt. -Es war unleugbar ein sympathisches Gesicht. Einmal, als der Fremde -nach einer Aeußerung, die er selbst gemacht hatte, in ein Gelächter -ausbrach, bemerkte Allan im Flug, daß einer seiner Backenzähne über -und über mit Gold plombiert war. Eigentümlicherweise grub sich dieser -kleine Zug, so wie es bei solchen kleinen Zügen oft der Fall ist, -in sein Gedächtnis ein; und obgleich er für den Augenblick kaum an -die Sache dachte — er konnte ja nicht ahnen, daß er den Mann je -wiedersehen würde — sollte es bei einer späteren Gelegenheit von einer -Bedeutung werden,<span class="pagenum" id="Seite_36">[S. 36]</span> die er jetzt unmöglich vorausahnen konnte. Plötzlich -merkte er, daß er so ganz damit beschäftigt gewesen war, den Fremden zu -beobachten, daß er ganz vergessen hatte, zuzuhören, was dieser sagte; -er zuckte zusammen, als er das Wort Paris mit fragender Betonung hörte -und nahm in der Eile an, daß sein Tischgenosse ihn gefragt hätte, wann -man dorthin käme.</p> - -<p>„Ich weiß nicht,“ sagte er.</p> - -<p>Der Mann mit dem goldgefaßten Zwicker sah ihn überrascht an.</p> - -<p>„Sie wissen nicht, ob Sie nach Paris fahren?“ wiederholte er. „Dieser -Zug geht auf jeden Fall hin, wenn Sie es nicht wissen sollten!“</p> - -<p>Allan wandelte eine plötzliche Lust an, mit sich selbst und seiner -heutigen Heldentat zu brillieren.</p> - -<p>„<em class="gesperrt">Das</em> weiß ich,“ sagte er ernst. „Aber ich weiß hingegen nicht, -ob ich nach Paris fahre. Ich weiß es ebensowenig, als ich weiß, warum -ich überhaupt mit diesem Zug fahre.“</p> - -<p>„Sie wissen nicht, warum Sie mit diesem Zug fahren?“</p> - -<p>„Nein, oder warum ich überhaupt fahre.“</p> - -<p>„Donnerwetter! Sie pflegen ganz einfach in einen Expreß einzusteigen, -ohne zu wissen, wohin er geht?“</p> - -<p>„Ich habe es wenigstens heute morgen getan.“</p> - -<p>„Donnerwetter! Darf ich fragen: Finden Sie bei solchen -Reisegewohnheiten Zeit zu vielem Packen?“</p> - -<p>„Heute morgens nicht, das muß ich gestehen — ich war gezwungen, mein -Gepäck in der Eile in Hamburg zurückzulassen.“</p> - -<p>Und Allan ließ mit einer Gleichgültigkeit, eines<span class="pagenum" id="Seite_37">[S. 37]</span> Phileas Fogg würdig, -die rote Kontramarke aus dem Hamburger Hauptbahnhof durch die Luft -flattern. Nr. 374 stand in gotischem schwarzen Druck darauf. Der Fremde -starrte den Zettel und ihn mit einer Achtung an, die unter diesen -Verhältnissen höchst schmeichelhaft war, und trank nach noch einem -Donnerwetter einen Schluck aus seinem Rheinweinglas; Allan füllte es -mit Mäzengefühlen nach. Im selben Augenblicke kam der Fisch; nachdem -sich der Mann mit dem Zwicker vom Kellner hatte vorlegen lassen, nahm -er den Faden wieder auf.</p> - -<p>„Verzeihen Sie, wenn ich indiskret bin: Sind Sie wirklich aus einer -bloßen Laune von Ihrem Gepäck mit einem Zug weggereist, an dem Sie kein -besonderes Interesse hatten?“</p> - -<p>Er fixierte Allan, der jetzt gerade der Gegenstand der Obsorge des -Kellners war und für den Moment für nichts anderes Augen hatte als für -das Essen.</p> - -<p>Es lag ein eigentümlicher Ausdruck der Spannung in den Augen des -Fremden; und wenn Allan aufgeblickt hätte, hätte er sehen können, wie -sein Visavis dem Kellner eine eigentümliche Grimasse schnitt: ein -Vorschieben der Lippen und zwei kurze Signale mit dem Kopf in der -Richtung nach Allan. Aber Allan hatte kein Auge für diese Grimasse, -und ebensowenig sah er, was darauf folgte: Der Kellner drehte hastig -den Kopf, fixierte ihn und zog die Augenbrauen in die Höhe, wobei er -den Mann mit dem goldgefaßten Zwicker ansah. Dieser formte hastig -ein Wort mit den Lippen, das der Kellner offenbar verstand, denn -er<span class="pagenum" id="Seite_38">[S. 38]</span> zog die Augenbrauen noch höher, und zum ersten Male während -des ganzen Mittagessens zitterte seine Hand. Das Ganze hatte kaum -fünfzehn Sekunden gedauert. Allan, der noch überlegte, ob er seinem -Tischkameraden die Episode mit der unbekannten Dame in Hamburg -mitteilen sollte, sah endlich auf.</p> - -<p>„Eigentlich hatte ich einen Grund,“ sagte er, „mein Gepäck so im Stich -zu lassen, aber — nun ja, ich weiß nicht recht, ob ich wagen kann, ihn -Ihnen zu erzählen. Aber es ist derselbe Grund, der mich veranlaßte, -diesen Expreßzug zu nehmen — und der ist etwas delikater Natur.“</p> - -<p>Der Herr mit dem Zwicker konnte gerade noch dem Kellner, der aufmerksam -gelauscht hatte, eine fast unmerkliche Geste machen, bevor dieser mit -den Schüsseln wieder verschwand. Dann hob er sein Glas.</p> - -<p>„Gestatten Sie mir, zu fragen, ob Sie Bordeaux oder Burgunder -vorziehen,“ sagte er.</p> - -<p>Sie blieben nach dem Dessert noch etwa eine halbe Stunde sitzen und -nippten an ihrem Kaffee, während der Zug weiter durch den klaren -Herbsttag brauste. Allan empfand mehr und mehr Interesse für seinen -Reisekameraden; er war unterhaltend, originell, offenbar viel gereist -und wußte Geschichten aus allen Ecken und Enden Europas zu erzählen. -Hie und da kam er wieder auf sein Erstaunen über Allans Art, einfach -von seinem Gepäck fortzufahren, zurück, und Allan fühlte sich mehr -und mehr befriedigt von sich selbst. Einmal verschwand er für einen -Augenblick und wechselte in der äußeren, nunmehr leeren Wagenhälfte -einige Worte mit dem Kellner, ohne daß Allan dies<span class="pagenum" id="Seite_39">[S. 39]</span> beachtete oder -weiter daran dachte. Als er zurückkam, begann er eine Geschichte, die -Allan Gelegenheit gab, seine Theorie, daß er ein Schauspieler sein -müsse, zu bestätigen; er erwähnte sogar flüchtig seinen Namen — Ludwig -Koch. Allan erwog eben, ob es korrekt sei, sich vorzustellen oder -nicht, als der Zug in eine große Station einfuhr, wo er langsamer wurde -und stehen blieb. Der Mann mit dem Zwicker lehnte das Gesicht an die -Fensterscheibe, während man dem Perron entlang rollte. Mit der Hand -über den Augen musterte er rasch die Menschen auf dem Perron; offenbar -erkannte er jemand, denn ein leichter Ausruf entschlüpfte ihm. Er erhob -sich von seinem Platz, nickte Allan zu und eilte hinaus.</p> - -<p>„Komme gleich wieder!“ rief er.</p> - -<p>„Fahren Sie nur nicht von Ihrem Gepäck weg, wie ich,“ rief Allan zurück.</p> - -<p>Der Mann mit dem Zwicker verschwand ohne weitere Repliken. Zu Allans -Erstaunen waren nach seinem Abgang kaum fünfzehn Sekunden verstrichen, -als der Zug mit einem Ruck aus der Station hinausrollte, deren Namen -Allan nicht bemerkte, so sehr war er damit beschäftigt, nach seinem -Tischgenossen auszulugen. Er sah keine Spur von ihm auf der Plattform; -er mußte also in eines der Coupés weiter vorne aufgesprungen sein. -Allan drehte den Kopf dem Eingang des Speisewagens zu, bereit, Herrn -Koch mit einem Glückwunsch zu begrüßen, daß die Sache noch gut -abgelaufen war, aber es vergingen ein und zwei Minuten, ohne daß Herr -Koch sich zeigte. Allan setzte sich<span class="pagenum" id="Seite_40">[S. 40]</span> wieder auf seinen Platz zurecht -und begann die Landschaft zu betrachten.</p> - -<p>Der Zug rollte jetzt durch einen Fabrikdistrikt. Man sah nur hohe -Schlote, von denen der fette Rauch in langen, schweren Streifen, -die Meertang glichen, über den blauen Himmel wogte; graugelbe -Fabrikfassaden, Massen von Seitengleisen, wo schmutzigrote Güterwagen -angehäuft standen. Gras und Unkraut wucherte mager und gelb, als -hätte es Fieber; die Schlackenhaufen türmten sich darum wie um einen -Krater. Das Ganze war beklemmend, trostlos. In einer solchen Umgebung -zu existieren, für sein ganzes Leben lang an ein solches Gefängnis -gebunden zu sein ... Allan schauderte. Er sah zu dem abenteuerblauen -Septemberhimmel empor und freute sich, in diesem Wagen zu sitzen, der -in taktfesten Wellenbewegungen dahinrollte, und er zitierte halblaut -und pathetisch vier Zeilen von Snoilsky, die den Unterschied zwischen -einem Passagier erster Klasse und einem Lokomotivführer hervorheben. -Dann fiel ihm wieder Herr Koch ein, und er klopfte dem Kellner.</p> - -<p>„Ich möchte zahlen, Ober. Ich muß dann hineingehen und mich nach meinem -Freunde umsehen.“</p> - -<p>Ueber das Gesicht des Kellners huschte ein rasches Zucken, aber er -sagte nichts anderes als: „Sehr wohl,“ und kritzelte hastig einige -Hieroglyphen auf ein Blatt Papier.</p> - -<p>„Neun Mark, sechzig Pfennig!“</p> - -<p>Allan bezahlte und gab ein Trinkgeld. Plötzlich fiel ihm etwas ein.</p> - -<p>„Aber Herr — — — aber der andere Herr?“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_41">[S. 41]</span></p> - -<p>„Hat schon bezahlt.“</p> - -<p>„Hat schon bezahlt?“</p> - -<p>„Jawohl, schon längst.“</p> - -<p>Die Stimme des Kellners war so gleichgültig als nur möglich, und er -eilte weiter, sowie er geantwortet hatte. Allan unterdrückte ein -hastiges Gefühl des Staunens. Herr Koch hatte bezahlt! Pflegte man im -Speisewagen zu bezahlen, bevor man fertig war? Und insgeheim? Er für -seine Person hatte Herrn Koch dem Kellner keinen Pfennig geben sehen. -Er zuckte die Achseln und ging in sein Coupé zurück, um Herrn Koch zu -interviewen, wie die Sache zugegangen war.</p> - -<p>Der Zug hatte wieder begonnen zu schwanken und zu schlingern, und -es brauchte einige Zeit, und nicht wenig Balancierungskunst, um -glücklich durch die Korridore zu kommen, die jetzt leer waren. -Einmal kam ein so heftiger Stoß von einem Stationswechsel, den man -im Eilzugstempo passierte, daß Allan ganz linksum geworfen wurde. -Zu seiner Ueberraschung erblickte er am anderen Ende des Korridors -keinen geringeren als den Speisewagenkellner, der ihm zu folgen -schien. Im selben Augenblicke, in dem Allan den Mann ansah, verschwand -er jedoch in ein Coupé. Allan erinnerte sich, daß man sich auch in -den Coupés servieren lassen konnte, und vermutend, daß der Mann zu -diesem Behufe da war, ging er weiter. Endlich hatte er seinen Wagen -erreicht. Er ging an dem Coupé vorbei, das die Amerikanerin und der -alte Herr mit Beschlag belegt hatten, und zog die Schiebetüre zu seinem -eigenen Abteil zurück. — Nun, Herr Koch, Sie sind ja gar<span class="pagenum" id="Seite_42">[S. 42]</span> nicht -wiedergekommen! hatte er auf den Lippen, als er plötzlich innehielt.</p> - -<p>Herr Koch befand sich nicht in dem Coupé. Das Coupé war leer.</p> - -<p>Allan blieb eine Minute in der Türe stehen, bevor er sich entschloß, -einzutreten. Was in aller Welt? Er war gar nicht da? Sehen wir mal, -sein Gepäck ... Es war auch kein Gepäck da! Nur eine ganz diminutive -Handtasche. Plötzlich kam ihm eine blitzartige Erinnerung: Es war -ja auch zu der Zeit, als Herr Koch noch im Coupé saß, kein anderes -Gepäck dagewesen. Herr Koch reiste fast ebenso ohne Gepäck wie er -selbst ... Er fuhr aus seinen Gedanken bei dem Laut diskreter, beinahe -schleichender Schritte im Korridor auf. Bei allen Göttern, war das -nicht schon wieder der Speisewagenkellner!</p> - -<p>Diesmal berührte seine Anwesenheit und sein blitzschnelles -Hineinblicken in Allans Coupé diesen als so unnötig, ja geradezu -eigentümlich, daß er von seinem Platz aufsprang und in den Korridor -hinausstürzte, um mit dem dienenden Bruder ein Wörtchen zu sprechen. -Aber dieser war schon in den nächsten Wagen verschwunden, und Allan -kehrte mit gerunzelter Stirne zu seinem Platz zurück. Ein paar -Augenblicke dachte er daran, den Schaffner aufzusuchen und mit ihm über -Herrn Kochs Schicksal zu beratschlagen; dann beschloß er, sich einen -blauen Teufel darum zu scheren — er kannte den Mann ja gar nicht — -und versank in das Studium des einzigen Gepäckstückes, das dieser, -abgesehen von der diminutiven Handtasche auf dem Sofa<span class="pagenum" id="Seite_43">[S. 43]</span> zurückgelassen -hatte, einen illustrierten Katalog einer Zauberfirma in Berlin.</p> - -<p>Es war ungefähr fünf Uhr, als der Zug in die Bahnhofshalle von Köln -rollte, wo Allans erstes wirkliches Abenteuer begann. Er vergaß -nachher nie das Nachmittagssonnenlicht, das die gewaltige Halle mit -gelben Staubgürteln durchzog. Der breite Perron war voll von Menschen, -die durcheinanderwimmelten, von Zeitungs- und Bücherkiosken, von -Verkaufsständen, wo man Bier, Bananen und Bäckereien bekam. Eine alte -Vettel, im Hinblick auf die Gestalt von frappanter Aehnlichkeit mit -einem <span class="antiqua">Ballon captif</span>, im Begriffe, die Vertauungen zu lösen, -hatte die Rolle des Blumenmädchens übernommen. Allan zog den Kopf vom -Coupéfenster zurück und streckte die Hand zum Netz nach seinen einzigen -Gepäckstücken aus — einem Hut und einem Stock (der Ueberrock war in -Hamburg geblieben). Er wollte aussteigen, um seine Beine ein bißchen -auszugraden. Eben hatte er den Hut auf den Kopf gesetzt, als die Türe -seines Coupés von drei Gestalten verdunkelt wurde. Der vorderste trug -einen diskreten zivilen blauen Sakkoanzug; hinter ihm gewahrte Allan -zu seiner unaussprechlichen Verwunderung einerseits den weißbejackten -Kellner aus dem Speisewagen, andererseits einen kolossalen behelmten -Schutzmann.</p> - -<p>Allans erster Impuls (wie wahrscheinlich auch der des Lesers) war, -einen Schritt zurückzutreten, während er das Trio anstarrte; er hatte -Zeit zu einem Schritt, aber nicht zu mehr, denn offenbar befürchtend, -daß er zum Fenster hinausspringen könnte, stürzten der Mann in Zivil -und der Polizist auf ihn los, legten jeder eine<span class="pagenum" id="Seite_44">[S. 44]</span> Hand auf seine -Schulter und riefen mit Stentorstimme:</p> - -<p>„Im Namen des Gesetzes, Sie sind verhaftet!“</p> - -<p>Allan war zu betäubt, um an Widerstand zu denken. Der einzige Gedanke, -den er formulieren konnte, war: Was zum Teufel soll das heißen? Ist -das die Rache der Akzeptanten? Lassen sie mich durch diese Schergen -heimholen? Nun tat der Zivilist (ein schwammiger Herr mit schwitzenden -Händen) seinen Mund auf und sagte hohnvoll:</p> - -<p>„Machen Sie kein so erstauntes Gesicht, mein lieber Benjamin Mirzl! Man -weiß schon, daß Sie sich verkleiden können. Aber es gibt Leute, die -Ihre kleinen Kniffe durchschauen. Kommen Sie ohne Aufsehen mit. Sie -können sich dieses Mal einen Träger für Ihr Gepäck ersparen.“</p> - -<p>„Gepäck? Das ist nicht meine Tasche,“ gelang es Allan hervorzustoßen.</p> - -<p>„Natürlich nicht! Haha, natürlich nicht!“</p> - -<p>„Mein Gepäck steht in Hamburg,“ schrie Allan außer sich, während eine -dunkle Ahnung des Zusammenhanges sich aus den Nebeln in seinem Innern -kristallisierte.</p> - -<p>„Haha, ja gewiß, ja gewiß! Warum nicht in Petersburg? Nein, nein, -Mirzl, Sie sind in der Schlinge gefangen. Machen Sie gute Miene, das -ist wohl das einzige, was Sie tun können.“</p> - -<p>„Ich heiße nicht Mirzl, oder was Sie da zum Donnerwetter sagen, ich -heiße Kragh, und ...“</p> - -<p>„Stillschweigen!“ brüllte der gigantische Schutzmann, dessen Gemütsruhe -durch die Lorbeeren des Zivilisten<span class="pagenum" id="Seite_45">[S. 45]</span> gestört wurde. „Mit aufs Amt, und -keinen Ton, dann werde ich mich hinter Ihnen halten.“</p> - -<p>„Aber ...“ setzte Allan an und hielt inne; es hatte ja keinen Zweck, -<em class="gesperrt">hier</em> zu protestieren. Mit einem Achselzucken trat er in den -Korridor. Der Zivilist mit Herrn Kochs diminutiver Tasche folgte -ihm auf dem Fuße und der Mammut-Schutzmann beschloß die Prozession. -Plötzlich hörte Kragh den Kellner rufen:</p> - -<p>„Aber meine Belohnung! Wo kann ich mir die abholen?“</p> - -<p>„Das werden Sie später erfahren!“ rief der Mann in Zivil über die -Achsel zurück. „Uebrigens sind Sie ja zwei; der in Essen ausgestiegen -ist, wird Ihnen schon nicht das Ganze lassen.“</p> - -<p>Mit diesen Worten des Zivilisten im Ohr, ihn selbst an seiner Seite -und den gewaltigen Gesetzeswächter hinter sich, passierte Allan das -Paar im anderen Coupé — die Amerikanerin und den alten Herrn mit der -Raubvogelnase. Er sah, wie sie ihre feinen Augenbrauen emporzog und dem -bordeauxnasigen Alten etwas zuflüsterte — die waren jetzt offenbar ein -Herz und eine Seele. Er senkte den Kopf, um nicht mehr zu sehen und -ging nach rechts, in der Richtung, die der Zivilgekleidete angab. Was -hatte das Ganze zu bedeuten? Abenteuer, Septemberabenteuer in Sonne -und blauer Luft — das sah mehr nach totaler Sonnenfinsternis und sehr -eingeschlossener Luft aus. Was hatte das Ganze zu bedeuten?</p> - -<p>Kein Philosoph hätte sich diese Frage mit mehr Nachdruck stellen können.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_46">[S. 46]</span></p> - -<p class="center">—  —  —  —  —  —  —  —  —  —  —  —</p> - -<p>„Das ist Ihr Paß? Sie sind Herr Allan Kragh, Student, schwedischer -Bürger?“</p> - -<p>Allan bejahte diese beiden Fragen mit einem Nachdruck, der nur von -seiner Furcht, den kleinen dicken Polizeirichter, der Geijerstam -ähnlich sah, unwiderruflich zu verletzen, gedämpft war. Keine schwarzen -Fahnen jetzt, nur weiße Friedensflaggen, bis man loskam. Anderthalb -Tage im schwarzen Loch!</p> - -<p>„Warum haben Sie nicht schon früher bei mir protestiert, wenn das Ihr -Paß ist?“</p> - -<p>Allan fixierte den geijerstamähnlichen Repräsentanten der Gerechtigkeit -und schluckte erst einige kernige schwedische Ausdrücke, bevor er -erwiderte:</p> - -<p>„Ich habe doch vom ersten Augenblick an gesagt, wer ich bin, obgleich -Ihre verdamm — — — obgleich niemand auf mich hören wollte. Es wurde -als mathematisch feststehend angesehen, daß ich Mirzl sein muß — wer -zum Teufel nun dieser Mirzl ist! Mirzl! In meinem Leben habe ich nichts -von einem Mirzl gehört.“</p> - -<p>„Dann lesen Sie die Zeitungen schlecht, oder auch sind die schwedischen -Zeitungen hinter ihrer Zeit zurück. Nun gut, wir werden telegraphisch -anfragen. Fällt die Antwort zu Ihren Gunsten aus, werden wir Ihre Sache -schon heute nachmittag in Erwägung ziehen.“</p> - -<p>„Danke allerergebenst, danke <em class="gesperrt">aller</em>...“</p> - -<p>„Aber ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß uns die Sache mit der -Handtasche sehr bedenklich vorkommt. Sie enthielt allerdings nichts -direkt Kompromittierendes, aber es ist bekannt, daß Mirzl eine solche<span class="pagenum" id="Seite_47">[S. 47]</span> -Tasche in seinem Besitz hatte, als er aus Berlin verschwand.“</p> - -<p>„Die Tasche! Wie oft muß ich noch sagen, daß das nicht mein Gepäck ist? -Daß mein Gepäck in der Garderobe in Hamburg mit dieser Kontramarke -steht und ...“</p> - -<p>„Sie werden zugeben, daß man nicht gerade häufig sein Gepäck in der -Garderobe in Hamburg läßt, wenn man mit dem Expreßzug nach Paris fährt? -... Nun ja, nun ja, wir werden telegraphieren!“</p> - -<p>Es vergingen sechs Stunden, bis Allan den Polizeirichter mit dem -rundbäckigen Aussehen, den Brillen und dem Schnurrbart wiedersah. Als -es dazu kam, war es in einem kleinen, ganz ungestörten Raum des großen -Amtsgebäudes. Der kleine Mann mit dem literarischen Aussehen hielt ein -paar Telegramme in der Hand und betrachtete abwechselnd eine Karte des -Deutschen Reiches und ein Album mit vielen Photographien.</p> - -<p>„Ja, ja, wir haben untersucht, wir haben telegraphiert ... ich muß -sagen, Herr Kragh, Sie haben höchst außerordentliche Erfahrungen -gemacht. Ist das Ihre erste längere Reise ins Ausland?“</p> - -<p>„Ja“ (erbittert).</p> - -<p>„Das glaube ich, ich konnte es mir denken. Höchst außerordentliche -Erfahrungen, das muß ich sagen.“</p> - -<p>„Ist Ihnen meine Identität bestätigt worden?“ (äußert erbittert, denn -sechs Stunden der Abgeschiedenheit bei spartanischer Kost tragen nicht -gerade dazu bei, die Laune zu verbessern.)</p> - -<p>„Wir glauben es. Ja, wir glauben, überzeugt sein<span class="pagenum" id="Seite_48">[S. 48]</span> zu dürfen, daß Sie -tatsächlich Herr Allan Kragh aus Schweden sind.“</p> - -<p>„Gedenken Sie mich also loszulassen? Gedenken Sie die Bevölkerung von -Köln diesem Risiko auszusetzen? Ist das Kölnischwasser eingesperrt? Und -der Dom bewacht?“</p> - -<p>„Einen Augenblick, Herr Kragh. Wir bedauern den Mißgriff sehr, wir -bedauern ihn außerordentlich, und wir wollen Sie gerne, soweit es in -unseren Kräften steht, schadlos halten. Natürlich werden Sie sofort -in Freiheit gesetzt (die Stimme des Polizeirichters war so sanft und -versöhnlich, daß es beinahe klang, als spräche er finnisch). Gestatten -Sie mir nur eine Frage: Waren in Ihrem Gepäck in Hamburg große Werte -enthalten?“</p> - -<p>„Werte? Hm. Das gewöhnliche Reisegepäck, einige Anzüge und dergleichen. -Gold und Juwelen nicht.“</p> - -<p>„Ausgezeichnet ... Ihr Garderobeschein hatte die Nummer 374?“</p> - -<p>„Ja, was meinen Sie?“</p> - -<p>„Warten Sie ein bißchen! Hm ... 374. Nun wohl, Herr Kragh, warum sollte -ich Ihnen die Sache verbergen: Ihr Gepäck ist gestohlen.“</p> - -<p>„Gestohlen? Stiehlt man Gepäck, das einer deutschen Eisenbahngarderobe -eingeliefert ist? Ich habe meinen Schein.“</p> - -<p>„Ja, ja, Ihren Schein, Nr. 374, drei Kolli. Aber vorgestern, als Sie -... als Sie irrtümlich angehalten wurden, kam ein Telegramm an die -Garderobe, die drei Kolli auf Nummer 374 expreß nach Osnabrück zu -schicken; der Inhaber habe nicht Zeit gefunden, sie abzuholen.<span class="pagenum" id="Seite_49">[S. 49]</span> Die -Garderobe sandte sie noch am selben Tage ab, sie wurden um sechs Uhr -abends in Osnabrück (mit einem falschen Gepäckschein, wie wir allen -Grund haben, zu vermuten, ja allen Grund) von einem Herrn abgeholt, -der sofort nach Holland weiterreiste ... Ihre zwei Handkoffer und Ihr -Ueberrock, Herr Kragh, sind also gestohlen.“</p> - -<p>„Putz weg! Donnerwetter ...“ Allan starrte den sanftäugigen -Polizeirichter ganz verblüfft an. „Wer in Teufels Namen ...“</p> - -<p>„Ja, wer kann die Nummer Ihres Garderobescheines wissen! Hat man Sie im -Hamburger Bahnhof darangekriegt? Wir verstehen die Sache ebensowenig -wie Sie selbst — und Sie sollten sie besser verstehen als wir. Ja, das -sollten Sie wirklich.“</p> - -<p>Allan bog in einen neuen Gedankenkanal ein.</p> - -<p>„Das sollte ich! Aber wie konnten Sie sich unterstehen, mich zu -arretieren? Warum haben Sie diesem Kerl Gelegenheit gegeben, mein -Gepäck zu stehlen? Haben Sie die Güte und erklären Sie mir, was hinter -dieser anderen Geschichte steckt! Jetzt bin ich nicht mehr Angeklagter!“</p> - -<p>„Herr Kragh!“ Die Stimme des Polizeirichters war voll sanftem -Tadel, aber Allan hörte nicht mehr auf diesem Ohr, seine erlittenen -Verunrechtungen begannen ihm zu Kopf zu steigen. Wie ein Verbrecher -arretiert und obendrein noch bestohlen werden! Das war zuviel. Wozu -hatte man Konsuln?</p> - -<p>Er hörte die sanfte, gleichsam bebrillte Stimme des Polizeirichters:</p> - -<p>„... daß die ganze Geschichte im Speisewagen<span class="pagenum" id="Seite_50">[S. 50]</span> entstanden ist. Sie haben -den Mann nicht gekannt, mit dem Sie zu Mittag gegessen haben?“</p> - -<p>„Gekannt? Habe den Kerl noch nie im Leben gesehen. Es ist das erstemal, -daß ich im Ausland bin.“</p> - -<p>„Hm, ja, ich kann ... nun schön, dieser Mann — Aber warten Sie, Sie -sollen die Geschichte aus erster Hand hören.“</p> - -<p>Der Polizeirichter drückte auf einen Knopf, gab einem Bediensteten -eine Weisung und begann in der Erwartung, daß sie ausgeführt werde, -wieder in dem Album mit den vielen Photographien zu blättern. Hie -und da schob er die Unterlippe auf halbem Wege zur Nase hinauf, -offenbar in tiefe Grübeleien versunken. Von Zeit zu Zeit fanden diese -in einem gedankenvollen p—r—m, p—r—m Ausdruck, das an den Ton -erinnerte, den eine Kindertrompete von sich gibt, wenn ihr kleiner -Besitzer hineingespuckt hat. Plötzlich öffnete sich die Türe, und der -Bedienstete kam mit jemand herein, der sich als der Speisewagenkellner -von vorgestern entpuppte. Der kleine Polizeirichter schnitt die -untertänigen Bücklinge des Sangmeds mit einer Geste ab und sagte kurz:</p> - -<p>„Erzählen Sie. Erklären Sie dem Herrn die Sache.“</p> - -<p>„Ach, gnädiger Herr, es ist ein Irrtum, ein furchtbarer Irrtum. Man -hat mich beschwindelt, man hat mich betrogen, gnädiger Herr. Es war -der Herr, der an Ihrem Tische gespeist hat — hol’ ihn der Teufel. -Gerade als ich dem gnädigen Herrn den Fisch serviert habe, machte -mir der andere Herr Grimassen: Sehen Sie den Herrn an, das ist ein -durchgegangener Verbrecher<span class="pagenum" id="Seite_51">[S. 51]</span> — ganz vorsichtig, so daß der gnädige -Herr nichts gemerkt hat. Ich sah den gnädigen Herrn an und hörte, wie -der gnädige Herr sagte, daß er von seinem Gepäck und allem fortreisen -mußte; und der andere Herr nickte mir nur immer zu — der Teufel soll -ihn holen. Auf einmal kommt er zu mir hinaus in den rückwärtigen Teil -des Wagens und sagt: Der Herr an meinem Tisch ist kein anderer als -Mirzl selbst.“</p> - -<p>„Aber wer ist denn dieser Mirzl?“ rief Allan, dem nun schon zum -dritten Male dieser Name ins Gesicht geschleudert wurde. Statt aller -Antwort reichte der Polizeirichter ihm stumm das Album mit den vielen -Bildern und eine zwei Tage alte Berliner Zeitung. Da fand er fett -gedruckt die Ueberschriften: — <em class="gesperrt">Großer Hoteldiebstahl in Berlin W. -— Benjamin Mirzl wieder in Aktion — der Betrag über siebzigtausend. -— Mirzl entkommt im Auto.</em> — Und im Album fand Allan eine -Serie Photographien <span class="antiqua">en face</span>, im Profil, von rückwärts, einen -dreißigjährigen Herrn darstellend, an dessen Züge er sich dunkel zu -erinnern glaubte, vermutlich aus irgendeiner illustrierten Zeitung. —</p> - -<p>„Unser größter Schwindler,“ sagte der Polizeirichter. „Er ist noch nie -gefaßt worden, aber diesmal ist er mit knapper Not entwischt und mußte -das meiste im Stich lassen.“</p> - -<p>„Das war am Tage, bevor ich mit dem Expreß abreiste!“ rief Allan.</p> - -<p>„Ja, so war es.“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_52">[S. 52]</span></p> - -<p>Der dienende Bruder setzte unverdrossen seinen Bericht fort.</p> - -<p>„Ich spitzte natürlich die Ohren; der andere Herr zog eine Visitkarte -hervor und sagte: ‚Ich bin Rechtsanwalt Dr. Hauser.‘“</p> - -<p>„Aber mir sagte er doch, er hieße Koch und sei Schauspieler!“ rief -Allan.</p> - -<p>„Er hat den gnädigen Herrn irreführen wollen. ‚Mein Name ist -Rechtsanwalt Dr. Hauser,‘ sagte er zu mir. ‚Ich springe in Essen ab, -um einen Detektiv zu holen und Mirzl zu arretieren. Komme ich nicht -zurecht, so lassen Sie ihn um Gottes willen in Köln festnehmen! Auf -dem dortigen Bahnhof sind immer Polizisten. Bedenken Sie, daß nur für -seinen letzten Streich allein fünftausend Mark Belohnung ausgesetzt -sind!‘ So sagte der gottverdammte Mensch, und in Essen sprang er ab. Er -kam nicht wieder. Ich behielt den gnädigen Herrn im Auge, und in Köln -...“</p> - -<p>„Das übrige weiß ich,“ sagte Allan.</p> - -<p>„Ach, gnädiger Herr, ich bin ein armer Mann, verheiratet, Familienvater -mit vier Kindern, wie sollte ich ahnen, daß dieser elende Mensch mich -ins Verderben stürzen wollte. Nicht einmal sein Mittagessen hat er -bezahlt, bevor er in Essen abgesprungen ist.“</p> - -<p>„Ich bezahle es nicht. Aber ich unternehme auch nichts gegen Sie. Ich -rate Ihnen nur, ein andermal mehr an das Service und weniger an die -Gäste zu denken. Das ist eine gute Regel für einen Kellner, glaube ich.“</p> - -<p>„O gnädiger Herr ...“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_53">[S. 53]</span></p> - -<p>„Es ist schon gut. Kann ich gehen, Herr Polizeirichter?“</p> - -<p>„Aber — aber natürlich. Und Sie — Sie gedenken die Sache nicht weiter -zu verfolgen?“</p> - -<p>„Diesmal nicht. Ich zog aus, um Abenteuer zu suchen, wenn ich sie -auf den Hals bekomme, kann ich nicht klagen. Falls mein Gepäck noch -auftauchen sollte — aber das kommt wohl nicht in Frage. Darauf wird -Herr Mirzl wohl auch Beschlag gelegt haben.“</p> - -<p>„P—r—m — ach nein, der bewegt sich in einem höheren Genre.“</p> - -<p>„Ich bin ebenso gespannt, seine nähere Bekanntschaft zu machen, wie -Sie, Herr Polizeirichter. Leben Sie wohl.“</p> - -<p>Allan verließ das kleine Zimmer des großen Gebäudes; der kleine -Polizeirichter folgte ihm durch die Korridore bis zum Ausgang, wo Allan -und er sich voneinander unter tiefen Verbeugungen verabschiedeten. -Allan ging nun durch die Straßen, etwas wirr im Kopf von all den -Ereignissen, ohne daran zu denken, welche Richtung er einschlug. Es war -nun, wie ein Blick auf die Uhr ihm sagte, fast vier Uhr nachmittags. -Plötzlich, als er an einer Straßenecke stehen blieb, um zu überlegen, -was nun zu tun sei, spürte er eine Hand auf seiner Schulter und zuckte -zusammen. Eine neue Arretierung? Das wäre doch zuviel des Guten. Er -drehte sich um. Ein junger Mann im Strohhut grüßte ihn lächelnd und -reichte ihm einen Brief.</p> - -<p>„An Sie,“ sagte er.</p> - -<p>Bevor Allan ihn noch aufhalten konnte, war er verschwunden. Allan -starrte ihm in dem Volksgewühl<span class="pagenum" id="Seite_54">[S. 54]</span> nach, ohne zu wissen, was er eigentlich -glauben sollte. Er lief einige Schritte in der Richtung, die der -Unbekannte eingeschlagen hatte, aber ohne ihn zu erblicken; der Verkehr -war im Augenblicke überwältigend. Dann sah er den Brief an, der die -Aufschrift trug: „Herrn Allan Kragh aus Schweden“, und riß ihn auf, von -einer plötzlichen Ahnung gepackt.</p> - -<p>Was er las, war dies:</p> - -<div class="blockquot"> - -<p>„Lieber Herr Kragh! Sie haben ohne Zweifel viele Flüche auf mein -Haupt herabbeschworen, seit wir uns zuletzt sahen, obwohl es fraglich -ist, ob Sie diese Flüche richtig adressieren konnten. Verzeihen -Sie mir, daß ich Ihre Freundlichkeit, mir im Speisewagen Graacher -Auslese vorzusetzen, so schlecht gelohnt habe; verzeihen Sie mir in -noch höherem Grade die Unannehmlichkeiten, die ich Ihnen späterhin -verursacht habe — Unannehmlichkeiten, deren Charakter ich selbst nur -zu gut einzuschätzen verstehe.</p> - -<p>Ich weiß, daß der Verlust Ihres Reisegepäcks auf den Garderobeschein -374 des Hamburger Hauptbahnhofes, den Sie so unvorsichtig waren, -mir beim Diner zu zeigen, gegen die eben erwähnten anderen -Unannehmlichkeiten nicht ins Gewicht fällt. Leider war ich wirklich -durch die Verhältnisse gezwungen, so zu handeln. Seien Sie überzeugt, -daß es eine zwingende Notwendigkeit war.</p> - -<p>Sollten Sie geneigt sein, mich sämtliche Unannehmlichkeiten -sühnen und Ihnen natürlich in erster Linie Ihr elegantes Gepäck -zurückstellen zu lassen, so können Sie mich Freitag abend, den -zwölften dieses, um zehn Uhr in The Leicester Lounge am Leicester<span class="pagenum" id="Seite_55">[S. 55]</span> -Square in London treffen. Seien Sie überzeugt, daß ich Sie erkennen -werde, wenn Sie sich einfinden, auch wenn Sie mich nicht erkennen -sollten. Ich mache Ihnen diesen Vorschlag, um zu sehen, ob ich den -Charakter eines Mannes, der ohne weiteres einer Laune wegen sein -Gepäck im Stiche läßt, richtig beurteilt habe.</p> - -<p>Also auf Wiedersehen!</p> - -<p class="right"> -<span class="mright4">Ihr ergebener</span><br /> -<span class="mright2">Ludwig Koch,</span><br /> -<span class="mright1">alias Dr. Hauser, </span><br /> -<span class="mright4">alias .....</span>  <br /> -(nach Belieben von Ihnen selbst auszufüllen.)“</p> - -<p><span class="antiqua">P. S.</span> Daß ich Ihren Namen in Erfahrung gebracht habe, werden -Sie hoffentlich nicht übelnehmen.“</p> -</div> - -<p>Wie oft Allan, mitten im Gewühl der Jülichstraße stehend, diese Epistel -durchlas, ist ungewiß. Schließlich sahen doch die Passanten dieser -Straße, wie er sich aufraffte, den Brief in die Tasche steckte, einen -Polizisten über irgend etwas befragte und in der Richtung zum Bahnhof -forteilte. Es war über vier Uhr; er hatte eine knappe Stunde, um den -Zug zu erreichen, über dessen Abgang er eben den kölnischen Wächter des -Gesetzes konsultiert hatte. Diese Stunde mußte genügen, um seinen Magen -nach den Prüfungen im Arrest zu befriedigen.</p> - -<p>„Es fängt an!“ murmelte Herr Kragh für sich. „Das war ja eine feine -Reisegesellschaft, die ich hatte! Auf diese Weise sind die Koffer also -fortgekommen. Nun wollen wir vor allem das tun, was Hermann Bergius als -das oberste und unveräußerlichste Menschenrecht<span class="pagenum" id="Seite_56">[S. 56]</span> erklärte — Frühstück -essen. Es ist spät und wohlverdient. Und dann auf nach London, um mit -Herrn Benjamin Mirzl Bekanntschaft zu machen! Das dürfte interessant -sein.“</p> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_57">[S. 57]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="III">III<br /> - -<em class="gesperrt">Das große Hotel</em></h2> - -</div> - -<p>Einmal hatte Allan die größte der großen Turbinenanlagen in Südschweden -besucht. Es war ihm, als wäre er in ihre maschinendruckvibrierende und -dröhnende Luft gekommen, als er am 11. September spät abends in London -eintraf.</p> - -<p>Er rieb sich die Augen, wie er da in seinem Taxi saß. Das war eine -Stadt! Hier mußten die Abenteuer zu Hause sein; hier mußten sie gerade -an jeder Straßenecke lauern. Was war dagegen Hamburg und Köln! Was -war die unbeschreibliche Atmosphäre von jagender Eile, raffiniertem -Luxus und unerhörtem Geldzustrom, die sein Eindruck des Luxuszuges von -Köln nordwärts war, gegen dieses London! Schon die Luft war neu, eine -phantasiereizende Mischung von tausend Ingredienzien: Dem Geruch des -heißen Steinpflasters, von parfümiertem Virginiatabak, Benzindämpfen -der zahllosen Autos, deren Gummiräder über den spiegelblanken Asphalt -zischten; dem Duft des parfümierten Reichtums der ganzen Welt und -all ihres unaussprechlichen stinkendsten Elends. Die Häuser jagten -wie im Traum an seinem Auto vorbei; gigantische Fassaden verloren -sich nach oben zu in der nebligen Abendluft; es flammte und zuckte -von unzähligen Lichtern; die Reklamen krochen wie regenbogenfarbene -Schlangen<span class="pagenum" id="Seite_58">[S. 58]</span> die Mauern auf und ab; der Himmel über den offenen Plätzen -brannte schlackenrot wie vom Widerschein einer kolossalen Feuersbrunst -oder dem Ausbruch eines Riesenkraters. Und der Menschenstrom brauste -und brauste. Das Auto, das Herrn Allan Kragh aus Schweden auf der Suche -nach Abenteuern und eventuell einer Zukunft umschloß, eilte lautlos -durch das Gewirr, vermied es zu kollidieren, vermied es, jemand zu -töten, zog hier und da an einer Straßenecke eine augenblickliche Ritze -durch die Menschenfluten; stürzte dahin, scheinbar ebenso sinnlos, wie -die tausend anderen Autos, denen es begegnete, hundertmal schneller -als die dahinströmenden Menschenfluten, aber ebenso sinnlos. Plötzlich -bog es in einen offenen Platz, der weniger lichtflammend war, als die -vorhergehenden Straßen und hielt vor einer Fassade, an der die Lichter -sich zu einem gewaltigen Feston zusammengeballt hatten. „Grand Hotel -Hermitage“ sagten die Lichtkränze; der Chauffeur wiederholte es, indem -er die Türe des Autos aufriß, und Herr Allan Kragh ging über eine -breite Treppe hinauf, in eine große Halle, die nach dem Souza-Marsch -der Straßen unerhört still wirkte — die ungeheure Drehtüre des -Vestibüls schnitt den Lärm der Außenwelt ab wie eine Klosterpforte.</p> - -<p>Das war also das berühmte Grand Hotel Hermitage. Hundertmal hatte Allan -diese drei Worte im Henschel, Bradshaw und den großen ausländischen -Zeitungen gesehen; jedesmal hatte er gedacht: Wer doch da wäre; und als -er nun auf seiner großen Reise vom Zufall und Herrn Mirzl nach London -verschlagen wurde, da war es ihm ganz selbstverständlich erschienen,<span class="pagenum" id="Seite_59">[S. 59]</span> -dem Chauffeur die Adresse des großen Hotels anzugeben.</p> - -<p>Auf dem Wege von Köln hatte Allan sich in Belgien mit den notwendigsten -Reiseeffekten versehen — man durfte vielleicht Herrn Mirzls -Versprechen nicht allzu ernst nehmen; aber andererseits wäre es töricht -gewesen, sich mit einer doppelten Ausstattung zu belasten; und er -war folglich nicht ganz gepäcklos, als er, den Hotelträger hinter -sich, durch die Drehtüre eintrat. Dennoch war es nur natürlich, daß -der ernste Portier des Luxushotels (dessen Figur am ehesten an eine -Benediktinerflasche erinnerte) ihn mit einer etwas herablassenden -Nuance im Ton empfing. Hinter dem Portier bemerkte Allan im Kontor -einen vierschrötigen Herrn mit graugesprenkeltem Yankeebart ohne -Schnurrbart, der Direktor des Hotels, wie er später erfahren sollte. -Hätte der Direktor und der Portier die Ereignisse vorausahnen können, -die sich während Allans Aufenthalt im Grand Hotel Hermitage abspielen -sollten und die Rolle, die Allan darin zu spielen bestimmt war, hätten -sie ihn vermutlich mit Grüßen ganz anderer Art aufgenommen als die, mit -denen der Portier Allan jetzt empfing.</p> - -<p>„Das ist Ihr ganzes Gepäck, Sir?“</p> - -<p>„Ja. Ich erwarte noch mehr. Ich möchte ein Zimmer haben.“</p> - -<p>Der Portier musterte ihn noch einen Augenblick, und weichere Gefühle -erlangten die Oberhand.</p> - -<p>„Kleines Zimmer für diesen Gentleman, Jones. Ist 417 frei?“</p> - -<p>Es stellte sich heraus, daß 417 frei war. Ein uniformierter<span class="pagenum" id="Seite_60">[S. 60]</span> magerer -junger Mann übernahm Allans unbeträchtliches Gepäck und geleitete -ihn zum Lift. Dieser machte sich mit der würdigen Langsamkeit eines -alten Herrschaftsdieners auf den Weg und blieb mit derselben Würde im -vierten Stock stehen. Der uniformierte Herr führte Allan über einen -teppichbelegten Korridor in das kleine Gemach, das geeignet befunden -worden war, ihn zu beherbergen. Es war wirklich klein, das heißt, in -der Breite, denn die Höhe ließ nichts zu wünschen übrig. Es wurde zum -größeren Teil von einem Bett und einem Toilettetisch ausgefüllt und -erinnerte infolge seiner architektonischen Gestalt in hohem Grade -an eine Grabkammer in einer ägyptischen Pyramide. Dahinter befand -sich, wie Allan sah, ein Badezimmer. Aber Allan hatte von Hermann -Bergius gelernt, daß nichts gleichgültiger ist, als das Zimmer, das -man auf seinen Reisen bewohnt, da man sich ja doch nie in wachem oder -nüchternem Zustande darin aufhält. Er erklärte sich folglich mit der -ägyptischen Grabkammer zufrieden, drückte dem uniformierten Herrn einen -Schilling in die Hand und ging dazu über, Toilette zu machen.</p> - -<p>Als er eine halbe Stunde später, ohne sich wegen seines Reiseanzuges -zu genieren, in den Speisesaal des großen Hotels wanderte, fand er -Gelegenheit, zu konstatieren, daß nicht nur die Zimmer für Reisende -mit unbedeutendem Gepäck klein sind, auch die Welt selbst ist überaus -klein. Ja, offenbar, denn als er sich an einem Tisch niedergelassen, -die Speisekarte verlangt hatte und sich im Speisesaal umzusehen begann, -wen erblickte er an dem Nebentisch rechts, wenn nicht<span class="pagenum" id="Seite_61">[S. 61]</span> die Dame, die -ihn vom Hamburger Bahnhof in die Welt hinausgelockt hatte, und als -ihren Kavalier den alten Herrn mit der Raubvogelnase und dem gelbgrauen -Schnurrbart.</p> - -<p>Allan fixierte sie überrascht. Es war unleugbar kurios, dieses Paar -gerade hier zu treffen! Es gab doch tausend Hotels in London. Nun, es -war natürlich ein Zufall, aber ... das Freundschaftsbündnis, das er -im Expreß beginnen gesehen und zu dem er selbst teilweise die direkte -Ursache gewesen, war offenbar von nachhaltigerer Art geworden, als -Reisebekanntschaften zu sein pflegen. Er konnte die alte Bordeauxnase -gut verstehen ... trotz des Grolls, den er noch gegen die junge Dame -wegen ihres Auftretens im Coupé hegte, mußte er sich selbst gestehen, -daß sie eine Messe wert war ... sie schien ihm sogar mehrere Messen -wert. Es bedurfte der Phantasie einer Pariserin, dachte er, um sich -eine solche Toilette, wie sie sie heute abend trug, auszudenken, -und der Courage einer Amerikanerin, um sie zu tragen. Seine Blicke -irrten über die Linie des Ausschnittes um ihren weißen Busen, der so -herausfordernd entblößt war wie auf einer Zeichnung von Rops, und -wenn sie nicht da umherirrten auf der Grenzlinie zwischen der weißen -Haut und der grünen Seide, ist es möglich, daß sie etwas weiter -hinabschweiften, wo der knapp anliegende Rock fast bis zum Knie -aufgeschlitzt war ... Welche Linie ist mystischer und verlockender zu -verfolgen als die Linie einer schönen Frauenwade? Namentlich wenn sie -von einem Strumpf von jener diskreten Durchsichtigkeit umschlossen -ist, wie sie Madame offenbar bevorzugte ... Die<span class="pagenum" id="Seite_62">[S. 62]</span> Wellenlinie ihrer -Wade zeichnete sich durch den grünen Strumpf ab wie Marmor durch den -adriatischen Wasserspiegel. Allan starrte, ganz im klaren darüber, daß -er zudringlich war, und plötzlich drehte Madame den Kopf nach Allans -Seite (sie saß im Halbprofil) und ließ den Blick über ihn hingleiten; -Allan sah, daß sie ihn erkannte. Im selben Augenblick stand der Kellner -an seinem Tisch, mit Speisekarte und Weinliste, und er war genötigt, -seine Augen von ihr loszureißen.</p> - -<p>Wer konnte sie sein, und wie kam es, daß sie in dieser Gesellschaft -hier war? Diese Frage summte Allan im Kopf, während er ein paar -Gerichte der Speisekarte und einen Bordeaux von der Weinliste wählte. -Der Kellner verschwand, und er hatte die Aussicht auf den anderen Tisch -wieder frei.</p> - -<p>Man sprach dort ziemlich eifrig. Ueber ihn? Nicht unmöglich, denn -eine flüchtige Sekunde flog ihr Blick wieder zu ihm hinüber; der alte -Herr mit der Raubvogelnase bekundete hingegen kein Interesse für -ihn, wenn nun wirklich über ihn gesprochen wurde. Allan nahm seine -bewundernde Betrachtung ihrer Person wieder auf, ohne daß sie sie -nunmehr zu berühren schien, und war noch damit beschäftigt, als der -Kellner mit der Omelette und dem Wein, den er bestellt hatte, erschien. -Er machte einen Schluck aus seinem Glas und begann zu essen, während -seine Gedanken von dem geheimnisvollen Paar dort drüben zu Herrn -Benjamin Mirzl schweiften. Plötzlich kam es ihm, eigentümlicherweise -zum erstenmal, zum Bewußtsein, daß er gerade dieses Trio in seiner -Gesamtheit —<span class="pagenum" id="Seite_63">[S. 63]</span> den alten Herrn, die junge Dame und Herrn Mirzl — vor -dem Billettschalter in Hamburg gesehen hatte. Allerdings schienen -sie damals ganz unabhängig voneinander, aber ... Herr Mirzl war ein -internationaler Schwindler, wenn auch vielleicht ein exzentrischer, -wohlwollender; waren die beiden anderen von derselben Sorte? Das -war natürlich nicht ausgeschlossen, und Allan beschäftigte sich mit -dieser Möglichkeit, während er vom Poulard und Bordeaux zum Dessert -und einem Glas Madeira überging (man mußte doch die Bekanntschaft mit -der Mutter aller Städte feiern), aber verwarf sie nach dem zweiten -Glas Madeira als unwahrscheinlich. Er bestellte Kaffee und Likör, -wobei das Wesen des Kellners ebenso milde zu werden begann, als -wenn er im <span class="antiqua">evening-dress</span> gewesen wäre, und blieb bei diesen -angenehmen Getränken sitzen, auch als das Paar, das ihn intrigierte, -den Speisesaal verlassen hatte. Zu seiner nicht geringen Ueberraschung -sah er, als die Rechnung beglichen wurde, daß sie für beide bezahlte; -der alte Herr war also offenbar von ihr eingeladen. Kontinental, dachte -Allan. Sie passierten seinen Tisch ohne ein Zeichen des Wiedererkennens -— oder sah er recht, als er ein kleines Blinzeln zu merken glaubte, -die Ahnung eines spöttischen Lächelns in ihren Augen? Es war unmöglich -zu entscheiden.</p> - -<p>Um halb elf Uhr, als Allan sich zu einem Abendspaziergang mit Zigarre -durch London entschlossen hatte, zeigte es sich, daß die Stadt -ihrerseits entschlossen war, seine Ankunft mit einem undurchsichtigen, -gelbgrauen, brandrauchduftenden Nebel zu feiern, der zur Folge hatte,<span class="pagenum" id="Seite_64">[S. 64]</span> -daß er (nach zwei Whisky mit Soda, zu Ehren der Riesenstadt) in der -ägyptischen Grabkammer zu Bette ging. Er schlummerte sofort ein und -schlief wie ein Stück Holz.</p> - -<p>London ist eine wunderbare Stadt, voll Ueberraschungen, unerforschlich -wie das Menschenherz, mehr Dinge bergend als die Philosophie sich -träumen läßt oder Baedeker in seinen roten Büchern mit Sternen -bezeichnet hat. Und Herr Allan Kragh fand in seinem bescheidenen Maße -Gelegenheit, diese Binsenwahrheiten schon im Laufe des folgenden -Tages bestätigt zu finden. Die Nebel des Abends waren von einem -sanften Sonnenschein, der von einem milden, veronikablauen Himmel -erstrahlte, abgelöst, als er am Vormittag seine Streifzüge vom -Grand Hotel Hermitage antrat, und, Goethe gehorchend, ins volle -Menschenleben der Straßen hineingriff. Seine Streifzüge gehen jedoch -diese wahrheitsgetreue Erzählung nichts an, und wir begnügen uns damit, -den Kontakt mit ihm wieder aufzunehmen, als er gegen ein Uhr nachts -ins Grand Hotel Hermitage heimkehrte. Da beschäftigten ihn nicht die -Geheimnisse von London, sondern das Geheimnis Benjamin Mirzl.</p> - -<p>Was hatte Herr Mirzl mit dem Brief beabsichtigt, den er Allan durch -einen seiner Helfershelfer vor zwei Tagen in Köln hatte zustecken -lassen? Ein Bluff? Aber warum? Konnte einem Herrn seines Schlages -etwas derartiges Spaß machen? Es war ja denkbar, aber paßte nicht zu -der Vorstellung, die Allan sich von Herrn Mirzl gemacht hatte. Es war -ja auch möglich, daß dieses Vorstellungsbild Herrn Mirzl ebensowenig<span class="pagenum" id="Seite_65">[S. 65]</span> -ähnlich sah, wie dieser sich selbst in seinen verschiedenen -Verkleidungen. Auf jeden Fall: Schlag neun Uhr, eine Stunde vor der -angegebenen Zeit, hatte sich Allan in dem von Mirzl bezeichneten Kaffee -„The Leicester Lounge“ eingefunden. Seine Londoner Eindrücke waren -dadurch um noch einen vermehrt worden, aber als er gegen halb ein Uhr -aus dem Kaffee hinausgeworfen wurde (Polizeivorschrift), war dies auch -seine einzige Ausbeute. Dem Kaffee hatte sein dreiundeinhalbstündiger -Besuch etwas mehr Ausbeute gebracht. „The Leicester Lounge“ erwies -sich als ein Kaffee von der Art, wo Maria Magdalena auch vor ihrer -Reue Zutritt hat. Es gab dort ein paar Dutzend Magdalenen vor der Bar -und ein halbes Dutzend innerhalb derselben. Der Raum im übrigen, der -sehr beschränkt war, wurde von dem leichtlebigen männlichen London in -Anspruch genommen. Die Losung sowohl für das leichtlebige männliche -London wie für die Direktion des Lokales war fixe Expedition. Das -größtmöglichste Glück der größtmöglichsten Anzahl: ein schöner -Leitsatz. Die Zirkulationsgeschwindigkeit war bewunderungswürdig: -Entree, ein Drink, Bekanntschaft, noch ein Drink, Sortie. Herren, -die keine Bekanntschaften machten, wurden über die Achsel angesehen. -Herr Allan Kragh wurde über die Achsel angesehen. Es nützte nichts, -daß er, so oft das dunkle Auge des Kellners ihn traf, einen Drink -bestellte, oder daß eine unbestimmte Anzahl Magdalenen sich an seinem -Tisch bezechten; er blieb sitzen und wurde folglich über die Achsel -angesehen. Und Herr Mirzl kam nicht. Oder gab sich wenigstens nicht -zu erkennen. Konnte es ihn<span class="pagenum" id="Seite_66">[S. 66]</span> amüsieren, Allans drinkerfüllte Erwartung -in einer Verkleidung zu beobachten? Konnte er (da war der Kellner mit -dem Auge schon wieder — <span class="antiqua">Whisky and soda, please!</span>) — konnte -er vielleicht von der weltlichen Gerechtigkeit arretiert sein? Die -Polizisten Londons waren ja so flink. Reichte Herrn Mirzls Schlauheit -nicht hin, um sie zu überlisten? Sherlock Holmes, <span class="antiqua">you know</span>. Auf -jeden Fall (<span class="antiqua">Whisky and soda please</span>, der Kellner mit dem Auge) -— reichte sie für Allan Kragh aus. Nach einer dreiundeinhalbstündigen -Whisky-Orgie verließ Herr Allan Kragh (auf Grund der polizeilichen -Bestimmungen und Müdigkeit in der Kehle) The Leicester Lounge, -durchdrungen von der eben erwähnten Ueberzeugung.</p> - -<p>Und das erste, was er in der ägyptischen Grabkammer Nr. 417 erblickte, -waren seine ehrlichen schwedischen Handkoffer. Es fehlte nicht viel, -und er hätte geglaubt, eine Säufervision zu haben.</p> - -<p>Aber faktisch; da standen seine beiden Handkoffer, der aus braunem -Rindsleder und der aus eisenbeschlagenem Holz ... Sein Klingeln rief in -weniger als einer Minute einen uniformierten Herrn in die Grabkammer -hinauf.</p> - -<p>„Diese Koffer?“</p> - -<p>„Wurden heute abend um halbzehn Uhr von einem Träger abgegeben, Sir. Es -liegt ein Brief an Sie auf dem Toilettetisch, Sir. Wünschen Sie noch -etwas, Sir?“</p> - -<p>Allan machte eine stumme Handbewegung. Jetzt wurde die Sache aber doch -zu mystisch. Wie in — — konnte Herr Benjamin Mirzl denn wissen, wo -er<span class="pagenum" id="Seite_67">[S. 67]</span> wohnte. — Er stürzte sich über den Brief auf dem Tisch, ohne seine -verwirrten Fragen zu Ende zu denken. Er enthielt zwei Schlüssel und -folgende Zeilen:</p> - -<div class="blockquot"> - -<p>„Lieber Herr Kragh! Entschuldigen Sie, daß ich Sie vergeblich in The -Leicester Lounge warten ließ. <span class="antiqua">Business, you know</span>; unmöglich -für mich, abzukommen. Hoffe, Sie waren nicht gezwungen, allzu viele -Whisky mit Soda zu nehmen; kenne das Lokal; sollte mir leid tun. Füge -die Schlüssel bei, die ich während der Zeit, als ich Ihr prächtiges -Gepäck inne hatte, zu verwenden pflegte; hoffe, Sie können sie als -Reserveschlüssel brauchen; danke Ihnen nochmals für die freundliche -Ueberlassung des Gepäcks; bitte Sie um Entschuldigung wegen all der -Mühe, die ich Ihnen verursacht habe und verbleibe in aller Eile</p> - -<p class="right"> -<span class="mright4">Ihr ergebener</span><br /> -<span class="mright2">Ludwig Koch,</span><br /> -<span class="mright1">alias Dr. Hauser, </span><br /> -<span class="mright4">alias ......</span> <br /> -(nach Belieben auszufüllen.)“</p> - -</div> - -<p>Es ist unnötig, die Ausrufe, Fragen und Gesten zu verzeichnen, mit -denen Allan Kragh diese Epistel kommentierte. Das Leben ist kurz, wie -schon Mark Twain sagte; es war drei Uhr, als er sich nach der dritten -Visitierung der Koffer — nichts fehlte — und der achtundneunzigsten -Lektüre von Benjamin Mirzls Brief zu Bett legte. Es dauerte noch eine -Stunde, bis er einschlief, und als er es tat, war sein Schlummer -unruhig.</p> - -<p>Er hätte gar zu gerne Herrn Mirzl getroffen.</p> - -<p>Es war bestimmt, daß er seinen Willen in dieser<span class="pagenum" id="Seite_68">[S. 68]</span> Hinsicht durchsetzen -sollte, aber das dauerte noch eine Weile.</p> - -<p class="center">* <span class="mleft7">*</span><br /> -*</p> - -<p>Es war spät, als Allan am nächsten Tag die Augen aufschlug. Sein erster -Blick galt den Koffern und sein zweiter Herrn Mirzls Brief, den er nun -schon auswendig wußte, wie einen Bibelspruch im Katechismus. Erst sein -dritter Blick galt der Uhr. Sie zeigte fünf Minuten vor zwölf. Allan -flog aus dem Bett und begann sich anzukleiden. Unmittelbar vor dem -Einschlafen war ihm etwas eingefallen: Es gab eine Möglichkeit, Herrn -Mirzl aufzuspüren, durch den Dienstmann, der die Koffer gebracht hatte! -Allan runzelte die Stirn und entwarf in Gedanken einen Kriegsplan, der -auf besagtem Dienstmann aufgebaut war, und durch den Herr Mirzl sich -wohl bald in seiner Höhle aufgespürt sehen sollte.</p> - -<p>Aber ach, schon der erste Faden riß, als er gegen halb ein Uhr sein -Verhör im Hotelbureau anstellte. Der Dienstmann? Ein gewöhnlicher -Träger. Nummer? Weiß Gott, was für eine Nummer er hatte. Er hatte ganz -einfach die Koffer niedergestellt, erklärt, daß sie dem Herrn auf Nr. -417 gehörten, dessen Namen auf beifolgendem Briefe stand, und daß alles -bezahlt sei, worauf er sich ohne weiteres entfernt hatte. Nun, wenn man -es sich recht überlegte, hatte er wohl überhaupt keine Nummer gehabt. -Es war vermutlich ein gewöhnlicher Arbeitsloser gewesen. Stimmte etwas -mit den Koffern nicht? Hatte der Mann etwas gestohlen oder verschlampt?</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_69">[S. 69]</span></p> - -<p>Allan beeilte sich, nein zu sagen und verschwand. Es war nicht so -leicht, die Sachlage mit einem unromantischen Hotelkontoristen zu -diskutieren. Er versuchte sich vorzustellen, was Sherlock Holmes in -seiner Lage getan hätte, und da kam ihm plötzlich eine Idee. Eine -Annonce! Das war es. Sherlock Holmes hätte eine Annonce eingerückt und -dem unnumerierten Dienstmann eine Belohnung in Aussicht gestellt.</p> - -<p>Allan erkundigte sich und suchte das Zeitungsbureau des Hotels auf; er -fand es in einer kleineren Halle rechts von dem großen Entree gelegen. -Es war eine weitläufige Anlage, wo alle Zeitungen der Welt verkauft, -Annoncen für sie, Abonnements auf sie und (gegen eine kleine Abgabe) -persönliche Notizen für sie über den Aufenthalt der Betreffenden -im Grand Hotel Hermitage, ihre Gewohnheiten, ihren Lieblingssport, -aufgenommen wurden. Allan erhielt ein Blankett und formulierte nach -einiger Gedankenarbeit folgende Annonce:</p> - -<p>Träger! Zwei Pfund Belohnung erhält der Träger, der am Abend des 12. -dieses, halb zehn Uhr, drei Gepäckstücke im Grand Hotel Hermitage -abgegeben hat, wenn er sich ehestens im besagten Hotel einfindet.</p> - -<p class="mtop2">Der Kontorist des Zeitungsbureaus war ein ernster junger Mann vom -Detektivtypus. Er nahm Allans Annonce ohne jeden Kommentar entgegen und -fragte nur, in welche Zeitungen Allan sie aufgenommen wünsche. Allan -überließ ihm selbst, dies zu bestimmen, worauf der hagere junge Mann -dekretierte, daß Star, Daily Mail und Daily Citizen am besten seien, -und einen<span class="pagenum" id="Seite_70">[S. 70]</span> Betrag für die zweimalige Einschaltung in jeder derselben -entgegennahm. Sehr zufrieden mit sich selbst begab sich Allan in die -Stadt, um sein Lunch einzunehmen.</p> - -<p>Im Laufe des Nachmittags, während er in Pall Mall promenierte, kam -ihm jedoch eine Idee, die zur Folge hatte, daß er eine Viertelstunde -später aus einem Auto vor dem Grand Hotel Hermitage sprang. Er hatte -ja ganz verabsäumt, in Erfahrung zu bringen, wer seine mystische -Reisegenossin war, die Dame aus Hamburg! Und sie wohnte doch in -demselben Hotel! So ist es, wenn man den Kopf mit einer Sache voll -hat. Der benediktinerflaschenähnliche Portier selbst führte den Befehl -im Hotelbureau, als Allan hereinkam, um sein Verhör anzustellen. Die -Wärme seines Tones war seit der Ankunft von Allans Gepäck um fünf Grad -gestiegen.</p> - -<p>„Wünschen Sie ein größeres Zimmer, Sir?“ fragte er.</p> - -<p>„Vielleicht später,“ sagte Allan. „Ich möchte Sie gerne etwas fragen, -Portier.“</p> - -<p>Er wühlte einen Augenblick in seinen Erinnerungen an Sherlock Holmes.</p> - -<p>„Ich glaube hier im Hotel eine Bekannte gesehen zu haben, eine -Dame. Ich bin meiner Sache aber nicht ganz sicher und möchte nicht -zudringlich erscheinen, Sie verstehen, Portier. Sie ist blond, schlank, -von Mittelgröße oder etwas darüber, sieht sehr gut, aber ein bißchen -hochmütig aus und speiste vorgestern mittag im Speisesaal — — —“</p> - -<p>Ein plötzliches Rauschen von Seidenröcken neben<span class="pagenum" id="Seite_71">[S. 71]</span> ihm ließ ihn -zusammenzucken. Er wandte sich seitwärts und da stand die Unbekannte -selbst!</p> - -<p>„Ich hörte zufällig Ihre freundliche Anfrage,“ sagte sie. „Sollte am -Ende ich es sein, die Sie dem Portier beschrieben haben?“</p> - -<p>Diesmal konnte kein Zweifel über ihren Gesichtsausdruck herrschen, wie -vor zwei Tagen im Speisesaal. Jetzt war es genau dieselbe Miene, die er -vom Expreß her kannte; und ihre grauen Augen hatten einen Blick, der -ihm kalt über das Rückgrat lief. Endlich gelang es ihm, sich zu fassen.</p> - -<p>„Sie, Madame? Soviel ich weiß, habe ich nicht das Vergnügen, Sie zu -kennen.“</p> - -<p>„Ich Sie auch nicht — dem Namen nach.“</p> - -<p>Es lag eine vernichtende Betonung auf den letzten zwei Worten, die -nur zu gut ausdrückten, was sie meinte — die Szene in Köln, wo sie -ihn vor fünf Tagen arretieren gesehen hatte. Allan nahm eine hübsche -Preißelbeerfarbe an, aber es gelang ihm zu sagen:</p> - -<p>„Sie haben gewiß etwas mit dem Portier zu besprechen. Ich will mich -außer Hörweite zurückziehen, damit ich Sie nicht zu belauschen brauche.“</p> - -<p>Er wußte, daß dieser Abschiedspfeil sie in das Tiefste ihrer -anglosächsischen Seele treffen mußte, aber trotzdem empfand er seine -Sortie aus dem Bureau nicht als eine <span class="antiqua">Sortie d’éclat</span>. Er kreuzte -die Halle so rasch, als es seine Würde zuließ. — Was er hauptsächlich -befürchtete, war, daß sie ihn zurückrufen und bitten würde, das -Interview mit dem Portier fortzusetzen; er fühlte sich dieser Aufgabe -jetzt nicht gewachsen. Und plötzlich fand er sich im Konversationssalon -des Hotels,<span class="pagenum" id="Seite_72">[S. 72]</span> in den seine Beine ihn, ohne daß er es selbst wußte, -getragen hatten, und hörte ein <span class="antiqua">damn and confound</span>, das mit -ungeheurer Energie in seiner unmittelbaren Nähe ausgestoßen wurde. -Erst im nächsten Augenblick dämmerte es ihm auf, daß ihm selbst diese -Worte entschlüpft waren; und noch ganz erstaunt über seine rasche -Akklimatisierung hörte er eine schrille Stimme, die sagte:</p> - -<p>„Hallo, junger Mann! Solche Worte pflegt man nicht in Damengesellschaft -zu sagen.“</p> - -<p>Allan drehte sich um. Trotz der wenig menschenfreundlichen Laune, in -der er sich für den Augenblick befand, mußte er lächeln. Auf einem der -roten Lederstühle saß eine alte Dame mit dem New York Herald in der -Hand — sie wäre von der Zeitung verdeckt gewesen, wenn sie sie nicht -gesenkt und Allan über den Rand angeguckt hätte. Ihr Gesicht glich -auf das I-Tüpfelchen einem alten, schlauen Papagei. Sie hatte graues -Haar, das von den Ohren abstand, zwei scharfe kohlschwarze Augen und -eine Nase, die den Rest des Gesichtes ebenso gründlich ausfüllte, -wie die Sankt Paulskathedrale den offenen Platz, an dem sie liegt. -So wie die Kathedrale kam sie architektonisch nicht zu ihrem vollen -Recht, aus Mangel an Perspektive ... Man sah jedoch einen breiten Mund -mit schmalen und offenbar sehr scharfen Lippen, und ein Kinn, das -napoleonisch zu wirken versuchte. Die kohlschwarzen Augen fixierten -Allan schräg, ganz wie die eines Papageis. Allan verbeugte sich -ehrfurchtsvoll:</p> - -<p>„Ich bitte Sie tausendmal um Entschuldigung, Madame!<span class="pagenum" id="Seite_73">[S. 73]</span> Ich dachte -wirklich nicht daran, was ich sagte, und ich wußte kaum, wo ich mich -befand.“</p> - -<p>„Warum haben Sie geflucht?“ sagte die alte Dame. Sie betonte das Wort -geflucht so, daß es klang, wie gemordet oder falsches Zeugnis abgelegt.</p> - -<p>Allan wandelte die barocke Lust an, ihr alles zu erzählen.</p> - -<p>„Ich will versuchen, es Ihnen zu erklären,“ begann er. „Sind Sie -Amerikanerin, wenn ich fragen darf?“</p> - -<p>„Ja. Haben Sie deshalb geflucht?“</p> - -<p>„Nicht weil <em class="gesperrt">Sie</em> Amerikanerin sind. Gott bewahre mich. Aber -aufrichtig gesagt, war es eine Ihrer Landsmänninnen, die mich zum -Fluchen brachte.“</p> - -<p>„Ein Gentleman flucht nie über eine Dame oder in Damengesellschaft.“</p> - -<p>„Sie haben recht. Ich bereue aus der Tiefe meines Herzens. Sehen Sie, -diese Dame überraschte mich gerade, als ich dabei war, den Portier -auszufragen ...“</p> - -<p>„Hat sie gehorcht? Dann ist sie keine Dame. Dann haben Sie das Recht zu -fluchen.“</p> - -<p>„Hm, sehen Sie, ich war eben im Begriff, den Portier nach ihr selbst -auszufragen ...“</p> - -<p>„Sind Sie in sie verliebt? Dann haben Sie ein Recht dazu. Dann verstehe -ich Sie.“</p> - -<p>„Sie interessiert mich. Und Sie begreifen, daß ...“</p> - -<p>„Haben Sie vom Portier erfahren, wer sie ist? Sind Sie ein Engländer?“</p> - -<p>„Sie kam gerade zurecht, um mich daran zu verhindern. Nein, ich bin ein -Schwede, Madame.“</p> - -<p>„Warum fluchen Sie dann auf englisch?“</p> - -<p>„Ja, wer das sagen könnte! Das Klima, vermute<span class="pagenum" id="Seite_74">[S. 74]</span> ich. Nochmals, ich bitte -Sie um Entschuldigung, Madame.“</p> - -<p>„Oh, <span class="antiqua">demmit</span>, ist nicht nötig. Ich fluche selber, wenns sein -muß. Setzen Sie sich nieder, Sie interessieren mich. Was machen Sie in -London?“</p> - -<p>„Ja, wenn ich das wüßte. Eigentlich bin ich hier, um einen Herrn zu -treffen, der meine Koffer gestohlen hat.“</p> - -<p>„Die kriegen Sie nie zurück. In London kriegt man nie etwas zurück, -nicht einmal das Geld, das bei den Rechnungen übrig bleibt. Ich kenne -die Engländer. Hat er Ihre Koffer hier in London gestohlen?“</p> - -<p>„Nein, im Expreß in Deutschland; und sehen Sie, das Lächerliche ist —“</p> - -<p>„Was ist das Lächerliche? Da ist Helen. Grüß Gott, mein Kind. Was ist -das Lächerliche?“</p> - -<p>„Daß er sie mir unversehrt hierher zurückgeschickt hat.“</p> - -<p>„<span class="antiqua">Now demmit</span> ... ich meine, sitzen Sie da und machen Sie sich -über mich lustig, junger Mann? Helen, komm her, dann wirst du etwas -hören. Hier ist ein junger Mann, der Märchen aus Tausendundeiner Nacht -erzählt. Außerdem flucht er in Damengesellschaft.“</p> - -<p>Allan sah auf und erblickte ein junges Mädchen von zwanzig Jahren, -die jetzt auf die alte Dame im Klubsessel zukam. Sie war schlank, -blond und unaussprechlich amerikanisch. Allan fühlte eine instinktive -Sympathie, die, wie er ebenso instinktiv empfand, verschieden von dem -war, was er sonst für junge Damen zu empfinden pflegte. Sie hatte graue -Augen und sehr reine Züge. War sie die Tochter der alten Dame auf dem<span class="pagenum" id="Seite_75">[S. 75]</span> -Klubfauteuil, dann mußte sie wohl mehr ihrem Vater nachgeraten sein ...</p> - -<p>„Das hier ist meine Tochter, junger Mann, ob Sie es glauben oder nicht.“</p> - -<p>Die kohlschwarzen Papageienaugen hatten offenbar seine Gedanken -gelesen. Allan verbeugte sich und zog eine Visitkarte hervor.</p> - -<p>„Ich weiß nicht, was in Amerika korrekt ist,“ sagte er ein bißchen -befangen. „Gestatten Sie?“</p> - -<p>Die alte Dame erfaßte seine Karte mit einer krallenähnlichen Hand, -hielt sie vorsichtig auf Armeslänge von sich ab (in diesem Falle keine -besonders große Distanz) und betrachtete sie mit schräggelegtem Kopf.</p> - -<p>„K—r—a—g—h, Kragh, ist das ein komischer Name! Well, mein Name ist -Mrs. Bowlby aus Worcester, Massachusetts, Sir!“</p> - -<p>Sie sprach Allans Namen aus, als bedeutete er Kreide<a id="FNAnker_1" href="#Fussnote_1" class="fnanchor">[1]</a>.</p> - -<div class="footnotes"> - -<div class="footnote"> - -<p><a id="Fussnote_1" href="#FNAnker_1" class="label">[1]</a> Auf englisch <span class="antiqua">Cray</span>. Vorsichtige Bemerkung.</p> - -</div> - -</div> - -<p>Allan versuchte, ihr eine skandinavischere Aussprache beizubringen.</p> - -<p>„<span class="antiqua">Now demmit</span>, glauben Sie, ich bin nach England gekommen, um -Schwedisch zu lernen? Wenn Sie auf englisch fluchen, können Sie sich -auch auf englisch titulieren lassen. <span class="antiqua">There</span>, fahren Sie in Ihrer -Erzählung fort.“</p> - -<p>Seine weiteren Erlebnisse in Mrs. Bowlbys Gesellschaft hatte Allan -folglich als Mr. Cray.</p> - -<p>Unter einem Regen von Interpellationen berichtete er seine Abenteuer im -deutschen Expreßzug, in Köln<span class="pagenum" id="Seite_76">[S. 76]</span> und in London. Plötzlich schweiften die -Gedanken der alten Dame zum Ausgangspunkt zurück.</p> - -<p>„Und die Dame, die Sie am Hamburger Bahnhof sahen, ist dieselbe, die -hier im Hotel wohnt?“</p> - -<p>„Ja.“</p> - -<p>„Wie kann das Hotel so etwas zulassen, das ist doch natürlich eine -Hochstaplerin. Schon die Art, wie sie einen feinen jungen Mann wie Sie -behandelt, beweist es.“</p> - -<p>„Mrs. Bowlby, ich war sehr unbescheiden ...“</p> - -<p>„Gewiß nicht. Absolut nicht. Das ist eine Schwindlerin, denken Sie an -meine Worte! Wie sieht sie aus?“</p> - -<p>„Sie ist ein bißchen mehr als mittelgroß und etwas hochmütig. Mit -grauen Augen wie Miß Bowlby und recht kurzer Oberlippe. Sie sieht aus -wie eine blonde spanische Infantin, wenn Sie verstehen, was ich meine, -Mrs. Bowlby.“</p> - -<p>„Natürlich. Und sie ist Amerikanerin?“</p> - -<p>„Ja. Ich glaube wenigstens. Das heißt, auf dem Bahnhof sprach sie -allerdings deutsch, wie ich Ihnen schon erzählt habe — aber später ...“</p> - -<p>„Haha!!“</p> - -<p>Mrs. Bowlbys Lachen war so triumphierend-krächzend, wie das eines -Papageis, dem es soeben gelungen ist, einen Feind so recht tüchtig in -den Zeigefinger zu beißen.</p> - -<p>„Haha! Die habe ich schon im Hotel gesehen, ganz richtig. Jetzt weiß -ich’s. Sie hätte ebensogut französisch sprechen können, junger Mann. -Sie sind in gute Gesellschaft gekommen! Glauben Sie, ich weiß nicht, -wer sie ist?</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_77">[S. 77]</span></p> - -<p>Mrs. Langtrey, erinnerst du dich an Mrs. Langtrey, Helen?“</p> - -<p>„Ich glaube, du hast von ihr gesprochen, Mama.“</p> - -<p>„Ich? Nie im Leben. Ich spreche von solchen Personen nicht. Andere -Menschen haben vielleicht mit dir von ihr gesprochen ... Vor vier -Jahren sprachen alle Leute von ihr, obgleich sie sich schämen sollten, -überhaupt von so etwas zu sprechen.“</p> - -<p>„Aber Mama!“</p> - -<p>„Sch! Ich weiß, was ich sage. <span class="antiqua">Dash it</span>, ich sollte gar nicht -zu dir von ihr sprechen, Helen. Sie war mit dem Obersten Langtrey -in Boston verheiratet und eine große Modedame. Kurz bevor Langtrey -starb, hatte sie einen <em class="gesperrt">gräßlichen</em> Flirt mit einem französischen -Windbeutel, der sich Baron nannte oder Marquis oder König. De Citrac -hieß er. Langtrey hatte kaum die Augen geschlossen, als sie nach Europa -verduftete. Natürlich weiß man, was sie da wollte. Seither hat niemand -in Amerika von ihr gehört, obwohl alle von ihr gesprochen haben. Aber -ich glaubte sie gestern, als wir kamen, hier im Hotel zu sehen, und nun -nach Mr. Crays Beschreibung ...“</p> - -<p>Mrs. Bowlbys Rede wurde dadurch unterbrochen, daß die Türe des -Lesesalons sich öffnete und jemand hereinkam, in strahlender, -rosafarbener Nachmittagstoilette, die um sie rauschte, wie der Schaum -um eine schlanke Säule. Sie warf einen eisig gleichgültigen Blick -auf Allan, ohne die beiden Damen auch nur zu sehen, und ging mit -königlicher Grazie auf einen der Tische mit den illustrierten Zeitungen -zu. Sie wählte<span class="pagenum" id="Seite_78">[S. 78]</span> The Queen aus und versank in einem Lederfauteuil im -rückwärtigen Teil des Lesesalons.</p> - -<p>„<span class="antiqua">Well!</span>“ Mrs. Bowlbys Interjektion barg eine Welt von Bedeutung -— „ist das nicht sie, die ...“</p> - -<p>Allan, dessen Augen in dieselbe Richtung starrten, wie ihre -steinkohlenschwarzen Aeuglein, zog langsam seinen Blick wieder zurück. -Mrs. Bowlby, die diesen Blick gesehen hatte, erhob sich fünf Fuß hoch -aus ihrem Sessel.</p> - -<p>„Zeit, Tee zu trinken,“ sagte sie. „Wollen Sie mit Helen und mir den -Tee nehmen, Mr. Cray? Sie brauchen Schutz und Schirm gegen die Welt, -junger Mann, sie ist voll Sünde, und unser eigen Fleisch der Sünde -bester Bundesgenosse.“</p> - -<p>Allan riß die Tür für sie und Fräulein Helen auf, während er innerlich -im stillen bedauerte, daß die Sünde einerseits so verlockend aussehen -muß und andererseits nicht immer so geneigt ist, den Menschen zu -attackieren, wie die Theologen behaupten.</p> - -<p class="center">* <span class="mleft7">*</span><br /> -*</p> - -<p>Beim Tee in Mrs. Bowlbys Salon im ersten Stock gesellte sich Mr. -Bowlby hinzu. Mr. Bowlby war ein langer, breitschultriger, blonder -Mann, offenbar jünger als seine Gattin. Sein glattrasiertes Gesicht -erhielt seinen Charakter von dem breiten lustigen Mund. Er sah aus -wie ein Schuljunge. Mrs. Bowlby stellte Allan unter der Signatur vor, -unter der sie ein für allemal entschlossen war, ihn zu verbergen. Sie -entwarf eine farbenprächtige Schilderung seiner Abenteuer und eine noch -koloriertere Darstellung von Mrs.<span class="pagenum" id="Seite_79">[S. 79]</span> Langtrey und ihren Ansichten, wes -Geistes Kind diese Dame war. Mr. Bowlby interpunktierte ihre Erzählung -mit einer größeren Anzahl <span class="antiqua">blow me</span> und ebenso vielen Tassen Tee. -Dann wischte er sich den Mund und sagte:</p> - -<p>„<span class="antiqua">Well</span>, Susan (seine Stimme war laut und lärmend wie die eines -großen jungen Hundes), ich habe auch Neuigkeiten. Wir müssen in den -zweiten Stock ziehen.“</p> - -<p>„Früher siehst du mich am höchsten Ast baumeln,“ sagte Mrs. Bowlby, -ohne einen Augenblick zu zaudern. „Ist die Börse zurückgegangen, John? -Du solltest sie sein lassen, wenn du auf Ferien bist.“</p> - -<p>„Es ist nicht die Börse;“ sagte John. „Es ist ein König.“</p> - -<p>„Ein König? Hast du einem König Geld geliehen, John?“</p> - -<p>„Unsinn, ich leihe kein Geld aus, das weißt du. Der König soll hier -wohnen, ein richtiger König, der übermorgen herkommt, um sich in London -zu verheiraten. Der Direktor hat es eben als eine Gnade von mir erbeten -...“</p> - -<p>„Ich sage dir eines, John, versuche nicht unser armes Kind an ihn -zu verheiraten! Helen! Du darfst nie an derartige Menschen denken, -versprich mir das, Kind.“</p> - -<p>„Du phantasierst, Susan. Helen mit ihm verheiraten! Ebensogut könnte -ich sie mit einem Mormonen-Bischof verheiraten. Der König, der kommt, -hat schon hundertfünfzig Frauen.“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_80">[S. 80]</span></p> - -<p>„Barmherziger Jesus! Was ist das für ein Untier, das uns aus unserer -Wohnung vertreiben will, John?“</p> - -<p>„Ein König, ein richtiger König mit fünfzehn Millionen Untertanen, die -meisten davon braun, aber, <span class="antiqua">blow it</span>, ein richtiger König. Der -Direktor war geradezu verzweifelt, daß ...“</p> - -<p>„Komme mir nicht mit dem Direktor! Bist du ein freigeborener -Amerikaner? Gibt es nicht noch andere Hotels in London?“</p> - -<p>„Einige, Susan, aber das hier ist wohl das einzige, wo ein König -absteigen kann. Und wir bekommen eine Wohnung einen Stock höher, wo -Prinz Hieronymus von Bulgarien wohnte, als er zuletzt in London war.“</p> - -<p>„Dann kann sich dieser König auch damit zufrieden geben. Was dem einen -recht ist, ist dem anderen billig.“</p> - -<p>„Das ist aber ein regierender Fürst, Susan, und ein regierender Fürst -kann nicht höher wohnen als im ersten Stock.“</p> - -<p>Mrs. Bowlbys steinkohlenschwarze Augen wanderten von John zu Fräulein -Helen und von ihr zu Allan.</p> - -<p>„Hat er die hundertfünfzig Frauen mit, John?“</p> - -<p>„Das weiß ich nicht, liebe Susan. Dann muß er wohl ein besonderes Hotel -für sie mieten, oder vielmehr hundertfünfzig besondere Hotels, damit -sie ihm das Leben nicht zu sauer machen.“</p> - -<p>Mrs. Bowlby wurde weich.</p> - -<p>„Ich bin überzeugt; daß er sie mit hat, John, ich kenne die Männer. -Ziehen wir also in die Wohnung des Prinzen! Ich muß hier bleiben und -diesen jungen<span class="pagenum" id="Seite_81">[S. 81]</span> Mann beschützen. Das ist meine Pflicht, Mr. Cray, denn -ich kenne auch die Frauen.“</p> - -<p>Mrs. Bowlby stellte ihre Teetasse energisch hin und betrachtete Allan, -als wäre er ein junger Papagei vor seinem ersten unsicheren Flug. Dann -wendete sie sich an Mr. Bowlby.</p> - -<p>„Wie heißt das Untier, John?“</p> - -<p>„Yussuf Khan,“ antwortete Mr. Bowlby, indem er eine Zigarre ansteckte. -„Yussuf Khan, Maharadscha von Nasirabad.“</p> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_82">[S. 82]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="IV">IV<br /> - -<em class="gesperrt">Yussuf Khan, Maharadscha von Nasirabad</em></h2> - -</div> - -<p>Als Ibrahim Khan, selbständiger Maharadscha des Staates Nasirabad, -in der nordwestlichsten Ecke Indiens, im Jahre 1885 am Khawakpasse -vom damaligen Obersten der angloindischen Armee, Sir George Merriman, -besiegt wurde, war es nicht ein Fürst, oder ein Volk, das fiel; es -war ein System. Ibrahim Khan hatte sich während einer vierzigjährigen -Regierung als der erbittertste Gegner bekannt gemacht, den das -englische Regime seit Tippo Sahib gehabt hatte; nur die Kleinheit -und Entlegenheit seines Staates hatte seine Feindschaft verhindert, -ebenso furchtbar zu werden als sie erbittert war. Als die Nachricht -vom Ausgang der Schlacht am Khawakpasse in Nasirabad eintraf, und es -klar wurde, daß die Tage von Ibrahim Khans Selbständigkeit gezählt -waren, beschloß er, wenigstens selbst über die Anzahl dieser Tage zu -bestimmen. Gleich einem berühmten König des alten Testamentes stürzte -sich Ibrahim Khan auf sein Schwert, und die Gesänge, die Sir George bei -seinem Einzug in Nasirabad begrüßten, waren keineswegs Lobeshymnen.</p> - -<p>Es ist jedoch wohlbekannt (wir verweisen auf Alexander Carsons -vortreffliche Lebensbeschreibung Sir Georges, Heinemann & Co., London -1908), wie gut<span class="pagenum" id="Seite_83">[S. 83]</span> Ibrahim Khans Besieger die Kunst beherrschte, die -Hannibal nie erlernen konnte, den Sieg auszunützen. Zum Administrator -des Reiches ernannt, das er der Königin erworben, verwaltete er es -mit einer Pflichttreue und einem Eifer, der sogar in Indien wenig -Gegenstücke gehabt haben dürfte. Nicht genug damit: er sah sich -durch einen Erfolg belohnt, der wohl noch seltener erreicht worden -sein dürfte. Als er im Jahre 1905, am Jahrestage der Schlacht am -Khawakpasse, die Bergtäler Nasirabads verließ, war es als Vater des -Landes, nicht als sein Besieger; aufrichtige Tränen der Bevölkerung aus -allen Landesteilen folgten ihm; und diese Tränen verdoppelten sich, -als die Nachricht von seinem drei Monate später erfolgten Tode das -schlichte Gebirgsvolk erreichte. „Er schlug uns, und er wurde unser -Vater; als er seinem Herzen unsere Herzen nicht mehr entgegenschlagen -fühlte, hörte es selbst auf zu schlagen,“ sang der alte Hofdichter -Abdul Mahbub.</p> - -<p>Der Schmerz über Sir Georges Hingang wurde einigermaßen dadurch -gemildert, daß ein Sohn des alten Fürstenhauses gleichzeitig (unter -Oberaufsicht des neuen Residenten, Sir Herbert Layson) die Regierung -übernahm. Es war Yussuf Khan, Ibrahim Khans ältester lebender Sohn — -selbst eines der Produkte und vielleicht nicht das glücklichste, von -Sir George Merrimans Reformen. Bei Sir Georges Einzug in Nasirabad -erst vier Jahre alt, wurde der junge Prinz sofort unter die Leitung -eines englischen Hofmeisters gestellt; es war Sir Georges Ueberzeugung, -daß die Reformen sowie die Kultur von oben nach unten gehen<span class="pagenum" id="Seite_84">[S. 84]</span> müssen. -Zum Hofmeister des jungen Prinzen Yussuf Khan wählte er einen alten -Oxforder Freund namens Bowles. Vermutlich sah Sir George diesen mehr -durch die Brillen der Freundschaft, als der Pädagogik; es ist auch -möglich, daß er zu sehr von den übrigen Einwohnern Nasirabads und -ihren bunten Angelegenheiten in Anspruch genommen war, um viel Zeit -für die zahlreichen Angehörigen des fürstlichen Hauses übrig zu haben. -Und jedenfalls trug der Nimbus, der den Eroberer Nasirabads umgab, -dazu bei, alle Exzesse des jungen Thronfolgers zu verhindern, solange -Sir George selbst die Leitung des Reiches inne hatte. Uebrigens -war Dr. Bowles dem Prinzen ein so guter Lehrer, daß er die Sprache -seines Vaterlandes fast ganz über der der Eroberer vergaß. Sogar mit -seinem eingeborenen Lehrer, dem alten Dichter Ali, sprach er meistens -englisch. Aber das Jahr 1906 — Yussuf Khans fünfundzwanzigstes -Jahr — war kaum angebrochen, als er auch schon Sir Herbert Layson -verschiedentliche Nüsse aufzuknacken gab.</p> - -<p>Zu dieser Zeit war sein alter Erzieher Bowles schon aus dem Spiele, -mit einer schönen Pension und sämtlichen Orden des Staates Nasirabads -an seiner Brust nach England heimbefördert; es war also Sir Herbert -selbst, der dem Anprall des ersten Sturmlaufes des jungen Regenten -gegen das neue Regime standhalten mußte. Er tat es in seiner eigenen -Weise, und vielleicht wäre das, was nun geschah, nie eingetroffen, wenn -ein Mann von anderem Charakter Sir Herberts Platz bekleidet hätte, in -welchem Falle auch dieses Buch nie das Licht der Welt erblickt hätte. -<span class="antiqua">Habent sua<span class="pagenum" id="Seite_85">[S. 85]</span> fata libelli</span>, sagt mit Recht der römische Dichter. -Nun war Sir Herbert Layson gerade ein Jünger dieses römischen Dichters -sowie seines großen Namensvetters Herbert Spencer; er war ein stiller, -ironischer, arbeitsamer, verschlossener Mann, der seine Tagesarbeit -verrichtete und es liebte, auf das Leben von einer ebenso kühlen und -klaren Höhe herabzublicken, wie er von seinem Palast in Nasirabad -auf die Bergtäler unter der Hauptstadt herniedersah. Yussuf Khans -jugendliche Heißblütigkeiten fing er wie Wurfgeschosse mit dem Schild -seiner Ironie auf; es muß zugegeben werden, daß dieser Schild auf harte -Proben gestellt wurde. Es begann mit Regierungsfragen, in denen der -junge Regent seinen Willen durchsetzen wollte; die Angriffe auf diesem -Gebiet waren von kurzer Dauer. Sir Herbert ließ den jungen Mann bei -einer oder zwei passenden Gelegenheiten seinen Willen durchsetzen; -das war genug. Die Unruhe und Erregung der Bevölkerung, die sich -schon an die maßvollen Verordnungen und Auflagen des englischen -Residenten gewöhnt hatte, überzeugte sogar Yussuf Khan sehr bald, daß -seine Anlagen nach anderen Richtungen wiesen. Recht bald hatte er -auch herausgefunden, welche diese Richtungen waren: Pferdesport und -militärische Uebungen. Der Anfall dauerte gut zwei Jahre, von 1907 -bis Ende 1909. Daraus folgte eine kurze Periode der Mattigkeit beim -Patienten, bis die neue Phase der Krankheit auftrat. Und als dies -geschah, wurde Sir Herbert zum ersten Male unruhig. Denn nun hatte das -Weib seinen Einzug in Yussuf Khans Leben gehalten, und was schlimmer -war, das geträumte,<span class="pagenum" id="Seite_86">[S. 86]</span> nur mit den Augen des Ideals gesehene Weib. Sir -Herbert hatte Grund zur Unruhe.</p> - -<p>Bei diesem Punkt fragt sich der flüchtige Leser erstaunt: Was weiter? -Hat man nicht von diesen indischen Fürsten und ihren Harems gelesen, -wo die schönsten, üppigsten Frauen der Welt ausschließlich für ihre -Rechnung verwahrt werden, wie eine Bibliothek von Luxusausgaben? -Sind nicht ihre mandelförmigen Augen schwärzer und sanfter als -die der Gazelle, ihre Glieder geschmeidiger als Schlingpflanzen, -ihre Zärtlichkeit berauschender als Haschisch! Gibt es nicht eine -schwedische Zenanamission für diese Unglücklichen? Oder war Yussuf -Khan schlechter daran als seine Kollegen? — Dem Leser, der diese -elegant formulierten Fragen stellt, können wir nur antworten: Möge -er sich selbst in Yussuf Khans Lage versetzen, als souveräner Gatte -von einhundertfünfzig schönen Asiatinnen aller Völkerschaften! Was -nützt ein Harem und seine arabeskengeschmückten Mauern gegen das -Ideal? Das Ideal findet immer eine Ritze in den Arabesken, durch die -es sich eindrängt; es ahmt die Stimme der Nachtigallen nach, um von -Frauen zu singen, tausendmal verführerischer als die Haremskönigin, -es flüstert im Palmenrauschen; sein Sirenengesang klingt aus dem -Rieseln der Springbrunnen. Oder, um so prosaisch zu sprechen wie Seine -allerchristlichste Majestät Franz I. von Frankreich, auch er Herr -eines (höchst christlichen) Harems — „<span class="antiqua">toujours perdrix</span>“! Immer -Rebhühner! — Leben Sie einmal einen Monat von Rebhühnern und Bordeaux, -und Sie sehnen sich nach Käse und Brot und einem Schluck Wasser. Leben -Sie ein paar Jahre<span class="pagenum" id="Seite_87">[S. 87]</span> von Rebhühnern, und Sie werden Vegetarianer. Yussuf -Khan, Maharadscha von Nasirabad war schon um die Mitte des Jahres 1909 -definitiv zum Vegetarismus übergegangen, und zu Ende dieses Jahres -war seine idealistische Krankheit in ein bösartiges, akutes Stadium -getreten.</p> - -<p>Er wollte eine europäische Prinzessin heiraten!</p> - -<p>Hatte Sir Herbert Layson Grund, unruhig zu sein oder nicht?</p> - -<p>Was die Sache noch verschlimmerte, war der Charakter des trefflichen -Sir Herbert. Sein Schädel entbehrte gänzlich jener idealistischen -Knollen, die ein Phrenologe an dem Yussuf Khans gefunden hätte; als -Yussuf Khan seine Gesellschaft aufsuchte und ihn zögernd in die stumme -Qual seines Geistes einzuweihen begann, begegnete ihm Sir Herbert mit -einem trockenen Lächeln und mit Reflexionen über die europäischen -Frauen, die Yussuf Khan vor Empörung aufflammen ließen, wie einen -neuen Bayard. Erst als es zu spät war, erkannte Sir Herbert, wie die -Dinge standen, und änderte seine Taktik; aber seine Versuche, den -jungen Regenten für Polo- oder für Regierungsfragen zu interessieren, -hatten keinerlei Erfolg mehr. Seine einzige Hoffnung war, daß der -Frühling, der die Liebe im Menschen wieder entzündet, auch seine -Wirkung auf Yussuf Khan nicht verfehlen würde. Der Frühling kam; -doch anstatt bei Yussuf Khan die Liebe zu den hundertfünfzig Frauen -wieder zu entflammen, ließ er seinen Idealismus auflodern wie die -Scheiterhaufen an den Landstraßen oben im Gebirge. Und was mehr war: -der Frühling brachte ihm einen Plan. Da<span class="pagenum" id="Seite_88">[S. 88]</span> es unwahrscheinlich war, daß -die europäischen Prinzessinnen ihn in Nasirabad aufsuchen würden, blieb -offenbar nichts anderes übrig, als daß er sie in Europa aufsuchte.</p> - -<p>Nun begann Sir Herberts wirkliches Inferno. Endlose Ermahnungen und -ironische Ausfälle erwiesen sich als gleich fruchtlos. Den ganzen -Sommer streifte Yussuf Khan wie ein unversöhnter Schatten um seinen -Palast herum, einen einzigen Wunsch auf den Lippen. Der Sommer -Nasirabads, sonst kühl und angenehm gegen den Sommer im übrigen -Indien, wurde für Sir Herbert so allmählich heißer als der Bikanirs. -Die Quellen seiner Ironie vertrockneten vor Yussuf Khans asiatisch -glühender Halsstarrigkeit. Er wurde nervös und reizbar, er verlor -seine kühle Erhabenheit gegenüber den Phänomenen des Lebens und seine -Arbeitsfreude. Endlich faßte er Ende Juli seinen Entschluß und schrieb -an den Vizekönig in Simla: Konnte man es riskieren, einen vom Gifte des -Idealismus fieberkranken Himalaya-Löwen auf Europa loszulassen? Waren -die heiratsfähigen europäischen Prinzessinnen unfallversichert? Hatte -nicht Pasteur irgendeine Behandlungsmethode für diese neue Form der -Rabies?</p> - -<p>Die Antwort des Vizekönigs, die mit bis dahin unbekannter Spannung in -Nasirabad erwartet wurde, lautete kurz und bündig: <em class="gesperrt">Lassen Sie den -jungen Idioten reisen, aber sorgen Sie für Bewachung.</em></p> - -<p>Sir Herbert stieß einen Seufzer unsäglicher Erleichterung aus. In -einer Woche waren die Arbeiten an Yussuf Khans Ausrüstung in vollem -Gange — dieser<span class="pagenum" id="Seite_89">[S. 89]</span> Zeitraum war nötig, um die Begriffe des jungen -Regenten über die Pracht, die bei der Werbung um eine weiße Prinzessin -entfaltet werden sollte, ein wenig zu modifizieren. Nachdem Elefanten, -goldschabrackengeschmückte Stuten und eine Eskorte von zweihundert -stummen Sklaven aus dem Programm gestrichen waren, blieb noch ein -Punkt; in dem er sich unerschütterlich zeigte: Die Kronjuwelen -Nasirabads vom ersten bis zum letzten mußten mitgenommen werden. Selbst -mit dieser Pracht wußte er nur zu gut, wie unendlich gering seine -Aussichten waren, die geträumte stolze Prinzessin zu erringen: ohne die -Juwelen waren diese Aussichten winziger als die Eier der weißen Ameise. -Sir Herbert zuckte die Achseln; tatsächlich konnte er in diesem Punkte -nichts machen, denn die Juwelen waren Yussuf Khans Privateigentum. Er -begnügte sich damit, sich die Juwelen zeigen zu lassen; es war ein -sehenswerter Anblick. Er wußte vom Hörensagen, welche Schätze der alte -Ibrahim Khan in seiner Juwelenkammer aufgestapelt hatte, aber bisher -waren sie ebenso sorgsam vor seinen Augen verborgen gewesen, wie die -hundertfünfzig Damen in Yussuf Khans Harem. Es war eine Pyramide -von Diamanten, Perlen, Topasen, Smaragden, Rubinen und Gold, ein -lichtsprühender Wasserfall von Farben. Halb geblendet von dem, was er -gesehen, beeilte er sich, für eine möglichst solide Verpackung der -Schätze Sorge zu tragen.</p> - -<p>Wir werden Gelegenheit finden, später von ihnen zu sprechen.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_90">[S. 90]</span></p> - -<p>Am 15. August ums Morgengrauen verließ Yussuf Khans Freierzug -Nasirabad. Die Sonne ging eben hinter den Kämmen des Himalaya auf, -und das Schloß Nasirabad mit seinen schlanken Türmen war wie in ein -Netz von weißem Licht verstrickt. Die Kanonen der Bastion verkündeten -dröhnend die Botschaft von der Abfahrt des Regenten, und das Volk -wimmelte in den Straßen, um Yussuf Khan auf seinem Schimmel zum -Stadttor hinausreiten zu sehen, durch das Sir George Merriman vor -fünfundzwanzig Jahren eingezogen war. Sir Herbert gab dem Maharadscha -bis zum ersten Pferdewechsel des Abends das Geleite. Dann kehrte er -zu seinem Tagewerk zurück, froh in dem Bewußtsein, daß die Aufsicht -über diesen beschwerlichen Schützling seinem alten barschen Freunde, -Oberst Morrel, anvertraut war, seit zehn Jahren Militärkommandant -von Nasirabad. Außer diesem befand sich keine andere Persönlichkeit -von Rang im Gefolge als Yussuf Khans alter eingeborener Lehrer, der -sechzigjährige Hofdichter Ali.</p> - -<p>Der Abendhimmel zwischen den Talwänden, durch die Yussuf Khan mit -seinem Gefolge verschwand, war ein feuerlilienflammender Gürtel -über einer Region von blendendem Pfingstlilienweiß — gleichsam ein -himmlischer Versuch zu einer Heraldik für seine Rechnung, als er nun -seine Freierfahrt in das Land der weißen Prinzessinnen antrat. Mit -einem Lächeln über die Aussichten von Yussuf Khans Werbeplänen wandte -Sir Herbert seinen Traber wieder Nasirabad zu, froh, in Ruhe seine -Arbeit wieder aufnehmen zu können, und<span class="pagenum" id="Seite_91">[S. 91]</span> seine ironische Betrachtung -der Phänomene des Lebens aus den Fenstern der Residenz, die auf die -Felsentäler Nasirabads blickten.</p> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_92">[S. 92]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="V">V<br /> - -<em class="gesperrt">Das große Hotel</em> (Fortsetzung)</h2> - -</div> - -<p>„Waren Sie oben, und haben Sie ihn gesehen, Miß Helen?“</p> - -<p>„Gewiß. Nicht alle bleiben bis zum Lunch liegen, wie Sie, Mr. Cray. -Einen hübschen Schlips haben Sie da.“</p> - -<p>„Sehr erfreut, das von Ihnen zu hören. Aber wie sieht er aus?“</p> - -<p>„Prachtvoll. Er hatte weiße Tennishosen und einen Zylinder.“</p> - -<p>„Nicht viel für September.“</p> - -<p>„Machen Sie keine schlechten Witze! Er hatte noch eine Menge anderer -Dinge an. Uebrigens sieht er sehr gut aus, obwohl er ein bißchen dick -zu werden anfängt.“</p> - -<p>„Wie alt ist er denn?“</p> - -<p>„Er sieht aus, wie ungefähr dreißig. Er hat einen schwarzen Schnurrbart -und wunderschöne Zähne. Und das Gefolge — Sie sollten sich wirklich -schämen, so lange zu schlafen.“</p> - -<p>„Waren Elefanten, Kamele und Nigger dabei?“</p> - -<p>„Wenigstens Nigger. Es war überhaupt nur ein weißer Mann in der -Gesellschaft, ein alter barscher Herr mit weißem Schnurrbart. Der -Portier sagte, es<span class="pagenum" id="Seite_93">[S. 93]</span> ist ein englischer Oberst, der dazu angestellt ist, -das Untier, wie Mama ihn nennt, zu bewachen.“</p> - -<p>„Und die übrigen waren Nigger?“</p> - -<p>„Wenn man sie so nennen will. Sie haben eine dunkle Gesichtsfarbe, -aber ich versichere Ihnen, sie sehen stattlich aus. Er hat so eine Art -Leibwache von zehn Mann mit Turbanen und Krummsäbeln, die seine Zimmer -Tag und Nacht bewachen sollen. Und dann war da noch ein alter Herr, so -irgendeine Art Würdenträger, vermute ich, der war in Zivil und sah so -ehrwürdig aus, wie ein Erzbischof. Er hatte einen grauen Bart, der nach -beiden Seiten weggekämmt war, ganz wie auf dieser Zeitungsreklame.“</p> - -<p>„Die ungarische Pomade?“</p> - -<p>„Ja, ganz richtig. Als sie die Eingangstreppe hinaufgingen, sprach er -irgend etwas in Versen. Es klang wie eine Beschwörung. Mir wurde ganz -andächtig zumute.“</p> - -<p>„Kam ein Djinn? Hat er nicht auch irgendeine Kupferlampe gerieben?“</p> - -<p>„Das weiß ich nicht. Er hatte so weite Kleider, das konnte man nicht -sehen.“</p> - -<p>„Asiatische?“</p> - -<p>„Jedenfalls nicht aus Newyork. Aber sonst ein stattlicher alter Herr. -Er sah ein bißchen wild aus, aber gebildet, wenn Sie verstehen, was ich -meine.“</p> - -<p>„Aber sicherlich. Wie ein gebildeter Amerikaner.“</p> - -<p>„Herrgott, wie witzig Sie sind, Mr. Cray! Hier kommt Mama.“</p> - -<p>Mrs. Bowlby kam in weißer Morgentoilette in die Halle des Grand Hotel -Hermitage hereingehopst; es<span class="pagenum" id="Seite_94">[S. 94]</span> sah aus, als setzte sie, wenn sie ging, -beide Füße gleichzeitig vor wie ein Vogel. Sie ließ ein schrilles -Zwitschern der Befriedigung hören, als sie ihre Tochter und Allan -auf zwei der schwarzen Büffelledersessel der Halle entdeckte. Allan -beeilte sich, noch einen herbeizuziehen, in dessen Tiefen Mrs. Bowlby -verschwand wie ein Zuckerwürfel in einer Tasse Kaffee.</p> - -<p>„Gott sei Dank! Ich habe geglaubt, das Untier hat dich schon entführt, -Helen.“</p> - -<p>„Aber Mama! Er hat ja schon hundertfünfzig Sultaninnen.“</p> - -<p>„Ach, ich kenne die Männer! Ob sie hundertfünfzig haben oder eine, -immer sind sie gleich bereit, zu betrügen.“</p> - -<p>„Aber ich versichere dir, er hat mich nicht einmal angesehen.“</p> - -<p>„Wie sieht er aus, Helen?“</p> - -<p>„Er sieht sehr gut aus, nur ein bißchen fett.“</p> - -<p>„Mit hundertfünfzig Frauen!“</p> - -<p>„Er war natürlich ein bißchen exzentrisch angezogen. Aber du hättest -die Leibwache sehen sollen. Zehn — Aber hier kommt Papa. Er sieht aus, -als hätte er etwas zu erzählen.“</p> - -<p>Mr. Bowlby kreuzte die Halle, das Gesicht voll unerzählter Neuigkeiten.</p> - -<p>„Guten Morgen, alle miteinander!“ rief er. „<span class="antiqua">Well!</span>“</p> - -<p>„Nun, John, was gibt es?“</p> - -<p>„Sei ruhig, Susan, du wirst es schon erfahren, obgleich es so geheim -als möglich gehalten werden soll, der Londoner Diebe wegen.“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_95">[S. 95]</span></p> - -<p>„Was ist es, John? Etwas mit den hundertfünfzig?“</p> - -<p>„Nicht mit denen, die du meinst. Er hat noch hundertfünfzig -Kleinigkeiten mit —“</p> - -<p>„Also alles in allem dreihundert!“</p> - -<p>„... auf die er wohl bedeutend mehr Wert legt. <span class="antiqua">By Jove!</span> Der -Direktor zittert an allen Gliedern. Es gibt ihresgleichen wohl nicht in -Europa und kaum in Indien.“</p> - -<p>„Wovon sprichst du denn, Papa?“</p> - -<p>„Von seinen Juwelen, mein Kind! Hundertfünfzig Schmuckstücke und -eine Anzahl einzelner Steine, alle von einer Qualität, die <span class="antiqua">hors -concours</span> ist. Oberst Morrel, der alte Engländer, der als sein -Beschützer mit ist, sprach davon wie vom achten Weltwunder, sagte -der Direktor, obwohl er sonst nicht den Eindruck macht, sich leicht -imponieren zu lassen.“</p> - -<p>„Er hat sie natürlich dem Hotel zur Aufbewahrung im Safe übergeben, Mr. -Bowlby?“</p> - -<p>„Nein, junger Freund, das ist eben das Arge. Der Oberst drang darauf, -daß sie übergeben werden sollten. Aber der Maharadscha will sie oben -in seiner Wohnung haben. Sie werden begreifen, daß der Direktor nervös -ist! Denken Sie sich, wenn so irgendeine Hotelratte ...“</p> - -<p>„Aber in das Grand Hotel Hermitage kommt doch keine Hotelratte, -Mr. Bowlby! Ist das nicht überhaupt eine ausgestorbene Gattung wie -Plesiosauren und Pterodaktylen?“</p> - -<p>„Glauben Sie das nicht so sicher, Mr. Cray. Ich erinnere mich, wie vor -zwei Jahren in Newyork —<span class="pagenum" id="Seite_96">[S. 96]</span> aber das tut nichts zur Sache. Nun hat er -natürlich seine Leibwache, die Tag und Nacht vor seiner Suite ...“</p> - -<p>„Unserer Suite, John.“</p> - -<p>„... Wache hält. Die zehn wilden Gesellen mit den Krummsäbeln, die du -gesehen hast, Helen. Das wird wohl Schutz genug sein. Aber der Direktor -hat mir noch etwas erzählt.“</p> - -<p>„Was denn, Papa? Etwas über den graubärtigen Bischof?“</p> - -<p>„Bischof? Das ist sein Hofpoet und Lehrer! Ali heißt er, scheint mir. -Hast du ihn deklamieren gehört, als er die Treppe hinaufging, Helen? -Nein, vom Maharadscha selbst. Der ist noch verrückter als Pierpont -Morgan, nur in anderer Art. Pierpont J. sammelt alte Sachen, da das -Alte das einzige Neue ist, was er finden kann. Der Maharadscha, der -alle Hände mit alten Sachen voll hat, ist ihrer müde, und wißt ihr, -was er zu tun gedenkt? Er will die Fassungen aller Diademe ändern -lassen! Sonst, glaubt er, würde er von den Europäern ausgelacht werden. -<span class="antiqua">Well!</span>“</p> - -<p>Mr. Bowlbys Ausruf kam ihm vom Herzen. Er sah sich in der Halle um, und -kaum hatte er das getan, als er einen neuen Ausruf von sich gab.</p> - -<p>„<span class="antiqua">Blow me!</span> Wenn man den Wolf nennt ... Da habt ihr schon den -Mann, der geholt wurde, um die Aenderungen vorzunehmen. Der Maharadscha -hat es aber eilig! Er hat noch kaum Zeit gehabt zu frühstücken!“</p> - -<p>„Wo siehst du ihn, Papa?“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_97">[S. 97]</span></p> - -<p>„Dort drüben. Der mit dem großen Schnurrbart, der da steht und mit dem -Direktor spricht.“</p> - -<p>„<span class="antiqua">By Jove!</span>“</p> - -<p>Nun war es an Allan, einen anglosächsischen Ausdruck des Erstaunens -hervorzustoßen. Gerade beim Eingang zum Hotelkorridor, im Gespräch -mit dem breitschultrigen, bocksbärtigen Herrn, der, wie er wußte, -der Direktor des großen Hotels war, stand kein anderer, als sein -alter Bekannter aus dem Hamburger Bahnhof — der Mann mit der -bordeauxfarbenen Raubvogelnase und dem borstigen, graugelben -Schnurrbart. Der Direktor sprach überaus ehrerbietig zu ihm und schien -Erklärungen abzugeben. Er zuckte unaufhörlich die Achseln, so als -erzählte er etwas, wofür er jede Verantwortung ablehnen wollte.</p> - -<p>„Was ist denn, Mr. Cray?“</p> - -<p>Allan wandte endlich den Blick von den beiden Herren ab. Er zögerte -einen Augenblick, bevor er mit seiner dramatischesten Stimme erklärte:</p> - -<p>„Was es ist, Miß Bowlby? Nichts anderes, als daß ich den Mann kenne, -von dem Mr. Bowlby eben sprach!“</p> - -<p>„Sie kennen ihn? Wie heißt er?“</p> - -<p>„Ja ... das weiß ich nicht.“</p> - -<p>„Aber ich weiß es,“ sagte Mr. Bowlby, „er ist ein Holländer und heißt -van Schleeten. Er ist einer der größten Juweliere oder jedenfalls -Juwelenspezialisten Europas. Er hat das große Diadem gemacht, das -die französische Republik der Kaiserin von Rußland geschickt hat und -Dutzende ähnlicher Dinge. Der Direktor hat es mir erzählt. Er hat mir -auch anvertraut,<span class="pagenum" id="Seite_98">[S. 98]</span> daß der gute Mynheer van Schleeten seiner Zeit ein -großer Don Juan gewesen ist. Wie können Sie ihn kennen, ohne zu wissen, -wer er ist, Mr. Cray?“</p> - -<p>„Das ist eine Spezialität von Mr. Cray! Er kannte ja auch Mrs. -Langtrey, ohne zu wissen, wie sie heißt.“</p> - -<p>Allan nickte.</p> - -<p>„Sie haben recht, Miß Bowlby, und das Wunderliche ist, daß ich sie von -derselben Gelegenheit her kenne. Ich fuhr damals mit ihnen, Sie wissen, -als man mein Gepäck stahl. Sie waren miteinander.“</p> - -<p>„Dann ist der Juwelier ein Hochstapler. Langtreys Frau kennt nur -Hochstapler. Dann will er die Juwelen des Untiers stehlen.“</p> - -<p>„Susan, sei doch vorsichtiger mit dem, was du über die Leute sagst. Ich -habe dir doch schon erzählt, wer er ist. Glaubst du, der Direktor würde -es wagen, eine zweifelhafte Persönlichkeit in die Nähe der Juwelen des -Maharadschas zu lassen, was er doch offenbar jetzt zu tun gedenkt?“</p> - -<p>Mrs. Bowlby antwortete nur mit einem verächtlichen Kopfschütteln. -Sie fixierte den bordeauxnasigen Juwelier mit einem durchdringenden -Blick, während er an der Seite des Direktors durch die Halle zum -Aufzug ging. Ihre Nase drückte stumm, aber beredt die Auffassung aus, -die sie sich von Herrn van Schleeten nach dem, was Allan von seinen -Damenbekanntschaften erzählt, gebildet hatte. Der Direktor und der -Holländer verschwanden im Aufzug, und Mrs. Bowlby schnellte aus ihrem -Klubsessel empor wie aus einer chinesischen Schachtel.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_99">[S. 99]</span></p> - -<p>„Zeit zu lunchen,“ dekretierte sie. „Leisten Sie uns Gesellschaft, Mr. -Cray, und erzählen Sie uns, was Langtreys Frau mit dem Juwelier zu tun -gehabt hat.“</p> - -<p class="center">* <span class="mleft7">*</span><br /> -*</p> - -<p>Der Tag brachte noch eine Sensation für Allan, und zwar kam sie von -jemand, den er in der Gesellschaft der Familie Bowlby schon fast -vergessen hätte, nämlich Herrn Benjamin Mirzl.</p> - -<p>Die Sensation hatte wieder einmal die Form eines Briefes. Allan hatte -eben eine Nachmittagszigarre im Rauchzimmer beendet, als einer der -unzähligen dienstbaren Geister des Hotels hereinkam und nach einer -kurzen Inspektion des Zimmers auf Allan lossteuerte.</p> - -<p>„Ein Brief für Sie, Sir.“</p> - -<p>Allan sah auf, ein wenig erstaunt. Wer schrieb ihm hier einen Brief?</p> - -<p>„An mich?“</p> - -<p>„An Sie, Sir. Sie sind doch der Herr, der auf Nr. 417 wohnt, nicht -wahr?“</p> - -<p>„Das stimmt.“</p> - -<p>Allan nahm den Brief von dem Tablett des Livrierten und belohnte ihn -mit einem Sixpence. Aus alter Gewohnheit prüfte er das Kuvert, das eine -verwischt abgestempelte Marke trug und suchte vergeblich zu ergründen, -ob Paddington, Kensington oder Kennington daraufstand. Dann riß er das -Kuvert auf, das, wie es sich zeigte, folgendes Schreiben enthielt:</p> - -<div class="blockquot"> - -<p>„Lieber Herr Kragh! Nehmen Sie es nicht übel, wenn ich Ihnen einen -guten Rat gebe: Verannoncieren<span class="pagenum" id="Seite_100">[S. 100]</span> Sie doch nicht Ihr Geld, um diesen -Träger zu erwischen. Das einzige Resultat, wenn Sie so fortfahren, -wird sein, daß Sie den Besuch irgendeines Schwindlers bekommen, der -Ihre zwei Pfund nimmt und Ihnen den Buckel vollügt. Der wirkliche -Träger kommt nie; sein Trägeramt währte nur einen einzigen Abend, und -seine Ehrlichkeit ist zu groß, als daß er es so machen würde, wie -jene Schwindler, vor denen er Sie soeben gewarnt hat.</p> - -<p>Also, inhibieren Sie weitere Annoncen!</p> - -<p class="right"> -<span class="mright4">In Eile Ihr ergebener</span><br /> -<span class="mright6">Dr. Hauser,   </span><br /> -<span class="mright3">alias Ludwig Koch,  </span><br /> -<span class="mright1">alias ...... (nach Belieben)</span>.</p> - -<p><span class="antiqua">P. S.</span> Ich freute mich, daß Sie Star, Daily Mail und Daily -Citizen für die Annonce gewählt haben und nicht die großen teuren -Pennyzeitungen! D. O.“</p> -</div> - -<p>Allan starrte stumm das kleine Schriftstück an. Das war doch ein -Teufelskerl! Der mußte im Nacken und an allen Fingern Augen haben! Die -Annonce hatte ja gar keinen Namen enthalten, nur die Adresse Grand -Hotel Hermitage, und trotzdem hatte dieser Erzschelm sofort begriffen, -von wem sie herrührte. Allan gab sich eine Weile der Bewunderung für -Herrn Benjamin Mirzl hin und überlegte, was dieser Herr wohl in London -vorhaben mochte. Nicht zum mindesten wunderte es ihn, daß Herr Mirzl -sich Zeit nahm, sich mit einer so unbedeutenden Person, wie er es war, -abzugeben. Schließlich steckte er den Brief in die Tasche und nahm sich -vor, Bowlbys von der Sache zu erzählen.</p> - -<p>Er fand dazu Gelegenheit, als er gegen sieben Uhr<span class="pagenum" id="Seite_101">[S. 101]</span> in den Speisesaal -des Hotels kam. Mr. Bowlby mit Familie saß an einem der Tische in der -Mitte des großen Speisesaales, im Schatten der Palmen rings um den ewig -rieselnden Gold- und Marmorspringbrunnen. Er winkte Allan einladend -zu, und dieser beeilte sich, der Aufforderung nachzukommen. Diese -originellen, urwüchsigen Menschen waren ihm höchst sympathisch. Er ließ -sich nieder und erzählte Herrn Mirzls neue Leistungen, unter eifrigen -Kommentaren von Mrs. Bowlby.</p> - -<p>„Wollen wir wetten, Mr. Cray, daß dieser Kerl die Leute in London -ausplündert! Das ist eine feine Nummer! Warum glauben Sie, hat er Ihnen -Ihre Koffer zurückgeschickt?“</p> - -<p>„Um das zu erfahren, habe ich ja die Annonce eingerückt, und da sehen -Sie nun das Resultat.“</p> - -<p>„Ein Erzgauner,“ bestätigte Mrs. Bowlby noch einmal. Dann unterbrach -sie sich plötzlich.</p> - -<p>„Sehen Sie!“ flüsterte sie, „sehen Sie, dort, Mr. Cray! John! -Wahrhaftig, wird das wilde Tier nicht mit uns anderen zu Mittag essen! -Sieh dir doch ihre Kostüme an, Helen!“</p> - -<p>Allan drehte sich hastig um und sah ein Bild, das er nicht sobald -vergaß. Im Parademarsch kam über die schweren gelben Teppiche des -Dinersaales ein Zug von fünf Personen, wie das Grand Hotel Hermitage -sie mit Ausnahme eines einzigen, wohl noch nie gesehen hatte. Voran, -mit unnachahmlicher angeborener Grandezza schritt ein junger Mann von -dreißig Jahren, etwas beleibt, aber von jener Beleibtheit, die Würde -gibt. Sein Gesicht war schön oval<span class="pagenum" id="Seite_102">[S. 102]</span> mit einem kurzen, glänzenden, -schwarzen Schnurrbart über einem unzufriedenen Mund. Der Teint -war mattbraun, aber kaum dunkler, als der eines sonnverbrannten -Sportsmannes. Yussuf Khan, Maharadscha von Nasirabad! Er trug -europäische Abendkleidung, aber hatte einen glänzenden weißen Turban -auf dem Kopf und um den Hals ein breites Band aus grauen Perlen, -das er wie einen Orden trug. In dem Turban stak eine Aigrette aus -großen funkelnden Smaragden. Einen halben Schritt hinter ihm kam ein -alter, ganz und gar englischer Gentleman mit frischer Gesichtsfarbe -und buschigem, weißem Schnurrbart. Seine Augen waren klar blau und -leuchteten augenblicklich vor Erregung; von welcher Art diese war, -verriet sein Mund, der noch größeres Mißvergnügen ausdrückte als der -des Maharadschas von Nasirabad. Es war sonnenklar, daß dieser Einzug im -Cortège in das Grand Hotel Hermitage ihm als englischem Gentleman nicht -gerade zusagte. Offenbar war dies Oberst Morrel, der die Verantwortung -für den Maharadscha hatte. Und im Hinblick auf die drei übrigen -Personen des Gefolges konnte man seine Gefühle nicht unberechtigt -nennen. Ihm zunächst kam ein Hindu, der in Bezug auf die Jahre wohl ein -Altersgenosse des Obersten sein konnte, aber dessen Aussehen im übrigen -wenig Aehnlichkeit mit dem dieses Militärs hatte. Sein Gesicht, das -von sechzig Jahren der Lebenserfahrungen gefurcht war, war lächelnd -und freundlich; es wurde von einem gescheitelten, üppigen, grauen -Barte umgeben, und Allan begriff sofort, warum Miß Helen mit ihrer -amerikanisch-presbyterianischen Phantasie gesagt<span class="pagenum" id="Seite_103">[S. 103]</span> hatte, er sehe aus -wie ein Erzbischof. Denn offenbar war dies die Persönlichkeit, die Mr. -Bowlby als den alten Hofdichter und Lehrer des Maharadschas bezeichnet -hatte — Ali. Gleich seinem Herrn hatte er sich in europäische -Gewandung gehüllt, aber es war offenbar, daß er sie zum ersten Male -trug, und ebenso offenbar, daß es ihm kein Vergnügen bereitete. Das -einzige Kleidungsstück, das ihm zu passen schien, war der Turban. -Hinter ihm kamen die zwei letzten Personen der Eskorte, zwei schwarze -Krieger in ganz indischer Tracht, mit kurzen, vergoldeten Krummsäbeln -in bunten Gürteln. Ihre schwarzen Augen funkelten beim Anblick des -Speisesaales des Grand Hotel Hermitage und seiner Gäste. Aber im -übrigen zuckten sie mit keiner Muskel ihrer bärtigen Gesichter, während -sie in den Fußstapfen ihres Herrn einem rückwärtigen Tisch des Saales -zuschritten. Ein rotbefrackter Oberkellner stand mit einer tiefen -Verbeugung daneben; Yussuf Khan, Oberst Morrel und der alte Hofdichter -setzten sich, und die schwarzbärtige Leibwache faßte hinter dem Stuhl -ihres Herrn Posto. Rings an den Tischen in dem großen Saal schöpfte man -tief Atem, und ein leises Gemurmel erhob sich.</p> - -<p>Miß Bowlby war die erste an Allans Tisch, die ihren Gefühlen Worte lieh:</p> - -<p>„Mama, du kannst sagen, was du willst, aber solche Perlen und solche -Smaragden habe ich in meinem ganzen Leben nicht bei Tiffany gesehen!“</p> - -<p>„Dacht’ ich mir’s nicht — Helen! Mir scheint, du bist schon verl...“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_104">[S. 104]</span></p> - -<p>„Aber Mama, rede doch nicht so! Sei aufrichtig und sage, ob du je so -etwas gesehen hast!“</p> - -<p>Mrs. Bowlby schluckte eine Portion Gefrorenes, die ihr Inneres für -ewige Zeiten vereist hätte, wenn sie keine Amerikanerin gewesen wäre.</p> - -<p>Dann kniff sie den Mund zusammen, so daß er ganz im Schatten der Nase -verschwand; so geschützt, gab sie zu:</p> - -<p>„Nein, wenn du es durchaus wissen willst, ich auch nicht. Aber was -nützt es dem Menschen, wenn er ...“</p> - -<p>Allan war unartig genug zu unterbrechen.</p> - -<p>„Oberst Morrel scheint nicht gerade erbaut davon zu sein, mit seinem -Schützling hier zu essen, oder was meinen Sie, Mr. Bowlby?“</p> - -<p>„Anscheinend nicht,“ gab Mr. Bowlby zu. „Er ist ein Engländer, und -dieses Perlenband und der schwarze Hofdichter gehen ihm auf die Nerven. -Wollen Sie um einen Cent wetten, Mr. Cray, daß er sich gesträubt hat, -bevor er in dem Triumphzug mitging! Und ich setze meinen letzten Dollar -gegen einen Hosenknopf, wenn er sich oft sträubt, dann gibt es Krach. -Yussuf Khan sieht aus, als hätte er seinen eigenen Willen, und den zu -zähmen braucht es eine Frau, vermute ich.“</p> - -<p>Mr. Bowlby sah auf seine Uhr.</p> - -<p>„<span class="antiqua">Well</span>, Susan, wir müssen aufbrechen, wenn wir zurecht kommen -wollen. Sie erinnern sich vielleicht, Mr. Cray, daß ich Ihnen erzählt -habe, daß wir beim amerikanischen Gesandten zum Souper geladen sind und -wohl erst nach vier Uhr heimkommen werden.“</p> - -<p>Allan beeilte sich, Mrs. Bowlby, die nach dem Zugeständnis,<span class="pagenum" id="Seite_105">[S. 105]</span> das -sie ihrer Tochter eben in Bezug auf das Untier gemacht hatte, etwas -verstimmt schien, wieder aufzumuntern.</p> - -<p>„Glauben Sie, daß Mrs. Langtrey auch beim Gesandten sein wird, Mrs. -Bowlby?“</p> - -<p>„Langtreys Frau!“ Mrs. Bowlbys Mund kam wieder aus seinem Schlupfwinkel -hervor. „Die! Wenn die da ist, dann haben Sie uns in einer halben -Stunde wieder hier.“</p> - -<p>Mr. Bowlby lachte.</p> - -<p>„Na, Mr. Cray, wenn Sie nichts anderes vorhaben, so schauen Sie doch in -mein Rauchzimmer hinauf und trinken Sie dort einen Whisky, bevor Sie zu -Bett gehen. Ist doch immerhin gemütlicher als unten in der Bar, nicht?“</p> - -<p>Allan verbeugte sich.</p> - -<p>„Sie sind zu liebenswürdig, Mr. Bowlby ...“</p> - -<p>„Keine Zeremonien, junger Freund. Sie gefallen mir, und ich lade Sie -ein. Gefielen Sie mir nicht, würde ich Sie nicht einladen. Gehen Sie -nur hinauf und machen Sie es sich oben bequem.“</p> - -<p>„Aber was wird Ihre Dienerschaft sagen?“</p> - -<p>„Ich werde Henry schon verständigen. <span class="antiqua">Well</span>, adieu einstweilen, -lieber Cray! Ich bin schon neugierig, welche Ueberraschungen der -Maharadscha morgen für uns <span class="antiqua">in petto</span> hat!“</p> - -<p>Die Familie erhob sich und nickte Allan zu. Allan sah sie in die -Vorhalle verschwinden. Er steckte sich eine Zigarrette an und warf -einen Blick auf den Tisch des Maharadscha. Oberst Morrels Laune -schien während des Mittagessens nicht besser geworden zu sein.<span class="pagenum" id="Seite_106">[S. 106]</span> -Er war krebsrot im Gesicht und richtete hier und da ein Wort, das -offensichtlich kein Kompliment war, an den alten Hofdichter, dessen -Kenntnisse der verschiedenen Gabeln und Messer bei einem europäischen -Galadiner augenscheinlich nicht sehr eingehender Natur waren.</p> - -<p>Plötzlich fuhr Allan in dem eigentümlichen Gefühl zusammen, das man -manchmal hat, daß jemand einen fixiert. Er drehte rasch den Kopf nach -rechts und sah zu seinem Staunen am nächsten Tische Mrs. Bowlbys -Erzfeindin, Mrs. Langtrey. Sie saß tief im Schatten einer überhängenden -Palme, ihre grauen Augen funkelten in dem Dunkel unter den großen -grünen Blättern wie die einer Wildkatze. Hatte sie gehört, was Mrs. -Bowlby gesagt hatte? Unmöglich, es zu entscheiden; auf jeden Fall saß -sie vermutlich schon eine ganze Weile da, denn sie hatte eine Tasse -Kaffee und ein Likörglas vor sich und eine Zigarette zwischen den -Fingern.</p> - -<p>Allan sah auf seine Uhr. Es war nach halb neun. Da Bowlbys so spät -fortblieben, beschloß er, in irgendein Varieté zu gehen. Eventuell -konnte man ja später von Mr. Bowlbys Einladung Gebrauch machen. Er -winkte dem Kellner, beglich seine Rechnung und verließ den Saal.</p> - -<p>Zwei Sekunden, nachdem er gegangen war, ging Mrs. Langtrey.</p> - -<p>„Ich bin schon neugierig, was für Ueberraschungen der Maharadscha -morgen für uns <span class="antiqua">in petto</span> hat,“ hatte<span class="pagenum" id="Seite_107">[S. 107]</span> Mr. Bowlby im Gehen zu -Allan gesagt. Aber weder er noch Allan ahnte, was schon diese selbe -Nacht an Ueberraschungen bringen sollte.</p> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_108">[S. 108]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="VI">VI<br /> - -<em class="gesperrt">Das Loch in der Wand und das Loch im Boden</em></h2> - -</div> - -<p>Aus Diskretion — sowohl gegen das Etablissement wie gegen die -hochgestellte Person, deren Name sich auf dem Titelblatt dieses Buches -findet — müssen wir das Lokal, das den Rahmen um das sechste Kapitel -bildet, mit den fünf ersten Worten benennen, die hier oben stehen. In -gewisser Weise weicht dieser Name auch nicht so sehr von dem wirklichen -Namen ab; und wer London gut kennt, kann vielleicht herausfinden, -was für ein Lokal wir meinen und wo Allan Kragh gewisse wunderliche -Abenteuer in der Nacht zum 16. September erlebte.</p> - -<p>Als Allan das Grand Hotel Hermitage nach halb neun verließ, hatte er -keinen bestimmten Plan für den Abend. Er schlenderte nach Leicester -Square hinunter, ging ins Empire und sah eine Vorstellung, die aufs -Haar allen anderen Varietévorstellungen glich. Sie bereitete ihm -keinerlei Enttäuschung, aber, wie ein hervorragender Schriftsteller von -der Zigarette, dem Typus des Genusses sagt — sie reizte ihn und ließ -ihn unbefriedigt. Er empfand das, was er so oft bei den Eskapaden der -Studentenzeit empfunden und was ihn schon soviel Geld gekostet hatte, -eine ausgesprochene Unlust, nach Hause zu gehen. Er bog in eines<span class="pagenum" id="Seite_109">[S. 109]</span> der -Gäßchen hinter dem Empire ein, schlenderte da aufs Geratewohl herum, -ohne irgendwelche Angst vor den Typen, die das Londoner Abendleben bot, -und ohne die zweifelhafte Beleuchtung weiter zu beachten. Wenn wir -sagen würden, daß er sich dabei beobachtet oder verfolgt fühlte, so -wäre dies eine Unwahrheit; aber trotzdem ist es, wie die Fortsetzung -zeigen wird, Tatsache, daß er seit dem Verlassen des Hotels beobachtet -und verfolgt und mit infernalischer Geschicklichkeit gerade an jenen -Ort gelotst wurde, wo man ihn haben wollte. Urplötzlich befand er sich -in, ja, in der Straße, in der <em class="gesperrt">Das Loch in der Wand gelegen</em> ist. -Er blieb vor der diskret beleuchteten Fassade stehen, die irgendeinem -kleinen Café in kontinentalem Stil anzugehören schien. Sollte man nach -Hause gehen und Mr. Bowlbys Einladung Folge leisten oder nicht? Ein -anderer Herr tauchte plötzlich auf, öffnete die Türe zum Loch in der -Wand und blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen; Allan sah im -Flug einen Raum, der einladend aussah, und faßte seinen Entschluß. Fast -in den Fußstapfen desjenigen, der die Türe geöffnet hatte, trat er ein, -nachdem er auf seine Uhr gesehen. Sie zeigte zwanzig Minuten über elf.</p> - -<p>Das „Loch in der Wand“ erwies sich als eine Kombination von englischer -<span class="antiqua">private bar</span> und kontinentalem Café, dem Aussehen nach überaus -respektabel. Ein mattglänzendes Mahagonibüfett in Halbmondform wölbte -sich um die rechte Längsseite des Raumes, dahinter thronten drei -diskret gekleidete Barmaids. Alle schön, aber von ebenso respektablem -Aussehen wie die Bar, in der sie figurierten. Die linke<span class="pagenum" id="Seite_110">[S. 110]</span> Hälfte des -Raumes hatte Korbstühle und kleine Tischchen. Da war ein offener -Kamin, augenblicklich unbenützt, und ein Tischchen mit Zeitungen und -Zeitschriften. Die Beleuchtung war ebenso diskret und angemessen wie -die übrige Einrichtung.</p> - -<p>Für den Augenblick waren sämtliche hochbeinige Stühle an der Bar -von Herren in Frack und weißer Krawatte besetzt, die offenbar, so -wie Allan, auf dem Heimwege vom Theater oder von einer Gesellschaft -einen Blick hereingeworfen hatten. Der Mann, der unmittelbar vor -Allan eingetreten war, saß an einem der kleinen Tischchen. Allan ließ -sich am Nebentisch nieder, bestellte einen Whisky und gab sich der -Betrachtung der drei schönen Barmädchen hin. Die eine von ihnen war -von schwedischem Typus, mit länglicher Kopfform, schmalem Gesicht und -hellblauen Augen. Allan, der eben den ersten Schluck von seinem Whisky -getrunken hatte, fühlte sich mit einem Male heimisch und verspürte -die Lust, mit jemand zu plaudern. Er wendete sich seinem Nachbar am -nächsten Tisch zu und fand, daß dieser ihn beobachtete. Allans Wunsch -gleichsam zuvorkommend, beugte er sich lächelnd vor und sagte auf -deutsch:</p> - -<p>„Entschuldigen Sie, wenn ich mich vielleicht irre, aber sind wir nicht -Landsleute?“</p> - -<p>Allan hatte jetzt lange Zeit immer nur englisch gesprochen und empfand -es als eine angenehme Abwechslung, einmal eine andere Sprache zu reden. -Er schüttelte den Kopf:</p> - -<p>„Nein, ich bin kein Deutscher, aber ich spreche Ihre Sprache. Sie -finden, daß ich deutsch aussehe?“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_111">[S. 111]</span></p> - -<p>Der Fremde fuhr fort ihn zu mustern.</p> - -<p>„Hm, vielleicht ja, bei näherer Betrachtung vielleicht nein. Sie haben -etwas Unenglisches ... ich weiß nicht recht was, und ich bildete mir -ein ...“</p> - -<p>Allan nickte.</p> - -<p>„Es ist nicht das erstemal, daß ich für einen Deutschen angesehen -werde. Aber das vorigemal war es nicht gerade angenehm!“</p> - -<p>„Wieso? War es in Frankreich?“</p> - -<p>„Nein, in Deutschland.“</p> - -<p>„Aber wirklich? In Deutschland kann es doch keine Unannehmlichkeiten -verursachen, für einen Deutschen gehalten zu werden. Das ist ja nur -sehr schmeichelhaft für Ihre Sprachenkenntnisse.“</p> - -<p>„Es war leider in anderer Beziehung weniger schmeichelhaft. Die Sache -verhält sich nämlich so, daß ich für eine bekannte, ja allzu bekannte -Persönlichkeit gehalten wurde, von der ich nicht weiß, ob <em class="gesperrt">Sie</em> -sie kennen, nämlich Benjamin Mirzl. Ja, ich wurde sogar als er -angehalten.“</p> - -<p>„Von der Polizei? Als Benjamin Mirzl?“</p> - -<p>„Allerdings, und mußte fast zwei Tage für Herrn Mirzl sitzen. Sie -kennen diesen Mirzl also?“</p> - -<p>„Wer kennt Mirzl nicht dem Namen nach? Und da Sie für ihn gehalten -wurden, weiß ich jetzt also wie er ausschaut.“</p> - -<p>„Er wird wohl nicht lange dasselbe Aussehen beibehalten, damit können -Sie also nicht so sicher rechnen. Trinken Sie etwas?“ fügte Allan -hinzu, tief wurzelnden nationalen Instinkten folgend.</p> - -<p>Der Fremde lachte.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_112">[S. 112]</span></p> - -<p>„Mit Vergnügen, danke, Herr Mirzl.“</p> - -<p>Allan lachte.</p> - -<p>„Ich glaube, Sie können ebenso gut Mirzl sein, wie ich. Zwei Whisky mit -Soda, <span class="antiqua">please</span>!“</p> - -<p>Sein Gegenüber schob seinen Stuhl näher heran. „Wollen Sie nicht -diese Geschichte mit Mirzl erzählen?“ sagte er. „Wenn es kein allzu -schmerzliches Thema für Sie ist!“</p> - -<p>„Keineswegs. Mirzl ist vielleicht ein Schurke ...“</p> - -<p>„Sicherlich! Ich kann Ihnen später einiges darüber erzählen.“</p> - -<p>„... Aber wenigstens ein Schurke, der sein Handwerk versteht, — Sie -werden es aus meiner Erzählung ersehen — und der Humor hat. Ich bin -ihm gar nicht böse, daß er mir mein ganzes Gepäck gestohlen hat und -mich zwei Tage für ihn im Arrest sitzen ließ!“</p> - -<p>„Er hat Ihr ganzes Gepäck gestohlen? Und Sie sind nicht böse! Sie sind -wirklich freisinnig. Erzählen Sie doch!“</p> - -<p>Allan stärkte sich aus dem Glas und wiederholte noch einmal die -Geschichte, mit der er schon die Familie Bowlby erquickt hatte. Der -Fremde horchte mit weit offenen Augen und stieß hier und da einen -Ausruf aus. Als Allan zu Herrn Mirzls Ausbleiben vom Rendezvous in -Leicester Lounge kam, zur Zurückgabe der Koffer und dem vergeblichen -Versuch, den Dienstmann aufzuspüren, fing er so zu lachen an, daß es in -der Bar widerhallte. Als Allan geschlossen hatte, beugte er sich mit -Tränen in den Augen vor.</p> - -<p>„Ein Dienst ist des anderen wert,“ sagte er. „Ihre Geschichte ist -das Tollste, was ich seit langer Zeit gehört<span class="pagenum" id="Seite_113">[S. 113]</span> habe. Haben Sie heute -abend Zeit, so möchte ich Ihnen etwas zeigen, das, wie ich glaube, -<em class="gesperrt">Ihnen</em> ein bißchen Spaß machen wird, da Sie neu in London sind. -Haben Sie Lust?“</p> - -<p>Allan sah auf seine Uhr. Es fehlten zehn Minuten auf zwölf.</p> - -<p>„Ich glaubte, man schließt um diese Zeit überall in London?“</p> - -<p>„Man schließt spätestens um eins, aber <em class="gesperrt">nicht überall</em>. Es gibt -Orte ... hier zum Beispiel.“</p> - -<p>„Hier! In dieser kleinen Bar! Ich finde, es sieht so aus, als ob der -Barmann sich schon anschicken würde, uns hinauszubefördern.“</p> - -<p>„Das würde er auch mit Ihnen tun, wenn Sie allein wären. Aber -zufälligerweise gehöre ich zu den Eingeweihten.“</p> - -<p>„Aber in dieser kleinen Bar sitzen zu bleiben ...“</p> - -<p>„Urteilen Sie nicht nach dem äußeren Schein, junger Mann. Nur bei den -Römern war der Eingang zum Avernus leicht. Hier muß sogar der Eingang -zu einer Taverne schwer sein.“</p> - -<p>Der Fremde lachte herzlich über sein eigenes philologisches Wortspiel -und ging zur Bar, wo der Bartender — ein dicker glattrasierter junger -Mann von dem Aussehen eines Wettrenntrainers — jetzt allein war und -die Kasse überzählte. Die drei schönen Barmädchen waren verschwunden. -Allan sah seinem neuen Bekannten interessiert nach. Es war ein kleiner, -ziemlich untersetzter Herr mit glänzendem, schwarzem Haar und jener, -beinahe blauvioletten Gesichtsfarbe, die vom<span class="pagenum" id="Seite_114">[S. 114]</span> vielen Rasieren kommt und -bei Schauspielern nicht selten ist. Nun kam er zu Allan zurück.</p> - -<p>„Nun, wie ist es? Haben Sie Lust, sich das kleine Lokal des -internationalen Feuerfresserklubs anzusehen?“</p> - -<p>„Internationaler Feuerfresserklub?“ wiederholte Allan. „Hat der Klub -strenge Eintrittsbedingungen?“</p> - -<p>„Ueberaus milde, wenn man von einem Klubmitglied vorgestellt wird. -Sonst sehr strenge. Uebrigens heißt der Klub nicht so. Das ist nur ein -Kosename unter den Mitgliedern.“</p> - -<p>Allan erhob sich.</p> - -<p>„Führen Sie mich in den Klub ein, wenn Sie wollen,“ sagte er. „Es wird -mir ein großes Vergnügen sein, die Gepflogenheiten der Feuerfresser -kennen zu lernen.“</p> - -<p>Der Fremde rief dem Mann, der eben die Eingangstüre der Bar -verriegelte, etwas zu. Der Barmann zog pfeifend eine Draperie zurück, -die im Hintergrunde des Cafés hing, und einige Schritte weiter in -einem Korridor erblickte Allan einen Aufzug. Der Fremde winkte ihm, -vor ihm einzusteigen, und Allan tat es arglos. Als er später über die -Abenteuer dieser Nacht nachdachte, wunderte es ihn am meisten, daß man -nicht — aber der Leser wird noch früh genug Gelegenheit finden, seine -Verwunderung zu teilen.</p> - -<p>Der Fremde stieg nach ihm ein und drückte auf einen Knopf. Der Lift -glitt hinauf, so überaus langsam, daß er noch die Lifts des Grand Hotel -Hermitage bei weitem übertraf, und machte es Allan ganz unmöglich, zu -beurteilen, wie hoch er hinaufging — er war mit mattgeschliffenen -Glasscheiben versehen.<span class="pagenum" id="Seite_115">[S. 115]</span> Allan dachte jedoch im Augenblicke nicht daran, -er dachte nämlich an etwas ganz anderes und wandte sich an seinen -Begleiter:</p> - -<p>„Verzeihen Sie mir, aber wie soll ich denn wieder hinauskommen? Die Bar -schließt ja.“</p> - -<p>Der Fremde lachte.</p> - -<p>„Dabei werde ich Ihnen schon behilflich sein. Es gibt einen anderen -Ausgang. Nun sind wir da.“</p> - -<p>Der Fahrstuhl blieb so vorsichtig stehen, als hielte er vor einer -Krankenwohnung. Der Fremde zog die mattgeschliffene Doppeltüre auf -und schob Allan in eine große Vorhalle, deren Boden mit dicken -Teppichen belegt war. Ein Diener in orientalischem Phantasiekostüm kam -herbeigeeilt und verbeugte sich, als er Allans Begleiter erblickte, -sehr tief.</p> - -<p>„Die Loge Nummer fünf steht bereit, Sir,“ sagte er.</p> - -<p>Das ist eigentümlich, dachte Allan, hat er die Loge schon vorher -reserviert? Oder kommt er jeden Abend her?</p> - -<p>Sein Begleiter hatte sich rasch zu dem Diener herabgebeugt und -flüsterte ihm etwas zu. Der Diener erwiderte etwas, worauf der -Schwarzhaarige einen Pfiff hören ließ.</p> - -<p>„Schon in der Loge Nummer sechs!“</p> - -<p>„Ja, Sir, sie sind vor einer halben Stunde gekommen.“</p> - -<p>„<span class="antiqua">All right.</span> Ist die Passage frei?“</p> - -<p>„Ja, Sir.“</p> - -<p>Allans Begleiter drehte sich lächelnd zu ihm um.</p> - -<p>„Entschuldigen Sie, wenn ich geheimnisvoll wirke,“ sagte er. „Ich habe -mich nur nach einem Bekannten erkundigt.“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_116">[S. 116]</span></p> - -<p>„Sie müssen oft herkommen,“ sagte Allan, „da eine Loge für Sie -reserviert ist.“</p> - -<p>„Ja, ich komme hie und da her. Wollen Sie nicht den Ueberrock ablegen? -Es pflegt hier sehr warm zu sein.“</p> - -<p>Allan legte Rock und Hut ab und reichte sie dem Diener; sein Begleiter -tat das gleiche und ging auf eine Türe zu, die einen vergoldeten Fünfer -zeigte. Allan ging ihm nach, aber folgte halb unbewußt dem orientalisch -gekleideten Diener mit dem Blick. Er sah ihn auf einen Knopf drücken, -wobei die Türe zu einer Art Garderobe aufsprang, in der er die -Ueberkleider unterbrachte, die er in Empfang genommen hatte. Rechts in -der Garderobe sah Allan flüchtig eine halb geöffnete Türe mit einem -schmalen Treppenaufgang dahinter. Alles dies nahm kaum drei Sekunden in -Anspruch; aber wie es sich später zeigte, hing von diesen drei Sekunden -der Ausgang der Abenteuer des Abends ab. Nun war er wieder an der Seite -seines Begleiters. Dieser drehte sich lächelnd zu ihm um.</p> - -<p>„Ich habe das Vergnügen, Sie in den Klub der internationalen -Feuerfresser einzuführen,“ sagte er und öffnete die Türe, die die -vergoldete Ziffer 5 zeigte. „Treten Sie ein!“</p> - -<p>Allan trat vor ihm ein. Bei dem Anblick, der sich ihm bot, zuckte er -erstaunt zusammen. Er hatte sich irgendein kleines Klublokal von halb -zweideutiger Sorte erwartet, aber was er sah, war unleugbar etwas ganz -anderes.</p> - -<p>Die „Loge“, in der er stand, war eine Art Mittelding zwischen -gewöhnlicher Theaterloge und Tribüne<span class="pagenum" id="Seite_117">[S. 117]</span> — sie lag ein paar Fuß über -dem Boden der großen Halle und war von dieser durch eine Rampe von -flackernden Kerzenflammen getrennt, die der Halle zugekehrt waren. Die -Beleuchtung der Loge kam von oben, aus einem Netz von Geißlerschen -Röhren, durch die ein regenbogenschimmerndes Licht in feinen, lautlosen -Fluten strömte. Die Wände waren ganz unter schweren Draperien -verborgen. Es stand ein gedeckter Tisch da, mit Kuverts für zwei -Personen. Der Tisch hätte jedoch reichlich Platz für sechs gehabt. -Drei große Champagnerkühler auf hohen Silberfüßen standen daneben. Die -Stühle waren durch orientalische Diwane ersetzt. — Auf der anderen -Seite der beständig flackernden Lichtrampe lag ein großer Saal in -groteskem Rokokostil mit einem mattgeschliffenen, durchsichtigen -Glasboden. Die Beleuchtung kam von tief unten in rhythmischen Kaskaden -von verschiedenfarbigen Lichtern, die aufwallten und erloschen und -den Paaren, die dort drinnen tanzten — denn der Saal war offenbar -als Tanzsaal gedacht — ein wunderliches Cachet der Unwirklichkeit -gaben. Eine Menge Menschen, Herren und Damen in bunten Kostümen, -morgen- und abendländischen, ethnographischen und rein phantastischen, -weitwallenden und zuweilen mehr als leichten, bewegten sich über den -regenbogenschimmernden Glasboden zum Takt einer Kapelle, die Allan -schließlich am entferntesten Ende des Saales entdeckte. Diese Kapelle, -in roten Mänteln, an jene erinnernd, mit denen die Inquisition ihre -Opfer ausstaffierte, saß auf einer Art schwarzen Insel des leuchtenden -Glasbodens. Das Ganze machte einen<span class="pagenum" id="Seite_118">[S. 118]</span> so verwirrenden Eindruck, daß Allan -sich mit beiden Händen an den Kopf griff. War er wach? Wie konnte ein -solches Lokal seinen Zugang durch das unscheinbare Loch in der Wand -haben? Er wendete den Blick seinem Begleiter zu und fand, daß er ihn -von einem der Diwane mit einem amüsierten Lächeln betrachtete.</p> - -<p>„Das kleine Lokal der Feuerfresser macht Ihnen Eindruck?“ sagte er.</p> - -<p>„Ich habe nie in meinem Leben etwas Aehnliches gesehen,“ sagte Allan -wahrheitsgemäß. „Aber wie —“</p> - -<p>„Keine Fragen, lieber Freund. Sie begreifen, ein Klub wie der unsrige -ist exklusiv und will keine fremden Personen in seine Geheimnisse -einweihen. Sie haben mich dort unten amüsiert, und es hat mich -amüsiert, Ihnen einen kleinen Gegendienst zu erweisen. Aber keine -Fragen!“</p> - -<p>Allan verbeugte sich.</p> - -<p>„Gestatten Sie,“ sagte er, zum zweitenmal tiefverwurzelten Trieben -folgend, „daß ich mich vorstelle?“</p> - -<p>„Ach, was ist ein Name! Lassen Sie mich Mirzl zu Ihnen sagen, wenn es -schon eine Ansprache sein muß. Name ist Schall und Rauch. Setzen Sie -sich und kosten Sie, was der Klub vermag. Trocken oder halbtrocken?“</p> - -<p>„Trocken, danke,“ stammelte Allan und sank auf den Diwan gegenüber -seinem wunderlichen Begleiter. Dieser fuhr fort:</p> - -<p>„Ich weiß nicht, ob es Sie interessiert, aber ich kann mir Ihre -Abenteuer mit Mirzl nicht aus dem Kopf schlagen. Würde es Sie -amüsieren, ihre Lösung<span class="pagenum" id="Seite_119">[S. 119]</span> zu hören? Ich glaube, merken Sie wohl, glaube, -daß ich sie gefunden habe.“</p> - -<p>Allan riß die Augen auf und vergaß im Nu das wunderliche Lokal, in dem -er sich befand, sowie die tanzende Schar draußen auf dem Glasboden.</p> - -<p>„Sie glauben, Sie haben die Lösung?“</p> - -<p>„Ach, eigentlich ist sie doch ganz naheliegend. Ich weiß nicht, ob Sie -wissen, daß Mirzl vor acht Tagen in Berlin einen größeren Coup gemacht -hat.“</p> - -<p>„Man sagte es mir in der Polizeikammer in Köln. An dem Tage, bevor ich -mit dem Expreß reiste. Hunderttausend Mark in irgendeinem Hotel des -Westens, nicht wahr?“</p> - -<p>„Auf jeden Fall gut siebzigtausend. Er war diesmal ein bißchen gar zu -tollkühn gewesen. Er entkam gerade noch mit knapper Not, aber sein -Gepäck mußte er im Stich lassen. Nun können Sie sich denken, daß er -am liebsten aus Deutschland heraus wollte, und dabei wußte er, daß -die Polizei überall Spione hatte. Seine Helfershelfer wagte er nicht -aufzusuchen. Kam er an die Grenze und wollte sie ohne Gepäck passieren, -war er sofort verdächtig und wurde hoppgenommen. Suchte er sich Gepäck -von genügenden Dimensionen und entsprechender Qualität zu kaufen, -so war sein Signalement so verbreitet, daß er höchstwahrscheinlich -hängen blieb. Und der Boden brannte ihm unter den Füßen! Es handelte -sich um Stunden. Er war im Auto nach Hamburg geflohen, er stieg ohne -irgendeinen Plan in den Expreß, traf Sie — und das übrige wissen Sie. -Aber nachdem er einmal glücklich in London war, brauchte er Ihre Sachen -nicht mehr. Und da er ein<span class="pagenum" id="Seite_120">[S. 120]</span> Freund von Exzentrizitäten ist, stellte -er sie eben zurück. — Sie trinken nichts? Was sagen Sie zu meiner -Erklärung?“</p> - -<p>Allan starrte seinen Begleiter mit weitgeöffneten Augen an. Das -war wirklich ein Sherlock Holmes! Er hob sein Glas, um ihm seine -Anerkennung auszusprechen, als eine Unterbrechung kam.</p> - -<p>Die Draperien links begannen zu wogen, sie wallten auf und nieder -wie ein Wasserspiegel bei einem Unterseebootangriff und teilten sich -endlich. Jemand tauchte aus ihnen empor, wie Neptun aus den Fluten, -taumelte ein paar Schritte in die Loge, wo Allan und sein Begleiter -saßen, und blieb endlich auf ein paar nicht allzu festen Beinen mit dem -Rücken gegen sie stehen, während er mit der einen Hand die Draperien -festhielt, durch die er aufgetaucht war. Zu seinem Staunen merkte -Allan, daß gar keine Wand zwischen den Logen war; die Draperien waren -das einzige, was sie trennte. Offenbar waren sie schwer genug, um -alle Laute zu dämpfen, wenn man sie ruhig hängen ließ, denn während -er bisher keinen Ton aus der Nebenloge vernommen hatte, drang jetzt -ein Stimmengewirr heraus. Aber was war denn das für ein ungebetener -Gast? wollte er eben seinem Begleiter zurufen, als der Mann, der -hereingetaumelt war, ihnen plötzlich das Gesicht zukehrte. Allans -Ausruf sank zu einem Flüstern herab:</p> - -<p>„Yussuf Khan! Der Maharadscha!“</p> - -<p>Es war wirklich und unzweifelhaft der Maharadscha von Nasirabad, und -ebenso zweifellos war es, daß dieser mohammedanische Herrscher an -diesem<span class="pagenum" id="Seite_121">[S. 121]</span> Abend das Gebot des Propheten gröblich übertreten hatte: er war -sichtlich das, was man in höflicher Sprache angeheitert nennt und wofür -man in weniger höflicher Sprache eine Unzahl anderer Bezeichnungen -hat. Es war jedenfalls offenbar, daß sein Schwips von der guten -sanguinischen Sorte war. Jetzt wandte er sich mit einer vorsichtigen -Kreisbewegung Allan und seinem Begleiter zu, machte ein feierliches -Salaam und sagte mit Würde, wenn auch ein bißchen undeutlich:</p> - -<p>„Edelgeborene Sahibs, ein armer Sohn eines toten Paria bittet euch um -Entschuldigung ob dieses Eindringens in euer königliches Z—z—ze—l—“</p> - -<p>Er kam nicht weiter. Die Anstrengung war zu groß gewesen. Er fiel sanft -auf einen der Diwane und schloß seine Rede in sitzender Stellung ab:</p> - -<p>„... Ze—zelt. Ich, Yussuf, der Sohn von tausend unwürdigen Vorvätern, -bitte euch um Entschuldigung.“</p> - -<p>Allans Begleiter hatte sich hastig erhoben und eine Champagnerflasche -aus einem der silberfüßigen Kühler genommen.</p> - -<p>„Yussuf, Sohn himmelgeborener Eltern, geruhe mit dem verächtlichsten -der weißen Männer zu trinken.“</p> - -<p>Er schenkte ein Glas ein, das der Maharadscha mit einem wohlwollenden, -aber abwesenden Lächeln automatisch ergriff und austrank. Er blieb -mit dem Glas in der Hand sitzen, als die purpurroten, gelbgeflammten -Draperien zum zweitenmal zu wogen begannen, diesmal jedoch planmäßiger -als früher, worauf ein graubärtiger Kopf im Turban (der Maharadscha -hatte<span class="pagenum" id="Seite_122">[S. 122]</span> seinen verloren) sich in einer Spalte zeigte, so allmählich -folgte sein Besitzer nach, der sich als der alte Hofdichter Ali -entpuppte.</p> - -<p>Er rief dem Maharadscha etwas zu, der nur mit einem Winken des -Champagnerglases und einem herzlichen Lachen antwortete, worauf er sich -wohlbehaglich seiner ganzen Länge nach auf dem Diwan ausstreckte. Der -alte Hofdichter, der selbst in aufgeräumter Stimmung zu sein schien, -zog die Draperie zurück und rief in die andere Loge hinein:</p> - -<p>„Stanton Sahib, er hat sich hier drinnen zur Ruhe gelegt. Er weigert -sich, meinen weisen guten Ratschlägen Gehör zu schenken.“</p> - -<p>Die Folge dieses Rufes war, daß eine dritte Person sich zwischen den -Draperien zeigte, ein junger blonder, scharfäugiger Engländer, mit dem -denkbar korrektesten Scheitel und dem denkbar reinsten Rasseprofil. -Auch er schien in brillanter Laune zu sein. Er puffte lächelnd den -alten Hofdichter in die Loge Nr. 5 und kam selbst nach. Dann wandte er -sich mit einem tiefen orientalischen Salaam an Allans Begleiter und -sagte mit singender Stimme:</p> - -<p>„Edelgeborene Feuerfresser, verzeiht diese Zudringlichkeit meiner -zwei Schützlinge und meiner selbst, dem unwürdigen Sohn von zehn -Generationen von Sklaven! Salaam, edle Feuerfresser! Möge euer Schatten -stets zunehmen und eure Widersacher keine andere Speise finden als den -Schmutz der Erde.“</p> - -<p>Allan beobachtete diesen Auftritt mit offenem Munde. Er blickte in -den Saal hinaus, wo der Tanz auf dem Glasboden herumwirbelte, um sich -selbst zu bestätigen,<span class="pagenum" id="Seite_123">[S. 123]</span> daß er wach war. Der Anblick der Tanzenden in -dieser phantastischen Beleuchtung trug nicht gerade dazu bei, sein -Zutrauen zu seinen Sinnen zu stärken. Yussuf Khan hier in dieser -Gesellschaft! Sein mystischer Begleiter aus dem ‚Loch in der Wand‘ -war aufgestanden und hatte den Gruß des jungen Engländers mit einigen -ebenso orientalischen Wendungen erwidert, indem er erklärte, daß sein -Zelt (womit die Loge Nr. 5 gemeint war) der Ehre, die ihm von diesen -erhabenen Fremdlingen, deren Aussehen zur Genüge ihre Geburt und -ihre Tugenden bezeugte, erwiesen wurde, gänzlich unwürdig sei; doch -wenn sie sich in besagtem Zelt niederlassen wollten, wage er ihnen -vorzuschlagen, einen Becher elenden und essigsauren Weins zu leeren.</p> - -<p>Der junge Engländer sank laut lachend auf einen Diwan und akzeptierte -ohne Umstände ein Glas; der alte Hofdichter trank das seine auf einen -Zug aus und erhob sich dann. Trotz des Weines stand er ziemlich -sicher. Der Maharadscha lag auf seinem Diwan und betrachtete sämtliche -Anwesende mit einem Lächeln des äußersten Wohlwollens. Der alte -Hofdichter hob die Hand und begann zu sprechen:</p> - -<p>„Erhabene Sahibs! Sicherlich ist London die wunderbarste Stadt der -Welt. Ihre Schönheit ist märchenhaft, wenn auch von Nebeln verhüllt, -und die Tugenden und die Liebenswürdigkeit ihrer Einwohner übertreffen -die aller anderen Städte so wie der Koran alle anderen Bücher -übertrifft. Wisset (er wendete sich an Allan und seinen Begleiter), -erst heute morgens kam ich in Gesellschaft meines jungen Schülers,<span class="pagenum" id="Seite_124">[S. 124]</span> der -uns alle von seinem Diwan mit einem seligen Lächeln betrachtet, hier -an. Erst heute morgen trafen wir in dieser Stadt ein, wo wir niemand -kannten, und noch vor dem nächsten Morgen haben ich und mein Schüler -so viele Freunde gefunden, und sind in diesem Hause der Zehntausend -Freuden bewirtet worden, alles durch Stanton Sahibs Verdienst. An -diesem Abend, als wir uns von der Tyrannei, die ein alter Sahib, -dessen Namen ich nicht nennen will, gegen uns ausübt, befreit hatten, -machten mein Schüler und ich uns insgeheim auf einen Streifzug durch -London auf (Allan zuckte zusammen), um seine tausend Reize kennen zu -lernen, von denen wir in den Lehmhütten, die uns zur Welt kommen sahen, -soviel gehört haben. Kaum, o fremde Sahibs, waren wir hundert Schritte -gegangen, als wir uns schon verirrt hatten, verwirrt durch die Nebel, -die Londons Schönheiten zu verhüllen suchen, und von dem Getöse der -zehntausend Feuerwagen. Wir waren verirrt wie die Gottlosen, die die -Wahrheit außerhalb des Korans suchen (gepriesen sei sein Name). Wie -Abdul Mahbub, mein alter Lehrmeister, singt: ‚Weh dem, der die Wahrheit -anderwärts sucht.‘ So verirrt waren wir, als Stanton Sahib, dessen -Namen auf dem ganzen Erdenrund gerühmt werden wird, uns auf der Straße -sah, sich unser erbarmte (Allan zuckte wieder zusammen), und uns in -dieses Haus der Zehntausend Freuden führte. Immer und allezeit wird -Stanton Sahibs Name ob dieser Guttat gegen zwei arme Wanderer gepriesen -werden. Lasset uns auf Stanton<span class="pagenum" id="Seite_125">[S. 125]</span> Sahib, den edelsten der Engländer, mit -diesem Wein trinken, der frischer ist als Morgentau und kitzelnder als -die Lippen eines Weibes. Lasset uns dabei bedenken, was der göttliche -Zeltmacher sagt:</p> - -<div class="poetry-container"> -<div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent2">O trinke Wein, die Sorgen dir zu brechen,</div> - <div class="verse indent2">Die zweiundsiebzig Sekten durchzurechen! —</div> - <div class="verse indent2">Nie trenne dich von dieser Alchimie,</div> - <div class="verse indent2">Ein Men davon heilt tausend von Gebrechen!<a id="FNAnker_2" href="#Fussnote_2" class="fnanchor">[2]</a></div> - </div> -</div> -</div> - -<div class="footnotes"> - -<div class="footnote"> - -<p><a id="Fussnote_2" href="#FNAnker_2" class="label">[2]</a> Diese und die folgenden Verse nach der Uebersetzung von -Maximilian Rudolf Schenck.</p> - -</div> - -</div> - -<p>Erhabene Sahibs, lasset uns ...“</p> - -<p>Der alte Hofdichter kam nicht weiter; die Anstrengung war zu viel für -ihn gewesen, und mitten in seinem letzten Satz plumpste er plötzlich -auf einen Diwan, trank die letzten Tropfen aus dem Glas und sah sich -mit einem unsteten Lächeln um. Allans Begleiter füllte die Gläser -wieder und ließ sich bei dem jungen Engländer nieder, den man Stanton -genannt hatte. Allan saß da, in Grübeleien versunken, während seine -Augen auf die Tanzenden draußen auf dem Glasboden geheftet waren; das -war doch ein mehr als eigentümliches Zusammentreffen, daß er, der nie -von diesem Lokal gehört, und die beiden Hindu, die den ersten Tag in -London waren, alle drei von wohlwollenden Fremdlingen hier eingeführt -wurden ... Er starrte seinen Begleiter an, der mit dem jungen Engländer -beschäftigt war. Plötzlich kam ihm eine flüchtige Idee: Hatte er -den Mann, der ihn hier eingeführt hatte, nicht in dem Varieté im -Leicester Square gesehen? Unmöglich es zu sagen, man sieht ja an<span class="pagenum" id="Seite_126">[S. 126]</span> einem -solchen Ort tausend Gesichter, und das seines Begleiters war nicht -besonders auffallend. Und wenn er ihn auch in dem Varieté gesehen -hatte? ... Er fuhr unwillkürlich fort, darüber nachzugrübeln, was ihm -eigentlich daran, daß gerade <em class="gesperrt">er</em> und die beiden Hindu hier im -Feuerfresser-Klub saßen, so eigentümlich vorgekommen war. Plötzlich sah -er, wie der alte Hofdichter sich erhob und auf etwas unsicheren Beinen -zu seinem Platz herankam.</p> - -<p>„Junger Mann,“ sagte er und setzte sich auf den Diwan neben dem Allans, -„ich will Ihnen etwas anvertrauen.“</p> - -<p>Allan neigte lächelnd den Kopf.</p> - -<p>„Ich will Ihnen etwas anvertrauen,“ wiederholte der alte Poet. „Dieser -Wein, der frischer ist als der Morgentau auf den Berghängen und -kitzelnder als die Lippen eines Weibes, ist auch ebenso hinterlistig -wie das Herz eines Bewohners der Ebene. Ach, was haben wir von den -Frauen, die wir lieben, und dem Wein, den wir trinken? Beide Räusche -verschwinden mit dem Morgen. Doch weiß ich nicht, ob der Rausch dieses -kitzelnden Weines, der wie ein Frühlingsbach perlt, morgen mit dem -Morgen verschwinden wird. Ich bin fast geneigt, es zu bezweifeln; aber -wenn es der Fall ist, so denke ich daran, was der göttliche Zeltmacher -sagte:</p> - -<div class="poetry-container"> -<div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent2">Wein trinken will ich! Trinken, daß der Duft,</div> - <div class="verse indent2">Wo ich begraben, füllet einst die Luft;</div> - <div class="verse indent2">Daß all die Waller, trunken noch vom Abend,</div> - <div class="verse indent2">Im Rausche sinken rings um meine Gruft.</div> - </div> -</div> -</div> - -<p>Junger Mann, hüten Sie sich vor dem Wein und<span class="pagenum" id="Seite_127">[S. 127]</span> den Frauen. Nehmen -Sie diesen Rat von dem alten Sänger Ali. Vernehmen Sie, daß mein -Schüler, der uns von seinem Diwan aus mit einem milden glücklichen -Lächeln betrachtet, über das große Wasser hergekommen ist, um sich zu -vermählen. Es ist eine Folge seiner jugendlichen Torheit, daß er zu -diesem Zweck einen so weiten Weg macht. Er ist wie der Steinbock, der -mühsam ins Dschungel herabwandert, um dort von den Tigern gefressen zu -werden. Das beweist, daß ich ihm ein schlechter Lehrer gewesen bin. -Lasset uns trinken!“</p> - -<p>Allan erhob sein Glas.</p> - -<p>„Verehrungswürdiger Dichter,“ sagte er, „wissen Sie, daß wir im selben -Hotel wohnen?“</p> - -<p>Der alte Poet sah ihn mit Augen an, die vom Wein verdunkelt waren.</p> - -<p>„Und wenn dem so ist?“ sagte er. „Ein Wohnort, was ist ein Wohnort? Je -mehr ich von diesem gelben Wein trinke, desto besser verstehe ich den -göttlichen Zeltmacher, und wenn Sie von Hotels sprechen, junger Mann, -denke ich daran, was er gesagt hat:</p> - -<div class="poetry-container"> -<div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent2">O alte Welt! Du altes Herbergshaus,</div> - <div class="verse indent2">Wo Tag und Nacht gehn ewig ein und aus,</div> - <div class="verse indent2">Du warst die Bettstatt schon von tausend Dschemschids,</div> - <div class="verse indent2">Der Rest von tausend Behrams reichem Schmaus.</div> - </div> -</div> -</div> - -<p>Was bedeutet es, ob wir im selben Hotel wohnen. Ein anderer liegt -morgen in dem Bett, das noch von uns lau ist.“</p> - -<p>„Gottlob ist der Champagner für uns noch kalt,“ sagte Allan. „Prost! -Seine Königliche Hoheit dort auf dem Diwan scheint ein bißchen -ermüdet.“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_128">[S. 128]</span></p> - -<p>„Mein Schüler“, sagte der alte Hofdichter, indem er sein Glas austrank, -„ist noch nicht recht vertraut mit dem Wein der weißen Sahibs. Seine -verräterische Süßigkeit hat ihn überwältigt. Bei der Erkenntnis dessen -schaudere ich, wenn ich an die blauäugigen weißen Frauen denke, -von denen er träumt. Sicherlich hat Nasirabads letztes Stündlein -geschlagen, wenn eine von ihnen ihn in ihre Arme schließt. Woher wissen -Sie, wer mein Schüler ist?“</p> - -<p>„Ich habe ja schon gesagt, daß wir im selben Hotel wohnen.“</p> - -<p>Kurz nach dieser letzten Antwort mußte auch Allans Bewußtsein sich -umnebelt haben. Auf jeden Fall war es das Letzte, was er am nächsten -Tag aus seiner Erinnerung hervorzuholen vermochte. Auch in die -Handlungen, die er und die anderen Anwesenden darnach vornahmen, konnte -er keine Klarheit bringen. Er erinnerte sich undeutlich, daß er, -nachdem er noch ein paar Gläser getrunken, aufgestanden und unter der -heiteren Zustimmung seines eigentümlichen Begleiters, der noch immer im -Gespräch mit Mr. Stanton dasaß, durch die Draperien in die Loge Nr. 6 -gewankt war, aus der Mr. Stanton und seine Schützlinge gekommen waren. -Ein paar Augenblicke starrte er die Loge an, die ebenso eingerichtet -war wie die andere, und den Tanz, der draußen auf dem Glasboden -unablässig weiterging. Dann legte er sich auf einen Diwan.</p> - -<p>Das nächste, woran er sich dann erinnerte, war, daß sein Begleiter und -Mr. Stanton durch die Draperie zu ihm hineinguckten; sie sahen auf ihre -Uhren,<span class="pagenum" id="Seite_129">[S. 129]</span> lächelten und zogen sich in die Loge Nr. 5 zurück; er fing -noch den Laut der Stimme des alten Hofdichters auf, der irgend etwas -rezitierte, und ein Schnarchen, das vermutlich von Yussuf Khan kam.</p> - -<p>Vermutlich war er selbst gleich darauf eingeschlummert, aber es ist -unsicher, wie lange er geschlafen hatte, als er mit einemmal klar -wach war, so wie es manchmal vorkommt, von einer Idee gepackt, einer -halben Ahnung, wie man sie im Schlaf hat, einer Idee, die ihn dazu -brachte, sich kerzengerade auf dem Diwan aufzusetzen und vor sich -hinzustarren. War <em class="gesperrt">das</em> der Zweck des Ganzen. Waren deshalb gerade -er und die beiden Inder in dieses eigentümliche Lokal geführt worden? -Hatte deshalb sein Begleiter eine so plausible Erklärung für Herrn -Mirzls Vorgehen geben können? ... Dann war <em class="gesperrt">eine</em> Sache sicher -— er mußte sich eilen, wollte er ihre Pläne durchkreuzen; und eine -andere Sache beinahe noch sicherer — er mußte mit äußerster Vorsicht -zu Werke gehen, wenn es ihm gelingen sollte ... Noch wirr im Kopf von -dem Champagner und unsicher auf den Beinen nach dem Schlaf erhob er -sich von dem Diwan und schlich, so leise er konnte, zur Logentüre. -Dort angelangt, blieb er stehen und sah vorsichtig nach den Draperien -zur Loge Nr. 5. Sie hingen regungslos, kein Laut war von dort drinnen -zu hören. Er drückte vorsichtig die Klinke nieder. Sie gab lautlos -nach. Gott sei Dank, die Türe war also nicht verriegelt, wie er schon -befürchtet hatte.</p> - -<p>Er öffnete sie so behutsam er konnte, und guckte mit einem Auge in -die Halle. Sie war leer; von dem<span class="pagenum" id="Seite_130">[S. 130]</span> orientalisch gekleideten Diener war -nichts zu sehen. Mit noch einem gemurmelten Segensspruch auf den Zufall -oder die Vorsehung ging er zur Türe hinaus, schloß sie hinter sich -zu und schlich auf den Zehen zu zwei großen Doppeltüren mit elegant -vergitterter Glasfüllung. Nur fort, so rasch als möglich. Er sah hastig -auf seine Uhr, die fast zwei zeigte — keine Zeit, an Ueberrock und Hut -zu denken — als er eine Entdeckung machte, die ihn zurücktaumeln ließ.</p> - -<p>Die großen Hallentüren waren ebenso fest und unerschütterlich -verschlossen wie eine Gefängnispforte!</p> - -<p>Für einen Augenblick stand er wie gelähmt da, fast bereit, in die Loge -zurückzukehren und die Dinge ihren Lauf nehmen zu lassen. Dann jedoch -gewann die Empörung die Oberhand, und er begann mit zusammengebissenen -Zähnen nach einer Möglichkeit zu suchen, den Leuten dort drinnen ein -Schnippchen zu schlagen. Er grübelte und grübelte, während seine -Augen rings um die Halle irrten, jeden Augenblick darauf gefaßt, den -Diener auftauchen zu sehen. Die Halle bog sich nach rechts und links -zu Korridoren um, die die Logen rings um den Saal mit dem gläsernen -Boden umschlossen. Vielleicht war dort irgendein Ausgang? Er verjagte -den Gedanken an diese Möglichkeit ebenso rasch, als er aufgetaucht -war. Fand sich dort irgendein Ausgang, so war er sicherlich ebenso -fest verrammelt wie der Hauptausgang. Der Diener in der orientalischen -Gewandung hatte natürlich dafür zu sorgen, daß kein Unberufener herein -oder heraus kam; und diesem Diener wollte er keinesfalls begegnen. Er -hätte darauf schwören mögen, daß er seine Weisungen hatte!<span class="pagenum" id="Seite_131">[S. 131]</span> — War das -Spiel also verloren? Schon waren drei Minuten vergangen, seit er die -Loge verlassen hatte — hallo!</p> - -<p>Mit einem Male fiel ihm etwas ein.</p> - -<p>Er sah die Szene wieder, als er mit seinem wunderlichen Begleiter -herausgekommen war; der Diener hatte ihre Ueberkleider genommen und -sie in die Garderobe hinüber getragen, deren Türe er durch den Druck -auf einen Knopf geöffnet hatte. Und drinnen in der Garderobe hatte -Allan einen Augenblick eine halb offene Türe gesehen, die zu einer -Hintertreppe führte. ... Ohne diesen Gedanken zu Ende zu denken oder -die Chancen zu berechnen, ob er auch den Knopf zur Garderobetüre -entdecken und die andere Türe geöffnet finden würde, stürzte Allan -quer durch die Halle zur Garderobetüre. Er ließ die Finger über die -Wand fahren, auf die er den Diener drücken gesehen hatte; Sekunde für -Sekunde verging, von seinem Herzen mit einem Hämmern markiert, das -man seiner Empfindung nach durch das ganze Haus hören mußte; seine -Finger flogen über die Wand hin und her, ohne jedes Resultat. Halb -verzweifelt ließ er die Hände sinken und starrte die Wand an. Seine -Verzweiflung ging in kindische Erbitterung über; er versetzte der Wand -einen Faustschlag, der dumpf krachte und weh tat, aber — o Wunder! — -im selben Augenblicke öffnete sich die Türe. Im nächsten war Allan in -der Garderobe und zog die Türe hinter sich zu, ohne zu bedenken, daß er -keine Zündhölzchen bei sich hatte. Er tappte zu den Ueberkleidern, die -er dort drinnen hängen gesehen hatte, und durchsuchte mit fiebernden<span class="pagenum" id="Seite_132">[S. 132]</span> -Händen eine Tasche nach der andern: Die internationalen Feuerfresser -schienen den Gebrauch von Zündhölzchen abgeschworen zu haben, und sie -hätten doch die Nächsten dazu sein sollen! Ohne daran zu denken, was -er in Gestalt von gebrochenen Beinen und ähnlichem riskierte, gab er -seine Nachforschungen in den Ueberrocktaschen auf und tastete sich zu -jener Ecke der Garderobe, wo er am Abend die offene Türe gesehen hatte. -Eigentümlicherweise fand er sie so gut wie gleich, und zwar noch immer -angelehnt.</p> - -<p>Er öffnete sie ganz und machte mit ausgestreckten Händen ein paar -vorsichtige Schritte über die Schwelle. Er fand ein eisernes Geländer -und konstatierte, daß da eine Wendeltreppe sein mußte. Er trat einen -Schritt zurück und schloß die Türe zur Garderobe wieder, um keinerlei -Spuren zu hinterlassen; dann begann er die Wendeltreppe herabzusteigen, -so rasch er es bei dieser Dunkelheit wagen konnte.</p> - -<p>Wenn der Leser je eine dunkle Treppe in einem fremden Hause ohne andere -Richtschnur als das Gefühl hinauf oder hinunter gegangen ist, dürfte -dem Leser eines aufgefallen sein: Sie erscheint ebenso endlos wie -ein Satz eines besseren lateinischen Schriftstellers. Wenn der Leser -diese Beobachtung nicht gemacht hat, hat der Leser nie einen besseren -lateinischen Schriftsteller gelesen. Allan Kragh, der in dieser -Hinsicht zu den Bevorzugten gehörte, hatte Gelegenheit zu konstatieren, -daß die Wendeltreppe, die er gefunden, gut und reichlich so lang -war, wie der Satz, wo Livius seine Reflexionen über die Schlacht bei -Cannae beginnt. Er glaubte Aeonen gegangen zu sein und<span class="pagenum" id="Seite_133">[S. 133]</span> fragte sich -schon, ob die Treppe zu den Verließen des Feuerfresserklubs führte, -zum Inferno oder zu irgendeiner Station der Londoner Untergrundbahn, -als die Treppe plötzlich ein Ende nahm und er vor einer Türöffnung -stand, durch die graues Nachtlicht hereinrieselte. Er eilte so eifrig -hinaus, als sei es die Pforte zu einem verzauberten Garten. Sie führte -jedoch nur zu einem dunklen Brunnen — wenigstens kam es ihm so vor. -Himmelhohe Hausgiebel und Feuermauern erhoben sich auf allen Seiten, -mit oder ohne Reihen von dunklen Fenstern. Er suchte die Finsternis -rings um sich mit den Blicken zu durchdringen. Sollte er seine Flucht -nur unternommen haben, um in eine Falle geraten zu sein? Er begann sich -zwischen den Gegenständen auf dem Grund dieses Schachtes, der sich -nach links ausbuchtete, weiterzutasten. Er folgte der Hausmauer. Nun -kam eine Biegung im rechten Winkel, dann wieder eine in der früheren -Richtung. Plötzlich fand sich Allan, mit einem Ruf der Erleichterung, -vor einem Gitter zwischen zwei hohen Hausgiebeln, von denen der eine -mit Efeu bewachsen war. Ohne eine Sekunde zu zögern, begann er das -Gitter zu überklettern und kam mit einem zerrissenen Hosenbein auf die -andere Seite hinüber. Die Straße, in der er nun stand, war kurz und sah -sehr vornehm aus. An ihrem einen Ende war ein offener Platz, undeutlich -beleuchtet; und auf diesem entdeckte Allan zu seiner unbeschreiblichen -Freude nichts Geringeres als ein Cab.</p> - -<p>Der Cabby unterzog ihn einer genauen Okularbesichtigung und stellte -die Forderung eines Vorschußerlages, bevor er das Pferd aus seinem -beschaulichen<span class="pagenum" id="Seite_134">[S. 134]</span> Schlummer riß und es dem Grand Hotel Hermitage zutraben -ließ. Herren ohne Hut und Ueberrock um diese Tageszeit flößten ihm -offenbar gemischte Gefühle ein. Allan drinnen im Cab kam es vor, als -rührte sich dieser gar nicht vom Fleck; Straße um Straße passierten -in unendlicher Prozession vorbei, Häuser, Häuser und Häuser, -Firmenschilder und Schilder, die eine rotgelbe Gaslaterne nach der -anderen. Er starrte die Zeiger seiner Uhr an, wie sie dahinkrochen — -immerhin bedeutend schneller als der Cab, schien es ihm. Hier und da -sandte er durch die Dachluke dem Cabby einen flehentlichen Ruf zu; -jedesmal kam ein Ruck der Zügel als Antwort und eine schwache Reaktion -in der Mähne des Pferdes. Es wurde zehn Minuten vor halb drei, fünf -Minuten vor halb drei. Jetzt kam er sicherlich zu spät ... Endlich bog -der Cab in eine breitere asphaltierte Straße ein, die er erkannte, und -stand auf dem Monmouth Square.</p> - -<p>Das Grand Hotel Hermitage lag stumm und schlummernd da, kaum ein -Fenster der großen Fassade war beleuchtet; es schien Allans Ahnungen -wenig Berechtigung zu geben. Und doch dauerte es kaum so lange, bis er -in die Halle gekommen war, als ihm auch schon die Bestätigung wurde, -die er zugleich befürchtet und ersehnt hatte.</p> - -<p>Der Nachtportier, der den Seiteneingang mit einem erstickten Gähnen -geöffnet hatte, erstickte dieses gänzlich, als er Allan erblickte. Er -prallte zwei Schritte zurück und starrte Allan wie ein Gespenst an.</p> - -<p>„Wer sind Sie?“ rief er.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_135">[S. 135]</span></p> - -<p>„Nr. 417!“ rief Allan. „Rasch! Kommen Sie mit! Es ist keine Minute zu -verlieren.“</p> - -<p>„Aber ich habe Sie doch vor zwei Stunden nach Hause kommen sehen ...“</p> - -<p>„Ich weiß! Ich weiß! Ich werde Ihnen schon alles später erklären. Man -hat ein Verbrechen geplant — ist Mr. Bowlby mit seiner Familie schon -nach Hause gekommen?“</p> - -<p>„Nein, aber — —“</p> - -<p>„Kein Aber! Die Stiege hinauf in ihre Wohnung, und rasch, wenn wir -verhindern wollen, was man geplant hat!“</p> - -<p>Ohne sich auf weitere Erklärungen einzulassen, packte Allan den -verblüfften Portier beim Arm und zog ihn die Treppe hinauf, zur -Suite der Familie Bowlby im zweiten Stockwerk. Als sie den großen -Treppenabsatz im ersten Stockwerk passierten, warf Allan einen Blick in -den Korridor, wo die Zimmerflucht lag, die Bowlbys früher inne gehabt -hatten und die nun vom Maharadscha bewohnt wurde. Er sah seine Annahme -bestätigt: Fünf Mann von Yussuf Khans zehn Mann starker Leibgarde -hielten vor den Türen seiner Wohnung Wache. Diesen Weg hatten also die -Betreffenden nicht einschlagen können, und deshalb hatten sie eben — — -er verdoppelte seine Schritte. Würde er noch zurecht kommen? war der -einzige Gedanke, für den er Raum hatte. Den Portier hinter sich -herschleppend, erreichte er die Türe zu Mr. Bowlbys Privatrauchzimmer -— dem Zimmer, das infolge seiner Lage und aus anderen Gründen das sein -mußte, das die Betreffenden für ihre Operationen gewählt<span class="pagenum" id="Seite_136">[S. 136]</span> hatten. Der -dicke Teppich im Korridor dämpfte den Laut ihrer Schritte; und richtig, -als sie die Türe erreicht hatten, und einen Augenblick davor stehen -blieben, war drinnen eben jenes Geräusch zu hören, das Allan erwartet -hatte, ein gedämpftes Scharren wie von einer Feile oder Säge ... Allan -packte die Klinke.</p> - -<p>Die Türe war verriegelt.</p> - -<p>„Ich verdammter Esel,“ murmelte Allan heiser. „Portier, haben Sie -Doppelschlüssel? Uebrigens was wollen wir mit Doppelschlüsseln? Ein -Stemmeisen, und zwar rasch!“</p> - -<p>„Ein Stemmeisen?“ Der Portier starrte Allan wie einen Wahnsinnigen an.</p> - -<p>„Ich sage,“ flüsterte Allan atemlos, „hier wird ein Attentat begangen, -das das Hotel für immer in Verruf bringen wird! Wissen Sie, was für ein -Zimmer unmittelbar hier darunter liegt?“</p> - -<p>Der Portier dachte eine Sekunde mit weit aufgerissenen Augen nach.</p> - -<p>„Das Privatschlafzimmer des Maharadscha!“ murmelte er schließlich.</p> - -<p>„Wo er alle seine Juwelen hat! Verstehen Sie jetzt? Begreifen Sie, daß -dieser Herr, der vor zwei Stunden herkam, nicht ich war, sondern ein -verkleideter Einbruchsdieb! Rasch, ein Stemmeisen, und lassen Sie ihn -uns fangen, so lange es noch Zeit ist.“</p> - -<p>Endlich ging dem Portier ein Licht auf. Er schoß wie ein Pfeil die -Treppen hinunter, und Allan stand allein vor der verriegelten Türe, die -er mit den Augen verschlang. Der verdammte Mirzl! <em class="gesperrt">Wenn</em> Allan -nicht auf die Gedanken verfallen wäre, dies ihm im Feuerfresserklub<span class="pagenum" id="Seite_137">[S. 137]</span> -gekommen waren, hätte jetzt wohl <em class="gesperrt">er</em> die Ehre des Einbruchs ...</p> - -<p>Allan kam in seinem Gedankengang nicht weiter. Urplötzlich, ohne -daß er einen Laut gehört hatte, wurde die Türe vor ihm aufgerissen; -Jemand im <span class="antiqua">evening-dress</span>, der ihm selbst ähnlich sah, packte -ihn bei den Armen, drehte ihn im Kreise herum wie ein Kind und warf -ihn in das Zimmer hinein, vor dem er gewartet hatte. Er wurde einfach -hingeschleudert wie ein toter Gegenstand und konnte noch gar nicht -daran denken, sich zu erheben, als das elektrische Licht im Zimmer -erlosch und er sich in abgrundtiefer Finsternis befand. Sein Kopf -tickte und summte wie ein Uhrmacherladen, und seine Augen sahen mehr -Sterne als sich je auf einer Kognakflasche befunden haben. Endlich war -er wieder auf den Beinen und tappte, so rasch er konnte, zur Türe. Sie -war versperrt. Er warf sich dagegen, ohne daß sie nachgab. Es gelang -ihm, den elektrischen Kontakt zu finden, und er drehte ihn herum, so -wie man eine Uhr aufzieht, ohne daß auch nur ein Lichtfünkchen kam. -Endlich hörte er eilige Schritte dort draußen, ein Rütteln an der Türe -und die Stimme des Portiers:</p> - -<p>„Haben Sie ihn drinnen? Haben Sie den Hauptkontakt abgedreht?“</p> - -<p>Allan bemühte sich die Worte zu unterdrücken, die ihm auf der Zunge -lagen.</p> - -<p>„Um Gottes willen!“ schrie er, „so lassen Sie ihn doch nicht -entwischen! Versperren Sie den Ausgang! Telephonieren Sie der Polizei! -Er hat mich hier drinnen eingesperrt!“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_138">[S. 138]</span></p> - -<p>Er hörte den Portier die Treppe hinunter verschwinden, ohne sich auch -nur die Zeit zu nehmen, den elektrischen Kontakt aufzudrehen, und es -verging eine Ewigkeit, während der er, vor Ungeduld schnaubend, vor -der verriegelten Türe auf und ab tanzte. Von Zeit zu Zeit unternahm -er einen neuen Versuch, sie zu sprengen. Immer vergeblich. Es mochten -vielleicht zehn Minuten vergangen sein, die ihm wie zehn Jahrhunderte -vorkamen, als er zum zweiten Male draußen Schritte hörte, diesmal von -mehreren Personen. Das Zimmer füllte sich plötzlich mit Licht, und ein -Schlüssel drehte sich im Schloß. Er riß selbst die Türe auf und fand -draußen den Portier, atemlos vor Erregung, in Gesellschaft von zwei -Polizisten. Er setzte zu Erklärungen und Fragen an, aber ein Ausruf des -einen Polizisten kam ihm zuvor.</p> - -<p>„Nanu! Einbruchsversuch, todsicher! Sehen Sie mal!“</p> - -<p>Allan drehte sich nach der Richtung um, in die der Konstabler wies. -Wenn es noch eines Beweises für die Richtigkeit seiner Ahnungen bedurft -hätte, so hatte er ihn nun.</p> - -<p>Eine Oeffnung von etwa sechzig Zentimeter im Durchschnitt klaffte -im Fußboden, daneben lag ein geschlossener Regenschirm und eine -Anzahl Holzscheiben und etwas Mörtel. Er starrte verständnislos den -Regenschirm an, bis der eine Polizist auf das Loch im Boden zueilte und -den Regenschirm aufhob. Er spannte ihn auf; es zeigte sich, daß er eine -Quantität Sägespäne, Mörtel und Gips enthielt. Der Polizist nickte:</p> - -<p>„Der gewöhnliche Trick, damit der Mörtel nicht in<span class="pagenum" id="Seite_139">[S. 139]</span> das Zimmer darunter -fällt! Seine Strickleiter hat er glücklich mitgenommen.“</p> - -<p>Endlich fand Allan die Sprache wieder.</p> - -<p>„Ist er entwischt?“</p> - -<p>Der Portier nickte düster.</p> - -<p>„Er hat sowohl den Hauptkontakt abgedreht wie den Etagenkontakt für -dieses Stockwerk. Die sind beide hier drüben in der Treppenhalle. Ich -stand unten im Bureau und klingelte die Polizei an. Als es plötzlich -dunkel wurde, stürzte ich die Treppe hinauf. — Sie brauchen mich nicht -so anzusehen, Sir; was hätten denn Sie getan? In solchen Fällen ist man -immer nachher am klügsten. Ich merkte in der Dunkelheit nichts, bis ich -den Hauptkontakt aufgedreht hatte — den Etagenkontakt vergaß ich ganz. -Im selben Augenblicke sehe ich jemand die Treppe hinunter verschwinden. -Ich stürze nach —“</p> - -<p>„Ist er denn <em class="gesperrt">erst dann gegangen</em>?“ rief Allan, „warum ist er so -lange dageblieben?“</p> - -<p>„Da müssen Sie einen anderen fragen, Sir. Ich stürzte ihm nach, aber es -war zu spät. Er war, bevor ich nur mau sagen konnte, schon draußen und -in einem Auto, das in der Nähe des Hotels stand. In diesem Moment kamen -die Konstabler —“</p> - -<p>Der eine der erwähnten Konstabler unterbrach ihn.</p> - -<p>„Wir müssen ein Protokoll aufnehmen,“ sagte er.</p> - -<p>„Ist das notwendig?“ murmelte der Portier. „Der Maharadscha — Bedenken -Sie den Ruf des Hotels!“</p> - -<p>„Wir halten einstweilen alles geheim, wenn Sie selbst nicht darüber -sprechen.“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_140">[S. 140]</span></p> - -<p>Noch halb wirr im Kopf nach seinen Erlebnissen, mußte Allan den -Polizisten erzählen, was er wußte. Bei seinem Bericht über den -Feuerfresserklub schüttelten sie den Kopf.</p> - -<p>„Sicher, daß Sie nüchtern waren, Sir? Nichts für ungut, aber —“</p> - -<p>Allan wiederholte seine Schilderungen mit einer gewissen Heftigkeit.</p> - -<p>„Und die Adresse des Lokals, Sir?“</p> - -<p>Allan wich einen Schritt zurück. Er hatte weiß Gott bei seiner Flucht -aus dem betreffenden Lokal solche Eile gehabt, daß er ganz vergessen -hatte, sich den Namen der Straße anzusehen, in der es gelegen war.</p> - -<p>„Denn Sie sagten doch,“ fuhr der Polizist gelassen fort, „daß dieser -indische Prinz, dem die Juwelen im Zimmer unten gehören oder gehörten, -noch da war, als Sie fortgingen?“</p> - -<p>Allan nickte stumm. Gütiger Gott, was würden die Verbrecher mit dem -Maharadscha beginnen, wenn sie merkten, daß der andere Plan mißlungen -war — falls er nun mißlungen war.</p> - -<p>„Der Maharadscha war noch dort, als es mir gelang, mich aus dem -Staube zu machen,“ stammelte er schließlich. „Mein Gott, wenn ich den -Einbruchsversuch nur verhütet hätte, um ...“</p> - -<p>„Ob Sie den Einbruch verhütet haben, werden wir wohl kaum heute nacht -erfahren. Oder wollen Sie es auf Ihre Kappe nehmen, Portier, uns in die -Wohnung des Maharadscha zu bringen?“</p> - -<p>Der Portier schüttelte energisch den Kopf. Nach<span class="pagenum" id="Seite_141">[S. 141]</span> einigen weiteren -Fragen steckte der Konstabler sein Notizbuch in die Tasche.</p> - -<p>„Lassen Sie das Zimmer unberührt stehen. Die Detektivs kommen morgen -in aller Frühe, wenn nicht noch früher,“ sagte er und nahm mit seinem -Kollegen Abschied.</p> - -<p>Allan wankte die Treppen in sein Zimmer hinauf, nachdem er den Portier -gebeten hatte, Mr. Bowlby mit einigen vorsichtigen Worten von dem -Vorgefallenen zu verständigen. Er war todmüde nach all dem Champagner, -der Spannung und dem Ringkampf mit Mirzl — wenn es nun Mirzl gewesen -war.</p> - -<p>Hatte er in diesem Punkte noch irgendwelche Zweifel gehegt, so sollten -sie jedoch behoben werden, als er glücklich in der ägyptischen -Grabkammer Nr. 417 angelangt war. Das Zimmer lag, als er die Tür -öffnete, in voller Beleuchtung da; und das erste, was er sah, -war sein einer Reisekoffer, in dem er außer auf Eisenbahnfahrten -unpraktischerweise sein Geld unter Schloß und Riegel zu verwahren -pflegte — er hatte noch nicht die kluge Gewohnheit angenommen, es -im Bureau des Hotels, wo er wohnte, zu deponieren. Der Deckel, der -durch zwei gute Hängeschlösser geschützt wurde, stand offen, und der -Inhalt des Koffers — allerlei Kleinigkeiten, darunter eine Kassette, -die seine Reisekasse enthielt — lag in völliger Wirrnis da. Von -einer düsteren Ahnung ergriffen, stürzte er auf den Koffer zu und -riß die betreffende Kassette heraus — ein kleines Silberkunstwerk, -das er einmal in Dänemark gekauft hatte. Sie hatte noch am Morgen -elftausendsechshundert Kronen in schwedischem Geld<span class="pagenum" id="Seite_142">[S. 142]</span> enthalten. Davon -waren jetzt nur fünftausendsechshundert da ...</p> - -<p>Es dauerte etliche Minuten, bis er seine Sinne genügend in Ordnung -hatte, um auch den Rest des Zimmers zu sehen; und das erste, was er da -erblickte, war ein Brief, der an das elektrische Lämpchen auf seinem -Nachtkästchen gelehnt war. Er riß ihn mit einem wütenden Knurren auf:</p> - -<div class="blockquot"> - -<p>„Lieber Herr Kragh!</p> - -<p>Vielleicht finden Sie mein Vorgehen heute abend unlogisch und -ungentlemanlike. Unlogisch, weil ich Ihnen früher, nach dem Dienst, -den Sie mir in Deutschland erwiesen haben, Wohlwollen bezeigte; -ungentlemanlike, weil ich Ihnen sechstausend schwedische Kronen -raube. Es war, nebenbei gesagt, der reine Zufall, daß ich sie -gefunden habe; es war nämlich nur meine Absicht, Ihnen hier oben in -Frieden und Ruhe einige Zeilen zu schreiben. Aber lassen Sie mich -Ihnen eines sagen: Sie haben heute abend meine Pläne durchkreuzt, -und man durchkreuzt meine Pläne nicht ungestraft. Ihre Strafe für -das erstemal ist sechstausend Kronen Buße — das halbe Vermögen -im Koffer. Sollte das Vergehen sich wiederholen — aber ich bin -überzeugt, daß Sie jetzt klug genug sind, es nicht zu wiederholen.</p> - -<p class="right"> -<span class="mright10">In Eile</span><br /> -<span class="mright7">Dr. Hauser,</span><br /> -(alias Ludwig Koch, alias Benjamin Mirzl).“</p> - -</div> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_143">[S. 143]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="VII">VII<br /> - -<em class="gesperrt">Ein Verschwinden mit Nebenumständen</em></h2> - -</div> - -<p>Es war Mr. Bowlby, der Allan am nächsten Morgen etwas nach halb neun -Uhr weckte. Allan schnellte aus dem Bett, schlaftrunken und ganz -überzeugt, daß es Herr Benjamin Mirzl war, der kam, um sich sein -übriges Geld zu holen.</p> - -<p>„Sie, Mr. Bowlby!“</p> - -<p>„Allerdings ich, junger Freund. Ich erhielt Ihre Botschaft durch den -Portier, als ich heute nach vier Uhr nach Hause kam. Entschuldigen Sie, -daß ich so in Ihr Schlafgemach eindringe — <span class="antiqua">damn it</span>, es ist -eines der kleinsten, das ich je gesehen habe! — aber Sie werden doch -meine Neugierde begreifen! Ein Loch in meinem Rauchzimmer, groß genug, -um einen Indianer drinnen zu fangen! Das Zimmer voll von Detektivs, -die mich verhört haben und Sie zu verhören gedenken, und eine tolle -Deliriumsgeschichte des Nachtportiers von <em class="gesperrt">zwei</em> Herren auf -Nr. 417. Ich hatte erwartet, Sie schon früher zu sehen, aber Helen -vertraute mir eben an, daß Sie nie vor dem Lunch aufstehen.“</p> - -<p>„Miß Bowlby ist zu strenge in ihren Urteilen. Gestatten Sie, daß ich -Toilette mache, dann will ich versuchen,<span class="pagenum" id="Seite_144">[S. 144]</span> Ihnen das Ganze zu erzählen. -Aber Sie wissen doch, daß alles vorderhand geheim bleiben muß?“</p> - -<p>„Die Detektivs faselten irgend etwas vom Maharadscha.“</p> - -<p>„Ich fürchte, es ist kein Gefasel, Mr. Bowlby.“</p> - -<p>Allan hüpfte aus dem Bett und begann ungeniert seine Waschungen vor den -Augen des Amerikaners, während er die Abenteuer der Nacht erzählte. -Die Beschreibung des Feuerfresser-Klubs entlockte Mr. Bowlby eine -Serie Pfiffe, eines durchgehenden Expreßzuges würdig. Als Allan zu dem -Bericht über seine Flucht kam und wie es Mirzl gelungen war, ihn und -den Portier zu überlisten, unterbrach er ihn mit dem Ausruf:</p> - -<p>„Aber das muß ja ein Teufelskerl sein, dieser Mirzl? Eine solche -Kaltblütigkeit! Das ist doch das Frechste, was mir noch im Leben -untergekommen ist!“</p> - -<p>„Warten Sie einen Augenblick mit Ihrem Lob!“ sagte Allan. „Was glauben -Sie, tat der Mann, als er mich in das Rauchzimmer eingesperrt und die -Kontakte abgedreht hatte?“</p> - -<p>„Verduftete, natürlich.“</p> - -<p>„Verduften! Da kennen Sie Mirzl schlecht. Er ging in mein Zimmer hinauf -und setzte sich nieder, um mir eine Warnung zu schreiben, mich nicht -mehr in seine Angelegenheiten einzumischen —“</p> - -<p>„Da hört sich aber alles auf!“</p> - -<p>„Und als er dabei zufällig fand, daß ich einen verriegelten Koffer -hatte, der nach wertvollem Inhalt aussah, öffnete er ihn. Bedenken Sie, -daß der Portier die ganze Zeit dastand und der Polizei telephonierte.<span class="pagenum" id="Seite_145">[S. 145]</span> -Im Koffer hatte ich meine Reisekasse, elftausend schwedische Kronen und -etwas darüber —“</p> - -<p>„Sie sind aber höchst unvorsichtig! Und die nahm er?“</p> - -<p>„Von diesen nahm er die Hälfte oder ein bißchen mehr, worauf er sich -niedersetzte und mir diesen Brief schrieb.“</p> - -<p>Allan reichte Mr. Bowlby nicht ohne einen gewissen Stolz Herrn Mirzls -Brief.</p> - -<p>Der Amerikaner las ihn langsam durch und gab eine neue Serie -betäubender Expreßsignale von sich.</p> - -<p>„Sie haben doch natürlich der Polizei telephoniert?“</p> - -<p>„Der Polizei! Warum nicht gleich einer Kleinkinderbewahranstalt und -habe sie um eine Amme gebeten? Ich ging zu Bett.“</p> - -<p>In das Gesicht Mr. Bowlbys trat ein Ausdruck von ehrlichem Respekt.</p> - -<p>„<span class="antiqua">Well!</span> Ich muß sagen — —!“</p> - -<p>Er starrte Allan an, während dieser sich das Jackett anzog. Allan -öffnete ihm die Türe, und sie gingen die Stiege hinunter. Mr. Bowlby -wiederholte:</p> - -<p>„Ich muß sagen! Und gedenken Sie die Sache jetzt nicht anzuzeigen?“</p> - -<p>„Da die Detektivs schon hier sind, werde ich ihnen die Sache natürlich -anzeigen, aber es ist nur der Form wegen.“</p> - -<p>„Mirzl scheint Ihnen Respekt eingeflößt zu haben!“</p> - -<p>Allan nickte zustimmend. Im selben Augenblick erblickten sie -Mrs. Bowlby und Miß Helen, die in der Treppenhalle des zweiten -Stockwerks saßen. Mrs.<span class="pagenum" id="Seite_146">[S. 146]</span> Bowlby, die ein grellgrünes Kleid trug und -papageienähnlicher aussah denn je, begrüßte Allan mit einem kleinen -Schrei, der des erwähnten Vogelgeschlechtes durchaus nicht unwürdig war.</p> - -<p>„Mister Cray! So! Also auf diese Art verbringen Sie die Nächte, wenn -ich außer Sehweite bin! Ein großes Loch im Boden, und die Detektivs -darum geschart wie Fliegen um eine offene Marmeladendose. Sie -wollten mich nicht einmal in die Nähe lassen. Sie glaubten wohl, ich -gedächte in das Schlafgemach des Untiers hinunterzuspringen. — Na, -was haben Sie zu sagen? Setzen Sie sich und lassen Sie uns hören, -aber <em class="gesperrt">alles</em>, verstehen Sie? Sie waren natürlich in irgendeinem -entsetzlichen Lokal? Haben also <em class="gesperrt">Sie</em> das Loch in den Boden -gemacht?“</p> - -<p>„Wenn Sie zwischen halb eins und halb drei in Mr. Bowlbys Rauchzimmer -gekommen wären, hätten Sie es sicherlich geglaubt, Mrs. Bowlby.“</p> - -<p>Allan begann zum zweiten Male seine Erzählung. Mrs. Bowlby beehrte -seine Beschreibung des Feuerfresser-Klubs nicht mit denselben -Expreßpfiffen wie ihr Mann, aber ihre Kommentare waren darum nicht -weniger ausdrucksvoll. Als Allan zum Schlusse von Herrn Mirzls -Leistungen gekommen war, ergriff sie das Wort:</p> - -<p>„Ja, dieser Herr ist natürlich ein Schurke. Aber ich sage Ihnen eines, -ich würde tausendmal lieber das Untier hoppnehmen sehen als ihn.“</p> - -<p>„Ich für mein Teil sechstausendmal lieber Herrn Mirzl,“ meinte Allan.</p> - -<p>„Denken Sie nur, den <em class="gesperrt">ersten</em> Abend, den er in<span class="pagenum" id="Seite_147">[S. 147]</span> London -verbringt, in <em class="gesperrt">solche</em> Lokale zu gehen,“ setzte die alte Dame -ihren Anklageakt fort. „Natürlich war er in Damengesellschaft — -versuchen Sie das nicht zu leugnen, ich glaube Ihnen ja doch nicht. -Natürlich, obwohl er daheim bei sich das Haus voll und <em class="gesperrt">mehr</em> -als voll hat. Und natürlich ist es furchtbar unrecht von Ihnen, in -ein solches Lokal zu gehen, aber ein verheirateter Mann, ein Mann, -der <em class="gesperrt">hundertfünfzigfach</em> verheiratet ist — — Und dieser alte, -graubärtige Wüstling — —“</p> - -<p>Allan wagte sie zu unterbrechen.</p> - -<p>„Sind sie noch nicht nach Hause gekommen, Mrs. Bowlby?“</p> - -<p>„Die! Die werden sich nicht beeilen, nach Hause zu kommen, da seien Sie -ganz beruhigt! Ich kenne die Männer.“</p> - -<p>Mr. Bowlby hatte gedankenvoll dem Reglement des Hotels getrotzt und -während Allans Erzählung eine Zigarre geraucht. Jetzt nahm er sie -plötzlich aus dem Mund und hinderte Allan, seine Befürchtungen über das -Schicksal des Maharadschas auszusprechen, nun der Einbruch mißlungen -war.</p> - -<p>„Da sind zwei Dinge,“ sagte er, „die ich nicht begreife, wie -durchtrieben auch dieser Gauner und seine Bande sein mögen. Sie haben -Sie natürlich von dem Augenblicke an, in dem Sie das Hotel verließen, -beobachtet. Aber wie konnten sie Sie gerade in das Haus lotsen, wo sie -den Maharadscha hatten?“</p> - -<p>„Hm, Mr. Bowlby, das ist ja nicht so merkwürdig. Zufälligerweise -marschierte ich ja in Gesellschaft des Helfershelfers in jenes Café, -und wurde von ihm<span class="pagenum" id="Seite_148">[S. 148]</span> angesprochen. Das war ein Zufall. Aber in einem -anderen Lokal wäre das Resultat dasselbe gewesen. Im Notfall wären sie -wohl auch nicht vor Gewalt zurückgeschreckt.“</p> - -<p>„<span class="antiqua">Well</span>, soviel kann ich zugeben, aber da ist noch eine Sache. -Sie haben natürlich im Hause und außer dem Hause nach dem Maharadscha -Ausschau gehalten. Aber <em class="gesperrt">Sie</em> sind ja in keinerlei Verbindung mit -dem Maharadscha oder jemand aus seiner Gesellschaft gestanden, und Ihr -eigenes Zimmer liegt im vierten Stock. Gestern abend forderte ich Sie -allerdings auf, bei mir einen Whisky zu trinken ... Aber wie zum Teufel -konnten die Kerls das wissen und sich darnach richten? Das frage ich. -Wir saßen doch, soweit ich sah, allein an dem Tisch.“</p> - -<p>„Und woher konnten sie wissen, daß wir die halbe Nacht wegbleiben -würden, Papa?“</p> - -<p>„Das ist keine Kunst, liebe Helen, wenn sie Spione im Hotel haben. -Aber als ich diesen jungen Mann zu mir einlud, war, soviel ich mich -erinnere, keine Seele in der Nähe, und ich habe ein gutes Gedächtnis.“</p> - -<p>„Sie brauchten es ja nicht zu wissen, Papa. Sie hätten das Attentat auf -die Juwelen auf jeden Fall unternehmen können. Sie haben gesehen, daß -Mr. Cray und wir verkehren, sie haben ihn den ganzen Abend beobachtet, -wie er selbst sagt und ihn aus dem Wege geschafft, und dann hat sich -dieser Mirzl als Mr. Cray verkleidet —“</p> - -<p>Miß Bowlby kam in ihrer Erklärung nicht weiter. Allan war von seinem -Stuhl aufgesprungen und hatte Mrs. Bowlby beim Handgelenk gepackt. Die -alte Dame<span class="pagenum" id="Seite_149">[S. 149]</span> schnellte, den Kopf im streitbaren Papageienwinkel schräg -gelegt, in die Höhe:</p> - -<p>„Was fällt Ihnen ein, Sir? Glauben Sie, Sie sind noch in diesem Lokal?“</p> - -<p>„Mrs. Bowlby! Sie haben bestimmt mit dem, was Sie über Ihre Landsmännin -sagten, recht gehabt! Jetzt verstehe ich, oder glaube wenigstens zu -verstehen! Aha! Sie gehörten also doch zusammen!“</p> - -<p>„Meine Landsmännin? Wer?! Was verstehen Sie?“</p> - -<p>„Mrs. Langtrey! Jetzt erinnere ich mich. Gerade als Sie gestern vom -Speisen aufstanden, sah ich zufällig nach rechts, und da, tief im -Schatten der Palmblätter, saß Mrs. Langtrey. Sie wissen, Sie machten -einige ... hm, offenherzige Bemerkungen, bevor Sie gingen, wie groß die -Aussichten dieser Dame wären, auf den Gesandtschaftsball zu kommen. -Als ich sie erblickte, sah sie aus wie eine Tigerin. Seien Sie sicher, -sie hat sowohl das gehört, was Sie über sie sagten, wie das, was Mr. -Bowlby zu mir sagte, ich möge heraufkommen und einen Whisky trinken. -Ihr Mann versprach mir ja sogar, den Bedienten von meinem Kommen zu -verständigen. Und sie hat eben — — Sie wissen doch, daß ich sie und -Mirzl zusammen auf dem Hamburger Bahnhof sah, wenn ich auch damals -nicht glaubte, daß sie sich kannten — —“</p> - -<p>Allan hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als Mrs. Bowlby aus ihrem -Sessel aufflog wie der Habicht aus seinem Horst und mit raschen -Flügelschlägen die Stiege hinuntersauste. Ihre Augen strahlten vor -Triumph. Mr. Bowlby zuckte philosophisch die Achseln<span class="pagenum" id="Seite_150">[S. 150]</span> und steckte -eine neue Zigarre an. Allan, der über die Kampfesmiene der alten -Dame lächeln mußte, wollte eben seine Erklärungen ergänzen, als ein -Hotelangestellter auf ihn zukam.</p> - -<p>„Der Detektivinspektor ist in Mr. Bowlbys Rauchzimmer und möchte Ihre -Aussage hören, Sir.“</p> - -<p>Allan folgte ihm in den Raum, der am vorhergehenden Tage Zeuge von -Herrn Mirzls Niederlage gewesen — und seiner eigenen. Er war nicht -ganz so mit Detektivs angefüllt, wie Mrs. Bowlbys Worte ihm Anlaß -gegeben hatten zu vermuten. Aber er beherbergte auf jeden Fall doch die -respektable Anzahl von vier Kollegen Sherlock Holmes’. Der unter ihnen, -der dem Aussehen nach seinem berühmten mageren Kollegen am ähnlichsten -sah, war offenbar auch der Inspektor; denn bei Allans Eintreten bat er -ihn, Platz zu nehmen und begann dann ihn zu verhören. Er saß an einem -kleinen Tischchen, das mit Dokumenten und mystischen Dingen in Kuverts -und Schachteln bedeckt war.</p> - -<p>Allan appellierte an seine Sherlock Holmes-Erinnerungen und zog den -Schlußsatz, daß die Kuverts und Schachteln die „Spuren“ enthielten, die -man gefunden hatte. Der magere Mann blätterte ein paar Seiten in seinem -Notizbuch um und brachte die Füllfeder in Ordnung.</p> - -<p>„Sie sind Mr. Allan K—r—a—g—h?“</p> - -<p>Er buchstabierte den Zunamen, offenbar gänzlich abgeneigt, sich in -irgendwelche phonetische Fallen zu verstricken.</p> - -<p>„Ja. Aus Schweden.“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_151">[S. 151]</span></p> - -<p>„Aus Schweden. Ja. Sie wohnen auf Nr. 417?“</p> - -<p>„Ja.“</p> - -<p>„Sie waren derjenige, der gegen halb drei Uhr nachts nach Hause kam -und in Gesellschaft des Nachtportiers einen Versuch machte, die -Einbruchsdiebe zu überraschen?“</p> - -<p>„Ich war es.“</p> - -<p>„Erzählen Sie, wie es kommt, daß Sie überhaupt eine Ahnung hatten, daß -ein Einbruchsdieb hier war.“</p> - -<p>Allan begann zum dritten Male an diesem Morgen seine Erzählung in -derselben Form wie früher, er beschrieb seinen Besuch im ‚Loch in der -Wand‘, den Fremden, der ihn dort angesprochen, den Lift, der sie in den -Feuerfresser-Klub geführt, das Erscheinen des Maharadschas in ihrer -Loge, und wie ihm plötzlich der Verdacht aufgestiegen war, der ihn -dann dazu gebracht hatte, aus dem Klub zu flüchten. Offenbar hatte der -Detektivkommissar die Erzählung schon durch die Polizisten gehört, die -in der Nacht dagewesen waren; denn er verglich sie mit einem Papier, -das er bei sich hatte. Hier und da machte er eine Notiz. Er ließ Allan -zu Ende sprechen, bevor er sein Verhör begann.</p> - -<p>„Wollen Sie den Mann, der Sie im ‚Loch in der Wand‘ ansprach, so genau -Sie können, beschreiben.“</p> - -<p>„Er war ziemlich untersetzt, hatte ein viereckiges Gesicht, glänzende -schwarze Haare und eine blauviolette Schattierung am Kinn und an den -Wangen. Ich fürchte, nicht viel, wonach man sich richten kann. Er war -in Abendkleidung. Er behauptete ein Deutscher zu sein; auf jeden Fall -sprach er fließend Deutsch.“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_152">[S. 152]</span></p> - -<p>„Sie sprechen selbst Deutsch?“</p> - -<p>„Ja.“</p> - -<p>„Und der Mann, der in Gesellschaft des Maharadscha war?“</p> - -<p>„Das war ein Engländer, wenigstens sagten es die anderen; sie nannten -ihn Stanton. Er war blond, scharfäugig und überaus korrekt seinem -ganzen Aussehen nach — eine ungewöhnlich typische Rasseerscheinung, -wenn ich so sagen darf.“</p> - -<p>Der Detektivinspektor blätterte einen Augenblick in seinen Papieren.</p> - -<p>„Sie hatten gestern abend die Adresse des mystischen Hauses vergessen. -Sie ist Ihnen nicht etwa heute nacht eingefallen?“</p> - -<p>„Nein, ich hatte, als ich fortlief, zu große Eile, um daran zu denken, -aber wenn Sie wissen, daß die kleine Schenke das ‚Loch in der Wand‘ -heißt —“</p> - -<p>„Es gibt hundert Bars mit diesem Namen und von diesem Aussehen in -London. Wo war sie denn ungefähr gelegen?“</p> - -<p>„Etwa eine halbe Stunde weit von Leicester Square. Ich kenne mich -in London nicht aus, aber ich glaube, so lange brauchte ich im -gemächlichen Schlendern, um hinzukommen. — Darf ich eines fragen, Herr -Inspektor?“</p> - -<p>„Lassen Sie hören!“</p> - -<p>„Der Maharadscha ist also nicht zurückgekommen?“</p> - -<p>„Nein, wir haben seit halb vier Uhr nachts Nachforschungen angestellt, -aber sie mußten so diskret als möglich durchgeführt werden. Sowohl des -Maharadschas,<span class="pagenum" id="Seite_153">[S. 153]</span> wie auch des Hotels wegen. Was uns freut, ist, daß der -Einbruchsdiebstahl verhütet wurde.“</p> - -<p>Allan flog auf:</p> - -<p>„Darf ich fragen, woher Sie das wissen?“</p> - -<p>Der Detektivinspektor lächelte zum erstenmal.</p> - -<p>„Ich weiß es durch einen ... hm ... eigentümlichen Zufall ... Wie ist -es denn, haben Sie nicht auch für Ihre eigene Person eine Anzeige zu -machen?“</p> - -<p>Allan zuckte heftig zusammen. Das schlug jeden Rekord. Von solchem -Detektivscharfsinn hatte er noch nie gelesen oder auch nur geträumt! -Hatte der magere Inspektor seinen Geldverlust an der Art gemerkt, wie -er sein Schuhband knüpfte, oder an irgendeinem Fleck auf dem linken -Rockärmel? Er starrte den Inspektor an, ohne etwas zu sagen. Dieser zog -lächelnd ein Papier aus dem Haufen vor sich und reichte es ihm.</p> - -<p>„Bitte lesen Sie,“ sagte er. „Das ist mit der ersten Morgenpost -gekommen.“</p> - -<p>Allan nahm das Papier, das ihm gereicht wurde, und durchflog die Zeilen -mit ihrer nur allzubekannten Schrift:</p> - -<div class="blockquot"> - -<p>„An die Scotland Yard!</p> - -<p>Herr Allan Kragh aus Schweden, wohnhaft Zimmer Nr. 417 Grand Hotel -Hermitage, wurde heute nacht zwischen halb drei Uhr und drei Uhr in -seinem Zimmer um eine Summe von sechstausend schwedischen Kronen (in -Tausendkronenscheinen) bestohlen.</p> - -<p>Der Verüber des Diebstahls möchte darauf aufmerksam machen, daß -dies die überaus milde Strafe ist, die Herrn Kragh aufzuerlegen -für angemessen befunden<span class="pagenum" id="Seite_154">[S. 154]</span> wurde, wegen seines Eingreifens in die -andere Affäre, die sich in derselben Nacht im Grand Hotel Hermitage -abspielte.</p> - -<p>Für den Fall, daß Herr Kragh die Sache noch nicht angezeigt haben -sollte, gestatte ich mir hiermit Sie davon zu benachrichtigen. -Herr Kragh ist ein liebenswürdiger junger Mann, der Ihre eifrigen -Bemühungen verdient.</p> - -<p>In Eile</p> - -<p class="right mright2">Benjamin Mirzl.</p> - -<p><span class="antiqua">P. S.</span> Die Zeit gestattet mir nicht ‚alias‘ -hinzuzufügen.“</p> - -</div> - -<p>Der Detektivkommissar beobachtete lächelnd Allans Mienenspiel bei der -Lektüre dieser Epistel.</p> - -<p>„Sie kennen Mirzl offenbar nicht, da Sie so überrascht sind,“ sagte er.</p> - -<p>„Ich kenne ihn nicht? O doch, ein bißchen, wie schon aus dem Brief -hervorgeht. Und Sie? Kennen Sie ihn?“</p> - -<p>„Ich kann antworten wie Sie, ein bißchen! Er hat uns vor drei Jahren -hier in London das Leben zur Hölle gemacht — die zehn Einbrüche in -Regent Street, die Entführung des Ascotpokales, die Eskamotierung der -irländischen Kronjuwelen und ein Dutzend anderer Dinge, die man ihm -allerdings nicht direkt nachweisen kann, aber von denen wir schwören -möchten, daß er dahinter steckt. Ja, wir kennen Herrn Mirzl ein wenig. -Gottlob verließ er das Land nach den Ascotrennen und ging dazu über, -sich den Behörden seiner Heimat unangenehm zu machen. Jetzt hat er das -wohl satt bekommen und —“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_155">[S. 155]</span></p> - -<p>„Und wäre wohl nie über die Grenze gekommen, wenn ich ihm nicht dazu -verholfen hätte!“</p> - -<p>Allan konnte es nicht unterlassen, diesen kleinen Trumpf auszuspielen. -Die Detektivs hörten schweigend die Schilderung seines Abenteuers im -Expreßzug an. Als er zu Ende gesprochen, sagte der Inspektor:</p> - -<p>„Ich will Ihnen einen guten Rat geben: sprechen Sie drüben nicht von -dieser Geschichte, ich bezweifle, daß Sie eine Medaille dafür kriegen -werden.“</p> - -<p>„Und welchen Dank ich von Mirzl selbst habe, haben Sie gesehen. Darf -ich fragen: Da Sie nun wissen, daß Mirzl im Spiel gewesen ist, und -so gründliche Untersuchungen angestellt haben, haben Sie doch wohl -Hoffnung, ihn wenigstens diesmal zu fangen?“</p> - -<p>„Offiziell, offiziell,“ nickte der Detektivinspektor, „haben wir -überaus günstige Hoffnungen. Aber was uns für den Augenblick beinahe -noch mehr am Herzen liegt, als Herrn Mirzls habhaft zu werden, ist, Se. -Königliche Hoheit Yussuf Khan zu finden.“</p> - -<p>Der Detektivinspektor verstummte und schlug mit gerunzelter Stirn -sein Notizbuch ein Mal ums andere auf den Tisch. Allan fing einen -gemurmelten Fluch auf, der sich den Weg aus seines Herzens Tiefen -bahnte. Im selben Augenblicke wurde die Türe aufgerissen, und ein -grimmiger alter Herr mit weißem Schnurrbart kam hereingestürzt. Allan -erkannte in ihm den europäischen Mentor des Maharadscha, Oberst Morrel.</p> - -<p>„Na!“ rief er. „Neuigkeiten? Spuren?“</p> - -<p>Der Detektivinspektor schüttelte den Kopf.</p> - -<p>„Wir hoffen, im Laufe des Tages ...“ begann er.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_156">[S. 156]</span></p> - -<p>„Im Laufe des Tages, im Laufe der Woche, warum nicht gleich im Laufe -des Jahres!“ brüllte der alte Oberst und stampfte auf den Boden, daß -alles dröhnte. „Sie müssen, hören Sie, Sie müssen meinen schwarzen -Ado — Seine Hoheit vor heute abend finden. Wir sind zum Empfang beim -Minister für Indien gebeten, diesem Ziviltrott — hm, — für fünf Uhr. -Tee, und der Himmel weiß was! Sie <em class="gesperrt">müssen</em> ihn bis dahin hier -haben, hören Sie, sonst schlage ich alles kurz und klein —“</p> - -<p>„Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, Herr Oberst, ich würde eine Absage -schicken. Unbedingt. Wenn wir noch irgendeinen Zweifel gehegt haben, -daß Benjamin Mirzl im Spiel ist, so ist er nach der Aussage dieses -jungen Herrn zerstreut; und Mirzl, der die irländischen Kronjuwelen -gestohlen hat, hat wohl auch nichts dagegen, einen regierenden Fürsten -zu stehlen —“</p> - -<p>„Dieser junge Herr! Wer, zum Geier, ist dieser junge Herr?“ Der Oberst -starrte Allan an wie einen kleinen renitenten Trommelschläger.</p> - -<p>„Mr. Allan K—r—a—g—h,“ buchstabierte der Kommissar aus seinen -Papieren, „aus Schweden.“</p> - -<p>„Schweden, Norwegen, ist mir total schnuppe. Wer zum Henker ist Mr. -Allan K—r—a—g—h?“</p> - -<p>„Der Herr, der seine Fürstliche Hoheit in dem mystischen Klub, von dem -Sie gehört haben, Herr Oberst, zuletzt gesehen hat!“</p> - -<p>„Ah—h—h!“ Der Oberst brüllte auf, wie ein zuschanden geschossener -Tiger. „Sie waren es, Sir, der meinen schwarzen Ado — Se. Hoheit durch -Gassen und Gäßchen in dieses verdammte Lokal hinaufgelockt<span class="pagenum" id="Seite_157">[S. 157]</span> hat, wo er -jetzt ausgeraubt und ermordet liegt. Sie waren es, versuchen Sie nicht -zu leugnen! Sie waren es!“</p> - -<p>Allan, der aufgestanden war, hatte alle Mühe, ernst zu bleiben. -Der Oberst war burgunderrot vor Wut bei dem Gedanken an Allans -Schurkenstreich. Wahrlich, es lohnte sich, gute Werke zu tun und die -Kronjuwelen indischer Fürsten vor dem Gestohlenwerden zu retten! Es -schien eine ebenso dankbare Sache, wie den Personen, welche besagte -Juwelen zu stehlen wünschten, behilflich zu sein, sich ihrem allzu -anhänglichen Vaterland zu entziehen.</p> - -<p>„Nicht ich habe Seine Hoheit dorthin gelockt —“</p> - -<p>„Doch, Sie! Das sieht man Ihnen an. Ich pfeife auf alles, was Sie da -zusammenreden!“</p> - -<p>„Ich nicht,“ sagte Allan, der schon befürchtete, daß den Oberst bei -seinem hartnäckigen Leugnen der Schlag treffen könnte. „Es war ein -Mithelfer von Mirzl, von dem Sie den Herrn Inspektor sprechen gehört -haben. Ich wurde selbst in den Klub hinaufgelockt —“</p> - -<p>„Haha! Hahaha! Hinaufgelockt! Arretieren Sie ihn doch, Inspektor! Er -war es, zu allen Teufeln, das müssen Sie doch sehen und hören.“</p> - -<p>„Ich wurde selbst von einem anderen Genossen Mirzls in den Klub -hinaufgelockt. Wir wurden freigebig mit Wein bewirtet, ich und der -Maharadscha und der alte Hofdichter, die nach einer Weile in die Loge -kamen, in der ich saß. Darf ich fragen, Herr Oberst, kennen Sie jemand, -der Stanton heißt?“</p> - -<p>„Stanton? Stilton? Wer zum Teufel ist dieser Stanton?“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_158">[S. 158]</span></p> - -<p>„Das war der Mann, der Se. Hoheit dort hinaufgelockt hatte.“</p> - -<p>„Haha! Natürlich! Inspektor —“</p> - -<p>„Nach einiger Zeit gelang es mir durchzubrennen, und ich kam -glücklicherweise noch zur rechten Zeit, um den Einbruch hier zu -verhindern, der von Mirzl selbst in höchsteigener Person ausgeführt -wurde. Er hatte sich so kostümiert, daß er mir ähnlich sah —“</p> - -<p>„Gütiger Gott im Himmel, Inspektor, hören Sie, oder sind Sie taub? -Können Sie noch mehr Lügen dieses Menschen hinunterschlucken ohne -daß Sie daran ersticken? Kostümiert wie <em class="gesperrt">er</em>. Da will ich doch -gleich tot niederfallen, wenn ich je etwas Aehnliches gehört habe! Er -<em class="gesperrt">war</em> es, natürlich, er <em class="gesperrt">war</em> es, wie ich Ihnen jetzt schon -seit einer Stunde in die Ohren schreie!“</p> - -<p>„Lieber Oberst, darf ich Sie eines fragen: Kann man zugleich hinter und -vor einer Türe sein?“</p> - -<p>„Natürlich, wenn man will!“</p> - -<p>„Das ist nämlich die einzige Möglichkeit dafür, daß der Portier diesen -jungen Herrn einerseits durchs Eingangstor entfliehen sah und ihn -andrerseits, als er mit den Konstablern heraufkam, übel zugerichtet -hier im Zimmer fand.“</p> - -<p>„Dann ist er einfach durch das Loch im Boden wieder heraufgeklettert.“</p> - -<p>„Und ist also an den Wächtern vorbei in das Schlafgemach des -Maharadscha gekommen und ohne Leiter durch das Loch im Boden hier -herauf, um den Polizisten in die Arme zu laufen?“</p> - -<p>Der Oberst verstummte endlich. Die Möglichkeiten, die der Inspektor -dafür dargelegt hatte, daß Allan der<span class="pagenum" id="Seite_159">[S. 159]</span> Verbrecher war, schienen sogar -seiner bereitwilligen Phantasie etwas zu vage. Er sank auf einen Stuhl -und wischte sich mit dem Taschentuch die Stirne.</p> - -<p>„Aber gütiger Gott im Himmel,“ stöhnte er, „der Minister erwartet uns -um fünf Uhr mit Tee und der Himmel weiß was noch! Und mein Ruf! Und die -Regierung in Indien!“</p> - -<p>„Sie sollten diesem jungen Mann dankbar sein,“ fuhr der Kommissar -sanft, aber unerbittlich fort, „daß er doch wenigstens verhindert hat, -daß die Juwelen gestohlen wurden. Es hing an einem Haar. Dankbar, ganz -gewiß.“</p> - -<p>Der Oberst heftete ein blutunterlaufenes Auge auf Allan, das gerade -keine lebhaftere Potenz von Dankbarkeit ausdrückte. Er murmelte etwas -Unhörbares, sprang auf und stürzte zur Türe hinaus.</p> - -<p>Allan sah den Kommissar an, der sein Lächeln erwiderte. Im selben -Augenblicke wurde die Türe aufgerissen, und Mrs. Bowlby sauste herein -wie eine grüne Bombe. Sie erblickte Allan und pflanzte sich vor ihm auf.</p> - -<p>„Haben Sie ihnen von Langtreys Frau erzählt?“ rief sie, sich bald zu -Allan, bald zum Kommissar umwendend. „Ja?“</p> - -<p>„Langtreys Frau?“ fragte der Kommissar. „Wer ist denn das?“</p> - -<p>„Eine gräßliche Person,“ rief Mrs. Bowlby triumphierend. „Gräßlich. Sie -steckt hinter der ganzen Geschichte, Sie werden schon sehen.“</p> - -<p>„Darf ich einen von Ihnen bitten, zu erzählen, aber<span class="pagenum" id="Seite_160">[S. 160]</span> so klar als -möglich,“ sagte der Kommissar und ergriff die Feder.</p> - -<p>„Darf ich, Mrs. Bowlby?“ sagte Allan.</p> - -<p>Mrs. Bowlby nickte, indem sie sich triumphstrahlend bereit hielt, alle -erforderlichen Randbemerkungen beizusteuern. Allan begann:</p> - -<p>„Unmittelbar vor dem Verhör ist mir eine Sache eingefallen, die mir -zu denken gegeben hat, Herr Inspektor. Offenbar hat Mirzl und seine -Bande über alles, was im Grand Hotel Hermitage vorging, durch Spione -genaue Kontrolle ausgeübt. Es können ja Bediente, Kammerjungfern, -Kellner, Laufburschen gewesen sein, von denen es hier wimmelt. Durch -sie wußten sie Bescheid über die Lokalitäten, und auch, daß ich mich -mit der Familie Bowlby, die die Zimmerflucht über Seiner Hoheit hat, -angefreundet habe. Sie haben erfahren, daß Mr. Bowlby mit Familie -gestern bis spät nachts ausbleiben würde. Diese Sache war schon Freitag -bestimmt, und sie haben sofort ihren Coup geplant. Daß er unter -normalen Verhältnissen diese Form angenommen haben würde, nämlich -daß Mirzl sich gerade in meine Gestalt gehüllt hätte, ist wohl nicht -ausgemacht, wenn auch immerhin möglich. Aber nun kam hinzu, daß Mr. -Bowlby mich gestern, bevor er vom Mittagstisch aufstand, freundlich -aufforderte, ungeniert in sein Rauchzimmer hinaufzukommen, wenn ich -Lust hätte, einen Whisky mit Soda zu trinken. Dies war gegen acht Uhr, -und Mr. Bowlby versprach sogar, seinen Diener zu verständigen, daß ich -vielleicht kommen würde. Frappiert Sie dieses Detail? Wir waren damals<span class="pagenum" id="Seite_161">[S. 161]</span> -allein bei Tisch; es war niemand vom Personal in der Nähe. Sollte -Mirzl das im letzten Moment erfahren haben, hat es ihn natürlich in -seiner Wahl der Verkleidung bestimmt. Aber wie konnte er es erfahren -haben? Wie ich Ihnen schon sagte, war niemand von der Dienerschaft in -der Nähe. Aber kurz nachdem Mr. Bowlby mit seiner Familie gegangen -war, warf ich zufällig einen Blick nach rechts, von unserem Tisch -aus gerechnet; und da, tief im Schatten der Palmen, die diesen Teil -des Speisesaales dekorieren, und so gut wie von ihnen verborgen, saß -eine Dame, von der Mrs. Bowlby behauptet, daß sie von zweifelhaftem -Charakter ist, eine Amerikanerin aus guter Familie, die vor mehreren -Jahren aus Amerika durchgegangen ist und sich vermutlich hier in Europa -mit einem Abenteurer zusammengetan hat. Ihr Name ist Mrs. Langtrey ...“</p> - -<p>„Und heute,“ ertönte Mrs. Bowlbys schrille Stimme wie ein Trompetenton, -„heute um halb acht Uhr morgens ist Mrs. Langtrey aus dem Hotel -verschwunden, nachdem sie ein Lokal-Expreßtelegramm bekommen hat!“</p> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_162">[S. 162]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="VIII">VIII<br /> - -<em class="gesperrt">Mynheer van Schleetens Erlebnisse</em></h2> - -</div> - -<p>Mynheer van Schleetens Leben hatte seine Wechselfälle gehabt; das -Angenehme daran für Mynheer van Schleeten war, daß sie sich in einer -stets aufsteigenden Kurve bewegt hatten. Aus einem Unbekannten war -er eine europäische Berühmtheit geworden; aus einem armen Schlucker -ein reicher Mann, aus einem reichen ein noch reicherer. In dem -Jahre, in dem Yussuf Khan von Nasirabad seinen ersten Besuch in dem -Weltteil machte, war Herr van Schleeten in demselben der berühmteste -Juwelenspezialist. Wie Mr. Bowlby schon Allan Kragh mitgeteilt hatte, -hatte er das Diadem angefertigt, das die französische Republik bei -einem denkwürdigen Anlaß der Kaiserin von Rußland sandte, und noch ein -Dutzend ähnlicher Dinge. Sein Hauptgeschäft war in Amsterdam, aber sein -Beruf brachte es mit sich, daß er sich fast ebensoviel in Berlin, Paris -und London aufhielt wie in seiner Heimatstadt. In allen diesen Städten -hatte er Filialen oder Korrespondenten.</p> - -<p>Ende August des obenerwähnten Jahres hatte er in Berlin (wo er sich im -Auftrage eines später geadelten Finanzmannes befand, dessen Name mit -B. anfängt) einen Brief von seinem Korrespondenten in London erhalten, -daß ein gewisser Oberst Morrel seine Dienste<span class="pagenum" id="Seite_163">[S. 163]</span> für seinen Schützling, -den Maharadscha von Nasirabad wünsche. Mynheer van Schleeten, der noch -nie mit orientalischen Fürsten zu tun gehabt, aber um so mehr von ihren -Juwelen gehört hatte, hatte sich beeilt, das Anerbieten anzunehmen, -namentlich da es von einem sehr schmeichelhaften Honorarvorschlag -begleitet war. Er teilte seine Freude den Zeitungen mit, die sich in -mehreren Notizen mit ihm freuten. Es handelte sich um neue Fassungen -und Aenderungen der Edelsteine des Maharadscha. Der junge Fürst war -etwas exzentrisch, und war der Dinge, die seit tausend Jahren dasselbe -Aussehen hatten, müde geworden.</p> - -<p>Anfangs September reiste Mynheer van Schleeten nach Hamburg, wo er ein -kleineres Geschäft hatte; und am selben Tage, an dem Herr Allan Kragh -aus Schweden in dieser Stadt ankam, verließ Herr van Schleeten sie mit -dem Morgenexpreß nach Paris, wohin ihn eine kleine Angelegenheit rief, -die ihm gestattete, ganz bequem zur festgesetzten Zeit in London zu -sein.</p> - -<p>Mynheer van Schleetens Erlebnisse begannen im Expreß.</p> - -<p>Er war als Holländer ein phlegmatischer Herr; die Erfolge, die er in -seinem fast sechzigjährigen Leben gehabt, hatten dazu beigetragen, -dieses holländische Phlegma noch zu erhöhen. Er ereiferte sich selten; -er hatte nur zwei Passionen, denen er sich in passender, phlegmatischer -Weise hingab. Die eine, die mit den Jahren gekommen war, galt altem -molligem Bordeaux; die andere, die mit den Jahren etwas abgenommen -hatte, jungen molligen Frauen. Mynheer van<span class="pagenum" id="Seite_164">[S. 164]</span> Schleetens Jugend war von -verschiedenen lustigen Soupers in Damengesellschaft belebt gewesen; -sein phlegmatisches Temperament hatte ihn jedoch abgehalten, so oft zu -soupieren, daß es ihm die Fähigkeit oder die Freude am Dinieren geraubt -hätte. In späteren Jahren hatte Herr van Schleeten viel häufiger -diniert als soupiert. Das ging auch aus seinem Aussehen hervor; seine -Nase war groß, gebogen, und hatte allmählich die Farbe des guten -französischen Weines angenommen, in dem er sie am liebsten spiegelte. -Sein gelbgrauer Schnurrbart war bei diesen Libationen gewachsen wie -ein Baum, am Bachesrand gepflanzt; und wenn Herr van Schleeten jetzt -trank, hing er auf das Bordeauxglas herab wie ein Grasbüschel über ein -Bächlein.</p> - -<p>Diese Bemerkungen werden vorausgeschickt, um Herrn van Schleetens -Abenteuer im Expreß Hamburg-Köln und später zu erklären.</p> - -<p>Sogleich, nachdem Herr van Schleeten seinen Platz in einem Coupé erster -Klasse eingenommen hatte, — seiner Gewohnheit gemäß den Fensterplatz -in der Fahrtrichtung — kam eine Dame ins Coupé. Sie betrachtete einen -Augenblick Herrn van Schleeten, der sie seinerseits betrachtete. Er -konstatierte, daß sie jung, ziemlich mollig war und sehr hübsch aussah, -wenn auch ein bißchen hochmütig, und daß er folglich in der Zeit seines -Leichtsinnes nichts dagegen gehabt hätte, mit ihr zu soupieren. Welche -Resultate ihre Prüfung seiner Person ergaben, ist unbekannt; jedoch -waren sie offenbar befriedigend, denn sie placierte ihre Reiseeffekten -in das Netz und sich selbst auf dem Sitz gegenüber<span class="pagenum" id="Seite_165">[S. 165]</span> Herrn van -Schleeten. Dann setzte sich der Zug in Bewegung, und Herr van Schleeten -versenkte sich, um seine phlegmatische Natur zu dokumentieren, in das -Studium der Morgenzeitungen.</p> - -<p>Es dauerte bis Bremen, bevor sich etwas ereignete.</p> - -<p>Kaum war der Zug in dieser Station stehen geblieben, als Herr van -Schleeten Schritte im Korridor hörte und sah, wie die Türe seines -Coupéabteils von einem jungen Manne geöffnet wurde, der auf der Suche -nach einem Platz zu sein schien. Herr van Schleeten konstatierte, daß -der junge Mann ein ganz sympathisches Aussehen hatte; aber da er es -höchst ungerne sah, wenn das Coupé, in dem er reiste, mehrere Personen -beherbergte, betrachtete er den jungen Mann mit einer bestimmten, -barschen, abweisenden Miene, die ausdrücken sollte: Gehen Sie in -das nächste Coupé, junger Freund. Ohne sich im geringsten daran zu -kehren, ließ sich der junge Mann ungeniert auf Herrn van Schleetens -Sofa nieder, ihm dadurch alle Chancen raubend, sich nach dem Lunch -auszustrecken und ein kleines Schläfchen zu machen. Herr van Schleeten -repetierte seinen barsch abweisenden Blick und legte noch eine Portion -wohlerzogenen Staunens über ein solches Betragen hinein. Leider merkte -er, daß dieser Blick an den jungen Mann (der übrigens gar kein Gepäck -hatte) verschwendet war; dieser war ganz und gar damit beschäftigt, -Herrn van Schleetens schönes Visavis mit den Augen zu verschlingen; sie -ihrerseits schien eingeschlummert zu sein. Herr van Schleeten gab sich -selbst seine Ansichten über die jungen Leute von<span class="pagenum" id="Seite_166">[S. 166]</span> heute kund, und nahm -nach einer Weile sein Studium der Morgenblätter wieder auf.</p> - -<p>Die nächste Episode ereignete sich, als der Zug etwa eine halbe Stunde -weitergesaust war. Die Coupétüre wurde plötzlich wieder geöffnet, -diesmal zu Herrn van Schleetens Befriedigung vom Kondukteur, der die -Fahrkarten zu sehen wünschte. Der junge Mann wies die seine vor, die -zu Herrn van Schleetens Enttäuschung in Ordnung zu sein schien. Der -Schaffner wendete sich nun an Herrn van Schleeten, betrachtete seine -Fahrkarte und hustete dann zweimal ein „Gnädige“, um die Aufmerksamkeit -der jungen Dame zu erregen, die Herrn van Schleeten gegenüber saß. Dies -erwies sich jedoch als vergeblich. Sie schlief noch immer. Der junge -Mann schien einen Augenblick nachzudenken, dann beugte er sich vor und -tätschelte Herrn van Schleetens Visavis sanft das Knie.</p> - -<p>Die Wirkung war eine momentane. Die junge Dame schnellte von ihrem -Platze auf, warf ihm einen furchtbaren, empörten Blick zu, starrte um -sich, reichte dem Schaffner die Karte und brach dabei in eine Sturzflut -von englischen Worten aus: Wie konnte dieser junge Mann es wagen? -Was meinte er eigentlich? Konnte man nicht in Europa reisen (sie war -also Amerikanerin), ohne beleidigt zu werden? Herr van Schleeten fand -ihren Zorn etwas übertrieben, in Gedanken an die Damen amerikanischer -Abstammung, die er sowohl am Knie wie auch anderswo getätschelt hatte; -aber als er bedachte, daß er durch eine feindselige Haltung den jungen -Mann möglicherweise von seinem (Herrn van Schleetens) Sofa vertreiben<span class="pagenum" id="Seite_167">[S. 167]</span> -konnte, hütete er sich wohl, sie zu unterbrechen. Plötzlich wendete sie -sich an ihn:</p> - -<p>„Sir, haben Sie gesehen, ob dieser junge Mensch sich noch andere -Freiheiten gegen mich herausgenommen hat, während ich schlief?“</p> - -<p>„Ich weiß nicht,“ sagte Herr van Schleeten diplomatisch, noch immer in -Gedanken an sein kleines Mittagschläfchen. „Ich habe Zeitungen gelesen.“</p> - -<p>„Es ist gut!“</p> - -<p>Sie setzte ihre Ausfälle gegen den jungen Mann fort, der zuerst ganz -verblüfft zugehört hatte und nun zu einer Entgegnung ansetzte. Sie -unterbrach ihn sofort.</p> - -<p>„Wie können Sie es wagen, mich anzusprechen?“</p> - -<p>Nun wurde es ihrem Widersacher zu toll. Er erhob sich zu Herrn van -Schleetens Entzücken von dem Sofa und verschwand in den Korridor. -Im selben Augenblick verspürte Herr van Schleeten eine leise Reue, -daß er dazu geholfen hatte, ihn in die Flucht zu jagen: es würde -wohl nicht sehr angenehm sein, allein mit solch einer empfindlichen, -streitsüchtigen, kleinen Xantippe zu reisen. Kaum war jedoch der -junge Mann zur Türe hinaus, als sie ihr Aussehen veränderte wie ein -Aprilhimmel und sich mit dem sonnigsten Lächeln der Welt Herrn van -Schleeten zuwendete:</p> - -<p>„Ich war vielleicht ein bißchen heftig,“ sagte sie, „aber ich kann nun -einmal die Zudringlichkeit solcher junger Laffen nicht vertragen.“</p> - -<p>Sie legte einen Akzent auf „solche junge Laffen“, der Herrn van -Schleeten angenehm berührte. Er konstatierte, daß sie weiße starke -Zähne hatte, und daß<span class="pagenum" id="Seite_168">[S. 168]</span> ihre Augen, wenn sie lächelte, ungewöhnlich -anziehend waren. Der Farbe nach waren sie grau; grau war mit den Jahren -Herrn van Schleetens Lieblingsfarbe geworden, nachdem er in allzuviel -blaue und schwarze Augen zu tief gesehen und dafür hatte büßen müssen.</p> - -<p>„Madame,“ sagte er, „die Zudringlichkeit dieses jungen Mannes war -einfach unerhört.“</p> - -<p>Bald waren sie in ein interessantes Gespräch vertieft, das nur dadurch -unterbrochen wurde, daß der Speisewagenkellner in ihr Coupé kam und -meldete, daß das Diner serviert sei. Obgleich Herr Van Schleeten jetzt -mit sich schon darüber einig war, daß er gar nichts dagegen hätte, -mit seinem Visavis zu soupieren, schob er den Gedanken daran doch bis -auf weiteres auf, und schlug ihr vor, mit ihm zu dinieren. Sie nickte -gnädig:</p> - -<p>„Natürlich unter der Voraussetzung, daß ich selbst für mich bezahle.“</p> - -<p>Herr van Schleeten verbeugte sich.</p> - -<p>Nach dem Mittagessen, das bei gutem alten Bordeaux auf das angenehmste -verstrichen war, vergingen einige Stunden, bis Herr van Schleeten -wieder etwas von dem jungen Mann sah, der gedroht hatte, ihn seines -Mittagschläfchens zu berauben. Gegen die junge Dame, die ihm diesen -Genuß nun tatsächlich geraubt hatte, hegte er keinerlei Groll; sie -hatte ihm durch ihre höchst flirtoyante Konversation soviele andere -bereitet. Der Zug stand in Köln, als Herr van Schleeten und die junge -Amerikanerin, deren Name, wie er jetzt wußte, Mrs. Langtrey war, -durch aufgeregte Stimmen im Korridor mitten aus einem interessanten -Meinungsaustausch,<span class="pagenum" id="Seite_169">[S. 169]</span> ob gemeinschaftliche Schulen für Knaben und Mädchen -ratsam seien, gerissen wurden. Sie blickten hinaus und sahen den jungen -Mann, der sie beide zum Zorn gereizt hatte, in Gesellschaft eines -Polizeikonstablers und eines Zivilisten verschwinden, den Herr van -Schleeten sofort als Detektiv agnoszierte. Herr van Schleeten sah Mrs. -Langtrey an. Mrs. Langtrey sah ihn an und rief:</p> - -<p>„Sehen Sie, was habe ich gesagt! Ich habe es förmlich im Gefühl, wenn -ich in der Nähe eines Verbrechers bin!“</p> - -<p>Während Herr van Schleeten ihr seine Bewunderung für diese Clairvoyance -ausdrückte, mußte er sich selbst gestehen, daß seine Gefühle für sie -durchaus nicht telepathischer Natur waren.</p> - -<p>Bei der Ankunft in Paris um halb elf Uhr abends machte es sich ganz -natürlich, daß sie im selben Hotel abstiegen. Herr van Schleeten wählte -ein ruhiges Familienhotel in der Nähe der Madeleinekirche, und sie -erklärte sich damit einverstanden. Wie sie sagte, war sie noch nie in -Paris gewesen. Sie war mit einem der Schiffe der Hamburg-Amerika-Linie -herübergekommen und reiste nur, um den Schmerz über den Verlust ihres -ersten Mannes zu betäuben, der gestorben war, und einem zudringlichen -Freier auszuweichen, der sich einbildete, daß sie ihn liebte.</p> - -<p>Herr van Schleeten war gerne bereit, ihr schon am ersten Abend in Paris -behilflich zu sein, alle Schmerzen zu vergessen, aber er fand keine -Gelegenheit dazu. Nach einer Tasse Tee verschwand Mrs. Langtrey in ihr -Zimmer.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_170">[S. 170]</span></p> - -<p>Zwei Tage später fuhren sie nach London, noch immer zusammen. Sie hatte -ein Telegramm bekommen, das sie zwang, am selben Morgen wie Herr van -Schleeten hinzufahren; sie würde im Grand Hotel Hermitage absteigen. -Bei der Ankunft in Charing Croß drückte sie Herrn van Schleeten so -ungeschminkt herzlich die Hand, wie es nur eine junge Amerikanerin -wagt, und bat ihn am nächsten Tage zum Diner im großen Hotel ihr Gast -zu sein.</p> - -<p>Dieses Diner war entzückend; vor allem dekretierte sie mit -Prinzessinnenmiene, daß nur sie allein bezahlen dürfe. Herr van -Schleeten war der Gastgeber vieler junger Damen gewesen, doch nie der -Gast einer Dame. Es war ein eigentümlich prickelndes Gefühl, so etwa -wie ein neuer holländischer Likör. Er beeilte sich zu betonen, daß dies -nur unter der Voraussetzung denkbar sei, daß sie sobald als möglich mit -ihm im Savoy soupieren wollte. Sie akzeptierte, immer mit derselben -freimütigen Prinzessinnenmiene.</p> - -<p>Beim Abschluß dieses Mittagessens entdeckten Herr van Schleeten und -seine Partnerin zu ihrem Staunen an einem Tisch im Speisesaal des -Hotels keinen Geringeren als den jungen Mann aus dem Eisenbahnzug.</p> - -<p>„Sollten wir nicht eigentlich die Polizei verständigen, Mrs. Langtrey?“ -sagte Herr van Schleeten.</p> - -<p>Mrs. Langtrey schüttelte ihr schönes Haupt.</p> - -<p>„Ich liebe meine Nächsten immer, wenn ich Champagner getrunken habe,“ -sagte sie.</p> - -<p>Herr van Schleeten beschloß, daß beim Souper im<span class="pagenum" id="Seite_171">[S. 171]</span> Savoy Champagner und -nicht Bordeaux serviert werden sollte.</p> - -<p>Dies war Donnerstag, den 11. September. Herrn van Schleetens Geschäfte -zwangen ihn zu einer Spritztour nach Amsterdam, die auf die nächsten -drei Tage Beschlag legte. Als er Montag, den fünfzehnten, zu früher -Morgenstunde nach London zurückkehrte, erwartete ihn die Mitteilung, -daß Seine Hoheit, der Maharadscha von Nasirabad am selben Tage in -der Weltstadt eintreffen sollte, und, um sobald als möglich mit -präsentablen Juwelen auftreten zu können, sein sofortiges Erscheinen im -Grand Hotel Hermitage wünschte.</p> - -<p>Herr van Schleeten empfand einen Augenblick Verwunderung, daß Seine -Hoheit und Mrs. Langtrey dasselbe Hotel gewählt hatten, aber vergaß -sie bald über der angenehmen Perspektive, sie im Hotel zu treffen und -das Datum für das kleine Souper festzusetzen, das er nun halb und halb -an einen bedeutend diskreteren Ort als das Savoy zu verlegen gedachte, -beispielsweise seine eigene überaus diskrete Privatwohnung. Er verfügte -sich ohne Aufschub in das Hotel.</p> - -<p>Der Direktor empfing ihn selbst und führte ihn in die Suite des -Maharadscha im ersten Stock. Nach ein paar Minuten des Wartens wurde -Herr van Schleeten in die Privaträume des Maharadscha geleitet, und sah -sich einem bräunlichen, etwas korpulenten, jungen Manne mit dunklem -Schnurrbart gegenüber, offenbar Sr. Hoheit, einem graubärtigen alten -Hindu, dessen Identität ihm unbekannt blieb, und einem Engländer von -militärischem Typus mit weißem Schnurrbart. Der letztere ergriff das -Wort:</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_172">[S. 172]</span></p> - -<p>„Sie sind Mr. van Schleeten aus Amsterdam, Spezialist in Juwelen?“</p> - -<p>„Ja.“</p> - -<p>„Seine Hoheit wünscht Sie wegen Aenderungen einiger besonders -wertvoller Schmuckstücke zu konsultieren. Sie verstehen, besonders -wertvoll!“</p> - -<p>„Wertvoll!“ unterbrach der junge Maharadscha, „Morrel Sahib, wie könnt -Ihr sie wertvoll nennen! Sie sind ebenso unwürdig der weißen Fürstinnen -wie ich selbst. Vielleicht können sie ihrer würdig werden durch die -Hilfe dieses Mannes, dessen Belohnung und Ehre in solchem Falle nicht -gering sein werden.“</p> - -<p>„Kann ich die Schmucksachen sehen?“ sagte Herr van Schleeten, der -fand, daß dieser Meinungsaustausch den Juwelen kein gutes Prognostikon -stellte, und der an Mrs. Langtrey dachte.</p> - -<p>Auf einen Ruf von Oberst Morrel öffneten sich die Türen zu -einem inneren Gemach, und zwei schwarze Diener von ernstem und -drohendem Aussehen kamen herein, eine eisen- und kupferbeschlagene -Mahagonikassette von ansehnlichen Proportionen schleppend. Die -schwarzen Diener verschwanden wieder, Herr van Schleeten wurde -aufgefordert, sich abzuwenden und hörte einiges Knirschen und Knacken. -Offenbar wurde diese Kassette durch ein verwickeltes Sesam geöffnet, in -das man ihn nicht einweihen wollte.</p> - -<p>Nun, wenn die Steine nicht besser waren, als der Maharadscha meinte, -dann! Glaubten sie vielleicht, daß er das erstemal Juwelen sah? Nun -wurde er aufgefordert, sich umzudrehen. Er tat es und wäre fast -umgefallen.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_173">[S. 173]</span></p> - -<p>Natürlich hatte er von den Juwelenkammern der orientalischen -Fürsten gehört und hatte selbst die Mehrzahl ihrer europäischen -Kollegen gesehen, aber das übertraf seine wildesten Phantasien. -Das war Tausendundeine Nacht. Das war der Todesstoß sogar für sein -holländisches Phlegma. Eine Flut von verschiedenfarbigen Steinen, von -denen ein jeder würdig war, ein Kronjuwel zu sein; ein Springbrunnen -von Licht; schwere blaue Trauben von Saphiren; Perlenschnüre, die sich -durch das Juwelengewühl ringelten wie matt blinkende graue Schlangen; -Smaragden, brennend wie Raubtieraugen; ein Blutgeriesel von Rubinen -über dem Ganzen, so, als wäre irgendein unredlicher Wächter über -der Truhe geköpft und gezwungen worden, sein Blut über ihren Inhalt -sprühen zu lassen — und überall zwischen die anderen versprengt, -Diamanten und Diamanten, deren kaltes Feuer wie Wintersterne und -Nordlicht flammte. Diese ganze Eruption von farbenstrahlendem, aus sich -selbst geborenem Licht, die Herrn van Schleeten entgegengeschleudert -wurde, benahm ihm fast den Atem. Erst nach einiger Zeit sah er die -Einzelheiten, die seltenen Steine, deren Ton von dem normalen abwich; -schwarze Diamanten und Diamanten, deren blaue Farbe die Morgenbläue -um die Bergfirne des Himalaya war; Smaragden, deren grüner Glanz in -einen Opalton überging wie ein eben entflammter Abendhimmel, Rubine, -deren rotes Blut einen Stich ins Blaue hatte, wie um ihren uralten Adel -zu zeigen — schließlich auch die Goldfassung um die Steine. Sie war -schwer, phantastisch, zuweilen grotesk, aber welcher Gedanke, sie zu<span class="pagenum" id="Seite_174">[S. 174]</span> -modernisieren! Herr van Schleeten schöpfte tief Atem und stammelte an -den Maharadscha gewendet:</p> - -<p>„Und Hoheit wollen, daß ich das ändere?“</p> - -<p>„Natürlich,“ sagte Yussuf Khan würdevoll. „Warum hätte ich Euch sonst -durch Oberst Morrel Sahib rufen lassen? Er hat mir gesagt, daß Ihr in -Europa der erste unter jenen seid, die edle Steine behandeln. Obwohl -die meinen von geringem Werte sind und Euch nicht fesseln können, bitte -ich Euch doch, sie der weißen Fürstinnen so würdig zu machen, als sie -werden können. Wisset, daß ich in Europa bin, um eine Sahibprinzessin -zu erringen. Und denkt daran, wenn Eure Hand an diesen Steinen -arbeitet. Euer Lohn und Eure Ehre werden groß sein.“</p> - -<p>Herr van Schleeten, dessen Augen an der Kassette und ihrem Inhalt -hingen, wie die des Vogels am Reptil, wollte eben neue Einwände -erheben, als Oberst Morrel ihm zuvorkam.</p> - -<p>„Die Sache ist durch den Willen Seiner Hoheit entschieden,“ sagte er -scharf. „Wollen Sie die Arbeit übernehmen oder müssen wir uns an einen -anderen wenden? Lassen Sie mich das gleich wissen.“</p> - -<p>Herr van Schleeten stand noch einen Augenblick stumm da, bevor es ihm -gelang zu erwidern:</p> - -<p>„Natürlich ... wenn es der Wille Seiner Hoheit ist ... Aber darf ich -fragen, in welcher Richtung Seine Hoheit wünscht, daß ...“</p> - -<p>„Welche Richtung immer,“ unterbrach der Oberst. „Bestimmen Sie selbst. -Es ist ja Ihre Spezialität.“</p> - -<p>Herr van Schleeten stand einen Augenblick stumm da und hörte den Oberst -in sich hineinmurmeln:</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_175">[S. 175]</span></p> - -<p>„Welche gottverdammte Richtung immer, kommt schon auf eins heraus.“</p> - -<p>Herr van Schleeten begann zu verstehen, wie die Dinge standen, und fuhr -fort:</p> - -<p>„Ist es gestattet, daß ich die Juwelen Seiner Hoheit in mein Atelier -hier in London bringe, oder —“</p> - -<p>„Sie müssen hier arbeiten,“ sagte der Oberst. „Sie bekommen ein Zimmer -zu Ihrer Verfügung, und dorthin müssen Sie die Instrumente, die Sie -brauchen, schaffen lassen. Außerdem müssen Sie schon entschuldigen, -wenn vor dem Arbeitszimmer von der Leibgarde Sr. Hoheit Wache gehalten -wird. Es ist nicht Ihretwegen, sondern um einem Attentat von außen -vorzubeugen.“</p> - -<p>„Ich verstehe,“ murmelte Herr van Schleeten, den Blick auf die Kassette -und ihren Inhalt geheftet. „Und wann soll ich anfangen?“</p> - -<p>„Sobald als möglich, sobald als möglich!“ rief der Maharadscha eifrig. -„Am besten heute.“</p> - -<p>„Heute, fürchte ich, muß ich mich damit begnügen, meine Instrumente -herzubringen,“ sagte Herr van Schleeten, „aber morgen.“</p> - -<p>„Nun gut, morgen! Und Ihr versprecht, so rasch zu arbeiten, als Ihr -könnt, nicht wahr? Eure Ehre und Eure Belohnung werden nicht gering -sein, so wahr ich Yussuf Khan von Nasirabad bin, Sohn des Ibrahim Khan.“</p> - -<p>„Ich werde mein Möglichstes tun, Hoheit,“ sagte Herr van Schleeten und -verabschiedete sich unter tiefen Verbeugungen. „Wenn es notwendig sein -sollte, werde ich Tag und Nacht arbeiten.“</p> - -<p>Der Maharadscha klatschte vor Freude in die Hände,<span class="pagenum" id="Seite_176">[S. 176]</span> als er zur Türe -hinausschritt. Herr van Schleeten sah die schwarzen Diener auf einen -Ruf ihres Herrschers hereineilen.</p> - -<p>Zu seiner Enttäuschung fand er, daß Mrs. Langtrey ausgegangen war, als -er sich beim Portier nach ihr erkundigte. Er schrieb einige Zeilen, -in denen er sie fragte, ob er sie nicht treffen könnte, bevor er am -nächsten Tage seine Arbeit in der Wohnung des Maharadscha begann, und -bat den Portier sie zu übergeben.</p> - -<p>Dies war am 15. September. Dienstag, der 16., brachte für Herrn van -Schleeten ungeahnte Ueberraschungen.</p> - -<p>Schon aus dem Gesicht des Portiers konnte er, als er sich gegen zehn -Uhr im Grand Hotel Hermitage einfand, sehen, daß nicht alles so war, -wie es sein sollte. Er war kaum zur Türe herein, als der Portier den -Direktor anklingelte und ihn bat, ins Kontor hinunterzukommen. Herr van -Schleeten beugte sich diskret zum Portier vor.</p> - -<p>„Ich habe Ihnen gestern ein Briefchen gegeben,“ sagte er mit einem -bedeutungsvollen Blick und strich sich seinen gelbgrauen Schnurrbart.</p> - -<p>Der Portier schien einen Augenblick nachzudenken.</p> - -<p>„Ach ja!“ sagte er, „gewiß. An die Dame auf Nr. 320/21. Sie ist -abgereist, ohne eine Antwort zu hinterlassen.“</p> - -<p>„<em class="gesperrt">Sie ist abgereist!</em>“</p> - -<p>In seiner Verblüffung und Enttäuschung sprach Herr van Schleeten in -gesperrten Lettern wie ein Schauspieler.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_177">[S. 177]</span></p> - -<p>„Sie ist heute morgen abgereist,“ sagte der Portier, „so gegen halb -acht. Kurz zuvor ist ein Expreß-Telegramm gekommen.“</p> - -<p>„Aus Amerika,“ murmelte Herr van Schleeten, plötzlich überzeugt, daß -der zudringliche Freier aufgetaucht war. Was würde nun aus dem Souper -werden?</p> - -<p>„Nein, aus Paddington,“ sagte der Portier. „Ich habe es zufällig auf -dem Blankett gesehen. Hier kommt der Herr Direktor.“</p> - -<p>Herr van Schleeten, der in diesem Augenblick den Direktor des großen -Hotels durch die Halle herankommen sah, war von dem Schlage, den der -Portier ihm ahnungslos versetzt hatte, so betäubt, daß er weder denken -noch sprechen konnte. Es dauerte darum eine Weile, bis er merkte, daß -der Direktor ebenso aufgeregt war wie er selbst.</p> - -<p>Er blieb vor Herrn van Schleeten stehen und schien nach Worten zu -suchen. Endlich fiel es Herrn van Schleeten auf, wie eigentümlich es -doch war, daß man den Direktor überhaupt gerufen hatte. Er hatte ja gar -nichts mit ihm zu tun. Er wollte eben fragen, was denn los sei, als der -Direktor sich zu einem Entschluß aufzuraffen schien.</p> - -<p>„Wollen Sie mit mir zum Herrn Oberst kommen, Herr van Schleeten,“ sagte -er. „Sprechen Sie mit ihm selber; das wird das beste sein.“</p> - -<p>„Ja, was gibt es denn?“ fragte Herr van Schleeten erstaunt.</p> - -<p>„Sie müssen über das, was ich Ihnen sage, Diskretion bewahren, Herr van -Schleeten, aber Sie müssen doch in die Sache eingeweiht werden. Der -Maharadscha<span class="pagenum" id="Seite_178">[S. 178]</span> ist verschwunden, und in seiner Wohnung ist heute nacht -ein Einbruch verübt worden.“</p> - -<p>„Einbruch!“ stammelte Herr van Schleeten, für den Augenblick Mrs. -Langtrey und alles andere vergessend, als die wunderbaren Juwelen. -„Sind die Juwelen gestohlen?“</p> - -<p>„Nein, glücklicherweise wurde der Diebstahl im letzten Moment von einem -jungen Manne verhindert, der hier im Hotel wohnt. Aber der Maharadscha -ist verschwunden, und Gott weiß, wann wir ihn wiedersehen.“</p> - -<p>Herr van Schleeten brachte kein Wort der Erwiderung hervor. Was -waren das für Mysterien? Sowohl Mrs. Langtrey wie der Maharadscha -verschwunden! Waren sie zusammen durchgegangen? Hatte er sie entführt? -Dann, bei allen Mächten der Unterwelt, wollte sich Herr van Schleeten -mit den Juwelen nicht mehr abgeben, als mit dem Schmutz der Straße. -„Wann ist er verschwunden?“ stammelte er.</p> - -<p>„Gestern abend. Er wurde an irgendeinen infernalischen Ort gelockt und -konnte nicht wieder gefunden werden. Aber um Gottes willen, seien Sie -diskret!“</p> - -<p>Herr van Schleeten atmete wieder.</p> - -<p>Herrn van Schleetens Unterredung mit Oberst Morrel auf dessen Zimmer in -der fürstlichen Suite war summarisch. Er fand den Oberst von einer Wand -zur anderen rennend, wie ein frisch gefangener Tiger und kaum weniger -blutdürstig anzusehen.</p> - -<p>„Was zum Geier gibt es?“ war sein artiger Begrüßungsruf.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_179">[S. 179]</span></p> - -<p>„Dies ist Herr van Schleeten, Herr Oberst,“ sagte der Direktor. „Der -Juwelier, der —“</p> - -<p>„Juwelier her, Juwelier hin! Wenn mein schwarzer Diamant beim Teu—“</p> - -<p>Herr van Schleeten begann sich verletzt zu fühlen. Er hatte -augenblicklich selbst seine Sorgen und fand sie groß genug, um nicht -noch mit denen anderer belastet zu werden. Er machte einen Schritt auf -die Türe zu.</p> - -<p>„Ich werde meine Instrumente wieder holen lassen,“ sagte er mit -eiskalter Stimme, „gestatten Sie mir, Ihnen zu sagen, Herr Oberst, daß -ich nicht —“</p> - -<p>„Gut! Gut! Zum Teufel hinein!“ rief der Oberst, aber hielt dann -inne, von einem Gedanken gepackt. „Ja, richtig — es ist ja doch -eine Möglichkeit, daß die Blindschleichen dort oben (offenbar Oberst -Morrels Kosename für die Detektive) meinen schwarzen Ado — Sr. Hoheit -finden ... Also arbeiten Sie nur nach Belieben, mein bester Herr van -Schleeten, ganz nach Belieben. Dann erweisen Sie meinem schwar... Sr. -Hoheit einen großen Dienst. Adieu!“</p> - -<p>Der Oberst stürzte zur Türe hinaus und schlug sie mit einem Krach zu, -der an einen Felssturz gemahnte. Der Direktor wendete sich mit einem -entschuldigenden Lächeln Herrn van Schleeten zu.</p> - -<p>„Der Oberst ist ein bißchen erregt,“ sagte er. „Nehmen Sie es nicht -krumm, Herr van Schleeten, Sie wissen, ein alter Soldat ... er hat es -momentan nicht sehr angenehm.“</p> - -<p>„Das ist kein Grund, mich zu behandeln wie einen<span class="pagenum" id="Seite_180">[S. 180]</span> Kutscher, der falsch -gefahren ist,“ sagte Herr van Schleeten mit gerunzelter Stirne. „Ein -jeder hat seine Sorgen.“</p> - -<p>„Herr van Schleeten, Sie sind doch ein Weltmann. Beachten Sie den -schlechten Humor eines alten Herrn nicht. Gestatten Sie mir, Sie in das -Zimmer zu führen, das für Sie reserviert ist.“</p> - -<p>Noch etwas grollend wurde Herr van Schleeten in den Arbeitsraum -geleitet. Der erste Anblick der märchenhaften Edelsteine war genug, -um ihn sowohl den Obersten wie Mrs. Langtrey vergessen zu lassen. Er -verbrachte eine Stunde damit, sie einen nach dem anderen zu bewundern; -zwei damit, nachzudenken, wie er die Fassungen „ändern“ sollte, damit -sie nach dem Geschmack des Maharadscha ausfielen. Dann klingelte er -und ließ sich ein leichtes Frühstück mit einer halben Chateau-Lafitte -bringen und machte sich dann gegen zwei Uhr an die Arbeit. Er blieb bis -sieben Uhr dabei und merkte kaum, wie die Zeit verflog, so hypnotisiert -war er von den Steinen; was er hingegen, als er seine Instrumente -weglegte, merkte, war, daß er eine Hilfskraft haben mußte, wenn er die -Arbeit in annehmbarer Zeit fertig bringen sollte, ganz abgesehen von -der nervösen Eile des Maharadschas. Gegen halb acht Uhr verließ er das -Hotel.</p> - -<p>Die schwarze Leibgarde hielt noch immer treue, stumme Wache vor -den Türen des Arbeitsgemaches. Herr van Schleeten sprach sie im -Vorüberstreifen auf englisch an, aber bekam keine Antwort. Offenbar -verstanden sie nur ihre Muttersprache.</p> - -<p>Unten auf der Straße angelangt, ging er anfangs<span class="pagenum" id="Seite_181">[S. 181]</span> halb abwesend durch -das Menschengewühl. Der Septemberabend war etwas kühl, mit einem -herbstlichen Ton in der Luft. Herr van Schleeten, dessen Kopf ganz von -den wunderbaren Steinen erfüllt war, wurde sich erst nach einiger Zeit -bewußt, daß er Hunger hatte.</p> - -<p>Er ging in ein kleines französisch-italienisches Restaurant, an dessen -Türe er gerade vorbeikam, setzte sich nieder, und wählte einige -Gerichte <span class="antiqua">à la carte</span> und eine Halbe Kirwan-Cantenac. Er war zum -Kompott nach dem Huhn gekommen, als er aufblickte und sah, daß Mrs. -Langtrey an seinem Tische stand, allein, im Straßenkleid.</p> - -<p>Herr van Schleeten flog in die Höhe.</p> - -<p>„Sie!“ rief er. „Sie!“</p> - -<p>„Ja, ich ...“ murmelte sie. „Ah, daß ich Sie treffe! ... Gott sei Dank! -Gestatten Sie, daß ich mich niedersetze?“</p> - -<p>Herr van Schleeten riß einen Stuhl unter dem Tisch mit einem Schwung -hervor, als wollte er ihn als Wurfgeschoß verwenden und half ihr die -Ueberkleider ablegen. Das kleine Souper winkte, und in dem rosigen -Wachskerzenschein seiner Hoffnungen sah er sich ihr schon weit mehr -ablegen helfen als die Ueberkleider. Sie ließ sich nieder und blätterte -zerstreut in dem Menü, das der französische Kellner sich beeilt hatte, -ihr zu überreichen.</p> - -<p>„Aber heute abend müssen Sie mir gestatten,“ sagte Herr van Schleeten -hastig. „Geben Sie mir die Weinkarte, Kellner.“</p> - -<p>Sie nickte leicht und wählte ein paar Speisen. Herr van Schleeten, der -die Champagnerliste durchforschte,<span class="pagenum" id="Seite_182">[S. 182]</span> bemerkte, daß sie auf französisch -bestellte. Er war ein bißchen verwundert, und nachdem der Kellner -verschwunden war, sagte er:</p> - -<p>„Ich habe geglaubt, Sie waren nie in Frankreich, Mrs. Langtrey.“</p> - -<p>„In Frankreich?“ wiederholte sie nach einem Augenblick. „Nein, warum -denn? Ach so, weil ich Französisch spreche! Das tut doch jeder -gebildete Mensch.“</p> - -<p>Herr van Schleeten beeilte sich, das einzuräumen.</p> - -<p>Erst beim Dessert begannen sie von ihm und dem, was er vor hatte, -zu sprechen. Die Zeit bis dahin war mit ihren Berichten über die -Gründe ihrer überstürzten Abreise ausgefüllt gewesen, und Herrn van -Schleetens Sympathieausbrüchen bei der Anhörung derselben. Es war -dieser zudringliche Freier! Natürlich! Der brutale Egoist! (Herrn van -Schleetens Generalurteil.) Der rücksichtslose Geselle. Ganz einfach -telegraphieren: „Ich komme, erwarten Sie mich,“ und sich einbilden, daß -alles in Ordnung ist! Daß die Heirat ohne weiteres stattfinden kann! -Ach, was für verächtliche Typen es doch in der menschlichen Komödie -gibt (Herr van Schleeten); Wie schwer das Leben für eine arme Frau -ohne Freunde ist (Mrs. Langtrey); Aber schön für den, der <em class="gesperrt">einen -einzigen</em> guten Freund hat (Herr van Schleeten).</p> - -<p>„Wollen Sie wirklich mein Freund sein?“ murmelte sie.</p> - -<p>Herr van Schleeten erklärte sich bereit, diese Rolle ohne alle -Einschränkungen zu übernehmen.</p> - -<p>„Mein wirklich guter Freund, nichts anderes?“ setzte sie fort.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_183">[S. 183]</span></p> - -<p>Herr van Schleeten ging auch darauf ein, allerdings nicht so eifrig wie -auf das erste Programm. Aber er schenkte noch Champagner in ihr Glas, -im Vertrauen auf diesen gelben Wein, im Notfalle auf die Zukunft. Sie -war ja Amerikanerin, und die Amerikanerinnen — man weiß schon. Ein -bißchen Belagerung.</p> - -<p>„Wie froh bin ich, daß ich Sie getroffen habe!“ flüsterte sie und ließ, -wie zerstreut, ihre kleinen Finger Herrn van Schleetens etwas volle -Hand streifen. „Nein, wie der Zufall einem manchmal helfen kann, wenn -man es am schwersten hat. Wenn es nun der Zufall war!“</p> - -<p>Herr van Schleeten sprach die feste Ueberzeugung aus, daß es die -Vorsehung gewesen, und suchte die kleinen Finger zu erhaschen, die sich -rasch aus seinem gierigen Griff retteten.</p> - -<p>„Sprechen wir von Ihnen,“ unterbrach sie. „Was machen Sie denn jetzt? -Sind Sie sehr beschäftigt?“</p> - -<p>Herrn van Schleeten wandelte die Lust an, sich interessant zu machen -und zu zeigen, was er alles konnte, dieselbe Lust, die der Grund ist, -daß er und wir alle, dank unserem Stammvater, nicht mehr im Paradiese -wohnhaft sind. Mit einer Beredsamkeit, die sie offenbar ganz und gar -bestrickte, beschrieb er den Auftrag, den er vom Maharadscha empfangen, -und wurde bei der Schilderung der Juwelen geradezu dramatisch. -Plötzlich fiel sie ihm mit funkelnden Augen ins Wort:</p> - -<p>„Ich <em class="gesperrt">muß</em> sie sehen!“ rief sie. „Ich <em class="gesperrt">liebe</em> Juwelen! Ueber -alles andere auf Erden.“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_184">[S. 184]</span></p> - -<p>„Ueber alles andere auf Erden?“ wiederholte Herr van Schleeten -enttäuscht. „Ich fürchte, das ist unmöglich, Mrs. Langtrey, es war -schon indiskret von mir, Ihnen überhaupt davon zu sprechen.“</p> - -<p>„Mir! Haben Sie schon vergessen, daß Sie versprachen, mein Freund zu -sein? Wenn es etwas auf Erden gibt, das mehr wert ist als Diamanten, -ist es wahre Freundschaft. Und einem Freunde muß man seine intimsten -Geheimnisse erzählen können, nicht wahr, Herr van Schleeten?“</p> - -<p>Herr van Schleeten gab zu, daß sie recht hatte. Aber ihr die Juwelen zu -zeigen —</p> - -<p>„<span class="antiqua">All right.</span> Wir sprechen nicht mehr darüber,“ sagte sie, mit -einem kleinen Unterton kühler Verwunderung in der Stimme, der Herrn van -Schleeten einen Schauer über den Rücken jagte. „Sie brauchen sich wegen -Ihrer Indiskretion keine Sorgen zu machen. Ich plaudere nichts aus.“</p> - -<p>Der rosige Wachskerzenschimmer über Herrn van Schleetens -Zukunftsträumen zuckte bei ihrer kalten Stimme wie unter einem Luftzug. -Er beeilte sich, einen stammelnden Satz zu beginnen:</p> - -<p>„Mrs. Langtrey ... liebste Freundin ... sehen Sie ... ja, was soll ich -sagen? ... Warten Sie, unterbrechen Sie mich nicht! Es <em class="gesperrt">gäbe</em> ja -eine Möglichkeit ...“</p> - -<p>Ihre Augen begannen ihn warm und strahlend anzusehen.</p> - -<p>„Lassen Sie mich hören!“ rief sie. „Sie sind ein Engel!“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_185">[S. 185]</span></p> - -<p>Herr van Schleeten strich sich seinen gelbgrauen Schnurrbart.</p> - -<p>„Es ist nämlich so,“ flüsterte er, „daß ich bei meiner Arbeit eine -Hilfskraft brauche, das habe ich heute nachmittag konstatiert. Und wenn -— ja das heißt, dann müßten Sie aber Männerkleider anziehen — und das -—“</p> - -<p>„Männerkleider! Gott, wie lustig! Was Sie sich alles ausdenken können, -lieber Freund! Sie <em class="gesperrt">sind</em> ein Engel.“</p> - -<p>Herr van Schleeten begann seine Worte schon halb und halb zu bereuen.</p> - -<p>„Aber das wäre doch eine schwierige Sache,“ sagte er zögernd. „Sie -verstehen, wenn jemand im Hotel Sie erkennen sollte, dann wären sowohl -Sie wie ich rettungslos kompromittiert.“</p> - -<p>„Aber wenn es dunkel wird,“ sagte sie. „In der Verkleidung bei -elektrischem Licht wird man mich doch nicht erkennen. Wie lange -arbeiten Sie denn dort?“</p> - -<p>„So lange ich will,“ gestand Herr van Schleeten.</p> - -<p>„Gott, da können Sie ja auch in der Nacht dort sein!“</p> - -<p>„Das kann ich,“ räumte Herr van Schleeten ein.</p> - -<p>„Aber dann komme ich eben bei Nacht,“ rief sie entzückt, ganz glücklich -über diese einfache Lösung eines schwierigen Problems.</p> - -<p>Herr van Schleeten erbebte innerlich. Wie wäre es mit einem kleinen -Souper, nur von der Glut der wunderbaren Juwelen beleuchtet?</p> - -<p>„Sie müßten abends kommen, gegen zehn Uhr,“ sagte er, „und ich müßte -den Obersten vorbereiten,<span class="pagenum" id="Seite_186">[S. 186]</span> daß ich jemand zu meiner Hilfe mitbringe. Um -diese Zeit sind die meisten Hotelgäste zu Bett oder im Theater.“</p> - -<p>Sie klatschte vor Entzücken in die Hände und drückte über den Tisch -hinweg seine Hand.</p> - -<p>„Gott, wie reizend! Das wird das Reizendste, was ich noch im Leben -mitgemacht habe, und Ihnen habe ich es zu verdanken!“</p> - -<p>„Aber,“ stammelte Herr van Schleeten wieder reuig und sich an diese -letzte Chance festklammernd, „es steht eine schwarze Leibwache mit -gezogenen Säbeln vor den Türen, und —“</p> - -<p>„Das macht nichts,“ rief Mrs. Langtrey, „gar nichts, wenn ich weiß, daß -ich mit einem wirklichen Freund bin!“</p> - -<p>Das Souper schloß in scharmanter Stimmung von seiten Mrs. Langtreys. -Aber die Hoffnung, die Herr van Schleeten an den Champagner geknüpft, -erfüllte sich nicht; trotz dieses gelben und verräterischen Trankes -mußte er Mrs. Langtrey an der Türe eines Autos Adieu sagen (sie war -in ein kleines Familienhotel irgendwo gezogen, sagte sie). Ein Druck -ihrer weichen festen Hand und ein Blick durch den Schleier, versprachen -immerhin deliziöse Möglichkeiten für die Zukunft, und während Herr -van Schleeten heimwärts ging, gelang es ihm bald, sich selbst zu -überzeugen, daß er ein verfluchter Kerl war und daß alles gut gehen -würde. Morgen abend, im Zimmer des Maharadscha ...</p> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_187">[S. 187]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="IX">IX<br /> - -<em class="gesperrt">Yussuf Khans Wiederkehr</em></h2> - -</div> - -<p>Als die Detektivs endlich gegangen waren und die Familie Bowlby unter -dem Präsidium Mrs. Bowlbys die Einbruchsaffäre und Mrs. Langtreys -Verschwinden zu Ende debattiert hatte, dachte Allan an sein eigenes -Privatmißgeschick; aber es wäre unwahr zu sagen, daß er es sehr schwer -nahm. Was hatte er sich doch zugeflüstert, als er vor einigen Tagen die -Küste der Heimat verbleichen sah? Vorwärts, den Abenteuern entgegen! -Schicksal, <span class="antiqua">en garde</span>! Unleugbar waren ihm Abenteuer begegnet; -aber das Schicksal hatte seine Herausforderung ebenfalls angenommen und -zu einem recht fühlbaren ersten Gegenstoß ausgeholt. Wäre Herr Mirzl -nicht ebenso exzentrisch gewesen, als er kühn war, so stünde Allan -heute ohne Koffer und Kasse da — und was hätte er dann angefangen? -Nach Hause telegraphiert ...? Das Vorstellungsbild der jetzt wohl laut -brüllenden Akzeptanten ließ ihn rasch davon abstehen, diesen Gedanken -zu Ende zu verfolgen. Auf jeden Fall wollte er einer Wiederholung -vorbeugen. Es konnte ja geschehen, daß Herr Mirzl in seiner -Exzentrizität sein Urteil kassierte und die Geldbuße in gleicher Weise -zurückschickte wie damals die Koffer; aber in der Erwartung dessen war -es wohl am besten, den Rest der Reisekasse außer<span class="pagenum" id="Seite_188">[S. 188]</span> Reichweite für ihn zu -placieren. Am Mittwoch deponierte Allan ihn folglich im Bankkontor des -Hotels, nur gegen von ihm signierte Schecks oder Quittung zu beheben. -Zwei Exemplare seiner eigenhändigen Namensunterschrift wurden dem -Bankbeamten eingehändigt.</p> - -<p>Am selben Abend gegen sieben Uhr sah Allan den alten Herrn mit der -Raubvogelnase, der, wie er nun wußte, der Juwelenspezialist Mynheer -van Schleeten war, die Treppe von der Wohnung des Maharadscha -herunterkommen. Er sah ein bißchen erregt aus. Als der Hoteldirektor -etwas später die Halle passierte, nahm Allan seinen ganzen Mut zusammen -und ging auf ihn zu.</p> - -<p>„Darf ich Sie etwas fragen, Herr Direktor?“</p> - -<p>Der Direktor, der Allan von dem gestrigen Verhör kannte, nickte -wohlwollend. Das war ja dieser junge Mann, dem man es zu danken hatte, -daß nicht alles verloren war.</p> - -<p>„Sie haben noch keine Nachrichten vom Maharadscha?“</p> - -<p>Der Direktor schüttelte düster den Kopf.</p> - -<p>„Leider nicht. Sie sind doch diskret gewesen, hoffe ich?“</p> - -<p>„Absolut. Ich habe kein Wort über die Sache zu irgend jemand verlauten -lassen außer der Familie Bowlby. Aber darf ich Sie etwas fragen? Ich -sah gerade den alten Juwelier, den der Maharadscha berufen hat, aus -seinem Appartement herunterkommen. Arbeitet er denn an den Juwelen, -obwohl Se. Hoheit verschwunden ist?“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_189">[S. 189]</span></p> - -<p>„Ja, er kam heute morgen, und da ich nicht wußte, was ich tun sollte, -führte ich ihn zu Oberst Morrel hinauf ...“</p> - -<p>Der Direktor brach ab und bemühte sich ein Lachen zu verbeißen.</p> - -<p>„Ich hatte selbst das Vergnügen, den Oberst gestern morgen zu treffen,“ -sagte Allan. „Herr van Schleeten bekam vermutlich die Aufforderung, -sich an einen heißen Ort zu verfügen?“</p> - -<p>„Etwas Aehnliches. Aber dann reute es den Obersten, und er bat ihn -— na ja, <em class="gesperrt">bat</em>, hm, — die Arbeit in Angriff zu nehmen. Herr -van Schleeten hat den ganzen Tag oben in der Suite des Maharadscha -gearbeitet.“</p> - -<p>„Glauben Sie nicht, daß er in der Einsamkeit in Versuchung kommen -könnte?“ fragte Allan. „Er geht ganz nach Belieben aus und ein?“</p> - -<p>„Er! Er ist ja selbst ein Krösus und einer der bestrenommierten -Juwelenspezialisten in Europa! Ebensogut könnten Sie ihn des Einbruchs -verdächtigen.“</p> - -<p>„Ich bitte um Entschuldigung,“ sagte Allan, „vermutlich geht mir der -Einbruch im Kopfe herum. Und dann ist da noch eine andere Sache, die -ich zufällig weiß.“</p> - -<p>„Was denn?“</p> - -<p>„Ich weiß zufällig, daß Herr van Schleeten intim oder zumindest bekannt -mit Mrs. Langtrey war, die gestern früh verschwunden ist.“</p> - -<p>„Ich habe Mrs. Bowlbys Insinuationen gegen die betreffende Dame gehört. -Aber die Detektivs zuckten nur die Achseln darüber, und weder uns -noch ihnen ist<span class="pagenum" id="Seite_190">[S. 190]</span> etwas Nachteiliges über sie bekannt. Und wenn Sie sie -auch im selben Zug gesehen haben wie Mirzl, könnten Sie doch nicht -behaupten, daß sie einander kannten. Aber man wird sie natürlich im -Auge behalten.“</p> - -<p>„<span class="antiqua">All right</span>,“ sagte Allan. „Ich wollte Ihnen nur sagen, was ich -weiß.“</p> - -<p>Der Direktor neigte den Kopf und ging in das Bureau.</p> - -<p>Kurz darauf wurde Allan Zeuge einer Szene, über die er hell aufgelacht -haben würde, wenn er ihren Ernst nicht erkannt hätte. Der alte Oberst -kam die Treppen herunter und stürzte mit nervösen Schritten auf das -Bureau zu. Im Vorbeieilen warf er Allan einen ergrimmten Blick zu. -Offenbar war er noch durchaus nicht überzeugt, daß nicht alle Attentate -ihren Ursprung von Allan herleiteten. Bevor er noch das Bureau erreicht -hatte, kam der Direktor wieder herausgeeilt; in seinem Gesicht prägte -sich die lebhafteste Erregung aus. Bei dem Anblick des Obersten stieß -er einen kleinen Schrei aus. Allan sah ihn mit gesenkter Stimme dem -alten Krieger etwas mitteilen. Der Oberst starrte ihn regungslos an und -stieß dann ein Gebrüll aus, bei dem die Leute rings in der Halle von -ihren Klubsesseln emporfuhren. In der nächsten Sekunde stürzte er wie -ein Wahnsinniger die Treppen hinauf. Allan eilte auf den Direktor zu, -um ihn zu fragen, was denn los sei. Hatten sie den Maharadscha ermordet?</p> - -<p>„Der arme Oberst Morrel,“ sagte der Direktor. „Mich soll es wundern, -wenn nach seinem letzten Geheul<span class="pagenum" id="Seite_191">[S. 191]</span> nicht das ganze Hotel weiß, wie die -Dinge stehen.“</p> - -<p>„Was gibt es denn? Ist Seine Hoheit tot aufgefunden?“</p> - -<p>„So schlimm ist es nicht — noch nicht. Aber er ist überhaupt nicht -gefunden, und das ist fast ebenso arg.“</p> - -<p>„Aber das wußte ja der Oberst schon?“</p> - -<p>„Ja, aber wir hatten eben eine telephonische Botschaft vom Inspektor -Mc. Lowndes — Sie wissen, der magere Mann, der Sie gestern früh -verhört hat. Seine Leute haben das Lokal herausgeschnüffelt, von dem -Sie sprachen!“</p> - -<p>„Sie haben den Feuerfresserklub gefunden?“</p> - -<p>„Offiziell heißt er irgendwie anders — englisch-französische -Theaterfreunde oder so ähnlich. Feuerfresserklub ist nur ein Kosename -unter den Mitgliedern. Ein Mann namens Hardy steht dem Ganzen vor. Die -Papiere waren in Ordnung. Hardy hat nie etwas von Mirzl oder seinem -Anhang gehört. Vor zwei Tagen erhielt er den Besuch der zwei Herren, -die Sie beschrieben haben, Stanton und dem anderen, der unter dem Namen -Müller eingeschrieben war. Sie bestellten die Logen Nr. 5 und 6 für -den Abend, das war das Ganze, und alles was Hardy wußte oder wissen -wollte. Der Diener konnte auch nicht viel mehr sagen. Wie es Ihnen -gelungen ist, herauszukommen, war ihm ein Rätsel, da er allein die -Gäste ein und aus ließ. Gegen drei Uhr morgens war er durch ein Signal -aus Nr. 5 alarmiert worden, wo er sowohl die Gesellschaft von Nr. 6 -wie die von Nr. 5 vorfand, mit Ausnahme von Ihnen. Er stellte eine -Frage nach Ihnen an Müller,<span class="pagenum" id="Seite_192">[S. 192]</span> der antwortete, daß Sie drinnen seien und -tanzten und solange bleiben könnten als Sie wollten. Er, Stanton und -die zwei dunklen Herren, die leider etwas angeheitert waren, wollten -jetzt gehen. Sie verstehen, sie hatten nun Ihre Flucht entdeckt und -waren erschrocken. Der Diener half ihnen, den Maharadscha und den alten -Hofdichter, von deren Identität er keine Ahnung hatte, in den Lift -hinauszutragen. Unten auf der Straße bestiegen sie ein Auto, und er sah -sie fortrollen. Die Autonummer sah er nicht an, und die Adresse hörte -er nicht. — Das ist das Ganze. Sie verstehen also, daß der Maharadscha -in den Krallen der Gauner ist, und Sie verstehen wohl auch, was das -bedeutet.“</p> - -<p>„Erpressung?“</p> - -<p>„Das ist das Geringste, und wir müssen leider sagen, das Günstigste. -Erpressung von mir, des Hotels wegen, und vom Obersten Seiner Hoheit -wegen. — Ach, wenn ich doch diese Menschen nie in das Hotel gelassen -hätte!“</p> - -<p>Der Direktor murmelte etwas, das Allan nicht hören konnte, aber das er -ohne Zögern als einen energischen Fluch agnoszierte. Allan wollte noch -einige Fragen stellen, aber plötzlich eilte der Direktor auf und davon, -ohne auch nur guten Abend zu sagen.</p> - -<p>Allan ließ sich auf einem Fauteuil in der Halle nieder, bestellte einen -Whisky mit Soda und fing an, die letzten Nachrichten zu überdenken. -Einiges davon war ihm noch unklar, infolge der abrupten Art des -Direktors, die Konversation abzuschließen. Hatte die Polizei die -Angelegenheiten dieses Klubs nicht gründlicher<span class="pagenum" id="Seite_193">[S. 193]</span> durchwühlt? Kannte -Hardy die Herren Stanton und Müller als Klubmitglieder? In diesem Falle -mußte er doch ihre Adresse wissen. Suchte die Polizei sie durch das -Auto aufzuspüren?</p> - -<p>Allan ging zu Bett, ohne den Direktor wiedergesehen oder eine Antwort -auf diese Fragen gefunden zu haben. Bowlbys waren an diesem Abend -eingeladen; in ihrer Suite wurde Wache gehalten, um einer Wiederholung -von Herrn Mirzls Besuch vorzubeugen.</p> - -<p>Der nächste Tag war ebenso arm an Ereignissen, als ein paar der -vorangegangenen reich daran gewesen waren. Der Maharadscha war und -blieb verschwunden, und kein Wort von Erpressung kam von seinen -Entführern. Gegen sieben Uhr morgens sah Allan den Obersten wieder und -fühlte eine Anwandlung von Mitleid mit dem alten Herrn, so verstört und -nervös sah er aus. Kurz darauf, während er am Eingang des Speisesaales -stand und mit Mr. Bowlby plauderte, kam der Direktor vorbei.</p> - -<p>„Wenn die Schurken doch wenigstens schreiben und ihren Preis sagen -wollten,“ rief er. „Der arme alte Morrel wird noch verrückt, wenn nicht -bald Nachrichten eintreffen.“</p> - -<p>Allan benutzte die Gelegenheit, seine Fragen zu stellen. Der Direktor -zuckte die Achseln, und die Worte überkollerten sich förmlich in seinem -Munde.</p> - -<p>„Untersuchungen! Natürlich tut die Polizei was sie kann, aber man -weiß ja, wieviel das ist! Dem Auto wird nachgespürt, Hardy und der -Diener sind heute ein halbes Dutzend mal verhört worden, und man hat -die Klubliste mit Argusaugen durchgesehen. Natürlich<span class="pagenum" id="Seite_194">[S. 194]</span> hatten Stanton -und Müller, seit sie sich einschrieben, ihre Adressen ein dutzendmal -gewechselt, und keine Menschenseele weiß, wo sie sich aufhalten. Der -Mann, der sie in den Klub, der eigentümlicherweise verdammt heikel -ist, eingeführt hat, war ein französischer Baron, de Citrac oder so -irgendwie —“</p> - -<p>„De Citrac!“ Allan zuckte zusammen. „Kennen Sie den Namen, Mr. Bowlby? -Der Mann, der nach dem, was Mrs. Bowlby erzählt hat, in Amerika mit -Mrs. Langtrey geflirtet hat! Seien Sie sicher, de Citrac ist kein -anderer als Mirzl in höchsteigener Person!“</p> - -<p>Der Direktor und Mrs. Bowlby starrten ihn an, und Mr. Bowlby ließ ein -schrilles, reich moduliertes Expreßsignal als Ausdruck seiner Gedanken -ertönen.</p> - -<p>„<span class="antiqua">By Jove!</span> Sie haben recht, junger Freund! Sicher! Sie haben -recht! Ich fühle es!“</p> - -<p>Der Direktor zuckte die Achseln.</p> - -<p>„Auf jeden Fall, behauptet Hardy, daß er steinreich ist und zwei, drei -Schlösser in Frankreich hat. Und wenn das auch unwahr ist, so hilft das -jetzt nicht viel, wo es so eilt, des armen Morrels wegen. Es wäre eine -Gnade des Himmels, wenn die Schurken schreiben und ihren Preis angeben -wollten, das sage ich, wenn es auch feige klingt.“</p> - -<p>Mrs. Bowlby war nicht so sehr von Mitleid mit dem Maharadscha und -seinem Mentor erfüllt wie der Direktor, als man beim Diner die Debatte -wieder aufnahm.</p> - -<p>„Der arme Oberst! Hätte er besser auf das Untier aufgepaßt. <em class="gesperrt">Er</em> -müßte doch wissen, wie er ist. Wenn man hundertfünfzig zum täglichen -Gebrauch hat, gewöhnt<span class="pagenum" id="Seite_195">[S. 195]</span> man es sich nicht so plötzlich ab. Sie können -sagen, was Sie wollen, Mr. Cray, ich <em class="gesperrt">weiß</em>, daß er in diesem -Lokal in Damengesellschaft war. Helen, mein Kind, höre nicht zu, was -ich sage.“</p> - -<p>„Nein, Mama.“</p> - -<p>„Und Langtreys Frau! Denken Sie, diese dickschädligen Detektivs wollten -nicht einmal auf das hören, was ich ihnen über sie sagte! Unschuldig! -Natürlich ist sie unschuldig, weil sie lange Haare hat. Ich kenne die -Männer. Sie hat den Verbrechern rapportiert, daß John Mr. Cray zu sich -eingeladen hat. Bitte stellen Sie das nicht in Abrede, Mr. Cray.“</p> - -<p>„Nein, Mrs. Bowlby. Sie haben gehört, daß ein Baron de Citrac Mirzls -zwei Helfershelfer in den Feuerfresserklub eingeführt hat?“</p> - -<p>„In das Lokal!“</p> - -<p>„Ja. Und glauben Sie nicht, daß de Citrac und Mirzl eine und dieselbe -Person sind?“</p> - -<p>„Sicher!! Sie sind genial, Mr. Cray. Sicher! Dann bedauere ich Mirzl. -Er war mir früher eigentlich nicht so unsympathisch, aber wenn er einen -solchen Geschmack hat. — Aber <em class="gesperrt">wissen</em> Sie, was ich jetzt glaube, -Mr. Cray?“</p> - -<p>„Nein, Mrs Bowlby.“</p> - -<p>„Ja, daß Langtreys Frau den Prinzen für ihre private kleine Rechnung -entführt hat! Die ganze Welt weiß ja, wie sie ist, und sie — Helen, -mein Kind, höre nicht zu, was ich sage.“</p> - -<p>„Nein, Mama.“</p> - -<p>Allan fiel etwas ein.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_196">[S. 196]</span></p> - -<p>„Weiß jemand, ob der alte Juwelier auch heute dagewesen ist und -gearbeitet hat?“</p> - -<p>Mr. Bowlby nickte.</p> - -<p>„Er kam heute morgens wie gewöhnlich und arbeitete hier bis halb -sieben. Er sprach mit dem Direktor — mit dem Obersten ist ja nicht -mehr zu reden — und sagte, die Arbeit sei doch viel langwieriger als -er geglaubt hatte. Er bat um die Erlaubnis, am Abend wieder zu arbeiten -und einen Mann aus seinem Geschäfte zu seiner Hilfe mitzubringen. -Der Direktor sprach mit dem Obersten, und der Oberst gab seine -Einwilligung.“</p> - -<p>„Ich kann mir denken, wie er sie formuliert hat,“ sagte Allan.</p> - -<p>Nach dem Diner verfügte man sich in die Appartements der Familie -Bowlby, wo sich außer anderen Annehmlichkeiten auch ein amerikanischer -Whisky vorfand, der von Mr. und Mrs. Bowlby in hohem Grade goutiert -wurde, von der letzteren allerdings nur ferne von der Oeffentlichkeit.</p> - -<p>Allan blieb bis kurz vor zehn Uhr sitzen, zu welcher Stunde die -amerikanische Familie erklärte zu Bett gehen zu wollen, da sie die -Nacht vorher lang aufgewesen waren. Allan wurde aufgefordert, sitzen zu -bleiben und sich allein zu erfrischen, aber lehnte ab und sagte gute -Nacht. In die Halle gekommen, dachte er einen Augenblick nach, was er -anfangen sollte. Die große Halle war leer bis auf einen Kellner und ein -paar Hotelbedienstete. Er beschloß, einen Abendspaziergang zu machen -und zog seinen Ulster an, der beim Garderobier hing. Gerade als er sich -anschickte zu gehen, ging die Drehtüre auf, und zum Vorschein kam der<span class="pagenum" id="Seite_197">[S. 197]</span> -alte Juwelier und ein einfach gekleideter Mensch. Offenbar hielt Herr -van Schleeten Wort und erschien nun zur Nachtarbeit an den Juwelen des -Maharadschas. Es war zu hoffen, daß der Maharadscha Gelegenheit finden -würde, ihn für seinen Eifer zu belohnen. Allan trat beiseite, um Herrn -van Schleeten und seinen Gehilfen passieren zu lassen. Er musterte -sie ohne weiter daran zu denken; Herr van Schleeten erwiderte seine -Blicke mit zornigem Funkeln. Was hatte er eigentlich für einen Grund -Allan böse zu sein? Es war doch Allans Verdienst, daß er überhaupt in -die Lage gekommen war, an den Juwelen zu arbeiten. Allan ging vorbei, -mit einem flüchtigen Blick auf den Gehilfen, der durch die Pracht des -großen Hotels befangen und geniert zu sein schien, er nahm nicht einmal -seine tief hineingezogene Sportmütze ab. Ganz flüchtig kam Allan die -Idee, daß er schon einmal ein paar graue Augen gesehen hatte, die denen -des Arbeiters glichen. Dann war er zur Drehtüre hinaus und ging die -breiten Marmorstufen hinunter.</p> - -<p>Er blickte zur Hotelfassade empor. In der Suite der Familie Bowlby -waren noch ein paar Fenster hell. In der des Maharadscha war alles -dunkel bis auf ein einziges Fenster — offenbar eines von denen, -die dem Obersten gehörten. Während Allan noch dastand und vor sich -hinblickte, wurden noch zwei Fenster hell. Herr van Schleeten war also -mit seinem Gehilfen oben angelangt. Allan wollte eben weitergehen, als -sich etwas Eigentümliches ereignete.</p> - -<p>Eine Hand zeichnete sich seinen Augenblick von der Scheibe ab, die -eben erleuchtet worden war, mit ausgespreizten<span class="pagenum" id="Seite_198">[S. 198]</span> Fingern. Die Finger -schlossen sich, öffneten sich und schlossen sich abermals. Dann zeigten -sich nur zwei davon, ganz ausgespreizt; dann verschwand die Hand. -Alles war mit Blitzesschnelle gegangen. Allan, der noch dastand und -hinaufsah, wußte nicht recht, ob er richtig gesehen oder das Opfer -einer Halluzination gewesen war. Herrn van Schleetens guter Name und -Ruf war ja von keinem Geringeren als dem Direktor des Hotels bezeugt -worden. Aber wie sollte diese Hand an der Scheibe aufgefaßt werden, -wenn nicht als ein Signal für jemanden draußen? Und warum signalisiert -man jemandem draußen, wenn man das ganze Personal eines großen Hotels -zur Verfügung hat? Bei aller Achtung vor dem Direktor ...</p> - -<p>Allan machte mit philosophisch gerunzelter Stirne einige Schritte der -Hotelfassade entlang. Verwirrte Gedanken wirbelten wie Schneeflocken -durch seinen Kopf. War Mirzl im Komplott mit Herrn van Schleeten? Erst -eine halbe Minute nach dem Verschwinden der geheimnisvollen Hand fiel -ihm etwas ein, das doch ganz selbstverständlich war: <em class="gesperrt">Wenn</em> man -von dem beleuchteten Fenster aus signalisierte, in der Hoffnung, von -jemand draußen verstanden zu werden, so mußte dieser Jemand in der Nähe -sein, um das Signal aufzufangen. Er begann sich auf dem ziemlich matt -beleuchteten Square, an dem das große Hotel gelegen war, umzusehen. -Massen von Menschen strömten vorbei, obgleich Monmouth Square nicht -zu den belebtesten gehört. Die Person, der man eventuell signalisiert -hatte, mußte also vor dem Hotel stehen und warten. War irgendeine -mystische stationäre Person<span class="pagenum" id="Seite_199">[S. 199]</span> da? Soweit Allan sehen konnte, war das -einzige Stationäre fünf oder sechs Autos. Nun, nichts hinderte ja, daß -es eines von ihnen war, dem man ...</p> - -<p>Allan fuhr mit einem innerlichen Triumphschrei auf. Haha! War das der -kleine Plan? War Herr van Schleeten mit im Komplott? Oder war er nur -eine Marionette, an der man mit dem Faden manövrierte, von dem sie -sich am liebsten lenken ließ? Mr. Bowlby hatte ja von seiner Schwäche -für das schöne Geschlecht gehört und erzählt — war Mrs. Langtrey in -Kenntnis dessen und in spezieller Absicht im Expreß so gnädig gegen ihn -gewesen und so aufgebracht gegen Allan, der ihr Tete-a-tete zu stören -drohte? ... Und war es denkbar, daß ihm darum die grauen Augen des -Gehilfen so bekannt vorgekommen waren?</p> - -<p>Ein Schwarm von Gedanken, deren Ausgangspunkt der letztgenannte war, -summte durch Allans Kopf. Und nachdem er rasch die Ueberzeugung erlangt -hatte, die sowohl seine Eigenliebe wie seine Revanchelust kitzelte, daß -er recht hatte, blieb nur eine Frage: Was sollte er tun?</p> - -<p>Er ging auf dem Trottoir auf und ab, die Augen bald auf das erleuchtete -Fenster geheftet, wo jetzt keine Hand zu sehen war, bald auf die Leute, -die vorbeipassierten, um den eventuellen Mitschuldigen zu entdecken. -Der Direktor? Ihn aufsuchen? Er würde unfehlbar ausgelacht werden. -Der Direktor hatte seinen Glauben an Herrn van Schleeten zu energisch -betont, als daß er seinen Standpunkt auf eine unbegründete Einbildung -eines jungen Herrn wie Allan ändern<span class="pagenum" id="Seite_200">[S. 200]</span> würde — wenn es sich auch schon -erwiesen hatte, daß Allan glückliche Einfälle haben konnte.</p> - -<p>Denn vielleicht war es doch nur eine unbegründete Einbildung, daß es -nicht ein Arbeiter war, der mit Herrn van Schleeten hinaufgegangen war, -das Signal, das Ganze. Was konnten die Betreffenden eigentlich gegen -Herrn van Schleeten unternehmen, <em class="gesperrt">wenn</em> Allan recht hatte? Es -stand ja eine Wache vor dem Eingang.</p> - -<p>Ein neuer Gedanke ließ Allan zusammenzucken. Was ihn hervorgerufen -hatte, war nichts anderes, als der Anblick von Oberst Morrels Fenster, -wo noch Licht brannte.</p> - -<p>Der Oberst! <em class="gesperrt">Der</em> ließ an Bereitwilligkeit nichts zu wünschen -übrig, jeden, wer es auch sein mochte, zu verdächtigen — vermutlich -in erster Linie Allan! ... Aber ohne die Zeit mit weiteren Erwägungen -zu verschwenden, ob ein anderer Weg geeigneter wäre, oder wie dies -ausgehen würde, stürzte Allan die Eingangstreppe des Hotels hinauf und -weiter zur Suite des Maharadschas. Er sah die schwarze Leibgarde, die -in dem Korridor vor den Räumen, die ihr Herrscher inne hatte, Wache -hielt. Das Zimmer des Obersten lag am äußersten Ende des Korridors, -und davor stand ein Mann in Livree mit einem Syphon und einer Flasche -Whisky auf einem Tablett; er stand, den Knöchel an der Türe, als wenn -er eben angeklopft hätte. Offenbar wollte der Oberst versuchen, seine -Kümmernisse in einem kleinen Abendrausch zu ertränken. Im selben -Augenblick, in dem der Mann die Türe öffnete, stand Allan auch schon -davor.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_201">[S. 201]</span></p> - -<p>„Ich muß mit dem Herrn Oberst sprechen!“ rief er und faßte den Mann am -Arm.</p> - -<p>Der Livrierte betrachtete ihn kalt.</p> - -<p>„Der Herr Oberst empfängt nicht um diese Tageszeit,“ sagte er und -versuchte, sich aus Allans Griff zu befreien. Aber Allan hielt sich -fest wie an einer Rettungsboje.</p> - -<p>„Sie werden es zu verantworten haben, wenn Sie sich weigern, mich -anzumelden. Hören Sie, zu verantworten! Mein Name ist Allan Kragh, der -Oberst weiß, wer ich bin. Hören Sie!“</p> - -<p>Allan konnte nicht zu Ende sprechen. Oberst Morrel zeigte sich -plötzlich in der Türöffnung, leichenblaß vor Erregung. Es war -unverkennbar, daß der Whisky, den der Bediente jetzt brachte, nicht der -erste war, den er heute sah. Es fiel ihm schwer, gerade zu stehen, und -seine Augen, die Blicke wie Lanzen um sich schleuderten, konnten nur -schwer damit zielen.</p> - -<p>Als er Allan erblickte, stieß er ein Tigergebrüll aus.</p> - -<p>„Sie! Was zum Teufel tun Sie hier? Ist es Ihnen gelungen die Juwelen zu -stehlen oder haben Sie Nachrichten von Ihren Kameraden, was sie für den -Maharadscha bezahlt haben wollen?“</p> - -<p>Allan verzichtete auf alle Umschweife.</p> - -<p>„Oberst Morrel, ich denke nicht daran, auf Ihre Insinuationen zu -antworten. Falls es Sie interessiert, daß man wahrscheinlich gerade -heute abend die Juwelen zu stehlen beabsichtigt, so wissen Sie es -jetzt. Gute Nacht!“</p> - -<p>Der Oberst war mit einem Sprung zur Türe hinaus und packte Allan am -Arm.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_202">[S. 202]</span></p> - -<p>„Gute Nacht! Was zum Henker meinen Sie? Gedenken Sie die Juwelen heute -nacht zu stehlen, und kommen Sie, um mir das im vorhinein zu erzählen! -So wahr mir Gott helfe, Sie werden ...“</p> - -<p>Allan heftete einen Blick auf den alten Krieger, der ihn tatsächlich -dazu brachte, Allans Arm loszulassen und mitten im Satze zu verstummen. -Er starrte einen Augenblick um sich und sah dann Allan an.</p> - -<p>„Was zum Teufel haben Sie gesagt?“ murmelte er undeutlich.</p> - -<p>„Was ich Ihnen gesagt habe, Oberst Morrel, war, daß ich glaube, daß man -heute nacht den Versuch zu machen gedenkt, die Juwelen zu stehlen. Sie -hören, <em class="gesperrt">heute nacht</em>? Vielleicht gerade jetzt, vielleicht in einer -Stunde. Ich weiß es nicht bestimmt, aber ich glaube es. Interessiert -Sie das genügend, um diesen Whisky zurückzuschicken?“</p> - -<p>Der Oberst richtete sich heftig auf, aber senkte dann wieder den Blick.</p> - -<p>„Nimm das weg, John,“ sagte er. „Heute abend nichts mehr! Kommen Sie -herein, junger Mann.“</p> - -<p>Er wies den Weg in sein Zimmer, ging in das Badezimmer und fuhr sich -ein paarmal mit einem Schwamm über die Stirn. Dann kam er wieder zu -Allan heraus.</p> - -<p>„Rauchen Sie?“ sagte er „Nicht? Erzählen Sie mir, was Sie zu wissen -glauben.“</p> - -<p>Allan ging, so langsam und deutlich er konnte, die wenigen Tatsachen -durch, auf die er seine Theorie stützte. Der Oberst hörte mit -gerunzelter Stirne zu. Ein paarmal zeigten seine Augen, daß es ihm -schwer<span class="pagenum" id="Seite_203">[S. 203]</span> fiel, die Gedanken zusammenzuhalten. Allan wiederholte, bis er -glaubte, das Ganze klargelegt zu haben. Als er zum Schlusse gelangt -war, schüttelte der Oberst den Kopf.</p> - -<p>„Ich will Sie nicht beleidigen,“ sagte er. „Das habe ich wohl schon oft -genug getan. Aber ... ist das Beweismaterial für Ihre Theorie nicht -recht mager im Verhältnis zur Theorie selbst?“</p> - -<p>„Ganz wie Sie sagen. Aber wie erklären Sie sich die Hand?“</p> - -<p>„Ein Zufall. Und wenn Ihre Theorie wahr wäre, was könnte eine Frau tun? -Van Schleeten ist doch kein Kind. Und wie sollte sie mit ihrer Beute -wieder hinauskommen?“</p> - -<p>„Das kann ich Ihnen nicht sagen; aber van Schleetens Eifer zu arbeiten, -sogar um diese Tageszeit?“</p> - -<p>„Er wurde dazu von Sr. Hoheit besonders aufgefordert. Und er erklärte -sich schon damals zur Nachtarbeit bereit, lange vor dem ersten -Attentat.“</p> - -<p>Allan senkte den Kopf und überlegte. Der Oberst hatte recht. Seine -Theorie war phantastisch, aber dennnoch ... Er wendete sich dem alten -Krieger zu.</p> - -<p>„Oberst Morrel!“ sagte er. „Ich verlange von Ihnen nichts anderes, als -eine einfache Probe. Sie verstehen, die Sache geht mich doch eigentlich -gar nichts an. Aber gehen wir in das Zimmer, wo van Schleeten arbeitet, -und sehen wir, ob dort alles mit rechten Dingen zugeht. Oder gehen nur -Sie hinein! Das können Sie ja, ohne das mindeste Aufsehen zu erregen.“</p> - -<p>Der Oberst überlegte. Ein paarmal zuckte er die Achseln, und Allan -glaubte schon das Spiel verloren<span class="pagenum" id="Seite_204">[S. 204]</span> zu haben, als er plötzlich von seinem -Sessel aufsprang.</p> - -<p>„<span class="antiqua">All right!</span>“ sagte er. „Es wäre unverzeihlich von mir, Ihnen -nicht diese einfache Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Ich gehe -gleich hinüber. Sie können mir nachkommen, wenn Sie wollen, so daß Sie -ins Zimmer hineinsehen können. Mit hinein möchte ich Sie nicht nehmen, -Sie verstehen doch.“</p> - -<p>Sie verließen das Zimmer des Obersten unter gegenseitigen -Höflichkeitsbezeigungen — Allan wollte den alten Herrn vorangehen -lassen, und dieser wollte seinem Gast diese Ehre geben. Schließlich -gewann Allan mit seiner schwedischen höflichen Beharrlichkeit das -Spiel. Einige Schritte über den dicken orientalischen Teppich des -Korridors, und sie waren an der Türe des Zimmers, das Herr van -Schleeten überlassen worden war. Die schwarze Leibwache schulterte bei -dem Anblick des Obersten ihre krummen Yatagans. Dieser richtete in -einem krächzenden Dialekt einige Worte an sie.</p> - -<p>„Ob sie etwas Verdächtiges gehört haben,“ wendete er sich erklärend an -Allan.</p> - -<p>„Nun, haben sie das?“</p> - -<p>„Nein. Aber nehmen wir die Untersuchung nur vor.“</p> - -<p>Er faßte die Türklinke. Die Türe war verriegelt. Bevor Allan es -verhindern konnte, hatte er die Hand gehoben und geklopft.</p> - -<p>„Oberst Morrel!“ flüsterte Allan. „Was tun Sie? <em class="gesperrt">Wenn</em> nun —“</p> - -<p>Er konnte seinen Satz nicht abschließen. Von drinnen war keine Antwort -auf das Klopfen erfolgt, und plötzlich loderte die nur schlummernde -Whiskyraserei<span class="pagenum" id="Seite_205">[S. 205]</span> des Obersten in hellen Flammen auf. Er stieß ein Brüllen -aus, riß einen der Säbel der schwarzen Krieger an sich und hatte, -bevor Allan noch wußte, wie ihm geschah, den Türspiegel mit einem -Hieb gespalten, der wie ein Kanonenschuß durch den Korridor dröhnte. -Noch zwei Hiebe, dann warf er sich mit voller Kraft gegen die Türe. -Diese stürzte krachend ein; der Oberst flog hindurch, Allan in seinen -Fußstapfen und die schwarzen Krieger in einem Strom hinterdrein. Sie -erhaschten eben noch sein wunderliches Bild, bevor es, von sechs -aufeinander folgenden Revolverschüssen des Obersten begleitet, -verschwand.</p> - -<p>Das Fenster stand offen, und über dem Fensterbrett tauchte in dem -Augenblicke, in dem sie das Zimmer betraten, ein einfach gekleideter -Mensch auf, oder richtiger der Kopf dieses Menschen, von einer grauen -Sportmütze bedeckt. Er verschwand gerade, als sie über die Schwelle -kamen, über den Rand des Fensterbrettes, von sechs Revolverkugeln des -Obersten gefolgt, und Allan konnte sich noch nicht recht von seinem -Staunen erholen, wie er da verschwinden konnte, als er auch schon am -Fenster stand und die Lösung hatte. Eine feine Strickleiter fiel die -Hausmauer entlang bis auf das Trottoir hinunter; die Person, die sie -verschwinden gesehen, war schon unten angelangt; und gerade, als Allan -und Oberst Morrel das Fenster erreicht hatten, kam das Ueberraschendste -in dieser blitzschnellen Folge von Ereignissen. Der Flüchtling, der mit -schlangenhafter Geschmeidigkeit die Strickleiter hinuntergeklettert -sein mußte, und nunmehr, offenbar schon ganz im klaren über den Ernst -der Situation<span class="pagenum" id="Seite_206">[S. 206]</span> war, hatte noch Zeit, eine hastige Bewegung mit der -Hand zu machen — es war ein Zündhölzchen, das angerieben wurde. -Gerade als Allan die Beine über das Fensterbrett warf um sich die -Strickleiter hinunterzuschwingen, stand diese von einem Ende bis zum -anderen in hellen Flammen; sie mußte wohl schon früher mit irgendeinem -entzündlichen Stoff präpariert worden sein. Allan hatte gerade noch -Zeit, sich über das Fensterbrett zurückzuziehen, bevor die Flammen -darüber zusammenschlugen. In ohnmächtiger Wut schleuderte der Oberst -seinen leeren Revolver dem Entwichenen nach. Er fehlte, und binnen -einer Sekunde war der Flüchtling in einem schwarzen blanken Auto, das -aus dem Nichts aufzutauchen schien ...</p> - -<p>Allan und der Oberst wendeten sich einander zu, und ihre Augen riefen -dasselbe Wort: Zu spät! — als sie beide etwas erblickten, das ihren -Gedanken eine andere Richtung gab.</p> - -<p>Und dieses etwas war Mynheer Jan van Schleeten, der berühmte -Juwelenspezialist, der sich in einer Ecke des Zimmers auf dem Ellbogen -von einer Chaiselongue aufrichtete und mit abwesenden Augen und offenem -Munde um sich starrte. Neben ihm stand ein Werkzeugtisch und eine -Mahagonikassette, die von glänzenden Edelsteinen überquoll. Und die -ersten Worte, die Herr van Schleeten sagte, waren: „Sie! Wo ist sie?“</p> - -<p>Jetzt war Allan Herr der Situation. Mit zwei Schritten war er bei Herrn -van Schleeten; er nahm ein durchtränktes Taschentuch von der Brust -dieses Herrn und schwenkte es gegen den Obersten:</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_207">[S. 207]</span></p> - -<p>„Sehen Sie, Oberst Morrel, was ein schwaches Weib vermag! Chloroform -genug für ein Roß! Jetzt gilt es zu sehen, ob wir noch zurecht gekommen -sind oder nicht. Herr van Schleeten, auf, helfen Sie uns, und denken -Sie daran, daß Ihre Ehre und Ihr Name auf dem Spiele steht!“</p> - -<p>Der alte Holländer erhob sich von der Chaiselongue, wankend wie ein -Schwertrunkener. Der Oberst war nach der Flucht des Verbrechers -plötzlich in einen Zustand der Lethargie versunken und starrte ratlos -um sich. Allan mußte das ganze in die Hand nehmen.</p> - -<p>„Wollen Sie dafür sorgen, daß wir etwas Kaffee heraufbekommen, Oberst -Morrel!“ rief er. „Sie sehen, in welchem Zustande Herr van Schleeten -sich befindet. Starker Kaffee, das ist das einzige, was ihn auf die -Beine bringen kann.“</p> - -<p>Der Oberst murmelte einem Mann von der schwarzen Leibwache einige Worte -zu, und dieser stürzte davon; eine Minute später goß Herr van Schleeten -mit Allans Hilfe eine Tasse dampfenden schwarzen Kaffee hinunter. Das -erste, was er dann tat, war, sich aufzurichten und Allan anzustarren.</p> - -<p>„Sie kenne ich,“ sagte er mit lallender Stimme. „Sie sind — Sie sind -ein Verbrecher.“</p> - -<p>„Mund halten, Kerl,“ schrie der Oberst, plötzlich aus seiner Betäubung -erwachend. „Danken Sie Ihrem Schöpfer, daß dieser junge Mann gekommen -ist! Sonst säßen Sie morgigen Tags hinter Schloß und Riegel.“</p> - -<p>Herr van Schleeten starrte ihn mit stumpfen Blicken an.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_208">[S. 208]</span></p> - -<p>„Aber ich sah ihn doch,“ murmelte er, „sah ihn doch auf einer -Station — wie hieß sie nur? — ja — K—köln — und da wurde er -arre—arretiert. Er hat n—nämlich —“</p> - -<p>„Trinken Sie Ihren Kaffee aus, und halten Sie den Mund!“ brüllte der -Oberst. „Und dann zur Kassette, und sagen Sie uns, wieviel fehlt!“</p> - -<p>Es verging noch eine Weile, bis es Herrn van Schleeten gelang, diese -drei Wünsche zu erfüllen. Die Untersuchung der Mahagonikassette nahm -lange Zeit in Anspruch, eine Zeit, während der Allan unten war und -einen verstörten Nachtportier an die Polizei telephonieren ließ. Aber -als er wieder heraufkam, hatte er die Befriedigung, daß Oberst Morrel -ihm entgegenstürmte; der Oberst packte seine beiden Hände, es schien -nicht viel zu fehlen, und er hätte sie geküßt.</p> - -<p>„Die Fassungen sind zu groß und hinderlich gewesen, und sie hat es zu -eilig gehabt!“ schrie er. „Es ist möglich, daß eins der Diademe fehlt, -aber mehr nicht. Darauf schwört der verdammte Holländer. Ganz richtig, -diese kleine listige Hexe von einer Abenteuerin hat ihn bestrickt, und -ihr Streich wäre ihr gelungen, wenn nicht Sie —“</p> - -<p>Allan versuchte ihn mit schwedischer Bescheidenheit zu unterbrechen. Es -dauerte noch lange, bis er diese Nacht ins Bett kam. Denn einerseits -mußten alle von dem erschienenen Detektivinspektor Mr. Mc. Lowndes -in aller Form verhört werden (nach welchem Verhör Herr van Schleeten -die Heimfahrt in Gesellschaft eines Detektivs antreten durfte); -andererseits wollte Oberst Morrel nicht zu Bett gehen, ohne seinen -morgigen<span class="pagenum" id="Seite_209">[S. 209]</span> Katzenjammer durch eine Flasche Champagner mit Allan -verschärft zu haben. Zu Ende dieser Flasche erklärte er ohne alle -Einschränkungen, daß er seines Wissens noch nie einem Menschen begegnet -war, auf dessen Stirn alle guten Eigenschaften sich ein so harmonisches -Stelldichein gegeben hatten wie bei Allan.</p> - -<p class="center">* <span class="mleft7">*</span><br /> -*</p> - -<p>Allan wurde am nächsten Morgen gegen zehn Uhr in seiner Morgentoilette -dadurch unterbrochen, daß Mr. Bowlby höchst unzeremoniös die Türe zu -seinem Zimmer aufriß. Was er zu verkünden hatte, war nichts Geringeres, -als daß Yussuf Khan und der alte Ali am selben Morgen gegen halb sieben -Uhr im Viktoria-Park im East End in vollkommen bewußtlosem Zustand -aufgefunden worden waren, jeder mit der aufgeklebten Etikette versehen: -Abzugeben Grand Hotel Hermitage.</p> - -<p>Allan hatte noch nicht zu Ende gefragt — Mr. Bowlby wußte übrigens -kaum mehr als die Tatsache, die er vom Direktor erfahren hatte — und -selbst noch nicht mehr erzählt als die Konturen der Ereignisse der -Nacht, als eine neue Sensation über ihn hereinbrach. Noch immer von Mr. -Bowlby begleitet, ging er in das Bankkontor des Hotels hinunter, um -einige Pfund seines deponierten Geldes zu beheben.</p> - -<p>Der junge Mann hinter dem Schalter starrte ihn einen Augenblick -an und fragte ihn dann mit halb erschrockenem, halb mißtrauischem -Gesichtsausdruck, ob<span class="pagenum" id="Seite_210">[S. 210]</span> er denn vergessen habe, daß er erst vor einer -Stunde dagewesen war und sein ganzes Guthaben an der Kasse behoben -hatte.</p> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_211">[S. 211]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="X">X<br /> - -<em class="gesperrt">Die Nachwirkungen einer tollen Nacht auf Fürsten und -Poeten</em></h2> - -</div> - -<p>Allan starrte Mr. Bowlby an und Mr. Bowlby Allan. Dann gab er ein -Expreßsignal von sich, das wie ein Schwert durch alle Stockwerke -des Hotels ging und klang wie: Lebensgefahr, alle Bremsen anziehen, -augenblicklich stoppen!</p> - -<p>„Schon wieder Mirzl! <span class="antiqua">By Jove!</span>“</p> - -<p>Endlich fand Allan die Stimme wieder und wendete sich an den Beamten. -„Kann ich mit Ihrem Chef sprechen?“</p> - -<p>„Im Augenblick bin ich allein hier, Sir, aber wenn Sie es wünschen, -kann ich den Hoteldirektor anrufen. Ich sehe ja, daß da etwas nicht -klappt, obwohl ich es nicht verstehe.“</p> - -<p>„Danke, rufen Sie ihn sofort.“</p> - -<p>Drei Minuten später kam der Direktor in das Kontor gestürzt. Es war -schon von weitem unverkennbar, daß er nicht in rosiger Laune war, und -die Aeußerung, die er in der Türe Mr. Bowlby zuwarf, verriet sofort die -Ursache.</p> - -<p>„Weiß Gott, warum ich Sie je gebeten habe, aus Ihrer Wohnung -auszuziehen, Mr. Bowlby!“</p> - -<p>„Gibt es etwas neues?“</p> - -<p>„Neues! Nichts anderes, als daß ich diesen Morgen<span class="pagenum" id="Seite_212">[S. 212]</span> vier Dutzend -Journalisten hinter mir her habe. Die Wiederauffindung des Maharadschas -im East End in einem solchen Zustande war in zehn Minuten in Fleet -Street verbreitet. Die dummen Polizisten, die ihn fanden, hatten -natürlich nicht den Verstand, das Maul zu halten ... Und dazu ein Loch -im Boden, das geflickt werden muß — und eine Türe, vom Obersten ärger -zugerichtet als der Birnbaum von George Washington. Ein Vergnügen, -feine Gäste zu haben, was?“</p> - -<p>„Sie haben auch heute Morgen feine Gäste hier gehabt, ohne daß Sie es -wissen,“ sagte Mr. Bowlby. „Hören Sie nur!“</p> - -<p>Und er erzählte, was Allan widerfahren war. Der Direktor starrte ihn -an, wie ein Gespenst. Schließlich stammelte er:</p> - -<p>„Also ... was meinen Sie? Wer ist hier gewesen?“</p> - -<p>„Mirzl! Sie wissen doch, daß er meinem jungen Freunde die Hälfte -seines Geldes abgenommen hat, als er sich das erstemal konterkarriert -sah. Woher er weiß, daß der Rest hier deponiert wurde, kann ich nicht -verstehen.“</p> - -<p>„Es ist vielleicht nicht so schwer zu erklären,“ sagte Allan. „Sie -sagen (er wendete sich an den Bankbeamten), daß ich vor einer Stunde -hier war und mein ganzes Guthaben behoben habe. Erzählen Sie, wie das -zuging.“</p> - -<p>Der junge Bankbeamte warf einen scheuen Blick auf den Direktor und -begann:</p> - -<p>„Es war eben, als ich öffnete. Da kam ein Herr<span class="pagenum" id="Seite_213">[S. 213]</span> herein, der Ihnen aufs -Haar ähnlich sah, Sir, und wendete sich an mich: ‚Wieviel habe ich doch -hier deponiert?‘ ‚Ihr Name, Sir,‘ sagte ich der Form wegen, denn ich -erkannte Sie ja ganz gut, Sir. ‚Am besten, ich buchstabiere ihn Ihnen -vor,‘ sagte er und lächelte. ‚Allan K—r—a—g—h. Schwer, den Namen -auszusprechen.‘ ‚<span class="antiqua">All right</span>, Sir,‘ sagte ich und schlug im Buche -nach. ‚Sie haben etwas über fünftausend schwedische Kronen deponiert — -dreihundert englische Pfund.‘ ‚Es ist gut, ich nehme sie heraus,‘ sagte -er, ‚geben Sie mir eine Quittung, dann werde ich unterzeichnen.‘ ‚Sie -haben den Depotschein, den Sie seiner Zeit bekamen, nicht bei sich, -Sir?‘ fragte ich. Er suchte in seinen Taschen. ‚Na aber! den muß ich in -meinem anderen Anzug vergessen haben. Aber wenn ich einstweilen hier -quittiere, kann ich ihn ja später bringen.‘ ‚<span class="antiqua">All right</span>, Sir,‘ -sagte ich, denn ich dachte ja mit keinem Gedanken daran, daß es jemand -anderes sein könnte, als Mr. Kragh. Und die Schrift war ...“</p> - -<p>„Der Teufel soll das ganze holen!“ schrie der Direktor. „Ich -werde schon bald ebenso verrückt, wie der Oberst. Journalisten, -Einbruchsdiebe, andere Diebe, schwarze Regenten, die um sechs Uhr früh -in öffentlichen Parks gefunden werden — man kann ja toll werden! Von -heute an müssen die Leute sich einem Polizeiverhör unterziehen, bevor -sie die Nase zur Türe meines Hotels hereinstecken dürfen!“</p> - -<p>Mr. Bowlby fiel ihm ins Wort.</p> - -<p>„Sie sollten ein bißchen dankbarer gegen meinen jungen Freund aus -Schweden sein,“ sagte er. „Er<span class="pagenum" id="Seite_214">[S. 214]</span> hat nun schon zweimal die Diebstähle -beim Maharadscha verhindert ...“</p> - -<p>„Dann sollte er zum Teufel doch auch die Diebstähle bei sich selbst -verhindern,“ rief der Direktor. „Dankbar! Gewiß bin ich dankbar. -Wieviel hatten Sie doch in englischer Münze?“</p> - -<p>„Fünftausendvierhundert in schwedischer — dreihundert englische -Pfund,“ sagte Allan kurz. „Bitte, machen Sie sich keine Gedanken -darüber, Herr Direktor. Aber ich muß um einen kleinen Aufschub bei der -Rechnung bitten, nachdem Herr Mirzl meine ganze Reisekasse übernommen -hat.“</p> - -<p>Der Direktor schüttelte ihm die Hand.</p> - -<p>„Aber, aber!“ rief er, „nehmen Sie es doch nicht übel. Mißverstehen -Sie mich nicht. Natürlich ist das Hotel für deponiertes Geld -verantwortlich. Aber die Umstände in diesem Falle sind solche, daß ich -nicht auf eigene Hand entscheiden kann. Mißverstehen Sie mich nicht. -Wenn Sie den Obersten drei Tage lang hinter sich her gehabt hätten, -und heute morgen einen Schwarm von Journalisten, die Ihnen die Ohren -vollschreien — bei Gott, da kommt der Oberst. Was ist denn schon -wieder geschehen? Was für ein Verbrechen ist denn jetzt im Hotel verübt -worden?“</p> - -<p>Die Miene des Obersten war wirklich nicht so sonnig, daß der Direktor -mit seinen Befürchtungen nicht recht haben konnte. Immerhin erwiesen -sie sich als unbegründet.</p> - -<p>„Ich hörte, daß Sie hier sind, Direktor!“ rief er. „Warum um Himmels -willen lassen Sie dieses verdammte Zeitungsschmiererpack nicht -hinausschmeißen?!<span class="pagenum" id="Seite_215">[S. 215]</span> Sie setzen mir nach wie Hunde einem Fuchs. Ob -es wahr ist, daß der Maharadscha so gut wie ermordet in einem Park -aufgefunden wurde? Ob es wahr ist, daß man ein Attentat auf seine -Juwelen und ein anderes auf ihn selbst verübt hat? Welche Ansicht der -Maharadscha über London hat? Welche Ansicht ich über das eigentümliche -Attentat auf ihn habe — — Gentlemen, schrie ich, ich habe die -unmaßgebliche Ansicht, daß Sie ein Haufen gottverdammter Vampire sind, -und wenn Sie sich nicht augenblicklich packen, werde ich versuchen, -sie Ihnen mit meinem Sechsläufigen klarzumachen. Die Ansicht des -Maharadscha über London ist, daß es eine entzückende Stadt sein würde, -wenn die Londoner nicht wären, und um sie so wenig als möglich zu -sehen, pflegt Se. Hoheit jeden Morgen in aller Frühe einen Spaziergang -durch die Parks in East End zu machen, wo er heute von einer -bedauerlichen Schwindelattacke befallen wurde, die Anlaß zu tausend -idiotischen Gerüchten gab, die nur Leute glauben können, die dumm genug -sind, Zeitungen zu lesen, die von noch größeren Idioten geschrieben -werden als sie selbst; und wenn Sie mit diesem Bescheid nicht zufrieden -sind, meine Herren, dann können Sie mir den Bu — —“</p> - -<p>Die Stimme des Obersten kippte vor Gemütserregung um, ohne daß es -seinen Zuhörern Schwierigkeiten bereitete, seinen elliptischen Satz zu -ergänzen. Mr. Bowlby wischte sich die Augen und sagte:</p> - -<p>„Sie sollten Minister des Aeußeren sein, Herr Oberst, dann käme doch -ein bißchen mehr Schwung in<span class="pagenum" id="Seite_216">[S. 216]</span> den diplomatischen Verkehr! Haben Sie -Herrn van Schleeten heute schon gesehen?“</p> - -<p>„Schleeten! Ich habe mit den Tintenkulis genug zu tun gehabt. Er -wird schon im Laufe des Tages kommen, und dann werde ich ihm meine -Meinung sagen. Heute früh ist mir etwas eingefallen. Wer beweist mir, -daß Schleeten nicht mit im Spiel war? Ich glaube, das Ganze war ein -Komplott, und ich werde die Detektive davon verständigen.“</p> - -<p>„Aber Herr Oberst, einer der ältesten und angesehensten Juwe ...“</p> - -<p>„Der sich von einer verdammten kleinen Abenteuerin in Hosen düpieren -läßt. Es <em class="gesperrt">war</em> ein Komplott. Da können Sie Gift darauf nehmen.“</p> - -<p>„Sie ging ja wohl nicht immer in Hosen herum, Herr Oberst. Und was -sagen Sie zum Chloroform? Sie haben doch selbst gesehen, daß er betäubt -dalag.“</p> - -<p>„Als ob das nicht gerade das Komplott beweisen würde! Hat man nicht -schon tausendmal gehört, wie Leute falsche Einbrüche arrangieren! -Das ist mir nur nicht früher eingefallen. Das werde ich sofort den -Detektiven telephonieren! — Guten Morgen, junger Freund! Wie steht es?“</p> - -<p>Er schien Allan erst jetzt zu bemerken.</p> - -<p>„Danke, Herr Oberst,“ sagte Allan. „Es geht mir so gut, als es einem -gehen kann, wenn man eben um seine ganze Barschaft bestohlen worden -ist.“</p> - -<p>„Ihre ganze Barschaft! Das ist sie und Schleeten!“</p> - -<p>„Ich bezweifle nicht, daß Herr van Schleeten ebenso bereit wäre, zu -behaupten, daß ich und sie das Attentat<span class="pagenum" id="Seite_217">[S. 217]</span> heute nacht arrangiert haben. -Nein, es war ein anderer ihrer Freunde, den sie in letzter Zeit auch -kennen gelernt haben — Herr Benjamin Mirzl.“</p> - -<p>Der Oberst lauschte mit weitaufgerissenen Augen Allans Erzählung, -drehte seinen weißen Schnurrbart und sprach in einigen kernigen Worten -seine Ansicht über Mrs. Langtrey und Herrn Mirzl aus:</p> - -<p>„Wielange werden diese Blindschleichen die Herrschaften noch frei -herumlaufen lassen? Ich glaube wirklich, dieser Mirzl ist der -leibhaftige Teufel!“</p> - -<p>Der Direktor unterbrach ihn.</p> - -<p>„Wie steht es mit Seiner Hoheit, Herr Oberst?“</p> - -<p>Die Stirne des Obersten umwölkte sich.</p> - -<p>„Er und das andere Prachtexemplar liegen noch todbesoffen da,“ sagte -er. „Weiß Gott, was die Räuber ihnen eingetrichtert haben. Der Doktor -und die Krankenschwestern plagen sich schon eine Stunde lang mit -Massage, Injektionen und Elektrizität ab, sie stellen sie bald auf den -Kopf, bald auf die Füße, ohne daß sie sich mucksen. Der Doktor glaubt, -es wird Aether oder Morphium sein oder vielleicht beides.“</p> - -<p>„Ist es nicht eigentlich merkwürdig, daß die Verbrecher sie losgelassen -haben, Herr Oberst?“ wagte Allan einzuwerfen. „Ohne den Versuch zu -machen, etwas zu erpressen! Und gerade in derselben Nacht, in der ihr -anderer Plan mißlungen ist!“</p> - -<p>„Das ist mir total schnuppe,“ sagte der Oberst behaglich. „Sobald sie -nur wieder die Schnauze in die Luft strecken können, geht es nach -Indien zurück, da lassen Sie nur mich dafür sorgen. Ich gehe zum -Minister für Indien und erzähle ihm die ganze Sache<span class="pagenum" id="Seite_218">[S. 218]</span> privatim. Und -dann kann sich Se. Hoheit meinetwegen grün und blau protestieren, aber -es gibt keinen weiteren Europa-Séjour für ihn und keine Werbungen um -schöne weiße Prinzessinnen.“</p> - -<p>Der Direktor des großen Hotels wendete die Augen mit einem Ausdruck der -lebhaftesten Dankbarkeit himmelwärts und verabschiedete sich, nachdem -er dem jungen Bankbeamten die Weisung gegeben, Allan auszuzahlen, was -er momentan von ihm haben wollte. Allan wendete sich an den Obersten.</p> - -<p>„Kann man die Patienten sehen, Herr Oberst?“</p> - -<p>„Noch nicht, junger Freund. Jetzt muß ich selbst hinauf und sie ein -wenig beaugapfeln. Wir treffen uns noch!“</p> - -<p>Er stürzte davon. Mr. Bowlby sah auf seine Uhr.</p> - -<p>„An der Zeit, etwas zu essen,“ sagte er. „Kommen Sie, wir wollen doch -sehen, was Susan und Helen machen.“</p> - -<p>Sie fanden Mrs. Bowlby und Miß Helen im Salon der Familie Bowlby. -Mrs. Bowlby trug eine purpurfarbene Toilette, die ihr eine frappante -Aehnlichkeit mit einem brasilianischen Kakadu gab.</p> - -<p>„Nun endlich!“ rief sie. „Wo hast du dich so lange herumgetrieben, -John? Ich und Helen, wir vergehen ja schon vor Neugierde. Was ist also -geschehen? Ist es wahr, daß man das Untier halb tot von Ausschweifungen -auf der Straße gefunden hat? Die Dienerschaft sagt es. Und den alten -grauhaarigen Wüstling? So erzähle doch, John! Und der Dritte aus der -sauberen Gesellschaft soll ja einen Anfall von Delirium gehabt haben, -er hat die Leibwache niedergemetzelt<span class="pagenum" id="Seite_219">[S. 219]</span> und große Löcher in den Fußboden -und die Wände gestoßen? So erzähle doch, John!“</p> - -<p>„Sobald du mich läßt, liebe Susan. Der Ma...“</p> - -<p>„Es ist also wahr, natürlich! Halbtot von Ausschweifungen! Helen, du -solltest nicht zuhören, mein Kind, aber es kann ganz gut für dich sein, -zu wissen, wie es die Männer treiben. Und der Oberst, John?“</p> - -<p>„Liebe Susan, lasse mich doch zuerst nur zwei Worte über den -Maharadscha sagen.“</p> - -<p>„Natürlich, du willst ihn in Schutz nehmen!“</p> - -<p>„Der Maharadscha, geliebte Susan, wurde heute Morgen in einem Park in -East End aufgefunden, betäubt ...“</p> - -<p>„Von Ausschweifungen!“</p> - -<p>„Betäubt mit Aether oder Morphium von der Bande, die ihn und den alten -Hofdichter geraubt haben.“</p> - -<p>„Behaupten sie selbst, haha!“</p> - -<p>„Behaupten sie nicht selbst, da die Belebungsversuche des Arztes bis -jetzt weder beim Maharadscha, noch bei dem alten Ali gelungen sind.“</p> - -<p>„Haha, John, du bist wirklich <em class="gesperrt">zu</em> naiv!“</p> - -<p>„<span class="antiqua">All right.</span> Aber du hast nach dem Obersten gefragt.“</p> - -<p>„Der gestern abend das Delirium hatte, das sagt die Dienerschaft. Ich -<em class="gesperrt">will</em> ja zugeben, daß der arme Prinz nicht gerade von leuchtenden -Beispielen umgeben war. Diese Gerechtigkeit muß man ihm widerfahren -lassen. Wenn er von einem alten Wüstling seiner eigenen Religion in -entsetzliche Lokale gelockt wird und sieht, wie sich ein weißhaariger -Heuchler, der sich Christ nennt, bis zur Besinnungslosigkeit betrinkt,<span class="pagenum" id="Seite_220">[S. 220]</span> -kann man ja verstehen, daß ein Mensch, von schwachem Charakter in -Versuchung geraten kann. Und dann fehlt ihm doch auch die Stütze einer -Frau.“</p> - -<p>„Er hat doch hundertfünfzig, liebe Susan.“</p> - -<p>„Solche nenne ich nicht Frauen, John, das weißt du.“</p> - -<p>„Aber du hast es doch bisher getan, liebe Susan.“</p> - -<p>„Weil ich die Ohren meiner kleinen Helen schonen wollte. Sie bekommt -ohnehin genug zu hören, das arme Kind.“</p> - -<p>„Geniere dich meinethalben nicht, Mama, ich weiß sehr gut, was für ein -Wort du anwenden wolltest.“</p> - -<p>„Helen!“</p> - -<p>„Liebe Mama, es steht doch im Shakespeare und in der Bibel.“</p> - -<p>Mrs. Bowlby wechselte das Gesprächsthema.</p> - -<p>„Wie ist es also mit dem Obersten, John? Ist er in eine Irrenanstalt -gebracht worden?“</p> - -<p>„Noch nicht, liebe Susan. Wir trennten uns eben vor einem Augenblick. -Er ging zu seinen Schützlingen hinauf. Er war ein bißchen erregt -nach seinen Gesprächen mit dreißig oder vierzig Reportern. Sonst -befand er sich ganz wohl. Und wenn du Mr. Cray so halbwegs in Frieden -erzählen lassen willst, kannst du hören, wie das mit seinem Delirium -zusammenhängt. Du glaubst doch Mr. Cray?“</p> - -<p>„Soviel ich nach zwanzigjähriger Ehe einem Mann glauben kann, John.“</p> - -<p>„Liebe Susan, sei mir nun nicht böse, weil ich dir deine Illusionen -über den Maharadscha und die beiden anderen geraubt habe. Erzählen Sie, -Mr. Cray!“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_221">[S. 221]</span></p> - -<p>Allan wiederholte seinen Bericht über das, was am vorhergehenden Abend -passiert war. Mrs. Bowlby hörte halbwegs ruhig zu, bis er zu der Szene -kam, die sich dem Obersten und ihm selbst im Arbeitszimmer Herrn van -Schleetens geboten hatte. Da stieß sie einen Schrei aus, der der -baseballspielenden amerikanischen Nation würdig war.</p> - -<p>„Der auch! Ein Schwindler! Der alte Roué! Jetzt sind die Juwelen also -gestohlen?“</p> - -<p>„Noch nicht, Mrs. Bowlby. Der Oberst und ich kamen gerade in der -letzten Sekunde, um es zu verhindern, und sicherlich hat die -Säbelattacke des Obersten gegen die Türe den Dieb in die Flucht gejagt.“</p> - -<p>„Den Dieb? Sie meinen den Mitschuldigen!“</p> - -<p>„Sie sind derselben Ansicht wie der Oberst, wenn Sie das sagen, Mrs. -Bowlby. Aber sie ist, mit Ihrer Erlaubnis gesagt, nicht richtig. Es war -eine Schwindlerin, die Herrn van Schleeten düpiert hatte.“</p> - -<p>In Mrs. Bowlbys Gedankennetz trat ein Kurzschluß ein.</p> - -<p>„<em class="gesperrt">Eine Schwindlerin!</em> Sie haben doch gesagt, daß jemand in -Männerkleidern mit ihm hinaufging?“</p> - -<p>„Ja, aber es war doch eine Schwindlerin, Mrs. Bowlby, verkleidet.“</p> - -<p>„In Hosen! Da würde ich doch lieber ... Helen, du siehst, wie Frauen -werden können, wenn sie einmal anfangen. Tausendmal ärger als die -Männer. Wer war es, Mr. Cray? Weiß man es? Eine Holländerin?“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_222">[S. 222]</span></p> - -<p>„Eine Amerikanerin, Mrs. Bowlby. Schöpfen Sie tief Atem, bevor ich -Ihnen den Namen sage.“</p> - -<p>„Sie meinen doch nicht —“</p> - -<p>„Ja, allerdings: Mrs. Langtrey!“</p> - -<p>Es war offensichtlich, daß Mrs. Bowlby seiner Aufforderung in Bezug auf -das Atmen nachgekommen war, denn der Ruf, den sie ausstieß, ging durch -Mark und Bein.</p> - -<p>„Hatte ich also recht, Mr. Cray?!“</p> - -<p>„Es sieht so aus, Mrs. Bowlby.“</p> - -<p>„So etwas, dieser alte ausschweifende Schwindler läßt sich verlocken, -von einem Frauenzimmer — Helen, mein Kind, höre nicht zu was wir -sprechen — in Hosen!“</p> - -<p>„Er ist seiner Strafe nicht entgangen, Mrs. Bowlby. Sie hat ihn -chloroformiert und würde alle Juwelen gestohlen haben, wenn wir nicht -rechtzeitig gekommen wären. Nun gelang es ihr zu entkommen, aber -die Juwelen mußte sie im Stiche lassen. Es war ihr Glück, daß dem -Obersten die Hand zitterte. Er hat ihr sechs Schüsse durch das Fenster -nachgeschickt. Aber ich muß gestehen, daß ich ihre Kaltblütigkeit -bewundere, die Strickleiter anzuzünden!“</p> - -<p>„Sie sollen nie etwas bewundern, was unmoralisch ist, Mr. Cray. Und um -die Juwelen ist sie also gekommen?“</p> - -<p>„Ja, und zum Dank dafür bin ich heute durch Herrn Mirzl von dem Rest -meines Geldes befreit worden.“</p> - -<p>„<span class="antiqua">Now, demmit lively!</span> Was sagen Sie?“</p> - -<p>Allan beschrieb, was im Bankkontor passiert war.<span class="pagenum" id="Seite_223">[S. 223]</span> Mrs. Bowlby hörte ihn -mit weit aufgerissenen Augen an. Als er zu Ende war, atmete sie tief -und sagte:</p> - -<p>„Ich muß gestehen, dieser Mirzl ... Nein, daß er Langtreys Frau in -die Krallen geraten mußte! Ich bin überzeugt, sie hat ihn auf Abwege -gebracht wie diesen alten Roué von einem Juwelier.“</p> - -<p>„Glauben Sie, sie hat ihn mit Chloroform betäubt, Mrs. Bowlby?“</p> - -<p>„Eine Frau braucht zu so etwas kein Chloroform. Ich muß sagen, daß ich -diesen Mirzl auf jeden Fall beinahe bewundern muß.“</p> - -<p>„Sie sollen nie bewundern, was unmoralisch ...“</p> - -<p>„Keine vorlauten Bemerkungen, junger Mann. <span class="antiqua">Demmit.</span> Also jetzt -haben Sie es das zweitemal verhindert! Glauben Sie, er wird sich damit -zufrieden geben?“</p> - -<p>„Wahrscheinlich ist es nicht. Aber sobald der Maharadscha sich erholt -hat — die Schnauze in die Luft stecken kann, wie der Oberst sich so -schön ausdrückte — soll er wieder nach Indien zurückgebracht werden. -Darauf schwor der Oberst. Und dann hat Mirzl keine Chancen mehr.“</p> - -<p>Nach dem Lunch unternahm Allan einen Ausflug in das erste Stockwerk. -Aber die schwarze Leibwache versperrte ihm den Weg mit einem -wiedererkennenden Zähneblecken. Vor die Türe, die der Oberst gesprengt -hatte, hatte man eine Draperie gehängt. Allan suchte sich den schwarzen -Kriegern verständlich zu machen, aber sie antworteten nur mit einem -Wort, von dem Allan schließlich begriff, daß es <em class="gesperrt">Oberst</em> bedeute. -Der Oberst hatte offenbar allen den Zutritt verboten.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_224">[S. 224]</span></p> - -<p>„Lassen Sie mich mit dem Oberst sprechen,“ sagte er.</p> - -<p>Sie schüttelten den Kopf und sagten irgend etwas Unverständliches, als -sich im selben Augenblicke eine Türspalte öffnete und ein blasser Kopf -im Turban sichtbar wurde. Es war der alte Ali.</p> - -<p>„Verehrungswürdiger Poet,“ rief Allan. „Lassen Sie mich hereinkommen -und Ihnen die Hand drücken! Wie geht es Ihnen? Erinnern Sie sich meiner -nicht aus dem Hause der Tausend Freuden, auch Feuerfresserklub genannt?“</p> - -<p>Der alte Hofdichter fuhr sich über die Stirne.</p> - -<p>„Das Haus der Tausend Freuden war ein vermummter Eingang zum Palast der -Plagen,“ sagte er. „Es kommt mir nun vor, daß ich mich Ihrer erinnere, -junger Mann. Von Ihnen hat man uns gesprochen! Sie waren es, dem es -gelang, von diesen Söhnen Scheitans zu flüchten und es zu verhüten, daß -die Juwelen meines Schülers gestohlen wurden.“</p> - -<p>„Es war meine Wenigkeit,“ sagte Allan.</p> - -<p>„Kommen Sie also herein, und seien Sie gesegnet! Nicht so sehr von -mir — denn was sind wohl Juwelen anderes als farbiger Kies? — aber -von meinem Schüler, dessen Herz in jugendlicher Torheit von den -vielfarbigen Lichtnebeln dieser Welt erfüllt ist, von denen diese -Steine ein Symbol sind. Beim Propheten, mein Kopf schmerzt. Seit -Jamshyd König von Kaikobad war, hat es einen solchen Rausch nicht -gegeben, der große Richter sei mir gnädig. Kommen Sie herein!“</p> - -<p>Allan passierte ein Spalier von Säbeln. Drinnen fand er den Mann, um -den so viele Intrigen<span class="pagenum" id="Seite_225">[S. 225]</span> gesponnen waren, in derselben Stellung liegen, -wie er ihn zuletzt im Feuerfresser-Klub gesehen, auf einem Diwan -ausgestreckt, aber mit einem bedeutend matteren und weniger freudigem -Lächeln als damals. In der halbgeöffneten Türe zu einem inneren Zimmer -sah er eine Krankenpflegerin. Bei Allans Eintritt hob Yussuf Khan beide -Hände zum Gruß.</p> - -<p>„Seid mehr als tausendmal gegrüßt!“ sagte er mit schwacher Stimme. -„Verzeiht mir, daß ich mich nicht erhebe, edelster der Sahibs. Man hat -es mir verboten. Sagt, was Ihr als Belohnung für das, was Ihr an mir -getan, wünschet! Sprecht frei!“</p> - -<p>„Wir wollen ein andermal darüber reden,“ sagte Allan, „es ist mehr dem -Zufall als mir zu verdanken, daß den Verbrechern ihr Anschlag mißlungen -ist. Lassen Sie mich lieber hören, was für Abenteuer Ew. Hoheit und -dieser verehrungswürdigste der Dichter, seit wir uns zuletzt sahen, -erlebt haben.“</p> - -<p>Der alte Ali sank auf einen Stuhl, nachdem er Allan einen hingestellt -hatte.</p> - -<p>„Setzen Sie sich,“ sagte er. „Ich bin, wie mein Schüler, ermattet von -der Behandlung, der die Söhne Scheitans uns unterworfen haben. Nach -dem, was mir Oberst Morrel Sahib sogleich, als ich hier wieder zum -Leben erwachte, anvertraute, habe ich für immer meinen guten Namen und -meinen Ruf verwirkt. Mit Recht sagt der göttliche Zeltmacher von sich -selbst:</p> - -<div class="poetry-container"> -<div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent2">Gurt, Kleid und Seele, alles, was mir teuer,</div> - <div class="verse indent2">Gab ich als Pfand dem Schenken-Ungeheuer.</div> - <div class="verse indent2">Nun denn, so bin ich frei von Furcht und Hoffen</div> - <div class="verse indent2">Und los von Erde, Wasser, Luft und Feuer.</div> - </div> -</div> -</div> -<p><span class="pagenum" id="Seite_226">[S. 226]</span></p> -<p>Dasselbe sagte Oberst Morrel Sahib von mir, nur nicht in so melodischer -Sprache wie der göttliche Omar. Ich weiß kaum, was ich erlebt habe, -junger Freund, und noch weniger, was mein Schüler erlebt hat. Von -dem Augenblicke, wo ich ihn mit mildem, freundlichem Lächeln um die -Lippen auf einem Diwan im Hause der Freuden ausgestreckt sah, habe ich -ihn nicht wieder gesehen, bis ich heute die bleischweren Augenlider -in diesem Zimmer aufschlug. Da war ich von weißgekleideten jungen -Frauen umgeben, die mich rieben, so wie der Wucherer sein Gold reibt -und beinahe noch eifriger. Außerdem befanden sich im Zimmer ein -weißgekleideter Hakim (Arzt) und mein Schüler sowie Oberst Morrel -Sahib, der mir sofort sagte, ich sollte geköpft und vor den Stadtmauern -Nasirabads aufgehängt werden, als milde Strafe für meine Untaten, für -die es in der Sprache der Sahibs gar keinen Ausdruck gibt.“</p> - -<p>„Wo ist Oberst Morrel jetzt?“ warf Allan ein. Er konnte sich die Suada -des Obersten vorstellen.</p> - -<p>„Oberst Morrel Sahib ist ausgegangen, um mit dem Minister für Indien -über wichtige Angelegenheiten zu sprechen, die er uns andeutete. Mein -Schüler und ich, die wir unseren guten Namen und unseren guten Ruf in -dieser Stadt verloren haben, die noch nie von ähnlichen Dingen gehört -hat, sollen so still und verschwiegen als möglich wieder heimgebracht -werden. Das will Oberst Morrel Sahib als eine Gnade vom Minister zu -erwirken trachten, der beabsichtigt hat, uns ohne Turbans und mit -geschorenen Köpfen fortzujagen.“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_227">[S. 227]</span></p> - -<p>„Aber erinnern Sie sich an nichts aus dem Feuerfresser-Klub bis heute?“ -rief Allan. „Das ist ja drei Tage her!“</p> - -<p>„Junger Freund,“ sagte der alte Hofdichter, „ich bin ein rechtgläubiger -Anhänger des Propheten und habe stets getrachtet, mich unbefleckt -von den Irrlehren zu erhalten, die an Nirwana und ähnliche Einfälle -einer irregeleiteten Phantasie glauben. Aber wenn ich an den Zeitraum -zurückdenke, den Sie eben erwähnt haben, fühle ich eine bedauerliche -Neigung zu glauben, daß die Reden dieser Irrlehrer doch etwas für sich -haben, so vollständig erloschen war mein Bewußtsein in dieser Zeit, von -der Sie sagen, daß sie drei Tage währte. Und mein Schüler, den ich nach -seinen Erfahrungen befragt habe, sagt für seine Person das gleiche aus.“</p> - -<p>„Das ist wahr,“ kam Yussuf Khans Stimme vom Sofa. „Was mein Lehrer -sagt, ist wahr wie der Koran. Ich erinnere mich an nichts anderes, -als an eine große Dunkelheit, in der ich auf einem unruhigen Meer zu -treiben glaubte und von bösen Träumen gequält wurde. Plötzlich faßte -jemand meine Seele, wie man einen Ertrinkenden faßt, und als ich den -Kopf wieder über das schwarze Meer hob, befand ich mich in diesem -Gemach, umgeben von weißgekleideten Krankenpflegerinnen und einem -weißgekleideten Hakim. Die Verbrecher, die uns in das Haus der Freuden -gelockt und dann entführt haben, konnten, dank Euch, meine Juwelen -nicht stehlen, aber sie stahlen mir drei Tage meines Lebens.“</p> - -<p>„Mein Schüler spricht gut,“ sagte der alte Ali bewundernd.<span class="pagenum" id="Seite_228">[S. 228]</span> „Wenn -ich ihm auch, wie Oberst Morrel Sahib versicherte, ein so schlechtes -Vorbild gewesen bin, daß diese ganze Stadt darüber empört ist und -mich in vier Teile zerstückelt sehen will, merke ich doch, daß es mir -einigermaßen gelungen ist, seinen Sinn für Poesie und Beredsamkeit -auszubilden. Allah — dessen Name ewig gepriesen sei — gebührt die -Ehre dafür. Jetzt erinnere ich mich doch an etwas, das ich früher -vergessen hatte. Während meine Seele von dieser Dunkelheit umschlossen -dalag, wie von einem Gefängnis mit unendlich dicken Mauern, rieselte -plötzlich ein kleiner Lichtschimmer durch die Mauer hinein. Wie in -einem Traum, oder so wie man durch dichten Nebel sieht, entsinne ich -mich, daß ich ausgestreckt auf einem Lager lag, ob entkleidet oder -nicht, weiß ich nicht. Nicht weit von mir, auf einem anderen Lager -dünkte es mir, daß mein Schüler sich befand. Gerade als ich diese -Empfindung hatte, glaubte ich zu sehen, daß ein Mann, der über mich -gebeugt dagestanden hatte, von meinem Lager zu dem meines Schülers ging -und sich über ihn beugte, mit einem bösartigen Grinsen, wie es die -Götzenbilder in den Tempeln der Ungläubigen auf ihrem Antlitz tragen. -Und seltsamerweise glaubte ich dicht neben ihm eine Frau zu gewahren. -Doch, was wäre daran seltsam? Wo böse Menschen ihren Versammlungsort -haben, da ist auch das Haus voll Weiber, sagt das Sprichwort, und der -Koran — der allzeit gepriesen sei — teilt diese Anschauung.“</p> - -<p>„Es ist um so wahrscheinlicher, daß Sie richtig gesehen haben,“ rief -Allan, „als eine Frau in das gestrige<span class="pagenum" id="Seite_229">[S. 229]</span> Attentat verwickelt war. -Vielleicht haben Se. Hoheit und Sie noch nicht davon gehört?“</p> - -<p>Yussuf Khan, der sich lebhaft auf dem Ellbogen aufgerichtet und seinen -Lehrer während seiner Erzählung unverwandt angestarrt hatte, schüttelte -den Kopf, und der alte Ali sagte:</p> - -<p>„Oberst Morrel Sahib nahm sich wenig Zeit zu anderem, als mir meinen -Mangel an guten Eigenschaften vorzuhalten, und wie ich ihn sühnen -könnte. Dann eilte er zum Minister, um einen Aufschub der Strafen zu -erwirken, die dieser mir zugedacht hat. Oberst Morrel Sahib hat ein -gutes Herz.“</p> - -<p>Ohne dem alten Hofdichter seine Auffassung von Oberst Morrels Maßnahmen -zu rauben, erzählte Allan, was sich am vorhergehenden Abend zugetragen -hatte. Die Libationen des Obersten hüllte er in einen Schleier, aber -machte eine große Nummer aus seiner Attacke gegen die Türe. Die beiden -anderen lauschten ihm wie einem Märchenerzähler im Basar. Allan hatte -kaum zu Ende gesprochen, als im Korridor Schritte ertönten und die Türe -aufgerissen wurde. Es war der Oberst selbst, in Gesellschaft Herrn van -Schleetens. Der alte Ali erhob sich mit ängstlicher Miene von seinem -Sitz.</p> - -<p>„Wie ist es abgelaufen, Oberst Morrel Sahib?“ fragte er. „Kann Se. -Exzellenz der Minister uns verzeihen, oder sollen wir wie Pferdediebe -aus der Stadt gejagt werden?“</p> - -<p>Oberst Morrel zögerte einen Augenblick mit der Antwort, während er -den Maharadscha und den alten Hofdichter fixierte. Endlich sagte er -mit derselben<span class="pagenum" id="Seite_230">[S. 230]</span> Langsamkeit wie ein Klassenvorstand, wenn er zu zwei -schlechten Schülern spricht:</p> - -<p>„Ich habe ein sehr schweres Stück Arbeit gehabt. Ich fand Se. -Exzellenz, den Minister für Indien, meinen hochgeschätzten Freund“ -(Allan erinnerte sich, diesen Herrn von Oberst Morrel anders titulieren -gehört zu haben), „in äußerst erregter Verfassung. Die Ansichten, die -er über das Vorgefallene aussprach, und die ich leider nicht ganz -mißbilligen konnte, die Befürchtungen, die er davor hatte, was man -Allerhöchsten Orts sagen und denken würde; die Kommentare, die leider -in der Presse gemacht werden — all dies hatte seine Gemütsstimmung -derart beeinflußt, daß ich fürchten mußte, meine Aufgabe würde sich als -unlösbar erweisen. Nur durch Aufgebot meiner ganzen Ueberredungskunst, -nur durch wiederholte Berufung auf unsere alte Freundschaft und nur -indem ich heilig und teuer versprach, daß die Abreise Ew. Hoheit -augenblicklich erfolgen würde, gelang es mir, zu erwirken, daß Se. -Exzellenz ihren Entschluß änderte. Ich kann also mitteilen, daß wir -unbehelligt abreisen dürfen, wenn dies längstens übermorgen geschieht. -Ein Dampfer nach Bombay geht an diesem Tage um drei Uhr ab.“</p> - -<p>Während der alte Ali mit einem tiefen Salaam seine Hand zu fassen -suchte, wischte sich der Oberst die Stirne, ermattet von der -Anstrengung seiner Rede, und fuhr in einem völlig veränderten Tone fort:</p> - -<p>„Jetzt habe ich für Ew. Hoheit getan, was ich konnte. Nun ist es Ew. -Hoheit Sache, mit diesem Herrn<span class="pagenum" id="Seite_231">[S. 231]</span> zu tun, was Sie für angemessen finden. -Es hängt von Ihnen ab, was mit ihm geschehen soll.“</p> - -<p>Der Maharadscha, der nach der Rede des Obersten in die Hände geklatscht -hatte und eigentümlicherweise gar nicht enttäuscht darüber schien, -Europa so rasch verlassen und alle Träume von weißen Prinzessinnen -aufgeben zu müssen, wendete sich an Herrn van Schleeten.</p> - -<p>„Das ist ja der Juwelenkünstler,“ rief er, „wie weit ist die Arbeit an -meinen Steinen gediehen?“</p> - -<p>„Ich ... ich habe die Arbeit vorgestern begonnen,“ stammelte Herr van -Schleeten, „mit Erlaubnis des Herrn Obersten ...“</p> - -<p>„Mit meiner Erlaubnis, an den Juwelen zu arbeiten,“ schrie der Oberst, -„aber nicht Frauenzimmer heraufzuschleppen, die Sie betäuben und jene -stehlen.“</p> - -<p>„Ich ... ich sah mich gestern in die Notwendigkeit versetzt, einen -Mitarbeiter heranzuziehen, um ... um die Arbeit so rasch als möglich zu -Ende zu führen ... so rasch als möglich ... wie Ew. Hoheit wünschten. -Leider fiel meine Wahl auf eine ungeeignete Persönlichkeit, die ...“</p> - -<p>„Auf ein Dämchen, in das Sie verliebt waren, das Sie mit Chloroform -betäubte wie in einer Klinik und alles in Bausch und Bogen gestohlen -hätte, wenn nicht der Zufall und dieser junge Herr dazwischengekommen -wäre! Heraus mit der Sprache!“ rief der Oberst. „Bedenken Sie, daß -niemand weiß, wieviel Sie von ihr wußten!“</p> - -<p>Herr van Schleeten warf einen wütenden Blick auf<span class="pagenum" id="Seite_232">[S. 232]</span> Allan, getreu dem -Prinzip, sich über andere zu ärgern, wenn man sich selbst zürnen sollte.</p> - -<p>„Es ist ja möglich, daß die Sache sich so verhält, wie der Herr Oberst -sagt,“ murmelte er, „aber diesen jungen Herrn habe ich auf jeden Fall -vor knapp einer Woche auf einem Bahnhof in Deutschland verhaften sehen. -Wer weiß, was er ...“</p> - -<p>„Sie sollten sich schämen,“ rief der Oberst, „nun schon zum zweiten -Male mit solchem verdammten Gerede zu kommen. Sie wissen, daß es nur -Gerede ist. Versuchen Sie nicht zu leugnen!“</p> - -<p>„Es ist leider kein Gerede, Herr Oberst,“ sagte Allan und berichtete in -wenigen Worten, was er im Expreß erlebt hatte.</p> - -<p>„Ich fiel Herrn Mirzls List zum Opfer. Aber was Herr van Schleeten -nicht unerwähnt lassen sollte, ist, daß er bei dieser Gelegenheit die -Bekanntschaft der Dame von gestern Abend machte. Ich war selbst Zeuge -davon. Und daß diese Bekanntschaft in ihrem Plane lag, von Mirzl gar -nicht zu sprechen, ist wohl recht sicher. In der einen oder anderen -Weise haben sie Wind bekommen, welchen Auftrag Herr van Schleeten in -London hatte, und waren entschlossen, alle Möglichkeiten wahrzunehmen. -Herr van Schleeten ging in die Falle, begreiflicherweise, denn die -betreffende Dame spielt ihre Karten geschickt aus und ist ungewöhnlich -schön.“</p> - -<p>„Hat sie blaue Augen,“ fragte der Maharadscha „und blondes Haar? Ah, -daß ich sobald nach Indien zurückreisen muß!“ (Oberst Morrel fuhr von -seinem Sessel in die Höhe und starrte ihn an.) „Nein,<span class="pagenum" id="Seite_233">[S. 233]</span> Oberst Morrel -Sahib, ich reise, beglückt über die Gnade Sr. Exzellenz des Ministers. -Aber ...“</p> - -<p>„Und was sagen Ew. Hoheit zu der Affäre mit Herrn van Schleeten?“ sagte -der Oberst wieder beruhigt. „Hoheit wissen, daß man gestern abend eine -Anzahl Juwelen gestohlen hat.“</p> - -<p>„Ach, ein paar Juwelen mehr oder weniger!“ sagte Yussuf Khan mit einem -müden, mißmutigen Kopfschütteln. „Ich kam nach Europa, um mein Herz an -eine weiße Frau zu verlieren, wie die Sahibs es tun, und alles, was ich -verloren habe, ist mein guter Name und ein paar Juwelen.“</p> - -<p>„Mein Schüler spricht schön,“ sagte der alte Ali befriedigt. „Der -Aufenthalt in dieser Stadt hat ihm in dieser Beziehung merklich gut -getan.“</p> - -<p>„Nun, und Herr van Schleeten?“ beharrte der Oberst, der den Holländer -ungerne dem Schandpfahl entgehen sah.</p> - -<p>„Ich sage ja,“ sagte Yussuf Khan, „daß ich diesen Juwelenkünstler -beneide, dem es gelungen ist, sein Herz an eine Frau zu verlieren. Ich -habe hundertfünfzig Frauen in meinem Palast, schön wie Gazellen und -zärtlich wie Turteltauben im Lenzmonat, und noch hat keine von ihnen -mich für mehr als eine Stunde bezaubert. Seinen Namen und seinen Ruf -für eine Frau zu wagen wie dieser Mann — das muß wunderbar sein. Der -Juwelenkünstler hat meine Vergebung und meinen Neid.“</p> - -<p>„Wahrlich,“ sagte der alte Ali, „mein Schüler spricht immer besser und -besser! Die Lehren, die ich ihm eingepflanzt habe, tragen späte, aber -schöne<span class="pagenum" id="Seite_234">[S. 234]</span> Früchte. Es muß der Aufenthalt in dieser Stadt sein, der sie -zur Reife gebracht hat.“</p> - -<p>Herr van Schleeten, dessen bordeauxfarbene Nase sich bei Yussuf Khans -Rede, die er als Hohn auffaßte, zornig gerümpft hatte, richtete -sich nach seinen letzten Worten erleichtert auf. Er begann etwas zu -stammeln, aber Yussuf Khan schnitt seine Danksagungen ab, indem er zum -Obersten sagte:</p> - -<p>„Nun liegen mir noch zwei Sachen am Herzen, Oberst Morrel Sahib, -erstens, daß eine angemessene Belohnung diesem jungen Mann überreicht -wird, der nun zweimal den listigen Verbrechern zuvorgekommen ist. Wollt -Ihr dies besorgen, da ich der europäischen Gebräuche ungewohnt bin?“</p> - -<p>Allan wollte protestieren, aber der Oberst schnitt ihm das Wort ab.</p> - -<p>„Eine Weigerung würde den Maharadscha zwecklos verletzen,“ sagte er. -„Was meinen Ew. Hoheit zu einigen der Juwelen, die der junge Mann -gerettet hat? Und was sagen Sie selbst, junger Freund?“</p> - -<p>Allan murmelte etwas, und Yussuf Khan klatschte in die Hände.</p> - -<p>„Ausgezeichnet! Ausgezeichnet!“ rief er. „Man bringe die Juwelen -herein.“</p> - -<p>Eine Minute später durfte Allan zum erstenmal die Juwelen in ihrem -vollen Glanze schauen, die er mitgeholfen hatte, ihrem rechten Besitzer -zu bewahren. Es wäre zu wenig gesagt, daß sie ihm den Atem benahmen. -Etwas Aehnliches hatte er nie gesehen, ja nicht einmal geträumt. Es -war das Morgenland, das ihm aus den Fassetten dieser tausend Steine -entgegenstrahlte,<span class="pagenum" id="Seite_235">[S. 235]</span> wie durch ein vielfarbiges Fenster. Als er sich -halbwegs erholt hatte, wählte er befangen ein paar einzelne Edelsteine -aus, aber der Maharadscha, in den beim Anblick der Juwelen neues -Leben gekommen zu sein schien, nahm ein Diamantenhalsband mit einem -blutroten Rubin in der Mitte, in einer Goldkettenfassung, die vom Alter -verblichen war, und reichte es Allan.</p> - -<p>„Nehmt dies,“ sagte er, „wenn Ihr wollt. Es ist ein unwürdiger Beweis -meiner Dankbarkeit.“</p> - -<p>„Es gehörte einmal,“ schaltete der alte Ali ein, „Mahmud, Sultan von -Naishapur, an dessen Hof der göttliche Zeltmacher lebte. Vielleicht -hat er es am Halse einer der Favoritinnen des Sultans bewundert und -vielleicht besang er dieses Diadem mit den Worten ...“</p> - -<p>„Ja, ja! Vortrefflich!“ sagte der Oberst. „Und die andere Sache, die -Ew. Hoheit wünschten?“</p> - -<p>Es war klar, daß der Oberst die Poesie des göttlichen Zeltmachers -nicht im gleichen Grade liebte wie der alte Ali, und auch, daß er in -glänzender Laune war, nun er die Abreise gesichert sah. Yussuf Khan -erwiderte:</p> - -<p>„Die andere Sache war, daß ich gerne mit dem Mann sprechen möchte, der -diese Karawanserei innehat ... wenn er kommt, werde ich schon erklären, -warum. Wollt Ihr ihn rufen lassen, Oberst Morrel Sahib?“</p> - -<p>Mit wieder unruhigem Gesichtsausdruck klingelte der Oberst; ein paar -Minuten später erschien der Direktor des großen Hotels, von einem -Angestellten<span class="pagenum" id="Seite_236">[S. 236]</span> gerufen. Er begann den Maharadscha zu seiner Genesung zu -beglückwünschen. Der Oberst unterbrach ihn:</p> - -<p>„Se. Hoheit mit Gefolge reist übermorgen, Herr Direktor!“</p> - -<p>Der Direktor schlug einen dankbaren Blick zur Höhe auf, während er sich -verbeugte.</p> - -<p>„Nicht so eilig, Oberst Morrel Sahib!“ sagte Yussuf Khan. Der Direktor -blieb erschrocken in seiner Verbeugung stecken. „Nicht so eilig! Wir -reisen übermorgen, Dank der Gnade Sr. Exzellenz des Ministers, aber -vorher wünsche ich noch etwas.“</p> - -<p>Er wendete sich an den Direktor:</p> - -<p>„Zweifelsohne habt Ihr einen Saal, wo Festlichkeiten abgehalten werden? -Einen Saal mit Raum für viele, so wie ich ihn in dem Hause der Freuden -sah?“</p> - -<p>Der Direktor bejahte es.</p> - -<p>„Gut. Hört also meinen Willen. Dieser Saal soll für morgen abend zu -einem Feste bereitet werden, und alles soll dem, was wir in Indien -haben, so ähnlich als möglich sein. Da ich nicht mehr von dem Lande der -Sahibs sehen kann, will ich den Sahibs mein eigenes Land zeigen. Darum -ist es mein Wille, daß alles dem, was wir in meinem Lande haben, so -ähnlich als möglich sein soll.“</p> - -<p>Der Direktor verbeugte sich tief.</p> - -<p>„Zu diesem Feste,“ fuhr Yussuf Khan fort, „das so festlich sein soll -wie die Vermählung eines Maharadschas, ist es mein Wille, daß alle -jene eingeladen werden, die in der Zeit, die ich hier war, unangenehme -Erlebnisse gehabt haben.“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_237">[S. 237]</span></p> - -<p>Er machte eine Geste, die sämtliche Anwesende umfaßte; Allan murmelte -dem Obersten zu:</p> - -<p>„Dann müßten Bowlbys mit dabei sein.“</p> - -<p>„Was sagte der junge Mann?“ fragte Yussuf Khan.</p> - -<p>„Er meinte, daß eine amerikanische Familie, aus deren Wohnung das erste -Attentat unternommen wurde, eingeladen werden sollte,“ sagte der Oberst.</p> - -<p>„Sie soll eingeladen werden,“ sagte Yussuf Khan ohne Zögern. „Und -dieser Mann, dem die Karawanserei gehört?“</p> - -<p>Der Direktor erklärte mit einer Verbeugung, daß es ihm erstens -unmöglich sei, in seinem eigenen Hotel zu Gast zu sein, daß er sich -zweitens undenkbar zu der Kategorie von Personen rechnen könne, die -durch die Anwesenheit Sr. Hoheit Unannehmlichkeiten gehabt hatten. Die -Anwesenheit Sr. Hoheit im Hotel habe im Gegenteil ...</p> - -<p>Yussuf Khan unterbrach ihn mit einer Handbewegung. Der Oberst warf -knurrig ein:</p> - -<p>„Und Herr van Schleeten?“</p> - -<p>„Natürlich auch der Juwelenkünstler,“ sagte Yussuf Khan. „Von allen -beneidet soll der Mann an der festlichen Tafel sitzen, der sein Herz an -eine Frau verlieren konnte.“</p> - -<p>Herr van Schleeten verbeugte sich, ohne daß besondere Freude über -die Rolle, die ihm bei der Festtafel zugedacht war, sich auf seiner -bordeauxfarbenen Nase spiegelte. Der alte Ali rief hingegen:</p> - -<p>„Mein Schüler spricht immer besser und poetischer! Der Aufenthalt in -dieser Stadt, die wir Dank<span class="pagenum" id="Seite_238">[S. 238]</span> Oberst Morrel Sahib mit unversehrtem Turban -und ungeschorenem Kopfe verlassen dürfen; hat ihm in dieser Beziehung -wunderbar gut getan.“</p> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_239">[S. 239]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="XI">XI<br /> - -<em class="gesperrt">Das vielleicht seine Aufgabe erfüllt, den Leser zu -verwirren</em></h2> - -</div> - -<p>In der Ziegelwüste des nordwestlichen Londons liegt, nicht weit von -Maida Vale, ein Ziegelkanon Chesterton Mansions genannt. Tatsächlich -erinnert er mit seinen steilen hohen Ziegelmauern an nichts so sehr wie -an die berühmten Schluchten, die sich die Flüsse im Westen Amerikas -gegraben haben. Warum er die Bezeichnung Mansions führt, ist unbekannt; -im allgemeinen pflegt dieses Wort anzudeuten, daß eine Straße mit -Bäumen bepflanzt ist; aber wenn das bei Chesterton Mansions einstmals -der Fall war, so ist jetzt nur mehr der Name als einziges Rudiment -übrig. Die siebenstöckigen Häuser der Straße sind in Mietwohnungen -geteilt, zwei in jedem Stockwerk, so wie man es bei uns zulande kennt, -aber wie es in England etwas relativ Neues ist. Da der Ruf der Straße -nicht der beste ist, stehen oft eine Menge Wohnungen leer. In jenem -September, in dem die Ereignisse dieses Buches sich abspielten, stand -beispielsweise das Haus Nr. 48, das die Mietwohnungen Nr. 659–672 -enthält, noch am 11. September leer. Am 12. fand sich jedoch ein Herr -beim Hausverwalter ein, stellte sich als Baron de Citrac vor und -wünschte eine so ungestörte Wohnung als möglich zu<span class="pagenum" id="Seite_240">[S. 240]</span> mieten. Er sei -wissenschaftlicher Arbeiten wegen nach London gekommen und bringe seine -Frau mit, für die er am liebsten eine separate Wohnung gegenüber seiner -eigenen haben wolle. Der Häuserverwalter Mr. Markham, beeilte sich, -ihm das Haus Nr. 48 zu zeigen. Der Baron entschied sich sofort für -die Wohnungen Nr. 661–662 im ersten Stock, bezahlte im vorhinein und -bat den Verwalter, ein einfaches, aber solides Ameublement für beide -Wohnungen zu beschaffen. Er drückte seine Anerkennung für Mr. Markhams -Entgegenkommen durch eine Fünfpfundnote aus, die Mr. Markham zu seinem -Sklaven machte, und nahm dann Abschied.</p> - -<p>Montag, den 15., zog er ein. Der Verwalter war selbst zugegen, und -fand Gelegenheit, seine Meinung über den neuen Mieter in einem Punkte -zu ändern. Die Reden des Barons von wissenschaftlichen Arbeiten -hatte er nur als einen durchsichtigen Vorwand für etwas ganz anderes -aufgefaßt, worin die Franzosen eine traurige Berühmtheit besitzen und -dem auch Chesterton Mansions nicht fremd war: eine Eskapade mit einer -nicht offiziellen Baronin. Er gab den Glauben daran auf, als er die -Baronin de Citrac erblickte; denn gewiß war sie schön und pikant, mit -grauen Augen und rotblondem Haar, aber dabei sah sie so vornehm aus, -daß der Verwalter die ganze Zeit, die sie da war, mit dem Hute in der -Hand dastand. Der Baron, der zwei Diener mit hatte, drückte seine -Zufriedenheit mit der Möblierung der Wohnungen aus und verabschiedete -den Verwalter.</p> - -<p>Es dauerte bis zum 16., bevor dieser den neuen<span class="pagenum" id="Seite_241">[S. 241]</span> Mieter wiedersah, denn -er wohnte selbst in einer Quergasse; aber als dies geschah, war es -unter Umständen, die ihn aufs neue an dem Ernst von Herrn de Citracs -wissenschaftlichen Studien zweifeln ließen. Mr. Markham war am Abend -des 15. Septembers in einer Gesellschaft gewesen, die sich bedenklich -in die Länge gezogen hatte; ein Freund von ihm, der Junggeselle war -und ein Geschäft in einer Quergasse von Chesterton Mansions hatte, -hatte ihn zu einer Geburtstagsfeier eingeladen. Diese hatte im „Roten -Löwen“ in Maida Vale begonnen und war nach Schließung dieses populären -Lokales in der Junggesellenwohnung des Freundes fortgesetzt worden. -Die Haupterfrischung war irländischer Whisky gewesen, und Mr. Markham -war sich des Einflusses dieses Getränkes auf die Balancierfähigkeit -ganz bewußt, als er gegen halb vier Uhr morgens heimwanderte. Er nahm -den Weg durch Chesterton Mansions aus dem Grunde, weil diese Straße -eine unerklärliche Anziehung auf seine Beine auszuüben schien, doch -ohne daß diese irgendwelche Parteilichkeit für eine bestimmte Seite -derselben zeigten; und er hatte sich eben an einem Laternenpfahl auf -dem linken Trottoir verankert, als die Nachtruhe von etwas anderem als -dem Trommelwirbel, den seine Stöckel auf dem Pflaster vollführten, -unterbrochen wurde. Ein Auto kam nach Chesterton Mansions gesaust und -hielt vor dem Hause gegenüber von Mr. Markhams Laternenpfahl. Mr. -Markhams irrender Blick hatte soeben konstatiert, daß es das Haus Nr. -48 war. Jetzt sah er zwei Herren mit aufgestellten Rockkragen aus dem -Auto steigen und mit<span class="pagenum" id="Seite_242">[S. 242]</span> großer Anstrengung zwei andere herausheben, -die in beträchtlich schlimmerer Verfassung schienen als Mr. Markham -selbst. Sie konnten faktisch nicht auf den Beinen stehen. Mr. Markham -glaubte zu sehen, daß sie in irgendein exzentrisches Kostüm gekleidet -waren. Der Kontrast zwischen den Evolutionen der vier Herren und seiner -eigenen sicheren Position am Laternenpfahl erfüllte ihn mit einer -Befriedigung, die in einem herzlichen Lachen Ausdruck fand.</p> - -<p>„Mi—mir scheint, die haben g—genug,“ sagte Mr. Markham.</p> - -<p>Die Laterne, unter der Mr. Markham stand, war ausgelöscht, und Mr. -Markham erregte daher nicht die Aufmerksamkeit der vier Herren. -Jetzt sprang der Chauffeur ab und übernahm den einen der beiden -übererfrischten Herren, während einer der Herren, die zuerst -ausgestiegen waren, das Haustor von Nr. 48 öffnete. Der Mann, den der -Chauffeur stützte, fiel seinem Helfer in die Arme, und verlor dabei -einen weißen Turban, der auf das Trottoir rollte.</p> - -<p>„Der ist wohl auf einem Ma—maskenball gewesen,“ sagte Mr. Markham. -„Mir scheint, der hat genug. Und jetzt trei—treiben sie es, scheint -mir, noch weiter!“</p> - -<p>Jetzt öffnete sich die Haustüre, und ein mühsamer Transport begann, -dem Mr. Markham unter großer Heiterkeit zusah. Schließlich kehrte der -Chauffeur allein zurück, schloß das Tor und fuhr im Auto fort, ohne Mr. -Markham gesehen zu haben.</p> - -<p>„De—der wird sich auch ein schönes Trinkgeld verdient haben,“ murmelte -Mr. Markham mit einem<span class="pagenum" id="Seite_243">[S. 243]</span> verständnisvollen Lächeln und löste sich von dem -Laternenpfahl los. Er erreichte die nächste Straßenecke, wo er sich -wieder verankerte, um einem Gedanken Luft zu machen, der sich in seinem -Innern emporgearbeitet hatte.</p> - -<p>„Nummer ach—achtundvierzig, hol mich der und jener!“ brummte Mr. -Markham. „Die Wohnung des B—barons. Die einzige, die vermietet -ist! Wissenschaftliche Arbeiten, hahaha! Go—gott helfe mir, -wissenschaftliche Arbeiten!“</p> - -<p>Er gewann diesem Gedanken alle Ergötzlichkeit ab, die er bot, bevor -er den Laternenpfahl wieder losließ und seinen unsicheren Heimweg -fortsetzte.</p> - -<p>Mr. Markhams Gedächtnis war von jener beneidenswerten Sorte, die auch -an einem Morgen nach irländischem Whisky funktioniert. Er erinnerte -sich folglich am nächsten Morgen an die vier Herren, die er in das Haus -Nr. 48 gehen gesehen hatte; und in der Morgenbeleuchtung erschien ihm -dieser Vorfall nicht ganz so ausschließlich humoristisch wie in der -Nacht. Nur der Chauffeur war wieder aus dem Hause herausgekommen; waren -also die drei Herren die Nacht über beim Baron geblieben? Dann hatten -sie sicherlich Lärm gemacht und die Nachtruhe der Nachbarn gestört. Mr. -Markham machte einen Vormittagsbesuch in Nr. 46, um sich beim Nachbar -des Barons darnach zu erkundigen.</p> - -<p>Dieser war ein jüdischer Geldverleiher, der immer mit der Sonne -aufstand, um soviel als möglich aus seinem fragwürdigen Beruf -herauszuschlagen. An diesem Morgen war er schon seit halb sechs Uhr -auf,<span class="pagenum" id="Seite_244">[S. 244]</span> wie er Mr. Markham erklärte, aber durchaus nicht infolge von Lärm -im Nebenhause. Er hatte im Gegenteil kaum einen Laut von dort gehört; -aber gegen sechs Uhr hatte er einen Herrn mit aufgestelltem Rockkragen -Nr. 48 verlassen und die Sutherland Avenue hinuntergehen sehen.</p> - -<p>„Einen?“ fragte Mr. Markham, „nur einen, Herr Streptowitz?“</p> - -<p>„Nur einen,“ bestätigte Herr Streptowitz mit dem melancholischen -Tonfall, den seine Stimme bei der Erwähnung so geringfügiger Zahlen -annahm.</p> - -<p>„Nur einer!“ wiederholte Mr. Markham. „Aber ich sah doch vier -hineingehen, und da müßten wohl drei wieder herausgekommen sein, wenn -der eine der vier der Baron war!“</p> - -<p>„Die andern zwei Herren sind wohl vorangegangen,“ sagte Mr. -Streptowitz, so melancholisch, als wollte er andeuten, daß die beiden -Herren in eine andere Welt gegangen seien.</p> - -<p>Mr. Markham gab zu, daß dies wahrscheinlich sei, und verabschiedete -sich.</p> - -<p>Am selben Nachmittag sah er den Baron und die Baronin. Sie standen im -Stiegenhaus vor der offenen Türe ihrer Wohnung und sprachen eifrig mit -gesenkter Stimme. Mr. Markham, der die Treppen hinaufkam, um die leeren -Wohnungen zu besichtigen und seiner Gewohnheit gemäß in Gummischuhen -ging, kam in Hörweite, ohne daß sie ihn bemerkten. Er fing einige Worte -des Barons auf:</p> - -<p>„Der verdammte schwedische Schlingel! Diese Nacht gehörte ihm, aber -übermorgen gedenke ich durch dich<span class="pagenum" id="Seite_245">[S. 245]</span> Revanche zu nehmen ...“ Er erblickte -Mr. Markham und verstummte plötzlich.</p> - -<p>Mr. Markham, der innerlich zu der Schlußfolgerung gelangt war, daß der -eine der Teilnehmer an der Orgie der Nacht — vermutlich der Herr mit -dem Turban — ein Schwede war und offenbar seinen Gastgebern lästig -geworden war, lächelte dem Baron diskret zu, während er grüßte. Er -wollte eben eine feine Anspielung machen, um zu zeigen, daß er von den -wissenschaftlichen Studien seines Mieters wußte, was er wußte, aber sah -aus Respekt vor der Baronin davon ab.</p> - -<p>Es dauerte bis Freitag, den 19. September, ehe er Anlaß hatte, wieder -an die Herrschaften in Nr. 48 zu denken. Früh am Vormittag dieses Tages -ging er an Mr. Streptowitz’ Wohnung vorbei. Dieser Herr stand in der -Türe und rauchte in Hemdärmeln eine Pfeife. Als er Mr. Markham sah, -nahm er die Pfeife aus dem Mund und winkte ihm.</p> - -<p>„Jetzt sind die aus Nr. 48 abgereist,“ sagte er mit betrübter Stimme.</p> - -<p>„Abgereist? Der Baron ist abgereist?“ stammelte Mr. Markham.</p> - -<p>„Das weiß ich nicht, aber die zwei Herren, von denen Sie dieser Tage -sagten, daß sie Ihnen fehlten.“</p> - -<p>„Was meinen Sie, Mr. Streptowitz?“</p> - -<p>„Die zwei Herren, die dieser Tage fehlten. Sie sagten doch, Sie hätten -drei fremde Herren hineingehen sehen, und ich sah nur einen wieder -fortgehen. Heute morgens um halb fünf Uhr, als ich mich ankleidete, sah -ich sie in einem Auto in Gesellschaft eines<span class="pagenum" id="Seite_246">[S. 246]</span> anderen Herrn fortfahren. -Sie sahen aus wie Inder und wie schwer betrunken. Es war noch kaum -taghell. Ich stehe am Freitag immer so früh auf, weil die Leute für den -Sabbath Geld brauchen.“</p> - -<p>„Inder und bis jetzt da!“ rief Mr. Markham, „und um halb fünf Uhr früh -schwer betrunken! Das ist ja unanständig, Mr. Streptowitz.“</p> - -<p>„Das ist es auch,“ gab Mr. Streptowitz mit einem etwas freudigerem -Tonfall zu. „Um fünf Uhr soll man aufstehen und arbeiten, und nicht -betrunken sein. Was macht denn der Baron auf Nr. 48?“</p> - -<p>„Er studiert!“ rief Mr. Markham mit einem schrillen Lachen. „Studiert -die Wissenschaften, Streptowitz! Gott helfe mir, die Wissenschaften!“</p> - -<p>„Das ist traurig,“ sagte Mr. Streptowitz, „sehr traurig. Sie werden -schon sehen, bei dem kommt noch etwas Merkwürdiges heraus, Mr. Markham.“</p> - -<p>Mr. Markham, der sich an seine Fünfpfundnote erinnerte, erklärte -energisch, seine Mieter stünden hoch über jedem Verdacht.</p> - -<p>Am selben Tage etwas später führte ihn sein Weg zum Baron. Chesterton -Mansions war bis jetzt nur mit Gas versehen gewesen; nun war die -Rede davon, Elektrizität einzuführen, wenn die Mieter sich dafür -aussprachen. Mr. Markham klingelte beim Baron an, um sich zu -erkundigen. In der Wohnung reagierte niemand darauf. Mr. Markham -klingelte bei der Baronin an. Zu seinem Staunen kam sie selbst und -öffnete. Sie machte nur einen kleinen Spalt der Türe auf, um zu sehen, -wer da war. Sie sah etwas übernächtig aus, ihre grauen Augen waren -nicht so ruhig und kalt wie<span class="pagenum" id="Seite_247">[S. 247]</span> sonst, und Mr. Markham bemerkte, daß sie -Ringe unter denselben hatte. Mr. Markham brachte sein Anliegen vor und -sagte, daß er schon an der Wohnung ihres Mannes geklingelt habe.</p> - -<p>„Mein Mann ist ausgegangen,“ sagte sie kurz, aber verbesserte sich -sofort: „verreist, meine ich. Nach Oxford, seiner Arbeit wegen.“</p> - -<p>Mr. Markham, der sich an Mr. Streptowitz’ Erzählung von den drei Herren -erinnerte, die am Morgen abgereist waren, starrte sie an und machte -seiner Neugierde Luft.</p> - -<p>„Hat der Baron Besuch gehabt?“ fragte er.</p> - -<p>Sie zog die Augenbrauen zusammen.</p> - -<p>„Was meinen Sie?“</p> - -<p>„Jemand hat heute morgens zu sehr früher Stunde drei Herren abreisen -sehen,“ stammelte Mr. Markham.</p> - -<p>Die Baronin sah ihm fest in die Augen.</p> - -<p>„Der Baron ist heute früh mit seinen zwei Dienern abgereist,“ sagte -sie kurz. „Ich bin bis morgen allein in der Wohnung, aber seien Sie -so gut und lassen Sie das nicht bekannt werden. Eine Dame allein kann -Unannehmlichkeiten haben.“</p> - -<p>„Und die Elektrizität?“ murmelte Mr. Markham mit einer demütigen -Verbeugung.</p> - -<p>„Hat Zeit, bis der Baron in ein oder zwei Tagen wiederkommt. Guten -Abend.“</p> - -<p>Sie schloß die Türe artig, aber bestimmt Mr. Markham vor der Nase zu. -Dieser blieb stehen und starrte die Türe an, und plötzlich zuckte er -zusammen. Er hätte es nicht beschwören können — aber war das<span class="pagenum" id="Seite_248">[S. 248]</span> nicht -eine Männerstimme, die er drinnen aus der Wohnung gehört hatte, in der -die Baronin <em class="gesperrt">allein</em> war? Nur einen Augenblick, dann war es wieder -still ... Mr. Markham machte einer ententefeindlichen Ansicht über die -Moral der Franzosen Luft und ging, indem er murmelte:</p> - -<p>„Streptowitz hat recht, das ist bestimmt eine merkwürdige Gesellschaft, -die hier auf Nr. 48.“</p> - -<p>Hätte Mr. Markham die Gabe gehabt, in dem Augenblicke, in dem er diese -Aeußerung machte, durch die geschlossene Türe zu sehen, wäre sie noch -berechtigter gewesen. Mr. Markhams Ohren hatten ihn nicht getäuscht; es -war eine Männerstimme, die er soeben aus der Wohnung der Baronin gehört -hatte, und was sie gesagt hatte, war:</p> - -<p>„Wer war das? Der Verbrecherkönig?“</p> - -<p>Die Stimme kam von einem jungen Manne, der auf einem Diwan lag. Er -war von bräunlicher Gesichtsfarbe mit einem kurzen Schnurrbart, nicht -ohne Spuren von Wohlleben, und seine Augen waren von schwarzen Ringen -umgeben, die ebenso gut von Wohlleben wie von Entbehrungen stammen -konnten. Denn der junge Mann, der auf dem Diwan lag, war an Händen und -Füßen gebunden und wurde außerdem durch einen losen Gürtel über der -Brust an dem Diwan festgehalten. Die Baronin hatte sich ruhig in einem -Fauteuil niedergelassen; der Gefangene auf dem Diwan wiederholte seine -Frage:</p> - -<p>„War das Euer Gatte, der Verbrecherkönig?“</p> - -<p>Sie schüttelte den Kopf.</p> - -<p>„Sie sind beharrlich in Ihrer Ausdrucksweise,“<span class="pagenum" id="Seite_249">[S. 249]</span> sagte sie. „Wie oft -soll ich Ihnen noch sagen, daß der Mann, den Sie den Verbrecherkönig -nennen, nicht mein Gatte ist?“</p> - -<p>„Aber ihr wohnt doch hier zusammen?“</p> - -<p>„Nein, sage ich Ihnen. Wir haben jeder unsere Wohnung. Die seine liegt -meiner gegenüber, und der jetzt angeläutet hat, war der Mann, der -die Wohnungen vermietet. Er hatte eine Anfrage. Sind Sie jetzt nicht -durstig? Soll ich Ihnen Zitrone und Wasser geben?“</p> - -<p>Der Gefangene auf dem Diwan runzelte heftig die Stirne.</p> - -<p>„Ich nehme ebenso wenig von Euch etwas an, wie von ihm, von dem Ihr -behauptet, daß er nicht Euer Gatte ist,“ sagte er.</p> - -<p>Seine Stimme zitterte vor unterdrückter Empörung.</p> - -<p>„Ihr beide habt unauslöschliche Schmach auf meinen Namen gehäuft und -die Pläne ganz durchkreuzt, um deretwillen ich in diesen Weltteil -gekommen bin, der ewig verflucht sein möge.“</p> - -<p>„Aber ich sage Ihnen, es dauert mindestens zwei Tage, bis Sie frei -werden. Sie werden verhungern oder verdursten.“</p> - -<p>„Lieber das, als etwas von Euch annehmen.“</p> - -<p>Dies junge Frau neigte den Kopf.</p> - -<p>„Wie Sie wollen,“ sagte sie. „Vielleicht können Sie zwei Tage leben, -ohne sich so tief zu demütigen. Die Menschen in Ihrem Lande können sich -ja sogar lebend begraben lassen ohne zu sterben. Im übrigen müßte ja -Zitrone und Wasser nicht als Salz und Brot gelten.“</p> - -<p>Der Gefangene lag mit geschlossenen Augen da,<span class="pagenum" id="Seite_250">[S. 250]</span> ohne zu antworten. Sie -fuhr langsam wie für sich selbst fort:</p> - -<p>„Als Sie vor einigen Stunden zum Bewußtsein erwachten, tranken Sie zwei -ganze Gläser, die Ihnen gut zu tun schienen.“</p> - -<p>Er öffnete die Augen und starrte sie an.</p> - -<p>„Ist das wahr, oder lügt Ihr, um mich in einer Falle zu fangen?“</p> - -<p>„Ich bin eine Abenteurerin, aber ich lüge Sie nicht an. Nicht einmal, -um Sie in eine Falle zu locken.“</p> - -<p>Er starrte sie an ohne zu antworten. Endlich sagte er:</p> - -<p>„Eine Abenteurerin? Was ist das?“</p> - -<p>Sie zog die Augenbrauen empor.</p> - -<p>„Wie soll ich es Ihnen sagen? Ich war verheiratet, mein Mann starb, ich -war des Lebens, das ich kannte, müde und zog aus, um etwas Neues kennen -zu lernen.“</p> - -<p>„Und Ihr fandet es?“ Seine Stimme war eifrig, aber ohne die frühere -Erregung.</p> - -<p>„Ich fand wenigstens eine neue Sorte von Mann,“ sagte sie.</p> - -<p>„Wen? Den Verbrecherkönig?“</p> - -<p>„Ja. Er glich keinem anderen Mann, den ich getroffen hatte. Er beging -Torheiten, die ihm das Leben und die Freiheit kosten konnten, um einer -Laune willen, und er konnte den Gewinn um einer Laune willen hinwerfen, -die törichter war, als andere Menschen es sich auch nur träumen lassen -können.“</p> - -<p>Der Gefangene auf dem Diwan starrte vor sich hin und murmelte:</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_251">[S. 251]</span></p> - -<p>„Auch ich war des Lebens, das ich kannte, müde und zog aus, um etwas -Neues zu suchen, das ich nicht kannte.“</p> - -<p>Sie lächelte.</p> - -<p>„Aber das haben Sie ja unleugbar gefunden!“</p> - -<p>„Was ich suchte, war ein Weib, dessengleichen ich noch nie gesehen.“</p> - -<p>Sie lächelte wieder.</p> - -<p>„Und ich suchte einen solchen Mann, vermute ich!“</p> - -<p>Er starrte sie verachtungsvoll an.</p> - -<p>„Und Ihr begnügtet Euch mit einem Verbrecherkönig!“</p> - -<p>„Es gilt König auf irgendeinem Gebiete zu sein,“ sagte sie.</p> - -<p>„Und Ihr, die Ihr es verdient, Königin, wo es auch sein mag, zu sein, -entscheidet Euch dafür, die Königin der Verbrecher zu sein. Beim -Propheten, ich kann meinen Sinnen nicht glauben.“</p> - -<p>„Sie sind artig gegen mich,“ sagte sie. „Sie würden es vermutlich nicht -sein, wenn ich Ihnen sagte, daß ich mich nicht wie andere Königinnen -damit begnüge, den König regieren zu lassen. Heute nacht unternahm ich -einen Versuch, das zu tun, was dem König vor drei Tagen mißlungen ist. -Sie haben schon selbst herausgefunden, warum Sie hier sind.“</p> - -<p>„Einer Anzahl farbiger Steine wegen; die weißen Sahibs denken nie an -etwas anderes als an Gewinn.“</p> - -<p>„Einer Anzahl recht ungewöhnlicher, farbiger Steine wegen,“ wendete sie -ein. „Aber farbig oder nicht farbig hätten sie für mich nur durch das -Bewußtsein<span class="pagenum" id="Seite_252">[S. 252]</span> Wert gehabt, daß mir gelungen ist, was dem König mißlang.“</p> - -<p>„Eurem Gemahl! Dem Mann, den Ihr liebt!“</p> - -<p>„Nein, sage ich Ihnen!“ Sie stampfte mit ihrem schwarzen Samtschuh auf -den Boden, „ein Bewerber um meine Hand. Nichts anderes. Lassen Sie mich -erzählen, was er und was ich getan haben, und sagen Sie mir, wer bisher -des Throns würdiger ist.“</p> - -<p>Indem sie ihre Finger miteinander verschlang und hie und da nach der -Sonne sah, die hinter dem Ziegelhorizont von Chesterton Mansions -verschwand und ihr Haar zu einer goldroten Krone machte, begann sie -zu sprechen. Der Gefangene auf dem Diwan hörte ihr schweigend zu, -während der Blick seiner Augen die ganze Skala von Verachtung bis -zum Enthusiasmus durchlief. Nach einiger Zeit verstummte sie und sah -ihn an, die Augenbrauen über ihren grauen Augen fragend gehoben. Er -schwieg, dann sagte er langsam:</p> - -<p>„Und alles wegen ein paar farbiger Steine! Wäre ich frei, sie wären in -diesem Augenblicke die Euren.“</p> - -<p>Sie richtete sich ein wenig auf.</p> - -<p>„Meinen Sie, was Sie sagen?“ fragte sie. „Könnten Sie Juwelen, die in -Geld gar nicht zu schätzen sind, einem Wesen schenken, das alles dazu -getan hat, Sie derselben zu berauben? Ach, Sie sprechen wie andere -Männer — der schönen Worte wegen.“</p> - -<p>Er sah sie mit einem intensiven und zugleich müden Blick an.</p> - -<p>„Ihr könnt so etwas nicht für möglich halten,“ sagte er, „seid Ihr -doch eine aus dem Volke der Sahibs. In meinem Lande werden Reichtum -und edle<span class="pagenum" id="Seite_253">[S. 253]</span> Steine nur für das geschätzt, was sie sind, und was ein Mann -leistet, gilt alles. Aber Ihr seid aus dem Volke der Sahibs, und Euch -scheint es undenkbar, daß ich aus einer Laune etwas wegwerfe, was für -Euch Ziel und Zweck des Lebens ist.“</p> - -<p>Sie erhob sich aus ihrem Fauteuil und glitt zu dem Diwan, auf dem er -lag.</p> - -<p>„Was würden Sie tun, wenn ich jetzt Ihre Bande löste?“ sagte sie.</p> - -<p>Er sah sie mit derselben Ruhe im Blick an.</p> - -<p>„Mein Versprechen lockt Euch?“ sagte er. „Ihr wollt sehen, ob eines -Königs Wort auch eines Königs Wort ist, wenn es sich um hundertfünfzig -Juwelen handelt?“</p> - -<p>In ihren Augen blitzte es auf, und sie machte zwei Schritte zurück.</p> - -<p>„Sie könnten mir die Steine jetzt geben, und ich würde sie Ihnen ins -Gesicht werfen,“ sagte sie. „Wenn es mir heute nacht gelungen wäre, -mich Ihrer Juwelen zu bemächtigen, für deren Besitz ich viele hundert -Meilen gereist bin, ich würde dasselbe damit tun. Sie können mir aufs -Wort glauben. So sehr Sie König sind, bin ich Königin.“</p> - -<p>Er machte einen Versuch, sich auf dem Diwan aufzurichten, aber wurde -von den Banden gehindert und sank zurück. Er starrte sie lange und -unverwandt an, wie um sich von dem Gehalt ihrer Worte zu überzeugen. -Sie hielt stand und betrachtete ihn mit demselben Licht in den Pupillen -und derselben leichtgeschürzten Oberlippe. Endlich sagte er langsam und -beinahe demütig:</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_254">[S. 254]</span></p> - -<p>„Ich bin blind gewesen. Verzeiht! Ihr seid das, was Ihr sagtet, und -meine Kehle ist trockener als eine Wüste. Aus Eurer Hand empfange ich -alles, was sie gibt, wie der Bettler eine Gabe.“</p> - -<p>Sie zuckte zusammen; ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln, und sie -eilte durch das Zimmer zu einem Tisch mit Gläsern und Flaschen. Nach -einem Augenblick war sie wieder bei ihm, mit einem Glas, dessen Inhalt -er auf einen Zug austrank. Er sank auf den Diwan zurück, sie zog den -Fauteuil etwas näher heran und setzte sich. Sie maßen einander noch -immer mit den Blicken, und schließlich sagte er:</p> - -<p>„Erzählt mir noch mehr aus Eurem Leben. Seid Ihr wirklich mehrere -hundert Meilen gefahren, um meine Juwelen zu erringen? Ohne sie auch -nur um ihres Geldwertes willen zu begehren?“</p> - -<p>Sie neigte den Kopf.</p> - -<p>„Mich dünkt,“ sagte er langsam, „als wäre ich einen noch weiteren Weg -gepilgert, oh Maharaneeh, um Euch zu begegnen.“</p> - -<p class="center">* <span class="mleft7">*</span><br /> -*</p> - -<p>Am Nachmittag des nächsten Tages, als Mr. Markham bei der Baronin und -dem Baron anklingelte, meldete sich niemand. Mr. Markham stürzte zu Mr. -Streptowitz hinauf. Dieser nickte bestätigend.</p> - -<p>„Jawohl, sie ist abgereist. Ich habe sie selbst gesehen. Aber sie war -nicht allein!“</p> - -<p>„Nicht allein? War sie in Gesellschaft des Barons?“</p> - -<p>„Nein,“ sagte Mr. Streptowitz, „sie war mit einem<span class="pagenum" id="Seite_255">[S. 255]</span> Hindu. Das Haus muß -voller Hindu sein. Ich bin überzeugt, das sind Anarchisten. Und dieser -Hindu und die Baronin lächelten sich an wie ein verliebtes Paar.“</p> - -<p>Und das war das letzte, was Chesterton Mansions von dem freiherrlichen -Paar de Citrac sah.</p> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_256">[S. 256]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="XII">XII<br /> - -<em class="gesperrt">Ein Fest und sein Abschluß</em></h2> - -</div> - -<p>Allan fiel der Auftrag zu, Yussuf Khans Einladung der Familie Bowlby -zu übermitteln, einerseits, weil der Maharadscha und der alte Ali -noch nicht fest genug auf den Füßen standen, um die fürstliche Suite -zu verlassen, andererseits, weil Allan als persönlicher Freund der -amerikanischen Familie sich für den Auftrag am besten eignete. Er -machte folglich am selben Abend einen Besuch bei ihnen und überbrachte -die Einladung.</p> - -<p>Eine Debatte folgte. Mrs. Bowlby hatte ihn kaum bis zu Ende gehört, als -sie von ihrem Sessel aufsprang und erklärte, was sie alles eher sein -wollte, als zu einer solchen Veranstaltung zu gehen.</p> - -<p>„Glauben Sie, ich durchschaue ihn nicht? Er will sich durch uns -rehabilitieren, nachdem er durch den heutigen Skandal in aller Leute -Mund gekommen ist! Das will er!“</p> - -<p>„Aber er reist doch übermorgen ab, Mrs. Bowlby.“</p> - -<p>„Und was wird nun mit der Prinzessin, um die er werben wollte?“</p> - -<p>„Das muß er aufgeben, und ehrlich gestanden, schien er es ungewöhnlich -leicht zu nehmen. Ich hatte Proteste erwartet, aber der Oberst hatte -ihn sofort umgestimmt. Das einzige, was er in dieser Richtung<span class="pagenum" id="Seite_257">[S. 257]</span> sagte, -war, daß er Herrn van Schleeten beneide, dem es gelungen sei, sein Herz -an ein Weib zu verlieren. Das habe er selbst nie zustande gebracht, -obwohl er hundertfünfzig hat, die es ihm stehlen wollen.“</p> - -<p>„Das ist wieder echt männlich, ha! Dasitzen und mit seinen Erfolgen bei -den armen Geschöpfen und seiner eigenen Gleichgültigkeit zu prahlen! Er -sollte hundertfünfzig Rutenstreiche auf die Fußsohlen haben, das sollte -er!“</p> - -<p>„Sie wollen also nicht kommen, Mrs. Bowlby?“</p> - -<p>„Da ginge ich noch eher in das Lokal, wo er und Sie sich kürzlich -herumgetrieben haben.“</p> - -<p>„Ich werde Se. Hoheit bitten, den Schauplatz dorthin zu verlegen.“</p> - -<p>„Keine Keckheiten, <span class="antiqua">demmit</span>, junger Freund. Helen, mein Kind, ich -hoffe, du hast auch <em class="gesperrt">keinen Augenblick</em> Lust gehabt, zu gehen?“</p> - -<p>„Ich ginge gerne, Mama, furchtbar gerne.“</p> - -<p>„Und ich gedenke, zu gehen, wenn niemand anderer sich entschließt,“ -sagte Mr. Bowlby.</p> - -<p>Mrs. Bowlby konnte nur einen ganz kurzen Entsetzensschrei ausstoßen, -als Allan auch schon diplomatisch etwas aus der Tasche zog — das -Halsband, das er am selben Nachmittag von Yussuf Khan erhalten hatte. -Mrs. Bowlby blieb ihr Schrei in der Kehle stecken.</p> - -<p>„Mr. Cray! <em class="gesperrt">Wo</em> haben Sie das aufgegabelt? Mirzl hat doch Ihr Geld -gestohlen!“</p> - -<p>„Das Geld, von dem Mirzl mich befreit hat, hätte nicht einmal gelangt, -um die Goldeinfassung dieser Steine zu bezahlen, Mrs. Bowlby. Ich bekam -dies<span class="pagenum" id="Seite_258">[S. 258]</span> heute nachmittag vom Maharadscha als geringen Dank dafür, daß es -mir zweimal gelang, Mirzl und seiner Bande zuvorzukommen. Wollen Sie es -ansehen?“</p> - -<p>Mrs. Bowlbys Arm schnellte gierig und diebisch vor, wie die Klaue eines -Papageis. Sie ließ die Juwelen durch ihre Finger rinnen.</p> - -<p>„Wunderbar,“ flüsterte sie. „Und das haben Sie von ihm bekommen? Und -Sie haben seine anderen Juwelen gesehen?“</p> - -<p>„Ich habe das von ihm bekommen. Es hat einmal einem persischen Sultan -gehört, sagte der alte Ali. Der Maharadscha hat es mir ausgewählt. -Selbst hätte ich ein Jahr gebraucht, um unter seinen Juwelen eine Wahl -zu treffen. Das einzige, was ich zu nehmen wagte, waren diese einzelnen -Steine.“</p> - -<p>„Opale! Die Unglück bringen!“</p> - -<p>„Wer weiß? Vielleicht bringen sie mir Glück — ich habe meistens gerade -umgekehrt gehandelt, wie vernünftige Menschen.“</p> - -<p>„Und wie waren die andern?“</p> - -<p>„Bitten Sie mich einen Regenbogen zu beschreiben, Mrs. Bowlby! Wenn Sie -einen Begriff davon haben wollen, weiß ich keinen anderen Weg, als daß -Sie zum Fest des Maharadscha kommen.“</p> - -<p>„Dorthin? Nie! Eher will ich — gehst du, John?“</p> - -<p>„Ja, liebe Susan.“</p> - -<p>„Und du, Helen, du machst es wie ich, nicht wahr?“</p> - -<p>„Ja, Mama, wenn du Papa folgst. Eheleute sollen einander nahe sein, das -haben wir in meiner Schule gelernt.“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_259">[S. 259]</span></p> - -<p>Mrs. Bowlby stieß einen Seufzer aus, den sie nur mäßig überzeugend -gestalten konnte.</p> - -<p>„So sagen Sie also dem Untier, daß ich komme,“ sagte sie. „Aber -<em class="gesperrt">anständiges Benehmen</em> ist meine Bedingung. Und <em class="gesperrt">was</em> soll -man anziehen, Mr. Cray?“</p> - -<p class="center">* <span class="mleft7">*</span><br /> -*</p> - -<p>Wahrscheinlich hatte Yussuf Khan seine Weisungen etwas modifiziert, -oder auch war London außerstande gewesen, sie in vollem Ausmaß -durchzuführen, denn ganz asiatisch war das Bild nicht, das sich den -Eingeladenen — Familie Bowlby, Herrn van Schleeten und Allan — -bot, als sie am folgenden Abend in einer Prozession in den großen -Festsaal des Grand Hotel Hermitage wanderten und dort von Yussuf -Khan, dem Obersten und dem alten Ali empfangen wurden. Der Oberst, -Herr van Schleeten, Mr. Bowlby und Allan waren im Frack; Miß Bowlby -in ausgeschnittenem Tüll und Mrs. Bowlby in einer grünschwarzen -Brokattoilette mit einer Schleppe, die ebenso lang war wie sie selbst, -mit ihren besten Juwelen geschmückt und fest entschlossen, das -Sternenbanner hochzuhalten. Yussuf Khan und der alte Ali waren in ganz -orientalischen weißen weiten Gewändern, mit Turbans auf dem Kopfe. -Yussuf Khans Turban trug eine Aigrette von Diamanten, alle weiß bis -auf einen einzigen großen schwarzen, der wie ein brennender Pechsee -flammte. Ueber sein rechtes Ohr hing ein Büschel Smaragden, das Mrs. -Bowlbys Lippen ein unwillkürliches Ah! entlockte. Yussuf Khan begrüßte -sie mit einem tiefen Salaam.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_260">[S. 260]</span></p> - -<p>„Willkommen, Gäste des Abends!“ sagte er. „Willkommen zu dieser -Festlichkeit, und nehmet meinen Dank, daß ihr sie durch eure Gegenwart -beehren wollt. Ich bitte euch, gütigst zu entschuldigen, daß die -Anordnungen, die getroffen wurden, euer ganz unwürdig sind, und bevor -wir zu dem dürftigen Tische gehen, bitte ich euch, Oberst Morrel -Sahib, diejenigen meiner Gäste vorzustellen, mit denen ich noch nicht -zusammengetroffen bin.“</p> - -<p>Während der Oberst diese Vorstellung vornahm, hatte Allan Zeit, sich -umzusehen.</p> - -<p>Der Festsaal des Hotels hatte, um nach Yussuf Khans Wünschen angeordnet -zu werden, die Voraussetzung gehabt, daß er in einer Art Tempelstil -erbaut war, mit sehr breiten Säulen an den Seiten, die eine nicht -besonders hohe Decke trugen. Jetzt waren sowohl Decke wie Wände und -Boden von ungeheuren schweren Teppichen in phantastischen teheranischen -Mustern verdeckt, zwischen denen die grünblauen breiten Marmorsäulen, -wenigstens für Allans Phantasie, asiatisch wirkten. Von der Decke -sanken die Draperien in einer weichen Kurve herab, in der Mitte -des Saales von zehn langen Lanzen gerafft; unter dem so gebildeten -Baldachin war die niedrige Festtafel gedeckt. Davor befanden sich an -der Stelle von Sesseln förmliche Berge von Kissen. Neben jedem Platz -stand ein niedriges Metallgestell, das eine Spülschale aus grünem -Porphyr trug. Die Beleuchtung war ein Kompromiß zwischen Europa und -der Religion des Propheten: Elektrische Lampen, die zusammen einen -gewaltigen Halbmond bildeten, glitzerten an der draperieverhüllten<span class="pagenum" id="Seite_261">[S. 261]</span> -Decke von der einen Längsseite bis zur anderen. In einem entsprechenden -Halbkreis stand die schwarze Leibwache, die Krummsäbel im Gürtel rings -um den Platz, wo der Maharadscha sitzen sollte und wo die Kissen -etwas höher aufgetürmt waren, als auf den anderen Plätzen. Zuletzt -erblickte Allan mit einem leichten Schauer in einer Ecke einige -halbnackte Tänzerinnen mit goldenen Ringen um Arme und Fußknöchel. Sie -hatten breite, groteske Saiteninstrumente und blinkende Tamburine. -Was würde Mrs. Bowlby dazu sagen? Er wandte die Aufmerksamkeit von -den Tänzerinnen gerade rechtzeitig ab, um zu hören, wie diese Dame zu -Yussuf Khan sagte:</p> - -<p>„Ich muß gestehen, daß ich schwankte, bevor ich Ihre ... Ew. Hoheit (es -fiel ihr merklich schwer, den Titel hervorzubringen) Einladung annahm.“</p> - -<p>„Und warum?“ sagte Yussuf Khan. „Hat der junge Sahib, der meine Juwelen -gerettet hat, meine Einladung so lau oder schlecht vorgebracht?“</p> - -<p>„Nein,“ sagte Mrs. Bowlby, „aber ich befürchtete, daß, wenn das Fest -so werden sollte, wie die Feste in Ihrem ... in Ew. Hoheit Heimat zu -sein pflegen, ich ... hm ... Dinge zu sehen bekommen würde, die eine -anständige Frau nicht zu sehen gewohnt ist.“</p> - -<p>„Das ist richtig,“ sagte Yussuf Khan, „in meinem Lande kommen ehrbare -Frauen nicht zu den Festen der Männer.“</p> - -<p>Mrs. Bowlby zuckte bei dieser orientalischen Aufrichtigkeit zusammen. -Im Nu vergaß sie Zeremonien und Titel über Dinge, die ihr schon lange -am Herzen lagen.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_262">[S. 262]</span></p> - -<p>„Und in meinem Lande“, rief sie, „hat kein anständiger Mann -hundertfünfzig Frauen auf einmal!“</p> - -<p>Yussuf Khan überlegte einen Augenblick.</p> - -<p>„Aber habe ich nicht gehört,“ sagte er ernst, „daß eine Frau -hundertfünfzig Männer hintereinander haben kann, wenn sie es darauf -anlegt?“</p> - -<p>Mrs. Bowlby starrte ihn an.</p> - -<p>„Wir wollen uns die Hand schütteln,“ sagte sie schließlich. „Das haben -Sie gut gemacht! <span class="antiqua">Demmit</span>, das ist mir noch nie eingefallen.“</p> - -<p>„Jedes Land“, warf der alte Hofdichter ein, „hat seine Sitten, die zwei -Meilen von der Grenze lächerlich und unbegreiflich erscheinen. Dies -sollte uns lehren, zu bedenken, daß wir alle nichts anderes sind, als -Spielbälle des Schicksals, wie der göttliche Zeltmacher es so treffend -ausdrückt:</p> - -<div class="poetry-container"> -<div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent2">Nur Puppen sind wir auf dem Schachbrett Welt,</div> - <div class="verse indent2">Ein Spielzeug nur, geschoben und gestellt;</div> - <div class="verse indent2">Ein Zeitvertreib! — Und hat’s das Schicksal satt,</div> - <div class="verse indent2">Zum Kasten wandert, Stück an Stück gesellt!“</div> - </div> -</div> -</div> - -<p>Er wiederholte eine Zeile für sich selbst in einer Sprache, die Allan -nicht kannte und die etwa klang wie:</p> - -<p>„<span class="antiqua">U danad u danad u danad u</span> ...“</p> - -<p>Oberst Morrel beeilte sich das Wort zu ergreifen; Poesie gehörte -offenbar nicht zu seiner Vorstellung von <span class="antiqua">hors d’oeuvres</span>.</p> - -<p>„Wäre es nicht an der Zeit zu Tisch zu gehen?“ sagte er. „Ew. Hoheit -wissen, daß wir morgen in aller Frühe abreisen.“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_263">[S. 263]</span></p> - -<p>Yussuf Khan brach in ein Lachen aus, das Allan überraschte. Eine solche -Heiterkeit erwartete man nicht von einem passiven Orientalen. Aber -tatsächlich lachte Seine Hoheit so, daß er alle Zähne zeigte, wobei -Allan flüchtig bemerkte, daß einer davon ganz überplombiert mit Gold -war. Yussuf Khan wischte sich die Augen und sagte noch immer lachend:</p> - -<p>„Ihr habt recht, Oberst Morrel Sahib, morgen verliert mich diese Stadt -für lange Zeit aus den Augen. Gehen wir also zu Tisch!“</p> - -<p>Der Oberst, der diese Heiterkeit, deren Ursache ihm offenbar -unbegreiflich war, ganz verblüfft beobachtet hatte, zuckte die Achseln. -Yussuf Khan wiederholte:</p> - -<p>„Zu Tisch!“</p> - -<p>Er führte selbst die Gäste zu der gedeckten Festtafel und wartete, bis -alle unter dem niedrigen Baldachin versammelt waren, um dann zu sagen:</p> - -<p>„In meinem Lande nehmen wir unsere Mahlzeiten nicht an einem Tische wie -diesem ein. Aber als ich mit mir selbst über das Fest zu Rate ging, -sagte ich mir zwei Dinge. Ich dachte zuerst: diese edlen Sahibs sind -nicht an die Sitten meines Landes gewöhnt, und was das Essen betrifft, -so lieben alle Menschen ihre eigenen Sitten am meisten.“</p> - -<p>„Das ist wahr,“ sagte der alte Ali, „und mein Schüler spricht gut.“</p> - -<p>„Ferner“, fuhr Yussuf Khan fort, „sagte ich mir selbst: was ist schuld -daran, daß ich diesen edlen Sahibs Unannehmlichkeiten bereitet habe, -die ich sie nun in unwürdiger Weise durch dieses Fest bitten möchte, -zu entschuldigen? Ich sagte mir selbst: meine<span class="pagenum" id="Seite_264">[S. 264]</span> Juwelen, denen von -schlauen, kühnen Dieben nachgetrachtet wurde. Wenn nun meine Gäste -diese Juwelen zu sehen bekommen, die trotz alldem von einer gewissen -Schönheit sind, können sie vielleicht den Grund der Gier der Diebe -begreifen und dadurch auch die Unannehmlichkeiten, die sie selbst -erdulden mußten. Und deshalb —“</p> - -<p>Er brach plötzlich ab und klatschte in die Hände.</p> - -<p>Im Nu, plötzlich, wie der Nebel bei einem Sonnenaufgang in den Tropen -verschwindet, verschwand eine Hülle aus weißer Seide, die über der -Festtafel ausgebreitet gelegen war — wie es zuging, konnte niemand -sehen — und Yussuf Khans Gäste starrten mit halbgeblendeten Augen -auf die Juwelen Nasirabads, die sich in einer Pyramide mitten auf -dem Tische auftürmten. Eine nette Tischdekoration! Allan, der Oberst -und Herr van Schleeten, die sie schon gesehen hatten, standen stumm -da, wieder ganz bezaubert von dem phantastischen Glanz der Steine. -Aber der Familie Bowlby, die sie noch nicht gesehen hatte, entrang -sich ein dreifacher erstickter Schrei. Mrs. Bowlbys Augen irrten von -einem Diadem und Halsband zum anderen, halb mit naiver Bestürzung, -halb mit Mißtrauen. Endlich wendete sie sich dem Maharadscha zu, -der sie ernsthaft beobachtet hatte, und murmelte, indem sie auf die -Familienjuwelen wies, die sie trug:</p> - -<p>„Wollen Ew. Hoheit einen Augenblick warten, ich springe nur hinauf und -lege das ab!“</p> - -<p>Yussuf Khan winkte majestätisch mit der Hand.</p> - -<p>„Das wäre töricht, und wir würden Zeit verlieren,“<span class="pagenum" id="Seite_265">[S. 265]</span> sagte er, ohne sich -auf irgendwelche Versuche zu Höflichkeiten einzulassen. „Nehmen wir -Platz!“</p> - -<p>Er winkte den Gästen, sich zu setzen. Neben sich placierte er Mr. und -Mrs. Bowlby, dann Allan mit Miß Helen, dann den Obersten, Herrn van -Schleeten und den alten Ali. Selbst setzte er sich zu allerletzt, -indem er den rechten Arm zu dem Baldachin erhob. Im selben Augenblicke -tauchten von allen Seiten, wie es schien, aus dem Nichts, Diener mit -blinkender schwarzer Haut auf, füllten die Porphyrschalen vor jedem -Gaste mit parfümiertem Wasser und stellten vor jeden einen Becher mit -einem rosafarbenem Getränk hin.</p> - -<p>„Das ist Sorbet,“ sagte Yussuf Khan, „später kommen die Getränke, die -die Sahibs lieben, aber zum Willkommengruß wünschte ich den Trank -meines eigenen Landes.“</p> - -<p>Er erhob das Glas mit einer majestätischen Bewegung und trank es aus.</p> - -<p>„Möchte diese unwürdige Mahlzeit euch alle Beschwerden vergessen -lassen, die ihr meinetwegen erduldet habt.“</p> - -<p>Im selben Augenblicke, in dem er seinen Becher niederstellte, fiel ein -Regen von Rosen auf die Festtafel und die Gäste, und im Hintergrunde -des Saales begannen die braunen Tänzerinnen einen wirbelnden Tanz, den -sie auf ihren seltsamen Instrumenten begleiteten. Während Mrs. Bowlby -von ihren Kissen empor schnellte, um sie anzustarren, beugte Allan -sich zu Miß Helen herab, die mit träumenden Augen dasaß, als wüßte sie -nicht, ob sie wachte, und sagte:</p> - -<p>„Se. Hoheit scheint kein weiteres Attentat auf<span class="pagenum" id="Seite_266">[S. 266]</span> seine Edelsteine zu -befürchten, da er sie hier so ausbreitet.“</p> - -<p>„Er hat ja die Leibwache um sich,“ sagte sie, ohne ihre Blicke von -der Pyramide auf dem Tisch abzuwenden. „Sie haben aber auch gehörigen -Respekt vor diesem Mirzl!“</p> - -<p>„Ich muß gestehen, daß ich ihn im Verdacht habe, wo immer zwei oder -drei versammelt sind und etwas in der Nähe ist, das des Stehlens wert -ist.“</p> - -<p>„Da müßte er ja hier drinnen sein,“ lachte sie.</p> - -<p>Allan fuhr bei ihren leicht hingeworfenen Worten zusammen. Was war ihm -doch früher am Abend eingefallen? Und nach welcher anderen Erinnerung -fahndete er nur?</p> - -<p>Yussuf Khan, der Mrs. Bowlby mit tiefem Ernst beobachtet hatte, sagte:</p> - -<p>„Es ist unbestreitbar, daß einige der Tänzerinnen, die der Besitzer -dieser Karawanserei aufgetrieben hat, nicht des Reizes entbehren. Aber -ich für meine Person finde weit größeres Gefallen an Eurer Tochter, die -mir herangewachsen genug scheint, um verehelicht zu werden.“</p> - -<p>Mrs. Bowlby stieß einen Schrei aus, wie ein in der Schlinge gefangener -Papagei und wandte sich jäh von den Tänzerinnen ab, die in einem Zyklon -von nackten Gliedern und blinkendem Gold umherwirbelten.</p> - -<p>„Helen!“ rief sie. „Helen, du darfst kein Wort von dem hören, was er -sagt!“</p> - -<p>„Nein, Mama.“</p> - -<p>„Sie sollten sich schämen!“ fuhr Mrs. Bowlby an Yussuf Khan gewendet -fort. „Sie sollten sich die Augen<span class="pagenum" id="Seite_267">[S. 267]</span> aus dem Kopfe schämen! Wo Sie -hundertfünfzig Weiber haben, die Sie Frauen nennen, Sie sollten sich -schämen, meinem armen, unschuldigen Kinde Fallstricke zu legen!“</p> - -<p>„Diese hundertfünfzig Frauen“, sagte Yussuf Khan, „sind schon lange -in meinem Palast. Ueberdies können sie weggeschickt werden, wenn -es nötig ist. Vielleicht ist es leichter, eine Frau zu lieben als -hundertfünfzig.“</p> - -<p>Mrs. Bowlby umklammerte ihren Sorbetbecher, wie um ihn ihm an den Kopf -zu werfen und starrte ihn sprachlos an. Yussuf Khan fuhr ebenso ruhig -wie immer fort:</p> - -<p>„Mein Geschlecht zählt achtundvierzig Ahnen, und von meinem Palast -und meinen Besitztümern legen diese Juwelen ein wenn auch unwürdiges -Zeugnis ab. Wäre der Juwelenkünstler, der zur Linken meines Lehrers -sitzt, nicht von einem Weibe betört worden, worum wir ihn alle beneiden -müssen, hätten diese Juwelen ein anderes und gewinnenderes Aussehen.“</p> - -<p>„Helen!“ schrie Mrs. Bowlby mit erstickter Stimme, „Helen, höre nicht -auf ihn!“</p> - -<p>Miß Helen wollte etwas antworten, und die schwarzen Diener erschienen -eben in feierlicher Prozession mit einer Reihe Silberschüsseln in den -erhobenen Händen, als Allan eine Idee durchzuckte. Die Erinnerung, nach -der er gesucht hatte, war aufgetaucht, und im selben Augenblick war die -Idee gekommen — wahnsinnig, aber!! Er beugte sich hinter Miß Helens -Rücken zu Oberst Morrel vor. Er flüsterte dem Obersten zwei Fragen zu, -worauf dieser ihn anstarrte wie einen Wahnsinnigen, bis er endlich die -Sprache wieder fand.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_268">[S. 268]</span></p> - -<p>„Ja, was zum Henker soll das heißen?“ brüllte er. „Sind Sie denn ganz -toll?“</p> - -<p>Allan erhob sich von seinem Platz.</p> - -<p>„Was das heißen soll?“ rief er, indem er mit blitzenden Augen auf -Yussuf Khan deutete. „Das soll heißen, daß der Mann, der da sitzt, gar -nicht Yussuf Khan, Maharadscha von Nasirabad ist!“</p> - -<p>Er hatte kaum diesen Satz herausgeschleudert, als an die Eingangstür -des Festsaals geklopft wurde. Sie öffnete sich, und drei wunderliche -Gestalten erschienen auf der Schwelle.</p> - -<p>Zuerst kam der Mann, der behauptet hatte, einem Feste in seinem -eigenen Hotel nicht beiwohnen zu können — der Direktor des Grand -Hotels Hermitage. Dann kam eine Frau, bei deren Anblick Mrs. Bowlby -zurückprallte wie vor dem Anblick einer Klapperschlange, und -schließlich ein Mensch im zerdrückten Anzug und nicht ganz reinem -Kragen, der eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Maharadscha von Nasirabad -aufwies.</p> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_269">[S. 269]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="XIII">XIII<br /> - -<em class="gesperrt">Yussuf Khans Heirat</em></h2> - -</div> - -<p>Der Direktor des großen Hotels brach das Schweigen, das durch -seinen und den Eintritt der anderen zwei Personen in den Festsaal -entstanden war. Er wendete sich an Oberst Morrel und sagte mit einer -entschuldigenden Betonung auf jedem Wort, das er sprach:</p> - -<p>„Herr Oberst, Sie müssen mein Eindringen in Ihre Gesellschaft -verzeihen. Sie können sich denken, daß es nicht ohne zwingende Gründe -geschieht. Ich werde das, was vorgefallen ist, so kurz und deutlich -erzählen, als ich kann.</p> - -<p>Vor zwanzig Minuten wurde ich in das Bureau gerufen, mit dem Bedeuten, -daß meine Anwesenheit unumgänglich notwendig sei. Ich eilte hinunter -und fand diese Dame, in der ich Mrs. Langtrey erkannte, die einige Zeit -im Hotel gewohnt hat, und diesen Herrn, der eine gewisse Aehnlichkeit -mit Sr. Hoheit hat (der Direktor verbeugte sich in der Richtung von -Yussuf Khan). Ich traute meinen Augen nicht, als ich Mrs. Langtrey -sah, die, wie wir wissen, vor zwei Tagen ein kühnes Attentat auf die -Juwelen Sr. Hoheit versucht hatte, über das einer der Gäste Sr. Hoheit -die ausführlichsten Aufklärungen geben kann. (Der Direktor verbeugte -sich leicht gegen Herrn van Schleeten, der ganz starr dasaß, die -Augen auf Mrs. Langtrey geheftet).<span class="pagenum" id="Seite_270">[S. 270]</span> Bevor ich noch meine Bestürzung -aussprechen konnte, sagte Mrs. Langtrey: ‚Ich weiß genau, was Sie -sagen wollen. Es ist unnötig. Ich bin Mrs. Langtrey, die in Ihrem -Hotel gewohnt hat; das ist der Maharadscha von Nasirabad, der vor fünf -Tagen geraubt wurde.‘ ‚Wie können Sie es wagen, zu behaupten, daß -dieser Mensch der Maharadscha ist,‘ rief ich aus, ‚ich weiß doch, daß -der Maharadscha gerade jetzt ein Abschiedsfest in meinem Hotel gibt!‘ -‚Der Maharadscha,‘ erwiderte Mrs Langtrey, ‚ein sauberer Maharadscha! -Der Mensch, der heute abend in Ihrem Hotel das Fest gibt, ist nicht -mehr Maharadscha als Sie selbst oder der Portier hier. Ich verlange -augenblicklich in den Festsaal hinaufgeführt zu werden.‘ Jetzt wurde -mir die Sache zu bunt, und ich wollte die Dienerschaft rufen, um Mrs. -Langtrey aus dem Hotel zu weisen, als sie mir zuvorkam und sagte: ‚Tun -Sie nicht etwas, was Sie bereuen würden! Wir wollen nur ungerne mit -Hilfe der Polizei eindringen, aber wenn es notwendig ist, werden wir -es tun.‘ Nach dieser Aeußerung glaubte ich nichts anderes machen zu -können, als die Gesellschaft hierher zu begleiten, wie sie es wünschte.“</p> - -<p>Der Direktor verstummte. Der Oberst blickte wie ein Schlaftrunkener -um sich, bald starrte er den Direktor, bald Allan an, bald die zwei -Personen, die auf den Thron von Nasirabad Anspruch erhoben. Der -zuletzt Erschienene, der Mann in Mrs. Langtreys Gesellschaft mit dem -zerdrückten Frack, ergriff das Wort:</p> - -<p>„Wie lange werde ich noch warten müssen, bis dieser Verbrecher, der -mein Aussehen gestohlen hat, in Ketten<span class="pagenum" id="Seite_271">[S. 271]</span> gelegt wird?“ sagte er. „Fünf -Tage bin ich in seinen und seiner Bande Händen gewesen, und nun ich -wiederkomme und finde, daß er meinen Namen, wenn auch nicht mein Hab -und Gut, gestohlen hat, werde ich behandelt, als wäre <em class="gesperrt">ich</em> er. -Oberst Morrel Sahib, wie lange werde ich noch warten müssen, daß der -Verbrecher in Ketten gelegt wird?“</p> - -<p>Der Oberst starrte von ihm zum Maharadscha am Tisch, ohne eine Silbe -hervorbringen zu können. Er kannte den Maharadscha seit vielen Jahren; -am Tische saß ein Yussuf Khan, an den er sich von tausend Gelegenheiten -her erinnerte, in der Türe stand ein Mann mit eingefallenen Wangen und -zerknitterter Kleidung, der wohl eine gewisse Aehnlichkeit mit dem -anderen Yussuf Khan hatte, aber auch nicht mehr als das.</p> - -<p>Aber dieses Zusammentreffen mit dem jungen Mann aus Schweden, der seine -absurde Behauptung fast im selben Augenblicke hinausgeschleudert hatte, -in dem sie in so eigentümlicher Weise von anderer Seite vorgebracht -wurde! Er stand noch total konfus da, als das Schweigen gebrochen -wurde: Der Maharadscha am Tische wollte sprechen, aber Allan Kragh fiel -ihm höchst unartig ins Wort.</p> - -<p>„Oberst Morrel,“ sagte er. „Ich stellte kürzlich zwei Fragen an Sie, -die Sie, wie ich sah, wahnwitzig fanden. Gestatten Sie, daß ich sie -noch einmal wiederhole?“</p> - -<p>Der Oberst nickte starr, vermutlich ohne aufzufassen, was Allan sagte, -so verblüfft starrte er noch immer die beiden Kronprätendenten an.</p> - -<p>„Ich habe Sie gefragt,“ sagte Allan, „ob Se. Hoheit,<span class="pagenum" id="Seite_272">[S. 272]</span> der Maharadscha, -Gelegenheit hatte in Nasirabad seine Zähne plombieren zu lassen? Wollen -Sie mir diesmal ausdrücklich darauf antworten?“</p> - -<p>Der Oberst wendete seinen starren Blick ihm zu.</p> - -<p>„Zähne plombieren,“ schrie er. „Das ist wirklich nicht die rechte Zeit -für Geschwätz und Dummheiten.“</p> - -<p>„Es sind vielleicht nicht solche Dummheiten, wie Sie glauben,“ sagte -Allan. „Ich ziehe aus Ihrer Antwort den Schluß, daß Se. Hoheit keine -Gelegenheit hatte, seine Zähne in Nasirabad plombieren zu lassen. Und -in London?“</p> - -<p>„Jetzt hören Sie aber, junger Freund —“</p> - -<p>„<span class="antiqua">All right.</span> Also auch nicht in London. Nun weiß ich aber, daß -der Mann, der hier am Tische sitzt, einen Backenzahn hat, der mit einer -Goldplombe überzogen ist. Kann er dies widerlegen, entfällt einer der -Gründe für meine Behauptung, daß er nicht der Maharadscha von Nasirabad -ist. Ich gebe ihm hiermit Gelegenheit, es sofort zu widerlegen.“</p> - -<p>Yussuf Khan sprang mit blitzenden Augen vom Tische auf.</p> - -<p>„Ich weiß nichts von der Gastfreundschaft der Sahibs,“ sagte er, „wenn -sie die Gastgeber sind. Aber wenn jemand in meinem Lande zu mir, seinem -Gastgeber, so spräche, wie dieser junge Mann zu mir spricht, ich würde -ihn mit Hieben und Schlägen von meinen Dienern aus dem Hause jagen -lassen. Bin ich ein Pferd, daß ich mir auf einen Wink in den Mund -schauen lasse? Man treibe diese Menschen hinaus, die ich nicht kenne -und die sich hier eingedrängt haben wie freche Bettler, und zugleich -mit ihnen diesen jungen<span class="pagenum" id="Seite_273">[S. 273]</span> Mann, der mich beleidigt hat, wie ich noch nie -beleidigt wurde!“</p> - -<p>Er betrachtete Allan und die ungebetenen Gäste mit blitzenden Augen. -Der Oberst richtete sich auf und war im Begriff seinen Wunsch zu -erfüllen, als Allan ihn mit einer Geste und einem leisen Lächeln -aufhielt.</p> - -<p>„Oberst Morrel,“ sagte er, „einen Augenblick! Ich will mich gerne in -der Weise, wie Se. Hoheit es wünscht, hinausjagen lassen, aber unter -einer Bedingung. Ich glaube, daß Mrs. Langtrey und ihr Begleiter sich -mir anschließen werden, wenn sie diese Bedingung hören.“</p> - -<p>Er wandte sich dem Maharadscha am Tisch zu:</p> - -<p>„Benjamin Mirzl, du Sonne der Rechtgläubigen und aller Verbrecher -König, habe die Gewogenheit, deiner schwarzen Leibwache selbst den -Befehl meiner Verjagung zu geben! Ich weiß zufällig, daß sie nicht -englisch spricht!“</p> - -<p>Die Züge des Maharadscha nahmen, während Allan sprach, einen -furchtbaren Ausdruck an. Er verließ seinen Platz und kam mit langsamen -Schritten auf die Gruppe zu, die in der Nähe des Eingangs stand. Seine -Augen waren durchbohrend auf Allan geheftet und funkelten wie die -eines Königstigers. Er blieb vor Allan stehen und fixierte ihn einen -Augenblick mit einem Ausdruck solchen Zornes, daß der Oberst eine -Bewegung machte, um einzuschreiten; es sah aus, als wollte er Allan -auf der Stelle niederschlagen. Im selben Augenblick geschah jedoch -etwas ganz anderes. Der Maharadscha machte an ihnen allen vorbei -einen Riesensprung, nicht unwürdig des königlichen Raubtieres, dem -er glich;<span class="pagenum" id="Seite_274">[S. 274]</span> und bevor jemand sich noch gerührt hatte, lag der Saal in -Stockfinsternis versunken; sie hörten die Eingangstüre zufliegen und -das Einschnappen eines Riegels. Für einen Augenblick war alles ein -wüstes Durcheinander; Rufe ertönten von Mrs. Bowlby, vom Obersten, -von der schwarzen Leibwache, vom Direktor und den eben eingetroffenen -ungebetenen Gästen. Dann kam ein Ausruf der Befriedigung von jemand, -dem es gelungen war, den Kontakt zu finden, und der Saal lag wieder im -Licht da. Ein Gewimmel von Armen und Beinen bearbeitete die Türe mit -Schlägen und Stößen; verschiedene Ausrufe des Obersten, der mitten im -Kampfgewühl war, deuteten an, daß nicht alle Schläge den Türspiegel -trafen. Endlich flog die Türe auf, und eine wilde Jagd begann die -Treppe hinunter in die große Halle. Zum Glück für den zukünftigen Ruf -des Hotels war die Halle bis auf ein paar Bedienstete und den Portier -ganz leer. Der Direktor schleuderte ihm mit Tigergebrüll eine Frage zu, -und nach einem Augenblick des erstaunten Starrens kam die Antwort von -dem würdigen Portier mit der Benediktinerfigur:</p> - -<p>„Der falsche Maharadscha? Der Maharadscha ist vor einem Augenblick die -Treppe hinuntergekommen und ... nun ja, er schien ein bißchen unsicher -auf den Beinen. ‚Will b—bißchen an die f—frische Luft‘, hat er uns -zugemurmelt, Sir, und uns ein wenig unsicher angesehen. Wir hörten Rufe -oben aus dem Festsaal und dachten uns: Jetzt sind die Gäste in Stimmung -gekommen, und —“</p> - -<p>Im nächsten Augenblicke waren sie an dem würdigen Portier vorbei, wie -ein Koppel Hunde, die die<span class="pagenum" id="Seite_275">[S. 275]</span> Fährte gefunden haben. Leider führte diese -Fährte nicht weiter als bis zum Monmouth Square. Der patrouillierende -Polizeikonstabler rapportierte, daß er vor zwei Minuten einem -asiatischen Gentleman, der etwas bezecht zu sein schien, in ein Auto -geholfen hatte, das dann zur Wohnung dieses Herrn, Grosvenor Hotel, -fortgerollt war.</p> - -<p>Der Oberst sah Allan an, während er sich den Schweiß von der Stirne -wischte.</p> - -<p>„Der verdammte Schurke,“ murmelte er. „Das drittemal! Und auf ein Haar -wäre es ihm geglückt ... Hol’s der Teufel — ich kann nicht umhin, den -Kerl zu bewundern.“</p> - -<p>„Gehen wir wieder hinauf,“ sagte der Direktor. „Seine Hoheit ... Seine -wirkliche Hoheit kann Entschuldigungen und Erklärungen verlangen.“</p> - -<p>Er, der Oberst und Allan gingen die Treppe wieder hinauf; Herr van -Schleeten hatte an der Jagd auf den falschen Maharadscha nicht -teilgenommen. Die Leute auf dem Monmouth Square starrten die drei -Herren an, von deren Gesichtern der Schweiß troff, trotzdem sie in -Frack und weißer Krawatte waren. Im Festsaal angelangt, bot sich ihnen -eine bunte Szene.</p> - -<p>Links von dem Eingange stand die Familie Bowlby unter dem Präsidium -von Mrs. Bowlby, die mit ausgebreiteten Röcken bereit war, ihr -Haus zu verteidigen, wie die Henne ihre Küchlein. Sie führte eine -eifrige, leise Konversation mit ihrem Mann und ihrer Tochter und -schleuderte hie und da einen herausfordernden Blick auf Mrs. Langtrey. -Mrs. Langtrey stand mitten im Saale mit stolzer Haltung und einem -unergründlichen<span class="pagenum" id="Seite_276">[S. 276]</span> Lächeln. Ihre Augen hingen an Yussuf Khan — dem nun -anerkannt richtigen — und auf ein Kissen an der Festtafel gesunken, -die Nasenfarbe von Chateau Lafitte in Haut Sauterne verwandelt, saß -ein Herr mit dickem, gelbgrauem, jetzt schlaff hängendem Schnurrbart, -dessen Augen nichts anderes sahen als Mrs. Langtrey — Herr van -Schleeten.</p> - -<p>Die schwarzen Diener und die Leibwache hatten sich in einem Kreis -versammelt, wie eine Krähenkolonie über das Passierte schnatternd. -Yussuf Khan — der richtige — stand, noch etwas schlapp, mit einem -geleerten Weinglas in der Hand da und war der Gegenstand zärtlicher -Worte und entschuldigender Bitten von seiten seines alten Lehrers.</p> - -<p>„Beim Propheten, mein Sohn, ich schäme mich wie ein Dieb, der im Basar -auf frischer Tat ertappt wurde! Ich, ich selbst, dein Lehrer, ließ mich -zwei Tage von diesem frechsten unter den Betrügern täuschen. Sogar -seine Sprache war die deine, nur poetischer, worin ich eine Frucht -der Lehren sah, die ich dir beizubringen bemüht. Mein Hochmut darüber -machte mich noch blinder gegen seinen wirklichen Charakter, wofür Allah -mir gnädig sein möge. Wahrlich, beim Propheten! Ich schäme mich! Wäre -nicht dieser junge Mann mit dem wunderbar scharfen Falkenblick gewesen, -du wärest jetzt vertrieben, und er, der Betrüger wäre in wenigen -Wochen, wenn wir unser Land wiedersehen, nach dem ich mich sehne, wie -der Hirsch nach der Quelle, auf den Thron von Nasirabad erhoben worden. -Ueberaus treffend sagt der göttliche Zeltmacher —“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_277">[S. 277]</span></p> - -<p>Der Maharadscha unterbrach ihn, ohne die treffende Aeußerung des -göttlichen Zeltmachers abzuwarten.</p> - -<p>„Ohne Zweifel“, sagte er, indem er sich aufrichtete, „hat der junge -Mann, der mir unbekannt ist, jetzt das Verdienst, daß der Betrüger -entlarvt wurde, aber ich hatte jemanden in meiner Gesellschaft, der -bereit war, ihn zu entlarven. Sie wollte nur ihren Zeitpunkt wählen.“</p> - -<p>„Mein Sohn, ich bedauere, daß du mir den Schmerz bereitest, den Worten -des göttlichen Zeltmachers nicht so gerne zu lauschen wie der elende -Betrüger, Sohn Scheitans. Aber du sagtest <em class="gesperrt">sie</em>? Meinst du die -Frau, die in deiner Gesellschaft kam?“</p> - -<p>„Wie du sagst. Sie, die in meiner Gesellschaft kam, die von diesem -Betrüger und Menschenräuber zu meiner Gefängniswärterin ausersehen -war, die sich meiner in meiner Gefangenschaft erbarmte, und von der -ich gleich noch mehr mit dir und Oberst Morrel Sahib sprechen werde. -Fünf Tage war sie meine Wächterin, nur anfangs von dem Verbrecherkönig -abgelöst. Ihre Milde zugleich mit der Festigkeit ihres Willens war -bewunderungswürdig, und die Zeit in meinem Gefängnis, wo sie über mich -wachte, war mir süßer als alle Stunden, die ich in der Gesellschaft -anderer Frauen verbracht habe. Sie war fest wie die Hand des Reiters, -wenn sie den Zügel hält, und sanft wie sie es ist, wenn sie das Fohlen -streichelt. Heute — doch später mehr davon. Du sagtest, daß wir schon -in einigen Wochen unser Vaterland wiedersehen werden? War denn die Zeit -für Eure Abreise schon bestimmt?“</p> - -<p>„Sie war von Oberst Morrel Sahib für morgen bestimmt,<span class="pagenum" id="Seite_278">[S. 278]</span> der es gestern -als eine Gnade von Sr. Exzellenz dem Minister erwirkte, daß wir diese -Stadt mit unversehrter Ehre und Turbans verlassen dürfen. Von solchen -Dingen wie die, die unsere Anwesenheit hier verursacht hat, hat diese -Stadt noch nie gehört, und sowohl die Bevölkerung hier wie Oberst -Morrel Sahib sind mit Recht über mich empört, der ich dir ein so -elendes Vorbild gewesen. Ach, du kannst in Wahrheit auf deinen Lehrer -anwenden, was der göttliche Omar von seinen Lehrern sagte:</p> - -<div class="poetry-container"> -<div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent2">Die hellsten Leuchten von den klügsten Köpfen,</div> - <div class="verse indent2">Die von den Sternen selbst die Weisheit schöpfen,</div> - <div class="verse indent2">Da liegen sie ...“</div> - </div> -</div> -</div> - -<p>„Da kommt Oberst Morrel Sahib,“ schnitt Yussuf Khan ab. „Das ist gut. -Ich will sogleich mit ihm von dem sprechen, was mir am Herzen liegt.“</p> - -<p>Er ging dem Obersten entgegen, der sich noch nach der Verbrecherjagd -die Stirne wischte und hie und da mit einem gemurmelten energischen -Ausdruck die Fußknöchel rieb, die im Kampf gegen die Eingangstüre -mitgewirkt hatten. Er starrte Yussuf Khan mit Blicken an, in denen -allzu geringe Freude über die Rückkehr des rechten Thronprätendenten zu -lesen war.</p> - -<p>„Eine saubere Geschichte,“ rief er, als trüge Yussuf Khan die Schuld -an Herrn Mirzls Missetaten. „Habe ich gesagt eine verdammt saubere -Geschichte? Was sage ich, ein ganzer Knäuel von verdammt sauberen -Geschichten! Hätte Gott uns nicht diesen jungen Mann gesandt“ — er -wies auf Allan — „so weiß der Teufel, wie es jetzt aussehen würde.“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_279">[S. 279]</span></p> - -<p>„Wer ist dieser junge Mann?“ sagte Yussuf Khan.</p> - -<p>„Er hat einen Namen, an dem man sich die Zunge zerbricht. Aber das tut -nichts. Das ist das drittemal, daß es ihm gelungen ist, den Erzgauner -zu überlisten, der sonst gewiß den Satan selbst beschwindeln kann, -wenn er es darauf anlegt. Haben sie viele solche in Deutschland, wo er -herkommt, dann begreife ich, daß wir Zölle gegen alles brauchen, was -aus diesem Lande kommt. Dieser junge Mann — ja hören Sie nur!“</p> - -<p>Er gab dem Maharadscha eine kurze, aber bunte und pittoreske -Beschreibung Von Herrn Mirzls und Allans drei Duellen und unterließ -es nicht, moralische Reflexionen über Yussuf Khans eigenen Anteil an -den Malheurs einzuflechten, die ihn (Oberst Morrel) seit der Ankunft -in Europa heimgesucht hatten, einem Weltteil, der vor Scham errötete, -daß sich solche Dinge vor seinen Augen abspielten. Yussuf Khan hörte -geduldig zu, bis er zu Ende war, und sagte dann:</p> - -<p>„Mein Lehrer Ali hat mir gesagt, daß es Eure Absicht war, Oberst Morrel -Sahib, morgen nach Nasirabad mit diesem Betrüger als König an meiner -Statt abzureisen. Ist das richtig?“</p> - -<p>Der Oberst knurrte ein halb zorniges, halb verlegenes „Ja“.</p> - -<p>„Es ist gut. Dasselbe ist nun meine eigene Absicht. Was diesen jungen -Mann betrifft, werde ich mir später überlegen, was geschehen soll, um -ihm meine Dankbarkeit zu bezeigen. Vorher kommt etwas anderes. Ich bin -über das Meer in dieses Land gereist, um mir eine passende Gemahlin aus -dem Volke der Sahibs zu erringen.“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_280">[S. 280]</span></p> - -<p>„Eine Prinzessin,“ knurrte der Oberst. „Diesen Plan müssen wir schon -auf den Nagel hängen, nach allem, was Ew. Hoheit hier in London -angestellt haben. Weiße Prinzessinnen sind ein bißchen heikel.“</p> - -<p>„Ihr sprecht töricht, Oberst Morrel Sahib, wir müssen diesen Plan nicht -auf den Nagel hängen, wie Ihr sagt. Vielmehr wird schon an diesem Abend -meine Vermählung gefeiert werden.“</p> - -<p>„Haha! Das ist gut! Wo ist denn die Prinzessin?“</p> - -<p>„Hier,“ sagte Yussuf Khan gelassen und wendete sich Mrs. Langtrey zu.</p> - -<p>So allmählich hatte sich ein Kreis aus allen Personen, die im Saal -waren, um ihn gebildet. Bei seinen letzten Worten ertönte ein schriller -Schrei von dem Punkt des Kreises, wo Mrs. Bowlby stand, noch immer ihre -Familie hinter ihren ausgebreiteten grünen Brokatflügeln schützend:</p> - -<p>„<em class="gesperrt">Haha! Die wird Königin!</em>“</p> - -<p>Yussuf Khan sah Mrs. Bowlby an.</p> - -<p>„Wer ist diese Frau, die törichte Worte durch die Nase entsendet?“ -fragte er.</p> - -<p>„Ew. Hoheit müssen das nicht beachten,“ sagte Mr. Bowlby, „wodurch -sollte sie sie sonst entsenden?“</p> - -<p>„John! Du auch! Du verläßt deine Gattin und beleidigst sie öffentlich!“</p> - -<p>„Geliebte Susan. Bist du auf deine alten Tage eitel geworden? Du weißt, -daß deine Nase Format zehn ist. Außerdem bist du Gast Sr. Hoheit, -und es schickt sich nicht für dich, ihn oder seine anderen Gäste zu -beleidigen.“</p> - -<p>Mrs. Bowlby schien nahe daran, in ihrem grünen<span class="pagenum" id="Seite_281">[S. 281]</span> Brokat zu explodieren, -aber es gelang ihr, ihre Gefühle in ihren Busen hinabzupressen, und -sie schwieg, nachdem sie dem Kreis im übrigen eine tiefe ironische -Verneigung gemacht hatte. Yussuf Khan nahm Mrs. Langtrey bei der Hand -und wandte sich seinem alten Lehrer zu.</p> - -<p>„Mein Lehrer Ali“, sagte er, „ist nächst mir selbst Scheik-ul-Islam in -Nasirabad. Als solcher ist er bei fürstlichen Vermählungen derjenige, -der das Ehepaar verbindet, und auch der berufenste, meiner Gemahlin -später Unterricht in der Lehre des Propheten zu erteilen.“</p> - -<p>Bei diesen Worten bahnte sich trotz alledem ein heiserer Schrei den Weg -aus Mrs. Bowlbys Brust.</p> - -<p>„<em class="gesperrt">Die wird Mohammedanerin! Und die hundertfünfzig anderen?</em>“</p> - -<p>Yussuf Khan wandte sich ihr wieder mit erstauntem Ernst zu.</p> - -<p>„Wie töricht spricht doch diese Frau, jedesmal wenn sie sich äußert! -Ein Bekenner der Lehre des Propheten hat nur vier Frauen. Ich -persönlich habe nur zwei.“</p> - -<p>„Zwei! Wie kann man nur ... die ganze Welt weiß doch ...“</p> - -<p>„Die übrigen sind nur Nebenfrauen,“ sagte Yussuf Khan. „Und nun werden -alle aus dem Palast entfernt und an einen passenden Aufenthaltsort -gebracht werden. Von meiner Rückkehr nach Nasirabad an habe ich gleich -den Regenten der Sahib nur eine Gemahlin.“</p> - -<p>Er machte einen ernsten Salaam vor Mrs. Langtrey, die ihm mit Blicken -gefolgt war, aus denen zärtliche Heiterkeit sprach, und wandte sich an -den Direktor.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_282">[S. 282]</span></p> - -<p>„Lasset alles für das Vermählungsfest in meinen Gemächern anordnen,“ -sagte er. „Ein Fest von passender Art soll dort nach der Vermählung -gegeben werden. In diesem Saal, der von dem Betrüger verunreinigt -wurde, will ich nicht länger weilen.“</p> - -<p class="center">* <span class="mleft7">*</span><br /> -*</p> - -<p>Trotz alldem besiegte die Neugierde Mrs. Bowlbys übrige Gefühle, -und als gegen elf Uhr abends das Vermählungsfest in Yussuf Khans -Appartements gefeiert wurde, war sie auch mit dabei, vom Maharadscha -eingeladen, der alles, was sie sagte, mit demselben erstaunten -Interesse anhörte wie einen Papagei, der sprechen gelernt hat. Das -Fest spielte sich diesmal nach europäischer Weise ab, und die Juwelen -Nasirabads waren in der Mahagonikassette wohl verwahrt und wurden von -der schwarzen Leibwache gegen alle neuen Versuche von seiten Herrn -Mirzls geschützt. Der einzige orientalische Einschlag war der alte Ali, -der in morgenländischem Kostüm ein hochgestimmtes Poem zu Ehren seines -Schülers deklamierte, das nur etwas darunter litt, daß man <span class="antiqua">Pommery -nature</span> in ausgedehntem Maße serviert hatte. Mrs. Langtrey feierte -ihren letzten Abend in europäischer Tracht mit einer Modestie, die -sogar Mrs. Bowlby halb und halb versöhnte. Doch konnte diese Dame es -nicht lassen, bei der ersten Gelegenheit auf den Maharadscha Beschlag -zu legen, um zu fragen:</p> - -<p>„Aber wissen Hoheit nicht, daß Ew. Hoheit ... hm ... Gemahlin -mindestens einmal verheiratet war?“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_283">[S. 283]</span></p> - -<p>„Was bedeutet das für mich?“ sagte Yussuf Khan, „das war ich doch -selbst auch.“</p> - -<p>Mrs. Bowlby konnte diese Tatsache schwer in Abrede stellen.</p> - -<p>„Und daß sie die Freundin des Mannes war, der drei Attentate auf die -Juwelen Ew. Hoheit und auf Ew. Hoheit selbst unternommen hat?“ beharrte -Mrs. Bowlby, die ihren Ohren nicht trauen wollte. „Und daß sie selbst -— —“</p> - -<p>„Ich weiß alles. Was macht mir das? Sie ist mein Auge und mein Ohr. Was -ich nicht schauen konnte, werde ich durch sie schauen, und was ich nie -gehört, wird sie mir erzählen. Nie habe ich süßere Tage durchlebt, als -die zwei letzten, wo sie meine Wächterin war und wo sie während unserer -Gespräche allmählich etwas anderes wurde und mich wählte anstatt des -Mannes, der sie erstrebt hat und an dem sie durch seine Kühnheit -Gefallen gefunden. Vielleicht war er durch seinen Mut ihrer würdiger -als ich, der ich auch sonst ihrer unwürdig bin. In der Gesellschaft -keiner Frau habe ich ein Glück gekostet, wie damals, als sie mir Trank -und Speise reichte, und schließlich meine Bande löste. Ihr Wille ist -fest wie eine Stahlklinge und weich wie der Brustflaum einer Taube. Vor -allen anderen ist sie meine <span class="antiqua">Maharaneeh</span>.“</p> - -<p>Das Fest hatte etwa eine Stunde gedauert, als der Direktor sich mit -einer Verbeugung auf der Schwelle des Speisesaales zeigte, mit einem -Silbertablett, auf dem zwei Telegramme lagen. Der Maharadscha kannte -die europäischen Gebräuche bei Hochzeiten nicht genügend, um die -Bedeutung dieser Gegenstände zu verstehen,<span class="pagenum" id="Seite_284">[S. 284]</span> aber Oberst Morrel beeilte -sich, die Telegramme in Empfang zu nehmen. Er riß das eine auf, starrte -es einen Augenblick an und wurde vor Zorn ganz rot. Er wollte es -wegwerfen, aber Yussuf Khan kam ihm zuvor.</p> - -<p>„Was steht auf diesem Papier geschrieben?“ sagte er. „Ich will es -wissen. Handelt es von mir?“</p> - -<p>Der Oberst räusperte sich.</p> - -<p>„Es ist ein Telegramm von dem Schwindler,“ murmelte er.</p> - -<p>„Gut, lasset hören! Wenn dieser Mann auch ein Betrüger ist, so hat er -doch Mut. Lasset hören, Oberst Morrel Sahib!“</p> - -<p>Der Oberst las:</p> - -<div class="blockquot"> - -<p> - -„An das königliche Brautpaar, Grand Hotel Hermitage.<br /> -</p> - -<p>Unwürdige Glückwünsche des gestürzten Prätendenten. Möge der legitime -Stamm sich allzeit fortpflanzen! Saget Ihrer Majestät, ich begreife, -daß es einer Frau interessanter erscheint, über fünfzehn Millionen -Mann zu regieren, als über einen einzigen, der allerdings vielleicht -die fünfzehn Millionen aufwiegt, und ruhmreicher, die Regentenreihe -Nasirabads fortzupflanzen als den Stamm de Citrac!</p> - -<p class="right mright2">Benjamin Mirzl, Ex-Maharadscha,<br /> -<span class="mright3">Ex-Baron de Citrac.“</span></p> - -</div> - -<p>„Und das andere?“ fragte Yussuf Khan, der den Oberst mit -unerschütterlichem Ernst angehört hatte.</p> - -<p>„Das ist an den jungen Mann mit dem unaussprechlichen Namen.“</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_285">[S. 285]</span></p> - -<p>„An mich!“ rief Allan. „Ich konnte mir denken, daß ich nicht leer -ausgehen würde. Lesen Sie es nur, Oberst Morrel!“</p> - -<p>„Wie Sie wollen,“ sagte der Oberst und öffnete das Telegramm:</p> - -<div class="blockquot"> - -<p> - -„Mr. Allan Kragh, Suite des Maharadscha von Nasirabad, Grand Hotel Hermitage!</p> - -<p>Sie haben meine Pläne dreimal durchkreuzt, aber ich bin Ihnen nicht -böse. Ich bin ja selbst in die Falle gegangen. Wie Herr van Schleeten -ließ ich mich von einer Frau betören. Ich strebte drei Jahre nach -ihrer Hand, und sie verschmähte mich, um über fünfzehn Millionen -Neger zu herrschen. Aber einen Rat: Lassen Sie uns kein viertesmal -zusammentreffen!</p> - -<p class="right mright2">Mirzl.“</p> - -</div> - -<p class="center">* <span class="mleft7">*</span><br /> -*</p> - -<p>Die Privatauseinandersetzung zwischen Allan und der ehemaligen Mrs. -Langtrey gestaltete sich kurz und bestand nur in einem Lächeln und -einem Händedruck.</p> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_286">[S. 286]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="XIV">XIV<br /> - -<em class="gesperrt">Einfach, Nasirabad!</em></h2> - -</div> - -<p>Es besteht eine eingewurzelte Ueberzeugung bei alten Alkoholikern, -daß kein Katzenjammer schlimmer ist, als der, den man vom Champagner -bekommt. Allan Kragh war nicht abgeneigt, dieser Anschauung am Morgen -nach Yussuf Khans Vermählung beizupflichten.</p> - -<p>Eigentlich war seine Lage nicht sehr angenehm. Nun wohl, er -hatte Abenteuer gehabt, Abenteuer aus Tausendundeine Nacht, -Champagnerabenteuer — aber an diesem Morgen verspürte er hauptsächlich -den Katzenjammer darnach. Seine Kasse hatte Herr Mirzl übernommen, und -er wußte noch nicht, ob das Hotel dafür Ersatz leistete. Daß Herr Mirzl -es nicht tat, war ziemlich ausgemacht. Yussuf Khan hatte von Belohnung -für die Dienste gesprochen, die er dem Herrscher Nasirabads erwiesen, -aber nach einer unbestimmten Aeußerung in dieser Richtung hatte er den -Abend vorübergehen lassen, ohne daß mehr darüber verlautete. Allerdings -hatte er das Halsband aus der Kronjuwelensammlung Nasirabads, aber da -er es von Herrn Mirzl während dessen kurzer Regierungszeit erhalten, -konnte er offenbar nichts anderes tun, als es zurückerstatten. Und -selbst, wenn er vom Hotel Ersatz bekam, was sollte er dann anfangen? -Nach den Abenteuern,<span class="pagenum" id="Seite_287">[S. 287]</span> die er nun gehabt, würden die meisten Erlebnisse -schal wirken. Nach Hause reisen? Bei dem Gedanken an die brüllenden -Akzeptanten daheim fühlte er einen Schauer wie der Gladiator bei dem -Gedanken an die ausgehungerten Löwen der Arena. Nun, fürs erste war -wohl nichts anderes zu tun, als zum Direktor zu gehen und zu fragen, -wie es mit dem Ersatz für das gestohlene Geld stand.</p> - -<p>Der Direktor hatte offenbar denselben Champagnerkatzenjammer nach den -Erlebnissen des gestrigen Tages wie Allan. Er war verschlossen und -nicht besonders entgegenkommend.</p> - -<p>„Wie ich Ihnen schon gesagt habe, ich kann die Sache selber nicht -entscheiden. Natürlich weiß ich alles zu schätzen, was Sie, wenn nicht -für das Hotel, so für einen der Gäste getan haben, aber wie gesagt, ich -kann nichts Bestimmtes versprechen, bevor ich nicht mit der Direktion -gesprochen habe.“</p> - -<p>Allan ging mit einem Achselzucken und spazierte ein paarmal durch die -große Halle, bis er sich erinnerte, daß Yussuf Khan und sein Gefolge -schon zu Mittag abreisen sollte, und daß es daher an der Zeit war, -das Halsband des Ex-Maharadschas Mirzl zurückzustellen. Er hatte es -im Bankkontor bei dem jungen Manne deponiert, der einmal Herrn Mirzl -sein Geld ausgeliefert hatte. Seltsamerweise war es noch da! Aber es -brauchte Zeit, bis der junge Bankbeamte genügend von seiner Identität -überzeugt war; und die Mühe, ihn zu überzeugen, brachte Allan nicht -gerade in bessere Laune.</p> - -<p>„Wären Sie das vorigemal nur halb so genau gewesen,<span class="pagenum" id="Seite_288">[S. 288]</span> so wäre ich jetzt -um dreihundert Pfund reicher,“ knurrte er den Bankbeamten an und begab -sich in den ersten Stock. Die schwarze Leibwache, die im Korridor über -die Sicherheit ihres Herrschers wachte, schien nicht unter derselben -Depression zu leiden wie Allan. Sie schnatterte und wisperte in ihrem -krähenähnlichen Dialekt. Offenbar hatten sie schon von der Heimreise -erfahren und freuten sich bereits darauf. Sie ließen Allan mit einem -Grinsen ein. Nun kannten sie ihn schon.</p> - -<p>Im Vorraum befand sich nur der alte Ali. Er begrüßte Allan mit -demselben heiteren Lächeln, das die Leibwache draußen zur Schau -getragen hatte.</p> - -<p>„Ah!“ sagte er. „In einigen Stunden befinden wir uns auf dem großen -Wasser, von der Krankheit geplagt, die die Dämonen des Wassers die -Eigenschaft haben, bei den Reisenden hervorzurufen. Ja, nur einige -Stunden, und wir verlassen diese große wunderbare Stadt, von der wir -dank dem König der Betrüger so wenig gesehen haben.“</p> - -<p>„Sie scheinen nicht gerade betrübt darüber, den Wasserdämonen zu -begegnen,“ sagte Allan.</p> - -<p>„Nein, denn sie müssen mich ja doch in mein Land zurücktragen. -Treffend und anmutig sagt ein Dichter, der sich freilich nicht mit -dem göttlichen Zeltmacher messen kann: ‚Wer unter Palmen geboren ist, -findet die Tannen häßlich, und für die Einwohner Delhis ist der Gestank -ihrer Stadt schön.‘“</p> - -<p>„Ausgezeichnet, auf Ehre,“ sagte Allan. „Wie sieht es denn jetzt in -Delhi aus?“</p> - -<p>„Wahrlich, junger Freund, ich kann es Ihnen nicht<span class="pagenum" id="Seite_289">[S. 289]</span> sagen. Es ist -viermal zehn Jahre her, seit ich diese Stadt besucht habe. Und ich -erinnere mich tatsächlich nur an einen großen Gestank und an eine -Sonne, wie sie sich die Bevölkerung in London nicht träumen läßt, -selbst wenn sie Haschisch kaut, und die unerträglich war wie Allahs -Augen für den Ungläubigen.“</p> - -<p>„Das klingt ja lockend,“ sagte Allan.</p> - -<p>„Junger Freund,“ sagte der alte Hofdichter, „verstehe ich recht, Sie -sind nie in Delhi gewesen?“</p> - -<p>„Sie haben mich recht verstanden,“ sagte Allan, „eigentümlicherweise -habe ich total vergessen, Delhi zu besuchen.“</p> - -<p>„Aber sicherlich sind Sie in Indien gewesen,“ sagte Ali zuversichtlich.</p> - -<p>„Ich schäme mich, Ihnen eine Enttäuschung bereiten zu müssen,“ sagte -Allan, „aber wie lächerlich es auch klingt, ich bin nicht einmal in -Indien gewesen. Ich bin ein unerzogener Esel, mit abgeschnittenen Ohren -und Scheuklappen um die Augen. Sagt das nicht der göttliche Zeltmacher -irgendwo?“</p> - -<p>„Der göttliche Omar hat diese Aeußerung nie gemacht,“ sagte Ali. „Das -muß irgendein anderer Dichter von geringerer Bedeutung gewesen sein. -Aber wer nie in Indien war, der ist wie ein unerfahrenes Kind, und -wer nie in Nasirabad gewesen, wie ein Ungeborener. Da ist der Himmel -blauer denn irgendwo und die Luft kühler. Dort scheint die Sonne mit -ungewöhnlicher Klarheit, aber sie brennt nicht wie über den Ungläubigen -in Delhi. Die Berge sind mit Zedern und Pinien bewachsen, und in ihrem -Schatten duftet es süßer als aus dem Haar eines Weibes. Karawanen mit -bewaffnetem<span class="pagenum" id="Seite_290">[S. 290]</span> Schutzgefolge ziehen durch die Pässe auf und nieder, und -am Abend duftet es von ihren Lagerfeuern nach gekochtem Hammelfleisch, -Reis und guter Butter. Dieser Duft ist köstlicher als andere Düfte, und -wer ihn nie geatmet hat, ist wie einer, der nie Wein getrunken oder den -Mund einer Geliebten geküßt. Die Frauen in Nasirabad haben schlankere -Mitte, üppigere Hüften und kleinere Händchen und Füßchen als andere -Frauen, und ihre Augen sind schwarz und funkelnd wie die Nacht im -Winter. Nein, wer nie in Nasirabad gewesen, hat nie gelebt.“</p> - -<p>„Ich beginne es zu glauben,“ murmelte Allan zu sich selbst; und während -der alte Dichter fortfuhr, in langen Sätzen und mit zahlreichen Zitaten -aus dem göttlichen Zeltmacher und anderen Dichtern von geringerer -Bedeutung sein Vaterland zu beschreiben, sah er vor seiner Seele in -einem Blitz den ganzen Orient, bunt flammend von Düften und Visionen, -so wie Yussuf Khans Juwelen von Licht und Farben flammten. Er stand -noch halb traumbefangen, als die Türe des inneren Gemaches sich öffnete -und Yussuf Khan selbst erschien, begleitet von seiner Gemahlin und dem -Obersten. Allan verbeugte sich und zog das Halsband hervor, das Yussuf -Khan mit erstaunter Miene betrachtete.</p> - -<p>„Das habe ich von Ew. Hoheit falschem Repräsentanten bekommen,“ sagte -Allan, „darf ich bitten, es Ew. Hoheit selbst zurückgeben zu dürfen, -bevor er es mir wieder stiehlt.“</p> - -<p>„Bekommen?“ wiederholte Yussuf Khan.</p> - -<p>„Zur Belohnung,“ schaltete der alte Ali ein. „Weil dieser junge Mann -ihn zweimal verhindert hat, deine<span class="pagenum" id="Seite_291">[S. 291]</span> Juwelen zu stehlen, mein Sohn, -hat ihm der König der Betrüger dieses Geschmeide geschenkt, ich war -selbst anwesend. Die Schamlosigkeit dieses Betrügers wurde durch eine -Scherzhaftigkeit gemildert, die ich zuweilen bewundern muß.“</p> - -<p>Yussuf Khan sah Allan an.</p> - -<p>„Und nun wollt Ihr das zurückgeben,“ fragte er. „Warum?“</p> - -<p>„Ich habe es doch von einem Schwindler bekommen,“ begann Allan.</p> - -<p>Yussuf Khan unterbrach ihn:</p> - -<p>„Es ist gut. Der Betrügerkönig, der meine Juwelen stehlen wollte und -zwei Tage hindurch meinen Namen stahl, hat ein Werk getan, das ihm zum -Verdienst gereicht. Ich bin Euch, junger Sahib, mehr schuldig, als mit -diesem Schmuckstück bezahlt werden kann. Sagt mir, was ich tun kann, um -meine Schuld zu tilgen. Sprechet frei, und wisset, daß alles, was Ihr -begehrt, im vorhinein bewilligt ist.“</p> - -<p>Allan sah das Halsband, das er in der Hand hielt, unentschlossen -an. Geschenke und Belohnungen anzunehmen, widerstrebte seinem -Nationalinstinkt; aber dennoch wußte er, daß eine Weigerung verletzend -wirken würde, und dabei konnte er sich nicht von dem Gedanken -losmachen, was er eigentlich anfangen sollte, wenn diese Personen fort -waren, in deren Drama er mitgespielt hatte. Der alte Ali sagte zum -Maharadscha:</p> - -<p>„Mein Sohn, denke dir, dieser junge Mann, aus dessen Zügen Begabung -und edle Gesinnung sprechen, und der uns große Dienste erwiesen hat, -hat in seinem ganzen Leben weder Delhi noch Nasirabad gesehen,<span class="pagenum" id="Seite_292">[S. 292]</span> ja, -er hat nicht einmal Indien besucht. Mit Worten, dem besten unserer -Dichter entnommen, zu denen ich für mein eigen Teil viel zu unwürdig -bin gezählt zu werden, habe ich versucht, ihm ein mattes Bild von -Nasirabads Schönheit zu geben.“</p> - -<p>Allan kam eine Idee, die ihn erzittern ließ. Nach diesen Abenteuern aus -Tausendundeiner Nacht mußte alles andere als Tausendundeine Nacht einen -faden Geschmack haben ... und war Tausendundeine Nacht denn anderswo zu -finden als in dem uralten Märchenlande selbst?</p> - -<p>„Hoheit,“ sagte er, „wollen mir Ew. Hoheit irgendeinen Posten in Ihren -Diensten in Nasirabad verleihen?“</p> - -<p>Yussuf Khan starrte ihn an.</p> - -<p>„Ist das alles, was Ihr wünscht?“ fragte er.</p> - -<p>„Ja,“ sagte Allan, „welchen Platz immer.“</p> - -<p>Yussuf Khan betrachtete ihn noch einen Augenblick.</p> - -<p>„Gut,“ sagte er, „ich habe versprochen, Euren Wunsch zu erfüllen, was -immer Ihr begehrt. Von heute an seid Ihr mein nächster Mann in allem, -was nicht die Regierung der Sahibs in meinem Lande betrifft. Aber -wisset, daß wir diese Stadt in wenigen Stunden verlassen.“</p> - -<p>„Ich weiß es,“ sagte Allan, „und ich werde mich mit dem Packen beeilen. -Ich packe jetzt meine Koffer zu einer Reise nach Tausendundeine Nacht!“</p> - -<p class="center">* <span class="mleft7">*</span><br /> -*</p> - -<p>Dasselbe sagte er ein paar Stunden später zur Familie Bowlby, als er -— obendrein mit seinen dreihundert<span class="pagenum" id="Seite_293">[S. 293]</span> Pfund vom Hotel in der Tasche — -auf der Eingangstreppe des Hotels von ihr Abschied nahm. Mrs. Bowlby, -skeptisch bis zuletzt, sagte:</p> - -<p>„Ich bin überzeugt, er wird Sie nur dazu verwenden, seine -Hundertundfünfzig zu bewachen.“</p> - -<p>„Mrs. Bowlby,“ sagte Allan, „ich glaube, daß es Kompetenzbedingungen -für eine solche Stellung gibt, die ich nicht erfüllen kann.“</p> - -<p>Oberst Morrel, der daneben stand, lachte barsch in seinen weißen -Schnurrbart und bemerkte:</p> - -<p>„<span class="antiqua">All right</span>, junger Freund, Indien hat sich seit der Zeit -Harun al Raschids ein bißchen verändert. Es ist nicht gesagt, daß -Sie dieselben Abenteuer finden, wie in Tausendundeine Nacht. Aber im -Notfalle können Sie immer einen Platz unter dem Residenten haben und -mit etwas Bekanntschaft machen, worin Sie, wie ich glaube, noch keine -große Erfahrung haben, nämlich die Arbeit. — Es ist Zeit, in das Auto -zu steigen.“</p> - -<p>„Und die Arbeit“, rief Mr. Bowlby Allan nach, indem er ihm ein Lebewohl -zuwinkte — „ist doch endlich und schließlich das größte Abenteuer.“</p> - -<hr class="full" /> - -<div class="titelei"> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_294">[S. 294]</span></p> - -<p class="s2 center mtop3">Frank Heller</p> - -</div> - -<p class="s1 center"><b>Herrn Collins Abenteuer</b></p> - -<p class="s3 center">Roman</p> - -<p class="s4 center">Autorisierte Uebersetzung aus dem Schwedischen von Marie Franzos</p> - -<p class="center">21.–30. Tausend</p> - -<p class="center">Geheftet Mk. 5.50 <span class="mleft3">Gebunden Mk. 7.50</span></p> - -<div class="blockquot"> - -<p class="p0"><em class="gesperrt">Münchener Neueste Nachrichten</em>: ... mit dem vergnüglichsten -und kurzweiligsten Buch sei begonnen. Herrn Philipp Collins -Abenteuer von dem gewandten geschliffenen Schweden Frank Heller ist -ein Detektivroman, aber keiner jener dutzendhaften, langweiligen, -angelsächsischen Art, die nur mehr Köchinnen und Gymnasiasten gruseln -macht. In dem Buche ist Abwechslung, Spannung, unverbrauchter Witz. -Blitzschnelle Phantasie, die wie der elektrische Funke um den Erdball -springt, wirbelt die Geschehnisse durcheinander; dem Verfasser gelingt -die Verblüffung, die schließlich das Kunststück der Detektivgeschichte -ist.</p> - -<p class="p0"><em class="gesperrt">Das Literarische Echo</em>: Es hat nichts mit großer Literatur zu -tun, dieses famose Buch, und das ist seine oberste Tugend. Seine zweite -ist seine Tugendlosigkeit. Das Böse triumphiert zu unserem Entzücken, -und die Bravheit muß mit langer Nase abziehen. Man lacht nicht, aber — -was viel schöner ist — man wird durch und durch heiter, stillvergnügt, -spitzbübisch froh. Es fließt kein Blut, kein Mord muß gesühnt werden; -unsere Spannung wird edler erregt. Das ist sympathischer als Doyle, -Green, Gaboriau. Also, Herr Heller, es hat uns sehr gefreut. Beehren -Sie uns wieder.</p> - -</div> - -<hr class="dot" /> - -<p class="s3 center">Georg Müller Verlag, München</p> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_295">[S. 295]</span></p> - -<p class="s2 center mtop3">Frank Heller</p> - -</div> - -<p class="s1 center"><b>Die Finanzen des Großherzogs</b></p> - -<p class="s3 center">Roman</p> - -<p class="s4 center">Autorisierte Uebersetzung aus dem Schwedischen von Marie -Franzos</p> - -<p class="center">13.–22. Tausend</p> - -<p class="center">Geheftet Mk. 5.50 <span class="mleft3">Gebunden Mk. 7.50</span></p> - -<div class="blockquot"> - -<p class="p0"><em class="gesperrt">Wiener Abendpost</em>: Dieser Autor läßt einen nicht zu Atem kommen, -bevor man auf der letzten Seite angekommen ist. Er hat ein Buch -geschrieben, das man verschlingt, wie man es in der seligen Bubenzeit -mit den Indianergeschichten getan hat. Wahrhaftig, dieser Frank Heller -ist ein Indianerromancier für Erwachsene, ein glänzend begabter, -ideenreicher, witziger, gescheiter noch dazu.</p> - -<p class="p0"><em class="gesperrt">Neue Züricher Zeitung</em>: So spannend in der Handlung die Romane -des jungen Schweden sind, so humorvoll sind sie zu gleicher Zeit. Wie -er es fertig bringt, das Ernsthaft-Gefährliche einer Situation und -deren komischen Moment stilistisch wiederzugeben, das verdient alle -Aufmerksamkeit. Zutiefst kollert immer ein befreiendes Lachen. Und -dieser Humor ist nichts Gesuchtes, sondern wirkt selbstverständlich und -berechtigt. Die Originalität dieses Kriminalromans stellt ihn auf eine -literarische Stufe, die bis jetzt auf diesem Gebiete wohl noch selten -oder nie erreicht worden ist.</p> - -</div> - -<hr class="dot" /> - -<p class="s3 center">Georg Müller Verlag, München</p> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_296">[S. 296]</span></p> - -<p class="s2 center mtop3">Frank Heller</p> - -</div> - -<p class="s1 center"><b>Lavertisse macht den Haupttreffer</b></p> - -<p class="s3 center">Roman</p> - -<p class="s4 center">Autorisierte Uebersetzung aus dem Schwedischen von Marie -Franzos</p> - -<p class="center">9.–18. Tausend</p> - -<p class="center">Geheftet Mk. 5.50 <span class="mleft3">Gebunden Mk. 7.50</span></p> - -<div class="blockquot"> - -<p class="p0"><em class="gesperrt">München-Augsburger Abendzeitung</em>: Wir bedürfen der leichtern -Kunst gegenüber den schweren Lasten des ernsten Lebens, wir brauchen -eine Stunde des Untertauchens, wenn unsere Seele oder unser Geist in -hochgespannter Arbeit sich heiß gelaufen haben. Der Roman Hellers -ist in diesem Sinne sogar ein Kohlensäure-Bad, prickelnd von einem -geistigen Fluidum, das erfrischend wirkt, gegossen in das Gefäß eines -glatten, blanken, glitzernden Stils und angereichert durch überlegenen -Humor von snobistischer Färbung.</p> - -<p class="p0"><em class="gesperrt">Neueste Hamburger Zeitung</em>: Was die Bücher Frank Hellers so -anziehend macht, ist die fast übermütige Darstellung der Gauner- -und Heldenstreiche, die famose Ueberlegenheit, mit der hier die -Wirklichkeiten durcheinandergeschoben und in immer neue, überraschende -Kombinationen gebracht werden. Es fehlt die Betonung des reinen -Handwerks (die bei Conan Doyle etwa vorherrscht), er ist nicht vom -„Fall“ ausgegangen, sondern vom Charakter des Helden. Das ist viel -interessanter als Sherlock Holmes, weil er ein lebendiger, beweglicher, -blendender Kerl ist.</p> - -</div> - -<hr class="dot" /> - -<p class="s3 center">Georg Müller Verlag, München</p> - -</div> - -<p class="s5 center mtop3">Druck von Mänicke und Jahn in Rudolstadt</p> - -<div lang='en' xml:lang='en'> -<div style='display:block; margin-top:4em'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK <span lang='de' xml:lang='de'>YUSSUF KHANS HEIRAT</span> ***</div> -<div style='text-align:left'> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Updated editions will replace the previous one—the old editions will -be renamed. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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Redistribution is subject to the trademark -license, especially commercial redistribution. -</div> - -<div style='margin-top:1em; font-size:1.1em; text-align:center'>START: FULL LICENSE</div> -<div style='text-align:center;font-size:0.9em'>THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE</div> -<div style='text-align:center;font-size:0.9em'>PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free -distribution of electronic works, by using or distributing this work -(or any other work associated in any way with the phrase “Project -Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full -Project Gutenberg™ License available with this file or online at -www.gutenberg.org/license. -</div> - -<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'> -Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™ electronic works -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™ -electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to -and accept all the terms of this license and intellectual property -(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all -the terms of this agreement, you must cease using and return or -destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your -possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a -Project Gutenberg™ electronic work and you do not agree to be bound -by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person -or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.B. “Project Gutenberg” is a registered trademark. 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Information about the Mission of Project Gutenberg™ -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of -electronic works in formats readable by the widest variety of -computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It -exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations -from people in all walks of life. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Volunteers and financial support to provide volunteers with the -assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s -goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will -remain freely available for generations to come. In 2001, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure -and permanent future for Project Gutenberg™ and future -generations. 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