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If you are not located in the United States, you -will have to check the laws of the country where you are located before -using this eBook. - -Title: Heiraten - Zwanzig Ehegeschichten - -Author: August Strindberg - -Translator: Emil Schering - -Release Date: November 29, 2021 [eBook #66847] - -Language: German - -Character set encoding: UTF-8 - -Produced by: Jens Sadowski and the Online Distributed Proofreading Team at - https://www.pgdp.net. This ebook was created in honor of - Distributed Proofreaders' 20th Anniversary. It was produced - from images generously made available by The Internet Archive. - -*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK HEIRATEN *** - - STRINDBERGS WERKE - DEUTSCHE GESAMTAUSGABE - - HEIRATEN - - - AUGUST STRINDBERG - - - - - HEIRATEN - - - ZWANZIG EHEGESCHICHTEN - - VERDEUTSCHT VON - EMIL SCHERING - - - 1920 - GEORG MÜLLER VERLAG MÜNCHEN - - - Deutsche Originalausgabe gleichzeitig mit der - schwedischen Ausgabe unter Mitwirkung von Emil - Schering als Übersetzer vom Dichter selbst - veranstaltet. Geschützt durch die Gesetze und - Verträge. Alle Rechte vorbehalten. Den Bühnen - gegenüber Manuskript. Copyright 1909 by Georg - Müller Verlag, München. Gedruckt im Münchner - Buchgewerbehaus M. Müller & Sohn, München. - - 32. bis 36. Tausend. - - - - - Asra - - -Als die Mutter starb, war er dreizehn Jahre alt. Es war ihm, als habe er -einen Freund verloren, denn während des Jahres, in dem die Mutter krank -zu Bett lag, hatte er ihre persönliche Bekanntschaft gemacht, was Eltern -und Kinder so selten tun. Er war nämlich früh entwickelt und hatte einen -guten Kopf; er las viel mehr als die Schulbücher, denn sein Vater, der -Professor der Botanik an der Akademie der Wissenschaften war, besass -eine gute Bibliothek. Doch die Mutter hatte keine Erziehung genossen, -sondern war in ihrer Ehe die erste Haushälterin des Mannes gewesen und -die Pflegerin der vielen Kinder. Als sie jetzt mit neununddreissig -Jahren bettlägerig wurde, nachdem sie ihre Kräfte durch die vielen -Geburten und die vielen Nachtwachen (sie hatte seit sechzehn Jahren -keine Nacht mehr durchgeschlafen) erschöpft hatte, und sich mit dem -Haushalt nicht mehr befassen konnte, machte sie die Bekanntschaft ihres -zweiten Sohnes; der älteste war Kadett und nur Sonntags zu Hause. - -Da sie aufgehört hatte, Hausmutter zu sein und nur noch Patientin war, -verschwand dieses altmodische Verhältnis der Disziplin, das sich immer -zwischen Eltern und Kinder stellt. Der dreizehnjährige Sohn sass fast -immer an ihrem Bett, wenn er nicht in der Schule war und nicht an -Schulaufgaben arbeitete, und las ihr dann vor. Viel hatte sie zu fragen -und viel hatte er zu erklären; dadurch fielen zwischen ihnen diese -Gradzeichen, die Alter und Stellung errichten; sollte einer durchaus der -Überlegene sein, so war es der Sohn. Aber die Mutter hatte aus ihrem -vergangenen Leben viel zu lehren, und so waren sie abwechselnd Lehrer -und Schüler. Sie konnten schliesslich über alles sprechen. Und der Sohn, -der sich im Anfang der Mannbarkeit befand, erhielt über das Mysterium -der Fortpflanzung manche Aufklärung, und zwar mit der Feinfühligkeit der -Mutter und der Schamhaftigkeit des andern Geschlechts. Er war noch -unschuldig, hatte aber in der Schule viel gehört und gesehen, das ihn -anwiderte und empörte. Die Mutter erklärte ihm alles, was erklärt werden -konnte; warnte ihn vor dem gefährlichsten Feind der Jugend und nahm ihm -ein heiliges Versprechen ab, dass er sich niemals werde verleiten -lassen, schlechte Frauen zu besuchen, nicht ein Mal aus Neugier, denn -niemand könne sich in solchen Fällen auf sich verlassen. Und sie verwies -ihn auf eine mässige Lebensweise und auf den Verkehr mit Gott im Gebet, -wenn die Versuchung an ihn herantrete. - -Der Vater ging ganz auf im selbstsüchtigen Genuss seiner Wissenschaft, -die für seine Frau ein verschlossenes Buch war. Er hatte, gerade als die -Mutter im Sterben lag, eine Entdeckung gemacht, die seinen Namen in der -gelehrten Welt unsterblich machen sollte. Er hatte nämlich auf einem -Abladeplatz vor den Toren Stockholms eine neue Art Gänsefuss gefunden, -die geneigte Haare auf dem sonst geradhaarigen Blütenkelch hatte. Er -pflog gerade Verhandlungen mit der Berliner Akademie der Wissenschaften, -um die Spielart in die „Flora Germanica“ aufnehmen zu lassen; jeden Tag -erwartete er den Bescheid, ob die Akademie ihn unsterblich machte, indem -sie der Pflanze den Namen Chenopodium Wennerstroemianum gab. Am -Sterbebette seiner Frau war er geistesabwesend, beinahe unfreundlich, -denn er hatte gerade die bejahende Antwort der Akademie erhalten, und es -grämte ihn, dass er sich, und noch weniger seine Frau, nicht mit der -grossen Neuigkeit erfreuen konnte. Denn sie dachte nur an den Himmel und -an ihre Kinder. Ihr jetzt mit einem krummhaarigen Blütenkelch zu kommen, -erschien ihm selber lächerlich; aber, verteidigte er sich, es handelte -sich nicht um einen krummhaarigen oder geradhaarigen Blütenkelch, -sondern um eine wissenschaftliche Entdeckung; und, was mehr war, um -seine Zukunft, um die Zukunft seiner Kinder, da ja die Ehre des Vater -für sie Brot war. - -Als seine Frau am Abend starb, weinte er sehr; seit vielen, vielen -Jahren hatte er nicht geweint. Er fühlte die ganze furchtbare -Gewissensqual über begangenes, wenn auch noch so kleines Unrecht, denn -er war ein exemplarischer Ehemann; er empfand Reue und Scham über seine -Unfreundlichkeit, seine Geistesabwesenheit des gestrigen Tages; und in -einem Augenblick der Leere gingen ihm die Augen auf, wie kleinlich -selbstsüchtig seine Wissenschaft sei, die, wie er sich eingebildet, für -die Menschheit arbeite. Aber diese Regungen dauerten nicht lange: wenn -man eine Tür öffnet, die eine Feder hat, so schlägt sie gleich wieder -zu. Am nächsten Morgen, nachdem er die Todesanzeige aufgesetzt, schrieb -er eine Dankadresse an die Berliner Akademie der Wissenschaften. Darauf -ging er wieder an seine Arbeit. - -Als er zum Mittagessen nach Haus kam, wollte er zu seiner Frau hinein -gehen, um ihr seine Freude zu erzählen, denn sie war ihm stets die -treueste Freundin im Leid gewesen, der einzige Mensch, der auf seine -Erfolge nicht neidisch war. Jetzt fühlte er, wie sehr er diese Freundin -vermisste, hatte er doch immer auf Zustimmung bei ihr rechnen können; -hatte sie ihm doch nie widersprochen, denn sie wusste nicht, was sie -dagegen sagen solle, da er ihr nur die praktischen Ergebnisse seiner -Forschungen mitteilte. Einen Augenblick dachte er daran, mit dem Sohn -Bekanntschaft zu schliessen, aber sie kannten einander zu wenig, und der -Vater befand sich seinem Sohn gegenüber in der Stellung, die ein -Offizier seinem Soldaten gegenüber einnimmt. Sein Rang verbot ihm eine -Annäherung, und der Sohn war ihm übrigens auch etwas verdächtig, weil er -einen schärferen Kopf als der Vater besass, weil er eine ganze Menge -neuer Bücher gelesen hatte, die der Vater nicht kannte; ja, es konnte -zuweilen der Fall eintreten, dass der Vater, der Professor, seinem Sohn, -dem Gymnasiasten, gegenüber wie ein Unwissender dastand. Bei solchen -Gelegenheiten musste der Vater entweder seine Verachtung über die neuen -Dummheiten äussern, oder auch ein Machtwort sprechen, indem er den -Schüler auf seine Schulaufgaben verwies. Da konnte es geschehen, dass -der Sohn damit antwortete, dass er ein Lehrbuch vorzeigte; dann geriet -der Professor ausser sich und wünschte die neuen Lehrbücher zur Hölle. - -So kam es, dass sich der Vater in seine Herbarien vertiefte, und der -Sohn seine eigenen Wege ging. - -Sie wohnten in der Nordzollstrasse links von der Sternwarte. Ein kleines -einstöckiges Backsteinhaus, umgeben von einem ausgedehnten Garten; der -hatte früher ein Mal der Gärtnergesellschaft gehört und war durch -Erbschaft dem Professor zugefallen. Da er aber die beschreibende Botanik -studierte, ohne sich um die weit interessantere Pflanzenphysiologie und -Pflanzenmorphologie zu kümmern, die in seiner Jugend noch in den Windeln -lagen, war ihm die lebendige Natur beinahe fremd. Er liess daher den -Garten mit seinen vielen Herrlichkeiten zuwachsen und verfallen; -verpachtete ihn schliesslich an einen Gärtner unter der Bedingung, dass -er und seine Kinder gewisse Freiheiten behielten. Der Sohn benutzte den -Garten als Park, freute sich an dessen Natur, so wie sie war, ohne sich -die Mühe zu machen, sie wissenschaftlich aufzufassen. - -Sein Charakter war wie ein schlecht gearbeitetes Kompensationspendel: zu -viel von dem weichen Metall der Mutter, zu wenig von dem harten des -Vaters. Daher Reibungen und ungleichmässiger Gang. Bald äusserst -gefühlvoll, bald hart und skeptisch. Der Mutter Tod packte ihn sehr. Er -betrauerte sie so, dass er sie in seiner Erinnerung als Inbegriff alles -Guten, Schönen und Grossen vergötterte. - -Den Sommer, der auf den Tod folgte, brachte er mit Grübeleien -und Romanlesen zu. Aber die Trauer, und nicht zuletzt die -Beschäftigungslosigkeit, hatten sein ganzes Nervenleben erschüttert und -seine Phantasie in Tätigkeit gesetzt. Die Tränen waren ein warmer -Aprilregen gewesen, der die Obstbäume so früh weckt, dass sie sich zum -Blühen verlocken lassen, um dann zu erfrieren: ehe die Befruchtung -vollendet ist, kommt der Maifrost. - -Er war fünfzehn Jahre alt, also an dem Zeitpunkt angelangt, an dem der -Kulturmensch mannbar wird und reif ist, einem neuen Geschlecht Leben zu -geben, davon aber abgehalten wird, weil ihm die Nahrung für die Jungen -fehlt. Er war also im Begriff, in das mindestens zehnjährige Martyrium -einzutreten, das der junge Mann im Kampf gegen die übermächtige Natur -durchzumachen hat, ehe er daran denken kann, das Gesetz der Natur zu -erfüllen. - - * * * * * - -Es ist um die Pfingstzeit an einem warmen Nachmittag. Die Apfelbäume -prangen in ihren weissen Blüten, welche die Natur mit verschwenderischer -Freigebigkeit über sie ausgestreut hat. Der Wind schüttelt die Kronen -und der Blütenstaub wirbelt in der Luft umher; ein Teil kommt zu seiner -Bestimmung und erweckt Leben, ein Teil fällt auf die Erde und vergeht. -Was kümmert sich die unendlich reiche Natur um eine Handvoll Blütenstaub -mehr oder weniger! Und wenn die Blüte befruchtet ist, lässt sie ihre -zarten Blätter fallen, die bald auf dem Gange verwelken und beim -nächsten Regen verfaulen, sich auflösen, Erde werden, um einmal wieder -durch den Saft aufzusteigen und wieder Blüte zu werden und dieses Mal -vielleicht Frucht. Jetzt aber beginnt der Kampf: die so glücklich -gewesen sind, an die Sonnenseite zu kommen, die gedeihen; der -Fruchtknoten schwillt, und wenn kein Frost eintritt, wird er bald -fruchtbar. Die aber nach Norden geraten sind, die armen Dinger, die im -Schatten der andern sitzen und nie die Sonne sehen, die welken und -fallen ab; der Gärtner harkt sie zusammen und fährt sie in der -Schiebkarre nach dem Schweinestall. - -Jetzt steht der Apfelbaum da, die Zweige mit halbreifen Früchten -beladen, kleinen runden goldgelben Äpfeln mit rosenroten Backen. Ein -neuer Kampf bricht aus: bleiben alle leben, so brechen die Zweige von -der Schwere und der Baum stirbt. Darum kommt der Sturm. Da muss man -starke Stiele haben, um sich fest halten zu können; wehe den Schwachen, -denn sie sind zum Untergang verdammt. - -Dann kommt der Apfelblütenstecher! Der hat auch Leben erhalten und hat -eine Pflicht gegen sein künftiges Geschlecht! Und die Larven -durchfressen den Apfel bis zum Stiel, und dann fällt er auf den Weg -hinunter. Aber die Larve hat Geschmack und wählt die stärksten und -gesundesten, denn sonst würde es zu viele Starke im Leben geben, und -dann würde der Kampf gar zu lebhaft werden. - -Aber in der Abendstunde, wenn die Dunkelheit kommt, beginnen die dunkeln -Begierden der Tiere zu erwachen. Die Nachtschwalbe legt sich auf das -frisch gegrabene warme Gartenbeet und lockt ihren Gatten. Welchen? Das -mögen die Männchen entscheiden! - -Die Hauskatze schleicht satt und warm aus ihrer Ecke am Herd, nachdem -sie ihre frischgeseihte Abendmilch getrunken, und tritt vorsichtig -zwischen Narzissen und gelbe Lilien, bange, vom Tau feucht und zottig zu -werden, ehe der Liebhaber kommt. Sie riecht an dem eben aufgesprungenen -Lavendel, und dann lockt sie. Vom Zaun des Nachbarn kommt der schwarze -Kater, breit im Rücken wie ein Marder, und antwortet auf den Lockruf; da -aber kommt der dreifarbige Kater des Gärtners vom Kuhstall, und nun -entbrennt der Kampf. Die schwarze, weiche Humuserde wird aufgewirbelt, -und eben gesähte Radieschen und Spinatpflanzen werden aus ihrem stillen -Schlaf und ihren Zukunftträumen gerissen. Der Stärkste siegt, und das -Weibchen wartet neutral ab, bis sie die phrenetischen Umarmungen des -Siegers empfängt. Der Besiegte flieht, um einen neuen Kampf zu suchen, -in dem er der Stärkere bleibt. - -Und die Natur lächelt, zufrieden, denn sie kennt keine andre -Treulosigkeit als die gegen ihr Gebot, und sie gibt dem Stärkeren sein -Recht, denn sie will starke Kinder haben, wenn sie auch das „unendliche“ -Ich des kleinen Individuums dabei tötet. Und keine Prüderie, keine -Bedenken, keine Furcht vor den Folgen, denn die Natur gibt allen zu -essen – nur dem Menschen nicht. - -Er ging in den Garten, als das Abendessen zu Ende war, während sich der -Vater ans Fenster der Schlafstube setzte, um eine Pfeife zu rauchen und -die Abendzeitungen zu lesen. Er ging durch die Wege und fühlte alle -diese Düfte, welche die Pflanze nur verbreitet, wenn sie in Blüte steht; -das feinste und stärkste Destillat ätherischer Öle, die in sich die -ganze Kraft des Individuums verdichten sollen, um sich zum Vertreter der -Art zu erheben. Er hörte, wie die Mücken über den Linden ihr -Hochzeitslied sangen, das unserm Ohr wie eine Trauerklage lautet; er -hörte die spinnenden Locktöne der Nachtschwalbe; das brünstige Schreien -der Katzen, das klingt als zeuge der Tod und nicht das Leben; das Summen -des Mistkäfers, das Flattern des Nachtschmetterlings, das Pipsen der -Fledermäuse. - -Er blieb vor einem Narzissenbeet stehen, brach eine Blüte ab und roch -daran, bis ihm die Schläfen klopften. Noch nie hatte er sich diese Blüte -genauer angesehen. Aber im letzten Schuljahr hatte er in Ovid gelesen, -wie der schöne Jüngling in eine Narzisse verwandelt wurde. Einen -weiteren Sinn hatte er in dieser Mythe nicht gefunden. Ein Jüngling, der -aus unbeantworteter Liebe diese Brunst gegen sich selbst wenden muss und -schliesslich von der Flamme verzehrt wird, als er sich in sein eigenes -Bild verliebt, das er in der Quelle sieht! Wie er jetzt diese weissen -Kelchblätter betrachtet, diese Becherblätter, wachsgelb wie die Wangen -eines Kranken, mit diesen feinen roten Streifen, wie man sie bei einem -Lungenkranken sieht, bei dem das Blut unter dem Druck eines wiederholten -Hustens in die äussersten feinsten Gefässe der Haut getrieben wird, -denkt er an einen Schulkameraden, einen jungen Edelmann, der im Sommer -Seekadett war: der hatte dieses Aussehen. - -Als er lange an der Blume gerochen hatte, verschwand der starke -Nelkengeruch und hinterliess einen ekligen, seifenartigen Gestank, der -ihm Übelkeit verursachte. - -Er wanderte weiter, bis der Weg nach rechts unter eine gewölbte Allee -einbog, die aus Ulmen ausgehauen war. In dem Halbdunkel sah er ganz -hinten in der Perspektive die grosse grüne Strickschaukel sich auf und -ab bewegen. Auf dem hinteren Brett stand ein Mädchen und setzte die -Schaukel in Gang, indem sie die Knie beugte und den Körper nach vorne -warf, während sie sich mit hochgehobenen Armen an den Seitenstangen -hielt. Das war die Tochter des Gärtners, die Ostern konfirmiert worden -war und eben lange Kleider bekommen hatte. Heute abend aber hatte ihre -Mutter sie ein halblanges anziehen lassen, das sie zu Hause auftragen -sollte. - -Als sie den jungen Herrn erblickte, wurde sie zuerst verlegen, dass ihre -Strümpfe zu sehen waren, aber sie blieb doch stehen. Herr Theodor trat -vor und sah sie an. - -– Stellen Sie sich nicht dorthin, Herr Theodor, sagte das Mädchen, indem -es die Schaukel in vollen Schwung brachte. - -– Warum denn nicht, antwortete der Jüngling, der den Zug von ihren -flatternden Röcken um seine heissen Schläfen wehen fühlte. - -– Pfui nein, sagte das Mädchen. - -– Lass mich einsteigen, so werde ich dich schaukeln, Auguste, sagte Herr -Theodor und warf sich schnell in die Schaukel. - -So stand er in der Schaukel ihr gegenüber. Und wenn die Schaukel in die -Höhe ging, schlug ihr Kleid um seine Beine; und wenn die Schaukel in die -Tiefe ging, stand er über sie gebeugt und sah ihr gerade in die Augen, -die von Bangigkeit und Behagen leuchteten. Ihre dünne baumwollene Jacke -schloss sich dicht um die jungen Brüste, die sich unter dem gestreiften -Kattun scharf abzeichneten; ihr Mund stand halb offen und die weissen -gesunden Zähne lächelten ihm zu, als wollten sie ihn beissen oder ihn -küssen. - -Immer höher ging die Schaukel, bis sie gegen die höchsten Zweige des -Ahorns schlug. Da stiess das Mädchen einen Schrei aus und fiel in seine -Arme; er musste sich auf die Bank setzen. Als er den weichen warmen -Körper zucken und sich zugleich gegen seinen drücken fühlte, ging es wie -ein elektrischer Schlag durch sein ganzes Nervensystem; ihm wurde -schwarz vor den Augen, und er hätte sie losgelassen, wenn er nicht ihre -linke Brust an seinem rechten Oberarm gefühlt hätte. - -Die Schaukel ging langsamer. Sie sprang auf und setzte sich auf die -andere Bank, ihm gegenüber. Und sie sassen da und sahen auf die Erde -nieder und wagten einander nicht ins Gesicht zu sehen. - -Als die Schaukel anhielt, stieg das Mädchen aus und stellte sich, als -antworte sie jemand, der sie gerufen. Herr Theodor blieb allein. Das -Blut lief durch seine Adern. Er fühlte seine Lebenskraft verdoppelt. -Aber er wusste nicht klar, was geschehen war. Er stellte sich dunkel -vor, er sei ein Elektrophor, dessen positive Elektrizität sich bei einer -Entladung mit der negativen vereinigt habe. Und zwar während einer -geringen, äusserlich keuschen Berührung mit einem jungen Weib. Ähnliches -hatte er nicht empfunden, wenn er zum Beispiel beim Ringen auf dem -Turnplatz Kameraden fest umschlungen gehalten. Er hatte also die -entgegengesetzte Polarität des Weiblichen gespürt, und er fühlte nun, -was es heisst, Mann zu sein. Und er war Mann. Nicht ein Frühreifer, der -durch Vergewaltigung der Natur vor der Zeit ausschlug, denn er war ein -starker, abgehärteter, gesunder Jüngling. - -Als er jetzt durch die Wege wanderte, stiegen neue Gedanken in ihm auf. -Das Leben schien ihm ernster zu werden, das Gefühl der Pflicht trat an -ihn heran. Aber er war erst fünfzehn Jahre alt. Er war noch nicht -konfirmiert, konnte erst nach vielen Jahren in die Gesellschaft -eintreten, also nicht daran denken, sich selber zu ernähren, geschweige -denn Weib und Kind. Sein ernster Sinn liess ihn nämlich nicht an ein -lockeres Leben denken, sondern das Weib war ihm etwas fürs Leben, sein -anderer Pol, seine Ergänzung. Jetzt war er geistig und körperlich reif, -um in die Welt hinauszutreten und sich Brot zu schaffen. Was hinderte -ihn daran? Seine Erziehung, die ihn nichts Nützliches gelehrt; seine -soziale Stellung, die ihm verbot, ein Handwerk zu betreiben. Die Kirche, -die seinen Eid nicht darauf bekommen, der Priesterschaft treu zu sein; -der Staat, der seinen Eid nicht darauf erhalten, Bernadotte und Nassau -treu zu sein; die Schule, die ihn noch nicht soweit dressiert hatte, -dass er für die Universität reif war; der geheime Ordensbund, den die -Oberklasse gegen die Unterklasse geschlossen. Ein ganzer Berg von -Albernheiten lag auf ihm und seiner Jugend. Jetzt da er fühlte, dass er -ein Mann war, schien ihm die ganze Erziehung eine Anstalt zu sein, in -der er erst kastriert werden sollte, ehe man ihn in den Harem zu lassen -wagte, wo eine Mannbarkeit gefährlich sein konnte; einen anderen Sinn -konnte er in all dem nicht entdecken. So versank er wieder in seinen -jetzigen Zustand der Unmündigkeit. Er glaubte eine Pflanze -Bleichsellerie zu sein, die man zusammenbindet und unter einen -Blumentopf legt, damit sie so weiss und mürbe wie möglich wird, damit -sie im Sonnenlicht keine grünen Blätter treibt, nicht in Blüten -ausschlägt, noch, am wenigsten von allem, Samen ansetzt. - -Während er diesen Gedanken nachhing, wanderte er auf den Gartenwegen hin -und her, bis die Uhr der nächsten Kirche zehn schlug. Da wollte er ins -Haus gehen, um sich schlafen zu legen. Aber die Haustür war schon -geschlossen. Er musste ans Fenster der Mädchenstube klopfen. Das -Hausmädchen kam im Unterrock, um zu öffnen, und er konnte über dem Hemd, -das herabgeglitten war, ihre blossen Schultern sehen. Alle Schwärmerei -verschwand in einem Nu, er wollte sie festhalten, ihre Brüste drücken, -sich paaren mit einem Wort, denn jetzt war das Weib nur Weibchen für -ihn. Aber das Mädchen war schon wieder hineingehuscht und schlug die Tür -hinter sich zu. Da schämte er sich und ging in seine Kammer hinauf. - -Als er glücklich oben war, öffnete er die Fenster, tauchte den Kopf ins -Waschbecken und steckte seine Lampe an. - -Als er im Bett lag, griff er zu Arndts „Geistlichen Morgenstimmen“, die -er von seiner Mutter geerbt hatte und von denen er abends immer ein -Stück las, mehr der Sicherheit wegen, denn morgens war die Zeit knapp. -Das Buch erinnerte ihn an das Versprechen der Keuschheit, das er der -Mutter gegeben, und er hatte ein böses Gewissen. Eine Fliege, die ans -Lampenglas kam und mit verbrannten Flügeln um den Nachttisch summte, -brachte seine Gedanken auf etwas anderes, Unbestimmtes; er legte Arndt -fort und steckte sich eine Zigarre an. Er hörte, wie sich unter ihm im -Erdgeschoss der Vater die Stiefel auszog; wie er am Kranz des -Kachelofens die Pfeife ausklopfte; ein Glas Wasser aus der Karaffe -eingoss und sich bereit machte, ins Bett zu gehen. Er dachte, wie einsam -dieser Mann jetzt sein müsse, da seine Frau fort sei. Früher hatte er -durch die Zwischendecke hören können, wie sie mit halber Stimme -vertraulich plauderten, von Dingen, über die sie immer einig waren; -jetzt aber war keine Stimme mehr zu hören, nur die toten Laute, wie ein -Mensch seine Person bedient und besorgt; Laute, die wie die Figuren in -einem Rebus zusammengestellt werden müssen, um etwas Lebendiges aus -ihnen zu machen. - -Schliesslich legte er die Zigarre fort, löschte die Lampe und betete -leise das Vaterunser, kam aber nicht weiter als bis zur fünften Bitte: -da schlief er ein. - -Mitten in der Nacht erwachte er aus einem Traum. Er hatte das Mädchen -des Gärtners in seinen Armen gehabt. Wo und wann, daran erinnerte er -sich nicht, denn er war ganz betäubt, und er schlief sofort wieder ein. - -Am nächsten Morgen war er schwermütig und hatte Kopfschmerzen. Dachte -wieder an die Zukunft, die schwer auf ihm lag und sein ganzes Dasein -bedrückte. Mit Bangen sah er, wie der Sommer verging, denn das Ende der -Ferien brachte ihn wieder in den Erniedrigungszustand, den die Schule -ihm bot: jeder seiner Gedanken sollte da von fremden Gedanken getötet -werden; die Selbständigkeit half nichts, da nur eine bestimmte Anzahl -Jahre ihn ans Ziel führen konnten. Es war wie eine Reise auf einem -Güterzug; die Lokomotive musste so und so lange auf der Station stehen, -und wenn der Dampfdruck aus Mangel an Kraftverbrauch zu stark wurde, -musste man das Sicherheitsventil öffnen. Das Betriebsamt hatte den -Fahrplan aufgestellt, und man durfte nicht zu früh nach den Stationen -kommen. Das war die Hauptsache! - -Der Vater sah, dass der Sohn blass und mager wurde, glaubte aber, er -trauere um die Mutter. - - * * * * * - -Der Herbst kam. Zuerst mit der Schule. Theodor hatte während des -Sommers, als er durch die Romane mit erwachsenen Menschen verkehrte und -ihr Leben und ihre Kämpfe kennen lernte, sich daran gewöhnt, sich als -Erwachsenen zu betrachten. Jetzt kamen die Lehrer und duzten ihn. -Kameraden, Jungen, welche die körperliche Freiheit noch nicht achteten, -erlaubten sich Handgreiflichkeiten, die ihn zu ähnlichen nötigten. Und -diese Bildungsanstalt, die ihn für die Gesellschaft veredeln sollte, was -lehrte sie und wie veredelte sie? Die Lehrbücher waren ja samt und -sonders unter der Kontrolle der Oberklasse geschrieben und liefen alle -darauf hinaus, die Unterklasse dazu zu bringen, die Oberklasse zu -verehren. Die Lehrer sprachen oft mit Erregung zu den Schülern, wie -undankbar sie seien; sie wüssten nicht, welche Vorteile ihre Eltern -ihnen gewährten, indem sie ihnen diese Bildung schenkten, die so viele -Arme entbehren müssten. Nein, wahrhaftig, die Jungen waren noch nicht -verdorben genug, um diese grenzenlose Betrügerei und deren Vorteile zu -durchschauen. - -Gab der Unterricht den Schülern irgend ein Mal eine reine Freude durch -den Lehrstoff selber? Nein! Darum mussten die Lehrer unaufhörlich an die -niedrigen Leidenschaften der Schüler appellieren: an die Ambition (das -war ein besserer Name für den kleinlichen Ehrgeiz, höher geschätzt zu -werden als die andern), an das Interesse, an die Vorteile. - -Welch elende Maskerade diese Schule! Nicht ein einziger von den -Jünglingen glaubte an den Segen, der darin lag, verhasste Könige -aufzuzählen, unbrauchbare Sprachen zu lernen, Axiome zu beweisen, -Selbstverständlichkeit zu definieren, die Staubbeutel der Pflanzen und -die Gelenke an den Hinterbeinen der Insekten zu zählen, um schliesslich -nicht mehr zu wissen, als dass sie so und so auf lateinisch heissen. -Wieviel lange Stunden wurden nicht darauf verwandt, um vergeblich einen -Winkel in drei gleiche Teile zu teilen, während es „unwissenschaftlich“ -(das heisst praktisch) in einer Minute mit einem Gradmesser gemacht -wird. - -Wie verachtet wurde alles, was nützlich war! Die Schwestern, die -Ollendorffs französische Grammatik lernten, konnten nach zwei Jahren -französisch sprechen; die Gymnasiasten konnten nach sechs Jahren noch -nicht ein Wort sagen. Und mit welchem Mitleid sprachen sie den Namen -Ollendorff aus! Das war der Inbegriff alles Dummen, das man verbrochen -hatte, seit die Welt erschaffen worden. - -Wenn aber die Schwestern eine Erklärung verlangten und fragten, ob die -Sprache nicht dazu da sei, die Gedanken des Menschen auszudrücken, so -antwortete der junge Sophist mit einer Phrase, die er von einem Lehrer -borgte, der sie wieder als Talleyrands Worte zitiert gesehen: Nein, die -Sprache ist dazu da, die Gedanken des Menschen zu verbergen. Das konnte -ein junges Mädchen natürlich nicht begreifen, denn die Männer verstehen -ihre Infamien zu verbergen, sondern glaubte, der Bruder sei furchtbar -gelehrt, und disputierte nicht weiter. - -Und dann die verfälschende Ästhetik, die ihren Schleier aus geborgtem -Glanz und falscher Schönheit über alles warf. Man lernte von der -„Ritterwache des Lichtes“ singen! Welche Ritterwache? Mit Adelsbriefen, -Studentenzeugnissen; falschen Attesten, wie sie selber einsehen konnten. -Des Lichtes? Das heisst der Oberklasse, die ihr grösstes Interesse daran -hatte, die Unterklasse durch Schule und Religion in der Dunkelheit zu -halten. „Und vorwärts, vorwärts auf der Bahn des Lichts!“ - -Immer wurde das Ding bei verkehrtem Namen genannt! Kam dann einer aus -der Unterklasse mit Licht, so war alles vorbereitet, um es zu Dunkelheit -machen zu können. Du junge, „gesunde“ Kämpferschar! Wie gesund sie -waren, alle diese Jünglinge, die von Beschäftigungslosigkeit, -unbefriedigten Trieben, Ehrgeiz entnervt waren, die jeden verachteten, -der nicht die Mittel hatte, Student zu werden! O die Poeten der -Oberklasse, wie haben sie so schön gelogen! Waren sie Betrüger oder -Betrogene? - -Wovon sprachen alle diese Jünglinge gewöhnlich? Von ihren Studien? -Niemals! Höchstens von einem Zeugnis! Sie sprachen von Liederlichkeit. -Vom Morgen bis zum Abend! Von Verabredungen mit Mädchen; von -Billardspiel und Punsch; von Geschlechtskrankheiten, über die sie ältere -Brüder hatten sprechen hören. Sie gingen mittags los und „nahmen die -Parade ab“, und wer am weitesten gekommen war, konnte den Namen des -Leutnants nennen und erzählen, wo dessen Mädchen wohnte. - -Einmal waren zwei von der „Ritterwache des Lichtes“ ganz naiv mit zwei -prostituierten Mädchen an einem Sommertag in das vornehme Restaurant -„Haselhöhe“ im Tiergarten gegangen, um dort in der offenen Veranda zu -Mittag zu essen. Wegen dieser Naivität wurden sie von der Anstalt -gejagt. Wegen ihrer Naivität, nicht wegen ihrer Lasterhaftigkeit, denn -ein Jahr später bestanden sie ihr Examen für die Universität, gewannen -also ein ganzes Jahr; und als sie ihre Studien in Uppsala beendet -hatten, wurden sie in eine Hauptstadt von Europa geschickt, um dort in -der Gesandtschaft die vereinigten Königreiche Schweden und Norwegen zu -vertreten. - -In einer solchen Umgebung verbrachte Herr Theodor seine beste Jugend. Er -hatte den Betrug durchschaut, konnte aber nicht mit ihm brechen! Wie -soll ich das machen? fragte er sich oft, erhielt aber keine Antwort. Er -wurde natürlich mitschuldig und lernte schweigen. - -Die Konfirmation wurde für ihn ein Spektakel, wie die Schule es gewesen. -Ein junger Hilfsprediger, der Pietist war, sollte ihn in vier Monaten -Luthers Kathechismus lehren, ihn, der Theologie, Exegetik, Dogmatik -gehabt und das Neue Testament auf Griechisch gelesen hatte! Aber der -strenge Pietismus, der Wahrheit in Handel und Wandel forderte, musste -auf ihn Eindruck machen. - -Es war ein Novembermorgen, als sie in den Kirchensaal gerufen wurden, um -eingeschrieben zu werden. Herr Theodor befand sich ganz unerwartet in -einem ganz andern Kreis, als er täglich in der Schule um sich hatte. Wie -er in das Versammlungszimmer eintrat, begegnete er den Blicken von wohl -hundert Augen, die ihn alle wie einen Feind ansahen. Da waren -Tabaksbinder, Schornsteinfegerjungen, Lehrlinge von allen Handwerken. -Sie schienen auch Feinde unter einander zu sein, denn sie warfen sich -gegenseitig Schimpfnamen zu; aber diese Feindschaft zwischen den -Handwerken war mehr gelegentlich; und wie sie sich auch zankten, sie -hingen doch zusammen. Eine seltsame erstickende Luft schlug ihm -entgegen, und in dem Hass, mit dem er sich begrüsst fühlte, lag auch -eine Verachtung, die Kehrseite eines gewissen Respektes oder Neides. Er -sah sich vergebens nach einem Kameraden um, einem Gleichgesinnten, einem -Gleichgekleideten. Es war keiner da. Die Gemeinde war arm, und die -Reichen sandten ihre Kinder in die Deutsche Kirche, die damals in Mode -war. Es waren Kinder des Volkes; es war die Unterklasse, mit der er -jetzt vor den Altar des Herrn als Gleich und Gleich treten sollte. Er -fragte sich, welcher Abgrund ihn eigentlich von diesen Kindern trenne? -Waren sie körperlich nicht ebenso begabt wie er? Ja, besser vielleicht, -denn alle verdienten bereits ihr Brot, und einige konnten sogar ihren -alten Eltern helfen. Waren sie schlechter ausgerüstet in der -Intelligenz? Das konnte er nicht behaupten, denn er hörte, wie sie bei -ihren Stichelreden mit den schärfsten Beobachtungen um sich warfen; sie -konnten radikale Witze aussprechen, die er gern mit einem Lachen belohnt -hätte, wäre er dazu nicht zu hochmütig gewesen. Wenn er an all die -Dummköpfe dachte, die er zu Kameraden in der Schule hatte, konnte er -keinen bestimmten Strich zwischen sich und ihnen ziehen. Der war aber -vorhanden! Waren es die schäbigen Kleider, die hässlichen Gesichter, die -groben Hände? Ja, zum Teil war es wohl das! Besonders fühlte er sich von -ihrer Hässlichkeit abgestossen! Aber waren sie deshalb schlechter, weil -sie hässlich waren? - -Er hatte ein Florett bei sich, da er nachher in die Fechtstunde wollte. -Er stellte es in eine Ecke, damit es sich keine unangenehme -Aufmerksamkeit zuzog. Aber es war schon bemerkt werden. Niemand wusste -eigentlich, was es für ein Ding sei, aber sie verstanden, dass es eine -Waffe vorstellte. Einige der Kühnsten machten sich in der Ecke zu -schaffen, um es zu untersuchen. Sie befingerten die Umwindung des -Heftes, kratzten mit den Nägeln auf dem Stichblatt, bogen die Klinge, -befühlten den kleinen Ball aus Handschuhleder. Es war, als schnüffelten -Hasen an einer Flinte, die sie im Walde gefunden. Sie verstanden nicht, -wozu es anzuwenden sei, aber sie fühlten, es war etwas Feindliches, das -einen verborgenen Zweck hatte. Schliesslich trat ein Gürtlerlehrling, -dessen Bruder zur Leibgarde gehörte, an die Neugierigen heran und -entschied die Frage sofort: Könnt ihr nicht sehen, dass es ein Säbel -ist, ihr Kaulbarsche! Und damit warf er einen respektvollen Blick auf -Herrn Theodor; doch lag in diesem Blick auch ein geheimes -Einverständnis, das bedeutete: Wir verstehen das! Aber ein Seilerjunge, -der einmal bei der Artillerie gewesen war, um Trompeter zu werden, hielt -sich beim Fällen des Urteils für übergangen, konnte den Mund nicht -halten, sondern erklärte: man könne ihn in den Rücken beissen, wenn das -nicht ein Degen sei! Die Folge war eine Schlägerei, die den ganzen -Kirchensaal in einen einzigen grossen Hundehof verwandelte, der von -Staub rauchte und mit Geheul erfüllt war. - -Da wird die Tür geöffnet und der Hilfsprediger steht da. Ein junger, -blasser, magerer Mann, der Ausschlag im Gesicht und wässerige blaue -Augen hat. Er schrie die Jungen zuerst an. Die wilden Tiere hörten auf, -sich zu schlagen. Darauf liess er sich aus über Jesu teueres Blut und -die Macht, die das Böse über die Herzen hat. Schliesslich brachte er die -hundert Jungen dazu, sich auf Bänke und Stühle zu setzen. Bis dahin war -er aber ganz ausser Atem gekommen und das Zimmer war voll von -aufgewirbeltem Staub. Er warf einen Blick nach dem Fensterventil und -sagte mit matter Stimme: Öffnet die Klappe! Damit weckte er aber den -Sturm wieder. Fünfundzwanzig Knaben stürzten hin und stiessen beim -Fenster auf einen Haufen zusammen, um die Schnur zum Ventil zu fassen. - -– Geht und setzt euch! schrie der Geistliche von neuem und lief nach dem -Stock. - -Für einen Augenblick herrschte Ruhe. Der Geistliche dachte sich eine -praktischere Art aus, um ohne Schlacht die Klappe zu öffnen. - -– Du, sagte er und zeigt auf einen eingeschüchterten armen Teufel, geh -und öffne die Klappe. - -Der Kleine trat ans Fenster und suchte die zusammengezogene Schnur zu -lösen. In atemlosen Schweigen warteten die versammelte Schar das -Ergebnis ab, als ein grosser Bursche im Seemannsanzug, der eben mit der -Brigg Carl Johan heimgekehrt war, die Geduld verlor: - -– Nun sollt ihr mal sehen, hol mich der Teufel, was ein Junge kann, -sagte er; im Nu hatte er den Rock abgeworfen, das Fensterbrett geentert, -sein Messer gezogen und die Schnur durchgeschnitten. - -– Kappen Bakstag! konnte er noch sagen, als der Geistliche einen neuen -Schrei ausstiess, wie ein hysterisches Weib, und damit den Seemann -buchstäblich hinunterscheuchte. Der beteuerte: - -– Das Fall hatte sich so vertüdert, dass nichts anderes zu machen war, -als kappen. - -Der Pastor war ganz ausser sich. Er kam aus einer stillen Provinz und -hätte nicht geglaubt, dass eine Jugend so tief verdorben sein könnte, so -in Unsittlichkeit und Sünde versunken, so weit vorgeschritten auf dem -Weg der Verdammnis. Und er erzählte ihnen lang und breit von Jesu teuerm -Blut. - -Keiner verstand, was er sagte, denn sie hatten keinen Begriff davon, -dass sie gesunken seien, da sie nie oben gewesen. Die Jungen zeigten -daher eine gleichgültige Kälte. - -Der Geistliche sprach weiter von Jesu teuern Wunden; aber niemand bezog -es auf sich, denn niemand hatte einen Jesus verwundet. Da versuchte er -es mit dem Teufel; der war aber so in ihre tägliche Sprache eingegangen, -dass er auch keinen Eindruck machte. Schliesslich kam er auf das Rechte! -Er sprach von der auf den Frühling festgesetzten Konfirmation. Er -erinnerte sie an die Eltern, die ihre Kinder ins Leben hinausführen -wollten; und als er auf die Brotherren zu sprechen kam, die niemand -anstellten, der nicht konfirmiert sei, da wurde er unwiderstehlich, und -alle verstanden die tiefe Bedeutung der Konfirmation. Jetzt war er -aufrichtig, und da begriffen ihn alle die jungen Gemüter; sogar die -Wildesten wurden zahm. - -Die Einschreibung begann! Wie viele Kirchenscheine waren mangelhaft! Wie -sollten sie zu Jesus kommen, wenn ihre Eltern nicht getraut waren? Wie -sollten sie an den Gnadentisch des Sünders gelangen, wenn der Vater -schon bestraft war? Was für Sünder! - -Herr Theodor wurde tief erschüttert von all diesem öffentlichen Schimpf, -der ausgeteilt wurde. Er wollte ein Auge zudrücken, konnte es aber -nicht. Als er schliesslich selber mit seinem Kirchenschein vortrat und -der Prediger las: Sohn Theodor, an dem und dem Tage geboren; Eltern: -Professor und Ritter ... da fuhr ein schwacher Sonnenschein über das -Gesicht des Geistlichen, und er nickte ihm freundlich zu, als er fragte: -Wie geht es dem Herrn Papa? Und dann zog ein Schleier von Wehmut über -seine weissgelben Züge, als er sah, dass die Mutter gestorben war (was -er schon wusste): Sie war ein Kind Gottes, sagte er, wie zu sich selber, -mit überfreundlicher, beklagender, weinerlicher Stimme, mit einem -gewissen Vorwurf gegen den Herrn Papa, der nur Professor und Ritter war. -Dann konnte Herr Theodor gehen. - -Als er hinauskam, meinte er etwas erlebt zu haben, das er nicht für -möglich gehalten hätte. Waren diese Jünglinge so tief gesunken, weil sie -Flüche und grobe Worte benutzten, wie alle seine Kameraden, sein Vater, -sein Oheim und die ganze Oberklasse sie zuweilen benutzten! Von was für -einer Sittenverderbnis war hier die Rede? Sie waren wilder als andere -verwöhnte Kinder, weil sie stärker waren. Dass ihre Kirchenscheine -Mängel hatten, war nicht die Schuld der Kinder. Sein Vater hatte nicht -gestohlen, aber man braucht auch nicht zu stehlen, wenn man sechstausend -Kronen Gehalt hat und tun und lassen kann, was man will. Es wäre ja -lächerlich oder abnorm gewesen, wenn er gestohlen hätte. - -Und Herr Theodor ging wieder in die Schule und da fühlte er, was es -heisst, eine Erziehung erhalten zu haben: hier wurde niemand wegen eines -kleinen Schnitzers schikaniert, hier wurden die eigenen Schwächen wie -die der Eltern ziemlich in Frieden gelassen, hier war man unter -seinesgleichen und hier verstanden alle einander. - -Nach der Schule „nahm man die Parade ab“; schlich in ein Café, um einen -Likör zu trinken; schliesslich ging man in den Fechtsaal. Und wenn er -hier vom Leutnant mit Herr angeredet wurde, alle diese Jünglinge mit -geschmeidigen Gliedern, freiem Benehmen und heiteren Mienen sah, alle -sicher, dass zu Hause ein gutes Mittagessen auf sie warte, fühlte er, -dass es zwei Welten gibt, eine obere und eine untere. Dann packte es ihn -wie ein böses Gewissen, wenn er an den dunkeln Kirchensaal und die -tristen Menschenkinder dachte; deren sämtliche Wunden und heimliche -Mängel wurden unbarmherzig mit dem Vergrösserungsglas gemustert, damit -die Unterklasse der wahren Demut teilhaftig würde, ohne welche die -Oberklasse ihre liebenswürdigen Schwächen nicht in Frieden geniessen -konnte. Damit war etwas Unharmonisches in sein Leben gekommen. - - * * * * * - -Wie auch Herr Theodor zwischen seinem natürlichen Verlangen nach den -halbbekannten Lockungen des Lebens und seiner neuerworbenen Lust, dem -ganzen Leben den Rücken zu kehren und seinen Sinn auf den Himmel zu -richten, hin und her geworfen wurde, das Gelübde, das er der Mutter -gegeben, brach er nicht. Die häufigen Konfirmationsstunden in der -Kirche, mit den Kameraden und unter dem Geistlichen, verfehlten nicht, -auf ihn Eindruck zu machen. Er war oft düster und grübelte, hatte ein -Gefühl, das Leben sei nicht so, wie es sein müsse. Es war ihm, als sei -einmal ein unerhörtes Verbrechen begangen werden, das jetzt durch -massenhafte Betrügereien verhüllt werde; er glaubte eine Fliege zu sein, -die in das Netz der Spinne geraten war und sich bei jedem Versuch, ein -Loch zu reissen, immer mehr verwickelte, um schliesslich erstickt zu -werden. - -Eines Abends, denn der Geistliche benutzte alle Effekte, um den harten -Köpfen der jungen Burschen zu imponieren, hatten sie im Chor der Kirche -Unterricht gehabt. Es war im Januar. Zwei Gasflammen erleuchteten das -Chor und zeigten die Marmorfiguren des Altars in verzerrten -Proportionen. Die ganze grosse Kirche mit ihren beiden einander -kreuzenden Tonnengewölben lag im Halbdunkel. Im Hintergrund sah man die -blanken Zinnpfeifen der Orgel, welche die Gasflammen des Chores schwach -reflektierten; darüber bliesen die Engel zum jüngsten Gericht ihre -Posaunen, sahen jetzt aber nur wie finstere, drohende, übernatürlich -grosse Menschenfiguren aus. Die Kreuzgänge endeten in vollständiger -Dunkelheit. - -Der Geistliche hatte das sechste Gebot ausgelegt. Er hatte von Unzucht -in und ausserhalb der Ehe gesprochen. Wie Unzucht zwischen Ehegatten -getrieben wird, das konnte er nicht auseinandersetzen, trotzdem er -selber verheiratet war; aber ausserhalb der Ehe, da wusste er Bescheid. -Dann kam er zum Kapitel der Selbstbefleckung. Als er das Wort nannte, -ging es wie ein Rauschen durch die Jünglingsschar, und mit weissen -Wangen und hohlen Augen starrten sie ihn an, als sähen sie ein Gespenst. -Solange er von den Strafen der Hölle sprach, waren sie ziemlich ruhig; -als er aber aus einem Buch Berichte vorlas, wie Jünglinge im Alter von -fünfundzwanzig Jahren an Rückenmarkschwindsucht gestorben waren, da -sanken sie auf den Bänken zusammen und fühlten den Boden unter sich -wanken! Schliesslich erzählte er die Geschichte von einem Jungen, der im -Alter von zwölf Jahren in ein Irrenhaus kam, um mit vierzehn Jahren zu -sterben, im Glauben an seinen Erlöser. Da war es ihnen, als sähen sie -hundert gewaschene Leichen an Stangen aufgestellt. Nur ein Heilmittel -gegen dieses Übel gebe es: Jesu teure Wunden. Doch wie die gegen zu -frühe Mannbarkeit anzuwenden seien, das zeigte er nicht. Aber man solle -weder tanzen noch ins Theater gehen noch Spielstuben besuchen, vor allem -aber sich des Weibes enthalten: das heisst das Gegenteil tun von dem, -was man in Wirklichkeit tun müsste. Dass dieses Laster dem sozialen -Gesetz, der Mann sei erst mit einundzwanzig Jahren mannbar, bis zur -Vernichtung widerspricht, wurde mit Schweigen übergangen. Ob dieses -Laster durch frühe Ehen verhindert werden kann, indem man allen ein -notdürftiges Essen verschafft, statt wenigen Schmäuse, wurde -dahingestellt. Das Resultat war: man solle sich Jesu in die Arme werfen, -das heisst in die Kirche gehen und die Sorge um die Welt der Oberklasse -überlassen. - -Nach dieser Zurechtweisung bat der Geistliche die fünf Ersten auf der -ersten Bank, dazubleiben; er wolle mit ihnen allein sprechen; nach und -nach werde er es mit allen so machen. Die fünf Ersten sahen aus, als -seien sie zum Tode verurteilt. Ihre Brust fiel in den Rücken, weil sie -nicht Atem holen konnten; und wenn man genauer nachgesehen, hätte man -gefunden, dass sich ihr Haar einige Zentimeter auf den Wurzeln in die -Höhe gerichtet und feucht über den Schädel einer Leiche lag. Alles Blut -war aus den Augenbetten gewichen; wie zwei runde Glaskugeln, in -Handschuhleder eingenäht, sahen die Augen aus, unbeweglich, nicht -wissend, ob sie zu einem Bekenntnis herauskriechen oder sich mit einer -kühnen Lüge verbergen sollten. - -Das Gebet wurde gesprochen und das Lied von Jesu Wunden gesungen; heute -abend aber wurde es von Lungenkranken angestimmt und hörte zuweilen ganz -auf oder wurde von einem trocknen Husten, gleich dem von Durstigen, -unterbrochen. Dann begannen sie zu gehen. Einer von den fünf versuchte -hinauszuschleichen, wurde aber vom Geistlichen zurückgerufen. - -Es war ein furchtbarer Augenblick. Herr Theodor, der auf der ersten Bank -sass, gehörte zu den fünf. Ihm war unangenehm zu Mut. Nicht weil er eine -Sünde in diesem Sinne begangen, sondern weil er es in seinem Innersten -als eine Kränkung für einen Mann empfand, sich so entkleiden zu müssen. -Die vier andern setzten sich weit von einander. Der Gürtler, der unter -ihnen war, versuchte zu scherzen, aber der Witz blieb ihm im Halse -stecken. Sie sahen vor sich Polizei, Gefängnis, Hospital, und im -Hintergrund das Irrenhaus. Sie wussten nicht, was ihnen bevorstand, dass -es aber eine Art Stäupung war, das fühlten sie wohl. Ein Trost, der -einzige in der Betrübnis war, dass _er_, Herr Theodor, dabei war. Sie -wussten nicht, warum es ein Trost war, aber sie fühlten es in der Luft, -dass ihm, dem Sohn eines Professors, nichts Böses geschehen könne. - -– Kommen Sie, Wennerström, sagte der Geistliche, der das Gas in der -Sakristei angesteckt hatte. - -Wennerström ging und die Tür wurde geschlossen. Die vier sassen da, -jeder auf seiner Bank, und versuchten alle möglichen Stellungen, um den -Körper zur Ruhe zu bringen; aber es ging nicht. - -Schliesslich kam Wennerström wieder heraus, verweint, aufgeregt, und -ging sofort durch den Korridor davon. - -Als er auf den Kirchhof, der ganz eingeschneit war, hinauskam, nahm er -schnell noch ein Mal durch, was drinnen vorgefallen war. Der Geistliche -hatte gefragt, ob er gesündigt habe. Nein, das habe er nicht. Habe er -Träume? Ja! Träume sind ebenso sündig, denn sie zeigen, dass unser Herz -böse ist, und Gott sieht auf das Herz. Er prüft die Nieren und wird uns -ein Mal für jeden sündhaften Gedanken verurteilen, und die Träume sind -Gedanken. Gib mir, mein Sohn, dein Herz, sagt Jesus. Geh zu Jesus, bete, -bete, bete. Was keusch, was rein, was lieblich ist, das ist Jesus! Jesus -von Anfang bis zum Ende, Jesus mein Alles, mein Leben, meine Seligkeit! -Kasteiet das Fleisch und seid fest im Gebet, sagt Jesus! Geh in Jesu -Namen und sündige hinfort nicht mehr! - -Er war empört, aber auch vernichtet. Er konnte es nicht ändern, dass er -vernichtet war, und in der Schule hatte er noch nicht soviel gesunde -Vernunft gelernt, um sie gegen die jesuitische Sophistik anzuwenden. Den -Satz, dass die Träume Gedanken sind, musste er allerdings, mit der -Psychologie, die er gelernt, dahin modifizieren, dass sie Phantasien -sind; aber Gott sieht nicht auf Worte! Seine Logik sagte ihm, es liege -etwas Naturwidriges in dieser frühen Brunst. Mit sechzehn Jahren konnte -er sich nicht verheiraten, da er keine Frau versorgen konnte. Aber den -nächsten Gedanken, warum er keine Frau versorgen könne, obwohl er -mannbar war, konnte er nicht zu Ende denken; wenn er es auch wollte, so -hätte er doch vor dem Gesellschaftsgesetz, das von der Oberklasse -gemacht war und von Bajonetten beschützt wurde, Halt machen müssen. Also -war die Natur auf irgend eine Art verletzt worden, da die Mannbarkeit -früher eintrat als die Fähigkeit, Brot zu schaffen. Das war Entartung! -Seine Phantasie war entartet, und er wollte sie reinigen durch -Entsagungen, Gebet, Kampf. - -Als er nach Hause kam, sass der Vater mit den Geschwistern bei Tisch. -Theodor schämte sich vor ihnen, als sei er unrein. Der Vater fragte wie -gewöhnlich, wann sie konfirmiert würden. Das wusste Theodor nicht. Er -ass nichts und schätzte Unwohlsein vor; die Wahrheit aber war, dass er -abends nicht zu essen wagte. Er ging auf seine Kammer und setzte sich -hin, um eine Schrift von Schartau zu lesen, die er vom Geistlichen -erhalten hatte. Sie handelte von der Eitelkeit der Vernunft. Hier, -gerade an dem letzten Punkt, wo er aus dem Unklaren herauszukommen -glaubte, da erlosch das Licht. Die Vernunft, die ihm zuweilen die -schwache Hoffnung gab, sich aus den dunkeln Bergen herausfinden zu -können, auch die war Sünde; mehr Sünde als alles andere, denn sie erhob -sich gegen Gott, wollte begreifen, was man nicht begreifen sollte! Warum -man „es“ nicht begreifen sollte, stand nicht da; aber es war wohl darum: -sobald man „es“ begriffen, war der Betrug entdeckt. - -Er empörte sich nicht länger, sondern ergab sich! Ehe er zu Bett ging, -las er zwei Morgenstimmen aus Arndt, das ganze Sündenbekenntnis, das -Vaterunser und „Der Herr segne uns“. Er war sehr hungrig, das empfand er -aber mit einer gewissen Schadenfreude, als leide sein Feind etwas Böses. - -So schlief er ein. In der Nacht erwachte er. Er hatte geträumt, er sei -ausgewesen, habe für zwei Reichstaler zu Abend gegessen und Champagner -getrunken und schliesslich sei er mit einem Mädchen in ein besonderes -Zimmer gegangen. So stand der ganze furchtbare Abend wieder vor ihm! - -Er sprang aus dem Bett, warf Laken und Unterbett auf den Boden, legte -sich auf die blosse Rosshaarmatratze und deckte sich nur mit einer -dünnen Decke zu. Er fror und war hungrig, aber der Teufel musste getötet -werden. Er betete noch ein Mal das Vaterunser, indem er auf eigene Hand -einige Zusätze machte. Das Gehirn wird nach und nach umnebelt, die -strengen Züge in seinem Gesicht lassen nach, der Mund lächelt: -liebliche, heitere Gestalten, leichtes Gemurmel, ersticktes Lachen, -Takte aus einem Walzer, funkelnde Gläser und offne, lebenslustige -Gesichter mit freien Blicken, die seinen begegnen; da öffnet sich eine -Türgardine: zwischen rotseidenen Vorhängen blickt ein Köpfchen, der Mund -lächelt und die Augen leben, bloss ist der Hals bis zu den Steigungen -der Brüste, die Schultern rund wie von einer weichen Hand modelliert; -die Kleider fallen ab vor seinen Blicken und er hat das Weib in seinen -Armen. - -Als er erwachte, schlug die Uhr drei. Er war wiederum besiegt. Jetzt -riss er auch noch die Matratze aus dem Bett. Auf die Steine vorm -Kachelofen fiel er auf die Knie und betete mit eigenen Worten ein -brennendes Gebet zu Gott um Rettung; denn jetzt fühlte er, dass er mit -dem Teufel selber im Kampf lag. Er legte sich dann auf den blossen -Bettboden und empfand mit einem eigenartigen Genuss, wie die Gurte in -Arme und Schienbeine schnitten. - -Am Morgen erwachte er in vollem Fieber. - - * * * * * - -Sechs Wochen lag er zu Bett. Als er endlich wieder aufstand, war er -gesunder als er je gewesen. Die Ruhe, die ausgewählte Kost, die Medizin -hatten seine Kräfte gesteigert, und daher wurde der Kampf nun doppelt so -stark. Aber er kämpfte. - -Im Frühling wurde er konfirmiert. Der erschütternde Auftritt, in dem die -Oberklasse der Unterklasse auf Christi Leib und Blut den Eid abnimmt, -dass die letzte sich nie mit dem befasse, was die erste tut, blieb lange -in ihm haften. Dass des Weinhändlers Högstedts Piccardon à 65 Öre die -Kanne und des Bäckers Lettströms Maisoblaten à 1 Krone das Pfund vom -Geistlichen fälschlich für das Fleisch und Blut des vor 1800 Jahren -hingerichteten Volksaufwieglers Jesus von Nazareth ausgegeben wurden, -darüber dachte er nicht nach, denn man dachte damals nicht nach, sondern -man bekam „Stimmungen“. - -Ein Jahr später machte er sein Abiturientenexamen. Die Studentenmütze -war ihm eine grosse Freude; ohne sich dessen bewusst zu werden, fühlte -er, dass er als Oberklasse einen Freibrief erhalten habe. Etwas bildeten -sich er und seine Kameraden auch auf ihr Wissen ein, und die Lehrer -hatten sie darin für „reif“ erklärt. Wenn alle diese hochmütigen -Jünglinge wenigstens den Unsinn gekonnt hätten, mit dem sie prahlten! -Hätte man sie auf dem Studentenschmaus gehört, wie sie beteuerten, sie -könnten nicht fünf Prozent von jedem Lehrbuch, in dem sie das Zeugnis -erhalten; wie sie versicherten, es sei ein Wunder, dass sie die Prüfung -bestanden: ein Uneingeweihter hätte es ihnen kaum geglaubt. Auf -demselben Studentenkommers hörte man einige der jüngeren Lehrer jetzt, -da der Zunftunterschied aufgehoben und keine Verstellung mehr nötig war, -offen mit halbberauschten Gebärden darauf schwören, im ganzen Kollegium -sei kein Lehrer, der im Examen nicht durchfallen würde. Ein Nüchterner -musste glauben, das Studentenexamen sei eine Schnur, die man nach -Belieben zwischen Oberklasse und Unterklasse spannen könne; dann kam ihm -das Wunder wie ein grosser Betrug vor. - -Ja, es war ein Lehrer, der bei der Bowle behauptete, man müsste ein -Idiot sein, um sich einzubilden, ein Gehirn könne gleichzeitig -auffassen: die dreitausend Jahreszahlen, welche die Geschichte enthält; -die Namen der fünftausend Städte, die es auf der Erde gibt, die Namen -von sechshundert Pflanzen und siebenhundert Tieren; die Knochen im -menschlichen Körper, die Steine in der Erde, alle theologischen -Lehrkämpfe, eintausend französische Vokabeln, eintausend englische, -eintausend deutsche, eintausend lateinische, eintausend griechische, -eine halbe Million Regeln und Ausnahmen; fünfhundert mathematische, -physikalische, geometrische, chemische Formeln. Er wolle nachweisen, das -Gehirn müsse, um das zu können, so gross sein wie die Kuppel der -Sternwarte von Uppsala. Humboldt habe schliesslich nicht mehr das -Einmaleins gekonnt, und der Professor der Astronomie in Lund habe zwei -sechsstellige ganze Zahlen nicht dividieren können. Die neuen Studenten -glaubten sechs Sprachen zu können, und doch könnten sie nicht mehr als -fünftausend Worte höchstens von den zwanzigtausend, die ihre eigene -Sprache enthalte. Und er habe ja gesehen, wie sie mogelten. Oh, er kenne -alle Kniffe! Er habe gesehen, wie sie Jahreszahlen auf die Nägel -geschrieben, wie sie die Bücher unter dem Tisch gehabt, und wie sich -zugeflüstert! Aber, schloss er, was soll man machen? Wenn man nicht ein -Auge zudrückt, bekommt man überhaupt keine Studenten mehr. - -Während des Sommers blieb Theodor zu Hause im Garten. Er dachte viel an -seine Zukunft; was er werden solle. In die grosse Jesuitenkongregation, -die unter dem Namen der Oberklasse die Gesellschaft gestiftet, deren -Geheimnisse er nicht durchschauen konnte, hatte er soviel Einblick -gewonnen, dass er mit dem Leben unzufrieden war und Geistlicher werden -wollte, um sich vor der Verzweiflung zu retten. Aber die Welt lockte -ihn. Sie lag so hell und klar vor ihm, und sein starkes gärendes Blut -rief nach Leben. Er rieb sich auf in seinem Kampf, und die -Beschäftigungslosigkeit quälte ihn noch mehr. - -Theodors zunehmende Düsterkeit und abnehmende Gesundheit begannen den -Vater zu beunruhigen. Der sah wohl ein, wie es um ihn stand, konnte es -aber nicht über sich gewinnen, mit dem Sohn in einer so delikaten Sache -zu sprechen. - -An einem Sonntagnachmittag hatte der Professor seinen Bruder, den -Pionieroffizier, bei sich. Sie sassen im Garten und tranken Kaffee. - -– Hast du gesehen, wie verändert Theodor ist? fragte der Professor. - -– Ja, seine Zeit ist gekommen, antwortete der Hauptmann; ich glaube, sie -ist es längst. - -– Willst du nicht mit ihm sprechen; ich kann es nicht. - -– Wenn ich Junggeselle wäre, würde ich die Rolle des Oheims spielen, -sagte der Hauptmann; aber ich werde Gustav zu ihm schicken! Der Junge -muss Mädchen haben, sonst verkommt er. Starke Rasse, diese -Wennerströmsche. Was? - -– Ja, sagte der Vater, ich war mit fünfzehn Jahren soweit; aber ich -hatte einen Kameraden, der nicht konfirmiert wurde, weil er mit dreizehn -Jahren einer Konfirmandin ein Kind gemacht hatte. - -– Sieh Gustav an: das ist ein Kerl! Der Teufel soll mich holen, wenn er -nicht so breit über die Lenden ist und solche Schenkel hat wie ein alter -Hauptmann! Er macht sich! - -– Ja, ich weiss wohl, was es kostet, aber das ist immer noch besser, als -sich anstecken, sagte der Vater. Willst du Gustav bitten, Theodor -mitzunehmen, um ihn etwas aufzurütteln. - -– Ja, das will ich tun, sagte der Hauptmann. - -Und damit war die Sache klar. - - * * * * * - -Eines Abends im Juli, als es am allerwärmsten war und alles im höchsten -Flor stand; während der Schwangerschaft der Natur, als alles, das im -Frühling befruchtet war, Frucht werden wollte, sass Herr Theodor auf -seiner Kammer und wartete. Er hatte an die Wand ein „Komm zu Jesus“ -angeschlagen, das „Lass uns nicht disputieren“ bedeuten sollte, dem -Bruder Leutnant gegenüber, der dann und wann aus der Kaserne für einen -Augenblick nach Hause kam. Gustav war ein heiteres Gemüt, das sich immer -„machte“, wie der Onkel sagte; er dachte nicht daran, an den Lauf der -Welt Grübeleien zu verschwenden. Für heute abend hatte er Theodor -versprochen, ihn um sieben Uhr abzuholen; sie wollten dann besprechen, -wie des Vaters Geburtstag zu feiern sei. Theodors geheimer Plan war, den -Bruder zu überrumpeln, um ihn auf bessere Gedanken zu bringen. Aber -Gustavs geheimer Plan war, Theodor zur Vernunft zu bringen. - -Punkt sieben hielt eine Droschke (Herr Leutnant kam immer in einer -Droschke) vorm Hause, und gleich darauf hörte Theodor auf der Treppe -Sporen klirren und einen Säbel rasseln. - -– Guten Tag, alter Maulwurf, grüsste der ältere Bruder. - -Es war eine junge kräftige Gestalt. Man sah die prächtigsten Waden unter -den blanken Schäften seiner Stiefel; und unter dem langen Schoss des -Überrocks zeichneten sich die Lenden eines Percheronpferdes ab. Das -goldene Kartuschenbandelier machte die Brust breiter und das Säbelkoppel -hing an einem Paar Hüften, auf denen man sitzen konnte! - -Er warf einen Blick auf „Komm zu Jesus“, grinste, sagte aber nichts -darüber. - -– Komm, Theodor, wir fahren nach Bellevue zum Gärtner und bestellen -alles für den Geburtstag des Alten. Zieh dich an und komm, alter Baruch. - -Theodor wollte Einwendungen machen, aber der Bruder nahm ihn unterm Arm, -setzte ihm die Mütze verkehrt auf den Kopf, steckte ihm eine Zigarre in -den Mund und öffnete die Tür. Theodor fühlte sich lächerlich und aus -seiner Rolle gerissen, ging aber mit. - -– Jetzt fährst du nach Bellevue, sagte der Leutnant zum Kutscher, aber -fahr so, dass deine Vollblut wie Riemen auf den Strassensteinen liegen. - -Theodor musste über die Sicherheit des Bruders lachen. Niemals wäre es -ihm in den Sinn gekommen, einen Kutscher, einen ältern verheirateten -Mann, du zu nennen. - -Auf dem Wege plauderte und schwatzte der Leutnant von allem Möglichen, -und alle Mädchen, die er traf, sah er an. - -Sie kamen an einem heimkehrenden Leichenzug vorbei. - -– Hast du gesehen, sagte Gustav, was für ein verflucht hübsches Mädchen -im letzten Wagen sass. - -Nein, Theodor hatte es nicht gesehen und wollte es nicht sehen. - -Und dann begegneten sie einem Omnibus, in dem lauter Kellnerinnen -sassen. Da stand der Leutnant in der Droschke auf und warf ihnen -Kusshände zu, mitten auf der Strasse. Er war zu verrückt. - -Sie richteten ihre Sache in Bellevue aus. Auf dem Heimweg bog der -Kutscher ohne weitere Ordre nach der Gastwirtschaft „Stallmeisterhof“ -ab. - -– Wir wollen etwas essen, sagte Gustav und stiess den Bruder aus der -Droschke. - -Theodor war wie betört. Ein Gelübde der Nüchternheit hatte er nie -abgelegt und er sah nichts Sündhaftes darin, in ein Wirtshaus zu gehen, -wenn er es auch nicht von selber tat. Er folgte, allerdings mit dem Atem -im Halse. - -Im Flur wurde der Leutnant von zwei Mädchen empfangen, die im nächsten -Augenblick an seiner Brust lagen. - -– Guten Tag, meine Tauben, begrüsste er sie und küsste beide auf den -Mund. Hier habt ihr meinen gelehrten Bruder, er ist noch jungfräulich; -das bin ich aber nicht mehr, was, Jossa? - -Die Mädchen sahen schüchtern Theodor an, der nicht wusste, wohin er sich -wenden solle, so beispiellos frech, beinahe naiv kam ihm die Sprache des -Bruders vor. - -Als sie eine Treppe hinaufgingen, trafen sie ein kleines schwarzes -Mädchen mit verweinten Augen, das manierlich aussah und einen guten -Eindruck auf Theodor machte. - -Der Leutnant küsste sie nicht, zog aber sein Taschentuch und trocknete -ihr die Augen. Dann befahl er einen kolossalen Schmaus. - -Es war ein heller, heiterer Raum, mit Spiegeln und Klavier, zu -Bacchanalen eigens eingerichtet. Der Leutnant öffnete den Deckel des -Klaviers mit dem Säbel, und ehe Theodor sichs versah, sass er auf dem -Stuhl und hatte die Hände auf der Klaviatur. - -– Jetzt spielst du einen Walzer, sagte der Bruder. - -Und siehe, Herr Theodor spielte einen Walzer. Und der Leutnant schnallte -den Säbel ab und tanzte mit seiner Jossa einen furchtbaren Walzer, dass -die Sporenräder in Stuhlbeine und Tischfüsse hieben. Dann warf er sich -auf ein Sofa und schrie: - -– Kommt her, Sklavinnen, und fächelt mir Kühlung zu. - -Theodor ging in Mollakkorde über und war bald in Gounods Faust. Er wagte -sich nicht umzudrehen. - -– Geht und gebt ihm einen Kuss, flüsterte der Bruder. - -Das getraute sich aber keins von den Mädchen. Nein, sie hatten beinahe -Furcht vor ihm und seiner düstern Musik. - -Aber die Kühnste trat ans Klavier heran, um etwas zu sagen: - -– Ist das nicht Freischütz? - -– Nein, antwortete Theodor höflich, das ist Faust! - -– Er sieht so ordentlich aus, dein Bruder, sagte die kleine schwarze, -die Rieke hiess. Der ist anders als du, du alter Schlingel! - -– Er will ja auch Geistlicher werden, flüsterte der Leutnant. - -Das machte einen tiefen Eindruck auf die Mädchen, und sie küssten den -Leutnant nur noch heimlich, und nach Theodor sahen sie so verlegen und -so scheu wie Hühner nach einem Kettenhund. - -Das Abendessen wurde aufgetragen. So viel Speisen! Es waren achtzehn -Schüsseln, dazu die warmen Gerichte. - -Gustav goss die Schnäpse ein. - -– Prosit, alter Pfaffe, sagte er. - -Theodor musste den Branntwein kosten. Der wärmte so gut, und es fiel ein -dünner warmer Schleier über seine Augen, und die Esslust raste wie ein -wildes Tier in seinen Eingeweiden. Der frische Lachs mit seinem halb -angegangenen Geschmack und der Dill mit seinem betäubenden narkotischen; -die Radieschen kratzten die Kehle und verlangten Bier; die kleinen -Beefsteaks mit süsser portugiesischer Zwiebel rochen wie ein tanzendes -Mädchen; der geschmorte Hummer duftete nach dem Meer; die ersten -Pressgurken mit dem Geschmack des giftigen Grünspans knirschten so schön -zwischen den Zähnen; und das Küken, das mit Petersilie ausgestopft war, -erinnerte an den Gärtner. Der Porter rann wie warme Lavaströme durch -seine Adern; aber auf die Erdbeeren da knallte der Champagner, und das -Mädchen kam mit dem brausenden Getränk, das wie eine Quelle rann. Auch -das Mädchen musste sich ein Glas nehmen. Und dann sprachen sie von allem -Möglichen. - -Theodor sass da wie ein Baum, der in neuem Saft steht; das Essen gärte -so in seinem Körper, dass er sich wie ein Vulkan fühlte. Neue Gedanken, -neue Gefühle, neue Ansichten, neue Gesichtspunkte flatterten wie -Schmetterlinge um seine Stirn. Er setzte sich ans Klavier; aber was er -spielte, wusste er nicht. Die Tangenten waren unter seinen Fingern ein -Haufen harter Knochenstücke, aus denen sein Geist Leben pressen wollte: -er ordnete, sammelte sie, um sie dann zu zerbrechen, aufzulösen. - -Er wusste nicht, wie lange er spielte, als er aber aufhörte und sich -umdrehte, kam der Bruder ins Zimmer. Er sah glücklich aus wie ein -höheres Wesen, und sein Gesicht strahlte von Leben und Kraft. Und dann -kam Rieke mit einer Bowle, und gleich danach kamen alle Mädchen herauf. -Und der Leutnant brachte Gesundheiten auf sie aus, auf die eine nach der -andern. Und Theodor fand, es sei alles so, wie es sein sollte, und er -wurde schliesslich so kühn, dass er Rieke auf die Schulter küsste. Sie -entzog sich ihm aber und sah gekränkt aus, und dann schämte sich -Theodor. - -Als die Uhr eins war, mussten sie gehen. - -Als Theodor auf seine Kammer in die Einsamkeit kam, war er ganz auf den -Kopf gestellt. Er riss „Komm zu Jesus“ herunter, nicht weil er an Jesus -nicht mehr glaubte, sondern weil er es für eine Prahlerei hielt. Er war -erstaunt, dass seine Religion so lose sass, wie ein Festtagsrock, und er -fragte sich, ob es nicht unpassend sei, die ganze Woche in -Sonntagskleidern zu gehen. Er fand in sich einen einfachen -Alltagsmenschen, den er gut leiden mochte, und er glaubte mehr in -Frieden mit sich selber zu sein, wenn er sich so einfach, anspruchslos, -ungeschraubt gab. - -Nachts schlief er einen schweren, guten Schlaf ohne Träume. - -Als er am nächsten Morgen aufstand, waren seine blassen Wangen etwas -voller und er fühlte eine frohe Lebenslust. Er ging spazieren, und wie -er so ging, kam er zur Stadt hinaus. Wenn ich nach der Gastwirtschaft -ginge, dachte er, und nachsähe, wie es den Mädchen geht. - -Er trat in den grossen Saal; dort sassen Rieke und Jossa allein im -Morgenrock und putzten Stachelbeeren. Und ehe er es sich versah, sass er -an ihrem Tisch, nahm eine Schere und putzte ebenfalls Stachelbeeren. Und -sie plauderten über den gestrigen Abend und über den Bruder und freuten -sich, dass es so lustig hergegangen. Man sprach nicht ein unanständiges -Wort. Theodor fand, es sei wie in einer Familie, und das konnte nicht -sündhaft sein. - -Später trank er Kaffee und lud die Mädchen dazu ein. Und dann kam die -Wirtin und las ihnen aus der Zeitung vor: es war ganz, als sei er bei -sich zu Hause gewesen. - -So kam er wieder. An einem Nachmittag ging er eine Treppe hoch zu Rieke. -Sie sass oben und nähte an einem Hohlsaum. Theodor fragte, ob er sie -belästige. Nein, keineswegs, im Gegenteil, antwortete sie. Und sie -sprachen über den Bruder. Er war im Manöver und sollte erst in zwei -Monaten zurückkommen. Schliesslich tranken sie Punsch und duzten -einander. - -Ein anderes Mal traf Theodor sie im Hagapark. Sie pflückte Blumen. Und -beide setzten sich ins Gras. Sie hatte ein leichtes Sommerkleid an, das -war so dünn, dass er sah, wie die Spitzen ihrer Brüste zwei helle -Erhebungen bildeten, mit einer dunklen Senkung dazwischen. Er fasste sie -um den Leib und küsste sie. Sie küsste ihn wieder, und es wurde ihm -schwarz vor den Augen. Da zog er sie an sich, als wolle er sie -ersticken; sie aber riss sich los und sagte recht ernst, er müsse artig -sein, sonst könnten sie sich nie wieder treffen. - -Zwei Monate trafen sie sich. Theodor war in sie verliebt. Er hielt -lange, ernste Gespräche über die höchsten Aufgaben des Lebens, über die -Liebe, über die Religion, über alles, und dazwischen machte er seine -Angriffe auf ihre Tugend, wurde aber immer mit seinen eigenen Worten -zurückgeschlagen. Dann schämte er sich furchtbar, dass er von einem -unschuldigen Mädchen so niedrig denken könne. Seine Leidenschaft ging -schliesslich in hohe Bewunderung über für dieses arme Mädchen, das sich -mitten in den Versuchungen rein erhalten konnte. Er hatte sich den -Geistlichen aus dem Sinn geschlagen, wollte den Doktor machen und – wer -weiss – sich vielleicht mit Rieke verheiraten. Er las ihr jetzt Poesie -vor, während sie nähte. Küssen durfte er sie, soviel er wollte, sie an -sich drücken, zudringlich sein; mehr aber erlaubte sie nicht. - -Schliesslich kam der Bruder nach Haus. Sofort gab er ein Festessen im -„Stallmeisterhof“, und Theodor wurde dazu eingeladen. Aber er musste -ihnen vorspielen, unaufhörlich spielen. Er war mitten in einem Walzer, -nach dem niemand tanzte, als er sich umsah: er war allein. Da stand er -auf und ging in den Flur. Kam in eine lange Reihe von kleinen Zimmern, -schliesslich in ein Schlafzimmer. Da hatte er einen Anblick, dass er -sofort hinausstürzte, seinen Hut nahm und in die Nacht verschwand. - -Erst gegen Morgen befand er sich wieder zu Hause auf seiner Kammer, -allein, vernichtet, jedes Glaubens beraubt, ans Leben, an die Liebe und -ans _Weib_ natürlich, denn es gab für ihn nur ein Weib in der Welt, und -das war Rieke vom Stallmeisterhof. - -Als der fünfzehnte September kam, fuhr er nach Uppsala, um Theologie zu -studieren. - - * * * * * - -Die Jahre vergingen. Sein guter Verstand erlosch so allmählich unter all -den Dummheiten, die er jetzt täglich und stündlich seinem Gehirn -eintrichtern musste. Wenn aber die Nacht kam und der Widerstand -aufhörte, brach die Natur los und nahm mit Gewalt, was der -aufrührerische Mensch ihr streitig machen wollte. Er wurde kränklich. -Sein Gesicht fiel so ein, dass man alle hervortretenden Knochen des -Schädels sehen konnte; die Haut wurde gelbweiss wie die einer in -Spiritus gelegten Leibesfrucht und sah immer feucht aus; und zwischen -den dünnen Bartsträhnen traten Finnen auf. Das Auge war erloschen; die -Hände so mager geworden, dass alle Gelenke durch die Haut guckten. Er -sah aus wie das Bild zu einer Tendenzarbeit über die menschlichen -Laster, und doch war er rein. - -Eines Tages bat ihn der Professor der Moraltheologie, der ein -verheirateter, aber strenger Mann war, um ein Gespräch unter vier Augen. -Der Professor fragte so diskret wie möglich, ob er etwas auf dem Herzen -habe; dann solle er sich erleichtern. Nein, er habe keine Sünde zu -gestehen, aber er sei unglücklich. Der Professor ermahnte ihn, zu wachen -und zu beten und stark zu sein. - -Vom Bruder hatte er einen langen Brief erhalten, in dem dieser ihn bat, -jene bewusste Bagatelle nicht so ernst zu nehmen. Es sei dumm, ein -Mädchen ernst zu nehmen! Bezahlen und gehen, sei seine Philosophie, und -mit der stehe er sich gut. Spielen, solange man jung sei; der Ernst -komme immer noch früh genug. Die Ehe sei eine bürgerliche Einrichtung, -um die Kinder aufzuziehen, weiter nichts. Wenn wir älter geworden, -sollten wir uns verheiraten ... - -Hierauf antwortete Theodor in einem langen, von wahrem christlichen -Geist durchdrungenen Brief, der unbeantwortet blieb. - - * * * * * - -Nachdem Theodor im Frühling das erste Examen gemacht hatte, musste er im -Sommer nach Sköfde fahren, um eine Kaltwasserkur durchzumachen. Im -Herbst kehrte er nach Uppsala zurück. Aber die neuen Kräfte, die er -erworben hatte, waren natürlich nur neues Material fürs Feuer. - -Es wurde immer schlimmer und schlimmer mit ihm. Sein Haar war jetzt so -dünn, dass die Haut durchschien. Seine Schritte waren schleppend, und -wenn Kameraden ihn auf der Strasse sahen, schauderte ihnen wie vor einem -lasterhaften Menschen. Er begann es selbst zu merken und wurde scheu. -Ging nur abends aus. Wagte nachts nicht im Bett zu schlafen. Das Eisen, -das er im Übermass eingenommen, hatte seine Verdauung verdorben. Im -nächsten Sommer wurde er nach Karlsbad geschickt. - -Im folgenden Herbst durchlief ein Gerücht die Universitätsstadt, ein -garstiges Gerücht, das wie eine dunkle Wolke über den Horizont zog. Es -war, als habe man vergessen, eine Kloakenklappe zu schliessen, und ein -furchtbarer Gestank erinnerte plötzlich daran, dass die Stadt, die -herrliche Schöpfung der Kultur, auf einem Untergrund von Fäulnis ruhte, -der jeden Augenblick die Röhren sprengen und die ganze Gesellschaft -vergiften konnte. Man flüsterte, Theodor Wennerström habe in einem -Wutanfall einen Kameraden in seiner Wohnung überfallen und ihm -schändliche Anträge gemacht. Dieses Mal hatte das Gerücht die Wahrheit -geflüstert. - -Der Vater kam nach Uppsala und beriet sich mit dem Dekan der -theologischen Fakultät. Der Professor der Pathologie wurde zugezogen. -Was war zu machen? Der Arzt schwieg. Schliesslich wurde er gefragt. - -– Da ich gefragt werde, muss ich wohl antworten, sagte er; aber, meine -Herren, Sie wissen doch ebenso gut wie ich, dass es nur ein Mittel gibt. - -– Und das ist? fragte der Theologe. - -– Müssen Sie wirklich noch fragen, wodurch die Natur geheilt wird, -antwortete der Arzt. - -– Ja, das muss man wirklich, sagte der Theologe, der verheiratet war; -denn es ist nicht Natur, dass der Mensch unzüchtig sein soll. - -Der Vater sagte, er wisse wohl, dass nur der Verkehr mit einer Frau -helfen könne, aber er wolle seinem Sohn nicht solchen Rat geben, denn er -könne sich dabei eine Krankheit holen. - -– Dann ist er ein Esel, wenn er sich nicht in acht nehmen kann, -antwortete der Arzt. - -Der Dekan ersuchte, ein so aufregendes Gespräch an einem Ort zu führen, -der besser dazu geeignet sei. Hinzuzufügen habe er nichts. - -Und dabei blieb es. - -Da Theodor Oberklasse war, wurde die Sache totgeschwiegen. Nach einigen -Jahren machte er das zweite theologische Examen und wurde nach Spaa -geschickt. Das Chinin, das er eingenommen, hatte sich in die Knie -gesetzt, und er musste zwischen zwei Stöcken gehen. In Spaa erschreckte -er sogar Kranke mit seinem furchtbaren Aussehen. - -Aber eine fünfunddreissigjährige unverheiratete Deutsche schien Mitleid -mit dem Unglücklichen gefasst zu haben. Sie sass bei ihm in einer -einsamen Laube im Brunnenpark und sprach über die höchsten Fragen des -Lebens. Sie gehörte zu einer grossen evangelischen Vereinigung, welche -die Sitten verbessern wollte. Sie hatte Prospekte zu Zeitungen und -Zeitschriften, welche die Unsittlichkeit zwischen Unverheirateten -abschaffen, besonders die Prostitution aufheben wollten. - -– Sehen Sie mich an, sagte sie, ich bin fünfunddreissig Jahre alt und -bei voller Gesundheit! Was sprechen die Toren davon, dass die -Unsittlichkeit ein notwendiges Übel ist. Ich habe gewacht und gebetet, -und ich habe einen guten Kampf gekämpft des Herrn Jesu Christi wegen. - -Der junge Geistliche sah sie an, ihren vollen Busen und ihre hohen -Hüften, und dann sah er sich selber an und dachte: - -– Wie verschieden es doch mit Menschen und Menschen in dieser Welt -bestellt ist! - -Im Herbst waren Prediger Theodor Wennerström und die tugendsame Jungfrau -Sophia Leidschütz verlobt. - -– Gerettet, seufzte der Vater, als er die Nachricht in seinem Haus zu -Stockholm empfing. - -– Wollen sehen, wie es geht, dachte der Bruder in seiner Kaserne. Wenn -mein lieber Theodor nur nicht einer „jener Asra ist, die sterben, wenn -sie lieben“. - -Theodor Wennerström verheiratete sich. Neun Monate später brachte seine -Frau einen rachitischen Sohn zur Welt. Dreizehn Monate darauf war -Theodor Wennerström tot. - -Der Arzt, der den Totenschein ausstellte, schüttelte den Kopf, als er -die üppige hochgewachsene Frau weinend an dem kleinen Sarg stehen sah, -in dem das Skelett des zwanzigjährigen jungen Mannes ruhte. - -– Das Plus war zu gross und das Minus zu klein, dachte er; darum ass das -Plus das Minus auf. - -Aber der Vater, der die Todesnachricht an einem Sonntag empfing, setzte -sich hin, um eine Predigt zu lesen. Als er die beendet, dachte er: - -– Die Welt muss sehr verkehrt sein, wenn die Tugendhaften solch einen -Lohn erhalten. - -Und die tugendsame Witwe, geborene Leidschütz, verheiratete sich noch -zwei Male und bekam acht Kinder; schrieb Aufsätze über Überbevölkerung -und Unsittlichkeit. Aber der Schwager sagte, sie sei eine verfluchte -Frau, die ihren Männern das Leben nehme. - -Aber der nicht tugendhafte Leutnant verheiratete sich und bekam sechs -Kinder, wurde Major und war glücklich bis ans Ende seiner Tage. - - - - - Liebe und Brot - - -Der Assistent hatte nicht daran gedacht, nach dem Stand der -Getreidepreise zu sehen, als er zum Major hinausfuhr, um zu freien; aber -der Major hatte nachgesehen. - -– Ich liebe sie, sagte der Assistent. - -– Wieviel verdienst du? fragte der Alte. - -– Zwölfhundert Kronen allerdings nur, aber wir lieben einander ... - -– Das geht mich nichts an; zwölfhundert ist zu wenig. - -– Und dann habe ich noch eine besondere Einnahme, und Luise kennt mein -Herz ... - -– Schwatz keinen Unsinn! Wie gross ist die besondere Einnahme? - -– Wir haben uns zum ersten Mal getroffen auf ... - -– Wie gross ist die besondere Einnahme? - -Und er setzte den Bleistift an. - -– Und meine Gefühle ... - -– Wie gross ist die besondere Einnahme? - -Und er zeichnete Krähenfüsse auf dem Löschpapier. - -– Oh, es wird schon werden, wenn man nur ... - -– Willst du mir antworten oder willst du nicht? Wie gross ist deine -besondere Einnahme? Zahlen! Zahlen! Tatsachen! - -– Ich habe Übersetzungen für zehn Kronen den Bogen, ich habe Schüler im -Französischen, ich habe Zusagen für Korrekturlesen ... - -– Zusagen sind keine Tatsachen! Zahlen, Junge, Zahlen! So, jetzt -schreibe ich. Was hast du für eine Übersetzung? - -– Was ich für eine Übersetzung habe? Das kann ich nicht so vom Fleck weg -sagen. - -– Das kannst du nicht so vom Fleck weg sagen? Du hast doch eine -Übersetzung, sagst du: kannst du nicht sagen, was das für eine ist? Was -ist das für ein Geschwätz? - -– Ich habe Guizot, Geschichte der Kultur, fünfundzwanzig Bogen. - -– Zu je zehn Kronen, gleich 250 Kronen. Und dann? - -– Dann? Das weiss man doch nicht vorher! - -– Ei ei, weiss man das nicht vorher? Aber das gerade soll man vorher -wissen! Du glaubst, Heiraten ist nur Zusammenziehen und Spielen! Nein, -mein Junge, in neun Monaten kommt ein Kind, und Kinder müssen Essen und -Kleider haben! - -– Es muss doch nicht sofort ein Kind kommen, wenn man einander liebt, -_wie wir_ uns lieben. - -– Wie zum Teufel liebt ihr euch denn? - -– _Wie wir_ uns lieben! - -Er legte die Hand auf den Aufschlag seiner Weste. - -– Kommt kein Kind, wenn man einander liebt wie ihr! Bist du verrückt? -Doch du sollst ein ordentlicher Mensch sein, und darum darfst du dich -verloben; aber benutze deine Verlobungszeit, um dir Brot zu schaffen, -denn es nahen schwere Zeiten: das Getreide steigt! - -Der Assistent wurde ganz rot im Gesicht, als er die Schlussworte hörte, -aber die Freude, sie zu bekommen, war so gross, dass er dem Alten die -Hand küsste. Und Gott im Himmel, wie glücklich war er! Als sie zum -ersten Male Arm in Arm die Strasse hinunterzogen, ging ein Leuchten von -ihnen aus; und es war ihnen, als blieben die Menschen auf dem Trottoir -stehen und bildeten Reihen, um ihnen auf ihrem Triumphzug das -Ehrengeleit zu geben; und sie gingen dahin mit stolzen Blicken, -hocherhobenen Kopfes und federnden Schrittes. - -Und abends kam er zu ihr; und sie setzten sich mitten in den Saal und -lasen Korrektur; sie las die Gegenkorrektur. Und der Alte dachte, das -ist ein tüchtiger Kerl. Und als sie fertig waren, sagte er: Jetzt haben -wir drei Kronen verdient! Und dann küssten sie sich. Und am nächsten -Abend waren sie im Theater und fuhren nach Haus und das kostete zwölf -Kronen. - -Zuweilen, wenn er abends Unterricht geben sollte, liess er – was tut man -nicht für die Liebe – die Stunde ausfallen und kam zu ihr. Und dann -gingen sie spazieren. - -Aber die Hochzeit rückte näher. Da hatte man etwas anderes zu tun. Sie -sahen sich Möbel an. Mit dem Wichtigsten mussten sie beginnen. Luise -wollte nicht dabei sein, wenn er das Bett kaufte, aber dann ging sie -doch mit. Sie wollten zwei Betten haben, natürlich; die sollten -nebeneinander stehen, damit sie nicht so viele Kinder kriegten, -natürlich. Und Nussbaum musste es sein, jedes einzige Stück, echt -Nussbaum. Und dann wollten sie rotgestreifte Matratzen mit Sprungfedern -haben und mit Federn gestopfte Langkissen. Und jeder seine eigene Decke, -aber gleiche natürlich, und Luise wollte ihre blau haben, denn sie war -blond. - -Dann gingen sie ins erste Warenhaus. Vor allem natürlich eine rote Ampel -für die Schlafstube und eine Venus aus Biskuit. Und dann das -Tischservice: sechs Dutzend Gläser von jeder Sorte mit geschliffenen -Ecken; und dann Messer und Gabeln, gerieft und gezeichnet. Und -schliesslich die Kücheneinrichtung. Da aber musste Mama mitgehen. - -Und wieviel er zu tun hatte! Wechsel akzeptieren, zu Banken laufen, -Handwerker suchen, Wohnung finden, Gardinen anbringen. Und er kriegte -alles fertig. Seine Arbeit musste er allerdings liegen lassen; aber wenn -er nur erst verheiratet wäre, dann würde er sie schon wieder aufnehmen! - -Sie wollten nur zwei Zimmer haben, für den Anfang, sie wollten ja so -verständig sein! Da man aber nur zwei Zimmer hatte, so konnte man sie -wenigstens gut einrichten. Und er mietete zwei Zimmer mit Küche eine -Treppe hoch in der Regierungsstrasse für sechshundert Kronen. Und als -Luise bemerkte, sie hätten ebensogut drei Zimmer mit Küche vier Treppen -hoch für fünfhundert Kronen haben können, wurde er etwas verlegen; aber -was tut das, wenn man einander nur liebt. Ja, das meinte Luise auch, -aber man könne sich in drei Zimmern für niedrigere Miete ebenso lieb -haben als in vier für höhere. Ja, er sei dumm, das wisse er, aber das -mache nichts aus, wenn man einander nur liebe. - -Die Zimmer waren in Ordnung. Und die Schlafstube war wie ein kleiner -Tempel. Und die beiden Betten standen nebeneinander wie zwei Equipagen. -Und die Sonne schien auf die blaue Decke und die weissen, weissen Laken -und auf die kleinen Kopfkissen, die von einer unverheirateten Tante mit -Namen bestickt waren; es waren grosse blumige Buchstaben, die sich in -einer einzigen Umarmung umschlangen und sich hier und dort küssten, wenn -sie einander an den Ecken trafen. Und die junge Frau hatte ihren kleinen -Alkoven für sich, vor dem ein japanischer Schirm stand. Und im Salon, -der Esssaal, Arbeitszimmer und Wohnstube zugleich war, stand ihr Klavier -(das zwölfhundert Kronen gekostet), stand sein Schreibtisch mit zehn -Fächern („Nussbaum jedes einzige Stück“), standen die Pfeilerspiegel aus -lauter Glas, Sessel, Büfett, Esstisch. „Es sieht aus, als wohnten -vornehme Leute in dem Zimmer“; und sie konnten nicht verstehen, was man -mit einem Esssaal machen sollte, der mit seinen Rohrstühlen immer -ungemütlich war. - -Und an einem Sonnabend war die Hochzeit! Und am Sonntagmorgen! Hei, -welches Leben! Ist es nicht schön, verheiratet zu sein! Ist nicht die -Ehe eine herrliche Erfindung! Man darf ja ganz tun, was man will, und -dann kommen Eltern und Geschwister und gratulieren einem noch obendrein! - -Die Schlafstube ist um neun Uhr morgens noch dunkel. Er will nicht die -Läden öffnen, um das Tageslicht hereinzulassen, sondern steckt noch ein -Mal die rote Ampel an, und die wirft ihren zauberischen Schein über die -blaue Decke und die weissen Laken, die etwas zerknittert sind, und die -Biskuit-Venus steht dort rosenrot und ohne Scham. Und dort liegt das -Frauchen, so seelisch zerknirscht, aber so ausgeschlafen, als habe sie -die erste Nacht ihres Lebens geschlafen. Und auf der Strasse rollen -heute keine Wagen, denn es ist Sonntag, und die Glocken läuten zum -ersten Male, so jubelnd, so hurtig, als riefen sie die ganze Welt -zusammen, um den, der Mann und Weib geschaffen, zu loben und zu preisen. -Und er flüstert der kleinen Frau ins Ohr, sie möge sich abwenden, denn -er wolle hinausgehen und das Frühstück bestellen. Und sie steckt den -Kopf in die Kissen. Und er schlüpft in den Schlafrock und geht hinter -den Schirm, um sich einige Kleider anzuziehen. - -Und dann kommt er in den Salon hinaus, und die Sonne hat eine grosse -strahlende Bahn auf den Boden geworfen; und er weiss nicht, ob es -Frühling, Sommer, Herbst oder Winter ist; er weiss nur, dass es Sonntag -ist! Und er fühlt, wie seine Junggesellenzeit als etwas Garstiges und -Dunkles entweicht, und in seiner Häuslichkeit spürt er einen Hauch vom -alten Elternhaus und zugleich vom Heim seiner künftigen Kinder. - -Hei, wie stark er ist! Die Zukunft empfindet er wie einen Berg, der ihm -entgegen kommt! Er wird ihn anblasen und der Berg wird einstürzen wie -Sand vor seinen Füssen; er wird über Schornsteine und Dachfirste -dahinfliegen mit seinem Frauchen im Arm. - -Und er liest seine Kleider zusammen, die er im Zimmer verstreut hat; und -das weisse Halstuch findet er an einem Bilderrahmen: dort sitzt es wie -ein weisser Schmetterling. - -Und dann geht er in die Küche hinaus. Wie das neue Kupfer glänzt, wie -die neuverzinnten Kasserollen leuchten! Das gehört ihm und ihr! Und er -weckt das Mädchen, das im Unterrock aus ihrer Kammer kommt. Und er -wundert sich, dass er ihre nackte Brust nicht sieht: sie ist -geschlechtslos für ihn! Denn für ihn gibt es nur noch eine Frau! Er -fühlt sich keusch wie ein Vater vor seinem Kind. Er gibt ihr den -Auftrag, ins Restaurant hinunter zu gehen und ein Frühstück zu -bestellen, sofort, aber brillant soll es sein. Porter und Burgunder! Der -Wirt weiss schon Bescheid. Grüssen Sie nur von mir. - -Und er geht an die Tür zum Schlafzimmer und klopft. - -– Darf ich hereinkommen? - -Ein leichter Aufschrei: - -– Nein, Liebster, warte ein wenig! - -Und dann deckt er selber. Als das Frühstück kommt, tischt er es auf -ihren neuen Tellern auf. Und dann legt er die Servietten kunstgerecht -zusammen. Und dann wischt er die Weingläser aus. Und dann stellt er das -Brautbukett in ein Glas vor ihr Kuvert. - -Als sie schliesslich in ihrem gestickten Morgenrock aus dem Schlafzimmer -tritt, und die Sonne sie blendet, bekommt sie einen kleinen -Ohnmachtsanfall, nur einen kleinen: er muss sie in den Sessel vorm -Frühstückstisch setzen. Und sie muss einen kleinen Kümmelschnaps aus -einem Likörgläschen trinken und dann ein Kaviarbrötchen essen. - -– Oh, wie nett! Man kann ja machen, was man will, wenn man verheiratet -ist! Was würde Mama sagen, wenn sie ihre Luise trinken sähe. - -Und er tischt ihr auf und bedient sie, ganz als wäre sie noch seine -Braut. Welches Frühstück nach einer solchen Nacht! Und niemand hat ein -Recht, „etwas zu sagen“. Und es ist schön und gut, und man amüsiert sich -mit dem allerschönsten Gewissen, und das ist das Beste von allem. Er hat -wohl schon solch ein Frühstück genossen, aber welch ein himmelweiter -Unterschied! Unruhe, Unlust hatte er damals empfunden: er wollte nicht -mehr daran denken! Und als er nach den Austern ein Glas echten -schwedischen Porter trinkt, kann er alle Junggesellen nicht genug -verachten. - -– Wie dumm die Menschen sind, die sich nicht verheiraten! Solche -Egoisten! Man müsste sie besteuern wie Hunde! - -Aber seine Frau wagt einzuwenden, so freundlich und bescheiden wie -möglich: - -– Es ist doch wohl schade um die armen Männer, dass sie nicht alle die -Mittel haben, sich zu verheiraten, denn hätten sie die Mittel, würden -sich wohl alle verheiraten! - -Der Assistent fühlt einen Stich im Herzen und einen Augenblick wird ihm -bange, als sei er zu übermütig gewesen. Sein ganzes Glück ruhte ja auf -einer wirtschaftlichen Frage, und wenn, wenn ... Pah! Ein Glas -Burgunder! Jetzt sollte gearbeitet werden! Sie würden schon sehen! - -Und dann kommt ein gebratenes Birkhuhn mit Preiselbeeren und Gurken. Die -junge Frau wird etwas bestürzt, aber es ist ja so nett. - -– Lieber Ludwig, und sie legt ihr zitterndes Händchen auf seinen -Oberarm, haben wir denn die Mittel dazu? - -Sie sagt glücklicherweise „wir“! - -– Pah, ein Mal ist kein Mal! Später können wir Kartoffeln und Hering -essen! - -– Isst du Kartoffel und Hering? - -– Ich glaube, ja! - -– Wenn du gekneipt hast und ein Beefsteak hinterher bekommst! - -– Nicht schwatzen! Nein, Gesundheit! Das ist ein ausgezeichnetes -Birkhuhn! Und dann Artischocken! - -– Nein, aber du bist ja ganz verrückt, Ludwig! Artischocken, zu dieser -Jahreszeit? Was müssen die kosten! - -– Kosten? Sind sie nicht gut? Nun, das ist die Hauptsache. Und dann -Wein! Mehr Wein! Findest du nicht, dass das Leben schön ist! Oh, es ist -herrlich, herrlich! - -Am Nachmittag um sechs Uhr stand eine Kalesche vor der Tür. Die junge -Frau wäre beinahe böse geworden. Aber wie schön war es, so auf dem -Rücksitz neben einander halb zu liegen und langsam nach dem Tiergarten -zu schaukeln. - -– Das ist ja ganz wie im selben Bett liegen, flüsterte Ludwig. - -Sie schlug ihn mit dem Sonnenschirm auf die Finger. - -Bekannte blieben auf dem Trottoir stehen und grüssten. Kameraden winkten -mit der Hand, als sagten sie: - -– Haha, du Schelm, du hast Geld bekommen! - -Und wie klein die Menschen dort unten aussehen, wie glatt die Strasse -war, wie leicht die Fahrt auf Federn und Polstern ging. - -So müsste es immer sein! - - * * * * * - -Es dauerte einen ganzen Monat! Bälle, Besuche, Diners, Soupers, Theater. -Aber dazwischen waren sie zu Hause. Da war es doch am besten! Wie -herrlich, nach einem Souper seine Frau ihrem Papa und ihrer Mama -fortzunehmen, gerade vor der Nase fortzunehmen, sie in einen -geschlossenen Wagen zu setzen, die Tür zuzuwerfen, den Eltern zuzunicken -und zu sagen: - -– Jetzt fahren wir nach Haus zu uns! Und dort machen wir, was uns -gefällt. - -Und dann zu Hause einen kleinen Nachtschmaus einzunehmen und bis gegen -Morgen dabei zu sitzen und zu plaudern! - -Und zu Hause war Ludwig immer verständig. Wenigstens im Prinzip. Eines -Tages wollte seine Frau ihn mit gesalzenem Lachs und Milchkartoffeln und -Hafersuppe auf die Probe stellen. Oh, wie gut das schmeckte! Er habe die -verwünschte Speisekarte satt. - -Am nächsten Freitag, als es wieder gesalzenen Lachs geben sollte, kam -Ludwig mit zwei Schneehühnern nach Haus! Er blieb in der Tür stehen und -schrie: - -– Kannst du dir denken, Luise, kannst du dir etwas so Unerhörtes denken? - -– Nein, was denn? - -– Du wirst es nicht glauben, wenn ich dir sage, dass ich ein Paar -Schneehühner gekauft habe, selbst auf dem Markt gekauft habe, für – -rate! - -Seine Frau sah eher verstimmt als neugierig aus. - -– Denk dir, eine Krone das Paar! - -– Ich habe Schneehühner schon für achtzig Pfennige das Paar gekauft; -aber (fügte sie versöhnend hinzu, um ihren Mann nicht ganz aus der -Fassung zu bringen) es gab viel Schnee in jenem Winter! - -– Ja, aber du musst doch jedenfalls zugeben, dass es billig ist. - -Was würde sie nicht zugeben, um ihn froh zu sehen! - -Abends aber hatten sie Grütze auf dem Tisch, um eine Probe zu machen. -Nachdem Ludwig jedoch ein Schneehuhn gegessen hatte, bedauerte er sehr, -dass er nun nicht mehr so viel Grütze zu essen vermöchte, wie er gern -_gewollt_ hätte, um ihr zu zeigen, dass er wirklich Grütze essen wolle. -Und Grütze esse er gern, aber Milch sei ihm kaum möglich, nachdem er -kaltes Fieber gehabt. Er könne Milch nicht hinunterbringen, aber Grütze -wolle er jeden Abend essen, jeden einzigen Abend, damit sie nur nicht -böse auf ihn werde. - -Seitdem gab es nie mehr Grütze! - -Als sechs Wochen vergangen waren, wurde die junge Frau krank. Sie hatte -Kopfschmerzen und musste brechen. Es könne nur eine leichte Erkältung -sein. Aber das Erbrechen hörte nicht auf. Hm! Konnte sie etwas Giftiges -gegessen haben? War nicht das Kupfer neu verzinnt? Der Arzt wurde -geholt. Er lächelte und sagte, es sei, wie es sein solle. - -– Was ist, wie es sein soll? Etwas Tolles? Ach Unsinn! Das ist nicht -möglich. Wie soll das möglich sein können? Nein, das sind die Tapeten in -der Schlafstube; sicher ist Arsenik darin. Schicken wir sofort ein Stück -nach der Apotheke zur Untersuchung! - -Arsenikfrei, schrieb der Apotheker. - -– Das ist doch merkwürdig! Kein Arsenik in den Tapeten? - -Die junge Frau war noch immer krank. Er las in einem medizinischen Buch -nach, und dann sagte er seiner Frau eine Frage ins Ohr. - -– Siehst du, da haben wirs! Nur ein warmes Fussbad! - -Vier Wochen später erklärte die Hebamme, alles sei, „wie es sein solle“. - -– Wie es sein soll? Ja, natürlich, aber das kommt etwas schnell! - -Da es nun einmal so war, oh wie schön das werden würde! Man denke nur, -ein Kind! Hurrah! Sie sollten Papa und Mama werden! Wie sollte er -heissen? Denn es musste ein Junge sein. Das war klar! - -Jetzt aber nahm sie ihren Mann vor und sprach ernst mit ihm! Er hatte -weder eine Übersetzung noch eine Korrektur gemacht, seit sie sich -verheiratet hatten. Und der blosse Gehalt reichte nicht. - -– Ja, man hat in Saus und Braus gelebt. Herr Gott, man ist eben nur ein -Mal jung! Jetzt aber soll es anders werden! - -Am nächsten Tag ging der Assistent zu seinem alten Freund, dem Aktuar, -um dessen Bürgschaft für ein Darlehen zu erbitten. - -– Wenn man im Begriff ist, Vater zu werden, siehst du, lieber Freund, -muss man an die Ausgaben denken. - -– Ganz mein Gedanke, lieber Freund, antwortete der Aktuar; darum habe -ich nicht die Mittel gehabt mich zu verheiraten. Aber du bist so -glücklich, die Mittel zu haben! - -Der Assistent schämte sich, die Bürgschaft zu verlangen. Wie konnte er -die Stirn haben, diesen Junggesellen zu bitten, ihm für sein Kind zu -helfen? Diesen Junggesellen, der selber nicht die Mittel hatte, sich -Kinder zu leisten! Nein, das konnte er nicht. - -Als er zum Mittagessen nach Haus kam, erzählte seine Frau, es seien zwei -Herren dagewesen, um ihn zu sprechen. - -– Wie sahen sie aus? Waren sie jung? Trugen sie Gläser? Dann waren es -bestimmt zwei Leutnants, alte gute Freunde aus dem Badeort Waxholm. - -– Nein, es waren keine Leutnants; sie sahen älter aus! - -– Dann weiss ich! Das waren alte Freunde von der Universität Uppsala, -wahrscheinlich der Dozent P. und der Hilfsprediger O. Die wollten einmal -nachsehen, wie ihr alter Ludwig als Ehemann ausschaut. - -– Nein, sie waren nicht aus Uppsala, sie waren aus Stockholm! - -Das Mädchen wurde hereingerufen. Sie meinte, die Leute hätten schäbig -ausgesehen und Stöcke getragen. - -– Stöcke! Hm! ich kann nicht verstehen, was das für Leute gewesen sind. -Nun, das wird man schon früh genug erfahren; sie wollten ja -wiederkommen. Übrigens habe ich zufällig eine Kanne Gartenerdbeeren -gefunden zu einem wirklichen Schleuderpreis; ja es ist beinahe -lächerlich! Kannst du dir denken, Gartenerdbeeren für einsfünfzig die -Kanne, in dieser Jahreszeit! - -– Ludwig, Ludwig, wohin soll das führen? - -– Es wird ausgezeichnet gehen. Heute habe ich eine Übersetzung bekommen. - -– Aber du hast Schulden, Ludwig! - -– Kleinigkeiten! Kleinigkeiten! Warte nur, wenn ich meine grosse Anleihe -mache. - -– Deine Anleihe! Das wird ja eine neue Schuld! - -– Ja, aber auf was für Bedingungen! Sprechen wir jetzt aber nicht von -Geschäften! Sind die Erdbeeren nicht gut? Was? Wird es nicht schmecken, -darauf ein Glas Sherry zu trinken? Was? Lina, geh zum Kaufmann hinunter -und hol eine Flasche Sherry, echten Sherry! - -Nachdem er auf dem Sofa im Salon ein Mittagsschläfchen gehalten hatte, -bat seine Frau, ihm ein Wort sagen zu dürfen. - -– Aber du musst nicht böse werden! - -– Böse? Ich! Gott bewahre! Es ist wohl das Haushaltungsgeld? - -– Ja! Der Kaufmann ist nicht bezahlt! Der Schlächter drängt, der -Mietskutscher läuft einem ins Haus; mit einem Wort, es ist peinlich! - -– Weiter nichts? Sie werden morgen jeden Schilling bekommen! Wie -unverschämt, wegen solcher Kleinigkeiten zu drängen! Sie werden morgen -jeden Schilling erhalten, aber einen Kunden verlieren. Jetzt wollen wir -aber nicht mehr von dieser Sache sprechen. Sondern spazieren gehen. Kein -Wagen! Wir fahren mit der Strassenbahn nach dem Tiergarten und -erfrischen uns ein wenig. - -Und sie fuhren in den Tiergarten. Als sie ins Restaurant gingen und ein -besonderes Zimmer nahmen, flüsterten die jungen Herren im grossen Saal. - -– Man glaubt, wir seien auf Abenteuer aus. Wie lustig! Wie verrückt. - -Seiner Frau aber war es nicht angenehm. - -Und nachher die Rechnung! - -– Wenn wir zu Hause geblieben wären, was hätten wir für das Geld nicht -alles haben können! - - * * * * * - -Monate vergehen! Die Zeit nähert sich! Eine Wiege muss angeschafft -werden und Kinderkleider. Und es muss so vieles angeschafft werden! Herr -Ludwig ist den ganzen Tag in Geschäften unterwegs. Aber das Getreide ist -gestiegen. Die harten Zeiten kommen! Keine Übersetzung, keine Korrektur. -Die Menschen sind Materialisten geworden. Sie lesen keine Bücher mehr, -sondern kaufen Essen für ihr Geld. In welch prosaischer Zeit man lebt! -Die Ideale verschwinden aus dem Leben und die Schneehühner werden nicht -unter zwei Kronen das Paar verkauft. Die Mietskutscher wollen -Assistenten nicht mehr umsonst nach dem Tiergarten fahren, denn sie -haben auch Weib und Kind; und sogar der Kaufmann will sich seine Waren -bezahlen lassen. O, welche Realisten! - -Der Tag kommt und die Nacht ist da! Er muss sich anziehen und nach der -Hebamme laufen! Vom Krankenbett muss er in den Flur hinaus, um Gläubiger -zu empfangen. - -Schliesslich hat er seine Tochter in den Armen! Da weint er, denn er -fühlt die Verantwortung, eine Verantwortung, die schwerer ist, als seine -Kraft zu tragen vermag. Und er fasst neue Vorsätze. Aber seine Nerven -sind ruiniert. Er hat eine Übersetzung erhalten, aber er kann nicht -dabei bleiben, denn er muss immerzu in Geschäften ausgehen. - -Er stürzt zum Schwiegervater, der nach der Stadt gekommen ist, und -bringt ihm die frohe Neuigkeit. - -– Ich bin Vater! - -– Gut, sagt der Schwiegervater. Hast du Brot für das Kind? - -– Nein, augenblicklich nicht. Du musst helfen, Schwiegervater! - -– Ja, für den Augenblick! Aber dann nicht mehr. Ich besitze nicht mehr, -als sie und die anderen Kinder brauchen! - -Und jetzt muss die junge Frau Hühner haben, die er selbst auf dem Markt -kauft, und Johannisberger für sechs Kronen die Flasche. Echt muss es -sein! - -Und dann muss die Hebamme hundert Kronen haben. - -– Warum sollten wir weniger als andere geben? Hat der Hauptmann nicht -hundert gegeben? - -Bald ist die junge Frau wieder auf den Beinen. Sie ist wieder wie ein -Mädchen geworden, schmal um die Taille wie eine Gerte, etwas blass -allerdings, aber das kleidet sie. - -Der Schwiegervater kommt und spricht mit Ludwig unter vier Augen. - -– Nun kommst du vorläufig aber nicht mit mehr Kindern, sagt er; sonst -bist du ruiniert. - -– Welche Sprache von einem Vater! Man ist doch verheiratet! Liebt man -einander nicht! Soll man keine Kinder haben? - -– Doch, aber man muss auch Brot für die Kinder haben! Lieben, das -möchten wohl alle jungen Menschen, spielen, ins Bett kriechen, sich -belustigen; aber die Verantwortung! - -– Der Schwiegervater ist auch Materialist geworden. O welch eine -erbärmliche Zeit. Keine ideale mehr! - -Das Haus war unterminiert. Die Liebe lebte, denn die war stark, und die -Herzen des jungen Paares waren weich. Aber der Gerichtsvollzieher war -nicht weich. Pfändung stand bevor und Konkurs drohte. Dann lieber noch -Pfändung! - -Der Schwiegervater kam mit einem grossen Reisewagen, um seine Tochter -und seine Enkelin abzuholen. Dem Eidam verbot er, sich zu zeigen, bevor -er Brot habe und seine Schulden bezahlen könne. Zu seiner Tochter sagte -er nichts; als er sie aber nach Haus brachte, war es ihm, als bringe er -eine Verführte zurück. Er hatte sein unschuldiges Kind einem jungen -Herrn auf ein Jahr ausgeliehen, und nun erhielt er es „entehrt“ zurück. -Sie wäre wohl gern bei ihrem Mann geblieben, aber sie konnte mit ihrem -Kinde doch nicht auf der Strasse wohnen! - -So musste Herr Ludwig allein zurückbleiben, um zu sehen, wie seine -Häuslichkeit geplündert wurde. Aber es war ja nicht seine, da er sie -nicht bezahlt hatte. Huh! Die beiden Herren mit Gläsern nahmen die -Betten und das Bettzeug; sie nahmen die kupfernen Kasserollen und die -blechernen Gefässe; Tischservice und Kronen und Leuchter: alles, alles! - -Und als er dann allein in den beiden Zimmern stand, o wie leer, wie -jammervoll! Wenn er nur sie noch gehabt hätte! Was aber sollte sie hier -in den leeren Zimmern machen! Nein, dann war es noch besser, wie es war. -Ihr selber ging es ja gut! - -Nun begann der bittere Ernst des Lebens! Er fand eine Stelle bei einer -Morgenzeitung als Korrektor. Um Mitternacht musste er auf der Redaktion -sein, um drei Uhr konnte er wieder gehen. Auf seinem Amt konnte er -bleiben, da es nicht zum Konkurs gekommen war, aber mit der Beförderung -war es vorbei! - -Schliesslich wurde ihm erlaubt, ein Mal in der Woche Weib und Kind zu -besuchen, aber immer unter Bewachung. Und er musste in der Nacht zum -Sonntag in einer Kammer schlafen, die neben der Schlafstube des -Schwiegervaters lag. Am Sonntagabend musste er wieder in die Stadt, denn -die Zeitung erschien auch am Montag. - -Wenn er dann Abschied von Weib und Kind nimmt, die ihn bis an die -Gartentür begleiten dürfen, denen er vom letzten Hügel noch ein Mal -zuwinkt, dann fühlt er sich so elendiglich, so unglücklich, so -gedemütigt. Und sie erst! - -Er hat ausgerechnet, dass er zwanzig Jahre braucht um seine Schulden zu -bezahlen! Und dann? Dann kann er doch nicht Weib und Kind versorgen. -Aber seine Hoffnung? Nichts! Wenn der Schwiegervater stirbt, stehen -seine Frau und sein Kind auf der Strasse; er wagt also nicht, ihrer -einzigen Stütze den Tod zu wünschen. - -O wie grausam ist das Leben, das den Menschenkindern kein Essen schaffen -kann, während es doch allen anderen Geschöpfen Nahrung umsonst gibt. - -O wie grausam, wie grausam! Dass das Leben nicht allen Menschen -Erdbeeren und Schneehühner geben kann! Wie grausam, wie grausam! - - - - - Musste - - -Punkt halb neun Uhr abends im Winter steht er in der Tür zur Glasveranda -des Restaurants. Während er mit mathematischer Genauigkeit die -Kastorhandschuhe auszieht, guckt er über die angelaufenen Gläser erst -nach rechts, dann nach links, ob Bekannte da sind. Dann hängt er den -Überrock an seinen Haken, den rechts vom Kamin. Der Kellner Gustav, der -ein Schüler des Lehrers gewesen ist, hat, ohne eine Ordre abzuwarten, -die Brotkrumen von _dessen_ Tisch gefegt, die Senfdose umgerührt, das -Salzfass geharkt und die Serviette umgedreht. Darauf holt er, ohne dass -es ihm erst gesagt zu werden braucht, eine Flasche Medhamra, macht eine -halbe Flasche Vereinsbier auf, überreicht dem Lehrer, nur des Scheins -wegen, die Speisekarte und fragt, mehr der Form wegen als um zu fragen: - -– Krebse? - -– Weibliche Krebse! sagt der Lehrer. - -– Grosse weibliche Krebse, sagt Gustav, geht nach der Küchenklappe und -ruft: Grosse weibliche Krebse, für den Herrn Lehrer, und viel Dill! - -Dann holt er eine Garnitur Butter und Käse, schneidet zwei Scheiben -Pumpernickel und stellt alles auf den Tisch des Lehrers. Der hat in der -Veranda eine Razzia nach den Abendzeitungen gehalten, aber nur die -offizielle „Postzeitung“ gefunden. Zum Ersatz nimmt er das „Tageblatt“, -mit dem er mittags nicht fertig geworden ist, und setzt sich hin, um es -zu lesen, nachdem er die Postzeitung aufgeschlagen, umgefaltet und links -neben sich auf den Brotkorb gelegt hat. Dann streicht er mit dem Messer -einige geometrische Butterfiguren auf den Pumpernickel, schneidet aus -dem Schweizerkäse ein Rechteck, giesst den Schnaps zu drei Vierteln ein -und führt ihn bis zur Höhe des Mundes: dort macht er eine Pause, als -zögere er vor einer Medizin, wirft den Kopf zurück und sagt huh! - -Das hat er nun zwölf Jahre getan und wird es tun bis zu seinem -Sterbetage. - -Als die Krebse, sechs Stück, angelangt sind, untersucht er deren -Geschlecht, und da nichts einzuwenden ist, geht er an den genussreichen -Akt. Die Serviette wird mit der einen Ecke hinter den Kragen gesteckt, -zwei Brotscheiben mit Käse werden neben den Teller bereit gestellt, und -er giesst sich ein Glas Bier und einen halben Schnaps ein. Darauf nimmt -er das kleine Krebsmesser und beginnt die Schlacht. Nur er allein kann -in Schweden Krebse essen, und wenn er einen andern Krebse essen sieht, -sagt er: Du kannst nicht Krebse essen. Zuerst macht er einen Schnitt um -den Kopf des Krebses, und nachdem er das Loch für den Mund bekommen hat, -saugt er. - -– Das ist das Feinste, sagt er. - -Dann löst er den Thorax vom Untergestell, ritzt Blutadler, wie er es -nennt, setzt die Zähne an den Rumpf und saugt mit tiefen Zügen; darauf -schlürft er die kleinen Beine wie Spargel. Dann isst er eine Prise Dill, -trinkt einen Schluck Bier, beisst in den Pumpernickel. Nachdem er die -Klauen genau geschält und die feinsten Kalkröhren ausgesogen hat, -verzehrt er das Fleisch, um dann zum Schwanz überzugehen. Als er drei -Krebse gegessen hat, nimmt er einen halben Schnaps und liest die -Ernennungen in der Postzeitung. So hat er es zwölf Jahre gemacht und so -wird er es immer machen. - -Er war zwanzig Jahre alt, als er in diesem Lokal zu essen anfing, jetzt -ist er zweiunddreissig, und Gustav ist zehn Jahre Kellner hier! Der -Lehrer ist der Älteste hier, er ist älter als der Wirt, denn der hat den -Betrieb erst seit acht Jahren! Er hat viele Reihen von Mittagsgästen -gesehen; einige hielten ein Jahr, zwei Jahre, fünf Jahre aus; dann -verschwanden sie, gingen nach einem andern Lokal, zogen nach einem -andern Ort, oder verheirateten sich. Er fühlte sich sehr alt, und doch -zählte er nur zweiunddreissig Jahre! Dies ist sein Heim, denn in seinem -möblierten Zimmer schläft er nur. - -Die Uhr wird zehn. Da erhebt er sich und geht in den kleinen Saal, wo -sein Grog auf ihn wartet. Jetzt kommt der Buchhändler. Sie spielen -Schach oder sprechen über Bücher. Um halb elf kommt die zweite Geige vom -Dramatischen Theater. Es ist ein alter Pole, der nach 64 nach Schweden -floh und sich nun sein Leben damit verdienen muss, was ihm früher ein -Vergnügen gewesen. Der Pole und der Buchhändler haben die fünfzig -erreicht, aber sie gedeihen mit dem Lehrer, als sei er vom gleichen -Alter. - -Hinter dem Ladentisch sitzt der Wirt. Er ist ein alter Schiffskapitän, -der sich in die Restauratrice verliebte und beschloss, sein Schicksal -mit dem ihren zu vereinen. Sie herrscht jetzt in der Küche und hält -immer die Klappe offen, um ein Auge auf den Alten zu haben, damit er -sich nicht etwa ein Räuschchen antrinkt, ehe die Gäste gehen. Wenn aber -das Gas gelöscht und das Bett gemacht ist, kriegt der Alte einen Napf -mit Grog von Rum als Schlaftrunk. - -Um elf Uhr beginnen die jungen Herren zu kommen, die vorsichtig an den -Ladentisch herantreten und den Wirt flüsternd fragen, ob eine Treppe -hoch ein „Privatzimmer“ frei sei; und dann hört man das Rauschen von -Röcken, die durch den Flur schlüpfen, um ungesehen die Treppe -hinaufzukommen. - -– Nun, sagt der Buchhändler, der ein Gesprächsthema gratis bekommen hat, -wirst du nicht daran denken, dich fortzupflanzen, alter Blom? - -– Ich habe nicht die Mittel dazu, sagt der Lehrer. Warum verheiratest du -dich nicht selber? - -– Jetzt nimmt mich keine mehr, sagt der Buchhändler, nachdem mein Kopf -einem alten Seehundskoffer gleich geworden ist. Übrigens habe ich ja -meine alte Stafva. - -Stafva war eine mystische Person, an die niemand glaubte. Sie war die -Verkörperung der nicht erfüllten Träume des Buchhändlers. - -– Aber Herr Potocki? wandte der Lehrer ein. - -– Er ist ja verheiratet gewesen; das ist doch genug, sagt der -Buchhändler. - -Der Pole nickt wie ein Taktmesser und sagt: - -– Ja, ich bin glücklich verheiratet gewesen. Huh! - -Und damit trinkt er seinen Grog aus. - -– Ja, sagt der Lehrer, wenn sie nicht solche Gänse wären, diese Frauen, -dann könnte man an die Sache denken; aber es sind verdammte Gänse. - -Der Pole nickt wieder und lächelt, denn als Pole versteht er das Wort -„Gänse“ nicht. - -– Ich bin sehr glücklich verheiratet gewesen – huh! - -– Und dann hat man Kindergeschrei und saure Kleider am Ofen, fuhr der -Lehrer fort, und dann Mägde und Küchengeruch. Nein, danke! Und dann kann -man vielleicht nachts nicht schlafen. - -– Huh! vollendete der Pole. - -– Herr Potocki sagt huh, fiel der Buchhändler ein, mit der gewöhnlichen -Schadenfreude des Junggesellen, der einen Verheirateten sich -unvorteilhaft über die Ehe äussern hört. - -– Was sagte ich? fragte der Witwer erstaunt. - -– Huh, ahmte der Buchhändler ihm nach, und das Gespräch löste sich in -ein gemeinsames Grinsen und eine Tabakswolke auf. - -So wird es zwölf. Das Klavier, das eine Treppe hoch einen gemischten -Chor männlicher und weiblicher Stimmen begleitet hat, schweigt. Der -Kellner hört auf, von der Küchenklappe nach der Veranda zu laufen; der -Wirt trägt in die Kladde die letzten Champagnerflaschen ein, die eine -Treppe hoch bestellt sind; die drei Freunde erheben sich und gehen, -jeder heim zu seinem „keuschen Junggesellenbett“, aber der Buchhändler -heim zu seiner Stafva. - - * * * * * - -Lehrer Blom hatte im Alter von zwanzig Jahren seine Studien auf der -Universität Uppsala unterbrochen und war nach der Hauptstadt Stockholm -gekommen, um als Hilfslehrer sein Brot zu verdienen. Da er ausserdem -noch Privatstunden gab, kam er ganz gut aus. Er verlangte nicht viel vom -Leben. Ordnung und Ruhe war alles. In seinem möblierten Zimmer, das er -von einer alten Mamsell gemietet hatte, fand er mehr, als ein -Junggeselle zu verlangen pflegt; er fand Pflege und Freundlichkeit; all -die Zärtlichkeit, welche die Natur bei dieser Frau für ein neues -Geschlecht aus ihrem Blut bestimmt hatte, fiel ihm gratis zu. Sie -besserte seine Kleider aus und sorgte für ihn. Er hatte aber früh seine -Mutter verloren und war daher nicht gewohnt, dergleichen umsonst zu -bekommen; deshalb nahm er das Geschenk als einen Eingriff in seine -Freiheit hin, nahm es aber an! Die Kneipe war jedoch sein Heim. Dort -bezahlte er für alles und blieb nichts schuldig. - -In einer Provinzstadt des mittleren Schweden geboren, war er ein -Fremdling in Stockholm. Besuchte niemand! Verkehrte nicht in Familien -und traf nur seine Bekannten in der Kneipe, plauderte mit ihnen, -schenkte ihnen aber nicht sein Vertrauen und hatte auch keins zu -verschenken. Da er in der Schule nur in der dritten Klasse -unterrichtete, hatte er ein Gefühl, als sei er im Wachstum -zurückgeblieben. Er hatte ja einmal die dritte Klasse bis zur siebenten -durchgemacht und war Student geworden; nun sass er doch wieder in der -dritten, hatte zwölf Jahre dort gesessen und kam nicht weiter. Er lehrte -das zweite und dritte Buch des Euclid, das war der Kursus der Klasse. -Das ganze Leben zeigte sich also für ihn nur als ein Fragment; als ein -Fragment ohne Anfang oder Ende: das zweite und dritte Buch. In freien -Stunden las er Altertumskunde und Zeitungen. Altertumskunde ist eine -moderne Wissenschaft, eine Krankheit der Zeit, kann man sagen. Und sie -ist gefährlich, denn sie zeigt in den meisten Fällen, dass die -menschliche Albernheit ziemlich konstant gewesen ist. - -In den Zeitungen sah er nur eine Partie Schach; die Politik war für ihn -ein interessantes Spiel – um den König, nichts weiter, denn er war -erzogen wie alle andern: es war für ihn ein Glaube, was in der Welt -geschieht, gehe uns nichts an, dafür sorgten die, denen Gott die Macht -gegeben habe. Diese Art, die Dinge zu sehen, gab seiner Seele eine -grosse und stille Ruhe; er beunruhigte niemanden und wurde von nichts -beunruhigt. Wenn er zuweilen fand, etwas sei besonders töricht, tröstete -er sich damit, dass es eben nicht zu ändern sei! Die Erziehung hatte ihn -zum Egoisten machen müssen, und der Katechismus hatte ihn gelehrt: wenn -jeder seine Pflicht tut, so geht alles gut, was uns auch zustösst. Er -tat seine Pflicht auch musterhaft in der Schule; kam nie zu spät; war -niemals krank. Auch in seinem Privatleben war er ohne Tadel; bezahlte -seine Miete auf den Tag, ass nie auf Kredit und ging zu „Frauen“ ein Mal -in der Woche (er sagte nie, dass er zu „Mädchen“ gehe). Sein Leben zog -dahin wie ein Zug auf blanken Schienen, nach dem Sekundenzeiger, durch -die bestimmten Stationen, und als kluger Mann vermied er jeden -Zusammenstoss. Die Zukunft, an die dachte er nicht, denn ein wahrer -Egoist denkt nicht so weit, aus dem einfachen Grund, weil die Zukunft -sein nicht mehr ist als höchstens zwanzig, dreissig Jahre. - -So verging sein Leben! - - * * * * * - -Es war Mittsommermorgen, strahlend, sonnig, wie er sein soll. Der Lehrer -lag in seinem Bett und las über die Kriegskunst der Egypter, als Mamsell -Auguste mit dem Kaffee herein kam. Sie hatte dem Tage zu Ehren -Safranbrot geschnitten und Fliederblüten auf die Serviette gelegt. Schon -am Abend vorher hatte sie einige Birkenzweige hinter den Ofen gesteckt, -reinen Sand mit einigen Schlüsselblumen in den Spucknapf getan und ein -Glas mit Maiblumen auf den Spiegeltisch gestellt. - -– Nun, werden Sie nicht auch heute eine Vergnügungstour unternehmen, -Herr Blom? fragte die Alte und liess die Augen über die Ausschmückung -schweifen, die sie für die kleine Kammer angewandt hatte, um ein Wort -der Anerkennung oder des Dankes zu erhalten. - -Aber Herr Blom hat die Ausschmückung gar nicht bemerkt, sondern -antwortete ganz trocken: - -– Nein, das wissen Sie doch, Mamsell Auguste, dass ich nie -Vergnügungstouren mache, weil ich von der Menge nicht gestossen noch von -Kindern totgeschrien werden will. - -– Aber an solch einem schönen Mittsommertag kann man doch nicht in der -Stadt bleiben. Wenigstens in den Tiergarten werden Sie doch gehen? - -– Das wäre wohl das letzte für mich, besonders heute, wo alle möglichen -Leute dort sind. Nein, ich habe es hier in der Stadt so gut, und diese -Faxen mit den Feiertagen werden doch einmal ein Ende nehmen. - -– Lieber Herr Blom, wandte die Alte ein, viele Menschen finden, es sind -noch viel zu wenig Feiertage in dem schweren Arbeitsjahr. Wollen Sie mir -aber bitte sagen, ob Sie noch etwas wünschen; meine Schwester und ich -wollen eine Dampferfahrt machen, von der wir nicht vor zehn Uhr abends -zurückkommen? - -– Viel Vergnügen, Mamsell Auguste, ich brauche nichts und sorge schon -selber für mich! Die Portierfrau kann das Zimmer in Ordnung bringen, -wenn ich gegen Mittag ausgehe. - -Und er blieb allein mit seinem Kaffee. Als er getrunken hatte, steckte -er sich eine Zigarre an und blieb im Bett liegen mit seiner ägyptischen -Kriegskunst. Das Fenster, das offen stand, riss an seinem Haken bei -einem schwachen Südwind. Um acht Uhr läutete die nächste Kirche mit -allen ihren Glocken, grossen und kleinen, und die anderen Kirchen von -Stockholm, Katharina, Maria und Jakob, fielen ein; es bimmelte und -bammelte, dass es einen Heiden zur Verzweiflung bringen konnte. Als das -Läuten schwieg, begann ein Kanoniersextett auf der Kommandobrücke eines -Dampfers eine Française aus dem Theaterstück „Die schwache Seite“. Der -Lehrer wand sich auf dem Laken seines Bettsofas und hätte sich gern die -Mühe gemacht, aufzustehen und das Fenster zu schliessen, wenn es nicht -zu warm gewesen wäre. Und dann waren Trommelwirbel zu hören, die aber -unterbrochen wurden von einem neuen Messingquintett, das auf einem -anderen Dampfer den Jägerchor aus dem „Freischütz“ spielte. Aber die -unglückverheissenden Trommelschläge näherten sich. Das waren die -Scharfschützen, die aufs freie Feld hinauszogen und die Strasse -passieren mussten. Jetzt hörte er den Scharfschützenmarsch sechs Male, -dazwischen die Pfiffe, die Glocken, die Messingmusik der Dampfer, bis -diese Töne schliesslich mit den Schraubenschlägen verklangen. - -Er stand um zehn Uhr auf und setzte das Rasierwasser auf seinen -Spirituskocher. Das gestärkte Hemd lag auf der Kommode so weiss und so -steif wie ein Brett. Er brauchte eine Viertelstunde, um die Knöpfe in -die Knopflöcher zu stecken. Dann rasierte er sich eine halbe Stunde. -Kämmte sich sorgfältig, als führe er eine äusserst wichtige Verrichtung -aus. Als er die Hosen anzog, hielt er das untere Ende hoch, damit es auf -dem Boden nicht staubig werde. - -Sein Zimmer war einfach, äusserst einfach und ordentlich. Es war -unpersönlich, abstrakt wie ein Hotelzimmer. Und doch hatte er dort zwölf -Jahre gewohnt. Bei den meisten Menschen pflegen sich während eines -solchen Zeitraums eine Menge Kleinigkeiten anzusammeln: Geschenke, -kleine Überflüssigkeiten, Zierat, Luxusgegenstände. Nicht eine Gravüre -hing hier an der Wand, die als Beilage einer illustrierten Zeitung eine -Gefühlssaite angeschlagen; keine Decke, von freundlichen Schwestern -gehäkelt, lag auf den Stühlen; keine Photographie eines lieben Gesichts -stand, kein gestickter Federwischer lag auf dem Schreibtisch. Alles war -zum besten Preis gekauft, um unnötige Ausgaben zu ersparen, welche die -Unabhängigkeit des Besitzers beeinträchtigt hätten. - -Er legte sich ins Fenster, um auf die Strasse und über den -Artillerieplatz hinweg bis zum Hafen zu sehen. In dem Haus, das schräg -gegenüber lag, sah er eine Frau im Korsett ihre Toilette machen. Er -wandte sich fort, wie von etwas Hässlichem, oder von etwas, das seine -Ruhe stören konnte. Unten im Hafen flaggten alle Segelschiffe und -Dampfer, und das Wasser glitzerte im Sonnenschein. Zur Kirche hinauf -wanderten einige alte Frauen mit Gesangbüchern in den Händen. Vor dem -Hof der Artillerie ging der Posten mit seinem Säbel und sah missvergnügt -aus, dann und wann nach der Turmuhr blickend, um nachzusehen, wie weit -es noch zur Ablösung sei. Sonst lagen die Strassen leer, grau, heiss da. -Er sah wieder zu der Frau hinüber, die sich ankleidete. Sie hatte eine -Puderquaste genommen und puderte sich die Nasenwinkel vor dem Spiegel -mit einer Miene, die sie einem Affen ähnlich machte. Er stand vom -Fenster auf und setzte sich in den Schaukelstuhl. - -Er machte sein Programm für den Tag, denn er hatte nun einmal eine -dunkle Furcht vor der Einsamkeit. Am Alltag hatte er die Schuljugend um -sich, und obwohl er diese wilden Tiere nicht liebte, die er zähmen, das -heisst die schwere Kunst der Verstellung lehren sollte, fühlte er doch -eine gewisse Leere, wenn er nicht bei ihnen war. Jetzt während der -Sommerferien hatte er eine Ferienschule eingerichtet, aber auch deren -Besucher hatten kurze Mittsommerferien, und er war nun mehrere Tage -allein gewesen, die Stunden der Mahlzeiten ausgenommen, in denen er -immer auf den Buchhändler und die zweite Geige rechnen konnte. - -– Um zwei Uhr, dachte er, wenn die Parade vorbei ist und der Volksstrom -sich aufgelöst hat, gehe ich in meine Kneipe und esse zu Mittag; dann -nehme ich den Buchhändler mit mir nach Strömsborg; dort ist es heute -still und leer, und dort trinken wir Kaffee und Punsch, bis es Abend -wird, dann kehren wir nach Rejners (so hiess seine Kneipe am -Berzeliuspark) zurück. - -Punkt zwei nahm er seinen Hut, bürstete sich sorgfältig und ging. - -– Ich möchte wissen, ob es heute gedämpfte Barsche gibt, dachte er. Und -soll man sich heute Spargel leisten, da es Mittsommer ist! - -So spazierte er seinen Weg, längs der hohen Mauer der Staatsbäckerei. Im -Berzeliuspark sassen Arbeiterfamilien mit Kinderwagen auf denselben -Bänken, auf denen an Alltagen die Bonnen der Vornehmen zu sitzen -pflegten. Er sah, wie eine Mutter ihrem Kind die Brust gab. Eine grosse -volle Brust, in die das Kind mit seinem fleischigen Händchen so tief -hineingriff, dass das Händchen zur Hälfte verschwand. Der Lehrer wandte -sich mit Ekel ab. Es störte ihn, diese Fremden in _seinem_ Park zu -sehen. Das war für ihn Dienerschaft im Salon, wenn die Herrschaft fort -ist, und er konnte ihnen nicht verzeihen, dass sie hässlich waren. - -Er kam an die Glasveranda und wollte die Hand auf die Türklinke legen, -noch ein Mal an die schönen Barsche denkend, „mit viel Petersilie“, als -er an der Glasscheibe ein weisses Papier sieht, auf dem etwas -geschrieben steht. Er braucht es nicht zu lesen, denn er weiss, was es -enthält: dass die Kneipe über Mittsommer geschlossen ist; aber er hat es -vergessen! Es war, als sei er mit dem Kopf an einen Laternenpfahl -gestossen! Er war wütend. Zuerst auf den Wirt, dass er geschlossen -hatte; dann auf sich selbst, dass er vergessen, dass heute geschlossen -werden sollte! Er fand es so ungeheuerlich, dass er etwas so Wichtiges -hatte vergessen können, dass er es nicht glauben wollte, sondern nach -einem andern suchen musste, der schuld war, dass er es hatte vergessen -können. Das war natürlich der Wirt. Er war entgleist, zusammengestossen, -vernichtet. Er setzte sich auf eine Bank und hätte vor Wut beinahe -geweint. - -Pardauz! Da kam ein Ball und traf ihn direkt auf das gestärkte Vorhemd. -Wie eine gereizte Wespe flog er auf und wollte den Schuldigen -ausbringen, als ein hässliches Mädchengesichtchen ihm in die Augen -lachte und hinter ihr ein Arbeiter in Festtagsanzug und Panamahut -auftauchte, der das Kind lächelnd bei der Hand nahm und fragte, ob es -weh getan habe; und dann erblickte er eine ganze Menge Dienstboten und -Soldaten, die lachten. Er sah sich nach einem Schutzmann um, denn er -fühlte sich in seinen Rechten als Mensch verletzt. Als er den Schutzmann -aber im vertraulichen Gespräch mit der Mutter des Kindes sah, verlor er -die Lust, Lärm zu schlagen, sondern ging direkt zum nächsten -Droschkenhalteplatz, um einen Wagen zu nehmen und zum Buchhändler zu -fahren, denn jetzt konnte er nicht länger allein sein. - -Als er in der Droschke sass, fühlte er sich einigermassen geschützt, und -nun wischte er mit dem Taschentuch sein Vorhemd ab, das vom Ball staubig -geworden. - -Als er in die Gotenstrasse des Südens kam, verabschiedete er den -Kutscher, da er sicher war, den Buchhändler zu Hause anzutreffen. Wie er -aber die Treppen hinaufstieg, wurde er ängstlich! Wenn er nicht zu Hause -wäre! - -Er war nicht zu Hause! Niemand von den Bewohnern des Hauses war daheim. -Es klang so leer, als er an die Türe klopfte, und er hörte das Echo -seiner Schritte. - -Als er schliesslich einsam auf der Strasse stand, wusste er nicht, wohin -er sich wenden solle. Potockis Adresse kannte er nicht, und heute, wo -alle Läden geschlossen waren, ein Adressbuch aufzutreiben, hielt er für -unmöglich! - -Er ging, ohne zu wissen, wohin, die Strasse hinunter, am Hafen entlang, -über die Brücke. Nicht ein bekanntes Gesicht traf er, und er fühlte sich -verletzt von dieser Volksmenge, welche die Stadt während der Abwesenheit -der Herren eingenommen hatte, denn er war, wie wir alle, in den Schulen -des Staates zum Aristokraten erzogen. - -Der Hunger, der sich bei der ersten Aufwallung gelegt hatte, begann -wieder zu erwachen. Da kam ein neuer furchtbarer Gedanke über ihn, den -er aus Feigheit nicht auszudenken gewagt: wo soll ich zu Mittag essen? -Er war mit seinen Essmarken ausgegangen, und seine ganze Kasse bestand -nur aus einer Krone fünfzig Öre. Die Marken galten ja nur bei Rejners, -und eine Krone hatte er verfahren. - -Er kam wieder in den Berzeliuspark. Dort sassen die Arbeiterfamilien und -assen aus ihren Esskörben: gekochte Eier, Krebse, Pfannkuchen! Und die -Polizei sagte nichts! Dort stand sogar ein Schutzmann, der ein -Butterbrot in der einen und ein Glas Bier in der andern Hand hatte. Was -ihn am meisten reizte, war, dass diese Menschen, die er verachtete, ihm -augenblicklich überlegen waren! Aber warum konnte er nicht in eine -Milchhandlung gehen und seinen Hunger stillen? Warum nicht? Ja! Die -Antwort darauf liess er von sich gehen wie ein Aufstossen. - -Schliesslich ging er an den Hafen hinunter, um nach dem Tiergarten -hinüberzufahren. Dort musste er Bekannte treffen, von denen er, so -unangenehm es ihm war, Geld leihen konnte, um zu Mittag zu essen. Dann -aber auch fein im vornehmsten Restaurant „Haselhöhe“. - - * * * * * - -Auf dem Dampfer waren so viel Menschen, dass Lehrer Blom neben der -Maschine stehen musste; die heizte ihm den Rücken und spritzte -geschmolzenen Talg auf seinen Gehrock, während er einer Köchin auf den -Zopf gucken und deren ranzige Pomade riechen musste. Aber nicht ein -bekanntes Gesicht! - -Als er in das Tiergarten-Restaurant trat, machte er sich so gerade wie -möglich und versuchte ein distinguiertes und freies Wesen anzunehmen. -Der Platz vor dem Gasthaus glich dem Zuschauerraum eines Theaters und -schien die gleiche Bestimmung zu haben: nämlich ein Ort zu sein, wo man -sich trifft und sich zeigt. Oben sassen die Offiziere, blau im Gesicht -von Essen und Trinken; neben ihnen einige Vertreter der fremden Mächte, -ergraut und mitgenommen von der anstrengenden Arbeit, für betrunkene -Landsmänner, die sich am Hafen geschlagen, einzutreten oder -Galaschauspielen, Kindtaufen, Hochzeiten und Begräbnissen beizuwohnen. -Aber damit war es auch aus mit dem feinen Publikum. Denn mitten auf dem -Platze entdeckt Herr Blom den Schornsteinfeger seines Viertels, den Wirt -einer kleinen Winkelkneipe, den Provisor einer Apotheke und andere mehr. -Um sie herum geht der grüne Jäger mit silbernen Tressen und einem -vergoldeten Stab und wirft verächtliche Blicke auf die Gesellschaft, als -frage er, was sie hier zu tun haben. Der Lehrer fühlt sich schrecklich -geniert von den vielen Blicken, die zu sagen scheinen: seht, dort geht -er und sucht nach seinem Mittagessen. Aber er muss weiter. Und er kommt -in die Veranden hinauf, wo man Barsche und Spargel isst, wo man -Sauternes und Champagner trinkt. Und eins, zwei, drei fühlt er eine -freundliche Hand auf seiner Schulter und als er sich umwendet, sieht er -das strahlende Gesicht des Kellners Gustav, der ihm die Hand drückt und -unverstellt ausruft: - -– Nein, sind Sie hier, Herr Blom! Wie gehts? - -Und der Kellner Gustav, der so erfreut ist, sich einen Augenblick auf -gleicher Höhe mit seinem Herrn zu fühlen, hält einen steifen Holzkloben -in seiner warmen Hand und trifft ein paar Blicke, die aus einem Brief -Stecknadeln genommen sind. Und diese harte Hand drückte ihm gestern noch -so warm einen Zehnkronenschein in die seine, und dieser Mann dankte ihm -für ein halbes Jahr Dienst und Aufmerksamkeit, wie man einem Freund -dankt. Und der Kellner Gustav geht zurück und setzt sich unter seine -Kameraden, verlegen und traurig. Aber Herr Blom geht mit Bitterkeit im -Herzen wieder hinaus, durch die Volksmenge hindurch, als höre er höhnend -hinter sich flüstern: Er hat kein Mittagessen gekriegt! - -Er kommt hinaus auf die Tiergartenebene. Dort steht der Kaspar und -kriegt Schläge von seiner Frau. Dort steht ein Seemann und zeigt im -„Glücksstern“ Dienstmädchen, Kanonieren, Gardisten und Gesellen den oder -die Zukünftige. Alle haben zu Mittag gegessen und sehen froh aus, und er -glaubt einen Augenblick, er sei schlechter als sie; dann aber erinnert -er sich, dass sie nicht wissen, wie das egyptische Lager befestigt -wurde; da fühlt er sich wieder obenauf, und er kann nicht verstehen, wie -die Menschen so tief sinken können, dass sie an einem solchen Tand -Vergnügen finden! - -Er hatte indessen die Lust verloren, andere Lokale zu untersuchen und -ging an Tivoli vorbei weiter in den Tiergarten hinein. Dort im grünen -Gras tanzte die Jugend zu einer Geige; ein Stückchen davon hatte sich -eine Familie unter einer Eiche niedergelassen; der Familienvater stand -auf seinen Knien, in Hemdsärmeln, mit blossem Kopf, ein Bierglas in der -einen und ein Butterbrot mit Mettwurst in der andern Hand; sein feistes, -fröhliches Gesicht, um den Mund gut rasiert, glänzte von Freude und -Wohlwollen, als er seine Gäste, die deutlich aus Frau, Schwiegereltern, -Schwägern, Ladendienern und Dienstmädchen bestanden, aufforderte, zu -essen und zu trinken und fröhlich zu sein, denn heute sei Mittsommer, -den ganzen Tag. Und der frohe Mann machte Witze, dass sich die ganze -Gesellschaft unter den aufrichtigsten Lachsalven im Grase wand. Und als -der Pfannkuchen aufgetischt und mit den Fingern gegessen wurde und die -Portweinflasche herumging, hielt der älteste Ladendiener eine Rede, bald -so herzlich, dass die Frauen die Taschentücher hervorholten und der -Familienvater den einen Zipfel seines Backenbarts in den Mundwinkel -steckte; bald so lustig, dass Bravorufe und Gelächter den Redner -unterbrachen. - -Da wurde der Lehrer finster; aber er ging nicht seiner Wege, sondern -setzte sich hinter einer Kiefer auf einen Stein, um sich „die Tiere“ -anzusehen. - -Als die Rede aus war und man Hausvater und Hausmutter hatte leben -lassen, und zwar mit Hurrarufen und Fanfaren auf einer Handharmonika und -allen Tellern und Tassen, die frei waren, stand die Gesellschaft auf, um -das Bewegungsspiel „den Dritten abschlagen“ zu spielen. Und -Schwiegermutter geht hinter einen Haselbusch, um das Kleinste -abzuhalten, und Mutter selbst knöpft dem Halbgrossen die Hosen auf. - -– Welche Tiere, dachte der Lehrer und wandte sich ab, denn das -Natürliche war für ihn unschön, da das Schöne das Unnatürliche war; die -Gemälde „anerkannter“ Meister im Nationalmuseum ausgenommen. - -Und nun sah er, wie die jungen Männer die Röcke auszogen und die Mädchen -ihre Manschetten auf die Hagedornbüsche hingen, und dann stellten sie -sich auf und nun liefen sie. - -Und die Mädchen hoben die Röcke so hoch, dass die Strumpfbänder zu sehen -waren, rote und blaue Topfbänder, die man im Spezereiladen kauft; und -wenn der Kavalier seine Dame gefangen hatte, nahm er sie in die Arme und -drehte sich so mit ihr im Kreis herum, dass sie bis zu den Kniekehlen zu -sehen war; und dann lachten Alte und Junge, dass es im Walde -widerhallte. - -– Ist das Unschuld oder Korruption? fragte sich der Lehrer. - -Aber sicher wusste die Gesellschaft nicht, was das gelehrte Wort -Korruption bedeutet, und darum waren sie fröhlich. - -Als sie des Bewegungsspiels müde wurden, war der Kaffee fertig. Und der -Lehrer konnte nicht verstehen, wo die Kavaliere es gelernt hatten, so -artig gegen die Damen zu sein, denn sie krochen auf allen Vieren, um den -Mädchen Zuckerdose und Brotkorb zu reichen; dabei sahen die -Schnallenbänder an den mit Schweiss getränkten Westen wie Anfasser aus. - -– Das sind die Männchen, die sich vor den Weibchen brüsten, dachte der -Lehrer. Aber wartet nur! - -Dann aber sah er, wie der Vater, die fröhliche Seele, dem Schwiegervater -und der Schwiegermutter höflich servierte, ja sogar seiner Frau und -allen Ladendienern und Dienstmädchen; und wenn einer sein Anerbieten mit -den Worten „Der Herr nehme sich doch selber“ ablehnen wollte, antwortete -der, dazu komme er auch noch. - -Und dann sah er, wie der Schwiegervater dem kleinen Jungen Weidenpfeifen -abzog; wie die Schwiegermutter gleich einer Magd daran ging, alles -aufzuwaschen! Da fand der Magister, die Selbstsucht sei ein sonderbares -Ding, da sie so menschliche Formen annehmen, so verteilt werden konnte, -dass es aussah, als gäben und nähmen alle gleich viel; denn es war -Selbstsucht, das war klar! - -Und sie spielten Pfänderspiele, und sie lösten jedes einzige Pfand mit -Küssen ein, regelrechten Küssen auf den Mund, dass es nur so schmatzte; -und wenn der fröhliche Buchhalter „im Brunnen stand“ und die grosse -Eiche küssen musste, tat er das auf ganz verrückte Art, umfasste mit den -Armen den dicken Stamm, ganz wie man ein Mädchen liebkost, wenn niemand -es sieht; da wurde laut gelacht, denn alle wussten wohl, wie man es tut, -ob auch niemand es tun will, wenn es gesehen wird. - -Der Lehrer, der anfangs das Schauspiel von seinem hohen Standpunkte -kritisch betrachtet hatte, wurde schliesslich so in ihre Freude -hineingezogen, dass er beinahe glaubte, zur Gesellschaft zu gehören. Er -konnte bei den Witzen der Ladendiener sogar den Mund verziehen, und der -Familienvater hatte in einer Stunde seine Sympathie gewonnen. Und der -war auch ein Spassmacher ersten Ranges. Er konnte „Katze schinden“, -„Krebsgang gehen“, auf Baumstämmen „liegen“, Münzen verschlingen, Feuer -essen und alle möglichen Vogellaute nachahmen. Und als er ein -Safranbrötchen aus dem Mieder eines jungen Mädchens nahm und es dann im -rechten Ohr verschwinden liess, da lachte der Lehrer so, dass sein -leerer Magen hüpfte. - -Dann begann der Tanz. Der Lehrer hatte in Rabes Grammatik die Weisheit -gelesen: „Nemo saltat sobrius, nisi forte insanit“ und hatte immer -gedacht, Tanz sei ein Ausbruch von Wahnsinn. Er hatte allerdings junge -Hunde und Kälber tanzen sehen, wenn sie fröhlich waren, aber er glaubte -nicht, dass Cicero seine Maxime bis auf die Tiere hätte ausdehnen -können, und zwischen Tier und Mensch hatte der Lehrer einen dicken -Strich ziehen gelernt. Als er aber nun diese jungen Menschen, die -nüchtern, aber satt und ohne Durst waren, sich nach den schleppenden, -aber taktmässigen Klängen der Harmonika herum schwenken sah, war es, als -sei seine Seele in eine Schaukel gekommen, die von seinen Augen und -Ohren in Schwung gesetzt wurde, und er konnte sich nicht erwehren, dass -sein rechter Fuss gegen das Moos leise den Takt trat. - -Als drei Stunden vergangen waren, stand er auf. Aber es fiel ihm beinahe -schwer, fortzugehen; es war, als breche er von einem fröhlichen Gelage -auf, denn er glaubte mit ihnen zusammen gewesen zu sein; aber er war -milder geworden und empfand einen Frieden und eine angenehme Müdigkeit, -als habe er sich vergnügt. - -Der Abend war gekommen. Einige lackierte Wagen schleppten Damen, die in -ihren weissen Theatermänteln wie eingehüllte Leichen auf den Rücksitzen -lagen, denn es war damals Mode, so auszusehen, als sei man ausgegraben. -Der Lehrer, dessen Gedanken eine neue Richtung eingeschlagen hatten, -dachte, diese Damen müssten sich langweilen, und er empfand nicht eine -Spur von Neid. Aber unterhalb der grossen Landstrasse, draussen auf dem -Meer kamen jetzt die Dampfer mit Flaggen und Musik von ihren -Vergnügungsfahrten zurück; man hurrate und spielte und sang auf ihnen, -dass es noch in den Bergen des Tiergartens zu hören war. - -Niemals in seinem Leben hatte sich der Lehrer so allein gefühlt wie in -diesem Volksgewimmel; er glaubte, die Menschen blickten ihn mit -Teilnahme an, wie er da allein gleich einem Einsiedler ging, und er -selber fand, es sei schade um ihn. Er wäre gern auf den ersten Besten -zugegangen, nur um zu sprechen und seine Stimme wieder zu hören, denn er -fand in seiner Einsamkeit, er habe einen Fremden neben sich. Und jetzt -erwachte sein böses Gewissen. Er erinnerte sich an den Kellner Gustav, -der seine Freude, ihn wiederzusehen, nicht hatte zügeln können. Jetzt -war er soweit gekommen, dass er wünschte, irgend jemand komme ihm -entgegen und zeige seine Freude, ihn zu sehen! Aber es kam niemand. - -Doch, als er auf der Dampfschaluppe sass, kam ein Hühnerhund, der seinen -Herrn verloren, und legte den Kopf auf seine Knie. Der Lehrer mochte -Hunde sonst nicht leiden, aber er jagte ihn jetzt nicht fort; es war ein -so weiches und warmes Gefühl am Knie, und das verlassene Tier sah ihm in -die Augen, als bitte es ihn, seinen Herrn ausfindig zu machen. - -Als sie aber ans Land stiegen, lief der Hund seiner Wege. - -– Er brauchte mich nicht länger, dachte der Lehrer, und dann ging er -nach Hause und legte sich nieder. - - * * * * * - -Diese unbedeutenden Ereignisse des Mittsommertages hatten dem Lehrer -seine Sicherheit genommen. Er sah nämlich ein, dass alle Vorsorge, alle -Voraussicht, alle kluge Berechnung dem Menschen nicht genug sei. Er -fühlte eine gewisse Unsicherheit um sich herum. Sogar die Kneipe, sein -Heim, war so wenig zuverlässig, dass es jeden Augenblick geschlossen -werden konnte. Eine gewisse Kühle von Gustavs Seite begann auch störend -auf ihn einzuwirken. Der Kellner war ebenso höflich wie früher, -aufmerksamer als sonst, aber die Freundschaft war fort, das Vertrauen -war gebrochen. Das machte den Lehrer bedenklich, und jedes Mal, wenn er -ein trockenes Stück Fleisch oder zu wenig Kartoffel bekam, dachte er -immer: - -– Haha! Er rächt sich an mir! - -Der Sommer war schlimm für den Lehrer: die zweite Geige verreiste und -der Buchhändler hielt sich meistens auf der „Moseshöhe“ auf, dem -hochgelegenen Gartenrestaurant seines Viertels. - -An einem Herbstabend sassen der Buchhändler und die zweite Geige in der -Stammkneipe und tranken ihren Grog, als der Lehrer eintrat, unterm Arm -ein Paket tragend, das er sorgfältig in einem leeren Flaschenkorb -verbarg, in der Kammer, in die man Gerümpel fortstellte. Der Lehrer war -mürrisch und ungewöhnlich nervös. - -– Nun, alter Junge, begann der Buchhändler wohl zum hundertsten Mal, -wirst du dich nicht doch noch verheiraten? - -– Der Teufel mag sich verheiraten! Man hat doch genug Sorgen! Und warum -verheiratest du dich nicht? wies ihn der Lehrer ab. - -– Oh, ich habe ja meine alte Stafva, antwortete der Buchhändler, der -eine Menge Antworten auf eine Menge Fragen stereotypiert hatte. - -– Ich bin glücklich verheiratet gewesen, sagte der Pole. Aber meine Frau -ist jetzt tot, huh! - -– Ist sie das, ahmte der Lehrer ihm nach; und der Herr ist Witwer, wie -reimt sich das? - -Der Pole verstand die Wendung nicht, nickte aber beifällig. Der Lehrer -fand, dass die beiden anfingen, ihn zu ermüden. Das Gespräch drehte sich -immer in derselben Richtung, um dieselben Dinge; und er konnte ihre -Antworten auswendig. - -Als er aufstand, um sich eine Zigarre aus seinem Überrock, der draussen -im Flur hing, zu holen, eilte der Buchhändler nach der Rumpelkammer und -holte das Paket des Lehrers. Da es nicht versiegelt war, hatte er es -bald aufgemacht, und rollte nun ein prächtiges amerikanisches Nachthemd -auf; das hängte er sorgfältig über den Stuhl des Lehrers. - -Huh! sagte der Pole und grinste, als habe er etwas Garstiges gesehen. - -Der Wirt, der einen guten Scherz liebte, legte sich auf den Ladentisch -und lachte laut; der Kellner blieb im Saal stehen, und bald steckte eine -Köchin den Kopf durch die Klappe. - -Als der Lehrer wieder hereinkam und den Scherz sah, wurde er blass vor -Wut; er hatte sofort den Buchhändler in Verdacht; als er aber Gustav in -einer Ecke stehen und lachen sah, kam ihm wieder eine fixe Idee: Er -rächt sich! Und ohne ein Wort zu sagen, riss er das Hemd an sich, warf -Geld auf den Ladentisch und ging! - -Von diesem Tage an liess sich der Lehrer nicht mehr bei Rejners sehen. -Der Buchhändler wollte wissen, dass er in einem Restaurant seines -Viertels ass. Das tat er auch! Aber er war tief missvergnügt! Das Essen -war ja nicht schlecht, aber es war nicht so zubereitet, wie er es -gewohnt war. Die Kellner waren nicht aufmerksam. Oft dachte er nach -Rejners zurückzukehren, aber sein Stolz verbot es ihm. So war er aus -seinem Heim hinausgeworfen; so war eine vieljährige Bekanntschaft in -fünf Minuten gebrochen worden. - -Im Herbst kam ein neuer Schlag. Mamsell Auguste hatte in der Provinz -eine kleine Erbschaft gemacht und wollte Stockholm am ersten Oktober -verlassen. Der Lehrer musste ziehen. - -Da ihm aber nichts mehr recht gemacht werden konnte, zog er jeden Monat -um. Das eine Zimmer war nicht schlechter als das andere, aber es war -nicht dasselbe! Er war so gewohnt, seine alten Strassen zu gehen, dass -er sich oft vor der Tür seiner früheren Wohnung befand, ehe er seinen -Irrtum entdeckte. Mit einem Wort, er war ganz verloren. - -Schliesslich ging er in ein Pensionat, obwohl er das immer gehasst und -einen Schrecken davor gehabt hatte. Und da verloren die Bekannten seine -Spur. - -Eines Abends sitzt der Pole in der Stammkneipe, allein, rauchend, -trinkend, nickend, mit des Orientalen Fähigkeit, in Gedankenlosigkeit zu -versinken. Da kommt der Buchhändler wie ein Gewitter angestürmt und -schlägt den halb zerquetschten Hut gegen die Tischscheibe, indem er -ausruft: - -– Himmelkreuzdonnerwetter! Hat man so etwas gehört? - -Der Pole erwacht aus seinem Kognak- und Tabaknirwana und rollt die -Augen. - -– Himmelkreuzdonnerwetter! Hat man so etwas gehört? Er hat sich verlobt! - -– Wer hat sich verlobt? fragt der Pole, ganz erschrocken von dem -Hinwerfen des Hutes und dem üppigen Fluchen. - -– Lehrer Blom! - -Und der Buchhändler verlangt einen Grog, als Ersatz für die Bewirtung, -die er gegeben. Und der Kellermeister muss vom Ladentisch aufstehen und -zuhören. - -– Hat sie Geld? fragt er gerieben. - -– Nein, das glaube ich nicht, sagt der Buchhändler, der jetzt ein Held -ist und seine Gaben stückweise verkauft. - -– Ist sie schön? fragt der Pole. Meine Frau war so schön, huh! - -– Nein, sie ist auch nicht schön, sagt der Buchhändler. Aber sie sieht -nett aus! - -– Haben Sie sie denn gesehen? fragt der Wirt. Ist sie alt? - -Und er blickt nach der Küchenklappe. - -– Nein, sie ist jung! - -– Und ihre Eltern? fährt der Wirt fort. - -– Der Vater soll Gelbgiesser in Örebro sein! - -– Nein, solch ein Schelm! meint der Wirt. - -– Ich habs ja immer gesagt, der Mann war geboren zum heiraten, sagt der -Buchhändler. - -– Das sind wir wohl alle, sagt der Wirt; und glauben Sie mir, glauben -Sie mir, niemand entgeht seinem Schicksal! - -Mit dieser Weisheitsregel schliesst er das Gespräch und geht wieder an -den Ladentisch. - -Nachdem man sich damit beruhigt hat, dass es keine Geldheirat ist, -stellt man Betrachtungen darüber an, „wovon sie leben werden“. Und der -Buchhändler schätzt den Gehalt des Lehrers ab, und „was er an Stunden -verdienen kann“. - -Nachdem diese Frage entschieden ist, will der Wirt Einzelheiten wissen. - -– Wo hat er sie getroffen? Ist sie blond oder dunkel? Liebt sie ihn? - -Die letzte Frage liegt durchaus nicht aus dem Wege, und der Buchhändler -„glaubt es“, denn er hat gesehen, wie sie vor einem Schaufenster an -seinem Arm hing. - -– Ja, aber dass er, der so hölzern war, sich verlieben konnte! Das ist -doch ganz unglaublich! - -– Aber was für ein Ehemann er werden wird! - -Der Wirt weiss, dass ers mit dem Essen „verflucht“ genau nimmt, und das -dürfe man nicht, wenn man sich verheiratet (ein Blick nach der -Küchenklappe)! - -– Und dann will er gern einen Grog abends trinken; aber man kann doch -nicht jeden Abend einen Grog trinken, wenn man verheiratet ist? Und dann -mag er Kinder nicht leiden! Das geht nicht gut, flüstert er. Glauben Sie -mir, das geht nicht gut. Und dann noch eine Sache, meine Herren (hier -stand er auf, sah sich um und fuhr flüsternd fort), ich glaube, hol mich -der Teufel, er hat ein kleines Verhältnis gehabt, der alte Heuchler. -Erinnern Sie sich nicht jenes Abends, meine Herren, mit dem – hihihihi! -– Nachthemd? Den finden Sie nicht wieder, wo Sie ihn gelassen haben! -Passen Sie auf, Frau Blom, nehmen Sie sich in acht! Aber ich will nichts -gesagt haben! - -Die Tatsache stand jedenfalls fest, dass der Lehrer verlobt war und dass -er in zwei Monaten heiraten wollte. - -Wie es weiter ging, das gehört nicht zur Geschichte, und schwer ist es -ausserdem, wirklich zu wissen, was hinter den Klostermauern der -Häuslichkeit geschieht, wenn das Gelübde des Schweigens gehalten wird. - -Sicher ist so viel, dass der Lehrer seitdem nie mehr in einer Kneipe zu -sehen war. - -Der Buchhändler, der ihn eines Abends allein auf der Strasse traf, -musste eine lange Vorlesung anhören, dass er sich verheiraten solle. Ja, -der Lehrer war gegen Junggesellen losgezogen und hatte gesagt, sie seien -Egoisten, die sich nicht fortpflanzen wollten; man müsse eine hohe -Steuer auf diese Kuckucke legen, denn alle indirekten Steuern träfen am -meisten den Familienvater; ja, er ging so weit, dass der -Junggesellenstand durch das Gesetz „als ein Verbrechen gegen die Natur“ -bestraft werden müsse. - -Der Buchhändler, der ein gutes Gedächtnis hatte, sprach seine Bedenken -aus, ob man sein Schicksal mit einer „Gans“ vereinigen solle. Da -antwortete der Lehrer, _seine_ Frau sei die intelligenteste Dame, die er -kenne. - -Zwei Jahre später hatte der Pole den Lehrer mit seiner Frau im Theater -gesehen und gefunden, „dass sie glücklich aussahen, huh!“ - -Drei Jahre später war der Wirt an einem Mittsommertag auf einer -Vergnügungstour durch den Mälarsee nach Mariefred gefahren. Dort -draussen auf dem grünen Rasen, vor dem Schloss Gripsholm, schob der -Lehrer Blom einen Kinderwagen und trug einen Korb mit Speisen, während -ihm eine ganze Karawane Herren und Damen folgten, die „vom Land zu sein -schienen“. Der Lehrer sang nach dem Mittagessen Lieder und sprang Bock -mit den jungen Herren. Er sah zehn Jahre jünger aus und war wie ein -richtiger Kavalier gegen die Damen. - -Der Wirt, der sich der Gesellschaft ganz nahe befand, hatte während des -Mittagessens einen kleinen Dialog zwischen Herrn Blom und seiner Frau -angehört. Als die Frau eine Schüssel Krebse aus dem Speisekorb nahm, bat -sie Albert, nicht verdriesslich zu werden, aber es sei ihr ganz -unmöglich gewesen, weibliche Krebse zu bekommen, obwohl sie den ganzen -Markt abgesucht habe. Da fasste der Lehrer sie um die Taille, küsste sie -und sagte, er esse ebenso gern männliche Krebse und er sei ganz -zufrieden. Als dann das Kind im Wagen zu schreien anfing, hob der Lehrer -es auf seine Arme und trug es, bis es still wurde. - -– Nun, das sind ja alles Kleinigkeiten, aber wie die Menschen als -Verheiratete leben können, während sie kaum als Junggesellen zu leben -haben, das ist ein Rätsel. Aber es sieht aus, als bringen die Kinder -Essen mit, wenn sie zur Welt kommen, so sieht es aus! - - - - - Ersatz - - -Er war zu seiner Zeit ein Genie auf der Universität gewesen, und es war -kein Zweifel, dass etwas Grosses aus ihm werden würde. Als cand. jur. -musste er indessen nach Stockholm gehen, um sich eine Stellung zu -suchen. Die Doktorarbeit wurde aufgeschoben. Er war recht ehrgeizig, -besass aber kein Vermögen. Darum hatte er beschlossen, sich reich und -vornehm zu verheiraten. Man sah ihn daher auf der Universität Uppsala -und später in der Hauptstadt Stockholm nur in den feinsten -Gesellschaften. In Uppsala trank er als älterer Student immer -Brüderschaft mit den neu ankommenden Adeligen, die sich von der -Bekanntschaft des älteren Landsmannes geehrt fühlten. So schloss er -„essbare“ Freundschaften mit ihnen, und während des Sommers wurde er -dann immer auf das Schloss der Eltern eingeladen. - -Dort war sein Jagdgebiet. Er hatte gesellige Talente, spielte und sang -und konnte die Damen unterhalten; darum war er gern gesehen. Seine -Kleidung deutete auf grössere Eleganz, als seine Mittel erlaubten; aber -er lieh niemals Geld von Adeligen oder Freunden. Er hatte sogar zwei -wertlose Aktien gekauft, und er vergass nicht zu erzählen, dass er die -Generalversammlung besuchen müsse. - -Zwei Sommer hatte er einem adeligen Fräulein, das etwas Grundbesitz -besass, den Hof gemacht, und man sprach schon von seinen Aussichten, als -er plötzlich aus dem vornehmen Horizont verschwand und sich mit einem -armen Mädchen verlobte, deren Vater Böttcher ohne Grundbesitz war. - -Seine Freunde konnten nicht verstehen, wie er sich selber so ins Licht -treten konnte. Er hatte ja so gut vorgespannt, dass er sofort fahren -konnte; er hatte ja den Bissen schon auf der Gabel, dass er nur den Mund -zu öffnen brauchte. Ja, er verstand es selbst nicht, wie seine -vieljährigen Pläne so schnell von einem kleinen Mädchengesicht gekreuzt -werden konnten, das er ein einziges Mal auf einem Dampfer gesehen. Er -war behext, er war besessen. - -Er fragte seine Freunde, ob sie sie nicht schön fänden. - -Nein, das könnten sie nicht finden, wenn sie aufrichtig sein sollten. - -– Aber sie ist intelligent. Seht ihr nur in die Augen! Wie sprechend -sind die! - -Die Freunde konnten nichts sehen und noch weniger hören, denn das -Mädchen sprach nie. - -Aber er war jeden einzigen Abend im Haus des Böttchers; oh das war ein -intelligenter Mann. Er lag auf den Knien, das war eine Erinnerung an die -Sommerschlösser, und hielt ihr das Garn; er sang ihr vor, spielte, -sprach über Theater und Religion; und er las immer eine bejahende -Antwort in ihren tiefen Augen. Er schrieb Verse an sie und legte ihr -seinen Lorbeerkranz, seine ehrgeizigen Träume, ja seine Doktorarbeit zu -Füssen. - -Und dann verheiratete er sich. - -Der Böttcher trank zuviel auf der Hochzeit und hielt eine unanständige -Rede auf die Mädchen. Der Schwiegersohn fand aber so viel Natur, so viel -Liebenswürdigkeit im Auftreten des Alten, dass er ihn noch aufmunterte, -statt ihn zum Schweigen zu bringen. Er fühlte sich so wohl unter diesen -einfachen Menschen, da konnte er er selber sein. - -– Seht, das ist die Liebe, sagten seine Freunde. Es ist doch etwas -merkwürdiges mit der Liebe! - -Und so waren sie verheiratet. Einen Monat. Zwei Monate. Und er war so -glücklich. An den Abenden sassen sie zusammen, und er sang wieder von -der „Rose im Walde“; das war ihr Lieblingslied. Und er sprach über -Theater und Religion, und sie sass andächtig da und hörte zu. Aber sie -sagte nichts, sie war immer seiner Meinung und häkelte Decken. - -Im dritten Monat nahm er die alte Gewohnheit des Mittagschlafes wieder -auf. Seine Frau wollte neben ihm sitzen, denn sie konnte nicht allein -sein. Das genierte ihn, denn er hatte ein grosses Bedürfnis, mit seinen -Gedanken allein zu sein. - -Zuweilen ging sie ihm mittags entgegen; dann war sie so stolz, wenn er -seine Kameraden verliess und zu ihr hinüberkam. Und dann brachte sie ihn -im Triumph nach Haus: es war _ihr_ Mann! - -Im vierten Monat begann er müde zu werden, ihr Lieblingslied zu singen. -Das war so verbraucht! Und er nahm ein Buch, und beide sassen still da. - -Eines Abends musste er auf eine Sitzung, der ein Schmaus folgte. Es war -der erste Abend, an dem er nicht zu Hause war. Seine Frau musste sich -eine Freundin einladen und sollte früh zu Bett gehen, denn er würde erst -spät nach Haus kommen. - -Die Freundin kam; um neun Uhr ging sie wieder. Die junge Frau setzte -sich in den Salon, um zu warten, denn sie wollte sich bestimmt nicht -früher niederlegen, bis ihr Mann nach Haus gekommen. Sie hatte keine -Ruhe zum Schlafen. - -So sass sie allein in der Wohnung. Was sollte sie tun? Das Mädchen war -schlafen gegangen, und im Haus wurde es still. Die Wanduhr tickte und -tickte. Aber es war erst zehn, als sie müde die Decke, an der sie -häkelte, fortlegte. Sie ging umher, räumte etwas auf, war nervös. - -– So ist es also, verheiratet sein! Man wird aus seiner Umgebung -gerissen und in drei leere Zimmer gesetzt, bis der Mann halbberauscht -nach Haus kommt. Aber er liebt mich doch, und er muss ja heute abend in -Geschäften von Hause fort sein. Ich bin eine Närrin, dass ich das nicht -verstehe. Aber liebt er mich noch? Hat er sich dieser Tage nicht -geweigert, mir das Garn zu halten, wie er früher so gern getan – ehe wir -verheiratet waren. Sah er gestern mittag nicht etwas missvergnügt aus, -als ich kam und ihn holte! Und wenn er heute abend auch eine -geschäftliche Sitzung hat, so braucht er doch den Schmaus nicht -mitzumachen! - -Die Uhr war halb elf, als sie mit diesem Examen zu Ende kam. Sie war -erstaunt, dass ihr diese Gedanken nicht früher gekommen waren. Und sie -stellte die dunkeln Gedanken noch ein Mal auf, und sie defilierten -wieder an ihr vorbei. Jetzt aber war Verstärkung angelangt. Er sprach ja -nie mehr mit ihr. Er sang nie, und das Klavier war geschlossen. Er hatte -gelogen, als er sagte, er müsse Mittagsschlaf halten, denn er las dabei -einen französischen Roman. - -Er hatte sie belogen! - -Die Uhr war erst halb zwölf. Das Schweigen wurde schauerlich. Sie -öffnete das Fenster und sah auf die Strasse hinaus. Dort unten standen -zwei Herren und verhandelten mit zwei Frauenzimmern. Ja, so sind die -Männer! Wenn er das auch täte! Dann ginge sie ins Wasser! - -Sie schloss das Fenster und steckte die Krone in der Schlafstube an. Man -muss sehen, was man macht, hatte er bei einer intimen Gelegenheit -gesagt. Noch war alles so blank, so fein. Die grüne Bettdecke sah wie -eine gemähte Wiese aus, und die kleinen weissen Kissen lagen wie junge -Katzen im Grase. Die Politur ihres Toilettentisches leuchtete: das Glas -hatte noch nicht diese hässlichen Flecken, die es vom spritzenden Wasser -bekommt; das Silber auf der Haarbürste, auf der Puderschachtel, der -Zahnbürste, alles war noch blank. Ihre Pantoffeln dort unter dem Bett -waren noch so schön und neu, als würden sie niemals niedergetreten -werden. Alles war frisch, aber doch schon alt. Sie kannte alle seine -Lieder, alle seine Salonstücke, alle seine Worte, alle seine Gedanken. -Sie wusste genau, was er sagen würde, wenn er sich mittags zu Tisch -setzte; alles was er sagen würde, wenn sie abends allein waren. - -Sie war des Allen müde. Hatte sie ihn geliebt? Oh ja! Gewiss, das hatte -sie! Aber war das alles, waren das alle Träume ihrer Jugend? Sollte das -ganze Leben so werden? Ja! Aber, aber, aber, sie würden doch wohl ein -Kind bekommen. Ja, aber noch waren keine Anzeichen da! Dann wäre sie -nicht mehr allein! Dann könnte er so oft fortgehen, wie er wollte, denn -dann hätte sie ja stets jemand, mit dem sie sprechen, mit dem sie sich -beschäftigen konnte. Vielleicht war es ein Kind, das fehlte. Vielleicht -war die Ehe wirklich für etwas anderes geschaffen, als dafür, dass sich -ein Herr eine Geliebte hält, die das Gesetz ihm schützt. Jawohl! Aber er -musste sie doch lieben, und das tat er nicht! Und sie weinte! - -Als der Mann um ein Uhr nach Haus kam, war er durchaus nicht berauscht. -Aber er wurde beinahe böse, als er seine Frau noch aufsitzen sah. - -– Warum hast du dich nicht schlafen gelegt? war sein erster Gruss. - -– Wie kann ich Ruhe finden, wenn ich auf dich warte? - -– Das kann ja schön werden! Dann darf ich ja nie wieder fortgehen! ich -glaube, du hast auch geweint! - -– Ja, ich habe geweint, und das muss ich wohl, wenn du – mich – nicht – -mehr – liebst! - -– Liebe ich dich nicht mehr, weil ich in Geschäften fort sein muss? - -– Ein Schmaus ist kein Geschäft. - -– Sieh da! Nun kann man nicht einmal mehr ausgehen! Die Frauen sind doch -wirklich gar zu aufdringlich! - -– Aufdringlich? Ja, ich habe es gestern Mittag gesehen, als ich dir -entgegen kam. Aber ich werde dir nie mehr entgegen kommen. - -– Aber, Kind, wenn ich mit meinem Chef gehe ... - -– Huhuhu! - -Sie brach in Tränen aus, und ihr Körper zuckte. - -Er musste das Mädchen wecken, um ihr eine Wärmflasche heiss machen zu -lassen. - -Er weinte, er auch! Heisse Tränen! Über sich selbst, seine Härte, seine -Schlechtigkeit, über die Illusionen, über alles! - -Aber es war doch mehr als Illusionen! Er liebte sie ja! Tat er das -nicht? Und sie sagte ja, sie liebe ihn wieder, als er jetzt beim Sofa -auf den Knien lag und ihre Augen küsste. Ja, sie liebten einander! Nur -eine Wolke war vorbeigezogen! Garstige Gedanken, die einem in der -Einsamkeit kommen. Sie wollte niemals, niemals mehr allein bleiben. Und -sie schliefen umarmt ein, und sie lächelte wieder. - -Am nächsten Tag aber ging sie ihm nicht entgegen. Er tat keine Frage -beim Mittagstisch. Er sprach viel, aber mehr um zu sprechen; und es -klang, als spreche er mit sich selber. - -Am Abend unterhielt er sie mit langen Schilderungen über das Leben auf -dem Schlosse Sjöstaholm: was die jungen Damen zum Baron sagten, und wie -die Pferde des Grafen hiessen. Und am nächsten Tag sprach er von seiner -Doktorarbeit. - -Eines Mittags kam er sehr müde nach Haus. Sie sass im Salon und wartete -auf ihn. Ihr Garnknäuel war auf den Boden gefallen. Als er an ihr vorbei -geht, wickelt sich das Garn um seinen Fuss, er reisst ihr damit die -Decke aus der Hand und schleppt sie mit; wird böse und schleudert das -Garn mit einem Fusstritt fort. - -Sie sagt etwas Scharfes über seine Unhöflichkeit. - -Er antwortet: er habe keine Zeit, an ihren Kram zu denken, und sie könne -übrigens etwas Nützlicheres vornehmen. Er müsse an seine Doktorarbeit -denken, wenn er sich eine Zukunft schaffen wolle. Darum müssten sie -darauf bedacht sein, sich einzuschränken. - -So weit war es also gekommen! - -Am nächsten Tag sass die junge Frau mit verweinten Augen da und strickte -einen Strumpf für ihren Mann. Er sagte ihr, es sei billiger, gewebte -Strümpfe zu kaufen. Da brach sie in Tränen aus. Was solle sie tun? Das -Mädchen besorge ja das Haus, und in der Küche sei für eine zweite Person -nichts mehr zu tun. Die Zimmer räume sie selber auf. Wolle er, dass sie -das Mädchen verabschiede? - -– Nein, Nein! - -– Wie wolle er es denn haben? - -– Das könne er nicht sagen, aber es sei bestimmt etwas nicht richtig. -Der Haushalt sei zu teuer. Das sei alles. Auf die Dauer ginge es nicht -so weiter, und er komme nie dazu, an seiner Abhandlung zu arbeiten. - -Tränen und Küsse und grosse Versöhnung! - -Er fing nun aber an, einige Abende in der Woche auszugehen. Geschäfte! -Ein Mann müsse sich unter den Leuten sehen lassen. Das sei nun ein Mal -so; sonst werde er vergessen. - -O die langen, langen Abende! Jetzt aber ging die Frau zu Bett und -stellte sich schlafend, als ihr Mann nach Hause kam. - - * * * * * - -Ein Jahr war vergangen, aber von einem Kind war nichts zu merken. Der -Mann dachte: das gleicht ja ganz einem kleinen Verhältnis, das ich -früher ein Mal gehabt habe; nur ist das jetzige langweiliger und -teuerer. Die Gespräche hörten auf, und nur Geschwätz über -Angelegenheiten des Haushalts blieb übrig. Sie ist ja dumm, dachte er. -Auf mich selber lausche ich ja, wenn ich spreche, und die Tiefe in ihren -Blicken kam ja nur daher, dass sie so grosse Pupillen hat, so -ungewöhnlich grosse Pupillen. - -Er sprach jetzt offen mit ihr von seiner früheren Liebe zu ihr, als von -etwas, das vergangen sei. Nein, das gab ihm wieder einen Stich ins Herz, -wie etwas Aufreizendes, Unbarmherziges, etwas das niemals sterben -konnte. - -Dann aber sprach er zuweilen zu sich selber. - -– Alles auf Erden ist der Abnutzung unterworfen. Warum soll denn ihr -Lieblingslied unvergänglich sein. Wenn man es dreihundertfünfundsechzig -Male gehört hat, ist es verbraucht; daran ist nichts zu ändern. Aber hat -denn meine Frau recht, wenn sie daraus schliesst, dass es mit der Liebe -auch zu Ende ist? Nein, und ein leises ja! Wenn es aber nur ein -Konkubinat ist? Das ist es, da wir kein Kind haben! - -Eines Tages entschloss er sich, mit einem verheirateten Kameraden zu -sprechen; sie waren ja beide Mitglieder des Freimaurerordens der -Verheirateten. - -– Wie lange bist du verheiratet? - -– Sechs Jahre! - -– Findest du das Verheiratetsein langweilig? - -– Anfangs war es ja etwas fade; als aber die Kinder kamen, konnte man -wieder atmen. - -– Nein, was du sagst? Es ist merkwürdig, dass ich keine Kinder bekomme. - -– Das ist nicht deine Schuld; ist aber leicht zu ändern. Schick deine -Frau zum Arzt! - -Er sprach vertraulich mit der Frau, und sie ging zum Arzt. - -Sechs Wochen später war es so weit. - -Jetzt kam ein anderes Leben ins Haus! Oh, wieviel war da zu tun! Auf dem -Tisch des Salons lagen Kinderkleider umher, die unter das -Photographiealbum geschmuggelt wurden, wenn jemand in die Tür trat. Und -sie kamen wieder zum Vorschein, wenn man sah, dass nur er es war, der -kam. Und dann musste man einen Namen für ihn finden. Denn ein Junge -musste es werden. Und dann musste man die „Frau“ konsultieren, und -medizinische Bücher kaufen, und eine Wiege und Bettzeug. - -Das Kind kam! Und siehe da, es war ein Junge! - -Als er „den kleinen Pavian, der nach Butter roch“ an diesen Brüsten, die -bisher nur sein Spielzeug gewesen, liegen sah, da lernte er in seiner -kleinen Frau die Mutter kennen; und als er sah, wie die grossen Pupillen -das Kind so tief ansehen, als schauten sie in die Zukunft hinein, da -verstand er, dass doch etwas Tiefes in den Augen lag; ja das war tiefer, -als sein Theater und seine Religion verstehen konnten. Und jetzt flammte -all das Alte, das liebe, erste Alte wieder auf, und es kam mit etwas -Neuem, das er geahnt, aber niemals verstanden hatte. - -Wie schön sie war, als sie wieder aufstand. Und wie intelligent in -allem, was das Kind betraf. - -Und er fühlte sich als Mann. Statt von den Pferden des Grafen und den -Kricketpartien des Barons zu sprechen, sprach er jetzt fast zuviel von -seinem Sohn. - -Und wenn er jetzt eines Abends fort war, sehnte er sich nach Haus; nicht -weil seine Frau wie ein böses Gewissen dort sass und wartete, sondern -weil er wusste, dass sie nicht allein war. Und wenn er nach Haus kam, so -schliefen sie, sowohl sie wie das Kind. Er wäre beinahe eifersüchtig auf -den Kleinen geworden, denn es hatte doch einen gewissen Reiz, wenn man -sehnsüchtig erwartet wurde. - -Nun durfte er sein Mittagschläfchen halten. Und wenn der Vater fort war, -wurde das Klavier wieder aufgemacht und das Lieblingslied von der „Rose -im Walde“ gesungen, denn das war ganz neu für Harald, und es wurde auch -neu für die arme Laura, die es lange nicht gehört hatte. - -Zum Häkeln hatte sie nie mehr Zeit, aber das Haus war auch voll genug -von Decken. Aber auch zu seiner Abhandlung fand er nicht die Zeit. - -– Die soll Harald schreiben, sagte der Vater, denn er wusste jetzt, dass -sein Leben nicht zu Ende war, _wenn_ es einmal zu Ende ging. - -Manchen Abend sassen sie wie früher zusammen und plauderten; jetzt aber -sprachen sie beide, denn jetzt verstand sie, wovon sie sprachen. - -Sie bekannte, sie sei ein einfältiges Ding, das von Theater und Religion -nichts verstehe; das habe sie ihm aber gesagt, obwohl er es nicht habe -glauben wollen. - -Jetzt aber glaubte er es erst recht nicht. - -Und sie sangen das Lieblingslied und Harald schrie mit, und sie tanzten -nach der Melodie, und sie wiegten das Kind danach, und das Lied wurde -doch nicht verbraucht! - - - - - Reibungen - - -Ihm waren die Augen aufgegangen über die Verkehrtheit der Welt, aber er -besass nicht die Kraft, das Dunkel zu durchdringen, um zu sehen, worin -die Ursache zu dieser Verkehrtheit lag; darum verzweifelte er, wurde, -was man „zerrissen“ nennt. Da verliebte er sich in ein Mädchen, das sich -mit einem andern verheiratete. Er beklagte sich seinen Freunden und -Freundinnen gegenüber, aber die lachten nur über ihn. So ging er allein, -„unverstanden“, seinen Weg ein Stück weiter. Er gehörte zur -„Gesellschaft“ und nahm an deren Vergnügungen teil, weil die ihn -zerstreuten; im Grunde aber verachtete er diese Vergnügungen, und das -verbarg er nicht. - -Eines Abends war er auf einem Ball. Er tanzte mit einem jungen Mädchen -von ungewöhnlicher Schönheit und von lebhaften Zügen. Als der Walzer zu -Ende war, stellte er sie an eine Wand. Er musste mit ihr sprechen, -wusste aber nicht, was er sagen sollte. Schliesslich brach das Mädchen -das Schweigen und sagte mit einem harten Lächeln: - -– Sie tanzen wohl sehr gern, Herr Baron? - -– Nein, durchaus nicht! antwortete er. Und Sie? - -– Ich kenne nichts Alberneres, antwortete sie. - -Er hatte seinen Mann, oder richtiger, seine Frau gefunden. - -– Warum tanzen Sie denn? fragte er. - -– Aus demselben Grunde wie Sie, sagte sie. - -– Kennen Sie denn meine Gedanken? fragte er. - -– Das ist doch nicht schwer: von Menschen, die dasselbe denken, kennt -doch immer der eine die Gedanken des andern. - -– Hm! Sie sind ein sonderbares Mädchen; glauben Sie an die Liebe? - -– Nein! - -– Ich auch nicht! Aber man muss sich jedenfalls verheiraten. - -– Ja, ich fange an es zu glauben! - -– Würden Sie sich mit mir verheiraten? - -– Warum nicht? Wir werden uns wenigstens nicht schlagen! - -– Pfui! Aber wie können Sie das wissen? - -– Weil wir derselben Meinung sind! - -– Ja, aber das kann etwas einförmig werden! Wir haben ja über nichts zu -sprechen, denn der eine kennt ja die Gedanken des andern. - -– Ja, aber noch einförmiger wäre es, unverheiratet zu bleiben, -unverstanden zu sein! - -– Das ist wahr! Wollen Sie Bedenkzeit haben? - -– Ja, bis zum Kotillon! - -– Nicht länger? - -– Warum länger? - -Er führte sie in den Salon und verliess sie. Darauf trank er einige Glas -Champagner. Beim Souper beobachtete er sie. Sie liess sich von zwei -jungen Diplomaten servieren, schien sie aber zu verhöhnen und wie Diener -zu behandeln. - -Als der Kotillon kam, ging er sofort zu ihr und überreichte sein Bukett. - -– Angenommen? fragte er. - -– Ja, antwortete sie. - -Also waren sie verlobt. - -Es ist eine rechte Ehe, sagte die Welt. Sie sind wie geschaffen für -einander. Dieselbe gesellschaftliche Stellung, das gleiche Vermögen und -dieselben „blasierten“ Ansichten über das Leben. Mit blasiert meinte die -Welt, dass sie nicht Bälle, Theater, Bazare und andere edle Vergnügungen -liebten, die dem Leben erst seinen Wert verliehen. - -Sie waren wie zwei frisch gewaschene Schiefertafeln, ganz gleich jetzt, -aber ohne eine Ahnung, ob das Leben denselben Text auf beide schreiben -werde. Niemals fragten sie einander während der zärtlichen Stunden der -Verlobung: liebst du mich, denn sie wussten ja, dass sie einander nicht -liebten, da sie an die Liebe nicht glaubten. Sie sprachen wenig, aber -sie verstanden einander so gut. - -Und so verheirateten sie sich. - -Er war immer aufmerksam, immer höflich, und sie waren gute Freunde. - -Das Kind wirkte nur insofern auf ihr Verhältnis ein, dass sie nun über -etwas zu sprechen hatten. - -Beim Mann zeigte sich jetzt eine gewisse Lust zu Tätigkeit. Er fühlte -Verantwortung und, was mehr ist, er war der Untätigkeit müde. Er war -Rentier, aber er hatte keine Stellung im Dienst des Staates. Er sah sich -jetzt nach einer Beschäftigung um, welche die Leere in seinem Leben -ausfüllen konnte. Er hörte den ersten Morgenruf der erwachenden Geister, -und er fühlte es als eine Pflicht, an der grossen Forschungsarbeit nach -den Ursachen des menschlichen Elends teilzunehmen. Er studierte, -verfolgte die Politik und schrieb schliesslich in einer Zeitung ein -Gutachten über die Schulfrage. Daraufhin wurde er in die Schulkommission -gewählt. Jetzt aber musste er eingehende Studien treiben, denn die -Fragen sollten gründlich aufgeklärt werden. - -Die Baronin lag auf dem Sofa und las Chateaubriand oder Musset. Sie -hatte alle Hoffnung auf Besserung der Menschheit aufgegeben, und dieses -Herumstöbern in allem Staub und Moder, den Jahrhunderte auf die -menschlichen Einrichtungen gelegt hatten, quälte sie. Doch sah sie, dass -sie nicht gleichen Schritt mit dem Mann hielt. Sie waren wie zwei Pferde -auf einem Wettrennen. Sie wurden gewogen, ehe sie starteten, und hatten -das gleiche Gewicht; sie hatten versprochen, auf der Laufbahn gleichen -Schritt zu halten; es war so gut berechnet, dass sie den Lauf zur selben -Zeit vollenden und auf ein Mal aus dem Wettstreit heraus gehen sollten. -Jetzt aber war der Mann ihr schon eine Pferdelänge voraus. Beeilte sie -sich nicht, musste sie zurückbleiben. - -So geschah es auch! Im nächsten Jahr wurde er Budgetkontrolleur des -Reichstages. Er blieb zwei Monate auf Reisen fort. Jetzt fühlte die -Baronin, dass sie ihn liebte; sie fühlte es, weil sie fürchtete, den zu -verlieren, der sie so für sich eingenommen hatte. - -Als er zurückkam, war sie Feuer und Flamme; er aber hatte den Kopf voll -von dem, was er während der Reise gesehen und gehört. Er sah wohl ein, -dass der Augenblick der Trennung gekommen sei, aber er wollte sie -aufschieben, sie verhindern, wenn es möglich war. Er zeigte ihr in -grossen lebenden Bildern, wie diese kolossale Riesenmaschine, die Staat -heisst, eingerichtet ist; suchte den Gang der Räder zu erklären, die -Mannigfaltigkeit der Übertragungen, die Regulatoren und Sperrhaken, -schlechte Pendel und unsichere Ventile. - -Eine Weile folgte sie ihm, dann aber ermüdete sie. Ihre Inferiorität, -ihre Wertlosigkeit fühlend, warf sie sich auf die Erziehung des Kindes; -als Muster einer Mutter wollte sie zeigen, dass sie doch einen Wert -besass. Aber der Mann wusste diesen Wert nicht zu schätzen. Er hatte -sich mit einem guten Kameraden verheiratet, und nun hatte er eine gute -Bonne. Wer konnte das ändern? Wer konnte alles voraussehen? - -Das Haus war jetzt voller Abgeordneter, und die Herren sprachen über -Politik beim Essen. Die Frau beschränkte sich darauf, nachzusehen, dass -tadellos serviert wurde. Der Baron dachte allerdings immer daran, neben -die Wirtin junge Leute zu setzen, die über Theater und Musik mit ihr -sprachen; aber die Baronin antwortete immer mit Kindererziehung. Beim -Nachtisch vergass man nie, auf das Wohl der Wirtin zu trinken, floh dann -aber Hals über Kopf ins Zimmer des Mannes, um dort zu rauchen und die -Politik fortzusetzen. Die Baronin ging dann in die Kinderstube und -fühlte mit Bitterkeit, dass er ihr jetzt so weit voraus war, dass sie -ihn nie mehr einholen konnte. - -Er arbeitete abends viel zu Hause und schrieb bis tief in die Nacht, -schloss sich aber immer ein. Wenn er dann seine Frau verweint sah, -fühlte er einen Stich im Herzen, aber sie hatten ja einander nichts zu -sagen. - -Zuweilen aber, wenn die Arbeit ihn ekelte, wenn er fühlte, wie seine -eigene Persönlichkeit immer ärmer wurde, empfand er eine Leere, eine -Sehnsucht nach etwas Warmem, Intimem, von dem er ein Mal in seiner -Jugend geträumt hatte. Aber jedes Gefühl der Art verbot er sich als -Untreue, und er hatte eine tiefe Vorstellung von der Pflicht gegen seine -Frau. - -Um ihr das Leben etwas erträglicher zu machen, schlug er ihr vor, sie -möge eine Kusine, von der sie immer gesprochen und die er nie gesehen, -einladen, bei ihnen den Winter zu verbringen. - -Das war lange der Wunsch der Baronin gewesen, als er jetzt aber erfüllt -werden sollte, wollte sie nicht. Sie wollte es bestimmt nicht. Der Mann -verlangte Gründe; sie konnte aber keine angeben. Das reizte seine -Neugier, und schliesslich gestand sie, ihr sei bange vor der Kusine: die -werde ihr ihren Mann nehmen, er werde sich in sie verlieben. - -– Das muss ja ein sonderbares Mädchen sein, das müssen wir sehen. - -Die Baronin weinte und warnte, aber der Baron lachte, und die Kusine -kam. - -Es war eines Mittags. Der Baron kam wie gewöhnlich müde nach Haus, hatte -die Kusine wie seine Neugier nach ihr vergessen. Sie setzten sich zu -Tisch. Der Baron fragte die Kusine, ob sie Theater liebe. Nein, das tue -sie nicht. Sie liebe mehr die Wirklichkeit als deren Scheinbild. Sie -habe zu Hause eine Schule für Lumpen eingerichtet und einen Verein für -freigelassene Gefangene gegründet. Aha! Der Baron studierte gerade das -Gefängniswesen. Die Kusine konnte ihm manche Auskunft geben. Und bis das -Essen zu Ende war, wurde über Gefängniswesen gesprochen. Schliesslich -hatte die Kusine versprochen, die Frage in einer kleinen Schrift zu -behandeln, die der Baron durchsehen und ausarbeiten wollte. - -Alles was die Baronin vorausgesehen, traf ein. Der Herr Baron schloss -eine geistige Ehe mit der Kusine, und die Frau war verlassen. Aber die -Kusine war auch schön, und wenn sie sich am Schreibtisch über den Baron -beugte, empfand er ein warmes Behagen daran, ihren weichen Arm an seiner -Schulter zu fühlen und ihren heissen Atem auf seiner Wange zu spüren. -Und sie sprachen nicht immer vom Gefängniswesen. Sie sprachen auch von -Liebe. Sie glaubte an die Liebe der Seelen und sie erklärte so deutlich, -wie sie konnte, eine Ehe ohne die Liebe der Seelen sei Prostitution. Der -Baron hatte die Entwicklung der neuen Ansichten über die Liebe nicht -mitgemacht und fand, es sei eine harte Rede, aber doch wohl nicht ganz -unbegründet. - -Aber die Kusine hatte auch andere Eigenschaften, die unschätzbar waren -für eine richtige geistige Ehe. Sie vertrug Tabak und konnte Zigaretten -rauchen. Daher konnte sie nach dem Diner mit den Herren ins Rauchzimmer -gehen, um über Politik mitzusprechen. Dann war sie entzückend. - -Von kleinen Gewissensbissen geplagt, konnte der Baron dann aufstehen, -für einen Augenblick zu seiner Frau in die Kinderstube gehen, sie und -das Kind küssen und fragen, wie es ihnen gehe. Und die Baronin war -dankbar, aber sie war nicht glücklich. Der Baron kehrte dann in -brillanter Laune zur Gesellschaft zurück, als habe er eine Pflicht -erfüllt. Oft allerdings verstimmte es ihn, dass seine Frau, als _seine_ -Frau, nicht dabei sein konnte; und er fühlte sich von dieser Last -bedrückt. - -Als der Frühling kam, fuhr die Kusine nicht nach Haus, sondern -begleitete das Ehepaar in einen Badeort. Dort führte sie für die Armen -kleine Schauspiele auf, und sie und der Baron spielten gegen einander, -natürlich Liebhaber und Liebhaberin. Das hatte die ganz natürliche -Folge, dass die Flamme aufloderte. Aber es war nur geistiges Feuer. -Gemeinsame Interessen, dieselben Ansichten, und vielleicht ähnliche -Naturen. - -Die Baronin hatte Zeit genug gehabt, um über ihre Stellung nachzudenken. -Eines Tages sagte sie dem Mann, da es zwischen ihnen aus sei, so sei es -das Beste, sich zu trennen. Das wollte er denn doch nicht, und -Verzweiflung ergriff ihn. Die Kusine sollte nach Haus reisen und seine -Frau sollte sehen, dass er ein Mann von Ehre sei. - -Die Kusine reiste ab. Aber der Briefwechsel begann. Die Baronin musste -alle Briefe lesen. Sie wollte es nicht, aber der Baron verlangte es. -Bald aber gab er nach und las seine Briefe allein. - -Schliesslich kam die Kusine zurück! Da brach es los! Der Baron hatte -entdeckt, dass er nicht mehr ohne sie leben könne! Was war zu tun? -Trennung? Das wäre der Tod! Fortsetzen? Unmöglich! Die Ehe auflösen, die -der Baron jetzt nur noch für eine Prostitution hielt, und sich mit -einander verheiraten? Ja, das war das einzig Ehrliche, wenn es auch -schmerzhaft war. - -Das aber wollte die Kusine nicht! Es sollte nicht heissen, sie habe -einen Mann von seiner Frau gelockt; und der Skandal, der Skandal! - -– Aber es sei unehrlich, wenn er seiner Frau nicht alles sage; es sei -unehrlich, weiter zu gehen; man wisse nicht, wie weit es gehen könne. - -– Was? Was meine er? Wie weit könne es gehen? - -– Das könne man nicht wissen! - -– Oh, wie schändlich! Was er von ihr denke? - -– Dass sie ein Weib sei! - -Und er fiel auf die Knie und betete sie an und erklärte, der Teufel möge -ihr Gefängniswesen und ihre Schulen für Lumpen holen, er wisse nicht, ob -sie die oder die sei, aber er wisse, dass er sie liebe. - -Da verachtete sie ihn und reiste Hals über Kopf nach Paris. - -Er reiste ihr augenblicklich nach. Von Hamburg schrieb er einen Brief an -seine Frau. Erklärte, sie hätten einen Irrtum begangen, und es sei -unmoralisch, den nicht zu berichtigen. Bat um Scheidung. - -Sie liessen sich scheiden. - - * * * * * - -Ein Jahr später war der Baron mit der Kusine verheiratet. Sie bekamen -ein Kind. Aber das störte ihr Glück nicht, im Gegenteil. Wieviel neue -Ideen hier draussen keimten, wieviel starke Winde hier draussen wehten! - -Er veranlasste sie, ein Buch über „Junge Verbrecher“ zu schreiben. Das -wurde von der Kritik heruntergemacht. Da ward sie wütend, und schwur, -nie wieder zu schreiben. Er nahm sich die Freiheit, sie zu fragen, ob -sie schreibe, um gelobt zu werden; ob sie ehrgeizig sei. – Sie -antwortete mit der Frage, weshalb er denn schreibe! – So entstand ein -kleiner Wortwechsel. – Es sei ja nur erfrischend, einmal eine andere -Ansicht zu hören als immer die eigene. – Immer die eigene? Was solle das -heissen? Habe sie nicht _ihre_ Ansichten? – Sie setzte jetzt ihren Stolz -darin, zu zeigen, dass sie eigene Ansichten besitze, und die mussten -darum immer von denen des Mannes verschieden sein, damit kein Irrtum -vorkam. – Da erklärte er, sie könne Ansichten haben, welche sie wolle, -wenn sie ihn nur liebe. – Liebe? Was sei denn das! Er sei ja ein Tier -wie alle andern Männer, und er sei falsch gegen sie gewesen. Nicht ihre -Seele liebe er, sondern ihren Körper. – Nein, beide, sie ganz und gar! – -O, wie falsch er gewesen! – Nein, nicht falsch, sondern der Raub eines -Selbstbetrugs sei er gewesen, als er glaubte, nur ihre Seele zu lieben. - -Sie hatten sich müde gegangen auf dem Boulevard und mussten sich vor -einem Café niedersetzen. Sie steckte sich eine Zigarette an. Da trat der -Kellner heran und sagte recht unhöflich, man dürfe hier nicht rauchen. -Der Baron verlangte eine Erklärung. Der Kellner antwortete, es sei ein -besseres Café, das seine Gäste nicht verscheuchen wolle, indem es -„solche Damen“ hereinlasse. - -Sie standen auf, bezahlten und gingen. Der Baron war zornig, der jungen -Baronin kamen die Tränen. – Da habe man die Macht des Vorurteils! -Rauchen sei für den Mann eine Dummheit, denn es sei dumm zu rauchen, -aber für die Frau sei es ein Verbrechen! Wer es könnte, möge dieses -Vorurteil aufheben! Und wer es wolle! Der Baron wollte nicht, dass seine -Frau das erste Opfer werde, mit der dürftigen Ehre, mit dem Vorurteil -gebrochen zu haben. Denn etwas anderes sei es ja nicht. In Russland -rauchten ja die Damen der Gesellschaft zwischen den Gerichten der -grossen Diners. Die Sitten änderten sich mit den Breitengraden. Und doch -seien diese Kleinigkeiten nicht bedeutungslos im Leben, denn das Leben -bestehe aus Kleinigkeiten. Hätten Männer und Frauen dieselben schlechten -Gewohnheiten, könnten sie leichter mit einander verkehren, einander -kennen lernen und eher gleichen Schritt mit einander halten als jetzt! -Hätten sie dieselbe Erziehung, so würden sie dieselben Interessen haben -und während des ganzen Lebens nicht aus einander kommen. - -Der Baron hielt inne, als habe er etwas Dummes gesagt. Aber sie hörte -nicht zu, denn ihre Gedanken waren nicht bei der Beschimpfung stehen -geblieben. - -– Sie sei von einem Kellner beschimpft, aus der besseren Gesellschaft -gewiesen worden. Dahinter liege etwas! Bestimmt! Man habe sie erkannt! -Sicher, denn sie habe es schon früher bemerkt! - -– Was habe sie bemerkt? - -– Dass man sie in Restaurants mit Geringschätzung behandle. Die Menschen -hielten sie nicht für Eheleute, weil sie Arm in Arm gingen und höflich -gegen einander seien. Lange habe sie das mit sich herumgetragen, nun -aber vermöchte sie es nicht mehr. Aber das sei nichts gegen das, was sie -von Hause hören müsse! - -– Was habe sie denn von Hause gehört, das sie ihm nicht mitgeteilt? - -– Oh, was für Dinge! Was für Briefe! Und die anonymen erst! - -– Nun, und er? Man behandle ihn wie einen Verbrecher! Und er habe doch -kein Verbrechen begangen! Er habe alle gesetzlichen Forderungen -beobachtet und nicht die Ehe gebrochen. Er habe das Land verlassen, wie -das Gesetz vorschreibt; das königliche Konsistorium habe sein -Scheidungsgesuch bewilligt; die Geistlichkeit, die heilige Kirche habe -ihn auf gestempeltem Papier von seinem ersten Eheversprechen entbunden; -er habe es also nicht gebrochen! Man könne ja ein ganzes Volk von dem -Treueid lösen, den es seinem Monarchen gegeben, wenn ein Land erobert -wird: warum anerkenne die Gesellschaft denn nicht die Entbindung von -einem Versprechen? Habe die Gesellschaft nicht selber dem Konsistorium -das Recht gegeben, die Ehe aufzulösen? Wie könne sich denn die -Gesellschaft als Richter über ihr eigenes Gesetz stellen? Die -Gesellschaft liege also im Streit mit sich selber! Er werde wie ein -Verbrecher behandelt! Habe nicht der Sekretär der Gesandtschaft, sein -alter Freund, als er ihm seine Karte und die seiner Frau gesandt, ihm -bloss eine Karte zurückgeschickt! Werde er nicht bei allen öffentlichen -Austeilungen von Karten übergangen! - -– Oh, sie habe noch Schlimmeres ertragen müssen. Eine von ihren -Freundinnen in Paris habe ihr die Tür geschlossen, und mehrere hätten -sich auf der Strasse abgewandt, als sie ihnen begegnet sei. - -Nur der weiss, wo der Schuh drückt, der ihn anhat! Sie hatten jetzt die -Schuhe an, richtige spanische Stiefel, und sie fühlten sich in Fehde mit -der Gesellschaft. Die Vornehmen hatten sie desavouiert! Die Vornehmen! -Diese Gemeinde von Halbkretins, die insgeheim wie Hunde leben, einander -aber ehren, solange es nicht zum Skandal kommt; das heisst so lange man -so ehrlich ist, den Vertrag zu kündigen, die Verfallzeit abzuwarten und -die vom Gesetz gewährte Freiheit wiederzugewinnen. Und diese vornehme -Gesellschaft sass da in ihrer Lasterhaftigkeit und teilte soziales -Ansehen aus, nach einer Skala, auf der die Ehrlichkeit tief unter Null -steht. Die Gesellschaft war also ein Gewebe von Lüge! Dass man das nicht -längst gesehen! Jetzt aber musste man das schöne Gebäude untersuchen, um -nachzusehen, wie es mit dessen Fundament bestellt sei. - -Sie waren lange nicht so einig gewesen, wie jetzt, als sie nach Haus -kamen. Die Baronin blieb nun zu Hause bei ihrem Kind, und sie erwartete -bald ihr zweites. Dieser Kampf war für sie zu schwer, und sie war schon -müde geworden! Sie hatte alles satt! In einem elegant möblierten und -warmen Zimmer über freigelassene Gefangene schreiben und ihnen aus -gehöriger Entfernung eine gut behandschuhte Hand reichen, das billigte -die Gesellschaft; aber einer Frau, die sich mit einem freigelassenen -Ehemann verheiratet, die Hand reichen, das wollte die Gesellschaft -nicht. Warum nicht? Die Antwort lag nicht nahe. - -Der Baron stand mitten im Leben. Besuchte die Kammern, war auf -Versammlungen und überall hörte er wilde Ausbrüche gegen die -Gesellschaft. Er las Zeitungen und Zeitschriften, verfolgte die -Literatur, machte Studien. Seiner Frau drohte dasselbe Schicksal wie der -ersten: zurückzubleiben! Seltsam aber war es! Sie konnte nicht allen -Einzelheiten seiner Untersuchungen folgen, sie missbilligte vieles in -den neuen Lehren, aber sie fühlte, dass er recht habe und für eine gute -Sache wirke. Er wusste immer, dass er zu Hause eine Zustimmung fand, die -nicht müde wurde; eine Freundin, die ihm wohl wollte. Ihr gemeinsames -Schicksal trieb sie zusammen wie erschrockene Tauben, wenn das Gewitter -heraufzieht. Das Weibliche bei ihr, das jetzt so wenig geachtet wird, -und das doch nur eine Erinnerung an die Mutter ist, an die Naturkraft, -die das Weib mitbekommen hat, brach nun hervor. Es fiel wie die Wärme -eines abendlichen Feuers über die Kinder, wie Sonnenschein über den -Mann, wie Friede über die Häuslichkeit. Er wunderte sich oft, dass er -diesen Kameraden nicht vermisste, mit dem er früher über alles hatte -sprechen können; er entdeckte, dass seine Gedanken an Stärke gewannen, -seit er sie nicht mehr sofort ausplauderte; und er glaubte mehr an dem -stillen Beifall, dem freundlichen Nicken, der teilnehmenden Hilfe -gewonnen zu haben. Er fühlte sich stärker als früher, seine Ansichten -wurden weniger kontrolliert; er war jetzt einsam, aber nicht so einsam -wie früher, denn damals stiess er oft auf Widersprüche, die nur Zweifel -erregten. - - * * * * * - -Es war Weihnachtsabend in Paris. In ihrem kleinen Châlet am Cours la -Reine war die Aufräumung beendet und ein grosser Tannenbaum war aus dem -Wald von Saint-Germain geholt. Der Baron und die Baronin wollten nach -dem Frühstück zusammen ausgehen, um Weihnachtsgeschenke für die Kinder -einzukaufen. Der Baron war etwas gedankenvoll, denn er hatte eben eine -kleine Schrift „Ist die Oberklasse die Gesellschaft“ erscheinen lassen. -Sie sassen am Kaffeetisch in dem schönen Speisesaal, und die Türen bis -zur Kinderstube standen offen. Sie hörten, wie die Amme mit den Kleinen -spielte, und die Baronin lächelte vor Glück und Zufriedenheit. Sie war -so mild geworden, und ihre Freude war ruhig. Da schrie eins von den -Kindern, und sie stand vom Tisch auf, um nachzusehen, warum es schreie. -Im selben Augenblick kam der Diener in den Speisesaal und brachte die -Post. Der Baron öffnete zwei Drucksachen. Die erste war eine „grosse, -angesehene“ Zeitung. Er schlug sie auf und sah sofort eine Überschrift -in fetten Buchstaben: „Ein Frevler!“ Und dann las er einige Zeilen: „Die -Weihnacht ist gekommen! Dieses Fest, das allen reinen Herzen lieb ist. -Dieses Fest, das von allen christlichen Völkern heilig gehalten wird, an -dem Friede und Versöhnung über die ganze Menschheit herrschen, an dem -sogar der Mörder sein Messer in die Tasche steckt und der Dieb das -heilige Besitzrecht achtet; dieses Fest, das besonders in den nordischen -Ländern sowohl die historischen Voraussetzungen besitzt wie von uraltem -Herkommen ist usw. Und da kommt, wie der Gestank aus einer Kloake, ein -Individuum, das sich nicht gescheut hat, die heiligsten Bande zu -brechen, und speit seine Bosheit gegen die geachteten Mitglieder der -Gesellschaft aus; eine Bosheit, die von der kleinlichsten Rache diktiert -wird ...“ Er legte die Zeitung zusammen und steckte sie in die Tasche -seines Schlafrocks. Dann riss er die zweite Drucksache auf. Das war eine -Karikatur über ihn und seine Frau. Er liess die Zeitung den gleichen Weg -gehen wie die erste, musste sich aber beeilen, denn seine Frau trat ein. -Er beendete das Frühstück und eilte in sein Zimmer, um sich zum Ausgehen -anzukleiden. Dann gingen sie. - -Die Sonne schien auf die bereiften Platanen der Champs Elysées, und der -Concordiaplatz öffnete sich wie eine grosse Oase von Sonnenlicht mitten -in der Steinwüste. Er hatte ihren Arm unter seinem, es war ihm aber, als -stütze sie ihn. Sie sprach davon, was sie den Kindern kaufen sollten, -und er antwortete, so gut er konnte. Schliesslich unterbrach er auf ein -Mal das Gespräch und fragte, ohne eine Veranlassung dazu zu haben: - -– Weisst du, was für ein Unterschied zwischen Strafe und Rache ist? - -– Nein, darüber habe ich nicht nachgedacht. - -– Ich möchte wissen, ob es nicht dieser ist: wenn sich ein anonymer -Zeitungsschreiber rächt, dann ist es Strafe; wenn aber ein namhafter -Nichtzeitungsschreiber straft, dann ist es Rache! Tragen wir uns ein -unter die neuen Propheten! - -Sie bat ihn, doch das Weihnachtsfest nicht zu stören, indem er von -Zeitungen spreche. - -– Dieses Fest, wiederholte er für sich, an dem Friede und Versöhnung ... - -Sie gingen durch die Arkaden der Rivolistrasse, bogen in die Boulevards -ab und kauften ein. Im Grand-Hôtel essen sie. Sie war in sonniger Laune -und suchte ihn zu erheitern. Er aber blieb gedankenvoll. Schliesslich -warf er die Frage auf: - -– Wie kann man ein böses Gewissen haben, wenn man recht gehandelt hat? - -Das wusste sie nicht. - -– Kommt es daher, dass die Oberklasse uns dazu erzogen hat, ein böses -Gewissen zu haben, jedes Mal wenn wir uns gegen sie erheben? -Wahrscheinlich! Warum hat der nicht das Recht, die Ungerechtigkeit -anzugreifen, der von der Ungerechtigkeit gekränkt worden ist? Weil nur -der, der gekränkt worden ist, angreifen wird, und die Oberklasse nicht -angegriffen werden will. Warum habe ich die Oberklasse früher, als ich -zu ihr gehörte, nicht angegriffen? Weil ich damals natürlich nicht -wusste, was sie ist! Man muss sich von einem Bild entfernen, um den -richtigen Gesichtspunkt zu finden! - -– Am Weihnachtsabend spricht man nicht von solchen Dingen. - -– Es ist wahr, es ist Weihnachten, „dieses Fest ...“ - -Und sie fuhren nach Haus. Der Tannenbaum wurde angesteckt, und Friede -und Glück strahlten von ihm aus; aber die dunklen Tannenzweige rochen -nach Begräbnis und sahen düster aus, düster wie das Gesicht des Barons. -Dann aber kam die Amme mit den Kleinen. Da klärte er sich auf, denn, -dachte er, wenn sie herangewachsen sind, dann werden sie in Freude -ernten, was wir in Tränen gesäet haben; dann werden sie nur ein böses -Gewissen haben, wenn sie sich gegen die Gesetze der Natur vergehen; -werden nicht wie wir jetzt von Grillen geritten werden, die mit dem -Rohrstock eingebläut, mit Pfaffengeschichten eingetrichtert, von der -Oberklasse zum Nutzen der Oberklasse verfasst sind. - -Die Baronin setzte sich an den Flügel, als die Mädchen von der Küche und -der Diener hereinkamen. Und sie spielte alte wehmütige Tänze, über die -sich der Nordländer freut, und die Leute tanzten mit den Kindern, sahen -aber nicht fröhlich aus. Es war wie der schuldige Teil eines -öffentlichen Gottesdienstes. - -Dann erhielten die Kinder und die Leute ihre Weihnachtsgeschenke. Und -dann mussten die Kinder schlafen gehen. - -Die Baronin ging in den Salon und setzte sich in einen Sessel. Der Baron -setzte sich auf einen Schemel ihr zu Füssen. Darauf liess er seinen Kopf -auf ihre Knie sinken. O, der war so schwer, so schwer! Und sie -streichelte ihm die Stirn, sagte aber nichts. - -– Was! Er weine? - -– Ja, das tue er! - -Sie hatte noch nie einen Mann weinen sehen. Das war furchtbar! Die ganze -kräftige Gestalt schlotterte, aber er schluchzte nicht, und kein Laut -war von ihm zu hören. - -– Warum er weine? - -– Er sei so unglücklich! - -– Unglücklich mit ihr? - -– Nein, nein, nicht mit ihr, aber doch unglücklich! - -– Sei man garstig gegen ihn gewesen? - -– O, ja! - -– Könne er davon sprechen? - -– Nein! Er wolle nur bei ihr sitzen! Wie er ein Mal, vor langer Zeit, -bei seiner Mutter gesessen! - -Sie plauderte mit ihm, wie mit einem Kind! Sie küsste seine Augenlider -und trocknete ihm das Gesicht mit ihrem Taschentuch. Sie fühlte sich so -stolz, so seltsam stark, und sie weinte nicht. Als er sie so sah, fasste -er wieder Mut. - -– Dass er so schwach sein könne! Es sei doch furchtbar, dass es in der -Tat so schwer sei, diese fabrizierten Ansichten der Gegner zu ertragen. -Glaubten denn seine Feinde selber, was sie sagten? - -– Schrecklicher Gedanke, aber das täten sie wohl. Man sehe ja Steine in -Kiefern festwachsen, warum nicht Ansichten in Gehirnen. Aber sie glaube -doch, dass er recht habe, dass er das Gute wolle? - -– Ja, das glaube sie! Aber er dürfe nicht böse werden: vermisse er nicht -sein Kind, das erste? - -– Doch gewiss, aber dem sei ja nicht zu helfen. Wenigstens jetzt noch -nicht! Aber er und die andern, die für die Zukunft arbeiteten, müssten -auch dafür eine Hilfe finden! Noch wisse er nicht wie, aber stärkere -Köpfe als seiner, und viele zusammen, würden wohl einmal diese Frage, -die jetzt unlösbar erscheine, lösen. - -– Ja, das müssten sie! - -– Aber ihre Ehe? Sei das noch eine rechte Ehe, da er ihr seinen Kummer -nicht sagen wolle? Sei das nicht auch Pro ...? - -– Nein, das sei eine rechte Ehe, denn sie liebten einander; das hätten -er und seine erste Frau nicht getan! Sie liebten doch einander? Könne -sie das leugnen? - -– Nein, lieber Geliebter, das könne sie nicht! - -– Nun, dann sei es eine rechte Ehe, von Gott, von der Natur! - - - - - Unnatürliche Auslese - oder - Die Entstehung der Rasse - - -Der Baron hatte mit grossem und edlem Verdruss im „Lebenssklaven“ -gelesen, dass die Kinder der Oberklasse untergehen würden, wenn sie -nicht die Muttermilch von den Kindern der Unterklasse nähmen. Er hatte -Darwin gelesen und zu verstehen geglaubt, durch die Auslese seien -adelige Kinder eine höhere Entwicklungsstufe der Gattung Mensch. Durch -die Lehre von der Erblichkeit aber hatte er einen Widerwillen gegen den -Gebrauch von Ammen gefasst: indem Blut der Unterklasse in adelige Adern -fliesst, könnten ja gewisse Begriffe, Vorstellungen, Intentionen -eingepflanzt werden. Er hatte also den Grundsatz angenommen, seine Frau -solle selber säugen; wenn ihre Milch nicht reiche, solle das Kind mit -der Flasche genährt werden. Die Milch von den Kühen zu nehmen, war wohl -sein Recht, wenn die Kühe sein eigenes Heu frassen, ohne das sie -verhungern würden oder gar nicht geboren wären. - -Das Kind kam zur Welt. Es war ein Sohn! Der Vater war etwas unruhig -gewesen, bis die Schwangerschaft festgestellt wurde, denn er selber war -ein armer Teufel, aber seine Frau war sehr reich, und er konnte nur in -Genuss ihres Reichtums kommen, wenn die Ehe mit einem gesetzlichen Erben -gesegnet wurde, nach dem Erbgesetz Kap. 00, § 00. Die Freude war daher -gross und ungeheuchelt. Der Sohn war ein kleines durchsichtiges -Vollblutwesen mit blauen Adern auf der Hautfläche. Aber das Blut war -trotzdem dünn. Die Mutter hatte die Figur eines Engels, war mit -ausgewählter Nahrung aufgezogen, durch Pelzwerk gegen die ungünstigen -Einflüsse des Klimas geschützt worden, und von dieser vornehmen Blässe, -die das Weib von Rasse andeutet. - -Sie gab ihrem Kinde selber die Brust. Man brauchte also nicht Bäuerinnen -zu melken, um die Ehre des Lebens zu geniessen. Das waren alles Fabeln. -Das Kind sog und schrie vierzehn Tage. Da alle Kinder schreien, hatte -das nichts zu bedeuten. Aber das Kind magerte ab. Es magerte ganz -schrecklich ab. Der Arzt wurde gerufen. In geheimer Konsultation mit dem -Mann erklärte er offen, das Kind werde sterben, wenn die Mutter es -weiter säuge, denn teils sei sie zu nervös, teils habe sie nichts zu -geben. Ja, er machte eine quantitative Analyse der Milch und zeigte mit -Gleichungen, das Kind werde verhungern, wenn man auf diese Weise -fortfahre. - -Was sei zu tun, denn sterben dürfe das Kind nicht? Amme oder Flasche. -Die Amme kam nicht in Frage, unter keiner Bedingung. Wir wollen es mit -der Flasche versuchen! Der Arzt verordnete jedoch eine Amme. - -Die beste holländische Kuh, welche die goldene Medaille des Kreises -erhalten hatte, wurde isoliert und mit Heu gefüttert; mit trocknem Heu -von der Hochwiese. Der Arzt analysierte die Milch, und alles war gut. Es -war so einfach mit der Flasche! Dass man nicht schon längst daran -gedacht hatte! Und man brauchte keine Amme, diese Haustyrannin, der man -schmeicheln, dieses Faultier, das man mästen musste; und obendrein -konnte sie noch eine ansteckende Krankheit haben! - -Aber das Kind magerte trotzdem ab und schrie immer noch. Schrie Nacht -und Tag! Es hatte ganz deutlich Magenschmerzen. Eine neue Kuh und eine -neue Analyse. Die Milch wurde mit Karlsbader Wasser (echtem Sprudel) -verdünnt, aber das Kind schrie doch noch. - -– Hier ist weiter nichts zu machen, als eine Amme zu nehmen, erklärte -der Arzt. - -– Nein, das wolle man nicht. Man wolle andern Kindern nicht die Milch -fortnehmen, das sei unnatürlich, und man sei nicht sicher vor der -„Erblichkeit“. - -Als der Baron von Natur und Unnatur sprechen wollte, konnte der Arzt den -Baron darüber aufklären, wenn man die Natur wirken lasse, so würden alle -adeligen Familien aussterben und ihr Grundbesitz an die Krone fallen. So -weise habe die Natur es eingerichtet, und die Kultur des Menschen sei -nur ein törichter Kampf gegen die Natur, in dem der Mensch schliesslich -untergehen müsse. Die Rasse des Herrn Baron sei zum Untergang -verurteilt; das zeige sich darin, dass seine Frau nicht genügend Nahrung -für die Frucht ihres Leibes habe; um leben zu können, müsse man also die -Milch von andern Weibchen rauben oder kaufen. Die Rasse lebe also bis in -die geringste Einzelheit von Raub. - -– Sei das auch Raub, wenn man die Milch kaufe? Sie kaufe! - -– Ja, denn das Geld, mit dem man die Muttermilch des Volkes kaufe, sei -ja das Produkt einer Arbeit. Und wessen Arbeit? Des Volkes! Denn der -Adel arbeite ja nicht. - -– Aber der Doktor sei ja Sozialist! - -– Nein, er sei Darwinist. Übrigens könne man ihn seinetwegen ruhig -Sozialist nennen, das sei ihm ganz einerlei! - -– Ja, aber raube man, wenn man kaufe? Das sei doch zu streng! - -– Ja, wenn man mit Geld kaufe, das man nicht erarbeitet. - -– Mit dem Körper also erarbeitet? - -– Ja! - -– Dann sei ja der Doktor auch ein Räuber! - -– Gewiss! Das könne ihn aber nicht davon abhalten, die Wahrheit zu -sagen! Ob der Baron sich nicht an den reuigen Räuber erinnere, der so -wahr gesprochen? - -Das Gespräch wurde abgekürzt, und der Baron liess den Professor kommen. - -Der nannte den Baron einen Mörder, weil er nicht längst für eine Amme -gesorgt habe! - -Der Baron musste seine Frau überreden. Er musste seine ganze frühere -Beweisführung aufheben und die einfache Tatsache betonen: die Liebe zu -seinem Kind (verglichen mit dem Erbgesetz). - -Aber wo sollte man eine Amme hernehmen? An die Stadt brauchte man erst -garnicht zu denken, denn da waren alle Menschen verdorben! Nein, ein -Mädchen vom Lande musste es sein. Aber die Baronin wollte kein Mädchen -haben, denn ein Mädchen, das ein Kind habe, sei ja ein unsittliches -Geschöpf: da könne ja der Sohn eine erbliche Anlage bekommen. - -Der Arzt sagte, alle Ammen seien Mädchen, und wenn der junge Baron die -Anlage, zu Mädchen zu gehen, erben werde, so sei er ein tüchtigen Kerl, -und solche Anlagen müsse man pflegen. Eine Bauernfrau bekomme man -bestimmt nicht, denn wer Grund und Boden habe, wolle auch seine Kinder -selber besitzen. - -– Aber wenn man ein Mädchen mit einem Knecht verheirate. - -– Dann müsse man neun Monate warten. - -– Aber wenn man ein Mädchen verheirate, das schon ein Kind habe? - -– Das sei eine Idee! - -Der Baron wusste wohl von einem Mädchen, das ein Kind von drei Monaten -hatte. Er wusste es nur allzu gut, denn seine Verlobungszeit hatte drei -Jahre gedauert und der Arzt hatte ihm schliesslich „verordnen“ müssen, -untreu zu sein. - -Er ging selber zu ihr und fragte sie. Sie solle einen eigenen Hof -bekommen, wenn sie sich mit dem Knecht Anders verheirate und Amme im -Herrnhaus werde. Nun, es war klar, dass sie das lieber wollte, als -allein die Schande tragen. - -Am nächsten Sonntag sollten sie zum ersten, zweiten und dritten Mal -aufgeboten werden, und Anders sollte auf zwei Monate nach Haus reisen. - -Der Baron sah ihr Kind mit einem seltsamen Gefühl von Neid. Es war ein -grosses, starkes Ding. Schön war es nicht, aber sicher würde es sich -durch viele Familienglieder fortpflanzen können. Das Kind war zum Leben -geboren, aber es wurde nicht sein Los. - -Anna weinte, als es ins Waisenhaus gebracht wurde, aber das gute Essen -im Herrnhaus, denn sie ass vom Essen der Herrschaft und bekam Porter und -Wein, so viel sie wollte, tröstete sie allmählich. Auch durfte sie -ausfahren in der grossen Kalesche, auf deren Kutschbock ein Bedienter -sass. Und dann konnte sie „Tausendundeine Nacht“ lesen. Noch nie in -ihrem Leben war sie so gepflegt worden. - -Aber nach zwei Monaten kam Anders zurück. Er war bei seinen Eltern auf -Besuch gewesen. Hatte gegessen, getrunken und sich ausgeruht. Er nahm -den Hof in Besitz, verlangte aber nach seiner Anna. Könnte sie nicht -wenigstens bei ihm vorsprechen? Nein, das wollte die Baronin nicht. -Keinerlei Geschichten! - -Anna begann abzunehmen und der kleine Baron schrie. Der Arzt wurde um -Rat gefragt. - -– Man lasse sie zusammen, sagte er. - -– Wenn das aber schädlich ist? - -– Im Gegenteil! - -Aber Anders sollte erst „analysiert“ werden. - -Das wollte Anders nicht. Anders erhielt einige Schafe und dann wurde er -analysiert. - -Der kleine Baron schrie nicht mehr. - -Da aber kam die Nachricht vom Waisenhaus, Annas Junge sei an -Diphtheritis gestorben. Anna bekam Milchversetzung und der kleine Baron -schrie ganz schrecklich. - -Anna musste verabschiedet und zu Anders geschickt werden, und man musste -eine neue Amme annehmen. Anders freute sich, endlich richtig verheiratet -zu sein, aber Anna hatte feine Gewohnheiten angenommen. Sie konnte nicht -mehr brasilianischen Kaffee trinken, sondern musste Java haben. Und ihre -Gesundheit verbot ihr, sechs Mal in der Woche Fisch zu essen. Sie konnte -die Erde nicht graben, und darum wurde das Brot knapp. - -Nach einem Jahr hätte Anders den Hof aufgeben müssen; doch der Baron war -ihm gewogen, und er durfte als Kätner bleiben. - -Anna tagewerkte auf dem Herrnhof und sah oft den kleinen Baron; er aber -erkannte sie nicht wieder, und das war gut. Aber er hatte doch an ihrer -Brust gelegen. Und sie hatte sein Leben gerettet und dafür das ihres -eigenen Kindes gegeben. Doch sie war fruchtbar und bekam mehrere Söhne, -die Kätner, Bahnarbeiter wurden; einer wurde Zuchthäusler. - -Aber der alte Baron sah mit Unruhe den Tag kommen, an dem der junge -Baron sich verheiraten und einen Erben zeugen würde. Stark sah er nicht -aus! Er wäre sehr viel ruhiger gewesen, wenn der andere kleine Baron, -der im Waisenhaus starb, auf dem Herrnhof gesessen hätte. Und als er den -„Lebenssklaven“ noch ein Mal las, musste er eingestehen, dass die -Oberklasse von der Gnade der Unterklasse lebt; und als er Darwin noch -ein Mal las, konnte er nicht leugnen, dass die Auslese, so wie sie jetzt -war, alles andere als natürlich sei. Aber das war nun einmal so, und das -konnte man nicht ändern, der Doktor und die Sozialisten mochten sagen, -was sie wollten. - - - - - Reformversuch - - -Sie hatte mit Ekel gesehen, wie die Mädchen zu Haushälterinnen für ihre -künftigen Männer erzogen wurden. Darum hatte sie eine Fertigkeit -gelernt, die sie unter allen Verhältnissen des Lebens ernähren konnte. -Sie machte Blumen. - -Er hatte mit Schmerz gesehen, wie die Mädchen darauf warteten, von ihren -künftigen Männern versorgt zu werden; er wollte sich mit einer freien, -selbstständigen Frau verheiraten, die sich selber ernähren konnte; dann -würde er in ihr eine Seinesgleichen sehen und eine Kameradin fürs Leben -haben, keine Haushälterin. - -Und das Schicksal wollte, dass sie sich trafen. Er war Maler, und sie -machte, wie gesagt, Blumen, und in Paris hatten sie diese neuen Ideen -bekommen. - -Es war eine stilvolle Ehe. Sie hatten sich in Passy drei Zimmer -gemietet. Das Atelier lag in der Mitte, sein Zimmer auf der einen Seite, -ihr Zimmer auf der andern. Ein gemeinsames Bett wollten sie nicht haben; -das sei eine Schweinerei, die durchaus kein Gegenstück in der Natur -besitze und nur Übertreibung und Ausschweifung veranlasse. Und sich im -selben Zimmer entkleiden! Nein, jeder sein eigenes Zimmer; und dann -einen gemeinsamen neutralen Raum, das Atelier. Keine Dienstboten; denn -die Küche wollten sie gemeinsam besorgen. Nur eine alte Frau, die -morgens und abends kam. - -Es war gut ausgerechnet, und es war ganz richtig gedacht. - -– Wenn ihr aber Kinder bekommt? wandte der Zweifler ein. - -– Wir werden keine Kinder bekommen! - -Gut! Sie würden keine Kinder bekommen! - -Es war entzückend! Er ging morgens auf den Markt und kaufte ein. Darauf -kochte er den Kaffee. Sie machte die Betten und räumte die Zimmer auf. -Dann setzten sie sich an die Arbeit. - -Wenn sie müde wurden, plauderten sie eine Weile, gaben einander einen -guten Rat, lachten und waren sehr lustig. - -Wenn der Mittag kam, machte er Feuer in der Küche, während sie das -Gemüse wusch. Er kochte Rindfleisch in der Brühe, während sie zum -Kaufmann hinunterlief; dann deckte sie, während er das Essen auftischte. - -Aber wie Geschwister lebten sie nicht. Sie sagten sich abends gute -Nacht, und jedes ging in sein Zimmer. Dann aber klopfte es an ihre Tür -und sie rief: herein! Doch das Bett war eng und es kam nie zu -Ausschweifungen, sondern jedes erwachte morgens im eigenen Bett. Und -dann klopfte er an die Wand: - -– Guten Morgen, mein Mädchen! Wie steht es heute? - -– Danke, gut; und dir? - -Es war immer etwas Neues, wenn sie sich morgens trafen, und es wurde nie -alt. - -Abends gingen sie oft zusammen aus und trafen mit Landsleuten zusammen. -Und sie wurde nicht geniert von Tabaksrauch, und sie genierte auch -selber nicht. - -Das sei das Ideal einer Ehe, meinten die andern, ein so glückliches Paar -hätten sie noch nicht gesehen. - -Aber das Mädchen hatte Eltern, die weit entfernt wohnten. Und die -schrieben und fragten unaufhörlich, ob Luise noch nicht guter Hoffnung -sei, denn sie sehnten sich nach einem Enkelkind. Luise solle daran -denken, dass die Ehe der Kinder und nicht der Eltern wegen da sei. Das -hielt Luise für eine altmodische Ansicht. Da fragte die Mama, ob man -denn mit den neuen Ideen die Absicht habe, das Menschengeschlecht -auszurotten. Daran habe Luise nicht gedacht, und darum kümmere sie sich -auch nicht. Sie sei glücklich und ihr Mann auch, und jetzt habe die Welt -endlich eine glückliche Ehe gesehen, und darum sei die Welt neidisch. - -Aber angenehm lebten sie. Keiner war der Herr des andern, und zur Kasse -schossen sie zusammen. Das eine Mal verdiente er mehr, das andere Mal -sie, aber das wurde unter einander ausgeglichen. - -Und wenn sie Geburtstag hatten! Da erwachte sie davon, dass die -Aufwartefrau hereinkam mit einem Blumenstrauss und einem Briefchen, auf -das Blumen gemalt waren und in dem zu lesen stand: - -– Der Frau Blumenknospe gratuliert ihr Anstreicher und ladet sie zu -einem feinen kleinen Frühstück ein – und zwar sofort! - -Und dann klopfte es an seine Tür und dann – herein! Und sie assen -Frühstück auf dem Bett, auf seinem Bett; und die Aufwartefrau arbeitete -dann den ganzen Vormittag. Es war entzückend. - -Und nie ward es etwas Altes. Denn es dauerte zwei Jahre. Und alle -Weissager weissagten falsch. - -So müsste die Ehe sein! - -Dann aber geschah es, dass die Frau krank wurde. Sie glaubte, es seien -die Tapeten; er aber vermutete Bakterien. Ja, es waren bestimmt -Bakterien! - -Aber es war auch etwas in Unordnung. Es war nicht so, wie es sein -sollte. Es war bestimmt eine Erkältung. Und dann wurde sie so stark. -Sollte es vielleicht ein Gewächs sein, von dem man soviel las? Ja, es -war bestimmt ein Gewächs. Sie ging zu einem Arzt. Als sie nach Haus kam, -weinte sie. Es war wirklich ein kleines Gewächs, aber eins, das zu -seiner Zeit ans Tageslicht kommen werde, um Blume zu werden und Frucht -anzusetzen. - -Der Mann weinte nicht. Er fand Stil darin, und dann ging der Lümmel in -die Kneipe und prahlte noch damit. Aber die Frau weinte wieder. Wie -würde jetzt ihre Stellung zu ihm werden? Mit Arbeit könne sie jetzt bald -nichts mehr verdienen, und dann müsse sie sein Brot essen. Und dann -müssten sie sich eine Magd halten. Huh, diese Mägde! - -Alle Vorsorge, aller Vorbedacht, alle Voraussicht waren an dem -Unvermeidlichen gescheitert. - -Aber die Schwiegermutter schrieb begeisterte Gratulationsbriefe und -wiederholte immer wieder, die Ehe sei von Gott der Kinder wegen -gestiftet, das Vergnügen der Eltern sei nur Nebensache. - -Hugo beteuerte, sie brauche niemals daran zu denken, dass sie nichts -verdiene! Trage sie nicht mit ihrer Arbeit für sein Kind genug zum -Haushalt bei? Sei das nicht auch Geldeswert? Geld sei doch nur Arbeit! -Also bezahle sie ja auch ihr Teil. - -Doch sie konnte es lange nicht verschmerzen, dass sie sein Brot essen -musste. Als aber das Kind kam, vergass sie alles. Und sie war seine Frau -und Kameradin wie früher, aber sie war ausserdem die Mutter seines -Kindes, und er fand, das sei das Beste von allem. - - - - - Naturhindernis - - -Ihr Vater hatte sie Buchführung lernen lassen, damit sie dem -gewöhnlichen Los der Mädchen entgehe: darauf zu warten, bis sie -geheiratet wird. - -Sie war jetzt Buchführerin bei der Gepäckabteilung der Eisenbahnen und -wurde allgemein als tüchtig anerkannt. Sie wusste die Leute zu -behandeln, dass es eine Lust war, und sie hatte eine schöne Zukunft vor -sich. - -Da kam der grüne Jäger von der Forstakademie, und sie heirateten sich. -Aber Kinder wollten sie nicht haben. Es sollte eine geistige Ehe von der -rechten Art werden, und die Welt sollte sehen, dass die Frau auch ein -seelisches Wesen und kein Weibchen sei. - -Die beiden Gatten trafen sich mittags und nachts, und es war eine -wirkliche Ehe, die Verbindung zweier Seelen, und allerdings auch die -zweier Körper, aber davon sprach man natürlich nicht. - -Eines Tages kam die Frau nach Hause und erzählte, die Dienstzeit sei -geändert. Ein neuer Nachtzug nach Malmö sei vom Reichstag beschlossen -worden, und sie habe künftig zwischen sechs und neun Uhr abends Dienst. -Das war ein Strich durch die Rechnung. Denn er konnte nicht vor sechs -Uhr nach Haus kommen. Unmöglich! - -Jetzt musste jedes allein zu Mittag essen, und sie trafen sich nur -nachts. Er fand das etwas wenig. Und dann die langen Abende. - -Er kam und holte sie ab. Es war ihm aber nicht angenehm, in der -Gepäckexpedition auf einem Stuhl zu sitzen und von den Trägern gestossen -zu werden. Er war immer im Wege. Und wenn er mit ihr, die mit der Feder -hinterm Ohr dasass, plaudern wollte, konnte sie ihm das Wort -abschneiden: - -– Bitte, sei doch so lange still! - -Dann wandten die Leute sich ab, und er konnte an ihren Rücken sehen, -dass sie grinsten. - -Zuweilen wurde er von einem Buchhalter mit diesen Worten angemeldet: - -– Ihr Mann wartet auf Sie, Frau X. - -„Ihr Mann“, das klang so geringschätzig. - -Was ihn aber am meisten reizte, war, dass sie zum Nebenmann am Pult -einen jungen Laffen hatte, der ihr direkt in die Augen guckte und sich -oft, um ins Hauptbuch zu sehen, so über ihre Schulter beugte, dass sein -Kinn fast auf ihrer Brust lag! Und die beiden sprachen von Fakturen und -Zertifikaten; von Dingen, die alles mögliche bedeuten konnten, denn er -verstand sie nicht. Und sie kollationierten zusammen und schienen -vertrauter mit einander zu sein, als Mann und Frau waren. Und das war -sehr natürlich, denn sie war mehr mit dem fröhlichen Laffen zusammen als -mit ihrem Mann. Er begann zu denken, es sei doch keine rechte geistige -Ehe; damit sie das sei, hätte er auch bei der Gepäckabteilung sein -müssen. Jetzt aber war er bei der Forstakademie. - -Eines Tages, oder richtiger eines Nachts, verkündete sie, sie müsse am -nächsten Sonnabend die Versammlung der Eisenbahner besuchen, die mit -einem gemeinsamen Schmaus beschlossen würde. Der Mann nahm die -Mitteilung etwas verlegen auf. - -– Du willst dahin gehen? war er naiv genug zu fragen. - -– Welche Frage? - -– Aber du bist die einzige Frau unter so vielen Männern, und wenn Männer -getrunken haben, werden sie roh! - -– Besuchst du denn nicht Forsttage ohne mich? - -– Allerdings, aber nicht als einziger Mann unter Frauen! - -– Männer und Frauen seien doch gleich, und sie sei erstaunt, dass er, -der doch immer die Befreiung des Weibes gepredigt, etwas dagegen habe, -dass sie die Sitzung besuche! - -– Er räume ein, es seien alte Vorurteile, die bei ihm noch festsässen; -er räume ein, sie habe recht und er habe unrecht, aber er bitte sie, -nicht hinzugehen: es sei ihm nun einmal unangenehm! Er könne nicht davon -loskommen! - -– Das sei inkonsequent von ihm! - -– Ja, es sei inkonsequent von ihm, aber es seien auch zehn Generationen -nötig, bis sich die Individuen da herausgearbeitet hätten! - -– Dann dürfe er auch nicht mehr Versammlungen besuchen. - -– Das sei nicht dasselbe, denn dort seien nur Männer! Nicht dass sie -ohne ihn ausgehe, sei ihm unangenehm, sondern dass sie allein mit so -vielen Männern ausgehe! - -– Allein würde sie nicht sein, denn die Frau des Kassierers werde dabei -sein als ... - -– Als was? - -– Als Frau des Kassierers! - -– Dann könne er vielleicht mitgehen als „ihr Mann“! - -– Warum wolle er sich demütigen, indem er lästig falle! - -– Er wolle sich demütigen! - -– Er sei eifersüchtig? - -– Ja, warum nicht! Ihm sei bange, dass etwas zwischen sie kommen könne. - -– Pfui, er sei eifersüchtig, welche Kränkung! Welche Beschimpfung, -welches Misstrauen! Was denke er von ihr? - -– Das Allerbeste! Er wolle es ihr beweisen: sie könne allein gehen! - -– Sie dürfe also wirklich allein gehen! Wie gnädig! - -Sie ging! Und kam erst gegen Morgen nach Haus, Sie musste ihren Mann -wecken und ihm erzählen! wie angenehm es gewesen sei! Und wie es ihn -freute, das zu hören! Sie hätten eine Rede auf sie gehalten, und sie -hätten Quartett gesungen und getanzt. - -– Wie sei sie denn nach Haus gekommen? - -– Herr Latte habe sie bis zur Haustür gebracht. - -– Wenn nun ein Bekannter seine Frau um drei Uhr morgens am Arm des Herrn -Laffen getroffen hätte! - -– Warum nicht! Sie habe doch keinen schlechten Ruf! - -– Nein, aber sie könne einen bekommen! - -– Ach, er sei eifersüchtig, und, was schlimmer sei, er sei neidisch! Er -gönne ihr kein Vergnügen. So sei es, wenn man verheiratet sei! Wenn man -ausgehe und sich amüsiere, kriege man Schelte, sobald man nach Haus -komme! Pfui, wie dumm die Ehe sei! Und sei es überhaupt eine Ehe? Sie -träfen sich nachts, ganz wie andere Verheiratete. Und die Männer seien -alle gleich. Höflich, bis sie sich verheirateten, aber dann, dann! Ihr -Mann sei gerade so, wie alle anderen Männer: er glaube sie zu besitzen, -sie zu beherrschen! - -– Er habe geglaubt, ein Mal hätten sie gemeint, einander zu besitzen, -aber er habe sich geirrt. _Sie_ besitze ihn, wie man einen Hund besitze, -dessen man immer sicher ist. Sei er etwas anderes als ihr Diener, der -sie abends abhole? Sei er etwas anderes als „ihr Mann“? Aber wolle sie -„seine Frau“ sein? Sei das Gleichstellung? - -– Sie sei nicht nach Haus gekommen, um sich zu zanken. Sie wolle immer -seine Frau sein, und er solle immer ihr Männchen sein. - -– Der Champagner wirkt! dachte er und drehte sich nach der Wand. - -Sie weinte und bat ihn, doch gerecht zu sein und ihr zu – verzeihen. - -Er verbarg sich unter der Decke. - -Sie fragte noch ein Mal, ob er – ob er nicht wolle, dass sie seine Frau -sei. - -– Doch, gewiss wolle er das! Aber er habe sich heute abend so furchtbar -gelangweilt, dass er nie mehr einen solchen Abend erleben wolle. - -– Aber das sollten sie jetzt vergessen! - -Und sie vergassen es und sie war wieder sein Frauchen. - -Am nächsten Abend, als der grüne Jäger seine Frau abholen wollte, war -sie in die Magazine gegangen. Er war allein im Kontor und setzte sich -auf ihren Stuhl. Da öffnet sich eine Glastür und Herr Laffe steckt den -Kopf herein: - -– Annchen, bist du hier? - -Nein, es war ihr Mann! - -Er stand auf und ging seiner Wege! Herr Laffe nannte seine Anna Annchen -und duzte sie! Annchen! Das war zuviel. - -Als sie nach Haus kam, gab es einen grossen Auftritt. Sie wies dem -grünen Jäger nach, seine Lehren von der Befreiung des Weibes seien nicht -ernst zu nehmen, da er es übel auffasse, wenn seine Frau ihre Kameraden -duze. - -Das Schlimmste war, dass er zugab, seine Lehren seien nicht ernst zu -nehmen. - -– Das sei nicht seine Meinung! Er ändere seine Ansichten! Was? - -– Ja, freilich! Die Ansichten änderten sich nach der Wirklichkeit, die -so veränderlich sei! Habe er aber früher an eine geistige Ehe geglaubt, -so glaube er jetzt an gar keine Ehe mehr. Das sei ja ein Fortschritt in -radikaler Richtung! Und was das Geistige betreffe, so sei sie jetzt -geistig mehr mit Herrn Laffe verheiratet, dessen Gedanken über -Gepäckwesen sie täglich und stündlich teile, als mit ihm, für dessen -Forstkultur sie sich ganz und gar nicht interessiere! Sei schliesslich -ihre Ehe geistig? Sei sie so geistig! - -– Nein, jetzt nicht mehr! Ihre Liebe sei tot! Er habe sie getötet, als -er den grossen Glauben an – die Befreiung des Weibes aufgegeben! - -Es wurde immer giftiger, und der grüne Jäger suchte geistige Ehe mit -Forstmännern und gab das Gepäckwesen, das er nie verstanden hatte, auf. - -– Du verstehst mich nicht, wiederholte sie so oft! - -– Nein, Gepäckwesen habe ich nicht gelernt, antwortete er. - -Eines Nachts, oder richtiger eines Morgens, erzählte er, er müsse mit -einem Mädchenpensionat botanisieren gehen. Er lehre Botanik in einem -Mädchenpensionat. - -So? Davon habe er ihr ja noch nichts gesagt! Grosse Mädchen? - -– Kolossale! Sechzehn bis zwanzig Jahre alt! - -– Hm! ... Am Vormittag? - -– Nein, am Nachmittag! Und nachher würden sie draussen zu Abend essen. - -– Hm! Die Vorsteherin sei doch dabei? - -– Nein! Aber sie habe volles Vertrauen zu ihm, da er verheiratet sei! Es -sei also zuweilen gut, verheiratet zu sein. - -Am nächsten Tag war sie krank. - -– Er könne doch nicht das Herz haben, sie zu verlassen? - -– Der Dienst vor allem! Sei sie sehr krank? - -– Oh, furchtbar! - -Der Arzt wurde geholt, trotzdem sie es nicht wollte. Er erklärte, es sei -nicht gefährlich, der Mann könne gehen! - -Gegen Morgen kam der grüne Jäger nach Haus! Wie lustig er war! Und wie -er sich amüsiert habe! Solch einen Tag habe er lange, lange nicht -erlebt! - -Da brach es los: Huhuhuhu! Dieser Kampf sei ihr zu schwer! Und er musste -einen Eid ablegen, dass er nie eine andere als sie lieben werde! -Niemals! - -Krämpfe und Weinessig! - -Er war zu edelmütig, um von Einzelheiten des Schmauses mit den Mädchen -zu sprechen, aber er konnte es nicht lassen, das alte Gleichnis von -seinem Hundetum wieder vorzubringen, und er erlaubte sich, sie darauf -aufmerksam zu machen, dass zur Liebe der Begriff Besitzrecht gehöre – -auch von Seiten der Frau. Warum weine sie denn? Über dasselbe, über das -er fluchte, wenn sie mit zwanzig Männern ausgehe! Die Furcht, ihn zu -verlieren! Aber man verliert nur, was man besitzt! Besitzt! - -So wurde das Loch wieder geflickt. Aber die Gepäckabteilung und das -Mädchenpensionat standen mit ihren Scheren bereit und schnitten wieder -ab, was man angeheftet hatte. Eine harmonische Ehe war es nicht mehr. - -Da wurde die Frau krank! - -Sie habe sich bestimmt an einem Gepäckstück im Magazin verhoben. Sie sei -so eifrig und könne es nicht leiden, wie die Gepäckträger dastehen und -auf sich warten lassen. Sie müsse immer selber mit anfassen. Es sei -sicher ein Bruch. - -Es sei etwas Hartes zu fühlen, sagte die Hebamme. - -Es war so weit! Wie böse sie wurde! Böse auf ihn, denn es sei bestimmt -nur Bosheit von ihm! Wie werde es ihr jetzt ergehen, mit ihrer Zukunft. -Sie müssten das Kind in ein Findelhaus geben. So habe es Rousseau getan. -Sonst sei der ja ein Dummkopf, aber in diesem Punkt habe er recht. - -Und so viel Launen! Der Jäger musste augenblicklich seine Botanik im -Mädchenpensionat aufgeben! - -Aber das Schlimmste: sie konnte nicht mehr ins Magazin gehen. Sie musste -im Kontor sitzen und buchen. Und das Allerschlimmste: sie erhielt einen -Gehilfen, dessen geheime Aufgabe es war, sie zu vertreten, wenn sie zu -Haus bleiben musste. - -Und die Kollegen waren nicht mehr wie früher. Und die Leute grinsten. -Sie hätte sich vor Scham verstecken mögen. Lieber sich in ihrer -Häuslichkeit verkriechen und das Essen kochen als hier wie ein Spektakel -sitzen. O welche Abgründe von Vorurteilen in den falschen Herzen der -Männer verborgen liegen. - -Für den letzten Monat nahm sie Urlaub. Sie vermochte nicht mehr vier -Male am Tage den Weg zu machen. Und dann wurde sie hungrig mitten am -Vormittag und musste Butterbrote holen lassen. Und oft war sie krank und -musste eine Pause machen. Was für ein Leben! Was für ein klägliches Los -der Frau zugefallen war! - -Und dann kam das Kind! - -– Wollen wirs ins Findelhaus schicken? sagte der Jäger. - -– Oh, er habe wohl kein Herz? - -– Doch, das habe er! - -Und das Kind blieb zu Hause! - -Dann aber kam ein sehr höflicher Brief vom Betriebsamt und fragte, wie -es dem Frauchen gehe! - -Es gehe ihr gut und sie könne übermorgen wieder Dienst tun. - -Sie war schwach und musste einen Wagen nehmen. Aber sie wurde bald -wieder stark. Doch sie musste einen Laufburschen nach Haus schicken, um -zu fragen, wie es dem Kinde gehe; erst zwei Male am Tage, dann alle zwei -Stunden. Und als sie hörte, es habe geschrien, wurde sie ganz wild und -eilte nach Haus. Aber der Gehilfe stand bereit, um sie zu vertreten. Die -Vorgesetzten waren sehr höflich und sagten nichts. - -Eines Tages entdeckte die Frau, dass die Milch der Amme versiegt war und -dass die Person das nicht gemeldet habe, aus Furcht, ihre Stelle zu -verlieren. Sie nahm sofort Urlaub, um eine neue Amme zu suchen! Ach, die -waren sich alle gleich. Kein Interesse für fremde Kinder, nur rohe -Egoisten. Man konnte sich nie auf sie verlassen! - -– Nein, sagte der Mann, in diesem Fall kann man sich nur auf sich selber -verlassen! - -– Du meinst, ich soll meine Stellung aufgeben? - -– Ich meine, du tust, was du willst! - -– Und deine Sklavin werden! - -– Nein, das meine ich durchaus nicht! - -Der Kleine wurde krank, wie alle Kinder werden. Er kriegte Zähne! Urlaub -auf Urlaub. Das Kind bekam sogenanntes Zahnreissen! Nachts wiegen, -tagsüber Dienst, schläfrig, müde, unruhig, und dann Urlaub. Der grüne -Jäger war nett und trug das Kind nachts, sagte aber nie etwas über die -Stellung seiner Frau. - -Doch sie kannte seine Gedanken. Er warte nur darauf, dass sie zu Hause -blieb; aber er sei falsch und darum schweige er! Wie falsch die Männer -seien! Sie hasse ihn; lieber würde sie sich töten, als ihre Stelle -aufgeben und seine Sklavin werden! - -Der Jäger hatte jetzt vollständig jede Hoffnung aufgegeben, dass sich -die Frau von den Naturgesetzen emanzipieren könne; _unter den jetzigen -Verhältnissen_, war er klug genug, hinzuzufügen. - -Als das Kind fünf Monate alt war, wurde die Frau wieder schwanger. - -Himmelkreuzdonnerwetter! - -– Ja, wenn es ein Mal anfängt, dann ist der Teufel los! - -Der Jäger musste seine Stellung im Mädchenpensionat wieder übernehmen, -um das Einkommen zu erhöhen, und jetzt – jetzt streckte sie das Gewehr! - -– Ich bin deine Sklavin, rief sie aus, als sie mit dem Abschied nach -Haus kam; ich bin deine Sklavin. - -Nichtsdestoweniger leitet sie den Haushalt, und er liefert jeden -einzigen Pfennig unter ihre Schlüssel. Wenn er eine Zigarre haben will, -kommt er und hält eine lange Rede, ehe er seine Bitte vorzubringen wagt. -Sie verweigert es ihm nicht, niemals, aber er findet es doch etwas -lästig, um das Geld bitten zu müssen. Und Sitzungen darf er besuchen, -aber einen Schmaus nicht, und Botanisieren mit Mädchen gibt es nicht -mehr! - -Er vermisst es auch nicht so sehr, denn er findet, das Beste ist, mit -den Kindern zu spielen! - -Seine Kameraden sagen, er stehe unterm Pantoffel; doch darüber lächelt -er, indem er sagt, er befinde sich am besten dabei, denn sein Weib sei -eine sehr verständige und nette Frau. - -Sie aber behauptet immer noch, sie sei seine Sklavin, sie sei es doch, -und das ist ihr einziger Trost in der Betrübnis: das arme Frauchen. - - - - - Ein Puppenheim - - -Sie waren sechs Jahre verheiratet, aber sie glichen noch Verlobten. Er -war Kapitän der Flotte und musste jeden Sommer einige Monate fort; zwei -Male hatte er eine lange Tour gemacht. Die kleinen Dienstreisen taten so -gut: war ihr Verhältnis in dem langen Winter etwas muffig geworden, so -wurde es durch diese Sommertour wieder aufgefrischt. - -Im ersten Sommer schrieb er förmliche Liebesbriefe an seine Frau, und er -konnte auf dem Meer keinen Segler treffen, ohne dass er sofort Post -signalisieren liess! Und als er vom Stockholmer Inselmeer Landkennung -hatte, wusste er nicht, wie er sie schnell genug sehen konnte. Aber das -wusste sie. In Landsort erreichte ihn ein Telegramm, dass sie ihm nach -Dalarö entgegen kommen werde. Und als Anker geworfen wurde, sah er ein -kleines, blaues Taschentuch auf der Veranda des Gasthauses: da wusste -er, dass sie es war. Aber es war an Bord so viel zu tun, dass es Abend -wurde, ehe er an Land gehen konnte. Als er dann aber mit der Gig kam und -der vorderste Ruderer den Anprall abwehrte, sah er sie auf der -Landungsbrücke: sie war noch ebenso jung, noch ebenso hübsch, noch -ebenso gesund wie vorher; es war ihm, als lebte er seine erste -Liebeszeit noch ein Mal. Und als sie ins Gasthaus kamen, welch kleines -Souper hatte sie in den beiden kleinen Zimmern, die sie bestellt, zu -arrangieren verstanden! Und wieviel sie mit einander zu besprechen -hatten. Die Reise, die Kinder, die Zukunft! Und der Wein funkelte und -die Küsse schmatzten. Vom Schiff war der Zapfenstreich zu hören. Um den -kümmerte er sich aber nicht, denn er wollte nicht vor ein Uhr gehen. - -– Was, er wolle gehen? - -– Ja, er müsse an Bord sein; wenn er aber zur Tagwache da sei, genüge -es. - -– Wann denn die Tagwache beginne? - -– Um fünf Uhr! - -– O pfui so früh! - -– Wo wolle sie aber heute nacht wohnen? - -– Das brauche er nicht zu wissen! - -Er erriet es und wollte nun sehen, wo sie wohne. Aber sie stellte sich -vor die Tür! Er küsste sie, nahm sie wie ein Kind auf den Arm und -öffnete die Tür. - -– Was für ein grosses Bett! Das war ja wie die grosse Barkasse! Wo -hatten die Leute das her? - -Wie sie errötete! - -– Aber sie habe ja seinen Brief so verstanden, dass sie beide im -Gasthaus „wohnen“ würden. - -– Gewiss würden sie dort wohnen, wenn er auch zur Tagwache an Bord sein -müsse: auf dieses verd. Morgengebet komme es doch auch nicht an! - -– Wie er so sprechen könne! - -– Jetzt wollen wir Kaffee trinken und etwas Feuer machen, denn die Laken -fühlen sich feucht an! Was für ein verständiger Schalk sie sei, solch -ein grosses Bett anzuschaffen! Wo sie das her habe? - -– Das habe sie nirgendswoher! - -– Nein, das könne er sich wohl denken! Er könne sich alles denken! - -– Er sei doch so dumm! - -– Er sei dumm? - -Und er fasste sie um den Leib. - -– Nein, er müsse artig sein! - -– Artig? Das sei leicht zu sagen! - -– Jetzt komme das Mädchen mit dem Holz! - -Als die Uhr zwei schlug und es im Osten über Schären und Wasser zu -brennen anfing, sassen sie am offenen Fenster. - -– Es sei ja, als sei sie seine Geliebte und er ihr Liebhaber. Nicht -wahr? Und jetzt müsse er gehen! Aber er werde um zehn Uhr wiederkommen, -zum Frühstück, und nachher würden sie segeln. - -Er setzte Kaffee auf seinem Reisekocher auf, und dann tranken sie -Kaffee, während die Sonne aufging und die Möwen schrien. Draussen auf -dem Wasser lag das Kanonenboot, und er sah den Hauer der Vorwache dann -und wann aufleuchten. Die Trennung war schwer, aber die Gewissheit, dass -sie sich schon am nächsten Tag wiedersehen würden, half ihnen darüber -hinweg. Er küsste sie zum letzten Mal, schnallte den Säbel um und ging. - -Als er auf die Brücke hinunterkam und „Boot ahoi“ rief, versteckte sie -sich hinter der Gardine, ganz als schäme sie sich. Er aber warf ihr -lauter Kusshände zu, bis die Matrosen mit der Gig anlangten. Und dann -noch ein letztes: „Schlaf’ gut und träum’ von mir!“ Als er mitten auf -dem Wasser sich umsah und das Fernglas ans Auge setzte, sah er noch eine -kleine Gestalt mit schwarzem Haar in der Kammer, und die Sonne schien -auf ihr Hemd und ihre blossen Schultern, dass sie wie eine Seejungfrau -aussah! - -Da wurde das Wecken geblasen. Die langen Töne des Signalhorns rollten -zwischen grünen Inseln über das blanke Wasser hinaus und kamen auf -andern Wegen hinter Fichtenwäldern zurück. Und dann alle Mann auf Deck -und das Vaterunser und „Jesu, lass mich stets beginnen.“ Der kleine -Glockenstuhl von Dalarö antwortete mit seinem schwachen Geläut, denn es -war Sonntag. Und jetzt kamen Kutter in der Morgenbrise, und Flaggen -wurden geflaggt, Schüsse knallten, helle Sommerkleider erschienen auf -der Zollbrücke, der Dampfer mit dem roten Wassergang kam, die Fischer -nahmen ihre Netze auf, und die Sonne schien auf das wellige blaue Wasser -und auf die grünenden Inseln. - -Um zehn Uhr stiess die Gig ab und ging mit sechs Paar Rudern an Land. -Sie hatten einander wieder. Und als sie in dem grossen Esssaal Frühstück -assen, flüsterten die andern Gäste unter sich: Ist das seine Frau? Er -sprach halblaut wie ein Geliebter und sie schlug die Augen nieder und -lächelte, oder klopfte ihm mit der Serviette auf die Finger. - -Das Boot lag an der Brücke, und sie setzte sich ans Steuer; er besorgte -die Fock. Aber er konnte die Augen nicht abwenden von ihrer hellen, -sommerlich gekleideten Gestalt mit der hohen festen Brust, der -entschlossenen Miene und dem starken Blick, der gegen den Wind aufsah, -während die mit Wildleder behandschuhte Hand die Grossschot hielt. Er -wollte nur plaudern und stellte sich manchmal dumm an beim wenden: dann -kriegte er einen Rüffel wie ein Schiffsjunge, und das machte ihm -höllischen Spass. - -– Warum hast du das Kind nicht mitgenommen? fragte er, um sich mit ihr -zu necken. - -– Wo hätte ich es denn schlafen legen sollen? - -– In die grosse Barkasse natürlich! - -Und dann lächelte sie, und es machte ihm soviel Freude, sie auf diese -Art lächeln zu sehen. - -– Nun, was hat die Wirtin heute morgen gesagt? fuhr er fort. - -– Was sollte sie sagen? - -– Hat sie heute nacht ruhig schlafen können? - -– Warum sollte sie das denn nicht? - -– Ich weiss nicht, aber es hätten ja Ratten sein können, die an den -Dielen knapperten; oder eine alte Bodenluke, die knarrte; man kann nicht -wissen, was den süssen Schlaf einer alten Mamsell beunruhigt. - -– Wenn du nicht still bist, so mache ich die Schot fest und segle dich -in die See! - -Sie landeten an einem kleinen Holm und nahmen aus einem Körbchen ein -Mittagsmahl. Dann schossen sie mit dem Revolver nach der Scheibe. Darauf -legten sie Angelruten aus und taten so, als angelten sie, aber es biss -nicht; und dann segelten sie wieder, auf die freien Meeresflächen -hinaus, wo die Eidergänse strichen; in einen Sund hinein, wo die Hechte -im Schilf schlugen, und dann wieder hinaus. Er wurde es nicht müde, sie -zu sehen, mit ihr zu plaudern, sie zu küssen, wenn er konnte. - -So trafen sie sich sechs Sommer, und immer waren sie ebenso jung, immer -ebenso toll, und sie waren glücklich. Im Winter sassen sie in Stockholm -in ihren kleinen Kajüten. Und dann takelte er Boote für die jungen auf -oder belustigte sie mit Abenteuern aus China und den Südseeinseln, und -seine Frau sass dabei und hörte zu und musste lachen über seine -drolligen Geschichten. Und es war ein entzückender Raum, der nicht -seinesgleichen hatte. Da hingen japanische Sonnenschirme und Rüstungen, -ostindische Miniaturpagoden, australische Bogen und Lanzen; -Negertrommeln und gedörrte fliegende Fische, Zuckerrohr und -Opiumpfeifen. Und Papa, der anfing kahl zu werden, fühlte sich -ausserhalb der Häuslichkeit nicht wohl. Manchmal spielte er Brett mit -seinem Freund, dem Auditor, und manchmal leistete man sich ein Spielchen -Boston und einen mässigen Grog. Früher hatte seine Frau mitgespielt, -nachdem sie aber vier Kinder bekommen, hatte sie keine Zeit mehr; sie -sass aber gern ein Weilchen dabei und guckte in die Karten, und wenn sie -an Papas Stuhl kam, fasste er sie um den Leib und fragte sie, ob er sich -über seine Karten freuen könne. - -Die Korvette sollte dieses Mal sechs Monate fortbleiben. Dem Kapitän war -es unheimlich, denn die Kinder waren erwachsen und für Mama war es etwas -schwer, den weitläufigen Haushalt zu besorgen. Und der Kapitän war nicht -mehr so jung und nicht ganz so lebendig mehr wie früher, aber – es -musste geschehen, und er fuhr ab. - -Schon bei Kronborg gab er den ersten Brief auf, der also lautete: - - Meine liebe geliebte Toppnant! - - Wind schwach SSO. z. O., + 10° C., 6 Glas Freiwache. Ich kann nicht - schreiben, was ich auf dieser Fahrt, auf der ich Dich nicht sehen - werde, empfinde. Als wir den Warpanker ausfuhren (6 Uhr 30 - nachmittags bei starkem NO. z. N.), war es mir, als hätte man mir - einen Pall in den Brustkasten gesetzt, und ich hatte wirklich ein - Gefühl, als habe man mir die Kette durch beide Ohrklüsen gesteckt. - Man sagt, Seeleute haben ein Vorgefühl von Unglück. Davon weiss ich - nichts, aber bis ich Deine ersten Zeilen erhalte, bin ich recht - unruhig! An Bord ist nichts passiert, aus dem einfachen Grunde, weil - nichts passieren darf. Wie geht es Euch? Hat Bob seine neuen Stiefel - bekommen? Passen sie? Ich bin ein schlechter Briefschreiber, wie Du - weisst, und höre jetzt auf! Mit einem grossen Kuss mitten auf dieses - Kreuz ×! - - Dein alter Pall. - - NS. Du musst Dir etwas Gesellschaft suchen (weibliche natürlich!). - Und vergiss nicht, die Mamsell auf Dalarö zu bitten, dass sie die - grosse Barkasse verhäutet, bis ich zurückkomme! (Der Wind wird - stärker; wir werden ihn nachts von Norden haben!) - -Vor Portsmouth erhielt der Kapitän von seiner Frau diesen Brief: - - Lieber alter Pall! - - Hier ist es schaurig ohne Dich, das kannst Du mir glauben! Und - schwer ist es gewesen, denn Alice hat jetzt ihren Zahn bekommen. Der - Doktor sagte, es sei ungewöhnlich früh, und es soll bedeuten (ja, - das darfst Du nicht wissen!). Bobs Stiefel passen ausgezeichnet, und - er ist sehr stolz auf sie. - - Du erwähnst in deinem Brief, ich müsse eine weibliche Bekanntschaft - suchen. Das habe ich schon getan, oder richtiger, sie hat mich - gesucht. Sie heisst Ottilie Sandegren und hat das Seminar - durchgemacht. Sie ist sehr ernst: Du brauchst also nicht zu - fürchten, Pall, dass man Deine Toppnant auf Abwege führt. Und dann - ist sie religiös. Ja, ja, wir könnten wirklich etwas strenger in - unserer Religion sein, und zwar jeder. Sie ist eine ausgezeichnete - Person. Und nun schliesse ich für dieses Mal, denn Ottilie kommt und - holt mich. Sie ist eben jetzt gekommen und lässt Dich grüssen! - - Deine Gurli. - -Der Kapitän war mit diesem Brief nicht zufrieden. Der war zu kurz und -war nicht so munter wie gewöhnlich. – Seminar, religiös, ernst, und -Ottilie: zwei Male Ottilie! Und dann Gurli! Warum nicht Gulla wie -früher! Hm! - -Acht Tage später erhielt er vor Bordeaux einen neuen Brief, der von -einem Buch in Kreuzband begleitet war. „Lieber Wilhelm!“ – Hm, Wilhelm! -Nicht Pall mehr! – „Das Leben ist ein Kampf“ – Was zum Teufel war das? -Was haben wir beide mit dem Leben zu tun! – „von Anfang bis zum Ende“. -„Ruhig wie ein Bach in Kidron“ – Kidron, das ist ja die Bibel! – „ist -unser Leben verflossen. Wir sind wie Schlafwandler über Abgründe -gegangen, ohne sie zu sehen!“ – Seminar, Seminar! – „Dann aber kommt das -Ethische“ – Ethische? Ablativus! Hm, hm! – „und macht sich in seinen -höheren Potenzen geltend!“ – Potenzen?! – „Wenn ich jetzt aus unserem -langen Schlaf erwache und mich selber frage: ist unsere Ehe eine rechte -Ehe gewesen? so muss ich mit Reue und Scham bekennen, sie ist es nicht -gewesen! Die Liebe ist himmlischen Ursprungs (Matth. XI, 22 ff.).“ – Der -Kapitän musste aufstehen und sich ein Glas Wasser mit Rum nehmen, ehe er -fortfuhr. – „Wie irdisch, wie konkret ist sie gewesen! Haben unsere -Seelen in dieser Harmonie gelebt, von der Plato (Phaidon, Buch VI, Kap. -II, § 9) spricht? Nein, müssen wir antworten! Was bin ich für Dich -gewesen? Deine Haushälterin und, wie ich mich schäme, Deine Geliebte! -Haben unsere Seelen einander verstanden? Nein, müssen wir antworten!“ – -Zum Teufel mit allen Ottilien und Seminaren! Ist sie meine Haushälterin -gewesen? Sie ist meine Frau gewesen und die Mutter meiner Kinder! – -„Lies dieses Buch, das ich Dir sende! Es wird Dir auf alle Fragen -Antwort geben. Es hat ausgesprochen, was Jahrhunderte lang im Herzen des -ganzen Frauengeschlechtes verborgen lag! Lies es und sag mir dann, ob -unsere Ehe eine rechte Ehe gewesen ist. Deine Gurli.“ - -Das war seine böse Ahnung! Der Kapitän war ganz ausser sich und konnte -nicht verstehen, was über seine Frau gekommen sei! Das war ja schlimmer -als Muckertum! - -Er riss das Kreuzband auf und las auf dem Umschlag eines gehefteten -Buchs: Et Dukkehjem af Henrik Ibsen. Ein Puppenheim? Ja! Nun und? Seine -Häuslichkeit war ein feines Puppenhaus gewesen, und sein Frauchen war -seine kleine Puppe und er war ihre grosse Puppe gewesen. Sie waren -dahingetanzt über die harte Strasse des Lebens, und sie waren glücklich -gewesen! Was fehlte ihnen denn? Was war für ein Unrecht begangen worden? -Er musste nachlesen, da das ja in diesem Buch stehen sollte. - -In drei Stunden hatte ers gelesen! Aber sein Verstand stand still. Was -hatten er und seine Frau damit zu tun? Hatten sie Wechsel gefälscht? -Nein! Hatten sie einander nicht geliebt? Doch! - -Er schloss sich in der Kajüte ein und las das Buch noch ein Mal; und er -unterstrich mit blau und rot, und als es Morgen wurde, setzte er sich -hin und schrieb an seine Frau: - - Ein wohlgemeinter kleiner Ablativus über das Stück „Ein Puppenheim“, - vom alten Pall an Bord der Vanadis im Atlantischen Ozean vor - Bordeaux (B. 45°, L. 16°) zusammengeschrieben. - - § 1. Sie verheiratete sich mit ihm, weil er sie liebte, und da tat - sie verdammt recht. Denn hätte sie auf den gewartet, den _sie_ - liebte, so hätte der Fall eintreten können, dass _er_ sie nicht - liebte, und dann hätte sie den Teufel in einer Rüstkausch gehabt. - Dass nämlich beide ganz verliebt in einander sind, trifft äusserst - selten ein. - - § 2. Sie fälscht einen Wechsel. Das war dumm von ihr; aber sie darf - nicht sagen, dass es nur des Mannes wegen geschah, denn sie hat ihn - ja nie geliebt; wenn sie sagte, es sei für beide und für die Kinder - geschehen, dann würde sie die Wahrheit sprechen! Ist das klar? - - § 3. Dass er sie nach dem Ball liebkosen will, beweist nur, dass er - sie liebt, und das ist kein Fehler bei ihm; nur dass es auf dem - Theater gezeigt wird, ist ein Fehler. Il y a des choses qui se font, - mais qui ne se disent point, sagt ein Franzose, glaube ich. Übrigens - hätte der Dichter, wenn er gerecht gewesen wäre, auch einen - entgegengesetzten Fall gezeigt: la petite chienne veut, mais le - grand chien ne veut pas, sagt Ollendorf. (Vergleiche die Barkasse - von Dalarö.) - - § 4. Dass sie, als sie entdeckt, dass der Mann ein Ochse ist, denn - das ist er, als er ihr verzeihen will, weil ihr Streich nicht - ruchbar geworden, ihre Kinder verlassen will, „weil sie nicht würdig - sei, sie zu erziehen“, ist eine nicht sehr scharfsinnige Koketterie. - Wenn sie eine Kuh war (denn auf dem Seminar lernt man doch nicht, - dass es erlaubt ist, Wechsel zu fälschen) und er ein Ochse, so - müssten sie ein gutes Gespann abgeben. Am allerwenigsten dürfte sie - die Erziehung ihrer Kinder einem Vater überlassen, den sie - verachtet. - - § 5. Nora hat also viel eher Grund, bei den Kindern zu bleiben, wenn - sie sieht, was für ein Rindvieh der Mann ist. - - § 6. Dass der Mann sie früher nicht nach ihrem wirklichen Wert - geschätzt hat, dafür konnte er nicht, denn ihren wirklichen Wert - erhielt sie ja erst nach der Balgerei. - - § 7. Nora war früher eine Gans; das leugnet sie selbst nicht. - - § 8. Alle Garantien, dass sie künftighin ein besseres Gespann bilden - werden, liegen ja vor: er hat bereut und will sich bessern; sie - auch! Gut! Hier meine Hand, und nun fangen wir von neuem an! Gleich - und gleich gesellt sich gern! Wie gehauen so gestochen. Du warst - eine Kuh und ich habe mich wie ein Ochse benommen! Du, kleine Nora, - warst schlecht erzogen; ich altes Aas habe es nicht besser gelernt. - Beklage uns beide! Wirf faule Eier auf unsere Erzieher, aber schlag - nicht mich allein auf den Schädel. Ich bin, obwohl ein Mann, ebenso - unschuldig wie du! Vielleicht noch etwas unschuldiger, denn ich habe - mich aus Liebe verheiratet, du aus Wirtschaft! Lass uns daher - Freunde sein und zusammen unsere Kinder die kostbare Lehre lehren, - die das Leben uns gegeben hat! - - Ist das klar? All right! - - Das hat Kapitän Pall mit seinen steifen Fingern und seinem trägen - Verstand geschrieben! - - So, mein geliebtes Püppchen, jetzt habe ich Dein Buch gelesen und - meine Meinung gesagt. Was aber geht das Buch uns an? Haben wir - einander nicht geliebt? Haben wir uns beide nicht erzogen und die - Ecken abgeschliffen, denn Du erinnerst Dich wohl, da waren anfangs - Äste und Schelfen! Was sind denn das für Grillen! Zur Hölle mit - Ottilien und Seminaren! - - Das war ein verzwicktes Buch, das Du mir gegeben hast. Es war wie - ein schlecht bebaktes Fahrwasser, wo man jeden Augenblick auffahren - kann. Aber ich nahm Besteck und prickte auf der Karte aus, so dass - ich ruhiges Wasser bekam. Doch ich mache es wahrhaftig nicht noch - ein Mal. Der Teufel mag diese Nüsse knacken, die inwendig schwarz - sind, wenn man schliesslich ein Loch gemacht hat. Und nun wünsche - ich Dir Friede und Glück und Deinen guten Verstand wieder. - - Wie geht es meinen Kleinen? Du hast vergessen, von ihnen zu - schreiben. Das kam wohl daher, dass Du zu sehr an die verwünschten - Kinder Noras dachtest (die nirgends anders als in dem Stück zu - finden sind). Weint mein Sohn, spielt meine Linde, singt meine - Nachtigall, tanzt mein Püppchen? Das muss sie immer tun, dann freut - sich der alte Pall. Und nun segne Dich Gott und lass keine bösen - Gedanken zwischen uns kommen. Ich bin so traurig, dass ichs kaum - sagen kann. Und da soll ich mich hinsetzen und Kritiken über - Theaterstücke schreiben! Gott behüte Dich und die Kinder, und küss - sie mitten auf den Mund von deinem alten treuen Pall. - -Als der Kapitän den Brief abgeschickt hatte, ging er in die -Offiziersmesse und trank einen Grog. Der Arzt war dabei. - -– Hast du gemerkt, sagte er, wie es nach alten schwarzen Hosen riecht? -Möchte mich im Kattblock auf den Vortopp hissen und von einem -dichtgerefften NW. z. N. durchpusten lassen. - -Aber der Arzt verstand nichts. – - -– Ottilie, Ottilie ... Eine Ration Handspake müsste sie haben! Die Hexe -in die Schanze schicken und die zweite Backschaft auf sie loslassen, bei -geschlossenen Luken. Man weiss wohl, was eine alte Jungfer nötig hat! - -– Aber was ist dir denn, alter Pall? fragte der Arzt. - -– Plato! Plato! Zum Teufel mit Plato. Ja, wenn man sechs Monate auf See -ist, dann ist es Plato! Dann wird man ethisch! Ethisch? Ich wette einen -Marlspieker gegen einen Doppelhaken: bekäme Ottilie ihr warmes Essen, so -würde sie nicht mehr von Plato sprechen! - -– Aber was ist denn? - -– Nichts. Hörst du! Du bist ja Arzt! Wie ist es eigentlich mit den -Frauenzimmern? Was? Ist es nicht gefährlich, lange unverheiratet zu -bleiben? Werden sie nicht etwas ... kikeriki, so auf einen Hals? Was? - -Der Arzt sprach seine Ansicht aus und beklagte, dass nicht alle Weibchen -befruchtet werden können. - -– In der Natur lebt das Männchen meist in Polygamie, denn das kann es in -den meisten Fällen tun, da Essen für die Jungen vorhanden ist (die -Raubtiere ausgenommen): in der Natur gibt es solche Abnormitäten wie -unverheiratete Weibchen nicht. Aber in der Kultur, wo es ein Glück ist, -wenn man Brot genug hat, da ist es gewöhnlich, zumal es mehr Frauen als -Männer gibt. Man müsste daher freundlich gegen unverheiratete Mädchen -sein, denn ihr Los ist traurig. - -– Freundlich? Das ist leicht gesagt; wenn sie aber selber nicht -freundlich sind! - -Und alles kam aus ihm heraus, sogar, dass er eine Theaterkritik -geschrieben. - -– Ach, man schreibt so viel dummes Zeug, sagte der Arzt und legte den -Deckel auf die Grogkanne. Schliesslich entscheidet doch die Wissenschaft -die grossen Fragen! Die Wissenschaft! - -Als der Kapitän, nachdem er sechs Monate fort gewesen und einen nicht -sehr angenehmen Briefwechsel mit seiner Frau geführt (sie hatte seine -Kritik scharf mitgenommen), schliesslich in Dalarö ans Land stieg, wurde -er von seiner Frau, allen Kindern, zwei Mägden und Ottilie empfangen. -Seine Frau war zärtlich, aber nicht herzlich. Sie reichte ihm ihre Stirn -zum Kuss. Ottilie war lang wie ein Stag und hatte sich das Haar -abgeschnitten: im Nacken sah sie aus wie ein Schwabber. Das Souper war -langweilig und es gab nur Tee. Die Barkasse wurde mit Kindern gestaut, -und der Kapitän bekam eine Bodenkammer. O wie anders war das als früher! -Der alte Pall sah alt aus, und verdutzt war er auch. - -– Das ist ja die reine Hölle, dachte er, verheiratet zu sein und keine -Frau zu haben! - -Am nächsten Morgen wollte er mit seiner Frau segeln. Aber Ottilie -vertrug die See nicht. Sie hatte eine schlechte Dampferfahrt hinter -sich. Und übrigens sei es Sonntag. Sonntag? Da haben wirs! Aber sie -wollten statt dessen spazieren gehen. Sie hätten wohl viel mit einander -zu besprechen! Ja freilich, sie hatten sich viel zu sagen. Aber Ottilie -sollte nicht dabei sein! - -Sie gingen Arm in Arm aus. Aber sie sprachen nicht viel; und was gesagt -wurde, waren mehr Worte, um die Gedanken zu verbergen, als durch Worte -ausgedrückte Gedanken. - -Sie kamen an dem kleinen Cholerakirchhof vorbei und schlugen den Weg -nach dem Schweizer Tal ein. Eine schwache Brise rauschte in den Fichten, -und durch die dunkeln Zweige leuchtete das blaue Meer. - -Sie setzte sich auf einen Stein. Er setzte sich ihr zu Füssen. Jetzt -geht es los, dachte er. Und es ging los. - -– Hast du über unsere Ehe nachgedacht, begann sie. - -– Nein, sagte er, als habe er seine Parade schon ausgedacht, ich habe -sie nur empfunden! Ich glaube nämlich, die Liebe ist Gefühlssache: man -segelt auf Landkennung und läuft in den Hafen; greift man aber zu -Kompass und Karte, so stösst man auf Grund. - -– Ja, aber unsere Ehe ist nichts anderes gewesen als ein Puppenheim. - -– Verzeih, das ist eine Lüge. Du hast nie einen Wechsel gefälscht; du -hast niemals einem syphilitischen Doktor, von dem du Geld gegen -Sicherheit in natura leihen wolltest, deine Strümpfe gezeigt; du bist -niemals so romantisch stupid gewesen, zu erwarten, dein Mann würde sich -eines Verbrechens wegen anzeigen, das seine Frau aus Dummheit begangen -und das kein Verbrechen wurde, weil kein Ankläger da war; und du hast -mich nie belogen! Ich habe dich ebenso ehrlich behandelt, wie Helmer -seine Frau behandelte, als er sie zur Vertrauten seiner Seele machte, -sie über die Geschäfte der Bank mitsprechen liess; duldete, dass sie -sich in die Besetzung einer Stelle einmischte! Wir sind also Mann und -Weib nach allen Begriffen gewesen, sowohl altmodischen wie neumodischen! - -– Ja, aber ich bin deine Haushälterin gewesen! - -– Verzeih, das ist eine Lüge! Du hast niemals in der Küche gegessen, du -hast keinen Lohn erhalten, niemals über Ausgaben Rechnung legen müssen, -niemals Schelte gekriegt, weil dies und jenes nicht richtig war! Und -hältst du meine Arbeit: holen und brassen, Tau fieren und „präsentiert“ -schreien, Heringe auszählen und Schnäpse ausmessen, Erbsen wiegen und -Mehl prüfen – hältst du das für ehrenvoller als: nach Mägden sehen und -auf den Markt gehen, Kinder ernähren und Kinder erziehen! - -– Nein, aber du wirst dafür bezahlt! Du bist dein eigener Herr! Du bist -ein Mann! - -– Mein liebes Kind! Willst du einen Lohn von mir haben? Willst du meine -wirkliche Haushälterin werden? Dass ich ein Mann bin, das ist ein -Zufall, denn das soll erst im sechsten Monat entschieden werden! Das ist -traurig, denn es ist jetzt ein Verbrechen geworden, Mann zu sein; es ist -aber kein Fehler. Und der Teufel hole den, der die beiden Hälften der -Menschheit gegen einander erhoben hat! Der hat viel zu verantworten. Bin -ich der Herr? Herrschen wir nicht beide? Tue ich etwas Wichtiges, ohne -dich um Rat zu fragen? Was? Aber du, du erziehst deine Kinder nach -deinem Kopf! Erinnerst du dich nicht, dass ich das Wiegen abschaffen -wollte, weil es die Kinder zum Schlaf berauscht. Da durftest du -herrschen! Ein ander Mal habe ich geherrscht, das nächste Mal wieder du! -Einen Mittelweg gibt es nicht, denn zwischen Wiegen und Nichtwiegen gibt -es kein Mittelding! Es ist doch ganz gut gegangen bis jetzt! Du hast -mich für Ottilie verlassen! - -– Ottilie! Immer Ottilie! Hast du nicht selber sie zu mir geschickt? - -– Nicht gerade sie! Jetzt aber herrscht sie jedenfalls! - -– Von allem, was ich liebe, willst du mich trennen! - -– Ist Ottilie alles? Es sieht beinahe so aus! - -– Aber ich kann sie jetzt nicht fortschicken, da ich sie engagiert habe, -damit sie Pädagogik und Latein mit den Mädchen treibt! - -– Latein! Ablativus! Herr Jesus, sollen die Mädchen auch damit verdorben -werden? - -– Ja, sie sollen ebensoviel wissen, wie ein Mann weiss, wenn sie sich -einmal verheiraten: dann wird es eine rechte Ehe geben. - -– Aber, liebes Kind, alle Ehemänner können doch nicht Latein! Ich kann -ja nicht mehr als ein einziges Wort Latein, und das ist Ablativus! Und -wir sind doch glücklich! Übrigens ist man ja dabei, Latein auch für die -Männer, als überflüssig, abzuschaffen! Könnt ihr aus dem Beispiel nichts -lernen? Ist es nicht genug, dass das männliche Geschlecht verdorben ist; -will man nun auch noch das weibliche verderben? Ottilie, Ottilie, warum -hast du mir das getan? - -– Von dieser Sache will ich nicht mehr sprechen. Aber unsere Liebe, -Wilhelm, ist nicht gewesen, wie sie hätte sein müssen. Sie ist sinnlich -gewesen! - -– Aber, liebes Herz, wie hätten wir denn Kinder bekommen sollen, wenn -unsere Liebe nicht auch sinnlich gewesen wäre. Aber sie ist nicht nur -sinnlich gewesen! - -– Kann etwas auf ein Mal schwarz und weiss sein? Das möchte ich fragen. -Antworte darauf! - -– Ja, das kann es; dein Sonnenschirm ist aussen schwarz, aber inwendig -weiss. - -– Sophist! - -– Hör mal, mein geliebtes Kind, sprich mit deiner eignen Zunge und -deinem eignen Herzen, und nicht mit Ottiliens Büchern! Nimm deinen -Verstand gefangen und werde du selbst, meine geliebte, kleine Frau! - -– Dein, dein Eigentum, das du mit deiner Arbeit kaufst! - -– Ebenso wie ich dein Mann bin, den keine andere Frau ansehen darf, wenn -sie ihre Augen im Kopf behalten will; und den du geschenkt erhalten -hast, nein, zum Ersatz dafür, dass er dich bekam! Ist das nicht partie -égale! - -– Aber wir haben unser Leben im Spiel verbracht! Haben wir etwa höhere -Interessen gehabt, Wilhelm? - -– Ja, wir haben die höchsten Interessen gehabt, Gurli; wir haben nicht -immer gespielt, denn wir haben auch ernste Stunden durchgemacht! Wir -haben die höchsten Interessen gehabt, die man haben kann; denn wir haben -dem künftigen Geschlecht Leben gegeben; wir haben tapfer gestrebt und -gearbeitet, du nicht am wenigsten, für die Kleinen, die gross werden -sollen. Bist du nicht ihretwegen vier Male dem Tod nahe gewesen? Hast du -nicht den Schlaf der Nacht verachtet, um sie zu wiegen; die Vergnügungen -des Tages, um sie zu pflegen? Könnten wir nicht eine Wohnung von sechs -Zimmern in der Hauptstrasse und einen Diener haben, wenn wir nicht die -Kinder besässen? Könntest du nicht Seide und Perlen tragen, Gulla? Und -ich alter Pall brauchte nicht Elsternnester in den Knien zu haben, wenn -wir die Kinder nicht auf die Welt gesetzt hätten! Sind wir solche -Puppen? Sind wir denn so selbstsüchtig, wie alte Jungfern behaupten? Die -oft Männer verschmäht haben, weil sie nicht für sie passten! Warum -bleiben so viele Mädchen unverheiratet? Sie wissen doch alle damit zu -prahlen, dass sie Angebote gehabt haben, wollen aber doch gern Märtyrer -sein! Höhere Interessen! Latein lernen! Sich für einen wohltätigen Zweck -halbnackt kleiden und die Kinder in nassen Windeln liegen lassen! Ich -glaube, ich habe höhere Interessen als Ottilie, wenn ich starke und -frohe Kinder haben will, die einmal im Leben das ausrichten sollen, was -wir nicht gekonnt haben! Aber mit Latein geht es nicht! Leb’ wohl, -Gurli! Ich muss auf Wache! Kommst du mit? - -Sie blieb sitzen und antwortete nicht. Er ging; mit schweren Schritten, -so schweren. Und das blaue Meer wurde dunkel, und die Sonne schien nicht -mehr. - -– Pall, Pall, wohin soll dies führen, seufzte er, als er über den -Zauntritt am Kirchhof stieg; ich wünschte, ich läge dort unter einem -Holzkreuz, dort zwischen den Baumwurzeln; aber ich hätte sicher keine -Ruhe, wenn ich dort allein läge! Gurli! Gurli! - - * * * * * - -– Jetzt gehts ganz verkehrt, Schwiegermutter, sagte der Kapitän eines -Tages im Herbst, als er die Alte besuchte. - -– Was ist denn los, lieber Willy? - -– Sie waren gestern bei uns zu Hause. Vorgestern waren sie bei der -Prinzessin. Und da wurde die kleine Alice elend. Das war natürlich Pech, -und ich wagte nicht Gurli holen zu lassen, denn dann hätte sie geglaubt, -es sei beabsichtigt. Oh! Wenn das Vertrauen einmal erschüttert ist, so -... Ich war in diesen Tagen beim Korpsintendant und fragte, ob man nach -schwedischem Gesetz das Recht habe, die Freundinnen seiner Frau tot zu -rauchen. Nein, das habe man nicht. Und hätte man das Recht, so wagte man -es nicht, denn dann sei es ganz aus. Wenn es nur ein Liebhaber wäre: den -könnte man beim Kragen nehmen und hinauswerfen. Was soll ich tun? - -– Ja ja, das ist ein schwerer Fall, lieber Willy, aber wir werden schon -auf etwas kommen. Du kannst doch nicht wie ein Unverheirateter leben! - -– Nein, das sage ich auch! - -– Ich sagte ihr in diesen Tagen derb: wenn sie nicht nett sei, würde ihr -Mann einfach Mädchen besuchen! - -– Und was antwortete sie? - -– Sie antwortete: das könne er, denn über seinen Körper verfüge jeder -selbst. - -– Sie also auch? Das ist eine schöne Lehre! Ich kriege graue Haare, -Schwiegermutter! - -– Eine alte gute Art ist, sie eifersüchtig zu machen. Das pflegt die -Radikalkur zu sein, denn dann kommt die Liebe wieder zum Vorschein, wenn -sie noch da ist. - -– Sie ist noch da! - -– Sicher! Denn die Liebe stirbt nicht Knall und Fall; sie kann nur im -Lauf der Jahre verbraucht werden, _wenn_ sie’s kann. Mach Ottilie den -Hof, dann werden wir weiter sehen! - -– Den Hof machen? Ihr? - -– Versuchs! Kannst du nicht etwas, das sie interessiert? - -– Doch, gewiss! Sie sind jetzt gerade bei der Statistik angekommen! -Gefallene Frauen, ansteckende Krankheiten! Wenn man das Gespräch auf die -Mathematik bringen könnte! Die verstehe ich! - -– Siehst du! Beginn mit der Mathematik, geh dazu über, ihr den Schal -umzulegen und ihr die Überschuhe zuzuknöpfen. Bring sie abends nach -Haus. Trink mit ihr und küss sie, wenn Gurli es sieht. Ist es nötig, so -sei zudringlich. Oh, sie wird nicht böse werden, das kannst du mir -glauben. Und dann viel Mathematik, so viel, dass Gurli still dasitzen -und schweigend zuhören muss. In acht Tagen komm wieder und erzähle mir -den Verlauf! - -Der Kapitän ging nach Haus, las die letzten Broschüren über die -Unsittlichkeit und ging dann ans Werk. - -Acht Tage später sass er heiter und vergnügt bei seiner Schwiegermutter -und trank ein gutes Glas Sherry. Er war direkt fröhlich. - -– Erzähle, erzähle, sagte die Alte und schob die Brille in die Höhe. - -– Es war eine harte Arbeit, die ersten Tage, denn sie misstraute mir. -Sie glaubte, ich triebe meinen Scherz mit ihr. Dann aber sprach ich -davon, welch unerhörten Einfluss die Wahrscheinlichkeitsrechnung in -Amerika auf die Sittlichkeitstatistik gehabt habe. Sie habe ganz einfach -Epoche gemacht. Das wusste sie nicht und das reizte sie. Ich nahm ein -Beispiel und zeigte mit Zahlen und Buchstaben, dass man mit einer -gewissen Wahrscheinlichkeit berechnen könne, wie viele Frauen fallen. -Das setzte sie in Erstaunen. Jetzt sah ich, dass sie neugierig wurde und -sich einen Trumpf für die nächste Sitzung verschaffen wollte. Gurli -freute sich, dass Ottilie und ich Freunde wurden, und sie brachte uns -direkt zusammen. Sie stiess uns in mein Zimmer und schloss die Tür; und -dort sassen wir und rechneten den ganzen Nachmittag. Sie war glücklich, -die Hexe, denn sie fühlte, dass sie etwas durch mich gewann, und in drei -Stunden waren wir Freunde. Beim Souper fand meine Frau, Ottilie und ich -seien so alte Bekannte, dass wir uns duzen müssten. Ich holte meinen -alten guten Sherry hervor, um das grosse Ereignis zu feiern. Und dann -küsste ich sie mitten auf den Mund, Gott verzeihe mir meine Sünden. -Gurli sah etwas verdutzt aus, wurde aber nicht böse. Sie war lauter -Glück. Der Sherry war stark und Ottilie war schwach. Ich half ihr mit -dem Mantel und brachte sie nach Haus. Drückte ihren Arm unterwegs und -erklärte ihr die ganze Sternkarte. Ah! Sie war hingerissen! Sie habe -immer die Sterne geliebt, aber nie lernen können, wie sie heissen. Die -armen Frauen dürften eben nichts lernen. Sie schwärmte ordentlich und -wir trennten uns als die allerbesten Freunde, die einander so lange, so -lange verkannt hatten. - -Am nächsten Tag noch mehr Mathematik. Wir sassen dabei bis zum Souper. -Gurli kam einige Male herein und nickte uns zu. Aber bei Tisch wurde nur -Mathematik und Sterne gesprochen, und Gurli sass still dabei und musste -zuhören. Dann brachte ich sie nach Haus. Aber auf dem Rückweg traf ich -einen befreundeten Kapitän. Wir schlüpften ins Grand Hotel und tranken -ein Glas Punsch. Erst um ein Uhr kam ich heim. - -Gurli sass auf. - -– Wo bist du so lange gewesen, Wilhelm? sagte sie. - -Da fuhr der Teufel in meine Seele und ich antwortete: - -– Wir haben unterwegs so lange geplaudert, dass ich ganz vergass, was -die Uhr war. - -_Die_ Schraube zog an. - -– Ich finde es nicht recht passend, nachts mit einer jungen Dame -herumzulaufen, sagte sie. - -Ich stellte mich verlegen und stammelte hervor: - -– Wenn man so viel zu besprechen hat, so weiss man nicht immer, was -passend ist. - -– Wovon habt ihr denn gesprochen, sagte Gurli und machte ein Gesicht. - -– Ich kann mich wirklich nicht mehr daran erinnern. - -Das ist gut marschiert, mein Junge, sagte die Alte. Weiter, weiter. - -Am dritten Tag, fuhr der Kapitän fort, kam Gurli mit einer Arbeit herein -und blieb, bis die Mathematik zu Ende war. Das Souper war nicht ganz so -fröhlich, aber um so astronomischer. Half der Hexe bei den Überschuhen, -was einen tiefen Eindruck auf Gurli machte! Als Ottilie ging, bot sie -ihr nur die Backe zum Kuss. Unterwegs drückte ich ihr den Arm und sprach -von der Sympathie der Seelen, und von den Sternen als der Heimat der -Seelen. Trank Punsch im Grand Hotel und kam um zwei Uhr nach Haus. Gurli -sass noch auf; ich sah es, aber ich ging direkt in mein Zimmer, als -Junggeselle, der ich war, und Gurli schämte sich, nachzukommen und zu -fragen. - -Am nächsten Tag Astronomie. Gurli erklärte, sie habe grosse Lust, dabei -zu sein; Ottilie aber sagte, sie seien schon zu tief in den Stoff -eingedrungen, sie werde Gurli später die Anfangsgründe mitteilen. Gurli -war gereizt und ging. Viel Sherry zum Souper. Als Ottilie für das Essen -dankte, fasste ich sie um die Taille und küsste sie. Gurli ward bleich. -Als ich ihr die Überschuhe zuknöpfte, griff ich mit der Hand zu, hm ... - -Geniere dich nicht vor mir, Willy, sagte die Alte, ich bin eine alte -Frau! - -– ... so hier um den Schenkel. Nicht so schlecht übrigens! Hm! Wirklich -nicht so übel! Als ich aber meinen Überrock anziehen wollte, da, hast du -nicht gesehen, stand das Mädchen da, um Ottilie nach Haus zu bringen. -Und Gurli entschuldigte mich: ich hätte mich gestern erkältet, und sie -fürchte die Nachtluft. Ottilie sah verlegen aus und küsste Gurli nicht, -als sie ging. - -Am nächsten Tag wollte ich Ottilie astronomische Instrumente zeigen, um -zwölf in der Schule. Sie kam auch, war aber traurig. Sie war eben bei -Gurli gewesen, die sich unfreundlich gegen sie gezeigt habe. Den Grund -könne sie nicht verstehen. Als ich zum Mittagessen nach Haus kam, war -Gurli ganz verändert. Sie war kalt und stumm wie ein Fisch. Sie litt. -Ich sah es. Jetzt aber musste das Messer hinein. - -– Was hast du zu Ottilie gesagt? Sie war so traurig! fing ich an. - -– Was ich gesagt habe? Ja, ich habe ihr gesagt, sie sei kokett. Das habe -ich gesagt. - -– Wie konntest du das sagen, sagte ich. Du bist doch nicht eifersüchtig! - -– Ich eifersüchtig auf die! brach sie los. - -– Ja, das wundert mich, denn eine so intelligente und verständige Person -kann es doch nicht auf den Mann einer andren abgesehen haben! - -– Nein (jetzt kam es!), aber der Mann einer andern kann sich schlecht -gegen eine andere Frau betragen. - -Huhuhu! Jetzt war es fertig. Ich verteidigte Ottilie, bis Gurli sie alte -Jungfer nannte, und ich fuhr fort, sie zu verteidigen. Und an diesem -Nachmittag kam Ottilie nicht. Sie schrieb einen kühlen Brief und -entschuldigte sich, aber sie sehe wohl, sie sei überflüssig. Ich -protestierte und wollte sie holen. Da aber wurde Gurli wild. Sie sehe -wohl, ich sei in diese Gurli verliebt, und sie (Gurli) sei mir nichts -mehr. Sie wisse wohl, dass sie eine Gans sei, dass sie nichts könne, zu -nichts tauge, und dass, huhuhu, die Mathematik ihr ganz unmöglich sei. -Ich schickte nach einem Schlitten und wir fuhren aus. In einem Gasthaus -am Meer tranken wir Glühwein und assen ein prächtiges Souper. Es war, -als sei wieder Hochzeit, und dann fuhren wir nach Haus. - -– Und dann? fragte die Alte und sah über ihre Brille hinweg. - -– Und dann? Hm! Gott verzeihe mir meine Sünden! Dann habe ich sie -verführt. Hol mich der Teufel, ich habe sie auf meinem Junggesellenbett -verführt. Es war ganz wie auf der Hochzeit. Was sagst du dazu, -Grossmutter? - -– Da hast du recht getan! Und dann? - -– Und dann? Seitdem ist es all right, und jetzt sprechen wir davon, wie -Kinder zu erziehen und Frauen von Aberglauben und Altjüngferlichkeit, -von Romantik und dem Teufel und seinem Ablativus zu befreien sind; aber -wir sprechen jetzt unter vier Augen, und da versteht man einander am -besten! Nicht wahr, Alte? - -– Ja, lieber Willy, und jetzt werde ich euch wieder besuchen. - -– Tu das, du! Da wirst du sehen, wie die Puppen tanzen und die Lerchen -und die Spechte singen und zwitschern; da wirst du sehen, wie die Freude -bis an die Decke reicht, denn dort wartet niemand auf das Wunderbare, -das nur in den Märchen zu finden ist. Da wirst du ein wirkliches -Puppenheim sehen! - - - - - Vogel Phönix - - -Es war zur Zeit der Walderdbeeren, als er sie in der Pfarre zum ersten -Male sah. Er hatte schon viele Mädchen gesehen, als er _sie_ aber sah, -da wusste er: das ist sie! Aber er wagte es nicht, etwas zu sagen, und -sie lächelte über ihn, denn er war nur Gymnasiast noch. - -Aber er kam wieder als Student. Und da fasste er sie um den Leib und -küsste sie, und er sah Raketen stieben, hörte Glocken läuten und -Jagdhörner klingen, fühlte die Erde unter seinen Füssen beben. - -Sie war ein Weib von vierzehn Jahren. Ihre Brüste standen schwellend -hoch, als warteten sie auf kleine gierige Mäuler und kleine zugreifende -Fäuste; ihr Gang war fest, auf elastischen Waden und wiegenden Hüften, -als könne sie jeden Augenblick ein Kind unter ihrem Herzen tragen. Ihr -Haar war gelb und zart wie geklärter Honig und stand immer wie -Sprühregen um ihre Stirn. Das Auge brannte und die Haut war weich wie -ein Handschuh. - -Sie waren verlobt und küssten sich wie Vögel im Garten unter der Linde, -im Wald, und das Leben lag wie eine sonnige, ungemähte Wiese vor ihnen. -Aber er musste erst sein Examen machen, das Bergexamen, und das dauerte, -die Reise ins Ausland mitgerechnet, zehn Jahre! Zehn Jahre! - -So fuhr er nach der Universität. Im Sommer kam er wieder nach der -Pfarre, und sie war noch ebenso schön. Drei Male kam er wieder, aber -beim vierten Mal war sie blass. Sie hatte kleine rote Streifen in den -Nasenwinkeln und der Busen war eingesunken. Als der Sommer zum sechsten -Male kam, nahm sie Eisen. Im siebenten fuhr sie nach einem Badeort. Im -achten hatte sie Zahnschmerzen und war nervös. Das Haar hatte seinen -Glanz verloren, die Stimme war scharf, die Nase hatte schwarze -Pünktchen, der Busen war fort, der Gang war schleppend und die Wangen -waren hohl. Im Winter bekam sie Nervenfieber und musste sich das Haar -abschneiden lassen. Als es wieder wuchs, wurde es aschgrau. Er hatte -sich in eine blonde Vierzehnjährige verliebt, eine Brünette konnte er -nicht leiden, und er heiratete eine aschgraue Vierundzwanzigjährige, die -als Braut den Hals nicht bloss tragen wollte. - -Aber er liebte sie doch. Seine Liebe war nicht mehr so stürmisch wie -früher, sondern beständig und ruhig. Und in der kleinen Bergstadt war -nichts, was ihr Glück störte. - -Sie gebar zwei Knaben hinter einander, aber der Mann wollte so gern ein -Mädchen haben. Und dann kam ein kleines blondes Mädchen. - -Das wurde der Augapfel des Vaters. Es wuchs heran und ward der Mutter -ähnlich. Es wurde sieben Jahre und mit acht war es ganz so, wie die -Mutter einmal gewesen. Und der Vater beschäftigte sich in seinen freien -Stunden nur noch mit seiner Tochter. - -Die Mutter hatte durch die häusliche Arbeit grobe Hände bekommen. Die -Nase war wurmstichig und die Schläfen ausgehöhlt. Ihre Gestalt war von -der Gewohnheit, sich über den Herd zu beugen, etwas geneigt. Und Vater -und Mutter trafen sich nur bei den Mahlzeiten und nachts. Sie weinten -nicht, aber es war doch nicht mehr so wie früher. - -Aber die Tochter, das war des Vaters Freude. Man hätte beinahe sagen -können, er sei in sie verliebt. Es war, als sehe er in ihr die wieder -auferstandene Mutter, und als solle sein erster Anblick, der so schnell -verschwunden war, wiederkommen. Er war beinahe schüchtern ihr gegenüber -und ging nie in ihr Zimmer, wenn sie sich anzog. Er vergötterte sie. - -Eines Morgens blieb sie im Bett liegen und wollte nicht aufstehen. Mama -glaubte, sie habe Faulfieber, Papa aber schickte nach dem Arzt. Der -Mordengel war auf Besuch gekommen; es war Diphtheritis. Entweder der -Vater oder die Mutter musste mit den andern Kindern fliehen. Der Vater -wollte nicht. Die Mutter musste mit den andern Kindern aus der Stadt -ziehen, und der Vater blieb bei der Kranken. Und da lag sie jetzt! Man -räucherte mit Schwefel, dass die Vergoldung der Bilderrahmen schwarz -wurde, und die Silbersachen auf dem Toilettentisch auch! Der Vater war -ausser sich, wenn er durch die leeren Zimmer ging; und wenn er nachts -allein in dem grossen Bett lag, war es ihm, als sei er Witwer. Er kaufte -dem Kinde Spielsachen und es lächelte, wenn er am Bettrande Kasper -spielte, und es fragte nach Mama und den Geschwistern. - -Und der Vater musste hingehen und von der Strasse aus der Mutter zum -Fenster hinauf zunicken und den Kindern Kusshände zuwerfen. Und die -Mutter telegraphierte mit blauen und roten Papierbogen durch die -Fensterscheiben. - -Aber eines Tages wollte das Mädchen den Kasper nicht mehr sehen, und es -lächelte nicht mehr. Auch konnte es nicht mehr sprechen. Der Tod kam, -kam mit seinen langen knochigen Armen und erstickte das Kind. Es war ein -harter Kampf. - -Da kam die Mutter! Und sie hatte Gewissensbisse, dass sie ihr Kind -verlassen. Und es war grosser Jammer und grosse Not. - -Als der Arzt das Kind obduzieren wollte, liess es der Vater nicht zu. -Sie sollten ihr mit den Messern nichts zuleide tun; denn für ihn sei sie -nicht tot. Aber es musste geschehen. Und da wollte er den Arzt schlagen -und ihn beissen. - -Als sie aber in die Erde kam, baute er ein Grabmal und ging das ganze -Jahr hindurch jeden einzigen Tag dorthin. Das zweite Jahr weniger oft. -Die Arbeit war schwer und die Zeit knapp. Die Jahre begannen sich -fühlbar zu machen, die Schritte wurden weniger leicht, und die Trauer -verwuchs. Zuweilen schämte er sich, dass er nicht mehr so viel trauere; -dann aber vergass er es. - -Er bekam noch zwei Töchter; das war aber nicht dasselbe; sie, die von -hinnen gegangen, konnte nicht ersetzt werden. - -Das Leben war hart, die Vergoldung war unmerklich von der jungen Frau -abgegangen, die einmal wie – wie kein anderes Weib auf der Erde gewesen -war. Die Vergoldung war abgegangen von der einmal so blanken und -strahlenden Häuslichkeit. Die Kinder hatten Beulen in die -Hochzeitsgeschenke der Mutter gemacht, das Bett verdorben, die -Stuhlbeine angetreten. Die Polsterung kam aus den Sofas heraus, und das -Klavier war seit Jahren nicht geöffnet werden. Der Gesang war verstummt -vorm Kindergeschrei, und die Stimmen waren rauh geworden. Die Koseworte -hatte man mit den Kinderkleidern abgelegt, die Liebkosungen waren -Massage geworden. Man fing an, alt und müde zu werden. Papa lag nicht -mehr vor Mama auf den Knien, sondern sass in seinem abgenutzten -Lehnstuhl und liess sich von Mama die Streichhölzchen holen, wenn er -seine Pfeife anstecken wollte. Man war alt geworden! - -Da starb die Mama, als der Papa fünfzig Jahre alt war. Da aber tauchte -es wieder auf, all das Alte. Als ihre gebrochene Gestalt, die der -Todeskampf hässlich gemacht hatte, in die Erde gegraben wurde, stand die -Erinnerung an die junge Vierzehnjährige wieder auf. Da betrauerte er -diese, die er vor so langer Zeit verloren hatte, und mit der Sehnsucht -kam die Reue. Aber er war nie schlecht gegen die alte Mama gewesen; und -die Vierzehnjährige vom Pfarrhaus, die er nie bekommen, denn er kriegte -ja nur die bleichsüchtige Vierundzwanzigjährige, die hatte er verehrt, -vor der hatte er gekniet, der war er treu gewesen. Und wenn er -aufrichtig war, so war es sie, nach der er sich jetzt sehnte; doch hatte -der alten Mama gutes Essen und unermüdliche Fürsorge auch einen Anteil -an der Sehnsucht, aber auf eine andere Art. - -Jetzt aber wurde er intimer mit den Kindern. Einige waren aus dem Nest -geflogen, andere aber noch zu Hause. - -Als er ein ganzes Jahr lang seine Freunde damit ermüdet hatte, dass er -ihnen das Leben seiner verstorbenen Frau erzählte, geschah etwas -Merkwürdiges. Er sah ein junges Mädchen, eine blonde Achtzehnjährige, -die seiner Frau, wie sie mit vierzehn Jahren gewesen, glich. Er nahm es -wie einen Wink des freigebigen Himmels, der ihm also endlich sie, die -erste, geben wolle. Er verliebte sich in sie, weil sie der ersten glich. -Und er verheiratete sich wieder. Jetzt hatte er sie endlich bekommen. - -Die Kinder aber, besonders die Mädchen, waren der jungen Stiefmutter -abgeneigt; sie schämten sich, sie anzusehen; sie fanden das Verhältnis -der Eltern unrein; glaubten, der Vater sei ihrer Mutter untreu geworden. -Und sie gingen aus dem Hause, in die Welt hinaus! - -Er war glücklich! Aber er war noch stolzer darauf, dass ein junges -Mädchen ihn hatte haben wollen. - -– Nur Nachmahd! sagten seine alten Freunde. - -Nach einem Jahr bekam die Frau ein Kind. Papa war nicht mehr an -Kindergeschrei gewöhnt und wollte nachts schlafen. Zog in sein eigenes -Zimmer; seine Frau aber weinte. Er fand die Frauen etwas aufdringlich. -Und dann war sie eifersüchtig auf die erste Frau. Er war nämlich, als -sie verlobt waren, so dumm gewesen, ihr zu sagen, sie gleiche seiner -ersten Frau. Und dann hatte er sie deren Liebesbriefe lesen lassen. Als -sie jetzt oft allein war, erinnerte sie sich an alles. So wusste sie, -dass sie alle Kosenamen von der ersten geerbt, dass sie nur eine -Stellvertreterin sei. Das reizte sie, und sie machte alle möglichen -Dummheiten, um ihn für sich persönlich zu gewinnen. Das ermüdete ihn -aber. Und wenn er in der Einsamkeit Vergleiche anstellte, verlor die -neue Frau sehr. Sie war nicht so milde wie die andere; sie reizte seine -Nerven. Dazu kam die Sehnsucht nach den Kindern, die er aus ihrem -Elternhaus vertrieben. Dazu kamen schlechte Träume, denn er glaubte -seiner verstorbenen Frau untreu zu sein. - -Es war nicht mehr gemütlich zu Hause. Es war dumm, was er getan, und es -wäre besser nicht geschehen. - -Er fing an in den Ratskeller zu gehen. Da aber wurde die Frau böse. Er -habe sie betrogen. Er sei ein alter Mann, und er solle sich in Acht -nehmen. Ein so alter Mann dürfe seine junge Frau nicht allein lassen; -das könne gefährlich werden! - -– Alt? Sei er alt? Er werde ihr zeigen, dass er nicht alt sei! - -Und sie zogen wieder zusammen. Da aber wurde es sieben Male schlimmer. -Er wollte ihr nachts nicht wiegen helfen, und das Kind sollte in die -Kinderstube! Nein, mit dem Kind der _ersten_ Frau habe er es nicht so -gemacht. - -Er musste sich quälen lassen. - -Zwei Male hatte er geglaubt, den Vogel Phönix aus der Asche der -Vierzehnjährigen aufsteigen zu sehen, zuerst in der Tochter, dann in der -zweiten Frau; aber in seiner Erinnerung lebte nur die erste, die Kleine -aus dem Pfarrhof, die er zur Zeit der Walderdbeeren sah, die er unter -der Linde im Walde küsste, die er aber nie bekommen. - -Doch jetzt, als seine Sonne im Untergehen war und die Tage kürzer -wurden, sah er in seinen dunkeln Stunden nur noch das Bild der „alten -Mama“, die freundlich gegen ihn und seine Kinder gewesen, die nie -zankte, die hässlich war, die in der Küche stand, die die Hosen der -Knaben und die Röcke der Mädchen flickte. Und da sein Siegesrausch -vorüber war und sein Auge klar sah, fragte er sich, ob nicht die „alte -Mama“ doch der rechte Vogel Phönix gewesen sei, der so schön und so -ruhig aus der Asche des vierzehnjährigen Goldvogels stieg; der seine -Eier legte und sich die Daunen für die Jungen aus der Brust rupfte, um -sie mit seinem Blut zu nähren, bis er starb. - -Er fragte lange danach, und als er endlich seinen müden Kopf auf das -Kissen legte, um nicht mehr aufzustehen, da war er davon überzeugt. - - - - - „Romeo und Julia“ - - -Der Mann kam eines Abends mit einem Notenheft nach Haus und sagte zu -seiner Frau: - -– Nach dem Essen wollen wir vierhändig spielen. - -– Was hast du da für ein neues Stück? fragte die Frau. - -– Ich habe „Romeo und Julia“ gekauft. Kennst du das? - -– Ja, gewiss kenne ich das, antwortete sie, aber ich weiss nicht, ob ich -es je habe aufführen sehen. - -– Oh, es ist herrlich! Ich denke daran wie an einen Jugendtraum, aber -ich habe es nicht mehr als einmal gehört, und das war vor zwanzig -Jahren. - -Nach dem Abendessen, nachdem die Kinder zu Bett gebracht waren und es -still im Hause geworden, zündete der Mann die Lichter auf dem Pianino -an. Er liest auf dem fein lithographierten Titelblatt: „Romeo und -Julia.“ - -– Dies ist Gounods schönste Komposition, sagt er, und ich glaube nicht, -dass sie allzu schwer ist. - -Seine Frau übernimmt wie gewöhnlich die erste Stimme, und so beginnt -man. D-dur, Vier-Viertel-Takt, Allegro giusto. - -– Das ist schön, nicht wahr? sagt der Mann nach dem Schluss der -Ouvertüre. - -– Oh ja, gibt die Frau zu, wenn auch etwas widerstrebend. - -– Lass uns nun das Marziale nehmen, sagt der Mann, das ist etwas ganz -Feines. Ich erinnere mich noch an die prächtigen Chöre des königlichen -Theaters. - -Der Marsch beginnt. - -– Nun, ist es nicht prächtig? sagt der Mann triumphierend, als habe er -„Romeo und Julia“ selber geschrieben. - -– Ich finde, es klingt wie Messingmusik, antwortete seine Frau. - -Die Ehre und der gute Geschmack des Mannes stehen auf dem Spiel, und er -sucht nach der Mondscheinarie im vierten Akt. Nach langem Suchen stösst -er auf eine Arie für Sopran; die muss wohl die rechte sein. - -Und er beginnt von neuem: - -– Tram-tramtram, tram-tramtram, so klingt es im Bass, der sehr leicht -ist. - -– Weisst du, meint die Frau, als es zu Ende ist, die Musik ist sehr -mässig. - -Der Mann ist ganz niedergeschlagen und gibt zu, dass es wie ein -Leierkasten klingt. - -– Das habe ich schon die ganze Zeit gefunden, bekennt die Frau. - -– Ich finde auch, es klingt so altmodisch. Dass Gounod so schnell -veraltet ist, bemerkt er ganz kleinlaut. Willst du weiter spielen? Lass -uns die Cavatina und das Terzett durchnehmen; ich erinnere mich -besonders an die Sängerin, die war göttlich. - -Nach diesem Stück sieht der Mann wirklich betrübt aus und legt das Heft -fort, als wolle er die Tür hinter der Vergangenheit schliessen. - -– Wollen wir nicht ein Glas Bier trinken? fragt er. - -Sie setzen sich an den Tisch und trinken ein Glas Bier. - -– Es ist doch merkwürdig, beginnt der Mann, ich hätte nicht geglaubt, -dass wir so alt geworden sind, denn wir sind wirklich mit „Romeo und -Julia“ um die Wette gealtert. Es sind zwanzig Jahre her, seit ich die -Oper zum ersten Mal hörte. Ich war eben Student geworden, hatte Freunde -und die Zukunft lächelte mir hell und froh entgegen. Seit kurzer Zeit -machte ich mit einem keimenden Schnurrbart und der Studentenmütze Staat, -und besonders der Abend ist mir in Erinnerung, an dem Fritz, Philipp und -ich in die Oper gingen. Einige Jahre früher hatten wir die Bekanntschaft -des „Faust“ gemacht, waren also grosse Bewunderer Gounods. Doch „Romeo“ -übertraf noch unsere Erwartungen, und wir wurden von der Musik ganz -hingerissen. Jetzt sind meine beiden Freunde tot. Fritz, der zu den -höchsten Stellen hinaufstrebte, starb als Sekretär; Philipp als Kandidat -der Medizin; und ich, der Minister werden wollte, musste mich -schliesslich damit begnügen, Regimentsauditor zu sein. Wie die Jahre -verschwunden sind, ohne dass wir es gemerkt haben! Zwar habe ich -gesehen, dass die Runzeln um meine Augen deutlicher geworden sind, und -dass das Haar an den Schläfen ergraut ist, doch dass wir bereits so weit -auf dem Weg zum Kirchhof gekommen sind, das hätte ich nicht geglaubt. - -– Ja, mein Freund, wir sind alt geworden; das kannst du an unseren -Kindern sehen. Und auch an mir siehst dus, wenn du auch davon schweigst. - -– Ach wie kannst du so etwas sagen! - -– Das weiss ich sehr wohl, mein Lieber, fuhr die Frau in wehmütigem Ton -fort; ich weiss wohl, dass ich anfange hässlich zu werden, dass mein -Haar dünner wird und dass ich bald meine Vorderzähne ziehen lassen muss -... - -– Aber bedenke doch, dass jetzt nichts mehr dauert, – unterbricht sie -der Mann. Es scheint heutzutage mit dem Altwerden viel geschwinder zu -gehen als früher. Im Haus meines Vaters wurden noch Haydn und Mozart -gespielt, obgleich sie tot waren, lange ehe er geboren wurde. Und jetzt -– jetzt ist Gounod bereits alt! Es ist betrübend, seinem Jugendideal auf -die Weise wieder zu begegnen! Und wie schauerlich ist es, zu fühlen, -dass man alt geworden ist! - -Er steht auf und setzt sich wieder ans Pianino; er nimmt das Notenheft -und blättert darin, wie wenn er in einer Schreibtischlade nach -Jugenderinnerungen, Haarlocken, getrockneten Blumen und Bandenden, -suche. Seine Augen starren auf die schwarzen Noten, die wie kleine Vögel -aussehen, die an einem Stahldrahtgitter auf und nieder klettern; er -versucht, in ihnen auf Frühlingstöne, Liebeslockungen, jubelnde Triller -aus den rosenroten Tagen der ersten Liebe zu lauschen. Doch alles blickt -ihm so fremd entgegen, als sei die Erinnerung an die Blütezeit der -Jugend mit Unkraut überwachsen. Ja, so ist es; die Saiten sind mit Staub -bedeckt, der Resonanzboden ist eingetrocknet, der Filz abgenützt. - -Ein Seufzer hallt durchs Zimmer, schwer wie aus einer hohlen Brust, und -dann wird es ganz still. - -Plötzlich hört man den Mann sagen: - -– Aber sonderbar ist es doch, dass der herrliche Prolog in diesem -Klavierauszug fehlt. Es war, wie ich mich bestimmt erinnere, ein Prolog -mit Harfenbegleitung und ein Chor, der so lautete. - -Er trällert leise die Melodie, die wie ein Bach aus einer Bergeskluft -hervorsprudelt; der eine Ton gibt den andern, sein Gesicht klärt sich -auf, der Mund lächelt, die Runzeln glätten sich und die Hände fallen auf -die Tasten nieder, die kräftig, jugendlich und schmeichelnd die -herrlichen Töne wiedergeben, und mit starker klangvoller Stimme singt er -die Basspartie. - -Seine Gattin ist aus ihren schwermütigen Gedanken erwacht, sie lauscht -mit tränendem Auge und fragt verwundert: - -– Was ist das? - -– Romeo und Julia! Unser Romeo und unsere Julia! - -Und er springt vom Stuhl auf und legt das Notenheft vor die erstaunte -junge Frau. - -– Siehst du! Dies war der Romeo unserer Oheime und Tanten, das war – -lies nur – Bellini! Oh! Wir sind also noch nicht alt! - -Die Frau blickt auf das dichte, noch glänzende Haar des dreissigjährigen -Mannes, auf seine glatte Stirn und seine feurigen Augen. Und sie sagt -freudestrahlend: - -– Ja, du siehst aus wie ein Fünfundzwanzigjähriger! - -– Und du? Du siehst aus wie ein junges Mädchen. Dass wir uns von dem -alten Bellini so haben anführen lassen. Ich dachte gleich, dass etwas -nicht stimme. - -– Nein, lieber Freund, das habe ich zuerst gedacht. - -– Wahrscheinlich, weil du jünger bist als ich. - -– Nein, du ... - -Und Mann und Frau sitzen da und streiten scherzend darüber, wer von -ihnen älter sei, ganz wie ein Paar Kinder, und sie wundern sich, wie sie -früher Runzeln und graue Haare haben entdecken können, wo keine da sind. - - - - - Herbst - - -Sie waren zehn Jahre verheiratet gewesen! Glücklich? So glücklich, wie -die Umstände es erlaubten. Sie hatten am gleichen Strang gezogen, -gleichmässig wie zwei gleichstarke junge Ochsen, von denen jeder an -einer Seite des Strickes zieht. - -Im ersten Jahr wurden natürlich eine Menge Illusionen von der Ehe als -der absoluten Seligkeit begraben. Im zweiten Jahr kamen die Kinder, und -die tägliche Arbeit des Lebens liess wenig Zeit zum Grübeln übrig. - -Er war sehr häuslich, vielleicht _zu_ sehr, und hatte in der Familie -seine kleine Welt gefunden, deren Mittelpunkt er war; die Kinder waren -die Radien. Die Frau suchte auch Mittelpunkt zu sein, aber niemals in -der Mitte des Kreises, denn dort sass der Mann, und darum fielen die -Radien bald auf einander bald aus einander, und darum stimmte das Ganze -nicht. - -Im zehnten Jahr wurde der Mann zum Sekretär der Gefängnisinspektion -ernannt und musste als solcher Reisen machen. Das gab seinen häuslichen -Gewohnheiten einen argen Stoss; er fühlte eine wirkliche Unlust, wenn er -daran dachte, dass er für einen ganzen Monat seine Häuslichkeit -verlassen müsse. Es war ihm nicht ganz klar, ob er seine Frau oder seine -Kinder am meisten vermissen werde, vielleicht alle beide. - -Am Abend vor der Abreise sitzt er in seinem Sofa und sieht zu, wie sie -seine Reisetasche packt. Sie liegt mit den Knieen auf dem Boden und legt -seine Wäsche hinein. Sie bürstet den schwarzen Anzug ab, legt ihn -sorgfältig zusammen, damit er so wenig Platz wie möglich einnimmt. -Darauf versteht er sich nämlich nicht. - -Sie hatte ihre Stellung im Hause niemals als seine Dienerin, kaum als -seine Frau aufgefasst. Sie war Mutter: Mutter für die Kinder und Mutter -für ihn. Sie fühlte sich niemals davon gedemütigt, dass sie seine -Strümpfe stopfte, und verlangte auch keinen Dank. Und sie glaubte nie, -er stehe dafür in ihrer Schuld; er gab ja ihr und ihren Kindern dafür -ganze Strümpfe und noch viel mehr; das hätte sie sich sonst ausser dem -Hause verdienen müssen und dann hätte sie ihre Kinder allein zu Hause -lassen müssen. - -Er sass in der Ecke des Sofas und sah sie an. Jetzt, da sich der -Abschied näherte, hob er kleine Vorschüsse auf die Sehnsucht ab. Er -betrachtete ihre Figur. Die Schulterblätter hatten sich etwas -vorgeschoben, und der Rücken war gekrümmt von der Arbeit über Wiege, -Plättbrett und Herd. Auch er war gebeugt von der Arbeit über den -Schreibtisch und seine Augen hatten Gläser zu Hilfe nehmen müssen. Jetzt -aber dachte er wirklich nicht an sich. Er sah, dass ihre Zöpfe dünner -als früher waren und dass ein schwacher Schein auf dem Scheitel zu sehen -war. Hatte sie für ihn ihre Schönheit verloren, für ihn allein? Nein, -für die kleine Gemeinde, die von ihnen allen gebildet wurde; denn sie -hatte ja auch für sich selber gearbeitet. Und sein Haar hatte sich auch -verdünnt im Kampf für sie alle. Er hätte vielleicht mehr Jugend -besessen, wenn nicht so viel Münder gewesen wären, wenn er allein -gewesen; aber er wollte nicht einen Augenblick allein gewesen sein. - -– Es wird dir gut tun, etwas hinauszukommen, sagte seine Frau; du hast -zu viel zu Hause gehockt. - -– Du freust dich wohl, dass du mich los wirst, sagte er, nicht ohne ein -wenig Bitterkeit; _ich_ aber werde euch schon vermissen. - -– Du bist wie die Hauskatze, du vermissest die warme Ofenecke, aber mich -wirst du nicht so sehr vermissen; das glaubst du selber nicht. - -– Und die Kinder? - -– Ja, wenn du fort gehst, aber wenn du zu Hause bist, so schiltst du -sie; nicht heftig allerdings, aber doch! Oh nein, du liebst sie wohl; -ich will nicht ungerecht sein. - -Beim Abendessen war er sehr milde, und ihm war schlecht zu Mut. Er las -nicht die Abendzeitungen, sondern suchte nur mit seiner Frau zu -sprechen. Die war aber so beschäftigt, dass sie sich zum Plaudern keine -Zeit liess; auch hatten sich ihre Gefühle während der zehnjährigen -Campagne in Kinderstube und Küche genügend stählen können. - -Er war gefühlvoller, als er zeigen wollte, und die Unordnung im Zimmer -machte ihn unruhig. Er sah Stücke seines täglichen Lebens, seiner -Existenz auf Stühlen und Kommoden durcheinander liegen; die offene, -schwarze Reisetasche gähnte ihn an wie ein Sarg, weisse Wäsche umhüllte -darin schwarze Kleider, die noch die Spuren seiner Kniee und Ellbogen -trugen; es war ihm, als liege er selber da mit dem weissen, gestärkten -Vorhemd; gleich werde man zumachen und ihn forttragen. - -Am nächsten Morgen, es war im August, stürzte er aus dem Bett, kleidete -sich atemlos an und war sehr nervös. Er ging in die Kinderstube und -küsste alle Kinder, die sich den Schlaf aus den Augen rieben. Nachdem er -seine Frau umarmt hatte, setzte er sich in die Droschke, um nach dem -Bahnhof zu fahren. - -Die Reise, die er in Gesellschaft seiner Vorgesetzten machte, zerstreute -ihn; es tat ihm wirklich wohl, sich einmal etwas aufzurütteln. Die -Häuslichkeit lag hinter ihm wie eine dumpfe Schlafstube, und er war -wirklich aufgeräumt, als er nach Linköping kam. - -Den Rest des Tages füllte ein feines Gefängnisessen im grossen Hotel -aus. Man trank auf das Wohl des Landeshauptmannes, aber nicht auf das -der Gefangenen, die doch der Zweck der Reise waren. - -Dann aber kam der Abend auf dem einsamen Zimmer. Ein Bett, zwei Stühle, -ein Tisch, eine Waschtoilette und ein Stearinlicht, das seinen dürftigen -Schein über die nackten Tapeten verbreitete. Ihm war ängstlich zu Mute. -Alles fehlte: die Pantoffeln, der Schlafrock, das Pfeifengestell, der -Schreibtisch; alle diese Kleinigkeiten, die er zu Bestandteilen seines -Lebens gemacht hatte. Und dann die Kinder und seine Frau. Wie ging es -ihnen? Waren sie gesund? Er wurde unruhig und düster. Als er seine Uhr -aufziehen wollte, vermisste er den Uhrschlüssel. Der hing zu Hause am -Uhrhalter, den ihm seine Frau als Braut gestickt hatte. Er legte sich -nieder und steckte sich eine Zigarre an. Doch er musste noch einmal -aufstehen und ein Buch aus der Reisetasche holen. Alles war so -ordentlich eingepackt, dass er fürchtete, es in Unordnung zu bringen. -Wie er aber nach dem Buch suchte, fand er die Pantoffeln! Sie dachte -doch an alles! Dann fand er das Buch! Aber er las nicht. Er lag da und -dachte an die Vergangenheit, an seine Frau, wie sie vor zehn Jahren war. -Das Bild von früher trat hervor, und das gegenwärtige verschwand in den -blaubraunen Wolken der Zigarre, die in Wirbeln zu der regenfleckigen -Decke aufstiegen. Er empfand eine grenzenlose Sehnsucht. Jedes harte -Wort, das er ihr gesagt, schmerzte ihm im Ohr, und er bereute jede -bittere Stunde, die er ihr bereitet. Endlich schlief er ein. - -Am nächsten Tag Arbeit und neues Essen, mit einem Toast auf den -Direktor, aber noch keinen für die Gefangenen. Am Abend Einsamkeit, -Leere, Kälte. Er hatte ein Bedürfnis, mit ihr zu sprechen. Er holte -Papier und setzte sich an den Tisch. Gleich beim ersten Federzug stockte -er. Wie sollte er schreiben? „Liebe Mama“ schrieb er immer, wenn er ihr -in wenigen Zeilen mitteilte, dass er auswärts essen musste. Jetzt aber -schrieb er nicht an die Mama, sondern an die Verlobte, an die Geliebte. -Und er schrieb „Meine geliebte Lilly“ wie früher. Anfangs ging es träge, -denn so viele schöne Worte waren aus der schweren trockenen Sprache des -täglichen, alltäglichen Lebens verschwunden; bald aber wurde er warm und -jetzt tauchten sie aus der Erinnerung hervor wie vergessene Melodien, -Walzertakte, Romanzenfragmente, Fliederblüten und Schwalben, -Abendstunden bei Sonnenuntergang auf spiegelblankem Meer; alle -Frühlingserinnerungen des Lebens tanzten daher in Sonnenwolken und -gruppierten sich um sie. Ganz unten auf die Seite setzte er einen Stern, -wie Liebende zu tun pflegen, und daneben schrieb er, ganz wie früher: -„Küsse hier!“ - -Als er den Brief beendigt hatte und ihn wieder durchlas, brannten ihm -die Wangen und er ward verlegen. Warum, das wusste er nicht recht. Aber -ihm war, als habe er seine innersten Gefühle einem mitgeteilt, der kein -wirkliches Verständnis für sie besass. - -Doch sandte er den Brief ab. - -Einige Tage vergingen, bis die Antwort kam. Während er darauf wartete, -empfand er eine kindliche Schüchternheit und Verlegenheit. - -Dann aber kam die Antwort! Er hatte den rechten Ton getroffen, und aus -Küchendunst und Kinderstubenlärm stieg ein Lied auf, klar und -wohllautend, warm und rein, wie die erste Liebe. - -Jetzt begann ein Austausch von Liebesbriefen. Er schrieb jeden Abend, -sandte auch zuweilen im Lauf des Tages noch eine Karte ab. Seine -Kollegen erkannten ihn nicht wieder. Er fing nämlich an, so viel Wert -auf seine Kleidung und sein Aussehen zu legen, dass er in Verdacht kam, -einen Liebeshandel zu haben. Und er war verliebt, von neuem verliebt. Er -sandte ihr seine Photographie, ohne Brille, und sie ihm eine Locke von -ihrem Haar. Sie waren kindlich in ihren Ausdrücken, und er hatte -farbiges Briefpapier mit Täubchen gekauft. Aber sie waren ja auch -Menschen mittleren Alters, die noch lange nicht die vierzig erreicht, -wenn auch die Kämpfe des Lebens sie dazu gebracht, sich alt zu fühlen. -Er hatte sie auch im letzten Jahr in der Ehe vernachlässigt, nicht so -sehr aus Kälte wie aus Achtung, da er immer in ihr die Mutter seiner -Kinder sah. - -Die Reise ging ihrem Ende zu. Wenn er ans Wiedersehen dachte, empfand er -eine gewisse Unruhe. Er hatte mit der Geliebten korrespondiert; würde er -die in der Mutter und Hausfrau wiederfinden? Er fürchtete, sich bei der -Heimkehr enttäuscht zu fühlen. Er wollte kein Küchenhandtuch in ihrer -Hand sehen, auch nicht die Kinder an ihren Röcken, wenn er sie umarmte. -Sie mussten sich an einem andern Ort treffen, allein. Sollte er sie zum -Beispiel nach Waxholm ins Stockholmer Inselmeer kommen lassen, in das -Gasthaus, in dem sie während ihrer Verlobungszeit so manche frohe Stunde -verbracht? Das wäre eine Idee! Dort könnten sie zwei Tage lang die -ersten schönen Frühlingstage, die geflohen waren und nicht wiederkamen, -noch einmal in der Erinnerung durchleben. - -Er setzte sich hin und machte seinen Vorschlag in einem langen Brief, -der von Liebe glühte. Sie beantwortete ihn mit umgehender Post, und zwar -bejahend, glücklich, dass er auf denselben Gedanken gekommen sei wie -sie. - - * * * * * - -Zwei Tage später war er in Waxholm und hatte Zimmer im Gasthaus -bestellt. Es war ein schöner Septembertag. Er sass allein im grossen -Saal zu Mittag, trank ein Glas Wein und fühlte sich wieder jung. Es war -hier so hell und luftig. Draussen lag das blaue Meer und nur die Birken -an den Ufern hatten ihre Farbe gewechselt. Im Garten standen noch die -Dahlien in voller Blüte und der Reseda duftete am Rand der Beete. Einige -Bienen besuchten noch die versiegenden Kelche, kehrten aber enttäuscht -zu ihren Körben zurück. Im Sund zogen die Segler vorbei vor einer -schwachen Brise, und beim Wenden flatterten die Segel und schlugen die -Schoten; und die Möwen flogen erschrocken und schreiend fort von den -Fischern, die in ihren Booten mit der Rollangel Strömling fischten. - -Er trank seinen Kaffee auf der Veranda und begann den Dampfer, der um -sechs Uhr kommen sollte, zu erwarten. - -Unruhig, als gehe er etwas Ungewissem entgegen, schlenderte er auf dem -Balkon hin und her, spähte auf Fjärd und Sund hinaus, nach der Seite, wo -Stockholm lag, um den Dampfer zu sichten. - -Schliesslich stieg ein Rauch über den Fichtenwald am Horizont auf. Sein -Herz fing an zu klopfen und er trank einen Likör. Darauf ging er an den -Strand hinunter. - -Jetzt war der Schornstein mitten im Sund zu sehen, und bald sah er die -Flagge auf der Vorstenge. War sie auf dem Dampfer oder war sie -verhindert worden? Eins von den Kindern brauchte nur erkrankt zu sein, -dann war sie zu Hause geblieben, und er musste eine einsame Nacht im -Hotel verbringen. Die Kinder, die während der letzten Wochen in den -Hintergrund getreten waren, traten jetzt zwischen ihn und sie. In den -letzten Briefen hatten sie sehr wenig über die Kinder gesprochen, als -wollten sie Störenfriede oder Zeugen entfernen. - -Er stampfte die Landungsbrücke, die unter seinen Füssen knarrte, bis er -schliesslich bei einem Poller unbeweglich stehen blieb, starr dem -Dampfer entgegen blickend, dessen Rumpf sich vergrösserte und dessen -Kielwasser sich wie ein Fluss von schmelzendem Gold über die blaue, -schwach gekräuselte Fläche legte. - -Jetzt sieht er auf dem obern Deck Leute, die sich bewegen, und im Bug -Matrosen, die sich mit dem Tauwerk beschäftigen. Und dann bewegt sich -etwas Weisses neben dem Steuerhäuschen. Er ist allein auf der -Landungsbrücke und man kann nicht gut einem andern als ihm winken; und -keine andere kann ihm winken als sie. Er zieht sein Taschentuch und -beantwortet den Gruss. Aber er bemerkt, dass sein Taschentuch nicht -weiss ist, denn er gebraucht seit langer Zeit farbige, aus Sparsamkeit. - -Der Dampfer pfeift, gibt Signale, die Maschine stoppt; auf die Brücke zu -gleitet jetzt das Fahrzeug und er erkennt sie wieder. Sie grüssen mit -den Augen, können aber noch kein Wort wechseln, weil sie zu entfernt von -einander sind. - -Der Dampfer legt an. Er sieht sie, wie sie langsam über den Landungssteg -gedrängt wird. Sie ist es, und sie ist es nicht. Zehn Jahre liegen -dazwischen! Die Mode hat sich verändert, der Schnitt der Kleider ist ein -anderer. Früher war ihr feines dunkelhäutiges Gesicht zur Hälfte von der -damals gebräuchlichen Haube eingefasst, welche die Stirn offen liess; -jetzt ist die Stirn von einer bösen Nachahmung des Herrnhutes -beschattet. Damals zeichnete sich ihre hübsche Gestalt in spielenden -Linien unter dem so schön drapierten Besuchsmantel ab, der die Rundung -der Schultern und die Bewegung der Arme schelmisch verbarg und -hervorhob; jetzt ist die ganze Figur von einem langen Kutscherrock -entstellt, der die Kleider abzeichnet, aber nicht die Gestalt. Als sie -den letzten Schritt auf dem Landungssteg tut, sieht er ihren kleinen -Fuss, in den er sich verliebt hat, als er noch in einem Knöpfstiefel von -der Form des Fusses sass, während ihr jetziger Schuh zu einem -chinesischen Spitzpantoffel ausgezogen ist, der dem Fussblatt nicht -erlaubt, sich in diesen tanzenden Rhythmen zu erheben, die damals sein -Entzücken waren. - -Sie war es, und sie war es nicht! Er umarmte und küsste sie! Sie fragten -einander nach dem Ergehen, und er fragte nach den Kindern. Dann gingen -sie den Strand hinauf. - -Die Worte fielen langsam, trocken, gezwungen. Wie sonderbar! Sie -schämten sich beinahe vor einander, und keiner spielte auf den -Briefwechsel an. - -Schliesslich fasste er sich ein Herz und fragte: - -– Wollen wir einen Spaziergang machen, ehe die Sonne untergeht? - -– Gern, sagte sie und nahm seinen Arm. - -Sie gingen die Strasse nach dem Städtchen hinauf. Alle Sommerhäuschen -waren mit Läden verschlossen, und die Gärten waren geplündert. Hier und -dort sass noch ein Apfel, der sich hinterm Laub versteckt hatte, in den -Bäumen, aber die Beete waren jeder einzigen Blume beraubt. Die Veranden, -die jetzt ihre Zeltmarquisen verloren hatten, sahen aus wie Skelette; wo -man früher Gesichter sah und frohes Lachen hörte, war es still geworden. - -– Es sieht so herbstlich aus, sagte sie. - -– Ja, es ist schaurig, die Sommerfrischen in diesem Zustand zu sehen. - -Sie wanderten weiter. - -– Wir wollen nachsehen, wo wir gewohnt haben, sagte sie. - -– Ja, das wird nett sein. - -Sie gingen an der Badeanstalt entlang. - -Dort lag das kleine Häuschen, eingeklemmt zwischen denen des Gärtners -und des Lotsenaltermanns, mit seinem roten Lattenzaun, mit seiner -Veranda, mit seinem Gärtchen. - -Die Erinnerungen an die Vergangenheit tauchten auf. Dort in der Kammer -wurde das Erste geboren. Jubel und Fest! Gesang und Jugend! Dort stand -der Rosenbusch, den sie pflanzten. Dort lag das Erdbeerenbeet, das sie -angelegt; nein, es lag nicht mehr da, denn es war zu einem Grasplatz -zugewachsen. Dort in den Eschen waren noch die Spuren der Schaukel zu -sehen, die nicht mehr vorhanden war. - -– Hab Dank für deine schönen Briefe, sagte sie und drückte seinen Arm. - -Er errötete und antwortete nichts. - -Dann kehrten sie zum Hotel zurück, während er Einzelheiten von der Reise -erzählte. - -Er hatte im grossen Speisesaal den Tisch decken lassen, an dem sie -damals zu sitzen pflegten. Ohne ein Tischgebet zu sprechen, setzten sie -sich. - -So sassen sie wieder da unter vier Augen. Er nahm den Brotkorb und bot -ihr an. Sie lächelte. Es war lange her, dass er so höflich gegen sie -gewesen. Aber es war etwas Neues und Angenehmes, in einem Gasthaus am -Meer zu essen, und bald waren sie in einem lebhaften Gespräch begriffen; -es war ein Duett, in dem der eine in das Damals fiel und der andere eine -Erinnerung aussprach; sie lebten in den Erinnerungen. Die Blicke -leuchteten und die kleinen Runzeln der Gesichter glätteten sich. O die -goldene, rosenrote Zeit, die man nur einmal erlebt, _wenn_ man sie -erlebt, und die so viele, viele niemals erleben. - -Beim Nachtisch flüsterte er der Kellnerin etwas zu; gleich darauf kam -sie mit einer Flasche Champagner zurück. - -– Lieber Axel, was denkst du? sagte sie halb vorwurfsvoll. - -– An den Frühling, der vergangen ist, aber wiederkehren wird. - -Aber er dachte nicht ausschliesslich daran, denn beim Vorwurf seiner -Frau tauchte, wie wenn eine Katze durchs Zimmer schleicht, ein dunkles -Bild von der Kinderstube und der Mehlbreischüssel auf. - -Dann aber wurde es wieder klar und der rosenrote Wein rührte wieder an -die Saiten der Erinnerung, und sie warfen sich wieder in den -zauberischen Rausch der Vergangenheit. - -Er stützte jetzt den Ellbogen auf den Tisch und hielt die Hand vor die -Augen, als wolle er sich von der Gegenwart nicht stören lassen, dieser -Gegenwart, die er doch gerade gesucht hatte. - -Die Stunden verrannen. Sie standen auf und gingen in den Salon, wo das -Klavier stand, um Kaffee zu trinken. - -– Ich möchte wissen, wie es den Kindern geht, sagte sie, die jetzt erst -aus dem Rausch erwachte. - -– Setz dich und sing, sagte er und schlug das Instrument auf. - -– Was soll ich singen? Du weisst doch, dass ich lange nicht gesungen -habe. - -Ja, das wisse er, jetzt aber wolle er ein Lied haben. - -Sie setzte sich ans Piano und präludierte. Es war ein kreischendes -Wirtshausklavier, das wie lose Zähne klang. - -– Was soll ich singen? fragte sie und drehte sich auf dem Stuhl um. - -– Das weisst du, Lilly, antwortete er, ohne dass er es wagte, ihrem -Blick zu begegnen. - -– Dein Lied! Ja! Wenn ichs noch kann! - -Und sie sang: „Wie mag das Land wohl heissen, in dem mein Liebster -wohnt?“ - -Aber ach, die Stimme war dünn und scharf, und vor Rührung wurde sie -unrein. Es war zuweilen wie ein Schrei aus der Tiefe der Seele, die -fühlt, dass der Mittag vorbei ist und der Abend sich nähert. Die Finger, -die schwere Arbeit getan, konnten die rechten Töne nicht finden; auch -war das Instrument ausgespielt; das Tuch auf den Hämmern abgenutzt, und -das blosse Holz klopfte gegen die Metallsaiten. - -Als das Lied zu Ende war, wagte sie sich zuerst nicht umzudrehen, als -erwarte sie, dass er zu ihr komme und etwas sage. Aber er kam nicht, und -es war still im Zimmer. Als sie sich schliesslich auf ihrem Stuhl -umwandte, sass er im Sofa und weinte. Sie wollte aufspringen, seinen -Kopf in ihre Hände nehmen und ihn küssen wie früher, aber sie blieb -sitzen, unbeweglich, die Blicke auf den Boden gerichtet. - -Er hatte eine nicht angesteckte Zigarre zwischen Daumen und Zeigefinger. -Als er hörte, dass es still wurde, biss er die Spitze ab und machte mit -einem Streichholz Feuer. - -– Danke, Lilly, sagte er und qualmte. Willst du jetzt Kaffee trinken? - -Sie tranken Kaffee und sprachen von der Sommerfrische im allgemeinen, -und wo sie im nächsten Sommer wohnen würden. Aber das Gespräch begann -einzutrocknen, und man wiederholte sich. - -Schliesslich sagte er in einem langen rückhaltlosen Gähnen: - -– Jetzt gehe ich schlafen! - -– Das werde ich auch tun, sagte sie und stand auf. Erst aber will ich -etwas hinausgehen – auf den Balkon. - -Er ging in die Schlafstube. Sie blieb einen Augenblick im Esssaal stehen -und plauderte mit der Wirtin über Sommerzwiebeln, um sich auf Wollwäsche -zu verirren, bis eine halbe Stunde um war. - -Als sie zurückkam, blieb sie an der Tür der Schlafstube stehen und -lauschte. Drinnen war alles still, und die Stiefel standen draussen. Sie -klopfte, aber niemand antwortete. Da öffnete sie die Tür und trat ein. -Er schlief. - -Er schlief! - - * * * * * - -Am nächsten Morgen sassen sie am Kaffeetisch. Er hatte Kopfweh und sie -sah unruhig aus. - -– Was für ein Kaffee, sagte er und machte ein Gesicht. - -– Das ist Brasilianer, sagte sie. - -– Was sollen wir heute anfangen, fragte er und sah nach der Uhr. - -– Du solltest dir ein Butterbrot nehmen, meinte sie, statt über den -Kaffee zu schelten. - -– Ja, das will ich tun, sagte er, und ein Schnäpschen dazu. Der -Champagner, brr! - -Er liess sich Brötchen mit Branntwein bringen und wurde heiterer. - -– Jetzt gehen wir auf den Lotsenberg und sehen uns die Aussicht an. - -Sie standen auf und gingen aus. Das Wetter war herrlich und der -Spaziergang tat ihnen wohl. Als sie aber den Berg hinaufstiegen, ging es -langsam: ihr fiel das Atmen schwer, und er hatte steife Knie. Parallelen -mit der Vergangenheit wurden nicht mehr gezogen. - -Dann gingen sie in die Hage hinaus. - -Die Wiesen waren längst gemäht und dann so abgeweidet, dass keine Blume -mehr zu sehen war. Sie setzten sich beide auf Steine. - -Er sprach von der Gefängnisinspektion und von seinem Amt. Sie von den -Kindern. - -Dann gingen sie ein Stück weiter, ohne zu sprechen. Er zog die Uhr. - -– Es sind noch drei Stunden bis zum Mittagessen, sagte er. - -Und dann dachte er: ich möchte wissen, was wir morgen tun werden. - -Sie kehrten um und gingen zum Hotel zurück. Er begann nach Zeitungen zu -suchen. Sie lächelte und sass schweigend neben ihm. - -Das Essen war recht still. Schliesslich fing sie von den Mägden an. - -– Um Gottes willen, verschone uns mit den Mägden, rief er aus. - -– Ja, wir sind nicht hergekommen, um uns zu zanken. - -– Habe ich mich gezankt? - -– Ja, ich doch nicht. - -Eine furchtbare Pause entstand. Jetzt hätte er gewünscht, es komme -jemand dazwischen. Die Kinder! Ja! Dieses tête-à-tête fing an ihm lästig -zu werden. Dann aber fühlte er einen Stich im Herzen, wenn er an die -hellen Stunden von gestern dachte. - -– Lass uns nach der Eichenhöhe gehen und Walderdbeeren pflücken, sagte -sie. - -– Zu dieser Jahreszeit gibt es keine Walderdbeeren mehr, es ist ja -Herbst! - -– Lass uns doch gehen! - -Und sie gingen wieder. Aber kein Gespräch kam auf. Er suchte mit den -Augen nach einem Gegenstand, nach einem Punkt am Wege, von dem man -sprechen konnte, aber alles war schon besprochen. Sie kannte alle seine -Ansichten und missbilligte einen grossen Teil davon. Auch sehnte sie -sich nach Haus, nach den Kindern, nach der Häuslichkeit. Es sei doch zu -verrückt, hier wie ein Spektakel herumzulaufen, um sich jeden Augenblick -einem Streit auszusetzen. - -Schliesslich machten sie Halt, denn sie war müde. Er setzte sich und -fing an mit seinem Stock im Sande zu zeichnen; er wünschte nur, sie rufe -einen Ausbruch hervor. - -– An was denkst du, fragte sie schliesslich. - -– Ich, antwortete er, wie von einer Last befreit, ich denke: wir sind -alt, Mama; wir haben ausgespielt und wir müssen zufrieden sein mit dem, -was gewesen ist. Denkst du wie ich, so fahren wir mit dem Abenddampfer -nach Haus. - -– Das habe ich die ganze Zeit gedacht, lieber Alter: aber du solltest -deinen Willen haben. - -– Dann komm, wir fahren nach Haus. Es ist kein Sommer mehr, es ist -Herbst. - -– Ja, es ist Herbst! - -Mit leichten Schritten gingen sie zurück. Er war etwas verlegen über die -prosaische Wendung, welche die Sache genommen, und hatte das Bedürfnis, -der Tatsache eine philosophische Deutung zu geben. - -– Siehst du, Mama, sagte er, meine Lie– hm (das Wort war zu stark), -meine Neigung für dich hat im Lauf der Jahre eine Evolution -durchgemacht, wie man jetzt sagt. Sie hat sich entwickelt, sich -erweitert: anfangs umfasste sie nur ein Individuum, später die Familie -als ein Ganzes. Es handelt sich jetzt nicht mehr um dich persönlich, -auch nicht um die Kinder, sondern um das Ganze ... - -– Also, wie Onkel immer sagte, Kinder sind Blitzableiter! - -Er war nach seiner philosophischen Erklärung wieder er selber geworden. -Es war schön, den Gehrock ablegen zu können; und es war ihm, als ziehe -er den Schlafrock wieder an. - -Als sie ins Gasthaus kamen, begann sie sofort zu packen, und da war sie -in ihrem Element. - -Als sie an Bord des Dampfers kamen, gingen sie sofort hinunter in den -Speisesaal. Anstandshalber hatte er jedoch zuerst gefragt, ob sie sich -den Sonnenuntergang ansehen wolle; sie hatte aber abgelehnt. - -Als sie zu Abend assen, nahm er sich selber zuerst, und sie fragte die -Wirtin, was das Hartbrot koste. - -Als er sich satt gegessen hatte und das Porterglas an den Mund setzte, -konnte er einen Gedanken, der ihn schon lange amüsiert hatte, nicht mehr -unterdrücken. - -– Alter Tollkopf! Was! sagte er und lächelte seine Frau an, die gerade -während eines Bissens zu ihm aufsah. - -Sie aber beantwortete das Lächeln seines fettglänzenden Gesichts nicht, -sondern ihre Augen, die eine Sekunde aufgeblitzt hatten, nahmen einen so -vernichtenden Ausdruck von Würde an, dass er ganz verlegen wurde. - -Jetzt war die Verzauberung gebrochen, die letzte Spur der Geliebten -verschwunden: er sass da mit der Mutter seiner Kinder, und er fühlte -sich geduckt. - -– Weil ich einen Augenblick albern gewesen, brauchst du mich nicht -geringzuschätzen, sagte sie ernst. Aber in des Mannes Neigung liegt -immer ein gut Teil Verachtung; das ist sonderbar. - -– Und in des Weibes? - -– Noch mehr! Das ist wahr! Aber sie hat auch eher Veranlassung. - -– Das ist wohl gleich, wenn auch nicht dasselbe. Wahrscheinlich aber -haben sie alle beide unrecht. Was man überschätzt hat, weil es so schwer -zu erlangen war, schätzt man nachher leicht gering. - -– Warum überschätzt man es denn? - -– Warum ist es so schwer zu erlangen? - -Die Dampfpfeife über ihren Köpfen unterbrach das Gespräch. - -Sie waren am Ziel. - -Als sie wieder in ihrer Wohnung waren und er sie mitten in der -Kinderschar sah, da fühlte er, dass seine „Neigung“ für sie eine -Umwandlung durchgemacht habe und dass ihre Neigung für ihn auf alle -diese kleinen Schreihälse übergegangen und verteilt sei. Vielleicht -hatte er ihre Neigung nur als Mittel zum Zweck besessen. Seine Rolle war -ja so vorübergehend, und darum fühlte er sich abgesetzt. Wenn er nicht -nötig gewesen wäre, um Brot zu schaffen, würde er wahrscheinlich längst -verstossen sein. - -Er ging in sein Arbeitszimmer, schlüpfte in Schlafrock und Pantoffeln, -steckte sich eine Pfeife an und fühlte sich wieder zu Hause. - -Draussen peitschte der Wind den Regen, und es pfiff in der Ofenröhre. - -Nachdem sie die Kinder zu Bett gebracht hatte, kam seine Frau. - -– Es ist kein Wetter, um Walderdbeeren zu pflücken, sagte sie. - -– Nein, liebe Alte, der Sommer ist zu Ende und der Herbst ist da. - -– Ja, es ist Herbst, antwortete sie, aber es ist noch nicht Winter, -immer ein Trost. - -– Ein Trost! Ein schwacher Trost, wenn man nur einmal lebt! - -– Zwei Male, wenn man Kinder hat; drei Male, wenn man seine Enkel -erlebt! - -– Dann aber ist es wirklich zu Ende. - -– Wenn es nicht ein Leben nach diesem gibt. - -– Das ist nicht sicher! Wer weiss es denn? Ich glaube daran, aber mein -Glaube ist kein Beweis! - -– Aber es ist gut, daran zu glauben, lass uns daran glauben; lass uns -glauben, dass es noch einmal Frühling für uns werden kann! Lass es uns -glauben! - -– Ja, wir wollen es glauben, sagte er und schloss sie in seine Arme. - - - - - Fruchtbarkeit - - -Er war Hilfsarbeiter im Handelsamt mit zwölfhundert Kronen Gehalt. Er -hatte ein junges Mädchen ohne Mitgift geheiratet; aus Liebe, wie er -selber erklärte; um nicht mehr auf Bällen und Strassen umherlaufen zu -müssen, wie seine Freunde meinten. Jedenfalls war das Zusammenleben des -Paares anfangs glücklich. - -– Wie billig es ist, als Verheiratete zu leben, rief er eines Tages aus, -nachdem die Hochzeit überstanden war. Die selbe Summe, die kaum -verschlug, als man Junggeselle war, reicht jetzt für Mann und Frau. Die -Ehe ist doch eine ausgezeichnete Erfindung. Man hat alles zwischen -seinen vier Wänden: Wohnung, Kneipe, Café – alles. Keine Speisekarte -mehr, kein Trinkgeld, kein neugieriger Portier, wenn man morgens mit -seiner Frau ausgeht. - -Das Leben lächelte ihm, seine Kräfte wuchsen und er arbeitete wie ein -ganzer Mann. Noch nie hatte er sich so voll überströmender Lebenskraft -gefühlt; des Morgens sprang er elastisch und bei allerbester Laune aus -dem Bett; er war verjüngt. - -Als zwei Monate verstrichen waren, noch ehe sich die Langeweile -eingefunden hatte, teilte ihm die Frau gewisse Hoffnungen mit. Neue -Freude, neue Sorgen, aber so angenehm zu tragen! Es war notwendig, -sofort die Einkünfte zu vermehren, um den unbekannten Weltbürger würdig -empfangen zu können. Er ging hin und verschaffte sich eine Übersetzung. - -Niedliche Kinderkleidchen lagen auf den Möbeln umher, im Flur stand die -Wiege und wartete, und das Kindchen kam gesund auf die Welt der Sorgen. - -Der Vater war entzückt. Doch konnte er sich einer gewissen Angst nicht -erwehren, wenn er an die Zukunft dachte. Ausgaben und Einkünfte wollten -sich nicht die Wage halten. Es war nichts anderes zu machen, als sich in -der Kleidung etwas einzuschränken. Der Gehrock begann in den Nähten zu -glänzen, die Hemdbrust wurde unter einer grossen Krawatte verborgen, die -Hosen bekamen Fransen. Die Diener im Amt verachteten ihn allerdings -wegen dieser schäbigen Kleidung. - -Ausserdem sah er sich gezwungen, seinen Arbeitstag zu verlängern. - -– Jetzt muss man aber Schluss machen mit diesen kleinen Dingern, sagte -er sich. Doch wie soll man das anfangen? - -Das wusste er nicht. - - * * * * * - -Drei Monate später bereitete seine Frau ihn in gewählten Worten darauf -vor, dass sich seine Vaterfreude bald verdoppeln werde. Sehr freuen tat -er sich über diese Mitteilung nicht. Aber es kam jetzt darauf an, den -einmal eingeschlagenen Weg zu Ende zu gehen, wenn sich auch die Ehe als -eine durchaus nicht billige Sache erwies. - -– Es ist wahr, dachte er und sah heiterer aus, der Jüngere erbt die -Windeln des Älteren! Auf diese Weise kostet er nichts. Übrigens leben -werden sie schon, sie ebenso gut wie andere. - -Er wurde Vater zum zweiten Mal. - -– Du gehst ja tüchtig ins Zeug, liess sich ein Kamerad hören, der -verheiratet war, aber nur ein Kind hatte. - -– Was soll man machen? - -– Man muss verständig sein! - -– Verständig? Hör mal, mein guter Freund, man verheiratet sich doch, um -... ich meine, nicht nur um ... aber jedenfalls auch um ... Wir sind -eben verheiratet, und da ist die Sache doch klar. - -– Durchaus nicht. Etwas anderes, Freund: wenn du die Mittel erhalten -willst, ein frisch gestärktes Hemd zu tragen, und dir an Beförderung -liegt, so ist es durchaus notwendig, dass du Hosen ohne Fransen hast und -einen Hut, der nicht in Rotbraun übergeht. - -Und der Verständige flüsterte ihm verständige Worte ins Ohr. - -So war denn der arme Ehemann, der es so gut zu haben glaubte, auf halbe -Kost gesetzt. - -Jetzt begannen die Wirrungen. - -Zuerst waren die Nerven überreizt, die Nächte schlaflos, die Arbeit am -Tage schlecht. Dann kam der Arzt. Drei Kronen für jedes Rezept. Und was -für ein Rezept! Er müsse sich der Arbeit enthalten. Er habe zu viel -gearbeitet, sein Gehirn sei überanstrengt. Aber nichts tun, das wäre ja -der Tod für sie alle! Und arbeiten, das sollte auch der Tod sein! - -Und er arbeitete! - -Eines Tages, als er auf dem Amt sass, und sich über die endlosen -Zahlenreihen beugte, bekam er einen Schwindel und sank zu Boden. - -Ein Besuch bei einem Arzt, der Spezialist war – achtzehn Kronen. Neue -Verordnung: Urlaub infolge von Kränklichkeit, eine ordentliche Reittour -jeden Morgen, zum Frühstück Beefsteak mit einem Glas Portwein. - -Reiten und Portwein! - -Was aber schlimmer war, eine gewisse Kälte gegen die geliebte Frau stieg -in ihm auf; woher sie kam, wusste er nicht. Er hatte Furcht, sich ihr zu -nähern, und zu gleicher Zeit fühlte er ein Verlangen nach ihr; er liebte -sie, liebte sie noch immer, aber dieses Gefühl war mit einer gewissen -Bitterkeit gemischt. - -– Du magerst ab, sagte ein Kamerad. - -– Ja, ich glaube wirklich, ich bin mager geworden, erwiderte der arme -Ehemann. - -– Du spielst ein falsches Spiel, alter Junge! - -– Ich begreife nicht! - -– Ein verheirateter Mann mit Halbtrauer! Nimm dich in Acht, mein Freund! - -– Ich verstehe wahrhaftig nicht ein Wort von dem, was du sagst. - -– Gegen den Wind fahren, geht auf die Dauer nicht. Nein, brasse nur -voll, du, und du wirst sehen, dass alles wieder gut wird. Glaub mir, ich -kenne das. Die Anspielung verstehst du doch! - -Er liess die guten Ratschläge vorläufig liegen, wohl wissend, dass sich -die Einkünfte nicht im Verhältnis zu den Kindern vermehren, aber -überzeugt, dass er jetzt die Wurzel zu seiner Krankheit gefunden hatte. - - * * * * * - -Der Sommer war gekommen. Die Familie war aufs Land gezogen. An einem -schönen Abend waren die Gatten allein spazieren gegangen, an dem steilen -Seeufer entlang, das von eben grün gewordenen Erlen beschattet wurde. -Sie setzten sich ins Gras, still und niedergeschlagen. Er war finster -und mutlos; düstere Gedanken arbeiteten in seinem schmerzenden Gehirn. -Das Leben kam ihm wie ein Abgrund vor, der sich öffnete, um sie alle zu -verschlingen, alle, die er so liebte. - -Sie begannen davon zu sprechen, dass er bald seine Stellung verlieren -werde; sein Chef hatte es nämlich übel aufgenommen, dass er neuen Urlaub -verlangt. Er beklagte sich über das Betragen der Kameraden, er fühlte -sich von allen verlassen; besonders aber leide er darunter, dass sie -seiner müde sei. - -Nein, keineswegs, sie liebe ihn noch immer ebenso sehr wie in den -glücklichen Tagen, als sie sich eben verlobt! Könne er daran zweifeln? - -Nein, aber er habe so viel gelitten, dass er nicht Herr seiner Gedanken -sei. - -Und er drückte seine glühende Wange an ihre, legte seinen Arm um ihren -Leib und bedeckte ihre Augen mit heissen Küssen. - -Die Mücken tanzten ihren Hochzeitstanz über der Birke, ohne sich um die -Tausende von Jungen zu kümmern, die ihre erlaubte Lust zur Welt bringen -würde; im Schilf laichten die Hechte, sorglos Millionen ihrer Brut -absetzend; die Schwalben küssten sich am hellen Tage, auf ihrem Flug -durchaus nicht ängstlich vor den Folgen solcher unregelmässiger -Liebesverbindungen. - -Auf ein Mal sprang er auf und reckte sich, als habe er in einem langen -Schlaf schwer geträumt, und atmete in tiefen Zügen die warme Luft ein. - -– Was ist dir? flüsterte seine Frau, indem sie tief errötete. - -– Ich weiss nicht. Das aber weiss ich, dass ich lebe, das ich wieder -atme! - -Und strahlend, mit heiterem Gesicht und glänzenden Augen, streckte er -seine starken Arme nach ihr aus, hob sie in die Höhe wie ein Kind und -drückte einen Kuss auf ihre Stirn. Seine Wadenmuskeln schwollen wie bei -einem antiken Gott, der Rumpf richtete sich elastisch wie ein junger -Baum, und berauscht von Glück und Lebenskraft, trug er seine liebe Last -bis zum Fusssteig, wo er sie niedersetzte. - -– Du verhebst dich, Geliebter, sagte sie abwehrend, indem sie sich -vergebens aus seinen Armen loszumachen suchte. - -– Ach nein! Ich könnte dich bis ans Ende der Welt tragen, und ich werde -euch alle tragen, so viele ihr auch seid und (fügte er hinzu) so viele -ihr auch werdet! - -Und voller Freude gingen sie Arm in Arm nach Haus. - -– Wenn alles zusammenkommt, Geliebte, muss man zugeben, dass es doch -sehr leicht ist, über jenen Abgrund zu springen, der Körper und Seele -trennt. - -– Wie du sprichst! - -– Hätte ich das nur früher gewusst, so wäre ich weniger unglücklich -gewesen. O diese Idealisten! - -Und sie traten in ihre Häuslichkeit. - -Die alte gute Zeit beginnt aufs neue, und die bessere neue scheint von -Dauer zu sein. Der Mann geht wieder in sein Bureau. Die Gatten erleben -noch einmal den Liebesfrühling. Einen Doktor braucht man nicht mehr, und -immer ist man bester Laune. - - * * * * * - -Nach der dritten Taufe findet der Mann die Sache bedenklich und beginnt -wieder das falsche Spiel, mit den gleichen Folgen wie früher: Doktor, -Urlaub, Reiten, Portwein! Man muss ein Ende machen. Und jedes Mal zeigt -sich ein Fehlbetrag im Budget. - -Als aber schliesslich sein ganzes Nervensystem aus den Fugen geriet, -musste er der Natur ihren Lauf lassen. Und sofort stieg die Ausgabe und -sank die Einnahme. - -Allerdings war er nicht arm, aber reich auch nicht. - -– Um die Wahrheit zu sagen, liebe Alte, es wird wieder genau dieselbe -Geschichte wie früher, sagte er. - -– Beinahe, lieber Freund, antwortete die arme Frau, die ausser ihren -Mutterpflichten alle Arbeiten einer Magd zu besorgen hatte. - -Nach dem vierten Kindbett wurde es ihr zu schwer, und man war gezwungen, -ein Kindermädchen zu halten. - -– Jetzt muss es genug sein, gestand der trostlose Gatte. Hier machen wir -Punkt. - -Die Armut grinste sie an. Das Fundament, auf dem das Haus gebaut war, -begann zu sinken. - -Und mit dreissig Jahren, dem reifen Alter, da alle Blumen befruchtet -werden müssten, sahen die jungen Gatten sich auf ein schändliches -Zölibat angewiesen. Der Mann wurde mürrisch, sein Gesicht färbte sich -aschgrau und sein Blick erlosch. Die reiche Schönheit der Frau welkte, -ihr kräftiger Busen fiel ein; dazu hatte sie alle Leiden einer Mutter -auszustehen, die ihre Kinder blutarm und schlecht gekleidet sieht. - -Eines Tages stand sie am Herd und briet Hering, als eine Frau aus der -Nachbarschaft kam, um mit ihr zu plaudern. - -– Wie geht es ihnen, begann sie. - -– Danke, so ziemlich! Und Ihnen? - -– Ach, ich bin recht schwächlich! Es ist nichts los mit der Ehe, wenn -man beständig auf seiner Hut sein muss. - -– Glauben Sie, Sie sind die einzige? - -– Was? - -– Wissen Sie, was er zu mir gesagt hat? Man muss das Zugvieh schonen! -Und ich leide, das können Sie mir glauben! Schön ist es nicht, -verheiratet zu sein! Er oder sie muss es fühlen. Das kommt auf eins -heraus. - -– Oder alle beide! - -– Man scheint nichts dabei machen zu können. - -– Aber die Gelehrten, die sich auf Staatskosten den Bauch mästen? - -– Die Gelehrten, ja, die haben an so viel anderes zu denken, und -übrigens ist es ja unpassend, über solche Dinge zu schreiben: man könnte -sie nicht laut vorlesen. - -– Aber das wäre doch die Hauptsache. - -Und dann teilten die beiden Frauen einander ihre bitteren Erfahrungen -mit. - - * * * * * - -Im nächsten Sommer muss man in der Stadt bleiben, im Erdgeschoss einer -Gasse hausen, von dem man die Aussicht auf einen Rinnstein geniesst, der -so stinkt, dass man nicht die Fenster zu öffnen wagt. - -Die Frau arbeitet mit der Nadel im selben Zimmer, in dem die Kinder -spielen; der Mann, der aus seiner Stellung verabschiedet ist, weil er -keinen sauberen Anzug mehr besitzt, schreibt ab in einem Zimmer nebenan -und brummt über den Lärm, den die Kinder machen. Man wirft einander -harte Worte durch die Tür. - -Es ist Pfingsten. Der Mann liegt am Nachmittag auf dem zerlumpten -Ledersofa und betrachtet durch die Scheibe ein Fenster auf der andern -Seite der Gasse. Er sieht dort ein Mädchen, das in schlechtem Ruf steht, -wie sie sich für die Abendpromenade schmückt. Neben ihrem Spiegel liegen -ein Fliederzweig und zwei Apfelsinen. Ohne sich an neugierige Blicke zu -kehren, schnürt sie ihr Mieder über ihren festen Busen zu. - -– Das ist kein schlechtes Leben, sagt der zu Zölibat Verurteilte sich, -indem er plötzlich auflodert. Man lebt nur einmal hier auf der Welt, und -leben muss man, wie es auch gehen mag. - -Da kommt seine Frau ins Zimmer und erblickt den Gegenstand seiner -Beobachtungen. Es flammt in ihrem Auge auf; der letzte Funke einer -ausgebrannten Liebe glimmt unter der Asche und nimmt die Form einer -vorübergehenden Eifersucht an. - -– Wollen wir nicht die Kinder nehmen und in den Tiergarten gehen? fragt -sie. - -– Um unser Elend auszustellen? Nein, danke! - -– Aber hier drinnen ist heiss. Ich werde die Rollgardinen -herunterlassen. - -– Dann öffne lieber ein Fenster! - -Er errät die Gedanken seiner Frau und steht auf, um es selber zu tun. -Dort draussen am Rand des Bürgersteigs sitzen seine vier Kleinen, dicht -neben Ablaufröhren. Sie haben die Füsse in dem trocknen Rinnstein und -spielen mit Apfelsinenschalen, die sie aus dem Strassenkehricht -hervorgesucht haben. Er fühlt einen Stich im Herzen und das Schluchzen -kommt ihm in den Hals. Aber die Armut hat ihn so abgestumpft, dass er -untätig stehen bleibt und die Arme kreuzt. - -Plötzlich quellen zwei Schlammströme aus den Röhren hervor, -überschwemmen den Rinnstein und begiessen die Füsse der Kinder, die -aufschreien, von dem Gestank halb erstickt. - -– Zieh die Kinder zum Ausgehen an, aber beeile dich, ruft er, den die -herzzerreissende Szene ganz verzagt gemacht hat. - -Der Vater schob den Korbwagen, in dem das Kleinste lag, während die -Mutter die andern an der Hand führte. - -Sie kamen nach dem Klarakirchhof, ihrem gewöhnlichen Zufluchtsort, -dessen dunkelstämmige Linden üppig grünten, als sei der Boden von den -dort beerdigten Leichen gedüngt. - -Es läutete zum Abendgottesdienst. Armenhäuslerinnen gingen in Scharen in -die Kirche, um sich auf die Stühle zu setzen, die ihre reichen -Eigentümer leer gelassen; die hatten ihre Seele beim Hauptgottesdienst -erquickt und schaukelten jetzt auf ihren Equipagen im königlichen -Tiergarten. Die Kinder kletterten auf den flachen Gräbern herum, die mit -Wappenschilden und Inschriften geschmückt waren. - -Die Gatten setzten sich auf eine Bank und stellten den Kinderwagen, in -dem das Kleinste lag und an der Flasche sog, neben sich. Halb vom Gras -eines nahen Grabes verborgen, gaben sich zwei Hunde beim Klang der -heiligen Glocken ihren Frühlingsgefühlen hin. - -Ein junges elegantes Ehepaar, das ein kleines in Samt und Seide -gekleidetes Mädchen an der Hand führte, kam vorbei. Der arme -Reinschreiber hob die Augen zu dem jungen Stutzer und erkannte einen -früheren Kameraden aus dem Handelsamt, der ihn aber nicht grüsste. Ein -Gefühl bitteren Neides packte ihn so heftig, dass er sich mehr von -diesem „unedlen“ Gefühl gedemütigt fühlte als von seiner beklagenswerten -Lage. Grollte er dem andern, weil der jetzt eine Stelle bekleidete, nach -der er selber gestrebt? Sicher nicht. Aber sein Neid konnte ja die -Kehrseite seines Rechtsgefühls sein, und sein Leiden war um so tiefer, -weil es von einer ganzen enterbten Klasse geteilt wurde. Er war -überzeugt, dass die Armenhäuslerinnen, die das Joch der kommunalen -Wohltätigkeit trugen, seine Frau beneideten; und es war ganz sicher, -dass viele von diesen Herrschaften, die hier in ihren mit Wappenschilden -geschmückten Gräbern ruhten, ihn um seine Kinder beneidet hätten, wenn -sie selber gestorben waren, ohne einen Erben für das Majorat zu -hinterlassen. Allerdings hat das Leben seine Mängel, aber warum sollen -die fetten Bissen denen zufallen, die es schon gut haben? Und wie kommt -es, dass der Gewinn immer bei denen bleibt, welche die grosse Lotterie -eingerichtet haben? Die Enterbten müssen sich mit der Messe begnügen, -nämlich der des Abendgottesdienstes; für sie ist die Moral bestimmt und -die Tugenden, die von den andern verachtet werden, denn die Pforten des -Himmels springen gegen klingende Bezahlung für sie auf. Aber der gute -und gerechte Gott, der die Gaben so schlecht verteilt hat? Besser wäre -es in der Tat, ohne einen schlechten Gott zu leben, der obendrein so -aufrichtig gewesen war, einzugestehen, „der Wind wehe, wohin er (der -Wind) will“; damit habe er ja bekannt, dass er sich nicht mit unseren -Angelegenheiten befasse. Aber ohne Kirche kein Trost unter den jetzigen -Verhältnissen! Aber warum gerade Trost? Besser, sich so einzurichten, -dass man keinen Trost nötig hat. Nicht wahr? - -In diesen Gedanken wurde er von seiner ältesten Tochter unterbrochen, -die ein Lindenblatt als Sonnenschirm für ihre Puppe haben wollte. Der -Vater war kaum auf die Bank gestiegen, um einen Zweig abzubrechen, als -ein Schutzmann ihm in barschem Ton zurief, man dürfe die Bäume nicht -anrühren. Neue Demütigung! Gleichzeitig ersuchte ihn der Schutzmann, die -Kinder nicht auf die Grabsteine steigen zu lassen, denn das sei nach der -Kirchhofsordnung verboten. - -– Das Beste ist wohl, wir gehen nach Haus, rief der Vater vernichtet -aus. Wie viel Mühe man sich um die Toten macht und wie wenig um die -Lebenden! - -Und sie gingen wieder nach Haus. - -Der Mann setzte sich an seine Arbeit. Er hatte das Manuskript einer -akademischen Abhandlung über die Überbevölkerung abzuschreiben. - -Er konnte nicht anders, als sich für den Inhalt zu interessieren, und -las daher das ganze Heft. - -Der junge Autor, der zu der sogenannten ethischen oder Damenschule -gehörte, predigte gegen das Laster. - -– Was für ein Laster? fragte sich der Abschreiber. Durch das wir alle -zur Welt kommen? Das bei der Trauung geboten wird durch die Worte: -„Vermehret euch und erfüllet die Erde!“ - -Und der junge Autor schrieb weiter: Ausser der Ehe sei die Vermehrung -ein unheilvolles Laster, weil die Kinder, die nicht die nötige Pflege -erhalten, ein trauriges Schicksal haben. In der Ehe dagegen sei es eine -Pflicht, seinen Neigungen freien Lauf zu lassen. Dafür spreche unter -anderm der Umstand, dass das Gesetz sogar das Ei des Weibes schützt, und -zwar mit Recht. - -– Es gibt also, dachte der Abschreiber, eine Vorsehung für eheliche, -aber keine für uneheliche Kinder. Oh dieser junge Philosoph! Und das -Gesetz, das das Ei schützt! Mit welchem Recht machen sich denn die -kleinen mikroskopischen Dinger bei jedem Mondwechsel los? Man müsste -wirklich die Polizei holen, um über die heiligen Eier zu wachen! - -Alle diese Albernheiten musste er mit seiner schönsten Handschrift ins -Reine schreiben. - -Eine solche Menge Moral, aber nicht ein Wort der Aufklärung. - -Der moralische oder richtiger der unmoralische Sinn des Gedankengangs -war: Es gibt einen Gott, der alle in der Ehe geborenen Kinder nährt und -kleidet; einen Gott im Himmel, wahrscheinlich, aber auf der Erde? -Allerdings soll er einmal auf die Erde niedergestiegen sein, um sich -kreuzigen zu lassen, nachdem er sich vergebens bemüht, Ordnung in die -verworrenen Geschäfte der Menschheit zu bringen: er wurde nicht damit -fertig. - -Zum Schluss schrie sich der Philosoph heiser, der reichliche Vorrat an -Weizen sei ein unwiderlegbarer Beweis, dass es keine Überbevölkerung -gebe; dass die Lehre des Malthus falsch sei, und dazu verbrecherisch, -sowohl vor dem bürgerlichen Gesetz wie vor dem moralischen. - -Und der arme Familienvater, der seit Jahren kein Weizenbrötchen gekostet -hatte, stand auf, um die Kinder anzutreiben, Roggenmehlgrütze und -bläuliche Milch hinunter zu würgen, mit denen sie den Magen füllten, -ohne sich satt zu fühlen. - -Es war trostlos, nicht weil Wassergrütze das Schlimmste ist, sondern -weil der alte prächtige Humor verschwunden war; dieser Zauberer, der den -dunkeln Roggen in goldenen Weizen zu verwandeln weiss; die allmächtige -Liebe, die ihr Füllhorn ausschüttet, war nicht mehr da. Die Kinder waren -Lasten geworden, und die geliebte Frau ein versteckter Feind, der -heimlich verachtete und verachtet wurde. - -Und die Quelle zu all diesem Unglück? Der Mangel an Brot! Und doch -stürzen jetzt die grossen Handelshäuser der neuen Welt unter der Last -des allzu reichlichen Vorrats von Getreide zusammen! Eine Welt der -Widersprüche! Die Art und Weise, nach der das Brot verteilt ist, muss -also mangelhaft sein. - -Die Wissenschaft, welche die Stelle der Religion eingenommen hat, vermag -keine Antwort darauf zu geben; sie stellt nur die Tatsache fest und -lässt die Kinder vor Hunger sterben und die Eltern vor Durst. - - - - - Zwangsehe - - -Sein Vater starb ihm früh, und seitdem war er in den Händen einer -Mutter, zweier Schwestern und einiger Tanten. Einen Bruder hatte er -nicht. Sie lebten auf einem Besitztum in der schwedischen Provinz -Södermanland und hatten keine Nachbarn, mit denen sie verkehren -„konnten.“ Im Alter von sieben Jahren erhielt er, zusammen mit den -Schwestern, eine Gouvernante, und gleichzeitig wurde eine Cousine ins -Haus aufgenommen. - -Er schlief im selben Zimmer wie die Schwestern, spielte deren Spiele, -badete mit ihnen, und niemand dachte daran, dass er von anderem -Geschlecht sei als die Mädchen. Die älteren Schwestern nahmen ihn auch -bald in die Hand und wurden seine Schulmeister und Tyrannen. - -Er war ein recht kräftiger Junge, aber der Zärtlichkeit so vieler -überlassen, wurde er allmählich verzärtelt und hilflos. - -Einmal machte er einen Versuch, mit den Jungen der Instleute zu spielen. -Sie gingen in den Wald, kletterten auf die Bäume, plünderten die -Vogelnester, warfen Steine nach Eichhörnchen. Frithiof war glücklich, -als sei er aus einem Gefängnis entlassen, und kam nicht zum Mittagessen -zurück. Die Jungen pflückten Blaubeeren und badeten im See. Es war der -erste Tag seines Lebens, an dem er lustig gewesen. - -Als er gegen Abend zurückkam, war grosse Aufregung im Hause. Die Mutter -war unruhig und betrübt, zeigte aber ohne Verstellung ihre Freude, ihn -wieder zu Hause zu haben; doch die unverheiratete Tante Agathe, die -ältere Schwester der Mutter, die Herrin im Hause war, wütete. Es sei ein -Verbrechen, wenn man ihn _nicht_ züchtige. Frithiof begriff nicht, worin -das Verbrechen bestand, aber Tante sagte, Ungehorsam sei ein Verbrechen. -Frithiof wendete ein, man habe ihm nie verboten, mit den Kindern der -Instleute zu spielen. Das habe man allerdings nicht, denn das sei -überhaupt nicht in Frage gekommen. Die Tante blieb bei ihrem Vorsatz und -vor den Augen der Mutter nahm sie den Jungen auf ihr Zimmer, um ihn -durchzuhauen. Er war acht Jahre alt und schon ziemlich gross. - -Als die Tante sein Hosenbund anfasste, um ihm die Hosen abzuknöpfen, -überlief ihn ein Fieberschauer; der Atem blieb ihm im Hals stecken und -das Herz klopfte. Er schrie nicht, aber er starrte entsetzt die alte -Frau an, die ihn beinahe liebkosend hat, gehorsam zu sein und keinen -Widerstand zu leisten. Als sie aber seinen Körper entblösste, überfiel -ihn ein Gefühl von Scham und Wut: er sprang vom Sofa auf und schlug um -sich. Etwas Unreines, etwas Dunkles, Widriges schien von dieser Frau -auszugehen, und die Scham seines Geschlechts erhob sich wie gegen einen -Feind. - -Aber die Tante wurde wütend, warf sich über ihn, legte ihn über einen -Stuhl, riss sein Hemd auf und schlug ihn. Zuerst schrie er aus Wut, denn -den Schmerz fühlte er nicht, strampelte konvulsivisch mit den Füssen, um -loszukommen; dann wurde er plötzlich still und schwieg. - -Als die Alte aufhörte, blieb er liegen. - -– Steh auf, sagte sie mit gebrochener Stimme. - -Er stand auf und sah sie an. Sie war blass auf der einen Backe und rot -auf der andern. Die Augen leuchteten von einem dunkeln Feuer und sie -zitterte am ganzen Körper. Der Junge sah sie an, als sei sie ein böses -Tier, und lächelte überlegen, als fühle er sich in der Verachtung, die -sie ihm einflösste, hoch über ihr. Dann schleuderte er ihr ein einziges -trotziges verächtliches „Teufelin“ ins Gesicht, einen Ausdruck, den er -eben von den Kindern der Instleute gelernt hatte. Dann nahm er seine -Kleider und lief hinaus; hinunter zur Mutter, die weinend im Esssaal -sass. - -Er wollte sich bei ihr beklagen, sie wagte ihn aber nicht zu trösten. Da -ging er in die Küche hinunter, wo die Mädchen ihm Rosinen zu essen -gaben. - -Von diesem Tag an durfte er nicht mehr im Zimmer der Schwestern -schlafen, sondern wurde von der Mutter mit in ihre Schlafstube genommen. -Er fand es dort dumpf und langweilig, und wenn die Mutter in ihrer -Zärtlichkeit mehrere Male in der Nacht aufstand, um ihn zuzudecken, -wurde er in seinem Schlaf gestört und antwortete zornig auf ihre Fragen, -ob es ihm gut gehe. - -Er durfte niemals ausgehen, ohne dass ihn jemand anzog, und er hatte so -viele wollene Halstücher, dass er nicht wusste, welches er nehmen -sollte. Schlich er sich hinaus, so wurde sofort durchs Fenster gerufen, -er solle hinaufkommen und etwas überziehen. - -Die Spiele der Schwestern fingen an ihn zu quälen. Federballwerfen -genügte seinen starken Armen nicht mehr: die wollten Steine werfen. Bei -dem kleinlichen Krocketspiel, das weder Muskelanstrengung noch Verstand -verlangt, sich herumzuzanken, reizte seine Nerven. - -Dann hatte er die Gouvernante auf dem Nacken. Sie sprach ihn französisch -an, während er schwedisch antwortete. Ein dumpfer Hass gegen das ganze -Dasein und seine Umgebung begann zu keimen. - -Er sah auch bald eine Geringschätzung in der ungenierten Art, die man -sich in seiner Gegenwart erlaubte, und alle wurden ihm schliesslich -zuwider. Die Einzige, die auf seine Gefühle etwas Rücksicht nahm, war -die Mutter; so hatte sie einen grossen Schirm um sein Bett stellen -lassen. - -Seine Zuflucht wurde schliesslich die Küche und die Mädchenstube; dort -fand er immer Zustimmung. Zuweilen bekam er dort jedoch Dinge zu hören, -welche die Neugier eines Knaben hätten reizen können, aber für ihn gab -es keine Geheimnisse. So war er einmal zufällig an die Badestelle der -Mädchen gekommen. Die Gouvernante hatte geschrieen, aber er verstand -nicht warum und fing mit den Mädchen, die nackt im Wasser standen oder -lagen, zu plaudern an. Ihre Nacktheit machte gar keinen Eindruck auf -ihn. - -Er wuchs auf und wurde ein Jüngling. Nun musste man einen Inspektor -halten, der ihn die Landwirtschaft lehrte, denn er war ja dazu bestimmt, -einmal das Gut zu übernehmen. Man nahm einen alten Mann, der gläubig -gesinnt war. Dessen Gesellschaft war nicht gerade dazu angetan, den -Jüngling zu beleben, aber sie war immer noch besser, als er sie bisher -gehabt hatte. Er sah die Dinge von neuen Gesichtspunkten und war tätig. -Aber der Inspektor erhielt täglich und stündlich so viel Instruktionen -von den Damen, dass er schliesslich deren Sprachrohr wurde. - -Mit sechzehn Jahren wurde Frithiof konfirmiert, bekam eine goldene Uhr -und durfte jetzt reiten; aber mit der Flinte in den Wald zu gehen, was -sein Traum war, das erlaubte man ihm nicht. Er hatte allerdings keine -Schläge mehr von seiner Erzfeindin zu fürchten, aber er hatte Angst vor -den Tränen der Mutter. Er blieb immer das Kind, und die Gewohnheit, das -Urteil der andern zu respektieren, konnte er nicht los werden. - - * * * * * - -Frithiof wuchs heran und wurde zwanzig Jahre alt. Eines Tages stand er -in der Küche und sah zu, wie die Köchin Barsche schuppte. Sie war ein -junges hübsches Mädchen von feiner Gesichtsfarbe. Er fing an mit ihr zu -scherzen, steckte ihr schliesslich seine Hand in den Rücken. - -– Seien Sie doch artig, Herr Frithiof, sagte das Mädchen. - -– Ich bin ja artig, sagte er und wurde zudringlich. - -– Wenn die gnädige Frau kommt! - -– Nun und? - -In diesem Augenblick ging seine Mutter an der offenen Küchentür vorbei, -bog aber sofort ab und ging hinaus auf den Hof. - -Frithiof fand die Situation peinlich und verschwand auf sein Zimmer. - -Sie hatten einen neuen Gärtner bekommen. In ihrer Weisheit hatten die -Damen einen verheirateten genommen, damit er nicht hinter den Mägden -herlaufe. Das Unglück aber wollte, dass der Gärtner so lange verheiratet -gewesen war, dass die Frucht seiner Ehe in der lieblichen Gestalt einer -Tochter hatte reifen können. - -Herr Frithiof entdeckte bald die schöne Blume unter den andern Rosen des -Gartens. Alles, was sich bei ihm an Wohlwollen gegen _die_ Hälfte der -Menschheit, zu der er nicht gehörte, angesammelt hatte, begann sich -jetzt diesem jungen Mädchen gegenüber, das verhältnismässig fein -gewachsen war und etwas Erziehung erhalten hatte, zu äussern. - -Er ging oft in den Garten und plauderte lange mit ihr, wenn sie an einem -Beet arbeitete oder Blumen pflückte. Sie aber verhielt sich ablehnend -gegen ihn; doch wuchs dadurch seine Neigung nur noch mehr. - -Eines Tages ritt er durch den Wald und hatte wieder wie gewöhnlich -Hallucinationen von ihrer Gestalt, die für ihn die Natur des -Vollkommenen angenommen. Er war krank vor Sehnsucht, allein in ihrer -Nähe zu sein, ohne fürchten zu müssen, dass jemand darüber unwillig -werde. Dieses Glück hatte für seine erhitzte Einbildung so -ungeheuerliche Proportionen angenommen, dass er ohne sie nicht mehr -leben wollte. - -Das Pferd ging Schritt vor Schritt mit losen Zügeln den Pfad dahin, -während der Reiter auf seinem Rücken in Gedanken versank. Plötzlich sah -er etwas Helles zwischen den Bäumen schimmern, und hervor trat das -Mädchen des Gärtners. Herr Frithiof stieg ab und grüsste. Dann gingen -sie zusammen weiter und plauderten, während er das Pferd hinter sich -herzog. Er sprach in dunkeln Worten von seiner Liebe zu ihr; sie aber -wies jeden Antrag zurück. - -– Warum sollen wir von dem Unmöglichen sprechen, sagte sie. - -– Was ist unmöglich? rief er aus. - -– Für mich als armes Mädchen ist es unmöglich, die Frau eines reichen -und feinen Herrn zu werden. - -Die Bemerkung war richtig, und Herr Frithiof fühlte sich geschlagen. -Seine Liebe war grenzenlos, aber er sah keine Möglichkeit, seine Hindin -durch die Koppel zu führen, die Haus und Hof bewachte; die würde sie -sicher in Stücke reissen. - -Nach diesem Gespräch überliess er sich einer stillen Verzweiflung. - -Im Herbst zog der Gärtner fort, ohne dass man erfuhr, warum. Herr -Frithiof war sechs Wochen lang untröstlich, denn er hatte seine erste -und einzige Liebe verloren: nie würde er wieder lieben. - - * * * * * - -So verging der Herbst. Um die Weihnachtszeit liess sich der neue -Kreisarzt in der Nachbarschaft nieder. Er hatte erwachsene Kinder, und -da die Tanten immer krank waren, fingen sie an mit der Familie zu -verkehren. Unter den erwachsenen Kindern befand sich auch ein Mädchen. -Es dauerte nicht lange, bis Herr Frithiof sterblich in sie verliebt war. -Er schämte sich zuerst, dass er der ersten untreu werde, bekehrte sich -aber schnell zu der Ansicht, die Liebe müsse etwas Unpersönliches sein, -da sie ihren Gegenstand wechseln könne; es schien eine Vollmacht zu -sein, die auf den Inhaber ausgestellt ist. - -Sobald diese neue Neigung von seinen Wächterinnen gewittert wurde, bat -die Mutter ihren Sohn um ein Gespräch unter vier Augen. - -– Du bist jetzt in den Jahren, begann sie, in denen sich ein Mann nach -einer Frau umzusehen pflegt. - -– Das ist bereits geschehen, liebe Mama, sagte er. - -– Ich fürchte, du hast dich übereilt, sagte sie. Das Mädchen, das du -gewählt haben willst, besitzt nicht die moralischen Grundsätze, die ein -gebildeter Mann verlangen muss. - -– Was? Amaliens moralische Grundsätze! Wer hat etwas gegen die zu sagen? - -– Ich will nichts Böses von ihr sagen, aber ihr Vater ist, wie du -weisst, ein Freidenker ... - -– Es freut mich, dass ich mit einem Mann verwandt werde, der frei denkt, -ohne auf Interessen Rücksicht zu nehmen. - -– Lassen wir ihn; aber, Frithiof, du hast ältere Verpflichtungen. - -– Was? Sollte ... - -– Ja, du hast mit Luises Herz gespielt ... - -– Meinst du die Cousine? - -– Ja! Habt ihr euch nicht seit der Kindheit als ein künftiges Paar -betrachtet? Glaubst du nicht, dass sie ihre Hoffnung und ihre Zukunft -auf dich gesetzt hat? - -– Ihr, ihr habt mit uns gespielt, habt uns zusammen gehetzt, nicht ich! -antwortete der Sohn. - -– Aber denk doch an deine alte Mutter und deine Schwestern, Frithiof. -Willst du in dieses Haus, das immer unser aller Heim gewesen ist, ein -wildfremdes Mädchen bringen, das das Recht besitzt, über uns zu -befehlen. - -– Das ist also der Grund! Luise ist zur Herrin auserkoren! - -– Niemand ist auserkoren, aber eine Mutter hat immer das Recht, die -künftige Frau ihres Sohnes auszuwählen, und niemand kann das so gut wie -sie. Zweifelst du an meinen guten Absichten? Sag, kannst du deine eigene -Mutter in Verdacht haben, dass sie dir schaden will? - -– Nein, das kann ich nicht, aber ich – liebe Luise nicht; ich habe sie -gern wie eine Schwester, aber ... - -– Lieben? Ach die Liebe ist ein so unbeständiges Ding. Auf die kann man -sich nicht verlassen, die verschwindet wieder, aber Freundschaft, -Übereinstimmung in Ansichten und Gewohnheiten, gemeinsame Interessen, -genaue Bekanntschaft mit einander bilden die beste Garantien für das -eheliche Glück. Luise ist ein tüchtiges Mädchen, häuslich und -ordentlich, und sie wird dein Heim so glücklich machen, wie du es nur -wünschen kannst. - -Frithiof sah keine andere Aussicht, für dieses Mal noch loszukommen, als -dadurch, dass er um Bedenkzeit bat. - -Inzwischen wurden die Damen auf einmal so gesund, dass sie keinen Arzt -mehr nötig hatten. Der Doktor machte doch noch einen Besuch, wurde aber -wie ein Einbrecher empfangen, der Schlösser und Riegel auskundschaften -wollte. Er war ein scharfsichtiger Mann und sah sofort, wie es bestellt -war. Frithiof machte einen Gegenbesuch, wurde aber als falscher Angeber -aufgenommen. Damit war es aus mit dem Verkehr. - - * * * * * - -Frithiof wurde mündig. - -Jetzt begann man Sturm zu laufen. Die Tanten krochen vor ihm und zeigten -dem neuen Herrn ihre Unentbehrlichkeit, indem sie ihn wie ein -unverständiges Kind behandelten. Die Schwestern zeigten sich -mütterlicher als je, und Luise begann Toilette zu machen. Sie schnürte -sich und brannte sich das Haar. Sie war durchaus kein hässliches -Mädchen, aber sie hatte einen kalten Blick und eine scharfe Zunge. - -Für Frithiof war sie gleichgültig, geschlechtslos; er hatte nie das -Mädchen in ihr gesehen. Jetzt aber, nachdem die Mutter von ihr -gesprochen, fühlte er sich verlegen in ihrer Nähe, besonders da sie zu -kleben anfing. Er traf sie überall, auf der Treppe, im Garten, sogar im -Stall. Eines Morgens, als er noch zu Bett lag, kam sie auf sein Zimmer, -um Stecknadeln zu holen; sie trug einen Frisiermantel und spielte die -Schüchterne. - -Sie begann ihm widrig zu werden, aber doch beschäftigte sie seine -Gedanken. - -Inzwischen erneuerte die Mutter ihre Gespräche mit dem Sohn, und Tanten -und Schwestern spielten unaufhörlich auf die erwartete Hochzeit an. - -Das Leben wurde dem jungen Mann unerträglich. Er sah keinen Ausweg aus -diesem Netz. Luise war wohl etwas anderes für ihn geworden als die -Schwester und die Kameradin, aber sie war ihm darum nicht lieber -geworden; doch indem er an die Möglichkeit einer ehelichen Verbindung -dachte, war sie für ihn schliesslich zum Weib geworden, zwar zu einem -unsympathischen, aber doch zu einem Weib. Die Heirat bedeutete immerhin -eine Veränderung seiner Stellung und vielleicht eine Rettung aus der -Knechtschaft. Er bekam im ganzen Kirchspiel kein anderes Mädchen zu -sehen, und sie war vielleicht ebenso gut oder ebenso schlecht wie eine -andere. - -Schliesslich ging er zur Mutter und sagte ihr, unter welchen Bedingungen -er sich mit Luise verheiraten wolle: eigener Haushalt im Flügelgebäude -und eigener Tisch; auch solle die Mutter für ihn freien, denn das könne -er nicht über sich gewinnen. - -Der Kompromiss wurde angenommen, und man führte Luise herein, um -Frithiofs Umarmung und schüchternen Kuss zu empfangen. Sie weinten alle -beide; warum sie weinten, wussten sie nicht; aber sie schämten sich vor -einander den ganzen Tag über bis zum Abend. - -Dann war alles wie vorher zwischen ihnen, aber die Mütterlichkeit der -Tanten und Schwestern kannte jetzt keine Grenzen mehr. Sie richteten den -Flügel ein, stellten die Möbel auf, verteilten die Zimmer, bestimmten -alles. Frithiof wurde nicht gefragt. - -Dann begann man die Hochzeit zu rüsten. Alte Verwandte, die in der -Provinz begraben waren, wurden aufgesucht und als Trauzeugen geladen. - -Die Hochzeit fand statt. - -Am Morgen nach der Hochzeit war Herr Frithiof früh auf den Beinen. Er -verliess die Schlafstube so schnell wie möglich, indem er vorgab, eine -wichtige Arbeit auf dem Felde verrichten zu müssen. Luise, die noch -schläfrig war, hatte nichts dagegen einzuwenden; aber gerade als er -gehen wollte, sagte sie: - -– Du vergisst doch nicht, dass um elf Uhr Frühstück ist. - -Das sagte sie wie einen Befehl. - -Er ging in sein Zimmer, zog Jagdrock und Wasserstiefel an und nahm seine -Flinte, die er in einem Schrank versteckt hielt. Dann ging er in den -Wald. - -Es war ein schöner Oktobermorgen mit Rauhreif. Er ging sehr schnell, als -fürchte er, zurückgerufen zu werden, oder als fliehe er vor etwas. Die -frische Waldluft wirkte wie ein Bad. Er fühlte sich frei, und es war das -erste Mal, dass er seine Freiheit benutzte, um mit der Flinte -auszugehen. Aber diese körperliche Freiheit war nur vorübergehend. -Bisher hatte er wenigstens sein Schlafzimmer für sich gehabt. Über seine -Gedanken am Tage und seine Träume bei Nacht hatte er geherrscht. Das war -aus. Besonders quälte ihn der Gedanke, das gemeinsame Schlafzimmer sei -etwas Garstiges. Jede Scham wurde wie eine Maske abgeworfen, jedes -Feingefühl abgelegt, jede Illusion von dem „hohen Ursprung“ des Menschen -zerstört; nur das Tier vor sich zu haben, war zu viel für ihn, da er ja -von Idealisten erzogen war. Nie hätte er geglaubt, dass die Heuchelei -des Zusammenlebens so gross sein könne, und dass nur die Furcht vor den -Folgen der Kern des unsagbar Weiblichen sei. Wenn es aber die Tochter -des Arztes oder des Gärtners gewesen wäre? Dann wäre die Einsamkeit mit -ihr eine Seligkeit gewesen, während sie jetzt bedrückte und unschön war; -dann hätte die rohe Begierde, eine Neugier und ein Bedürfnis zu -befriedigen, die Form eines Rausches angenommen, der wie der Rausch mehr -seelisch als körperlich war. - -Er streifte durch den Wald, ohne ein Ziel zu haben, ohne zu wissen, was -er schiessen solle; er empfand nur eine dunkle Lust, die Flinte knallen -zu hören und ein Tier fallen zu sehen; aber er erblickte nichts. Die -Vögel waren schon fortgezogen. Nur ein Eichhörnchen hüpfte auf einem -Kiefernstamm herum und guckte ihn mit seinen Glotzaugen an. Er warf die -Flinte an die Backe und drückte ab; aber das schnelle Tier war schon auf -der andern Seite des Stammes, als die Hagelkörner einschlugen. Doch -machte der Knall einen angenehmen Eindruck auf seine Nerven. - -Er verliess den Fusssteig und ging in den Niederwald. Wo er einen Pilz -aufragen sah, trat er ihn entzwei. Er war in einer rechten -Zerstörungslaune. Er sehnte sich danach, eine Schlange zu sehen, um sie -zu zertreten oder einen Schuss auf sie abzugeben. - -Dann aber überkam ihn der Gedanke, dass er heim müsse, und dass es sein -Hochzeitsmorgen sei. Die Vorstellung, welche zudringlichen Blicke er -auszuhalten haben werde, wirkte so stark auf ihn, als solle er für ein -Verbrechen entlarvt werden, ein Verbrechen gegen die Sitte und, was mehr -war, gegen die Natur. Er wäre am liebsten aus der Welt geflohen, aber -wie sollte er das anfangen? - -Schliesslich wurden die Gedanken müde, immer dieselben Kreise zu ziehen, -und er hatte zuletzt nur noch die eine Empfindung, dass er hungrig sei. -Er ging daher nach Haus, um Frühstück zu essen. - -Als er auf den Hof kam, standen alle Hochzeitsgäste, die übernachtet -hatten, auf der Treppe des Vorbaus und begrüssten ihn mit scherzhaften -Hurrarufen. Mit unsicheren Schritten ging er über den Hof und hörte mit -schlecht verborgenen Gefühlen die scherzhaften Fragen der Gäste nach -seinem Befinden an. Er riss sich von ihnen los und eilte ins Haus, ohne -zu bemerken, dass seine Frau in der Gruppe stand und darauf wartete, -dass er sie begrüsse. - -Am Frühstückstisch machte er eine Folter durch, die er glaubte nie -wieder vergessen zu können: die Stichelreden der Gäste stachen ihn und -die Liebkosungen seiner Frau brannten ihn. Sein Freudentag war der -widrigste, den er erlebt hatte. - - * * * * * - -Als einige Monate vergangen waren, hatte sich die junge Frau als Herrin -im Hause eingerichtet, unter dem Beistand von Tanten und Schwestern. -Frithiof blieb immer der Jüngste und Unverständigste. Man fragte ihn um -Rat, befolgte seine Ratschläge aber nicht; man sorgte immer noch für -ihn, als sei er noch ein Kind. Dass er mit seiner Frau allein ass, -erwies sich bald als unmöglich, denn er schwieg eigensinnig; Luise hielt -es nicht aus, sondern musste einen Blitzableiter haben: eine Schwester -zog in den Flügel. - -Mehrere Male machte Frithiof den Versuch, sich zu emanzipieren, wurde -aber immer von der Übermacht zurückgeschlagen; ihrer waren zu viele, und -sie redeten so lange auf ihn ein, bis er in den Wald floh. - -Die Abende wurden jetzt ein Schrecken für ihn. Er hasste die -Schlafstube, ging dahin wie zum Richtplatz. Er wurde scheu und blieb für -sich allein. - -Sie waren ein Jahr verheiratet gewesen, ohne ein Kind zu bekommen, als -die Mutter ihn eines Tages beiseite nahm, um mit ihm zu sprechen. - -– Würdest du nicht erfreut sein, wenn du einen Sohn bekämst, fragte sie. - -– Gewiss, antwortete er. - -– Du bist nicht nett gegen deine Frau, sagte die Mutter so milde wie -möglich. - -Da brauste er auf. - -– Was? Was? Habt ihr etwas auszusetzen? Verlangt man, dass ich -tagewerken soll? Hm! Luise ist ganz anders, als ihr glaubt! Aber wen -geht das etwas an? Formuliere die Anklage so, dass ich darauf antworten -kann. - -Nein, dazu hatte die Mutter keine Lust! - -Er entdeckte jetzt in seiner Einsamkeit, dass der Inspektor ein junger -Mann sei, der gern Karten spielte und gern trank. Er suchte dessen -Gesellschaft und vertrieb sich die Abende auf dessen Zimmer; kam spät in -die Schlafstube, so spät wie möglich. - -Eines Abends lag seine Frau noch wach und wartete auf ihn. - -– Wo bist du gewesen? fragte sie scharf und bestimmt. - -– Das geht dich nichts an, antwortete er. - -– Es ist nicht angenehm, auf die Weise verheiratet zu sein. Wenn wir -wenigstens ein Kind hätten. - -– Das ist nicht meine Schuld! - -– Meine auch nicht. - -Und nun entspann sich ein Streit darüber, wessen Schuld es sei, und der -dauerte zwei Jahre. - -Da keiner den einfachen Ausweg einschlagen wollte, den sachverständigen -Arzt zu fragen, kam es zu dem gewöhnlichen Ergebnis: der Mann wurde -lächerlich und die Frau tragisch. Eine kinderlose Frau sei heilig, denn -„Gottes“ Fluch ruhe aus unbekannten Gründen auf ihr. Dass „Gott“ sich so -weit herablassen werde, einen Mann in den Bann zu tun, das konnten sich -die Frauen nicht vorstellen. - -Aber Herr Frithiof fühlte deutlich, dass ein Fluch auf seinem Dasein -lag, denn es war düster und ungesund. Die Natur hatte zwei Geschlechter -geschaffen, die einander unter gewissen Verhältnissen als Freunde -suchen, aber unter andern Verhältnissen als Feinde auftreten. Er hatte -das andere Geschlecht als Feind getroffen, und zwar als übermächtigen -Feind. - -Eines Tages fragte eine der Schwestern, während sie mit einer Näharbeit -beschäftigt war, wie zufällig Frithiof, was das Wort Kapaun bedeute. - -Er antwortete nicht, sah sie scharf an, fand aber, dass sie nicht -Bescheid wusste, sondern wahrscheinlich gelauscht hatte und ihre Neugier -nicht unterdrücken konnte. - -Jetzt war sein Leben vergiftet. Er war lächerlich. Und er wurde -misstrauisch. Alles, was er hörte und sah, brachte er in Zusammenhang -mit dieser Beschuldigung. Schliesslich geriet er ausser sich und -verführte ein Dienstmädchen. - -Mit dem erwünschten Erfolg! Er wurde Vater! - -Jetzt aber war Luise eine Märtyrerin und Frithiof ein Elender. An das -letzte kehrte er sich nicht, denn seine Ehre war gerettet; es galt -nämlich für eine Ehre, ohne Gebrechen zu sein, nicht für ein Glück. - -Aber durch dieses Ereignis war Luises Eifersucht geweckt, und, seltsam, -eine Art Liebe zu ihrem Mann begann zu erwachen. Eine Liebe, die ihm -recht lästig wurde, denn sie äusserte sich in einem unermüdlichen -Bewachen und einer nervösen Zudringlichkeit; zuweilen mit einem -mütterlichen Wohlwollen, das keine Grenzen kannte. Sie wollte nachsehen, -ob die Flinte geladen sei; sie bat ihn auf Knien, sich beim Ausgehen -warm anzuziehen ... Im Hause war sie pedantisch, räumte und staubte den -ganzen Tag; liess jeden Sonnabend scheuern, klopfte Teppiche und lüftete -Kleider. Er hatte keine Ruhe mehr und konnte nie sicher sein, dass man -ihn nicht aus seinem Zimmer jagte, um es reinzumachen. - -Seine Arbeit füllte seine Zeit nicht aus, denn der Hof wurde von den -Frauen verwaltet. Er begann Landwirtschaft zu studieren und wollte -Verbesserungen einführen, wurde aber daran gehindert. Als er allein zu -herrschen versuchte, machte man ihm jede Tätigkeit unmöglich. - -Schliesslich wurde er müde. Er hatte längst zu sprechen aufgehört, weil -er immer sicher war, dass man ihm widersprach. Durch Mangel an -gleichdenkenden Kameraden und Unglücksgenossen wurde sein Verstand -allmählich stumpf; sein Nervensystem war ruiniert; er vernachlässigte -sein Aussehen und begann zu trinken. - -Bald war er kaum noch zu Haus. Oft lag er betrunken im Gasthaus oder bei -Bauern. Er trank mit jedem und ohne aufzuhören. Es war ihm eine -Linderung, sein Gehirn durch Alkohol in Arbeit zu setzen, und dann -konnte er sprechen. Es war schwer zu entscheiden, ob er trank, um mit -jemand sprechen zu können, der nicht widersprach; oder ob er trank, um -zu trinken. - -Um sich Geld zu schaffen, verkaufte er an die Bauern heimlich Vorrechte -oder Getreide, denn die Kassen wurden von den Frauen verwaltet. -Schliesslich brach er in seine eigene Kasse ein und stahl. - -Man hatte jetzt immer einen kirchlich gesinnten Inspektor, denn der -letzte war wegen Trunksucht verabschiedet. Als man endlich, mit Hilfe -des Pastors, so weit gekommen war, dass dem Gastwirt der Verkauf von -Alkohol verboten wurde, begann Herr Frithiof mit den Knechten zu -trinken. Skandal folgte auf Skandal. - -Herr Frithiof wurde schliesslich ein ausgebildeter Trinker, der die -Fallsucht bekam, wenn man ihm nicht etwas Starkes zu trinken gab. - -Schliesslich musste er in eine Anstalt gebracht werden, um dort als -unheilbar zu bleiben. - -In hellen Zwischenstunden, wenn er sein Leben überschauen konnte, -empfand er ein tiefes Mitleid mit allen jungen Mädchen, die an -ungeliebte Männer verheiratet werden; er fühlte es um so tiefer, als er -den ganzen Fluch, den die Vergewaltigung der Natur zur Folge hat, am -eigenen Leibe erfahren hatte; und er war doch nur ein Mann. - -Er suchte die Ursache zu seinem Unglück in der Familie als -wirtschaftlicher Einrichtung; die verhindert ja, dass das Kind zur -rechten Zeit für ein selbständiges Leben als Individuum frei wird. - -Seine Frau klagte er niemals an, denn sie war wohl ebenso unglücklich -wie er, ein Opfer derselben Missverhältnisse, die man mit dem Namen -Gesetz ehrt. - - - - - Die verbrecherische Natur - - -Der Kutter ging vor halbem Wind durch die letzten Schären -des Stockholmer Inselmeeres, und das Meer öffnete sich in -Nachmittagsbeleuchtung. - -Der Doktor suchte nach Worten, um sein Entzücken darüber auszudrücken, -denn er war im Innern des Landes geboren und hatte das Meer nur einige -Male von dem Deck eines Dampfers gesehen. - -Nachdem der Leutnant das Steuerruder umgelegt und Kurs auf den -Leuchtturm von Landsort genommen, befahl er Punsch und Zigarren. - -Die Einsamkeit, die Stille, der Mangel an Gegenständen, auf denen das -Auge haften konnte, stimmte den Sinn mitteilsam, und trotzdem die beiden -Jugendfreunde bereits drei Stunden von alten und neuen Dingen -gesprochen, fand sich immer wieder neuer Stoff zu neuen Gesprächen. - -– Es muss doch herrlich sein, auf dem Meer leben zu können, sagte der -Doktor und liess das Auge rings um den Horizont schweifen. - -– Ja, in guter Gesellschaft, wenn man sein eigener Herr ist, sagte der -Leutnant. Aber im Dienst an Bord, das ist etwas anderes! Erstens ist man -eingeschlossen; das Schiff ist ein Käfig, merk dir das, und der Horizont -wird eng, wenn du dich an ihn gewöhnt hast; der blaue Rand, hinter dem -man etwas träumt, wenn man jung ist, wird eine graue Steinmauer. Denke -dir, du seist in einem Käfig auf dem eingeschlossenen Hof eines -Gefängnisses. Und noch eins: hast du einen Unfreund an Bord, so merkst -du, dass du lebst. - -– Es ist doch jedenfalls ein gesundes Leben. - -– Gesund? Das sieht so aus, aber die Gedanken werden nicht gesund, wenn -das Gehirn keine Eindrücke von aussen empfängt; und immer auf das blosse -Nichts sehen, macht auf die Dauer stumpfsinnig. Aber es gibt noch andere -Schattenseiten im Leben des Seemannes, die durchaus nicht gesund sind. - -Das Gesicht des Leutnants wurde finster, und er sah erst nach, ob die -Leute auch so weit entfernt waren, dass sie nicht lauschen konnten. - -– Bedenke doch, es ist das vom andern Geschlecht abgesonderte Leben des -Mönches und des Gefangenen. - -– Ihr lebt schön abgesondert, wenn ihr an Land kommt, fiel der Doktor -ein. - -– Aber ehe man an Land kommt! Einen Monat, zwei Monate auf See! In -halber Untätigkeit. Die Gedanken suchen ihre eigenen Wege, der Wille -herrscht auf eigene Faust, kriecht über Rechtsgefühl, springt über -Begriffe von Moral, Ehre und dergleichen. Man hat schon recht seltsame -Dinge auf See gesehen. - -– Ich habe allerdings gehört, dass die Mannschaft es toll treiben kann, -sagte der Doktor. - -– Es ist schade um die Verheirateten! Dieses Gedicht von der Gattin des -Seemanns, die trauernd am Fenster sitzt, ist nur ein Gedicht. Aber der -Mann, der verheiratete Mann, der beschmutzt sich nicht gern, wenn er an -Land geht; ein Vergnügen hat er nicht für sein Geld! Gewöhnlich ist die -Frau längst getröstet, wenn der Mann heimkehrt! Aber es gibt andere -Seiten, Nachtseiten, wie man sie nennt, diese Ausbrüche der sich -rächenden Natur, die uns unheimlich vorkommen, weil wir sie zuerst nicht -erklären können; für die der Mensch bestraft wird, trotzdem er nur das -Opfer ist. - -– So, ihr habt das auch an Bord? Man erfährt so wenig davon, trotzdem es -eine der merkwürdigsten Erscheinungen ist, die es zu allen Zeiten -gegeben hat. - -– Du hältst es also nicht für ein Verbrechen, fragte der Leutnant mit -einem gewissen Eifer und zog an seiner Zigarre. - -– Ein Verbrechen? Was ist ein Verbrechen? Was vor Staatsanwalt und -Gericht kommt. Von der _Natur_ kann es ein Verbrechen sein, wie in den -Fällen, in denen das Geschlecht bis lange nach der Geburt unentschieden -bleibt; das kann man aus den Anzeigen über Namensänderungen sehen, die -zuweilen in den Zeitungen stehen. Die Natur hat Launen und die Kultur -hilft dabei, aber die Menschen sollten heute so aufgeklärt sein, dass -sie Gebrechen nicht bestrafen. - -– So, das sagst du? Es freut mich, einmal ein wahres Wort in dem -allgemeinen Geheul zu hören. - -– In Frankreich hat man schon in der Kammer beantragt, den Paragraph, -der das vermeintliche Verbrechen bestraft, zu streichen. - -– Wirklich? Und hier laufen sie wie Aussätzige herum, werden von einer -ewigen Unruhe verzehrt, dass sie verdächtigt oder entdeckt werden. Ich -will einen Fall erzählen, den ich mit eigenen Augen gesehen habe. Dann -magst du urteilen, ob es ein Laster, eine Entartung oder ganz einfach -eine Erscheinung ist, deren Gründe wir nicht kennen. - -– Es ist mir gleichgültig, wie man es nennt; eine Berufskrankheit bei -Mönchen und Seeleuten; die Erscheinung ist ebenso interessant wie eine -menschliche Frucht, welche die Natur mit einem Kalbskopf oder drei Armen -ausgestattet hat. - -– Etwas merkwürdiger ist es doch wohl, besonders wenn sie in seelischer -Form auftritt und alle Symptome zeigt, die bei einer unschuldigen -Schwärmerei zwischen Mann und Weib vorkommen. - -– Bei einer unschuldigen? Hm! - -– Ja, du, unschuldig, betonte der Leutnant. Ich weiss, dass ein solches -Verhältnis unschuldig sein kann. - -– Ja, eine Zeit lang! Du darfst nicht, und sie wagt nicht! Das kennen -wir! Aber erzähle deine Geschichte. - -Sie nippten am Punsch und steckten neue Zigarren an. - -– Weisst du, was der Chef einer Fregatte ist? begann der Leutnant und -legte die Ruderpinne ins Hackbrett. Das ist ein Porzellangott. Er ist -da, aber er zeigt sich nicht. Er hat nicht den höchsten Befehl, denn den -hat der Sekond, aber er steht über dem höchsten Befehl. Seeleute pflegen -den Schiffer den „Alten“ zu nennen, ganz wie die Bauern vom Donner -sprechen und „Gevatter“ sagen. Der Sekond ist der „Alte“ auf einem -Kriegsschiff; für den Chef hat man keinen Namen. Er sitzt eingeschlossen -in seiner Kajüte, spricht nur mit dem Sekond; isst allein, bis auf einen -Tag in der Woche, an dem er die Offiziere an seinen Tisch ladet, und -einen zweiten Tag, an dem er sich von den Offizieren einladen lässt. Er -tadelt nie, belohnt nie, kommandiert nie. Was er tut, weiss nur der -Sekond. Kommt er auf Deck, so geht er nie über den Besan hinaus. - -Das Schiff ist die vollkommenste aller Gemeinden, die in der -Organisation tausend Jahre hinter der Zeit zurückbleibt! Sie würde -unvollkommen sein, wenn Frauen dabei wären. - -Meine erste Fahrt machte ich als Kadett auf der Fregatte Thor. - -Das Leben war nicht so, wie es sich der Schüler geträumt, als er voll -Neid auf die kokette Jacke und das hübsche Seitengewehr der Seekadetten -sah. Es war etwas ganz anderes; etwas sehr Rohes und sehr Hässliches; -vor allem sehr Unpoetisches. - -Eines Tages hatte ich die Wache und stand am Steuerrad, also auf einem -sehr verantwortungsvollen Posten; ich sah starr voraus durch Taue und -Takelung über die Mannschaft auf Deck hinweg; versuchte die Gedanken -zusammen zu halten, indem ich sie nur auf den Kurs richtete. Aber teils -unruhig über die wichtige Aufgabe, da ich die ganze Bevölkerung des -Schiffes in meiner Hand hatte, teils nervös infolge eines unbestimmten -Gefühls, dass jemand seine Augen auf mich richte, vergass ich mich. Die -Talje knirschte, das Bugspriet gierte und es begann im Jager lebendig zu -werden. Da rief der Flaggschiffer, der an meiner Seite stand: - -– Festhalten! - -Ich fühlte, wie das Rad meinen Händen entrissen wurde, während ich -zugleich einen Stoss bekam, dass ich aufs Deck flog. - -Ich taumelte zur Seite wie ein hingeworfener Handschuh und stand zu -meiner grossen Bestürzung unmittelbar vor den Zehen keines Geringeren -als meines Chefs. Ich sah in ein gelbgraues Gesicht, das dem eines -reichen Grosshändlers glich. Der Mund war scharf geschnitten und von -zwei schrägen Zügen eingefasst, die ihm einen boshaften Ausdruck gaben, -der jedoch von einem hellen Backenbart gemildert wurde. Er sah aus, als -wolle er mich in die See werfen, aber er schwieg. Er schien sich zu -fragen, ob er sich so weit herablassen könne, dass er mich Würmchen -ansprach. - -Schliesslich erweichten sich die strengen Züge, und er sah mich an, als -sei ich ein kleines Kind. - -– Wie heissest du, Kadett? fragte er. - -Ich nannte meinen Namen. - -– Und dein Vater ist? - -– Tot, antwortete ich. Aber er war Oberstleutnant bei den Pionieren. - -– Ich habe deinen Vater gekannt; wir waren Jugendfreunde, und ich -schätzte ihn sehr. Geh auf deinen Posten zurück und halt die Gedanken -beisammen. - -Ich trat wieder ans Rad und tat mein Äusserstes, um aufmerksam zu sein. -Aber der Chef ging auf und ab, und ich fühlte, wie er mich ansah. - -Als die Wache zu Ende war und ich in die Kadettenmesse hinunter kam, -wurde ich von den Kameraden umringt und gefragt, was der Chef gesagt -habe. - -Als sie hörten, dass er meinen Vater gekannt habe, sahen die Jüngeren -mit einer gewissen Achtung zu mir auf; aber die Älteren sahen arglistig -aus, ich konnte nicht verstehen, warum. - -Einige Tage später sassen wir, einige Kameraden und ich, auf Halbdeck -und splissten Taue. Wir schwatzten über alles Mögliche. Ich aber, der -ich immer ein sehr nervöses Temperament gehabt habe, so empfindlich wie -eine Kompassnadel, empfand eine gewisse Unruhe, als ob jemand mich -fixiere. Ich drehte mich mehrere Male um, um nachzusehen, wessen Augen -mich so eigensinnig und energisch verfolgen könnten. Schliesslich -blieben meine Blicke auf einem kleinen runden Fenster haften, das zu der -äusseren Kajüte des Chefs gehörte, und da sah ich die beiden schrägen -Falten um seinen Mund, nicht mehr, die Augen hatte er hinter der Gardine -verborgen. Das beunruhigte mich, ohne dass ich hätte sagen können, -warum. - -Zwei Tage später erhielt ich abends den Befehl, mich in der Kajüte des -Chefs einzufinden. Es war ein elegant möblierter Raum mit -Büchergestellen, Gemälden, Photographien und einem Orgelharmonium. -Drinnen beim Chef sass der Sekond. Er hielt seine Mütze in der Hand und -sah verlegen aus. - -– Herr Korvettenkapitän, begann der Chef mit einem unnatürlich -geläufigen Ton; dieser junge Mann ist der Sohn meines verstorbenen -Jugendfreundes, der mir einmal einen unschätzbaren Dienst geleistet hat. -Ich fühle mich dem edlen Mann verpflichtet und will deshalb seinen -Jungen etwas in die Hand nehmen. Ich werde seine Erziehung leiten, -solange er mit mir an Bord ist. - -– Willst du mein Schüler werden? wendete er sich zu mir. - -Ich war von dieser grossen Gunst, die mir der Freund meines verstorbenen -Vaters anbot, so verwirrt, dass ich nur einige unverständliche Worte der -Dankbarkeit stammeln konnte. - -Er lud mich zum Sitzen ein, und der Sekond bekam einen Wink, dass die -Audienz aus sei. - -Wir waren allein. Ich weiss nicht, was in seiner Art war, das mich bange -machte. Es war nicht der Chef, das Götzenbild, sondern es war ein -anderer. Sein Benehmen war verlegen und seine Sprache gezwungen. Auch -begegnete er meinen Blicken anfangs nicht. - -– Bist du für Mathematik begabt, mein Junge? begann er. - -– Nicht besonders, antwortete ich. - -– Aber du kannst Gleichungen zweiten Grades lösen? - -– Ja, das kann ich ganz gut. - -– Dann wollen wir zu den Logarithmen übergehen. Siehst du, ein Seemann -ohne Logarithmen, das ist ein Fahrzeug ohne Kompass. - -Er stand auf und holte die Logarithmentafel. Schob einen Stuhl an den -Tisch heran und griff zu Papier und Feder. - -Nachdem er eine Weile über Charakteristik und Mantisse, die er, wie ich -später sah, verwechselte, gesprochen hatte, legte er die Feder fort. - -– Nun, wie gefällt es dir an Bord? - -– Gut, Herr Admiral, antwortete ich. - -– Und die Kameraden? - -– Von denen spricht man nicht, entschlüpfte es mir, ehe ich hatte -einsehen können, welche Zurechtweisung die Antwort enthielt. - -– Das ist gut geantwortet, mein Junge, sagte er und sah mich an mit -einer Miene, die ältere Leute jüngeren zeigen, wenn die sich eine -Freiheit herausnehmen. - -– Willst du ein Glas Punsch haben? fragte er; es ist hier etwas feucht. - -Nein zu antworten, war nicht möglich, da ich nicht Temperenzler bin. -Aber im selben Augenblick überfiel mich ein Gefühl der Furcht: Wenn nun -jemand hereinkommt und den Chef mit dem Kadetten trinken sieht! Die -Situation war peinlich. Hast du schon empfunden, wie man sich für einen -andern schämt? Um ihn war mir bange! - -Er öffnete eine Klappe und holte Gläser und eine Karaffe hervor, die er -in seine Kabine trug. - -– Tritt näher, sagte er. - -Meine Unruhe stieg noch mehr; die ganze Situation war so falsch, und der -Abgott fiel, fiel unrettbar. - -In der Kabine setzte er sich mir gegenüber und sah mich an, wie der -Riese, ehe er den Däumling fressen wollte. - -– Du bist ein guter Junge, sagte er, indem er (jedoch ohne anzustossen) -sein Glas austrank, und dein Aussehen wird dir in deiner Laufbahn -weiterhelfen. Weisst du, dass du gut aussiehst? - -Ich errötete, das fühlte ich, und wusste nicht, wo er hinaus wollte. Ich -sah nur in seinem Gesicht einen neuen seltsamen Ausdruck, und seine -Augen flackerten wie Gasflammen. - -– Hast du schon Liebesabenteuer gehabt? fragte er von neuem, und seine -Augen begannen zu glühen. - -Ich wusste nicht, was ich antworten sollte, denn ich hatte Respekt vor -dem Freund meines Vaters. - -Er stand auf und begann auf und ab zu gehen. - -– Du hättest mein Sohn sein sollen, sagte er schliesslich; das hättest -du! - -Er war nicht verheiratet, das wusste ich, und ich verstand, dass das -ganze Einsamkeitsgefühl des alten Junggesellen in diesem Ausruf lag. - -Jetzt wurde zum Essen geblasen, und ich musste gehen. - -– Morgen Abend um dieselbe Zeit, sagte er! - -Ich machte Honneur und ging. - -Meine Abendstunden wurden eine Zeit lang fortgesetzt. Seine Art wurde -immer intimer. Zuweilen belästigte sie mich unbeschreiblich. Kam ich -absichtlich zu spät, sah er betrübt aus. - -– Du wirst meiner überdrüssig, sagte er. Ich bin alt und langweilig. - -Dann wurde ich von Mitleid ergriffen mit dem armen Einsamen, dessen hohe -Stellung ihm verbot, sich Verkehr zu suchen. - -Wir liefen schliesslich Havana an; ich erhielt Erlaubnis, an Land zu -gehen, musste dem Chef aber versprechen, nicht mit den Kameraden -schlechte Häuser zu besuchen. Er nahm mir förmlich ein Gelübde ab. - -Als ich wieder an Bord kam, fragte er mich, ob ich bei einem Mädchen -gewesen sei. Ich antwortete nein, der Wahrheit gemäss. - -– Das ist recht, mein Junge, sagte er. Nimm dich vor den Weibern in -Acht! Hörst du! - -Und dann segelten wir wieder. - -Eines Abends, ich vergesse ihn nie, es war auf der Höhe von Madeira, die -Luft war heiss wie in einem Gewächshaus, wir trugen nur Hemd und Hosen, -und die Windstille hatte vier Tage gedauert. - -Um acht Uhr betrat ich die Kajüte des Chefs, vollständig bekleidet. Er -war sehr erregt. Konnte kaum sprechen. - -– Das ist eine furchtbare Hitze, seufzte er; zieh den Spenzer aus. - -Dagegen hatte ich nichts einzuwenden, obwohl es im höchsten Grad gegen -Reglement und gute Sitte verstiess. - -Er setzte sich neben mich, halb hinter mich. Ich fühlte seinen heissen -Atem in meinem Nacken und empfand eine Bangigkeit und Beklommenheit, wie -ich sie nicht beschreiben kann. - -Wir waren mit Trigonometrie beschäftigt und ich beugte mich über das -Papier. Mein Kopf wurde schwer, und um mich zu wecken, machte ich den -Rumpf gerade und warf den Kopf zurück. In diesem Augenblick fielen meine -Blicke auf den Spiegel mir gegenüber. Was ich da sah, flösste mir ein -solches Entsetzen ein, als habe ich plötzlich gesehen, wie die Natur -sich umkehrt und ihre Kehrseite zeigt. Als ob die Sonne blau und der -Himmel gelb und die Bäume rot geworden seien, oder als ob der Mond -Blitze schiesse. Sein Gesicht lag über meiner Schulter und seine Augen -suchten unter den Aufschlägen meines Hemdes. Ich schrie, glaube ich, und -wollte aufspringen, wurde aber von zwei Armen festgehalten und fühlte -einen Kuss auf meinen Lippen, einen Kuss wie von der scharfen Zunge -eines Stiers, und es schnaubte über mein Gesicht, als hätte ein Seehund -mich geleckt. - -Als ich aufs Deck hinauskam, musste ich mich an der Verschanzung halten, -um nicht zu fallen, denn meine Beine zitterten. Es war für mich eine -Offenbarung des Widrigen, ein Erscheinen des Bösen. - -– Und damit war die Bekanntschaft zu Ende! sagte der Doktor kalt und -trank sein Glas aus. - -– Nicht ganz! Weisst du, was er jetzt tat? Er schrieb Briefe an mich. -Ich las nur einen! Es war ein Liebesbrief. Er liebte mich! - -– Wie Sokrates Alcibiades liebte! Glaubst du, du hast eine Entdeckung -gemacht? Und glaubst du, dass nur Absonderung oder Überkultur diese -Erscheinung hervorrufen. Sie kommen auch bei wilden Volksstämmen vor, ja -bei Tieren. Ich meine, man müsse bei solchen Launen der Natur ein Auge -zudrücken, wenigstens den Unschuldigen nicht bestrafen, wie ich schon -sagte. Willst du eine Geschichte im selben Genre hören? - -– Ja, aber lass uns erst etwas essen; ich sehe, drinnen ist gedeckt. - -Er rief einem der Gäste zu, das Ruder zu übernehmen, und sie gingen in -die Kajüte. - -Sie versuchten von etwas anderem zu sprechen, immer aber kamen sie auf -das erste Thema zurück. - -– Erinnerst du dich, fing der Doktor an, wie du als Schüler mit -Kameraden gleichen Alters befreundet warst? Ihr kamet immer zusammen aus -der Schule, suchtet einander in freien Stunden auf, teiltet Ansichten -und Kasse. Ja, du konntest sogar eifersüchtig auf deinen Freund sein, -wenn er andere dir vorzog. Nicht wahr? - -– Ja, aber das war Freundschaft! - -– Ja, das war es! Aber so beginnt ja auch die Liebe zwischen den -verschiedenen Geschlechtern. Es muss weit kommen, ehe einer von Beiden -sich eine körperliche Berührung in einem Kuss oder einer Liebkosung -erlaubt oder überhaupt ein Bedürfnis danach empfindet. Bei Mädchen -dagegen äussert sich diese Freundschaft in Umarmungen und Küssen. Das -ist ganz unschuldig natürlich, aber die Symptome gleichen sehr dem, was -man Liebe nennt. Es ist ebenso unschuldig wie das Gefühl, das Eltern -dazu treibt, ihre Kinder in die Arme zu nehmen und zu küssen. Kannst du -sagen, was rein und unrein ist, körperlich oder geistig? Das ist schwer, -denn die Liebe der Eltern zu den Kindern hat ein unwiderstehliches -Bedürfnis, sich in körperlicher Berührung zu äussern und steht doch über -jeden Verdacht, sinnlich zu sein. Haust aber eine arme Familie zusammen -in einem Zimmer, schlafen Vater und Töchter zusammen, während die -Mädchen heranwachsen, dann _kann_ es geschehen, dass die Gefühle ihre -Natur ändern. Die äusseren Umstände sind es, die da wirken, wie man auch -nur bei Hirten und Reitern Fälle von Bestialität trifft. Sag nicht, das -ist ein neues, unnatürliches Element, sondern das ist dieselbe Natur, -die aber aus Mangel an Gelegenheit sich andere Auswege sucht, wie sich -die Gewebe des Körpers einem Fistelgang öffnen, wenn die natürlichen -Kanäle von einer Krankheit geschlossen werden. - -Jetzt sollst du meine Geschichte hören. - -Er war klein und unbedeutend und wurde von den Mädchen übersehen, denn -sie fanden, er sei weder als Liebhaber noch als Beschützer -vielversprechend. Das flösste ihm Misstrauen zu sich selber und -Abneigung gegen das andere Geschlecht ein. Als er älter wurde und Dirnen -besuchte, fiel es ihm auf, was wir andern ganz natürlich fanden, dass -sie sich bezahlen liessen. Das chokierte ihn. Warum sollte nur der eine -Teil bezahlt nehmen und nicht der andere, wenn alle beide das Vergnügen -genossen. - -Dann ging er ein Verhältnis mit einer Näherin ein. Sie hatte ihn lieb -und sie nahm nicht bezahlt. Aber sie wurde von seltsamen Träumen -beunruhigt, die auch ihn zu beunruhigen anfingen. Das eine Mal träumte -sie, er lade sie ins Theater ein; das zweite Mal, er schenke ihr -Handschuhe; das dritte Mal, er bezahle ihre Miete. Mein Freund war nicht -stark darin, Träume zu deuten, weil er arm war, und dem Mädchen wurden -ihre Träume nicht erfüllt. Der Freund dachte, ich habe alle Soupers -bezahlt und sie keins; aber das sagte er nicht. Doch sie ward es müde, -ein Traumleben zu leben, und schenkte ihre Liebe bald einem Buchhalter, -der die Mittel hatte, ihre Träume zu erfüllen. Mein Freund wurde sehr -bitter gegen die Frauen: das seien Materialisten, da sie nicht aus -reiner Liebe lieben könnten. - -Später verliebte er sich wieder. Als er ans Heiraten denken konnte, ging -er zum Vater; der fragte ihn natürlich, ob er Geld habe. - -– So, man muss auch das Heiraten bezahlen, dachte er. Nur bezahlen, -immer und überall! - -Aber er war verliebt, und er entschloss sich zu dem Handel. Er war Turn- -und Schwimmlehrer. Jetzt fängst du an zu verstehen. Er verheiratete -sich. Entdeckte nach dem ersten Kind, dass seine Frau Anlage für „höhere -Aufgaben“ besitze und nicht mehr Kinder haben wolle. Sturm und Gewitter! -Und dann halbe Ruhe. Oft fand er es hart, für nichts bezahlen zu müssen; -aber es war nicht mehr zu ändern. - -Fünfzehn Jahre dauerte das Zölibat und seine Frau wusste ihre Stellung -gut zu verteidigen. - -– Ich bin die Mutter deines Kindes, und in dieser Eigenschaft bin ich im -Haus. - -Aber sie war nicht die Mutter seines Kindes, denn sie besuchte fromme -Sitzungen und hatte andere höhere Zwecke, die nicht gerade der -Aufklärung dienten, aber sie vergass, dass sie seine Gattin war. - -Nach fünfzehn Jahren gab es einen Skandal in der Schwimmschule. Mein -Freund hatte sich dem ausgesetzt, was Darwin einen Generationswechsel -genannt hätte. Aus der Analyse der fünfzehn Jahre Zölibatleben kannst du -einen russischen Roman machen; ich vermag es nicht! Das Resultat war -eine geheime Untersuchung. Er wurde freigesprochen und – zeugte ein -neues Kind in der Ehe. Damit war der Sache abgeholfen. - -Da hast du zwei Faktoren, die zusammen wirkten: Berufskrankheit oder -günstige Gelegenheit und auf der anderen Seite fehlende Versorgung. - -– Noch ein dritter Faktor war vorhanden, fiel der Leutnant ein. - -– Welcher denn? - -– Dass er schon als junger Mann darben musste. - -– Dann kannst du auch einen vierten nehmen! - -– Welchen? - -– Den hohen Arbeitslohn. - -– Nein jetzt gehen wir auf Deck, sagte der Leutnant; das fängt an -unheimlich zu werden, wenn man sich darin vertieft. - -– Ja, das wird es, aber Alles zu seiner Zeit. Weisst du, dass die -Akademie von Dijon im vorigen Jahr einen Preis von zehntausend Franken -ausgesetzt hat für den, der befriedigend die Frage beantwortet: Warum -darf man nicht schreiben, wie man spricht? - -– Nun, wer hat den Preis gewonnen? - -– Der Beschäler von Växjö. Er fand, die Ursache liege darin: wenn er -schreiben würde, wie er spreche, dann käme er ins Gefängnis. - -– Du bist verrückt! - -– Nein, sieh, der Mond ist aufgegangen, rief der Doktor aus, als sie auf -Deck kamen. - -– Bei uns ist der Mond ein Maskulinum, aber in Griechenland ist er ein -Femininum! - -– Die Griechen haben ja nie die Geschlechter auseinander gehalten. -Weisst du, warum nicht? - -– Nein! - -– Es lag wohl in ihrer religiösen Überzeugung. Zeus liebte ja Ganymedes! -Und es war ein grosses und gebildetes Volk, das die religiöse -Überzeugung achtete! - - - - - Corinna - - -Ihr Vater war General, und die Mutter starb ihr früh. Seitdem wurde das -Haus meist von Herren besucht. Und der Vater erzog sie selber. - -Sie ritt mit ihm aus, sah sich die Manöver an, wohnte Schauturnen bei, -machte Kontrollversammlungen mit. - -Da der Vater unter allen, die in seinen Verkehrskreis kamen, den -höchsten Rang einnahm, bezeigten ihm alle eine Ehrerbietung, wie sie -Ebenbürtige einander niemals bezeigen. Und da sie die Tochter des -Generals war, erwies man ihr die gleiche Ehre wie dem Vater. Sie hatte -den Rang eines Generals und sie fühlte es. - -Im Flur sass immer eine Ordonnanz, die sich mit furchtbarem Gerassel -erhob, wenn sie kam und wenn sie ging. Auf den Bällen wurde sie immer -von Majoren zum Tanz aufgefordert; einen Hauptmann hielt sie für eine -niedrige Menschenklasse, und die Leutnants waren für sie unartige -Jungen. - -So gewöhnte sie sich daran, die Menschen nach der Rangliste zu -beurteilen; Zivilpersonen waren für sie „Fische“, dürftig gekleidete -Menschen Lumpen, arme Leute Pack. - -Aber über dieser Rangskala standen die Damen. Der Vater, der alle Männer -unter sich hatte und mit Ehrenbezeigungen begrüsst wurde, sobald er sich -sehen liess, stand doch immer vor einer Dame auf, sie mochte jung oder -alt sein, küsste bekannten Damen die Hand, bediente jede Schönheit. -Dadurch bekam sie früh hohe Gedanken von der Überlegenheit des -weiblichen Geschlechts und gewöhnte sich daran, Männer für niedrigere -Wesen zu halten. - -Wenn sie ausritt, hatte sie immer einen Reitknecht hinter sich. Wenn es -ihr gefiel, Halt zu machen, um sich die Landschaft anzusehen, machte er -Halt. Er war ihr Schatten. Aber wie er aussah, ob er jung oder alt war, -das wusste sie nicht. Wenn man sie gefragt, was für ein Geschlecht er -habe, hätte sie es nicht sagen können; sie hatte nie daran gedacht, dass -der Schatten auch ein Geschlecht haben könne; wenn sie in den Sattel -stieg und dabei mit ihrem kleinen Stiefel auf seine Hand trat, so war -die für sie ein gleichgültiges Ding; und sie konnte dann ihr Kleid etwas -anheben, als sei niemand zugegen. - -Diese eingeborenen Rangvorstellungen durchdrangen ihr ganzes Leben. Sie -konnte mit den Töchtern des Majors oder des Hauptmanns nie vertraut -werden, denn deren Väter standen unter ihrem Vater. Auf einem Ball hatte -ein Leutnant einmal gewagt, sie aufzufordern. Um seine Vermessenheit zu -bestrafen, antwortete sie nicht, als er zwischen den Tänzen sich -unterhalten wollte. Nachher aber erfuhr sie, es sei einer der Prinzen -gewesen: da war sie untröstlich. Sie, die den Rangunterschied der -Offiziere wusste, die alle Orden und Titel kannte, sie hatte einen -Prinzen nicht erkannt. Das war zuviel. - -Sie war schön, aber der Stolz gab ihren Zügen eine Starrheit, die jeden -Anbeter abschreckte. Sich zu verheiraten, daran hatte sie nie gedacht. -Die jungen Leute waren dazu nicht qualifiziert, und die Alten, die den -Rang hatten, waren zu alt. Wenn sie sich mit einem Hauptmann verheiratet -hätte, würde sie ja bei Tisch hinter allen Majorsfrauen gesessen haben, -sie, die Tochter des Generals. Das wäre ja eine Degradierung gewesen. -Übrigens wollte sie durchaus kein Anhang oder eine Salonzierde für einen -Mann sein. Sie war gewohnt zu befehlen, gewohnt, dass man ihr gehorchte; -sie konnte keinem gehorchen. Das freie männliche Leben unter Männern -hatte ihr ausserdem einen entschiedenen Widerwillen gegen weibliche -Beschäftigung eingeflösst. - -Spät erwachte ihr geschlechtliches Leben. Da sie zu einer alten Familie -gehörte, die väterlicherseits durch seelenloses Soldatentum, durch -Zechen und durch Schlemmen mit ihrer Kraft schlecht hausgehalten, -mütterlicherseits die Fruchtbarkeit unterdrückt hatte, um das Vermögen -nicht teilen zu müssen, schien die Natur bei Bestimmung ihres -Geschlechts in letzter Stunde gezögert zu haben; oder hatte vielleicht -nicht Kraft genug besessen, um sich für Fortsetzung der Rasse zu -entschliessen. Ihrer Gestalt fehlte das bestimmte weibliche Gepräge, wie -eine gesunde Natur es für ihre Zwecke erzeugt, und sie tat auch nichts, -um den Mängeln durch Kunst abzuhelfen. - -Ihre wenigen weiblichen Kameraden fanden sie kalt, gleichgültig gegen -alles, was das Verhältnis der Geschlechter betraf. Sie selber sprach -sich geringschätzig darüber aus, hielt es für unsauber, konnte nicht -begreifen, wie sich ein Weib einem Manne hingeben könne. Die Natur war -unrein für sie und Tugend bestand für sie in reiner Wäsche, gestärkten -Röcken und heilen Strümpfen. Arm sein bedeutete für sie schmutzig und -lasterhaft sein. - -Im Sommer wohnte sie mit ihrem Vater auf dem Landgut. - -Das Land liebte sie nicht. Draussen in der Natur wurde sie klein; der -Wald war ihr unheimlich, der See machte sie schauern, das hohe Gras der -Wiese barg Gefahren. Die Bauern waren eine Art arglistige Tiere, und -unsauber dazu. Auch hatten sie so viele Kinder, und Burschen wie Mädchen -waren für sie lasterhaft. - -Bei grossen Festen wie Mittsommer und Geburtstag des Generals wurden sie -jedoch auf den Herrenhof geladen, um wie der Chor in der Oper zu -fungieren, Hurra zu schreien, und zu tanzen, wie die Figuren auf einem -Gemälde. - - * * * * * - -Es war wieder Frühling. Helene war allein auf ihrer Rassestute -ausgeritten und weit hinaus ins Land gekommen. Sie wurde müde und sass -ab; band die Stute an eine Birke, die an einer umzäunten Waldweide -stand. Dann trat sie an den Rand des Grabens, um einige Orchideen zu -pflücken. Die Luft war warm, und Birken und Rasen dampften. Im Wasser -des Grabens plumpsten die Frösche. - -Plötzlich wieherte die Stute, und Helene sah das schlanke Tier seinen -Hals über den Zaun strecken und mit aufgerissenen Nüstern die Luft -einsaugen. - -– Alice, rief sie, still mein Mädchen! - -Und dann fuhr sie fort, einen Strauss aus diesen schüchternen Blumen -zusammenzusetzen, die so sorgfältig ihre Geheimnisse hinter den -hübschsten und nettsten Gardinen verstecken, die gedrucktem Kattun -gleichen. - -Aber die Stute wieherte wieder. Aus den Haselbüschen der Waldweide -antwortete ein anderes Wiehern, das aber stärker und tiefer war. Der -sumpfige Boden der Waldweide dröhnte, die Sterne rasselten unter -gewaltigen Hufschlägen, und heran trabte ein schwarzer Hengst. Der Kopf -war stark, der Hals gespannt, und die Muskeln lagen in Wulsten unter der -glänzenden Haut. Die Augen leuchteten, als sie die Stute erblickten. -Zuerst machte er Halt und streckte den Hals, als ob er gähnte; zog die -Oberlippe in die Höhe und zeigte die Zähne. Dann galoppierte er über das -Gras und näherte sich dem Zaun. - -Helene raffte ihr Kleid und lief hin, um die Kandare zu fassen, aber die -Stute hatte sich losgerissen und setzte jetzt über den Zaun. Dann begann -das Freien. - -Helene stand draussen und lockte, aber das wilde Tier hörte nicht mehr. -Drinnen jagten sich die Pferde und die Situation begann heikel zu -werden. Der Hengst schnob weissen Schaum, der wie Rauch aus den Nüstern -kam. - -Helene wollte fliehen, denn die Szene flösste ihr Entsetzen ein. Sie -hatte noch nie gesehen, wie die Naturmacht in lebendigen Körpern rast. -Bis zum äussersten war sie erregt über diesen unverhüllten Ausbruch. - -Sie dachte hinzulaufen und ihre Stute zu holen, aber sie fürchtete den -wilden Hengst. Sie wollte forteilen und um Hilfe rufen, aber dann hätte -sie ja Zeugen erhalten. Sie kehrte dem Auftritt den Rücken und beschloss -zu warten. - -Da war Pferdegetrappel auf der Landstrasse zu hören. Ein Wagen rollte -heran. - -Helene konnte nicht fliehen, und sie schämte sich zu bleiben. Aber es -war zu spät, denn die Kalesche fuhr langsamer und stand unmittelbar vor -ihr still. - -– Aber das ist schön, sagte die eine Dame, die im Wagen sass, und nahm -ihre goldene Lorgnette, um sich das Naturschauspiel, das jetzt in vollem -Gang war, anzusehen. - -– Aber warum halten wir denn, schrie die andere Dame. Fahren Sie doch -weiter! - -– Ist das nicht schön? antwortete die ältere Dame. - -Der Kutscher lächelte in seinen grossen Bart und trieb die Pferde an. - -– Du bist so prüde, meine liebe Amalie, sagte die erste Stimme. Für mich -ist es wie ein Gewitter oder eine Sturzsee ... - -Mehr konnte Helene nicht hören. Sie war ganz vernichtet von Ärger, -Scham, Entsetzen. - -Da kam ein Bauernknecht des Weges. Helene eilte ihm entgegen, um ihn -nicht das Schauspiel sehen zu lassen und zugleich um seine Hilfe zu -bitten. Aber er war bereits zu weit heran gekommen. - -– Ich glaube, das ist der Schwarze des Müllers, sagte er mit ernster -Miene. Dann ist das Beste, zu warten, bis es vorbei ist, denn mit dem -ist nicht zu spassen. Wenn Fräulein nach Haus gehen wollen, werde ich -den Gaul nachbringen. - -Froh, aus der Sache herauszukommen, eilte Helene davon. - -Als sie nach Haus kam, war sie krank. - -Die Stute wollte sie nicht wieder sehen. Die war unrein. - - * * * * * - -Dieses unbedeutende Ereignis hatte einen grösseren Einfluss auf Helenes -seelische Entwicklung, als zu erwarten war. Der brutale Ausbruch eines -Naturtriebes, dessen unverhüllte Darstellung einem Menschen Gefängnis -einbringt, verfolgte sie, als habe sie einer Hinrichtung beigewohnt. Er -störte ihre Gedanken am Tage und ihre Träume bei Nacht. Er steigerte -ihre Furcht vor der Natur, und sie brach mit ihrem früheren -Amazonenleben. Schloss sich ein und begann zu lesen. - -Es war eine Bibliothek auf dem Gut vorhanden. Aber das Unglück wollte, -dass sie seit dem Tode des Grossvaters nicht vermehrt worden war. Alle -Bücher waren also ein Menschenalter zu alt, und Helene fand veraltete -Ideale. Zuerst fiel ihr „Corinna“ von Frau von Staël in die Hände. Der -Band war so in ein Fach hineingestellt, als sei er zu besonderer -Benutzung bestimmt, und das war er auch. In Grün und Gold gebunden, mit -abgegriffenem Schnitt, mit Bemerkungen und Unterstreichungen versehen, -die von der verstorbenen Mutter herrührten, wurde das Buch für die -Tochter ein geistiger Verkehr mit der Toten, deren Bekanntschaft das -erwachsene Mädchen damit erneuerte. Es war eine ganze Seelengeschichte, -diese Aufzeichnungen mit Bleistift. Das Missvergnügen mit der Prosa des -Lebens und der Roheit der Natur feuerte die Phantasie an, sich eine -Traumwelt zu bauen, in der die Seelen ohne Körper lebten. Diese Welt war -aristokratisch, denn sie verlangte wirtschaftliche Unabhängigkeit, nur -um der Seele Gedanken schenken zu können. Es war das Evangelium der -Reichen, diese Gehirnentzündung, die Romantik genannt wird und die -lächerlich wurde in ihrer Kläglichkeit, als sie zur Unterklasse hinunter -drang. - -Aus Corinna machte Helene nun ein Ideal: die Dichterin, die Eingebungen -von oben erhielt, die gleich der Nonne des Mittelalters das Gelübde der -Keuschheit ablegte, um ein reines Leben zu führen, die natürlich von -einer glänzenden Menge bewundert wurde, erhob sich über die kleinen -Sterblichen des Alltags. Es war nichts anderes als das Generalideal, nur -übertragen: Ehrenbezeigen, Gewehrrufe, erster Platz. Dass Frau von Staël -selber das Corinnaideal überlebte und erst von Bedeutung wurde, als sie -sich mit der Wirklichkeit befasste, wusste Helene nicht. - -Sie gab jede Beschäftigung mit der äusseren Welt auf, zog sich in sich -selber zurück und grübelte über ihr Ich. Das Erbe, das die Mutter ihr in -den posthumen Anmerkungen hinterlassen, begann zu keimen. Sie -identifizierte sich mit Corinna und mit der Mutter und verwendete viel -Zeit darauf, über ihren Beruf nachzudenken. Dass sie von der Natur für -das Geschlecht bestimmt sei, dass sie die Pflicht habe, für das Keimen -und Wachsen des Eies zu sorgen, das die Natur in ihren Körper -niedergelegt, das wies sie weit von sich. Die Menschheit darüber -aufzuklären, was Frau von Staëls Corinna vor fünfzig Jahren gedacht -hatte, das war ihr Beruf; aber sie bildete sich ein, es seien ihre -eigenen Gedanken, die nach Ausdruck rangen. - -Sie begann zu schreiben. Eines Tages versuchte sie es mit Versen. Es -gelang. Die Zeilen wurden gleich lang und die letzten Worte reimten -sich. Da ging ihr ein Licht auf: sie war zur Dichterin geboren. Blieben -nur noch die Gedanken, und die konnte sie aus „Corinna“ nehmen. - -So entstanden eine Menge Gedichte. - -Nun sollte aber auch die Welt damit beglückt werden, und das konnte nur -durch den Druck geschehen. Eines Tages sandte sie ein Gedicht mit dem -Titel „Sappho“ an die Illustrierte Zeitung und zeichnete Corinna. Mit -klopfendem Herzen trug sie den Brief zur Post, und als sie ihn in den -Kasten legte, betete sie leise zu „Gott“. - -Die vierzehn Tage, die folgten, waren furchtbar. Sie ass nicht, schlief -kaum und suchte die Einsamkeit. - -Am ersten Sonnabend, als die Zeitung kam, zitterte sie wie bei einem -Fieber; und als sie ihr Poem weder gedruckt sah, noch ein Wort im -„Briefkasten“ fand, fiel sie zusammen. - -Am nächsten Sonnabend, als sie wenigstens eine Antwort bestimmt erwarten -konnte, nahm sie die Zeitung, ohne sie aufzumachen, mit in den Wald. -Dort, tief in einem Dickicht, zog sie das Blatt heraus, nachdem sie sich -nach allen Seiten umgesehen, ob auch niemand auf der Lauer stehe; dann -schlug sie die Zeitung auf und liess das Auge über die Spalten gleiten. -Da stand ein einziges Gedicht, das hiess „Bellmanstag“. Dann aber glitt -das Auge zum Briefkasten hinunter. Beim ersten Blick, den sie auf die -Zeilen in kleinem Druck warf, fuhr sie zusammen, ihre Finger packten die -Zeitung, rollten sie zu einem Ball und warfen den ins Gebüsch. Dann -starrte sie unablässig auf den weissen Fleck, den das Papier im Gebüsch -bildete. Diese Beschimpfung war die erste, die sie in ihrem Leben -empfangen hatte. Sie war auch ganz aus dem Sattel geworfen. Dieser -unbekannte Zeitungsschreiber hatte gewagt, was noch niemand gewagt: er -hatte ihr eine Unhöflichkeit gesagt. Sie hatte ihre Verschanzungen -verlassen und sich auf ein Feld begeben, auf dem die Rangliste wenig -bedeutete, auf dem die Naturmacht siegte, die Talent genannt wird. Vor -diesem Talent beugte sich selbst die Macht, wenn sie es nicht länger -leugnen konnte. Aber der Unbekannte hatte sie auch als Weib verletzt. So -hatte er sich zu schreiben erlaubt: - -– Corinna von 1807 hätte Essen gekocht und Kinder gewiegt, wenn sie nach -1870 gelebt hätte. Aber Sie sind keine Corinna! - -Da hörte sie zum ersten Mal _den_ Feind, den Erzfeind, den Mann. Kochen -und wiegen! Der sollte mal sehen! - -Helene ging nach Haus. Sie fühlte sich so vernichtet, dass die Muskeln -kaum den schlaffen Nerven gehorchten. - -Als sie aber ein Stück gegangen war, kehrte sie ganz plötzlich um. Wenn -einer die Zeitung fände! Dann wäre sie verraten. Sie ging zurück, nahm -eine Gerte, zog das Blatt aus den Büschen hervor und glättete es. Dann -hob sie eine Moosscholle auf, versteckte das Blatt darunter und rollte -einen Stein darauf. Es war eine Hoffnung, die da begraben wurde, aber -auch ein Beweis. Dass sie schuldig war? Ja, so fühlte sies! Als habe sie -ein Unrecht getan. Als habe sie sich vor dem andern Geschlecht -entblösst! - -Nach diesem Tage begann sie einen neuen Kampf mit sich selber. Der -Ehrgeiz und die Furcht vor der Öffentlichkeit kämpften miteinander, ohne -dass es zu einer Entscheidung kam. - - * * * * * - -Im Herbst starb der Vater. Da er nachts Karten gespielt hatte, ohne -Glück zu haben, hinterliess er Schulden. Da er aber General war, so -machte das nichts aus. Helene brauchte sich nicht in einen Zigarrenladen -zu stellen, sondern wurde von einer bisher unsichtbaren Tante -aufgenommen. - -Doch trat mit dem Tod des Vaters eine völlige Veränderung in ihrem Leben -ein. Alle Ehrenbezeigungen hörten von selber auf; die Offiziere des -Regiments begannen ihr onkelhaft zuzunicken, und die Leutnants wagten -sie auf den Bällen zum Tanz aufzufordern. Jetzt merkte sie selbst, dass -ihre Hoheit nicht in ihrem persönlichen Wert gelegen, sondern geliehen -war. Sie fühlte sich degradiert und empfand eine lebhafte Sympathie für -alle Subalternen; ja sie fühlte, wie eine Art Hass in ihr wuchs gegen -alle, welche die Vorrechte des Ranges genossen, den sie früher -bekleidet. Damit wuchs auch das Bedürfnis, persönliche Anerkennung zu -erringen, einen Rang zu erreichen, der jeden andern übertraf, wenn er -auch nicht in der Rangliste stand. - -Sie wollte sich auszeichnen, durchdringen, und, warum nicht, herrschen. -Sie besass ein Talent, das sie auszuüben gewagt, obwohl sie es noch -nicht über den Durchschnitt erhoben hatte: sie spielte Klavier. Jetzt -begann sie Harmonie zu studieren und sprach von der G-mollsonate und der -Fis-dursymphonie, als habe sie sie selber geschrieben. Und damit begann -sie Tonkünstler zu fördern. - -Ein halbes Jahr nach dem Tode des Vaters wurde ihr eine Stellung als -Hoffräulein angeboten. Sie nahm an. Damit stellten sich wieder -Trommelwirbel und Gewehrrufe ein, und Helene begann ihre Sympathien für -Subalterne zu verlieren. Aber der Sinn ist unbeständig wie das Glück, -und Helene bekam mit neuen Erfahrungen neue Ansichten. - -Sie entdeckte nämlich eines Tages, und zwar recht bald, dass sie -Dienerin war. Die Herzogin und sie sassen im Schlossgarten. Die Herzogin -häkelte. - -– Ich finde, diese Blaustrümpfe sind dumm, sagte die Herzogin. - -Helene wurde aschgrau im Gesicht und fixierte ihre Herrin. Darauf -antwortete sie: - -– Das finde ich nicht. - -– Ich habe nicht zu wissen verlangt, was Sie finden, antwortete die -Herzogin und liess ihr Knäuel auf den Weg rollen. - -Helene zitterten die Beine, sie sah Zukunft und Stellung in einem Zuge -an sich vorbei sausen. Dann ging sie, um das Knäuel zu holen. Es krachte -in der Taille, als sie sich niederbeugte, und sie war flammend rot, als -sie das Knäuel zurückgab, ohne einen Dank zu erhalten. - -– Sind Sie böse? fragte die Herzogin und sah das Opfer mit einer -impertinenten Miene an. - -– Nein, Königliche Hoheit, log Helene. - -– Man hat gesagt, Sie seien ein Blaustrumpf, fuhr die Herzogin fort. Ist -das wahr? - -Helene fühlte sich entkleidet und antwortete nichts. - -Das Knäuel fiel wieder. Helene stellte sich, als sehe sie nichts, und -biss sich in die Lippe, um die Tränen des Ärgers zurückzuhalten. - -– Bitte, reichen Sie mir mein Knäuel, sagte die Herzogin. - -Helene richtete sich auf, sah der Despotin ins Auge und sagte: - -– Nein, das will ich nicht. - -Und damit ging sie. Der Sand knirschte unter ihren Stiefeln, und die -Schleppe wirbelte Staubwölkchen auf. Sie lief beinahe die Treppe -hinunter und verschwand. - -Damit war ihre Laufbahn am Hof zu Ende. Aber ein Stachel blieb sitzen. -Helene musste jetzt fühlen, was es heisst, in Ungnade gefallen zu sein; -und noch deutlicher wurde ihr, was es heisst, seine Stellung aufzugeben. -Die Gesellschaft liebt es nicht, dass man seine Stellung wechselt, und -niemand konnte verstehen, wie sie aus freiem Willen den Sonnenschein des -Hofes hatte verlassen können. Sie war natürlich „fortgejagt“. Das war -der Ausdruck: Fortgejagt! Das war die grösste Demütigung, die sie -erlitten; das war eine Beschimpfung. Sie kam sich wie eine Deklassierte -vor; sie sah, wie sich Verwandte von ihr zurückzogen, als fürchteten -sie, die Ungnade werde sie anstecken. Sie sah, wie Freundinnen bei der -Begegnung kühl wurden und die Begrüssung auf ein Minimum beschränkten. - -Andererseits aber wurde sie mit einer rührenden Vertraulichkeit von der -Mittelklasse aufgenommen, der sie sich von ihrer früheren Höhe näherte. -Doch verletzte sie deren Freundlichkeit zuerst mehr als die Kälte der -andern; schliesslich aber fand sie es besser, dort unten die Erste als -dort oben die Letzte zu sein: Sie ging also zu einer Gruppe von -Zivilbeamten und Universitätslehrern über, von der sie mit offenen Armen -empfangen wurde. Bei der abergläubischen Ehrfurcht, welche die -Mittelklasse vor dem Schloss hat, wurde sie sofort Gegenstand von -Huldigungen. Sie ward selber General und beeilte sich, eine Truppe zu -bilden. Eine Reihe junger Gelehrter nahm sofort Sold, und sie begann -Vorlesungen für Frauen zu veranstalten. Alter akademischer Plunder wurde -zusammengelesen, abgestaubt und als neue Ware verhökert. In einem -ausgeräumten Speisesaal wurde über Plato und Aristoteles gelesen vor -einem Publikum, das natürlich nicht die Schlüssel zu diesem -Heiligenschrein von Weisheit besass. - -Helene fühlte sich der unwissenden Aristokratie überlegen, als sie diese -Freimaurergeheimnisse eroberte. Diese angebliche Überlegenheit gab ihrem -Auftreten eine Sicherheit, die imponierte. Die Männer verehrten sie -wegen ihrer Schönheit und Unnahbarkeit; sie aber empfand nie etwas -Beunruhigendes in der Gegenwart von Männern. Deren Huldigung nahm sie -als Tribut hin, den sie der Frau schuldig waren, und eine Achtung vor -diesen Bedienten, die von ihrem Sitz aufsprangen und sich in Positur -stellten, wenn sie vorbeikam, konnte sie nicht empfinden. - -Aber ihre Stellung als Unverheiratete war auf die Dauer nicht -befriedigend, und sie sah mit Neid, welche Freiheit die verheirateten -Frauen genossen. Sie konnten sich frei auf der Strasse bewegen, mit -jedem Herrn sprechen, abends ausbleiben, solange sie wollten, und immer -hatten sie den Gatten als Bedienten, der sie abholte. Auch hatte eine -Frau mehr Rang, mehr Macht. Wie herablassend behandelten doch die -Matronen alle diese jungen Mädchen. Wenn sie aber ans Heiraten dachte, -tauchte das Abenteuer mit der Stute wieder auf, und ein Entsetzen -überkam sie, das sie krank machte. - -Als das zweite Arbeitsjahr begann, erschien in Helenes Kreis eine -Professorenfrau aus Uppsala, die mit ihrer Stellung körperlichen Reiz -vereinigte. Helenes Stern erbleichte, und alle ihre Anbeter fielen ab, -um die neue Sonne zu verehren. Da Helene nicht mehr ihren früheren -gesellschaftlichen Rang besass und der Duft vom Hofe verdunstet war wie -das Parfüm von einem Taschentuch, wurde sie geschlagen. Der Einzige, der -ihr treu blieb, war ein Dozent der Ethik, der sich bisher nicht -vorzudrängen gewagt hatte. Jetzt war seine Zeit gekommen. Seine -Aufmerksamkeit wurde gut aufgenommen, und seine strenge Ethik flösste -ihr ein unbegrenztes Vertrauen ein. Da er ihr fleissig den Hof machte, -fingen die Leute an zu klatschen; daran kehrte sich Helene aber nicht; -darüber war sie erhaben. - -Eines Abends sassen sie in dem ausgeräumten Speisesaal auf ihren -Rohrstühlen, nachdem der Dozent gegen freie Reise und einen Händedruck -diesen Vortrag gehalten hatte: - - Das ethische Moment in der ehelichen Liebe - oder - Die Ehe als Manifestation der absoluten Identität. - -– Sie meinen also, fuhr Helene fort, dass die Ehe ein -Koexistenzverhältnis zwischen zwei identischen Ichs ist? - -– Ich meine, wie ich schon die Ehre gehabt habe, in meinem Vortrag -auszusprechen, dass das Sein nur unter dem Relationsverhältnis zweier -kongruenter Identitäten in ein Werden von höherer Potenz konfluieren -kann. - -– Was ist ein Werden? fragte Helene und errötete. - -– Das ist die Postexistenz zweier Vitalitäten in einem neuen Ich. - -– Was? Sie meinen, dass die Kontinuität des Ich, die durch die -Kohabitation zweier analoger Sein sich notwendig in einem Werden -inkorporieren wird ... - -– Nein, mein Fräulein, ich wollte nur sagen, dass die Ehe, um die -profane Sprache zu benutzen, nur unter der Kompatibilität der Seelen ein -neues geistiges Ich durch Reciprocität erzeugen wird, das nicht als -Sexus differentiiert werden kann. Ich will sagen, dass das neue Wesen, -das in der Ehe geboren wird, ein Konglomerat von Mann und Frau sein -wird; ein neues Wesen, in dem beide ihre Persönlichkeit aufgegeben -haben, eine Einheit in der Vielheit, ein, um einen bekannten Ausdruck zu -gebrauchen, ein homme-femme. Der Mann wird aufhören Mann zu sein und das -Weib Weib zu sein. - -– Das ist die Verbindung der Seelen! rief Helene aus, froh an den -schweren Klippen vorbei gekreuzt zu haben. - -– Das ist die Harmonie der Seelen, von der Plato spricht. Das ist die -wahre Ehe, so wie ich sie geträumt habe, die ich aber leider, hm, unter -dieser Form kaum verwirklicht sehen werde. Hm! - -Helene sah nach der Decke hinauf und sagte flüsternd: - -– Warum sollten Sie nicht, als ein Elitegeist, diesen Traum verwirklicht -sehen? - -– Weil die, welche meine Seele anzieht, nicht an die, hm, Liebe glaubt. - -– Das ist ja noch nicht entschieden. - -– Wenn sie es täte, würde sie immer von dem Verdacht gequält werden, das -Gefühl sei nicht aufrichtig. Übrigens, es gibt keine Frau, die mich -lieben würde. Keine! - -– Doch, sagte Helene und sah ihm in sein Emailauge. (Er hatte nämlich -ein Emailauge, das sehr gut gemacht war.) - -– Sind Sie davon überzeugt? - -– Ja, sagte Helene. Denn Sie sind nicht wie andere Männer! Sie -verstehen, was die Liebe der Seelen ist! Der Seelen! - -– Wenn es die Frau gäbe, würde ich doch keine Ehe mit ihr schliessen. - -– Warum nicht? - -– Im selben Zimmer hausen! - -– Das ist nicht notwendig! Frau von Staël wohnte nur in derselben -Wohnung wie ihr Mann. - -– Wirklich? - -– Was ist das für ein interessantes Gespräch, in das sich die -Herrschaften vertiefen? fragte die Professorin, die in diesem Augenblick -aus dem Salon trat. - -– Wir sprachen von Laokoon, antwortete Helene und stand auf, verletzt -von dem überlegenen Ton, den die Professorin anschlug. Und damit war ihr -Entschluss gefasst. - -Acht Tage später wurde die Verlobung zwischen dem Dozenten und Helene -verkündigt. Sie wollten im Herbst heiraten und sich in Uppsala -niederlassen. - - * * * * * - -Man hatte dem Dozenten der Ethik ein glänzendes Bankett gegeben, um -seinen Abschied vom Junggesellenleben zu feiern. Es war unerhört -getrunken werden, und der einzige Künstler der Stadt, der Zeichenlehrer -an der Domschule, hatte in gewaltigen Kartons das bisherige -Geschlechtsleben des Opfers historisch geschildert. Das war der -Glanzpunkt des Festes. Die Ethik war ein Lehrstoff und eine Milchkuh wie -viele andere, aber für das bürgerliche und private Leben hatte sie keine -Bedeutung. Der Dozent war kein Heiliger gewesen, sondern hatte wie alle -andern seine Abenteuer hinter sich; die waren allgemein bekannt, weil er -keine Veranlassung gehabt, sie geheim zu halten. Mit ungezwungenem -Lächeln sah er daher zu, wie sie, in Kohle und Farbe dargestellt, sich -abrollten, von lustigen Versen begleitet. Als jedoch zuletzt seine -nahende Seligkeit in einfachen aber kräftigen Zügen geschildert wurde, -fühlte er sich tief verlegen, und wie ein Blitz durchfuhr es sein -Gehirn: Wenn Helene das sähe! - -Nach dem Bankett, auf dem er nach alter ehrlicher Sitte acht Glas -Branntwein getrunken hatte, war er so berauscht, dass sich seine -Befürchtungen in vertraulichen Mitteilungen äusserten. Unter den -Gastgebern war auch ein verheirateter Mann, und an den wendete sich der -Verbrecher, um Rat und Auskunft einzuholen. Da sie alle beide betrunken -waren, wählten sie als geheimen Ort der Beratung zwei Stühle, die mitten -im Saal unter dem Kronleuchter standen. Sie waren denn auch bald von -einer lauschenden Menge umringt. - -– Hör mal! Du bist ein verheirateter Mann, begann der Dozent und schrie -möglichst laut, um, wie er glaubte, von den Umstehenden nicht gehört zu -werden. Du musst mir ein Wort sagen, aber nur eins, denn ich bin heute -abend ausserordentlich empfindlich, besonders in dieser Frage. - -– Ich will dir, Bruder, nur ein Wort sagen, nur eins, schrie der Freund -und legte seinen Arm um den Hals des andern, um zu flüstern; dann fuhr -er laut schreiend fort: Jede Handlung, hoc est jeder Actus, zerfällt in -drei Momente, mein Bruder, Progressus, Culmen, Regressus. Über den -Progressus will ich sprechen, vom Culmen spricht man nicht. Ja, siehst -du, die Initiative, um sie so zu nennen, die kommt dem Mann zu, die ist -dein Teil! Du musst also die Initiative ergreifen, du musst -einschreiten, verstehst du! - -– Wenn aber die andere Partei die Initiative nicht billigt? - -Der Freund sah den Novizen verdutzt an; stand auf und kehrte ihm mit -einem verächtlichen Blick den Rücken. - -– Narr! sagte er. - -– Danke! war alles, was der dankbare Schüler antworten konnte. - -Jetzt war ihm die Sache klar. - -Am nächsten Tage hatte er Feuer im Leib von all den starken Getränken, -die er vertilgt; er ging hin und nahm ein warmes Bad, denn er sollte -sich am dritten Tag verheiraten. - - * * * * * - -Die Hochzeitsgäste waren gegangen, die Dienstboten hatten im Esssaal -abgedeckt, sie waren allein. - -Helene war verhältnismässig ruhig, er aber war recht nervös. Ihre -Verlobungszeit war in ernsten Gesprächen hingegangen; nie waren sie wie -andere Verlobte gewesen, hatten einander nicht umarmt, einander nicht -geküsst. Jedes Mal, wenn er sich ihr hatte nähern wollen, hatten Helenes -kalte Blicke ihn entwaffnet. Aber er liebte sie, wie ein Mann eine Frau -liebt: sowohl körperlich wie seelisch. - -Sie gingen auf dem Teppich des Salons auf und ab und suchten nach einem -Gesprächsstoff. Aber ein eigensinniges Schweigen herrschte. Die Lichter -der Krone waren niedergebrannt, und das Stearin tropfte in langen -Tropfen über die Manschetten. Das Zimmer war von dem Geruch der Speisen -und den Dünsten der Weine erfüllt, und auf dem Spiegeltisch lag das -Bukett Helenes und sandte betäubende Düfte von Nelke und Heliotrop aus. - -Schliesslich blieb er vor ihr stehen, streckte die Arme aus und sagte in -gekünsteltem Ton, der ungezwungen klingen sollte: - -– Und jetzt bist du mein Weib! - -– Was willst du damit sagen? war Helenes schroffe Antwort. - -Er wurde ganz entwaffnet und liess die Arme sinken. Dann aber ermannte -er sich und sagte mit verlegenem Lächeln: - -– Ich will damit sagen, dass wir Mann und Weib sind. - -Helene sah ihn an, als sei er berauscht, und antwortete: - -– Erkläre dich! - -Das konnte er eben nicht. Alle Hilfsmittel der Philosophie und der Ethik -versagten; er stand einer kalten und höchst unangenehmen Wirklichkeit -gegenüber. - -Sie ist schamhaft, dachte er; das ist ihr Recht, aber ich muss -einschreiten und meine Pflicht tun. - -– Hast du mich missverstanden? fragte Helene und die Stimme zitterte -ihr. - -– Nein, gewiss nicht, aber, liebes Kind, hm, wir, hm ... - -– Was ist das für eine Sprache? „Liebes Kind?“ Für was hältst du mich? -Und was sind deine Absichten? Albert, Albert! fuhr sie fort, ohne eine -Antwort abzuwarten, die sie nicht haben wollte. Sei gross, sei edel, und -lerne im Weibe etwas Höheres sehen als nur ein Weib! Tue das und du -wirst glücklich und gross werden! - -Albert war besiegt! Von Scham vernichtet und zornig auf den falschen -Freund, der ihm einen schlechten Rat gegeben, fiel er auf seine Kniee -und stammelte: - -– Verzeih, Helene! Du bist edler als ich, reiner, besser, du bist eine -bessere Natur, und du wirst mich erheben, wenn ich in die Materie -versinken will! - -– Steh auf und sei stark, Albert, sagte Helene mit dem Tonfall einer -Prophetin; geh in Frieden und zeig der Welt, dass die Liebe etwas -anderes ist, als die niedrige tierische Begierde. Gute Nacht! - -Albert stand auf und sah unschlüssig seiner Frau nach, wie sie in ihr -Zimmer ging und die Tür hinter sich schloss. - -Von den reinsten Gefühlen und edelsten Absichten erfüllt, ging Albert -ebenfalls in sein Zimmer. Er warf den Frack ab und steckte eine Zigarre -an. Es war ein Junggesellenzimmer, das er sich eingerichtet hatte. Ein -Bettsofa, ein Schreibtisch, einige Büchergestelle, eine Waschtoilette. - -Als er sich ausgekleidet hatte, rieb er sich mit dem nassen Handtuch -kalt ab. Dann legte er sich auf sein Sofa und schlug die Abendzeitung -auf. Während er seine Zigarre rauchte, wollte er lesen. Er las einen -Artikel über Schutzzoll. Nachdem er durch diese Lektüre seine Gedanken -in ihren normalen Lauf zurückgeführt hatte, begann er über seine -Stellung nachzudenken. - -War er verheiratet oder war er ein Junggeselle? Er war Junggeselle wie -vorher, nur mit dem Unterschied, dass er einen weiblichen Pensionär -hatte, der aber nicht für sich bezahlte. Der Gedanke war unangenehm, -aber er sagte die Wahrheit. Die Köchin besorgte den Haushalt und das -Hausmädchen räumte die Zimmer auf. Was sollte Helene denn tun? Sich -entwickeln! Ach, das ist ja Unsinn, dachte er, und er fand sich -lächerlich. Aber, dachte er, wenn der Freund recht hätte, wenn es nur -die gewöhnliche alberne Art der Frauen war? Sie konnte nicht gut zu ihm -kommen, also musste er wohl zu ihr gehen. Ging er nicht, so würde sie -ihn morgen vielleicht auslachen, ja, was schlimmer war, sich verletzt -fühlen. Ja, ja, die Frauen sind unbegreiflich, und der Versuch muss -gemacht werden. - -Er sprang auf, warf den Schlafrock über und ging in den Salon. Mit -zitternden Knieen lauschte er, ob ein Laut aus Helenes Zimmer zu hören -sei. - -Nichts! Da fasste er sich ein Herz und trat an die Tür. Blaue Blitze -funkelten ihm vor den Augen, als er klopfte. - -Keine Antwort. Er zitterte am ganzen Körper und der Schweiss rann ihm -über die Stirn. - -Darauf klopfte er noch ein Mal, und mit einer Fistelstimme, wie sein -trockener Mund sie nur hervorbringen konnte, sagte er: - -– Ich bin es nur! - -Keine Antwort! Da überkam ihn die Scham, und er kehrte wieder in sein -Zimmer zurück, verdutzt und abgekühlt. - -Es war also Ernst! - -Er kroch ins Bett und griff wieder zu der Zeitung. - -Lange hatte er noch nicht gelesen, als er unten auf der Strasse Schritte -hörte, die allmählich langsamer wurden und schliesslich verstummten. -Dann erklangen leise musikalische Laute, und ein Doppelquartett begann: - -– Integer vitae scelerisque purus ... - -Er fühlte sich gerührt! Das war schön! Purus! Er fühlte sich über die -Materie erhoben. Im Zeitgeist also lag diese Mahnung, höhere Forderungen -an die Ehe zu stellen; die Jugend war von dem ethischen Strom, der die -Epoche durchdrang, ergriffen worden ... - -– Nec venenatis ... - -Wenn Helene geöffnet hätte! - -Er nickte leise den Takt und fühlte sich so gross, so edel, wie Helene -ihn hatte haben wollen. - -– Fusce pharetra! - -Sollte er das Fenster öffnen und der studierenden Jugend im Namen seiner -Gattin danken. - -Er stand auf! - -Ein vierfaches schallendes Hohngelächter schmetterte gegen die -Fensterscheiben, gerade als er die Schnur der Rollgardine ziehen wollte. - -Ja, wirklich, man lachte! - -Ausser sich taumelte er ins Zimmer zurück und stiess gegen den -Schreibtisch. Er war lächerlich. Ein leiser Hass gegen die Frau, die -diese demütigende Szene verschuldet, begann in ihm zu keimen, aber seine -Liebe sprach sie wieder frei. Dann warf er sich über die schelmischen -Spassvögel, die er vor den Senat bringen wollte. Doch immer kam er auf -sich selber zurück, und er war wütend, dass er sich hatte nasführen -lassen. - -Bis gegen Morgen ging er im Zimmer auf und ab, dann fiel er auf sein -Bett und schlief ein, in bitterer Trauer über ein solches Ende seines -Hochzeitstages, des schönsten Tages seines Lebens, der auch der seligste -hätte werden sollen. - - * * * * * - -Am nächsten Tage traf er Helene am Kaffeetisch. Sie war kalt und vornehm -wie gewöhnlich. Albert wollte sich natürlich von der Serenade nichts -merken lassen. Helene sprach von grossen Plänen für die Zukunft, -besonders über die Aufhebung der Prostitution. Albert war -entgegenkommend und versprach, zu tun, was in seiner Macht stehe. Die -Menschen müssten keusch werden, denn nur die Tiere seien unkeusch. - -Dann ging er in seine Vorlesung. Da er durch die Serenade misstrauisch -geworden war, glaubte er beim Auditorium allerlei Mienenspiel zu -bemerken, und die Kollegen schienen ihm auf eine Art zu gratulieren, die -ihn kränkte. - -Ein grosser, fetter, lebensfreudiger Kollege stellte sich ihm im Flur -der Bibliothek in den Weg, packte ihn beim Kragen und fragte mit -kolossalem Grinsen: - -– Nun? - -– Schäme dich! war das einzige, was er antworten konnte, indem er sich -losriss und auf der Treppe verschwand. - -Als er nach Haus kam, war das Heim voll von Freundinnen. Frauenröcke -schlugen Albert um die Beine, und als er sich in einen Sessel setzte, -verschwand er hinter Frauenkleidern. - -– Sie hatten ja ein Ständchen gestern abend, sagte die Professorin. - -Albert erblasste, aber Helene nahm das Wort: - -– Das war ja nicht zu viel, aber sie hätten wenigstens nüchtern sein -können. Diese Trunksucht unter der studierenden Jugend ist doch ganz -fürchterlich. - -– Was haben sie denn gesungen? fuhr die Professorin fort. - -– Es waren die gewöhnlichen Lieder: „Mein Leben ein Meer“ und andere, -sagte Helene. - -Albert sah sie erstaunt an, musste sie aber bewundern. - -Der Tag verging unter Geschwätz und Erörterungen. Albert empfand ein -gewisses Gefühl von Müdigkeit. Nach der Arbeit des Tages einige -Abendstunden mit Frauen plaudern, war ja ganz angenehm; dies war aber zu -viel. Und dann musste er zu allem ja sagen. Machte er einen Versuch, zu -widersprechen, wurde er sofort zurechtgewiesen. - -Es wurde Abend, und man musste schlafen gehen. Die Gatten sagten sich -gute Nacht, und jeder ging in sein Zimmer. - -Wieder begannen Zweifel und Unruhe ihn anzufechten. Er glaubte einen -zärtlichen Blick bei Helene bemerkt zu haben, und er war nicht ganz -sicher, ob sie ihm nicht die Hand gedrückt. Dann steckte er eine Zigarre -an und nahm die Zeitung. Fing er nur an von der Wirklichkeit zu lesen, -so schienen ihm die Augen aufzugehen. - -– Verrückt, sagte er halblaut, indem er die Zeitung hinwarf. - -Er zog den Schlafrock an und ging in den Salon. - -Er hörte, dass sich in Helenes Zimmer etwas rührte. - -Er klopfte. - -– Sind Sie es, Luise? wurde von innen gerufen. - -– Nein, ich bins nur, flüsterte er, halb den Atem im Halse. - -– Was ist? Was willst du? - -– Ich möchte mit dir sprechen, Helene, antwortete er beinahe bewusstlos. - -Der Schlüssel im Schloss wurde umgedreht. Albert traute seinen Ohren -nicht. Die Tür wurde geöffnet. - -Helene stand da, noch angekleidet. - -– Was willst du? fragte sie. Da aber sah sie, dass er nur den Schlafrock -anhatte und dass seine Augen seltsam glänzten. - -Mit ausgestrecktem Arm schob sie ihn zurück und schlug die Tür zu. - -Er hörte einen Körper zu Boden fallen und gleich darauf ein lautes -Weinen. - -Wütend, aber beschämt, kehrte er in sein Zimmer zurück. Es war also -ernst! Aber das war bestimmt nicht normal! - -Er durchwachte die Nacht unter Grübeleien, und am Morgen musste er -allein Kaffee trinken. - -Als er mittags nach Haus kam, empfing Helene ihn mit einer schmerzlichen -und ergebenen Miene: - -– Warum hast du mir das getan? sagte sie. - -Er bat um Verzeihung, aber recht kurz. Dann reute seine Kürze ihn und er -gab klein bei. - -So war sein eheliches Leben ein halbes Jahr lang. Zwischen Zweifel, Wut, -Liebe wurde er hin und her geworfen, blieb aber immer an der Kette. - -Sein Gesicht wurde grau, und seine Augen erloschen. Er war oft -schlechter Laune, und unter einem kalten Äussern siedete stets eine -dumpfe Wut. - -Helene fand ihn verändert und despotisch, weil er zu opponieren anfing -und oft die Sitzungen verliess, um ausser dem Haus Verkehr zu suchen. - -Eines Tages wurde er aufgefordert, sich um eine Professur zu bewerben. -Da er seine Mitbewerber für überlegen hielt, machte er keinen Versuch, -aber Helene bestürmte ihn so lange, bis er die Bedingungen erfüllte. Er -wurde gewählt. Warum, wusste er nicht, aber Helene wusste es. - -Um dieselbe Zeit sollte ein Reichstagsabgeordneter gewählt werden. Der -neue Professor, der nie davon geträumt hatte, an öffentlichen -Angelegenheiten teilzunehmen, war ganz bestürzt, als er sich als -Kandidat aufgestellt sah. Noch mehr bestürzt war er, als er gewählt -wurde. Er dachte abzulehnen, aber Helenes Vorstellungen, wie schön es -sei, die Kleinstadt gegen die Hauptstadt vertauschen zu können, -veranlassten ihn, die Wahl anzunehmen. - -Sie zogen also nach Stockholm. - -Während dieses halben Jahres hatte der neue Professor und -Reichstagsabgeordnete in der Welt der Junggesellen die neuen Ideen -kennen gelernt, die von England kamen und die alte Gesellschafts- und -Moral-Lehre umschaffen wollten. Dabei fühlte er, dass der Augenblick -kommen werde, in dem er mit seiner „Pensionärin“ brechen müsse. In -Stockholm, wo neue Geister ihm Mut machten, diese Lehren, die er -innerlich schon anerkannt, auch zu bekennen, lebte er auf. - -Helene dagegen witterte Konjunktur im Gegenstrom und warf sich auf die -kirchliche Seite. Da aber wurde es Albert zu viel, und er bäumte sich -auf. Seine Liebe war erkaltet, und er hielt sich „ausser dem Hause“ -schadlos. Seiner Frau glaubte er dadurch nicht untreu zu werden, denn -sie hatte in einem Verhältnis, das gar nicht existierte, niemals Treue -verlangt. - -Durch den Verkehr mit dem andern Geschlecht erwachte das Gefühl seiner -Männlichkeit, und bald sah er den Zustand der Erniedrigung, in dem er -lebte, ein. - -Helene merkte, wie er sich von ihr löste. Ihr Zusammenleben wurde -ungemütlich, und jeden Augenblick war eine Katastrophe zu erwarten. - -Es war nicht mehr lange bis zur Eröffnung des Reichstages. Helene sah -unruhig aus und schien ihren Sinn geändert zu haben. Ihr Tonfall war -weicher als früher, und ihr schien daran zu liegen, ihm alles recht zu -machen. Sie sorgte dafür, dass die Dienstmädchen das Haus in Ordnung -hielten und dass das Essen pünktlich auf den Tisch kam. - -Er wurde misstrauisch und wunderte sich, beobachtete sie und hielt sich -bereit auf das, was kommen sollte. - -Eines Morgens beim Kaffee sah Helene verlegener als gewöhnlich aus. Sie -zupfte an der Serviette und hustete einige Male leise und trocken. -Schliesslich fasste sie sich ein Herz und rückte mit ihrem Anliegen -heraus. - -– Albert, begann sie, du wirst doch mir und der Sache, der ich diene, -einen Dienst tun? - -– Was ist das für eine Sache? fragte er kurz und trocken, denn jetzt -hatte er die Oberhand. - -– Du wirst doch etwas für das unterdrückte Weib tun? Nicht wahr? - -– Wo ist das unterdrückte Weib? - -– Was, du hast unsere grosse Sache verlassen? Du lässt uns im Stich? - -– Was ist das für eine Sache? - -– Die Frauenfrage! - -– Die kenne ich nicht. - -– Die kennst du nicht? O! Du! Ist nicht die Frau aus dem Volke in einer -ganz bedrückten Lage? - -– Nein, ich kann nicht sehen, dass sie sich in einer schlimmeren Lage -befindet als der Mann aus dem Volke. Befreie ihn von seinen Ausbeutern, -und sein Weib wird auch befreit sein. - -– Aber die Unglücklichen, die sich verkaufen müssen ... und die elenden -Männer ... - -– Die so elend sind, dass sie bezahlen! Hat sich je ein Mann für ein -Vergnügen, das beide geniessen, bezahlen lassen? - -– Darum handelt es sich nicht! Es handelt sich vielmehr darum, ob das -Gesetz nicht ungerecht ist, da es die eine aber nicht den andern -bestraft. - -– Das ist keine Ungerechtigkeit. Die eine hat sich zu einer Quelle der -Ansteckung erniedrigt, deshalb behandelt der Staat sie wie einen tollen -Hund. Wenn du einen Mann triffst, der sich so tief erniedrigt, gut, dann -stelle ihn auch unter polizeiliche Aufsicht. Ach, ihr reinen Engel, die -ihr den Mann als ein unreineres Tier verachtet! Was willst du von mir? -Was soll ich tun? - -Er sah, dass sie ein Schriftstück in der Hand hatte, das sie vom Büfett -genommen. Ohne ihre Antwort abzuwarten, nahm er es ihr fort und las. - -– Einen Antrag für den Reichstag! Ich soll der Strohmann sein und diesen -Antrag einbringen! Ist das moralisch? Hältst du das, streng genommen, -für ehrlich? - -Helene erhob sich, brach in Tränen aus und warf sich auf das Sofa. - -Er stand auf und näherte sich ihr. Er nahm ihre Hand, um den Puls zu -untersuchen und nachzusehen, ob ihr Anfall irgendwie gefährlich sei. Sie -ergriff konvulsivisch seine Hand und drückte sie gegen ihre Brust. - -– Geh nicht von mir, schluchzte sie; verlass mich nicht, sondern bleib -und lass mich an dich glauben. - -Zum ersten Mal sah er einen Ausbruch ihrer Gefühle. Dieser feine Körper, -den er bewundert und geliebt hatte, konnte also Leben bekommen. Es -rollte also warmes Blut in diesen Adern! Blut, das Tränen destillieren -konnte. Er streichelte ihre Stirn. - -– O, sagte sie, es ist schön, wenn du mich so streichelst. O, Albert, so -müsste es immer sein! - -– Ja, antwortete er, warum ist es nicht so gewesen? Warum nicht? - -Helene schlug die Augen nieder und wiederholte nur: - -– Warum nicht? - -Ihre Hand blieb in seiner, und er fühlte, wie eine schöne Wärme von dem -sammetweichen Glied ausging; alle seine alten Gefühle für sie flammten -wieder auf, jetzt aber nicht mehr ohne Hoffnung. - -Schliesslich erhob sie sich. - -– Verachte mich nicht, sagte sie; hörst du, verachte mich nicht. - -Und sie ging in ihr Zimmer. - -Was ist das? fragte Albert sich, als er in die Stadt ging. Macht sie -eine Krisis durch? Beginnt ihr Leben als Frau jetzt erst? - -Er blieb den ganzen Tag in der Stadt. Ging abends ins Theater. Man gab -„Die Welt, in der man sich langweilt“. Wurde er böse, als er die -platonische Liebe, die Verbindung der Seelen, entlarvt und belächelt -sah? Nein, er wurde durchaus nicht böse. Es war ihm, als werde ein -Schleier aus feingewebten Lügen von seinem guten Verstand fort gezogen; -er lächelte über das liebenswürdige Tier, das seinen Kopf unter den -Kartonflügeln der Theaterengel hervorsteckte; er lächelte beinahe Tränen -über seinen langen, langen Selbstbetrug; er lachte über seine Torheit. -Welche Fäulnis lag doch hinter dieser lügnerischen Moral, dieser -wahnsinnigen Sucht, sich von der gesunden Natur emanzipieren zu wollen; -die asketischen Lehren des Idealismus und des Christentums hatten diesen -Keim dem neunzehnten Jahrhundert eingepflanzt. - -Wie er sich schämte! Dass er sich so lange hatte dupieren lassen! - -Als er nach Haus kam, sah er noch Licht in Helenes Zimmer. Er ging so -leise, wie er konnte, an ihrer Tür vorbei. Drinnen wurde gehustet. - -Er ging in sein Zimmer und legte sich zu Bett. Las seine Zeitung und -rauchte seine Zigarre. Er hatte sich gerade in einen Artikel über die -Wehrpflicht vertieft, als plötzlich die Tür von Helenes Kammer aufgeht -und Schritte und Geschrei im Salon zu hören sind. Er springt auf, um -nachzusehen, was es gibt, im Glauben, Feuer sei ausgebrochen. - -Im Salon steht Helene, im Nachtkleid. Als sie ihren Mann erblickt, -schreit sie auf und eilt bis an ihr Zimmer zurück; dort bleibt sie -stehen, den Kopf vorgestreckt. - -– Verzeih, Albert! Du bist es, ich wusste nicht, dass du noch auf warst, -und glaubte, es seien Diebe! Verzeih! - -Und die Tür schliesst sich. - -Was bedeutete das? Liebte sie ihn? - -Er ging in sein Zimmer und trat vor den Spiegel. Konnte eine Frau ihn -lieben? Er war ja hässlich! Aber die Seelen lieben einander, und so -mancher hässliche Mann hatte eine schöne Frau bekommen. Dann aber war -der Mann fast immer reich und mächtig gewesen! - -Sollte Helene ihre falsche Stellung eingesehen haben? Oder hatte sie -gemerkt, dass er sie verlassen wollte, und hatte sie die Absicht, ihn -wieder zu erobern? - -Am nächsten Morgen, als sie sich beim Kaffeetisch trafen, war Helene -überaus sanft. Der Professor bemerkte, dass sie einen neuen Morgenrock -trug, der mit Spitzen besetzt war und ihre Schönheit bedeutend hob. - -Als er sich Zucker nehmen wollte, trafen sich ihre Hände zufällig. - -– Verzeih, lieber Mann, sagte sie mit einer Miene, die er noch nie -gesehen hatte und die an ein junges Mädchen erinnerte. - -Sie sprachen über gleichgültige Dinge. - -Am Vormittag wurde der Reichstag eröffnet. - -Helene blieb bei ihrer nachgiebigen Art und wurde von Tag zu Tag -gefühlvoller. - -Die Frist, in der Anträge eingebracht werden mussten, ging zu Ende. - -Der Professor kam eines Abends, nachdem er im Klub gewesen, ungewöhnlich -aufgeräumt nach Haus. Er ging in sein Zimmer und legte sich wie -gewöhnlich mit seiner Zigarre und seiner Zeitung zu Bett. Nach einer -Weile hörte er, wie Helenes Tür geöffnet wurde. Dann blieb es einige -Minuten still. Schliesslich klopfte es an seine Tür. - -– Wer ist da? rief er. - -– Ich bin es, Albert! Zieh dich an und komm heraus, ich muss mit dir -sprechen. - -Er zog sich an und kam in den Salon. Helene hatte einen Kronleuchter -angesteckt und sass auf dem Sofa, in ihren Spitzenmorgenrock gekleidet. - -– Verzeih mir, sagte sie, aber ich konnte nicht schlafen. Mein Kopf ist -so sonderbar. Setz dich her und sprich mit mir. - -– Du bist nervös, mein Kind, sagte Albert und nahm ihre Hand. Du musst -ein Glas Wein trinken. - -Er ging in den Esssaal und holte eine Karaffe voll Wein und zwei Gläser. - -– Auf dein Wohl, Geliebte, sagte er. - -Helene trank, und ihre Wangen fingen Feuer. - -– Was ist dir? fragte er und legte seinen Arm um ihren Leib. Du fühlst -dich unharmonisch? - -– Ja, ich bin nicht glücklich! - -Er hörte wohl, dass die Worte trocken und gesucht kamen, aber seine -Leidenschaft war geweckt, und ihm war alles recht. - -– Weisst du, warum du unglücklich bist? fragte er. - -– Nein, das ist mir selber nicht klar. Aber eins weiss ich: dass ich -dich liebe. - -Albert nahm sie in seine Arme, drückte sie an sich und küsste ihr -Gesicht. - -– Bist du mein Weib oder bist du es nicht? flüsterte er. - -– Ich bin dein Weib, hauchte Helene, und ihr Körper fiel zusammen, als -seien alle Nerven zersprungen. - -– Ganz und gar? flüsterte er, während er sie mit seinen Küssen -paralysierte. - -– Ganz und gar, ächzte sie, während sich ihr Körper in unbewussten -Konvulsionen wand, als wolle sie sich im Traum gegen eine Gefahr wehren. - - * * * * * - -Als Albert am nächsten Morgen erwachte, erwachte er klar, ausgeschlafen, -bei vollem Bewusstsein. Seine Gedanken waren stark und bestimmt wie nach -einem guten tiefen Schlaf. Das Ereignis des gestrigen Tages stand ihm -lebendig vor Augen. Der wahre Sachverhalt trat vor, unbestechlich, -nüchtern, bestimmt. - -Sie hatte sich verkauft! - -Gegen drei Uhr hatte er, berauscht, blind, wahnsinnig, wie er war, -versprochen, ihren Antrag im Reichstag einzubringen. - -Und der Preis! Ruhig, kalt, unbeweglich hatte sie ihn empfangen. - -Wer war die erste Frau, die erfand, das sie ihre Gunst verkaufen kann? -Und welche Frau entdeckte, dass der Mann kaufen will? Diese Frau hat die -Ehe und die Prostitution gestiftet. Und man behauptete, Gott habe die -Ehe gestiftet! - -Er sah seine Erniedrigung und ihre! Sie wollte über ihre Freundinnen -triumphieren, dass sie die erste Frau sei, die in die Gesetzgebung -eingegriffen; um diesen Triumph zu erreichen, hatte sie sich verkauft. - -Aber er wollte sie entlarven. Er wollte ihr zeigen, wer sie war. Er -wollte ihr sagen, die Prostitution könne nicht abgeschafft werden, -solange die Frau ihren Vorteil dabei finde, sich zu verkaufen. - -Und mit dem Entschluss kleidete er sich an. - -Als er in den Esssaal kam, musste er eine Weile warten. Er dachte sich -aus, was folgen würde, und ermannte sich, ihr zu begegnen. - -Dann kam sie! Ruhig, lächelnd, triumphierend; aber schöner, als er sie -je gesehen. Ein dunkles Feuer brannte in ihrem Auge, und er, der -erwartet, sie werde wie eine Neuvermählte die Blicke niederschlagen und -erröten, war vernichtet. Sie, sie spielte die siegreiche Verführerin und -er war der schüchterne Verführte. - -Die Worte, die er hatte sagen wollen, kamen nicht über seine Lippen; er -stand auf, besiegt, ging ihr demütig entgegen und küsste ihr die Hand. - -Sie konversierte wie gewöhnlich, ohne anzudeuten, dass ein neues Moment -in ihr Leben eingetreten war. - -Als er dann ihr Schriftstück in den Reichstag trug, raste er innerlich, -aber der Gedanke an die künftige Seligkeit beruhigte ihn wieder. - -Als er dann abends ganz kühn an Helenes Tür klopfte, war sie -verschlossen. - -Sie blieb drei Wochen geschlossen. Wie ein Hund kroch er vor ihr, -gehorchte jedem Wink von ihr, tat alles, was sie wünschte, vergebens. - -Da brach seine Empörung los, und er sagte ihr alles. Sie antwortete -scharf. Als sie aber sah, dass sie zu weit gegangen war, dass er seine -Kette abfeilte, ergab sie sich ihm. - -Und er trug seine Kette. Er biss in sie, er riss an ihr, aber sie hielt. - -Bald lernte sie, wie weit sie gehen durfte, und wenn es ihm zuviel zu -werden schien, gab sie nach. - -Er bekam eine fanatische Sehnsucht, sie als Mutter zu sehen. Das wird -sie vielleicht zum Weib machen, dachte er; das wird die gesunde Natur -hervorlocken. - -Aber sie wurde nicht Mutter. - -Hatte der Ehrgeiz, der selbstsüchtige Brand des Individuums, die Quelle -des Lebens verzehrt? Das konnte er nicht wissen. - -Eines Tages teilte sie ihm mit, sie müsse auf einige Tage zu Verwandten -reisen. - -Als Albert abends nach ihrer Abreise heimkehrte und das Haus leer sah, -überfiel ihn ein grausames Gefühl der Leere, der Sehnsucht. Jetzt wurde -ihm klar, wie sein ganzes Wesen von Liebe zu ihr durchwebt war. Die -Zimmer waren öde; es war wie nach einem Begräbnis. - -Ihr Platz am Tisch war leer, und er ass beinahe nichts. - -Nach dem Abendbrot steckte er die Krone im Salon an. Er setzte sich auf -ihren gewöhnlichen Platz ins Sofa; er nahm ihre zurückgelassene -Handarbeit – eine Kinderjacke, für ein unbekanntes Kind in einer -neugegründeten Kinderkrippe bestimmt. Da sass noch die Nadel. Er stach -sich damit in den Finger, als wolle er fühlen, wie süss der Schmerz sei. - -Darauf steckte er ein Licht an und ging in ihr Schlafzimmer. Er hielt -die Hand vors Licht, als er eintrat, wie wenn er ein Verbrechen begehe. -Aber der Raum glich nicht dem Schlafzimmer einer Frau. Ein schmales Bett -ohne Umhang. Ein Sekretär, ein Büchergestell, ein Nachttisch, ein Sofa. -Ganz wie in seinem Zimmer. Kein Toilettentisch, nur ein kleiner -Wandspiegel. - -Dort hing ihr Kleid. Er sah, wie die dicke durchwirkte Serge die Formen -ihres Körpers abgedrückt hatte. Er fuhr mit der Hand über den Stoff und -legte sein Gesicht an die Halskrause; dann schlang er den Arm um die -Taille, aber das Kleid fiel wie ein Schemen zusammen. - -– Und man sagt, die Seele sei ein Geist, dachte er. Aber dann muss sie -wenigstens ein körperlicher Geist sein. - -Er näherte sich dem Bett, als erwarte er, eine Erscheinung zu sehen. Er -berührte alles, nahm alles in die Hand. - -Schliesslich, als habe er etwas gesucht, etwas, das ihm ein Rätsel lösen -sollte, begann er an den Handgriffen der Sekretärschubladen zu ziehen; -sie waren alle verschlossen. Dann zog er wie zufällig die Schublade des -Nachttisches auf. Stiess sie aber schnell wieder zu. Hatte jedoch schon -den Titel einer Broschüre lesen und den Zweck einiger ungewöhnlicher -Gegenstände ahnen können. - -Das war es also! „Fakultative Sterilität!“ Was für die Unterklasse, der -man die Existenzmittel genommen, eine Rettung von der Armut sein sollte, -war das Werkzeug des Egoismus, der letzten Konsequenz des Idealismus, -geworden. War die Oberklasse degeneriert, da sie sich nicht mehr -vermehren wollte, oder war sie moralisch verfault? Wohl beides, da sie -es für unmoralisch hielt, uneheliche Kinder zu gebären, und für niedrig, -eheliche zu gebären. - -Aber er wollte Kinder haben! Er hatte die Existenzmittel dazu, und er -hielt es sowohl für eine Pflicht wie für einen berechtigten Genuss, sein -Wesen in ein neues Dasein übergehen zu lassen. Das war des wahren, des -gesunden Egoismus natürlicher Weg zum Altruismus. Sie aber ging einen -anderen Weg und arbeitete Jacken für fremde Kinder. War das schöner? Es -sollte nach etwas aussehen! Aber es war nur die Furcht vor der Last der -Mutterschaft, und es war billiger und weniger mühsam, auf dem Sofa eines -Salons eine Jacke zu arbeiten, als das arbeitsreiche Leben einer -Kinderstube durchzumachen. - -Es war eine Schande geworden, Weib zu sein, Geschlecht zu haben, Mutter -zu werden. - -Darin lag es. Arbeiten für den Himmel, für höhere Interessen, für die -Menschheit, so hiess es; aber für die Eitelkeit, für die Selbstsucht, -für die Öffentlichkeit, das war es. - -Und er hatte sie noch beklagt, er hatte bedauert, dass er über ihre -Unfruchtbarkeit unwillig gewesen. Er hatte sich einmal die Verachtung -„guter und rechtschaffener“ Menschen zugezogen, weil er nicht mit der -Achtung, die man dem Unglück schuldet, von den unfruchtbaren Frauen -gesprochen: die seien heilig, weil sie von dem grössten Unglück -getroffen seien, das ein Weib treffen könne. - -Und für was arbeitete diese Frau? Für den Fortschritt? Für die Rettung -der Menschheit? - -Nein, gegen den Fortschritt, gegen Freiheit und Aufklärung. Hatte sie -nicht kürzlich einen neuen Antrag, die Religionsfreiheit zu beschränken, -niedergeschrieben? Hatte sie nicht eine Broschüre über die -Zuchtlosigkeit der Dienstboten verfasst? Arbeitete sie nicht für die -Verschärfung der Militärgesetze? Unterstützte sie nicht die Agitation, -welche die Mädchen durch dieselbe elende Erziehung, welche die Knaben -erhalten, verderben will. - -Er hasste ihre Seele, denn er hasste ihre Gedanken! Und doch liebte er -sie? Was liebte er denn bei ihr? - -– Wahrscheinlich, antwortete er sich, indem er es nicht unterlassen -konnte, auf die Philosophie zu kommen, wahrscheinlich, den Keim zu einem -neuen Wesen, den sie trägt, den sie aber ersticken will! - -Was konnte es sonst sein? - -Was aber liebte sie an ihm? Seinen Titel, seine Stellung, seine Macht! - -Und mit diesen alten Menschen sollte man an dem Aufbau der neuen -Gesellschaft arbeiten! - -Er wollte ihr all das sagen, wenn sie nach Haus kam; aber er wusste, -dass er es nicht tun werde. Er wusste, dass er vor ihr kriechen und um -ihre Gunst betteln werde; dass er ihr Sklave bleiben und immer wieder -seine Seele verkaufen werde, wie sie ihren Körper verkaufte. Er wusste, -dass er das tun werde, denn er liebte sie. - - - - - Ungetraut und getraut - - -Der Referendar ging an einem schönen Frühlingstage im alten Stockholmer -Hopfengarten spazieren. Er hörte aus der Rotunde Gesang und Musik -klingen und sah aus den grossen Fenstern Licht strömen, das seinen -Schein bis unter die Schatten der eben ausgeschlagenen Linden warf. - -Er ging hinein, setzte sich an einen freien Tisch nahe der Estrade und -verlangte einen Grog. - -Zuerst sang ein Komiker ein trauriges Lied von der „Toten Ratte“. Dann -kam ein junges Mädchen in rosenrotem Kleid und trug das dänische Lied -vor: „Und nichts ist so lieblich wie eine Mondscheinfahrt“. Sie sah -verhältnismässig unschuldig aus und richtete das Lied an unsern -unschuldigen Referendar. Von einer solchen Auszeichnung geschmeichelt, -leitete der Unterhandlungen ein, die mit einer Flasche Wein begannen und -mit zwei möblierten Zimmern nebst Küche und den nötigen Bequemlichkeiten -endeten. - -Die Gefühle des jungen Mannes zu analysieren, gehört nicht in den Plan -dieser Arbeit, ebensowenig wie eine Beschreibung des Meublements und der -nötigen Bequemlichkeiten zu geben. Genug, sie waren gute Freunde. - -Aber von den sozialistischen Tendenzen der Zeit angesteckt und immer -sein Glück vor Augen haben wollend, beschloss der junge Mann, selber in -die Wohnung zu ziehen und die Freundin als Haushälterin anzustellen. -Darauf ging sie gern ein. - -Aber der junge Mann hatte Familie, das heisst seine Familie zählte ihn -zu ihrem Mitglied, und da er nach deren Meinung die allgemeine Moral -verletzt und einen Schatten auf das Ansehen der Familie geworfen hatte, -wurde er vor Eltern und Geschwister zitiert, um zurechtgewiesen zu -werden. Er aber glaubte für solche Zurechtweisungen zu alt zu sein und -brach Unterhandlungen und Verkehr ab. - -Das machte ihm sein eigenes Heim nur noch lieber, und er wurde ein recht -häuslicher Ehemann, Verzeihung, „unehelicher“ Mann. Sie waren selig, -denn sie liebten einander, und keine Fessel drückte sie. Sie lebten in -einer fröhlichen Unruhe, dass sie einander verlieren könnten, und taten -daher alles, um einander zu behalten. Die Beiden waren eins. - -Etwas aber fehlte ihnen in ihrem Leben; das war der Verkehr. Die -Gesellschaft wollte nichts von ihnen, und der junge Mann wurde von der -„grossen Welt“ nicht eingeladen. - -Es war der Tag vor der Weihnacht, ein trauriger Tag für die, welche -Familie gehabt haben. Als er morgens beim Kaffee sass, empfing er einen -Brief. Der war von einer Schwester, die ihn inständig bat, am -Weihnachtsabend nach Haus zu kommen. Die Saiten seiner alten Gefühle -waren angeschlagen, und er wurde verstimmt. Sollte er seine Freundin an -einem solchen Abend allein zu Hause sitzen lassen? Nein! Sollte sein -Platz im Elternhaus zum ersten Mal am Weihnachtsabend leer bleiben? Hm! -So standen die Dinge, als er aufs Gericht ging. - -In der Frühstückspause trat ein Kamerad an ihn heran und fragte so -vorsichtig wie möglich: - -– Wirst du den Weihnachtsabend bei deiner Familie verleben? - -Er flammte auf. Sollte der eingeweiht sein? Oder was meinte er? - -Der andere sah, dass er auf ein Hühnerauge getreten hatte, und fuhr -fort, ohne die Antwort abzuwarten. - -– Ja, siehst du, wenn du allein bist, habe ich gedacht, du könntest mit -mir, hm, mit uns zusammen sein. Du weisst vielleicht, hm, ich habe ein -kleines Verhältnis, hm, ein nettes, prächtiges Mädchen, siehst du. - -Das klang gut, und er sagte, er wolle den Vorschlag gern annehmen, wenn -sie beide kommen könnten. Natürlich dürften sie das, und damit war die -Weihnachtsfrage und die Verkehrsfrage gelöst. - -Sie trafen sich um sechs Uhr bei dem Freunde, und die beiden „Alten“ -setzten sich hin, um Portwein zu trinken, während die Frauen in die -Küche gingen. - -Dann halfen sie alle vier beim Decken: die beiden Alten knieten auf den -Boden nieder und machten mit Keilen und Querhölzern den Tisch breiter. -Die Frauen waren schon die besten Freundinnen geworden, denn sie wurden -von dem recht sichtbaren Band zusammengehalten, das den grossen Namen -„Urteil der Welt“ trägt. Sie achteten einander, sie waren feinfühlig -gegen einander. Sie vermieden diese zweideutige Sprache, an der sich -Eheleute ergötzen, wenn die Kinder sie nicht hören, als wollten sie -sagen: jetzt haben wir das Recht dazu. - -Bei der Torte brachte der Jurist einen Toast auf die eigene Häuslichkeit -aus, in die wir vor der Welt und den Menschen fliehen, in der wir unsere -besten Stunden mit unsern wirklichen Freunden verleben. - -Da fing Marie-Luise an zu weinen, und als er sie fragte, warum sie -betrübt sei, warum sie nicht glücklich sei, schluchzte sie, sie sehe -wohl, dass er seine Schwestern und seine Mutter vermisse. - -Er antwortete, er vermisse sie durchaus nicht, und sie selber würde sie -sicher weit fort wünschen, wenn sie in ihre Nähe käme. - -– Ja, aber warum könnten sie sich nicht verheiraten? - -– Seien sie denn nicht verheiratet? - -– Ja, aber nicht richtig! - -– Vorm Pastor? Er glaube nicht, dass Pastoren etwas anderes seien als -examinierte Studenten, und ihre Beschwörungsworte seien nur Mythologie. - -– Das verstehe sie nicht, aber gut sei es nicht, das wisse sie, und die -Leute im Hause zeigten mit Fingern nach ihr. - -– Mögen sie doch zeigen! - -Sophie fiel ein, sie wisse wohl, sie seien nicht fein genug für die -Verwandten; aber daran kehre sie sich nicht. Jeder bleibe da, wo er -hingehöre, und solle damit zufrieden sein. - -Jedenfalls hatte man einen Verkehr, und man lebte in Eintracht, wie -Familien selten tun. Das Band, das sie zusammenhielt, war immer -vorhanden; dafür aber waren sie frei von andern Fesseln. Und die Gatten -waren immer wie Verliebte, ohne schlechte eheliche Gewohnheiten -anzunehmen, wie zum Beispiel unhöflich gegen einander zu sein. - - * * * * * - -Nach einigen Jahren wurde die Verbindung durch einen Sohn gesegnet. -Damit war die Geliebte zu dem Rang einer Mutter gestiegen, und alles -andere wurde jetzt vergessen. Das Leiden bei der Geburt und die Fürsorge -für den Neugeborenen nahmen ihr die alten selbstsüchtigen Züge, immer -angenehm sein zu wollen und allein die Liebe des Mannes zu beanspruchen. - -Als Mutter zeigte sie sich der Freundin gegenüber etwas überlegen, und -dem Mann gegenüber trat sie mit grösserer Sicherheit auf. - -Eines Tages kam dieser nach Haus und verkündigte eine grosse Neuigkeit. -Er habe seine älteste Schwester auf der Strasse getroffen, und sie wisse -natürlich genau Bescheid. Sie sei sehr neugierig auf ihren Neffen und -wolle endlich einen Besuch bei ihnen machen. - -Marie-Luise war erstaunt und begann aufzuräumen und abzustauben, und ihr -Mann musste ihr endlich ein neues Kleid kaufen. Und dann wartete sie -acht Tage lang. Die Gardinen wurden gewaschen, die Messingtüren an den -Kachelöfen geputzt, die Möbel wurden gerieben. Die Schwester sollte -sehen, dass ihr Bruder an eine ordentliche Person geraten sei. - -Und dann wurde Kaffee gekocht, um elf Uhr vormittags, zu welcher Zeit -die Schwester kommen sollte. - -Sie kam, gerade wie ein Stock, und reichte der Schwägerin eine Hand, die -so steif war wie ein Waschbleuel. Sie besichtigte die Einrichtung der -Schlafstube, lehnte es aber ab, Kaffee zu trinken und sah der Schwägerin -nicht ins Gesicht. Doch für den Neugeborenen interessierte sie sich -etwas. Dann ging sie wieder. - -Aber Marie-Luise hatte ihrem Mantel Mass genommen, den Stoff ihres -Kleides abgeschätzt, eine neue Idee von ihrer Haarfrisur bekommen. Auf -grosse Herzlichkeit hatte sie nicht gerechnet. Für den Anfang war ihr -der Besuch genug, und das Haus wusste bald, dass die Schwägerin -dagewesen. - -Der Junge wuchs und bald folgte ihm ein Mädchen. - -Jetzt zeigte sich Marie-Luise zärtlich besorgt um die Zukunft der -Kinder, und der Vater wurde täglich zu überzeugen gesucht, nur eine -Trauung könne die Kinder retten. - -Dazu kam die Andeutung der Schwester, eine Versöhnung mit seinen Eltern -sei möglich, wenn er sich regelrecht verheirate. - -Nachdem er zwei Jahre, Tag und Nacht, dagegen gekämpft hatte, beschloss -er endlich, um die Zukunft seiner Kinder sicher zu stellen, die -mythologische Zeremonie über sich ergehen zu lassen. - -Wen aber sollte er zur Hochzeit einladen? Marie-Luise wollte die Trauung -in der Kirche haben. Dann aber konnte Sophie nicht dabei sein. Das ging -bestimmt nicht. Ein Mädchen wie sie! Marie-Luise konnte bereits das Wort -„Mädchen“ mit einem moralischen Accent aussprechen. Ihr Mann aber -erinnerte sie, dass Sophie eine gute Freundin gewesen sei und man nicht -undankbar sein dürfe. Marie-Luise dagegen betonte, man müsse seiner -Kinder wegen private Sympathien aufgeben; und sie drang mit ihrer -Ansicht durch. - -Die Hochzeit fand statt. - -Die Hochzeit war vorüber. Keine Einladung von seinen Eltern. Von Sophie -ein zorniger Brief, und dann vollständiger Bruch. - -So war also Marie-Luise Frau. Aber einsamer als vorher war sie. Über die -Enttäuschung erbittert, ihres jetzt gebundenen Mannes sicher, begann sie -sich alle Freiheiten herauszunehmen, die einer Ehefrau zukommen. Was -früher aus gutem Willen gegeben wurde, nahm sie jetzt als schuldigen -Tribut hin. Sie verschanzte sich hinter dem Ehrentitel der Mutter seiner -Kinder und machte von dort ihre Ausfälle. - -Einfältig wie alle angeführten Männer, konnte er nie begreifen, was für -eine Helligkeit darin lag, dass sie die Mutter _seiner_ Kinder war. -Warum seine Kinder merkwürdiger sein sollten als andere Kinder und als -er selber, das begriff er nicht. - -Doch beruhigt, dass seine Kinder eine gesetzliche Mutter bekommen -hatten, fing er an, sich wieder in der Welt umzusehen, die er während -des ersten Liebesrausches etwas vergessen und später nicht aufgesucht -hatte, weil er Weib und Kind nicht allein lassen wollte. - -Diese Freiheiten missfielen seiner Frau, und da sie sich jetzt nicht -mehr zu genieren brauchte, auch eine aufrichtige Natur war, so sagte -sie, was sie dachte. - -Da er alle Schleichwege der Juristik studiert hatte, war er um die -Antwort nicht verlegen. - -– Findest du es anständig, fragte sie, die Mutter deines Kindes allein -sitzen zu lassen, um in die Kneipe zu gehen? - -– Ich glaube nicht, dass du mich vermisst hast, antwortete er -vorbereitend. - -– Vermisst? Wenn der Mann das Wirtschaftsgeld vertrinkt, so vermisst man -manches im Hause. - -– Erstens trinke ich nicht, denn ich esse nur einen Bissen und trinke -nur eine Tasse Kaffee; zweitens vertrinke ich nicht das Wirtschaftsgeld, -denn das hast du eingeschlossen; ich habe nämlich eine andere Art Geld, -das ich „vertrinke“. - -Unglücklicher Weise lieben die Frauen Ironie nicht, und die aus Scherz -gemachte Schlinge wurde sofort um seinen Hals geworfen. - -– Du gestehst also ein, dass du trinkst? - -– Nein, ich habe nur deinen Ausdruck scherzhaft benutzt. - -– Scherzhaft? So, man scherzt mit seiner Frau! Das hast du früher nicht -getan! - -– Du hast ja die Zeremonie selber gewünscht. Warum ist es jetzt nicht -mehr so wie früher? - -– Weil man verheiratet ist natürlich. - -– Teils deshalb, und teils weil der Rausch die Eigenschaft hat, zu -verdunsten. - -– Es war also nur ein Rausch bei dir. - -– Nicht nur bei mir; bei dir auch, und bei allen andern auch. Er dauert -nur mehr oder weniger lang, siehst du! - -– Also die Liebe ist nur ein Rausch bei den Männern. - -– Nein, auch bei den Frauen! - -– Sie ist jedenfalls ein Rausch! - -– Ja, ja, ja! Aber man kann darum doch Freundschaft halten. - -– Aber dann braucht man sich ja nicht erst zu verheiraten. - -– Nein, das meinte ich ja auch. - -– Du? Warst du es nicht, der wollte, dass wir uns trauen lassen sollten? - -– Ja, weil du es Tag und Nacht wolltest, drei Jahre lang. - -– Ja, aber du hast es doch gewollt! - -– Ja, weil du es wolltest. Danke mir dafür. - -– Soll ich dir dafür danken, dass du die Mutter deiner Kinder mit deinen -Kindern allein lässt, während du in die Kneipe gehst? - -– Nein, nicht dafür, sondern dass ich mich mit dir habe trauen lassen. - -– Aber dankbar soll ich jedenfalls sein? - -– Ja, das sollst du, wie jeder anständige Mensch, der seinen Willen -bekommen hat. - -– Nun, schön ist es nicht, so verheiratet zu sein! Wie irgend ein -Mädchen, das von den Verwandten des Mannes nicht geachtet wird. - -– Was hast du mit meinen Verwandten zu tun? Ich habe mich nicht mit -deinen verheiratet. - -– Weil sie nicht fein genug waren! - -– Aber meine waren zu fein für dich. Wenn sie Schuhmacher gewesen wären, -so hätte dir nicht so viel an ihnen gelegen. - -– Schuhmacher? Taugen die vielleicht nichts? Sind das nicht auch -Menschen? - -– Doch gewiss, aber ich glaube nicht, dass du ihnen nachlaufen würdest. - -– Nun, dann ist es gut! - -Aber es war nicht gut, und es wurde nicht wieder gut. Ob es nun an der -Trauung lag oder an etwas anderm, jedenfalls fand Marie-Luise, es sei -früher besser gewesen; es sei „fideler“ gewesen, wie sie sich -ausdrückte. - -Er glaubte nicht, dass gerade die Trauung schuld sei, denn er hatte auch -bürgerliche Ehen gesehen, die nicht glücklich waren. Und das Schlimmste -von allem war: als er eines Tages wieder, wie er insgeheim zu tun -pflegte, seinen alten Kameraden und Sophie besuchen wollte, erfuhr er, -dass sie „ein Ende gemacht“ hatten. Und sie waren nicht getraut. Die -Trauung hatte also nicht die Schuld! - - - - - Zweikampf - - -Sie war hässlich und darum wurde sie von den rohen jungen Männern, die -eine schöne Seele unter einem hässlichen Äussern nicht zu schätzen -wissen, übersehen. Aber sie war reich, und sie wusste, dass die Männer -dem Geld der Frauen nachjagen; ob deshalb, weil alles Geld von den -Männern erworben ist und diese daher das Kapital für ihr Geschlecht -beanspruchen, oder aus anderen Gründen, das machte sie sich nicht klar. -Da sie reich war, lernte sie allerhand, und da sie den Männern grosses -Misstrauen und tiefe Verachtung zeigte, galt sie für eine begabte Dame. - -Sie war zwanzig Jahre alt geworden. Die Mutter lebte noch, und sie -wollte nicht fünf Jahre warten, bis sie über ihr Vermögen verfügen -konnte. So wurden ihre Freundinnen eines Tages mit ihrer Verlobungskarte -überrascht. - -– Sie verheiratet sich, um einen Mann zu bekommen, sagten die einen. - -– Sie verheiratet sich, um einen Bedienten zu haben und die Freiheit zu -geniessen, sagten die andern. - -– Wie dumm von ihr, sich zu verheiraten, sagten die dritten; sie weiss -nicht, dass sie dann erst unmündig wird. - -– Seid nicht bange, sagten wieder andere: sie wird mündig, obwohl sie -sich verheiratet. - -Wie sah er aus? Wer war er? Wo hatte sie ihn gefunden? - -Er war ein junger Advokat, von weiblichem Aussehen, mit hohen Hüften, -von schüchternem Wesen. Er war der einzige Sohn und von einer Mutter und -einer Tante erzogen. Er hatte immer eine grosse Furcht vor jungen -Mädchen gehabt und hasste die Leutnants, weil sie männlich auftraten und -auf Bällen und Gesellschaften immer bevorzugt wurden. So war er. - -Sie trafen sich auf einem Ball im Kurhaus. Er war spät gekommen und es -waren keine Damen mehr für ihn übrig. Die jungen Mädchen antworteten ihr -fröhliches, triumphierendes nein, wenn er kam, um sie aufzufordern; sie -winkten ihm mit ihren Tanzkarten ab, als wollten sie eine zudringliche -Fliege verscheuchen. - -Verletzt, gedemütigt ging er hinaus und setzte sich auf die Veranda, um -zu rauchen. Der Mond stand über den Linden des Parkes, und der Reseda -duftete auf den Beeten. Durch die Fenster sah er, wie Paar nach Paar im -Tanzsaal vorbeirauschte, während die wollüstigen Rhythmen des Walzers -ihn beben liessen: das war das ohnmächtige Verlangen des Krüppels. - -– Sitzen Sie hier allein, um zu schwärmen? hörte er eine Stimme ihn -ansprechen. Und tanzen nicht? - -– Warum tanzen Sie denn nicht, mein Fräulein, sagte er und sah auf. - -– Weil ich hässlich bin und niemand mich haben will, antwortete sie. - -Er betrachtete sie. Sie waren alte Bekannte, aber er hatte sich ihre -Züge noch nie genauer angesehen. Sie war ausgesucht gekleidet, und ihre -Augen drückten in diesem Augenblick einen solchen Schmerz aus, den -Schmerz der Verzweiflung und der fruchtlosen Empörung gegen eine -ungerechte Natur, dass er eine lebhafte Sympathie für sie empfand. - -– Auch mich will niemand haben, sagte er. Aber die Leutnants haben ja -Recht. In der natürlichen Auslese haben ja die Stärkeren und die -Schöneren Recht. Sehen Sie nur ihre Schultern und Epauletts ... - -– Pfui, wie Sie sprechen! - -– Verzeihen Sie! Aber man wird bitter, wenn man einen ungleichen Kampf -zu kämpfen hat! Wollen Sie vielleicht mit mir tanzen? - -– Aus Barmherzigkeit? - -– Ja, gegen mich! - -Er warf seine Zigarre fort. - -– Haben Sie empfunden, was es heisst, vom Schicksal gezeichnet, -verworfen zu sein? Haben Sie empfunden, was es heisst, immer der Letzte -zu sein? fing er wieder mit Wärme an. - -– Ob ich das empfunden habe? Aber die Letzten bleiben nicht immer die -Letzten, fügte sie mit Nachdruck hinzu. Andere Eigenschaften als nur -Schönheit haben im Leben Wert. - -– Welche Eigenschaften schätzen Sie denn bei einem Mann am höchsten? - -– Güte, antwortete sie bestimmt. Denn diese Eigenschaft ist so selten -bei einem Mann. - -– Güte und Schwäche pflegen ja zusammen zu gehen, und die Frau liebt -doch die Stärke beim Mann. - -– Welche Frauen? Die rohe Kraft hat ihre Zeit gehabt, und da wir in der -Zivilisation weiter gekommen sind, müssten wir doch so viel Verstand -besitzen, dass wir die Muskelkraft und die Roheit nicht höher als das -gute Herz stellen. - -– Wir müssten! Ja, und doch! Sehen Sie nur den Tanz an! - -– Die wahre Männlichkeit liegt für mich im Adel des Gefühls und in der -Intelligenz des Herzens. - -– Sie würden also einen Mann, den die ganze Welt schwach, feige nennt -... - -– Was kümmere ich mich um die Welt! Und um das, was die Welt sagt! - -– Wissen Sie, Sie sind ein ungewöhnliches Mädchen, sagte der Advokat, -immer mehr interessiert. - -– Durchaus nicht ungewöhnlich! Aber Ihr Männer seid so gewohnt, die -Frauen für eine Art von Spielpuppen zu halten ... - -– Welche Männer? Ich, mein Fräulein, habe seit der Kindheit zu der Frau -aufgesehen als einer höheren Offenbarung der Gattung Mensch, und von dem -Tage, an dem eine Frau mich liebte und ich sie wieder liebte, würde ich -ihr Sklave sein. - -Adele sah ihn lange und tief an. Dann sagte sie: - -– Sie sind ein ungewöhnlicher Mann. - -Nachdem die Beiden einander für ungewöhnliche Spezies der schlechten -Gattung Mensch erklärt und sich über die Eitelkeit des Tanzvergnügens -ausgelassen hatten, stellten sie Betrachtungen über die Melancholie des -Mondes an. Dann gingen sie in den Tanzsaal, um an der Française -teilzunehmen. - -Adele tanzte ausgezeichnet, und der Advokat gewann sich ihr Herz -vollständig, weil er wie ein „unschuldiges Mädchen“ tanze. - -Nach der Française setzten sie sich wieder auf die Veranda. - -– Was ist die Liebe? fragte Adele und sah den Mond an, als wolle sie -eine Antwort vom Himmel haben. - -– Die Sympathie der Seelen, flüsterte er mit einer Stimme, als komme sie -vom Wind. - -– Aber die Sympathie kann leicht in Antipathie umschlagen, wie es schon -vorgekommen ist, fuhr Adele fort. - -– Dann war es nicht die rechte Sympathie! Es gibt Materialisten, die -sagen, die Liebe würde nicht vorhanden sein, wenn es nicht zwei -Geschlechter gebe; und sie wagen zu behaupten, dass die sinnliche Liebe -länger dauert als die andere. Ist es nicht niedrig, tierisch, in der -Geliebten nur das Geschlecht zu sehen. - -– Sprechen Sie nicht von den Materialisten. - -– Doch, ich muss von ihnen sprechen, damit Sie verstehen, wie hoch ich -meine Liebe zu einer Frau stelle, wenn ich eine lieben würde. Sie -brauchte nicht schön zu sein; Schönheit vergeht. Ich würde einen guten -Kameraden in ihr sehen, einen Freund. Ich würde mich nie schüchtern vor -ihr fühlen wie vor einem Mädchen. Ich würde direkt auf sie losgehen, wie -ich auf Sie losgehe und sagen: Wollen Sie meine Freundin fürs Leben -werden? Und das würde ich sagen, ohne die Verlegenheit zu empfinden, die -ein Freier fühlen muss, wenn er sich der, die er liebt, erklärt, weil -seine Gedanken nicht rein sind. - -Adele sah mit Entzücken auf den jungen Mann, der ihre Hand ergriffen -hatte. - -– Sie sind eine ideale Natur, sagte sie, und Sie haben mir aus dem -Herzen gesprochen. Sie bitten um meine Freundschaft, wenn ich Sie recht -verstehe. Sie sollen sie haben, erst aber eine Prüfung. Wollen Sie -zeigen, dass Sie eine Demütigung erleiden können, für die, welche Sie -gern haben. - -– Ob ich will? Sprechen Sie, und ich gehorche! - -Adele nahm ihr Halsband aus getriebenem Gold ab, an dem ein Medaillon -hing. - -– Tragen Sie dies als ein Wahrzeichen unserer Freundschaft. - -– Ich werde es tragen, sagte er etwas unsicher; aber man wird vielleicht -sagen, dass wir verlobt sind. - -– Und das fürchten Sie? - -– Nein, wenn du es willst! Willst du? - -– Ja, Axel! ich will es; denn die Welt erlaubt keine Freundschaft -zwischen Mann und Weib; die Welt ist so erbärmlich, dass sie nicht an -ein reines Verhältnis zwischen Personen verschiedenen Geschlechts -glaubt. - -Und er trug seine Kette. - -Die Welt, die unter vier Augen sehr materialistisch ist, sagte wie die -Freundinnen: - -– Sie verheiratet sich, um sich zu verheiraten; er, um sie zu besitzen. - -Die Welt machte auch hässliche Anspielungen, er nehme sie ums Geld, da -er selber erklärte, etwas so Niedriges wie Liebe existiere nicht -zwischen ihnen; Freundschaft zwinge ja niemand, dieselbe Schlafstube zu -benutzen, wie Verheiratete zu tun pflegen. - -Sie verheirateten sich. Die Welt hatte einen Wink bekommen, sie würden -wie Geschwister leben, und die Welt wartete mit einem boshaften Grinsen -ab, wie die grosse Reform, welche die Ehe umschaffen sollte, ablaufen -würde. - -Die Neuvermählten reisten ins Ausland. - -Als die Neuvermählten zurückkehrten, war die Frau blass und schlechter -Laune. Sie begann sofort Reitstunden zu nehmen. Die Welt witterte Unrat -und wartete. Der Mann sah aus, als habe er etwas Hässliches begangen und -schäme sich. Es wurde schliesslich festgestellt. - -– Sie haben im „Geschwisterbett“ geschlafen, sagte die Welt. - -– Es wird wohl ein Geschwisterkind sein, sagten die Freundinnen. - -– Und ohne Liebe? Aber das ist ja – Ja, was ist es? - -– Verbotene Verwandtschaft! sagten die Materialisten. - -– Es ist eine geistige Ehe. - -– Oder Blutschande, sagte ein Anarchist. - -An der Tatsache war nichts zu ändern, aber die Sympathie der Seelen -begann abzunehmen. Die verhasste Wirklichkeit brach ein, um sich zu -rächen. - -Der Advokat übte seinen Beruf aus, und die Frau liess ihren Beruf von -einer Amme und einer Magd ausüben. Daher hatte sie keine Beschäftigung. -Die Beschäftigungslosigkeit gab ihren Gedanken Gelegenheit, sich zu -entwickeln, und sie begann über ihre Stellung nachzudenken. Sie fand sie -nicht befriedigend. War es eine Tätigkeit für eine begabte Frau, nichts -zu tun? - -Der Mann wagte ein Mal eine Bemerkung, sie sei doch nicht gezwungen, -nichts zu tun! Aber er wiederholte sie nie mehr. - -– Sie habe keine Tätigkeit. - -– Nein, beschäftigungslos sein sei keine Tätigkeit. Warum gebe sie dem -Kind nicht die Brust. - -– Die Brust geben? Sie wolle etwas haben, an dem sie verdiene. - -– Sei sie denn geizig? Sie habe ja mehr, als sie verbrauche; warum -sollte sie denn Geld verdienen? - -– Um es ihm gleich zu tun. - -– Gleich könnten sie nie werden, denn sie werde immer eine Stellung -einnehmen, die er nie erreichen könne. Die Natur habe es so -eingerichtet, das die Frau Mutter werde, der Mann aber nicht. - -– Das sei dumm! - -– Es hätte ja auch umgekehrt sein können, aber das wäre ebenso schlimm -gewesen. - -– Ja, aber dieses Leben werde unerträglich. Sie könne nicht nur für die -Familie leben, sie wolle auch für andere leben. - -– Sie solle nur erst mit der Familie anfangen; später könne man immer -noch an die andern denken. - -Das Gespräch hätte Ewigkeiten dauern können, aber eine gute Stunde -dauerte es doch. - -Der Advokat war natürlich fast den ganzen Tag fort, und wenn er nach -Haus kam, hatte er Sprechstunde. Dann wollte Adele verzweifeln. Er -schloss sich mit andern Frauen ein, und die machten ihm vertrauliche -Mitteilungen, die er ihr nicht weiter erzählen durfte. Immer standen -Geheimnisse zwischen ihnen, und sie fühlte, dass er ihr überlegen war. - -Ein dumpfer Hass begann bei ihr zu wachsen, ein Hass gegen das -Ungerechte in diesem Verhältnis; sie suchte nach einem Mittel, um ihn -hinunter zu ziehen. Hinunter musste er, damit sie beide auf gleiche Höhe -kamen. - -Eines Tages machte sie den Vorschlag, eine Heilanstalt zu gründen. Er -riet ab, weil er mit seiner Praxis genug zu tun habe. Dann aber dachte -er, es wäre gut, wenn sie eine Beschäftigung bekomme; dann würde sie -ruhiger werden. - -Sie bekam ihre Anstalt, und er trat mit ihr in die Direktion ein. - -Sie sass nun in der Direktion und herrschte. Als sie ein halbes Jahr -regiert hatte, fühlte sie sich so bewandert in der ärztlichen Kunst, -dass sie auf eigene Hand Ratschläge gab und Auskünfte erteilte. - -– Das sei keine Kunst, meinte sie! - -Einmal hatte der Arzt der Anstalt einen Irrtum begangen, und seitdem -besass sie kein Vertrauen mehr zu ihm. Die Folge war, dass sie eines -Tages im Gefühl ihrer natürlichen Oberhoheit, als er abwesend war, -selber ein Rezept schrieb. Das Rezept wurde ausgefertigt, auch vom -Patienten eingenommen, jedoch mit tödlichem Ausgang. - -Man musste sofort nach einer andern Stadt ziehen. Damit aber war das -Gleichgewicht gestört. Noch mehr wurde es gestört durch einen neuen -Erben, der zur Welt kam. Auch hatte sich das Gerücht von dem fatalen -Ereignis verbreitet. - -Traurig und unschön war das Verhältnis zwischen den Gatten geworden, -denn die Liebe war ja nicht vorhanden gewesen. Der gesunde starke -Naturtrieb, der nicht überlegt, fehlte; so blieb nur ein unangenehmes -Konkubinat übrig, das auf den unsicheren Berechnungen der -selbstsüchtigen Freundschaft beruhte. - -Was jetzt in ihrem brennenden Kopf vorging, nachdem sie entdeckt hatte, -welchen Irrtum sie begangen, als sie etwas angeblich Höheres suchte, -davon sprach sie nicht, aber der Mann musste es fühlen. - -Ihre Gesundheit begann schwächer zu werden, sie verlor den Appetit und -wollte nicht ausgehen. Sie magerte ab und fing an zu husten. Der Mann -liess sie mehrere Male untersuchen, aber der Arzt konnte die Ursache der -Krankheit nicht finden. Schliesslich gewöhnte er sich so an das ständige -Klagen, dass er nicht mehr darauf achtete. - -– Es ist unangenehm, eine kranke Frau zu haben, sagte sie. - -Er gab es innerlich zu, dass es kein Vergnügen sei; wenn er sie aber -geliebt hätte, würde er das nie empfunden noch zugegeben haben. - -Sie nahm so ab, dass es zu merken war, und er musste schliesslich ihren -Entschluss, zu dem berühmten Professor zu reisen, gutheissen. - -Adele reiste zu dem Professor. - -– Wie lange sind Sie krank gewesen? fragte er. - -– Ich bin nie recht gesund gewesen, seit ich das Land verlassen habe, -denn auf dem Lande bin ich aufgewachsen. - -– Sie fühlen sich also in der Stadt nicht wohl? - -– Wohl? Wer kümmert sich darum, ob ich mich wohl fühle oder nicht, -antwortete sie und machte ein Märtyrergesicht. - -– Glauben Sie, dass die Landluft Ihnen gut bekommen würde? fragte der -Professor. - -– Ich glaube, es ist das einzige, was mich retten könnte, wenn ich -aufrichtig sein soll. - -– Dann ziehen Sie doch aufs Land! - -– Aber mein Mann kann doch nicht meinetwegen seinen Beruf aufgeben. - -– Er ist ja reich verheiratet, und Advokaten haben wir genug. - -– Sie meinen also, Herr Professor, dass wir aufs Land ziehen müssen? - -– Ja, wenn Sie glauben, dass es Ihnen nützen wird. Ich sehe keine andere -Krankheit als sogenannte Nervosität und glaube, die Landluft würde Ihnen -gut bekommen. - -Adele kam niedergeschlagen nach Haus. - -– Nun? - -– Der Professor habe sie zum Tode verurteilt, wenn sie in der Stadt -bleibe. - -Der Advokat geriet ausser sich. Da er aber nicht verbergen konnte, dass -er hauptsächlich deshalb ausser sich war, weil er seine Praxis aufgeben -musste, erhielt sie einen sicheren Beweis, dass er sich nicht im -geringsten um das Leben seiner Frau kümmere. - -– Er glaube nicht, dass ihr Leben auf dem Spiel stehe? Verstehe der -Professor das nicht besser als er? Wolle er sie sterben lassen? - -Das wollte er wirklich nicht, und darum wurde ein Landgut gekauft. Ein -Inspektor sollte es verwalten. - -Da ein Landrat und ein Amtsvorsteher vorhanden waren, hatte der Advokat -keine Beschäftigung. Die Tage wurden ihm endlos lang, und er führte kein -angenehmes Dasein. Da seine Einkünfte mit seiner Praxis aufgehört -hatten, musste er von den Zinsen seiner Frau leben. Das erste halbe Jahr -las er und spielte Fortuna. Im zweiten Halbjahr hörte er mit dem Lesen -auf, da er keinen Zweck darin sah. Im dritten fing er an zu sticken. - -Aber seine Frau warf sich sofort auf die Landwirtschaft, ging selber mit -bis zu den Knien gerafften Röcken in den Stall, kam schmutzig ins Haus, -roch nach der Kuh. Sie fühlte sich wohl und kommandierte die Leute -herum, das es eine Lust war, denn sie war auf dem Lande aufgewachsen und -verstand sich darauf. - -Als sich ihr Mann über Beschäftigungslosigkeit beklagte, antwortete sie: - -– Such dir doch etwas. In einem Hause braucht man nicht -beschäftigungslos zu sein. - -Er wollte mit der Tätigkeit ausser dem Hause kommen, aber er hütete -sich. - -Er ass, schlief, ging spazieren. Kam er in die Scheune oder in den -Stall, war er immer im Wege und bekam Schelte von seiner Frau. - -Als er eines Tages mehr als gewöhnlich geklagt und gleichzeitig die -Kinder von den Mädchen ohne Aufsicht gelassen waren, sagte seine Frau: - -– Sieh nach den Kindern, da hast du etwas zu tun. - -Er sah zu ihr auf, ob es ihr Ernst sei. - -Ja, warum sollte er nicht nach seinen eigenen Kindern sehen können? Sei -das so merkwürdig? - -Er dachte genau nach und fand wirklich nichts Merkwürdiges dabei. - -So ging er täglich mit den Kindern spazieren. - -Eines Morgens, als sie ausgehen wollten, waren die Kinder nicht -angezogen. Der Advokat wurde böse und ging zu seiner Frau, da er sich -vor den Mägden fürchtete. - -– Warum sind die Kinder nicht angezogen? fragte er. - -– Weil Marie etwas anderes zu tun hat! Zieh du sie doch an, du hast ja -nichts zu tun. Es ist doch keine Schande, seine eigenen Kinder -anzuziehen? - -Er überlegte eine Weile, konnte aber nicht sehen, dass es eine Schande -sei. Er zog sie also an. - -Eines Morgens machte es ihm Spass, allein auszugehen und die Flinte -mitzunehmen, obwohl er niemals schoss. - -Als er nach Haus kam, empfing seine Frau ihn. - -– Warum bist du heute nicht mit den Kindern spazieren gegangen? sagte -sie mit scharfer vorwurfsvoller Stimme. - -– Weil es mir heute keinen Spass machte! - -– Spass machte? Macht es mir Spass, den ganzen Tag in Stall und Scheune -zu arbeiten? _Etwas_ Nützliches kann man wohl für sich tun, ohne dass es -einem Spass macht. - -– Für sich? Für sein Essen, meinst du vielleicht. - -– Für was es auch sei, meine ich. Und ich finde wirklich, ein alter Mann -wie du sollte sich schämen, auf einem Sofa zu liegen und nichts zu tun. - -Er schämte sich wirklich, und jetzt wurde er als Kindermädchen -angestellt. Pünktlich tat er seine Pflicht. Er fand nichts Unrichtiges -darin, aber er litt darunter. Es sei etwas verkehrt, meinte er, aber -seine Frau verstand immer, es nach der rechten Seite zu kehren. - -Die Frau sass im Kontor und empfing Inspektor und Grossknecht; sie stand -im Speicher und wog ab für die Instleute. Alle, die auf den Hof kamen, -wollten die Frau sprechen, aber niemand den Herrn. - -Auf einem Spaziergang kam er eines Tages auf eine Wiese, auf der Vieh -weidete. Er wollte den Kindern die Kühe zeigen, und führte sie behutsam -an die weidende Herde heran. Plötzlich guckte ein schwarzer Kopf über -die Rücken der andern Tiere und sah unter schwachem Brüllen den Besuch -an. - -Der Advokat nahm die Kinder auf den Arm und lief, so schnell er konnte, -bis an den Zaun zurück. Dort angelangt, warf er die Kinder über den Zaun -und wollte selber hinüberspringen, blieb aber hängen. Da er einige -Frauen drüben erblickte, schrie er ihnen, so laut er konnte, entgegen: - -– Der Stier, der Stier! - -Aber die Frauen lachten und hoben die Kinder auf, die im Graben übel -zugerichtet waren. - -– Sehen Sie den Stier nicht! schrie er. - -– Nein, es ist kein Stier, sagte die älteste Frau. Der wurde vor -vierzehn Tagen geschlachtet. - -Er kam beschämt und böse nach Haus. Beklagte sich bei seiner Frau über -die Leute. Sie lachte nur. - -Als die beiden Gatten am Nachmittag allein im Saal sassen, klopfte es an -die Tür. - -– Herein! rief sie. - -Eine Frau, die dem Abenteuer mit dem Stier beigewohnt hatte, trat ein -und hielt in der Hand das Halsband des Advokaten. - -– Das gehört sicher der gnädigen Frau, sagte sie zögernd. - -Adele sah zuerst das Weib an, dann ihren Mann, der mit aufgerissenen -Augen seine Kette betrachtete. - -– Nein, das gehört dem Herrn! sagte sie und nahm der Frau das Halsband -ab. Hab Dank! Der Herr gibt dir wohl Finderlohn. - -Der sass blass und unbeweglich da. - -– Ich habe kein Geld, wende dich an meine Frau, sagte er und nahm das -Halsband. - -Seine Frau holte eine Krone aus ihrer grossen Geldtasche und reichte es -dem Weibe, das sich entfernte, augenscheinlich, ohne etwas zu begreifen. - -– Das hättest du mir doch ersparen können! sagte er schmerzlich. - -– Bist du nicht Manns genug, für deine Worte und Handlungen einzutreten? -Schämst du dich, ein Geschenk von mir zu tragen, während ich deine -trage? Eine Memme bist du! Und das will ein Mann sein! - -Seit diesem Tag war der Friede des Mannes aus. Wohin er kam, kicherten -Gesichter, und Mägde wie Knechte konnten hinter den Ecken „Der Stier! -Der Stier!“ rufen, wenn er vorbeiging. - - * * * * * - -Die Frau wollte nach einer Auktion reisen und acht Tage fortbleiben. Der -Mann sollte während der Zeit ein Auge auf die Leute haben. - -Am ersten Tag kam die Köchin und bat um Geld für Zucker und Kaffee. Er -gab es ihr. Drei Tage später kam sie wieder und verlangte noch einmal -Geld für Zucker und Kaffee. Er drückte sein Erstaunen aus, dass das -erste Geld schon verbraucht sei. - -– Ich esse es nicht allein auf, sagte die Köchin. Und die gnädige Frau -hat nie etwas auszusetzen. - -Er gab ihr das Geld. Aber neugierig, ob er wirklich Unrecht habe, schlug -er das Haushaltungsbuch auf und begann zu addieren. - -Er erhielt eine merkwürdige Summe bei den beiden Posten. Als er für -einen Monat alle Pfunde zusammenzählte, ergaben sie ein Liespfund. - -Er setzte seine Forschungen fort und kam überall zu ähnlichen -Resultaten. Er ging zum Hauptbuch über und fand ausser den hohen Ziffern -auch dumme Fehler beim Addieren. Augenscheinlich konnte seine Frau weder -benannte Zahlen noch Dezimalbrüche. Diese unerhörte Betrügerei der -Dienstboten musste jedenfalls zum Untergang des Hauses führen. - -Seine Frau kam nach Haus. Er musste den Auktionsbericht bis zum Ende -anhören. Darauf räusperte er sich und dachte anzufangen, aber seine Frau -nahm den Faden selber auf: - -– Nun, wie bist du mit den Mägden fertig geworden? - -– Ich bin sehr gut mit ihnen fertig geworden, aber sie sind bestimmt -nicht ehrlich. - -– Sie sind nicht ehrlich? - -– Nein, zum Beispiel sind die Posten für Zucker und Kaffee zu gross. - -– Wie weisst du das? - -– Ich habe es im Haushaltungsbuch gesehen. - -– Was, du schnüffelst in meinen Büchern. - -– Schnüffelst? Nein, es machte mir Spass, nachzuforschen ... - -– Was hast du damit zu schaffen? - -– Und ich fand, dass du Bücher führst, ohne benannte Zahlen noch Brüche -zu können. - -– Was? Kann ich das nicht? - -– Nein, das kannst du nicht! Und darum ist das ganze Haus unterminiert. -Deine Buchführung ist Humbug, meine Alte, das ist sie! - -– Wen geht es etwas an, wie meine Bücher aussehen? - -– Das Gesetz bestraft falsche Buchführung; wenn nicht dich, so mich. - -– Das Gesetz? Ich pfeife auf das Gesetz! - -– Ja, das glaube ich, aber fassen tut es uns doch, das heisst mich. Und -deshalb will ich künftighin die Bücher selber führen. - -– Wir können einen Buchhalter nehmen! - -– Nein, das ist nicht nötig! Ich habe ja sonst nichts zu tun. - -Und dabei blieb es. - - * * * * * - -Seit aber der Mann den Platz am Pult einnahm und die Leute zu _ihm_ -kamen, verloren Landwirtschaft und Viehzucht ihr Interesse für die Frau. - -Eine heftige Reaktion trat ein, und sie sah bald weder nach Kühen noch -nach Kälbern, sondern blieb im Hause sitzen. Da hockte sie, und neue -Gedanken gärten in ihrem Gehirn. - -Der Mann dagegen erwachte zu einem neuen Leben. Er warf sich auf die -Landwirtschaft und rüttelte die Leute auf. Jetzt hatte er die Oberhand. -Er schaltete und waltete, bestellte und bezahlte. - -Eines Tages kam seine Frau aufs Kontor und bat um tausend Kronen für ein -Klavier. - -– Was denkst du? sagte der Mann. Jetzt, wo der Stall umgebaut werden -soll! Dazu haben wir nicht die Mittel. - -– Was soll das heissen, antwortete sie. Haben wir nicht die Mittel? -Reicht mein Geld nicht. - -– Dein Geld? - -– Ja, meins, das ich in die Ehe gebracht habe. - -– Das ist durch die Ehe Eigentum der Familie geworden. - -– Das heisst deins. - -– Nein, der Familie. Die Familie ist eine kleine Gemeinde, die einzige, -die ein gemeinschaftliches Eigentum hat, mit dem Mann als Verwalter, in -den gewöhnlichen Fällen. - -– Warum soll er Verwalter sein und nicht die Frau? - -– Weil er mehr Zeit hat, da er keine Kinder gebiert. - -– Warum können nicht beide Verwalter sein? - -– Aus denselben Gründen, aus denen eine Aktiengesellschaft nur einen -geschäftsführenden Direktor hat. Würde die Frau auch verwalten, so -würden es die Kinder ebenfalls wollen, da es auch ihr Eigentum ist. - -– Das ist nur Spitzfindigkeit. Ich finde es hart, dass ich noch um -Erlaubnis bitten soll, ob ich mir für mein eigenes Geld ein Klavier -kaufen darf. - -– Es ist nicht mehr dein Geld. - -– Ist es denn deins? - -– Nein, auch nicht meins, sondern das der Familie. Du musst auch nicht -so falsch sein, und mich „um Erlaubnis bitten“; die Klugheit gebietet -nur, dass du den Verwalter fragst, ob der Stand des Vermögens eine -grosse Luxusausgabe zulässt. - -– Ist ein Klavier denn ein Luxus? - -– Ein neues Klavier, wenn man ein altes hat, kann Luxus sein. Nun ist -der Stand des Vermögens schlecht, daher erlaubt _der_ nicht, dass du -jetzt ein neues Klavier kaufst, obwohl _ich_ natürlich nichts dagegen -haben kann noch will. - -– Durch eine Ausgabe von tausend Kronen ruiniert man sich nicht. - -– Doch man kann den Grund zu seinem Ruin legen, wenn man zur Unzeit für -tausend Kronen Schulden macht. - -– Das heisst, du weigerst dich also, mir ein neues Klavier zu kaufen? - -– Nein, das will ich nicht sagen. Der unsichere Stand des Vermögens ... - -– Wann, wann wird der Tag kommen, an dem die Frau ihr Vermögen selbst -verwaltet und nicht mehr wie eine Bettlerin zu ihrem Mann zu kommen -braucht? - -– Wenn sie selber arbeitet. Ein Mann, dein Vater, hat dein Vermögen -erarbeitet. Männer sind es, die alles Vermögen erarbeitet haben; darum, -siehst du, ist es gerecht gewesen, dass die Schwester weniger erbt als -der Bruder, zumal der Bruder mit der Pflicht, eine Frau zu ernähren, -geboren wird, während die Schwester keinen Mann zu ernähren braucht. -Verstehst du? - -– Das ist also Gerechtigkeit: ungleich teilen! Ist es gerecht, ungleich -zu teilen? Kannst du das bei deinem guten Kopf wirklich behaupten? Soll -man nicht immer in gleiche Teile teilen? - -– Nein, nicht immer. Man soll verhältnismässig oder nach Verdienst -teilen. Der Faule, der im Gras liegt und zusieht, wie der Maurer baut, -soll weniger haben als der Maurer. - -– So, du sagst, ich sei faul! - -– Hm! Es ist am besten, nichts zu sagen. Als ich aber auf dem Sofa lag -und las, hieltst du mich für sehr faul, und ich will mich erinnern, dass -du auch etwas ähnliches gesagt hast und zwar recht deutlich. - -– Was soll ich denn tun? - -– Geh mit den Kindern spazieren! - -– Ich passe nicht für Kinder. - -– Aber ich musste passen. Hör mal: eine Frau, die sagt, sie passe nicht -für Kinder, ist keine Frau. Ein Mann ist sie auch nicht! Was ist sie -denn? - -– Pfui, pfui, dass du so von der Mutter deiner Kinder sprichst! - -– Was sagt man von dem Mann, der nicht nach Frauen sieht? Sagt man nicht -etwas sehr Hässliches von ihm? - -– Ich will nichts mehr hören. - -Und darum verliess sie das Zimmer und schloss sich ein. - -Sie wurde krank. Der Arzt, der allmächtige, der die Körper übernommen, -nachdem der Pastor die Seelen verloren, erklärte Landluft und Einsamkeit -für ungesund. - -Man musste also wieder in die Stadt ziehen, damit sich die Frau ärztlich -behandeln lassen konnte. - -Die Stadt hatte einen sehr guten Einfluss auf den Gesundheitszustand der -Frau, und die Rinnsteinluft gab ihren Wangen Farbe. - -Der Advokat suchte sich Praxis, und die Gatten hatten Ableiter für ihre -Naturen, die sich nicht versöhnen konnten. - - - - - Seine Magd - oder - Debet und Kredit - - -Mr. Blackwood war Werkdirektor in Brooklyn und hatte sich mit Miss -Danckward verheiratet, die in die Ehe eine Mitgift moderner Anschauungen -brachte. Um seine geliebte Frau nicht als seine Magd sehen zu müssen, -hatte Mr. Blackwood sich mit ihr in einem Boardinghouse in Pension -gegeben. - -Die Frau, die nichts zu tun hatte, verbrachte den Tag mit Musik und -Billardspiel und die halbe Nacht mit Gesprächen über die Frauenfrage und -Grogtrinken. - -Der Mann hatte 5000 Dollar Gehalt; die lieferte er regelmässig an seine -Frau ab, damit die sie verwalte. Sie hatte 500 Dollar Nadelgeld, über -die sie selbst verfügte. - -Da kam ein Kind. Ein Kindermädchen wurde angestellt, das mit 100 Dollar -den kostbaren Beruf der Mutter übernahm. - -Es kamen noch zwei Kinder. - -Und die Kinder wuchsen heran, und die beiden ältesten begannen in die -Schule zu gehen. Aber die Frau langweilte sich und hatte nichts zu tun. - -Eines Tages kam sie angeheitert zum Frühstückstisch. - -Der Mann nahm sich die Freiheit, sie daran zu erinnern, das sei -unpassend. - -Sie wurde hysterisch und legte sich zu Bett, und alle Freundinnen des -Hauses warteten ihr mit Blumen auf. - -– Warum trinkst du, fragte der Mann so zärtlich wie er nur konnte. Hast -du einen Kummer? - -– Soll ich keinen Kummer haben, wo mein Leben verfehlt ist? - -– Wieso verfehlt? Du hast drei Kinder geboren und könntest deinen Tag -dazu anwenden, sie zu erziehen. - -– Ich eigne mich nicht für Kinder. - -– Dann solltest du es lernen, mit Kindern umzugehen. Das ist eine Arbeit -für die Gesellschaft und eine ehrenvolle Lebensaufgabe, ehrenvoller als -Leiter einer Werft zu sein. - -– Ja, wenn ich frei wäre. - -– Du bist freier als ich. Ich stehe unter deiner Administration. Du -bestimmst von meinen Einkünften die Ausgaben. Du hast 500 Dollar -Nadelgeld, über die du frei verfügen kannst, aber ich habe kein -Nadelgeld. Ich muss aus der Kasse, das heisst von dir betteln, wenn ich -Tabak kaufen will. Bist du also nicht freier als ich? - -Sie antwortete nicht, versuchte aber zu denken. - -Das Resultat war, dass sie einen eigenen Haushalt haben müssten. Und sie -richteten einen eigenen Haushalt ein. - -– Teure Freundin, schrieb Mrs. Blackwood einige Zeit nachher an ihre -Freundin, ich leide und bin todmüde. Aber ich will bis ans Ende leiden, -denn das Leben hat einer unglücklichen Frau, die für nichts zu leben -hat, nichts mehr zu bieten. Ich will der Welt zeigen, dass ich nicht die -bin, die von der Gnade ihres Mannes lebt, und darum will ich mich – tot -arbeiten ... - -Sie stand am ersten Tag um neun Uhr auf und brachte das Zimmer ihres -Mannes in Ordnung. Dann verabschiedete sie die Köchin und ging um elf -Uhr fort, um einzukaufen. - -Als der Mann um ein Uhr nach Haus kam, um Frühstück zu essen, war das -Essen nicht fertig. Das war die Schuld der Magd. - -Die Frau war furchtbar müde und weinte. Der Mann hatte nicht das Herz, -sich zu beklagen. Und er ass ein verbranntes Kotelett und ging wieder. -Aber er sagte noch: - -– Arbeite dich nicht ab, mein Kind! - -Abends war die Frau so müde, dass sie einen Teil der Arbeit lassen und -um zehn Uhr zu Bett gehen musste. - -Am nächsten Tage, als Mr. Blackwood ihr guten Morgen sagte, war er -erstaunt über die gesunde Farbe, die seine Frau hatte. - -– Hast du gut geschlafen? fragte er. - -– Wie so? - -– Ich finde, du siehst so gesund aus. - -– Sehe – ich – gesund – aus? - -– Ja! Etwas Beschäftigung scheint dir gut zu tun. - -– Etwas? Nennst du das etwas? Ich möchte wissen, was du dann viel -nennst? - -– Nun nun, ich meinte es nicht böse. - -– Doch, du meintest, ich arbeite zu wenig. Und doch habe ich wie eine -Magd dein Zimmer aufgeräumt und wie eine Köchin am Herd gestanden. -Vielleicht leugnest du auch, dass ich deine Magd bin? - -Als der Mann ging, sagte er zum Mädchen: - -– Sie müssen um sieben Uhr aufstehen und mein Zimmer aufräumen. Meine -Frau soll nicht Ihre Arbeit tun! - -Am Abend kam Mr. Blackwood fröhlich nach Haus; aber seine Frau war böse. - -– Warum darf ich dein Zimmer nicht aufräumen? fragte sie. - -– Weil ich nicht will, dass du meine Magd bist. - -– Warum willst du das denn nicht? - -– Weil es mich quält! - -– Aber es quält dich nicht, dass ich dein Essen koche und nach deinen -Kindern sehe? - -Jetzt wurde er nachdenklich. - -Während er mit der Trambahn nach Brooklyn fuhr, dachte er hin und her. - -Als er abends heim kam, hatte er ein gut Stück gedacht. - -– Hör mal, mein Kind, ich habe viel über deine Stellung im Hause -nachgedacht, und ich will natürlich nicht, dass du meine Magd sein -sollst. Ich habe daher so gedacht. Ich gebe mich bei dir in Pension und -bezahle für mich. Dann bist du Herrin im Hause und ich esse bei dir -gegen Bezahlung. - -– Was meinst du? fragte seine Frau etwas unruhig. - -– Wie ich sage. Wir nehmen an, du hältst ein Boardinghouse und ich gebe -mich bei dir in Pension. Wir nehmen es nur an. - -– Gut! Was willst du bezahlen? - -– Ich will natürlich so viel bezahlen, dass ich auf keinen Fall in -deiner Schuld stehe. Meine Stellung wird dadurch auch angenehmer, denn -ich erhalte dann nicht mehr alles aus Gnade. - -– Aus Gnade? - -– Ja, du setzest mir ein Essen vor, das nicht gargekocht ist, und -wiederholst unaufhörlich, du seist meine Magd, das heisst, du arbeitest -dich für mich ab. - -– Wohinaus willst du? - -– Sind drei Dollar täglich genug für meine Pension? Im Boardinghouse -bekomme ich sie für zwei. - -– Drei Dollar müssen sehr gut reichen. - -– Gut! Das sind jährlich rund 1000 Dollar. Sieh, hier hast du sie im -voraus! - -Und er legte eine Rechnung auf den Tisch. - -– Hier ist die Berechnung: - - Miete 500 Dollar - Lohn des Kindermädchens 100 „ - Lohn der Köchin 150 „ - Unterhalt der Frau 500 „ - Kleider der Frau 500 „ - Unterhalt des Kindermädchens 300 „ - Unterhalt der Köchin 300 „ - Unterhalt der Kinder 700 „ - Kleider der Kinder 500 „ - Holz, Licht, Hilfe 500 „ - –––––––––––– - 4050 Dollar - -– Teile diese Summe mit zwei, da wir repartieren, so bleiben 2025 Dollar -übrig. Zieh meine 1000 ab und gib mir 1025 Dollar. Hast du sie bei dir, -um so besser. - -– Repartieren? war das einzige Wort, das die Frau hervorbringen konnte. -Soll ich dich bezahlen? - -– Ja, natürlich, wenn es gleich sein soll. Ich bezahle den halben -Unterhalt für dich und die Kinder. Oder willst du, dass ich alles -bezahle? Gut, dann bezahle ich also 4050 Dollar plus 1000 Dollar für -meine Pension. Aber ich bezahle besonders: Miete, Essen, Licht, Holz, -Bedienung. Was bekomme ich denn für meine Pension? Das Essen bereitet? -Das Essen bereitet für 4050 Dollar? Ziehe ich nun wirklich die Hälfte -ab, das heisst, was ich zu bezahlen schuldig bin, 2025 Dollar, so -bleiben 2025 für die Bereitung des Essens. Nun aber bezahle ich die -Köchin besonders für die Bereitung des Essens, wie kann ich da 2025 für -Bereitung des Essens bezahlen, und noch 1000 Dollar dazu? - -– Das verstehe ich nicht! - -– Ja, ich auch nicht. Aber das weiss ich, dass ich dir nichts schuldig -bin, wenn ich dir deinen ganzen Unterhalt, den ganzen Unterhalt deiner -Kinder, den ganzen Unterhalt deiner Mädchen bezahle; der Mädchen, die -deine Arbeit tun, die nach deiner Ansicht meiner gleichkommt oder sie -noch übertrifft. Auch wenn deine Arbeit mehr wert wäre, so hast du auch -500 Dollar extra, die von den Ausgaben des Hauses ausgenommen sind, -während ich nichts habe, das davon ausgeschlossen wäre. - -– Ich wiederhole noch einmal, dass ich deine Berechnung nicht verstehe. - -– Ich verstehe sie auch nicht! Vielleicht lassen wir deshalb diese -Pension. Das ist vielleicht das beste. Und stellen einfach das Debet und -Kredit des Hauses auf. Willst du dein Konto kennen lernen, hier hast du -es: - - Mrs. Blackwood für Hilfe im Haus, - Mrs. Blackwoods Köchin und Kindermädchen geleistet: - Unterhalt mit Miete 1000 Dollar - Kleider 500 „ - Vergnügungen 100 „ - An Nadelgeld bar 500 „ - Unterhalt für ihre Kinder 1200 „ - Und Erziehung 600 „ - Für die Mägde, die ihre Arbeit leisten 850 „ - –––––––––––– - 4750 Dollar - Bezahlt: Mr. Blackwood, Werftleiter. - -– Ah, es ist schändlich, seiner Frau mit Rechnungen zu kommen. - -– Mit Gegenrechnungen! Und du brauchst auch die nicht zu bezahlen, denn -ich bezahle alle Rechnungen. - -Die Frau knüllte das Papier zusammen. - -– Soll ich auch die Erziehung deiner Kinder bezahlen? - -– Nein, das will ich, und das tue ich, und ich bezahle die Erziehung -deiner Kinder auch! Aber du bezahlst nicht einen Cent für meine. Ist das -Gleichstellung? Aber ich will den Unterhalt meiner Kinder und meiner -Mägde abziehen: dann geniessest du noch 2100 Dollar für die Hilfe, die -du meinen Mägden im Haus leistest. Willst du noch mehr Berechnungen? - -Sie wollte keine Berechnungen mehr, niemals mehr! - - - - - Der Familienversorger - - -Er erwacht am Morgen aus schweren Träumen von verfallenen Wechseln und -nicht geliefertem Manuskript. Der Angstschweiss klebt in seinem Haar, -und seine Wangen zittern, als er sich ankleidet. Aber er hört die Kinder -im Nebenzimmer zwitschern, und er wäscht seinen heissen Kopf mit kaltem -Wasser. Er trinkt seinen Kaffee, den er selber kocht, um das arme -Kindermädchen nicht so früh, nämlich um 8 Uhr, aufzujagen. Dann macht er -sein Bett, bürstet seine Kleider und setzt sich hin, um zu schreiben. - -Das Fieber kommt, das Fieber, das Halluzinationen von Zimmern erzeugen -soll, die er nie gesehen, von Landschaften, die es nie gegeben, von -Menschen, die im Adressbuch nicht zu finden sind. Er ist am Schreibtisch -in einer Todesangst. Die Gedanken sollen klar, prägnant und malend sein, -die Handschrift leserlich, die Handlung soll vorwärts gehen, das -Interesse darf nicht nachlassen, die Bilder sollen schlagend sein, die -Reden und Gegenreden blitzend. Und dann grinsen ihm die Automaten des -Publikums entgegen, deren Gehirne er aufziehen, die Kritiker mit dem -Kneifer des Neides, die er überwinden, das bewölkte Gesicht des -Verlegers, das er aufheitern soll. Er sieht die Männer der Jury um den -schwarzen Tisch sitzen, auf dem die Bibel liegt; er hört die Türen des -Gefängnisses sich öffnen, in dem Freidenker das Verbrechen, freie -Gedanken für Trägen die gedacht zu haben, sühnen sollen; lauscht auf die -schleichenden Schritte des Hotelwirtes, der mit der Rechnung kommt ... - -Währenddessen brennt das Fieber, und die Feder läuft, läuft ihren Weg, -ohne beim Anblick der Verleger oder Jurymänner zu zögern, und -hinterlässt rote Streifen wie von geronnenem Blut, die dann liegen -bleiben und schwarz werden. - -Als er nach zwei Stunden aufsteht, hat er gerade noch so viel Kraft, -dass er bis an sein Bett kommt, auf das er niedersinkt. Dann liegt er -da, als ob der Tod ihn gepackt hätte. Das ist nicht der erquickende -Schlaf, sondern Betäubung. Es ist eine lange Ohnmacht, aber eine -bewusste, die von dem Entsetzen begleitet ist, dass die Kräfte fort -sind, die Nerven schlaff, das Gehirn leer ist. - -Da läutet die Glocke des Hotelpensionates. Voilà le facteur! Die Post -ist gekommen! - -Er fährt auf und schwankt hinaus. Empfängt eine Menge Postsachen. Da ist -eine Korrektur, die sofort gelesen werden muss; ein Buch von einem -jungen Schriftsteller, der um ein Urteil bittet; eine Zeitung mit einem -polemischen Artikel, der zu beantworten ist; ein Brief mit dem Ersuchen, -an einem Kalender mitzuarbeiten; schliesslich ein warnender Brief vom -Verleger. Das alles soll jetzt von einem Kraftlosen erledigt werden. - -Das Kindermädchen ist inzwischen aufgestanden, hat die Kinder angezogen, -Kaffee getrunken, den das Hotel ihr gekocht, und Brötchen mit Honig -gegessen, die das Hotel ihr gestrichen hat. Dann geht sie im Grünen -spazieren. - -Um ein Uhr läutet es zum Déjeuner. Alle Gäste versammeln sich um den -Esstisch. Auch er setzt sich; allein. - -– Wo ist ihre Frau? wird von rechts und links gefragt. - -– Das weiss ich nicht, antwortet er. - -– Welches Untier! flüstern die Damen, die eben ihren Morgenrock -angezogen haben. - -Dann kommt seine Frau. Die Bedienung wird ihretwegen unterbrochen, und -die Hungrigen, die pünktlich gekommen sind, müssen auf den zweiten Gang -warten. - -Die Damen fragen seine Frau nach ihrem Befinden: ob sie gut geschlafen -habe, ob ihre Nerven in Ordnung sind. Niemand aber fragt den Mann nach -seinem Befinden. Das glauben sie im Voraus zu kennen. - -– Er sieht aus wie ein Kadaver, sagt eine Dame. - -Und das tut er auch. - -– Er ist sicher lasterhaft, sagt eine andere Dame. - -Das aber ist er nicht. - -Er spricht nicht bei Tisch, denn er hat diesen Damen nichts zu sagen. -Aber seine Frau spricht an seiner Stelle. - -Und er würgt sein Essen hinunter, während seine Ohren die Freude haben, -alles Erbärmliche rühmen und alles Gute schmähen zu hören. - -Als sie vom Tisch aufstehen, bittet er seine Frau um einige Worte. - -– Willst du so gut sein, Luise mit meinem Rock zum Schneider zu -schicken; eine Naht ist aufgegangen, und ich habe keine Zeit, selber zu -gehen. - -Sie antwortet nichts; statt aber Luise zu schicken, nimmt sie selber den -Rock auf den Arm und geht ins Dorf hinunter, wo der Schneider wohnt. - -Im Garten trifft sie einige emanzipierte Damen, die sie fragen, wohin -sie gehe. - -Sie antwortet so ehrlich wie möglich, dass sie für ihren Mann zum -Schneider gehe. - -– Er schickt sie zum Schneider! Und sie lässt sich als wie eine Magd -behandeln. - -– Und jetzt liegt er auf dem Bett und hält Mittagsschlaf. Ein netter -Mann! - -Er hält wirklich Mittagsschlaf, denn er ist blutarm. - -Um drei Uhr läutet der Postbote wieder, und jetzt soll er einen Brief -aus Berlin deutsch, einen aus Paris französisch, einen aus London -englisch beantworten. - -Dann fragt seine Frau, die vom Schneider zurückgekommen ist und einen -Cognac getrunken hat, ob er mit den Kindern einen Ausflug machen will. -Nein, er müsse Briefe schreiben. - -Als er mit den Briefen fertig ist, steht er auf, um vor dem Essen einen -Spaziergang zu machen. Er möchte jetzt gern einen haben, mit dem er -sprechen könnte. Aber er ist allein. Er geht hinunter zu den Kindern. - -Das fette Mädchen sitzt auf einem Gartensofa und liest Frau Lefflers -„Wahre Frauen“, die sie von seiner Frau geliehen hat. Die Kinder -langweilen sich und wollen weiter gehen, wollen sich bewegen. - -– Warum gehen Sie mit den Kindern nicht spazieren, Luise, fragte er. - -– Die gnädige Frau hat gesagt, es sei zu warm. - -Die Frau hat gesagt! - -Er nimmt die Kinder mit und geht nach der Landstrasse; dann aber sieht -er, dass sie nicht gewaschen sind und zerrissene Stiefel haben. Er kehrt -um. - -– Warum haben die Kinder zerrissene Stiefel? fragt er Luise. - -– Die gnädige Frau hat gesagt ... - -Die Frau hat gesagt! - -Er geht allein spazieren. - -Es wird sieben Uhr und das Essen beginnt. Die jungen Damen sind noch -nicht nach Haus gekommen. Man hat die ersten beiden Gänge serviert, als -sie kommen; lärmend, lachend und rot im Gesicht. - -Seine Frau und ihre Freundin sind besonders aufgeräumt und riechen nach -Cognac. - -– Womit hast du dich unterhalten, Väterchen, fragt sie ihren Mann. - -– Ich bin mit den Kindern spazieren gegangen, sagt er. - -– Ist denn Luise nicht zu Hause gewesen? - -– Doch, aber sie hatte keine Zeit. - -– Das ist doch nicht zu viel verlangt von einem Mann, das er sich um -seine eigenen Kinder bekümmert, sagt die Freundin. - -– Nein, sicher nicht, antwortet der Mann. Und darum habe ich Luise -zurecht gewiesen, dass sie die Kinder schmutzig und zerrissen gehen -lässt. - -– Immer kriegt man Schelte, wenn man nach Haus kommt, sagt die Frau. Nie -kann man ein Vergnügen haben, ohne dass man getadelt wird. - -Und eine kleine zerdrückte Träne stiehlt sich aus dem geröteten Auge. - -Der Mann wird von der Freundin und den andern Damen mit wütenden Blicken -betrachtet. - -Man bereitet einen Angriff vor, und die Freundin wetzt ihre Zunge. - -– Haben die Herrschaften Luthers Ansicht über das Recht der Frau -gelesen? beginnt sie. - -– Was ist das für ein Recht? fragt seine Frau. - -– Sich einen andern Mann zu suchen, wenn ihr Mann ihr nicht passt. - -Pause. - -– Das ist eine gefährliche Lehre für die Frauen, sagt der Mann. Denn -daraus folgt, dass auch der Mann ein Recht hat, sich eine andere Frau zu -suchen, wenn seine Frau ihm nicht passt. Dieser letzte Fall kommt viel -häufiger vor. - -– Das verstehe ich nicht, sagt seine Frau. - -– Das braucht weder Luthers noch meine Schuld zu sein, antwortet der -Mann. Ebenso wenig wie es die Schuld des Mannes zu sein braucht, dass er -nicht für seine Frau passt. Er kann nämlich für eine andere ganz -ausgezeichnet passen. - -Unter Todesschweigen steht man vom Tisch auf. - -Der Mann geht auf sein Zimmer. Seine Frau und ihre Freundin setzen sich -in den Pavillon. - -– Welche Brutalität, sagt die Freundin. Und du, die feinfühlige, -intelligente Frau, willst die Magd dieses rohen Egoisten sein! - -– Er hat mich nie verstanden, seufzt die Frau. - -Ihre Selbstzufriedenheit, dass sie diese vernichtenden Worte sagen kann, -ist zu gross, als dass sie in ihrem Innern die Antwort hörte, die ihr -Mann ihr so oft gegeben hat: - -– Bist du so tief, dass ich, der ich einen guten Kopf habe, dich nicht -verstehen sollte? Hast du nie daran gedacht, dass es vielleicht deine -Oberflächlichkeit ist, die macht, dass du mich nicht verstehst! - -Auf seinem Zimmer sitzt er, allein. Er leidet, als habe er seine Mutter -geschlagen. Aber sie hat ihn ja zuerst geschlagen; sie hat ihn Jahre -lang geschlagen, und er hat bisher noch nie zurückgeschlagen. - -Diese rohe, herzlose, cynische Frau, der er seine ganze Seele hat geben -wollen, mit all ihren Gedanken, mit all ihren feinen Gefühlen, hat seine -Überlegenheit empfunden und darum ihn erniedrigt, ihn in den Schmutz -gezogen, ihn bei den Haaren gerissen, ihn geschmäht. War es da ein -Verbrechen von ihm, dass er ein Mal zurückgeschlagen, als sie ihn -öffentlich verhöhnt? Ja, er fühlte sich so schuldig, als habe er seinen -besten Freund ermordet. - -Der warme Sommerabend kommt mit seiner Dämmerung, und der Mond geht auf. - -Vom Salon ist Gesang zu hören. Er geht in den Garten hinunter und setzt -sich unter den Walnussbaum. Allein! Und mit den Akkorden des Klaviers -verschmilzt das Lied: - - Oft wenn die Nacht den Schleier - Über das Erdgewimmel - Und um die Meere zog, - Hatten wir unsre Feier, - Während vom Sternenhimmel - Helle des Mondes flog. - Jetzt aber still ich weinen - Tränen der Sehnsucht muss, - Denn du wirst nie mehr erscheinen, - Frühling der Liebe mit deinem Kuss. - -Er ging durch den Garten und sah durchs Fenster. Dort sass sie, sein -Poem, das er sich gedichtet hatte. Und sie sang mit Tränen in der -Stimme. Die Damen auf den Sofas sahen mit bedeutungsvollen Blicken -einander an. - -Aber hinter den Lorbeerbüschen sassen auf einem Gartensofa zwei Herren, -die rauchten und flüsterten. Er hörte: - -– Das ist nur Cognac. - -– Ja, sie soll trinken. - -– Und dem Mann schieben sie die Schuld zu. - -– Das ist schändlich. Sie lernte schon in Julians Atelier trinken. Du -weisst, sie wollte Malerin werden, konnte es aber nicht. Und als sie von -der Ausstellung zurückgewiesen wurde, warf sie sich auf diesen armen -Kerl und verbarg ihre Niederlage hinter einer Heirat. - -– Ja, ich habe es gehört. Und sie hat ihn so lange gequält, bis er nur -noch ein Schatten ist. Sie begannen mit einem eigenen Haushalt, und -obwohl sie in Paris zwei Mägde hatte, nannte sie sich seine Magd. Obwohl -sie allein im Haus zu bestimmen hatte, nannte sie sich seine Sklavin. -Sie vernachlässigte das Haus, die Mägde plünderten es, und er sah den -Ruin kommen, ohne etwas bestimmen zu dürfen. Wenn er einen Vorschlag zur -Rettung machte, widersetzte sie sich; sagte er schwarz, wollte sie weiss -haben. Dadurch hat sie seinen Willen gebrochen und seine ganze -Intelligenz erschüttert. Dann gingen sie in ein Pensionat, damit sie -keinen Haushalt zu führen brauche und sich ihrer Kunst widmen könne. -Jetzt, da sie weder zu kochen, noch sonst etwas zu tun hat, rührt sie -keinen Pinsel an, sondern amüsiert sich mit ihrer Freundin. Sie hat ihn -auch von seiner Arbeit ablenken und durch Trinken erniedrigen wollen; -das ist ihr aber nicht gelungen: darum hasst sie ihn, denn er ist ihr -moralisch überlegen. - -– Aber als Mann muss er doch ein Tropf sein, antwortet der andere. - -– Ja, in dem Punkt freilich, aber das sind wir leider alle in dem Punkt. -Er ist noch nach zwölf langen Jahren in sie verliebt. Aber das -schlimmste ist, dass er, der früher so stark war, dessen Worte in Kammer -und Zeitung gefürchtet wurden, jetzt anfängt schlaff zu werden. Ich -sprach heute Vormittag mit ihm, und er ist zum mindesten krank. - -– Ja, man sagt, seine Frau habe ihn ins Irrenhaus bringen wollen, und -ihre Freundin habe sie in diesem Bemühen unterstützt. - -– Und er sitzt da und arbeitet sich ab, damit sie sich amüsieren kann. - -– Weisst du, warum sie ihn am meisten verachtet? Weil er sie nicht so -versorgen kann, wie sie versorgt werden möchte. Ein Mann, der seine Frau -nicht versorgen kann, ce n’est pas grande chose, sagte sie kürzlich beim -Mittagstisch. Und ich habe gute Gründe zu der Annahme, dass sie einmal -darauf gerechnet hat, er werde sie als Malerin in die Höhe schreiben. -Unglücklicher Weise verboten ihm seine politischen Ansichten, mit den -tonangebenden Zeitungen zu tun zu haben; auch verkehrte er nicht in -Künstlerkreisen, da er andere Interessen hatte. - -– Sie wollte ihn also benutzen; als er sich aber nicht benutzen liess, -wurde er verworfen. Zum Familienversorger scheint er aber noch gut genug -zu sein. - - Jetzt aber still ich weinen - Tränen der Sehnsucht muss, - -klang es aus dem Salon. - -– Puff, erklang es hinter dem Walnussbaum. Zweige knackten und der Sand -knirschte. - -Die Herren sprangen auf. - -Auf dem Weg lag eine gut gekleidete Leiche, deren Kopf an ein Stuhlbein -stiess. - -Der Gesang verstummte, und die Damen stürzten hinaus. - -Die Freundin goss ihr kölnisches Wasser auf den Toten. - -– Pfui, eine Leiche, sagte sie, fuhr zurück und hielt sich die Nase zu, -als sie sah, dass es keine Ohnmacht war. - -Der ältere der beiden Männer, der sich zu dem Toten niedergebeugt hatte, -hob den Kopf und sagte: - -– Still, Weiber! - -– Welche Brutalität, sagte die Freundin. - -Die Frau des Toten fiel in Ohnmacht, wurde aber von den Armen der -Freundin aufgefangen und von den Damen zärtlich gepflegt. - -– Holt den Arzt, schrie der ältere Herr. Lauft! - -Niemand rührte sich, sondern alle scharten sich um die ohnmächtige Frau. - -– Seiner Frau einen solchen Kummer zu machen! Solch ein Mann, solch ein -Mann, jammerte die Freundin. - -– Nicht einen Gedanken an den Sterbenden, aber alles für die -Ohnmächtige. Giesst ihr einen Cognac hinunter, dann lebt sie wieder auf! - -– Der elende Mann hat sein Los verdient, erklärte die Freundin. - -– Nein, er hat allerdings ein besseres Los verdient als lebend in eure -Hände zu fallen. Schämt euch, Weiber, und Respekt vor dem -Familienversorger! - -Er stand auf und liess die Hand des Toten los. - -– Es ist aus! sagte er. - -Und es war aus. - - - - - Inhalt - - - Seite - Asra 1 - Liebe und Brot 45 - Musste 63 - Ersatz 91 - Reibungen 103 - Unnatürliche Auslese 121 - Reformversuch 129 - Naturhindernis 133 - Ein Puppenheim 143 - Vogel Phönix 169 - „Romeo und Julia“ 177 - Herbst 183 - Fruchtbarkeit 201 - Zwangsehe 215 - Die verbrecherische Natur 233 - Corinna 249 - Ungetraut und getraut 287 - Zweikampf 297 - Seine Magd 317 - Der Familienversorger 325 - - - Druck: Münchner Buchgewerbehaus M. Müller & Sohn - - - - - Anmerkungen zur Transkription - - -Offensichtliche Druckfehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere -Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher): - - [S. 97]: - ... Er tat keine Frage beim Mittagstisch. Es sprach viel, ... - ... Er tat keine Frage beim Mittagstisch. Er sprach viel, ... - - [S. 103]: - ... – Ich kenne nichts Albernes, antwortete sie. ... - ... – Ich kenne nichts Alberneres, antwortete sie. ... - - [S. 120]: - ... einander; das hätte er und seine erste Frau nicht ... - ... einander; das hätten er und seine erste Frau nicht ... - - [S. 145]: - ... Er setzte Kaffee auf seinen Reisekocher auf, und ... - ... Er setzte Kaffee auf seinem Reisekocher auf, und ... - - [S. 242]: - ... fühlte seinen heissen Atem in meinen Nacken und ... - ... fühlte seinen heissen Atem in meinem Nacken und ... - - -*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK HEIRATEN *** - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the -United States without permission and without paying copyright -royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part -of this license, apply to copying and distributing Project -Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm -concept and trademark. 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Hart was the originator of the Project -Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be -freely shared with anyone. For forty years, he produced and -distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of -volunteer support. - -Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed -editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in -the U.S. unless a copyright notice is included. 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You may copy it, give it away or re-use it under the terms -of the Project Gutenberg License included with this eBook or online -at <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>. If you -are not located in the United States, you will have to check the laws of the -country where you are located before using this eBook. -</div> - -<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Title: Heiraten</p> -<p style='display:block; margin-top:0; margin-bottom:1em; margin-left:2em; text-indent:0;'>Zwanzig Ehegeschichten</p> - -<div style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:1em; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Author: August Strindberg</div> - -<div style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:1em; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Translator: Emil Schering</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'>Release Date: November 29, 2021 [eBook #66847]</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'>Language: German</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'>Character set encoding: UTF-8</div> - -<div style='display:block; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Produced by: Jens Sadowski and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net. This ebook was created in honor of Distributed Proofreaders' 20th Anniversary. It was produced from images generously made available by The Internet Archive.</div> - -<div style='margin-top:2em; margin-bottom:4em'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK HEIRATEN ***</div> - -<div class="frontmatter chapter"> -<p class="ser"> -STRINDBERGS WERKE<br /> -DEUTSCHE GESAMTAUSGABE -</p> - -<p class="tit"> -HEIRATEN -</p> - -</div> - -<div class="frontmatter chapter"> -<p class="aut"> -AUGUST STRINDBERG -</p> - -<h1 class="title"> -HEIRATEN -</h1> - -<p class="subt"> -ZWANZIG EHEGESCHICHTEN -</p> - -<p class="trn"> -VERDEUTSCHT VON<br /> -EMIL SCHERING -</p> - -<div class="centerpic logo"> -<img src="images/logo.jpg" alt="" /></div> - -<p class="pub"> -1920<br /> -GEORG MÜLLER VERLAG MÜNCHEN -</p> - -</div> - -<div class="frontmatter chapter"> -<p class="cop"> -Deutsche Originalausgabe gleichzeitig mit der -schwedischen Ausgabe unter Mitwirkung von -Emil Schering als Übersetzer vom Dichter selbst -veranstaltet. Geschützt durch die Gesetze und -Verträge. Alle Rechte vorbehalten. Den Bühnen -gegenüber Manuskript. Copyright 1909 by Georg -Müller Verlag, München. Gedruckt im Münchner -Buchgewerbehaus M. Müller & Sohn, München. -</p> - -<p class="run"> -32. bis 36. Tausend. -</p> - -</div> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="chapter-0-1"> -<a id="page-1" class="pagenum" title="1"></a> -<span class="line1">Asra</span> -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -Als die Mutter starb, war er dreizehn Jahre alt. -Es war ihm, als habe er einen Freund verloren, -denn während des Jahres, in dem die Mutter krank -zu Bett lag, hatte er ihre persönliche Bekanntschaft -gemacht, was Eltern und Kinder so selten tun. Er -war nämlich früh entwickelt und hatte einen guten -Kopf; er las viel mehr als die Schulbücher, denn -sein Vater, der Professor der Botanik an der Akademie -der Wissenschaften war, besass eine gute -Bibliothek. Doch die Mutter hatte keine Erziehung -genossen, sondern war in ihrer Ehe die erste Haushälterin -des Mannes gewesen und die Pflegerin der -vielen Kinder. Als sie jetzt mit neununddreissig -Jahren bettlägerig wurde, nachdem sie ihre Kräfte -durch die vielen Geburten und die vielen Nachtwachen -(sie hatte seit sechzehn Jahren keine Nacht -mehr durchgeschlafen) erschöpft hatte, und sich mit -dem Haushalt nicht mehr befassen konnte, machte -sie die Bekanntschaft ihres zweiten Sohnes; der -älteste war Kadett und nur Sonntags zu Hause. -</p> - -<p> -Da sie aufgehört hatte, Hausmutter zu sein und nur -noch Patientin war, verschwand dieses altmodische -Verhältnis der Disziplin, das sich immer zwischen -Eltern und Kinder stellt. Der dreizehnjährige Sohn -sass fast immer an ihrem Bett, wenn er nicht in -<a id="page-2" class="pagenum" title="2"></a> -der Schule war und nicht an Schulaufgaben arbeitete, -und las ihr dann vor. Viel hatte sie zu fragen und -viel hatte er zu erklären; dadurch fielen zwischen -ihnen diese Gradzeichen, die Alter und Stellung errichten; -sollte einer durchaus der Überlegene sein, -so war es der Sohn. Aber die Mutter hatte aus -ihrem vergangenen Leben viel zu lehren, und so -waren sie abwechselnd Lehrer und Schüler. Sie -konnten schliesslich über alles sprechen. Und der -Sohn, der sich im Anfang der Mannbarkeit befand, -erhielt über das Mysterium der Fortpflanzung manche -Aufklärung, und zwar mit der Feinfühligkeit der -Mutter und der Schamhaftigkeit des andern Geschlechts. -Er war noch unschuldig, hatte aber in -der Schule viel gehört und gesehen, das ihn anwiderte -und empörte. Die Mutter erklärte ihm alles, -was erklärt werden konnte; warnte ihn vor dem gefährlichsten -Feind der Jugend und nahm ihm ein -heiliges Versprechen ab, dass er sich niemals werde -verleiten lassen, schlechte Frauen zu besuchen, nicht -ein Mal aus Neugier, denn niemand könne sich in -solchen Fällen auf sich verlassen. Und sie verwies -ihn auf eine mässige Lebensweise und auf den Verkehr -mit Gott im Gebet, wenn die Versuchung an -ihn herantrete. -</p> - -<p> -Der Vater ging ganz auf im selbstsüchtigen Genuss -seiner Wissenschaft, die für seine Frau ein verschlossenes -Buch war. Er hatte, gerade als die -Mutter im Sterben lag, eine Entdeckung gemacht, -die seinen Namen in der gelehrten Welt unsterblich -machen sollte. Er hatte nämlich auf einem Abladeplatz -vor den Toren Stockholms eine neue Art Gänsefuss -gefunden, die geneigte Haare auf dem sonst -geradhaarigen Blütenkelch hatte. Er pflog gerade -Verhandlungen mit der Berliner Akademie der Wissenschaften, -<a id="page-3" class="pagenum" title="3"></a> -um die Spielart in die „Flora Germanica“ -aufnehmen zu lassen; jeden Tag erwartete er den -Bescheid, ob die Akademie ihn unsterblich machte, -indem sie der Pflanze den Namen Chenopodium -Wennerstroemianum gab. Am Sterbebette seiner -Frau war er geistesabwesend, beinahe unfreundlich, -denn er hatte gerade die bejahende Antwort der -Akademie erhalten, und es grämte ihn, dass er sich, -und noch weniger seine Frau, nicht mit der grossen -Neuigkeit erfreuen konnte. Denn sie dachte nur -an den Himmel und an ihre Kinder. Ihr jetzt mit -einem krummhaarigen Blütenkelch zu kommen, erschien -ihm selber lächerlich; aber, verteidigte er -sich, es handelte sich nicht um einen krummhaarigen -oder geradhaarigen Blütenkelch, sondern um eine -wissenschaftliche Entdeckung; und, was mehr war, -um seine Zukunft, um die Zukunft seiner Kinder, -da ja die Ehre des Vater für sie Brot war. -</p> - -<p> -Als seine Frau am Abend starb, weinte er sehr; -seit vielen, vielen Jahren hatte er nicht geweint. Er -fühlte die ganze furchtbare Gewissensqual über begangenes, -wenn auch noch so kleines Unrecht, denn -er war ein exemplarischer Ehemann; er empfand -Reue und Scham über seine Unfreundlichkeit, seine -Geistesabwesenheit des gestrigen Tages; und in einem -Augenblick der Leere gingen ihm die Augen auf, wie -kleinlich selbstsüchtig seine Wissenschaft sei, die, wie -er sich eingebildet, für die Menschheit arbeite. Aber -diese Regungen dauerten nicht lange: wenn man -eine Tür öffnet, die eine Feder hat, so schlägt sie -gleich wieder zu. Am nächsten Morgen, nachdem -er die Todesanzeige aufgesetzt, schrieb er eine Dankadresse -an die Berliner Akademie der Wissenschaften. -Darauf ging er wieder an seine Arbeit. -</p> - -<p> -Als er zum Mittagessen nach Haus kam, wollte -<a id="page-4" class="pagenum" title="4"></a> -er zu seiner Frau hinein gehen, um ihr seine Freude -zu erzählen, denn sie war ihm stets die treueste -Freundin im Leid gewesen, der einzige Mensch, der -auf seine Erfolge nicht neidisch war. Jetzt fühlte -er, wie sehr er diese Freundin vermisste, hatte er -doch immer auf Zustimmung bei ihr rechnen können; -hatte sie ihm doch nie widersprochen, denn sie -wusste nicht, was sie dagegen sagen solle, da er ihr -nur die praktischen Ergebnisse seiner Forschungen -mitteilte. Einen Augenblick dachte er daran, mit -dem Sohn Bekanntschaft zu schliessen, aber sie -kannten einander zu wenig, und der Vater befand -sich seinem Sohn gegenüber in der Stellung, die -ein Offizier seinem Soldaten gegenüber einnimmt. -Sein Rang verbot ihm eine Annäherung, und der -Sohn war ihm übrigens auch etwas verdächtig, weil -er einen schärferen Kopf als der Vater besass, weil -er eine ganze Menge neuer Bücher gelesen hatte, -die der Vater nicht kannte; ja, es konnte zuweilen -der Fall eintreten, dass der Vater, der Professor, -seinem Sohn, dem Gymnasiasten, gegenüber wie ein -Unwissender dastand. Bei solchen Gelegenheiten -musste der Vater entweder seine Verachtung über -die neuen Dummheiten äussern, oder auch ein Machtwort -sprechen, indem er den Schüler auf seine Schulaufgaben -verwies. Da konnte es geschehen, dass der -Sohn damit antwortete, dass er ein Lehrbuch vorzeigte; -dann geriet der Professor ausser sich und -wünschte die neuen Lehrbücher zur Hölle. -</p> - -<p> -So kam es, dass sich der Vater in seine Herbarien -vertiefte, und der Sohn seine eigenen Wege ging. -</p> - -<p> -Sie wohnten in der Nordzollstrasse links von der -Sternwarte. Ein kleines einstöckiges Backsteinhaus, -umgeben von einem ausgedehnten Garten; der hatte -früher ein Mal der Gärtnergesellschaft gehört und war -<a id="page-5" class="pagenum" title="5"></a> -durch Erbschaft dem Professor zugefallen. Da er aber -die beschreibende Botanik studierte, ohne sich um die -weit interessantere Pflanzenphysiologie und Pflanzenmorphologie -zu kümmern, die in seiner Jugend noch -in den Windeln lagen, war ihm die lebendige Natur -beinahe fremd. Er liess daher den Garten mit seinen -vielen Herrlichkeiten zuwachsen und verfallen; verpachtete -ihn schliesslich an einen Gärtner unter der -Bedingung, dass er und seine Kinder gewisse Freiheiten -behielten. Der Sohn benutzte den Garten als -Park, freute sich an dessen Natur, so wie sie war, -ohne sich die Mühe zu machen, sie wissenschaftlich -aufzufassen. -</p> - -<p> -Sein Charakter war wie ein schlecht gearbeitetes -Kompensationspendel: zu viel von dem weichen Metall -der Mutter, zu wenig von dem harten des Vaters. -Daher Reibungen und ungleichmässiger Gang. Bald -äusserst gefühlvoll, bald hart und skeptisch. Der -Mutter Tod packte ihn sehr. Er betrauerte sie so, -dass er sie in seiner Erinnerung als Inbegriff alles -Guten, Schönen und Grossen vergötterte. -</p> - -<p> -Den Sommer, der auf den Tod folgte, brachte er -mit Grübeleien und Romanlesen zu. Aber die Trauer, -und nicht zuletzt die Beschäftigungslosigkeit, hatten -sein ganzes Nervenleben erschüttert und seine Phantasie -in Tätigkeit gesetzt. Die Tränen waren ein -warmer Aprilregen gewesen, der die Obstbäume so -früh weckt, dass sie sich zum Blühen verlocken lassen, -um dann zu erfrieren: ehe die Befruchtung vollendet -ist, kommt der Maifrost. -</p> - -<p> -Er war fünfzehn Jahre alt, also an dem Zeitpunkt -angelangt, an dem der Kulturmensch mannbar wird -und reif ist, einem neuen Geschlecht Leben zu geben, -davon aber abgehalten wird, weil ihm die Nahrung -für die Jungen fehlt. Er war also im Begriff, in das -<a id="page-6" class="pagenum" title="6"></a> -mindestens zehnjährige Martyrium einzutreten, das -der junge Mann im Kampf gegen die übermächtige -Natur durchzumachen hat, ehe er daran denken kann, -das Gesetz der Natur zu erfüllen. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Es ist um die Pfingstzeit an einem warmen Nachmittag. -Die Apfelbäume prangen in ihren weissen -Blüten, welche die Natur mit verschwenderischer Freigebigkeit -über sie ausgestreut hat. Der Wind schüttelt -die Kronen und der Blütenstaub wirbelt in der Luft -umher; ein Teil kommt zu seiner Bestimmung und -erweckt Leben, ein Teil fällt auf die Erde und vergeht. -Was kümmert sich die unendlich reiche Natur -um eine Handvoll Blütenstaub mehr oder weniger! -Und wenn die Blüte befruchtet ist, lässt sie ihre zarten -Blätter fallen, die bald auf dem Gange verwelken und -beim nächsten Regen verfaulen, sich auflösen, Erde -werden, um einmal wieder durch den Saft aufzusteigen -und wieder Blüte zu werden und dieses Mal -vielleicht Frucht. Jetzt aber beginnt der Kampf: die -so glücklich gewesen sind, an die Sonnenseite zu -kommen, die gedeihen; der Fruchtknoten schwillt, -und wenn kein Frost eintritt, wird er bald fruchtbar. -Die aber nach Norden geraten sind, die armen Dinger, -die im Schatten der andern sitzen und nie die Sonne -sehen, die welken und fallen ab; der Gärtner harkt -sie zusammen und fährt sie in der Schiebkarre nach -dem Schweinestall. -</p> - -<p> -Jetzt steht der Apfelbaum da, die Zweige mit halbreifen -Früchten beladen, kleinen runden goldgelben -Äpfeln mit rosenroten Backen. Ein neuer Kampf -bricht aus: bleiben alle leben, so brechen die Zweige -von der Schwere und der Baum stirbt. Darum kommt -der Sturm. Da muss man starke Stiele haben, um -<a id="page-7" class="pagenum" title="7"></a> -sich fest halten zu können; wehe den Schwachen, -denn sie sind zum Untergang verdammt. -</p> - -<p> -Dann kommt der Apfelblütenstecher! Der hat auch -Leben erhalten und hat eine Pflicht gegen sein künftiges -Geschlecht! Und die Larven durchfressen den -Apfel bis zum Stiel, und dann fällt er auf den Weg -hinunter. Aber die Larve hat Geschmack und wählt -die stärksten und gesundesten, denn sonst würde es -zu viele Starke im Leben geben, und dann würde -der Kampf gar zu lebhaft werden. -</p> - -<p> -Aber in der Abendstunde, wenn die Dunkelheit -kommt, beginnen die dunkeln Begierden der Tiere -zu erwachen. Die Nachtschwalbe legt sich auf das -frisch gegrabene warme Gartenbeet und lockt ihren -Gatten. Welchen? Das mögen die Männchen entscheiden! -</p> - -<p> -Die Hauskatze schleicht satt und warm aus ihrer -Ecke am Herd, nachdem sie ihre frischgeseihte Abendmilch -getrunken, und tritt vorsichtig zwischen Narzissen -und gelbe Lilien, bange, vom Tau feucht und zottig -zu werden, ehe der Liebhaber kommt. Sie riecht -an dem eben aufgesprungenen Lavendel, und dann lockt -sie. Vom Zaun des Nachbarn kommt der schwarze -Kater, breit im Rücken wie ein Marder, und antwortet -auf den Lockruf; da aber kommt der dreifarbige -Kater des Gärtners vom Kuhstall, und nun -entbrennt der Kampf. Die schwarze, weiche Humuserde -wird aufgewirbelt, und eben gesähte Radieschen -und Spinatpflanzen werden aus ihrem stillen Schlaf -und ihren Zukunftträumen gerissen. Der Stärkste -siegt, und das Weibchen wartet neutral ab, bis sie die -phrenetischen Umarmungen des Siegers empfängt. -Der Besiegte flieht, um einen neuen Kampf zu suchen, -in dem er der Stärkere bleibt. -</p> - -<p> -Und die Natur lächelt, zufrieden, denn sie kennt -<a id="page-8" class="pagenum" title="8"></a> -keine andre Treulosigkeit als die gegen ihr Gebot, -und sie gibt dem Stärkeren sein Recht, denn sie will -starke Kinder haben, wenn sie auch das „unendliche“ -Ich des kleinen Individuums dabei tötet. Und keine -Prüderie, keine Bedenken, keine Furcht vor den Folgen, -denn die Natur gibt allen zu essen – nur dem -Menschen nicht. -</p> - -<p> -Er ging in den Garten, als das Abendessen zu Ende -war, während sich der Vater ans Fenster der Schlafstube -setzte, um eine Pfeife zu rauchen und die Abendzeitungen -zu lesen. Er ging durch die Wege und fühlte -alle diese Düfte, welche die Pflanze nur verbreitet, -wenn sie in Blüte steht; das feinste und stärkste Destillat -ätherischer Öle, die in sich die ganze Kraft des -Individuums verdichten sollen, um sich zum Vertreter -der Art zu erheben. Er hörte, wie die Mücken über -den Linden ihr Hochzeitslied sangen, das unserm Ohr -wie eine Trauerklage lautet; er hörte die spinnenden -Locktöne der Nachtschwalbe; das brünstige Schreien -der Katzen, das klingt als zeuge der Tod und nicht -das Leben; das Summen des Mistkäfers, das Flattern -des Nachtschmetterlings, das Pipsen der Fledermäuse. -</p> - -<p> -Er blieb vor einem Narzissenbeet stehen, brach eine -Blüte ab und roch daran, bis ihm die Schläfen klopften. -Noch nie hatte er sich diese Blüte genauer angesehen. -Aber im letzten Schuljahr hatte er in Ovid gelesen, -wie der schöne Jüngling in eine Narzisse verwandelt -wurde. Einen weiteren Sinn hatte er in dieser Mythe -nicht gefunden. Ein Jüngling, der aus unbeantworteter -Liebe diese Brunst gegen sich selbst wenden muss -und schliesslich von der Flamme verzehrt wird, als -er sich in sein eigenes Bild verliebt, das er in der -Quelle sieht! Wie er jetzt diese weissen Kelchblätter -betrachtet, diese Becherblätter, wachsgelb wie die -Wangen eines Kranken, mit diesen feinen roten Streifen, -<a id="page-9" class="pagenum" title="9"></a> -wie man sie bei einem Lungenkranken sieht, bei -dem das Blut unter dem Druck eines wiederholten -Hustens in die äussersten feinsten Gefässe der Haut -getrieben wird, denkt er an einen Schulkameraden, -einen jungen Edelmann, der im Sommer Seekadett -war: der hatte dieses Aussehen. -</p> - -<p> -Als er lange an der Blume gerochen hatte, verschwand -der starke Nelkengeruch und hinterliess einen -ekligen, seifenartigen Gestank, der ihm Übelkeit verursachte. -</p> - -<p> -Er wanderte weiter, bis der Weg nach rechts unter -eine gewölbte Allee einbog, die aus Ulmen ausgehauen -war. In dem Halbdunkel sah er ganz hinten -in der Perspektive die grosse grüne Strickschaukel -sich auf und ab bewegen. Auf dem hinteren Brett -stand ein Mädchen und setzte die Schaukel in Gang, -indem sie die Knie beugte und den Körper nach vorne -warf, während sie sich mit hochgehobenen Armen -an den Seitenstangen hielt. Das war die Tochter des -Gärtners, die Ostern konfirmiert worden war und -eben lange Kleider bekommen hatte. Heute abend -aber hatte ihre Mutter sie ein halblanges anziehen -lassen, das sie zu Hause auftragen sollte. -</p> - -<p> -Als sie den jungen Herrn erblickte, wurde sie zuerst -verlegen, dass ihre Strümpfe zu sehen waren, aber sie -blieb doch stehen. Herr Theodor trat vor und sah -sie an. -</p> - -<p> -– Stellen Sie sich nicht dorthin, Herr Theodor, sagte -das Mädchen, indem es die Schaukel in vollen Schwung -brachte. -</p> - -<p> -– Warum denn nicht, antwortete der Jüngling, der -den Zug von ihren flatternden Röcken um seine heissen -Schläfen wehen fühlte. -</p> - -<p> -– Pfui nein, sagte das Mädchen. -</p> - -<p> -– Lass mich einsteigen, so werde ich dich schaukeln, -<a id="page-10" class="pagenum" title="10"></a> -Auguste, sagte Herr Theodor und warf sich schnell in -die Schaukel. -</p> - -<p> -So stand er in der Schaukel ihr gegenüber. Und -wenn die Schaukel in die Höhe ging, schlug ihr Kleid -um seine Beine; und wenn die Schaukel in die Tiefe -ging, stand er über sie gebeugt und sah ihr gerade in -die Augen, die von Bangigkeit und Behagen leuchteten. -Ihre dünne baumwollene Jacke schloss sich dicht um -die jungen Brüste, die sich unter dem gestreiften Kattun -scharf abzeichneten; ihr Mund stand halb offen und -die weissen gesunden Zähne lächelten ihm zu, als -wollten sie ihn beissen oder ihn küssen. -</p> - -<p> -Immer höher ging die Schaukel, bis sie gegen die -höchsten Zweige des Ahorns schlug. Da stiess das -Mädchen einen Schrei aus und fiel in seine Arme; er -musste sich auf die Bank setzen. Als er den weichen -warmen Körper zucken und sich zugleich gegen seinen -drücken fühlte, ging es wie ein elektrischer Schlag -durch sein ganzes Nervensystem; ihm wurde schwarz -vor den Augen, und er hätte sie losgelassen, wenn er -nicht ihre linke Brust an seinem rechten Oberarm gefühlt -hätte. -</p> - -<p> -Die Schaukel ging langsamer. Sie sprang auf und -setzte sich auf die andere Bank, ihm gegenüber. Und -sie sassen da und sahen auf die Erde nieder und wagten -einander nicht ins Gesicht zu sehen. -</p> - -<p> -Als die Schaukel anhielt, stieg das Mädchen aus und -stellte sich, als antworte sie jemand, der sie gerufen. -Herr Theodor blieb allein. Das Blut lief durch seine -Adern. Er fühlte seine Lebenskraft verdoppelt. Aber -er wusste nicht klar, was geschehen war. Er stellte -sich dunkel vor, er sei ein Elektrophor, dessen positive -Elektrizität sich bei einer Entladung mit der negativen -vereinigt habe. Und zwar während einer geringen, -äusserlich keuschen Berührung mit einem jungen Weib. -<a id="page-11" class="pagenum" title="11"></a> -Ähnliches hatte er nicht empfunden, wenn er zum -Beispiel beim Ringen auf dem Turnplatz Kameraden -fest umschlungen gehalten. Er hatte also die entgegengesetzte -Polarität des Weiblichen gespürt, und er fühlte -nun, was es heisst, Mann zu sein. Und er war Mann. -Nicht ein Frühreifer, der durch Vergewaltigung der -Natur vor der Zeit ausschlug, denn er war ein starker, -abgehärteter, gesunder Jüngling. -</p> - -<p> -Als er jetzt durch die Wege wanderte, stiegen neue -Gedanken in ihm auf. Das Leben schien ihm ernster -zu werden, das Gefühl der Pflicht trat an ihn heran. -Aber er war erst fünfzehn Jahre alt. Er war noch nicht -konfirmiert, konnte erst nach vielen Jahren in die -Gesellschaft eintreten, also nicht daran denken, sich -selber zu ernähren, geschweige denn Weib und Kind. -Sein ernster Sinn liess ihn nämlich nicht an ein lockeres -Leben denken, sondern das Weib war ihm etwas fürs -Leben, sein anderer Pol, seine Ergänzung. Jetzt war -er geistig und körperlich reif, um in die Welt hinauszutreten -und sich Brot zu schaffen. Was hinderte -ihn daran? Seine Erziehung, die ihn nichts Nützliches -gelehrt; seine soziale Stellung, die ihm verbot, ein -Handwerk zu betreiben. Die Kirche, die seinen Eid -nicht darauf bekommen, der Priesterschaft treu zu -sein; der Staat, der seinen Eid nicht darauf erhalten, -Bernadotte und Nassau treu zu sein; die Schule, die -ihn noch nicht soweit dressiert hatte, dass er für die -Universität reif war; der geheime Ordensbund, den -die Oberklasse gegen die Unterklasse geschlossen. -Ein ganzer Berg von Albernheiten lag auf ihm und -seiner Jugend. Jetzt da er fühlte, dass er ein Mann -war, schien ihm die ganze Erziehung eine Anstalt -zu sein, in der er erst kastriert werden sollte, ehe -man ihn in den Harem zu lassen wagte, wo eine -Mannbarkeit gefährlich sein konnte; einen anderen -<a id="page-12" class="pagenum" title="12"></a> -Sinn konnte er in all dem nicht entdecken. So versank -er wieder in seinen jetzigen Zustand der Unmündigkeit. -Er glaubte eine Pflanze Bleichsellerie zu sein, -die man zusammenbindet und unter einen Blumentopf -legt, damit sie so weiss und mürbe wie möglich wird, -damit sie im Sonnenlicht keine grünen Blätter treibt, -nicht in Blüten ausschlägt, noch, am wenigsten von -allem, Samen ansetzt. -</p> - -<p> -Während er diesen Gedanken nachhing, wanderte -er auf den Gartenwegen hin und her, bis die Uhr der -nächsten Kirche zehn schlug. Da wollte er ins Haus -gehen, um sich schlafen zu legen. Aber die Haustür -war schon geschlossen. Er musste ans Fenster der -Mädchenstube klopfen. Das Hausmädchen kam im -Unterrock, um zu öffnen, und er konnte über dem -Hemd, das herabgeglitten war, ihre blossen Schultern -sehen. Alle Schwärmerei verschwand in einem Nu, er -wollte sie festhalten, ihre Brüste drücken, sich paaren -mit einem Wort, denn jetzt war das Weib nur Weibchen -für ihn. Aber das Mädchen war schon wieder hineingehuscht -und schlug die Tür hinter sich zu. Da -schämte er sich und ging in seine Kammer hinauf. -</p> - -<p> -Als er glücklich oben war, öffnete er die Fenster, -tauchte den Kopf ins Waschbecken und steckte seine -Lampe an. -</p> - -<p> -Als er im Bett lag, griff er zu Arndts „Geistlichen -Morgenstimmen“, die er von seiner Mutter geerbt hatte -und von denen er abends immer ein Stück las, mehr -der Sicherheit wegen, denn morgens war die Zeit knapp. -Das Buch erinnerte ihn an das Versprechen der Keuschheit, -das er der Mutter gegeben, und er hatte ein böses -Gewissen. Eine Fliege, die ans Lampenglas kam und -mit verbrannten Flügeln um den Nachttisch summte, -brachte seine Gedanken auf etwas anderes, Unbestimmtes; -er legte Arndt fort und steckte sich eine -<a id="page-13" class="pagenum" title="13"></a> -Zigarre an. Er hörte, wie sich unter ihm im Erdgeschoss -der Vater die Stiefel auszog; wie er am Kranz -des Kachelofens die Pfeife ausklopfte; ein Glas Wasser -aus der Karaffe eingoss und sich bereit machte, ins -Bett zu gehen. Er dachte, wie einsam dieser Mann -jetzt sein müsse, da seine Frau fort sei. Früher hatte -er durch die Zwischendecke hören können, wie sie mit -halber Stimme vertraulich plauderten, von Dingen, über -die sie immer einig waren; jetzt aber war keine Stimme -mehr zu hören, nur die toten Laute, wie ein Mensch -seine Person bedient und besorgt; Laute, die wie die -Figuren in einem Rebus zusammengestellt werden -müssen, um etwas Lebendiges aus ihnen zu machen. -</p> - -<p> -Schliesslich legte er die Zigarre fort, löschte die -Lampe und betete leise das Vaterunser, kam aber nicht -weiter als bis zur fünften Bitte: da schlief er ein. -</p> - -<p> -Mitten in der Nacht erwachte er aus einem Traum. -Er hatte das Mädchen des Gärtners in seinen Armen -gehabt. Wo und wann, daran erinnerte er sich nicht, -denn er war ganz betäubt, und er schlief sofort wieder -ein. -</p> - -<p> -Am nächsten Morgen war er schwermütig und hatte -Kopfschmerzen. Dachte wieder an die Zukunft, die -schwer auf ihm lag und sein ganzes Dasein bedrückte. -Mit Bangen sah er, wie der Sommer verging, denn -das Ende der Ferien brachte ihn wieder in den Erniedrigungszustand, -den die Schule ihm bot: jeder -seiner Gedanken sollte da von fremden Gedanken -getötet werden; die Selbständigkeit half nichts, da nur -eine bestimmte Anzahl Jahre ihn ans Ziel führen -konnten. Es war wie eine Reise auf einem Güterzug; -die Lokomotive musste so und so lange auf -der Station stehen, und wenn der Dampfdruck aus -Mangel an Kraftverbrauch zu stark wurde, musste -man das Sicherheitsventil öffnen. Das Betriebsamt -<a id="page-14" class="pagenum" title="14"></a> -hatte den Fahrplan aufgestellt, und man durfte nicht -zu früh nach den Stationen kommen. Das war die -Hauptsache! -</p> - -<p> -Der Vater sah, dass der Sohn blass und mager -wurde, glaubte aber, er trauere um die Mutter. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Der Herbst kam. Zuerst mit der Schule. Theodor -hatte während des Sommers, als er durch die Romane -mit erwachsenen Menschen verkehrte und ihr Leben -und ihre Kämpfe kennen lernte, sich daran gewöhnt, -sich als Erwachsenen zu betrachten. Jetzt kamen -die Lehrer und duzten ihn. Kameraden, Jungen, -welche die körperliche Freiheit noch nicht achteten, -erlaubten sich Handgreiflichkeiten, die ihn zu ähnlichen -nötigten. Und diese Bildungsanstalt, die ihn -für die Gesellschaft veredeln sollte, was lehrte sie und -wie veredelte sie? Die Lehrbücher waren ja samt -und sonders unter der Kontrolle der Oberklasse geschrieben -und liefen alle darauf hinaus, die Unterklasse -dazu zu bringen, die Oberklasse zu verehren. -Die Lehrer sprachen oft mit Erregung zu den Schülern, -wie undankbar sie seien; sie wüssten nicht, -welche Vorteile ihre Eltern ihnen gewährten, indem -sie ihnen diese Bildung schenkten, die so viele Arme -entbehren müssten. Nein, wahrhaftig, die Jungen -waren noch nicht verdorben genug, um diese grenzenlose -Betrügerei und deren Vorteile zu durchschauen. -</p> - -<p> -Gab der Unterricht den Schülern irgend ein Mal -eine reine Freude durch den Lehrstoff selber? Nein! -Darum mussten die Lehrer unaufhörlich an die niedrigen -Leidenschaften der Schüler appellieren: an die -Ambition (das war ein besserer Name für den kleinlichen -Ehrgeiz, höher geschätzt zu werden als die -andern), an das Interesse, an die Vorteile. -</p> - -<p> -<a id="page-15" class="pagenum" title="15"></a> -Welch elende Maskerade diese Schule! Nicht ein -einziger von den Jünglingen glaubte an den Segen, -der darin lag, verhasste Könige aufzuzählen, unbrauchbare -Sprachen zu lernen, Axiome zu beweisen, Selbstverständlichkeit -zu definieren, die Staubbeutel der -Pflanzen und die Gelenke an den Hinterbeinen der -Insekten zu zählen, um schliesslich nicht mehr zu -wissen, als dass sie so und so auf lateinisch heissen. -Wieviel lange Stunden wurden nicht darauf verwandt, -um vergeblich einen Winkel in drei gleiche Teile zu -teilen, während es „unwissenschaftlich“ (das heisst -praktisch) in einer Minute mit einem Gradmesser gemacht -wird. -</p> - -<p> -Wie verachtet wurde alles, was nützlich war! Die -Schwestern, die Ollendorffs französische Grammatik -lernten, konnten nach zwei Jahren französisch sprechen; -die Gymnasiasten konnten nach sechs Jahren noch -nicht ein Wort sagen. Und mit welchem Mitleid -sprachen sie den Namen Ollendorff aus! Das war -der Inbegriff alles Dummen, das man verbrochen hatte, -seit die Welt erschaffen worden. -</p> - -<p> -Wenn aber die Schwestern eine Erklärung verlangten -und fragten, ob die Sprache nicht dazu da -sei, die Gedanken des Menschen auszudrücken, so -antwortete der junge Sophist mit einer Phrase, die -er von einem Lehrer borgte, der sie wieder als -Talleyrands Worte zitiert gesehen: Nein, die Sprache -ist dazu da, die Gedanken des Menschen zu verbergen. -Das konnte ein junges Mädchen natürlich nicht begreifen, -denn die Männer verstehen ihre Infamien zu -verbergen, sondern glaubte, der Bruder sei furchtbar -gelehrt, und disputierte nicht weiter. -</p> - -<p> -Und dann die verfälschende Ästhetik, die ihren Schleier -aus geborgtem Glanz und falscher Schönheit über -alles warf. Man lernte von der „Ritterwache des -<a id="page-16" class="pagenum" title="16"></a> -Lichtes“ singen! Welche Ritterwache? Mit Adelsbriefen, -Studentenzeugnissen; falschen Attesten, wie -sie selber einsehen konnten. Des Lichtes? Das heisst -der Oberklasse, die ihr grösstes Interesse daran hatte, -die Unterklasse durch Schule und Religion in der -Dunkelheit zu halten. „Und vorwärts, vorwärts auf -der Bahn des Lichts!“ -</p> - -<p> -Immer wurde das Ding bei verkehrtem Namen -genannt! Kam dann einer aus der Unterklasse mit -Licht, so war alles vorbereitet, um es zu Dunkelheit -machen zu können. Du junge, „gesunde“ Kämpferschar! -Wie gesund sie waren, alle diese Jünglinge, -die von Beschäftigungslosigkeit, unbefriedigten Trieben, -Ehrgeiz entnervt waren, die jeden verachteten, der -nicht die Mittel hatte, Student zu werden! O die Poeten -der Oberklasse, wie haben sie so schön gelogen! -Waren sie Betrüger oder Betrogene? -</p> - -<p> -Wovon sprachen alle diese Jünglinge gewöhnlich? -Von ihren Studien? Niemals! Höchstens von einem -Zeugnis! Sie sprachen von Liederlichkeit. Vom -Morgen bis zum Abend! Von Verabredungen mit -Mädchen; von Billardspiel und Punsch; von Geschlechtskrankheiten, -über die sie ältere Brüder hatten sprechen -hören. Sie gingen mittags los und „nahmen die -Parade ab“, und wer am weitesten gekommen war, -konnte den Namen des Leutnants nennen und erzählen, -wo dessen Mädchen wohnte. -</p> - -<p> -Einmal waren zwei von der „Ritterwache des Lichtes“ -ganz naiv mit zwei prostituierten Mädchen an einem -Sommertag in das vornehme Restaurant „Haselhöhe“ -im Tiergarten gegangen, um dort in der offenen -Veranda zu Mittag zu essen. Wegen dieser Naivität -wurden sie von der Anstalt gejagt. Wegen ihrer -Naivität, nicht wegen ihrer Lasterhaftigkeit, denn ein -Jahr später bestanden sie ihr Examen für die Universität, -<a id="page-17" class="pagenum" title="17"></a> -gewannen also ein ganzes Jahr; und als sie -ihre Studien in Uppsala beendet hatten, wurden sie -in eine Hauptstadt von Europa geschickt, um dort -in der Gesandtschaft die vereinigten Königreiche -Schweden und Norwegen zu vertreten. -</p> - -<p> -In einer solchen Umgebung verbrachte Herr Theodor -seine beste Jugend. Er hatte den Betrug durchschaut, -konnte aber nicht mit ihm brechen! Wie soll ich -das machen? fragte er sich oft, erhielt aber keine -Antwort. Er wurde natürlich mitschuldig und lernte -schweigen. -</p> - -<p> -Die Konfirmation wurde für ihn ein Spektakel, wie -die Schule es gewesen. Ein junger Hilfsprediger, der -Pietist war, sollte ihn in vier Monaten Luthers Kathechismus -lehren, ihn, der Theologie, Exegetik, Dogmatik -gehabt und das Neue Testament auf Griechisch -gelesen hatte! Aber der strenge Pietismus, der Wahrheit -in Handel und Wandel forderte, musste auf ihn -Eindruck machen. -</p> - -<p> -Es war ein Novembermorgen, als sie in den Kirchensaal -gerufen wurden, um eingeschrieben zu werden. -Herr Theodor befand sich ganz unerwartet in einem -ganz andern Kreis, als er täglich in der Schule um -sich hatte. Wie er in das Versammlungszimmer eintrat, -begegnete er den Blicken von wohl hundert Augen, -die ihn alle wie einen Feind ansahen. Da waren -Tabaksbinder, Schornsteinfegerjungen, Lehrlinge von -allen Handwerken. Sie schienen auch Feinde unter -einander zu sein, denn sie warfen sich gegenseitig -Schimpfnamen zu; aber diese Feindschaft zwischen den -Handwerken war mehr gelegentlich; und wie sie sich -auch zankten, sie hingen doch zusammen. Eine seltsame -erstickende Luft schlug ihm entgegen, und in -dem Hass, mit dem er sich begrüsst fühlte, lag -auch eine Verachtung, die Kehrseite eines gewissen -<a id="page-18" class="pagenum" title="18"></a> -Respektes oder Neides. Er sah sich vergebens nach -einem Kameraden um, einem Gleichgesinnten, einem -Gleichgekleideten. Es war keiner da. Die Gemeinde -war arm, und die Reichen sandten ihre Kinder in die -Deutsche Kirche, die damals in Mode war. Es waren -Kinder des Volkes; es war die Unterklasse, mit der -er jetzt vor den Altar des Herrn als Gleich und Gleich -treten sollte. Er fragte sich, welcher Abgrund ihn -eigentlich von diesen Kindern trenne? Waren sie -körperlich nicht ebenso begabt wie er? Ja, besser -vielleicht, denn alle verdienten bereits ihr Brot, und -einige konnten sogar ihren alten Eltern helfen. Waren -sie schlechter ausgerüstet in der Intelligenz? Das -konnte er nicht behaupten, denn er hörte, wie sie -bei ihren Stichelreden mit den schärfsten Beobachtungen -um sich warfen; sie konnten radikale Witze -aussprechen, die er gern mit einem Lachen belohnt -hätte, wäre er dazu nicht zu hochmütig gewesen. -Wenn er an all die Dummköpfe dachte, die er zu -Kameraden in der Schule hatte, konnte er keinen bestimmten -Strich zwischen sich und ihnen ziehen. Der -war aber vorhanden! Waren es die schäbigen Kleider, -die hässlichen Gesichter, die groben Hände? Ja, -zum Teil war es wohl das! Besonders fühlte er sich -von ihrer Hässlichkeit abgestossen! Aber waren sie -deshalb schlechter, weil sie hässlich waren? -</p> - -<p> -Er hatte ein Florett bei sich, da er nachher in die -Fechtstunde wollte. Er stellte es in eine Ecke, damit -es sich keine unangenehme Aufmerksamkeit zuzog. -Aber es war schon bemerkt werden. Niemand wusste -eigentlich, was es für ein Ding sei, aber sie verstanden, -dass es eine Waffe vorstellte. Einige der Kühnsten -machten sich in der Ecke zu schaffen, um es zu untersuchen. -Sie befingerten die Umwindung des Heftes, -kratzten mit den Nägeln auf dem Stichblatt, bogen die -<a id="page-19" class="pagenum" title="19"></a> -Klinge, befühlten den kleinen Ball aus Handschuhleder. -Es war, als schnüffelten Hasen an einer Flinte, die sie -im Walde gefunden. Sie verstanden nicht, wozu es anzuwenden -sei, aber sie fühlten, es war etwas Feindliches, -das einen verborgenen Zweck hatte. Schliesslich -trat ein Gürtlerlehrling, dessen Bruder zur Leibgarde -gehörte, an die Neugierigen heran und entschied die -Frage sofort: Könnt ihr nicht sehen, dass es ein Säbel -ist, ihr Kaulbarsche! Und damit warf er einen respektvollen -Blick auf Herrn Theodor; doch lag in diesem -Blick auch ein geheimes Einverständnis, das bedeutete: -Wir verstehen das! Aber ein Seilerjunge, der einmal -bei der Artillerie gewesen war, um Trompeter zu werden, -hielt sich beim Fällen des Urteils für übergangen, -konnte den Mund nicht halten, sondern erklärte: man -könne ihn in den Rücken beissen, wenn das nicht ein -Degen sei! Die Folge war eine Schlägerei, die den -ganzen Kirchensaal in einen einzigen grossen Hundehof -verwandelte, der von Staub rauchte und mit Geheul -erfüllt war. -</p> - -<p> -Da wird die Tür geöffnet und der Hilfsprediger steht -da. Ein junger, blasser, magerer Mann, der Ausschlag -im Gesicht und wässerige blaue Augen hat. Er schrie -die Jungen zuerst an. Die wilden Tiere hörten auf, -sich zu schlagen. Darauf liess er sich aus über Jesu -teueres Blut und die Macht, die das Böse über die -Herzen hat. Schliesslich brachte er die hundert Jungen -dazu, sich auf Bänke und Stühle zu setzen. Bis dahin -war er aber ganz ausser Atem gekommen und das -Zimmer war voll von aufgewirbeltem Staub. Er warf -einen Blick nach dem Fensterventil und sagte mit matter -Stimme: Öffnet die Klappe! Damit weckte er aber -den Sturm wieder. Fünfundzwanzig Knaben stürzten -hin und stiessen beim Fenster auf einen Haufen zusammen, -um die Schnur zum Ventil zu fassen. -</p> - -<p> -<a id="page-20" class="pagenum" title="20"></a> -– Geht und setzt euch! schrie der Geistliche von -neuem und lief nach dem Stock. -</p> - -<p> -Für einen Augenblick herrschte Ruhe. Der Geistliche -dachte sich eine praktischere Art aus, um ohne Schlacht -die Klappe zu öffnen. -</p> - -<p> -– Du, sagte er und zeigt auf einen eingeschüchterten -armen Teufel, geh und öffne die Klappe. -</p> - -<p> -Der Kleine trat ans Fenster und suchte die zusammengezogene -Schnur zu lösen. In atemlosen -Schweigen warteten die versammelte Schar das Ergebnis -ab, als ein grosser Bursche im Seemannsanzug, -der eben mit der Brigg Carl Johan heimgekehrt -war, die Geduld verlor: -</p> - -<p> -– Nun sollt ihr mal sehen, hol mich der Teufel, -was ein Junge kann, sagte er; im Nu hatte er den -Rock abgeworfen, das Fensterbrett geentert, sein -Messer gezogen und die Schnur durchgeschnitten. -</p> - -<p> -– Kappen Bakstag! konnte er noch sagen, als der -Geistliche einen neuen Schrei ausstiess, wie ein hysterisches -Weib, und damit den Seemann buchstäblich -hinunterscheuchte. Der beteuerte: -</p> - -<p> -– Das Fall hatte sich so vertüdert, dass nichts -anderes zu machen war, als kappen. -</p> - -<p> -Der Pastor war ganz ausser sich. Er kam aus -einer stillen Provinz und hätte nicht geglaubt, dass -eine Jugend so tief verdorben sein könnte, so in -Unsittlichkeit und Sünde versunken, so weit vorgeschritten -auf dem Weg der Verdammnis. Und er -erzählte ihnen lang und breit von Jesu teuerm Blut. -</p> - -<p> -Keiner verstand, was er sagte, denn sie hatten keinen -Begriff davon, dass sie gesunken seien, da sie nie -oben gewesen. Die Jungen zeigten daher eine gleichgültige -Kälte. -</p> - -<p> -Der Geistliche sprach weiter von Jesu teuern -Wunden; aber niemand bezog es auf sich, denn niemand -<a id="page-21" class="pagenum" title="21"></a> -hatte einen Jesus verwundet. Da versuchte er -es mit dem Teufel; der war aber so in ihre tägliche -Sprache eingegangen, dass er auch keinen Eindruck -machte. Schliesslich kam er auf das Rechte! Er -sprach von der auf den Frühling festgesetzten Konfirmation. -Er erinnerte sie an die Eltern, die ihre -Kinder ins Leben hinausführen wollten; und als er -auf die Brotherren zu sprechen kam, die niemand -anstellten, der nicht konfirmiert sei, da wurde er unwiderstehlich, -und alle verstanden die tiefe Bedeutung -der Konfirmation. Jetzt war er aufrichtig, und da -begriffen ihn alle die jungen Gemüter; sogar die -Wildesten wurden zahm. -</p> - -<p> -Die Einschreibung begann! Wie viele Kirchenscheine -waren mangelhaft! Wie sollten sie zu Jesus kommen, -wenn ihre Eltern nicht getraut waren? Wie sollten -sie an den Gnadentisch des Sünders gelangen, wenn -der Vater schon bestraft war? Was für Sünder! -</p> - -<p> -Herr Theodor wurde tief erschüttert von all diesem -öffentlichen Schimpf, der ausgeteilt wurde. Er wollte -ein Auge zudrücken, konnte es aber nicht. Als er -schliesslich selber mit seinem Kirchenschein vortrat -und der Prediger las: Sohn Theodor, an dem und -dem Tage geboren; Eltern: Professor und Ritter ... -da fuhr ein schwacher Sonnenschein über das Gesicht -des Geistlichen, und er nickte ihm freundlich -zu, als er fragte: Wie geht es dem Herrn Papa? -Und dann zog ein Schleier von Wehmut über seine -weissgelben Züge, als er sah, dass die Mutter gestorben -war (was er schon wusste): Sie war ein Kind -Gottes, sagte er, wie zu sich selber, mit überfreundlicher, -beklagender, weinerlicher Stimme, mit einem -gewissen Vorwurf gegen den Herrn Papa, der nur -Professor und Ritter war. Dann konnte Herr Theodor -gehen. -</p> - -<p> -<a id="page-22" class="pagenum" title="22"></a> -Als er hinauskam, meinte er etwas erlebt zu haben, -das er nicht für möglich gehalten hätte. Waren diese -Jünglinge so tief gesunken, weil sie Flüche und grobe -Worte benutzten, wie alle seine Kameraden, sein Vater, -sein Oheim und die ganze Oberklasse sie zuweilen -benutzten! Von was für einer Sittenverderbnis war -hier die Rede? Sie waren wilder als andere verwöhnte -Kinder, weil sie stärker waren. Dass ihre Kirchenscheine -Mängel hatten, war nicht die Schuld der -Kinder. Sein Vater hatte nicht gestohlen, aber man -braucht auch nicht zu stehlen, wenn man sechstausend -Kronen Gehalt hat und tun und lassen kann, was -man will. Es wäre ja lächerlich oder abnorm gewesen, -wenn er gestohlen hätte. -</p> - -<p> -Und Herr Theodor ging wieder in die Schule und -da fühlte er, was es heisst, eine Erziehung erhalten -zu haben: hier wurde niemand wegen eines kleinen -Schnitzers schikaniert, hier wurden die eigenen -Schwächen wie die der Eltern ziemlich in Frieden -gelassen, hier war man unter seinesgleichen und hier -verstanden alle einander. -</p> - -<p> -Nach der Schule „nahm man die Parade ab“; -schlich in ein Café, um einen Likör zu trinken; -schliesslich ging man in den Fechtsaal. Und wenn -er hier vom Leutnant mit Herr angeredet wurde, -alle diese Jünglinge mit geschmeidigen Gliedern, freiem -Benehmen und heiteren Mienen sah, alle sicher, dass -zu Hause ein gutes Mittagessen auf sie warte, fühlte -er, dass es zwei Welten gibt, eine obere und eine -untere. Dann packte es ihn wie ein böses Gewissen, -wenn er an den dunkeln Kirchensaal und die tristen -Menschenkinder dachte; deren sämtliche Wunden und -heimliche Mängel wurden unbarmherzig mit dem Vergrösserungsglas -gemustert, damit die Unterklasse der -wahren Demut teilhaftig würde, ohne welche die -<a id="page-23" class="pagenum" title="23"></a> -Oberklasse ihre liebenswürdigen Schwächen nicht in -Frieden geniessen konnte. Damit war etwas Unharmonisches -in sein Leben gekommen. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Wie auch Herr Theodor zwischen seinem natürlichen -Verlangen nach den halbbekannten Lockungen -des Lebens und seiner neuerworbenen Lust, dem -ganzen Leben den Rücken zu kehren und seinen Sinn -auf den Himmel zu richten, hin und her geworfen -wurde, das Gelübde, das er der Mutter gegeben, -brach er nicht. Die häufigen Konfirmationsstunden -in der Kirche, mit den Kameraden und unter dem -Geistlichen, verfehlten nicht, auf ihn Eindruck zu -machen. Er war oft düster und grübelte, hatte ein -Gefühl, das Leben sei nicht so, wie es sein müsse. -Es war ihm, als sei einmal ein unerhörtes Verbrechen -begangen werden, das jetzt durch massenhafte Betrügereien -verhüllt werde; er glaubte eine Fliege zu -sein, die in das Netz der Spinne geraten war und -sich bei jedem Versuch, ein Loch zu reissen, immer -mehr verwickelte, um schliesslich erstickt zu werden. -</p> - -<p> -Eines Abends, denn der Geistliche benutzte alle -Effekte, um den harten Köpfen der jungen Burschen -zu imponieren, hatten sie im Chor der Kirche Unterricht -gehabt. Es war im Januar. Zwei Gasflammen -erleuchteten das Chor und zeigten die Marmorfiguren -des Altars in verzerrten Proportionen. Die ganze -grosse Kirche mit ihren beiden einander kreuzenden -Tonnengewölben lag im Halbdunkel. Im Hintergrund -sah man die blanken Zinnpfeifen der Orgel, welche -die Gasflammen des Chores schwach reflektierten; -darüber bliesen die Engel zum jüngsten Gericht ihre -Posaunen, sahen jetzt aber nur wie finstere, drohende, -übernatürlich grosse Menschenfiguren aus. Die Kreuzgänge -endeten in vollständiger Dunkelheit. -</p> - -<p> -<a id="page-24" class="pagenum" title="24"></a> -Der Geistliche hatte das sechste Gebot ausgelegt. -Er hatte von Unzucht in und ausserhalb der Ehe -gesprochen. Wie Unzucht zwischen Ehegatten getrieben -wird, das konnte er nicht auseinandersetzen, -trotzdem er selber verheiratet war; aber ausserhalb -der Ehe, da wusste er Bescheid. Dann kam er zum -Kapitel der Selbstbefleckung. Als er das Wort nannte, -ging es wie ein Rauschen durch die Jünglingsschar, -und mit weissen Wangen und hohlen Augen starrten -sie ihn an, als sähen sie ein Gespenst. Solange -er von den Strafen der Hölle sprach, waren sie ziemlich -ruhig; als er aber aus einem Buch Berichte vorlas, -wie Jünglinge im Alter von fünfundzwanzig Jahren -an Rückenmarkschwindsucht gestorben waren, da -sanken sie auf den Bänken zusammen und fühlten -den Boden unter sich wanken! Schliesslich erzählte -er die Geschichte von einem Jungen, der im Alter von -zwölf Jahren in ein Irrenhaus kam, um mit vierzehn -Jahren zu sterben, im Glauben an seinen Erlöser. -Da war es ihnen, als sähen sie hundert gewaschene -Leichen an Stangen aufgestellt. Nur ein Heilmittel -gegen dieses Übel gebe es: Jesu teure Wunden. Doch -wie die gegen zu frühe Mannbarkeit anzuwenden seien, -das zeigte er nicht. Aber man solle weder tanzen -noch ins Theater gehen noch Spielstuben besuchen, -vor allem aber sich des Weibes enthalten: das heisst -das Gegenteil tun von dem, was man in Wirklichkeit -tun müsste. Dass dieses Laster dem sozialen -Gesetz, der Mann sei erst mit einundzwanzig Jahren -mannbar, bis zur Vernichtung widerspricht, wurde -mit Schweigen übergangen. Ob dieses Laster durch -frühe Ehen verhindert werden kann, indem man -allen ein notdürftiges Essen verschafft, statt wenigen -Schmäuse, wurde dahingestellt. Das Resultat war: -man solle sich Jesu in die Arme werfen, das heisst -<a id="page-25" class="pagenum" title="25"></a> -in die Kirche gehen und die Sorge um die Welt -der Oberklasse überlassen. -</p> - -<p> -Nach dieser Zurechtweisung bat der Geistliche die -fünf Ersten auf der ersten Bank, dazubleiben; er wolle -mit ihnen allein sprechen; nach und nach werde er es -mit allen so machen. Die fünf Ersten sahen aus, als -seien sie zum Tode verurteilt. Ihre Brust fiel in den -Rücken, weil sie nicht Atem holen konnten; und wenn -man genauer nachgesehen, hätte man gefunden, dass -sich ihr Haar einige Zentimeter auf den Wurzeln in die -Höhe gerichtet und feucht über den Schädel einer -Leiche lag. Alles Blut war aus den Augenbetten gewichen; -wie zwei runde Glaskugeln, in Handschuhleder -eingenäht, sahen die Augen aus, unbeweglich, -nicht wissend, ob sie zu einem Bekenntnis herauskriechen -oder sich mit einer kühnen Lüge verbergen -sollten. -</p> - -<p> -Das Gebet wurde gesprochen und das Lied von -Jesu Wunden gesungen; heute abend aber wurde es -von Lungenkranken angestimmt und hörte zuweilen -ganz auf oder wurde von einem trocknen Husten, gleich -dem von Durstigen, unterbrochen. Dann begannen -sie zu gehen. Einer von den fünf versuchte hinauszuschleichen, -wurde aber vom Geistlichen zurückgerufen. -</p> - -<p> -Es war ein furchtbarer Augenblick. Herr Theodor, -der auf der ersten Bank sass, gehörte zu den fünf. -Ihm war unangenehm zu Mut. Nicht weil er eine -Sünde in diesem Sinne begangen, sondern weil er es -in seinem Innersten als eine Kränkung für einen Mann -empfand, sich so entkleiden zu müssen. Die vier -andern setzten sich weit von einander. Der Gürtler, -der unter ihnen war, versuchte zu scherzen, aber der -Witz blieb ihm im Halse stecken. Sie sahen vor sich -Polizei, Gefängnis, Hospital, und im Hintergrund das -Irrenhaus. Sie wussten nicht, was ihnen bevorstand, -<a id="page-26" class="pagenum" title="26"></a> -dass es aber eine Art Stäupung war, das fühlten sie -wohl. Ein Trost, der einzige in der Betrübnis war, dass -<em>er</em>, Herr Theodor, dabei war. Sie wussten nicht, warum -es ein Trost war, aber sie fühlten es in der Luft, dass -ihm, dem Sohn eines Professors, nichts Böses geschehen -könne. -</p> - -<p> -– Kommen Sie, Wennerström, sagte der Geistliche, -der das Gas in der Sakristei angesteckt hatte. -</p> - -<p> -Wennerström ging und die Tür wurde geschlossen. -Die vier sassen da, jeder auf seiner Bank, und versuchten -alle möglichen Stellungen, um den Körper -zur Ruhe zu bringen; aber es ging nicht. -</p> - -<p> -Schliesslich kam Wennerström wieder heraus, verweint, -aufgeregt, und ging sofort durch den Korridor -davon. -</p> - -<p> -Als er auf den Kirchhof, der ganz eingeschneit war, -hinauskam, nahm er schnell noch ein Mal durch, was -drinnen vorgefallen war. Der Geistliche hatte gefragt, -ob er gesündigt habe. Nein, das habe er nicht. Habe -er Träume? Ja! Träume sind ebenso sündig, denn -sie zeigen, dass unser Herz böse ist, und Gott sieht -auf das Herz. Er prüft die Nieren und wird uns ein -Mal für jeden sündhaften Gedanken verurteilen, und -die Träume sind Gedanken. Gib mir, mein Sohn, -dein Herz, sagt Jesus. Geh zu Jesus, bete, bete, bete. -Was keusch, was rein, was lieblich ist, das ist Jesus! -Jesus von Anfang bis zum Ende, Jesus mein Alles, -mein Leben, meine Seligkeit! Kasteiet das Fleisch und -seid fest im Gebet, sagt Jesus! Geh in Jesu Namen -und sündige hinfort nicht mehr! -</p> - -<p> -Er war empört, aber auch vernichtet. Er konnte es -nicht ändern, dass er vernichtet war, und in der Schule -hatte er noch nicht soviel gesunde Vernunft gelernt, -um sie gegen die jesuitische Sophistik anzuwenden. -Den Satz, dass die Träume Gedanken sind, musste er -<a id="page-27" class="pagenum" title="27"></a> -allerdings, mit der Psychologie, die er gelernt, dahin -modifizieren, dass sie Phantasien sind; aber Gott sieht -nicht auf Worte! Seine Logik sagte ihm, es liege etwas -Naturwidriges in dieser frühen Brunst. Mit sechzehn -Jahren konnte er sich nicht verheiraten, da er keine -Frau versorgen konnte. Aber den nächsten Gedanken, -warum er keine Frau versorgen könne, obwohl er -mannbar war, konnte er nicht zu Ende denken; wenn -er es auch wollte, so hätte er doch vor dem Gesellschaftsgesetz, -das von der Oberklasse gemacht war und -von Bajonetten beschützt wurde, Halt machen müssen. -Also war die Natur auf irgend eine Art verletzt worden, -da die Mannbarkeit früher eintrat als die Fähigkeit, -Brot zu schaffen. Das war Entartung! Seine Phantasie -war entartet, und er wollte sie reinigen durch Entsagungen, -Gebet, Kampf. -</p> - -<p> -Als er nach Hause kam, sass der Vater mit den -Geschwistern bei Tisch. Theodor schämte sich vor -ihnen, als sei er unrein. Der Vater fragte wie gewöhnlich, -wann sie konfirmiert würden. Das wusste Theodor -nicht. Er ass nichts und schätzte Unwohlsein vor; die -Wahrheit aber war, dass er abends nicht zu essen -wagte. Er ging auf seine Kammer und setzte sich hin, -um eine Schrift von Schartau zu lesen, die er vom -Geistlichen erhalten hatte. Sie handelte von der Eitelkeit -der Vernunft. Hier, gerade an dem letzten Punkt, -wo er aus dem Unklaren herauszukommen glaubte, -da erlosch das Licht. Die Vernunft, die ihm zuweilen -die schwache Hoffnung gab, sich aus den dunkeln -Bergen herausfinden zu können, auch die war Sünde; -mehr Sünde als alles andere, denn sie erhob sich gegen -Gott, wollte begreifen, was man nicht begreifen sollte! -Warum man „es“ nicht begreifen sollte, stand nicht -da; aber es war wohl darum: sobald man „es“ begriffen, -war der Betrug entdeckt. -</p> - -<p> -<a id="page-28" class="pagenum" title="28"></a> -Er empörte sich nicht länger, sondern ergab sich! -Ehe er zu Bett ging, las er zwei Morgenstimmen aus -Arndt, das ganze Sündenbekenntnis, das Vaterunser -und „Der Herr segne uns“. Er war sehr hungrig, das -empfand er aber mit einer gewissen Schadenfreude, -als leide sein Feind etwas Böses. -</p> - -<p> -So schlief er ein. In der Nacht erwachte er. Er -hatte geträumt, er sei ausgewesen, habe für zwei -Reichstaler zu Abend gegessen und Champagner getrunken -und schliesslich sei er mit einem Mädchen in -ein besonderes Zimmer gegangen. So stand der -ganze furchtbare Abend wieder vor ihm! -</p> - -<p> -Er sprang aus dem Bett, warf Laken und Unterbett -auf den Boden, legte sich auf die blosse Rosshaarmatratze -und deckte sich nur mit einer dünnen -Decke zu. Er fror und war hungrig, aber der Teufel -musste getötet werden. Er betete noch ein Mal das -Vaterunser, indem er auf eigene Hand einige Zusätze -machte. Das Gehirn wird nach und nach umnebelt, -die strengen Züge in seinem Gesicht lassen nach, -der Mund lächelt: liebliche, heitere Gestalten, leichtes -Gemurmel, ersticktes Lachen, Takte aus einem Walzer, -funkelnde Gläser und offne, lebenslustige Gesichter -mit freien Blicken, die seinen begegnen; da öffnet -sich eine Türgardine: zwischen rotseidenen Vorhängen -blickt ein Köpfchen, der Mund lächelt und die Augen -leben, bloss ist der Hals bis zu den Steigungen der -Brüste, die Schultern rund wie von einer weichen -Hand modelliert; die Kleider fallen ab vor seinen -Blicken und er hat das Weib in seinen Armen. -</p> - -<p> -Als er erwachte, schlug die Uhr drei. Er war -wiederum besiegt. Jetzt riss er auch noch die Matratze -aus dem Bett. Auf die Steine vorm Kachelofen fiel -er auf die Knie und betete mit eigenen Worten ein -brennendes Gebet zu Gott um Rettung; denn jetzt -<a id="page-29" class="pagenum" title="29"></a> -fühlte er, dass er mit dem Teufel selber im Kampf -lag. Er legte sich dann auf den blossen Bettboden -und empfand mit einem eigenartigen Genuss, wie die -Gurte in Arme und Schienbeine schnitten. -</p> - -<p> -Am Morgen erwachte er in vollem Fieber. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Sechs Wochen lag er zu Bett. Als er endlich -wieder aufstand, war er gesunder als er je gewesen. -Die Ruhe, die ausgewählte Kost, die Medizin hatten -seine Kräfte gesteigert, und daher wurde der Kampf -nun doppelt so stark. Aber er kämpfte. -</p> - -<p> -Im Frühling wurde er konfirmiert. Der erschütternde -Auftritt, in dem die Oberklasse der Unterklasse auf -Christi Leib und Blut den Eid abnimmt, dass die -letzte sich nie mit dem befasse, was die erste tut, -blieb lange in ihm haften. Dass des Weinhändlers -Högstedts Piccardon à 65 Öre die Kanne und des -Bäckers Lettströms Maisoblaten à 1 Krone das Pfund -vom Geistlichen fälschlich für das Fleisch und Blut -des vor 1800 Jahren hingerichteten Volksaufwieglers -Jesus von Nazareth ausgegeben wurden, darüber -dachte er nicht nach, denn man dachte damals nicht -nach, sondern man bekam „Stimmungen“. -</p> - -<p> -Ein Jahr später machte er sein Abiturientenexamen. -Die Studentenmütze war ihm eine grosse Freude; ohne -sich dessen bewusst zu werden, fühlte er, dass er als -Oberklasse einen Freibrief erhalten habe. Etwas bildeten -sich er und seine Kameraden auch auf ihr Wissen -ein, und die Lehrer hatten sie darin für „reif“ erklärt. -Wenn alle diese hochmütigen Jünglinge wenigstens den -Unsinn gekonnt hätten, mit dem sie prahlten! Hätte -man sie auf dem Studentenschmaus gehört, wie sie -beteuerten, sie könnten nicht fünf Prozent von jedem -Lehrbuch, in dem sie das Zeugnis erhalten; wie sie versicherten, -<a id="page-30" class="pagenum" title="30"></a> -es sei ein Wunder, dass sie die Prüfung bestanden: -ein Uneingeweihter hätte es ihnen kaum geglaubt. -Auf demselben Studentenkommers hörte man -einige der jüngeren Lehrer jetzt, da der Zunftunterschied -aufgehoben und keine Verstellung mehr nötig -war, offen mit halbberauschten Gebärden darauf -schwören, im ganzen Kollegium sei kein Lehrer, der -im Examen nicht durchfallen würde. Ein Nüchterner -musste glauben, das Studentenexamen sei eine Schnur, -die man nach Belieben zwischen Oberklasse und Unterklasse -spannen könne; dann kam ihm das Wunder wie -ein grosser Betrug vor. -</p> - -<p> -Ja, es war ein Lehrer, der bei der Bowle behauptete, -man müsste ein Idiot sein, um sich einzubilden, ein -Gehirn könne gleichzeitig auffassen: die dreitausend -Jahreszahlen, welche die Geschichte enthält; die Namen -der fünftausend Städte, die es auf der Erde gibt, die -Namen von sechshundert Pflanzen und siebenhundert -Tieren; die Knochen im menschlichen Körper, die -Steine in der Erde, alle theologischen Lehrkämpfe, -eintausend französische Vokabeln, eintausend englische, -eintausend deutsche, eintausend lateinische, eintausend -griechische, eine halbe Million Regeln und Ausnahmen; -fünfhundert mathematische, physikalische, geometrische, -chemische Formeln. Er wolle nachweisen, das -Gehirn müsse, um das zu können, so gross sein wie -die Kuppel der Sternwarte von Uppsala. Humboldt -habe schliesslich nicht mehr das Einmaleins gekonnt, -und der Professor der Astronomie in Lund habe zwei -sechsstellige ganze Zahlen nicht dividieren können. -Die neuen Studenten glaubten sechs Sprachen zu -können, und doch könnten sie nicht mehr als fünftausend -Worte höchstens von den zwanzigtausend, -die ihre eigene Sprache enthalte. Und er habe ja gesehen, -wie sie mogelten. Oh, er kenne alle Kniffe! Er -<a id="page-31" class="pagenum" title="31"></a> -habe gesehen, wie sie Jahreszahlen auf die Nägel geschrieben, -wie sie die Bücher unter dem Tisch gehabt, -und wie sich zugeflüstert! Aber, schloss er, was soll -man machen? Wenn man nicht ein Auge zudrückt, -bekommt man überhaupt keine Studenten mehr. -</p> - -<p> -Während des Sommers blieb Theodor zu Hause im -Garten. Er dachte viel an seine Zukunft; was er -werden solle. In die grosse Jesuitenkongregation, -die unter dem Namen der Oberklasse die Gesellschaft -gestiftet, deren Geheimnisse er nicht durchschauen -konnte, hatte er soviel Einblick gewonnen, dass er -mit dem Leben unzufrieden war und Geistlicher werden -wollte, um sich vor der Verzweiflung zu retten. Aber -die Welt lockte ihn. Sie lag so hell und klar vor -ihm, und sein starkes gärendes Blut rief nach Leben. -Er rieb sich auf in seinem Kampf, und die Beschäftigungslosigkeit -quälte ihn noch mehr. -</p> - -<p> -Theodors zunehmende Düsterkeit und abnehmende -Gesundheit begannen den Vater zu beunruhigen. Der -sah wohl ein, wie es um ihn stand, konnte es aber -nicht über sich gewinnen, mit dem Sohn in einer -so delikaten Sache zu sprechen. -</p> - -<p> -An einem Sonntagnachmittag hatte der Professor -seinen Bruder, den Pionieroffizier, bei sich. Sie sassen -im Garten und tranken Kaffee. -</p> - -<p> -– Hast du gesehen, wie verändert Theodor ist? -fragte der Professor. -</p> - -<p> -– Ja, seine Zeit ist gekommen, antwortete der -Hauptmann; ich glaube, sie ist es längst. -</p> - -<p> -– Willst du nicht mit ihm sprechen; ich kann -es nicht. -</p> - -<p> -– Wenn ich Junggeselle wäre, würde ich die Rolle -des Oheims spielen, sagte der Hauptmann; aber ich -werde Gustav zu ihm schicken! Der Junge muss -<a id="page-32" class="pagenum" title="32"></a> -Mädchen haben, sonst verkommt er. Starke Rasse, -diese Wennerströmsche. Was? -</p> - -<p> -– Ja, sagte der Vater, ich war mit fünfzehn Jahren -soweit; aber ich hatte einen Kameraden, der nicht -konfirmiert wurde, weil er mit dreizehn Jahren einer -Konfirmandin ein Kind gemacht hatte. -</p> - -<p> -– Sieh Gustav an: das ist ein Kerl! Der Teufel -soll mich holen, wenn er nicht so breit über die Lenden -ist und solche Schenkel hat wie ein alter Hauptmann! -Er macht sich! -</p> - -<p> -– Ja, ich weiss wohl, was es kostet, aber das ist -immer noch besser, als sich anstecken, sagte der -Vater. Willst du Gustav bitten, Theodor mitzunehmen, -um ihn etwas aufzurütteln. -</p> - -<p> -– Ja, das will ich tun, sagte der Hauptmann. -</p> - -<p> -Und damit war die Sache klar. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Eines Abends im Juli, als es am allerwärmsten war -und alles im höchsten Flor stand; während der -Schwangerschaft der Natur, als alles, das im Frühling -befruchtet war, Frucht werden wollte, sass Herr Theodor -auf seiner Kammer und wartete. Er hatte an die Wand -ein „Komm zu Jesus“ angeschlagen, das „Lass uns -nicht disputieren“ bedeuten sollte, dem Bruder Leutnant -gegenüber, der dann und wann aus der Kaserne -für einen Augenblick nach Hause kam. Gustav war -ein heiteres Gemüt, das sich immer „machte“, wie -der Onkel sagte; er dachte nicht daran, an den Lauf -der Welt Grübeleien zu verschwenden. Für heute abend -hatte er Theodor versprochen, ihn um sieben Uhr abzuholen; -sie wollten dann besprechen, wie des Vaters -Geburtstag zu feiern sei. Theodors geheimer Plan war, -den Bruder zu überrumpeln, um ihn auf bessere Gedanken -zu bringen. Aber Gustavs geheimer Plan war, -Theodor zur Vernunft zu bringen. -</p> - -<p> -<a id="page-33" class="pagenum" title="33"></a> -Punkt sieben hielt eine Droschke (Herr Leutnant -kam immer in einer Droschke) vorm Hause, und gleich -darauf hörte Theodor auf der Treppe Sporen klirren -und einen Säbel rasseln. -</p> - -<p> -– Guten Tag, alter Maulwurf, grüsste der ältere -Bruder. -</p> - -<p> -Es war eine junge kräftige Gestalt. Man sah die -prächtigsten Waden unter den blanken Schäften seiner -Stiefel; und unter dem langen Schoss des Überrocks -zeichneten sich die Lenden eines Percheronpferdes ab. -Das goldene Kartuschenbandelier machte die Brust -breiter und das Säbelkoppel hing an einem Paar Hüften, -auf denen man sitzen konnte! -</p> - -<p> -Er warf einen Blick auf „Komm zu Jesus“, grinste, -sagte aber nichts darüber. -</p> - -<p> -– Komm, Theodor, wir fahren nach Bellevue zum -Gärtner und bestellen alles für den Geburtstag des -Alten. Zieh dich an und komm, alter Baruch. -</p> - -<p> -Theodor wollte Einwendungen machen, aber der -Bruder nahm ihn unterm Arm, setzte ihm die Mütze -verkehrt auf den Kopf, steckte ihm eine Zigarre -in den Mund und öffnete die Tür. Theodor fühlte -sich lächerlich und aus seiner Rolle gerissen, ging -aber mit. -</p> - -<p> -– Jetzt fährst du nach Bellevue, sagte der Leutnant -zum Kutscher, aber fahr so, dass deine Vollblut wie -Riemen auf den Strassensteinen liegen. -</p> - -<p> -Theodor musste über die Sicherheit des Bruders -lachen. Niemals wäre es ihm in den Sinn gekommen, -einen Kutscher, einen ältern verheirateten Mann, du -zu nennen. -</p> - -<p> -Auf dem Wege plauderte und schwatzte der Leutnant -von allem Möglichen, und alle Mädchen, die er traf, -sah er an. -</p> - -<p> -<a id="page-34" class="pagenum" title="34"></a> -Sie kamen an einem heimkehrenden Leichenzug -vorbei. -</p> - -<p> -– Hast du gesehen, sagte Gustav, was für ein verflucht -hübsches Mädchen im letzten Wagen sass. -</p> - -<p> -Nein, Theodor hatte es nicht gesehen und wollte -es nicht sehen. -</p> - -<p> -Und dann begegneten sie einem Omnibus, in dem -lauter Kellnerinnen sassen. Da stand der Leutnant -in der Droschke auf und warf ihnen Kusshände zu, -mitten auf der Strasse. Er war zu verrückt. -</p> - -<p> -Sie richteten ihre Sache in Bellevue aus. Auf dem -Heimweg bog der Kutscher ohne weitere Ordre nach -der Gastwirtschaft „Stallmeisterhof“ ab. -</p> - -<p> -– Wir wollen etwas essen, sagte Gustav und stiess -den Bruder aus der Droschke. -</p> - -<p> -Theodor war wie betört. Ein Gelübde der Nüchternheit -hatte er nie abgelegt und er sah nichts Sündhaftes -darin, in ein Wirtshaus zu gehen, wenn er es -auch nicht von selber tat. Er folgte, allerdings mit -dem Atem im Halse. -</p> - -<p> -Im Flur wurde der Leutnant von zwei Mädchen -empfangen, die im nächsten Augenblick an seiner Brust -lagen. -</p> - -<p> -– Guten Tag, meine Tauben, begrüsste er sie und -küsste beide auf den Mund. Hier habt ihr meinen -gelehrten Bruder, er ist noch jungfräulich; das bin -ich aber nicht mehr, was, Jossa? -</p> - -<p> -Die Mädchen sahen schüchtern Theodor an, der -nicht wusste, wohin er sich wenden solle, so beispiellos -frech, beinahe naiv kam ihm die Sprache des -Bruders vor. -</p> - -<p> -Als sie eine Treppe hinaufgingen, trafen sie ein -kleines schwarzes Mädchen mit verweinten Augen, -das manierlich aussah und einen guten Eindruck auf -Theodor machte. -</p> - -<p> -<a id="page-35" class="pagenum" title="35"></a> -Der Leutnant küsste sie nicht, zog aber sein Taschentuch -und trocknete ihr die Augen. Dann befahl er -einen kolossalen Schmaus. -</p> - -<p> -Es war ein heller, heiterer Raum, mit Spiegeln und -Klavier, zu Bacchanalen eigens eingerichtet. Der -Leutnant öffnete den Deckel des Klaviers mit dem -Säbel, und ehe Theodor sichs versah, sass er auf -dem Stuhl und hatte die Hände auf der Klaviatur. -</p> - -<p> -– Jetzt spielst du einen Walzer, sagte der Bruder. -</p> - -<p> -Und siehe, Herr Theodor spielte einen Walzer. Und -der Leutnant schnallte den Säbel ab und tanzte mit -seiner Jossa einen furchtbaren Walzer, dass die Sporenräder -in Stuhlbeine und Tischfüsse hieben. Dann -warf er sich auf ein Sofa und schrie: -</p> - -<p> -– Kommt her, Sklavinnen, und fächelt mir Kühlung -zu. -</p> - -<p> -Theodor ging in Mollakkorde über und war bald -in Gounods Faust. Er wagte sich nicht umzudrehen. -</p> - -<p> -– Geht und gebt ihm einen Kuss, flüsterte der -Bruder. -</p> - -<p> -Das getraute sich aber keins von den Mädchen. -Nein, sie hatten beinahe Furcht vor ihm und seiner -düstern Musik. -</p> - -<p> -Aber die Kühnste trat ans Klavier heran, um etwas -zu sagen: -</p> - -<p> -– Ist das nicht Freischütz? -</p> - -<p> -– Nein, antwortete Theodor höflich, das ist Faust! -</p> - -<p> -– Er sieht so ordentlich aus, dein Bruder, sagte -die kleine schwarze, die Rieke hiess. Der ist anders -als du, du alter Schlingel! -</p> - -<p> -– Er will ja auch Geistlicher werden, flüsterte der -Leutnant. -</p> - -<p> -Das machte einen tiefen Eindruck auf die Mädchen, -und sie küssten den Leutnant nur noch heimlich, -<a id="page-36" class="pagenum" title="36"></a> -und nach Theodor sahen sie so verlegen und so -scheu wie Hühner nach einem Kettenhund. -</p> - -<p> -Das Abendessen wurde aufgetragen. So viel Speisen! -Es waren achtzehn Schüsseln, dazu die warmen Gerichte. -</p> - -<p> -Gustav goss die Schnäpse ein. -</p> - -<p> -– Prosit, alter Pfaffe, sagte er. -</p> - -<p> -Theodor musste den Branntwein kosten. Der wärmte -so gut, und es fiel ein dünner warmer Schleier über -seine Augen, und die Esslust raste wie ein wildes -Tier in seinen Eingeweiden. Der frische Lachs mit -seinem halb angegangenen Geschmack und der Dill -mit seinem betäubenden narkotischen; die Radieschen -kratzten die Kehle und verlangten Bier; die kleinen -Beefsteaks mit süsser portugiesischer Zwiebel rochen -wie ein tanzendes Mädchen; der geschmorte Hummer -duftete nach dem Meer; die ersten Pressgurken mit -dem Geschmack des giftigen Grünspans knirschten -so schön zwischen den Zähnen; und das Küken, -das mit Petersilie ausgestopft war, erinnerte an den -Gärtner. Der Porter rann wie warme Lavaströme -durch seine Adern; aber auf die Erdbeeren da knallte -der Champagner, und das Mädchen kam mit dem -brausenden Getränk, das wie eine Quelle rann. Auch -das Mädchen musste sich ein Glas nehmen. Und -dann sprachen sie von allem Möglichen. -</p> - -<p> -Theodor sass da wie ein Baum, der in neuem Saft -steht; das Essen gärte so in seinem Körper, dass -er sich wie ein Vulkan fühlte. Neue Gedanken, neue -Gefühle, neue Ansichten, neue Gesichtspunkte flatterten -wie Schmetterlinge um seine Stirn. Er setzte -sich ans Klavier; aber was er spielte, wusste er nicht. -Die Tangenten waren unter seinen Fingern ein Haufen -harter Knochenstücke, aus denen sein Geist Leben -pressen wollte: er ordnete, sammelte sie, um sie -dann zu zerbrechen, aufzulösen. -</p> - -<p> -<a id="page-37" class="pagenum" title="37"></a> -Er wusste nicht, wie lange er spielte, als er aber -aufhörte und sich umdrehte, kam der Bruder ins -Zimmer. Er sah glücklich aus wie ein höheres Wesen, -und sein Gesicht strahlte von Leben und Kraft. Und -dann kam Rieke mit einer Bowle, und gleich danach -kamen alle Mädchen herauf. Und der Leutnant brachte -Gesundheiten auf sie aus, auf die eine nach der -andern. Und Theodor fand, es sei alles so, wie es -sein sollte, und er wurde schliesslich so kühn, dass -er Rieke auf die Schulter küsste. Sie entzog sich -ihm aber und sah gekränkt aus, und dann schämte -sich Theodor. -</p> - -<p> -Als die Uhr eins war, mussten sie gehen. -</p> - -<p> -Als Theodor auf seine Kammer in die Einsamkeit -kam, war er ganz auf den Kopf gestellt. Er riss -„Komm zu Jesus“ herunter, nicht weil er an Jesus -nicht mehr glaubte, sondern weil er es für eine -Prahlerei hielt. Er war erstaunt, dass seine Religion -so lose sass, wie ein Festtagsrock, und er fragte -sich, ob es nicht unpassend sei, die ganze Woche -in Sonntagskleidern zu gehen. Er fand in sich einen -einfachen Alltagsmenschen, den er gut leiden mochte, -und er glaubte mehr in Frieden mit sich selber zu -sein, wenn er sich so einfach, anspruchslos, ungeschraubt -gab. -</p> - -<p> -Nachts schlief er einen schweren, guten Schlaf -ohne Träume. -</p> - -<p> -Als er am nächsten Morgen aufstand, waren seine -blassen Wangen etwas voller und er fühlte eine frohe -Lebenslust. Er ging spazieren, und wie er so ging, -kam er zur Stadt hinaus. Wenn ich nach der Gastwirtschaft -ginge, dachte er, und nachsähe, wie es -den Mädchen geht. -</p> - -<p> -Er trat in den grossen Saal; dort sassen Rieke und -Jossa allein im Morgenrock und putzten Stachelbeeren. -<a id="page-38" class="pagenum" title="38"></a> -Und ehe er es sich versah, sass er an ihrem Tisch, -nahm eine Schere und putzte ebenfalls Stachelbeeren. -Und sie plauderten über den gestrigen Abend und -über den Bruder und freuten sich, dass es so lustig -hergegangen. Man sprach nicht ein unanständiges -Wort. Theodor fand, es sei wie in einer Familie, -und das konnte nicht sündhaft sein. -</p> - -<p> -Später trank er Kaffee und lud die Mädchen dazu -ein. Und dann kam die Wirtin und las ihnen aus -der Zeitung vor: es war ganz, als sei er bei sich -zu Hause gewesen. -</p> - -<p> -So kam er wieder. An einem Nachmittag ging -er eine Treppe hoch zu Rieke. Sie sass oben und -nähte an einem Hohlsaum. Theodor fragte, ob er -sie belästige. Nein, keineswegs, im Gegenteil, antwortete -sie. Und sie sprachen über den Bruder. Er -war im Manöver und sollte erst in zwei Monaten -zurückkommen. Schliesslich tranken sie Punsch und -duzten einander. -</p> - -<p> -Ein anderes Mal traf Theodor sie im Hagapark. Sie -pflückte Blumen. Und beide setzten sich ins Gras. Sie -hatte ein leichtes Sommerkleid an, das war so dünn, -dass er sah, wie die Spitzen ihrer Brüste zwei helle -Erhebungen bildeten, mit einer dunklen Senkung dazwischen. -Er fasste sie um den Leib und küsste sie. -Sie küsste ihn wieder, und es wurde ihm schwarz vor -den Augen. Da zog er sie an sich, als wolle er sie ersticken; -sie aber riss sich los und sagte recht ernst, -er müsse artig sein, sonst könnten sie sich nie wieder -treffen. -</p> - -<p> -Zwei Monate trafen sie sich. Theodor war in sie -verliebt. Er hielt lange, ernste Gespräche über die -höchsten Aufgaben des Lebens, über die Liebe, über -die Religion, über alles, und dazwischen machte er -seine Angriffe auf ihre Tugend, wurde aber immer mit -<a id="page-39" class="pagenum" title="39"></a> -seinen eigenen Worten zurückgeschlagen. Dann -schämte er sich furchtbar, dass er von einem unschuldigen -Mädchen so niedrig denken könne. Seine -Leidenschaft ging schliesslich in hohe Bewunderung -über für dieses arme Mädchen, das sich mitten in den -Versuchungen rein erhalten konnte. Er hatte sich den -Geistlichen aus dem Sinn geschlagen, wollte den Doktor -machen und – wer weiss – sich vielleicht mit Rieke -verheiraten. Er las ihr jetzt Poesie vor, während sie -nähte. Küssen durfte er sie, soviel er wollte, sie an -sich drücken, zudringlich sein; mehr aber erlaubte sie -nicht. -</p> - -<p> -Schliesslich kam der Bruder nach Haus. Sofort gab -er ein Festessen im „Stallmeisterhof“, und Theodor -wurde dazu eingeladen. Aber er musste ihnen vorspielen, -unaufhörlich spielen. Er war mitten in einem -Walzer, nach dem niemand tanzte, als er sich umsah: -er war allein. Da stand er auf und ging in den Flur. -Kam in eine lange Reihe von kleinen Zimmern, schliesslich -in ein Schlafzimmer. Da hatte er einen Anblick, -dass er sofort hinausstürzte, seinen Hut nahm und -in die Nacht verschwand. -</p> - -<p> -Erst gegen Morgen befand er sich wieder zu Hause -auf seiner Kammer, allein, vernichtet, jedes Glaubens -beraubt, ans Leben, an die Liebe und ans <em>Weib</em> natürlich, -denn es gab für ihn nur ein Weib in der Welt, und -das war Rieke vom Stallmeisterhof. -</p> - -<p> -Als der fünfzehnte September kam, fuhr er nach -Uppsala, um Theologie zu studieren. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Die Jahre vergingen. Sein guter Verstand erlosch -so allmählich unter all den Dummheiten, die er jetzt -täglich und stündlich seinem Gehirn eintrichtern musste. -Wenn aber die Nacht kam und der Widerstand aufhörte, -brach die Natur los und nahm mit Gewalt, was -<a id="page-40" class="pagenum" title="40"></a> -der aufrührerische Mensch ihr streitig machen wollte. -Er wurde kränklich. Sein Gesicht fiel so ein, dass man -alle hervortretenden Knochen des Schädels sehen -konnte; die Haut wurde gelbweiss wie die einer in -Spiritus gelegten Leibesfrucht und sah immer feucht -aus; und zwischen den dünnen Bartsträhnen traten -Finnen auf. Das Auge war erloschen; die Hände so -mager geworden, dass alle Gelenke durch die Haut -guckten. Er sah aus wie das Bild zu einer Tendenzarbeit -über die menschlichen Laster, und doch war -er rein. -</p> - -<p> -Eines Tages bat ihn der Professor der Moraltheologie, -der ein verheirateter, aber strenger Mann war, um ein -Gespräch unter vier Augen. Der Professor fragte so -diskret wie möglich, ob er etwas auf dem Herzen habe; -dann solle er sich erleichtern. Nein, er habe keine -Sünde zu gestehen, aber er sei unglücklich. Der Professor -ermahnte ihn, zu wachen und zu beten und -stark zu sein. -</p> - -<p> -Vom Bruder hatte er einen langen Brief erhalten, -in dem dieser ihn bat, jene bewusste Bagatelle nicht -so ernst zu nehmen. Es sei dumm, ein Mädchen ernst -zu nehmen! Bezahlen und gehen, sei seine Philosophie, -und mit der stehe er sich gut. Spielen, solange man -jung sei; der Ernst komme immer noch früh genug. -Die Ehe sei eine bürgerliche Einrichtung, um die -Kinder aufzuziehen, weiter nichts. Wenn wir älter -geworden, sollten wir uns verheiraten ... -</p> - -<p> -Hierauf antwortete Theodor in einem langen, von -wahrem christlichen Geist durchdrungenen Brief, der -unbeantwortet blieb. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Nachdem Theodor im Frühling das erste Examen -gemacht hatte, musste er im Sommer nach Sköfde -fahren, um eine Kaltwasserkur durchzumachen. Im -<a id="page-41" class="pagenum" title="41"></a> -Herbst kehrte er nach Uppsala zurück. Aber die neuen -Kräfte, die er erworben hatte, waren natürlich nur -neues Material fürs Feuer. -</p> - -<p> -Es wurde immer schlimmer und schlimmer mit ihm. -Sein Haar war jetzt so dünn, dass die Haut durchschien. -Seine Schritte waren schleppend, und wenn -Kameraden ihn auf der Strasse sahen, schauderte -ihnen wie vor einem lasterhaften Menschen. Er begann -es selbst zu merken und wurde scheu. Ging nur abends -aus. Wagte nachts nicht im Bett zu schlafen. Das -Eisen, das er im Übermass eingenommen, hatte seine -Verdauung verdorben. Im nächsten Sommer wurde -er nach Karlsbad geschickt. -</p> - -<p> -Im folgenden Herbst durchlief ein Gerücht die Universitätsstadt, -ein garstiges Gerücht, das wie eine dunkle -Wolke über den Horizont zog. Es war, als habe man -vergessen, eine Kloakenklappe zu schliessen, und ein -furchtbarer Gestank erinnerte plötzlich daran, dass -die Stadt, die herrliche Schöpfung der Kultur, auf -einem Untergrund von Fäulnis ruhte, der jeden Augenblick -die Röhren sprengen und die ganze Gesellschaft -vergiften konnte. Man flüsterte, Theodor Wennerström -habe in einem Wutanfall einen Kameraden in seiner -Wohnung überfallen und ihm schändliche Anträge gemacht. -Dieses Mal hatte das Gerücht die Wahrheit -geflüstert. -</p> - -<p> -Der Vater kam nach Uppsala und beriet sich mit -dem Dekan der theologischen Fakultät. Der Professor -der Pathologie wurde zugezogen. Was war -zu machen? Der Arzt schwieg. Schliesslich wurde er -gefragt. -</p> - -<p> -– Da ich gefragt werde, muss ich wohl antworten, -sagte er; aber, meine Herren, Sie wissen doch ebenso -gut wie ich, dass es nur ein Mittel gibt. -</p> - -<p> -– Und das ist? fragte der Theologe. -</p> - -<p> -<a id="page-42" class="pagenum" title="42"></a> -– Müssen Sie wirklich noch fragen, wodurch die -Natur geheilt wird, antwortete der Arzt. -</p> - -<p> -– Ja, das muss man wirklich, sagte der Theologe, -der verheiratet war; denn es ist nicht Natur, dass der -Mensch unzüchtig sein soll. -</p> - -<p> -Der Vater sagte, er wisse wohl, dass nur der Verkehr -mit einer Frau helfen könne, aber er wolle seinem -Sohn nicht solchen Rat geben, denn er könne sich -dabei eine Krankheit holen. -</p> - -<p> -– Dann ist er ein Esel, wenn er sich nicht in acht -nehmen kann, antwortete der Arzt. -</p> - -<p> -Der Dekan ersuchte, ein so aufregendes Gespräch -an einem Ort zu führen, der besser dazu geeignet sei. -Hinzuzufügen habe er nichts. -</p> - -<p> -Und dabei blieb es. -</p> - -<p> -Da Theodor Oberklasse war, wurde die Sache totgeschwiegen. -Nach einigen Jahren machte er das -zweite theologische Examen und wurde nach Spaa -geschickt. Das Chinin, das er eingenommen, hatte -sich in die Knie gesetzt, und er musste zwischen zwei -Stöcken gehen. In Spaa erschreckte er sogar Kranke -mit seinem furchtbaren Aussehen. -</p> - -<p> -Aber eine fünfunddreissigjährige unverheiratete -Deutsche schien Mitleid mit dem Unglücklichen gefasst -zu haben. Sie sass bei ihm in einer einsamen -Laube im Brunnenpark und sprach über die höchsten -Fragen des Lebens. Sie gehörte zu einer grossen -evangelischen Vereinigung, welche die Sitten verbessern -wollte. Sie hatte Prospekte zu Zeitungen -und Zeitschriften, welche die Unsittlichkeit zwischen -Unverheirateten abschaffen, besonders die Prostitution -aufheben wollten. -</p> - -<p> -– Sehen Sie mich an, sagte sie, ich bin fünfunddreissig -Jahre alt und bei voller Gesundheit! Was -<a id="page-43" class="pagenum" title="43"></a> -sprechen die Toren davon, dass die Unsittlichkeit ein -notwendiges Übel ist. Ich habe gewacht und gebetet, -und ich habe einen guten Kampf gekämpft des Herrn -Jesu Christi wegen. -</p> - -<p> -Der junge Geistliche sah sie an, ihren vollen Busen -und ihre hohen Hüften, und dann sah er sich selber -an und dachte: -</p> - -<p> -– Wie verschieden es doch mit Menschen und -Menschen in dieser Welt bestellt ist! -</p> - -<p> -Im Herbst waren Prediger Theodor Wennerström -und die tugendsame Jungfrau Sophia Leidschütz -verlobt. -</p> - -<p> -– Gerettet, seufzte der Vater, als er die Nachricht -in seinem Haus zu Stockholm empfing. -</p> - -<p> -– Wollen sehen, wie es geht, dachte der Bruder -in seiner Kaserne. Wenn mein lieber Theodor nur -nicht einer „jener Asra ist, die sterben, wenn sie -lieben“. -</p> - -<p> -Theodor Wennerström verheiratete sich. Neun -Monate später brachte seine Frau einen rachitischen -Sohn zur Welt. Dreizehn Monate darauf war Theodor -Wennerström tot. -</p> - -<p> -Der Arzt, der den Totenschein ausstellte, schüttelte -den Kopf, als er die üppige hochgewachsene Frau -weinend an dem kleinen Sarg stehen sah, in dem -das Skelett des zwanzigjährigen jungen Mannes ruhte. -</p> - -<p> -– Das Plus war zu gross und das Minus zu klein, -dachte er; darum ass das Plus das Minus auf. -</p> - -<p> -Aber der Vater, der die Todesnachricht an einem -Sonntag empfing, setzte sich hin, um eine Predigt zu -lesen. Als er die beendet, dachte er: -</p> - -<p> -– Die Welt muss sehr verkehrt sein, wenn die -Tugendhaften solch einen Lohn erhalten. -</p> - -<p> -Und die tugendsame Witwe, geborene Leidschütz, -verheiratete sich noch zwei Male und bekam acht -<a id="page-44" class="pagenum" title="44"></a> -Kinder; schrieb Aufsätze über Überbevölkerung und -Unsittlichkeit. Aber der Schwager sagte, sie sei eine -verfluchte Frau, die ihren Männern das Leben nehme. -</p> - -<p> -Aber der nicht tugendhafte Leutnant verheiratete -sich und bekam sechs Kinder, wurde Major und war -glücklich bis ans Ende seiner Tage. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="chapter-0-2"> -<a id="page-45" class="pagenum" title="45"></a> -<span class="line1">Liebe und Brot</span> -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -Der Assistent hatte nicht daran gedacht, nach dem -Stand der Getreidepreise zu sehen, als er zum Major -hinausfuhr, um zu freien; aber der Major hatte -nachgesehen. -</p> - -<p> -– Ich liebe sie, sagte der Assistent. -</p> - -<p> -– Wieviel verdienst du? fragte der Alte. -</p> - -<p> -– Zwölfhundert Kronen allerdings nur, aber wir -lieben einander ... -</p> - -<p> -– Das geht mich nichts an; zwölfhundert ist zu wenig. -</p> - -<p> -– Und dann habe ich noch eine besondere Einnahme, -und Luise kennt mein Herz ... -</p> - -<p> -– Schwatz keinen Unsinn! Wie gross ist die besondere -Einnahme? -</p> - -<p> -– Wir haben uns zum ersten Mal getroffen auf ... -</p> - -<p> -– Wie gross ist die besondere Einnahme? -</p> - -<p> -Und er setzte den Bleistift an. -</p> - -<p> -– Und meine Gefühle ... -</p> - -<p> -– Wie gross ist die besondere Einnahme? -</p> - -<p> -Und er zeichnete Krähenfüsse auf dem Löschpapier. -</p> - -<p> -– Oh, es wird schon werden, wenn man nur ... -</p> - -<p> -– Willst du mir antworten oder willst du nicht? -Wie gross ist deine besondere Einnahme? Zahlen! -Zahlen! Tatsachen! -</p> - -<p> -– Ich habe Übersetzungen für zehn Kronen den -Bogen, ich habe Schüler im Französischen, ich habe -Zusagen für Korrekturlesen ... -</p> - -<p> -<a id="page-46" class="pagenum" title="46"></a> -– Zusagen sind keine Tatsachen! Zahlen, Junge, -Zahlen! So, jetzt schreibe ich. Was hast du für -eine Übersetzung? -</p> - -<p> -– Was ich für eine Übersetzung habe? Das -kann ich nicht so vom Fleck weg sagen. -</p> - -<p> -– Das kannst du nicht so vom Fleck weg sagen? -Du hast doch eine Übersetzung, sagst du: kannst -du nicht sagen, was das für eine ist? Was ist das -für ein Geschwätz? -</p> - -<p> -– Ich habe Guizot, Geschichte der Kultur, fünfundzwanzig -Bogen. -</p> - -<p> -– Zu je zehn Kronen, gleich 250 Kronen. Und -dann? -</p> - -<p> -– Dann? Das weiss man doch nicht vorher! -</p> - -<p> -– Ei ei, weiss man das nicht vorher? Aber das -gerade soll man vorher wissen! Du glaubst, Heiraten -ist nur Zusammenziehen und Spielen! Nein, mein -Junge, in neun Monaten kommt ein Kind, und Kinder -müssen Essen und Kleider haben! -</p> - -<p> -– Es muss doch nicht sofort ein Kind kommen, -wenn man einander liebt, <em>wie wir</em> uns lieben. -</p> - -<p> -– Wie zum Teufel liebt ihr euch denn? -</p> - -<p> -– <em>Wie wir</em> uns lieben! -</p> - -<p> -Er legte die Hand auf den Aufschlag seiner Weste. -</p> - -<p> -– Kommt kein Kind, wenn man einander liebt -wie ihr! Bist du verrückt? Doch du sollst ein -ordentlicher Mensch sein, und darum darfst du dich -verloben; aber benutze deine Verlobungszeit, um dir -Brot zu schaffen, denn es nahen schwere Zeiten: -das Getreide steigt! -</p> - -<p> -Der Assistent wurde ganz rot im Gesicht, als er -die Schlussworte hörte, aber die Freude, sie zu bekommen, -war so gross, dass er dem Alten die Hand -küsste. Und Gott im Himmel, wie glücklich war er! -Als sie zum ersten Male Arm in Arm die Strasse -<a id="page-47" class="pagenum" title="47"></a> -hinunterzogen, ging ein Leuchten von ihnen aus; und -es war ihnen, als blieben die Menschen auf dem -Trottoir stehen und bildeten Reihen, um ihnen auf -ihrem Triumphzug das Ehrengeleit zu geben; und sie -gingen dahin mit stolzen Blicken, hocherhobenen -Kopfes und federnden Schrittes. -</p> - -<p> -Und abends kam er zu ihr; und sie setzten sich -mitten in den Saal und lasen Korrektur; sie las die -Gegenkorrektur. Und der Alte dachte, das ist ein -tüchtiger Kerl. Und als sie fertig waren, sagte er: -Jetzt haben wir drei Kronen verdient! Und dann -küssten sie sich. Und am nächsten Abend waren -sie im Theater und fuhren nach Haus und das kostete -zwölf Kronen. -</p> - -<p> -Zuweilen, wenn er abends Unterricht geben sollte, -liess er – was tut man nicht für die Liebe – die -Stunde ausfallen und kam zu ihr. Und dann gingen -sie spazieren. -</p> - -<p> -Aber die Hochzeit rückte näher. Da hatte man -etwas anderes zu tun. Sie sahen sich Möbel an. -Mit dem Wichtigsten mussten sie beginnen. Luise -wollte nicht dabei sein, wenn er das Bett kaufte, aber -dann ging sie doch mit. Sie wollten zwei Betten -haben, natürlich; die sollten nebeneinander stehen, -damit sie nicht so viele Kinder kriegten, natürlich. -Und Nussbaum musste es sein, jedes einzige Stück, -echt Nussbaum. Und dann wollten sie rotgestreifte -Matratzen mit Sprungfedern haben und mit Federn -gestopfte Langkissen. Und jeder seine eigene Decke, -aber gleiche natürlich, und Luise wollte ihre blau -haben, denn sie war blond. -</p> - -<p> -Dann gingen sie ins erste Warenhaus. Vor allem -natürlich eine rote Ampel für die Schlafstube und eine -Venus aus Biskuit. Und dann das Tischservice: sechs -Dutzend Gläser von jeder Sorte mit geschliffenen -<a id="page-48" class="pagenum" title="48"></a> -Ecken; und dann Messer und Gabeln, gerieft und gezeichnet. -Und schliesslich die Kücheneinrichtung. Da -aber musste Mama mitgehen. -</p> - -<p> -Und wieviel er zu tun hatte! Wechsel akzeptieren, -zu Banken laufen, Handwerker suchen, Wohnung -finden, Gardinen anbringen. Und er kriegte alles fertig. -Seine Arbeit musste er allerdings liegen lassen; aber -wenn er nur erst verheiratet wäre, dann würde er sie -schon wieder aufnehmen! -</p> - -<p> -Sie wollten nur zwei Zimmer haben, für den Anfang, -sie wollten ja so verständig sein! Da man aber nur -zwei Zimmer hatte, so konnte man sie wenigstens gut -einrichten. Und er mietete zwei Zimmer mit Küche eine -Treppe hoch in der Regierungsstrasse für sechshundert -Kronen. Und als Luise bemerkte, sie hätten ebensogut -drei Zimmer mit Küche vier Treppen hoch für fünfhundert -Kronen haben können, wurde er etwas verlegen; -aber was tut das, wenn man einander nur liebt. Ja, das -meinte Luise auch, aber man könne sich in drei Zimmern -für niedrigere Miete ebenso lieb haben als in -vier für höhere. Ja, er sei dumm, das wisse er, aber -das mache nichts aus, wenn man einander nur liebe. -</p> - -<p> -Die Zimmer waren in Ordnung. Und die Schlafstube -war wie ein kleiner Tempel. Und die beiden -Betten standen nebeneinander wie zwei Equipagen. -Und die Sonne schien auf die blaue Decke und die -weissen, weissen Laken und auf die kleinen Kopfkissen, -die von einer unverheirateten Tante mit Namen bestickt -waren; es waren grosse blumige Buchstaben, -die sich in einer einzigen Umarmung umschlangen -und sich hier und dort küssten, wenn sie einander an den -Ecken trafen. Und die junge Frau hatte ihren kleinen -Alkoven für sich, vor dem ein japanischer Schirm -stand. Und im Salon, der Esssaal, Arbeitszimmer und -Wohnstube zugleich war, stand ihr Klavier (das zwölfhundert -<a id="page-49" class="pagenum" title="49"></a> -Kronen gekostet), stand sein Schreibtisch mit -zehn Fächern („Nussbaum jedes einzige Stück“), -standen die Pfeilerspiegel aus lauter Glas, Sessel, -Büfett, Esstisch. „Es sieht aus, als wohnten vornehme -Leute in dem Zimmer“; und sie konnten nicht verstehen, -was man mit einem Esssaal machen sollte, der -mit seinen Rohrstühlen immer ungemütlich war. -</p> - -<p> -Und an einem Sonnabend war die Hochzeit! Und -am Sonntagmorgen! Hei, welches Leben! Ist es -nicht schön, verheiratet zu sein! Ist nicht die Ehe -eine herrliche Erfindung! Man darf ja ganz tun, -was man will, und dann kommen Eltern und Geschwister -und gratulieren einem noch obendrein! -</p> - -<p> -Die Schlafstube ist um neun Uhr morgens noch -dunkel. Er will nicht die Läden öffnen, um das -Tageslicht hereinzulassen, sondern steckt noch ein -Mal die rote Ampel an, und die wirft ihren zauberischen -Schein über die blaue Decke und die weissen Laken, -die etwas zerknittert sind, und die Biskuit-Venus steht -dort rosenrot und ohne Scham. Und dort liegt das -Frauchen, so seelisch zerknirscht, aber so ausgeschlafen, -als habe sie die erste Nacht ihres Lebens -geschlafen. Und auf der Strasse rollen heute keine -Wagen, denn es ist Sonntag, und die Glocken läuten -zum ersten Male, so jubelnd, so hurtig, als riefen sie -die ganze Welt zusammen, um den, der Mann und -Weib geschaffen, zu loben und zu preisen. Und er -flüstert der kleinen Frau ins Ohr, sie möge sich -abwenden, denn er wolle hinausgehen und das Frühstück -bestellen. Und sie steckt den Kopf in die -Kissen. Und er schlüpft in den Schlafrock und geht -hinter den Schirm, um sich einige Kleider anzuziehen. -</p> - -<p> -Und dann kommt er in den Salon hinaus, und -die Sonne hat eine grosse strahlende Bahn auf den -Boden geworfen; und er weiss nicht, ob es Frühling, -<a id="page-50" class="pagenum" title="50"></a> -Sommer, Herbst oder Winter ist; er weiss nur, dass -es Sonntag ist! Und er fühlt, wie seine Junggesellenzeit -als etwas Garstiges und Dunkles entweicht, und -in seiner Häuslichkeit spürt er einen Hauch vom -alten Elternhaus und zugleich vom Heim seiner -künftigen Kinder. -</p> - -<p> -Hei, wie stark er ist! Die Zukunft empfindet er -wie einen Berg, der ihm entgegen kommt! Er wird -ihn anblasen und der Berg wird einstürzen wie Sand -vor seinen Füssen; er wird über Schornsteine und -Dachfirste dahinfliegen mit seinem Frauchen im Arm. -</p> - -<p> -Und er liest seine Kleider zusammen, die er im -Zimmer verstreut hat; und das weisse Halstuch findet -er an einem Bilderrahmen: dort sitzt es wie ein -weisser Schmetterling. -</p> - -<p> -Und dann geht er in die Küche hinaus. Wie das -neue Kupfer glänzt, wie die neuverzinnten Kasserollen -leuchten! Das gehört ihm und ihr! Und er weckt -das Mädchen, das im Unterrock aus ihrer Kammer -kommt. Und er wundert sich, dass er ihre nackte -Brust nicht sieht: sie ist geschlechtslos für ihn! Denn -für ihn gibt es nur noch eine Frau! Er fühlt sich -keusch wie ein Vater vor seinem Kind. Er gibt ihr -den Auftrag, ins Restaurant hinunter zu gehen und -ein Frühstück zu bestellen, sofort, aber brillant soll -es sein. Porter und Burgunder! Der Wirt weiss -schon Bescheid. Grüssen Sie nur von mir. -</p> - -<p> -Und er geht an die Tür zum Schlafzimmer und -klopft. -</p> - -<p> -– Darf ich hereinkommen? -</p> - -<p> -Ein leichter Aufschrei: -</p> - -<p> -– Nein, Liebster, warte ein wenig! -</p> - -<p> -Und dann deckt er selber. Als das Frühstück kommt, -tischt er es auf ihren neuen Tellern auf. Und dann -legt er die Servietten kunstgerecht zusammen. Und -<a id="page-51" class="pagenum" title="51"></a> -dann wischt er die Weingläser aus. Und dann stellt -er das Brautbukett in ein Glas vor ihr Kuvert. -</p> - -<p> -Als sie schliesslich in ihrem gestickten Morgenrock -aus dem Schlafzimmer tritt, und die Sonne sie blendet, -bekommt sie einen kleinen Ohnmachtsanfall, nur einen -kleinen: er muss sie in den Sessel vorm Frühstückstisch -setzen. Und sie muss einen kleinen Kümmelschnaps -aus einem Likörgläschen trinken und dann -ein Kaviarbrötchen essen. -</p> - -<p> -– Oh, wie nett! Man kann ja machen, was man -will, wenn man verheiratet ist! Was würde Mama -sagen, wenn sie ihre Luise trinken sähe. -</p> - -<p> -Und er tischt ihr auf und bedient sie, ganz als wäre -sie noch seine Braut. Welches Frühstück nach einer -solchen Nacht! Und niemand hat ein Recht, „etwas -zu sagen“. Und es ist schön und gut, und man amüsiert -sich mit dem allerschönsten Gewissen, und das -ist das Beste von allem. Er hat wohl schon solch ein -Frühstück genossen, aber welch ein himmelweiter -Unterschied! Unruhe, Unlust hatte er damals empfunden: -er wollte nicht mehr daran denken! Und als -er nach den Austern ein Glas echten schwedischen -Porter trinkt, kann er alle Junggesellen nicht genug -verachten. -</p> - -<p> -– Wie dumm die Menschen sind, die sich nicht verheiraten! -Solche Egoisten! Man müsste sie besteuern -wie Hunde! -</p> - -<p> -Aber seine Frau wagt einzuwenden, so freundlich -und bescheiden wie möglich: -</p> - -<p> -– Es ist doch wohl schade um die armen Männer, -dass sie nicht alle die Mittel haben, sich zu verheiraten, -denn hätten sie die Mittel, würden sich wohl alle verheiraten! -</p> - -<p> -Der Assistent fühlt einen Stich im Herzen und einen -Augenblick wird ihm bange, als sei er zu übermütig -<a id="page-52" class="pagenum" title="52"></a> -gewesen. Sein ganzes Glück ruhte ja auf einer wirtschaftlichen -Frage, und wenn, wenn ... Pah! Ein -Glas Burgunder! Jetzt sollte gearbeitet werden! Sie -würden schon sehen! -</p> - -<p> -Und dann kommt ein gebratenes Birkhuhn mit -Preiselbeeren und Gurken. Die junge Frau wird etwas -bestürzt, aber es ist ja so nett. -</p> - -<p> -– Lieber Ludwig, und sie legt ihr zitterndes -Händchen auf seinen Oberarm, haben wir denn die -Mittel dazu? -</p> - -<p> -Sie sagt glücklicherweise „wir“! -</p> - -<p> -– Pah, ein Mal ist kein Mal! Später können wir -Kartoffeln und Hering essen! -</p> - -<p> -– Isst du Kartoffel und Hering? -</p> - -<p> -– Ich glaube, ja! -</p> - -<p> -– Wenn du gekneipt hast und ein Beefsteak hinterher -bekommst! -</p> - -<p> -– Nicht schwatzen! Nein, Gesundheit! Das ist -ein ausgezeichnetes Birkhuhn! Und dann Artischocken! -</p> - -<p> -– Nein, aber du bist ja ganz verrückt, Ludwig! Artischocken, -zu dieser Jahreszeit? Was müssen die -kosten! -</p> - -<p> -– Kosten? Sind sie nicht gut? Nun, das ist die -Hauptsache. Und dann Wein! Mehr Wein! Findest -du nicht, dass das Leben schön ist! Oh, es ist herrlich, -herrlich! -</p> - -<p> -Am Nachmittag um sechs Uhr stand eine Kalesche -vor der Tür. Die junge Frau wäre beinahe böse -geworden. Aber wie schön war es, so auf dem Rücksitz -neben einander halb zu liegen und langsam nach -dem Tiergarten zu schaukeln. -</p> - -<p> -– Das ist ja ganz wie im selben Bett liegen, flüsterte -Ludwig. -</p> - -<p> -Sie schlug ihn mit dem Sonnenschirm auf die -Finger. -</p> - -<p> -<a id="page-53" class="pagenum" title="53"></a> -Bekannte blieben auf dem Trottoir stehen und grüssten. -Kameraden winkten mit der Hand, als sagten sie: -</p> - -<p> -– Haha, du Schelm, du hast Geld bekommen! -</p> - -<p> -Und wie klein die Menschen dort unten aussehen, -wie glatt die Strasse war, wie leicht die Fahrt auf -Federn und Polstern ging. -</p> - -<p> -So müsste es immer sein! -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Es dauerte einen ganzen Monat! Bälle, Besuche, -Diners, Soupers, Theater. Aber dazwischen waren -sie zu Hause. Da war es doch am besten! Wie -herrlich, nach einem Souper seine Frau ihrem Papa -und ihrer Mama fortzunehmen, gerade vor der Nase -fortzunehmen, sie in einen geschlossenen Wagen zu -setzen, die Tür zuzuwerfen, den Eltern zuzunicken -und zu sagen: -</p> - -<p> -– Jetzt fahren wir nach Haus zu uns! Und dort -machen wir, was uns gefällt. -</p> - -<p> -Und dann zu Hause einen kleinen Nachtschmaus -einzunehmen und bis gegen Morgen dabei zu sitzen -und zu plaudern! -</p> - -<p> -Und zu Hause war Ludwig immer verständig. Wenigstens -im Prinzip. Eines Tages wollte seine Frau ihn -mit gesalzenem Lachs und Milchkartoffeln und Hafersuppe -auf die Probe stellen. Oh, wie gut das schmeckte! -Er habe die verwünschte Speisekarte satt. -</p> - -<p> -Am nächsten Freitag, als es wieder gesalzenen Lachs -geben sollte, kam Ludwig mit zwei Schneehühnern -nach Haus! Er blieb in der Tür stehen und schrie: -</p> - -<p> -– Kannst du dir denken, Luise, kannst du dir etwas -so Unerhörtes denken? -</p> - -<p> -– Nein, was denn? -</p> - -<p> -– Du wirst es nicht glauben, wenn ich dir sage, -dass ich ein Paar Schneehühner gekauft habe, selbst -auf dem Markt gekauft habe, für – rate! -</p> - -<p> -<a id="page-54" class="pagenum" title="54"></a> -Seine Frau sah eher verstimmt als neugierig aus. -</p> - -<p> -– Denk dir, eine Krone das Paar! -</p> - -<p> -– Ich habe Schneehühner schon für achtzig Pfennige -das Paar gekauft; aber (fügte sie versöhnend hinzu, -um ihren Mann nicht ganz aus der Fassung zu bringen) -es gab viel Schnee in jenem Winter! -</p> - -<p> -– Ja, aber du musst doch jedenfalls zugeben, dass -es billig ist. -</p> - -<p> -Was würde sie nicht zugeben, um ihn froh zu sehen! -</p> - -<p> -Abends aber hatten sie Grütze auf dem Tisch, um -eine Probe zu machen. Nachdem Ludwig jedoch ein -Schneehuhn gegessen hatte, bedauerte er sehr, dass -er nun nicht mehr so viel Grütze zu essen vermöchte, -wie er gern <em>gewollt</em> hätte, um ihr zu zeigen, dass er -wirklich Grütze essen wolle. Und Grütze esse er -gern, aber Milch sei ihm kaum möglich, nachdem er -kaltes Fieber gehabt. Er könne Milch nicht hinunterbringen, -aber Grütze wolle er jeden Abend essen, -jeden einzigen Abend, damit sie nur nicht böse auf -ihn werde. -</p> - -<p> -Seitdem gab es nie mehr Grütze! -</p> - -<p> -Als sechs Wochen vergangen waren, wurde die -junge Frau krank. Sie hatte Kopfschmerzen und musste -brechen. Es könne nur eine leichte Erkältung sein. -Aber das Erbrechen hörte nicht auf. Hm! Konnte sie -etwas Giftiges gegessen haben? War nicht das Kupfer -neu verzinnt? Der Arzt wurde geholt. Er lächelte und -sagte, es sei, wie es sein solle. -</p> - -<p> -– Was ist, wie es sein soll? Etwas Tolles? Ach Unsinn! -Das ist nicht möglich. Wie soll das möglich -sein können? Nein, das sind die Tapeten in der -Schlafstube; sicher ist Arsenik darin. Schicken wir -sofort ein Stück nach der Apotheke zur Untersuchung! -</p> - -<p> -Arsenikfrei, schrieb der Apotheker. -</p> - -<p> -<a id="page-55" class="pagenum" title="55"></a> -– Das ist doch merkwürdig! Kein Arsenik in den -Tapeten? -</p> - -<p> -Die junge Frau war noch immer krank. Er las in -einem medizinischen Buch nach, und dann sagte er -seiner Frau eine Frage ins Ohr. -</p> - -<p> -– Siehst du, da haben wirs! Nur ein warmes Fussbad! -</p> - -<p> -Vier Wochen später erklärte die Hebamme, alles sei, -„wie es sein solle“. -</p> - -<p> -– Wie es sein soll? Ja, natürlich, aber das kommt -etwas schnell! -</p> - -<p> -Da es nun einmal so war, oh wie schön das werden -würde! Man denke nur, ein Kind! Hurrah! Sie sollten -Papa und Mama werden! Wie sollte er heissen? -Denn es musste ein Junge sein. Das war klar! -</p> - -<p> -Jetzt aber nahm sie ihren Mann vor und sprach -ernst mit ihm! Er hatte weder eine Übersetzung noch -eine Korrektur gemacht, seit sie sich verheiratet hatten. -Und der blosse Gehalt reichte nicht. -</p> - -<p> -– Ja, man hat in Saus und Braus gelebt. Herr -Gott, man ist eben nur ein Mal jung! Jetzt aber soll -es anders werden! -</p> - -<p> -Am nächsten Tag ging der Assistent zu seinem alten -Freund, dem Aktuar, um dessen Bürgschaft für ein -Darlehen zu erbitten. -</p> - -<p> -– Wenn man im Begriff ist, Vater zu werden, -siehst du, lieber Freund, muss man an die Ausgaben -denken. -</p> - -<p> -– Ganz mein Gedanke, lieber Freund, antwortete -der Aktuar; darum habe ich nicht die Mittel gehabt -mich zu verheiraten. Aber du bist so glücklich, die -Mittel zu haben! -</p> - -<p> -Der Assistent schämte sich, die Bürgschaft zu verlangen. -Wie konnte er die Stirn haben, diesen Junggesellen -zu bitten, ihm für sein Kind zu helfen? Diesen -<a id="page-56" class="pagenum" title="56"></a> -Junggesellen, der selber nicht die Mittel hatte, sich -Kinder zu leisten! Nein, das konnte er nicht. -</p> - -<p> -Als er zum Mittagessen nach Haus kam, erzählte -seine Frau, es seien zwei Herren dagewesen, um ihn -zu sprechen. -</p> - -<p> -– Wie sahen sie aus? Waren sie jung? Trugen sie -Gläser? Dann waren es bestimmt zwei Leutnants, -alte gute Freunde aus dem Badeort Waxholm. -</p> - -<p> -– Nein, es waren keine Leutnants; sie sahen älter -aus! -</p> - -<p> -– Dann weiss ich! Das waren alte Freunde von -der Universität Uppsala, wahrscheinlich der Dozent -P. und der Hilfsprediger O. Die wollten einmal -nachsehen, wie ihr alter Ludwig als Ehemann ausschaut. -</p> - -<p> -– Nein, sie waren nicht aus Uppsala, sie waren -aus Stockholm! -</p> - -<p> -Das Mädchen wurde hereingerufen. Sie meinte, -die Leute hätten schäbig ausgesehen und Stöcke -getragen. -</p> - -<p> -– Stöcke! Hm! ich kann nicht verstehen, was -das für Leute gewesen sind. Nun, das wird man -schon früh genug erfahren; sie wollten ja wiederkommen. -Übrigens habe ich zufällig eine Kanne -Gartenerdbeeren gefunden zu einem wirklichen -Schleuderpreis; ja es ist beinahe lächerlich! Kannst -du dir denken, Gartenerdbeeren für einsfünfzig die -Kanne, in dieser Jahreszeit! -</p> - -<p> -– Ludwig, Ludwig, wohin soll das führen? -</p> - -<p> -– Es wird ausgezeichnet gehen. Heute habe ich -eine Übersetzung bekommen. -</p> - -<p> -– Aber du hast Schulden, Ludwig! -</p> - -<p> -– Kleinigkeiten! Kleinigkeiten! Warte nur, wenn -ich meine grosse Anleihe mache. -</p> - -<p> -– Deine Anleihe! Das wird ja eine neue Schuld! -</p> - -<p> -<a id="page-57" class="pagenum" title="57"></a> -– Ja, aber auf was für Bedingungen! Sprechen -wir jetzt aber nicht von Geschäften! Sind die Erdbeeren -nicht gut? Was? Wird es nicht schmecken, -darauf ein Glas Sherry zu trinken? Was? Lina, geh -zum Kaufmann hinunter und hol eine Flasche Sherry, -echten Sherry! -</p> - -<p> -Nachdem er auf dem Sofa im Salon ein Mittagsschläfchen -gehalten hatte, bat seine Frau, ihm ein -Wort sagen zu dürfen. -</p> - -<p> -– Aber du musst nicht böse werden! -</p> - -<p> -– Böse? Ich! Gott bewahre! Es ist wohl das -Haushaltungsgeld? -</p> - -<p> -– Ja! Der Kaufmann ist nicht bezahlt! Der -Schlächter drängt, der Mietskutscher läuft einem ins -Haus; mit einem Wort, es ist peinlich! -</p> - -<p> -– Weiter nichts? Sie werden morgen jeden Schilling -bekommen! Wie unverschämt, wegen solcher Kleinigkeiten -zu drängen! Sie werden morgen jeden Schilling -erhalten, aber einen Kunden verlieren. Jetzt wollen -wir aber nicht mehr von dieser Sache sprechen. -Sondern spazieren gehen. Kein Wagen! Wir fahren -mit der Strassenbahn nach dem Tiergarten und erfrischen -uns ein wenig. -</p> - -<p> -Und sie fuhren in den Tiergarten. Als sie ins -Restaurant gingen und ein besonderes Zimmer nahmen, -flüsterten die jungen Herren im grossen Saal. -</p> - -<p> -– Man glaubt, wir seien auf Abenteuer aus. Wie -lustig! Wie verrückt. -</p> - -<p> -Seiner Frau aber war es nicht angenehm. -</p> - -<p> -Und nachher die Rechnung! -</p> - -<p> -– Wenn wir zu Hause geblieben wären, was hätten -wir für das Geld nicht alles haben können! -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Monate vergehen! Die Zeit nähert sich! Eine Wiege -muss angeschafft werden und Kinderkleider. Und -<a id="page-58" class="pagenum" title="58"></a> -es muss so vieles angeschafft werden! Herr Ludwig -ist den ganzen Tag in Geschäften unterwegs. Aber -das Getreide ist gestiegen. Die harten Zeiten kommen! -Keine Übersetzung, keine Korrektur. Die Menschen -sind Materialisten geworden. Sie lesen keine Bücher -mehr, sondern kaufen Essen für ihr Geld. In welch -prosaischer Zeit man lebt! Die Ideale verschwinden -aus dem Leben und die Schneehühner werden nicht -unter zwei Kronen das Paar verkauft. Die Mietskutscher -wollen Assistenten nicht mehr umsonst nach -dem Tiergarten fahren, denn sie haben auch Weib -und Kind; und sogar der Kaufmann will sich seine -Waren bezahlen lassen. O, welche Realisten! -</p> - -<p> -Der Tag kommt und die Nacht ist da! Er muss -sich anziehen und nach der Hebamme laufen! Vom -Krankenbett muss er in den Flur hinaus, um Gläubiger -zu empfangen. -</p> - -<p> -Schliesslich hat er seine Tochter in den Armen! -Da weint er, denn er fühlt die Verantwortung, eine -Verantwortung, die schwerer ist, als seine Kraft zu -tragen vermag. Und er fasst neue Vorsätze. Aber -seine Nerven sind ruiniert. Er hat eine Übersetzung -erhalten, aber er kann nicht dabei bleiben, denn er -muss immerzu in Geschäften ausgehen. -</p> - -<p> -Er stürzt zum Schwiegervater, der nach der Stadt -gekommen ist, und bringt ihm die frohe Neuigkeit. -</p> - -<p> -– Ich bin Vater! -</p> - -<p> -– Gut, sagt der Schwiegervater. Hast du Brot -für das Kind? -</p> - -<p> -– Nein, augenblicklich nicht. Du musst helfen, -Schwiegervater! -</p> - -<p> -– Ja, für den Augenblick! Aber dann nicht mehr. -Ich besitze nicht mehr, als sie und die anderen Kinder -brauchen! -</p> - -<p> -<a id="page-59" class="pagenum" title="59"></a> -Und jetzt muss die junge Frau Hühner haben, die -er selbst auf dem Markt kauft, und Johannisberger -für sechs Kronen die Flasche. Echt muss es sein! -</p> - -<p> -Und dann muss die Hebamme hundert Kronen haben. -</p> - -<p> -– Warum sollten wir weniger als andere geben? -Hat der Hauptmann nicht hundert gegeben? -</p> - -<p> -Bald ist die junge Frau wieder auf den Beinen. Sie -ist wieder wie ein Mädchen geworden, schmal um die -Taille wie eine Gerte, etwas blass allerdings, aber das -kleidet sie. -</p> - -<p> -Der Schwiegervater kommt und spricht mit Ludwig -unter vier Augen. -</p> - -<p> -– Nun kommst du vorläufig aber nicht mit mehr -Kindern, sagt er; sonst bist du ruiniert. -</p> - -<p> -– Welche Sprache von einem Vater! Man ist doch -verheiratet! Liebt man einander nicht! Soll man -keine Kinder haben? -</p> - -<p> -– Doch, aber man muss auch Brot für die Kinder -haben! Lieben, das möchten wohl alle jungen Menschen, -spielen, ins Bett kriechen, sich belustigen; aber die -Verantwortung! -</p> - -<p> -– Der Schwiegervater ist auch Materialist geworden. -O welch eine erbärmliche Zeit. Keine ideale mehr! -</p> - -<p> -Das Haus war unterminiert. Die Liebe lebte, denn -die war stark, und die Herzen des jungen Paares waren -weich. Aber der Gerichtsvollzieher war nicht weich. -Pfändung stand bevor und Konkurs drohte. Dann -lieber noch Pfändung! -</p> - -<p> -Der Schwiegervater kam mit einem grossen Reisewagen, -um seine Tochter und seine Enkelin abzuholen. -Dem Eidam verbot er, sich zu zeigen, bevor er Brot -habe und seine Schulden bezahlen könne. Zu seiner -Tochter sagte er nichts; als er sie aber nach Haus -brachte, war es ihm, als bringe er eine Verführte zurück. -Er hatte sein unschuldiges Kind einem jungen -<a id="page-60" class="pagenum" title="60"></a> -Herrn auf ein Jahr ausgeliehen, und nun erhielt er es -„entehrt“ zurück. Sie wäre wohl gern bei ihrem Mann -geblieben, aber sie konnte mit ihrem Kinde doch nicht -auf der Strasse wohnen! -</p> - -<p> -So musste Herr Ludwig allein zurückbleiben, um zu -sehen, wie seine Häuslichkeit geplündert wurde. Aber -es war ja nicht seine, da er sie nicht bezahlt hatte. -Huh! Die beiden Herren mit Gläsern nahmen die -Betten und das Bettzeug; sie nahmen die kupfernen -Kasserollen und die blechernen Gefässe; Tischservice -und Kronen und Leuchter: alles, alles! -</p> - -<p> -Und als er dann allein in den beiden Zimmern stand, -o wie leer, wie jammervoll! Wenn er nur sie noch -gehabt hätte! Was aber sollte sie hier in den leeren -Zimmern machen! Nein, dann war es noch besser, -wie es war. Ihr selber ging es ja gut! -</p> - -<p> -Nun begann der bittere Ernst des Lebens! Er fand -eine Stelle bei einer Morgenzeitung als Korrektor. Um -Mitternacht musste er auf der Redaktion sein, um drei -Uhr konnte er wieder gehen. Auf seinem Amt konnte -er bleiben, da es nicht zum Konkurs gekommen war, -aber mit der Beförderung war es vorbei! -</p> - -<p> -Schliesslich wurde ihm erlaubt, ein Mal in der Woche -Weib und Kind zu besuchen, aber immer unter Bewachung. -Und er musste in der Nacht zum Sonntag -in einer Kammer schlafen, die neben der Schlafstube -des Schwiegervaters lag. Am Sonntagabend musste -er wieder in die Stadt, denn die Zeitung erschien auch -am Montag. -</p> - -<p> -Wenn er dann Abschied von Weib und Kind nimmt, -die ihn bis an die Gartentür begleiten dürfen, denen er -vom letzten Hügel noch ein Mal zuwinkt, dann fühlt -er sich so elendiglich, so unglücklich, so gedemütigt. -Und sie erst! -</p> - -<p> -<a id="page-61" class="pagenum" title="61"></a> -Er hat ausgerechnet, dass er zwanzig Jahre braucht -um seine Schulden zu bezahlen! Und dann? Dann -kann er doch nicht Weib und Kind versorgen. Aber -seine Hoffnung? Nichts! Wenn der Schwiegervater -stirbt, stehen seine Frau und sein Kind auf der Strasse; -er wagt also nicht, ihrer einzigen Stütze den Tod zu -wünschen. -</p> - -<p> -O wie grausam ist das Leben, das den Menschenkindern -kein Essen schaffen kann, während es doch -allen anderen Geschöpfen Nahrung umsonst gibt. -</p> - -<p> -O wie grausam, wie grausam! Dass das Leben -nicht allen Menschen Erdbeeren und Schneehühner -geben kann! Wie grausam, wie grausam! -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="chapter-0-3"> -<a id="page-63" class="pagenum" title="63"></a> -<span class="line1">Musste</span> -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -Punkt halb neun Uhr abends im Winter steht er -in der Tür zur Glasveranda des Restaurants. Während -er mit mathematischer Genauigkeit die Kastorhandschuhe -auszieht, guckt er über die angelaufenen Gläser -erst nach rechts, dann nach links, ob Bekannte da -sind. Dann hängt er den Überrock an seinen Haken, -den rechts vom Kamin. Der Kellner Gustav, der ein -Schüler des Lehrers gewesen ist, hat, ohne eine Ordre -abzuwarten, die Brotkrumen von <em>dessen</em> Tisch gefegt, -die Senfdose umgerührt, das Salzfass geharkt und -die Serviette umgedreht. Darauf holt er, ohne dass -es ihm erst gesagt zu werden braucht, eine Flasche -Medhamra, macht eine halbe Flasche Vereinsbier auf, -überreicht dem Lehrer, nur des Scheins wegen, die -Speisekarte und fragt, mehr der Form wegen als um -zu fragen: -</p> - -<p> -– Krebse? -</p> - -<p> -– Weibliche Krebse! sagt der Lehrer. -</p> - -<p> -– Grosse weibliche Krebse, sagt Gustav, geht nach -der Küchenklappe und ruft: Grosse weibliche Krebse, -für den Herrn Lehrer, und viel Dill! -</p> - -<p> -Dann holt er eine Garnitur Butter und Käse, schneidet -zwei Scheiben Pumpernickel und stellt alles auf den -Tisch des Lehrers. Der hat in der Veranda eine Razzia -nach den Abendzeitungen gehalten, aber nur die offizielle -„Postzeitung“ gefunden. Zum Ersatz nimmt -<a id="page-64" class="pagenum" title="64"></a> -er das „Tageblatt“, mit dem er mittags nicht fertig geworden -ist, und setzt sich hin, um es zu lesen, nachdem -er die Postzeitung aufgeschlagen, umgefaltet und -links neben sich auf den Brotkorb gelegt hat. Dann -streicht er mit dem Messer einige geometrische Butterfiguren -auf den Pumpernickel, schneidet aus dem -Schweizerkäse ein Rechteck, giesst den Schnaps zu -drei Vierteln ein und führt ihn bis zur Höhe des -Mundes: dort macht er eine Pause, als zögere er vor -einer Medizin, wirft den Kopf zurück und sagt huh! -</p> - -<p> -Das hat er nun zwölf Jahre getan und wird es tun -bis zu seinem Sterbetage. -</p> - -<p> -Als die Krebse, sechs Stück, angelangt sind, untersucht -er deren Geschlecht, und da nichts einzuwenden -ist, geht er an den genussreichen Akt. Die Serviette -wird mit der einen Ecke hinter den Kragen gesteckt, -zwei Brotscheiben mit Käse werden neben den Teller -bereit gestellt, und er giesst sich ein Glas Bier und -einen halben Schnaps ein. Darauf nimmt er das kleine -Krebsmesser und beginnt die Schlacht. Nur er allein -kann in Schweden Krebse essen, und wenn er einen -andern Krebse essen sieht, sagt er: Du kannst nicht -Krebse essen. Zuerst macht er einen Schnitt um den -Kopf des Krebses, und nachdem er das Loch für den -Mund bekommen hat, saugt er. -</p> - -<p> -– Das ist das Feinste, sagt er. -</p> - -<p> -Dann löst er den Thorax vom Untergestell, ritzt -Blutadler, wie er es nennt, setzt die Zähne an den -Rumpf und saugt mit tiefen Zügen; darauf schlürft -er die kleinen Beine wie Spargel. Dann isst er eine -Prise Dill, trinkt einen Schluck Bier, beisst in den -Pumpernickel. Nachdem er die Klauen genau geschält -und die feinsten Kalkröhren ausgesogen hat, -verzehrt er das Fleisch, um dann zum Schwanz überzugehen. -Als er drei Krebse gegessen hat, nimmt -<a id="page-65" class="pagenum" title="65"></a> -er einen halben Schnaps und liest die Ernennungen -in der Postzeitung. So hat er es zwölf Jahre gemacht -und so wird er es immer machen. -</p> - -<p> -Er war zwanzig Jahre alt, als er in diesem Lokal -zu essen anfing, jetzt ist er zweiunddreissig, und Gustav -ist zehn Jahre Kellner hier! Der Lehrer ist der Älteste -hier, er ist älter als der Wirt, denn der hat den Betrieb -erst seit acht Jahren! Er hat viele Reihen von -Mittagsgästen gesehen; einige hielten ein Jahr, zwei -Jahre, fünf Jahre aus; dann verschwanden sie, gingen -nach einem andern Lokal, zogen nach einem andern -Ort, oder verheirateten sich. Er fühlte sich sehr alt, -und doch zählte er nur zweiunddreissig Jahre! Dies -ist sein Heim, denn in seinem möblierten Zimmer -schläft er nur. -</p> - -<p> -Die Uhr wird zehn. Da erhebt er sich und geht -in den kleinen Saal, wo sein Grog auf ihn wartet. -Jetzt kommt der Buchhändler. Sie spielen Schach -oder sprechen über Bücher. Um halb elf kommt die -zweite Geige vom Dramatischen Theater. Es ist ein -alter Pole, der nach 64 nach Schweden floh und -sich nun sein Leben damit verdienen muss, was ihm -früher ein Vergnügen gewesen. Der Pole und der -Buchhändler haben die fünfzig erreicht, aber sie -gedeihen mit dem Lehrer, als sei er vom gleichen -Alter. -</p> - -<p> -Hinter dem Ladentisch sitzt der Wirt. Er ist ein -alter Schiffskapitän, der sich in die Restauratrice -verliebte und beschloss, sein Schicksal mit dem ihren -zu vereinen. Sie herrscht jetzt in der Küche und -hält immer die Klappe offen, um ein Auge auf den -Alten zu haben, damit er sich nicht etwa ein Räuschchen -antrinkt, ehe die Gäste gehen. Wenn aber das -Gas gelöscht und das Bett gemacht ist, kriegt der -Alte einen Napf mit Grog von Rum als Schlaftrunk. -</p> - -<p> -<a id="page-66" class="pagenum" title="66"></a> -Um elf Uhr beginnen die jungen Herren zu kommen, -die vorsichtig an den Ladentisch herantreten und -den Wirt flüsternd fragen, ob eine Treppe hoch ein -„Privatzimmer“ frei sei; und dann hört man das Rauschen -von Röcken, die durch den Flur schlüpfen, um ungesehen -die Treppe hinaufzukommen. -</p> - -<p> -– Nun, sagt der Buchhändler, der ein Gesprächsthema -gratis bekommen hat, wirst du nicht daran -denken, dich fortzupflanzen, alter Blom? -</p> - -<p> -– Ich habe nicht die Mittel dazu, sagt der Lehrer. -Warum verheiratest du dich nicht selber? -</p> - -<p> -– Jetzt nimmt mich keine mehr, sagt der Buchhändler, -nachdem mein Kopf einem alten Seehundskoffer -gleich geworden ist. Übrigens habe ich ja -meine alte Stafva. -</p> - -<p> -Stafva war eine mystische Person, an die niemand -glaubte. Sie war die Verkörperung der nicht erfüllten -Träume des Buchhändlers. -</p> - -<p> -– Aber Herr Potocki? wandte der Lehrer ein. -</p> - -<p> -– Er ist ja verheiratet gewesen; das ist doch genug, -sagt der Buchhändler. -</p> - -<p> -Der Pole nickt wie ein Taktmesser und sagt: -</p> - -<p> -– Ja, ich bin glücklich verheiratet gewesen. Huh! -</p> - -<p> -Und damit trinkt er seinen Grog aus. -</p> - -<p> -– Ja, sagt der Lehrer, wenn sie nicht solche -Gänse wären, diese Frauen, dann könnte man an -die Sache denken; aber es sind verdammte Gänse. -</p> - -<p> -Der Pole nickt wieder und lächelt, denn als Pole -versteht er das Wort „Gänse“ nicht. -</p> - -<p> -– Ich bin sehr glücklich verheiratet gewesen – huh! -</p> - -<p> -– Und dann hat man Kindergeschrei und saure -Kleider am Ofen, fuhr der Lehrer fort, und dann -Mägde und Küchengeruch. Nein, danke! Und dann -kann man vielleicht nachts nicht schlafen. -</p> - -<p> -– Huh! vollendete der Pole. -</p> - -<p> -<a id="page-67" class="pagenum" title="67"></a> -– Herr Potocki sagt huh, fiel der Buchhändler -ein, mit der gewöhnlichen Schadenfreude des Junggesellen, -der einen Verheirateten sich unvorteilhaft -über die Ehe äussern hört. -</p> - -<p> -– Was sagte ich? fragte der Witwer erstaunt. -</p> - -<p> -– Huh, ahmte der Buchhändler ihm nach, und -das Gespräch löste sich in ein gemeinsames Grinsen -und eine Tabakswolke auf. -</p> - -<p> -So wird es zwölf. Das Klavier, das eine Treppe -hoch einen gemischten Chor männlicher und weiblicher -Stimmen begleitet hat, schweigt. Der Kellner -hört auf, von der Küchenklappe nach der Veranda -zu laufen; der Wirt trägt in die Kladde die letzten -Champagnerflaschen ein, die eine Treppe hoch bestellt -sind; die drei Freunde erheben sich und gehen, -jeder heim zu seinem „keuschen Junggesellenbett“, -aber der Buchhändler heim zu seiner Stafva. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Lehrer Blom hatte im Alter von zwanzig Jahren -seine Studien auf der Universität Uppsala unterbrochen -und war nach der Hauptstadt Stockholm gekommen, -um als Hilfslehrer sein Brot zu verdienen. Da er -ausserdem noch Privatstunden gab, kam er ganz gut -aus. Er verlangte nicht viel vom Leben. Ordnung und -Ruhe war alles. In seinem möblierten Zimmer, das -er von einer alten Mamsell gemietet hatte, fand er -mehr, als ein Junggeselle zu verlangen pflegt; er fand -Pflege und Freundlichkeit; all die Zärtlichkeit, welche -die Natur bei dieser Frau für ein neues Geschlecht -aus ihrem Blut bestimmt hatte, fiel ihm gratis zu. -Sie besserte seine Kleider aus und sorgte für ihn. -Er hatte aber früh seine Mutter verloren und war -daher nicht gewohnt, dergleichen umsonst zu bekommen; -deshalb nahm er das Geschenk als einen -<a id="page-68" class="pagenum" title="68"></a> -Eingriff in seine Freiheit hin, nahm es aber an! Die -Kneipe war jedoch sein Heim. Dort bezahlte er für -alles und blieb nichts schuldig. -</p> - -<p> -In einer Provinzstadt des mittleren Schweden geboren, -war er ein Fremdling in Stockholm. Besuchte -niemand! Verkehrte nicht in Familien und traf nur -seine Bekannten in der Kneipe, plauderte mit ihnen, -schenkte ihnen aber nicht sein Vertrauen und hatte -auch keins zu verschenken. Da er in der Schule -nur in der dritten Klasse unterrichtete, hatte er ein -Gefühl, als sei er im Wachstum zurückgeblieben. -Er hatte ja einmal die dritte Klasse bis zur siebenten -durchgemacht und war Student geworden; nun sass -er doch wieder in der dritten, hatte zwölf Jahre -dort gesessen und kam nicht weiter. Er lehrte das -zweite und dritte Buch des Euclid, das war der Kursus -der Klasse. Das ganze Leben zeigte sich also für -ihn nur als ein Fragment; als ein Fragment ohne -Anfang oder Ende: das zweite und dritte Buch. In -freien Stunden las er Altertumskunde und Zeitungen. -Altertumskunde ist eine moderne Wissenschaft, eine -Krankheit der Zeit, kann man sagen. Und sie ist -gefährlich, denn sie zeigt in den meisten Fällen, dass -die menschliche Albernheit ziemlich konstant gewesen -ist. -</p> - -<p> -In den Zeitungen sah er nur eine Partie Schach; die -Politik war für ihn ein interessantes Spiel – um den -König, nichts weiter, denn er war erzogen wie alle -andern: es war für ihn ein Glaube, was in der Welt -geschieht, gehe uns nichts an, dafür sorgten die, denen -Gott die Macht gegeben habe. Diese Art, die Dinge zu -sehen, gab seiner Seele eine grosse und stille Ruhe; -er beunruhigte niemanden und wurde von nichts beunruhigt. -Wenn er zuweilen fand, etwas sei besonders -töricht, tröstete er sich damit, dass es eben nicht zu -<a id="page-69" class="pagenum" title="69"></a> -ändern sei! Die Erziehung hatte ihn zum Egoisten -machen müssen, und der Katechismus hatte ihn gelehrt: -wenn jeder seine Pflicht tut, so geht alles gut, -was uns auch zustösst. Er tat seine Pflicht auch musterhaft -in der Schule; kam nie zu spät; war niemals -krank. Auch in seinem Privatleben war er ohne Tadel; -bezahlte seine Miete auf den Tag, ass nie auf Kredit -und ging zu „Frauen“ ein Mal in der Woche (er sagte -nie, dass er zu „Mädchen“ gehe). Sein Leben zog dahin -wie ein Zug auf blanken Schienen, nach dem -Sekundenzeiger, durch die bestimmten Stationen, und -als kluger Mann vermied er jeden Zusammenstoss. -Die Zukunft, an die dachte er nicht, denn ein wahrer -Egoist denkt nicht so weit, aus dem einfachen Grund, -weil die Zukunft sein nicht mehr ist als höchstens -zwanzig, dreissig Jahre. -</p> - -<p> -So verging sein Leben! -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Es war Mittsommermorgen, strahlend, sonnig, wie -er sein soll. Der Lehrer lag in seinem Bett und las -über die Kriegskunst der Egypter, als Mamsell Auguste -mit dem Kaffee herein kam. Sie hatte dem Tage zu -Ehren Safranbrot geschnitten und Fliederblüten auf -die Serviette gelegt. Schon am Abend vorher hatte sie -einige Birkenzweige hinter den Ofen gesteckt, reinen -Sand mit einigen Schlüsselblumen in den Spucknapf -getan und ein Glas mit Maiblumen auf den Spiegeltisch -gestellt. -</p> - -<p> -– Nun, werden Sie nicht auch heute eine Vergnügungstour -unternehmen, Herr Blom? fragte die -Alte und liess die Augen über die Ausschmückung -schweifen, die sie für die kleine Kammer angewandt -hatte, um ein Wort der Anerkennung oder des Dankes -zu erhalten. -</p> - -<p> -<a id="page-70" class="pagenum" title="70"></a> -Aber Herr Blom hat die Ausschmückung gar nicht -bemerkt, sondern antwortete ganz trocken: -</p> - -<p> -– Nein, das wissen Sie doch, Mamsell Auguste, -dass ich nie Vergnügungstouren mache, weil ich von -der Menge nicht gestossen noch von Kindern totgeschrien -werden will. -</p> - -<p> -– Aber an solch einem schönen Mittsommertag -kann man doch nicht in der Stadt bleiben. Wenigstens -in den Tiergarten werden Sie doch gehen? -</p> - -<p> -– Das wäre wohl das letzte für mich, besonders -heute, wo alle möglichen Leute dort sind. Nein, ich -habe es hier in der Stadt so gut, und diese Faxen mit -den Feiertagen werden doch einmal ein Ende nehmen. -</p> - -<p> -– Lieber Herr Blom, wandte die Alte ein, viele -Menschen finden, es sind noch viel zu wenig Feiertage -in dem schweren Arbeitsjahr. Wollen Sie mir -aber bitte sagen, ob Sie noch etwas wünschen; meine -Schwester und ich wollen eine Dampferfahrt machen, -von der wir nicht vor zehn Uhr abends zurückkommen? -</p> - -<p> -– Viel Vergnügen, Mamsell Auguste, ich brauche -nichts und sorge schon selber für mich! Die Portierfrau -kann das Zimmer in Ordnung bringen, wenn -ich gegen Mittag ausgehe. -</p> - -<p> -Und er blieb allein mit seinem Kaffee. Als er getrunken -hatte, steckte er sich eine Zigarre an und blieb -im Bett liegen mit seiner ägyptischen Kriegskunst. -Das Fenster, das offen stand, riss an seinem Haken -bei einem schwachen Südwind. Um acht Uhr läutete -die nächste Kirche mit allen ihren Glocken, grossen -und kleinen, und die anderen Kirchen von Stockholm, -Katharina, Maria und Jakob, fielen ein; es bimmelte -und bammelte, dass es einen Heiden zur Verzweiflung -bringen konnte. Als das Läuten schwieg, begann -ein Kanoniersextett auf der Kommandobrücke eines -<a id="page-71" class="pagenum" title="71"></a> -Dampfers eine Française aus dem Theaterstück „Die -schwache Seite“. Der Lehrer wand sich auf dem Laken -seines Bettsofas und hätte sich gern die Mühe gemacht, -aufzustehen und das Fenster zu schliessen, -wenn es nicht zu warm gewesen wäre. Und dann -waren Trommelwirbel zu hören, die aber unterbrochen -wurden von einem neuen Messingquintett, das -auf einem anderen Dampfer den Jägerchor aus dem -„Freischütz“ spielte. Aber die unglückverheissenden -Trommelschläge näherten sich. Das waren die Scharfschützen, -die aufs freie Feld hinauszogen und die -Strasse passieren mussten. Jetzt hörte er den Scharfschützenmarsch -sechs Male, dazwischen die Pfiffe, -die Glocken, die Messingmusik der Dampfer, bis -diese Töne schliesslich mit den Schraubenschlägen -verklangen. -</p> - -<p> -Er stand um zehn Uhr auf und setzte das Rasierwasser -auf seinen Spirituskocher. Das gestärkte -Hemd lag auf der Kommode so weiss und so steif -wie ein Brett. Er brauchte eine Viertelstunde, um -die Knöpfe in die Knopflöcher zu stecken. Dann rasierte -er sich eine halbe Stunde. Kämmte sich sorgfältig, -als führe er eine äusserst wichtige Verrichtung -aus. Als er die Hosen anzog, hielt er das untere Ende -hoch, damit es auf dem Boden nicht staubig werde. -</p> - -<p> -Sein Zimmer war einfach, äusserst einfach und ordentlich. -Es war unpersönlich, abstrakt wie ein Hotelzimmer. -Und doch hatte er dort zwölf Jahre gewohnt. -Bei den meisten Menschen pflegen sich während eines -solchen Zeitraums eine Menge Kleinigkeiten anzusammeln: -Geschenke, kleine Überflüssigkeiten, Zierat, -Luxusgegenstände. Nicht eine Gravüre hing hier an der -Wand, die als Beilage einer illustrierten Zeitung eine -Gefühlssaite angeschlagen; keine Decke, von freundlichen -Schwestern gehäkelt, lag auf den Stühlen; -<a id="page-72" class="pagenum" title="72"></a> -keine Photographie eines lieben Gesichts stand, kein -gestickter Federwischer lag auf dem Schreibtisch. Alles -war zum besten Preis gekauft, um unnötige Ausgaben -zu ersparen, welche die Unabhängigkeit des Besitzers -beeinträchtigt hätten. -</p> - -<p> -Er legte sich ins Fenster, um auf die Strasse und -über den Artillerieplatz hinweg bis zum Hafen zu sehen. -In dem Haus, das schräg gegenüber lag, sah er eine -Frau im Korsett ihre Toilette machen. Er wandte -sich fort, wie von etwas Hässlichem, oder von etwas, -das seine Ruhe stören konnte. Unten im Hafen flaggten -alle Segelschiffe und Dampfer, und das Wasser glitzerte -im Sonnenschein. Zur Kirche hinauf wanderten einige -alte Frauen mit Gesangbüchern in den Händen. Vor -dem Hof der Artillerie ging der Posten mit seinem -Säbel und sah missvergnügt aus, dann und wann nach -der Turmuhr blickend, um nachzusehen, wie weit es noch -zur Ablösung sei. Sonst lagen die Strassen leer, grau, -heiss da. Er sah wieder zu der Frau hinüber, die -sich ankleidete. Sie hatte eine Puderquaste genommen -und puderte sich die Nasenwinkel vor dem Spiegel -mit einer Miene, die sie einem Affen ähnlich machte. -Er stand vom Fenster auf und setzte sich in den -Schaukelstuhl. -</p> - -<p> -Er machte sein Programm für den Tag, denn er -hatte nun einmal eine dunkle Furcht vor der Einsamkeit. -Am Alltag hatte er die Schuljugend um sich, -und obwohl er diese wilden Tiere nicht liebte, die -er zähmen, das heisst die schwere Kunst der Verstellung -lehren sollte, fühlte er doch eine gewisse -Leere, wenn er nicht bei ihnen war. Jetzt während -der Sommerferien hatte er eine Ferienschule eingerichtet, -aber auch deren Besucher hatten kurze Mittsommerferien, -und er war nun mehrere Tage allein -gewesen, die Stunden der Mahlzeiten ausgenommen, -<a id="page-73" class="pagenum" title="73"></a> -in denen er immer auf den Buchhändler und die -zweite Geige rechnen konnte. -</p> - -<p> -– Um zwei Uhr, dachte er, wenn die Parade -vorbei ist und der Volksstrom sich aufgelöst hat, -gehe ich in meine Kneipe und esse zu Mittag; dann -nehme ich den Buchhändler mit mir nach Strömsborg; -dort ist es heute still und leer, und dort trinken -wir Kaffee und Punsch, bis es Abend wird, dann -kehren wir nach Rejners (so hiess seine Kneipe am -Berzeliuspark) zurück. -</p> - -<p> -Punkt zwei nahm er seinen Hut, bürstete sich -sorgfältig und ging. -</p> - -<p> -– Ich möchte wissen, ob es heute gedämpfte -Barsche gibt, dachte er. Und soll man sich heute -Spargel leisten, da es Mittsommer ist! -</p> - -<p> -So spazierte er seinen Weg, längs der hohen Mauer -der Staatsbäckerei. Im Berzeliuspark sassen Arbeiterfamilien -mit Kinderwagen auf denselben Bänken, auf -denen an Alltagen die Bonnen der Vornehmen zu -sitzen pflegten. Er sah, wie eine Mutter ihrem Kind -die Brust gab. Eine grosse volle Brust, in die das -Kind mit seinem fleischigen Händchen so tief hineingriff, -dass das Händchen zur Hälfte verschwand. Der -Lehrer wandte sich mit Ekel ab. Es störte ihn, -diese Fremden in <em>seinem</em> Park zu sehen. Das war -für ihn Dienerschaft im Salon, wenn die Herrschaft -fort ist, und er konnte ihnen nicht verzeihen, dass -sie hässlich waren. -</p> - -<p> -Er kam an die Glasveranda und wollte die Hand -auf die Türklinke legen, noch ein Mal an die schönen -Barsche denkend, „mit viel Petersilie“, als er an der -Glasscheibe ein weisses Papier sieht, auf dem etwas -geschrieben steht. Er braucht es nicht zu lesen, -denn er weiss, was es enthält: dass die Kneipe über -Mittsommer geschlossen ist; aber er hat es vergessen! -<a id="page-74" class="pagenum" title="74"></a> -Es war, als sei er mit dem Kopf an einen Laternenpfahl -gestossen! Er war wütend. Zuerst auf den -Wirt, dass er geschlossen hatte; dann auf sich selbst, -dass er vergessen, dass heute geschlossen werden -sollte! Er fand es so ungeheuerlich, dass er etwas -so Wichtiges hatte vergessen können, dass er es nicht -glauben wollte, sondern nach einem andern suchen -musste, der schuld war, dass er es hatte vergessen -können. Das war natürlich der Wirt. Er war entgleist, -zusammengestossen, vernichtet. Er setzte sich -auf eine Bank und hätte vor Wut beinahe geweint. -</p> - -<p> -Pardauz! Da kam ein Ball und traf ihn direkt auf -das gestärkte Vorhemd. Wie eine gereizte Wespe -flog er auf und wollte den Schuldigen ausbringen, als -ein hässliches Mädchengesichtchen ihm in die Augen -lachte und hinter ihr ein Arbeiter in Festtagsanzug und -Panamahut auftauchte, der das Kind lächelnd bei der -Hand nahm und fragte, ob es weh getan habe; und -dann erblickte er eine ganze Menge Dienstboten und -Soldaten, die lachten. Er sah sich nach einem Schutzmann -um, denn er fühlte sich in seinen Rechten als -Mensch verletzt. Als er den Schutzmann aber im vertraulichen -Gespräch mit der Mutter des Kindes sah, -verlor er die Lust, Lärm zu schlagen, sondern ging -direkt zum nächsten Droschkenhalteplatz, um einen -Wagen zu nehmen und zum Buchhändler zu fahren, -denn jetzt konnte er nicht länger allein sein. -</p> - -<p> -Als er in der Droschke sass, fühlte er sich einigermassen -geschützt, und nun wischte er mit dem Taschentuch -sein Vorhemd ab, das vom Ball staubig geworden. -</p> - -<p> -Als er in die Gotenstrasse des Südens kam, verabschiedete -er den Kutscher, da er sicher war, den Buchhändler -zu Hause anzutreffen. Wie er aber die Treppen -hinaufstieg, wurde er ängstlich! Wenn er nicht zu -Hause wäre! -</p> - -<p> -<a id="page-75" class="pagenum" title="75"></a> -Er war nicht zu Hause! Niemand von den Bewohnern -des Hauses war daheim. Es klang so leer, als -er an die Türe klopfte, und er hörte das Echo seiner -Schritte. -</p> - -<p> -Als er schliesslich einsam auf der Strasse stand, -wusste er nicht, wohin er sich wenden solle. Potockis -Adresse kannte er nicht, und heute, wo alle Läden geschlossen -waren, ein Adressbuch aufzutreiben, hielt er -für unmöglich! -</p> - -<p> -Er ging, ohne zu wissen, wohin, die Strasse hinunter, -am Hafen entlang, über die Brücke. Nicht ein bekanntes -Gesicht traf er, und er fühlte sich verletzt von dieser -Volksmenge, welche die Stadt während der Abwesenheit -der Herren eingenommen hatte, denn er war, wie -wir alle, in den Schulen des Staates zum Aristokraten -erzogen. -</p> - -<p> -Der Hunger, der sich bei der ersten Aufwallung gelegt -hatte, begann wieder zu erwachen. Da kam ein -neuer furchtbarer Gedanke über ihn, den er aus Feigheit -nicht auszudenken gewagt: wo soll ich zu Mittag -essen? Er war mit seinen Essmarken ausgegangen, -und seine ganze Kasse bestand nur aus einer Krone -fünfzig Öre. Die Marken galten ja nur bei Rejners, -und eine Krone hatte er verfahren. -</p> - -<p> -Er kam wieder in den Berzeliuspark. Dort sassen -die Arbeiterfamilien und assen aus ihren Esskörben: -gekochte Eier, Krebse, Pfannkuchen! Und die Polizei -sagte nichts! Dort stand sogar ein Schutzmann, der -ein Butterbrot in der einen und ein Glas Bier in der -andern Hand hatte. Was ihn am meisten reizte, war, -dass diese Menschen, die er verachtete, ihm augenblicklich -überlegen waren! Aber warum konnte er -nicht in eine Milchhandlung gehen und seinen Hunger -stillen? Warum nicht? Ja! Die Antwort darauf liess -er von sich gehen wie ein Aufstossen. -</p> - -<p> -<a id="page-76" class="pagenum" title="76"></a> -Schliesslich ging er an den Hafen hinunter, um -nach dem Tiergarten hinüberzufahren. Dort musste -er Bekannte treffen, von denen er, so unangenehm es -ihm war, Geld leihen konnte, um zu Mittag zu essen. -Dann aber auch fein im vornehmsten Restaurant -„Haselhöhe“. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Auf dem Dampfer waren so viel Menschen, dass -Lehrer Blom neben der Maschine stehen musste; -die heizte ihm den Rücken und spritzte geschmolzenen -Talg auf seinen Gehrock, während er einer Köchin -auf den Zopf gucken und deren ranzige Pomade -riechen musste. Aber nicht ein bekanntes Gesicht! -</p> - -<p> -Als er in das Tiergarten-Restaurant trat, machte er -sich so gerade wie möglich und versuchte ein distinguiertes -und freies Wesen anzunehmen. Der Platz vor -dem Gasthaus glich dem Zuschauerraum eines Theaters -und schien die gleiche Bestimmung zu haben: nämlich -ein Ort zu sein, wo man sich trifft und sich zeigt. -Oben sassen die Offiziere, blau im Gesicht von Essen -und Trinken; neben ihnen einige Vertreter der fremden -Mächte, ergraut und mitgenommen von der anstrengenden -Arbeit, für betrunkene Landsmänner, die -sich am Hafen geschlagen, einzutreten oder Galaschauspielen, -Kindtaufen, Hochzeiten und Begräbnissen -beizuwohnen. Aber damit war es auch aus mit -dem feinen Publikum. Denn mitten auf dem Platze -entdeckt Herr Blom den Schornsteinfeger seines Viertels, -den Wirt einer kleinen Winkelkneipe, den Provisor -einer Apotheke und andere mehr. Um sie herum geht -der grüne Jäger mit silbernen Tressen und einem vergoldeten -Stab und wirft verächtliche Blicke auf die Gesellschaft, -als frage er, was sie hier zu tun haben. Der -Lehrer fühlt sich schrecklich geniert von den vielen -Blicken, die zu sagen scheinen: seht, dort geht er und -<a id="page-77" class="pagenum" title="77"></a> -sucht nach seinem Mittagessen. Aber er muss weiter. -Und er kommt in die Veranden hinauf, wo man -Barsche und Spargel isst, wo man Sauternes und Champagner -trinkt. Und eins, zwei, drei fühlt er eine freundliche -Hand auf seiner Schulter und als er sich umwendet, -sieht er das strahlende Gesicht des Kellners -Gustav, der ihm die Hand drückt und unverstellt -ausruft: -</p> - -<p> -– Nein, sind Sie hier, Herr Blom! Wie gehts? -</p> - -<p> -Und der Kellner Gustav, der so erfreut ist, sich einen -Augenblick auf gleicher Höhe mit seinem Herrn zu -fühlen, hält einen steifen Holzkloben in seiner warmen -Hand und trifft ein paar Blicke, die aus einem Brief -Stecknadeln genommen sind. Und diese harte Hand -drückte ihm gestern noch so warm einen Zehnkronenschein -in die seine, und dieser Mann dankte ihm für -ein halbes Jahr Dienst und Aufmerksamkeit, wie man -einem Freund dankt. Und der Kellner Gustav geht -zurück und setzt sich unter seine Kameraden, verlegen -und traurig. Aber Herr Blom geht mit Bitterkeit im -Herzen wieder hinaus, durch die Volksmenge hindurch, -als höre er höhnend hinter sich flüstern: Er hat kein -Mittagessen gekriegt! -</p> - -<p> -Er kommt hinaus auf die Tiergartenebene. Dort -steht der Kaspar und kriegt Schläge von seiner Frau. -Dort steht ein Seemann und zeigt im „Glücksstern“ -Dienstmädchen, Kanonieren, Gardisten und Gesellen -den oder die Zukünftige. Alle haben zu Mittag gegessen -und sehen froh aus, und er glaubt einen -Augenblick, er sei schlechter als sie; dann aber -erinnert er sich, dass sie nicht wissen, wie das egyptische -Lager befestigt wurde; da fühlt er sich wieder -obenauf, und er kann nicht verstehen, wie die Menschen -so tief sinken können, dass sie an einem solchen -Tand Vergnügen finden! -</p> - -<p> -<a id="page-78" class="pagenum" title="78"></a> -Er hatte indessen die Lust verloren, andere Lokale -zu untersuchen und ging an Tivoli vorbei weiter in -den Tiergarten hinein. Dort im grünen Gras tanzte -die Jugend zu einer Geige; ein Stückchen davon -hatte sich eine Familie unter einer Eiche niedergelassen; -der Familienvater stand auf seinen Knien, -in Hemdsärmeln, mit blossem Kopf, ein Bierglas in -der einen und ein Butterbrot mit Mettwurst in der -andern Hand; sein feistes, fröhliches Gesicht, um -den Mund gut rasiert, glänzte von Freude und Wohlwollen, -als er seine Gäste, die deutlich aus Frau, -Schwiegereltern, Schwägern, Ladendienern und Dienstmädchen -bestanden, aufforderte, zu essen und zu -trinken und fröhlich zu sein, denn heute sei Mittsommer, -den ganzen Tag. Und der frohe Mann -machte Witze, dass sich die ganze Gesellschaft unter -den aufrichtigsten Lachsalven im Grase wand. Und -als der Pfannkuchen aufgetischt und mit den Fingern -gegessen wurde und die Portweinflasche herumging, -hielt der älteste Ladendiener eine Rede, bald -so herzlich, dass die Frauen die Taschentücher hervorholten -und der Familienvater den einen Zipfel seines -Backenbarts in den Mundwinkel steckte; bald so lustig, -dass Bravorufe und Gelächter den Redner unterbrachen. -</p> - -<p> -Da wurde der Lehrer finster; aber er ging nicht -seiner Wege, sondern setzte sich hinter einer Kiefer -auf einen Stein, um sich „die Tiere“ anzusehen. -</p> - -<p> -Als die Rede aus war und man Hausvater und -Hausmutter hatte leben lassen, und zwar mit Hurrarufen -und Fanfaren auf einer Handharmonika und -allen Tellern und Tassen, die frei waren, stand die -Gesellschaft auf, um das Bewegungsspiel „den Dritten -abschlagen“ zu spielen. Und Schwiegermutter geht -hinter einen Haselbusch, um das Kleinste abzuhalten, -und Mutter selbst knöpft dem Halbgrossen die Hosen auf. -</p> - -<p> -<a id="page-79" class="pagenum" title="79"></a> -– Welche Tiere, dachte der Lehrer und wandte -sich ab, denn das Natürliche war für ihn unschön, -da das Schöne das Unnatürliche war; die Gemälde -„anerkannter“ Meister im Nationalmuseum ausgenommen. -</p> - -<p> -Und nun sah er, wie die jungen Männer die Röcke -auszogen und die Mädchen ihre Manschetten auf die -Hagedornbüsche hingen, und dann stellten sie sich -auf und nun liefen sie. -</p> - -<p> -Und die Mädchen hoben die Röcke so hoch, dass -die Strumpfbänder zu sehen waren, rote und blaue -Topfbänder, die man im Spezereiladen kauft; und -wenn der Kavalier seine Dame gefangen hatte, nahm -er sie in die Arme und drehte sich so mit ihr im -Kreis herum, dass sie bis zu den Kniekehlen zu -sehen war; und dann lachten Alte und Junge, dass -es im Walde widerhallte. -</p> - -<p> -– Ist das Unschuld oder Korruption? fragte sich -der Lehrer. -</p> - -<p> -Aber sicher wusste die Gesellschaft nicht, was das -gelehrte Wort Korruption bedeutet, und darum waren -sie fröhlich. -</p> - -<p> -Als sie des Bewegungsspiels müde wurden, war -der Kaffee fertig. Und der Lehrer konnte nicht verstehen, -wo die Kavaliere es gelernt hatten, so artig -gegen die Damen zu sein, denn sie krochen auf -allen Vieren, um den Mädchen Zuckerdose und Brotkorb -zu reichen; dabei sahen die Schnallenbänder -an den mit Schweiss getränkten Westen wie Anfasser -aus. -</p> - -<p> -– Das sind die Männchen, die sich vor den -Weibchen brüsten, dachte der Lehrer. Aber wartet nur! -</p> - -<p> -Dann aber sah er, wie der Vater, die fröhliche -Seele, dem Schwiegervater und der Schwiegermutter -höflich servierte, ja sogar seiner Frau und allen Ladendienern -<a id="page-80" class="pagenum" title="80"></a> -und Dienstmädchen; und wenn einer sein -Anerbieten mit den Worten „Der Herr nehme sich -doch selber“ ablehnen wollte, antwortete der, dazu -komme er auch noch. -</p> - -<p> -Und dann sah er, wie der Schwiegervater dem -kleinen Jungen Weidenpfeifen abzog; wie die Schwiegermutter -gleich einer Magd daran ging, alles aufzuwaschen! -Da fand der Magister, die Selbstsucht sei -ein sonderbares Ding, da sie so menschliche Formen -annehmen, so verteilt werden konnte, dass es aussah, -als gäben und nähmen alle gleich viel; denn -es war Selbstsucht, das war klar! -</p> - -<p> -Und sie spielten Pfänderspiele, und sie lösten jedes -einzige Pfand mit Küssen ein, regelrechten Küssen -auf den Mund, dass es nur so schmatzte; und wenn -der fröhliche Buchhalter „im Brunnen stand“ und -die grosse Eiche küssen musste, tat er das auf ganz -verrückte Art, umfasste mit den Armen den dicken -Stamm, ganz wie man ein Mädchen liebkost, wenn -niemand es sieht; da wurde laut gelacht, denn alle -wussten wohl, wie man es tut, ob auch niemand es -tun will, wenn es gesehen wird. -</p> - -<p> -Der Lehrer, der anfangs das Schauspiel von seinem -hohen Standpunkte kritisch betrachtet hatte, wurde -schliesslich so in ihre Freude hineingezogen, dass er -beinahe glaubte, zur Gesellschaft zu gehören. Er -konnte bei den Witzen der Ladendiener sogar den -Mund verziehen, und der Familienvater hatte in einer -Stunde seine Sympathie gewonnen. Und der war -auch ein Spassmacher ersten Ranges. Er konnte -„Katze schinden“, „Krebsgang gehen“, auf Baumstämmen -„liegen“, Münzen verschlingen, Feuer essen -und alle möglichen Vogellaute nachahmen. Und als -er ein Safranbrötchen aus dem Mieder eines jungen -Mädchens nahm und es dann im rechten Ohr verschwinden -<a id="page-81" class="pagenum" title="81"></a> -liess, da lachte der Lehrer so, dass sein -leerer Magen hüpfte. -</p> - -<p> -Dann begann der Tanz. Der Lehrer hatte in Rabes -Grammatik die Weisheit gelesen: „Nemo saltat sobrius, -nisi forte insanit“ und hatte immer gedacht, Tanz -sei ein Ausbruch von Wahnsinn. Er hatte allerdings -junge Hunde und Kälber tanzen sehen, wenn sie fröhlich -waren, aber er glaubte nicht, dass Cicero seine Maxime -bis auf die Tiere hätte ausdehnen können, und zwischen -Tier und Mensch hatte der Lehrer einen dicken Strich -ziehen gelernt. Als er aber nun diese jungen Menschen, -die nüchtern, aber satt und ohne Durst waren, sich -nach den schleppenden, aber taktmässigen Klängen -der Harmonika herum schwenken sah, war es, als -sei seine Seele in eine Schaukel gekommen, die von -seinen Augen und Ohren in Schwung gesetzt wurde, -und er konnte sich nicht erwehren, dass sein rechter -Fuss gegen das Moos leise den Takt trat. -</p> - -<p> -Als drei Stunden vergangen waren, stand er auf. -Aber es fiel ihm beinahe schwer, fortzugehen; es war, -als breche er von einem fröhlichen Gelage auf, denn -er glaubte mit ihnen zusammen gewesen zu sein; -aber er war milder geworden und empfand einen -Frieden und eine angenehme Müdigkeit, als habe er -sich vergnügt. -</p> - -<p> -Der Abend war gekommen. Einige lackierte Wagen -schleppten Damen, die in ihren weissen Theatermänteln -wie eingehüllte Leichen auf den Rücksitzen lagen, -denn es war damals Mode, so auszusehen, als sei -man ausgegraben. Der Lehrer, dessen Gedanken eine -neue Richtung eingeschlagen hatten, dachte, diese -Damen müssten sich langweilen, und er empfand nicht -eine Spur von Neid. Aber unterhalb der grossen -Landstrasse, draussen auf dem Meer kamen jetzt die -Dampfer mit Flaggen und Musik von ihren Vergnügungsfahrten -<a id="page-82" class="pagenum" title="82"></a> -zurück; man hurrate und spielte und -sang auf ihnen, dass es noch in den Bergen des Tiergartens -zu hören war. -</p> - -<p> -Niemals in seinem Leben hatte sich der Lehrer so -allein gefühlt wie in diesem Volksgewimmel; er glaubte, -die Menschen blickten ihn mit Teilnahme an, wie er -da allein gleich einem Einsiedler ging, und er selber -fand, es sei schade um ihn. Er wäre gern auf den -ersten Besten zugegangen, nur um zu sprechen und -seine Stimme wieder zu hören, denn er fand in seiner -Einsamkeit, er habe einen Fremden neben sich. Und -jetzt erwachte sein böses Gewissen. Er erinnerte sich -an den Kellner Gustav, der seine Freude, ihn wiederzusehen, -nicht hatte zügeln können. Jetzt war er -soweit gekommen, dass er wünschte, irgend jemand -komme ihm entgegen und zeige seine Freude, ihn -zu sehen! Aber es kam niemand. -</p> - -<p> -Doch, als er auf der Dampfschaluppe sass, kam -ein Hühnerhund, der seinen Herrn verloren, und legte -den Kopf auf seine Knie. Der Lehrer mochte Hunde -sonst nicht leiden, aber er jagte ihn jetzt nicht fort; -es war ein so weiches und warmes Gefühl am Knie, -und das verlassene Tier sah ihm in die Augen, als -bitte es ihn, seinen Herrn ausfindig zu machen. -</p> - -<p> -Als sie aber ans Land stiegen, lief der Hund seiner -Wege. -</p> - -<p> -– Er brauchte mich nicht länger, dachte der Lehrer, -und dann ging er nach Hause und legte sich nieder. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Diese unbedeutenden Ereignisse des Mittsommertages -hatten dem Lehrer seine Sicherheit genommen. -Er sah nämlich ein, dass alle Vorsorge, alle Voraussicht, -alle kluge Berechnung dem Menschen nicht -genug sei. Er fühlte eine gewisse Unsicherheit um -<a id="page-83" class="pagenum" title="83"></a> -sich herum. Sogar die Kneipe, sein Heim, war so -wenig zuverlässig, dass es jeden Augenblick geschlossen -werden konnte. Eine gewisse Kühle von Gustavs -Seite begann auch störend auf ihn einzuwirken. Der -Kellner war ebenso höflich wie früher, aufmerksamer -als sonst, aber die Freundschaft war fort, das Vertrauen -war gebrochen. Das machte den Lehrer bedenklich, -und jedes Mal, wenn er ein trockenes Stück -Fleisch oder zu wenig Kartoffel bekam, dachte er -immer: -</p> - -<p> -– Haha! Er rächt sich an mir! -</p> - -<p> -Der Sommer war schlimm für den Lehrer: die -zweite Geige verreiste und der Buchhändler hielt sich -meistens auf der „Moseshöhe“ auf, dem hochgelegenen -Gartenrestaurant seines Viertels. -</p> - -<p> -An einem Herbstabend sassen der Buchhändler -und die zweite Geige in der Stammkneipe und tranken -ihren Grog, als der Lehrer eintrat, unterm Arm ein -Paket tragend, das er sorgfältig in einem leeren -Flaschenkorb verbarg, in der Kammer, in die man -Gerümpel fortstellte. Der Lehrer war mürrisch und -ungewöhnlich nervös. -</p> - -<p> -– Nun, alter Junge, begann der Buchhändler wohl -zum hundertsten Mal, wirst du dich nicht doch noch -verheiraten? -</p> - -<p> -– Der Teufel mag sich verheiraten! Man hat doch -genug Sorgen! Und warum verheiratest du dich -nicht? wies ihn der Lehrer ab. -</p> - -<p> -– Oh, ich habe ja meine alte Stafva, antwortete -der Buchhändler, der eine Menge Antworten auf eine -Menge Fragen stereotypiert hatte. -</p> - -<p> -– Ich bin glücklich verheiratet gewesen, sagte der -Pole. Aber meine Frau ist jetzt tot, huh! -</p> - -<p> -– Ist sie das, ahmte der Lehrer ihm nach; und -der Herr ist Witwer, wie reimt sich das? -</p> - -<p> -<a id="page-84" class="pagenum" title="84"></a> -Der Pole verstand die Wendung nicht, nickte aber -beifällig. Der Lehrer fand, dass die beiden anfingen, -ihn zu ermüden. Das Gespräch drehte sich -immer in derselben Richtung, um dieselben Dinge; -und er konnte ihre Antworten auswendig. -</p> - -<p> -Als er aufstand, um sich eine Zigarre aus seinem -Überrock, der draussen im Flur hing, zu holen, -eilte der Buchhändler nach der Rumpelkammer und -holte das Paket des Lehrers. Da es nicht versiegelt -war, hatte er es bald aufgemacht, und rollte nun -ein prächtiges amerikanisches Nachthemd auf; das -hängte er sorgfältig über den Stuhl des Lehrers. -</p> - -<p> -Huh! sagte der Pole und grinste, als habe er -etwas Garstiges gesehen. -</p> - -<p> -Der Wirt, der einen guten Scherz liebte, legte -sich auf den Ladentisch und lachte laut; der Kellner -blieb im Saal stehen, und bald steckte eine Köchin -den Kopf durch die Klappe. -</p> - -<p> -Als der Lehrer wieder hereinkam und den Scherz -sah, wurde er blass vor Wut; er hatte sofort den -Buchhändler in Verdacht; als er aber Gustav in einer -Ecke stehen und lachen sah, kam ihm wieder eine -fixe Idee: Er rächt sich! Und ohne ein Wort zu -sagen, riss er das Hemd an sich, warf Geld auf -den Ladentisch und ging! -</p> - -<p> -Von diesem Tage an liess sich der Lehrer nicht mehr -bei Rejners sehen. Der Buchhändler wollte wissen, -dass er in einem Restaurant seines Viertels ass. Das -tat er auch! Aber er war tief missvergnügt! Das Essen -war ja nicht schlecht, aber es war nicht so zubereitet, -wie er es gewohnt war. Die Kellner waren nicht -aufmerksam. Oft dachte er nach Rejners zurückzukehren, -aber sein Stolz verbot es ihm. So war er aus -seinem Heim hinausgeworfen; so war eine vieljährige -Bekanntschaft in fünf Minuten gebrochen worden. -</p> - -<p> -<a id="page-85" class="pagenum" title="85"></a> -Im Herbst kam ein neuer Schlag. Mamsell Auguste -hatte in der Provinz eine kleine Erbschaft gemacht und -wollte Stockholm am ersten Oktober verlassen. Der -Lehrer musste ziehen. -</p> - -<p> -Da ihm aber nichts mehr recht gemacht werden -konnte, zog er jeden Monat um. Das eine Zimmer -war nicht schlechter als das andere, aber es war nicht -dasselbe! Er war so gewohnt, seine alten Strassen -zu gehen, dass er sich oft vor der Tür seiner früheren -Wohnung befand, ehe er seinen Irrtum entdeckte. Mit -einem Wort, er war ganz verloren. -</p> - -<p> -Schliesslich ging er in ein Pensionat, obwohl er das -immer gehasst und einen Schrecken davor gehabt hatte. -Und da verloren die Bekannten seine Spur. -</p> - -<p> -Eines Abends sitzt der Pole in der Stammkneipe, -allein, rauchend, trinkend, nickend, mit des Orientalen -Fähigkeit, in Gedankenlosigkeit zu versinken. Da -kommt der Buchhändler wie ein Gewitter angestürmt -und schlägt den halb zerquetschten Hut gegen die -Tischscheibe, indem er ausruft: -</p> - -<p> -– Himmelkreuzdonnerwetter! Hat man so etwas -gehört? -</p> - -<p> -Der Pole erwacht aus seinem Kognak- und Tabaknirwana -und rollt die Augen. -</p> - -<p> -– Himmelkreuzdonnerwetter! Hat man so etwas -gehört? Er hat sich verlobt! -</p> - -<p> -– Wer hat sich verlobt? fragt der Pole, ganz erschrocken -von dem Hinwerfen des Hutes und dem -üppigen Fluchen. -</p> - -<p> -– Lehrer Blom! -</p> - -<p> -Und der Buchhändler verlangt einen Grog, als Ersatz -für die Bewirtung, die er gegeben. Und der Kellermeister -muss vom Ladentisch aufstehen und zuhören. -</p> - -<p> -– Hat sie Geld? fragt er gerieben. -</p> - -<p> -<a id="page-86" class="pagenum" title="86"></a> -– Nein, das glaube ich nicht, sagt der Buchhändler, -der jetzt ein Held ist und seine Gaben stückweise verkauft. -</p> - -<p> -– Ist sie schön? fragt der Pole. Meine Frau war -so schön, huh! -</p> - -<p> -– Nein, sie ist auch nicht schön, sagt der Buchhändler. -Aber sie sieht nett aus! -</p> - -<p> -– Haben Sie sie denn gesehen? fragt der Wirt. -Ist sie alt? -</p> - -<p> -Und er blickt nach der Küchenklappe. -</p> - -<p> -– Nein, sie ist jung! -</p> - -<p> -– Und ihre Eltern? fährt der Wirt fort. -</p> - -<p> -– Der Vater soll Gelbgiesser in Örebro sein! -</p> - -<p> -– Nein, solch ein Schelm! meint der Wirt. -</p> - -<p> -– Ich habs ja immer gesagt, der Mann war geboren -zum heiraten, sagt der Buchhändler. -</p> - -<p> -– Das sind wir wohl alle, sagt der Wirt; und glauben -Sie mir, glauben Sie mir, niemand entgeht seinem -Schicksal! -</p> - -<p> -Mit dieser Weisheitsregel schliesst er das Gespräch -und geht wieder an den Ladentisch. -</p> - -<p> -Nachdem man sich damit beruhigt hat, dass es keine -Geldheirat ist, stellt man Betrachtungen darüber an, -„wovon sie leben werden“. Und der Buchhändler -schätzt den Gehalt des Lehrers ab, und „was er an -Stunden verdienen kann“. -</p> - -<p> -Nachdem diese Frage entschieden ist, will der Wirt -Einzelheiten wissen. -</p> - -<p> -– Wo hat er sie getroffen? Ist sie blond oder -dunkel? Liebt sie ihn? -</p> - -<p> -Die letzte Frage liegt durchaus nicht aus dem Wege, -und der Buchhändler „glaubt es“, denn er hat gesehen, -wie sie vor einem Schaufenster an seinem -Arm hing. -</p> - -<p> -<a id="page-87" class="pagenum" title="87"></a> -– Ja, aber dass er, der so hölzern war, sich verlieben -konnte! Das ist doch ganz unglaublich! -</p> - -<p> -– Aber was für ein Ehemann er werden wird! -</p> - -<p> -Der Wirt weiss, dass ers mit dem Essen „verflucht“ -genau nimmt, und das dürfe man nicht, wenn man -sich verheiratet (ein Blick nach der Küchenklappe)! -</p> - -<p> -– Und dann will er gern einen Grog abends trinken; -aber man kann doch nicht jeden Abend einen Grog -trinken, wenn man verheiratet ist? Und dann mag er -Kinder nicht leiden! Das geht nicht gut, flüstert er. -Glauben Sie mir, das geht nicht gut. Und dann noch -eine Sache, meine Herren (hier stand er auf, sah sich -um und fuhr flüsternd fort), ich glaube, hol mich der -Teufel, er hat ein kleines Verhältnis gehabt, der alte -Heuchler. Erinnern Sie sich nicht jenes Abends, meine -Herren, mit dem – hihihihi! – Nachthemd? Den -finden Sie nicht wieder, wo Sie ihn gelassen haben! -Passen Sie auf, Frau Blom, nehmen Sie sich in acht! -Aber ich will nichts gesagt haben! -</p> - -<p> -Die Tatsache stand jedenfalls fest, dass der Lehrer -verlobt war und dass er in zwei Monaten heiraten -wollte. -</p> - -<p> -Wie es weiter ging, das gehört nicht zur Geschichte, -und schwer ist es ausserdem, wirklich zu wissen, was -hinter den Klostermauern der Häuslichkeit geschieht, -wenn das Gelübde des Schweigens gehalten wird. -</p> - -<p> -Sicher ist so viel, dass der Lehrer seitdem nie mehr -in einer Kneipe zu sehen war. -</p> - -<p> -Der Buchhändler, der ihn eines Abends allein auf -der Strasse traf, musste eine lange Vorlesung anhören, -dass er sich verheiraten solle. Ja, der Lehrer war -gegen Junggesellen losgezogen und hatte gesagt, sie -seien Egoisten, die sich nicht fortpflanzen wollten; -man müsse eine hohe Steuer auf diese Kuckucke legen, -<a id="page-88" class="pagenum" title="88"></a> -denn alle indirekten Steuern träfen am meisten den -Familienvater; ja, er ging so weit, dass der Junggesellenstand -durch das Gesetz „als ein Verbrechen -gegen die Natur“ bestraft werden müsse. -</p> - -<p> -Der Buchhändler, der ein gutes Gedächtnis hatte, -sprach seine Bedenken aus, ob man sein Schicksal -mit einer „Gans“ vereinigen solle. Da antwortete -der Lehrer, <em>seine</em> Frau sei die intelligenteste Dame, -die er kenne. -</p> - -<p> -Zwei Jahre später hatte der Pole den Lehrer mit -seiner Frau im Theater gesehen und gefunden, „dass -sie glücklich aussahen, huh!“ -</p> - -<p> -Drei Jahre später war der Wirt an einem Mittsommertag -auf einer Vergnügungstour durch den -Mälarsee nach Mariefred gefahren. Dort draussen -auf dem grünen Rasen, vor dem Schloss Gripsholm, -schob der Lehrer Blom einen Kinderwagen und trug -einen Korb mit Speisen, während ihm eine ganze -Karawane Herren und Damen folgten, die „vom Land -zu sein schienen“. Der Lehrer sang nach dem Mittagessen -Lieder und sprang Bock mit den jungen Herren. -Er sah zehn Jahre jünger aus und war wie ein richtiger -Kavalier gegen die Damen. -</p> - -<p> -Der Wirt, der sich der Gesellschaft ganz nahe befand, -hatte während des Mittagessens einen kleinen -Dialog zwischen Herrn Blom und seiner Frau angehört. -Als die Frau eine Schüssel Krebse aus dem -Speisekorb nahm, bat sie Albert, nicht verdriesslich -zu werden, aber es sei ihr ganz unmöglich gewesen, -weibliche Krebse zu bekommen, obwohl sie den ganzen -Markt abgesucht habe. Da fasste der Lehrer sie um -die Taille, küsste sie und sagte, er esse ebenso gern -männliche Krebse und er sei ganz zufrieden. Als dann -das Kind im Wagen zu schreien anfing, hob der Lehrer -es auf seine Arme und trug es, bis es still wurde. -</p> - -<p> -<a id="page-89" class="pagenum" title="89"></a> -– Nun, das sind ja alles Kleinigkeiten, aber wie -die Menschen als Verheiratete leben können, während -sie kaum als Junggesellen zu leben haben, das ist -ein Rätsel. Aber es sieht aus, als bringen die Kinder -Essen mit, wenn sie zur Welt kommen, so sieht es -aus! -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="chapter-0-4"> -<a id="page-91" class="pagenum" title="91"></a> -<span class="line1">Ersatz</span> -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -Er war zu seiner Zeit ein Genie auf der Universität -gewesen, und es war kein Zweifel, dass etwas Grosses -aus ihm werden würde. Als cand. jur. musste er -indessen nach Stockholm gehen, um sich eine Stellung -zu suchen. Die Doktorarbeit wurde aufgeschoben. -Er war recht ehrgeizig, besass aber kein Vermögen. -Darum hatte er beschlossen, sich reich und vornehm -zu verheiraten. Man sah ihn daher auf der Universität -Uppsala und später in der Hauptstadt Stockholm -nur in den feinsten Gesellschaften. In Uppsala trank -er als älterer Student immer Brüderschaft mit den -neu ankommenden Adeligen, die sich von der Bekanntschaft -des älteren Landsmannes geehrt fühlten. -So schloss er „essbare“ Freundschaften mit ihnen, -und während des Sommers wurde er dann immer auf -das Schloss der Eltern eingeladen. -</p> - -<p> -Dort war sein Jagdgebiet. Er hatte gesellige Talente, -spielte und sang und konnte die Damen unterhalten; -darum war er gern gesehen. Seine Kleidung deutete -auf grössere Eleganz, als seine Mittel erlaubten; aber -er lieh niemals Geld von Adeligen oder Freunden. -Er hatte sogar zwei wertlose Aktien gekauft, und -er vergass nicht zu erzählen, dass er die Generalversammlung -besuchen müsse. -</p> - -<p> -Zwei Sommer hatte er einem adeligen Fräulein, -das etwas Grundbesitz besass, den Hof gemacht, und -<a id="page-92" class="pagenum" title="92"></a> -man sprach schon von seinen Aussichten, als er -plötzlich aus dem vornehmen Horizont verschwand -und sich mit einem armen Mädchen verlobte, deren -Vater Böttcher ohne Grundbesitz war. -</p> - -<p> -Seine Freunde konnten nicht verstehen, wie er sich -selber so ins Licht treten konnte. Er hatte ja so gut -vorgespannt, dass er sofort fahren konnte; er hatte -ja den Bissen schon auf der Gabel, dass er nur -den Mund zu öffnen brauchte. Ja, er verstand es -selbst nicht, wie seine vieljährigen Pläne so schnell -von einem kleinen Mädchengesicht gekreuzt werden -konnten, das er ein einziges Mal auf einem Dampfer -gesehen. Er war behext, er war besessen. -</p> - -<p> -Er fragte seine Freunde, ob sie sie nicht schön -fänden. -</p> - -<p> -Nein, das könnten sie nicht finden, wenn sie aufrichtig -sein sollten. -</p> - -<p> -– Aber sie ist intelligent. Seht ihr nur in die Augen! -Wie sprechend sind die! -</p> - -<p> -Die Freunde konnten nichts sehen und noch weniger -hören, denn das Mädchen sprach nie. -</p> - -<p> -Aber er war jeden einzigen Abend im Haus des -Böttchers; oh das war ein intelligenter Mann. Er lag -auf den Knien, das war eine Erinnerung an die -Sommerschlösser, und hielt ihr das Garn; er sang ihr -vor, spielte, sprach über Theater und Religion; und -er las immer eine bejahende Antwort in ihren tiefen -Augen. Er schrieb Verse an sie und legte ihr seinen -Lorbeerkranz, seine ehrgeizigen Träume, ja seine -Doktorarbeit zu Füssen. -</p> - -<p> -Und dann verheiratete er sich. -</p> - -<p> -Der Böttcher trank zuviel auf der Hochzeit und -hielt eine unanständige Rede auf die Mädchen. Der -Schwiegersohn fand aber so viel Natur, so viel Liebenswürdigkeit -im Auftreten des Alten, dass er ihn noch -<a id="page-93" class="pagenum" title="93"></a> -aufmunterte, statt ihn zum Schweigen zu bringen. Er -fühlte sich so wohl unter diesen einfachen Menschen, -da konnte er er selber sein. -</p> - -<p> -– Seht, das ist die Liebe, sagten seine Freunde. -Es ist doch etwas merkwürdiges mit der Liebe! -</p> - -<p> -Und so waren sie verheiratet. Einen Monat. Zwei -Monate. Und er war so glücklich. An den Abenden -sassen sie zusammen, und er sang wieder von der -„Rose im Walde“; das war ihr Lieblingslied. Und er -sprach über Theater und Religion, und sie sass andächtig -da und hörte zu. Aber sie sagte nichts, sie -war immer seiner Meinung und häkelte Decken. -</p> - -<p> -Im dritten Monat nahm er die alte Gewohnheit des -Mittagschlafes wieder auf. Seine Frau wollte neben -ihm sitzen, denn sie konnte nicht allein sein. Das genierte -ihn, denn er hatte ein grosses Bedürfnis, mit -seinen Gedanken allein zu sein. -</p> - -<p> -Zuweilen ging sie ihm mittags entgegen; dann war -sie so stolz, wenn er seine Kameraden verliess und zu -ihr hinüberkam. Und dann brachte sie ihn im Triumph -nach Haus: es war <em>ihr</em> Mann! -</p> - -<p> -Im vierten Monat begann er müde zu werden, ihr -Lieblingslied zu singen. Das war so verbraucht! Und -er nahm ein Buch, und beide sassen still da. -</p> - -<p> -Eines Abends musste er auf eine Sitzung, der ein -Schmaus folgte. Es war der erste Abend, an dem er -nicht zu Hause war. Seine Frau musste sich eine -Freundin einladen und sollte früh zu Bett gehen, denn -er würde erst spät nach Haus kommen. -</p> - -<p> -Die Freundin kam; um neun Uhr ging sie wieder. -Die junge Frau setzte sich in den Salon, um zu warten, -denn sie wollte sich bestimmt nicht früher niederlegen, -bis ihr Mann nach Haus gekommen. Sie hatte keine -Ruhe zum Schlafen. -</p> - -<p> -<a id="page-94" class="pagenum" title="94"></a> -So sass sie allein in der Wohnung. Was sollte sie -tun? Das Mädchen war schlafen gegangen, und im -Haus wurde es still. Die Wanduhr tickte und tickte. -Aber es war erst zehn, als sie müde die Decke, an der -sie häkelte, fortlegte. Sie ging umher, räumte etwas -auf, war nervös. -</p> - -<p> -– So ist es also, verheiratet sein! Man wird aus -seiner Umgebung gerissen und in drei leere Zimmer -gesetzt, bis der Mann halbberauscht nach Haus kommt. -Aber er liebt mich doch, und er muss ja heute abend -in Geschäften von Hause fort sein. Ich bin eine Närrin, -dass ich das nicht verstehe. Aber liebt er mich noch? -Hat er sich dieser Tage nicht geweigert, mir das Garn -zu halten, wie er früher so gern getan – ehe wir -verheiratet waren. Sah er gestern mittag nicht etwas -missvergnügt aus, als ich kam und ihn holte! Und -wenn er heute abend auch eine geschäftliche Sitzung -hat, so braucht er doch den Schmaus nicht mitzumachen! -</p> - -<p> -Die Uhr war halb elf, als sie mit diesem Examen -zu Ende kam. Sie war erstaunt, dass ihr diese Gedanken -nicht früher gekommen waren. Und sie stellte -die dunkeln Gedanken noch ein Mal auf, und sie defilierten -wieder an ihr vorbei. Jetzt aber war Verstärkung -angelangt. Er sprach ja nie mehr mit ihr. Er sang -nie, und das Klavier war geschlossen. Er hatte gelogen, -als er sagte, er müsse Mittagsschlaf halten, -denn er las dabei einen französischen Roman. -</p> - -<p> -Er hatte sie belogen! -</p> - -<p> -Die Uhr war erst halb zwölf. Das Schweigen wurde -schauerlich. Sie öffnete das Fenster und sah auf die -Strasse hinaus. Dort unten standen zwei Herren und -verhandelten mit zwei Frauenzimmern. Ja, so sind -die Männer! Wenn er das auch täte! Dann ginge -sie ins Wasser! -</p> - -<p> -<a id="page-95" class="pagenum" title="95"></a> -Sie schloss das Fenster und steckte die Krone in -der Schlafstube an. Man muss sehen, was man macht, -hatte er bei einer intimen Gelegenheit gesagt. Noch -war alles so blank, so fein. Die grüne Bettdecke -sah wie eine gemähte Wiese aus, und die kleinen -weissen Kissen lagen wie junge Katzen im Grase. -Die Politur ihres Toilettentisches leuchtete: das Glas -hatte noch nicht diese hässlichen Flecken, die es vom -spritzenden Wasser bekommt; das Silber auf der Haarbürste, -auf der Puderschachtel, der Zahnbürste, alles -war noch blank. Ihre Pantoffeln dort unter dem Bett -waren noch so schön und neu, als würden sie niemals -niedergetreten werden. Alles war frisch, aber doch -schon alt. Sie kannte alle seine Lieder, alle seine -Salonstücke, alle seine Worte, alle seine Gedanken. -Sie wusste genau, was er sagen würde, wenn er sich -mittags zu Tisch setzte; alles was er sagen würde, -wenn sie abends allein waren. -</p> - -<p> -Sie war des Allen müde. Hatte sie ihn geliebt? -Oh ja! Gewiss, das hatte sie! Aber war das alles, -waren das alle Träume ihrer Jugend? Sollte das ganze -Leben so werden? Ja! Aber, aber, aber, sie würden -doch wohl ein Kind bekommen. Ja, aber noch waren -keine Anzeichen da! Dann wäre sie nicht mehr allein! -Dann könnte er so oft fortgehen, wie er wollte, denn -dann hätte sie ja stets jemand, mit dem sie sprechen, -mit dem sie sich beschäftigen konnte. Vielleicht war -es ein Kind, das fehlte. Vielleicht war die Ehe wirklich -für etwas anderes geschaffen, als dafür, dass sich ein -Herr eine Geliebte hält, die das Gesetz ihm schützt. -Jawohl! Aber er musste sie doch lieben, und das -tat er nicht! Und sie weinte! -</p> - -<p> -Als der Mann um ein Uhr nach Haus kam, war er -durchaus nicht berauscht. Aber er wurde beinahe böse, -als er seine Frau noch aufsitzen sah. -</p> - -<p> -<a id="page-96" class="pagenum" title="96"></a> -– Warum hast du dich nicht schlafen gelegt? war -sein erster Gruss. -</p> - -<p> -– Wie kann ich Ruhe finden, wenn ich auf dich -warte? -</p> - -<p> -– Das kann ja schön werden! Dann darf ich ja -nie wieder fortgehen! ich glaube, du hast auch geweint! -</p> - -<p> -– Ja, ich habe geweint, und das muss ich wohl, -wenn du – mich – nicht – mehr – liebst! -</p> - -<p> -– Liebe ich dich nicht mehr, weil ich in Geschäften -fort sein muss? -</p> - -<p> -– Ein Schmaus ist kein Geschäft. -</p> - -<p> -– Sieh da! Nun kann man nicht einmal mehr ausgehen! -Die Frauen sind doch wirklich gar zu aufdringlich! -</p> - -<p> -– Aufdringlich? Ja, ich habe es gestern Mittag gesehen, -als ich dir entgegen kam. Aber ich werde dir -nie mehr entgegen kommen. -</p> - -<p> -– Aber, Kind, wenn ich mit meinem Chef gehe ... -</p> - -<p> -– Huhuhu! -</p> - -<p> -Sie brach in Tränen aus, und ihr Körper zuckte. -</p> - -<p> -Er musste das Mädchen wecken, um ihr eine Wärmflasche -heiss machen zu lassen. -</p> - -<p> -Er weinte, er auch! Heisse Tränen! Über sich selbst, -seine Härte, seine Schlechtigkeit, über die Illusionen, -über alles! -</p> - -<p> -Aber es war doch mehr als Illusionen! Er liebte sie -ja! Tat er das nicht? Und sie sagte ja, sie liebe ihn -wieder, als er jetzt beim Sofa auf den Knien lag und -ihre Augen küsste. Ja, sie liebten einander! Nur eine -Wolke war vorbeigezogen! Garstige Gedanken, die -einem in der Einsamkeit kommen. Sie wollte niemals, -niemals mehr allein bleiben. Und sie schliefen umarmt -ein, und sie lächelte wieder. -</p> - -<p> -<a id="page-97" class="pagenum" title="97"></a> -Am nächsten Tag aber ging sie ihm nicht entgegen. -Er tat keine Frage beim Mittagstisch. <a id="corr-7"></a>Er sprach viel, -aber mehr um zu sprechen; und es klang, als spreche -er mit sich selber. -</p> - -<p> -Am Abend unterhielt er sie mit langen Schilderungen -über das Leben auf dem Schlosse Sjöstaholm: was -die jungen Damen zum Baron sagten, und wie die -Pferde des Grafen hiessen. Und am nächsten Tag -sprach er von seiner Doktorarbeit. -</p> - -<p> -Eines Mittags kam er sehr müde nach Haus. Sie -sass im Salon und wartete auf ihn. Ihr Garnknäuel -war auf den Boden gefallen. Als er an ihr vorbei -geht, wickelt sich das Garn um seinen Fuss, er reisst -ihr damit die Decke aus der Hand und schleppt sie -mit; wird böse und schleudert das Garn mit einem -Fusstritt fort. -</p> - -<p> -Sie sagt etwas Scharfes über seine Unhöflichkeit. -</p> - -<p> -Er antwortet: er habe keine Zeit, an ihren Kram -zu denken, und sie könne übrigens etwas Nützlicheres -vornehmen. Er müsse an seine Doktorarbeit denken, -wenn er sich eine Zukunft schaffen wolle. Darum -müssten sie darauf bedacht sein, sich einzuschränken. -</p> - -<p> -So weit war es also gekommen! -</p> - -<p> -Am nächsten Tag sass die junge Frau mit verweinten -Augen da und strickte einen Strumpf für -ihren Mann. Er sagte ihr, es sei billiger, gewebte -Strümpfe zu kaufen. Da brach sie in Tränen aus. -Was solle sie tun? Das Mädchen besorge ja das -Haus, und in der Küche sei für eine zweite Person -nichts mehr zu tun. Die Zimmer räume sie selber -auf. Wolle er, dass sie das Mädchen verabschiede? -</p> - -<p> -– Nein, Nein! -</p> - -<p> -– Wie wolle er es denn haben? -</p> - -<p> -– Das könne er nicht sagen, aber es sei bestimmt -etwas nicht richtig. Der Haushalt sei zu teuer. Das -<a id="page-98" class="pagenum" title="98"></a> -sei alles. Auf die Dauer ginge es nicht so weiter, -und er komme nie dazu, an seiner Abhandlung zu -arbeiten. -</p> - -<p> -Tränen und Küsse und grosse Versöhnung! -</p> - -<p> -Er fing nun aber an, einige Abende in der Woche -auszugehen. Geschäfte! Ein Mann müsse sich unter -den Leuten sehen lassen. Das sei nun ein Mal so; -sonst werde er vergessen. -</p> - -<p> -O die langen, langen Abende! Jetzt aber ging die -Frau zu Bett und stellte sich schlafend, als ihr Mann -nach Hause kam. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Ein Jahr war vergangen, aber von einem Kind war -nichts zu merken. Der Mann dachte: das gleicht ja -ganz einem kleinen Verhältnis, das ich früher ein Mal -gehabt habe; nur ist das jetzige langweiliger und -teuerer. Die Gespräche hörten auf, und nur Geschwätz -über Angelegenheiten des Haushalts blieb -übrig. Sie ist ja dumm, dachte er. Auf mich selber -lausche ich ja, wenn ich spreche, und die Tiefe in -ihren Blicken kam ja nur daher, dass sie so grosse -Pupillen hat, so ungewöhnlich grosse Pupillen. -</p> - -<p> -Er sprach jetzt offen mit ihr von seiner früheren -Liebe zu ihr, als von etwas, das vergangen sei. -Nein, das gab ihm wieder einen Stich ins Herz, wie -etwas Aufreizendes, Unbarmherziges, etwas das niemals -sterben konnte. -</p> - -<p> -Dann aber sprach er zuweilen zu sich selber. -</p> - -<p> -– Alles auf Erden ist der Abnutzung unterworfen. -Warum soll denn ihr Lieblingslied unvergänglich -sein. Wenn man es dreihundertfünfundsechzig Male -gehört hat, ist es verbraucht; daran ist nichts zu -ändern. Aber hat denn meine Frau recht, wenn -sie daraus schliesst, dass es mit der Liebe auch zu -<a id="page-99" class="pagenum" title="99"></a> -Ende ist? Nein, und ein leises ja! Wenn es aber -nur ein Konkubinat ist? Das ist es, da wir kein -Kind haben! -</p> - -<p> -Eines Tages entschloss er sich, mit einem verheirateten -Kameraden zu sprechen; sie waren ja beide -Mitglieder des Freimaurerordens der Verheirateten. -</p> - -<p> -– Wie lange bist du verheiratet? -</p> - -<p> -– Sechs Jahre! -</p> - -<p> -– Findest du das Verheiratetsein langweilig? -</p> - -<p> -– Anfangs war es ja etwas fade; als aber die -Kinder kamen, konnte man wieder atmen. -</p> - -<p> -– Nein, was du sagst? Es ist merkwürdig, dass -ich keine Kinder bekomme. -</p> - -<p> -– Das ist nicht deine Schuld; ist aber leicht zu -ändern. Schick deine Frau zum Arzt! -</p> - -<p> -Er sprach vertraulich mit der Frau, und sie ging -zum Arzt. -</p> - -<p> -Sechs Wochen später war es so weit. -</p> - -<p> -Jetzt kam ein anderes Leben ins Haus! Oh, wieviel -war da zu tun! Auf dem Tisch des Salons -lagen Kinderkleider umher, die unter das Photographiealbum -geschmuggelt wurden, wenn jemand in -die Tür trat. Und sie kamen wieder zum Vorschein, -wenn man sah, dass nur er es war, der kam. Und -dann musste man einen Namen für ihn finden. Denn -ein Junge musste es werden. Und dann musste man -die „Frau“ konsultieren, und medizinische Bücher -kaufen, und eine Wiege und Bettzeug. -</p> - -<p> -Das Kind kam! Und siehe da, es war ein Junge! -</p> - -<p> -Als er „den kleinen Pavian, der nach Butter roch“ -an diesen Brüsten, die bisher nur sein Spielzeug gewesen, -liegen sah, da lernte er in seiner kleinen Frau -die Mutter kennen; und als er sah, wie die grossen -Pupillen das Kind so tief ansehen, als schauten sie in -die Zukunft hinein, da verstand er, dass doch etwas -<a id="page-100" class="pagenum" title="100"></a> -Tiefes in den Augen lag; ja das war tiefer, als sein -Theater und seine Religion verstehen konnten. Und -jetzt flammte all das Alte, das liebe, erste Alte wieder -auf, und es kam mit etwas Neuem, das er geahnt, aber -niemals verstanden hatte. -</p> - -<p> -Wie schön sie war, als sie wieder aufstand. Und -wie intelligent in allem, was das Kind betraf. -</p> - -<p> -Und er fühlte sich als Mann. Statt von den Pferden -des Grafen und den Kricketpartien des Barons zu -sprechen, sprach er jetzt fast zuviel von seinem Sohn. -</p> - -<p> -Und wenn er jetzt eines Abends fort war, sehnte er -sich nach Haus; nicht weil seine Frau wie ein böses -Gewissen dort sass und wartete, sondern weil er -wusste, dass sie nicht allein war. Und wenn er nach -Haus kam, so schliefen sie, sowohl sie wie das Kind. -Er wäre beinahe eifersüchtig auf den Kleinen geworden, -denn es hatte doch einen gewissen Reiz, wenn man -sehnsüchtig erwartet wurde. -</p> - -<p> -Nun durfte er sein Mittagschläfchen halten. Und -wenn der Vater fort war, wurde das Klavier wieder -aufgemacht und das Lieblingslied von der „Rose im -Walde“ gesungen, denn das war ganz neu für Harald, -und es wurde auch neu für die arme Laura, die es -lange nicht gehört hatte. -</p> - -<p> -Zum Häkeln hatte sie nie mehr Zeit, aber das Haus -war auch voll genug von Decken. Aber auch zu seiner -Abhandlung fand er nicht die Zeit. -</p> - -<p> -– Die soll Harald schreiben, sagte der Vater, denn -er wusste jetzt, dass sein Leben nicht zu Ende war, -<em>wenn</em> es einmal zu Ende ging. -</p> - -<p> -Manchen Abend sassen sie wie früher zusammen -und plauderten; jetzt aber sprachen sie beide, denn -jetzt verstand sie, wovon sie sprachen. -</p> - -<p> -Sie bekannte, sie sei ein einfältiges Ding, das von -Theater und Religion nichts verstehe; das habe sie -<a id="page-101" class="pagenum" title="101"></a> -ihm aber gesagt, obwohl er es nicht habe glauben -wollen. -</p> - -<p> -Jetzt aber glaubte er es erst recht nicht. -</p> - -<p> -Und sie sangen das Lieblingslied und Harald schrie -mit, und sie tanzten nach der Melodie, und sie wiegten -das Kind danach, und das Lied wurde doch nicht -verbraucht! -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="chapter-0-5"> -<a id="page-103" class="pagenum" title="103"></a> -<span class="line1">Reibungen</span> -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -Ihm waren die Augen aufgegangen über die Verkehrtheit -der Welt, aber er besass nicht die Kraft, -das Dunkel zu durchdringen, um zu sehen, worin -die Ursache zu dieser Verkehrtheit lag; darum verzweifelte -er, wurde, was man „zerrissen“ nennt. Da -verliebte er sich in ein Mädchen, das sich mit einem -andern verheiratete. Er beklagte sich seinen Freunden -und Freundinnen gegenüber, aber die lachten nur -über ihn. So ging er allein, „unverstanden“, seinen -Weg ein Stück weiter. Er gehörte zur „Gesellschaft“ -und nahm an deren Vergnügungen teil, weil die -ihn zerstreuten; im Grunde aber verachtete er diese -Vergnügungen, und das verbarg er nicht. -</p> - -<p> -Eines Abends war er auf einem Ball. Er tanzte -mit einem jungen Mädchen von ungewöhnlicher -Schönheit und von lebhaften Zügen. Als der Walzer -zu Ende war, stellte er sie an eine Wand. Er musste -mit ihr sprechen, wusste aber nicht, was er sagen -sollte. Schliesslich brach das Mädchen das Schweigen -und sagte mit einem harten Lächeln: -</p> - -<p> -– Sie tanzen wohl sehr gern, Herr Baron? -</p> - -<p> -– Nein, durchaus nicht! antwortete er. Und Sie? -</p> - -<p> -– Ich kenne nichts <a id="corr-8"></a>Alberneres, antwortete sie. -</p> - -<p> -Er hatte seinen Mann, oder richtiger, seine Frau -gefunden. -</p> - -<p> -– Warum tanzen Sie denn? fragte er. -</p> - -<p> -<a id="page-104" class="pagenum" title="104"></a> -– Aus demselben Grunde wie Sie, sagte sie. -</p> - -<p> -– Kennen Sie denn meine Gedanken? fragte er. -</p> - -<p> -– Das ist doch nicht schwer: von Menschen, die -dasselbe denken, kennt doch immer der eine die -Gedanken des andern. -</p> - -<p> -– Hm! Sie sind ein sonderbares Mädchen; glauben -Sie an die Liebe? -</p> - -<p> -– Nein! -</p> - -<p> -– Ich auch nicht! Aber man muss sich jedenfalls -verheiraten. -</p> - -<p> -– Ja, ich fange an es zu glauben! -</p> - -<p> -– Würden Sie sich mit mir verheiraten? -</p> - -<p> -– Warum nicht? Wir werden uns wenigstens nicht -schlagen! -</p> - -<p> -– Pfui! Aber wie können Sie das wissen? -</p> - -<p> -– Weil wir derselben Meinung sind! -</p> - -<p> -– Ja, aber das kann etwas einförmig werden! Wir -haben ja über nichts zu sprechen, denn der eine -kennt ja die Gedanken des andern. -</p> - -<p> -– Ja, aber noch einförmiger wäre es, unverheiratet -zu bleiben, unverstanden zu sein! -</p> - -<p> -– Das ist wahr! Wollen Sie Bedenkzeit haben? -</p> - -<p> -– Ja, bis zum Kotillon! -</p> - -<p> -– Nicht länger? -</p> - -<p> -– Warum länger? -</p> - -<p> -Er führte sie in den Salon und verliess sie. Darauf -trank er einige Glas Champagner. Beim Souper -beobachtete er sie. Sie liess sich von zwei jungen -Diplomaten servieren, schien sie aber zu verhöhnen -und wie Diener zu behandeln. -</p> - -<p> -Als der Kotillon kam, ging er sofort zu ihr und -überreichte sein Bukett. -</p> - -<p> -– Angenommen? fragte er. -</p> - -<p> -– Ja, antwortete sie. -</p> - -<p> -Also waren sie verlobt. -</p> - -<p> -<a id="page-105" class="pagenum" title="105"></a> -Es ist eine rechte Ehe, sagte die Welt. Sie sind -wie geschaffen für einander. Dieselbe gesellschaftliche -Stellung, das gleiche Vermögen und dieselben -„blasierten“ Ansichten über das Leben. Mit blasiert -meinte die Welt, dass sie nicht Bälle, Theater, Bazare -und andere edle Vergnügungen liebten, die dem Leben -erst seinen Wert verliehen. -</p> - -<p> -Sie waren wie zwei frisch gewaschene Schiefertafeln, -ganz gleich jetzt, aber ohne eine Ahnung, ob -das Leben denselben Text auf beide schreiben werde. -Niemals fragten sie einander während der zärtlichen -Stunden der Verlobung: liebst du mich, denn sie -wussten ja, dass sie einander nicht liebten, da sie -an die Liebe nicht glaubten. Sie sprachen wenig, -aber sie verstanden einander so gut. -</p> - -<p> -Und so verheirateten sie sich. -</p> - -<p> -Er war immer aufmerksam, immer höflich, und sie -waren gute Freunde. -</p> - -<p> -Das Kind wirkte nur insofern auf ihr Verhältnis -ein, dass sie nun über etwas zu sprechen hatten. -</p> - -<p> -Beim Mann zeigte sich jetzt eine gewisse Lust zu -Tätigkeit. Er fühlte Verantwortung und, was mehr -ist, er war der Untätigkeit müde. Er war Rentier, -aber er hatte keine Stellung im Dienst des Staates. -Er sah sich jetzt nach einer Beschäftigung um, welche -die Leere in seinem Leben ausfüllen konnte. Er -hörte den ersten Morgenruf der erwachenden Geister, -und er fühlte es als eine Pflicht, an der grossen -Forschungsarbeit nach den Ursachen des menschlichen -Elends teilzunehmen. Er studierte, verfolgte -die Politik und schrieb schliesslich in einer Zeitung -ein Gutachten über die Schulfrage. Daraufhin wurde -er in die Schulkommission gewählt. Jetzt aber -musste er eingehende Studien treiben, denn die Fragen -sollten gründlich aufgeklärt werden. -</p> - -<p> -<a id="page-106" class="pagenum" title="106"></a> -Die Baronin lag auf dem Sofa und las Chateaubriand -oder Musset. Sie hatte alle Hoffnung auf Besserung -der Menschheit aufgegeben, und dieses Herumstöbern -in allem Staub und Moder, den Jahrhunderte auf die -menschlichen Einrichtungen gelegt hatten, quälte sie. -Doch sah sie, dass sie nicht gleichen Schritt mit dem -Mann hielt. Sie waren wie zwei Pferde auf einem -Wettrennen. Sie wurden gewogen, ehe sie starteten, -und hatten das gleiche Gewicht; sie hatten versprochen, -auf der Laufbahn gleichen Schritt zu halten; es war -so gut berechnet, dass sie den Lauf zur selben Zeit -vollenden und auf ein Mal aus dem Wettstreit heraus -gehen sollten. Jetzt aber war der Mann ihr schon -eine Pferdelänge voraus. Beeilte sie sich nicht, musste -sie zurückbleiben. -</p> - -<p> -So geschah es auch! Im nächsten Jahr wurde er -Budgetkontrolleur des Reichstages. Er blieb zwei -Monate auf Reisen fort. Jetzt fühlte die Baronin, -dass sie ihn liebte; sie fühlte es, weil sie fürchtete, -den zu verlieren, der sie so für sich eingenommen -hatte. -</p> - -<p> -Als er zurückkam, war sie Feuer und Flamme; er -aber hatte den Kopf voll von dem, was er während -der Reise gesehen und gehört. Er sah wohl ein, -dass der Augenblick der Trennung gekommen sei, -aber er wollte sie aufschieben, sie verhindern, wenn -es möglich war. Er zeigte ihr in grossen lebenden -Bildern, wie diese kolossale Riesenmaschine, die Staat -heisst, eingerichtet ist; suchte den Gang der Räder -zu erklären, die Mannigfaltigkeit der Übertragungen, -die Regulatoren und Sperrhaken, schlechte Pendel -und unsichere Ventile. -</p> - -<p> -Eine Weile folgte sie ihm, dann aber ermüdete sie. -Ihre Inferiorität, ihre Wertlosigkeit fühlend, warf sie -sich auf die Erziehung des Kindes; als Muster einer -<a id="page-107" class="pagenum" title="107"></a> -Mutter wollte sie zeigen, dass sie doch einen Wert -besass. Aber der Mann wusste diesen Wert nicht -zu schätzen. Er hatte sich mit einem guten Kameraden -verheiratet, und nun hatte er eine gute Bonne. Wer -konnte das ändern? Wer konnte alles voraussehen? -</p> - -<p> -Das Haus war jetzt voller Abgeordneter, und die -Herren sprachen über Politik beim Essen. Die Frau -beschränkte sich darauf, nachzusehen, dass tadellos -serviert wurde. Der Baron dachte allerdings immer -daran, neben die Wirtin junge Leute zu setzen, die -über Theater und Musik mit ihr sprachen; aber die -Baronin antwortete immer mit Kindererziehung. Beim -Nachtisch vergass man nie, auf das Wohl der Wirtin -zu trinken, floh dann aber Hals über Kopf ins Zimmer -des Mannes, um dort zu rauchen und die Politik fortzusetzen. -Die Baronin ging dann in die Kinderstube -und fühlte mit Bitterkeit, dass er ihr jetzt so weit -voraus war, dass sie ihn nie mehr einholen konnte. -</p> - -<p> -Er arbeitete abends viel zu Hause und schrieb bis -tief in die Nacht, schloss sich aber immer ein. Wenn -er dann seine Frau verweint sah, fühlte er einen Stich -im Herzen, aber sie hatten ja einander nichts zu sagen. -</p> - -<p> -Zuweilen aber, wenn die Arbeit ihn ekelte, wenn er -fühlte, wie seine eigene Persönlichkeit immer ärmer -wurde, empfand er eine Leere, eine Sehnsucht nach -etwas Warmem, Intimem, von dem er ein Mal in -seiner Jugend geträumt hatte. Aber jedes Gefühl der -Art verbot er sich als Untreue, und er hatte eine tiefe -Vorstellung von der Pflicht gegen seine Frau. -</p> - -<p> -Um ihr das Leben etwas erträglicher zu machen, -schlug er ihr vor, sie möge eine Kusine, von der sie -immer gesprochen und die er nie gesehen, einladen, -bei ihnen den Winter zu verbringen. -</p> - -<p> -Das war lange der Wunsch der Baronin gewesen, -als er jetzt aber erfüllt werden sollte, wollte sie nicht. -<a id="page-108" class="pagenum" title="108"></a> -Sie wollte es bestimmt nicht. Der Mann verlangte -Gründe; sie konnte aber keine angeben. Das reizte -seine Neugier, und schliesslich gestand sie, ihr sei -bange vor der Kusine: die werde ihr ihren Mann -nehmen, er werde sich in sie verlieben. -</p> - -<p> -– Das muss ja ein sonderbares Mädchen sein, das -müssen wir sehen. -</p> - -<p> -Die Baronin weinte und warnte, aber der Baron -lachte, und die Kusine kam. -</p> - -<p> -Es war eines Mittags. Der Baron kam wie gewöhnlich -müde nach Haus, hatte die Kusine wie -seine Neugier nach ihr vergessen. Sie setzten sich zu -Tisch. Der Baron fragte die Kusine, ob sie Theater -liebe. Nein, das tue sie nicht. Sie liebe mehr die -Wirklichkeit als deren Scheinbild. Sie habe zu Hause -eine Schule für Lumpen eingerichtet und einen Verein -für freigelassene Gefangene gegründet. Aha! Der -Baron studierte gerade das Gefängniswesen. Die -Kusine konnte ihm manche Auskunft geben. Und -bis das Essen zu Ende war, wurde über Gefängniswesen -gesprochen. Schliesslich hatte die Kusine -versprochen, die Frage in einer kleinen Schrift zu behandeln, -die der Baron durchsehen und ausarbeiten -wollte. -</p> - -<p> -Alles was die Baronin vorausgesehen, traf ein. Der -Herr Baron schloss eine geistige Ehe mit der Kusine, -und die Frau war verlassen. Aber die Kusine war -auch schön, und wenn sie sich am Schreibtisch über -den Baron beugte, empfand er ein warmes Behagen -daran, ihren weichen Arm an seiner Schulter zu fühlen -und ihren heissen Atem auf seiner Wange zu spüren. -Und sie sprachen nicht immer vom Gefängniswesen. -Sie sprachen auch von Liebe. Sie glaubte an die -Liebe der Seelen und sie erklärte so deutlich, wie sie -<a id="page-109" class="pagenum" title="109"></a> -konnte, eine Ehe ohne die Liebe der Seelen sei Prostitution. -Der Baron hatte die Entwicklung der neuen -Ansichten über die Liebe nicht mitgemacht und fand, -es sei eine harte Rede, aber doch wohl nicht ganz unbegründet. -</p> - -<p> -Aber die Kusine hatte auch andere Eigenschaften, -die unschätzbar waren für eine richtige geistige Ehe. -Sie vertrug Tabak und konnte Zigaretten rauchen. -Daher konnte sie nach dem Diner mit den Herren -ins Rauchzimmer gehen, um über Politik mitzusprechen. -Dann war sie entzückend. -</p> - -<p> -Von kleinen Gewissensbissen geplagt, konnte der -Baron dann aufstehen, für einen Augenblick zu seiner -Frau in die Kinderstube gehen, sie und das Kind -küssen und fragen, wie es ihnen gehe. Und die -Baronin war dankbar, aber sie war nicht glücklich. -Der Baron kehrte dann in brillanter Laune zur Gesellschaft -zurück, als habe er eine Pflicht erfüllt. Oft -allerdings verstimmte es ihn, dass seine Frau, als <em>seine</em> -Frau, nicht dabei sein konnte; und er fühlte sich von -dieser Last bedrückt. -</p> - -<p> -Als der Frühling kam, fuhr die Kusine nicht nach -Haus, sondern begleitete das Ehepaar in einen Badeort. -Dort führte sie für die Armen kleine Schauspiele -auf, und sie und der Baron spielten gegen -einander, natürlich Liebhaber und Liebhaberin. Das -hatte die ganz natürliche Folge, dass die Flamme -aufloderte. Aber es war nur geistiges Feuer. Gemeinsame -Interessen, dieselben Ansichten, und vielleicht -ähnliche Naturen. -</p> - -<p> -Die Baronin hatte Zeit genug gehabt, um über -ihre Stellung nachzudenken. Eines Tages sagte sie -dem Mann, da es zwischen ihnen aus sei, so sei -es das Beste, sich zu trennen. Das wollte er denn -<a id="page-110" class="pagenum" title="110"></a> -doch nicht, und Verzweiflung ergriff ihn. Die Kusine -sollte nach Haus reisen und seine Frau sollte sehen, -dass er ein Mann von Ehre sei. -</p> - -<p> -Die Kusine reiste ab. Aber der Briefwechsel begann. -Die Baronin musste alle Briefe lesen. Sie -wollte es nicht, aber der Baron verlangte es. Bald -aber gab er nach und las seine Briefe allein. -</p> - -<p> -Schliesslich kam die Kusine zurück! Da brach -es los! Der Baron hatte entdeckt, dass er nicht mehr -ohne sie leben könne! Was war zu tun? Trennung? -Das wäre der Tod! Fortsetzen? Unmöglich! Die -Ehe auflösen, die der Baron jetzt nur noch für eine -Prostitution hielt, und sich mit einander verheiraten? -Ja, das war das einzig Ehrliche, wenn es auch schmerzhaft -war. -</p> - -<p> -Das aber wollte die Kusine nicht! Es sollte nicht -heissen, sie habe einen Mann von seiner Frau gelockt; -und der Skandal, der Skandal! -</p> - -<p> -– Aber es sei unehrlich, wenn er seiner Frau -nicht alles sage; es sei unehrlich, weiter zu gehen; -man wisse nicht, wie weit es gehen könne. -</p> - -<p> -– Was? Was meine er? Wie weit könne es gehen? -</p> - -<p> -– Das könne man nicht wissen! -</p> - -<p> -– Oh, wie schändlich! Was er von ihr denke? -</p> - -<p> -– Dass sie ein Weib sei! -</p> - -<p> -Und er fiel auf die Knie und betete sie an und -erklärte, der Teufel möge ihr Gefängniswesen und -ihre Schulen für Lumpen holen, er wisse nicht, -ob sie die oder die sei, aber er wisse, dass er -sie liebe. -</p> - -<p> -Da verachtete sie ihn und reiste Hals über Kopf -nach Paris. -</p> - -<p> -Er reiste ihr augenblicklich nach. Von Hamburg -schrieb er einen Brief an seine Frau. Erklärte, sie -<a id="page-111" class="pagenum" title="111"></a> -hätten einen Irrtum begangen, und es sei unmoralisch, -den nicht zu berichtigen. Bat um Scheidung. -</p> - -<p> -Sie liessen sich scheiden. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Ein Jahr später war der Baron mit der Kusine -verheiratet. Sie bekamen ein Kind. Aber das störte -ihr Glück nicht, im Gegenteil. Wieviel neue Ideen -hier draussen keimten, wieviel starke Winde hier -draussen wehten! -</p> - -<p> -Er veranlasste sie, ein Buch über „Junge Verbrecher“ -zu schreiben. Das wurde von der Kritik heruntergemacht. -Da ward sie wütend, und schwur, nie -wieder zu schreiben. Er nahm sich die Freiheit, -sie zu fragen, ob sie schreibe, um gelobt zu -werden; ob sie ehrgeizig sei. – Sie antwortete -mit der Frage, weshalb er denn schreibe! – So -entstand ein kleiner Wortwechsel. – Es sei ja nur -erfrischend, einmal eine andere Ansicht zu hören als -immer die eigene. – Immer die eigene? Was solle -das heissen? Habe sie nicht <em>ihre</em> Ansichten? – -Sie setzte jetzt ihren Stolz darin, zu zeigen, dass sie -eigene Ansichten besitze, und die mussten darum -immer von denen des Mannes verschieden sein, damit -kein Irrtum vorkam. – Da erklärte er, sie könne -Ansichten haben, welche sie wolle, wenn sie ihn -nur liebe. – Liebe? Was sei denn das! Er sei ja -ein Tier wie alle andern Männer, und er sei falsch -gegen sie gewesen. Nicht ihre Seele liebe er, sondern -ihren Körper. – Nein, beide, sie ganz und gar! – -O, wie falsch er gewesen! – Nein, nicht falsch, -sondern der Raub eines Selbstbetrugs sei er gewesen, -als er glaubte, nur ihre Seele zu lieben. -</p> - -<p> -Sie hatten sich müde gegangen auf dem Boulevard -und mussten sich vor einem Café niedersetzen. Sie -<a id="page-112" class="pagenum" title="112"></a> -steckte sich eine Zigarette an. Da trat der Kellner -heran und sagte recht unhöflich, man dürfe hier nicht -rauchen. Der Baron verlangte eine Erklärung. Der -Kellner antwortete, es sei ein besseres Café, das seine -Gäste nicht verscheuchen wolle, indem es „solche -Damen“ hereinlasse. -</p> - -<p> -Sie standen auf, bezahlten und gingen. Der Baron -war zornig, der jungen Baronin kamen die Tränen. -– Da habe man die Macht des Vorurteils! Rauchen -sei für den Mann eine Dummheit, denn es sei dumm -zu rauchen, aber für die Frau sei es ein Verbrechen! -Wer es könnte, möge dieses Vorurteil aufheben! -Und wer es wolle! Der Baron wollte nicht, dass -seine Frau das erste Opfer werde, mit der dürftigen -Ehre, mit dem Vorurteil gebrochen zu haben. Denn -etwas anderes sei es ja nicht. In Russland rauchten -ja die Damen der Gesellschaft zwischen den Gerichten -der grossen Diners. Die Sitten änderten sich mit -den Breitengraden. Und doch seien diese Kleinigkeiten -nicht bedeutungslos im Leben, denn das Leben -bestehe aus Kleinigkeiten. Hätten Männer und Frauen -dieselben schlechten Gewohnheiten, könnten sie leichter -mit einander verkehren, einander kennen lernen -und eher gleichen Schritt mit einander halten als jetzt! -Hätten sie dieselbe Erziehung, so würden sie dieselben -Interessen haben und während des ganzen -Lebens nicht aus einander kommen. -</p> - -<p> -Der Baron hielt inne, als habe er etwas Dummes gesagt. -Aber sie hörte nicht zu, denn ihre Gedanken -waren nicht bei der Beschimpfung stehen geblieben. -</p> - -<p> -– Sie sei von einem Kellner beschimpft, aus der -besseren Gesellschaft gewiesen worden. Dahinter -liege etwas! Bestimmt! Man habe sie erkannt! -Sicher, denn sie habe es schon früher bemerkt! -</p> - -<p> -– Was habe sie bemerkt? -</p> - -<p> -<a id="page-113" class="pagenum" title="113"></a> -– Dass man sie in Restaurants mit Geringschätzung -behandle. Die Menschen hielten sie nicht für Eheleute, -weil sie Arm in Arm gingen und höflich gegen -einander seien. Lange habe sie das mit sich herumgetragen, -nun aber vermöchte sie es nicht mehr. -Aber das sei nichts gegen das, was sie von Hause -hören müsse! -</p> - -<p> -– Was habe sie denn von Hause gehört, das sie -ihm nicht mitgeteilt? -</p> - -<p> -– Oh, was für Dinge! Was für Briefe! Und die -anonymen erst! -</p> - -<p> -– Nun, und er? Man behandle ihn wie einen -Verbrecher! Und er habe doch kein Verbrechen begangen! -Er habe alle gesetzlichen Forderungen beobachtet -und nicht die Ehe gebrochen. Er habe das -Land verlassen, wie das Gesetz vorschreibt; das -königliche Konsistorium habe sein Scheidungsgesuch -bewilligt; die Geistlichkeit, die heilige Kirche habe -ihn auf gestempeltem Papier von seinem ersten Eheversprechen -entbunden; er habe es also nicht gebrochen! -Man könne ja ein ganzes Volk von dem -Treueid lösen, den es seinem Monarchen gegeben, -wenn ein Land erobert wird: warum anerkenne die -Gesellschaft denn nicht die Entbindung von einem -Versprechen? Habe die Gesellschaft nicht selber -dem Konsistorium das Recht gegeben, die Ehe aufzulösen? -Wie könne sich denn die Gesellschaft als -Richter über ihr eigenes Gesetz stellen? Die Gesellschaft -liege also im Streit mit sich selber! Er -werde wie ein Verbrecher behandelt! Habe nicht der -Sekretär der Gesandtschaft, sein alter Freund, als er -ihm seine Karte und die seiner Frau gesandt, ihm -bloss eine Karte zurückgeschickt! Werde er nicht -bei allen öffentlichen Austeilungen von Karten übergangen! -</p> - -<p> -<a id="page-114" class="pagenum" title="114"></a> -– Oh, sie habe noch Schlimmeres ertragen müssen. -Eine von ihren Freundinnen in Paris habe ihr die -Tür geschlossen, und mehrere hätten sich auf der -Strasse abgewandt, als sie ihnen begegnet sei. -</p> - -<p> -Nur der weiss, wo der Schuh drückt, der ihn anhat! -Sie hatten jetzt die Schuhe an, richtige spanische -Stiefel, und sie fühlten sich in Fehde mit der Gesellschaft. -Die Vornehmen hatten sie desavouiert! -Die Vornehmen! Diese Gemeinde von Halbkretins, -die insgeheim wie Hunde leben, einander aber ehren, -solange es nicht zum Skandal kommt; das heisst so -lange man so ehrlich ist, den Vertrag zu kündigen, -die Verfallzeit abzuwarten und die vom Gesetz gewährte -Freiheit wiederzugewinnen. Und diese vornehme Gesellschaft -sass da in ihrer Lasterhaftigkeit und teilte -soziales Ansehen aus, nach einer Skala, auf der die -Ehrlichkeit tief unter Null steht. Die Gesellschaft war -also ein Gewebe von Lüge! Dass man das nicht -längst gesehen! Jetzt aber musste man das schöne -Gebäude untersuchen, um nachzusehen, wie es mit -dessen Fundament bestellt sei. -</p> - -<p> -Sie waren lange nicht so einig gewesen, wie jetzt, -als sie nach Haus kamen. Die Baronin blieb nun -zu Hause bei ihrem Kind, und sie erwartete bald ihr -zweites. Dieser Kampf war für sie zu schwer, und -sie war schon müde geworden! Sie hatte alles satt! -In einem elegant möblierten und warmen Zimmer -über freigelassene Gefangene schreiben und ihnen -aus gehöriger Entfernung eine gut behandschuhte -Hand reichen, das billigte die Gesellschaft; aber einer -Frau, die sich mit einem freigelassenen Ehemann verheiratet, -die Hand reichen, das wollte die Gesellschaft -nicht. Warum nicht? Die Antwort lag nicht nahe. -</p> - -<p> -Der Baron stand mitten im Leben. Besuchte die -Kammern, war auf Versammlungen und überall hörte -<a id="page-115" class="pagenum" title="115"></a> -er wilde Ausbrüche gegen die Gesellschaft. Er las -Zeitungen und Zeitschriften, verfolgte die Literatur, -machte Studien. Seiner Frau drohte dasselbe Schicksal -wie der ersten: zurückzubleiben! Seltsam aber war -es! Sie konnte nicht allen Einzelheiten seiner Untersuchungen -folgen, sie missbilligte vieles in den neuen -Lehren, aber sie fühlte, dass er recht habe und für -eine gute Sache wirke. Er wusste immer, dass er zu -Hause eine Zustimmung fand, die nicht müde wurde; -eine Freundin, die ihm wohl wollte. Ihr gemeinsames -Schicksal trieb sie zusammen wie erschrockene Tauben, -wenn das Gewitter heraufzieht. Das Weibliche -bei ihr, das jetzt so wenig geachtet wird, und das -doch nur eine Erinnerung an die Mutter ist, an die -Naturkraft, die das Weib mitbekommen hat, brach -nun hervor. Es fiel wie die Wärme eines abendlichen -Feuers über die Kinder, wie Sonnenschein über den -Mann, wie Friede über die Häuslichkeit. Er wunderte -sich oft, dass er diesen Kameraden nicht vermisste, -mit dem er früher über alles hatte sprechen können; -er entdeckte, dass seine Gedanken an Stärke gewannen, -seit er sie nicht mehr sofort ausplauderte; und er -glaubte mehr an dem stillen Beifall, dem freundlichen -Nicken, der teilnehmenden Hilfe gewonnen zu haben. -Er fühlte sich stärker als früher, seine Ansichten wurden -weniger kontrolliert; er war jetzt einsam, aber -nicht so einsam wie früher, denn damals stiess er oft -auf Widersprüche, die nur Zweifel erregten. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Es war Weihnachtsabend in Paris. In ihrem kleinen -Châlet am Cours la Reine war die Aufräumung beendet -und ein grosser Tannenbaum war aus dem -Wald von Saint-Germain geholt. Der Baron und die -Baronin wollten nach dem Frühstück zusammen ausgehen, -<a id="page-116" class="pagenum" title="116"></a> -um Weihnachtsgeschenke für die Kinder einzukaufen. -Der Baron war etwas gedankenvoll, denn -er hatte eben eine kleine Schrift „Ist die Oberklasse -die Gesellschaft“ erscheinen lassen. Sie sassen am -Kaffeetisch in dem schönen Speisesaal, und die Türen -bis zur Kinderstube standen offen. Sie hörten, wie die -Amme mit den Kleinen spielte, und die Baronin -lächelte vor Glück und Zufriedenheit. Sie war so mild -geworden, und ihre Freude war ruhig. Da schrie eins -von den Kindern, und sie stand vom Tisch auf, um -nachzusehen, warum es schreie. Im selben Augenblick -kam der Diener in den Speisesaal und brachte die Post. -Der Baron öffnete zwei Drucksachen. Die erste war -eine „grosse, angesehene“ Zeitung. Er schlug sie auf -und sah sofort eine Überschrift in fetten Buchstaben: -„Ein Frevler!“ Und dann las er einige Zeilen: „Die -Weihnacht ist gekommen! Dieses Fest, das allen reinen -Herzen lieb ist. Dieses Fest, das von allen christlichen -Völkern heilig gehalten wird, an dem Friede -und Versöhnung über die ganze Menschheit herrschen, -an dem sogar der Mörder sein Messer in die Tasche -steckt und der Dieb das heilige Besitzrecht achtet; -dieses Fest, das besonders in den nordischen Ländern -sowohl die historischen Voraussetzungen besitzt wie -von uraltem Herkommen ist usw. Und da kommt, -wie der Gestank aus einer Kloake, ein Individuum, -das sich nicht gescheut hat, die heiligsten Bande zu -brechen, und speit seine Bosheit gegen die geachteten -Mitglieder der Gesellschaft aus; eine Bosheit, die von -der kleinlichsten Rache diktiert wird ...“ Er legte die -Zeitung zusammen und steckte sie in die Tasche seines -Schlafrocks. Dann riss er die zweite Drucksache auf. -Das war eine Karikatur über ihn und seine Frau. Er -liess die Zeitung den gleichen Weg gehen wie die erste, -musste sich aber beeilen, denn seine Frau trat ein. Er -<a id="page-117" class="pagenum" title="117"></a> -beendete das Frühstück und eilte in sein Zimmer, um -sich zum Ausgehen anzukleiden. Dann gingen sie. -</p> - -<p> -Die Sonne schien auf die bereiften Platanen der -Champs Elysées, und der Concordiaplatz öffnete sich -wie eine grosse Oase von Sonnenlicht mitten in der -Steinwüste. Er hatte ihren Arm unter seinem, es war -ihm aber, als stütze sie ihn. Sie sprach davon, was sie -den Kindern kaufen sollten, und er antwortete, so gut -er konnte. Schliesslich unterbrach er auf ein Mal das -Gespräch und fragte, ohne eine Veranlassung dazu zu -haben: -</p> - -<p> -– Weisst du, was für ein Unterschied zwischen -Strafe und Rache ist? -</p> - -<p> -– Nein, darüber habe ich nicht nachgedacht. -</p> - -<p> -– Ich möchte wissen, ob es nicht dieser ist: wenn -sich ein anonymer Zeitungsschreiber rächt, dann ist -es Strafe; wenn aber ein namhafter Nichtzeitungsschreiber -straft, dann ist es Rache! Tragen wir uns -ein unter die neuen Propheten! -</p> - -<p> -Sie bat ihn, doch das Weihnachtsfest nicht zu stören, -indem er von Zeitungen spreche. -</p> - -<p> -– Dieses Fest, wiederholte er für sich, an dem -Friede und Versöhnung ... -</p> - -<p> -Sie gingen durch die Arkaden der Rivolistrasse, -bogen in die Boulevards ab und kauften ein. Im Grand-Hôtel -essen sie. Sie war in sonniger Laune und suchte -ihn zu erheitern. Er aber blieb gedankenvoll. Schliesslich -warf er die Frage auf: -</p> - -<p> -– Wie kann man ein böses Gewissen haben, wenn -man recht gehandelt hat? -</p> - -<p> -Das wusste sie nicht. -</p> - -<p> -– Kommt es daher, dass die Oberklasse uns dazu -erzogen hat, ein böses Gewissen zu haben, jedes Mal -wenn wir uns gegen sie erheben? Wahrscheinlich! -<a id="page-118" class="pagenum" title="118"></a> -Warum hat der nicht das Recht, die Ungerechtigkeit -anzugreifen, der von der Ungerechtigkeit gekränkt -worden ist? Weil nur der, der gekränkt worden ist, -angreifen wird, und die Oberklasse nicht angegriffen -werden will. Warum habe ich die Oberklasse früher, -als ich zu ihr gehörte, nicht angegriffen? Weil ich damals -natürlich nicht wusste, was sie ist! Man muss -sich von einem Bild entfernen, um den richtigen Gesichtspunkt -zu finden! -</p> - -<p> -– Am Weihnachtsabend spricht man nicht von -solchen Dingen. -</p> - -<p> -– Es ist wahr, es ist Weihnachten, „dieses Fest ...“ -</p> - -<p> -Und sie fuhren nach Haus. Der Tannenbaum wurde -angesteckt, und Friede und Glück strahlten von ihm -aus; aber die dunklen Tannenzweige rochen nach Begräbnis -und sahen düster aus, düster wie das Gesicht -des Barons. Dann aber kam die Amme mit den Kleinen. -Da klärte er sich auf, denn, dachte er, wenn sie herangewachsen -sind, dann werden sie in Freude ernten, -was wir in Tränen gesäet haben; dann werden sie nur -ein böses Gewissen haben, wenn sie sich gegen die -Gesetze der Natur vergehen; werden nicht wie wir -jetzt von Grillen geritten werden, die mit dem Rohrstock -eingebläut, mit Pfaffengeschichten eingetrichtert, -von der Oberklasse zum Nutzen der Oberklasse verfasst -sind. -</p> - -<p> -Die Baronin setzte sich an den Flügel, als die Mädchen -von der Küche und der Diener hereinkamen. -Und sie spielte alte wehmütige Tänze, über die sich -der Nordländer freut, und die Leute tanzten mit den -Kindern, sahen aber nicht fröhlich aus. Es war wie -der schuldige Teil eines öffentlichen Gottesdienstes. -</p> - -<p> -Dann erhielten die Kinder und die Leute ihre Weihnachtsgeschenke. -Und dann mussten die Kinder -schlafen gehen. -</p> - -<p> -<a id="page-119" class="pagenum" title="119"></a> -Die Baronin ging in den Salon und setzte sich in -einen Sessel. Der Baron setzte sich auf einen Schemel -ihr zu Füssen. Darauf liess er seinen Kopf auf ihre -Knie sinken. O, der war so schwer, so schwer! Und -sie streichelte ihm die Stirn, sagte aber nichts. -</p> - -<p> -– Was! Er weine? -</p> - -<p> -– Ja, das tue er! -</p> - -<p> -Sie hatte noch nie einen Mann weinen sehen. Das -war furchtbar! Die ganze kräftige Gestalt schlotterte, -aber er schluchzte nicht, und kein Laut war von ihm -zu hören. -</p> - -<p> -– Warum er weine? -</p> - -<p> -– Er sei so unglücklich! -</p> - -<p> -– Unglücklich mit ihr? -</p> - -<p> -– Nein, nein, nicht mit ihr, aber doch unglücklich! -</p> - -<p> -– Sei man garstig gegen ihn gewesen? -</p> - -<p> -– O, ja! -</p> - -<p> -– Könne er davon sprechen? -</p> - -<p> -– Nein! Er wolle nur bei ihr sitzen! Wie er ein -Mal, vor langer Zeit, bei seiner Mutter gesessen! -</p> - -<p> -Sie plauderte mit ihm, wie mit einem Kind! Sie -küsste seine Augenlider und trocknete ihm das Gesicht -mit ihrem Taschentuch. Sie fühlte sich so stolz, -so seltsam stark, und sie weinte nicht. Als er sie -so sah, fasste er wieder Mut. -</p> - -<p> -– Dass er so schwach sein könne! Es sei doch -furchtbar, dass es in der Tat so schwer sei, diese -fabrizierten Ansichten der Gegner zu ertragen. Glaubten -denn seine Feinde selber, was sie sagten? -</p> - -<p> -– Schrecklicher Gedanke, aber das täten sie wohl. -Man sehe ja Steine in Kiefern festwachsen, warum -nicht Ansichten in Gehirnen. Aber sie glaube doch, -dass er recht habe, dass er das Gute wolle? -</p> - -<p> -– Ja, das glaube sie! Aber er dürfe nicht böse -werden: vermisse er nicht sein Kind, das erste? -</p> - -<p> -<a id="page-120" class="pagenum" title="120"></a> -– Doch gewiss, aber dem sei ja nicht zu helfen. -Wenigstens jetzt noch nicht! Aber er und die andern, -die für die Zukunft arbeiteten, müssten auch dafür -eine Hilfe finden! Noch wisse er nicht wie, aber -stärkere Köpfe als seiner, und viele zusammen, würden -wohl einmal diese Frage, die jetzt unlösbar erscheine, -lösen. -</p> - -<p> -– Ja, das müssten sie! -</p> - -<p> -– Aber ihre Ehe? Sei das noch eine rechte Ehe, -da er ihr seinen Kummer nicht sagen wolle? Sei -das nicht auch Pro ...? -</p> - -<p> -– Nein, das sei eine rechte Ehe, denn sie liebten -einander; das <a id="corr-10"></a>hätten er und seine erste Frau nicht -getan! Sie liebten doch einander? Könne sie das -leugnen? -</p> - -<p> -– Nein, lieber Geliebter, das könne sie nicht! -</p> - -<p> -– Nun, dann sei es eine rechte Ehe, von Gott, -von der Natur! -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="chapter-0-6"> -<a id="page-121" class="pagenum" title="121"></a> -<span class="line1">Unnatürliche Auslese</span><br /> -<span class="line2">oder</span><br /> -<span class="line3">Die Entstehung der Rasse</span> -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -Der Baron hatte mit grossem und edlem Verdruss -im „Lebenssklaven“ gelesen, dass die Kinder der -Oberklasse untergehen würden, wenn sie nicht die -Muttermilch von den Kindern der Unterklasse nähmen. -Er hatte Darwin gelesen und zu verstehen geglaubt, -durch die Auslese seien adelige Kinder eine -höhere Entwicklungsstufe der Gattung Mensch. Durch -die Lehre von der Erblichkeit aber hatte er einen -Widerwillen gegen den Gebrauch von Ammen gefasst: -indem Blut der Unterklasse in adelige Adern -fliesst, könnten ja gewisse Begriffe, Vorstellungen, -Intentionen eingepflanzt werden. Er hatte also den -Grundsatz angenommen, seine Frau solle selber säugen; -wenn ihre Milch nicht reiche, solle das Kind mit -der Flasche genährt werden. Die Milch von den -Kühen zu nehmen, war wohl sein Recht, wenn die -Kühe sein eigenes Heu frassen, ohne das sie verhungern -würden oder gar nicht geboren wären. -</p> - -<p> -Das Kind kam zur Welt. Es war ein Sohn! Der -Vater war etwas unruhig gewesen, bis die Schwangerschaft -festgestellt wurde, denn er selber war ein armer -Teufel, aber seine Frau war sehr reich, und er konnte -nur in Genuss ihres Reichtums kommen, wenn die -<a id="page-122" class="pagenum" title="122"></a> -Ehe mit einem gesetzlichen Erben gesegnet wurde, -nach dem Erbgesetz Kap. 00, § 00. Die Freude war -daher gross und ungeheuchelt. Der Sohn war ein -kleines durchsichtiges Vollblutwesen mit blauen Adern -auf der Hautfläche. Aber das Blut war trotzdem dünn. -Die Mutter hatte die Figur eines Engels, war mit ausgewählter -Nahrung aufgezogen, durch Pelzwerk gegen -die ungünstigen Einflüsse des Klimas geschützt worden, -und von dieser vornehmen Blässe, die das Weib von -Rasse andeutet. -</p> - -<p> -Sie gab ihrem Kinde selber die Brust. Man brauchte -also nicht Bäuerinnen zu melken, um die Ehre des -Lebens zu geniessen. Das waren alles Fabeln. Das -Kind sog und schrie vierzehn Tage. Da alle Kinder -schreien, hatte das nichts zu bedeuten. Aber das Kind -magerte ab. Es magerte ganz schrecklich ab. Der -Arzt wurde gerufen. In geheimer Konsultation mit -dem Mann erklärte er offen, das Kind werde sterben, -wenn die Mutter es weiter säuge, denn teils sei sie zu -nervös, teils habe sie nichts zu geben. Ja, er machte -eine quantitative Analyse der Milch und zeigte mit -Gleichungen, das Kind werde verhungern, wenn man -auf diese Weise fortfahre. -</p> - -<p> -Was sei zu tun, denn sterben dürfe das Kind nicht? -Amme oder Flasche. Die Amme kam nicht in Frage, -unter keiner Bedingung. Wir wollen es mit der Flasche -versuchen! Der Arzt verordnete jedoch eine Amme. -</p> - -<p> -Die beste holländische Kuh, welche die goldene -Medaille des Kreises erhalten hatte, wurde isoliert und -mit Heu gefüttert; mit trocknem Heu von der Hochwiese. -Der Arzt analysierte die Milch, und alles war -gut. Es war so einfach mit der Flasche! Dass man -nicht schon längst daran gedacht hatte! Und man -brauchte keine Amme, diese Haustyrannin, der man -schmeicheln, dieses Faultier, das man mästen musste; -<a id="page-123" class="pagenum" title="123"></a> -und obendrein konnte sie noch eine ansteckende Krankheit -haben! -</p> - -<p> -Aber das Kind magerte trotzdem ab und schrie -immer noch. Schrie Nacht und Tag! Es hatte ganz -deutlich Magenschmerzen. Eine neue Kuh und eine -neue Analyse. Die Milch wurde mit Karlsbader Wasser -(echtem Sprudel) verdünnt, aber das Kind schrie doch -noch. -</p> - -<p> -– Hier ist weiter nichts zu machen, als eine Amme -zu nehmen, erklärte der Arzt. -</p> - -<p> -– Nein, das wolle man nicht. Man wolle andern -Kindern nicht die Milch fortnehmen, das sei unnatürlich, -und man sei nicht sicher vor der „Erblichkeit“. -</p> - -<p> -Als der Baron von Natur und Unnatur sprechen -wollte, konnte der Arzt den Baron darüber aufklären, -wenn man die Natur wirken lasse, so würden alle -adeligen Familien aussterben und ihr Grundbesitz an -die Krone fallen. So weise habe die Natur es eingerichtet, -und die Kultur des Menschen sei nur ein -törichter Kampf gegen die Natur, in dem der Mensch -schliesslich untergehen müsse. Die Rasse des Herrn -Baron sei zum Untergang verurteilt; das zeige sich -darin, dass seine Frau nicht genügend Nahrung für -die Frucht ihres Leibes habe; um leben zu können, -müsse man also die Milch von andern Weibchen -rauben oder kaufen. Die Rasse lebe also bis in die -geringste Einzelheit von Raub. -</p> - -<p> -– Sei das auch Raub, wenn man die Milch kaufe? -Sie kaufe! -</p> - -<p> -– Ja, denn das Geld, mit dem man die Muttermilch -des Volkes kaufe, sei ja das Produkt einer -Arbeit. Und wessen Arbeit? Des Volkes! Denn -der Adel arbeite ja nicht. -</p> - -<p> -– Aber der Doktor sei ja Sozialist! -</p> - -<p> -<a id="page-124" class="pagenum" title="124"></a> -– Nein, er sei Darwinist. Übrigens könne man -ihn seinetwegen ruhig Sozialist nennen, das sei ihm -ganz einerlei! -</p> - -<p> -– Ja, aber raube man, wenn man kaufe? Das -sei doch zu streng! -</p> - -<p> -– Ja, wenn man mit Geld kaufe, das man nicht -erarbeitet. -</p> - -<p> -– Mit dem Körper also erarbeitet? -</p> - -<p> -– Ja! -</p> - -<p> -– Dann sei ja der Doktor auch ein Räuber! -</p> - -<p> -– Gewiss! Das könne ihn aber nicht davon abhalten, -die Wahrheit zu sagen! Ob der Baron sich -nicht an den reuigen Räuber erinnere, der so wahr -gesprochen? -</p> - -<p> -Das Gespräch wurde abgekürzt, und der Baron -liess den Professor kommen. -</p> - -<p> -Der nannte den Baron einen Mörder, weil er nicht -längst für eine Amme gesorgt habe! -</p> - -<p> -Der Baron musste seine Frau überreden. Er musste -seine ganze frühere Beweisführung aufheben und -die einfache Tatsache betonen: die Liebe zu seinem -Kind (verglichen mit dem Erbgesetz). -</p> - -<p> -Aber wo sollte man eine Amme hernehmen? An -die Stadt brauchte man erst garnicht zu denken, denn -da waren alle Menschen verdorben! Nein, ein Mädchen -vom Lande musste es sein. Aber die Baronin wollte -kein Mädchen haben, denn ein Mädchen, das ein Kind -habe, sei ja ein unsittliches Geschöpf: da könne ja -der Sohn eine erbliche Anlage bekommen. -</p> - -<p> -Der Arzt sagte, alle Ammen seien Mädchen, und -wenn der junge Baron die Anlage, zu Mädchen zu -gehen, erben werde, so sei er ein tüchtigen Kerl, -und solche Anlagen müsse man pflegen. Eine Bauernfrau -bekomme man bestimmt nicht, denn wer Grund -<a id="page-125" class="pagenum" title="125"></a> -und Boden habe, wolle auch seine Kinder selber -besitzen. -</p> - -<p> -– Aber wenn man ein Mädchen mit einem Knecht -verheirate. -</p> - -<p> -– Dann müsse man neun Monate warten. -</p> - -<p> -– Aber wenn man ein Mädchen verheirate, das -schon ein Kind habe? -</p> - -<p> -– Das sei eine Idee! -</p> - -<p> -Der Baron wusste wohl von einem Mädchen, das -ein Kind von drei Monaten hatte. Er wusste es nur -allzu gut, denn seine Verlobungszeit hatte drei Jahre -gedauert und der Arzt hatte ihm schliesslich „verordnen“ -müssen, untreu zu sein. -</p> - -<p> -Er ging selber zu ihr und fragte sie. Sie solle -einen eigenen Hof bekommen, wenn sie sich mit -dem Knecht Anders verheirate und Amme im Herrnhaus -werde. Nun, es war klar, dass sie das lieber -wollte, als allein die Schande tragen. -</p> - -<p> -Am nächsten Sonntag sollten sie zum ersten, zweiten -und dritten Mal aufgeboten werden, und Anders sollte -auf zwei Monate nach Haus reisen. -</p> - -<p> -Der Baron sah ihr Kind mit einem seltsamen Gefühl -von Neid. Es war ein grosses, starkes Ding. -Schön war es nicht, aber sicher würde es sich -durch viele Familienglieder fortpflanzen können. Das -Kind war zum Leben geboren, aber es wurde nicht -sein Los. -</p> - -<p> -Anna weinte, als es ins Waisenhaus gebracht wurde, -aber das gute Essen im Herrnhaus, denn sie ass -vom Essen der Herrschaft und bekam Porter und -Wein, so viel sie wollte, tröstete sie allmählich. Auch -durfte sie ausfahren in der grossen Kalesche, auf -deren Kutschbock ein Bedienter sass. Und dann -konnte sie „Tausendundeine Nacht“ lesen. Noch -nie in ihrem Leben war sie so gepflegt worden. -</p> - -<p> -<a id="page-126" class="pagenum" title="126"></a> -Aber nach zwei Monaten kam Anders zurück. Er -war bei seinen Eltern auf Besuch gewesen. Hatte -gegessen, getrunken und sich ausgeruht. Er nahm -den Hof in Besitz, verlangte aber nach seiner Anna. -Könnte sie nicht wenigstens bei ihm vorsprechen? Nein, -das wollte die Baronin nicht. Keinerlei Geschichten! -</p> - -<p> -Anna begann abzunehmen und der kleine Baron -schrie. Der Arzt wurde um Rat gefragt. -</p> - -<p> -– Man lasse sie zusammen, sagte er. -</p> - -<p> -– Wenn das aber schädlich ist? -</p> - -<p> -– Im Gegenteil! -</p> - -<p> -Aber Anders sollte erst „analysiert“ werden. -</p> - -<p> -Das wollte Anders nicht. Anders erhielt einige -Schafe und dann wurde er analysiert. -</p> - -<p> -Der kleine Baron schrie nicht mehr. -</p> - -<p> -Da aber kam die Nachricht vom Waisenhaus, Annas -Junge sei an Diphtheritis gestorben. Anna bekam -Milchversetzung und der kleine Baron schrie ganz -schrecklich. -</p> - -<p> -Anna musste verabschiedet und zu Anders geschickt -werden, und man musste eine neue Amme annehmen. -Anders freute sich, endlich richtig verheiratet zu sein, -aber Anna hatte feine Gewohnheiten angenommen. -Sie konnte nicht mehr brasilianischen Kaffee trinken, -sondern musste Java haben. Und ihre Gesundheit -verbot ihr, sechs Mal in der Woche Fisch zu essen. -Sie konnte die Erde nicht graben, und darum wurde -das Brot knapp. -</p> - -<p> -Nach einem Jahr hätte Anders den Hof aufgeben -müssen; doch der Baron war ihm gewogen, und er -durfte als Kätner bleiben. -</p> - -<p> -Anna tagewerkte auf dem Herrnhof und sah oft -den kleinen Baron; er aber erkannte sie nicht wieder, -und das war gut. Aber er hatte doch an ihrer Brust -gelegen. Und sie hatte sein Leben gerettet und dafür -<a id="page-127" class="pagenum" title="127"></a> -das ihres eigenen Kindes gegeben. Doch sie war -fruchtbar und bekam mehrere Söhne, die Kätner, -Bahnarbeiter wurden; einer wurde Zuchthäusler. -</p> - -<p> -Aber der alte Baron sah mit Unruhe den Tag -kommen, an dem der junge Baron sich verheiraten -und einen Erben zeugen würde. Stark sah er nicht -aus! Er wäre sehr viel ruhiger gewesen, wenn der -andere kleine Baron, der im Waisenhaus starb, auf -dem Herrnhof gesessen hätte. Und als er den „Lebenssklaven“ -noch ein Mal las, musste er eingestehen, -dass die Oberklasse von der Gnade der Unterklasse -lebt; und als er Darwin noch ein Mal las, konnte -er nicht leugnen, dass die Auslese, so wie sie jetzt -war, alles andere als natürlich sei. Aber das war -nun einmal so, und das konnte man nicht ändern, -der Doktor und die Sozialisten mochten sagen, was -sie wollten. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="chapter-0-7"> -<a id="page-129" class="pagenum" title="129"></a> -<span class="line1">Reformversuch</span> -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -Sie hatte mit Ekel gesehen, wie die Mädchen zu -Haushälterinnen für ihre künftigen Männer erzogen -wurden. Darum hatte sie eine Fertigkeit gelernt, die -sie unter allen Verhältnissen des Lebens ernähren -konnte. Sie machte Blumen. -</p> - -<p> -Er hatte mit Schmerz gesehen, wie die Mädchen -darauf warteten, von ihren künftigen Männern versorgt -zu werden; er wollte sich mit einer freien, selbstständigen -Frau verheiraten, die sich selber ernähren -konnte; dann würde er in ihr eine Seinesgleichen -sehen und eine Kameradin fürs Leben haben, keine -Haushälterin. -</p> - -<p> -Und das Schicksal wollte, dass sie sich trafen. Er -war Maler, und sie machte, wie gesagt, Blumen, und -in Paris hatten sie diese neuen Ideen bekommen. -</p> - -<p> -Es war eine stilvolle Ehe. Sie hatten sich in Passy -drei Zimmer gemietet. Das Atelier lag in der Mitte, -sein Zimmer auf der einen Seite, ihr Zimmer auf der -andern. Ein gemeinsames Bett wollten sie nicht haben; -das sei eine Schweinerei, die durchaus kein Gegenstück -in der Natur besitze und nur Übertreibung und -Ausschweifung veranlasse. Und sich im selben Zimmer -entkleiden! Nein, jeder sein eigenes Zimmer; und -dann einen gemeinsamen neutralen Raum, das Atelier. -Keine Dienstboten; denn die Küche wollten sie gemeinsam -besorgen. Nur eine alte Frau, die morgens -und abends kam. -</p> - -<p> -<a id="page-130" class="pagenum" title="130"></a> -Es war gut ausgerechnet, und es war ganz richtig -gedacht. -</p> - -<p> -– Wenn ihr aber Kinder bekommt? wandte der -Zweifler ein. -</p> - -<p> -– Wir werden keine Kinder bekommen! -</p> - -<p> -Gut! Sie würden keine Kinder bekommen! -</p> - -<p> -Es war entzückend! Er ging morgens auf den Markt -und kaufte ein. Darauf kochte er den Kaffee. Sie -machte die Betten und räumte die Zimmer auf. Dann -setzten sie sich an die Arbeit. -</p> - -<p> -Wenn sie müde wurden, plauderten sie eine Weile, -gaben einander einen guten Rat, lachten und waren -sehr lustig. -</p> - -<p> -Wenn der Mittag kam, machte er Feuer in der -Küche, während sie das Gemüse wusch. Er kochte -Rindfleisch in der Brühe, während sie zum Kaufmann -hinunterlief; dann deckte sie, während er das Essen -auftischte. -</p> - -<p> -Aber wie Geschwister lebten sie nicht. Sie sagten -sich abends gute Nacht, und jedes ging in sein Zimmer. -Dann aber klopfte es an ihre Tür und sie rief: herein! -Doch das Bett war eng und es kam nie zu Ausschweifungen, -sondern jedes erwachte morgens im -eigenen Bett. Und dann klopfte er an die Wand: -</p> - -<p> -– Guten Morgen, mein Mädchen! Wie steht es -heute? -</p> - -<p> -– Danke, gut; und dir? -</p> - -<p> -Es war immer etwas Neues, wenn sie sich morgens -trafen, und es wurde nie alt. -</p> - -<p> -Abends gingen sie oft zusammen aus und trafen -mit Landsleuten zusammen. Und sie wurde nicht -geniert von Tabaksrauch, und sie genierte auch -selber nicht. -</p> - -<p> -Das sei das Ideal einer Ehe, meinten die andern, -ein so glückliches Paar hätten sie noch nicht gesehen. -</p> - -<p> -<a id="page-131" class="pagenum" title="131"></a> -Aber das Mädchen hatte Eltern, die weit entfernt -wohnten. Und die schrieben und fragten unaufhörlich, -ob Luise noch nicht guter Hoffnung sei, denn -sie sehnten sich nach einem Enkelkind. Luise solle -daran denken, dass die Ehe der Kinder und nicht -der Eltern wegen da sei. Das hielt Luise für eine -altmodische Ansicht. Da fragte die Mama, ob man -denn mit den neuen Ideen die Absicht habe, das -Menschengeschlecht auszurotten. Daran habe Luise -nicht gedacht, und darum kümmere sie sich auch -nicht. Sie sei glücklich und ihr Mann auch, und -jetzt habe die Welt endlich eine glückliche Ehe gesehen, -und darum sei die Welt neidisch. -</p> - -<p> -Aber angenehm lebten sie. Keiner war der Herr -des andern, und zur Kasse schossen sie zusammen. -Das eine Mal verdiente er mehr, das andere Mal -sie, aber das wurde unter einander ausgeglichen. -</p> - -<p> -Und wenn sie Geburtstag hatten! Da erwachte -sie davon, dass die Aufwartefrau hereinkam mit -einem Blumenstrauss und einem Briefchen, auf das -Blumen gemalt waren und in dem zu lesen stand: -</p> - -<p> -– Der Frau Blumenknospe gratuliert ihr Anstreicher -und ladet sie zu einem feinen kleinen Frühstück -ein – und zwar sofort! -</p> - -<p> -Und dann klopfte es an seine Tür und dann – -herein! Und sie assen Frühstück auf dem Bett, auf -seinem Bett; und die Aufwartefrau arbeitete dann -den ganzen Vormittag. Es war entzückend. -</p> - -<p> -Und nie ward es etwas Altes. Denn es dauerte -zwei Jahre. Und alle Weissager weissagten falsch. -</p> - -<p> -So müsste die Ehe sein! -</p> - -<p> -Dann aber geschah es, dass die Frau krank wurde. -Sie glaubte, es seien die Tapeten; er aber vermutete -Bakterien. Ja, es waren bestimmt Bakterien! -</p> - -<p> -<a id="page-132" class="pagenum" title="132"></a> -Aber es war auch etwas in Unordnung. Es war -nicht so, wie es sein sollte. Es war bestimmt eine Erkältung. -Und dann wurde sie so stark. Sollte es vielleicht -ein Gewächs sein, von dem man soviel las? -Ja, es war bestimmt ein Gewächs. Sie ging zu einem -Arzt. Als sie nach Haus kam, weinte sie. Es war -wirklich ein kleines Gewächs, aber eins, das zu seiner -Zeit ans Tageslicht kommen werde, um Blume zu -werden und Frucht anzusetzen. -</p> - -<p> -Der Mann weinte nicht. Er fand Stil darin, und -dann ging der Lümmel in die Kneipe und prahlte noch -damit. Aber die Frau weinte wieder. Wie würde -jetzt ihre Stellung zu ihm werden? Mit Arbeit könne -sie jetzt bald nichts mehr verdienen, und dann müsse -sie sein Brot essen. Und dann müssten sie sich eine -Magd halten. Huh, diese Mägde! -</p> - -<p> -Alle Vorsorge, aller Vorbedacht, alle Voraussicht -waren an dem Unvermeidlichen gescheitert. -</p> - -<p> -Aber die Schwiegermutter schrieb begeisterte Gratulationsbriefe -und wiederholte immer wieder, die Ehe -sei von Gott der Kinder wegen gestiftet, das Vergnügen -der Eltern sei nur Nebensache. -</p> - -<p> -Hugo beteuerte, sie brauche niemals daran zu -denken, dass sie nichts verdiene! Trage sie nicht mit -ihrer Arbeit für sein Kind genug zum Haushalt bei? -Sei das nicht auch Geldeswert? Geld sei doch nur -Arbeit! Also bezahle sie ja auch ihr Teil. -</p> - -<p> -Doch sie konnte es lange nicht verschmerzen, dass -sie sein Brot essen musste. Als aber das Kind kam, -vergass sie alles. Und sie war seine Frau und Kameradin -wie früher, aber sie war ausserdem die Mutter -seines Kindes, und er fand, das sei das Beste von allem. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="chapter-0-8"> -<a id="page-133" class="pagenum" title="133"></a> -<span class="line1">Naturhindernis</span> -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -Ihr Vater hatte sie Buchführung lernen lassen, damit -sie dem gewöhnlichen Los der Mädchen entgehe: -darauf zu warten, bis sie geheiratet wird. -</p> - -<p> -Sie war jetzt Buchführerin bei der Gepäckabteilung -der Eisenbahnen und wurde allgemein als tüchtig -anerkannt. Sie wusste die Leute zu behandeln, dass -es eine Lust war, und sie hatte eine schöne Zukunft -vor sich. -</p> - -<p> -Da kam der grüne Jäger von der Forstakademie, -und sie heirateten sich. Aber Kinder wollten sie -nicht haben. Es sollte eine geistige Ehe von der -rechten Art werden, und die Welt sollte sehen, dass -die Frau auch ein seelisches Wesen und kein Weibchen -sei. -</p> - -<p> -Die beiden Gatten trafen sich mittags und nachts, -und es war eine wirkliche Ehe, die Verbindung zweier -Seelen, und allerdings auch die zweier Körper, aber -davon sprach man natürlich nicht. -</p> - -<p> -Eines Tages kam die Frau nach Hause und erzählte, -die Dienstzeit sei geändert. Ein neuer Nachtzug nach -Malmö sei vom Reichstag beschlossen worden, und -sie habe künftig zwischen sechs und neun Uhr abends -Dienst. Das war ein Strich durch die Rechnung. -Denn er konnte nicht vor sechs Uhr nach Haus -kommen. Unmöglich! -</p> - -<p> -<a id="page-134" class="pagenum" title="134"></a> -Jetzt musste jedes allein zu Mittag essen, und sie -trafen sich nur nachts. Er fand das etwas wenig. -Und dann die langen Abende. -</p> - -<p> -Er kam und holte sie ab. Es war ihm aber nicht -angenehm, in der Gepäckexpedition auf einem Stuhl -zu sitzen und von den Trägern gestossen zu werden. -Er war immer im Wege. Und wenn er mit ihr, die -mit der Feder hinterm Ohr dasass, plaudern wollte, -konnte sie ihm das Wort abschneiden: -</p> - -<p> -– Bitte, sei doch so lange still! -</p> - -<p> -Dann wandten die Leute sich ab, und er konnte -an ihren Rücken sehen, dass sie grinsten. -</p> - -<p> -Zuweilen wurde er von einem Buchhalter mit -diesen Worten angemeldet: -</p> - -<p> -– Ihr Mann wartet auf Sie, Frau X. -</p> - -<p> -„Ihr Mann“, das klang so geringschätzig. -</p> - -<p> -Was ihn aber am meisten reizte, war, dass sie -zum Nebenmann am Pult einen jungen Laffen hatte, -der ihr direkt in die Augen guckte und sich oft, um -ins Hauptbuch zu sehen, so über ihre Schulter beugte, -dass sein Kinn fast auf ihrer Brust lag! Und die -beiden sprachen von Fakturen und Zertifikaten; von -Dingen, die alles mögliche bedeuten konnten, denn -er verstand sie nicht. Und sie kollationierten zusammen -und schienen vertrauter mit einander zu -sein, als Mann und Frau waren. Und das war sehr -natürlich, denn sie war mehr mit dem fröhlichen -Laffen zusammen als mit ihrem Mann. Er begann -zu denken, es sei doch keine rechte geistige Ehe; -damit sie das sei, hätte er auch bei der Gepäckabteilung -sein müssen. Jetzt aber war er bei der -Forstakademie. -</p> - -<p> -Eines Tages, oder richtiger eines Nachts, verkündete -sie, sie müsse am nächsten Sonnabend die -Versammlung der Eisenbahner besuchen, die mit -<a id="page-135" class="pagenum" title="135"></a> -einem gemeinsamen Schmaus beschlossen würde. -Der Mann nahm die Mitteilung etwas verlegen auf. -</p> - -<p> -– Du willst dahin gehen? war er naiv genug zu -fragen. -</p> - -<p> -– Welche Frage? -</p> - -<p> -– Aber du bist die einzige Frau unter so vielen -Männern, und wenn Männer getrunken haben, werden -sie roh! -</p> - -<p> -– Besuchst du denn nicht Forsttage ohne mich? -</p> - -<p> -– Allerdings, aber nicht als einziger Mann unter -Frauen! -</p> - -<p> -– Männer und Frauen seien doch gleich, und sie -sei erstaunt, dass er, der doch immer die Befreiung -des Weibes gepredigt, etwas dagegen habe, dass sie -die Sitzung besuche! -</p> - -<p> -– Er räume ein, es seien alte Vorurteile, die bei -ihm noch festsässen; er räume ein, sie habe recht -und er habe unrecht, aber er bitte sie, nicht hinzugehen: -es sei ihm nun einmal unangenehm! Er -könne nicht davon loskommen! -</p> - -<p> -– Das sei inkonsequent von ihm! -</p> - -<p> -– Ja, es sei inkonsequent von ihm, aber es seien -auch zehn Generationen nötig, bis sich die Individuen -da herausgearbeitet hätten! -</p> - -<p> -– Dann dürfe er auch nicht mehr Versammlungen -besuchen. -</p> - -<p> -– Das sei nicht dasselbe, denn dort seien nur -Männer! Nicht dass sie ohne ihn ausgehe, sei ihm -unangenehm, sondern dass sie allein mit so vielen -Männern ausgehe! -</p> - -<p> -– Allein würde sie nicht sein, denn die Frau des -Kassierers werde dabei sein als ... -</p> - -<p> -– Als was? -</p> - -<p> -– Als Frau des Kassierers! -</p> - -<p> -– Dann könne er vielleicht mitgehen als „ihr Mann“! -</p> - -<p> -<a id="page-136" class="pagenum" title="136"></a> -– Warum wolle er sich demütigen, indem er -lästig falle! -</p> - -<p> -– Er wolle sich demütigen! -</p> - -<p> -– Er sei eifersüchtig? -</p> - -<p> -– Ja, warum nicht! Ihm sei bange, dass etwas -zwischen sie kommen könne. -</p> - -<p> -– Pfui, er sei eifersüchtig, welche Kränkung! -Welche Beschimpfung, welches Misstrauen! Was denke -er von ihr? -</p> - -<p> -– Das Allerbeste! Er wolle es ihr beweisen: sie -könne allein gehen! -</p> - -<p> -– Sie dürfe also wirklich allein gehen! Wie gnädig! -</p> - -<p> -Sie ging! Und kam erst gegen Morgen nach Haus, -Sie musste ihren Mann wecken und ihm erzählen! -wie angenehm es gewesen sei! Und wie es ihn -freute, das zu hören! Sie hätten eine Rede auf sie -gehalten, und sie hätten Quartett gesungen und getanzt. -</p> - -<p> -– Wie sei sie denn nach Haus gekommen? -</p> - -<p> -– Herr Latte habe sie bis zur Haustür gebracht. -</p> - -<p> -– Wenn nun ein Bekannter seine Frau um drei -Uhr morgens am Arm des Herrn Laffen getroffen hätte! -</p> - -<p> -– Warum nicht! Sie habe doch keinen schlechten -Ruf! -</p> - -<p> -– Nein, aber sie könne einen bekommen! -</p> - -<p> -– Ach, er sei eifersüchtig, und, was schlimmer -sei, er sei neidisch! Er gönne ihr kein Vergnügen. -So sei es, wenn man verheiratet sei! Wenn man -ausgehe und sich amüsiere, kriege man Schelte, sobald -man nach Haus komme! Pfui, wie dumm die -Ehe sei! Und sei es überhaupt eine Ehe? Sie träfen -sich nachts, ganz wie andere Verheiratete. Und die -Männer seien alle gleich. Höflich, bis sie sich verheirateten, -aber dann, dann! Ihr Mann sei gerade so, -wie alle anderen Männer: er glaube sie zu besitzen, -sie zu beherrschen! -</p> - -<p> -<a id="page-137" class="pagenum" title="137"></a> -– Er habe geglaubt, ein Mal hätten sie gemeint, -einander zu besitzen, aber er habe sich geirrt. <em>Sie</em> -besitze ihn, wie man einen Hund besitze, dessen man -immer sicher ist. Sei er etwas anderes als ihr Diener, -der sie abends abhole? Sei er etwas anderes als -„ihr Mann“? Aber wolle sie „seine Frau“ sein? -Sei das Gleichstellung? -</p> - -<p> -– Sie sei nicht nach Haus gekommen, um sich -zu zanken. Sie wolle immer seine Frau sein, und -er solle immer ihr Männchen sein. -</p> - -<p> -– Der Champagner wirkt! dachte er und drehte -sich nach der Wand. -</p> - -<p> -Sie weinte und bat ihn, doch gerecht zu sein und -ihr zu – verzeihen. -</p> - -<p> -Er verbarg sich unter der Decke. -</p> - -<p> -Sie fragte noch ein Mal, ob er – ob er nicht -wolle, dass sie seine Frau sei. -</p> - -<p> -– Doch, gewiss wolle er das! Aber er habe sich -heute abend so furchtbar gelangweilt, dass er nie -mehr einen solchen Abend erleben wolle. -</p> - -<p> -– Aber das sollten sie jetzt vergessen! -</p> - -<p> -Und sie vergassen es und sie war wieder sein Frauchen. -</p> - -<p> -Am nächsten Abend, als der grüne Jäger seine Frau -abholen wollte, war sie in die Magazine gegangen. -Er war allein im Kontor und setzte sich auf ihren -Stuhl. Da öffnet sich eine Glastür und Herr Laffe -steckt den Kopf herein: -</p> - -<p> -– Annchen, bist du hier? -</p> - -<p> -Nein, es war ihr Mann! -</p> - -<p> -Er stand auf und ging seiner Wege! Herr Laffe -nannte seine Anna Annchen und duzte sie! Annchen! -Das war zuviel. -</p> - -<p> -Als sie nach Haus kam, gab es einen grossen Auftritt. -Sie wies dem grünen Jäger nach, seine Lehren -von der Befreiung des Weibes seien nicht ernst zu -<a id="page-138" class="pagenum" title="138"></a> -nehmen, da er es übel auffasse, wenn seine Frau -ihre Kameraden duze. -</p> - -<p> -Das Schlimmste war, dass er zugab, seine Lehren -seien nicht ernst zu nehmen. -</p> - -<p> -– Das sei nicht seine Meinung! Er ändere seine -Ansichten! Was? -</p> - -<p> -– Ja, freilich! Die Ansichten änderten sich nach -der Wirklichkeit, die so veränderlich sei! Habe er -aber früher an eine geistige Ehe geglaubt, so glaube -er jetzt an gar keine Ehe mehr. Das sei ja ein -Fortschritt in radikaler Richtung! Und was das Geistige -betreffe, so sei sie jetzt geistig mehr mit Herrn Laffe -verheiratet, dessen Gedanken über Gepäckwesen sie -täglich und stündlich teile, als mit ihm, für dessen -Forstkultur sie sich ganz und gar nicht interessiere! -Sei schliesslich ihre Ehe geistig? Sei sie so geistig! -</p> - -<p> -– Nein, jetzt nicht mehr! Ihre Liebe sei tot! Er -habe sie getötet, als er den grossen Glauben an – -die Befreiung des Weibes aufgegeben! -</p> - -<p> -Es wurde immer giftiger, und der grüne Jäger suchte -geistige Ehe mit Forstmännern und gab das Gepäckwesen, -das er nie verstanden hatte, auf. -</p> - -<p> -– Du verstehst mich nicht, wiederholte sie so oft! -</p> - -<p> -– Nein, Gepäckwesen habe ich nicht gelernt, antwortete -er. -</p> - -<p> -Eines Nachts, oder richtiger eines Morgens, erzählte -er, er müsse mit einem Mädchenpensionat botanisieren -gehen. Er lehre Botanik in einem Mädchenpensionat. -</p> - -<p> -So? Davon habe er ihr ja noch nichts gesagt! -Grosse Mädchen? -</p> - -<p> -– Kolossale! Sechzehn bis zwanzig Jahre alt! -</p> - -<p> -– Hm! ... Am Vormittag? -</p> - -<p> -– Nein, am Nachmittag! Und nachher würden sie -draussen zu Abend essen. -</p> - -<p> -– Hm! Die Vorsteherin sei doch dabei? -</p> - -<p> -<a id="page-139" class="pagenum" title="139"></a> -– Nein! Aber sie habe volles Vertrauen zu ihm, -da er verheiratet sei! Es sei also zuweilen gut, verheiratet -zu sein. -</p> - -<p> -Am nächsten Tag war sie krank. -</p> - -<p> -– Er könne doch nicht das Herz haben, sie zu verlassen? -</p> - -<p> -– Der Dienst vor allem! Sei sie sehr krank? -</p> - -<p> -– Oh, furchtbar! -</p> - -<p> -Der Arzt wurde geholt, trotzdem sie es nicht wollte. -Er erklärte, es sei nicht gefährlich, der Mann könne -gehen! -</p> - -<p> -Gegen Morgen kam der grüne Jäger nach Haus! -Wie lustig er war! Und wie er sich amüsiert habe! -Solch einen Tag habe er lange, lange nicht erlebt! -</p> - -<p> -Da brach es los: Huhuhuhu! Dieser Kampf sei -ihr zu schwer! Und er musste einen Eid ablegen, dass -er nie eine andere als sie lieben werde! Niemals! -</p> - -<p> -Krämpfe und Weinessig! -</p> - -<p> -Er war zu edelmütig, um von Einzelheiten des -Schmauses mit den Mädchen zu sprechen, aber er -konnte es nicht lassen, das alte Gleichnis von seinem -Hundetum wieder vorzubringen, und er erlaubte sich, -sie darauf aufmerksam zu machen, dass zur Liebe der -Begriff Besitzrecht gehöre – auch von Seiten der Frau. -Warum weine sie denn? Über dasselbe, über das er -fluchte, wenn sie mit zwanzig Männern ausgehe! Die -Furcht, ihn zu verlieren! Aber man verliert nur, was -man besitzt! Besitzt! -</p> - -<p> -So wurde das Loch wieder geflickt. Aber die Gepäckabteilung -und das Mädchenpensionat standen mit ihren -Scheren bereit und schnitten wieder ab, was man angeheftet -hatte. Eine harmonische Ehe war es nicht mehr. -</p> - -<p> -Da wurde die Frau krank! -</p> - -<p> -Sie habe sich bestimmt an einem Gepäckstück im -Magazin verhoben. Sie sei so eifrig und könne es -<a id="page-140" class="pagenum" title="140"></a> -nicht leiden, wie die Gepäckträger dastehen und auf -sich warten lassen. Sie müsse immer selber mit anfassen. -Es sei sicher ein Bruch. -</p> - -<p> -Es sei etwas Hartes zu fühlen, sagte die Hebamme. -</p> - -<p> -Es war so weit! Wie böse sie wurde! Böse auf -ihn, denn es sei bestimmt nur Bosheit von ihm! Wie -werde es ihr jetzt ergehen, mit ihrer Zukunft. Sie -müssten das Kind in ein Findelhaus geben. So habe -es Rousseau getan. Sonst sei der ja ein Dummkopf, -aber in diesem Punkt habe er recht. -</p> - -<p> -Und so viel Launen! Der Jäger musste augenblicklich -seine Botanik im Mädchenpensionat aufgeben! -</p> - -<p> -Aber das Schlimmste: sie konnte nicht mehr ins -Magazin gehen. Sie musste im Kontor sitzen und -buchen. Und das Allerschlimmste: sie erhielt einen -Gehilfen, dessen geheime Aufgabe es war, sie zu vertreten, -wenn sie zu Haus bleiben musste. -</p> - -<p> -Und die Kollegen waren nicht mehr wie früher. Und -die Leute grinsten. Sie hätte sich vor Scham verstecken -mögen. Lieber sich in ihrer Häuslichkeit verkriechen -und das Essen kochen als hier wie ein Spektakel sitzen. -O welche Abgründe von Vorurteilen in den falschen -Herzen der Männer verborgen liegen. -</p> - -<p> -Für den letzten Monat nahm sie Urlaub. Sie vermochte -nicht mehr vier Male am Tage den Weg zu -machen. Und dann wurde sie hungrig mitten am Vormittag -und musste Butterbrote holen lassen. Und oft -war sie krank und musste eine Pause machen. Was -für ein Leben! Was für ein klägliches Los der Frau -zugefallen war! -</p> - -<p> -Und dann kam das Kind! -</p> - -<p> -– Wollen wirs ins Findelhaus schicken? sagte der -Jäger. -</p> - -<p> -– Oh, er habe wohl kein Herz? -</p> - -<p> -– Doch, das habe er! -</p> - -<p> -<a id="page-141" class="pagenum" title="141"></a> -Und das Kind blieb zu Hause! -</p> - -<p> -Dann aber kam ein sehr höflicher Brief vom Betriebsamt -und fragte, wie es dem Frauchen gehe! -</p> - -<p> -Es gehe ihr gut und sie könne übermorgen wieder -Dienst tun. -</p> - -<p> -Sie war schwach und musste einen Wagen nehmen. -Aber sie wurde bald wieder stark. Doch sie musste -einen Laufburschen nach Haus schicken, um zu fragen, -wie es dem Kinde gehe; erst zwei Male am Tage, dann -alle zwei Stunden. Und als sie hörte, es habe geschrien, -wurde sie ganz wild und eilte nach Haus. Aber der -Gehilfe stand bereit, um sie zu vertreten. Die Vorgesetzten -waren sehr höflich und sagten nichts. -</p> - -<p> -Eines Tages entdeckte die Frau, dass die Milch der -Amme versiegt war und dass die Person das nicht -gemeldet habe, aus Furcht, ihre Stelle zu verlieren. -Sie nahm sofort Urlaub, um eine neue Amme zu -suchen! Ach, die waren sich alle gleich. Kein Interesse -für fremde Kinder, nur rohe Egoisten. Man konnte -sich nie auf sie verlassen! -</p> - -<p> -– Nein, sagte der Mann, in diesem Fall kann man -sich nur auf sich selber verlassen! -</p> - -<p> -– Du meinst, ich soll meine Stellung aufgeben? -</p> - -<p> -– Ich meine, du tust, was du willst! -</p> - -<p> -– Und deine Sklavin werden! -</p> - -<p> -– Nein, das meine ich durchaus nicht! -</p> - -<p> -Der Kleine wurde krank, wie alle Kinder werden. -Er kriegte Zähne! Urlaub auf Urlaub. Das Kind bekam -sogenanntes Zahnreissen! Nachts wiegen, tagsüber -Dienst, schläfrig, müde, unruhig, und dann Urlaub. -Der grüne Jäger war nett und trug das Kind nachts, -sagte aber nie etwas über die Stellung seiner Frau. -</p> - -<p> -Doch sie kannte seine Gedanken. Er warte nur -darauf, dass sie zu Hause blieb; aber er sei falsch -und darum schweige er! Wie falsch die Männer seien! -<a id="page-142" class="pagenum" title="142"></a> -Sie hasse ihn; lieber würde sie sich töten, als ihre -Stelle aufgeben und seine Sklavin werden! -</p> - -<p> -Der Jäger hatte jetzt vollständig jede Hoffnung aufgegeben, -dass sich die Frau von den Naturgesetzen -emanzipieren könne; <em>unter den jetzigen Verhältnissen</em>, -war er klug genug, hinzuzufügen. -</p> - -<p> -Als das Kind fünf Monate alt war, wurde die Frau -wieder schwanger. -</p> - -<p> -Himmelkreuzdonnerwetter! -</p> - -<p> -– Ja, wenn es ein Mal anfängt, dann ist der Teufel -los! -</p> - -<p> -Der Jäger musste seine Stellung im Mädchenpensionat -wieder übernehmen, um das Einkommen zu -erhöhen, und jetzt – jetzt streckte sie das Gewehr! -</p> - -<p> -– Ich bin deine Sklavin, rief sie aus, als sie mit dem -Abschied nach Haus kam; ich bin deine Sklavin. -</p> - -<p> -Nichtsdestoweniger leitet sie den Haushalt, und er -liefert jeden einzigen Pfennig unter ihre Schlüssel. -Wenn er eine Zigarre haben will, kommt er und hält -eine lange Rede, ehe er seine Bitte vorzubringen wagt. -Sie verweigert es ihm nicht, niemals, aber er findet -es doch etwas lästig, um das Geld bitten zu müssen. -Und Sitzungen darf er besuchen, aber einen Schmaus -nicht, und Botanisieren mit Mädchen gibt es nicht -mehr! -</p> - -<p> -Er vermisst es auch nicht so sehr, denn er findet, -das Beste ist, mit den Kindern zu spielen! -</p> - -<p> -Seine Kameraden sagen, er stehe unterm Pantoffel; -doch darüber lächelt er, indem er sagt, er befinde sich -am besten dabei, denn sein Weib sei eine sehr verständige -und nette Frau. -</p> - -<p> -Sie aber behauptet immer noch, sie sei seine Sklavin, -sie sei es doch, und das ist ihr einziger Trost in der -Betrübnis: das arme Frauchen. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="chapter-0-9"> -<a id="page-143" class="pagenum" title="143"></a> -<span class="line1">Ein Puppenheim</span> -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -Sie waren sechs Jahre verheiratet, aber sie glichen -noch Verlobten. Er war Kapitän der Flotte und musste -jeden Sommer einige Monate fort; zwei Male hatte -er eine lange Tour gemacht. Die kleinen Dienstreisen -taten so gut: war ihr Verhältnis in dem langen -Winter etwas muffig geworden, so wurde es durch -diese Sommertour wieder aufgefrischt. -</p> - -<p> -Im ersten Sommer schrieb er förmliche Liebesbriefe -an seine Frau, und er konnte auf dem Meer keinen -Segler treffen, ohne dass er sofort Post signalisieren -liess! Und als er vom Stockholmer Inselmeer Landkennung -hatte, wusste er nicht, wie er sie schnell -genug sehen konnte. Aber das wusste sie. In Landsort -erreichte ihn ein Telegramm, dass sie ihm nach -Dalarö entgegen kommen werde. Und als Anker -geworfen wurde, sah er ein kleines, blaues Taschentuch -auf der Veranda des Gasthauses: da wusste er, -dass sie es war. Aber es war an Bord so viel zu -tun, dass es Abend wurde, ehe er an Land gehen -konnte. Als er dann aber mit der Gig kam und der -vorderste Ruderer den Anprall abwehrte, sah er sie -auf der Landungsbrücke: sie war noch ebenso jung, -noch ebenso hübsch, noch ebenso gesund wie vorher; -es war ihm, als lebte er seine erste Liebeszeit -noch ein Mal. Und als sie ins Gasthaus kamen, welch -kleines Souper hatte sie in den beiden kleinen Zimmern, -<a id="page-144" class="pagenum" title="144"></a> -die sie bestellt, zu arrangieren verstanden! Und -wieviel sie mit einander zu besprechen hatten. Die -Reise, die Kinder, die Zukunft! Und der Wein funkelte -und die Küsse schmatzten. Vom Schiff war der -Zapfenstreich zu hören. Um den kümmerte er sich -aber nicht, denn er wollte nicht vor ein Uhr gehen. -</p> - -<p> -– Was, er wolle gehen? -</p> - -<p> -– Ja, er müsse an Bord sein; wenn er aber zur -Tagwache da sei, genüge es. -</p> - -<p> -– Wann denn die Tagwache beginne? -</p> - -<p> -– Um fünf Uhr! -</p> - -<p> -– O pfui so früh! -</p> - -<p> -– Wo wolle sie aber heute nacht wohnen? -</p> - -<p> -– Das brauche er nicht zu wissen! -</p> - -<p> -Er erriet es und wollte nun sehen, wo sie wohne. -Aber sie stellte sich vor die Tür! Er küsste sie, nahm -sie wie ein Kind auf den Arm und öffnete die Tür. -</p> - -<p> -– Was für ein grosses Bett! Das war ja wie die -grosse Barkasse! Wo hatten die Leute das her? -</p> - -<p> -Wie sie errötete! -</p> - -<p> -– Aber sie habe ja seinen Brief so verstanden, dass -sie beide im Gasthaus „wohnen“ würden. -</p> - -<p> -– Gewiss würden sie dort wohnen, wenn er auch -zur Tagwache an Bord sein müsse: auf dieses verd. -Morgengebet komme es doch auch nicht an! -</p> - -<p> -– Wie er so sprechen könne! -</p> - -<p> -– Jetzt wollen wir Kaffee trinken und etwas Feuer -machen, denn die Laken fühlen sich feucht an! Was -für ein verständiger Schalk sie sei, solch ein grosses -Bett anzuschaffen! Wo sie das her habe? -</p> - -<p> -– Das habe sie nirgendswoher! -</p> - -<p> -– Nein, das könne er sich wohl denken! Er könne -sich alles denken! -</p> - -<p> -– Er sei doch so dumm! -</p> - -<p> -– Er sei dumm? -</p> - -<p> -<a id="page-145" class="pagenum" title="145"></a> -Und er fasste sie um den Leib. -</p> - -<p> -– Nein, er müsse artig sein! -</p> - -<p> -– Artig? Das sei leicht zu sagen! -</p> - -<p> -– Jetzt komme das Mädchen mit dem Holz! -</p> - -<p> -Als die Uhr zwei schlug und es im Osten über -Schären und Wasser zu brennen anfing, sassen sie -am offenen Fenster. -</p> - -<p> -– Es sei ja, als sei sie seine Geliebte und er ihr -Liebhaber. Nicht wahr? Und jetzt müsse er gehen! -Aber er werde um zehn Uhr wiederkommen, zum -Frühstück, und nachher würden sie segeln. -</p> - -<p> -Er setzte Kaffee auf <a id="corr-18"></a>seinem Reisekocher auf, und -dann tranken sie Kaffee, während die Sonne aufging -und die Möwen schrien. Draussen auf dem Wasser -lag das Kanonenboot, und er sah den Hauer der Vorwache -dann und wann aufleuchten. Die Trennung -war schwer, aber die Gewissheit, dass sie sich schon -am nächsten Tag wiedersehen würden, half ihnen -darüber hinweg. Er küsste sie zum letzten Mal, -schnallte den Säbel um und ging. -</p> - -<p> -Als er auf die Brücke hinunterkam und „Boot ahoi“ -rief, versteckte sie sich hinter der Gardine, ganz als -schäme sie sich. Er aber warf ihr lauter Kusshände -zu, bis die Matrosen mit der Gig anlangten. Und -dann noch ein letztes: „Schlaf’ gut und träum’ von -mir!“ Als er mitten auf dem Wasser sich umsah und -das Fernglas ans Auge setzte, sah er noch eine kleine -Gestalt mit schwarzem Haar in der Kammer, und die -Sonne schien auf ihr Hemd und ihre blossen Schultern, -dass sie wie eine Seejungfrau aussah! -</p> - -<p> -Da wurde das Wecken geblasen. Die langen Töne -des Signalhorns rollten zwischen grünen Inseln über -das blanke Wasser hinaus und kamen auf andern Wegen -hinter Fichtenwäldern zurück. Und dann alle Mann -auf Deck und das Vaterunser und „Jesu, lass mich -<a id="page-146" class="pagenum" title="146"></a> -stets beginnen.“ Der kleine Glockenstuhl von Dalarö -antwortete mit seinem schwachen Geläut, denn es war -Sonntag. Und jetzt kamen Kutter in der Morgenbrise, -und Flaggen wurden geflaggt, Schüsse knallten, helle -Sommerkleider erschienen auf der Zollbrücke, der -Dampfer mit dem roten Wassergang kam, die Fischer -nahmen ihre Netze auf, und die Sonne schien auf das -wellige blaue Wasser und auf die grünenden Inseln. -</p> - -<p> -Um zehn Uhr stiess die Gig ab und ging mit sechs -Paar Rudern an Land. Sie hatten einander wieder. Und -als sie in dem grossen Esssaal Frühstück assen, flüsterten -die andern Gäste unter sich: Ist das seine Frau? Er -sprach halblaut wie ein Geliebter und sie schlug die -Augen nieder und lächelte, oder klopfte ihm mit der -Serviette auf die Finger. -</p> - -<p> -Das Boot lag an der Brücke, und sie setzte sich -ans Steuer; er besorgte die Fock. Aber er konnte die -Augen nicht abwenden von ihrer hellen, sommerlich -gekleideten Gestalt mit der hohen festen Brust, der -entschlossenen Miene und dem starken Blick, der -gegen den Wind aufsah, während die mit Wildleder -behandschuhte Hand die Grossschot hielt. Er wollte -nur plaudern und stellte sich manchmal dumm an -beim wenden: dann kriegte er einen Rüffel wie ein -Schiffsjunge, und das machte ihm höllischen Spass. -</p> - -<p> -– Warum hast du das Kind nicht mitgenommen? -fragte er, um sich mit ihr zu necken. -</p> - -<p> -– Wo hätte ich es denn schlafen legen sollen? -</p> - -<p> -– In die grosse Barkasse natürlich! -</p> - -<p> -Und dann lächelte sie, und es machte ihm soviel -Freude, sie auf diese Art lächeln zu sehen. -</p> - -<p> -– Nun, was hat die Wirtin heute morgen gesagt? -fuhr er fort. -</p> - -<p> -– Was sollte sie sagen? -</p> - -<p> -– Hat sie heute nacht ruhig schlafen können? -</p> - -<p> -<a id="page-147" class="pagenum" title="147"></a> -– Warum sollte sie das denn nicht? -</p> - -<p> -– Ich weiss nicht, aber es hätten ja Ratten sein -können, die an den Dielen knapperten; oder eine -alte Bodenluke, die knarrte; man kann nicht wissen, -was den süssen Schlaf einer alten Mamsell beunruhigt. -</p> - -<p> -– Wenn du nicht still bist, so mache ich die Schot -fest und segle dich in die See! -</p> - -<p> -Sie landeten an einem kleinen Holm und nahmen -aus einem Körbchen ein Mittagsmahl. Dann schossen -sie mit dem Revolver nach der Scheibe. Darauf -legten sie Angelruten aus und taten so, als angelten -sie, aber es biss nicht; und dann segelten sie wieder, -auf die freien Meeresflächen hinaus, wo die Eidergänse -strichen; in einen Sund hinein, wo die Hechte -im Schilf schlugen, und dann wieder hinaus. Er wurde -es nicht müde, sie zu sehen, mit ihr zu plaudern, sie -zu küssen, wenn er konnte. -</p> - -<p> -So trafen sie sich sechs Sommer, und immer waren -sie ebenso jung, immer ebenso toll, und sie waren -glücklich. Im Winter sassen sie in Stockholm in ihren -kleinen Kajüten. Und dann takelte er Boote für die -jungen auf oder belustigte sie mit Abenteuern aus -China und den Südseeinseln, und seine Frau sass -dabei und hörte zu und musste lachen über seine -drolligen Geschichten. Und es war ein entzückender -Raum, der nicht seinesgleichen hatte. Da hingen -japanische Sonnenschirme und Rüstungen, ostindische -Miniaturpagoden, australische Bogen und Lanzen; -Negertrommeln und gedörrte fliegende Fische, Zuckerrohr -und Opiumpfeifen. Und Papa, der anfing kahl -zu werden, fühlte sich ausserhalb der Häuslichkeit -nicht wohl. Manchmal spielte er Brett mit seinem -Freund, dem Auditor, und manchmal leistete man -sich ein Spielchen Boston und einen mässigen Grog. -<a id="page-148" class="pagenum" title="148"></a> -Früher hatte seine Frau mitgespielt, nachdem sie aber -vier Kinder bekommen, hatte sie keine Zeit mehr; -sie sass aber gern ein Weilchen dabei und guckte -in die Karten, und wenn sie an Papas Stuhl kam, -fasste er sie um den Leib und fragte sie, ob er sich -über seine Karten freuen könne. -</p> - -<p> -Die Korvette sollte dieses Mal sechs Monate fortbleiben. -Dem Kapitän war es unheimlich, denn die -Kinder waren erwachsen und für Mama war es etwas -schwer, den weitläufigen Haushalt zu besorgen. Und -der Kapitän war nicht mehr so jung und nicht ganz -so lebendig mehr wie früher, aber – es musste geschehen, -und er fuhr ab. -</p> - -<p> -Schon bei Kronborg gab er den ersten Brief auf, -der also lautete: -</p> - -<div class="letter"> -<p class="adr"> -Meine liebe geliebte Toppnant! -</p> - -<p class="noindent"> -Wind schwach SSO. z. O., + 10° C., 6 Glas -Freiwache. Ich kann nicht schreiben, was ich auf -dieser Fahrt, auf der ich Dich nicht sehen werde, -empfinde. Als wir den Warpanker ausfuhren (6 Uhr -30 nachmittags bei starkem NO. z. N.), war es -mir, als hätte man mir einen Pall in den Brustkasten -gesetzt, und ich hatte wirklich ein Gefühl, -als habe man mir die Kette durch beide Ohrklüsen -gesteckt. Man sagt, Seeleute haben ein Vorgefühl -von Unglück. Davon weiss ich nichts, aber bis ich -Deine ersten Zeilen erhalte, bin ich recht unruhig! -An Bord ist nichts passiert, aus dem einfachen -Grunde, weil nichts passieren darf. Wie geht es -Euch? Hat Bob seine neuen Stiefel bekommen? -Passen sie? Ich bin ein schlechter Briefschreiber, -wie Du weisst, und höre jetzt auf! Mit einem -grossen Kuss mitten auf dieses Kreuz ×! -</p> - -<p class="sign"> -Dein alter Pall. -</p> - -<p class="noindent"> -<a id="page-149" class="pagenum" title="149"></a> -NS. Du musst Dir etwas Gesellschaft suchen -(weibliche natürlich!). Und vergiss nicht, die Mamsell -auf Dalarö zu bitten, dass sie die grosse Barkasse -verhäutet, bis ich zurückkomme! (Der Wind -wird stärker; wir werden ihn nachts von Norden -haben!) -</p> - -</div> - -<p class="noindent"> -Vor Portsmouth erhielt der Kapitän von seiner -Frau diesen Brief: -</p> - -<div class="letter"> -<p class="adr"> -Lieber alter Pall! -</p> - -<p class="noindent"> -Hier ist es schaurig ohne Dich, das kannst Du -mir glauben! Und schwer ist es gewesen, denn -Alice hat jetzt ihren Zahn bekommen. Der Doktor -sagte, es sei ungewöhnlich früh, und es soll bedeuten -(ja, das darfst Du nicht wissen!). Bobs -Stiefel passen ausgezeichnet, und er ist sehr stolz -auf sie. -</p> - -<p> -Du erwähnst in deinem Brief, ich müsse eine weibliche -Bekanntschaft suchen. Das habe ich schon -getan, oder richtiger, sie hat mich gesucht. Sie -heisst Ottilie Sandegren und hat das Seminar durchgemacht. -Sie ist sehr ernst: Du brauchst also nicht -zu fürchten, Pall, dass man Deine Toppnant auf -Abwege führt. Und dann ist sie religiös. Ja, ja, -wir könnten wirklich etwas strenger in unserer -Religion sein, und zwar jeder. Sie ist eine ausgezeichnete -Person. Und nun schliesse ich für -dieses Mal, denn Ottilie kommt und holt mich. -Sie ist eben jetzt gekommen und lässt Dich -grüssen! -</p> - -<p class="sign"> -Deine Gurli. -</p> - -</div> - -<p class="noindent"> -Der Kapitän war mit diesem Brief nicht zufrieden. -Der war zu kurz und war nicht so munter wie gewöhnlich. -<a id="page-150" class="pagenum" title="150"></a> -– Seminar, religiös, ernst, und Ottilie: -zwei Male Ottilie! Und dann Gurli! Warum nicht -Gulla wie früher! Hm! -</p> - -<p> -Acht Tage später erhielt er vor Bordeaux einen -neuen Brief, der von einem Buch in Kreuzband begleitet -war. „Lieber Wilhelm!“ – Hm, Wilhelm! Nicht -Pall mehr! – „Das Leben ist ein Kampf“ – Was -zum Teufel war das? Was haben wir beide mit dem -Leben zu tun! – „von Anfang bis zum Ende“. „Ruhig -wie ein Bach in Kidron“ – Kidron, das ist ja die -Bibel! – „ist unser Leben verflossen. Wir sind wie -Schlafwandler über Abgründe gegangen, ohne sie zu -sehen!“ – Seminar, Seminar! – „Dann aber kommt -das Ethische“ – Ethische? Ablativus! Hm, hm! – -„und macht sich in seinen höheren Potenzen geltend!“ -– Potenzen?! – „Wenn ich jetzt aus unserem langen -Schlaf erwache und mich selber frage: ist unsere Ehe -eine rechte Ehe gewesen? so muss ich mit Reue -und Scham bekennen, sie ist es nicht gewesen! Die -Liebe ist himmlischen Ursprungs (Matth. XI, 22 ff.).“ -– Der Kapitän musste aufstehen und sich ein Glas -Wasser mit Rum nehmen, ehe er fortfuhr. – „Wie -irdisch, wie konkret ist sie gewesen! Haben unsere -Seelen in dieser Harmonie gelebt, von der Plato (Phaidon, -Buch VI, Kap. II, § 9) spricht? Nein, müssen -wir antworten! Was bin ich für Dich gewesen? Deine -Haushälterin und, wie ich mich schäme, Deine Geliebte! -Haben unsere Seelen einander verstanden? Nein, -müssen wir antworten!“ – Zum Teufel mit allen -Ottilien und Seminaren! Ist sie meine Haushälterin -gewesen? Sie ist meine Frau gewesen und die Mutter -meiner Kinder! – „Lies dieses Buch, das ich Dir -sende! Es wird Dir auf alle Fragen Antwort geben. -Es hat ausgesprochen, was Jahrhunderte lang im -Herzen des ganzen Frauengeschlechtes verborgen lag! -<a id="page-151" class="pagenum" title="151"></a> -Lies es und sag mir dann, ob unsere Ehe eine rechte -Ehe gewesen ist. Deine Gurli.“ -</p> - -<p> -Das war seine böse Ahnung! Der Kapitän war -ganz ausser sich und konnte nicht verstehen, was -über seine Frau gekommen sei! Das war ja schlimmer -als Muckertum! -</p> - -<p> -Er riss das Kreuzband auf und las auf dem Umschlag -eines gehefteten Buchs: Et Dukkehjem af Henrik -Ibsen. Ein Puppenheim? Ja! Nun und? Seine Häuslichkeit -war ein feines Puppenhaus gewesen, und sein -Frauchen war seine kleine Puppe und er war ihre -grosse Puppe gewesen. Sie waren dahingetanzt über -die harte Strasse des Lebens, und sie waren glücklich -gewesen! Was fehlte ihnen denn? Was war für -ein Unrecht begangen worden? Er musste nachlesen, -da das ja in diesem Buch stehen sollte. -</p> - -<p> -In drei Stunden hatte ers gelesen! Aber sein Verstand -stand still. Was hatten er und seine Frau damit -zu tun? Hatten sie Wechsel gefälscht? Nein! Hatten -sie einander nicht geliebt? Doch! -</p> - -<p> -Er schloss sich in der Kajüte ein und las das Buch -noch ein Mal; und er unterstrich mit blau und rot, und -als es Morgen wurde, setzte er sich hin und schrieb -an seine Frau: -</p> - -<div class="letter"> -<p class="noindent"> -Ein wohlgemeinter kleiner Ablativus über das -Stück „Ein Puppenheim“, vom alten Pall an Bord -der Vanadis im Atlantischen Ozean vor Bordeaux -(B. 45°, L. 16°) zusammengeschrieben. -</p> - -<p> -§ 1. Sie verheiratete sich mit ihm, weil er sie -liebte, und da tat sie verdammt recht. Denn hätte -sie auf den gewartet, den <em>sie</em> liebte, so hätte der -Fall eintreten können, dass <em>er</em> sie nicht liebte, und -dann hätte sie den Teufel in einer Rüstkausch -<a id="page-152" class="pagenum" title="152"></a> -gehabt. Dass nämlich beide ganz verliebt in einander -sind, trifft äusserst selten ein. -</p> - -<p> -§ 2. Sie fälscht einen Wechsel. Das war dumm -von ihr; aber sie darf nicht sagen, dass es nur -des Mannes wegen geschah, denn sie hat ihn ja -nie geliebt; wenn sie sagte, es sei für beide und -für die Kinder geschehen, dann würde sie die -Wahrheit sprechen! Ist das klar? -</p> - -<p> -§ 3. Dass er sie nach dem Ball liebkosen will, -beweist nur, dass er sie liebt, und das ist kein -Fehler bei ihm; nur dass es auf dem Theater -gezeigt wird, ist ein Fehler. Il y a des choses qui -se font, mais qui ne se disent point, sagt ein Franzose, -glaube ich. Übrigens hätte der Dichter, wenn -er gerecht gewesen wäre, auch einen entgegengesetzten -Fall gezeigt: la petite chienne veut, mais -le grand chien ne veut pas, sagt Ollendorf. (Vergleiche -die Barkasse von Dalarö.) -</p> - -<p> -§ 4. Dass sie, als sie entdeckt, dass der Mann -ein Ochse ist, denn das ist er, als er ihr verzeihen -will, weil ihr Streich nicht ruchbar geworden, ihre -Kinder verlassen will, „weil sie nicht würdig sei, -sie zu erziehen“, ist eine nicht sehr scharfsinnige -Koketterie. Wenn sie eine Kuh war (denn auf dem -Seminar lernt man doch nicht, dass es erlaubt ist, -Wechsel zu fälschen) und er ein Ochse, so müssten -sie ein gutes Gespann abgeben. Am allerwenigsten -dürfte sie die Erziehung ihrer Kinder einem Vater -überlassen, den sie verachtet. -</p> - -<p> -§ 5. Nora hat also viel eher Grund, bei den -Kindern zu bleiben, wenn sie sieht, was für ein -Rindvieh der Mann ist. -</p> - -<p> -§ 6. Dass der Mann sie früher nicht nach ihrem -wirklichen Wert geschätzt hat, dafür konnte er nicht, -<a id="page-153" class="pagenum" title="153"></a> -denn ihren wirklichen Wert erhielt sie ja erst nach -der Balgerei. -</p> - -<p> -§ 7. Nora war früher eine Gans; das leugnet -sie selbst nicht. -</p> - -<p> -§ 8. Alle Garantien, dass sie künftighin ein -besseres Gespann bilden werden, liegen ja vor: -er hat bereut und will sich bessern; sie auch! -Gut! Hier meine Hand, und nun fangen wir von -neuem an! Gleich und gleich gesellt sich gern! -Wie gehauen so gestochen. Du warst eine Kuh -und ich habe mich wie ein Ochse benommen! -Du, kleine Nora, warst schlecht erzogen; ich altes -Aas habe es nicht besser gelernt. Beklage uns -beide! Wirf faule Eier auf unsere Erzieher, aber -schlag nicht mich allein auf den Schädel. Ich -bin, obwohl ein Mann, ebenso unschuldig wie du! -Vielleicht noch etwas unschuldiger, denn ich habe -mich aus Liebe verheiratet, du aus Wirtschaft! -Lass uns daher Freunde sein und zusammen unsere -Kinder die kostbare Lehre lehren, die das Leben -uns gegeben hat! -</p> - -<p> -Ist das klar? All right! -</p> - -<p> -Das hat Kapitän Pall mit seinen steifen Fingern -und seinem trägen Verstand geschrieben! -</p> - -<p> -So, mein geliebtes Püppchen, jetzt habe ich -Dein Buch gelesen und meine Meinung gesagt. -Was aber geht das Buch uns an? Haben wir -einander nicht geliebt? Haben wir uns beide -nicht erzogen und die Ecken abgeschliffen, denn -Du erinnerst Dich wohl, da waren anfangs Äste -und Schelfen! Was sind denn das für Grillen! -Zur Hölle mit Ottilien und Seminaren! -</p> - -<p> -Das war ein verzwicktes Buch, das Du mir gegeben -hast. Es war wie ein schlecht bebaktes -Fahrwasser, wo man jeden Augenblick auffahren -<a id="page-154" class="pagenum" title="154"></a> -kann. Aber ich nahm Besteck und prickte auf -der Karte aus, so dass ich ruhiges Wasser bekam. -Doch ich mache es wahrhaftig nicht noch ein -Mal. Der Teufel mag diese Nüsse knacken, die -inwendig schwarz sind, wenn man schliesslich -ein Loch gemacht hat. Und nun wünsche ich -Dir Friede und Glück und Deinen guten Verstand -wieder. -</p> - -<p> -Wie geht es meinen Kleinen? Du hast vergessen, -von ihnen zu schreiben. Das kam wohl -daher, dass Du zu sehr an die verwünschten Kinder -Noras dachtest (die nirgends anders als in dem -Stück zu finden sind). Weint mein Sohn, spielt -meine Linde, singt meine Nachtigall, tanzt mein -Püppchen? Das muss sie immer tun, dann freut -sich der alte Pall. Und nun segne Dich Gott und -lass keine bösen Gedanken zwischen uns kommen. -Ich bin so traurig, dass ichs kaum sagen kann. -Und da soll ich mich hinsetzen und Kritiken über -Theaterstücke schreiben! Gott behüte Dich und -die Kinder, und küss sie mitten auf den Mund -von deinem alten treuen Pall. -</p> - -</div> - -<p class="noindent"> -Als der Kapitän den Brief abgeschickt hatte, ging -er in die Offiziersmesse und trank einen Grog. Der -Arzt war dabei. -</p> - -<p> -– Hast du gemerkt, sagte er, wie es nach alten -schwarzen Hosen riecht? Möchte mich im Kattblock -auf den Vortopp hissen und von einem dichtgerefften -NW. z. N. durchpusten lassen. -</p> - -<p> -Aber der Arzt verstand nichts. – -</p> - -<p> -– Ottilie, Ottilie ... Eine Ration Handspake -müsste sie haben! Die Hexe in die Schanze schicken -und die zweite Backschaft auf sie loslassen, bei geschlossenen -<a id="page-155" class="pagenum" title="155"></a> -Luken. Man weiss wohl, was eine alte -Jungfer nötig hat! -</p> - -<p> -– Aber was ist dir denn, alter Pall? fragte der Arzt. -</p> - -<p> -– Plato! Plato! Zum Teufel mit Plato. Ja, wenn -man sechs Monate auf See ist, dann ist es Plato! -Dann wird man ethisch! Ethisch? Ich wette einen -Marlspieker gegen einen Doppelhaken: bekäme Ottilie -ihr warmes Essen, so würde sie nicht mehr von Plato -sprechen! -</p> - -<p> -– Aber was ist denn? -</p> - -<p> -– Nichts. Hörst du! Du bist ja Arzt! Wie ist es -eigentlich mit den Frauenzimmern? Was? Ist es nicht -gefährlich, lange unverheiratet zu bleiben? Werden -sie nicht etwas ... kikeriki, so auf einen Hals? -Was? -</p> - -<p> -Der Arzt sprach seine Ansicht aus und beklagte, -dass nicht alle Weibchen befruchtet werden können. -</p> - -<p> -– In der Natur lebt das Männchen meist in Polygamie, -denn das kann es in den meisten Fällen tun, da -Essen für die Jungen vorhanden ist (die Raubtiere -ausgenommen): in der Natur gibt es solche Abnormitäten -wie unverheiratete Weibchen nicht. Aber in -der Kultur, wo es ein Glück ist, wenn man Brot -genug hat, da ist es gewöhnlich, zumal es mehr -Frauen als Männer gibt. Man müsste daher freundlich -gegen unverheiratete Mädchen sein, denn ihr Los -ist traurig. -</p> - -<p> -– Freundlich? Das ist leicht gesagt; wenn sie -aber selber nicht freundlich sind! -</p> - -<p> -Und alles kam aus ihm heraus, sogar, dass er eine -Theaterkritik geschrieben. -</p> - -<p> -– Ach, man schreibt so viel dummes Zeug, sagte -der Arzt und legte den Deckel auf die Grogkanne. -Schliesslich entscheidet doch die Wissenschaft die -grossen Fragen! Die Wissenschaft! -</p> - -<p> -<a id="page-156" class="pagenum" title="156"></a> -Als der Kapitän, nachdem er sechs Monate fort -gewesen und einen nicht sehr angenehmen Briefwechsel -mit seiner Frau geführt (sie hatte seine Kritik -scharf mitgenommen), schliesslich in Dalarö ans Land -stieg, wurde er von seiner Frau, allen Kindern, zwei -Mägden und Ottilie empfangen. Seine Frau war -zärtlich, aber nicht herzlich. Sie reichte ihm ihre -Stirn zum Kuss. Ottilie war lang wie ein Stag und -hatte sich das Haar abgeschnitten: im Nacken sah -sie aus wie ein Schwabber. Das Souper war langweilig -und es gab nur Tee. Die Barkasse wurde -mit Kindern gestaut, und der Kapitän bekam eine -Bodenkammer. O wie anders war das als früher! -Der alte Pall sah alt aus, und verdutzt war er auch. -</p> - -<p> -– Das ist ja die reine Hölle, dachte er, verheiratet -zu sein und keine Frau zu haben! -</p> - -<p> -Am nächsten Morgen wollte er mit seiner Frau -segeln. Aber Ottilie vertrug die See nicht. Sie hatte -eine schlechte Dampferfahrt hinter sich. Und übrigens -sei es Sonntag. Sonntag? Da haben wirs! Aber -sie wollten statt dessen spazieren gehen. Sie hätten -wohl viel mit einander zu besprechen! Ja freilich, -sie hatten sich viel zu sagen. Aber Ottilie sollte -nicht dabei sein! -</p> - -<p> -Sie gingen Arm in Arm aus. Aber sie sprachen -nicht viel; und was gesagt wurde, waren mehr Worte, -um die Gedanken zu verbergen, als durch Worte ausgedrückte -Gedanken. -</p> - -<p> -Sie kamen an dem kleinen Cholerakirchhof vorbei -und schlugen den Weg nach dem Schweizer Tal ein. -Eine schwache Brise rauschte in den Fichten, und -durch die dunkeln Zweige leuchtete das blaue Meer. -</p> - -<p> -Sie setzte sich auf einen Stein. Er setzte sich ihr -zu Füssen. Jetzt geht es los, dachte er. Und es -ging los. -</p> - -<p> -<a id="page-157" class="pagenum" title="157"></a> -– Hast du über unsere Ehe nachgedacht, begann sie. -</p> - -<p> -– Nein, sagte er, als habe er seine Parade schon -ausgedacht, ich habe sie nur empfunden! Ich glaube -nämlich, die Liebe ist Gefühlssache: man segelt auf -Landkennung und läuft in den Hafen; greift man aber -zu Kompass und Karte, so stösst man auf Grund. -</p> - -<p> -– Ja, aber unsere Ehe ist nichts anderes gewesen -als ein Puppenheim. -</p> - -<p> -– Verzeih, das ist eine Lüge. Du hast nie einen -Wechsel gefälscht; du hast niemals einem syphilitischen -Doktor, von dem du Geld gegen Sicherheit in -natura leihen wolltest, deine Strümpfe gezeigt; du -bist niemals so romantisch stupid gewesen, zu erwarten, -dein Mann würde sich eines Verbrechens -wegen anzeigen, das seine Frau aus Dummheit begangen -und das kein Verbrechen wurde, weil kein -Ankläger da war; und du hast mich nie belogen! -Ich habe dich ebenso ehrlich behandelt, wie Helmer -seine Frau behandelte, als er sie zur Vertrauten -seiner Seele machte, sie über die Geschäfte der Bank -mitsprechen liess; duldete, dass sie sich in die Besetzung -einer Stelle einmischte! Wir sind also Mann -und Weib nach allen Begriffen gewesen, sowohl altmodischen -wie neumodischen! -</p> - -<p> -– Ja, aber ich bin deine Haushälterin gewesen! -</p> - -<p> -– Verzeih, das ist eine Lüge! Du hast niemals -in der Küche gegessen, du hast keinen Lohn erhalten, -niemals über Ausgaben Rechnung legen müssen, niemals -Schelte gekriegt, weil dies und jenes nicht richtig -war! Und hältst du meine Arbeit: holen und brassen, -Tau fieren und „präsentiert“ schreien, Heringe auszählen -und Schnäpse ausmessen, Erbsen wiegen und -Mehl prüfen – hältst du das für ehrenvoller als: -nach Mägden sehen und auf den Markt gehen, Kinder -ernähren und Kinder erziehen! -</p> - -<p> -<a id="page-158" class="pagenum" title="158"></a> -– Nein, aber du wirst dafür bezahlt! Du bist -dein eigener Herr! Du bist ein Mann! -</p> - -<p> -– Mein liebes Kind! Willst du einen Lohn von -mir haben? Willst du meine wirkliche Haushälterin -werden? Dass ich ein Mann bin, das ist ein Zufall, -denn das soll erst im sechsten Monat entschieden -werden! Das ist traurig, denn es ist jetzt ein Verbrechen -geworden, Mann zu sein; es ist aber kein -Fehler. Und der Teufel hole den, der die beiden -Hälften der Menschheit gegen einander erhoben hat! -Der hat viel zu verantworten. Bin ich der Herr? -Herrschen wir nicht beide? Tue ich etwas Wichtiges, -ohne dich um Rat zu fragen? Was? Aber du, du -erziehst deine Kinder nach deinem Kopf! Erinnerst -du dich nicht, dass ich das Wiegen abschaffen wollte, -weil es die Kinder zum Schlaf berauscht. Da durftest -du herrschen! Ein ander Mal habe ich geherrscht, -das nächste Mal wieder du! Einen Mittelweg gibt es -nicht, denn zwischen Wiegen und Nichtwiegen gibt es -kein Mittelding! Es ist doch ganz gut gegangen bis -jetzt! Du hast mich für Ottilie verlassen! -</p> - -<p> -– Ottilie! Immer Ottilie! Hast du nicht selber -sie zu mir geschickt? -</p> - -<p> -– Nicht gerade sie! Jetzt aber herrscht sie jedenfalls! -</p> - -<p> -– Von allem, was ich liebe, willst du mich trennen! -</p> - -<p> -– Ist Ottilie alles? Es sieht beinahe so aus! -</p> - -<p> -– Aber ich kann sie jetzt nicht fortschicken, da -ich sie engagiert habe, damit sie Pädagogik und -Latein mit den Mädchen treibt! -</p> - -<p> -– Latein! Ablativus! Herr Jesus, sollen die Mädchen -auch damit verdorben werden? -</p> - -<p> -– Ja, sie sollen ebensoviel wissen, wie ein Mann -weiss, wenn sie sich einmal verheiraten: dann wird -es eine rechte Ehe geben. -</p> - -<p> -<a id="page-159" class="pagenum" title="159"></a> -– Aber, liebes Kind, alle Ehemänner können doch -nicht Latein! Ich kann ja nicht mehr als ein einziges -Wort Latein, und das ist Ablativus! Und wir sind -doch glücklich! Übrigens ist man ja dabei, Latein -auch für die Männer, als überflüssig, abzuschaffen! -Könnt ihr aus dem Beispiel nichts lernen? Ist es -nicht genug, dass das männliche Geschlecht verdorben -ist; will man nun auch noch das weibliche verderben? -Ottilie, Ottilie, warum hast du mir das getan? -</p> - -<p> -– Von dieser Sache will ich nicht mehr sprechen. -Aber unsere Liebe, Wilhelm, ist nicht gewesen, wie -sie hätte sein müssen. Sie ist sinnlich gewesen! -</p> - -<p> -– Aber, liebes Herz, wie hätten wir denn Kinder -bekommen sollen, wenn unsere Liebe nicht auch -sinnlich gewesen wäre. Aber sie ist nicht nur sinnlich -gewesen! -</p> - -<p> -– Kann etwas auf ein Mal schwarz und weiss sein? -Das möchte ich fragen. Antworte darauf! -</p> - -<p> -– Ja, das kann es; dein Sonnenschirm ist aussen -schwarz, aber inwendig weiss. -</p> - -<p> -– Sophist! -</p> - -<p> -– Hör mal, mein geliebtes Kind, sprich mit deiner -eignen Zunge und deinem eignen Herzen, und nicht -mit Ottiliens Büchern! Nimm deinen Verstand gefangen -und werde du selbst, meine geliebte, kleine -Frau! -</p> - -<p> -– Dein, dein Eigentum, das du mit deiner Arbeit -kaufst! -</p> - -<p> -– Ebenso wie ich dein Mann bin, den keine andere -Frau ansehen darf, wenn sie ihre Augen im Kopf behalten -will; und den du geschenkt erhalten hast, nein, -zum Ersatz dafür, dass er dich bekam! Ist das nicht -partie égale! -</p> - -<p> -– Aber wir haben unser Leben im Spiel verbracht! -Haben wir etwa höhere Interessen gehabt, Wilhelm? -</p> - -<p> -<a id="page-160" class="pagenum" title="160"></a> -– Ja, wir haben die höchsten Interessen gehabt, -Gurli; wir haben nicht immer gespielt, denn wir haben -auch ernste Stunden durchgemacht! Wir haben die -höchsten Interessen gehabt, die man haben kann; -denn wir haben dem künftigen Geschlecht Leben -gegeben; wir haben tapfer gestrebt und gearbeitet, -du nicht am wenigsten, für die Kleinen, die gross -werden sollen. Bist du nicht ihretwegen vier Male -dem Tod nahe gewesen? Hast du nicht den Schlaf -der Nacht verachtet, um sie zu wiegen; die Vergnügungen -des Tages, um sie zu pflegen? Könnten wir -nicht eine Wohnung von sechs Zimmern in der Hauptstrasse -und einen Diener haben, wenn wir nicht die -Kinder besässen? Könntest du nicht Seide und Perlen -tragen, Gulla? Und ich alter Pall brauchte nicht -Elsternnester in den Knien zu haben, wenn wir die -Kinder nicht auf die Welt gesetzt hätten! Sind wir -solche Puppen? Sind wir denn so selbstsüchtig, wie -alte Jungfern behaupten? Die oft Männer verschmäht -haben, weil sie nicht für sie passten! Warum bleiben -so viele Mädchen unverheiratet? Sie wissen doch alle -damit zu prahlen, dass sie Angebote gehabt haben, -wollen aber doch gern Märtyrer sein! Höhere Interessen! -Latein lernen! Sich für einen wohltätigen -Zweck halbnackt kleiden und die Kinder in nassen -Windeln liegen lassen! Ich glaube, ich habe höhere -Interessen als Ottilie, wenn ich starke und frohe -Kinder haben will, die einmal im Leben das ausrichten -sollen, was wir nicht gekonnt haben! Aber mit -Latein geht es nicht! Leb’ wohl, Gurli! Ich muss -auf Wache! Kommst du mit? -</p> - -<p> -Sie blieb sitzen und antwortete nicht. Er ging; -mit schweren Schritten, so schweren. Und das blaue -Meer wurde dunkel, und die Sonne schien nicht -mehr. -</p> - -<p> -<a id="page-161" class="pagenum" title="161"></a> -– Pall, Pall, wohin soll dies führen, seufzte er, -als er über den Zauntritt am Kirchhof stieg; ich -wünschte, ich läge dort unter einem Holzkreuz, dort -zwischen den Baumwurzeln; aber ich hätte sicher -keine Ruhe, wenn ich dort allein läge! Gurli! Gurli! -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -– Jetzt gehts ganz verkehrt, Schwiegermutter, sagte -der Kapitän eines Tages im Herbst, als er die Alte -besuchte. -</p> - -<p> -– Was ist denn los, lieber Willy? -</p> - -<p> -– Sie waren gestern bei uns zu Hause. Vorgestern -waren sie bei der Prinzessin. Und da wurde die -kleine Alice elend. Das war natürlich Pech, und ich -wagte nicht Gurli holen zu lassen, denn dann hätte -sie geglaubt, es sei beabsichtigt. Oh! Wenn das -Vertrauen einmal erschüttert ist, so ... Ich war in -diesen Tagen beim Korpsintendant und fragte, ob -man nach schwedischem Gesetz das Recht habe, die -Freundinnen seiner Frau tot zu rauchen. Nein, das -habe man nicht. Und hätte man das Recht, so wagte -man es nicht, denn dann sei es ganz aus. Wenn es nur -ein Liebhaber wäre: den könnte man beim Kragen -nehmen und hinauswerfen. Was soll ich tun? -</p> - -<p> -– Ja ja, das ist ein schwerer Fall, lieber Willy, -aber wir werden schon auf etwas kommen. Du -kannst doch nicht wie ein Unverheirateter leben! -</p> - -<p> -– Nein, das sage ich auch! -</p> - -<p> -– Ich sagte ihr in diesen Tagen derb: wenn sie -nicht nett sei, würde ihr Mann einfach Mädchen -besuchen! -</p> - -<p> -– Und was antwortete sie? -</p> - -<p> -– Sie antwortete: das könne er, denn über seinen -Körper verfüge jeder selbst. -</p> - -<p> -– Sie also auch? Das ist eine schöne Lehre! -Ich kriege graue Haare, Schwiegermutter! -</p> - -<p> -<a id="page-162" class="pagenum" title="162"></a> -– Eine alte gute Art ist, sie eifersüchtig zu machen. -Das pflegt die Radikalkur zu sein, denn dann kommt -die Liebe wieder zum Vorschein, wenn sie noch da ist. -</p> - -<p> -– Sie ist noch da! -</p> - -<p> -– Sicher! Denn die Liebe stirbt nicht Knall und -Fall; sie kann nur im Lauf der Jahre verbraucht -werden, <em>wenn</em> sie’s kann. Mach Ottilie den Hof, -dann werden wir weiter sehen! -</p> - -<p> -– Den Hof machen? Ihr? -</p> - -<p> -– Versuchs! Kannst du nicht etwas, das sie -interessiert? -</p> - -<p> -– Doch, gewiss! Sie sind jetzt gerade bei der -Statistik angekommen! Gefallene Frauen, ansteckende -Krankheiten! Wenn man das Gespräch auf die Mathematik -bringen könnte! Die verstehe ich! -</p> - -<p> -– Siehst du! Beginn mit der Mathematik, geh -dazu über, ihr den Schal umzulegen und ihr die -Überschuhe zuzuknöpfen. Bring sie abends nach -Haus. Trink mit ihr und küss sie, wenn Gurli es -sieht. Ist es nötig, so sei zudringlich. Oh, sie wird -nicht böse werden, das kannst du mir glauben. Und -dann viel Mathematik, so viel, dass Gurli still dasitzen -und schweigend zuhören muss. In acht Tagen -komm wieder und erzähle mir den Verlauf! -</p> - -<p> -Der Kapitän ging nach Haus, las die letzten Broschüren -über die Unsittlichkeit und ging dann ans Werk. -</p> - -<p> -Acht Tage später sass er heiter und vergnügt bei -seiner Schwiegermutter und trank ein gutes Glas -Sherry. Er war direkt fröhlich. -</p> - -<p> -– Erzähle, erzähle, sagte die Alte und schob die -Brille in die Höhe. -</p> - -<p> -– Es war eine harte Arbeit, die ersten Tage, denn -sie misstraute mir. Sie glaubte, ich triebe meinen -Scherz mit ihr. Dann aber sprach ich davon, welch -unerhörten Einfluss die Wahrscheinlichkeitsrechnung -<a id="page-163" class="pagenum" title="163"></a> -in Amerika auf die Sittlichkeitstatistik gehabt habe. -Sie habe ganz einfach Epoche gemacht. Das wusste -sie nicht und das reizte sie. Ich nahm ein Beispiel -und zeigte mit Zahlen und Buchstaben, dass man -mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit berechnen -könne, wie viele Frauen fallen. Das setzte sie in -Erstaunen. Jetzt sah ich, dass sie neugierig wurde -und sich einen Trumpf für die nächste Sitzung verschaffen -wollte. Gurli freute sich, dass Ottilie und -ich Freunde wurden, und sie brachte uns direkt -zusammen. Sie stiess uns in mein Zimmer und -schloss die Tür; und dort sassen wir und rechneten -den ganzen Nachmittag. Sie war glücklich, die Hexe, -denn sie fühlte, dass sie etwas durch mich gewann, -und in drei Stunden waren wir Freunde. Beim -Souper fand meine Frau, Ottilie und ich seien so -alte Bekannte, dass wir uns duzen müssten. Ich -holte meinen alten guten Sherry hervor, um das -grosse Ereignis zu feiern. Und dann küsste ich sie -mitten auf den Mund, Gott verzeihe mir meine Sünden. -Gurli sah etwas verdutzt aus, wurde aber nicht böse. -Sie war lauter Glück. Der Sherry war stark und -Ottilie war schwach. Ich half ihr mit dem Mantel -und brachte sie nach Haus. Drückte ihren Arm -unterwegs und erklärte ihr die ganze Sternkarte. -Ah! Sie war hingerissen! Sie habe immer die Sterne -geliebt, aber nie lernen können, wie sie heissen. -Die armen Frauen dürften eben nichts lernen. Sie -schwärmte ordentlich und wir trennten uns als die -allerbesten Freunde, die einander so lange, so lange -verkannt hatten. -</p> - -<p> -Am nächsten Tag noch mehr Mathematik. Wir -sassen dabei bis zum Souper. Gurli kam einige -Male herein und nickte uns zu. Aber bei Tisch wurde -nur Mathematik und Sterne gesprochen, und Gurli -<a id="page-164" class="pagenum" title="164"></a> -sass still dabei und musste zuhören. Dann brachte -ich sie nach Haus. Aber auf dem Rückweg traf ich -einen befreundeten Kapitän. Wir schlüpften ins Grand -Hotel und tranken ein Glas Punsch. Erst um ein -Uhr kam ich heim. -</p> - -<p> -Gurli sass auf. -</p> - -<p> -– Wo bist du so lange gewesen, Wilhelm? sagte sie. -</p> - -<p> -Da fuhr der Teufel in meine Seele und ich antwortete: -</p> - -<p> -– Wir haben unterwegs so lange geplaudert, dass -ich ganz vergass, was die Uhr war. -</p> - -<p> -<em>Die</em> Schraube zog an. -</p> - -<p> -– Ich finde es nicht recht passend, nachts mit -einer jungen Dame herumzulaufen, sagte sie. -</p> - -<p> -Ich stellte mich verlegen und stammelte hervor: -</p> - -<p> -– Wenn man so viel zu besprechen hat, so weiss -man nicht immer, was passend ist. -</p> - -<p> -– Wovon habt ihr denn gesprochen, sagte Gurli -und machte ein Gesicht. -</p> - -<p> -– Ich kann mich wirklich nicht mehr daran erinnern. -</p> - -<p> -Das ist gut marschiert, mein Junge, sagte die Alte. -Weiter, weiter. -</p> - -<p> -Am dritten Tag, fuhr der Kapitän fort, kam Gurli -mit einer Arbeit herein und blieb, bis die Mathematik -zu Ende war. Das Souper war nicht ganz so fröhlich, -aber um so astronomischer. Half der Hexe bei den -Überschuhen, was einen tiefen Eindruck auf Gurli -machte! Als Ottilie ging, bot sie ihr nur die Backe -zum Kuss. Unterwegs drückte ich ihr den Arm und -sprach von der Sympathie der Seelen, und von den -Sternen als der Heimat der Seelen. Trank Punsch -im Grand Hotel und kam um zwei Uhr nach Haus. -Gurli sass noch auf; ich sah es, aber ich ging direkt -in mein Zimmer, als Junggeselle, der ich war, und -Gurli schämte sich, nachzukommen und zu fragen. -</p> - -<p> -<a id="page-165" class="pagenum" title="165"></a> -Am nächsten Tag Astronomie. Gurli erklärte, sie -habe grosse Lust, dabei zu sein; Ottilie aber sagte, -sie seien schon zu tief in den Stoff eingedrungen, -sie werde Gurli später die Anfangsgründe mitteilen. -Gurli war gereizt und ging. Viel Sherry zum Souper. -Als Ottilie für das Essen dankte, fasste ich sie um -die Taille und küsste sie. Gurli ward bleich. Als -ich ihr die Überschuhe zuknöpfte, griff ich mit der -Hand zu, hm ... -</p> - -<p> -Geniere dich nicht vor mir, Willy, sagte die Alte, -ich bin eine alte Frau! -</p> - -<p> -– ... so hier um den Schenkel. Nicht so schlecht -übrigens! Hm! Wirklich nicht so übel! Als ich -aber meinen Überrock anziehen wollte, da, hast du -nicht gesehen, stand das Mädchen da, um Ottilie -nach Haus zu bringen. Und Gurli entschuldigte mich: -ich hätte mich gestern erkältet, und sie fürchte die -Nachtluft. Ottilie sah verlegen aus und küsste Gurli -nicht, als sie ging. -</p> - -<p> -Am nächsten Tag wollte ich Ottilie astronomische -Instrumente zeigen, um zwölf in der Schule. Sie -kam auch, war aber traurig. Sie war eben bei Gurli -gewesen, die sich unfreundlich gegen sie gezeigt habe. -Den Grund könne sie nicht verstehen. Als ich zum -Mittagessen nach Haus kam, war Gurli ganz verändert. -Sie war kalt und stumm wie ein Fisch. Sie litt. -Ich sah es. Jetzt aber musste das Messer hinein. -</p> - -<p> -– Was hast du zu Ottilie gesagt? Sie war so -traurig! fing ich an. -</p> - -<p> -– Was ich gesagt habe? Ja, ich habe ihr gesagt, -sie sei kokett. Das habe ich gesagt. -</p> - -<p> -– Wie konntest du das sagen, sagte ich. Du bist -doch nicht eifersüchtig! -</p> - -<p> -– Ich eifersüchtig auf die! brach sie los. -</p> - -<p> -<a id="page-166" class="pagenum" title="166"></a> -– Ja, das wundert mich, denn eine so intelligente -und verständige Person kann es doch nicht auf den -Mann einer andren abgesehen haben! -</p> - -<p> -– Nein (jetzt kam es!), aber der Mann einer -andern kann sich schlecht gegen eine andere Frau -betragen. -</p> - -<p> -Huhuhu! Jetzt war es fertig. Ich verteidigte Ottilie, -bis Gurli sie alte Jungfer nannte, und ich fuhr fort, -sie zu verteidigen. Und an diesem Nachmittag kam -Ottilie nicht. Sie schrieb einen kühlen Brief und -entschuldigte sich, aber sie sehe wohl, sie sei überflüssig. -Ich protestierte und wollte sie holen. Da -aber wurde Gurli wild. Sie sehe wohl, ich sei in -diese Gurli verliebt, und sie (Gurli) sei mir nichts -mehr. Sie wisse wohl, dass sie eine Gans sei, dass -sie nichts könne, zu nichts tauge, und dass, huhuhu, -die Mathematik ihr ganz unmöglich sei. Ich schickte -nach einem Schlitten und wir fuhren aus. In einem -Gasthaus am Meer tranken wir Glühwein und assen -ein prächtiges Souper. Es war, als sei wieder Hochzeit, -und dann fuhren wir nach Haus. -</p> - -<p> -– Und dann? fragte die Alte und sah über ihre -Brille hinweg. -</p> - -<p> -– Und dann? Hm! Gott verzeihe mir meine -Sünden! Dann habe ich sie verführt. Hol mich der -Teufel, ich habe sie auf meinem Junggesellenbett -verführt. Es war ganz wie auf der Hochzeit. Was -sagst du dazu, Grossmutter? -</p> - -<p> -– Da hast du recht getan! Und dann? -</p> - -<p> -– Und dann? Seitdem ist es all right, und jetzt -sprechen wir davon, wie Kinder zu erziehen und -Frauen von Aberglauben und Altjüngferlichkeit, von -Romantik und dem Teufel und seinem Ablativus zu -befreien sind; aber wir sprechen jetzt unter vier -<a id="page-167" class="pagenum" title="167"></a> -Augen, und da versteht man einander am besten! -Nicht wahr, Alte? -</p> - -<p> -– Ja, lieber Willy, und jetzt werde ich euch wieder -besuchen. -</p> - -<p> -– Tu das, du! Da wirst du sehen, wie die Puppen -tanzen und die Lerchen und die Spechte singen und -zwitschern; da wirst du sehen, wie die Freude bis -an die Decke reicht, denn dort wartet niemand auf -das Wunderbare, das nur in den Märchen zu finden -ist. Da wirst du ein wirkliches Puppenheim sehen! -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="chapter-0-10"> -<a id="page-169" class="pagenum" title="169"></a> -<span class="line1">Vogel Phönix</span> -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -Es war zur Zeit der Walderdbeeren, als er sie in -der Pfarre zum ersten Male sah. Er hatte schon -viele Mädchen gesehen, als er <em>sie</em> aber sah, da wusste -er: das ist sie! Aber er wagte es nicht, etwas zu -sagen, und sie lächelte über ihn, denn er war nur -Gymnasiast noch. -</p> - -<p> -Aber er kam wieder als Student. Und da fasste -er sie um den Leib und küsste sie, und er sah -Raketen stieben, hörte Glocken läuten und Jagdhörner -klingen, fühlte die Erde unter seinen Füssen -beben. -</p> - -<p> -Sie war ein Weib von vierzehn Jahren. Ihre Brüste -standen schwellend hoch, als warteten sie auf kleine -gierige Mäuler und kleine zugreifende Fäuste; ihr -Gang war fest, auf elastischen Waden und wiegenden -Hüften, als könne sie jeden Augenblick ein Kind -unter ihrem Herzen tragen. Ihr Haar war gelb und -zart wie geklärter Honig und stand immer wie Sprühregen -um ihre Stirn. Das Auge brannte und die -Haut war weich wie ein Handschuh. -</p> - -<p> -Sie waren verlobt und küssten sich wie Vögel -im Garten unter der Linde, im Wald, und das Leben -lag wie eine sonnige, ungemähte Wiese vor ihnen. -Aber er musste erst sein Examen machen, das Bergexamen, -und das dauerte, die Reise ins Ausland -mitgerechnet, zehn Jahre! Zehn Jahre! -</p> - -<p> -<a id="page-170" class="pagenum" title="170"></a> -So fuhr er nach der Universität. Im Sommer -kam er wieder nach der Pfarre, und sie war noch -ebenso schön. Drei Male kam er wieder, aber beim -vierten Mal war sie blass. Sie hatte kleine rote -Streifen in den Nasenwinkeln und der Busen war -eingesunken. Als der Sommer zum sechsten Male -kam, nahm sie Eisen. Im siebenten fuhr sie nach -einem Badeort. Im achten hatte sie Zahnschmerzen -und war nervös. Das Haar hatte seinen Glanz verloren, -die Stimme war scharf, die Nase hatte schwarze -Pünktchen, der Busen war fort, der Gang war schleppend -und die Wangen waren hohl. Im Winter bekam -sie Nervenfieber und musste sich das Haar abschneiden -lassen. Als es wieder wuchs, wurde es -aschgrau. Er hatte sich in eine blonde Vierzehnjährige -verliebt, eine Brünette konnte er nicht leiden, -und er heiratete eine aschgraue Vierundzwanzigjährige, -die als Braut den Hals nicht bloss tragen wollte. -</p> - -<p> -Aber er liebte sie doch. Seine Liebe war nicht -mehr so stürmisch wie früher, sondern beständig -und ruhig. Und in der kleinen Bergstadt war nichts, -was ihr Glück störte. -</p> - -<p> -Sie gebar zwei Knaben hinter einander, aber der -Mann wollte so gern ein Mädchen haben. Und dann -kam ein kleines blondes Mädchen. -</p> - -<p> -Das wurde der Augapfel des Vaters. Es wuchs -heran und ward der Mutter ähnlich. Es wurde -sieben Jahre und mit acht war es ganz so, wie die -Mutter einmal gewesen. Und der Vater beschäftigte -sich in seinen freien Stunden nur noch mit seiner -Tochter. -</p> - -<p> -Die Mutter hatte durch die häusliche Arbeit grobe -Hände bekommen. Die Nase war wurmstichig und -die Schläfen ausgehöhlt. Ihre Gestalt war von der -Gewohnheit, sich über den Herd zu beugen, etwas -<a id="page-171" class="pagenum" title="171"></a> -geneigt. Und Vater und Mutter trafen sich nur bei -den Mahlzeiten und nachts. Sie weinten nicht, aber -es war doch nicht mehr so wie früher. -</p> - -<p> -Aber die Tochter, das war des Vaters Freude. -Man hätte beinahe sagen können, er sei in sie verliebt. -Es war, als sehe er in ihr die wieder auferstandene -Mutter, und als solle sein erster Anblick, -der so schnell verschwunden war, wiederkommen. -Er war beinahe schüchtern ihr gegenüber und ging -nie in ihr Zimmer, wenn sie sich anzog. Er vergötterte -sie. -</p> - -<p> -Eines Morgens blieb sie im Bett liegen und wollte -nicht aufstehen. Mama glaubte, sie habe Faulfieber, -Papa aber schickte nach dem Arzt. Der Mordengel -war auf Besuch gekommen; es war Diphtheritis. -Entweder der Vater oder die Mutter musste mit den -andern Kindern fliehen. Der Vater wollte nicht. Die -Mutter musste mit den andern Kindern aus der Stadt -ziehen, und der Vater blieb bei der Kranken. Und da -lag sie jetzt! Man räucherte mit Schwefel, dass die -Vergoldung der Bilderrahmen schwarz wurde, und die -Silbersachen auf dem Toilettentisch auch! Der Vater -war ausser sich, wenn er durch die leeren Zimmer -ging; und wenn er nachts allein in dem grossen Bett -lag, war es ihm, als sei er Witwer. Er kaufte dem -Kinde Spielsachen und es lächelte, wenn er am Bettrande -Kasper spielte, und es fragte nach Mama und -den Geschwistern. -</p> - -<p> -Und der Vater musste hingehen und von der Strasse -aus der Mutter zum Fenster hinauf zunicken und den -Kindern Kusshände zuwerfen. Und die Mutter telegraphierte -mit blauen und roten Papierbogen durch -die Fensterscheiben. -</p> - -<p> -Aber eines Tages wollte das Mädchen den Kasper -nicht mehr sehen, und es lächelte nicht mehr. Auch -<a id="page-172" class="pagenum" title="172"></a> -konnte es nicht mehr sprechen. Der Tod kam, kam -mit seinen langen knochigen Armen und erstickte -das Kind. Es war ein harter Kampf. -</p> - -<p> -Da kam die Mutter! Und sie hatte Gewissensbisse, -dass sie ihr Kind verlassen. Und es war grosser -Jammer und grosse Not. -</p> - -<p> -Als der Arzt das Kind obduzieren wollte, liess es -der Vater nicht zu. Sie sollten ihr mit den Messern -nichts zuleide tun; denn für ihn sei sie nicht tot. -Aber es musste geschehen. Und da wollte er den -Arzt schlagen und ihn beissen. -</p> - -<p> -Als sie aber in die Erde kam, baute er ein Grabmal -und ging das ganze Jahr hindurch jeden einzigen -Tag dorthin. Das zweite Jahr weniger oft. Die -Arbeit war schwer und die Zeit knapp. Die Jahre -begannen sich fühlbar zu machen, die Schritte wurden -weniger leicht, und die Trauer verwuchs. Zuweilen -schämte er sich, dass er nicht mehr so viel trauere; -dann aber vergass er es. -</p> - -<p> -Er bekam noch zwei Töchter; das war aber nicht -dasselbe; sie, die von hinnen gegangen, konnte nicht -ersetzt werden. -</p> - -<p> -Das Leben war hart, die Vergoldung war unmerklich -von der jungen Frau abgegangen, die einmal -wie – wie kein anderes Weib auf der Erde gewesen -war. Die Vergoldung war abgegangen von der einmal -so blanken und strahlenden Häuslichkeit. Die -Kinder hatten Beulen in die Hochzeitsgeschenke der -Mutter gemacht, das Bett verdorben, die Stuhlbeine -angetreten. Die Polsterung kam aus den Sofas heraus, -und das Klavier war seit Jahren nicht geöffnet werden. -Der Gesang war verstummt vorm Kindergeschrei, -und die Stimmen waren rauh geworden. Die Koseworte -hatte man mit den Kinderkleidern abgelegt, -die Liebkosungen waren Massage geworden. Man -<a id="page-173" class="pagenum" title="173"></a> -fing an, alt und müde zu werden. Papa lag nicht -mehr vor Mama auf den Knien, sondern sass in -seinem abgenutzten Lehnstuhl und liess sich von -Mama die Streichhölzchen holen, wenn er seine Pfeife -anstecken wollte. Man war alt geworden! -</p> - -<p> -Da starb die Mama, als der Papa fünfzig Jahre -alt war. Da aber tauchte es wieder auf, all das Alte. -Als ihre gebrochene Gestalt, die der Todeskampf -hässlich gemacht hatte, in die Erde gegraben wurde, -stand die Erinnerung an die junge Vierzehnjährige -wieder auf. Da betrauerte er diese, die er vor so -langer Zeit verloren hatte, und mit der Sehnsucht -kam die Reue. Aber er war nie schlecht gegen die -alte Mama gewesen; und die Vierzehnjährige vom -Pfarrhaus, die er nie bekommen, denn er kriegte ja -nur die bleichsüchtige Vierundzwanzigjährige, die -hatte er verehrt, vor der hatte er gekniet, der war er -treu gewesen. Und wenn er aufrichtig war, so war -es sie, nach der er sich jetzt sehnte; doch hatte der -alten Mama gutes Essen und unermüdliche Fürsorge -auch einen Anteil an der Sehnsucht, aber auf eine -andere Art. -</p> - -<p> -Jetzt aber wurde er intimer mit den Kindern. -Einige waren aus dem Nest geflogen, andere aber -noch zu Hause. -</p> - -<p> -Als er ein ganzes Jahr lang seine Freunde damit -ermüdet hatte, dass er ihnen das Leben seiner verstorbenen -Frau erzählte, geschah etwas Merkwürdiges. -Er sah ein junges Mädchen, eine blonde Achtzehnjährige, -die seiner Frau, wie sie mit vierzehn Jahren -gewesen, glich. Er nahm es wie einen Wink des -freigebigen Himmels, der ihm also endlich sie, die -erste, geben wolle. Er verliebte sich in sie, weil sie -der ersten glich. Und er verheiratete sich wieder. -Jetzt hatte er sie endlich bekommen. -</p> - -<p> -<a id="page-174" class="pagenum" title="174"></a> -Die Kinder aber, besonders die Mädchen, waren -der jungen Stiefmutter abgeneigt; sie schämten sich, -sie anzusehen; sie fanden das Verhältnis der Eltern -unrein; glaubten, der Vater sei ihrer Mutter untreu -geworden. Und sie gingen aus dem Hause, in die -Welt hinaus! -</p> - -<p> -Er war glücklich! Aber er war noch stolzer darauf, -dass ein junges Mädchen ihn hatte haben wollen. -</p> - -<p> -– Nur Nachmahd! sagten seine alten Freunde. -</p> - -<p> -Nach einem Jahr bekam die Frau ein Kind. Papa -war nicht mehr an Kindergeschrei gewöhnt und wollte -nachts schlafen. Zog in sein eigenes Zimmer; seine -Frau aber weinte. Er fand die Frauen etwas aufdringlich. -Und dann war sie eifersüchtig auf die -erste Frau. Er war nämlich, als sie verlobt waren, -so dumm gewesen, ihr zu sagen, sie gleiche seiner -ersten Frau. Und dann hatte er sie deren Liebesbriefe -lesen lassen. Als sie jetzt oft allein war, -erinnerte sie sich an alles. So wusste sie, dass sie -alle Kosenamen von der ersten geerbt, dass sie nur -eine Stellvertreterin sei. Das reizte sie, und sie -machte alle möglichen Dummheiten, um ihn für sich -persönlich zu gewinnen. Das ermüdete ihn aber. -Und wenn er in der Einsamkeit Vergleiche anstellte, -verlor die neue Frau sehr. Sie war nicht so milde -wie die andere; sie reizte seine Nerven. Dazu kam -die Sehnsucht nach den Kindern, die er aus ihrem -Elternhaus vertrieben. Dazu kamen schlechte Träume, -denn er glaubte seiner verstorbenen Frau untreu -zu sein. -</p> - -<p> -Es war nicht mehr gemütlich zu Hause. Es war -dumm, was er getan, und es wäre besser nicht -geschehen. -</p> - -<p> -Er fing an in den Ratskeller zu gehen. Da aber -wurde die Frau böse. Er habe sie betrogen. Er -<a id="page-175" class="pagenum" title="175"></a> -sei ein alter Mann, und er solle sich in Acht nehmen. -Ein so alter Mann dürfe seine junge Frau nicht allein -lassen; das könne gefährlich werden! -</p> - -<p> -– Alt? Sei er alt? Er werde ihr zeigen, dass -er nicht alt sei! -</p> - -<p> -Und sie zogen wieder zusammen. Da aber wurde -es sieben Male schlimmer. Er wollte ihr nachts nicht -wiegen helfen, und das Kind sollte in die Kinderstube! -Nein, mit dem Kind der <em>ersten</em> Frau habe -er es nicht so gemacht. -</p> - -<p> -Er musste sich quälen lassen. -</p> - -<p> -Zwei Male hatte er geglaubt, den Vogel Phönix -aus der Asche der Vierzehnjährigen aufsteigen zu -sehen, zuerst in der Tochter, dann in der zweiten -Frau; aber in seiner Erinnerung lebte nur die erste, -die Kleine aus dem Pfarrhof, die er zur Zeit der Walderdbeeren -sah, die er unter der Linde im Walde küsste, -die er aber nie bekommen. -</p> - -<p> -Doch jetzt, als seine Sonne im Untergehen war -und die Tage kürzer wurden, sah er in seinen dunkeln -Stunden nur noch das Bild der „alten Mama“, die -freundlich gegen ihn und seine Kinder gewesen, die -nie zankte, die hässlich war, die in der Küche stand, -die die Hosen der Knaben und die Röcke der Mädchen -flickte. Und da sein Siegesrausch vorüber war und -sein Auge klar sah, fragte er sich, ob nicht die „alte -Mama“ doch der rechte Vogel Phönix gewesen sei, -der so schön und so ruhig aus der Asche des vierzehnjährigen -Goldvogels stieg; der seine Eier legte -und sich die Daunen für die Jungen aus der Brust -rupfte, um sie mit seinem Blut zu nähren, bis er starb. -</p> - -<p> -Er fragte lange danach, und als er endlich seinen -müden Kopf auf das Kissen legte, um nicht mehr -aufzustehen, da war er davon überzeugt. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="chapter-0-11"> -<a id="page-177" class="pagenum" title="177"></a> -<span class="line1">„Romeo und Julia“</span> -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -Der Mann kam eines Abends mit einem Notenheft -nach Haus und sagte zu seiner Frau: -</p> - -<p> -– Nach dem Essen wollen wir vierhändig spielen. -</p> - -<p> -– Was hast du da für ein neues Stück? fragte -die Frau. -</p> - -<p> -– Ich habe „Romeo und Julia“ gekauft. Kennst -du das? -</p> - -<p> -– Ja, gewiss kenne ich das, antwortete sie, aber -ich weiss nicht, ob ich es je habe aufführen sehen. -</p> - -<p> -– Oh, es ist herrlich! Ich denke daran wie an -einen Jugendtraum, aber ich habe es nicht mehr als -einmal gehört, und das war vor zwanzig Jahren. -</p> - -<p> -Nach dem Abendessen, nachdem die Kinder zu -Bett gebracht waren und es still im Hause geworden, -zündete der Mann die Lichter auf dem Pianino an. -Er liest auf dem fein lithographierten Titelblatt: -„Romeo und Julia.“ -</p> - -<p> -– Dies ist Gounods schönste Komposition, sagt -er, und ich glaube nicht, dass sie allzu schwer ist. -</p> - -<p> -Seine Frau übernimmt wie gewöhnlich die erste -Stimme, und so beginnt man. D-dur, Vier-Viertel-Takt, -Allegro giusto. -</p> - -<p> -– Das ist schön, nicht wahr? sagt der Mann nach -dem Schluss der Ouvertüre. -</p> - -<p> -– Oh ja, gibt die Frau zu, wenn auch etwas -widerstrebend. -</p> - -<p> -<a id="page-178" class="pagenum" title="178"></a> -– Lass uns nun das Marziale nehmen, sagt der -Mann, das ist etwas ganz Feines. Ich erinnere mich -noch an die prächtigen Chöre des königlichen Theaters. -</p> - -<p> -Der Marsch beginnt. -</p> - -<p> -– Nun, ist es nicht prächtig? sagt der Mann -triumphierend, als habe er „Romeo und Julia“ selber -geschrieben. -</p> - -<p> -– Ich finde, es klingt wie Messingmusik, antwortete -seine Frau. -</p> - -<p> -Die Ehre und der gute Geschmack des Mannes -stehen auf dem Spiel, und er sucht nach der Mondscheinarie -im vierten Akt. Nach langem Suchen -stösst er auf eine Arie für Sopran; die muss wohl -die rechte sein. -</p> - -<p> -Und er beginnt von neuem: -</p> - -<p> -– Tram-tramtram, tram-tramtram, so klingt es -im Bass, der sehr leicht ist. -</p> - -<p> -– Weisst du, meint die Frau, als es zu Ende ist, -die Musik ist sehr mässig. -</p> - -<p> -Der Mann ist ganz niedergeschlagen und gibt zu, -dass es wie ein Leierkasten klingt. -</p> - -<p> -– Das habe ich schon die ganze Zeit gefunden, -bekennt die Frau. -</p> - -<p> -– Ich finde auch, es klingt so altmodisch. Dass -Gounod so schnell veraltet ist, bemerkt er ganz kleinlaut. -Willst du weiter spielen? Lass uns die Cavatina -und das Terzett durchnehmen; ich erinnere mich besonders -an die Sängerin, die war göttlich. -</p> - -<p> -Nach diesem Stück sieht der Mann wirklich betrübt -aus und legt das Heft fort, als wolle er die Tür hinter -der Vergangenheit schliessen. -</p> - -<p> -– Wollen wir nicht ein Glas Bier trinken? fragt er. -</p> - -<p> -Sie setzen sich an den Tisch und trinken ein Glas Bier. -</p> - -<p> -– Es ist doch merkwürdig, beginnt der Mann, ich -hätte nicht geglaubt, dass wir so alt geworden sind, -<a id="page-179" class="pagenum" title="179"></a> -denn wir sind wirklich mit „Romeo und Julia“ um -die Wette gealtert. Es sind zwanzig Jahre her, seit -ich die Oper zum ersten Mal hörte. Ich war eben -Student geworden, hatte Freunde und die Zukunft -lächelte mir hell und froh entgegen. Seit kurzer -Zeit machte ich mit einem keimenden Schnurrbart -und der Studentenmütze Staat, und besonders der -Abend ist mir in Erinnerung, an dem Fritz, Philipp -und ich in die Oper gingen. Einige Jahre früher -hatten wir die Bekanntschaft des „Faust“ gemacht, -waren also grosse Bewunderer Gounods. Doch -„Romeo“ übertraf noch unsere Erwartungen, und wir -wurden von der Musik ganz hingerissen. Jetzt sind -meine beiden Freunde tot. Fritz, der zu den höchsten -Stellen hinaufstrebte, starb als Sekretär; Philipp als -Kandidat der Medizin; und ich, der Minister werden -wollte, musste mich schliesslich damit begnügen, -Regimentsauditor zu sein. Wie die Jahre verschwunden -sind, ohne dass wir es gemerkt haben! Zwar -habe ich gesehen, dass die Runzeln um meine Augen -deutlicher geworden sind, und dass das Haar an den -Schläfen ergraut ist, doch dass wir bereits so weit auf -dem Weg zum Kirchhof gekommen sind, das hätte -ich nicht geglaubt. -</p> - -<p> -– Ja, mein Freund, wir sind alt geworden; das -kannst du an unseren Kindern sehen. Und auch -an mir siehst dus, wenn du auch davon schweigst. -</p> - -<p> -– Ach wie kannst du so etwas sagen! -</p> - -<p> -– Das weiss ich sehr wohl, mein Lieber, fuhr die -Frau in wehmütigem Ton fort; ich weiss wohl, dass -ich anfange hässlich zu werden, dass mein Haar -dünner wird und dass ich bald meine Vorderzähne -ziehen lassen muss ... -</p> - -<p> -– Aber bedenke doch, dass jetzt nichts mehr -dauert, – unterbricht sie der Mann. Es scheint -<a id="page-180" class="pagenum" title="180"></a> -heutzutage mit dem Altwerden viel geschwinder zu -gehen als früher. Im Haus meines Vaters wurden -noch Haydn und Mozart gespielt, obgleich sie tot -waren, lange ehe er geboren wurde. Und jetzt – -jetzt ist Gounod bereits alt! Es ist betrübend, seinem -Jugendideal auf die Weise wieder zu begegnen! Und -wie schauerlich ist es, zu fühlen, dass man alt geworden -ist! -</p> - -<p> -Er steht auf und setzt sich wieder ans Pianino; -er nimmt das Notenheft und blättert darin, wie wenn -er in einer Schreibtischlade nach Jugenderinnerungen, -Haarlocken, getrockneten Blumen und Bandenden, -suche. Seine Augen starren auf die schwarzen Noten, -die wie kleine Vögel aussehen, die an einem Stahldrahtgitter -auf und nieder klettern; er versucht, in -ihnen auf Frühlingstöne, Liebeslockungen, jubelnde -Triller aus den rosenroten Tagen der ersten Liebe -zu lauschen. Doch alles blickt ihm so fremd entgegen, -als sei die Erinnerung an die Blütezeit der -Jugend mit Unkraut überwachsen. Ja, so ist es; die -Saiten sind mit Staub bedeckt, der Resonanzboden -ist eingetrocknet, der Filz abgenützt. -</p> - -<p> -Ein Seufzer hallt durchs Zimmer, schwer wie aus -einer hohlen Brust, und dann wird es ganz still. -</p> - -<p> -Plötzlich hört man den Mann sagen: -</p> - -<p> -– Aber sonderbar ist es doch, dass der herrliche -Prolog in diesem Klavierauszug fehlt. Es war, wie -ich mich bestimmt erinnere, ein Prolog mit Harfenbegleitung -und ein Chor, der so lautete. -</p> - -<p> -Er trällert leise die Melodie, die wie ein Bach aus -einer Bergeskluft hervorsprudelt; der eine Ton gibt -den andern, sein Gesicht klärt sich auf, der Mund -lächelt, die Runzeln glätten sich und die Hände -fallen auf die Tasten nieder, die kräftig, jugendlich -und schmeichelnd die herrlichen Töne wiedergeben, -<a id="page-181" class="pagenum" title="181"></a> -und mit starker klangvoller Stimme singt er die Basspartie. -</p> - -<p> -Seine Gattin ist aus ihren schwermütigen Gedanken -erwacht, sie lauscht mit tränendem Auge und fragt -verwundert: -</p> - -<p> -– Was ist das? -</p> - -<p> -– Romeo und Julia! Unser Romeo und unsere -Julia! -</p> - -<p> -Und er springt vom Stuhl auf und legt das Notenheft -vor die erstaunte junge Frau. -</p> - -<p> -– Siehst du! Dies war der Romeo unserer Oheime -und Tanten, das war – lies nur – Bellini! Oh! -Wir sind also noch nicht alt! -</p> - -<p> -Die Frau blickt auf das dichte, noch glänzende -Haar des dreissigjährigen Mannes, auf seine glatte -Stirn und seine feurigen Augen. Und sie sagt freudestrahlend: -</p> - -<p> -– Ja, du siehst aus wie ein Fünfundzwanzigjähriger! -</p> - -<p> -– Und du? Du siehst aus wie ein junges Mädchen. -Dass wir uns von dem alten Bellini so haben -anführen lassen. Ich dachte gleich, dass etwas nicht -stimme. -</p> - -<p> -– Nein, lieber Freund, das habe ich zuerst gedacht. -</p> - -<p> -– Wahrscheinlich, weil du jünger bist als ich. -</p> - -<p> -– Nein, du ... -</p> - -<p> -Und Mann und Frau sitzen da und streiten scherzend -darüber, wer von ihnen älter sei, ganz wie ein -Paar Kinder, und sie wundern sich, wie sie früher -Runzeln und graue Haare haben entdecken können, -wo keine da sind. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="chapter-0-12"> -<a id="page-183" class="pagenum" title="183"></a> -<span class="line1">Herbst</span> -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -Sie waren zehn Jahre verheiratet gewesen! Glücklich? -So glücklich, wie die Umstände es erlaubten. -Sie hatten am gleichen Strang gezogen, gleichmässig -wie zwei gleichstarke junge Ochsen, von denen jeder -an einer Seite des Strickes zieht. -</p> - -<p> -Im ersten Jahr wurden natürlich eine Menge -Illusionen von der Ehe als der absoluten Seligkeit -begraben. Im zweiten Jahr kamen die Kinder, und -die tägliche Arbeit des Lebens liess wenig Zeit zum -Grübeln übrig. -</p> - -<p> -Er war sehr häuslich, vielleicht <em>zu</em> sehr, und hatte -in der Familie seine kleine Welt gefunden, deren -Mittelpunkt er war; die Kinder waren die Radien. -Die Frau suchte auch Mittelpunkt zu sein, aber -niemals in der Mitte des Kreises, denn dort sass der -Mann, und darum fielen die Radien bald auf einander -bald aus einander, und darum stimmte das Ganze nicht. -</p> - -<p> -Im zehnten Jahr wurde der Mann zum Sekretär -der Gefängnisinspektion ernannt und musste als -solcher Reisen machen. Das gab seinen häuslichen -Gewohnheiten einen argen Stoss; er fühlte eine -wirkliche Unlust, wenn er daran dachte, dass er für -einen ganzen Monat seine Häuslichkeit verlassen -müsse. Es war ihm nicht ganz klar, ob er seine -Frau oder seine Kinder am meisten vermissen werde, -vielleicht alle beide. -</p> - -<p> -<a id="page-184" class="pagenum" title="184"></a> -Am Abend vor der Abreise sitzt er in seinem Sofa -und sieht zu, wie sie seine Reisetasche packt. Sie -liegt mit den Knieen auf dem Boden und legt seine -Wäsche hinein. Sie bürstet den schwarzen Anzug -ab, legt ihn sorgfältig zusammen, damit er so wenig -Platz wie möglich einnimmt. Darauf versteht er sich -nämlich nicht. -</p> - -<p> -Sie hatte ihre Stellung im Hause niemals als seine -Dienerin, kaum als seine Frau aufgefasst. Sie war -Mutter: Mutter für die Kinder und Mutter für ihn. -Sie fühlte sich niemals davon gedemütigt, dass sie -seine Strümpfe stopfte, und verlangte auch keinen -Dank. Und sie glaubte nie, er stehe dafür in ihrer -Schuld; er gab ja ihr und ihren Kindern dafür ganze -Strümpfe und noch viel mehr; das hätte sie sich -sonst ausser dem Hause verdienen müssen und dann -hätte sie ihre Kinder allein zu Hause lassen müssen. -</p> - -<p> -Er sass in der Ecke des Sofas und sah sie an. -Jetzt, da sich der Abschied näherte, hob er kleine -Vorschüsse auf die Sehnsucht ab. Er betrachtete -ihre Figur. Die Schulterblätter hatten sich etwas -vorgeschoben, und der Rücken war gekrümmt von -der Arbeit über Wiege, Plättbrett und Herd. Auch -er war gebeugt von der Arbeit über den Schreibtisch -und seine Augen hatten Gläser zu Hilfe nehmen -müssen. Jetzt aber dachte er wirklich nicht an sich. -Er sah, dass ihre Zöpfe dünner als früher waren -und dass ein schwacher Schein auf dem Scheitel zu -sehen war. Hatte sie für ihn ihre Schönheit verloren, -für ihn allein? Nein, für die kleine Gemeinde, -die von ihnen allen gebildet wurde; denn sie hatte -ja auch für sich selber gearbeitet. Und sein Haar -hatte sich auch verdünnt im Kampf für sie alle. Er -hätte vielleicht mehr Jugend besessen, wenn nicht -so viel Münder gewesen wären, wenn er allein gewesen; -<a id="page-185" class="pagenum" title="185"></a> -aber er wollte nicht einen Augenblick allein -gewesen sein. -</p> - -<p> -– Es wird dir gut tun, etwas hinauszukommen, -sagte seine Frau; du hast zu viel zu Hause gehockt. -</p> - -<p> -– Du freust dich wohl, dass du mich los wirst, -sagte er, nicht ohne ein wenig Bitterkeit; <em>ich</em> aber -werde euch schon vermissen. -</p> - -<p> -– Du bist wie die Hauskatze, du vermissest die -warme Ofenecke, aber mich wirst du nicht so sehr -vermissen; das glaubst du selber nicht. -</p> - -<p> -– Und die Kinder? -</p> - -<p> -– Ja, wenn du fort gehst, aber wenn du zu Hause -bist, so schiltst du sie; nicht heftig allerdings, aber -doch! Oh nein, du liebst sie wohl; ich will nicht -ungerecht sein. -</p> - -<p> -Beim Abendessen war er sehr milde, und ihm -war schlecht zu Mut. Er las nicht die Abendzeitungen, -sondern suchte nur mit seiner Frau zu sprechen. -Die war aber so beschäftigt, dass sie sich zum -Plaudern keine Zeit liess; auch hatten sich ihre Gefühle -während der zehnjährigen Campagne in Kinderstube -und Küche genügend stählen können. -</p> - -<p> -Er war gefühlvoller, als er zeigen wollte, und die -Unordnung im Zimmer machte ihn unruhig. Er sah -Stücke seines täglichen Lebens, seiner Existenz auf -Stühlen und Kommoden durcheinander liegen; die -offene, schwarze Reisetasche gähnte ihn an wie ein -Sarg, weisse Wäsche umhüllte darin schwarze Kleider, -die noch die Spuren seiner Kniee und Ellbogen trugen; -es war ihm, als liege er selber da mit dem weissen, -gestärkten Vorhemd; gleich werde man zumachen -und ihn forttragen. -</p> - -<p> -Am nächsten Morgen, es war im August, stürzte -er aus dem Bett, kleidete sich atemlos an und war -sehr nervös. Er ging in die Kinderstube und küsste -<a id="page-186" class="pagenum" title="186"></a> -alle Kinder, die sich den Schlaf aus den Augen rieben. -Nachdem er seine Frau umarmt hatte, setzte er sich -in die Droschke, um nach dem Bahnhof zu fahren. -</p> - -<p> -Die Reise, die er in Gesellschaft seiner Vorgesetzten -machte, zerstreute ihn; es tat ihm wirklich wohl, sich -einmal etwas aufzurütteln. Die Häuslichkeit lag hinter -ihm wie eine dumpfe Schlafstube, und er war wirklich -aufgeräumt, als er nach Linköping kam. -</p> - -<p> -Den Rest des Tages füllte ein feines Gefängnisessen -im grossen Hotel aus. Man trank auf das -Wohl des Landeshauptmannes, aber nicht auf das -der Gefangenen, die doch der Zweck der Reise waren. -</p> - -<p> -Dann aber kam der Abend auf dem einsamen -Zimmer. Ein Bett, zwei Stühle, ein Tisch, eine -Waschtoilette und ein Stearinlicht, das seinen dürftigen -Schein über die nackten Tapeten verbreitete. Ihm -war ängstlich zu Mute. Alles fehlte: die Pantoffeln, -der Schlafrock, das Pfeifengestell, der Schreibtisch; -alle diese Kleinigkeiten, die er zu Bestandteilen seines -Lebens gemacht hatte. Und dann die Kinder und -seine Frau. Wie ging es ihnen? Waren sie gesund? -Er wurde unruhig und düster. Als er seine Uhr -aufziehen wollte, vermisste er den Uhrschlüssel. Der -hing zu Hause am Uhrhalter, den ihm seine Frau -als Braut gestickt hatte. Er legte sich nieder und -steckte sich eine Zigarre an. Doch er musste noch -einmal aufstehen und ein Buch aus der Reisetasche -holen. Alles war so ordentlich eingepackt, dass er -fürchtete, es in Unordnung zu bringen. Wie er aber -nach dem Buch suchte, fand er die Pantoffeln! Sie -dachte doch an alles! Dann fand er das Buch! -Aber er las nicht. Er lag da und dachte an die -Vergangenheit, an seine Frau, wie sie vor zehn -Jahren war. Das Bild von früher trat hervor, und -das gegenwärtige verschwand in den blaubraunen -<a id="page-187" class="pagenum" title="187"></a> -Wolken der Zigarre, die in Wirbeln zu der regenfleckigen -Decke aufstiegen. Er empfand eine grenzenlose -Sehnsucht. Jedes harte Wort, das er ihr gesagt, -schmerzte ihm im Ohr, und er bereute jede bittere -Stunde, die er ihr bereitet. Endlich schlief er ein. -</p> - -<p> -Am nächsten Tag Arbeit und neues Essen, mit -einem Toast auf den Direktor, aber noch keinen für -die Gefangenen. Am Abend Einsamkeit, Leere, Kälte. -Er hatte ein Bedürfnis, mit ihr zu sprechen. Er -holte Papier und setzte sich an den Tisch. Gleich -beim ersten Federzug stockte er. Wie sollte er -schreiben? „Liebe Mama“ schrieb er immer, wenn -er ihr in wenigen Zeilen mitteilte, dass er auswärts -essen musste. Jetzt aber schrieb er nicht an die -Mama, sondern an die Verlobte, an die Geliebte. -Und er schrieb „Meine geliebte Lilly“ wie früher. -Anfangs ging es träge, denn so viele schöne Worte -waren aus der schweren trockenen Sprache des täglichen, -alltäglichen Lebens verschwunden; bald aber -wurde er warm und jetzt tauchten sie aus der Erinnerung -hervor wie vergessene Melodien, Walzertakte, -Romanzenfragmente, Fliederblüten und Schwalben, -Abendstunden bei Sonnenuntergang auf spiegelblankem -Meer; alle Frühlingserinnerungen des Lebens tanzten -daher in Sonnenwolken und gruppierten sich um sie. -Ganz unten auf die Seite setzte er einen Stern, wie -Liebende zu tun pflegen, und daneben schrieb er, -ganz wie früher: „Küsse hier!“ -</p> - -<p> -Als er den Brief beendigt hatte und ihn wieder -durchlas, brannten ihm die Wangen und er ward verlegen. -Warum, das wusste er nicht recht. Aber ihm -war, als habe er seine innersten Gefühle einem mitgeteilt, -der kein wirkliches Verständnis für sie besass. -</p> - -<p> -Doch sandte er den Brief ab. -</p> - -<p> -<a id="page-188" class="pagenum" title="188"></a> -Einige Tage vergingen, bis die Antwort kam. Während -er darauf wartete, empfand er eine kindliche -Schüchternheit und Verlegenheit. -</p> - -<p> -Dann aber kam die Antwort! Er hatte den rechten -Ton getroffen, und aus Küchendunst und Kinderstubenlärm -stieg ein Lied auf, klar und wohllautend, -warm und rein, wie die erste Liebe. -</p> - -<p> -Jetzt begann ein Austausch von Liebesbriefen. Er -schrieb jeden Abend, sandte auch zuweilen im Lauf -des Tages noch eine Karte ab. Seine Kollegen erkannten -ihn nicht wieder. Er fing nämlich an, so -viel Wert auf seine Kleidung und sein Aussehen zu -legen, dass er in Verdacht kam, einen Liebeshandel -zu haben. Und er war verliebt, von neuem verliebt. -Er sandte ihr seine Photographie, ohne Brille, und -sie ihm eine Locke von ihrem Haar. Sie waren -kindlich in ihren Ausdrücken, und er hatte farbiges -Briefpapier mit Täubchen gekauft. Aber sie waren -ja auch Menschen mittleren Alters, die noch lange -nicht die vierzig erreicht, wenn auch die Kämpfe des -Lebens sie dazu gebracht, sich alt zu fühlen. Er -hatte sie auch im letzten Jahr in der Ehe vernachlässigt, -nicht so sehr aus Kälte wie aus Achtung, da -er immer in ihr die Mutter seiner Kinder sah. -</p> - -<p> -Die Reise ging ihrem Ende zu. Wenn er ans -Wiedersehen dachte, empfand er eine gewisse Unruhe. -Er hatte mit der Geliebten korrespondiert; würde er -die in der Mutter und Hausfrau wiederfinden? Er -fürchtete, sich bei der Heimkehr enttäuscht zu fühlen. -Er wollte kein Küchenhandtuch in ihrer Hand sehen, -auch nicht die Kinder an ihren Röcken, wenn er sie -umarmte. Sie mussten sich an einem andern Ort -treffen, allein. Sollte er sie zum Beispiel nach Waxholm -ins Stockholmer Inselmeer kommen lassen, -in das Gasthaus, in dem sie während ihrer Verlobungszeit -<a id="page-189" class="pagenum" title="189"></a> -so manche frohe Stunde verbracht? Das -wäre eine Idee! Dort könnten sie zwei Tage lang -die ersten schönen Frühlingstage, die geflohen waren -und nicht wiederkamen, noch einmal in der Erinnerung -durchleben. -</p> - -<p> -Er setzte sich hin und machte seinen Vorschlag in -einem langen Brief, der von Liebe glühte. Sie beantwortete -ihn mit umgehender Post, und zwar bejahend, -glücklich, dass er auf denselben Gedanken -gekommen sei wie sie. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Zwei Tage später war er in Waxholm und hatte -Zimmer im Gasthaus bestellt. Es war ein schöner -Septembertag. Er sass allein im grossen Saal zu -Mittag, trank ein Glas Wein und fühlte sich wieder -jung. Es war hier so hell und luftig. Draussen lag -das blaue Meer und nur die Birken an den Ufern -hatten ihre Farbe gewechselt. Im Garten standen -noch die Dahlien in voller Blüte und der Reseda -duftete am Rand der Beete. Einige Bienen besuchten -noch die versiegenden Kelche, kehrten aber enttäuscht -zu ihren Körben zurück. Im Sund zogen die -Segler vorbei vor einer schwachen Brise, und beim -Wenden flatterten die Segel und schlugen die Schoten; -und die Möwen flogen erschrocken und schreiend -fort von den Fischern, die in ihren Booten mit der -Rollangel Strömling fischten. -</p> - -<p> -Er trank seinen Kaffee auf der Veranda und begann -den Dampfer, der um sechs Uhr kommen sollte, -zu erwarten. -</p> - -<p> -Unruhig, als gehe er etwas Ungewissem entgegen, -schlenderte er auf dem Balkon hin und her, spähte -auf Fjärd und Sund hinaus, nach der Seite, wo -Stockholm lag, um den Dampfer zu sichten. -</p> - -<p> -<a id="page-190" class="pagenum" title="190"></a> -Schliesslich stieg ein Rauch über den Fichtenwald -am Horizont auf. Sein Herz fing an zu klopfen und -er trank einen Likör. Darauf ging er an den Strand -hinunter. -</p> - -<p> -Jetzt war der Schornstein mitten im Sund zu sehen, -und bald sah er die Flagge auf der Vorstenge. War -sie auf dem Dampfer oder war sie verhindert worden? -Eins von den Kindern brauchte nur erkrankt zu sein, -dann war sie zu Hause geblieben, und er musste -eine einsame Nacht im Hotel verbringen. Die Kinder, -die während der letzten Wochen in den Hintergrund -getreten waren, traten jetzt zwischen ihn und sie. In -den letzten Briefen hatten sie sehr wenig über die -Kinder gesprochen, als wollten sie Störenfriede oder -Zeugen entfernen. -</p> - -<p> -Er stampfte die Landungsbrücke, die unter seinen -Füssen knarrte, bis er schliesslich bei einem Poller -unbeweglich stehen blieb, starr dem Dampfer entgegen -blickend, dessen Rumpf sich vergrösserte und -dessen Kielwasser sich wie ein Fluss von schmelzendem -Gold über die blaue, schwach gekräuselte -Fläche legte. -</p> - -<p> -Jetzt sieht er auf dem obern Deck Leute, die sich -bewegen, und im Bug Matrosen, die sich mit dem -Tauwerk beschäftigen. Und dann bewegt sich etwas -Weisses neben dem Steuerhäuschen. Er ist allein -auf der Landungsbrücke und man kann nicht gut -einem andern als ihm winken; und keine andere -kann ihm winken als sie. Er zieht sein Taschentuch -und beantwortet den Gruss. Aber er bemerkt, dass -sein Taschentuch nicht weiss ist, denn er gebraucht -seit langer Zeit farbige, aus Sparsamkeit. -</p> - -<p> -Der Dampfer pfeift, gibt Signale, die Maschine stoppt; -auf die Brücke zu gleitet jetzt das Fahrzeug und er -erkennt sie wieder. Sie grüssen mit den Augen, -<a id="page-191" class="pagenum" title="191"></a> -können aber noch kein Wort wechseln, weil sie zu -entfernt von einander sind. -</p> - -<p> -Der Dampfer legt an. Er sieht sie, wie sie langsam -über den Landungssteg gedrängt wird. Sie ist es, -und sie ist es nicht. Zehn Jahre liegen dazwischen! -Die Mode hat sich verändert, der Schnitt der Kleider -ist ein anderer. Früher war ihr feines dunkelhäutiges -Gesicht zur Hälfte von der damals gebräuchlichen -Haube eingefasst, welche die Stirn offen liess; jetzt -ist die Stirn von einer bösen Nachahmung des Herrnhutes -beschattet. Damals zeichnete sich ihre hübsche -Gestalt in spielenden Linien unter dem so schön -drapierten Besuchsmantel ab, der die Rundung der -Schultern und die Bewegung der Arme schelmisch -verbarg und hervorhob; jetzt ist die ganze Figur von -einem langen Kutscherrock entstellt, der die Kleider -abzeichnet, aber nicht die Gestalt. Als sie den letzten -Schritt auf dem Landungssteg tut, sieht er ihren -kleinen Fuss, in den er sich verliebt hat, als er noch -in einem Knöpfstiefel von der Form des Fusses sass, -während ihr jetziger Schuh zu einem chinesischen -Spitzpantoffel ausgezogen ist, der dem Fussblatt nicht -erlaubt, sich in diesen tanzenden Rhythmen zu erheben, -die damals sein Entzücken waren. -</p> - -<p> -Sie war es, und sie war es nicht! Er umarmte -und küsste sie! Sie fragten einander nach dem Ergehen, -und er fragte nach den Kindern. Dann gingen -sie den Strand hinauf. -</p> - -<p> -Die Worte fielen langsam, trocken, gezwungen. -Wie sonderbar! Sie schämten sich beinahe vor -einander, und keiner spielte auf den Briefwechsel an. -</p> - -<p> -Schliesslich fasste er sich ein Herz und fragte: -</p> - -<p> -– Wollen wir einen Spaziergang machen, ehe -die Sonne untergeht? -</p> - -<p> -– Gern, sagte sie und nahm seinen Arm. -</p> - -<p> -<a id="page-192" class="pagenum" title="192"></a> -Sie gingen die Strasse nach dem Städtchen hinauf. -Alle Sommerhäuschen waren mit Läden verschlossen, -und die Gärten waren geplündert. Hier und dort -sass noch ein Apfel, der sich hinterm Laub versteckt -hatte, in den Bäumen, aber die Beete waren jeder -einzigen Blume beraubt. Die Veranden, die jetzt -ihre Zeltmarquisen verloren hatten, sahen aus wie -Skelette; wo man früher Gesichter sah und frohes -Lachen hörte, war es still geworden. -</p> - -<p> -– Es sieht so herbstlich aus, sagte sie. -</p> - -<p> -– Ja, es ist schaurig, die Sommerfrischen in -diesem Zustand zu sehen. -</p> - -<p> -Sie wanderten weiter. -</p> - -<p> -– Wir wollen nachsehen, wo wir gewohnt haben, -sagte sie. -</p> - -<p> -– Ja, das wird nett sein. -</p> - -<p> -Sie gingen an der Badeanstalt entlang. -</p> - -<p> -Dort lag das kleine Häuschen, eingeklemmt zwischen -denen des Gärtners und des Lotsenaltermanns, mit -seinem roten Lattenzaun, mit seiner Veranda, mit -seinem Gärtchen. -</p> - -<p> -Die Erinnerungen an die Vergangenheit tauchten -auf. Dort in der Kammer wurde das Erste geboren. -Jubel und Fest! Gesang und Jugend! Dort stand -der Rosenbusch, den sie pflanzten. Dort lag das -Erdbeerenbeet, das sie angelegt; nein, es lag nicht -mehr da, denn es war zu einem Grasplatz zugewachsen. -Dort in den Eschen waren noch die Spuren -der Schaukel zu sehen, die nicht mehr vorhanden -war. -</p> - -<p> -– Hab Dank für deine schönen Briefe, sagte sie -und drückte seinen Arm. -</p> - -<p> -Er errötete und antwortete nichts. -</p> - -<p> -Dann kehrten sie zum Hotel zurück, während er -Einzelheiten von der Reise erzählte. -</p> - -<p> -<a id="page-193" class="pagenum" title="193"></a> -Er hatte im grossen Speisesaal den Tisch decken -lassen, an dem sie damals zu sitzen pflegten. Ohne -ein Tischgebet zu sprechen, setzten sie sich. -</p> - -<p> -So sassen sie wieder da unter vier Augen. Er -nahm den Brotkorb und bot ihr an. Sie lächelte. -Es war lange her, dass er so höflich gegen sie gewesen. -Aber es war etwas Neues und Angenehmes, -in einem Gasthaus am Meer zu essen, und bald -waren sie in einem lebhaften Gespräch begriffen; es -war ein Duett, in dem der eine in das Damals fiel -und der andere eine Erinnerung aussprach; sie -lebten in den Erinnerungen. Die Blicke leuchteten -und die kleinen Runzeln der Gesichter glätteten sich. -O die goldene, rosenrote Zeit, die man nur einmal -erlebt, <em>wenn</em> man sie erlebt, und die so viele, viele -niemals erleben. -</p> - -<p> -Beim Nachtisch flüsterte er der Kellnerin etwas zu; -gleich darauf kam sie mit einer Flasche Champagner -zurück. -</p> - -<p> -– Lieber Axel, was denkst du? sagte sie halb -vorwurfsvoll. -</p> - -<p> -– An den Frühling, der vergangen ist, aber wiederkehren -wird. -</p> - -<p> -Aber er dachte nicht ausschliesslich daran, denn -beim Vorwurf seiner Frau tauchte, wie wenn eine -Katze durchs Zimmer schleicht, ein dunkles Bild von -der Kinderstube und der Mehlbreischüssel auf. -</p> - -<p> -Dann aber wurde es wieder klar und der rosenrote -Wein rührte wieder an die Saiten der Erinnerung, -und sie warfen sich wieder in den zauberischen -Rausch der Vergangenheit. -</p> - -<p> -Er stützte jetzt den Ellbogen auf den Tisch und -hielt die Hand vor die Augen, als wolle er sich von -der Gegenwart nicht stören lassen, dieser Gegenwart, -die er doch gerade gesucht hatte. -</p> - -<p> -<a id="page-194" class="pagenum" title="194"></a> -Die Stunden verrannen. Sie standen auf und gingen -in den Salon, wo das Klavier stand, um Kaffee zu trinken. -</p> - -<p> -– Ich möchte wissen, wie es den Kindern geht, -sagte sie, die jetzt erst aus dem Rausch erwachte. -</p> - -<p> -– Setz dich und sing, sagte er und schlug das -Instrument auf. -</p> - -<p> -– Was soll ich singen? Du weisst doch, dass -ich lange nicht gesungen habe. -</p> - -<p> -Ja, das wisse er, jetzt aber wolle er ein Lied haben. -</p> - -<p> -Sie setzte sich ans Piano und präludierte. Es war -ein kreischendes Wirtshausklavier, das wie lose -Zähne klang. -</p> - -<p> -– Was soll ich singen? fragte sie und drehte sich -auf dem Stuhl um. -</p> - -<p> -– Das weisst du, Lilly, antwortete er, ohne dass -er es wagte, ihrem Blick zu begegnen. -</p> - -<p> -– Dein Lied! Ja! Wenn ichs noch kann! -</p> - -<p> -Und sie sang: „Wie mag das Land wohl heissen, -in dem mein Liebster wohnt?“ -</p> - -<p> -Aber ach, die Stimme war dünn und scharf, und -vor Rührung wurde sie unrein. Es war zuweilen -wie ein Schrei aus der Tiefe der Seele, die fühlt, -dass der Mittag vorbei ist und der Abend sich nähert. -Die Finger, die schwere Arbeit getan, konnten die -rechten Töne nicht finden; auch war das Instrument -ausgespielt; das Tuch auf den Hämmern abgenutzt, -und das blosse Holz klopfte gegen die Metallsaiten. -</p> - -<p> -Als das Lied zu Ende war, wagte sie sich zuerst -nicht umzudrehen, als erwarte sie, dass er zu ihr -komme und etwas sage. Aber er kam nicht, und -es war still im Zimmer. Als sie sich schliesslich auf -ihrem Stuhl umwandte, sass er im Sofa und weinte. -Sie wollte aufspringen, seinen Kopf in ihre Hände -nehmen und ihn küssen wie früher, aber sie blieb -sitzen, unbeweglich, die Blicke auf den Boden gerichtet. -</p> - -<p> -<a id="page-195" class="pagenum" title="195"></a> -Er hatte eine nicht angesteckte Zigarre zwischen -Daumen und Zeigefinger. Als er hörte, dass es -still wurde, biss er die Spitze ab und machte mit -einem Streichholz Feuer. -</p> - -<p> -– Danke, Lilly, sagte er und qualmte. Willst du -jetzt Kaffee trinken? -</p> - -<p> -Sie tranken Kaffee und sprachen von der Sommerfrische -im allgemeinen, und wo sie im nächsten -Sommer wohnen würden. Aber das Gespräch begann -einzutrocknen, und man wiederholte sich. -</p> - -<p> -Schliesslich sagte er in einem langen rückhaltlosen -Gähnen: -</p> - -<p> -– Jetzt gehe ich schlafen! -</p> - -<p> -– Das werde ich auch tun, sagte sie und stand -auf. Erst aber will ich etwas hinausgehen – auf -den Balkon. -</p> - -<p> -Er ging in die Schlafstube. Sie blieb einen Augenblick -im Esssaal stehen und plauderte mit der Wirtin -über Sommerzwiebeln, um sich auf Wollwäsche zu -verirren, bis eine halbe Stunde um war. -</p> - -<p> -Als sie zurückkam, blieb sie an der Tür der -Schlafstube stehen und lauschte. Drinnen war alles -still, und die Stiefel standen draussen. Sie klopfte, -aber niemand antwortete. Da öffnete sie die Tür -und trat ein. Er schlief. -</p> - -<p> -Er schlief! -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Am nächsten Morgen sassen sie am Kaffeetisch. -Er hatte Kopfweh und sie sah unruhig aus. -</p> - -<p> -– Was für ein Kaffee, sagte er und machte ein -Gesicht. -</p> - -<p> -– Das ist Brasilianer, sagte sie. -</p> - -<p> -– Was sollen wir heute anfangen, fragte er und -sah nach der Uhr. -</p> - -<p> -<a id="page-196" class="pagenum" title="196"></a> -– Du solltest dir ein Butterbrot nehmen, meinte -sie, statt über den Kaffee zu schelten. -</p> - -<p> -– Ja, das will ich tun, sagte er, und ein Schnäpschen -dazu. Der Champagner, brr! -</p> - -<p> -Er liess sich Brötchen mit Branntwein bringen und -wurde heiterer. -</p> - -<p> -– Jetzt gehen wir auf den Lotsenberg und sehen -uns die Aussicht an. -</p> - -<p> -Sie standen auf und gingen aus. Das Wetter war -herrlich und der Spaziergang tat ihnen wohl. Als -sie aber den Berg hinaufstiegen, ging es langsam: -ihr fiel das Atmen schwer, und er hatte steife Knie. -Parallelen mit der Vergangenheit wurden nicht mehr -gezogen. -</p> - -<p> -Dann gingen sie in die Hage hinaus. -</p> - -<p> -Die Wiesen waren längst gemäht und dann so -abgeweidet, dass keine Blume mehr zu sehen war. -Sie setzten sich beide auf Steine. -</p> - -<p> -Er sprach von der Gefängnisinspektion und von -seinem Amt. Sie von den Kindern. -</p> - -<p> -Dann gingen sie ein Stück weiter, ohne zu sprechen. -Er zog die Uhr. -</p> - -<p> -– Es sind noch drei Stunden bis zum Mittagessen, -sagte er. -</p> - -<p> -Und dann dachte er: ich möchte wissen, was wir -morgen tun werden. -</p> - -<p> -Sie kehrten um und gingen zum Hotel zurück. -Er begann nach Zeitungen zu suchen. Sie lächelte -und sass schweigend neben ihm. -</p> - -<p> -Das Essen war recht still. Schliesslich fing sie -von den Mägden an. -</p> - -<p> -– Um Gottes willen, verschone uns mit den Mägden, -rief er aus. -</p> - -<p> -– Ja, wir sind nicht hergekommen, um uns zu -zanken. -</p> - -<p> -<a id="page-197" class="pagenum" title="197"></a> -– Habe ich mich gezankt? -</p> - -<p> -– Ja, ich doch nicht. -</p> - -<p> -Eine furchtbare Pause entstand. Jetzt hätte er gewünscht, -es komme jemand dazwischen. Die Kinder! -Ja! Dieses tête-à-tête fing an ihm lästig zu werden. -Dann aber fühlte er einen Stich im Herzen, wenn er -an die hellen Stunden von gestern dachte. -</p> - -<p> -– Lass uns nach der Eichenhöhe gehen und Walderdbeeren -pflücken, sagte sie. -</p> - -<p> -– Zu dieser Jahreszeit gibt es keine Walderdbeeren -mehr, es ist ja Herbst! -</p> - -<p> -– Lass uns doch gehen! -</p> - -<p> -Und sie gingen wieder. Aber kein Gespräch kam -auf. Er suchte mit den Augen nach einem Gegenstand, -nach einem Punkt am Wege, von dem man -sprechen konnte, aber alles war schon besprochen. -Sie kannte alle seine Ansichten und missbilligte einen -grossen Teil davon. Auch sehnte sie sich nach Haus, -nach den Kindern, nach der Häuslichkeit. Es sei doch -zu verrückt, hier wie ein Spektakel herumzulaufen, -um sich jeden Augenblick einem Streit auszusetzen. -</p> - -<p> -Schliesslich machten sie Halt, denn sie war müde. -Er setzte sich und fing an mit seinem Stock im -Sande zu zeichnen; er wünschte nur, sie rufe einen -Ausbruch hervor. -</p> - -<p> -– An was denkst du, fragte sie schliesslich. -</p> - -<p> -– Ich, antwortete er, wie von einer Last befreit, -ich denke: wir sind alt, Mama; wir haben ausgespielt -und wir müssen zufrieden sein mit dem, was gewesen -ist. Denkst du wie ich, so fahren wir mit dem Abenddampfer -nach Haus. -</p> - -<p> -– Das habe ich die ganze Zeit gedacht, lieber -Alter: aber du solltest deinen Willen haben. -</p> - -<p> -– Dann komm, wir fahren nach Haus. Es ist -kein Sommer mehr, es ist Herbst. -</p> - -<p> -<a id="page-198" class="pagenum" title="198"></a> -– Ja, es ist Herbst! -</p> - -<p> -Mit leichten Schritten gingen sie zurück. Er war -etwas verlegen über die prosaische Wendung, welche -die Sache genommen, und hatte das Bedürfnis, der -Tatsache eine philosophische Deutung zu geben. -</p> - -<p> -– Siehst du, Mama, sagte er, meine Lie– hm -(das Wort war zu stark), meine Neigung für dich hat -im Lauf der Jahre eine Evolution durchgemacht, wie -man jetzt sagt. Sie hat sich entwickelt, sich erweitert: -anfangs umfasste sie nur ein Individuum, -später die Familie als ein Ganzes. Es handelt sich -jetzt nicht mehr um dich persönlich, auch nicht um -die Kinder, sondern um das Ganze ... -</p> - -<p> -– Also, wie Onkel immer sagte, Kinder sind Blitzableiter! -</p> - -<p> -Er war nach seiner philosophischen Erklärung -wieder er selber geworden. Es war schön, den Gehrock -ablegen zu können; und es war ihm, als ziehe -er den Schlafrock wieder an. -</p> - -<p> -Als sie ins Gasthaus kamen, begann sie sofort zu -packen, und da war sie in ihrem Element. -</p> - -<p> -Als sie an Bord des Dampfers kamen, gingen sie -sofort hinunter in den Speisesaal. Anstandshalber -hatte er jedoch zuerst gefragt, ob sie sich den Sonnenuntergang -ansehen wolle; sie hatte aber abgelehnt. -</p> - -<p> -Als sie zu Abend assen, nahm er sich selber zuerst, -und sie fragte die Wirtin, was das Hartbrot -koste. -</p> - -<p> -Als er sich satt gegessen hatte und das Porterglas -an den Mund setzte, konnte er einen Gedanken, der -ihn schon lange amüsiert hatte, nicht mehr unterdrücken. -</p> - -<p> -– Alter Tollkopf! Was! sagte er und lächelte -seine Frau an, die gerade während eines Bissens zu -ihm aufsah. -</p> - -<p> -<a id="page-199" class="pagenum" title="199"></a> -Sie aber beantwortete das Lächeln seines fettglänzenden -Gesichts nicht, sondern ihre Augen, die -eine Sekunde aufgeblitzt hatten, nahmen einen so vernichtenden -Ausdruck von Würde an, dass er ganz -verlegen wurde. -</p> - -<p> -Jetzt war die Verzauberung gebrochen, die letzte -Spur der Geliebten verschwunden: er sass da mit -der Mutter seiner Kinder, und er fühlte sich geduckt. -</p> - -<p> -– Weil ich einen Augenblick albern gewesen, -brauchst du mich nicht geringzuschätzen, sagte -sie ernst. Aber in des Mannes Neigung liegt immer -ein gut Teil Verachtung; das ist sonderbar. -</p> - -<p> -– Und in des Weibes? -</p> - -<p> -– Noch mehr! Das ist wahr! Aber sie hat auch -eher Veranlassung. -</p> - -<p> -– Das ist wohl gleich, wenn auch nicht dasselbe. -Wahrscheinlich aber haben sie alle beide unrecht. -Was man überschätzt hat, weil es so schwer zu erlangen -war, schätzt man nachher leicht gering. -</p> - -<p> -– Warum überschätzt man es denn? -</p> - -<p> -– Warum ist es so schwer zu erlangen? -</p> - -<p> -Die Dampfpfeife über ihren Köpfen unterbrach -das Gespräch. -</p> - -<p> -Sie waren am Ziel. -</p> - -<p> -Als sie wieder in ihrer Wohnung waren und er sie -mitten in der Kinderschar sah, da fühlte er, dass seine -„Neigung“ für sie eine Umwandlung durchgemacht -habe und dass ihre Neigung für ihn auf alle diese -kleinen Schreihälse übergegangen und verteilt sei. -Vielleicht hatte er ihre Neigung nur als Mittel zum -Zweck besessen. Seine Rolle war ja so vorübergehend, -und darum fühlte er sich abgesetzt. Wenn -er nicht nötig gewesen wäre, um Brot zu schaffen, -würde er wahrscheinlich längst verstossen sein. -</p> - -<p> -<a id="page-200" class="pagenum" title="200"></a> -Er ging in sein Arbeitszimmer, schlüpfte in Schlafrock -und Pantoffeln, steckte sich eine Pfeife an und -fühlte sich wieder zu Hause. -</p> - -<p> -Draussen peitschte der Wind den Regen, und es -pfiff in der Ofenröhre. -</p> - -<p> -Nachdem sie die Kinder zu Bett gebracht hatte, -kam seine Frau. -</p> - -<p> -– Es ist kein Wetter, um Walderdbeeren zu pflücken, -sagte sie. -</p> - -<p> -– Nein, liebe Alte, der Sommer ist zu Ende und -der Herbst ist da. -</p> - -<p> -– Ja, es ist Herbst, antwortete sie, aber es ist -noch nicht Winter, immer ein Trost. -</p> - -<p> -– Ein Trost! Ein schwacher Trost, wenn man -nur einmal lebt! -</p> - -<p> -– Zwei Male, wenn man Kinder hat; drei Male, -wenn man seine Enkel erlebt! -</p> - -<p> -– Dann aber ist es wirklich zu Ende. -</p> - -<p> -– Wenn es nicht ein Leben nach diesem gibt. -</p> - -<p> -– Das ist nicht sicher! Wer weiss es denn? Ich -glaube daran, aber mein Glaube ist kein Beweis! -</p> - -<p> -– Aber es ist gut, daran zu glauben, lass uns -daran glauben; lass uns glauben, dass es noch einmal -Frühling für uns werden kann! Lass es uns glauben! -</p> - -<p> -– Ja, wir wollen es glauben, sagte er und schloss -sie in seine Arme. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="chapter-0-13"> -<a id="page-201" class="pagenum" title="201"></a> -<span class="line1">Fruchtbarkeit</span> -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -Er war Hilfsarbeiter im Handelsamt mit zwölfhundert -Kronen Gehalt. Er hatte ein junges Mädchen -ohne Mitgift geheiratet; aus Liebe, wie er selber erklärte; -um nicht mehr auf Bällen und Strassen -umherlaufen zu müssen, wie seine Freunde meinten. -Jedenfalls war das Zusammenleben des Paares anfangs -glücklich. -</p> - -<p> -– Wie billig es ist, als Verheiratete zu leben, rief -er eines Tages aus, nachdem die Hochzeit überstanden -war. Die selbe Summe, die kaum verschlug, als man -Junggeselle war, reicht jetzt für Mann und Frau. Die -Ehe ist doch eine ausgezeichnete Erfindung. Man -hat alles zwischen seinen vier Wänden: Wohnung, -Kneipe, Café – alles. Keine Speisekarte mehr, kein -Trinkgeld, kein neugieriger Portier, wenn man morgens -mit seiner Frau ausgeht. -</p> - -<p> -Das Leben lächelte ihm, seine Kräfte wuchsen -und er arbeitete wie ein ganzer Mann. Noch nie -hatte er sich so voll überströmender Lebenskraft -gefühlt; des Morgens sprang er elastisch und bei -allerbester Laune aus dem Bett; er war verjüngt. -</p> - -<p> -Als zwei Monate verstrichen waren, noch ehe sich -die Langeweile eingefunden hatte, teilte ihm die Frau -gewisse Hoffnungen mit. Neue Freude, neue Sorgen, -aber so angenehm zu tragen! Es war notwendig, -sofort die Einkünfte zu vermehren, um den unbekannten -<a id="page-202" class="pagenum" title="202"></a> -Weltbürger würdig empfangen zu können. -Er ging hin und verschaffte sich eine Übersetzung. -</p> - -<p> -Niedliche Kinderkleidchen lagen auf den Möbeln -umher, im Flur stand die Wiege und wartete, und -das Kindchen kam gesund auf die Welt der Sorgen. -</p> - -<p> -Der Vater war entzückt. Doch konnte er sich -einer gewissen Angst nicht erwehren, wenn er an -die Zukunft dachte. Ausgaben und Einkünfte wollten -sich nicht die Wage halten. Es war nichts anderes -zu machen, als sich in der Kleidung etwas einzuschränken. -Der Gehrock begann in den Nähten zu -glänzen, die Hemdbrust wurde unter einer grossen -Krawatte verborgen, die Hosen bekamen Fransen. -Die Diener im Amt verachteten ihn allerdings wegen -dieser schäbigen Kleidung. -</p> - -<p> -Ausserdem sah er sich gezwungen, seinen Arbeitstag -zu verlängern. -</p> - -<p> -– Jetzt muss man aber Schluss machen mit diesen -kleinen Dingern, sagte er sich. Doch wie soll man -das anfangen? -</p> - -<p> -Das wusste er nicht. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Drei Monate später bereitete seine Frau ihn in -gewählten Worten darauf vor, dass sich seine Vaterfreude -bald verdoppeln werde. Sehr freuen tat er -sich über diese Mitteilung nicht. Aber es kam jetzt -darauf an, den einmal eingeschlagenen Weg zu Ende -zu gehen, wenn sich auch die Ehe als eine durchaus -nicht billige Sache erwies. -</p> - -<p> -– Es ist wahr, dachte er und sah heiterer aus, -der Jüngere erbt die Windeln des Älteren! Auf diese -Weise kostet er nichts. Übrigens leben werden sie -schon, sie ebenso gut wie andere. -</p> - -<p> -Er wurde Vater zum zweiten Mal. -</p> - -<p> -<a id="page-203" class="pagenum" title="203"></a> -– Du gehst ja tüchtig ins Zeug, liess sich ein -Kamerad hören, der verheiratet war, aber nur ein -Kind hatte. -</p> - -<p> -– Was soll man machen? -</p> - -<p> -– Man muss verständig sein! -</p> - -<p> -– Verständig? Hör mal, mein guter Freund, -man verheiratet sich doch, um ... ich meine, nicht -nur um ... aber jedenfalls auch um ... Wir sind -eben verheiratet, und da ist die Sache doch klar. -</p> - -<p> -– Durchaus nicht. Etwas anderes, Freund: wenn -du die Mittel erhalten willst, ein frisch gestärktes -Hemd zu tragen, und dir an Beförderung liegt, so -ist es durchaus notwendig, dass du Hosen ohne -Fransen hast und einen Hut, der nicht in Rotbraun -übergeht. -</p> - -<p> -Und der Verständige flüsterte ihm verständige Worte -ins Ohr. -</p> - -<p> -So war denn der arme Ehemann, der es so gut -zu haben glaubte, auf halbe Kost gesetzt. -</p> - -<p> -Jetzt begannen die Wirrungen. -</p> - -<p> -Zuerst waren die Nerven überreizt, die Nächte -schlaflos, die Arbeit am Tage schlecht. Dann kam -der Arzt. Drei Kronen für jedes Rezept. Und was -für ein Rezept! Er müsse sich der Arbeit enthalten. -Er habe zu viel gearbeitet, sein Gehirn sei überanstrengt. -Aber nichts tun, das wäre ja der Tod -für sie alle! Und arbeiten, das sollte auch der -Tod sein! -</p> - -<p> -Und er arbeitete! -</p> - -<p> -Eines Tages, als er auf dem Amt sass, und sich -über die endlosen Zahlenreihen beugte, bekam er -einen Schwindel und sank zu Boden. -</p> - -<p> -Ein Besuch bei einem Arzt, der Spezialist war – -achtzehn Kronen. Neue Verordnung: Urlaub infolge -von Kränklichkeit, eine ordentliche Reittour jeden -<a id="page-204" class="pagenum" title="204"></a> -Morgen, zum Frühstück Beefsteak mit einem Glas -Portwein. -</p> - -<p> -Reiten und Portwein! -</p> - -<p> -Was aber schlimmer war, eine gewisse Kälte gegen -die geliebte Frau stieg in ihm auf; woher sie kam, -wusste er nicht. Er hatte Furcht, sich ihr zu nähern, -und zu gleicher Zeit fühlte er ein Verlangen nach -ihr; er liebte sie, liebte sie noch immer, aber dieses -Gefühl war mit einer gewissen Bitterkeit gemischt. -</p> - -<p> -– Du magerst ab, sagte ein Kamerad. -</p> - -<p> -– Ja, ich glaube wirklich, ich bin mager geworden, -erwiderte der arme Ehemann. -</p> - -<p> -– Du spielst ein falsches Spiel, alter Junge! -</p> - -<p> -– Ich begreife nicht! -</p> - -<p> -– Ein verheirateter Mann mit Halbtrauer! Nimm -dich in Acht, mein Freund! -</p> - -<p> -– Ich verstehe wahrhaftig nicht ein Wort von -dem, was du sagst. -</p> - -<p> -– Gegen den Wind fahren, geht auf die Dauer -nicht. Nein, brasse nur voll, du, und du wirst sehen, -dass alles wieder gut wird. Glaub mir, ich kenne -das. Die Anspielung verstehst du doch! -</p> - -<p> -Er liess die guten Ratschläge vorläufig liegen, wohl -wissend, dass sich die Einkünfte nicht im Verhältnis -zu den Kindern vermehren, aber überzeugt, dass er -jetzt die Wurzel zu seiner Krankheit gefunden hatte. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Der Sommer war gekommen. Die Familie war -aufs Land gezogen. An einem schönen Abend waren -die Gatten allein spazieren gegangen, an dem steilen -Seeufer entlang, das von eben grün gewordenen Erlen -beschattet wurde. Sie setzten sich ins Gras, still und -niedergeschlagen. Er war finster und mutlos; düstere -Gedanken arbeiteten in seinem schmerzenden Gehirn. -<a id="page-205" class="pagenum" title="205"></a> -Das Leben kam ihm wie ein Abgrund vor, der sich -öffnete, um sie alle zu verschlingen, alle, die er so -liebte. -</p> - -<p> -Sie begannen davon zu sprechen, dass er bald -seine Stellung verlieren werde; sein Chef hatte es -nämlich übel aufgenommen, dass er neuen Urlaub -verlangt. Er beklagte sich über das Betragen der -Kameraden, er fühlte sich von allen verlassen; besonders -aber leide er darunter, dass sie seiner -müde sei. -</p> - -<p> -Nein, keineswegs, sie liebe ihn noch immer ebenso -sehr wie in den glücklichen Tagen, als sie sich eben -verlobt! Könne er daran zweifeln? -</p> - -<p> -Nein, aber er habe so viel gelitten, dass er nicht -Herr seiner Gedanken sei. -</p> - -<p> -Und er drückte seine glühende Wange an ihre, -legte seinen Arm um ihren Leib und bedeckte ihre -Augen mit heissen Küssen. -</p> - -<p> -Die Mücken tanzten ihren Hochzeitstanz über der -Birke, ohne sich um die Tausende von Jungen zu -kümmern, die ihre erlaubte Lust zur Welt bringen -würde; im Schilf laichten die Hechte, sorglos Millionen -ihrer Brut absetzend; die Schwalben küssten -sich am hellen Tage, auf ihrem Flug durchaus nicht -ängstlich vor den Folgen solcher unregelmässiger -Liebesverbindungen. -</p> - -<p> -Auf ein Mal sprang er auf und reckte sich, als -habe er in einem langen Schlaf schwer geträumt, -und atmete in tiefen Zügen die warme Luft ein. -</p> - -<p> -– Was ist dir? flüsterte seine Frau, indem sie -tief errötete. -</p> - -<p> -– Ich weiss nicht. Das aber weiss ich, dass ich -lebe, das ich wieder atme! -</p> - -<p> -Und strahlend, mit heiterem Gesicht und glänzenden -Augen, streckte er seine starken Arme nach ihr -<a id="page-206" class="pagenum" title="206"></a> -aus, hob sie in die Höhe wie ein Kind und drückte -einen Kuss auf ihre Stirn. Seine Wadenmuskeln -schwollen wie bei einem antiken Gott, der Rumpf -richtete sich elastisch wie ein junger Baum, und berauscht -von Glück und Lebenskraft, trug er seine -liebe Last bis zum Fusssteig, wo er sie niedersetzte. -</p> - -<p> -– Du verhebst dich, Geliebter, sagte sie abwehrend, -indem sie sich vergebens aus seinen Armen loszumachen -suchte. -</p> - -<p> -– Ach nein! Ich könnte dich bis ans Ende der -Welt tragen, und ich werde euch alle tragen, so viele -ihr auch seid und (fügte er hinzu) so viele ihr auch -werdet! -</p> - -<p> -Und voller Freude gingen sie Arm in Arm nach -Haus. -</p> - -<p> -– Wenn alles zusammenkommt, Geliebte, muss -man zugeben, dass es doch sehr leicht ist, über -jenen Abgrund zu springen, der Körper und Seele -trennt. -</p> - -<p> -– Wie du sprichst! -</p> - -<p> -– Hätte ich das nur früher gewusst, so wäre ich -weniger unglücklich gewesen. O diese Idealisten! -</p> - -<p> -Und sie traten in ihre Häuslichkeit. -</p> - -<p> -Die alte gute Zeit beginnt aufs neue, und die -bessere neue scheint von Dauer zu sein. Der Mann -geht wieder in sein Bureau. Die Gatten erleben -noch einmal den Liebesfrühling. Einen Doktor braucht -man nicht mehr, und immer ist man bester Laune. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Nach der dritten Taufe findet der Mann die Sache -bedenklich und beginnt wieder das falsche Spiel, mit -den gleichen Folgen wie früher: Doktor, Urlaub, -Reiten, Portwein! Man muss ein Ende machen. Und -jedes Mal zeigt sich ein Fehlbetrag im Budget. -</p> - -<p> -<a id="page-207" class="pagenum" title="207"></a> -Als aber schliesslich sein ganzes Nervensystem aus -den Fugen geriet, musste er der Natur ihren Lauf -lassen. Und sofort stieg die Ausgabe und sank die -Einnahme. -</p> - -<p> -Allerdings war er nicht arm, aber reich auch nicht. -</p> - -<p> -– Um die Wahrheit zu sagen, liebe Alte, es wird -wieder genau dieselbe Geschichte wie früher, sagte er. -</p> - -<p> -– Beinahe, lieber Freund, antwortete die arme -Frau, die ausser ihren Mutterpflichten alle Arbeiten -einer Magd zu besorgen hatte. -</p> - -<p> -Nach dem vierten Kindbett wurde es ihr zu schwer, -und man war gezwungen, ein Kindermädchen zu -halten. -</p> - -<p> -– Jetzt muss es genug sein, gestand der trostlose -Gatte. Hier machen wir Punkt. -</p> - -<p> -Die Armut grinste sie an. Das Fundament, auf -dem das Haus gebaut war, begann zu sinken. -</p> - -<p> -Und mit dreissig Jahren, dem reifen Alter, da alle -Blumen befruchtet werden müssten, sahen die jungen -Gatten sich auf ein schändliches Zölibat angewiesen. -Der Mann wurde mürrisch, sein Gesicht färbte sich -aschgrau und sein Blick erlosch. Die reiche Schönheit -der Frau welkte, ihr kräftiger Busen fiel ein; dazu -hatte sie alle Leiden einer Mutter auszustehen, die -ihre Kinder blutarm und schlecht gekleidet sieht. -</p> - -<p> -Eines Tages stand sie am Herd und briet Hering, -als eine Frau aus der Nachbarschaft kam, um mit -ihr zu plaudern. -</p> - -<p> -– Wie geht es ihnen, begann sie. -</p> - -<p> -– Danke, so ziemlich! Und Ihnen? -</p> - -<p> -– Ach, ich bin recht schwächlich! Es ist nichts -los mit der Ehe, wenn man beständig auf seiner -Hut sein muss. -</p> - -<p> -– Glauben Sie, Sie sind die einzige? -</p> - -<p> -– Was? -</p> - -<p> -<a id="page-208" class="pagenum" title="208"></a> -– Wissen Sie, was er zu mir gesagt hat? Man -muss das Zugvieh schonen! Und ich leide, das können -Sie mir glauben! Schön ist es nicht, verheiratet zu -sein! Er oder sie muss es fühlen. Das kommt auf -eins heraus. -</p> - -<p> -– Oder alle beide! -</p> - -<p> -– Man scheint nichts dabei machen zu können. -</p> - -<p> -– Aber die Gelehrten, die sich auf Staatskosten -den Bauch mästen? -</p> - -<p> -– Die Gelehrten, ja, die haben an so viel anderes -zu denken, und übrigens ist es ja unpassend, über -solche Dinge zu schreiben: man könnte sie nicht -laut vorlesen. -</p> - -<p> -– Aber das wäre doch die Hauptsache. -</p> - -<p> -Und dann teilten die beiden Frauen einander ihre -bitteren Erfahrungen mit. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Im nächsten Sommer muss man in der Stadt bleiben, -im Erdgeschoss einer Gasse hausen, von dem man -die Aussicht auf einen Rinnstein geniesst, der so stinkt, -dass man nicht die Fenster zu öffnen wagt. -</p> - -<p> -Die Frau arbeitet mit der Nadel im selben Zimmer, -in dem die Kinder spielen; der Mann, der aus seiner -Stellung verabschiedet ist, weil er keinen sauberen -Anzug mehr besitzt, schreibt ab in einem Zimmer -nebenan und brummt über den Lärm, den die Kinder -machen. Man wirft einander harte Worte durch die Tür. -</p> - -<p> -Es ist Pfingsten. Der Mann liegt am Nachmittag auf -dem zerlumpten Ledersofa und betrachtet durch die -Scheibe ein Fenster auf der andern Seite der Gasse. -Er sieht dort ein Mädchen, das in schlechtem Ruf -steht, wie sie sich für die Abendpromenade schmückt. -Neben ihrem Spiegel liegen ein Fliederzweig und -zwei Apfelsinen. Ohne sich an neugierige Blicke zu -kehren, schnürt sie ihr Mieder über ihren festen Busen zu. -</p> - -<p> -<a id="page-209" class="pagenum" title="209"></a> -– Das ist kein schlechtes Leben, sagt der zu Zölibat -Verurteilte sich, indem er plötzlich auflodert. Man -lebt nur einmal hier auf der Welt, und leben muss -man, wie es auch gehen mag. -</p> - -<p> -Da kommt seine Frau ins Zimmer und erblickt -den Gegenstand seiner Beobachtungen. Es flammt -in ihrem Auge auf; der letzte Funke einer ausgebrannten -Liebe glimmt unter der Asche und nimmt die Form -einer vorübergehenden Eifersucht an. -</p> - -<p> -– Wollen wir nicht die Kinder nehmen und in -den Tiergarten gehen? fragt sie. -</p> - -<p> -– Um unser Elend auszustellen? Nein, danke! -</p> - -<p> -– Aber hier drinnen ist heiss. Ich werde die Rollgardinen -herunterlassen. -</p> - -<p> -– Dann öffne lieber ein Fenster! -</p> - -<p> -Er errät die Gedanken seiner Frau und steht auf, -um es selber zu tun. Dort draussen am Rand des -Bürgersteigs sitzen seine vier Kleinen, dicht neben -Ablaufröhren. Sie haben die Füsse in dem trocknen -Rinnstein und spielen mit Apfelsinenschalen, die sie -aus dem Strassenkehricht hervorgesucht haben. Er -fühlt einen Stich im Herzen und das Schluchzen -kommt ihm in den Hals. Aber die Armut hat ihn so -abgestumpft, dass er untätig stehen bleibt und die -Arme kreuzt. -</p> - -<p> -Plötzlich quellen zwei Schlammströme aus den -Röhren hervor, überschwemmen den Rinnstein und -begiessen die Füsse der Kinder, die aufschreien, von -dem Gestank halb erstickt. -</p> - -<p> -– Zieh die Kinder zum Ausgehen an, aber beeile -dich, ruft er, den die herzzerreissende Szene ganz -verzagt gemacht hat. -</p> - -<p> -Der Vater schob den Korbwagen, in dem das -Kleinste lag, während die Mutter die andern an der -Hand führte. -</p> - -<p> -<a id="page-210" class="pagenum" title="210"></a> -Sie kamen nach dem Klarakirchhof, ihrem gewöhnlichen -Zufluchtsort, dessen dunkelstämmige -Linden üppig grünten, als sei der Boden von den -dort beerdigten Leichen gedüngt. -</p> - -<p> -Es läutete zum Abendgottesdienst. Armenhäuslerinnen -gingen in Scharen in die Kirche, um sich -auf die Stühle zu setzen, die ihre reichen Eigentümer -leer gelassen; die hatten ihre Seele beim Hauptgottesdienst -erquickt und schaukelten jetzt auf ihren -Equipagen im königlichen Tiergarten. Die Kinder -kletterten auf den flachen Gräbern herum, die mit -Wappenschilden und Inschriften geschmückt waren. -</p> - -<p> -Die Gatten setzten sich auf eine Bank und stellten -den Kinderwagen, in dem das Kleinste lag und an -der Flasche sog, neben sich. Halb vom Gras eines -nahen Grabes verborgen, gaben sich zwei Hunde -beim Klang der heiligen Glocken ihren Frühlingsgefühlen -hin. -</p> - -<p> -Ein junges elegantes Ehepaar, das ein kleines in -Samt und Seide gekleidetes Mädchen an der Hand -führte, kam vorbei. Der arme Reinschreiber hob -die Augen zu dem jungen Stutzer und erkannte einen -früheren Kameraden aus dem Handelsamt, der ihn -aber nicht grüsste. Ein Gefühl bitteren Neides packte -ihn so heftig, dass er sich mehr von diesem „unedlen“ -Gefühl gedemütigt fühlte als von seiner -beklagenswerten Lage. Grollte er dem andern, weil -der jetzt eine Stelle bekleidete, nach der er selber -gestrebt? Sicher nicht. Aber sein Neid konnte ja -die Kehrseite seines Rechtsgefühls sein, und sein -Leiden war um so tiefer, weil es von einer ganzen -enterbten Klasse geteilt wurde. Er war überzeugt, -dass die Armenhäuslerinnen, die das Joch der -kommunalen Wohltätigkeit trugen, seine Frau beneideten; -und es war ganz sicher, dass viele von -<a id="page-211" class="pagenum" title="211"></a> -diesen Herrschaften, die hier in ihren mit Wappenschilden -geschmückten Gräbern ruhten, ihn um seine -Kinder beneidet hätten, wenn sie selber gestorben -waren, ohne einen Erben für das Majorat zu hinterlassen. -Allerdings hat das Leben seine Mängel, aber -warum sollen die fetten Bissen denen zufallen, die -es schon gut haben? Und wie kommt es, dass der -Gewinn immer bei denen bleibt, welche die grosse -Lotterie eingerichtet haben? Die Enterbten müssen -sich mit der Messe begnügen, nämlich der des Abendgottesdienstes; -für sie ist die Moral bestimmt und -die Tugenden, die von den andern verachtet werden, -denn die Pforten des Himmels springen gegen -klingende Bezahlung für sie auf. Aber der gute und -gerechte Gott, der die Gaben so schlecht verteilt -hat? Besser wäre es in der Tat, ohne einen schlechten -Gott zu leben, der obendrein so aufrichtig gewesen -war, einzugestehen, „der Wind wehe, wohin er (der -Wind) will“; damit habe er ja bekannt, dass er sich -nicht mit unseren Angelegenheiten befasse. Aber ohne -Kirche kein Trost unter den jetzigen Verhältnissen! -Aber warum gerade Trost? Besser, sich so einzurichten, -dass man keinen Trost nötig hat. Nicht wahr? -</p> - -<p> -In diesen Gedanken wurde er von seiner ältesten -Tochter unterbrochen, die ein Lindenblatt als Sonnenschirm -für ihre Puppe haben wollte. Der Vater -war kaum auf die Bank gestiegen, um einen Zweig -abzubrechen, als ein Schutzmann ihm in barschem Ton -zurief, man dürfe die Bäume nicht anrühren. Neue -Demütigung! Gleichzeitig ersuchte ihn der Schutzmann, -die Kinder nicht auf die Grabsteine steigen zu lassen, -denn das sei nach der Kirchhofsordnung verboten. -</p> - -<p> -– Das Beste ist wohl, wir gehen nach Haus, rief -der Vater vernichtet aus. Wie viel Mühe man sich -um die Toten macht und wie wenig um die Lebenden! -</p> - -<p> -<a id="page-212" class="pagenum" title="212"></a> -Und sie gingen wieder nach Haus. -</p> - -<p> -Der Mann setzte sich an seine Arbeit. Er hatte -das Manuskript einer akademischen Abhandlung über -die Überbevölkerung abzuschreiben. -</p> - -<p> -Er konnte nicht anders, als sich für den Inhalt zu -interessieren, und las daher das ganze Heft. -</p> - -<p> -Der junge Autor, der zu der sogenannten ethischen -oder Damenschule gehörte, predigte gegen das Laster. -</p> - -<p> -– Was für ein Laster? fragte sich der Abschreiber. -Durch das wir alle zur Welt kommen? Das bei der -Trauung geboten wird durch die Worte: „Vermehret -euch und erfüllet die Erde!“ -</p> - -<p> -Und der junge Autor schrieb weiter: Ausser der -Ehe sei die Vermehrung ein unheilvolles Laster, weil -die Kinder, die nicht die nötige Pflege erhalten, ein -trauriges Schicksal haben. In der Ehe dagegen sei -es eine Pflicht, seinen Neigungen freien Lauf zu lassen. -Dafür spreche unter anderm der Umstand, dass das -Gesetz sogar das Ei des Weibes schützt, und zwar -mit Recht. -</p> - -<p> -– Es gibt also, dachte der Abschreiber, eine Vorsehung -für eheliche, aber keine für uneheliche Kinder. -Oh dieser junge Philosoph! Und das Gesetz, das -das Ei schützt! Mit welchem Recht machen sich denn -die kleinen mikroskopischen Dinger bei jedem Mondwechsel -los? Man müsste wirklich die Polizei holen, -um über die heiligen Eier zu wachen! -</p> - -<p> -Alle diese Albernheiten musste er mit seiner schönsten -Handschrift ins Reine schreiben. -</p> - -<p> -Eine solche Menge Moral, aber nicht ein Wort -der Aufklärung. -</p> - -<p> -Der moralische oder richtiger der unmoralische -Sinn des Gedankengangs war: Es gibt einen Gott, -der alle in der Ehe geborenen Kinder nährt und -kleidet; einen Gott im Himmel, wahrscheinlich, aber -<a id="page-213" class="pagenum" title="213"></a> -auf der Erde? Allerdings soll er einmal auf die Erde -niedergestiegen sein, um sich kreuzigen zu lassen, -nachdem er sich vergebens bemüht, Ordnung in die -verworrenen Geschäfte der Menschheit zu bringen: -er wurde nicht damit fertig. -</p> - -<p> -Zum Schluss schrie sich der Philosoph heiser, der -reichliche Vorrat an Weizen sei ein unwiderlegbarer -Beweis, dass es keine Überbevölkerung gebe; dass -die Lehre des Malthus falsch sei, und dazu verbrecherisch, -sowohl vor dem bürgerlichen Gesetz wie -vor dem moralischen. -</p> - -<p> -Und der arme Familienvater, der seit Jahren kein -Weizenbrötchen gekostet hatte, stand auf, um die -Kinder anzutreiben, Roggenmehlgrütze und bläuliche -Milch hinunter zu würgen, mit denen sie den Magen -füllten, ohne sich satt zu fühlen. -</p> - -<p> -Es war trostlos, nicht weil Wassergrütze das Schlimmste -ist, sondern weil der alte prächtige Humor verschwunden -war; dieser Zauberer, der den dunkeln -Roggen in goldenen Weizen zu verwandeln weiss; -die allmächtige Liebe, die ihr Füllhorn ausschüttet, -war nicht mehr da. Die Kinder waren Lasten geworden, -und die geliebte Frau ein versteckter Feind, -der heimlich verachtete und verachtet wurde. -</p> - -<p> -Und die Quelle zu all diesem Unglück? Der Mangel -an Brot! Und doch stürzen jetzt die grossen Handelshäuser -der neuen Welt unter der Last des allzu -reichlichen Vorrats von Getreide zusammen! Eine -Welt der Widersprüche! Die Art und Weise, nach -der das Brot verteilt ist, muss also mangelhaft sein. -</p> - -<p> -Die Wissenschaft, welche die Stelle der Religion -eingenommen hat, vermag keine Antwort darauf zu -geben; sie stellt nur die Tatsache fest und lässt die -Kinder vor Hunger sterben und die Eltern vor Durst. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="chapter-0-14"> -<a id="page-215" class="pagenum" title="215"></a> -<span class="line1">Zwangsehe</span> -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -Sein Vater starb ihm früh, und seitdem war er in -den Händen einer Mutter, zweier Schwestern und -einiger Tanten. Einen Bruder hatte er nicht. Sie -lebten auf einem Besitztum in der schwedischen Provinz -Södermanland und hatten keine Nachbarn, mit -denen sie verkehren „konnten.“ Im Alter von sieben -Jahren erhielt er, zusammen mit den Schwestern, -eine Gouvernante, und gleichzeitig wurde eine Cousine -ins Haus aufgenommen. -</p> - -<p> -Er schlief im selben Zimmer wie die Schwestern, -spielte deren Spiele, badete mit ihnen, und niemand -dachte daran, dass er von anderem Geschlecht sei -als die Mädchen. Die älteren Schwestern nahmen -ihn auch bald in die Hand und wurden seine Schulmeister -und Tyrannen. -</p> - -<p> -Er war ein recht kräftiger Junge, aber der Zärtlichkeit -so vieler überlassen, wurde er allmählich -verzärtelt und hilflos. -</p> - -<p> -Einmal machte er einen Versuch, mit den Jungen -der Instleute zu spielen. Sie gingen in den Wald, -kletterten auf die Bäume, plünderten die Vogelnester, -warfen Steine nach Eichhörnchen. Frithiof war glücklich, -als sei er aus einem Gefängnis entlassen, und -kam nicht zum Mittagessen zurück. Die Jungen -pflückten Blaubeeren und badeten im See. Es war -der erste Tag seines Lebens, an dem er lustig gewesen. -</p> - -<p> -<a id="page-216" class="pagenum" title="216"></a> -Als er gegen Abend zurückkam, war grosse Aufregung -im Hause. Die Mutter war unruhig und betrübt, -zeigte aber ohne Verstellung ihre Freude, ihn -wieder zu Hause zu haben; doch die unverheiratete -Tante Agathe, die ältere Schwester der Mutter, die -Herrin im Hause war, wütete. Es sei ein Verbrechen, -wenn man ihn <em>nicht</em> züchtige. Frithiof begriff nicht, -worin das Verbrechen bestand, aber Tante sagte, -Ungehorsam sei ein Verbrechen. Frithiof wendete -ein, man habe ihm nie verboten, mit den Kindern -der Instleute zu spielen. Das habe man allerdings -nicht, denn das sei überhaupt nicht in Frage gekommen. -Die Tante blieb bei ihrem Vorsatz und -vor den Augen der Mutter nahm sie den Jungen auf -ihr Zimmer, um ihn durchzuhauen. Er war acht -Jahre alt und schon ziemlich gross. -</p> - -<p> -Als die Tante sein Hosenbund anfasste, um ihm -die Hosen abzuknöpfen, überlief ihn ein Fieberschauer; -der Atem blieb ihm im Hals stecken und -das Herz klopfte. Er schrie nicht, aber er starrte -entsetzt die alte Frau an, die ihn beinahe liebkosend -hat, gehorsam zu sein und keinen Widerstand zu -leisten. Als sie aber seinen Körper entblösste, überfiel -ihn ein Gefühl von Scham und Wut: er sprang -vom Sofa auf und schlug um sich. Etwas Unreines, -etwas Dunkles, Widriges schien von dieser Frau auszugehen, -und die Scham seines Geschlechts erhob -sich wie gegen einen Feind. -</p> - -<p> -Aber die Tante wurde wütend, warf sich über ihn, -legte ihn über einen Stuhl, riss sein Hemd auf und -schlug ihn. Zuerst schrie er aus Wut, denn den -Schmerz fühlte er nicht, strampelte konvulsivisch mit -den Füssen, um loszukommen; dann wurde er plötzlich -still und schwieg. -</p> - -<p> -Als die Alte aufhörte, blieb er liegen. -</p> - -<p> -<a id="page-217" class="pagenum" title="217"></a> -– Steh auf, sagte sie mit gebrochener Stimme. -</p> - -<p> -Er stand auf und sah sie an. Sie war blass auf -der einen Backe und rot auf der andern. Die Augen -leuchteten von einem dunkeln Feuer und sie zitterte -am ganzen Körper. Der Junge sah sie an, als sei -sie ein böses Tier, und lächelte überlegen, als fühle -er sich in der Verachtung, die sie ihm einflösste, -hoch über ihr. Dann schleuderte er ihr ein einziges -trotziges verächtliches „Teufelin“ ins Gesicht, einen -Ausdruck, den er eben von den Kindern der Instleute -gelernt hatte. Dann nahm er seine Kleider -und lief hinaus; hinunter zur Mutter, die weinend -im Esssaal sass. -</p> - -<p> -Er wollte sich bei ihr beklagen, sie wagte ihn aber -nicht zu trösten. Da ging er in die Küche hinunter, -wo die Mädchen ihm Rosinen zu essen gaben. -</p> - -<p> -Von diesem Tag an durfte er nicht mehr im Zimmer -der Schwestern schlafen, sondern wurde von der -Mutter mit in ihre Schlafstube genommen. Er fand -es dort dumpf und langweilig, und wenn die Mutter -in ihrer Zärtlichkeit mehrere Male in der Nacht aufstand, -um ihn zuzudecken, wurde er in seinem Schlaf -gestört und antwortete zornig auf ihre Fragen, ob -es ihm gut gehe. -</p> - -<p> -Er durfte niemals ausgehen, ohne dass ihn jemand -anzog, und er hatte so viele wollene Halstücher, dass -er nicht wusste, welches er nehmen sollte. Schlich -er sich hinaus, so wurde sofort durchs Fenster gerufen, -er solle hinaufkommen und etwas überziehen. -</p> - -<p> -Die Spiele der Schwestern fingen an ihn zu quälen. -Federballwerfen genügte seinen starken Armen nicht -mehr: die wollten Steine werfen. Bei dem kleinlichen -Krocketspiel, das weder Muskelanstrengung -noch Verstand verlangt, sich herumzuzanken, reizte -seine Nerven. -</p> - -<p> -<a id="page-218" class="pagenum" title="218"></a> -Dann hatte er die Gouvernante auf dem Nacken. -Sie sprach ihn französisch an, während er schwedisch -antwortete. Ein dumpfer Hass gegen das ganze -Dasein und seine Umgebung begann zu keimen. -</p> - -<p> -Er sah auch bald eine Geringschätzung in der -ungenierten Art, die man sich in seiner Gegenwart -erlaubte, und alle wurden ihm schliesslich zuwider. -Die Einzige, die auf seine Gefühle etwas Rücksicht -nahm, war die Mutter; so hatte sie einen grossen -Schirm um sein Bett stellen lassen. -</p> - -<p> -Seine Zuflucht wurde schliesslich die Küche und -die Mädchenstube; dort fand er immer Zustimmung. -Zuweilen bekam er dort jedoch Dinge zu hören, -welche die Neugier eines Knaben hätten reizen können, -aber für ihn gab es keine Geheimnisse. So war er -einmal zufällig an die Badestelle der Mädchen gekommen. -Die Gouvernante hatte geschrieen, aber -er verstand nicht warum und fing mit den Mädchen, -die nackt im Wasser standen oder lagen, zu plaudern -an. Ihre Nacktheit machte gar keinen Eindruck -auf ihn. -</p> - -<p> -Er wuchs auf und wurde ein Jüngling. Nun -musste man einen Inspektor halten, der ihn die -Landwirtschaft lehrte, denn er war ja dazu bestimmt, -einmal das Gut zu übernehmen. Man nahm einen -alten Mann, der gläubig gesinnt war. Dessen Gesellschaft -war nicht gerade dazu angetan, den Jüngling -zu beleben, aber sie war immer noch besser, als er -sie bisher gehabt hatte. Er sah die Dinge von neuen -Gesichtspunkten und war tätig. Aber der Inspektor -erhielt täglich und stündlich so viel Instruktionen -von den Damen, dass er schliesslich deren Sprachrohr -wurde. -</p> - -<p> -Mit sechzehn Jahren wurde Frithiof konfirmiert, -bekam eine goldene Uhr und durfte jetzt reiten; aber -<a id="page-219" class="pagenum" title="219"></a> -mit der Flinte in den Wald zu gehen, was sein -Traum war, das erlaubte man ihm nicht. Er hatte -allerdings keine Schläge mehr von seiner Erzfeindin -zu fürchten, aber er hatte Angst vor den Tränen der -Mutter. Er blieb immer das Kind, und die Gewohnheit, -das Urteil der andern zu respektieren, konnte -er nicht los werden. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Frithiof wuchs heran und wurde zwanzig Jahre -alt. Eines Tages stand er in der Küche und sah zu, -wie die Köchin Barsche schuppte. Sie war ein -junges hübsches Mädchen von feiner Gesichtsfarbe. -Er fing an mit ihr zu scherzen, steckte ihr schliesslich -seine Hand in den Rücken. -</p> - -<p> -– Seien Sie doch artig, Herr Frithiof, sagte das -Mädchen. -</p> - -<p> -– Ich bin ja artig, sagte er und wurde zudringlich. -</p> - -<p> -– Wenn die gnädige Frau kommt! -</p> - -<p> -– Nun und? -</p> - -<p> -In diesem Augenblick ging seine Mutter an der -offenen Küchentür vorbei, bog aber sofort ab und -ging hinaus auf den Hof. -</p> - -<p> -Frithiof fand die Situation peinlich und verschwand -auf sein Zimmer. -</p> - -<p> -Sie hatten einen neuen Gärtner bekommen. In -ihrer Weisheit hatten die Damen einen verheirateten -genommen, damit er nicht hinter den Mägden herlaufe. -Das Unglück aber wollte, dass der Gärtner -so lange verheiratet gewesen war, dass die Frucht -seiner Ehe in der lieblichen Gestalt einer Tochter -hatte reifen können. -</p> - -<p> -Herr Frithiof entdeckte bald die schöne Blume -unter den andern Rosen des Gartens. Alles, was -sich bei ihm an Wohlwollen gegen <em>die</em> Hälfte der -<a id="page-220" class="pagenum" title="220"></a> -Menschheit, zu der er nicht gehörte, angesammelt -hatte, begann sich jetzt diesem jungen Mädchen -gegenüber, das verhältnismässig fein gewachsen war -und etwas Erziehung erhalten hatte, zu äussern. -</p> - -<p> -Er ging oft in den Garten und plauderte lange -mit ihr, wenn sie an einem Beet arbeitete oder -Blumen pflückte. Sie aber verhielt sich ablehnend -gegen ihn; doch wuchs dadurch seine Neigung nur -noch mehr. -</p> - -<p> -Eines Tages ritt er durch den Wald und hatte -wieder wie gewöhnlich Hallucinationen von ihrer -Gestalt, die für ihn die Natur des Vollkommenen -angenommen. Er war krank vor Sehnsucht, allein -in ihrer Nähe zu sein, ohne fürchten zu müssen, -dass jemand darüber unwillig werde. Dieses Glück -hatte für seine erhitzte Einbildung so ungeheuerliche -Proportionen angenommen, dass er ohne sie nicht -mehr leben wollte. -</p> - -<p> -Das Pferd ging Schritt vor Schritt mit losen Zügeln -den Pfad dahin, während der Reiter auf seinem -Rücken in Gedanken versank. Plötzlich sah er etwas -Helles zwischen den Bäumen schimmern, und hervor -trat das Mädchen des Gärtners. Herr Frithiof stieg -ab und grüsste. Dann gingen sie zusammen weiter -und plauderten, während er das Pferd hinter sich -herzog. Er sprach in dunkeln Worten von seiner -Liebe zu ihr; sie aber wies jeden Antrag zurück. -</p> - -<p> -– Warum sollen wir von dem Unmöglichen -sprechen, sagte sie. -</p> - -<p> -– Was ist unmöglich? rief er aus. -</p> - -<p> -– Für mich als armes Mädchen ist es unmöglich, -die Frau eines reichen und feinen Herrn zu werden. -</p> - -<p> -Die Bemerkung war richtig, und Herr Frithiof fühlte -sich geschlagen. Seine Liebe war grenzenlos, aber -er sah keine Möglichkeit, seine Hindin durch die -<a id="page-221" class="pagenum" title="221"></a> -Koppel zu führen, die Haus und Hof bewachte; die -würde sie sicher in Stücke reissen. -</p> - -<p> -Nach diesem Gespräch überliess er sich einer stillen -Verzweiflung. -</p> - -<p> -Im Herbst zog der Gärtner fort, ohne dass man -erfuhr, warum. Herr Frithiof war sechs Wochen lang -untröstlich, denn er hatte seine erste und einzige -Liebe verloren: nie würde er wieder lieben. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -So verging der Herbst. Um die Weihnachtszeit -liess sich der neue Kreisarzt in der Nachbarschaft -nieder. Er hatte erwachsene Kinder, und da die Tanten -immer krank waren, fingen sie an mit der Familie -zu verkehren. Unter den erwachsenen Kindern befand -sich auch ein Mädchen. Es dauerte nicht lange, bis -Herr Frithiof sterblich in sie verliebt war. Er schämte -sich zuerst, dass er der ersten untreu werde, bekehrte -sich aber schnell zu der Ansicht, die Liebe müsse -etwas Unpersönliches sein, da sie ihren Gegenstand -wechseln könne; es schien eine Vollmacht zu sein, -die auf den Inhaber ausgestellt ist. -</p> - -<p> -Sobald diese neue Neigung von seinen Wächterinnen -gewittert wurde, bat die Mutter ihren Sohn um ein -Gespräch unter vier Augen. -</p> - -<p> -– Du bist jetzt in den Jahren, begann sie, in denen -sich ein Mann nach einer Frau umzusehen pflegt. -</p> - -<p> -– Das ist bereits geschehen, liebe Mama, sagte er. -</p> - -<p> -– Ich fürchte, du hast dich übereilt, sagte sie. -Das Mädchen, das du gewählt haben willst, besitzt -nicht die moralischen Grundsätze, die ein gebildeter -Mann verlangen muss. -</p> - -<p> -– Was? Amaliens moralische Grundsätze! Wer -hat etwas gegen die zu sagen? -</p> - -<p> -– Ich will nichts Böses von ihr sagen, aber ihr -Vater ist, wie du weisst, ein Freidenker ... -</p> - -<p> -<a id="page-222" class="pagenum" title="222"></a> -– Es freut mich, dass ich mit einem Mann verwandt -werde, der frei denkt, ohne auf Interessen -Rücksicht zu nehmen. -</p> - -<p> -– Lassen wir ihn; aber, Frithiof, du hast ältere -Verpflichtungen. -</p> - -<p> -– Was? Sollte ... -</p> - -<p> -– Ja, du hast mit Luises Herz gespielt ... -</p> - -<p> -– Meinst du die Cousine? -</p> - -<p> -– Ja! Habt ihr euch nicht seit der Kindheit als -ein künftiges Paar betrachtet? Glaubst du nicht, dass -sie ihre Hoffnung und ihre Zukunft auf dich gesetzt hat? -</p> - -<p> -– Ihr, ihr habt mit uns gespielt, habt uns zusammen -gehetzt, nicht ich! antwortete der Sohn. -</p> - -<p> -– Aber denk doch an deine alte Mutter und deine -Schwestern, Frithiof. Willst du in dieses Haus, das -immer unser aller Heim gewesen ist, ein wildfremdes -Mädchen bringen, das das Recht besitzt, über uns -zu befehlen. -</p> - -<p> -– Das ist also der Grund! Luise ist zur Herrin -auserkoren! -</p> - -<p> -– Niemand ist auserkoren, aber eine Mutter hat -immer das Recht, die künftige Frau ihres Sohnes -auszuwählen, und niemand kann das so gut wie sie. -Zweifelst du an meinen guten Absichten? Sag, kannst -du deine eigene Mutter in Verdacht haben, dass sie -dir schaden will? -</p> - -<p> -– Nein, das kann ich nicht, aber ich – liebe Luise -nicht; ich habe sie gern wie eine Schwester, aber ... -</p> - -<p> -– Lieben? Ach die Liebe ist ein so unbeständiges -Ding. Auf die kann man sich nicht verlassen, die -verschwindet wieder, aber Freundschaft, Übereinstimmung -in Ansichten und Gewohnheiten, gemeinsame -Interessen, genaue Bekanntschaft mit einander -bilden die beste Garantien für das eheliche Glück. -Luise ist ein tüchtiges Mädchen, häuslich und ordentlich, -<a id="page-223" class="pagenum" title="223"></a> -und sie wird dein Heim so glücklich machen, -wie du es nur wünschen kannst. -</p> - -<p> -Frithiof sah keine andere Aussicht, für dieses Mal -noch loszukommen, als dadurch, dass er um Bedenkzeit -bat. -</p> - -<p> -Inzwischen wurden die Damen auf einmal so gesund, -dass sie keinen Arzt mehr nötig hatten. Der -Doktor machte doch noch einen Besuch, wurde aber -wie ein Einbrecher empfangen, der Schlösser und -Riegel auskundschaften wollte. Er war ein scharfsichtiger -Mann und sah sofort, wie es bestellt war. -Frithiof machte einen Gegenbesuch, wurde aber als -falscher Angeber aufgenommen. Damit war es aus -mit dem Verkehr. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Frithiof wurde mündig. -</p> - -<p> -Jetzt begann man Sturm zu laufen. Die Tanten -krochen vor ihm und zeigten dem neuen Herrn ihre -Unentbehrlichkeit, indem sie ihn wie ein unverständiges -Kind behandelten. Die Schwestern zeigten sich mütterlicher -als je, und Luise begann Toilette zu machen. -Sie schnürte sich und brannte sich das Haar. Sie -war durchaus kein hässliches Mädchen, aber sie hatte -einen kalten Blick und eine scharfe Zunge. -</p> - -<p> -Für Frithiof war sie gleichgültig, geschlechtslos; er -hatte nie das Mädchen in ihr gesehen. Jetzt aber, -nachdem die Mutter von ihr gesprochen, fühlte er -sich verlegen in ihrer Nähe, besonders da sie zu kleben -anfing. Er traf sie überall, auf der Treppe, im Garten, -sogar im Stall. Eines Morgens, als er noch zu Bett -lag, kam sie auf sein Zimmer, um Stecknadeln zu -holen; sie trug einen Frisiermantel und spielte die -Schüchterne. -</p> - -<p> -Sie begann ihm widrig zu werden, aber doch beschäftigte -sie seine Gedanken. -</p> - -<p> -<a id="page-224" class="pagenum" title="224"></a> -Inzwischen erneuerte die Mutter ihre Gespräche -mit dem Sohn, und Tanten und Schwestern spielten -unaufhörlich auf die erwartete Hochzeit an. -</p> - -<p> -Das Leben wurde dem jungen Mann unerträglich. -Er sah keinen Ausweg aus diesem Netz. Luise war -wohl etwas anderes für ihn geworden als die Schwester -und die Kameradin, aber sie war ihm darum nicht -lieber geworden; doch indem er an die Möglichkeit -einer ehelichen Verbindung dachte, war sie für ihn -schliesslich zum Weib geworden, zwar zu einem -unsympathischen, aber doch zu einem Weib. Die -Heirat bedeutete immerhin eine Veränderung seiner -Stellung und vielleicht eine Rettung aus der Knechtschaft. -Er bekam im ganzen Kirchspiel kein anderes -Mädchen zu sehen, und sie war vielleicht ebenso gut -oder ebenso schlecht wie eine andere. -</p> - -<p> -Schliesslich ging er zur Mutter und sagte ihr, unter -welchen Bedingungen er sich mit Luise verheiraten -wolle: eigener Haushalt im Flügelgebäude und eigener -Tisch; auch solle die Mutter für ihn freien, denn das -könne er nicht über sich gewinnen. -</p> - -<p> -Der Kompromiss wurde angenommen, und man -führte Luise herein, um Frithiofs Umarmung und -schüchternen Kuss zu empfangen. Sie weinten alle -beide; warum sie weinten, wussten sie nicht; aber -sie schämten sich vor einander den ganzen Tag über -bis zum Abend. -</p> - -<p> -Dann war alles wie vorher zwischen ihnen, aber -die Mütterlichkeit der Tanten und Schwestern kannte -jetzt keine Grenzen mehr. Sie richteten den Flügel -ein, stellten die Möbel auf, verteilten die Zimmer, -bestimmten alles. Frithiof wurde nicht gefragt. -</p> - -<p> -Dann begann man die Hochzeit zu rüsten. Alte -Verwandte, die in der Provinz begraben waren, -wurden aufgesucht und als Trauzeugen geladen. -</p> - -<p> -<a id="page-225" class="pagenum" title="225"></a> -Die Hochzeit fand statt. -</p> - -<p> -Am Morgen nach der Hochzeit war Herr Frithiof -früh auf den Beinen. Er verliess die Schlafstube so -schnell wie möglich, indem er vorgab, eine wichtige -Arbeit auf dem Felde verrichten zu müssen. Luise, -die noch schläfrig war, hatte nichts dagegen einzuwenden; -aber gerade als er gehen wollte, sagte sie: -</p> - -<p> -– Du vergisst doch nicht, dass um elf Uhr Frühstück -ist. -</p> - -<p> -Das sagte sie wie einen Befehl. -</p> - -<p> -Er ging in sein Zimmer, zog Jagdrock und Wasserstiefel -an und nahm seine Flinte, die er in einem -Schrank versteckt hielt. Dann ging er in den Wald. -</p> - -<p> -Es war ein schöner Oktobermorgen mit Rauhreif. -Er ging sehr schnell, als fürchte er, zurückgerufen -zu werden, oder als fliehe er vor etwas. Die frische -Waldluft wirkte wie ein Bad. Er fühlte sich frei, -und es war das erste Mal, dass er seine Freiheit -benutzte, um mit der Flinte auszugehen. Aber diese -körperliche Freiheit war nur vorübergehend. Bisher -hatte er wenigstens sein Schlafzimmer für sich gehabt. -Über seine Gedanken am Tage und seine -Träume bei Nacht hatte er geherrscht. Das war -aus. Besonders quälte ihn der Gedanke, das gemeinsame -Schlafzimmer sei etwas Garstiges. Jede -Scham wurde wie eine Maske abgeworfen, jedes -Feingefühl abgelegt, jede Illusion von dem „hohen -Ursprung“ des Menschen zerstört; nur das Tier vor -sich zu haben, war zu viel für ihn, da er ja von -Idealisten erzogen war. Nie hätte er geglaubt, dass -die Heuchelei des Zusammenlebens so gross sein -könne, und dass nur die Furcht vor den Folgen der -Kern des unsagbar Weiblichen sei. Wenn es aber -die Tochter des Arztes oder des Gärtners gewesen -wäre? Dann wäre die Einsamkeit mit ihr eine Seligkeit -<a id="page-226" class="pagenum" title="226"></a> -gewesen, während sie jetzt bedrückte und unschön -war; dann hätte die rohe Begierde, eine Neugier -und ein Bedürfnis zu befriedigen, die Form eines -Rausches angenommen, der wie der Rausch mehr -seelisch als körperlich war. -</p> - -<p> -Er streifte durch den Wald, ohne ein Ziel zu haben, -ohne zu wissen, was er schiessen solle; er empfand -nur eine dunkle Lust, die Flinte knallen zu hören -und ein Tier fallen zu sehen; aber er erblickte nichts. -Die Vögel waren schon fortgezogen. Nur ein Eichhörnchen -hüpfte auf einem Kiefernstamm herum und -guckte ihn mit seinen Glotzaugen an. Er warf die -Flinte an die Backe und drückte ab; aber das schnelle -Tier war schon auf der andern Seite des Stammes, -als die Hagelkörner einschlugen. Doch machte der -Knall einen angenehmen Eindruck auf seine Nerven. -</p> - -<p> -Er verliess den Fusssteig und ging in den Niederwald. -Wo er einen Pilz aufragen sah, trat er ihn -entzwei. Er war in einer rechten Zerstörungslaune. -Er sehnte sich danach, eine Schlange zu sehen, um -sie zu zertreten oder einen Schuss auf sie abzugeben. -</p> - -<p> -Dann aber überkam ihn der Gedanke, dass er -heim müsse, und dass es sein Hochzeitsmorgen sei. -Die Vorstellung, welche zudringlichen Blicke er auszuhalten -haben werde, wirkte so stark auf ihn, als -solle er für ein Verbrechen entlarvt werden, ein Verbrechen -gegen die Sitte und, was mehr war, gegen -die Natur. Er wäre am liebsten aus der Welt geflohen, -aber wie sollte er das anfangen? -</p> - -<p> -Schliesslich wurden die Gedanken müde, immer -dieselben Kreise zu ziehen, und er hatte zuletzt nur -noch die eine Empfindung, dass er hungrig sei. -Er ging daher nach Haus, um Frühstück zu essen. -</p> - -<p> -Als er auf den Hof kam, standen alle Hochzeitsgäste, -die übernachtet hatten, auf der Treppe des -<a id="page-227" class="pagenum" title="227"></a> -Vorbaus und begrüssten ihn mit scherzhaften Hurrarufen. -Mit unsicheren Schritten ging er über den -Hof und hörte mit schlecht verborgenen Gefühlen -die scherzhaften Fragen der Gäste nach seinem -Befinden an. Er riss sich von ihnen los und eilte -ins Haus, ohne zu bemerken, dass seine Frau in -der Gruppe stand und darauf wartete, dass er sie -begrüsse. -</p> - -<p> -Am Frühstückstisch machte er eine Folter durch, -die er glaubte nie wieder vergessen zu können: -die Stichelreden der Gäste stachen ihn und die Liebkosungen -seiner Frau brannten ihn. Sein Freudentag -war der widrigste, den er erlebt hatte. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Als einige Monate vergangen waren, hatte sich die -junge Frau als Herrin im Hause eingerichtet, unter -dem Beistand von Tanten und Schwestern. Frithiof -blieb immer der Jüngste und Unverständigste. Man -fragte ihn um Rat, befolgte seine Ratschläge aber -nicht; man sorgte immer noch für ihn, als sei er -noch ein Kind. Dass er mit seiner Frau allein ass, -erwies sich bald als unmöglich, denn er schwieg eigensinnig; -Luise hielt es nicht aus, sondern musste einen -Blitzableiter haben: eine Schwester zog in den Flügel. -</p> - -<p> -Mehrere Male machte Frithiof den Versuch, sich -zu emanzipieren, wurde aber immer von der Übermacht -zurückgeschlagen; ihrer waren zu viele, und -sie redeten so lange auf ihn ein, bis er in den -Wald floh. -</p> - -<p> -Die Abende wurden jetzt ein Schrecken für ihn. -Er hasste die Schlafstube, ging dahin wie zum Richtplatz. -Er wurde scheu und blieb für sich allein. -</p> - -<p> -Sie waren ein Jahr verheiratet gewesen, ohne ein -Kind zu bekommen, als die Mutter ihn eines Tages -beiseite nahm, um mit ihm zu sprechen. -</p> - -<p> -<a id="page-228" class="pagenum" title="228"></a> -– Würdest du nicht erfreut sein, wenn du einen -Sohn bekämst, fragte sie. -</p> - -<p> -– Gewiss, antwortete er. -</p> - -<p> -– Du bist nicht nett gegen deine Frau, sagte die -Mutter so milde wie möglich. -</p> - -<p> -Da brauste er auf. -</p> - -<p> -– Was? Was? Habt ihr etwas auszusetzen? -Verlangt man, dass ich tagewerken soll? Hm! Luise -ist ganz anders, als ihr glaubt! Aber wen geht das -etwas an? Formuliere die Anklage so, dass ich -darauf antworten kann. -</p> - -<p> -Nein, dazu hatte die Mutter keine Lust! -</p> - -<p> -Er entdeckte jetzt in seiner Einsamkeit, dass der -Inspektor ein junger Mann sei, der gern Karten -spielte und gern trank. Er suchte dessen Gesellschaft -und vertrieb sich die Abende auf dessen Zimmer; -kam spät in die Schlafstube, so spät wie möglich. -</p> - -<p> -Eines Abends lag seine Frau noch wach und -wartete auf ihn. -</p> - -<p> -– Wo bist du gewesen? fragte sie scharf und -bestimmt. -</p> - -<p> -– Das geht dich nichts an, antwortete er. -</p> - -<p> -– Es ist nicht angenehm, auf die Weise verheiratet -zu sein. Wenn wir wenigstens ein Kind hätten. -</p> - -<p> -– Das ist nicht meine Schuld! -</p> - -<p> -– Meine auch nicht. -</p> - -<p> -Und nun entspann sich ein Streit darüber, wessen -Schuld es sei, und der dauerte zwei Jahre. -</p> - -<p> -Da keiner den einfachen Ausweg einschlagen wollte, -den sachverständigen Arzt zu fragen, kam es zu dem -gewöhnlichen Ergebnis: der Mann wurde lächerlich -und die Frau tragisch. Eine kinderlose Frau sei -heilig, denn „Gottes“ Fluch ruhe aus unbekannten -Gründen auf ihr. Dass „Gott“ sich so weit herablassen -<a id="page-229" class="pagenum" title="229"></a> -werde, einen Mann in den Bann zu tun, das -konnten sich die Frauen nicht vorstellen. -</p> - -<p> -Aber Herr Frithiof fühlte deutlich, dass ein Fluch -auf seinem Dasein lag, denn es war düster und -ungesund. Die Natur hatte zwei Geschlechter geschaffen, -die einander unter gewissen Verhältnissen -als Freunde suchen, aber unter andern Verhältnissen -als Feinde auftreten. Er hatte das andere Geschlecht -als Feind getroffen, und zwar als übermächtigen Feind. -</p> - -<p> -Eines Tages fragte eine der Schwestern, während -sie mit einer Näharbeit beschäftigt war, wie zufällig -Frithiof, was das Wort Kapaun bedeute. -</p> - -<p> -Er antwortete nicht, sah sie scharf an, fand aber, -dass sie nicht Bescheid wusste, sondern wahrscheinlich -gelauscht hatte und ihre Neugier nicht unterdrücken -konnte. -</p> - -<p> -Jetzt war sein Leben vergiftet. Er war lächerlich. -Und er wurde misstrauisch. Alles, was er hörte und -sah, brachte er in Zusammenhang mit dieser Beschuldigung. -Schliesslich geriet er ausser sich und -verführte ein Dienstmädchen. -</p> - -<p> -Mit dem erwünschten Erfolg! Er wurde Vater! -</p> - -<p> -Jetzt aber war Luise eine Märtyrerin und Frithiof -ein Elender. An das letzte kehrte er sich nicht, denn -seine Ehre war gerettet; es galt nämlich für eine -Ehre, ohne Gebrechen zu sein, nicht für ein Glück. -</p> - -<p> -Aber durch dieses Ereignis war Luises Eifersucht -geweckt, und, seltsam, eine Art Liebe zu ihrem Mann -begann zu erwachen. Eine Liebe, die ihm recht lästig -wurde, denn sie äusserte sich in einem unermüdlichen -Bewachen und einer nervösen Zudringlichkeit; zuweilen -mit einem mütterlichen Wohlwollen, das keine -Grenzen kannte. Sie wollte nachsehen, ob die Flinte -geladen sei; sie bat ihn auf Knien, sich beim Ausgehen -warm anzuziehen ... Im Hause war sie -<a id="page-230" class="pagenum" title="230"></a> -pedantisch, räumte und staubte den ganzen Tag; liess -jeden Sonnabend scheuern, klopfte Teppiche und -lüftete Kleider. Er hatte keine Ruhe mehr und konnte -nie sicher sein, dass man ihn nicht aus seinem Zimmer -jagte, um es reinzumachen. -</p> - -<p> -Seine Arbeit füllte seine Zeit nicht aus, denn der -Hof wurde von den Frauen verwaltet. Er begann -Landwirtschaft zu studieren und wollte Verbesserungen -einführen, wurde aber daran gehindert. Als er allein -zu herrschen versuchte, machte man ihm jede Tätigkeit -unmöglich. -</p> - -<p> -Schliesslich wurde er müde. Er hatte längst zu -sprechen aufgehört, weil er immer sicher war, dass -man ihm widersprach. Durch Mangel an gleichdenkenden -Kameraden und Unglücksgenossen wurde sein -Verstand allmählich stumpf; sein Nervensystem war -ruiniert; er vernachlässigte sein Aussehen und begann -zu trinken. -</p> - -<p> -Bald war er kaum noch zu Haus. Oft lag er betrunken -im Gasthaus oder bei Bauern. Er trank mit -jedem und ohne aufzuhören. Es war ihm eine Linderung, -sein Gehirn durch Alkohol in Arbeit zu setzen, -und dann konnte er sprechen. Es war schwer zu -entscheiden, ob er trank, um mit jemand sprechen -zu können, der nicht widersprach; oder ob er trank, -um zu trinken. -</p> - -<p> -Um sich Geld zu schaffen, verkaufte er an die -Bauern heimlich Vorrechte oder Getreide, denn die -Kassen wurden von den Frauen verwaltet. Schliesslich -brach er in seine eigene Kasse ein und stahl. -</p> - -<p> -Man hatte jetzt immer einen kirchlich gesinnten -Inspektor, denn der letzte war wegen Trunksucht -verabschiedet. Als man endlich, mit Hilfe des Pastors, -so weit gekommen war, dass dem Gastwirt der Verkauf -von Alkohol verboten wurde, begann Herr -<a id="page-231" class="pagenum" title="231"></a> -Frithiof mit den Knechten zu trinken. Skandal folgte -auf Skandal. -</p> - -<p> -Herr Frithiof wurde schliesslich ein ausgebildeter -Trinker, der die Fallsucht bekam, wenn man ihm -nicht etwas Starkes zu trinken gab. -</p> - -<p> -Schliesslich musste er in eine Anstalt gebracht -werden, um dort als unheilbar zu bleiben. -</p> - -<p> -In hellen Zwischenstunden, wenn er sein Leben -überschauen konnte, empfand er ein tiefes Mitleid mit -allen jungen Mädchen, die an ungeliebte Männer verheiratet -werden; er fühlte es um so tiefer, als er den -ganzen Fluch, den die Vergewaltigung der Natur zur -Folge hat, am eigenen Leibe erfahren hatte; und er -war doch nur ein Mann. -</p> - -<p> -Er suchte die Ursache zu seinem Unglück in der -Familie als wirtschaftlicher Einrichtung; die verhindert -ja, dass das Kind zur rechten Zeit für ein selbständiges -Leben als Individuum frei wird. -</p> - -<p> -Seine Frau klagte er niemals an, denn sie war wohl -ebenso unglücklich wie er, ein Opfer derselben Missverhältnisse, -die man mit dem Namen Gesetz ehrt. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="chapter-0-15"> -<a id="page-233" class="pagenum" title="233"></a> -<span class="line1">Die verbrecherische Natur</span> -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -Der Kutter ging vor halbem Wind durch die letzten -Schären des Stockholmer Inselmeeres, und das Meer -öffnete sich in Nachmittagsbeleuchtung. -</p> - -<p> -Der Doktor suchte nach Worten, um sein Entzücken -darüber auszudrücken, denn er war im Innern des -Landes geboren und hatte das Meer nur einige Male -von dem Deck eines Dampfers gesehen. -</p> - -<p> -Nachdem der Leutnant das Steuerruder umgelegt -und Kurs auf den Leuchtturm von Landsort genommen, -befahl er Punsch und Zigarren. -</p> - -<p> -Die Einsamkeit, die Stille, der Mangel an Gegenständen, -auf denen das Auge haften konnte, stimmte -den Sinn mitteilsam, und trotzdem die beiden Jugendfreunde -bereits drei Stunden von alten und neuen -Dingen gesprochen, fand sich immer wieder neuer -Stoff zu neuen Gesprächen. -</p> - -<p> -– Es muss doch herrlich sein, auf dem Meer leben -zu können, sagte der Doktor und liess das Auge -rings um den Horizont schweifen. -</p> - -<p> -– Ja, in guter Gesellschaft, wenn man sein eigener -Herr ist, sagte der Leutnant. Aber im Dienst an -Bord, das ist etwas anderes! Erstens ist man eingeschlossen; -das Schiff ist ein Käfig, merk dir das, -und der Horizont wird eng, wenn du dich an ihn -gewöhnt hast; der blaue Rand, hinter dem man etwas -träumt, wenn man jung ist, wird eine graue Steinmauer. -<a id="page-234" class="pagenum" title="234"></a> -Denke dir, du seist in einem Käfig auf dem -eingeschlossenen Hof eines Gefängnisses. Und noch -eins: hast du einen Unfreund an Bord, so merkst -du, dass du lebst. -</p> - -<p> -– Es ist doch jedenfalls ein gesundes Leben. -</p> - -<p> -– Gesund? Das sieht so aus, aber die Gedanken -werden nicht gesund, wenn das Gehirn keine Eindrücke -von aussen empfängt; und immer auf das blosse Nichts -sehen, macht auf die Dauer stumpfsinnig. Aber es -gibt noch andere Schattenseiten im Leben des Seemannes, -die durchaus nicht gesund sind. -</p> - -<p> -Das Gesicht des Leutnants wurde finster, und er -sah erst nach, ob die Leute auch so weit entfernt -waren, dass sie nicht lauschen konnten. -</p> - -<p> -– Bedenke doch, es ist das vom andern Geschlecht -abgesonderte Leben des Mönches und des Gefangenen. -</p> - -<p> -– Ihr lebt schön abgesondert, wenn ihr an Land -kommt, fiel der Doktor ein. -</p> - -<p> -– Aber ehe man an Land kommt! Einen Monat, -zwei Monate auf See! In halber Untätigkeit. Die -Gedanken suchen ihre eigenen Wege, der Wille herrscht -auf eigene Faust, kriecht über Rechtsgefühl, springt -über Begriffe von Moral, Ehre und dergleichen. Man -hat schon recht seltsame Dinge auf See gesehen. -</p> - -<p> -– Ich habe allerdings gehört, dass die Mannschaft -es toll treiben kann, sagte der Doktor. -</p> - -<p> -– Es ist schade um die Verheirateten! Dieses -Gedicht von der Gattin des Seemanns, die trauernd -am Fenster sitzt, ist nur ein Gedicht. Aber der Mann, -der verheiratete Mann, der beschmutzt sich nicht -gern, wenn er an Land geht; ein Vergnügen hat er -nicht für sein Geld! Gewöhnlich ist die Frau längst -getröstet, wenn der Mann heimkehrt! Aber es gibt -andere Seiten, Nachtseiten, wie man sie nennt, diese -Ausbrüche der sich rächenden Natur, die uns unheimlich -<a id="page-235" class="pagenum" title="235"></a> -vorkommen, weil wir sie zuerst nicht erklären -können; für die der Mensch bestraft wird, trotzdem -er nur das Opfer ist. -</p> - -<p> -– So, ihr habt das auch an Bord? Man erfährt -so wenig davon, trotzdem es eine der merkwürdigsten -Erscheinungen ist, die es zu allen Zeiten gegeben hat. -</p> - -<p> -– Du hältst es also nicht für ein Verbrechen, fragte -der Leutnant mit einem gewissen Eifer und zog an -seiner Zigarre. -</p> - -<p> -– Ein Verbrechen? Was ist ein Verbrechen? Was -vor Staatsanwalt und Gericht kommt. Von der <em>Natur</em> -kann es ein Verbrechen sein, wie in den Fällen, in -denen das Geschlecht bis lange nach der Geburt unentschieden -bleibt; das kann man aus den Anzeigen -über Namensänderungen sehen, die zuweilen in den -Zeitungen stehen. Die Natur hat Launen und die -Kultur hilft dabei, aber die Menschen sollten heute -so aufgeklärt sein, dass sie Gebrechen nicht bestrafen. -</p> - -<p> -– So, das sagst du? Es freut mich, einmal ein -wahres Wort in dem allgemeinen Geheul zu hören. -</p> - -<p> -– In Frankreich hat man schon in der Kammer -beantragt, den Paragraph, der das vermeintliche Verbrechen -bestraft, zu streichen. -</p> - -<p> -– Wirklich? Und hier laufen sie wie Aussätzige -herum, werden von einer ewigen Unruhe verzehrt, -dass sie verdächtigt oder entdeckt werden. Ich will -einen Fall erzählen, den ich mit eigenen Augen gesehen -habe. Dann magst du urteilen, ob es ein Laster, -eine Entartung oder ganz einfach eine Erscheinung -ist, deren Gründe wir nicht kennen. -</p> - -<p> -– Es ist mir gleichgültig, wie man es nennt; eine -Berufskrankheit bei Mönchen und Seeleuten; die -Erscheinung ist ebenso interessant wie eine menschliche -Frucht, welche die Natur mit einem Kalbskopf -oder drei Armen ausgestattet hat. -</p> - -<p> -<a id="page-236" class="pagenum" title="236"></a> -– Etwas merkwürdiger ist es doch wohl, besonders -wenn sie in seelischer Form auftritt und alle Symptome -zeigt, die bei einer unschuldigen Schwärmerei zwischen -Mann und Weib vorkommen. -</p> - -<p> -– Bei einer unschuldigen? Hm! -</p> - -<p> -– Ja, du, unschuldig, betonte der Leutnant. Ich -weiss, dass ein solches Verhältnis unschuldig sein kann. -</p> - -<p> -– Ja, eine Zeit lang! Du darfst nicht, und sie wagt -nicht! Das kennen wir! Aber erzähle deine Geschichte. -</p> - -<p> -Sie nippten am Punsch und steckten neue Zigarren an. -</p> - -<p> -– Weisst du, was der Chef einer Fregatte ist? begann -der Leutnant und legte die Ruderpinne ins Hackbrett. -Das ist ein Porzellangott. Er ist da, aber er -zeigt sich nicht. Er hat nicht den höchsten Befehl, denn -den hat der Sekond, aber er steht über dem höchsten -Befehl. Seeleute pflegen den Schiffer den „Alten“ zu -nennen, ganz wie die Bauern vom Donner sprechen -und „Gevatter“ sagen. Der Sekond ist der „Alte“ auf -einem Kriegsschiff; für den Chef hat man keinen Namen. -Er sitzt eingeschlossen in seiner Kajüte, spricht nur mit -dem Sekond; isst allein, bis auf einen Tag in der Woche, -an dem er die Offiziere an seinen Tisch ladet, und einen -zweiten Tag, an dem er sich von den Offizieren einladen -lässt. Er tadelt nie, belohnt nie, kommandiert -nie. Was er tut, weiss nur der Sekond. Kommt er auf -Deck, so geht er nie über den Besan hinaus. -</p> - -<p> -Das Schiff ist die vollkommenste aller Gemeinden, -die in der Organisation tausend Jahre hinter der Zeit -zurückbleibt! Sie würde unvollkommen sein, wenn -Frauen dabei wären. -</p> - -<p> -Meine erste Fahrt machte ich als Kadett auf der Fregatte -Thor. -</p> - -<p> -Das Leben war nicht so, wie es sich der Schüler geträumt, -als er voll Neid auf die kokette Jacke und das -hübsche Seitengewehr der Seekadetten sah. Es war -<a id="page-237" class="pagenum" title="237"></a> -etwas ganz anderes; etwas sehr Rohes und sehr Hässliches; -vor allem sehr Unpoetisches. -</p> - -<p> -Eines Tages hatte ich die Wache und stand am Steuerrad, -also auf einem sehr verantwortungsvollen Posten; -ich sah starr voraus durch Taue und Takelung über -die Mannschaft auf Deck hinweg; versuchte die Gedanken -zusammen zu halten, indem ich sie nur auf -den Kurs richtete. Aber teils unruhig über die wichtige -Aufgabe, da ich die ganze Bevölkerung des Schiffes in -meiner Hand hatte, teils nervös infolge eines unbestimmten -Gefühls, dass jemand seine Augen auf mich -richte, vergass ich mich. Die Talje knirschte, das -Bugspriet gierte und es begann im Jager lebendig zu -werden. Da rief der Flaggschiffer, der an meiner -Seite stand: -</p> - -<p> -– Festhalten! -</p> - -<p> -Ich fühlte, wie das Rad meinen Händen entrissen -wurde, während ich zugleich einen Stoss bekam, dass -ich aufs Deck flog. -</p> - -<p> -Ich taumelte zur Seite wie ein hingeworfener Handschuh -und stand zu meiner grossen Bestürzung unmittelbar -vor den Zehen keines Geringeren als meines -Chefs. Ich sah in ein gelbgraues Gesicht, das dem -eines reichen Grosshändlers glich. Der Mund war -scharf geschnitten und von zwei schrägen Zügen eingefasst, -die ihm einen boshaften Ausdruck gaben, der -jedoch von einem hellen Backenbart gemildert wurde. -Er sah aus, als wolle er mich in die See werfen, aber -er schwieg. Er schien sich zu fragen, ob er sich so -weit herablassen könne, dass er mich Würmchen ansprach. -</p> - -<p> -Schliesslich erweichten sich die strengen Züge, und -er sah mich an, als sei ich ein kleines Kind. -</p> - -<p> -– Wie heissest du, Kadett? fragte er. -</p> - -<p> -<a id="page-238" class="pagenum" title="238"></a> -Ich nannte meinen Namen. -</p> - -<p> -– Und dein Vater ist? -</p> - -<p> -– Tot, antwortete ich. Aber er war Oberstleutnant -bei den Pionieren. -</p> - -<p> -– Ich habe deinen Vater gekannt; wir waren Jugendfreunde, -und ich schätzte ihn sehr. Geh auf deinen -Posten zurück und halt die Gedanken beisammen. -</p> - -<p> -Ich trat wieder ans Rad und tat mein Äusserstes, um -aufmerksam zu sein. Aber der Chef ging auf und ab, -und ich fühlte, wie er mich ansah. -</p> - -<p> -Als die Wache zu Ende war und ich in die Kadettenmesse -hinunter kam, wurde ich von den Kameraden -umringt und gefragt, was der Chef gesagt habe. -</p> - -<p> -Als sie hörten, dass er meinen Vater gekannt habe, -sahen die Jüngeren mit einer gewissen Achtung zu mir -auf; aber die Älteren sahen arglistig aus, ich konnte -nicht verstehen, warum. -</p> - -<p> -Einige Tage später sassen wir, einige Kameraden -und ich, auf Halbdeck und splissten Taue. Wir -schwatzten über alles Mögliche. Ich aber, der ich -immer ein sehr nervöses Temperament gehabt habe, -so empfindlich wie eine Kompassnadel, empfand eine -gewisse Unruhe, als ob jemand mich fixiere. Ich -drehte mich mehrere Male um, um nachzusehen, -wessen Augen mich so eigensinnig und energisch -verfolgen könnten. Schliesslich blieben meine Blicke -auf einem kleinen runden Fenster haften, das zu der -äusseren Kajüte des Chefs gehörte, und da sah ich -die beiden schrägen Falten um seinen Mund, nicht -mehr, die Augen hatte er hinter der Gardine verborgen. -Das beunruhigte mich, ohne dass ich hätte -sagen können, warum. -</p> - -<p> -Zwei Tage später erhielt ich abends den Befehl, -mich in der Kajüte des Chefs einzufinden. Es war -<a id="page-239" class="pagenum" title="239"></a> -ein elegant möblierter Raum mit Büchergestellen, Gemälden, -Photographien und einem Orgelharmonium. -Drinnen beim Chef sass der Sekond. Er hielt seine -Mütze in der Hand und sah verlegen aus. -</p> - -<p> -– Herr Korvettenkapitän, begann der Chef mit -einem unnatürlich geläufigen Ton; dieser junge Mann -ist der Sohn meines verstorbenen Jugendfreundes, der -mir einmal einen unschätzbaren Dienst geleistet hat. -Ich fühle mich dem edlen Mann verpflichtet und will -deshalb seinen Jungen etwas in die Hand nehmen. -Ich werde seine Erziehung leiten, solange er mit mir -an Bord ist. -</p> - -<p> -– Willst du mein Schüler werden? wendete er sich -zu mir. -</p> - -<p> -Ich war von dieser grossen Gunst, die mir der -Freund meines verstorbenen Vaters anbot, so verwirrt, -dass ich nur einige unverständliche Worte der -Dankbarkeit stammeln konnte. -</p> - -<p> -Er lud mich zum Sitzen ein, und der Sekond bekam -einen Wink, dass die Audienz aus sei. -</p> - -<p> -Wir waren allein. Ich weiss nicht, was in seiner -Art war, das mich bange machte. Es war nicht der -Chef, das Götzenbild, sondern es war ein anderer. -Sein Benehmen war verlegen und seine Sprache gezwungen. -Auch begegnete er meinen Blicken anfangs -nicht. -</p> - -<p> -– Bist du für Mathematik begabt, mein Junge? -begann er. -</p> - -<p> -– Nicht besonders, antwortete ich. -</p> - -<p> -– Aber du kannst Gleichungen zweiten Grades -lösen? -</p> - -<p> -– Ja, das kann ich ganz gut. -</p> - -<p> -– Dann wollen wir zu den Logarithmen übergehen. -Siehst du, ein Seemann ohne Logarithmen, -das ist ein Fahrzeug ohne Kompass. -</p> - -<p> -<a id="page-240" class="pagenum" title="240"></a> -Er stand auf und holte die Logarithmentafel. Schob -einen Stuhl an den Tisch heran und griff zu Papier -und Feder. -</p> - -<p> -Nachdem er eine Weile über Charakteristik und -Mantisse, die er, wie ich später sah, verwechselte, -gesprochen hatte, legte er die Feder fort. -</p> - -<p> -– Nun, wie gefällt es dir an Bord? -</p> - -<p> -– Gut, Herr Admiral, antwortete ich. -</p> - -<p> -– Und die Kameraden? -</p> - -<p> -– Von denen spricht man nicht, entschlüpfte es -mir, ehe ich hatte einsehen können, welche Zurechtweisung -die Antwort enthielt. -</p> - -<p> -– Das ist gut geantwortet, mein Junge, sagte er -und sah mich an mit einer Miene, die ältere Leute -jüngeren zeigen, wenn die sich eine Freiheit herausnehmen. -</p> - -<p> -– Willst du ein Glas Punsch haben? fragte er; -es ist hier etwas feucht. -</p> - -<p> -Nein zu antworten, war nicht möglich, da ich nicht -Temperenzler bin. Aber im selben Augenblick überfiel -mich ein Gefühl der Furcht: Wenn nun jemand -hereinkommt und den Chef mit dem Kadetten trinken -sieht! Die Situation war peinlich. Hast du schon -empfunden, wie man sich für einen andern schämt? -Um ihn war mir bange! -</p> - -<p> -Er öffnete eine Klappe und holte Gläser und eine -Karaffe hervor, die er in seine Kabine trug. -</p> - -<p> -– Tritt näher, sagte er. -</p> - -<p> -Meine Unruhe stieg noch mehr; die ganze Situation -war so falsch, und der Abgott fiel, fiel unrettbar. -</p> - -<p> -In der Kabine setzte er sich mir gegenüber und -sah mich an, wie der Riese, ehe er den Däumling -fressen wollte. -</p> - -<p> -– Du bist ein guter Junge, sagte er, indem er -(jedoch ohne anzustossen) sein Glas austrank, und -<a id="page-241" class="pagenum" title="241"></a> -dein Aussehen wird dir in deiner Laufbahn weiterhelfen. -Weisst du, dass du gut aussiehst? -</p> - -<p> -Ich errötete, das fühlte ich, und wusste nicht, wo -er hinaus wollte. Ich sah nur in seinem Gesicht -einen neuen seltsamen Ausdruck, und seine Augen -flackerten wie Gasflammen. -</p> - -<p> -– Hast du schon Liebesabenteuer gehabt? fragte -er von neuem, und seine Augen begannen zu glühen. -</p> - -<p> -Ich wusste nicht, was ich antworten sollte, denn -ich hatte Respekt vor dem Freund meines Vaters. -</p> - -<p> -Er stand auf und begann auf und ab zu gehen. -</p> - -<p> -– Du hättest mein Sohn sein sollen, sagte er -schliesslich; das hättest du! -</p> - -<p> -Er war nicht verheiratet, das wusste ich, und ich -verstand, dass das ganze Einsamkeitsgefühl des alten -Junggesellen in diesem Ausruf lag. -</p> - -<p> -Jetzt wurde zum Essen geblasen, und ich musste -gehen. -</p> - -<p> -– Morgen Abend um dieselbe Zeit, sagte er! -</p> - -<p> -Ich machte Honneur und ging. -</p> - -<p> -Meine Abendstunden wurden eine Zeit lang fortgesetzt. -Seine Art wurde immer intimer. Zuweilen -belästigte sie mich unbeschreiblich. Kam ich absichtlich -zu spät, sah er betrübt aus. -</p> - -<p> -– Du wirst meiner überdrüssig, sagte er. Ich -bin alt und langweilig. -</p> - -<p> -Dann wurde ich von Mitleid ergriffen mit dem -armen Einsamen, dessen hohe Stellung ihm verbot, -sich Verkehr zu suchen. -</p> - -<p> -Wir liefen schliesslich Havana an; ich erhielt Erlaubnis, -an Land zu gehen, musste dem Chef aber -versprechen, nicht mit den Kameraden schlechte -Häuser zu besuchen. Er nahm mir förmlich ein -Gelübde ab. -</p> - -<p> -<a id="page-242" class="pagenum" title="242"></a> -Als ich wieder an Bord kam, fragte er mich, ob -ich bei einem Mädchen gewesen sei. Ich antwortete -nein, der Wahrheit gemäss. -</p> - -<p> -– Das ist recht, mein Junge, sagte er. Nimm -dich vor den Weibern in Acht! Hörst du! -</p> - -<p> -Und dann segelten wir wieder. -</p> - -<p> -Eines Abends, ich vergesse ihn nie, es war auf -der Höhe von Madeira, die Luft war heiss wie in -einem Gewächshaus, wir trugen nur Hemd und -Hosen, und die Windstille hatte vier Tage gedauert. -</p> - -<p> -Um acht Uhr betrat ich die Kajüte des Chefs, vollständig -bekleidet. Er war sehr erregt. Konnte kaum -sprechen. -</p> - -<p> -– Das ist eine furchtbare Hitze, seufzte er; zieh -den Spenzer aus. -</p> - -<p> -Dagegen hatte ich nichts einzuwenden, obwohl es im -höchsten Grad gegen Reglement und gute Sitte verstiess. -</p> - -<p> -Er setzte sich neben mich, halb hinter mich. Ich -fühlte seinen heissen Atem in <a id="corr-30"></a>meinem Nacken und -empfand eine Bangigkeit und Beklommenheit, wie -ich sie nicht beschreiben kann. -</p> - -<p> -Wir waren mit Trigonometrie beschäftigt und ich -beugte mich über das Papier. Mein Kopf wurde -schwer, und um mich zu wecken, machte ich den -Rumpf gerade und warf den Kopf zurück. In diesem -Augenblick fielen meine Blicke auf den Spiegel -mir gegenüber. Was ich da sah, flösste mir ein -solches Entsetzen ein, als habe ich plötzlich gesehen, -wie die Natur sich umkehrt und ihre Kehrseite zeigt. -Als ob die Sonne blau und der Himmel gelb und -die Bäume rot geworden seien, oder als ob der -Mond Blitze schiesse. Sein Gesicht lag über meiner -Schulter und seine Augen suchten unter den Aufschlägen -meines Hemdes. Ich schrie, glaube ich, -und wollte aufspringen, wurde aber von zwei Armen -<a id="page-243" class="pagenum" title="243"></a> -festgehalten und fühlte einen Kuss auf meinen Lippen, -einen Kuss wie von der scharfen Zunge eines Stiers, -und es schnaubte über mein Gesicht, als hätte ein -Seehund mich geleckt. -</p> - -<p> -Als ich aufs Deck hinauskam, musste ich mich -an der Verschanzung halten, um nicht zu fallen, denn -meine Beine zitterten. Es war für mich eine Offenbarung -des Widrigen, ein Erscheinen des Bösen. -</p> - -<p> -– Und damit war die Bekanntschaft zu Ende! -sagte der Doktor kalt und trank sein Glas aus. -</p> - -<p> -– Nicht ganz! Weisst du, was er jetzt tat? Er -schrieb Briefe an mich. Ich las nur einen! Es war -ein Liebesbrief. Er liebte mich! -</p> - -<p> -– Wie Sokrates Alcibiades liebte! Glaubst du, du -hast eine Entdeckung gemacht? Und glaubst du, -dass nur Absonderung oder Überkultur diese Erscheinung -hervorrufen. Sie kommen auch bei wilden -Volksstämmen vor, ja bei Tieren. Ich meine, -man müsse bei solchen Launen der Natur ein Auge -zudrücken, wenigstens den Unschuldigen nicht bestrafen, -wie ich schon sagte. Willst du eine Geschichte -im selben Genre hören? -</p> - -<p> -– Ja, aber lass uns erst etwas essen; ich sehe, -drinnen ist gedeckt. -</p> - -<p> -Er rief einem der Gäste zu, das Ruder zu übernehmen, -und sie gingen in die Kajüte. -</p> - -<p> -Sie versuchten von etwas anderem zu sprechen, -immer aber kamen sie auf das erste Thema zurück. -</p> - -<p> -– Erinnerst du dich, fing der Doktor an, wie du -als Schüler mit Kameraden gleichen Alters befreundet -warst? Ihr kamet immer zusammen aus der -Schule, suchtet einander in freien Stunden auf, teiltet -Ansichten und Kasse. Ja, du konntest sogar eifersüchtig -auf deinen Freund sein, wenn er andere dir -vorzog. Nicht wahr? -</p> - -<p> -<a id="page-244" class="pagenum" title="244"></a> -– Ja, aber das war Freundschaft! -</p> - -<p> -– Ja, das war es! Aber so beginnt ja auch die -Liebe zwischen den verschiedenen Geschlechtern. -Es muss weit kommen, ehe einer von Beiden sich -eine körperliche Berührung in einem Kuss oder einer -Liebkosung erlaubt oder überhaupt ein Bedürfnis -danach empfindet. Bei Mädchen dagegen äussert -sich diese Freundschaft in Umarmungen und Küssen. -Das ist ganz unschuldig natürlich, aber die Symptome -gleichen sehr dem, was man Liebe nennt. Es ist -ebenso unschuldig wie das Gefühl, das Eltern dazu -treibt, ihre Kinder in die Arme zu nehmen und zu -küssen. Kannst du sagen, was rein und unrein ist, -körperlich oder geistig? Das ist schwer, denn die -Liebe der Eltern zu den Kindern hat ein unwiderstehliches -Bedürfnis, sich in körperlicher Berührung -zu äussern und steht doch über jeden Verdacht, -sinnlich zu sein. Haust aber eine arme Familie -zusammen in einem Zimmer, schlafen Vater und -Töchter zusammen, während die Mädchen heranwachsen, -dann <em>kann</em> es geschehen, dass die Gefühle -ihre Natur ändern. Die äusseren Umstände sind es, -die da wirken, wie man auch nur bei Hirten und -Reitern Fälle von Bestialität trifft. Sag nicht, das -ist ein neues, unnatürliches Element, sondern das -ist dieselbe Natur, die aber aus Mangel an Gelegenheit -sich andere Auswege sucht, wie sich die Gewebe -des Körpers einem Fistelgang öffnen, wenn die -natürlichen Kanäle von einer Krankheit geschlossen -werden. -</p> - -<p> -Jetzt sollst du meine Geschichte hören. -</p> - -<p> -Er war klein und unbedeutend und wurde von -den Mädchen übersehen, denn sie fanden, er sei -weder als Liebhaber noch als Beschützer vielversprechend. -Das flösste ihm Misstrauen zu sich -<a id="page-245" class="pagenum" title="245"></a> -selber und Abneigung gegen das andere Geschlecht -ein. Als er älter wurde und Dirnen besuchte, fiel -es ihm auf, was wir andern ganz natürlich fanden, -dass sie sich bezahlen liessen. Das chokierte ihn. -Warum sollte nur der eine Teil bezahlt nehmen und -nicht der andere, wenn alle beide das Vergnügen -genossen. -</p> - -<p> -Dann ging er ein Verhältnis mit einer Näherin -ein. Sie hatte ihn lieb und sie nahm nicht bezahlt. -Aber sie wurde von seltsamen Träumen beunruhigt, -die auch ihn zu beunruhigen anfingen. Das eine -Mal träumte sie, er lade sie ins Theater ein; das -zweite Mal, er schenke ihr Handschuhe; das dritte -Mal, er bezahle ihre Miete. Mein Freund war nicht -stark darin, Träume zu deuten, weil er arm war, -und dem Mädchen wurden ihre Träume nicht erfüllt. -Der Freund dachte, ich habe alle Soupers bezahlt -und sie keins; aber das sagte er nicht. Doch sie -ward es müde, ein Traumleben zu leben, und schenkte -ihre Liebe bald einem Buchhalter, der die Mittel hatte, -ihre Träume zu erfüllen. Mein Freund wurde sehr -bitter gegen die Frauen: das seien Materialisten, da -sie nicht aus reiner Liebe lieben könnten. -</p> - -<p> -Später verliebte er sich wieder. Als er ans Heiraten -denken konnte, ging er zum Vater; der fragte ihn -natürlich, ob er Geld habe. -</p> - -<p> -– So, man muss auch das Heiraten bezahlen, -dachte er. Nur bezahlen, immer und überall! -</p> - -<p> -Aber er war verliebt, und er entschloss sich zu -dem Handel. Er war Turn- und Schwimmlehrer. -Jetzt fängst du an zu verstehen. Er verheiratete -sich. Entdeckte nach dem ersten Kind, dass seine -Frau Anlage für „höhere Aufgaben“ besitze und -nicht mehr Kinder haben wolle. Sturm und Gewitter! -Und dann halbe Ruhe. Oft fand er es -<a id="page-246" class="pagenum" title="246"></a> -hart, für nichts bezahlen zu müssen; aber es war -nicht mehr zu ändern. -</p> - -<p> -Fünfzehn Jahre dauerte das Zölibat und seine Frau -wusste ihre Stellung gut zu verteidigen. -</p> - -<p> -– Ich bin die Mutter deines Kindes, und in dieser -Eigenschaft bin ich im Haus. -</p> - -<p> -Aber sie war nicht die Mutter seines Kindes, denn -sie besuchte fromme Sitzungen und hatte andere -höhere Zwecke, die nicht gerade der Aufklärung -dienten, aber sie vergass, dass sie seine Gattin war. -</p> - -<p> -Nach fünfzehn Jahren gab es einen Skandal in -der Schwimmschule. Mein Freund hatte sich dem -ausgesetzt, was Darwin einen Generationswechsel -genannt hätte. Aus der Analyse der fünfzehn Jahre -Zölibatleben kannst du einen russischen Roman -machen; ich vermag es nicht! Das Resultat war -eine geheime Untersuchung. Er wurde freigesprochen -und – zeugte ein neues Kind in der Ehe. Damit -war der Sache abgeholfen. -</p> - -<p> -Da hast du zwei Faktoren, die zusammen wirkten: -Berufskrankheit oder günstige Gelegenheit und auf -der anderen Seite fehlende Versorgung. -</p> - -<p> -– Noch ein dritter Faktor war vorhanden, fiel -der Leutnant ein. -</p> - -<p> -– Welcher denn? -</p> - -<p> -– Dass er schon als junger Mann darben musste. -</p> - -<p> -– Dann kannst du auch einen vierten nehmen! -</p> - -<p> -– Welchen? -</p> - -<p> -– Den hohen Arbeitslohn. -</p> - -<p> -– Nein jetzt gehen wir auf Deck, sagte der Leutnant; -das fängt an unheimlich zu werden, wenn man sich -darin vertieft. -</p> - -<p> -– Ja, das wird es, aber Alles zu seiner Zeit. -Weisst du, dass die Akademie von Dijon im vorigen -Jahr einen Preis von zehntausend Franken ausgesetzt -<a id="page-247" class="pagenum" title="247"></a> -hat für den, der befriedigend die Frage beantwortet: -Warum darf man nicht schreiben, wie -man spricht? -</p> - -<p> -– Nun, wer hat den Preis gewonnen? -</p> - -<p> -– Der Beschäler von Växjö. Er fand, die Ursache -liege darin: wenn er schreiben würde, wie er spreche, -dann käme er ins Gefängnis. -</p> - -<p> -– Du bist verrückt! -</p> - -<p> -– Nein, sieh, der Mond ist aufgegangen, rief der -Doktor aus, als sie auf Deck kamen. -</p> - -<p> -– Bei uns ist der Mond ein Maskulinum, aber -in Griechenland ist er ein Femininum! -</p> - -<p> -– Die Griechen haben ja nie die Geschlechter -auseinander gehalten. Weisst du, warum nicht? -</p> - -<p> -– Nein! -</p> - -<p> -– Es lag wohl in ihrer religiösen Überzeugung. -Zeus liebte ja Ganymedes! Und es war ein grosses -und gebildetes Volk, das die religiöse Überzeugung -achtete! -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="chapter-0-16"> -<a id="page-249" class="pagenum" title="249"></a> -<span class="line1">Corinna</span> -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -Ihr Vater war General, und die Mutter starb ihr -früh. Seitdem wurde das Haus meist von Herren -besucht. Und der Vater erzog sie selber. -</p> - -<p> -Sie ritt mit ihm aus, sah sich die Manöver an, -wohnte Schauturnen bei, machte Kontrollversammlungen -mit. -</p> - -<p> -Da der Vater unter allen, die in seinen Verkehrskreis -kamen, den höchsten Rang einnahm, bezeigten -ihm alle eine Ehrerbietung, wie sie Ebenbürtige einander -niemals bezeigen. Und da sie die Tochter -des Generals war, erwies man ihr die gleiche Ehre -wie dem Vater. Sie hatte den Rang eines Generals -und sie fühlte es. -</p> - -<p> -Im Flur sass immer eine Ordonnanz, die sich mit -furchtbarem Gerassel erhob, wenn sie kam und wenn -sie ging. Auf den Bällen wurde sie immer von Majoren -zum Tanz aufgefordert; einen Hauptmann hielt sie -für eine niedrige Menschenklasse, und die Leutnants -waren für sie unartige Jungen. -</p> - -<p> -So gewöhnte sie sich daran, die Menschen nach -der Rangliste zu beurteilen; Zivilpersonen waren für -sie „Fische“, dürftig gekleidete Menschen Lumpen, -arme Leute Pack. -</p> - -<p> -Aber über dieser Rangskala standen die Damen. -Der Vater, der alle Männer unter sich hatte und mit -Ehrenbezeigungen begrüsst wurde, sobald er sich -<a id="page-250" class="pagenum" title="250"></a> -sehen liess, stand doch immer vor einer Dame auf, -sie mochte jung oder alt sein, küsste bekannten -Damen die Hand, bediente jede Schönheit. Dadurch -bekam sie früh hohe Gedanken von der Überlegenheit -des weiblichen Geschlechts und gewöhnte sich daran, -Männer für niedrigere Wesen zu halten. -</p> - -<p> -Wenn sie ausritt, hatte sie immer einen Reitknecht -hinter sich. Wenn es ihr gefiel, Halt zu machen, -um sich die Landschaft anzusehen, machte er Halt. -Er war ihr Schatten. Aber wie er aussah, ob er -jung oder alt war, das wusste sie nicht. Wenn man -sie gefragt, was für ein Geschlecht er habe, hätte -sie es nicht sagen können; sie hatte nie daran gedacht, -dass der Schatten auch ein Geschlecht haben -könne; wenn sie in den Sattel stieg und dabei mit -ihrem kleinen Stiefel auf seine Hand trat, so war -die für sie ein gleichgültiges Ding; und sie konnte -dann ihr Kleid etwas anheben, als sei niemand zugegen. -</p> - -<p> -Diese eingeborenen Rangvorstellungen durchdrangen -ihr ganzes Leben. Sie konnte mit den Töchtern -des Majors oder des Hauptmanns nie vertraut werden, -denn deren Väter standen unter ihrem Vater. Auf -einem Ball hatte ein Leutnant einmal gewagt, sie -aufzufordern. Um seine Vermessenheit zu bestrafen, -antwortete sie nicht, als er zwischen den Tänzen sich -unterhalten wollte. Nachher aber erfuhr sie, es sei -einer der Prinzen gewesen: da war sie untröstlich. -Sie, die den Rangunterschied der Offiziere wusste, -die alle Orden und Titel kannte, sie hatte einen -Prinzen nicht erkannt. Das war zuviel. -</p> - -<p> -Sie war schön, aber der Stolz gab ihren Zügen -eine Starrheit, die jeden Anbeter abschreckte. Sich -zu verheiraten, daran hatte sie nie gedacht. Die -jungen Leute waren dazu nicht qualifiziert, und die -<a id="page-251" class="pagenum" title="251"></a> -Alten, die den Rang hatten, waren zu alt. Wenn sie -sich mit einem Hauptmann verheiratet hätte, würde -sie ja bei Tisch hinter allen Majorsfrauen gesessen -haben, sie, die Tochter des Generals. Das wäre ja -eine Degradierung gewesen. Übrigens wollte sie -durchaus kein Anhang oder eine Salonzierde für -einen Mann sein. Sie war gewohnt zu befehlen, -gewohnt, dass man ihr gehorchte; sie konnte keinem -gehorchen. Das freie männliche Leben unter Männern -hatte ihr ausserdem einen entschiedenen Widerwillen -gegen weibliche Beschäftigung eingeflösst. -</p> - -<p> -Spät erwachte ihr geschlechtliches Leben. Da sie -zu einer alten Familie gehörte, die väterlicherseits -durch seelenloses Soldatentum, durch Zechen und durch -Schlemmen mit ihrer Kraft schlecht hausgehalten, -mütterlicherseits die Fruchtbarkeit unterdrückt hatte, -um das Vermögen nicht teilen zu müssen, schien die -Natur bei Bestimmung ihres Geschlechts in letzter -Stunde gezögert zu haben; oder hatte vielleicht nicht -Kraft genug besessen, um sich für Fortsetzung der -Rasse zu entschliessen. Ihrer Gestalt fehlte das bestimmte -weibliche Gepräge, wie eine gesunde Natur -es für ihre Zwecke erzeugt, und sie tat auch nichts, -um den Mängeln durch Kunst abzuhelfen. -</p> - -<p> -Ihre wenigen weiblichen Kameraden fanden sie kalt, -gleichgültig gegen alles, was das Verhältnis der Geschlechter -betraf. Sie selber sprach sich geringschätzig -darüber aus, hielt es für unsauber, konnte nicht begreifen, -wie sich ein Weib einem Manne hingeben -könne. Die Natur war unrein für sie und Tugend -bestand für sie in reiner Wäsche, gestärkten Röcken -und heilen Strümpfen. Arm sein bedeutete für sie -schmutzig und lasterhaft sein. -</p> - -<p> -Im Sommer wohnte sie mit ihrem Vater auf dem -Landgut. -</p> - -<p> -<a id="page-252" class="pagenum" title="252"></a> -Das Land liebte sie nicht. Draussen in der Natur -wurde sie klein; der Wald war ihr unheimlich, der -See machte sie schauern, das hohe Gras der Wiese -barg Gefahren. Die Bauern waren eine Art arglistige -Tiere, und unsauber dazu. Auch hatten sie so viele -Kinder, und Burschen wie Mädchen waren für sie -lasterhaft. -</p> - -<p> -Bei grossen Festen wie Mittsommer und Geburtstag -des Generals wurden sie jedoch auf den Herrenhof -geladen, um wie der Chor in der Oper zu fungieren, -Hurra zu schreien, und zu tanzen, wie die Figuren -auf einem Gemälde. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Es war wieder Frühling. Helene war allein auf -ihrer Rassestute ausgeritten und weit hinaus ins Land -gekommen. Sie wurde müde und sass ab; band die -Stute an eine Birke, die an einer umzäunten Waldweide -stand. Dann trat sie an den Rand des Grabens, -um einige Orchideen zu pflücken. Die Luft war warm, -und Birken und Rasen dampften. Im Wasser des -Grabens plumpsten die Frösche. -</p> - -<p> -Plötzlich wieherte die Stute, und Helene sah das -schlanke Tier seinen Hals über den Zaun strecken und -mit aufgerissenen Nüstern die Luft einsaugen. -</p> - -<p> -– Alice, rief sie, still mein Mädchen! -</p> - -<p> -Und dann fuhr sie fort, einen Strauss aus diesen -schüchternen Blumen zusammenzusetzen, die so sorgfältig -ihre Geheimnisse hinter den hübschsten und -nettsten Gardinen verstecken, die gedrucktem Kattun -gleichen. -</p> - -<p> -Aber die Stute wieherte wieder. Aus den Haselbüschen -der Waldweide antwortete ein anderes Wiehern, -das aber stärker und tiefer war. Der sumpfige Boden -der Waldweide dröhnte, die Sterne rasselten unter gewaltigen -Hufschlägen, und heran trabte ein schwarzer -<a id="page-253" class="pagenum" title="253"></a> -Hengst. Der Kopf war stark, der Hals gespannt, -und die Muskeln lagen in Wulsten unter der glänzenden -Haut. Die Augen leuchteten, als sie die Stute erblickten. -Zuerst machte er Halt und streckte den -Hals, als ob er gähnte; zog die Oberlippe in die -Höhe und zeigte die Zähne. Dann galoppierte er -über das Gras und näherte sich dem Zaun. -</p> - -<p> -Helene raffte ihr Kleid und lief hin, um die Kandare -zu fassen, aber die Stute hatte sich losgerissen und -setzte jetzt über den Zaun. Dann begann das Freien. -</p> - -<p> -Helene stand draussen und lockte, aber das wilde -Tier hörte nicht mehr. Drinnen jagten sich die -Pferde und die Situation begann heikel zu werden. -Der Hengst schnob weissen Schaum, der wie Rauch -aus den Nüstern kam. -</p> - -<p> -Helene wollte fliehen, denn die Szene flösste ihr -Entsetzen ein. Sie hatte noch nie gesehen, wie die -Naturmacht in lebendigen Körpern rast. Bis zum -äussersten war sie erregt über diesen unverhüllten -Ausbruch. -</p> - -<p> -Sie dachte hinzulaufen und ihre Stute zu holen, -aber sie fürchtete den wilden Hengst. Sie wollte -forteilen und um Hilfe rufen, aber dann hätte sie ja -Zeugen erhalten. Sie kehrte dem Auftritt den Rücken -und beschloss zu warten. -</p> - -<p> -Da war Pferdegetrappel auf der Landstrasse zu -hören. Ein Wagen rollte heran. -</p> - -<p> -Helene konnte nicht fliehen, und sie schämte sich -zu bleiben. Aber es war zu spät, denn die Kalesche -fuhr langsamer und stand unmittelbar vor ihr still. -</p> - -<p> -– Aber das ist schön, sagte die eine Dame, die -im Wagen sass, und nahm ihre goldene Lorgnette, -um sich das Naturschauspiel, das jetzt in vollem -Gang war, anzusehen. -</p> - -<p> -<a id="page-254" class="pagenum" title="254"></a> -– Aber warum halten wir denn, schrie die andere -Dame. Fahren Sie doch weiter! -</p> - -<p> -– Ist das nicht schön? antwortete die ältere Dame. -</p> - -<p> -Der Kutscher lächelte in seinen grossen Bart und -trieb die Pferde an. -</p> - -<p> -– Du bist so prüde, meine liebe Amalie, sagte -die erste Stimme. Für mich ist es wie ein Gewitter -oder eine Sturzsee ... -</p> - -<p> -Mehr konnte Helene nicht hören. Sie war ganz -vernichtet von Ärger, Scham, Entsetzen. -</p> - -<p> -Da kam ein Bauernknecht des Weges. Helene eilte -ihm entgegen, um ihn nicht das Schauspiel sehen -zu lassen und zugleich um seine Hilfe zu bitten. Aber -er war bereits zu weit heran gekommen. -</p> - -<p> -– Ich glaube, das ist der Schwarze des Müllers, -sagte er mit ernster Miene. Dann ist das Beste, -zu warten, bis es vorbei ist, denn mit dem ist nicht -zu spassen. Wenn Fräulein nach Haus gehen wollen, -werde ich den Gaul nachbringen. -</p> - -<p> -Froh, aus der Sache herauszukommen, eilte Helene -davon. -</p> - -<p> -Als sie nach Haus kam, war sie krank. -</p> - -<p> -Die Stute wollte sie nicht wieder sehen. Die war -unrein. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Dieses unbedeutende Ereignis hatte einen grösseren -Einfluss auf Helenes seelische Entwicklung, als zu erwarten -war. Der brutale Ausbruch eines Naturtriebes, -dessen unverhüllte Darstellung einem Menschen Gefängnis -einbringt, verfolgte sie, als habe sie einer Hinrichtung -beigewohnt. Er störte ihre Gedanken am -Tage und ihre Träume bei Nacht. Er steigerte ihre -Furcht vor der Natur, und sie brach mit ihrem -früheren Amazonenleben. Schloss sich ein und begann -zu lesen. -</p> - -<p> -<a id="page-255" class="pagenum" title="255"></a> -Es war eine Bibliothek auf dem Gut vorhanden. -Aber das Unglück wollte, dass sie seit dem Tode des -Grossvaters nicht vermehrt worden war. Alle Bücher -waren also ein Menschenalter zu alt, und Helene fand -veraltete Ideale. Zuerst fiel ihr „Corinna“ von Frau -von Staël in die Hände. Der Band war so in ein -Fach hineingestellt, als sei er zu besonderer Benutzung -bestimmt, und das war er auch. In Grün und -Gold gebunden, mit abgegriffenem Schnitt, mit Bemerkungen -und Unterstreichungen versehen, die von -der verstorbenen Mutter herrührten, wurde das Buch -für die Tochter ein geistiger Verkehr mit der Toten, -deren Bekanntschaft das erwachsene Mädchen damit -erneuerte. Es war eine ganze Seelengeschichte, diese -Aufzeichnungen mit Bleistift. Das Missvergnügen mit -der Prosa des Lebens und der Roheit der Natur feuerte -die Phantasie an, sich eine Traumwelt zu bauen, in -der die Seelen ohne Körper lebten. Diese Welt war -aristokratisch, denn sie verlangte wirtschaftliche Unabhängigkeit, -nur um der Seele Gedanken schenken -zu können. Es war das Evangelium der Reichen, -diese Gehirnentzündung, die Romantik genannt wird -und die lächerlich wurde in ihrer Kläglichkeit, als sie -zur Unterklasse hinunter drang. -</p> - -<p> -Aus Corinna machte Helene nun ein Ideal: die -Dichterin, die Eingebungen von oben erhielt, die gleich -der Nonne des Mittelalters das Gelübde der Keuschheit -ablegte, um ein reines Leben zu führen, die natürlich -von einer glänzenden Menge bewundert wurde, -erhob sich über die kleinen Sterblichen des Alltags. -Es war nichts anderes als das Generalideal, nur übertragen: -Ehrenbezeigen, Gewehrrufe, erster Platz. -Dass Frau von Staël selber das Corinnaideal überlebte -und erst von Bedeutung wurde, als sie sich mit -der Wirklichkeit befasste, wusste Helene nicht. -</p> - -<p> -<a id="page-256" class="pagenum" title="256"></a> -Sie gab jede Beschäftigung mit der äusseren Welt -auf, zog sich in sich selber zurück und grübelte über -ihr Ich. Das Erbe, das die Mutter ihr in den posthumen -Anmerkungen hinterlassen, begann zu keimen. -Sie identifizierte sich mit Corinna und mit der Mutter -und verwendete viel Zeit darauf, über ihren Beruf -nachzudenken. Dass sie von der Natur für das Geschlecht -bestimmt sei, dass sie die Pflicht habe, für -das Keimen und Wachsen des Eies zu sorgen, das -die Natur in ihren Körper niedergelegt, das wies sie -weit von sich. Die Menschheit darüber aufzuklären, -was Frau von Staëls Corinna vor fünfzig Jahren gedacht -hatte, das war ihr Beruf; aber sie bildete sich -ein, es seien ihre eigenen Gedanken, die nach Ausdruck -rangen. -</p> - -<p> -Sie begann zu schreiben. Eines Tages versuchte -sie es mit Versen. Es gelang. Die Zeilen wurden -gleich lang und die letzten Worte reimten sich. Da -ging ihr ein Licht auf: sie war zur Dichterin geboren. -Blieben nur noch die Gedanken, und die konnte sie -aus „Corinna“ nehmen. -</p> - -<p> -So entstanden eine Menge Gedichte. -</p> - -<p> -Nun sollte aber auch die Welt damit beglückt -werden, und das konnte nur durch den Druck geschehen. -Eines Tages sandte sie ein Gedicht mit -dem Titel „Sappho“ an die Illustrierte Zeitung und -zeichnete Corinna. Mit klopfendem Herzen trug sie -den Brief zur Post, und als sie ihn in den Kasten -legte, betete sie leise zu „Gott“. -</p> - -<p> -Die vierzehn Tage, die folgten, waren furchtbar. -Sie ass nicht, schlief kaum und suchte die Einsamkeit. -</p> - -<p> -Am ersten Sonnabend, als die Zeitung kam, zitterte -sie wie bei einem Fieber; und als sie ihr Poem -weder gedruckt sah, noch ein Wort im „Briefkasten“ -fand, fiel sie zusammen. -</p> - -<p> -<a id="page-257" class="pagenum" title="257"></a> -Am nächsten Sonnabend, als sie wenigstens eine -Antwort bestimmt erwarten konnte, nahm sie die -Zeitung, ohne sie aufzumachen, mit in den Wald. -Dort, tief in einem Dickicht, zog sie das Blatt heraus, -nachdem sie sich nach allen Seiten umgesehen, ob -auch niemand auf der Lauer stehe; dann schlug sie -die Zeitung auf und liess das Auge über die Spalten -gleiten. Da stand ein einziges Gedicht, das hiess -„Bellmanstag“. Dann aber glitt das Auge zum Briefkasten -hinunter. Beim ersten Blick, den sie auf die -Zeilen in kleinem Druck warf, fuhr sie zusammen, -ihre Finger packten die Zeitung, rollten sie zu einem -Ball und warfen den ins Gebüsch. Dann starrte sie -unablässig auf den weissen Fleck, den das Papier -im Gebüsch bildete. Diese Beschimpfung war die -erste, die sie in ihrem Leben empfangen hatte. Sie -war auch ganz aus dem Sattel geworfen. Dieser -unbekannte Zeitungsschreiber hatte gewagt, was noch -niemand gewagt: er hatte ihr eine Unhöflichkeit -gesagt. Sie hatte ihre Verschanzungen verlassen und -sich auf ein Feld begeben, auf dem die Rangliste -wenig bedeutete, auf dem die Naturmacht siegte, -die Talent genannt wird. Vor diesem Talent beugte -sich selbst die Macht, wenn sie es nicht länger leugnen -konnte. Aber der Unbekannte hatte sie auch als -Weib verletzt. So hatte er sich zu schreiben erlaubt: -</p> - -<p> -– Corinna von 1807 hätte Essen gekocht und -Kinder gewiegt, wenn sie nach 1870 gelebt hätte. -Aber Sie sind keine Corinna! -</p> - -<p> -Da hörte sie zum ersten Mal <em>den</em> Feind, den Erzfeind, -den Mann. Kochen und wiegen! Der sollte -mal sehen! -</p> - -<p> -Helene ging nach Haus. Sie fühlte sich so vernichtet, -dass die Muskeln kaum den schlaffen Nerven -gehorchten. -</p> - -<p> -<a id="page-258" class="pagenum" title="258"></a> -Als sie aber ein Stück gegangen war, kehrte sie -ganz plötzlich um. Wenn einer die Zeitung fände! -Dann wäre sie verraten. Sie ging zurück, nahm -eine Gerte, zog das Blatt aus den Büschen hervor -und glättete es. Dann hob sie eine Moosscholle -auf, versteckte das Blatt darunter und rollte einen -Stein darauf. Es war eine Hoffnung, die da begraben -wurde, aber auch ein Beweis. Dass sie schuldig -war? Ja, so fühlte sies! Als habe sie ein Unrecht -getan. Als habe sie sich vor dem andern Geschlecht -entblösst! -</p> - -<p> -Nach diesem Tage begann sie einen neuen Kampf -mit sich selber. Der Ehrgeiz und die Furcht vor -der Öffentlichkeit kämpften miteinander, ohne dass -es zu einer Entscheidung kam. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Im Herbst starb der Vater. Da er nachts Karten -gespielt hatte, ohne Glück zu haben, hinterliess er -Schulden. Da er aber General war, so machte das -nichts aus. Helene brauchte sich nicht in einen -Zigarrenladen zu stellen, sondern wurde von einer -bisher unsichtbaren Tante aufgenommen. -</p> - -<p> -Doch trat mit dem Tod des Vaters eine völlige -Veränderung in ihrem Leben ein. Alle Ehrenbezeigungen -hörten von selber auf; die Offiziere des -Regiments begannen ihr onkelhaft zuzunicken, und -die Leutnants wagten sie auf den Bällen zum Tanz -aufzufordern. Jetzt merkte sie selbst, dass ihre -Hoheit nicht in ihrem persönlichen Wert gelegen, -sondern geliehen war. Sie fühlte sich degradiert -und empfand eine lebhafte Sympathie für alle Subalternen; -ja sie fühlte, wie eine Art Hass in ihr -wuchs gegen alle, welche die Vorrechte des Ranges -genossen, den sie früher bekleidet. Damit wuchs -auch das Bedürfnis, persönliche Anerkennung zu -<a id="page-259" class="pagenum" title="259"></a> -erringen, einen Rang zu erreichen, der jeden andern -übertraf, wenn er auch nicht in der Rangliste stand. -</p> - -<p> -Sie wollte sich auszeichnen, durchdringen, und, -warum nicht, herrschen. Sie besass ein Talent, das -sie auszuüben gewagt, obwohl sie es noch nicht -über den Durchschnitt erhoben hatte: sie spielte -Klavier. Jetzt begann sie Harmonie zu studieren -und sprach von der G-mollsonate und der Fis-dursymphonie, -als habe sie sie selber geschrieben. Und -damit begann sie Tonkünstler zu fördern. -</p> - -<p> -Ein halbes Jahr nach dem Tode des Vaters wurde -ihr eine Stellung als Hoffräulein angeboten. Sie -nahm an. Damit stellten sich wieder Trommelwirbel -und Gewehrrufe ein, und Helene begann ihre Sympathien -für Subalterne zu verlieren. Aber der Sinn -ist unbeständig wie das Glück, und Helene bekam -mit neuen Erfahrungen neue Ansichten. -</p> - -<p> -Sie entdeckte nämlich eines Tages, und zwar -recht bald, dass sie Dienerin war. Die Herzogin -und sie sassen im Schlossgarten. Die Herzogin -häkelte. -</p> - -<p> -– Ich finde, diese Blaustrümpfe sind dumm, sagte -die Herzogin. -</p> - -<p> -Helene wurde aschgrau im Gesicht und fixierte -ihre Herrin. Darauf antwortete sie: -</p> - -<p> -– Das finde ich nicht. -</p> - -<p> -– Ich habe nicht zu wissen verlangt, was Sie -finden, antwortete die Herzogin und liess ihr Knäuel -auf den Weg rollen. -</p> - -<p> -Helene zitterten die Beine, sie sah Zukunft und -Stellung in einem Zuge an sich vorbei sausen. Dann -ging sie, um das Knäuel zu holen. Es krachte in -der Taille, als sie sich niederbeugte, und sie war -flammend rot, als sie das Knäuel zurückgab, ohne -einen Dank zu erhalten. -</p> - -<p> -<a id="page-260" class="pagenum" title="260"></a> -– Sind Sie böse? fragte die Herzogin und sah -das Opfer mit einer impertinenten Miene an. -</p> - -<p> -– Nein, Königliche Hoheit, log Helene. -</p> - -<p> -– Man hat gesagt, Sie seien ein Blaustrumpf, -fuhr die Herzogin fort. Ist das wahr? -</p> - -<p> -Helene fühlte sich entkleidet und antwortete nichts. -</p> - -<p> -Das Knäuel fiel wieder. Helene stellte sich, als -sehe sie nichts, und biss sich in die Lippe, um die -Tränen des Ärgers zurückzuhalten. -</p> - -<p> -– Bitte, reichen Sie mir mein Knäuel, sagte die -Herzogin. -</p> - -<p> -Helene richtete sich auf, sah der Despotin ins Auge -und sagte: -</p> - -<p> -– Nein, das will ich nicht. -</p> - -<p> -Und damit ging sie. Der Sand knirschte unter -ihren Stiefeln, und die Schleppe wirbelte Staubwölkchen -auf. Sie lief beinahe die Treppe hinunter und -verschwand. -</p> - -<p> -Damit war ihre Laufbahn am Hof zu Ende. Aber -ein Stachel blieb sitzen. Helene musste jetzt fühlen, -was es heisst, in Ungnade gefallen zu sein; und noch -deutlicher wurde ihr, was es heisst, seine Stellung -aufzugeben. Die Gesellschaft liebt es nicht, dass -man seine Stellung wechselt, und niemand konnte -verstehen, wie sie aus freiem Willen den Sonnenschein -des Hofes hatte verlassen können. Sie war -natürlich „fortgejagt“. Das war der Ausdruck: Fortgejagt! -Das war die grösste Demütigung, die sie -erlitten; das war eine Beschimpfung. Sie kam sich -wie eine Deklassierte vor; sie sah, wie sich Verwandte -von ihr zurückzogen, als fürchteten sie, die -Ungnade werde sie anstecken. Sie sah, wie Freundinnen -bei der Begegnung kühl wurden und die Begrüssung -auf ein Minimum beschränkten. -</p> - -<p> -<a id="page-261" class="pagenum" title="261"></a> -Andererseits aber wurde sie mit einer rührenden -Vertraulichkeit von der Mittelklasse aufgenommen, -der sie sich von ihrer früheren Höhe näherte. Doch -verletzte sie deren Freundlichkeit zuerst mehr als die -Kälte der andern; schliesslich aber fand sie es besser, -dort unten die Erste als dort oben die Letzte zu sein: -Sie ging also zu einer Gruppe von Zivilbeamten und -Universitätslehrern über, von der sie mit offenen -Armen empfangen wurde. Bei der abergläubischen -Ehrfurcht, welche die Mittelklasse vor dem Schloss -hat, wurde sie sofort Gegenstand von Huldigungen. -Sie ward selber General und beeilte sich, eine Truppe -zu bilden. Eine Reihe junger Gelehrter nahm sofort -Sold, und sie begann Vorlesungen für Frauen zu -veranstalten. Alter akademischer Plunder wurde zusammengelesen, -abgestaubt und als neue Ware verhökert. -In einem ausgeräumten Speisesaal wurde -über Plato und Aristoteles gelesen vor einem Publikum, -das natürlich nicht die Schlüssel zu diesem -Heiligenschrein von Weisheit besass. -</p> - -<p> -Helene fühlte sich der unwissenden Aristokratie -überlegen, als sie diese Freimaurergeheimnisse eroberte. -Diese angebliche Überlegenheit gab ihrem -Auftreten eine Sicherheit, die imponierte. Die Männer -verehrten sie wegen ihrer Schönheit und Unnahbarkeit; -sie aber empfand nie etwas Beunruhigendes in der -Gegenwart von Männern. Deren Huldigung nahm sie -als Tribut hin, den sie der Frau schuldig waren, und -eine Achtung vor diesen Bedienten, die von ihrem -Sitz aufsprangen und sich in Positur stellten, wenn -sie vorbeikam, konnte sie nicht empfinden. -</p> - -<p> -Aber ihre Stellung als Unverheiratete war auf die -Dauer nicht befriedigend, und sie sah mit Neid, welche -Freiheit die verheirateten Frauen genossen. Sie konnten -sich frei auf der Strasse bewegen, mit jedem Herrn -<a id="page-262" class="pagenum" title="262"></a> -sprechen, abends ausbleiben, solange sie wollten, und -immer hatten sie den Gatten als Bedienten, der sie -abholte. Auch hatte eine Frau mehr Rang, mehr -Macht. Wie herablassend behandelten doch die Matronen -alle diese jungen Mädchen. Wenn sie aber -ans Heiraten dachte, tauchte das Abenteuer mit der -Stute wieder auf, und ein Entsetzen überkam sie, -das sie krank machte. -</p> - -<p> -Als das zweite Arbeitsjahr begann, erschien in -Helenes Kreis eine Professorenfrau aus Uppsala, die mit -ihrer Stellung körperlichen Reiz vereinigte. Helenes -Stern erbleichte, und alle ihre Anbeter fielen ab, um -die neue Sonne zu verehren. Da Helene nicht mehr -ihren früheren gesellschaftlichen Rang besass und -der Duft vom Hofe verdunstet war wie das Parfüm -von einem Taschentuch, wurde sie geschlagen. Der -Einzige, der ihr treu blieb, war ein Dozent der Ethik, -der sich bisher nicht vorzudrängen gewagt hatte. -Jetzt war seine Zeit gekommen. Seine Aufmerksamkeit -wurde gut aufgenommen, und seine strenge -Ethik flösste ihr ein unbegrenztes Vertrauen ein. Da -er ihr fleissig den Hof machte, fingen die Leute an -zu klatschen; daran kehrte sich Helene aber nicht; -darüber war sie erhaben. -</p> - -<p> -Eines Abends sassen sie in dem ausgeräumten -Speisesaal auf ihren Rohrstühlen, nachdem der Dozent -gegen freie Reise und einen Händedruck diesen Vortrag -gehalten hatte: -</p> - -<p class="u i center"> -Das ethische Moment in der ehelichen Liebe<br /> -oder<br /> -Die Ehe als Manifestation der absoluten Identität. -</p> - -<p class="noindent"> -– Sie meinen also, fuhr Helene fort, dass die -Ehe ein Koexistenzverhältnis zwischen zwei identischen -Ichs ist? -</p> - -<p> -<a id="page-263" class="pagenum" title="263"></a> -– Ich meine, wie ich schon die Ehre gehabt habe, -in meinem Vortrag auszusprechen, dass das Sein -nur unter dem Relationsverhältnis zweier kongruenter -Identitäten in ein Werden von höherer Potenz konfluieren -kann. -</p> - -<p> -– Was ist ein Werden? fragte Helene und errötete. -</p> - -<p> -– Das ist die Postexistenz zweier Vitalitäten in -einem neuen Ich. -</p> - -<p> -– Was? Sie meinen, dass die Kontinuität des -Ich, die durch die Kohabitation zweier analoger Sein -sich notwendig in einem Werden inkorporieren wird ... -</p> - -<p> -– Nein, mein Fräulein, ich wollte nur sagen, dass -die Ehe, um die profane Sprache zu benutzen, nur -unter der Kompatibilität der Seelen ein neues geistiges -Ich durch Reciprocität erzeugen wird, das nicht als -Sexus differentiiert werden kann. Ich will sagen, dass -das neue Wesen, das in der Ehe geboren wird, ein -Konglomerat von Mann und Frau sein wird; ein neues -Wesen, in dem beide ihre Persönlichkeit aufgegeben -haben, eine Einheit in der Vielheit, ein, um einen -bekannten Ausdruck zu gebrauchen, ein homme-femme. -Der Mann wird aufhören Mann zu sein und -das Weib Weib zu sein. -</p> - -<p> -– Das ist die Verbindung der Seelen! rief Helene aus, -froh an den schweren Klippen vorbei gekreuzt zu haben. -</p> - -<p> -– Das ist die Harmonie der Seelen, von der Plato -spricht. Das ist die wahre Ehe, so wie ich sie geträumt -habe, die ich aber leider, hm, unter dieser -Form kaum verwirklicht sehen werde. Hm! -</p> - -<p> -Helene sah nach der Decke hinauf und sagte -flüsternd: -</p> - -<p> -– Warum sollten Sie nicht, als ein Elitegeist, -diesen Traum verwirklicht sehen? -</p> - -<p> -– Weil die, welche meine Seele anzieht, nicht an -die, hm, Liebe glaubt. -</p> - -<p> -<a id="page-264" class="pagenum" title="264"></a> -– Das ist ja noch nicht entschieden. -</p> - -<p> -– Wenn sie es täte, würde sie immer von dem -Verdacht gequält werden, das Gefühl sei nicht aufrichtig. -Übrigens, es gibt keine Frau, die mich lieben -würde. Keine! -</p> - -<p> -– Doch, sagte Helene und sah ihm in sein Emailauge. -(Er hatte nämlich ein Emailauge, das sehr gut -gemacht war.) -</p> - -<p> -– Sind Sie davon überzeugt? -</p> - -<p> -– Ja, sagte Helene. Denn Sie sind nicht wie -andere Männer! Sie verstehen, was die Liebe der -Seelen ist! Der Seelen! -</p> - -<p> -– Wenn es die Frau gäbe, würde ich doch keine -Ehe mit ihr schliessen. -</p> - -<p> -– Warum nicht? -</p> - -<p> -– Im selben Zimmer hausen! -</p> - -<p> -– Das ist nicht notwendig! Frau von Staël wohnte -nur in derselben Wohnung wie ihr Mann. -</p> - -<p> -– Wirklich? -</p> - -<p> -– Was ist das für ein interessantes Gespräch, in -das sich die Herrschaften vertiefen? fragte die Professorin, -die in diesem Augenblick aus dem Salon trat. -</p> - -<p> -– Wir sprachen von Laokoon, antwortete Helene -und stand auf, verletzt von dem überlegenen Ton, -den die Professorin anschlug. Und damit war ihr -Entschluss gefasst. -</p> - -<p> -Acht Tage später wurde die Verlobung zwischen -dem Dozenten und Helene verkündigt. Sie wollten -im Herbst heiraten und sich in Uppsala niederlassen. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Man hatte dem Dozenten der Ethik ein glänzendes -Bankett gegeben, um seinen Abschied vom Junggesellenleben -zu feiern. Es war unerhört getrunken -werden, und der einzige Künstler der Stadt, der -Zeichenlehrer an der Domschule, hatte in gewaltigen -<a id="page-265" class="pagenum" title="265"></a> -Kartons das bisherige Geschlechtsleben des Opfers -historisch geschildert. Das war der Glanzpunkt des -Festes. Die Ethik war ein Lehrstoff und eine Milchkuh -wie viele andere, aber für das bürgerliche und -private Leben hatte sie keine Bedeutung. Der Dozent -war kein Heiliger gewesen, sondern hatte wie alle -andern seine Abenteuer hinter sich; die waren allgemein -bekannt, weil er keine Veranlassung gehabt, -sie geheim zu halten. Mit ungezwungenem Lächeln -sah er daher zu, wie sie, in Kohle und Farbe dargestellt, -sich abrollten, von lustigen Versen begleitet. -Als jedoch zuletzt seine nahende Seligkeit in einfachen -aber kräftigen Zügen geschildert wurde, fühlte -er sich tief verlegen, und wie ein Blitz durchfuhr es -sein Gehirn: Wenn Helene das sähe! -</p> - -<p> -Nach dem Bankett, auf dem er nach alter ehrlicher -Sitte acht Glas Branntwein getrunken hatte, -war er so berauscht, dass sich seine Befürchtungen -in vertraulichen Mitteilungen äusserten. Unter den -Gastgebern war auch ein verheirateter Mann, und -an den wendete sich der Verbrecher, um Rat und -Auskunft einzuholen. Da sie alle beide betrunken -waren, wählten sie als geheimen Ort der Beratung -zwei Stühle, die mitten im Saal unter dem Kronleuchter -standen. Sie waren denn auch bald von -einer lauschenden Menge umringt. -</p> - -<p> -– Hör mal! Du bist ein verheirateter Mann, begann -der Dozent und schrie möglichst laut, um, wie -er glaubte, von den Umstehenden nicht gehört zu -werden. Du musst mir ein Wort sagen, aber nur -eins, denn ich bin heute abend ausserordentlich -empfindlich, besonders in dieser Frage. -</p> - -<p> -– Ich will dir, Bruder, nur ein Wort sagen, nur -eins, schrie der Freund und legte seinen Arm um -den Hals des andern, um zu flüstern; dann fuhr er -<a id="page-266" class="pagenum" title="266"></a> -laut schreiend fort: Jede Handlung, hoc est jeder -Actus, zerfällt in drei Momente, mein Bruder, Progressus, -Culmen, Regressus. Über den Progressus -will ich sprechen, vom Culmen spricht man nicht. -Ja, siehst du, die Initiative, um sie so zu nennen, -die kommt dem Mann zu, die ist dein Teil! Du -musst also die Initiative ergreifen, du musst einschreiten, -verstehst du! -</p> - -<p> -– Wenn aber die andere Partei die Initiative nicht -billigt? -</p> - -<p> -Der Freund sah den Novizen verdutzt an; stand -auf und kehrte ihm mit einem verächtlichen Blick -den Rücken. -</p> - -<p> -– Narr! sagte er. -</p> - -<p> -– Danke! war alles, was der dankbare Schüler -antworten konnte. -</p> - -<p> -Jetzt war ihm die Sache klar. -</p> - -<p> -Am nächsten Tage hatte er Feuer im Leib von -all den starken Getränken, die er vertilgt; er ging -hin und nahm ein warmes Bad, denn er sollte sich -am dritten Tag verheiraten. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Die Hochzeitsgäste waren gegangen, die Dienstboten -hatten im Esssaal abgedeckt, sie waren allein. -</p> - -<p> -Helene war verhältnismässig ruhig, er aber war -recht nervös. Ihre Verlobungszeit war in ernsten -Gesprächen hingegangen; nie waren sie wie andere -Verlobte gewesen, hatten einander nicht umarmt, -einander nicht geküsst. Jedes Mal, wenn er sich ihr -hatte nähern wollen, hatten Helenes kalte Blicke ihn -entwaffnet. Aber er liebte sie, wie ein Mann eine -Frau liebt: sowohl körperlich wie seelisch. -</p> - -<p> -Sie gingen auf dem Teppich des Salons auf und -ab und suchten nach einem Gesprächsstoff. Aber -ein eigensinniges Schweigen herrschte. Die Lichter -<a id="page-267" class="pagenum" title="267"></a> -der Krone waren niedergebrannt, und das Stearin tropfte -in langen Tropfen über die Manschetten. Das Zimmer -war von dem Geruch der Speisen und den Dünsten -der Weine erfüllt, und auf dem Spiegeltisch lag das -Bukett Helenes und sandte betäubende Düfte von -Nelke und Heliotrop aus. -</p> - -<p> -Schliesslich blieb er vor ihr stehen, streckte die -Arme aus und sagte in gekünsteltem Ton, der ungezwungen -klingen sollte: -</p> - -<p> -– Und jetzt bist du mein Weib! -</p> - -<p> -– Was willst du damit sagen? war Helenes schroffe -Antwort. -</p> - -<p> -Er wurde ganz entwaffnet und liess die Arme sinken. -Dann aber ermannte er sich und sagte mit verlegenem -Lächeln: -</p> - -<p> -– Ich will damit sagen, dass wir Mann und Weib sind. -</p> - -<p> -Helene sah ihn an, als sei er berauscht, und -antwortete: -</p> - -<p> -– Erkläre dich! -</p> - -<p> -Das konnte er eben nicht. Alle Hilfsmittel der Philosophie -und der Ethik versagten; er stand einer kalten -und höchst unangenehmen Wirklichkeit gegenüber. -</p> - -<p> -Sie ist schamhaft, dachte er; das ist ihr Recht, -aber ich muss einschreiten und meine Pflicht tun. -</p> - -<p> -– Hast du mich missverstanden? fragte Helene -und die Stimme zitterte ihr. -</p> - -<p> -– Nein, gewiss nicht, aber, liebes Kind, hm, -wir, hm ... -</p> - -<p> -– Was ist das für eine Sprache? „Liebes Kind?“ -Für was hältst du mich? Und was sind deine Absichten? -Albert, Albert! fuhr sie fort, ohne eine -Antwort abzuwarten, die sie nicht haben wollte. Sei -gross, sei edel, und lerne im Weibe etwas Höheres -sehen als nur ein Weib! Tue das und du wirst -glücklich und gross werden! -</p> - -<p> -<a id="page-268" class="pagenum" title="268"></a> -Albert war besiegt! Von Scham vernichtet und -zornig auf den falschen Freund, der ihm einen schlechten -Rat gegeben, fiel er auf seine Kniee und stammelte: -</p> - -<p> -– Verzeih, Helene! Du bist edler als ich, reiner, -besser, du bist eine bessere Natur, und du wirst mich -erheben, wenn ich in die Materie versinken will! -</p> - -<p> -– Steh auf und sei stark, Albert, sagte Helene -mit dem Tonfall einer Prophetin; geh in Frieden -und zeig der Welt, dass die Liebe etwas anderes ist, -als die niedrige tierische Begierde. Gute Nacht! -</p> - -<p> -Albert stand auf und sah unschlüssig seiner Frau -nach, wie sie in ihr Zimmer ging und die Tür hinter -sich schloss. -</p> - -<p> -Von den reinsten Gefühlen und edelsten Absichten -erfüllt, ging Albert ebenfalls in sein Zimmer. Er warf -den Frack ab und steckte eine Zigarre an. Es war -ein Junggesellenzimmer, das er sich eingerichtet hatte. -Ein Bettsofa, ein Schreibtisch, einige Büchergestelle, -eine Waschtoilette. -</p> - -<p> -Als er sich ausgekleidet hatte, rieb er sich mit dem -nassen Handtuch kalt ab. Dann legte er sich auf -sein Sofa und schlug die Abendzeitung auf. Während -er seine Zigarre rauchte, wollte er lesen. Er las -einen Artikel über Schutzzoll. Nachdem er durch -diese Lektüre seine Gedanken in ihren normalen -Lauf zurückgeführt hatte, begann er über seine Stellung -nachzudenken. -</p> - -<p> -War er verheiratet oder war er ein Junggeselle? -Er war Junggeselle wie vorher, nur mit dem Unterschied, -dass er einen weiblichen Pensionär hatte, -der aber nicht für sich bezahlte. Der Gedanke war -unangenehm, aber er sagte die Wahrheit. Die Köchin -besorgte den Haushalt und das Hausmädchen räumte -die Zimmer auf. Was sollte Helene denn tun? Sich -entwickeln! Ach, das ist ja Unsinn, dachte er, und -<a id="page-269" class="pagenum" title="269"></a> -er fand sich lächerlich. Aber, dachte er, wenn der -Freund recht hätte, wenn es nur die gewöhnliche -alberne Art der Frauen war? Sie konnte nicht gut -zu ihm kommen, also musste er wohl zu ihr gehen. -Ging er nicht, so würde sie ihn morgen vielleicht -auslachen, ja, was schlimmer war, sich verletzt fühlen. -Ja, ja, die Frauen sind unbegreiflich, und der Versuch -muss gemacht werden. -</p> - -<p> -Er sprang auf, warf den Schlafrock über und ging -in den Salon. Mit zitternden Knieen lauschte er, ob -ein Laut aus Helenes Zimmer zu hören sei. -</p> - -<p> -Nichts! Da fasste er sich ein Herz und trat an -die Tür. Blaue Blitze funkelten ihm vor den Augen, -als er klopfte. -</p> - -<p> -Keine Antwort. Er zitterte am ganzen Körper und -der Schweiss rann ihm über die Stirn. -</p> - -<p> -Darauf klopfte er noch ein Mal, und mit einer -Fistelstimme, wie sein trockener Mund sie nur hervorbringen -konnte, sagte er: -</p> - -<p> -– Ich bin es nur! -</p> - -<p> -Keine Antwort! Da überkam ihn die Scham, und -er kehrte wieder in sein Zimmer zurück, verdutzt -und abgekühlt. -</p> - -<p> -Es war also Ernst! -</p> - -<p> -Er kroch ins Bett und griff wieder zu der Zeitung. -</p> - -<p> -Lange hatte er noch nicht gelesen, als er unten -auf der Strasse Schritte hörte, die allmählich langsamer -wurden und schliesslich verstummten. Dann -erklangen leise musikalische Laute, und ein Doppelquartett -begann: -</p> - -<p> -– Integer vitae scelerisque purus ... -</p> - -<p> -Er fühlte sich gerührt! Das war schön! Purus! -Er fühlte sich über die Materie erhoben. Im Zeitgeist -also lag diese Mahnung, höhere Forderungen -an die Ehe zu stellen; die Jugend war von dem -<a id="page-270" class="pagenum" title="270"></a> -ethischen Strom, der die Epoche durchdrang, ergriffen -worden ... -</p> - -<p> -– Nec venenatis ... -</p> - -<p> -Wenn Helene geöffnet hätte! -</p> - -<p> -Er nickte leise den Takt und fühlte sich so gross, -so edel, wie Helene ihn hatte haben wollen. -</p> - -<p> -– Fusce pharetra! -</p> - -<p> -Sollte er das Fenster öffnen und der studierenden -Jugend im Namen seiner Gattin danken. -</p> - -<p> -Er stand auf! -</p> - -<p> -Ein vierfaches schallendes Hohngelächter schmetterte -gegen die Fensterscheiben, gerade als er die Schnur -der Rollgardine ziehen wollte. -</p> - -<p> -Ja, wirklich, man lachte! -</p> - -<p> -Ausser sich taumelte er ins Zimmer zurück und -stiess gegen den Schreibtisch. Er war lächerlich. -Ein leiser Hass gegen die Frau, die diese demütigende -Szene verschuldet, begann in ihm zu keimen, aber -seine Liebe sprach sie wieder frei. Dann warf er -sich über die schelmischen Spassvögel, die er vor -den Senat bringen wollte. Doch immer kam er auf -sich selber zurück, und er war wütend, dass er sich -hatte nasführen lassen. -</p> - -<p> -Bis gegen Morgen ging er im Zimmer auf und ab, -dann fiel er auf sein Bett und schlief ein, in bitterer -Trauer über ein solches Ende seines Hochzeitstages, -des schönsten Tages seines Lebens, der auch der -seligste hätte werden sollen. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Am nächsten Tage traf er Helene am Kaffeetisch. -Sie war kalt und vornehm wie gewöhnlich. Albert -wollte sich natürlich von der Serenade nichts merken -lassen. Helene sprach von grossen Plänen für die -Zukunft, besonders über die Aufhebung der Prostitution. -Albert war entgegenkommend und versprach, -<a id="page-271" class="pagenum" title="271"></a> -zu tun, was in seiner Macht stehe. Die Menschen -müssten keusch werden, denn nur die Tiere seien -unkeusch. -</p> - -<p> -Dann ging er in seine Vorlesung. Da er durch die -Serenade misstrauisch geworden war, glaubte er beim -Auditorium allerlei Mienenspiel zu bemerken, und die -Kollegen schienen ihm auf eine Art zu gratulieren, -die ihn kränkte. -</p> - -<p> -Ein grosser, fetter, lebensfreudiger Kollege stellte -sich ihm im Flur der Bibliothek in den Weg, packte -ihn beim Kragen und fragte mit kolossalem Grinsen: -</p> - -<p> -– Nun? -</p> - -<p> -– Schäme dich! war das einzige, was er antworten -konnte, indem er sich losriss und auf der -Treppe verschwand. -</p> - -<p> -Als er nach Haus kam, war das Heim voll von -Freundinnen. Frauenröcke schlugen Albert um die -Beine, und als er sich in einen Sessel setzte, verschwand -er hinter Frauenkleidern. -</p> - -<p> -– Sie hatten ja ein Ständchen gestern abend, sagte -die Professorin. -</p> - -<p> -Albert erblasste, aber Helene nahm das Wort: -</p> - -<p> -– Das war ja nicht zu viel, aber sie hätten wenigstens -nüchtern sein können. Diese Trunksucht unter -der studierenden Jugend ist doch ganz fürchterlich. -</p> - -<p> -– Was haben sie denn gesungen? fuhr die Professorin -fort. -</p> - -<p> -– Es waren die gewöhnlichen Lieder: „Mein Leben -ein Meer“ und andere, sagte Helene. -</p> - -<p> -Albert sah sie erstaunt an, musste sie aber bewundern. -</p> - -<p> -Der Tag verging unter Geschwätz und Erörterungen. -Albert empfand ein gewisses Gefühl von Müdigkeit. -Nach der Arbeit des Tages einige Abendstunden mit -Frauen plaudern, war ja ganz angenehm; dies war -<a id="page-272" class="pagenum" title="272"></a> -aber zu viel. Und dann musste er zu allem ja sagen. -Machte er einen Versuch, zu widersprechen, wurde -er sofort zurechtgewiesen. -</p> - -<p> -Es wurde Abend, und man musste schlafen gehen. -Die Gatten sagten sich gute Nacht, und jeder ging -in sein Zimmer. -</p> - -<p> -Wieder begannen Zweifel und Unruhe ihn anzufechten. -Er glaubte einen zärtlichen Blick bei Helene -bemerkt zu haben, und er war nicht ganz sicher, -ob sie ihm nicht die Hand gedrückt. Dann steckte -er eine Zigarre an und nahm die Zeitung. Fing er -nur an von der Wirklichkeit zu lesen, so schienen -ihm die Augen aufzugehen. -</p> - -<p> -– Verrückt, sagte er halblaut, indem er die Zeitung -hinwarf. -</p> - -<p> -Er zog den Schlafrock an und ging in den Salon. -</p> - -<p> -Er hörte, dass sich in Helenes Zimmer etwas -rührte. -</p> - -<p> -Er klopfte. -</p> - -<p> -– Sind Sie es, Luise? wurde von innen gerufen. -</p> - -<p> -– Nein, ich bins nur, flüsterte er, halb den Atem -im Halse. -</p> - -<p> -– Was ist? Was willst du? -</p> - -<p> -– Ich möchte mit dir sprechen, Helene, antwortete -er beinahe bewusstlos. -</p> - -<p> -Der Schlüssel im Schloss wurde umgedreht. Albert -traute seinen Ohren nicht. Die Tür wurde geöffnet. -</p> - -<p> -Helene stand da, noch angekleidet. -</p> - -<p> -– Was willst du? fragte sie. Da aber sah sie, -dass er nur den Schlafrock anhatte und dass seine -Augen seltsam glänzten. -</p> - -<p> -Mit ausgestrecktem Arm schob sie ihn zurück und -schlug die Tür zu. -</p> - -<p> -Er hörte einen Körper zu Boden fallen und gleich -darauf ein lautes Weinen. -</p> - -<p> -<a id="page-273" class="pagenum" title="273"></a> -Wütend, aber beschämt, kehrte er in sein Zimmer -zurück. Es war also ernst! Aber das war bestimmt -nicht normal! -</p> - -<p> -Er durchwachte die Nacht unter Grübeleien, und -am Morgen musste er allein Kaffee trinken. -</p> - -<p> -Als er mittags nach Haus kam, empfing Helene -ihn mit einer schmerzlichen und ergebenen Miene: -</p> - -<p> -– Warum hast du mir das getan? sagte sie. -</p> - -<p> -Er bat um Verzeihung, aber recht kurz. Dann -reute seine Kürze ihn und er gab klein bei. -</p> - -<p> -So war sein eheliches Leben ein halbes Jahr lang. -Zwischen Zweifel, Wut, Liebe wurde er hin und her -geworfen, blieb aber immer an der Kette. -</p> - -<p> -Sein Gesicht wurde grau, und seine Augen erloschen. -Er war oft schlechter Laune, und unter -einem kalten Äussern siedete stets eine dumpfe Wut. -</p> - -<p> -Helene fand ihn verändert und despotisch, weil er -zu opponieren anfing und oft die Sitzungen verliess, -um ausser dem Haus Verkehr zu suchen. -</p> - -<p> -Eines Tages wurde er aufgefordert, sich um eine -Professur zu bewerben. Da er seine Mitbewerber -für überlegen hielt, machte er keinen Versuch, aber -Helene bestürmte ihn so lange, bis er die Bedingungen -erfüllte. Er wurde gewählt. Warum, wusste -er nicht, aber Helene wusste es. -</p> - -<p> -Um dieselbe Zeit sollte ein Reichstagsabgeordneter -gewählt werden. Der neue Professor, der nie davon -geträumt hatte, an öffentlichen Angelegenheiten teilzunehmen, -war ganz bestürzt, als er sich als Kandidat -aufgestellt sah. Noch mehr bestürzt war er, als er -gewählt wurde. Er dachte abzulehnen, aber Helenes -Vorstellungen, wie schön es sei, die Kleinstadt gegen -die Hauptstadt vertauschen zu können, veranlassten -ihn, die Wahl anzunehmen. -</p> - -<p> -Sie zogen also nach Stockholm. -</p> - -<p> -<a id="page-274" class="pagenum" title="274"></a> -Während dieses halben Jahres hatte der neue Professor -und Reichstagsabgeordnete in der Welt der -Junggesellen die neuen Ideen kennen gelernt, die von -England kamen und die alte Gesellschafts- und Moral-Lehre -umschaffen wollten. Dabei fühlte er, dass der -Augenblick kommen werde, in dem er mit seiner -„Pensionärin“ brechen müsse. In Stockholm, wo -neue Geister ihm Mut machten, diese Lehren, die -er innerlich schon anerkannt, auch zu bekennen, -lebte er auf. -</p> - -<p> -Helene dagegen witterte Konjunktur im Gegenstrom -und warf sich auf die kirchliche Seite. Da aber -wurde es Albert zu viel, und er bäumte sich auf. -Seine Liebe war erkaltet, und er hielt sich „ausser -dem Hause“ schadlos. Seiner Frau glaubte er dadurch -nicht untreu zu werden, denn sie hatte in einem -Verhältnis, das gar nicht existierte, niemals Treue -verlangt. -</p> - -<p> -Durch den Verkehr mit dem andern Geschlecht -erwachte das Gefühl seiner Männlichkeit, und bald -sah er den Zustand der Erniedrigung, in dem er -lebte, ein. -</p> - -<p> -Helene merkte, wie er sich von ihr löste. Ihr -Zusammenleben wurde ungemütlich, und jeden Augenblick -war eine Katastrophe zu erwarten. -</p> - -<p> -Es war nicht mehr lange bis zur Eröffnung des -Reichstages. Helene sah unruhig aus und schien -ihren Sinn geändert zu haben. Ihr Tonfall war -weicher als früher, und ihr schien daran zu liegen, -ihm alles recht zu machen. Sie sorgte dafür, dass -die Dienstmädchen das Haus in Ordnung hielten -und dass das Essen pünktlich auf den Tisch kam. -</p> - -<p> -Er wurde misstrauisch und wunderte sich, beobachtete -sie und hielt sich bereit auf das, was kommen -sollte. -</p> - -<p> -<a id="page-275" class="pagenum" title="275"></a> -Eines Morgens beim Kaffee sah Helene verlegener -als gewöhnlich aus. Sie zupfte an der Serviette und -hustete einige Male leise und trocken. Schliesslich -fasste sie sich ein Herz und rückte mit ihrem Anliegen -heraus. -</p> - -<p> -– Albert, begann sie, du wirst doch mir und der -Sache, der ich diene, einen Dienst tun? -</p> - -<p> -– Was ist das für eine Sache? fragte er kurz und -trocken, denn jetzt hatte er die Oberhand. -</p> - -<p> -– Du wirst doch etwas für das unterdrückte Weib -tun? Nicht wahr? -</p> - -<p> -– Wo ist das unterdrückte Weib? -</p> - -<p> -– Was, du hast unsere grosse Sache verlassen? -Du lässt uns im Stich? -</p> - -<p> -– Was ist das für eine Sache? -</p> - -<p> -– Die Frauenfrage! -</p> - -<p> -– Die kenne ich nicht. -</p> - -<p> -– Die kennst du nicht? O! Du! Ist nicht die -Frau aus dem Volke in einer ganz bedrückten Lage? -</p> - -<p> -– Nein, ich kann nicht sehen, dass sie sich in -einer schlimmeren Lage befindet als der Mann aus -dem Volke. Befreie ihn von seinen Ausbeutern, und -sein Weib wird auch befreit sein. -</p> - -<p> -– Aber die Unglücklichen, die sich verkaufen -müssen ... und die elenden Männer ... -</p> - -<p> -– Die so elend sind, dass sie bezahlen! Hat -sich je ein Mann für ein Vergnügen, das beide geniessen, -bezahlen lassen? -</p> - -<p> -– Darum handelt es sich nicht! Es handelt sich -vielmehr darum, ob das Gesetz nicht ungerecht ist, -da es die eine aber nicht den andern bestraft. -</p> - -<p> -– Das ist keine Ungerechtigkeit. Die eine hat -sich zu einer Quelle der Ansteckung erniedrigt, deshalb -behandelt der Staat sie wie einen tollen Hund. -Wenn du einen Mann triffst, der sich so tief erniedrigt, -<a id="page-276" class="pagenum" title="276"></a> -gut, dann stelle ihn auch unter polizeiliche Aufsicht. -Ach, ihr reinen Engel, die ihr den Mann als ein unreineres -Tier verachtet! Was willst du von mir? Was -soll ich tun? -</p> - -<p> -Er sah, dass sie ein Schriftstück in der Hand hatte, -das sie vom Büfett genommen. Ohne ihre Antwort -abzuwarten, nahm er es ihr fort und las. -</p> - -<p> -– Einen Antrag für den Reichstag! Ich soll der -Strohmann sein und diesen Antrag einbringen! Ist -das moralisch? Hältst du das, streng genommen, für -ehrlich? -</p> - -<p> -Helene erhob sich, brach in Tränen aus und warf -sich auf das Sofa. -</p> - -<p> -Er stand auf und näherte sich ihr. Er nahm ihre -Hand, um den Puls zu untersuchen und nachzusehen, -ob ihr Anfall irgendwie gefährlich sei. Sie ergriff -konvulsivisch seine Hand und drückte sie gegen ihre -Brust. -</p> - -<p> -– Geh nicht von mir, schluchzte sie; verlass mich -nicht, sondern bleib und lass mich an dich glauben. -</p> - -<p> -Zum ersten Mal sah er einen Ausbruch ihrer Gefühle. -Dieser feine Körper, den er bewundert und -geliebt hatte, konnte also Leben bekommen. Es -rollte also warmes Blut in diesen Adern! Blut, das -Tränen destillieren konnte. Er streichelte ihre Stirn. -</p> - -<p> -– O, sagte sie, es ist schön, wenn du mich so -streichelst. O, Albert, so müsste es immer sein! -</p> - -<p> -– Ja, antwortete er, warum ist es nicht so gewesen? -Warum nicht? -</p> - -<p> -Helene schlug die Augen nieder und wiederholte nur: -</p> - -<p> -– Warum nicht? -</p> - -<p> -Ihre Hand blieb in seiner, und er fühlte, wie eine -schöne Wärme von dem sammetweichen Glied ausging; -alle seine alten Gefühle für sie flammten wieder -auf, jetzt aber nicht mehr ohne Hoffnung. -</p> - -<p> -<a id="page-277" class="pagenum" title="277"></a> -Schliesslich erhob sie sich. -</p> - -<p> -– Verachte mich nicht, sagte sie; hörst du, verachte -mich nicht. -</p> - -<p> -Und sie ging in ihr Zimmer. -</p> - -<p> -Was ist das? fragte Albert sich, als er in die Stadt -ging. Macht sie eine Krisis durch? Beginnt ihr Leben -als Frau jetzt erst? -</p> - -<p> -Er blieb den ganzen Tag in der Stadt. Ging -abends ins Theater. Man gab „Die Welt, in der -man sich langweilt“. Wurde er böse, als er die -platonische Liebe, die Verbindung der Seelen, entlarvt -und belächelt sah? Nein, er wurde durchaus -nicht böse. Es war ihm, als werde ein Schleier aus -feingewebten Lügen von seinem guten Verstand fort -gezogen; er lächelte über das liebenswürdige Tier, -das seinen Kopf unter den Kartonflügeln der Theaterengel -hervorsteckte; er lächelte beinahe Tränen über -seinen langen, langen Selbstbetrug; er lachte über -seine Torheit. Welche Fäulnis lag doch hinter dieser -lügnerischen Moral, dieser wahnsinnigen Sucht, -sich von der gesunden Natur emanzipieren zu wollen; -die asketischen Lehren des Idealismus und des Christentums -hatten diesen Keim dem neunzehnten Jahrhundert -eingepflanzt. -</p> - -<p> -Wie er sich schämte! Dass er sich so lange hatte -dupieren lassen! -</p> - -<p> -Als er nach Haus kam, sah er noch Licht in -Helenes Zimmer. Er ging so leise, wie er konnte, -an ihrer Tür vorbei. Drinnen wurde gehustet. -</p> - -<p> -Er ging in sein Zimmer und legte sich zu Bett. -Las seine Zeitung und rauchte seine Zigarre. Er -hatte sich gerade in einen Artikel über die Wehrpflicht -vertieft, als plötzlich die Tür von Helenes -Kammer aufgeht und Schritte und Geschrei im Salon -<a id="page-278" class="pagenum" title="278"></a> -zu hören sind. Er springt auf, um nachzusehen, -was es gibt, im Glauben, Feuer sei ausgebrochen. -</p> - -<p> -Im Salon steht Helene, im Nachtkleid. Als sie -ihren Mann erblickt, schreit sie auf und eilt bis an -ihr Zimmer zurück; dort bleibt sie stehen, den Kopf -vorgestreckt. -</p> - -<p> -– Verzeih, Albert! Du bist es, ich wusste nicht, -dass du noch auf warst, und glaubte, es seien Diebe! -Verzeih! -</p> - -<p> -Und die Tür schliesst sich. -</p> - -<p> -Was bedeutete das? Liebte sie ihn? -</p> - -<p> -Er ging in sein Zimmer und trat vor den Spiegel. -Konnte eine Frau ihn lieben? Er war ja hässlich! -Aber die Seelen lieben einander, und so mancher -hässliche Mann hatte eine schöne Frau bekommen. -Dann aber war der Mann fast immer reich und -mächtig gewesen! -</p> - -<p> -Sollte Helene ihre falsche Stellung eingesehen -haben? Oder hatte sie gemerkt, dass er sie verlassen -wollte, und hatte sie die Absicht, ihn wieder -zu erobern? -</p> - -<p> -Am nächsten Morgen, als sie sich beim Kaffeetisch -trafen, war Helene überaus sanft. Der Professor -bemerkte, dass sie einen neuen Morgenrock trug, -der mit Spitzen besetzt war und ihre Schönheit -bedeutend hob. -</p> - -<p> -Als er sich Zucker nehmen wollte, trafen sich ihre -Hände zufällig. -</p> - -<p> -– Verzeih, lieber Mann, sagte sie mit einer Miene, -die er noch nie gesehen hatte und die an ein junges -Mädchen erinnerte. -</p> - -<p> -Sie sprachen über gleichgültige Dinge. -</p> - -<p> -Am Vormittag wurde der Reichstag eröffnet. -</p> - -<p> -Helene blieb bei ihrer nachgiebigen Art und wurde -von Tag zu Tag gefühlvoller. -</p> - -<p> -<a id="page-279" class="pagenum" title="279"></a> -Die Frist, in der Anträge eingebracht werden -mussten, ging zu Ende. -</p> - -<p> -Der Professor kam eines Abends, nachdem er im -Klub gewesen, ungewöhnlich aufgeräumt nach Haus. -Er ging in sein Zimmer und legte sich wie gewöhnlich -mit seiner Zigarre und seiner Zeitung zu Bett. -Nach einer Weile hörte er, wie Helenes Tür geöffnet -wurde. Dann blieb es einige Minuten still. Schliesslich -klopfte es an seine Tür. -</p> - -<p> -– Wer ist da? rief er. -</p> - -<p> -– Ich bin es, Albert! Zieh dich an und komm -heraus, ich muss mit dir sprechen. -</p> - -<p> -Er zog sich an und kam in den Salon. Helene -hatte einen Kronleuchter angesteckt und sass auf -dem Sofa, in ihren Spitzenmorgenrock gekleidet. -</p> - -<p> -– Verzeih mir, sagte sie, aber ich konnte nicht -schlafen. Mein Kopf ist so sonderbar. Setz dich -her und sprich mit mir. -</p> - -<p> -– Du bist nervös, mein Kind, sagte Albert und -nahm ihre Hand. Du musst ein Glas Wein trinken. -</p> - -<p> -Er ging in den Esssaal und holte eine Karaffe -voll Wein und zwei Gläser. -</p> - -<p> -– Auf dein Wohl, Geliebte, sagte er. -</p> - -<p> -Helene trank, und ihre Wangen fingen Feuer. -</p> - -<p> -– Was ist dir? fragte er und legte seinen Arm -um ihren Leib. Du fühlst dich unharmonisch? -</p> - -<p> -– Ja, ich bin nicht glücklich! -</p> - -<p> -Er hörte wohl, dass die Worte trocken und gesucht -kamen, aber seine Leidenschaft war geweckt, und -ihm war alles recht. -</p> - -<p> -– Weisst du, warum du unglücklich bist? fragte er. -</p> - -<p> -– Nein, das ist mir selber nicht klar. Aber eins -weiss ich: dass ich dich liebe. -</p> - -<p> -Albert nahm sie in seine Arme, drückte sie an sich -und küsste ihr Gesicht. -</p> - -<p> -<a id="page-280" class="pagenum" title="280"></a> -– Bist du mein Weib oder bist du es nicht? -flüsterte er. -</p> - -<p> -– Ich bin dein Weib, hauchte Helene, und ihr -Körper fiel zusammen, als seien alle Nerven zersprungen. -</p> - -<p> -– Ganz und gar? flüsterte er, während er sie mit -seinen Küssen paralysierte. -</p> - -<p> -– Ganz und gar, ächzte sie, während sich ihr -Körper in unbewussten Konvulsionen wand, als -wolle sie sich im Traum gegen eine Gefahr wehren. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Als Albert am nächsten Morgen erwachte, erwachte -er klar, ausgeschlafen, bei vollem Bewusstsein. Seine -Gedanken waren stark und bestimmt wie nach einem -guten tiefen Schlaf. Das Ereignis des gestrigen Tages -stand ihm lebendig vor Augen. Der wahre Sachverhalt -trat vor, unbestechlich, nüchtern, bestimmt. -</p> - -<p> -Sie hatte sich verkauft! -</p> - -<p> -Gegen drei Uhr hatte er, berauscht, blind, wahnsinnig, -wie er war, versprochen, ihren Antrag im -Reichstag einzubringen. -</p> - -<p> -Und der Preis! Ruhig, kalt, unbeweglich hatte sie -ihn empfangen. -</p> - -<p> -Wer war die erste Frau, die erfand, das sie -ihre Gunst verkaufen kann? Und welche Frau -entdeckte, dass der Mann kaufen will? Diese Frau -hat die Ehe und die Prostitution gestiftet. Und man -behauptete, Gott habe die Ehe gestiftet! -</p> - -<p> -Er sah seine Erniedrigung und ihre! Sie wollte -über ihre Freundinnen triumphieren, dass sie die -erste Frau sei, die in die Gesetzgebung eingegriffen; -um diesen Triumph zu erreichen, hatte sie sich -verkauft. -</p> - -<p> -Aber er wollte sie entlarven. Er wollte ihr zeigen, -wer sie war. Er wollte ihr sagen, die Prostitution -<a id="page-281" class="pagenum" title="281"></a> -könne nicht abgeschafft werden, solange die Frau -ihren Vorteil dabei finde, sich zu verkaufen. -</p> - -<p> -Und mit dem Entschluss kleidete er sich an. -</p> - -<p> -Als er in den Esssaal kam, musste er eine Weile -warten. Er dachte sich aus, was folgen würde, und -ermannte sich, ihr zu begegnen. -</p> - -<p> -Dann kam sie! Ruhig, lächelnd, triumphierend; -aber schöner, als er sie je gesehen. Ein dunkles -Feuer brannte in ihrem Auge, und er, der erwartet, -sie werde wie eine Neuvermählte die Blicke niederschlagen -und erröten, war vernichtet. Sie, sie spielte -die siegreiche Verführerin und er war der schüchterne -Verführte. -</p> - -<p> -Die Worte, die er hatte sagen wollen, kamen nicht -über seine Lippen; er stand auf, besiegt, ging ihr -demütig entgegen und küsste ihr die Hand. -</p> - -<p> -Sie konversierte wie gewöhnlich, ohne anzudeuten, -dass ein neues Moment in ihr Leben eingetreten war. -</p> - -<p> -Als er dann ihr Schriftstück in den Reichstag trug, -raste er innerlich, aber der Gedanke an die künftige -Seligkeit beruhigte ihn wieder. -</p> - -<p> -Als er dann abends ganz kühn an Helenes Tür -klopfte, war sie verschlossen. -</p> - -<p> -Sie blieb drei Wochen geschlossen. Wie ein Hund -kroch er vor ihr, gehorchte jedem Wink von ihr, -tat alles, was sie wünschte, vergebens. -</p> - -<p> -Da brach seine Empörung los, und er sagte ihr -alles. Sie antwortete scharf. Als sie aber sah, dass -sie zu weit gegangen war, dass er seine Kette abfeilte, -ergab sie sich ihm. -</p> - -<p> -Und er trug seine Kette. Er biss in sie, er riss -an ihr, aber sie hielt. -</p> - -<p> -Bald lernte sie, wie weit sie gehen durfte, und -wenn es ihm zuviel zu werden schien, gab sie nach. -</p> - -<p> -<a id="page-282" class="pagenum" title="282"></a> -Er bekam eine fanatische Sehnsucht, sie als Mutter -zu sehen. Das wird sie vielleicht zum Weib machen, -dachte er; das wird die gesunde Natur hervorlocken. -</p> - -<p> -Aber sie wurde nicht Mutter. -</p> - -<p> -Hatte der Ehrgeiz, der selbstsüchtige Brand des -Individuums, die Quelle des Lebens verzehrt? Das -konnte er nicht wissen. -</p> - -<p> -Eines Tages teilte sie ihm mit, sie müsse auf -einige Tage zu Verwandten reisen. -</p> - -<p> -Als Albert abends nach ihrer Abreise heimkehrte -und das Haus leer sah, überfiel ihn ein grausames -Gefühl der Leere, der Sehnsucht. Jetzt wurde ihm -klar, wie sein ganzes Wesen von Liebe zu ihr durchwebt -war. Die Zimmer waren öde; es war wie -nach einem Begräbnis. -</p> - -<p> -Ihr Platz am Tisch war leer, und er ass beinahe -nichts. -</p> - -<p> -Nach dem Abendbrot steckte er die Krone im -Salon an. Er setzte sich auf ihren gewöhnlichen -Platz ins Sofa; er nahm ihre zurückgelassene Handarbeit -– eine Kinderjacke, für ein unbekanntes Kind -in einer neugegründeten Kinderkrippe bestimmt. Da -sass noch die Nadel. Er stach sich damit in den -Finger, als wolle er fühlen, wie süss der Schmerz sei. -</p> - -<p> -Darauf steckte er ein Licht an und ging in ihr -Schlafzimmer. Er hielt die Hand vors Licht, als er -eintrat, wie wenn er ein Verbrechen begehe. Aber -der Raum glich nicht dem Schlafzimmer einer Frau. -Ein schmales Bett ohne Umhang. Ein Sekretär, ein -Büchergestell, ein Nachttisch, ein Sofa. Ganz wie -in seinem Zimmer. Kein Toilettentisch, nur ein -kleiner Wandspiegel. -</p> - -<p> -Dort hing ihr Kleid. Er sah, wie die dicke durchwirkte -Serge die Formen ihres Körpers abgedrückt -hatte. Er fuhr mit der Hand über den Stoff und -<a id="page-283" class="pagenum" title="283"></a> -legte sein Gesicht an die Halskrause; dann schlang -er den Arm um die Taille, aber das Kleid fiel wie -ein Schemen zusammen. -</p> - -<p> -– Und man sagt, die Seele sei ein Geist, dachte -er. Aber dann muss sie wenigstens ein körperlicher -Geist sein. -</p> - -<p> -Er näherte sich dem Bett, als erwarte er, eine -Erscheinung zu sehen. Er berührte alles, nahm -alles in die Hand. -</p> - -<p> -Schliesslich, als habe er etwas gesucht, etwas, das -ihm ein Rätsel lösen sollte, begann er an den Handgriffen -der Sekretärschubladen zu ziehen; sie waren -alle verschlossen. Dann zog er wie zufällig die -Schublade des Nachttisches auf. Stiess sie aber -schnell wieder zu. Hatte jedoch schon den Titel -einer Broschüre lesen und den Zweck einiger ungewöhnlicher -Gegenstände ahnen können. -</p> - -<p> -Das war es also! „Fakultative Sterilität!“ Was -für die Unterklasse, der man die Existenzmittel genommen, -eine Rettung von der Armut sein sollte, -war das Werkzeug des Egoismus, der letzten Konsequenz -des Idealismus, geworden. War die Oberklasse -degeneriert, da sie sich nicht mehr vermehren -wollte, oder war sie moralisch verfault? Wohl beides, -da sie es für unmoralisch hielt, uneheliche Kinder -zu gebären, und für niedrig, eheliche zu gebären. -</p> - -<p> -Aber er wollte Kinder haben! Er hatte die Existenzmittel -dazu, und er hielt es sowohl für eine -Pflicht wie für einen berechtigten Genuss, sein Wesen -in ein neues Dasein übergehen zu lassen. Das war -des wahren, des gesunden Egoismus natürlicher Weg -zum Altruismus. Sie aber ging einen anderen Weg -und arbeitete Jacken für fremde Kinder. War das -schöner? Es sollte nach etwas aussehen! Aber es -war nur die Furcht vor der Last der Mutterschaft, und -<a id="page-284" class="pagenum" title="284"></a> -es war billiger und weniger mühsam, auf dem Sofa -eines Salons eine Jacke zu arbeiten, als das arbeitsreiche -Leben einer Kinderstube durchzumachen. -</p> - -<p> -Es war eine Schande geworden, Weib zu sein, -Geschlecht zu haben, Mutter zu werden. -</p> - -<p> -Darin lag es. Arbeiten für den Himmel, für höhere -Interessen, für die Menschheit, so hiess es; aber für -die Eitelkeit, für die Selbstsucht, für die Öffentlichkeit, -das war es. -</p> - -<p> -Und er hatte sie noch beklagt, er hatte bedauert, -dass er über ihre Unfruchtbarkeit unwillig gewesen. -Er hatte sich einmal die Verachtung „guter und rechtschaffener“ -Menschen zugezogen, weil er nicht mit -der Achtung, die man dem Unglück schuldet, von -den unfruchtbaren Frauen gesprochen: die seien heilig, -weil sie von dem grössten Unglück getroffen seien, -das ein Weib treffen könne. -</p> - -<p> -Und für was arbeitete diese Frau? Für den Fortschritt? -Für die Rettung der Menschheit? -</p> - -<p> -Nein, gegen den Fortschritt, gegen Freiheit und -Aufklärung. Hatte sie nicht kürzlich einen neuen -Antrag, die Religionsfreiheit zu beschränken, niedergeschrieben? -Hatte sie nicht eine Broschüre über -die Zuchtlosigkeit der Dienstboten verfasst? Arbeitete -sie nicht für die Verschärfung der Militärgesetze? Unterstützte -sie nicht die Agitation, welche die Mädchen -durch dieselbe elende Erziehung, welche die Knaben -erhalten, verderben will. -</p> - -<p> -Er hasste ihre Seele, denn er hasste ihre Gedanken! -Und doch liebte er sie? Was liebte er denn bei ihr? -</p> - -<p> -– Wahrscheinlich, antwortete er sich, indem er es -nicht unterlassen konnte, auf die Philosophie zu -kommen, wahrscheinlich, den Keim zu einem neuen -Wesen, den sie trägt, den sie aber ersticken will! -</p> - -<p> -Was konnte es sonst sein? -</p> - -<p> -<a id="page-285" class="pagenum" title="285"></a> -Was aber liebte sie an ihm? Seinen Titel, seine -Stellung, seine Macht! -</p> - -<p> -Und mit diesen alten Menschen sollte man an dem -Aufbau der neuen Gesellschaft arbeiten! -</p> - -<p> -Er wollte ihr all das sagen, wenn sie nach Haus -kam; aber er wusste, dass er es nicht tun werde. -Er wusste, dass er vor ihr kriechen und um ihre -Gunst betteln werde; dass er ihr Sklave bleiben und -immer wieder seine Seele verkaufen werde, wie sie -ihren Körper verkaufte. Er wusste, dass er das tun -werde, denn er liebte sie. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="chapter-0-17"> -<a id="page-287" class="pagenum" title="287"></a> -<span class="line1">Ungetraut und getraut</span> -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -Der Referendar ging an einem schönen Frühlingstage -im alten Stockholmer Hopfengarten spazieren. -Er hörte aus der Rotunde Gesang und Musik klingen -und sah aus den grossen Fenstern Licht strömen, -das seinen Schein bis unter die Schatten der eben -ausgeschlagenen Linden warf. -</p> - -<p> -Er ging hinein, setzte sich an einen freien Tisch -nahe der Estrade und verlangte einen Grog. -</p> - -<p> -Zuerst sang ein Komiker ein trauriges Lied von -der „Toten Ratte“. Dann kam ein junges Mädchen -in rosenrotem Kleid und trug das dänische Lied -vor: „Und nichts ist so lieblich wie eine Mondscheinfahrt“. -Sie sah verhältnismässig unschuldig aus und -richtete das Lied an unsern unschuldigen Referendar. -Von einer solchen Auszeichnung geschmeichelt, leitete -der Unterhandlungen ein, die mit einer Flasche Wein -begannen und mit zwei möblierten Zimmern nebst -Küche und den nötigen Bequemlichkeiten endeten. -</p> - -<p> -Die Gefühle des jungen Mannes zu analysieren, -gehört nicht in den Plan dieser Arbeit, ebensowenig -wie eine Beschreibung des Meublements und der -nötigen Bequemlichkeiten zu geben. Genug, sie -waren gute Freunde. -</p> - -<p> -Aber von den sozialistischen Tendenzen der Zeit -angesteckt und immer sein Glück vor Augen haben -wollend, beschloss der junge Mann, selber in die -<a id="page-288" class="pagenum" title="288"></a> -Wohnung zu ziehen und die Freundin als Haushälterin -anzustellen. Darauf ging sie gern ein. -</p> - -<p> -Aber der junge Mann hatte Familie, das heisst -seine Familie zählte ihn zu ihrem Mitglied, und da -er nach deren Meinung die allgemeine Moral verletzt -und einen Schatten auf das Ansehen der Familie -geworfen hatte, wurde er vor Eltern und Geschwister -zitiert, um zurechtgewiesen zu werden. Er aber -glaubte für solche Zurechtweisungen zu alt zu sein -und brach Unterhandlungen und Verkehr ab. -</p> - -<p> -Das machte ihm sein eigenes Heim nur noch -lieber, und er wurde ein recht häuslicher Ehemann, -Verzeihung, „unehelicher“ Mann. Sie waren selig, -denn sie liebten einander, und keine Fessel drückte -sie. Sie lebten in einer fröhlichen Unruhe, dass sie -einander verlieren könnten, und taten daher alles, -um einander zu behalten. Die Beiden waren eins. -</p> - -<p> -Etwas aber fehlte ihnen in ihrem Leben; das war -der Verkehr. Die Gesellschaft wollte nichts von ihnen, -und der junge Mann wurde von der „grossen Welt“ -nicht eingeladen. -</p> - -<p> -Es war der Tag vor der Weihnacht, ein trauriger -Tag für die, welche Familie gehabt haben. Als er -morgens beim Kaffee sass, empfing er einen Brief. -Der war von einer Schwester, die ihn inständig bat, -am Weihnachtsabend nach Haus zu kommen. Die -Saiten seiner alten Gefühle waren angeschlagen, und -er wurde verstimmt. Sollte er seine Freundin an -einem solchen Abend allein zu Hause sitzen lassen? -Nein! Sollte sein Platz im Elternhaus zum ersten -Mal am Weihnachtsabend leer bleiben? Hm! So -standen die Dinge, als er aufs Gericht ging. -</p> - -<p> -In der Frühstückspause trat ein Kamerad an ihn -heran und fragte so vorsichtig wie möglich: -</p> - -<p> -<a id="page-289" class="pagenum" title="289"></a> -– Wirst du den Weihnachtsabend bei deiner Familie -verleben? -</p> - -<p> -Er flammte auf. Sollte der eingeweiht sein? Oder -was meinte er? -</p> - -<p> -Der andere sah, dass er auf ein Hühnerauge getreten -hatte, und fuhr fort, ohne die Antwort abzuwarten. -</p> - -<p> -– Ja, siehst du, wenn du allein bist, habe ich gedacht, -du könntest mit mir, hm, mit uns zusammen -sein. Du weisst vielleicht, hm, ich habe ein kleines -Verhältnis, hm, ein nettes, prächtiges Mädchen, -siehst du. -</p> - -<p> -Das klang gut, und er sagte, er wolle den Vorschlag -gern annehmen, wenn sie beide kommen -könnten. Natürlich dürften sie das, und damit war -die Weihnachtsfrage und die Verkehrsfrage gelöst. -</p> - -<p> -Sie trafen sich um sechs Uhr bei dem Freunde, -und die beiden „Alten“ setzten sich hin, um Portwein -zu trinken, während die Frauen in die Küche -gingen. -</p> - -<p> -Dann halfen sie alle vier beim Decken: die beiden -Alten knieten auf den Boden nieder und machten -mit Keilen und Querhölzern den Tisch breiter. Die -Frauen waren schon die besten Freundinnen geworden, -denn sie wurden von dem recht sichtbaren -Band zusammengehalten, das den grossen Namen -„Urteil der Welt“ trägt. Sie achteten einander, sie -waren feinfühlig gegen einander. Sie vermieden -diese zweideutige Sprache, an der sich Eheleute ergötzen, -wenn die Kinder sie nicht hören, als wollten -sie sagen: jetzt haben wir das Recht dazu. -</p> - -<p> -Bei der Torte brachte der Jurist einen Toast auf -die eigene Häuslichkeit aus, in die wir vor der Welt -und den Menschen fliehen, in der wir unsere besten -Stunden mit unsern wirklichen Freunden verleben. -</p> - -<p> -<a id="page-290" class="pagenum" title="290"></a> -Da fing Marie-Luise an zu weinen, und als er sie -fragte, warum sie betrübt sei, warum sie nicht glücklich -sei, schluchzte sie, sie sehe wohl, dass er seine -Schwestern und seine Mutter vermisse. -</p> - -<p> -Er antwortete, er vermisse sie durchaus nicht, und -sie selber würde sie sicher weit fort wünschen, wenn -sie in ihre Nähe käme. -</p> - -<p> -– Ja, aber warum könnten sie sich nicht verheiraten? -</p> - -<p> -– Seien sie denn nicht verheiratet? -</p> - -<p> -– Ja, aber nicht richtig! -</p> - -<p> -– Vorm Pastor? Er glaube nicht, dass Pastoren -etwas anderes seien als examinierte Studenten, und -ihre Beschwörungsworte seien nur Mythologie. -</p> - -<p> -– Das verstehe sie nicht, aber gut sei es nicht, -das wisse sie, und die Leute im Hause zeigten mit -Fingern nach ihr. -</p> - -<p> -– Mögen sie doch zeigen! -</p> - -<p> -Sophie fiel ein, sie wisse wohl, sie seien nicht -fein genug für die Verwandten; aber daran kehre -sie sich nicht. Jeder bleibe da, wo er hingehöre, -und solle damit zufrieden sein. -</p> - -<p> -Jedenfalls hatte man einen Verkehr, und man lebte -in Eintracht, wie Familien selten tun. Das Band, das -sie zusammenhielt, war immer vorhanden; dafür aber -waren sie frei von andern Fesseln. Und die Gatten -waren immer wie Verliebte, ohne schlechte eheliche -Gewohnheiten anzunehmen, wie zum Beispiel unhöflich -gegen einander zu sein. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Nach einigen Jahren wurde die Verbindung durch -einen Sohn gesegnet. Damit war die Geliebte zu -dem Rang einer Mutter gestiegen, und alles andere -wurde jetzt vergessen. Das Leiden bei der Geburt -und die Fürsorge für den Neugeborenen nahmen ihr -<a id="page-291" class="pagenum" title="291"></a> -die alten selbstsüchtigen Züge, immer angenehm sein -zu wollen und allein die Liebe des Mannes zu beanspruchen. -</p> - -<p> -Als Mutter zeigte sie sich der Freundin gegenüber -etwas überlegen, und dem Mann gegenüber trat sie -mit grösserer Sicherheit auf. -</p> - -<p> -Eines Tages kam dieser nach Haus und verkündigte -eine grosse Neuigkeit. Er habe seine älteste -Schwester auf der Strasse getroffen, und sie wisse -natürlich genau Bescheid. Sie sei sehr neugierig auf -ihren Neffen und wolle endlich einen Besuch bei -ihnen machen. -</p> - -<p> -Marie-Luise war erstaunt und begann aufzuräumen -und abzustauben, und ihr Mann musste ihr endlich -ein neues Kleid kaufen. Und dann wartete sie acht -Tage lang. Die Gardinen wurden gewaschen, die -Messingtüren an den Kachelöfen geputzt, die Möbel -wurden gerieben. Die Schwester sollte sehen, dass -ihr Bruder an eine ordentliche Person geraten sei. -</p> - -<p> -Und dann wurde Kaffee gekocht, um elf Uhr vormittags, -zu welcher Zeit die Schwester kommen -sollte. -</p> - -<p> -Sie kam, gerade wie ein Stock, und reichte der -Schwägerin eine Hand, die so steif war wie ein Waschbleuel. -Sie besichtigte die Einrichtung der Schlafstube, -lehnte es aber ab, Kaffee zu trinken und sah -der Schwägerin nicht ins Gesicht. Doch für den -Neugeborenen interessierte sie sich etwas. Dann -ging sie wieder. -</p> - -<p> -Aber Marie-Luise hatte ihrem Mantel Mass genommen, -den Stoff ihres Kleides abgeschätzt, eine -neue Idee von ihrer Haarfrisur bekommen. Auf grosse -Herzlichkeit hatte sie nicht gerechnet. Für den Anfang -war ihr der Besuch genug, und das Haus wusste -bald, dass die Schwägerin dagewesen. -</p> - -<p> -<a id="page-292" class="pagenum" title="292"></a> -Der Junge wuchs und bald folgte ihm ein Mädchen. -</p> - -<p> -Jetzt zeigte sich Marie-Luise zärtlich besorgt um -die Zukunft der Kinder, und der Vater wurde täglich -zu überzeugen gesucht, nur eine Trauung könne die -Kinder retten. -</p> - -<p> -Dazu kam die Andeutung der Schwester, eine -Versöhnung mit seinen Eltern sei möglich, wenn er -sich regelrecht verheirate. -</p> - -<p> -Nachdem er zwei Jahre, Tag und Nacht, dagegen -gekämpft hatte, beschloss er endlich, um die Zukunft -seiner Kinder sicher zu stellen, die mythologische -Zeremonie über sich ergehen zu lassen. -</p> - -<p> -Wen aber sollte er zur Hochzeit einladen? Marie-Luise -wollte die Trauung in der Kirche haben. Dann -aber konnte Sophie nicht dabei sein. Das ging bestimmt -nicht. Ein Mädchen wie sie! Marie-Luise -konnte bereits das Wort „Mädchen“ mit einem moralischen -Accent aussprechen. Ihr Mann aber erinnerte -sie, dass Sophie eine gute Freundin gewesen sei und -man nicht undankbar sein dürfe. Marie-Luise dagegen -betonte, man müsse seiner Kinder wegen private -Sympathien aufgeben; und sie drang mit ihrer Ansicht -durch. -</p> - -<p> -Die Hochzeit fand statt. -</p> - -<p> -Die Hochzeit war vorüber. Keine Einladung von -seinen Eltern. Von Sophie ein zorniger Brief, und -dann vollständiger Bruch. -</p> - -<p> -So war also Marie-Luise Frau. Aber einsamer -als vorher war sie. Über die Enttäuschung erbittert, -ihres jetzt gebundenen Mannes sicher, begann sie -sich alle Freiheiten herauszunehmen, die einer Ehefrau -zukommen. Was früher aus gutem Willen gegeben -wurde, nahm sie jetzt als schuldigen Tribut hin. -Sie verschanzte sich hinter dem Ehrentitel der Mutter -seiner Kinder und machte von dort ihre Ausfälle. -</p> - -<p> -<a id="page-293" class="pagenum" title="293"></a> -Einfältig wie alle angeführten Männer, konnte er -nie begreifen, was für eine Helligkeit darin lag, dass -sie die Mutter <em>seiner</em> Kinder war. Warum seine Kinder -merkwürdiger sein sollten als andere Kinder und als -er selber, das begriff er nicht. -</p> - -<p> -Doch beruhigt, dass seine Kinder eine gesetzliche -Mutter bekommen hatten, fing er an, sich wieder in -der Welt umzusehen, die er während des ersten Liebesrausches -etwas vergessen und später nicht aufgesucht -hatte, weil er Weib und Kind nicht allein lassen wollte. -</p> - -<p> -Diese Freiheiten missfielen seiner Frau, und da sie -sich jetzt nicht mehr zu genieren brauchte, auch eine -aufrichtige Natur war, so sagte sie, was sie dachte. -</p> - -<p> -Da er alle Schleichwege der Juristik studiert hatte, -war er um die Antwort nicht verlegen. -</p> - -<p> -– Findest du es anständig, fragte sie, die Mutter -deines Kindes allein sitzen zu lassen, um in die Kneipe -zu gehen? -</p> - -<p> -– Ich glaube nicht, dass du mich vermisst hast, -antwortete er vorbereitend. -</p> - -<p> -– Vermisst? Wenn der Mann das Wirtschaftsgeld -vertrinkt, so vermisst man manches im Hause. -</p> - -<p> -– Erstens trinke ich nicht, denn ich esse nur einen -Bissen und trinke nur eine Tasse Kaffee; zweitens vertrinke -ich nicht das Wirtschaftsgeld, denn das hast -du eingeschlossen; ich habe nämlich eine andere Art -Geld, das ich „vertrinke“. -</p> - -<p> -Unglücklicher Weise lieben die Frauen Ironie nicht, -und die aus Scherz gemachte Schlinge wurde sofort -um seinen Hals geworfen. -</p> - -<p> -– Du gestehst also ein, dass du trinkst? -</p> - -<p> -– Nein, ich habe nur deinen Ausdruck scherzhaft -benutzt. -</p> - -<p> -– Scherzhaft? So, man scherzt mit seiner Frau! -Das hast du früher nicht getan! -</p> - -<p> -<a id="page-294" class="pagenum" title="294"></a> -– Du hast ja die Zeremonie selber gewünscht. -Warum ist es jetzt nicht mehr so wie früher? -</p> - -<p> -– Weil man verheiratet ist natürlich. -</p> - -<p> -– Teils deshalb, und teils weil der Rausch die -Eigenschaft hat, zu verdunsten. -</p> - -<p> -– Es war also nur ein Rausch bei dir. -</p> - -<p> -– Nicht nur bei mir; bei dir auch, und bei allen -andern auch. Er dauert nur mehr oder weniger lang, -siehst du! -</p> - -<p> -– Also die Liebe ist nur ein Rausch bei den -Männern. -</p> - -<p> -– Nein, auch bei den Frauen! -</p> - -<p> -– Sie ist jedenfalls ein Rausch! -</p> - -<p> -– Ja, ja, ja! Aber man kann darum doch Freundschaft -halten. -</p> - -<p> -– Aber dann braucht man sich ja nicht erst zu -verheiraten. -</p> - -<p> -– Nein, das meinte ich ja auch. -</p> - -<p> -– Du? Warst du es nicht, der wollte, dass wir -uns trauen lassen sollten? -</p> - -<p> -– Ja, weil du es Tag und Nacht wolltest, drei -Jahre lang. -</p> - -<p> -– Ja, aber du hast es doch gewollt! -</p> - -<p> -– Ja, weil du es wolltest. Danke mir dafür. -</p> - -<p> -– Soll ich dir dafür danken, dass du die Mutter -deiner Kinder mit deinen Kindern allein lässt, während -du in die Kneipe gehst? -</p> - -<p> -– Nein, nicht dafür, sondern dass ich mich mit -dir habe trauen lassen. -</p> - -<p> -– Aber dankbar soll ich jedenfalls sein? -</p> - -<p> -– Ja, das sollst du, wie jeder anständige Mensch, -der seinen Willen bekommen hat. -</p> - -<p> -– Nun, schön ist es nicht, so verheiratet zu sein! -Wie irgend ein Mädchen, das von den Verwandten -des Mannes nicht geachtet wird. -</p> - -<p> -<a id="page-295" class="pagenum" title="295"></a> -– Was hast du mit meinen Verwandten zu tun? -Ich habe mich nicht mit deinen verheiratet. -</p> - -<p> -– Weil sie nicht fein genug waren! -</p> - -<p> -– Aber meine waren zu fein für dich. Wenn sie -Schuhmacher gewesen wären, so hätte dir nicht so -viel an ihnen gelegen. -</p> - -<p> -– Schuhmacher? Taugen die vielleicht nichts? -Sind das nicht auch Menschen? -</p> - -<p> -– Doch gewiss, aber ich glaube nicht, dass du -ihnen nachlaufen würdest. -</p> - -<p> -– Nun, dann ist es gut! -</p> - -<p> -Aber es war nicht gut, und es wurde nicht wieder -gut. Ob es nun an der Trauung lag oder an etwas -anderm, jedenfalls fand Marie-Luise, es sei früher -besser gewesen; es sei „fideler“ gewesen, wie sie -sich ausdrückte. -</p> - -<p> -Er glaubte nicht, dass gerade die Trauung schuld -sei, denn er hatte auch bürgerliche Ehen gesehen, -die nicht glücklich waren. Und das Schlimmste von -allem war: als er eines Tages wieder, wie er insgeheim -zu tun pflegte, seinen alten Kameraden und -Sophie besuchen wollte, erfuhr er, dass sie „ein -Ende gemacht“ hatten. Und sie waren nicht getraut. -Die Trauung hatte also nicht die Schuld! -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="chapter-0-18"> -<a id="page-297" class="pagenum" title="297"></a> -<span class="line1">Zweikampf</span> -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -Sie war hässlich und darum wurde sie von den -rohen jungen Männern, die eine schöne Seele unter -einem hässlichen Äussern nicht zu schätzen wissen, -übersehen. Aber sie war reich, und sie wusste, dass -die Männer dem Geld der Frauen nachjagen; ob -deshalb, weil alles Geld von den Männern erworben -ist und diese daher das Kapital für ihr Geschlecht -beanspruchen, oder aus anderen Gründen, das machte -sie sich nicht klar. Da sie reich war, lernte sie allerhand, -und da sie den Männern grosses Misstrauen -und tiefe Verachtung zeigte, galt sie für eine begabte -Dame. -</p> - -<p> -Sie war zwanzig Jahre alt geworden. Die Mutter -lebte noch, und sie wollte nicht fünf Jahre warten, -bis sie über ihr Vermögen verfügen konnte. So wurden -ihre Freundinnen eines Tages mit ihrer Verlobungskarte -überrascht. -</p> - -<p> -– Sie verheiratet sich, um einen Mann zu bekommen, -sagten die einen. -</p> - -<p> -– Sie verheiratet sich, um einen Bedienten zu -haben und die Freiheit zu geniessen, sagten die andern. -</p> - -<p> -– Wie dumm von ihr, sich zu verheiraten, sagten -die dritten; sie weiss nicht, dass sie dann erst unmündig -wird. -</p> - -<p> -– Seid nicht bange, sagten wieder andere: sie wird -mündig, obwohl sie sich verheiratet. -</p> - -<p> -<a id="page-298" class="pagenum" title="298"></a> -Wie sah er aus? Wer war er? Wo hatte sie ihn -gefunden? -</p> - -<p> -Er war ein junger Advokat, von weiblichem Aussehen, -mit hohen Hüften, von schüchternem Wesen. -Er war der einzige Sohn und von einer Mutter und -einer Tante erzogen. Er hatte immer eine grosse -Furcht vor jungen Mädchen gehabt und hasste die -Leutnants, weil sie männlich auftraten und auf Bällen -und Gesellschaften immer bevorzugt wurden. So war er. -</p> - -<p> -Sie trafen sich auf einem Ball im Kurhaus. Er war -spät gekommen und es waren keine Damen mehr -für ihn übrig. Die jungen Mädchen antworteten ihr -fröhliches, triumphierendes nein, wenn er kam, um -sie aufzufordern; sie winkten ihm mit ihren Tanzkarten -ab, als wollten sie eine zudringliche Fliege verscheuchen. -</p> - -<p> -Verletzt, gedemütigt ging er hinaus und setzte sich -auf die Veranda, um zu rauchen. Der Mond stand -über den Linden des Parkes, und der Reseda duftete -auf den Beeten. Durch die Fenster sah er, wie Paar -nach Paar im Tanzsaal vorbeirauschte, während die -wollüstigen Rhythmen des Walzers ihn beben liessen: -das war das ohnmächtige Verlangen des Krüppels. -</p> - -<p> -– Sitzen Sie hier allein, um zu schwärmen? hörte -er eine Stimme ihn ansprechen. Und tanzen nicht? -</p> - -<p> -– Warum tanzen Sie denn nicht, mein Fräulein, -sagte er und sah auf. -</p> - -<p> -– Weil ich hässlich bin und niemand mich haben -will, antwortete sie. -</p> - -<p> -Er betrachtete sie. Sie waren alte Bekannte, aber -er hatte sich ihre Züge noch nie genauer angesehen. -Sie war ausgesucht gekleidet, und ihre Augen drückten -in diesem Augenblick einen solchen Schmerz aus, -den Schmerz der Verzweiflung und der fruchtlosen -Empörung gegen eine ungerechte Natur, dass er eine -lebhafte Sympathie für sie empfand. -</p> - -<p> -<a id="page-299" class="pagenum" title="299"></a> -– Auch mich will niemand haben, sagte er. Aber -die Leutnants haben ja Recht. In der natürlichen -Auslese haben ja die Stärkeren und die Schöneren -Recht. Sehen Sie nur ihre Schultern und Epauletts ... -</p> - -<p> -– Pfui, wie Sie sprechen! -</p> - -<p> -– Verzeihen Sie! Aber man wird bitter, wenn -man einen ungleichen Kampf zu kämpfen hat! Wollen -Sie vielleicht mit mir tanzen? -</p> - -<p> -– Aus Barmherzigkeit? -</p> - -<p> -– Ja, gegen mich! -</p> - -<p> -Er warf seine Zigarre fort. -</p> - -<p> -– Haben Sie empfunden, was es heisst, vom -Schicksal gezeichnet, verworfen zu sein? Haben Sie -empfunden, was es heisst, immer der Letzte zu sein? -fing er wieder mit Wärme an. -</p> - -<p> -– Ob ich das empfunden habe? Aber die Letzten -bleiben nicht immer die Letzten, fügte sie mit Nachdruck -hinzu. Andere Eigenschaften als nur Schönheit haben -im Leben Wert. -</p> - -<p> -– Welche Eigenschaften schätzen Sie denn bei -einem Mann am höchsten? -</p> - -<p> -– Güte, antwortete sie bestimmt. Denn diese -Eigenschaft ist so selten bei einem Mann. -</p> - -<p> -– Güte und Schwäche pflegen ja zusammen zu -gehen, und die Frau liebt doch die Stärke beim -Mann. -</p> - -<p> -– Welche Frauen? Die rohe Kraft hat ihre Zeit -gehabt, und da wir in der Zivilisation weiter gekommen -sind, müssten wir doch so viel Verstand besitzen, -dass wir die Muskelkraft und die Roheit nicht höher -als das gute Herz stellen. -</p> - -<p> -– Wir müssten! Ja, und doch! Sehen Sie nur -den Tanz an! -</p> - -<p> -– Die wahre Männlichkeit liegt für mich im Adel -des Gefühls und in der Intelligenz des Herzens. -</p> - -<p> -<a id="page-300" class="pagenum" title="300"></a> -– Sie würden also einen Mann, den die ganze -Welt schwach, feige nennt ... -</p> - -<p> -– Was kümmere ich mich um die Welt! Und -um das, was die Welt sagt! -</p> - -<p> -– Wissen Sie, Sie sind ein ungewöhnliches Mädchen, -sagte der Advokat, immer mehr interessiert. -</p> - -<p> -– Durchaus nicht ungewöhnlich! Aber Ihr Männer -seid so gewohnt, die Frauen für eine Art von Spielpuppen -zu halten ... -</p> - -<p> -– Welche Männer? Ich, mein Fräulein, habe seit -der Kindheit zu der Frau aufgesehen als einer höheren -Offenbarung der Gattung Mensch, und von dem Tage, -an dem eine Frau mich liebte und ich sie wieder -liebte, würde ich ihr Sklave sein. -</p> - -<p> -Adele sah ihn lange und tief an. Dann sagte sie: -</p> - -<p> -– Sie sind ein ungewöhnlicher Mann. -</p> - -<p> -Nachdem die Beiden einander für ungewöhnliche -Spezies der schlechten Gattung Mensch erklärt und -sich über die Eitelkeit des Tanzvergnügens ausgelassen -hatten, stellten sie Betrachtungen über die Melancholie -des Mondes an. Dann gingen sie in den Tanzsaal, -um an der Française teilzunehmen. -</p> - -<p> -Adele tanzte ausgezeichnet, und der Advokat gewann -sich ihr Herz vollständig, weil er wie ein „unschuldiges -Mädchen“ tanze. -</p> - -<p> -Nach der Française setzten sie sich wieder auf -die Veranda. -</p> - -<p> -– Was ist die Liebe? fragte Adele und sah den -Mond an, als wolle sie eine Antwort vom Himmel -haben. -</p> - -<p> -– Die Sympathie der Seelen, flüsterte er mit einer -Stimme, als komme sie vom Wind. -</p> - -<p> -– Aber die Sympathie kann leicht in Antipathie -umschlagen, wie es schon vorgekommen ist, fuhr -Adele fort. -</p> - -<p> -<a id="page-301" class="pagenum" title="301"></a> -– Dann war es nicht die rechte Sympathie! Es -gibt Materialisten, die sagen, die Liebe würde nicht -vorhanden sein, wenn es nicht zwei Geschlechter -gebe; und sie wagen zu behaupten, dass die sinnliche -Liebe länger dauert als die andere. Ist es -nicht niedrig, tierisch, in der Geliebten nur das Geschlecht -zu sehen. -</p> - -<p> -– Sprechen Sie nicht von den Materialisten. -</p> - -<p> -– Doch, ich muss von ihnen sprechen, damit Sie -verstehen, wie hoch ich meine Liebe zu einer Frau -stelle, wenn ich eine lieben würde. Sie brauchte -nicht schön zu sein; Schönheit vergeht. Ich würde -einen guten Kameraden in ihr sehen, einen Freund. -Ich würde mich nie schüchtern vor ihr fühlen wie -vor einem Mädchen. Ich würde direkt auf sie losgehen, -wie ich auf Sie losgehe und sagen: Wollen -Sie meine Freundin fürs Leben werden? Und das -würde ich sagen, ohne die Verlegenheit zu empfinden, -die ein Freier fühlen muss, wenn er sich der, die -er liebt, erklärt, weil seine Gedanken nicht rein sind. -</p> - -<p> -Adele sah mit Entzücken auf den jungen Mann, -der ihre Hand ergriffen hatte. -</p> - -<p> -– Sie sind eine ideale Natur, sagte sie, und Sie -haben mir aus dem Herzen gesprochen. Sie bitten -um meine Freundschaft, wenn ich Sie recht verstehe. -Sie sollen sie haben, erst aber eine Prüfung. Wollen -Sie zeigen, dass Sie eine Demütigung erleiden können, -für die, welche Sie gern haben. -</p> - -<p> -– Ob ich will? Sprechen Sie, und ich gehorche! -</p> - -<p> -Adele nahm ihr Halsband aus getriebenem Gold -ab, an dem ein Medaillon hing. -</p> - -<p> -– Tragen Sie dies als ein Wahrzeichen unserer -Freundschaft. -</p> - -<p> -– Ich werde es tragen, sagte er etwas unsicher; -aber man wird vielleicht sagen, dass wir verlobt sind. -</p> - -<p> -<a id="page-302" class="pagenum" title="302"></a> -– Und das fürchten Sie? -</p> - -<p> -– Nein, wenn du es willst! Willst du? -</p> - -<p> -– Ja, Axel! ich will es; denn die Welt erlaubt -keine Freundschaft zwischen Mann und Weib; die -Welt ist so erbärmlich, dass sie nicht an ein reines -Verhältnis zwischen Personen verschiedenen Geschlechts -glaubt. -</p> - -<p> -Und er trug seine Kette. -</p> - -<p> -Die Welt, die unter vier Augen sehr materialistisch -ist, sagte wie die Freundinnen: -</p> - -<p> -– Sie verheiratet sich, um sich zu verheiraten; -er, um sie zu besitzen. -</p> - -<p> -Die Welt machte auch hässliche Anspielungen, er -nehme sie ums Geld, da er selber erklärte, etwas -so Niedriges wie Liebe existiere nicht zwischen ihnen; -Freundschaft zwinge ja niemand, dieselbe Schlafstube -zu benutzen, wie Verheiratete zu tun pflegen. -</p> - -<p> -Sie verheirateten sich. Die Welt hatte einen Wink -bekommen, sie würden wie Geschwister leben, und -die Welt wartete mit einem boshaften Grinsen ab, -wie die grosse Reform, welche die Ehe umschaffen -sollte, ablaufen würde. -</p> - -<p> -Die Neuvermählten reisten ins Ausland. -</p> - -<p> -Als die Neuvermählten zurückkehrten, war die Frau -blass und schlechter Laune. Sie begann sofort Reitstunden -zu nehmen. Die Welt witterte Unrat und -wartete. Der Mann sah aus, als habe er etwas -Hässliches begangen und schäme sich. Es wurde -schliesslich festgestellt. -</p> - -<p> -– Sie haben im „Geschwisterbett“ geschlafen, -sagte die Welt. -</p> - -<p> -– Es wird wohl ein Geschwisterkind sein, sagten -die Freundinnen. -</p> - -<p> -– Und ohne Liebe? Aber das ist ja – Ja, was -ist es? -</p> - -<p> -<a id="page-303" class="pagenum" title="303"></a> -– Verbotene Verwandtschaft! sagten die Materialisten. -</p> - -<p> -– Es ist eine geistige Ehe. -</p> - -<p> -– Oder Blutschande, sagte ein Anarchist. -</p> - -<p> -An der Tatsache war nichts zu ändern, aber die -Sympathie der Seelen begann abzunehmen. Die -verhasste Wirklichkeit brach ein, um sich zu rächen. -</p> - -<p> -Der Advokat übte seinen Beruf aus, und die Frau -liess ihren Beruf von einer Amme und einer Magd -ausüben. Daher hatte sie keine Beschäftigung. Die -Beschäftigungslosigkeit gab ihren Gedanken Gelegenheit, -sich zu entwickeln, und sie begann über -ihre Stellung nachzudenken. Sie fand sie nicht befriedigend. -War es eine Tätigkeit für eine begabte -Frau, nichts zu tun? -</p> - -<p> -Der Mann wagte ein Mal eine Bemerkung, sie sei -doch nicht gezwungen, nichts zu tun! Aber er wiederholte -sie nie mehr. -</p> - -<p> -– Sie habe keine Tätigkeit. -</p> - -<p> -– Nein, beschäftigungslos sein sei keine Tätigkeit. -Warum gebe sie dem Kind nicht die Brust. -</p> - -<p> -– Die Brust geben? Sie wolle etwas haben, an -dem sie verdiene. -</p> - -<p> -– Sei sie denn geizig? Sie habe ja mehr, als -sie verbrauche; warum sollte sie denn Geld verdienen? -</p> - -<p> -– Um es ihm gleich zu tun. -</p> - -<p> -– Gleich könnten sie nie werden, denn sie werde -immer eine Stellung einnehmen, die er nie erreichen -könne. Die Natur habe es so eingerichtet, das die -Frau Mutter werde, der Mann aber nicht. -</p> - -<p> -– Das sei dumm! -</p> - -<p> -– Es hätte ja auch umgekehrt sein können, aber -das wäre ebenso schlimm gewesen. -</p> - -<p> -<a id="page-304" class="pagenum" title="304"></a> -– Ja, aber dieses Leben werde unerträglich. Sie -könne nicht nur für die Familie leben, sie wolle -auch für andere leben. -</p> - -<p> -– Sie solle nur erst mit der Familie anfangen; -später könne man immer noch an die andern denken. -</p> - -<p> -Das Gespräch hätte Ewigkeiten dauern können, -aber eine gute Stunde dauerte es doch. -</p> - -<p> -Der Advokat war natürlich fast den ganzen Tag -fort, und wenn er nach Haus kam, hatte er Sprechstunde. -Dann wollte Adele verzweifeln. Er schloss -sich mit andern Frauen ein, und die machten ihm -vertrauliche Mitteilungen, die er ihr nicht weiter -erzählen durfte. Immer standen Geheimnisse -zwischen ihnen, und sie fühlte, dass er ihr überlegen -war. -</p> - -<p> -Ein dumpfer Hass begann bei ihr zu wachsen, -ein Hass gegen das Ungerechte in diesem Verhältnis; -sie suchte nach einem Mittel, um ihn hinunter zu -ziehen. Hinunter musste er, damit sie beide auf -gleiche Höhe kamen. -</p> - -<p> -Eines Tages machte sie den Vorschlag, eine Heilanstalt -zu gründen. Er riet ab, weil er mit seiner -Praxis genug zu tun habe. Dann aber dachte er, -es wäre gut, wenn sie eine Beschäftigung bekomme; -dann würde sie ruhiger werden. -</p> - -<p> -Sie bekam ihre Anstalt, und er trat mit ihr in die -Direktion ein. -</p> - -<p> -Sie sass nun in der Direktion und herrschte. Als -sie ein halbes Jahr regiert hatte, fühlte sie sich so -bewandert in der ärztlichen Kunst, dass sie auf -eigene Hand Ratschläge gab und Auskünfte erteilte. -</p> - -<p> -– Das sei keine Kunst, meinte sie! -</p> - -<p> -Einmal hatte der Arzt der Anstalt einen Irrtum -begangen, und seitdem besass sie kein Vertrauen -mehr zu ihm. Die Folge war, dass sie eines Tages -<a id="page-305" class="pagenum" title="305"></a> -im Gefühl ihrer natürlichen Oberhoheit, als er abwesend -war, selber ein Rezept schrieb. Das Rezept -wurde ausgefertigt, auch vom Patienten eingenommen, -jedoch mit tödlichem Ausgang. -</p> - -<p> -Man musste sofort nach einer andern Stadt ziehen. -Damit aber war das Gleichgewicht gestört. Noch -mehr wurde es gestört durch einen neuen Erben, -der zur Welt kam. Auch hatte sich das Gerücht -von dem fatalen Ereignis verbreitet. -</p> - -<p> -Traurig und unschön war das Verhältnis zwischen -den Gatten geworden, denn die Liebe war ja nicht -vorhanden gewesen. Der gesunde starke Naturtrieb, -der nicht überlegt, fehlte; so blieb nur ein unangenehmes -Konkubinat übrig, das auf den unsicheren Berechnungen -der selbstsüchtigen Freundschaft beruhte. -</p> - -<p> -Was jetzt in ihrem brennenden Kopf vorging, -nachdem sie entdeckt hatte, welchen Irrtum sie -begangen, als sie etwas angeblich Höheres suchte, -davon sprach sie nicht, aber der Mann musste es -fühlen. -</p> - -<p> -Ihre Gesundheit begann schwächer zu werden, -sie verlor den Appetit und wollte nicht ausgehen. -Sie magerte ab und fing an zu husten. Der Mann -liess sie mehrere Male untersuchen, aber der Arzt -konnte die Ursache der Krankheit nicht finden. -Schliesslich gewöhnte er sich so an das ständige -Klagen, dass er nicht mehr darauf achtete. -</p> - -<p> -– Es ist unangenehm, eine kranke Frau zu haben, -sagte sie. -</p> - -<p> -Er gab es innerlich zu, dass es kein Vergnügen -sei; wenn er sie aber geliebt hätte, würde er das -nie empfunden noch zugegeben haben. -</p> - -<p> -Sie nahm so ab, dass es zu merken war, und er -musste schliesslich ihren Entschluss, zu dem berühmten -Professor zu reisen, gutheissen. -</p> - -<p> -<a id="page-306" class="pagenum" title="306"></a> -Adele reiste zu dem Professor. -</p> - -<p> -– Wie lange sind Sie krank gewesen? fragte er. -</p> - -<p> -– Ich bin nie recht gesund gewesen, seit ich das -Land verlassen habe, denn auf dem Lande bin ich -aufgewachsen. -</p> - -<p> -– Sie fühlen sich also in der Stadt nicht wohl? -</p> - -<p> -– Wohl? Wer kümmert sich darum, ob ich mich -wohl fühle oder nicht, antwortete sie und machte -ein Märtyrergesicht. -</p> - -<p> -– Glauben Sie, dass die Landluft Ihnen gut -bekommen würde? fragte der Professor. -</p> - -<p> -– Ich glaube, es ist das einzige, was mich retten -könnte, wenn ich aufrichtig sein soll. -</p> - -<p> -– Dann ziehen Sie doch aufs Land! -</p> - -<p> -– Aber mein Mann kann doch nicht meinetwegen -seinen Beruf aufgeben. -</p> - -<p> -– Er ist ja reich verheiratet, und Advokaten -haben wir genug. -</p> - -<p> -– Sie meinen also, Herr Professor, dass wir -aufs Land ziehen müssen? -</p> - -<p> -– Ja, wenn Sie glauben, dass es Ihnen nützen -wird. Ich sehe keine andere Krankheit als sogenannte -Nervosität und glaube, die Landluft würde Ihnen -gut bekommen. -</p> - -<p> -Adele kam niedergeschlagen nach Haus. -</p> - -<p> -– Nun? -</p> - -<p> -– Der Professor habe sie zum Tode verurteilt, -wenn sie in der Stadt bleibe. -</p> - -<p> -Der Advokat geriet ausser sich. Da er aber nicht -verbergen konnte, dass er hauptsächlich deshalb -ausser sich war, weil er seine Praxis aufgeben -musste, erhielt sie einen sicheren Beweis, dass er -sich nicht im geringsten um das Leben seiner Frau -kümmere. -</p> - -<p> -<a id="page-307" class="pagenum" title="307"></a> -– Er glaube nicht, dass ihr Leben auf dem Spiel -stehe? Verstehe der Professor das nicht besser als -er? Wolle er sie sterben lassen? -</p> - -<p> -Das wollte er wirklich nicht, und darum wurde -ein Landgut gekauft. Ein Inspektor sollte es verwalten. -</p> - -<p> -Da ein Landrat und ein Amtsvorsteher vorhanden -waren, hatte der Advokat keine Beschäftigung. Die -Tage wurden ihm endlos lang, und er führte kein -angenehmes Dasein. Da seine Einkünfte mit seiner -Praxis aufgehört hatten, musste er von den Zinsen -seiner Frau leben. Das erste halbe Jahr las er und -spielte Fortuna. Im zweiten Halbjahr hörte er mit -dem Lesen auf, da er keinen Zweck darin sah. Im -dritten fing er an zu sticken. -</p> - -<p> -Aber seine Frau warf sich sofort auf die Landwirtschaft, -ging selber mit bis zu den Knien gerafften -Röcken in den Stall, kam schmutzig ins Haus, roch -nach der Kuh. Sie fühlte sich wohl und kommandierte -die Leute herum, das es eine Lust war, denn -sie war auf dem Lande aufgewachsen und verstand -sich darauf. -</p> - -<p> -Als sich ihr Mann über Beschäftigungslosigkeit -beklagte, antwortete sie: -</p> - -<p> -– Such dir doch etwas. In einem Hause braucht -man nicht beschäftigungslos zu sein. -</p> - -<p> -Er wollte mit der Tätigkeit ausser dem Hause -kommen, aber er hütete sich. -</p> - -<p> -Er ass, schlief, ging spazieren. Kam er in die -Scheune oder in den Stall, war er immer im Wege -und bekam Schelte von seiner Frau. -</p> - -<p> -Als er eines Tages mehr als gewöhnlich geklagt -und gleichzeitig die Kinder von den Mädchen ohne -Aufsicht gelassen waren, sagte seine Frau: -</p> - -<p> -– Sieh nach den Kindern, da hast du etwas zu tun. -</p> - -<p> -Er sah zu ihr auf, ob es ihr Ernst sei. -</p> - -<p> -<a id="page-308" class="pagenum" title="308"></a> -Ja, warum sollte er nicht nach seinen eigenen -Kindern sehen können? Sei das so merkwürdig? -</p> - -<p> -Er dachte genau nach und fand wirklich nichts -Merkwürdiges dabei. -</p> - -<p> -So ging er täglich mit den Kindern spazieren. -</p> - -<p> -Eines Morgens, als sie ausgehen wollten, waren -die Kinder nicht angezogen. Der Advokat wurde -böse und ging zu seiner Frau, da er sich vor den -Mägden fürchtete. -</p> - -<p> -– Warum sind die Kinder nicht angezogen? fragte er. -</p> - -<p> -– Weil Marie etwas anderes zu tun hat! Zieh du -sie doch an, du hast ja nichts zu tun. Es ist doch -keine Schande, seine eigenen Kinder anzuziehen? -</p> - -<p> -Er überlegte eine Weile, konnte aber nicht sehen, -dass es eine Schande sei. Er zog sie also an. -</p> - -<p> -Eines Morgens machte es ihm Spass, allein auszugehen -und die Flinte mitzunehmen, obwohl er -niemals schoss. -</p> - -<p> -Als er nach Haus kam, empfing seine Frau ihn. -</p> - -<p> -– Warum bist du heute nicht mit den Kindern -spazieren gegangen? sagte sie mit scharfer vorwurfsvoller -Stimme. -</p> - -<p> -– Weil es mir heute keinen Spass machte! -</p> - -<p> -– Spass machte? Macht es mir Spass, den ganzen -Tag in Stall und Scheune zu arbeiten? <em>Etwas</em> Nützliches -kann man wohl für sich tun, ohne dass es -einem Spass macht. -</p> - -<p> -– Für sich? Für sein Essen, meinst du vielleicht. -</p> - -<p> -– Für was es auch sei, meine ich. Und ich finde -wirklich, ein alter Mann wie du sollte sich schämen, -auf einem Sofa zu liegen und nichts zu tun. -</p> - -<p> -Er schämte sich wirklich, und jetzt wurde er als -Kindermädchen angestellt. Pünktlich tat er seine -Pflicht. Er fand nichts Unrichtiges darin, aber er -litt darunter. Es sei etwas verkehrt, meinte er, aber -<a id="page-309" class="pagenum" title="309"></a> -seine Frau verstand immer, es nach der rechten Seite -zu kehren. -</p> - -<p> -Die Frau sass im Kontor und empfing Inspektor -und Grossknecht; sie stand im Speicher und wog -ab für die Instleute. Alle, die auf den Hof kamen, -wollten die Frau sprechen, aber niemand den Herrn. -</p> - -<p> -Auf einem Spaziergang kam er eines Tages auf -eine Wiese, auf der Vieh weidete. Er wollte den -Kindern die Kühe zeigen, und führte sie behutsam -an die weidende Herde heran. Plötzlich guckte ein -schwarzer Kopf über die Rücken der andern Tiere -und sah unter schwachem Brüllen den Besuch an. -</p> - -<p> -Der Advokat nahm die Kinder auf den Arm und -lief, so schnell er konnte, bis an den Zaun zurück. -Dort angelangt, warf er die Kinder über den Zaun -und wollte selber hinüberspringen, blieb aber hängen. -Da er einige Frauen drüben erblickte, schrie er ihnen, -so laut er konnte, entgegen: -</p> - -<p> -– Der Stier, der Stier! -</p> - -<p> -Aber die Frauen lachten und hoben die Kinder -auf, die im Graben übel zugerichtet waren. -</p> - -<p> -– Sehen Sie den Stier nicht! schrie er. -</p> - -<p> -– Nein, es ist kein Stier, sagte die älteste Frau. -Der wurde vor vierzehn Tagen geschlachtet. -</p> - -<p> -Er kam beschämt und böse nach Haus. Beklagte -sich bei seiner Frau über die Leute. Sie lachte nur. -</p> - -<p> -Als die beiden Gatten am Nachmittag allein im -Saal sassen, klopfte es an die Tür. -</p> - -<p> -– Herein! rief sie. -</p> - -<p> -Eine Frau, die dem Abenteuer mit dem Stier beigewohnt -hatte, trat ein und hielt in der Hand das -Halsband des Advokaten. -</p> - -<p> -– Das gehört sicher der gnädigen Frau, sagte -sie zögernd. -</p> - -<p> -<a id="page-310" class="pagenum" title="310"></a> -Adele sah zuerst das Weib an, dann ihren Mann, -der mit aufgerissenen Augen seine Kette betrachtete. -</p> - -<p> -– Nein, das gehört dem Herrn! sagte sie und -nahm der Frau das Halsband ab. Hab Dank! Der -Herr gibt dir wohl Finderlohn. -</p> - -<p> -Der sass blass und unbeweglich da. -</p> - -<p> -– Ich habe kein Geld, wende dich an meine Frau, -sagte er und nahm das Halsband. -</p> - -<p> -Seine Frau holte eine Krone aus ihrer grossen -Geldtasche und reichte es dem Weibe, das sich entfernte, -augenscheinlich, ohne etwas zu begreifen. -</p> - -<p> -– Das hättest du mir doch ersparen können! -sagte er schmerzlich. -</p> - -<p> -– Bist du nicht Manns genug, für deine Worte -und Handlungen einzutreten? Schämst du dich, ein -Geschenk von mir zu tragen, während ich deine trage? -Eine Memme bist du! Und das will ein Mann sein! -</p> - -<p> -Seit diesem Tag war der Friede des Mannes aus. -Wohin er kam, kicherten Gesichter, und Mägde wie -Knechte konnten hinter den Ecken „Der Stier! Der -Stier!“ rufen, wenn er vorbeiging. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Die Frau wollte nach einer Auktion reisen und -acht Tage fortbleiben. Der Mann sollte während -der Zeit ein Auge auf die Leute haben. -</p> - -<p> -Am ersten Tag kam die Köchin und bat um Geld -für Zucker und Kaffee. Er gab es ihr. Drei Tage -später kam sie wieder und verlangte noch einmal -Geld für Zucker und Kaffee. Er drückte sein Erstaunen -aus, dass das erste Geld schon verbraucht sei. -</p> - -<p> -– Ich esse es nicht allein auf, sagte die Köchin. -Und die gnädige Frau hat nie etwas auszusetzen. -</p> - -<p> -Er gab ihr das Geld. Aber neugierig, ob er wirklich -Unrecht habe, schlug er das Haushaltungsbuch -auf und begann zu addieren. -</p> - -<p> -<a id="page-311" class="pagenum" title="311"></a> -Er erhielt eine merkwürdige Summe bei den beiden -Posten. Als er für einen Monat alle Pfunde zusammenzählte, -ergaben sie ein Liespfund. -</p> - -<p> -Er setzte seine Forschungen fort und kam überall -zu ähnlichen Resultaten. Er ging zum Hauptbuch -über und fand ausser den hohen Ziffern auch dumme -Fehler beim Addieren. Augenscheinlich konnte seine -Frau weder benannte Zahlen noch Dezimalbrüche. -Diese unerhörte Betrügerei der Dienstboten musste -jedenfalls zum Untergang des Hauses führen. -</p> - -<p> -Seine Frau kam nach Haus. Er musste den Auktionsbericht -bis zum Ende anhören. Darauf räusperte -er sich und dachte anzufangen, aber seine Frau -nahm den Faden selber auf: -</p> - -<p> -– Nun, wie bist du mit den Mägden fertig geworden? -</p> - -<p> -– Ich bin sehr gut mit ihnen fertig geworden, -aber sie sind bestimmt nicht ehrlich. -</p> - -<p> -– Sie sind nicht ehrlich? -</p> - -<p> -– Nein, zum Beispiel sind die Posten für Zucker -und Kaffee zu gross. -</p> - -<p> -– Wie weisst du das? -</p> - -<p> -– Ich habe es im Haushaltungsbuch gesehen. -</p> - -<p> -– Was, du schnüffelst in meinen Büchern. -</p> - -<p> -– Schnüffelst? Nein, es machte mir Spass, nachzuforschen -... -</p> - -<p> -– Was hast du damit zu schaffen? -</p> - -<p> -– Und ich fand, dass du Bücher führst, ohne benannte -Zahlen noch Brüche zu können. -</p> - -<p> -– Was? Kann ich das nicht? -</p> - -<p> -– Nein, das kannst du nicht! Und darum ist das -ganze Haus unterminiert. Deine Buchführung ist -Humbug, meine Alte, das ist sie! -</p> - -<p> -– Wen geht es etwas an, wie meine Bücher aussehen? -</p> - -<p> -<a id="page-312" class="pagenum" title="312"></a> -– Das Gesetz bestraft falsche Buchführung; wenn -nicht dich, so mich. -</p> - -<p> -– Das Gesetz? Ich pfeife auf das Gesetz! -</p> - -<p> -– Ja, das glaube ich, aber fassen tut es uns doch, -das heisst mich. Und deshalb will ich künftighin -die Bücher selber führen. -</p> - -<p> -– Wir können einen Buchhalter nehmen! -</p> - -<p> -– Nein, das ist nicht nötig! Ich habe ja sonst -nichts zu tun. -</p> - -<p> -Und dabei blieb es. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Seit aber der Mann den Platz am Pult einnahm -und die Leute zu <em>ihm</em> kamen, verloren Landwirtschaft -und Viehzucht ihr Interesse für die Frau. -</p> - -<p> -Eine heftige Reaktion trat ein, und sie sah bald -weder nach Kühen noch nach Kälbern, sondern blieb -im Hause sitzen. Da hockte sie, und neue Gedanken -gärten in ihrem Gehirn. -</p> - -<p> -Der Mann dagegen erwachte zu einem neuen Leben. -Er warf sich auf die Landwirtschaft und rüttelte die -Leute auf. Jetzt hatte er die Oberhand. Er schaltete -und waltete, bestellte und bezahlte. -</p> - -<p> -Eines Tages kam seine Frau aufs Kontor und bat -um tausend Kronen für ein Klavier. -</p> - -<p> -– Was denkst du? sagte der Mann. Jetzt, wo -der Stall umgebaut werden soll! Dazu haben wir -nicht die Mittel. -</p> - -<p> -– Was soll das heissen, antwortete sie. Haben -wir nicht die Mittel? Reicht mein Geld nicht. -</p> - -<p> -– Dein Geld? -</p> - -<p> -– Ja, meins, das ich in die Ehe gebracht habe. -</p> - -<p> -– Das ist durch die Ehe Eigentum der Familie -geworden. -</p> - -<p> -– Das heisst deins. -</p> - -<p> -<a id="page-313" class="pagenum" title="313"></a> -– Nein, der Familie. Die Familie ist eine kleine -Gemeinde, die einzige, die ein gemeinschaftliches -Eigentum hat, mit dem Mann als Verwalter, in den -gewöhnlichen Fällen. -</p> - -<p> -– Warum soll er Verwalter sein und nicht die Frau? -</p> - -<p> -– Weil er mehr Zeit hat, da er keine Kinder gebiert. -</p> - -<p> -– Warum können nicht beide Verwalter sein? -</p> - -<p> -– Aus denselben Gründen, aus denen eine Aktiengesellschaft -nur einen geschäftsführenden Direktor -hat. Würde die Frau auch verwalten, so würden -es die Kinder ebenfalls wollen, da es auch ihr -Eigentum ist. -</p> - -<p> -– Das ist nur Spitzfindigkeit. Ich finde es hart, -dass ich noch um Erlaubnis bitten soll, ob ich mir -für mein eigenes Geld ein Klavier kaufen darf. -</p> - -<p> -– Es ist nicht mehr dein Geld. -</p> - -<p> -– Ist es denn deins? -</p> - -<p> -– Nein, auch nicht meins, sondern das der Familie. -Du musst auch nicht so falsch sein, und mich „um -Erlaubnis bitten“; die Klugheit gebietet nur, dass du -den Verwalter fragst, ob der Stand des Vermögens -eine grosse Luxusausgabe zulässt. -</p> - -<p> -– Ist ein Klavier denn ein Luxus? -</p> - -<p> -– Ein neues Klavier, wenn man ein altes hat, -kann Luxus sein. Nun ist der Stand des Vermögens -schlecht, daher erlaubt <em>der</em> nicht, dass du jetzt ein -neues Klavier kaufst, obwohl <em>ich</em> natürlich nichts -dagegen haben kann noch will. -</p> - -<p> -– Durch eine Ausgabe von tausend Kronen ruiniert -man sich nicht. -</p> - -<p> -– Doch man kann den Grund zu seinem Ruin -legen, wenn man zur Unzeit für tausend Kronen -Schulden macht. -</p> - -<p> -– Das heisst, du weigerst dich also, mir ein neues -Klavier zu kaufen? -</p> - -<p> -<a id="page-314" class="pagenum" title="314"></a> -– Nein, das will ich nicht sagen. Der unsichere -Stand des Vermögens ... -</p> - -<p> -– Wann, wann wird der Tag kommen, an dem -die Frau ihr Vermögen selbst verwaltet und nicht -mehr wie eine Bettlerin zu ihrem Mann zu kommen -braucht? -</p> - -<p> -– Wenn sie selber arbeitet. Ein Mann, dein Vater, -hat dein Vermögen erarbeitet. Männer sind es, die -alles Vermögen erarbeitet haben; darum, siehst du, -ist es gerecht gewesen, dass die Schwester weniger -erbt als der Bruder, zumal der Bruder mit der Pflicht, -eine Frau zu ernähren, geboren wird, während die -Schwester keinen Mann zu ernähren braucht. Verstehst -du? -</p> - -<p> -– Das ist also Gerechtigkeit: ungleich teilen! Ist -es gerecht, ungleich zu teilen? Kannst du das bei -deinem guten Kopf wirklich behaupten? Soll man -nicht immer in gleiche Teile teilen? -</p> - -<p> -– Nein, nicht immer. Man soll verhältnismässig -oder nach Verdienst teilen. Der Faule, der im Gras -liegt und zusieht, wie der Maurer baut, soll weniger -haben als der Maurer. -</p> - -<p> -– So, du sagst, ich sei faul! -</p> - -<p> -– Hm! Es ist am besten, nichts zu sagen. Als -ich aber auf dem Sofa lag und las, hieltst du mich -für sehr faul, und ich will mich erinnern, dass du -auch etwas ähnliches gesagt hast und zwar recht -deutlich. -</p> - -<p> -– Was soll ich denn tun? -</p> - -<p> -– Geh mit den Kindern spazieren! -</p> - -<p> -– Ich passe nicht für Kinder. -</p> - -<p> -– Aber ich musste passen. Hör mal: eine Frau, -die sagt, sie passe nicht für Kinder, ist keine Frau. -Ein Mann ist sie auch nicht! Was ist sie denn? -</p> - -<p> -<a id="page-315" class="pagenum" title="315"></a> -– Pfui, pfui, dass du so von der Mutter deiner -Kinder sprichst! -</p> - -<p> -– Was sagt man von dem Mann, der nicht nach -Frauen sieht? Sagt man nicht etwas sehr Hässliches -von ihm? -</p> - -<p> -– Ich will nichts mehr hören. -</p> - -<p> -Und darum verliess sie das Zimmer und schloss -sich ein. -</p> - -<p> -Sie wurde krank. Der Arzt, der allmächtige, der -die Körper übernommen, nachdem der Pastor die -Seelen verloren, erklärte Landluft und Einsamkeit -für ungesund. -</p> - -<p> -Man musste also wieder in die Stadt ziehen, damit -sich die Frau ärztlich behandeln lassen konnte. -</p> - -<p> -Die Stadt hatte einen sehr guten Einfluss auf den -Gesundheitszustand der Frau, und die Rinnsteinluft -gab ihren Wangen Farbe. -</p> - -<p> -Der Advokat suchte sich Praxis, und die Gatten -hatten Ableiter für ihre Naturen, die sich nicht versöhnen -konnten. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="chapter-0-19"> -<a id="page-317" class="pagenum" title="317"></a> -<span class="line1">Seine Magd</span><br /> -<span class="line2">oder</span><br /> -<span class="line3">Debet und Kredit</span> -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -Mr. Blackwood war Werkdirektor in Brooklyn und -hatte sich mit Miss Danckward verheiratet, die in die -Ehe eine Mitgift moderner Anschauungen brachte. -Um seine geliebte Frau nicht als seine Magd sehen -zu müssen, hatte Mr. Blackwood sich mit ihr in -einem Boardinghouse in Pension gegeben. -</p> - -<p> -Die Frau, die nichts zu tun hatte, verbrachte den -Tag mit Musik und Billardspiel und die halbe Nacht -mit Gesprächen über die Frauenfrage und Grogtrinken. -</p> - -<p> -Der Mann hatte 5000 Dollar Gehalt; die lieferte -er regelmässig an seine Frau ab, damit die sie verwalte. -Sie hatte 500 Dollar Nadelgeld, über die sie -selbst verfügte. -</p> - -<p> -Da kam ein Kind. Ein Kindermädchen wurde angestellt, -das mit 100 Dollar den kostbaren Beruf -der Mutter übernahm. -</p> - -<p> -Es kamen noch zwei Kinder. -</p> - -<p> -Und die Kinder wuchsen heran, und die beiden -ältesten begannen in die Schule zu gehen. Aber die -Frau langweilte sich und hatte nichts zu tun. -</p> - -<p> -Eines Tages kam sie angeheitert zum Frühstückstisch. -</p> - -<p> -<a id="page-318" class="pagenum" title="318"></a> -Der Mann nahm sich die Freiheit, sie daran zu -erinnern, das sei unpassend. -</p> - -<p> -Sie wurde hysterisch und legte sich zu Bett, und -alle Freundinnen des Hauses warteten ihr mit Blumen -auf. -</p> - -<p> -– Warum trinkst du, fragte der Mann so zärtlich -wie er nur konnte. Hast du einen Kummer? -</p> - -<p> -– Soll ich keinen Kummer haben, wo mein Leben -verfehlt ist? -</p> - -<p> -– Wieso verfehlt? Du hast drei Kinder geboren -und könntest deinen Tag dazu anwenden, sie zu erziehen. -</p> - -<p> -– Ich eigne mich nicht für Kinder. -</p> - -<p> -– Dann solltest du es lernen, mit Kindern umzugehen. -Das ist eine Arbeit für die Gesellschaft -und eine ehrenvolle Lebensaufgabe, ehrenvoller als -Leiter einer Werft zu sein. -</p> - -<p> -– Ja, wenn ich frei wäre. -</p> - -<p> -– Du bist freier als ich. Ich stehe unter deiner -Administration. Du bestimmst von meinen Einkünften -die Ausgaben. Du hast 500 Dollar Nadelgeld, über -die du frei verfügen kannst, aber ich habe kein -Nadelgeld. Ich muss aus der Kasse, das heisst von -dir betteln, wenn ich Tabak kaufen will. Bist du -also nicht freier als ich? -</p> - -<p> -Sie antwortete nicht, versuchte aber zu denken. -</p> - -<p> -Das Resultat war, dass sie einen eigenen Haushalt -haben müssten. Und sie richteten einen eigenen -Haushalt ein. -</p> - -<p> -– Teure Freundin, schrieb Mrs. Blackwood einige -Zeit nachher an ihre Freundin, ich leide und bin -todmüde. Aber ich will bis ans Ende leiden, denn -das Leben hat einer unglücklichen Frau, die für nichts -zu leben hat, nichts mehr zu bieten. Ich will der -<a id="page-319" class="pagenum" title="319"></a> -Welt zeigen, dass ich nicht die bin, die von der -Gnade ihres Mannes lebt, und darum will ich mich -– tot arbeiten ... -</p> - -<p> -Sie stand am ersten Tag um neun Uhr auf und -brachte das Zimmer ihres Mannes in Ordnung. Dann -verabschiedete sie die Köchin und ging um elf Uhr -fort, um einzukaufen. -</p> - -<p> -Als der Mann um ein Uhr nach Haus kam, um -Frühstück zu essen, war das Essen nicht fertig. Das -war die Schuld der Magd. -</p> - -<p> -Die Frau war furchtbar müde und weinte. Der -Mann hatte nicht das Herz, sich zu beklagen. Und -er ass ein verbranntes Kotelett und ging wieder. -Aber er sagte noch: -</p> - -<p> -– Arbeite dich nicht ab, mein Kind! -</p> - -<p> -Abends war die Frau so müde, dass sie einen Teil -der Arbeit lassen und um zehn Uhr zu Bett gehen -musste. -</p> - -<p> -Am nächsten Tage, als Mr. Blackwood ihr guten -Morgen sagte, war er erstaunt über die gesunde Farbe, -die seine Frau hatte. -</p> - -<p> -– Hast du gut geschlafen? fragte er. -</p> - -<p> -– Wie so? -</p> - -<p> -– Ich finde, du siehst so gesund aus. -</p> - -<p> -– Sehe – ich – gesund – aus? -</p> - -<p> -– Ja! Etwas Beschäftigung scheint dir gut zu tun. -</p> - -<p> -– Etwas? Nennst du das etwas? Ich möchte -wissen, was du dann viel nennst? -</p> - -<p> -– Nun nun, ich meinte es nicht böse. -</p> - -<p> -– Doch, du meintest, ich arbeite zu wenig. Und -doch habe ich wie eine Magd dein Zimmer aufgeräumt -und wie eine Köchin am Herd gestanden. -Vielleicht leugnest du auch, dass ich deine Magd bin? -</p> - -<p> -Als der Mann ging, sagte er zum Mädchen: -</p> - -<p> -<a id="page-320" class="pagenum" title="320"></a> -– Sie müssen um sieben Uhr aufstehen und mein -Zimmer aufräumen. Meine Frau soll nicht Ihre -Arbeit tun! -</p> - -<p> -Am Abend kam Mr. Blackwood fröhlich nach -Haus; aber seine Frau war böse. -</p> - -<p> -– Warum darf ich dein Zimmer nicht aufräumen? -fragte sie. -</p> - -<p> -– Weil ich nicht will, dass du meine Magd bist. -</p> - -<p> -– Warum willst du das denn nicht? -</p> - -<p> -– Weil es mich quält! -</p> - -<p> -– Aber es quält dich nicht, dass ich dein Essen -koche und nach deinen Kindern sehe? -</p> - -<p> -Jetzt wurde er nachdenklich. -</p> - -<p> -Während er mit der Trambahn nach Brooklyn -fuhr, dachte er hin und her. -</p> - -<p> -Als er abends heim kam, hatte er ein gut Stück -gedacht. -</p> - -<p> -– Hör mal, mein Kind, ich habe viel über deine -Stellung im Hause nachgedacht, und ich will natürlich -nicht, dass du meine Magd sein sollst. Ich habe -daher so gedacht. Ich gebe mich bei dir in Pension -und bezahle für mich. Dann bist du Herrin im -Hause und ich esse bei dir gegen Bezahlung. -</p> - -<p> -– Was meinst du? fragte seine Frau etwas unruhig. -</p> - -<p> -– Wie ich sage. Wir nehmen an, du hältst ein -Boardinghouse und ich gebe mich bei dir in Pension. -Wir nehmen es nur an. -</p> - -<p> -– Gut! Was willst du bezahlen? -</p> - -<p> -– Ich will natürlich so viel bezahlen, dass ich -auf keinen Fall in deiner Schuld stehe. Meine -Stellung wird dadurch auch angenehmer, denn ich -erhalte dann nicht mehr alles aus Gnade. -</p> - -<p> -– Aus Gnade? -</p> - -<p> -– Ja, du setzest mir ein Essen vor, das nicht -gargekocht ist, und wiederholst unaufhörlich, du -<a id="page-321" class="pagenum" title="321"></a> -seist meine Magd, das heisst, du arbeitest dich für -mich ab. -</p> - -<p> -– Wohinaus willst du? -</p> - -<p> -– Sind drei Dollar täglich genug für meine -Pension? Im Boardinghouse bekomme ich sie -für zwei. -</p> - -<p> -– Drei Dollar müssen sehr gut reichen. -</p> - -<p> -– Gut! Das sind jährlich rund 1000 Dollar. -Sieh, hier hast du sie im voraus! -</p> - -<p> -Und er legte eine Rechnung auf den Tisch. -</p> - -<p> -– Hier ist die Berechnung: -</p> - -<div class="table"> -<table class="table321" summary=""> -<tbody> - <tr> - <td class="col1">Miete</td> - <td class="col2">500</td> - <td class="col3">Dollar</td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Lohn des Kindermädchens</td> - <td class="col2">100</td> - <td class="col3">„</td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Lohn der Köchin</td> - <td class="col2">150</td> - <td class="col3">„</td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Unterhalt der Frau</td> - <td class="col2">500</td> - <td class="col3">„</td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Kleider der Frau</td> - <td class="col2">500</td> - <td class="col3">„</td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Unterhalt des Kindermädchens</td> - <td class="col2">300</td> - <td class="col3">„</td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Unterhalt der Köchin</td> - <td class="col2">300</td> - <td class="col3">„</td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Unterhalt der Kinder</td> - <td class="col2">700</td> - <td class="col3">„</td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Kleider der Kinder</td> - <td class="col2">500</td> - <td class="col3">„</td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Holz, Licht, Hilfe</td> - <td class="col2">500</td> - <td class="col3">„</td> - </tr> - <tr class="b"> - <td class="col1"> </td> - <td class="col2" colspan="2">––––––––––––</td> - </tr> - <tr class="l"> - <td class="col1"> </td> - <td class="col2">4050</td> - <td class="col3">Dollar</td> - </tr> -</tbody> -</table> -</div> - -<p> -– Teile diese Summe mit zwei, da wir repartieren, -so bleiben 2025 Dollar übrig. Zieh meine 1000 ab -und gib mir 1025 Dollar. Hast du sie bei dir, -um so besser. -</p> - -<p> -– Repartieren? war das einzige Wort, das die Frau -hervorbringen konnte. Soll ich dich bezahlen? -</p> - -<p> -– Ja, natürlich, wenn es gleich sein soll. Ich -bezahle den halben Unterhalt für dich und die -Kinder. Oder willst du, dass ich alles bezahle? Gut, -dann bezahle ich also 4050 Dollar plus 1000 Dollar -für meine Pension. Aber ich bezahle besonders: -Miete, Essen, Licht, Holz, Bedienung. Was bekomme -ich denn für meine Pension? Das Essen bereitet? -Das Essen bereitet für 4050 Dollar? Ziehe ich nun -<a id="page-322" class="pagenum" title="322"></a> -wirklich die Hälfte ab, das heisst, was ich zu bezahlen -schuldig bin, 2025 Dollar, so bleiben 2025 -für die Bereitung des Essens. Nun aber bezahle -ich die Köchin besonders für die Bereitung des -Essens, wie kann ich da 2025 für Bereitung des -Essens bezahlen, und noch 1000 Dollar dazu? -</p> - -<p> -– Das verstehe ich nicht! -</p> - -<p> -– Ja, ich auch nicht. Aber das weiss ich, dass -ich dir nichts schuldig bin, wenn ich dir deinen -ganzen Unterhalt, den ganzen Unterhalt deiner Kinder, -den ganzen Unterhalt deiner Mädchen bezahle; der -Mädchen, die deine Arbeit tun, die nach deiner -Ansicht meiner gleichkommt oder sie noch übertrifft. -Auch wenn deine Arbeit mehr wert wäre, so hast -du auch 500 Dollar extra, die von den Ausgaben -des Hauses ausgenommen sind, während ich nichts -habe, das davon ausgeschlossen wäre. -</p> - -<p> -– Ich wiederhole noch einmal, dass ich deine -Berechnung nicht verstehe. -</p> - -<p> -– Ich verstehe sie auch nicht! Vielleicht lassen -wir deshalb diese Pension. Das ist vielleicht das -beste. Und stellen einfach das Debet und Kredit -des Hauses auf. Willst du dein Konto kennen -lernen, hier hast du es: -</p> - -<div class="table"> -<table class="table321" summary=""> -<tbody> - <tr class="m"> - <td class="col1" colspan="3">Mrs. Blackwood für Hilfe im Haus,</td> - </tr> - <tr class="m"> - <td class="col1" colspan="3">Mrs. Blackwoods Köchin und Kindermädchen geleistet:</td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Unterhalt mit Miete</td> - <td class="col2">1000</td> - <td class="col3">Dollar</td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Kleider</td> - <td class="col2">500</td> - <td class="col3">„</td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Vergnügungen</td> - <td class="col2">100</td> - <td class="col3">„</td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">An Nadelgeld bar</td> - <td class="col2">500</td> - <td class="col3">„</td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Unterhalt für ihre Kinder</td> - <td class="col2">1200</td> - <td class="col3">„</td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Und Erziehung</td> - <td class="col2">600</td> - <td class="col3">„</td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Für die Mägde, die ihre Arbeit leisten</td> - <td class="col2">850</td> - <td class="col3">„</td> - </tr> - <tr class="b"> - <td class="col1"> </td> - <td class="col2" colspan="2">––––––––––––</td> - </tr> - <tr class="l"> - <td class="col1"> </td> - <td class="col2">4750</td> - <td class="col3">Dollar</td> - </tr> - <tr class="m2"> - <td class="col1" colspan="3">Bezahlt: Mr. Blackwood, Werftleiter.</td> - </tr> -</tbody> -</table> -</div> - -<p> -<a id="page-323" class="pagenum" title="323"></a> -– Ah, es ist schändlich, seiner Frau mit Rechnungen -zu kommen. -</p> - -<p> -– Mit Gegenrechnungen! Und du brauchst auch -die nicht zu bezahlen, denn ich bezahle alle Rechnungen. -</p> - -<p> -Die Frau knüllte das Papier zusammen. -</p> - -<p> -– Soll ich auch die Erziehung deiner Kinder -bezahlen? -</p> - -<p> -– Nein, das will ich, und das tue ich, und ich -bezahle die Erziehung deiner Kinder auch! Aber -du bezahlst nicht einen Cent für meine. Ist das -Gleichstellung? Aber ich will den Unterhalt meiner -Kinder und meiner Mägde abziehen: dann geniessest -du noch 2100 Dollar für die Hilfe, die du meinen -Mägden im Haus leistest. Willst du noch mehr -Berechnungen? -</p> - -<p> -Sie wollte keine Berechnungen mehr, niemals mehr! -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="chapter-0-20"> -<a id="page-325" class="pagenum" title="325"></a> -<span class="line1">Der Familienversorger</span> -</h2> - -</div> - -<p class="first"> -Er erwacht am Morgen aus schweren Träumen -von verfallenen Wechseln und nicht geliefertem Manuskript. -Der Angstschweiss klebt in seinem Haar, und -seine Wangen zittern, als er sich ankleidet. Aber -er hört die Kinder im Nebenzimmer zwitschern, und -er wäscht seinen heissen Kopf mit kaltem Wasser. -Er trinkt seinen Kaffee, den er selber kocht, um das -arme Kindermädchen nicht so früh, nämlich um -8 Uhr, aufzujagen. Dann macht er sein Bett, bürstet -seine Kleider und setzt sich hin, um zu schreiben. -</p> - -<p> -Das Fieber kommt, das Fieber, das Halluzinationen -von Zimmern erzeugen soll, die er nie gesehen, von -Landschaften, die es nie gegeben, von Menschen, -die im Adressbuch nicht zu finden sind. Er ist am -Schreibtisch in einer Todesangst. Die Gedanken -sollen klar, prägnant und malend sein, die Handschrift -leserlich, die Handlung soll vorwärts gehen, -das Interesse darf nicht nachlassen, die Bilder sollen -schlagend sein, die Reden und Gegenreden blitzend. -Und dann grinsen ihm die Automaten des Publikums -entgegen, deren Gehirne er aufziehen, die Kritiker -mit dem Kneifer des Neides, die er überwinden, das -bewölkte Gesicht des Verlegers, das er aufheitern -soll. Er sieht die Männer der Jury um den schwarzen -Tisch sitzen, auf dem die Bibel liegt; er hört die -Türen des Gefängnisses sich öffnen, in dem Freidenker -das Verbrechen, freie Gedanken für Trägen die -<a id="page-326" class="pagenum" title="326"></a> -gedacht zu haben, sühnen sollen; lauscht auf die -schleichenden Schritte des Hotelwirtes, der mit der -Rechnung kommt ... -</p> - -<p> -Währenddessen brennt das Fieber, und die Feder -läuft, läuft ihren Weg, ohne beim Anblick der Verleger -oder Jurymänner zu zögern, und hinterlässt -rote Streifen wie von geronnenem Blut, die dann -liegen bleiben und schwarz werden. -</p> - -<p> -Als er nach zwei Stunden aufsteht, hat er gerade -noch so viel Kraft, dass er bis an sein Bett kommt, -auf das er niedersinkt. Dann liegt er da, als ob der -Tod ihn gepackt hätte. Das ist nicht der erquickende -Schlaf, sondern Betäubung. Es ist eine lange Ohnmacht, -aber eine bewusste, die von dem Entsetzen -begleitet ist, dass die Kräfte fort sind, die Nerven -schlaff, das Gehirn leer ist. -</p> - -<p> -Da läutet die Glocke des Hotelpensionates. Voilà -le facteur! Die Post ist gekommen! -</p> - -<p> -Er fährt auf und schwankt hinaus. Empfängt eine -Menge Postsachen. Da ist eine Korrektur, die sofort -gelesen werden muss; ein Buch von einem jungen -Schriftsteller, der um ein Urteil bittet; eine Zeitung -mit einem polemischen Artikel, der zu beantworten -ist; ein Brief mit dem Ersuchen, an einem Kalender -mitzuarbeiten; schliesslich ein warnender Brief vom -Verleger. Das alles soll jetzt von einem Kraftlosen -erledigt werden. -</p> - -<p> -Das Kindermädchen ist inzwischen aufgestanden, -hat die Kinder angezogen, Kaffee getrunken, den -das Hotel ihr gekocht, und Brötchen mit Honig gegessen, -die das Hotel ihr gestrichen hat. Dann geht -sie im Grünen spazieren. -</p> - -<p> -Um ein Uhr läutet es zum Déjeuner. Alle Gäste -versammeln sich um den Esstisch. Auch er setzt -sich; allein. -</p> - -<p> -<a id="page-327" class="pagenum" title="327"></a> -– Wo ist ihre Frau? wird von rechts und links -gefragt. -</p> - -<p> -– Das weiss ich nicht, antwortet er. -</p> - -<p> -– Welches Untier! flüstern die Damen, die eben -ihren Morgenrock angezogen haben. -</p> - -<p> -Dann kommt seine Frau. Die Bedienung wird -ihretwegen unterbrochen, und die Hungrigen, die -pünktlich gekommen sind, müssen auf den zweiten -Gang warten. -</p> - -<p> -Die Damen fragen seine Frau nach ihrem Befinden: -ob sie gut geschlafen habe, ob ihre Nerven in Ordnung -sind. Niemand aber fragt den Mann nach -seinem Befinden. Das glauben sie im Voraus zu kennen. -</p> - -<p> -– Er sieht aus wie ein Kadaver, sagt eine Dame. -</p> - -<p> -Und das tut er auch. -</p> - -<p> -– Er ist sicher lasterhaft, sagt eine andere Dame. -</p> - -<p> -Das aber ist er nicht. -</p> - -<p> -Er spricht nicht bei Tisch, denn er hat diesen -Damen nichts zu sagen. Aber seine Frau spricht -an seiner Stelle. -</p> - -<p> -Und er würgt sein Essen hinunter, während seine -Ohren die Freude haben, alles Erbärmliche rühmen -und alles Gute schmähen zu hören. -</p> - -<p> -Als sie vom Tisch aufstehen, bittet er seine Frau -um einige Worte. -</p> - -<p> -– Willst du so gut sein, Luise mit meinem Rock -zum Schneider zu schicken; eine Naht ist aufgegangen, -und ich habe keine Zeit, selber zu gehen. -</p> - -<p> -Sie antwortet nichts; statt aber Luise zu schicken, -nimmt sie selber den Rock auf den Arm und geht -ins Dorf hinunter, wo der Schneider wohnt. -</p> - -<p> -Im Garten trifft sie einige emanzipierte Damen, -die sie fragen, wohin sie gehe. -</p> - -<p> -Sie antwortet so ehrlich wie möglich, dass sie -für ihren Mann zum Schneider gehe. -</p> - -<p> -<a id="page-328" class="pagenum" title="328"></a> -– Er schickt sie zum Schneider! Und sie lässt -sich als wie eine Magd behandeln. -</p> - -<p> -– Und jetzt liegt er auf dem Bett und hält Mittagsschlaf. -Ein netter Mann! -</p> - -<p> -Er hält wirklich Mittagsschlaf, denn er ist blutarm. -</p> - -<p> -Um drei Uhr läutet der Postbote wieder, und jetzt -soll er einen Brief aus Berlin deutsch, einen aus -Paris französisch, einen aus London englisch beantworten. -</p> - -<p> -Dann fragt seine Frau, die vom Schneider zurückgekommen -ist und einen Cognac getrunken hat, ob -er mit den Kindern einen Ausflug machen will. Nein, -er müsse Briefe schreiben. -</p> - -<p> -Als er mit den Briefen fertig ist, steht er auf, um -vor dem Essen einen Spaziergang zu machen. Er -möchte jetzt gern einen haben, mit dem er sprechen -könnte. Aber er ist allein. Er geht hinunter zu -den Kindern. -</p> - -<p> -Das fette Mädchen sitzt auf einem Gartensofa und -liest Frau Lefflers „Wahre Frauen“, die sie von seiner -Frau geliehen hat. Die Kinder langweilen sich und -wollen weiter gehen, wollen sich bewegen. -</p> - -<p> -– Warum gehen Sie mit den Kindern nicht spazieren, -Luise, fragte er. -</p> - -<p> -– Die gnädige Frau hat gesagt, es sei zu warm. -</p> - -<p> -Die Frau hat gesagt! -</p> - -<p> -Er nimmt die Kinder mit und geht nach der Landstrasse; -dann aber sieht er, dass sie nicht gewaschen -sind und zerrissene Stiefel haben. Er kehrt um. -</p> - -<p> -– Warum haben die Kinder zerrissene Stiefel? -fragt er Luise. -</p> - -<p> -– Die gnädige Frau hat gesagt ... -</p> - -<p> -Die Frau hat gesagt! -</p> - -<p> -Er geht allein spazieren. -</p> - -<p> -<a id="page-329" class="pagenum" title="329"></a> -Es wird sieben Uhr und das Essen beginnt. Die -jungen Damen sind noch nicht nach Haus gekommen. -Man hat die ersten beiden Gänge serviert, als sie -kommen; lärmend, lachend und rot im Gesicht. -</p> - -<p> -Seine Frau und ihre Freundin sind besonders aufgeräumt -und riechen nach Cognac. -</p> - -<p> -– Womit hast du dich unterhalten, Väterchen, -fragt sie ihren Mann. -</p> - -<p> -– Ich bin mit den Kindern spazieren gegangen, -sagt er. -</p> - -<p> -– Ist denn Luise nicht zu Hause gewesen? -</p> - -<p> -– Doch, aber sie hatte keine Zeit. -</p> - -<p> -– Das ist doch nicht zu viel verlangt von einem -Mann, das er sich um seine eigenen Kinder bekümmert, -sagt die Freundin. -</p> - -<p> -– Nein, sicher nicht, antwortet der Mann. Und -darum habe ich Luise zurecht gewiesen, dass sie -die Kinder schmutzig und zerrissen gehen lässt. -</p> - -<p> -– Immer kriegt man Schelte, wenn man nach -Haus kommt, sagt die Frau. Nie kann man ein Vergnügen -haben, ohne dass man getadelt wird. -</p> - -<p> -Und eine kleine zerdrückte Träne stiehlt sich aus -dem geröteten Auge. -</p> - -<p> -Der Mann wird von der Freundin und den andern -Damen mit wütenden Blicken betrachtet. -</p> - -<p> -Man bereitet einen Angriff vor, und die Freundin -wetzt ihre Zunge. -</p> - -<p> -– Haben die Herrschaften Luthers Ansicht über -das Recht der Frau gelesen? beginnt sie. -</p> - -<p> -– Was ist das für ein Recht? fragt seine Frau. -</p> - -<p> -– Sich einen andern Mann zu suchen, wenn ihr -Mann ihr nicht passt. -</p> - -<p> -Pause. -</p> - -<p> -– Das ist eine gefährliche Lehre für die Frauen, -sagt der Mann. Denn daraus folgt, dass auch der -<a id="page-330" class="pagenum" title="330"></a> -Mann ein Recht hat, sich eine andere Frau zu suchen, -wenn seine Frau ihm nicht passt. Dieser letzte -Fall kommt viel häufiger vor. -</p> - -<p> -– Das verstehe ich nicht, sagt seine Frau. -</p> - -<p> -– Das braucht weder Luthers noch meine Schuld -zu sein, antwortet der Mann. Ebenso wenig wie -es die Schuld des Mannes zu sein braucht, dass er -nicht für seine Frau passt. Er kann nämlich für -eine andere ganz ausgezeichnet passen. -</p> - -<p> -Unter Todesschweigen steht man vom Tisch auf. -</p> - -<p> -Der Mann geht auf sein Zimmer. Seine Frau -und ihre Freundin setzen sich in den Pavillon. -</p> - -<p> -– Welche Brutalität, sagt die Freundin. Und du, -die feinfühlige, intelligente Frau, willst die Magd dieses -rohen Egoisten sein! -</p> - -<p> -– Er hat mich nie verstanden, seufzt die Frau. -</p> - -<p> -Ihre Selbstzufriedenheit, dass sie diese vernichtenden -Worte sagen kann, ist zu gross, als dass sie -in ihrem Innern die Antwort hörte, die ihr Mann -ihr so oft gegeben hat: -</p> - -<p> -– Bist du so tief, dass ich, der ich einen guten -Kopf habe, dich nicht verstehen sollte? Hast du -nie daran gedacht, dass es vielleicht deine Oberflächlichkeit -ist, die macht, dass du mich nicht verstehst! -</p> - -<p> -Auf seinem Zimmer sitzt er, allein. Er leidet, als -habe er seine Mutter geschlagen. Aber sie hat ihn -ja zuerst geschlagen; sie hat ihn Jahre lang geschlagen, -und er hat bisher noch nie zurückgeschlagen. -</p> - -<p> -Diese rohe, herzlose, cynische Frau, der er seine -ganze Seele hat geben wollen, mit all ihren Gedanken, -mit all ihren feinen Gefühlen, hat seine -Überlegenheit empfunden und darum ihn erniedrigt, -ihn in den Schmutz gezogen, ihn bei den Haaren -<a id="page-331" class="pagenum" title="331"></a> -gerissen, ihn geschmäht. War es da ein Verbrechen -von ihm, dass er ein Mal zurückgeschlagen, als sie -ihn öffentlich verhöhnt? Ja, er fühlte sich so schuldig, -als habe er seinen besten Freund ermordet. -</p> - -<p> -Der warme Sommerabend kommt mit seiner Dämmerung, -und der Mond geht auf. -</p> - -<p> -Vom Salon ist Gesang zu hören. Er geht in den -Garten hinunter und setzt sich unter den Walnussbaum. -Allein! Und mit den Akkorden des Klaviers -verschmilzt das Lied: -</p> - -<div class="poem-container"> - <div class="poem"> - <div class="stanza"> - <p class="verse">Oft wenn die Nacht den Schleier</p> - <p class="verse">Über das Erdgewimmel</p> - <p class="verse">Und um die Meere zog,</p> - <p class="verse">Hatten wir unsre Feier,</p> - <p class="verse">Während vom Sternenhimmel</p> - <p class="verse">Helle des Mondes flog.</p> - <p class="verse">Jetzt aber still ich weinen</p> - <p class="verse">Tränen der Sehnsucht muss,</p> - <p class="verse">Denn du wirst nie mehr erscheinen,</p> - <p class="verse">Frühling der Liebe mit deinem Kuss.</p> - </div> - </div> -</div> - -<p class="noindent"> -Er ging durch den Garten und sah durchs Fenster. -Dort sass sie, sein Poem, das er sich gedichtet hatte. -Und sie sang mit Tränen in der Stimme. Die Damen -auf den Sofas sahen mit bedeutungsvollen Blicken -einander an. -</p> - -<p> -Aber hinter den Lorbeerbüschen sassen auf einem -Gartensofa zwei Herren, die rauchten und flüsterten. -Er hörte: -</p> - -<p> -– Das ist nur Cognac. -</p> - -<p> -– Ja, sie soll trinken. -</p> - -<p> -– Und dem Mann schieben sie die Schuld zu. -</p> - -<p> -– Das ist schändlich. Sie lernte schon in Julians -Atelier trinken. Du weisst, sie wollte Malerin werden, -konnte es aber nicht. Und als sie von der Ausstellung -zurückgewiesen wurde, warf sie sich auf -<a id="page-332" class="pagenum" title="332"></a> -diesen armen Kerl und verbarg ihre Niederlage hinter -einer Heirat. -</p> - -<p> -– Ja, ich habe es gehört. Und sie hat ihn so -lange gequält, bis er nur noch ein Schatten ist. Sie -begannen mit einem eigenen Haushalt, und obwohl -sie in Paris zwei Mägde hatte, nannte sie sich seine -Magd. Obwohl sie allein im Haus zu bestimmen -hatte, nannte sie sich seine Sklavin. Sie vernachlässigte -das Haus, die Mägde plünderten es, und er -sah den Ruin kommen, ohne etwas bestimmen zu -dürfen. Wenn er einen Vorschlag zur Rettung machte, -widersetzte sie sich; sagte er schwarz, wollte sie weiss -haben. Dadurch hat sie seinen Willen gebrochen -und seine ganze Intelligenz erschüttert. Dann gingen -sie in ein Pensionat, damit sie keinen Haushalt zu -führen brauche und sich ihrer Kunst widmen könne. -Jetzt, da sie weder zu kochen, noch sonst etwas zu -tun hat, rührt sie keinen Pinsel an, sondern amüsiert -sich mit ihrer Freundin. Sie hat ihn auch von seiner -Arbeit ablenken und durch Trinken erniedrigen wollen; -das ist ihr aber nicht gelungen: darum hasst sie ihn, -denn er ist ihr moralisch überlegen. -</p> - -<p> -– Aber als Mann muss er doch ein Tropf sein, -antwortet der andere. -</p> - -<p> -– Ja, in dem Punkt freilich, aber das sind wir -leider alle in dem Punkt. Er ist noch nach zwölf -langen Jahren in sie verliebt. Aber das schlimmste -ist, dass er, der früher so stark war, dessen Worte -in Kammer und Zeitung gefürchtet wurden, jetzt -anfängt schlaff zu werden. Ich sprach heute Vormittag -mit ihm, und er ist zum mindesten krank. -</p> - -<p> -– Ja, man sagt, seine Frau habe ihn ins Irrenhaus -bringen wollen, und ihre Freundin habe sie in -diesem Bemühen unterstützt. -</p> - -<p> -<a id="page-333" class="pagenum" title="333"></a> -– Und er sitzt da und arbeitet sich ab, damit sie -sich amüsieren kann. -</p> - -<p> -– Weisst du, warum sie ihn am meisten verachtet? -Weil er sie nicht so versorgen kann, wie -sie versorgt werden möchte. Ein Mann, der seine -Frau nicht versorgen kann, ce n’est pas grande -chose, sagte sie kürzlich beim Mittagstisch. Und -ich habe gute Gründe zu der Annahme, dass sie -einmal darauf gerechnet hat, er werde sie als Malerin -in die Höhe schreiben. Unglücklicher Weise verboten -ihm seine politischen Ansichten, mit den tonangebenden -Zeitungen zu tun zu haben; auch verkehrte -er nicht in Künstlerkreisen, da er andere Interessen -hatte. -</p> - -<p> -– Sie wollte ihn also benutzen; als er sich aber -nicht benutzen liess, wurde er verworfen. Zum -Familienversorger scheint er aber noch gut genug -zu sein. -</p> - -<div class="poem-container"> - <div class="poem"> - <div class="stanza"> - <p class="verse">Jetzt aber still ich weinen</p> - <p class="verse">Tränen der Sehnsucht muss,</p> - </div> - </div> -</div> - -<p class="noindent"> -klang es aus dem Salon. -</p> - -<p> -– Puff, erklang es hinter dem Walnussbaum. -Zweige knackten und der Sand knirschte. -</p> - -<p> -Die Herren sprangen auf. -</p> - -<p> -Auf dem Weg lag eine gut gekleidete Leiche, deren -Kopf an ein Stuhlbein stiess. -</p> - -<p> -Der Gesang verstummte, und die Damen stürzten -hinaus. -</p> - -<p> -Die Freundin goss ihr kölnisches Wasser auf den -Toten. -</p> - -<p> -– Pfui, eine Leiche, sagte sie, fuhr zurück und -hielt sich die Nase zu, als sie sah, dass es keine -Ohnmacht war. -</p> - -<p> -Der ältere der beiden Männer, der sich zu dem -Toten niedergebeugt hatte, hob den Kopf und sagte: -</p> - -<p> -<a id="page-334" class="pagenum" title="334"></a> -– Still, Weiber! -</p> - -<p> -– Welche Brutalität, sagte die Freundin. -</p> - -<p> -Die Frau des Toten fiel in Ohnmacht, wurde aber -von den Armen der Freundin aufgefangen und von -den Damen zärtlich gepflegt. -</p> - -<p> -– Holt den Arzt, schrie der ältere Herr. Lauft! -</p> - -<p> -Niemand rührte sich, sondern alle scharten sich -um die ohnmächtige Frau. -</p> - -<p> -– Seiner Frau einen solchen Kummer zu machen! -Solch ein Mann, solch ein Mann, jammerte die -Freundin. -</p> - -<p> -– Nicht einen Gedanken an den Sterbenden, aber -alles für die Ohnmächtige. Giesst ihr einen Cognac -hinunter, dann lebt sie wieder auf! -</p> - -<p> -– Der elende Mann hat sein Los verdient, erklärte -die Freundin. -</p> - -<p> -– Nein, er hat allerdings ein besseres Los verdient -als lebend in eure Hände zu fallen. Schämt euch, -Weiber, und Respekt vor dem Familienversorger! -</p> - -<p> -Er stand auf und liess die Hand des Toten los. -</p> - -<p> -– Es ist aus! sagte er. -</p> - -<p> -Und es war aus. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="toc" id="chapter-0-21"> -Inhalt -</h2> - -</div> - -<div class="table"> -<table class="toc" summary=""> -<tbody> - <tr> - <td class="col1"> </td> - <td class="col_page">Seite</td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Asra</td> - <td class="col_page"><a href="#page-1">1</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Liebe und Brot</td> - <td class="col_page"><a href="#page-45">45</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Musste</td> - <td class="col_page"><a href="#page-63">63</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Ersatz</td> - <td class="col_page"><a href="#page-91">91</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Reibungen</td> - <td class="col_page"><a href="#page-103">103</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Unnatürliche Auslese</td> - <td class="col_page"><a href="#page-121">121</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Reformversuch</td> - <td class="col_page"><a href="#page-129">129</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Naturhindernis</td> - <td class="col_page"><a href="#page-133">133</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Ein Puppenheim</td> - <td class="col_page"><a href="#page-143">143</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Vogel Phönix</td> - <td class="col_page"><a href="#page-169">169</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">„Romeo und Julia“</td> - <td class="col_page"><a href="#page-177">177</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Herbst</td> - <td class="col_page"><a href="#page-183">183</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Fruchtbarkeit</td> - <td class="col_page"><a href="#page-201">201</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Zwangsehe</td> - <td class="col_page"><a href="#page-215">215</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Die verbrecherische Natur</td> - <td class="col_page"><a href="#page-233">233</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Corinna</td> - <td class="col_page"><a href="#page-249">249</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Ungetraut und getraut</td> - <td class="col_page"><a href="#page-287">287</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Zweikampf</td> - <td class="col_page"><a href="#page-297">297</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Seine Magd</td> - <td class="col_page"><a href="#page-317">317</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Der Familienversorger</td> - <td class="col_page"><a href="#page-325">325</a></td> - </tr> -</tbody> -</table> -</div> - -<div class="frontmatter chapter"> -<p class="printer"> -Druck: Münchner Buchgewerbehaus M. Müller & Sohn -</p> - -</div> - -<div class="trnote chapter"> -<p class="transnote"> -Anmerkungen zur Transkription -</p> - -<p> -Offensichtliche Druckfehler wurden stillschweigend korrigiert. -Weitere Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher): -</p> - - - -<ul> - -<li> -... Er tat keine Frage beim Mittagstisch. <span class="underline">Es</span> sprach viel, ...<br /> -... Er tat keine Frage beim Mittagstisch. <a href="#corr-7"><span class="underline">Er</span></a> sprach viel, ...<br /> -</li> - -<li> -... – Ich kenne nichts <span class="underline">Albernes</span>, antwortete sie. ...<br /> -... – Ich kenne nichts <a href="#corr-8"><span class="underline">Alberneres</span></a>, antwortete sie. ...<br /> -</li> - -<li> -... einander; das <span class="underline">hätte</span> er und seine erste Frau nicht ...<br /> -... einander; das <a href="#corr-10"><span class="underline">hätten</span></a> er und seine erste Frau nicht ...<br /> -</li> - -<li> -... Er setzte Kaffee auf <span class="underline">seinen</span> Reisekocher auf, und ...<br /> -... Er setzte Kaffee auf <a href="#corr-18"><span class="underline">seinem</span></a> Reisekocher auf, und ...<br /> -</li> - -<li> -... fühlte seinen heissen Atem in <span class="underline">meinen</span> Nacken und ...<br /> -... fühlte seinen heissen Atem in <a href="#corr-30"><span class="underline">meinem</span></a> Nacken und ...<br /> -</li> -</ul> -</div> - - -<div style='display:block; margin-top:4em'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK HEIRATEN ***</div> -<div style='text-align:left'> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Updated editions will replace the previous one—the old editions will -be renamed. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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Information about the Mission of Project Gutenberg™ -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of -electronic works in formats readable by the widest variety of -computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It -exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations -from people in all walks of life. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Volunteers and financial support to provide volunteers with the -assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s -goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will -remain freely available for generations to come. In 2001, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure -and permanent future for Project Gutenberg™ and future -generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see -Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. -</div> - -<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'> -Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit -501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the -state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal -Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification -number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by -U.S. federal laws and your state’s laws. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, -Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up -to date contact information can be found at the Foundation’s website -and official page at www.gutenberg.org/contact -</div> - -<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'> -Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread -public support and donations to carry out its mission of -increasing the number of public domain and licensed works that can be -freely distributed in machine-readable form accessible by the widest -array of equipment including outdated equipment. Many small donations -($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt -status with the IRS. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -The Foundation is committed to complying with the laws regulating -charities and charitable donations in all 50 states of the United -States. Compliance requirements are not uniform and it takes a -considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up -with these requirements. 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