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| author | Roger Frank <rfrank@pglaf.org> | 2025-10-15 05:27:54 -0700 |
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You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + + +Title: Maerchen-Almanach auf das Jahr 1827 + +Author: Wilhelm Hauff + +Posting Date: June 6, 2012 [EBook #6639] +Release Date: October, 2004 +First Posted: January 9, 2003 + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK MAERCHEN-ALMANACH 1827 *** + + + + +Produced by Delphine Lettau + + + + + + + + +This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE. +That project is reachable at the web site http://gutenberg2000.de. + +Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE" +zur Verfügung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse +http://gutenberg2000.de erreichbar. + + + + + +Märchen-Almanach auf das Jahr 1827 + +Wilhelm Hauff + + +Inhalt: + +Der Scheik von Alessandria und seine Sklaven (Rahmenerzählung) +Der Zwerg Nase +Abner, der Jude, der nichts gesehen hat +Der arme Stephan +Der gebackene Kopf +Der Affe als Mensch (Der junge Engländer) +Das Fest der Unterirdischen +Schneeweißchen und Rosenrot +Die Geschichte Almansors + + + + +Der Scheik von Alessandria und seine Sklaven + +Wilhelm Hauff + + +Der Scheik von Alessandria, Ali Banu, war ein sonderbarer Mann; wenn +er morgens durch die Straßen der Stadt ging, angetan mit einem Turban, +aus den köstlichsten Kaschmirs gewunden, mit dem Festkleide und dem +reichen Gürtel, der fünfzig Kamele wert war, wenn er einherging +langsamen, gravitätischen Schrittes, seine Stirne in finstere Falten +gelegt, seine Augenbrauen zusammengezogen, die Augen niedergeschlagen +und alle fünf Schritte gedankenvoll seinen langen, schwarzen Bart +streichend; wenn er so hinging nach der Moschee, um, wie es seine +Würde forderte, den Gläubigen Vorlesungen über den Koran zu halten: +da blieben die Leute auf der Straße stehen, schauten ihm nach und +sprachen zueinander: "Es ist doch ein schöner, stattlicher Mann, und +reich, ein reicher Herr", setzte wohl ein anderer hinzu, "sehr reich; +hat er nicht ein Schloß am Hafen von Stambul? Hat er nicht Güter und +Felder und viele tausend Stück Vieh und viele Sklaven?" + +"Ja", sprach ein dritter, "und der Tatar, der letzthin von Stambul +her, vom Großherrn selbst, den der Prophet segnen möge, an ihn +geschickt kam, der sagte mir, daß unser Scheik sehr in Ansehen stehe +beim Reis-Effendi, beim Kapidschi-Baschi, bei allen, ja beim Sultan +selbst." + +"Ja", rief ein vierter, "seine Schritte sind gesegnet; er ist ein +reicher, vornehmer Herr, aber--aber, ihr wißt, was ich meine!" "Ja, +ja!" murmelten dann die anderen dazwischen, "es ist wahr, er hat auch +ein Teil zu tragen, möchten nicht mit ihm tauschen; ist ein reicher, +vornehmer Herr; aber, aber!" + +Ali Banu hatte ein herrliches Haus auf dem schönsten Platz von +Alessandria; vor dem Hause war eine weite Terrasse, mit Marmor +ummauert, beschattet von Palmbäumen; dort saß er oft abends und +rauchte seine Wasserpfeife. In ehrerbietiger Entfernung harrten dann +zwölf reichgekleidete Sklaven seines Winkes; der eine trug seinen +Betel, der andere hielt seinen Sonnenschirm, ein dritter hatte Gefäße +von gediegenem Golde, mit köstlichem Sorbet angefüllt, ein vierter +trug einen Wedel von Pfauenfedern, um die Fliegen aus der Nähe des +Herrn zu verscheuchen; andere waren Sänger und trugen Lauten und +Blasinstrumente, um ihn zu ergötzen mit Musik, wenn er es verlangte, +und der gelehrteste von allen trug mehrere Rollen, um ihm vorzulesen. + +Aber sie harreten vergeblich auf seinen Wink; er verlangte nicht +Musik noch Gesang, er wollte keine Sprüche oder Gedichte weiser +Dichter der Vorzeit hören, er wollte keinen Sorbet zu sich nehmen, +noch Betel kauen, ja, selbst der mit dem Fächer aus Pfauenfeder hatte +vergebliche Arbeit; denn der Herr bemerkte es nicht, wenn ihn eine +Fliege summend umschwärmte. Da blieben oft die Vorübergehenden +stehen, staunten über die Pracht des Hauses, über die +reichgekleideten Sklaven und über die Bequemlichkeit, womit alles +versehen war; aber wenn sie dann den Scheik ansahen, wie er so ernst +und düster unter den Palmen saß, seine Augen nirgends hinwandte als +auf die bläulichen Wölkchen seiner Wasserpfeife, da schüttelten sie +die Köpfe und sprachen: "Wahrlich, der reiche Mann ist ein armer Mann. +Er, der viel hat, ist ärmer als der, der nichts hat; denn der +Prophet hat ihm den Verstand nicht gegeben, es zu genießen." + +So sprachen die Leute, lachten über ihn und gingen weiter. + +Eines Abends, als der Scheik wiederum vor der Türe seines Hauses saß, +umgeben von allem Glanz der Erde, und traurig und einsam seine +Wasserpfeife rauchte, standen nicht ferne davon einige junge Leute, +betrachteten ihn und lachten. + +"Wahrlich", sprach der eine, "das ist ein törichter Mann, der Scheik +Ali Banu; hätte ich seine Schätze, ich wollte sie anders anwenden. +Alle Tage wollte ich leben herrlich und in Freuden; meine Freunde +müßten bei mir speisen in den großen Gemächern des Hauses, und Jubel +und Lachen müßten diese traurigen Hallen füllen." + +"Ja", erwiderte ein anderer. "Das wäre nicht so übel; aber viele +Freunde zehren ein Gut auf, und wäre es so groß als das des Sultans, +den der Prophet segne; aber säße ich abends so unter den Palmen auf +dem schönen Platze hier, da müßten mir die Sklaven dort singen und +musizieren, meine Tänzer müßten kommen und tanzen und springen und +allerlei wunderliche Stücke aufführen. Dazu rauchte ich recht +vornehm die Wasserpfeife, ließe mir den köstlichen Sorbet reichen und +ergötzte mich an all diesem wie ein König von Bagdad." + +"Der Scheik", sprach ein dritter dieser jungen Leute, der ein +Schreiber war, "der Scheik soll ein gelehrter und weiser Mann sein, +und wirklich, seine Vorlesungen über den Koran zeugen von Belesenheit +in allen Dichtern und Schriften der Weisheit; aber ist auch sein +Leben so eingerichtet, wie es einem vernünftigen Manne geziemt? Dort +steht ein Sklave mit einem ganzen Arm voll Rollen; ich gäbe mein +Festkleid dafür, nur eine davon lesen zu dürfen; denn es sind gewiß +seltene Sachen. Aber er? Er sitzt und raucht und läßt +Bücher--Bücher sein. Wäre ich der Scheik Ali Banu, der Kerl müßte +mir vorlesen, bis er keinen Atem mehr hätte oder bis die Nacht +heraufkäme; und auch dann noch müßte er mir lesen, bis ich +entschlummert wäre." "Ha! Ihr wißt mir recht, wie man sich ein +köstliches Leben einrichtet", lachte der vierte; "essen und trinken, +singen und tanzen, Sprüche lesen und Gedichte hören von armseligen +Dichtern! Nein, ich würde es ganz anders machen. Er hat die +herrlichsten Pferde und Kamele und Geld die Menge. Da würde ich an +seiner Stelle reisen, reisen bis an der Welt Ende und selbst zu den +Moskowitern, selbst zu den Franken. Kein Weg wäre mir zu weit, um +die Herrlichkeiten der Welt zu sehen. So würde ich tun, wäre ich +jener Mann dort." + +"Die Jugend ist eine schöne Zeit und das Alter, wo man fröhlich ist", +sprach ein alter Mann von unscheinbarem Aussehen, der neben ihnen +stand und ihre Reden gehört hatte, "aber erlaubet mir, daß ich es +sage, die Jugend ist auch töricht und schwatzt hier und da in den Tag +hinein, ohne zu wissen, was sie tut." + +"Was wollt Ihr damit sagen, Alter?" fragten verwundert die jungen +Leute. "Meinet Ihr uns damit? Was geht es Euch an, daß wir die +Lebensart des Scheiks tadeln?" + +"Wenn einer etwas besser weiß als der andere, so berichtige er seinen +Irrtum, so will es der Prophet", erwiderte der alte Mann, "der Scheik, +es ist wahr, ist gesegnet mit Schätzen und hat alles, wonach das +Herz verlangt, aber er hat Ursache, ernst und traurig zu sein. +Meinet ihr, er sei immer so gewesen? Nein, ich habe ihn noch vor +fünfzehn Jahren gesehen, da war er munter und rüstig wie die Gazelle +und lebte fröhlich und genoß sein Leben. Damals hatte er einen Sohn, +die Freude seiner Tage, schön und gebildet, und wer ihn sah und +sprechen hörte, mußte den Scheik beneiden um diesen Schatz, denn er +war erst zehn Jahre alt, und doch war er schon so gelehrt wie ein +anderer kaum im achtzehnten." + +"Und der ist ihm gestorben? Der arme Scheik!" rief der junge +Schreiber. + +"Es wäre tröstlich für ihn, zu wissen, daß er heimgegangen in die +Wohnungen des Propheten, wo er besser lebte als hier in Alessandria; +aber das, was er erfahren mußte, ist viel schlimmer. Es war damals +die Zeit, wo die Franken wie hungrige Wölfe herüberkamen in unser +Land und Krieg mit uns führten. Sie hatten Alessandria überwältigt +und zogen von da aus weiter und immer weiter und bekriegten die +Mamelucken. Der Scheik war ein kluger Mann und wußte sich gut mit +ihnen zu vertragen; aber, sei es, weil sie lüstern waren nach seinen +Schätzen, sei es, weil er sich seiner gläubigen Brüder annahm, ich +weiß es nicht genau; kurz, sie kamen eines Tages in sein Haus und +beschuldigten ihn, die Mamelucken heimlich mit Waffen, Pferden und +Lebensmitteln unterstützt zu haben. Er mochte seine Unschuld +beweisen, wie er wollte, es half nichts, denn die Franken sind ein +rohes, hartherziges Volk, wenn es darauf ankommt, Geld zu erpressen. +Sie nahmen also seinen jungen Sohn, Kairam geheißen, als Geisel in +ihr Lager. Er bot ihnen viel Geld für ihn; aber sie gaben ihn nicht +los und wollten ihn zu noch höherem Gebot steigern. Da kam ihnen auf +einmal von ihrem Bassa, oder was er war, der Befehl, sich +einzuschiffen; niemand in Alessandria wußte ein Wort davon, +und--plötzlich waren sie auf der hohen See, und den kleinen Kairam, +Ali Banus Sohn, schleppten sie wohl mit sich, denn man hat nie wieder +etwas von ihm gehört." + +"O der arme Mann, wie hat ihn doch Allah geschlagen!" riefen einmütig +die jungen Leute und schauten mitleidig hin nach dem Scheik, der, +umgeben von Herrlichkeit, trauernd und einsam unter den Palmen saß. + +"Sein Weib, das er sehr geliebt hat, starb ihm aus Kummer um ihren +Sohn; er selbst aber kaufte sich ein Schiff, rüstete es aus und bewog +den fränkischen Arzt, der dort unten am Brunnen wohnt, mit ihm nach +Frankistan zu reisen, um den verlorenen Sohn aufzusuchen. Sie +schifften sich ein und waren lange Zeit auf dem Meere und kamen +endlich in das Land jener Giaurs, jener Ungläubigen, die in +Alessandria gewesen waren. Aber dort soll es gerade schrecklich +zugegangen sein. Sie hatten ihren Sultan umgebracht, und die Paschas +und die Reichen und Armen schlugen einander die Köpfe ab, und es war +keine Ordnung im Lande. Vergeblich suchten sie in jeder Stadt nach +dem kleinen Kairam, niemand wollte von ihm wissen, und der fränkische +Doktor riet endlich dem Scheik, sich einzuschiffen, weil sie sonst +wohl selbst um ihre Köpfe kommen könnten. + +So kamen sie wieder zurück, und seit seiner Ankunft hat der Scheik +gelebt wie an diesem Tag, denn er trauert um seinen Sohn, und er hat +recht. Muß er nicht, wenn er ißt und trinkt, denken, jetzt muß +vielleicht mein armer Kairam hungern und dürsten? + +Und wenn er sich bekleidet mit reichen Schals und Festkleidern, wie +es sein Amt und seine Würde will, muß er nicht denken, jetzt hat er +wohl nichts, womit er seine Blöße deckt? Und wenn er umgeben ist von +Sängern und Tänzern und Vorlesern, seinen Sklaven, denkt er da nicht, +jetzt muß wohl mein armer Sohn seinem fränkischen Gebieter Sprünge +vormachen und musizieren, wie er es haben will? Und was ihm den +größten Kummer macht, er glaubt, der kleine Kairam werde, so weit vom +Lande seiner Väter und mitten unter Ungläubigen, die seiner spotten, +abtrünnig werden vom Glauben seiner Väter und er werde ihn einst +nicht umarmen können in den Gärten des Paradieses! + +Darum ist er auch so mild gegen seine Sklaven und gibt große Summen +an die Armen; denn er denkt, Allah werde es vergelten und das Herz +seiner fränkischen Herren rühren, daß sie seinen Sohn mild behandeln. +Auch gibt er jedesmal, wenn der Tag kommt, an welchem ihm sein Sohn +entrissen wurde, zwölf Sklaven frei." + +"Davon habe ich auch schon gehört", entgegnete der Schreiber, "aber +man trägt sich mit wundervollen Reden; von seinem Sohne wurde dabei +nichts erwähnt; wohl aber sagte man, er sei ein sonderbarer Mann und +ganz besonders erpicht auf Erzählungen; da soll er jedes Jahr unter +seinen Sklaven einen Wettstreit anstellen, und wer am besten erzählt, +den gibt er frei." "Verlasset euch nicht auf das Gerede der Leute", +sagte der alte Mann, "es ist so, wie ich es sage, und ich weiß es +genau; möglich ist, daß er sich an diesem schweren Tage aufheitern +will und sich Geschichten erzählen läßt; doch gibt er sie frei um +seines Sohnes willen. Doch, der Abend wird kühl, und ich muß +weitergehen. Salem aleikum, Friede sei mit euch, ihr jungen Herren, +und denket in Zukunft besser von dem guten Scheik!" + +Die jungen Leute dankten dem Alten für seine Nachrichten, schauten +noch einmal nach dem trauernden Vater und gingen die Straße hinab, +indem sie zueinander sprachen: "Ich möchte doch nicht der Scheik Ali +Banu sein." + +Nicht lange Zeit, nachdem diese jungen Leute mit dem alten Mann über +den Scheik Ali Banu gesprochen hatten, traf es sich, daß sie um die +Zeit des Morgengebets wieder diese Straße gingen. Da fiel ihnen der +alte Mann und seine Erzählung ein, und sie beklagten zusammen den +Scheik und blickten nach seinem Hause. Aber wie staunten sie, als +sie dort alles aufs herrlichste ausgeschmückt fanden! Von dem Dache, +wo geputzte Sklavinnen spazierengingen, wehten Wimpeln und Fahnen, +die Halle des Hauses war mit köstlichen Teppichen belegt, Seidenstoff +schloß sich an diese an, der über die breiten Stufen der Treppe +gelegt war, und selbst auf der Straße war noch schönes, feines Tuch +ausgebreitet, wovon sich mancher wünschen mochte zu einem Festkleid +oder zu einer Decke für die Füße. + +"Ei, wie hat sich doch der Scheik geändert in den wenigen Tagen!" +sprach der junge Schreiber. "Will er ein Fest geben? Will er seine +Sänger und Tänzer anstrengen? Seht mir diese Teppiche! Hat sie +einer so schön in ganz Alessandria! Und dieses Tuch auf dem gemeinen +Boden, wahrlich, es ist schade dafür!" + +"Weißt du, was ich denke?" sprach ein anderer. "Er empfängt +sicherlich einen hohen Gast; denn das sind Zubereitungen, wie man sie +macht, wenn ein Herrscher von großen Ländern oder ein Effendi des +Großherrn ein Haus mit seinem Besuch segnet. Wer mag wohl heute +hierherkommen?" + +"Siehe da, geht dort unten nicht unser Alter von letzthin? Ei, der +weiß ja alles und muß auch darüber Aufschluß geben können. Heda! +Alter Herr! Wollet Ihr nicht ein wenig zu uns treten?" So riefen sie; +der alte Mann aber bemerkte ihre Winke und kam zu ihnen; denn er +erkannte sie als die jungen Leute, mit welchen er vor einigen Tagen +gesprochen. Sie machten ihn aufmerksam auf die Zurüstungen im Hause +des Scheiks und fragten ihn, ob er nicht wisse, welch hoher Gast wohl +erwartet werde. + +"Ihr glaubt wohl", erwiderte er, "Ali Banu feiere heute ein großes +Freudenfest, oder der Besuch eines großen Mannes beehre sein Haus? +Dem ist nicht also; aber heute ist der zwölfte Tag des Monats Ramadan, +wie ihr wisset, und an diesem Tag wurde sein Sohn ins Lager geführt." + +"Aber beim Bart des Propheten!" rief einer der jungen Leute. "Das +sieht ja alles aus wie Hochzeit und Festlichkeiten, und doch ist es +sein berühmter Trauertag, wie reimt Ihr das zusammen? Gesteht, der +Scheik ist denn doch etwas zerrüttet im Verstand." + +"Urteilt Ihr noch immer so schnell, mein junger Freund?" fragte der +Alte lächelnd. "Auch diesmal war Euer Pfeil wohl spitzig und scharf, +die Sehne Eures Bogens straff angezogen, und doch habt Ihr weitab vom +Ziele geschossen. Wisset, daß heute der Scheik seinen Sohn erwartet." + +"So ist er gefunden?" riefen die Jünglinge und freuten sich. "Nein, +und er wird sich wohl lange nicht finden; aber wisset: Vor acht oder +zehn Jahren, als der Scheik auch einmal mit Trauern und Klagen diesen +Tag beging, auch Sklaven freigab und viele Arme speiste und tränkte, +da traf es sich, daß er auch einem Derwisch, der müde und matt im +Schatten jenes Hauses lag, Speise und Trank reichen ließ. Der +Derwisch aber war ein heiliger Mann und erfahren in Prophezeiungen +und im Sterndeuten. Der trat, als er gestärkt war durch die milde +Hand des Scheiks, zu ihm und sprach: 'Ich kenne die Ursache deines +Kummers; ist nicht heute der zwölfte Ramadan, und hast du nicht an +diesem Tage deinen Sohn verloren? Aber sei getrost, dieser Tag der +Trauer wird dir zum Festtag werden, denn wisse, an diesem Tage wird +einst dein Sohn zurückkehren!' So sprach der Derwisch. Es wäre Sünde +für jeden Muselmann, an der Rede eines solchen Mannes zu zweifeln; +der Gram Alis wurde zwar dadurch nicht gemildert, aber doch harrt er +an diesem Tage immer auf die Rückkehr seines Sohnes und schmückt sein +Haus und seine Halle und die Treppen, als könne jener zu jeder Stunde +anlangen." + +"Wunderbar!" erwiderte der Schreiber. "Aber zusehen möchte ich doch, +wie alles so herrlich bereitet ist, wie er selbst in dieser +Herrlichkeit trauert, und hauptsächlich möchte ich zuhören, wie er +sich von seinen Sklaven erzählen läßt." + +"Nichts leichter als dies", antwortete der Alte. "Der Aufseher der +Sklaven jenes Hauses ist mein Freund seit langen Jahren und gönnt mir +an diesem Tage immer ein Plätzchen in dem Saal, wo man unter der +Menge der Diener und Freunde des Scheiks den einzelnen nicht bemerkt. +Ich will mit ihm reden, daß er euch einläßt; ihr seid ja nur zu +viert, und da kann es schon gehen; kommet um die neunte Stunde auf +diesen Platz, und ich will euch Antwort geben." + +So sprach der Alte; die jungen Leute aber dankten ihm und entfernten +sich, voll Begierde zu sehen, wie sich dies alles begeben würde. + +Sie kamen zur bestimmten Stunde auf den Platz vor dem Hause des +Scheik und trafen da den Alten, der ihnen sagte, daß der Aufseher der +Sklaven erlaubt habe, sie einzuführen. Er ging voran, doch nicht +durch die reichgeschmückten Treppen und Tore, sondern durch ein +Seitenpförtchen, das er sorgfältig wieder verschloß. Dann führte er +sie durch mehrere Gänge, bis sie in den großen Saal kamen. Hier war +ein großes Gedränge von allen Seiten; da waren reichgekleidete Männer, +angesehene Herren der Stadt und Freunde des Scheik, die gekommen +waren, ihn in seinem Schmerz zu trösten. Da waren Sklaven aller Art +und aller Nationen. Aber alle sahen kummervoll aus; denn sie liebten +ihren Herrn und trauerten mit ihm. Am Ende des Saales, auf einem +reichen Diwan, saßen die vornehmsten Freunde Alis und wurden von den +Sklaven bedient. Neben ihnen auf dem Boden saß der Scheik; denn die +Trauer um seinen Sohn erlaubte ihm nicht, auf dem Teppich der Freude +zu sitzen. Er hatte sein Haupt in die Hand gestützt und schien wenig +auf die Tröstungen zu hören, die ihm seine Freunde zuflüsterten. Ihm +gegenüber saßen einige alte und junge Männer in Sklaventracht. Der +Alte belehrte seine jungen Freunde, daß dies die Sklaven seien, die +Ah Banu an diesem Tage freigebe. Es waren unter ihnen auch einige +Franken, und der Alte machte besonders auf einen von ihnen aufmerksam, +der von ausgezeichneter Schönheit und noch sehr jung war. Der +Scheik hatte ihn erst einige Tage zuvor einem Sklavenhändler von +Tunis um eine große Summe abgekauft und gab ihn dennoch jetzt schon +frei, weil er glaubte, je mehr Franken er in ihr Vaterland +zurückschicke, desto früher werde der Prophet seinen Sohn erlösen. + +Nachdem man überall Erfrischungen umhergereicht hatte, gab der Scheik +dem Aufseher der Sklaven ein Zeichen. Dieser stand auf, und es ward +tiefe Stille im Saal. Er trat vor die Sklaven, welche freigelassen +werden sollten, und sprach mit vernehmlichen Stimme: "Ihr Männer, die +ihr heute frei sein werdet durch die Gnade meines Herrn Ali Banu, des +Scheik von Alessandria, tuet nur, wie es Sitte ist an diesem Tage in +seinem Hause, und hebet an zu erzählen!" + +Sie flüsterten untereinander. Dann aber nahm ein alter Sklave das +Wort und fing an zu erzählen: + + + + +Der Zwerg Nase + +Wilhelm Hauff + + +Herr! Diejenigen tun sehr unrecht, welche glauben, es habe nur zu +Zeiten Haruns Al-Raschid, des Beherrschers von Bagdad, Feen und +Zauberer gegeben, oder die gar behaupten, jene Berichte von dem +Treiben der Genien und ihrer Fürsten, welche man von den Erzählern +auf den Märkten der Stadt hört, seien unwahr. Noch heute gibt es +Feen, und es ist nicht so lange her, daß ich selbst Zeuge einer +Begebenheit war, wo offenbar die Genien im Spiele waren, wie ich euch +berichten werde. + +In einer bedeutenden Stadt meines lieben Vaterlandes, Deutschlands, +lebte vor vielen Jahren ein Schuster mit seiner Frau schlicht und +recht. Er saß bei Tag an der Ecke der Straße und flickte Schuhe und +Pantoffeln und machte wohl auch neue, wenn ihm einer welche +anvertrauen mochte; doch mußte er dann das Leder erst einkaufen, denn +er war arm und hatte keine Vorräte. Seine Frau verkaufte Gemüse und +Früchte, die sie in einem kleinen Gärtchen vor dem Tore pflanzte, und +viele Leute kauften gerne bei ihr, weil sie reinlich und sauber +gekleidet war und ihr Gemüse auf gefällige Art auszubreiten wußte. + +Die beiden Leutchen hatten einen schönen Knaben, angenehm von Gesicht, +wohlgestaltet und für das Alter von zwölf Jahren schon ziemlich groß. +Er pflegte gewöhnlich bei der Mutter auf dem Gemüsemarkt zu sitzen, +und den Weibern oder Köchen, die viel bei der Schustersfrau +eingekauft hatten, trug er wohl auch einen Teil der Früchte nach +Hause, und selten kam er von einem solchen Gang zurück ohne eine +schöne Blume oder ein Stückchen Geld oder Kuchen; denn die +Herrschaften dieser Köche sahen es gerne, wenn man den schönen Knaben +mit nach Hause brachte, und beschenkten ihn immer reichlich. + +Eines Tages saß die Frau des Schusters wieder wie gewöhnlich auf dem +Markte, sie hatte vor sich einige Körbe mit Kohl und anderm Gemüse, +allerlei Kräuter und Sämereien, auch in einem kleineren Körbchen +frühe Birnen, Äpfel und Aprikosen. Der kleine Jakob, so hieß der +Knabe, saß neben ihr und rief mit heller Stimme die Waren aus: +"Hierher, ihr Herren, seht, welch schöner Kohl, wie wohlriechend +diese Kräuter; frühe Birnen, ihr Frauen, frühe Äpfel und Aprikosen, +wer kauft? Meine Mutter gibt es wohlfeil." So rief der Knabe. Da +kam ein altes Weib über den Markt her; sie sah etwas zerrissen und +zerlumpt aus, hatte ein kleines, spitziges Gesicht, vom Alter ganz +eingefurcht, rote Augen und eine spitzige, gebogene Nase, die gegen +das Kinn hinabstrebte; sie ging an einem langen Stock, und doch +konnte man nicht sagen, wie sie ging; denn sie hinkte und rutschte +und wankte; es war, als habe sie Räder in den Beinen und könne alle +Augenblicke umstülpen und mit der spitzigen Nase aufs Pflaster fallen. + +Die Frau des Schusters betrachtete dieses Weib aufmerksam. Es waren +jetzt doch schon sechzehn Jahre, daß sie täglich auf dem Markte saß, +und nie hatte sie diese sonderbare Gestalt bemerkt. Aber sie +erschrak unwillkürlich, als die Alte auf sie zuhinkte und an ihren +Körben stillstand. + +"Seid Ihr Hanne, die Gemüsehändlerin?" fragte das alte Weib mit +unangenehmer, krächzender Stimme, indem sie beständig den Kopf hin +und her schüttelte. + +"Ja, die bin ich", antwortete die Schustersfrau, "ist Euch etwas +gefällig?" + +"Wollen sehen, wollen sehen! Kräutlein schauen, Kräutlein schauen, +ob du hast, was ich brauche", antwortete die Alte, beugte sich nieder +vor den Körben und fuhr mit ein Paar dunkelbraunen, häßlichen Händen +in den Kräuterkorb hinein, packte die Kräutlein, die so schön und +zierlich ausgebreitet waren, mit ihren langen Spinnenfingern, brachte +sie dann eins um das andere hinauf an die lange Nase und beroch sie +hin und her. Der Frau des Schusters wollte es fast das Herz +abdrucken, wie sie das alte Weib also mit ihren seltenen Kräutern +hantieren sah; aber sie wagte nichts zu sagen; denn es war das Recht +des Käufers, die Ware zu prüfen, und überdies empfand sie ein +sonderbares Grauen vor dem Weibe. Als jene den ganzen Korb +durchgemustert hatte, murmelte sie: "Schlechtes Zeug, schlechtes +Kraut, nichts von allem, was ich will, war viel besser vor fünfzig +Jahren; schlechtes Zeug, schlechtes Zeug!" + +Solche Reden verdrossen nun den kleinen Jakob. "Höre, du bist ein +unverschämtes, altes Weib", rief er unmutig, "erst fährst du mit +deinen garstigen, braunen Fingern in die schönen Kräuter hinein und +drückst sie zusammen, dann hältst du sie an deine lange Nase, daß sie +niemand mehr kaufen mag, wer zugesehen, und jetzt schimpfst du noch +unsere Ware schlechtes Zeug, und doch kauft selbst der Koch des +Herzogs alles bei uns!" + +Das alte Weib schielte den mutigen Knaben an, lachte widerlich und +sprach mit heiserer Stimme: "Söhnchen, Söhnchen! Also gefällt dir +meine Nase, meine schöne lange Nase? Sollst auch eine haben mitten +im Gesicht bis übers Kinn herab." Während sie so sprach, rutschte sie +an den andern Korb, in welchem Kohl ausgelegt war. Sie nahm die +herrlichsten weißen Kohlhäupter in die Hand, drückte sie zusammen, +daß sie ächzten, warf sie dann wieder unordentlich in den Korb und +sprach auch hier: "Schlechte Ware, schlechter Kohl!" + +"Wackle nur nicht so garstig mit dem Kopf hin und her!" rief der +Kleine ängstlich. "Dein Hals ist ja so dünne wie ein Kohlstengel, +der könnte leicht abbrechen, und dann fiele dein Kopf hinein in den +Korb; wer wollte dann noch kaufen!" + +"Gefallen sie dir nicht, die dünnen Hälse?" murmelte die Alte lachend. +"Sollst gar keinen haben, Kopf muß in den Schultern stecken, daß er +nicht herabfällt vom kleinen Körperlein!" + +"Schwatzt doch nicht so unnützes Zeug mit dem Kleinen da", sagte +endlich die Frau des Schusters im Unmut über das lange Prüfen, +Mustern und Beriechen, "wenn Ihr etwas kaufen wollt, so sputet Euch, +Ihr verscheucht mir ja die anderen Kunden." + +"Gut, es sei, wie du sagst", rief die Alte mit grimmigem Blick. "Ich +will dir diese sechs Kohlhäupter abkaufen; aber siehe, ich muß mich +auf den Stab stützen und kann nichts tragen; erlaube deinem Söhnlein, +daß es mir die Ware nach Hause bringt, ich will es dafür belohnen." + +Der Kleine wollte nicht mitgehen und weinte; denn ihm graute vor der +häßlichen Frau, aber die Mutter befahl es ihm ernstlich, weil sie es +doch für eine Sünde hielt, der alten, schwächlichen Frau diese Last +allein aufzubürden; halb weinend tat er, wie sie befohlen, raffte die +Kohlhäupter in ein Tuch zusammen und folgte dem alten Weibe über den +Markt hin. + +Es ging nicht sehr schnell bei ihr, und sie brauchte beinahe drei +Viertelstunden, bis sie in einen ganz entlegenen Teil der Stadt kam +und endlich vor einem kleinen, baufälligen Hause stillhielt. Dort +zog sie einen alten, rostigen Haken aus der Tasche, fuhr damit +geschickt in ein kleines Loch in der Türe, und plötzlich sprang diese +krachend auf. Aber wie war der kleine Jakob überrascht, als er +eintrat! Das Innere des Hauses war prachtvoll ausgeschmückt, von +Marmor waren die Decke und die Wände, die Gerätschaften vom schönsten +Ebenholz, mit Gold und geschaffenen Steinen eingelegt, der Boden aber +war von Glas und so glatt, daß der Kleine einigemal ausglitt und +umfiel. Die Alte aber zog ein silbernes Pfeifchen aus der Tasche und +pfiff eine Weise darauf, die gellend durch das Haus tönte. Da kamen +sogleich einige Meerschweinchen die Treppe herab; dem Jakob wollte es +aber ganz sonderbar dünken, daß sie aufrecht auf zwei Beinen gingen, +Nußschalen statt Schuhen an den Pfoten trugen, menschliche Kleider +angelegt und sogar Hüte nach der neuesten Mode auf die Köpfe gesetzt +hatten. "Wo habt ihr meine Pantoffeln, schlechtes Gesindel?" rief +die Alte und schlug mit dem Stock nach ihnen, daß sie jammernd in die +Höhe sprangen. "Wie lange soll ich noch so dastehen?" + +Sie sprangen schnell die Treppe hinauf und kamen wieder mit ein Paar +Schalen von Kokosnuß, mit Leder gefüttert, welche sie der Alten +geschickt an die Füße steckten. + +Jetzt war alles Hinken und Rutschen vorbei. Sie warf den Stab von +sich und glitt mit großer Schnelligkeit über den Glasboden hin, indem +sie den kleinen Jakob an der Hand mit fortzog. Endlich hielt sie in +einem Zimmer stille, das, mit allerlei Gerätschaften ausgeputzt, +beinahe einer Küche glich, obgleich die Tische von Mahagoniholz und +die Sofas, mit reichen Teppichen behängt, mehr zu einem Prunkgemach +paßten. "Setze dich, Söhnchen", sagte die Alte recht freundlich, +indem sie ihn in die Ecke eines Sofas drückte und einen Tisch also +vor ihn hinstellte, daß er nicht mehr hervorkommen konnte. "Setze +dich, du hast gar schwer zu tragen gehabt, die Menschenköpfe sind +nicht so leicht, nicht so leicht." + +"Aber, Frau, was sprechet Ihr so wunderlich", rief der Kleine. "Müde +bin ich zwar, aber es waren ja Kohlköpfe, die ich getragen, Ihr habt +sie meiner Mutter abgekauft." + +"Ei, das weißt du falsch", lachte das Weib, deckte den Deckel des +Korbes auf und brachte einen Menschenkopf hervor, den sie am Schopf +gefaßt hatte. Der Kleine war vor Schrecken außer sich; er konnte +nicht fassen, wie dies alles zuging; aber er dachte an seine Mutter; +wenn jemand von diesen Menschenköpfen etwas erfahren würde, dachte er +bei sich, da würde man gewiß meine Mutter dafür anklagen. + +"Muß dir nun auch etwas geben zum Lohn, weil du so artig bist", +murmelte die Alte, "gedulde dich nur ein Weilchen, will dir ein +Süppchen einbrocken, an das du dein Leben lang denken wirst." So +sprach sie und pfiff wieder. Da kamen zuerst viele Meerschweinchen +in menschlichen Kleidern; sie hatten Küchenschürzen umgebunden und im +Gürtel Rührlöffel und Tranchiermesser; nach diesen kam eine Menge +Eichhörnchen hereingehüpft; sie hatten weite türkische Beinkleider an, +gingen aufrecht, und auf dem Kopf trugen sie grüne Mützchen von Samt. +Diese schienen die Küchenjungen zu sein; denn sie kletterten mit +großer Geschwindigkeit an den Wänden hinauf und brachten Pfannen und +Schüsseln, Eier und Butter, Kräuter und Mehl herab und trugen, es auf +den Herd; dort aber fuhr die alte Frau auf ihren Pantoffeln von +Kokosschalen beständig hin und her, und der Kleine sah, daß sie es +sich recht angelegen sein lasse, ihm etwas Gutes zu kochen. Jetzt +knisterte das Feuer höher empor, jetzt rauchte und sott es in der +Pfanne, ein angenehmer Geruch verbreitete sich im Zimmer; die Alte +aber rannte auf und ab, die Eichhörnchen und Meerschweinchen ihr nach, +und so oft sie am Herde vorbeikam, guckte sie mit ihrer langen Nase +in den Topf. Endlich fing es an zu sprudeln und zu zischen, Dampf +stieg aus dem Topf hervor, und der Schaum floß herab ins Feuer. Da +nahm sie ihn weg, goß davon in eine silberne Schale und setzte sie +dem kleinen Jakob vor. + +"So, Söhnchen, so", sprach sie, "iß nur dieses Süppchen, dann hast du +alles, was dir an mir so gefallen! Sollst auch ein geschickter Koch +werden, daß du noch etwas bist; aber Kräutlein, nein, das Kräutlein +sollst du nimmer finden--Warum hat es deine Mutter nicht in ihrem +Korb gehabt?" Der Kleine verstand nicht recht, was sie sprach, desto +aufmerksamer behandelte er die Suppe, die ihm ganz trefflich +schmeckte. Seine Mutter hatte ihm manche schmackhafte Speise +bereitet; aber so gut war ihm noch nichts geworden. Der Duft von +feinen Kräutern und Gewürzen stieg aus der Suppe auf, dabei war sie +süß und säuerlich zugleich und sehr stark. Während er noch die +letzten Tropfen der köstlichen Speise austrank, zündeten die +Meerschweinchen arabischen Weihrauch an, der in bläulichen Wolken +durch das Zimmer schwebte; dichter und immer dichter wurden diese +Wolken und sanken herab, der Geruch des Weihrauchs wirkte betäubend +auf den Kleinen, er mochte sich zurufen, so oft er wollte, daß er zu +seiner Mutter zurückkehren müsse; wenn er sich ermannte, sank er +immer wieder von neuem in den Schlummer zurück und schlief endlich +wirklich auf dem Sofa des alten Weibes ein. + +Sonderbare Träume kamen über ihn. Es war ihm, als ziehe ihm die Alte +seine Kleider aus und umhülle ihn dafür mit einem Eichhörnchenbalg. +Jetzt konnte er Sprünge machen und klettern wie ein Eichhörnchen; er +ging mit den übrigen Eichhörnchen und Meerschweinchen, die sehr +artige, gesittete Leute waren, um und hatte mit ihnen den Dienst bei +der alten Frau. Zuerst wurde er nur zu den Diensten eines +Schuhputzers gebraucht, d. h. er mußte die Kokosnüsse, welche die +Frau statt der Pantoffeln trug, mit Öl salben und durch Reiben +glänzend machen. Da er nun in seines Vaters Hause zu ähnlichen +Geschäften oft angehalten worden war, so ging es ihm flink von der +Hand; etwa nach einem Jahre, träumte er weiter, wurde er zu einem +feineren Geschäft gebraucht; er mußte nämlich mit noch einigen +Eichhörnchen Sonnenstäubchen fangen und, wenn sie genug hatten, +solche durch das feinste Haarsieb sieben. Die Frau hielt nämlich die +Sonnenstäubchen für das Allerfeinste, und weil sie nicht gut beißen +konnte, denn sie hatte keinen Zahn mehr, so ließ sie sich ihr Brot +aus Sonnenstäubchen zubereiten. + +Wiederum nach einem Jahre wurde er zu den Dienern versetzt, die das +Trinkwasser für die Alte sammelten. Man denke nicht, daß sie sich +hierzu etwa eine Zisterne hätte graben lassen oder ein Faß in den Hof +stellte, um das Regenwasser darin aufzufangen; da ging es viel feiner +zu; die Eichhörnchen, und Jakob mit ihnen, mußten mit Haselnußschalen +den Tau aus den Rosen schöpfen, und das war das Trinkwasser der Alten. +Da sie nun bedeutend viel trank, so hatten die Wasserträger schwere +Arbeit. Nach einem Jahr wurde er zum inneren Dienst des Hauses +bestellt; er hatte nämlich das Amt, die Böden rein zu machen; da nun +diese von Glas waren, worin man jeden Hauch sah, war das keine +geringe Arbeit. Sie mußten sie bürsten und altes ach an die Füße +schnallen und auf diesem künstlich im Zimmer umherfahren. Im vierten +Jahre ward er endlich zur Küche versetzt. Es war dies ein Ehrenamt, +zu welchem man nur nach langer Prüfung gelangen konnte. Jakob diente +dort vom Küchenjungen aufwärts bis zum ersten Pastetenmacher und +erreichte eine so ungemeine Geschicklichkeit und Erfahrung in allem, +was die Küche betrifft, daß er sich oft über sich selbst wundern +mußte; die schwierigsten Sachen, Pasteten von zweihunderterlei +Essenzen, Kräutersuppen, von allen Kräutlein der Erde zusammengesetzt, +alles lernte er, alles verstand er schnell und kräftig zu machen. + +So waren etwa sieben Jahre im Dienste des alten Weibes vergangen, da +befahl sie ihm eines Tages, indem sie die Kokosschuhe auszog, Korb +und Krückenstock zur Hand nahm, um auszugehen, er sollte ein Hühnlein +rupfen, mit Kräutern füllen und solches schön bräunlich und gelb +rösten, bis sie wiederkäme. Er tat dies nach den Regeln der Kunst. +Er drehte dem Hühnlein den Kragen um, brühte es in heißem Wasser, zog +ihm geschickt die Federn aus, schabte ihm nachher die Haut, daß sie +glatt und fein wurde, und nahm ihm die Eingeweide heraus. Sodann +fing er an, die Kräuter zu sammeln, womit er das Hühnlein füllen +sollte. In der Kräuterkammer gewahrte er aber diesmal ein +Wandschränkchen, dessen Türe halb geöffnet war und das er sonst nie +bemerkt hatte. Er ging neugierig näher, um zu sehen, was es enthalte, +und siehe da, es standen viele Körbchen darinnen, von welchen ein +starker, angenehmer Geruch ausging. Er öffnete eines dieser Körbchen +und fand darin Kräutlein von ganz besonderer Gestalt und Farbe. Die +Stengel und Blätter waren blaugrün und trugen oben eine kleine Blume +von brennendem Rot, mit Gelb verbrämt; er betrachtete sinnend diese +Blume, beroch sie, und sie strömte denselben starken Geruch aus, von +dem einst jene Suppe, die ihm die Alte gekocht, geduftet hatte. Aber +so stark war der Geruch, daß er zu niesen anfing, immer heftiger +niesen mußte und--am Ende niesend erwachte. + +Da lag er auf dem Sofa des alten Weibes und blickte verwundert umher. +"Nein, wie man aber so lebhaft träumen kann!" sprach er zu sich, +"hätte ich jetzt doch schwören wollen, daß ich ein schnödes +Eichhörnchen, ein Kamerad von Meerschweinen und anderem Ungeziefer, +dabei aber ein großer Koch geworden sei. Wie wird die Mutter lachen, +wenn ich ihr alles erzähle! Aber wird sie nicht auch schmälen, daß +ich in einem fremden Hause einschlafe, statt ihr zu helfen auf dem +Markte?" Mit diesen Gedanken raffte er sich auf, um hinwegzugehen; +noch waren seine Glieder vom Schlafe ganz steif, besonders sein +Nacken, denn er konnte den Kopf nicht recht hin und her bewegen; er +mußte auch selbst über sich lächeln, daß er so schlaftrunken war; +denn alle Augenblicke, ehe er es sich versah, stieß er mit der Nase +an einen Schrank oder an die Wand oder schlug sie, wenn er sich +schnell umwandte, an einen Türpfosten. Die Eichhörnchen und +Meerschweinchen liefen winselnd um ihn her, als wollten sie ihn +begleiten, er lud sie auch wirklich ein, als er auf der Schwelle war, +denn es waren niedliche Tierchen; aber sie fuhren auf ihren +Nußschalen schnell ins Haus zurück, und er hörte sie nur noch in der +Ferne heulen. + +Es war ein ziemlich entlegener Teil der Stadt, wohin ihn die Alte +geführt hatte, und er konnte sich kaum aus den engen Gassen +herausfinden, auch war dort ein großes Gedränge; denn es mußte sich, +wie ihm dünkte, gerade in der Nähe ein Zwerg sehen lassen; überall +hörte er rufen: "Ei, sehet den häßlichen Zwerg! Wo kommt der Zwerg +her? Ei, was hat er doch für eine lange Nase, und wie ihm der Kopf +in den Schultern steckt, und die braunen, häßlichen Hände!" Zu einer +andern Zeit wäre er wohl auch nachgelaufen, denn er sah für sein +Leben gern Riesen oder Zwerge oder seltsame fremde Trachten, aber so +mußte er sich sputen, um zur Mutter zu kommen. + +Es war ihm ganz ängstlich zumute, als er auf den Markt kam. Die +Mutter saß noch da und hatte noch ziemlich viele Früchte im Korb, +lange konnte er also nicht geschlafen haben; aber doch kam es ihm von +weitem schon vor, als sei sie sehr traurig; denn sie rief die +Vorübergehenden nicht an, einzukaufen, sondern hatte den Kopf in die +Hand gestützt, und als er näher kam, glaubte er auch, sie sei +bleicher als sonst. Er zauderte, was er tun sollte; endlich faßte er +sich ein Herz, schlich sich hinter sie hin, legte traulich seine Hand +auf ihren Arm und sprach: "Mütterchen, was fehlt dir? Bist du böse +auf mich?" + +Die Frau wandte sich um nach ihm, fuhr aber mit einem Schrei des +Entsetzens zurück. + +"Was willst du von mir, häßlicher Zwerg?" rief sie. "Fort, fort! +Ich kann dergleichen Possenspiele nicht leiden." + +"Aber, Mutter, was hast du denn?" fragte Jakob ganz erschrocken. +"Dir ist gewiß nicht wohl; warum willst du denn deinen Sohn von dir +jagen?" + +"Ich habe dir schon gesagt, gehe deines Weges!" entgegnete Frau Hanne +zürnend. "Bei mir verdienst du kein Geld durch deine Gaukeleien, +häßliche Mißgeburt!" + +"Wahrhaftig, Gott hat ihr das Licht des Verstandes geraubt!" sprach +der Kleine bekümmert zu sich. "Was fange ich nur an, um sie nach +Haus zu bringen? Lieb Mütterchen, so sei doch nur vernünftig; sieh +mich doch nur recht an; ich bin ja dein Sohn, dein Jakob." + +"Nein, jetzt wird mir der Spaß zu unverschämt", rief Hanne ihrer +Nachbarin zu, "seht nur den häßlichen Zwerg da; da steht er und +vertreibt mir gewiß alle Käufer, und mit meinem Unglück wagt er zu +spotten. Spricht zu mir: Ich bin ja dein Sohn, dein Jakob! Der +Unverschämte!" + +Da erhoben sich die Nachbarinnen und fingen an zu schimpfen, so arg +sie konnten--und Marktweiber, wisset ihr wohl, verstehen es--, und +schalten ihn, daß er des Unglücks der armen Hanne spotte, der vor +sieben Jahren ihr bildschöner 'Knabe gestohlen worden sei, und +drohten, insgesamt über ihn herzufallen und ihn zu zerkratzen, wenn +er nicht alsobald ginge. + +Der arme Jakob wußte nicht, was er von diesem allem denken sollte. +War er doch, wie er glaubte, heute früh wie gewöhnlich mit der Mutter +auf den Markt gegangen, hatte ihr die Früchte aufstellen helfen, war +nachher mit dem alten Weib in ihr Haus gekommen, hatte ein Süppchen +verzehrt, ein kleines Schläfchen gemacht und war jetzt wieder da, und +doch sprachen die Mutter und die Nachbarinnen von sieben Jahren! Und +sie nannten ihn einen garstigen Zwerg! Was war denn nun mit ihm +vorgegangen?--Als er sah, daß die Mutter gar nichts mehr von ihm +hören wollte, traten ihm die Tränen in die Augen, und er ging +trauernd die Straße hinab nach der Bude, wo sein Vater den Tag über +Schuhe flickte. "Ich will doch sehen", dachte er bei sich, "ob er +mich auch nicht kennen will, unter die Türe will ich mich stellen und +mit ihm sprechen." Als er an der Bude des Schusters angekommen war, +stellte er sich unter die Türe und schaute hinein. Der Meister war +so emsig mit seiner Arbeit beschäftigt, daß er ihn gar nicht sah; als +er aber zufällig einen Blick nach der Türe warf, ließ er Schuhe, +Draht und Pfriem auf die Erde fallen und rief mit Entsetzen: "Um +Gottes willen, was ist das, was ist das!" + +"Guten Abend, Meister!" sprach der Kleine, indem er vollends in den +Laden trat. "Wie geht es Euch?" + +"Schlecht, schlecht, kleiner Herr!" antwortete der Vater zu Jakobs +großer Verwunderung; denn er schien ihn auch nicht zu kennen. "Das +Geschäft will mir nicht von der Hand. Bin so allein und werde jetzt +alt; doch ist mir ein Geselle zu teuer." + +"Aber habt Ihr denn kein Söhnlein, das Euch nach und nach an die Hand +gehen könnte bei der Arbeit?" forschte der Kleine weiter. + +"Ich hatte einen, er hieß Jakob und müßte jetzt ein schlanker, +gewandter Bursche von zwanzig Jahren sein, der mir tüchtig unter die +Arme greifen könnte. Ha, das müßte ein Leben sein! Schon als er +zwölf Jahre alt war, zeigte er sich so anstellig und geschickt und +verstand schon manches vom Handwerk, und hübsch und angenehm war er +auch; der hätte mir eine Kundschaft hergelockt, daß ich bald nicht +mehr geflickt, sondern nichts als Neues geliefert hätte! Aber so +geht's in der Welt!" + +"Wo ist denn aber Euer Sohn?" fragte Jakob mit zitternder Stimme +seinen Vater. + +"Das weiß Gott", antwortete er, "vor sieben Jahren, ja, so lange +ist's jetzt her, wurde er uns vom Markte weg gestohlen." 'Vor sieben +Jahren!" rief Jakob mit Entsetzen. + +"Ja, kleiner Herr, vor sieben Jahren; ich weiß noch wie heute, wie +mein Weib nach Hause kam, heulend und schreiend, das Kind sei den +ganzen Tag nicht zurückgekommen, sie aber überall geforscht und +gesucht und es nicht gefunden. Ich habe es immer gedacht und gesagt, +daß es so kommen würde; er Jakob war ein schönes Kind, das muß man +sagen; da war meine Frau stolz auf ihn und sah es gerne, wenn ihn die +Leute lobten, und schickte ihn oft mit Gemüse und dergleichen in +vornehme Häuser. Das war schon recht; er wurde allemal reichlich +beschenkt; aber, sagte ich, gib acht! Die Stadt ist groß; viele +schlechte Leute wohnen da, gib mir auf den Jakob acht! Und so war es, +wie ich sagte. Kommt einmal ein altes, häßliches Weib auf den Markt, +feilscht um Früchte und Gemüse und kauft am Ende so viel, daß sie es +nicht selbst tragen kann. Mein Weib, die mitleidige Seele, gibt ihr +den Jungen mit und--hat ihn zur Stunde nicht mehr gesehen." + +"Und das ist jetzt sieben Jahre, sagt Ihr?" + +"Sieben Jahre wird es im Frühling. Wir ließen ihn ausrufen, wir +gingen von Haus zu Haus und fragten; manche hatten den hübschen +Jungen gekannt und liebgewonnen und suchten jetzt mit uns, alles +vergeblich. Auch die Frau, welche das Gemüse gekauft hatte, wollte +niemand kennen; aber ein steinaltes Weib, die schon neunzig Jahre +gelebt hatte, sagte, es könne wohl die böse Fee Kräuterweis gewesen +sein, die alle fünfzig Jahre einmal in die Stadt komme, um sich +allerlei einzukaufen." + +So sprach Jakobs Vater und klopfte dabei seine Schuhe weidlich und +zog den Draht mit beiden Fäusten weit hinaus. Dem Kleinen aber wurde +es nach und nach klar, was mit ihm vorgegangen, daß er nämlich nicht +geträumt, sondern daß er sieben Jahre bei der bösen Fee als +Eichhörnchen gedient habe. Zorn und Gram erfüllten sein Herz so sehr, +daß es beinahe zerspringen wollte. Sieben Jahre seiner Jugend hatte +ihm die Alte gestohlen, und was hatte er für Ersatz dafür? Daß er +Pantoffeln von Kokosnüssen blank putzen, daß er ein Zimmer mit +gläsernem Fußboden reinmachen konnte? Daß er von den Meerschweinchen +alle Geheimnisse der Küche gelernt hatte? Er stand eine gute Weile +so da und dachte über sein Schicksal nach; da fragte ihn endlich sein +Vater: "Ist Euch vielleicht etwas von meiner Arbeit gefällig, junger +Herr? Etwa ein Paar neue Pantoffeln oder", setzte er lächelnd hinzu, +"vielleicht ein Futteral für Eure Nase?" + +"Was wollt Ihr nur mit meiner Nase?" fragte Jakob, "warum sollte ich +denn ein Futteral dazu brauchen?" + +"Nun", entgegnete der Schuster, "jeder nach seinem Geschmack; aber +das muß ich Euch sagen, hätte ich diese schreckliche Nase, ein +Futteral ließ ich mir darüber machen von rosenfarbigem Glanzleder. +Schaut, da habe ich ein schönes Stückchen zur Hand; freilich würde +man eine Elle wenigstens dazu brauchen. Aber wie gut wäret Ihr +verwahrt, kleiner Herr; so, weiß ich gewiß, stoßt Ihr Euch an jedem +Türpfosten, an jedem Wagen, dem Ihr ausweichen wollet." + +Der Kleine stand stumm vor Schrecken; er belastete seine Nase, sie +war dick und wohl zwei Hände lang! So hatte also die Alte auch seine +Gestalt verwandelt! Darum kannte ihn also die Mutter nicht? Darum +schalt man ihn einen häßlichen Zwerg?! "Meister!" sprach er halb +weinend zu dem Schuster, "habt Ihr keinen Spiegel bei der Hand, worin +ich mich beschauen könnte?" + +"Junger Herr", erwiderte der Vater mit Ernst, "Ihr habt nicht gerade +eine Gestalt empfangen, die Euch eitel machen könnte, und Ihr habt +nicht Ursache, alle Stunden in den Spiegel zu gucken. Gewöhnt es +Euch ab, es ist besonders bei Euch eine lächerliche Gewohnheit." + +"Ach, so laßt mich doch in den Spiegel schauen", rief der Kleine, +"gewiß, es ist nicht aus Eitelkeit!" + +"Lasset mich in Ruhe, ich hab' keinen im Vermögen; meine Frau hat ein +Spiegelchen, ich weiß aber nicht, wo sie es verborgen. Müßt Ihr aber +durchaus in den Spiegel gucken, nun, über der Straße hin wohnt Urban, +der Barbier, der hat einen Spiegel, zweimal so groß als Euer Kopf; +gucket dort hinein, und indessen guten Morgen!" + +Mit diesen Worten schob ihn der Vater ganz gelinde zur Bude hinaus, +schloß die Tür hinter ihm zu und setzte sich wieder zur Arbeit. Der +Kleine aber ging sehr niedergeschlagen über die Straße zu Urban, dem +Barbier, den er noch aus früheren Zeiten wohl kannte. "Guten Morgen, +Urban", sprach er zu ihm, "ich komme, Euch um eine Gefälligkeit zu +bitten; seid so gut und lasset mich ein wenig in Euren Spiegel +schauen!" + +"Mit Vergnügen, dort steht er", rief der Barbier lachend, und seine +Kunden, denen er den Bart scheren sollte, lachten weidlich mit. "Ihr +seid ein hübsches Bürschchen, schlank und fein, ein Hälschen wie ein +Schwan, Händchen wie eine Königin, und ein Stumpfnäschen, man kann es +nicht schöner sehen. Ein wenig eitel seid Ihr darauf, das ist wahr; +aber beschauet Euch immer! Man soll nicht von mir sagen, ich habe +Euch aus Neid nicht in meinen Spiegel schauen lassen." + +So sprach der Barbier, und wieherndes Gelächter fällte die Baderstube. +Der Kleine aber war indes vor den Spiegel getreten und hatte sich +beschaut. Tränen traten ihm in die Augen. "Ja, so konntest du +freilich deinen Jakob nicht wiedererkennen, liebe Mutter", sprach er +zu sich, "so war er nicht anzuschauen in den Tagen der Freude, wo du +gerne mit ihm prangtest vor den Leuten!" Seine Augen waren klein +geworden wie die der Schweine, seine Nase war ungeheuer und hing über +Mund und Kinn herunter, der Hals schien gänzlich weggenommen worden +zu sein; denn sein Kopf stak tief in den Schultern, und nur mit den +größten Schmerzen konnte er ihn rechts und links bewegen. Sein +Körper war noch so groß als vor sieben Jahren, da er zwölf Jahre alt +war; aber wenn andere vom zwölften bis ins zwanzigste in die Höhe +wachsen, so wuchs er in die Breite, der Rücken und die Brust waren +weit ausgebogen und waren anzusehen wie ein kleiner, aber sehr dick +gefällter Sack; dieser dicke Oberleib saß auf kleinen, schwachen +Beinchen, die dieser Last nicht gewachsen schienen, aber um so größer +waren die Arme, die ihm am Leib herabhingen, sie hatten die Größe wie +die eines wohlgewachsenen Mannes, seine Hände waren grob und +braungelb, seine Finger lang und spinnenartig, und wenn er sie recht +ausstreckte, konnte er damit auf den Boden reichen, ohne daß er sich +bückte. So sah er aus, der kleine Jakob, zum mißgestalteten Zwerg +war er geworden. + +Jetzt gedachte er auch jenes Morgens, an welchem das alte Weib an die +Körbe seiner Mutter getreten war. Alles, was er damals an ihr +getadelt hatte, die lange Nase, die häßlichen Finger, alles hatte sie +ihm angetan, und nur den langen, zitternden Hals hatte sie gänzlich +weggelassen. + +"Nun, habt Ihr Euch jetzt genug beschaut, mein Prinz?" sagte der +Barbier, indem er zu ihm trat und ihn lachend betrachtete. "Wahrlich, +wenn man sich dergleichen träumen lassen wollte, so komisch könnte +es einem im Traume nicht vorkommen. Doch ich will Euch einen +Vorschlag machen, kleiner Mann. Mein Barbierzimmer ist zwar sehr +besucht, aber doch seit neuerer Zeit nicht so, wie ich wünsche. Das +kommt daher, weil mein Nachbar, der Barbier Schaum, irgendwo einen +Riesen aufgefunden hat, der ihm die Kunden ins Haus lockt. Nun, ein +Riese zu werden, ist gerade keine Kunst, aber so ein Männchen wie Ihr, +ja, das ist schon ein ander Ding. Tretet bei mir in Dienste, +kleiner Mann, Ihr sollt Wohnung, Essen, Trinken, Kleider, alles sollt +Ihr haben; dafür stellt Ihr Euch morgens unter meine Türe und ladet +die Leute ein, hereinzukommen. Ihr schlaget den Seifenschaum, +reichet den Kunden das Handtuch und seid versichert, wir stehen uns +beide gut dabei; ich bekomme mehr Kunden als jener mit dem Riesen, +und jeder gibt Euch gerne noch ein Trinkgeld." + +Der Kleine war in seinem Innern empört über den Vorschlag, als +Lockvogel für einen Barbier zu dienen. Aber mußte er sich nicht +diesen Schimpf geduldig gefallen lassen? Er sagte dem Barbier daher +ganz ruhig, daß er nicht Zeit habe zu dergleichen Diensten, und ging +weiter. + +Hatte das böse alte Weib seine Gestalt unterdrückt, so hatte sie doch +seinem Geist nichts anhaben können, das fühlte er wohl; denn er +dachte und fühlte nicht mehr, wie er vor sieben Jahren getan; nein, +er glaubte in diesem Zeitraum weiser, verständiger geworden zu sein; +er trauerte nicht um seine verlorene Schönheit, nicht über diese +häßliche Gestalt, sondern nur darüber, daß er wie ein Hund von der +Türe seines Vaters gejagt werde. Darum beschloß er, noch einen +Versuch bei seiner Mutter zu machen. + +Er trat zu ihr auf den Markt und bat sie, ihm ruhig zuzuhören. Er +erinnerte sie an jenen Tag, an welchem er mit dem alten Weibe +gegangen, er erinnerte sie an alle einzelnen Vorfälle seiner Kindheit, +erzählte ihr dann, wie er sieben Jahre als Eichhörnchen gedient habe +bei der Fee und wie sie ihn verwandelte, weil er sie damals getadelt. +Die Frau des Schusters wußte nicht, was sie denken sollte. Alles +traf zu, was er ihr von seiner Kindheit erzählte, aber wenn er davon +sprach, daß er sieben Jahre lang ein Eichhörnchen gewesen sei, da +sprach sie: "Es ist unmöglich, und es gibt keine Feen", und wenn sie +ihn ansah, so verabscheute sie den häßlichen Zwerg und glaubte nicht, +daß dies ihr Sohn sein könne. Endlich hielt sie es fürs beste, mit +ihrem Manne darüber zu sprechen. Sie raffte also ihre Körbe zusammen +und hieß ihn mitgehen. So kamen sie zu der Bude des Schusters. + +"Sieh einmal", sprach sie zu diesem, "der Mensch da will unser +verlorner Jakob sein. Er hat mir alles erzählt, wie er uns vor +sieben Jahren gestohlen wurde und wie er von einer Fee verzaubert +worden sei." + +"So?" unterbrach sie der Schuster mit Zorn, "hat er dir dies erzählt? +Warte, du Range! Ich habe ihm alles erzählt noch vor einer Stunde, +und jetzt geht er hin, dich so zu foppen! Verzaubert bist du worden, +mein Söhnchen? Warte doch, ich will dich wieder entzaubern." Dabei +nahm er ein Bündel Riemen, die er eben zugeschnitten hatte, sprang +auf den Kleinen zu und schlug ihn auf den hohen Rücken und auf die +langen Arme, daß der Kleine vor Schmerz aufschrie und weinend +davonlief. + +In jener Stadt gibt es, wie überall, wenige mitleidige Seelen, die +einen Unglücklichen, der zugleich etwas Lächerliches an sich trägt, +unterstützen. Daher kam es, daß der unglückliche Zwerg den ganzen +Tag ohne Speise und Trank blieb und abends die Treppen einer Kirche, +so hart und kalt sie waren, zum Nachtlager wählen mußte. + +Als ihn aber am nächsten Morgen die ersten Strahlen der Sonne +erweckten, da dachte er ernstlich darüber nach, wie er sein Leben +fristen könne, da ihn Vater und Mutter verstoßen. Er fühlte sich zu +stolz, um als Aushängeschild eines Barbiers zu dienen, er wollte +nicht zu einem Possenreißer sich verdingen und sich um Geld sehen +lassen. Was sollte er anfangen? Da fiel ihm mit einemmal bei, daß +er als Eichhörnchen große Fortschritte in der Kochkunst gemacht habe; +er glaubte nicht mit Unrecht, hoffen zu dürfen, daß er es mit manchem +Koch aufnehmen könne; er beschloß, seine Kunst zu benützen. + +Sobald es daher lebhafter wurde auf den Straßen und der Morgen ganz +heraufgekommen war, trat er zuerst in die Kirche und verrichtete sein +Gebet. Dann trat er seinen Weg an. Der Herzog, der Herr des Landes, +o Herr, war ein bekannter Schlemmer und Lecker, der eine gute Tafel +liebte und seine Köche in allen Weltteilen aufsuchte. Zu seinem +Palast begab sich der Kleine. Als er an die äußerste Pforte kam, +fragten die Türhüter nach seinem Begehr und hatten ihren Spott mit +ihm; er aber verlangte nach dem Oberküchenmeister. Sie lachten und +führten ihn durch die Vorhöfe, und wo er hinkam, blieben die Diener +stehen, schauten nach ihm, lachten weidlich und schlossen sich an, so +daß nach und nach ein ungeheurer Zug von Dienern aller Art sich die +Treppe des Palastes hinaufbewegte; die Stallknechte warfen ihre +Striegel weg, die Läufer liefen, was sie konnten, die Teppichbreiter +vergaßen, die Teppiche auszuklopfen, alles drängte und trieb sich, es +war ein Gefühl, als sei der Feind vor den Toren, und das Geschrei: +"Ein Zwerg, ein Zwerg! Habt ihr den Zwerg gesehen?" fällte die Lüfte. + +Da erschien der Aufseher des Hauses mit grimmigem Gesicht, eine +ungeheure Peitsche in der Hand, in der Türe. "Um des Himmels willen, +ihr Hunde, was macht ihr solchen Lärm! Wisset ihr nicht, daß der +Herr noch schläft?" Und dabei schwang er die Geißel und ließ sie +unsanft auf den Rücken einiger Stallknechte und Türhalter +niederfallen. + +"Ach, Herr!" riefen sie, "seht Ihr denn nicht? Da bringen wir einen +Zwerg, einen Zwerg, wie Ihr noch keinen gesehen." + +Der Aufseher des Palastes zwang sich mit Mühe, nicht laut aufzulachen, +als er des Kleinen ansichtig wurde; denn er fürchtete, durch Lachen +seiner Würde zu schaden. Er trieb daher mit der Peitsche die übrigen +hinweg, führte den Kleinen ins Haus und fragte nach seinem Begehr. +Als er hörte, jener wolle zum Küchenmeister, erwiderte er--"Du irrst +dich, mein Söhnchen; zu mir, dem Aufseher des Hauses, willst du; du +willst Leibzwerg werden beim Herzog; ist es nicht also?" + +"Nein, Herr!" antwortete der Zwerg. "Ich bin ein geschickter Koch +und erfahren in allerlei seltenen Speisen; wollet mich zum +Oberküchenmeister bringen; vielleicht kann er meine Kunst brauchen." + +"Jeder nach seinem Willen, kleiner Mann; übrigens bist du doch ein +unbesonnener Junge. In die Küche! Als Leibzwerg hättest du keine +Arbeit gehabt und Essen und Trinken nach Herzenslust und schöne +Kleider. Doch, wir wollen sehen, deine Kochkunst wird schwerlich so +weit reichen, als ein Mundkoch des Herren nötig hat, und zum +Küchenjungen bist du zu gut." Bei diesen Worten nahm ihn der Aufseher +des Palastes bei der Hand und führte ihn in die Gemächer des +Oberküchenmeisters. + +"Gnädiger Herr", sprach dort der Zwerg und verbeugte sich so tief, +daß er mit der Nase den Fußteppich berührte, "brauchet Ihr keinen +geschickten Koch?" + +Der Oberküchenmeister betrachtete ihn vom Kopf bis zu den Füßen, +brach dann in lautes Lachen aus und sprach: "Wie?" rief er, "du ein +Koch? Meinst du, unsere Herde seien so niedrig, daß du nur auf einen +hinaufschauen kannst, wenn du dich auch auf die Zehen stellst und den +Kopf recht aus den Schultern herausarbeitest? O lieber Kleiner! Wer +dich zu mir geschickt hat, um dich als Koch zu verdingen, der hat +dich zum Narren gehabt." So sprach der Oberküchenmeister und lachte +weidlich, und mit ihm lachten der Aufseher des Palastes und alle +Diener, die im Zimmer waren. + +Der Zwerg aber ließ sich nicht aus der Fassung bringen. "Was liegt +an einem Ei oder zweien, an ein wenig Sirup und Wein, an Mehl und +Gewürze in einem Hause, wo man dessen genug hat?" sprach er. "Gebet +mir irgendeine leckerhafte Speise zu bereiten auf, schaffet mir, was +ich dazu brauche, und sie soll vor Euren Augen schnell bereitet sein, +und Ihr sollet sagen müssen, er ist ein Koch nach Regel und Recht." +Solche und ähnliche Reden führte der Kleine, und es war wunderlich +anzuschauen, wie es dabei aus seinen kleinen Äuglein hervorblitzte, +wie seine lange Nase sich hin und her schlängelte und seine dünnen +Spinnenfinger seine Rede begleiteten. + +"Wohlan!" rief der Küchenmeister und nahm den Aufseher des Palastes +unter dem Arme, "wohlan, es sei um des Spaßes willen; lasset uns zur +Küche gehen!" Sie gingen durch mehrere Säle und Gänge und kamen +endlich in die Küche. Es war dies ein großes, weitläufiges Gebäude, +herrlich eingerichtet; auf zwanzig Herden brannten beständig Feuer; +ein klares Wasser, das zugleich zum Fischbehälter diente, floß mitten +durch sie, in Schränken von Marmor und köstlichem Holz waren die +Vorräte aufgestellt, die man immer zur Hand haben mußte, und zur +Rechten und Linken waren zehn Säle, in welchen alles aufgespeichert +war, was man in allen Ländern von Frankistan und selbst im +Morgenlande Köstliches und Leckeres für den Gaumen erfunden. +Küchenbedienstete aller Art liefen umher und rasselten und hantierten +mit Kesseln und Pfannen, mit Gabeln und Schaumlöffeln; als aber der +Oberküchenmeister in die Küche eintrat, blieben sie alle regungslos +stehen, und nur das Feuer hörte man noch knistern und das Bächlein +rieseln. "Was hat der Herr heute zum Frühstück befohlen?" fragte der +Meister den ersten Frühstücksmacher, einen alten Koch. "Herr, die +dänische Suppe hat er geruht zu befehlen und rote Hamburger Klößchen." + +"Gut", sprach der Küchenmeister weiter, "hast du gehört, was der Herr +speisen will? Getraust du dich, diese schwierigen Speisen zu +bereiten? Die Klößchen bringst du auf keinen Fall heraus, das ist +ein Geheimnis." + +"Nichts leichter als dies", erwiderte zu allgemeinem Erstaunen der +Zwerg; denn er hatte diese Speisen als Eichhörnchen oft gemacht; +"nichts leichter! Man gebe mir zu der Suppe die und die Kräuter, +dies und jenes Gewürz, Fett von einem wilden Schwein, Wurzeln und +Eier; zu den Klößchen aber", sprach er leiser, daß es nur der +Küchenmeister und der Frühstücksmacher hören konnten, "zu den +Klößchen brauche ich viererlei Fleisch, etwas Wein, Entenschmalz, +Ingwer und ein gewisses Kraut, das man Magentrost heißt." + +"Hai Bei St. Benedikt! Bei welchem Zauberer hast du gelernt?" rief +der Koch mit Staunen. "Alles bis auf ein Haar hat er gesagt, und das +Kräutlein Magentrost haben wir selbst nicht gewußt; ja, das muß es +noch angenehmer machen. O du Wunder von einem Koch!" + +"Das hätte ich nicht gedacht", sagte der Oberküchenmeister, "doch +lassen wir ihn die Probe machen; gebt ihm die Sachen, die er verlangt, +Geschirr und alles, und lasset ihn das Frühstück bereiten." + +Man tat, wie er befohlen, und rüstete alles auf dem Herde zu; aber da +fand es sich, daß der Zwerg kaum mit der Nase bis an den Herd reichen +konnte. Man setzte daher ein paar Stühle zusammen, legte eine +Marmorplatte darüber und lud den kleinen Wundermann ein, sein +Kunststück zu beginnen. In einem großen Kreise standen die Köche, +Küchenjungen, Diener und allerlei Volk umher und sahen zu und +staunten, wie ihm alles so flink und fertig von der Hand ging, wie er +alles so reinlich und niedlich bereitete. Als er mit der Zubereitung +fertig war, befahl er, beide Schüsseln ans Feuer zu setzen und genau +so lange kochen zu lassen, bis er rufen werde; dann fing er an zu +zählen, eins, zwei drei und so fort, und gerade als er fünfhundert +gezählt hatte, rief er: "Halt!" Die Töpfe wurden weggesetzt, und der +Kleine lud den Küchenmeister ein, zu kosten. + +Der Mundkoch ließ sich von einem Küchenjungen einen goldenen Löffel +reichen, spülte ihn im Bach und überreichte ihn dem Oberküchenmeister. +Dieser trat mit feierlicher Miene an den Herd, nahm von den Speisen, +kostete, drückte die Augen zu, schnalzte vor Vergnügen mit der Zunge +und sprach dann: "Köstlich, bei des Herzogs Leben, köstlich! Wollet +Ihr nicht auch ein Löffelchen zu Euch nehmen, Aufseher des Palastes?" + +Dieser verbeugte sich, nahm den Löffel, versuchte und war vor +Vergnügen und Lust außer sich. "Eure Kunst in Ehren, lieber +Frühstücksmacher, Ihr seid ein erfahrener Koch; aber so herrlich habt +Ihr weder die Suppe noch die Hamburger Klöße machen können!" + +Auch der Koch kostete jetzt, schüttelte dann dem Zwerg ehrfurchtsvoll +die Hand und sagte: "Kleiner! Du bist Meister in der Kunst, ja, das +Kräutlein Magentrost, das gibt allem einen ganz eigenen Reiz." + +In diesem Augenblick kam der Kammerdiener des Herzogs in die Küche +und berichtete, daß der Herr das Frühstück verlange. Die Speisen +wurden nun auf silberne Platten gelegt und dem Herzog zugeschickt; +der Oberküchenmeister aber nahm den Kleinen in sein Zimmer und +unterhielt sich mit ihm. Kaum waren sie aber halb so lange da, als +man ein Paternoster spricht (es ist dies das Gebet der Franken, o +Herr, und dauert nicht halb so lange als das Gebet der Gläubigen), so +kam schon ein Bote und rief den Oberküchenmeister zum Herrn. Er +kleidete sich schnell in sein Festkleid und folgte dem Boten. + +Der Herzog sah sehr vergnügt aus. Er hatte alles aufgezehrt, was auf +den silbernen Platten gewesen war, und wischte sich eben den Bart ab, +als der Oberküchenmeister zu ihm eintrat. "Höre, Küchenmeister", +sprach er, "ich bin mit deinen Köchen bisher immer sehr zufrieden +gewesen; aber sage mir, wer hat heute mein Frühstück bereitet? So +köstlich war es nie, seit ich auf dem Thron meiner Väter sitze; sage +an, wie er heißt, der Koch, daß wir ihm einige Dukaten zum Geschenk +schicken." + +"Herr, das ist eine wunderbare Geschichte", antwortete der +Oberküchenmeister und erzählte, wie man ihm heute früh einen Zwerg +gebracht, der durchaus Koch werden wollte und wie sich dies alles +begeben. Der Herzog verwunderte sich höchlich, ließ den Zwerg vor +sich rufen und fragte ihn aus, wer er sei und woher er komme. Da +konnte nun der arme Jakob freilich nicht sagen, daß er verzaubert +worden sei und früher als Eichhörnchen gedient habe; doch blieb er +bei der Wahrheit, indem er erzählte, er sei jetzt ohne Vater und +Mutter und habe bei einer alten Frau kochen gelernt. Der Herzog +fragte nicht weiter, sondern ergötzte sich an der sonderbaren Gestalt +seines neuen Kochs. + +"Willst du bei mir bleiben", sprach er, "so will ich dir jährlich +fünfzig Dukaten, ein Festkleid und noch überdies zwei Paar +Beinkleider reichen lassen. Dafür mußt du aber täglich mein +Frühstück selbst bereiten, mußt angeben, wie das Mittagessen gemacht +werden soll, und Oberhaupt dich meiner Küche annehmen. Da jeder in +meinem Palast seinen eigenen Namen von mir empfängt, so sollst du +Nase heißen und die Würde eines Unterküchenmeisters bekleiden." + +Der Zwerg Nase fiel nieder vor dem mächtigen Herzog in Frankenland, +küßte ihm die Füße und versprach, ihm treu zu dienen. + +So war nun der Kleine fürs erste versorgt, und er machte seinem Amt +Ehre. Denn man kann sagen, daß der Herzog ein ganz anderer Mann war, +während der Zwerg Nase sich in seinem Hause aufhielt. Sonst hatte es +ihm oft beliebt, die Schüsseln oder Platten, die man ihm auftrug, den +Köchen an den Kopf zu werfen; ja, dem Oberküchenmeister selbst warf +er im Zorn einmal einen gebackenen Kalbsfaß, der nicht weich genug +geworden war, so heftig an die Stirne, daß er umfiel und drei Tage zu +Bett liegen mußte. Der Herzog machte zwar, was er im Zorn getan, +durch einige Hände voll Dukaten wieder gut, aber dennoch war nie ein +Koch ohne Zittern und Zagen mit den Speisen zu ihm gekommen. Seit +der Zwerg im Hause war, schien alles wie durch Zauber umgewandelt. +Der Herr aß jetzt statt dreimal des Tages fünfmal, um sich an der +Kunst seines kleinsten Dieners recht zu laben, und dennoch verzog er +nie eine Miene zum Unmut. Nein, er fand alles neu, trefflich, war +leutselig und angenehm und wurde von Tag zu Tag fetter. + +Oft ließ er mitten unter der Tafel den Küchenmeister und den Zwerg +Nase rufen, setzte den einen rechts, den anderen links zu sich und +schob ihnen mit seinen eigenen Fingern einige Bissen der köstlichsten +Speisen in den Mund, eine Gnade, welche sie beide wohl zu schätzen +wußten. + +Der Zwerg war das Wunder der Stadt. Man erbat sich flehentlich +Erlaubnis vom Oberküchenmeister, den Zwerg kochen zu sehen, und +einige der vornehmsten Männer hatten es so weit gebracht beim Herzog, +daß ihre Diener in der Küche beim Zwerg Unterrichtsstunden genießen +durften, was nicht wenig Geld eintrug; denn jeder zahlte täglich +einen halben Dukaten. Und um die übrigen Köche bei guter Laune zu +erhalten und sie nicht neidisch auf ihn zu machen, überließ ihnen +Nase dieses Geld, das die Herren für den Unterricht ihrer Köche +zahlen mußten. + +So lebte Nase beinahe zwei Jahre in äußerlichem Wohlleben und Ehre, +und nur der Gedanke an seine Eltern betrübte ihn; so lebte er, ohne +etwas Merkwürdiges zu erfahren, bis sich folgender Vorfall ereignete. +Der Zwerg Nase war besonders geschickt und glücklich in seinen +Einkäufen. Daher ging er, so oft es ihm die Zeit erlaubte, immer +selbst auf den Markt, um Geflügel und Früchte einzukaufen. Eines +Morgens ging er auch auf den Gänsemarkt und forschte nach schweren, +fetten Gänsen, wie sie der Herr liebte. Er war musternd schon +einigemal auf und ab gegangen. Seine Gestalt, weit entfernt, hier +Lachen und Spott zu erregen, gebot Ehrfurcht; denn man erkannte ihn +als den berühmten Mundkoch des Herzogs, und jede Gänsefrau fühlte +sich glücklich, wenn er ihr die Nase zuwandte. + +Da sah er ganz am Ende einer Reihe in einer Ecke eine Frau sitzen, +die auch Gänse feil hatte, aber nicht wie die übrigen ihre Ware +anpries; zu dieser trat er und maß und wog ihre Gänse. Sie waren, +wie er sie wünschte, und er kaufte drei samt dem Käfig, lud sie auf +seine breiten Schultern und trat den Rückweg an. Da kam es ihm +sonderbar vor, daß nur zwei von diesen Gänsen schnatterten und +schrien, wie rechte Gänse zu tun pflegen, die dritte aber ganz still +und in sich gekehrt dasaß und Seufzer ausstieß und ächzte wie ein +Mensch--"Die ist halbkrank", sprach er vor sich hin, "ich muß eilen, +daß ich sie umbringe und zurichte." Aber die Gans antwortete ganz +deutlich und laut: + +"Stichst du mich, So beiß' ich dich. Drückst du mir die Kehle ab, +Bring' ich dich ins frühe Grab." + +Ganz erschrocken setzte der Zwerg Nase seinen Käfig nieder, und die +Gans sah ihn mit schönen, klugen Augen an und seufzte. + +"Ei der Tausend!" rief Nase. "Sie kann sprechen, Jungfer Gans? Das +hätte ich nicht gedacht. Na, sei Sie nur nicht ängstlich! Man weiß +zu leben und wird einem so seltenen Vogel nicht zu Leibe gehen. Aber +ich wollte wetten, Sie ist nicht von jeher in diesen Federn gewesen. +War ich ja selbst einmal ein schnödes Eichhörnchen." + +"Du hast recht", erwiderte die Gans, "wenn du sagst, ich sei nicht in +dieser schmachvollen Hülle geboren worden. Ach, an meiner Wiege +wurde es mir nicht gesungen, daß Mimi, des großen Wetterbocks Tochter, +in der Küche eines Herzogs getötet werden soll!" + +"Sei Sie doch ruhig, liebe Jungfer Mimi", tröstete der Zwerg. "So +wahr ich ein ehrlicher Kerl und Unterküchenmeister Seiner Durchlaucht +bin, es soll Ihr keiner an die Kehle. Ich will Ihr in meinen eigenen +Gemächern einen Stall anweisen, Futter soll Sie genug haben, und +meine freie Zeit werde ich Ihrer Unterhaltung widmen; den übrigen +Küchenmenschen werde ich sagen, daß ich eine Gans mit allerlei +besonderen Kräutern für den Herzog mäste, und sobald sich Gelegenheit +findet, setze ich Sie in Freiheit." + +Die Gans dankte ihm mit Tränen; der Zwerg aber tat, wie er +versprochen, schlachtete die zwei anderen Gänse, für Mimi aber baute +er einen eigenen Stall unter dem Vorwande, sie für den Herzog ganz +besonders zuzurichten. Er gab ihr auch kein gewöhnliches Gänsefutter, +sondern versah sie mit Backwerk und süßen Speisen. + +So oft er freie Zeit hatte, ging er hin, sich mit ihr zu unterhalten +und sie zu trösten. Sie erzählten sich auch gegenseitig ihre +Geschichten, und Nase erfuhr auf diesem Wege, daß die Gans eine +Tochter des Zauberers Wetterbock sei, der auf der Insel Gotland lebe. +Er sei in Streit geraten mit einer alten Fee, die ihn durch Ränke +und List überwunden und sie zur Rache in eine Gans verwandelt und +weit hinweg bis hierher gebracht habe. Als der Zwerg Nase ihr seine +Geschichte ebenfalls erzählt hatte, sprach sie: "Ich bin nicht +unerfahren in "lesen Sachen. Mein Vater hat mir und meinen +Schwestern einige Anleitung gegeben, so viel er nämlich davon +mitteilen durfte. Die Geschichte mit dem Streit am Kräuterkorb, +deine plötzliche Verwandlung, als du an jenem Kräutlein rochst, auch +einige Worte der Alten, die du mir sagtest, beweisen mir, daß du auf +Kräuter verzaubert bist, das heißt, wenn du das Kraut auffindest, das +sich die Fee bei deiner Verzauberung gedacht hat, so kannst du erlöst +werden." Es war dies ein geringer Trost für den Kleinen; denn wo +sollte er das Kraut auffinden? Doch dankte er ihr und schöpfte +einige Hoffnung. + +Um diese Zeit bekam der Herzog einen Besuch von einem benachbarten +Fürsten, seinem Freunde. Er ließ daher seinen Zwerg Nase vor sich +kommen und sprach zu ihm: "Jetzt ist die Zeit gekommen, wo du mir +zeigen mußt, ob du mir treu dienst und Meister deiner Kunst bist. +Dieser Fürst, der bei mir zu Besuch ist, speist bekanntlich außer mir +am besten und ist ein großer Kenner einer feinen Küche und ein weiser +Mann. Sorge nun dafür, daß meine Tafel täglich also besorgt werde, +daß er immer mehr in Erstaunen gerät. Dabei darfst du, bei meiner +Ungnade, so lange er da ist, keine Speise zweimal bringen. Dafür +kannst du dir von meinem Schatzmeister alles reichen lassen, was du +nur brauchst. Und wenn du Gold und Diamanten in Schmalz baden mußt +so tu es! Ich will lieber ein armer Mann werden, als erröten vor ihm." + +So sprach der Herzog! Der Zwerg aber sagte, indem er sich anständig +verbeugte: "Es sei, wie du sagst, o Herr! So es Gott der gefällt, +werde ich alles so machen, daß es diesem Fürsten der Gutschmecker +wohlgefällt." + +Der kleine Koch suchte nun seine ganze Kunst hervor. Er schonte die +Schätze seines Herrn nicht, noch weniger aber sich selbst. Denn man +sah ihn den ganzen Tag in eine Wolke von Rauch und Feuer eingehüllt, +und seine Stimme hallte beständig durch das Gewölbe der Küche; denn +er befahl als Herrscher den Küchenjungen und niederen Köchen. Herr! +Ich könnte es machen wie die Kameltreiber von Aleppo, wenn sie in +ihren Geschichten, die sie den Reisenden erzählen, die Menschen +herrlich speisen lassen. Sie führen eine ganze Stunde lang alle die +Gerichte an, die aufgetragen worden sind, und erwecken dadurch große +Sehnsucht und noch größeren Hunger in ihren Zuhörern, so daß diese +unwillkürlich die Vorräte öffnen und eine Mahlzeit halten und den +Kameltreibern reichlich mitteilen; doch ich nicht also. + +Der fremde Fürst war schon vierzehn Tage beim Herzog und lebte +herrlich und in Freuden. Sie speisten des Tages nicht weniger als +fünfmal, und der Herzog war zufrieden mit der Kunst des Zwerges; denn +er sah Zufriedenheit auf der Stirne seines Gastes. Am fünfzehnten +Tage aber begab es sich, daß der Herzog den Zwerg zur Tafel rufen +ließ, ihn seinem Gast, dem Fürsten, vorstellte und diesen fragte, wie +er mit dem Zwerg zufrieden sei. + +"Du bist ein wunderbarer Koch", antwortete der fremde Fürst, "und +weißt, was anständig essen heißt. Du hast in der ganzen Zeit, da ich +hier bin, nicht eine einzige Speise wiederholt und alles trefflich +bereitet. Aber sage mir doch, warum bringst du so lange nicht die +Königin der Speisen, die Pastete Souzeraine?" + +Der Zwerg war sehr erschrocken; denn er hatte von dieser +Pastetenkönigin nie gehört; doch faßte er sich und antwortete: "O +Herr! Noch lange, hoffte ich, sollte dein Angesicht leuchten an +diesem Hoflager, darum wartete ich mit dieser Speise; denn womit +sollte dich denn der Koch begrüßen am Tage des Scheidens als mit der +Königin der Pasteten?" + +"So?" entgegnete der Herzog lachend. "Und bei mir wolltest du wohl +warten bis an meinen Tod, um mich dann noch zu begrüßen? Denn auch +mir hast du die Pastete noch nie vorgesetzt. Doch denke auf einen +anderen Scheidegruß; denn morgen mußt du die Pastete auf die Tafel +setzen." + +"Es sei, wie du sagst, Herr!" antwortete der Zwerg und ging. Aber er +ging nicht vergnügt; denn der Tag seiner Schande und seines Unglücks +war gekommen. Er wußte nicht, wie er die Pastete machen sollte. Er +ging daher in seine Kammer und weinte über sein Schicksal. + +Da trat die Gans Mimi, die in seinem Gemach umhergehen durfte, zu ihm +und fragte ihn nach der Ursache seines Jammers. "Stille deine +Tränen", antwortete sie, als sie von der Pastete Souzeraine gehört, +"dieses Gericht kam oft auf meines Vaters Tisch, und ich weiß +ungefähr, was man dazu braucht; du nimmst dies und jenes, so und so +viel, und wenn es auch nicht durchaus alles ist, was eigentlich dazu +nötig, die Herren werden keinen so feinen Geschmack haben." So sprach +Mimi. Der Zwerg aber sprang auf vor Freuden, segnete den Tag, an +welchem er die Gans gekauft hatte, und schickte sich an, die Königin +der Pasteten zuzurichten. Er machte zuerst einen kleinen Versuch, +und siehe, es schmeckte trefflich, und der Oberküchenmeister, dem er +davon zu kosten gab, pries aufs neue seine ausgebreitete Kunst. + +Den anderen Tag setzte er die Pastete in größerer Form auf und +schickte sie warm, wie sie aus dem Ofen kam, nachdem er sie mit +Blumenkränzen geschmeckt hatte, auf die Tafel. Er selbst aber zog +sein bestes Festkleid an und ging in den Speisesaal. Als r eintrat, +war der Obervorschneider gerade damit beschäftigt, die Pastete zu +zerschneiden und auf einem silbernen Schäufelein dem Herzog und +seinem Gaste hinzureichen. Der Herzog tat einen tüchtigen Biß hinein, +schlug die Augen auf zur Decke und srach, nachdem er geschluckt +hatte: "Ah, ah, ah! Mit Recht nennt man dies die Königin der +Pasteten; aber mein Zwerg ist auch der König aller Köche! Nicht also, +lieber Freund?" + +Der Gast nahm einige kleine Bissen zu sich, kostete und prüfte +aufmerksam und lächelte dabei höhnisch und geheimnisvoll. "Das Ding +ist recht artig gemacht", antwortete er, indem er den Teller +hinwegrückte, "aber die Souzeraine ist es denn doch nicht ganz; das +habe ich mir wohl gedacht." + +Da runzelte der Herzog vor Unmut die Stirne und errötete vor +Beschämung. "Hund von einem Zwerg!" rief er, "wie wagst du es, +deinem Herrn dies anzutun? Soll ich dir deinen großen Kopf abhacken +lassen zur Strafe für deine schlechte Kocherei?" + +"Ach, Herr! Um des Himmels willen, ich habe das Gericht doch +zubereitet nach den Regeln der Kunst, es kann gewiß nichts fehlen!" +so sprach der Zwerg und zitterte. + +"Es ist eine Lüge, du Bube!" erwiderte der Herzog und stieß ihn mit +dem Fuße von sich. "Mein Gast würde sonst nicht sagen, es fehlt +etwas. Dich selbst will ich zerhacken und backen lassen in eine +Pastete!" + +"Habt Mitleiden!" rief der Kleine und rutschte auf den Knien zu dem +Gast, dessen Füße er umfaßte. "Saget, was fehlt in dieser Speise, +daß sie Eurem Gaumen nicht zusagt? Lasset mich nicht sterben wegen +einer Handvoll Fleisch und Mehl." + +"Das wird dir wenig helfen, mein lieber Nase", antwortete der Fremde +mit Lachen, "das habe ich mir schon gestern gedacht, daß du diese +Speise nicht machen kannst wie mein Koch. Wisse, es fehlt ein +Kräutlein, das man hierzulande gar nicht kennt, das Kraut Niesmitlust; +ohne dieses bleibt die Pastete ohne Würze, und dein Herr wird sie +nie essen wie ich." + +Da geriet der Herrscher in Frankistan in Wut. "Und doch werde ich +sie essen", rief er mit funkelnden Augen, "denn ich schwöre bei +meiner fürstlichen Ehre: Entweder zeige ich Euch morgen die Pastete, +wie Ihr sie verlangst--oder den Kopf dieses Burschen, aufgespießt auf +dem Tor meines Palastes. Gehe, du Hund, noch einmal gebe ich dir +vierundzwanzig Stunden Zeit." + +So rief der Herzog; der Zwerg aber ging wieder weinend in sein +Kämmerlein und klagte der Gans sein Schicksal und daß er sterben +müsse; denn von dem Kraut habe er nie gehört. "Ist es nur dies", +sprach sie, "da kann ich dir schon helfen; denn mein Vater lehrte +mich alle Kräuter kennen. Wohl wärest du vielleicht zu einer anderen +Zeit des Todes gewesen; aber glücklicherweise ist es gerade Neumond, +und um diese Zeit blüht das Kräutlein. Doch, sage an, sind alte +Kastanienbäume in der Nähe des Palastes?" + +"O ja!" erwiderte Nase mit leichterem Herzen. "Am See, zweihundert +Schritte vom Haus, steht eine ganze Gruppe; doch warum diese?" + +"Nur am Fuße alter Kastanien blüht das Kräutlein", sagte Mimi, "darum +laß uns keine Zeit versäumen und suchen, was du brauchst; nimm mich +auf deinen Arm und setze mich im Freien nieder; ich will dir suchen." + +Er tat, wie sie gesagt, und ging mit ihr zur Pforte des Palastes. +Dort aber streckte der Türhüter das Gewehr vor und sprach: "Mein +guter Nase, mit dir ist's vorbei; aus dem Hause darfst du nicht, ich +habe den strengsten Befehl darüber." + +"Aber in den Garten kann ich doch wohl gehen?" erwiderte der Zwerg. +"Sei so gut und schicke einen deiner Gesellen zum Aufseher des +Palastes und frage, ob ich nicht in den Garten gehen und Kräuter +suchen dürfe?" Der Türhüter tat also, und es wurde erlaubt; denn der +Garten hatte hohe Mauern, und es war an kein Entkommen daraus zu +denken. Als aber Nase mit der Gans Mimi ins Freie gekommen war, +setzte er sie behutsam nieder, und sie ging schnell vor ihm her dem +See zu, wo die Kastanien standen. Er folgte ihr nur mit beklommenem +Herzen; denn es war ja seine letzte, einzige Hoffnung; fand sie das +Kräutlein nicht, so stand sein Entschluß fest, er stürzte sich dann +lieber in den See, als daß er sich köpfen ließ. Die Gans suchte +vergebens, sie wandelte unter allen Kastanien, sie wandte mit dem +Schnabel jedes Gräschen um, es wollte sich nichts zeigen, und sie +fing aus Mitleid und Angst an zu weinen; denn schon wurde der Abend +dunkler und die Gegenstände umher waren schwerer zu erkennen. + +Da fielen die Blicke des Zwerges über den See hin, und plötzlich rief +er: "Siehe, siehe, dort über dem See steht noch ein großer, alter +Baum; laß uns dorthin gehen und suchen, vielleicht blüht dort mein +Glück." + +Die Gans hüpfte und flog voran, und er lief nach, so schnell seine +kleinen Beine konnten; der Kastanienbaum warf einen großen Schatten, +und es war dunkel umher, fast war nichts mehr zu erkennen; aber da +blieb plötzlich die Gans stille stehen, schlug vor Freuden mit den +Flügeln, fuhr dann schnell mit dem Kopf ins hohe Gras und pflückte +etwas ab, das sie dem erstaunten Nase zierlich mit dem Schnabel +überreichte und sprach: "Das ist das Kräutlein, und hier wächst eine +Menge davon, so daß es dir nie daran fehlen kann." + +Der Zwerg betrachtete das Kraut sinnend; ein süßer Duft strömte ihm +daraus entgegen, der ihn unwillkürlich an die Szene seiner +Verwandlung erinnerte; die Stengel, die Blätter waren bläulichgrün, +sie trugen eine brennend rote Blume mit gelbem Rande. + +"Gelobt sei Gott!" rief er endlich aus. "Welches Wunder! Wisse, ich +glaube, es ist dies dasselbe Kraut, das mich aus einem Eichhörnchen +in diese schändliche Gestalt umwandelte; soll ich den Versuch machen?" + +"Noch nicht", bat die Gans. "Nimm von diesem Kraut eine Handvoll mit +dir, laß uns auf dein Zimmer gehen und dein Geld, und was du sonst +hast, zusammenraffen, und dann wollen wir die Kraft des Krautes +versuchen!" Sie taten also und gingen auf seine Kammer zurück, und +das Herz des Zwerges pochte hörbar vor Erwartung. Nachdem er fünfzig +oder sechzig Dukaten, die er erspart hatte, einige Kleider und Schuhe +zusammen in ein Bündel geknüpft hatte, sprach er: "So es Gott +gefällig ist, werde ich diese Bürde loswerden", steckte seine Nase +tief in die Kräuter und sog ihren Duft ein. + +Da zog und knackte es in allen seinen Gliedern, er fühlte, wie sich +sein Kopf aus den Schultern hob, er schielte herab auf seine Nase und +sah sie kleiner und kleiner werden, sein Rücken und seine Brust +fingen an, sich zu ebnen, und seine Beine wurden länger. + +Die Gans sah mit Erstaunen diesem allem zu. "Ha! Was du groß, was +du schön bist!" rief sie. "Gott sei gedankt, es ist nichts mehr an +dir von allem, was du vorher warst!" + +Da freute sich Jakob sehr, und er faltete die Hände und betete. Aber +seine Freude ließ ihn nicht vergessen, welchen Dank er der Gans +schuldig sei; zwar drängte ihn sein Herz, zu seinen Eltern zu gehen; +doch besiegte er aus Dankbarkeit diesen Wunsch und sprach: "Wem +anders als dir habe ich es zu danken, daß ich mir selbst +wiedergeschenkt bin? Ohne dich hätte ich dieses Kraut nimmer +gefunden, hätte also ewig in jener Gestalt bleiben oder vielleicht +gar unter dem Beile des Henkers sterben müssen. Wohlan, ich will es +dir vergelten. Ich will dich zu deinem Vater bringen; er, der +erfahren ist in jedem Zauber, wird dich leicht entzaubern können." +Die Gans vergoß Freudentränen und nahm sein Anerbieten an. Jakob kam +glücklich und unerkannt mit der Gans aus dem Palast und machte sich +auf den Weg nach dem Meeresstrand, Mimis Heimat, zu. + +Was soll ich noch weiter erzählen, daß sie ihre Reise glücklich +vollendeten, daß Wetterbock seine Tochter entzauberte und den Jakob, +mit Geschenken beladen, entließ, daß er in seine Vaterstadt zurückkam +und daß seine Eltern in dem schönen jungen Mann mit Vergnügen ihren +verlorenen Sohn erkannten, daß er von den Geschenken, die er von +Wetterbock mitbrachte, sich einen Laden kaufte und reich und +glücklich wurde? + +Nur so viel will ich noch sagen, daß nach seiner Entfernung aus dem +Palaste des Herzogs große Unruhe entstand; denn als am anderen Tage +der Herzog seinen Schwur erfüllen und dem Zwerg, wenn er die Kräuter +nicht gefunden hätte, den Kopf abschlagen lassen wollte, war er +nirgends zu finden; der Fürst aber behauptete, der Herzog habe ihn +heimlich entkommen lassen, um sich nicht seines besten Kochs zu +berauben, und klagte ihn an, daß er wortbrüchig sei. Dadurch +entstand denn ein großer Krieg zwischen beiden Fürsten, der in der +Geschichte unter dem Namen "Kräuterkrieg" wohlbekannt ist; es wurde +manche Schlacht geschlagen, aber am Ende doch Friede gemacht, und +diesen Frieden nennt man bei uns den "Pastetenfrieden", weil beim +Versöhnungsfest durch den Koch des Fürsten die Souzeraine, die +Königin der Pasteten, zubereitet wurde, welche sich der Herr Herzog +trefflich schmecken ließ. + +So führen oft die kleinsten Ursachen zu großen Folgen; und dies, o +Herr, ist die Geschichte des Zwerges Nase. + +So erzählte der Sklave aus Frankistan; nachdem er geendet hatte, ließ +der Scheik Ali Banu ihm und den anderen Sklaven Früchte reichen, sich +zu erfrischen, und unterhielt sich, während sie aßen, mit seinen +Freunden. Die jungen Männer aber, die der Alte eingeführt hatte, +waren voll Lobes über den Scheik, sein Haus und alle seine +Einrichtungen. "Wahrlich", sprach der junge Schreiber, "es gibt +keinen angenehmeren Zeitvertreib als Geschichten anzuhören. Ich +könnte tagelang so hinsetzen, die Beine untergeschlagen, einen Arm +aufs Kissen gestützt, die Stirne in die Hand gelegt, und, wenn es +ginge, des Scheiks große Wasserpfeife in der Hand, und Geschichten +anhören--so ungefähr stelle ich mir das Leben vor in den Gärten +Mahomeds." + +"So lange Ihr jung seid und arbeiten könnt", sprach der Alte, "kann +ein solcher träger Wunsch nicht Euer Ernst sein. Aber das gebe ich +Euch zu, daß ein eigener Reiz darin liegt, etwas erzählen zu hören. +So alt ich bin, und ich gehe nun ins siebenundsiebzigste Jahr, so +viel ich in meinem Leben schon gehört habe, so verschmähe ich es doch +nicht, wenn an der Ecke ein Geschichtenerzähler sitzt und um ihn in +großem Kreis die Zuhörer, mich ebenfalls hinzusetzen und zuzuhören. +Man träumt sich ja in die Begebenheiten hinein, die erzählt werden, +man lebt mit diesen Menschen, mit diesen wundervollen Geistern, mit +Feen und dergleichen Leuten, die uns nicht alle Tage begegnen, und +hat nachher, wenn man einsam ist, Stoff, sich alles zu wiederholen, +wie der Wanderer, der sich gut versehen hat, wenn er durch die Wüste +reist." + +"Ich habe nie so darüber nachgedacht", erwiderte ein anderer der +jungen Leute, "worin der Reiz solcher Geschichten eigentlich liegt. +Aber mir geht es wie euch. Schon als Kind konnte man mich, wenn ich +ungeduldig war, durch eine Geschichte zum Schweigen bringen. Es war +mir anfangs gleichgültig, von was es handelte, wenn es nur erzählt +war, wenn nur etwas geschah; wie oft habe ich, ohne zu ermüden, jene +Fabeln angehört, die weise Männer erfunden und in welche sie einen +Kern ihrer Weisheit gelegt haben, vom Fuchs und vom törichten Raben, +vom Fuchs und vom Wolf, viele Dutzend Geschichten vom Löwen und den +übrigen Tieren. Als ich älter wurde und mehr unter die Menschen kam, +genügten mir jene kurzen Geschichten nicht mehr; sie mußten schon +länger sein, mußten von Menschen und ihren wunderbaren Schicksalen +handeln." "Ja, ich entsinne mich noch wohl dieser Zeit", unterbrach +ihn einer seiner Freunde. "Du warst es, der uns diesen Drang nach +Erzählungen beibrachte. Einer Eurer Sklaven wußte so viel zu +erzählen, als ein Kameltreiber von Mekka nach Medina spricht; wenn er +fertig war mit seiner Arbeit, mußte er sich zu uns setzen, und da +baten wir so lange, bis er zu erzählen anfing, und das ging fort und +fort, bis die Nacht heraufkam." + +"Und erschloß sich uns", entgegnete der Schreiber, "erschloß sich uns +da nicht ein neues, nie gekanntes Reich, das Land der Genien und Feen, +bebaut mit allen Wundern der Pflanzenwelt, mit reichen Palästen von +Smaragden und Rubinen, mit riesenhaften Sklaven bevölkert, die +erschienen, wenn man einen Ring hin und wider dreht oder die +Wunderlampe reibt oder das Wort Salomos ausspricht, und in goldenen +Schalen herrliche Speisen bringen. Wir fühlten uns unwillkürlich in +jenes Land versetzt, wir machten mit Sindbad seine wunderbaren +Fahrten, wir gingen mit Harun Al-Raschid, dem weisen Beherrscher der +Gläubigen, abends spazieren, wir kannten Giaffar, seinen Wesir, so +gut als uns selbst, kurz, wir lebten in jenen Geschichten, wie man +nachts in Träumen lebt, und es gab keine schönere Tageszeit für uns +als den Abend, wo der alte Sklave uns erzählte. Aber sage uns, Alter, +worin liegt es denn eigentlich, daß wir damals so gerne erzählen +hörten, daß es noch jetzt für uns keine angenehmere Unterhaltung +gibt?" + +Die Bewegung, die im Zimmer entstand, und die Aufforderung zur +Aufmerksamkeit, die der Sklavenaufseher gab, verhinderte den Alten zu +antworten. Die jungen Leute wußten nicht, ob sie sich freuen sollten, +daß sie eine neue Geschichte anhören durften, oder ungehalten sein +darüber, daß ihr anziehendes Gespräch mit dem Alten unterbrochen +worden war; aber ein zweiter Sklave erhob sich bereits und begann: + + + + +Abner, der Jude, der nichts gesehen hat + +Wilhelm Hauff + + +Herr, ich bin aus Mogador am Strande des großen Meers, und als der +großmächtigste Kaiser Muley Ismael über Fez und Marokko herrschte, +hat sich die Geschichte zugetragen, die du vielleicht nicht ungerne +hören wirst. Es ist die Geschichte von Abner, dem Juden, der nichts +gesehen hat. + +Juden, wie du weißt, gibt es überall, und sie sind überall Juden: +pfiffig, mit Falkenaugen für den kleinsten Vorteil begabt, +verschlagen, desto verschlagener, je mehr sie mißhandelt werden, +ihrer Verschlagenheit sich bewußt und sich etwas darauf einbildend. +Daß aber doch zuweilen ein Jude durch seine Pfiffe zu Schaden kommt, +bewies Abner, als er eines Abends zum Tore von Marokko hinaus +spazierenging. + +Er schreitet einher, mit der spitzen Mütze auf dem Kopf, in den +bescheidenen, nicht übermäßig reinlichen Mantel gehüllt, streichelt +sich den Knebelbart, und trotz der umherrollenden Augen, welche ewige +Furcht und Besorgnis und die Begierde, etwas zu erspähen, womit etwas +zu machen wäre, keinen Augenblick ruhen läßt, leuchtet Zufriedenheit +aus seiner Miene; er muß diesen Tag gute Geschäfte gemacht haben; und +so ist es auch. Er ist Arzt, ist Kaufinann, ist alles, was Geld +einträgt; er hat heute einen Sklaven mit einem heimlichen Fehler +verkauft, wohlfeil eine Kamelladung Gummi gekauft und einem reichen +kranken Mann den letzten Trank, nicht vor seiner Genesung, sondern +vor seinem Hintritt bereitet. + +Eben war er auf seinem Spaziergang aus einem kleinen Gehölz von +Palmen und Datteln getreten, da hörte er lautes Geschrei +herbeilaufender Menschen hinter sich; es war ein Haufe kaiserlicher +Stallknechte, den Oberstallmeister an der Spitze, die nach allen +Seiten unruhige Blicke umherwarfen, wie Menschen, die etwas +Verlorenes eifrig suchen. + +"Philister", rief ihm keuchend der Oberstallmeister zu, "hast du +nicht ein kaiserlich Pferd mit Sattel und Zeug vorüberrennen sehen?" + +Abner antwortete: "Der beste Galoppläufer, den es gibt; zierlich +klein ist sein Huf, seine Hufeisen sind von vierzehnlötigem Silber, +sein Haar leuchtet golden, gleich dem großen Sabbatleuchter in der +Schule, fünfzehn Fäuste ist er hoch, sein Schweif ist drei und einen +halben Fuß lang, und die Stangen seines Gebisses sind von +dreiundzwanzigkarätigem Golde." + +"Er ist's!" rief der Oberstallmeister. + +"Er ist's!" rief der Chor der Stallknechte. + +"Es ist der Emir", rief ein alter Bereiter, "ich habe es dem Prinzen +Abdallah zehnmal gesagt, er solle den Emir in der Trense reiten, ich +kenne den Emir, ich habe es vorausgesagt, daß er ihn abwerfen würde, +und sollte ich seine Rückenschmerzen mit dem Kopf bezahlen müssen, +ich habe es vorausgesagt. Aber schnell, wohinzu ist er gelaufen?" + +"Habe ich doch gar kein Pferd gesehen", erwiderte Abner lächelnd, +"wie kann ich sagen, wohin es gelaufen ist, des Kaisers Pferd?" + +Erstaunt über diesen Widerspruch wollten die Herren vom Stalle eben +weiter in Abner dringen; da kam ein anderes Ereignis dazwischen. + +Durch einen sonderbaren Zufall, wie es deren so viele gibt, war +gerade zu dieser Zeit auch der Leibschoßhund der Kaiserin entlaufen. +Ein Haufe schwarze Sklaven kam herbeigerannt, und sie schrien schon +von weitem: "Habt Ihr den Schoßhund der Kaiserin nicht gesehen?" + +"Es ist kein Hund, den Ihr suchet, meine Herren", sagte Abner, "es +ist eine Hündin." + +"Allerdings!" rief der erste Eunuch hocherfreut. "Aline, wo bist du?" + +"Ein kleiner Wachtelhund", fuhr Abner fort, "der vor kurzem Junge +geworfen, langes Behänge, Federschwanz, hinkt auf dem rechten +vorderen Bein." + +"Sie ist's, wie sie leibt und lebt!" rief der Chor der Schwarzen. +"Es ist Aline; die Kaiserin ist in Krämpfe verfallen, sobald sie +vermißt wurde; Aline, wo bist du? Was soll aus uns werden, wenn wir +ohne dich in den Harem zurückkehren? Sprich geschwind, wohin hast du +sie laufen sehen?" + +"Ich habe gar keinen Hund gesehen; weiß ich doch nicht einmal, daß +meine Kaiserin, welche Gott erhalte, einen Wachtelhund besitzt." + +Da ergrimmten die Leute vom Stalle und vom Harem über Abners +Unverschämtheit, wie sie es nannten, über kaiserliches Eigentum +seinen Scherz zu treiben, und zweifelten keinen Augenblick, so +unwahrscheinlich dies auch war, daß er Hund und Pferd gestohlen habe. +Während die anderen ihre Nachforschungen fortsetzten, packten der +Stallmeister und der erste Eunuch den Juden und führten den halb +pfiffig, halb ängstlich Lächelnden vor das Angesicht des Kaisers. + +Aufgebracht berief Mulen Ismael, als er den Hergang vernommen, den +gewöhnlichen Rat des Palastes und führte in Betracht der Wichtigkeit +des Gegenstandes selbst den Vorsitz. Zur Eröffnung der Sache wurde +dem Angeschuldigten ein halbes Hundert Streiche auf die Fußsohlen +zuerkannt. Abner mochte schreien und winseln, seine Unschuld +beteuern oder versprechen, alles zu erzählen, wie es sich zugetragen, +Sprüche aus der Schrift oder dem Talmud anführen, mochte rufen: "Die +Ungnade des Königs ist wie das Brüllen eines jungen Löwen, aber seine +Gnade ist Tau auf dem Grase"; oder: "Laß nicht zuschlagen deine Hand, +wenn dir Augen und Ohren verschlossen sind"--Mulen Ismael winkte und +schwur bei des Propheten Bart und seinem eigenen, der Philister solle +die Schmerzen des Prinzen Abdallah und die Krämpfe der Kaiserin mit +dem Kopfe bezahlen, wenn die Flüchtigen nicht wieder beigebracht +würden. Noch erschallte der Palast des Kaisers von Marokko von dem +Schmerzgeschrei des Patienten, als die Nachricht einlief, Hund und +Pferd seien wiedergefunden. Aline überraschte man in der +Gesellschaft einiger Möpse, sehr anständiger Leute, die sich aber für +sie, als Hofdame, durchaus nicht schickte, und Emir hatte, nachdem er +sich müde gelaufen, das duftende Gras auf den grünen Wiesen am Bache +Tara wohlschmeckender gefunden als den kaiserlichen Hafer; gleich dem +ermüdeten fürstlichen Jäger, der, auf der Parforcejagd verirrt, über +dem schwarzen Brot und der Butter in der Hütte des Landmanns alle +Leckereien seiner Tafel vergißt. + +Muley Ismael verlangte nun von Abner eine Erklärung seines Betragens, +und dieser sah sich nun, wiewohl etwas spät, imstande, sich zu +verantworten, was er, nachdem er vor seiner Hoheit Thron dreimal die +Erde mit der Stirne berührte, in folgenden Worten tat: + +"Großmächtigster Kaiser, König der Könige, Herr des Besten, Stern der +Gerechtigkeit, Spiegel der Wahrheit, Abgrund der Weisheit, der du so +glänzend bist wie Gold, so strahlend wie der Diamant, so hart wie das +Eisen, höre mich, weil es deinem Sklaven vergönnt ist, vor deinem +strahlenden Angesichte seine Stimme zu erheben! Ich schwöre bei dem +Gott meiner Väter, bei Moses und den Propheten, daß ich dein heiliges +Pferd und meiner gnädigen Kaiserin liebenswürdigen Hund mit meines +Leibes Augen nicht gesehen habe. Höre aber, wie sich die Sache +begeben: + +Ich spazierte, um mich von des Tages Last und Arbeit zu erholen, +nichts denkend, in dem kleinen Gehölze, wo ich die Ehre gehabt habe, +Seiner Herrlichkeit, dem Oberstallmeister, und Seiner Wachsamkeit, +dem schwarzen Aufseher deines gesegneten Harems, zu begegnen; da +gewahrte ich im feinen Sande zwischen den Palmen die Spuren eines +Tieres; ich, dem die Spuren der Tiere überaus gut bekannt sind, +erkenne sie alsbald für die Fußstapfen eines kleinen Hundes; feine +langgezogene Furchen liefen über die kleinen Unebenheiten des +Sandbodens zwischen diesen Spuren hin; es ist eine Hündin, sprach ich +zu mir selbst, und sie hat hängende Zitzen und hat Junge geworfen vor +so und so langer Zeit; andere Spuren neben den Vordertatzen, wo der +Sand leicht weggefegt zu sein schien, sagten mir, daß das Tier mit +schönen, weit herabhängenden Ohren begabt sei; und da ich bemerkt, +wie in längeren Zwischenräumen der Sand bedeutender aufgewühlt war, +dachte ich: Einen schönen langbehaarten Schwanz hat die Kleine, und +er muß anzusehen sein als ein Federbusch, und es hat ihr beliebt, +zuweilen den Sand damit zu peitschen; auch entging mir nicht, daß +eine Pfote sich beständig weniger tief in den Sand eindrückte; leider +konnte mir da nicht verborgen bleiben, daß die Hündin meiner +gnädigsten Frau, wenn es erlaubt ist, es auszusprechen, etwas hinke. + +Was das Roß deiner Hoheit betrifft, so wisse, daß ich, als ich in +einem Gange des Gebüsches hinwandelte, auf die Spuren eines Pferdes +aufmerksam wurde. Kaum hatte ich den edlen, kleinen Huf, den feinen +und doch starken Strahl bemerkt, so sagte ich in meinem Herzen: Da +ist gewesen ein Roß von der Rasse Tschenner, die da ist die +vornehmste von allen. Ist es ja noch nicht vier Monate, hat mein +gnädigster Kaiser einem Fürsten in Frankenland eine ganze Koppel von +dieser Rasse verkauft, und mein Bruder Ruben ist dabeigewesen, wie +sie sind handelseinig geworden, und mein gnädigster Kaiser hat dabei +gewonnen so und so viel. Als ich sah, wie die Spuren so weit und so +gleichmäßig voneinander entfernt waren, mußte ich denken: Das +galoppierte schön, vornehm; und ist bloß mein Kaiser wert, solch ein +Tier zu besitzen, und ich gedachte des Streitrosses, von dem +geschrieben steht bei Hiob: ŽEs stampfet auf den Boden und ist +freudig mit Kraft und zeucht aus, den Geharnischten entgegen; es +spottet der Furcht und erschrickt nicht und fleucht vor dem Schwert +nicht, wenngleich wider es erklinget der Köcher, und glänzen beide, +Spieß und Lanzen.Ž Und ich bückte mich, da ich etwas glänzen sah auf +dem Boden, wie ich immer tue, und siehe, es war ein Marmelstein, +darauf hatte das Hufeisen des eilenden Rosses einen Strich gezogen, +und ich erkannte, daß es Hufeisen haben mußte von vierzehnlötigem +Silber; muß ich doch den Strich kennen von jeglichem Metall, sei es +echt oder unecht. Der Baumgang, in dem ich spazierte, war sieben Fuß +weit, und hie und da sah ich den Staub von den Palmen gestreift; der +Gaul hat mit dem Schweif gefochten, sprach ich, und er ist lang drei +und einen halben Fuß; unter Bäumen, deren Krone etwa fünf Fuß vom +Boden aufging, sah ich frisch abgestreifte Blätter; seiner +Schnelligkeit Rücken mußte sie abgestreift haben; da haben wir ein +Pferd von fünfzehn Fäusten; siehe da, unter denselben Bäumen kleine +Büschel goldglänzender Haare, und siehe da, es ist ein Goldfuchs! +Eben trat ich aus dem Gebüsche, da fiel an einer Felswand ein +Goldstrich in mein Auge; diesen Strich solltest du kennen, sprach ich, +und was war's? Ein Probierstein war eingesprengt in dem Gestein und +ein haarfeiner Goldstrich darauf, wie ihn das Männchen mit dem +Pfeilbündel auf den Füchsen der sieben vereinigten Provinzen von +Holland nicht feiner, nicht reiner ziehen kann. Der Strich mußte von +den Gebißstangen des flüchtigen Rosses rühren, die es im +Vorbeispringen gegen dieses Gestein gerieben. Kennt man ja doch +deine erhabene Prachtliebe, König der Könige, weiß man ja doch, daß +sich das geringste deiner Rosse schämen würde, auf einen anderen als +einen goldenen Zaum zu beißen. Also hat es sich begeben, und wenn--" + +"Nun, bei Mekka und Medina!" rief Muley Ismael, "das heiße ich Augen; +solche Augen könnten dir nicht schaden, Oberjägermeister, sie würden +dir eine Koppel Schweißhunde ersparen; du, Polizeiminister, könntest +damit weiter sehen als alle deine Schergen und Aufpasser. Nun, +Philister, wir wollen dich in Betracht deines ungemeinen Scharfsinns, +der uns wohlgefallen hat, gnädig behandeln; die fünfzig Prügel, die +du richtig erhalten, sind fünfzig Zechinen wert. Sie ersparen dir +fünfzig; denn du zahlst jetzt bloß noch fünfzig bar; zieh deinen +Beutel und enthalte dich für die Zukunft, unseres kaiserlichen +Eigentums zu spotten! Wir bleiben dir übrigens in Gnaden gewogen." + +Der ganze Hof bewunderte Abners Scharfsinn, denn seine Majestät hatte +geschworen, er sei ein geschickter Bursche; aber dies bezahlte ihm +seine Schmerzen nicht, tröstete ihn nicht für seine teuren Zechinen. +Während er stöhnend und seufzend eine nach der anderen aus dem Beutel +führte, jede noch zum Abschiede auf der Fingerspitze wog, höhnte ihn +noch Schnuri, der kaiserliche Spaßmacher, fragte ihn, ob seine +Zechinen alle auf dem Steine sich bewährten, auf dem der Goldfuchs +des Prinzen Abdallah sein Gebiß probiert habe. "Deine Weisheit hat +heute Ruhm geerntet", sprach er; "ich wollte aber noch fünfzig +Zechinen wetten, es wäre dir lieber, du hättest geschwiegen. Aber +wie spricht der Prophet? ŽEin entschlüpftes Wort holt kein Wagen ein, +und wenn er mit vier flüchtigen Rossen bespannt wäre.Ž Auch kein +Windspiel holt es ein, Herr Abner, auch wenn es nicht hinkt." + +Nicht lange nach diesem für Abner schmerzlichen Ereignis ging er +wieder einmal in einem der grünen Täler zwischen den Vorbergen des +Atlas spazieren. Da wurde er, gerade wie damals, von einem +einherstürmenden Haufen Gewaffneter eingeholt, und der Anführer +schrie ihn an: + +"He, guter Freund, hast du nicht Goro, den schwarzen Leibschützen des +Kaisers, vorbeilaufen sehen? Er ist entflohen, er muß diesen Weg +genommen haben ins Gebirg." + +"Kann nicht dienen, Herr General", antwortete Abner. + +"Ach, bist du nicht der pfiffige Jude, der den Fuchsen und den Hund +nicht gesehen hat? Mach nur keine Umstände; hier muß der Sklave +vorbeigekommen sein; riechst du vielleicht noch den Duft seines +Schweißes in der Luft? Siehst du noch die Spuren seines flüchtigen +Fußes im hohen Grase? Sprich, der Sklave muß herbei; er ist einzig +im Sperlingsschießen mit dem Blaserohr, und dies ist Seiner Majestät +Lieblingszeitvertreib. Sprich! Oder ich lasse dich sogleich krumm +fesseln!" + +"Kann ich doch nicht sagen, ich habe gesehen, was ich doch nicht hab' +gesehen." + +"Jude, zum letzten Male: Wohin ist der Sklave gelaufen? Denk an +deine Fußsohlen, denk an deine Zechinen!" + +"O weh geschrien! Nun, wenn Ihr absolut haben wollt, daß ich soll +gesehen haben den Sperlingsschützen, so lauft dorthin; ist er dort +nicht, so ist er anderswo." + +"Du hast ihn also gesehen?" brüllte ihn der Soldat an. "Ja denn, +Herr Offizier, weil Ihr es so haben wollt." + +Die Soldaten verfolgten eilig die angewiesene Richtung. Abner aber +ging, innerlich über seine List zufrieden, nach Hause. Kaum aber war +er vierundzwanzig Stunden älter geworden, so drang ein Haufe von der +Wache des Palastes in sein Haus und verunreinigte es, denn es war +Sabbat, und schleppte ihn vor das Angesicht des Kaisers von Marokko. + +"Hund von einem Juden", schnaubte ihn der Kaiser an, "du wagst es, +kaiserliche Bedienstete, die einen flüchtigen Sklaven verfolgen, auf +falsche Spur ins Gebirge zu schicken, während der Flüchtling der +Meeresküste zueilt und beinahe auf einem spanischen Schiffe entkommen +wäre? Greift ihn, Soldaten! Hundert auf die Sohlen! Hundert +Zechinen aus dem Beutel! Um wieviel die Sohlen schwellen unter den +Hieben, um soviel soll der Beutel einschnurren." + +Du weißt es, o Herr, im Reiche Fez und Marokko liebt man schnelle +Gerechtigkeit, und so wurde der arme Abner geprügelt und besteuert, +ohne daß man ihn zuvor um seine Einwilligung befragt hätte. Er aber +verfluchte sein Geschick, das ihn dazu verdammte, daß seine Sohlen +und sein Beutel es hart empfinden sollten, so oft Seine Majestät +geruhten, etwas zu verlieren. Als er aber brummend und seufzend +unter dem Gelächter des rohen Hofvolks aus dem Saale hinkte, sprach +zu ihm Schnuri, der Spaßmacher: "Gib dich zufrieden, Abner, +undankbarer Abner! Ist es nicht Ehre genug für dich, daß jeder +Verlust, den unser gnädiger Kaiser, den Gott erhalte, erleidet, auch +dir empfindlichen Kummer verursachen muß? Versprichst du mir aber +ein gut Trinkgeld, so komme ich jedesmal, eine Stunde bevor der Herr +des Westens etwas verliert, an deine Bude in der Judengasse und +spreche: ŽGehe nicht aus deiner Hütte, Abner, du weißt schon warum; +schließe dich ein in dein Kämmerlein bis zu Sonnenuntergang, beides +unter Schloß und Riegel.Ž" + +Dies, o Herr, ist die Geschichte von Abner, der nichts gesehen hat. + +Als der Sklave geendet hatte und es wieder stille im Saale geworden +war, erinnerte der junge Schreiber den Alten, daß sie den Faden ihrer +Unterhaltung abgebrochen hatten, und bat, ihnen zu erklären, worin +denn eigentlich der mächtige Reiz des Märchens liege. + +"Das will ich Euch jetzt sagen", erwiderte der Alte. "Der +menschliche Geist ist noch leichter und beweglicher als das Wasser, +das doch in alle Formen sich schmiegt und nach und nach auch die +dichtesten Gegenstände durchdringt. Er ist leicht und frei wie die +Luft und wird wie diese, je höher er sich von der Erde hebt, desto +leichter und reiner. Daher ist ein Drang in jedem Menschen, sich +hinauf über das Gewöhnliche zu erheben und sich in höheren Räumen +leichter und freier zu bewegen, sei es auch nur in Träumen. Ihr +selbst, mein junger Freund, sagtet: ŽWir lebten in jenen Geschichten, +wir dachten und fühlten mit jenen MenschenŽ, und daher kommt der Reiz, +den sie für Euch hatten. Indem Ihr den Erzählungen des Sklaven +zuhöret, die nur Dichtungen waren, die einst ein anderer erfand, habt +Ihr selbst auch mitgedichtet. Ihr bliebet nicht stehen bei den +Gegenständen um Euch her, bei Euren gewöhnlichen Gedanken, nein, Ihr +erlebtet alles mit, Ihr waret es selbst, dem dies und jenes +Wunderbare begegnete, so sehr nahmet Ihr teil an dem Manne, von dem +man Euch erzählte. So erhob sich Euer Geist am Faden einer solchen +Geschichte über die Gegenwart, die Euch nicht so schön, nicht so +anziehend dünkte; so bewegte sich dieser Geist in fremden, höheren +Räumen freier und ungebundener, das Märchen wurde Euch zur +Wirklichkeit, oder, wenn Ihr lieber wollet, die Wirklichkeit wurde +zum Märchen, weil Euer Dichten und Sein im Märchen lebte." + +"Ganz verstehe ich Euch nicht", erwiderte der junge Kaufmann, "aber +Ihr habt recht mit dem, was Ihr sagtet, wir lebten im Märchen oder +das Märchen in uns. Sie ist mir noch wohl erinnerlich, jene schöne +Zeit; wenn wir Muße dazu hatten, träumten wir wachend; wir stellten +uns vor, an wüste, unwirtbare Inseln verschlagen zu sein, wir +berieten uns, was wir beginnen sollten, um unser Leben zu fristen, +und oft haben wir im dichten Weidengebüsch uns Hütten gebaut, haben +von elenden Früchten ein kärgliches Mahl gehalten, obgleich wir +hundert Schritte weit zu Haus das Beste hätten haben können, ja, es +gab Zeiten, wo wir auf die Erscheinung einer gütigen Fee oder eines +wunderbaren Zwerges warteten, die zu uns treten und sagen würden: +ŽDie Erde wird sich alsobald auftun, wollet dann nur gefälligst +herabsteigen in meinen Palast von Bergkristall und euch belieben +lassen, was meine Diener, die Meerkatzen, euch auftischen.Ž" + +Die jungen Leute lachten, gaben aber ihrem Freunde zu, daß er wahr +gesprochen habe. "Noch jetzt", fuhr ein anderer fort, "noch jetzt +beschleicht mich hier und da dieser Zauber; ich würde mich zum +Beispiel nicht wenig ärgern über die dumme Fabel, wenn mein Bruder +zur Türe hereingestürzt käme und sagte: ŽWeißt du schon das Unglück +von unserem Nachbarn, dem dicken Bäcker? Er hat Händel gehabt mit +einem Zauberer, und dieser hat ihn aus Rache in einen Bären +verwandelt, und jetzt liegt er in seiner Kammer und heult +entsetzlichŽ; ich würde mich ärgern und ihn einen Lügner schelten. +Aber wie anders, wenn mir erzählt würde, der dicke Nachbar hab' eine +weite Reise in ein fernes, unbekanntes Land unternommen, sei dort +einem Zauberer in die Hände gefallen, der ihn in einen Bären +verwandelte. Ich würde mich nach und nach in die Geschichte versetzt +fühlen, würde mit dem dicken Nachbar reisen, Wunderbares erleben, und +es würde mich nicht sehr überraschen, wenn er in ein Fell gesteckt +würde und auf allen vieren gehen müßte." + +So sprachen die jungen Leute; da gab der Scheik wiederum das Zeichen, +und alle setzten sich nieder. Der Aufseher der Sklaven aber trat zu +den Freigelassenen und forderte sie auf, weiter forzufahren. Einer +unter ihnen zeigte sich bereit, stand auf und hub an, folgendermaßen +zu erzählen: + +(im Märchenalmanach auf das Jahr 1827 stand hier "Der arme Stephan" +von Gustav Adolf Schöll.) + +Der Sklave hatte geendet, und seine Erzählung erhielt den Beifall des +Scheik und seiner Freunde. Aber auch durch diese Erzählung wollte +sich die Stirne des Scheik nicht entwölken lassen, er war und blieb +ernst und tiefsinnig wie zuvor, und die jungen Leute bemitleideten +ihn. + +"Und doch", sprach der junge Kaufmann, "und doch kann ich nicht +begreifen, wie der Scheik sich an einem solchen Tage Märchen erzählen +lassen mag, und zwar von seinen Sklaven. Ich für meinen Teil, hätte +ich einen solchen Kummer, so würde ich lieber hinausreiten in den +Wald und mich setzen, wo es recht dunkel und einsam ist, aber auf +keinen Fall dieses Geräusch von Bekannten und Unbekannten um mich +versammeln." + +"Der Weise", antwortete der alte Mann, "der Weise läßt sich von +seinem Kummer nie so überwältigen, daß er ihm völlig unterliegt. Er +wird ernst, er wird tiefsinnig sein, er wird aber nicht laut klagen +oder verzweifeln. Warum also, wenn es in deinem Innern dunkel und +traurig aussieht, warum noch überdies die Schatten dunkler Zedern +suchen? Ihr Schatten fällt durch das Auge in dein Herz und macht es +noch dunkler. An die Sonne mußt du gehen, in den warmen, lichten Tag, +für was du trauerst, und mit der Klarheit des Tages, mit der Wärme +des Lichtes wird dir die Gewißheit aufgehen, daß Allahs Liebe über +dir ist, erwärmend und ewig wie seine Sonne." + +"Ihr habt wahr gesprochen", setzte der Schreiber hinzu, "und geziemt +es nicht einem weisen Mann, dem seine Umgebungen zu Gebot stehen, daß +er an einem solchen Tage die Schatten des Grams so weit als möglich +entferne? Soll er zum Getränke seine Zuflucht nehmen oder Opium +speisen, um den Schmerz zu vergessen? Ich bleibe dabei, es ist die +anständigste Unterhaltung in Leid und Freude, sich erzählen zu lassen, +und der Scheik hat ganz recht." + +"Gut", erwiderte der junge Kaufmann, "aber hat er nicht Vorleser, +nicht Freunde genug; warum müssen es gerade Sklaven sein, die +erzählen?" + +"Diese Sklaven, lieber Herr", sagte der Alte, "sind vermutlich durch +allerlei Unglück in Sklaverei geraten und sind nicht gerade so +ungebildete Leute, wie Ihr wohl gesehen habt, von welchen man sich +nicht könnte erzählen lassen. Überdies stammen sie von allerlei +Ländern und Völkern, und es ist zu erwarten, daß sie bei sich zu +Hause irgend etwas Merkwürdiges gehört oder gesehen, das sie nun zu +erzählen wissen. Einen noch schöneren Grund, den mir einst ein +Freund des Scheik sagte, will ich Euch wiedergeben: Diese Leute waren +bis jetzt in seinem Hause als Sklaven, hatten sie auch keine schwere +Arbeit zu verrichten, so war es doch immer Arbeit, zu der sie +gezwungen waren, und mächtig der Unterschied zwischen ihnen und +freien Leuten. Sie durften sich, wie es Sitte ist, dem Scheik nicht +anders als mit den Zeichen der Unterwürfigkeit nähern. Sie durften +nicht zu ihm reden, außer er fragte sie, und ihre Rede mußte kurz +sein. Heute sind sie frei; und ihr erstes Geschäft als freie Leute +ist, in großer Gesellschaft und vor ihrem bisherigen Herrn lange und +offen sprechen zu dürfen. Sie fühlen sich nicht wenig geehrt dadurch, +und ihre unverhoffte Freilassung wird ihnen dadurch nur um so werter." + +"Siehe", unterbrach ihn der Schreiber, "dort steht der vierte Sklave +auf; der Aufseher hat ihm wohl schon das Zeichen gegeben, lasset uns +niedersetzen und hören!" + +(Im Märchenalmanach auf das Jahr 1827 stand hier "Der gebackene Kopf" +von James Justinian Morier) + +Der Scheik äußerte seinen Beifall über diese Erzählung. Er hatte, +was in Jahren nicht geschehen war, einigemal gelächelt, und seine +Freunde nahmen dies als eine gute Vorbedeutung. Dieser Eindruck war +den jungen Männern und dem Alten nicht entgangen. Auch sie freuten +sich darüber, daß der Scheik, auf eine halbe Stunde wenigstens, +zerstreut wurde; denn sie ehrten seinen Kummer und die Trauer um sein +Unglück, sie fühlten ihre Brust beengt, wenn sie ihn so ernst und +stille seinem Grame nachhängen sahen, und gehobener, freudiger waren +sie, als die Wolke seiner Stirne auf Augenblicke vorüberzog. + +"Ich kann mir wohl denken", sagte der Schreiber, "daß diese Erzählung +günstigen Eindruck auf ihn machen mußte; es liegt so viel Sonderbares, +Komisches darin, daß selbst der heilige Derwisch auf dem Berge +Libanon, der in seinem Leben noch nie gelacht hat, laut auflachen +müßte." + +"Und doch", sprach der Alte lächelnd, "und doch ist weder Fee noch +Zauberer darin erschienen; kein Schloß von Kristall, keine Genien, +die wunderbare Speisen bringen, kein Vogel Rock, noch ein +Zauberpferd--" + +"Ihr beschämt uns", rief der junge Kaufmann, "weil wir mit so vielem +Eifer von jenen Märchen unserer Kindheit sprachen, die uns noch jetzt +so wunderbar anziehen, weil wir jene Momente aufzählten, wo uns das +Märchen so mit sich hinwegriß, daß wir darin zu leben wähnten, weil +wir dies so hoch anschlugen, wollet Ihr uns beschämen und auf feine +Art zurechtweisen; nicht so?" + +"Mitnichten! Es sei ferne von mir, eure Liebe zum Märchen zu tadeln; +es zeugt von einem unverdorbenen Gemüt, daß ihr euch noch so recht +gemütlich in den Gang des Märchens versetzen konntet, daß ihr nicht +wie andere vornehm darauf, als auf ein Kinderspiel, herabsehet, daß +ihr euch nicht langweilt und lieber ein Roß zureiten oder auf dem +Sofa behaglich einschlummern oder halb träumend die Wasserpfeife +rauchen wolltet, statt dergleichen euer Ohr zu schenken. Es sei +ferne von mir, euch darum zu tadeln; aber das freut mich, daß auch +eine andere Art von Erzählung euch fesselt und ergötzt, eine andere +Art als die, welche man gewöhnlich Märchen nennt." + +"Wie versteht Ihr dies? Erklärt uns deutlicher, was Ihr meinet. +Eine andere Art als das Märchen?" sprachen die Jünglinge unter sich. + +"Ich denke, man muß einen gewissen Unterschied machen zwischen +Märchen und Erzählungen, die man im gemeinen Leben Geschichten nennt. +Wenn ich euch sage, ich will euch ein Märchen erzählen, so werdet +ihr zum voraus darauf rechnen, daß es eine Begebenheit ist, die von +dem gewöhnlichen Gang des Lebens abschweift und sich in einem Gebiet +bewegt, das nicht mehr durchaus irdischer Natur ist. Oder, um +deutlicher zu sein, ihr werdet bei dem Märchen auf die Erscheinung +anderer Wesen als allein sterblicher Menschen rechnen können; es +greifen in das Schicksal der Person, von welcher das Märchen handelt, +fremde Mächte, wie Feen und Zauberer, Genien und Geisterfürsten, ein; +die ganze Erzählung nimmt eine außergewöhnliche, wunderbare Gestalt +an und ist ungefähr anzuschauen wie die Gewebe unserer Teppiche oder +viele Gemälde unserer besten Meister, welche die Franken Arabesken +nennen. Es ist dem echten Muselmann verboten, den Menschen, das +Geschöpf Allahs, sündigerweise wiederzuschöpfen in Farben und +Gemälden, daher sieht man auf jenen Geweben wunderbar verschlungene +Bäume und Zweige mit Menschenköpfen, Menschen, die in einen Fisch +oder Strauch ausgehen, kurz, Figuren, die an das gewöhnliche Leben +erinnern und dennoch ungewöhnlich sind; ihr versteht mich doch?" "Ich +glaube, Eure Meinung zu erraten", sagte der Schreiber, "doch fahret +weiter fort!" + +"Von dieser Art ist nun das Märchen; fabelhaft, ungewöhnlich, +überraschend; weil es dem gewöhnlichen Leben fremd ist, wird es oft +in fremde Länder oder in ferne, längst vergangene Zeiten verschoben. +Jedes Land, jedes Volk hat solche Märchen, die Türken so gut als die +Perser, die Chinesen wie die Mongolen; selbst in Frankenland soll es +viele geben, wenigstens erzählte mir einst ein gelehrter Giaur davon; +doch sind sie nicht so schön als die unsrigen; denn statt schöner +Feen, die in prachtvollen Palästen wohnen, haben sie zauberhafte +Weiber, die sie Hexen nennen, heimtückisches, häßliches Volk, das in +elenden Hütten wohnt, und statt in einem Muschelwagen, von Greisen +gezogen, durch die blauen Lüfte zu fahren, reiten sie auf einem Besen +durch den Nebel. Sie haben auch Gnomen und Erdgeister, das sind +kleine verwachsene Kerlchen, die allerlei Spuk machen. Das sind nun +die Märchen; ganz anders ist es aber mit den Erzählungen, die man +gemeinhin Geschichten nennt. Diese bleiben ganz ordentlich auf der +Erde, tragen sich im gewöhnlichen Leben zu, und wunderbar ist an +ihnen meistens nur die Verkettung der Schicksale eines Menschen, der +nicht durch Zauber, Verwünschung oder Feenspuk, wie im Märchen, +sondern durch sie selbst oder die sonderbare Fügung der Umstände +reich oder arm, glücklich oder unglücklich wird." + +"Richtig!" erwiderte einer der jungen Leute. "Solche reinen +Geschichten finden sich auch in den herrlichen Erzählungen der +Scheherazade, die man ŽTausendundeine NachtŽ nennt. Die meisten +Begebenheiten des Königs Harun Al-Raschid und seines Wesirs sind +dieser Art. Sie gehen verkleidet aus und sehen diesen oder jenen +höchst sonderbaren Vorfall, der sich nachher ganz natürlich auflöst." + +"Und dennoch werdet ihr gestehen müssen", fuhr der Alte fort, "daß +jene Geschichten nicht der schlechteste Teil der ŽTausendundeine +NachtŽ sind. Und doch, wie verschieden sind sie in ihren Ursachen, +in ihrem Gang, in ihrem ganzen Wesen von den Märchen eines Prinzen +Biribinker oder der drei Derwische mit einem Auge oder des Fischers, +der den Kasten, verschlossen mit dem Siegel Salomos, aus dem Meere +zieht! Aber am Ende ist es dennoch eine Grundursache, die beiden +ihren eigentümlichen Reiz gibt, nämlich das, daß wir etwas +Auffallendes, Außergewöhnliches miterleben. Bei dem Märchen liegt +dieses Außergewöhnliche in jener Einmischung eines fabelhaften +Zaubers in das gewöhnliche Menschenleben, bei den Geschichten +geschieht etwas zwar nach natürlichen Gesetzen, aber auf +überraschende, ungewöhnliche Weise." + +"Sonderbar!" rief der Schreiber, "sonderbar, daß uns dann dieser +natürliche Gang der Dinge ebenso anzieht wie der übernatürliche im +Märchen; worin mag dies doch liegen?" + +"Das liegt in der Schilderung des einzelnen Menschen", antwortete der +Alte; "im Märchen häuft sich das Wunderbare so sehr, der Mensch +handelt so wenig mehr aus eigenem Trieb, daß die einzelnen Figuren +und ihr Charakter nur flüchtig gezeichnet werden können. Anders bei +der gewöhnlichen Erzählung, wo die Art, wie jeder seinem Charakter +gemäß spricht und handelt, die Hauptsache und das Anziehende ist. So +die Geschichte von dem gebackenen Kopf, die wir soeben gehört haben. +Der Gang der Erzählung wäre im ganzen nicht auffallend, nicht +überraschend, wäre er nicht verwickelt durch den Charakter der +Handelnden. Wie köstlich zum Beispiel ist die Figur des Schneiders. +Man glaubt den alten, gekrümmten Mantelflicker vor sich zu sehen. Er +soll zum erstenmal in seinem Leben einen tüchtigen Schnitt machen, +ihm und seinem Weibe lacht schon zum voraus das Herz, und sie +traktieren sich mit recht schwarzem Kaffee. Welches Gegenstück zu +dieser behaglichen Ruhe ist dann jene Szene, wo sie den Pack begierig +öffnen und den greulichen Kopf erblicken. Und nachher glaubt man ihn +nicht zu sehen und zu hören, wie er auf dem Minarett umherschleicht, +die Gläubigen mit meckernder Stimme zum Gebet ruft und bei Erblickung +des Sklaven plötzlich, wie vom Donner gerührt, verstummt? Dann der +Barbier! Sehet ihr ihn nicht vor euch, den alten Sünder, der, +während er die Seife anrührt, viel schwatzt und gerne verbotenen Wein +trinkt? Sehet ihr ihn nicht, wie er dem sonderbaren Kunden das +Barbierschüsselchen unterhält und--den kalten Schädel berührt? Nicht +minder gut, wenn auch nur angedeutet, ist der Sohn des Bäckers, der +verschmitzte Junge, und der Bratenmacher Yanakil. Ist nicht das +Ganze eine ununterbrochene Reihe komischer Szenen, scheint nicht der +Gang der Geschichte, so ungewöhnlich er ist, sich ganz natürlich zu +fügen? Und warum? Weil die einzelnen Figuren richtig gezeichnet +sind und aus ihrem ganzen Wesen alles so kommen muß, wie es wirklich +geschieht." + +"Wahrlich, Ihr habt recht!" erwiderte der junge Kaufmann, "ich habe +mir nie Zeit genommen, so recht darüber nachzudenken, habe alles nur +so gesehen und an mir vorübergehen lassen, habe mich an dem einen +ergötzt, das andere langweilig gefunden, ohne gerade zu wissen, warum. +Aber Ihr gebt uns da einen Schlüssel, der uns das Geheimnis öffnet, +einen Probierstein, worauf wir die Probe machen und richtig urteilen +können." + +"Tuet das immer", antwortete der Alte, "und euer Genuß wird sich +vergrößern, wenn ihr nachdenken lernet über das, was ihr gehört. +Doch siehe, dort erhebt sich wieder ein neuer, um zu erzählen." + +So war es, und der fünfte Sklave begann: + + + + +Der arme Stephan + +Gustav Adolf Schöll + + +Im "Märchenalmanach auf das Jahr 1827" stand hier "Der arme Stephan" +von Gustav Adolf Schöll. + + + + + + +Der gebackene Kopf + +James Justinian Morier + + +Im "Märchenalmanach auf das Jahr 1827" stand hier "Der gebackene +Kopf" von James Justinian Morier. + + + + + + +Der Affe als Mensch + +Wilhelm Hauff + + +"Herr! ich bin ein Deutscher von Geburt und habe mich in Euren Landen +zu kurz aufgehalten, als daß ich ein persisches Märchen oder eine +ergötzliche Geschichte von Sultanen und Wesiren erzählen könnte. Ihr +müßt mir daher schon erlauben, daß ich etwas aus meinem Vaterland +erzähle, was Euch vielleicht auch einigen Spaß macht. Leider sind +unsere Geschichten nicht immer so vornehm wie die Euren, das heißt, +sie handeln nicht von Sultanen oder unseren Königen, nicht von +Wesiren und Paschas, was man bei uns Justiz- und Finanzminister, auch +Geheimräte und dergleichen nennt, sondern sie leben, wenn sie nicht +von Soldaten handeln, gewöhnlich ganz bescheiden und unter den +Bürgern. + +Im südlichen Teil von Deutschland liegt das Städtchen Grünwiesel, wo +ich geboren und erzogen bin. Es ist ein Städtchen, wie sie alle sind. +In der Mitte ein kleiner Marktplatz mit einem Brunnen, an der Seite +ein kleines, altes Rathaus, umher auf dem Markt die Häuser des +Friedensrichters und der angesehensten Kaufleute, und in ein paar +engen Straßen wohnen die übrigen Menschen. Alles kennt sich, +jedermann weiß, wie es da und dort zugeht, und wenn der Oberpfarrer +oder der Bürgermeister oder der Arzt ein Gericht mehr auf der Tafel +hat, so weiß es schon am Mittagessen die ganze Stadt. Nachmittags +kommen dann die Frauen zueinander in die Visite, wie man es nennt, +besprechen sich bei starkem Kaffee und süßem Kuchen über diese große +Begebenheit, und der Schluß ist, daß der Oberpfarrer wahrscheinlich +in die Lotterie gesetzt und unchristlich viel gewonnen habe, daß der +Bürgermeister sich 'schmieren' lasse oder daß der Doktor vom +Apotheker einige Goldstücke bekommen habe, um recht teure Rezepte zu +verschreiben. Ihr könnet Euch denken, Herr, wie unangenehm es für +eine so wohleingerichtete Stadt wie Grünwiesel sein mußte, als ein +Mann dorthin zog, von dem niemand wußte, woher er kam, was er wollte, +von was er lebte. Der Bürgermeister hatte zwar seinen Paß gesehen, +ein Papier, das bei uns jedermann haben muß" + +"Ist es denn so unsicher auf den Straßen", unterbrach den Sklaven der +Scheik, "daß Ihr einen Ferman Eures Sultans haben müsset, um die +Räuber in Respekt zu setzen?" + +"Nein, Herr", entgegnete jener, "diese Papiere halten keinen Dieb von +uns ab, sondern es ist nur der Ordnung wegen, daß man überall weiß, +wen man vor sich hat." + +Nun, der Bürgermeister hatte den Paß untersucht und in einer +Kaffeegesellschaft bei Doktors geäußert, der Paß sei zwar ganz +richtig visiert von Berlin bis Grünwiesel, aber es stecke doch was +dahinter; denn der Mann sehe etwas verdächtig aus. Der Bürgermeister +hatte das größte Ansehen in der Stadt, kein Wunder, daß von da an der +Fremde als eine verdächtige Person angesehen wurde. Und sein +Lebenswandel konnte meine Landsleute nicht von dieser Meinung +abbringen. Der fremde Mann mietete sich für einige Goldstücke ein +ganzes Haus, das bisher öde gestanden, ließ einen ganzen Wagen voll +sonderbarer Gerätschaften, als Öfen, Kunstherde, große Tiegel und +dergleichen hineinschaffen und lebte von da an ganz für sich allein. +Ja, er kochte sich sogar selbst, und es kam keine menschliche Seele +in sein Haus als ein alter Mann aus Grünwiesel, der ihm seine +Einkäufe in Brot, Fleisch und Gemüse besorgen mußte. Doch auch +dieser durfte nur in den Flur des Hauses kommen, und dort nahm der +fremde Mann das Gekaufte in Empfang. + +Ich war ein Knabe von zehn Jahren, als der Mann in meiner Vaterstadt +einzog, und ich kann mir noch heute, als wäre es gestern geschehen, +die Unruhe denken, die dieser Mann im Städtchen verursachte. Er kam +nachmittags nicht, wie andere Männer, auf die Kegelbahn, er kam +abends nicht ins Wirtshaus, um, wie die übrigen, bei einer Pfeife +Tabak über die Zeitung zu sprechen. Umsonst luden ihn nach der Reihe +der Bürgermeister, der Friedensrichter, der Doktor und der +Oberpfarrer zum Essen oder Kaffee ein, er ließ sich immer +entschuldigen. Daher hielten ihn einige für verrückt, andere für +einen Juden, eine dritte Partie behauptete steif und fest, er sei ein +Zauberer oder Hexenmeister. Ich wurde achtzehn, zwanzig Jahre alt, +und noch immer hieß der Mann in der Stadt der fremde Herr. + +Es begab sich aber eines Tages, daß Leute mit fremden Tieren in die +Stadt kamen. Es ist dies hergelaufenes Gesindel, das ein Kamel hat, +welches sich verbeugen kann, einen Bären, der tanzt, einige Hunde und +Affen, die in menschlichen Kleidern komisch genug aussehen und +allerlei Künste machen. Diese Leute durchziehen gewöhnlich die Stadt, +halten an den Kreuzstraßen und Plätzen, machen mit einer kleinen +Trommel und einer Pfeife eine übeltönende Musik, lassen ihre Truppe +tanzen und springen und sammeln dann in den Häusern Geld ein. Die +Truppe aber, die diesmal sich in Grünwiesel sehen ließ, zeichnete +sich durch einen ungeheuren Orang-Utan aus, der beinahe Menschengröße +hatte, auf zwei Beinen ging und allerlei artige Künste zu machen +verstand. Diese Hunds- und Affenkomödie kam auch vor das Haus des +fremden Herrn; er erschien, als die Trommel und Pfeife ertönten, von +Anfang ganz unwillig hinter den dunklen, vom Alter angelaufenen +Fenstern; bald aber wurde er freundlicher, schaute zu jedermanns +Verwundern zum Fenster heraus und lachte herzlich über die Künste des +Orang-Utans; ja, er gab für den Spaß ein so großes Silberstück, daß +die ganze Stadt davon sprach. + +Am anderen Morgen zog die Tierbande weiter; das Kamel mußte viele +Körbe tragen, in welchen die Hunde und Affen ganz bequem saßen, die +Tiertreiber aber und der große Affe gingen hinter dem Kamel. Kaum +aber waren sie einige Stunden zum Tore hinaus, so schickte der fremde +Herr auf die Post, verlangte zu großer Verwunderung des Postmeisters +einen Wagen und Extrapost und fuhr zu demselben Tor hinaus den Weg +hin, den die Tiere genommen hatten. Das ganze Städtchen ärgerte sich, +daß man nicht erfahren konnte, wohin er gereist sei. Es war schon +Nacht, als der fremde Herr wieder im Wagen vor dem Tor ankam; es saß +aber noch eine Person im Wagen, die den Hut tief ins Gesicht gedrückt +und um Mund und Ohren ein seidenes Tuch gebunden hatte. Der +Torschreiber hielt es für seine Pflicht, den anderen Fremden +anzureden und um seinen Paß zu bitten; er antwortete aber sehr grob, +indem er in einer ganz unverständlichen Sprache brummte. + +"Es ist mein Neffe", sagte der fremde Mann freundlich zum +Torschreiber, indem er ihm einige Silbermünzen in die Hand drückte, +"es ist mein Neffe und versteht bis dato noch wenig Deutsch; er hat +soeben in seiner Mundart ein wenig geflucht, daß wir hier aufgehalten +werden." + +"Ei, wenn es Dero Neffe ist", antwortete der Torschreiber, "so kann +er wohl ohne Paß hereinkommen; er wird wohl ohne Zweifel bei Ihnen +wohnen?" + +"Allerdings", sagte der Fremde, "und hält sich wahrscheinlich längere +Zeit hier auf." + +Der Torschreiber hatte keine weitere Einwendung mehr, und der fremde +Herr und sein Neffe fuhren ins Städtchen. Der Bürgermeister und die +ganze Stadt waren übrigens nicht sehr zufrieden mit dem Torschreiber. +Er hätte doch wenigstens einige Worte von der Sprache des Neffen +sich merken sollen; daraus hätte man dann leicht erfahren, was für +ein Landeskind er und der Onkel wären. Der Torschreiber versicherte +aber, daß es weder Französisch oder Italienisch sei, wohl aber habe +es so breit geklungen wie Englisch, und wenn er nicht irre, so habe +der junge Herr gesagt: "Goddam!" So half der Torschreiber sich selbst +aus der Not und dem jungen Manne zu einem Namen; denn man sprach +jetzt nur von dem jungen Engländer im Städtchen. + +Aber auch der junge Engländer wurde nicht sichtbar, weder auf der +Kegelbahn noch im Bierkeller; wohl aber gab er den Leuten auf andere +Weise viel zu schaffen.--Es begab sich nämlich oft, daß von dem sonst +so stillen Hause des Fremden ein schreckliches Geschrei und ein Lärm +ausging, daß die Leute haufenweise vor dem Hause stehenblieben und +hinaufsahen. Man sah dann den jungen Engländer, angetan mit einem +roten Frack und grünen Beinkleidern, mit struppichtem Haar und +schrecklicher Miene unglaublich schnell an den Fenstern hin und her +durch alle Zimmer laufen; der alte Fremde lief ihm in einem roten +Schlafrock, eine Hetzpeitsche in der Hand, nach, verfehlte ihn oft, +aber einigemal kam es doch der Menge auf der Straße vor, als müsse er +den Jungen erreicht haben; denn man hörte klägliche Angsttöne und +klatschende Peitschenhiebe die Menge. An dieser grausamen Behandlung +des fremden jungen Mannes nahmen die Frauen des Städtchens so +lebhaften Anteil, daß sie endlich den Bürgermeister bewogen, einen +Schritt in der Sache zu tun. Er schrieb dem fremden Herrn ein +Billett, worin er ihm die unglimpfliche Behandlung seines Neffen in +ziemlich derben Ausdrücken vorwarf und ihm drohte, wenn noch ferner +solche Szenen vorfielen, den jungen Mann unter seinen besonderen +Schutz zu nehmen. + +Wer war aber mehr erstaunt als der Bürgermeister, wie er den Fremden +selbst, zum erstenmal seit zehn Jahren, bei sich eintreten sah. Der +alte Herr entschuldigte sein Verfahren mit dem besonderen Auftrag der +Eltern des Jünglings, die ihm solchen zu erziehen gegeben; er sei +sonst ein kluger, anstelliger Junge, äußerte er, aber die Sprachen +erlerne er sehr schwer; er wünsche so sehnlich, seinem Neffen das +Deutsche recht geläufig beizubringen, um sich nachher die Freiheit zu +nehmen, ihn in die Gesellschaft von Grünwiesel einzuführen, und +dennoch gehe demselben diese Sprache so schwer ein, daß man oft +nichts Besseres tun könne, als ihn gehörig durchzupeitschen. Der +Bürgermeister fand sich durch diese Mitteilung völlig befriedigt, +riet dem Alten zur Mäßigung und erzählte abends im Bierkeller, daß er +selten einen so unterrichteten, artigen Mann gefunden als den Fremden; +"es ist nur schade", setzte er hinzu, "daß er so wenig in +Gesellschaft kommt; doch ich denke, wenn der Neffe nur erst ein wenig +Deutsch spricht, besucht er meine Cercles öfter." + +Durch diesen einzigen Vorfall war die Meinung des Städtchens völlig +umgeändert. Man hielt den Fremden für einen artigen Mann, sehnte +sich nach seiner näheren Bekanntschaft und fand es ganz in der +Ordnung, wenn hier und da in dem öden Hause ein gräßliches Geschrei +aufging. "Er gibt dem Neffen Unterricht in der deutschen +Sprachlehre", sagten die Grünwiesler und blieben nicht mehr stehen. +Nach einem Vierteljahr ungefähr schien der Unterricht im Deutschen +beendigt; denn der Alte ging jetzt um eine Stufe weiter vor. Es +lebte ein alter gebrechlicher Franzose in der Stadt, der den jungen +Leuten Unterricht im Tanzen gab. Diesen ließ der Fremde zu sich +rufen und sagte ihm, daß er seinen Neffen im Tanzen unterrichten +lassen wolle. Er gab ihm zu verstehen, daß derselbe zwar sehr +gelehrig, aber, was das Tanzen betreffe, etwas eigensinnig sei; er +habe nämlich früher bei einem anderen Meister tanzen gelernt, und +zwar nach so sonderbaren Touren, daß er sich nicht füglich in der +Gesellschaft produzieren könne; der Neffe halte sich aber eben +deswegen für einen großen Tänzer, obgleich sein Tanz nicht die +entfernteste Ähnlichkeit mit Walzer oder Galopp (Tänze, die man in +meinem Vaterlande tanzt, o Herr!), nicht einmal Ähnlichkeit mit +Ekossaise oder Française habe. Er versprach übrigens einen Taler für +die Stunde, und der Tanzmeister war mit Vergnügen bereit, den +Unterricht des eigensinnigen Zöglings zu übernehmen. + +Es gab, wie der Franzose unterderhand versicherte, auf der Welt +nichts Sonderbareres als diese Tanzstunden. Der Neffe, ein ziemlich +großer, schlanker junger Mann, der nur etwas sehr kurze Beine hatte, +erschien in einem roten Frack, schön frisiert, in grünen, weiten +Beinkleidern und glasierten Handschuhen. Er sprach wenig und mit +fremdem Akzent, war von Anfang ziemlich artig und anstellig; dann +verfiel er aber oft plötzlich in fratzenhafte Sprünge, tanzte die +kühnsten Touren, wobei er Entrechats machte, daß dem Tanzmeister +Hören und Sehen verging; wollte er ihn zurechtweisen, so zog er die +zierlichen Tanzschuhe von den Füßen, warf sie dem Franzosen an den +Kopf und setzte nun auf allen Vieren im Zimmer umher. Bei diesem +Lärm fuhr dann der alte Herr plötzlich in einem weiten, roten +Schlafrock, eine Mütze von Goldpapier auf dem Kopf, aus seinem Zimmer +heraus und ließ die Hetzpeitsche ziemlich unsanft auf den Rücken des +Neffen niederfallen. Der Neffe fing dann an, schrecklich zu heulen, +sprang auf Tische und hohe Kommoden, ja selbst an den Kreuzstöcken +der Fenster hinauf und sprach eine fremde, seltsame Sprache. Der +Alte im roten Schlafrock aber ließ sich nicht irremachen, faßte ihn +am Bein, riß ihn herab, bleute ihn durch und zog ihm mittels einer +Schnalle die Halsbinde fester an, worauf er immer wieder artig und +manierlich wurde und die Tanzstunde ohne Störung weiterging. + +Als aber der Tanzmeister seinen Zögling so weit gebracht hatte, daß +man Musik zu der Stunde nehmen konnte, da war der Neffe wie +umgewandelt. Ein Stadtmusikant wurde gemietet, der im Saal des öden +Hauses auf einen Tisch sich setzen mußte. Der Tanzmeister stellte +dann die Dame vor, indem ihm der alte Herr einen Frauenrock von Seide +und einen ostindischen Schal anziehen ließ; der Neffe forderte ihn +auf und fing nun an, mit ihm zu tanzen und zu walzen; er aber war ein +unermüdlicher, rasender Tänzer, er ließ den Meister nicht aus seinen +langen Armen; ob er ächzte und schrie, er mußte tanzen, bis er +ermattet umsank oder bis dem Stadtmusikus der Arm lahm wurde an der +Geige. Den Tanzmeister brachten diese Unterrichtsstunden beinahe +unter den Boden, aber der Taler, den er jedesmal richtig ausbezahlt +bekam, der gute Wein, den der Alte aufwartete, machten, daß er immer +wiederkam, wenn er auch den Tag zuvor sich fest vorgenommen hatte, +nicht mehr in das öde Haus zu gehen. + +Die Leute in Grünwiesel sahen aber die Sache ganz anders an als der +Franzose. Sie fanden, daß der junge Mann viele Anlagen zum +Gesellschaftlichen habe, und die Frauenzimmer im Städtchen freuten +sich, bei dem großen Mangel an Herren einen so flinken Tänzer für den +nächsten Winter zu bekommen. + +Eines Morgens berichteten die Mägde, die vom Markte heimkehrten, +ihren Herrschaften ein wunderbares Ereignis. Vor dem öden Hause sei +ein prächtiger Glaswagen gestanden, mit schönen Pferden bespannt, und +ein Bediensteter in reicher Livree habe den Schlag gehalten. Da sei +die Türe des öden Hauses aufgegangen und zwei schön gekleidete Herren +herausgetreten, wovon der eine der alte Fremde und der andere +wahrscheinlich der junge Herr gewesen, der so schwer Deutsch gelernt +und so rasend tanze. Die beiden seien in den Wagen gestiegen, der +Bedienstete hinten aufs Brett gesprungen, und der Wagen, man stelle +sich vor, sei geradezu auf Bürgermeisters Haus zugefahren. + +Als die Frauen solches von ihren Mägden erzählen hörten, rissen sie +eilends die Küchenschürzen und die etwas unsauberen Hauben ab und +versetzten sich in Staat; "es ist nichts gewisser", sagten sie zu +ihrer Familie, indem alles umherrannte, um das Besuchszimmer, das +zugleich zu sonstigem Gebrauch diente, aufzuräumen, "es ist nichts +gewisser, als daß der Fremde jetzt seinen Neffen in die Welt einführt. +Der alte Narr war seit zehn Jahren nicht so artig, einen Fuß in +unser Haus zu setzen, aber es sei ihm wegen des Neffen verziehen, der +ein charmanter Mensch sein soll." So sprachen sie und ermahnten ihre +Söhne und Töchter, recht manierlich auszusehen, wenn die Fremden +kämen, sich gerade zu halten und sich auch einer besseren Aussprache +zu bedienen als gewöhnlich. Und die klugen Frauen im Städtchen +hatten nicht unrecht geraten; denn nach der Reihe fuhr der alte Herr +mit seinem Neffen umher; sich und ihn in die Gewogenheit der Familien +zu empfehlen. + +Man war überall ganz erfüllt von den beiden Fremden und bedauerte, +nicht schon früher diese angenehme Bekanntschaft gemacht zu haben. +Der alte Herr zeigte sich als ein würdiger, sehr vernünftiger Mann, +der zwar bei allem, was er sagte, ein wenig lächelte, so daß man +nicht gewiß war, ob es ihm Ernst sei oder nicht, aber er sprach über +das Wetter, über die Gegend, über das Sommervergnügen auf dem Keller +am Berge so klug und durchdacht, daß jedermann davon bezaubert war. +Aber der Neffe! Er bezauberte alles, er gewann alle Herzen für sich. + +Man konnte zwar, was sein Äußeres betraf, sein Gesicht nicht schön +nennen; der untere Teil, besonders die Kinnlade, stand allzusehr +hervor, und der Teint war sehr bräunlich; auch machte er zuweilen +allerlei sonderbare Grimassen, drückte die Augen zu und fletschte mit +den Zähnen; aber dennoch fand man den Schnitt seiner Züge ungemein +interessant. Es konnte nichts Beweglicheres, Gewandteres geben als +seine Gestalt. Die Kleider hingen ihm zwar etwas sonderbar am Leib, +aber es stand ihm alles trefflich; er fuhr mit großer Lebendigkeit im +Zimmer umher, warf sich hier aufs Sofa, dort in einen Lehnstuhl und +streckte die Beine von sich; aber was man bei einem anderen jungen +Mann höchst gemein und unschicklich gefunden hätte, galt bei dem +Neffen für Genialität. + +"Er ist ein Engländer", sagte man, "so sind sie alle; ein Engländer +kann sich aufs Kanapee legen und einschlafen, während zehn Damen +keinen Platz haben und umherstehen müssen, einem Engländer kann man +so etwas nicht übelnehmen." Gegen den alten Herrn, seinen Oheim, war +er sehr fügsam; denn wenn er anfing, im Zimmer umherzuhüpfen oder, +wie er gerne tat, die Füße auf den Sessel hinaufzuziehen, so reichte +ein ernsthafter Blick hin, ihn zur Ordnung zu bringen. Und wie +konnte man ihm so etwas übelnehmen, als vollends der Onkel in jedem +Haus zu der Dame sagte: "Mein Neffe ist noch ein wenig roh und +ungebildet; aber ich verspreche mir viel von der Gesellschaft, die +wird ihn gehörig formen und bilden, und ich empfehle ihn namentlich +Ihnen aufs angelegenste." + +So war der Neffe also in die Welt eingeführt, und ganz Grünwiesel +sprach an diesem und den folgenden Tagen von nichts anderem als von +diesem Ereignis. Der alte Herr blieb aber hierbei nicht stehen; er +schien seine Denk- und Lebensart gänzlich geändert zu haben. +Nachmittags ging er mit dem Neffen hinaus in den Felsenkeller am Berg, +wo die vornehmeren Herren von Grünwiesel Bier tranken und sich am +Kegelschieben ergötzten. Der Neffe zeigte sich dort als ein flinker +Meister im Spiel; denn er warf nie unter fünf oder sechs; hier und da +schien zwar ein sonderbarer Geist über ihn zu kommen; es konnte ihm +einfallen, daß er pfeilschnell mit der Kugel hinaus- und unter die +Kegel hineinfuhr und dort allerhand tollen Rumor anrichtete, oder +wenn er den Kranz oder den König geworfen, stand er plötzlich auf +seinem schön frisierten Haar und streckte die Beine in die Höhe, oder +wenn ein Wagen vorbeifuhr, saß er, ehe man sich's dessen versah, oben +auf dem Kutschenhimmel und machte Grimassen herab, fuhr so ein +Stückchen weit mit und kam dann wieder zur Gesellschaft gesprungen. + +Der alte Herr pflegte dann bei solchen Szenen den Bürgermeister und +die anderen Männer sehr um Entschuldigung zu bitten wegen der +Ungezogenheit seines Neffen; sie aber lachten, schrieben es seiner +Jugend zu, behaupteten, in diesem Alter selbst so leichtfüßig gewesen +zu sein, und liebten den jungen Springinsfeld, wie sie ihn nannten, +ungemein. + +Es gab aber auch Zeiten, wo sie sich nicht wenig über ihn ärgerten +und dennoch nichts zu sagen wagten, weil der junge Engländer +allgemein als ein Muster von Bildung und Verstand galt. Der alte +Herr pflegte nämlich mit seinem Neffen auch abends in den Goldenen +Hirsch, das Wirtshaus des Städtchens, zu kommen. Obgleich der Neffe +noch ein ganz junger Mensch war, tat er doch schon ganz wie ein Alter, +setzte sich hinter sein Glas, tat eine ungeheure Brille auf, zog +eine gewaltige Pfeife heraus, zündete sie an und dampfte unter allen +am ärgsten. Wurde nun über die Zeitungen, über Krieg und Frieden +gesprochen, gab der Doktor die Meinung, der Bürgermeister jene, waren +die anderen Herren ganz erstaunt über so tiefe politische Kenntnisse, +so konnte es dem Neffen plötzlich einfallen, ganz anderer Meinung zu +sein; er schlug dann mit der Hand, von welcher er nie die Handschuhe +ablegte, auf den Tisch und gab dem Bürgermeister und dem Doktor nicht +undeutlich zu verstehen, daß sie von diesem allem nichts genau wüßten, +daß er diese Sachen ganz anders gehört habe und tiefere Einsicht +besitze. Er gab dann in einem sonderbar gebrochenen Deutsch seine +Meinung preis, die alle, zum großen Ärgernis des Bürgermeisters, ganz +trefflich fanden; denn er mußte als Engländer natürlich alles besser +wissen. + +Setzten sich dann der Bürgermeister und der Doktor in ihrem Zorn, den +sie nicht laut werden lassen durften, zu einer Partie Schach, so +rückte der Neffe hinzu, schaute dem Bürgermeister mit seiner großen +Brille über die Schulter herein und tadelte diesen oder jenen Zug, +sagte dem Doktor, so und so müsse er ziehen, so daß beide Männer +heimlich ganz grimmig wurden. Bot ihm dann der Bürgermeister +ärgerlich eine Partie an, um ihn gehörig matt zu machen, denn er +hielt sich für einen zweiten Philidor, so schnallte der alte Herr dem +Neffen die Halsbinde fester zu, worauf dieser ganz artig und +manierlich wurde und den Bürgermeister matt machte. + +Man hatte bisher in Grünwiesel beinahe jeden Abend Karten gespielt, +die Partie um einen halben Kreuzer; das fand nun der Neffe erbärmlich, +setzte Kronentaler und Dukaten, behauptete, kein einziger spiele so +fein wie er, söhnte aber die beleidigten Herren gewöhnlich dadurch +wieder aus, daß er ungeheure Summen an sie verlor. Sie machten sich +auch gar kein Gewissen daraus, ihm recht viel Geld abzunehmen; denn +"er ist ja ein Engländer, also von Hause aus reich", sagten sie und +schoben die Dukaten in die Tasche. + +So kam der Neffe des fremden Herrn in kurzer Zeit bei Stadt und +Umgegend in ungemeines Ansehen. Man konnte sich seit +Menschengedenken nicht erinnern, einen jungen Mann dieser Art in +Grünwiesel gesehen zu haben, und es war die sonderbarste Erscheinung, +die man je bemerkt. Man konnte nicht sagen, daß der Neffe irgend +etwas gelernt hätte als etwa tanzen. Latein und Griechisch waren ihm, +wie man zu sagen pflegt, böhmische Dörfer. Bei einem +Gesellschaftsspiel in Bürgermeisters Hause sollte er etwas schreiben, +und es fand sich, daß er nicht einmal seinen Namen schreiben konnte; +in der Geographie machte er die auffallendsten Schnitzer; denn es kam +ihm nicht darauf an, eine deutsche Stadt nach Frankreich oder eine +dänische nach Polen zu versetzen, er hatte nichts gesehen, nichts +studiert, und der Oberpfarrer schüttelte oft bedenklich den Kopf über +die rohe Unwissenheit des jungen Mannes; aber dennoch fand man alles +trefflich, was er tat oder sagte; denn er war so unverschämt, immer +recht haben zu wollen, und das Ende jeder seiner Reden war: "Ich +verstehe das besser!" + +So kam der Winter heran, und jetzt erst trat der Neffe mit noch +größerer Glorie auf. Man fand jede Gesellschaft langweilig, wo nicht +er zugegen war, man gähnte, wenn ein vernünftiger Mann etwas sagte; +wenn aber der Neffe selbst das törichteste Zeug in schlechtem Deutsch +vorbrachte, war alles Ohr. Es fand sich jetzt, daß der treffliche +junge Mann auch ein Dichter war; denn nicht leicht verging ein Abend, +an welchem er nicht einiges Papier aus der Tasche zog und der +Gesellschaft einige Sonette vorlas. Es gab zwar einige Leute, die +von dem einen Teil dieser Dichtungen behaupteten, sie seien schlecht +und ohne Sinn, einen anderen Teil wollten sie schon irgendwo gedruckt +gelesen haben; aber der Neffe ließ sich nicht irremachen, er las und +las, machte dann auf die Schönheiten seiner Verse aufmerksam, und +jedesmal erfolgte rauschender Beifall. + +Sein Triumph waren aber die Grünwieseler Bälle. Es konnte niemand +anhaltender, schneller tanzen als er; keiner machte so kühne und +ungemein zierliche Spränge wie er. Dabei kleidete ihn sein Onkel +immer aufs prächtigste nach dem neuesten Geschmack, und obgleich ihm +die Kleider nicht recht am Leibe sitzen wollten, fand man dennoch, +daß ihn alles allerliebst kleide. Die Männer fanden sich zwar bei +diesen Tänzen etwas beleidigt durch die neue Art, womit er auftrat. +Sonst hatte immer der Bürgermeister in eigener Person den Ball +eröffnet, die vornehmsten jungen Leute hatten das Recht, die übrigen +Tänze anzuordnen aber seit der fremde junge Herr erschien, war dies +alles ganz anders. Ohne viel zu fragen, nahm er die nächste beste +Dame bei der Hand, stellte sich mit ihr oben an, machte alles, wie es +ihm gefiel, und war Herr und Meister und Ballkönig. Weil aber die +Frauen diese Manieren ganz trefflich und angenehm fanden, so durften +die Männer nichts dagegen einwenden, und der Neffe blieb bei seiner +selbstgewählten Würde. + +Das größte Vergnügen schien ein solcher Ball dem alten Herrn zu +gewähren; er verwandte kein Auge von seinem Neffen, lächelte immer in +sich hinein, und wenn alle Welt herbeiströmte, um ihm über den +anständigen, wohlgezogenen Jüngling Lobsprüche zu erteilen, so konnte +er sich vor Freude gar nicht fassen; er brach dann in ein lustiges +Gelächter aus und bezeugte sich wie närrisch; die Grünwieseler +schrieben diese sonderbaren Ausbrüche der Freude seiner großen Liebe +zu dem Neffen zu und fanden es ganz in der Ordnung. Doch hier und da +mußte er auch sein väterliches Ansehen gegen den Neffen anwenden. +Denn mitten in den zierlichsten Tänzen konnte es dem jungen Mann +einfallen, mit einem kühnen Sprung auf die Tribüne, wo die +Stadtmusikanten saßen, zu setzen, dem Organisten den Kontrabaß aus +der Hand zu reißen und schrecklich darauf umherzukratzen; oder er +wechselte auf einmal und tanzte auf den Händen, indem er die Beine in +die Höhe streckte. Dann pflegte ihn der Onkel auf die Seite zu +nehmen, machte ihm dort ernstliche Vowürfe und zog ihm die Halsbinde +fester an, daß er wieder ganz gesittet wurde. + +So betrug sich nun der Neffe in Gesellschaft und auf Bällen. Wie es +aber mit den Sitten zu geschehen pflegt, die schlechten verbreiten +sich immer leichter als die guten, und eine neue, auffallende Mode, +wenn sie auch höchst lächerlich sein solle, hat etwas Ansteckendes an +sich für junge Leute, die noch nicht über sich selbst und die Welt +nachgedacht haben. So war es auch in Grünwiesel mit dem Neffen und +seinen sonderbaren Sitten. Als nämlich die junge Welt sah, wie +derselbe mit seinem linkischen Wesen, mit seinem rohen Lachen und +Schwatzen, mit seinen groben Antworten gegen Ältere eher geschätzt +als getadelt werde, daß man dies alles sogar sehr geistreich finde, +so dachten sie bei sich: "Es ist mir ein leichtes, auch solch ein +geistreicher Schlingel zu werden." Sie waren sonst fleißige, +geschickte junge Leute gewesen; jetzt dachten sie: "Zu was hilft +Gelehrsamkeit, wenn man mit Unwissenheit besser fortkömmt?" Sie +ließen die Bücher liegen und trieben sich überall umher auf Plätzen +und Straßen. Sonst waren sie artig gewesen und höflich gegen +jedermann, hatten gewartet, bis man sie fragte, und anständig und +bescheiden geantwortet; jetzt standen sie in die Reihe der Männer, +schwatzten mit, gaben ihre Meinung preis und lachten selbst dem +Bürgermeister unter die Nase, wenn er etwas sagte, und behaupteten, +alles viel besser zu wissen. + +Sonst hatten die jungen Grünwieser Abscheu gehegt gegen rohes und +gemeines Wesen. Jetzt sangen sie allerlei schlechte Lieder, rauchten +aus ungeheuren Pfeifen Tabak und trieben sich in gemeinen Kneipen +umher; auch kauften sie sich, obgleich sie ganz gut sahen, große +Brillen, setzten solche auf die Nase und glaubten nun, gemachte Leute +zu sein; denn sie sahen ja aus wie der berühmte Neffe. Zu Hause oder +wenn sie auf Besuch waren, lagen sie mit Stiefeln und Sporen auf dem +Kanapee, schaukelten sich auf dem Stuhl in guter Gesellschaft oder +stützten die Wangen in beide Fäuste, die Ellbogen aber auf den Tisch, +was nun überaus reizend anzusehen war. Umsonst sagten ihnen ihre +Mütter und Freunde, wie töricht, wie unschicklich dies alles sei, sie +beriefen sich auf das glänzende Beispiel des Neffen. Umsonst stellte +man ihnen vor, daß man dem Neffen, als einem jungen Engländer, eine +gewisse Nationalroheit verzeihen müsse, die jungen Grünwieseler +behaupteten, ebensogut als der beste Engländer das Recht zu haben, +auf geistreiche Weise ungezogen zu sein; kurz, es war ein Jammer, wie +durch das böse Beispiel des Neffen die Sitten und guten Gewohnheiten +in Grünwiesel völlig untergingen. + +Aber die Freude der jungen Leute an ihrem rohen, ungebundenen Leben +dauerte nicht lange; denn folgender Vorfall veränderte auf einmal die +ganze Szene: Die Wintervergnügungen sollte ein großes Konzert +beschließen, das teils von den Stadtmusikanten, teils von geschickten +Musikfreunden in Grünwiesel aufgeführt werden sollte. Der +Bürgermeister spielte das Violoncell, der Doktor das Fagott ganz +vortrefflich, der Apotheker, obgleich er keinen rechten Ansatz hatte, +blies die Flöte, einige Jungfrauen aus Grünwiesel hatten Arien +einstudiert, und alles war trefflich vorbereitet. Da äußerte der +alte Fremde, daß zwar das Konzert auf diese Art trefflich werden +würde, es fehle aber offenbar an einem Duett, und ein Duett müsse in +jedem ordentlichen Konzert notwendigerweise vorkommen. Man war etwas +betreten über diese Äußerung; die Tochter des Bürgermeisters sang +zwar wie eine Nachtigall; aber wo einen Herrn herbekommen, der mit +ihr ein Duett singen könnte? Man wollte endlich auf den alten +Organisten verfallen, der einst einen trefflichen Baß gesungen hatte; +der Fremde aber behauptete, dies alles sei nicht nötig, indem sein +Neffe ganz ausgezeichnet singe. Man war nicht wenig erstaunt über +diese neue treffliche Eigenschaft des jungen Mannes; er mußte zur +Probe etwas singen, und einige sonderbare Manieren abgerechnet, die +man für englisch hielt, sang er wie ein Engel. Man studierte also in +der Eile das Duett ein, und der Abend erschien endlich, an welchem +die Ohren der Grünwieseler durch das Konzert erquickt werden sollten. + +Der alte Fremde konnte leider dem Triumph seines Neffen nicht +beiwohnen, weil er krank war; er gab aber dem Bürgermeister, der ihn +eine Stunde zuvor noch besuchte, einige Maßregeln über seinen Neffen +auf. "Er ist eine gute Seele, mein Neffe", sagte er, "aber hier und +da verfällt er in allerlei sonderbare Gedanken und fängt dann tolles +Zeug an; es ist mir eben deswegen leid, daß ich dem Konzert nicht +beiwohnen kann; denn vor mir nimmt er sich gewaltig in acht, er weiß +wohl, warum! Ich muß übrigens zu seiner Ehre sagen, daß dies nicht +geistiger Mutwillen ist, sondern es ist körperlich, es liegt in +seiner Natur. Wollten Sie nun, Herr Bürgermeister, wenn er etwa in +solche Gedanken verfiele, daß er sich auf ein Notenpult setzte oder +daß er durchaus den Kontrabaß streichen wollte oder dergleichen, +wollten Sie ihm dann nur seine hohe Halsbinde etwas lockerer machen +oder, wenn es auch dann nicht besser wird, ihm solche ganz ausziehen, +Sie werden sehen, wie artig und manierlich er dann wird." + +Der Bürgermeister dankte dem Kranken für sein Zutrauen und versprach, +im Fall der Not also zu tun, wie er ihm geraten. + +Der Konzertsaal war gedrängt voll; denn ganz Grünwiesel und die +Umgegend hatten sich eingefunden. Alle Jäger, Pfarrer, Amtleute, +Landwirte und dergleichen aus dem Umkreis von drei Stunden waren mit +zahlreicher Familie herbeigeströmt, um den seltenen Genuß mit den +Grünwieselern zu teilen. Die Stadtmusikanten hielten sich +vortrefflich; nach ihnen trat der Bürgermeister auf, der das +Violoncell spielte, begleitet vom Apotheker, der die Flöte blies; +nach diesen sang der Organist eine Baßarie mit allgemeinem Beifall, +und auch der Doktor wurde nicht wenig beklatscht, als er auf dem +Fagott sich hören ließ. + +Die erste Abteilung des Konzertes war vorbei, und jedermann war nun +auf die zweite gespannt, in welcher der junge Fremde mit des +Bürgermeisters Tochter ein Duett vortragen sollte. Der Neffe war in +einem glänzenden Anzug erschienen und hatte schon längst die +Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich gezogen. Er hatte sich +nämlich, ohne viel zu fragen, in den prächtigen Lehnstuhl gelegt, der +für eine Gräfin aus der Nachbarschaft hergesetzt worden war; er +streckte die Beine weit von sich, schaute jedermann durch ein +ungeheueres Perspektiv an, das er noch außer seiner großen Brille +gebrauchte, und spielte mit einem großen Fleischerhund, den er trotz +des Verbotes, Hunde mitzunehmen, in die Gesellschaft eingeführt hatte. +Die Gräfin, für welche der Lehnstuhl bereitet war, erschien; aber +wer keine Miene machte, aufzustehen und ihr den Platz einzuräumen, +war der Neffe; er setzte sich im Gegenteil noch bequemer hinein, und +niemand wagte es, dem jungen Mann etwas darüber zu sagen; die +vornehme Dame aber mußte auf einem ganz gemeinen Strohsessel mitten +unter den übrigen Frauen des Städtchens sitzen und soll sich nicht +wenig geärgert haben. + +Während des herrlichen Spieles des Bürgermeisters, während des +Organisten trefflicher Baßarie, ja sogar während der Doktor auf dem +Fagott phantasierte und alles den Atem anhielt und lauschte, ließ der +Neffe den Hund das Schnupftuch apportieren oder schwatzte ganz laut +mit seinen Nachbarn, so daß jedermann, der ihn nicht kannte, über die +absonderlichen Sitten des jungen Herrn sich wunderte. + +Kein Wunder daher, daß alles sehr begierig war, wie er sein Duett +vortragen würde. Die zweite Abteilung begann; die Stadtmusikanten +hatten etwas weniges aufgespielt, und nun trat der Bürgermeister mit +seiner Tochter zu dem jungen Mann, überreichte ihm ein Notenblatt und +sprach: "Mosjöh, wäre es Ihnen jetzt gefällig, das Duetto zu singen?" +Der junge Mann lachte, fletschte mit den Zähnen, sprang auf, und die +beiden anderen folgten ihm an das Notenpult, und die ganze +Gesellschaft war voll Erwartung. Der Organist schlug den Takt und +winkte dem Neffen, anzufangen. Dieser schaute durch seine großen +Brillengläser in die Noten und stieß greuliche, jämmerliche Töne aus. +Der Organist aber schrie ihm zu: "Zwei Töne tiefer, Wertester, C +müssen Sie singen, C!" + +Statt aber C zu singen, zog der Neffe einen seiner Schuhe ab und warf +ihn dem Organisten an den Kopf, daß der Puder weit umherflog. Als +dies der Bürgermeister sah, dachte er. "Ha, jetzt hat er wieder +seine körperlichen Zufälle!", sprang hinzu, packte ihn am Hals und +band ihm das Tuch etwas leichter; aber dadurch wurde es nur noch +schlimmer mit dem jungen Mann. Er sprach nicht mehr Deutsch, sondern +eine ganz sonderbare Sprache, die niemand verstand, und machte große +Sprünge. Der Bürgermeister war in Verzweiflung über diese +unangenehme Störung; er faßte daher den Entschluß, dem jungen Mann, +dem etwas ganz Besonderes zugestoßen sein mußte, das Halstuch +vollends abzulösen. Aber kaum hatte er dies getan, so blieb er vor +Schrecken wie erstarrt stehen; denn statt menschlicher Haut und Farbe +umgab den Hals des jungen Menschen ein dunkelbraunes Fell, und +alsobald setzte derselbe auch seine Sprünge noch höher und +sonderbarer fort, fuhr sich mit den glasierten Handschuhen in die +Haare, zog diese ab, und o Wunder, diese schönen Haare waren eine +Perücke, die er dem Bürgermeister ins Gesicht warf, und sein Kopf +erschien jetzt mit demselben braunen Fell bewachsen. + +Er setzte über Tische und Bänke, warf die Notenpulte um, zertrat +Geigen und Klarinette und erschien wie ein Rasender. "Fangt ihn, +fangt ihn!" rief der Bürgermeister ganz außer sich, "er ist von +Sinnen, fangt ihn!" Das war aber eine schwierige Sache; denn er hatte +die Handschuhe abgezogen und zeigte Nägel an den Händen, mit welchen +er den Leuten ins Gesicht fuhr und sie jämmerlich kratzte. Endlich +gelang es einem mutigen Jäger, seiner habhaft zu werden. Er preßte +ihm die langen Arme zusammen, daß er nur noch mit den Füßen zappelte +und mit heiserer Stimme lachte und schrie. Die Leute sammelten sich +umher und betrachteten den sonderbaren jungen Herrn, der jetzt gar +nicht mehr aussah wie ein Mensch. Aber ein gelehrter Herr aus der +Nachbarschaft, der ein großes Naturalienkabinett und allerlei +ausgestopfte Tiere besaß, trat näher, betrachtete ihn genau und rief +dann voll Verwunderung: "Mein Gott, verehrte Herren und Damen, wie +bringen Sie nur dies Tier in honette Gesellschaft, das ist ja ein +Affe, der Homo Troglodytes Linnaei, ich gebe sogleich sechs Taler für +ihn, wenn Sie mir ihn ablassen, und balge ihn aus für mein Kabinett." + +Wer beschreibt das Erstaunen der Grünwieseler, als sie dies hörten! +"Was, ein Affe, ein Orang-Utan in unserer Gesellschaft? Der junge +Fremde ein ganz gewöhnlicher Affe?" riefen sie und sahen einander +ganz dumm vor Verwunderung an. Man wollte nicht glauben, man traute +seinen Ohren nicht, die Männer untersuchten das Tier genauer, aber es +war und blieb ein ganz natürlicher Affe. + +"Aber, wie ist dies möglich!" rief die Frau Bürgermeister. "Hat er +mir nicht oft seine Gedichte vorgelesen? Hat er nicht wie ein +anderer Mensch bei mir zu Mittag gespeist?" + +"Was?" eiferte die Frau Doktorin. "Wie? Hat er nicht oft und viel +den Kaffee bei mir getrunken und mit meinem Manne gelehrt gesprochen +und geraucht?" + +"Wie! Ist es möglich!" riefen die Männer. "Hat er nicht mit uns am +Felsenkeller Kugeln geschoben und über Politik gestritten wie +unsereiner?" + +"Und wie?" klagten sie alle. "Hat er nicht sogar vorgetanzt auf +unseren Bällen? Ein Affe! Ein Affe? Es ist ein Wunder, es ist +Zauberei!" sagten die Bürger. "Ja, es ist Zauberei und teuflischer +Spuk", sagte der Bürgermeister, indem er das Halstuch des Neffen oder +Affen herbeibrachte. "Seht! In diesem Tuch steckte der ganze Zauber, +der ihn in unseren Augen liebenswürdig machte. Da ist ein breiter +Streifen elastischen Pergaments, mit allerlei wunderlichen Zeichen +beschrieben. Ich glaube gar, es ist Lateinisch; kann es niemand +lesen?" + +Der Oberpfarrer, ein gelehrter Mann, der oft an den Affen eine Partie +Schach verloren hatte, trat hinzu, betrachtete das Pergament und +sprach: "Mitnichten! Es sind nur lateinische Buchstaben, es heißt: + +DER--AFFE--SEHR--POSSIERLICH--IST--ZUMAL--WANN--ER--VOM--APFEL--FRISST +-Ja, ja, es ist höllischer Betrug, eine Art von Zauberei", fuhr er +fort, "und es muß exemplarisch bestraft werden." + +Der Bürgermeister war derselben Meinung und machte sich sogleich auf +den Weg zu dem Fremden, der ein Zauberer sein mußte, und sechs +Stadtsoldaten trugen den Affen; denn der Fremde sollte sogleich ins +Verhör genommen werden. + +Sie kamen, umgeben von einer ungeheuren Anzahl Menschen, an das öde +Haus; denn jedermann wollte sehen, wie sich die Sache weiter begeben +würde. Man pochte an das Haus, man zog die Glocke, aber vergeblich, +es zeigte sich niemand. Da ließ der Bürgermeister in seiner Wut die +Türe einschlagen und begab sich hierauf in die Zimmer des Fremden. +Aber dort war nichts zu sehen als allerlei alter Hausrat. Der fremde +Mann war nicht zu finden. Auf seinem Arbeitstisch aber lag ein +großer, versiegelter Brief, an den Bürgermeister überschrieben, den +dieser auch sogleich öffnete. Er las: + +"Meine lieben Grünwieseler! + +Wenn Ihr dies leset, bin ich nicht mehr in Eurem Städtchen, und Ihr +werdet dann längst erfahren haben, wes Standes und Vaterlandes mein +lieber Neffe ist. Nehmet den Scherz, den ich mit Euch erlaubte, als +eine gute Lehre auf, einen Fremden, der für sich leben will, nicht in +Eure Gesellschaft zu nötigen. Ich selbst fühlte mich zu gut, um Euer +ewiges Klatschen, um Eure schlechten Sitten und Euer lächerliches +Wesen zu teilen. Darum erzog ich einen jungen Orang-Utan, den Ihr +als meinen Stellvertreter so liebgewonnen habt. Lebet wohl und +benützet diese Lehre nach Kräften!" + +Die Grünwieseler schämten sich nicht wenig vor dem ganzen Land. Ihr +Trost war, daß dies alles mit unnatürlichen Dingen zugegangen sei. +Am meisten schämten sich aber die jungen Leute in Grünwiesel, weil +sie die schlechten Gewohnheiten und Sitten des Affen nachgeahmt +hatten. Sie stemmten von jetzt an keinen Ellbogen mehr auf, sie +schaukelten nicht mit dem Sessel, sie schwiegen, bis sie gefragt +wurden, sie legten die Brillen ab und waren artig und gesittet wie +zuvor, und wenn je einer wieder in solche schlechten, lächerlichen +Sitten verfiel, so sagten die Grünwieseler: "Es ist ein Affe." Der +Affe aber, welcher so lange die Rolle eines jungen Herrn gespielt +hatte, wurde dem gelehrten Mann, der ein Naturalienkabinett besaß, +überantwortet. Dieser läßt ihn in seinem Hof umhergehen, füttert ihn +und zeigt ihn als Seltenheit jedem Fremden, wo er noch bis auf den +heutigen Tag zu sehen ist. + +Es entstand ein Gelächter im Saal, als der Sklave geendet hatte, und +auch die jungen Männer lachten mit. "Es muß doch sonderbare Leute +geben unter diesen Franken, und wahrhaftig, da bin ich lieber beim +Scheik und Mufti in Alessandria als in Gesellschaft des Oberpfarrers, +des Bürgermeisters und ihrer törichten Frauen in Grünwiesel!" + +"Da hast du gewiß recht gesprochen", erwiderte der junge Kaufmann. +"In Frankistan möchte ich nicht tot sein. Die Franken sind ein rohes, +wildes, barbarisches Volk, und für einen gebildeten Türken oder +Perser müßte es schrecklich sein, dort zu leben." + +"Das werdet ihr bald hören", versprach der Alte, "so viel mir der +Sklavenaufseher sagte, wird der schöne junge Mann dort vieles von +Frankistan erzählen; denn er war lange dort und ist doch seiner +Geburt nach ein Muselmann." + +"Wie, jener, der zuletzt sitzt in der Reihe? Wahrlich, es ist eine +Sünde, daß der Herr Scheik diesen losgibt! Es ist der schönste +Sklave im ganzen Land; schaut nur dieses mutige Gesicht, dieses kühne +Auge, diese schöne Gestalt! Er kann ihm ja leichte Geschäfte geben; +er kann ihn zum Fliegenwedeler machen oder zum Pfeifenträger; es ist +ein Spaß, ein solches Amt zu versehen, und wahrlich, ein solcher +SkIave ist die Zierde von einem ganzen Haus. Und erst drei Tage hat +er ihn und gibt ihn weg? Es ist Torheit, es ist Sünde!" + +"Tadelt ihn doch nicht, ihn, der weiser ist als ganz Ägypten!" sprach +der Alte mit Nachdruck. "Sagte ich euch nicht schon, daß er ihn +losläßt, weil er glaubt, den Segen Allahs dadurch zu verdienen? Ihr +sagt, er ist schön und wohlgebildet, und ihr sprecht die Wahrheit. +Aber der Sohn des Scheik, den der Prophet in sein Vaterhaus +zurückbringen möge, der Sohn des Scheik war ein schöner Knabe und muß +jetzt auch groß sein und wohlgebildet. Soll er also das Gold sparen +und einen wohlfeilen, verwachsenen Sklaven hingeben in der Hoffnung, +seinen Sohn dafür zu bekommen? Wer etwas tun will in der Welt, der +tut es lieber gar nicht oder--recht!" + +"Und sehet, des Scheik Augen sind immer auf diesen Sklaven geheftet; +ich bemerkte es schon den ganzen Abend. Während der Erzählungen +streifte oft sein Blick dorthin und verweilte auf den edlen Zügen des +Freigelassenen. Es muß ihn doch ein wenig schmerzen, ihn freizugeben." + +"Denke nicht also von dem Mann! Meinst du, tausend Tomans schmerzen +ihn, der jeden Tag das Dreifache einnimmt?" sagte der alte Mann. +"Aber wenn sein Blick mit Kummer auf dem Jüngling weilt, so denkt er +wohl an seinen Sohn, der in der Fremde schmachtet; er denkt wohl, ob +dort vielleicht ein barmerziger Mann wohne, der ihn loskaufe und +zurückschicke zum Vater. " + +"Ihr mögt recht haben", erwiderte der junge Kaufmann, "und ich schäme +mich, daß ich von den Leuten nur immer das Gemeinere und Unedle denke, +während Ihr lieber eine schöne Gesinnung unterlegt. Und doch sind +die Menschen in der Regel schlecht, habt Ihr dies nicht auch gefunden, +Alter?" + +"Gerade, weil ich dies nicht gefunden habe, denke ich gerne gut von +den Menschen", antwortete dieser, "es ging mir gerade wie euch; ich +lebte so in den Tag hinein, hörte viel Schlimmes von den Menschen, +mußte selbst an mir viel Schlechtes erfahren und fing an, die +Menschen alle für schlechte Geschöpfe zu halten. Doch da fiel mir +bei, daß Allah, der so gerecht ist als weise, nicht dulden könnte, +daß ein so verworfenes Geschlecht auf dieser schönen Erde hause. Ich +dachte nach über das, was ich gesehen, was ich erlebt hatte, und +siehe--ich hatte nur das Böse gezählt und das Gute vergessen. Ich +hatte nicht achtgegeben, wenn einer eine Handlung der Barmherzigkeit +übte, ich hatte es natürlich gefunden, wenn ganze Familien tugendhaft +lebten und gerecht waren; so oft ich aber Böses, Schlechtes hörte, +hatte ich es wohl angemerkt in meinem Gedächtnis. Da fing ich an, +mit ganz anderen Augen um mich zu schauen; es freute mich, wenn ich +das Gute nicht so sparsam keimen sah, wie ich anfangs dachte; ich +bemerkte das Böse weniger, oder es fiel mir nicht so sehr auf, und so +lernte ich die Menschen lieben, lernte Gutes von ihnen denken und +habe mich in langen Jahren seltener geirrt, wenn ich von einem Gutes +sprach, als wenn ich ihn für geizig oder gemein oder gottlos hielt." + +Der Alte wurde bei diesen Worten von dem Aufseher der Sklaven +unterbrochen, der zu ihm trat und sprach: "Mein Herr, der Scheik von +Alessandria, Ali Banu, hat Euch mit Wohlgefallen in seinem Saale +bemerkt und ladet Euch ein, zu ihm zu treten und Euch neben ihn zu +setzen." + +Die jungen Leute waren nicht wenig erstaunt über die Ehre, die dem +Alten widerfahren sollte, den sie für einen Bettler gehalten, und als +dieser hingegangen war, sich zu dem Scheik zu setzen, hielten sie den +Sklavenaufseher zurück, und der Schreiber fragte ihn: "Beim Bart des +Propheten beschwöre ich dich, sage uns, wer ist dieser alte Mann, mit +dem wir sprachen und den der Scheik also ehrt?" + +"Wie!" rief der Aufseher der Sklaven und schlug vor Verwunderung die +Hände zusammen. "Diesen Mann kennet ihr nicht?" + +"Nein, wir wissen nicht, wer er ist." + +"Aber ich sah euch doch schon einigemal mit ihm auf der Straße +sprechen, und mein Herr, der Scheik, hat dies auch bemerkt und erst +letzthin gesagt: 'Das müssen wackere junge Leute sein, die dieser +Mann eines Gespräches würdigt.'" + +"Aber, so sage doch, wer er ist!" rief der junge Kaufmann in höchster +Ungeduld. + +"Gehet, Ihr wollet mich nur zum Narren haben", antwortete der +Sklavenaufseher. "In diesen Saal kommt sonst niemand, wer nicht +ausdrücklich eingeladen ist, und heute ließ der Alte dem Scheik sagen, +er werde einige junge Männer in seinen Saal mitbringen, wenn es ihm +nicht ungelegen sei, und Ali Banu ließ ihm sagen, er habe über sein +Haus zu gebieten." + +"Lasse uns nicht länger in Ungewißheit; so wahr ich lebe, ich weiß +nicht, wer dieser Mann ist. Wir lernten ihn zufällig kennen und +sprachen mit ihm." + +"Nun, dann dürfet ihr euch glücklich preisen; denn ihr habt mit einem +gelehrten, berühmten Mann gesprochen, und alle Anwesenden ehren und +bewundern euch deshalb; es ist niemand anders als Mustapha, der +gelehrte Derwisch." + +"Mustapha, der weise Mustapha, der den Sohn des Scheik erzogen hat? +Der viele gelehrte Bücher schrieb, der große Reisen machte in alle +Weltteile! Mit Mustapha haben wir gesprochen? Und gesprochen, als +wär' er unsereiner, so ganz ohne alle Ehrerbietung?" So sprachen die +jungen Männer untereinander und waren sehr beschämt; denn der +Derwisch Mustapha galt damals für den weisesten und gelehrtesten Mann +im ganzen Morgenland. + +"Tröst' euch darüber", antwortete der Sklavenaufseher, seid froh, daß +ihr ihn nicht kanntet; er kann es nicht leiden, wenn man ihn lobt, +und hättet ihr ihn ein einziges Mal die Sonne der Gelehrsamkeit oder +das Gestirn der Weisheit genannt, wie es gebräuchlich ist bei Männern +dieser Axt, er hätte euch von Stund' an verlassen. Doch ich muß +jetzt zurück zu den Leuten, die heute erzählen. Der, der jetzt kommt, +ist tief hinten in Frankistan gebürtig, wollen sehen, was er weiß." + +So sprach der Sklavenaufseher; der aber, an welchen jetzt die Reihe +zu erzählen kam, stand auf und sprach: "Herr! ich bin aus einem Lande, +das weit gegen Mitternacht liegt, Norwegen genannt, wo die Sonne +nicht, wie in deinem gesegneten Vaterlande, Feigen und Zitronen kocht, +wo sie nur wenige Monde über die grüne Erde scheint und ihr im Flug +sparsame Blüten und Früchte entlockt. Du sollst, wenn es dir +angenehm ist, ein paar Märchen hören, wie man sie bei uns in den +warmen Stuben erzählt, wenn das Nordlicht über die Schneefelder +flimmert." (Im Märchenalmanach auf das Jahr 1827 standen hier "Das +Fest der Unterirdischen" (norwegisches Märchen nach mündlicher +Überlieferung) und "Schneeweißchen und Rosenrot" von Wilhelm Grimm) + +Noch waren die jungen Männer im Gespräch über diese Märchen und über +den Alten, den Derwisch Mustapha; sie fühlten sich nicht wenig geehrt, +daß ein so alter und berühmter Mann sie seiner Aufmerksamkeit +gewürdigt und sogar öfters mit ihnen gesprochen und gestritten hatte. +Da kam plötzlich der Aufseher der Sklaven zu ihnen und lud sie ein, +ihm zum Scheik zu folgen, der sie sprechen wolle. + +Den Jünglingen pochte das Herz. Noch nie hatten sie mit einem so +vornehmen Mann gesprochen, nicht einmal allein, viel weniger in so +großer Gesellschaft. Doch sie faßten sich, um nicht als Toren zu +erscheinen, und folgten dem Aufseher der Sklaven zum Scheik. Ali +Banu saß auf einem reichen Polster und nahm Sorbet zu sich. Zu +seiner Rechten saß der Alte, sein dürftiges Kleid ruhte auf +herrlichen Polstern, seine ärmlichen Sandalen hatte er auf einen +reichen Teppich von persischer Arbeit gestellt; aber sein schöner +Kopf, sein Auge voll Würde und Weisheit zeigten an, daß er würdig sei, +neben einem Mann wie dem Scheik zu sitzen. + +Der Scheik war sehr ernst, und der Alte schien ihm Trost und Mut +zuzusprechen. Die Jünglinge glaubten auch in ihrem Ruf vor das +Angesicht des Scheik eine List des Alten zu entdecken, der +wahrscheinlich den trauernden Vater durch ein Gespräch mit ihnen +zerstreuen wollte. + +"Willkommen, ihr jungen Männer", sprach der Scheik, "willkommen in +dem Hause Ali Banus! Mein alter Freund hier hat sich meinen Dank +verdient, daß er euch hier einführte; doch zürnte ich ihm ein wenig, +daß er mich nicht früher mit euch bekannt machte. Wer von euch ist +denn der junge Schreiber?" + +"Ich, o Herr und zu Euren Diensten!" sprach der junge Schreiber, +indem er die Arme über der Brust kreuzte und sich tief verbeugte. + +"Ihr hört also gerne Geschichten und leset gerne Bücher mit schönen +Versen und Denksprüchen?" + +Der junge Mensch erschrak und errötete; denn ihm fiel bei, wie er +damals den Scheik bei dem Alten getadelt und gesagt hatte, an seine +Stelle würde er sich erzählen oder aus Büchern vorlesen lassen. Er +war dem schwatzhaften Alten, der dem Scheik gewiß alles verraten +hatte, in diesem Augenblicke recht gram, warf ihm einen bösen Blick +zu und sprach dann: "O Herr! Allerdings kenne ich für meinen Teil +keine angenehmere Beschäftigung, als mit dergleichen den Tag +zuzubringen. Es bildet den Geist und vertreibt die Zeit. Aber jeder +nach seiner Weise! Ich tadle darum gewiß keinen, der nicht--" + +"Schon gut, schon gut", unterbrach ihn der Scheik lachend und winkte +den zweiten herbei. + +"Wer bist denn du?" fragte er ihn. + +"Herr, ich bin meines Amtes der Gehilfe eines Arztes und habe selbst +schon einige Kranke geheilt." + +"Richtig", erwiderte der Scheik, "und Ihr seid es auch, der das +Wohlleben liebet; Ihr möchtet gerne mit guten Freunden hier und da +tafeln und guter Dinge sein? Nicht wahr, ich habe es erraten?" + +Der junge Mann war beschämt; er fühlte, daß er verraten war und daß +der Alte auch von ihm gebeichtet haben mußte. Er faßte sich aber ein +Herz und antwortete: "O ja, Herr, ich rechne es unter des Lebens +Glückseligkeiten, hier und da mit guten Freunden fröhlich sein zu +können. Mein Beutel reicht nun zwar nicht weiter hin, als meine +Freunde mit Wassermelonen oder dergleichen wohlfeilen Sachen zu +bewirten; doch sind wir auch dabei fröhlich, und es läßt sich denken, +daß wir es noch um ein gutes Teil mehr wären, wenn ich mehr Geld +hätte." + +Dem Scheik gefiel diese beherzte Antwort, und er konnte sich nicht +enthalten, darüber zu lachen. "Welcher ist denn der junge Kaufmann?" +fragte er weiter. + +Der junge Kaufmann verbeugte sich mit freiem Anstand vor dem Scheik; +denn er war ein Mensch von guter Erziehung; der Scheik aber sprach: +"Und Ihr? Ihr habt Freude an Musik und Tanz? Ihr höret es gerne, +wenn gute Künstler etwas spielen und singen und sehet gerne Tänzer +künstliche Tänze ausführen?" Der junge Kaufmann antwortete: "Ich sehe +wohl, o Herr, daß jener alte Mann, um Euch zu belustigen, unsere +Torheiten insgesamt verraten hat. Wenn es ihm gelang, Euch dadurch +aufzuheitern, so habe ich gerne zu Eurem Scherz gedient. Was aber +Musik und Tanz betrifft, so gestehe ich, es gibt nicht leicht etwas, +was mein Herz also vergnügt. Doch glaubet nicht, daß ich deswegen +Euch tadle, o Herr, wenn Ihr nicht ebenfalls--" + +"Genug, nicht weiter!" rief der Scheik, lächelnd mit der Hand +abwehrend. "Jeder nach seiner Weise, wollet Ihr sagen; aber dort +steht ja noch einer; das ist wohl der, welcher so gerne reisen +möchte? Wer seid denn Ihr, junger Herr?" + +"Ich bin ein Maler, o Herr", antwortete der junge Mann, "ich male +Landschaften teils an die Wände der Säle, teils auf Leinwand. Fremde +Länder zu sehen, ist allerdings mein Wunsch; denn man sieht dort +allerlei schöne Gegenden, die man wieder anbringen kann; und was man +sieht und abzeichnet, ist doch in der Regel immer schöner, als was +man nur so selbst erfindet." + +Der Scheik betrachtete jetzt die schönen jungen Leute, und sein Blick +wurde ernst und düster. "Ich hatte einst auch einen lieben Sohn", +sagte er, "und er müßte nun auch so herangewachsen sein wie ihr. Da +solltet ihr seine Genossen und Begleiter sein, und jeder eurer +Wünsche würde von selbst befriedigt werden. Mit jenem würde er lesen, +mit diesem Musik hören, mit dem anderen würde er gute Freunde +einladen und fröhlich und guter Dinge sein, und mit dem Maler ließe +ich ihn ausziehen in schöne Gegenden und wäre dann gewiß, daß er +immer wieder zu mir zurückkehrte. So hat es aber Allah nicht gewollt, +und ich füge mich in seinen Willen ohne Murren. Doch es steht in +meiner Macht, eure Wünsche dennoch zu erfüllen, und ihr sollt +freudigen Herzens von Ali Banu gehen. Ihr, mein gelehrter Freund", +fuhr er fort, indem er sich zu dem Schreiber wandte, "wohnt von jetzt +an in meinem Hause und seid über meine Bücher gesetzt. Ihr könnet +noch dazu anschaffen, was Ihr wollet und für gut haltet, und Euer +einziges Geschäft sei, mir, wenn Ihr etwas recht Schönes gelesen habt, +zu erzählen. Ihr, der Ihr eine gute Tafel unter Freunden liebet, +Ihr sollet der Aufseher über meine Vergnügungen sein. Ich selbst +zwar lebe einsam und ohne Freude, aber es ist meine Pflicht, und mein +Amt bringt es mit sich, hier und da viele Gäste einzuladen. Dort +sollet Ihr an meiner Stelle alles besorgen und könnet von Euren +Freunden dazu einladen, wen Ihr nur wollet; versteht sich, auf etwas +Besseres als Wassermelonen. Den jungen Kaufmann da darf ich freilich +seinem Geschäft nicht entziehen, das ihm Geld und Ehre bringt; aber +alle Abende stehen Euch, mein junger Freund, Tänzer, Sänger und +Musikanten zu Dienste, so viel Ihr wollet. Lasset Euch aufspielen +und tanzen nach Herzenslust. Und Ihr", sprach er zu dem Maler, "Ihr +sollet fremde Länder sehen und das Auge durch Erfahrung schärfen. +Mein Schatzmeister wird Euch zu der ersten Reise, die Ihr morgen +antreten könnet, tausend Goldstücke reichen nebst zwei Pferden und +einem Sklaven. Reiset, wohin Euch das Herz treibt, und wenn Ihr +etwas Schönes sehet, so malet es für mich!" + +Die jungen Leute waren außer sich vor Erstaunen, sprachlos vor Freude +und Dank. Sie wollten den Boden vor den Füßen des gültigen Mannes +küssen; aber er ließ es nicht zu. "Wenn ihr einem zu danken habt", +sprach er, "so ist es diesem weisen Mann hier, der mir von euch +erzählte. Auch mir hat er dadurch Vergnügen gemacht, vier so muntere +junge Leute eurer Art kennenzulernen." + +Der Derwisch Mustapha aber wehrte den Dank der Jünglinge ab. "Sehet", +sprach er, "wie man nie voreilig urteilen muß; habe ich euch zuviel +von diesem edlen Manne gesagt?" + +"Lasset uns nun noch den letzten meiner Sklaven, die heute frei sind, +erzählen hören", unterbrach ihn Ali Banu. + +Jener junge Sklave, der die Aufmerksamkeit aller durch seinen Wuchs, +durch seine Schönheit und seinen mutigen Blick auf sich gezogen hatte, +stand jetzt auf, verbeugte sich vor dem Scheik und fing wohltönend +also zu sprechen an: + + + + +Das Fest der Unterirdischen + +Wilhelm Grimm + + +Im "Märchenalmanach auf das Jahr 1827" stand hier "Das Fest der +Unterirdischen" von Wilhelm Grimm. + + + + + + +Schneeweißchen und Rosenrot + +Wilhelm Grimm + + +Im "Märchenalmanach auf das Jahr 1827" stand hier "Schneeweißchen und +Rosenrot" von Wilhelm Grimm. + + + + + + +Die Geschichte Almansors + +Wilhelm Hauff + + +O Herr! Die Männer, die vor mir gesprochen haben, erzählten +mancherlei wunderbare Geschichten, die sie gehört hatten in fremden +Ländern; ich muß mit Beschämung gestehen, daß ich keine einzige +Erzählung weiß, die Eurer Aufmerksamkeit würdig wäre. Doch wenn es +Euch nicht langweilt, will ich Euch die wunderbaren Schicksale eines +meiner Freunde vortragen. + +Auf jenem algerischen Kaperschiff, von welchem mich Eure milde Hand +befreit hat, war ein junger Mann in meinem Alter, der mir nicht für +das Sklavenkleid geboren schien, das er trug. Die übrigen +Unglücklichen auf dem Schiffe waren entweder rohe Menschen, mit denen +ich nicht leben mochte, oder Leute, deren Sprache ich nicht verstand; +darum fand ich mich zu der Zeit, wo wir ein Stündchen frei hatten, +gerne zu dem jungen Mann. Er nannte sich Almansor und war seiner +Aussprache nach ein Ägypter. Wir unterhielten uns recht angenehm +miteinander und kamen eines Tages auch darauf, uns unsere Geschichte +zu erzählen, da dann die meines Freundes allerdings bei weitem +merkwürdiger war als die meinige. + +Almansors Vater war ein vornehmer Mann in einer ägyptischen Stadt, +deren Namen er mir nicht nannte. Er lebte die Tage seiner Kindheit +vergnügt und froh und umgeben von allem Glanz und aller +Bequemlichkeit der Erde. Aber er wurde dabei doch nicht weichlich +erzogen, und sein Geist wurde frühzeitig ausgebildet; denn sein Vater +war ein weiser Mann, der ihm Lehren der Tugend gab, und überdies +hatte er zum Lehrer einen berühmten Gelehrten, der ihn in allem +unterrichtete, was ein junger Mensch wissen muß--Almansor war etwa +zehn Jahre alt, als die Franken über das Meer her in das Land kamen +und Krieg mit seinem Volke führten. + +Der Vater des Knaben mußte aber den Franken nicht sehr günstig +gewesen sein; denn eines Tages, als er eben zum Morgengebet gehen +wollte, kamen sie und verlangten zuerst seine Frau als Geisel seiner +treuen Gesinnungen gegen das Frankenvolk, und als er sie nicht geben +wollte, schleppten sie seinen Sohn mit Gewalt ins Lager. + +Als der junge Sklave also erzählte, verhüllte der Scheik sein +Angesicht, und es entstand ein Murren des Unwillens im Saal. "Wie", +riefen die Freunde des Scheik, "wie kann der junge Mann dort so +töricht handeln und durch solche Geschichten die Wunden Ali Banus +aufreißen, statt sie zu mildern? Wie kann er ihm seinen Schmerz +erneuern, statt ihn zu zerstreuen?" Der Sklavenaufseher selbst war +voll Zorn über den unverschämten Jüngling und gebot ihm zu schweigen. + +Der junge Sklave aber war sehr erstaunt über dies alles und fragte +den Scheik, ob denn in seiner Erzählung etwas liege, das sein +Mißfallen erregt habe. Der Scheik richtete sich auf und sprach: +"Seid doch ruhig, Freunde; wie kann denn dieser Jüngling etwas von +meinem betrübten Schicksal wissen, da er nur kaum drei Tage unter +diesem Dache ist! Kann es denn bei den Greueln, die diese Franken +verübten, nicht ein ähnliches Geschick wie das meine geben? Kann +nicht vielleicht selbst jener Almansor--doch erzähle immer weiter, +mein junger Freund!" Der junge Sklave verbeugte sich und fuhr fort: + +Der junge Almansor wurde also in das fränkische Lager geführt. Es +erging ihm dort im ganzen gut; denn einer der Feldherrn ließ ihn in +sein Zelt kommen und hatte seine Freude an den Antworten des Knaben, +die ihm ein Dragoman übersetzen mußte; er sorgte für ihn, daß ihm an +Speise und Kleidung nichts abginge; aber die Sehnsucht nach Vater und +Mutter machte dennoch den Knaben höchst unglücklich. Er weinte viele +Tage lang, aber seine Tränen rührten diese Männer nicht. Das Lager +wurde aufgebrochen, und Almansor glaubte jetzt wieder zurückkehren zu +dürfen; aber es war nicht so; das Heer zog hin und her, führte Krieg +mit den Mamelucken, und den jungen Almansor schleppten sie immer mit +sich. Wenn er dann die Hauptleute und Feldherren anflehte, ihn doch +wieder heimkehren zu lassen, so verweigerten sie es und sagten, er +müsse ein Unterpfand von seines Vaters Treue sein. So war er viele +Tage lang auf dem Marsch. + +Auf einmal aber entstand eine Bewegung im Heere, die dem Knaben nicht +entging; man sprach von Einpacken, von Zurückziehen, vom Einschiffen, +und Almansor war außer sich vor Freude; denn jetzt, wenn die Franken +in ihr Land zurückkehrten, jetzt mußte er ja frei werden. Man zog +mit Roß und Wagen rückwärts gegen die Küste, und endlich war man so +weit, daß man die Schiffe vor Anker liegen sah. Die Soldaten +schifften sich ein; aber es wurde Nacht, bis nur ein kleiner Teil +eingeschifft war. So gerne Almansor gewacht hätte, weil er jede +Stunde glaubte, freigelassen zu werden, so verfiel er doch endlich in +einen tiefen Schlaf, und er glaubte, die Franken haben ihm etwas +unter das Wasser gemischt, um ihn einzuschläfern. Denn als er +aufwachte, schien der helle Tag in eine kleine Kammer, worin er nicht +gewesen war, als er einschlief. Er sprang auf von seinem Lager, aber +als er auf den Boden kam, fiel er um; denn der Boden schwankte hin +und wieder, und es schien sich alles zu bewegen und im Kreis um ihn +her zu tanzen. Er raffte sich auf, hielt sich an den Wänden fest, um +aus dem Gemach zu kommen, worin er sich befand. + +Ein sonderbares Brausen und Zischen war um ihn her; er wußte nicht, +ob er träume oder wache; denn er hatte nie Ähnliches gesehen oder +gehört. Endlich erreichte er eine kleine Treppe, mit Mühe klimmte er +hinauf, und welcher Schrecken befiel ihn! Ringsumher war nichts als +Himmel und Meer, er befand sich auf einem Schiffe. Da fing er +kläglich an zu weinen. Er wollte zurückgebracht werden, er wollte +ins Meer sich stürzen und hinüberschwimmen nach seiner Heimat; aber +die Franken hielten ihn fest, und einer der Befehlshaber ließ ihn zu +sich kommen, versprach ihm, wenn er gehorsam sei, solle er bald +wieder in seine Heimat zurück, und stellte ihm vor, daß es nicht mehr +möglich gewesen wäre, ihn vom Land aus nach Hause zu bringen, dort +aber hätte er, wenn man ihn zurückgelassen, elendiglich umkommen +müssen. + +Wer aber nicht Wort hielt, waren die Franken; denn das Schiff segelte +viele Tage lang weiter, und als es endlich landete, war man nicht an +Ägyptens Küste, sondern in Frankistan! Almansor hatte während der +langen Fahrt und schon im Lager einiges von der Sprache der Franken +verstehen und sprechen gelernt, was ihm in diesem Lande, wo niemand +seine Sprache kannte, sehr gut zustatten kam. Er wurde viele Tage +lang durch das Land in das Innere geführt, und überall strömte das +Volk zusammen, um ihn zu sehen; denn seine Begleiter sagten aus, er +wäre der Sohn des Königs von Ägypten, der ihn zu seiner Ausbildung +nach Frankistan schicke. + +So sagten aber die Soldaten nur, um das Volk glauben zu machen, sie +haben Ägypten besiegt und stehen in tiefem Frieden mit diesem Land. +Nachdem die Reise zu Land mehrere Tage gedauert hatte, kamen sie in +eine große Stadt, dem Ziel ihrer Reise. Dort wurde er einem Arzt +übergeben, der ihn in sein Haus nahm und in allen Sitten und +Gebräuchen von Frankistan unterwies. + +Er mußte vor allem fränkische Kleider anlegen, die sehr enge und +knapp waren und bei weitem nicht so schön wie seine ägyptischen. +Dann durfte er nicht mehr seine Verbeugung mit gekreuzten Armen +machen, sondern wollte er jemand seine Ehrerbietung bezeugen, so +mußte er mit der einen Hand die ungeheure Mütze von schwarzem Filz, +die alle Männer trugen und die man auch ihm aufgesetzt hatte, vom +Kopfe reißen, mit der anderen Hand mußte er auf die Seite fahren und +mit dem rechten Fuß auskratzen. Er durfte auch nicht mehr mit +überschlagenen Beinen sitzen, wie es angenehme Sitte ist im +Morgenlande, sondern auf hochbeinige Stühle mußte er sich setzen und +die Füße herabhängen lassen auf den Boden. Das Essen machte ihm auch +nicht geringe Schwierigkeit; denn alles, was er zum Munde bringen +wollte, mußte er zuvor auf eine Gabel von Eisen stecken. + +Der Doktor aber war ein strenger, böser Mann, der den Knaben plagte: +Denn wenn er sich jemals vergaß und zu einem Besuch sagte: "Salem +aleikum", so schlug er ihn mit dem Stock; denn er sollte sagen: +"Votre serviteur!" Er durfte auch nicht mehr in seiner Sprache denken +und sprechen oder schreiben, höchstens durfte er darin träumen, und +er hätte vielleicht seine Sprache gänzlich verlernt, wenn nicht ein +Mann in jener Stadt gelebt hätte, der ihm von großem Nutzen war. + +Es war dies ein alter, aber sehr gelehrter Mann, der viele +morgenländische Sprachen verstand. Arabisch, Persisch, Koptisch, +sogar Chinesisch, von jedem etwas; er galt in jenem Land für ein +Wunder von Gelehrsamkeit, und man gab ihm viel Geld, daß er diese +Sprachen andere Leute lehrte. Dieser Mann ließ nun den jungen +Almansor alle Wochen einigemal zu sich kommen, bewirtete ihn mit +seltenen Früchten und dergleichen, und dem Jüngling war es dann, als +wäre er zu Haus. Denn der alte Herr war gar ein sonderbarer Mann. +Er hatte Almansor Kleider machen lassen, wie sie vornehme Leute in +Ägypten tragen. Diese Kleider bewahrte er in seinem Hause in einem +besonderen Zimmer auf. Kam nun Almansor, so schickte er ihn mit +einem Bediensteten in jenes Zimmer und ließ ihn ganz nach seiner +Landessitte ankleiden. Von da ging es dann nach "Kleinarabien"; so +nannte man einen Saal im Hause des Gelehrten. + +Dieser Saal war mit allerlei künstlich aufgezogenen Bäumen, als +Palmen, Bambus, jungen Zedern und dergleichen, und mit Blumen +ausgeschmückt, die nur im Morgenland wachsen. Persische Teppiche +lagen auf dem Fußboden, und an den Wänden waren Polster, nirgends +aber ein fränkischer Stuhl oder Tisch. Auf einem dieser Polster saß +der alte Professor; er sah aber ganz anders aus als gewöhnlich; um +den Kopf hatte er einen feinen türkischen Schal als Turban gewunden, +er hatte einen grauen Bart umgeknüpft, der ihm bis zum Gürtel reichte +und aussah wie ein natürlicher, ehrwürdiger Bart eines gewichtigen +Mannes. Dazu trug er einen Talar, den er aus einem brokatnen +Schlafrock hatte machen lassen, weite türkische Beinkleider, gelbe +Pantoffeln, und so friedlich er sonst war, an diesen Tagen hatte er +einen türkischen Säbel umgeschnallt, und im Gürtel stak ein Dolch, +mit falschen Steinen besetzt. Dazu rauchte er aus einer zwei Ellen +langen Pfeife und ließ sich von seinen Leuten bedienen, die ebenfalls +persisch gekleidet waren und wovon die Hälfte Gesicht und Hände +schwarz gefärbt hatte. + +Von Anfang wollte dies alles dem jungen Almansor gar wunderlich +bedünken; aber bald sah er ein, daß solche Stunden, wenn er in die +Gedanken des Alten sich fügte, sehr nützlich für ihn seien. Durfte +er beim Doktor kein ägyptisches Wort sprechen, so war hier die +fränkische Sprache sehr verboten. Almansor mußte beim Eintreten den +Friedensgruß sprechen, den der alte Perser sehr feierlich erwiderte; +dann winkte er dem Jüngling, sich neben ihn zu setzen, und begann +Persisch, Arabisch, Koptisch und alle Sprachen untereinander zu +sprechen und nannte dies eine gelehrte morgenländische Unterhaltung. +Neben ihm stand ein Bediensteter oder, was sie an diesem Tage +vorstellten, ein Sklave, der ein großes Buch hielt; das Buch war aber +ein Wörterbuch, und wenn dem Alten die Worte ausgingen, winkte er dem +Sklaven, schlug flugs auf, was er sagen wollte, und fuhr dann zu +sprechen fort. + +Die Sklaven aber brachten in türkischem Geschirr Sorbet und +dergleichen, und wollte Almansor dem Alten ein großes Vergnügen +machen, so mußte er sagen, es sei alles bei ihm angeordnet wie im +Morgenland. Almansor las sehr schön Persisch, und das war der +Hauptvorteil für den Alten. Er hatte viele persische Manuskripte; +aus diesen ließ er sich von dem Jüngling vorlesen, las aufmerksam +nach und merkte sich auf diese Art die richtige Aussprache. + +Das waren die Freudentage des armen Almansor; denn nie entließ ihn +der alte Professor unbeschenkt, und oft trug er sogar kostbare Gaben +an Geld und Leinenzeug oder anderen notwendigen Dingen davon, die ihm +der Doktor nicht geben wollte. So lebte Almansor einige Jahre in der +Hauptstadt des Frankenlandes, und nie wurde seine Sehnsucht nach der +Heimat geringer. Als er aber etwa fünfzehn Jahre alt war, begab sich +ein Vorfall, der auf sein Schicksal großen Einfluß hatte. + +Die Franken nämlich wählten ihren ersten Feldherrn, denselben, mit +welchem Almansor so oft in Ägypten gesprochen hatte, zu ihrem König +und Beherrscher; Almansor wußte zwar und erkannte es an den großen +Festlichkeiten, daß etwas dergleichen in dieser großen Stadt geschehe; +doch konnte er sich nicht denken, daß der König derselbe sei, den er +in Ägypten gesehen; denn jener Feldherr war noch ein sehr junger Mann. +Eines Tages aber ging Almansor über eine jener Brücken, die über +den breiten Fluß fahren, der die Stadt durchströmt; da gewahrte er in +dem einfachen Kleid eines Soldaten einen Mann, der am Brückengeländer +lehnte und in die Wellen sah. Die Züge des Mannes fielen ihm auf, +und er erinnerte sich, ihn schon gesehen zu haben. Er ging also +schnell die Kammern seiner Erinnerung durch, und als er an die Pforte +der Kammer von Ägypten kam, da eröffnete sich ihm plötzlich das +Verständnis, daß dieser Mann jener Feldherr der Franken sei, mit +welchem er oft im Lager gesprochen und der immer gütig für ihn +gesorgt hatte. Er wußte seinen rechten Namen nicht genau; er faßte +sich daher ein Herz, trat zu ihm, nannte ihn, wie ihn die Soldaten +unter sich nannten, und sprach, indem er nach seiner Landessitte die +Arme über der Brust kreuzte: "Salem aleikum, Petit-Caporal!" + +Der Mann sah sich erstaunt um, blickte den jungen Menschen mit +scharfen Augen an, dachte über ihn nach und sagte dann: "Himmel, ist +es möglich! Du hier, Almansor? Was macht dein Vater? Wie geht es +in Ägypten? Was führt dich zu uns hierher?" + +Da konnte sich Almansor nicht länger halten; er fing an, bitterlich +zu weinen, und sagte zu dem Mann: "So weißt du also nicht, was die +Hunde, deine Landsleute, mit mir gemacht haben, Petit-Caporal? Du +weißt nicht, daß ich das Land meiner Väter nicht mehr gesehen habe +seit vielen Jahren?" + +"Ich will nicht hoffen", sagte der Mann, und seine Stirne wurde +finster, "ich will nicht hoffen, daß man dich mit hinwegschleppte." + +"Ach, freilich", antwortete Almansor, "an jenem Tage, wo Eure +Soldaten sich einschifften, sah ich mein Vaterland zum letztenmal; +sie nahmen mich mit sich hinweg, und ein Hauptmann, den mein Elend +rührte, zahlt ein Kostgeld für mich bei einem verwünschten Doktor, +der mich schlägt und halb Hungers sterben läßt. Aber höre, +Petit-Caporal", fuhr er ganz treuherzig fort, "es ist gut, daß ich +dich hier traf, du mußt mir helfen." + +Der Mann, zu welchem er dies sprach, lächelte und fragte, auf welche +Weise er denn helfen sollte. + +"Siehe", sagte Almansor, "es wäre unbillig, wollte ich von dir etwas +verlangen; du warst von jeher so gütig gegen mich, aber ich weiß, du +bist auch ein armer Mensch, und wenn du auch Feldherr warst, gingst +du nie so schön gekleidet wie die anderen; auch jetzt mußt du, nach +deinem Rock und Hut zu urteilen, nicht in den besten Umständen sein. +Aber da haben ja die Franken letzthin einen Sultan gewählt, und ohne +Zweifel kennst du Leute, die sich ihm nahen dürfen, etwa seinen +Janitscharen-Aga oder den Reis-Effendi oder seinen Rapudan-Pascha; +nicht?" + +"Nun ja", antwortete der Mann, "aber wie weiter?" + +"Bei diesen könntest du ein gutes Wort für mich einlegen, +Petit-Caporal, daß sie den Sultan der Franken bitten, er möchte mich +freilassen; dann brauche ich auch etwas Geld zur Reise übers Meer; +vor allem aber mußt du mir versprechen, weder dem Doktor noch dem +arabischen Professor etwas davon zu sagen." + +"Wer ist denn der arabische Professor?" fragte jener. "Ach, das ist +ein sonderbarer Mann; doch von diesem erzähle ich dir ein andermal. +Wenn es die beiden hörten, dürfte ich nicht mehr aus Frankistan weg. +Aber willst du für mich sprechen bei den Agas? Sage es mir +aufrichtig!" + +"Komm mit mir", sagte der Mann, "vielleicht kann ich dir jetzt gleich +nützlich sein." + +"Jetzt?" rief der Jüngling mit Schrecken. "Jetzt um keinen Preis, da +würde mich der Doktor prügeln; ich muß eilen, daß ich nach Hause +komme." + +"Was trägst du denn in diesem Korb?" fragte jener, indem er ihn +zurückhielt. + +Almansor errötete und wollte es anfangs nicht zeigen; endlich aber +sagte er: "Siehe, Petit- Caporal, ich muß hier Dienste tun wie der +geringste Sklave meines Vaters. Der Doktor ist ein geiziger Mann und +schickt mich alle Tage von unserem Hause eine Stunde weit auf den +Gemüse- und Fischmarkt; da muß ich dann unter den schmutzigen +Marktweibern einkaufen, weil es dort um einige Kupfermünzen +wohlfeiler ist als in unserem Stadtteil. Siehe, wegen dieses +schlechten Herings, wegen dieser Handvoll Salat, wegen dieses +Stückchens Butter muß ich alle Tage zwei Stunden gehen. Ach, wenn es +mein Vater wüßte!" + +Der Mann, zu welchem Almansor dies sprach, war gerührt über die Not +des Knaben und antwortete: "Komm nur mit mir und sei getrost; der +Doktor soll dir nichts anhaben dürfen, wenn er auch heute weder +Hering noch Salat verspeist! Sei getrosten Mutes und komm!" Er nahm +bei diesen Worten Almansor bei der Hand und führte ihn mit sich, und +obgleich diesem das Herz pochte, wenn er an den Doktor dachte, so lag +doch so viel Zuversicht in den Worten und Mienen des Mannes, daß er +sich entschloß, ihm zu folgen. Er ging also, sein Körbchen am Arm, +neben dem Soldaten viele Straßen durch, und wunderbar wollte es ihm +bedünken, daß alle Leute die Hüte vor ihnen abnahmen und +stehenblieben und ihnen nachschauten. Er äußerte dies auch gegen +seinen Begleiter, dieser aber lachte und sagte nichts darüber. + +Sie gelangten endlich an ein prachtvolles Schloß, auf welches der +Mann zuging. "Wohnst du hier, Petit-Caporal?" fragte Almansor. + +"Hier ist meine Wohnung", entgegnete jener, "und ich will dich zu +meiner Frau führen." + +"Ei, da wohnst du schön!" fahr Almansor fort. "Gewiß hat dir der +Sultan hier freie Wohnung gegeben?" + +"Diese Wohnung habe ich vom Kaiser, du hast recht", antwortete sein +Begleiter und führte ihn in das Schloß. Dort stiegen sie eine breite +Treppe hinan, und in einem schönen Saal hieß er ihn seinen Korb +absetzen und trat dann mit ihm in ein prachtvolles Gemach, wo eine +Frau auf einem Diwan saß. Der Mann sprach mit ihr in einer fremden +Sprache, worauf sie beide nicht wenig lachten, und die Frau fragte +dann Almansor in fränkischer Sprache vieles über Ägypten. Endlich +sagte Petit-Caporal zu dem Jüngling: "Weißt du, was das beste ist? +Ich will dich gleich selbst zum Kaiser führen und bei ihm für dich +sprechen." + +Almansor erschrak sehr; aber er gedachte an sein Elend und seine +Heimat. "Dem Unglücklichen", sprach er zu den beiden, "dem +Unglücklichen verleiht Allah einen hohen Mut in der Stunde der Not; +er wird auch mich armen Knaben nicht verlassen. Ich will es tun, ich +will zu ihm gehen. Aber sage, Caporal, muß ich vor ihm niederfallen? +Muß ich die Stirne mit dem Boden berühren? Was muß ich tun?" + +Die beiden lachten von neuem und versicherten, dies alles sei nicht +nötig. + +"Sieht er schrecklich und majestätisch aus?" fragte er weiter, "hat +er einen langen Bart? Macht er feurige Augen? Sage, wie sieht er +aus?" + +Sein Begleiter lachte von neuem und sprach dann: "Ich will dir ihn +lieber gar nicht beschreiben, Almansor, du selbst sollst erraten, +welcher es ist. Nur das will ich dir als Kennzeichen angeben: Alle +im Saale des Kaisers werden, wenn er da ist, die Hüte ehrerbietig +abnehmen; der, welcher den Hut auf dem Kopf behält, der ist der +Kaiser." Bei diesen Worten nahm er ihn bei der Hand und ging mit ihm +nach dem Saal des Kaisers. Je näher er kam, desto lauter pochte ihm +das Herz, und die Knie fingen ihm an zu zittern, als sie sich der +Türe näherten. Ein Bediensteter öffnete die Türe, und da standen in +einem Halbkreis wenigstens dreißig Männer, alle prächtig gekleidet +und mit Gold und Sternen überdeckt, wie es Sitte ist im Lande der +Franken bei den vornehmsten Agas und Bassas der Könige; und Almansor +dachte, sein Begleiter, der so unscheinbar gekleidet war, müsse der +Geringsten einer sein unter diesen. Sie hatten alle das Haupt +entblößt, und Almansor fing nun an, nach dem zu suchen, der den Hut +auf dem Kopfe hätte; denn dieser mußte der Kaiser sein. Aber +vergebens war sein Suchen. Alle hatten den Hut in der Hand, und der +Kaiser mußte also nicht unter ihnen sein; da fiel kein Blick zufällig +auf seinen Begleiter, und siehe--dieser hatte den Hut auf dem Kopfe +sitzen! + +Der Jüngling war erstaunt, betroffen. Er sah seinen Begleiter lange +an und sagte dann, indem er selbst seinen Hut abnahm: "Salem aleikum, +Petit-Caporal! Soviel ich weiß, bin ich selbst nicht der Sultan der +Franken, also kommt es mir nicht zu, mein Haupt zu bedecken; doch du +bist der, der den Hut trägt--Petit-Caporal, bist denn du der Kaiser?". + +"Du hast's erraten", antwortete jener, "und überdies bin ich dein +Freund. Schreibe dein Unglück nicht mir, sondern einer unglücklichen +Verwirrung der Umstände zu, und sei versichert, daß du mit dem ersten +Schiff in dein Vaterland zurücksegelst. Gehe jetzt wieder hinein zu +meiner Frau, erzähle ihr vom arabischen Professor und was du weißt. +Die Heringe und den Salat will ich dem Doktor schicken; du aber +bleibst für deinen Aufenthalt in meinem Palast." + +So sprach der Mann, der Kaiser war; Almansor aber fiel vor ihm nieder, +küßte seine Hand und bat ihn um Verzeihung, daß er ihn nicht erkannt +habe; er habe es ihm gewiß nicht angesehen, daß er Kaiser sei. + +"Du hast recht", erwiderte jener lachend, "wenn man nur wenige Tage +Kaiser ist, kann man es nicht an der Stirne geschrieben haben." So +sprach er und winkte ihm, sich zu entfernen. + +Seit diesem Tage lebte Almansor glücklich und in Freuden. + +Den arabischen Professor, von welchem er dem Kaiser erzählte, durfte +er noch einigemal besuchen den Doktor aber sah er nicht mehr. Nach +einigen Wochen ließ ihn der Kaiser zu sich rufen und kündigte ihm an, +daß ein Schiff vor Anker liege, mit dem er ihn nach Ägypten senden +wolle. Almansor war außer sich vor Freude; wenige Tage reichten hin, +um ihn auszurüsten, und mit einem Herzen voll Dankes und mit Schätzen +und Geschenken reich beladen, reiste er vom Kaiser ab ans Meer und +schiffte sich ein. + +Aber Allah wollte ihn noch länger prüfen, wollte seinen Mut im +Unglück noch länger stählen und ließ ihn die Küste seiner Heimat noch +nicht sehen. Ein anderes fränkisches Volk, die Engländer, führten +damals Krieg mit dem Kaiser auf der See. Sie nahmen ihm alle Schiffe +weg, die sie besiegen konnten, und so kam es, daß am sechsten Tage +der Reise das Schiff, auf welchem sich Almansor befand, von +englischen Schiffen umgeben und beschossen wurde; es mußte sich +ergeben, und die ganze Mannschaft wurde auf ein kleineres Schiff +gebracht, das mit den anderen weitersegelte. Doch auf der See ist es +nicht weniger unsicher als in der Wüste, wo unversehens die Räuber +auf die Karawanen fallen und totschlagen und plündern. Ein Kaper von +Tunis überfiel das kleine Schiff, das der Sturm von den größeren +Schiffen getrennt hatte, und--es wurde genommen und alle Mannschaft +nach Algier geführt und verkauft. + +Almansor kam zwar nicht in so harte Sklaverei als die Christen, weil +er ein rechtgläubiger Muselmann war, aber dennoch war jetzt alle +Hoffnung verschwunden, die Heimat und den Vater wiederzusehen. Dort +lebte er bei einem reichen Manne fünf Jahre und mußte die Blumen +begießen und den Garten bauen. Da starb der reiche Mann ohne nahe +Erben, seine Besitzungen wurden zerrissen, seine Sklaven geteilt, und +Almansor fiel in die Hände eines Sklavenmaklers. Dieser rüstete um +diese Zeit ein Schiff aus, um seine Sklaven anderwärts teurer zu +verkaufen. Der Zufall wollte, daß ich selbst ein Sklave dieses +Händlers war und auf dasselbe Schiff kam, wo auch Almansor sich +befand. Dort lernten wir uns kennen, und dort erzählte er mir seine +wunderbaren Schicksale. Doch--als wir landeten, war ich Zeuge der +wunderbarsten Fügung Allahs; es war die Küste seines Vaterlandes, an +welche wir aus dem Boot stiegen, es war der Markt seiner Vaterstadt, +wo wir öffentlich ausgeboten wurden, und, o Herr, daß ich es kurz +sage, es war sein eigener, sein teurer Vater, der ihn kaufte! + +Der Scheik Ali Banu war in tiefes Nachdenken versunken über diese +Erzählung; sie hatte ihn unwillkürlich mit sich fortgerissen, seine +Brust hob sich, sein Auge glühte, und er war oft nahe daran, seinen +jungen Sklaven zu unterbrechen; aber das Ende der Erzählung schien +ihn nicht zu befriedigen. + +"Er könnte jetzt einundzwanzig Jahre haben, sagst du?" so fing er an +zu fragen. + +"Herr, er ist in meinem Alter, ein- bis zweiundzwanzig Jahre." + +"Und welche Stadt nannte er seine Geburtsstadt? Das hast du uns noch +nicht gesagt." + +"Wenn ich nicht irre", antwortete jener, "so war es Alessandria!" + +"Alessandria!" rief der Scheik. "Es ist mein Sohn; wo ist er +geblieben? Sagtest du nicht, daß er Kairam hieß? Hat er dunkle +Augen und braunes Haar?" + +"Er hat es, und in traulichen Stunden nannte er sich Kairam und nicht +Almansor." + +"Aber, Allah! Allah! Sage mir doch, sein Vater hätte ihn vor deinen +Augen gekauft, sagst du? Sagte er, es sei sein Vater? Also ist er +doch nicht mein Sohn!" + +Der Sklave antwortete: "Er sprach zu mir: "Allah sei gepriesen nach +so langem Unglück: Das ist der Marktplatz meiner Vaterstadt." Nach +einer Weile aber kam ein vornehmer Mann um die Ecke; da rief er: "Oh, +was für ein teures Geschenk des Himmels sind die Augen! Ich sehe +noch einmal meinen ehrwürdigen Vater!" Der Mann aber trat zu uns, +betrachtet diesen und jenen und kauft endlich den, dem dies alles +begegnet ist. Da rief er Allah an, sprach ein heißes Dankgebet und +flüsterte mir zu: "Jetzt gehe ich wieder ein in die Hallen meines +Glückes, es ist mein eigener Vater, der mich gekauft hat."" + +"Es ist also doch nicht mein Sohn, mein Kairam!" sagte der Scheik, +von Schmerz bewegt. + +Da konnte sich der Jüngling nicht mehr zurückhalten; Tränen der +Freude entstürzten seinen Augen, er warf sich nieder vor dem Scheik +und rief: "Und dennoch ist es Euer Sohn, Kairam: Almansor; denn Ihr +seid es, der ihn gekauft hat." "Allah, Allah! Ein Wunder, ein großes +Wunder!" riefen die Anwesenden und drängten sich herbei; der Scheik +aber stand sprachlos und staunte den Jüngling an, der sein schönes +Antlitz zu ihm aufhob. "Mein Freund Mustapha!" sprach er zu dem +alten Derwisch, "vor meinen Augen hängt ein Schleier von Tränen, daß +ich nicht sehen kann, ob die Züge seiner Mutter, die mein Kairam trug, +auf seinem Gesicht eingegraben sind. Trete du her und schaue ihn an!" + +Der Alte trat herzu, sah ihn lange an, legte seine Hand auf die +Stirne des jungen Mannes und sprach: "Kairam! Wie hieß der Spruch, +den ich dir am Tage, des Unglücks mitgab ins Lager der Franken?" + +"Mein teurer Lehrer!" antwortete der Jüngling, indem er die Hand des +Alten an seine Lippen zog, "er hieß: So einer Allah liebt und ein +gutes Gewissen hat, ist er auch in der Wüste des Elends nicht allein; +denn er hat zwei Gefährten, die ihm tröstend zur Seite gehen." + +Da hob der Alte seine Augen dankend auf zum Himmel, zog den Jüngling +herauf an seine Brust und gab ihn dem Scheik und sprach: "Nimm ihn +hin! So gewiß du zehn Jahre um ihn trauertest, so gewiß ist es dein +Sohn Kairam." + +Der Scheik war außer sich vor Freude und Entzücken; er betrachtete +immer von neuem wieder die Züge des Wiedergefundenen, und unleugbar +fand er das Bild seines Sohnes wieder, wie er ihn verloren hatte. +Und alle Anwesenden teilten seine Freude; denn sie liebten den Scheik, +und jedem unter ihnen war es, als wäre ihm heute ein Sohn geschenkt +worden. + +Jetzt füllte wieder Gesang und Jubel diese Halle wie in den Tagen des +Glückes und der Freude. Noch einmal mußte der Jüngling, und noch +ausführlicher, seine Geschichte erzählen, und alle priesen den +arabischen Professor und den Kaiser und jeden, der sich Kairams +angenommen hatte. Man war beisammen bis in die Nacht, und als man +aufbrach, beschenkte der Scheik jeden seiner Freunde reichlich, auf +daß er immer dieses Freudentages gedenke. + +Die vier jungen Männer aber stellte er seinem Sohne vor und lud sie +ein, ihn immer zu besuchen, und es war ausgemachte Sache, daß er mit +dem Schreiber lesen, mit dem Maler kleine Reisen machen sollte, daß +der Kaufmann Gesang und Tanz mit ihm teile und der andere alle +Vergnügungen für sie bereiten solle. Auch sie wurden reich beschenkt +und traten freudig aus dem Hause des Scheik. + +"Wem haben wir dies alles zu verdanken", sprachen sie untereinander, +"wem anders als dem Alten? Wer hätte dies damals gedacht, als wir +vor diesem Hause standen und über den Scheik loszogen?" + +"Und wie leicht hätte es uns einfallen können, die Lehren des alten +Mannes zu überhören", sagte ein anderer, "oder ihn gar zu verspotten? +Denn er sah doch recht zerrissen und ärmlich aus, und wer könne +denken, daß dies der weise Mustapha sei?" "Und wunderbar! War es +nicht hier, wo wir unsere Wünsche laut werden ließen?" sprach der +Schreiber. "Da wollte der eine reisen, der andere singen und tanzen, +der dritte gute Gesellschaft haben und ich--Geschichten lesen und +hören, und sind nicht alle unsere Wünsche in Erfüllung gegangen? +Darf ich nicht alle Bücher des Scheik lesen und kaufen, was ich +will?" "Und darf ich nicht seine Tafel zurichten und seine schönsten +Vergnügen anordnen und selbst dabeisein?" sagte der andere. + +"Und ich, so oft mich mein Herz gelüstet, Gesang und Saitenspiel zu +hören oder einen Tanz zu sehen, darf ich nicht hingehen und mir seine +Sklaven ausbitten?" + +"Und ich", rief der Maler, "vor diesem Tage war ich arm und konnte +keinen Fuß aus dieser Stadt setzen, und jetzt kann ich reisen, wohin +ich will." + +"Ja", sprachen sie alle, "es war doch gut, daß wir dem Alten folgten, +wer weiß, was aus uns geworden wäre!" + +So sprachen sie und gingen freudig und glücklich nach Hause. + + +Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes "Märchen-Almanach auf das Jahr +1827", von Wilhelm Hauff. + + + + + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Maerchen-Almanach auf das Jahr 1827, by +Wilhelm Hauff + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK MAERCHEN-ALMANACH 1827 *** + +***** This file should be named 6639-8.txt or 6639-8.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/6/6/3/6639/ + +Produced by Delphine Lettau + +Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed. + +Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. 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It exists +because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from +people in all walks of life. + +Volunteers and financial support to provide volunteers with the +assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's +goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will +remain freely available for generations to come. In 2001, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure +and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. +To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation +and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 +and the Foundation information page at www.gutenberg.org + + +Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive +Foundation + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit +501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the +state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal +Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification +number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent +permitted by U.S. federal laws and your state's laws. + +The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. +Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered +throughout numerous locations. Its business office is located at 809 +North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email +contact links and up to date contact information can be found at the +Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact + +For additional contact information: + Dr. Gregory B. Newby + Chief Executive and Director + gbnewby@pglaf.org + +Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation + +Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide +spread public support and donations to carry out its mission of +increasing the number of public domain and licensed works that can be +freely distributed in machine readable form accessible by the widest +array of equipment including outdated equipment. Many small donations +($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt +status with the IRS. + +The Foundation is committed to complying with the laws regulating +charities and charitable donations in all 50 states of the United +States. Compliance requirements are not uniform and it takes a +considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up +with these requirements. We do not solicit donations in locations +where we have not received written confirmation of compliance. 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Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm +concept of a library of electronic works that could be freely shared +with anyone. For forty years, he produced and distributed Project +Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. + +Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. +unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily +keep eBooks in compliance with any particular paper edition. + +Most people start at our Web site which has the main PG search facility: + + www.gutenberg.org + +This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, +including how to make donations to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to +subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. diff --git a/6639-8.zip b/6639-8.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..4556eb8 --- /dev/null +++ b/6639-8.zip diff --git a/LICENSE.txt b/LICENSE.txt new file mode 100644 index 0000000..6312041 --- /dev/null +++ b/LICENSE.txt @@ -0,0 +1,11 @@ +This eBook, including all associated images, markup, improvements, +metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be +in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES. + +Procedures for determining public domain status are described in +the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org. + +No investigation has been made concerning possible copyrights in +jurisdictions other than the United States. Anyone seeking to utilize +this eBook outside of the United States should confirm copyright +status under the laws that apply to them. diff --git a/README.md b/README.md new file mode 100644 index 0000000..2bed901 --- /dev/null +++ b/README.md @@ -0,0 +1,2 @@ +Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for +eBook #6639 (https://www.gutenberg.org/ebooks/6639) diff --git a/old/7alm210.txt b/old/7alm210.txt new file mode 100644 index 0000000..04b5508 --- /dev/null +++ b/old/7alm210.txt @@ -0,0 +1,4105 @@ +The Project Gutenberg EBook of Maerchen-Almanach auf das Jahr 1827 +by Wilhelm Hauff + +Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the +copyright laws for your country before downloading or redistributing +this or any other Project Gutenberg eBook. + +This header should be the first thing seen when viewing this Project +Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the +header without written permission. + +Please read the "legal small print," and other information about the +eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is +important information about your specific rights and restrictions in +how the file may be used. You can also find out about how to make a +donation to Project Gutenberg, and how to get involved. + + +**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts** + +**eBooks Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971** + +*****These eBooks Were Prepared By Thousands of Volunteers!***** + + +Title: Maerchen-Almanach auf das Jahr 1827 + +Author: Wilhelm Hauff + +Release Date: October, 2004 [EBook #6639] +[Yes, we are more than one year ahead of schedule] +[This file was first posted on January 9, 2003] + +Edition: 10 + +Language: German + +Character set encoding: ASCII + +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, MAERCHEN-ALMANACH AUF DAS JAHR 1827 *** + + + + +Thanks are given to Delphine Lettau for finding a huge collection of ancient +German books in London. + + + +This Etext is in German. + +We are releasing two versions of this Etext, one in 7-bit format, +known as Plain Vanilla ASCII, which can be sent via plain email-- +and one in 8-bit format, which includes higher order characters-- +which requires a binary transfer, or sent as email attachment and +may require more specialized programs to display the accents. +This is the 7-bit version. + +This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE. +That project is reachable at the web site http://gutenberg2000.de. + +Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE" +zur Verfügung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse +http://gutenberg2000.de erreichbar. + + + + + +Maerchen-Almanach auf das Jahr 1827 + +Wilhelm Hauff + + +Inhalt: + +Der Scheik von Alessandria und seine Sklaven (Rahmenerzaehlung) +Der Zwerg Nase +Abner, der Jude, der nichts gesehen hat +Der arme Stephan +Der gebackene Kopf +Der Affe als Mensch (Der junge Englaender) +Das Fest der Unterirdischen +Schneeweisschen und Rosenrot +Die Geschichte Almansors + + + + +Der Scheik von Alessandria und seine Sklaven + +Wilhelm Hauff + + +Der Scheik von Alessandria, Ali Banu, war ein sonderbarer Mann; wenn +er morgens durch die Strassen der Stadt ging, angetan mit einem Turban, +aus den koestlichsten Kaschmirs gewunden, mit dem Festkleide und dem +reichen Guertel, der fuenfzig Kamele wert war, wenn er einherging +langsamen, gravitaetischen Schrittes, seine Stirne in finstere Falten +gelegt, seine Augenbrauen zusammengezogen, die Augen niedergeschlagen +und alle fuenf Schritte gedankenvoll seinen langen, schwarzen Bart +streichend; wenn er so hinging nach der Moschee, um, wie es seine +Wuerde forderte, den Glaeubigen Vorlesungen ueber den Koran zu halten: +da blieben die Leute auf der Strasse stehen, schauten ihm nach und +sprachen zueinander: "Es ist doch ein schoener, stattlicher Mann, und +reich, ein reicher Herr", setzte wohl ein anderer hinzu, "sehr reich; +hat er nicht ein Schloss am Hafen von Stambul? Hat er nicht Gueter und +Felder und viele tausend Stueck Vieh und viele Sklaven?" + +"Ja", sprach ein dritter, "und der Tatar, der letzthin von Stambul +her, vom Grossherrn selbst, den der Prophet segnen moege, an ihn +geschickt kam, der sagte mir, dass unser Scheik sehr in Ansehen stehe +beim Reis-Effendi, beim Kapidschi-Baschi, bei allen, ja beim Sultan +selbst." + +"Ja", rief ein vierter, "seine Schritte sind gesegnet; er ist ein +reicher, vornehmer Herr, aber--aber, ihr wisst, was ich meine!" "Ja, +ja!" murmelten dann die anderen dazwischen, "es ist wahr, er hat auch +ein Teil zu tragen, moechten nicht mit ihm tauschen; ist ein reicher, +vornehmer Herr; aber, aber!" + +Ali Banu hatte ein herrliches Haus auf dem schoensten Platz von +Alessandria; vor dem Hause war eine weite Terrasse, mit Marmor +ummauert, beschattet von Palmbaeumen; dort sass er oft abends und +rauchte seine Wasserpfeife. In ehrerbietiger Entfernung harrten dann +zwoelf reichgekleidete Sklaven seines Winkes; der eine trug seinen +Betel, der andere hielt seinen Sonnenschirm, ein dritter hatte Gefaesse +von gediegenem Golde, mit koestlichem Sorbet angefuellt, ein vierter +trug einen Wedel von Pfauenfedern, um die Fliegen aus der Naehe des +Herrn zu verscheuchen; andere waren Saenger und trugen Lauten und +Blasinstrumente, um ihn zu ergoetzen mit Musik, wenn er es verlangte, +und der gelehrteste von allen trug mehrere Rollen, um ihm vorzulesen. + +Aber sie harreten vergeblich auf seinen Wink; er verlangte nicht +Musik noch Gesang, er wollte keine Sprueche oder Gedichte weiser +Dichter der Vorzeit hoeren, er wollte keinen Sorbet zu sich nehmen, +noch Betel kauen, ja, selbst der mit dem Faecher aus Pfauenfeder hatte +vergebliche Arbeit; denn der Herr bemerkte es nicht, wenn ihn eine +Fliege summend umschwaermte. Da blieben oft die Voruebergehenden +stehen, staunten ueber die Pracht des Hauses, ueber die +reichgekleideten Sklaven und ueber die Bequemlichkeit, womit alles +versehen war; aber wenn sie dann den Scheik ansahen, wie er so ernst +und duester unter den Palmen sass, seine Augen nirgends hinwandte als +auf die blaeulichen Woelkchen seiner Wasserpfeife, da schuettelten sie +die Koepfe und sprachen: "Wahrlich, der reiche Mann ist ein armer Mann. +Er, der viel hat, ist aermer als der, der nichts hat; denn der +Prophet hat ihm den Verstand nicht gegeben, es zu geniessen." + +So sprachen die Leute, lachten ueber ihn und gingen weiter. + +Eines Abends, als der Scheik wiederum vor der Tuere seines Hauses sass, +umgeben von allem Glanz der Erde, und traurig und einsam seine +Wasserpfeife rauchte, standen nicht ferne davon einige junge Leute, +betrachteten ihn und lachten. + +"Wahrlich", sprach der eine, "das ist ein toerichter Mann, der Scheik +Ali Banu; haette ich seine Schaetze, ich wollte sie anders anwenden. +Alle Tage wollte ich leben herrlich und in Freuden; meine Freunde +muessten bei mir speisen in den grossen Gemaechern des Hauses, und Jubel +und Lachen muessten diese traurigen Hallen fuellen." + +"Ja", erwiderte ein anderer. "Das waere nicht so uebel; aber viele +Freunde zehren ein Gut auf, und waere es so gross als das des Sultans, +den der Prophet segne; aber saesse ich abends so unter den Palmen auf +dem schoenen Platze hier, da muessten mir die Sklaven dort singen und +musizieren, meine Taenzer muessten kommen und tanzen und springen und +allerlei wunderliche Stuecke auffuehren. Dazu rauchte ich recht +vornehm die Wasserpfeife, liesse mir den koestlichen Sorbet reichen und +ergoetzte mich an all diesem wie ein Koenig von Bagdad." + +"Der Scheik", sprach ein dritter dieser jungen Leute, der ein +Schreiber war, "der Scheik soll ein gelehrter und weiser Mann sein, +und wirklich, seine Vorlesungen ueber den Koran zeugen von Belesenheit +in allen Dichtern und Schriften der Weisheit; aber ist auch sein +Leben so eingerichtet, wie es einem vernuenftigen Manne geziemt? Dort +steht ein Sklave mit einem ganzen Arm voll Rollen; ich gaebe mein +Festkleid dafuer, nur eine davon lesen zu duerfen; denn es sind gewiss +seltene Sachen. Aber er? Er sitzt und raucht und laesst +Buecher--Buecher sein. Waere ich der Scheik Ali Banu, der Kerl muesste +mir vorlesen, bis er keinen Atem mehr haette oder bis die Nacht +heraufkaeme; und auch dann noch muesste er mir lesen, bis ich +entschlummert waere." "Ha! Ihr wisst mir recht, wie man sich ein +koestliches Leben einrichtet", lachte der vierte; "essen und trinken, +singen und tanzen, Sprueche lesen und Gedichte hoeren von armseligen +Dichtern! Nein, ich wuerde es ganz anders machen. Er hat die +herrlichsten Pferde und Kamele und Geld die Menge. Da wuerde ich an +seiner Stelle reisen, reisen bis an der Welt Ende und selbst zu den +Moskowitern, selbst zu den Franken. Kein Weg waere mir zu weit, um +die Herrlichkeiten der Welt zu sehen. So wuerde ich tun, waere ich +jener Mann dort." + +"Die Jugend ist eine schoene Zeit und das Alter, wo man froehlich ist", +sprach ein alter Mann von unscheinbarem Aussehen, der neben ihnen +stand und ihre Reden gehoert hatte, "aber erlaubet mir, dass ich es +sage, die Jugend ist auch toericht und schwatzt hier und da in den Tag +hinein, ohne zu wissen, was sie tut." + +"Was wollt Ihr damit sagen, Alter?" fragten verwundert die jungen +Leute. "Meinet Ihr uns damit? Was geht es Euch an, dass wir die +Lebensart des Scheiks tadeln?" + +"Wenn einer etwas besser weiss als der andere, so berichtige er seinen +Irrtum, so will es der Prophet", erwiderte der alte Mann, "der Scheik, +es ist wahr, ist gesegnet mit Schaetzen und hat alles, wonach das +Herz verlangt, aber er hat Ursache, ernst und traurig zu sein. +Meinet ihr, er sei immer so gewesen? Nein, ich habe ihn noch vor +fuenfzehn Jahren gesehen, da war er munter und ruestig wie die Gazelle +und lebte froehlich und genoss sein Leben. Damals hatte er einen Sohn, +die Freude seiner Tage, schoen und gebildet, und wer ihn sah und +sprechen hoerte, musste den Scheik beneiden um diesen Schatz, denn er +war erst zehn Jahre alt, und doch war er schon so gelehrt wie ein +anderer kaum im achtzehnten." + +"Und der ist ihm gestorben? Der arme Scheik!" rief der junge +Schreiber. + +"Es waere troestlich fuer ihn, zu wissen, dass er heimgegangen in die +Wohnungen des Propheten, wo er besser lebte als hier in Alessandria; +aber das, was er erfahren musste, ist viel schlimmer. Es war damals +die Zeit, wo die Franken wie hungrige Woelfe herueberkamen in unser +Land und Krieg mit uns fuehrten. Sie hatten Alessandria ueberwaeltigt +und zogen von da aus weiter und immer weiter und bekriegten die +Mamelucken. Der Scheik war ein kluger Mann und wusste sich gut mit +ihnen zu vertragen; aber, sei es, weil sie luestern waren nach seinen +Schaetzen, sei es, weil er sich seiner glaeubigen Brueder annahm, ich +weiss es nicht genau; kurz, sie kamen eines Tages in sein Haus und +beschuldigten ihn, die Mamelucken heimlich mit Waffen, Pferden und +Lebensmitteln unterstuetzt zu haben. Er mochte seine Unschuld +beweisen, wie er wollte, es half nichts, denn die Franken sind ein +rohes, hartherziges Volk, wenn es darauf ankommt, Geld zu erpressen. +Sie nahmen also seinen jungen Sohn, Kairam geheissen, als Geisel in +ihr Lager. Er bot ihnen viel Geld fuer ihn; aber sie gaben ihn nicht +los und wollten ihn zu noch hoeherem Gebot steigern. Da kam ihnen auf +einmal von ihrem Bassa, oder was er war, der Befehl, sich +einzuschiffen; niemand in Alessandria wusste ein Wort davon, +und--ploetzlich waren sie auf der hohen See, und den kleinen Kairam, +Ali Banus Sohn, schleppten sie wohl mit sich, denn man hat nie wieder +etwas von ihm gehoert." + +"O der arme Mann, wie hat ihn doch Allah geschlagen!" riefen einmuetig +die jungen Leute und schauten mitleidig hin nach dem Scheik, der, +umgeben von Herrlichkeit, trauernd und einsam unter den Palmen sass. + +"Sein Weib, das er sehr geliebt hat, starb ihm aus Kummer um ihren +Sohn; er selbst aber kaufte sich ein Schiff, ruestete es aus und bewog +den fraenkischen Arzt, der dort unten am Brunnen wohnt, mit ihm nach +Frankistan zu reisen, um den verlorenen Sohn aufzusuchen. Sie +schifften sich ein und waren lange Zeit auf dem Meere und kamen +endlich in das Land jener Giaurs, jener Unglaeubigen, die in +Alessandria gewesen waren. Aber dort soll es gerade schrecklich +zugegangen sein. Sie hatten ihren Sultan umgebracht, und die Paschas +und die Reichen und Armen schlugen einander die Koepfe ab, und es war +keine Ordnung im Lande. Vergeblich suchten sie in jeder Stadt nach +dem kleinen Kairam, niemand wollte von ihm wissen, und der fraenkische +Doktor riet endlich dem Scheik, sich einzuschiffen, weil sie sonst +wohl selbst um ihre Koepfe kommen koennten. + +So kamen sie wieder zurueck, und seit seiner Ankunft hat der Scheik +gelebt wie an diesem Tag, denn er trauert um seinen Sohn, und er hat +recht. Muss er nicht, wenn er isst und trinkt, denken, jetzt muss +vielleicht mein armer Kairam hungern und duersten? + +Und wenn er sich bekleidet mit reichen Schals und Festkleidern, wie +es sein Amt und seine Wuerde will, muss er nicht denken, jetzt hat er +wohl nichts, womit er seine Bloesse deckt? Und wenn er umgeben ist von +Saengern und Taenzern und Vorlesern, seinen Sklaven, denkt er da nicht, +jetzt muss wohl mein armer Sohn seinem fraenkischen Gebieter Spruenge +vormachen und musizieren, wie er es haben will? Und was ihm den +groessten Kummer macht, er glaubt, der kleine Kairam werde, so weit vom +Lande seiner Vaeter und mitten unter Unglaeubigen, die seiner spotten, +abtruennig werden vom Glauben seiner Vaeter und er werde ihn einst +nicht umarmen koennen in den Gaerten des Paradieses! + +Darum ist er auch so mild gegen seine Sklaven und gibt grosse Summen +an die Armen; denn er denkt, Allah werde es vergelten und das Herz +seiner fraenkischen Herren ruehren, dass sie seinen Sohn mild behandeln. +Auch gibt er jedesmal, wenn der Tag kommt, an welchem ihm sein Sohn +entrissen wurde, zwoelf Sklaven frei." + +"Davon habe ich auch schon gehoert", entgegnete der Schreiber, "aber +man traegt sich mit wundervollen Reden; von seinem Sohne wurde dabei +nichts erwaehnt; wohl aber sagte man, er sei ein sonderbarer Mann und +ganz besonders erpicht auf Erzaehlungen; da soll er jedes Jahr unter +seinen Sklaven einen Wettstreit anstellen, und wer am besten erzaehlt, +den gibt er frei." "Verlasset euch nicht auf das Gerede der Leute", +sagte der alte Mann, "es ist so, wie ich es sage, und ich weiss es +genau; moeglich ist, dass er sich an diesem schweren Tage aufheitern +will und sich Geschichten erzaehlen laesst; doch gibt er sie frei um +seines Sohnes willen. Doch, der Abend wird kuehl, und ich muss +weitergehen. Salem aleikum, Friede sei mit euch, ihr jungen Herren, +und denket in Zukunft besser von dem guten Scheik!" + +Die jungen Leute dankten dem Alten fuer seine Nachrichten, schauten +noch einmal nach dem trauernden Vater und gingen die Strasse hinab, +indem sie zueinander sprachen: "Ich moechte doch nicht der Scheik Ali +Banu sein." + +Nicht lange Zeit, nachdem diese jungen Leute mit dem alten Mann ueber +den Scheik Ali Banu gesprochen hatten, traf es sich, dass sie um die +Zeit des Morgengebets wieder diese Strasse gingen. Da fiel ihnen der +alte Mann und seine Erzaehlung ein, und sie beklagten zusammen den +Scheik und blickten nach seinem Hause. Aber wie staunten sie, als +sie dort alles aufs herrlichste ausgeschmueckt fanden! Von dem Dache, +wo geputzte Sklavinnen spazierengingen, wehten Wimpeln und Fahnen, +die Halle des Hauses war mit koestlichen Teppichen belegt, Seidenstoff +schloss sich an diese an, der ueber die breiten Stufen der Treppe +gelegt war, und selbst auf der Strasse war noch schoenes, feines Tuch +ausgebreitet, wovon sich mancher wuenschen mochte zu einem Festkleid +oder zu einer Decke fuer die Fuesse. + +"Ei, wie hat sich doch der Scheik geaendert in den wenigen Tagen!" +sprach der junge Schreiber. "Will er ein Fest geben? Will er seine +Saenger und Taenzer anstrengen? Seht mir diese Teppiche! Hat sie +einer so schoen in ganz Alessandria! Und dieses Tuch auf dem gemeinen +Boden, wahrlich, es ist schade dafuer!" + +"Weisst du, was ich denke?" sprach ein anderer. "Er empfaengt +sicherlich einen hohen Gast; denn das sind Zubereitungen, wie man sie +macht, wenn ein Herrscher von grossen Laendern oder ein Effendi des +Grossherrn ein Haus mit seinem Besuch segnet. Wer mag wohl heute +hierherkommen?" + +"Siehe da, geht dort unten nicht unser Alter von letzthin? Ei, der +weiss ja alles und muss auch darueber Aufschluss geben koennen. Heda! +Alter Herr! Wollet Ihr nicht ein wenig zu uns treten?" So riefen sie; +der alte Mann aber bemerkte ihre Winke und kam zu ihnen; denn er +erkannte sie als die jungen Leute, mit welchen er vor einigen Tagen +gesprochen. Sie machten ihn aufmerksam auf die Zuruestungen im Hause +des Scheiks und fragten ihn, ob er nicht wisse, welch hoher Gast wohl +erwartet werde. + +"Ihr glaubt wohl", erwiderte er, "Ali Banu feiere heute ein grosses +Freudenfest, oder der Besuch eines grossen Mannes beehre sein Haus? +Dem ist nicht also; aber heute ist der zwoelfte Tag des Monats Ramadan, +wie ihr wisset, und an diesem Tag wurde sein Sohn ins Lager gefuehrt." + +"Aber beim Bart des Propheten!" rief einer der jungen Leute. "Das +sieht ja alles aus wie Hochzeit und Festlichkeiten, und doch ist es +sein beruehmter Trauertag, wie reimt Ihr das zusammen? Gesteht, der +Scheik ist denn doch etwas zerruettet im Verstand." + +"Urteilt Ihr noch immer so schnell, mein junger Freund?" fragte der +Alte laechelnd. "Auch diesmal war Euer Pfeil wohl spitzig und scharf, +die Sehne Eures Bogens straff angezogen, und doch habt Ihr weitab vom +Ziele geschossen. Wisset, dass heute der Scheik seinen Sohn erwartet." + +"So ist er gefunden?" riefen die Juenglinge und freuten sich. "Nein, +und er wird sich wohl lange nicht finden; aber wisset: Vor acht oder +zehn Jahren, als der Scheik auch einmal mit Trauern und Klagen diesen +Tag beging, auch Sklaven freigab und viele Arme speiste und traenkte, +da traf es sich, dass er auch einem Derwisch, der muede und matt im +Schatten jenes Hauses lag, Speise und Trank reichen liess. Der +Derwisch aber war ein heiliger Mann und erfahren in Prophezeiungen +und im Sterndeuten. Der trat, als er gestaerkt war durch die milde +Hand des Scheiks, zu ihm und sprach: 'Ich kenne die Ursache deines +Kummers; ist nicht heute der zwoelfte Ramadan, und hast du nicht an +diesem Tage deinen Sohn verloren? Aber sei getrost, dieser Tag der +Trauer wird dir zum Festtag werden, denn wisse, an diesem Tage wird +einst dein Sohn zurueckkehren!' So sprach der Derwisch. Es waere Suende +fuer jeden Muselmann, an der Rede eines solchen Mannes zu zweifeln; +der Gram Alis wurde zwar dadurch nicht gemildert, aber doch harrt er +an diesem Tage immer auf die Rueckkehr seines Sohnes und schmueckt sein +Haus und seine Halle und die Treppen, als koenne jener zu jeder Stunde +anlangen." + +"Wunderbar!" erwiderte der Schreiber. "Aber zusehen moechte ich doch, +wie alles so herrlich bereitet ist, wie er selbst in dieser +Herrlichkeit trauert, und hauptsaechlich moechte ich zuhoeren, wie er +sich von seinen Sklaven erzaehlen laesst." + +"Nichts leichter als dies", antwortete der Alte. "Der Aufseher der +Sklaven jenes Hauses ist mein Freund seit langen Jahren und goennt mir +an diesem Tage immer ein Plaetzchen in dem Saal, wo man unter der +Menge der Diener und Freunde des Scheiks den einzelnen nicht bemerkt. +Ich will mit ihm reden, dass er euch einlaesst; ihr seid ja nur zu +viert, und da kann es schon gehen; kommet um die neunte Stunde auf +diesen Platz, und ich will euch Antwort geben." + +So sprach der Alte; die jungen Leute aber dankten ihm und entfernten +sich, voll Begierde zu sehen, wie sich dies alles begeben wuerde. + +Sie kamen zur bestimmten Stunde auf den Platz vor dem Hause des +Scheik und trafen da den Alten, der ihnen sagte, dass der Aufseher der +Sklaven erlaubt habe, sie einzufuehren. Er ging voran, doch nicht +durch die reichgeschmueckten Treppen und Tore, sondern durch ein +Seitenpfoertchen, das er sorgfaeltig wieder verschloss. Dann fuehrte er +sie durch mehrere Gaenge, bis sie in den grossen Saal kamen. Hier war +ein grosses Gedraenge von allen Seiten; da waren reichgekleidete Maenner, +angesehene Herren der Stadt und Freunde des Scheik, die gekommen +waren, ihn in seinem Schmerz zu troesten. Da waren Sklaven aller Art +und aller Nationen. Aber alle sahen kummervoll aus; denn sie liebten +ihren Herrn und trauerten mit ihm. Am Ende des Saales, auf einem +reichen Diwan, sassen die vornehmsten Freunde Alis und wurden von den +Sklaven bedient. Neben ihnen auf dem Boden sass der Scheik; denn die +Trauer um seinen Sohn erlaubte ihm nicht, auf dem Teppich der Freude +zu sitzen. Er hatte sein Haupt in die Hand gestuetzt und schien wenig +auf die Troestungen zu hoeren, die ihm seine Freunde zufluesterten. Ihm +gegenueber sassen einige alte und junge Maenner in Sklaventracht. Der +Alte belehrte seine jungen Freunde, dass dies die Sklaven seien, die +Ah Banu an diesem Tage freigebe. Es waren unter ihnen auch einige +Franken, und der Alte machte besonders auf einen von ihnen aufmerksam, +der von ausgezeichneter Schoenheit und noch sehr jung war. Der +Scheik hatte ihn erst einige Tage zuvor einem Sklavenhaendler von +Tunis um eine grosse Summe abgekauft und gab ihn dennoch jetzt schon +frei, weil er glaubte, je mehr Franken er in ihr Vaterland +zurueckschicke, desto frueher werde der Prophet seinen Sohn erloesen. + +Nachdem man ueberall Erfrischungen umhergereicht hatte, gab der Scheik +dem Aufseher der Sklaven ein Zeichen. Dieser stand auf, und es ward +tiefe Stille im Saal. Er trat vor die Sklaven, welche freigelassen +werden sollten, und sprach mit vernehmlichen Stimme: "Ihr Maenner, die +ihr heute frei sein werdet durch die Gnade meines Herrn Ali Banu, des +Scheik von Alessandria, tuet nur, wie es Sitte ist an diesem Tage in +seinem Hause, und hebet an zu erzaehlen!" + +Sie fluesterten untereinander. Dann aber nahm ein alter Sklave das +Wort und fing an zu erzaehlen: + + + + +Der Zwerg Nase + +Wilhelm Hauff + + +Herr! Diejenigen tun sehr unrecht, welche glauben, es habe nur zu +Zeiten Haruns Al-Raschid, des Beherrschers von Bagdad, Feen und +Zauberer gegeben, oder die gar behaupten, jene Berichte von dem +Treiben der Genien und ihrer Fuersten, welche man von den Erzaehlern +auf den Maerkten der Stadt hoert, seien unwahr. Noch heute gibt es +Feen, und es ist nicht so lange her, dass ich selbst Zeuge einer +Begebenheit war, wo offenbar die Genien im Spiele waren, wie ich euch +berichten werde. + +In einer bedeutenden Stadt meines lieben Vaterlandes, Deutschlands, +lebte vor vielen Jahren ein Schuster mit seiner Frau schlicht und +recht. Er sass bei Tag an der Ecke der Strasse und flickte Schuhe und +Pantoffeln und machte wohl auch neue, wenn ihm einer welche +anvertrauen mochte; doch musste er dann das Leder erst einkaufen, denn +er war arm und hatte keine Vorraete. Seine Frau verkaufte Gemuese und +Fruechte, die sie in einem kleinen Gaertchen vor dem Tore pflanzte, und +viele Leute kauften gerne bei ihr, weil sie reinlich und sauber +gekleidet war und ihr Gemuese auf gefaellige Art auszubreiten wusste. + +Die beiden Leutchen hatten einen schoenen Knaben, angenehm von Gesicht, +wohlgestaltet und fuer das Alter von zwoelf Jahren schon ziemlich gross. +Er pflegte gewoehnlich bei der Mutter auf dem Gemuesemarkt zu sitzen, +und den Weibern oder Koechen, die viel bei der Schustersfrau +eingekauft hatten, trug er wohl auch einen Teil der Fruechte nach +Hause, und selten kam er von einem solchen Gang zurueck ohne eine +schoene Blume oder ein Stueckchen Geld oder Kuchen; denn die +Herrschaften dieser Koeche sahen es gerne, wenn man den schoenen Knaben +mit nach Hause brachte, und beschenkten ihn immer reichlich. + +Eines Tages sass die Frau des Schusters wieder wie gewoehnlich auf dem +Markte, sie hatte vor sich einige Koerbe mit Kohl und anderm Gemuese, +allerlei Kraeuter und Saemereien, auch in einem kleineren Koerbchen +fruehe Birnen, Aepfel und Aprikosen. Der kleine Jakob, so hiess der +Knabe, sass neben ihr und rief mit heller Stimme die Waren aus: +"Hierher, ihr Herren, seht, welch schoener Kohl, wie wohlriechend +diese Kraeuter; fruehe Birnen, ihr Frauen, fruehe Aepfel und Aprikosen, +wer kauft? Meine Mutter gibt es wohlfeil." So rief der Knabe. Da +kam ein altes Weib ueber den Markt her; sie sah etwas zerrissen und +zerlumpt aus, hatte ein kleines, spitziges Gesicht, vom Alter ganz +eingefurcht, rote Augen und eine spitzige, gebogene Nase, die gegen +das Kinn hinabstrebte; sie ging an einem langen Stock, und doch +konnte man nicht sagen, wie sie ging; denn sie hinkte und rutschte +und wankte; es war, als habe sie Raeder in den Beinen und koenne alle +Augenblicke umstuelpen und mit der spitzigen Nase aufs Pflaster fallen. + +Die Frau des Schusters betrachtete dieses Weib aufmerksam. Es waren +jetzt doch schon sechzehn Jahre, dass sie taeglich auf dem Markte sass, +und nie hatte sie diese sonderbare Gestalt bemerkt. Aber sie +erschrak unwillkuerlich, als die Alte auf sie zuhinkte und an ihren +Koerben stillstand. + +"Seid Ihr Hanne, die Gemuesehaendlerin?" fragte das alte Weib mit +unangenehmer, kraechzender Stimme, indem sie bestaendig den Kopf hin +und her schuettelte. + +"Ja, die bin ich", antwortete die Schustersfrau, "ist Euch etwas +gefaellig?" + +"Wollen sehen, wollen sehen! Kraeutlein schauen, Kraeutlein schauen, +ob du hast, was ich brauche", antwortete die Alte, beugte sich nieder +vor den Koerben und fuhr mit ein Paar dunkelbraunen, haesslichen Haenden +in den Kraeuterkorb hinein, packte die Kraeutlein, die so schoen und +zierlich ausgebreitet waren, mit ihren langen Spinnenfingern, brachte +sie dann eins um das andere hinauf an die lange Nase und beroch sie +hin und her. Der Frau des Schusters wollte es fast das Herz +abdrucken, wie sie das alte Weib also mit ihren seltenen Kraeutern +hantieren sah; aber sie wagte nichts zu sagen; denn es war das Recht +des Kaeufers, die Ware zu pruefen, und ueberdies empfand sie ein +sonderbares Grauen vor dem Weibe. Als jene den ganzen Korb +durchgemustert hatte, murmelte sie: "Schlechtes Zeug, schlechtes +Kraut, nichts von allem, was ich will, war viel besser vor fuenfzig +Jahren; schlechtes Zeug, schlechtes Zeug!" + +Solche Reden verdrossen nun den kleinen Jakob. "Hoere, du bist ein +unverschaemtes, altes Weib", rief er unmutig, "erst faehrst du mit +deinen garstigen, braunen Fingern in die schoenen Kraeuter hinein und +drueckst sie zusammen, dann haeltst du sie an deine lange Nase, dass sie +niemand mehr kaufen mag, wer zugesehen, und jetzt schimpfst du noch +unsere Ware schlechtes Zeug, und doch kauft selbst der Koch des +Herzogs alles bei uns!" + +Das alte Weib schielte den mutigen Knaben an, lachte widerlich und +sprach mit heiserer Stimme: "Soehnchen, Soehnchen! Also gefaellt dir +meine Nase, meine schoene lange Nase? Sollst auch eine haben mitten +im Gesicht bis uebers Kinn herab." Waehrend sie so sprach, rutschte sie +an den andern Korb, in welchem Kohl ausgelegt war. Sie nahm die +herrlichsten weissen Kohlhaeupter in die Hand, drueckte sie zusammen, +dass sie aechzten, warf sie dann wieder unordentlich in den Korb und +sprach auch hier: "Schlechte Ware, schlechter Kohl!" + +"Wackle nur nicht so garstig mit dem Kopf hin und her!" rief der +Kleine aengstlich. "Dein Hals ist ja so duenne wie ein Kohlstengel, +der koennte leicht abbrechen, und dann fiele dein Kopf hinein in den +Korb; wer wollte dann noch kaufen!" + +"Gefallen sie dir nicht, die duennen Haelse?" murmelte die Alte lachend. +"Sollst gar keinen haben, Kopf muss in den Schultern stecken, dass er +nicht herabfaellt vom kleinen Koerperlein!" + +"Schwatzt doch nicht so unnuetzes Zeug mit dem Kleinen da", sagte +endlich die Frau des Schusters im Unmut ueber das lange Pruefen, +Mustern und Beriechen, "wenn Ihr etwas kaufen wollt, so sputet Euch, +Ihr verscheucht mir ja die anderen Kunden." + +"Gut, es sei, wie du sagst", rief die Alte mit grimmigem Blick. "Ich +will dir diese sechs Kohlhaeupter abkaufen; aber siehe, ich muss mich +auf den Stab stuetzen und kann nichts tragen; erlaube deinem Soehnlein, +dass es mir die Ware nach Hause bringt, ich will es dafuer belohnen." + +Der Kleine wollte nicht mitgehen und weinte; denn ihm graute vor der +haesslichen Frau, aber die Mutter befahl es ihm ernstlich, weil sie es +doch fuer eine Suende hielt, der alten, schwaechlichen Frau diese Last +allein aufzubuerden; halb weinend tat er, wie sie befohlen, raffte die +Kohlhaeupter in ein Tuch zusammen und folgte dem alten Weibe ueber den +Markt hin. + +Es ging nicht sehr schnell bei ihr, und sie brauchte beinahe drei +Viertelstunden, bis sie in einen ganz entlegenen Teil der Stadt kam +und endlich vor einem kleinen, baufaelligen Hause stillhielt. Dort +zog sie einen alten, rostigen Haken aus der Tasche, fuhr damit +geschickt in ein kleines Loch in der Tuere, und ploetzlich sprang diese +krachend auf. Aber wie war der kleine Jakob ueberrascht, als er +eintrat! Das Innere des Hauses war prachtvoll ausgeschmueckt, von +Marmor waren die Decke und die Waende, die Geraetschaften vom schoensten +Ebenholz, mit Gold und geschaffenen Steinen eingelegt, der Boden aber +war von Glas und so glatt, dass der Kleine einigemal ausglitt und +umfiel. Die Alte aber zog ein silbernes Pfeifchen aus der Tasche und +pfiff eine Weise darauf, die gellend durch das Haus toente. Da kamen +sogleich einige Meerschweinchen die Treppe herab; dem Jakob wollte es +aber ganz sonderbar duenken, dass sie aufrecht auf zwei Beinen gingen, +Nussschalen statt Schuhen an den Pfoten trugen, menschliche Kleider +angelegt und sogar Huete nach der neuesten Mode auf die Koepfe gesetzt +hatten. "Wo habt ihr meine Pantoffeln, schlechtes Gesindel?" rief +die Alte und schlug mit dem Stock nach ihnen, dass sie jammernd in die +Hoehe sprangen. "Wie lange soll ich noch so dastehen?" + +Sie sprangen schnell die Treppe hinauf und kamen wieder mit ein Paar +Schalen von Kokosnuss, mit Leder gefuettert, welche sie der Alten +geschickt an die Fuesse steckten. + +Jetzt war alles Hinken und Rutschen vorbei. Sie warf den Stab von +sich und glitt mit grosser Schnelligkeit ueber den Glasboden hin, indem +sie den kleinen Jakob an der Hand mit fortzog. Endlich hielt sie in +einem Zimmer stille, das, mit allerlei Geraetschaften ausgeputzt, +beinahe einer Kueche glich, obgleich die Tische von Mahagoniholz und +die Sofas, mit reichen Teppichen behaengt, mehr zu einem Prunkgemach +passten. "Setze dich, Soehnchen", sagte die Alte recht freundlich, +indem sie ihn in die Ecke eines Sofas drueckte und einen Tisch also +vor ihn hinstellte, dass er nicht mehr hervorkommen konnte. "Setze +dich, du hast gar schwer zu tragen gehabt, die Menschenkoepfe sind +nicht so leicht, nicht so leicht." + +"Aber, Frau, was sprechet Ihr so wunderlich", rief der Kleine. "Muede +bin ich zwar, aber es waren ja Kohlkoepfe, die ich getragen, Ihr habt +sie meiner Mutter abgekauft." + +"Ei, das weisst du falsch", lachte das Weib, deckte den Deckel des +Korbes auf und brachte einen Menschenkopf hervor, den sie am Schopf +gefasst hatte. Der Kleine war vor Schrecken ausser sich; er konnte +nicht fassen, wie dies alles zuging; aber er dachte an seine Mutter; +wenn jemand von diesen Menschenkoepfen etwas erfahren wuerde, dachte er +bei sich, da wuerde man gewiss meine Mutter dafuer anklagen. + +"Muss dir nun auch etwas geben zum Lohn, weil du so artig bist", +murmelte die Alte, "gedulde dich nur ein Weilchen, will dir ein +Sueppchen einbrocken, an das du dein Leben lang denken wirst." So +sprach sie und pfiff wieder. Da kamen zuerst viele Meerschweinchen +in menschlichen Kleidern; sie hatten Kuechenschuerzen umgebunden und im +Guertel Ruehrloeffel und Tranchiermesser; nach diesen kam eine Menge +Eichhoernchen hereingehuepft; sie hatten weite tuerkische Beinkleider an, +gingen aufrecht, und auf dem Kopf trugen sie gruene Muetzchen von Samt. +Diese schienen die Kuechenjungen zu sein; denn sie kletterten mit +grosser Geschwindigkeit an den Waenden hinauf und brachten Pfannen und +Schuesseln, Eier und Butter, Kraeuter und Mehl herab und trugen, es auf +den Herd; dort aber fuhr die alte Frau auf ihren Pantoffeln von +Kokosschalen bestaendig hin und her, und der Kleine sah, dass sie es +sich recht angelegen sein lasse, ihm etwas Gutes zu kochen. Jetzt +knisterte das Feuer hoeher empor, jetzt rauchte und sott es in der +Pfanne, ein angenehmer Geruch verbreitete sich im Zimmer; die Alte +aber rannte auf und ab, die Eichhoernchen und Meerschweinchen ihr nach, +und so oft sie am Herde vorbeikam, guckte sie mit ihrer langen Nase +in den Topf. Endlich fing es an zu sprudeln und zu zischen, Dampf +stieg aus dem Topf hervor, und der Schaum floss herab ins Feuer. Da +nahm sie ihn weg, goss davon in eine silberne Schale und setzte sie +dem kleinen Jakob vor. + +"So, Soehnchen, so", sprach sie, "iss nur dieses Sueppchen, dann hast du +alles, was dir an mir so gefallen! Sollst auch ein geschickter Koch +werden, dass du noch etwas bist; aber Kraeutlein, nein, das Kraeutlein +sollst du nimmer finden--Warum hat es deine Mutter nicht in ihrem +Korb gehabt?" Der Kleine verstand nicht recht, was sie sprach, desto +aufmerksamer behandelte er die Suppe, die ihm ganz trefflich +schmeckte. Seine Mutter hatte ihm manche schmackhafte Speise +bereitet; aber so gut war ihm noch nichts geworden. Der Duft von +feinen Kraeutern und Gewuerzen stieg aus der Suppe auf, dabei war sie +suess und saeuerlich zugleich und sehr stark. Waehrend er noch die +letzten Tropfen der koestlichen Speise austrank, zuendeten die +Meerschweinchen arabischen Weihrauch an, der in blaeulichen Wolken +durch das Zimmer schwebte; dichter und immer dichter wurden diese +Wolken und sanken herab, der Geruch des Weihrauchs wirkte betaeubend +auf den Kleinen, er mochte sich zurufen, so oft er wollte, dass er zu +seiner Mutter zurueckkehren muesse; wenn er sich ermannte, sank er +immer wieder von neuem in den Schlummer zurueck und schlief endlich +wirklich auf dem Sofa des alten Weibes ein. + +Sonderbare Traeume kamen ueber ihn. Es war ihm, als ziehe ihm die Alte +seine Kleider aus und umhuelle ihn dafuer mit einem Eichhoernchenbalg. +Jetzt konnte er Spruenge machen und klettern wie ein Eichhoernchen; er +ging mit den uebrigen Eichhoernchen und Meerschweinchen, die sehr +artige, gesittete Leute waren, um und hatte mit ihnen den Dienst bei +der alten Frau. Zuerst wurde er nur zu den Diensten eines +Schuhputzers gebraucht, d. h. er musste die Kokosnuesse, welche die +Frau statt der Pantoffeln trug, mit Oel salben und durch Reiben +glaenzend machen. Da er nun in seines Vaters Hause zu aehnlichen +Geschaeften oft angehalten worden war, so ging es ihm flink von der +Hand; etwa nach einem Jahre, traeumte er weiter, wurde er zu einem +feineren Geschaeft gebraucht; er musste naemlich mit noch einigen +Eichhoernchen Sonnenstaeubchen fangen und, wenn sie genug hatten, +solche durch das feinste Haarsieb sieben. Die Frau hielt naemlich die +Sonnenstaeubchen fuer das Allerfeinste, und weil sie nicht gut beissen +konnte, denn sie hatte keinen Zahn mehr, so liess sie sich ihr Brot +aus Sonnenstaeubchen zubereiten. + +Wiederum nach einem Jahre wurde er zu den Dienern versetzt, die das +Trinkwasser fuer die Alte sammelten. Man denke nicht, dass sie sich +hierzu etwa eine Zisterne haette graben lassen oder ein Fass in den Hof +stellte, um das Regenwasser darin aufzufangen; da ging es viel feiner +zu; die Eichhoernchen, und Jakob mit ihnen, mussten mit Haselnussschalen +den Tau aus den Rosen schoepfen, und das war das Trinkwasser der Alten. +Da sie nun bedeutend viel trank, so hatten die Wassertraeger schwere +Arbeit. Nach einem Jahr wurde er zum inneren Dienst des Hauses +bestellt; er hatte naemlich das Amt, die Boeden rein zu machen; da nun +diese von Glas waren, worin man jeden Hauch sah, war das keine +geringe Arbeit. Sie mussten sie buersten und altes ach an die Fuesse +schnallen und auf diesem kuenstlich im Zimmer umherfahren. Im vierten +Jahre ward er endlich zur Kueche versetzt. Es war dies ein Ehrenamt, +zu welchem man nur nach langer Pruefung gelangen konnte. Jakob diente +dort vom Kuechenjungen aufwaerts bis zum ersten Pastetenmacher und +erreichte eine so ungemeine Geschicklichkeit und Erfahrung in allem, +was die Kueche betrifft, dass er sich oft ueber sich selbst wundern +musste; die schwierigsten Sachen, Pasteten von zweihunderterlei +Essenzen, Kraeutersuppen, von allen Kraeutlein der Erde zusammengesetzt, +alles lernte er, alles verstand er schnell und kraeftig zu machen. + +So waren etwa sieben Jahre im Dienste des alten Weibes vergangen, da +befahl sie ihm eines Tages, indem sie die Kokosschuhe auszog, Korb +und Krueckenstock zur Hand nahm, um auszugehen, er sollte ein Huehnlein +rupfen, mit Kraeutern fuellen und solches schoen braeunlich und gelb +roesten, bis sie wiederkaeme. Er tat dies nach den Regeln der Kunst. +Er drehte dem Huehnlein den Kragen um, bruehte es in heissem Wasser, zog +ihm geschickt die Federn aus, schabte ihm nachher die Haut, dass sie +glatt und fein wurde, und nahm ihm die Eingeweide heraus. Sodann +fing er an, die Kraeuter zu sammeln, womit er das Huehnlein fuellen +sollte. In der Kraeuterkammer gewahrte er aber diesmal ein +Wandschraenkchen, dessen Tuere halb geoeffnet war und das er sonst nie +bemerkt hatte. Er ging neugierig naeher, um zu sehen, was es enthalte, +und siehe da, es standen viele Koerbchen darinnen, von welchen ein +starker, angenehmer Geruch ausging. Er oeffnete eines dieser Koerbchen +und fand darin Kraeutlein von ganz besonderer Gestalt und Farbe. Die +Stengel und Blaetter waren blaugruen und trugen oben eine kleine Blume +von brennendem Rot, mit Gelb verbraemt; er betrachtete sinnend diese +Blume, beroch sie, und sie stroemte denselben starken Geruch aus, von +dem einst jene Suppe, die ihm die Alte gekocht, geduftet hatte. Aber +so stark war der Geruch, dass er zu niesen anfing, immer heftiger +niesen musste und--am Ende niesend erwachte. + +Da lag er auf dem Sofa des alten Weibes und blickte verwundert umher. +"Nein, wie man aber so lebhaft traeumen kann!" sprach er zu sich, +"haette ich jetzt doch schwoeren wollen, dass ich ein schnoedes +Eichhoernchen, ein Kamerad von Meerschweinen und anderem Ungeziefer, +dabei aber ein grosser Koch geworden sei. Wie wird die Mutter lachen, +wenn ich ihr alles erzaehle! Aber wird sie nicht auch schmaelen, dass +ich in einem fremden Hause einschlafe, statt ihr zu helfen auf dem +Markte?" Mit diesen Gedanken raffte er sich auf, um hinwegzugehen; +noch waren seine Glieder vom Schlafe ganz steif, besonders sein +Nacken, denn er konnte den Kopf nicht recht hin und her bewegen; er +musste auch selbst ueber sich laecheln, dass er so schlaftrunken war; +denn alle Augenblicke, ehe er es sich versah, stiess er mit der Nase +an einen Schrank oder an die Wand oder schlug sie, wenn er sich +schnell umwandte, an einen Tuerpfosten. Die Eichhoernchen und +Meerschweinchen liefen winselnd um ihn her, als wollten sie ihn +begleiten, er lud sie auch wirklich ein, als er auf der Schwelle war, +denn es waren niedliche Tierchen; aber sie fuhren auf ihren +Nussschalen schnell ins Haus zurueck, und er hoerte sie nur noch in der +Ferne heulen. + +Es war ein ziemlich entlegener Teil der Stadt, wohin ihn die Alte +gefuehrt hatte, und er konnte sich kaum aus den engen Gassen +herausfinden, auch war dort ein grosses Gedraenge; denn es musste sich, +wie ihm duenkte, gerade in der Naehe ein Zwerg sehen lassen; ueberall +hoerte er rufen: "Ei, sehet den haesslichen Zwerg! Wo kommt der Zwerg +her? Ei, was hat er doch fuer eine lange Nase, und wie ihm der Kopf +in den Schultern steckt, und die braunen, haesslichen Haende!" Zu einer +andern Zeit waere er wohl auch nachgelaufen, denn er sah fuer sein +Leben gern Riesen oder Zwerge oder seltsame fremde Trachten, aber so +musste er sich sputen, um zur Mutter zu kommen. + +Es war ihm ganz aengstlich zumute, als er auf den Markt kam. Die +Mutter sass noch da und hatte noch ziemlich viele Fruechte im Korb, +lange konnte er also nicht geschlafen haben; aber doch kam es ihm von +weitem schon vor, als sei sie sehr traurig; denn sie rief die +Voruebergehenden nicht an, einzukaufen, sondern hatte den Kopf in die +Hand gestuetzt, und als er naeher kam, glaubte er auch, sie sei +bleicher als sonst. Er zauderte, was er tun sollte; endlich fasste er +sich ein Herz, schlich sich hinter sie hin, legte traulich seine Hand +auf ihren Arm und sprach: "Muetterchen, was fehlt dir? Bist du boese +auf mich?" + +Die Frau wandte sich um nach ihm, fuhr aber mit einem Schrei des +Entsetzens zurueck. + +"Was willst du von mir, haesslicher Zwerg?" rief sie. "Fort, fort! +Ich kann dergleichen Possenspiele nicht leiden." + +"Aber, Mutter, was hast du denn?" fragte Jakob ganz erschrocken. +"Dir ist gewiss nicht wohl; warum willst du denn deinen Sohn von dir +jagen?" + +"Ich habe dir schon gesagt, gehe deines Weges!" entgegnete Frau Hanne +zuernend. "Bei mir verdienst du kein Geld durch deine Gaukeleien, +haessliche Missgeburt!" + +"Wahrhaftig, Gott hat ihr das Licht des Verstandes geraubt!" sprach +der Kleine bekuemmert zu sich. "Was fange ich nur an, um sie nach +Haus zu bringen? Lieb Muetterchen, so sei doch nur vernuenftig; sieh +mich doch nur recht an; ich bin ja dein Sohn, dein Jakob." + +"Nein, jetzt wird mir der Spass zu unverschaemt", rief Hanne ihrer +Nachbarin zu, "seht nur den haesslichen Zwerg da; da steht er und +vertreibt mir gewiss alle Kaeufer, und mit meinem Unglueck wagt er zu +spotten. Spricht zu mir: Ich bin ja dein Sohn, dein Jakob! Der +Unverschaemte!" + +Da erhoben sich die Nachbarinnen und fingen an zu schimpfen, so arg +sie konnten--und Marktweiber, wisset ihr wohl, verstehen es--, und +schalten ihn, dass er des Ungluecks der armen Hanne spotte, der vor +sieben Jahren ihr bildschoener 'Knabe gestohlen worden sei, und +drohten, insgesamt ueber ihn herzufallen und ihn zu zerkratzen, wenn +er nicht alsobald ginge. + +Der arme Jakob wusste nicht, was er von diesem allem denken sollte. +War er doch, wie er glaubte, heute frueh wie gewoehnlich mit der Mutter +auf den Markt gegangen, hatte ihr die Fruechte aufstellen helfen, war +nachher mit dem alten Weib in ihr Haus gekommen, hatte ein Sueppchen +verzehrt, ein kleines Schlaefchen gemacht und war jetzt wieder da, und +doch sprachen die Mutter und die Nachbarinnen von sieben Jahren! Und +sie nannten ihn einen garstigen Zwerg! Was war denn nun mit ihm +vorgegangen?--Als er sah, dass die Mutter gar nichts mehr von ihm +hoeren wollte, traten ihm die Traenen in die Augen, und er ging +trauernd die Strasse hinab nach der Bude, wo sein Vater den Tag ueber +Schuhe flickte. "Ich will doch sehen", dachte er bei sich, "ob er +mich auch nicht kennen will, unter die Tuere will ich mich stellen und +mit ihm sprechen." Als er an der Bude des Schusters angekommen war, +stellte er sich unter die Tuere und schaute hinein. Der Meister war +so emsig mit seiner Arbeit beschaeftigt, dass er ihn gar nicht sah; als +er aber zufaellig einen Blick nach der Tuere warf, liess er Schuhe, +Draht und Pfriem auf die Erde fallen und rief mit Entsetzen: "Um +Gottes willen, was ist das, was ist das!" + +"Guten Abend, Meister!" sprach der Kleine, indem er vollends in den +Laden trat. "Wie geht es Euch?" + +"Schlecht, schlecht, kleiner Herr!" antwortete der Vater zu Jakobs +grosser Verwunderung; denn er schien ihn auch nicht zu kennen. "Das +Geschaeft will mir nicht von der Hand. Bin so allein und werde jetzt +alt; doch ist mir ein Geselle zu teuer." + +"Aber habt Ihr denn kein Soehnlein, das Euch nach und nach an die Hand +gehen koennte bei der Arbeit?" forschte der Kleine weiter. + +"Ich hatte einen, er hiess Jakob und muesste jetzt ein schlanker, +gewandter Bursche von zwanzig Jahren sein, der mir tuechtig unter die +Arme greifen koennte. Ha, das muesste ein Leben sein! Schon als er +zwoelf Jahre alt war, zeigte er sich so anstellig und geschickt und +verstand schon manches vom Handwerk, und huebsch und angenehm war er +auch; der haette mir eine Kundschaft hergelockt, dass ich bald nicht +mehr geflickt, sondern nichts als Neues geliefert haette! Aber so +geht's in der Welt!" + +"Wo ist denn aber Euer Sohn?" fragte Jakob mit zitternder Stimme +seinen Vater. + +"Das weiss Gott", antwortete er, "vor sieben Jahren, ja, so lange +ist's jetzt her, wurde er uns vom Markte weg gestohlen." 'Vor sieben +Jahren!" rief Jakob mit Entsetzen. + +"Ja, kleiner Herr, vor sieben Jahren; ich weiss noch wie heute, wie +mein Weib nach Hause kam, heulend und schreiend, das Kind sei den +ganzen Tag nicht zurueckgekommen, sie aber ueberall geforscht und +gesucht und es nicht gefunden. Ich habe es immer gedacht und gesagt, +dass es so kommen wuerde; er Jakob war ein schoenes Kind, das muss man +sagen; da war meine Frau stolz auf ihn und sah es gerne, wenn ihn die +Leute lobten, und schickte ihn oft mit Gemuese und dergleichen in +vornehme Haeuser. Das war schon recht; er wurde allemal reichlich +beschenkt; aber, sagte ich, gib acht! Die Stadt ist gross; viele +schlechte Leute wohnen da, gib mir auf den Jakob acht! Und so war es, +wie ich sagte. Kommt einmal ein altes, haessliches Weib auf den Markt, +feilscht um Fruechte und Gemuese und kauft am Ende so viel, dass sie es +nicht selbst tragen kann. Mein Weib, die mitleidige Seele, gibt ihr +den Jungen mit und--hat ihn zur Stunde nicht mehr gesehen." + +"Und das ist jetzt sieben Jahre, sagt Ihr?" + +"Sieben Jahre wird es im Fruehling. Wir liessen ihn ausrufen, wir +gingen von Haus zu Haus und fragten; manche hatten den huebschen +Jungen gekannt und liebgewonnen und suchten jetzt mit uns, alles +vergeblich. Auch die Frau, welche das Gemuese gekauft hatte, wollte +niemand kennen; aber ein steinaltes Weib, die schon neunzig Jahre +gelebt hatte, sagte, es koenne wohl die boese Fee Kraeuterweis gewesen +sein, die alle fuenfzig Jahre einmal in die Stadt komme, um sich +allerlei einzukaufen." + +So sprach Jakobs Vater und klopfte dabei seine Schuhe weidlich und +zog den Draht mit beiden Faeusten weit hinaus. Dem Kleinen aber wurde +es nach und nach klar, was mit ihm vorgegangen, dass er naemlich nicht +getraeumt, sondern dass er sieben Jahre bei der boesen Fee als +Eichhoernchen gedient habe. Zorn und Gram erfuellten sein Herz so sehr, +dass es beinahe zerspringen wollte. Sieben Jahre seiner Jugend hatte +ihm die Alte gestohlen, und was hatte er fuer Ersatz dafuer? Dass er +Pantoffeln von Kokosnuessen blank putzen, dass er ein Zimmer mit +glaesernem Fussboden reinmachen konnte? Dass er von den Meerschweinchen +alle Geheimnisse der Kueche gelernt hatte? Er stand eine gute Weile +so da und dachte ueber sein Schicksal nach; da fragte ihn endlich sein +Vater: "Ist Euch vielleicht etwas von meiner Arbeit gefaellig, junger +Herr? Etwa ein Paar neue Pantoffeln oder", setzte er laechelnd hinzu, +"vielleicht ein Futteral fuer Eure Nase?" + +"Was wollt Ihr nur mit meiner Nase?" fragte Jakob, "warum sollte ich +denn ein Futteral dazu brauchen?" + +"Nun", entgegnete der Schuster, "jeder nach seinem Geschmack; aber +das muss ich Euch sagen, haette ich diese schreckliche Nase, ein +Futteral liess ich mir darueber machen von rosenfarbigem Glanzleder. +Schaut, da habe ich ein schoenes Stueckchen zur Hand; freilich wuerde +man eine Elle wenigstens dazu brauchen. Aber wie gut waeret Ihr +verwahrt, kleiner Herr; so, weiss ich gewiss, stosst Ihr Euch an jedem +Tuerpfosten, an jedem Wagen, dem Ihr ausweichen wollet." + +Der Kleine stand stumm vor Schrecken; er belastete seine Nase, sie +war dick und wohl zwei Haende lang! So hatte also die Alte auch seine +Gestalt verwandelt! Darum kannte ihn also die Mutter nicht? Darum +schalt man ihn einen haesslichen Zwerg?! "Meister!" sprach er halb +weinend zu dem Schuster, "habt Ihr keinen Spiegel bei der Hand, worin +ich mich beschauen koennte?" + +"Junger Herr", erwiderte der Vater mit Ernst, "Ihr habt nicht gerade +eine Gestalt empfangen, die Euch eitel machen koennte, und Ihr habt +nicht Ursache, alle Stunden in den Spiegel zu gucken. Gewoehnt es +Euch ab, es ist besonders bei Euch eine laecherliche Gewohnheit." + +"Ach, so lasst mich doch in den Spiegel schauen", rief der Kleine, +"gewiss, es ist nicht aus Eitelkeit!" + +"Lasset mich in Ruhe, ich hab' keinen im Vermoegen; meine Frau hat ein +Spiegelchen, ich weiss aber nicht, wo sie es verborgen. Muesst Ihr aber +durchaus in den Spiegel gucken, nun, ueber der Strasse hin wohnt Urban, +der Barbier, der hat einen Spiegel, zweimal so gross als Euer Kopf; +gucket dort hinein, und indessen guten Morgen!" + +Mit diesen Worten schob ihn der Vater ganz gelinde zur Bude hinaus, +schloss die Tuer hinter ihm zu und setzte sich wieder zur Arbeit. Der +Kleine aber ging sehr niedergeschlagen ueber die Strasse zu Urban, dem +Barbier, den er noch aus frueheren Zeiten wohl kannte. "Guten Morgen, +Urban", sprach er zu ihm, "ich komme, Euch um eine Gefaelligkeit zu +bitten; seid so gut und lasset mich ein wenig in Euren Spiegel +schauen!" + +"Mit Vergnuegen, dort steht er", rief der Barbier lachend, und seine +Kunden, denen er den Bart scheren sollte, lachten weidlich mit. "Ihr +seid ein huebsches Buerschchen, schlank und fein, ein Haelschen wie ein +Schwan, Haendchen wie eine Koenigin, und ein Stumpfnaeschen, man kann es +nicht schoener sehen. Ein wenig eitel seid Ihr darauf, das ist wahr; +aber beschauet Euch immer! Man soll nicht von mir sagen, ich habe +Euch aus Neid nicht in meinen Spiegel schauen lassen." + +So sprach der Barbier, und wieherndes Gelaechter faellte die Baderstube. +Der Kleine aber war indes vor den Spiegel getreten und hatte sich +beschaut. Traenen traten ihm in die Augen. "Ja, so konntest du +freilich deinen Jakob nicht wiedererkennen, liebe Mutter", sprach er +zu sich, "so war er nicht anzuschauen in den Tagen der Freude, wo du +gerne mit ihm prangtest vor den Leuten!" Seine Augen waren klein +geworden wie die der Schweine, seine Nase war ungeheuer und hing ueber +Mund und Kinn herunter, der Hals schien gaenzlich weggenommen worden +zu sein; denn sein Kopf stak tief in den Schultern, und nur mit den +groessten Schmerzen konnte er ihn rechts und links bewegen. Sein +Koerper war noch so gross als vor sieben Jahren, da er zwoelf Jahre alt +war; aber wenn andere vom zwoelften bis ins zwanzigste in die Hoehe +wachsen, so wuchs er in die Breite, der Ruecken und die Brust waren +weit ausgebogen und waren anzusehen wie ein kleiner, aber sehr dick +gefaellter Sack; dieser dicke Oberleib sass auf kleinen, schwachen +Beinchen, die dieser Last nicht gewachsen schienen, aber um so groesser +waren die Arme, die ihm am Leib herabhingen, sie hatten die Groesse wie +die eines wohlgewachsenen Mannes, seine Haende waren grob und +braungelb, seine Finger lang und spinnenartig, und wenn er sie recht +ausstreckte, konnte er damit auf den Boden reichen, ohne dass er sich +bueckte. So sah er aus, der kleine Jakob, zum missgestalteten Zwerg +war er geworden. + +Jetzt gedachte er auch jenes Morgens, an welchem das alte Weib an die +Koerbe seiner Mutter getreten war. Alles, was er damals an ihr +getadelt hatte, die lange Nase, die haesslichen Finger, alles hatte sie +ihm angetan, und nur den langen, zitternden Hals hatte sie gaenzlich +weggelassen. + +"Nun, habt Ihr Euch jetzt genug beschaut, mein Prinz?" sagte der +Barbier, indem er zu ihm trat und ihn lachend betrachtete. "Wahrlich, +wenn man sich dergleichen traeumen lassen wollte, so komisch koennte +es einem im Traume nicht vorkommen. Doch ich will Euch einen +Vorschlag machen, kleiner Mann. Mein Barbierzimmer ist zwar sehr +besucht, aber doch seit neuerer Zeit nicht so, wie ich wuensche. Das +kommt daher, weil mein Nachbar, der Barbier Schaum, irgendwo einen +Riesen aufgefunden hat, der ihm die Kunden ins Haus lockt. Nun, ein +Riese zu werden, ist gerade keine Kunst, aber so ein Maennchen wie Ihr, +ja, das ist schon ein ander Ding. Tretet bei mir in Dienste, +kleiner Mann, Ihr sollt Wohnung, Essen, Trinken, Kleider, alles sollt +Ihr haben; dafuer stellt Ihr Euch morgens unter meine Tuere und ladet +die Leute ein, hereinzukommen. Ihr schlaget den Seifenschaum, +reichet den Kunden das Handtuch und seid versichert, wir stehen uns +beide gut dabei; ich bekomme mehr Kunden als jener mit dem Riesen, +und jeder gibt Euch gerne noch ein Trinkgeld." + +Der Kleine war in seinem Innern empoert ueber den Vorschlag, als +Lockvogel fuer einen Barbier zu dienen. Aber musste er sich nicht +diesen Schimpf geduldig gefallen lassen? Er sagte dem Barbier daher +ganz ruhig, dass er nicht Zeit habe zu dergleichen Diensten, und ging +weiter. + +Hatte das boese alte Weib seine Gestalt unterdrueckt, so hatte sie doch +seinem Geist nichts anhaben koennen, das fuehlte er wohl; denn er +dachte und fuehlte nicht mehr, wie er vor sieben Jahren getan; nein, +er glaubte in diesem Zeitraum weiser, verstaendiger geworden zu sein; +er trauerte nicht um seine verlorene Schoenheit, nicht ueber diese +haessliche Gestalt, sondern nur darueber, dass er wie ein Hund von der +Tuere seines Vaters gejagt werde. Darum beschloss er, noch einen +Versuch bei seiner Mutter zu machen. + +Er trat zu ihr auf den Markt und bat sie, ihm ruhig zuzuhoeren. Er +erinnerte sie an jenen Tag, an welchem er mit dem alten Weibe +gegangen, er erinnerte sie an alle einzelnen Vorfaelle seiner Kindheit, +erzaehlte ihr dann, wie er sieben Jahre als Eichhoernchen gedient habe +bei der Fee und wie sie ihn verwandelte, weil er sie damals getadelt. +Die Frau des Schusters wusste nicht, was sie denken sollte. Alles +traf zu, was er ihr von seiner Kindheit erzaehlte, aber wenn er davon +sprach, dass er sieben Jahre lang ein Eichhoernchen gewesen sei, da +sprach sie: "Es ist unmoeglich, und es gibt keine Feen", und wenn sie +ihn ansah, so verabscheute sie den haesslichen Zwerg und glaubte nicht, +dass dies ihr Sohn sein koenne. Endlich hielt sie es fuers beste, mit +ihrem Manne darueber zu sprechen. Sie raffte also ihre Koerbe zusammen +und hiess ihn mitgehen. So kamen sie zu der Bude des Schusters. + +"Sieh einmal", sprach sie zu diesem, "der Mensch da will unser +verlorner Jakob sein. Er hat mir alles erzaehlt, wie er uns vor +sieben Jahren gestohlen wurde und wie er von einer Fee verzaubert +worden sei." + +"So?" unterbrach sie der Schuster mit Zorn, "hat er dir dies erzaehlt? +Warte, du Range! Ich habe ihm alles erzaehlt noch vor einer Stunde, +und jetzt geht er hin, dich so zu foppen! Verzaubert bist du worden, +mein Soehnchen? Warte doch, ich will dich wieder entzaubern." Dabei +nahm er ein Buendel Riemen, die er eben zugeschnitten hatte, sprang +auf den Kleinen zu und schlug ihn auf den hohen Ruecken und auf die +langen Arme, dass der Kleine vor Schmerz aufschrie und weinend +davonlief. + +In jener Stadt gibt es, wie ueberall, wenige mitleidige Seelen, die +einen Ungluecklichen, der zugleich etwas Laecherliches an sich traegt, +unterstuetzen. Daher kam es, dass der unglueckliche Zwerg den ganzen +Tag ohne Speise und Trank blieb und abends die Treppen einer Kirche, +so hart und kalt sie waren, zum Nachtlager waehlen musste. + +Als ihn aber am naechsten Morgen die ersten Strahlen der Sonne +erweckten, da dachte er ernstlich darueber nach, wie er sein Leben +fristen koenne, da ihn Vater und Mutter verstossen. Er fuehlte sich zu +stolz, um als Aushaengeschild eines Barbiers zu dienen, er wollte +nicht zu einem Possenreisser sich verdingen und sich um Geld sehen +lassen. Was sollte er anfangen? Da fiel ihm mit einemmal bei, dass +er als Eichhoernchen grosse Fortschritte in der Kochkunst gemacht habe; +er glaubte nicht mit Unrecht, hoffen zu duerfen, dass er es mit manchem +Koch aufnehmen koenne; er beschloss, seine Kunst zu benuetzen. + +Sobald es daher lebhafter wurde auf den Strassen und der Morgen ganz +heraufgekommen war, trat er zuerst in die Kirche und verrichtete sein +Gebet. Dann trat er seinen Weg an. Der Herzog, der Herr des Landes, +o Herr, war ein bekannter Schlemmer und Lecker, der eine gute Tafel +liebte und seine Koeche in allen Weltteilen aufsuchte. Zu seinem +Palast begab sich der Kleine. Als er an die aeusserste Pforte kam, +fragten die Tuerhueter nach seinem Begehr und hatten ihren Spott mit +ihm; er aber verlangte nach dem Oberkuechenmeister. Sie lachten und +fuehrten ihn durch die Vorhoefe, und wo er hinkam, blieben die Diener +stehen, schauten nach ihm, lachten weidlich und schlossen sich an, so +dass nach und nach ein ungeheurer Zug von Dienern aller Art sich die +Treppe des Palastes hinaufbewegte; die Stallknechte warfen ihre +Striegel weg, die Laeufer liefen, was sie konnten, die Teppichbreiter +vergassen, die Teppiche auszuklopfen, alles draengte und trieb sich, es +war ein Gefuehl, als sei der Feind vor den Toren, und das Geschrei: +"Ein Zwerg, ein Zwerg! Habt ihr den Zwerg gesehen?" faellte die Luefte. + +Da erschien der Aufseher des Hauses mit grimmigem Gesicht, eine +ungeheure Peitsche in der Hand, in der Tuere. "Um des Himmels willen, +ihr Hunde, was macht ihr solchen Laerm! Wisset ihr nicht, dass der +Herr noch schlaeft?" Und dabei schwang er die Geissel und liess sie +unsanft auf den Ruecken einiger Stallknechte und Tuerhalter +niederfallen. + +"Ach, Herr!" riefen sie, "seht Ihr denn nicht? Da bringen wir einen +Zwerg, einen Zwerg, wie Ihr noch keinen gesehen." + +Der Aufseher des Palastes zwang sich mit Muehe, nicht laut aufzulachen, +als er des Kleinen ansichtig wurde; denn er fuerchtete, durch Lachen +seiner Wuerde zu schaden. Er trieb daher mit der Peitsche die uebrigen +hinweg, fuehrte den Kleinen ins Haus und fragte nach seinem Begehr. +Als er hoerte, jener wolle zum Kuechenmeister, erwiderte er--"Du irrst +dich, mein Soehnchen; zu mir, dem Aufseher des Hauses, willst du; du +willst Leibzwerg werden beim Herzog; ist es nicht also?" + +"Nein, Herr!" antwortete der Zwerg. "Ich bin ein geschickter Koch +und erfahren in allerlei seltenen Speisen; wollet mich zum +Oberkuechenmeister bringen; vielleicht kann er meine Kunst brauchen." + +"Jeder nach seinem Willen, kleiner Mann; uebrigens bist du doch ein +unbesonnener Junge. In die Kueche! Als Leibzwerg haettest du keine +Arbeit gehabt und Essen und Trinken nach Herzenslust und schoene +Kleider. Doch, wir wollen sehen, deine Kochkunst wird schwerlich so +weit reichen, als ein Mundkoch des Herren noetig hat, und zum +Kuechenjungen bist du zu gut." Bei diesen Worten nahm ihn der Aufseher +des Palastes bei der Hand und fuehrte ihn in die Gemaecher des +Oberkuechenmeisters. + +"Gnaediger Herr", sprach dort der Zwerg und verbeugte sich so tief, +dass er mit der Nase den Fussteppich beruehrte, "brauchet Ihr keinen +geschickten Koch?" + +Der Oberkuechenmeister betrachtete ihn vom Kopf bis zu den Fuessen, +brach dann in lautes Lachen aus und sprach: "Wie?" rief er, "du ein +Koch? Meinst du, unsere Herde seien so niedrig, dass du nur auf einen +hinaufschauen kannst, wenn du dich auch auf die Zehen stellst und den +Kopf recht aus den Schultern herausarbeitest? O lieber Kleiner! Wer +dich zu mir geschickt hat, um dich als Koch zu verdingen, der hat +dich zum Narren gehabt." So sprach der Oberkuechenmeister und lachte +weidlich, und mit ihm lachten der Aufseher des Palastes und alle +Diener, die im Zimmer waren. + +Der Zwerg aber liess sich nicht aus der Fassung bringen. "Was liegt +an einem Ei oder zweien, an ein wenig Sirup und Wein, an Mehl und +Gewuerze in einem Hause, wo man dessen genug hat?" sprach er. "Gebet +mir irgendeine leckerhafte Speise zu bereiten auf, schaffet mir, was +ich dazu brauche, und sie soll vor Euren Augen schnell bereitet sein, +und Ihr sollet sagen muessen, er ist ein Koch nach Regel und Recht." +Solche und aehnliche Reden fuehrte der Kleine, und es war wunderlich +anzuschauen, wie es dabei aus seinen kleinen Aeuglein hervorblitzte, +wie seine lange Nase sich hin und her schlaengelte und seine duennen +Spinnenfinger seine Rede begleiteten. + +"Wohlan!" rief der Kuechenmeister und nahm den Aufseher des Palastes +unter dem Arme, "wohlan, es sei um des Spasses willen; lasset uns zur +Kueche gehen!" Sie gingen durch mehrere Saele und Gaenge und kamen +endlich in die Kueche. Es war dies ein grosses, weitlaeufiges Gebaeude, +herrlich eingerichtet; auf zwanzig Herden brannten bestaendig Feuer; +ein klares Wasser, das zugleich zum Fischbehaelter diente, floss mitten +durch sie, in Schraenken von Marmor und koestlichem Holz waren die +Vorraete aufgestellt, die man immer zur Hand haben musste, und zur +Rechten und Linken waren zehn Saele, in welchen alles aufgespeichert +war, was man in allen Laendern von Frankistan und selbst im +Morgenlande Koestliches und Leckeres fuer den Gaumen erfunden. +Kuechenbedienstete aller Art liefen umher und rasselten und hantierten +mit Kesseln und Pfannen, mit Gabeln und Schaumloeffeln; als aber der +Oberkuechenmeister in die Kueche eintrat, blieben sie alle regungslos +stehen, und nur das Feuer hoerte man noch knistern und das Baechlein +rieseln. "Was hat der Herr heute zum Fruehstueck befohlen?" fragte der +Meister den ersten Fruehstuecksmacher, einen alten Koch. "Herr, die +daenische Suppe hat er geruht zu befehlen und rote Hamburger Kloesschen." + +"Gut", sprach der Kuechenmeister weiter, "hast du gehoert, was der Herr +speisen will? Getraust du dich, diese schwierigen Speisen zu +bereiten? Die Kloesschen bringst du auf keinen Fall heraus, das ist +ein Geheimnis." + +"Nichts leichter als dies", erwiderte zu allgemeinem Erstaunen der +Zwerg; denn er hatte diese Speisen als Eichhoernchen oft gemacht; +"nichts leichter! Man gebe mir zu der Suppe die und die Kraeuter, +dies und jenes Gewuerz, Fett von einem wilden Schwein, Wurzeln und +Eier; zu den Kloesschen aber", sprach er leiser, dass es nur der +Kuechenmeister und der Fruehstuecksmacher hoeren konnten, "zu den +Kloesschen brauche ich viererlei Fleisch, etwas Wein, Entenschmalz, +Ingwer und ein gewisses Kraut, das man Magentrost heisst." + +"Hai Bei St. Benedikt! Bei welchem Zauberer hast du gelernt?" rief +der Koch mit Staunen. "Alles bis auf ein Haar hat er gesagt, und das +Kraeutlein Magentrost haben wir selbst nicht gewusst; ja, das muss es +noch angenehmer machen. O du Wunder von einem Koch!" + +"Das haette ich nicht gedacht", sagte der Oberkuechenmeister, "doch +lassen wir ihn die Probe machen; gebt ihm die Sachen, die er verlangt, +Geschirr und alles, und lasset ihn das Fruehstueck bereiten." + +Man tat, wie er befohlen, und ruestete alles auf dem Herde zu; aber da +fand es sich, dass der Zwerg kaum mit der Nase bis an den Herd reichen +konnte. Man setzte daher ein paar Stuehle zusammen, legte eine +Marmorplatte darueber und lud den kleinen Wundermann ein, sein +Kunststueck zu beginnen. In einem grossen Kreise standen die Koeche, +Kuechenjungen, Diener und allerlei Volk umher und sahen zu und +staunten, wie ihm alles so flink und fertig von der Hand ging, wie er +alles so reinlich und niedlich bereitete. Als er mit der Zubereitung +fertig war, befahl er, beide Schuesseln ans Feuer zu setzen und genau +so lange kochen zu lassen, bis er rufen werde; dann fing er an zu +zaehlen, eins, zwei drei und so fort, und gerade als er fuenfhundert +gezaehlt hatte, rief er: "Halt!" Die Toepfe wurden weggesetzt, und der +Kleine lud den Kuechenmeister ein, zu kosten. + +Der Mundkoch liess sich von einem Kuechenjungen einen goldenen Loeffel +reichen, spuelte ihn im Bach und ueberreichte ihn dem Oberkuechenmeister. +Dieser trat mit feierlicher Miene an den Herd, nahm von den Speisen, +kostete, drueckte die Augen zu, schnalzte vor Vergnuegen mit der Zunge +und sprach dann: "Koestlich, bei des Herzogs Leben, koestlich! Wollet +Ihr nicht auch ein Loeffelchen zu Euch nehmen, Aufseher des Palastes?" + +Dieser verbeugte sich, nahm den Loeffel, versuchte und war vor +Vergnuegen und Lust ausser sich. "Eure Kunst in Ehren, lieber +Fruehstuecksmacher, Ihr seid ein erfahrener Koch; aber so herrlich habt +Ihr weder die Suppe noch die Hamburger Kloesse machen koennen!" + +Auch der Koch kostete jetzt, schuettelte dann dem Zwerg ehrfurchtsvoll +die Hand und sagte: "Kleiner! Du bist Meister in der Kunst, ja, das +Kraeutlein Magentrost, das gibt allem einen ganz eigenen Reiz." + +In diesem Augenblick kam der Kammerdiener des Herzogs in die Kueche +und berichtete, dass der Herr das Fruehstueck verlange. Die Speisen +wurden nun auf silberne Platten gelegt und dem Herzog zugeschickt; +der Oberkuechenmeister aber nahm den Kleinen in sein Zimmer und +unterhielt sich mit ihm. Kaum waren sie aber halb so lange da, als +man ein Paternoster spricht (es ist dies das Gebet der Franken, o +Herr, und dauert nicht halb so lange als das Gebet der Glaeubigen), so +kam schon ein Bote und rief den Oberkuechenmeister zum Herrn. Er +kleidete sich schnell in sein Festkleid und folgte dem Boten. + +Der Herzog sah sehr vergnuegt aus. Er hatte alles aufgezehrt, was auf +den silbernen Platten gewesen war, und wischte sich eben den Bart ab, +als der Oberkuechenmeister zu ihm eintrat. "Hoere, Kuechenmeister", +sprach er, "ich bin mit deinen Koechen bisher immer sehr zufrieden +gewesen; aber sage mir, wer hat heute mein Fruehstueck bereitet? So +koestlich war es nie, seit ich auf dem Thron meiner Vaeter sitze; sage +an, wie er heisst, der Koch, dass wir ihm einige Dukaten zum Geschenk +schicken." + +"Herr, das ist eine wunderbare Geschichte", antwortete der +Oberkuechenmeister und erzaehlte, wie man ihm heute frueh einen Zwerg +gebracht, der durchaus Koch werden wollte und wie sich dies alles +begeben. Der Herzog verwunderte sich hoechlich, liess den Zwerg vor +sich rufen und fragte ihn aus, wer er sei und woher er komme. Da +konnte nun der arme Jakob freilich nicht sagen, dass er verzaubert +worden sei und frueher als Eichhoernchen gedient habe; doch blieb er +bei der Wahrheit, indem er erzaehlte, er sei jetzt ohne Vater und +Mutter und habe bei einer alten Frau kochen gelernt. Der Herzog +fragte nicht weiter, sondern ergoetzte sich an der sonderbaren Gestalt +seines neuen Kochs. + +"Willst du bei mir bleiben", sprach er, "so will ich dir jaehrlich +fuenfzig Dukaten, ein Festkleid und noch ueberdies zwei Paar +Beinkleider reichen lassen. Dafuer musst du aber taeglich mein +Fruehstueck selbst bereiten, musst angeben, wie das Mittagessen gemacht +werden soll, und Oberhaupt dich meiner Kueche annehmen. Da jeder in +meinem Palast seinen eigenen Namen von mir empfaengt, so sollst du +Nase heissen und die Wuerde eines Unterkuechenmeisters bekleiden." + +Der Zwerg Nase fiel nieder vor dem maechtigen Herzog in Frankenland, +kuesste ihm die Fuesse und versprach, ihm treu zu dienen. + +So war nun der Kleine fuers erste versorgt, und er machte seinem Amt +Ehre. Denn man kann sagen, dass der Herzog ein ganz anderer Mann war, +waehrend der Zwerg Nase sich in seinem Hause aufhielt. Sonst hatte es +ihm oft beliebt, die Schuesseln oder Platten, die man ihm auftrug, den +Koechen an den Kopf zu werfen; ja, dem Oberkuechenmeister selbst warf +er im Zorn einmal einen gebackenen Kalbsfass, der nicht weich genug +geworden war, so heftig an die Stirne, dass er umfiel und drei Tage zu +Bett liegen musste. Der Herzog machte zwar, was er im Zorn getan, +durch einige Haende voll Dukaten wieder gut, aber dennoch war nie ein +Koch ohne Zittern und Zagen mit den Speisen zu ihm gekommen. Seit +der Zwerg im Hause war, schien alles wie durch Zauber umgewandelt. +Der Herr ass jetzt statt dreimal des Tages fuenfmal, um sich an der +Kunst seines kleinsten Dieners recht zu laben, und dennoch verzog er +nie eine Miene zum Unmut. Nein, er fand alles neu, trefflich, war +leutselig und angenehm und wurde von Tag zu Tag fetter. + +Oft liess er mitten unter der Tafel den Kuechenmeister und den Zwerg +Nase rufen, setzte den einen rechts, den anderen links zu sich und +schob ihnen mit seinen eigenen Fingern einige Bissen der koestlichsten +Speisen in den Mund, eine Gnade, welche sie beide wohl zu schaetzen +wussten. + +Der Zwerg war das Wunder der Stadt. Man erbat sich flehentlich +Erlaubnis vom Oberkuechenmeister, den Zwerg kochen zu sehen, und +einige der vornehmsten Maenner hatten es so weit gebracht beim Herzog, +dass ihre Diener in der Kueche beim Zwerg Unterrichtsstunden geniessen +durften, was nicht wenig Geld eintrug; denn jeder zahlte taeglich +einen halben Dukaten. Und um die uebrigen Koeche bei guter Laune zu +erhalten und sie nicht neidisch auf ihn zu machen, ueberliess ihnen +Nase dieses Geld, das die Herren fuer den Unterricht ihrer Koeche +zahlen mussten. + +So lebte Nase beinahe zwei Jahre in aeusserlichem Wohlleben und Ehre, +und nur der Gedanke an seine Eltern betruebte ihn; so lebte er, ohne +etwas Merkwuerdiges zu erfahren, bis sich folgender Vorfall ereignete. +Der Zwerg Nase war besonders geschickt und gluecklich in seinen +Einkaeufen. Daher ging er, so oft es ihm die Zeit erlaubte, immer +selbst auf den Markt, um Gefluegel und Fruechte einzukaufen. Eines +Morgens ging er auch auf den Gaensemarkt und forschte nach schweren, +fetten Gaensen, wie sie der Herr liebte. Er war musternd schon +einigemal auf und ab gegangen. Seine Gestalt, weit entfernt, hier +Lachen und Spott zu erregen, gebot Ehrfurcht; denn man erkannte ihn +als den beruehmten Mundkoch des Herzogs, und jede Gaensefrau fuehlte +sich gluecklich, wenn er ihr die Nase zuwandte. + +Da sah er ganz am Ende einer Reihe in einer Ecke eine Frau sitzen, +die auch Gaense feil hatte, aber nicht wie die uebrigen ihre Ware +anpries; zu dieser trat er und mass und wog ihre Gaense. Sie waren, +wie er sie wuenschte, und er kaufte drei samt dem Kaefig, lud sie auf +seine breiten Schultern und trat den Rueckweg an. Da kam es ihm +sonderbar vor, dass nur zwei von diesen Gaensen schnatterten und +schrien, wie rechte Gaense zu tun pflegen, die dritte aber ganz still +und in sich gekehrt dasass und Seufzer ausstiess und aechzte wie ein +Mensch--"Die ist halbkrank", sprach er vor sich hin, "ich muss eilen, +dass ich sie umbringe und zurichte." Aber die Gans antwortete ganz +deutlich und laut: + +"Stichst du mich, So beiss' ich dich. Drueckst du mir die Kehle ab, +Bring' ich dich ins fruehe Grab." + +Ganz erschrocken setzte der Zwerg Nase seinen Kaefig nieder, und die +Gans sah ihn mit schoenen, klugen Augen an und seufzte. + +"Ei der Tausend!" rief Nase. "Sie kann sprechen, Jungfer Gans? Das +haette ich nicht gedacht. Na, sei Sie nur nicht aengstlich! Man weiss +zu leben und wird einem so seltenen Vogel nicht zu Leibe gehen. Aber +ich wollte wetten, Sie ist nicht von jeher in diesen Federn gewesen. +War ich ja selbst einmal ein schnoedes Eichhoernchen." + +"Du hast recht", erwiderte die Gans, "wenn du sagst, ich sei nicht in +dieser schmachvollen Huelle geboren worden. Ach, an meiner Wiege +wurde es mir nicht gesungen, dass Mimi, des grossen Wetterbocks Tochter, +in der Kueche eines Herzogs getoetet werden soll!" + +"Sei Sie doch ruhig, liebe Jungfer Mimi", troestete der Zwerg. "So +wahr ich ein ehrlicher Kerl und Unterkuechenmeister Seiner Durchlaucht +bin, es soll Ihr keiner an die Kehle. Ich will Ihr in meinen eigenen +Gemaechern einen Stall anweisen, Futter soll Sie genug haben, und +meine freie Zeit werde ich Ihrer Unterhaltung widmen; den uebrigen +Kuechenmenschen werde ich sagen, dass ich eine Gans mit allerlei +besonderen Kraeutern fuer den Herzog maeste, und sobald sich Gelegenheit +findet, setze ich Sie in Freiheit." + +Die Gans dankte ihm mit Traenen; der Zwerg aber tat, wie er +versprochen, schlachtete die zwei anderen Gaense, fuer Mimi aber baute +er einen eigenen Stall unter dem Vorwande, sie fuer den Herzog ganz +besonders zuzurichten. Er gab ihr auch kein gewoehnliches Gaensefutter, +sondern versah sie mit Backwerk und suessen Speisen. + +So oft er freie Zeit hatte, ging er hin, sich mit ihr zu unterhalten +und sie zu troesten. Sie erzaehlten sich auch gegenseitig ihre +Geschichten, und Nase erfuhr auf diesem Wege, dass die Gans eine +Tochter des Zauberers Wetterbock sei, der auf der Insel Gotland lebe. +Er sei in Streit geraten mit einer alten Fee, die ihn durch Raenke +und List ueberwunden und sie zur Rache in eine Gans verwandelt und +weit hinweg bis hierher gebracht habe. Als der Zwerg Nase ihr seine +Geschichte ebenfalls erzaehlt hatte, sprach sie: "Ich bin nicht +unerfahren in "lesen Sachen. Mein Vater hat mir und meinen +Schwestern einige Anleitung gegeben, so viel er naemlich davon +mitteilen durfte. Die Geschichte mit dem Streit am Kraeuterkorb, +deine ploetzliche Verwandlung, als du an jenem Kraeutlein rochst, auch +einige Worte der Alten, die du mir sagtest, beweisen mir, dass du auf +Kraeuter verzaubert bist, das heisst, wenn du das Kraut auffindest, das +sich die Fee bei deiner Verzauberung gedacht hat, so kannst du erloest +werden." Es war dies ein geringer Trost fuer den Kleinen; denn wo +sollte er das Kraut auffinden? Doch dankte er ihr und schoepfte +einige Hoffnung. + +Um diese Zeit bekam der Herzog einen Besuch von einem benachbarten +Fuersten, seinem Freunde. Er liess daher seinen Zwerg Nase vor sich +kommen und sprach zu ihm: "Jetzt ist die Zeit gekommen, wo du mir +zeigen musst, ob du mir treu dienst und Meister deiner Kunst bist. +Dieser Fuerst, der bei mir zu Besuch ist, speist bekanntlich ausser mir +am besten und ist ein grosser Kenner einer feinen Kueche und ein weiser +Mann. Sorge nun dafuer, dass meine Tafel taeglich also besorgt werde, +dass er immer mehr in Erstaunen geraet. Dabei darfst du, bei meiner +Ungnade, so lange er da ist, keine Speise zweimal bringen. Dafuer +kannst du dir von meinem Schatzmeister alles reichen lassen, was du +nur brauchst. Und wenn du Gold und Diamanten in Schmalz baden musst +so tu es! Ich will lieber ein armer Mann werden, als erroeten vor ihm." + +So sprach der Herzog! Der Zwerg aber sagte, indem er sich anstaendig +verbeugte: "Es sei, wie du sagst, o Herr! So es Gott der gefaellt, +werde ich alles so machen, dass es diesem Fuersten der Gutschmecker +wohlgefaellt." + +Der kleine Koch suchte nun seine ganze Kunst hervor. Er schonte die +Schaetze seines Herrn nicht, noch weniger aber sich selbst. Denn man +sah ihn den ganzen Tag in eine Wolke von Rauch und Feuer eingehuellt, +und seine Stimme hallte bestaendig durch das Gewoelbe der Kueche; denn +er befahl als Herrscher den Kuechenjungen und niederen Koechen. Herr! +Ich koennte es machen wie die Kameltreiber von Aleppo, wenn sie in +ihren Geschichten, die sie den Reisenden erzaehlen, die Menschen +herrlich speisen lassen. Sie fuehren eine ganze Stunde lang alle die +Gerichte an, die aufgetragen worden sind, und erwecken dadurch grosse +Sehnsucht und noch groesseren Hunger in ihren Zuhoerern, so dass diese +unwillkuerlich die Vorraete oeffnen und eine Mahlzeit halten und den +Kameltreibern reichlich mitteilen; doch ich nicht also. + +Der fremde Fuerst war schon vierzehn Tage beim Herzog und lebte +herrlich und in Freuden. Sie speisten des Tages nicht weniger als +fuenfmal, und der Herzog war zufrieden mit der Kunst des Zwerges; denn +er sah Zufriedenheit auf der Stirne seines Gastes. Am fuenfzehnten +Tage aber begab es sich, dass der Herzog den Zwerg zur Tafel rufen +liess, ihn seinem Gast, dem Fuersten, vorstellte und diesen fragte, wie +er mit dem Zwerg zufrieden sei. + +"Du bist ein wunderbarer Koch", antwortete der fremde Fuerst, "und +weisst, was anstaendig essen heisst. Du hast in der ganzen Zeit, da ich +hier bin, nicht eine einzige Speise wiederholt und alles trefflich +bereitet. Aber sage mir doch, warum bringst du so lange nicht die +Koenigin der Speisen, die Pastete Souzeraine?" + +Der Zwerg war sehr erschrocken; denn er hatte von dieser +Pastetenkoenigin nie gehoert; doch fasste er sich und antwortete: "O +Herr! Noch lange, hoffte ich, sollte dein Angesicht leuchten an +diesem Hoflager, darum wartete ich mit dieser Speise; denn womit +sollte dich denn der Koch begruessen am Tage des Scheidens als mit der +Koenigin der Pasteten?" + +"So?" entgegnete der Herzog lachend. "Und bei mir wolltest du wohl +warten bis an meinen Tod, um mich dann noch zu begruessen? Denn auch +mir hast du die Pastete noch nie vorgesetzt. Doch denke auf einen +anderen Scheidegruss; denn morgen musst du die Pastete auf die Tafel +setzen." + +"Es sei, wie du sagst, Herr!" antwortete der Zwerg und ging. Aber er +ging nicht vergnuegt; denn der Tag seiner Schande und seines Ungluecks +war gekommen. Er wusste nicht, wie er die Pastete machen sollte. Er +ging daher in seine Kammer und weinte ueber sein Schicksal. + +Da trat die Gans Mimi, die in seinem Gemach umhergehen durfte, zu ihm +und fragte ihn nach der Ursache seines Jammers. "Stille deine +Traenen", antwortete sie, als sie von der Pastete Souzeraine gehoert, +"dieses Gericht kam oft auf meines Vaters Tisch, und ich weiss +ungefaehr, was man dazu braucht; du nimmst dies und jenes, so und so +viel, und wenn es auch nicht durchaus alles ist, was eigentlich dazu +noetig, die Herren werden keinen so feinen Geschmack haben." So sprach +Mimi. Der Zwerg aber sprang auf vor Freuden, segnete den Tag, an +welchem er die Gans gekauft hatte, und schickte sich an, die Koenigin +der Pasteten zuzurichten. Er machte zuerst einen kleinen Versuch, +und siehe, es schmeckte trefflich, und der Oberkuechenmeister, dem er +davon zu kosten gab, pries aufs neue seine ausgebreitete Kunst. + +Den anderen Tag setzte er die Pastete in groesserer Form auf und +schickte sie warm, wie sie aus dem Ofen kam, nachdem er sie mit +Blumenkraenzen geschmeckt hatte, auf die Tafel. Er selbst aber zog +sein bestes Festkleid an und ging in den Speisesaal. Als r eintrat, +war der Obervorschneider gerade damit beschaeftigt, die Pastete zu +zerschneiden und auf einem silbernen Schaeufelein dem Herzog und +seinem Gaste hinzureichen. Der Herzog tat einen tuechtigen Biss hinein, +schlug die Augen auf zur Decke und srach, nachdem er geschluckt +hatte: "Ah, ah, ah! Mit Recht nennt man dies die Koenigin der +Pasteten; aber mein Zwerg ist auch der Koenig aller Koeche! Nicht also, +lieber Freund?" + +Der Gast nahm einige kleine Bissen zu sich, kostete und pruefte +aufmerksam und laechelte dabei hoehnisch und geheimnisvoll. "Das Ding +ist recht artig gemacht", antwortete er, indem er den Teller +hinwegrueckte, "aber die Souzeraine ist es denn doch nicht ganz; das +habe ich mir wohl gedacht." + +Da runzelte der Herzog vor Unmut die Stirne und erroetete vor +Beschaemung. "Hund von einem Zwerg!" rief er, "wie wagst du es, +deinem Herrn dies anzutun? Soll ich dir deinen grossen Kopf abhacken +lassen zur Strafe fuer deine schlechte Kocherei?" + +"Ach, Herr! Um des Himmels willen, ich habe das Gericht doch +zubereitet nach den Regeln der Kunst, es kann gewiss nichts fehlen!" +so sprach der Zwerg und zitterte. + +"Es ist eine Luege, du Bube!" erwiderte der Herzog und stiess ihn mit +dem Fusse von sich. "Mein Gast wuerde sonst nicht sagen, es fehlt +etwas. Dich selbst will ich zerhacken und backen lassen in eine +Pastete!" + +"Habt Mitleiden!" rief der Kleine und rutschte auf den Knien zu dem +Gast, dessen Fuesse er umfasste. "Saget, was fehlt in dieser Speise, +dass sie Eurem Gaumen nicht zusagt? Lasset mich nicht sterben wegen +einer Handvoll Fleisch und Mehl." + +"Das wird dir wenig helfen, mein lieber Nase", antwortete der Fremde +mit Lachen, "das habe ich mir schon gestern gedacht, dass du diese +Speise nicht machen kannst wie mein Koch. Wisse, es fehlt ein +Kraeutlein, das man hierzulande gar nicht kennt, das Kraut Niesmitlust; +ohne dieses bleibt die Pastete ohne Wuerze, und dein Herr wird sie +nie essen wie ich." + +Da geriet der Herrscher in Frankistan in Wut. "Und doch werde ich +sie essen", rief er mit funkelnden Augen, "denn ich schwoere bei +meiner fuerstlichen Ehre: Entweder zeige ich Euch morgen die Pastete, +wie Ihr sie verlangst--oder den Kopf dieses Burschen, aufgespiesst auf +dem Tor meines Palastes. Gehe, du Hund, noch einmal gebe ich dir +vierundzwanzig Stunden Zeit." + +So rief der Herzog; der Zwerg aber ging wieder weinend in sein +Kaemmerlein und klagte der Gans sein Schicksal und dass er sterben +muesse; denn von dem Kraut habe er nie gehoert. "Ist es nur dies", +sprach sie, "da kann ich dir schon helfen; denn mein Vater lehrte +mich alle Kraeuter kennen. Wohl waerest du vielleicht zu einer anderen +Zeit des Todes gewesen; aber gluecklicherweise ist es gerade Neumond, +und um diese Zeit blueht das Kraeutlein. Doch, sage an, sind alte +Kastanienbaeume in der Naehe des Palastes?" + +"O ja!" erwiderte Nase mit leichterem Herzen. "Am See, zweihundert +Schritte vom Haus, steht eine ganze Gruppe; doch warum diese?" + +"Nur am Fusse alter Kastanien blueht das Kraeutlein", sagte Mimi, "darum +lass uns keine Zeit versaeumen und suchen, was du brauchst; nimm mich +auf deinen Arm und setze mich im Freien nieder; ich will dir suchen." + +Er tat, wie sie gesagt, und ging mit ihr zur Pforte des Palastes. +Dort aber streckte der Tuerhueter das Gewehr vor und sprach: "Mein +guter Nase, mit dir ist's vorbei; aus dem Hause darfst du nicht, ich +habe den strengsten Befehl darueber." + +"Aber in den Garten kann ich doch wohl gehen?" erwiderte der Zwerg. +"Sei so gut und schicke einen deiner Gesellen zum Aufseher des +Palastes und frage, ob ich nicht in den Garten gehen und Kraeuter +suchen duerfe?" Der Tuerhueter tat also, und es wurde erlaubt; denn der +Garten hatte hohe Mauern, und es war an kein Entkommen daraus zu +denken. Als aber Nase mit der Gans Mimi ins Freie gekommen war, +setzte er sie behutsam nieder, und sie ging schnell vor ihm her dem +See zu, wo die Kastanien standen. Er folgte ihr nur mit beklommenem +Herzen; denn es war ja seine letzte, einzige Hoffnung; fand sie das +Kraeutlein nicht, so stand sein Entschluss fest, er stuerzte sich dann +lieber in den See, als dass er sich koepfen liess. Die Gans suchte +vergebens, sie wandelte unter allen Kastanien, sie wandte mit dem +Schnabel jedes Graeschen um, es wollte sich nichts zeigen, und sie +fing aus Mitleid und Angst an zu weinen; denn schon wurde der Abend +dunkler und die Gegenstaende umher waren schwerer zu erkennen. + +Da fielen die Blicke des Zwerges ueber den See hin, und ploetzlich rief +er: "Siehe, siehe, dort ueber dem See steht noch ein grosser, alter +Baum; lass uns dorthin gehen und suchen, vielleicht blueht dort mein +Glueck." + +Die Gans huepfte und flog voran, und er lief nach, so schnell seine +kleinen Beine konnten; der Kastanienbaum warf einen grossen Schatten, +und es war dunkel umher, fast war nichts mehr zu erkennen; aber da +blieb ploetzlich die Gans stille stehen, schlug vor Freuden mit den +Fluegeln, fuhr dann schnell mit dem Kopf ins hohe Gras und pflueckte +etwas ab, das sie dem erstaunten Nase zierlich mit dem Schnabel +ueberreichte und sprach: "Das ist das Kraeutlein, und hier waechst eine +Menge davon, so dass es dir nie daran fehlen kann." + +Der Zwerg betrachtete das Kraut sinnend; ein suesser Duft stroemte ihm +daraus entgegen, der ihn unwillkuerlich an die Szene seiner +Verwandlung erinnerte; die Stengel, die Blaetter waren blaeulichgruen, +sie trugen eine brennend rote Blume mit gelbem Rande. + +"Gelobt sei Gott!" rief er endlich aus. "Welches Wunder! Wisse, ich +glaube, es ist dies dasselbe Kraut, das mich aus einem Eichhoernchen +in diese schaendliche Gestalt umwandelte; soll ich den Versuch machen?" + +"Noch nicht", bat die Gans. "Nimm von diesem Kraut eine Handvoll mit +dir, lass uns auf dein Zimmer gehen und dein Geld, und was du sonst +hast, zusammenraffen, und dann wollen wir die Kraft des Krautes +versuchen!" Sie taten also und gingen auf seine Kammer zurueck, und +das Herz des Zwerges pochte hoerbar vor Erwartung. Nachdem er fuenfzig +oder sechzig Dukaten, die er erspart hatte, einige Kleider und Schuhe +zusammen in ein Buendel geknuepft hatte, sprach er: "So es Gott +gefaellig ist, werde ich diese Buerde loswerden", steckte seine Nase +tief in die Kraeuter und sog ihren Duft ein. + +Da zog und knackte es in allen seinen Gliedern, er fuehlte, wie sich +sein Kopf aus den Schultern hob, er schielte herab auf seine Nase und +sah sie kleiner und kleiner werden, sein Ruecken und seine Brust +fingen an, sich zu ebnen, und seine Beine wurden laenger. + +Die Gans sah mit Erstaunen diesem allem zu. "Ha! Was du gross, was +du schoen bist!" rief sie. "Gott sei gedankt, es ist nichts mehr an +dir von allem, was du vorher warst!" + +Da freute sich Jakob sehr, und er faltete die Haende und betete. Aber +seine Freude liess ihn nicht vergessen, welchen Dank er der Gans +schuldig sei; zwar draengte ihn sein Herz, zu seinen Eltern zu gehen; +doch besiegte er aus Dankbarkeit diesen Wunsch und sprach: "Wem +anders als dir habe ich es zu danken, dass ich mir selbst +wiedergeschenkt bin? Ohne dich haette ich dieses Kraut nimmer +gefunden, haette also ewig in jener Gestalt bleiben oder vielleicht +gar unter dem Beile des Henkers sterben muessen. Wohlan, ich will es +dir vergelten. Ich will dich zu deinem Vater bringen; er, der +erfahren ist in jedem Zauber, wird dich leicht entzaubern koennen." +Die Gans vergoss Freudentraenen und nahm sein Anerbieten an. Jakob kam +gluecklich und unerkannt mit der Gans aus dem Palast und machte sich +auf den Weg nach dem Meeresstrand, Mimis Heimat, zu. + +Was soll ich noch weiter erzaehlen, dass sie ihre Reise gluecklich +vollendeten, dass Wetterbock seine Tochter entzauberte und den Jakob, +mit Geschenken beladen, entliess, dass er in seine Vaterstadt zurueckkam +und dass seine Eltern in dem schoenen jungen Mann mit Vergnuegen ihren +verlorenen Sohn erkannten, dass er von den Geschenken, die er von +Wetterbock mitbrachte, sich einen Laden kaufte und reich und +gluecklich wurde? + +Nur so viel will ich noch sagen, dass nach seiner Entfernung aus dem +Palaste des Herzogs grosse Unruhe entstand; denn als am anderen Tage +der Herzog seinen Schwur erfuellen und dem Zwerg, wenn er die Kraeuter +nicht gefunden haette, den Kopf abschlagen lassen wollte, war er +nirgends zu finden; der Fuerst aber behauptete, der Herzog habe ihn +heimlich entkommen lassen, um sich nicht seines besten Kochs zu +berauben, und klagte ihn an, dass er wortbruechig sei. Dadurch +entstand denn ein grosser Krieg zwischen beiden Fuersten, der in der +Geschichte unter dem Namen "Kraeuterkrieg" wohlbekannt ist; es wurde +manche Schlacht geschlagen, aber am Ende doch Friede gemacht, und +diesen Frieden nennt man bei uns den "Pastetenfrieden", weil beim +Versoehnungsfest durch den Koch des Fuersten die Souzeraine, die +Koenigin der Pasteten, zubereitet wurde, welche sich der Herr Herzog +trefflich schmecken liess. + +So fuehren oft die kleinsten Ursachen zu grossen Folgen; und dies, o +Herr, ist die Geschichte des Zwerges Nase. + +So erzaehlte der Sklave aus Frankistan; nachdem er geendet hatte, liess +der Scheik Ali Banu ihm und den anderen Sklaven Fruechte reichen, sich +zu erfrischen, und unterhielt sich, waehrend sie assen, mit seinen +Freunden. Die jungen Maenner aber, die der Alte eingefuehrt hatte, +waren voll Lobes ueber den Scheik, sein Haus und alle seine +Einrichtungen. "Wahrlich", sprach der junge Schreiber, "es gibt +keinen angenehmeren Zeitvertreib als Geschichten anzuhoeren. Ich +koennte tagelang so hinsetzen, die Beine untergeschlagen, einen Arm +aufs Kissen gestuetzt, die Stirne in die Hand gelegt, und, wenn es +ginge, des Scheiks grosse Wasserpfeife in der Hand, und Geschichten +anhoeren--so ungefaehr stelle ich mir das Leben vor in den Gaerten +Mahomeds." + +"So lange Ihr jung seid und arbeiten koennt", sprach der Alte, "kann +ein solcher traeger Wunsch nicht Euer Ernst sein. Aber das gebe ich +Euch zu, dass ein eigener Reiz darin liegt, etwas erzaehlen zu hoeren. +So alt ich bin, und ich gehe nun ins siebenundsiebzigste Jahr, so +viel ich in meinem Leben schon gehoert habe, so verschmaehe ich es doch +nicht, wenn an der Ecke ein Geschichtenerzaehler sitzt und um ihn in +grossem Kreis die Zuhoerer, mich ebenfalls hinzusetzen und zuzuhoeren. +Man traeumt sich ja in die Begebenheiten hinein, die erzaehlt werden, +man lebt mit diesen Menschen, mit diesen wundervollen Geistern, mit +Feen und dergleichen Leuten, die uns nicht alle Tage begegnen, und +hat nachher, wenn man einsam ist, Stoff, sich alles zu wiederholen, +wie der Wanderer, der sich gut versehen hat, wenn er durch die Wueste +reist." + +"Ich habe nie so darueber nachgedacht", erwiderte ein anderer der +jungen Leute, "worin der Reiz solcher Geschichten eigentlich liegt. +Aber mir geht es wie euch. Schon als Kind konnte man mich, wenn ich +ungeduldig war, durch eine Geschichte zum Schweigen bringen. Es war +mir anfangs gleichgueltig, von was es handelte, wenn es nur erzaehlt +war, wenn nur etwas geschah; wie oft habe ich, ohne zu ermueden, jene +Fabeln angehoert, die weise Maenner erfunden und in welche sie einen +Kern ihrer Weisheit gelegt haben, vom Fuchs und vom toerichten Raben, +vom Fuchs und vom Wolf, viele Dutzend Geschichten vom Loewen und den +uebrigen Tieren. Als ich aelter wurde und mehr unter die Menschen kam, +genuegten mir jene kurzen Geschichten nicht mehr; sie mussten schon +laenger sein, mussten von Menschen und ihren wunderbaren Schicksalen +handeln." "Ja, ich entsinne mich noch wohl dieser Zeit", unterbrach +ihn einer seiner Freunde. "Du warst es, der uns diesen Drang nach +Erzaehlungen beibrachte. Einer Eurer Sklaven wusste so viel zu +erzaehlen, als ein Kameltreiber von Mekka nach Medina spricht; wenn er +fertig war mit seiner Arbeit, musste er sich zu uns setzen, und da +baten wir so lange, bis er zu erzaehlen anfing, und das ging fort und +fort, bis die Nacht heraufkam." + +"Und erschloss sich uns", entgegnete der Schreiber, "erschloss sich uns +da nicht ein neues, nie gekanntes Reich, das Land der Genien und Feen, +bebaut mit allen Wundern der Pflanzenwelt, mit reichen Palaesten von +Smaragden und Rubinen, mit riesenhaften Sklaven bevoelkert, die +erschienen, wenn man einen Ring hin und wider dreht oder die +Wunderlampe reibt oder das Wort Salomos ausspricht, und in goldenen +Schalen herrliche Speisen bringen. Wir fuehlten uns unwillkuerlich in +jenes Land versetzt, wir machten mit Sindbad seine wunderbaren +Fahrten, wir gingen mit Harun Al-Raschid, dem weisen Beherrscher der +Glaeubigen, abends spazieren, wir kannten Giaffar, seinen Wesir, so +gut als uns selbst, kurz, wir lebten in jenen Geschichten, wie man +nachts in Traeumen lebt, und es gab keine schoenere Tageszeit fuer uns +als den Abend, wo der alte Sklave uns erzaehlte. Aber sage uns, Alter, +worin liegt es denn eigentlich, dass wir damals so gerne erzaehlen +hoerten, dass es noch jetzt fuer uns keine angenehmere Unterhaltung +gibt?" + +Die Bewegung, die im Zimmer entstand, und die Aufforderung zur +Aufmerksamkeit, die der Sklavenaufseher gab, verhinderte den Alten zu +antworten. Die jungen Leute wussten nicht, ob sie sich freuen sollten, +dass sie eine neue Geschichte anhoeren durften, oder ungehalten sein +darueber, dass ihr anziehendes Gespraech mit dem Alten unterbrochen +worden war; aber ein zweiter Sklave erhob sich bereits und begann: + + + + +Abner, der Jude, der nichts gesehen hat + +Wilhelm Hauff + + +Herr, ich bin aus Mogador am Strande des grossen Meers, und als der +grossmaechtigste Kaiser Muley Ismael ueber Fez und Marokko herrschte, +hat sich die Geschichte zugetragen, die du vielleicht nicht ungerne +hoeren wirst. Es ist die Geschichte von Abner, dem Juden, der nichts +gesehen hat. + +Juden, wie du weisst, gibt es ueberall, und sie sind ueberall Juden: +pfiffig, mit Falkenaugen fuer den kleinsten Vorteil begabt, +verschlagen, desto verschlagener, je mehr sie misshandelt werden, +ihrer Verschlagenheit sich bewusst und sich etwas darauf einbildend. +Dass aber doch zuweilen ein Jude durch seine Pfiffe zu Schaden kommt, +bewies Abner, als er eines Abends zum Tore von Marokko hinaus +spazierenging. + +Er schreitet einher, mit der spitzen Muetze auf dem Kopf, in den +bescheidenen, nicht uebermaessig reinlichen Mantel gehuellt, streichelt +sich den Knebelbart, und trotz der umherrollenden Augen, welche ewige +Furcht und Besorgnis und die Begierde, etwas zu erspaehen, womit etwas +zu machen waere, keinen Augenblick ruhen laesst, leuchtet Zufriedenheit +aus seiner Miene; er muss diesen Tag gute Geschaefte gemacht haben; und +so ist es auch. Er ist Arzt, ist Kaufinann, ist alles, was Geld +eintraegt; er hat heute einen Sklaven mit einem heimlichen Fehler +verkauft, wohlfeil eine Kamelladung Gummi gekauft und einem reichen +kranken Mann den letzten Trank, nicht vor seiner Genesung, sondern +vor seinem Hintritt bereitet. + +Eben war er auf seinem Spaziergang aus einem kleinen Gehoelz von +Palmen und Datteln getreten, da hoerte er lautes Geschrei +herbeilaufender Menschen hinter sich; es war ein Haufe kaiserlicher +Stallknechte, den Oberstallmeister an der Spitze, die nach allen +Seiten unruhige Blicke umherwarfen, wie Menschen, die etwas +Verlorenes eifrig suchen. + +"Philister", rief ihm keuchend der Oberstallmeister zu, "hast du +nicht ein kaiserlich Pferd mit Sattel und Zeug vorueberrennen sehen?" + +Abner antwortete: "Der beste Galopplaeufer, den es gibt; zierlich +klein ist sein Huf, seine Hufeisen sind von vierzehnloetigem Silber, +sein Haar leuchtet golden, gleich dem grossen Sabbatleuchter in der +Schule, fuenfzehn Faeuste ist er hoch, sein Schweif ist drei und einen +halben Fuss lang, und die Stangen seines Gebisses sind von +dreiundzwanzigkaraetigem Golde." + +"Er ist's!" rief der Oberstallmeister. + +"Er ist's!" rief der Chor der Stallknechte. + +"Es ist der Emir", rief ein alter Bereiter, "ich habe es dem Prinzen +Abdallah zehnmal gesagt, er solle den Emir in der Trense reiten, ich +kenne den Emir, ich habe es vorausgesagt, dass er ihn abwerfen wuerde, +und sollte ich seine Rueckenschmerzen mit dem Kopf bezahlen muessen, +ich habe es vorausgesagt. Aber schnell, wohinzu ist er gelaufen?" + +"Habe ich doch gar kein Pferd gesehen", erwiderte Abner laechelnd, +"wie kann ich sagen, wohin es gelaufen ist, des Kaisers Pferd?" + +Erstaunt ueber diesen Widerspruch wollten die Herren vom Stalle eben +weiter in Abner dringen; da kam ein anderes Ereignis dazwischen. + +Durch einen sonderbaren Zufall, wie es deren so viele gibt, war +gerade zu dieser Zeit auch der Leibschosshund der Kaiserin entlaufen. +Ein Haufe schwarze Sklaven kam herbeigerannt, und sie schrien schon +von weitem: "Habt Ihr den Schosshund der Kaiserin nicht gesehen?" + +"Es ist kein Hund, den Ihr suchet, meine Herren", sagte Abner, "es +ist eine Huendin." + +"Allerdings!" rief der erste Eunuch hocherfreut. "Aline, wo bist du?" + +"Ein kleiner Wachtelhund", fuhr Abner fort, "der vor kurzem Junge +geworfen, langes Behaenge, Federschwanz, hinkt auf dem rechten +vorderen Bein." + +"Sie ist's, wie sie leibt und lebt!" rief der Chor der Schwarzen. +"Es ist Aline; die Kaiserin ist in Kraempfe verfallen, sobald sie +vermisst wurde; Aline, wo bist du? Was soll aus uns werden, wenn wir +ohne dich in den Harem zurueckkehren? Sprich geschwind, wohin hast du +sie laufen sehen?" + +"Ich habe gar keinen Hund gesehen; weiss ich doch nicht einmal, dass +meine Kaiserin, welche Gott erhalte, einen Wachtelhund besitzt." + +Da ergrimmten die Leute vom Stalle und vom Harem ueber Abners +Unverschaemtheit, wie sie es nannten, ueber kaiserliches Eigentum +seinen Scherz zu treiben, und zweifelten keinen Augenblick, so +unwahrscheinlich dies auch war, dass er Hund und Pferd gestohlen habe. +Waehrend die anderen ihre Nachforschungen fortsetzten, packten der +Stallmeister und der erste Eunuch den Juden und fuehrten den halb +pfiffig, halb aengstlich Laechelnden vor das Angesicht des Kaisers. + +Aufgebracht berief Mulen Ismael, als er den Hergang vernommen, den +gewoehnlichen Rat des Palastes und fuehrte in Betracht der Wichtigkeit +des Gegenstandes selbst den Vorsitz. Zur Eroeffnung der Sache wurde +dem Angeschuldigten ein halbes Hundert Streiche auf die Fusssohlen +zuerkannt. Abner mochte schreien und winseln, seine Unschuld +beteuern oder versprechen, alles zu erzaehlen, wie es sich zugetragen, +Sprueche aus der Schrift oder dem Talmud anfuehren, mochte rufen: "Die +Ungnade des Koenigs ist wie das Bruellen eines jungen Loewen, aber seine +Gnade ist Tau auf dem Grase"; oder: "Lass nicht zuschlagen deine Hand, +wenn dir Augen und Ohren verschlossen sind"--Mulen Ismael winkte und +schwur bei des Propheten Bart und seinem eigenen, der Philister solle +die Schmerzen des Prinzen Abdallah und die Kraempfe der Kaiserin mit +dem Kopfe bezahlen, wenn die Fluechtigen nicht wieder beigebracht +wuerden. Noch erschallte der Palast des Kaisers von Marokko von dem +Schmerzgeschrei des Patienten, als die Nachricht einlief, Hund und +Pferd seien wiedergefunden. Aline ueberraschte man in der +Gesellschaft einiger Moepse, sehr anstaendiger Leute, die sich aber fuer +sie, als Hofdame, durchaus nicht schickte, und Emir hatte, nachdem er +sich muede gelaufen, das duftende Gras auf den gruenen Wiesen am Bache +Tara wohlschmeckender gefunden als den kaiserlichen Hafer; gleich dem +ermuedeten fuerstlichen Jaeger, der, auf der Parforcejagd verirrt, ueber +dem schwarzen Brot und der Butter in der Huette des Landmanns alle +Leckereien seiner Tafel vergisst. + +Muley Ismael verlangte nun von Abner eine Erklaerung seines Betragens, +und dieser sah sich nun, wiewohl etwas spaet, imstande, sich zu +verantworten, was er, nachdem er vor seiner Hoheit Thron dreimal die +Erde mit der Stirne beruehrte, in folgenden Worten tat: + +"Grossmaechtigster Kaiser, Koenig der Koenige, Herr des Besten, Stern der +Gerechtigkeit, Spiegel der Wahrheit, Abgrund der Weisheit, der du so +glaenzend bist wie Gold, so strahlend wie der Diamant, so hart wie das +Eisen, hoere mich, weil es deinem Sklaven vergoennt ist, vor deinem +strahlenden Angesichte seine Stimme zu erheben! Ich schwoere bei dem +Gott meiner Vaeter, bei Moses und den Propheten, dass ich dein heiliges +Pferd und meiner gnaedigen Kaiserin liebenswuerdigen Hund mit meines +Leibes Augen nicht gesehen habe. Hoere aber, wie sich die Sache +begeben: + +Ich spazierte, um mich von des Tages Last und Arbeit zu erholen, +nichts denkend, in dem kleinen Gehoelze, wo ich die Ehre gehabt habe, +Seiner Herrlichkeit, dem Oberstallmeister, und Seiner Wachsamkeit, +dem schwarzen Aufseher deines gesegneten Harems, zu begegnen; da +gewahrte ich im feinen Sande zwischen den Palmen die Spuren eines +Tieres; ich, dem die Spuren der Tiere ueberaus gut bekannt sind, +erkenne sie alsbald fuer die Fussstapfen eines kleinen Hundes; feine +langgezogene Furchen liefen ueber die kleinen Unebenheiten des +Sandbodens zwischen diesen Spuren hin; es ist eine Huendin, sprach ich +zu mir selbst, und sie hat haengende Zitzen und hat Junge geworfen vor +so und so langer Zeit; andere Spuren neben den Vordertatzen, wo der +Sand leicht weggefegt zu sein schien, sagten mir, dass das Tier mit +schoenen, weit herabhaengenden Ohren begabt sei; und da ich bemerkt, +wie in laengeren Zwischenraeumen der Sand bedeutender aufgewuehlt war, +dachte ich: Einen schoenen langbehaarten Schwanz hat die Kleine, und +er muss anzusehen sein als ein Federbusch, und es hat ihr beliebt, +zuweilen den Sand damit zu peitschen; auch entging mir nicht, dass +eine Pfote sich bestaendig weniger tief in den Sand eindrueckte; leider +konnte mir da nicht verborgen bleiben, dass die Huendin meiner +gnaedigsten Frau, wenn es erlaubt ist, es auszusprechen, etwas hinke. + +Was das Ross deiner Hoheit betrifft, so wisse, dass ich, als ich in +einem Gange des Gebuesches hinwandelte, auf die Spuren eines Pferdes +aufmerksam wurde. Kaum hatte ich den edlen, kleinen Huf, den feinen +und doch starken Strahl bemerkt, so sagte ich in meinem Herzen: Da +ist gewesen ein Ross von der Rasse Tschenner, die da ist die +vornehmste von allen. Ist es ja noch nicht vier Monate, hat mein +gnaedigster Kaiser einem Fuersten in Frankenland eine ganze Koppel von +dieser Rasse verkauft, und mein Bruder Ruben ist dabeigewesen, wie +sie sind handelseinig geworden, und mein gnaedigster Kaiser hat dabei +gewonnen so und so viel. Als ich sah, wie die Spuren so weit und so +gleichmaessig voneinander entfernt waren, musste ich denken: Das +galoppierte schoen, vornehm; und ist bloss mein Kaiser wert, solch ein +Tier zu besitzen, und ich gedachte des Streitrosses, von dem +geschrieben steht bei Hiob: ZEs stampfet auf den Boden und ist +freudig mit Kraft und zeucht aus, den Geharnischten entgegen; es +spottet der Furcht und erschrickt nicht und fleucht vor dem Schwert +nicht, wenngleich wider es erklinget der Koecher, und glaenzen beide, +Spiess und Lanzen.Z Und ich bueckte mich, da ich etwas glaenzen sah auf +dem Boden, wie ich immer tue, und siehe, es war ein Marmelstein, +darauf hatte das Hufeisen des eilenden Rosses einen Strich gezogen, +und ich erkannte, dass es Hufeisen haben musste von vierzehnloetigem +Silber; muss ich doch den Strich kennen von jeglichem Metall, sei es +echt oder unecht. Der Baumgang, in dem ich spazierte, war sieben Fuss +weit, und hie und da sah ich den Staub von den Palmen gestreift; der +Gaul hat mit dem Schweif gefochten, sprach ich, und er ist lang drei +und einen halben Fuss; unter Baeumen, deren Krone etwa fuenf Fuss vom +Boden aufging, sah ich frisch abgestreifte Blaetter; seiner +Schnelligkeit Ruecken musste sie abgestreift haben; da haben wir ein +Pferd von fuenfzehn Faeusten; siehe da, unter denselben Baeumen kleine +Bueschel goldglaenzender Haare, und siehe da, es ist ein Goldfuchs! +Eben trat ich aus dem Gebuesche, da fiel an einer Felswand ein +Goldstrich in mein Auge; diesen Strich solltest du kennen, sprach ich, +und was war's? Ein Probierstein war eingesprengt in dem Gestein und +ein haarfeiner Goldstrich darauf, wie ihn das Maennchen mit dem +Pfeilbuendel auf den Fuechsen der sieben vereinigten Provinzen von +Holland nicht feiner, nicht reiner ziehen kann. Der Strich musste von +den Gebissstangen des fluechtigen Rosses ruehren, die es im +Vorbeispringen gegen dieses Gestein gerieben. Kennt man ja doch +deine erhabene Prachtliebe, Koenig der Koenige, weiss man ja doch, dass +sich das geringste deiner Rosse schaemen wuerde, auf einen anderen als +einen goldenen Zaum zu beissen. Also hat es sich begeben, und wenn--" + +"Nun, bei Mekka und Medina!" rief Muley Ismael, "das heisse ich Augen; +solche Augen koennten dir nicht schaden, Oberjaegermeister, sie wuerden +dir eine Koppel Schweisshunde ersparen; du, Polizeiminister, koenntest +damit weiter sehen als alle deine Schergen und Aufpasser. Nun, +Philister, wir wollen dich in Betracht deines ungemeinen Scharfsinns, +der uns wohlgefallen hat, gnaedig behandeln; die fuenfzig Pruegel, die +du richtig erhalten, sind fuenfzig Zechinen wert. Sie ersparen dir +fuenfzig; denn du zahlst jetzt bloss noch fuenfzig bar; zieh deinen +Beutel und enthalte dich fuer die Zukunft, unseres kaiserlichen +Eigentums zu spotten! Wir bleiben dir uebrigens in Gnaden gewogen." + +Der ganze Hof bewunderte Abners Scharfsinn, denn seine Majestaet hatte +geschworen, er sei ein geschickter Bursche; aber dies bezahlte ihm +seine Schmerzen nicht, troestete ihn nicht fuer seine teuren Zechinen. +Waehrend er stoehnend und seufzend eine nach der anderen aus dem Beutel +fuehrte, jede noch zum Abschiede auf der Fingerspitze wog, hoehnte ihn +noch Schnuri, der kaiserliche Spassmacher, fragte ihn, ob seine +Zechinen alle auf dem Steine sich bewaehrten, auf dem der Goldfuchs +des Prinzen Abdallah sein Gebiss probiert habe. "Deine Weisheit hat +heute Ruhm geerntet", sprach er; "ich wollte aber noch fuenfzig +Zechinen wetten, es waere dir lieber, du haettest geschwiegen. Aber +wie spricht der Prophet? ZEin entschluepftes Wort holt kein Wagen ein, +und wenn er mit vier fluechtigen Rossen bespannt waere.Z Auch kein +Windspiel holt es ein, Herr Abner, auch wenn es nicht hinkt." + +Nicht lange nach diesem fuer Abner schmerzlichen Ereignis ging er +wieder einmal in einem der gruenen Taeler zwischen den Vorbergen des +Atlas spazieren. Da wurde er, gerade wie damals, von einem +einherstuermenden Haufen Gewaffneter eingeholt, und der Anfuehrer +schrie ihn an: + +"He, guter Freund, hast du nicht Goro, den schwarzen Leibschuetzen des +Kaisers, vorbeilaufen sehen? Er ist entflohen, er muss diesen Weg +genommen haben ins Gebirg." + +"Kann nicht dienen, Herr General", antwortete Abner. + +"Ach, bist du nicht der pfiffige Jude, der den Fuchsen und den Hund +nicht gesehen hat? Mach nur keine Umstaende; hier muss der Sklave +vorbeigekommen sein; riechst du vielleicht noch den Duft seines +Schweisses in der Luft? Siehst du noch die Spuren seines fluechtigen +Fusses im hohen Grase? Sprich, der Sklave muss herbei; er ist einzig +im Sperlingsschiessen mit dem Blaserohr, und dies ist Seiner Majestaet +Lieblingszeitvertreib. Sprich! Oder ich lasse dich sogleich krumm +fesseln!" + +"Kann ich doch nicht sagen, ich habe gesehen, was ich doch nicht hab' +gesehen." + +"Jude, zum letzten Male: Wohin ist der Sklave gelaufen? Denk an +deine Fusssohlen, denk an deine Zechinen!" + +"O weh geschrien! Nun, wenn Ihr absolut haben wollt, dass ich soll +gesehen haben den Sperlingsschuetzen, so lauft dorthin; ist er dort +nicht, so ist er anderswo." + +"Du hast ihn also gesehen?" bruellte ihn der Soldat an. "Ja denn, +Herr Offizier, weil Ihr es so haben wollt." + +Die Soldaten verfolgten eilig die angewiesene Richtung. Abner aber +ging, innerlich ueber seine List zufrieden, nach Hause. Kaum aber war +er vierundzwanzig Stunden aelter geworden, so drang ein Haufe von der +Wache des Palastes in sein Haus und verunreinigte es, denn es war +Sabbat, und schleppte ihn vor das Angesicht des Kaisers von Marokko. + +"Hund von einem Juden", schnaubte ihn der Kaiser an, "du wagst es, +kaiserliche Bedienstete, die einen fluechtigen Sklaven verfolgen, auf +falsche Spur ins Gebirge zu schicken, waehrend der Fluechtling der +Meereskueste zueilt und beinahe auf einem spanischen Schiffe entkommen +waere? Greift ihn, Soldaten! Hundert auf die Sohlen! Hundert +Zechinen aus dem Beutel! Um wieviel die Sohlen schwellen unter den +Hieben, um soviel soll der Beutel einschnurren." + +Du weisst es, o Herr, im Reiche Fez und Marokko liebt man schnelle +Gerechtigkeit, und so wurde der arme Abner gepruegelt und besteuert, +ohne dass man ihn zuvor um seine Einwilligung befragt haette. Er aber +verfluchte sein Geschick, das ihn dazu verdammte, dass seine Sohlen +und sein Beutel es hart empfinden sollten, so oft Seine Majestaet +geruhten, etwas zu verlieren. Als er aber brummend und seufzend +unter dem Gelaechter des rohen Hofvolks aus dem Saale hinkte, sprach +zu ihm Schnuri, der Spassmacher: "Gib dich zufrieden, Abner, +undankbarer Abner! Ist es nicht Ehre genug fuer dich, dass jeder +Verlust, den unser gnaediger Kaiser, den Gott erhalte, erleidet, auch +dir empfindlichen Kummer verursachen muss? Versprichst du mir aber +ein gut Trinkgeld, so komme ich jedesmal, eine Stunde bevor der Herr +des Westens etwas verliert, an deine Bude in der Judengasse und +spreche: ZGehe nicht aus deiner Huette, Abner, du weisst schon warum; +schliesse dich ein in dein Kaemmerlein bis zu Sonnenuntergang, beides +unter Schloss und Riegel.Z" + +Dies, o Herr, ist die Geschichte von Abner, der nichts gesehen hat. + +Als der Sklave geendet hatte und es wieder stille im Saale geworden +war, erinnerte der junge Schreiber den Alten, dass sie den Faden ihrer +Unterhaltung abgebrochen hatten, und bat, ihnen zu erklaeren, worin +denn eigentlich der maechtige Reiz des Maerchens liege. + +"Das will ich Euch jetzt sagen", erwiderte der Alte. "Der +menschliche Geist ist noch leichter und beweglicher als das Wasser, +das doch in alle Formen sich schmiegt und nach und nach auch die +dichtesten Gegenstaende durchdringt. Er ist leicht und frei wie die +Luft und wird wie diese, je hoeher er sich von der Erde hebt, desto +leichter und reiner. Daher ist ein Drang in jedem Menschen, sich +hinauf ueber das Gewoehnliche zu erheben und sich in hoeheren Raeumen +leichter und freier zu bewegen, sei es auch nur in Traeumen. Ihr +selbst, mein junger Freund, sagtet: ZWir lebten in jenen Geschichten, +wir dachten und fuehlten mit jenen MenschenZ, und daher kommt der Reiz, +den sie fuer Euch hatten. Indem Ihr den Erzaehlungen des Sklaven +zuhoeret, die nur Dichtungen waren, die einst ein anderer erfand, habt +Ihr selbst auch mitgedichtet. Ihr bliebet nicht stehen bei den +Gegenstaenden um Euch her, bei Euren gewoehnlichen Gedanken, nein, Ihr +erlebtet alles mit, Ihr waret es selbst, dem dies und jenes +Wunderbare begegnete, so sehr nahmet Ihr teil an dem Manne, von dem +man Euch erzaehlte. So erhob sich Euer Geist am Faden einer solchen +Geschichte ueber die Gegenwart, die Euch nicht so schoen, nicht so +anziehend duenkte; so bewegte sich dieser Geist in fremden, hoeheren +Raeumen freier und ungebundener, das Maerchen wurde Euch zur +Wirklichkeit, oder, wenn Ihr lieber wollet, die Wirklichkeit wurde +zum Maerchen, weil Euer Dichten und Sein im Maerchen lebte." + +"Ganz verstehe ich Euch nicht", erwiderte der junge Kaufmann, "aber +Ihr habt recht mit dem, was Ihr sagtet, wir lebten im Maerchen oder +das Maerchen in uns. Sie ist mir noch wohl erinnerlich, jene schoene +Zeit; wenn wir Musse dazu hatten, traeumten wir wachend; wir stellten +uns vor, an wueste, unwirtbare Inseln verschlagen zu sein, wir +berieten uns, was wir beginnen sollten, um unser Leben zu fristen, +und oft haben wir im dichten Weidengebuesch uns Huetten gebaut, haben +von elenden Fruechten ein kaergliches Mahl gehalten, obgleich wir +hundert Schritte weit zu Haus das Beste haetten haben koennen, ja, es +gab Zeiten, wo wir auf die Erscheinung einer guetigen Fee oder eines +wunderbaren Zwerges warteten, die zu uns treten und sagen wuerden: +ZDie Erde wird sich alsobald auftun, wollet dann nur gefaelligst +herabsteigen in meinen Palast von Bergkristall und euch belieben +lassen, was meine Diener, die Meerkatzen, euch auftischen.Z" + +Die jungen Leute lachten, gaben aber ihrem Freunde zu, dass er wahr +gesprochen habe. "Noch jetzt", fuhr ein anderer fort, "noch jetzt +beschleicht mich hier und da dieser Zauber; ich wuerde mich zum +Beispiel nicht wenig aergern ueber die dumme Fabel, wenn mein Bruder +zur Tuere hereingestuerzt kaeme und sagte: ZWeisst du schon das Unglueck +von unserem Nachbarn, dem dicken Baecker? Er hat Haendel gehabt mit +einem Zauberer, und dieser hat ihn aus Rache in einen Baeren +verwandelt, und jetzt liegt er in seiner Kammer und heult +entsetzlichZ; ich wuerde mich aergern und ihn einen Luegner schelten. +Aber wie anders, wenn mir erzaehlt wuerde, der dicke Nachbar hab' eine +weite Reise in ein fernes, unbekanntes Land unternommen, sei dort +einem Zauberer in die Haende gefallen, der ihn in einen Baeren +verwandelte. Ich wuerde mich nach und nach in die Geschichte versetzt +fuehlen, wuerde mit dem dicken Nachbar reisen, Wunderbares erleben, und +es wuerde mich nicht sehr ueberraschen, wenn er in ein Fell gesteckt +wuerde und auf allen vieren gehen muesste." + +So sprachen die jungen Leute; da gab der Scheik wiederum das Zeichen, +und alle setzten sich nieder. Der Aufseher der Sklaven aber trat zu +den Freigelassenen und forderte sie auf, weiter forzufahren. Einer +unter ihnen zeigte sich bereit, stand auf und hub an, folgendermassen +zu erzaehlen: + +(im Maerchenalmanach auf das Jahr 1827 stand hier "Der arme Stephan" +von Gustav Adolf Schoell.) + +Der Sklave hatte geendet, und seine Erzaehlung erhielt den Beifall des +Scheik und seiner Freunde. Aber auch durch diese Erzaehlung wollte +sich die Stirne des Scheik nicht entwoelken lassen, er war und blieb +ernst und tiefsinnig wie zuvor, und die jungen Leute bemitleideten +ihn. + +"Und doch", sprach der junge Kaufmann, "und doch kann ich nicht +begreifen, wie der Scheik sich an einem solchen Tage Maerchen erzaehlen +lassen mag, und zwar von seinen Sklaven. Ich fuer meinen Teil, haette +ich einen solchen Kummer, so wuerde ich lieber hinausreiten in den +Wald und mich setzen, wo es recht dunkel und einsam ist, aber auf +keinen Fall dieses Geraeusch von Bekannten und Unbekannten um mich +versammeln." + +"Der Weise", antwortete der alte Mann, "der Weise laesst sich von +seinem Kummer nie so ueberwaeltigen, dass er ihm voellig unterliegt. Er +wird ernst, er wird tiefsinnig sein, er wird aber nicht laut klagen +oder verzweifeln. Warum also, wenn es in deinem Innern dunkel und +traurig aussieht, warum noch ueberdies die Schatten dunkler Zedern +suchen? Ihr Schatten faellt durch das Auge in dein Herz und macht es +noch dunkler. An die Sonne musst du gehen, in den warmen, lichten Tag, +fuer was du trauerst, und mit der Klarheit des Tages, mit der Waerme +des Lichtes wird dir die Gewissheit aufgehen, dass Allahs Liebe ueber +dir ist, erwaermend und ewig wie seine Sonne." + +"Ihr habt wahr gesprochen", setzte der Schreiber hinzu, "und geziemt +es nicht einem weisen Mann, dem seine Umgebungen zu Gebot stehen, dass +er an einem solchen Tage die Schatten des Grams so weit als moeglich +entferne? Soll er zum Getraenke seine Zuflucht nehmen oder Opium +speisen, um den Schmerz zu vergessen? Ich bleibe dabei, es ist die +anstaendigste Unterhaltung in Leid und Freude, sich erzaehlen zu lassen, +und der Scheik hat ganz recht." + +"Gut", erwiderte der junge Kaufmann, "aber hat er nicht Vorleser, +nicht Freunde genug; warum muessen es gerade Sklaven sein, die +erzaehlen?" + +"Diese Sklaven, lieber Herr", sagte der Alte, "sind vermutlich durch +allerlei Unglueck in Sklaverei geraten und sind nicht gerade so +ungebildete Leute, wie Ihr wohl gesehen habt, von welchen man sich +nicht koennte erzaehlen lassen. Ueberdies stammen sie von allerlei +Laendern und Voelkern, und es ist zu erwarten, dass sie bei sich zu +Hause irgend etwas Merkwuerdiges gehoert oder gesehen, das sie nun zu +erzaehlen wissen. Einen noch schoeneren Grund, den mir einst ein +Freund des Scheik sagte, will ich Euch wiedergeben: Diese Leute waren +bis jetzt in seinem Hause als Sklaven, hatten sie auch keine schwere +Arbeit zu verrichten, so war es doch immer Arbeit, zu der sie +gezwungen waren, und maechtig der Unterschied zwischen ihnen und +freien Leuten. Sie durften sich, wie es Sitte ist, dem Scheik nicht +anders als mit den Zeichen der Unterwuerfigkeit naehern. Sie durften +nicht zu ihm reden, ausser er fragte sie, und ihre Rede musste kurz +sein. Heute sind sie frei; und ihr erstes Geschaeft als freie Leute +ist, in grosser Gesellschaft und vor ihrem bisherigen Herrn lange und +offen sprechen zu duerfen. Sie fuehlen sich nicht wenig geehrt dadurch, +und ihre unverhoffte Freilassung wird ihnen dadurch nur um so werter." + +"Siehe", unterbrach ihn der Schreiber, "dort steht der vierte Sklave +auf; der Aufseher hat ihm wohl schon das Zeichen gegeben, lasset uns +niedersetzen und hoeren!" + +(Im Maerchenalmanach auf das Jahr 1827 stand hier "Der gebackene Kopf" +von James Justinian Morier) + +Der Scheik aeusserte seinen Beifall ueber diese Erzaehlung. Er hatte, +was in Jahren nicht geschehen war, einigemal gelaechelt, und seine +Freunde nahmen dies als eine gute Vorbedeutung. Dieser Eindruck war +den jungen Maennern und dem Alten nicht entgangen. Auch sie freuten +sich darueber, dass der Scheik, auf eine halbe Stunde wenigstens, +zerstreut wurde; denn sie ehrten seinen Kummer und die Trauer um sein +Unglueck, sie fuehlten ihre Brust beengt, wenn sie ihn so ernst und +stille seinem Grame nachhaengen sahen, und gehobener, freudiger waren +sie, als die Wolke seiner Stirne auf Augenblicke vorueberzog. + +"Ich kann mir wohl denken", sagte der Schreiber, "dass diese Erzaehlung +guenstigen Eindruck auf ihn machen musste; es liegt so viel Sonderbares, +Komisches darin, dass selbst der heilige Derwisch auf dem Berge +Libanon, der in seinem Leben noch nie gelacht hat, laut auflachen +muesste." + +"Und doch", sprach der Alte laechelnd, "und doch ist weder Fee noch +Zauberer darin erschienen; kein Schloss von Kristall, keine Genien, +die wunderbare Speisen bringen, kein Vogel Rock, noch ein +Zauberpferd--" + +"Ihr beschaemt uns", rief der junge Kaufmann, "weil wir mit so vielem +Eifer von jenen Maerchen unserer Kindheit sprachen, die uns noch jetzt +so wunderbar anziehen, weil wir jene Momente aufzaehlten, wo uns das +Maerchen so mit sich hinwegriss, dass wir darin zu leben waehnten, weil +wir dies so hoch anschlugen, wollet Ihr uns beschaemen und auf feine +Art zurechtweisen; nicht so?" + +"Mitnichten! Es sei ferne von mir, eure Liebe zum Maerchen zu tadeln; +es zeugt von einem unverdorbenen Gemuet, dass ihr euch noch so recht +gemuetlich in den Gang des Maerchens versetzen konntet, dass ihr nicht +wie andere vornehm darauf, als auf ein Kinderspiel, herabsehet, dass +ihr euch nicht langweilt und lieber ein Ross zureiten oder auf dem +Sofa behaglich einschlummern oder halb traeumend die Wasserpfeife +rauchen wolltet, statt dergleichen euer Ohr zu schenken. Es sei +ferne von mir, euch darum zu tadeln; aber das freut mich, dass auch +eine andere Art von Erzaehlung euch fesselt und ergoetzt, eine andere +Art als die, welche man gewoehnlich Maerchen nennt." + +"Wie versteht Ihr dies? Erklaert uns deutlicher, was Ihr meinet. +Eine andere Art als das Maerchen?" sprachen die Juenglinge unter sich. + +"Ich denke, man muss einen gewissen Unterschied machen zwischen +Maerchen und Erzaehlungen, die man im gemeinen Leben Geschichten nennt. +Wenn ich euch sage, ich will euch ein Maerchen erzaehlen, so werdet +ihr zum voraus darauf rechnen, dass es eine Begebenheit ist, die von +dem gewoehnlichen Gang des Lebens abschweift und sich in einem Gebiet +bewegt, das nicht mehr durchaus irdischer Natur ist. Oder, um +deutlicher zu sein, ihr werdet bei dem Maerchen auf die Erscheinung +anderer Wesen als allein sterblicher Menschen rechnen koennen; es +greifen in das Schicksal der Person, von welcher das Maerchen handelt, +fremde Maechte, wie Feen und Zauberer, Genien und Geisterfuersten, ein; +die ganze Erzaehlung nimmt eine aussergewoehnliche, wunderbare Gestalt +an und ist ungefaehr anzuschauen wie die Gewebe unserer Teppiche oder +viele Gemaelde unserer besten Meister, welche die Franken Arabesken +nennen. Es ist dem echten Muselmann verboten, den Menschen, das +Geschoepf Allahs, suendigerweise wiederzuschoepfen in Farben und +Gemaelden, daher sieht man auf jenen Geweben wunderbar verschlungene +Baeume und Zweige mit Menschenkoepfen, Menschen, die in einen Fisch +oder Strauch ausgehen, kurz, Figuren, die an das gewoehnliche Leben +erinnern und dennoch ungewoehnlich sind; ihr versteht mich doch?" "Ich +glaube, Eure Meinung zu erraten", sagte der Schreiber, "doch fahret +weiter fort!" + +"Von dieser Art ist nun das Maerchen; fabelhaft, ungewoehnlich, +ueberraschend; weil es dem gewoehnlichen Leben fremd ist, wird es oft +in fremde Laender oder in ferne, laengst vergangene Zeiten verschoben. +Jedes Land, jedes Volk hat solche Maerchen, die Tuerken so gut als die +Perser, die Chinesen wie die Mongolen; selbst in Frankenland soll es +viele geben, wenigstens erzaehlte mir einst ein gelehrter Giaur davon; +doch sind sie nicht so schoen als die unsrigen; denn statt schoener +Feen, die in prachtvollen Palaesten wohnen, haben sie zauberhafte +Weiber, die sie Hexen nennen, heimtueckisches, haessliches Volk, das in +elenden Huetten wohnt, und statt in einem Muschelwagen, von Greisen +gezogen, durch die blauen Luefte zu fahren, reiten sie auf einem Besen +durch den Nebel. Sie haben auch Gnomen und Erdgeister, das sind +kleine verwachsene Kerlchen, die allerlei Spuk machen. Das sind nun +die Maerchen; ganz anders ist es aber mit den Erzaehlungen, die man +gemeinhin Geschichten nennt. Diese bleiben ganz ordentlich auf der +Erde, tragen sich im gewoehnlichen Leben zu, und wunderbar ist an +ihnen meistens nur die Verkettung der Schicksale eines Menschen, der +nicht durch Zauber, Verwuenschung oder Feenspuk, wie im Maerchen, +sondern durch sie selbst oder die sonderbare Fuegung der Umstaende +reich oder arm, gluecklich oder ungluecklich wird." + +"Richtig!" erwiderte einer der jungen Leute. "Solche reinen +Geschichten finden sich auch in den herrlichen Erzaehlungen der +Scheherazade, die man ZTausendundeine NachtZ nennt. Die meisten +Begebenheiten des Koenigs Harun Al-Raschid und seines Wesirs sind +dieser Art. Sie gehen verkleidet aus und sehen diesen oder jenen +hoechst sonderbaren Vorfall, der sich nachher ganz natuerlich aufloest." + +"Und dennoch werdet ihr gestehen muessen", fuhr der Alte fort, "dass +jene Geschichten nicht der schlechteste Teil der ZTausendundeine +NachtZ sind. Und doch, wie verschieden sind sie in ihren Ursachen, +in ihrem Gang, in ihrem ganzen Wesen von den Maerchen eines Prinzen +Biribinker oder der drei Derwische mit einem Auge oder des Fischers, +der den Kasten, verschlossen mit dem Siegel Salomos, aus dem Meere +zieht! Aber am Ende ist es dennoch eine Grundursache, die beiden +ihren eigentuemlichen Reiz gibt, naemlich das, dass wir etwas +Auffallendes, Aussergewoehnliches miterleben. Bei dem Maerchen liegt +dieses Aussergewoehnliche in jener Einmischung eines fabelhaften +Zaubers in das gewoehnliche Menschenleben, bei den Geschichten +geschieht etwas zwar nach natuerlichen Gesetzen, aber auf +ueberraschende, ungewoehnliche Weise." + +"Sonderbar!" rief der Schreiber, "sonderbar, dass uns dann dieser +natuerliche Gang der Dinge ebenso anzieht wie der uebernatuerliche im +Maerchen; worin mag dies doch liegen?" + +"Das liegt in der Schilderung des einzelnen Menschen", antwortete der +Alte; "im Maerchen haeuft sich das Wunderbare so sehr, der Mensch +handelt so wenig mehr aus eigenem Trieb, dass die einzelnen Figuren +und ihr Charakter nur fluechtig gezeichnet werden koennen. Anders bei +der gewoehnlichen Erzaehlung, wo die Art, wie jeder seinem Charakter +gemaess spricht und handelt, die Hauptsache und das Anziehende ist. So +die Geschichte von dem gebackenen Kopf, die wir soeben gehoert haben. +Der Gang der Erzaehlung waere im ganzen nicht auffallend, nicht +ueberraschend, waere er nicht verwickelt durch den Charakter der +Handelnden. Wie koestlich zum Beispiel ist die Figur des Schneiders. +Man glaubt den alten, gekruemmten Mantelflicker vor sich zu sehen. Er +soll zum erstenmal in seinem Leben einen tuechtigen Schnitt machen, +ihm und seinem Weibe lacht schon zum voraus das Herz, und sie +traktieren sich mit recht schwarzem Kaffee. Welches Gegenstueck zu +dieser behaglichen Ruhe ist dann jene Szene, wo sie den Pack begierig +oeffnen und den greulichen Kopf erblicken. Und nachher glaubt man ihn +nicht zu sehen und zu hoeren, wie er auf dem Minarett umherschleicht, +die Glaeubigen mit meckernder Stimme zum Gebet ruft und bei Erblickung +des Sklaven ploetzlich, wie vom Donner geruehrt, verstummt? Dann der +Barbier! Sehet ihr ihn nicht vor euch, den alten Suender, der, +waehrend er die Seife anruehrt, viel schwatzt und gerne verbotenen Wein +trinkt? Sehet ihr ihn nicht, wie er dem sonderbaren Kunden das +Barbierschuesselchen unterhaelt und--den kalten Schaedel beruehrt? Nicht +minder gut, wenn auch nur angedeutet, ist der Sohn des Baeckers, der +verschmitzte Junge, und der Bratenmacher Yanakil. Ist nicht das +Ganze eine ununterbrochene Reihe komischer Szenen, scheint nicht der +Gang der Geschichte, so ungewoehnlich er ist, sich ganz natuerlich zu +fuegen? Und warum? Weil die einzelnen Figuren richtig gezeichnet +sind und aus ihrem ganzen Wesen alles so kommen muss, wie es wirklich +geschieht." + +"Wahrlich, Ihr habt recht!" erwiderte der junge Kaufmann, "ich habe +mir nie Zeit genommen, so recht darueber nachzudenken, habe alles nur +so gesehen und an mir voruebergehen lassen, habe mich an dem einen +ergoetzt, das andere langweilig gefunden, ohne gerade zu wissen, warum. +Aber Ihr gebt uns da einen Schluessel, der uns das Geheimnis oeffnet, +einen Probierstein, worauf wir die Probe machen und richtig urteilen +koennen." + +"Tuet das immer", antwortete der Alte, "und euer Genuss wird sich +vergroessern, wenn ihr nachdenken lernet ueber das, was ihr gehoert. +Doch siehe, dort erhebt sich wieder ein neuer, um zu erzaehlen." + +So war es, und der fuenfte Sklave begann: + + + + +Der arme Stephan + +Gustav Adolf Schoell + + +Im "Maerchenalmanach auf das Jahr 1827" stand hier "Der arme Stephan" +von Gustav Adolf Schoell. + + + + + + +Der gebackene Kopf + +James Justinian Morier + + +Im "Maerchenalmanach auf das Jahr 1827" stand hier "Der gebackene +Kopf" von James Justinian Morier. + + + + + + +Der Affe als Mensch + +Wilhelm Hauff + + +"Herr! ich bin ein Deutscher von Geburt und habe mich in Euren Landen +zu kurz aufgehalten, als dass ich ein persisches Maerchen oder eine +ergoetzliche Geschichte von Sultanen und Wesiren erzaehlen koennte. Ihr +muesst mir daher schon erlauben, dass ich etwas aus meinem Vaterland +erzaehle, was Euch vielleicht auch einigen Spass macht. Leider sind +unsere Geschichten nicht immer so vornehm wie die Euren, das heisst, +sie handeln nicht von Sultanen oder unseren Koenigen, nicht von +Wesiren und Paschas, was man bei uns Justiz- und Finanzminister, auch +Geheimraete und dergleichen nennt, sondern sie leben, wenn sie nicht +von Soldaten handeln, gewoehnlich ganz bescheiden und unter den +Buergern. + +Im suedlichen Teil von Deutschland liegt das Staedtchen Gruenwiesel, wo +ich geboren und erzogen bin. Es ist ein Staedtchen, wie sie alle sind. +In der Mitte ein kleiner Marktplatz mit einem Brunnen, an der Seite +ein kleines, altes Rathaus, umher auf dem Markt die Haeuser des +Friedensrichters und der angesehensten Kaufleute, und in ein paar +engen Strassen wohnen die uebrigen Menschen. Alles kennt sich, +jedermann weiss, wie es da und dort zugeht, und wenn der Oberpfarrer +oder der Buergermeister oder der Arzt ein Gericht mehr auf der Tafel +hat, so weiss es schon am Mittagessen die ganze Stadt. Nachmittags +kommen dann die Frauen zueinander in die Visite, wie man es nennt, +besprechen sich bei starkem Kaffee und suessem Kuchen ueber diese grosse +Begebenheit, und der Schluss ist, dass der Oberpfarrer wahrscheinlich +in die Lotterie gesetzt und unchristlich viel gewonnen habe, dass der +Buergermeister sich 'schmieren' lasse oder dass der Doktor vom +Apotheker einige Goldstuecke bekommen habe, um recht teure Rezepte zu +verschreiben. Ihr koennet Euch denken, Herr, wie unangenehm es fuer +eine so wohleingerichtete Stadt wie Gruenwiesel sein musste, als ein +Mann dorthin zog, von dem niemand wusste, woher er kam, was er wollte, +von was er lebte. Der Buergermeister hatte zwar seinen Pass gesehen, +ein Papier, das bei uns jedermann haben muss" + +"Ist es denn so unsicher auf den Strassen", unterbrach den Sklaven der +Scheik, "dass Ihr einen Ferman Eures Sultans haben muesset, um die +Raeuber in Respekt zu setzen?" + +"Nein, Herr", entgegnete jener, "diese Papiere halten keinen Dieb von +uns ab, sondern es ist nur der Ordnung wegen, dass man ueberall weiss, +wen man vor sich hat." + +Nun, der Buergermeister hatte den Pass untersucht und in einer +Kaffeegesellschaft bei Doktors geaeussert, der Pass sei zwar ganz +richtig visiert von Berlin bis Gruenwiesel, aber es stecke doch was +dahinter; denn der Mann sehe etwas verdaechtig aus. Der Buergermeister +hatte das groesste Ansehen in der Stadt, kein Wunder, dass von da an der +Fremde als eine verdaechtige Person angesehen wurde. Und sein +Lebenswandel konnte meine Landsleute nicht von dieser Meinung +abbringen. Der fremde Mann mietete sich fuer einige Goldstuecke ein +ganzes Haus, das bisher oede gestanden, liess einen ganzen Wagen voll +sonderbarer Geraetschaften, als Oefen, Kunstherde, grosse Tiegel und +dergleichen hineinschaffen und lebte von da an ganz fuer sich allein. +Ja, er kochte sich sogar selbst, und es kam keine menschliche Seele +in sein Haus als ein alter Mann aus Gruenwiesel, der ihm seine +Einkaeufe in Brot, Fleisch und Gemuese besorgen musste. Doch auch +dieser durfte nur in den Flur des Hauses kommen, und dort nahm der +fremde Mann das Gekaufte in Empfang. + +Ich war ein Knabe von zehn Jahren, als der Mann in meiner Vaterstadt +einzog, und ich kann mir noch heute, als waere es gestern geschehen, +die Unruhe denken, die dieser Mann im Staedtchen verursachte. Er kam +nachmittags nicht, wie andere Maenner, auf die Kegelbahn, er kam +abends nicht ins Wirtshaus, um, wie die uebrigen, bei einer Pfeife +Tabak ueber die Zeitung zu sprechen. Umsonst luden ihn nach der Reihe +der Buergermeister, der Friedensrichter, der Doktor und der +Oberpfarrer zum Essen oder Kaffee ein, er liess sich immer +entschuldigen. Daher hielten ihn einige fuer verrueckt, andere fuer +einen Juden, eine dritte Partie behauptete steif und fest, er sei ein +Zauberer oder Hexenmeister. Ich wurde achtzehn, zwanzig Jahre alt, +und noch immer hiess der Mann in der Stadt der fremde Herr. + +Es begab sich aber eines Tages, dass Leute mit fremden Tieren in die +Stadt kamen. Es ist dies hergelaufenes Gesindel, das ein Kamel hat, +welches sich verbeugen kann, einen Baeren, der tanzt, einige Hunde und +Affen, die in menschlichen Kleidern komisch genug aussehen und +allerlei Kuenste machen. Diese Leute durchziehen gewoehnlich die Stadt, +halten an den Kreuzstrassen und Plaetzen, machen mit einer kleinen +Trommel und einer Pfeife eine uebeltoenende Musik, lassen ihre Truppe +tanzen und springen und sammeln dann in den Haeusern Geld ein. Die +Truppe aber, die diesmal sich in Gruenwiesel sehen liess, zeichnete +sich durch einen ungeheuren Orang-Utan aus, der beinahe Menschengroesse +hatte, auf zwei Beinen ging und allerlei artige Kuenste zu machen +verstand. Diese Hunds- und Affenkomoedie kam auch vor das Haus des +fremden Herrn; er erschien, als die Trommel und Pfeife ertoenten, von +Anfang ganz unwillig hinter den dunklen, vom Alter angelaufenen +Fenstern; bald aber wurde er freundlicher, schaute zu jedermanns +Verwundern zum Fenster heraus und lachte herzlich ueber die Kuenste des +Orang-Utans; ja, er gab fuer den Spass ein so grosses Silberstueck, dass +die ganze Stadt davon sprach. + +Am anderen Morgen zog die Tierbande weiter; das Kamel musste viele +Koerbe tragen, in welchen die Hunde und Affen ganz bequem sassen, die +Tiertreiber aber und der grosse Affe gingen hinter dem Kamel. Kaum +aber waren sie einige Stunden zum Tore hinaus, so schickte der fremde +Herr auf die Post, verlangte zu grosser Verwunderung des Postmeisters +einen Wagen und Extrapost und fuhr zu demselben Tor hinaus den Weg +hin, den die Tiere genommen hatten. Das ganze Staedtchen aergerte sich, +dass man nicht erfahren konnte, wohin er gereist sei. Es war schon +Nacht, als der fremde Herr wieder im Wagen vor dem Tor ankam; es sass +aber noch eine Person im Wagen, die den Hut tief ins Gesicht gedrueckt +und um Mund und Ohren ein seidenes Tuch gebunden hatte. Der +Torschreiber hielt es fuer seine Pflicht, den anderen Fremden +anzureden und um seinen Pass zu bitten; er antwortete aber sehr grob, +indem er in einer ganz unverstaendlichen Sprache brummte. + +"Es ist mein Neffe", sagte der fremde Mann freundlich zum +Torschreiber, indem er ihm einige Silbermuenzen in die Hand drueckte, +"es ist mein Neffe und versteht bis dato noch wenig Deutsch; er hat +soeben in seiner Mundart ein wenig geflucht, dass wir hier aufgehalten +werden." + +"Ei, wenn es Dero Neffe ist", antwortete der Torschreiber, "so kann +er wohl ohne Pass hereinkommen; er wird wohl ohne Zweifel bei Ihnen +wohnen?" + +"Allerdings", sagte der Fremde, "und haelt sich wahrscheinlich laengere +Zeit hier auf." + +Der Torschreiber hatte keine weitere Einwendung mehr, und der fremde +Herr und sein Neffe fuhren ins Staedtchen. Der Buergermeister und die +ganze Stadt waren uebrigens nicht sehr zufrieden mit dem Torschreiber. +Er haette doch wenigstens einige Worte von der Sprache des Neffen +sich merken sollen; daraus haette man dann leicht erfahren, was fuer +ein Landeskind er und der Onkel waeren. Der Torschreiber versicherte +aber, dass es weder Franzoesisch oder Italienisch sei, wohl aber habe +es so breit geklungen wie Englisch, und wenn er nicht irre, so habe +der junge Herr gesagt: "Goddam!" So half der Torschreiber sich selbst +aus der Not und dem jungen Manne zu einem Namen; denn man sprach +jetzt nur von dem jungen Englaender im Staedtchen. + +Aber auch der junge Englaender wurde nicht sichtbar, weder auf der +Kegelbahn noch im Bierkeller; wohl aber gab er den Leuten auf andere +Weise viel zu schaffen.--Es begab sich naemlich oft, dass von dem sonst +so stillen Hause des Fremden ein schreckliches Geschrei und ein Laerm +ausging, dass die Leute haufenweise vor dem Hause stehenblieben und +hinaufsahen. Man sah dann den jungen Englaender, angetan mit einem +roten Frack und gruenen Beinkleidern, mit struppichtem Haar und +schrecklicher Miene unglaublich schnell an den Fenstern hin und her +durch alle Zimmer laufen; der alte Fremde lief ihm in einem roten +Schlafrock, eine Hetzpeitsche in der Hand, nach, verfehlte ihn oft, +aber einigemal kam es doch der Menge auf der Strasse vor, als muesse er +den Jungen erreicht haben; denn man hoerte klaegliche Angsttoene und +klatschende Peitschenhiebe die Menge. An dieser grausamen Behandlung +des fremden jungen Mannes nahmen die Frauen des Staedtchens so +lebhaften Anteil, dass sie endlich den Buergermeister bewogen, einen +Schritt in der Sache zu tun. Er schrieb dem fremden Herrn ein +Billett, worin er ihm die unglimpfliche Behandlung seines Neffen in +ziemlich derben Ausdruecken vorwarf und ihm drohte, wenn noch ferner +solche Szenen vorfielen, den jungen Mann unter seinen besonderen +Schutz zu nehmen. + +Wer war aber mehr erstaunt als der Buergermeister, wie er den Fremden +selbst, zum erstenmal seit zehn Jahren, bei sich eintreten sah. Der +alte Herr entschuldigte sein Verfahren mit dem besonderen Auftrag der +Eltern des Juenglings, die ihm solchen zu erziehen gegeben; er sei +sonst ein kluger, anstelliger Junge, aeusserte er, aber die Sprachen +erlerne er sehr schwer; er wuensche so sehnlich, seinem Neffen das +Deutsche recht gelaeufig beizubringen, um sich nachher die Freiheit zu +nehmen, ihn in die Gesellschaft von Gruenwiesel einzufuehren, und +dennoch gehe demselben diese Sprache so schwer ein, dass man oft +nichts Besseres tun koenne, als ihn gehoerig durchzupeitschen. Der +Buergermeister fand sich durch diese Mitteilung voellig befriedigt, +riet dem Alten zur Maessigung und erzaehlte abends im Bierkeller, dass er +selten einen so unterrichteten, artigen Mann gefunden als den Fremden; +"es ist nur schade", setzte er hinzu, "dass er so wenig in +Gesellschaft kommt; doch ich denke, wenn der Neffe nur erst ein wenig +Deutsch spricht, besucht er meine Cercles oefter." + +Durch diesen einzigen Vorfall war die Meinung des Staedtchens voellig +umgeaendert. Man hielt den Fremden fuer einen artigen Mann, sehnte +sich nach seiner naeheren Bekanntschaft und fand es ganz in der +Ordnung, wenn hier und da in dem oeden Hause ein graessliches Geschrei +aufging. "Er gibt dem Neffen Unterricht in der deutschen +Sprachlehre", sagten die Gruenwiesler und blieben nicht mehr stehen. +Nach einem Vierteljahr ungefaehr schien der Unterricht im Deutschen +beendigt; denn der Alte ging jetzt um eine Stufe weiter vor. Es +lebte ein alter gebrechlicher Franzose in der Stadt, der den jungen +Leuten Unterricht im Tanzen gab. Diesen liess der Fremde zu sich +rufen und sagte ihm, dass er seinen Neffen im Tanzen unterrichten +lassen wolle. Er gab ihm zu verstehen, dass derselbe zwar sehr +gelehrig, aber, was das Tanzen betreffe, etwas eigensinnig sei; er +habe naemlich frueher bei einem anderen Meister tanzen gelernt, und +zwar nach so sonderbaren Touren, dass er sich nicht fueglich in der +Gesellschaft produzieren koenne; der Neffe halte sich aber eben +deswegen fuer einen grossen Taenzer, obgleich sein Tanz nicht die +entfernteste Aehnlichkeit mit Walzer oder Galopp (Taenze, die man in +meinem Vaterlande tanzt, o Herr!), nicht einmal Aehnlichkeit mit +Ekossaise oder Francaise habe. Er versprach uebrigens einen Taler fuer +die Stunde, und der Tanzmeister war mit Vergnuegen bereit, den +Unterricht des eigensinnigen Zoeglings zu uebernehmen. + +Es gab, wie der Franzose unterderhand versicherte, auf der Welt +nichts Sonderbareres als diese Tanzstunden. Der Neffe, ein ziemlich +grosser, schlanker junger Mann, der nur etwas sehr kurze Beine hatte, +erschien in einem roten Frack, schoen frisiert, in gruenen, weiten +Beinkleidern und glasierten Handschuhen. Er sprach wenig und mit +fremdem Akzent, war von Anfang ziemlich artig und anstellig; dann +verfiel er aber oft ploetzlich in fratzenhafte Spruenge, tanzte die +kuehnsten Touren, wobei er Entrechats machte, dass dem Tanzmeister +Hoeren und Sehen verging; wollte er ihn zurechtweisen, so zog er die +zierlichen Tanzschuhe von den Fuessen, warf sie dem Franzosen an den +Kopf und setzte nun auf allen Vieren im Zimmer umher. Bei diesem +Laerm fuhr dann der alte Herr ploetzlich in einem weiten, roten +Schlafrock, eine Muetze von Goldpapier auf dem Kopf, aus seinem Zimmer +heraus und liess die Hetzpeitsche ziemlich unsanft auf den Ruecken des +Neffen niederfallen. Der Neffe fing dann an, schrecklich zu heulen, +sprang auf Tische und hohe Kommoden, ja selbst an den Kreuzstoecken +der Fenster hinauf und sprach eine fremde, seltsame Sprache. Der +Alte im roten Schlafrock aber liess sich nicht irremachen, fasste ihn +am Bein, riss ihn herab, bleute ihn durch und zog ihm mittels einer +Schnalle die Halsbinde fester an, worauf er immer wieder artig und +manierlich wurde und die Tanzstunde ohne Stoerung weiterging. + +Als aber der Tanzmeister seinen Zoegling so weit gebracht hatte, dass +man Musik zu der Stunde nehmen konnte, da war der Neffe wie +umgewandelt. Ein Stadtmusikant wurde gemietet, der im Saal des oeden +Hauses auf einen Tisch sich setzen musste. Der Tanzmeister stellte +dann die Dame vor, indem ihm der alte Herr einen Frauenrock von Seide +und einen ostindischen Schal anziehen liess; der Neffe forderte ihn +auf und fing nun an, mit ihm zu tanzen und zu walzen; er aber war ein +unermuedlicher, rasender Taenzer, er liess den Meister nicht aus seinen +langen Armen; ob er aechzte und schrie, er musste tanzen, bis er +ermattet umsank oder bis dem Stadtmusikus der Arm lahm wurde an der +Geige. Den Tanzmeister brachten diese Unterrichtsstunden beinahe +unter den Boden, aber der Taler, den er jedesmal richtig ausbezahlt +bekam, der gute Wein, den der Alte aufwartete, machten, dass er immer +wiederkam, wenn er auch den Tag zuvor sich fest vorgenommen hatte, +nicht mehr in das oede Haus zu gehen. + +Die Leute in Gruenwiesel sahen aber die Sache ganz anders an als der +Franzose. Sie fanden, dass der junge Mann viele Anlagen zum +Gesellschaftlichen habe, und die Frauenzimmer im Staedtchen freuten +sich, bei dem grossen Mangel an Herren einen so flinken Taenzer fuer den +naechsten Winter zu bekommen. + +Eines Morgens berichteten die Maegde, die vom Markte heimkehrten, +ihren Herrschaften ein wunderbares Ereignis. Vor dem oeden Hause sei +ein praechtiger Glaswagen gestanden, mit schoenen Pferden bespannt, und +ein Bediensteter in reicher Livree habe den Schlag gehalten. Da sei +die Tuere des oeden Hauses aufgegangen und zwei schoen gekleidete Herren +herausgetreten, wovon der eine der alte Fremde und der andere +wahrscheinlich der junge Herr gewesen, der so schwer Deutsch gelernt +und so rasend tanze. Die beiden seien in den Wagen gestiegen, der +Bedienstete hinten aufs Brett gesprungen, und der Wagen, man stelle +sich vor, sei geradezu auf Buergermeisters Haus zugefahren. + +Als die Frauen solches von ihren Maegden erzaehlen hoerten, rissen sie +eilends die Kuechenschuerzen und die etwas unsauberen Hauben ab und +versetzten sich in Staat; "es ist nichts gewisser", sagten sie zu +ihrer Familie, indem alles umherrannte, um das Besuchszimmer, das +zugleich zu sonstigem Gebrauch diente, aufzuraeumen, "es ist nichts +gewisser, als dass der Fremde jetzt seinen Neffen in die Welt einfuehrt. +Der alte Narr war seit zehn Jahren nicht so artig, einen Fuss in +unser Haus zu setzen, aber es sei ihm wegen des Neffen verziehen, der +ein charmanter Mensch sein soll." So sprachen sie und ermahnten ihre +Soehne und Toechter, recht manierlich auszusehen, wenn die Fremden +kaemen, sich gerade zu halten und sich auch einer besseren Aussprache +zu bedienen als gewoehnlich. Und die klugen Frauen im Staedtchen +hatten nicht unrecht geraten; denn nach der Reihe fuhr der alte Herr +mit seinem Neffen umher; sich und ihn in die Gewogenheit der Familien +zu empfehlen. + +Man war ueberall ganz erfuellt von den beiden Fremden und bedauerte, +nicht schon frueher diese angenehme Bekanntschaft gemacht zu haben. +Der alte Herr zeigte sich als ein wuerdiger, sehr vernuenftiger Mann, +der zwar bei allem, was er sagte, ein wenig laechelte, so dass man +nicht gewiss war, ob es ihm Ernst sei oder nicht, aber er sprach ueber +das Wetter, ueber die Gegend, ueber das Sommervergnuegen auf dem Keller +am Berge so klug und durchdacht, dass jedermann davon bezaubert war. +Aber der Neffe! Er bezauberte alles, er gewann alle Herzen fuer sich. + +Man konnte zwar, was sein Aeusseres betraf, sein Gesicht nicht schoen +nennen; der untere Teil, besonders die Kinnlade, stand allzusehr +hervor, und der Teint war sehr braeunlich; auch machte er zuweilen +allerlei sonderbare Grimassen, drueckte die Augen zu und fletschte mit +den Zaehnen; aber dennoch fand man den Schnitt seiner Zuege ungemein +interessant. Es konnte nichts Beweglicheres, Gewandteres geben als +seine Gestalt. Die Kleider hingen ihm zwar etwas sonderbar am Leib, +aber es stand ihm alles trefflich; er fuhr mit grosser Lebendigkeit im +Zimmer umher, warf sich hier aufs Sofa, dort in einen Lehnstuhl und +streckte die Beine von sich; aber was man bei einem anderen jungen +Mann hoechst gemein und unschicklich gefunden haette, galt bei dem +Neffen fuer Genialitaet. + +"Er ist ein Englaender", sagte man, "so sind sie alle; ein Englaender +kann sich aufs Kanapee legen und einschlafen, waehrend zehn Damen +keinen Platz haben und umherstehen muessen, einem Englaender kann man +so etwas nicht uebelnehmen." Gegen den alten Herrn, seinen Oheim, war +er sehr fuegsam; denn wenn er anfing, im Zimmer umherzuhuepfen oder, +wie er gerne tat, die Fuesse auf den Sessel hinaufzuziehen, so reichte +ein ernsthafter Blick hin, ihn zur Ordnung zu bringen. Und wie +konnte man ihm so etwas uebelnehmen, als vollends der Onkel in jedem +Haus zu der Dame sagte: "Mein Neffe ist noch ein wenig roh und +ungebildet; aber ich verspreche mir viel von der Gesellschaft, die +wird ihn gehoerig formen und bilden, und ich empfehle ihn namentlich +Ihnen aufs angelegenste." + +So war der Neffe also in die Welt eingefuehrt, und ganz Gruenwiesel +sprach an diesem und den folgenden Tagen von nichts anderem als von +diesem Ereignis. Der alte Herr blieb aber hierbei nicht stehen; er +schien seine Denk- und Lebensart gaenzlich geaendert zu haben. +Nachmittags ging er mit dem Neffen hinaus in den Felsenkeller am Berg, +wo die vornehmeren Herren von Gruenwiesel Bier tranken und sich am +Kegelschieben ergoetzten. Der Neffe zeigte sich dort als ein flinker +Meister im Spiel; denn er warf nie unter fuenf oder sechs; hier und da +schien zwar ein sonderbarer Geist ueber ihn zu kommen; es konnte ihm +einfallen, dass er pfeilschnell mit der Kugel hinaus- und unter die +Kegel hineinfuhr und dort allerhand tollen Rumor anrichtete, oder +wenn er den Kranz oder den Koenig geworfen, stand er ploetzlich auf +seinem schoen frisierten Haar und streckte die Beine in die Hoehe, oder +wenn ein Wagen vorbeifuhr, sass er, ehe man sich's dessen versah, oben +auf dem Kutschenhimmel und machte Grimassen herab, fuhr so ein +Stueckchen weit mit und kam dann wieder zur Gesellschaft gesprungen. + +Der alte Herr pflegte dann bei solchen Szenen den Buergermeister und +die anderen Maenner sehr um Entschuldigung zu bitten wegen der +Ungezogenheit seines Neffen; sie aber lachten, schrieben es seiner +Jugend zu, behaupteten, in diesem Alter selbst so leichtfuessig gewesen +zu sein, und liebten den jungen Springinsfeld, wie sie ihn nannten, +ungemein. + +Es gab aber auch Zeiten, wo sie sich nicht wenig ueber ihn aergerten +und dennoch nichts zu sagen wagten, weil der junge Englaender +allgemein als ein Muster von Bildung und Verstand galt. Der alte +Herr pflegte naemlich mit seinem Neffen auch abends in den Goldenen +Hirsch, das Wirtshaus des Staedtchens, zu kommen. Obgleich der Neffe +noch ein ganz junger Mensch war, tat er doch schon ganz wie ein Alter, +setzte sich hinter sein Glas, tat eine ungeheure Brille auf, zog +eine gewaltige Pfeife heraus, zuendete sie an und dampfte unter allen +am aergsten. Wurde nun ueber die Zeitungen, ueber Krieg und Frieden +gesprochen, gab der Doktor die Meinung, der Buergermeister jene, waren +die anderen Herren ganz erstaunt ueber so tiefe politische Kenntnisse, +so konnte es dem Neffen ploetzlich einfallen, ganz anderer Meinung zu +sein; er schlug dann mit der Hand, von welcher er nie die Handschuhe +ablegte, auf den Tisch und gab dem Buergermeister und dem Doktor nicht +undeutlich zu verstehen, dass sie von diesem allem nichts genau wuessten, +dass er diese Sachen ganz anders gehoert habe und tiefere Einsicht +besitze. Er gab dann in einem sonderbar gebrochenen Deutsch seine +Meinung preis, die alle, zum grossen Aergernis des Buergermeisters, ganz +trefflich fanden; denn er musste als Englaender natuerlich alles besser +wissen. + +Setzten sich dann der Buergermeister und der Doktor in ihrem Zorn, den +sie nicht laut werden lassen durften, zu einer Partie Schach, so +rueckte der Neffe hinzu, schaute dem Buergermeister mit seiner grossen +Brille ueber die Schulter herein und tadelte diesen oder jenen Zug, +sagte dem Doktor, so und so muesse er ziehen, so dass beide Maenner +heimlich ganz grimmig wurden. Bot ihm dann der Buergermeister +aergerlich eine Partie an, um ihn gehoerig matt zu machen, denn er +hielt sich fuer einen zweiten Philidor, so schnallte der alte Herr dem +Neffen die Halsbinde fester zu, worauf dieser ganz artig und +manierlich wurde und den Buergermeister matt machte. + +Man hatte bisher in Gruenwiesel beinahe jeden Abend Karten gespielt, +die Partie um einen halben Kreuzer; das fand nun der Neffe erbaermlich, +setzte Kronentaler und Dukaten, behauptete, kein einziger spiele so +fein wie er, soehnte aber die beleidigten Herren gewoehnlich dadurch +wieder aus, dass er ungeheure Summen an sie verlor. Sie machten sich +auch gar kein Gewissen daraus, ihm recht viel Geld abzunehmen; denn +"er ist ja ein Englaender, also von Hause aus reich", sagten sie und +schoben die Dukaten in die Tasche. + +So kam der Neffe des fremden Herrn in kurzer Zeit bei Stadt und +Umgegend in ungemeines Ansehen. Man konnte sich seit +Menschengedenken nicht erinnern, einen jungen Mann dieser Art in +Gruenwiesel gesehen zu haben, und es war die sonderbarste Erscheinung, +die man je bemerkt. Man konnte nicht sagen, dass der Neffe irgend +etwas gelernt haette als etwa tanzen. Latein und Griechisch waren ihm, +wie man zu sagen pflegt, boehmische Doerfer. Bei einem +Gesellschaftsspiel in Buergermeisters Hause sollte er etwas schreiben, +und es fand sich, dass er nicht einmal seinen Namen schreiben konnte; +in der Geographie machte er die auffallendsten Schnitzer; denn es kam +ihm nicht darauf an, eine deutsche Stadt nach Frankreich oder eine +daenische nach Polen zu versetzen, er hatte nichts gesehen, nichts +studiert, und der Oberpfarrer schuettelte oft bedenklich den Kopf ueber +die rohe Unwissenheit des jungen Mannes; aber dennoch fand man alles +trefflich, was er tat oder sagte; denn er war so unverschaemt, immer +recht haben zu wollen, und das Ende jeder seiner Reden war: "Ich +verstehe das besser!" + +So kam der Winter heran, und jetzt erst trat der Neffe mit noch +groesserer Glorie auf. Man fand jede Gesellschaft langweilig, wo nicht +er zugegen war, man gaehnte, wenn ein vernuenftiger Mann etwas sagte; +wenn aber der Neffe selbst das toerichteste Zeug in schlechtem Deutsch +vorbrachte, war alles Ohr. Es fand sich jetzt, dass der treffliche +junge Mann auch ein Dichter war; denn nicht leicht verging ein Abend, +an welchem er nicht einiges Papier aus der Tasche zog und der +Gesellschaft einige Sonette vorlas. Es gab zwar einige Leute, die +von dem einen Teil dieser Dichtungen behaupteten, sie seien schlecht +und ohne Sinn, einen anderen Teil wollten sie schon irgendwo gedruckt +gelesen haben; aber der Neffe liess sich nicht irremachen, er las und +las, machte dann auf die Schoenheiten seiner Verse aufmerksam, und +jedesmal erfolgte rauschender Beifall. + +Sein Triumph waren aber die Gruenwieseler Baelle. Es konnte niemand +anhaltender, schneller tanzen als er; keiner machte so kuehne und +ungemein zierliche Spraenge wie er. Dabei kleidete ihn sein Onkel +immer aufs praechtigste nach dem neuesten Geschmack, und obgleich ihm +die Kleider nicht recht am Leibe sitzen wollten, fand man dennoch, +dass ihn alles allerliebst kleide. Die Maenner fanden sich zwar bei +diesen Taenzen etwas beleidigt durch die neue Art, womit er auftrat. +Sonst hatte immer der Buergermeister in eigener Person den Ball +eroeffnet, die vornehmsten jungen Leute hatten das Recht, die uebrigen +Taenze anzuordnen aber seit der fremde junge Herr erschien, war dies +alles ganz anders. Ohne viel zu fragen, nahm er die naechste beste +Dame bei der Hand, stellte sich mit ihr oben an, machte alles, wie es +ihm gefiel, und war Herr und Meister und Ballkoenig. Weil aber die +Frauen diese Manieren ganz trefflich und angenehm fanden, so durften +die Maenner nichts dagegen einwenden, und der Neffe blieb bei seiner +selbstgewaehlten Wuerde. + +Das groesste Vergnuegen schien ein solcher Ball dem alten Herrn zu +gewaehren; er verwandte kein Auge von seinem Neffen, laechelte immer in +sich hinein, und wenn alle Welt herbeistroemte, um ihm ueber den +anstaendigen, wohlgezogenen Juengling Lobsprueche zu erteilen, so konnte +er sich vor Freude gar nicht fassen; er brach dann in ein lustiges +Gelaechter aus und bezeugte sich wie naerrisch; die Gruenwieseler +schrieben diese sonderbaren Ausbrueche der Freude seiner grossen Liebe +zu dem Neffen zu und fanden es ganz in der Ordnung. Doch hier und da +musste er auch sein vaeterliches Ansehen gegen den Neffen anwenden. +Denn mitten in den zierlichsten Taenzen konnte es dem jungen Mann +einfallen, mit einem kuehnen Sprung auf die Tribuene, wo die +Stadtmusikanten sassen, zu setzen, dem Organisten den Kontrabass aus +der Hand zu reissen und schrecklich darauf umherzukratzen; oder er +wechselte auf einmal und tanzte auf den Haenden, indem er die Beine in +die Hoehe streckte. Dann pflegte ihn der Onkel auf die Seite zu +nehmen, machte ihm dort ernstliche Vowuerfe und zog ihm die Halsbinde +fester an, dass er wieder ganz gesittet wurde. + +So betrug sich nun der Neffe in Gesellschaft und auf Baellen. Wie es +aber mit den Sitten zu geschehen pflegt, die schlechten verbreiten +sich immer leichter als die guten, und eine neue, auffallende Mode, +wenn sie auch hoechst laecherlich sein solle, hat etwas Ansteckendes an +sich fuer junge Leute, die noch nicht ueber sich selbst und die Welt +nachgedacht haben. So war es auch in Gruenwiesel mit dem Neffen und +seinen sonderbaren Sitten. Als naemlich die junge Welt sah, wie +derselbe mit seinem linkischen Wesen, mit seinem rohen Lachen und +Schwatzen, mit seinen groben Antworten gegen Aeltere eher geschaetzt +als getadelt werde, dass man dies alles sogar sehr geistreich finde, +so dachten sie bei sich: "Es ist mir ein leichtes, auch solch ein +geistreicher Schlingel zu werden." Sie waren sonst fleissige, +geschickte junge Leute gewesen; jetzt dachten sie: "Zu was hilft +Gelehrsamkeit, wenn man mit Unwissenheit besser fortkoemmt?" Sie +liessen die Buecher liegen und trieben sich ueberall umher auf Plaetzen +und Strassen. Sonst waren sie artig gewesen und hoeflich gegen +jedermann, hatten gewartet, bis man sie fragte, und anstaendig und +bescheiden geantwortet; jetzt standen sie in die Reihe der Maenner, +schwatzten mit, gaben ihre Meinung preis und lachten selbst dem +Buergermeister unter die Nase, wenn er etwas sagte, und behaupteten, +alles viel besser zu wissen. + +Sonst hatten die jungen Gruenwieser Abscheu gehegt gegen rohes und +gemeines Wesen. Jetzt sangen sie allerlei schlechte Lieder, rauchten +aus ungeheuren Pfeifen Tabak und trieben sich in gemeinen Kneipen +umher; auch kauften sie sich, obgleich sie ganz gut sahen, grosse +Brillen, setzten solche auf die Nase und glaubten nun, gemachte Leute +zu sein; denn sie sahen ja aus wie der beruehmte Neffe. Zu Hause oder +wenn sie auf Besuch waren, lagen sie mit Stiefeln und Sporen auf dem +Kanapee, schaukelten sich auf dem Stuhl in guter Gesellschaft oder +stuetzten die Wangen in beide Faeuste, die Ellbogen aber auf den Tisch, +was nun ueberaus reizend anzusehen war. Umsonst sagten ihnen ihre +Muetter und Freunde, wie toericht, wie unschicklich dies alles sei, sie +beriefen sich auf das glaenzende Beispiel des Neffen. Umsonst stellte +man ihnen vor, dass man dem Neffen, als einem jungen Englaender, eine +gewisse Nationalroheit verzeihen muesse, die jungen Gruenwieseler +behaupteten, ebensogut als der beste Englaender das Recht zu haben, +auf geistreiche Weise ungezogen zu sein; kurz, es war ein Jammer, wie +durch das boese Beispiel des Neffen die Sitten und guten Gewohnheiten +in Gruenwiesel voellig untergingen. + +Aber die Freude der jungen Leute an ihrem rohen, ungebundenen Leben +dauerte nicht lange; denn folgender Vorfall veraenderte auf einmal die +ganze Szene: Die Wintervergnuegungen sollte ein grosses Konzert +beschliessen, das teils von den Stadtmusikanten, teils von geschickten +Musikfreunden in Gruenwiesel aufgefuehrt werden sollte. Der +Buergermeister spielte das Violoncell, der Doktor das Fagott ganz +vortrefflich, der Apotheker, obgleich er keinen rechten Ansatz hatte, +blies die Floete, einige Jungfrauen aus Gruenwiesel hatten Arien +einstudiert, und alles war trefflich vorbereitet. Da aeusserte der +alte Fremde, dass zwar das Konzert auf diese Art trefflich werden +wuerde, es fehle aber offenbar an einem Duett, und ein Duett muesse in +jedem ordentlichen Konzert notwendigerweise vorkommen. Man war etwas +betreten ueber diese Aeusserung; die Tochter des Buergermeisters sang +zwar wie eine Nachtigall; aber wo einen Herrn herbekommen, der mit +ihr ein Duett singen koennte? Man wollte endlich auf den alten +Organisten verfallen, der einst einen trefflichen Bass gesungen hatte; +der Fremde aber behauptete, dies alles sei nicht noetig, indem sein +Neffe ganz ausgezeichnet singe. Man war nicht wenig erstaunt ueber +diese neue treffliche Eigenschaft des jungen Mannes; er musste zur +Probe etwas singen, und einige sonderbare Manieren abgerechnet, die +man fuer englisch hielt, sang er wie ein Engel. Man studierte also in +der Eile das Duett ein, und der Abend erschien endlich, an welchem +die Ohren der Gruenwieseler durch das Konzert erquickt werden sollten. + +Der alte Fremde konnte leider dem Triumph seines Neffen nicht +beiwohnen, weil er krank war; er gab aber dem Buergermeister, der ihn +eine Stunde zuvor noch besuchte, einige Massregeln ueber seinen Neffen +auf. "Er ist eine gute Seele, mein Neffe", sagte er, "aber hier und +da verfaellt er in allerlei sonderbare Gedanken und faengt dann tolles +Zeug an; es ist mir eben deswegen leid, dass ich dem Konzert nicht +beiwohnen kann; denn vor mir nimmt er sich gewaltig in acht, er weiss +wohl, warum! Ich muss uebrigens zu seiner Ehre sagen, dass dies nicht +geistiger Mutwillen ist, sondern es ist koerperlich, es liegt in +seiner Natur. Wollten Sie nun, Herr Buergermeister, wenn er etwa in +solche Gedanken verfiele, dass er sich auf ein Notenpult setzte oder +dass er durchaus den Kontrabass streichen wollte oder dergleichen, +wollten Sie ihm dann nur seine hohe Halsbinde etwas lockerer machen +oder, wenn es auch dann nicht besser wird, ihm solche ganz ausziehen, +Sie werden sehen, wie artig und manierlich er dann wird." + +Der Buergermeister dankte dem Kranken fuer sein Zutrauen und versprach, +im Fall der Not also zu tun, wie er ihm geraten. + +Der Konzertsaal war gedraengt voll; denn ganz Gruenwiesel und die +Umgegend hatten sich eingefunden. Alle Jaeger, Pfarrer, Amtleute, +Landwirte und dergleichen aus dem Umkreis von drei Stunden waren mit +zahlreicher Familie herbeigestroemt, um den seltenen Genuss mit den +Gruenwieselern zu teilen. Die Stadtmusikanten hielten sich +vortrefflich; nach ihnen trat der Buergermeister auf, der das +Violoncell spielte, begleitet vom Apotheker, der die Floete blies; +nach diesen sang der Organist eine Bassarie mit allgemeinem Beifall, +und auch der Doktor wurde nicht wenig beklatscht, als er auf dem +Fagott sich hoeren liess. + +Die erste Abteilung des Konzertes war vorbei, und jedermann war nun +auf die zweite gespannt, in welcher der junge Fremde mit des +Buergermeisters Tochter ein Duett vortragen sollte. Der Neffe war in +einem glaenzenden Anzug erschienen und hatte schon laengst die +Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich gezogen. Er hatte sich +naemlich, ohne viel zu fragen, in den praechtigen Lehnstuhl gelegt, der +fuer eine Graefin aus der Nachbarschaft hergesetzt worden war; er +streckte die Beine weit von sich, schaute jedermann durch ein +ungeheueres Perspektiv an, das er noch ausser seiner grossen Brille +gebrauchte, und spielte mit einem grossen Fleischerhund, den er trotz +des Verbotes, Hunde mitzunehmen, in die Gesellschaft eingefuehrt hatte. +Die Graefin, fuer welche der Lehnstuhl bereitet war, erschien; aber +wer keine Miene machte, aufzustehen und ihr den Platz einzuraeumen, +war der Neffe; er setzte sich im Gegenteil noch bequemer hinein, und +niemand wagte es, dem jungen Mann etwas darueber zu sagen; die +vornehme Dame aber musste auf einem ganz gemeinen Strohsessel mitten +unter den uebrigen Frauen des Staedtchens sitzen und soll sich nicht +wenig geaergert haben. + +Waehrend des herrlichen Spieles des Buergermeisters, waehrend des +Organisten trefflicher Bassarie, ja sogar waehrend der Doktor auf dem +Fagott phantasierte und alles den Atem anhielt und lauschte, liess der +Neffe den Hund das Schnupftuch apportieren oder schwatzte ganz laut +mit seinen Nachbarn, so dass jedermann, der ihn nicht kannte, ueber die +absonderlichen Sitten des jungen Herrn sich wunderte. + +Kein Wunder daher, dass alles sehr begierig war, wie er sein Duett +vortragen wuerde. Die zweite Abteilung begann; die Stadtmusikanten +hatten etwas weniges aufgespielt, und nun trat der Buergermeister mit +seiner Tochter zu dem jungen Mann, ueberreichte ihm ein Notenblatt und +sprach: "Mosjoeh, waere es Ihnen jetzt gefaellig, das Duetto zu singen?" +Der junge Mann lachte, fletschte mit den Zaehnen, sprang auf, und die +beiden anderen folgten ihm an das Notenpult, und die ganze +Gesellschaft war voll Erwartung. Der Organist schlug den Takt und +winkte dem Neffen, anzufangen. Dieser schaute durch seine grossen +Brillenglaeser in die Noten und stiess greuliche, jaemmerliche Toene aus. +Der Organist aber schrie ihm zu: "Zwei Toene tiefer, Wertester, C +muessen Sie singen, C!" + +Statt aber C zu singen, zog der Neffe einen seiner Schuhe ab und warf +ihn dem Organisten an den Kopf, dass der Puder weit umherflog. Als +dies der Buergermeister sah, dachte er. "Ha, jetzt hat er wieder +seine koerperlichen Zufaelle!", sprang hinzu, packte ihn am Hals und +band ihm das Tuch etwas leichter; aber dadurch wurde es nur noch +schlimmer mit dem jungen Mann. Er sprach nicht mehr Deutsch, sondern +eine ganz sonderbare Sprache, die niemand verstand, und machte grosse +Spruenge. Der Buergermeister war in Verzweiflung ueber diese +unangenehme Stoerung; er fasste daher den Entschluss, dem jungen Mann, +dem etwas ganz Besonderes zugestossen sein musste, das Halstuch +vollends abzuloesen. Aber kaum hatte er dies getan, so blieb er vor +Schrecken wie erstarrt stehen; denn statt menschlicher Haut und Farbe +umgab den Hals des jungen Menschen ein dunkelbraunes Fell, und +alsobald setzte derselbe auch seine Spruenge noch hoeher und +sonderbarer fort, fuhr sich mit den glasierten Handschuhen in die +Haare, zog diese ab, und o Wunder, diese schoenen Haare waren eine +Peruecke, die er dem Buergermeister ins Gesicht warf, und sein Kopf +erschien jetzt mit demselben braunen Fell bewachsen. + +Er setzte ueber Tische und Baenke, warf die Notenpulte um, zertrat +Geigen und Klarinette und erschien wie ein Rasender. "Fangt ihn, +fangt ihn!" rief der Buergermeister ganz ausser sich, "er ist von +Sinnen, fangt ihn!" Das war aber eine schwierige Sache; denn er hatte +die Handschuhe abgezogen und zeigte Naegel an den Haenden, mit welchen +er den Leuten ins Gesicht fuhr und sie jaemmerlich kratzte. Endlich +gelang es einem mutigen Jaeger, seiner habhaft zu werden. Er presste +ihm die langen Arme zusammen, dass er nur noch mit den Fuessen zappelte +und mit heiserer Stimme lachte und schrie. Die Leute sammelten sich +umher und betrachteten den sonderbaren jungen Herrn, der jetzt gar +nicht mehr aussah wie ein Mensch. Aber ein gelehrter Herr aus der +Nachbarschaft, der ein grosses Naturalienkabinett und allerlei +ausgestopfte Tiere besass, trat naeher, betrachtete ihn genau und rief +dann voll Verwunderung: "Mein Gott, verehrte Herren und Damen, wie +bringen Sie nur dies Tier in honette Gesellschaft, das ist ja ein +Affe, der Homo Troglodytes Linnaei, ich gebe sogleich sechs Taler fuer +ihn, wenn Sie mir ihn ablassen, und balge ihn aus fuer mein Kabinett." + +Wer beschreibt das Erstaunen der Gruenwieseler, als sie dies hoerten! +"Was, ein Affe, ein Orang-Utan in unserer Gesellschaft? Der junge +Fremde ein ganz gewoehnlicher Affe?" riefen sie und sahen einander +ganz dumm vor Verwunderung an. Man wollte nicht glauben, man traute +seinen Ohren nicht, die Maenner untersuchten das Tier genauer, aber es +war und blieb ein ganz natuerlicher Affe. + +"Aber, wie ist dies moeglich!" rief die Frau Buergermeister. "Hat er +mir nicht oft seine Gedichte vorgelesen? Hat er nicht wie ein +anderer Mensch bei mir zu Mittag gespeist?" + +"Was?" eiferte die Frau Doktorin. "Wie? Hat er nicht oft und viel +den Kaffee bei mir getrunken und mit meinem Manne gelehrt gesprochen +und geraucht?" + +"Wie! Ist es moeglich!" riefen die Maenner. "Hat er nicht mit uns am +Felsenkeller Kugeln geschoben und ueber Politik gestritten wie +unsereiner?" + +"Und wie?" klagten sie alle. "Hat er nicht sogar vorgetanzt auf +unseren Baellen? Ein Affe! Ein Affe? Es ist ein Wunder, es ist +Zauberei!" sagten die Buerger. "Ja, es ist Zauberei und teuflischer +Spuk", sagte der Buergermeister, indem er das Halstuch des Neffen oder +Affen herbeibrachte. "Seht! In diesem Tuch steckte der ganze Zauber, +der ihn in unseren Augen liebenswuerdig machte. Da ist ein breiter +Streifen elastischen Pergaments, mit allerlei wunderlichen Zeichen +beschrieben. Ich glaube gar, es ist Lateinisch; kann es niemand +lesen?" + +Der Oberpfarrer, ein gelehrter Mann, der oft an den Affen eine Partie +Schach verloren hatte, trat hinzu, betrachtete das Pergament und +sprach: "Mitnichten! Es sind nur lateinische Buchstaben, es heisst: + +DER--AFFE--SEHR--POSSIERLICH--IST--ZUMAL--WANN--ER--VOM--APFEL--FRISST +-Ja, ja, es ist hoellischer Betrug, eine Art von Zauberei", fuhr er +fort, "und es muss exemplarisch bestraft werden." + +Der Buergermeister war derselben Meinung und machte sich sogleich auf +den Weg zu dem Fremden, der ein Zauberer sein musste, und sechs +Stadtsoldaten trugen den Affen; denn der Fremde sollte sogleich ins +Verhoer genommen werden. + +Sie kamen, umgeben von einer ungeheuren Anzahl Menschen, an das oede +Haus; denn jedermann wollte sehen, wie sich die Sache weiter begeben +wuerde. Man pochte an das Haus, man zog die Glocke, aber vergeblich, +es zeigte sich niemand. Da liess der Buergermeister in seiner Wut die +Tuere einschlagen und begab sich hierauf in die Zimmer des Fremden. +Aber dort war nichts zu sehen als allerlei alter Hausrat. Der fremde +Mann war nicht zu finden. Auf seinem Arbeitstisch aber lag ein +grosser, versiegelter Brief, an den Buergermeister ueberschrieben, den +dieser auch sogleich oeffnete. Er las: + +"Meine lieben Gruenwieseler! + +Wenn Ihr dies leset, bin ich nicht mehr in Eurem Staedtchen, und Ihr +werdet dann laengst erfahren haben, wes Standes und Vaterlandes mein +lieber Neffe ist. Nehmet den Scherz, den ich mit Euch erlaubte, als +eine gute Lehre auf, einen Fremden, der fuer sich leben will, nicht in +Eure Gesellschaft zu noetigen. Ich selbst fuehlte mich zu gut, um Euer +ewiges Klatschen, um Eure schlechten Sitten und Euer laecherliches +Wesen zu teilen. Darum erzog ich einen jungen Orang-Utan, den Ihr +als meinen Stellvertreter so liebgewonnen habt. Lebet wohl und +benuetzet diese Lehre nach Kraeften!" + +Die Gruenwieseler schaemten sich nicht wenig vor dem ganzen Land. Ihr +Trost war, dass dies alles mit unnatuerlichen Dingen zugegangen sei. +Am meisten schaemten sich aber die jungen Leute in Gruenwiesel, weil +sie die schlechten Gewohnheiten und Sitten des Affen nachgeahmt +hatten. Sie stemmten von jetzt an keinen Ellbogen mehr auf, sie +schaukelten nicht mit dem Sessel, sie schwiegen, bis sie gefragt +wurden, sie legten die Brillen ab und waren artig und gesittet wie +zuvor, und wenn je einer wieder in solche schlechten, laecherlichen +Sitten verfiel, so sagten die Gruenwieseler: "Es ist ein Affe." Der +Affe aber, welcher so lange die Rolle eines jungen Herrn gespielt +hatte, wurde dem gelehrten Mann, der ein Naturalienkabinett besass, +ueberantwortet. Dieser laesst ihn in seinem Hof umhergehen, fuettert ihn +und zeigt ihn als Seltenheit jedem Fremden, wo er noch bis auf den +heutigen Tag zu sehen ist. + +Es entstand ein Gelaechter im Saal, als der Sklave geendet hatte, und +auch die jungen Maenner lachten mit. "Es muss doch sonderbare Leute +geben unter diesen Franken, und wahrhaftig, da bin ich lieber beim +Scheik und Mufti in Alessandria als in Gesellschaft des Oberpfarrers, +des Buergermeisters und ihrer toerichten Frauen in Gruenwiesel!" + +"Da hast du gewiss recht gesprochen", erwiderte der junge Kaufmann. +"In Frankistan moechte ich nicht tot sein. Die Franken sind ein rohes, +wildes, barbarisches Volk, und fuer einen gebildeten Tuerken oder +Perser muesste es schrecklich sein, dort zu leben." + +"Das werdet ihr bald hoeren", versprach der Alte, "so viel mir der +Sklavenaufseher sagte, wird der schoene junge Mann dort vieles von +Frankistan erzaehlen; denn er war lange dort und ist doch seiner +Geburt nach ein Muselmann." + +"Wie, jener, der zuletzt sitzt in der Reihe? Wahrlich, es ist eine +Suende, dass der Herr Scheik diesen losgibt! Es ist der schoenste +Sklave im ganzen Land; schaut nur dieses mutige Gesicht, dieses kuehne +Auge, diese schoene Gestalt! Er kann ihm ja leichte Geschaefte geben; +er kann ihn zum Fliegenwedeler machen oder zum Pfeifentraeger; es ist +ein Spass, ein solches Amt zu versehen, und wahrlich, ein solcher +SkIave ist die Zierde von einem ganzen Haus. Und erst drei Tage hat +er ihn und gibt ihn weg? Es ist Torheit, es ist Suende!" + +"Tadelt ihn doch nicht, ihn, der weiser ist als ganz Aegypten!" sprach +der Alte mit Nachdruck. "Sagte ich euch nicht schon, dass er ihn +loslaesst, weil er glaubt, den Segen Allahs dadurch zu verdienen? Ihr +sagt, er ist schoen und wohlgebildet, und ihr sprecht die Wahrheit. +Aber der Sohn des Scheik, den der Prophet in sein Vaterhaus +zurueckbringen moege, der Sohn des Scheik war ein schoener Knabe und muss +jetzt auch gross sein und wohlgebildet. Soll er also das Gold sparen +und einen wohlfeilen, verwachsenen Sklaven hingeben in der Hoffnung, +seinen Sohn dafuer zu bekommen? Wer etwas tun will in der Welt, der +tut es lieber gar nicht oder--recht!" + +"Und sehet, des Scheik Augen sind immer auf diesen Sklaven geheftet; +ich bemerkte es schon den ganzen Abend. Waehrend der Erzaehlungen +streifte oft sein Blick dorthin und verweilte auf den edlen Zuegen des +Freigelassenen. Es muss ihn doch ein wenig schmerzen, ihn freizugeben." + +"Denke nicht also von dem Mann! Meinst du, tausend Tomans schmerzen +ihn, der jeden Tag das Dreifache einnimmt?" sagte der alte Mann. +"Aber wenn sein Blick mit Kummer auf dem Juengling weilt, so denkt er +wohl an seinen Sohn, der in der Fremde schmachtet; er denkt wohl, ob +dort vielleicht ein barmerziger Mann wohne, der ihn loskaufe und +zurueckschicke zum Vater. " + +"Ihr moegt recht haben", erwiderte der junge Kaufmann, "und ich schaeme +mich, dass ich von den Leuten nur immer das Gemeinere und Unedle denke, +waehrend Ihr lieber eine schoene Gesinnung unterlegt. Und doch sind +die Menschen in der Regel schlecht, habt Ihr dies nicht auch gefunden, +Alter?" + +"Gerade, weil ich dies nicht gefunden habe, denke ich gerne gut von +den Menschen", antwortete dieser, "es ging mir gerade wie euch; ich +lebte so in den Tag hinein, hoerte viel Schlimmes von den Menschen, +musste selbst an mir viel Schlechtes erfahren und fing an, die +Menschen alle fuer schlechte Geschoepfe zu halten. Doch da fiel mir +bei, dass Allah, der so gerecht ist als weise, nicht dulden koennte, +dass ein so verworfenes Geschlecht auf dieser schoenen Erde hause. Ich +dachte nach ueber das, was ich gesehen, was ich erlebt hatte, und +siehe--ich hatte nur das Boese gezaehlt und das Gute vergessen. Ich +hatte nicht achtgegeben, wenn einer eine Handlung der Barmherzigkeit +uebte, ich hatte es natuerlich gefunden, wenn ganze Familien tugendhaft +lebten und gerecht waren; so oft ich aber Boeses, Schlechtes hoerte, +hatte ich es wohl angemerkt in meinem Gedaechtnis. Da fing ich an, +mit ganz anderen Augen um mich zu schauen; es freute mich, wenn ich +das Gute nicht so sparsam keimen sah, wie ich anfangs dachte; ich +bemerkte das Boese weniger, oder es fiel mir nicht so sehr auf, und so +lernte ich die Menschen lieben, lernte Gutes von ihnen denken und +habe mich in langen Jahren seltener geirrt, wenn ich von einem Gutes +sprach, als wenn ich ihn fuer geizig oder gemein oder gottlos hielt." + +Der Alte wurde bei diesen Worten von dem Aufseher der Sklaven +unterbrochen, der zu ihm trat und sprach: "Mein Herr, der Scheik von +Alessandria, Ali Banu, hat Euch mit Wohlgefallen in seinem Saale +bemerkt und ladet Euch ein, zu ihm zu treten und Euch neben ihn zu +setzen." + +Die jungen Leute waren nicht wenig erstaunt ueber die Ehre, die dem +Alten widerfahren sollte, den sie fuer einen Bettler gehalten, und als +dieser hingegangen war, sich zu dem Scheik zu setzen, hielten sie den +Sklavenaufseher zurueck, und der Schreiber fragte ihn: "Beim Bart des +Propheten beschwoere ich dich, sage uns, wer ist dieser alte Mann, mit +dem wir sprachen und den der Scheik also ehrt?" + +"Wie!" rief der Aufseher der Sklaven und schlug vor Verwunderung die +Haende zusammen. "Diesen Mann kennet ihr nicht?" + +"Nein, wir wissen nicht, wer er ist." + +"Aber ich sah euch doch schon einigemal mit ihm auf der Strasse +sprechen, und mein Herr, der Scheik, hat dies auch bemerkt und erst +letzthin gesagt: 'Das muessen wackere junge Leute sein, die dieser +Mann eines Gespraeches wuerdigt.'" + +"Aber, so sage doch, wer er ist!" rief der junge Kaufmann in hoechster +Ungeduld. + +"Gehet, Ihr wollet mich nur zum Narren haben", antwortete der +Sklavenaufseher. "In diesen Saal kommt sonst niemand, wer nicht +ausdruecklich eingeladen ist, und heute liess der Alte dem Scheik sagen, +er werde einige junge Maenner in seinen Saal mitbringen, wenn es ihm +nicht ungelegen sei, und Ali Banu liess ihm sagen, er habe ueber sein +Haus zu gebieten." + +"Lasse uns nicht laenger in Ungewissheit; so wahr ich lebe, ich weiss +nicht, wer dieser Mann ist. Wir lernten ihn zufaellig kennen und +sprachen mit ihm." + +"Nun, dann duerfet ihr euch gluecklich preisen; denn ihr habt mit einem +gelehrten, beruehmten Mann gesprochen, und alle Anwesenden ehren und +bewundern euch deshalb; es ist niemand anders als Mustapha, der +gelehrte Derwisch." + +"Mustapha, der weise Mustapha, der den Sohn des Scheik erzogen hat? +Der viele gelehrte Buecher schrieb, der grosse Reisen machte in alle +Weltteile! Mit Mustapha haben wir gesprochen? Und gesprochen, als +waer' er unsereiner, so ganz ohne alle Ehrerbietung?" So sprachen die +jungen Maenner untereinander und waren sehr beschaemt; denn der +Derwisch Mustapha galt damals fuer den weisesten und gelehrtesten Mann +im ganzen Morgenland. + +"Troest' euch darueber", antwortete der Sklavenaufseher, seid froh, dass +ihr ihn nicht kanntet; er kann es nicht leiden, wenn man ihn lobt, +und haettet ihr ihn ein einziges Mal die Sonne der Gelehrsamkeit oder +das Gestirn der Weisheit genannt, wie es gebraeuchlich ist bei Maennern +dieser Axt, er haette euch von Stund' an verlassen. Doch ich muss +jetzt zurueck zu den Leuten, die heute erzaehlen. Der, der jetzt kommt, +ist tief hinten in Frankistan gebuertig, wollen sehen, was er weiss." + +So sprach der Sklavenaufseher; der aber, an welchen jetzt die Reihe +zu erzaehlen kam, stand auf und sprach: "Herr! ich bin aus einem Lande, +das weit gegen Mitternacht liegt, Norwegen genannt, wo die Sonne +nicht, wie in deinem gesegneten Vaterlande, Feigen und Zitronen kocht, +wo sie nur wenige Monde ueber die gruene Erde scheint und ihr im Flug +sparsame Blueten und Fruechte entlockt. Du sollst, wenn es dir +angenehm ist, ein paar Maerchen hoeren, wie man sie bei uns in den +warmen Stuben erzaehlt, wenn das Nordlicht ueber die Schneefelder +flimmert." (Im Maerchenalmanach auf das Jahr 1827 standen hier "Das +Fest der Unterirdischen" (norwegisches Maerchen nach muendlicher +Ueberlieferung) und "Schneeweisschen und Rosenrot" von Wilhelm Grimm) + +Noch waren die jungen Maenner im Gespraech ueber diese Maerchen und ueber +den Alten, den Derwisch Mustapha; sie fuehlten sich nicht wenig geehrt, +dass ein so alter und beruehmter Mann sie seiner Aufmerksamkeit +gewuerdigt und sogar oefters mit ihnen gesprochen und gestritten hatte. +Da kam ploetzlich der Aufseher der Sklaven zu ihnen und lud sie ein, +ihm zum Scheik zu folgen, der sie sprechen wolle. + +Den Juenglingen pochte das Herz. Noch nie hatten sie mit einem so +vornehmen Mann gesprochen, nicht einmal allein, viel weniger in so +grosser Gesellschaft. Doch sie fassten sich, um nicht als Toren zu +erscheinen, und folgten dem Aufseher der Sklaven zum Scheik. Ali +Banu sass auf einem reichen Polster und nahm Sorbet zu sich. Zu +seiner Rechten sass der Alte, sein duerftiges Kleid ruhte auf +herrlichen Polstern, seine aermlichen Sandalen hatte er auf einen +reichen Teppich von persischer Arbeit gestellt; aber sein schoener +Kopf, sein Auge voll Wuerde und Weisheit zeigten an, dass er wuerdig sei, +neben einem Mann wie dem Scheik zu sitzen. + +Der Scheik war sehr ernst, und der Alte schien ihm Trost und Mut +zuzusprechen. Die Juenglinge glaubten auch in ihrem Ruf vor das +Angesicht des Scheik eine List des Alten zu entdecken, der +wahrscheinlich den trauernden Vater durch ein Gespraech mit ihnen +zerstreuen wollte. + +"Willkommen, ihr jungen Maenner", sprach der Scheik, "willkommen in +dem Hause Ali Banus! Mein alter Freund hier hat sich meinen Dank +verdient, dass er euch hier einfuehrte; doch zuernte ich ihm ein wenig, +dass er mich nicht frueher mit euch bekannt machte. Wer von euch ist +denn der junge Schreiber?" + +"Ich, o Herr und zu Euren Diensten!" sprach der junge Schreiber, +indem er die Arme ueber der Brust kreuzte und sich tief verbeugte. + +"Ihr hoert also gerne Geschichten und leset gerne Buecher mit schoenen +Versen und Denkspruechen?" + +Der junge Mensch erschrak und erroetete; denn ihm fiel bei, wie er +damals den Scheik bei dem Alten getadelt und gesagt hatte, an seine +Stelle wuerde er sich erzaehlen oder aus Buechern vorlesen lassen. Er +war dem schwatzhaften Alten, der dem Scheik gewiss alles verraten +hatte, in diesem Augenblicke recht gram, warf ihm einen boesen Blick +zu und sprach dann: "O Herr! Allerdings kenne ich fuer meinen Teil +keine angenehmere Beschaeftigung, als mit dergleichen den Tag +zuzubringen. Es bildet den Geist und vertreibt die Zeit. Aber jeder +nach seiner Weise! Ich tadle darum gewiss keinen, der nicht--" + +"Schon gut, schon gut", unterbrach ihn der Scheik lachend und winkte +den zweiten herbei. + +"Wer bist denn du?" fragte er ihn. + +"Herr, ich bin meines Amtes der Gehilfe eines Arztes und habe selbst +schon einige Kranke geheilt." + +"Richtig", erwiderte der Scheik, "und Ihr seid es auch, der das +Wohlleben liebet; Ihr moechtet gerne mit guten Freunden hier und da +tafeln und guter Dinge sein? Nicht wahr, ich habe es erraten?" + +Der junge Mann war beschaemt; er fuehlte, dass er verraten war und dass +der Alte auch von ihm gebeichtet haben musste. Er fasste sich aber ein +Herz und antwortete: "O ja, Herr, ich rechne es unter des Lebens +Glueckseligkeiten, hier und da mit guten Freunden froehlich sein zu +koennen. Mein Beutel reicht nun zwar nicht weiter hin, als meine +Freunde mit Wassermelonen oder dergleichen wohlfeilen Sachen zu +bewirten; doch sind wir auch dabei froehlich, und es laesst sich denken, +dass wir es noch um ein gutes Teil mehr waeren, wenn ich mehr Geld +haette." + +Dem Scheik gefiel diese beherzte Antwort, und er konnte sich nicht +enthalten, darueber zu lachen. "Welcher ist denn der junge Kaufmann?" +fragte er weiter. + +Der junge Kaufmann verbeugte sich mit freiem Anstand vor dem Scheik; +denn er war ein Mensch von guter Erziehung; der Scheik aber sprach: +"Und Ihr? Ihr habt Freude an Musik und Tanz? Ihr hoeret es gerne, +wenn gute Kuenstler etwas spielen und singen und sehet gerne Taenzer +kuenstliche Taenze ausfuehren?" Der junge Kaufmann antwortete: "Ich sehe +wohl, o Herr, dass jener alte Mann, um Euch zu belustigen, unsere +Torheiten insgesamt verraten hat. Wenn es ihm gelang, Euch dadurch +aufzuheitern, so habe ich gerne zu Eurem Scherz gedient. Was aber +Musik und Tanz betrifft, so gestehe ich, es gibt nicht leicht etwas, +was mein Herz also vergnuegt. Doch glaubet nicht, dass ich deswegen +Euch tadle, o Herr, wenn Ihr nicht ebenfalls--" + +"Genug, nicht weiter!" rief der Scheik, laechelnd mit der Hand +abwehrend. "Jeder nach seiner Weise, wollet Ihr sagen; aber dort +steht ja noch einer; das ist wohl der, welcher so gerne reisen +moechte? Wer seid denn Ihr, junger Herr?" + +"Ich bin ein Maler, o Herr", antwortete der junge Mann, "ich male +Landschaften teils an die Waende der Saele, teils auf Leinwand. Fremde +Laender zu sehen, ist allerdings mein Wunsch; denn man sieht dort +allerlei schoene Gegenden, die man wieder anbringen kann; und was man +sieht und abzeichnet, ist doch in der Regel immer schoener, als was +man nur so selbst erfindet." + +Der Scheik betrachtete jetzt die schoenen jungen Leute, und sein Blick +wurde ernst und duester. "Ich hatte einst auch einen lieben Sohn", +sagte er, "und er muesste nun auch so herangewachsen sein wie ihr. Da +solltet ihr seine Genossen und Begleiter sein, und jeder eurer +Wuensche wuerde von selbst befriedigt werden. Mit jenem wuerde er lesen, +mit diesem Musik hoeren, mit dem anderen wuerde er gute Freunde +einladen und froehlich und guter Dinge sein, und mit dem Maler liesse +ich ihn ausziehen in schoene Gegenden und waere dann gewiss, dass er +immer wieder zu mir zurueckkehrte. So hat es aber Allah nicht gewollt, +und ich fuege mich in seinen Willen ohne Murren. Doch es steht in +meiner Macht, eure Wuensche dennoch zu erfuellen, und ihr sollt +freudigen Herzens von Ali Banu gehen. Ihr, mein gelehrter Freund", +fuhr er fort, indem er sich zu dem Schreiber wandte, "wohnt von jetzt +an in meinem Hause und seid ueber meine Buecher gesetzt. Ihr koennet +noch dazu anschaffen, was Ihr wollet und fuer gut haltet, und Euer +einziges Geschaeft sei, mir, wenn Ihr etwas recht Schoenes gelesen habt, +zu erzaehlen. Ihr, der Ihr eine gute Tafel unter Freunden liebet, +Ihr sollet der Aufseher ueber meine Vergnuegungen sein. Ich selbst +zwar lebe einsam und ohne Freude, aber es ist meine Pflicht, und mein +Amt bringt es mit sich, hier und da viele Gaeste einzuladen. Dort +sollet Ihr an meiner Stelle alles besorgen und koennet von Euren +Freunden dazu einladen, wen Ihr nur wollet; versteht sich, auf etwas +Besseres als Wassermelonen. Den jungen Kaufmann da darf ich freilich +seinem Geschaeft nicht entziehen, das ihm Geld und Ehre bringt; aber +alle Abende stehen Euch, mein junger Freund, Taenzer, Saenger und +Musikanten zu Dienste, so viel Ihr wollet. Lasset Euch aufspielen +und tanzen nach Herzenslust. Und Ihr", sprach er zu dem Maler, "Ihr +sollet fremde Laender sehen und das Auge durch Erfahrung schaerfen. +Mein Schatzmeister wird Euch zu der ersten Reise, die Ihr morgen +antreten koennet, tausend Goldstuecke reichen nebst zwei Pferden und +einem Sklaven. Reiset, wohin Euch das Herz treibt, und wenn Ihr +etwas Schoenes sehet, so malet es fuer mich!" + +Die jungen Leute waren ausser sich vor Erstaunen, sprachlos vor Freude +und Dank. Sie wollten den Boden vor den Fuessen des gueltigen Mannes +kuessen; aber er liess es nicht zu. "Wenn ihr einem zu danken habt", +sprach er, "so ist es diesem weisen Mann hier, der mir von euch +erzaehlte. Auch mir hat er dadurch Vergnuegen gemacht, vier so muntere +junge Leute eurer Art kennenzulernen." + +Der Derwisch Mustapha aber wehrte den Dank der Juenglinge ab. "Sehet", +sprach er, "wie man nie voreilig urteilen muss; habe ich euch zuviel +von diesem edlen Manne gesagt?" + +"Lasset uns nun noch den letzten meiner Sklaven, die heute frei sind, +erzaehlen hoeren", unterbrach ihn Ali Banu. + +Jener junge Sklave, der die Aufmerksamkeit aller durch seinen Wuchs, +durch seine Schoenheit und seinen mutigen Blick auf sich gezogen hatte, +stand jetzt auf, verbeugte sich vor dem Scheik und fing wohltoenend +also zu sprechen an: + + + + +Das Fest der Unterirdischen + +Wilhelm Grimm + + +Im "Maerchenalmanach auf das Jahr 1827" stand hier "Das Fest der +Unterirdischen" von Wilhelm Grimm. + + + + + + +Schneeweisschen und Rosenrot + +Wilhelm Grimm + + +Im "Maerchenalmanach auf das Jahr 1827" stand hier "Schneeweisschen und +Rosenrot" von Wilhelm Grimm. + + + + + + +Die Geschichte Almansors + +Wilhelm Hauff + + +O Herr! Die Maenner, die vor mir gesprochen haben, erzaehlten +mancherlei wunderbare Geschichten, die sie gehoert hatten in fremden +Laendern; ich muss mit Beschaemung gestehen, dass ich keine einzige +Erzaehlung weiss, die Eurer Aufmerksamkeit wuerdig waere. Doch wenn es +Euch nicht langweilt, will ich Euch die wunderbaren Schicksale eines +meiner Freunde vortragen. + +Auf jenem algerischen Kaperschiff, von welchem mich Eure milde Hand +befreit hat, war ein junger Mann in meinem Alter, der mir nicht fuer +das Sklavenkleid geboren schien, das er trug. Die uebrigen +Ungluecklichen auf dem Schiffe waren entweder rohe Menschen, mit denen +ich nicht leben mochte, oder Leute, deren Sprache ich nicht verstand; +darum fand ich mich zu der Zeit, wo wir ein Stuendchen frei hatten, +gerne zu dem jungen Mann. Er nannte sich Almansor und war seiner +Aussprache nach ein Aegypter. Wir unterhielten uns recht angenehm +miteinander und kamen eines Tages auch darauf, uns unsere Geschichte +zu erzaehlen, da dann die meines Freundes allerdings bei weitem +merkwuerdiger war als die meinige. + +Almansors Vater war ein vornehmer Mann in einer aegyptischen Stadt, +deren Namen er mir nicht nannte. Er lebte die Tage seiner Kindheit +vergnuegt und froh und umgeben von allem Glanz und aller +Bequemlichkeit der Erde. Aber er wurde dabei doch nicht weichlich +erzogen, und sein Geist wurde fruehzeitig ausgebildet; denn sein Vater +war ein weiser Mann, der ihm Lehren der Tugend gab, und ueberdies +hatte er zum Lehrer einen beruehmten Gelehrten, der ihn in allem +unterrichtete, was ein junger Mensch wissen muss--Almansor war etwa +zehn Jahre alt, als die Franken ueber das Meer her in das Land kamen +und Krieg mit seinem Volke fuehrten. + +Der Vater des Knaben musste aber den Franken nicht sehr guenstig +gewesen sein; denn eines Tages, als er eben zum Morgengebet gehen +wollte, kamen sie und verlangten zuerst seine Frau als Geisel seiner +treuen Gesinnungen gegen das Frankenvolk, und als er sie nicht geben +wollte, schleppten sie seinen Sohn mit Gewalt ins Lager. + +Als der junge Sklave also erzaehlte, verhuellte der Scheik sein +Angesicht, und es entstand ein Murren des Unwillens im Saal. "Wie", +riefen die Freunde des Scheik, "wie kann der junge Mann dort so +toericht handeln und durch solche Geschichten die Wunden Ali Banus +aufreissen, statt sie zu mildern? Wie kann er ihm seinen Schmerz +erneuern, statt ihn zu zerstreuen?" Der Sklavenaufseher selbst war +voll Zorn ueber den unverschaemten Juengling und gebot ihm zu schweigen. + +Der junge Sklave aber war sehr erstaunt ueber dies alles und fragte +den Scheik, ob denn in seiner Erzaehlung etwas liege, das sein +Missfallen erregt habe. Der Scheik richtete sich auf und sprach: +"Seid doch ruhig, Freunde; wie kann denn dieser Juengling etwas von +meinem betruebten Schicksal wissen, da er nur kaum drei Tage unter +diesem Dache ist! Kann es denn bei den Greueln, die diese Franken +veruebten, nicht ein aehnliches Geschick wie das meine geben? Kann +nicht vielleicht selbst jener Almansor--doch erzaehle immer weiter, +mein junger Freund!" Der junge Sklave verbeugte sich und fuhr fort: + +Der junge Almansor wurde also in das fraenkische Lager gefuehrt. Es +erging ihm dort im ganzen gut; denn einer der Feldherrn liess ihn in +sein Zelt kommen und hatte seine Freude an den Antworten des Knaben, +die ihm ein Dragoman uebersetzen musste; er sorgte fuer ihn, dass ihm an +Speise und Kleidung nichts abginge; aber die Sehnsucht nach Vater und +Mutter machte dennoch den Knaben hoechst ungluecklich. Er weinte viele +Tage lang, aber seine Traenen ruehrten diese Maenner nicht. Das Lager +wurde aufgebrochen, und Almansor glaubte jetzt wieder zurueckkehren zu +duerfen; aber es war nicht so; das Heer zog hin und her, fuehrte Krieg +mit den Mamelucken, und den jungen Almansor schleppten sie immer mit +sich. Wenn er dann die Hauptleute und Feldherren anflehte, ihn doch +wieder heimkehren zu lassen, so verweigerten sie es und sagten, er +muesse ein Unterpfand von seines Vaters Treue sein. So war er viele +Tage lang auf dem Marsch. + +Auf einmal aber entstand eine Bewegung im Heere, die dem Knaben nicht +entging; man sprach von Einpacken, von Zurueckziehen, vom Einschiffen, +und Almansor war ausser sich vor Freude; denn jetzt, wenn die Franken +in ihr Land zurueckkehrten, jetzt musste er ja frei werden. Man zog +mit Ross und Wagen rueckwaerts gegen die Kueste, und endlich war man so +weit, dass man die Schiffe vor Anker liegen sah. Die Soldaten +schifften sich ein; aber es wurde Nacht, bis nur ein kleiner Teil +eingeschifft war. So gerne Almansor gewacht haette, weil er jede +Stunde glaubte, freigelassen zu werden, so verfiel er doch endlich in +einen tiefen Schlaf, und er glaubte, die Franken haben ihm etwas +unter das Wasser gemischt, um ihn einzuschlaefern. Denn als er +aufwachte, schien der helle Tag in eine kleine Kammer, worin er nicht +gewesen war, als er einschlief. Er sprang auf von seinem Lager, aber +als er auf den Boden kam, fiel er um; denn der Boden schwankte hin +und wieder, und es schien sich alles zu bewegen und im Kreis um ihn +her zu tanzen. Er raffte sich auf, hielt sich an den Waenden fest, um +aus dem Gemach zu kommen, worin er sich befand. + +Ein sonderbares Brausen und Zischen war um ihn her; er wusste nicht, +ob er traeume oder wache; denn er hatte nie Aehnliches gesehen oder +gehoert. Endlich erreichte er eine kleine Treppe, mit Muehe klimmte er +hinauf, und welcher Schrecken befiel ihn! Ringsumher war nichts als +Himmel und Meer, er befand sich auf einem Schiffe. Da fing er +klaeglich an zu weinen. Er wollte zurueckgebracht werden, er wollte +ins Meer sich stuerzen und hinueberschwimmen nach seiner Heimat; aber +die Franken hielten ihn fest, und einer der Befehlshaber liess ihn zu +sich kommen, versprach ihm, wenn er gehorsam sei, solle er bald +wieder in seine Heimat zurueck, und stellte ihm vor, dass es nicht mehr +moeglich gewesen waere, ihn vom Land aus nach Hause zu bringen, dort +aber haette er, wenn man ihn zurueckgelassen, elendiglich umkommen +muessen. + +Wer aber nicht Wort hielt, waren die Franken; denn das Schiff segelte +viele Tage lang weiter, und als es endlich landete, war man nicht an +Aegyptens Kueste, sondern in Frankistan! Almansor hatte waehrend der +langen Fahrt und schon im Lager einiges von der Sprache der Franken +verstehen und sprechen gelernt, was ihm in diesem Lande, wo niemand +seine Sprache kannte, sehr gut zustatten kam. Er wurde viele Tage +lang durch das Land in das Innere gefuehrt, und ueberall stroemte das +Volk zusammen, um ihn zu sehen; denn seine Begleiter sagten aus, er +waere der Sohn des Koenigs von Aegypten, der ihn zu seiner Ausbildung +nach Frankistan schicke. + +So sagten aber die Soldaten nur, um das Volk glauben zu machen, sie +haben Aegypten besiegt und stehen in tiefem Frieden mit diesem Land. +Nachdem die Reise zu Land mehrere Tage gedauert hatte, kamen sie in +eine grosse Stadt, dem Ziel ihrer Reise. Dort wurde er einem Arzt +uebergeben, der ihn in sein Haus nahm und in allen Sitten und +Gebraeuchen von Frankistan unterwies. + +Er musste vor allem fraenkische Kleider anlegen, die sehr enge und +knapp waren und bei weitem nicht so schoen wie seine aegyptischen. +Dann durfte er nicht mehr seine Verbeugung mit gekreuzten Armen +machen, sondern wollte er jemand seine Ehrerbietung bezeugen, so +musste er mit der einen Hand die ungeheure Muetze von schwarzem Filz, +die alle Maenner trugen und die man auch ihm aufgesetzt hatte, vom +Kopfe reissen, mit der anderen Hand musste er auf die Seite fahren und +mit dem rechten Fuss auskratzen. Er durfte auch nicht mehr mit +ueberschlagenen Beinen sitzen, wie es angenehme Sitte ist im +Morgenlande, sondern auf hochbeinige Stuehle musste er sich setzen und +die Fuesse herabhaengen lassen auf den Boden. Das Essen machte ihm auch +nicht geringe Schwierigkeit; denn alles, was er zum Munde bringen +wollte, musste er zuvor auf eine Gabel von Eisen stecken. + +Der Doktor aber war ein strenger, boeser Mann, der den Knaben plagte: +Denn wenn er sich jemals vergass und zu einem Besuch sagte: "Salem +aleikum", so schlug er ihn mit dem Stock; denn er sollte sagen: +"Votre serviteur!" Er durfte auch nicht mehr in seiner Sprache denken +und sprechen oder schreiben, hoechstens durfte er darin traeumen, und +er haette vielleicht seine Sprache gaenzlich verlernt, wenn nicht ein +Mann in jener Stadt gelebt haette, der ihm von grossem Nutzen war. + +Es war dies ein alter, aber sehr gelehrter Mann, der viele +morgenlaendische Sprachen verstand. Arabisch, Persisch, Koptisch, +sogar Chinesisch, von jedem etwas; er galt in jenem Land fuer ein +Wunder von Gelehrsamkeit, und man gab ihm viel Geld, dass er diese +Sprachen andere Leute lehrte. Dieser Mann liess nun den jungen +Almansor alle Wochen einigemal zu sich kommen, bewirtete ihn mit +seltenen Fruechten und dergleichen, und dem Juengling war es dann, als +waere er zu Haus. Denn der alte Herr war gar ein sonderbarer Mann. +Er hatte Almansor Kleider machen lassen, wie sie vornehme Leute in +Aegypten tragen. Diese Kleider bewahrte er in seinem Hause in einem +besonderen Zimmer auf. Kam nun Almansor, so schickte er ihn mit +einem Bediensteten in jenes Zimmer und liess ihn ganz nach seiner +Landessitte ankleiden. Von da ging es dann nach "Kleinarabien"; so +nannte man einen Saal im Hause des Gelehrten. + +Dieser Saal war mit allerlei kuenstlich aufgezogenen Baeumen, als +Palmen, Bambus, jungen Zedern und dergleichen, und mit Blumen +ausgeschmueckt, die nur im Morgenland wachsen. Persische Teppiche +lagen auf dem Fussboden, und an den Waenden waren Polster, nirgends +aber ein fraenkischer Stuhl oder Tisch. Auf einem dieser Polster sass +der alte Professor; er sah aber ganz anders aus als gewoehnlich; um +den Kopf hatte er einen feinen tuerkischen Schal als Turban gewunden, +er hatte einen grauen Bart umgeknuepft, der ihm bis zum Guertel reichte +und aussah wie ein natuerlicher, ehrwuerdiger Bart eines gewichtigen +Mannes. Dazu trug er einen Talar, den er aus einem brokatnen +Schlafrock hatte machen lassen, weite tuerkische Beinkleider, gelbe +Pantoffeln, und so friedlich er sonst war, an diesen Tagen hatte er +einen tuerkischen Saebel umgeschnallt, und im Guertel stak ein Dolch, +mit falschen Steinen besetzt. Dazu rauchte er aus einer zwei Ellen +langen Pfeife und liess sich von seinen Leuten bedienen, die ebenfalls +persisch gekleidet waren und wovon die Haelfte Gesicht und Haende +schwarz gefaerbt hatte. + +Von Anfang wollte dies alles dem jungen Almansor gar wunderlich +beduenken; aber bald sah er ein, dass solche Stunden, wenn er in die +Gedanken des Alten sich fuegte, sehr nuetzlich fuer ihn seien. Durfte +er beim Doktor kein aegyptisches Wort sprechen, so war hier die +fraenkische Sprache sehr verboten. Almansor musste beim Eintreten den +Friedensgruss sprechen, den der alte Perser sehr feierlich erwiderte; +dann winkte er dem Juengling, sich neben ihn zu setzen, und begann +Persisch, Arabisch, Koptisch und alle Sprachen untereinander zu +sprechen und nannte dies eine gelehrte morgenlaendische Unterhaltung. +Neben ihm stand ein Bediensteter oder, was sie an diesem Tage +vorstellten, ein Sklave, der ein grosses Buch hielt; das Buch war aber +ein Woerterbuch, und wenn dem Alten die Worte ausgingen, winkte er dem +Sklaven, schlug flugs auf, was er sagen wollte, und fuhr dann zu +sprechen fort. + +Die Sklaven aber brachten in tuerkischem Geschirr Sorbet und +dergleichen, und wollte Almansor dem Alten ein grosses Vergnuegen +machen, so musste er sagen, es sei alles bei ihm angeordnet wie im +Morgenland. Almansor las sehr schoen Persisch, und das war der +Hauptvorteil fuer den Alten. Er hatte viele persische Manuskripte; +aus diesen liess er sich von dem Juengling vorlesen, las aufmerksam +nach und merkte sich auf diese Art die richtige Aussprache. + +Das waren die Freudentage des armen Almansor; denn nie entliess ihn +der alte Professor unbeschenkt, und oft trug er sogar kostbare Gaben +an Geld und Leinenzeug oder anderen notwendigen Dingen davon, die ihm +der Doktor nicht geben wollte. So lebte Almansor einige Jahre in der +Hauptstadt des Frankenlandes, und nie wurde seine Sehnsucht nach der +Heimat geringer. Als er aber etwa fuenfzehn Jahre alt war, begab sich +ein Vorfall, der auf sein Schicksal grossen Einfluss hatte. + +Die Franken naemlich waehlten ihren ersten Feldherrn, denselben, mit +welchem Almansor so oft in Aegypten gesprochen hatte, zu ihrem Koenig +und Beherrscher; Almansor wusste zwar und erkannte es an den grossen +Festlichkeiten, dass etwas dergleichen in dieser grossen Stadt geschehe; +doch konnte er sich nicht denken, dass der Koenig derselbe sei, den er +in Aegypten gesehen; denn jener Feldherr war noch ein sehr junger Mann. +Eines Tages aber ging Almansor ueber eine jener Bruecken, die ueber +den breiten Fluss fahren, der die Stadt durchstroemt; da gewahrte er in +dem einfachen Kleid eines Soldaten einen Mann, der am Brueckengelaender +lehnte und in die Wellen sah. Die Zuege des Mannes fielen ihm auf, +und er erinnerte sich, ihn schon gesehen zu haben. Er ging also +schnell die Kammern seiner Erinnerung durch, und als er an die Pforte +der Kammer von Aegypten kam, da eroeffnete sich ihm ploetzlich das +Verstaendnis, dass dieser Mann jener Feldherr der Franken sei, mit +welchem er oft im Lager gesprochen und der immer guetig fuer ihn +gesorgt hatte. Er wusste seinen rechten Namen nicht genau; er fasste +sich daher ein Herz, trat zu ihm, nannte ihn, wie ihn die Soldaten +unter sich nannten, und sprach, indem er nach seiner Landessitte die +Arme ueber der Brust kreuzte: "Salem aleikum, Petit-Caporal!" + +Der Mann sah sich erstaunt um, blickte den jungen Menschen mit +scharfen Augen an, dachte ueber ihn nach und sagte dann: "Himmel, ist +es moeglich! Du hier, Almansor? Was macht dein Vater? Wie geht es +in Aegypten? Was fuehrt dich zu uns hierher?" + +Da konnte sich Almansor nicht laenger halten; er fing an, bitterlich +zu weinen, und sagte zu dem Mann: "So weisst du also nicht, was die +Hunde, deine Landsleute, mit mir gemacht haben, Petit-Caporal? Du +weisst nicht, dass ich das Land meiner Vaeter nicht mehr gesehen habe +seit vielen Jahren?" + +"Ich will nicht hoffen", sagte der Mann, und seine Stirne wurde +finster, "ich will nicht hoffen, dass man dich mit hinwegschleppte." + +"Ach, freilich", antwortete Almansor, "an jenem Tage, wo Eure +Soldaten sich einschifften, sah ich mein Vaterland zum letztenmal; +sie nahmen mich mit sich hinweg, und ein Hauptmann, den mein Elend +ruehrte, zahlt ein Kostgeld fuer mich bei einem verwuenschten Doktor, +der mich schlaegt und halb Hungers sterben laesst. Aber hoere, +Petit-Caporal", fuhr er ganz treuherzig fort, "es ist gut, dass ich +dich hier traf, du musst mir helfen." + +Der Mann, zu welchem er dies sprach, laechelte und fragte, auf welche +Weise er denn helfen sollte. + +"Siehe", sagte Almansor, "es waere unbillig, wollte ich von dir etwas +verlangen; du warst von jeher so guetig gegen mich, aber ich weiss, du +bist auch ein armer Mensch, und wenn du auch Feldherr warst, gingst +du nie so schoen gekleidet wie die anderen; auch jetzt musst du, nach +deinem Rock und Hut zu urteilen, nicht in den besten Umstaenden sein. +Aber da haben ja die Franken letzthin einen Sultan gewaehlt, und ohne +Zweifel kennst du Leute, die sich ihm nahen duerfen, etwa seinen +Janitscharen-Aga oder den Reis-Effendi oder seinen Rapudan-Pascha; +nicht?" + +"Nun ja", antwortete der Mann, "aber wie weiter?" + +"Bei diesen koenntest du ein gutes Wort fuer mich einlegen, +Petit-Caporal, dass sie den Sultan der Franken bitten, er moechte mich +freilassen; dann brauche ich auch etwas Geld zur Reise uebers Meer; +vor allem aber musst du mir versprechen, weder dem Doktor noch dem +arabischen Professor etwas davon zu sagen." + +"Wer ist denn der arabische Professor?" fragte jener. "Ach, das ist +ein sonderbarer Mann; doch von diesem erzaehle ich dir ein andermal. +Wenn es die beiden hoerten, duerfte ich nicht mehr aus Frankistan weg. +Aber willst du fuer mich sprechen bei den Agas? Sage es mir +aufrichtig!" + +"Komm mit mir", sagte der Mann, "vielleicht kann ich dir jetzt gleich +nuetzlich sein." + +"Jetzt?" rief der Juengling mit Schrecken. "Jetzt um keinen Preis, da +wuerde mich der Doktor pruegeln; ich muss eilen, dass ich nach Hause +komme." + +"Was traegst du denn in diesem Korb?" fragte jener, indem er ihn +zurueckhielt. + +Almansor erroetete und wollte es anfangs nicht zeigen; endlich aber +sagte er: "Siehe, Petit- Caporal, ich muss hier Dienste tun wie der +geringste Sklave meines Vaters. Der Doktor ist ein geiziger Mann und +schickt mich alle Tage von unserem Hause eine Stunde weit auf den +Gemuese- und Fischmarkt; da muss ich dann unter den schmutzigen +Marktweibern einkaufen, weil es dort um einige Kupfermuenzen +wohlfeiler ist als in unserem Stadtteil. Siehe, wegen dieses +schlechten Herings, wegen dieser Handvoll Salat, wegen dieses +Stueckchens Butter muss ich alle Tage zwei Stunden gehen. Ach, wenn es +mein Vater wuesste!" + +Der Mann, zu welchem Almansor dies sprach, war geruehrt ueber die Not +des Knaben und antwortete: "Komm nur mit mir und sei getrost; der +Doktor soll dir nichts anhaben duerfen, wenn er auch heute weder +Hering noch Salat verspeist! Sei getrosten Mutes und komm!" Er nahm +bei diesen Worten Almansor bei der Hand und fuehrte ihn mit sich, und +obgleich diesem das Herz pochte, wenn er an den Doktor dachte, so lag +doch so viel Zuversicht in den Worten und Mienen des Mannes, dass er +sich entschloss, ihm zu folgen. Er ging also, sein Koerbchen am Arm, +neben dem Soldaten viele Strassen durch, und wunderbar wollte es ihm +beduenken, dass alle Leute die Huete vor ihnen abnahmen und +stehenblieben und ihnen nachschauten. Er aeusserte dies auch gegen +seinen Begleiter, dieser aber lachte und sagte nichts darueber. + +Sie gelangten endlich an ein prachtvolles Schloss, auf welches der +Mann zuging. "Wohnst du hier, Petit-Caporal?" fragte Almansor. + +"Hier ist meine Wohnung", entgegnete jener, "und ich will dich zu +meiner Frau fuehren." + +"Ei, da wohnst du schoen!" fahr Almansor fort. "Gewiss hat dir der +Sultan hier freie Wohnung gegeben?" + +"Diese Wohnung habe ich vom Kaiser, du hast recht", antwortete sein +Begleiter und fuehrte ihn in das Schloss. Dort stiegen sie eine breite +Treppe hinan, und in einem schoenen Saal hiess er ihn seinen Korb +absetzen und trat dann mit ihm in ein prachtvolles Gemach, wo eine +Frau auf einem Diwan sass. Der Mann sprach mit ihr in einer fremden +Sprache, worauf sie beide nicht wenig lachten, und die Frau fragte +dann Almansor in fraenkischer Sprache vieles ueber Aegypten. Endlich +sagte Petit-Caporal zu dem Juengling: "Weisst du, was das beste ist? +Ich will dich gleich selbst zum Kaiser fuehren und bei ihm fuer dich +sprechen." + +Almansor erschrak sehr; aber er gedachte an sein Elend und seine +Heimat. "Dem Ungluecklichen", sprach er zu den beiden, "dem +Ungluecklichen verleiht Allah einen hohen Mut in der Stunde der Not; +er wird auch mich armen Knaben nicht verlassen. Ich will es tun, ich +will zu ihm gehen. Aber sage, Caporal, muss ich vor ihm niederfallen? +Muss ich die Stirne mit dem Boden beruehren? Was muss ich tun?" + +Die beiden lachten von neuem und versicherten, dies alles sei nicht +noetig. + +"Sieht er schrecklich und majestaetisch aus?" fragte er weiter, "hat +er einen langen Bart? Macht er feurige Augen? Sage, wie sieht er +aus?" + +Sein Begleiter lachte von neuem und sprach dann: "Ich will dir ihn +lieber gar nicht beschreiben, Almansor, du selbst sollst erraten, +welcher es ist. Nur das will ich dir als Kennzeichen angeben: Alle +im Saale des Kaisers werden, wenn er da ist, die Huete ehrerbietig +abnehmen; der, welcher den Hut auf dem Kopf behaelt, der ist der +Kaiser." Bei diesen Worten nahm er ihn bei der Hand und ging mit ihm +nach dem Saal des Kaisers. Je naeher er kam, desto lauter pochte ihm +das Herz, und die Knie fingen ihm an zu zittern, als sie sich der +Tuere naeherten. Ein Bediensteter oeffnete die Tuere, und da standen in +einem Halbkreis wenigstens dreissig Maenner, alle praechtig gekleidet +und mit Gold und Sternen ueberdeckt, wie es Sitte ist im Lande der +Franken bei den vornehmsten Agas und Bassas der Koenige; und Almansor +dachte, sein Begleiter, der so unscheinbar gekleidet war, muesse der +Geringsten einer sein unter diesen. Sie hatten alle das Haupt +entbloesst, und Almansor fing nun an, nach dem zu suchen, der den Hut +auf dem Kopfe haette; denn dieser musste der Kaiser sein. Aber +vergebens war sein Suchen. Alle hatten den Hut in der Hand, und der +Kaiser musste also nicht unter ihnen sein; da fiel kein Blick zufaellig +auf seinen Begleiter, und siehe--dieser hatte den Hut auf dem Kopfe +sitzen! + +Der Juengling war erstaunt, betroffen. Er sah seinen Begleiter lange +an und sagte dann, indem er selbst seinen Hut abnahm: "Salem aleikum, +Petit-Caporal! Soviel ich weiss, bin ich selbst nicht der Sultan der +Franken, also kommt es mir nicht zu, mein Haupt zu bedecken; doch du +bist der, der den Hut traegt--Petit-Caporal, bist denn du der Kaiser?". + +"Du hast's erraten", antwortete jener, "und ueberdies bin ich dein +Freund. Schreibe dein Unglueck nicht mir, sondern einer ungluecklichen +Verwirrung der Umstaende zu, und sei versichert, dass du mit dem ersten +Schiff in dein Vaterland zuruecksegelst. Gehe jetzt wieder hinein zu +meiner Frau, erzaehle ihr vom arabischen Professor und was du weisst. +Die Heringe und den Salat will ich dem Doktor schicken; du aber +bleibst fuer deinen Aufenthalt in meinem Palast." + +So sprach der Mann, der Kaiser war; Almansor aber fiel vor ihm nieder, +kuesste seine Hand und bat ihn um Verzeihung, dass er ihn nicht erkannt +habe; er habe es ihm gewiss nicht angesehen, dass er Kaiser sei. + +"Du hast recht", erwiderte jener lachend, "wenn man nur wenige Tage +Kaiser ist, kann man es nicht an der Stirne geschrieben haben." So +sprach er und winkte ihm, sich zu entfernen. + +Seit diesem Tage lebte Almansor gluecklich und in Freuden. + +Den arabischen Professor, von welchem er dem Kaiser erzaehlte, durfte +er noch einigemal besuchen den Doktor aber sah er nicht mehr. Nach +einigen Wochen liess ihn der Kaiser zu sich rufen und kuendigte ihm an, +dass ein Schiff vor Anker liege, mit dem er ihn nach Aegypten senden +wolle. Almansor war ausser sich vor Freude; wenige Tage reichten hin, +um ihn auszuruesten, und mit einem Herzen voll Dankes und mit Schaetzen +und Geschenken reich beladen, reiste er vom Kaiser ab ans Meer und +schiffte sich ein. + +Aber Allah wollte ihn noch laenger pruefen, wollte seinen Mut im +Unglueck noch laenger staehlen und liess ihn die Kueste seiner Heimat noch +nicht sehen. Ein anderes fraenkisches Volk, die Englaender, fuehrten +damals Krieg mit dem Kaiser auf der See. Sie nahmen ihm alle Schiffe +weg, die sie besiegen konnten, und so kam es, dass am sechsten Tage +der Reise das Schiff, auf welchem sich Almansor befand, von +englischen Schiffen umgeben und beschossen wurde; es musste sich +ergeben, und die ganze Mannschaft wurde auf ein kleineres Schiff +gebracht, das mit den anderen weitersegelte. Doch auf der See ist es +nicht weniger unsicher als in der Wueste, wo unversehens die Raeuber +auf die Karawanen fallen und totschlagen und pluendern. Ein Kaper von +Tunis ueberfiel das kleine Schiff, das der Sturm von den groesseren +Schiffen getrennt hatte, und--es wurde genommen und alle Mannschaft +nach Algier gefuehrt und verkauft. + +Almansor kam zwar nicht in so harte Sklaverei als die Christen, weil +er ein rechtglaeubiger Muselmann war, aber dennoch war jetzt alle +Hoffnung verschwunden, die Heimat und den Vater wiederzusehen. Dort +lebte er bei einem reichen Manne fuenf Jahre und musste die Blumen +begiessen und den Garten bauen. Da starb der reiche Mann ohne nahe +Erben, seine Besitzungen wurden zerrissen, seine Sklaven geteilt, und +Almansor fiel in die Haende eines Sklavenmaklers. Dieser ruestete um +diese Zeit ein Schiff aus, um seine Sklaven anderwaerts teurer zu +verkaufen. Der Zufall wollte, dass ich selbst ein Sklave dieses +Haendlers war und auf dasselbe Schiff kam, wo auch Almansor sich +befand. Dort lernten wir uns kennen, und dort erzaehlte er mir seine +wunderbaren Schicksale. Doch--als wir landeten, war ich Zeuge der +wunderbarsten Fuegung Allahs; es war die Kueste seines Vaterlandes, an +welche wir aus dem Boot stiegen, es war der Markt seiner Vaterstadt, +wo wir oeffentlich ausgeboten wurden, und, o Herr, dass ich es kurz +sage, es war sein eigener, sein teurer Vater, der ihn kaufte! + +Der Scheik Ali Banu war in tiefes Nachdenken versunken ueber diese +Erzaehlung; sie hatte ihn unwillkuerlich mit sich fortgerissen, seine +Brust hob sich, sein Auge gluehte, und er war oft nahe daran, seinen +jungen Sklaven zu unterbrechen; aber das Ende der Erzaehlung schien +ihn nicht zu befriedigen. + +"Er koennte jetzt einundzwanzig Jahre haben, sagst du?" so fing er an +zu fragen. + +"Herr, er ist in meinem Alter, ein- bis zweiundzwanzig Jahre." + +"Und welche Stadt nannte er seine Geburtsstadt? Das hast du uns noch +nicht gesagt." + +"Wenn ich nicht irre", antwortete jener, "so war es Alessandria!" + +"Alessandria!" rief der Scheik. "Es ist mein Sohn; wo ist er +geblieben? Sagtest du nicht, dass er Kairam hiess? Hat er dunkle +Augen und braunes Haar?" + +"Er hat es, und in traulichen Stunden nannte er sich Kairam und nicht +Almansor." + +"Aber, Allah! Allah! Sage mir doch, sein Vater haette ihn vor deinen +Augen gekauft, sagst du? Sagte er, es sei sein Vater? Also ist er +doch nicht mein Sohn!" + +Der Sklave antwortete: "Er sprach zu mir: "Allah sei gepriesen nach +so langem Unglueck: Das ist der Marktplatz meiner Vaterstadt." Nach +einer Weile aber kam ein vornehmer Mann um die Ecke; da rief er: "Oh, +was fuer ein teures Geschenk des Himmels sind die Augen! Ich sehe +noch einmal meinen ehrwuerdigen Vater!" Der Mann aber trat zu uns, +betrachtet diesen und jenen und kauft endlich den, dem dies alles +begegnet ist. Da rief er Allah an, sprach ein heisses Dankgebet und +fluesterte mir zu: "Jetzt gehe ich wieder ein in die Hallen meines +Glueckes, es ist mein eigener Vater, der mich gekauft hat."" + +"Es ist also doch nicht mein Sohn, mein Kairam!" sagte der Scheik, +von Schmerz bewegt. + +Da konnte sich der Juengling nicht mehr zurueckhalten; Traenen der +Freude entstuerzten seinen Augen, er warf sich nieder vor dem Scheik +und rief: "Und dennoch ist es Euer Sohn, Kairam: Almansor; denn Ihr +seid es, der ihn gekauft hat." "Allah, Allah! Ein Wunder, ein grosses +Wunder!" riefen die Anwesenden und draengten sich herbei; der Scheik +aber stand sprachlos und staunte den Juengling an, der sein schoenes +Antlitz zu ihm aufhob. "Mein Freund Mustapha!" sprach er zu dem +alten Derwisch, "vor meinen Augen haengt ein Schleier von Traenen, dass +ich nicht sehen kann, ob die Zuege seiner Mutter, die mein Kairam trug, +auf seinem Gesicht eingegraben sind. Trete du her und schaue ihn an!" + +Der Alte trat herzu, sah ihn lange an, legte seine Hand auf die +Stirne des jungen Mannes und sprach: "Kairam! Wie hiess der Spruch, +den ich dir am Tage, des Ungluecks mitgab ins Lager der Franken?" + +"Mein teurer Lehrer!" antwortete der Juengling, indem er die Hand des +Alten an seine Lippen zog, "er hiess: So einer Allah liebt und ein +gutes Gewissen hat, ist er auch in der Wueste des Elends nicht allein; +denn er hat zwei Gefaehrten, die ihm troestend zur Seite gehen." + +Da hob der Alte seine Augen dankend auf zum Himmel, zog den Juengling +herauf an seine Brust und gab ihn dem Scheik und sprach: "Nimm ihn +hin! So gewiss du zehn Jahre um ihn trauertest, so gewiss ist es dein +Sohn Kairam." + +Der Scheik war ausser sich vor Freude und Entzuecken; er betrachtete +immer von neuem wieder die Zuege des Wiedergefundenen, und unleugbar +fand er das Bild seines Sohnes wieder, wie er ihn verloren hatte. +Und alle Anwesenden teilten seine Freude; denn sie liebten den Scheik, +und jedem unter ihnen war es, als waere ihm heute ein Sohn geschenkt +worden. + +Jetzt fuellte wieder Gesang und Jubel diese Halle wie in den Tagen des +Glueckes und der Freude. Noch einmal musste der Juengling, und noch +ausfuehrlicher, seine Geschichte erzaehlen, und alle priesen den +arabischen Professor und den Kaiser und jeden, der sich Kairams +angenommen hatte. Man war beisammen bis in die Nacht, und als man +aufbrach, beschenkte der Scheik jeden seiner Freunde reichlich, auf +dass er immer dieses Freudentages gedenke. + +Die vier jungen Maenner aber stellte er seinem Sohne vor und lud sie +ein, ihn immer zu besuchen, und es war ausgemachte Sache, dass er mit +dem Schreiber lesen, mit dem Maler kleine Reisen machen sollte, dass +der Kaufmann Gesang und Tanz mit ihm teile und der andere alle +Vergnuegungen fuer sie bereiten solle. Auch sie wurden reich beschenkt +und traten freudig aus dem Hause des Scheik. + +"Wem haben wir dies alles zu verdanken", sprachen sie untereinander, +"wem anders als dem Alten? Wer haette dies damals gedacht, als wir +vor diesem Hause standen und ueber den Scheik loszogen?" + +"Und wie leicht haette es uns einfallen koennen, die Lehren des alten +Mannes zu ueberhoeren", sagte ein anderer, "oder ihn gar zu verspotten? +Denn er sah doch recht zerrissen und aermlich aus, und wer koenne +denken, dass dies der weise Mustapha sei?" "Und wunderbar! War es +nicht hier, wo wir unsere Wuensche laut werden liessen?" sprach der +Schreiber. "Da wollte der eine reisen, der andere singen und tanzen, +der dritte gute Gesellschaft haben und ich--Geschichten lesen und +hoeren, und sind nicht alle unsere Wuensche in Erfuellung gegangen? +Darf ich nicht alle Buecher des Scheik lesen und kaufen, was ich +will?" "Und darf ich nicht seine Tafel zurichten und seine schoensten +Vergnuegen anordnen und selbst dabeisein?" sagte der andere. + +"Und ich, so oft mich mein Herz geluestet, Gesang und Saitenspiel zu +hoeren oder einen Tanz zu sehen, darf ich nicht hingehen und mir seine +Sklaven ausbitten?" + +"Und ich", rief der Maler, "vor diesem Tage war ich arm und konnte +keinen Fuss aus dieser Stadt setzen, und jetzt kann ich reisen, wohin +ich will." + +"Ja", sprachen sie alle, "es war doch gut, dass wir dem Alten folgten, +wer weiss, was aus uns geworden waere!" + +So sprachen sie und gingen freudig und gluecklich nach Hause. + + +Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes "Maerchen-Almanach auf das Jahr +1827", von Wilhelm Hauff. + + + + + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, MAERCHEN-ALMANACH AUF DAS JAHR 1827 *** + +This file should be named 7alm210.txt or 7alm210.zip +Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7alm211.txt +VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7alm210a.txt + +Project Gutenberg eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US +unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not +keep eBooks in compliance with any particular paper edition. + +We are now trying to release all our eBooks one year in advance +of the official release dates, leaving time for better editing. +Please be encouraged to tell us about any error or corrections, +even years after the official publication date. + +Please note neither this listing nor its contents are final til +midnight of the last day of the month of any such announcement. +The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at +Midnight, Central Time, of the last day of the stated month. 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If the value +per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2 +million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text +files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+ +We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002 +If they reach just 1-2% of the world's population then the total +will reach over half a trillion eBooks given away by year's end. + +The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks! +This is ten thousand titles each to one hundred million readers, +which is only about 4% of the present number of computer users. + +Here is the briefest record of our progress (* means estimated): + +eBooks Year Month + + 1 1971 July + 10 1991 January + 100 1994 January + 1000 1997 August + 1500 1998 October + 2000 1999 December + 2500 2000 December + 3000 2001 November + 4000 2001 October/November + 6000 2002 December* + 9000 2003 November* +10000 2004 January* + + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created +to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium. + +We need your donations more than ever! + +As of February, 2002, contributions are being solicited from people +and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut, +Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois, +Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts, +Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New +Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio, +Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South +Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West +Virginia, Wisconsin, and Wyoming. + +We have filed in all 50 states now, but these are the only ones +that have responded. + +As the requirements for other states are met, additions to this list +will be made and fund raising will begin in the additional states. +Please feel free to ask to check the status of your state. + +In answer to various questions we have received on this: + +We are constantly working on finishing the paperwork to legally +request donations in all 50 states. 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You can also find out about how to make a +donation to Project Gutenberg, and how to get involved. + + +**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts** + +**eBooks Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971** + +*****These eBooks Were Prepared By Thousands of Volunteers!***** + + +Title: Maerchen-Almanach auf das Jahr 1827 + +Author: Wilhelm Hauff + +Release Date: October, 2004 [EBook #6639] +[Yes, we are more than one year ahead of schedule] +[This file was first posted on January 9, 2003] + +Edition: 10 + +Language: German + +Character set encoding: ISO-Latin-1 + +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, MAERCHEN-ALMANACH AUF DAS JAHR 1827 *** + + + + +Thanks are given to Delphine Lettau for finding a huge collection of ancient +German books in London. + + + +This Etext is in German. + +We are releasing two versions of this Etext, one in 7-bit format, +known as Plain Vanilla ASCII, which can be sent via plain email-- +and one in 8-bit format, which includes higher order characters-- +which requires a binary transfer, or sent as email attachment and +may require more specialized programs to display the accents. +This is the 8-bit version. + +This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE. +That project is reachable at the web site http://gutenberg2000.de. + +Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE" +zur Verfügung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse +http://gutenberg2000.de erreichbar. + + + + + +Märchen-Almanach auf das Jahr 1827 + +Wilhelm Hauff + + +Inhalt: + +Der Scheik von Alessandria und seine Sklaven (Rahmenerzählung) +Der Zwerg Nase +Abner, der Jude, der nichts gesehen hat +Der arme Stephan +Der gebackene Kopf +Der Affe als Mensch (Der junge Engländer) +Das Fest der Unterirdischen +Schneeweißchen und Rosenrot +Die Geschichte Almansors + + + + +Der Scheik von Alessandria und seine Sklaven + +Wilhelm Hauff + + +Der Scheik von Alessandria, Ali Banu, war ein sonderbarer Mann; wenn +er morgens durch die Straßen der Stadt ging, angetan mit einem Turban, +aus den köstlichsten Kaschmirs gewunden, mit dem Festkleide und dem +reichen Gürtel, der fünfzig Kamele wert war, wenn er einherging +langsamen, gravitätischen Schrittes, seine Stirne in finstere Falten +gelegt, seine Augenbrauen zusammengezogen, die Augen niedergeschlagen +und alle fünf Schritte gedankenvoll seinen langen, schwarzen Bart +streichend; wenn er so hinging nach der Moschee, um, wie es seine +Würde forderte, den Gläubigen Vorlesungen über den Koran zu halten: +da blieben die Leute auf der Straße stehen, schauten ihm nach und +sprachen zueinander: "Es ist doch ein schöner, stattlicher Mann, und +reich, ein reicher Herr", setzte wohl ein anderer hinzu, "sehr reich; +hat er nicht ein Schloß am Hafen von Stambul? Hat er nicht Güter und +Felder und viele tausend Stück Vieh und viele Sklaven?" + +"Ja", sprach ein dritter, "und der Tatar, der letzthin von Stambul +her, vom Großherrn selbst, den der Prophet segnen möge, an ihn +geschickt kam, der sagte mir, daß unser Scheik sehr in Ansehen stehe +beim Reis-Effendi, beim Kapidschi-Baschi, bei allen, ja beim Sultan +selbst." + +"Ja", rief ein vierter, "seine Schritte sind gesegnet; er ist ein +reicher, vornehmer Herr, aber--aber, ihr wißt, was ich meine!" "Ja, +ja!" murmelten dann die anderen dazwischen, "es ist wahr, er hat auch +ein Teil zu tragen, möchten nicht mit ihm tauschen; ist ein reicher, +vornehmer Herr; aber, aber!" + +Ali Banu hatte ein herrliches Haus auf dem schönsten Platz von +Alessandria; vor dem Hause war eine weite Terrasse, mit Marmor +ummauert, beschattet von Palmbäumen; dort saß er oft abends und +rauchte seine Wasserpfeife. In ehrerbietiger Entfernung harrten dann +zwölf reichgekleidete Sklaven seines Winkes; der eine trug seinen +Betel, der andere hielt seinen Sonnenschirm, ein dritter hatte Gefäße +von gediegenem Golde, mit köstlichem Sorbet angefüllt, ein vierter +trug einen Wedel von Pfauenfedern, um die Fliegen aus der Nähe des +Herrn zu verscheuchen; andere waren Sänger und trugen Lauten und +Blasinstrumente, um ihn zu ergötzen mit Musik, wenn er es verlangte, +und der gelehrteste von allen trug mehrere Rollen, um ihm vorzulesen. + +Aber sie harreten vergeblich auf seinen Wink; er verlangte nicht +Musik noch Gesang, er wollte keine Sprüche oder Gedichte weiser +Dichter der Vorzeit hören, er wollte keinen Sorbet zu sich nehmen, +noch Betel kauen, ja, selbst der mit dem Fächer aus Pfauenfeder hatte +vergebliche Arbeit; denn der Herr bemerkte es nicht, wenn ihn eine +Fliege summend umschwärmte. Da blieben oft die Vorübergehenden +stehen, staunten über die Pracht des Hauses, über die +reichgekleideten Sklaven und über die Bequemlichkeit, womit alles +versehen war; aber wenn sie dann den Scheik ansahen, wie er so ernst +und düster unter den Palmen saß, seine Augen nirgends hinwandte als +auf die bläulichen Wölkchen seiner Wasserpfeife, da schüttelten sie +die Köpfe und sprachen: "Wahrlich, der reiche Mann ist ein armer Mann. +Er, der viel hat, ist ärmer als der, der nichts hat; denn der +Prophet hat ihm den Verstand nicht gegeben, es zu genießen." + +So sprachen die Leute, lachten über ihn und gingen weiter. + +Eines Abends, als der Scheik wiederum vor der Türe seines Hauses saß, +umgeben von allem Glanz der Erde, und traurig und einsam seine +Wasserpfeife rauchte, standen nicht ferne davon einige junge Leute, +betrachteten ihn und lachten. + +"Wahrlich", sprach der eine, "das ist ein törichter Mann, der Scheik +Ali Banu; hätte ich seine Schätze, ich wollte sie anders anwenden. +Alle Tage wollte ich leben herrlich und in Freuden; meine Freunde +müßten bei mir speisen in den großen Gemächern des Hauses, und Jubel +und Lachen müßten diese traurigen Hallen füllen." + +"Ja", erwiderte ein anderer. "Das wäre nicht so übel; aber viele +Freunde zehren ein Gut auf, und wäre es so groß als das des Sultans, +den der Prophet segne; aber säße ich abends so unter den Palmen auf +dem schönen Platze hier, da müßten mir die Sklaven dort singen und +musizieren, meine Tänzer müßten kommen und tanzen und springen und +allerlei wunderliche Stücke aufführen. Dazu rauchte ich recht +vornehm die Wasserpfeife, ließe mir den köstlichen Sorbet reichen und +ergötzte mich an all diesem wie ein König von Bagdad." + +"Der Scheik", sprach ein dritter dieser jungen Leute, der ein +Schreiber war, "der Scheik soll ein gelehrter und weiser Mann sein, +und wirklich, seine Vorlesungen über den Koran zeugen von Belesenheit +in allen Dichtern und Schriften der Weisheit; aber ist auch sein +Leben so eingerichtet, wie es einem vernünftigen Manne geziemt? Dort +steht ein Sklave mit einem ganzen Arm voll Rollen; ich gäbe mein +Festkleid dafür, nur eine davon lesen zu dürfen; denn es sind gewiß +seltene Sachen. Aber er? Er sitzt und raucht und läßt +Bücher--Bücher sein. Wäre ich der Scheik Ali Banu, der Kerl müßte +mir vorlesen, bis er keinen Atem mehr hätte oder bis die Nacht +heraufkäme; und auch dann noch müßte er mir lesen, bis ich +entschlummert wäre." "Ha! Ihr wißt mir recht, wie man sich ein +köstliches Leben einrichtet", lachte der vierte; "essen und trinken, +singen und tanzen, Sprüche lesen und Gedichte hören von armseligen +Dichtern! Nein, ich würde es ganz anders machen. Er hat die +herrlichsten Pferde und Kamele und Geld die Menge. Da würde ich an +seiner Stelle reisen, reisen bis an der Welt Ende und selbst zu den +Moskowitern, selbst zu den Franken. Kein Weg wäre mir zu weit, um +die Herrlichkeiten der Welt zu sehen. So würde ich tun, wäre ich +jener Mann dort." + +"Die Jugend ist eine schöne Zeit und das Alter, wo man fröhlich ist", +sprach ein alter Mann von unscheinbarem Aussehen, der neben ihnen +stand und ihre Reden gehört hatte, "aber erlaubet mir, daß ich es +sage, die Jugend ist auch töricht und schwatzt hier und da in den Tag +hinein, ohne zu wissen, was sie tut." + +"Was wollt Ihr damit sagen, Alter?" fragten verwundert die jungen +Leute. "Meinet Ihr uns damit? Was geht es Euch an, daß wir die +Lebensart des Scheiks tadeln?" + +"Wenn einer etwas besser weiß als der andere, so berichtige er seinen +Irrtum, so will es der Prophet", erwiderte der alte Mann, "der Scheik, +es ist wahr, ist gesegnet mit Schätzen und hat alles, wonach das +Herz verlangt, aber er hat Ursache, ernst und traurig zu sein. +Meinet ihr, er sei immer so gewesen? Nein, ich habe ihn noch vor +fünfzehn Jahren gesehen, da war er munter und rüstig wie die Gazelle +und lebte fröhlich und genoß sein Leben. Damals hatte er einen Sohn, +die Freude seiner Tage, schön und gebildet, und wer ihn sah und +sprechen hörte, mußte den Scheik beneiden um diesen Schatz, denn er +war erst zehn Jahre alt, und doch war er schon so gelehrt wie ein +anderer kaum im achtzehnten." + +"Und der ist ihm gestorben? Der arme Scheik!" rief der junge +Schreiber. + +"Es wäre tröstlich für ihn, zu wissen, daß er heimgegangen in die +Wohnungen des Propheten, wo er besser lebte als hier in Alessandria; +aber das, was er erfahren mußte, ist viel schlimmer. Es war damals +die Zeit, wo die Franken wie hungrige Wölfe herüberkamen in unser +Land und Krieg mit uns führten. Sie hatten Alessandria überwältigt +und zogen von da aus weiter und immer weiter und bekriegten die +Mamelucken. Der Scheik war ein kluger Mann und wußte sich gut mit +ihnen zu vertragen; aber, sei es, weil sie lüstern waren nach seinen +Schätzen, sei es, weil er sich seiner gläubigen Brüder annahm, ich +weiß es nicht genau; kurz, sie kamen eines Tages in sein Haus und +beschuldigten ihn, die Mamelucken heimlich mit Waffen, Pferden und +Lebensmitteln unterstützt zu haben. Er mochte seine Unschuld +beweisen, wie er wollte, es half nichts, denn die Franken sind ein +rohes, hartherziges Volk, wenn es darauf ankommt, Geld zu erpressen. +Sie nahmen also seinen jungen Sohn, Kairam geheißen, als Geisel in +ihr Lager. Er bot ihnen viel Geld für ihn; aber sie gaben ihn nicht +los und wollten ihn zu noch höherem Gebot steigern. Da kam ihnen auf +einmal von ihrem Bassa, oder was er war, der Befehl, sich +einzuschiffen; niemand in Alessandria wußte ein Wort davon, +und--plötzlich waren sie auf der hohen See, und den kleinen Kairam, +Ali Banus Sohn, schleppten sie wohl mit sich, denn man hat nie wieder +etwas von ihm gehört." + +"O der arme Mann, wie hat ihn doch Allah geschlagen!" riefen einmütig +die jungen Leute und schauten mitleidig hin nach dem Scheik, der, +umgeben von Herrlichkeit, trauernd und einsam unter den Palmen saß. + +"Sein Weib, das er sehr geliebt hat, starb ihm aus Kummer um ihren +Sohn; er selbst aber kaufte sich ein Schiff, rüstete es aus und bewog +den fränkischen Arzt, der dort unten am Brunnen wohnt, mit ihm nach +Frankistan zu reisen, um den verlorenen Sohn aufzusuchen. Sie +schifften sich ein und waren lange Zeit auf dem Meere und kamen +endlich in das Land jener Giaurs, jener Ungläubigen, die in +Alessandria gewesen waren. Aber dort soll es gerade schrecklich +zugegangen sein. Sie hatten ihren Sultan umgebracht, und die Paschas +und die Reichen und Armen schlugen einander die Köpfe ab, und es war +keine Ordnung im Lande. Vergeblich suchten sie in jeder Stadt nach +dem kleinen Kairam, niemand wollte von ihm wissen, und der fränkische +Doktor riet endlich dem Scheik, sich einzuschiffen, weil sie sonst +wohl selbst um ihre Köpfe kommen könnten. + +So kamen sie wieder zurück, und seit seiner Ankunft hat der Scheik +gelebt wie an diesem Tag, denn er trauert um seinen Sohn, und er hat +recht. Muß er nicht, wenn er ißt und trinkt, denken, jetzt muß +vielleicht mein armer Kairam hungern und dürsten? + +Und wenn er sich bekleidet mit reichen Schals und Festkleidern, wie +es sein Amt und seine Würde will, muß er nicht denken, jetzt hat er +wohl nichts, womit er seine Blöße deckt? Und wenn er umgeben ist von +Sängern und Tänzern und Vorlesern, seinen Sklaven, denkt er da nicht, +jetzt muß wohl mein armer Sohn seinem fränkischen Gebieter Sprünge +vormachen und musizieren, wie er es haben will? Und was ihm den +größten Kummer macht, er glaubt, der kleine Kairam werde, so weit vom +Lande seiner Väter und mitten unter Ungläubigen, die seiner spotten, +abtrünnig werden vom Glauben seiner Väter und er werde ihn einst +nicht umarmen können in den Gärten des Paradieses! + +Darum ist er auch so mild gegen seine Sklaven und gibt große Summen +an die Armen; denn er denkt, Allah werde es vergelten und das Herz +seiner fränkischen Herren rühren, daß sie seinen Sohn mild behandeln. +Auch gibt er jedesmal, wenn der Tag kommt, an welchem ihm sein Sohn +entrissen wurde, zwölf Sklaven frei." + +"Davon habe ich auch schon gehört", entgegnete der Schreiber, "aber +man trägt sich mit wundervollen Reden; von seinem Sohne wurde dabei +nichts erwähnt; wohl aber sagte man, er sei ein sonderbarer Mann und +ganz besonders erpicht auf Erzählungen; da soll er jedes Jahr unter +seinen Sklaven einen Wettstreit anstellen, und wer am besten erzählt, +den gibt er frei." "Verlasset euch nicht auf das Gerede der Leute", +sagte der alte Mann, "es ist so, wie ich es sage, und ich weiß es +genau; möglich ist, daß er sich an diesem schweren Tage aufheitern +will und sich Geschichten erzählen läßt; doch gibt er sie frei um +seines Sohnes willen. Doch, der Abend wird kühl, und ich muß +weitergehen. Salem aleikum, Friede sei mit euch, ihr jungen Herren, +und denket in Zukunft besser von dem guten Scheik!" + +Die jungen Leute dankten dem Alten für seine Nachrichten, schauten +noch einmal nach dem trauernden Vater und gingen die Straße hinab, +indem sie zueinander sprachen: "Ich möchte doch nicht der Scheik Ali +Banu sein." + +Nicht lange Zeit, nachdem diese jungen Leute mit dem alten Mann über +den Scheik Ali Banu gesprochen hatten, traf es sich, daß sie um die +Zeit des Morgengebets wieder diese Straße gingen. Da fiel ihnen der +alte Mann und seine Erzählung ein, und sie beklagten zusammen den +Scheik und blickten nach seinem Hause. Aber wie staunten sie, als +sie dort alles aufs herrlichste ausgeschmückt fanden! Von dem Dache, +wo geputzte Sklavinnen spazierengingen, wehten Wimpeln und Fahnen, +die Halle des Hauses war mit köstlichen Teppichen belegt, Seidenstoff +schloß sich an diese an, der über die breiten Stufen der Treppe +gelegt war, und selbst auf der Straße war noch schönes, feines Tuch +ausgebreitet, wovon sich mancher wünschen mochte zu einem Festkleid +oder zu einer Decke für die Füße. + +"Ei, wie hat sich doch der Scheik geändert in den wenigen Tagen!" +sprach der junge Schreiber. "Will er ein Fest geben? Will er seine +Sänger und Tänzer anstrengen? Seht mir diese Teppiche! Hat sie +einer so schön in ganz Alessandria! Und dieses Tuch auf dem gemeinen +Boden, wahrlich, es ist schade dafür!" + +"Weißt du, was ich denke?" sprach ein anderer. "Er empfängt +sicherlich einen hohen Gast; denn das sind Zubereitungen, wie man sie +macht, wenn ein Herrscher von großen Ländern oder ein Effendi des +Großherrn ein Haus mit seinem Besuch segnet. Wer mag wohl heute +hierherkommen?" + +"Siehe da, geht dort unten nicht unser Alter von letzthin? Ei, der +weiß ja alles und muß auch darüber Aufschluß geben können. Heda! +Alter Herr! Wollet Ihr nicht ein wenig zu uns treten?" So riefen sie; +der alte Mann aber bemerkte ihre Winke und kam zu ihnen; denn er +erkannte sie als die jungen Leute, mit welchen er vor einigen Tagen +gesprochen. Sie machten ihn aufmerksam auf die Zurüstungen im Hause +des Scheiks und fragten ihn, ob er nicht wisse, welch hoher Gast wohl +erwartet werde. + +"Ihr glaubt wohl", erwiderte er, "Ali Banu feiere heute ein großes +Freudenfest, oder der Besuch eines großen Mannes beehre sein Haus? +Dem ist nicht also; aber heute ist der zwölfte Tag des Monats Ramadan, +wie ihr wisset, und an diesem Tag wurde sein Sohn ins Lager geführt." + +"Aber beim Bart des Propheten!" rief einer der jungen Leute. "Das +sieht ja alles aus wie Hochzeit und Festlichkeiten, und doch ist es +sein berühmter Trauertag, wie reimt Ihr das zusammen? Gesteht, der +Scheik ist denn doch etwas zerrüttet im Verstand." + +"Urteilt Ihr noch immer so schnell, mein junger Freund?" fragte der +Alte lächelnd. "Auch diesmal war Euer Pfeil wohl spitzig und scharf, +die Sehne Eures Bogens straff angezogen, und doch habt Ihr weitab vom +Ziele geschossen. Wisset, daß heute der Scheik seinen Sohn erwartet." + +"So ist er gefunden?" riefen die Jünglinge und freuten sich. "Nein, +und er wird sich wohl lange nicht finden; aber wisset: Vor acht oder +zehn Jahren, als der Scheik auch einmal mit Trauern und Klagen diesen +Tag beging, auch Sklaven freigab und viele Arme speiste und tränkte, +da traf es sich, daß er auch einem Derwisch, der müde und matt im +Schatten jenes Hauses lag, Speise und Trank reichen ließ. Der +Derwisch aber war ein heiliger Mann und erfahren in Prophezeiungen +und im Sterndeuten. Der trat, als er gestärkt war durch die milde +Hand des Scheiks, zu ihm und sprach: 'Ich kenne die Ursache deines +Kummers; ist nicht heute der zwölfte Ramadan, und hast du nicht an +diesem Tage deinen Sohn verloren? Aber sei getrost, dieser Tag der +Trauer wird dir zum Festtag werden, denn wisse, an diesem Tage wird +einst dein Sohn zurückkehren!' So sprach der Derwisch. Es wäre Sünde +für jeden Muselmann, an der Rede eines solchen Mannes zu zweifeln; +der Gram Alis wurde zwar dadurch nicht gemildert, aber doch harrt er +an diesem Tage immer auf die Rückkehr seines Sohnes und schmückt sein +Haus und seine Halle und die Treppen, als könne jener zu jeder Stunde +anlangen." + +"Wunderbar!" erwiderte der Schreiber. "Aber zusehen möchte ich doch, +wie alles so herrlich bereitet ist, wie er selbst in dieser +Herrlichkeit trauert, und hauptsächlich möchte ich zuhören, wie er +sich von seinen Sklaven erzählen läßt." + +"Nichts leichter als dies", antwortete der Alte. "Der Aufseher der +Sklaven jenes Hauses ist mein Freund seit langen Jahren und gönnt mir +an diesem Tage immer ein Plätzchen in dem Saal, wo man unter der +Menge der Diener und Freunde des Scheiks den einzelnen nicht bemerkt. +Ich will mit ihm reden, daß er euch einläßt; ihr seid ja nur zu +viert, und da kann es schon gehen; kommet um die neunte Stunde auf +diesen Platz, und ich will euch Antwort geben." + +So sprach der Alte; die jungen Leute aber dankten ihm und entfernten +sich, voll Begierde zu sehen, wie sich dies alles begeben würde. + +Sie kamen zur bestimmten Stunde auf den Platz vor dem Hause des +Scheik und trafen da den Alten, der ihnen sagte, daß der Aufseher der +Sklaven erlaubt habe, sie einzuführen. Er ging voran, doch nicht +durch die reichgeschmückten Treppen und Tore, sondern durch ein +Seitenpförtchen, das er sorgfältig wieder verschloß. Dann führte er +sie durch mehrere Gänge, bis sie in den großen Saal kamen. Hier war +ein großes Gedränge von allen Seiten; da waren reichgekleidete Männer, +angesehene Herren der Stadt und Freunde des Scheik, die gekommen +waren, ihn in seinem Schmerz zu trösten. Da waren Sklaven aller Art +und aller Nationen. Aber alle sahen kummervoll aus; denn sie liebten +ihren Herrn und trauerten mit ihm. Am Ende des Saales, auf einem +reichen Diwan, saßen die vornehmsten Freunde Alis und wurden von den +Sklaven bedient. Neben ihnen auf dem Boden saß der Scheik; denn die +Trauer um seinen Sohn erlaubte ihm nicht, auf dem Teppich der Freude +zu sitzen. Er hatte sein Haupt in die Hand gestützt und schien wenig +auf die Tröstungen zu hören, die ihm seine Freunde zuflüsterten. Ihm +gegenüber saßen einige alte und junge Männer in Sklaventracht. Der +Alte belehrte seine jungen Freunde, daß dies die Sklaven seien, die +Ah Banu an diesem Tage freigebe. Es waren unter ihnen auch einige +Franken, und der Alte machte besonders auf einen von ihnen aufmerksam, +der von ausgezeichneter Schönheit und noch sehr jung war. Der +Scheik hatte ihn erst einige Tage zuvor einem Sklavenhändler von +Tunis um eine große Summe abgekauft und gab ihn dennoch jetzt schon +frei, weil er glaubte, je mehr Franken er in ihr Vaterland +zurückschicke, desto früher werde der Prophet seinen Sohn erlösen. + +Nachdem man überall Erfrischungen umhergereicht hatte, gab der Scheik +dem Aufseher der Sklaven ein Zeichen. Dieser stand auf, und es ward +tiefe Stille im Saal. Er trat vor die Sklaven, welche freigelassen +werden sollten, und sprach mit vernehmlichen Stimme: "Ihr Männer, die +ihr heute frei sein werdet durch die Gnade meines Herrn Ali Banu, des +Scheik von Alessandria, tuet nur, wie es Sitte ist an diesem Tage in +seinem Hause, und hebet an zu erzählen!" + +Sie flüsterten untereinander. Dann aber nahm ein alter Sklave das +Wort und fing an zu erzählen: + + + + +Der Zwerg Nase + +Wilhelm Hauff + + +Herr! Diejenigen tun sehr unrecht, welche glauben, es habe nur zu +Zeiten Haruns Al-Raschid, des Beherrschers von Bagdad, Feen und +Zauberer gegeben, oder die gar behaupten, jene Berichte von dem +Treiben der Genien und ihrer Fürsten, welche man von den Erzählern +auf den Märkten der Stadt hört, seien unwahr. Noch heute gibt es +Feen, und es ist nicht so lange her, daß ich selbst Zeuge einer +Begebenheit war, wo offenbar die Genien im Spiele waren, wie ich euch +berichten werde. + +In einer bedeutenden Stadt meines lieben Vaterlandes, Deutschlands, +lebte vor vielen Jahren ein Schuster mit seiner Frau schlicht und +recht. Er saß bei Tag an der Ecke der Straße und flickte Schuhe und +Pantoffeln und machte wohl auch neue, wenn ihm einer welche +anvertrauen mochte; doch mußte er dann das Leder erst einkaufen, denn +er war arm und hatte keine Vorräte. Seine Frau verkaufte Gemüse und +Früchte, die sie in einem kleinen Gärtchen vor dem Tore pflanzte, und +viele Leute kauften gerne bei ihr, weil sie reinlich und sauber +gekleidet war und ihr Gemüse auf gefällige Art auszubreiten wußte. + +Die beiden Leutchen hatten einen schönen Knaben, angenehm von Gesicht, +wohlgestaltet und für das Alter von zwölf Jahren schon ziemlich groß. +Er pflegte gewöhnlich bei der Mutter auf dem Gemüsemarkt zu sitzen, +und den Weibern oder Köchen, die viel bei der Schustersfrau +eingekauft hatten, trug er wohl auch einen Teil der Früchte nach +Hause, und selten kam er von einem solchen Gang zurück ohne eine +schöne Blume oder ein Stückchen Geld oder Kuchen; denn die +Herrschaften dieser Köche sahen es gerne, wenn man den schönen Knaben +mit nach Hause brachte, und beschenkten ihn immer reichlich. + +Eines Tages saß die Frau des Schusters wieder wie gewöhnlich auf dem +Markte, sie hatte vor sich einige Körbe mit Kohl und anderm Gemüse, +allerlei Kräuter und Sämereien, auch in einem kleineren Körbchen +frühe Birnen, Äpfel und Aprikosen. Der kleine Jakob, so hieß der +Knabe, saß neben ihr und rief mit heller Stimme die Waren aus: +"Hierher, ihr Herren, seht, welch schöner Kohl, wie wohlriechend +diese Kräuter; frühe Birnen, ihr Frauen, frühe Äpfel und Aprikosen, +wer kauft? Meine Mutter gibt es wohlfeil." So rief der Knabe. Da +kam ein altes Weib über den Markt her; sie sah etwas zerrissen und +zerlumpt aus, hatte ein kleines, spitziges Gesicht, vom Alter ganz +eingefurcht, rote Augen und eine spitzige, gebogene Nase, die gegen +das Kinn hinabstrebte; sie ging an einem langen Stock, und doch +konnte man nicht sagen, wie sie ging; denn sie hinkte und rutschte +und wankte; es war, als habe sie Räder in den Beinen und könne alle +Augenblicke umstülpen und mit der spitzigen Nase aufs Pflaster fallen. + +Die Frau des Schusters betrachtete dieses Weib aufmerksam. Es waren +jetzt doch schon sechzehn Jahre, daß sie täglich auf dem Markte saß, +und nie hatte sie diese sonderbare Gestalt bemerkt. Aber sie +erschrak unwillkürlich, als die Alte auf sie zuhinkte und an ihren +Körben stillstand. + +"Seid Ihr Hanne, die Gemüsehändlerin?" fragte das alte Weib mit +unangenehmer, krächzender Stimme, indem sie beständig den Kopf hin +und her schüttelte. + +"Ja, die bin ich", antwortete die Schustersfrau, "ist Euch etwas +gefällig?" + +"Wollen sehen, wollen sehen! Kräutlein schauen, Kräutlein schauen, +ob du hast, was ich brauche", antwortete die Alte, beugte sich nieder +vor den Körben und fuhr mit ein Paar dunkelbraunen, häßlichen Händen +in den Kräuterkorb hinein, packte die Kräutlein, die so schön und +zierlich ausgebreitet waren, mit ihren langen Spinnenfingern, brachte +sie dann eins um das andere hinauf an die lange Nase und beroch sie +hin und her. Der Frau des Schusters wollte es fast das Herz +abdrucken, wie sie das alte Weib also mit ihren seltenen Kräutern +hantieren sah; aber sie wagte nichts zu sagen; denn es war das Recht +des Käufers, die Ware zu prüfen, und überdies empfand sie ein +sonderbares Grauen vor dem Weibe. Als jene den ganzen Korb +durchgemustert hatte, murmelte sie: "Schlechtes Zeug, schlechtes +Kraut, nichts von allem, was ich will, war viel besser vor fünfzig +Jahren; schlechtes Zeug, schlechtes Zeug!" + +Solche Reden verdrossen nun den kleinen Jakob. "Höre, du bist ein +unverschämtes, altes Weib", rief er unmutig, "erst fährst du mit +deinen garstigen, braunen Fingern in die schönen Kräuter hinein und +drückst sie zusammen, dann hältst du sie an deine lange Nase, daß sie +niemand mehr kaufen mag, wer zugesehen, und jetzt schimpfst du noch +unsere Ware schlechtes Zeug, und doch kauft selbst der Koch des +Herzogs alles bei uns!" + +Das alte Weib schielte den mutigen Knaben an, lachte widerlich und +sprach mit heiserer Stimme: "Söhnchen, Söhnchen! Also gefällt dir +meine Nase, meine schöne lange Nase? Sollst auch eine haben mitten +im Gesicht bis übers Kinn herab." Während sie so sprach, rutschte sie +an den andern Korb, in welchem Kohl ausgelegt war. Sie nahm die +herrlichsten weißen Kohlhäupter in die Hand, drückte sie zusammen, +daß sie ächzten, warf sie dann wieder unordentlich in den Korb und +sprach auch hier: "Schlechte Ware, schlechter Kohl!" + +"Wackle nur nicht so garstig mit dem Kopf hin und her!" rief der +Kleine ängstlich. "Dein Hals ist ja so dünne wie ein Kohlstengel, +der könnte leicht abbrechen, und dann fiele dein Kopf hinein in den +Korb; wer wollte dann noch kaufen!" + +"Gefallen sie dir nicht, die dünnen Hälse?" murmelte die Alte lachend. +"Sollst gar keinen haben, Kopf muß in den Schultern stecken, daß er +nicht herabfällt vom kleinen Körperlein!" + +"Schwatzt doch nicht so unnützes Zeug mit dem Kleinen da", sagte +endlich die Frau des Schusters im Unmut über das lange Prüfen, +Mustern und Beriechen, "wenn Ihr etwas kaufen wollt, so sputet Euch, +Ihr verscheucht mir ja die anderen Kunden." + +"Gut, es sei, wie du sagst", rief die Alte mit grimmigem Blick. "Ich +will dir diese sechs Kohlhäupter abkaufen; aber siehe, ich muß mich +auf den Stab stützen und kann nichts tragen; erlaube deinem Söhnlein, +daß es mir die Ware nach Hause bringt, ich will es dafür belohnen." + +Der Kleine wollte nicht mitgehen und weinte; denn ihm graute vor der +häßlichen Frau, aber die Mutter befahl es ihm ernstlich, weil sie es +doch für eine Sünde hielt, der alten, schwächlichen Frau diese Last +allein aufzubürden; halb weinend tat er, wie sie befohlen, raffte die +Kohlhäupter in ein Tuch zusammen und folgte dem alten Weibe über den +Markt hin. + +Es ging nicht sehr schnell bei ihr, und sie brauchte beinahe drei +Viertelstunden, bis sie in einen ganz entlegenen Teil der Stadt kam +und endlich vor einem kleinen, baufälligen Hause stillhielt. Dort +zog sie einen alten, rostigen Haken aus der Tasche, fuhr damit +geschickt in ein kleines Loch in der Türe, und plötzlich sprang diese +krachend auf. Aber wie war der kleine Jakob überrascht, als er +eintrat! Das Innere des Hauses war prachtvoll ausgeschmückt, von +Marmor waren die Decke und die Wände, die Gerätschaften vom schönsten +Ebenholz, mit Gold und geschaffenen Steinen eingelegt, der Boden aber +war von Glas und so glatt, daß der Kleine einigemal ausglitt und +umfiel. Die Alte aber zog ein silbernes Pfeifchen aus der Tasche und +pfiff eine Weise darauf, die gellend durch das Haus tönte. Da kamen +sogleich einige Meerschweinchen die Treppe herab; dem Jakob wollte es +aber ganz sonderbar dünken, daß sie aufrecht auf zwei Beinen gingen, +Nußschalen statt Schuhen an den Pfoten trugen, menschliche Kleider +angelegt und sogar Hüte nach der neuesten Mode auf die Köpfe gesetzt +hatten. "Wo habt ihr meine Pantoffeln, schlechtes Gesindel?" rief +die Alte und schlug mit dem Stock nach ihnen, daß sie jammernd in die +Höhe sprangen. "Wie lange soll ich noch so dastehen?" + +Sie sprangen schnell die Treppe hinauf und kamen wieder mit ein Paar +Schalen von Kokosnuß, mit Leder gefüttert, welche sie der Alten +geschickt an die Füße steckten. + +Jetzt war alles Hinken und Rutschen vorbei. Sie warf den Stab von +sich und glitt mit großer Schnelligkeit über den Glasboden hin, indem +sie den kleinen Jakob an der Hand mit fortzog. Endlich hielt sie in +einem Zimmer stille, das, mit allerlei Gerätschaften ausgeputzt, +beinahe einer Küche glich, obgleich die Tische von Mahagoniholz und +die Sofas, mit reichen Teppichen behängt, mehr zu einem Prunkgemach +paßten. "Setze dich, Söhnchen", sagte die Alte recht freundlich, +indem sie ihn in die Ecke eines Sofas drückte und einen Tisch also +vor ihn hinstellte, daß er nicht mehr hervorkommen konnte. "Setze +dich, du hast gar schwer zu tragen gehabt, die Menschenköpfe sind +nicht so leicht, nicht so leicht." + +"Aber, Frau, was sprechet Ihr so wunderlich", rief der Kleine. "Müde +bin ich zwar, aber es waren ja Kohlköpfe, die ich getragen, Ihr habt +sie meiner Mutter abgekauft." + +"Ei, das weißt du falsch", lachte das Weib, deckte den Deckel des +Korbes auf und brachte einen Menschenkopf hervor, den sie am Schopf +gefaßt hatte. Der Kleine war vor Schrecken außer sich; er konnte +nicht fassen, wie dies alles zuging; aber er dachte an seine Mutter; +wenn jemand von diesen Menschenköpfen etwas erfahren würde, dachte er +bei sich, da würde man gewiß meine Mutter dafür anklagen. + +"Muß dir nun auch etwas geben zum Lohn, weil du so artig bist", +murmelte die Alte, "gedulde dich nur ein Weilchen, will dir ein +Süppchen einbrocken, an das du dein Leben lang denken wirst." So +sprach sie und pfiff wieder. Da kamen zuerst viele Meerschweinchen +in menschlichen Kleidern; sie hatten Küchenschürzen umgebunden und im +Gürtel Rührlöffel und Tranchiermesser; nach diesen kam eine Menge +Eichhörnchen hereingehüpft; sie hatten weite türkische Beinkleider an, +gingen aufrecht, und auf dem Kopf trugen sie grüne Mützchen von Samt. +Diese schienen die Küchenjungen zu sein; denn sie kletterten mit +großer Geschwindigkeit an den Wänden hinauf und brachten Pfannen und +Schüsseln, Eier und Butter, Kräuter und Mehl herab und trugen, es auf +den Herd; dort aber fuhr die alte Frau auf ihren Pantoffeln von +Kokosschalen beständig hin und her, und der Kleine sah, daß sie es +sich recht angelegen sein lasse, ihm etwas Gutes zu kochen. Jetzt +knisterte das Feuer höher empor, jetzt rauchte und sott es in der +Pfanne, ein angenehmer Geruch verbreitete sich im Zimmer; die Alte +aber rannte auf und ab, die Eichhörnchen und Meerschweinchen ihr nach, +und so oft sie am Herde vorbeikam, guckte sie mit ihrer langen Nase +in den Topf. Endlich fing es an zu sprudeln und zu zischen, Dampf +stieg aus dem Topf hervor, und der Schaum floß herab ins Feuer. Da +nahm sie ihn weg, goß davon in eine silberne Schale und setzte sie +dem kleinen Jakob vor. + +"So, Söhnchen, so", sprach sie, "iß nur dieses Süppchen, dann hast du +alles, was dir an mir so gefallen! Sollst auch ein geschickter Koch +werden, daß du noch etwas bist; aber Kräutlein, nein, das Kräutlein +sollst du nimmer finden--Warum hat es deine Mutter nicht in ihrem +Korb gehabt?" Der Kleine verstand nicht recht, was sie sprach, desto +aufmerksamer behandelte er die Suppe, die ihm ganz trefflich +schmeckte. Seine Mutter hatte ihm manche schmackhafte Speise +bereitet; aber so gut war ihm noch nichts geworden. Der Duft von +feinen Kräutern und Gewürzen stieg aus der Suppe auf, dabei war sie +süß und säuerlich zugleich und sehr stark. Während er noch die +letzten Tropfen der köstlichen Speise austrank, zündeten die +Meerschweinchen arabischen Weihrauch an, der in bläulichen Wolken +durch das Zimmer schwebte; dichter und immer dichter wurden diese +Wolken und sanken herab, der Geruch des Weihrauchs wirkte betäubend +auf den Kleinen, er mochte sich zurufen, so oft er wollte, daß er zu +seiner Mutter zurückkehren müsse; wenn er sich ermannte, sank er +immer wieder von neuem in den Schlummer zurück und schlief endlich +wirklich auf dem Sofa des alten Weibes ein. + +Sonderbare Träume kamen über ihn. Es war ihm, als ziehe ihm die Alte +seine Kleider aus und umhülle ihn dafür mit einem Eichhörnchenbalg. +Jetzt konnte er Sprünge machen und klettern wie ein Eichhörnchen; er +ging mit den übrigen Eichhörnchen und Meerschweinchen, die sehr +artige, gesittete Leute waren, um und hatte mit ihnen den Dienst bei +der alten Frau. Zuerst wurde er nur zu den Diensten eines +Schuhputzers gebraucht, d. h. er mußte die Kokosnüsse, welche die +Frau statt der Pantoffeln trug, mit Öl salben und durch Reiben +glänzend machen. Da er nun in seines Vaters Hause zu ähnlichen +Geschäften oft angehalten worden war, so ging es ihm flink von der +Hand; etwa nach einem Jahre, träumte er weiter, wurde er zu einem +feineren Geschäft gebraucht; er mußte nämlich mit noch einigen +Eichhörnchen Sonnenstäubchen fangen und, wenn sie genug hatten, +solche durch das feinste Haarsieb sieben. Die Frau hielt nämlich die +Sonnenstäubchen für das Allerfeinste, und weil sie nicht gut beißen +konnte, denn sie hatte keinen Zahn mehr, so ließ sie sich ihr Brot +aus Sonnenstäubchen zubereiten. + +Wiederum nach einem Jahre wurde er zu den Dienern versetzt, die das +Trinkwasser für die Alte sammelten. Man denke nicht, daß sie sich +hierzu etwa eine Zisterne hätte graben lassen oder ein Faß in den Hof +stellte, um das Regenwasser darin aufzufangen; da ging es viel feiner +zu; die Eichhörnchen, und Jakob mit ihnen, mußten mit Haselnußschalen +den Tau aus den Rosen schöpfen, und das war das Trinkwasser der Alten. +Da sie nun bedeutend viel trank, so hatten die Wasserträger schwere +Arbeit. Nach einem Jahr wurde er zum inneren Dienst des Hauses +bestellt; er hatte nämlich das Amt, die Böden rein zu machen; da nun +diese von Glas waren, worin man jeden Hauch sah, war das keine +geringe Arbeit. Sie mußten sie bürsten und altes ach an die Füße +schnallen und auf diesem künstlich im Zimmer umherfahren. Im vierten +Jahre ward er endlich zur Küche versetzt. Es war dies ein Ehrenamt, +zu welchem man nur nach langer Prüfung gelangen konnte. Jakob diente +dort vom Küchenjungen aufwärts bis zum ersten Pastetenmacher und +erreichte eine so ungemeine Geschicklichkeit und Erfahrung in allem, +was die Küche betrifft, daß er sich oft über sich selbst wundern +mußte; die schwierigsten Sachen, Pasteten von zweihunderterlei +Essenzen, Kräutersuppen, von allen Kräutlein der Erde zusammengesetzt, +alles lernte er, alles verstand er schnell und kräftig zu machen. + +So waren etwa sieben Jahre im Dienste des alten Weibes vergangen, da +befahl sie ihm eines Tages, indem sie die Kokosschuhe auszog, Korb +und Krückenstock zur Hand nahm, um auszugehen, er sollte ein Hühnlein +rupfen, mit Kräutern füllen und solches schön bräunlich und gelb +rösten, bis sie wiederkäme. Er tat dies nach den Regeln der Kunst. +Er drehte dem Hühnlein den Kragen um, brühte es in heißem Wasser, zog +ihm geschickt die Federn aus, schabte ihm nachher die Haut, daß sie +glatt und fein wurde, und nahm ihm die Eingeweide heraus. Sodann +fing er an, die Kräuter zu sammeln, womit er das Hühnlein füllen +sollte. In der Kräuterkammer gewahrte er aber diesmal ein +Wandschränkchen, dessen Türe halb geöffnet war und das er sonst nie +bemerkt hatte. Er ging neugierig näher, um zu sehen, was es enthalte, +und siehe da, es standen viele Körbchen darinnen, von welchen ein +starker, angenehmer Geruch ausging. Er öffnete eines dieser Körbchen +und fand darin Kräutlein von ganz besonderer Gestalt und Farbe. Die +Stengel und Blätter waren blaugrün und trugen oben eine kleine Blume +von brennendem Rot, mit Gelb verbrämt; er betrachtete sinnend diese +Blume, beroch sie, und sie strömte denselben starken Geruch aus, von +dem einst jene Suppe, die ihm die Alte gekocht, geduftet hatte. Aber +so stark war der Geruch, daß er zu niesen anfing, immer heftiger +niesen mußte und--am Ende niesend erwachte. + +Da lag er auf dem Sofa des alten Weibes und blickte verwundert umher. +"Nein, wie man aber so lebhaft träumen kann!" sprach er zu sich, +"hätte ich jetzt doch schwören wollen, daß ich ein schnödes +Eichhörnchen, ein Kamerad von Meerschweinen und anderem Ungeziefer, +dabei aber ein großer Koch geworden sei. Wie wird die Mutter lachen, +wenn ich ihr alles erzähle! Aber wird sie nicht auch schmälen, daß +ich in einem fremden Hause einschlafe, statt ihr zu helfen auf dem +Markte?" Mit diesen Gedanken raffte er sich auf, um hinwegzugehen; +noch waren seine Glieder vom Schlafe ganz steif, besonders sein +Nacken, denn er konnte den Kopf nicht recht hin und her bewegen; er +mußte auch selbst über sich lächeln, daß er so schlaftrunken war; +denn alle Augenblicke, ehe er es sich versah, stieß er mit der Nase +an einen Schrank oder an die Wand oder schlug sie, wenn er sich +schnell umwandte, an einen Türpfosten. Die Eichhörnchen und +Meerschweinchen liefen winselnd um ihn her, als wollten sie ihn +begleiten, er lud sie auch wirklich ein, als er auf der Schwelle war, +denn es waren niedliche Tierchen; aber sie fuhren auf ihren +Nußschalen schnell ins Haus zurück, und er hörte sie nur noch in der +Ferne heulen. + +Es war ein ziemlich entlegener Teil der Stadt, wohin ihn die Alte +geführt hatte, und er konnte sich kaum aus den engen Gassen +herausfinden, auch war dort ein großes Gedränge; denn es mußte sich, +wie ihm dünkte, gerade in der Nähe ein Zwerg sehen lassen; überall +hörte er rufen: "Ei, sehet den häßlichen Zwerg! Wo kommt der Zwerg +her? Ei, was hat er doch für eine lange Nase, und wie ihm der Kopf +in den Schultern steckt, und die braunen, häßlichen Hände!" Zu einer +andern Zeit wäre er wohl auch nachgelaufen, denn er sah für sein +Leben gern Riesen oder Zwerge oder seltsame fremde Trachten, aber so +mußte er sich sputen, um zur Mutter zu kommen. + +Es war ihm ganz ängstlich zumute, als er auf den Markt kam. Die +Mutter saß noch da und hatte noch ziemlich viele Früchte im Korb, +lange konnte er also nicht geschlafen haben; aber doch kam es ihm von +weitem schon vor, als sei sie sehr traurig; denn sie rief die +Vorübergehenden nicht an, einzukaufen, sondern hatte den Kopf in die +Hand gestützt, und als er näher kam, glaubte er auch, sie sei +bleicher als sonst. Er zauderte, was er tun sollte; endlich faßte er +sich ein Herz, schlich sich hinter sie hin, legte traulich seine Hand +auf ihren Arm und sprach: "Mütterchen, was fehlt dir? Bist du böse +auf mich?" + +Die Frau wandte sich um nach ihm, fuhr aber mit einem Schrei des +Entsetzens zurück. + +"Was willst du von mir, häßlicher Zwerg?" rief sie. "Fort, fort! +Ich kann dergleichen Possenspiele nicht leiden." + +"Aber, Mutter, was hast du denn?" fragte Jakob ganz erschrocken. +"Dir ist gewiß nicht wohl; warum willst du denn deinen Sohn von dir +jagen?" + +"Ich habe dir schon gesagt, gehe deines Weges!" entgegnete Frau Hanne +zürnend. "Bei mir verdienst du kein Geld durch deine Gaukeleien, +häßliche Mißgeburt!" + +"Wahrhaftig, Gott hat ihr das Licht des Verstandes geraubt!" sprach +der Kleine bekümmert zu sich. "Was fange ich nur an, um sie nach +Haus zu bringen? Lieb Mütterchen, so sei doch nur vernünftig; sieh +mich doch nur recht an; ich bin ja dein Sohn, dein Jakob." + +"Nein, jetzt wird mir der Spaß zu unverschämt", rief Hanne ihrer +Nachbarin zu, "seht nur den häßlichen Zwerg da; da steht er und +vertreibt mir gewiß alle Käufer, und mit meinem Unglück wagt er zu +spotten. Spricht zu mir: Ich bin ja dein Sohn, dein Jakob! Der +Unverschämte!" + +Da erhoben sich die Nachbarinnen und fingen an zu schimpfen, so arg +sie konnten--und Marktweiber, wisset ihr wohl, verstehen es--, und +schalten ihn, daß er des Unglücks der armen Hanne spotte, der vor +sieben Jahren ihr bildschöner 'Knabe gestohlen worden sei, und +drohten, insgesamt über ihn herzufallen und ihn zu zerkratzen, wenn +er nicht alsobald ginge. + +Der arme Jakob wußte nicht, was er von diesem allem denken sollte. +War er doch, wie er glaubte, heute früh wie gewöhnlich mit der Mutter +auf den Markt gegangen, hatte ihr die Früchte aufstellen helfen, war +nachher mit dem alten Weib in ihr Haus gekommen, hatte ein Süppchen +verzehrt, ein kleines Schläfchen gemacht und war jetzt wieder da, und +doch sprachen die Mutter und die Nachbarinnen von sieben Jahren! Und +sie nannten ihn einen garstigen Zwerg! Was war denn nun mit ihm +vorgegangen?--Als er sah, daß die Mutter gar nichts mehr von ihm +hören wollte, traten ihm die Tränen in die Augen, und er ging +trauernd die Straße hinab nach der Bude, wo sein Vater den Tag über +Schuhe flickte. "Ich will doch sehen", dachte er bei sich, "ob er +mich auch nicht kennen will, unter die Türe will ich mich stellen und +mit ihm sprechen." Als er an der Bude des Schusters angekommen war, +stellte er sich unter die Türe und schaute hinein. Der Meister war +so emsig mit seiner Arbeit beschäftigt, daß er ihn gar nicht sah; als +er aber zufällig einen Blick nach der Türe warf, ließ er Schuhe, +Draht und Pfriem auf die Erde fallen und rief mit Entsetzen: "Um +Gottes willen, was ist das, was ist das!" + +"Guten Abend, Meister!" sprach der Kleine, indem er vollends in den +Laden trat. "Wie geht es Euch?" + +"Schlecht, schlecht, kleiner Herr!" antwortete der Vater zu Jakobs +großer Verwunderung; denn er schien ihn auch nicht zu kennen. "Das +Geschäft will mir nicht von der Hand. Bin so allein und werde jetzt +alt; doch ist mir ein Geselle zu teuer." + +"Aber habt Ihr denn kein Söhnlein, das Euch nach und nach an die Hand +gehen könnte bei der Arbeit?" forschte der Kleine weiter. + +"Ich hatte einen, er hieß Jakob und müßte jetzt ein schlanker, +gewandter Bursche von zwanzig Jahren sein, der mir tüchtig unter die +Arme greifen könnte. Ha, das müßte ein Leben sein! Schon als er +zwölf Jahre alt war, zeigte er sich so anstellig und geschickt und +verstand schon manches vom Handwerk, und hübsch und angenehm war er +auch; der hätte mir eine Kundschaft hergelockt, daß ich bald nicht +mehr geflickt, sondern nichts als Neues geliefert hätte! Aber so +geht's in der Welt!" + +"Wo ist denn aber Euer Sohn?" fragte Jakob mit zitternder Stimme +seinen Vater. + +"Das weiß Gott", antwortete er, "vor sieben Jahren, ja, so lange +ist's jetzt her, wurde er uns vom Markte weg gestohlen." 'Vor sieben +Jahren!" rief Jakob mit Entsetzen. + +"Ja, kleiner Herr, vor sieben Jahren; ich weiß noch wie heute, wie +mein Weib nach Hause kam, heulend und schreiend, das Kind sei den +ganzen Tag nicht zurückgekommen, sie aber überall geforscht und +gesucht und es nicht gefunden. Ich habe es immer gedacht und gesagt, +daß es so kommen würde; er Jakob war ein schönes Kind, das muß man +sagen; da war meine Frau stolz auf ihn und sah es gerne, wenn ihn die +Leute lobten, und schickte ihn oft mit Gemüse und dergleichen in +vornehme Häuser. Das war schon recht; er wurde allemal reichlich +beschenkt; aber, sagte ich, gib acht! Die Stadt ist groß; viele +schlechte Leute wohnen da, gib mir auf den Jakob acht! Und so war es, +wie ich sagte. Kommt einmal ein altes, häßliches Weib auf den Markt, +feilscht um Früchte und Gemüse und kauft am Ende so viel, daß sie es +nicht selbst tragen kann. Mein Weib, die mitleidige Seele, gibt ihr +den Jungen mit und--hat ihn zur Stunde nicht mehr gesehen." + +"Und das ist jetzt sieben Jahre, sagt Ihr?" + +"Sieben Jahre wird es im Frühling. Wir ließen ihn ausrufen, wir +gingen von Haus zu Haus und fragten; manche hatten den hübschen +Jungen gekannt und liebgewonnen und suchten jetzt mit uns, alles +vergeblich. Auch die Frau, welche das Gemüse gekauft hatte, wollte +niemand kennen; aber ein steinaltes Weib, die schon neunzig Jahre +gelebt hatte, sagte, es könne wohl die böse Fee Kräuterweis gewesen +sein, die alle fünfzig Jahre einmal in die Stadt komme, um sich +allerlei einzukaufen." + +So sprach Jakobs Vater und klopfte dabei seine Schuhe weidlich und +zog den Draht mit beiden Fäusten weit hinaus. Dem Kleinen aber wurde +es nach und nach klar, was mit ihm vorgegangen, daß er nämlich nicht +geträumt, sondern daß er sieben Jahre bei der bösen Fee als +Eichhörnchen gedient habe. Zorn und Gram erfüllten sein Herz so sehr, +daß es beinahe zerspringen wollte. Sieben Jahre seiner Jugend hatte +ihm die Alte gestohlen, und was hatte er für Ersatz dafür? Daß er +Pantoffeln von Kokosnüssen blank putzen, daß er ein Zimmer mit +gläsernem Fußboden reinmachen konnte? Daß er von den Meerschweinchen +alle Geheimnisse der Küche gelernt hatte? Er stand eine gute Weile +so da und dachte über sein Schicksal nach; da fragte ihn endlich sein +Vater: "Ist Euch vielleicht etwas von meiner Arbeit gefällig, junger +Herr? Etwa ein Paar neue Pantoffeln oder", setzte er lächelnd hinzu, +"vielleicht ein Futteral für Eure Nase?" + +"Was wollt Ihr nur mit meiner Nase?" fragte Jakob, "warum sollte ich +denn ein Futteral dazu brauchen?" + +"Nun", entgegnete der Schuster, "jeder nach seinem Geschmack; aber +das muß ich Euch sagen, hätte ich diese schreckliche Nase, ein +Futteral ließ ich mir darüber machen von rosenfarbigem Glanzleder. +Schaut, da habe ich ein schönes Stückchen zur Hand; freilich würde +man eine Elle wenigstens dazu brauchen. Aber wie gut wäret Ihr +verwahrt, kleiner Herr; so, weiß ich gewiß, stoßt Ihr Euch an jedem +Türpfosten, an jedem Wagen, dem Ihr ausweichen wollet." + +Der Kleine stand stumm vor Schrecken; er belastete seine Nase, sie +war dick und wohl zwei Hände lang! So hatte also die Alte auch seine +Gestalt verwandelt! Darum kannte ihn also die Mutter nicht? Darum +schalt man ihn einen häßlichen Zwerg?! "Meister!" sprach er halb +weinend zu dem Schuster, "habt Ihr keinen Spiegel bei der Hand, worin +ich mich beschauen könnte?" + +"Junger Herr", erwiderte der Vater mit Ernst, "Ihr habt nicht gerade +eine Gestalt empfangen, die Euch eitel machen könnte, und Ihr habt +nicht Ursache, alle Stunden in den Spiegel zu gucken. Gewöhnt es +Euch ab, es ist besonders bei Euch eine lächerliche Gewohnheit." + +"Ach, so laßt mich doch in den Spiegel schauen", rief der Kleine, +"gewiß, es ist nicht aus Eitelkeit!" + +"Lasset mich in Ruhe, ich hab' keinen im Vermögen; meine Frau hat ein +Spiegelchen, ich weiß aber nicht, wo sie es verborgen. Müßt Ihr aber +durchaus in den Spiegel gucken, nun, über der Straße hin wohnt Urban, +der Barbier, der hat einen Spiegel, zweimal so groß als Euer Kopf; +gucket dort hinein, und indessen guten Morgen!" + +Mit diesen Worten schob ihn der Vater ganz gelinde zur Bude hinaus, +schloß die Tür hinter ihm zu und setzte sich wieder zur Arbeit. Der +Kleine aber ging sehr niedergeschlagen über die Straße zu Urban, dem +Barbier, den er noch aus früheren Zeiten wohl kannte. "Guten Morgen, +Urban", sprach er zu ihm, "ich komme, Euch um eine Gefälligkeit zu +bitten; seid so gut und lasset mich ein wenig in Euren Spiegel +schauen!" + +"Mit Vergnügen, dort steht er", rief der Barbier lachend, und seine +Kunden, denen er den Bart scheren sollte, lachten weidlich mit. "Ihr +seid ein hübsches Bürschchen, schlank und fein, ein Hälschen wie ein +Schwan, Händchen wie eine Königin, und ein Stumpfnäschen, man kann es +nicht schöner sehen. Ein wenig eitel seid Ihr darauf, das ist wahr; +aber beschauet Euch immer! Man soll nicht von mir sagen, ich habe +Euch aus Neid nicht in meinen Spiegel schauen lassen." + +So sprach der Barbier, und wieherndes Gelächter fällte die Baderstube. +Der Kleine aber war indes vor den Spiegel getreten und hatte sich +beschaut. Tränen traten ihm in die Augen. "Ja, so konntest du +freilich deinen Jakob nicht wiedererkennen, liebe Mutter", sprach er +zu sich, "so war er nicht anzuschauen in den Tagen der Freude, wo du +gerne mit ihm prangtest vor den Leuten!" Seine Augen waren klein +geworden wie die der Schweine, seine Nase war ungeheuer und hing über +Mund und Kinn herunter, der Hals schien gänzlich weggenommen worden +zu sein; denn sein Kopf stak tief in den Schultern, und nur mit den +größten Schmerzen konnte er ihn rechts und links bewegen. Sein +Körper war noch so groß als vor sieben Jahren, da er zwölf Jahre alt +war; aber wenn andere vom zwölften bis ins zwanzigste in die Höhe +wachsen, so wuchs er in die Breite, der Rücken und die Brust waren +weit ausgebogen und waren anzusehen wie ein kleiner, aber sehr dick +gefällter Sack; dieser dicke Oberleib saß auf kleinen, schwachen +Beinchen, die dieser Last nicht gewachsen schienen, aber um so größer +waren die Arme, die ihm am Leib herabhingen, sie hatten die Größe wie +die eines wohlgewachsenen Mannes, seine Hände waren grob und +braungelb, seine Finger lang und spinnenartig, und wenn er sie recht +ausstreckte, konnte er damit auf den Boden reichen, ohne daß er sich +bückte. So sah er aus, der kleine Jakob, zum mißgestalteten Zwerg +war er geworden. + +Jetzt gedachte er auch jenes Morgens, an welchem das alte Weib an die +Körbe seiner Mutter getreten war. Alles, was er damals an ihr +getadelt hatte, die lange Nase, die häßlichen Finger, alles hatte sie +ihm angetan, und nur den langen, zitternden Hals hatte sie gänzlich +weggelassen. + +"Nun, habt Ihr Euch jetzt genug beschaut, mein Prinz?" sagte der +Barbier, indem er zu ihm trat und ihn lachend betrachtete. "Wahrlich, +wenn man sich dergleichen träumen lassen wollte, so komisch könnte +es einem im Traume nicht vorkommen. Doch ich will Euch einen +Vorschlag machen, kleiner Mann. Mein Barbierzimmer ist zwar sehr +besucht, aber doch seit neuerer Zeit nicht so, wie ich wünsche. Das +kommt daher, weil mein Nachbar, der Barbier Schaum, irgendwo einen +Riesen aufgefunden hat, der ihm die Kunden ins Haus lockt. Nun, ein +Riese zu werden, ist gerade keine Kunst, aber so ein Männchen wie Ihr, +ja, das ist schon ein ander Ding. Tretet bei mir in Dienste, +kleiner Mann, Ihr sollt Wohnung, Essen, Trinken, Kleider, alles sollt +Ihr haben; dafür stellt Ihr Euch morgens unter meine Türe und ladet +die Leute ein, hereinzukommen. Ihr schlaget den Seifenschaum, +reichet den Kunden das Handtuch und seid versichert, wir stehen uns +beide gut dabei; ich bekomme mehr Kunden als jener mit dem Riesen, +und jeder gibt Euch gerne noch ein Trinkgeld." + +Der Kleine war in seinem Innern empört über den Vorschlag, als +Lockvogel für einen Barbier zu dienen. Aber mußte er sich nicht +diesen Schimpf geduldig gefallen lassen? Er sagte dem Barbier daher +ganz ruhig, daß er nicht Zeit habe zu dergleichen Diensten, und ging +weiter. + +Hatte das böse alte Weib seine Gestalt unterdrückt, so hatte sie doch +seinem Geist nichts anhaben können, das fühlte er wohl; denn er +dachte und fühlte nicht mehr, wie er vor sieben Jahren getan; nein, +er glaubte in diesem Zeitraum weiser, verständiger geworden zu sein; +er trauerte nicht um seine verlorene Schönheit, nicht über diese +häßliche Gestalt, sondern nur darüber, daß er wie ein Hund von der +Türe seines Vaters gejagt werde. Darum beschloß er, noch einen +Versuch bei seiner Mutter zu machen. + +Er trat zu ihr auf den Markt und bat sie, ihm ruhig zuzuhören. Er +erinnerte sie an jenen Tag, an welchem er mit dem alten Weibe +gegangen, er erinnerte sie an alle einzelnen Vorfälle seiner Kindheit, +erzählte ihr dann, wie er sieben Jahre als Eichhörnchen gedient habe +bei der Fee und wie sie ihn verwandelte, weil er sie damals getadelt. +Die Frau des Schusters wußte nicht, was sie denken sollte. Alles +traf zu, was er ihr von seiner Kindheit erzählte, aber wenn er davon +sprach, daß er sieben Jahre lang ein Eichhörnchen gewesen sei, da +sprach sie: "Es ist unmöglich, und es gibt keine Feen", und wenn sie +ihn ansah, so verabscheute sie den häßlichen Zwerg und glaubte nicht, +daß dies ihr Sohn sein könne. Endlich hielt sie es fürs beste, mit +ihrem Manne darüber zu sprechen. Sie raffte also ihre Körbe zusammen +und hieß ihn mitgehen. So kamen sie zu der Bude des Schusters. + +"Sieh einmal", sprach sie zu diesem, "der Mensch da will unser +verlorner Jakob sein. Er hat mir alles erzählt, wie er uns vor +sieben Jahren gestohlen wurde und wie er von einer Fee verzaubert +worden sei." + +"So?" unterbrach sie der Schuster mit Zorn, "hat er dir dies erzählt? +Warte, du Range! Ich habe ihm alles erzählt noch vor einer Stunde, +und jetzt geht er hin, dich so zu foppen! Verzaubert bist du worden, +mein Söhnchen? Warte doch, ich will dich wieder entzaubern." Dabei +nahm er ein Bündel Riemen, die er eben zugeschnitten hatte, sprang +auf den Kleinen zu und schlug ihn auf den hohen Rücken und auf die +langen Arme, daß der Kleine vor Schmerz aufschrie und weinend +davonlief. + +In jener Stadt gibt es, wie überall, wenige mitleidige Seelen, die +einen Unglücklichen, der zugleich etwas Lächerliches an sich trägt, +unterstützen. Daher kam es, daß der unglückliche Zwerg den ganzen +Tag ohne Speise und Trank blieb und abends die Treppen einer Kirche, +so hart und kalt sie waren, zum Nachtlager wählen mußte. + +Als ihn aber am nächsten Morgen die ersten Strahlen der Sonne +erweckten, da dachte er ernstlich darüber nach, wie er sein Leben +fristen könne, da ihn Vater und Mutter verstoßen. Er fühlte sich zu +stolz, um als Aushängeschild eines Barbiers zu dienen, er wollte +nicht zu einem Possenreißer sich verdingen und sich um Geld sehen +lassen. Was sollte er anfangen? Da fiel ihm mit einemmal bei, daß +er als Eichhörnchen große Fortschritte in der Kochkunst gemacht habe; +er glaubte nicht mit Unrecht, hoffen zu dürfen, daß er es mit manchem +Koch aufnehmen könne; er beschloß, seine Kunst zu benützen. + +Sobald es daher lebhafter wurde auf den Straßen und der Morgen ganz +heraufgekommen war, trat er zuerst in die Kirche und verrichtete sein +Gebet. Dann trat er seinen Weg an. Der Herzog, der Herr des Landes, +o Herr, war ein bekannter Schlemmer und Lecker, der eine gute Tafel +liebte und seine Köche in allen Weltteilen aufsuchte. Zu seinem +Palast begab sich der Kleine. Als er an die äußerste Pforte kam, +fragten die Türhüter nach seinem Begehr und hatten ihren Spott mit +ihm; er aber verlangte nach dem Oberküchenmeister. Sie lachten und +führten ihn durch die Vorhöfe, und wo er hinkam, blieben die Diener +stehen, schauten nach ihm, lachten weidlich und schlossen sich an, so +daß nach und nach ein ungeheurer Zug von Dienern aller Art sich die +Treppe des Palastes hinaufbewegte; die Stallknechte warfen ihre +Striegel weg, die Läufer liefen, was sie konnten, die Teppichbreiter +vergaßen, die Teppiche auszuklopfen, alles drängte und trieb sich, es +war ein Gefühl, als sei der Feind vor den Toren, und das Geschrei: +"Ein Zwerg, ein Zwerg! Habt ihr den Zwerg gesehen?" fällte die Lüfte. + +Da erschien der Aufseher des Hauses mit grimmigem Gesicht, eine +ungeheure Peitsche in der Hand, in der Türe. "Um des Himmels willen, +ihr Hunde, was macht ihr solchen Lärm! Wisset ihr nicht, daß der +Herr noch schläft?" Und dabei schwang er die Geißel und ließ sie +unsanft auf den Rücken einiger Stallknechte und Türhalter +niederfallen. + +"Ach, Herr!" riefen sie, "seht Ihr denn nicht? Da bringen wir einen +Zwerg, einen Zwerg, wie Ihr noch keinen gesehen." + +Der Aufseher des Palastes zwang sich mit Mühe, nicht laut aufzulachen, +als er des Kleinen ansichtig wurde; denn er fürchtete, durch Lachen +seiner Würde zu schaden. Er trieb daher mit der Peitsche die übrigen +hinweg, führte den Kleinen ins Haus und fragte nach seinem Begehr. +Als er hörte, jener wolle zum Küchenmeister, erwiderte er--"Du irrst +dich, mein Söhnchen; zu mir, dem Aufseher des Hauses, willst du; du +willst Leibzwerg werden beim Herzog; ist es nicht also?" + +"Nein, Herr!" antwortete der Zwerg. "Ich bin ein geschickter Koch +und erfahren in allerlei seltenen Speisen; wollet mich zum +Oberküchenmeister bringen; vielleicht kann er meine Kunst brauchen." + +"Jeder nach seinem Willen, kleiner Mann; übrigens bist du doch ein +unbesonnener Junge. In die Küche! Als Leibzwerg hättest du keine +Arbeit gehabt und Essen und Trinken nach Herzenslust und schöne +Kleider. Doch, wir wollen sehen, deine Kochkunst wird schwerlich so +weit reichen, als ein Mundkoch des Herren nötig hat, und zum +Küchenjungen bist du zu gut." Bei diesen Worten nahm ihn der Aufseher +des Palastes bei der Hand und führte ihn in die Gemächer des +Oberküchenmeisters. + +"Gnädiger Herr", sprach dort der Zwerg und verbeugte sich so tief, +daß er mit der Nase den Fußteppich berührte, "brauchet Ihr keinen +geschickten Koch?" + +Der Oberküchenmeister betrachtete ihn vom Kopf bis zu den Füßen, +brach dann in lautes Lachen aus und sprach: "Wie?" rief er, "du ein +Koch? Meinst du, unsere Herde seien so niedrig, daß du nur auf einen +hinaufschauen kannst, wenn du dich auch auf die Zehen stellst und den +Kopf recht aus den Schultern herausarbeitest? O lieber Kleiner! Wer +dich zu mir geschickt hat, um dich als Koch zu verdingen, der hat +dich zum Narren gehabt." So sprach der Oberküchenmeister und lachte +weidlich, und mit ihm lachten der Aufseher des Palastes und alle +Diener, die im Zimmer waren. + +Der Zwerg aber ließ sich nicht aus der Fassung bringen. "Was liegt +an einem Ei oder zweien, an ein wenig Sirup und Wein, an Mehl und +Gewürze in einem Hause, wo man dessen genug hat?" sprach er. "Gebet +mir irgendeine leckerhafte Speise zu bereiten auf, schaffet mir, was +ich dazu brauche, und sie soll vor Euren Augen schnell bereitet sein, +und Ihr sollet sagen müssen, er ist ein Koch nach Regel und Recht." +Solche und ähnliche Reden führte der Kleine, und es war wunderlich +anzuschauen, wie es dabei aus seinen kleinen Äuglein hervorblitzte, +wie seine lange Nase sich hin und her schlängelte und seine dünnen +Spinnenfinger seine Rede begleiteten. + +"Wohlan!" rief der Küchenmeister und nahm den Aufseher des Palastes +unter dem Arme, "wohlan, es sei um des Spaßes willen; lasset uns zur +Küche gehen!" Sie gingen durch mehrere Säle und Gänge und kamen +endlich in die Küche. Es war dies ein großes, weitläufiges Gebäude, +herrlich eingerichtet; auf zwanzig Herden brannten beständig Feuer; +ein klares Wasser, das zugleich zum Fischbehälter diente, floß mitten +durch sie, in Schränken von Marmor und köstlichem Holz waren die +Vorräte aufgestellt, die man immer zur Hand haben mußte, und zur +Rechten und Linken waren zehn Säle, in welchen alles aufgespeichert +war, was man in allen Ländern von Frankistan und selbst im +Morgenlande Köstliches und Leckeres für den Gaumen erfunden. +Küchenbedienstete aller Art liefen umher und rasselten und hantierten +mit Kesseln und Pfannen, mit Gabeln und Schaumlöffeln; als aber der +Oberküchenmeister in die Küche eintrat, blieben sie alle regungslos +stehen, und nur das Feuer hörte man noch knistern und das Bächlein +rieseln. "Was hat der Herr heute zum Frühstück befohlen?" fragte der +Meister den ersten Frühstücksmacher, einen alten Koch. "Herr, die +dänische Suppe hat er geruht zu befehlen und rote Hamburger Klößchen." + +"Gut", sprach der Küchenmeister weiter, "hast du gehört, was der Herr +speisen will? Getraust du dich, diese schwierigen Speisen zu +bereiten? Die Klößchen bringst du auf keinen Fall heraus, das ist +ein Geheimnis." + +"Nichts leichter als dies", erwiderte zu allgemeinem Erstaunen der +Zwerg; denn er hatte diese Speisen als Eichhörnchen oft gemacht; +"nichts leichter! Man gebe mir zu der Suppe die und die Kräuter, +dies und jenes Gewürz, Fett von einem wilden Schwein, Wurzeln und +Eier; zu den Klößchen aber", sprach er leiser, daß es nur der +Küchenmeister und der Frühstücksmacher hören konnten, "zu den +Klößchen brauche ich viererlei Fleisch, etwas Wein, Entenschmalz, +Ingwer und ein gewisses Kraut, das man Magentrost heißt." + +"Hai Bei St. Benedikt! Bei welchem Zauberer hast du gelernt?" rief +der Koch mit Staunen. "Alles bis auf ein Haar hat er gesagt, und das +Kräutlein Magentrost haben wir selbst nicht gewußt; ja, das muß es +noch angenehmer machen. O du Wunder von einem Koch!" + +"Das hätte ich nicht gedacht", sagte der Oberküchenmeister, "doch +lassen wir ihn die Probe machen; gebt ihm die Sachen, die er verlangt, +Geschirr und alles, und lasset ihn das Frühstück bereiten." + +Man tat, wie er befohlen, und rüstete alles auf dem Herde zu; aber da +fand es sich, daß der Zwerg kaum mit der Nase bis an den Herd reichen +konnte. Man setzte daher ein paar Stühle zusammen, legte eine +Marmorplatte darüber und lud den kleinen Wundermann ein, sein +Kunststück zu beginnen. In einem großen Kreise standen die Köche, +Küchenjungen, Diener und allerlei Volk umher und sahen zu und +staunten, wie ihm alles so flink und fertig von der Hand ging, wie er +alles so reinlich und niedlich bereitete. Als er mit der Zubereitung +fertig war, befahl er, beide Schüsseln ans Feuer zu setzen und genau +so lange kochen zu lassen, bis er rufen werde; dann fing er an zu +zählen, eins, zwei drei und so fort, und gerade als er fünfhundert +gezählt hatte, rief er: "Halt!" Die Töpfe wurden weggesetzt, und der +Kleine lud den Küchenmeister ein, zu kosten. + +Der Mundkoch ließ sich von einem Küchenjungen einen goldenen Löffel +reichen, spülte ihn im Bach und überreichte ihn dem Oberküchenmeister. +Dieser trat mit feierlicher Miene an den Herd, nahm von den Speisen, +kostete, drückte die Augen zu, schnalzte vor Vergnügen mit der Zunge +und sprach dann: "Köstlich, bei des Herzogs Leben, köstlich! Wollet +Ihr nicht auch ein Löffelchen zu Euch nehmen, Aufseher des Palastes?" + +Dieser verbeugte sich, nahm den Löffel, versuchte und war vor +Vergnügen und Lust außer sich. "Eure Kunst in Ehren, lieber +Frühstücksmacher, Ihr seid ein erfahrener Koch; aber so herrlich habt +Ihr weder die Suppe noch die Hamburger Klöße machen können!" + +Auch der Koch kostete jetzt, schüttelte dann dem Zwerg ehrfurchtsvoll +die Hand und sagte: "Kleiner! Du bist Meister in der Kunst, ja, das +Kräutlein Magentrost, das gibt allem einen ganz eigenen Reiz." + +In diesem Augenblick kam der Kammerdiener des Herzogs in die Küche +und berichtete, daß der Herr das Frühstück verlange. Die Speisen +wurden nun auf silberne Platten gelegt und dem Herzog zugeschickt; +der Oberküchenmeister aber nahm den Kleinen in sein Zimmer und +unterhielt sich mit ihm. Kaum waren sie aber halb so lange da, als +man ein Paternoster spricht (es ist dies das Gebet der Franken, o +Herr, und dauert nicht halb so lange als das Gebet der Gläubigen), so +kam schon ein Bote und rief den Oberküchenmeister zum Herrn. Er +kleidete sich schnell in sein Festkleid und folgte dem Boten. + +Der Herzog sah sehr vergnügt aus. Er hatte alles aufgezehrt, was auf +den silbernen Platten gewesen war, und wischte sich eben den Bart ab, +als der Oberküchenmeister zu ihm eintrat. "Höre, Küchenmeister", +sprach er, "ich bin mit deinen Köchen bisher immer sehr zufrieden +gewesen; aber sage mir, wer hat heute mein Frühstück bereitet? So +köstlich war es nie, seit ich auf dem Thron meiner Väter sitze; sage +an, wie er heißt, der Koch, daß wir ihm einige Dukaten zum Geschenk +schicken." + +"Herr, das ist eine wunderbare Geschichte", antwortete der +Oberküchenmeister und erzählte, wie man ihm heute früh einen Zwerg +gebracht, der durchaus Koch werden wollte und wie sich dies alles +begeben. Der Herzog verwunderte sich höchlich, ließ den Zwerg vor +sich rufen und fragte ihn aus, wer er sei und woher er komme. Da +konnte nun der arme Jakob freilich nicht sagen, daß er verzaubert +worden sei und früher als Eichhörnchen gedient habe; doch blieb er +bei der Wahrheit, indem er erzählte, er sei jetzt ohne Vater und +Mutter und habe bei einer alten Frau kochen gelernt. Der Herzog +fragte nicht weiter, sondern ergötzte sich an der sonderbaren Gestalt +seines neuen Kochs. + +"Willst du bei mir bleiben", sprach er, "so will ich dir jährlich +fünfzig Dukaten, ein Festkleid und noch überdies zwei Paar +Beinkleider reichen lassen. Dafür mußt du aber täglich mein +Frühstück selbst bereiten, mußt angeben, wie das Mittagessen gemacht +werden soll, und Oberhaupt dich meiner Küche annehmen. Da jeder in +meinem Palast seinen eigenen Namen von mir empfängt, so sollst du +Nase heißen und die Würde eines Unterküchenmeisters bekleiden." + +Der Zwerg Nase fiel nieder vor dem mächtigen Herzog in Frankenland, +küßte ihm die Füße und versprach, ihm treu zu dienen. + +So war nun der Kleine fürs erste versorgt, und er machte seinem Amt +Ehre. Denn man kann sagen, daß der Herzog ein ganz anderer Mann war, +während der Zwerg Nase sich in seinem Hause aufhielt. Sonst hatte es +ihm oft beliebt, die Schüsseln oder Platten, die man ihm auftrug, den +Köchen an den Kopf zu werfen; ja, dem Oberküchenmeister selbst warf +er im Zorn einmal einen gebackenen Kalbsfaß, der nicht weich genug +geworden war, so heftig an die Stirne, daß er umfiel und drei Tage zu +Bett liegen mußte. Der Herzog machte zwar, was er im Zorn getan, +durch einige Hände voll Dukaten wieder gut, aber dennoch war nie ein +Koch ohne Zittern und Zagen mit den Speisen zu ihm gekommen. Seit +der Zwerg im Hause war, schien alles wie durch Zauber umgewandelt. +Der Herr aß jetzt statt dreimal des Tages fünfmal, um sich an der +Kunst seines kleinsten Dieners recht zu laben, und dennoch verzog er +nie eine Miene zum Unmut. Nein, er fand alles neu, trefflich, war +leutselig und angenehm und wurde von Tag zu Tag fetter. + +Oft ließ er mitten unter der Tafel den Küchenmeister und den Zwerg +Nase rufen, setzte den einen rechts, den anderen links zu sich und +schob ihnen mit seinen eigenen Fingern einige Bissen der köstlichsten +Speisen in den Mund, eine Gnade, welche sie beide wohl zu schätzen +wußten. + +Der Zwerg war das Wunder der Stadt. Man erbat sich flehentlich +Erlaubnis vom Oberküchenmeister, den Zwerg kochen zu sehen, und +einige der vornehmsten Männer hatten es so weit gebracht beim Herzog, +daß ihre Diener in der Küche beim Zwerg Unterrichtsstunden genießen +durften, was nicht wenig Geld eintrug; denn jeder zahlte täglich +einen halben Dukaten. Und um die übrigen Köche bei guter Laune zu +erhalten und sie nicht neidisch auf ihn zu machen, überließ ihnen +Nase dieses Geld, das die Herren für den Unterricht ihrer Köche +zahlen mußten. + +So lebte Nase beinahe zwei Jahre in äußerlichem Wohlleben und Ehre, +und nur der Gedanke an seine Eltern betrübte ihn; so lebte er, ohne +etwas Merkwürdiges zu erfahren, bis sich folgender Vorfall ereignete. +Der Zwerg Nase war besonders geschickt und glücklich in seinen +Einkäufen. Daher ging er, so oft es ihm die Zeit erlaubte, immer +selbst auf den Markt, um Geflügel und Früchte einzukaufen. Eines +Morgens ging er auch auf den Gänsemarkt und forschte nach schweren, +fetten Gänsen, wie sie der Herr liebte. Er war musternd schon +einigemal auf und ab gegangen. Seine Gestalt, weit entfernt, hier +Lachen und Spott zu erregen, gebot Ehrfurcht; denn man erkannte ihn +als den berühmten Mundkoch des Herzogs, und jede Gänsefrau fühlte +sich glücklich, wenn er ihr die Nase zuwandte. + +Da sah er ganz am Ende einer Reihe in einer Ecke eine Frau sitzen, +die auch Gänse feil hatte, aber nicht wie die übrigen ihre Ware +anpries; zu dieser trat er und maß und wog ihre Gänse. Sie waren, +wie er sie wünschte, und er kaufte drei samt dem Käfig, lud sie auf +seine breiten Schultern und trat den Rückweg an. Da kam es ihm +sonderbar vor, daß nur zwei von diesen Gänsen schnatterten und +schrien, wie rechte Gänse zu tun pflegen, die dritte aber ganz still +und in sich gekehrt dasaß und Seufzer ausstieß und ächzte wie ein +Mensch--"Die ist halbkrank", sprach er vor sich hin, "ich muß eilen, +daß ich sie umbringe und zurichte." Aber die Gans antwortete ganz +deutlich und laut: + +"Stichst du mich, So beiß' ich dich. Drückst du mir die Kehle ab, +Bring' ich dich ins frühe Grab." + +Ganz erschrocken setzte der Zwerg Nase seinen Käfig nieder, und die +Gans sah ihn mit schönen, klugen Augen an und seufzte. + +"Ei der Tausend!" rief Nase. "Sie kann sprechen, Jungfer Gans? Das +hätte ich nicht gedacht. Na, sei Sie nur nicht ängstlich! Man weiß +zu leben und wird einem so seltenen Vogel nicht zu Leibe gehen. Aber +ich wollte wetten, Sie ist nicht von jeher in diesen Federn gewesen. +War ich ja selbst einmal ein schnödes Eichhörnchen." + +"Du hast recht", erwiderte die Gans, "wenn du sagst, ich sei nicht in +dieser schmachvollen Hülle geboren worden. Ach, an meiner Wiege +wurde es mir nicht gesungen, daß Mimi, des großen Wetterbocks Tochter, +in der Küche eines Herzogs getötet werden soll!" + +"Sei Sie doch ruhig, liebe Jungfer Mimi", tröstete der Zwerg. "So +wahr ich ein ehrlicher Kerl und Unterküchenmeister Seiner Durchlaucht +bin, es soll Ihr keiner an die Kehle. Ich will Ihr in meinen eigenen +Gemächern einen Stall anweisen, Futter soll Sie genug haben, und +meine freie Zeit werde ich Ihrer Unterhaltung widmen; den übrigen +Küchenmenschen werde ich sagen, daß ich eine Gans mit allerlei +besonderen Kräutern für den Herzog mäste, und sobald sich Gelegenheit +findet, setze ich Sie in Freiheit." + +Die Gans dankte ihm mit Tränen; der Zwerg aber tat, wie er +versprochen, schlachtete die zwei anderen Gänse, für Mimi aber baute +er einen eigenen Stall unter dem Vorwande, sie für den Herzog ganz +besonders zuzurichten. Er gab ihr auch kein gewöhnliches Gänsefutter, +sondern versah sie mit Backwerk und süßen Speisen. + +So oft er freie Zeit hatte, ging er hin, sich mit ihr zu unterhalten +und sie zu trösten. Sie erzählten sich auch gegenseitig ihre +Geschichten, und Nase erfuhr auf diesem Wege, daß die Gans eine +Tochter des Zauberers Wetterbock sei, der auf der Insel Gotland lebe. +Er sei in Streit geraten mit einer alten Fee, die ihn durch Ränke +und List überwunden und sie zur Rache in eine Gans verwandelt und +weit hinweg bis hierher gebracht habe. Als der Zwerg Nase ihr seine +Geschichte ebenfalls erzählt hatte, sprach sie: "Ich bin nicht +unerfahren in "lesen Sachen. Mein Vater hat mir und meinen +Schwestern einige Anleitung gegeben, so viel er nämlich davon +mitteilen durfte. Die Geschichte mit dem Streit am Kräuterkorb, +deine plötzliche Verwandlung, als du an jenem Kräutlein rochst, auch +einige Worte der Alten, die du mir sagtest, beweisen mir, daß du auf +Kräuter verzaubert bist, das heißt, wenn du das Kraut auffindest, das +sich die Fee bei deiner Verzauberung gedacht hat, so kannst du erlöst +werden." Es war dies ein geringer Trost für den Kleinen; denn wo +sollte er das Kraut auffinden? Doch dankte er ihr und schöpfte +einige Hoffnung. + +Um diese Zeit bekam der Herzog einen Besuch von einem benachbarten +Fürsten, seinem Freunde. Er ließ daher seinen Zwerg Nase vor sich +kommen und sprach zu ihm: "Jetzt ist die Zeit gekommen, wo du mir +zeigen mußt, ob du mir treu dienst und Meister deiner Kunst bist. +Dieser Fürst, der bei mir zu Besuch ist, speist bekanntlich außer mir +am besten und ist ein großer Kenner einer feinen Küche und ein weiser +Mann. Sorge nun dafür, daß meine Tafel täglich also besorgt werde, +daß er immer mehr in Erstaunen gerät. Dabei darfst du, bei meiner +Ungnade, so lange er da ist, keine Speise zweimal bringen. Dafür +kannst du dir von meinem Schatzmeister alles reichen lassen, was du +nur brauchst. Und wenn du Gold und Diamanten in Schmalz baden mußt +so tu es! Ich will lieber ein armer Mann werden, als erröten vor ihm." + +So sprach der Herzog! Der Zwerg aber sagte, indem er sich anständig +verbeugte: "Es sei, wie du sagst, o Herr! So es Gott der gefällt, +werde ich alles so machen, daß es diesem Fürsten der Gutschmecker +wohlgefällt." + +Der kleine Koch suchte nun seine ganze Kunst hervor. Er schonte die +Schätze seines Herrn nicht, noch weniger aber sich selbst. Denn man +sah ihn den ganzen Tag in eine Wolke von Rauch und Feuer eingehüllt, +und seine Stimme hallte beständig durch das Gewölbe der Küche; denn +er befahl als Herrscher den Küchenjungen und niederen Köchen. Herr! +Ich könnte es machen wie die Kameltreiber von Aleppo, wenn sie in +ihren Geschichten, die sie den Reisenden erzählen, die Menschen +herrlich speisen lassen. Sie führen eine ganze Stunde lang alle die +Gerichte an, die aufgetragen worden sind, und erwecken dadurch große +Sehnsucht und noch größeren Hunger in ihren Zuhörern, so daß diese +unwillkürlich die Vorräte öffnen und eine Mahlzeit halten und den +Kameltreibern reichlich mitteilen; doch ich nicht also. + +Der fremde Fürst war schon vierzehn Tage beim Herzog und lebte +herrlich und in Freuden. Sie speisten des Tages nicht weniger als +fünfmal, und der Herzog war zufrieden mit der Kunst des Zwerges; denn +er sah Zufriedenheit auf der Stirne seines Gastes. Am fünfzehnten +Tage aber begab es sich, daß der Herzog den Zwerg zur Tafel rufen +ließ, ihn seinem Gast, dem Fürsten, vorstellte und diesen fragte, wie +er mit dem Zwerg zufrieden sei. + +"Du bist ein wunderbarer Koch", antwortete der fremde Fürst, "und +weißt, was anständig essen heißt. Du hast in der ganzen Zeit, da ich +hier bin, nicht eine einzige Speise wiederholt und alles trefflich +bereitet. Aber sage mir doch, warum bringst du so lange nicht die +Königin der Speisen, die Pastete Souzeraine?" + +Der Zwerg war sehr erschrocken; denn er hatte von dieser +Pastetenkönigin nie gehört; doch faßte er sich und antwortete: "O +Herr! Noch lange, hoffte ich, sollte dein Angesicht leuchten an +diesem Hoflager, darum wartete ich mit dieser Speise; denn womit +sollte dich denn der Koch begrüßen am Tage des Scheidens als mit der +Königin der Pasteten?" + +"So?" entgegnete der Herzog lachend. "Und bei mir wolltest du wohl +warten bis an meinen Tod, um mich dann noch zu begrüßen? Denn auch +mir hast du die Pastete noch nie vorgesetzt. Doch denke auf einen +anderen Scheidegruß; denn morgen mußt du die Pastete auf die Tafel +setzen." + +"Es sei, wie du sagst, Herr!" antwortete der Zwerg und ging. Aber er +ging nicht vergnügt; denn der Tag seiner Schande und seines Unglücks +war gekommen. Er wußte nicht, wie er die Pastete machen sollte. Er +ging daher in seine Kammer und weinte über sein Schicksal. + +Da trat die Gans Mimi, die in seinem Gemach umhergehen durfte, zu ihm +und fragte ihn nach der Ursache seines Jammers. "Stille deine +Tränen", antwortete sie, als sie von der Pastete Souzeraine gehört, +"dieses Gericht kam oft auf meines Vaters Tisch, und ich weiß +ungefähr, was man dazu braucht; du nimmst dies und jenes, so und so +viel, und wenn es auch nicht durchaus alles ist, was eigentlich dazu +nötig, die Herren werden keinen so feinen Geschmack haben." So sprach +Mimi. Der Zwerg aber sprang auf vor Freuden, segnete den Tag, an +welchem er die Gans gekauft hatte, und schickte sich an, die Königin +der Pasteten zuzurichten. Er machte zuerst einen kleinen Versuch, +und siehe, es schmeckte trefflich, und der Oberküchenmeister, dem er +davon zu kosten gab, pries aufs neue seine ausgebreitete Kunst. + +Den anderen Tag setzte er die Pastete in größerer Form auf und +schickte sie warm, wie sie aus dem Ofen kam, nachdem er sie mit +Blumenkränzen geschmeckt hatte, auf die Tafel. Er selbst aber zog +sein bestes Festkleid an und ging in den Speisesaal. Als r eintrat, +war der Obervorschneider gerade damit beschäftigt, die Pastete zu +zerschneiden und auf einem silbernen Schäufelein dem Herzog und +seinem Gaste hinzureichen. Der Herzog tat einen tüchtigen Biß hinein, +schlug die Augen auf zur Decke und srach, nachdem er geschluckt +hatte: "Ah, ah, ah! Mit Recht nennt man dies die Königin der +Pasteten; aber mein Zwerg ist auch der König aller Köche! Nicht also, +lieber Freund?" + +Der Gast nahm einige kleine Bissen zu sich, kostete und prüfte +aufmerksam und lächelte dabei höhnisch und geheimnisvoll. "Das Ding +ist recht artig gemacht", antwortete er, indem er den Teller +hinwegrückte, "aber die Souzeraine ist es denn doch nicht ganz; das +habe ich mir wohl gedacht." + +Da runzelte der Herzog vor Unmut die Stirne und errötete vor +Beschämung. "Hund von einem Zwerg!" rief er, "wie wagst du es, +deinem Herrn dies anzutun? Soll ich dir deinen großen Kopf abhacken +lassen zur Strafe für deine schlechte Kocherei?" + +"Ach, Herr! Um des Himmels willen, ich habe das Gericht doch +zubereitet nach den Regeln der Kunst, es kann gewiß nichts fehlen!" +so sprach der Zwerg und zitterte. + +"Es ist eine Lüge, du Bube!" erwiderte der Herzog und stieß ihn mit +dem Fuße von sich. "Mein Gast würde sonst nicht sagen, es fehlt +etwas. Dich selbst will ich zerhacken und backen lassen in eine +Pastete!" + +"Habt Mitleiden!" rief der Kleine und rutschte auf den Knien zu dem +Gast, dessen Füße er umfaßte. "Saget, was fehlt in dieser Speise, +daß sie Eurem Gaumen nicht zusagt? Lasset mich nicht sterben wegen +einer Handvoll Fleisch und Mehl." + +"Das wird dir wenig helfen, mein lieber Nase", antwortete der Fremde +mit Lachen, "das habe ich mir schon gestern gedacht, daß du diese +Speise nicht machen kannst wie mein Koch. Wisse, es fehlt ein +Kräutlein, das man hierzulande gar nicht kennt, das Kraut Niesmitlust; +ohne dieses bleibt die Pastete ohne Würze, und dein Herr wird sie +nie essen wie ich." + +Da geriet der Herrscher in Frankistan in Wut. "Und doch werde ich +sie essen", rief er mit funkelnden Augen, "denn ich schwöre bei +meiner fürstlichen Ehre: Entweder zeige ich Euch morgen die Pastete, +wie Ihr sie verlangst--oder den Kopf dieses Burschen, aufgespießt auf +dem Tor meines Palastes. Gehe, du Hund, noch einmal gebe ich dir +vierundzwanzig Stunden Zeit." + +So rief der Herzog; der Zwerg aber ging wieder weinend in sein +Kämmerlein und klagte der Gans sein Schicksal und daß er sterben +müsse; denn von dem Kraut habe er nie gehört. "Ist es nur dies", +sprach sie, "da kann ich dir schon helfen; denn mein Vater lehrte +mich alle Kräuter kennen. Wohl wärest du vielleicht zu einer anderen +Zeit des Todes gewesen; aber glücklicherweise ist es gerade Neumond, +und um diese Zeit blüht das Kräutlein. Doch, sage an, sind alte +Kastanienbäume in der Nähe des Palastes?" + +"O ja!" erwiderte Nase mit leichterem Herzen. "Am See, zweihundert +Schritte vom Haus, steht eine ganze Gruppe; doch warum diese?" + +"Nur am Fuße alter Kastanien blüht das Kräutlein", sagte Mimi, "darum +laß uns keine Zeit versäumen und suchen, was du brauchst; nimm mich +auf deinen Arm und setze mich im Freien nieder; ich will dir suchen." + +Er tat, wie sie gesagt, und ging mit ihr zur Pforte des Palastes. +Dort aber streckte der Türhüter das Gewehr vor und sprach: "Mein +guter Nase, mit dir ist's vorbei; aus dem Hause darfst du nicht, ich +habe den strengsten Befehl darüber." + +"Aber in den Garten kann ich doch wohl gehen?" erwiderte der Zwerg. +"Sei so gut und schicke einen deiner Gesellen zum Aufseher des +Palastes und frage, ob ich nicht in den Garten gehen und Kräuter +suchen dürfe?" Der Türhüter tat also, und es wurde erlaubt; denn der +Garten hatte hohe Mauern, und es war an kein Entkommen daraus zu +denken. Als aber Nase mit der Gans Mimi ins Freie gekommen war, +setzte er sie behutsam nieder, und sie ging schnell vor ihm her dem +See zu, wo die Kastanien standen. Er folgte ihr nur mit beklommenem +Herzen; denn es war ja seine letzte, einzige Hoffnung; fand sie das +Kräutlein nicht, so stand sein Entschluß fest, er stürzte sich dann +lieber in den See, als daß er sich köpfen ließ. Die Gans suchte +vergebens, sie wandelte unter allen Kastanien, sie wandte mit dem +Schnabel jedes Gräschen um, es wollte sich nichts zeigen, und sie +fing aus Mitleid und Angst an zu weinen; denn schon wurde der Abend +dunkler und die Gegenstände umher waren schwerer zu erkennen. + +Da fielen die Blicke des Zwerges über den See hin, und plötzlich rief +er: "Siehe, siehe, dort über dem See steht noch ein großer, alter +Baum; laß uns dorthin gehen und suchen, vielleicht blüht dort mein +Glück." + +Die Gans hüpfte und flog voran, und er lief nach, so schnell seine +kleinen Beine konnten; der Kastanienbaum warf einen großen Schatten, +und es war dunkel umher, fast war nichts mehr zu erkennen; aber da +blieb plötzlich die Gans stille stehen, schlug vor Freuden mit den +Flügeln, fuhr dann schnell mit dem Kopf ins hohe Gras und pflückte +etwas ab, das sie dem erstaunten Nase zierlich mit dem Schnabel +überreichte und sprach: "Das ist das Kräutlein, und hier wächst eine +Menge davon, so daß es dir nie daran fehlen kann." + +Der Zwerg betrachtete das Kraut sinnend; ein süßer Duft strömte ihm +daraus entgegen, der ihn unwillkürlich an die Szene seiner +Verwandlung erinnerte; die Stengel, die Blätter waren bläulichgrün, +sie trugen eine brennend rote Blume mit gelbem Rande. + +"Gelobt sei Gott!" rief er endlich aus. "Welches Wunder! Wisse, ich +glaube, es ist dies dasselbe Kraut, das mich aus einem Eichhörnchen +in diese schändliche Gestalt umwandelte; soll ich den Versuch machen?" + +"Noch nicht", bat die Gans. "Nimm von diesem Kraut eine Handvoll mit +dir, laß uns auf dein Zimmer gehen und dein Geld, und was du sonst +hast, zusammenraffen, und dann wollen wir die Kraft des Krautes +versuchen!" Sie taten also und gingen auf seine Kammer zurück, und +das Herz des Zwerges pochte hörbar vor Erwartung. Nachdem er fünfzig +oder sechzig Dukaten, die er erspart hatte, einige Kleider und Schuhe +zusammen in ein Bündel geknüpft hatte, sprach er: "So es Gott +gefällig ist, werde ich diese Bürde loswerden", steckte seine Nase +tief in die Kräuter und sog ihren Duft ein. + +Da zog und knackte es in allen seinen Gliedern, er fühlte, wie sich +sein Kopf aus den Schultern hob, er schielte herab auf seine Nase und +sah sie kleiner und kleiner werden, sein Rücken und seine Brust +fingen an, sich zu ebnen, und seine Beine wurden länger. + +Die Gans sah mit Erstaunen diesem allem zu. "Ha! Was du groß, was +du schön bist!" rief sie. "Gott sei gedankt, es ist nichts mehr an +dir von allem, was du vorher warst!" + +Da freute sich Jakob sehr, und er faltete die Hände und betete. Aber +seine Freude ließ ihn nicht vergessen, welchen Dank er der Gans +schuldig sei; zwar drängte ihn sein Herz, zu seinen Eltern zu gehen; +doch besiegte er aus Dankbarkeit diesen Wunsch und sprach: "Wem +anders als dir habe ich es zu danken, daß ich mir selbst +wiedergeschenkt bin? Ohne dich hätte ich dieses Kraut nimmer +gefunden, hätte also ewig in jener Gestalt bleiben oder vielleicht +gar unter dem Beile des Henkers sterben müssen. Wohlan, ich will es +dir vergelten. Ich will dich zu deinem Vater bringen; er, der +erfahren ist in jedem Zauber, wird dich leicht entzaubern können." +Die Gans vergoß Freudentränen und nahm sein Anerbieten an. Jakob kam +glücklich und unerkannt mit der Gans aus dem Palast und machte sich +auf den Weg nach dem Meeresstrand, Mimis Heimat, zu. + +Was soll ich noch weiter erzählen, daß sie ihre Reise glücklich +vollendeten, daß Wetterbock seine Tochter entzauberte und den Jakob, +mit Geschenken beladen, entließ, daß er in seine Vaterstadt zurückkam +und daß seine Eltern in dem schönen jungen Mann mit Vergnügen ihren +verlorenen Sohn erkannten, daß er von den Geschenken, die er von +Wetterbock mitbrachte, sich einen Laden kaufte und reich und +glücklich wurde? + +Nur so viel will ich noch sagen, daß nach seiner Entfernung aus dem +Palaste des Herzogs große Unruhe entstand; denn als am anderen Tage +der Herzog seinen Schwur erfüllen und dem Zwerg, wenn er die Kräuter +nicht gefunden hätte, den Kopf abschlagen lassen wollte, war er +nirgends zu finden; der Fürst aber behauptete, der Herzog habe ihn +heimlich entkommen lassen, um sich nicht seines besten Kochs zu +berauben, und klagte ihn an, daß er wortbrüchig sei. Dadurch +entstand denn ein großer Krieg zwischen beiden Fürsten, der in der +Geschichte unter dem Namen "Kräuterkrieg" wohlbekannt ist; es wurde +manche Schlacht geschlagen, aber am Ende doch Friede gemacht, und +diesen Frieden nennt man bei uns den "Pastetenfrieden", weil beim +Versöhnungsfest durch den Koch des Fürsten die Souzeraine, die +Königin der Pasteten, zubereitet wurde, welche sich der Herr Herzog +trefflich schmecken ließ. + +So führen oft die kleinsten Ursachen zu großen Folgen; und dies, o +Herr, ist die Geschichte des Zwerges Nase. + +So erzählte der Sklave aus Frankistan; nachdem er geendet hatte, ließ +der Scheik Ali Banu ihm und den anderen Sklaven Früchte reichen, sich +zu erfrischen, und unterhielt sich, während sie aßen, mit seinen +Freunden. Die jungen Männer aber, die der Alte eingeführt hatte, +waren voll Lobes über den Scheik, sein Haus und alle seine +Einrichtungen. "Wahrlich", sprach der junge Schreiber, "es gibt +keinen angenehmeren Zeitvertreib als Geschichten anzuhören. Ich +könnte tagelang so hinsetzen, die Beine untergeschlagen, einen Arm +aufs Kissen gestützt, die Stirne in die Hand gelegt, und, wenn es +ginge, des Scheiks große Wasserpfeife in der Hand, und Geschichten +anhören--so ungefähr stelle ich mir das Leben vor in den Gärten +Mahomeds." + +"So lange Ihr jung seid und arbeiten könnt", sprach der Alte, "kann +ein solcher träger Wunsch nicht Euer Ernst sein. Aber das gebe ich +Euch zu, daß ein eigener Reiz darin liegt, etwas erzählen zu hören. +So alt ich bin, und ich gehe nun ins siebenundsiebzigste Jahr, so +viel ich in meinem Leben schon gehört habe, so verschmähe ich es doch +nicht, wenn an der Ecke ein Geschichtenerzähler sitzt und um ihn in +großem Kreis die Zuhörer, mich ebenfalls hinzusetzen und zuzuhören. +Man träumt sich ja in die Begebenheiten hinein, die erzählt werden, +man lebt mit diesen Menschen, mit diesen wundervollen Geistern, mit +Feen und dergleichen Leuten, die uns nicht alle Tage begegnen, und +hat nachher, wenn man einsam ist, Stoff, sich alles zu wiederholen, +wie der Wanderer, der sich gut versehen hat, wenn er durch die Wüste +reist." + +"Ich habe nie so darüber nachgedacht", erwiderte ein anderer der +jungen Leute, "worin der Reiz solcher Geschichten eigentlich liegt. +Aber mir geht es wie euch. Schon als Kind konnte man mich, wenn ich +ungeduldig war, durch eine Geschichte zum Schweigen bringen. Es war +mir anfangs gleichgültig, von was es handelte, wenn es nur erzählt +war, wenn nur etwas geschah; wie oft habe ich, ohne zu ermüden, jene +Fabeln angehört, die weise Männer erfunden und in welche sie einen +Kern ihrer Weisheit gelegt haben, vom Fuchs und vom törichten Raben, +vom Fuchs und vom Wolf, viele Dutzend Geschichten vom Löwen und den +übrigen Tieren. Als ich älter wurde und mehr unter die Menschen kam, +genügten mir jene kurzen Geschichten nicht mehr; sie mußten schon +länger sein, mußten von Menschen und ihren wunderbaren Schicksalen +handeln." "Ja, ich entsinne mich noch wohl dieser Zeit", unterbrach +ihn einer seiner Freunde. "Du warst es, der uns diesen Drang nach +Erzählungen beibrachte. Einer Eurer Sklaven wußte so viel zu +erzählen, als ein Kameltreiber von Mekka nach Medina spricht; wenn er +fertig war mit seiner Arbeit, mußte er sich zu uns setzen, und da +baten wir so lange, bis er zu erzählen anfing, und das ging fort und +fort, bis die Nacht heraufkam." + +"Und erschloß sich uns", entgegnete der Schreiber, "erschloß sich uns +da nicht ein neues, nie gekanntes Reich, das Land der Genien und Feen, +bebaut mit allen Wundern der Pflanzenwelt, mit reichen Palästen von +Smaragden und Rubinen, mit riesenhaften Sklaven bevölkert, die +erschienen, wenn man einen Ring hin und wider dreht oder die +Wunderlampe reibt oder das Wort Salomos ausspricht, und in goldenen +Schalen herrliche Speisen bringen. Wir fühlten uns unwillkürlich in +jenes Land versetzt, wir machten mit Sindbad seine wunderbaren +Fahrten, wir gingen mit Harun Al-Raschid, dem weisen Beherrscher der +Gläubigen, abends spazieren, wir kannten Giaffar, seinen Wesir, so +gut als uns selbst, kurz, wir lebten in jenen Geschichten, wie man +nachts in Träumen lebt, und es gab keine schönere Tageszeit für uns +als den Abend, wo der alte Sklave uns erzählte. Aber sage uns, Alter, +worin liegt es denn eigentlich, daß wir damals so gerne erzählen +hörten, daß es noch jetzt für uns keine angenehmere Unterhaltung +gibt?" + +Die Bewegung, die im Zimmer entstand, und die Aufforderung zur +Aufmerksamkeit, die der Sklavenaufseher gab, verhinderte den Alten zu +antworten. Die jungen Leute wußten nicht, ob sie sich freuen sollten, +daß sie eine neue Geschichte anhören durften, oder ungehalten sein +darüber, daß ihr anziehendes Gespräch mit dem Alten unterbrochen +worden war; aber ein zweiter Sklave erhob sich bereits und begann: + + + + +Abner, der Jude, der nichts gesehen hat + +Wilhelm Hauff + + +Herr, ich bin aus Mogador am Strande des großen Meers, und als der +großmächtigste Kaiser Muley Ismael über Fez und Marokko herrschte, +hat sich die Geschichte zugetragen, die du vielleicht nicht ungerne +hören wirst. Es ist die Geschichte von Abner, dem Juden, der nichts +gesehen hat. + +Juden, wie du weißt, gibt es überall, und sie sind überall Juden: +pfiffig, mit Falkenaugen für den kleinsten Vorteil begabt, +verschlagen, desto verschlagener, je mehr sie mißhandelt werden, +ihrer Verschlagenheit sich bewußt und sich etwas darauf einbildend. +Daß aber doch zuweilen ein Jude durch seine Pfiffe zu Schaden kommt, +bewies Abner, als er eines Abends zum Tore von Marokko hinaus +spazierenging. + +Er schreitet einher, mit der spitzen Mütze auf dem Kopf, in den +bescheidenen, nicht übermäßig reinlichen Mantel gehüllt, streichelt +sich den Knebelbart, und trotz der umherrollenden Augen, welche ewige +Furcht und Besorgnis und die Begierde, etwas zu erspähen, womit etwas +zu machen wäre, keinen Augenblick ruhen läßt, leuchtet Zufriedenheit +aus seiner Miene; er muß diesen Tag gute Geschäfte gemacht haben; und +so ist es auch. Er ist Arzt, ist Kaufinann, ist alles, was Geld +einträgt; er hat heute einen Sklaven mit einem heimlichen Fehler +verkauft, wohlfeil eine Kamelladung Gummi gekauft und einem reichen +kranken Mann den letzten Trank, nicht vor seiner Genesung, sondern +vor seinem Hintritt bereitet. + +Eben war er auf seinem Spaziergang aus einem kleinen Gehölz von +Palmen und Datteln getreten, da hörte er lautes Geschrei +herbeilaufender Menschen hinter sich; es war ein Haufe kaiserlicher +Stallknechte, den Oberstallmeister an der Spitze, die nach allen +Seiten unruhige Blicke umherwarfen, wie Menschen, die etwas +Verlorenes eifrig suchen. + +"Philister", rief ihm keuchend der Oberstallmeister zu, "hast du +nicht ein kaiserlich Pferd mit Sattel und Zeug vorüberrennen sehen?" + +Abner antwortete: "Der beste Galoppläufer, den es gibt; zierlich +klein ist sein Huf, seine Hufeisen sind von vierzehnlötigem Silber, +sein Haar leuchtet golden, gleich dem großen Sabbatleuchter in der +Schule, fünfzehn Fäuste ist er hoch, sein Schweif ist drei und einen +halben Fuß lang, und die Stangen seines Gebisses sind von +dreiundzwanzigkarätigem Golde." + +"Er ist's!" rief der Oberstallmeister. + +"Er ist's!" rief der Chor der Stallknechte. + +"Es ist der Emir", rief ein alter Bereiter, "ich habe es dem Prinzen +Abdallah zehnmal gesagt, er solle den Emir in der Trense reiten, ich +kenne den Emir, ich habe es vorausgesagt, daß er ihn abwerfen würde, +und sollte ich seine Rückenschmerzen mit dem Kopf bezahlen müssen, +ich habe es vorausgesagt. Aber schnell, wohinzu ist er gelaufen?" + +"Habe ich doch gar kein Pferd gesehen", erwiderte Abner lächelnd, +"wie kann ich sagen, wohin es gelaufen ist, des Kaisers Pferd?" + +Erstaunt über diesen Widerspruch wollten die Herren vom Stalle eben +weiter in Abner dringen; da kam ein anderes Ereignis dazwischen. + +Durch einen sonderbaren Zufall, wie es deren so viele gibt, war +gerade zu dieser Zeit auch der Leibschoßhund der Kaiserin entlaufen. +Ein Haufe schwarze Sklaven kam herbeigerannt, und sie schrien schon +von weitem: "Habt Ihr den Schoßhund der Kaiserin nicht gesehen?" + +"Es ist kein Hund, den Ihr suchet, meine Herren", sagte Abner, "es +ist eine Hündin." + +"Allerdings!" rief der erste Eunuch hocherfreut. "Aline, wo bist du?" + +"Ein kleiner Wachtelhund", fuhr Abner fort, "der vor kurzem Junge +geworfen, langes Behänge, Federschwanz, hinkt auf dem rechten +vorderen Bein." + +"Sie ist's, wie sie leibt und lebt!" rief der Chor der Schwarzen. +"Es ist Aline; die Kaiserin ist in Krämpfe verfallen, sobald sie +vermißt wurde; Aline, wo bist du? Was soll aus uns werden, wenn wir +ohne dich in den Harem zurückkehren? Sprich geschwind, wohin hast du +sie laufen sehen?" + +"Ich habe gar keinen Hund gesehen; weiß ich doch nicht einmal, daß +meine Kaiserin, welche Gott erhalte, einen Wachtelhund besitzt." + +Da ergrimmten die Leute vom Stalle und vom Harem über Abners +Unverschämtheit, wie sie es nannten, über kaiserliches Eigentum +seinen Scherz zu treiben, und zweifelten keinen Augenblick, so +unwahrscheinlich dies auch war, daß er Hund und Pferd gestohlen habe. +Während die anderen ihre Nachforschungen fortsetzten, packten der +Stallmeister und der erste Eunuch den Juden und führten den halb +pfiffig, halb ängstlich Lächelnden vor das Angesicht des Kaisers. + +Aufgebracht berief Mulen Ismael, als er den Hergang vernommen, den +gewöhnlichen Rat des Palastes und führte in Betracht der Wichtigkeit +des Gegenstandes selbst den Vorsitz. Zur Eröffnung der Sache wurde +dem Angeschuldigten ein halbes Hundert Streiche auf die Fußsohlen +zuerkannt. Abner mochte schreien und winseln, seine Unschuld +beteuern oder versprechen, alles zu erzählen, wie es sich zugetragen, +Sprüche aus der Schrift oder dem Talmud anführen, mochte rufen: "Die +Ungnade des Königs ist wie das Brüllen eines jungen Löwen, aber seine +Gnade ist Tau auf dem Grase"; oder: "Laß nicht zuschlagen deine Hand, +wenn dir Augen und Ohren verschlossen sind"--Mulen Ismael winkte und +schwur bei des Propheten Bart und seinem eigenen, der Philister solle +die Schmerzen des Prinzen Abdallah und die Krämpfe der Kaiserin mit +dem Kopfe bezahlen, wenn die Flüchtigen nicht wieder beigebracht +würden. Noch erschallte der Palast des Kaisers von Marokko von dem +Schmerzgeschrei des Patienten, als die Nachricht einlief, Hund und +Pferd seien wiedergefunden. Aline überraschte man in der +Gesellschaft einiger Möpse, sehr anständiger Leute, die sich aber für +sie, als Hofdame, durchaus nicht schickte, und Emir hatte, nachdem er +sich müde gelaufen, das duftende Gras auf den grünen Wiesen am Bache +Tara wohlschmeckender gefunden als den kaiserlichen Hafer; gleich dem +ermüdeten fürstlichen Jäger, der, auf der Parforcejagd verirrt, über +dem schwarzen Brot und der Butter in der Hütte des Landmanns alle +Leckereien seiner Tafel vergißt. + +Muley Ismael verlangte nun von Abner eine Erklärung seines Betragens, +und dieser sah sich nun, wiewohl etwas spät, imstande, sich zu +verantworten, was er, nachdem er vor seiner Hoheit Thron dreimal die +Erde mit der Stirne berührte, in folgenden Worten tat: + +"Großmächtigster Kaiser, König der Könige, Herr des Besten, Stern der +Gerechtigkeit, Spiegel der Wahrheit, Abgrund der Weisheit, der du so +glänzend bist wie Gold, so strahlend wie der Diamant, so hart wie das +Eisen, höre mich, weil es deinem Sklaven vergönnt ist, vor deinem +strahlenden Angesichte seine Stimme zu erheben! Ich schwöre bei dem +Gott meiner Väter, bei Moses und den Propheten, daß ich dein heiliges +Pferd und meiner gnädigen Kaiserin liebenswürdigen Hund mit meines +Leibes Augen nicht gesehen habe. Höre aber, wie sich die Sache +begeben: + +Ich spazierte, um mich von des Tages Last und Arbeit zu erholen, +nichts denkend, in dem kleinen Gehölze, wo ich die Ehre gehabt habe, +Seiner Herrlichkeit, dem Oberstallmeister, und Seiner Wachsamkeit, +dem schwarzen Aufseher deines gesegneten Harems, zu begegnen; da +gewahrte ich im feinen Sande zwischen den Palmen die Spuren eines +Tieres; ich, dem die Spuren der Tiere überaus gut bekannt sind, +erkenne sie alsbald für die Fußstapfen eines kleinen Hundes; feine +langgezogene Furchen liefen über die kleinen Unebenheiten des +Sandbodens zwischen diesen Spuren hin; es ist eine Hündin, sprach ich +zu mir selbst, und sie hat hängende Zitzen und hat Junge geworfen vor +so und so langer Zeit; andere Spuren neben den Vordertatzen, wo der +Sand leicht weggefegt zu sein schien, sagten mir, daß das Tier mit +schönen, weit herabhängenden Ohren begabt sei; und da ich bemerkt, +wie in längeren Zwischenräumen der Sand bedeutender aufgewühlt war, +dachte ich: Einen schönen langbehaarten Schwanz hat die Kleine, und +er muß anzusehen sein als ein Federbusch, und es hat ihr beliebt, +zuweilen den Sand damit zu peitschen; auch entging mir nicht, daß +eine Pfote sich beständig weniger tief in den Sand eindrückte; leider +konnte mir da nicht verborgen bleiben, daß die Hündin meiner +gnädigsten Frau, wenn es erlaubt ist, es auszusprechen, etwas hinke. + +Was das Roß deiner Hoheit betrifft, so wisse, daß ich, als ich in +einem Gange des Gebüsches hinwandelte, auf die Spuren eines Pferdes +aufmerksam wurde. Kaum hatte ich den edlen, kleinen Huf, den feinen +und doch starken Strahl bemerkt, so sagte ich in meinem Herzen: Da +ist gewesen ein Roß von der Rasse Tschenner, die da ist die +vornehmste von allen. Ist es ja noch nicht vier Monate, hat mein +gnädigster Kaiser einem Fürsten in Frankenland eine ganze Koppel von +dieser Rasse verkauft, und mein Bruder Ruben ist dabeigewesen, wie +sie sind handelseinig geworden, und mein gnädigster Kaiser hat dabei +gewonnen so und so viel. Als ich sah, wie die Spuren so weit und so +gleichmäßig voneinander entfernt waren, mußte ich denken: Das +galoppierte schön, vornehm; und ist bloß mein Kaiser wert, solch ein +Tier zu besitzen, und ich gedachte des Streitrosses, von dem +geschrieben steht bei Hiob: ŽEs stampfet auf den Boden und ist +freudig mit Kraft und zeucht aus, den Geharnischten entgegen; es +spottet der Furcht und erschrickt nicht und fleucht vor dem Schwert +nicht, wenngleich wider es erklinget der Köcher, und glänzen beide, +Spieß und Lanzen.Ž Und ich bückte mich, da ich etwas glänzen sah auf +dem Boden, wie ich immer tue, und siehe, es war ein Marmelstein, +darauf hatte das Hufeisen des eilenden Rosses einen Strich gezogen, +und ich erkannte, daß es Hufeisen haben mußte von vierzehnlötigem +Silber; muß ich doch den Strich kennen von jeglichem Metall, sei es +echt oder unecht. Der Baumgang, in dem ich spazierte, war sieben Fuß +weit, und hie und da sah ich den Staub von den Palmen gestreift; der +Gaul hat mit dem Schweif gefochten, sprach ich, und er ist lang drei +und einen halben Fuß; unter Bäumen, deren Krone etwa fünf Fuß vom +Boden aufging, sah ich frisch abgestreifte Blätter; seiner +Schnelligkeit Rücken mußte sie abgestreift haben; da haben wir ein +Pferd von fünfzehn Fäusten; siehe da, unter denselben Bäumen kleine +Büschel goldglänzender Haare, und siehe da, es ist ein Goldfuchs! +Eben trat ich aus dem Gebüsche, da fiel an einer Felswand ein +Goldstrich in mein Auge; diesen Strich solltest du kennen, sprach ich, +und was war's? Ein Probierstein war eingesprengt in dem Gestein und +ein haarfeiner Goldstrich darauf, wie ihn das Männchen mit dem +Pfeilbündel auf den Füchsen der sieben vereinigten Provinzen von +Holland nicht feiner, nicht reiner ziehen kann. Der Strich mußte von +den Gebißstangen des flüchtigen Rosses rühren, die es im +Vorbeispringen gegen dieses Gestein gerieben. Kennt man ja doch +deine erhabene Prachtliebe, König der Könige, weiß man ja doch, daß +sich das geringste deiner Rosse schämen würde, auf einen anderen als +einen goldenen Zaum zu beißen. Also hat es sich begeben, und wenn--" + +"Nun, bei Mekka und Medina!" rief Muley Ismael, "das heiße ich Augen; +solche Augen könnten dir nicht schaden, Oberjägermeister, sie würden +dir eine Koppel Schweißhunde ersparen; du, Polizeiminister, könntest +damit weiter sehen als alle deine Schergen und Aufpasser. Nun, +Philister, wir wollen dich in Betracht deines ungemeinen Scharfsinns, +der uns wohlgefallen hat, gnädig behandeln; die fünfzig Prügel, die +du richtig erhalten, sind fünfzig Zechinen wert. Sie ersparen dir +fünfzig; denn du zahlst jetzt bloß noch fünfzig bar; zieh deinen +Beutel und enthalte dich für die Zukunft, unseres kaiserlichen +Eigentums zu spotten! Wir bleiben dir übrigens in Gnaden gewogen." + +Der ganze Hof bewunderte Abners Scharfsinn, denn seine Majestät hatte +geschworen, er sei ein geschickter Bursche; aber dies bezahlte ihm +seine Schmerzen nicht, tröstete ihn nicht für seine teuren Zechinen. +Während er stöhnend und seufzend eine nach der anderen aus dem Beutel +führte, jede noch zum Abschiede auf der Fingerspitze wog, höhnte ihn +noch Schnuri, der kaiserliche Spaßmacher, fragte ihn, ob seine +Zechinen alle auf dem Steine sich bewährten, auf dem der Goldfuchs +des Prinzen Abdallah sein Gebiß probiert habe. "Deine Weisheit hat +heute Ruhm geerntet", sprach er; "ich wollte aber noch fünfzig +Zechinen wetten, es wäre dir lieber, du hättest geschwiegen. Aber +wie spricht der Prophet? ŽEin entschlüpftes Wort holt kein Wagen ein, +und wenn er mit vier flüchtigen Rossen bespannt wäre.Ž Auch kein +Windspiel holt es ein, Herr Abner, auch wenn es nicht hinkt." + +Nicht lange nach diesem für Abner schmerzlichen Ereignis ging er +wieder einmal in einem der grünen Täler zwischen den Vorbergen des +Atlas spazieren. Da wurde er, gerade wie damals, von einem +einherstürmenden Haufen Gewaffneter eingeholt, und der Anführer +schrie ihn an: + +"He, guter Freund, hast du nicht Goro, den schwarzen Leibschützen des +Kaisers, vorbeilaufen sehen? Er ist entflohen, er muß diesen Weg +genommen haben ins Gebirg." + +"Kann nicht dienen, Herr General", antwortete Abner. + +"Ach, bist du nicht der pfiffige Jude, der den Fuchsen und den Hund +nicht gesehen hat? Mach nur keine Umstände; hier muß der Sklave +vorbeigekommen sein; riechst du vielleicht noch den Duft seines +Schweißes in der Luft? Siehst du noch die Spuren seines flüchtigen +Fußes im hohen Grase? Sprich, der Sklave muß herbei; er ist einzig +im Sperlingsschießen mit dem Blaserohr, und dies ist Seiner Majestät +Lieblingszeitvertreib. Sprich! Oder ich lasse dich sogleich krumm +fesseln!" + +"Kann ich doch nicht sagen, ich habe gesehen, was ich doch nicht hab' +gesehen." + +"Jude, zum letzten Male: Wohin ist der Sklave gelaufen? Denk an +deine Fußsohlen, denk an deine Zechinen!" + +"O weh geschrien! Nun, wenn Ihr absolut haben wollt, daß ich soll +gesehen haben den Sperlingsschützen, so lauft dorthin; ist er dort +nicht, so ist er anderswo." + +"Du hast ihn also gesehen?" brüllte ihn der Soldat an. "Ja denn, +Herr Offizier, weil Ihr es so haben wollt." + +Die Soldaten verfolgten eilig die angewiesene Richtung. Abner aber +ging, innerlich über seine List zufrieden, nach Hause. Kaum aber war +er vierundzwanzig Stunden älter geworden, so drang ein Haufe von der +Wache des Palastes in sein Haus und verunreinigte es, denn es war +Sabbat, und schleppte ihn vor das Angesicht des Kaisers von Marokko. + +"Hund von einem Juden", schnaubte ihn der Kaiser an, "du wagst es, +kaiserliche Bedienstete, die einen flüchtigen Sklaven verfolgen, auf +falsche Spur ins Gebirge zu schicken, während der Flüchtling der +Meeresküste zueilt und beinahe auf einem spanischen Schiffe entkommen +wäre? Greift ihn, Soldaten! Hundert auf die Sohlen! Hundert +Zechinen aus dem Beutel! Um wieviel die Sohlen schwellen unter den +Hieben, um soviel soll der Beutel einschnurren." + +Du weißt es, o Herr, im Reiche Fez und Marokko liebt man schnelle +Gerechtigkeit, und so wurde der arme Abner geprügelt und besteuert, +ohne daß man ihn zuvor um seine Einwilligung befragt hätte. Er aber +verfluchte sein Geschick, das ihn dazu verdammte, daß seine Sohlen +und sein Beutel es hart empfinden sollten, so oft Seine Majestät +geruhten, etwas zu verlieren. Als er aber brummend und seufzend +unter dem Gelächter des rohen Hofvolks aus dem Saale hinkte, sprach +zu ihm Schnuri, der Spaßmacher: "Gib dich zufrieden, Abner, +undankbarer Abner! Ist es nicht Ehre genug für dich, daß jeder +Verlust, den unser gnädiger Kaiser, den Gott erhalte, erleidet, auch +dir empfindlichen Kummer verursachen muß? Versprichst du mir aber +ein gut Trinkgeld, so komme ich jedesmal, eine Stunde bevor der Herr +des Westens etwas verliert, an deine Bude in der Judengasse und +spreche: ŽGehe nicht aus deiner Hütte, Abner, du weißt schon warum; +schließe dich ein in dein Kämmerlein bis zu Sonnenuntergang, beides +unter Schloß und Riegel.Ž" + +Dies, o Herr, ist die Geschichte von Abner, der nichts gesehen hat. + +Als der Sklave geendet hatte und es wieder stille im Saale geworden +war, erinnerte der junge Schreiber den Alten, daß sie den Faden ihrer +Unterhaltung abgebrochen hatten, und bat, ihnen zu erklären, worin +denn eigentlich der mächtige Reiz des Märchens liege. + +"Das will ich Euch jetzt sagen", erwiderte der Alte. "Der +menschliche Geist ist noch leichter und beweglicher als das Wasser, +das doch in alle Formen sich schmiegt und nach und nach auch die +dichtesten Gegenstände durchdringt. Er ist leicht und frei wie die +Luft und wird wie diese, je höher er sich von der Erde hebt, desto +leichter und reiner. Daher ist ein Drang in jedem Menschen, sich +hinauf über das Gewöhnliche zu erheben und sich in höheren Räumen +leichter und freier zu bewegen, sei es auch nur in Träumen. Ihr +selbst, mein junger Freund, sagtet: ŽWir lebten in jenen Geschichten, +wir dachten und fühlten mit jenen MenschenŽ, und daher kommt der Reiz, +den sie für Euch hatten. Indem Ihr den Erzählungen des Sklaven +zuhöret, die nur Dichtungen waren, die einst ein anderer erfand, habt +Ihr selbst auch mitgedichtet. Ihr bliebet nicht stehen bei den +Gegenständen um Euch her, bei Euren gewöhnlichen Gedanken, nein, Ihr +erlebtet alles mit, Ihr waret es selbst, dem dies und jenes +Wunderbare begegnete, so sehr nahmet Ihr teil an dem Manne, von dem +man Euch erzählte. So erhob sich Euer Geist am Faden einer solchen +Geschichte über die Gegenwart, die Euch nicht so schön, nicht so +anziehend dünkte; so bewegte sich dieser Geist in fremden, höheren +Räumen freier und ungebundener, das Märchen wurde Euch zur +Wirklichkeit, oder, wenn Ihr lieber wollet, die Wirklichkeit wurde +zum Märchen, weil Euer Dichten und Sein im Märchen lebte." + +"Ganz verstehe ich Euch nicht", erwiderte der junge Kaufmann, "aber +Ihr habt recht mit dem, was Ihr sagtet, wir lebten im Märchen oder +das Märchen in uns. Sie ist mir noch wohl erinnerlich, jene schöne +Zeit; wenn wir Muße dazu hatten, träumten wir wachend; wir stellten +uns vor, an wüste, unwirtbare Inseln verschlagen zu sein, wir +berieten uns, was wir beginnen sollten, um unser Leben zu fristen, +und oft haben wir im dichten Weidengebüsch uns Hütten gebaut, haben +von elenden Früchten ein kärgliches Mahl gehalten, obgleich wir +hundert Schritte weit zu Haus das Beste hätten haben können, ja, es +gab Zeiten, wo wir auf die Erscheinung einer gütigen Fee oder eines +wunderbaren Zwerges warteten, die zu uns treten und sagen würden: +ŽDie Erde wird sich alsobald auftun, wollet dann nur gefälligst +herabsteigen in meinen Palast von Bergkristall und euch belieben +lassen, was meine Diener, die Meerkatzen, euch auftischen.Ž" + +Die jungen Leute lachten, gaben aber ihrem Freunde zu, daß er wahr +gesprochen habe. "Noch jetzt", fuhr ein anderer fort, "noch jetzt +beschleicht mich hier und da dieser Zauber; ich würde mich zum +Beispiel nicht wenig ärgern über die dumme Fabel, wenn mein Bruder +zur Türe hereingestürzt käme und sagte: ŽWeißt du schon das Unglück +von unserem Nachbarn, dem dicken Bäcker? Er hat Händel gehabt mit +einem Zauberer, und dieser hat ihn aus Rache in einen Bären +verwandelt, und jetzt liegt er in seiner Kammer und heult +entsetzlichŽ; ich würde mich ärgern und ihn einen Lügner schelten. +Aber wie anders, wenn mir erzählt würde, der dicke Nachbar hab' eine +weite Reise in ein fernes, unbekanntes Land unternommen, sei dort +einem Zauberer in die Hände gefallen, der ihn in einen Bären +verwandelte. Ich würde mich nach und nach in die Geschichte versetzt +fühlen, würde mit dem dicken Nachbar reisen, Wunderbares erleben, und +es würde mich nicht sehr überraschen, wenn er in ein Fell gesteckt +würde und auf allen vieren gehen müßte." + +So sprachen die jungen Leute; da gab der Scheik wiederum das Zeichen, +und alle setzten sich nieder. Der Aufseher der Sklaven aber trat zu +den Freigelassenen und forderte sie auf, weiter forzufahren. Einer +unter ihnen zeigte sich bereit, stand auf und hub an, folgendermaßen +zu erzählen: + +(im Märchenalmanach auf das Jahr 1827 stand hier "Der arme Stephan" +von Gustav Adolf Schöll.) + +Der Sklave hatte geendet, und seine Erzählung erhielt den Beifall des +Scheik und seiner Freunde. Aber auch durch diese Erzählung wollte +sich die Stirne des Scheik nicht entwölken lassen, er war und blieb +ernst und tiefsinnig wie zuvor, und die jungen Leute bemitleideten +ihn. + +"Und doch", sprach der junge Kaufmann, "und doch kann ich nicht +begreifen, wie der Scheik sich an einem solchen Tage Märchen erzählen +lassen mag, und zwar von seinen Sklaven. Ich für meinen Teil, hätte +ich einen solchen Kummer, so würde ich lieber hinausreiten in den +Wald und mich setzen, wo es recht dunkel und einsam ist, aber auf +keinen Fall dieses Geräusch von Bekannten und Unbekannten um mich +versammeln." + +"Der Weise", antwortete der alte Mann, "der Weise läßt sich von +seinem Kummer nie so überwältigen, daß er ihm völlig unterliegt. Er +wird ernst, er wird tiefsinnig sein, er wird aber nicht laut klagen +oder verzweifeln. Warum also, wenn es in deinem Innern dunkel und +traurig aussieht, warum noch überdies die Schatten dunkler Zedern +suchen? Ihr Schatten fällt durch das Auge in dein Herz und macht es +noch dunkler. An die Sonne mußt du gehen, in den warmen, lichten Tag, +für was du trauerst, und mit der Klarheit des Tages, mit der Wärme +des Lichtes wird dir die Gewißheit aufgehen, daß Allahs Liebe über +dir ist, erwärmend und ewig wie seine Sonne." + +"Ihr habt wahr gesprochen", setzte der Schreiber hinzu, "und geziemt +es nicht einem weisen Mann, dem seine Umgebungen zu Gebot stehen, daß +er an einem solchen Tage die Schatten des Grams so weit als möglich +entferne? Soll er zum Getränke seine Zuflucht nehmen oder Opium +speisen, um den Schmerz zu vergessen? Ich bleibe dabei, es ist die +anständigste Unterhaltung in Leid und Freude, sich erzählen zu lassen, +und der Scheik hat ganz recht." + +"Gut", erwiderte der junge Kaufmann, "aber hat er nicht Vorleser, +nicht Freunde genug; warum müssen es gerade Sklaven sein, die +erzählen?" + +"Diese Sklaven, lieber Herr", sagte der Alte, "sind vermutlich durch +allerlei Unglück in Sklaverei geraten und sind nicht gerade so +ungebildete Leute, wie Ihr wohl gesehen habt, von welchen man sich +nicht könnte erzählen lassen. Überdies stammen sie von allerlei +Ländern und Völkern, und es ist zu erwarten, daß sie bei sich zu +Hause irgend etwas Merkwürdiges gehört oder gesehen, das sie nun zu +erzählen wissen. Einen noch schöneren Grund, den mir einst ein +Freund des Scheik sagte, will ich Euch wiedergeben: Diese Leute waren +bis jetzt in seinem Hause als Sklaven, hatten sie auch keine schwere +Arbeit zu verrichten, so war es doch immer Arbeit, zu der sie +gezwungen waren, und mächtig der Unterschied zwischen ihnen und +freien Leuten. Sie durften sich, wie es Sitte ist, dem Scheik nicht +anders als mit den Zeichen der Unterwürfigkeit nähern. Sie durften +nicht zu ihm reden, außer er fragte sie, und ihre Rede mußte kurz +sein. Heute sind sie frei; und ihr erstes Geschäft als freie Leute +ist, in großer Gesellschaft und vor ihrem bisherigen Herrn lange und +offen sprechen zu dürfen. Sie fühlen sich nicht wenig geehrt dadurch, +und ihre unverhoffte Freilassung wird ihnen dadurch nur um so werter." + +"Siehe", unterbrach ihn der Schreiber, "dort steht der vierte Sklave +auf; der Aufseher hat ihm wohl schon das Zeichen gegeben, lasset uns +niedersetzen und hören!" + +(Im Märchenalmanach auf das Jahr 1827 stand hier "Der gebackene Kopf" +von James Justinian Morier) + +Der Scheik äußerte seinen Beifall über diese Erzählung. Er hatte, +was in Jahren nicht geschehen war, einigemal gelächelt, und seine +Freunde nahmen dies als eine gute Vorbedeutung. Dieser Eindruck war +den jungen Männern und dem Alten nicht entgangen. Auch sie freuten +sich darüber, daß der Scheik, auf eine halbe Stunde wenigstens, +zerstreut wurde; denn sie ehrten seinen Kummer und die Trauer um sein +Unglück, sie fühlten ihre Brust beengt, wenn sie ihn so ernst und +stille seinem Grame nachhängen sahen, und gehobener, freudiger waren +sie, als die Wolke seiner Stirne auf Augenblicke vorüberzog. + +"Ich kann mir wohl denken", sagte der Schreiber, "daß diese Erzählung +günstigen Eindruck auf ihn machen mußte; es liegt so viel Sonderbares, +Komisches darin, daß selbst der heilige Derwisch auf dem Berge +Libanon, der in seinem Leben noch nie gelacht hat, laut auflachen +müßte." + +"Und doch", sprach der Alte lächelnd, "und doch ist weder Fee noch +Zauberer darin erschienen; kein Schloß von Kristall, keine Genien, +die wunderbare Speisen bringen, kein Vogel Rock, noch ein +Zauberpferd--" + +"Ihr beschämt uns", rief der junge Kaufmann, "weil wir mit so vielem +Eifer von jenen Märchen unserer Kindheit sprachen, die uns noch jetzt +so wunderbar anziehen, weil wir jene Momente aufzählten, wo uns das +Märchen so mit sich hinwegriß, daß wir darin zu leben wähnten, weil +wir dies so hoch anschlugen, wollet Ihr uns beschämen und auf feine +Art zurechtweisen; nicht so?" + +"Mitnichten! Es sei ferne von mir, eure Liebe zum Märchen zu tadeln; +es zeugt von einem unverdorbenen Gemüt, daß ihr euch noch so recht +gemütlich in den Gang des Märchens versetzen konntet, daß ihr nicht +wie andere vornehm darauf, als auf ein Kinderspiel, herabsehet, daß +ihr euch nicht langweilt und lieber ein Roß zureiten oder auf dem +Sofa behaglich einschlummern oder halb träumend die Wasserpfeife +rauchen wolltet, statt dergleichen euer Ohr zu schenken. Es sei +ferne von mir, euch darum zu tadeln; aber das freut mich, daß auch +eine andere Art von Erzählung euch fesselt und ergötzt, eine andere +Art als die, welche man gewöhnlich Märchen nennt." + +"Wie versteht Ihr dies? Erklärt uns deutlicher, was Ihr meinet. +Eine andere Art als das Märchen?" sprachen die Jünglinge unter sich. + +"Ich denke, man muß einen gewissen Unterschied machen zwischen +Märchen und Erzählungen, die man im gemeinen Leben Geschichten nennt. +Wenn ich euch sage, ich will euch ein Märchen erzählen, so werdet +ihr zum voraus darauf rechnen, daß es eine Begebenheit ist, die von +dem gewöhnlichen Gang des Lebens abschweift und sich in einem Gebiet +bewegt, das nicht mehr durchaus irdischer Natur ist. Oder, um +deutlicher zu sein, ihr werdet bei dem Märchen auf die Erscheinung +anderer Wesen als allein sterblicher Menschen rechnen können; es +greifen in das Schicksal der Person, von welcher das Märchen handelt, +fremde Mächte, wie Feen und Zauberer, Genien und Geisterfürsten, ein; +die ganze Erzählung nimmt eine außergewöhnliche, wunderbare Gestalt +an und ist ungefähr anzuschauen wie die Gewebe unserer Teppiche oder +viele Gemälde unserer besten Meister, welche die Franken Arabesken +nennen. Es ist dem echten Muselmann verboten, den Menschen, das +Geschöpf Allahs, sündigerweise wiederzuschöpfen in Farben und +Gemälden, daher sieht man auf jenen Geweben wunderbar verschlungene +Bäume und Zweige mit Menschenköpfen, Menschen, die in einen Fisch +oder Strauch ausgehen, kurz, Figuren, die an das gewöhnliche Leben +erinnern und dennoch ungewöhnlich sind; ihr versteht mich doch?" "Ich +glaube, Eure Meinung zu erraten", sagte der Schreiber, "doch fahret +weiter fort!" + +"Von dieser Art ist nun das Märchen; fabelhaft, ungewöhnlich, +überraschend; weil es dem gewöhnlichen Leben fremd ist, wird es oft +in fremde Länder oder in ferne, längst vergangene Zeiten verschoben. +Jedes Land, jedes Volk hat solche Märchen, die Türken so gut als die +Perser, die Chinesen wie die Mongolen; selbst in Frankenland soll es +viele geben, wenigstens erzählte mir einst ein gelehrter Giaur davon; +doch sind sie nicht so schön als die unsrigen; denn statt schöner +Feen, die in prachtvollen Palästen wohnen, haben sie zauberhafte +Weiber, die sie Hexen nennen, heimtückisches, häßliches Volk, das in +elenden Hütten wohnt, und statt in einem Muschelwagen, von Greisen +gezogen, durch die blauen Lüfte zu fahren, reiten sie auf einem Besen +durch den Nebel. Sie haben auch Gnomen und Erdgeister, das sind +kleine verwachsene Kerlchen, die allerlei Spuk machen. Das sind nun +die Märchen; ganz anders ist es aber mit den Erzählungen, die man +gemeinhin Geschichten nennt. Diese bleiben ganz ordentlich auf der +Erde, tragen sich im gewöhnlichen Leben zu, und wunderbar ist an +ihnen meistens nur die Verkettung der Schicksale eines Menschen, der +nicht durch Zauber, Verwünschung oder Feenspuk, wie im Märchen, +sondern durch sie selbst oder die sonderbare Fügung der Umstände +reich oder arm, glücklich oder unglücklich wird." + +"Richtig!" erwiderte einer der jungen Leute. "Solche reinen +Geschichten finden sich auch in den herrlichen Erzählungen der +Scheherazade, die man ŽTausendundeine NachtŽ nennt. Die meisten +Begebenheiten des Königs Harun Al-Raschid und seines Wesirs sind +dieser Art. Sie gehen verkleidet aus und sehen diesen oder jenen +höchst sonderbaren Vorfall, der sich nachher ganz natürlich auflöst." + +"Und dennoch werdet ihr gestehen müssen", fuhr der Alte fort, "daß +jene Geschichten nicht der schlechteste Teil der ŽTausendundeine +NachtŽ sind. Und doch, wie verschieden sind sie in ihren Ursachen, +in ihrem Gang, in ihrem ganzen Wesen von den Märchen eines Prinzen +Biribinker oder der drei Derwische mit einem Auge oder des Fischers, +der den Kasten, verschlossen mit dem Siegel Salomos, aus dem Meere +zieht! Aber am Ende ist es dennoch eine Grundursache, die beiden +ihren eigentümlichen Reiz gibt, nämlich das, daß wir etwas +Auffallendes, Außergewöhnliches miterleben. Bei dem Märchen liegt +dieses Außergewöhnliche in jener Einmischung eines fabelhaften +Zaubers in das gewöhnliche Menschenleben, bei den Geschichten +geschieht etwas zwar nach natürlichen Gesetzen, aber auf +überraschende, ungewöhnliche Weise." + +"Sonderbar!" rief der Schreiber, "sonderbar, daß uns dann dieser +natürliche Gang der Dinge ebenso anzieht wie der übernatürliche im +Märchen; worin mag dies doch liegen?" + +"Das liegt in der Schilderung des einzelnen Menschen", antwortete der +Alte; "im Märchen häuft sich das Wunderbare so sehr, der Mensch +handelt so wenig mehr aus eigenem Trieb, daß die einzelnen Figuren +und ihr Charakter nur flüchtig gezeichnet werden können. Anders bei +der gewöhnlichen Erzählung, wo die Art, wie jeder seinem Charakter +gemäß spricht und handelt, die Hauptsache und das Anziehende ist. So +die Geschichte von dem gebackenen Kopf, die wir soeben gehört haben. +Der Gang der Erzählung wäre im ganzen nicht auffallend, nicht +überraschend, wäre er nicht verwickelt durch den Charakter der +Handelnden. Wie köstlich zum Beispiel ist die Figur des Schneiders. +Man glaubt den alten, gekrümmten Mantelflicker vor sich zu sehen. Er +soll zum erstenmal in seinem Leben einen tüchtigen Schnitt machen, +ihm und seinem Weibe lacht schon zum voraus das Herz, und sie +traktieren sich mit recht schwarzem Kaffee. Welches Gegenstück zu +dieser behaglichen Ruhe ist dann jene Szene, wo sie den Pack begierig +öffnen und den greulichen Kopf erblicken. Und nachher glaubt man ihn +nicht zu sehen und zu hören, wie er auf dem Minarett umherschleicht, +die Gläubigen mit meckernder Stimme zum Gebet ruft und bei Erblickung +des Sklaven plötzlich, wie vom Donner gerührt, verstummt? Dann der +Barbier! Sehet ihr ihn nicht vor euch, den alten Sünder, der, +während er die Seife anrührt, viel schwatzt und gerne verbotenen Wein +trinkt? Sehet ihr ihn nicht, wie er dem sonderbaren Kunden das +Barbierschüsselchen unterhält und--den kalten Schädel berührt? Nicht +minder gut, wenn auch nur angedeutet, ist der Sohn des Bäckers, der +verschmitzte Junge, und der Bratenmacher Yanakil. Ist nicht das +Ganze eine ununterbrochene Reihe komischer Szenen, scheint nicht der +Gang der Geschichte, so ungewöhnlich er ist, sich ganz natürlich zu +fügen? Und warum? Weil die einzelnen Figuren richtig gezeichnet +sind und aus ihrem ganzen Wesen alles so kommen muß, wie es wirklich +geschieht." + +"Wahrlich, Ihr habt recht!" erwiderte der junge Kaufmann, "ich habe +mir nie Zeit genommen, so recht darüber nachzudenken, habe alles nur +so gesehen und an mir vorübergehen lassen, habe mich an dem einen +ergötzt, das andere langweilig gefunden, ohne gerade zu wissen, warum. +Aber Ihr gebt uns da einen Schlüssel, der uns das Geheimnis öffnet, +einen Probierstein, worauf wir die Probe machen und richtig urteilen +können." + +"Tuet das immer", antwortete der Alte, "und euer Genuß wird sich +vergrößern, wenn ihr nachdenken lernet über das, was ihr gehört. +Doch siehe, dort erhebt sich wieder ein neuer, um zu erzählen." + +So war es, und der fünfte Sklave begann: + + + + +Der arme Stephan + +Gustav Adolf Schöll + + +Im "Märchenalmanach auf das Jahr 1827" stand hier "Der arme Stephan" +von Gustav Adolf Schöll. + + + + + + +Der gebackene Kopf + +James Justinian Morier + + +Im "Märchenalmanach auf das Jahr 1827" stand hier "Der gebackene +Kopf" von James Justinian Morier. + + + + + + +Der Affe als Mensch + +Wilhelm Hauff + + +"Herr! ich bin ein Deutscher von Geburt und habe mich in Euren Landen +zu kurz aufgehalten, als daß ich ein persisches Märchen oder eine +ergötzliche Geschichte von Sultanen und Wesiren erzählen könnte. Ihr +müßt mir daher schon erlauben, daß ich etwas aus meinem Vaterland +erzähle, was Euch vielleicht auch einigen Spaß macht. Leider sind +unsere Geschichten nicht immer so vornehm wie die Euren, das heißt, +sie handeln nicht von Sultanen oder unseren Königen, nicht von +Wesiren und Paschas, was man bei uns Justiz- und Finanzminister, auch +Geheimräte und dergleichen nennt, sondern sie leben, wenn sie nicht +von Soldaten handeln, gewöhnlich ganz bescheiden und unter den +Bürgern. + +Im südlichen Teil von Deutschland liegt das Städtchen Grünwiesel, wo +ich geboren und erzogen bin. Es ist ein Städtchen, wie sie alle sind. +In der Mitte ein kleiner Marktplatz mit einem Brunnen, an der Seite +ein kleines, altes Rathaus, umher auf dem Markt die Häuser des +Friedensrichters und der angesehensten Kaufleute, und in ein paar +engen Straßen wohnen die übrigen Menschen. Alles kennt sich, +jedermann weiß, wie es da und dort zugeht, und wenn der Oberpfarrer +oder der Bürgermeister oder der Arzt ein Gericht mehr auf der Tafel +hat, so weiß es schon am Mittagessen die ganze Stadt. Nachmittags +kommen dann die Frauen zueinander in die Visite, wie man es nennt, +besprechen sich bei starkem Kaffee und süßem Kuchen über diese große +Begebenheit, und der Schluß ist, daß der Oberpfarrer wahrscheinlich +in die Lotterie gesetzt und unchristlich viel gewonnen habe, daß der +Bürgermeister sich 'schmieren' lasse oder daß der Doktor vom +Apotheker einige Goldstücke bekommen habe, um recht teure Rezepte zu +verschreiben. Ihr könnet Euch denken, Herr, wie unangenehm es für +eine so wohleingerichtete Stadt wie Grünwiesel sein mußte, als ein +Mann dorthin zog, von dem niemand wußte, woher er kam, was er wollte, +von was er lebte. Der Bürgermeister hatte zwar seinen Paß gesehen, +ein Papier, das bei uns jedermann haben muß" + +"Ist es denn so unsicher auf den Straßen", unterbrach den Sklaven der +Scheik, "daß Ihr einen Ferman Eures Sultans haben müsset, um die +Räuber in Respekt zu setzen?" + +"Nein, Herr", entgegnete jener, "diese Papiere halten keinen Dieb von +uns ab, sondern es ist nur der Ordnung wegen, daß man überall weiß, +wen man vor sich hat." + +Nun, der Bürgermeister hatte den Paß untersucht und in einer +Kaffeegesellschaft bei Doktors geäußert, der Paß sei zwar ganz +richtig visiert von Berlin bis Grünwiesel, aber es stecke doch was +dahinter; denn der Mann sehe etwas verdächtig aus. Der Bürgermeister +hatte das größte Ansehen in der Stadt, kein Wunder, daß von da an der +Fremde als eine verdächtige Person angesehen wurde. Und sein +Lebenswandel konnte meine Landsleute nicht von dieser Meinung +abbringen. Der fremde Mann mietete sich für einige Goldstücke ein +ganzes Haus, das bisher öde gestanden, ließ einen ganzen Wagen voll +sonderbarer Gerätschaften, als Öfen, Kunstherde, große Tiegel und +dergleichen hineinschaffen und lebte von da an ganz für sich allein. +Ja, er kochte sich sogar selbst, und es kam keine menschliche Seele +in sein Haus als ein alter Mann aus Grünwiesel, der ihm seine +Einkäufe in Brot, Fleisch und Gemüse besorgen mußte. Doch auch +dieser durfte nur in den Flur des Hauses kommen, und dort nahm der +fremde Mann das Gekaufte in Empfang. + +Ich war ein Knabe von zehn Jahren, als der Mann in meiner Vaterstadt +einzog, und ich kann mir noch heute, als wäre es gestern geschehen, +die Unruhe denken, die dieser Mann im Städtchen verursachte. Er kam +nachmittags nicht, wie andere Männer, auf die Kegelbahn, er kam +abends nicht ins Wirtshaus, um, wie die übrigen, bei einer Pfeife +Tabak über die Zeitung zu sprechen. Umsonst luden ihn nach der Reihe +der Bürgermeister, der Friedensrichter, der Doktor und der +Oberpfarrer zum Essen oder Kaffee ein, er ließ sich immer +entschuldigen. Daher hielten ihn einige für verrückt, andere für +einen Juden, eine dritte Partie behauptete steif und fest, er sei ein +Zauberer oder Hexenmeister. Ich wurde achtzehn, zwanzig Jahre alt, +und noch immer hieß der Mann in der Stadt der fremde Herr. + +Es begab sich aber eines Tages, daß Leute mit fremden Tieren in die +Stadt kamen. Es ist dies hergelaufenes Gesindel, das ein Kamel hat, +welches sich verbeugen kann, einen Bären, der tanzt, einige Hunde und +Affen, die in menschlichen Kleidern komisch genug aussehen und +allerlei Künste machen. Diese Leute durchziehen gewöhnlich die Stadt, +halten an den Kreuzstraßen und Plätzen, machen mit einer kleinen +Trommel und einer Pfeife eine übeltönende Musik, lassen ihre Truppe +tanzen und springen und sammeln dann in den Häusern Geld ein. Die +Truppe aber, die diesmal sich in Grünwiesel sehen ließ, zeichnete +sich durch einen ungeheuren Orang-Utan aus, der beinahe Menschengröße +hatte, auf zwei Beinen ging und allerlei artige Künste zu machen +verstand. Diese Hunds- und Affenkomödie kam auch vor das Haus des +fremden Herrn; er erschien, als die Trommel und Pfeife ertönten, von +Anfang ganz unwillig hinter den dunklen, vom Alter angelaufenen +Fenstern; bald aber wurde er freundlicher, schaute zu jedermanns +Verwundern zum Fenster heraus und lachte herzlich über die Künste des +Orang-Utans; ja, er gab für den Spaß ein so großes Silberstück, daß +die ganze Stadt davon sprach. + +Am anderen Morgen zog die Tierbande weiter; das Kamel mußte viele +Körbe tragen, in welchen die Hunde und Affen ganz bequem saßen, die +Tiertreiber aber und der große Affe gingen hinter dem Kamel. Kaum +aber waren sie einige Stunden zum Tore hinaus, so schickte der fremde +Herr auf die Post, verlangte zu großer Verwunderung des Postmeisters +einen Wagen und Extrapost und fuhr zu demselben Tor hinaus den Weg +hin, den die Tiere genommen hatten. Das ganze Städtchen ärgerte sich, +daß man nicht erfahren konnte, wohin er gereist sei. Es war schon +Nacht, als der fremde Herr wieder im Wagen vor dem Tor ankam; es saß +aber noch eine Person im Wagen, die den Hut tief ins Gesicht gedrückt +und um Mund und Ohren ein seidenes Tuch gebunden hatte. Der +Torschreiber hielt es für seine Pflicht, den anderen Fremden +anzureden und um seinen Paß zu bitten; er antwortete aber sehr grob, +indem er in einer ganz unverständlichen Sprache brummte. + +"Es ist mein Neffe", sagte der fremde Mann freundlich zum +Torschreiber, indem er ihm einige Silbermünzen in die Hand drückte, +"es ist mein Neffe und versteht bis dato noch wenig Deutsch; er hat +soeben in seiner Mundart ein wenig geflucht, daß wir hier aufgehalten +werden." + +"Ei, wenn es Dero Neffe ist", antwortete der Torschreiber, "so kann +er wohl ohne Paß hereinkommen; er wird wohl ohne Zweifel bei Ihnen +wohnen?" + +"Allerdings", sagte der Fremde, "und hält sich wahrscheinlich längere +Zeit hier auf." + +Der Torschreiber hatte keine weitere Einwendung mehr, und der fremde +Herr und sein Neffe fuhren ins Städtchen. Der Bürgermeister und die +ganze Stadt waren übrigens nicht sehr zufrieden mit dem Torschreiber. +Er hätte doch wenigstens einige Worte von der Sprache des Neffen +sich merken sollen; daraus hätte man dann leicht erfahren, was für +ein Landeskind er und der Onkel wären. Der Torschreiber versicherte +aber, daß es weder Französisch oder Italienisch sei, wohl aber habe +es so breit geklungen wie Englisch, und wenn er nicht irre, so habe +der junge Herr gesagt: "Goddam!" So half der Torschreiber sich selbst +aus der Not und dem jungen Manne zu einem Namen; denn man sprach +jetzt nur von dem jungen Engländer im Städtchen. + +Aber auch der junge Engländer wurde nicht sichtbar, weder auf der +Kegelbahn noch im Bierkeller; wohl aber gab er den Leuten auf andere +Weise viel zu schaffen.--Es begab sich nämlich oft, daß von dem sonst +so stillen Hause des Fremden ein schreckliches Geschrei und ein Lärm +ausging, daß die Leute haufenweise vor dem Hause stehenblieben und +hinaufsahen. Man sah dann den jungen Engländer, angetan mit einem +roten Frack und grünen Beinkleidern, mit struppichtem Haar und +schrecklicher Miene unglaublich schnell an den Fenstern hin und her +durch alle Zimmer laufen; der alte Fremde lief ihm in einem roten +Schlafrock, eine Hetzpeitsche in der Hand, nach, verfehlte ihn oft, +aber einigemal kam es doch der Menge auf der Straße vor, als müsse er +den Jungen erreicht haben; denn man hörte klägliche Angsttöne und +klatschende Peitschenhiebe die Menge. An dieser grausamen Behandlung +des fremden jungen Mannes nahmen die Frauen des Städtchens so +lebhaften Anteil, daß sie endlich den Bürgermeister bewogen, einen +Schritt in der Sache zu tun. Er schrieb dem fremden Herrn ein +Billett, worin er ihm die unglimpfliche Behandlung seines Neffen in +ziemlich derben Ausdrücken vorwarf und ihm drohte, wenn noch ferner +solche Szenen vorfielen, den jungen Mann unter seinen besonderen +Schutz zu nehmen. + +Wer war aber mehr erstaunt als der Bürgermeister, wie er den Fremden +selbst, zum erstenmal seit zehn Jahren, bei sich eintreten sah. Der +alte Herr entschuldigte sein Verfahren mit dem besonderen Auftrag der +Eltern des Jünglings, die ihm solchen zu erziehen gegeben; er sei +sonst ein kluger, anstelliger Junge, äußerte er, aber die Sprachen +erlerne er sehr schwer; er wünsche so sehnlich, seinem Neffen das +Deutsche recht geläufig beizubringen, um sich nachher die Freiheit zu +nehmen, ihn in die Gesellschaft von Grünwiesel einzuführen, und +dennoch gehe demselben diese Sprache so schwer ein, daß man oft +nichts Besseres tun könne, als ihn gehörig durchzupeitschen. Der +Bürgermeister fand sich durch diese Mitteilung völlig befriedigt, +riet dem Alten zur Mäßigung und erzählte abends im Bierkeller, daß er +selten einen so unterrichteten, artigen Mann gefunden als den Fremden; +"es ist nur schade", setzte er hinzu, "daß er so wenig in +Gesellschaft kommt; doch ich denke, wenn der Neffe nur erst ein wenig +Deutsch spricht, besucht er meine Cercles öfter." + +Durch diesen einzigen Vorfall war die Meinung des Städtchens völlig +umgeändert. Man hielt den Fremden für einen artigen Mann, sehnte +sich nach seiner näheren Bekanntschaft und fand es ganz in der +Ordnung, wenn hier und da in dem öden Hause ein gräßliches Geschrei +aufging. "Er gibt dem Neffen Unterricht in der deutschen +Sprachlehre", sagten die Grünwiesler und blieben nicht mehr stehen. +Nach einem Vierteljahr ungefähr schien der Unterricht im Deutschen +beendigt; denn der Alte ging jetzt um eine Stufe weiter vor. Es +lebte ein alter gebrechlicher Franzose in der Stadt, der den jungen +Leuten Unterricht im Tanzen gab. Diesen ließ der Fremde zu sich +rufen und sagte ihm, daß er seinen Neffen im Tanzen unterrichten +lassen wolle. Er gab ihm zu verstehen, daß derselbe zwar sehr +gelehrig, aber, was das Tanzen betreffe, etwas eigensinnig sei; er +habe nämlich früher bei einem anderen Meister tanzen gelernt, und +zwar nach so sonderbaren Touren, daß er sich nicht füglich in der +Gesellschaft produzieren könne; der Neffe halte sich aber eben +deswegen für einen großen Tänzer, obgleich sein Tanz nicht die +entfernteste Ähnlichkeit mit Walzer oder Galopp (Tänze, die man in +meinem Vaterlande tanzt, o Herr!), nicht einmal Ähnlichkeit mit +Ekossaise oder Française habe. Er versprach übrigens einen Taler für +die Stunde, und der Tanzmeister war mit Vergnügen bereit, den +Unterricht des eigensinnigen Zöglings zu übernehmen. + +Es gab, wie der Franzose unterderhand versicherte, auf der Welt +nichts Sonderbareres als diese Tanzstunden. Der Neffe, ein ziemlich +großer, schlanker junger Mann, der nur etwas sehr kurze Beine hatte, +erschien in einem roten Frack, schön frisiert, in grünen, weiten +Beinkleidern und glasierten Handschuhen. Er sprach wenig und mit +fremdem Akzent, war von Anfang ziemlich artig und anstellig; dann +verfiel er aber oft plötzlich in fratzenhafte Sprünge, tanzte die +kühnsten Touren, wobei er Entrechats machte, daß dem Tanzmeister +Hören und Sehen verging; wollte er ihn zurechtweisen, so zog er die +zierlichen Tanzschuhe von den Füßen, warf sie dem Franzosen an den +Kopf und setzte nun auf allen Vieren im Zimmer umher. Bei diesem +Lärm fuhr dann der alte Herr plötzlich in einem weiten, roten +Schlafrock, eine Mütze von Goldpapier auf dem Kopf, aus seinem Zimmer +heraus und ließ die Hetzpeitsche ziemlich unsanft auf den Rücken des +Neffen niederfallen. Der Neffe fing dann an, schrecklich zu heulen, +sprang auf Tische und hohe Kommoden, ja selbst an den Kreuzstöcken +der Fenster hinauf und sprach eine fremde, seltsame Sprache. Der +Alte im roten Schlafrock aber ließ sich nicht irremachen, faßte ihn +am Bein, riß ihn herab, bleute ihn durch und zog ihm mittels einer +Schnalle die Halsbinde fester an, worauf er immer wieder artig und +manierlich wurde und die Tanzstunde ohne Störung weiterging. + +Als aber der Tanzmeister seinen Zögling so weit gebracht hatte, daß +man Musik zu der Stunde nehmen konnte, da war der Neffe wie +umgewandelt. Ein Stadtmusikant wurde gemietet, der im Saal des öden +Hauses auf einen Tisch sich setzen mußte. Der Tanzmeister stellte +dann die Dame vor, indem ihm der alte Herr einen Frauenrock von Seide +und einen ostindischen Schal anziehen ließ; der Neffe forderte ihn +auf und fing nun an, mit ihm zu tanzen und zu walzen; er aber war ein +unermüdlicher, rasender Tänzer, er ließ den Meister nicht aus seinen +langen Armen; ob er ächzte und schrie, er mußte tanzen, bis er +ermattet umsank oder bis dem Stadtmusikus der Arm lahm wurde an der +Geige. Den Tanzmeister brachten diese Unterrichtsstunden beinahe +unter den Boden, aber der Taler, den er jedesmal richtig ausbezahlt +bekam, der gute Wein, den der Alte aufwartete, machten, daß er immer +wiederkam, wenn er auch den Tag zuvor sich fest vorgenommen hatte, +nicht mehr in das öde Haus zu gehen. + +Die Leute in Grünwiesel sahen aber die Sache ganz anders an als der +Franzose. Sie fanden, daß der junge Mann viele Anlagen zum +Gesellschaftlichen habe, und die Frauenzimmer im Städtchen freuten +sich, bei dem großen Mangel an Herren einen so flinken Tänzer für den +nächsten Winter zu bekommen. + +Eines Morgens berichteten die Mägde, die vom Markte heimkehrten, +ihren Herrschaften ein wunderbares Ereignis. Vor dem öden Hause sei +ein prächtiger Glaswagen gestanden, mit schönen Pferden bespannt, und +ein Bediensteter in reicher Livree habe den Schlag gehalten. Da sei +die Türe des öden Hauses aufgegangen und zwei schön gekleidete Herren +herausgetreten, wovon der eine der alte Fremde und der andere +wahrscheinlich der junge Herr gewesen, der so schwer Deutsch gelernt +und so rasend tanze. Die beiden seien in den Wagen gestiegen, der +Bedienstete hinten aufs Brett gesprungen, und der Wagen, man stelle +sich vor, sei geradezu auf Bürgermeisters Haus zugefahren. + +Als die Frauen solches von ihren Mägden erzählen hörten, rissen sie +eilends die Küchenschürzen und die etwas unsauberen Hauben ab und +versetzten sich in Staat; "es ist nichts gewisser", sagten sie zu +ihrer Familie, indem alles umherrannte, um das Besuchszimmer, das +zugleich zu sonstigem Gebrauch diente, aufzuräumen, "es ist nichts +gewisser, als daß der Fremde jetzt seinen Neffen in die Welt einführt. +Der alte Narr war seit zehn Jahren nicht so artig, einen Fuß in +unser Haus zu setzen, aber es sei ihm wegen des Neffen verziehen, der +ein charmanter Mensch sein soll." So sprachen sie und ermahnten ihre +Söhne und Töchter, recht manierlich auszusehen, wenn die Fremden +kämen, sich gerade zu halten und sich auch einer besseren Aussprache +zu bedienen als gewöhnlich. Und die klugen Frauen im Städtchen +hatten nicht unrecht geraten; denn nach der Reihe fuhr der alte Herr +mit seinem Neffen umher; sich und ihn in die Gewogenheit der Familien +zu empfehlen. + +Man war überall ganz erfüllt von den beiden Fremden und bedauerte, +nicht schon früher diese angenehme Bekanntschaft gemacht zu haben. +Der alte Herr zeigte sich als ein würdiger, sehr vernünftiger Mann, +der zwar bei allem, was er sagte, ein wenig lächelte, so daß man +nicht gewiß war, ob es ihm Ernst sei oder nicht, aber er sprach über +das Wetter, über die Gegend, über das Sommervergnügen auf dem Keller +am Berge so klug und durchdacht, daß jedermann davon bezaubert war. +Aber der Neffe! Er bezauberte alles, er gewann alle Herzen für sich. + +Man konnte zwar, was sein Äußeres betraf, sein Gesicht nicht schön +nennen; der untere Teil, besonders die Kinnlade, stand allzusehr +hervor, und der Teint war sehr bräunlich; auch machte er zuweilen +allerlei sonderbare Grimassen, drückte die Augen zu und fletschte mit +den Zähnen; aber dennoch fand man den Schnitt seiner Züge ungemein +interessant. Es konnte nichts Beweglicheres, Gewandteres geben als +seine Gestalt. Die Kleider hingen ihm zwar etwas sonderbar am Leib, +aber es stand ihm alles trefflich; er fuhr mit großer Lebendigkeit im +Zimmer umher, warf sich hier aufs Sofa, dort in einen Lehnstuhl und +streckte die Beine von sich; aber was man bei einem anderen jungen +Mann höchst gemein und unschicklich gefunden hätte, galt bei dem +Neffen für Genialität. + +"Er ist ein Engländer", sagte man, "so sind sie alle; ein Engländer +kann sich aufs Kanapee legen und einschlafen, während zehn Damen +keinen Platz haben und umherstehen müssen, einem Engländer kann man +so etwas nicht übelnehmen." Gegen den alten Herrn, seinen Oheim, war +er sehr fügsam; denn wenn er anfing, im Zimmer umherzuhüpfen oder, +wie er gerne tat, die Füße auf den Sessel hinaufzuziehen, so reichte +ein ernsthafter Blick hin, ihn zur Ordnung zu bringen. Und wie +konnte man ihm so etwas übelnehmen, als vollends der Onkel in jedem +Haus zu der Dame sagte: "Mein Neffe ist noch ein wenig roh und +ungebildet; aber ich verspreche mir viel von der Gesellschaft, die +wird ihn gehörig formen und bilden, und ich empfehle ihn namentlich +Ihnen aufs angelegenste." + +So war der Neffe also in die Welt eingeführt, und ganz Grünwiesel +sprach an diesem und den folgenden Tagen von nichts anderem als von +diesem Ereignis. Der alte Herr blieb aber hierbei nicht stehen; er +schien seine Denk- und Lebensart gänzlich geändert zu haben. +Nachmittags ging er mit dem Neffen hinaus in den Felsenkeller am Berg, +wo die vornehmeren Herren von Grünwiesel Bier tranken und sich am +Kegelschieben ergötzten. Der Neffe zeigte sich dort als ein flinker +Meister im Spiel; denn er warf nie unter fünf oder sechs; hier und da +schien zwar ein sonderbarer Geist über ihn zu kommen; es konnte ihm +einfallen, daß er pfeilschnell mit der Kugel hinaus- und unter die +Kegel hineinfuhr und dort allerhand tollen Rumor anrichtete, oder +wenn er den Kranz oder den König geworfen, stand er plötzlich auf +seinem schön frisierten Haar und streckte die Beine in die Höhe, oder +wenn ein Wagen vorbeifuhr, saß er, ehe man sich's dessen versah, oben +auf dem Kutschenhimmel und machte Grimassen herab, fuhr so ein +Stückchen weit mit und kam dann wieder zur Gesellschaft gesprungen. + +Der alte Herr pflegte dann bei solchen Szenen den Bürgermeister und +die anderen Männer sehr um Entschuldigung zu bitten wegen der +Ungezogenheit seines Neffen; sie aber lachten, schrieben es seiner +Jugend zu, behaupteten, in diesem Alter selbst so leichtfüßig gewesen +zu sein, und liebten den jungen Springinsfeld, wie sie ihn nannten, +ungemein. + +Es gab aber auch Zeiten, wo sie sich nicht wenig über ihn ärgerten +und dennoch nichts zu sagen wagten, weil der junge Engländer +allgemein als ein Muster von Bildung und Verstand galt. Der alte +Herr pflegte nämlich mit seinem Neffen auch abends in den Goldenen +Hirsch, das Wirtshaus des Städtchens, zu kommen. Obgleich der Neffe +noch ein ganz junger Mensch war, tat er doch schon ganz wie ein Alter, +setzte sich hinter sein Glas, tat eine ungeheure Brille auf, zog +eine gewaltige Pfeife heraus, zündete sie an und dampfte unter allen +am ärgsten. Wurde nun über die Zeitungen, über Krieg und Frieden +gesprochen, gab der Doktor die Meinung, der Bürgermeister jene, waren +die anderen Herren ganz erstaunt über so tiefe politische Kenntnisse, +so konnte es dem Neffen plötzlich einfallen, ganz anderer Meinung zu +sein; er schlug dann mit der Hand, von welcher er nie die Handschuhe +ablegte, auf den Tisch und gab dem Bürgermeister und dem Doktor nicht +undeutlich zu verstehen, daß sie von diesem allem nichts genau wüßten, +daß er diese Sachen ganz anders gehört habe und tiefere Einsicht +besitze. Er gab dann in einem sonderbar gebrochenen Deutsch seine +Meinung preis, die alle, zum großen Ärgernis des Bürgermeisters, ganz +trefflich fanden; denn er mußte als Engländer natürlich alles besser +wissen. + +Setzten sich dann der Bürgermeister und der Doktor in ihrem Zorn, den +sie nicht laut werden lassen durften, zu einer Partie Schach, so +rückte der Neffe hinzu, schaute dem Bürgermeister mit seiner großen +Brille über die Schulter herein und tadelte diesen oder jenen Zug, +sagte dem Doktor, so und so müsse er ziehen, so daß beide Männer +heimlich ganz grimmig wurden. Bot ihm dann der Bürgermeister +ärgerlich eine Partie an, um ihn gehörig matt zu machen, denn er +hielt sich für einen zweiten Philidor, so schnallte der alte Herr dem +Neffen die Halsbinde fester zu, worauf dieser ganz artig und +manierlich wurde und den Bürgermeister matt machte. + +Man hatte bisher in Grünwiesel beinahe jeden Abend Karten gespielt, +die Partie um einen halben Kreuzer; das fand nun der Neffe erbärmlich, +setzte Kronentaler und Dukaten, behauptete, kein einziger spiele so +fein wie er, söhnte aber die beleidigten Herren gewöhnlich dadurch +wieder aus, daß er ungeheure Summen an sie verlor. Sie machten sich +auch gar kein Gewissen daraus, ihm recht viel Geld abzunehmen; denn +"er ist ja ein Engländer, also von Hause aus reich", sagten sie und +schoben die Dukaten in die Tasche. + +So kam der Neffe des fremden Herrn in kurzer Zeit bei Stadt und +Umgegend in ungemeines Ansehen. Man konnte sich seit +Menschengedenken nicht erinnern, einen jungen Mann dieser Art in +Grünwiesel gesehen zu haben, und es war die sonderbarste Erscheinung, +die man je bemerkt. Man konnte nicht sagen, daß der Neffe irgend +etwas gelernt hätte als etwa tanzen. Latein und Griechisch waren ihm, +wie man zu sagen pflegt, böhmische Dörfer. Bei einem +Gesellschaftsspiel in Bürgermeisters Hause sollte er etwas schreiben, +und es fand sich, daß er nicht einmal seinen Namen schreiben konnte; +in der Geographie machte er die auffallendsten Schnitzer; denn es kam +ihm nicht darauf an, eine deutsche Stadt nach Frankreich oder eine +dänische nach Polen zu versetzen, er hatte nichts gesehen, nichts +studiert, und der Oberpfarrer schüttelte oft bedenklich den Kopf über +die rohe Unwissenheit des jungen Mannes; aber dennoch fand man alles +trefflich, was er tat oder sagte; denn er war so unverschämt, immer +recht haben zu wollen, und das Ende jeder seiner Reden war: "Ich +verstehe das besser!" + +So kam der Winter heran, und jetzt erst trat der Neffe mit noch +größerer Glorie auf. Man fand jede Gesellschaft langweilig, wo nicht +er zugegen war, man gähnte, wenn ein vernünftiger Mann etwas sagte; +wenn aber der Neffe selbst das törichteste Zeug in schlechtem Deutsch +vorbrachte, war alles Ohr. Es fand sich jetzt, daß der treffliche +junge Mann auch ein Dichter war; denn nicht leicht verging ein Abend, +an welchem er nicht einiges Papier aus der Tasche zog und der +Gesellschaft einige Sonette vorlas. Es gab zwar einige Leute, die +von dem einen Teil dieser Dichtungen behaupteten, sie seien schlecht +und ohne Sinn, einen anderen Teil wollten sie schon irgendwo gedruckt +gelesen haben; aber der Neffe ließ sich nicht irremachen, er las und +las, machte dann auf die Schönheiten seiner Verse aufmerksam, und +jedesmal erfolgte rauschender Beifall. + +Sein Triumph waren aber die Grünwieseler Bälle. Es konnte niemand +anhaltender, schneller tanzen als er; keiner machte so kühne und +ungemein zierliche Spränge wie er. Dabei kleidete ihn sein Onkel +immer aufs prächtigste nach dem neuesten Geschmack, und obgleich ihm +die Kleider nicht recht am Leibe sitzen wollten, fand man dennoch, +daß ihn alles allerliebst kleide. Die Männer fanden sich zwar bei +diesen Tänzen etwas beleidigt durch die neue Art, womit er auftrat. +Sonst hatte immer der Bürgermeister in eigener Person den Ball +eröffnet, die vornehmsten jungen Leute hatten das Recht, die übrigen +Tänze anzuordnen aber seit der fremde junge Herr erschien, war dies +alles ganz anders. Ohne viel zu fragen, nahm er die nächste beste +Dame bei der Hand, stellte sich mit ihr oben an, machte alles, wie es +ihm gefiel, und war Herr und Meister und Ballkönig. Weil aber die +Frauen diese Manieren ganz trefflich und angenehm fanden, so durften +die Männer nichts dagegen einwenden, und der Neffe blieb bei seiner +selbstgewählten Würde. + +Das größte Vergnügen schien ein solcher Ball dem alten Herrn zu +gewähren; er verwandte kein Auge von seinem Neffen, lächelte immer in +sich hinein, und wenn alle Welt herbeiströmte, um ihm über den +anständigen, wohlgezogenen Jüngling Lobsprüche zu erteilen, so konnte +er sich vor Freude gar nicht fassen; er brach dann in ein lustiges +Gelächter aus und bezeugte sich wie närrisch; die Grünwieseler +schrieben diese sonderbaren Ausbrüche der Freude seiner großen Liebe +zu dem Neffen zu und fanden es ganz in der Ordnung. Doch hier und da +mußte er auch sein väterliches Ansehen gegen den Neffen anwenden. +Denn mitten in den zierlichsten Tänzen konnte es dem jungen Mann +einfallen, mit einem kühnen Sprung auf die Tribüne, wo die +Stadtmusikanten saßen, zu setzen, dem Organisten den Kontrabaß aus +der Hand zu reißen und schrecklich darauf umherzukratzen; oder er +wechselte auf einmal und tanzte auf den Händen, indem er die Beine in +die Höhe streckte. Dann pflegte ihn der Onkel auf die Seite zu +nehmen, machte ihm dort ernstliche Vowürfe und zog ihm die Halsbinde +fester an, daß er wieder ganz gesittet wurde. + +So betrug sich nun der Neffe in Gesellschaft und auf Bällen. Wie es +aber mit den Sitten zu geschehen pflegt, die schlechten verbreiten +sich immer leichter als die guten, und eine neue, auffallende Mode, +wenn sie auch höchst lächerlich sein solle, hat etwas Ansteckendes an +sich für junge Leute, die noch nicht über sich selbst und die Welt +nachgedacht haben. So war es auch in Grünwiesel mit dem Neffen und +seinen sonderbaren Sitten. Als nämlich die junge Welt sah, wie +derselbe mit seinem linkischen Wesen, mit seinem rohen Lachen und +Schwatzen, mit seinen groben Antworten gegen Ältere eher geschätzt +als getadelt werde, daß man dies alles sogar sehr geistreich finde, +so dachten sie bei sich: "Es ist mir ein leichtes, auch solch ein +geistreicher Schlingel zu werden." Sie waren sonst fleißige, +geschickte junge Leute gewesen; jetzt dachten sie: "Zu was hilft +Gelehrsamkeit, wenn man mit Unwissenheit besser fortkömmt?" Sie +ließen die Bücher liegen und trieben sich überall umher auf Plätzen +und Straßen. Sonst waren sie artig gewesen und höflich gegen +jedermann, hatten gewartet, bis man sie fragte, und anständig und +bescheiden geantwortet; jetzt standen sie in die Reihe der Männer, +schwatzten mit, gaben ihre Meinung preis und lachten selbst dem +Bürgermeister unter die Nase, wenn er etwas sagte, und behaupteten, +alles viel besser zu wissen. + +Sonst hatten die jungen Grünwieser Abscheu gehegt gegen rohes und +gemeines Wesen. Jetzt sangen sie allerlei schlechte Lieder, rauchten +aus ungeheuren Pfeifen Tabak und trieben sich in gemeinen Kneipen +umher; auch kauften sie sich, obgleich sie ganz gut sahen, große +Brillen, setzten solche auf die Nase und glaubten nun, gemachte Leute +zu sein; denn sie sahen ja aus wie der berühmte Neffe. Zu Hause oder +wenn sie auf Besuch waren, lagen sie mit Stiefeln und Sporen auf dem +Kanapee, schaukelten sich auf dem Stuhl in guter Gesellschaft oder +stützten die Wangen in beide Fäuste, die Ellbogen aber auf den Tisch, +was nun überaus reizend anzusehen war. Umsonst sagten ihnen ihre +Mütter und Freunde, wie töricht, wie unschicklich dies alles sei, sie +beriefen sich auf das glänzende Beispiel des Neffen. Umsonst stellte +man ihnen vor, daß man dem Neffen, als einem jungen Engländer, eine +gewisse Nationalroheit verzeihen müsse, die jungen Grünwieseler +behaupteten, ebensogut als der beste Engländer das Recht zu haben, +auf geistreiche Weise ungezogen zu sein; kurz, es war ein Jammer, wie +durch das böse Beispiel des Neffen die Sitten und guten Gewohnheiten +in Grünwiesel völlig untergingen. + +Aber die Freude der jungen Leute an ihrem rohen, ungebundenen Leben +dauerte nicht lange; denn folgender Vorfall veränderte auf einmal die +ganze Szene: Die Wintervergnügungen sollte ein großes Konzert +beschließen, das teils von den Stadtmusikanten, teils von geschickten +Musikfreunden in Grünwiesel aufgeführt werden sollte. Der +Bürgermeister spielte das Violoncell, der Doktor das Fagott ganz +vortrefflich, der Apotheker, obgleich er keinen rechten Ansatz hatte, +blies die Flöte, einige Jungfrauen aus Grünwiesel hatten Arien +einstudiert, und alles war trefflich vorbereitet. Da äußerte der +alte Fremde, daß zwar das Konzert auf diese Art trefflich werden +würde, es fehle aber offenbar an einem Duett, und ein Duett müsse in +jedem ordentlichen Konzert notwendigerweise vorkommen. Man war etwas +betreten über diese Äußerung; die Tochter des Bürgermeisters sang +zwar wie eine Nachtigall; aber wo einen Herrn herbekommen, der mit +ihr ein Duett singen könnte? Man wollte endlich auf den alten +Organisten verfallen, der einst einen trefflichen Baß gesungen hatte; +der Fremde aber behauptete, dies alles sei nicht nötig, indem sein +Neffe ganz ausgezeichnet singe. Man war nicht wenig erstaunt über +diese neue treffliche Eigenschaft des jungen Mannes; er mußte zur +Probe etwas singen, und einige sonderbare Manieren abgerechnet, die +man für englisch hielt, sang er wie ein Engel. Man studierte also in +der Eile das Duett ein, und der Abend erschien endlich, an welchem +die Ohren der Grünwieseler durch das Konzert erquickt werden sollten. + +Der alte Fremde konnte leider dem Triumph seines Neffen nicht +beiwohnen, weil er krank war; er gab aber dem Bürgermeister, der ihn +eine Stunde zuvor noch besuchte, einige Maßregeln über seinen Neffen +auf. "Er ist eine gute Seele, mein Neffe", sagte er, "aber hier und +da verfällt er in allerlei sonderbare Gedanken und fängt dann tolles +Zeug an; es ist mir eben deswegen leid, daß ich dem Konzert nicht +beiwohnen kann; denn vor mir nimmt er sich gewaltig in acht, er weiß +wohl, warum! Ich muß übrigens zu seiner Ehre sagen, daß dies nicht +geistiger Mutwillen ist, sondern es ist körperlich, es liegt in +seiner Natur. Wollten Sie nun, Herr Bürgermeister, wenn er etwa in +solche Gedanken verfiele, daß er sich auf ein Notenpult setzte oder +daß er durchaus den Kontrabaß streichen wollte oder dergleichen, +wollten Sie ihm dann nur seine hohe Halsbinde etwas lockerer machen +oder, wenn es auch dann nicht besser wird, ihm solche ganz ausziehen, +Sie werden sehen, wie artig und manierlich er dann wird." + +Der Bürgermeister dankte dem Kranken für sein Zutrauen und versprach, +im Fall der Not also zu tun, wie er ihm geraten. + +Der Konzertsaal war gedrängt voll; denn ganz Grünwiesel und die +Umgegend hatten sich eingefunden. Alle Jäger, Pfarrer, Amtleute, +Landwirte und dergleichen aus dem Umkreis von drei Stunden waren mit +zahlreicher Familie herbeigeströmt, um den seltenen Genuß mit den +Grünwieselern zu teilen. Die Stadtmusikanten hielten sich +vortrefflich; nach ihnen trat der Bürgermeister auf, der das +Violoncell spielte, begleitet vom Apotheker, der die Flöte blies; +nach diesen sang der Organist eine Baßarie mit allgemeinem Beifall, +und auch der Doktor wurde nicht wenig beklatscht, als er auf dem +Fagott sich hören ließ. + +Die erste Abteilung des Konzertes war vorbei, und jedermann war nun +auf die zweite gespannt, in welcher der junge Fremde mit des +Bürgermeisters Tochter ein Duett vortragen sollte. Der Neffe war in +einem glänzenden Anzug erschienen und hatte schon längst die +Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich gezogen. Er hatte sich +nämlich, ohne viel zu fragen, in den prächtigen Lehnstuhl gelegt, der +für eine Gräfin aus der Nachbarschaft hergesetzt worden war; er +streckte die Beine weit von sich, schaute jedermann durch ein +ungeheueres Perspektiv an, das er noch außer seiner großen Brille +gebrauchte, und spielte mit einem großen Fleischerhund, den er trotz +des Verbotes, Hunde mitzunehmen, in die Gesellschaft eingeführt hatte. +Die Gräfin, für welche der Lehnstuhl bereitet war, erschien; aber +wer keine Miene machte, aufzustehen und ihr den Platz einzuräumen, +war der Neffe; er setzte sich im Gegenteil noch bequemer hinein, und +niemand wagte es, dem jungen Mann etwas darüber zu sagen; die +vornehme Dame aber mußte auf einem ganz gemeinen Strohsessel mitten +unter den übrigen Frauen des Städtchens sitzen und soll sich nicht +wenig geärgert haben. + +Während des herrlichen Spieles des Bürgermeisters, während des +Organisten trefflicher Baßarie, ja sogar während der Doktor auf dem +Fagott phantasierte und alles den Atem anhielt und lauschte, ließ der +Neffe den Hund das Schnupftuch apportieren oder schwatzte ganz laut +mit seinen Nachbarn, so daß jedermann, der ihn nicht kannte, über die +absonderlichen Sitten des jungen Herrn sich wunderte. + +Kein Wunder daher, daß alles sehr begierig war, wie er sein Duett +vortragen würde. Die zweite Abteilung begann; die Stadtmusikanten +hatten etwas weniges aufgespielt, und nun trat der Bürgermeister mit +seiner Tochter zu dem jungen Mann, überreichte ihm ein Notenblatt und +sprach: "Mosjöh, wäre es Ihnen jetzt gefällig, das Duetto zu singen?" +Der junge Mann lachte, fletschte mit den Zähnen, sprang auf, und die +beiden anderen folgten ihm an das Notenpult, und die ganze +Gesellschaft war voll Erwartung. Der Organist schlug den Takt und +winkte dem Neffen, anzufangen. Dieser schaute durch seine großen +Brillengläser in die Noten und stieß greuliche, jämmerliche Töne aus. +Der Organist aber schrie ihm zu: "Zwei Töne tiefer, Wertester, C +müssen Sie singen, C!" + +Statt aber C zu singen, zog der Neffe einen seiner Schuhe ab und warf +ihn dem Organisten an den Kopf, daß der Puder weit umherflog. Als +dies der Bürgermeister sah, dachte er. "Ha, jetzt hat er wieder +seine körperlichen Zufälle!", sprang hinzu, packte ihn am Hals und +band ihm das Tuch etwas leichter; aber dadurch wurde es nur noch +schlimmer mit dem jungen Mann. Er sprach nicht mehr Deutsch, sondern +eine ganz sonderbare Sprache, die niemand verstand, und machte große +Sprünge. Der Bürgermeister war in Verzweiflung über diese +unangenehme Störung; er faßte daher den Entschluß, dem jungen Mann, +dem etwas ganz Besonderes zugestoßen sein mußte, das Halstuch +vollends abzulösen. Aber kaum hatte er dies getan, so blieb er vor +Schrecken wie erstarrt stehen; denn statt menschlicher Haut und Farbe +umgab den Hals des jungen Menschen ein dunkelbraunes Fell, und +alsobald setzte derselbe auch seine Sprünge noch höher und +sonderbarer fort, fuhr sich mit den glasierten Handschuhen in die +Haare, zog diese ab, und o Wunder, diese schönen Haare waren eine +Perücke, die er dem Bürgermeister ins Gesicht warf, und sein Kopf +erschien jetzt mit demselben braunen Fell bewachsen. + +Er setzte über Tische und Bänke, warf die Notenpulte um, zertrat +Geigen und Klarinette und erschien wie ein Rasender. "Fangt ihn, +fangt ihn!" rief der Bürgermeister ganz außer sich, "er ist von +Sinnen, fangt ihn!" Das war aber eine schwierige Sache; denn er hatte +die Handschuhe abgezogen und zeigte Nägel an den Händen, mit welchen +er den Leuten ins Gesicht fuhr und sie jämmerlich kratzte. Endlich +gelang es einem mutigen Jäger, seiner habhaft zu werden. Er preßte +ihm die langen Arme zusammen, daß er nur noch mit den Füßen zappelte +und mit heiserer Stimme lachte und schrie. Die Leute sammelten sich +umher und betrachteten den sonderbaren jungen Herrn, der jetzt gar +nicht mehr aussah wie ein Mensch. Aber ein gelehrter Herr aus der +Nachbarschaft, der ein großes Naturalienkabinett und allerlei +ausgestopfte Tiere besaß, trat näher, betrachtete ihn genau und rief +dann voll Verwunderung: "Mein Gott, verehrte Herren und Damen, wie +bringen Sie nur dies Tier in honette Gesellschaft, das ist ja ein +Affe, der Homo Troglodytes Linnaei, ich gebe sogleich sechs Taler für +ihn, wenn Sie mir ihn ablassen, und balge ihn aus für mein Kabinett." + +Wer beschreibt das Erstaunen der Grünwieseler, als sie dies hörten! +"Was, ein Affe, ein Orang-Utan in unserer Gesellschaft? Der junge +Fremde ein ganz gewöhnlicher Affe?" riefen sie und sahen einander +ganz dumm vor Verwunderung an. Man wollte nicht glauben, man traute +seinen Ohren nicht, die Männer untersuchten das Tier genauer, aber es +war und blieb ein ganz natürlicher Affe. + +"Aber, wie ist dies möglich!" rief die Frau Bürgermeister. "Hat er +mir nicht oft seine Gedichte vorgelesen? Hat er nicht wie ein +anderer Mensch bei mir zu Mittag gespeist?" + +"Was?" eiferte die Frau Doktorin. "Wie? Hat er nicht oft und viel +den Kaffee bei mir getrunken und mit meinem Manne gelehrt gesprochen +und geraucht?" + +"Wie! Ist es möglich!" riefen die Männer. "Hat er nicht mit uns am +Felsenkeller Kugeln geschoben und über Politik gestritten wie +unsereiner?" + +"Und wie?" klagten sie alle. "Hat er nicht sogar vorgetanzt auf +unseren Bällen? Ein Affe! Ein Affe? Es ist ein Wunder, es ist +Zauberei!" sagten die Bürger. "Ja, es ist Zauberei und teuflischer +Spuk", sagte der Bürgermeister, indem er das Halstuch des Neffen oder +Affen herbeibrachte. "Seht! In diesem Tuch steckte der ganze Zauber, +der ihn in unseren Augen liebenswürdig machte. Da ist ein breiter +Streifen elastischen Pergaments, mit allerlei wunderlichen Zeichen +beschrieben. Ich glaube gar, es ist Lateinisch; kann es niemand +lesen?" + +Der Oberpfarrer, ein gelehrter Mann, der oft an den Affen eine Partie +Schach verloren hatte, trat hinzu, betrachtete das Pergament und +sprach: "Mitnichten! Es sind nur lateinische Buchstaben, es heißt: + +DER--AFFE--SEHR--POSSIERLICH--IST--ZUMAL--WANN--ER--VOM--APFEL--FRISST +-Ja, ja, es ist höllischer Betrug, eine Art von Zauberei", fuhr er +fort, "und es muß exemplarisch bestraft werden." + +Der Bürgermeister war derselben Meinung und machte sich sogleich auf +den Weg zu dem Fremden, der ein Zauberer sein mußte, und sechs +Stadtsoldaten trugen den Affen; denn der Fremde sollte sogleich ins +Verhör genommen werden. + +Sie kamen, umgeben von einer ungeheuren Anzahl Menschen, an das öde +Haus; denn jedermann wollte sehen, wie sich die Sache weiter begeben +würde. Man pochte an das Haus, man zog die Glocke, aber vergeblich, +es zeigte sich niemand. Da ließ der Bürgermeister in seiner Wut die +Türe einschlagen und begab sich hierauf in die Zimmer des Fremden. +Aber dort war nichts zu sehen als allerlei alter Hausrat. Der fremde +Mann war nicht zu finden. Auf seinem Arbeitstisch aber lag ein +großer, versiegelter Brief, an den Bürgermeister überschrieben, den +dieser auch sogleich öffnete. Er las: + +"Meine lieben Grünwieseler! + +Wenn Ihr dies leset, bin ich nicht mehr in Eurem Städtchen, und Ihr +werdet dann längst erfahren haben, wes Standes und Vaterlandes mein +lieber Neffe ist. Nehmet den Scherz, den ich mit Euch erlaubte, als +eine gute Lehre auf, einen Fremden, der für sich leben will, nicht in +Eure Gesellschaft zu nötigen. Ich selbst fühlte mich zu gut, um Euer +ewiges Klatschen, um Eure schlechten Sitten und Euer lächerliches +Wesen zu teilen. Darum erzog ich einen jungen Orang-Utan, den Ihr +als meinen Stellvertreter so liebgewonnen habt. Lebet wohl und +benützet diese Lehre nach Kräften!" + +Die Grünwieseler schämten sich nicht wenig vor dem ganzen Land. Ihr +Trost war, daß dies alles mit unnatürlichen Dingen zugegangen sei. +Am meisten schämten sich aber die jungen Leute in Grünwiesel, weil +sie die schlechten Gewohnheiten und Sitten des Affen nachgeahmt +hatten. Sie stemmten von jetzt an keinen Ellbogen mehr auf, sie +schaukelten nicht mit dem Sessel, sie schwiegen, bis sie gefragt +wurden, sie legten die Brillen ab und waren artig und gesittet wie +zuvor, und wenn je einer wieder in solche schlechten, lächerlichen +Sitten verfiel, so sagten die Grünwieseler: "Es ist ein Affe." Der +Affe aber, welcher so lange die Rolle eines jungen Herrn gespielt +hatte, wurde dem gelehrten Mann, der ein Naturalienkabinett besaß, +überantwortet. Dieser läßt ihn in seinem Hof umhergehen, füttert ihn +und zeigt ihn als Seltenheit jedem Fremden, wo er noch bis auf den +heutigen Tag zu sehen ist. + +Es entstand ein Gelächter im Saal, als der Sklave geendet hatte, und +auch die jungen Männer lachten mit. "Es muß doch sonderbare Leute +geben unter diesen Franken, und wahrhaftig, da bin ich lieber beim +Scheik und Mufti in Alessandria als in Gesellschaft des Oberpfarrers, +des Bürgermeisters und ihrer törichten Frauen in Grünwiesel!" + +"Da hast du gewiß recht gesprochen", erwiderte der junge Kaufmann. +"In Frankistan möchte ich nicht tot sein. Die Franken sind ein rohes, +wildes, barbarisches Volk, und für einen gebildeten Türken oder +Perser müßte es schrecklich sein, dort zu leben." + +"Das werdet ihr bald hören", versprach der Alte, "so viel mir der +Sklavenaufseher sagte, wird der schöne junge Mann dort vieles von +Frankistan erzählen; denn er war lange dort und ist doch seiner +Geburt nach ein Muselmann." + +"Wie, jener, der zuletzt sitzt in der Reihe? Wahrlich, es ist eine +Sünde, daß der Herr Scheik diesen losgibt! Es ist der schönste +Sklave im ganzen Land; schaut nur dieses mutige Gesicht, dieses kühne +Auge, diese schöne Gestalt! Er kann ihm ja leichte Geschäfte geben; +er kann ihn zum Fliegenwedeler machen oder zum Pfeifenträger; es ist +ein Spaß, ein solches Amt zu versehen, und wahrlich, ein solcher +SkIave ist die Zierde von einem ganzen Haus. Und erst drei Tage hat +er ihn und gibt ihn weg? Es ist Torheit, es ist Sünde!" + +"Tadelt ihn doch nicht, ihn, der weiser ist als ganz Ägypten!" sprach +der Alte mit Nachdruck. "Sagte ich euch nicht schon, daß er ihn +losläßt, weil er glaubt, den Segen Allahs dadurch zu verdienen? Ihr +sagt, er ist schön und wohlgebildet, und ihr sprecht die Wahrheit. +Aber der Sohn des Scheik, den der Prophet in sein Vaterhaus +zurückbringen möge, der Sohn des Scheik war ein schöner Knabe und muß +jetzt auch groß sein und wohlgebildet. Soll er also das Gold sparen +und einen wohlfeilen, verwachsenen Sklaven hingeben in der Hoffnung, +seinen Sohn dafür zu bekommen? Wer etwas tun will in der Welt, der +tut es lieber gar nicht oder--recht!" + +"Und sehet, des Scheik Augen sind immer auf diesen Sklaven geheftet; +ich bemerkte es schon den ganzen Abend. Während der Erzählungen +streifte oft sein Blick dorthin und verweilte auf den edlen Zügen des +Freigelassenen. Es muß ihn doch ein wenig schmerzen, ihn freizugeben." + +"Denke nicht also von dem Mann! Meinst du, tausend Tomans schmerzen +ihn, der jeden Tag das Dreifache einnimmt?" sagte der alte Mann. +"Aber wenn sein Blick mit Kummer auf dem Jüngling weilt, so denkt er +wohl an seinen Sohn, der in der Fremde schmachtet; er denkt wohl, ob +dort vielleicht ein barmerziger Mann wohne, der ihn loskaufe und +zurückschicke zum Vater. " + +"Ihr mögt recht haben", erwiderte der junge Kaufmann, "und ich schäme +mich, daß ich von den Leuten nur immer das Gemeinere und Unedle denke, +während Ihr lieber eine schöne Gesinnung unterlegt. Und doch sind +die Menschen in der Regel schlecht, habt Ihr dies nicht auch gefunden, +Alter?" + +"Gerade, weil ich dies nicht gefunden habe, denke ich gerne gut von +den Menschen", antwortete dieser, "es ging mir gerade wie euch; ich +lebte so in den Tag hinein, hörte viel Schlimmes von den Menschen, +mußte selbst an mir viel Schlechtes erfahren und fing an, die +Menschen alle für schlechte Geschöpfe zu halten. Doch da fiel mir +bei, daß Allah, der so gerecht ist als weise, nicht dulden könnte, +daß ein so verworfenes Geschlecht auf dieser schönen Erde hause. Ich +dachte nach über das, was ich gesehen, was ich erlebt hatte, und +siehe--ich hatte nur das Böse gezählt und das Gute vergessen. Ich +hatte nicht achtgegeben, wenn einer eine Handlung der Barmherzigkeit +übte, ich hatte es natürlich gefunden, wenn ganze Familien tugendhaft +lebten und gerecht waren; so oft ich aber Böses, Schlechtes hörte, +hatte ich es wohl angemerkt in meinem Gedächtnis. Da fing ich an, +mit ganz anderen Augen um mich zu schauen; es freute mich, wenn ich +das Gute nicht so sparsam keimen sah, wie ich anfangs dachte; ich +bemerkte das Böse weniger, oder es fiel mir nicht so sehr auf, und so +lernte ich die Menschen lieben, lernte Gutes von ihnen denken und +habe mich in langen Jahren seltener geirrt, wenn ich von einem Gutes +sprach, als wenn ich ihn für geizig oder gemein oder gottlos hielt." + +Der Alte wurde bei diesen Worten von dem Aufseher der Sklaven +unterbrochen, der zu ihm trat und sprach: "Mein Herr, der Scheik von +Alessandria, Ali Banu, hat Euch mit Wohlgefallen in seinem Saale +bemerkt und ladet Euch ein, zu ihm zu treten und Euch neben ihn zu +setzen." + +Die jungen Leute waren nicht wenig erstaunt über die Ehre, die dem +Alten widerfahren sollte, den sie für einen Bettler gehalten, und als +dieser hingegangen war, sich zu dem Scheik zu setzen, hielten sie den +Sklavenaufseher zurück, und der Schreiber fragte ihn: "Beim Bart des +Propheten beschwöre ich dich, sage uns, wer ist dieser alte Mann, mit +dem wir sprachen und den der Scheik also ehrt?" + +"Wie!" rief der Aufseher der Sklaven und schlug vor Verwunderung die +Hände zusammen. "Diesen Mann kennet ihr nicht?" + +"Nein, wir wissen nicht, wer er ist." + +"Aber ich sah euch doch schon einigemal mit ihm auf der Straße +sprechen, und mein Herr, der Scheik, hat dies auch bemerkt und erst +letzthin gesagt: 'Das müssen wackere junge Leute sein, die dieser +Mann eines Gespräches würdigt.'" + +"Aber, so sage doch, wer er ist!" rief der junge Kaufmann in höchster +Ungeduld. + +"Gehet, Ihr wollet mich nur zum Narren haben", antwortete der +Sklavenaufseher. "In diesen Saal kommt sonst niemand, wer nicht +ausdrücklich eingeladen ist, und heute ließ der Alte dem Scheik sagen, +er werde einige junge Männer in seinen Saal mitbringen, wenn es ihm +nicht ungelegen sei, und Ali Banu ließ ihm sagen, er habe über sein +Haus zu gebieten." + +"Lasse uns nicht länger in Ungewißheit; so wahr ich lebe, ich weiß +nicht, wer dieser Mann ist. Wir lernten ihn zufällig kennen und +sprachen mit ihm." + +"Nun, dann dürfet ihr euch glücklich preisen; denn ihr habt mit einem +gelehrten, berühmten Mann gesprochen, und alle Anwesenden ehren und +bewundern euch deshalb; es ist niemand anders als Mustapha, der +gelehrte Derwisch." + +"Mustapha, der weise Mustapha, der den Sohn des Scheik erzogen hat? +Der viele gelehrte Bücher schrieb, der große Reisen machte in alle +Weltteile! Mit Mustapha haben wir gesprochen? Und gesprochen, als +wär' er unsereiner, so ganz ohne alle Ehrerbietung?" So sprachen die +jungen Männer untereinander und waren sehr beschämt; denn der +Derwisch Mustapha galt damals für den weisesten und gelehrtesten Mann +im ganzen Morgenland. + +"Tröst' euch darüber", antwortete der Sklavenaufseher, seid froh, daß +ihr ihn nicht kanntet; er kann es nicht leiden, wenn man ihn lobt, +und hättet ihr ihn ein einziges Mal die Sonne der Gelehrsamkeit oder +das Gestirn der Weisheit genannt, wie es gebräuchlich ist bei Männern +dieser Axt, er hätte euch von Stund' an verlassen. Doch ich muß +jetzt zurück zu den Leuten, die heute erzählen. Der, der jetzt kommt, +ist tief hinten in Frankistan gebürtig, wollen sehen, was er weiß." + +So sprach der Sklavenaufseher; der aber, an welchen jetzt die Reihe +zu erzählen kam, stand auf und sprach: "Herr! ich bin aus einem Lande, +das weit gegen Mitternacht liegt, Norwegen genannt, wo die Sonne +nicht, wie in deinem gesegneten Vaterlande, Feigen und Zitronen kocht, +wo sie nur wenige Monde über die grüne Erde scheint und ihr im Flug +sparsame Blüten und Früchte entlockt. Du sollst, wenn es dir +angenehm ist, ein paar Märchen hören, wie man sie bei uns in den +warmen Stuben erzählt, wenn das Nordlicht über die Schneefelder +flimmert." (Im Märchenalmanach auf das Jahr 1827 standen hier "Das +Fest der Unterirdischen" (norwegisches Märchen nach mündlicher +Überlieferung) und "Schneeweißchen und Rosenrot" von Wilhelm Grimm) + +Noch waren die jungen Männer im Gespräch über diese Märchen und über +den Alten, den Derwisch Mustapha; sie fühlten sich nicht wenig geehrt, +daß ein so alter und berühmter Mann sie seiner Aufmerksamkeit +gewürdigt und sogar öfters mit ihnen gesprochen und gestritten hatte. +Da kam plötzlich der Aufseher der Sklaven zu ihnen und lud sie ein, +ihm zum Scheik zu folgen, der sie sprechen wolle. + +Den Jünglingen pochte das Herz. Noch nie hatten sie mit einem so +vornehmen Mann gesprochen, nicht einmal allein, viel weniger in so +großer Gesellschaft. Doch sie faßten sich, um nicht als Toren zu +erscheinen, und folgten dem Aufseher der Sklaven zum Scheik. Ali +Banu saß auf einem reichen Polster und nahm Sorbet zu sich. Zu +seiner Rechten saß der Alte, sein dürftiges Kleid ruhte auf +herrlichen Polstern, seine ärmlichen Sandalen hatte er auf einen +reichen Teppich von persischer Arbeit gestellt; aber sein schöner +Kopf, sein Auge voll Würde und Weisheit zeigten an, daß er würdig sei, +neben einem Mann wie dem Scheik zu sitzen. + +Der Scheik war sehr ernst, und der Alte schien ihm Trost und Mut +zuzusprechen. Die Jünglinge glaubten auch in ihrem Ruf vor das +Angesicht des Scheik eine List des Alten zu entdecken, der +wahrscheinlich den trauernden Vater durch ein Gespräch mit ihnen +zerstreuen wollte. + +"Willkommen, ihr jungen Männer", sprach der Scheik, "willkommen in +dem Hause Ali Banus! Mein alter Freund hier hat sich meinen Dank +verdient, daß er euch hier einführte; doch zürnte ich ihm ein wenig, +daß er mich nicht früher mit euch bekannt machte. Wer von euch ist +denn der junge Schreiber?" + +"Ich, o Herr und zu Euren Diensten!" sprach der junge Schreiber, +indem er die Arme über der Brust kreuzte und sich tief verbeugte. + +"Ihr hört also gerne Geschichten und leset gerne Bücher mit schönen +Versen und Denksprüchen?" + +Der junge Mensch erschrak und errötete; denn ihm fiel bei, wie er +damals den Scheik bei dem Alten getadelt und gesagt hatte, an seine +Stelle würde er sich erzählen oder aus Büchern vorlesen lassen. Er +war dem schwatzhaften Alten, der dem Scheik gewiß alles verraten +hatte, in diesem Augenblicke recht gram, warf ihm einen bösen Blick +zu und sprach dann: "O Herr! Allerdings kenne ich für meinen Teil +keine angenehmere Beschäftigung, als mit dergleichen den Tag +zuzubringen. Es bildet den Geist und vertreibt die Zeit. Aber jeder +nach seiner Weise! Ich tadle darum gewiß keinen, der nicht--" + +"Schon gut, schon gut", unterbrach ihn der Scheik lachend und winkte +den zweiten herbei. + +"Wer bist denn du?" fragte er ihn. + +"Herr, ich bin meines Amtes der Gehilfe eines Arztes und habe selbst +schon einige Kranke geheilt." + +"Richtig", erwiderte der Scheik, "und Ihr seid es auch, der das +Wohlleben liebet; Ihr möchtet gerne mit guten Freunden hier und da +tafeln und guter Dinge sein? Nicht wahr, ich habe es erraten?" + +Der junge Mann war beschämt; er fühlte, daß er verraten war und daß +der Alte auch von ihm gebeichtet haben mußte. Er faßte sich aber ein +Herz und antwortete: "O ja, Herr, ich rechne es unter des Lebens +Glückseligkeiten, hier und da mit guten Freunden fröhlich sein zu +können. Mein Beutel reicht nun zwar nicht weiter hin, als meine +Freunde mit Wassermelonen oder dergleichen wohlfeilen Sachen zu +bewirten; doch sind wir auch dabei fröhlich, und es läßt sich denken, +daß wir es noch um ein gutes Teil mehr wären, wenn ich mehr Geld +hätte." + +Dem Scheik gefiel diese beherzte Antwort, und er konnte sich nicht +enthalten, darüber zu lachen. "Welcher ist denn der junge Kaufmann?" +fragte er weiter. + +Der junge Kaufmann verbeugte sich mit freiem Anstand vor dem Scheik; +denn er war ein Mensch von guter Erziehung; der Scheik aber sprach: +"Und Ihr? Ihr habt Freude an Musik und Tanz? Ihr höret es gerne, +wenn gute Künstler etwas spielen und singen und sehet gerne Tänzer +künstliche Tänze ausführen?" Der junge Kaufmann antwortete: "Ich sehe +wohl, o Herr, daß jener alte Mann, um Euch zu belustigen, unsere +Torheiten insgesamt verraten hat. Wenn es ihm gelang, Euch dadurch +aufzuheitern, so habe ich gerne zu Eurem Scherz gedient. Was aber +Musik und Tanz betrifft, so gestehe ich, es gibt nicht leicht etwas, +was mein Herz also vergnügt. Doch glaubet nicht, daß ich deswegen +Euch tadle, o Herr, wenn Ihr nicht ebenfalls--" + +"Genug, nicht weiter!" rief der Scheik, lächelnd mit der Hand +abwehrend. "Jeder nach seiner Weise, wollet Ihr sagen; aber dort +steht ja noch einer; das ist wohl der, welcher so gerne reisen +möchte? Wer seid denn Ihr, junger Herr?" + +"Ich bin ein Maler, o Herr", antwortete der junge Mann, "ich male +Landschaften teils an die Wände der Säle, teils auf Leinwand. Fremde +Länder zu sehen, ist allerdings mein Wunsch; denn man sieht dort +allerlei schöne Gegenden, die man wieder anbringen kann; und was man +sieht und abzeichnet, ist doch in der Regel immer schöner, als was +man nur so selbst erfindet." + +Der Scheik betrachtete jetzt die schönen jungen Leute, und sein Blick +wurde ernst und düster. "Ich hatte einst auch einen lieben Sohn", +sagte er, "und er müßte nun auch so herangewachsen sein wie ihr. Da +solltet ihr seine Genossen und Begleiter sein, und jeder eurer +Wünsche würde von selbst befriedigt werden. Mit jenem würde er lesen, +mit diesem Musik hören, mit dem anderen würde er gute Freunde +einladen und fröhlich und guter Dinge sein, und mit dem Maler ließe +ich ihn ausziehen in schöne Gegenden und wäre dann gewiß, daß er +immer wieder zu mir zurückkehrte. So hat es aber Allah nicht gewollt, +und ich füge mich in seinen Willen ohne Murren. Doch es steht in +meiner Macht, eure Wünsche dennoch zu erfüllen, und ihr sollt +freudigen Herzens von Ali Banu gehen. Ihr, mein gelehrter Freund", +fuhr er fort, indem er sich zu dem Schreiber wandte, "wohnt von jetzt +an in meinem Hause und seid über meine Bücher gesetzt. Ihr könnet +noch dazu anschaffen, was Ihr wollet und für gut haltet, und Euer +einziges Geschäft sei, mir, wenn Ihr etwas recht Schönes gelesen habt, +zu erzählen. Ihr, der Ihr eine gute Tafel unter Freunden liebet, +Ihr sollet der Aufseher über meine Vergnügungen sein. Ich selbst +zwar lebe einsam und ohne Freude, aber es ist meine Pflicht, und mein +Amt bringt es mit sich, hier und da viele Gäste einzuladen. Dort +sollet Ihr an meiner Stelle alles besorgen und könnet von Euren +Freunden dazu einladen, wen Ihr nur wollet; versteht sich, auf etwas +Besseres als Wassermelonen. Den jungen Kaufmann da darf ich freilich +seinem Geschäft nicht entziehen, das ihm Geld und Ehre bringt; aber +alle Abende stehen Euch, mein junger Freund, Tänzer, Sänger und +Musikanten zu Dienste, so viel Ihr wollet. Lasset Euch aufspielen +und tanzen nach Herzenslust. Und Ihr", sprach er zu dem Maler, "Ihr +sollet fremde Länder sehen und das Auge durch Erfahrung schärfen. +Mein Schatzmeister wird Euch zu der ersten Reise, die Ihr morgen +antreten könnet, tausend Goldstücke reichen nebst zwei Pferden und +einem Sklaven. Reiset, wohin Euch das Herz treibt, und wenn Ihr +etwas Schönes sehet, so malet es für mich!" + +Die jungen Leute waren außer sich vor Erstaunen, sprachlos vor Freude +und Dank. Sie wollten den Boden vor den Füßen des gültigen Mannes +küssen; aber er ließ es nicht zu. "Wenn ihr einem zu danken habt", +sprach er, "so ist es diesem weisen Mann hier, der mir von euch +erzählte. Auch mir hat er dadurch Vergnügen gemacht, vier so muntere +junge Leute eurer Art kennenzulernen." + +Der Derwisch Mustapha aber wehrte den Dank der Jünglinge ab. "Sehet", +sprach er, "wie man nie voreilig urteilen muß; habe ich euch zuviel +von diesem edlen Manne gesagt?" + +"Lasset uns nun noch den letzten meiner Sklaven, die heute frei sind, +erzählen hören", unterbrach ihn Ali Banu. + +Jener junge Sklave, der die Aufmerksamkeit aller durch seinen Wuchs, +durch seine Schönheit und seinen mutigen Blick auf sich gezogen hatte, +stand jetzt auf, verbeugte sich vor dem Scheik und fing wohltönend +also zu sprechen an: + + + + +Das Fest der Unterirdischen + +Wilhelm Grimm + + +Im "Märchenalmanach auf das Jahr 1827" stand hier "Das Fest der +Unterirdischen" von Wilhelm Grimm. + + + + + + +Schneeweißchen und Rosenrot + +Wilhelm Grimm + + +Im "Märchenalmanach auf das Jahr 1827" stand hier "Schneeweißchen und +Rosenrot" von Wilhelm Grimm. + + + + + + +Die Geschichte Almansors + +Wilhelm Hauff + + +O Herr! Die Männer, die vor mir gesprochen haben, erzählten +mancherlei wunderbare Geschichten, die sie gehört hatten in fremden +Ländern; ich muß mit Beschämung gestehen, daß ich keine einzige +Erzählung weiß, die Eurer Aufmerksamkeit würdig wäre. Doch wenn es +Euch nicht langweilt, will ich Euch die wunderbaren Schicksale eines +meiner Freunde vortragen. + +Auf jenem algerischen Kaperschiff, von welchem mich Eure milde Hand +befreit hat, war ein junger Mann in meinem Alter, der mir nicht für +das Sklavenkleid geboren schien, das er trug. Die übrigen +Unglücklichen auf dem Schiffe waren entweder rohe Menschen, mit denen +ich nicht leben mochte, oder Leute, deren Sprache ich nicht verstand; +darum fand ich mich zu der Zeit, wo wir ein Stündchen frei hatten, +gerne zu dem jungen Mann. Er nannte sich Almansor und war seiner +Aussprache nach ein Ägypter. Wir unterhielten uns recht angenehm +miteinander und kamen eines Tages auch darauf, uns unsere Geschichte +zu erzählen, da dann die meines Freundes allerdings bei weitem +merkwürdiger war als die meinige. + +Almansors Vater war ein vornehmer Mann in einer ägyptischen Stadt, +deren Namen er mir nicht nannte. Er lebte die Tage seiner Kindheit +vergnügt und froh und umgeben von allem Glanz und aller +Bequemlichkeit der Erde. Aber er wurde dabei doch nicht weichlich +erzogen, und sein Geist wurde frühzeitig ausgebildet; denn sein Vater +war ein weiser Mann, der ihm Lehren der Tugend gab, und überdies +hatte er zum Lehrer einen berühmten Gelehrten, der ihn in allem +unterrichtete, was ein junger Mensch wissen muß--Almansor war etwa +zehn Jahre alt, als die Franken über das Meer her in das Land kamen +und Krieg mit seinem Volke führten. + +Der Vater des Knaben mußte aber den Franken nicht sehr günstig +gewesen sein; denn eines Tages, als er eben zum Morgengebet gehen +wollte, kamen sie und verlangten zuerst seine Frau als Geisel seiner +treuen Gesinnungen gegen das Frankenvolk, und als er sie nicht geben +wollte, schleppten sie seinen Sohn mit Gewalt ins Lager. + +Als der junge Sklave also erzählte, verhüllte der Scheik sein +Angesicht, und es entstand ein Murren des Unwillens im Saal. "Wie", +riefen die Freunde des Scheik, "wie kann der junge Mann dort so +töricht handeln und durch solche Geschichten die Wunden Ali Banus +aufreißen, statt sie zu mildern? Wie kann er ihm seinen Schmerz +erneuern, statt ihn zu zerstreuen?" Der Sklavenaufseher selbst war +voll Zorn über den unverschämten Jüngling und gebot ihm zu schweigen. + +Der junge Sklave aber war sehr erstaunt über dies alles und fragte +den Scheik, ob denn in seiner Erzählung etwas liege, das sein +Mißfallen erregt habe. Der Scheik richtete sich auf und sprach: +"Seid doch ruhig, Freunde; wie kann denn dieser Jüngling etwas von +meinem betrübten Schicksal wissen, da er nur kaum drei Tage unter +diesem Dache ist! Kann es denn bei den Greueln, die diese Franken +verübten, nicht ein ähnliches Geschick wie das meine geben? Kann +nicht vielleicht selbst jener Almansor--doch erzähle immer weiter, +mein junger Freund!" Der junge Sklave verbeugte sich und fuhr fort: + +Der junge Almansor wurde also in das fränkische Lager geführt. Es +erging ihm dort im ganzen gut; denn einer der Feldherrn ließ ihn in +sein Zelt kommen und hatte seine Freude an den Antworten des Knaben, +die ihm ein Dragoman übersetzen mußte; er sorgte für ihn, daß ihm an +Speise und Kleidung nichts abginge; aber die Sehnsucht nach Vater und +Mutter machte dennoch den Knaben höchst unglücklich. Er weinte viele +Tage lang, aber seine Tränen rührten diese Männer nicht. Das Lager +wurde aufgebrochen, und Almansor glaubte jetzt wieder zurückkehren zu +dürfen; aber es war nicht so; das Heer zog hin und her, führte Krieg +mit den Mamelucken, und den jungen Almansor schleppten sie immer mit +sich. Wenn er dann die Hauptleute und Feldherren anflehte, ihn doch +wieder heimkehren zu lassen, so verweigerten sie es und sagten, er +müsse ein Unterpfand von seines Vaters Treue sein. So war er viele +Tage lang auf dem Marsch. + +Auf einmal aber entstand eine Bewegung im Heere, die dem Knaben nicht +entging; man sprach von Einpacken, von Zurückziehen, vom Einschiffen, +und Almansor war außer sich vor Freude; denn jetzt, wenn die Franken +in ihr Land zurückkehrten, jetzt mußte er ja frei werden. Man zog +mit Roß und Wagen rückwärts gegen die Küste, und endlich war man so +weit, daß man die Schiffe vor Anker liegen sah. Die Soldaten +schifften sich ein; aber es wurde Nacht, bis nur ein kleiner Teil +eingeschifft war. So gerne Almansor gewacht hätte, weil er jede +Stunde glaubte, freigelassen zu werden, so verfiel er doch endlich in +einen tiefen Schlaf, und er glaubte, die Franken haben ihm etwas +unter das Wasser gemischt, um ihn einzuschläfern. Denn als er +aufwachte, schien der helle Tag in eine kleine Kammer, worin er nicht +gewesen war, als er einschlief. Er sprang auf von seinem Lager, aber +als er auf den Boden kam, fiel er um; denn der Boden schwankte hin +und wieder, und es schien sich alles zu bewegen und im Kreis um ihn +her zu tanzen. Er raffte sich auf, hielt sich an den Wänden fest, um +aus dem Gemach zu kommen, worin er sich befand. + +Ein sonderbares Brausen und Zischen war um ihn her; er wußte nicht, +ob er träume oder wache; denn er hatte nie Ähnliches gesehen oder +gehört. Endlich erreichte er eine kleine Treppe, mit Mühe klimmte er +hinauf, und welcher Schrecken befiel ihn! Ringsumher war nichts als +Himmel und Meer, er befand sich auf einem Schiffe. Da fing er +kläglich an zu weinen. Er wollte zurückgebracht werden, er wollte +ins Meer sich stürzen und hinüberschwimmen nach seiner Heimat; aber +die Franken hielten ihn fest, und einer der Befehlshaber ließ ihn zu +sich kommen, versprach ihm, wenn er gehorsam sei, solle er bald +wieder in seine Heimat zurück, und stellte ihm vor, daß es nicht mehr +möglich gewesen wäre, ihn vom Land aus nach Hause zu bringen, dort +aber hätte er, wenn man ihn zurückgelassen, elendiglich umkommen +müssen. + +Wer aber nicht Wort hielt, waren die Franken; denn das Schiff segelte +viele Tage lang weiter, und als es endlich landete, war man nicht an +Ägyptens Küste, sondern in Frankistan! Almansor hatte während der +langen Fahrt und schon im Lager einiges von der Sprache der Franken +verstehen und sprechen gelernt, was ihm in diesem Lande, wo niemand +seine Sprache kannte, sehr gut zustatten kam. Er wurde viele Tage +lang durch das Land in das Innere geführt, und überall strömte das +Volk zusammen, um ihn zu sehen; denn seine Begleiter sagten aus, er +wäre der Sohn des Königs von Ägypten, der ihn zu seiner Ausbildung +nach Frankistan schicke. + +So sagten aber die Soldaten nur, um das Volk glauben zu machen, sie +haben Ägypten besiegt und stehen in tiefem Frieden mit diesem Land. +Nachdem die Reise zu Land mehrere Tage gedauert hatte, kamen sie in +eine große Stadt, dem Ziel ihrer Reise. Dort wurde er einem Arzt +übergeben, der ihn in sein Haus nahm und in allen Sitten und +Gebräuchen von Frankistan unterwies. + +Er mußte vor allem fränkische Kleider anlegen, die sehr enge und +knapp waren und bei weitem nicht so schön wie seine ägyptischen. +Dann durfte er nicht mehr seine Verbeugung mit gekreuzten Armen +machen, sondern wollte er jemand seine Ehrerbietung bezeugen, so +mußte er mit der einen Hand die ungeheure Mütze von schwarzem Filz, +die alle Männer trugen und die man auch ihm aufgesetzt hatte, vom +Kopfe reißen, mit der anderen Hand mußte er auf die Seite fahren und +mit dem rechten Fuß auskratzen. Er durfte auch nicht mehr mit +überschlagenen Beinen sitzen, wie es angenehme Sitte ist im +Morgenlande, sondern auf hochbeinige Stühle mußte er sich setzen und +die Füße herabhängen lassen auf den Boden. Das Essen machte ihm auch +nicht geringe Schwierigkeit; denn alles, was er zum Munde bringen +wollte, mußte er zuvor auf eine Gabel von Eisen stecken. + +Der Doktor aber war ein strenger, böser Mann, der den Knaben plagte: +Denn wenn er sich jemals vergaß und zu einem Besuch sagte: "Salem +aleikum", so schlug er ihn mit dem Stock; denn er sollte sagen: +"Votre serviteur!" Er durfte auch nicht mehr in seiner Sprache denken +und sprechen oder schreiben, höchstens durfte er darin träumen, und +er hätte vielleicht seine Sprache gänzlich verlernt, wenn nicht ein +Mann in jener Stadt gelebt hätte, der ihm von großem Nutzen war. + +Es war dies ein alter, aber sehr gelehrter Mann, der viele +morgenländische Sprachen verstand. Arabisch, Persisch, Koptisch, +sogar Chinesisch, von jedem etwas; er galt in jenem Land für ein +Wunder von Gelehrsamkeit, und man gab ihm viel Geld, daß er diese +Sprachen andere Leute lehrte. Dieser Mann ließ nun den jungen +Almansor alle Wochen einigemal zu sich kommen, bewirtete ihn mit +seltenen Früchten und dergleichen, und dem Jüngling war es dann, als +wäre er zu Haus. Denn der alte Herr war gar ein sonderbarer Mann. +Er hatte Almansor Kleider machen lassen, wie sie vornehme Leute in +Ägypten tragen. Diese Kleider bewahrte er in seinem Hause in einem +besonderen Zimmer auf. Kam nun Almansor, so schickte er ihn mit +einem Bediensteten in jenes Zimmer und ließ ihn ganz nach seiner +Landessitte ankleiden. Von da ging es dann nach "Kleinarabien"; so +nannte man einen Saal im Hause des Gelehrten. + +Dieser Saal war mit allerlei künstlich aufgezogenen Bäumen, als +Palmen, Bambus, jungen Zedern und dergleichen, und mit Blumen +ausgeschmückt, die nur im Morgenland wachsen. Persische Teppiche +lagen auf dem Fußboden, und an den Wänden waren Polster, nirgends +aber ein fränkischer Stuhl oder Tisch. Auf einem dieser Polster saß +der alte Professor; er sah aber ganz anders aus als gewöhnlich; um +den Kopf hatte er einen feinen türkischen Schal als Turban gewunden, +er hatte einen grauen Bart umgeknüpft, der ihm bis zum Gürtel reichte +und aussah wie ein natürlicher, ehrwürdiger Bart eines gewichtigen +Mannes. Dazu trug er einen Talar, den er aus einem brokatnen +Schlafrock hatte machen lassen, weite türkische Beinkleider, gelbe +Pantoffeln, und so friedlich er sonst war, an diesen Tagen hatte er +einen türkischen Säbel umgeschnallt, und im Gürtel stak ein Dolch, +mit falschen Steinen besetzt. Dazu rauchte er aus einer zwei Ellen +langen Pfeife und ließ sich von seinen Leuten bedienen, die ebenfalls +persisch gekleidet waren und wovon die Hälfte Gesicht und Hände +schwarz gefärbt hatte. + +Von Anfang wollte dies alles dem jungen Almansor gar wunderlich +bedünken; aber bald sah er ein, daß solche Stunden, wenn er in die +Gedanken des Alten sich fügte, sehr nützlich für ihn seien. Durfte +er beim Doktor kein ägyptisches Wort sprechen, so war hier die +fränkische Sprache sehr verboten. Almansor mußte beim Eintreten den +Friedensgruß sprechen, den der alte Perser sehr feierlich erwiderte; +dann winkte er dem Jüngling, sich neben ihn zu setzen, und begann +Persisch, Arabisch, Koptisch und alle Sprachen untereinander zu +sprechen und nannte dies eine gelehrte morgenländische Unterhaltung. +Neben ihm stand ein Bediensteter oder, was sie an diesem Tage +vorstellten, ein Sklave, der ein großes Buch hielt; das Buch war aber +ein Wörterbuch, und wenn dem Alten die Worte ausgingen, winkte er dem +Sklaven, schlug flugs auf, was er sagen wollte, und fuhr dann zu +sprechen fort. + +Die Sklaven aber brachten in türkischem Geschirr Sorbet und +dergleichen, und wollte Almansor dem Alten ein großes Vergnügen +machen, so mußte er sagen, es sei alles bei ihm angeordnet wie im +Morgenland. Almansor las sehr schön Persisch, und das war der +Hauptvorteil für den Alten. Er hatte viele persische Manuskripte; +aus diesen ließ er sich von dem Jüngling vorlesen, las aufmerksam +nach und merkte sich auf diese Art die richtige Aussprache. + +Das waren die Freudentage des armen Almansor; denn nie entließ ihn +der alte Professor unbeschenkt, und oft trug er sogar kostbare Gaben +an Geld und Leinenzeug oder anderen notwendigen Dingen davon, die ihm +der Doktor nicht geben wollte. So lebte Almansor einige Jahre in der +Hauptstadt des Frankenlandes, und nie wurde seine Sehnsucht nach der +Heimat geringer. Als er aber etwa fünfzehn Jahre alt war, begab sich +ein Vorfall, der auf sein Schicksal großen Einfluß hatte. + +Die Franken nämlich wählten ihren ersten Feldherrn, denselben, mit +welchem Almansor so oft in Ägypten gesprochen hatte, zu ihrem König +und Beherrscher; Almansor wußte zwar und erkannte es an den großen +Festlichkeiten, daß etwas dergleichen in dieser großen Stadt geschehe; +doch konnte er sich nicht denken, daß der König derselbe sei, den er +in Ägypten gesehen; denn jener Feldherr war noch ein sehr junger Mann. +Eines Tages aber ging Almansor über eine jener Brücken, die über +den breiten Fluß fahren, der die Stadt durchströmt; da gewahrte er in +dem einfachen Kleid eines Soldaten einen Mann, der am Brückengeländer +lehnte und in die Wellen sah. Die Züge des Mannes fielen ihm auf, +und er erinnerte sich, ihn schon gesehen zu haben. Er ging also +schnell die Kammern seiner Erinnerung durch, und als er an die Pforte +der Kammer von Ägypten kam, da eröffnete sich ihm plötzlich das +Verständnis, daß dieser Mann jener Feldherr der Franken sei, mit +welchem er oft im Lager gesprochen und der immer gütig für ihn +gesorgt hatte. Er wußte seinen rechten Namen nicht genau; er faßte +sich daher ein Herz, trat zu ihm, nannte ihn, wie ihn die Soldaten +unter sich nannten, und sprach, indem er nach seiner Landessitte die +Arme über der Brust kreuzte: "Salem aleikum, Petit-Caporal!" + +Der Mann sah sich erstaunt um, blickte den jungen Menschen mit +scharfen Augen an, dachte über ihn nach und sagte dann: "Himmel, ist +es möglich! Du hier, Almansor? Was macht dein Vater? Wie geht es +in Ägypten? Was führt dich zu uns hierher?" + +Da konnte sich Almansor nicht länger halten; er fing an, bitterlich +zu weinen, und sagte zu dem Mann: "So weißt du also nicht, was die +Hunde, deine Landsleute, mit mir gemacht haben, Petit-Caporal? Du +weißt nicht, daß ich das Land meiner Väter nicht mehr gesehen habe +seit vielen Jahren?" + +"Ich will nicht hoffen", sagte der Mann, und seine Stirne wurde +finster, "ich will nicht hoffen, daß man dich mit hinwegschleppte." + +"Ach, freilich", antwortete Almansor, "an jenem Tage, wo Eure +Soldaten sich einschifften, sah ich mein Vaterland zum letztenmal; +sie nahmen mich mit sich hinweg, und ein Hauptmann, den mein Elend +rührte, zahlt ein Kostgeld für mich bei einem verwünschten Doktor, +der mich schlägt und halb Hungers sterben läßt. Aber höre, +Petit-Caporal", fuhr er ganz treuherzig fort, "es ist gut, daß ich +dich hier traf, du mußt mir helfen." + +Der Mann, zu welchem er dies sprach, lächelte und fragte, auf welche +Weise er denn helfen sollte. + +"Siehe", sagte Almansor, "es wäre unbillig, wollte ich von dir etwas +verlangen; du warst von jeher so gütig gegen mich, aber ich weiß, du +bist auch ein armer Mensch, und wenn du auch Feldherr warst, gingst +du nie so schön gekleidet wie die anderen; auch jetzt mußt du, nach +deinem Rock und Hut zu urteilen, nicht in den besten Umständen sein. +Aber da haben ja die Franken letzthin einen Sultan gewählt, und ohne +Zweifel kennst du Leute, die sich ihm nahen dürfen, etwa seinen +Janitscharen-Aga oder den Reis-Effendi oder seinen Rapudan-Pascha; +nicht?" + +"Nun ja", antwortete der Mann, "aber wie weiter?" + +"Bei diesen könntest du ein gutes Wort für mich einlegen, +Petit-Caporal, daß sie den Sultan der Franken bitten, er möchte mich +freilassen; dann brauche ich auch etwas Geld zur Reise übers Meer; +vor allem aber mußt du mir versprechen, weder dem Doktor noch dem +arabischen Professor etwas davon zu sagen." + +"Wer ist denn der arabische Professor?" fragte jener. "Ach, das ist +ein sonderbarer Mann; doch von diesem erzähle ich dir ein andermal. +Wenn es die beiden hörten, dürfte ich nicht mehr aus Frankistan weg. +Aber willst du für mich sprechen bei den Agas? Sage es mir +aufrichtig!" + +"Komm mit mir", sagte der Mann, "vielleicht kann ich dir jetzt gleich +nützlich sein." + +"Jetzt?" rief der Jüngling mit Schrecken. "Jetzt um keinen Preis, da +würde mich der Doktor prügeln; ich muß eilen, daß ich nach Hause +komme." + +"Was trägst du denn in diesem Korb?" fragte jener, indem er ihn +zurückhielt. + +Almansor errötete und wollte es anfangs nicht zeigen; endlich aber +sagte er: "Siehe, Petit- Caporal, ich muß hier Dienste tun wie der +geringste Sklave meines Vaters. Der Doktor ist ein geiziger Mann und +schickt mich alle Tage von unserem Hause eine Stunde weit auf den +Gemüse- und Fischmarkt; da muß ich dann unter den schmutzigen +Marktweibern einkaufen, weil es dort um einige Kupfermünzen +wohlfeiler ist als in unserem Stadtteil. Siehe, wegen dieses +schlechten Herings, wegen dieser Handvoll Salat, wegen dieses +Stückchens Butter muß ich alle Tage zwei Stunden gehen. Ach, wenn es +mein Vater wüßte!" + +Der Mann, zu welchem Almansor dies sprach, war gerührt über die Not +des Knaben und antwortete: "Komm nur mit mir und sei getrost; der +Doktor soll dir nichts anhaben dürfen, wenn er auch heute weder +Hering noch Salat verspeist! Sei getrosten Mutes und komm!" Er nahm +bei diesen Worten Almansor bei der Hand und führte ihn mit sich, und +obgleich diesem das Herz pochte, wenn er an den Doktor dachte, so lag +doch so viel Zuversicht in den Worten und Mienen des Mannes, daß er +sich entschloß, ihm zu folgen. Er ging also, sein Körbchen am Arm, +neben dem Soldaten viele Straßen durch, und wunderbar wollte es ihm +bedünken, daß alle Leute die Hüte vor ihnen abnahmen und +stehenblieben und ihnen nachschauten. Er äußerte dies auch gegen +seinen Begleiter, dieser aber lachte und sagte nichts darüber. + +Sie gelangten endlich an ein prachtvolles Schloß, auf welches der +Mann zuging. "Wohnst du hier, Petit-Caporal?" fragte Almansor. + +"Hier ist meine Wohnung", entgegnete jener, "und ich will dich zu +meiner Frau führen." + +"Ei, da wohnst du schön!" fahr Almansor fort. "Gewiß hat dir der +Sultan hier freie Wohnung gegeben?" + +"Diese Wohnung habe ich vom Kaiser, du hast recht", antwortete sein +Begleiter und führte ihn in das Schloß. Dort stiegen sie eine breite +Treppe hinan, und in einem schönen Saal hieß er ihn seinen Korb +absetzen und trat dann mit ihm in ein prachtvolles Gemach, wo eine +Frau auf einem Diwan saß. Der Mann sprach mit ihr in einer fremden +Sprache, worauf sie beide nicht wenig lachten, und die Frau fragte +dann Almansor in fränkischer Sprache vieles über Ägypten. Endlich +sagte Petit-Caporal zu dem Jüngling: "Weißt du, was das beste ist? +Ich will dich gleich selbst zum Kaiser führen und bei ihm für dich +sprechen." + +Almansor erschrak sehr; aber er gedachte an sein Elend und seine +Heimat. "Dem Unglücklichen", sprach er zu den beiden, "dem +Unglücklichen verleiht Allah einen hohen Mut in der Stunde der Not; +er wird auch mich armen Knaben nicht verlassen. Ich will es tun, ich +will zu ihm gehen. Aber sage, Caporal, muß ich vor ihm niederfallen? +Muß ich die Stirne mit dem Boden berühren? Was muß ich tun?" + +Die beiden lachten von neuem und versicherten, dies alles sei nicht +nötig. + +"Sieht er schrecklich und majestätisch aus?" fragte er weiter, "hat +er einen langen Bart? Macht er feurige Augen? Sage, wie sieht er +aus?" + +Sein Begleiter lachte von neuem und sprach dann: "Ich will dir ihn +lieber gar nicht beschreiben, Almansor, du selbst sollst erraten, +welcher es ist. Nur das will ich dir als Kennzeichen angeben: Alle +im Saale des Kaisers werden, wenn er da ist, die Hüte ehrerbietig +abnehmen; der, welcher den Hut auf dem Kopf behält, der ist der +Kaiser." Bei diesen Worten nahm er ihn bei der Hand und ging mit ihm +nach dem Saal des Kaisers. Je näher er kam, desto lauter pochte ihm +das Herz, und die Knie fingen ihm an zu zittern, als sie sich der +Türe näherten. Ein Bediensteter öffnete die Türe, und da standen in +einem Halbkreis wenigstens dreißig Männer, alle prächtig gekleidet +und mit Gold und Sternen überdeckt, wie es Sitte ist im Lande der +Franken bei den vornehmsten Agas und Bassas der Könige; und Almansor +dachte, sein Begleiter, der so unscheinbar gekleidet war, müsse der +Geringsten einer sein unter diesen. Sie hatten alle das Haupt +entblößt, und Almansor fing nun an, nach dem zu suchen, der den Hut +auf dem Kopfe hätte; denn dieser mußte der Kaiser sein. Aber +vergebens war sein Suchen. Alle hatten den Hut in der Hand, und der +Kaiser mußte also nicht unter ihnen sein; da fiel kein Blick zufällig +auf seinen Begleiter, und siehe--dieser hatte den Hut auf dem Kopfe +sitzen! + +Der Jüngling war erstaunt, betroffen. Er sah seinen Begleiter lange +an und sagte dann, indem er selbst seinen Hut abnahm: "Salem aleikum, +Petit-Caporal! Soviel ich weiß, bin ich selbst nicht der Sultan der +Franken, also kommt es mir nicht zu, mein Haupt zu bedecken; doch du +bist der, der den Hut trägt--Petit-Caporal, bist denn du der Kaiser?". + +"Du hast's erraten", antwortete jener, "und überdies bin ich dein +Freund. Schreibe dein Unglück nicht mir, sondern einer unglücklichen +Verwirrung der Umstände zu, und sei versichert, daß du mit dem ersten +Schiff in dein Vaterland zurücksegelst. Gehe jetzt wieder hinein zu +meiner Frau, erzähle ihr vom arabischen Professor und was du weißt. +Die Heringe und den Salat will ich dem Doktor schicken; du aber +bleibst für deinen Aufenthalt in meinem Palast." + +So sprach der Mann, der Kaiser war; Almansor aber fiel vor ihm nieder, +küßte seine Hand und bat ihn um Verzeihung, daß er ihn nicht erkannt +habe; er habe es ihm gewiß nicht angesehen, daß er Kaiser sei. + +"Du hast recht", erwiderte jener lachend, "wenn man nur wenige Tage +Kaiser ist, kann man es nicht an der Stirne geschrieben haben." So +sprach er und winkte ihm, sich zu entfernen. + +Seit diesem Tage lebte Almansor glücklich und in Freuden. + +Den arabischen Professor, von welchem er dem Kaiser erzählte, durfte +er noch einigemal besuchen den Doktor aber sah er nicht mehr. Nach +einigen Wochen ließ ihn der Kaiser zu sich rufen und kündigte ihm an, +daß ein Schiff vor Anker liege, mit dem er ihn nach Ägypten senden +wolle. Almansor war außer sich vor Freude; wenige Tage reichten hin, +um ihn auszurüsten, und mit einem Herzen voll Dankes und mit Schätzen +und Geschenken reich beladen, reiste er vom Kaiser ab ans Meer und +schiffte sich ein. + +Aber Allah wollte ihn noch länger prüfen, wollte seinen Mut im +Unglück noch länger stählen und ließ ihn die Küste seiner Heimat noch +nicht sehen. Ein anderes fränkisches Volk, die Engländer, führten +damals Krieg mit dem Kaiser auf der See. Sie nahmen ihm alle Schiffe +weg, die sie besiegen konnten, und so kam es, daß am sechsten Tage +der Reise das Schiff, auf welchem sich Almansor befand, von +englischen Schiffen umgeben und beschossen wurde; es mußte sich +ergeben, und die ganze Mannschaft wurde auf ein kleineres Schiff +gebracht, das mit den anderen weitersegelte. Doch auf der See ist es +nicht weniger unsicher als in der Wüste, wo unversehens die Räuber +auf die Karawanen fallen und totschlagen und plündern. Ein Kaper von +Tunis überfiel das kleine Schiff, das der Sturm von den größeren +Schiffen getrennt hatte, und--es wurde genommen und alle Mannschaft +nach Algier geführt und verkauft. + +Almansor kam zwar nicht in so harte Sklaverei als die Christen, weil +er ein rechtgläubiger Muselmann war, aber dennoch war jetzt alle +Hoffnung verschwunden, die Heimat und den Vater wiederzusehen. Dort +lebte er bei einem reichen Manne fünf Jahre und mußte die Blumen +begießen und den Garten bauen. Da starb der reiche Mann ohne nahe +Erben, seine Besitzungen wurden zerrissen, seine Sklaven geteilt, und +Almansor fiel in die Hände eines Sklavenmaklers. Dieser rüstete um +diese Zeit ein Schiff aus, um seine Sklaven anderwärts teurer zu +verkaufen. Der Zufall wollte, daß ich selbst ein Sklave dieses +Händlers war und auf dasselbe Schiff kam, wo auch Almansor sich +befand. Dort lernten wir uns kennen, und dort erzählte er mir seine +wunderbaren Schicksale. Doch--als wir landeten, war ich Zeuge der +wunderbarsten Fügung Allahs; es war die Küste seines Vaterlandes, an +welche wir aus dem Boot stiegen, es war der Markt seiner Vaterstadt, +wo wir öffentlich ausgeboten wurden, und, o Herr, daß ich es kurz +sage, es war sein eigener, sein teurer Vater, der ihn kaufte! + +Der Scheik Ali Banu war in tiefes Nachdenken versunken über diese +Erzählung; sie hatte ihn unwillkürlich mit sich fortgerissen, seine +Brust hob sich, sein Auge glühte, und er war oft nahe daran, seinen +jungen Sklaven zu unterbrechen; aber das Ende der Erzählung schien +ihn nicht zu befriedigen. + +"Er könnte jetzt einundzwanzig Jahre haben, sagst du?" so fing er an +zu fragen. + +"Herr, er ist in meinem Alter, ein- bis zweiundzwanzig Jahre." + +"Und welche Stadt nannte er seine Geburtsstadt? Das hast du uns noch +nicht gesagt." + +"Wenn ich nicht irre", antwortete jener, "so war es Alessandria!" + +"Alessandria!" rief der Scheik. "Es ist mein Sohn; wo ist er +geblieben? Sagtest du nicht, daß er Kairam hieß? Hat er dunkle +Augen und braunes Haar?" + +"Er hat es, und in traulichen Stunden nannte er sich Kairam und nicht +Almansor." + +"Aber, Allah! Allah! Sage mir doch, sein Vater hätte ihn vor deinen +Augen gekauft, sagst du? Sagte er, es sei sein Vater? Also ist er +doch nicht mein Sohn!" + +Der Sklave antwortete: "Er sprach zu mir: "Allah sei gepriesen nach +so langem Unglück: Das ist der Marktplatz meiner Vaterstadt." Nach +einer Weile aber kam ein vornehmer Mann um die Ecke; da rief er: "Oh, +was für ein teures Geschenk des Himmels sind die Augen! Ich sehe +noch einmal meinen ehrwürdigen Vater!" Der Mann aber trat zu uns, +betrachtet diesen und jenen und kauft endlich den, dem dies alles +begegnet ist. Da rief er Allah an, sprach ein heißes Dankgebet und +flüsterte mir zu: "Jetzt gehe ich wieder ein in die Hallen meines +Glückes, es ist mein eigener Vater, der mich gekauft hat."" + +"Es ist also doch nicht mein Sohn, mein Kairam!" sagte der Scheik, +von Schmerz bewegt. + +Da konnte sich der Jüngling nicht mehr zurückhalten; Tränen der +Freude entstürzten seinen Augen, er warf sich nieder vor dem Scheik +und rief: "Und dennoch ist es Euer Sohn, Kairam: Almansor; denn Ihr +seid es, der ihn gekauft hat." "Allah, Allah! Ein Wunder, ein großes +Wunder!" riefen die Anwesenden und drängten sich herbei; der Scheik +aber stand sprachlos und staunte den Jüngling an, der sein schönes +Antlitz zu ihm aufhob. "Mein Freund Mustapha!" sprach er zu dem +alten Derwisch, "vor meinen Augen hängt ein Schleier von Tränen, daß +ich nicht sehen kann, ob die Züge seiner Mutter, die mein Kairam trug, +auf seinem Gesicht eingegraben sind. Trete du her und schaue ihn an!" + +Der Alte trat herzu, sah ihn lange an, legte seine Hand auf die +Stirne des jungen Mannes und sprach: "Kairam! Wie hieß der Spruch, +den ich dir am Tage, des Unglücks mitgab ins Lager der Franken?" + +"Mein teurer Lehrer!" antwortete der Jüngling, indem er die Hand des +Alten an seine Lippen zog, "er hieß: So einer Allah liebt und ein +gutes Gewissen hat, ist er auch in der Wüste des Elends nicht allein; +denn er hat zwei Gefährten, die ihm tröstend zur Seite gehen." + +Da hob der Alte seine Augen dankend auf zum Himmel, zog den Jüngling +herauf an seine Brust und gab ihn dem Scheik und sprach: "Nimm ihn +hin! So gewiß du zehn Jahre um ihn trauertest, so gewiß ist es dein +Sohn Kairam." + +Der Scheik war außer sich vor Freude und Entzücken; er betrachtete +immer von neuem wieder die Züge des Wiedergefundenen, und unleugbar +fand er das Bild seines Sohnes wieder, wie er ihn verloren hatte. +Und alle Anwesenden teilten seine Freude; denn sie liebten den Scheik, +und jedem unter ihnen war es, als wäre ihm heute ein Sohn geschenkt +worden. + +Jetzt füllte wieder Gesang und Jubel diese Halle wie in den Tagen des +Glückes und der Freude. Noch einmal mußte der Jüngling, und noch +ausführlicher, seine Geschichte erzählen, und alle priesen den +arabischen Professor und den Kaiser und jeden, der sich Kairams +angenommen hatte. Man war beisammen bis in die Nacht, und als man +aufbrach, beschenkte der Scheik jeden seiner Freunde reichlich, auf +daß er immer dieses Freudentages gedenke. + +Die vier jungen Männer aber stellte er seinem Sohne vor und lud sie +ein, ihn immer zu besuchen, und es war ausgemachte Sache, daß er mit +dem Schreiber lesen, mit dem Maler kleine Reisen machen sollte, daß +der Kaufmann Gesang und Tanz mit ihm teile und der andere alle +Vergnügungen für sie bereiten solle. Auch sie wurden reich beschenkt +und traten freudig aus dem Hause des Scheik. + +"Wem haben wir dies alles zu verdanken", sprachen sie untereinander, +"wem anders als dem Alten? Wer hätte dies damals gedacht, als wir +vor diesem Hause standen und über den Scheik loszogen?" + +"Und wie leicht hätte es uns einfallen können, die Lehren des alten +Mannes zu überhören", sagte ein anderer, "oder ihn gar zu verspotten? +Denn er sah doch recht zerrissen und ärmlich aus, und wer könne +denken, daß dies der weise Mustapha sei?" "Und wunderbar! War es +nicht hier, wo wir unsere Wünsche laut werden ließen?" sprach der +Schreiber. "Da wollte der eine reisen, der andere singen und tanzen, +der dritte gute Gesellschaft haben und ich--Geschichten lesen und +hören, und sind nicht alle unsere Wünsche in Erfüllung gegangen? +Darf ich nicht alle Bücher des Scheik lesen und kaufen, was ich +will?" "Und darf ich nicht seine Tafel zurichten und seine schönsten +Vergnügen anordnen und selbst dabeisein?" sagte der andere. + +"Und ich, so oft mich mein Herz gelüstet, Gesang und Saitenspiel zu +hören oder einen Tanz zu sehen, darf ich nicht hingehen und mir seine +Sklaven ausbitten?" + +"Und ich", rief der Maler, "vor diesem Tage war ich arm und konnte +keinen Fuß aus dieser Stadt setzen, und jetzt kann ich reisen, wohin +ich will." + +"Ja", sprachen sie alle, "es war doch gut, daß wir dem Alten folgten, +wer weiß, was aus uns geworden wäre!" + +So sprachen sie und gingen freudig und glücklich nach Hause. + + +Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes "Märchen-Almanach auf das Jahr +1827", von Wilhelm Hauff. + + + + + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, MAERCHEN-ALMANACH AUF DAS JAHR 1827 *** + +This file should be named 8alm210.txt or 8alm210.zip +Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 8alm211.txt +VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 8alm210a.txt + +Project Gutenberg eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US +unless a copyright notice is included. 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