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-Project Gutenberg's Pantherkätzchen, by Gertrud Marie Madeleine von Puttkamer
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
-to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
-
-Title: Pantherkätzchen
-
-Author: Gertrud Marie Madeleine von Puttkamer
-
-Release Date: December 1, 2020 [EBook #63933]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK PANTHERKÄTZCHEN ***
-
-
-
-
-Produced by the Online Distributed Proofreading Team at
-https://www.pgdp.net (This book was produced from images
-made available by the HathiTrust Digital Library.)
-
-
-
-
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- ####################################################################
-
- Anmerkungen zur Transkription
-
- Der vorliegende Text wurde anhand der 1913 erschienenen Buchausgabe
- so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische
- Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute
- nicht mehr gebräuchliche Schreibweisen sowie Schreibvarianten
- bleiben gegenüber dem Original unverändert, sofern der Sinn des
- Texts dadurch nicht beeinträchtigt wird. Passagen in Dialekt wurden
- vom Original ohne Korrektur übernommen.
-
- Das Inhaltsverzeichnis wurde der Übersichtlichkeit halber vom
- Bearbeiter erstellt. Umlaute in Großbuchstaben (Ä, Ö, Ü) werden,
- gemäß der Originalvorlage, durch deren Umschreibungen (Ae, Oe, Ue)
- dargestellt.
-
- Besondere Schriftschnitte wurden mit Hilfe der folgenden
- Sonderzeichen gekennzeichnet:
-
- Fettdruck: =Gleichheitszeichen=
- gesperrt: +Pluszeichen+
- Antiqua: ~Tilden~
-
- Das Caret-Symbol (^) geht hochgestellten Zeichen voran; mehrere
- Zeichen werden dabei durch geschweifte Klammern zusammengefasst.
-
- ####################################################################
-
-
-
-
- Pantherkätzchen
-
-
-
-
- Pantherkätzchen
- von
- Marie Madeleine
-
- [Illustration]
-
- 1913
-
- Ullstein & Co. Berlin-Wien
-
-
-
-
- ~Copyright 1913 by
- Ullstein & Co., Berlin~
-
-
-
-
-Inhalt.
-
-
- Seite
- Kapitel 1 7
- Kapitel 2 39
- Kapitel 3 85
- Kapitel 4 111
- Kapitel 5 145
- Kapitel 6 187
- Kapitel 7 209
- Kapitel 8 235
- Kapitel 9 259
- Kapitel 10 291
- Kapitel 11 315
- Kapitel 12 357
- Kapitel 13 383
- Kapitel 14 399
- Kapitel 15 433
-
-
-
-
-1.
-
-
-Das Königskleid der Wintereinsamkeit strahlte in der Sonne, weit über
-das Land war es gebreitet, -- alle Unebenheiten, allen Schmutz des
-Alltags deckte es zu. Und die Milliarden Schneekristalle funkelten
-in der Sonne wie Gold und Brillanten; sie blitzten aus den Wegen
-und Stegen und auf den Aesten und Nadeln der Bäume, deren Umrisse
-phantastisch vergrößert erschienen unter der weißen Last. Die drückte
-anders als im Sommer die flattrig-leichtsinnigen Blüten.
-
-Nur wenige Bäume im Parke des Herrenhauses von Sarkow standen in
-trotziger Kraft und prahlten mit ihrem weißen Feierkleide -- die
-meisten sahen schier erdrückt aus, zusammenbrechend unter des Winters
-harter Liebkosung -- unter diesem Himmel von einem erbarmungslosen und
-kalten Blau.
-
-Inmitten des winterlichen Parks erhebt sich das Herrenhaus in ungefügen
-Umrissen. Von außen ein anmutloser Kasten, aber drinnen die Zimmer, die
-waren groß und hoch und in den Kachelöfen prasselte gemütlich das Feuer.
-
-Im Eßzimmer waren Frau von Holtz und ihre Tochter Marie beschäftigt,
-Staub zu wischen. Nicht etwa, daß auch nur eine Andeutung von Staub
-auf den blitzblanken Möbeln zu sehen gewesen wäre, aber das Reiben und
-Polieren an den Gegenständen war eine Manie von Frau von Holtz.
-
-Mit ihren schönen, etwas fett gewordenen Händen führte sie das
-Staubtuch über eine silberne Jardiniere. Der große Brillant am
-Ringfinger ihrer linken Hand flammte auf im Strahle der Wintersonne,
-die durch die Doppelscheiben des Fensters leuchtete.
-
-Während des Putzens redete Frau von Holtz auf ihre Tochter ein:
-
-„Ich bitte Dich, Du machst ein so mißmutiges Gesicht, statt Dich zu
-freuen, daß Deine Cousine kommt.“
-
-„Warum sollte ich mich wohl darüber freuen?“ klang es scharf zurück.
-Die hageren, roten Hände des neunzehnjährigen Mädchens zerrten nervös
-an dem Staubtuch, „Du weißt, mir ist Monika immer unsympathisch
-gewesen.“
-
-„Aber Marie, Ihr saht Euch zuletzt, als Du sechzehn Jahre warst und sie
-ein Kind von noch nicht dreizehn. Als wir damals auf der Durchreise in
-Berlin waren --“
-
-„Sie war damals unausstehlich, so eingebildet --“
-
-„Aber --“
-
-„Eingebildet auf alles: auf ihre Schönheit, ihren Geist, ihre
-Tanzstundenerfolge --“
-
-„Kindereien! Ich weiß nicht, wie Du das ernsthaft nehmen kannst.“
-
-„Sie wird sich inzwischen wohl kaum zum Besseren entwickelt haben.
-Tante Malis Brief wenigstens ließ nicht darauf schließen! -- Ich
-verstehe überhaupt nicht, warum Du Tantes Wunsch, Monika einzuladen,
-gleich erfüllt hast. Hier ist doch keine Korrektionsanstalt.“
-
-„Du drückst Dich wieder einmal sehr lieblos aus, Marie. Aus dem Briefe
-Deiner Tante ergab sich durchaus nicht, daß Monika einer ernsthaften
-Korrektion bedürfe.“
-
-„So?! Wie verstehst Du denn das, wenn Tante schreibt, daß Monika
-„einfach nicht mehr zu bändigen“ ist, -- daß Tante seit Onkels Tode
-jede Autorität verloren hat! -- Nun, sehr viel Autorität bei ihren
-Kindern hat ja Deine liebe Schwägerin nie besessen!“
-
-Frau von Holtz nickte traurig. „Wie habe ich Johann damals gewarnt,“
-sagte sie gedankenverloren. „Man heiratet nicht solch einen
-Springinsfeld, wie Mali es war --“
-
-„Und geblieben ist,“ ergänzte Marie spöttisch.
-
-„Dir steht kein Urteil über Deine Tante zu,“ sagte die Mutter, aber
-es klang lau. Man merkte, daß auch ihr die Schwägerin keine große
-Hochachtung abnötigte.
-
-Statt jeder Antwort zog Marie ein unliebenswürdiges Gesicht. Sie trat
-ans Fenster und starrte auf die weißblendende Landschaft hinaus.
-
-Plötzlich schrie sie erstaunt auf.
-
-Und eine derartig lebhafte Gefühlsäußerung war an Marie etwas so
-Ungewohntes, daß Frau von Holtz gleichfalls ans Fenster trat.
-
-Ein Schlitten war’s, der herannahte, in schleudernder Fahrt, von zwei
-Trakehnern gezogen.
-
-Die Innenplätze des Schlittens waren leer. Auf dem Kutschersitze saß
-ein junges Mädchen, das mit einem starken Ruck an den Zügeln vor der
-Freitreppe parierte und mehrere Male hintereinander einen gellenden
-Pfiff ausstieß.
-
-„Natürlich -- Monika --,“ sagte Marie achselzuckend, während Frau von
-Holtz entsetzt fragte:
-
-„Aber wo ist denn Papa? Und Friedrich? -- Mein Gott, es wird doch
-nichts passiert sein -- --“
-
-Sie war bis in die Lippen erblaßt und stützte sich schwer auf die
-Fensterbrüstung.
-
-Marie wollte hinaus, aber schon wurde die Tür von außen aufgerissen,
-und herein stürmte das junge Mädchen, das auf dem Kutscherbocke
-gesessen, -- stürmte geradenwegs auf Frau von Holtz zu und umarmte sie
-mit allem Kraftaufwand, dessen ihre Arme fähig waren.
-
-„O, Tantchen, wie ich mich freue!“
-
-„Kind, Kind, wo ist Dein Onkel?“ fragte Frau von Holtz noch immer ganz
-fassungslos.
-
-„In der Bahnhofswirtschaft und hoffentlich mittlerweile beim achten
-Glase Grog -- --“
-
-„Aber was -- -- warum -- --“
-
-Monika begrüßte eilfertig, aber ohne die glühende Herzlichkeit, die
-sie ihrer Tante bewiesen, ihre Cousine und erzählte dann, indes sie in
-fröhlichem Lachen ihre prachtvollen Zähne sehen ließ:
-
-„Also, Tantchen, Onkel holte mich vom Zuge ab, und als wir in den
-Schlitten wollten, kam der Drehrower Bärenstein auf Onkel zu und fragte
-den Onkel was wegen des neuen Kreisdeputierten. Da gingen wir alle
-drei noch in die Bahnhofswirtschaft und tranken Grog und der Drehrower
-erzählte so schrecklich langweilige Sachen, von Politik und so... Da
-schlich ich mich davon und auf den Schlitten. Der dicke Friedrich war
-nicht da, wohl wegen des Gepäckes. Da bin ich einfach losgefahren. Es
-war großartig. Bitte, bitte, nicht böse sein! Ich wollte gern schnell
-zu Dir.“
-
-Von neuem fiel Monika der Tante um den Hals.
-
-Da lächelte die, schon fast versöhnt, und klingelte den Diener herbei,
-der gleich wieder zur Station fahren sollte.
-
-Marie verließ mit einem halblauten „Unglaublich“ das Zimmer.
-
-„Nicht, Tante, Du bist mir nicht böse?“ bettelte Monika.
-
-„Na, weil’s der erste Tag ist. -- Aber Du mußt wirklich vernünftiger
-werden, Kind. -- -- Und nun laß Dich doch mal endlich ordentlich
-ansehen.“
-
-Mit prüfendem Blick musterte Frau von Holtz ihre Nichte.
-
-„Wie Du gewachsen bist! -- Und hübscher geworden bist Du auch! -- --
-Ordentlicher leider immer noch nicht!“ -- -- Mit bedenklichem
-Kopfschütteln faßte Frau von Holtz nach einem halbabgerissenen Knopfe
-an Monikas Mantel.
-
-„Ach, für die Sachen, die ich anhabe, lohnt sich’s gar nicht,
-ordentlich zu sein! -- -- So schöne Stoffe bekomme ich ja doch nicht!“
-Mit liebevoller Vorsicht strich Monika über das schwarzseidene Kleid
-von Frau von Holtz. „Und so schön werd’ ich auch nicht wie Du, Tante. O
-das wunder-wunderschöne weiße Haar und die stahlblauen Augen! Wie eine
-Marquise siehst Du aus, natürlich eine vom ~ancien régime~! Zu schade,
-daß die Marie davon nichts abbekommen hat. Aber die sieht genau aus wie
-Onkel. Ich ähnele Dir doch viel mehr als Deine Tochter. Nicht?“
-
-„Ja, entschieden. -- Aber nun laß Dir Dein Zimmer zeigen, kleine
-Plaudertasche.“
-
-„Welches bekomme ich?“
-
-„Das blaue.“
-
-„O wie fein! Das blaue, wo ich als ganz kleines Kind geschlafen habe!
-Hurra!“
-
-Monika schwang ihre Pelzmütze und folgte seelenvergnügt ihrer Tante
-die wuchtige Treppe hinauf. Das blaue Zimmer war ein großer, ziemlich
-spärlich möblierter Raum, in dem der stark geheizte Kachelofen eine
-angenehme Temperatur verbreitete.
-
-Ein altmodisch schmales Sofa, ebenso wie die beiden dazu gehörigen
-Sessel mit blauem Rips bezogen, nahm die eine Längswand ein. Dann noch
-ein schmales Bett, ein Waschtisch und ein Tisch, auf dem in einer
-bunten Porzellanvase ein Strauß von Tannenzweigen steckte.
-
-Monika schwelgte in Begeisterung. „Das blaue! -- -- Und ganz für mich
-allein! Himmlisch. Noch nie habe ich ein Zimmer für mich allein gehabt.“
-
-„Du schläfst mit Mama zusammen?“
-
-„Ja, leider. Und Mama liest immer die halbe Nacht. Und wenn Licht
-brennt, kann ich natürlich nicht einschlafen.“
-
-„Hier schläft Marie,“ sagte Frau von Holtz, indes sie die Tür zum
-Nebenraume öffnete.
-
-„Oh -- --“ Monika verstummte vor Bewunderung. In der Tat war der Raum
--- rosa Seide und weißer Lack -- sehr elegant ausgestattet.
-
-„Hier geht’s in Maries Wohnzimmer.“
-
-Ein neuer Ausruf des Entzückens aus Monikas Munde.
-
-„Grau mit Gold. Wie distinguiert! Nein aber wie distinguiert!“
-
-„Gefällt es Dir?“ Voll Genugtuung warf Frau von Holtz einen Blick in
-die Runde.
-
-„Fabelhaft schön. Und wie teuer das sein muß!“
-
-„Nun, für unsere Einzige -- --“
-
-„Hat’s die Marie gut!“
-
-Monika strich über die spiegelnden Holzflächen, über die seidenen
-Bezüge.
-
-Dann entdeckte sie neue Schätze. „Ach, und da ist ein Malkasten! Und da
-ein Brennapparat! Und da der Bücherschrank, ach, der Bücherschrank
--- --“
-
-Schon hatte Monika die Glastür geöffnet und tastete gierig in die
-Bücherreihen hinein.
-
-Aber Frau von Holtz legte ein Veto ein. „Wirst Du wohl! -- Jetzt
-wird nicht gelesen. Es ist die höchste Zeit, daß Du Dich wäschst und
-sauber machst. Ist Dir denn das nicht schrecklich, nach einer langen
-Eisenbahnfahrt so herum zu laufen? Und um zwei wird gegessen.“
-
-Als Monika dann zur angegebenen Stunde das Eßzimmer betrat -- etwas
-ängstlich, wie der Onkel wohl ihre Eskapade aufgenommen -- wurde sie
-bald beruhigt durch das gutmütige Lachen in seinem roten Gesicht.
-
-„Nur immer ran, Marjell,“ rief er Monika entgegen.
-
-Sie kam zögernd näher.
-
-Die Strafe fiel gnädig aus. Ein heftiges Zupfen an ihrem linken
-Ohrläppchen und ein freundlich gebrummtes: „Na, Du Racker, sei froh,
-daß Du die Trakehner heil hergebracht hast, sonst -- --“
-
-Beim Mittagessen erregte Monikas Riesenappetit das Wohlwollen und die
-Heiterkeit von Onkel und Tante.
-
-Um Maries Mundwinkel aber zuckte unnachahmliche Verachtung jedesmal,
-wenn ihrer Cousine noch ein neues „Stückchen Schmorbraten“ auf
-den Teller geschoben wurde und sie noch einmal um das „wirklich
-großartige“ Pfirsichkompott bat. Nach Tische zogen sich die Eltern zum
-Nachmittagschlaf zurück, und Monika bat ihre Cousine um die Erlaubnis,
-sie in ihre „Privatgemächer“ begleiten zu dürfen.
-
-Die herbe Cousine war etwas günstiger gestimmt durch Monikas wortreiche
-Bewunderung all ihrer Schätze.
-
-Und wer konnte wohl so bewundern wie Monika! Sie wurde warm und rosig
-dabei, -- sie glühte und strahlte, -- sie hob jede Einzelheit hervor:
--- -- „diese Goldleiste, mit der die Tapete abschließt,“ -- -- und
-„diese himmlische Vase mit dem Kirschblütenzweig, der auf das blasse
-Opalglas gemalt ist! Und wie das alles abgetönt ist. Du hast wohl alles
-selbst angeordnet?“
-
-„Nein, aber der beste Tapezier aus Königsberg hat’s arrangiert,“ sagte
-Marie wichtig.
-
-„Wie glücklich Du hier sein mußt!“
-
-„Na, es geht an. Wenn Du glaubst, es ist ein Spaß, hier in der
-Einsamkeit zu sitzen -- --! Ich habe ja meine Freundinnen in Neustadt,
-aber der Weg dahin ist so unbequem. Und nach Hahndorf ist’s noch
-weiter.“
-
-„Nach Hahndorf -- --“
-
-„Wir fahren ja zu den Regimentsbällen hin, aber -- --“
-
-„Zu den Dragonern? Zu Papas Dragonern?“
-
-„Ja.“
-
-„Oh.“ Ein zitternder Atemzug hob die junge Brust. „Oh der Papa, der
-arme Papa!“
-
-Ihre Augen füllten sich mit Tränen; sie starrte an ihrer Cousine vorbei
-durchs Fenster, hinaus auf den schimmernden Schnee.
-
-„Jetzt ist er schon vierzehn Monate tot, der arme Papa...“
-
-Stillschweigen lastete über dem Zimmer.
-
-„Er hätte Sarkow so gern noch mal wiedergesehen,“ sagte Monika dann.
-
-„Mama hat ihn ja oft genug eingeladen.“
-
-„Er wollte nicht kommen, solange er... solange er keine... sehr gute
-Position hatte.“
-
-„Ja, wenn Deine Eltern vernünftiger gewesen wären, könnten sie noch
-hier sitzen, statt wir,“ sagte Marie.
-
-Monika nickte. „Rechnen konnte Mama ja wohl nicht sehr gut,“ sagte sie
-kläglich.
-
-„Und wollt’s auch nicht lernen,“ fügte Marie scharf hinzu. „Und von
-ihrem Manne hätte sie’s auch nicht lernen können. Bei Onkels Art...“
-
-„Ja! Nobel ist der Papa gewesen,“ sagte Monika. Sie warf den Kopf ins
-Genick wie ein störrisches Pony und ihre Augen leuchteten auf. „Die
-Trinkgelder, die er gegeben hat!... Wenn er mich mitnahm nach Neustadt
-oder nach Hahndorf, dann dienerten die Leute dort alle bis zur Erde.
-Nobel war der Papa!... Er hat kein Portemonnaie getragen, sondern das
-Geld lose in der Westentasche. Und der Mama hat er gekauft, was sie
-haben wollte! Und uns!... So schöne Spielsachen wie wir vier hat kein
-Kind gehabt in ganz Ostpreußen!... Und wie ich vier Jahre alt gewesen
-bin, habe ich zweiunddreißig Kleider gehabt und ein paar davon sind aus
-echten Brüsseler Spitzen gewesen.“
-
-„Na, besser klein geflickt und groß gestickt, als umgekehrt!“ sagte
-Marie und sah an Monikas schäbigem Kleide herunter.
-
-Aber sie machte sich nichts draus.
-
-„All die Gesellschaften!“ schwärmte sie weiter, „nur französischen Sekt
-hat’s gegeben und lauter Delikatessen, und wir Kinder haben von allem
-bekommen ... von allem...“
-
-„Traurig genug, Monchen! Man hätte besser getan, an Eure Gesundheit
-zu denken. Wenn Du glaubst, daß das Kindern gut tut: Sekt und
-Delikatessen! ... Wenn Ihr keine gekriegt hättet, würde das geliebte
-Heinzemännchen heute wohl einen besseren Magen haben!“
-
-„Seit wie lange hast Du eigentlich Heinrich nicht gesehn?“
-
-„O, seit drei Jahren. Er muß jetzt über vierzehn sein. Nicht wahr?“
-
-„Ja, grad ein Jahr jünger als ich.“
-
-„Und bringt ihm Deine Mama immer noch frühmorgens zwei Tassen
-Schokolade und zwei Setzeier ans Bett?“
-
-„O, er ißt jetzt mindestens drei Setzeier. Als Chef der Familie...“
-
-„Nanu... Alfred?“
-
-„Alfred hat ihm sein Erstgeburtsrecht verkauft, schon vor vier Jahren.
-Heinrich hat ihm dafür seine Briefmarkensammlung gegeben und seinen
-photographischen Apparat und noch fünfzehn Mark bar. Nachher wollte
-zwar Alfred die Sache wieder rückgängig machen, aber Mama...“
-
-„Tante Mali verteidigte natürlich Heinzemännchen.“
-
-„Richtig! Und seitdem sagt sie, das geliebte Heinzemännchen sei vermöge
-seiner ethischen und intellektuellen Eigenschaften weit mehr befähigt,
-der Erstgeborene zu sein, als Alfred. Mama bespricht auch alles mit
-Heinzemännchen -- auch alles, was mich anbetrifft. Und das hat mich
-eben so wütend gemacht.“
-
-„Was war denn los?“
-
-„Ach, na so alles mögliche.“
-
-Monika besah ihre Fingernägel. Sie schien nicht recht auf das Thema
-eingehen zu wollen.
-
-Aber Marie ließ nicht locker.
-
-„Na, da wirst Du wahrscheinlich was Nettes angestellt haben?“
-
-„Ach wo. -- Ein paarmal hab’ ich Zigaretten geraucht und... und hab’
-ein paar Bücher gelesen, die ich nicht lesen sollte. Noch viele Jahre
-nicht! hat Mama gesagt, und dabei habe ich alles, was drin stand, doch
-schon jetzt sehr gut verstanden.“
-
-„So, so...“
-
-„Ja, aber Heinzemännchen sagte, es wäre himmelschreiend und die Ehre
-der Familie litte darunter. -- Und dann war die Sache mit Doktor
-Dörnberg...“
-
-„Welche Sache?“
-
-„Ach...“ Monika zögerte verlegen.
-
-„Na, sag’s doch. Ist es denn so schlimm, daß Du es gar nicht erzählen
-kannst?“
-
-„Ach, ich kann’s schon erzählen. Also, weißt Du, Doktor Dörnberg ist
-unser Geschichtslehrer. Und ich liebe ihn wahnsinnig. Erstens ist er
-bildschön... aber ich sage Dir: wirklich bildschön!... Und dann spricht
-er hinreißend! Also: ich hatte drei Gedichte an ihn gemacht, und die
-lagen in meinem Vokabelheft. Da hat sie Mama gefunden -- Mama stöbert
-immer alles durch -- und hat es mit Heinzemännchen besprochen, und
-beide waren so außer sich und haben so auf mich gescholten, bis ich
-vor lauter Empörung Weinkrämpfe bekommen habe. Und ich habe Mama meine
-Meinung gesagt: daß es gefühlsroh ist, meine Gedichte Heinzemännchen zu
-zeigen. Als ob Jungens davon was verstehen!“
-
-„Was waren’s denn für Gedichte?“
-
-„Na, Liebesgedichte.“
-
-„Sag’ mal eins.“
-
-Monika warf einen zweifelnden Blick auf ihre Cousine. Sie
-kämpfte augenscheinlich mit sich. Dann aber gewann ihr offenes,
-mitteilungsbedürftiges Naturell die Oberhand. Sie begann zu sprechen
-mit einer andächtigen Innigkeit, die ihre frische Kinderstimme ganz
-verwandelt erscheinen ließ:
-
- „Du Schönster mit den blauen Siegeraugen,
- Laß mich an deinen hochgeschwungenen Lippen
- Nur eine flüchtige Sekunde nippen
- Und aller Seligkeiten Fülle saugen...“
-
-„Pfui Teufel! -- Na, höre mal, da kann ich Tante Malis Entrüstung
-verstehn!“
-
-„Warum denn?“ sagte Monika mit unschuldsvoll verwunderten Augen, „das
-ist doch schön. Und außerdem wahr. Ich liebte ihn doch.“
-
-„Na, der erste Vers war heftig! Geht’s so weiter?“
-
-„Nein! Es wird natürlich leidenschaftlicher! Es muß doch eine
-Steigerung geben, das ist doch ein ganz bekanntes poetisches Gesetz.
--- Aber wie gesagt: Mama war direkt schlecht und sagte, jetzt
-wüßte sie auch, warum ich immer am Dienstag und Freitag, wenn wir
-Geschichtsstunde haben, das neue, blaue Kleid anziehen wollte. Und
-Heinzemännchen sagte, ich sei sittlich verwahrlost. Na, das konnte ich
-mir doch nicht gefallen lassen.“
-
-„Wie kannst Du aber auch Liebesgedichte schreiben?“
-
-„Gott, dafür konnte ich doch nichts. Ich hatte mich doch in ihn
-verliebt. Kennst Du das nicht, wenn’s einem so warm im Herzen wird, als
-wollte das Herz aufblühen?“... Ein träumerisches Lächeln teilte die
-roten Lippen. „Und man ist so unglücklich und in all dem Schmerz liegt
-doch so eine Süßigkeit... Süßigkeit... so etwas Unnennbares -- eine
-Erwartung, ach, ich weiß nicht...“
-
-Sie brach kurz ab, erstarrend unter dem eisig spöttischen Blick, der
-sie aus Maries grauen Augen traf.
-
-„Ich finde Dich riesig überspannt, liebe Mone,“ sagte sie gemessen,
-„und Deine Ansichten sind unpassend. So... und jetzt habe ich Briefe zu
-schreiben.“
-
-Ohne die Cousine noch eines Blickes zu würdigen, setzte sie sich an den
-Schreibtisch und begann einen Briefbogen mit ihrer prätentiös schönen
-Schrift zu füllen.
-
-Monika ging in ihr Zimmer. Das unangenehme Gefühl, wieder einmal zu
-vertrauensselig gewesen zu sein, sich bloßgestellt zu haben, bedrückte
-sie.
-
-Betrübt kauerte sie sich in einen der blauen Sessel und begann an einem
-Stückchen Johannisbrot zu kauen, das sie zu ihrer Ueberraschung in
-ihrer Tasche entdeckt hatte.
-
-Gewiß hatte ihr Karl damit eine Ueberraschung bereiten wollen, Karl,
-ihr zehnjähriger Lieblingsbruder.
-
-Aber der Genuß war bald zu Ende, das Johannisbrot aufgeknabbert, und
-nun saß sie da und langweilte sich jämmerlich. Die Uhr zeigte auf drei
--- noch eine ganze Stunde Zeit bis zum Nachmittagskaffee.
-
-In plötzlichem Entschluß stülpte sie die Pelzmütze auf, zog den Mantel
-an und fort ging’s durch den verschneiten Park auf wohlbekannten Wegen
-ins Dorf.
-
-Ihr Weg führte zur kleinsten Hütte, einer Bauernkate, die gar elend,
-förmlich zusammengekauert unter der dichten Schneedecke dastand.
-
-Der Zaun war baufällig, die Fensterscheiben wie erblindet. Im Hof
-an der Pumpe, von der riesige Eiszapfen herabhingen, stand ein etwa
-dreijähriger, hübscher Junge und bemühte sich, den Pumpenschwengel in
-Gang zu setzen.
-
-„Ist die Liese zu Haus?“ rief Monika ihn an.
-
-Er sperrte verdutzt die blauen Augen und den roten Mund auf, ohne zu
-antworten. Da öffnete Monika ohne weiteres die Tür.
-
-Eine stickige, dumpf-heiße Luft schlug ihr entgegen. Kaum hatte sie die
-Schwelle überschritten, als es drinnen aufschrie: „Monchen!“
-
-Eine Frau stürzte auf sie zu und bedeckte ihre Hände mit Küssen. „Ach
-Gottchen, Monchen, bist Du’s denn wirklich, mein trautstes Monchen?“
-
-Monika gab ihr einen herzhaften Kuß. „Liebe alte Liese, wie freue ich
-mich!“
-
-Zärtlich betrachtete sie die vor ihr Stehende, die eine entschiedene
-Vorliebe für Farbenfreudigkeit an den Tag legte. Ein flammend rotes
-Umschlagetuch kreuzte sich über ihrer Brust, um sich auf dem Rücken zu
-einem großen Knoten zu vereinen. Unter dem Tuch kamen die Aermel einer
-unzweifelhaft unsauberen rosa Barchentjacke zum Vorschein, und eine
-dunkelblaue Küchenschürze deckte einen moosgrünen Rock. Und über dem
-schief zugehakten Kragen der rosa Jacke grüßte das liebe, verblühte
-Gesicht. Die dunkeln Augen, die sonst so dummpfiffig in die Welt sahen,
-standen voll Freudentränen.
-
-„Monchen, daß ich Dir nochmal wiederseh’! -- Und wie scheen Du geworden
-bist, eine bildscheene Marjell -- ’n bißchen anders wie Holtzens
-ihre Marie!... Gottchen, das sah man ja schon gleich damals, wie
-ich als Amme bei Dir kam! -- Und nachher -- wie warst Du scheen und
-rund und dick -- der reine Marzipan! Wie oft hab’ ich zu Deiner Mama
-gesagt: ‚Madamchen, die wird!‘ -- Gegen Dir sah die Marie keesig aus,
-das kannst Du mir glauben. -- Na, nu setz’ Dich bloß mal hin, mein
-trautstes Monchen. So ’ne Freude, nein, die Freude!“
-
-„Liese, Du redst immer noch so viel wie früher. Und ausseh’n tust Du
-auch noch so. Sogar der Zopp ist noch derselbe!“
-
-Lachend wies Monika auf den armdicken, fuchsigen Haarkranz, der über
-Lieses Scheitel thronte.
-
-„Monchen, lach’ nich über meinen Zopp. Wenn er auch falsch is, scheen
-is er doch. Und mir hat er immer gekleidet, schon als ich noch ein
-scheenes, junges Mädchen war.“
-
-„Liese -- fang’ nicht mit Jugenderinnerungen an! Sonst sitze ich heute
-abend noch hier. Und Tante weiß gar nicht, daß ich weggerannt bin.“
-
-„O weh, da wird’s was geben! Die gnädige Tante is ja so mächtig stolz,
-die spricht nie ein Sterbenswort mit uns arme Leute. Anders wie Deine
-Mamachen! Nu sage bloß, was macht denn die Mamachen, seit daß der
-liebe, gute, gnädige Herr Baron tot is?“
-
-Liese wischte sich erschüttert mit dem Schürzenzipfel die Augen.
-
-„So’n feiner, guter Herr kommt nich mehr wieder. Das Schwarzseidene,
-was er mir zur Hochzeit geschenkt hat!... Wären nich die Motten
-reingekommen, wäre es heut noch wie neu!... Ach Gottchen, so’n Herr wie
-der Herr Baron! Und hat so früh müssen versterben...“
-
-„Nicht davon sprechen, Liese.“
-
-„Und was macht denn nu die Mamachen? Gottchen, so ne junge Frau und mit
-vier Kinder... vier Waisenkinder...“
-
-Liese begann herzbrechend zu schluchzen. Und schluchzend und mit
-gurgelnder Stimme fragte sie nach Monikas Brüdern:
-
-„Ist der Karl denn immer noch so scheen mit seine schwarze Augen und
-seine blonde Locken? Ach, und wie hat der Herr Baron den Karl geliebt!“
-
-„Liese, Du alte Heultute, wenn Du jetzt nicht aufhörst mit der
-Lamentiererei, dann fange ich auch an zu weinen oder ich laufe weg.“
-
-„Ich bin ja schon stille, Monchen,“ sagte Liese und heulte
-ohrenerschütternd weiter.
-
-„Erzähl’ mir doch lieber was von Dir -- von Deinem Mann...“
-
-Wie auf ein Zauberwort hin versiegte der Tränenquell.
-
-„Ja, wir sind ja nu all vier Jahre verheiratet. Und er is so, wie
-Männer nu eben so sind. Er tut ja seinen Dienst bei de Bahn ganz
-ordentlich und hat auch das Allgemeine Ehrenzeichen gekriegt. Es is ja
-auch ein sehr scheener Mann. Du weißt, Monchen, ich war immer sehr für
-de Scheenheit.“
-
-„Na also.“
-
-„Ich wer’ Dir was sagen, Monchen: er ist zu alt. An die fuffzig is er
-jetzt...“
-
-„Na, und Du, Liese?“
-
-„Fünfundvierzig.“
-
-„Das paßt doch eigentlich ganz gut.“
-
-„Ach, er hat nu schon den ganzen Kopp voll graue Haare. Und so die
-richtige Forsche is auch nich mehr in ihm. Weißt Du, wenn ich dagegen
-an den Hanschen denk’, den Stubenmaler aus Stallupönen ...“
-
-„Wer ist denn das?“
-
-„Mein erster Bräutigam, Kind. Ein forscher Kerl war das. Groß wie so
-’n Baum und den ganzen Kopp voll Locken und rote Backen. Und zwanzig
-Jahre war er alt... und ich achtzehn.“ Eine Sehnsucht glomm aus in den
-dumm-pfiffigen Augen.
-
-Mit ahnungsbangen Augen sah das knospende Mädchen hinüber zu der
-verblühten Frau, die von erster Liebe sprach.
-
-„Liese, es ist schrecklich spät. Ich glaube, ich muß weg.“
-
-„Ja, das mußt Du, mein Trautstes, aber erst muß ich Dir mal die Stub’
-zeigen. Nu all die ganze Zeit hier in die Küche...“
-
-Liese öffnete die Tür zur Stube. Auch hier herrschte die gleiche
-bedrückende Luft. Ein großes Bett nahm die eine Längswand ein; es war
-auf allen vier Seiten von einem roten Kattunvorhang umgeben.
-
-„’n Himmelbett muß der Mensch haben,“ behauptete Liese stolz.
-
-„Und nu kiek mal her, Monchen...“ Triumphierend wies Liese auf die
-Kommode, wo vier Photographien von Monika in verschiedenen Lebensaltern
-standen.
-
-„Hier aber is das Feinste for Dich,“ sagte die Liese geheimnisvoll
-und führte sie ans Fenster. Auf dem Fensterbrett stand ein kleiner
-Blumentopf, in welchem ein junges Myrtenstämmchen ein kümmerliches
-Dasein führte. „Für Deinen Brautkranz, Monchen...“
-
-Monika lachte. „Du, die Mama hat gesagt, arme Mädchen werden heutzutage
-überhaupt nicht geheiratet.“
-
-„Ach, Monchen, so scheen wie Du bist mit Deinem Gesicht wie Milch und
-Blut -- Dir wird früh genug einer holen.“
-
-„Desto besser, Liese, desto besser! Ich denke mir das Heiraten
-großartig!“
-
-Lachend wandte sich Monika zum Gehen, zuckte aber mit einem Ausruf des
-Schreckens, als plötzlich aus einer Ecke des Zimmers hinter dem Ofen
-hervor ein Stöhnen klang.
-
-„Die Ollsche,“ sagte Liese erklärend.
-
-Monika gewahrte dann, daß, in einen Stuhl gekauert, eine uralte Frau
-hinter dem Ofen saß: sie hielt die Augen geschlossen. In dem von
-tausend Falten durchfurchten Gesicht zuckte kein Muskel, wie aus Stein
-gehauen saß sie da.
-
-„Die Ollsche, ’ne Tante vom Grün, Monchen. Sie is nu all
-siebenundachtzig und all ein bißchen lititi im Kopp. Na, da hab’ ich
-sie hergenommen.“
-
-Draußen auf dem Hof stand Fritzchen und hielt mit beiden Händen
-die Vorderpfoten eines nudeldicken, weißen Spitzes, der, auf den
-Hinterbeinen sitzend, genau so groß war wie der Knabe; die beiden sahen
-sich stumm und liebevoll in die Augen.
-
-„So steh’n sie manchmal ’ne halbe Stunde,“ sagte Liese.
-
-Und dieses freundliche Bildchen war das letzte, was Monika bei diesem
-Besuch erblickte.
-
-So schnell sie konnte, eilte sie nun zurück.
-
-Die frühe Winterdämmerung lag auf dem ebenen Lande und tauchte die
-endlose Schneefläche in ein fahles Blau. Der Wind hatte sich aufgemacht
-und blies durch Monikas dünnen Mantel, daß ihr ein Schauer nach dem
-anderen über den Rücken lief. Aber sie rannte freudig vorwärts.
-
-Und Worte kamen ihr -- sie wußte selbst nicht woher -- die sie laut vor
-sich hinsang.
-
- „Das ist der Wind meiner Heimat,
- Der über das Schneefeld braust --
- Das ist der Wind meiner Heimat,
- Der heut mir die Locken zerzaust.
-
- O tobe und tobe nur weiter, Herr Wind,
- Und erfriert auch der See und die Zweige im Wald -- --
- Meine heiße, blühende Jugend,
- Die machst Du doch nimmermehr kalt!“
-
-Warm und selig war ihr zumute.
-
-Mit aller Kraft ihrer Lungen sog sie die kühle Schneeluft ein.
-
-Wie anders das war als der Großstadt Luft. O, diese Schnee-Einsamkeit,
-durch die der Wind sang statt der tobenden Straßen Berlins. Ein
-Zusammengehörigkeitsgefühl mit der Natur rann warm und beseligend
-durch Monikas Adern. Sie mußte sich mit Gewalt zusammenreißen, um
-einigermaßen gesittet das Haus zu betreten.
-
-Allerdings war der Empfang, der ihr zuteil wurde, ganz dazu angetan,
-ihre Stimmung schleunigst zu dämpfen.
-
-Marie empfing sie mit schadenfrohem Gesicht, und die Tante, die in
-ihrem Boudoir mit einer Stickerei beschäftigt war, trug in ihrem
-Gesichtsausdruck hoheitsvolle Würde zur Schau -- ein böses Zeichen!
-
-Sie sagte einstweilen gar nichts, sondern zog mit gewählt schönen
-Bewegungen den Faden durch die Arbeit. Man hörte in dem hübschen,
-eleganten Zimmer keinen anderen Laut, als den schweren Schlag der
-großen Uhr.
-
-Monika konnte diese gespannte Stimmung nicht lange aushalten. Und so
-sagte sie, halb trotzig, halb flehend: „Tantchen, ich war bloß bei der
-Liese.“
-
-Wenn sie geglaubt hatte, daß das ein Milderungsgrund sei, so sah sie
-sich getäuscht.
-
-Tante wurde noch mehr als früher zürnende Gottheit, und dann ergoß
-sich über Monika eine Standpauke, die kein Ende zu finden schien.
-Erstens was die Unsitte betraf, allein auszugehen, zweitens der Mangel
-an Pünktlichkeit, drittens der unhygienische Leichtsinn, in eine
-Armeleutewohnung zu gehen, und so fort.
-
-Immerhin schienen allmählich mildere Regungen in der Tante
-aufzudämmern, denn sie schloß mit den Worten: „Und nun klingle, daß man
-Dir den Kaffee nachserviert und den Napfkuchen. Du wirst einen schönen
-Hunger haben.“
-
-Am Abend schrieb Monika ihrer Mutter einen Brief.
-
- „Liebste Mama,
-
- jetzt bin ich also wieder in dem geliebten Sarkow. Die Verwandten
- sind sehr nett zu mir, ausgenommen Marie, die so hacksig ist wie
- immer.
-
- Bei der Liese war ich auch schon.
-
- Liebe Mama, ich wollte ja sehr gern von zu Hause weg, aber als
- der Zug sich in Bewegung setzte und ich Euch gleich darauf nur
- noch aus der Ferne sah, da wurde ich doch riesig traurig. Ich habe
- mich auf der langen Fahrt hierher gefragt, warum eigentlich alles
- so gekommen ist, und warum wir uns die letzte Zeit so schlecht
- standen, wo es doch früher so herrlich war. -- Damals, als ich noch
- klein war und Dir alles, alles sagte. --
-
- Du hast in der letzten Zeit manchmal gesagt: wenn Dein Vater noch
- lebte, wärst Du nie so geworden!
-
- Aber das ist ganz falsch. Das hat gar nichts mit Papas Tode zu tun
- -- als ob ich jetzt weniger Angst hätte! Denn Angst habe ich in
- meinem ganzen Leben noch nie gehabt!
-
- Aber mir sind im letzten Jahre so viele Gefühle und Empfindungen
- gekommen, ich weiß selbst nicht woher -- so vieles, was gar nicht
- zu definieren ist.
-
- Ich kann Dir nur sagen: wie Ihr mich zu Hause behandelt habt, das
- ist mir oft vorgekommen, als wenn man eine Pantherkatze wie einen
- Kanarienvogel erziehen will! Ach Gott, wie schön muß das sein,
- wenn man frei ist! Frei in der herrlichen Welt, sich sein Glück zu
- erkämpfen. Ich +möchte+ Glück! Ich möchte alles haben, was schön
- ist und reich! Ich möchte den Ruhm und die große Liebe und Rausch
- und Glanz!
-
- Jetzt wirst Du wieder sagen, ich sei zu frühreif. Ja, aber
- Frühreife ist doch auch eine Reife! Und dabei dann gequält werden
- mit tausend Verboten und Vorschriften, und mit Klavierüben und
- Anstand und Staubwischen! Gequält werden mit tausend Nichtigkeiten
- und Kinkerlitzchen! --
-
- Uebrigens, ich hätte Dir zuliebe sehr viel davon ausgehalten, liebe
- Mama, aber was nicht auszuhalten war, das war die Behandlung, die
- Du mir durch Alfred und Heinrich angedeihen ließest. Warum waren
- die mir zu Aufpassern und Richtern bestellt? Warum? -- Sind sie
- besser als ich oder reifer? --
-
- Ich würde mich schämen, wenn ich nur die Hälfte so dumme Streiche
- machte wie die.
-
- Sind sie klüger als ich? -- Ich möchte wissen wo!
-
- Da sind sie nun im Gymnasium, haben die besten Lehrer -- und sind
- so faul, daß sie die eine Hälfte ihres Pensums nicht wissen und die
- andere Hälfte abschreiben.
-
- Und ich mit meinem glühenden Wissensdurst und meiner
- ungewöhnlich guten Auffassungsgabe werde mit dem Bröckchen der
- Mädchenschulerziehung abgespeist und alle Werte der Menschheit
- erhalte ich ~ad usum Delphini~ zurechtgemacht -- wenn Du soviel
- Latein verstehst, Mamachen.
-
- Und dann in anderer Beziehung: Ich will nicht davon sprechen,
- welche Sorte „Flammen“ Alfred und Heinrich haben, aber daß meine
- Brüder die Frechheit besitzen, über meine Liebesgefühle zu Gericht
- zu sitzen, das ist nicht zu ertragen!
-
- Warum soll ich denn weniger empfinden als sie? Habe ich denn nicht
- auch Fleisch und Blut und Nerven und Empfindungen? -- Na, lassen
- wir das. Ich ärgere mich bloß, wenn ich daran denke.
-
- Und ich will mich nicht ärgern, sondern selig sein, daß ich jung
- bin, und daß das Leben schön wird. Vorläufig stehe ich ja noch
- davor wie vor einem verschlossenen Garten. Die Mauer ist hoch,
- aber drüber her hängt doch manch ein Blütenzweig. Der zeigt mir an
- seinen kleinen, rosigen Blüten, wie süß die tausend Frühlingswunder
- sein müssen, die hinter der Mauer sind -- im Garten des Lebens.
-
- Ich wollt’, ich dürfte schon hinein!
-
- Monika.“
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-2.
-
-
-Monika fügte sich besser in die Hausordnung, als man es nach dem ersten
-wilden Tage erwarten durfte. Sie war von überquellender Herzlichkeit zu
-ihrer Tante, die sie sehr liebte, weil sie sie so schön fand.
-
-Mit dem Onkel stand sie auf einem lustigen Neckfuß: nur mit Marie
-konnte sie zu keinem wärmeren Tone gelangen. Marie verhielt sich allem
-Entgegenkommen Monikas gegenüber durchaus ablehnend. Sie hatte eine
-instinktive Abneigung gegen das vollsaftige junge Geschöpf mit dem
-heißen Hirn und dem heißen Herzen.
-
-Die Cousinen sahen sich selten allein. Nur wenn Marie mal irgendein
-Anliegen an Monika hatte, bat sie sie in ihr Wohnzimmer. Und Monika tat
-ihr gern jeden Gefallen.
-
-Uebrigens beneidete Marie die Cousine nicht etwa um ihre kleinen
-Talente. Sie sah auf Monika herab mit der ganzen Sicherheit, die die
-feste Position ihres Vaters ihr gab, und fühlte sich als einziges Kind
-des sehr wohlhabenden Herrn von Holtz dazu berechtigt, Ansprüche an
-ihre Zukunft zu stellen.
-
-Sie betrachtete Monika als tief unter sich stehend, gleichsam
-ausgeschieden aus den Reihen der guten Gesellschaft in ihrer
-Eigenschaft als Tochter einer vermögenslosen Witwe.
-
-„Du wirst natürlich Dein Lehrerinnen-Examen machen,“ sagte sie ihr.
-
-„Ich denk’ nicht dran!“ trotzte Monika.
-
-„Na, was sollst Du denn sonst tun? Deinen Lebensunterhalt mußt Du Dir
-doch mal verdienen und für ein Mädchen aus unseren Kreisen gibt es doch
-keine andere mögliche Erwerbsart.“
-
-„Ich könnte doch Schriftstellerin werden; die sollen ja so ’ne Menge
-Geld für Romane kriegen,“ warf Monika ein.
-
-Marie stimmte ein Hohngelächter an:
-
-„Ach, mach’ Dich doch nicht lächerlich. Schriftstellerin! -- Als ob
-das so leicht wäre! Denkst Du, mit Deinen paar Verschen ist sowas zu
-machen? Du und Schriftstellerin!“
-
-„Will ich auch gar nicht! Hab’ ich eben bloß so gesagt. Ich bin viel zu
-hübsch, um Schriftstellerin zu werden! Ich heirate einen Prinzen und
-lade Dich zur Hochzeit ein, obwohl Du es nicht um mich verdient hast.“
-
-„Rede doch kein Blech!“ Marie wurde nun im Ernst ärgerlich.
-
-Aber Monika ließ sich nicht stören.
-
-„Sollst mal sehen: einen Prinzen! Einen mit blauen Augen und
-weißblonden Haaren und einem süßen, kleinen Schnurrbärtchen, so wie ein
-Bürstchen geschoren. Riesig groß muß mein Prinz sein und ganz schlank
-und wahnsinnig elegant. So hohen Stehkragen und als Krawattennadel eine
-Perle für zehntausend Mark!“
-
-Nach diesem Trumpf trat Monika einen beschleunigten Rückzug an, da
-Marie in einen bedenklichen Grad von Wut geraten war.
-
-Marie rächte sich dann auch grausam für Monikas „Größenwahn“, als an
-diesem Tage die Nachmittagspost die Journalmappe brachte.
-
-Monika fand Marie behaglich ausgestreckt auf dem Teppich liegen, die
-zweiundzwanzig verschiedenen Journale malerisch um sich herumgruppiert.
-
-Monika legte sich sofort auch bäuchlings auf den Teppich und pürschte
-sich langsam und vorsichtig an ihre Cousine heran.
-
-„Du, Mariechen...“
-
-Ein kühler Blick ward ihr zuteil.
-
-„Du wünschest?“
-
-„Würdest Du mir vielleicht erlauben, daß ich auch was davon lese?“
-
-„Nein.“
-
-„Nur, was Du schon gelesen hast.“
-
-„Bedaure.“
-
-„Ach, sei doch nicht so! Ich möchte doch so sehr gern. Gib mir bloß
-irgendeine ganz kleine Zeitschrift!“
-
-„Nein.“
-
-„Und warum nicht?“
-
-„Weil man einem Mädchen von Deinen Anlagen keine Romane in die Hand
-geben darf.“
-
-Aufseufzend ging Monika hinaus.
-
-„Alter Zeitungstiger!“ rief sie ihrer Cousine noch zu, die sich aber
-dadurch nicht stören ließ, sondern weiter in ihren Zeitschriften
-schwelgte.
-
-Monika saß indessen mit bitteren Gefühlen in ihrem Zimmer und rauchte
-eine dem Onkel „gestriezte“ Zigarette.
-
-Die schlechte Behandlung weckte wieder alle ihre oppositionellen
-Instinkte, die jetzt mehrere Tage lang geschlummert hatten.
-
-Ein kühner Griff nach der geliebten Pelzmütze, und gleich nachher lief
-Monika eilfertig ins Dorf hinunter.
-
-Zuerst fünf Minuten hinein zur Liese, die sie mit lärmender Freude
-begrüßte und tiefunglücklich war, daß Monika „nur auf so ein
-Augenblickchen“ gekommen war.
-
-„Ich will zu Doktor Rodenberg, Liese. Tante läßt mich nicht hin, obwohl
-ich ihr gesagt habe, daß ich ihm Grüße von Mama bringen soll.“
-
-„Na, denn lauf’ man hin, Monchen. Dem Doktor is die Freude zu gönnen,
-daß er Dir mal sieht. Lange leben tut der nich mehr, der sauft sich ja
-zu Tod!“
-
-„Pfui, Liese, wie kannst Du sowas sagen! Der sauft gewiß nicht. So ’n
-superiorer Mensch wie der Doktor!“
-
-„So ’n was?“
-
-„Ach, das verstehst Du doch nicht. Nun gib mir schnell noch ’n Kuß und
-komm bald mal zu uns. Tante hat gesagt, wenn ich Dich sehen wollte,
-müßtest +Du+ mich besuchen und nicht ich Dich. Also komm bald. Ja?“
-
-Die Liese brummte etwas vor sich hin, was nicht gerade eine
-Schmeichelei für Frau von Holtz bedeutete, und sah Monika dann nach,
-die die Dorfstraße weiterstürmte.
-
-Immer geradeaus, bis es rechts und links keine Bauernhäuser mehr gab
-und endlos sich die verschneite Landstraße dehnte.
-
-Auf freiem Felde lag Doktor Rodenbergs kleines Haus. Ein häßliches Haus
-war’s aus roten Ziegeln. Auf der Haustür ein Schild, das anzeigte, wann
-der ~Dr. med.~ Ernst Rodenberg seine Sprechstunden abhielt.
-
-Monika riß heftig an der Klingel, die mit wahrhaft ohrenbetäubendem
-Lärm anschlug.
-
-Eine große, hagere Greisin öffnete die Tür.
-
-Die sonderbar geformte weiße Haube auf ihrem Kopf gab ihr etwas
-Nonnenhaftes. Ihr Gesicht sah aus, als habe es einer der primitiven
-Meister des Mittelalters aus Holz geschnitzt. In ihren hellgrauen,
-gleichsam verblaßten Augen war der Ausdruck eines steinernen Schmerzes.
-
-„Den Doktor wollen Sie sprechen? Ja, mein Sohn ist hier.“
-
-Sie öffnete eine Tür. Ein Geruch von Jodoform quoll Monika beißend
-entgegen.
-
-Der Doktor saß an seinem Schreibtisch und drehte sich nicht um, als
-Monika eintrat und die Tür hinter sich ins Schloß drückte.
-
-„Herr Doktor...“
-
-„Ja, sofort.“
-
-Er schrieb noch ein paar Augenblicke, dann wendete er sich um und
-musterte erstaunt das junge Mädchen.
-
-„Doktor, wer bin ich?“ fragte sie strahlend.
-
-„Gott, die Mone!“ rief er, „die Mone...“
-
-Mit zwei Schritten war er bei ihr und schüttelte ihr die Hände.
-
-„Wie lieb, daß Du gekommen bist! -- Daß Du hier bist, habe ich im
-Preußischen Adler schon gehört, aber ob Du herkommen würdest...“
-
-„Na ob,“ sagte Monika und blickte ihm lachend ins Gesicht.
-
-Sie sah jetzt erst, wie verändert dieses Gesicht war. Die früher so
-schönen Züge begannen zu verfetten und ein trüber Glanz glomm in den
-dunkeln Augen.
-
-Seine Musterung dagegen fiel äußerst befriedigend aus.
-
-„Hübsch bist Du geworden, Mone, und wirst noch hübscher sein in drei
-Jahren.“
-
-Er betrachtete sie genau in dem hellen Nachmittagslicht.
-
-„Von der Mama hast Du gar nichts. Das ist der Vater, das ist
-Birkenscher Wuchs: die breiten Schultern und die schmalen Gelenke. Und
-auch das Birkensche Gesicht. Nur nicht so kalt siehst Du aus wie die
-alle... Die Wärme, Mone, die Wärme hast Du doch von der Mama.“
-
-Das war ein Fragen und Antworten, ein Plaudern und Lachen hin und her.
-
-Die steinerne Mutter, die hereinkam, um Tee zu bringen, bekam einen
-förmlichen Schreck vor Erstaunen.
-
-Wie lange war es doch her, daß ihr Sohn nicht mehr gelacht!
-
-Monika schwelgte in „Jugenderinnerungen“.
-
-„Lieber Doktor, da ist gar nichts zu lachen. Ich erhalte das aufrecht:
-Jugenderinnerungen! Es sind ja ganze sechs Jahre, daß ich Sie nicht
-mehr gesehen habe. Ich war ein Gör von zehn Jahren, als wir von hier
-wegzogen.
-
-Lieber, lieber Doktor, wissen Sie noch, wenn Sie mich jeden Morgen zum
-Spazierengehen abholten. Ach, war das schön, wenn Sie mich jede Pflanze
-kennen lehrten und jeden Stein, jeden Käfer und jeden Schmetterling. --
-Aber das schönste war doch, wenn Sie mir erzählten: Trojas Untergang
-oder von Siddharda, dem indischen Königssohn. Oder vielleicht war
-die germanische Mythologie doch noch schöner. Ach, Baldurs Tod oder
-wie Schwanhild von den gotischen Rossen zerstampft wurde. Und die
-Götterdämmerung. -- Ich kann Ihnen ja nie genug für das alles danken.
-Das sind die stärksten Eindrücke meines Lebens gewesen. Ich glaube, so
-ein nagelneues, taufrisches Kindergehirn nimmt die Eindrücke wohl am
-allerschärfsten auf. Ja?“
-
-„Ach, Du kleine Weisheit. -- Na, und wer ist inzwischen Dein
-Lehrmeister gewesen?“
-
-„Niemand,“ seufzte Monika. „Der Papa hat sich ja nie für solche Sachen
-interessiert, und die letzten Jahre war er ja auch so krank, der
-arme Papa. Und Mama, ach, der bin ich ja schon lange über den Kopf
-gewachsen.“
-
-„Du Gelbschnabel.“
-
-„Doktor, es ist doch wahr! Die Mama ist eine liebe, süße Frau! Aber sie
-ist so kindisch!“
-
-„Wirst Du wohl nicht so despektierlich reden, Du Racker! Das glaube ich
-schon, daß sie Dich nicht klein kriegt!“
-
-„Nein, und in der Schule haben sie mich auch nicht klein gekriegt.
-Seit Oktober mit der ~Ia~ durch, Doktor, ein Jahr jünger als alle
-andern und ~prima omnium~ natürlich. Das wundert Sie doch nicht, alter
-Mentor? Mama hat mir oft genug erzählt, daß Sie mich schon im zarten
-Kindesalter für „geistig abnorm begabt“ erklärt haben. Inzwischen hat
-sich das ja etwas ausgeglichen und es gleicht sich wohl noch weiter
-aus. Wenn ich heirate, werde ich wohl einen normalen Geist aufzuweisen
-haben, und wenn ich silberne Hochzeit feiere...“
-
-Der Doktor lachte Tränen.
-
-„Mone, Du warst immer eine Perle und das bist Du geblieben.“
-
-Als das junge Mädchen gegangen war, verfiel Rodenberg wieder in das
-stumme Brüten, das er sich in den letzten Jahren angewöhnt hatte.
-
-Seine Gedanken flogen zurück in die Zeiten, von denen Monika gesprochen.
-
-In der geistigen Vereinsamung, in der er hier immer gelebt, war es ihm
-geradezu ein Genuß gewesen, die empfängliche Kindesseele zu bilden,
-Monikas auffallend früh entwickeltem Geiste stets neue Nahrung zu
-geben. Mit dem Interesse des Arztes und Forschers hatte er beobachtet,
-wie gierig das Kinderhirn jeden Eindruck verarbeitete, wie jedes Wort
-auf fruchtbaren Boden fiel.
-
-Für den Doktor war es ein Schlag, daß Birkens fortzogen. Es wäre ihm
-eine wahrhafte Freude gewesen, Monika auch fernerhin geistig zu formen.
-Auch war das Birkensche Haus das einzige, in dem er verkehrte. In
-seinem öden Leben war die strahlende Freundlichkeit der Baronin Birken
-ein Lichtpunkt gewesen.
-
-Die lebhafte, hübsche Frau mit der unnatürlich schlanken Taille und der
-kunstvollen Frisur hatte eine ausgesprochene Vorliebe für den Doktor.
-
-Sie war liebenswürdig, kokett, sehr kapriziös, dabei ohne jede Energie
--- ein schlankes, schwankes Schilfrohr.
-
-Es hatte mal eine Zeit gegeben, wo sie dem Herzen des Doktors
-gefährlich gewesen war. Ein paar unvergessene Sommerabende auf des
-Herrenhauses Terrasse, während vom Park herauf der Flieder duftete.
-
-Ja, so hatten die Fliederbüsche wohl nie wieder geblüht wie in dem
-Jahre -- in so lastender Fülle -- und so betäubend hatten sie wohl nie
-mehr geduftet wie damals.
-
-Baron Birken war, wie so oft, bei „seinem“ Regiment in Hahndorf
-gewesen. Und der Doktor las auf der Terrasse Frau von Birken vor: Mirza
-Schaffys Gedichte.
-
-Er hatte die heißen Worte gesprochen, wie man nur sprechen kann, wenn
-man liebt!
-
-Und ihre Augen schienen Antwort zu geben auf all seine stummen
-Fragen...
-
-Eine trunkene Hoffnung schwellte in diesen Tagen des Doktors ganzes
-Sein.
-
-Nicht lange nachher wurde er zu einem Gartenfest nach Sarkow geladen.
-Da sah er, daß die hübsche Schloßherrin, wenn sie mit Kerkow
-von den Hahndorfer Dragonern sprach, genau ebenso liebevoll und
-verständnisinnig aussah wie an jenen Abenden, als der Flieder blühte.
-
-Und als der schöne Schmettwitz erschien, hatte sie nur für dessen
-Hünenfigur noch Augen und strahlte förmlich vor Glück, als sie mit ihm
-die Polonäse schritt.
-
-Der Doktor überwand die Enttäuschung schnell und freute sich nun
-nach Ueberwindung der sentimentalen Krise, ohne Nebengedanken des
-freundlichen Empfanges, dessen er auf Sarkow immer gewiß war. Der
-Hausherr war ein brillanter Gesellschafter, und Frau von Birken legte
-beim Erscheinen des Doktors regelmäßig eine Freude an den Tag, als ob
-sie einen geliebten Freund nach langjähriger Trennung wiederfände.
-
-Sie war dann in reizender Weise um den Doktor besorgt, besonders in
-kulinarischer Beziehung leistete sie Ueberraschendes. Jedesmal gab
-es eine ganze Reihe ausgezeichneter Gerichte, deren Zubereitung sie
-womöglich selbst überwachte.
-
-So oft es ihr ihr Gatte, der diese Art sehr unvornehm fand, auch
-verboten, sie fand doch immer wieder „ein Momentchen“, um in die
-Küche hinunterzulaufen und dort der Bertha, der in Birkens ganzem
-Bekanntenkreise berühmten alten Bertha, nochmals einzuschärfen:
-
-„Aber recht viel Schmand an die Sauce, Bertha,“ oder „daß mir die
-Kaulbarsche bloß nicht zu lange kochen.“
-
-Bertha pflegte diese Ermahnungen nur mit einem verachtungsvollen: „Weeß
-ich alleene!“ zu beantworten.
-
-Ja, als der Doktor einmal krank war und sich recht verlassen und elend
-fühlte, allein in seinem Hause mit einer bäuerlichen Aufwärterin, hatte
-Frau von Birken ihm täglich alle Mahlzeiten hinausgeschickt und sich,
-was die Menüs anbetraf, geradezu selbst überboten.
-
-Daß ihre Gefühle nicht nur im Materiellen wurzelten, bewies sie sowohl
-durch die Blumensträuße, die sie den nahrhaften Gaben beifügte, als
-auch durch die ausgewählten Büchersendungen.
-
-Ja, sie war schon eine liebe Frau.
-
-Und sie blieb sich gleich.
-
-Man konnte kein Aelter-, kein Reiferwerden an ihr konstatieren.
-
-Sie hatte ihre backfischhafte Koketterie noch, als die Kinder
-heranwuchsen, als Alfred schon ein großer Quintaner war und Monika
-schon den Trojanischen Krieg in unleugbar talentvollen Versen besang.
-
-Ja, Monika! -- Die war wohl des Doktors reinste Freude gewesen. Die
-anbetende Bewunderung und das grenzenlose Vertrauen, das sie ihm
-entgegenbrachte, ihr glühendes Miterleben, wenn er ihr von den uralten
-Märchen der Menschheit sprach, wenn sie bittere Tränen vergoß um das
-Schicksal des männermordenden Peliden oder selig strahlte über eine
-gelungene List des edlen Dulders Odysseus.
-
-Mit der Freude, die ein Gärtner hat, wenn an einer von ihm gezogenen
-Pflanze eine neue Knospe sprießt, war er ihrer Entwicklung gefolgt.
-
-Aber schon als sie zehn Jahre alt war, hatte der Birkensche finanzielle
-Zusammenbruch, der die Familie veranlaßte, nach Berlin zu gehen, Monika
-seinem Einflusse entzogen.
-
-So wie er sie heute wiedergesehen, versprach sie viel für die Zukunft,
-versprach, körperlich und geistig ein Edelexemplar zu werden.
-
-Wieviel sie davon halten würde?
-
-Ein müdes Zucken hob die Schultern des Doktors.
-
-Er hatte schon zu viele schöne Knospen gesehen, die gar vulgäre Blumen
-wurden.
-
-Und dann -- es war ja schließlich gleichgültig -- es war ja alles so
-gleichgültig.
-
-Mit müder Gebärde schenkte er sich aus der Rumflasche ein und blies in
-dichten Wolken den Qualm seiner billigen Zigarre vor sich hin. --
-
-Als Monika zu Hause ankam, ziemlich beunruhigt, wie diese neue
-Durchgängerei wohl aufgenommen werden würde, kam sie zu ihrer großen
-Freude völlig unangefochten in ihr Zimmer.
-
-Sie war eben daran, mit einigen energischen Bürstenstrichen ihr
-zerzaustes Haar zu ordnen, als Auguste, das sechzehnjährige
-Abwaschmädchen, das eine besondere Zuneigung zu Monika entwickelte,
-hereinpolterte.
-
-Sie erzählte in dem besten Deutsch, das sie aufzubringen vermochte, daß
-bei der Gnädigen Besuch aus Hahndorf sei und sie und Fräulein Marie und
-die Gäste eben im Salon Kaffee tränken.
-
-„Hat Tante schon nach mir gefragt?“ sagte Monika hastig.
-
-Auguste bejahte, fügte aber mit verschmitztem Grinsen hinzu, sie habe
-dem Diener gesagt, Fräulein Monika sei in den Ställen und werde wohl
-sofort wieder hereinkommen.
-
-„Schönen Dank, Auguste. Und jetzt hilf mir mal die Bluse zuhaken.“
-
-Mit Blitzgeschwindigkeit hatte Monika eine andere Bluse übergeworfen.
-
-Besuch aus Hahndorf! Also jedenfalls Dragoner! -- --
-
-Um so enttäuschter war sie, als sie im Salon nur Damen fand.
-
-„Ach, Monika, ich ließ Dich schon herbitten,“ sagte die Tante -- und
-dann zu der neben ihr sitzenden Dame gewendet: „Meine Nichte Monika
-Birken.“
-
-„Ah, Baroneß Birken,“ sagte die hagere, ältliche Dame mit einer
-offiziersmäßig scharfen Stimme, „ich habe Ihren Papa gut gekannt.“
-
-Und ohne eine Entgegnung Monikas abzuwarten, wandte sie sich wieder zu
-Frau von Holtz, die ihrer Nichte einen Wink gab.
-
-Gehorsam ging Monika zum Erker, in dem ihre Cousine mit einer jungen
-Frau saß.
-
-Marie machte sie bekannt. Es war die Frau des Regimentsadjutanten von
-Roßberg. Sie war lang, schlank und häßlich. Im übrigen seit acht Wochen
-verheiratet, wie sie Monika in den ersten fünf Minuten erzählte.
-
-„Wonnegrinsend“ erzählte, konstatierte Monika in ihrem Innern und sah
-wie gebannt auf die langen Vorderzähne, welche die junge Frau beim
-Lachen enthüllte.
-
-Marie behandelte ihre Freundin mit ostentativer Verehrung, Hochachtung
-und Zuneigung.
-
-Monika war ganz erstaunt über die Gefühlstöne, welche die sonst so
-bittere Cousine anschlug.
-
-„Du weißt nicht, wie ich mich nach Dir gebangt habe, Trudchen. Es war
-trostlos einsam.“
-
-„Nun, Du hattest ja Gesellschaft an Deinem Cousinchen,“ sagte die junge
-Frau höflich.
-
-Marie zog ein Gesicht, beredter als tausend Worte.
-
-Und Monika sagte mit der ihr eigenen fröhlichen Unbefangenheit:
-
-„Meine Cousine kann mich nämlich nicht ausstehn, Frau von Roßberg.“
-
-„Ach, rede doch nicht so,“ sagte Marie ohne jede Ueberzeugung, und dann
-zu ihrer Freundin gewendet:
-
-„Mone ist doch gar nicht in einem Alter mit mir, Trudchen. Noch keine
-sechzehn und noch gar nicht in die Gesellschaft eingeführt -- --“
-
-„Aber zu unserem Balle kommen Sie doch wohl mit, Fräulein von Birken?“
-
-„Welcher Ball?“
-
-Marie fuhr dazwischen. „Ich glaube nicht, daß Mone hier schon ausgehn
-soll.“
-
-„Ein Ball in Hahndorf?“ fragte Monika aufleuchtend.
-
-„Ja, unser erster Regimentsball diesen Winter. Frau von Teufel zur Höll
-wollte mit Ihrer Tante etwas besprechen wegen lebender Bilder, und da
-bin ich mitgefahren, um Mariechen zu sehn.“
-
-„Frau von Teufel zur Höll?“ wiederholte Monika begeistert und mit so
-wenig gedämpfter Stimme, daß Marie sie ärgerlich in den Arm kniff.
-
-„Ja, die Dame, die dort mit Ihrer Tante spricht, die Gattin unseres
-Etatsmäßigen.“
-
-„Ach, welch schöner Name, welch fabelhaft schneidiger Name,“
-wiederholte Monika ganz begeistert. „Von Teufel zur Höll, -- --
-so möchte ich mal heißen. Hat Ihr Etatsmäßiger nicht irgend einen
-unverheirateten Bruder?“
-
-Frau von Roßberg brach in Lachen aus, in das albern klingende,
-grinsende Lachen, das ihr eigentümlich war.
-
-Frau von Teufel zur Höll rief herüber: „Nun, die Jugend amüsiert sich
-wieder mal ausgezeichnet. Da werden wohl Pläne für unsere lebenden
-Bilder entworfen. Entwickeln Sie nur recht viel Erfindungsgabe, meine
-Damen. Wir möchten diesmal etwas ganz Apartes bringen.“
-
-Monika näherte sich, förmlich wie von einer magischen Gewalt gezogen,
-der Sprecherin. In ihren Augen stand eine so intensive Anteilnahme, daß
-Frau von Teufels eisiger Gesichtsausdruck einem halben Lächeln Platz
-machte:
-
-„Na, das Tanzfieber fängt wohl jetzt schon an?“ sagte sie.
-
-„Darf ich denn mit?“ fragte Monika.
-
-Ungläubig klang’s und doch lag schon ein Jubel darin.
-
-Frau von Holtz neigte lächelnd den schönfrisierten, weißhaarigen Kopf.
-
-Da flog Monika auf ihre Tante zu und umarmte sie in so kindlich
-echtem Jubel, daß sogar Frau von Teufel zur Höll -- im Regiment
-selbstverständlich „die Teufelin“ genannt -- ihr darob nicht böse sein
-konnte.
-
-Monika hatte sich noch nicht beruhigt, als die Damen gegangen waren. Im
-Gegenteil: ihre Freude äußerte sich in Ausbrüchen, die ihre Cousine als
-„geradezu indianerhaft“ bezeichnete. Aber urplötzlich schlug der Jubel
-ins Gegenteil um. Mit tragischem Gesichtchen erinnerte sich Monika,
-daß sie „nichts, aber absolut nichts“ anzuziehen habe. Frau von Holtz
-beruhigte sie: selbstverständlich würde für sie ein Kleid geschneidert
-werden und Marie müsse auch ein neues haben. „Morgen früh kommt Mine
-Petermann,“ fügte sie verheißungsvoll hinzu.
-
-Und am nächsten Morgen um zehn Uhr war Mine Petermann da, -- die
-unförmlich dicke Gestalt in ein prallsitzendes, schwarzes Kleid
-gezwängt, -- auf dem mächtigen Busen eine ganze Armee von Stecknadeln,
--- um die Taille eine grüne Schnur, an der die Schere hing, und unterm
-Arm eine ganze Ladung Mode-Journale.
-
-Auch Stoffmuster hatte Mine schon da, war in aller Herrgottsfrühe schon
-nach Neustadt hin- und zurückgestiefelt und hatte sich bei Kaufmann
-Kleinmichel Proben vom „Neuesten, Schönsten und Modernsten“ geben
-lassen.
-
-Ja, die Mine war eine rührige Person, -- nicht umsonst beehrte die
-ganze Nachbarschaft sie seit zwanzig Jahren mit ihrer Kundschaft.
-
-Das war ein gar wichtiges Fragen und Beraten, was nun begann.
-
-Mine war vor dem Beginn erst im Vorzimmer mit einem Glase Portwein und
-zwei Buttersemmeln mit Leberwurst gestärkt worden, was erfahrungsgemäß
-ihre Inspiration sehr anzuregen pflegte.
-
-Sie ging auch gleich mit einem wahren Feuereifer an die Arbeit,
-erklärte, für das gnädige Fräulein Marie sei „Empire“ wie geschaffen.
-
-Begeistert tippte sie mit ihrem zerstochenen Zeigefinger auf ein
-Modell: ein verführerisches Dämchen zeigte dort ihre Reize in
-einem überaus anschmiegenden Empirekleide aus nilgrüner Seide mit
-Perlenstickerei.
-
-Frau von Holtz wiegte bedenklich den Kopf, enthielt sich aber
-einstweilen jeder Meinungsäußerung, wogegen Marie, kaum daß sie einen
-Blick auf das Modebild geworfen, ihre lebhafteste Abwehr zu erkennen
-gab. Sie erklärte diese Mode „für direkt schamlos“ und „hätte Fräulein
-Petermann mehr Geschmack zugetraut“!
-
-Das dicke, alte Fräulein zog ein beleidigtes Gesicht, zeigte aber doch
-pflichtgemäß alle Abbildungen, die vorhanden waren. Vor Maries Augen
-fand nichts Gnade. Und ihre Miene entwölkte sich auch nicht, als nun
-Frau von Holtz selbständige Anregungen gab, und mit der ganzen Liebe
-einer Mutter sich mühte, etwas recht Vorteilhaftes für ihr Kind zu
-finden.
-
-„Ich denke, Mariechen, als Farbe rosa. In rosa siehst Du nicht so blaß
-aus. Und ums Décolleté einen Chiffon-Volant, oder lieber zwei, das
-macht Dich schön breit in den Schultern.“
-
-„Ich will aber nichts vortäuschen.“
-
-„Aber, Kind, was für Ausdrücke.“
-
-„Ich glaube, Marie möchte am liebsten mit ’nem Trotteurrock und ’ner
-Bluse mit ’nem Stehkragen zum Ball gehn,“ rief Monika, die die Cousine
-oft mit ihrer Vorliebe für die etwas nüchterne Kleidung neckte.
-
-„Du kannst Dir Deine Naseweisheiten sparen,“ rief Marie, und auch
-Frau von Holtz warf ihr einen ernst verweisenden Blick zu: ihr war
-die momentane Situation zu ernst, um sie durch Witze unterbrechen zu
-lassen. „Also, glaube mir, Mariechen, oben die Volants und den Rock
-unten weit ausfallend, eine recht steife Balayeuse unten hinein -- --“
-
-„Ach, mach’s nur, wie Du willst,“ sagte die Tochter übellaunig. Ihre
-Miene heiterte sich auch nicht auf, als Fräulein Petermann ihr Maß
-nahm. Die dicke Dame erklärte, das gnädige Fräulein habe seit letztem
-Winter um zwei Zentimeter Brustumfang zugenommen. Frau von Holtz
-zeigte sich über diese Neuigkeit sehr erfreut, aber Marie sah die Mine
-nur verachtungsvoll an und sagte dann: „Denken Sie sich doch mal was
-Neues aus, Mine -- denn das mit dem Brustumfang behaupten Sie ja doch
-jedesmal!“
-
-Mine überhörte mit parlamentarischer Gewandtheit die Bemerkung und
-diskutierte eifrig mit Frau von Holtz über die Blumen, die zu der rosa
-Toilette getragen werden sollten. „Heckenröschen“ fand beiderseits
-Billigung, aber Marie schrie förmlich vor Empörung.
-
-„Heckenröschen, -- warum nicht lieber Gänseblümchen?! Schrecklich! Ich
-will überhaupt keine Blumen.“
-
-Allgemeines Entsetzen folgte diesem Ausspruche.
-
-Besonders Frau von Holtz war völlig zerschmettert.
-
-„Marie, ein junges Mädchen ohne Blumen auf dem Ball?! Wenn Du mir das
-antust -- --“
-
-„Ich kann doch nu mal all das Grünzeug nicht leiden! Und es paßt auch
-gar nicht zu mir.“
-
-Frau von Holtz erhob sich, jeder Zoll gekränkte Königin.
-
-„Dann gehen wir nicht auf diesen Ball. Fräulein Petermann, Sie sind
-entlassen.“
-
-Monika wurde blaß bis in die Lippen.
-
-Und auch die herbe Marie bekam einen hörbaren Schreck. Das wurde Ernst!
-
-Wenn Mama „Fräulein Petermann“ sagte statt „Mine“ -- --
-
-Sie lenkte also ein, in mürrischer Weise, -- aber ihr Stolz war
-gebrochen. Sie gab klein bei. Nur „Heckenröschen“ sollte die Mama ihr
-nicht antun.
-
-Man einigte sich also auf Akazienblüten.
-
-Und dann -- endlich! -- wurde an Monika gedacht.
-
-Das war leichtere Arbeit. Sie zeigte sich von allem entzückt; was man
-ihr vorschlug, fand sie alles „großartig“ und „feenhaft“ und strahlte
-vor Seligkeit, als Frau von Holtz sich dann für hellblau entschieden,
-rund ausgeschnitten, als Garnierung Kirschblütenzweige.
-
-„Und auch ins Haar? Auch ins Haar Kirschblüten?!“ fragte Monika
-flehend.
-
-„Ja.“
-
-Sie verstummte vor Begeisterung.
-
-Und in Frau von Holtz stieg es wie ein bitteres Gefühl auf: wenn doch
-Marie etwas von Monikas warmherzigem Wesen gehabt hätte, von ihrer
-glücklichen Gemütsart, ihrer Dankbarkeit.
-
-Und am Tage des Balles war es wieder ein Vergleich, der sich der Mutter
-aufdrängte, als sie die beiden in ihrem Staat sah.
-
-Marie, deren Hagerkeit das duftige Kleid nicht milderte, mit dem
-straff frisierten Haar, von dem die Akazienblüten steif abstanden, und
-daneben Monika, die in ihrem Ballstaat eine ganz andere schien. Die
-wenig hübschen Kleider, die sie sonst trug, hatten ihrer blühenden
-Jugend Eintrag getan. Das Hellblau ihres neuen Kleides hob ihren
-prächtigen Teint hervor, -- der runde Ausschnitt enthüllte vollendet
-schöne Schultern und Arme und darüber lachte das selige Kindergesicht,
-gutmütig strahlend, lebensdurstig, durstig nach Glück!!
-
-Der Ball wurde für Monika ein Erfolg.
-
-An und für sich war es für die Hahndorfer Dragoner ein Ereignis,
-wenn ein „neues“ junges Mädchen auftauchte. Waren doch nur zwei
-unverheiratete Damen im Regiment: die Kommandeurstöchter, und mit denen
-tanzte man nun glücklich den dritten Winter, und außerdem waren sie
-nichts weniger als hübsch.
-
-Möglich, daß jede von ihnen an sich ganz nett gewirkt haben würde, aber
-man sah sie immer zusammen -- und zusammen sahen sie geradezu komisch
-aus. Violette -- sie hieß tatsächlich Violette -- ihre verstorbene
-Mutter hatte ein ~faible~ für poetische Namen gehabt -- gab an Größe
-dem längsten Leutnant des Regiments nichts nach, und an Breite übertraf
-sie ihn bedeutend. Sie hatte große, runde blaue Augen, einen Helm von
-goldblondem Haar und wäre als Urbild einer germanischen Heldenjungfrau
-gar nicht übel gewesen, wenn man nicht beständig Erika neben ihr
-gesehen hätte.
-
-Erika war so ziemlich das Kleinste und Zierlichste, was man sich
-vorstellen konnte, ein wahres Porzellanpüppchen! Dazu eine Fülle
-dunkelsten Haares und zwei ausdrucksvoll dunkle Augen in einem
-Spitzmausgesichtchen.
-
-Sie ließ ihre Schwester ungeschlacht erscheinen und dabei sah sie neben
-dieser Schwester „nach gar nichts“ aus, -- kurz, sie beeinträchtigten
-sich gegenseitig auf das schärfste.
-
-Die Leutnants pendelten ratlos zwischen ihnen hin und her, und das
-Resultat war, daß immer noch keine von ihnen verlobt war, obwohl ihr
-Vater keinen innigeren Wunsch hegte.
-
-Außer den beiden waren an jungen Mädchen nur noch einige
-Gutsbesitzerstöchter aus der Umgegend erschienen, die keine besonderen
-Attraktionen boten. Und nun eine „Neue“! -- Und noch dazu die Tochter
-eines alten Herrn vom Regiment, des „fidelen Birken“, von dessen Taten
-man genug gehört. Und noch dazu Monika, die in den ersten fünf Minuten
-mehr gute Witze gemacht als sonst ein halbes Dutzend junger Mädchen
-zusammen.
-
-Nachdem sie in möglichster Eile den Damen ihren Knix gemacht, widmete
-sie sich völlig den Leutnants und entfesselte durch ihre Konversation
-derartige Lachstürme, daß man im Reiche der Mütter bedenklich die Köpfe
-zusammensteckte.
-
-Die jungen Frauen fanden den „Kiekindiewelt“ empörend, die jungen
-Mädchen erklärten sie für „schamlos kokett“.
-
-Monika aber ließ sich die unverhohlene Mißbilligung, die ihr von
-weiblicher Seite zuteil wurde, nicht anfechten. Sie benahm sich
-übermütig froh. Ihr war zumute wie in einem Rausch; mit all ihrer
-unverbrauchten Begeisterung genoß sie diese Stunden, genoß den
-hohen Saal mit dem strahlenden Licht, die flirtenden Leutnants, die
-Bewunderung, die aus so viel Männeraugen sprach, und den Tanz, den
-Tanz, in dem sie selig dahinglitt.
-
-Schade, daß diesem Rausch so bald eine Ernüchterung folgte!
-
-Schon im Schlitten, der die Familie Holtz nach Hause fuhr, begann Marie
-die Schale ihres Zornes über Monika auszuschütten. Sie sparte nicht mit
-den schärfsten Ausdrücken, und Frau von Holtz tat ihr nicht wie sonst
-Einhalt, sondern schwieg verstimmt.
-
-Nur der Onkel, der, bevor er sich zum Whist niedergesetzt, eine Weile
-dem Tanze zugesehn, wiegte gutmütig den Kopf und murmelte schlaftrunken
-vor sich hin:
-
-„Die Marjell, -- genau wie die Mali! Kokett -- kokett.“
-
-Die anderthalb Stunden Fahrt wurden für Monika ein Martyrium.
-
-Sie seufzte hörbar und erleichtert auf, als endlich, endlich der
-Schlitten zu Hause hielt. Der Schnee knirschte scharf unter den
-Schlittenkufen. Und ehe noch die Pferde ganz zum Stehen gebracht waren,
-setzte Monika mit mächtigem Schwunge hinaus und rannte, ohne jemand
-gute Nacht zu sagen, die Treppe hinauf in ihr Zimmer.
-
-Eine eisige Kälte empfing sie; die taperige Auguste hatte wohl wieder
-mal vergessen, nachzulegen.
-
-Aber Monika störte die Kälte nicht. Rann doch ihr Blut so brennend
-heiß durch die Adern! Sie stellte sich vor den Spiegel und hielt die
-Lampe hoch. Also so -- -- so hübsch war sie! Die brennenden Wangen --
-die flammenden Lippen -- die dunkeln Augen, über die sich die Lider
-mit den langen, schwarzen Wimpern langsam bewegten, wie wenn müde
-Schmetterlinge mit den Flügeln schlagen. Und darunter die blendend
-weiße Haut des Halses und der Schultern -- -- --.
-
-Monika hätte vor Glück schreien mögen, wie neulich, als sie durch den
-Schnee rannte.
-
-So hübsch war sie -- -- Welch ein Glück! --
-
-Maries Strafpredigten hatten ihr weiter keinen Eindruck gemacht. Nur
-daß sie bedauerte, jetzt niemanden zu haben, mit dem sie von all den
-Eindrücken sprechen konnte.
-
-Nur jetzt noch nicht schlafen!
-
-Das war doch nicht möglich, jetzt schlafen, still liegen -- --
-
-Sie summte ein paar Walzertakte vor sich hin: -- -- ein heißes
-Glücksgefühl überrieselte sie.
-
-Noch einmal die süße, süße Melodie. -- --
-
-Monika schlief nicht viel in dieser Nacht. Aber trotzdem war sie am
-Morgen die einzige, die frisch in die Welt schaute.
-
-Frau von Holtz hatte Migräne.
-
-Ihr Gatte sah verkatert aus, ihm bekam das lange Aufbleiben gar nicht.
-
-Marie machte einen überaus angegriffenen Eindruck, schlich, wie immer
-nach Bällen, mit hochgezogenen Schultern in vornübergebeugter Haltung
-herum und hüstelte, was ihre Eltern mit lebhafter Besorgnis erfüllte.
-
-Frau von Holtz vergaß die eigenen Schmerzen, um Marie beständig zu
-Hustenbonbons zu nötigen, und Herr von Holtz rührte unter beständigem
-Schimpfen auf die „verfluchte Tanzerei“ ein Eigelb mit Zucker, das
-Marie unweigerlich sofort zu essen hatte.
-
-Am Nachmittag, als man um den Kaffeetisch versammelt war, kam Besuch:
-die Leutnants von Seeburg, von Hellrich und Graf Herckenstedt kamen im
-Krümperschlitten an und erlaubten sich „gehorsamst zu fragen, wie den
-Damen der gestrige Ball bekommen“.
-
-Da die Herren sonst nie solche Lendemainvisiten gemacht, war Marie in
-bitterböser Laune, und mit der bei ihr üblichen Unverfrorenheit brachte
-sie ihre Gefühle zum Ausdruck.
-
-Frau von Holtz mußte mehrmals vermittelnd eingreifen, wenn ihr
-unliebliches Töchterlein wieder eine gar zu scharfe Bemerkung gemacht.
-
-Von seiten Monikas war keine Schroffheit zu fürchten. Im Gegenteil!
-Da hatte man nur in der entgegengesetzten Richtung einen Dämpfer
-aufzusetzen.
-
-Wie sie jetzt den Herckenstedt wieder anstrahlte!
-
-„Ja, getanzt haben Sie am allerbesten, Graf. Sie sind natürlich Kadiser
-gewesen? Die tanzen alle gut.“
-
-„Monika, man sagt „Kadett“. Deine Art, die Worte zu verstümmeln
--- -- -- --“
-
-„Ach, Tantchen, das kommt doch nicht so genau darauf an unter uns
-Leutnants -- --“
-
-Frau von Holtz fand keine Entgegnung. Es widerstrebte ihr, in Gegenwart
-eines Besuches unaufhörlich zu tadeln. Andererseits war ihr die
-burschikos-kokette Art ihrer Nichte entsetzlich.
-
-Sie selbst war immer sehr zurückhaltend gewesen, sehr prüde, und ihre
-Tochter hatte diese Eigenschaft in verdreifachtem Maße geerbt.
-
-Und zwischen ihnen beiden saß nun Monika und kokettierte mit einer
-Unbefangenheit, die geradezu verblüffend wirkte.
-
-Mit einer für ihr Alter durchaus unangemessenen Sicherheit dirigierte
-sie die Unterhaltung, die den Leutnants zwar sehr ungewohnt, aber dafür
-desto interessanter war.
-
-Marie äußerte dazu in sehr sicherem Tone Ansichten, die sich gerade
-nicht durch Geistesschärfe auszeichneten.
-
-Frau von Holtz aber, die mit ihrem ganzen Sein und Wesen in den realen
-Forderungen des Alltags wurzelte, war ehrlich ärgerlich.
-
-Mit einem scharfen Ruck lenkte sie das leichte Gespräch in andere
-Bahnen. Sie fragte, was man in Hahndorf diesen Winter noch für
-Vergnügungen vorhabe.
-
-„Ja, hoffentlich werden nun bald die lebenden Bilder kommen, deren wir
-diesmal verlustig gegangen sind,“ sagte Seeburg.
-
-Und Hellrich erklärte Monika, es sei ewig schade darum, denn in seinem
-Kostüm als Griechenjüngling hätte er berauschend ausgesehen, und
-dann hätte sie ihn sicher nicht so grausam behandelt wie in seiner
-preußischen Dragoner-Uniform.
-
-„Und warum ist mir nun eigentlich dieser Genuß entrissen worden?“
-fragte Monika.
-
-„Ja, Baroneß, das liegt nur an Frau von Teufel zur Höll’ -- --“
-
-„Die Teufelin,“ schob Monika verständnisinnig ein.
-
-„Die ist nämlich höllisch --“
-
-„Natürlich!“
-
-„-- anspruchsvoll, und so hat sie behauptet, unseren lebenden Bildern
-fehle der Clou.“
-
-„Und dabei war es so reizend,“ klagte Herckenstedt.
-
-„Ich als Griechenjüngling,“ betonte Hellrich.
-
-„Ja, mit Erika von Holl als Partnerin in einem „griechischen
-Frühlingsidyll“. -- Und Fräulein Violette von Holl als Werthers Lotte
-und Roßberg als Werther --“
-
-„Das ist der hübsche Adjutant?“ fragte Monika eifrig.
-
-„Der hübsche? Dieser Ehekrüppel?“ erwiderte Herckenstedt entrüstet.
-
-Und Seeburg sekundierte: „So ’n alter, verheirateter Herr!“
-
-„Acht Wochen verheiratet!“ zitierte Monika und kopierte das
-Gesicht, das Frau von Roßberg immer machte, wenn sie jemandem diese
-welterschütternde Tatsache mitteilte.
-
-Die Leutnants unterdrückten nur mit Mühe einen Heiterkeitsausbruch.
-
-Marie aber wollte eben zu einer kräftigen Entgegnung ansetzen, -- denn
-wenn jemand eine ihrer Freundinnen angriff, so faßte sie das noch
-schlimmer auf, als wenn es gegen sie selbst ging, -- doch der gewandte
-Herckenstedt verhinderte den Ausbruch, indem er in möglichster Eile
-weitererzählte, daß noch ein Bild „Tanzstunde“ geplant gewesen sei
-und das seit Methusalem rühmlichst bekannte: „Der Blumen Erwachen!“
--- -- Aber alles das habe dem stolzen Sinn von Frau von Teufel nicht
-genügt. Nun ja, wenn man ein ganzes Jahr bei der Garde gestanden, wie
-die Etatsmäßige! Und so sei die Aufführung der lebenden Bilder auf
-unbestimmte Zeit verschoben worden.
-
-„Bis einem von uns mal was Geniales einfällt,“ sagte Seeburg betrübt.
-
-„Und dabei hätten wir bald die schönste Gelegenheit: nächsten Monat hat
-der Kommandeur Geburtstag,“ jammerte Hellrich, der es anscheinend nicht
-verwinden konnte, sich nicht in seiner griechischen Schönheit zeigen zu
-dürfen.
-
-„Aber das ist doch nicht so schwer, einen guten Einfall zu haben,“ rief
-Monika. „Ich werde schon was finden.“
-
-„Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort,“ begutachtete Seeburg
-zweifelnd. Aber Hellrich zeigte sich vertrauensvoller. „Ich bin
-überzeugt, daß Sie was Großartiges zustande bringen, Baronesse. Sie
-haben so was in den Augen, -- ich finde da nicht gleich das richtige
-Wort dafür, -- wissen Sie, eben so was Besonderes.“
-
-„Ich fürchte, Monika überschätzt ihre Fähigkeiten,“ sagte Frau von
-Holtz, die es für geraten hielt, die Bäume nicht in den Himmel wachsen
-zu lassen.
-
-Aber nun protestierten alle drei Leutnants.
-
-Und als die Herren abfuhren, war es beschlossene Sache: sie würden der
-„Teufelin“ Mitteilung machen, daß Fräulein von Birken sich anheischig
-mache, etwas ganz Apartes für die Aufführung zum Geburtstage des
-Kommandeurs zu erfinden.
-
-„Da hast Du Dich ja schön in die Nesseln gesetzt,“ sagte Marie
-schadenfroh, als das lustige Glockengeklingel des Krümpers in der Ferne
-verstummt.
-
-„Warum?“ fragte Monika kampfbereit.
-
-„Weil Du einen netten Kohl zusammenschreiben wirst.“
-
-„Abwarten!“ sagte Monika lakonisch.
-
-Nachdem sie beim Onkel Aktenbogen und Bleistift erbeutet, legte sie
-sich auf den Teppich und begann eifrig zu kritzeln.
-
-Am nächsten Morgen legte sie Frau von Holtz ihr Machwerk vor, die es
-mit lebhaftem Mißtrauen in die literarischen Fähigkeiten ihrer Nichte
-las.
-
-Wider ihren Willen fand sie es sehr nett. Aber sie traute ihrem Urteil
-nicht. Sie las sonst nie etwas anderes als Zeitungen, fand Poesien
-überspannt und war sich ehrlich bewußt, „von all diesen Sachen nichts
-zu verstehen“.
-
-Marie lehnte ab, Monikas Erzeugnis zu lesen, obwohl sie vor Neugierde
-darauf brannte. Aber Monika sollte sich ja nicht einbilden, daß sie für
-ihre Dummheiten etwas übrig habe.
-
-Mit stiller Verzweiflung sah die Dichterin, daß Tante auch nicht die
-mindesten Anstalten machte, das Opus nach Hahndorf abzuschicken. Und
-nachdem sie drei Tage in gräßlicher Nervenspannung verbracht, griff sie
-zu einem heroischen Mittel: sie packte ihr Werk ein und adressierte es
-selbst nach Hahndorf. Nicht etwa an die Teufelin. Vor der hatte sie zu
-großen Respekt. „Leutnant Graf Herckenstedt“ stand auf dem Kuvert und
-auf das Manuskript hatte sie gekritzelt: „Wie Sie sehen, habe ich mein
-Versprechen gehalten. Hoffentlich gefällt’s!“
-
-Sie paßte den Briefträger ab und händigte ihm selbst das umfangreiche
-Kuvert ein. Als er umständlich die Adresse gelesen, grinste er
-freundlich und grinste noch freundlicher, als Monika ihm ein kleines
-Trinkgeld in die Hand gedrückt.
-
-Als einige Tage später Frau von Teufel zur Höll und Frau von Roßberg
-zum Besuch vorsprachen, war der jungen Autorin doch recht unbehaglich
-zumute.
-
-Aber ihre Besorgnisse hielten nicht lange vor, da die Teufelin ihr
-gleich beim Eintreten förmlich freundlich zugelächelt und dann Frau von
-Holtz versicherte, daß „ihre liebe Nichte wirklich eine ganz reizende
-Idee gehabt“.
-
-Frau von Holtz schwebte im Unklaren, wußte nicht recht, wie sie sich zu
-der ganzen Sache stellen sollte, aber sie wurde auch gar nicht gefragt.
-
-Frau von Teufel vertiefte sich sofort in ein detailliertes Gespräch mit
-Monika, Marie zog mit ihrer Freundin in ihre Privatgemächer, und Frau
-von Holtz blieb nichts weiter zu tun, als Tee zu bestellen.
-
-Als dann dieser Tee und ein riesenhafter Napfkuchen die Parteien um den
-runden Tisch versammelt hatte, bat Frau von Teufel Monika, ihr Werk nun
-vorzulesen, damit man gemeinsam den Eindruck beurteilen könne.
-
-Monika begann. Aber die Teufelin, der niemals etwas schnell genug ging,
-kam von ihrer Idee zurück. „Nein, jetzt nicht vorlesen. Ich werde
-einen Extrakt des Stückes geben, und dann wollen wir uns erst über die
-Rollenbesetzung einig werden. Also -- --“
-
-Eine kleine Kunstpause.
-
-Marie bemühte sich krampfhaft, ihr Interesse zu verbergen, indem sie
-mit unbeweglicher Miene aus den Fransen der Tischdecke Zöpfchen flocht.
-
-„Also die Szene zeigt zwei Leutnants. Der eine von ihnen, seit
-kurzer Zeit glücklich verheiratet, redet dem andern zu, sich endlich
-auch Hymens Rosenfesseln anlegen zu lassen. Der Freund versichert,
-daß er durchaus nicht abgeneigt wäre, daß ihm aber die Wahl arges
-Kopfzerbrechen mache. Hierauf verabschiedet sich der Freund. Der
-Junggeselle bleibt allein und schläft ein.“
-
-Marie stieß einen höhnischen Laut aus, worauf Monika sich in Positur
-setzte wie ein junger Kampfhahn. Sie fragte: „Sag’ mal, warum soll der
-Leutnant nicht einschlafen?“
-
-„Hierauf erscheint die Phantasie und sagt dem Schlafenden, sie
-wolle ihm die jungen Damen zeigen, unter denen er wählen könne. Die
-Phantasie hebt ihren Zauberstab, und es erscheinen, begrenzt von
-einem Bilderrahmen, nacheinander die Typen der weiblichen Wesen, die
-den Leutnant mit ihrer Hand beglücken möchten: Sportdame, Salondame,
-Studentin. Sie alle lassen unseren Helden kalt. Aber als zum Schlusse
-das ganz unmodern erzogene, altmodisch-holdselige Mädchen erscheint,
-das bei Mama kochen lernt und in ihrem kleinen Herzen eine große Liebe
-für diesen Leutnant trägt, da wählt er sie zu seiner Lebensgefährtin.“
-
-Einen Augenblick Stillschweigen.
-
-„Der Sieg der Tugend,“ sagte Monika mit bescheiden niedergeschlagenen
-Augen.
-
-Frau von Holtz, der die Tendenz des Werkes erst jetzt so recht aufging,
-zog Monika liebevoll zu sich heran und bat ihr im stillen vieles ab.
-
-Wie nett und moralisch das liebe Kind das doch gedichtet hatte.
-
-Marie versuchte ihre verächtliche Miene beizubehalten.
-
-Frau von Roßberg grinste und sagte: „Den Helden muß natürlich mein Mann
-spielen.“
-
-Die Etatsmäßige, die diese Aeußerung vorlaut fand, warf ihr einen
-verweisenden Blick zu.
-
-Aber im Verlaufe der Beratung ergab sich, daß tatsächlich Roßberg
-den Helden spielen mußte, da er der einzige Herr war, der etwas
-theatralisches Talent besaß.
-
-„Und ich bin das junge Mädchen, mit dem er sich verlobt,“ sagte Frau
-von Roßberg.
-
-„Wir haben ja darüber noch gar nichts bestimmt,“ warf Frau von Teufel
-ein.
-
-„Aber er küßt sie doch.“
-
-„Theaterkuß!“ entschied die Teufelin. „Also bisher hätten wir: Ehemann:
-Herr von Hellrich, -- der Junggeselle: Leutnant von Roßberg. Die
-Phantasie, -- ja um alles in der Welt, wen könnten wir als Phantasie
-wählen?“
-
-Monika mußte sich in die Lippen beißen, um nicht zu flehen: „Mich!!“
-
-Sie hatte sich alles schon bis ins Detail ausgemalt: ein
-dekolletiertes, pfauenblaues Chiffongewand, -- Orchideen in den Haaren,
-schillernde Schmetterlingsflügel an den Schultern.
-
-Es traf sie wie ein Schlag, als jetzt Frau von Teufel sagte: „Ich
-denke, Violette Holl paßt dafür am besten. Mit ihrer stattlichen
-Erscheinung und den goldblonden Haaren. Also die Phantasie: Violette
-von Holl. -- Die Sportsdame: ich!“
-
-Ein nicht ganz zu unterdrückendes Erstaunen bemächtigte sich der
-Anwesenden. Niemand hatte geahnt, daß die Teufelin mitspielen wollte.
-
-Sie selbst ging sehr schnell über diese Tatsache hinweg.
-
-„Die Salondame: nun, vielleicht Frau von Roßberg, da das keine Rolle
-für ein junges Mädchen ist. Die Studentin: Fräulein von Holtz. Ich bin
-überzeugt, das liegt Ihnen, Fräulein Marie. Die Tänzerin: ich hatte
-Fräulein von Birken gedacht, aber Erika Holl bat so, ob sie nicht
-die Rolle haben könnte. Sie wird das ja auch sicherlich sehr graziös
-machen. Und das brave, junge Mädchen, ich denke, das ist für Fräulein
-von Birken.“
-
-Monika machte ganz erstaunte Augen. Es war das erstemal in ihrem Leben,
-daß man sie als „ein braves junges Mädchen“ bezeichnete. Sie war mit
-der Rolle nicht sehr einverstanden. Sie hatte sich nun mal auf die
-Phantasie verspitzt.
-
-„Ich dachte: Fräulein von Birken, weil sie doch die Jüngste ist; ihr
-muß das Backfischhafte doch am besten liegen.“
-
-Monika fand -- ein seltener Fall bei ihr -- keine Entgegnung. Sie war
-noch ganz in Nachdenken versunken, als die Damen schon lange weg waren,
-nachdem man noch verabredet, wann die erste Probe stattfinden solle.
-
-Zwischen den Cousinen herrschte langes Stillschweigen. Endlich rang
-sich Marie zu einer Art Ehrenerklärung durch. „Im übrigen muß ich Dir
-noch sagen, Mone, die Tendenz von Deinem Dingsda ist gar nicht so
-überspannt, wie Du sonst bist. Daß der Leutnant das einzig häuslich
-erzogene, junge Mädchen nimmt, ist riesig vernünftig.“
-
-„Was, vernünftig?! Nur ein Beweis für seine haarsträubende Dummheit ist
-es. In der Ehe langweilt er sich doch tot mit dieser kleinen Gans!“
-
-„Was?!“
-
-„Na, natürlich, ich wollte in dem Dings doch gerade zeigen, wie solch
-dummer Mann allen anderen das Gänschen vorzieht, bloß weil ihm das
-so vertraut und bequem ist: so eine Erziehung ~vieux jeu~! -- Eine
-Persiflage ist’s!“
-
-„Na so eine Falschheit von Dir! Das merkt doch kein Mensch, daß es eine
-Persiflage sein soll!“
-
-„Wenn man’s gleich merkt, dann ist ja kein Witz dabei.“
-
-„Unerhört! Das sag’ ich Frau von Teufel.“
-
-„Dann sag’ ich, Du hast mich mißverstanden; Du hast eben meine
-künstlerischen Intentionen nicht gefaßt.“
-
-„Mone, Du bist gemein!“
-
-Mit diesem vernichtenden Urteil beschloß Marie die Unterredung, verließ
-das Zimmer und schmetterte die Tür hinter sich ins Schloß.
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-3.
-
-
- „Heut’ ist der große Tag erschienen,
- Auf den so lang’ wir uns gefreut -- --“
-
-Schallend klang es durchs Haus.
-
-„Mone, Du tobst -- --“
-
-„Schlimmer als das, Tantchen, viel schlimmer! Ich werde schon kindisch,
-ich fühle mich in meine zarteste Kindheit zurückversetzt: ich singe das
-Lied, das ich im Alter von vier Jahren zu Weihnachten sang.“
-
-Und wieder erklang es schallend:
-
- „Heut’ ist der große Tag erschienen,
- Auf den so lang’ wir uns gefreut -- --“
-
-„Mone!“
-
-„Tantchen, darüber kann man den Verstand verlieren, auch wenn man davon
-mehr besitzt als ich! Heute bin ich fünfzehn Jahre elf Monate und zwei
-Tage, und heute wird schon ein Stück von mir aufgeführt, -- ein Stück!
-Ich bin einer der frühzeitigsten Dramatiker, die es je gegeben hat.“
-
-„Mone, Du schnappst doch noch mal über,“ sagte Marie, die eben eintrat.
-
-Aber sie sagte das nicht mit dem grimmigen Ernst, den sie sonst ihrer
-Cousine gegenüber anwendete. Auch sie war freudiger Stimmung, in
-gespannter Erwartung auf die Ereignisse des Abends.
-
-Und dieser Abend versammelte eine fröhliche Menschenmenge im Hahndorfer
-Kasino.
-
-Wie bei allen Liebhaber-Aufführungen herrschte hinter den Kulissen ein
-lebhaftes Durcheinander.
-
-Violette behauptete, die Flügel der Phantasie würden nun und nimmer
-festsitzen, Erika jammerte, das Tänzerinnenkostüm sei viel kürzer, als
-sie es bestellt.
-
-Der Griechenjüngling fluchte, weil die Bänder seiner Sandalen immer
-wieder „von selbst aufgingen“, kurz, es herrschte Unruhe auf der ganzen
-Linie.
-
-Aber endlich erklangen die letzten Töne der Ouvertüre, die eine
-Rittmeistersgattin mit viel gutem Willen und wenig Talent auf dem
-Flügel herunterhackte.
-
-Der Vorhang hob sich, das obligate entzückte „Ah“ der Zuschauer:
-
-Violette von Holl als Werthers Lotte, den Brotleib an den üppigen
-Busen gepreßt, umlagert von einer hungrigen Kinderschar -- es waren
-sämtliche Kinder der Offiziersfamilien aufgeboten worden -- in der Tür
-erscheinend Leutnant von Roßberg als Werther. Er machte ein entschieden
-unglückliches Gesicht. Ihm waren zu viel Kinder auf der Bühne. Er hatte
-nun mal eine unüberwindliche Abneigung gegen „Krabben“.
-
-Zu seinem Entsetzen wurde das Bild dreimal gezeigt.
-
-Der Oberst war ganz begeistert; er antizipierte bei dem lieblichen
-Anblick Großvaterfreuden.
-
-Dann ging es programmgemäß weiter. Die „griechische Frühlingsidylle“,
-besonders freudig von den Leutnants begrüßt, welche Hellrich schon seit
-Wochen mit seinem Griechenjüngling neckten.
-
-Dann Tasso und die Leonoren, -- eine Tanzstunde im Biedermeierstil --,
-in mehr oder weniger gelungener Darstellung wurden Szenen aus allen
-möglichen Kultur-Epochen vorgeführt.
-
-Endlich kam die große Pause, nach welcher Monikas Werk: „Die Brautwahl“
-steigen sollte.
-
-Die Autorin stand in der Kulisse, schon im Kostüm ihrer Rolle: ein
-weißes Batistkleid, die Haare in zwei dicke Hängezöpfe geflochten, mit
-großen, blauen Schleifen darin. Ihr Gesichtchen wollte trotz seiner
-Jugendlichkeit nicht ganz zu dem harmlosen Backfischstaat passen. Für
-einen Kenner lag schon zu viel Ausdruck in den langbewimperten, dunkeln
-Augen, zu viel Bewußtsein um den vollen, roten Mund.
-
-Monika markierte Sicherheit, sah unbeweglich zu, wie nun alles für die
-Szene arrangiert wurde.
-
-Herr von Roßberg, der neben ihr stand, ließ sich aber durch ihre äußere
-Ruhe nicht täuschen.
-
-„Die Angst, gnädiges Fräulein?! Was?!“
-
-Monika sah dem hübschen Adjutanten voll ins Gesicht.
-
-„Aber keine Spur! Ich bitte Sie, bei so einem Hauptakteur -- -- --“
-
-Er verbeugte sich geschmeichelt.
-
-Und sie lachte ihn an mit blitzenden Zähnen.
-
-Es hatte sich aus den Proben ein kleiner Flirt zwischen den beiden
-entwickelt.
-
-Entschieden war Roßberg der amüsanteste und hübscheste der Leutnants.
-Daß er verheiratet war, störte Monika nicht. Im Gegenteil! Sie fand das
-„riesig pikant“. Und außerdem fand sie ihn „viel zu hübsch für seine
-Frau“.
-
-Ihr gefiel Frau von Roßberg nun mal in keiner Weise, und sie äußerte
-zu ihrer Cousine, Roßberg habe dieses grinsende Trudchen gewiß ihres
-Geldes wegen geheiratet.
-
-Marie war außer sich gewesen, hatte ihrer Freundin alle nur denkbaren
-Reize zugesprochen und behauptet, daß Roßberg seine Frau schon seit
-Jahren glühend liebe. Sie seien Nachbarskinder gewesen, und Trudchen
-sei Roßbergs erste, einzige und letzte Liebe.
-
-Monika hatte sehr interessiert zugehört, hatte dann, ungehindert
-durch irgendwelche Rücksichtnahmen, die sie als „Gefühlsduseleien“ zu
-bezeichnen pflegte, weiter mit Roßberg kokettiert, der ihr in seiner
-leichtsinnigen Art die Cour machte.
-
-Dieser Flirt wurde allseitig sehr harmlos aufgefaßt, selbst Frau
-Trudchen hatte nur ein amüsiertes Lächeln dafür. Die einzige, die
-die Neckereien zwischen Roßberg und Monika mit ernsthaftem Interesse
-verfolgte, war Marie. Mit lebhaftem Mißtrauen beobachtete sie jeden
-Blick ihrer Cousine, jedes Lächeln.
-
-So auch heute wieder, als Monika und Roßberg in den Kulissen plauderten.
-
-Von dem Platze aus, wo sie saß, konnte sie genau hören, was die beiden
-sich wieder zu erzählen hatten.
-
-„Bloß noch zehn Minuten bis zum Anfang, gnädiges Fräulein.“
-
-„Ja,“ ein Angstseufzer entrang sich, aller Selbstbeherrschung zum
-Trotze, Monikas Brust.
-
-„Und wir müssen doch noch üben, gnädiges Fräulein.“
-
-„Was denn üben?“
-
-„Na, den Kuß, den ich Ihnen zum Schlusse zu geben habe.“
-
-Monika lachte.
-
-„Theaterküsse brauchen nicht geübt zu werden.“
-
-„Wenn Sie ganz lieb bitten, gebe ich Ihnen einen echten statt so einen
-dummen Theaterkuß, Fräulein Monika.“
-
-„Oho, das sag’ ich Ihrer Frau.“
-
-„Können Sie dreist. Ich würde es doch nur tun, um Ihr Stück
-naturalistischer herauszubringen. Denken Sie, vielleicht hängt der
-Erfolg Ihres Werkes davon ab.“
-
-Monika lachte, lachte so ungezwungen und laut, wie sie es trotz aller
-Strafreden immer tat.
-
-„Wie wenn ein Füllen wiehert,“ hatten ihre Brüder immer gesagt.
-
-„Außerdem müssen Sie bedenken: solch verheirateter, alter Herr wie ich!
-Sie könnten ja meine Tochter sein, Fräulein Monika.“
-
-„Oho, ich werde nächsten Monat sechzehn.“
-
-„Und ich werde nächstes Jahr Oberleutnant!“
-
-„Ach, Sie Respektperson!“
-
-„Bin ich auch. Aus dreierlei Gründen. Erstens -- --“
-
-„Lieber Herr von Roßberg, wenn Sie jetzt nicht bald aufhören zu
-erzählen, werden Sie heiser und gefährden den Erfolg meines Stückes.
-Bitte, bitte, seien Sie still und essen Sie etwas Zuckerkand. Ich
-glaube, ich habe welchen mit -- --“
-
-Sie begann eifrig in ihrer Tasche zu suchen.
-
-Indes trat Roßberg auf Marie zu und behauptete, der rote Stürmer stehe
-ihr famos.
-
-Marie antwortete dem Manne ihrer Freundin nicht mit der burschikosen
-Herzlichkeit, die sie sonst ihm gegenüber anschlug.
-
-Im Gegenteil! Sie wurde ironisch.
-
-„Die Rolle heute paßt Ihnen wohl, Herr von Roßberg, -- -- ein Held, der
-von so vielen Damen begehrt wird -- --“
-
-Er schien gar keine Spitze zu fühlen.
-
-„Ja, entzückend,“ sagte er. „Sie haben ganz recht, die Rolle macht mir
-einen riesigen Spaß. Wenn nur das Auswendiglernen nicht wäre, -- noch
-dazu Verse, gereimte Verse. Trude hat genug zu tun gehabt, mich zu
-überhören. So ganz tadellos geht’s immer noch nicht.“ -- --
-
-„Wie war das doch, Poetessa,“ -- er wandte sich zu Monika -- „wie sage
-ich doch zu meinem Freunde:
-
- Wenn ich Dich reden höre, alter Knabe,
- So dünkt es mich wahrhaftig so, als ob
- Auch ich Talent zum Ehemanne habe,
- Denn ich bin phlegematisch, faul und grob --“
-
-Monika schrie beinahe vor Vergnügen. „O, Herr von Roßberg, so ist es
-famos, viel hübscher, als ich es gedichtet habe. Sagen Sie’s so! Ja?“
-
-„Ich werde mich schön hüten!“ erwiderte er ausdrucksvoll und ging
-seiner Gattin einen Schritt entgegen, die eben auf die Gruppe zukam.
-
-Sie war im Ballkleid, in ihrer Rolle als Salondame, und drehte sich
-beifallheischend einmal um ihre eigene Achse, -- „wie ein Fixstern“,
-erläuterte ihr Gatte.
-
-Sie hatte ein creme Seidenkleid gewählt und trug rote Rosen am
-Ausschnitt.
-
-Sie fand ein freundliches Wort für Maries Anzug, ihre Hauptbewunderung
-aber spendete sie in ihrer offenen Art Monika. „Zu lieb sehen Sie aus,
-Fräulein von Birken. Ein süßes Backfischchen! Daß Sie die ganze Sache
-gedichtet haben, das kann man gar nicht glauben.“
-
-Graf Herckenstedt, der Regisseur, kam ganz aufgeregt angerannt und
-jammerte, daß wieder alles durcheinander laufe. Jetzt sei wieder
-Fräulein von Holl nicht zu finden. Dabei sah er aufmerksam in alle
-Ecken, als ob die große Violette sich in einer solchen verborgen haben
-könne.
-
-Er atmete förmlich erlöst auf, als Fräulein von Holls Walkürengestalt
-endlich auftauchte, im Schmucke der nun endlich sitzenden Flügel,
-„anzuschauen wie Zeppelin 3“, erklärte Roßberg.
-
-Ein Klingelzeichen -- -- noch einige Minuten heftiges Durcheinander,
-Reden, Fragen -- -- dann wieder ein Klingelzeichen, und der Vorhang
-hebt sich.
-
-Hellrich und Roßberg, beide in Litewka, beginnen ihren Dialog, und das
-Publikum lauscht gebannt den hübschen Versen. Nicht endenwollender
-Applaus am Schluß.
-
-Monika strahlt. Ein unendliches Wonnegefühl weitet ihr die Brust, füllt
-ihr die Adern zum Bersten.
-
-Das ehrgeizige Köpfchen glüht im Rausche des Erfolges. O, daß das Leben
-so schön sein kann... so schön...
-
-Dann kommt der Tanz.
-
-Monika fliegt von einem Arm in den andern. Schmeichelworte klingen ihr
-in die Ohren, Männerarme umfassen sie fest.
-
-Die welkenden Blumen an ihrem Ausschnitt duften schwül und süß, und
-die Walzermelodien hüllen alles in einen schillernden Schleier von
-Schönheit, von lachendem Leichtsinn.
-
-Der Leutnant von Roßberg tanzte an diesem Abend sehr oft mit Monika;
-als Hauptakteur prätendierte er besondere Rechte.
-
-Monika behauptete, daß er sie tyrannisiere.
-
-„Ich kann wirklich nicht mehr. Lassen Sie mir doch ein bißchen Ruhe.
-Ich bin so müde,“ jammerte Monika.
-
-„Dann werden wir diesen Tanz meinetwegen verplaudern.“
-
-Er zog ihre Hand durch seinen Arm und führte sie in eines der kleinen
-Rauchzimmer.
-
-Hier saßen zwei Fähnriche bei einer Flasche Sekt; sie hatten sich
-grollend hierher zurückgezogen, weil sie von den Damen „zurückgesetzt“
-und „niederträchtig behandelt“ worden waren.
-
-Beim Eintritt des Regimentsadjutanten sprangen sie beide empor.
-
-Aber es kam noch schlimmer, als sie gedacht hatten.
-
-Roßberg machte ein geradezu entsetztes Gesicht:
-
-„Hier finde ich Sie also, meine Herren. Ist es möglich? Ist es denkbar?
-Das ist Deutschlands Jugend! Anstatt im rauschenden Ballsaal, gehorsam
-den Winken unserer Schönen, ergeben Sie sich hier dem stillen Suff!
-Schlemmen in egoistischer Weise! -- An die Arbeit, meine Herren, an die
-Arbeit!“
-
-Er machte eine befehlende Geste, deren Autorität eines Napoleon würdig
-gewesen wäre.
-
-Die Fähnriche stoben davon.
-
-Roßbergs ernsthafte Miene wandelte sich in strahlende Heiterkeit.
-
-„Das haben wir fein gemacht. Was? So ist man wenigstens ungestört.“
-
-„Inwiefern störten Sie die Fähnriche?“ fragte Monika mit
-unschuldsvollen Augen.
-
-„Ach, das wissen Sie ja allein. Ihr Hauptdarsteller hat doch noch was
-nachzuholen.“
-
-„Was?“
-
-„Fräulein von Birken, ich bitte mir Offenheit aus. Sie wissen ganz
-genau, daß ich Ihnen bloß einen elenden Theaterkuß gegeben habe.
-Vorbeigeküßt habe ich. Ostentativ vorbeigeküßt! Das brauchen Sie sich
-nicht gefallen zu lassen!“
-
-Monika versuchte zu lachen.
-
-Aber sie lachte nicht so wie sonst.
-
-„Fräulein Monika, eine Belohnung haben Sie doch verdient,“ sagte er
-übermütig. Sein roter Mund mit dem kleinen, blonden Schnurrbart näherte
-sich bedenklich ihren Lippen.
-
-„Reden Sie doch nicht solchen Unsinn,“ stotterte Monika.
-
-„Nun, dann will ich ernsthaft sein. Die Belohnung habe +ich+ verdient.“
-
-Seine Lippen senkten sich auf die ihren.
-
-Und ohne Ueberlegung erwiderte sie seinen Kuß.
-
-Eine Minute später tanzten sie wieder im großen Saal.
-
-Und für den Rest des Abends wich ihr Roßberg nicht von der Seite.
--- -- --
-
-Als die Familie Holtz in Sarkow ankam, dämmerte schon fahlgrau der Tag
-herauf.
-
-Herr von Holtz beteuerte wie immer, daß es diesmal aber unbedingt das
-letztemal sei, daß er zu so einer verfluchten Tanzerei mitkomme.
-
-Monika war im Begriffe, sich auszuziehen, als zu ihrem Erstaunen laut
-an ihre Tür gepocht wurde und Marie erschien.
-
-Sie trug noch ihren Ballunterrock, hatte eine Nachtjacke angezogen
-und sah jämmerlich elend und bleichsüchtig aus in dem dämmerigen
-Tagesschein.
-
-Monika machte erstaunte Augen: „Was gibt’s denn?“
-
-„Das wirst Du gleich hören,“ sagte die Cousine in unheilverkündendem
-Tone.
-
-Dann schwieg sie wieder, stand da, lang und hager, und sah mit
-vernichtendem Blicke auf das rosige Mädel herab, das vor Schreck
-unfähig war, sich weiter auszuziehen.
-
-Beklemmendes Stillschweigen. Nur im Ofen knisterte es leise.
-
-„Na?“ fragte schließlich Monika halb schüchtern, halb trotzig.
-
-„Sagt Dir Dein Gewissen nicht, warum ich komme?“
-
-Monika sah sie erstaunt an, blickte dann im Zimmer umher und wartete.
-
-Aber anscheinend regte sich ihr Gewissen nicht.
-
-Und so beantwortete sie die Frage ihrer Cousine mit einem „Nein“, dem
-man die Ehrlichkeit anhörte.
-
-„So?... Na, dann werde ich Dir mal zu Hilfe kommen. Also: ich habe
-alles gesehen.“
-
-„Was denn gesehen?“ fragte Monika.
-
-Eine heiße Röte überflammte ihr Gesicht.
-
-„Ich bin Dir nachgegangen, als Du Herrn von Roßberg aus dem Tanzlokal
-locktest.“
-
-Das Falsche der Anschuldigung gab Monika ihren Mut zurück.
-
-„Is ja gar nicht wahr.“
-
-Die hagere Cousine reckte sich noch gerader auf, wuchs förmlich in
-ihrer sittlichen Entrüstung.
-
-„Und dann habe ich gesehen, daß er Dich geküßt hat.“
-
-„Na, dann mache doch ihm Vorwürfe und nicht mir.“
-
-„Nur Dich trifft die Schuld. Ich weiß, wie Roßberg Trudchen liebt.
-Deine unpassende Koketterie ist an allem schuld, und Du solltest Dich
-schämen.“
-
-Und Monika schämte sich, ehrlich und glühend. Das süße Triumphgefühl,
-das sie gehabt: „Mein erster Kuß...“, die naive Zärtlichkeit, die sie
-in jenem Augenblick für den hübschen Leutnant empfunden -- das alles
-wurde jetzt durch Maries grobe Worte vernichtet; es war, als ob eine
-zarte Blüte mit harten, roten Fingern zerpflückt wurde.
-
-Ein Frösteln überflog Monika. Sie verteidigte sich nicht.
-
-Sie stand regungslos da, einen starren Ausdruck in dem erblaßten
-Gesicht.
-
-Maries Sicherheit aber stieg durch Monikas Haltung ins Ungemessene.
-
-„Ja, ja, schäme Dich nur. Endlich machst Du das Armesündergesicht, das
-für Dich paßt... Ich habe Dir jedenfalls nur eins zu sagen: Du wirst
-übermorgen von hier wegfahren. Finde irgendeinen Vorwand -- was, ist
-mir ganz gleichgültig. Aber weg mußt Du! Ich habe keine Lust, mich
-meiner eigenen Cousine zu schämen!“
-
-„Aber ich kann doch nicht so ohne weiteres...“
-
-„Arrangiere das! Wenn Du übermorgen nicht fährst, benachrichtige ich
-Trudchen Roßberg von Deinem Benehmen und sage Mama, was ich gesehen
-habe.“
-
-Monika unterbrach kurz. „Ich werde fahren,“ sagte sie tonlos. „Sag’s
-Deiner Mama nicht. Die hab’ ich so lieb.“
-
-„Ah, Du bist Dir also ganz genau bewußt, wie Deine Handlungsweise war!“
-
-Da richtete sich Monika auf aus ihrer zusammengebrochenen Haltung.
-
-„Meine Handlungsweise? -- Als ob ich überhaupt dabei eine
-Handlungsweise gehabt hätte! Ich habe -- ich -- ach, das war eben so
-ein Augenblick -- aber +Deine+ Handlungsweise, mir so nachzuspüren...“
-
-„Bitte, keine Kritik,“ unterbrach Marie sie schneidend, „das wäre doch
-ein bißchen gar zu einfach für die leichtsinnigen Leute, wenn die nicht
-leichtsinnigen ... ihnen nicht nachspüren dürften!“
-
-[Illustration]
-
-Durch die dumpfe Stube der Liese klingt ein Weinen.
-
-„Ach, daß Du schon weggehst, Monchen...“
-
-„Na, Liese, besuchst uns mal in Berlin.“
-
-„Wird nich gehen, mein Trautstes. Wer soll denn für den Grün sorgen,
-für den Fritzchen, fürs Vieh und für die Ollsche?“
-
-„Laß Dich doch vertreten!“
-
-„Wird nich geh’n, Monchen. Fürs Vieh haben die andern nu schon gar kein
-Herz.“
-
-Dicke Tränen rollen ihr über das durchfurchte Gesicht.
-
-„Und grüß mir die Mamachen recht scheen. Und wenn sie wieder ein Paket
-schickt: der Kaffee war’s letztemal großartig -- der Zucker auch --
-die vier Pfundchen waren ja bald weg -- aber scheen war er -- und denn
-ja nich wieder Nachtjacken, ich hab’ all genug -- aber einen scheenen
-Unterrock mit een Volang.“
-
-„Wird bestellt, Liese.“
-
-„Und wenn Du wiederkommst, Monchen, komm mit ’nen recht forschen
-Bräutigam, das ist doch das scheenste auf der Welt...“
-
-Der Abschied von Doktor Rodenberg gestaltete sich weniger tränenschwer.
-Er empfing Monika sogar ein wenig sarkastisch.
-
-„Na, lange nicht geseh’n. Die Hahndorfer Blauröcke lassen Dir wohl
-keine Zeit?... Was? Abschied nehmen? Du wolltest doch bis zum März
-bleiben.“
-
-Monika lachte verlegen. „Ich stehe mich mit Marie nicht sehr besonders.“
-
-„Kann ich mir lebhaft vorstellen, Kindchen. Also schon fort?“
-
-„Ach, und ich habe Sie so wenig gesehen, Doktor. Wie schade! So vieles
-wollte ich Sie fragen. Das ist so komisch mit mir! Ich möchte lernen,
-daß mir der Kopf raucht, alle schönen und alle großen Dinge möchte
-ich lernen -- graben in den herrlichen und fruchtbaren Schächten der
-Weltgeschichte -- die Pflanzen belauschen in ihrem Werden und Vergehen
--- den Tieren nachspüren, allen Tieren, bis hinab zu denen, die fast
-noch Pflanzen sind. Ach, lernen, immer mehr lernen! -- Und dann wieder
--- dann lass’ ich alles im Stich, wenn ich bloß ein blaues Tüllkleid
-anprobieren soll und... und lass’ es gern im Stich! Und auf dem
-Ball lache ich mit den Herren und finde alles gelehrte Zeug geradezu
-blödsinnig. Und... und bin auch dann so rasend glücklich! Ich weiß
-nicht, ich verstehe mich selbst nicht...“
-
-Sie brach ab.
-
-Der Doktor nahm ihr rosiges Gesicht in seine beiden Hände. Er
-betrachtete lächelnd die schönen Augen, den naiv-genußsüchtigen,
-hochgewölbten Mund.
-
-„Kind, wenn Du nicht so hübsch wärst, hätte aus Dir wahrhaftig was
-werden können,“ sagte er schließlich.
-
-„Aber das Hübschsein ist doch kein Hinderungsgrund für geistige
-Bedeutung?“ fragte Monika kampfbereit.
-
-„Doch Kind. Verträgt sich nicht miteinander. Das wirst Du schon noch
-sehen. Aphrodite und Pallas Athene haben sich nie leiden mögen.“
-
-„Und welcher soll ich folgen?“ fragte Monika ihn mit dem ganzen
-inbrünstigen Vertrauen ihrer Kinderjahre.
-
-Er lachte kurz auf.
-
-„Du hast Dir einen schlechten Ratgeber ausgesucht. Ich hab’ mir selbst
-nicht raten können.“
-
-Es war ein so bitterer Ton in seiner Stimme, daß Monika einen
-Augenblick sich selbst vergaß, einen Augenblick den jugendlichen
-Egoismus, der sich selbst das Interessanteste ist, beiseite ließ.
-
-Ein heißes Mitgefühl blitzte in ihren Augen auf.
-
-„Ja, Doktor, es ist doch eigentlich sonderbar, daß Sie Ihr Leben hier
-so vertrauern. So rasend klug wie Sie sind und gebildet! Sie könnten
-doch eine Rolle spielen, könnten in großem Maßstabe wirken für die
-Allgemeinheit!“
-
-Er lächelte höhnisch.
-
-„Wenn mir die Allgemeinheit bloß nicht so verdammt gleichgültig wäre!“
-
-„Oh!“
-
-„Sieh mal, Kind, ich hab’ in meinen Brausejahren ja auch die Welt aus
-den Angeln heben wollen. Und zum Arzt war ich gewiß nicht gemacht.
-Ohnmächtig hingeschlagen bin ich, als ich das erstemal in den
-Seziersaal kam. Alles in mir hat sich aufgebäumt gegen den Anblick von
-Gebresten und Tod. Zu meiner Mutter bin ich hingestürzt: ‚Umsatteln!
-Ich will nicht Medizin studieren. Literaturhistoriker.‘ --
-
-Na, die Antwort hättest Du hören sollen! Arzt werden sei ein
-Brotstudium, und das habe sie als Witfrau doch wohl um mich verdient,
-daß ich sie in absehbarer Zeit ernähre. Na, schön, ich habe
-nachgegeben. Man gewöhnt sich ja auch. Aber man sieht bei diesem Beruf
-zu sehr, was für ein armseliges Ding der Mensch ist! Und um nicht
-verrückt zu werden über all den gräßlichen Bildern, hab’ ich mich in
-die Philosophie geflüchtet, habe mich in die seltsamen, narkotischen
-Philosophien des Ostens vertieft: China und Indien.“
-
-Er starrte träumerisch geradeaus.
-
-Da traf Monikas Antwort sein Ohr. „Feig’ ist das!“
-
-Wie ein Schlachtruf klang’s. „Feig’! Sein Leben zu verträumen und
-verdösen in solch künstlicher Gemütsruhe. Wie ein Sumpf ist das. Ich
-aber will raus, raus in die See! Und wenn ich tausend blutige Schmerzen
-haben werd’, so werd’ ich auch tausend brennende Freuden haben! Und
-werd’ leben, es in allen Adern fühlen, das herrliche, blutrote Leben!“
-
-Ihre Hände hatten sich zu Fäusten geballt. Eine so heiße Welle von
-Kraft ging von ihr aus, daß sie zu dem müden Manne hinüberstrahlte,
-seine Nerven aufzucken ließ in sekundenlangem Leben.
-
-„Hättest früher kommen sollen, Mone. Bist zwanzig Jahre zu spät geboren
-für mich. Viel früher hättest Du kommen sollen.“
-
-Es war ein dumpfer Klang in seiner Stimme.
-
-Und dann breitete er beide Arme aus und drückte sie fest an sich: „Leb’
-wohl, Mone. Adieu, Kätzchen. Wenn Du wiederkommst, bin ich wohl nicht
-mehr da.“
-
-„Oh!“ schrie sie erschreckt auf.
-
-„Stille. Sehr lange spielt mein Herz wohl nicht mehr mit. Der edle
-Alkohol wird ihm zu viel. Stille, Kind! Eines lehren meine weisen
-Freunde aus dem Osten: anständig zu sterben...“
-
-Monika war so erschüttert über diesen letzten Besuch bei Doktor
-Rodenberg, daß ihr der Abschied von Sarkow nicht so fühlbar wurde, wie
-sie geglaubt. Sie wollte von hier aus zu einer Schwester ihrer Mutter,
-um dort noch einige Zeit zu bleiben, ehe sie nach Hause zurückkehrte.
-
-Herr und Frau von Holtz nahmen sehr herzlich von ihr Abschied.
-
-Marie begleitete ihre Cousine zur Bahn. Sie hatte sich das selbst
-ausbedungen. Es war, als ob sie immer noch Angst hätte, daß Monika
-dableiben könne.
-
-„Na, denn komm nur, Du Gefangenwärter,“ rief ihr Monika, die schon im
-Schlitten saß, zu.
-
-Die Pferde zogen an. Leicht glitt der Schlitten über den blendenden
-Schnee, und die Glocken klingelten hell.
-
-Die einförmige Fahrt wurde durch kein Gespräch unterbrochen. Schweigend
-saßen die Cousinen nebeneinander.
-
-Ein paar Kilometer vor Neustadt wurde die tote, weiße Landschaft
-lebendig.
-
-Eine Schwadron Dragoner kam daher.
-
-Monikas Züge hellten sich auf. Sie lachte vergnügt den Soldaten zu, die
-ihr bewundernde Blicke zuwarfen, indes sie langsam an dem Schlitten
-vorbeizogen.
-
-Die Offiziere grüßten.
-
-Als letzter kam Roßberg, der sofort seinen Trakehner anhielt.
-
-„Sie reisen?“ fragte er erstaunt.
-
-„Ja,“ sagte Monika mit einer Schmollmiene, deren Koketterie Marie
-innerlich rasen ließ.
-
-„Wie schade!“
-
-„Ja, schade. Aber ich muß fort.“
-
-Er sah ihr mit herzlichem Bedauern in die Augen:
-
-„Kommen Sie bald wieder. Wir werden uns alle sehr freuen.“
-
-Ein Händedruck -- und er sprengte hinter den anderen her.
-
-Monika streifte mit einem Seitenblick das zornrote Gesicht ihrer
-Cousine. Eine plötzliche Empörung wallte in ihr auf gegen ihren
-unerbittlichen „Gefangenwärter“.
-
-Trotzig warf sie den Kopf ins Genick und pfiff laut vor sich hin:
-
- „Muß i denn -- muß i denn
- Zum Städtle ’naus
- Und du, mein Schatz, bleibst hier...“
-
-Der Erfolg trat prompter ein, als sie erwartet.
-
-Marie stieß mit geballten Händen einen unartikulierten Zorneslaut durch
-die Zähne. Und durch die klare Luft kam deutlich das Echo aus dem Munde
-des davongaloppierenden Reiters -- so lockend klang’s:
-
- „Muß i denn, muß i denn
- Zum Städtle ’naus --
- U -- und -- du -- mein Schatz...“
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-4.
-
-
-„Heinzemännchen...“
-
-Der Angeredete, der, in ein Buch vertieft, in einem roten Plüschsessel
-saß, gab ein unwilliges Grunzen von sich.
-
-Aber Frau von Birken ließ nicht locker. „Heinzemännchen, willst Du den
-Kalbsbregen mit oder ohne Sardellen gekocht?“
-
-„Mit!“ sagte Heinzemännchen energisch und versank von neuem in sein
-Gedichtbuch. Lyrik war seine Passion.
-
-Frau von Birken, deren zierlich schlanker Erscheinung und deren
-hübschem Gesicht mit den blühenden Farben man ihre siebenunddreißig
-Jahre nicht anmerkte, setzte sich auf die Armlehne des Sessels und
-küßte das storre, braune Haar ihres Lieblingssohnes.
-
-„Wieder in Poesie aufgegangen, mein Heinzichen? Was hast Du denn da?
-Den Eichendorff. Ach, himmlisch. Und wie Du gleich wieder so was
-Schönes herausgefunden hast...“
-
-Sich über das Buch beugend, las sie:
-
- „Denkst du noch jenes Abends, still vor Sehnen --
- Als wir das letztemal im Park beisammen?“...
-
-Sie las diese Zeilen mit pathetischer Betonung, indes sie begeistert
-den Kopf hin und her bewegte.
-
-Heinzemännchen grunzte. Er war heute in trübsinniger Gemütsstimmung und
-gar nicht dazu aufgelegt, seine poetischen Empfindungen mit der Mutter
-zu teilen.
-
-„Was hast Du heute eigentlich, mein Einzigstes? Wieder Aerger in der
-Schule? Nein? -- Das Mittagessen hat Dir doch geschmeckt? -- Der
-Schmorbraten war doch wirklich gut, und die grünen Erbsen so weich. Was
-hast Du denn? -- Heinzi, sag’s doch.“
-
-Der Knabe stöhnte tief auf; er klappte schmerzlich die Lider halb über
-die braunen Augen und sagte:
-
-„Eine schwere Jugend habe ich -- sehr, sehr schwer.“
-
-„Aber, Liebling, warum? Ich tue Dir doch alles zuliebe.“
-
-„Eine schwere Jugend,“ wiederholte Heinrich, „seit Papas Tode ruht
-alles auf meinen Schultern.“
-
-„Heinzchen!“
-
-„Ja, es ist doch aber so. Alles auf meinen Schultern. Denke Dir das
-Verantwortungsgefühl, das ich habe! Wie ich auf die andern aufpassen
-muß! Karls Leichtsinn gibt mir viel zu denken. Und Monika -- Gott,
-Monika ist meine schwerste Sorge.“
-
-„Sie ist doch ein sehr gutes Mädchen, Heinzemännchen.“
-
-„Ja, aber sie hat so gefährliche Anlagen. Das schreibt auch Deine
-Schwester Kläre...“
-
-Heinrich zog ein Portefeuille heraus und entnahm diesem einen Brief.
-
-„Ach, an mich...“
-
-„Ja, Mama, ich vergaß, es Dir zu sagen. Aber es ist nichts Eiliges; ich
-habe ihn schon gelesen. Eine Charakteristik Monikas...“
-
-Frau von Birken nahm ihrem Sprößling den Brief hastig aus der Hand und
-begann zu lesen:
-
- „Liebe Mali,
-
- Deine Bitte, Dir genau mitzuteilen, wie Monika sich hier bei
- uns macht, erfülle ich gern. Nach allem, was Du mir von ihr
- geschrieben, bin ich nicht ohne Besorgnis gewesen, sie bei uns
- aufzunehmen. Leider hat unsere Tochter Bertha schon sowieso nicht
- den Ernst, welcher nötig ist, um die wissenschaftliche Laufbahn
- einzuschlagen, für welche ich sie bestimmt habe. Bertha findet
- einstweilen an kindischen Vergnügungen: Schlittschuhlaufen,
- Tanzstunde usw. viel zu viel Vergnügen. -- Sie bereitet sich jetzt
- unter Leitung meines Mannes auf das Abiturium vor. Leider weiß
- sie das Opfer, das ihr Vater ihr bringt, indem er ihr so viel von
- seiner Zeit widmet, die doch durch seinen verantwortungsvollen
- Beruf als Oberlehrer schon so sehr in Anspruch genommen ist, nicht
- genügend zu würdigen.
-
- Offen gestanden, ich habe sehr gefürchtet, daß Monika, wie Du sie
- mir geschildert hast, einen ungünstigen Einfluß auf Bertha ausüben
- würde -- um so mehr, als sie gerade aus Sarkow kam.
-
- Du weißt: Deine Schwägerin, Frau von Holtz, nötigt mir nicht gerade
- hervorragende Achtung ab. Sie ist so recht eine Frau von der alten
- Schule -- ohne jedes Verständnis für die ungeheure Bewegung, die
- sich seit Jahrzehnten in der Frauenwelt vollzieht.
-
- Sie erzieht auch ihre Tochter in tadelnswert unmoderner Weise, hat
- das dringende Bestreben, Marie bald zu verheiraten, lehrt ihre
- Tochter, in der Heirat das Endziel jeden Frauendaseins zu sehen.
- Ich weiß das alles von Monika, welche ja leider für ihre Tante
- Holtz sehr viel Zuneigung entfaltet.
-
- Entschieden hat Frau von Holtz auf Monika nur verderblich gewirkt.
- Als Deine Tochter ankam, schwärmte sie uns vor von dem blauen
- Ballkleide, das ihre Tante ihr hatte arbeiten lassen -- denke Dir:
- dekolletiert! -- meiner Meinung nach sehr ungeeignet für solch
- junges Mädchen.
-
- Ich möchte Dir auch nicht verhehlen, liebe Mali, daß Frau von Holtz
- Deiner Monika wie auch ihrer Tochter Marie vor den Bällen das
- Gesicht mit Reispuder gepudert hat -- eine Handlungsweise, die sich
- zu sehr charakterisiert, als daß ich sie näher bezeichnen möchte.
-
- Erfreulicherweise wird Monika sich nicht dauernd von diesen
- frivolen Ratschlägen beeinflussen lassen.
-
- Mit Dank und Verständnis nimmt sie es auf, wenn ich ihr klarmache,
- daß es nicht das Lebensziel einer modernen Frau sein darf, hübsch
- auszusehen und liebenswürdig zu sein, sondern daß es der innere
- Wert ist, der eine Frau zu dem Vollmenschen gestaltet, den unsere
- Zeit verlangt.
-
- In unserem Bekanntenkreise gefällt Monika ganz ausgezeichnet.
- Gestern kamen mir in unserem Damenklub sehr schmeichelhafte
- Aeußerungen über sie zu Ohren. So sagte mir z. B. die Frau Geheime
- Baurat Wegener: „Ihre Nichte ist wirklich ein äußerst interessantes
- Mädchen.“ Andererseits kann ich Dir nicht verhehlen, liebe Mali,
- daß Deine Tochter auch gefährliche Anlagen besitzt...“
-
-„Da hörst Du’s,“ unterbrach Heinzemännchen in bedeutungsschwerem Tone.
-
-Mit ängstlichen Augen las die Baronin weiter.
-
- „Erstens: Monika ist adelsstolz. So oft, wie ich ihr schon
- auseinandergesetzt habe, daß nicht ererbter Adel eine Zierde des
- Menschen ist, sondern einzig und allein nur der Adel der Bildung --
- sie scheint mir nicht überzeugt zu sein.
-
- Auch benutzt sie Briefpapier mit ostentativ großer Krone. Ferner
- zeigt sich bei ihr oft ein Hang zur Oberflächlichkeit, der die
- Freude an dem sonstigen Hochstand ihres geistigen Niveaus nicht
- ungetrübt erscheinen läßt.“
-
-„Sogar sehr oberflächlich,“ bestätigte Heinzemännchen mit
-mißbilligendem Kopfnicken -- „gefährliche Eigenschaften hat sie.“
-
-Eine Sorgenfalte grub sich in seine schmale Stirn.
-
-Er hätte sich wohl des weiteren über seine Schwester ausgelassen,
-wenn nicht die Tür aufgerissen worden wäre. Karl, der jüngste Bruder,
-stürmte herein.
-
-„Mamachen, bitte, eine Stulle mit Wurst.“
-
-„Aber Karl, das ist die elfte heute.“
-
-„Dafür habe ich auch kein Mittag gegessen.“
-
-„Das ist es ja eben. Du verdirbst Dir den Appetit mit dem ewigen
-Butterbrotgestopfe. Du kriegst aber auch nicht eine einzige Stulle
-mehr,“ schalt die Mutter und verfügte sich mit bewunderungswürdiger
-Konsequenz in die Küche, um die verlangte Stulle herzustellen.
-
-Karl zog mit seiner Beute triumphierend ab, und Heinrich versank wieder
-in die grünen Waldgründe Eichendorffs.
-
-Frau von Birken aber verblieb einstweilen in der Küche. Sie hatte
-sich in ein Gespräch mit Martha, dem hübschen „Mädchen für alles“,
-verwickelt.
-
-Die Baronin hegte eine glühende Anteilnahme für das Geschick aller
-Dienstboten, die sie je gehabt, sowie überhaupt für alle Angehörigen
-der unteren sozialen Schichten, die sie mit dem Sammelnamen: „die armen
-Leute“ zu bezeichnen pflegte.
-
-In Sarkow war keine Tagelöhnerfamilie gewesen, in welcher die Baronin
-nicht jeden einzelnen Sprößling beschenkt hätte, und hier in Berlin
-widmete sie ihr Interesse den Portierfamilien sämtlicher Häuser,
-in denen sie schon gewohnt; es waren ihrer eine ganze Anzahl, denn
-länger als ein Jahr wohnte Frau von Birken in der Regel nicht in einer
-Wohnung. Warum sie so oft wechselte, wußte sie übrigens selbst nicht:
-sie war mit der jeweiligen Wohnung immer sehr zufrieden. Aber wenn der
-Kündigungstermin näher rückte, wurde sie nervös -- vielleicht würde
-eine neue Wohnung doch noch schöner sein?
-
-Es war wohl besser, zu kündigen. Und so schnell würde ja die bisher
-innegehabte Wohnung auch nicht vermietet werden: wenn man nichts
-Besseres fand, konnte man ja immer noch bleiben. Also, sie kündigte.
-
-Die Folge davon war, daß die jetzige Wohnung oft schon längst einen
-Mieter gefunden, wenn Frau von Birken sich noch gar nicht für eine neue
-entschieden hatte.
-
-Sie tat das gewöhnlich erst einen Tag vor dem Umzug, zu welch letzterem
-dann keine „Ziehleute“ mehr aufzutreiben waren. Ein -- zwei Tage
-schwebte die Baronin dann in wahrer Verzweiflung, wußte nicht aus noch
-ein. Aber wenn dann der Umzug endlich vor sich gegangen -- meistens
-wurde dabei viel zerbrochen und beschädigt -- glätteten sich die Wogen
-der Erregung bald. Die neue Wohnung wurde entzückend gefunden, bis im
-nächsten Jahre dasselbe Spiel von neuem wieder begann.
-
-Zu ihren Dienstboten verhielt sich Frau von Birken gerade wie zu ihren
-Wohnungen: sie fand sie begeisternd, aber sie wechselte sehr gern.
-
-Uebrigens verabschiedete sie sie nie aufs Ungewisse hin.
-
-Mit geradezu rührender Sorgfalt suchte sie ihnen neue Stellungen aus,
-erließ diesbezügliche Annoncen und schrieb ihnen Zeugnisse, nach denen
-die Mädchen von hervorragenden Eigenschaften geradezu strotzten.
-
-Die jetzige war natürlich auch wieder eine Perle. Und wie nett sie
-zu erzählen wußte! Frau von Birken nahm lebhaften Anteil an den
-Schwankungen des Liebesverhältnisses, das Martha mit einem Schutzmann
-unterhielt. Die Herrin debattierte stundenlang mit dem Mädchen über die
-Frage, ob Otto sich zur Heirat entschließen würde oder nicht. Er konnte
-doch eine Frau ernähren bei der schönen Anstellung, die er hatte. Aber
-ob ihm zu trauen war?
-
-„Nehmen Sie sich nur in acht, Martha.“
-
-Gestern war er also wirklich nicht zu dem verabredeten
-Sonntags-Rendezvous gekommen? -- Das war doch entschieden sehr
-auffallend. Nun, vielleicht dienstlich verhindert?
-
-„Aber er hätte jedenfalls schreiben können.“
-
-Die beiden waren so in dieses passionierende Gespräch vertieft, daß sie
-das Läuten an der Korridortür überhörten.
-
-Erst als Heinrich grämlich hereinrief, daß wohl erst die Klingel
-abgerissen werden solle, ehe sich Martha zum Oeffnen entschlösse, lief
-die letztere zur Tür.
-
-Frau von Birken hörte ihren erstaunten Aufschrei. Gleich darauf wurde
-die Tür aufgerissen -- zwei Arme schlangen sich um den Hals der
-Baronin, ein ungestümer Mund preßte sich auf den ihren: Monika.
-
-Die Mutter war zu überrascht, um Worte zu finden, aber Heinrich, der,
-seinen Eichendorff fest unter den Arm geklemmt, sich in der Küchentür
-sehen ließ, sagte ahnungsbang:
-
-„Du wirst wohl wieder was Nettes angestellt haben, Mone.“
-
-Monika ließ sich den brüderlichen Pessimismus nicht sehr zu Herzen
-gehen; sie umarmte den jungen Melancholiker freudestrahlend:
-
-„Heinzemännchen, Du siehst schon wieder so lebensüberdrüssig aus wie
-ein asthmatischer Mops. Freust Du Dich denn nicht, daß ich wieder da
-bin? Oder belastet schon wieder die Verantwortung für mein Betragen
-Deine schwachen Schultern? Heinzemännchen, beruhige Dich -- ich habe
-immer noch weder Wechsel gefälscht, noch einen Leutnant entführt.“
-
-Frau von Birken fand nun endlich Worte. „Was hast Du bloß für einen
-komischen Umhang um?“ fragte sie und strich erstaunt über die
-kapuzinerbraune Umhüllung aus schwerem Loden, welche Monika trug.
-
-„Das? -- Ein Geschenk von Tante Kläre -- ein ausrangiertes von ihr. Sie
-sagt: ‚Frauen, die Toiletten-Luxus treiben, sind keine Vollmenschen.‘
--- Da ich aber zu einem solchen erzogen werden sollte...“
-
-„O, Mone, Mone...“
-
-„So bin ich ausgerückt. Hurra, hurra, hurra!“ Monika warf ihre geliebte
-Pelzmütze in die Luft. „Martha, was zu essen, aber viel und gut! Ist
-was in der Speisekammer? Nein? Na, natürlich -- wie gewöhnlich. Gehen
-Sie bloß schnell was holen: Leberwurst und Semmeln und Butter und zwei
-Zuckerkringel -- ich bin ganz verhungert.“
-
-Martha eilte fort, und Frau von Birken sagte mißbilligend: „Mone,
-wieder so materiell! Gleich in der ersten Minute des Wiedersehens ans
-Essen zu denken...“
-
-„Und Du hast in der ersten Minute nur an meinen Umhang gedacht, an
-den braunen Umhang. Wir nehmen uns nichts, Mamachen. Du denkst an die
-Kleidung, ich ans Essen -- fürs Epikureische sind wir alle beide, Gott
-sei Dank.“
-
-„Ach, Mone, Du bist genau wie immer,“ klagte Frau von Birken, indes sie
-ihrer Tochter ins Eßzimmer folgte. „Und ich hatte gedacht, Du würdest
-Dich geändert haben. Gerade von Tante Kläre habe ich Einfluß auf Dich
-erwartet.“
-
-„Ach, es ist komisch, Mamachen, es hat eigentlich niemand Einfluß auf
-mich. Ich habe so andere Ansichten. Die würde ich ja gern ändern,
-wenn mich irgend jemand durch Argumente überzeugen könnte. Aber was
-die andern sagen, das ist nie stichhaltig: das zerfetze ich mit ein
-paar Worten. -- Wenn mich irgend jemand überzeugen könnte, mir eine
-Direktive geben -- ~mais je ne demande pas mieux~.“
-
-„Nun sage lieber bloß schon gleich, was Du angestellt hast,“ sagte das
-geliebte Heinzemännchen trocken.
-
-„Was ich angestellt habe? Ach, gar nichts. Bloß daß sich der Doktor
-Schelling in mich verliebt hat.“
-
-„Aha, ein Mann,“ bemerkte Heinrich.
-
-„Na -- sozusagen,“ erwiderte Monika gedehnt. „Er ist kleiner als ich
-und schmäler als ich, und außerdem hinkt er auf dem linken Fuß...“
-
-„Mone, Deine Art, auf Aeußerlichkeiten Gewicht zu legen, ist
-schrecklich: ich kenne den Doktor Schelling -- ein sehr geistreicher,
-feinsinniger Mann...“
-
-„Aber, Mama, wie er aussieht -- direkt verboten!“
-
-„Mone, Du wirst wieder gemütsroh. Wo Du das nur herhast? Wenn ich so
-denke: das Gemüt, das +ich+ habe! Bei meinem Gemüt, Mone...“
-
-„Gott sei Dank hab’ ich das nicht geerbt, Mama. Aber um auf den Doktor
-Schelling zurückzukommen: der ist Tante Kläres Seelenfreund, Partisan
-der Frauenbewegung natürlich. -- Großartig, was sich die beiden jeden
-Tag zwischen fünf und sechs zu erzählen haben. Bertha und ich wurden
-dann immer mitzugezogen, um zu modernen Mädchen, zu Vollmenschen
-heranzureifen; ‚neue Horizonte eröffnen‘, nannte das Doktor Schelling.“
-
-„Und Du hast Dich gewiß unpassend benommen?“
-
-„Aber keine Spur! Reizend war ich, direkt niedlich. Ich habe sogar
-Goethe zitiert, den ich doch eigentlich nicht ausstehen kann. Natürlich
-Leonore -- natürlich:
-
- ‚Ich höre gern, wenn kluge Männer reden,
- Daß ich verstehen lerne, wie sie’s meinen...‘“
-
-Frau von Birken atmete erleichtert auf.
-
-„Wahrhaftig, Du warst nicht ungezogen?“
-
-„Aber im Gegenteil! Ich war so artig, daß sich der gute Hinkepot in
-mich verliebte. Er hat bei Tante um meine Hand angehalten. Ich wußte
-gar nichts davon: mir hat er gar nichts gesagt -- bloß, daß ich schöne
-Augen hätte und entzückende Hände und so. --
-
-Aber Tante hat mir, als sie mir seinen Antrag übermittelte, einen
-kolossalen Krach gemacht: nur durch meine Koketterie und meinen Hang
-zur Frivolität hätte ich den großartigen, ernsthaften Doktor Schelling
-zu solch einer Dummheit verleitet -- zu der Dummheit, einen völlig
-unerzogenen Backfisch heiraten zu wollen, der überhaupt gar kein
-Vollmensch wäre! --
-
-Und als ich dann der Tante sagte, ich dächte gar nicht daran, ihn zu
-heiraten, weil er so häßlich wäre und weil ich keinen Bürgerlichen
-möchte, da wurde sie erst recht böse und sagte, ich wäre ohne jeglichen
-Fond! Na, das wurde mir schließlich zu viel. Das brauche ich mir
-nicht gefallen zu lassen. „Ohne jeglichen Fond.“ Da kommt man sich ja
-schließlich zu dumm vor. -- Also, da bin ich ausgerückt. Geld hatte ich
-bloß sehr wenig. Da bin ich dritter Klasse gefahren. Scheußlich! --
-Unterwegs hat mir ein Pferdehändler gesagt, er möchte sich gern mit mir
-verloben.“
-
-„Mone!“
-
-„Mamachen, keinen Verzweiflungsausbruch! Ich habe doch gar nichts
-getan. Was kann ich dafür, wenn sich Leute in mich verlieben? --
-Ah, da kommt Martha mit der Leberwurst. Leberwurst und zum Dessert
-Zuckerkringel. Der alte ehrliche Wagner hat doch recht:
-
- ‚Es gibt ein Glück, das ohne Reu’!‘“
-
-[Illustration]
-
-Am Abend war die ganze Familie um den großen Tisch im Eßzimmer
-versammelt. Sogar Alfred war erschienen, Alfred, der sonst seine Abende
-außerhalb des Hauses zubrachte, vage Erklärungen für sein Fernbleiben
-gab, die niemand ihm glaubte, seine Mutter am wenigsten.
-
-Sie war von einem beständigen Mißtrauen gegen Alfred erfüllt. Für
-diesen ältesten Sohn hatte sie nie viel übrig gehabt -- von seiner
-Geburt an nicht.
-
-Warum, war ihr selbst unklar.
-
-Doch Alfreds Verhalten ließ ihren Mangel an Zuneigung oft recht
-gerechtfertigt erscheinen; er war alles andere eher als ein guter
-Charakter. Er war bei allen, die ihn kannten, seiner Boshaftigkeit
-wegen gefürchtet; es gab kaum ein größeres Vergnügen für ihn, als
-seine Bekannten gegenseitig aufeinanderzuhetzen. Er lernte ungern, war
-faul und genußsüchtig -- dabei unleugbar von glänzender Begabung. Doch
-diese Begabung hatte etwas merkwürdig Partielles. In vielen Fächern
-leistete er absolut nichts, in anderen war er unübertrefflich. Er war
-ein mißtrauischer Charakter, der bei allen anderen Böses witterte,
-mitunter aber überraschte er durch einen Zug von Gutmütigkeit.
-
-Auch seine äußere Erscheinung wies kein einheitliches Gepräge auf.
-Sein kräftiger Körperbau und seine breiten Schultern ließen auf
-einen hochgewachsenen Menschen schließen, aber er erreichte kaum das
-Mittelmaß.
-
-Mit seinem Gesicht konnte er dagegen zufrieden sein. In der Tat war
-dieses Gesicht sehr schön -- alle Züge von vollendeter Regelmäßigkeit.
-Er hatte kalte, blaue Augen und einen üppig geschwungenen, auffallend
-roten Mund, dessen Inkarnat noch leuchtender erschien durch den dunkeln
-Flaum auf der Oberlippe.
-
-Mit der Mutter stand Alfred in sehr gespannten Beziehungen, mit den
-Geschwistern kühl.
-
-Ueber Monikas Kommen heute hatte er anscheinend auch keine Freude
-empfunden.
-
-Heinzemännchen dagegen war es angenehm, daß Monika da war. Nun konnte
-er ihr wieder Lyrik vorlesen.
-
-Monika ärgerte ihn nicht wie die Mama dadurch, daß sie seine
-Deklamationen unterbrach, selbst die Verse vollendete, und noch dazu
-mit falschen Versfüßen.
-
-Heute abend kam er zu Monika mit Eichendorff, den er eben „entdeckt“
-hatte.
-
-Mit tiefem Gefühl und übertriebener Betonung las er ihr vor, jenes
-schönste:
-
- „Denkst du noch jenes Abends, still vor Sehnen,
- Als wir das letztemal im Park beisammen?
- Wild standen rings des Abendrotes Flammen,
- Ich scherzte wild -- du lächeltest durch Tränen.
- Ob du die Mutter auch belogst, betrübtest --
- Was andre Leute drüber deuten, sagen --
- Sonst scheu -- heut’ magst du nicht nach allem fragen,
- Mir einzig zeigen nur, wie du mich liebtest...“
-
-„Da siehst Du’s, Heinzemännchen,“ jubelte Monika: „‚Ob du die Mutter
-auch belogst, betrübtest -- was andre Leute drüber deuten, sagen‘...
-Da siehst Du’s! Das ist alles schnuppe, wenn man liebt. So beim Lesen
-findest Du’s sehr schön, und wenn ich in Wirklichkeit so wäre...“
-
-„Laß Dir das nicht einfallen,“ grunzte Heinzemännchen, plötzlich aus
-seinen poetischen Himmeln gerissen.
-
-Alfred warf seiner Schwester einen Blick zu. Er sprach kein Wort. Aber
-dieser eiskalte Blick war eine schärfere Drohung als seines Bruders
-Worte.
-
-Karl kaute unbekümmert weiter an seiner Stulle. Frau von Birken
-aber sagte ganz erregt: „Mone, ich bitte Dich, nicht immer solch
-exzentrische Redensarten. Laß doch das endlich -- mir zuliebe...“
-
-„Dir zuliebe?“ fragte Monika gedehnt. Sie warf den Kopf ins Genick:
-„Ich lebe doch für mich -- nicht bloß Dir zuliebe, Mama. Man ist doch
-nicht bloß dazu da, um so zu sein, wie es zufällig gerade der Geschmack
-der betreffenden Eltern ist.“
-
-„Nettes Früchtchen,“ sagte Alfred spöttisch zur Mutter.
-
-Und Heinrich sagte strafend:
-
-„Wenn man Dich so anhört, man sollte es rein nicht für möglich halten.“
-
-„Ach, Ihr heuchelt bloß wieder, Jungens. Lebt Ihr denn der
-Mama zuliebe? Wenn Alfred für achtzig Mark Schulden macht im
-Zigarrengeschäft und Heinrich sich verbotene Bücher kauft und Karl den
-ganzen Zucker stibitzt -- na, ich will ja gar nichts gegen Euch reden.
-Mir ist das alles egal. Ich bin froh, wenn Ihr mich zufrieden laßt.
-Aber das ist nicht zu leugnen, daß Ihr Euch selbst zuliebe lebt! Und
-das tun überhaupt alle Menschen!“
-
-„Mone, wie Du das sagen kannst, mir sagen kannst, bei meinem Gemüt!“
-entrüstete sich Frau von Birken. „Meine ganze Jugend habe ich Euch
-hingeopfert. Immer bin ich im Kinderzimmer gewesen, auch als Ihr zwei
-Gouvernanten gleichzeitig hattet: Miß Smith, die liebe Person, und
-Mademoiselle Marguerite, das entzückende Mädchen.... Ich -- habe ich
-je mir selbst zuliebe gelebt? Habe ich je an mich selbst gedacht? --
-Wo gibt es noch eine Mutter, die ihre Kinder so verwöhnt hätte wie
-ich, sie so gestopft -- ja geradezu gestopft mit Leckerbissen -- und
-mit Euch gespielt hab’ ich und mit Euch gelernt. -- Und das habt Ihr
-auch gewußt. Ja, als Ihr klein wart, wart Ihr noch dankbar. Gebrüllt
-habt Ihr, wenn ich auf Bälle ging -- Euch an mein Kleid geklammert,
-damit ich dableiben solle... Das cremeseidene mit der griechischen
-Stickerei hast Du mir direkt entzweigerissen, Mone, als Du fünf Jahre
-alt warst, an dem Abend, als ich zum Regimentsball nach Hahndorf
-wollte... Und Heinzemännchen wollte sich direkt aus dem Fenster
-stürzen, aus der ersten Etage in Sarkow, als wir in großer Gesellschaft
-einen Schlittenausflug unternahmen ... Gott, wie heute weiß ich es
-noch! Ich war gerade im Begriff, in den Schlitten zu steigen -- einen
-grauen Samtmantel hatte ich an mit Chinchillabesatz, und ein kleines
-Barett, wie es damals neueste Mode war -- außer mir trug es noch
-niemand im ganzen Kreise. -- Und Herr von Schmettwitz bietet mir die
-Hand zum Einsteigen -- und plötzlich wird in der ersten Etage ein
-Fenster aufgerissen, und auf dem Fensterbrett steht Heinzemännchen und
-schreit... schreit, daß mir die Ohren gellen: er spränge runter, wenn
-ich ihm nicht verspräche, dazubleiben. -- Ach Gott, den Augenblick
-vergesse ich nicht, und wenn ich hundert Jahre alt werde! Ich rufe und
-schreie: ja, ja, ich bleibe! -- Aber Heinzchen beugt sich noch weiter
-vor. -- Und Euer Papa wie ein Sturmwind die Treppe hinauf und reißt den
-Jungen in seine Arme. Hauen wollte er ihn! Aber das habe ich natürlich
-nicht erlaubt! Und weil ich doch natürlich den Ausflug nicht versäumen
-wollte, habe ich Heinzchen mitgenommen. Ach, wie süß er aussah in
-seinem blauen Mäntelchen mit dem echten Persianerkragen... Ja, so
-geliebt habt Ihr mich! -- Und jetzt ist das der Dank. Daß Mone solche
-Sachen sagt und mich des Egoismus bezichtigt...“
-
-„Aber, Mama, ich habe doch nichts von Dir gesagt, sondern daß die
-Menschen im allgemeinen...“
-
-„Dann hättest Du mich wenigstens davon ausnehmen sollen. Wenn Du Euch
-so charakterisiert hast, dagegen kann ich ja gar nichts einwenden. Ihr
-seid auch alle egoistisch! Nicht einer, der mein Gemüt geerbt hätte!“
-
-Aufseufzend warf die zierliche Frau einen Blick in die Runde,
-betrachtete die vier Gestalten mit den breiten Schultern, dem
-trotzigen, kurzen Genick -- sah auf die üppigen Münder, hinter denen
-die blanken Zähne lauerten, sah in die vier jungen Augenpaare, in
-denen der trotzige Spruch geschrieben stand:
-
-„Mir selbst zuliebe!“
-
-Wildpflanzen waren sie alle vier! -- Schon in ihrer zarten Jugend waren
-die Birkenschen Kinder bekannt gewesen für ihre Ungezogenheit.
-
-Der Baron hatte die Erziehung seiner Sprößlinge völlig seiner Frau
-überlassen: er selbst war vollauf damit beschäftigt gewesen, das
-Grandseigneur-Leben zu führen, das er liebte.
-
-Er war seinerzeit als wenig begüterter Junker bei den Hahndorfer
-Dragonern eingetreten; trotz seiner geringen Zulage hatte er von allen
-Herren des Regiments am elegantesten gelebt.
-
-Er hatte Glück. Gerade als seine Schulden anfingen, bedenklich zu
-werden, starb sein Onkel, der kinderlose Besitzer von Sarkow, der einst
-ihm, dem Verwaisten, Vormund gewesen und ihm nun Sarkow vererbte.
-
-Er hatte sich sofort zur Reserve überführen lassen. Der Dienst hatte
-ihm, der einen starken Hang zur Bequemlichkeit hatte, nie viel
-Freude gemacht. Es war mehr die Tradition seiner Familie als innere
-Notwendigkeit gewesen, die ihn zum Soldaten gemacht.
-
-So hatte er denn ganz gern den bunten Rock mit dem Frack vertauscht,
-den er an lustigen Abenden in Monte Carlo, Spa, Trouville und Biarritz
-trug.
-
-Johann Birken war fast zwei Jahre auf Reisen gewesen, ehe er sich
-persönlich der Verwaltung seines Gutes widmete.
-
-Er fand Sarkow sehr langweilig -- so langweilig, daß er auf die Idee
-verfiel, sich zu verheiraten.
-
-Er verliebte sich bei einem Aufenthalt in der Landeshauptstadt in die
-Tochter eines dortigen Universitätsprofessors: die schöne Mali.
-
-„Die schöne Mali“ hieß hauptsächlich darum so, weil ihre Schwestern gar
-so häßlich waren.
-
-Vier Schwestern hatte sie, die waren unsinnig gebildet, und es ging
-die Sage von ihnen, daß sie ihrem Vater bei den schwierigsten Arbeiten
-halfen, daß sie Latein und Griechisch redeten wie ihre Muttersprache.
-
-Von diesem klassisch gebildeten Hintergrund hob sich die schöne Mali
-doppelt wirkungsvoll ab.
-
-Statt der philosophischen Gelehrsamkeit besaß sie schöne, dunkle Augen
-und einen leichten Sinn.
-
-Neben dem blassen Teint der Schwestern wirkten ihre blühenden Farben
-desto schöner; neben der Schwestern knochiger Größe nahm sich ihre
-zierliche, geschmeidige Figur doppelt graziös aus -- kurz, man konnte
-sich keine vorteilhaftere Folie denken für die schöne Mali.
-
-Baron Birken, der seinen stark ausgeprägten Adelsstolz auf seinen
-Reisen, inmitten der internationalen Milieus, zum großen Teile
-abgestreift hatte, hielt kurz entschlossen um des Professors schöne
-Tochter an.
-
-Achtzehn Jahre war sie alt, hübsch, temperamentvoll, nicht unbemittelt
--- kurz, diese Liebesheirat schien ihm außerdem nicht unvernünftig.
-
-Die Ehe war alles in allem weder glücklich noch unglücklich zu nennen
-gewesen.
-
-Der Baron ärgerte sich oft über den Hang zur Unordnung, den seine
-Frau hatte; sie besaß ein geradezu hervorragendes Talent, ihre Sachen
-durcheinander zu werfen und zu verlegen.
-
-Mitunter fand er Mali auch reichlich kokett und äußerte dann seine
-Mißbilligung in harten Worten. Aber ihr jugendlicher Charme, ihre
-liebenswürdige Gemütsart versöhnten ihn immer bald wieder.
-
-Mali hatte sich in ihrer Ehe oft „unverstanden“ gefühlt.
-
-Ihr Mann besaß so sehr wenig geistige Bedürfnisse, besaß auch
-nicht „so viel Gemüt“, wie sie es gewünscht hätte. In ihren ganzen
-Lebensanschauungen gingen die Eheleute sehr auseinander.
-
-Die liberalen Ansichten, die Mali aus ihrem Vaterhause mitgebracht,
-stimmten schlecht zu den Meinungen des Gatten, der -- wenn auch nicht
-in extremer Weise -- durchaus konservativen Anschauungen huldigte.
-
-Doch gab es Punkte, in welchen die beiden in ihren Gesinnungen durchaus
-zusammentrafen: sie hatten beide einen sehr ausgeprägten Sinn für
-Gastfreundschaft, liebten Gesellschaften und rauschende Vergnügungen --
-Luxus jeder Art.
-
-Da bei ihnen diese Anlagen durch keinerlei Selbstdisziplin gezähmt
-wurden, so hatte es nicht lange gedauert, bis ihre wirtschaftlichen
-Verhältnisse sich verschlechterten.
-
-Die Jeu-Leidenschaft des Barons beschleunigte den pekuniären Abstieg,
-und schließlich hatte Birken froh sein müssen, als ihm sein Schwager,
-Herr von Holtz, das total überschuldete Sarkow für einen anständigen
-Preis abkaufte.
-
-Mit dem kleinen Kapital, das sich als Ueberschuß ergeben, ging’s
-nun der Großstadt zu, dem Schlachtfelde, auf dem die schwankenden
-Existenzen siegen oder verderben.
-
-Der Baron Birken war keine Siegernatur gewesen, wenn es arbeiten hieß.
-Er gehörte zu den Leuten, denen man alle guten Eigenschaften zubilligt,
-solange sie im Besitz von Stellung und Vermögen sind.
-
-Wenn sie auf den Höhen des Lebens stehen, scheinen diese Leute in eine
-Waffenrüstung gekleidet, geschützt und umpanzert, bewehrt und bewaffnet
-mit gutem Stahl, aber das sind Turnierwaffen, glänzende Nichtigkeiten,
-machtlos wie Pappschwerter, wenn es kein Turnier mehr gilt, sondern
-eine Schlacht, die Schlacht des hartgrinsenden Lebens.
-
-Was half es Birken, daß er ein ausgezeichneter Reiter war, wenn er sich
-um eine Stellung als Versicherungsinspektor bewarb? --
-
-Was halfen ihm seine tadellosen Manieren, als er dem Chef, der den
-Posten eines Disponenten zu vergeben hatte, gestehen mußte, daß er von
-Buchführung keine Ahnung hatte? --
-
-Was half ihm seine Gentleman-Gesinnung, als er nach „Branchekenntnis“
-gefragt wurde bei dem Schuhwarenfabrikanten, der einen gut bezahlten
-Vertrauensposten zu vergeben hatte? --
-
-Die blanken Waffen des Barons Birken waren Kinderspielzeug, als die Not
-ihn rief. Und er ergab sich, war besiegt, ohne sich gewehrt zu haben,
--- ein gebrochener Mann!
-
-Seine schönen Hände mit den rosigen, manikürten Fingerspitzen waren
-nicht von jenen, die zupacken mit tödlich sicherem Griff, waren
-nicht von jenen, die sich zu trotzig willensstarken Fäusten ballen.
-Schöne Hände waren es, schöne, nutzlose Hände, nur gemacht, um einen
-Pferdezügel zwischen den Fingern zu fühlen, ein paar Kartenblätter zu
-halten, Goldstücke zu verstreuen.
-
-Und diese schönen Hände lernten es, sich zusammenzukrampfen in Not, in
-tatenloser Verzweiflung.
-
-Es stand schlecht um die Familie.
-
-Mali jammerte von früh bis spät. Was sie aber nicht verhinderte, oft
-recht glücklich zu sein. Oft trug sie ihr Leichtsinn über Abgründe
-hinweg, in denen andere schaudernd versinken.
-
-Wohl strengte sie oft ihre Lungen in geradezu übermäßiger Weise an, um
-ihren Mann an seine Pflicht zu erinnern: „Du mußt aufstehn, Johann.
-Glaubst Du, Du bekommst eine Stellung, wenn Du jeden Tag bis ein
-Uhr im Bett liegst?! Du mußt doch für uns sorgen!! Ich laufe immer
-noch mit dem Kleid vom Frühjahr herum, und Alfred und Heinzemännchen
-klagen, der Lehrer hätte sie schon zum zweiten Male nach dem Schulgeld
-gefragt...... O Gott, wie soll das alles noch enden?“
-
-Eine Antwort war ihr auf diese Frage nicht zuteil geworden. Herr von
-Birken war weniger expansiv als seine Frau. Was er gelitten haben
-mochte in der ihn demütigenden Rolle des Bittstellers, das wußte
-niemand. Das Leben, das er führte, hatte ihn bald mürbe gemacht:
-sein willensschwacher Charakter hielt nicht stand, -- sein Charakter
-verkümmerte wie ein Baum, den man der Heimatserde entrissen.
-
-Dann kam eine Lebensperiode, die Frau Mali als Aufschwung bezeichnete:
-der Baron Johann von Birken-Sarkow hatte eine Stellung als
-Sektreisender gefunden. Er war blaß wie Kalk, als er seiner Frau diese
-Neuigkeit mitteilte. Seine Zähne waren so fest zusammengekrampft, daß
-sich die Worte nur mit Mühe zwischen ihnen Bahn brachen.
-
-Aber das hatte Frau Mali nicht bemerkt. Sie war ganz begeistert, --
-eine so berühmte Firma -- -- ein so reichliches Gehalt! --
-
-Gott sei Dank, nun würden die bösen Tage vorüber sein. Mit der kleinen
-Rente, die man aus dem Schiffbruch gerettet, ließ es sich doch auch gar
-zu schlecht leben.
-
-Aber Mali war, wie so oft, zu hoffnungsfreudig gewesen. Ihr Mann, der
-früher immer ärgerlich jeden solchen „Sektfritzen“ abgewiesen, ohne ihn
-zu Worte kommen zu lassen, war nicht die geeignete Persönlichkeit, um
-nun selber die andern zum Kaufen anzuregen.
-
-Die Firma hielt ihn einige Zeit wegen seines klingenden Namens, seiner
-vornehmen Erscheinung, aber schließlich kam der Tag, an welchem sein
-Chef ihn darauf aufmerksam machte, daß seine Gesundheit vielleicht
-diesem Reiseleben nicht gewachsen sei. Herr von Birken bat darauf um
-seine Entlassung.
-
-Und dann ging es schnell abwärts. Eine schwere Nierenkrankheit
-ruinierte diesen mächtigen Körper.
-
-Mali entfaltete in der Leidenszeit ihre besten Eigenschaften, mit
-aufopfernder Sorgfalt und unermüdlicher Hingabe pflegte sie den
-Schwerkranken.
-
-Wieder trat ihre seltsame Charaktereigenschaft zutage: hauptsächlich
-die Leute gut zu behandeln, denen es recht schlecht ging.
-
-Ueber den Ernst der Krankheit war sie sich nie ganz klar; sie jammerte
-zwar über ihr schweres Los, aber an eine Lebensgefahr dachte sie nicht.
-
-Die Kinder wurden in dieser Zeit etwas vernachlässigt; es blieb
-wirklich keine Zeit, um sich mit ihnen zu beschäftigen. Alfred wurde
-aus dem Kadettenkorps, in dem er nur wenige Monate zuvor aufgenommen
-worden war, zurückgeschickt. Sein störrischer Charakter, sein Mangel an
-Autoritätsglauben hatten es den Erziehern ratsam erscheinen lassen,
-ihn aus dem Korps zu entfernen.
-
-Zu Hause zeigte er sich verschlossen und seltsam wie immer, dazu
-unbotmäßig gegen die Mutter, die ihm ja nie weder Liebe noch Respekt
-eingeflößt hatte.
-
-Monika, die bis dahin ein sehr herzliches Verhältnis zur Mutter
-gehabt, in regstem Gedankenaustausch mit ihr gestanden, begann nun
-geistig eigene Wege zu gehen, schwelgte in Gedankengängen, deren heiße
-Phantastik ihrer Entwicklung Gefahren bot.
-
-Heinrich wurde noch verschlossener, als er es schon gewesen, und
-Karl bildete seine hervorragende Begabung fürs Lügen noch weiter
-aus. Er „schwänzte“ oft mehrmals wöchentlich die Schule, fand immer
-neue Entschuldigungsgründe dem Lehrer sowie der Mutter gegenüber,
-und blickte bei seinen haarsträubendsten Lügen mit so taubenhaft
-unschuldigen Augen und so gleichmäßig rosigen Wangen in die Welt, daß
-man ihm immer wieder glaubte.
-
-In dieser Atmosphäre von Krankenstubenluft und wirtschaftlichem
-Rückgang begann eine böse Saat aufzukeimen in den vier jungen Seelen.
-Zwischen diesem langsam sterbenden Vater, dessen tiefe Apathie mitunter
-durch aufflackernde Wutanfälle unterbrochen wurde, und der fahrigen
-Mutter mit den ewig mädchenhaften Bewegungen und dem Mangel an
-Selbstdisziplin wuchsen diese vier Kinder empor, schossen in Blüte wie
-Unkraut.
-
-Es war keine Faust über ihnen, die mit sicherem Griff ihr Leben in
-gebahnte Gleise gelenkt hätte. Sie gingen ihre eigenen Wege. Ihre
-Wünsche durchsetzend um jeden Preis, begannen sie ihr Leben zu leben
-einfach und brutal, jung und genußsüchtig...
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-5.
-
-
-Die ersten Tage nach Monikas Rückkehr konnte sich Frau von Birken nicht
-dem großen Einfluß entziehen, den ihre Tochter auf sie ausübte. Keines
-ihrer anderen Kinder war von so strahlender Lebenslust erfüllt wie
-Monika, keines der anderen hatte eine so amüsante Art.
-
-Trotzdem stand in den Gefühlen der Mutter Heinrich unbedingt obenan.
-
-Monika erhielt den zweiten Platz, in weitem Abstande folgte Karl und in
-unmeßbarer Distanz Alfred.
-
-Die Lieblingskinder hatten Vorrechte, die den anderen nie zuteil
-wurden. Frau von Birken machte da die merkwürdigsten Unterschiede:
-Heinzemännchen bekam ein gutes Frühstück ans Bett, Monika ein
-weniger reichhaltiges auch ans Bett, Karl mußte aufstehen, bevor er
-frühstückte, und für Alfred wurden überhaupt keine Umstände gemacht.
-
-Seitdem jetzt Monika zurückgekehrt, hatte die Mutter viel Zeit für sie.
-Wenn die Jungen vormittags im Gymnasium waren, setzte sich Frau von
-Birken oft zu ihrer Tochter ans Bett. Monika war im Gegensatze zu ihrer
-Mutter, die sich schon um sieben Uhr früh im Haushalt beschäftigte, nur
-schwer zum Aufstehen zu bewegen. Arbeit im Haushalt war ihr vollends
-verhaßt.
-
-Frau von Birken hielt ihr diese beiden Punkte ihres Betragens täglich
-in tadelnder Weise vor, aber sie erreichte nicht das mindeste damit;
-sie wußte auch eigentlich ganz genau, daß das alles in den Wind
-gesprochen war. Aber das hielt sie nicht davon ab, Monika jeden Morgen
-dieselben Vorwürfe zu machen.
-
-„Was soll bloß aus Dir werden?! Wenn ich ein so großes Mädchen wäre,
-ich würde mich schämen, faul im Bette zu liegen, wenn meine Mutter
-arbeitet. Ich kann mir überhaupt gar nicht vorstellen, was aus Dir
-werden soll. Mit der Schule bist Du jetzt fertig, -- heiraten wirst Du
-nicht, -- heutzutage heiratet man kein armes Mädchen. Mehr als eine
-ganz kleine Rente das Jahr kann ich Dir nicht mitgeben. Der Papa hat
-so wenig hinterlassen; wenn er nicht so hoch versichert gewesen wäre,
-könnten wir jetzt Hunger leiden. Und mit dem winzigen Zuschuß, den
-ich Dir geben kann, findest Du keinen Mann. Hübsch bist Du auch nicht
-besonders -- --“
-
-„Ohh -- -- --,“ flehte Monika, „ohh --“
-
-„Nein, wenn ich denke, wie ich aussah, als ich in Deinem Alter war, --
-Du bist gar nicht schlank genug für ein junges Mädchen, -- ich habe
-heute noch zehn Zentimeter Taillenweite weniger als Du, und Du bist
-auch nicht bescheiden genug für ein junges Mädchen. Nein, ein wirklich
-hübsches junges Mädchen muß ganz anders aussehen: große, fragende
-Kinderaugen muß es haben.“
-
-„Na, groß sind doch meine Augen genug!“
-
-„Ja, aber keine fragenden Kinderaugen! -- Und ein kleines, kleines
-Mündchen muß ein schönes junges Mädchen haben und eine schlanke Taille
-und einen bescheidenen Gesichtsausdruck.“
-
-„Nur die Lumpe sind bescheiden!“
-
-„Mone, wende den Goethe bloß nicht immer so entsetzlich falsch an.
-Also: hübsch bist Du nicht. Klug, -- ja, das will ich nicht leugnen.
-Du bist sehr begabt, Du mußt das Hauptgewicht auf Deine geistige
-Ausbildung legen, -- zur Hausfrau hast Du auch kein Talent.“
-
-„Ich möchte Schriftstellerin werden.“
-
-„Kind, Du hast doch einen förmlichen Größenwahn. Sieh mich an: ich bin
-doch Deine Mutter, -- na, und bin zwanzig Jahre älter als Du, und mir
-ist es nicht einmal gelungen, gedruckt zu werden. Vierzehnmal habe ich
-Manuskripte abgeschickt -- und alle, alle habe ich sie zurückbekommen.
-Das einzige, was je von mir gedruckt worden ist, ist ein Küchenrezept,
--- -- und da willst Du Schriftstellerin werden?! Wo ich so viel mehr
-Gemüt habe als Du --“
-
-„Gemüt ist literarisch gar nicht mehr modern,“ versicherte Monika.
-
-„Ach, man weiß wirklich nicht, was man mit Dir anfangen soll,“ klagte
-die Mutter weiter, „um die Jungen ist mir ja nicht angst, das hat der
-Papa auch schon immer gesagt: „um meine Söhne ist es mir nicht angst,
-aber um Monika.“ -- Ja, mit Mädchen hat man seine liebe Not. Am besten
-wäre es vielleicht, Du würdest studieren.“
-
-„Aha, Tante Kläres Prinzipien,“ bemerkte die Tochter.
-
-„Ich will gar nicht leugnen, daß Kläre Einfluß auf mich hat. Sie ist
-riesig klug, die klügste von uns Schwestern. Sie weiß ganz genau, was
-sie tut, wenn sie ihre eigene Tochter studieren läßt. Und so begabt
-wie Bertha bist Du noch lange. Ich bin sogar überzeugt, daß Du noch
-leichter lernst.“
-
-„Liebe Mama, soll ich studieren, um zu beweisen, daß ich leichter lerne
-als Bertha? Oder hast Du noch einen anderen Grund, um mir zum Studieren
-zu raten?“
-
-„Aber, Kind, ich habe Dir doch eben alles lang und breit
-auseinandergesetzt: Du hast mehr geistige als körperliche Vorzüge, Du
-hast wenig Chance, Dich zu verheiraten. Das Studium sichert Dir eine
-geachtete gesellschaftliche Position. ‚Fräulein Doktor‘ ist doch ganz
-was anderes, als wenn Du womöglich simple Gouvernante wirst. Irgend was
-wirst Du doch tun müssen. Der Papa hätte es ja natürlich nicht gewollt,
--- er hätte es „unstandesgemäß“ gefunden, -- aber ich habe solche
-Vorurteile nicht. Ich bin eine moderne Frau! Ich gehe mit der Zeit
-mit.“
-
-„Und mit Tante Kläre -- --,“ sagte Monika ironisch.
-
-Die Anregung der Mutter ging ihr lebhaft im Kopf herum.
-
-Zunächst einmal war sie tief gekränkt, daß die Mutter ihr Aeußeres
-so ungünstig beurteilt; die anderen Leute fanden sie doch hübsch,
-sagten ihr das in unverblümter Weise. Was das Studieren anbetraf, so
-war sie nicht etwa abgeneigt, die Wünsche ihrer Mutter zu erfüllen.
-Bei ihrem lebhaften Wissensdurst, ihrer Freude am Lernen wäre ihr das
-Studienprojekt geradezu ideal erschienen, wenn sie nicht eine lebhafte
-Abneigung gegen den Begriff der „Studentin“ gehabt hätte. Sie selbst
-kannte gar keine studierende Frau, sondern hatte sich aus Witzblättern
-und aus Redensarten, die sie gehört, eine Art Zerrbild der Studentin
-geschaffen, die sie sich mit kurz geschnittenen Haaren, männlichen
-Allüren und in uneleganter Kleidung vorstellte. Immerhin hatte sie
-keine Einrede, als sie eines Tages von ihrer Mutter ersucht wurde, mit
-ihr zu Fräulein Doktor Stark zu kommen.
-
-Fräulein Doktor Stark war die Begründerin und Leiterin der
-Mädchen-Gymnasial-Kurse, in denen Damen zum Abiturienten-Examen
-vorbereitet wurden.
-
-Monika war unsympathisch berührt von dem scharfen Blick der grauen
-Augen. Dazu kam der schneidende Tonfall, in welchem das Fräulein Doktor
-ihre knappen Fragen stellte.
-
-„Ihr Name?“
-
-„Freiin Monika von Birken.“
-
-„Alter?“
-
-„Sechzehn.“
-
-„Bisheriger Bildungsgang?“
-
-„Ich habe die Töchterschule von Fräulein von Zieritz absolviert.“
-
-„Als ~prima omnium~,“ fiel Frau von Birken ein, mit liebenswürdig
-verlegenem Lächeln; sie hatte vor dem gestrengen Fräulein Doktor viel
-mehr Angst als Monika.
-
-Fräulein Doktor Stark würdigte die Baronin nicht einmal eines
-Seitenblicks.
-
-„Wie denken Sie über die Stellung der Frau im gegenwärtigen Leben?“
-inquirierte sie Monika weiter.
-
-Die Angeredete war etwas verblüfft; ihre sonstige Schlagfertigkeit
-schien sie im Stiche lassen zu wollen.
-
-„Hm, wir haben es doch schließlich eigentlich in den meisten Sachen
-bequemer als die Männer,“ sagte sie.
-
-Fräulein Doktor zuckte empört die Achseln und sagte:
-
-„Eine bedauerliche Unreife! Aber sonst spricht nichts gegen Ihre
-Aufnahme in meine Gymnasial-Kurse. Ihre Ansichten werden Sie bei uns
-schon ändern.“
-
-[Illustration]
-
-Diese Ueberzeugung der Gestrengen erwies sich als nicht stichhaltig.
-
-Nachdem Monika eine Zeitlang an den Kursen teilgenommen, war ihre
-Lebensauffassung immer noch die gleiche.
-
-Infolge ihrer eminent leichten Auffassungsgabe gehörte sie nach kurzer
-Zeit zu den besten Schülerinnen, ausgenommen in Mathematik, einer
-Wissenschaft, von der sie nie auch nur das geringste verstand.
-
-Alles in allem machten ihr diese Kurse sehr viel weniger Eindruck,
-als sie erwartet. Es war eigentlich wie in der Schule von Fräulein
-von Zieritz, nur daß man hier mit dem Vatersnamen aufgerufen wurde,
-statt wie dort mit dem Vornamen, und daß die Schülerinnen hier
-nicht einheitlichen Alters waren, sondern in den verschiedensten
-„Jahrgängen“. Und die Damen stammten aus den verschiedensten Milieus.
-
-Neben Fräulein von Roch, der Tochter eines aktiven Generals, mit den
-korrekten Manieren der preußischen Offizierstochter, saß Olga Iwanowna
-Safiro, eine Russin von vager Herkunft und recht asiatischem Benehmen.
-
-Neben Frau Kramer, einer Frau mit ergrauenden Schläfenhaaren, die zu
-Hause zwei halbwüchsige Kinder hatte, saß ein kaum sechzehnjähriges
-Mädel, das vor wenigen Wochen noch die Schule besucht.
-
-Neben dem abgerissen gekleideten Mädchen, das sich nicht satt aß, um
-Geld für die Kurse aufzubringen, saß die Tochter eines Kommerzienrats,
-die einen wahren Juwelierladen zur Schau trug.
-
-Uebrigens waren so ziemlich alle in dieser aus allen Windrichtungen
-zusammengewehten Schar von ehrlichem Lerneifer erfüllt. Und fast alle
-waren sie durchdrungen von der Idee, daß nun eine neue Zeit für die
-Frau hereinbreche.
-
-Vielleicht war Monika die einzige, die das ganze Studieren als eine Art
-Spiel auffaßte, die die „Mission“ nicht sehr ernst nahm.
-
-Bei vielen der ernst strebenden Mitschülerinnen erregte ihre Art direkt
-Unwillen, um so mehr, als sie hier, wie auch früher in der Schule,
-einen ganzen Troß von Verehrerinnen und Anhängerinnen hatte, die jeden
-ihrer Witze dankbarst belachten.
-
-Ihre erbittertste Feindin war Magda Kirchstett, ein schlankes,
-brünettes Mädchen von sechsundzwanzig Jahren. Von allen in der Klasse
-war sie wohl am meisten von der Wichtigkeit dessen, was man hier tat,
-durchdrungen. Oft hielt sie flammende Agitationsreden.
-
-„Pioniere sind wir einer neuen Kultur, Schrittmacher für die Tausende
-von anderen, die nach uns kommen werden. Wir alle müssen durchdrungen
-sein von dem stolzen Gefühl: mit zu den Ersten zu gehören, die sich
-frei machen von jahrtausendelanger, alter Schmach. Der Mann hat uns
-schlimmer behandelt, als man Tiere behandelt. Er hat uns körperlich und
-geistig gemißhandelt und hat uns ausgebeutet in jeder Beziehung, er hat
-uns rechtlos gemacht, uns tausendfach gekreuzigt!
-
-Aber der neue Morgen bricht an für unser Geschlecht. Noch sind wir
-wenige, aber mit brennendem Eifer schmieden wir die Waffen, mit denen
-wir uns befreien werden. Und diese Waffen sind: Fleiß, unermüdliche
-Arbeitskraft! Lernen müssen wir -- Wissen erlangen, um unserem
-mächtigen Feinde entgegentreten zu können. Waffen brauchen wir! Und die
-mächtigste Waffe im Kampfe gegen den Mann ist...“
-
-„Das Küssen!“ schrie Monika.
-
-Magda Kirchstett tat den Mund auf, schnappte nach Atem, aber ehe sie
-diese Lähmung der Entrüstung überwunden, war Monika auf die Bank
-gestiegen.
-
-„Meine Damen!“ rief sie mit ihrer hellen Kinderstimme, „die besten
-Waffen im Kampfe gegen den Mann sind die ältesten Waffen -- dieselben,
-die schon unsere verehrten, gänzlich unmodernen und stupiden
-Großmütter gebraucht haben: ein bißchen schmeicheln -- nein! -- sehr
-viel schmeicheln und lieb sein und küssen! Sie sind ja auch nicht so
-schlimm, die Männer, wie Fräulein Kirchstett glaubt. Es gibt doch viele
-riesig nette, und es wäre doch gar zu langweilig, wenn es nur Damen auf
-der Welt gäbe! Jede von Ihnen, die mal einen Damenkaffee mitgemacht
-hat, wird mir beipflichten. Darum schlage ich Ihnen einen Toast auf die
-Männer vor. Wir wollen sie leben lassen. Was? Leben lassen -- dreimal
-hoch! Hoch! und zum zweitenmale...“
-
-Die Tür öffnete sich.
-
-Herein schnaufte Professor Hermann, der dicke Mathematiklehrer.
-
-„Was ist denn hier los?“
-
-Monika warf ihm einen koketten Blick zu und sagte
-kindlich-liebenswürdig:
-
-„Es ist meine Schuld, Herr Professor, ich hatte vor den Damen einige
-Theorien erörtert, die allgemeinen Anklang fanden.“
-
-Magda Kirchstett stieß einen Zorneslaut aus; auch viele andere schienen
-lebhaft indigniert.
-
-Andere lachten, und der Professor sagte wohlwollend: „Na, wenn es so
-allgemein gefallen hat, wird es wohl was sehr Nettes gewesen sein,
-Fräulein von Birken.“
-
-Monika setzte sich strahlend, denn so freundlich war der
-Mathematiklehrer zu seiner schlechtesten Schülerin selten.
-
-„Es war eben mein steinerweichender Blick, der ihn so liebenswürdig
-machte,“ triumphierte Monika nach der Stunde.
-
-Aber sie sollte nicht so billigen Kaufes davonkommen.
-
-Fräulein Kirchstett war nun wieder im Vollbesitz ihres Sprechorgans
-und ihrer geistigen Fähigkeiten, und so ergoß sich nun ein Niagara von
-Vorwürfen über Monikas schuldiges Haupt.
-
-„Birken, die von Ihnen geäußerten Ansichten decken eine sittliche
-Unreife auf, wie man sie bei einer Hörerin unserer Kurse nicht für
-möglich halten sollte! Leider bin ich genötigt, Fräulein Doktor Stark
-mitzuteilen, daß wir alle Sie für ungeeignet halten, mit uns zu kämpfen
-und zu streben. Ja, wir alle...“
-
-Protestierende Zurufe wurden laut.
-
-„Von mir aus kann sie ruhig mitkämpfen,“ sagte die
-Kommerzienratstochter friedlich.
-
-„Birken ist überhaupt ein riesig netter Kerl,“ rief eine andere.
-
-Frau Kramer sagte melancholisch: „Ihr Loblied auf die Männer war
-wirklich von keiner Sachkenntnis getrübt, Birken.“
-
-Und im Hintergrunde schrie eine: „Birken ist ein ganz naseweiser Fratz.“
-
-Monika packte ihre Mappe zusammen und sagte: „Kinder, tobt Euch allein
-aus. Ich gehe mich ein bißchen erholen, in den Tiergarten. Kommt jemand
-mit? Entschuldigt mich, bitte, bei Professor Mellenthin. Es tut mir
-sehr leid, die griechische Stunde zu versäumen, aber das Wetter ist zu
-schön, und im Tiergarten fängt der Flieder schon an zu blühen.“
-
-Kaltblütig ging sie hinaus, während die drinnen wie ein aufgescheuchter
-Spatzenschwarm durcheinander lärmten.
-
-Monika schlenderte durch den Tiergarten, ließ den Zauber der
-erblühenden Büsche auf sich wirken, musterte Pferde und Reiter, die
-vorüberkamen, und dachte über sich selbst nach.
-
-Sie fühlte sich sehr allein. „Ich bin doch eigentlich ein unglückliches
-Zwittergeschöpf,“ philosophierte sie und pfiff betrübt einen
-Schmachtwalzer vor sich hin. „Bin ich nun eigentlich ein Kind meiner
-Zeit? Dieser Zeit, in der die Frau die engumhegten Bahnen verläßt, in
-denen sie jahrtausendelang gewandelt, in der sie kühn hinausstürmt in
-die Weite, den Kopf noch ein bißchen benommen von dem grellen Licht,
-das so plötzlich auf sie einströmt.
-
-Oder wäre ich auch in jedem anderen Zeitalter möglich?
-
-Diese zwei Naturen in mir, die sich gegenseitig bekämpfen... wie sagt
-doch Doktor Rodenberg? Aphrodite und Pallas vertragen sich schlecht
-miteinander ...
-
-Die süße Aphrodite lächelt so spöttisch, wenn ich mich zu der
-eulentragenden, gelehrten Göttin flüchte, und die stolze Pallas
-grinst geradezu, wenn mich all mein Sein zur schönsten Göttin zieht.
-Schrecklich, schrecklich!“
-
-So sann Monika vor sich hin, ging aus dem gepfiffenen Walzer in eine
-Polka über und hopste nach dem Takt derselben den sonnenbeschienenen
-Fußpfad entlang, von den wohlwollenden Blicken zweier alter Herren
-gefolgt.
-
-Am nächsten Tage hatte Fräulein Doktor Stark eine private Unterhaltung
-mit Monika.
-
-„Mir haben Damen Ihrer Klasse mitgeteilt, daß Sie Ihrer ganzen
-Auffassung nach vielleicht nicht geeignet sind...“
-
-Monika unterbrach.
-
-„Fräulein Doktor, ich habe mir einen harmlosen Scherz gemacht.“
-
-„So? -- Nun, jedenfalls interessiert es mich, zu erfahren, welchen
-Standpunkt Sie mit Bezug auf Ihre Studien einnehmen. Wie denken Sie
-sich Ihren Lebensgang überhaupt?“
-
-„Zunächst will ich hier das Abiturientenexamen machen und dann...“
-
-Monika stockte.
-
-„Welchem Studium wollen Sie sich widmen? Medizin?“
-
-„O pfui!“ schrie Monika los, „Leichen zerschneiden!“
-
-Ihr Gesicht zeigte den Ausdruck höchsten Entsetzens.
-
-„O pfui!“
-
-„Beherrschen Sie sich. Das ist kindisch. Also Philologie?“
-
-„Nein.“
-
-„Jura?“
-
-„Nein.“
-
-Monika besah ihre Fingernägel, und plötzlich kam ihr eine Eingebung.
-
-„Nationalökonomie,“ sagte sie entschlossen.
-
-„So, so,“ die Gestrenge schien besänftigt, „und in welcher Weise
-gedenken Sie diese Studien zum Wohle der Frauenwelt anzuwenden?“
-
-„Nationalökonomie,“ sagte Monika noch einmal bedeutungsschwer; sie ließ
-diese rettende Planke nicht mehr los.
-
-Daß sie etwas unklare Begriffe über die Bedeutung dieses Wortes hegte,
-brauchte Fräulein Doktor ja nicht zu erfahren.
-
-So endete die Unterredung weniger schlimm, als Monika es sich
-vorgestellt.
-
-[Illustration]
-
-Wochen und Monate gingen dahin.
-
-Die Baronin Birken erzählte stolz allen ihren Bekannten, daß Monika
-studieren solle; sie schrieb es ihren sämtlichen Verwandten.
-
-Frau von Holtz äußerte sich recht mißbilligend über das Studienprojekt.
-Sie erwähnte, daß ihre Tochter Marie sie auch schon um die Erlaubnis
-zum Studieren gebeten. Dieser „moderne Unsinn“ schien förmlich eine
-ansteckende Krankheit zu sein. Sie habe natürlich empört die Erlaubnis
-verweigert. Die Ungebundenheit der Studienjahre sei mit der Würde und
-dem Anstand eines jungen Mädchens unvereinbar. --
-
-Marie maulte jetzt die ganze Zeit, daß sie ihren Willen nicht
-durchsetzen dürfe; sie aber würde unbeirrt ihrer Mutterpflicht genügen
-und hoffe, den Verwandten schon in nächster Zeit die Verlobung
-Mariechens mitteilen zu können.
-
-„Ach, eine Verlobung!“ Frau von Birken war Feuer und Flamme. „Wer es
-wohl sein mag? Und ob es eine gute Partie ist? Nun, wahrscheinlich
-doch. Marie als Erbtochter von Sarkow kann Ansprüche machen.“
-
-Die Baronin sprach in den nächsten Tagen nur von dieser Verlobung und
-erging sich in den verschiedensten Vermutungen.
-
-Ihr Interesse wurde erst abgelenkt, als sie einen Brief ihrer Schwester
-Kläre empfing. Auch dieser Brief war eine Antwort auf Malis Mitteilung,
-daß ihre Tochter studieren solle.
-
-Kläre schrieb, sie freue sich, daß nun doch Monikas bessere Instinkte
-zum Durchbruch kämen. Das Studium würde ein unübertreffliches Mittel
-sein, um Monikas Hang zum Leichtsinn entgegenzuarbeiten.
-
-Was ihre eigene Tochter Bertha anbeträfe, so sei es für die nun auch
-höchste Zeit, sich auf das Abiturienten-Examen vorzubereiten, und zwar
-in ernsthafterer Weise als bisher. Der Unterricht durch den Vater
-zeitigte leider nicht die Früchte, die man berechtigt gewesen wäre,
-zu erwarten. Und so sähe sie sich denn genötigt, Bertha nach Berlin
-zu schicken, wo dieselbe auch den Gymnasialkursen von Fräulein Doktor
-Stark eingereiht werden solle. Sie hoffe dringend, daß sich Berthas
-Charakter dort von Grund auf ändere. Leider sei sie einstweilen ein
-durchaus unmodernes Mädchen, interessiere sich mehr für den Haushalt
-als für die Wissenschaft. Natürlich aber werde sie -- Kläre -- ihren
-Mutterpflichten getreulich nachkommen und es zu verhindern wissen, daß
-Bertha ein Schablonendasein führe.
-
-„Ach, Berthchen kommt zu uns,“ rief Frau von Birken, indem sie
-plötzlich die Lektüre des Briefes unterbrach. „Wie nett! Bertha ist
-ein reizendes Mädchen. Ich muß doch gleich mal sehen, ob das gelbe
-Fremdenbettstell in Ordnung ist. Martha, schnell den Schlüssel zum
-Boden.“
-
-„Rege Dich gar nicht erst auf, Mamachen,“ sagte Monika, die den von
-ihrer Mutter achtlos weggeschleuderten Brief inzwischen zu Ende
-gelesen. „Bertha kommt nicht zu uns.“
-
-„Ach, warum denn nicht?“
-
-„Hier steht es: sie kommt zum Bruder ihres Vaters, dem Professor
-Reckling.“
-
-Frau von Birken war empört.
-
-„Komische Idee von Kläre. Ich als Schwester wäre wohl doch die nächste
-dazu, ihre Tochter aufzunehmen. Bertha ist ein nettes Mädchen, ich
-hätte sie so verwöhnt...“
-
-„Mehr als mich,“ brummte Monika. „Fremde Kinder behandelst Du immer
-besser als uns, Mama.“
-
-„Die ärgern mich auch weniger als Ihr! Nicht ein einziger von Euch ist
-gehorsam.“
-
-„Das hat Tante Kläre wohl auch gedacht und unseren Einfluß auf Bertha
-gefürchtet,“ sagte Monika. „Mir wird doch immer gesagt, daß ich so
-demoralisierend wirke -- de -- mo -- ra -- li -- sie -- rend...,“ sang
-sie im Walzertakt und schwang die Mutter in die Runde.
-
-Nach Berthas erstem Besuch bei Birkens war Mali von ihrer Nichte
-entzückt. Das machte aber niemandem einen großen Eindruck, da sie sich
-für unendlich viele Leute begeisterte.
-
-In diesem Falle hatte sie wirklich keine genügende Ursache, entzückt zu
-sein. Bertha besaß nichts irgendwie Hervorragendes.
-
-Sie war ein schlankes, blondes Mädchen mit schmalen Schultern und
-ziemlich ausdruckslosen Augen. Ihre geistige Befähigung war knappes
-Mittelmaß, ihr Charakter war harmlos freundlich, nur momentan war ihre
-Stimmung verbittert durch den Zwang, den die Mutter auf sie ausübte.
-Bertha wäre so froh gewesen, wenn man sie das Leben hätte führen
-lassen, wie es alle ihre Freundinnen führten: in der Wirtschaft helfen,
-ein bißchen Klavier spielen, ein bißchen malen, hübsche Handarbeiten
-machen, Bälle besuchen, die Eisbahn, den Tennisklub.
-
-Und dann sich verloben -- ach, himmlisch! -- heiraten, hübsche Kinder
-haben mit schön frisierten Haaren und weißen Spitzenkleidern.
-
-Und da kam Mama nun mit der unglücklichen Idee des Studiums.
-
-So oft sie ihrer Tochter auch vorhielt, in welch begnadeter Zeit
-sie lebe, daß es ihr gestattet sei, all ihre Geisteskräfte voll
-zu entfalten, indes ihre Mutter seinerzeit durch die herrschenden
-Anschauungen gezwungen gewesen, dem herrlichen Plane: ganz im Dienste
-der Wissenschaft aufzugehen, zu entsagen -- Bertha ließ sich nicht
-überzeugen.
-
-Sie gehorchte zwar dem Gebot der Mutter, aber ohne jede innere
-Freudigkeit.
-
-In den Kursen -- sie war in denselben Zötus eingereiht worden wie
-Monika -- fiel sie durch nichts auf. Eine knappe Mittelmäßigkeit war
-die Signatur ihres äußeren und inneren Menschen. Für keines der Fächer,
-in denen man Unterricht empfing, hegte sie besonderes Interesse.
-
-Im Gegenteil! Sie mokierte sich geradezu über Monika, die, als man im
-Latein und Griechischen die langweiligen Anfangsgründe überwunden, sich
-für das klassische Altertum zu begeistern begann. Die Glut, die sie in
-Kindertagen entfaltet, wenn Doktor Rodenberg ihr Sagen erzählt, lebte
-wieder auf; schattenhafte Träume erwachten zu neuem Leben.
-
-Und nicht nur wie einst sah sie nur die männermordenden Helden, die
-erzgeschienten Völkerfürsten, nicht nur wie früher verfolgte sie mit
-heißer Freude am Kampfe das Auf- und Niederwogen der Feldschlacht
--- jetzt wurde ihr auch die schöne Sklavin lebendig, die blühende
-Briseïs, die sich zitternd willig dem Peliden gibt. Jetzt schwirrten
-ihre Gedanken auch um die Götterschönheit der Helena, um die so viel
-Tausende starben.
-
-Die toten, heidnischen Sprachen, die Monika anfangs so langweilig
-gedünkt, waren ihr nun Zauberschlüssel -- Zauberschlüssel, welche die
-Pforten zu märchenschönen Gärten öffneten.
-
-Mit einer wahren Gier stürzte sie sich jetzt aufs Lernen.
-
-Und wie immer bei ihr: wenn sie erst angefangen, sich einer Sache zu
-widmen, so tat sie das ungeteilt; sie richtete all ihre Kräfte, all ihr
-Sinnen darauf.
-
-Ihre Geisteskräfte schienen zu wachsen in dem scharfen Training, das
-sie ihnen zumutete, und sie spornte sich selbst immer mehr an.
-
-Weltgeschichte, Chemie, Physik -- je mehr, je besser! Mit einem wahren
-Heißhunger nahm sie alles Gebotene in sich auf und tat weit mehr, als
-das Pensum erforderte. Ihre Neigung zu Vergnügungen, zum Flirt, trat
-nun völlig zurück.
-
-Sie wollte nichts weiter, als möglichst ungestört über ihren Büchern
-brüten. Allein an der Art, wie sie ein Buch aufschlug, wie sie den
-Einband mit liebkosenden Fingerspitzen umspannte, als sei es eine
-kostbare Frucht, sah man die Wonne, die es ihr bereitete, sich in den
-Inhalt zu versenken.
-
-Die Brüder, denen besonders die alten Sprachen unangenehmer Zwang
-waren, spotteten, wenn sie Monika über den Homer gebeugt sahen.
-
-„Du wirst noch ’ne richtige verdrehte alte Schachtel werden,“ sagte ihr
-Alfred.
-
-Heinrich erklärte ihr Lernen für „im höchsten Grade unweiblich“.
-
-Karl enthielt sich jeder gesprochenen Meinungsäußerung, aber oft
-sah er, Butterbrote kauend, seiner Schwester mit entgeistertem
-Kopfschütteln zu. Wie es Menschen geben konnte, die gern lernten, war
-ihm ein unheimliches Rätsel.
-
-Frau von Birken zeigte sich von Monikas Lerneifer sehr befriedigt, aber
-bald trat ein Ereignis ein, das sie verhinderte, auch nur noch einen
-Gedanken für Monika zu haben: das geliebte Heinzemännchen wurde krank.
-
-Er litt an sehr schmerzhaften Magenkrämpfen. Was es eigentlich war, war
-nicht mit voller Sicherheit zu ermitteln.
-
-Monika behauptete, daß Heinrichs Mostrichkur wahrscheinlich eine
-gewisse Rolle spiele. Er hatte nämlich vor einigen Wochen erklärt, daß
-als Hauptnahrungsmittel für ihn nur Mostrich in Betracht käme.
-
-Die Baronin, der es völlig unmöglich war, ihrem Lieblingssohne irgend
-etwas abzuschlagen, hatte ihn gewähren lassen, und so hatte Heinrich
-viele Wochen lang unglaubliche Quantitäten Mostrich vertilgt.
-
-Möglich, daß ihm diese selbsterfundene „Stärkungskur“ schlecht bekommen.
-
-Jedenfalls waren die von Zeit zu Zeit bei ihm auftretenden Magenkrisen
-so unsäglich schmerzhaft, daß der Arzt Morphiuminjektionen verordnete.
-
-Frau von Birken überließ sich lauten Verzweiflungsausbrüchen.
-
-Ihr Mann hatte in den letzten Monaten seines Lebens Morphium bekommen,
-und diese Tatsache genügte ihr, um Heinzemännchen einem nahen Tode
-verfallen zu sehen.
-
-„Aber das sage ich Euch, wenn Heinzemännchen stirbt, dann lege ich mich
-gleich mit dazu!“
-
-Sie ließ ihn völlig von der Schule dispensieren und verbrachte ihr
-Leben damit, ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Sie leistete
-gastronomisch geradezu Wunderbares. Die einfache, reizlose Diät, die
-der Doktor ihrem Sohne verordnet, leuchtete ihr nicht ein.
-
-„Das ist doch gar nichts Kräftiges! Das sind alles so übermoderne
-Anschauungen: Gemüse und Obstsaft! -- Früher hat jeder Doktor
-Ungarwein und Beefsteak verordnet -- da kann man sich doch denken, daß
-das Kraft gibt. Man muß den Appetit reizen -- das ist die Hauptsache!
--- Heinzemännchen, Du bekommst heute ein Rumsteak mit geschabtem
-Meerrettich und Kräuterbutter und einen Sherry -- na, Du wirst ja
-sehen.“
-
-Heinrich war mit seiner Krankheit ganz zufrieden.
-
-Er brauchte nicht in die Schule, lebte wie ein Pascha.
-
-Es wurde aufopfernd für ihn gesorgt. Die ganze Zeit gab es Festmenüs.
-
-Seiner geistigen Unterhaltung diente das Leihbibliotheks-Abonnement,
-das seine Mutter ihm genommen.
-
-Er las täglich zwei bis drei Bände. Und wenn er zum Lesen keine Lust
-hatte, mußten seine Mutter und Alfred Skat mit ihm spielen.
-
-Wenn er wirklich mal Schmerzen hatte, beruhigte ihn das Morphium bald,
-und er verfiel dann in einen traumhaften Dusel, der viel Angenehmes
-hatte.
-
-Der Hausarzt hatte Frau von Birken eine kleine Quantität Morphium
-und eine Pravazspritze dagelassen, um Heinrich, dessen Anfälle sehr
-plötzlich eintraten, nicht unnötig lange Schmerzen leiden zu lassen.
-
-Es war jedesmal ein Ereignis, wenn Frau von Birken sich dazu entschloß,
-die spitze Nadel in Heinrichs Fleisch zu versenken.
-
-„Heinzemännchen, ich kann es nicht. Es bricht mir das Herz, diese
-ganze, lange Nadel hineinzubohren -- das muß Dir ja zu weh tun!“
-
-„Aber mach’ doch endlich,“ stöhnte dann der von Schmerzen gefolterte
-Kranke unruhig, „schnell! Ich halte es nicht mehr aus!“
-
-Dann hob ein zitternder Seufzer Frau von Birkens Brust; sie schloß die
-Augen, indes ihre wenig geschickten Finger die blanke Spitze in ihres
-Sohnes Fleisch bohrten.
-
-An einem Frühherbsttage bekam Heinrich wieder einen sehr heftigen
-Anfall.
-
-„Gewiß kommt das von dem Witterungsumschlag!“ tröstete Frau von Birken.
-
-„Ach, Unsinn -- Unsinn,“ murrte der Kranke.
-
-„Vielleicht doch, Liebling. Die ganze Zeit hatten wir so schönes
-Wetter, und jetzt auf einmal die Kälte.“
-
-Sie sah durchs Fenster hinaus auf die die Straße flankierenden Bäume,
-die der Wind zauste.
-
-Die Blätter wirbelten durch die Luft.
-
-Frau von Birken fröstelte, teils infolge des suggestiven Anblicks,
-teils, weil sie, um ihre Schlankheit ins rechte Licht zu setzen, immer
-zu dünne Kleidung trug.
-
-Aber auch Monika, die eben aus ihrem Kursus gekommen, protestierte:
-
-„Mama, Du verstehst die Heilkunde wie so’n alter Schäfer! Das kommt
-doch nicht von der Witterung! Heinz wird sich eben wieder den Magen
-verdorben haben!“
-
-„Geh’, Du bist herzlos! Heinzemännchen ißt wie ein Vögelchen.“
-
-„Wird’s denn nun endlich mit meinem Morphium?“ rief der Kranke
-ungeduldig.
-
-„Ja, mein Geliebtes, ja, so schwer wie es mir wird,“ jammerte die
-Mutter.
-
-Sie entnahm dem kleinen Etui die auf blauem Samt gebettete Spritze.
-
-Monika verließ das Zimmer. Sie hörte von nebenan, wie ihre Mutter das
-Schicksal anklagte, das sie verurteilte, ihrem geliebten Herzenskind
-weh zu tun.
-
-Frau von Birken war ganz blaß, als sie einige Augenblicke später aus
-dem Zimmer kam.
-
-„Ach, es ist zu schrecklich, der arme, liebe, süße Junge. Gewiß so ein
-unglückseliges Erbteil vom Papa. O, mein Heinzemännchen, mein süßes!
-Na, jetzt hat er Gott sei Dank wieder vierundzwanzig Stunden Ruhe.“
-
-Aber Frau von Birken irrte sich.
-
-Als sie nach einer Weile Heinrichs Zimmer von neuem betrat, waren seine
-Schmerzen kaum gelindert.
-
-„Schnell, Mama, noch mehr Morphium.“
-
-„Ausgeschlossen, mein Liebling. Du weißt doch, daß es ein gefährliches
-Gift ist. Eine einzige Spritze, hat der Doktor gesagt.“
-
-Heinrich wendete sich stöhnend auf die Seite und schwieg.
-
-Aber nach einer halben Stunde forderte er energisch noch eine Spritze.
-
-„Gewiß hast Du bei der ersten alles vorbeigeplempert, Mama. Es tut so
-rasend weh. Das Morphium hat heute gar nicht gewirkt.“
-
-„Liebling, das geht doch nicht.“
-
-Frau von Birken stockte das Wort auf der Zunge. Ein unartikulierter
-Schrei brach von ihres Sohnes Lippen. Sein junger Körper wand sich in
-Qualen. Eine neue Krise schien einzusetzen.
-
-„Mama...,“ würgte er hervor. Eine flehende Gebärde... Seine tastende
-Hand wies auf die Marmorplatte des Nachttisches, auf dem die kleine
-Flasche stand mit der farblos hellen Flüssigkeit.
-
-Da hielt der Mutter Bedenken nicht stand. In fliegender Hast griff sie
-von neuem nach dem kleinen Etui.
-
-Noch eine kurze Zeitspanne -- dann schien die gewünschte Wirkung
-einzutreten. Die schmerzhafte Spannung aller Glieder ließ nach, die
-qualdurchfurchten Gesichtszüge glätteten sich.
-
-Dankbar nickte Heinrich seiner Mutter zu. Zum Sprechen war er zu müde.
-
-Auf Zehenspitzen schlich Frau von Birken ins Nebenzimmer.
-
-„Gott sei Dank, Mone, endlich hat’s gewirkt, das Morphium. Ich habe ihm
-noch eine Spritze gegeben, dem armen Liebling. Jetzt hat er wenigstens
-Ruhe.“ Dann ging die Baronin in die Küche und unterhielt sich mit
-Martha, die, seitdem der junge Herr leidend war, in der Erzählung von
-merkwürdigen Krankheitsfällen schwelgte.
-
-Monika, die über einer Mathematik-Aufgabe brütete, wurde aus ihrer
-Arbeit gestört durch einen sonderbar röchelnden Ton, der aus dem
-Nebenzimmer drang.
-
-Sie ging zu Heinrich hinein. „Laß doch bloß dieses gräßliche
-Schnarchen, man kann überhaupt nicht arbeiten dabei.“
-
-Ihr Bruder antwortete nicht.
-
-Und wieder der röchelnde Ton, der sich aus seinem halboffenen Munde
-rang.
-
-Monika rüttelte ihn am Arm: „Heinrich!“
-
-Und plötzlich durchzuckte sie ein fassungsloser Schreck. Eiskalt
-rieselte ihr das Entsetzen den Rücken hinunter. Dieses regungslos
-starre Gesicht, in welchem kein Muskel gezuckt, als sie „Heinrich“
-gerufen, diese nur halbgeschlossenen Augenlider, die das Weiß der nach
-oben gedrehten Augäpfel erkennen ließen, das war kein Schlaf, das war
-Bewußtlosigkeit!
-
-Sie rannte in die Küche, stammelte ein angstbebendes: „Mama, komm
-schnell!“ und zog die Mutter mit sich fort.
-
-Frau von Birken stürzte auf ihren Sohn zu.
-
-„Heinrich!“
-
-Aber trotz der heftigen Berührung gab er kein Lebenszeichen von sich.
-Die weißen Augäpfel stierten gespenstisch unter den Lidern hervor.
-
-Die Mutter schrie auf, ein herzzerreißend gellender Schrei:
-
-„Heinrich!“
-
-„Aber er lebt ja noch,“ beruhigte Martha, die neugierig aus der Küche
-herzugelaufen war, „er ist noch ganz warm.“
-
-„Martha, pfui, um Gottes willen, reden Sie nicht so!“ schrie die
-Baronin.
-
-Und Monika sagte:
-
-„Halten Sie den Mund, und bleiben Sie hier im Zimmer -- ich gehe den
-Arzt holen.“
-
-Sie eilte die Treppe hinunter.
-
-Die Adern schlugen ihr wie Hämmer, eine wahnsinnige Angst um den Bruder
-hatte sie erfaßt. Sie eilte, als hinge Heinrichs Leben an Sekunden.
-Keuchend langte sie bei ihrem Hausarzt an; das öffnende Mädchen sagte,
-daß er nicht zu Hause sei, erst spät abends zurückerwartet werde.
-
-Ohne ein Wort der Erwiderung machte Monika Kehrt, eilte die Treppen
-hinunter und die Straße entlang. Fieberhaft forschte sie nach dem
-Schilde eines Arztes.
-
-Bei noch zweien klingelte sie umsonst. Der dritte, ein jugendlicher,
-elend aussehender junger Mann war auf ihr inständiges Bitten bereit,
-gleich mit ihr zu gehen.
-
-Frau von Birken empfing den Arzt wie einen Heilsbringer.
-
-„Schnell, Doktor, erwecken Sie meinen Sohn, schnell, um Gottes willen,“
-flehte sie.
-
-„Ja, nun lassen Sie mich doch erst mal sehen,“ wehrte der Arzt ab,
-indem er seinen Ueberzieher auszog.
-
-Dann trat er zu Heinrichs Bett, hob die Augenlider des Bewußtlosen
-empor.
-
-Die Pupillen waren zu winzigen Pünktchen verengert, reagierten
-überhaupt nicht auf das Einfallen des Lichts.
-
-Das erstaunte Gesicht des Arztes ließ Monika zu einer Erklärung
-schreiten:
-
-„Mein Bruder hat zu viel Morphium bekommen, Herr Doktor.“
-
-„Ah, also eine Vergiftung.“
-
-„Was? Eine Vergiftung? Herr Doktor, wie können Sie sowas sagen,“
-jammerte in den höchsten Tönen des Entsetzens die Baronin, „wie sollte
-denn Heinrich zu einer Vergiftung gekommen sein?“
-
-Der Arzt wandte sich ohne weiteres zu Monika, die so kurz wie möglich
-von Heinrichs Leiden sprach, von dem Morphium, das der Arzt verordnet.
-
-„Und das hat er in Ihren Händen gelassen?“ verwunderte sich der kleine
-Arzt.
-
-Er ließ sich die Flasche zeigen, betrachtete sie kopfschüttelnd.
-
-„Aber, Herr Doktor, eilen Sie sich, mein Kind stirbt!“ schrie die
-Mutter.
-
-„Ich muß mich doch erst informieren,“ sagte der junge Mann mürrisch,
-immer noch über die Flasche gebeugt.
-
-Dann zog er seinen Notizblock hervor und schrieb mit einer Langsamkeit,
-welche Frau von Birken dem Wahnsinn nahe brachte, mehrere Medikamente
-auf, die Martha sofort aus der Apotheke holen sollte.
-
-Das Mädchen eilte weg, und Karl, der eben aus der Nachmittagsschule
-gekommen war, begleitete sie; ihm war es zu unheimlich, im Hause zu
-bleiben.
-
-Die Minuten dehnten sich zu Ewigkeiten.
-
-Ein atemraubendes Schweigen herrschte in dem Zimmer, nur von Zeit zu
-Zeit unterbrochen durch das furchtbare Röcheln, das sich aus Heinrichs
-Munde rang.
-
-Frau von Birken hatte den Kopf des Bewußtlosen an ihre Brust gebetet
-und bedeckte seine bläulichen Lippen, seine fühllosen Hände mit heißen
-Küssen.
-
-„Mein Glück, mein geliebtes Kind, sprich doch nur ein Wort, ein
-einziges, einziges Wort. Liebling ... Heinrich...“
-
-In ihren sonst so heiter liebenswürdigen Augen flammte ein tragisches
-Feuer.
-
-Dann versank sie in verzweifeltes Schweigen.
-
-Monikas Nerven hielten das nicht mehr aus. Jede Faser in ihr war zum
-Zerreißen gespannt; eine Jagd von Gedanken stürzte durch ihren Kopf,
-wirr, zusammenhanglos.
-
-Sie schritt taumelnd hinaus, öffnete die Korridortür, um die Treppe
-hinabzuspähen.
-
-Kam denn Martha immer noch nicht?
-
-Es war, als ob die Zeit stille stände, als ob Bleigewichte an den
-Minuten hingen.
-
-Monika verlor vollkommen den Begriff der Zeit.
-
-Als das Dienstmädchen kam, Karl ängstlich dicht neben ihr, wußte sie
-nicht, ob Minuten oder Stunden verflossen waren.
-
-Sie nahm Martha die Sachen aus der Hand und eilte mit diesen ins
-Krankenzimmer.
-
-„Herr Doktor, tun Sie ihm nicht weh,“ jammerte die Mutter, als der Arzt
-Heinrich eine Koffein-Einspritzung machte.
-
-Der Angeredete zuckte ungeduldig die Achseln und setzte sich dann
-wieder in seinen Sessel.
-
-„Aber er wacht ja immer noch nicht auf!“ rief die Mutter.
-
-„Warten Sie’s doch ab.“
-
-„Aber tun Sie doch was, Herr Doktor, tun Sie doch etwas,“ rief Frau von
-Birken.
-
-„Wir können jetzt die Senfpflaster auflegen,“ wandte sich der Arzt an
-Monika. Diese griff nach einem Paket, das man aus der Apotheke geholt.
-Der Doktor legte Heinrich vier Senfpflaster auf.
-
-„O Gott, das muß ihn ja brennen. Heinz verträgt Senfpflaster überhaupt
-nicht,“ klagte Frau von Birken. „Heinrich..!“ brach sie dann plötzlich
-wieder los. In ihrer sonst so unbedeutenden, kleinen Stimme war ein
-tiefer Unterton, ein tierischer Schmerzensschrei, der Wehlaut der
-Mutter um ihr sterbendes Junges.
-
-„Herr Doktor, er will sprechen. Er will sprechen! Ich sehe es... es
-läuft wie ein Zucken über sein Gesicht... Er will sprechen, will
-klagen... und er kann es nicht... oh.. wie er leidet... er hört und
-fühlt alles... er will sprechen und kann es nicht...“
-
-Sie brüllte laut auf.
-
-Monika, die blaß bis in die Lippen geworden war, trat auf den Arzt zu.
-
-„Können Sie der Mama nicht ein Mittel geben, um...“
-
-„Ach, Unsinn, das ist alles ganz nebensächlich. Erst müssen wir den
-jungen Mann da mal aufkriegen.“
-
-Er trat von neuem zu dem Kranken, nahm ihm die Senfpflaster ab.
-
-„Merkwürdig, keine Spur von Rötung.“
-
-Die Mutter schrie auf.
-
-„Frau Baronin, er ist noch ganz warm,“ tröstete Martha, die
-unaufgefordert wieder ins Zimmer gekommen war.
-
-„Geben Sie jetzt mal den Kampferspiritus.“
-
-Und wieder begann der Arzt die Brust des Regungslosen zu reiben.
-
-Aber immer noch kein Lebenszeichen.
-
-Der Doktor machte nun ein bedenkliches Gesicht.
-
-„Wir werden nochmal Koffein nehmen,“ sagte er kopfschüttelnd.
-
-Und wieder bohrte er die scharfe Nadel in das blasse Fleisch.
-
-Atemraubende Minuten der Erwartung.
-
-Sie alle waren so nervös geworden, daß sie zusammenschreckten, als die
-Zimmertür sich öffnete.
-
-Alfred trat ins Zimmer. Er richtete ein paar Fragen an den Doktor, die
-dieser kaum beantwortete. Dann nahm er Monika am Arm und ging mit ihr
-ins Nebenzimmer.
-
-„Karl hat mir alles erzählt,“ sagte er seiner Schwester, „nun paß
-gut auf: wenn mit Heinrich irgend etwas passiert, dann weißt Du
-nichts davon, daß Mama noch ein zweitesmal Morphium gegeben hat. Das
-Dienstmädchen muß auch instruiert werden.“
-
-Monika starrte den Bruder ganz verständnislos an. „Was?“
-
-„Na, ganz einfach, weil Mama dann wegen fahrlässiger Tötung rankommt...“
-
-Monika schrie auf: „Alfred, wie kannst Du!“
-
-„Na, das ist doch ganz klar. Im Falle Heinrich stirbt...“
-
-Monika stieß den Bruder heftig vor die Brust und rannte ins
-Nebenzimmer; sie klammerte sich mit beiden Händen an das Fußende des
-Gitterbettes, betrachtete mit irren Augen den Bewußtlosen und die Frau,
-die da am Bette kniete, die Mutter, die vielleicht sein Leben auf dem
-Gewissen hatte... aus Liebe... aus Liebe...
-
-Und plötzlich strömte es Monika siedendheiß durch die Adern: ein wilder
-Trotz packte sie gegen diese dunkle und furchtbare Macht, die über dem
-blassen Jünglingshaupt schwebte, ein wütendes Sichauflehnen gegen das
-Schicksal, das blind und täppisch und erbarmungslos ein Uebermaß von
-Mutterliebe so entsetzlich ahnden zu wollen schien.
-
-Ihre Hände krampften sich um des Bettes schmale Stäbe; mit weit
-aufgerissenen Augen starrte sie in den Tod... Es war ein sonderbares
-Klingen in ihren Ohren. Wohl hörte sie, daß die Mutter auf den Arzt
-einsprach, aber sie verstand nicht mehr, was sie sagte.
-
-Der kleine Arzt wehrte die Baronin ab.
-
-„Nein, noch eine Koffein-Einspritzung ist unmöglich.“
-
-Dann setzte er zögernd hinzu:
-
-„Vielleicht lassen Sie jetzt nochmal fragen, ob Ihr Hausarzt zu Hause
-ist?“
-
-Von neuem eilte Martha davon.
-
-Und von neuem ging Frau von Birken durch alle Phasen der Hoffnung, der
-Verzweiflung, der Enttäuschung, neuer Hoffnung...
-
-„Er bewegt die Lippen, er will sprechen -- ich sehe es... Heinrich, ein
-Wort, ein einziges...“
-
-Sie war so fassungslos in die martervollen Abgründe ihres Schmerzes
-versenkt, daß sie nichts von dem sah, was sich nun begab.
-
-Der Doktor verkündete mit seiner mürrischen Stimme: „Er schlägt die
-Augen auf.“
-
-Sie faßte es nicht, begriff es nicht, als Heinrich nun zu sprechen
-versuchte; als er sprach mit deutlicher, ein wenig traumschwerer Stimme:
-
-„Was... ist... denn...“
-
-Bis endlich das gemarterte Mutterhirn die selige Wirklichkeit erfaßte.
-Mit einem erschütternden Freudenschrei warf sich die Mutter über den
-Geretteten:
-
-„Mein Glück... mein einziges...“
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-6.
-
-
-Dieses Ereignis klang in Monika nach mit einer bedeutungsvollen
-Schwere, die es für keinen der anderen gehabt.
-
-Schon der Tod ihres Vaters hatte ihr einen erschütternden Eindruck
-gemacht.
-
-Aber jener Tod war nichts Ueberraschendes, war nur die Folge einer
-langen Kette gewesen, geschmiedet aus leidensvollen Tagen und
-schlaflosen Nächten.
-
-Des Vaters mächtiger Körper war nicht zusammengebrochen wie ein Baum,
-den der Blitzstrahl trifft, nein! Die Krankheit hatte langsam ihr Werk
-getan; alle die vielen Tage und Nächte waren wie Ameisen gewesen, die
-fleißig und hastig Stück um Stück Gesundheit und Leben davontrugen.
-
-Monikas Vater war ein alter Mann gewesen, als seine Augen brachen; alt,
-trotzdem er kaum fünfundvierzig erreicht.
-
-Seine Haare waren wie Schnee.
-
-Seine Augen waren wie verblaßt -- ganz stumpf. Man hatte den Tod kommen
-sehen, wochenlang -- viele Monate lang. --
-
-Jetzt aber war es anders gewesen.
-
-Jetzt war der Tod heruntergestürzt -- wie ein Habicht aus blauer Höhe
-niederstößt auf sein Opfer. Wohl hatte man ihm seine Beute im letzten
-Moment noch abgejagt, aber allzunahe hatte man das Schwirren seiner
-starken Flügel gehört. --
-
-Monika sah jetzt im Wachen und im Traum ihres Bruders regungsloses
-Gesicht, das starre Weiß der Augäpfel unter halbgeschlossenen Lidern.
-
-Wie oft hatte sie gehört von Leuten, die jung gestorben waren. Aber das
-hatte ihr nie Eindruck gemacht. Was sie von anderen hörte, blieb ihr
-immer ganz gleichgültig. Sie erfaßte eine Sache erst dann, wenn sie sie
-erlebte.
-
-Und nun hatte sie gesehen, schaudernd mitgefühlt: das Ende! --
-
-Das brennende Mitleid, das sie für den Bruder gefühlt, verschwand,
-sobald sie sah, daß Heinrich mit einem Tage Kopfschmerzen davonkam.
-
-Aber der Eindruck blieb. Es blieb die wahnsinnige Angst: nicht sterben,
-ehe ich gelebt, ehe ich alles Süße gekostet, was das Leben zu schenken
-hat.
-
-Und es kam der Zweifel, der nagende Zweifel: tue ich recht, wenn ich
-mich vergrabe in tote Gelehrsamkeit -- wenn ich mein Leben verstreichen
-lasse mit dem Erlernen von Systemen, von Theorien?
-
-Mein Gehirn arbeitet -- meine Geisteskräfte werden stärker durch Uebung
-und Erziehung, aber abstrakte Wissenschaft ist nicht das Leben.
-
-Manchmal war es ihr, als ob sie ihr Gehirn haßte, das alle anderen
-Regungen zu verschlingen drohte.
-
-Sie bemühte sich nun, nicht mehr an all die Themata zu denken, die sie
-in den letzten Monaten so sehr absorbiert hatten.
-
-Mit kindischem Trotze suchte sie alle streng geistigen Regungen in sich
-zu ertöten.
-
-Dafür ließ sie jetzt ihrer Phantasie die Zügel schießen. Und es war,
-als ob diese Phantasie, die während der Lernperiode geschlummert, nun
-mit doppelten Kräften aufwachte; lächelnd nahm die Phantasie Monika
-bei der Hand und führte sie vielgestaltige Irrwege, auf denen viele
-schöne Giftblüten wucherten, wildflammende Blüten, die berauschend und
-betäubend dufteten.
-
-Und Monika spann sich in ihre Phantasien wie die fleißige Seidenraupe,
-die sich mit ihrem Köpfchen in ein silberschimmerndes, dichtes Gewebe
-einspinnt.
-
-Der Tadel der Lehrer -- die Ermahnungen der Mutter blieben umsonst.
-
-Monika nahm am täglichen Leben wenig Anteil, war zerstreut und faul.
-
-Niemand konnte ergründen, was für Gedanken hinter der niedrigen, weißen
-Stirn rege waren. Mit der gleichen, fast unheimlichen Konzentration,
-mit der sie sich erst auf das Lernen gestürzt, widmete sie sich jetzt
-ihren uferlosen Phantasien. Kein fremder Einfluß vermochte sie dieser
-Manie zu entreißen -- nur sie sich selbst.
-
-Und diese Stunde kam.
-
-Ein Gedanke -- sie wußte nicht woher -- eine schaudernde
-Selbsterkenntnis: auch das ist nicht Leben! Nicht nur die Wissenschaft
-stahl mir die Wirklichkeit, auch meine Träumereien haben nichts mit
-Wirklichkeit zu tun. Diese Träumereien, die sich alle darum drehen,
-wie das wohl sein könnte, nicht, wie es wirklich ist!
-
-Ich aber möchte das Leben, wie es ist!
-
-Aber was sehe ich denn vom Leben, was weiß ich denn davon? Wir Töchter
-aus guter Familie werden gehalten wie die Kanarienvögel im Käfig. --
-Ach... Leben...
-
-Oft wünschte sie sich jemand, der ihr hätte raten, ihr hätte helfen
-können in dem brausenden Zwiespalt von Gefühlen.
-
-Aber es war niemand da. Sie blieb ganz allein. Allein in der frühen
-Reife des Körpers und des Geistes.
-
-Und ihr Trotz erstarkte in dieser Einsamkeit, ihr Trotz: allein
-dazustehen und allein zu bleiben. --
-
-In den Unterrichtsstunden verschlechterte sie sich sehr. Und das
-wurde noch schlimmer, als der Winter begann und sich ihr hier und da
-Gelegenheit bot, Tanzfestlichkeiten mitzumachen.
-
-Die Baronin jammerte zwar gottsjämmerlich, wie schrecklich das sei,
-daß sie in ihrem jugendlichen Alter schon als Ballmutter figurieren
-müsse -- außerdem seien die Kosten für diese Vergnügungen gar nicht zu
-erschwingen -- aber im Grunde genommen ging sie gern hin.
-
-Der Verlauf war jedesmal derselbe: wenn so eine Einladung ins Haus kam,
-erklärte Frau von Birken feierlich, daß man sie unter keinen Umständen
-annehmen würde.
-
-Monika begann sich dann zu entrüsten:
-
-„Du gehst ja doch.“
-
-„Ich denke nicht daran! Wir können das gar nicht bei unseren Mitteln.
-Außerdem müßte ich ein neues Kleid haben.“
-
-„Ach, es geht ja noch mit dem alten, Mamachen, bitte, bitte, wir wollen
-doch hingehen.“
-
-„Unter keinen Umständen!“ sagte Frau von Birken streng. Sie genoß
-dann förmlich die Situation. Sie erschien sich in diesen Augenblicken
-bedeutender als sonst, in dem Bewußtsein, daß Monika von ihr abhängig
-war, daß sie bitten mußte mit kleinen, schmeichelnden Worten.
-
-„Nein, Du hast so eine Freude gar nicht verdient.“
-
-„Mama!“ -- Die weißen Zähne gruben sich tief in die schwellende
-Unterlippe. Heiß flammte der Trotz in den dunkeln Augen auf. Nein, sie
-würde kein Wort mehr sagen, nicht mehr bitten -- nicht mehr bitten!
-
-Und dann schwirrte vor ihren Augen des Ballsaals blendendes Gewoge,
-dann klang in ihren Ohren die Tanzmusik, unwiderstehlich süß,
-unerträglich lockend...
-
-Und langsam quoll es ihr von den widerstrebenden Lippen: „Bitte...
-bitte...“
-
-„+Ich+ denke ja gar nicht daran -- ich bin Mutter, ich habe zu
-bestimmen -- wir gehen nicht hin!“
-
-Dann kam es wohl vor, daß Monika sich in einem maßlosen Wutausbruch auf
-der Erde wand und sich die Haare raufte; lange ließ Frau von Birken
-ihre Tochter nicht in dieser Verfassung; sie besänftigte sie in den
-zärtlichsten Schmeicheltönen:
-
-„Monchen, ich bitte Dich, das war ja nicht so ernst gemeint
--- natürlich gehen wir hin! Und ich schenke Dir mein blaues
-Emaille-Medaillon mit den kleinen Brillanten. Beruhige Dich doch bloß,
-Liebling. Wir gehen ja zu dem Balle. Ja, gewiß...“
-
-Und Monika, noch Tränen in den Augen, lächelte matt und glücklich wie
-eine Rekonvaleszentin.
-
-So trieb Monikas ungezähmter Wille weiter seine wuchernden Triebe, von
-keines verständigen Gärtners Hand gepflegt, bald gezaust und bald
-gestreichelt von Mutterhänden, die unverständiger waren, als es manche
-Kinderhände sind.
-
-[Illustration]
-
-Und man ging zum Balle...
-
-Und wenn man nach Hause kam, lag Monika mit schlagenden Pulsen
-schlaflos im Bett mit wirrem Hirn und irritierten Nerven.
-
-Wohl hatte ihr der Ball all die Freude gebracht, die sie von ihm
-erwartet. Aber es war ein Augenblicksrausch gewesen; beim Nachdenken
-hielt er nicht stand. Was war’s denn auch schließlich: ein bißchen
-Musik und Licht und gute Tänzer...
-
-In diesem unbefriedigten Dasein, das ihr weder Ziel noch Zweck zu haben
-schien, glaubte sie dann plötzlich einen Leitstern zu entdecken: die
-Kunst! Mit glühender Begeisterung dichtete sie. Die Worte, die Verse
-strömten ihr zu mit einer Leichtigkeit, über die sie selbst verwundert
-war. Oft war ihr, als sei es gar nicht sie selbst, die das alles
-dächte, sondern als schwebe über ihr ein Unsichtbarer, der ihr ins Ohr
-sprach, was sie schreiben sollte. Alles war dann wie verändert: die
-Teppiche, auf denen sie ging, waren weicher als sonst, die Bäume auf
-der Straße waren riesenhaft gewachsen -- die eine Rose, die in einem
-Glase vor ihr stand, war ein Rosenfeld von Millionen Blüten.
-
-Sie war dann selig. Selig bis in die Fingerspitzen hinein. So lange,
-bis sie begeisterungsbebend ihrer Mutter und Heinzemännchen die Verse
-vorlas.
-
-Frau von Birken fand die Gedichte teilweise sehr schön, aber furchtbar
-unpassend -- ein junges Mädchen dürfe überhaupt keine Liebesgedichte
-machen.
-
-Und Heinzemännchen rang die Hände und beschwor Monika, über den
-Frühling zu dichten und über den Sommer, oder über den Herbst, oder
-über den Winter -- andere Themata seien für Lyrik unmöglich.
-
-Monika aber faßte eines Tages einen kühnen Entschluß: sie wollte der
-Welt die Proben ihres Talentes nicht länger vorenthalten.
-
-Und -- die Kunstgeschichtsstunde schwänzend -- begab sie sich eines
-Tages mit ängstlichem Herzklopfen in die Redaktion des „Leuchtturms“,
-einer neu erscheinenden Zeitschrift, in der sich junge Lyriker
-verschiedener Schattierungen tummelten.
-
-Der „Leuchtturm“ war kein phantastisch prunkender Bau, wie Monika
-ihn sich vorgestellt. Drei Zimmer im Parterre eines Berliner
-Hinterhauses bildeten den Leuchtturm. Der Kontorist, der im Vorraum
-zum Allerheiligsten auf einem Drehschemel saß und trübsinnig vor sich
-hinstarrte, wurde durch Monikas Eintritt angenehm gestört. Eine so
-junge Dame hatte er in diesen Räumen noch nicht gesehen.
-
-„Ist der Herr Redakteur zu sprechen?“
-
-„Doktor Waldmann kommt erst in einer Stunde.“
-
-„Ach, so lange kann ich nicht warten: wollen Sie ihm, bitte, dieses
-geben...“
-
-Monika legte hastig ein Kuvert auf den Tisch.
-
-„Steht Ihr Name und Ihre Adresse auch drin?“ fragte der Kontorist.
-
-„Nein -- ich komme wieder.“
-
-Monika rannte davon wie gejagt.
-
-Sie konnte sich viele Tage lang nicht entschließen, nach dem Schicksal
-ihrer Geisteskinder zu fragen. Aber endlich faßte sie Mut.
-
-Es war ein gar unangenehmes Gefühl, so vor den prüfenden,
-pincenezbewehrten Augen des Doktor Waldmann dazustehen.
-
-„Mit wem habe ich die Ehre?“ fragte er.
-
-„Ach, der Name tut ja nichts zur Sache,“ sagte Monika heiß errötend.
-„Ich wollte nur wissen, ob mein Gedichtzyklus ‚Libellen‘ zu brauchen
-ist?“
-
-„Sehr talentvoll, mein gnädiges Fräulein,“ sagte der Redakteur
-wohlwollend, „wir wollen in der nächsten Nummer mit der
-Veröffentlichung anfangen.“
-
-„O...“ Monika schrie beinahe vor Freude.
-
-„Und wohin soll ich das Honorar senden lassen?“
-
-„Auch Honorar?“ Ihre Begeisterung erreichte jetzt den höchstmöglichen
-Grad.
-
-„Bitte, schicken Sie mir gar nichts,“ sagte sie stotternd. „Ich komme
-es mir gelegentlich selbst abholen.“
-
-„Soll mich freuen. Zwischen vier und sechs Uhr finden Sie mich meistens
-hier.“
-
-Ein Händedruck, und sie eilte fort.
-
-Kaum war sie zu Hause angelangt, als sie ihr sorgsam gehütetes
-Geheimnis verkündete.
-
-Ihre Mutter war eine Beute der widerstrebendsten Empfindungen.
-Einerseits fand sie es maßlos unpassend, daß Monika allein auf eine
-Redaktion gegangen, andererseits imponierte ihr die Tatsache, daß ihre
-Tochter wirklich „gedruckt werden sollte“, kolossal. Hatte doch Frau
-von Birken mit vierzehn Manuskripten vergebens darum gekämpft.
-
-Monikas Brüder erklärten die Neuigkeit für Schwindel: „Monika will bloß
-bemänteln, daß sie über eine Stunde zu spät aus dem Kursus kommt.“
-
-Aber der nächste Leuchtturm brachte tatsächlich die „Libellen“, und
-Monika stürzte daraufhin in die Redaktion, allwo sie fünfzehn Mark
-Honorar empfing. Sie benutzte sie schleunigst dazu, sich lauter Sachen
-anzuschaffen, die ihr verboten waren: eine Schachtel Zigaretten, den
-neuen Roman eines naturalistischen Schriftstellers und eine Flasche
-Chypre-Parfum.
-
-Sie hatte auf der Redaktion wieder ihren Namen nicht genannt und tat
-es auch weiterhin nicht. Sie versäumte jetzt manchmal ein oder zwei
-Stunden in den Gymnasialkursen, war während dieser Zeit heimlich auf
-der Redaktion des Leuchtturms; da war immer der eine oder andere
-Zeichner, Schriftsteller oder Redakteur, mit dem sie aufs angeregteste
-plauderte.
-
-Der ihr bisher unbekannte freie Ton der Unterhaltung begeisterte sie.
-Sie lauschte gespannt, wenn die Herren sich gegenseitig neckten oder
-ihre Abenteuer zum besten gaben; sie genierten sich nicht in Gegenwart
-dieses netten, „anonymen“ Mädchens.
-
-Die Komplimente, die sie Monika machten, waren anderer Art als die, die
-sie bisher von den Leutnants gehört. Aber es waren doch Komplimente!
-Das genügte ihr.
-
-Frau von Birken ahnte nichts von den kleinen Eskapaden ihrer Tochter.
-Sie gebärdete sich oft trostlos, wenn wieder ein neues Gedicht von
-Monika im Leuchtturm erschien.
-
-„Ich würde die Verse entzückend finden, wenn sie nicht von meiner
-eigenen Tochter wären,“ sagte sie. „O Gott, daß ich so etwas
-Unpassendes an Dir erleben muß!“
-
-Aber alles in allem war Monika doch in ihrer Achtung gestiegen, seitdem
-sie sich zur „Schriftstellerin“ entfaltete.
-
-Das hinderte aber nicht, daß eine Verlobung doch Frau von Birken
-bedeutend mehr impressionierte. Sie sprach tagelang von nichts anderem
-als von der goldumränderten Karte, die ins Haus gekommen:
-
- „Die Verlobung ihrer einzigen Tochter Marie mit dem Leutnant der
- Reserve im Dragoner-Regiment Kronprinz, Gutsbesitzer Wilhelm von
- Hammerhof auf Hammerhof beehren sich ergebenst anzuzeigen
-
- von Holtz-Sarkow und Frau,
- geborene Freiin von Birken.“
-
-„Nein, was die Marie für ein Glück macht!“ rief Frau von Birken ein
-über das anderemal.
-
-„Du weißt doch noch gar nicht, ob das ein Glück wird.“
-
-„Aber, Mone -- das wird es schon! Ein so reizendes Mädchen wie Marie!
-Und er ist doch ein vornehmer, tadelloser Mann.“
-
-„Kennst Du ihn?“
-
-„Nein, aber ich bin sicher, daß er eine glänzende Partie ist. Du kannst
-nicht darüber urteilen, Mone, denn Du wirst sicher nie heiraten. Für
-ein Mädchen, das studiert und außerdem schriftstellert, paßt das ja
-auch gar nicht.“
-
-Monika zog ein Gesicht: sie schien nicht sehr damit einverstanden zu
-sein.
-
-Einige Wochen nachher kam Frau von Holtz mit dem Brautpaare nach
-Berlin, um Einkäufe zu machen.
-
-Der Bräutigam war ein gut aussehender Mensch, höflich und freundlich,
-Geist und Bildung gesunder Durchschnitt.
-
-„Eine so passende Partie!“ Die zukünftige Schwiegermutter strahlte,
-war viel entzückter als Marie selbst. Sie erzählte ihrer Schwägerin:
-„Denke Dir, Marie wollte eigentlich noch gar nicht heiraten, kam auf
-ihr verrücktes Studierprojekt zurück, erklärte mir, vorläufig triebe
-sie nichts gebieterisch zu einer Heirat, und so wolle sie einstweilen
-warten, wolle ihre Freiheit nicht verlieren. -- Na, ich habe ihr
-den neumodischen Unsinn schon ausgetrieben! -- Es wäre doch auch
-zu unsinnig gewesen, Hammerhof auszuschlagen. Unsere Güter grenzen
-aneinander, Marie ist zwanzig Jahre alt, gerade das richtige Alter
-zum Heiraten! Wenn die Mädchen nicht früh heiraten, bekommen sie alle
-so sonderbare Ideen bei den überspannten Zeitströmungen, die jetzt
-herrschen.“
-
-„Ja, aber wenn sie ihren Bräutigam nicht glühend liebt?“ sagte die
-Baronin Birken bedenklich.
-
-„Mein Gott, Mali, Du wirst schon wieder romantisch. Was soll das
-vorstellen: ‚glühend liebt‘? Ich habe meinen Mann, als wir verlobt
-waren, auch nicht glühend geliebt, und wir führen die harmonischste
-Ehe, die man sich vorstellen kann. Ich finde: ein Mädchen aus unseren
-Kreisen hat überhaupt nicht glühend zu lieben! Wirst Du Dir denn Deine
-Romantik nie abgewöhnen, Mali?“
-
-„Ich hoffe, nein!“ sagte die Baronin stolz. „Ich bin froh, daß ich
-meine jugendliche Begeisterung habe, und ein echtes Gemüt bleibt ewig
-jung!“ --
-
-Was Begeisterung anbetraf, so entfaltete Frau von Birken ein
-vollgemessenes Quantum in den nächsten Tagen; sie fand alles
-begeisternd: die Theatervorstellungen, die Einkäufe und Bestellungen,
-alles...
-
-Die Einkäufe waren übrigens ein Zankapfel zwischen Marie und ihrer
-Mutter. Frau von Holtz versuchte -- autoritativ wie immer -- ihren ganz
-persönlichen Geschmack zur Geltung zu bringen, und Marie fand mitunter
-ein scharfes Wort: „Schließlich, ich soll doch die Sachen haben und
-nicht Du, Mama. Da ist doch mein Geschmack eigentlich wichtiger.“
-
-Frau von Holtz klagte dann über die schreckliche, neue Zeit, in der
-die Töchter gar nicht mehr den richtigen Respekt entfalteten und sich
-anmaßten, eigene Meinungen zu haben. Hatte sie selbst einst ihrer
-Mutter Vorschriften zu machen gewagt, als diese ihr die Aussteuer
-gekauft? Mit ehrfurchtsvollem Danke hatte sie alles entgegengenommen --
-und dabei sei der gelbe Salon mehr als unpraktisch ausgesucht gewesen!
-
-Auch Monika fand Maries Benehmen als Braut zu tadeln.
-
-„Ich würde mich anders benehmen, wenn ich verlobt wäre,“ sagte sie zu
-ihrer Mutter. „Der Marie merkt man gar nicht an, daß sie glücklich ist.
-Ich glaube, die paßt gar nicht für die Ehe!“
-
-„Was, die Marie soll nicht für die Ehe passen?“ entrüstete sich Frau
-von Birken, „so ein reizendes Mädchen! Und die schönen Handarbeiten,
-die sie macht, und kocht tadellos; sogar Früchte einkochen kann sie
-ganz allein.“
-
-Am tiefsten berührt von der ganzen Verlobung war unstreitig Bertha,
-die das Brautpaar bei Birkens kennen gelernt hatte: sie fand Monika
-gegenüber nicht Worte genug, um Maries Glück zu rühmen.
-
-„Denke doch, verlobt sein mit solch nettem Menschen, lauter schöne
-Sachen bekommen und sich küssen dürfen... und dann nachher die Trauung,
-so im weißen Schleppkleide, schleierumwogt vor Gottes Altar -- ach,
-entzückend! Und dann nachher junge Frau! Es gibt doch wohl nichts
-Schöneres als jung verheiratet zu sein. Und süße Kinder haben... Und
-nun zu denken, daß mir das alles nicht blühen wird -- nein, sprich
-nicht dagegen! Wer soll denn eine Frau heiraten, die studiert? Ich sage
-Dir: wenn ich die Person wüßte, die das Frauenstudium erfunden hat, die
-brauchte sich nicht zu gratulieren!“
-
-Monika lachte. „Ach, die studierten Frauen können doch gerade so gut
-heiraten wie die anderen!“
-
-Aber Bertha war nicht zu überzeugen.
-
-Nach zehntägigem Aufenthalt reiste Frau von Holtz mit dem Brautpaar
-zurück.
-
-Die Hochzeit sollte in wenigen Monaten stattfinden, und die angehende
-Schwiegermutter fühlte sich ganz in ihrem Element bei all den
-Vorbereitungen, die nun Platz griffen. Mine Petermann verließ
-Sarkow überhaupt nicht mehr; die schwarze Taille über dem mächtigen
-Busen dick mit Stecknadeln gespickt, brütete sie unermüdlich über
-den Modeblättern, probierte und verwarf, probierte von neuem und
-begeisterte sich -- und begeisterte Frau von Holtz mit den glühenden
-Schilderungen der Meisterstücke von Toiletten, die sie im Begriff war,
-anzufertigen.
-
-Zwischen Mutter und Tochter entbrannten dieselben
-Meinungsverschiedenheiten wie bei der Auswahl der Möbel; jede suchte
-ihren eigenen Geschmack durchzusetzen. Die Mutter siegte auf der ganzen
-Linie, aber die Folge davon war, daß Marie nun ohne Freude die Anproben
-über sich ergehen ließ.
-
-Es war überhaupt nichts von strahlendem Glück an ihr zu merken. Zu
-ihren Freundinnen aus Neustadt und Hahndorf sagte sie zwar mit einer
-gewissen Wichtigkeit: „Mein Bräutigam...“, aber wenn dieser kam, so
-empfing ihn kein übermäßig freundliches Gesicht.
-
-Er machte sich übrigens nicht viel Gedanken darüber, zumal er selbst
-keine leidenschaftliche Verliebtheit für seine Braut entfaltete.
-
-Sie war eben eine „so passende Partie“, paßte, was Familie, Alter,
-Vermögen anbetraf, vortrefflich zu ihm; ihre äußere Erscheinung
-genügte den Ansprüchen, die er an seine zukünftige Gattin stellte. Die
-Reserviertheit, die sie zur Schau trug, störte ihn nicht. Marie war mit
-Gefühlsäußerungen immer so zurückhaltend gewesen, daß Frau von Holtz
-ganz entsetzt war, als sie sie eines Tages in heißen Tränen fand.
-
-Sie war in ihrer Tochter Wohnzimmer gekommen, um ihr eine eben
-eingetroffene Auswahlsendung von weißen Seidenstoffen zu zeigen.
-
-Da fand sie Marie mit dem Oberkörper auf der Tischplatte liegend, die
-Hände vor die Augen gepreßt. Ein krampfhaftes Weinen ließ die schmalen
-Schultern erzittern.
-
-„Marie!“
-
-Das tränenüberströmte Gesicht hob sich empor:
-
-„Mama, laß mich Dir sagen, ich will Wilhelm nicht heiraten, ich will
-nicht.“
-
-„Was? -- Was ist denn? -- Warum...“
-
-„Ich liebe ihn nicht.“
-
-„Liebstes Kind, das kommt in der Ehe. Vernunftheiraten werden immer die
-glücklichsten Ehen.“
-
-„Mama, ich will nicht heiraten, noch nicht! Es ist langweilig hier so
-allein mit Euch, aber ich will gern hierbleiben, tausendmal lieber
-hierbleiben, als mit einem fremden Manne fortgehen. Er ist mir ja
-so fremd! In meinem Innern spricht nichts für ihn. Und nun soll ich
-Tag und Nacht mit einem Fremden sein, soll ihm mein ganzes Leben
-schenken...“
-
-Frau von Holtz war erblaßt vor Erregung.
-
-„Ich erkenne Dich nicht mehr wieder, Marie. Du wirst hysterisch. Was
-ist das nur auf einmal? Dich hat niemand zu der Verlobung gezwungen!“
-
-„Nein, gezwungen nicht. Nur zugeredet habt Ihr mir. Und ich war zuerst
-ja ganz einverstanden. Aber jetzt, wo der Hochzeitstag näher und näher
-rückt, habe ich mich zu der Ueberzeugung durchgerungen: Ich kann ihn
-nicht heiraten!“
-
-„Marie, besinne Dich auf Dich selbst! Du kannst doch jetzt Deinen
-Entschluß nicht ändern. Du hast Wilhelm Dein Wort gegeben -- Du kannst
-ihm das nicht antun, Dein Wort zu brechen, so ohne jede Ursache, ohne
-jeden Grund! -- Und wie stehst Du nachher da? Ein Mädchen, dessen
-Verlobung zurückgeht, wird immer scheel angesehen. Nein, was würden
-die Leute nur sagen, jetzt, wo schon die ganze Aussteuer fast fertig
-ist!“
-
-„Ich will nicht,“ schluchzte Marie, „ich will nicht.“
-
-Und die Mutter redete weiter, abwechselnd drohend und bittend; sie
-wendete ihre ganze Kraft auf, um das, was sie als eine nervöse Laune
-ihrer Tochter empfand, zu besiegen; sie bat und beschwor, drohte und
-befahl.
-
-Dann schwieg sie erschöpft und starrte angstvoll auf Marie, die immer
-noch das Gesicht in den Händen verbarg.
-
-Und endlich hob die Tochter das Haupt.
-
-Und mit einem Zucken ihrer schmalen Schultern, dieser Bewegung, die sie
-immer machte, wenn der Mutter Willen den ihren besiegte, sagte sie müde:
-
-„Also ja -- ich werde mein Wort halten. Aber vergiß diese Stunde hier
-nicht... vergiß sie nie, Mama...“
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-7.
-
-
-„Monika..!“ -- Monika hörte nicht. Sie hatte ihren „Katalogtag“. Sie
-behauptete, daß Kataloge studieren so ziemlich einer der größten
-Genüsse sei, dem man sich hingeben könne.
-
-Oft sagte ihr solch ein Preisverzeichnis mehr als ein Roman. Sie
-schwelgte geradezu in Katalogen, durchlief eine ganze Skala von
-Empfindungen von wunschlos anbetender Bewunderung bis zum heißgierigen
-Habenwollen.
-
-Das Preisverzeichnis einer Delikatessenwarenhandlung versetzte sie in
-Entzückungszustände. Die angepriesenen Sachen waren wie eines Baumes
-Aeste und Aestchen, auf denen sich ihre Phantasie, blankäugig und
-behend wie ein Eichhörnchen, hin und her schwang.
-
-Sie las: „Hummern, lebende Helgoländer und norwegische...“ Da sah sie
-die sonderbaren Schaltiere vor sich, mit ihren komischen, gestielten
-Augen, mit dem harten Panzer über dem weichen Fleisch, dessen saftige
-Frische sie förmlich auf der Zunge fühlte.
-
-Und sie fühlte die scharfe, salzige Luft der Nordmeere, der grauen,
-kalten Meere, die um starre Felsen und Klippen rauschen. Das war
-dasselbe ewige Meer, das einst die Drachenschiffe getragen --
-dasselbe, das jetzt Panzerkreuzer und Torpedos trug, und das heute
-die komplizierten Wunderschöpfungen der Technik in böser Laune gerade
-so zerschlug und zerbrach, wie es einst die ungefügen Holzplanken
-zerschlagen.
-
-Und sie las weiter: „~India green turtle meat, sundried~.“ -- Da fing
-ihr Herz an, ganz laut zu schlagen.
-
-Und sie las weiter: „~India green turtle meat~,“ so heiß, daß sie
-nicht mehr wohltat, sondern zerstörte, dort war sie ein vernichtend
-flammender Feuerball in einem unerhört blauen Himmel, schüttete
-Strahlengarben über das Land voll Prunk und Schmutz -- über die
-schmalgliedrigen dunkeln Hindus mit den schmachtenden, sanften Augen --
-über die stolzen, blonden Engländer, die hier die Herren waren. Und
-das geknechtete und mißhandelte Land war doch so oft stärker als sie,
-gab ihnen heimlich und böse lächelnd die Keime von Fieber, von Pest und
-Tod. --
-
-Und weiter: „Truffes de Périgord“. Monikas Näschen schnupperte, als
-fühle sie den unvergleichlichen Duft der schwarzen Erdfrucht.
-
-„Trüffeln“ bedeutete ihr förmlich ein Programm. Pikante Würze mit einem
-lockenden Dufthauch darüber. --
-
-Und „Périgord“, Frankreichs lachende Gefilde. Graue Edelschlösser auf
-sanften Hügelabhängen, umwogt von einem Meer von Blütenbäumen. -- Und
-drinnen im Schloß ein Liebeshof -- schöne Ritter und schöne Damen in
-Gold und Seide, zur feierlichen Beratung versammelt über der Liebe
-wichtige Fragen.
-
-Ueber alle herrschend die schöne Frau des Hauses, deren Urteil sich
-alle beugen, Edeldamen und Troubadours! Und der Troubadours Bester kam
-ihr in den Sinn, Bertrand de Born, „der mit einem Lied entflammte --
-Périgord und Ventadorn ...“
-
-Der hochmütige Troubadour, der, ein Siegerlächeln um die blutroten,
-üppigen Lippen, sich gerühmt, „daß ihm nie mehr als die Hälfte --
-seines Geistes nötig sei!“
-
-O dieser Mann, der Sieger, strotzend von Kräften des Körpers und
-des Geistes wie ein Blütenbaum im Mai, ein Meister des Liedes, ein
-Gewaltiger der Sprache, der Männergehirne und Mädchenherzen mit süßen
-und bitteren Worten lockte und bezwang...
-
-Dieser Gedanke fand in Monika eine so starke Resonanz, daß sie ziemlich
-abwesend über einige Seiten hinweglas, die sie sonst mit Entzücken
-erfüllt haben würden.
-
-Die Preisverzeichnisse von Konfektionsgeschäften, von Wäschefirmen
-waren kaum weniger dazu angetan, ihr ein schwelgerisches Genießen zu
-verschaffen.
-
-Bei den Hemdeinsätzen aus Brüsseler und Brügger Spitzen dachte sie an
-die belgische Spitzenfabrikation, sah kleine flandrische Städtchen,
-saubere Häuschen mit blitzblanken Spiegelscheiben, den „Spion“ am
-Fenster -- das Glockenspiel klingt vom Beffroi.
-
-Im Beginenkloster des toten Brügge klöppelten blasse Nonnenhände
-die zarten Gebilde aus dünnen Fäden. -- Und es gab Spitzen, die
-wurden in Kellern gearbeitet, die Luft mußte feucht sein, damit beim
-tausendfältigen, kunstvollen Durcheinanderwirren der Faden nicht brach,
-der -- dünn wie Spinnengewebe -- durch die Hände der bleichsüchtig
-armseligen Mädchen lief, welche Stunde um Stunde klöppelten, ohne
-aufzusehen. Die Mädchen hatten gewiß so kraftlos ausgesehen wie
-Kellerblumen; mit blutlosen Fingern hatten sie die Spitzen gearbeitet,
-die dazu bestimmt waren, die Wäsche und die Kleider leichtsinniger
-Schönen zu zieren, die bunt und glänzend wie Paradiesvögel oder Pfauen
-durchs Leben geschritten.
-
-Und dann die Verzeichnisse der Parfumfabriken. Die waren vielleicht
-doch das Schönste von allen. Ach, das Duften, das berauschende Duften,
-das aus des Büchelchens Seiten stieg.
-
-„White rose“ -- herb und süß. Kaum erschlossene Rosenkelche,
-mondlichtüberflutet in einem Park von Englands Schlössern. -- Eine
-blonde Herzogin, die sich aus dem Festgewühl hinabschleicht in den
-Park, der feucht ist vom Tau der Nacht. -- Und nach einer kleinen
-Weile verschwindet droben aus dem lichter- und gästeerfüllten Saale ein
-schlanker Kavalier. Die weißen Rosen duften so süß. --
-
-Und dann „Chypre“. Aufreizend und schwül, der Duft für eine Frau, die
-launisch ist und süß und grausam wie die Göttin der Insel Cypern selbst.
-
-„Ambra“! Der Orient wird lebendig, das Gewühl der Märkte und Basare,
-die wollüstigen und blutdürstigen Geschichten der tausend Nächte
-und der einen Nacht. Ueppige Prinzessinnen, die schönen Gesichter
-schleierverhüllt, schlanke Wüstensöhne, die starben aus Liebe.
-
-„Goldregen“ und „Flieder“, „Ylang-Ylang“ und „Coeur de Jeannette“,
-„Cuire de Russie“ und „Tuberosen“ -- alles wurde eine Geschichte. --
-
-Ganz geistesabwesend sah Monika dann aus, wenn man zu ihr sprach, wenn
-ihre Mutter wieder einmal sagte:
-
-„Nimm Dir doch endlich was Vernünftiges vor! Wie kann man sich nur in
-solch langweilige Kataloge vertiefen?“
-
-Und wenn Alfred behauptete:
-
-„Ich habe ja schon viel von Stumpfsinn gesehen, aber etwas derartiges,
-wie sich hinsetzen und solche Verzeichnisse lesen, das hab’ ich noch
-nicht gesehen!“
-
-Die Brüder waren überhaupt Monikas größtes Kreuz; sogar auf
-gesellschaftlichen Veranstaltungen war sie vor ihnen nicht sicher. War
-es etwa nötig, daß sie mit zu dem Wohltätigkeitsbasar „Am Posilipp“
-kamen?
-
-Zuerst war die Mutter geneigt gewesen, Monikas Protest: „Gymnasiasten
-gehörten überhaupt noch nicht auf solche Feste!“, anzuerkennen.
-Aber Alfred hatte die Worte seiner Schwester mit einem Höllenlachen
-aufgenommen.
-
-„Das könnte Dir wohl so passen, mein Kind, dort ohne unsere Aufsicht
-rumzukokettieren?“
-
-Und Heinzemännchen hatte erklärt, daß, da doch nun mal seit Papas Tode
-die ganze Verantwortung auf seinen Schultern läge, er nicht gestatten
-könne, daß Monika ohne ihn diesen Basar mitmache. Außerdem wünsche er
-sich von „dem italienischen Stimmungszauber dort lyrisch anregen zu
-lassen“.
-
-So war denn, Karl ausgenommen, die ganze Familie „Am Posilipp“. So
-hatte der „Frauenverein zum Wohle von Lungenkranken“ sein diesjähriges
-Fest getauft. Von allen möglichen und unmöglichen Standorten herunter
-wehten die weiß-rot-grünen Flaggen Italiens mit dem Wappen des Hauses
-Savoyen.
-
-An den Wänden roh hingeworfene Dekorationen und Bemalungen, die jetzt
-das elektrische Licht verklärend und verschönend übergoß.
-
-Ein buntes, wirres Durcheinander von gut und schlecht angezogenen
-Leuten, von Gesellschaftstoiletten und italienschen Kostümen und auch
-von anderen Volkstrachten.
-
-Mit der Nationalität schien man es nicht so genau zu nehmen.
-
-Die Damen in den Verkaufsbuden waren in jedem Alter und in jedem
-Typ vorhanden. Die einzelnen Buden waren hübsch arrangiert. Die
-feilgebotenen Gegenstände, wie immer bei solchen Gelegenheiten,
-geschmacklose Ware.
-
-Jede ~dame patronesse~ hatte außer den Gehilfinnen in ihrer Bude noch
-eine Anzahl „fliegender Verkäuferinnen“, junge Mädchen, die wie Bienen
-emsig und unerschrocken den Saal durchschwirrten, ihren Vorrat an
-Blumen, Lotterielosen, Zigaretten den Herren anboten und dann von Zeit
-zu Zeit an ihre Verkaufsstände zurückkehrten, zwar nicht wie die Bienen
-mit Blütenstaub, sondern mit Mammon beschwert.
-
-Monika gehörte zu den „Fliegenden“ von Frau von Wetterhelms Blumenstand.
-
-Frau von Wetterhelm war auf allen Wohltätigkeitsveranstaltungen
-bekannt wie ein bunter Hund. Sie kam, sie war da und unterzeichnete im
-„Festausschuß des Ehrenkomitees“: „Frau Oberst von Wetterhelm“. Das
-„geborene Krause“ ließ sie weg.
-
-Das „Frau Oberst“ war eigentlich eigenes Patent.
-
-Sie war von Wetterhelm geschieden worden, als dieser noch Leutnant
-war. Der hatte dann bald darauf zum zweitenmal geheiratet, hatte aus
-dieser zweiten Ehe fünf Kinder und bekümmerte sich nicht im mindesten
-um das Schicksal seiner ersten Gattin, an der er -- wie der bekannte
-Villenkäufer -- nur zwei Freuden erlebt hatte: den Tag, an dem er sie
-bekam, und den Tag, an dem er sie losward!
-
-Auch sie hatte nie mehr versucht, seinen Lebensweg zu kreuzen, aber sie
-avancierte mit! Sobald sie erfuhr, daß ihrem Gatten eine höhere Charge
-zuteil geworden, ließ sie sich neue Visitenkarten drucken. So war
-der „Frau Oberleutnant von Wetterhelm“ im Laufe der Jahre eine „Frau
-Hauptmann“ gefolgt; jetzt war sie bei „Frau Oberst“ angelangt.
-
-Da sie eine auskömmliche Rente hatte und sich um ihren Lebensunterhalt
-nicht zu sorgen brauchte, so verbrachte sie ihre Zeit mit Besuchemachen
-und Teilnahme an Wohltätigkeitsfesten. Bei diesen war sie, wie gesagt,
-gar nicht zu vermeiden, und ebensowenig war es möglich, ihr die
-Blumenbude zu entreißen. „Blumen sind das Poetischste!“ sagte sie, „und
-gerade ich mit den so unendlich schweren Lebensschicksalen, -- ich
-müßte ja verzweifeln, wenn ich mich nicht in die Poesie flüchten würde!
--- -- Das verstehen Sie? Nicht wahr, das müssen Sie verstehn?! -- --“
-
-So behielt sie die Poesie und die Blumenbude und machte gewöhnlich
-recht gute Geschäfte, da sie es verstand, reizvolle, hübsche Mädchen
-und Frauen als Gehilfinnen zu werben.
-
-Als sie vor wenigen Wochen in einer befreundeten Familie Monika kennen
-gelernt, hatte sie dieselbe sofort für den Posilipp dingfest gemacht.
-
-Und Monika war begeistert. Konnte es denn überhaupt etwas Schöneres
-geben, als so losgelöst zu sein vom Zwange des Alltags? Ganz ungetrübt
-war ja ihr Glück nicht wegen der Anwesenheit der Brüder.
-
-Alfred hatte sein brüderliches Ueberwachungsamt zwar gleich im Stich
-gelassen, als eine blonde Neapolitanerin ihm zugelächelt.
-
-Heinzemännchen aber nahm seine Verpflichtung ernster.
-
-Mit unermüdlicher Ausdauer lief er hinter seiner leichtfüßigen
-Schwester her und holte Mama zur Verstärkung, wenn Monika wieder einmal
-allzulange Dialoge mit einem blumenkaufenden Leutnant führte.
-
-Natürlich stachelte diese Ueberwachung Monikas Trotz erst recht; sie
-ärgerte sich in eine förmliche Empörung hinein! Also nicht mal hier
-konnte man ihr Ruhe lassen! War sie denn wirklich so viel schlimmer als
-alle die anderen jungen Mädchen, die sich hier ungestört ihres Lebens
-freuten?!
-
-Was hatte sie denn schließlich begangen? Die paar Flirts, die paarmal,
-wo sie verliebt gewesen war, was sich hauptsächlich auf das Dichten
-guter Verse beschränkt hatte -- --
-
-Eine heiße Zornwelle flutete in ihr empor. Nun erst recht! Wollen doch
-mal sehn, ob wir nicht Heinzemännchen, dem Tugendbold, ein Schnippchen
-schlagen können?!
-
-Mit Blitzesschnelle hatte sie sich in das Leinwandzelt von Fräulein von
-Toring, die als Wahrsagerin fungierte, geflüchtet. Durch einen Spalt
-beobachtete sie Heinrichs ratloses Gesicht; er hatte nicht bemerkt,
-wohin sie so plötzlich entschwunden. Sein bestürzter Ausdruck war so
-komisch, daß Monika sich nur mit Mühe enthielt, laut aufzulachen.
-
-Dann sah sie ihre Mutter zu Heinrich herantreten, der er dann
-anscheinend einen Kriegsplan entwickelte; gleich darauf schwenkte er
-nach links ab, während Frau von Birken das Terrain nach rechts absuchte.
-
-Diesen Augenblick benutzte Monika, um aus dem Zelt zu rasen, die Treppe
-hinauf, die in den ersten Rang führte, wo all die Logen waren; dort
-würde man sich gut verstecken können.
-
-Wie ein Pfeil schoß sie hinauf, bog um die Ecke und prallte so heftig
-an einen Herrn an, daß nur dessen schnelles Zufassen sie vor einem
-Falle bewahrte.
-
-„Na, wohin so eilig?“ fragte er lächelnd.
-
-Monika war zu atemlos, um zu antworten; sie blickte stumm den Fragenden
-an.
-
-Er war ein Kavalier in der Mitte der dreißiger Jahre, ein vollendeter
-Typus des norddeutschen Aristokraten. Er war groß, auf breiten
-Schultern saß ein stolz getragener Hals, ein schmaler Kopf. Er hatte
-die hochsattelige Nase der vornehmen Rassen, kühle graue Augen, einen
-bürstenförmig kurzgeschnittenen Schnurrbart über dem harten Mund. Er
-betrachtete mit Interesse das glühende, schöne Mädchen. „Vor wem sind
-Sie denn auf der Flucht? Vor welchem Argus?“
-
-„Argus stimmt auffallend,“ lachte Monika.
-
-„Hier finden Sie ein tadelloses Versteck.“ Er öffnete die Tür einer der
-Logen, die leer war.
-
-Monika ließ sich auf einen der Stühle nieder.
-
-„Erst mal atmen!“ sagte sie.
-
-Ihr schlug das Herz zum Zerspringen, von dem schnellen Laufen sowohl
-als auch wegen der ungewohnten Situation: allein mit diesem schönen
-Unbekannten, auf drei Seiten von schirmenden Logenwänden umschlossen
-und vor sich den Blick auf des Ballsaals tobendes Gewühl da unten.
-
-Ihre anfängliche Befangenheit schwand schnell bei der überlegen
-sicheren Art, mit der ihr Begleiter das Gespräch führte. Bald vergaß in
-angeregtester Konversation Monika ihre Verkäuferinnenpflichten.
-
-Mit hellem Lachen nahm sie die scharfen Urteile auf, die ihr Begleiter
-über die Leute da unten im Ballsaal fällte.
-
-Er kannte eine Menge Menschen; er nannte die Herren, die sich beflissen
-um die Sektbude der Frau Geheimen Kommerzienrat von Dresdener
-drängten und nannte ihr auch die Summen, mit denen diese Herren den
-adelsfreundlichen Kommerzienrat angepumpt.
-
-Das rosa Mullkleid der Gräfin Himmlingen-Wolfsfeld war wahrhaftig
-jugendlicher als das ihrer jüngsten Enkelin, die im Nebensaale
-verkaufte.
-
-Die jungen Mädchen, welche eben in einer Rotte von etwa einem Dutzend
-auf den Prinzen Balduin losstürzten, den seine riesenhafte Gestalt und
-der Hausorden des Hauses Hohenzollern weithin kenntlich machten, glich
-einer Horde von Haifischen, „ja, den Haifischen bei Saint-Thomé“.
-
-„Haben Sie die selbst gesehn?“ fragte Monika interessiert.
-
-„Ja, bei Saint-Thomé am Aequator. Das Wasser ist dort so sonderbar
-durchsichtig wie Glas. Bei fünfzehn Meter Tiefe sieht man noch den
-Grund, sieht all das Tierzeug, besonders viel Haifische. Und wenn
-einer von uns an Bord unserer Jacht bei den Schießübungen, die wir
-aus Langerweile anstellten -- wir schossen auf die Haie in der Tiefe
--- dann so eine Bestie traf, dann stürzten die anderen Haie mit
-unnennbarer Gier über ihn her. Grad’ wie dort unsere jungen Damen über
-den Prinzen Balduin.“
-
-Monika lachte diesmal nicht.
-
-„So klar ist das Wasser dort?“ fragte sie.
-
-Ihre Stimme hatte plötzlich etwas Träumerisches bekommen.
-
-„O Gott, so tief kann man da hinuntersehn -- --? Wie durch Glas? Wie
-durch Kristall? -- Und all die Geheimnisse der Tiefe sind plötzlich
-aufgetan? Man sieht die grünen Algen und die Korallenbäume, rosa und
-weiß, tausendfach verästelt. Und die Quallen, jene sonderbaren Wesen,
-die halb Blumen sind und halb Tiere, treiben dahin und leuchten wie
-Opale und Amethysten -- --“ Ihre Augen schauten sehnsüchtig vor sich
-hin.
-
-„Sie dichten ja,“ sagte er erstaunt, lebhaft interessiert von dem
-Geist, der in diesem jungen Gesichte war und den Ausdruck dieser Züge
-so oft wechseln ließ.
-
-„Sind Sie zu Jagdausflügen in die Tropen gegangen?“
-
-Monikas Phantasie ließ sie in ihrem Begleiter einen Nabob vermuten,
-einen Globetrotter, der nur der Haifische wegen nach Saint-Thomé fuhr.
-
-Er lächelte ein wenig sarkastisch. „Nein, mein gnädiges Fräulein, ich
-war dienstlich drüben, als Vize-Konsul.“
-
-„Ach wie interessant! Und wie schön gefährlich es drüben sein muß. Sind
-Sie oft krank gewesen? -- Malaria?“
-
-Er lachte. „Nein, ich muß Sie enttäuschen. Es war nicht der Rede wert.
-Ueber achtunddreißig Grad hat es mein Thermometer nicht gebracht! Wir
-alle in der Familie sind so widerstandsfähig!“
-
-Unwillkürlich reckte er seinen schönen, kräftigen Körper noch höher
-empor.
-
-Sie warf ihm einen bewundernden Blick zu, sagte aber trotzdem: „Ich
-denke es mir eigentlich nett, hohes Fieber zu haben und schöne
-Fieberphantasien!“
-
-„Ihre Anschauung ist ebenso originell wie unzutreffend. Fieber ist
-natürlich häßlich wie jede Krankheit, häßlich wie alles, was den
-Menschen aus dem seelischen oder körperlichen Gleichgewicht bringt.“
-
-„O, Gleichgewicht ist so langweilig!“ sagte Monika. Ihre Augen und
-Zähne blitzten; sie fühlte ein starkes Bewußtsein von Kraft sie
-überfluten, wie immer, wenn sie sich gegen die Norm auflehnte. Und
-wie immer verbiß sie sich in den einmal gefaßten Gedanken, drehte
-und wendete ihn, zeigte ihn in verschiedenen Beleuchtungen wie einen
-Edelstein, auf dessen Schleiffläche man das Licht fallen läßt.
-
-Sie sagte: „Das Gleichgewicht? Schrecklich ist das! Das schließt ja
-von vornherein alles aus, um das es sich lohnt zu leben: jeden Rausch
-schließt es aus, jedes Wunder schließt es aus.“
-
-Der sarkastische Zug um seine Mundwinkel vertiefte sich.
-
-„Glauben Sie an Wunder?“
-
-„Ja.“
-
-Sie war hinreißend schön in diesem Augenblick; ihre Züge waren wie
-verklärt vom heißen Glauben der Jugend, dem nichts unmöglich scheint,
-nichts unerreichbar. Der sich Wunder schafft mitten im grauen Alltag.
-
-„Möglich, daß Sie beneidenswert sind,“ sagte er. „Ich habe nie an
-Wunder geglaubt, ich bin ein nüchterner Mensch, an allzuviel Phantasie
-leidet meine ganze Familie nicht.“
-
-Dann ging das Gespräch weiter. Monikas elektrische Art ließ den Mann
-mehr aus seiner norddeutschen Reserve heraustreten, als er sonst wohl
-tat. Er fühlte sich angeregt wie selten, im Banne dieser dunkeln Augen,
-dieses lachenden, roten Mundes, der frühreif geistreiche und kindisch
-dumme Sachen durcheinanderplauderte.
-
-Er hätte gern gewußt, welchen sozialen Kreisen Monika angehörte; ihr
-Wesen und ihre Bildung ließen auf beste Herkunft schließen, aber
-zwischendurch äußerte sie mal plötzlich eine Frivolität oder eine recht
-naturalistische Auffassung, die nicht zu dieser Vermutung passen wollte.
-
-Jedenfalls war sein Ton dadurch freier zu ihr, als er es gewesen wäre,
-wenn er ihr in einer Privatgesellschaft vorgestellt worden.
-
-Er überlegte gerade, ob er sie um ein Rendezvous bitten solle, als die
-Logentür heftig aufgerissen wurde.
-
-Monika fuhr mit einem halblauten Schreckensschrei zusammen; sie
-vermutete einen Racheengel in der Gestalt von Heinzemännchen, der
-sie zwar nicht mit flammendem Schwerte, aber mit der Drohung von der
-„verletzten Familienehre“ aus diesem Paradiese vertreiben würde. Aber
-es war nur ein Artillerieleutnant mit liebebedürftigem Gemüt, der sich,
-eine üppige, schwarzgelockte Pseudo-Italienerin am Arme, in diese
-Logen-Einsamkeit zu flüchten suchte. Enttäuscht klappte er die Tür
-gleich wieder zu.
-
-Man blieb von neuem allein, aber in Monika regte sich nun doch das
-Gewissen; sie raffte den Korb mit den Rosen auf, der die ganze Zeit
-ihr zu Füßen gestanden, und bezichtigte sich selbst einer schreienden
-Herzlosigkeit gegenüber den unglücklichen Lungenkranken. Da sitze sie
-nun seit einer guten halben Stunde hier, statt ihre Blumen zu verkaufen.
-
-„Bitte, bitte, bleiben Sie doch,“ bat er, „ist es denn wirklich ein
-größeres Vergnügen, sich da drunten abzuhetzen und allen möglichen
-Leuten Rosen anzubieten?“
-
-„O, sicher ist es hübscher hier,“ sagte Monika mit naiver
-Offenherzigkeit, „aber meine Rosen -- --“
-
-„Ich kaufe sie Ihnen alle ab, dann bekommen die Lungenkranken auch ihr
-Scherflein, und Sie brauchen sich nicht anzustrengen, sondern bleiben
-noch ein bißchen hier und erzählen mir von den Wundern, an die Sie
-glauben!“
-
-Monika war unschlüssig. Sie wußte nicht, ob der vorgeschlagene Handel
-korrekt war. Aber sie ließ es geschehen, daß der Unbekannte ihr die
-Rosen aus dem Körbchen nahm und eine Banknote dafür hineinschob.
-
-Und sie blieb mit schlechtem Gewissen, in Angst vor Strafe, -- aber sie
-blieb. Und fühlte sich selig wie noch nie im Leben! Es war ihr förmlich
-ein körperliches Wohlgefühl, in diese kalten, grauen Augen zu sehn,
-diese scharfe, ans Befehlen gewöhnte Stimme zu hören.
-
-Noch eine Viertelstunde..... und noch eine.... Aber endlich rang sie
-sich es doch ab, wieder hinunterzuwollen an die Stätte der Pflicht, den
-Verkaufsstand ihrer ~dame patronesse~.
-
-„Wirklich, -- wirklich, ich muß jetzt weg.“
-
-Sie stand vor ihm, in so offenbarer Betrübnis, diesem Beieinandersein
-ein Ende machen zu müssen, daß ihm ganz warm ums Herz wurde.
-
-„Wie schade,“ sagte er, „wie sehr schade. Wollen Sie mir nicht
-wenigstens noch etwas verkaufen zum Wohl der Armen?“
-
-„Aber ich habe Ihnen ja alle meine Blumen gegeben,“ sagte sie erstaunt.
-
-„Nein, nein, da ist noch eine Rose, die ich gern pflücken möchte, die
-schönste Blume von allen...“
-
-Er sah so verlangend auf ihren Mund, -- und eine heiße Glutwelle der
-Scham und des Entzückens überflutete Monikas Gesicht, tauchte es in
-Glut bis in die kleinen Ohren hinein.
-
-In holdester Verlegenheit stand sie vor ihm. Kein Laut kam über ihre
-Lippen. Und auf diese Lippen legte sich mit warmem Druck sein Mund.
--- -- -- --
-
-Eine Sekunde später stürmte Monika davon, die Treppe hinunter; wie
-gehetzt kam sie in Frau von Wetterhelms Bude an, die sie im Verlaufe
-des Festes nicht mehr verließ. Sie sei zu müde, um noch einmal die Säle
-zu durchkreuzen.
-
-Am liebsten wäre sie überhaupt fortgelaufen, hätte sich irgendwo in
-die Einsamkeit vergraben, um all die geheimnisvolle Seligkeit in sich
-nachbeben zu lassen, die sie bei dem Kusse des Unbekannten empfunden.
-
-O, fort von hier aus diesem Lärm und Gewoge. Allein sein.. die Augen
-zumachen.... und in Gedanken die kühlen, grauen Augen noch einmal vor
-sich sehen.
-
-Aber natürlich mußte sie dableiben. Frau von Wetterhelm hätte ihrer
-neuesten Akquisition einen so frühzeitigen Abschied nie erlaubt.
-Außerdem war weder Mama noch einer ihrer Brüder zu erblicken. Wer weiß,
-wo die sie jetzt suchten!
-
-So stand denn Monika da in der Blumenbude, umgeben von all dem bunten,
-üppigen Blumenflor. Wie traumverloren sah sie in das Gewühl der Gäste.
-Aber trotz dieser Teilnahmslosigkeit wirkte sie entschieden anziehend;
-immer neue Besucher traten an ihren Tisch. Und Frau von Wetterhelm
-bedachte jeden der Kaufenden mit ihrem wohlwollenden Lächeln. -- --
-
-Dann fing die Feststimmung langsam an abzuflauen. Die verkaufenden
-Damen wurden müde, ganze Scharen von Besuchern drängten schon nach dem
-Ausgang.
-
-Die Musikkapellen, die noch vor wenigen Stunden so überzeugt schmelzend
-das „~Bella Napoli~“ gebracht, ließen in ihrem Spiele eine gewisse
-Ermüdung merken. Auf die Feststimmung begann sich die beginnende
-Abspannung zu legen, das lähmende Bewußtsein des überschrittenen
-Höhepunktes.
-
-Monikas reizbare Nerven empfanden diese Stimmung; wie ein Aschenflor
-legte es sich über ihr eben noch so heißes Empfinden. Mit nervösen
-Händen wühlte sie in den halbwelken Blumen, die vor ihr lagen, atmete
-den ersterbenden Duft ein, der all diesen kühlen Blütenkelchen entstieg.
-
-Plötzlich zuckte sie zusammen. Unter den Leuten, die dem Ausgang
-zustrebten, hatte sie die hohe Gestalt ihres Freundes aus der Loge
-erkannt.
-
-Spontan wich sie bis ganz in den Hintergrund des Verkaufsstandes
-zurück, eine Beute der widerstrebendsten Empfindungen. Sie wollte
-nicht, daß er sie bemerke -- und trotzdem war eine herzklopfende Angst
-in ihr: „wenn er jetzt fortgeht, ohne mich zu sehen, dann seh’ ich ihn
-nie mehr wieder.“
-
-Da schlug die scharfe Stimme von Frau von Wetterhelm an ihr Ohr.
-
-„Vetter Georg, -- Vetter Georg!“ rief sie mit einer so lauten
-Ungeniertheit, daß sich ein halbes Dutzend Köpfe nach ihr umdrehten.
-
-Und dann -- war es Wirklichkeit? Der Unbekannte trat heran und beugte
-sich über die Hand von Frau von Wetterhelm. Sie begrüßte ihn mit einem
-wahren Wortschwall.
-
-„Welche Freude, Sie endlich mal wiederzusehen, Vetter Georg. Ich hörte
-schon, daß Sie jetzt hier in der Wilhelmstraße arbeiten. Aber zu mir
-haben Sie den Weg natürlich noch nicht gefunden.“
-
-„Aber gnädigste Cousine,“ wehrte er ab, „ich bin erst seit so kurzer
-Zeit hier -- --“
-
-Plötzlich fiel sein Blick auf Monika, die sich ganz in einer Ecke
-versteckt hatte.
-
-„Darf ich bitten, mich vorzustellen?“
-
-„Aber mit dem größten Vergnügen. Fräulein von Birken, darf ich Ihnen
-den Konsul von Wetterhelm präsentieren -- --“
-
-Monika erwiderte die tiefe Verbeugung des Konsuls mit einem sehr
-verlegenen Kopfnicken. Ihre sonstige Schlagfertigkeit war wie weggeweht.
-
-Die ~dame patronesse~ wunderte sich innerlich nicht wenig, mit welcher
-Einsilbigkeit das sonst so sprühende Mädchen auf die Unterhaltung des
-Konsuls einging. Kein Wunder, daß sich der so bald verabschiedete.
-
-„Er ist ein so interessanter Mensch,“ sagte sie nachher zu Monika,
-„ich höre ihn gar zu gern, obwohl er leider ein bißchen spöttisch ist.
-Ob ich nahe verwandt mit ihm bin? -- Oh nein, er ist im vierten oder
-fünften Grade mit meinem gewesenen Mann verwandt. -- -- Er ist ein ganz
-hervorragender Mensch; ich glaube, er hat eine glänzende Karriere vor
-sich. Ich muß doch mal sehen, ob ich nicht eine passende Frau für ihn
-finde.“
-
-Frau von Wetterhelm versank in Nachdenken und musterte innerlich ihren
-Bekanntenkreis. Es war die größte Leidenschaft ihres Lebens, Heiraten
-zu stiften.
-
-„Vielleicht die Komtesse Lerk-Eichenbruch,“ sagte sie nach einer Weile
-gedankenverloren. „Gott, natürlich wird sie sehr diffizil in ihrer
-Wahl sein. Sie ist die einzige Tochter vom Gesandten und eine geradezu
-blendende Schönheit, -- aber Vetter Georg kann auch was verlangen! Bei
-den Aussichten, die er hat -- und ein selbständiges Vermögen von seinem
-verstorbenen Vater hat er auch. -- Uralter Name und solch auffallend
-gut aussehender Mensch wie er ist. Nicht?“
-
-Monika antwortete nicht. Ihre kleinen, weißen Hände zerrissen nervös
-die welken, roten Rosen.
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-8.
-
-
-Die Folge dieses Wohltätigkeitsabends war für Monika erstens mal, daß
-sie ein Gedicht verfaßte, in welchem sehr viel von kalten Augen und
-heißen Lippen die Rede war.
-
-Sie brachte das Gedicht selbst in die Redaktion des Leuchtturms und
-Doktor Waldmanns Kritik war verblüffend:
-
-„Sie haben bisher mit Tinte geschrieben, gnädiges Fräulein, aber dieses
-Gedicht ist mit Herzblut geschrieben!“ -- ein Urteil, das Monika zwar
-schmeichelte, sie aber doch zu einem lauten Gelächter veranlaßte.
-
-Uebrigens wurden von jetzt ab ihre Besuche auf dem Leuchtturm
-seltener; unwillkürlich verglich sie immer wieder das ungezwungene und
-ungezügelte Wesen der dortigen Kunstjünger mit dem strafferen Wesen
-des Herrn von Wetterhelm. Der leuchtete von jetzt ab in ihren Gedanken
-als Stern. Aber dem „Die Sterne, die begehrt man nicht“ hatte sie nie
-gehuldigt. Im Gegenteil! -- sie begehrte gerade die Sterne, -- waren
-nicht jene fernen Himmelsblumen tausendmal lockender als die Blumen am
-Wegrand? -- Wenn sie nur gewußt hätte, wie sie ihren Stern wiedersehen
-könne!
-
-Bei den zwei Bällen, die Monika bald nach dem Basar mitmachte,
-behandelte sie ihre Tänzer schlecht. Sogar zu den Leutnants, denen
-sie sonst einen entschiedenen Vorzug vor dem Zivil einräumte, war sie
-ungnädig, -- alles zu höheren Ehren ihres Sterns!
-
-Wie unendlich freudig überrascht war sie, als sie ein paar Tage darauf
-diesen unerreichbaren Stern in höchsteigener Person ihr entgegenkommen
-sah, als sie aus dem Kursus kam.
-
-Sie ging mit ihrer Cousine Bertha, die, als Herr von Wetterhelm grüßend
-vorbeigeschritten, aufs höchste interessiert fragte: „Was ist denn das
-für ein schneidiger Mensch?“
-
-„Was Du immer für Ausdrücke hast,“ sagte Monika unwirsch. Sie war
-ärgerlich, daß sie mit Bertha zusammen ging. Vielleicht hätte ihr Stern
-mit ihr gesprochen, wenn sie allein gewesen wäre.
-
-Und diese Hoffnung veranlaßte sie, sich in den nächsten Tagen beim
-Nachhausewege streng zu isolieren. Nach dem Schlusse des Unterrichts
-trödelte sie herum, brauchte unglaubliche Zeit, um ihre Mappe zu
-packen, und legte es darauf an, als letzte das Schulgebäude zu
-verlassen.
-
-Vier, fünf Tage ging das so. Eine nervöse Erwartung spannte während der
-ganzen Zeit ihre Nerven an, machte sie unzufrieden und melancholisch
-wie nie zuvor. Aber dann kam doch ein Tag, an dem ihr wieder ihr Glück
-lächelte und ihr Stern.
-
-Herr von Wetterhelm kam langsam daher, begrüßte sie gemessen. Es lag
-nicht in seiner Art, Empfindungen zu zeigen, und seine Beherrschtheit
-wirkte abkühlend auf Monika, deren ganzes Wesen aufgeflammt war, als
-sie den Ersehnten erblickt.
-
-„Nun, wohl nicht sehr lange mehr bis zum Doktorexamen?“ neckte er
-lächelnd.
-
-„Woher wissen Sie überhaupt, daß ich studieren will?“
-
-„Von meiner Cousine Wetterhelm.“
-
-„Haben Sie die denn nun endlich mit dem Besuch beglückt, um den sie
-bat?“
-
-„Ja, ich mußte schon.“
-
-„Sie scheinen alte Damen nicht zu lieben?“
-
-„Das können Sie nicht verlangen! Alte Damen müssen schon sehr
-geistreich oder sehr liebenswürdig sein, um sich ihr Alter verzeihen zu
-lassen.“
-
-„O je, sind Sie scharf!“
-
-„Desto besser! Wir Deutschen sind überhaupt viel zu wenig scharf. Der
-Michel hat nun mal eine Anlage zur Träumerei, zum Philosophieren.“
-
-„Und ist’s denn nicht etwas wunderbar Schönes ums Philosophieren?“
-
-„O, wenn man es mit Maß tut... Aber es artet leicht aus. Alles mit Maß!“
-
-„Da sind Sie schon wieder bei Ihrer Theorie von der weisen Mäßigung.
-‚Die goldene Mittelstraße‘ nennt man’s, nicht wahr? Aber die ist
-doch unnatürlich! Die will doch die Natur selber nicht! Mäßigt sich
-denn etwa die Natur? -- Die hat doch den Blitz und Sturm und Toben,
-zerschellende Weltkörper und ein Uebermaß von Blüten...“
-
-„Wir dürfen aber nicht nur die Natur sprechen lassen. Wir müssen uns an
-ihre jüngere und gesittetere Schwester halten: an die Kultur!... Was
-sollte denn sonst aus unseren Institutionen werden, aus unserem Volke,
-aus unserem Staat?“
-
-„Unser Volk... unser Staat! Als ob das wichtig wäre!... Was spielt denn
-das für eine Rolle in der Entwicklungsgeschichte? Ein Menschengeist
-kann sich doch nicht an politische Grenzen halten, kann es doch nicht
-wichtig finden, was aus dem Staat wird! Der floriert eben... oder geht
-zugrunde.. wie andere Staaten auch.“
-
-„Feuerköpfchen, Sie sind doch noch sehr jung,“ lächelte der Konsul.
-
-Aber lächelnde Ironie vertrug Monika nicht. Sie machte eine ihrer
-Lieblingsgesten: warf den Kopf ins Genick: „Diese Kritik ist keine
-Widerlegung meiner Ansichten; daß diese keine Berechtigung haben,
-werden Sie doch wohl nicht zu behaupten wagen.“
-
-„Ich lasse jedem seine Ansichten,“ sagte er sehr kühl. „Was mich
-anbetrifft, so bin +ich+ jedenfalls von der Notwendigkeit eines
-nationalen Bewußtseins für den Menschen vollkommen überzeugt. Ich fühle
-mich als Deutscher, wie meine Vorfahren es taten. Ich diene mit allen
-Kräften meinem Vaterlande, denn das ist meine Pflicht -- und meine gern
-erfüllte Pflicht!“
-
-„Pflicht!“ sagte Monika und legte die ganze bodenlose Verachtung, die
-sie für diesen Begriff empfand, in ihre kindliche Stimme.
-
-„Ja, Pflicht, das Herbste und Köstlichste, was es gibt!“ sagte er. Sein
-schmales, rassiges Gesicht versteinerte förmlich, seine harten Züge
-schienen wie aus Erz gegossen.
-
-„Ich finde: man sollte seinen Neigungen folgen, nicht seiner Pflicht.
-Die weite Bahn, die sich dann vor einem auftut, ist...“
-
-„Eine schiefe Ebene.“
-
-Sie suchte krampfhaft nach einer ebenbürtigen Entgegnung, die
-sie diesen drei Worten, die wie drei Dolchstiche waren, hätte
-entgegensetzen können. Aber ehe sie etwas gefunden, hatte sich der
-Ernst ihres Begleiters gemildert, ein liebenswürdiges Lächeln teilte
-seine schmalen Lippen.
-
-„Aber sagen Sie, gnädiges Fräulein, ist es nicht wirklich zu
-unvernünftig, daß wir mit abstrakten Erörterungen dieses Wiedersehen
-feiern, über das ich mich so freue.“
-
-„Ich mich ja auch...,“ sagte sie, plötzlich ganz weich und lieb. Und
-wie ein Hauch kam es in verräterisch scheuem Tone von ihren Lippen:
-„So sehr freue ich mich...“
-
-Dann gingen sie langsam weiter. Monika machte einen großen Umweg, um
-nach Hause zurückzukehren.
-
-Ob sich die Mutter inzwischen beunruhigte, war ihr ja so gleichgültig!
-
-Die Schelte, die sie heute wegen der großen Verspätung bekam, machte
-ihr keinen besondern Eindruck. Wohl war es ihr unangenehm, aber
-schließlich: es war unwichtig, kam nicht auf gegen das Glücksgefühl,
-das sie durchflutete! Sie hatte ihn wiedergesehen!
-
-Ob er wohl ihretwegen vors Gymnasium gekommen war?... Oder war es sein
-Weg?... War es nur ein Zufall?... Ein Gefühl von Enttäuschung wollte
-bei diesem Gedanken in ihr aufsteigen, aber das kämpfte sie nieder.
-
-„Nein, nein, er kam meinetwegen! Und wenn er nicht meinetwegen kam,
-dann will ich’s wenigstens glauben -- dann ist es gerade so süß!“...
-
-In den Unterrichtsstunden zeichnete sie sich von jetzt ab durch völlige
-Geistesabwesenheit aus. Ihre Liebe verschlang jedes andere Gefühl,
-jeden anderen Gedanken. Wie lächerlich winzig erschienen ihr die
-Neigungen, die sie früher gehabt, gegenüber dem übermächtigen Gefühl,
-das sie jetzt durchflutete.
-
-Uebrigens wußte sie gar nicht, was sie eigentlich an Wetterhelm
-so liebte. Gewiß: er war ein schöner, vornehmer Mann, aber seinen
-Anschauungen vermochte sie so gar keinen Geschmack abzugewinnen. Und
-seine ewige Gemessenheit störte sie geradezu.
-
-Weit entfernt, sie mit Komplimenten zu überschütten, wie es andere so
-oft getan, blieb er gleichmäßig kühl. Auch das nächstemal, als sie ihn
-traf -- sieben lange Tage hatte sie umsonst darauf gehofft -- und er
-wieder neben ihr herschritt.
-
-„Lange nicht gesehen,“ sagte Monika mit erkünsteltem Gleichmut.
-
-„Ich hatte dienstlich viel zu tun.“
-
-„Bleiben Sie noch lange in Berlin?“
-
-„O nein, ich hoffe bald einen vernünftigen überseeischen Posten zu
-bekommen, recht bald.“
-
-„So...?“
-
-„Recht bald“ hatte er gesagt... also: ihn hielt nichts in Berlin... gar
-nichts!
-
-Aufsteigende Tränen verdunkelten Monikas Blick. Sie sprach kein Wort.
-
-Also, er „hoffte“ recht bald wegzugehen -- dann war ihr überhaupt alles
-gleichgültig!
-
-Alles... und wenn die Welt einstürzte...
-
-Und sogar das war ihr gleichgültig, daß plötzlich, kaum auf fünfzehn
-Schritt Entfernung, Heinzemännchen daherkam!
-
-Der zuckte überrascht zusammen, als er des Paares ansichtig wurde, dann
-drehte er, ohne gegrüßt zu haben, um und rannte spornstreichs den Weg
-nach Hause zurück, den er eben gekommen...
-
-Natürlich würde er nun „petzen“.
-
-Aber mochte er nur -- es war ja alles, alles gleichgültig, wenn Georg
-von Wetterhelm jetzt fortging und sie ihn nicht mehr wiedersah!
-
-Es war, als ob jeder Tropfen Blut in ihr erstarrte.
-
-„Was Sie für kalte Hände haben,“ sagte beim Abschiedshändedruck der
-Konsul. In seiner Stimme klang dabei eine heimliche Zärtlichkeit.
-
-Aber das merkte sie gar nicht mehr in der eisigen Hoffnungslosigkeit,
-die über sie gekommen.
-
-[Illustration]
-
-Der Empfang zu Hause war noch schlimmer, als Monika ihn sich gedacht.
-Die Baronin rang die Hände. Hatte sie das um Monika verdient? Daß
-Monika sich von einem Herrn begleiten ließ, von einem ihr gänzlich
-unbekannten Herrn, von dem Heinzemännchen überhaupt nicht wußte, wer er
-sei!
-
-„Es war mein Mathematiklehrer, Professor Herrmann war’s,“ sagte Monika
-kalt.
-
-Aber wie ein Racheengel richtete sich Heinzemännchen in seiner ganzen,
-schlaksigen Höhe auf. „Das war kein Mathematiklehrer -- das war ein
-Gentleman!“ sprach er mit Donnerstimme. „Und soll ich Dir sagen, was
-das Ganze war? Das war ein Rendezvous!“
-
-Er ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen.
-
-„Monika,“ sagte er, und seine Stimme kickste über, „hast Du denn gar
-nicht an mich gedacht?“
-
-„O nein,“ sagte Monika höflich.
-
-„Hast Du nicht daran gedacht, daß seit Papas Tode die ganze
-Verantwortung auf meinen Schultern ruht? Daß Du mir das antun kannst,
-Monika...“
-
-„O, mein Geliebtes,“ rief Frau von Birken, indes sie ihren Sohn an sich
-zog, „rege Dich nicht auf, mein Geliebtes! Es kann Dir schaden!...
-Aber recht hast Du, das kann ich nicht anders sagen!... Monika, es ist
-unerhört von Dir! Dies Betragen geht über alle Grenzen hinaus... Du
-bist ein verlorenes Geschöpf, Monika!... Von einem Herrn läßt Du Dich
-begleiten auf dem Nachhausewege, statt von Deiner Cousine Bertha!...
-Die würde ihrer Mutter so etwas nicht antun!... Warum habe ich von
-allen Müttern gerade das Unglück? Aufgeopfert habe ich mich für Euch,
-mein ganzes Leben hindurch, und das ist nun der Dank!... Monika, wie
-kannst Du Dich so benehmen? Wo hast Du je ein solches Beispiel vor
-Augen gehabt? Habe ich je so etwas getan?“
-
-Monika zuckte mit den Achseln.
-
-„Was? Du zuckst mit den Schultern? Willst Du damit sagen, daß ich je so
-etwas getan hätte?... Monika, nie hättest Du mir das antun können, wenn
-Du auch nur einen Funken von meinem Gemüt geerbt hättest...“
-
-Sie unterbrach sich, denn ihre Tochter war aufgestanden, ging wortlos
-aus dem Zimmer; gleich darauf hörte man, wie sie sich im Schlafzimmer
-einschloß.
-
-Ein fassungsloser Schmerz schüttelte ihren jungen Körper: sie hatte
-selbst nicht gewußt, mit welch elementarer Leidenschaft sie jenen
-schönen, kühlen Mann liebte. Immer wieder rang sich ihre Vernunft
-dazu durch, ihr zu sagen: Du kennst ihn ja kaum... Was kann er dir
-sein?... Was geht es dich an, ob er abreist?... Aber wenn sie an sein
-Fortgehen dachte, krampfte sich ihr Herz immer von neuem in rasendem
-Schmerz zusammen; immer von neuem zuckte sie in gewaltsam unterdrücktem
-Schluchzen.
-
-Und nichts tun zu können, um das Glück zu erzwingen! -- Nichts tun zu
-dürfen, um das Glück festzuhalten -- nichts!
-
-Uralte Satzung und auch ihr eigenes weibliches Gefühl verdammten sie zu
-stummem Warten.
-
-Warten!... Nichts weiter!... Hoffend und fürchtend warten, ob das Glück
-kommt in seiner Sonnenpracht -- oder ob es am Horizont ihres Lebens nur
-ferne vorüberleuchten würde, wie ein fallender Stern.
-
-Sie litt so sehr unter diesem nagenden Zweifel, daß ihr sonstiger
-Uebermut wie weggeweht erschien.
-
-Herr von Wetterhelm, der sie nach einigen Tagen wieder in der Nähe des
-Gymnasiums erwartete, fand sie verändert, blasser als sonst, einen
-schmerzlichen Zug um den schönen Mund, ihr ganzes Wesen von einem Hauch
-von Nervosität durchtränkt, den es sonst nicht gehabt.
-
-Auf seine Fragen antwortete sie ausweichend. Er gab sich wärmer als
-sonst. Dieses tragische Gesichtchen erweckte Beschützergefühle in ihm.
-
-„Soll ich morgen um dieselbe Zeit wieder hier sein?“ fragte er.
-
-Sie zögerte mit der Antwort. Dann endlich:
-
-„Mein Bruder hat mich neulich mit Ihnen gesehen, und ich habe Schelte
-bekommen.“
-
-Eine Blutwelle stieg ihm ins Gesicht. „Das ist auch ganz richtig.
-Es ist auch nicht korrekt von mir. Ich wollte Sie schon sowieso um
-die Erlaubnis bitten, bei Ihrer Mutter Besuch machen zu dürfen. Wann
-empfängt sie?“
-
-„O, Mama hat gar keinen ~jour~,“ sagte Monika verlegen. Sie fand
-die Aussicht, ihren Freund bei sich zu Hause begrüßen zu können,
-durchaus nicht beglückend... Da war Mama und die Jungen, die so auf
-sie aufpaßten. Und man würde nie über ein vernünftiges Thema sprechen
-können... Und jeder Blick würde beobachtet werden... Und dann: zu
-Hause war es gar nicht mehr elegant. Man war sehr zurückgegangen seit
-den Sarkower Tagen. Nicht mal einen Diener hatte man, bloß so ein
-dummes „Mädchen für alles“... Gewiß würde der Haushalt den Konsul sehr
-enttäuschen. Wer weiß, wie verwöhnt er war!...
-
-So schwieg sie, statt eine Antwort zu geben.
-
-Und schauderte doch zusammen vor Glück, als er sagte:
-
-„Ich komme übermorgen um eins.“
-
-[Illustration]
-
-Zu Hause gelang es ihr, den bevorstehenden Besuch als ganz
-gleichgültige, gesellschaftliche Förmlichkeit hinzustellen. Sie sagte,
-daß Frau von Wetterhelm ihr diesen Vetter auf dem Basar vorgestellt,
-sie habe ihn neulich zufällig auf der Straße getroffen, und er habe
-gesagt, daß er diesen Sonntag Besuch machen wolle.
-
-Die Baronin war von dem Besucher nicht sehr entzückt. Er war ihr zu
-förmlich gewesen. Eine knappe Viertelstunde hatte er im Salon gesessen,
-und während dieser Viertelstunde hatte Frau von Birken das unangenehme
-Gefühl, daß er auf die abgestoßene Ecke des schwarzen Tisches sah, und
-wenn er mal die Augen wo anders hinwendete, so blickte er entschieden
-suchend auf den fehlenden Henkel der blauen Sèvresvase.
-
-Monika hatte still wie eine Puppe auf ihrem Stuhl gesessen und kaum die
-Augen aufgeschlagen. Sie war im Banne der brüderlichen Ueberwachung.
-Alfred, der sonst an Sonntagen spurlos verschwand, war zu Hause
-geblieben, und Heinzemännchen, der einen endlos langen schwarzen
-Gehrock trug, den er sich angeschafft hatte, um würdiger und älter zu
-erscheinen, bewachte sie wie ein Höllendrache. Kurz: Monika war ehrlich
-unglücklich, als Wetterhelm sich verabschiedet.
-
-Sie spähte hinter den heruntergelassenen Stores hindurch, um ihn noch
-einmal zu sehen. War’s Einbildung -- oder ging er wirklich nicht ganz
-so straff wie sonst -- den Kopf wie gedankenverloren ein wenig gesenkt?
-
-In der Tat war es ein intensives Nachdenken, das Georg Wetterhelm
-erfüllte, ein Zwiespalt von Gedanken und Gefühlen.
-
-Sein Leben war bisher in so glatten Bahnen verlaufen, er hatte nach
-dem Programm gelebt, das er sich selbst von seinem Leben entworfen.
-Er hatte seine Examina gut bestanden, war Rittmeister der Reserve
-bei den Garde-Ulanen; seine Gesundheit war ausgezeichnet, seine
-Vermögensverhältnisse rangiert. Er hatte gute Zukunftsaussichten,
-hoffte, später in die Diplomatie übernommen zu werden. Er hatte die
-Absicht, seine Konnexionen durch eine passende Heirat zu verstärken.
-
-Und nun sollte sein Lebensplan aus der Ordnung gebracht werden durch so
-einen süßen Wildfang, durch dieses hübsche, geistreiche, ungebärdige
-Persönchen, das neulich auf dem Basar sein kühles Wesen ganz mit
-Glut erfüllt. Sie hatte ihm einen Eindruck gemacht, wie er sich kaum
-erinnerte, ihn je empfangen zu haben. Und doch entsprach sie auch nicht
-im mindesten dem Bilde, das er sich in Gedanken von seiner zukünftigen
-Lebensgefährtin gemacht. Er fand sie zu jung, zu ungezügelt, mit einem
-bedenklichen Hang, eigene Wege zu gehen.
-
-Er hatte sich das alles gleich nach ihrer ersten Begegnung gesagt, aber
-die Wirkung, die sie auf ihn gehabt, war eine zu mächtige gewesen.
-
-Vorläufig war noch kein Wort gefallen, das ihn an sie band -- noch kein
-Wort, das überhaupt seine Gefühle verraten hätte. Aber sich selbst
-hatte Wetterhelm längst gestanden, daß er sie liebte.
-
-Freilich... ob es nicht besser war, dieser Liebe nicht nachzugeben?
-Abreisen und den Weg zu gehen, den er sich vorgezeichnet...
-
-Schließlich, es war ja zu dumm, daß ein nettes Mädel einfach seine
-ganzen Zukunftspläne verändern sollte! Er war doch kein törichter
-junger Mensch mehr, sondern ein zielbewußter, ernster Mann.
-
-Und dieser Besuch, den er eben gemacht, war nicht dazu angetan gewesen,
-seine Heiratspläne zu fördern. Gegen den Namen war ja nicht das
-mindeste einzuwenden. Die Birkens waren Uradel wie die Wetterhelms.
-Aber dieser Birkensche Haushalt, den er eben kennen gelernt, hatte
-so gar nichts mit der Durchschnitts-Lebensführung einer deutschen
-Aristokratenfamilie zu tun!
-
-Monikas Mutter schien recht freien Anschauungen zu huldigen, was
-sich schon aus der Art erhellte, in der die halbwüchsigen Söhne die
-Konversation führten. Und auch die Idee mit Monikas Studium lag
-Wetterhelm gar nicht.
-
-Nein, eine solche Heirat würde ein dummer Streich sein. Und sehenden
-Auges einen dummen Streich machen, das tat man nicht, wenn man Georg
-Wetterhelm war.
-
-Also zusammennehmen! Nicht mehr an die beiden strahlenden Augen denken,
-die so aufleuchteten, wenn sie ihn sahen! Nicht mehr an die helle,
-kindliche Stimme denken, die mit so heißer Begeisterung reden konnte!
-Die ganze Episode mußte abgetan und vergessen sein.
-
-Und der Konsul richtete sich auf, so straff wie sonst: Die Episode war
-aus und vorbei.
-
-Und darum war es ganz überflüssig, daß Monika es immer so absolut
-darauf anlegte, als Letzte aus dem Kursus zu kommen und ganz allein zu
-gehen. Sie sah die hohe Gestalt des Ersehnten nicht mehr.
-
-Sie war unglücklich wie nie zuvor. Nachdem sie neulich erst so
-verzweifelt gewesen, war ihr dieser nochmalige Sturz in die
-Hoffnungslosigkeit zu viel! Ihre Nerven begannen ernstlich zu leiden.
-
-Sie, die so sehr daran gewöhnt war, ihren Willen durchzusetzen, mußte
-nun tatlos und machtlos die Zeit verstreichen sehen.
-
-Sie hegte die abenteuerlichsten Gedanken, wie sie sich dem Geliebten
-nähern könne. Aber es blieb bei Gedanken! Die Rücksichtslosigkeit, die
-sie sonst entfaltete, wenn es galt, ihren Willen durchzusetzen, ließ
-sie völlig im Stich.
-
-Zum ersten Male wurde Monika schüchtern. Das Burschikos-Jungenhafte,
-das sie oft gehabt, wich einer verträumten Schwermut.
-
-Zum ersten Male war eine große Sehnsucht über ihr und ließ ihre Nerven
-erzittern wie Harfensaiten unter tastenden Fingern. Wieder und wieder
-durchlebte sie im Geiste jede Sekunde, in der Georg Wetterhelm sie
-angeblickt oder mit ihr gesprochen. Sie durchlebte immer wieder die
-selige Freude, die sie gehabt, wenn in seine kalten, grauen Augen ein
-wärmerer Schimmer gekommen. Sie sehnte sich nach ihm, sehnte sich jede
-Minute und jede Sekunde.
-
-Und fühlte nichts mehr als diese Sehnsucht.
-
-Als ihre Mutter Wetterhelm eine Woche nach seinem Besuche zum Tee
-gebeten, war eine höfliche Absage erfolgt. Und ans Gymnasium kam er
-auch nicht mehr. Es war aus! Zwei Wochen waren nun schon verstrichen.
-
-Vielleicht war er gar nicht mehr in Berlin.
-
-Eine verzehrende Angst packte Monika bei diesem Gedanken. Dann kam
-ihr die Idee: vielleicht wußte das Frau von Wetterhelm, ihre ~dame
-patronesse~ vom letzten Basar. Zu der mußte sie hin. Dies konnte sie
-auch ganz unauffällig, denn sie hätte ihr schon längst mal wieder einen
-Besuch machen müssen.
-
-Frau von Wetterhelm war zu Hause und empfing Monika in ihrem, mit
-japanischem Krimskrams überladenen Boudoir. Sie war überaus freundlich.
-Wirklich zu nett, daß man zu so einer langweiligen, alten Frau käme,
-wie sie doch eine wäre!... Nein: keine Widerrede... Sie wisse, daß
-sie langweilig sei, habe doch nun mal keinen Geist aufzubieten, was
-entschieden die Schuld ihres Großvaters mütterlicherseits sei, der
-wirklich ganz auffallend unbegabt gewesen sein solle. -- Aber wenn sie
-selber auch leider dumm sei, so wisse sie doch Geist bei anderen zu
-schätzen, und darum sei ihr Monika besonders herzlich willkommen! Denn
-Monika sei hervorragend geistreich! Allein die Tatsache, daß sie das
-Mädchengymnasium besuche, spräche Bände! Außerdem habe ihr Vetter Georg
-Monika auch direkt „geistvoll“ gefunden.
-
-„Sehen Sie Ihren Vetter öfters?“ fragte Monika mit gewaltsam gespielter
-Gleichgültigkeit.
-
-„Leider nein. Eine langweilige, alte Frau wie ich kann das ja auch
-nicht verlangen! Aber gerade heute erwarte ich Georg. Er muß bald
-kommen. Ich hörte nämlich, daß er demnächst abreist, und da schrieb
-ich ihm, daß er mich besuchen solle in wichtiger Angelegenheit! Ihnen,
-meine liebe, kleine Freundin, kann ich’s ja sagen, Sie sind ja diskret.
-Ich will mit Georg über eine junge Dame reden, die wirklich eine
-fabelhaft gute Partie ist! Es handelt sich um...“
-
-„O bitte, keinen Namen,“ unterbrach Monika hastig, „das sind so interne
-Angelegenheiten, gnädige Frau. Ich möchte wirklich nicht...“
-
-„Aber ich bitte Sie, ich sag’s Ihnen ja gern.“
-
-„Ueberdies muß ich fort. Ich bin mit Mama bei unserer Schneiderin
-verabredet.“
-
-Sie hatte sich erhoben, ihr zitterten die Hände. Nur fort! Nur ihn
-nicht treffen, der sie verschmähte! Der Zeit fand, hierher zu kommen,
-und den Weg zu ihr vergessen hatte! Nur fort!
-
-Nach hastigem Abschied eilte sie die Treppen hinunter, der Haustür zu.
-Da wurde diese von außen geöffnet. Georg Wetterhelm trat ein.
-
-Monika vermochte einen Aufschrei nicht zu unterdrücken. Aber sie faßte
-sich rasch. Er sollte nicht glauben, daß sie gewußt, daß er heute
-hierherkam. Daß sie etwa darum hier sei!
-
-So tauschten sie denn ein paar konventionelle Redensarten, dann hielt
-sie ihm abschiednehmend die Hand hin. Aber er sagte: „Ich begleite Sie
-ein Stück.“
-
-Er rief den Portier und trug ihm eine Entschuldigung an Frau von
-Wetterhelm auf; selbst in diesem Augenblicke, wo das Zusammentreffen
-mit Monika ihn so erschütterte, ließ er eine Höflichkeitspflicht nicht
-außer acht.
-
-Sie gingen nebeneinander her, auf einem Fußpfade im Tiergarten, dessen
-Bäume und Sträucher ein erstes knospendes Grün zeigten. Der feuchte und
-herbe Duft des Vorfrühlings lag in der Luft und stieg aus der feuchten
-Erde.
-
-Monika war das Herz so schwer; sie sprach gar nicht, ging, den Blick
-geradeaus gerichtet, neben ihrem Begleiter, der heute auch auffallend
-wortkarg war.
-
-Endlich sagte er: „Ich reise bald fort.“
-
-Monika erwiderte darauf nichts; sie preßte ihre Fingernägel in
-die Handflächen, daß sie ins Fleisch drangen, suchte durch diesen
-körperlichen Schmerz den seelischen zu übertäuben, der in ihr stürmte.
-
-„Ich hatte die Absicht, Ihnen noch Adieu sagen zu kommen,“ sagte
-Wetterhelm.
-
-Aber gleich darauf veränderte sich der kühle Ton seiner Stimme: „Nein,
-es ist nicht wahr. Ich wollte nicht mehr kommen. Ich wollte Sie nicht
-mehr sehen...“
-
-Da hob sie den Kopf zu ihm empor. Die Tränen, die schon so lange in
-ihren Augen gezittert, rannen nun an ihren langen, tiefdunkeln Wimpern
-herab, rannen in großen Perlen über die weich gerundeten Wangen.
-
-Und bei diesem Anblick brach in Georg von Wetterhelm sein
-„Lebensprogramm“ zusammen.
-
-Nicht denken jetzt... nur dieses süße, unglückliche Gesichtchen
-küssen... dieses schöne, warmherzige Geschöpf in die Arme nehmen... und
-ihre glühende Jugend fühlen... und ihre glühende Liebe...
-
-„Liebling!“
-
-Er riß sie in die Arme, hielt sie fest umfangen wie mit Eisenklammern,
-hielt sie fest an sein Herz gepreßt und küßte immer wieder die bebenden
-roten Lippen, die so herzbewegend stammelten: „Geh’ nicht fort... ach,
-geh’ doch nicht fort...“
-
-„Nicht ohne Dich, mein Lieb!“
-
-„Ist’s wahr?“ Das war wie ein Jubelschrei.
-
-Mit beiden Armen umschlang sie seinen Hals, trank mit geschlossenen
-Augen seinen Atem, der herb und frisch duftete wie die Frühlingserde
-ringsumher.
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-9.
-
-
-„Ja, gewiß, alles was Sie mir hier über Ihre Vermögenslage, Ihre
-Aussichten dargelegt haben, ist glänzend, Herr von Wetterhelm,“ sagte
-die Baronin Birken. „Ich könnte mir für meine Tochter gar keine bessere
-Partie wünschen -- aber die Sache liegt doch nicht so einfach. Ich kann
-nicht lügen, wissen Sie, die Wahrheit über alles! Und darum sage ich
-Ihnen: ich kann Ihnen nur abraten, Monika zu heiraten!“
-
-Der Konsul, den sonst so leicht nichts in Erstaunen setzte, konnte sich
-nicht enthalten, ein etwas verblüfftes Gesicht zu machen.
-
-„Darf ich bitten, mir diese Worte zu erklären, gnädige Frau?“
-
-„Gern... Wissen Sie, Monika ist wirklich gar nicht fürs Heiraten
-geeignet. Sie besucht das Mädchengymnasium und will studieren. Und für
-Frauen, die sich der Wissenschaft widmen, ist doch die Ehe eigentlich
-nichts.“
-
-„Wenn das der einzige Grund ist...“
-
-Der sarkastische Zug um Wetterhelms Lippen vertiefte sich.
-
-„O nein, nichts weniger als der einzige. Ein Dutzend Gründe sind es...
-die Wahrheit über alles!... Erstensmal: Monika kann nicht kochen, aber
-tatsächlich keine Ahnung davon!“
-
-„Die Dokumente, die ich Ihnen vorlegte, gnädige Frau, sollten Sie
-überzeugt haben, daß ich in der Lage bin, meiner Frau eine Köchin zu
-halten, sogar eine sehr gute.“
-
-„O ja, natürlich, aber selbst die beste Köchin wird nie das leisten,
-was eine kulinarisch gebildete Frau des Hauses leistet.“
-
-„Ich bin, was das Essen anbetrifft, sehr anspruchslos.“
-
-„Außerdem: Monika hält keine Ordnung. Alles wirft sie durcheinander und
-verlegt sie! Nicht einen Knopf näht sie sich allein an!“
-
-Wetterhelm sah tiefsinnig auf einen Knopf, der halb abgerissen an der
-Bluse der Sprecherin baumelte, und sagte: „Ich werde ihr eine Zofe
-halten, die genau so gut ist wie die Köchin.“
-
-Frau von Birken seufzte: „Ach, Monika hat so gefährliche Anlagen. Sie
-ist so eigenwillig. Sie macht sich über alles eigene Gedanken; sie
-respektiert nichts! Nicht mal mich als Mutter! Nicht mal Goethe. Und
-immer muß sie ihren Willen durchsetzen! Monika ist ein Engel, wenn man
-ihr den Willen tut, aber den muß man ihr tun!“
-
-„Darin wird sie sich wohl ein wenig ändern,“ sagte Wetterhelm, mit
-demselben Gleichmut, den er bisher zur Schau getragen.
-
-„Sie ändert sich nicht, sie ist jetzt siebzehn Jahre und war immer so.“
-
-„Mit siebzehn ändert man sich noch oft.“
-
-Da Frau von Birken dieser Aeußerung nicht recht was entgegenzusetzen
-wußte, sagte sie: „Erlauben Sie, daß ich meinen Sohn rufe...“
-
-Heinzemännchen erschien.
-
-Er trug den neuen, unendlich langen Gehrock und sah sehr sorgenvoll aus.
-
-Wetterhelm zog die Augenbrauen hoch. Wollte man ihm in der Tat zumuten,
-seine Werbung bei diesem Obersekundaner anzubringen?
-
-Aber schon wurde die Tür aufgerissen. Monika kam herein, flog auf
-Wetterhelm zu und küßte ihn stürmisch auf den Mund.
-
-„Was habt Ihr denn bloß so lange zu verhandeln?“ rief sie der wie
-erstarrt dasitzenden Mutter zu. „Ich kann doch nicht so lange draußen
-bleiben, wenn Georg da ist!“
-
-Und sie küßte ihn von neuem.
-
-„Jetzt kann ich allerdings nichts mehr einwenden,“ sagte Frau von
-Birken hilflos.
-
-Heinzemännchen seufzte auf. War’s die Erleichterung darüber, daß die
-Verantwortung für Monika von jetzt ab auf stärkeren Schultern ruhen
-sollte als auf den seinen? --
-
-Die Verlobungszeit sollte nur zwei Monate dauern. Frau von Birken fand
-das zwar geradezu ungebührlich kurz, aber es lag so gar kein Grund zum
-Warten vor. Im Gegenteil! Der Konsul erwartete bald seine Berufung auf
-einen überseeischen Posten und wollte selbstverständlich schon vorher
-heiraten.
-
-Monikas Glück wurde oft ein wenig getrübt durch die Behandlung, die
-man ihr zu Hause angedeihen ließ. Ihre Mutter, mit der sie jetzt die
-ganze Zeit zusammen war -- seit ihrer Verlobung besuchte sie die Kurse
-nicht mehr -- war nicht im mindesten anders zu ihr als sonst. Keine
-Spur einer anderen Stimmung war zu merken, nichts von der zärtlichen
-Ergriffenheit, die andere Mütter haben, wenn ihre einzige Tochter so
-bald schon fürs Leben das Haus verläßt. Frau von Birken nörgelte sogar
-mehr als sonst an Monika herum, sogar bei Sachen, von denen es nicht
-recht ersichtlich war, warum sie sie tadelnswert fand.
-
-Auch Alfred und Heinrich trugen jetzt, trotz der nahen, dauernden
-Trennung von ihrer Schwester, kein liebenswürdigeres Wesen ihr
-gegenüber zur Schau als sonst. Nur Karl, der ja auch sonst lieb und
-nett gewesen, entfaltete eine außergewöhnliche Hochachtung. Monika
-hatte ihm durch ihre Verlobung sehr imponiert, und er raubte jetzt mit
-doppelter Begeisterung aus Mamas oder Heinzemännchens Portemonnaie ein
-paar Nickel, um ihr irgendeine Kleinigkeit „zum Freuen“ zu kaufen.
-
-Monikas Liebe zu ihrem Bräutigam war in dieser kurzen Zeit noch
-gewachsen, aber das hinderte sie nicht, genau zu wissen, daß sie kein
-volles Verständnis bei ihm fand. Wenn sie Gedanken äußerte, zu denen
-sie sich nach heißem Ringen durchgekämpft, tat er das oft ab mit einem
-lächelnden: „Du bist sehr jung, Liebling!“
-
-Und an Sachen, die Monika in Entzücken versetzten, konnte er oft „beim
-besten Willen nichts finden“! Zum Beispiel an dem Gratulationsbrief von
-Monikas ehemaliger Amme. Was war denn an diesem albernen, ungeschickten
-Schriftstück, daß es bei Monika lachende und weinende Begeisterung
-hervorrief?
-
-Die Liese schrieb:
-
- „Liebstes Monchen,
-
- da komme ich nun und wünsche Dir Gottes reichsten Segen auf alle
- Zeit, indem, daß ich es mir ja auch nicht von Dir denken konnte,
- daß Du, wie die olle Trübnersch gesagt hat, studieren sollst wie
- ein Doktor.
-
- Weil das ja doch zu sündhaft und häßlich wär’ für ein
- Frauensmensch, wie denn auch das Sprichwort sagt:
-
- „Den Mädchen, die pfeifen, den Hühnern, die kräh’n, den’ soll der
- Teufel den Hals umdreh’n.“
-
- Aber natürlich habe ich es nicht geglaubt, mein trautstes Monchen,
- und die olle Trübnersch ist ein Lügenmaul, das sage ich dreist, und
- wenn sie jeden Tag bei die Muckersch in die kleine Kapelle geht.
-
- Na, denn hoffe ich, mein trautstes Monchen, daß es ein Forscher
- ist, sowie dem Fräulein Marie ihr Mann, der gnädige Herr von
- Hammerhof, der ist ja nu wohl viel zu hübsch für die lange Stange.
- --
-
- Mein Fritzchen wird auch mal so einer, der läuft schon jetzt mit
- die Mädchen rum und ist noch keine fünf Jahre alt.
-
- Die Ollsche, was die Tante vom Grün ist, ist ja nu gestorben, und
- wir haben ein sehr schönes Begräbnis gemacht, Fladen, Branntwein
- und alles.
-
- Mit meinem Grün is es nicht mehr so recht, zu alt, Monchen, zu alt.
- Er hat das Reißen in alle Knochen, aber sonst ist es ja ein sehr
- guter Mann.
-
- Zu Deine Hochzeit schicke ich Dir die Myrte, selbst gezogen, was Du
- im vorigen Winter bei mir gesehen hast.
-
- Und nu grüße Deinen Bräutigam und sage ihm, er kriegt was Schönes,
- da er Dir heiratet.
-
- Es sendet Dir Gottes reichsten Segen
-
- Deine treue Liese.“
-
-Wie gesagt, Wetterhelm fand das ja gewiß ganz nett von der alten
-Person, aber Monikas Bewegtheit war doch übertrieben!
-
-Auch gab es manchmal kleine Reibereien, weil Monika irgendwelche
-gesellschaftlichen Förmlichkeiten bei Besuchen oder Ausfahrten nicht
-eingehalten.
-
-Wohl hatte das Impulsive ihrer Natur einen starken Reiz für Wetterhelm,
-wohl bestand ein Teil ihrer Anziehungskraft für ihn gerade darin, aber
-sobald diese Art irgendwie in der Oeffentlichkeit hervortrat, störte
-sie ihn aufs schärfste.
-
-Schon ihre Manier, immer aus dem Wagen zu springen, ehe die Pferde
-standen.
-
-Und dann ihre Haltung. Sie hatte immer etwas so eigentümlich Trotziges:
-den Kopf ein bißchen vorgestreckt, die Ellenbogen lose, die linke Hand
-zur Faust geballt. Es war förmlich eine Verteidigungsstellung, die
-nicht mit dem weichen Liebreiz ihrer siebzehn Jahre harmonierte. In
-ihrer Sprechweise störte ihn oft ein gar zu kräftiges Wort oder ein
-achselzuckendes: „~je m’en fiche~“, mit dem sie einen Vorwurf abtat.
-
-Jedenfalls war Georg nicht ohne Besorgnis im Hinblick auf den Besuch,
-bei dem er Monika seiner Mutter vorstellen wollte.
-
-An einem schönen Aprilmorgen fuhr die Baronin Birken und das Brautpaar
-nach Gerbitz, dem Gute, das Frau von Wetterhelms Wohnsitz war, auf dem
-sie mit ihrer einzigen unverheirateten Tochter Brigitte lebte.
-
-Bevor man zur Bahn fuhr, hatte Monika eine unangenehme, kleine Szene
-mit ihrem Bräutigam gehabt, der ihre Frisur getadelt hatte.
-
-„Du hast mich doch sonst so immer hübsch gefunden.“
-
-„Gewiß, aber Mama ist etwas ~vieux jeu~, lieber Schatz; ihr würde das
-in die Stirn gebauschte Haar sicher nicht gefallen. Bitte, trage heute
-die Stirn frei und die Haare möglichst glatt.“
-
-Monika machte ein ungezogen trotziges Gesicht, ging aber doch hinaus,
-um eine Bürste zu holen.
-
-„Ich werde meine Frisur unter Deiner obrigkeitlichen Aufsicht
-arrangieren, lieber Georg,“ sagte sie mit einem Anflug von Spott.
-
-Ein paar Bürstenstriche: „Ist es so gut?“
-
-„Aber Kind, da ist ja kaum was geändert, viel glatter, bitte.“
-
-„Also so?“
-
-„Noch immer nicht richtig.“
-
-Statt einer Antwort feuerte sie die Bürste auf die Erde. Georg erhob
-sich. Er war sehr blaß geworden, und ehe noch Frau von Birken zu einer
-Strafpredigt ansetzen konnte, sagte er: „Das war Deiner unwürdig,
-Monika!“
-
-Nun fiel die Mutter ein, aber alles, was die auch vorbrachte, hatte
-keine Wirkung auf Monika, gegenüber den paar Worten aus Georgs Munde.
-
-Sie kämpfte einige Augenblicke mit sich, dann aber ging sie auf ihren
-Verlobten zu und sagte:
-
-„Du hast ganz recht, Georg, und ich bitte Dich um Verzeihung.“
-
-Ihre Frisur war wirklich von korrektester Einfachheit, als man in
-Gerbitz eintraf.
-
-Zwei Stunden war man Eisenbahn gefahren, dann eine Stunde in
-altmodischer Kalesche durch märkischen Sand, dann kam man an dem
-grauen Herrenhause an.
-
-Frau von Wetterhelm und ihre Tochter Brigitte begrüßten die Gäste.
-
-Georgs Mutter war eine imposant große Erscheinung, in der Mitte der
-sechzig. Ihr Gesicht zeigte einen leidenden Ausdruck. War es doch
-Krankheit gewesen, die der Anlaß dazu war, daß der Sohn ihr jetzt erst
-seine Braut zuführte.
-
-Georg hatte innerlich gefürchtet, daß seine zukünftige Schwiegermutter
-den Damen seiner Familie wenig gefallen würde; ihr wenig seriöses
-Wesen, das Fehlen mütterlicher Würde in ihrem Aeußeren und ihr
-Benehmen würde wahrscheinlich von seinen überaus korrekten Angehörigen
-gemißbilligt werden.
-
-Zu seinem Erstaunen verstand sich Frau von Birken mit den Damen sehr
-gut. Schon nach kurzer Zeit war man eifrig in das wichtige Thema
-vertieft, welcher Zeitpunkt für das Einlegen von Johannisbeeren der
-geeignetste sei.
-
-Dies und eine Reihe ähnlicher Gesprächsthemata schlugen eine Brücke
-zwischen Monikas und zwischen Georgs Mutter. Als dann gar die
-Dienstbotenfrage aufs Tapet kam, erwärmte sich selbst Brigitte, deren
-hagere Altjungfernfigur im schmucklos schwarzen Kleide wie aus Holz
-geschnitzt erschien.
-
-Monika trug bei diesen Unterhaltungen eine geradezu unhöfliche
-Unaufmerksamkeit zur Schau. Das lag ihr nicht... das alles hier lag
-ihr nicht... Die Einrichtung, die bei aller Wohlhabenheit geschmacklos
-puritanisch war, diese große, strenge Frau, zu der sie nun „Mama“ sagen
-sollte, die unschöne Schwester... das alles verstimmte sie.
-
-Sie war ganz verärgert, besonders, als Georg ihre Bitte, ihr den Park
-zu zeigen, abgeschlagen hatte.
-
-„Wir gehen nachher alle zusammen,“ sagte er.
-
-Bei dem Rundgang, den man nach dem Frühstück machte, wurde Monikas
-Benehmen von den Wetterhelmschen Damen innerlich „lächerlich kindisch“
-gefunden; sie geriet in Ekstase vor den jungen Lämmern mit ihren
-kurzlockigen Fellchen, sie kniete nieder, um sie an sich zu drücken;
-sie war im Schweinestall außer sich vor Freude über die Ferkel mit
-ihren rosa Körpern und den Ringelschwänzchen; sie hielt den Tieren
-Reden, besonders dem Hofhund, der gleich eine große Sympathie für sie
-an den Tag legte:
-
-„O, was für ein guter Hund... Du bist ja sehr häßlich, mein armer
-Kerl, und so gelb wie Eidotter bist Du, und aus gar keiner feinen
-Familie... Nein, nicht mal Rasse hast Du... Aber Du bist doch gut, mein
-Dickerchen! Ach, was für’n guter Hund! Und gut sein ist ja auch was
-wert, wenn auch nicht so viel wie schön sein!“
-
-Da intervenierte Frau von Birken, sie legte die größtmögliche Strenge,
-deren sie fähig war, in ihren Ton:
-
-„Monika, genug des Unsinns! Wir wissen ja, daß Du nur scherzest, aber
-man soll auch im Scherz nicht sagen, daß Schönheit mehr ist als Güte!
-Die Güte ist das Weltprinzip...“
-
-Brigitte drückte der Baronin ostentativ die Hand.
-
-„Aber Mama,“ rief Monika, schnell wie aus der Pistole geschossen,
-„aber Mama! Du hast doch wohl schon Naturgeschichte gelesen und
-Weltgeschichte und Entwicklungstheorien? Das Weltprinzip ist doch die
-Grausamkeit, der ewige Kampf...“
-
-„Lassen wir das doch,“ schnitt Georg ab; ein unmutiger Ausdruck lag
-über seinem Gesicht, ihm war nicht entgangen, daß sich in den Zügen
-seiner Mutter schärfste Mißbilligung bei Monikas Worten aussprach, daß
-die Züge seiner Schwester förmlich vereisten in schroffster Ablehnung.
-
-Dann ging man nach der Fohlenkoppel hinüber, wo Monika versuchte, auf
-die Fohlen hinaufzuturnen.
-
-„Zu schön ist’s auf dem Lande,“ sagte sie zu ihrem Bräutigam, als sie
-ihn endlich „ein bißchen für sich“ hatte. „Die Tage von Sarkow, meine
-Kinderjahre, sind mir so unvergeßlich. Am liebsten möchte ich mit Dir
-auf ein Gut ziehen, Georg.“
-
-„Mir liegt das nicht,“ erwiderte der Konsul. „Gewiß ist Landwirt sein
-auch ein schöner Beruf, in dem man seinem Vaterlande nützen kann, aber
-ich kann in meinem Berufe Größeres wirken, Besseres für Deutschland
-tun.“
-
-Monika stürzte sich mit Feuereifer auf diese neue Anregung.
-
-„Ja, da hast Du auch ganz recht! Ich werde mal eine tadellose
-Botschafterin!“
-
-„Na, na, man immer sachte mit den jungen Pferden.“
-
-„Und wir bekommen einen historischen Palazzo als Dienstwohnung, weißt
-Du, sowas in Spätrenaissance, und ich gebe jeden Abend Empfänge, wo
-lauter Fürsten und Genies sind, ~crème de la crème~, weißt Du?...
-Und ich trage ein himmelblaues, silbergesticktes Kleid und furchtbar
-viel Orden in Brillanten. Als Botschafterin bekomme ich doch Orden,
-nicht wahr? Und ich trage ein Perlcollier für eine Million. Das muß
-ich von meiner Schwiegermutter geerbt haben. ‚Das Kollier meiner
-Schwiegermutter‘ finde ich sehr stilvoll.“
-
-„Ach, Kind, hör’ bloß mit dem Unsinn auf. Und nimm Dich zusammen vor
-Mama und Brigitte. Korrekt, mein kleiner Schatz, korrekt!“
-
-Beim Mittagessen wirkte diese Ermahnung noch so nach, daß sie wie ein
-braves Schulkind dasaß.
-
-Aber nach Tisch, als sich die Damen zum Nachmittagsschlaf zurückgezogen
-und Monika mit ihrem Bräutigam durch den Park ging, verjagte die
-goldene Aprilsonne bald ihre mühsam bewahrte Gemessenheit.
-
-Konnte man denn ruhig bleiben, wenn die Blattknospen gar so ungestüm
-aus ihren Hüllen drängten, wenn die Hyazinthen auf den Frühbeeten mit
-tiefen Farben prangten wie Edelstein: rubinrot, diamantenweiß und blau
-wie Saphir! Ach -- und alle diese Blütenglocken sandten süße Duftwogen
-in die herbe deutsche Luft. In den Aesten lärmten und lockten die
-Vögel, schrien, weil der Frühling da war und die Liebe...
-
-Konnte man denn ruhig bleiben, wenn man einen so süßen, geliebten,
-schönen, guten Bräutigam hatte?
-
-Das fragte Monika Georg von Wetterhelm.
-
-Und er lachte zärtlich, immer aufs neue besiegt von ihrem wilden
-Charme. --
-
-Die Vesperstunde vereinigte alle wieder um den runden Tisch im Eßzimmer.
-
-Frau von Wetterhelm war Monika gegenüber aus ihrer ursprünglichen
-Freundlichkeit in eine gewisse Reserviertheit übergegangen. Sie fand:
-es war eigentlich eine fabelhafte Idee von Georg, ein so unbändiges,
-junges Ding heiraten zu wollen. Seiner sonstigen Wesensart war das
-so unähnlich, er war doch immer ein so tadellos vernünftiger Mensch
-gewesen.
-
-„Georg hat mir nie Sorgen gemacht,“ erzählte sie an diesem Nachmittag.
-Ja, er war immer ein lieber, vernünftiger Sohn gewesen, körperlich und
-geistig gut beanlagt. Er war nie krank gewesen, er war immer unter
-den besten Schülern seiner Klasse. Alles in seinem Leben war wie am
-Schnürchen gegangen. Das Abiturium, die späteren Examina, die Ernennung
-zum Leutnant der Reserve, sein Avancement bei den Garde-Ulanen. Und
-seine Beamtenkarriere würde eine glänzende sein, das sagten alle, und
-sie hoffe nur, Monika würde ihren zukünftigen Gatten „voll und ganz zu
-würdigen verstehen“!
-
-„Na und ob!“ schmetterte Monika so überzeugt heraus, daß alle drei
-Damen ihr verweisende Blicke zusandten.
-
-„Hoffentlich habe ich mit meiner Schwiegertochter ebenso viel Glück wie
-mit meinen Kindern,“ fuhr Frau von Wetterhelm nicht ohne eine gewisse
-Anzüglichkeit fort, „ja, auch Brigitte hat mir nur Freude gemacht.“
-
-Monika warf einen erstaunten Blick auf die schwarzgekleidete, hagere
-Dame, welche sie im stillen „die hölzerne Jungfrau“ getauft hatte.
-
-„Ja, Brigitte ist immer tätig und häuslich gewesen,“ lobte die Herrin
-des Hauses weiter. „Mein lieber Mann starb ja so früh -- Georg kam
-naturgemäß bald aus dem Hause -- da war Brigitte das Einzige, was mir
-blieb. -- Wie hat sie mich gepflegt in meinen vielen Krankheiten.
-Brigitte ist die geborene Krankenschwester! Und sie hat es nie übers
-Herz gebracht, mich zu verlassen, auch damals nicht, vor nunmehr
-zwanzig Jahren, als Herr von Lodringen um sie anhielt.“
-
-„Aber Mama!“ Ein schwaches Rot war in Brigittes welke Wangen gestiegen,
-mit einer nervösen Gebärde strich sie sich über den glatten,
-graublonden Scheitel.
-
-„Meine liebe Tochter, warum sollte ich nicht von Deiner aufopfernden
-Kindesliebe sprechen, von Deinem edlen Pflichtgefühl? Unsere kleine
-Monika kann daraus nur Gutes lernen! Ja, also als Lodringen um Brigitte
-anhielt, wies sie ihn ab, obwohl sie ihn sehr gern hatte und obwohl er
-eine durchaus passende Partie war. Wies ihn ab, weil sie mich nicht
-verlassen wollte.“
-
-Brigitte sagte nichts. Ein Seufzer hob ihre Brust.
-
-„Ach...,“ rief Monika, ungläubig erstaunt.
-
-Frau von Wetterhelm fuhr fort: „Lodringen stand in Westfalen, und ich
-konnte natürlich nicht daran denken, mit in jene Garnison zu ziehen.
-Was hätte dann hier aus dem Gute werden sollen? Und so blieb Brigitte
-bei mir, mein aufopferndes Kind, als die Stütze meines Alters...“
-
-Frau von Birken hatte vor Rührung Tränen in den Augen.
-
-„Wie entzückend, wie heroisch geradezu, sein eigenes Lebensglück
-hinzugeben, um der Mutter Trost sein zu können! Diese echt weibliche
-Entsagung! Da siehst Du, Monika, was für junge Mädchen es auf Gottes
-Welt gibt!“
-
-„Aber das ist doch ein maßloser Unsinn,“ rief Monika heftig, mit
-sprühenden Augen; in ihrer Erregung bemerkte sie nichts von dem
-förmlich lähmenden Entsetzen, das ihr Ausruf bei der Tafelrunde
-hervorgerufen.
-
-„Ja, ein offenbarer Unsinn,“ stürmte sie weiter, „ein lebendiges,
-warmes Liebes- und Lebensglück zu opfern aus töchterlichem
-Pflichtbewußtsein! Man lebt doch nicht für seine Mutter!“
-
-Sie brach ab, erschreckt über das Verhalten ihres Bräutigams, der zu
-seiner Mutter getreten war. Er beugte sein erblaßtes Gesicht über die
-alte Frau und sagte, indem er wie beschwörend seine Hand auf ihren Arm
-legte:
-
-„Hör’ nicht hin, Mama, sie meint es nicht so. Sie ist noch so sehr
-jung.“
-
-Die böse Stimmung, die dieser Zwischenfall hervorgerufen, hielt an. Die
-Wetterhelmschen Damen brachten kaum ein Wort mehr über die Lippen.
-
-Gut, daß Frau von Birkens Redefluß auch bei dieser Gelegenheit nicht
-versiegte. Ihre Begabung, über die nichtigsten Dinge sehr viel zu
-reden, war ihrem zukünftigen Schwiegersohne zum erstenmale eine Freude.
-So herrschte wenigstens nicht dauernd Stillschweigen.
-
-Mit dem Abendzuge fuhr man fort. Auf der Rückfahrt berührte Wetterhelm
-mit keinem Worte den Vorfall, der ihm tiefgehenden Eindruck gemacht.
-Bei seiner langsam denkenden Art wollte er erst mit sich selbst ins
-Reine kommen, ehe er mit Monika sprach.
-
-Die fühlte zwar, daß sie auf Georgs Angehörige keinen allzu günstigen
-Eindruck gemacht, aber sie nahm das ganze nicht wichtig.
-
-Sie wurde auch dadurch abgelenkt, daß sie zu Hause die Korrekturbogen
-ihres neuen Gedichtzyklus fand.
-
-Dieser Zyklus, der eine Ueberraschung für ihren Bräutigam sein sollte,
-war für die nächste Nummer des „Leuchtturm“ bestimmt.
-
-„An Georg“ hieß die Ueberschrift dieser sechs Gedichte, deren eines
-das andere an klingenden Worten und leidenschaftlichen Empfindungen
-übertraf.
-
-Monika war von ihrem eigenen Werke erschüttert, als sie die
-Korrekturbogen las. Ihr schienen diese Gedichte wie sechs voll erblühte
-Rosen, farbenflammend, duftsprühend... und die Dornen, die sonst Rosen
-tragen, hatte sie ihnen abgebrochen mit zärtlichen Fingern. Dornenlose
-Rosen waren’s nun, lauter Liebe und Leidenschaft und heißes, heißes
-Glück!
-
-Eine heftige Ungeduld erfaßte sie plötzlich, Georg schon jetzt diese
-Verse zu senden. Nicht, wie sie sich vorgenommen, erst am nächsten
-Mittwoch, wenn das neue Heft des Leuchtturms erschienen war.
-
-Sie schrieb ein paar Zeilen, kuvertierte diese und die Druckbogen und
-schrieb mit ihrer weitausladenden, arroganten Handschrift die Adresse
-ihres Verlobten.
-
-Dann rannte sie fort, um den Brief selbst in den Kasten zu tragen; sie
-ließ Briefe an Georg nie durch jemand anders besorgen.
-
-Sie schlief nicht viel in dieser Nacht; immer wieder mußte sie daran
-denken, wie Georg sich wohl freuen würde, wenn er diese glühenden
-Liebesgeständnisse las und durch ihre Zeilen erfuhr, daß er es nicht
-allein war, der diese Gedichte las, sondern daß Tausende von anderen
-Menschen, von mitfühlenden, mitvibrierenden anderen Menschen es lesen
-würden -- -- --
-
-„An Georg“.
-
-Nun, bald würde sie ja wissen, wie sehr er sich gefreut. Er kam ja
-morgen zum Abendbrot -- -- nein, nicht morgen. Heute! Es hatte ja eben
-schon zwei geschlagen durch die stille Nacht.
-
-Erst als es hell wurde, schlief Monika ein.
-
-Der Tag ging hin, wie jetzt alle Tage hingingen: in Erwartung ihres
-Bräutigams.
-
-Als sie sich eben für den Abend umgezogen hatte, kam Georgs Diener
-mit einem Briefe von ihm, den er Auftrag hatte, dem gnädigen Fräulein
-selbst zu übergeben.
-
-Monika schloß sich mit dem Schreiben ins Schlafzimmer ein; sie wußte,
-daß man sie sonst doch nicht bei der Lektüre ungestört ließ.
-
-Und sie las:
-
- „Liebe Monika,
-
- es wird mir unendlich schwer, Dir diese Zeilen zu schreiben. Ich
- habe schwer mit mir gekämpft seit gestern abend. Nach reiflicher
- Ueberlegung aber halte ich es nun doch für besser, Dir zu sagen:
- wir passen nicht zueinander. Ich bin weit entfernt davon, die
- wundervollen Geistes- und Körpereigenschaften zu verkennen, mit
- denen die Natur Dich überschüttet hat. Aber Du hast Grundsätze,
- Anschauungen, Prinzipien, die für +meine+ Frau unmöglich sind!
-
- Ich habe das zuerst alles für Kindereien gehalten, aber wie Du
- gestern meiner alten Mutter ins Gesicht hinein erklärtest, daß das
- hohe Liebeswerk, das meine Schwester an ihr getan, „barer Unsinn“
- sei, das gab mir einen Choc, den ich nicht überwinden kann.
-
- Dann kam Dein Brief -- -- -- Die Verse sind gewiß sehr schön
- und talentvoll, aber für ein junges Mädchen wenig passend. Die
- Tatsache, daß Du sie veröffentlichen willst, entspringt einem mir
- geradezu unbegreiflichen Mangel an Zartgefühl.
-
- Wie kann man so intime Empfindungen der großen Menge preisgeben,
- sie der höhnischen Kritik jedes Uebelwollenden aussetzen. Wie
- kann man Gefühle, die in das tiefste Dunkel Deines Mädchenherzens
- gehören, an das grelle Licht der Oeffentlichkeit zerren?! -- --
-
- Aber genug von alledem!
-
- Mit tiefem Schmerze reiße ich mich los von Dir in der Erkenntnis,
- daß unsere beiden Naturen zu grundverschieden sind, um je in eine
- harmonische Ehe zu verschmelzen.
-
- Ich sage Dir brieflich Lebewohl, weil ich weiß, daß ich dem Zauber
- Deiner Gegenwart doch nicht widerstehn kann. Du bist die Erste,
- bei der mein Gefühl stärker war als mein Verstand. Ich weiß und
- fühle, daß diese Schwäche Dir gegenüber für mein ganzes künftiges
- Leben eine Gefahr bedeutet, eine Gefahr hauptsächlich darum, weil
- Du Deinen ganzen Anschauungen nach mich oft zu Handlungen und
- Unterlassungen wirst veranlassen wollen, die meiner innersten Natur
- widerstreben.
-
- Lebe wohl, mein geliebter kleiner Schatz.
-
- Georg.“
-
-Monikas Hand, die den Brief gehalten, sank schwer herunter. Ihr wirrer
-Blick traf zufällig auf den Spiegel, vor dem sie gestanden. Und dieser
-Blick wurde allmählich bewußt, erkannte das Spiegelbild, und wie ein
-grenzenloses Erstaunen ging es ihr durch den Kopf: „Herrgott, kann man
-denn überhaupt so blaß sein?!“
-
-Einige Sekunden lang irrte ihr Sinn noch herum wie ein Vogel, den die
-Kugel traf, der ängstlich flattert mit zuckenden Flügelschlägen und
-dann plötzlich, sich des Schmerzes bewußt werdend, aufschreit und
-niederstürzt.
-
-Und dann Nacht...
-
-Eine tiefpurpurne Finsternis, aus der sich die Sinne nur langsam und
-qualvoll allmählich wieder zum Bewußtsein ringen.
-
-Das... das war doch nicht möglich! Das war doch nicht denkbar... nein,
-nicht auszudenken, daß diese Liebe, die strahlende Sonne, die ihr
-ganzes Leben erleuchten und erwärmen sollte, nur ein Irrlicht war, das
-eine flüchtige Sekunde aufschimmerte und dann versank...
-
-Nein, nicht möglich! Und doch? Was stand da in dem Briefe? In dem
-Briefe, der ihren Fingern entglitten war, den sie nun vom Boden
-emporriß und von neuem las?
-
-Und noch einmal...
-
-Und wieder...
-
-Sie verwundete sich an jedem Worte mit der wahnsinnigen Schmerzensgier
-einer Märtyrerin, die sich immer von neuem Dolchspitzen in ihr
-schauderndes Fleisch bohrt.
-
-Und dann -- wie eine Eingebung -- leuchtete in dem wirren Toben ihrer
-Empfindungen plötzlich ein Gedanke auf, wie das klare Licht eines
-Leuchtturms im Dunkel einer sturm- und wogendurchtobten Nacht:
-
-Handeln jetzt! Nicht tatenlos zusehn, wie ihr Glück zerbrach!
-
-Ihre Pupillen erweiterten sich, brannten wie schwarze Flammen in ihrem
-tieferblaßten Gesicht.
-
-Ihre Hände ballten sich zusammen, krampften sich zu Fäusten, als wollte
-sie das Glück festhalten, -- das Glück!
-
-Handeln jetzt! Zu ihm!
-
-Wie stand es doch in diesem Brief, von dem jetzt jedes Wort in ihrem
-Gehirn eingegraben stand wie mit ehernen Lettern?
-
-„Daß ich dem Zauber Deiner Gegenwart doch nicht widerstehn kann“.
-
-Dem Zauber... meiner... Gegenwart...
-
-Mit Gedankenschnelle hatte sie den Hut in die Haare gedrückt.
-
-Und die Treppe hinunter.
-
-Sie hielt die nächste Auto-Droschke an, rief dem Chauffeur die Adresse
-zu.
-
-Das Auto glitt über den Asphalt, ziemlich langsam, denn ein grauer
-Regen rieselte leise über Berlin, hüllte die Riesenstadt in einen
-dünnen Tropfenschleier.
-
-An Monikas Augen glitten die steinernen Häusermassen vorbei, das
-Gelbrot der Gaslaternen und das bläulich-schimmernde Licht der
-elektrischen Lampen leuchtete in kurzen Zwischenräumen immer wieder auf.
-
-Leute kamen vorüber... Automobilhupen tönten, Hufschlag, -- -- das
-schrille Klingeln der elektrischen Bahnen.
-
-Monika sah und hörte das alles, aber es kam ihr nichts ins Bewußtsein.
-
-Sie fühlte auch keinen Schmerz.
-
-Sie sah und hörte und fühlte nichts als ihr Ziel: das Glück
-wiederhaben... das Glück...
-
-Das Auto hielt, sie stieg aus, bezahlte den Chauffeur und ging die
-Treppe hinauf zu der Wohnung von Georg von Wetterhelm.
-
-Der Diener vermochte trotz seiner Wohlgeschultheit nicht seine
-Ueberraschung zu verbergen. Er stotterte, daß der gnädige Herr
-ausgegangen sei.
-
-„Wann kommt er zurück?“
-
-„Ich weiß nicht, gnädiges Fräulein.“
-
-„Gleichgültig. Ich werde ihn hier erwarten.“
-
-Sie schritt den Korridor entlang und öffnete die Tür zu Georgs
-Arbeitszimmer. Sie kannte den Weg von dem Male her, als Georg sie und
-die Mama und die Brüder zum Tee eingeladen.
-
-Mit was für anderen Gefühlen als heute hatte sie da in dem Gemache
-gestanden, dessen strenge, vornehme Einrichtung so überaus gut zu
-Georgs Wesen und Sein paßte.
-
-Sie setzte sich in den grünen Ledersessel und wies kurz den Diener
-zurück, der eintrat, um Licht zu machen.
-
-Sie starrte mit brennenden Augen in das Dunkel ringsum, das nur matt
-erhellt war von dem Schein der Straßenlaternen, der von draußen durch
-die Gardinen fiel.
-
-Sie überlegte nicht, was sie Georg sagen wollte, wenn er kam, sie
-dachte nur: das Glück wiederhaben ... das Glück...
-
-Leise, leise schlug der Regen an die Scheiben. Sie hörte jede Sekunde
-das Ticken der großen Standuhr, hörte jede Viertelstunde ihr dumpfes
-Schlagen.
-
-Sie wußte nicht, wieviel Zeit verstrichen war. Ihr war es, als sei sie
-schon endlos in dieser weichen Dunkelheit. Da hörte sie einen Schlüssel
-in der Korridortüre.
-
-Schritte näherten sich dem Zimmer -- dann das Knipsen am Schalter des
-elektrischen Lichts -- eine grelle Helligkeit, die das Dunkel zerriß,
--- -- und Georgs Aufschrei:
-
-„Du hier?“
-
-Sein Gesicht war ihr nie so ehern erschienen wie jetzt.
-
-„Du hättest das nicht tun dürfen, Monika! Warum machst Du’s uns beiden
-so schwer?“
-
-„Georg...,“ würgte sie hervor.
-
-„Kind, es ist mir so schon schwer genug geworden. Aber es ist besser
-so für uns beide. Ich werde mich nie in Deine Art fügen lernen, und Du
-Dich in meine auch nicht!“
-
-Sie trat näher zu ihm heran.
-
-„Aber ich will ja alles, was Du willst! Ich will ja werden, wie Du
-willst... glaub’ mir das! In alles kann ich mich fügen... unserem
-Glück zuliebe!“
-
-Ihre Stimme, die fast versagt hatte, wurde fester; wie ein Feuer, das
-zuerst nur zögernd knistert und hie und da einen Funken aufleuchten
-läßt, bis es allmählich zur Glut wird, und zur flammenden Lohe dann
--- so wuchs ihre Rede. Wuchs über sie empor und über ihn, wurde das
-Hohelied von der Liebe -- von der Liebe, die stark ist wie das Leben,
-stark ist wie der Tod -- --!
-
-Sie wußte selbst nicht, woher ihr die Worte kamen. Sie wußte nicht,
-woher sie den Mut und die Kraft nahm, ihm all das zu sagen, den letzten
-Schleier von ihrem Seelenleben zu ziehen, ihn alle Höhen und alle
-Tiefen der Liebe schauen zu lassen, der Liebe, die sie zu ihm trug...
-
-Das waren nicht bloß Worte, die da auf ihn eindrangen und an sein
-kühles Herz klopften. Das war, als ob Monikas ganzes Sein sich auflöste
-in einen Strom, der zu ihm hinüberdrang, glühend und besiegend ...
-
-Wie von selbst breiteten sich seine Arme auseinander und schlossen sich
-um das Mädchen, das sich mit einem unartikulierten Laut an seine Brust
-warf.
-
-„Georg, -- -- Georg -- -- hast Du mich lieb?“
-
-„Zu sehr, mein kleiner Schatz, zu sehr -- --“
-
-Er preßte seine Lippen auf ihren Hals und wie ein Stöhnen klang’s: „Ich
-komme ja doch nicht mehr von Dir los.“
-
-Da hob sie den Kopf, und ihr Gesicht glühte von Liebe und glühte von
-Güte, von holdseliger, weiblicher Güte:
-
-„Und Du sollst das nicht bereuen, mein Lieb! Ich will mich ja bessern,
-will mich ja nach Deinen Wünschen formen, -- in allem... unserem Glück
-zuliebe...!“
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-10.
-
-
-Eine scharfe Brise kräuselte des Mittelländischen Meeres blaues
-Wasser, aber der große Dampfer zog ruhig und sicher weiter seine
-tiefaufwühlende Furche.
-
-Es waren wenig Passagiere auf Deck. Außer ein paar Engländern, die
-mit hochgeklapptem Rockkragen, die Mütze tief in der Stirn und die
-Stummelpfeife zwischen den Zähnen herumspazierten, nur Georg von
-Wetterhelm mit seiner Frau.
-
-Monika hatte den Sturmriemen ihrer Mütze heruntergezogen und ließ sich
-den Wind ins Gesicht wehen. Sie sah so strahlend glücklich aus, daß des
-Konsuls harte Züge ein Schimmer von Zärtlichkeit überflog.
-
-„Du bist schon ein liebes Kerlchen, Mone! -- Wie viele Frauen würden
-jammern über das schlechte Wetter, das wir bisher hatten.“
-
-„Aber, Georg, das Wetter war doch großartig.“
-
-Er lächelte. „Na, Liebchen, seit den zwölf Tagen, die wir verheiratet
-sind, ist noch kein Tag ohne Regen gewesen. -- Schade! Ich hatte mir
-diese Seereise so nett gedacht.“
-
-„Aber sie ist doch entzückend! Weißt Du, es soll so viele Leute
-geben, die in der Phantasie wer weiß wie sehr genießen und von der
-Wirklichkeit enttäuscht sind! Das ist doch zu dumm... Ich habe es mir
-ja gewiß immer wunderschön gedacht, mit Dir verheiratet zu sein, aber
-daß es so über alle Begriffe schön ist, das habe ich nicht gewußt!“
-
-Er zog sie an sich und küßte das junge Gesicht, auf dem der kühle Hauch
-des Meeres lag.
-
-„Und zu denken, daß dieses Glück nicht aufhört, Georg, -- daß ich jetzt
-immer bei Dir sein darf, immer... und mit Dir zusammen die herrliche
-Welt sehn soll -- -- -- --“
-
-Ein tief erzitternder Atemzug hob ihre Brust, als könne sie das
-Uebermaß von Glück nicht fassen.
-
-Der Konsul hatte sich seine Hochzeitsreise „vernünftig gelegt“. Er war
-nach Bombay berufen, hatte noch sechs Wochen Urlaub; in Genua wollte
-man eine Zeit Aufenthalt nehmen, von da nach Rom und Neapel und von da
-aus zu Schiff weiter.
-
-Die Schiffsreise Hamburg-Genua war durch schlechtes Wetter getrübt
-worden. Als aber der Dampfer sich dem langgestreckten Hafen von Genua
-näherte, zerriß der Wolkenschleier am Himmel, und eine strahlende
-Sonne überflammte Genua ~la superba~, das sich im mächtigen Halbkreis
-auf den steil ins Meer abfallenden Bergen erhob. Die stolze, uralte
-Hafenstadt mit dem Gewirr ihrer Gassen und Märkte, mit ihren ragenden
-Marmorpalästen war ganz in Sonne getaucht und in Sommer. Maiblüten über
-grauen Mauern bedeckten vielhundertjährigen Marmor mit jungem Leben.
-
-Wenn Monika mit ihrem Gatten durch diese Stadt schritt, wenn sie
-mit ihm die Treppe zum Dogenpalast betrat oder im Palazzo Rosso vor
-einem Reiterbildnis von van Dyck stand oder vor Veroneses „Judith und
-Holofernes“, wenn sie im Boot zu dem Molo Duca di Galliera fuhr, von wo
-aus man die trotzige Stadt und das trotzige Gebirge in seiner ganzen
-wilden Schönheit sah, dann fühlte sie: das ist ein Höhepunkt!
-
-Und sie hätte dann der Zeit wie einem allzu feurigen Renner zuschreien
-mögen: „Halt an!“ Es konnte ja nicht mehr schöner werden!
-
-Und doch wurde es noch schöner. Als sie die kleine Villa fanden, droben
-in San Lorenzo.
-
-Auf einer Spazierfahrt hatten sie sie gesehn, hatten sie, angelockt
-durch das Vermietungsplakat, besichtigt, und Monika hatte erklärt, daß
-sie gern auf Rom, Neapel und alle übrigen Städte des gesegneten Italien
-verzichten wolle, wenn Georg für den Monat, der ihnen noch an Urlaub
-blieb, dieses kleine Haus mieten wolle mit seiner großen Terrasse, mit
-seinem herrlichen Garten über dem Meer.
-
-Georg hatte gezögert. Eigentlich gehörte es zu seinem „Programm“,
-seiner jungen Frau die Kunstschätze Italiens zu zeigen, aber Monika
-hatte so herzbewegend gebeten und das Haus war so hübsch, daß er
-einwilligte. Ueber die Mangelhaftigkeit der italienischen Dienstboten,
-die man für den Monat nahm, kam er zwar nicht so leicht hinweg, -- auch
-sonst gab es manches zu tadeln, -- aber alles in allem fühlte auch er:
-meines Lebens schönste Zeit!
-
-Sein kühles Herz blühte auf in der heißen Liebe, mit der seine Frau ihn
-umgab. Seine nüchternen Sinne wurden angeregt durch ihre sprühende Art,
-ihre stürmische Begeisterung.
-
-Jeder Tag war eine Kette von Wundern.
-
-Jeder Morgen kam wie ein junger Sieger.
-
-„Helios!“ sagte Monika, „der junge Sonnengott, der auf seinem goldenen
-Wagen einherkutschiert, die Zügel zwischen den Fäusten. Die mächtigen
-Pferde schäumen in ihr goldenes Gebiß und bäumen sich hochauf...
-Aber das tut ihm nichts... Er ist der Sonnengott, er ist der Sieger!
-Und da fährt er nun durch den Azur und verschwendet Sonne, vergeudet
-Sonne. Ach, in unserm armen Deutschland müssen wir einen halben Winter
-damit haushalten, was der hier an einem Maimorgen ausgibt! -- --
-Jetzt verstehe ich erst den Sonnenkultus, verstehe alle die Völker,
-die Perser und Lydier und Phrygier und Griechen und Römer, die sich
-anbetend niederwerfen vor dem Leuchtenden da droben!“
-
-Sie streckte die Arme hoch, in einer spontanen Gebärde, zur Sonne
-empor. -- --
-
-Dann ging man wohl mitunter an den Bergabhängen entlang, die hinunter
-nach Genua führten. Von den Kräutern, die an den Felsabhängen standen,
-ging ein herber und süßer Duft aus. Die Sonne drang mit Gewalt in sie
-hinein, in alle diese spröden amethystfarbenen und silbergrauen und
-weißen Kräuter mit den stacheligen Blättern; sie drang in sie hinein
-und sog ihnen den Duft aus den Kelchen. Und neben der harten Bergwelt,
-neben all diesem Gewucher von Minze, Ginster und Heidekraut lockte die
-weiche, sinnliche Pracht der Rosen.
-
-Und Olivenbäume bedeckten in unzähligen Mengen alle Berge, alle
-Schluchten; ihre Milliarden schmaler Blätter schoben sich wie
-silbergraue Schleier vor die Aussicht, und durch diese Blätternetze
-hindurch sah man das Meer, das blaue Juwel. Auf den Segeln der
-träumerisch dahingleitenden Schiffe blitzte die Sonne wie in einem
-Brennspiegel. -- --
-
-Oder war es noch schöner, wenn die Sonne schon untergegangen?
-
-Der Himmel zeigte dann noch purpurrote Streifen. Die tönten sich ab in
-Violett, das in Veilchenblau überging, und, tiefer hin immer blasser
-werdend, zeigte der Himmel da, wo er mit dem Meere zusammenstieß,
-denselben durchsichtig blaßblauen Ton wie das Wasser, verschmolz in
-eins mit ihm in zärtlicher Umarmung.
-
-Die riesigen Fischernetze waren lang über den Strand hingebreitet,
-sorgsam auseinandergezogen, daß man das Gitterwerk ihrer Maschen
-sah, -- ihre tief rotbraune Farbe gab einen düsteren Ton in diesem
-Zusammenklingen von leuchtenden und hellen Farben.
-
-„O dieses Rotbraun, -- -- das ist so richtig eine Farbe für
-Mordwerkzeuge,“ sagte Monika, „wie geronnenes Blut sieht es aus, so
-richtig eine Farbe für diese Netze, in denen sich Tag für Tag Hunderte
-und Tausende von lebendigen Fischen verstricken, um so qualvoll zu
-sterben.“
-
-Durch den flammenden Horizont taumelte im Zickzackflug eine Fledermaus,
-gefolgt von dem werbenden Männchen.
-
-Unten auf der Straße, die sich hart am Meere dahinzog wie ein endloses
-weißes Band, glitten auf Gummirädern ein paar Automobile vorüber. Ein
-paar Sekunden lang zerriß der gellende Schrei der Hupe den Abendfrieden
--- dann waren sie vorüber.
-
-Von dem alten Glockenturm herunter klang das Ave.
-
-Und der brennende Horizont wurde blasser, wurde farblos wie eine Blume,
-die verblüht.
-
-Langsam sank die Nacht über die Erde.
-
-Der Mond, der während des Sonnenunterganges blaß am Himmel gestanden,
-leuchtete plötzlich auf. In dieser Beleuchtung war der Garten ein
-anderer, als er am Tage gewesen. Die Stämme der Palmen mit ihren
-dunkeln Schuppen sahen aus wie die höckrigen Panzer bösartiger Reptile.
-In den blanken Blättern des Tulpenbaums spiegelte sich das Mondlicht
-am gleißendsten. Jedes dieser dunkeln Blätter war wie ein Spiegel aus
-Metall. Und die Stauden der weißen Levkoien, die so hoch und breit
-waren, daß sie wie Büsche erschienen, trugen ihre Last von ungezählten
-Blüten wie Millionen Silbersternchen. Die Heliotropbüsche blieben
-dunkel; ihre Blüten, die am Tage von einem süßlichen Violett waren,
-nahmen nichts von Licht in sich auf. Sie schienen nun schwarz, fast
-farblos, aber sie dufteten nur um so stärker und sandten ganze Wogen
-von Wohlgeruch in die Luft.
-
-Und Mondlicht über dem allen, verschwenderische Wellen von Mondlicht
-über der See, über dem Garten, -- in allen Räumen des Hauses. Das
-Schlafzimmer mit seinen weißen Möbeln gleißte wie Silber.
-
-Und Monika war es, als ob die schweigende Welt ringsum einen Hymnus
-anstimmte, einen Jubelhymnus auf ihr Glück. Diese überirdischen
-Tonwellen drangen auf sie ein, durchschauerten sie mit einer
-schmerzhaften Intensität. Fester preßte sie sich in Georgs Arme. Ein
-Schluchzen hob ihre Brust.
-
-„Was ist Dir?“ fragte er erstaunt.
-
-„Zu glücklich bin ich!“
-
-„Das ist doch keine Ursache zum Weinen.“
-
-„Doch! Denn ich sage mir: schöner kann es doch nun aber ganz sicher
-nicht mehr werden! Noch höher hinauf geht es nicht. Kommt nun ein
-Abstieg? -- -- Ich muß an ein paar Verse denken:
-
- ‚Sag’ nicht, daß Du mich liebst.
- Ich weiß, das Schönste auf Erden,
- Die Liebe und der Frühling,
- Es muß zuschanden werden -- --‘“
-
-Sie sah in diesem Augenblick den Abgrund, der alles verschlang, sah
-der Vergänglichkeit weitgeöffneten Höllenschlund, -- und mit einer
-schutzsuchenden und verzweifelten Gebärde klammerte sie die Arme
-fester um Georgs Hals.
-
-„Mone, Du bist überreizt. Sicher heut zu lange in der Sonne gewesen. Du
-bist doch sonst nicht so sentimental.“
-
-Da sanken ihre Arme herab: also er verstand gar nicht? „Sentimental“
-nannte er ihr trotziges Aufbäumen gegen den Verfall. „Sentimental“
-diese schauernde Angst der blutroten Lebenswärme gegen die grausame
-Zeit, die unablässig, unaufhaltsam fortschritt, sie vorwärtsführte in
-das graue Alter und in den eisigen Tod...
-
-Sie hatte geglaubt, daß die große Liebe, die über ihnen beiden war,
-all ihre Nerven aufeinander abgestimmt hätte, wie wohl, wenn man
-einen Ton auf dem Klavier anschlägt, die Tonwelle sich durch die Luft
-weiterpflanzt und das Kristall eines Glases in Schwingungen versetzt,
-daß es mitklingt in reinster Harmonie.
-
-Und so war es nicht?! Den Erschütterungen ihres Innern setzte er ein
-banales Nichtverstehen gegenüber?
-
-Das war die erste Enttäuschung ihres Liebesglücks.
-
-Sie war zu jung, um lange bei diesem Gedanken zu verweilen. Der nächste
-Tag schon brachte neue Freuden. „Schön, schön wie die Wirklichkeit,“
-sagte Monika.
-
-Und immer wieder durchzuckte sie der Gedanke: „Ach, die Zeit anhalten!“
-
-Mit heißem Bedauern sah sie jedem verflossenen Tage nach wie einer
-schönen Blume, die abblüht, die allzu schnell verwelkt.
-
-Und wie bald war der Tag gekommen, an dem man, an Bord des mächtigen
-Asiendampfers stehend, Genua im violetten Dunst der Ferne verschwinden
-sah.
-
-Monika war ein bißchen unglücklich darüber, daß man die kleine Villa
-und den großen Garten verlassen -- und sehr glücklich darüber, daß es
-nun neuen Wundern entgegenging.
-
-„Jetzt wird’s immer noch schöner?! Nicht wahr, Georg?“
-
-„Sicher, Liebling; aber eins: hier auf dem Schiffe wissen nun alle
-Leute, wer wir sind, wissen so viele, daß ich als Konsul rübergehe. Du
-mußt Dich von nun an zusammennehmen. Für mich allein habe ich Dein
-begeisterungsfähiges Wesen immer sehr reizend gefunden, aber als Frau
-eines Beamten darfst Du wirklich nicht mehr wie ein eben dem Pensionat
-entlaufener Backfisch herumspringen. Für eine Frau unserer Kreise ist
-es am angemessensten, man spricht gar nicht von ihr, weder im Guten
-noch im Bösen. Korrekt, mein kleiner Schatz, korrekt!“
-
-[Illustration]
-
-Und Monika wurde korrekt. Schneller als sie selbst, schneller als Georg
-es für möglich gehalten. Wohl schäumte sie im ersten Jahre ihrer Ehe
-noch mitunter auf wie ein junges Pferd, das sich ins Gebiß verbeißt.
-
-Aber Georgs ehern ruhige Art bändigte sie bald.
-
-Was ihrer Mutter, ihren Erzieherinnen nie gelungen, das gelang Georg
-Wetterhelm, ohne daß sie je ein hartes Wort von ihm zu hören bekommen
-hätte.
-
-Es war wohl überhaupt mehr das Beispiel als seine Worte, das so
-tiefgehende Wirkung auf Monika ausübte. Georgs Wesen und Sein war so
-ausgeglichen, so in sich gefestigt.
-
-Uebrigens wirkte er, trotz seiner vollendeten Höflichkeit, oft geradezu
-lähmend auf Leute, die Anlage zu Extravaganzen, zu Ausgelassenheiten
-hatten. Mit ihm „nahm man sich mehr zusammen“ als mit anderen.
-
-Es kam alles so anders, wie die Bekannten vermutet, als sie von Georgs
-Verheiratung gehört.
-
-„Die Kleine wird ihn gut unterkriegen,“ hatte das allgemeine
-Urteil gelautet, „die mit ihrem sprühenden Temperament, ihrer so
-urpersönlichen Art, Menschen und Dinge aufzufassen -- die wird es schon
-verstehen, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen.“
-
-Das alles traf nicht ein. Beim Aneinanderreihen dieser beiden
-Charaktere trug der Mann den Sieg davon. Immer von neuem rang seine
-Art Monika Bewunderung ab. Wohl fand sie oft seine Ansichten borniert,
-fand ihn mit Vorurteilen vollgepfropft, aber stets aufs neue wirkte die
-Geschlossenheit seines Wesens auf sie, der Zusammenschluß seiner ganzen
-Persönlichkeit. Alles stimmte bei ihm so harmonisch zusammen: seine
-Abkunft und seine Ansichten, sein Aeußeres und sein Wesen.
-
-Diese Harmonie wirkte auf Monika wohl um so stärker, als ihre
-nächsten Verwandten alle etwas Zerfahrenes hatten. Ihr Vater, dem
-die Willenskraft gefehlt, die spielerisch kindliche Mutter, die ihre
-Kinder, als sie klein gewesen, wie geliebte Puppen behandelt, und die
-dann plötzlich mit erschreckten Augen die Heranwachsenden gesehen, die
-wild emporgeschossen waren.
-
-Ja, Monika bewunderte ihren Mann, und sie empfand zu weiblich, um sich
-ihm nicht zu beugen.
-
-Zuerst waren es Kleinigkeiten, die sie ihm opferte: einen Hut, den
-er „zu auffallend“ fand, eine zu kühne Frisur, eine burschikose
-Bezeichnung.
-
-Dann ging es weiter: hier eine ihrer Ansichten, die ihm zum Opfer fiel,
-dort eine Ueberzeugung!
-
-Allmählich gewann seine Art immer mehr Einfluß auf sie: die mächtigen
-Flügel ihrer Phantasie, die sie so oft in goldstrahlende Höhen und
-in purpurfinstere Tiefen getragen, begannen sich matter zu regen,
-gleichsam gelähmt von der Nüchternheit, die mit ihr Tisch und Bett
-teilte.
-
-„Korrekt, mein kleiner Schatz,“ und Monika zog das buntflimmernde Kleid
-ihrer Persönlichkeit aus, um die Gesellschaftsrobe einer gut erzogenen
-Dame zu tragen.
-
-Sie lernte es, zu lächeln statt zu lachen; sie lernte es, den Schrei
-der Begeisterung oder des Abscheus zu unterdrücken, sie lernte es,
-Meinungen zu haben, „die niemand verletzen konnten“.
-
-Wohl wollte ihr das manchmal wie ein Verrat an sich selbst bedünken,
-aber tat sie es nicht gern... ihrem Glück zuliebe? -- -- --
-
-Als Monika, nachdem sie anderthalb Jahre verheiratet war, zum ersten
-Male wieder nach Deutschland kam, konnte ihre Schwiegermutter nicht
-umhin, anzuerkennen, daß Monika sich „sehr zu ihrem Vorteil verändert“
-habe.
-
-Ihre eigene Mutter war ganz konsterniert über den Wechsel, der mit
-ihrer Tochter vorgegangen.
-
-„Daß Sie das fertig bekommen haben,“ sagte die Baronin immer aufs neue
-zu ihrem Schwiegersohn.
-
-Die Brüder hatten jeder sein besonderes Urteil über Monikas Wesen.
-Alfred, der inzwischen Fähnrich -- „leider bei der Infanterie“ --
-geworden war, fand seine Schwester jetzt „auf der Höhe“. Sehr elegant
--- ohne die Koketterie, welche ihn an ihr so geärgert, als sie junges
-Mädchen war -- in Haltung und Auftreten große Dame. Heinzemännchen
-fand, Monika sei ohne Zweifel „geistig verflacht“. Dichten könne
-sie anscheinend überhaupt nicht mehr. Sie zeige kaum noch Rudimente
-literarischer Bildung und hätte sogar seinen neuen Lieblingsdichter für
-„sentimentalen Unsinn“ erklärt.
-
-Karl urteilte, daß Monika nach wie vor großartig sei. Wo gab es
-wieder eine so gute Schwester? Sie beschied ihm kaum je einen Wunsch
-abschlägig. Und Karl hatte eine ganze Menge Wünsche.
-
-Das war Birkensches Erbteil: der Hang zur Verschwendung. Als
-erschwerenden Umstand hatte er seiner Mutter Leidenschaft fürs
-Verschenken geerbt. Im übrigen war er liebenswürdig und freundlich,
-faul und lügenhaft. In diesem Alter, in dem sonst Knaben beginnen,
-männliche Züge zu zeigen, behielt er etwas Anmutig-Kindliches. Ueber
-seinem rosigen Gesicht schimmerten die Haare in tiefem Goldblond. Seine
-Augen waren so dunkel, seine Zähne so weiß -- über seinem ganzen Wesen
-lag eine friedliche Gottergebenheit.
-
-Ernstere Interessen hatte Karl überhaupt nicht, nur die einfachsten
-animalischen Freuden waren für ihn vorhanden: gut essen und gut
-trinken, lange schlafen und nichts tun!
-
-Monika hatte gerade für diesen Bruder eine besondere Zuneigung. Doch
-auch Alfred und Heinrich waren ihr sehr ans Herz gewachsen, ungeachtet
-dessen, daß diese beiden kaum jemals freundlich zu ihr gewesen.
-
-Georg von Wetterhelm hatte mitunter ein tadelndes Wort dafür, daß
-seine Frau oft Zeit, Geld und Mühe an ihre Brüder verschwendete. Ihm
-waren diese jungen Schwäger, die so völlig anders lebten, als er es im
-gleichen Alter getan, nichts weniger als sympathisch.
-
-Auch mit Frau von Birkens kapriziöser Art vermochte er sich niemals
-recht zu befreunden. Er sagte über diese angeheirateten Verwandten zwar
-nie ein Wort, aber Monika merkte die mangelnde Sympathie zwischen ihrem
-Manne und ihren Angehörigen, und das abfällige Urteil über die Ihren,
-das sich in Georgs Verhalten dokumentierte, war nicht ohne Einfluß auf
-sie, wie nichts ohne Einfluß auf sie blieb, was seine Ueberzeugung war.
-
-Halb unbewußt formte sie sich nach seinem Bilde. Halb unbewußt wurden
-ihre Ansichten anders, als sie es gewesen. Und langsam wuchs in ihr
-eine Scham gegen die Ungezügeltheit, die sie sonst zur Schau getragen.
-
-Die paar Male, wo sie aufgebraust war, in der ersten Zeit ihrer Ehe,
-blieben ihr unvergeßlich in Erinnerung, schmerzten sie wie alte Wunden,
-waren wie Niederlagen, deren sie sich schämen mußte.
-
-Ihre eitle und stolze Natur zuckte zusammen, wenn sie daran dachte,
-wie bei solchen Gelegenheiten Georgs Gesicht ausgesehen: erstaunt und
-peinlich berührt, etwas wie Verachtung um die Mundwinkel.
-
-Auch war das ganze Milieu, in dem Monika lebte, dazu angetan, allzu
-persönliche Wallungen zu unterdrücken.
-
-Ein Wirbel von Geselligkeit nahm sie auf, gleich in den ersten Jahren.
-Ueberall hatte sie zu repräsentieren, hatte die korrekt liebenswürdige
-Frau eines Beamten zu sein, für dessen Zukunft man viel hoffte.
-
-Da blieb für Extravaganzen kein Raum.
-
-Uebrigens das, was Monika so glühend ersehnt: der Aufenthalt in
-fremden, bunten Ländern, das hatte weniger Einfluß auf ihr Leben, als
-man hätte annehmen dürfen. Es war eigentlich doch nur ein Wechsel des
-Schauplatzes, ein Kulissenwechsel -- weiter nichts!
-
-Ob man zusammen mit den Mac Gregors und der Familie de Varency zur
-Sphinx von Gizeh ritt durch die ägyptische Wüste -- ob man zusammen mit
-Graf Berrier und Frau von Hellingen und dem Rathorstschen Ehepaar von
-Brüssel aus einen Wagenausflug nach dem Kolonialmuseum von Tervueren
-machte -- ob man in Paris im historischen Palais der Herzogin des
-Garviers tanzte -- es war doch nur Wechsel des Dekors für ewig sich
-gleichbleibende gesellschaftliche Formen.
-
-Georg Wetterhelm war stolz auf seine Frau. Sie gefiel im allgemeinen
-ausgezeichnet. Abgesehen von einigen Damen, die ihre Erfolge
-beneideten, war man allgemein von Monika entzückt.
-
-Sogar Fürst Herrlingen, der Vorgesetzte Georgs, welch letzterer
-inzwischen zur Diplomatie übernommen worden war, zeigte lebhaftes
-Interesse für Frau von Wetterhelm.
-
-Der alte Herr, der sonst im Rufe eines Frauenfeindes stand, plauderte
-oft aufs angeregteste mit ihr, hatte im kleinen Komitee von ihr gesagt,
-„sie wäre in seinem Leben die erste Frau, mit der man sich vernünftig
-unterhalten kann“.
-
-Das „vernünftig unterhalten“ bestand darin, daß er zu ihr eben nicht
-sprach, wie er sonst zu Damen redete, sondern Themata anschlug, über
-die er mit Männern sprach.
-
-Auch seinem Sarkasmus in der Beurteilung von Welt und Menschen ließ er
-ihr gegenüber ungehindert die Zügel schießen.
-
-Monika hatte zwar gar keine boshafte Ader, gar keinen Sinn für
-Klatsch, aber sie würdigte die Art, wie dieser Klatsch vorgetragen
-wurde, würdigte jede Pointe, jedes treffende Wort -- die ganze Art des
-Fürsten, den Extrakt einer Sache zu geben.
-
-Und mit der hervorragenden Schlagfertigkeit, die sie von Jugend
-auf im Gespräch gehabt, fand sie immer eine zündende Antwort. Die
-Unterhaltungen zwischen ihnen beiden waren wie eine brillante
-Florettmensur, glänzende Ausfälle, die ebenso glänzend pariert wurden.
-
-Aeußerlich war Monika jetzt wirklich eine Schönheit zu nennen. Der
-unruhige, so oft wechselnde Ausdruck, den sie als Mädchen gehabt, war
-einer lächelnden Gleichmäßigkeit gewichen, die trotzige Haltung von
-einst einer korrekten Grazie. Und der wilde Schimmer in den Augen war
-erloschen; in diesen dunkeln Sternen stand jetzt nichts mehr von heißer
-Sehnsucht und von brennender Gier.
-
-Das Leben war jetzt so nett. Georg schaffte ihr all den Luxus und die
-Eleganz, die ihr so viel Spaß machten.
-
-Er, der für sich selbst immer so sparsam gewesen, kannte nie ein
-Bedenken, wenn es galt, einen Wunsch seiner Frau zu erfüllen.
-
-Ja, er liebte sie, und sie ihn auch so sehr -- und man würde Karriere
-machen.
-
-Famos war das Leben!
-
-Was schadete denn das, wenn manchmal in stillen Nächten all ihr wirres
-Jugendweh vor ihr auftauchte wie ein verlorenes Paradies?
-
-Alle die klingenden Verse, die Georg als „zu unpassend“ ein für allemal
-abgetan, schwirrten ihr dann durch den Kopf.
-
-Und Worte kamen ihr, sie wußte nicht wie:
-
- „Wie liegt das alles mir schon so weit:
- Alle die Hirngespinste
- Aus meiner verträumten Kinderzeit. --
-
- Vorbei!... Ich weiß nicht mehr, wie das ist,
- Wenn man nicht schlafen kann in den Nächten
- Und die Kissen des Bettes voll Inbrunst küßt!
-
- In meinen fiebernden Kindertagen
- War mir, als müßte mein Schulternpaar
- Alles Leid von Himmel und Erde tragen, --
-
- War mir, als müßte mein Leben sein
- Wie ein kurzer Tag voll brennender Gluten,
- Voll Frühlingssturm und Gewitterschein!
-
- Und des Daseins Rätselfrage klang
- Tag und Nacht durch mein Kinderhirn,
- Indes die Sehnsucht mein Herzblut trank.
-
- Ich war so krank. -- Und bin so gesund!
- Statt der heimlichen, giftigen Träume
- Küßt mich das +Leben+ auf den Mund.
-
- Ich weiß jetzt nichts mehr von Traumgefühl,
- Weiß nichts von heimlichen Tränen,
- Und „Sehnsucht“ finde ich ~ridicule~!
-
- Das Leben ist ja so schön und bunt
- Und trägt mich auf starken Armen...“
-
-Ja, famos war das Leben!
-
-Und darauf war gar nichts zu geben, daß sie manchmal doch noch
-phantastische Träume hatte. Das waren ja keine Träume wie früher, mit
-wachenden Augen gesehen. Jetzt träumte sie nur noch manchmal, wenn sie
-schlief.
-
-In einer Frühlingsnacht war es ihr, als höre sie Hunderte und Hunderte
-von Vogelstimmen, wilde Vogelstimmen, die schrien und klagten... so
-herzzerreißend klang’s... Hunderte und Hunderte von Vögeln waren
-um sie herum, ihr goldglänzendes, buntschimmerndes Gefieder war so
-zerzaust von Sturm und Wetter. Sie klagten: „Wir sind Deine Lieder,
-wir sind Deine Gedanken, all Deine Träume sind wir -- und Du hast uns
-hinausgejagt, hast uns vertrieben in die Fremde hinaus, daß wir nun
-nicht mehr wissen, wo wir unser Nest bauen sollen. Und wir haben Dir
-doch so schön vorgesungen in all Deinen Kinderjahren und in der Zeit,
-da Du zum Weibe wurdest. Und hast uns verjagt und hinausgetrieben, und
-müssen wir jetzt so elend sterben...“
-
-Sie klagten und schrien... so herzzerreißend klang’s.
-
-Da weinte sie laut auf im Schlafe.
-
-Aber das war ja nur im Schlafe.
-
-Das Leben war ja famos, ja, natürlich war es das -- „famos“.
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-11.
-
-
-Der erste längere Aufenthalt, den Wetterhelms wieder in Deutschland
-nahmen, war dem Umstande zuzuschreiben, daß Georg für längere Zeit beim
-Auswärtigen Amt in Berlin eingezogen war.
-
-Fünf Jahre waren sie verheiratet, und was Korrektheit der Ansichten
-anbetraf, so war Monika die Schülerin, die ihren Lehrer übertraf.
-
-Ein bißchen snob geworden, die schöne Frau von Wetterhelm, die sich nur
-mit einem gelinden Schauer erinnern konnte, einst wilde Gedichte in dem
-längst dahingeschwundenen „Leuchtturm“ veröffentlicht zu haben.
-
-Auch hatte sie eine dunkle Erinnerung daran, daß sie früher einmal alle
-Menschen für gleichberechtigt erachtet hatte -- jetzt hielt sie nur die
-Angehörigen verschwindend weniger Berufsarten für „anständig“.
-
-Ja, es kam vor, daß ihr Mann gelegentlich einen leichten Tadel dafür
-hatte, daß sie ihre Exklusivität übertrieb. Er sagte dann, er sei ein
-modern denkender Mensch und neige sogar zu liberalen Ansichten.
-
-Er wußte selbst nicht, daß dies Redensarten waren, wußte selbst nicht,
-daß er im tiefsten Grunde seines Wesens auch nicht das winzigste
-Teilchen seines Junkertums der modernen Zeit geopfert.
-
-Aber Monika wußte es, fühlte es.
-
-Sie hatte seine Anschauungen in sich aufgenommen, und sie trieb diese
-Ansichten nun auf die Spitze.
-
-Mehr noch als ihr Gatte spöttelte sie jetzt über zur Schau getragene
-Gefühlsregungen. Ihr Herz, das einst so warm geschlagen, ihre ganze
-heißblütige Persönlichkeit erstarrte langsam, wie ein wilder Bach unter
-einer Eisdecke erstarrt. Sie hatte früher so leicht und so schnell
-verziehen, hatte immer einen guten Gedanken, ein gutes Wort gehabt für
-die Fehler von anderen.
-
-Jetzt aber war sie unnachsichtig, hatte sich das strenge Urteil ihres
-Gatten zu eigen gemacht. Seine ganze kühle Art war die ihre geworden.
-
-Wie schnell und wie beschämt hatte sie sich die Freudenausbrüche
-abgewöhnt, die sie früher bei allen möglichen Gelegenheiten gehabt.
-Georgs eisiges: „ganz nett“, sein in ruhigstem Tone gesprochenes
-„herzlich unbedeutend“ schlugen ihre Begeisterung sofort tot. Jetzt
-sprach sie es noch überzeugter als er, das „herzlich unbedeutend“.
-
-Mit ihrer Mutter stand sie äußerlich in tadellosen Beziehungen. Aber wo
-waren die Zeiten, wo ein inniges Verhältnis zwischen ihnen geherrscht!
-
-Auch den Brüdern war sie entfremdet. Alfred sah sie überhaupt nicht.
-Wenn der aus seinem pommerschen Nest mit Urlaub -- oft sogar ohne
-Urlaub -- nach Berlin kam, hatte er anderes zu tun, als Familie zu
-simpeln. Ueberdies hatte er schärfste Worte für Monikas Hochmut, der er
-deutlich genug anmerkte, daß ihr ein Bruder bei der Linien-Infanterie
-nicht passe.
-
-Er besuchte Monika höchstens, wenn er sie damit ärgern konnte.
-
-Zum Beispiel einmal, als sie ihn nicht zu einem Frühstück geladen, und
-er sich, ob mit Recht oder mit Unrecht, einbildete, sie wolle ihn nicht
-bei diesem Essen, bei welchem die anwesenden Militärs ausschließlich
-den exklusivsten Gardekavallerie-Regimentern angehörten.
-
-Da erschien Alfred uneingeladen und zeichnete sich durch ein
-hinterwäldlerisches Benehmen aus, das er sonst nicht im mindesten besaß.
-
-Es gewährte ihm ein ganz besonderes Vergnügen, zu sehen, wie Monika
-sich mühen mußte, ihre Haltung zu bewahren, als er dem Prinzen
-Schwarzenfels-Binsingen von den Gardedukorps vorschwärmte, wie
-„entzückend modern“ und „wunderbar poetisch“ die Truppe des Theaters
-von Treuenbrietzen gespielt, die vor einigen Wochen in seiner kleinen
-Garnison gastiert.
-
-Auch stellte er, der tatsächlich ein firmer Reiter war, bei diesem
-Frühstück so unsinnige sportliche Betrachtungen an, daß er seinen Zweck
-vollkommen erreichte: sämtliche anwesenden Leutnants wunderten sich
-darüber, daß diese schicke, erstklassige Frau von Wetterhelm einen „so
-üblen“ Bruder besaß.
-
-So weit wie Alfred ging Heinrich nicht. Zu einem Vorgehen durch
-Taten entschloß er sich nie, aber auch er war gekränkt von Monikas
-Hochmutsteufel. Die Dichter, die sie früher als Gottbegnadete und
-Auserwählte des Schicksals angesehen, waren ihr doch jetzt eigentlich
-Menschen zweiter Klasse; sie waren oft von so vager Herkunft, hatten
-kaum jemals staatserhaltende Prinzipien, und alle die schönen Sachen,
-die sie fabulierten, hielten vor strenger Logik nicht stand. Daß
-Heinzemännchen ihr wie früher stundenlang Gedichte vorlas, konnte sie
-wirklich nicht mehr aushalten.
-
-Freundinnen sah sie keine. Als sie noch junges Mädchen war, hatten
-sich ihre Freundschaften immer so gestaltet, daß die andere zu ihr
-aufsah, mehr die Rolle einer untergeordneten Begleiterin als die einer
-Gleichberechtigten spielte. Jetzt aber hatte sie überhaupt keine Zeit
-mehr für Freundschaften.
-
-Mit ihrer Cousine Bertha, die sie sofort aufgesucht, fand sie nicht
-mehr den kameradschaftlichen Ton von früher. Monikas Art hatte ja jetzt
-etwas Gönnerhaftes, was bei Bertha gänzlich unangebracht war. Denn
-Bertha war jetzt ein „modernes Weib“.
-
-Man spürte in ihr nichts mehr von dem warmherzigen, naiven Mädchen,
-das sie vor fünf Jahren gewesen, als sie mit Monika zusammen die
-Gymnasialkurse besucht. Sie lächelte jetzt verächtlich, wenn sie daran
-erinnert wurde, wie sehr sie damals jedes Mädchen beneidete, das sich
-verlobte oder gar verheiratete.
-
-O, jetzt war sie weit entfernt davon, sich „unter das Joch des Mannes
-zu beugen“. Sie studierte jetzt im fünften Semester Philologie. In
-Kleidung und Frisur trug sie eine puritanische Einfachheit zur Schau.
-Mitunter wurde sie damit geneckt, wie sehr sie vor fünf Jahren für rosa
-Kleider, seidene Unterröcke, gebrannte Stirnlöckchen geschwärmt.
-
-Solche Bemerkungen nahm sie durchaus nicht lächelnd auf, sondern setzte
-dann auseinander, daß sie damals eben noch ein ganz urteilsloses
-Geschöpf gewesen, daß aber inzwischen ihr Bildungsgang, ihre
-Kameradinnen -- alles -- sie dahin aufgeklärt habe, daß eine völlige
-Umwertung aller Werte des Frauendaseins zu erfolgen habe!
-
-Ein freier, selbständiger, unabhängiger Mensch müsse die Frau sein,
-frei von dem Sklaventum der Ehe! Man sähe ja, was bei den Ehen
-herauskam! Z. B. wie unglücklich hätte sich die Ehe von Monikas Cousine
-Frau von Hammerhof gestaltet! Ihr Sohn solle ja ganz nett sein, aber
-mit dem Gatten stände Marie Hammerhof sich spottschlecht. Das hatte
-Bertha von den verschiedensten Seiten gehört.
-
-Und Bertha sei ihrer Mutter jetzt dankbar, daß sie ihr beizeiten den
-einzigen Weg des Heils für die Frau gewiesen: die Emanzipation! -- --
--- -- -- Frau von Holtz dagegen, die Marie sozusagen gezwungen, den
-ersten besten zu heiraten, bloß weil sie in heiratsfähigem Alter war,
--- die würde ja jetzt genug Zeit und Gelegenheit haben, ihren eigenen
-Unverstand zu bedauern.
-
-In der Tat war Maries Ehe eine unglückliche. Das sah Monika, als sie
-das Hammerhofsche Ehepaar einmal bei ihrer Mutter traf.
-
-Hammerhofs waren auf der Durchreise nach Ems, wo ihr Sohn, der
-vierjährige Kurt, eine Kur gebrauchen sollte. Der Kleine hatte so
-zarte Bronchien. „Ein Erbteil von mir,“ sagte Marie mit verbissenem
-Gesichtsausdruck. Sie war überschlank geblieben, wie sie es als junges
-Mädchen gewesen; auch ihr Wesen war noch das gleiche: ihre brüske
-Aufrichtigkeit, ihre herbe Art.
-
-Wohl wußten alle, die sie näher kannten, daß hinter dieser Schroffheit
-sich ein tadellos anständiger Charakter, eine pflichtbewußte ernste
-Natur verbarg, aber ihre Art, der jede Grazie fehlte, die nichts von
-weiblicher Weichheit besaß, ließ es nicht unverständlich erscheinen,
-daß ihr Mann nicht gern in seiner Häuslichkeit weilte.
-
-Es gingen auch Gerüchte, daß es mit der ehelichen Treue bei ihm nicht
-sehr gut bestellt sei, auch solle er den Freuden des Bechers allzu gern
-und allzu häufig zusprechen.
-
-Jedenfalls sagte Marie selbst nie ein Wort darüber, beklagte sich auch
-nie.
-
-Für Fremde war entschieden Herr von Hammerhof der Sympathischere
-von den beiden. Er hatte so gute Manieren, eine liebenswürdige Art.
-In Gesellschaft anderer war er immer höflich und freundlich zu
-seiner Frau, wogegen diese ihn mit ausgesuchter Unliebenswürdigkeit
-behandelte. Es kam ihr nicht darauf an, ihm auch, wenn Fremde dabei
-waren, recht bittere Worte zu sagen; in ihren vorzeitig scharf
-gewordenen Zügen prägte sich dann eine schneidende Verachtung aus.
-
-Nur dann wurde sie anders, wenn sie ihr Kind sah, wenn sie ihren Jungen
-in den Armen hielt und ihn voll unendlicher Liebe betrachtete. In
-dieser hageren Frau, die in ihrer äußeren Erscheinung so gar nichts
-Mütterliches hatte, brannte die Mutterliebe in einer schönen und
-starken Glut.
-
-Daß Marie bei ihrer schwachen Gesundheit so oft Nächte durchwachte,
-wenn der Kleine krank war, das war nichts so Besonderes, das hatte die
-Baronin Birken auch unzählige Male getan. Aber daß sie ihrem Kinde
-nicht jeden Willen ließ, daß sie Kurt auch strafte, so weh ihr das tat,
-daß sie viele seiner Wünsche, die sie ihm so gern gewährt haben würde,
-abschlug im Interesse seiner Entwicklung -- das war es, was Maries
-Mutterliebe von Frau von Birkens Mutterliebe unterschied.
-
-Es gab kein besser gehaltenes, kein besser erzogenes Kind als Kurt,
-aber seine Gesundheit ließ zu wünschen übrig. Dieser Sprößling eines
-Ehepaares, das sich nie geliebt, hatte einen traurigen Zug, sogar
-sein Lächeln hatte etwas Kümmerliches. Er liebte niemanden als seine
-Mutter, verkroch sich oft wie schutzsuchend in ihren Armen, und Maries
-herbes Gesicht verklärte sich wundersam, wenn sie sich über das blonde
-Köpfchen neigte.
-
-„Mutter sein, -- das ist doch das einzige Glück für eine Frau!“ sagte
-sie, als man bei Birkens ihr Kind gebührend bewunderte.
-
-Aber Monika protestierte. „Das einzige Glück? Das wirst Du nicht
-aufrechterhalten können. Ein Glück, -- gewiß. Aber das einzige?...
-Die Liebe, die man für ein Kind hat, kann doch nie annähernd das Glück
-gewähren, das die Liebe zum Gatten gibt.“
-
-Marie lachte höhnisch und erwiderte mit ein paar scharfen Bemerkungen.
-Bemerkungen, die Monika nicht widerlegte, denn sie liebte schon lange
-keine Diskussionen mehr. Am wenigsten solche, in denen man einen so
-scharfen Ton anschlug, wie Marie es tat. Monika stand jetzt auf dem
-Standpunkte, daß ihr Leute ohne Ueberzeugungen, wofern sie tadellose
-Manieren hatten, lieber waren als wertvollere Naturen, wenn diese sich
-rauh gaben.
-
-Dieser Ueberzeugung verlieh sie gelegentlich Worte, worauf Frau von
-Birken in überwallender Empörung erwiderte, daß das ein Gipfel von
-Snobismus sei, den sie ihrer Tochter nie zugetraut. Erst komme das
-Gemüt und nochmals das Gemüt, dann eine ganze Weile gar nichts, dann
-der Geist und lange nachher erst Manieren und Formen!
-
-Am schärfsten aber sprach sich Heinzemännchen gegen die neue
-Lebensauffassung seiner Schwester aus.
-
-„Du hast früher Wertvolles bewundert, jetzt aber betest Du ärmliche
-Nichtigkeiten an! Früher hast Du ungeschliffene Edelsteine geliebt und
-jetzt geschliffene Kiesel!... Wie heißt es doch?
-
- Das Leben schleift so oft Kristalle
- Zu wunden Kieselsteinen ab -- --“
-
-„Sicher sind mir nette, glatte Kiesel lieber als irgend so ein zackiger
-Kristall, an dem man sich wundreißt.“
-
-Da erreichte Heinrichs Empörung den Höhepunkt.
-
-„Also das gibst Du zu, das gibst Du zu?! Du bist eben selbst so ein
-glattes Nichts geworden!“
-
-Sie lächelte. Das überlaute, nicht endenwollende Gelächter ihrer
-Mädchenjahre hatte sie sich ja schon so lange abgewöhnt.
-
-Sie lächelte. Reizend liebenswürdig und ein bißchen banal war dieses
-Lächeln und hatte die Gabe, Heinrich noch mehr in Harnisch zu bringen.
-
-„Ein glattes Nichts!“ wiederholte er zornbebend, „eine Modepuppe bist
-Du geworden mit dem „guten Ton“ statt eines Herzens, und Vorurteilen
-statt eines Gehirns.“
-
-„Und mit einer allzu großen Langmut, die mich veranlaßt, Dich
-anzuhören,“ sagte Monika in vollendeter Haltung. Dann knöpfte sie ihre
-langen Handschuhe zu und sagte beim Abschiednehmen ihrer Mutter:
-
-„Du mußt verzeihen, Mama, wenn ich nicht oft mehr komme; auf Heinrichs
-Ton steht mir eine entsprechende Antwort nicht mehr zu Gebote.“
-
-Und sie ging, nachdem sie ihrem Bruder sehr höflich die Hand gereicht
-und der Mutter einen Kuß auf die Wange gehaucht.
-
-Heinrich sagte nachher ganz erschüttert: „Mama, früher wenn ich ihr
-sowas gesagt hätte, hätte sie mir was an den Kopf geworfen, hätte sich
-verteidigt, mich widerlegt, -- und, glaube mir, es wäre mir lieber
-gewesen, sie hätte mit einem Donnerwetter geantwortet, als so!...
-Sie hatte ja früher gefährliche Anlagen, gewiß -- -- sie war eine
-Pantherkatze... Aber sie war doch wertvoll und originell. Und jetzt?...
-Eine Larve, Mama, eine Gesellschaftspuppe, -- ein Kieselstein -- und
-war doch einmal ein Kristall!“
-
-„Ja, sie hat keinen Funken von meinem Gemüt,“ sagte die Baronin
-traurig, „aber laß Dich das nicht anfechten, mein süßer Liebling,
-ärgere Dich nur nicht darüber! Du siehst schon ganz angegriffen aus,
-mein Heinuckelchen!“
-
-Heinrich strich sich über die Schläfen. „Es wird vorübergehen.“
-
-„Aber Du siehst schlecht aus, ja wirklich,“ beharrte Frau von Birken
-mit einer so überzeugenden Wärme, daß Heinrich ganz unwillkürlich ein
-leidendes Gesicht machte.
-
-„Sag’, was hast Du denn, mein Einziges? Arbeitest Du vielleicht zu
-viel? Ach Gott, Jurisprudenz ist sicherlich das schwerste Studium von
-allen, aber Deines Geistes würdig. Nur überanstrenge Dich nicht! Schone
-Dich, mein Heinzemännchen, schone Dich!“ --
-
-Und das Sich-schonen besorgte Heinzemännchen redlich. Das erwählte
-Studium sagte seiner träumerischen Natur nicht sehr zu. Am wohlsten
-fühlte er sich im Kreise der jungen und jüngsten Literaten, mit denen
-er sich jeden Nachmittag in einem Café traf. Man saß dort viele Stunden
-zusammen, trank schwarzen Kaffee und schimpfte auf die herrschenden
-Literaturgrößen. Dieser Zeitvertreib wurde dadurch belebt, daß auch
-die Weiblichkeit vertreten war. Eine junge Dichterin, die jedem, den
-sie kennen lernte, in den ersten fünf Minuten versicherte, daß sie
-„sehr pervers“ sei -- zwei Vortragskünstlerinnen vom Kabarett „Zum
-Regenbogen“ -- und eine Barfußtänzerin beschäftigten sich damit, den
-jungen Poeten himmlische Rosen ins irdische Leben zu flechten.
-
-Heinzemännchen nahm einen ehrenvollen Platz in diesem Kreise ein. Die
-Weisheit, die er hier lernte, machte mehr Eindruck auf ihn als die im
-Hörsaal. Das war so recht was für ihn, diese endlosen Diskussionen
-bei Kaffee und Zigarette über Naturalismus, Mystizismus, Symbolismus,
-Neo-Impressionismus, -- -- nur unterbrochen durch den Vortrag von
-lyrischen Gedichten, die bei allen anwesenden Freunden des jeweiligen
-Autors brausende Beifallsstürme hervorriefen.
-
-Heinrichs Gedichte hatten vor allem den Beifall der Damen.
-
-„So gefühlvoll dichtet doch kein anderer wie unser Baron
-Heinzemännchen,“ sagte die Barfußtänzerin mit Tränen in den Augen, als
-er seine Ode: „An die violette Ampel im Schlafzimmer meiner Geliebten“
-vorgetragen.
-
-Diese literarischen Freuden waren endlos, die Gespräche waren nicht
-einzudämmen. Die Gesellschaft saß manchmal noch zusammen, wenn schon
-der Frühschein sich durch die Fenster stahl, und der Pikkolo, dessen
-großer Kopf vor Schlaftrunkenheit zwischen den Schultern schwankte, die
-unermüdliche Gesellschaft mit rachsüchtigen Augen anstarrte.
-
-Für Heinrich war es unangenehm, daß seine Mutter immer noch auf war,
-wenn er nach Hause kam.
-
-Auf alle seine Vorhaltungen erwiderte sie, sie könne doch nicht
-schlafen, wenn ihr Liebling nicht wohlgeborgen in seinem Bettchen ruhe.
-Und es wäre ja sehr häßlich von dem Liebling, seine Mutter so lange
-warten zu lassen, aber schlafen ginge sie nicht, ach nein! Sie opfere
-sich eben auf für ihn.
-
-Heinrich unterdrückte die Aeußerung, daß er auf dieses Opfer gern
-verzichte. Er war seiner Mutter gegenüber durchaus rücksichtsvoll im
-Ton. Aber innerlich wurde ihm die überzärtliche Bevormundung immer
-unerträglicher.
-
-Er schwankte noch einige Zeit hin und her, raffte sich dann aber doch
-zu einem Entschlusse auf und sagte ihr eines Tages, daß er von jetzt ab
-allein wohnen wolle.
-
-„Du mußt mir das nicht übel nehmen, Mama, aber bei Dir werde ich kein
-Mann, wie er fürs Leben paßt. Dieses ewige Bemuttern und Streicheln
-und Küssen, -- ich bin doch schließlich kein Wiegenkind mehr. Und ich
-komme natürlich sehr oft zum Besuch.“
-
-„Heinrich, das ist doch nicht möglich! Verlassen willst Du mich?! Das
-kannst Du mir doch nicht antun. Mir... Deiner Mutter, die sich zeit
-Deines Lebens so für Dich aufgeopfert hat.“
-
-Im Tone ihrer Stimme zitterte all ihr Gefühl für diesen Sohn, das
-größte und tiefste Gefühl ihres Lebens.
-
-Sie sprach nicht laut wie sonst, wenn sie erregt war. So tonlos
-klang’s... mit versagender Stimme: „Heinrich, ich habe doch alles
-getan, was ich Dir an den Augen absehn konnte, -- alles... alles...“
-
-Er zögerte.
-
-„Ja, ich weiß das auch zu schätzen, Mama. Sicher... Halte mich nicht
-für undankbar! Ich bin doch jetzt ein erwachsener Mensch, ich muß doch
-mal endlich auf eigenen Füßen stehen lernen.“
-
-Sie fand keine Worte mehr, -- sie, bei der sonst die Rede so lustig
-sprudelte wie ein Bächlein über Stock und Stein. Der Schlag war zu
-unerwartet gewesen, kam zu sehr aus heiterem Himmel. Sie hoffte immer
-noch, Heinrich werde seine Absicht nicht ausführen. Das konnte er ihr
-doch gar nicht antun!
-
-Aber sie kannte ihr eigenes Fleisch und Blut schlecht. Die Birkenschen
-Kinder gaben keinen Plan auf.
-
-Das war einer der schwersten Schläge ihres Lebens, der Tag, an dem
-Heinzemännchen von ihr ging.
-
-Er hatte sich ein möbliertes Zimmer gemietet, im Studentenviertel, und
-kam sich in seiner endlich errungenen Freiheit sehr stolz und glücklich
-vor.
-
-Seine Mutter hatte gehofft, daß er schon nach den ersten Tagen
-wiederkommen würde, daß ein Leben ohne ihre Sorgfalt und Mühe nicht
-auszuhalten sei. Aber sie täuschte sich.
-
-Heinrich aß sogar sein zähes Restaurationsschnitzel, das er nun statt
-der herrlichen mütterlichen Fleischtöpfe vorgesetzt bekam, mit einem
-Gefühl der Befreiung. Sicher, die Mama war immer rührend um ihn besorgt
-gewesen, aber dieses Uebermaß hielt man nicht aus!
-
-Seiner im Grunde gutmütigen Natur entsprechend, besuchte er sie
-zuerst täglich. Dann aber wurden die Bande, die ihn an seine
-Kaffeefreundinnen und -freunde knüpften, immer festere, und die Besuche
-bei seiner Mutter erfolgten in immer größeren Zwischenräumen.
-
-Frau von Birken konnte und konnte sich nicht in die Trennung von ihrem
-Lieblingssohn fügen. Ihr schien ihr Leben plötzlich seines besten
-Inhalts beraubt.
-
-Was war das für ein Aufwachen jetzt, seit sie wußte, daß sie nicht wie
-sonst nur eine Tür zu öffnen brauchte, um das geliebte Gesicht ihres
-Jungen im tiefen Morgenschlafe zu sehn!
-
-Was war das für ein Tag, der ihr keine Sorgen mehr darüber brachte, was
-Heinrich essen würde, womit man ihm eine Freude machen könne....
-
-Sie empfand ihr Mutterschicksal als ein unverdient unglückliches. Was
-hatte sie nun von ihren Kindern?! Daß Alfred sie verschwindend selten
-besuchte, war ihr nicht so wichtig. Mit dem hatten sie ja nie sehr
-intime Bande vereint.
-
-Daß Monika sich so verändert, darunter litt sie. Was war Mone früher
-für ein anschmiegendes, warmherziges Kind!
-
-Was Heinzemännchen anbetraf, so gab sie ihm keine Schuld an seiner
-Fahnenflucht, -- er war ja ein so edler Mensch, da mochten eben
-irgendwelche Einflüsse mitgespielt haben, dunkle Mächte, über die sich
-Frau von Birken selber nie klar wurde. Aber mochte es nun gewesen
-sein, was es wollte, -- das Unglück war jedenfalls da: der Liebling
-war ihrem mütterlichen Herzen entrissen. Das unglückliche Kind hauste
-jetzt in einem Zimmer, auf dessen Bett nur Decken lagen, „nicht einmal
-ein Federzudeck“, und des Morgens bekam er statt Tee, Toast, Schinken,
-Setzeier und Marmelade -- nun Zichorienkaffee und Schrippen mit
-Margarine. -- --
-
-Nur Karl blieb jetzt der Mutter. Und Karl war kein ausreichender Trost.
-
-Er war ja ein netter, gutmütiger Junge, aber er hatte so gar keine
-Interessen, die ihn mit der Mutter verknüpften, so gar nichts von der
-geistigen Begabung ihrer anderen Kinder.
-
-Er war jetzt beinahe achtzehn Jahre alt und saß immer noch in
-Unter-Sekunda.
-
-Aeußerlich war er ein auffallend hübscher Mensch. Noch immer Cherubim.
-Kein Barthaar beschattete seine weichgeschwungene Oberlippe, seine
-Haut war weiß und rosig wie die eines Babys. Noch immer hatte das
-Haar seinen Goldschimmer und die dunkeln Augen ihren unschuldsvollen
-Ausdruck.
-
-Noch immer war er gottergeben und leichtsinnig, nur daß diese
-Leichtsinnigkeiten jetzt einen sehr viel größeren Umfang angenommen
-als früher. Er raubte jetzt nicht mehr Nickel, aber er ging
-Schuldverschreibungen ein, die seine Mutter dann mit Ach und Krach, mit
-Lamentieren und Wehklagen einlöste. Oft, wenn sie ihm gar nichts mehr
-geben wollte, ging er zu Monika, die immer ein paar Goldstücke für ihn
-übrig hatte.
-
-Das Zuhören in den Lehrstunden gewöhnte er sich allgemach ganz ab. Das
-alles war so anstrengend und unverständlich. Er mußte ja hingehen aufs
-Gymnasium, das war klar, -- das Einjährige zum mindesten mußte er haben.
-
-Aber das würde er schon irgendwo machen, das würde sich schon
-arrangieren lassen. Es arrangierte sich ja immer alles...
-
-Nur sein Körper saß auf der Schulbank. Sein Geist duselte in seligen
-Fernen.
-
-Es waren durchaus keine aufregenden Genüsse, die er sich vorstellte.
-Nur etwa so: stille daliegen auf dem weichen Sandstrande eines blauen
-Sees, die nackten Glieder von Luft und Sonne umspielen lassen... Und
-Stille ringsum und Schweigen... nichts tun, nichts denken, -- -- in
-die flimmernden Wellchen starren, die der See kräuselt, und Zigaretten
-rauchen... Oder: sehr gut essen, viel und gut, saftige Braten und kühle
-Fruchtgelees... Oder: ein hübsches Mädchen, das sehr nett und lieb zu
-ihm war...
-
-In Wirklichkeit waren viele Mädchen lieb zu ihm. Seine Schönheit, sein
-liebenswürdiges Wesen erschlossen ihm viele Herzen. Er selbst war nicht
-gerade leidenschaftlich, aber er nahm mit Freuden alle Liebe, die ihm
-dargebracht wurde.
-
-Frau von Birken war außer sich über die rosa Briefe, „noch dazu die
-meisten unorthographisch“, die ihm ins Haus flogen. Sie fing diese
-Briefe ab, öffnete sie, hielt sie dem Schuldigen vor, erging sich
-in Zornesausbrüchen über seine Liederlichkeit, worauf er mit einem
-ehrlichen Nichtverstehn ihr nur erwiderte:
-
-„Aber da ist noch nichts dabei, Mama, -- -- es ist wirklich ein sehr
-nettes Mädchen.“
-
-„Mein Gott, was soll bloß aus Dir werden?“ stöhnte die Mutter.
-
-Er zuckte ratlos die Achseln.
-
-„Aber Du kannst doch nicht als Rentier leben, dazu haben wir ja gar
-nicht die Mittel. Ein Mann muß doch etwas tun, einen Beruf haben, --
-Pflichten erfüllen! Sag’ doch selbst, wozu Du Lust hast! Wozu Du Talent
-hast, -- -- irgend etwas!“
-
-„Zu gar nichts,“ sagte Karl gottergeben.
-
-Dann hatte er eine plötzliche Eingebung. „Ich möchte gern aus dem
-Gymnasium raus, Mama.“
-
-Frau von Birken rang die Hände. „Karl, das wagst Du mir zu sagen?! Das
-wagst Du?! -- -- Jetzt willst Du weg, noch vor dem Einjährigen? Karl,
-weißt Du denn nicht, welcher Familie Du angehörst? Dein Großvater
-war Universitätsprofessor! Und Deine Schwester ist bis Ober-Sekunda
-gekommen, obwohl sie nur ein Mädchen ist. Und wenn nicht diese Heirat
-dazwischengekommmen wäre, so wäre sie heute Fräulein Doktor. Jawohl!
--- -- Und Alfred hat doch wenigstens das Abiturium gemacht, ehe er
-Offizier wurde. -- -- Und Heinzemännchen! -- -- Den Aufsatz, den er
-zum Abiturium gemacht hat, habe ich einbinden lassen... in grünes
-Leder... zur Erinnerung für Kinder und Kindeskinder ... +so+ ist der
-Aufsatz! -- -- Karl, wenn Du so ungebildet bleiben willst, das überlebe
-ich nicht!“
-
-„Na, wollen mal sehn, wollen mal sehn,“ sagte Karl begütigend. Aber
-sehr hoffnungsvoll klang es nicht.
-
-Immerhin schöpfte die optimistische Frau von Birken auf diese so
-maßvolle Aeußerung hin neuen Mut.
-
-Karl war ja ein guter Junge und würde sich nun wohl wirklich endlich
-bessern.
-
-Es war deshalb ein schwerer Sturz aus ihren neuerweckten Hoffnungen,
-als schon acht Tage nach diesem Gespräch Karl vor sie hintrat mit dem
-dringenden Ersuchen, ihm zweitausend Mark zu geben.
-
-Sie war außer sich. Was dachte er sich denn eigentlich? Wozu brauchte
-denn ein Schüler überhaupt so viel Geld? --
-
-Die Erklärungen, die er gab, waren so phantastisch, daß die Mutter
-trotz all ihrer Leichtgläubigkeit auch nicht ein Wort davon für wahr
-hielt.
-
-Aber wie immer war aus Karl nichts herauszubekommen.
-
-Wenn man ihm eine Lüge nachgewiesen, fand er flugs eine andere. Ohne
-den leisesten Schimmer von Verlegenheit, ohne einen Augenblick des
-Nachsinnens strömten ihm die Ausflüchte zu. Er, der sonst eine so wenig
-rege Phantasie, eine so wenig lebhafte Geistestätigkeit besaß, war nie
-einen Augenblick verlegen darum, die kompliziertesten Geschichten zu
-erfinden.
-
-Er faßte die Weigerung seiner Mutter, ihm auch nur einen Pfennig zu
-geben, ernster auf, als er sonst zu tun pflegte.
-
-Sein rosiges Gesicht war blaß geworden; er klemmte die Unterlippe so
-fest zwischen die Zähne, daß ein Blutstropfen niederperlte.
-
-„Ich muß das Geld haben, Mama.“
-
-„Wir werden ja sehen, ob Du mußt.“
-
-Er drehte sich kurz um und verließ das Zimmer. Er ging zu Monika.
-
-Da es eine verhältnismäßig frühe Stunde war, war sie noch nicht fertig
-angezogen. Sie saß in einem Peignoir vor dem Spiegel, und ihre Jungfer
-bürstete ihr die schönen kastanienfarbenen Haare, die in mächtigen
-Wogen niederflossen.
-
-Sie hatte Karl ohne weiteres in ihr Toilettenzimmer treten lassen; sie
-behandelte ihn noch ganz als Kind. Alle Leute behandelten Karl als Kind.
-
-Er setzte sich in einen der weißen Louis-XV.-Sessel und sah zerstreut
-zu, wie die Jungfer die Frisur vollendete. Dann wurde das Mädchen auf
-seine Bitte hinausgeschickt, und nun bat er in seiner langsamen, ein
-wenig ungeschickten Sprechweise seine Schwester um die zweitausend
-Mark, deren Zahlung seine Mutter so entrüstet abgelehnt.
-
-Auch bei Monika fand er kein Entgegenkommen.
-
-„Lieber Junge, ich habe nie ein Wort gesagt oder gefragt, wenn Du
-zwanzig Mark haben wolltest oder vierzig. Aber zweitausend? -- -- Wofür
-brauchst Du zweitausend Mark?“
-
-„Es ist eine Ehrenschuld.“
-
-„Sekundaner haben keine Ehrenschulden.“
-
-„Doch.“
-
-Sein sanftes Gesicht bekam einen verstörten Ausdruck.
-
-„Erzähl’s mir, Karl.“
-
-„Ach, Mone, davon wird’s auch nicht besser! Gib mir doch das Geld. Sieh
-mal, Du bist der einzige Mensch, den ich um sowas bitten kann, Mama hat
-Zetermordio geschrien, als ich sie darum gebeten. Alfred und Heinrich
-gebrauchen selber mehr als sie haben. -- Mone, gib mir’s.“ Er drückte
-ihr die Hände.
-
-„Ich, -- -- ich hab’s ja auch nicht,“ sagte sie, schon schwankend
-geworden, „Du weißt doch, Karl, ich hab’ kein Geld. Und Georg kauft mir
-zwar alles, was ich haben will, aber er gibt mir doch kein Geld in die
-Hand. Ich kann Dir die zweitausend Mark gar nicht geben.“
-
-„Dann sag’s Deinem Mann,“ rief er mit ungewohnter Entschiedenheit.
-
-„Na schön,“ sagte sie nach sekundenlangem Besinnen, „ich werde es ihm
-heute nach dem Lunch sagen.“
-
-„Und ich komme mir die Antwort heute abend holen.“
-
-„Komm nicht. Wir sind zum Diner eingeladen. Ich schreibe Dir aber und
-schicke Dir schon heute nachmittag den Brief durch den Diener.“
-
-Mit einem erlösten Aufatmen beugte er sich über ihre Hand und küßte sie
-dankbar.
-
-Als er das Haus verließ, schien er seine ganze Spannkraft
-wiedergefunden zu haben.
-
-Monika aber hielt ihr Versprechen. Gleich nach dem Lunch, das man zu
-zweien eingenommen, bat sie ihren Mann, ihr die zweitausend Mark für
-Karl zu geben.
-
-„Höflich abgelehnt,“ sagte er.
-
-„O Georg...“
-
-„Lieber Schatz, es wäre ein haarsträubender Unsinn, einem noch nicht
-achtzehnjährigen Schüler eine solche Summe in die Hand zu geben. Wozu
-will er es denn überhaupt haben?“
-
-„Er sagt, es sei eine Ehrenschuld.“
-
-„Ehrenschuld? Mit dem Worte bezeichnen viele Leute recht unehrenhafte
-Schulden.“
-
-„O, Karl ist solch ein lieber, netter Junge.“
-
-„Gewiß, er ist ein sehr netter Mensch, aber das ist doch kein Grund,
-um seinen Hang zum Leichtsinn, zu bodenloser Liederlichkeit zu
-unterstützen! Was ist denn der Effekt davon, wenn wir ihm das Geld
-geben?! Er gibt es in leichtsinniger Weise aus!“
-
-„Aber wenn er es doch für Schulden haben will...“
-
-„Dann bezahlt er vielleicht diese und macht sofort neue und zwar in
-noch größerem Maßstabe. Er hat ja dann die sichere Ueberzeugung, daß
-sie auch bezahlt werden.“
-
-„Ach, Georg, sei nicht geizig.“
-
-„Liebes Herz, die Aeußerung da hast Du Dir wohl nicht überlegt. Hast Du
-mich je geizig gefunden?“
-
-„Für mich nicht, aber für andere hast Du doch eigentlich nie was getan.“
-
-„Jeder ist sich selbst der Nächste, seine Familie natürlich
-miteingeschlossen. Bei dem uferlosen Mitleid für alles und alle kommt
-nie was Gutes heraus.“
-
-„Aber Karl ist doch Dein Schwager.“
-
-„Eine juristische Verpflichtung zur Unterstützung eines
-Schwagers besteht nicht, eine moralische unter Umständen, die
-hier nicht vorhanden sind. Wenn Dein Bruder durch Krankheit
-unterstützungsbedürftig wäre oder eine Summe brauchte, um sich eine
-Existenz zu gründen, so würde ich Dir zuliebe eventuell sogar ein
-größeres Opfer bringen! Aber für einen derartig leichtsinnigen Bengel,
-der gar nicht ahnt, gar nicht faßt, was Pflicht heißt!“
-
-„Ja, die sogenannte Pflicht ist uns wohl nie genug eingetrichtert
-worden,“ sagte Monika nachdenklich.
-
-„Die strenge Hand hat Euch gefehlt. Dein Vater starb zu früh.“
-
-„Und vorher hat er sich auch nicht um unsere Erziehung bekümmert, und
-der Mama sind wir zu schnell über den Kopf gewachsen, alle vier.“
-
-„Ja, da Du davon sprichst, Monika -- Du weißt, ich rede nie ungefragt
-über Deine Angehörigen, aber da das Thema nun einmal aufgerollt ist:
-Deine Brüder machen mir überhaupt Sorge. Ich hörte da neulich durch
-meinen Vetter Alexander, der Bataillonskommandeur von Alfred ist, -- er
-gibt ihm keine zwei Jahre mehr im bunten Rock.“
-
-„O -- --“
-
-„Ja, daß er Schulden hat, wäre schließlich nicht so schlimm, aber da
-ist eine Soldatenmißhandlungsgeschichte, bei der er eben noch mit
-einem blauen Auge davongekommen ist. Alfred gilt als der brutalste,
-händelsüchtigste Offizier im Regiment.“
-
-„Er war schon als Kind so wenig gutmütig.“
-
-„Und Heinrich scheint sich auch nicht gerade in bester Gesellschaft zu
-bewegen. Im Amt erzählte mir neulich jemand, daß ein Baron Birken als
-‚Amateur-Dichter‘ Verse im Kabarett „zum Regenbogen“ vorgetragen, und
-fragte mich, ob der Jüngling zu Deinen Verwandten gehöre. -- Und Karl,
-von dem ich eigentlich hoffte, er würde ein Normalmensch und seinerzeit
-ein brauchbarer Offizier werden, läßt sich ja jetzt auch recht niedlich
-an.“
-
-„Eine nette Familie sind wir! Und dabei hast Du in Deiner bekannten
-Höflichkeit mich und meine gefährlichen Anlagen noch gar nicht mal
-erwähnt,“ lachte Monika.
-
-„O, Du bist sehr schnell eine tadellose Frau geworden, und das weißt Du
-auch ganz genau.“
-
-„Wetterhelmsche Schule.“
-
-„Und, Liebling, was Karls Bitte anbetrifft, so siehst Du ein, daß es
-inkorrekt wäre, seine Dummenjungenstreiche zu unterstützen.“
-
-„Ja, Du hast ganz gewiß recht, nur, er bat so herzlich -- --“
-
-„Keine falsche Gutmütigkeit! Schreibe ihm ruhig, daß Du das Geld nicht
-hättest, und daß ich es Dir nicht gäbe für Sachen, die so zweifelhafter
-Natur sind, daß Karl selber sie nicht erzählen kann! Und schärfe ihm
-ein bißchen das Gewissen in bezug auf seine Lebensführung -- das geht
-doch nicht so weiter!“
-
-Und Monika schrieb ein paar Zeilen, die ganz im Sinne des eben
-stattgefundenen Gespräches waren -- und ging mit dem Gefühl einer gut
-erfüllten Pflicht zu dem Diner. -- --
-
-Als das Dessert aufgetragen wurde, bat ein Diener Frau von Wetterhelm
-ans Telephon.
-
-Monika folgte ihm erstaunt, ein wenig beunruhigt. Wer wußte denn
-überhaupt, daß sie hier war?
-
-Karl telephonierte. „Ich bin hier bei Euch, Mone. Der Diener hat mir
-gesagt, wo Ihr seid. Ich muß Dich sprechen.“
-
-„Aber, Karl, um Gottes willen, was gibt es denn?“
-
-„Ich brauche das Geld, und Mama hat es mir eben zum letztenmale
-abgeschlagen.“
-
-„Aber wozu brauchst Du es?“
-
-„Das ist doch schließlich gleichgültig. Aber ich muß es sofort haben,
-Mone, spätestens morgen früh muß ich’s haben. Sprich mit Deinem Mann.“
-
-Mit einer ärgerlichen Bewegung ließ sie den Hörer sinken, entschloß
-sich aber doch, Georg rufen zu lassen.
-
-Als er hörte, worum es sich handelte, griff er mit einer ihm sonst
-ungewohnten Heftigkeit nach dem Hörer.
-
-„Karl.... Du -- --?“
-
-„Ja.“
-
-„Wenn Du mir oder meiner Frau was zu sagen hast, so warte gefälligst,
-bis Du uns zu Hause antriffst, und störe uns nicht, wenn wir bei
-anderen zum Besuch sind. Schluß!“
-
-Er klingelte energisch ab. Dann wandte er sich an Monika.
-
-„Lieber Schatz, was ich eben Deinem Bruder sagte, hättest Du ihm sagen
-sollen im ersten Augenblick, als er telephonierte. Mich noch herrufen
-zu lassen, war überflüssig. Es erregt unnötiges Aufsehen, wenn wir
-beide zu dieser späten Stunde in einem fremden Hause ans Telephon
-gerufen werden. Also nicht wahr, ein andermal etwas mehr Sinn für
-Korrektheit, lieber Schatz.“
-
-„Verzeih, ich hätte Dich nicht rufen lassen sollen.“
-
-Zusammen betraten sie wieder den Eßsaal, und im Verlaufe des sehr
-angeregten Abends vergaß Monika den Zwischenfall. --
-
-Aber am nächsten Morgen beschloß sie, gleich mal nach Karl zu sehen. Es
-war Sonntag, also war er nicht im Gymnasium.
-
-Monika ließ sich anziehn, sagte ihrem Manne, daß sie zum Lunch zurück
-sei, und fuhr zu ihrer Mutter.
-
-Das Dienstmädchen sagte ihr, die gnädige Frau sei schon vor zwei
-Stunden zum Baron Heinrich gefahren mit einer großen Punschtorte, die
-man ihm zum Sonntag gebacken. Monika unterdrückte mit Mühe ein Lächeln;
-ihre Mutter war mehr in der Studentenbude von Heinzemännchen als in
-ihrer eigenen Wohnung.
-
-Aber es paßte ihr ganz gut, daß sie Karl nun allein sprechen konnte. Da
-würde sie ihn ordentlich ins Gebet nehmen.
-
-„Hat Karl schon gefrühstückt?“
-
-„Nein, Herr Karl schläft noch, am Sonntag schläft er immer so lang’,“
-sagte das Mädchen und lächelte strahlend. Wie die meisten weiblichen
-Wesen hatte sie für Karl ein faible.
-
-Monika sah nach der Uhr. Halb zwölf. Um halb eins mußte sie zu Hause
-sein. Da konnte sie wirklich nicht warten, bis der Langschläfer
-erwachte; da mußte sie ihn gleich wecken.
-
-Sie schritt den Korridor entlang bis zu dem abgelegenen Hinterzimmer,
-das Karls Reich bildete. Sie klopfte.
-
-Und lauter dann... und noch einmal...
-
-Keine Antwort. Seinen Schlaf schienen seine Geldsorgen einstweilen
-nicht zu stören. Wahrscheinlich hatte er gestern übertrieben wie schon
-so viele Male. Wahrscheinlich war der Hundertmarkschein ihm gar nicht
-sehr nötig, den sie in die Oeffnung ihres linken Handschuhs geschoben,
-um ihn Karl gleich beim Gutentagsagen geben zu können. Dieser Schein
-war ihm als Schmerzensgeld zugedacht für die abschlägige Antwort,
-die sie ihm gestern gegeben. Ihr Mann hatte sie vollkommen überzeugt.
-Es wäre gegen ihre Pflicht gewesen, Karls bodenlosem Leichtsinn noch
-Vorschub zu leisten.
-
-„Karl -- --!“
-
-Noch immer keine Antwort.
-
-Da drückte sie die Klinke auf und trat ein.
-
-„Na, Du Faulpelz,“ sagte sie, geblendet von der goldenen Sonne, die
-durch das Fenster drang.
-
-Näher trat sie zum Bett, trat näher... und sah...
-
-Und faßte es nicht.
-
-Das war doch... das war doch Blut, dieses dunkle Gerinnsel auf dem
-Boden, auf der Bettdecke, auf der nackten Brust da vor ihr...
-
-Mit beiden Händen griff sie nach ihres Bruders Schultern... und fuhr
-im selben Augenblicke schaudernd zurück vor der Eiseskälte, die ihr
-entgegenströmte.
-
-Das... das war doch nicht möglich! Er schlief doch bloß! Seine Augen
-waren friedlich geschlossen, die langen Wimpern lagen dunkel auf
-den Wangen. Der ein wenig geöffnete Mund, in dem die weißen Zähne
-schimmerten, hatte einen traurigen Ausdruck. Ja, ein wenig traurig sah
-er aus, ernster als sonst.
-
-Dieses wunderschöne und traurige Gesicht über der blendend weißen
-Jünglingsbrust, diese großen Blutflecke allüberall, die wie dunkle
-Blumen waren ... das war doch ein Traum, ein Fiebertraum!
-
-Das konnte doch nicht Wahrheit sein!
-
-Ein Traum auch der Revolver, an den ihr Fuß jetzt stieß? Ein Traum die
-paar Blätter aus dem Schulheft, die da auf dem Nachttisch lagen, und
-auf denen Worte standen, über die Blut gespritzt war, Worte, die sie
-lesen wollte und nicht verstand, weil wilde Farbenspiele vor ihren
-Augen kreisten.
-
-[Illustration]
-
-Sie las diese Blätter erst viel später. Drei Tage später, als all
-das Schreckliche vorbei war: der Augenblick, als der herbeigerufene
-Arzt statt aller Worte nur die Achseln gezuckt, -- der Mutter
-Verzweiflungsausbrüche --, das Begräbnis. --
-
-Und nun saß Monika allein in ihrem Toilettenzimmer und versuchte, jene
-Zeilen zu lesen. Da stand in ihres Bruders unbeholfener Handschrift,
-mit der man ihn so oft geneckt:
-
- „Ich bitte Euch alle, mir zu verzeihn. Aber es ist besser, daß
- ich gehe. Ich sitze in soviel Schwierigkeiten und weiß nicht ein
- noch aus. Ihr müßt nicht glauben, daß ich etwas Schlechtes getan
- hätte. Ich habe mir gar nichts dabei gedacht, als mich neulich eine
- Freundin gebeten hat, einen Brillantring für sie zu kaufen. Ich
- sollte ja nur eine Unterschrift geben und Geld überhaupt nicht. Sie
- wollte es allein bezahlen.
-
- Aber nun will mich der Diamantenhändler beim Staatsanwalt
- anzeigen, weil es ein Betrug gewesen wäre und die Lonny den Ring
- gleich weiter verkauft hat. Das geht doch aber nicht, daß ich ins
- Gefängnis komme.
-
- Ich habe Euch ja so sehr um das Geld gebeten, aber Mama wollte ja
- nicht, und sie hatte wohl auch recht, denn sie als Mutter mußte
- doch etwas streng sein, und außerdem ist die Summe auch so hoch für
- sie. Ich dachte, Monika würde es mir geben. Die war meine einzige
- Hoffnung, sie ist immer meine liebe Schwester gewesen. O Gott, wie
- gerne habe ich ihr was mitgebracht zum Freuen. So konnte sich kein
- anderer freuen, wie Monika sich früher freute.
-
- Mone ist immer so gut gewesen, bloß ihr Mann hat sie so hart und so
- kalt gemacht -- --“
-
-Sie konnte nicht weiter lesen. Brennende Tränen verdunkelten ihren
-Blick und stürzten ihr aus den Augen. Das waren die heißesten Tränen,
-die sie je geweint. Es war ihr, als verbrennten sie ihr die Haut, indes
-sie ihr über die Wangen rollten.
-
-Das Schluchzen schüttelte sie wie ein Sturm. Sie hörte gar nicht, daß
-die Tür des Nebenzimmers geöffnet wurde.
-
-Georg trat auf seine Frau zu. Er sagte bewegt:
-
-„Liebling, gib Dich diesem Schmerz nicht so hin.“
-
-„Warum nicht?“ fuhr sie auf. „Warum soll ich mich diesem Schmerz nicht
-hingeben? Mein Bruder starb, und... durch unsere Schuld.“
-
-„Durch unsere Schuld? -- Das sind Hirngespinste, Monika. Er suchte den
-Tod, weil er keinen sittlichen Halt hatte. Er war ein Kind, das sein
-kostbarstes Gut -- das Leben -- verschleuderte und wegwarf wie andere
-Kinder eine Glaskugel.“
-
-„Er starb, weil Du hartherzig warst und ich es mit Dir.“
-
-Er strich ihr begütigend übers Haar. Sein Gesicht wurde um eine
-Schattierung blasser, als sie bei dieser Berührung zurückzuckte.
-
-„Liebling, Deine Nerven sind jetzt zu angegriffen. Das ist die Ursache,
-daß Du etwas so Unzutreffendes sagst. Wir waren nicht hartherzig. Kein
-vernünftiger Mensch konnte dem Jungen ohne weiteres die Bitte gewähren
--- das habe ich Dir auseinandergesetzt.“
-
-„Ja, das hast Du!“
-
-Sie hatte sich erhoben, eine Zornesflamme sprühte aus ihren Augen.
-
-„Ja, das hast Du. Und ich war dumm und charakterlos genug, um wieder
-eine von Deinen hartherzigen Ansichten zu der meinen zu machen! -- -- O
-Gott, der Junge, der arme, liebe Kerl!“
-
-Sie schluchzte laut auf.
-
-Und von neuem näherte sich ihr Georg: „Mein geliebter Schatz, beruhige
-Dich doch.“
-
-Und von neuem wich sie seiner Berührung aus, und ihre Tränen versiegten
-in dem roten Zorn, der wieder in ihr emporloderte.
-
-„Ich will mich nicht beruhigen. Ich will heulen vor Schmerz, wenn mir
-danach zumute ist! Ich will nicht alles in mir ersticken lassen unter
-dem Panzer, den Du Dir anlegst, dem Panzer von Sitte, Pflicht und
-Korrektheit. -- -- Da, lies, was mein Bruder geschrieben hat in seiner
-Todesstunde, und sein Herzblut ist drüberhin gespritzt: ‚Mone ist immer
-so gut gewesen, bloß ihr Mann hat sie so hart und so kalt gemacht
--- --‘“
-
-„Und diese Worte eines unglücklichen, schlecht erzogenen und
-irregeleiteten jungen Menschen -- --“
-
-„Haben mir gezeigt, wie es um mich bestellt ist!“ unterbrach Monika.
-„Ja, jedes Wort davon ist wahr! Ich habe unserer Ehe zuliebe meine
-ganze Persönlichkeit geopfert. Alles Beste in mir habe ich gewaltsam
-unterdrückt, jeden Funken von Begeisterung, von Warmherzigkeit erstickt
-unter einer Eisdecke von Vorurteilen! -- -- Fort will ich, -- fort von
-Dir, der Du alles, was in mir ursprünglich ist, tötest. Ich will wieder
-ich selbst sein!“
-
-Georg von Wetterhelm war blaß bis in die Lippen.
-
-„Monika, Dein Schmerz macht Dich ungerecht! Ich will Dir heute
-verzeihen, -- heute -- alles.“
-
-„Ich brauche Deine Verzeihung nicht. Ich will fort, -- fort um jeden
-Preis!“
-
-Ein sonderbar erstickter Ton rang sich aus seiner Kehle. Ein Augenblick
-war’s -- dann klang seine Stimme fest wie je: „Ich kann Dich mit Gewalt
-nicht halten.“
-
-„Ich lasse mich auch nicht halten!“
-
-Zwei wilde Flammen brannten in ihren Augen.
-
-Das war nicht mehr die sanfte und korrekte Gattin, die fünf Jahre lang
-Georg von Wetterhelms Herzensfreude gewesen, -- die sich fünf Jahre
-lang gezügelt hatte ihrem Glück zuliebe. Das war wieder das unbändige
-Geschöpf von einst, das jeder Gefühlsregung nachgab, jede Empfindung
-auskostete bis zum äußersten, bis zum letzten schalen Tropfen.
-
-Und auch diesen Becher leerte sie bis zur Neige: nicht genug Vorwürfe
-gab es für den, der ihr bis dahin das Liebste war auf der Welt.
-
-„Ich habe erkannt, welch eiskalter Egoist Du bist! Warum gabst Du Karl
-das Geld nicht?“
-
-„Es war nicht des Geldes wegen -- --“
-
-„Das weiß ich! Und gerade das ist das furchtbarste: Deiner Prinzipien
-wegen tatest Du es nicht! Deiner starren, hartherzigen Prinzipien
-wegen! Die sind das einzige, was Du liebst! Du hast auch mich nie
-geliebt. Du hast mich geheiratet, weil +ich Dich+ liebte! Du wolltest
-Dein frierendes Herz erwärmen an meiner Glut!“
-
-„Monika!“
-
-Georg Wetterhelm preßte die harten Lippen aufeinander. Er sprach kein
-einziges Wort mehr... zu seinem Glück, das von ihm ging.
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-12.
-
-
-Ein altes, winkliges Haus in einer von Zürichs Straßen. Ausgetretene
-Treppenstufen, schiefe Türen, an denen Dutzende von Visitenkarten mit
-Reißnägeln angeheftet waren. „~Stud. jur.~ Freiherr von Neuern, ~stud.
-med.~ Hans Fischer, ~stud. med.~ Pietro Liguro, ~stud. med.~ Olga
-Nikolajewna Murawska, ~stud. phil.~ Bertha Reckling.“
-
-Vier Treppen hoch hauste Bertha, die seit einem Semester in Zürich
-studierte, zusammen mit der Studentin der Medizin Murawska.
-
-Die Wohnung bestand aus drei Stübchen und einer kleinen Küche. Die
-letztere wurde wenig benutzt, da die Mädchen ihre Mahlzeiten in
-einem Restaurant einnahmen und sich zu Hause nur das erste Frühstück
-bereiteten. Bertha hatte zwar zuerst vorgeschlagen, hier zu kochen,
-aber sie hatte es bald aufgesteckt. Es war gar zu unbequem. Allein
-das Feuermachen erforderte so viel Zeit und Mühe, und es war so
-umständlich, die Vorräte die vier Treppen hinaufzuschleppen.
-
-Außerdem war Olga Nikolajewna den kulinarischen Bestrebungen Berthas
-durchaus feindlich gesinnt.
-
-Sie behauptete: viel Essen wirke schädlich auf die Gehirntätigkeit. Nur
-die Deutschen äßen so viel, und Bertha würde es nie zu etwas bringen,
-wenn sie sich nicht auch angewöhne, des öfteren nur von Tee und
-Zigaretten zu leben.
-
-Auch „Ordnung halten“ erklärte Olga Nikolajewna für eine von Berthas
-schädlichen Angewohnheiten. Dieses ewige Wegräumen war schrecklich!
-Jedenfalls bäte sie, ihre Sachen nicht anzutasten. Die lägen so, wie
-sie müßten.
-
-Und Bertha schenkte diesen Ausführungen ein williges Ohr. Sie nahm ja
-so leicht die Anschauungen ihrer Umgebung an. So wie sie früher auf die
-Ansichten ihrer deutschen Kolleginnen geschworen, die aus dem naiven,
-jungen Mädchen eine Frauenrechtlerin gemacht, ebenso ließ sie sich
-jetzt die Ansichten des internationalen Kreises aufpfropfen, der ihren
-Verkehr bildete.
-
-Es waren gar verschiedenartige Leute, die sich da oft in ihrem
-kleinen Wohnzimmer zusammenfanden. Viel Platz war nicht auf dem roten
-Kattunsofa und den paar wackligen Rohrstühlen. Aber es standen eine
-Anzahl umgestülpter Kisten bereit, die als Sitzgelegenheiten dienten.
-
-Die Bewirtung beschränkte sich auf Tee. Rauchmaterial brachte jeder
-selber mit.
-
-Oft verschwamm das Stübchen in einem wahren Schwaden von Rauchwolken.
-Und man diskutierte über die neuesten Heilmethoden, über philosophische
-Systeme, über uralte und ewig ungelöste Menschheitsfragen.
-
-Es hatte sich ein ganz bestimmter Kreis herausgebildet, Stammgäste,
-die immer wiederkamen: Dimitri Iwanowitsch Lagin, ein Landsmann von
-Olga, der einen düsteren Märtyrerkopf und schmutzige Fingernägel
-besaß; Hans Fischer, ein sehr jugendlicher Mediziner, der ein Schüler
-von Berthas Vater gewesen und Bertha den gleichen angstvollen Respekt
-entgegenbrachte wie dereinst seinem Ordinarius; Marie Kramer, eine
-freundliche dicke Blondine, die nun schon im achten Semester studierte
-und immer noch unglaublich erstaunt darüber war, daß sie es fertig
-gebracht, „ihre Angehörigen zu verlassen, ihrer inneren Stimme zu
-folgen“.
-
-Und Melitta Göritz war da, ein schlankes, sehr brünettes Mädchen, das
-ein sehr verschlossenes Wesen hatte und von dem überhaupt niemand etwas
-Näheres wußte.
-
-Dann noch ein norwegisches Ehepaar: die Steens. Merkwürdigerweise
-hatten die beiden äußerlich Aehnlichkeit miteinander. Sie waren beide
-sehr groß, sehr schlank, hatten weißblonde Haare und blaue, ein wenig
-vorstehende Augen, die an Fischaugen erinnerten.
-
-Sie studierten beide Philosophie. Sie behandelten andere Leute
-überaus höflich und nett, sich gegenseitig aber mit ausgesuchter
-Unliebenswürdigkeit. Sie warfen sich Grobheiten an den Kopf,
-schimpften sich auf norwegisch und trennten sich nie, wie ein Pärchen
-Wellensittiche, ob aus Liebe oder Haß, blieb unerfindlich.
-
-Auch Edith von Gräbert kam oft, eine norddeutsche Offizierstochter
-in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre, die Lehrerin an einer
-Töchterschule gewesen, dann aber ihren Hang zur Medizin entdeckt.
-
-Diese alle saßen, wie so oft, an einem Maiabend in dem kleinen
-Wohnzimmer, als die Korridorklingel kurz und heftig in Bewegung gesetzt
-wurde.
-
-„Das ist gewiß Pietro,“ rief Edith von Gräbert lebhaft; sie hatte eine
-ausgesprochene Vorliebe für den jungen Italiener.
-
-Bertha, die Hausherrin, ging, um zu öffnen.
-
-Die Gäste hörten ihren überraschten Ausruf, und gleich darauf trat
-sie wieder ein, begleitet von einer jungen Dame, deren Erscheinung
-Sensation erregte.
-
-„Wie kommt der Glanz in diese niedre Hütte?“ murmelte Edith, nachdem
-sie einen taxierenden Blick auf die elegante Toilette des Ankömmlings
-geworfen.
-
-Sigrid Steen stieß ihrem Gatten den Ellenbogen in den Magen, da er
-ihrer Meinung nach den fremden Gast bewundernd angestarrt. Dimitri
-Iwanowitsch setzte sein Pincenez auf und nahm es nicht wieder ab,
-obwohl er es sonst, um seine sehr angegriffenen Augen zu schonen, nur
-zum Schreiben und Lesen trug.
-
-Hans Fischer starrte die schöne Dame so verzückt an wie ein Kind eine
-einladende süße Speise -- kurz es herrschte allgemeine Gemütsbewegung.
-
-„Meine Cousine Frau von Wetterhelm,“ stellte Bertha vor. In ihrer
-Bestürztheit vergaß sie, nun die Namen der anderen Leute zu nennen.
-
-Und diese alle saßen stumm wie die Oelgötzen; von allen diesen Leuten,
-die so gut und so viel reden konnten, wenn eine sie interessierende
-wissenschaftliche Frage aufgerollt war, fand keiner Worte, sobald es
-sich um eine leichte gesellschaftliche Unterhaltung handelte.
-
-Monikas mondaine Gewandtheit half vorläufig über das peinliche
-Stillschweigen hinweg. Aber eine rechte Stimmung kam an diesem Abend
-nicht mehr auf. Die Gäste fühlten sich durch die elegante Fremde
-geniert und gingen sehr viel früher als gewöhnlich.
-
-Monika hoffte nun mit ihrer Cousine allein sprechen zu können, aber auf
-dem roten Kattunsofa saß Olga Nikolajewna und rührte sich nicht. Als
-Bertha einen schüchternen Versuch machte, sie zum Verlassen des Zimmers
-zu bewegen, erwiderte sie ganz erstaunt:
-
-„Aber wir haben doch bloß dieses Sofa!“ Wußte Bertha denn immer noch
-nicht, daß ihr Stühle unbequem waren?!
-
-So verfügten sich denn die beiden Cousinen in Berthas Schlafzimmer,
-das mit seinen winzigen Abmessungen, mit seiner schmalen, eisernen
-Bettstelle einen sehr ärmlichen Eindruck machte.
-
-Monika setzte sich auf einen Rohrstuhl am Fenster und Bertha ließ sich
-aufs Bett sinken; sie war noch immer unter dem Eindruck der großen
-Ueberraschung.
-
-Monika hier! Und sie kam zu ihr die vier wackligen Treppen hinauf! All
-das kam ihr ganz unwahrscheinlich vor.
-
-Freilich vermutete sie nicht so Entscheidendes, wie sie gleich darauf
-zu hören bekam.
-
-Also Monika war fort von ihrem Mann! Für immer fort?!
-
-Bertha fühlte bei dieser Nachricht erstaunlicherweise nicht die
-freudige Genugtuung, die sie bei ihren extremen Grundsätzen eigentlich
-hätte haben müssen. Nein, sie empfand nicht: „Gott sei Dank wieder
-eine, die das unwürdige Ehejoch von sich abschüttelt!“ -- sondern
-in diesem Augenblick überwog Berthas frühere Natur: „Wie töricht von
-Monika, ihrem Mann davonzulaufen!“
-
-Gut, daß, ehe sie diese Worte geäußert, ihr ihre neuerworbenen
-Grundsätze einfielen. Und so sagte sie denn, sie sei weit entfernt
-davon, Monikas Schritt zu mißbilligen. Sich durchsetzen, seine eigene
-Persönlichkeit zu bewahren, das sei das Höchste für ein denkendes
-menschliches Wesen, und die Zeiten, da man die Frauen nicht zu den
-denkenden menschlichen Wesen gerechnet, seien ja erfreulicherweise
-vorüber!
-
-Es sei sehr vernünftig von Mone, daß sie gleich hierher gekommen zu
-ihr, die ihr sehr gern mit ihrem Rate zur Seite stehen wolle.
-
-„Es ist jedenfalls sehr nett von Dir, daß Du Dich hier meiner annehmen
-willst,“ sagte Monika. Sie war nicht so sicher wie sonst.
-
-Allein, zum ersten Male war sie allein gefahren, den weiten Weg von
-Berlin nach Zürich, und aus des Zuges Räderrollen hatte sie eine so
-traurige Melodie gehört: Fort von ihm! Jeden Augenblick weiter fort von
-ihm, der mein Glück gewesen...
-
-Sie hatte sich dann selbst sentimental gescholten. Da sie nun mal
-eingesehen hatte, daß ihres Bleibens nicht länger bei ihm war, war
-alles abgetan! Mußte alles abgetan sein!
-
-Ein neues Leben!
-
-Und ein bescheidenes Leben.
-
-Sie wollte versuchen, mit der knappen Zulage auszukommen, die ihre
-Mutter ihr geben konnte.
-
-Darüber hatte es noch eine Meinungsverschiedenheit gegeben mit Georg,
-der ihr einen Scheck über eine hohe Summe mitgegeben.
-
-„Ich will kein Geld von Dir!“ hatte sie gesagt.
-
-„Du mußt es nehmen, Monika. So lange wie Du meine Frau bist, kannst
-Du nicht wie eine Zigeunerin durch die Welt laufen. Wie denkst Du Dir
-überhaupt Dein späteres Leben pekuniär?“
-
-„Ich will mir unbedingt selbständig meinen Lebensunterhalt verdienen,
-sei es schriftstellerisch oder daß ich studiere. Ich weiß es noch
-nicht.... Das alles ist noch so dunkel....“
-
-„Und Du willst nicht bei mir bleiben -- statt so ins Ungewisse in die
-Welt hinauszugehen --?“
-
-„Nein!“ antwortete sie hart.
-
-Es empörte sie, daß er diese Frage so an sie gestellt hatte, so als ob
-ein materielles Interesse je hätte mitsprechen können, sie zu fesseln.
-
-Ja, wenn er vor ihr niedergestürzt wäre, wenn er ihr in heißer Qual
-entgegengerufen: „Bleib’, ich kann nicht leben ohne Dich!“, dann hätte
-sie wohl nicht den Mut gefunden, fortzugehen auf Nimmerwiedersehen.
-
-Aber so sprach Georg von Wetterhelm nicht. Nach dem „Nein“, das sie
-ihm entgegengerufen, hatte er nur noch streng sachlich mit ihr die
-einzuleitende Scheidung besprochen, die wegen böswilliger Verlassung
-ihrerseits erfolgen werde. Sie würde eine Aufforderung erhalten, zu ihm
-zurückzukehren, und wenn sie dieser nicht Folge leiste, so erfolge ein
-Jahr nachher die gerichtliche Scheidung.
-
-Und sie war gegangen auf Nimmerwiedersehn.
-
-Als sie die erste Müdigkeit nach der langen Eisenbahnfahrt überwunden,
-hatte ein Gefühl von Energie sie durchflutet. Ein Bad, ein Glas Sherry,
-ein elegantes Kleid, und sie war zu Bertha gefahren.
-
-Diese war entschieden so hilfsbereit gewesen, wie man es nur irgend
-erwarten konnte. Man hatte so manches verabredet.
-
-Monika sollte eine Wohnung im selben Hause wie Bertha nehmen, sowohl
-ihres schmalen Geldbeutels wegen, als damit sie Anschluß habe.
-
-Dann sollte sie erst mal in einigen Kollegs hospitieren, um sich dann
-endgültig zu entscheiden.
-
-Es würden in ihrem Wissen eine Menge Lücken auszufüllen sein. Aber das
-schreckte sie nicht, sie hatte ja immer so gern gelernt.
-
-War es denn etwas anderes, was sie schreckte? Was war dieses sonderbare
-Gefühl, das ihr das Herz zusammenpreßte?
-
-Sie hatte doch nun die Freiheit, konnte doch nun ihre Persönlichkeit so
-entfalten, wie sie es immer gewünscht.
-
-Nun war doch der sehnlichste Traum ihrer Jugendjahre in Erfüllung
-gegangen: frei! -- --
-
-Und ein neues Leben jetzt!
-
-Nicht mehr an die grauen Augen denken, die sie zu sehr geliebt, -- an
-die grauen Augen, die so verächtlich erstaunt geblickt, wenn sie sich
-„inkorrekt“ benommen oder „wild“.
-
-Und nicht mehr an seine Hände denken, jene schönen, harten Hände, die
-sie so sicher und gebieterisch dahingeführt auf schnurgerader, grauer
-Strecke, während auf allen Seitenwegen und Fußpfaden so viel üppig
-schönes Blumengerank wucherte.
-
-Nicht mehr an ihn denken!
-
-Schade nur, daß sie so oft, so unendlich oft an ihn erinnert wurde.
-
-Sie sah jetzt erst, wie sehr Georg ihr die kleinlichen Sorgen des
-Lebens aus dem Wege geräumt, wie sehr er jede Unannehmlichkeit von ihr
-ferngehalten. -- -- --
-
-Sie sah jetzt erst, was es hieß, sich selbst um die Alltagssorgen
-bekümmern zu müssen. --
-
-Mit einem Gefühl der Erleichterung begrüßte sie den Tag, an dem sie zu
-Bertha übersiedelte. Sie hatte in Berthas Wohnung angrenzende Zimmer
-bekommen, die bisher ein Kandidat der Medizin bewohnt.
-
-Diese Zimmer trugen das ärmliche Gepräge, das dem ganzen Hause
-anhaftete, und Monika konnte sich eines kleinen Schauders nicht
-erwehren, als sie ihre Wohnung des näheren besichtigte.
-
-Sie schwankte sogar einen Augenblick, ob sie nicht diese Baracke im
-Stiche lassen solle, um sich ein eleganteres Quartier zu nehmen. Sie
-hatte ja den Scheck da....
-
-Aber sofort wies sie diesen Gedanken von sich. Nein, nein, sie wollte
-mit dem Zuschuß von Mama auskommen, so wenig das auch war.
-
-Und Georg brauchte gar keine Angst zu haben, daß sein Name dadurch
-kompromittiert werde, wenn sie hier in so ärmlichen Verhältnissen
-hauste. Sie nannte sich mit ihrem Mädchennamen. Die Abneigung vor ihrer
-neuen Umgebung mußte eben heruntergewürgt werden! --
-
-Sie fand sich nicht schnell in dieses neue Leben hinein, beim besten
-Willen nicht!
-
-Sie fühlte sich nicht zu Hause in dieser häßlichen Wohnung.
-
-Unzählige Male am Tage trat sie hinaus auf den kleinen Balkon vor ihrem
-Zimmer.
-
-Zwischen ein paar altersgrauen Dächern erblickte man die grüne Limmat,
-Schwärme von schneeweißen Möwen schwirrten über den Strom; sie sah dem
-unruhigen Spiel ihrer Flügel zu, die sie bald hoch zum Himmel, bald
-tief hinab zum Wasser trugen.
-
-Und eine unklare Sehnsucht war in ihr, die ihr das Herz zusammendrückte.
-
-Aufseufzend trat sie zurück ins Zimmer, in dem dann vielleicht gerade
-Olga Nikolajewna, Zigaretten paffend, auf dem Sofa lag.
-
-Monika hatte versucht, die allzu häufigen Besuche der Russin
-abzuwehren, aber diese hatte ihr in ihrem harten Deutsch erwidert:
-
-„Aber Ihr Sofa ist weicher.“
-
-Sie hielt diese Tatsache für völlig ausreichend, um von dem erwähnten
-Möbelstück Besitz zu nehmen.
-
-Als Monika sich bei Bertha beklagte, hatte diese ihr mißbilligend
-gesagt:
-
-„Aber sei doch nicht so unkameradschaftlich. Wir sind hier alle für
-Gütergemeinschaft.“
-
-Daß das keine leere Redensart war, lernte Monika bald genug einsehen.
-Man betrachtete auch ihre Sachen als Gemeingut. Olga Nikolajewna goß
-sich den Inhalt von Monikas Parfümflaschen über Bluse und Haar. Bertha
-benutzte, ohne je um Erlaubnis zu fragen, Monikas Nähutensilien und
-ihre Bücher.
-
-Alle die „Stammgäste“ kamen, ohne dazu aufgefordert zu sein, jetzt auch
-in Monikas Zimmer hinüber.
-
-Die anfängliche Scheu, die sie vor der Fremden gehabt, war sehr bald
-einer kollegialen Vertraulichkeit gewichen.
-
-Am häufigsten wurde sie von Edith von Gräbert besucht.
-
-Diese hatte ein großes, mit Mißgunst gemischtes Interesse an Monika.
-
-Für alles an ihr: ihre Art, sich zu bewegen, sich anzuziehen, zu
-lächeln....
-
-Es war, als ob Edith von ihr zu lernen suche, sich nach ihrem Vorbild
-modele.
-
-Entschieden war das ein verfehltes Beginnen, denn die beiden waren
-äußerlich so voneinander verschieden, daß alles, was zu Monikas Wesen
-paßte, für Edith deplaciert war.
-
-Bildete doch schon Monikas weiches Gesicht einen entschiedenen
-Gegensatz zu Ediths herben Zügen, die übrigens durchaus ebenmäßig
-geformt waren.
-
-Sie war überhaupt nicht ohne Reiz. Sie hatte eine große, gutgewachsene
-Figur.
-
-Aber etwas unnennbar Hartes lag in all ihren Linien, sowohl in denen
-des Körpers wie in denen des Gesichts.
-
-Ihre hellen Augen blickten klug und spöttisch unter blonden Brauen,
-ihre Gesichtsfarbe war von einer auffallenden Zartheit, und diese
-zarte, helle Haut begann schon ein wenig das Stigma des Welkens zu
-tragen. Die Augenlider waren schon etwas zerknittert, wie weiße
-Rosenblätter, die am Verblühen sind.
-
-Edith war von einer Offenheit, die an Zynismus grenzte. Sie erzählte
-Monika, ohne daß diese im mindesten danach gefragt hätte, die intimsten
-Einzelheiten aus ihrem Leben; sie sprach von der unglücklichen Ehe, die
-ihre Eltern geführt. Sie verhehlte nichts, beschönigte nichts von allen
-traurigen Fällen, die sie oder ihre Familienangehörigen getroffen.
-
-Monika machte mitunter Einwendungen, sagte ihr geradeheraus:
-
-„Das sind doch interne Angelegenheiten, über die spricht man doch
-nicht.“
-
-Aber Edith zeigte dann in höhnischem Lachen ihre großen, weißen Zähne:
-
-„Ach, den Schnickschnack habe ich mir abgewöhnt. Ich habe früher auch
-mal so gedacht wie Sie -- o, sicher sogar sehr viel strenger gedacht
-als Sie. Es ist noch gar nicht so lange her. Da war ich Lehrerin an
-der Schule von Fräulein Cersfeld und gab für hundert Mark monatlich
-ungezogenen Mädels Französisch und Geographie, auch Religion und
-andere schöne Sachen. Von acht bis eins täglich dauerte der Scherz.
-Fünf Minuten nach eins ging ich nach Hause, wo ich gerade rechtzeitig
-ankam, um einer lärmenden Szene zwischen Mama und Papa beizuwohnen.
-Nachmittags dann Hefte korrigieren und abends um halb zehn in die
-Klappe. Ach, ein Leben.... Sieben und ein halbes Jahr ist das so
-gegangen. Dann...“
-
-Sie unterbrach sich.
-
-„Ach, ist ja alles Unsinn,“ fuhr sie mit veränderter Stimme fort. „Wozu
-von Vergangenheiten reden! Ich fühle mich sehr wohl, seitdem mir das
-Familienleben Wurst ist! Es lebt sich doch sehr nett in dem ollen,
-ehrlichen Zürich.“
-
-„Ja...,“ sagte Monika, und ihr Blick irrte sehnsüchtig hinaus durchs
-Fenster auf den grünen Strom, über dem die weißen Möwen taumelten.
-
-Die Vorlesungen, die Monika belegt, interessierten sie teilweise sehr,
-aber sie gewöhnte sich nicht an das Zusammensein mit so vielen anderen.
-
-Es saßen da in den Hörsälen Leute aus aller Herren Ländern, junge und
-alte, Frauen und Männer.
-
-Alle diese Gehirne arbeiteten, dachten, waren wie Maschinen mit
-surrendem Räderwerk.
-
-Und sie alle, die starken und die schwachen, die schnell arbeitenden
-und die trägen Gehirne, sie alle holten sich hier Nahrung,
-Heizmaterial, Funken von der großen Flamme des Wissens, das die Welt
-erhellt.
-
-Wohl empfand Monika die Größe, die darin lag, aber das half ihr nicht
-darüber hinweg, daß ihr das Zusammengepferchtsein mit allen diesen
-unbekannten Menschen auf die Nerven fiel.
-
-Sie wurde das Gefühl nicht los, daß sie denen allen hier überlegen war.
-
-Vor ihrem Verstand war dieses Gefühl nicht stichhaltig.
-
-Die Tatsache, daß sie eine sehr viel raffiniertere Körperpflege trieb
-als die alle hier, schuf ihr doch keine Ueberlegenheit?
-
-Und daß sie weltgewandter war, abgeschliffener, -- das alles hatte doch
-hier keinen ernsthaften Wert.
-
-Sie war eben wohl immer noch von Vorurteilen befangen; zu sehr hatte
-Georg ihre frühere Wesensart umgewandelt. Aber das würde sich schon
-geben mit der Zeit.
-
-Mit der Zeit...
-
-Sie, die früher so oft der Zeit zugerufen: „Halt an!“, hätte ihr jetzt
-Sporen geben mögen wie einem schlechten Gaul.
-
-Nur schnell vorwärts! Nur Zeit legen zwischen sich und das Glück!
-
-Und Tage kamen und gingen... Wochen... und Monate... Und noch immer
-war sie nervös, schreckte zusammen, wenn es klingelte, und ging immer
-wieder auf den Balkon und starrte hinüber auf den Strom und auf die
-weißen Möwen.
-
-Sie sprach mit niemandem über das, was sie innerlich bewegte.
-Den vielen Fragen von Edith von Gräbert setzte sie eine kühle
-Reserviertheit entgegen.
-
-Uebrigens war Edith die einzige, die neugierig war.
-
-Bertha fragte sie nie etwas. Nicht aus Diskretion, sondern weil sie zu
-sehr mit sich selbst beschäftigt war; sie steckte in ihrem Studium wie
-in einem Kleide, das ihr nach allen Richtungen hin zu groß war, und das
-sie sich wichtigtuerisch bemühte auszufüllen.
-
-Mit dem Wesen, das sie früher gewesen, hatte sie kaum noch einen
-Zusammenhang. Das bewies sie deutlich, als ihre Mutter ihr eines Tages
-schrieb.
-
-Sie brachte Monika den Brief hinüber mit der Aufforderung zu lesen.
-
-Frau Reckling schrieb, daß sie heute mit einer großen Bitte an ihre
-Tochter herantrete, einer Bitte, die wohl geeignet sei, eine Umwälzung
-in Berthas Existenz hervorzurufen.
-
-Die Untersuchung, die Berthas Vater bei einem berühmten Berliner
-Augenarzt habe vornehmen lassen, hätte leider die Diagnose des
-Hausarztes vollkommen bestätigt: es sei eine Netzhautablösung, die in
-nicht zu ferner Zeit zu völliger Blindheit führen müsse.
-
-Natürlich könne der Vater seinen verantwortungsvollen Posten als
-Gymnasialdirektor nun nicht mehr ausfüllen.
-
-Man würde sich nach Harzburg, dem Heimatstädtchen des Direktors,
-zurückziehen.
-
-Und Bertha müsse kommen! Der Mutter Gicht habe solche Fortschritte
-gemacht, daß ihr die Hände oft gelähmt seien, unfähig zu jeder
-Tätigkeit. Die Mutter wäre ja tief unglücklich, daß Berthas
-hoffnungsreiches Studium abgebrochen werden solle, aber wer solle um
-den erblindenden Vater bemüht sein, wer die Tätigkeit ersetzen, die der
-Mutter gelähmte Hände nicht mehr tun konnten? Bertha solle kommen! Die
-einzige Tochter würde der Eltern Stütze sein.
-
-„Meine Mutter scheint ja vollkommen durchgedreht zu sein!“ sagte
-Bertha. „Sie sollen sich doch eine Gesellschafterin nehmen. Es laufen
-ja genug junge Mädchen aus anständiger Familie herum, die für freie
-Station und ein Taschengeld den Beruf der Tochter des Hauses geradezu
-großartig ausfüllen! Wenn Mama ein Haustöchterchen haben wollte... ich
-hatte alle Anlage dazu! Dann brauchte sie mich nicht mit Gewalt auf
-diesen Weg zu führen. Auf dem bin ich und bleibe ich! Das kann niemand
-von mir verlangen, daß all die langen Jahre Studium, all meine Mühe
-und mein Fleiß umsonst gewesen sein sollen. Daß ich jetzt kurz vor dem
-Examen abspringen soll, ist wahrhaftig eine Zumutung!“
-
-In diesem Sinne schrieb sie an die Mutter. Und postwendend traf die
-Antwort ein: ein Jammerschrei über Berthas Lieblosigkeit, die ihre
-kranken Eltern der Hilfe einer bezahlten Fremden überlassen wolle!
-
-Bertha könne doch nicht so ganz jedes weibliche Fühlen verloren haben!
-
-„Hätte sie sich früher überlegen sollen, meine gute Mama. Was soll denn
-das heißen: weibliches Fühlen?! Das soll weiter gar nichts heißen,
-als: sich selbst aufgeben zum Nutzen für andere! Wo bleibt da die
-Gleichberechtigung?! Wer verlangt von einem jungen Manne, der studiert,
-daß er nach Hause kommt, sein Studium aufgibt, um seine Eltern zu
-pflegen?! Wenn ich dasselbe leisten kann, was ein männlicher Student
-leistet, dann muß ich auch ebenso behandelt werden, dann kann ich
-denselben Respekt vor meiner Persönlichkeit verlangen! Und den verlange
-ich!... Mir tut die Krankheit meiner Eltern gewiß von ganzem Herzen
-und von ganzer Seele leid, aber mich selber ihnen opfern -- -- nun und
-nimmer! Sie werden schon eine nette Gesellschafterin finden. Ich lasse
-mich jedenfalls auf gar keine weiteren Unterhandlungen ein, und wenn
-sie mir die Zulage sperren, ist es noch so! Ich habe mein Eigenes von
-der Großmama. Die brave, alte Dame hatte geglaubt, ich würde meine
-Brautausstattung davon kaufen. Sie war noch so unmodern!“
-
-Monika war peinlich berührt von Berthas Standpunkt. Wie herzlos das
-klang... wie gefühlsroh ... Und doch... war sie selbst denn etwa
-aufopferungsfähiger? Hatte sie nicht, um ihre Persönlichkeit zu
-wahren, ihren Mann verlassen, der so viel liebevoller zu ihr gewesen
-als Berthas Eltern zu ihrer Tochter?...
-
-O gewiß, Bertha hatte ganz recht, so zu handeln! Aber ein unangenehmes
-Gefühl wurde Monika nicht los. Und Georg Wetterhelms Schwester fiel ihr
-ein, ihre Schwägerin Brigitte, deren Aufopferung sie verlacht, gleich
-bei jenem ersten Besuche auf Gerbitz, als sie Braut war. -- --
-
-Erinnerungen überfluteten sie wie große Wogen, die auf sie zukamen,
-über sie hinweggingen, ihren Widerstand ertränkten, daß sie in die Knie
-sank, daß sich in heißem Schluchzen ein Name von ihren Lippen rang:
-
-„Georg.“
-
-Nur einen Augenblick. Dann hatte sie die Herrschaft über sich
-zurückgewonnen.
-
-Das war ja nur Nervosität gewesen, sicherlich!
-
-Nur die Schuld der häßlichen, ärmlichen Umgebung. Oder die Schuld der
-allzu abstrakten Wissenschaft....
-
-O, nur weg von hier, fort von Zürich. Es war nichts mit dem Studieren.
-Die ganze Umgebung hier, all die Leute mit den schlechten Manieren
--- das alles war nicht zu ertragen, wenn man fünf Jahre lang Georg
-Wetterhelms Frau gewesen war.
-
-Sie wollte fort. Irgendwo in die große bunte Welt, all die Schönheit
-genießen, die da aufgeschlagen lag wie ein Märchenbuch mit schönen
-Bildern.
-
-Und all diese Schönheit wollte sie beschreiben, sich ganz der Kunst
-widmen, die der leuchtende Stern ihrer Kindheit gewesen. Sie wollte
-denken und dichten, sie wollte glücklich sein! Ja sie war überzeugt,
-daß sie dann glücklich werden mußte!
-
-Noch am selben Tage teilte sie Bertha ihren Entschluß mit.
-
-Diese war überrascht, nahm die Sache aber nicht sehr wichtig. Dagegen
-empfing Edith von Gräbert einen großen Eindruck von der Neuigkeit, daß
-Monika fort wolle.
-
-Wo denn hin? Nach Luzern zuerst? -- Da käme sie mit.
-
-Monika war überrascht von diesem Angebot; sie stand sich nicht so
-freundschaftlich mit Edith, als daß es gerechtfertigt gewesen wäre.
-
-Immerhin war gegen das, was Edith sagte, nicht viel einzuwenden: sie
-war ermüdet, überanstrengt, mußte mal ausspannen. Sie würde sich sehr
-glücklich schätzen, wenn sie sich Monika anschließen dürfe.
-
-Da stimmte Monika zu, nicht gerade begeistert, aber es war ihr doch
-nicht unlieb, daß sie nun nicht so allein sein würde....
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-13.
-
-
-Der „Seepalast“ in Luzern war auch eine riesige Fremden-Karawanserei
-wie das Hotel, in dem Monika zuerst in Zürich abgestiegen, aber
-er war von einem modernen, vornehm abgetönten Luxus, den Zürich
-nicht aufzuweisen gehabt. Im Hochparterre lagen drei riesenhafte
-Gesellschaftssäle nebeneinander. Und verschwiegene Schreibzimmer mit
-grünen Lederpolstern, ein Lesesaal, in dem alle großen Zeitungen des
-Erdballs auflagen, öffneten sich im Anschluß an eine ungeheure Halle,
-die die Hotelgäste zu den verschiedensten Tages- und Nachtzeiten
-versammelt sah.
-
-An jedes Schlafzimmer schloß sich ein Badezimmer mit Marmorwanne und
-blitzenden Dusche-Apparaten.
-
-Monika atmete auf.
-
-Endlich wieder eine anständige Umgebung, endlich ein Hotel wie die, in
-denen sie mit Georg geweilt.
-
-Georg... schon wieder Georg....
-
-Nein, sie wollte nicht mehr an ihn denken. Lieber sich Vergessenheit
-trinken an all der Schönheit, die man vom Balkon ihres kleinen Zimmers
-im vierten Stock aus sah.
-
-Edith störte nicht.
-
-Die saß unten im Lesesaal und angelte nach Bekanntschaften.
-
-Und Monika blieb allein droben auf dem Balkon und schaute auf den
-Vierwaldstätter See. Der hatte am Tage die Farbe eines kostbaren
-Smaragds.
-
-Starre, zackige Felsen umkränzten ihn, und über dem allen wölbte sich
-kornblumenblau der Sommerhimmel, von dem sich die schwarzen Rauchsäulen
-der Dampfer abzeichneten, die über den See fuhren.
-
-Rechts lag der Hafen von Luzern. Die Menschenmengen, die sich dort
-drängten, sahen von hier aus wie Ameisenscharen.
-
-Sie saß und träumte.
-
-Sie ging nach den Mahlzeiten gleich immer wieder in ihr Zimmer hinauf.
-
-Edith war darüber tief enttäuscht.
-
-Sie hatte darauf gerechnet, sich überall mit Monika zusammen zu zeigen,
-und nun mußte sie allein herumlaufen.
-
-Die Bekanntschaften, die sie machte, genügten ihr durchaus nicht.
-
-Die wirklich eleganten Hotelgäste hatten kein Interesse für dieses
-weder auffallend schöne noch elegante Fräulein von Gräbert.
-
-Eines Tages wurde Monikas Einsamkeit durch einen überraschenden Besuch
-gestört.
-
-Ihre Cousine Marie von Hammerhof ließ sich melden.
-
-Marie hatte nie sehr freundliche Gefühle für Monika gehabt, und sie
-erschien mehr auf den Wunsch ihrer Tante Birken als aus eigener
-Initiative.
-
-Sie erzählte, daß sie mit ihrem Sohne zum Sommeraufenthalt in Gersau
-sei und bei der Durchreise in Berlin Monikas Mutter habe versprechen
-müssen, sie hier aufzusuchen.
-
-Uebrigens zeigte sich Marie freundlicher als sonst.
-
-„Mir hat das direkt imponiert, wie Du Deinem Manne so einfach auf und
-davon gelaufen bist,“ sagte sie. „Ganz recht hast Du gehabt! Die Männer
-taugen alle nichts!“
-
-„Daß er nichts taugt, ist unzutreffend,“ sagte Monika. „Im Gegenteil!
-Georg taugt sogar sehr viel. Aber ich habe eingesehen, daß er meine
-Persönlichkeit zerbrach, mich umformte -- --“
-
-„Das versuchen sie ja alle,“ sagte Marie wegwerfend. „Die Männer fühlen
-sich nun mal alle gottähnlich und empfinden uns als ‚das schwache
-Werkzeug‘. Ich habe nicht einen... nein, Dutzende von Ehemännern
-sagen hören, daß ihre Frau nach der Heirat „sich doch unendlich
-herausgemacht“ habe, sowohl seelisch wie körperlich. Wie gesagt,
-versuchen tun sie die Umformung alle, nur sie haben nicht alle Glück
-damit! Mein Mann hat mich nicht geändert.“
-
-Die hagere Frauengestalt reckte sich hochauf, ein triumphierendes
-Lächeln huschte über ihre scharfen Züge.
-
-„Ich bin geblieben, wie ich war, nichts habe ich ihm von meiner Seele
-gegeben, nichts von meinem eigentlichen Selbst.“
-
-„Und bist Du glücklich geworden?“
-
-„Nein, das Glücklichsein muß wohl eine Kunst sein. Ich habe sie nie
-rausgehabt!... Vielleicht kommt es daher, daß ich den falschen Weg
-gegangen bin. Mag Gott es der Mama verzeihen, daß sie mich damals
-bestimmte, diesen Mann zu heiraten, den ich nicht liebte, nicht haßte,
--- denn damals haßte ich ihn doch nicht -- aber der mir fremd war, ganz
-fremd.“
-
-„Und hat dann nicht Eure junge Ehe eine Brücke geschlagen zwischen Euch
-beiden?“
-
-„Er blieb mir immer fremd... Und dann habe ich ihn hassen gelernt, wie
-man eben jemand haßt, an den man gegen seinen Willen sein Leben lang
-geschmiedet ist. Ein Leben lang -- ein ganzes Leben -- --“
-
-Sie war blaß geworden, so als ob sie die ungeheure Tragweite dieses
-Gedankens in dem Augenblicke jetzt erst restlos erfaßt hätte.
-
-„Du kannst ja weggehn,“ sagte Monika und fügte tonlos hinzu: „Weggehn,
-wie ich es tat“...
-
-„Nein, nicht wie Du, denn ich bin Mutter. Könnte ich leben ohne mein
-Kind?! Und der Junge bliebe meinem Mann, das ist gar keine Frage. Wenn
-ich Wilhelm verlasse, werde ich doch als der schuldige Teil erkannt.
-Glaubst Du, ich könnte ohne meinen Jungen leben? Er braucht mich doch!
-Und ich brauche ihn nötiger als die Luft zum Leben. Keinen Tag kann ich
-ohne ihn sein... Und immer, immer die Angst, die schreckliche Angst:
-bleibt er mir? Er ist sehr zart. Die Bronchien besonders. Jetzt war ich
-auch wieder in Ems mit ihm; Gersau ist uns zur Nachkur empfohlen.“
-
-„Ist er mit herübergekommen?“
-
-„Ja, er ist mit der Bonne im Garten. Ich habe ihn unten gelassen, weil
-ich mit Dir noch über manches sprechen muß. Weißt Du, Mone, mich geht’s
-ja eigentlich nichts an, aber wenn Du irgendeinen Einfluß auf Deine
-Mama hast, solltest Du sie veranlassen, daß sie Heinrich nicht jeden
-Unfug nachsieht.“
-
-„Was für Unfug?“
-
-„Na, seit er wieder bei Deiner Mutter wohnt, benimmt er sich genau so,
-als hätte er noch seine Studentenbude. Seine Freundinnen und Freunde
-gehen bei ihm ein und aus, wie in einem Taubenschlag! Er veranstaltet
-Symposien mit violettem Seidenpapier um die Glühbirnen rum -- „wegen
-des magischen Effekts“, sagt er! Bis vier Uhr morgens scheinen diese
-Gastmähler zu dauern. Als ich neulich bei Tante war und telephonieren
-wollte, sagte sie mir: das ginge nicht, denn in das Zimmer, wo
-das Telephon stände, könne ich nicht hinein, da säße gerade eine
-Schauspielerin, die auf Heinzemännchen warte, und offiziell dürfe sie
-als Mutter doch nichts davon wissen. Ich möchte doch bei dem Bäcker an
-der Ecke telephonieren, das sei ein sehr freundlicher Mann, der würde
-gewiß nichts dagegen haben.“
-
-„Echt!“
-
-„Ja, sage mal, ich finde, daß die Würde Deiner Mutter es erfordert, daß
-Heinrich wieder allein wohnt.“
-
-„Nein, das geht nicht,“ sagte Monika, „Mama kann nicht allein wohnen...
-Das weiß ich aus den Briefen, die sie mir bald nach Karls Tode schrieb.
-Verzweifelt war sie, vollkommen wie verirrt. Was nun mit ihr werden
-solle? Ihre Kinder brauchten sie nicht, schienen sie alle nicht zu
-brauchen. Und das stimmte: wir brauchten sie alle nicht. Alfred in
-der fernen Garnison, Heinrich in seinem Studentenquartier, ich in die
-Welt verflogen -- und Karl in seinem Grabe. -- -- Und sie schrieb,
-sie müsse jemand haben, für den sie sorgen könne. So allein könne sie
-nicht leben. Sie müsse einen von uns haben, um ihn zu betreuen, für den
-sie sich mühen könne... Da habe ich an Heinrich geschrieben und habe
-Gott gedankt, als er ja sagte und wieder zu Mama zog. Daß er sich so
-benimmt, ist ja nicht schön, aber es ist besser, als daß Mama allein
-bleibt! Denn dann kommt sie sich vor wie Spreu, ein Halm, dem man die
-Fruchtkörner wegnahm und der nun wertlos ist... Also Heinzemännchen
-soll ruhig weiter lila Symposien geben. Ich bin froh, daß die Mama ihn
-hat.“
-
-„Na, wie Du denkst. Ich empfand es jedenfalls als Pflicht, mit Dir
-darüber zu sprechen,“ sagte Marie spitz.
-
-Schweigen.
-
-Dann sagte nach einer Weile Marie:
-
-„Uebrigens, im Falle man fragen darf, was wird denn nun eigentlich aus
-Dir?“
-
-„Das muß die Zukunft lehren.“
-
-„Nicht die Vergangenheit?“
-
-„Wie meinst Du das?“
-
-„Na, Mone, nimm’s mir nicht übel, aber ein rasend koketter Racker
-warst Du immer! Wenn ich noch daran denke, wie Du Roßberg den Kopf
-verdrehtest. Und dabei hat Roßberg Trudchen wirklich glühend geliebt.
-Es geht ihnen übrigens gut, sie haben jetzt das fünfte Kind bekommen...
-Na, also, kokett warst Du damals schon als halbwüchsige Göre. Ich meine
-immer: hat Dein Entschluß nicht doch noch eine andere Ursache als die,
-die Du erzählst? Ist da nicht irgendeine neue Passion von Dir im Spiel?“
-
-„Pfui! -- ich habe Dir die reine Wahrheit gesagt. Wie mißtrauisch Du
-bist!“
-
-„Noch immer nicht mißtrauisch genug! Die paar Male, wo ich in meinem
-Leben vertraute, bin ich auch noch betrogen und belogen worden.
-Besonders von meinem Manne, immer von ihm -- ach, Du weißt ja nicht,
-wie viele hunderte von Malen ich mir gesagt habe: Fort von ihm, fort
-aus der Ehe überhaupt. Die ist wie ein Kampf bis aufs letzte! Die
-Ehen, die ich gesehen habe und die einen harmonischen Eindruck machten,
-waren immer so, daß der eine Teil der willenlose Sklave des anderen
-war. Dann ging’s! O, dann ja! -- Oft trägt die Frau das Joch, oft auch
-der Mann!... Und diese sogenannte glückliche Ehe habe ich mir nicht
-schaffen können. Zur Sklavin war ich nicht feige, nicht charakterlos
-genug, zur Herrin hatte ich kein Talent.“
-
-„Und ich?“ schoß es Monika durch den Kopf, „was war ich in meiner
-glücklichen Ehe? Herrin? -- Nein. Georg war nie ein Weiberknecht. Also
-Sklavin? Nur das?“
-
-Und Marie sprach weiter. Sie, die sonst so Kühle und Wortkarge, war
-heute von ungewohnter Mitteilsamkeit.
-
-Es war, als hätten Monikas veränderte Lebensumstände die Schranke
-niedergerissen, die immer zwischen den Cousinen bestanden.
-
-Es war, als ob Marie, nun sie zum erstenmal ihr starres Schweigen
-brach, den Trost empfände, der für die meisten Frauen im Sichmitteilen
-liegt.
-
-Immer weiter ging ihre Rede....
-
-Alles, was Wilhelm ihr angetan in diesen langen Jahren, alles, was
-sie bisher stumm und allein getragen, strömte sie aus, daß Monika
-zurückbebte vor dieser trüben Flut.
-
-„Ich hasse ihn! Du weißt nicht, wie sehr ich ihn hasse! Kaum ein Tag
-vergeht, kaum eine Nacht, wo ich mir nicht sage: nur fort!... Nicht
-eine Sekunde länger bleibe ich -- --“
-
-Sie brach kurz ab, denn es wurde an die Tür geklopft.
-
-Und diese öffnete sich.
-
-Ein zarter, blonder Junge in einem gestickten Russenkittelchen lief auf
-die Mutter zu, während das Kinderfräulein verlegen an der Tür stehen
-blieb.
-
-„Mama, ich hab’ nicht länger warten wollen, Mama..“
-
-Da beugte sich die früh verblühte Frau tief über das Kind, und qualvoll
-innig kam es von ihren Lippen:
-
-„Mein einziges Glück...“
-
-[Illustration]
-
-Nach diesem Besuche vergrub sich Monika wieder in ihre Einsamkeit. Die
-Tage strichen gleichförmig dahin.
-
-Einmal riß ein Brief ihrer Mutter sie aus der Ruhe.
-
-Die Baronin schrieb ganz verzweifelt. Es täte ihr schrecklich leid,
-Monika so furchtbare Sachen mitteilen zu müssen, aber sie habe
-niemanden, dem sie ihr Herz ausschütten könne.
-
-Heinzemännchen wolle von der ganzen Angelegenheit nicht mehr sprechen
-hören.
-
-Er sei zu böse auf Alfred... Um Alfred handle es sich nämlich. Er habe,
-trotzdem er einmal schon an einer ähnlichen Geschichte haarscharf
-vorübergekommen, seinen Burschen mit dem Reitpeitschengriff so über den
-Kopf geschlagen, daß dieser eine erhebliche Verletzung davongetragen
-habe.
-
-Woher Alfred diese entsetzliche Brutalität habe, sei ihr rätselhaft.
-Der selige Papa sei doch sehr gutmütig gewesen, und sie selber, -- nun,
-Monika wisse ja allein, was für ein Gemüt die Mutter habe.
-
-Alexander Wetterhelm wolle, der angeheirateten Verwandtschaft zuliebe,
-nochmal versuchen, die Sache mit Alfred irgendwie zu vertuschen, obwohl
-es ihm selber an den Kragen ginge, wenn es herauskäme.
-
-Aber weg vom Regiment müsse Alfred so schnell wie möglich -- das sei
-Bedingung!
-
-Er wolle nun zur Schutztruppe, und obwohl es ihr schrecklich sei, eines
-ihrer Kinder so weit weg zu lassen, müsse sie doch sagen, es sei wohl
-das beste!
-
-Hier in Deutschland würde Alfred der Familie bloß Schande machen, --
-das sei keine Frage.
-
-Monika schrieb sofort und bat ihre Mutter in dringendsten Worten,
-Alfred das Afrika-Projekt auszureden.
-
-Wenn’s nicht anders ginge, solle er Sektreisender werden oder
-Versicherungsagent. Nur nicht in die Tropen, wo schon manch gesunder
-Mensch sein seelisches Gleichgewicht verlor und Alfreds spezielle
-Anlagen zu einer Katastrophe führen mußten.
-
-Der Mutter Antwort lautete: Monika sehe gewiß zu pessimistisch!
-
-Wenn die Leute nichts taugten, schicke man sie doch immer nach Afrika
-oder nach Amerika.
-
-Da würden sie zu brauchbaren Menschen gemacht!
-
-Das sei immer so, und sie hoffe, so würde es auch Alfred ergehn. --
-
-Ein eisiges Gefühl des Schreckens überrieselte Monika.
-
-Sie sah ein böses Ende voraus. Alfred mit seinem ausgesprochenen
-Hang zur Herrschsucht und zur Brutalität in jenem Lande, in dem dem
-Einzelnen so sehr viel Macht gegeben war, wo nicht wie hier seinen
-Instinkten Zaum und Zügel angelegt waren. Wo er eine Macht bedeutete
-und unter Umständen Herr war über Menschenleben.
-
-Ein böses Ende...
-
-Und sie konnte nichts tun; mußte tatenlos zusehen, wie er seinem
-Verderben entgegenging.
-
-Sie hatte Alfred nie ganz durchschaut. Die verschiedensten
-Charaktereigenschaften lagen bei ihm nebeneinander.
-
-Er konnte banal sein bis zum Stumpfsinn und geistreich wie selten
-einer. Er war sehr mißgünstig, sehr händelsüchtig; trotzdem bei vielen
-beliebt wegen der unvergleichlich witzigen Art, die er oft hatte.
-
-Er malte talentvoll, hatte einen auffallend schönen Bariton -- aber
-alle seine Gaben nutzte er nicht aus, von einem sonderbaren Mißtrauen
-gegen sich selbst erfüllt.
-
-Stückwerk war er, wie die Birkenschen Kinder alle, wie sie selber auch!
-
-Und Georg tauchte vor ihren Augen auf; der ging nie einen Schritt vom
-Wege, der ging den schnurgeraden Pfad der Korrektheit, der Sitte, der
-Pflicht!
-
-Ein trotziges Aufbäumen faßte sie: nein! Die Birkenschen Kinder gingen
-keinen vorgezeichneten Pfad. Die gingen durch Gestrüpp und auf Irrwege,
-die nahmen sich, was sie begehrten, und wenn es um den Hals ging. Und
-wenn man zugrunde ging!
-
-Erschreckend deutlich sah sie vor sich das wunderschöne und ein wenig
-traurige Jünglingsantlitz des toten Bruders.
-
-Und sie sah Alfreds Zukunft unter Afrikas sengender Sonne, die sein
-wildes Gehirn immer mehr aufreizte, immer mehr... Und sie sah Heinrich,
-dessen Energie immer schlaffer wurde in der regenbogenfarbenen
-Dämmerung der Mystik und der Dichtkunst.
-
-Und sie sah sich selbst, losgelöst von Haus und Herd, voll von
-strotzender Jugendkraft, voll von heißen Phantasien.
-
-Wie ein böses und trauriges Lied, wie eine unendlich schmerzvolle
-Melodie klang es ihr im Ohr: „zugrunde gehn?“
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-14.
-
-
-„Wenn Sie Ihre Freiheit dazu erobert haben, um Tage über auf dem Balkon
-zu sitzen und nachts den Schlaf des Gerechten zu schlafen, dann.. dann
-brauchten Sie eigentlich diese Freiheit verflucht wenig!“ sagte Edith
-eines Tages.
-
-Das traf Monika. Edith hatte recht. Was tat sie mit der heißbegehrten
-Freiheit? Und mit plötzlichem Entschluß sagte sie:
-
-„Ja, Sie haben recht, Edith. Es ist lächerlich, daß ich mich so
-abschließe.“
-
-Nicht mehr wie bisher ging sie gleich nach den Mahlzeiten nach oben,
-sondern blieb mit Edith in der Halle. In dem großen, prunkvollen
-Raume mit seinen riesigen Spiegeln, den hohen Marmorvasen, in dem
-exotische Pflanzen blühten, war besonders zur Zeit des Fünf-Uhr-Tees
-ein buntscheckiges Publikum versammelt. Hier wiegte sich auf dem
-Rocking-Chair eine goldblonde junge Amerikanerin, den Strohhalm
-ihres Ice-Drink zwischen den purpurn geschminkten Lippen; ihre
-weitvorgestreckten Füße ließen ihre violetten Seidenstrümpfe und
-breithackige Lackschuhe sehen, auf deren Spangen Brillant-Agraffen
-blitzten. Und über diese Agraffen beunruhigte sich eine deutsche
-Bürgerfamilie, die, angelockt durch das Plakat: „Täglich von 5 bis 7
-Zigeuner-Musik“, sich hierherbegeben. Der Familienvater suchte sich
-immer von neuem dadurch Contenance zu geben, daß er sein Pincenez
-zurechtschob. Das alles hier herum war ihm sehr ungemütlich. Diese
-babylonische Pracht in der Runde sowohl wie die Blicke, mit denen seine
-gestrenge Gattin kontrollierte, ob er den extravaganten Damen hier
-Aufmerksamkeit schenke.
-
-An einem der nächsten Tische saß ein altes, englisches Ehepaar,
-das so häßlich war, daß man nicht verstehen konnte, wie es zu der
-wunderschönen Tochter kam, die es spazieren führte.
-
-Ein paar Südamerikaner mit stechenden schwarzen Augen in olivbraunen
-Gesichtern, Mister Raspkeeper, der Petroleumkönig, dessen mageres
-Gesicht über dem entfleischten Halse etwas Geierhaftes hatte, die
-schöne Niniche, eine weltbekannte Tänzerin, die von echten und
-falschen Reizen strotzte, Herr von Aro, ein angekränkelter deutscher
-Rittmeister, Graf Lork, ein eleganter Russe, von dessen Reichtum man
-Fabelhaftes erzählte, und das alles trank Tee und Cocktails, aß Petits
-Fours und Sandwiches. Durch die riesigen Spiegelscheiben glänzte das
-tiefe und kostbare Grün des Sees, grüßte des Bürgenstocks wildzackiger
-Umriß.
-
-Und die Zigeuner in ihren roten Jacken spielten auf stöhnenden Geigen
-von der Liebe...
-
-~Quand l’amour se meurt~...
-
-Da schlug Monikas Herz so qualvoll... Ihre Liebe zu Georg war ja tot.
-
-Sie nahm sich zusammen, hörte nicht mehr auf den schmachtenden,
-traurigen Walzer, der davon erzählte, wie die Liebe stirbt..
-
-Ins Leben hinein, -- ins Leben! --
-
-Sobald Monika aus ihrer Reserve herausgetreten, hatte sie bald
-Freundschaften und Bekanntschaften die Menge. Natürlich waren es
-besonders Herren, die es sich angelegen sein ließen, ihr Gesellschaft
-zu leisten.
-
-Des Morgens beim Rudern, nachmittags beim Tennis und beim Tee, abends
-nach dem Diner, wo ein großer Teil der Hotelgäste wieder in der Halle
-versammelt war, um neuen musikalischen Darbietungen zu lauschen --
-immer war sie von einer Anzahl Verehrer umgeben.
-
-Uebrigens benahm sie sich ihnen gegenüber durchaus reserviert.
-Sie hatte nichts mehr von der herausfordernden Koketterie ihrer
-Mädchenjahre. Die Zurückhaltung war ihr mehr in Fleisch und Blut
-übergegangen, als sie selbst es geahnt. Wetterhelmsche Schule!
-
-Edith dagegen war entgegenkommender. Sehr erfreut darüber, daß sie nun
-durch Monika Anschluß an elegante Kreise gefunden, zeigte sie sich von
-einer Lebhaftigkeit, die ihre äußere Erscheinung nicht erwarten ließ.
-
-Man unternahm jetzt immer sehr viel an diesen endlos langen
-Sommertagen, die ganz in Sonnengold getaucht waren. Morgens fuhr
-man meistens mit dem Motorboot des Grafen Lork. Mit spielerischer
-Sicherheit glitt das Boot über die grüne Wasserfläche, vorbei an
-starren Felswänden, die senkrecht ins Wasser abfielen.
-
-Der See hatte tiefe Einschnitte in die Felsmasse gewühlt, und
-triumphierend spielten seine Wellchen in den Buchten.
-
-Man machte in irgendeinem von den Orten am See Station, um dort zu
-frühstücken, im Schloß Hartenstein, in Gersau oder Vitznau. Man saß da
-auf einer glasgedeckten Veranda oder auch im Garten.
-
-Der Sommer goß einen heißen Strom von Leben über die Welt, über Büsche
-und Sträucher, über Blumen und Früchte.
-
-Die Zahl der Teilnehmer an diesen Fahrten war eine verschiedene, aber
-fünf waren immer dabei: Monika und Edith, Graf Harry Lork, der Besitzer
-des Motorboots, der Leutnant von Berningen und der Gutsbesitzer von
-Milorski, ein Pole, der diese Fahrten zu den Lichtpunkten seines Lebens
-zählte.
-
-Das konnte übrigens niemand wundernehmen, denn der hübsche
-dreißigjährige Milorski besaß eine Gattin, die an Häßlichkeit und
-Unliebenswürdigkeit das erlaubte Maß überschritt.
-
-Und als ob das nicht genug des Unglücks gewesen wäre, hatte der Himmel
-ihm dazu noch eine mitreisende Schwiegermutter verliehen, die ihn
-schaudernd ahnen ließ, wie seine Gattin in zwanzig Jahren sein würde.
-
-Wenn jemand die Bekanntschaft von Frau von Milorski machte, so fühlte
-der Gatte sich verpflichtet, die neue Bekanntschaft so bald wie möglich
-beiseite zu nehmen und ihr zuzuflüstern:
-
-„Wissen Sie, ich habe meine Frau nämlich wegen ihres Geistes
-geheiratet!“
-
-Uebrigens besaß Frau von Milorski in der Tat Intelligenz und bildete in
-dieser Eigenschaft einen starken Gegensatz zu ihrem Gatten.
-
-Ein leichtes Leben hatte er übrigens nicht, denn seine Frau war
-eifersüchtig, bewachte, unterstützt von ihrer Mutter, jeden seiner
-Schritte, und nur die frühen Morgenstunden brachten ihm Befreiung,
-lösten ihn von jeder Fessel. Seine Damen waren ausgesprochene
-Langschläferinnen, schliefen bis in den hellen Mittag hinein, „weil das
-für den Teint gut“ sei.
-
-Und diese Morgenstunden in der letzten Zeit waren dazu angetan,
-Milorski den traurigen Rest des Tages vergessen zu lassen.
-
-Wie bildschön und reizend elegant sah Monika aus! Wie amüsant und
-witzig wußte Edith zu scherzen!
-
-Und dieser brave, liebe Kerl, der Berningen von den Kronprinz-Ulanen --
-und dieser famose Graf Lork. Und überhaupt alles so nett und friedlich!
-
-Herr von Milorski fühlte sich wie im Himmel, seine etwas
-hervorstehenden Augen in seinem frischen Gesicht mit der slawischen
-Stumpfnase blickten wie verklärt.
-
-Auch Graf Lork war immer in bester Stimmung. Nicht gerade, daß er eine
-übersprudelnde Laune zur Schau getragen, das war nicht seine Art. Er
-war immer sehr still.
-
-Es gab Leute, die ihn für dumm, andere, die ihn für einen großen
-Geist hielten. Er war nicht leicht zu durchschauen, verbarg etwaige
-Gefühle und Gedanken hinter einem Lächeln, das einen Anflug von
-Zynismus hatte. Aeußerlich war er eine Erscheinung von ungewöhnlicher
-Eleganz: sehr groß und sehr schlank. Das Gesicht zeigte etwas seltsam
-Widerspruchsvolles: die Augen hatten einen verträumten Ausdruck und der
-Mund einen Zug von Brutalität.
-
-Er sprach wenig, und was er sagte, war fast immer freundlich und banal.
-Mitunter aber überraschte er durch eine Bemerkung von beißender Schärfe.
-
-Edith bemühte sich, in seiner Gegenwart immer ganz besonders geistreich
-und liebenswürdig zu sein, und sie hatte die Genugtuung, daß er über
-ihre scharfen Scherze herzlich lachte.
-
-„Wie finden Sie eigentlich den Grafen Lork?“ wurde Monika eines Abends
-von Edith gefragt.
-
-Sonst pflegte Edith, wenn man des Abends nach oben kam, gleich in ihr
-Zimmer zu gehen. Es herrschte durchaus kein besonders herzliches oder
-vertrautes Verhältnis zwischen den beiden. Aber heute blieb Edith in
-Monikas Zimmer, und diese verabschiedete sie nicht.
-
-Es war besser so, als allein bleiben in der blauen Sommernacht.
-
-„Wie ich Lork finde? Ganz nett,“ sagte sie gleichgültig. Dann fügte sie
-hinzu: „Entschieden sehr liebenswürdig zu uns.“
-
-„Ich finde ihn entzückend,“ sagte Edith mit schwerer Stimme.
-
-„Wirklich?“
-
-„Er ist der überlegenste Mensch, den ich jemals sah.“
-
-„Das ist mir nie aufgefallen.“
-
-„Er ist so sicher! Vielleicht ist es sein Reichtum, der ihn so sicher
-macht. Er ist ja unsinnig reich.“
-
-„Das ist wahrscheinlich Hotelklatsch, Edith; die Lorks haben sonst
-nicht viel.“
-
-„Ja, aber seine verstorbene Mutter war doch eine geborene Arankow, die
-die Kupferminen im Ural haben und die Ziegeleien in Tiflis.“
-
-„Wie genau Sie orientiert sind.“
-
-„Mich interessiert Reichtum so sehr. Er ist die mächtigste Macht, die
-schönste Schönheit der Welt.“
-
-„Unsinn.“
-
-„Nein, Monika, kein Unsinn! Geld haben, das ist die Quintessenz von
-allem. Der Schlüssel, der alle Türen öffnet, das einzig sichere
-Piedestal in Sand und Sumpf. Ach, reich sein! Und genießen, wie alle
-sich davor beugen!“
-
-„Es beugen sich nicht alle vor dem Reichtum.“
-
-„O, es kommt auf die Höhe der Summe an.“
-
-„Sonderbare Ansichten.“
-
-„Ach, Monika, Sie können das nicht so empfinden. Ich weiß genug von
-Ihnen, um zu wissen: wirklich arm sind Sie nie gewesen: Aber +ich+
-weiß, was es heißt: des Lebens Not! Vater als pensionierter Hauptmann
-mit fünf Kindern... Na, reden wir nicht davon. Glauben Sie mir, es gibt
-nichts Schlimmeres, als die täglichen nagenden, kleinen Sorgen. Die
-haben mir meine Kinderzeit vergiftet -- und meine Jugendzeit.“
-
-Es war jetzt ganz dunkel geworden in dem kleinen Zimmer. Der See lag
-da wie in schwarzen Sammet gehüllt. Und durch das Dunkel sprach die
-Mädchenstimme:
-
-„Die Armut hat meine Kinderjahre vergiftet und meine Jugendzeit. Als
-Kind habe ich Kindermädchen bei meinen Geschwistern spielen müssen,
-und später, als ich kaum erwachsen war, habe ich fremder Leute Kinder
-unterrichten müssen. In einer Zeit, in der sonst die jungen Mädchen
-an Glück denken, hab’ ich an Brotverdienen gedacht. Ich lebte so hin,
-stumpf -- ohne Schmerz -- -- und ohne Freude auch. Auch ohne die
-Hoffnung auf ein Besserwerden. Da kam einer -- --“
-
-„Und er liebte Sie?“
-
-„O nein, Monika, er liebte mich nicht. Nur ich ihn -- --“ Sie brach
-kurz ab.
-
-Ein paar schwere zitternde Atemzüge.
-
-Und dann, nach einer Weile fuhr die harte Stimme fort:
-
-„Nein, er liebte mich nie. Er war immer ganz unpersönlich zu
-mir. Er betrachtete mich wie eine mathematische Formel, die er
-auflösen müsse. Er analysierte mich, meine körperlichen und meine
-seelischen Eigenschaften, und eines schönen Tages sagte er mir:
-„Wissen Sie, Edith, Sie sind eigentlich viel zu schade, um hier als
-Töchterschullehrerin zu versauern. Sie haben das Zeug dazu, im Leben
-etwas zu erreichen. Gehen Sie hinaus ins Leben.“ -- --
-
-Und ich ging! Uebrigens erst, nachdem ich eingesehen hatte, daß er
-weiter absolut nichts für mich übrig hatte als diesen guten Rat.“
-
-„Nach Zürich gingen Sie?“
-
-„Ja -- und nachdem man mich, als Mädchen aus guter Familie,
-jahrzehntelang mit Redensarten über die menschliche Würde gefüttert,
-mit besonderer Berücksichtigung der weiblichen Würde, des Wertes
-einer streng sittlichen Lebensauffassung und so weiter... griff
-ich zum Studium der Medizin. Die klärt uns am besten auf über die
-Gottähnlichkeit der Menschen.“
-
-Ein häßliches Lachen kam aus ihrem Munde.
-
-„Und sind Sie seit dieser Aufklärung glücklicher?“
-
-„Nein, durchaus nicht. Mein Glück würde auf ganz anderem Gebiete
-liegen.“
-
-„Auf dem der Liebe?“
-
-„Kaum. Reich möchte ich sein, mir alles Schöne kaufen -- so viel
-Schönes, erdrückend viel, um nicht mehr an all das Häßliche zu denken,
-das ich in meinem Leben gesehen habe. Um mir die Seele frei zu machen
-von all dem nüchternen Alltag, der zeitlebens auf ihr gelastet!... Und
-genießen, ach, Macht genießen... wie das sein muß für jemand, der sein
-ganzes Leben lang immer kuschen mußte: Macht genießen!“
-
-Ein heißes Beben kam in die harte Stimme.
-
-„Und zu denken, Monika, daß ich all das erreichen könnte. Daß mich
-dieser Lork nur zur Frau zu begehren braucht und -- --“
-
-„Ah so.“
-
-„Monika, das bringen doch so viele andere fertig: eine gute Partie zu
-machen! Mädchen, die häßlicher sind als ich, dümmer, ungebildeter,
-schlechter ... Herrgott, es gibt doch Tingeltangelmädchen, die
-Erzherzöge heiraten! Mädchen, die eine kolossale gesellschaftliche
-Kluft überspringen... Das gibt es doch nicht bloß in Märchen: daß
-Bettlerinnen später von goldenen Tellern aßen! Und hier ist nicht
-einmal ein sozialer Unterschied vorhanden. Wir Gräberts sind Uradel,
-gegen meinen Ruf ist nichts einzuwenden. Daß ich nicht dumm bin, weiß
-ich, und äußerlich -- ich bin doch nicht reizlos? Nicht? Sagen Sie mir
-offen Ihre Meinung, Monika, ich bin doch nicht reizlos?“
-
-Es war ein heißes Flehen in diesen Worten. Das Dunkel verbarg die
-Schamröte, die in Ediths Wangen emporstieg bei diesem Betteln um ein
-anerkennendes Wort.
-
-„Sie haben sicher eine Menge Vorzüge.“
-
-„Monika, zu denken, daß es nur eines Wortes von Lork bedarf... und aus
-dem elenden Grau meiner Existenz wird ein Märchentraum.“
-
-„Wenn Sie einen anderen lieben...“
-
-„Ich liebe den nicht mehr. Ich habe eine gute Dosis Verstand, wissen
-Sie, und eine recht reichlich bemessene preußische Nüchternheit. Eine
-einseitige Liebe ist auf die Dauer nichts für mich! Es gibt ein altes
-Sprichwort: „Einer freut sich nie allein, es müssen immer zweie sein.“
-Das klingt dumm, aber wahr ist es doch. Meine erste Liebe macht mir
-wirklich keine Kopfschmerzen mehr.“
-
-„Und Sie lieben jetzt den Grafen Lork?“
-
-„Lieben ist vielleicht ein etwas starker Ausdruck. Er gefällt mir
-unendlich! Und wenn er mich heiratete, würde ich bemüht sein, ihm eine
-gute Frau zu werden... Ach, Monika, helfen Sie mir!“
-
-„Wie kann ich das?“
-
-„Helfen Sie mir! Beeinflussen Sie ihn! Männer sind doch so leicht
-zu beeinflussen. Reden Sie ihm doch von mir, machen Sie mich ihm
-interessant, bitte...“
-
-Zwei fieberheiße Hände griffen nach Monikas Händen und preßten sie in
-krampfhaftem Druck.
-
-„Helfen Sie mir! Versuchen Sie, mir zu helfen!“
-
-Eine fanatische Inbrunst glühte aus diesen Worten. Die zitternde
-Hoffnung eines Menschen, der sich seinem Glücke -- vielleicht -- nahe
-sieht.
-
-Und in heißem Mitgefühl sagte Monika: „Was in meiner Macht steht, Ihnen
-zu helfen, will ich gern tun.“
-
-Dann knipste sie das elektrische Licht an und sah in der plötzlichen
-Helligkeit ein anderes Gesicht als das, das Edith immer zur Schau trug.
-Das liebenswürdige Lächeln war fort. Und die Herbheit auch.
-
-Ein aufgewühltes, leidenschaftliches Antlitz starrte ihr entgegen,
-heiße Augen und verlangende Lippen. Die Pupillen der hellgrauen
-Augen waren fieberhaft erweitert, in der Gier nach Geld und Glück...
-Blitzschnell senkten sich über diese Augen die blondbewimperten,
-breiten Lider, deren Haut schon ein wenig zerknittert war. Und die
-Lider blieben gesenkt, als wollten sie die Glut nicht sehen lassen, die
-in den hellen, kalten Augen so heiß emporgelodert war....
-
-[Illustration]
-
-Schon an einem der nächsten Abende hatte Monika Gelegenheit, sich mit
-der ihr anvertrauten Mission zu beschäftigen. Das Hotel gab seinen
-Gästen einen Ball. Auf schön lithographierten Einladungskarten empfing
-jeder ein auf den Namen ausgestelltes Billet.
-
-In den drei riesigen Sälen entfaltete sich ein kaleidoskopartiges
-buntes Bild.
-
-Monika hatte zuerst gezögert, ob sie an dieser Tanzfestlichkeit
-teilnehmen solle. Sie war in keiner frohen Laune. Aber Edith war es
-nicht schwer geworden, sie dann doch zur Teilnahme zu bewegen; sie sah
-ja vollkommen ein, daß es lächerlich war und unmotiviert, an keiner
-Festfreude teilnehmen zu wollen.
-
-Ja, sie würde hingehen -- natürlich -- und sich sehr gut amüsieren,
-und außerdem bei Lork für Edith „Reklame machen“, wie diese selbst mit
-bitterer Selbstironie sagte.
-
-Als die beiden herunterkamen, war schon eine Menge von Gästen
-versammelt. Eine Anzahl sehr gut angezogener Amerikanerinnen wiegte
-sich mit ihren glattrasierten Landsleuten im Twostep. Eine Pariser
-Schauspielerin, mit einer gesucht kindlichen Frisur, erregte Aufsehen
-durch ihre montmartrehafte Art des Tanzens.
-
-Der Rittmeister von Aro vergaß sein Lungenleiden und schwenkte die
-Damen unermüdlich und begeistert.
-
-Herr von Milorski litt Tantalusqualen: er saß auf einem Stuhle,
-umzingelt von Frau und Schwiegermutter, die letztere in blauem
-Samt, die erstere in roter Seide. Die kleine, sehr dicke Frau von
-Milorski, die gut sechs Jahre älter war als ihr Mann, hatte in ihrem
-Gesichtsausdruck durchaus nichts von der Gutmütigkeit, nach der dicke
-Leute so häufig aussehen. Ihre winzigen Augen blinzelten bösartig in
-die tanzende Schar vor ihr, mit entschiedener Mißbilligung blickte sie
-auf die eleganten Erscheinungen, denen ihr Gatte sehnsuchtsvoll und
-träumerisch nachstarrte.
-
-Herr von Berningen, der Kronprinz-Ulan, widmete sich zwei holländischen
-Damen, die Mutter und Tochter waren. Wie einst ein deutscher
-Dichter, wußte er nicht genau, welche von beiden er zur Dame seines
-Herzens erwählen solle. Gegen die Heinesche Epoche war das Bild aber
-entschieden verändert: den erfahreneren Eindruck von beiden machte die
-Tochter. Ihre Art, sich zu bewegen und zu benehmen, zeigte entschieden
-eine größere Sicherheit.
-
-Wenn sie mit ihrem energischen Schritt, in ihrem saphirblauen,
-goldgestickten Kleide, einen Blaufuchs über der linken Schulter, quer
-durch den Saal schritt und einen Tisch in Beschlag nahm, so machte sie
-entschieden den Eindruck, die Chaperonne ihrer Mutter zu sein, die ihr
-bescheiden folgte, und deren Schönheit das Gepräge stiller Lieblichkeit
-trug.
-
-Wie gesagt, -- Berningen schwankte.
-
-Die Mutter hatte so schöne kastanienbraune Haare.
-
-Aber die Tochter war so pikant goldblond entfärbt. Die Tochter sprach
-Argot, rauchte Zigaretten, trank Cocktails, nahm Stellungen ein, die
-von bewußter Koketterie sprachen. Das alles gefiel aber Berningen
-weniger als die vornehm-liebenswürdige Art der Mutter.
-
-Jedoch die Tochter war achtzehn und die Mutter siebenunddreißig. Und
-doch war die Mutter schöner....
-
-Verzweifelt beschloß Berningen, sich nicht länger den Kopf zu
-zerbrechen, sondern beiden die Cour zu machen.
-
-Graf Lork stand gelangweilt an einer Säule; sein Gesicht hellte sich
-auf, als Monika und Edith eintraten.
-
-Edith sah entschieden in Balltoilette unvergleichlich besser aus
-als sonst, wenn auch ihr Kleid weder kostbar noch modern war. Die
-pfauenblaue Seide hob ihre durchsichtig helle Haut, ließ das Blond
-ihrer Haare wärmer erscheinen als sonst. Die gespannte Erwartung, in
-der sie sich befand, gab ihrem Gesichte ungewohnt lebhafte Farben.
-
-Monika war es nicht schwer gemacht, ihrem Gespräch mit Lork die Wendung
-zu geben, die sie beabsichtigte.
-
-„Wie hübsch Fräulein von Gräbert heute aussieht,“ sagte sie, als sie
-mit Lork auf der Galerie stand, die sich in halber Höhe des Saales an
-den Wänden entlang zog.
-
-Man hatte von hier aus ein wundervolles Bild auf das Gewühl des
-Ballsaales. Unter dem blendenden Lichte des elektrischen Kronleuchters
-waren die Farben da unten wie ein tausendfarbiger Blumenstrauß:
-Lindenblütengrün und erikafarben, perlgrau und rosa, violett und
-altgold -- das Schillern der Seide, die stumpfe Weichheit des
-Chiffon -- die tiefen Töne des Sammet und das grelle Blitzen der
-Metallstickereien und der Paillettengarnierungen.
-
-Dazwischen das Weiß und Schwarz der Herrenkleidung; diese brutal
-einfachen Farben bildeten einen guten Hintergrund für die tausend
-schillernden Nuancen der Damenkleider.
-
-Und wie dem bunten Blumenstrauß Tautropfen, auf denen die Sonne
-funkelt, die letzte Vollendung geben, so funkelte hier das
-unvergleichliche Feuer der Edelsteine.
-
-Das Licht brach sich weißsprühend in den Brillanten, blutfarben
-brannten die Rubinen, Smaragden gleißten, der lockende, matte Schimmer
-der Perlen und das regenbogenfarbig gebrochene Licht der Opale.
-
-Monika sah nur zerstreut hinunter. Ihr lag ihr Auftrag am Herzen. Die
-abgrundtiefe Bitterkeit, die sie gestern in Ediths Seele gesehen, hatte
-sie erschüttert. Wenn sie dazu beitragen konnte, dem armen Mädchen zu
-seinem Glück zu verhelfen, so würde ihr das eine Herzensfreude sein.
-
-Und sie wiederholte ihre erste Bemerkung.
-
-„Ja, Fräulein von Gräbert sieht heute überraschend gut aus,“ sagte Lork.
-
-„Warum überraschend? Sie ist doch immer reizvoll.“
-
-Er äußerte ein unbestimmtes „Hm“, das ebenso gut ja wie nein heißen
-konnte.
-
-Aber Monika ließ nicht locker.
-
-„Ich bin überhaupt froh, daß ich mich mit Fräulein von Gräbert für
-die Reise zusammengefunden habe. Sie ist so amüsant, sie verbindet
-schärfste Logik mit Sinn für Humor.“
-
-„Sind Sie schon lange miteinander befreundet?“
-
-„Nein, erst seit kurzer Zeit. Ich hatte zuerst die Absicht, allein nach
-Luzern zu gehen.“
-
-„Sie sind gar nicht dazu geschaffen, allein zu sein,“ sagte er und
-wendete sich plötzlich voll zu ihr herum. Bisher hatten sie beide
-nebeneinander an der Balustrade gelehnt.
-
-Mit einem heißen Aufleuchten seiner Augen blickte er ihr ins Gesicht,
-in das reizende Gesicht mit den rosigen Farben. Ihre Schultern
-leuchteten blendend aus der rosa Seide ihres Kleides.
-
-„Warum sagen Sie das?“ fragte sie leise.
-
-„Weil ich das meine und weil ich mitunter sage, was ich meine.“
-
-„Nicht immer?“
-
-„O nein, durchaus nicht.“
-
-Da wurde sie lebhaft, wie immer, wenn etwas Ungewöhnliches ihre
-Aufmerksamkeit fesselte. Und es wurde ein lebhaftes Hin und Her von
-Meinungen und Gedanken, von Bemerkungen, die oft paradox, immer aber
-geistreich waren.
-
-Monika plauderte sich ganz heiß; zum ersten Male seit langer Zeit
-interessierte sie ein Gespräch.
-
-Sie hatte nie geglaubt, daß dieser Graf Lork, den sie bisher für einen
-recht oberflächlichen Lebemann gehalten, so originelle Anschauungen
-haben würde.
-
-Und sein Erstaunen war nicht kleiner. Er hatte geglaubt, Frau von
-Wetterhelm sei eine sehr hübsche Modepuppe, deren Horizont über
-Toilettenfragen kaum hinausging.
-
-War doch Monika in der ganzen Zeit so sehr zurückhaltend gewesen, hatte
-so gar nichts von der sprühenden Art verraten, die sonst in ihrer Natur
-lag.
-
-Ja, das Erstaunen war ein gegenseitiges. Als man sich spät in der Nacht
-trennte, erwartete Lork mit förmlicher Ungeduld den nächsten Tag und
-die morgendliche Bootfahrt.
-
-Als an dem Ballabend Edith Monika vor dem Schlafengehen sehr gespannt
-fragte: „Nun, -- -- was sagte er?“, wußte sie einen Augenblick gar
-nicht, worum es sich handelte. Doch gleich darauf war sie im Bilde. Sie
-sagte:
-
-„Edith, ich will ganz offen sein. Also: ich habe nicht gemerkt, daß er
-ein besonderes Interesse für Sie hätte.“
-
-„Das weiß ich allein,“ klang es hart zurück, „ich will es ja auch erst
-in ihm erwecken.“
-
-„Vielleicht war ich nicht sehr geschickt im Erfüllen meiner Aufgabe,“
-sagte Monika. „Wir haben schließlich von ganz anderen Sachen
-gesprochen.“
-
-„Aber das ist doch selbstverständlich,“ rief Edith lebhaft dazwischen.
-„Allzu auffallend darf das doch nicht gemacht werden! Jetzt tun Sie
-mir bloß die Liebe, Monika, und werfen Sie nicht sofort die Flinte ins
-Korn! Das wäre doch nicht gerade eine große Freundschaft, wenn Sie
-schon genug davon hätten! Daß Sie nicht auf Anhieb einen großen Erfolg
-erzielen würden, mit der Reklame für mich -- das war mir von vornherein
-klar. Aber nicht nachlassen -- -- bitte, bitte, Monika! Helfen Sie mir!
-Nicht wahr, Sie werden versuchen, mir weiter zu helfen?“
-
-So kam es denn, daß in der nächsten Zeit Monika viel mit Lork zusammen
-war. Sie gab ihm gegenüber die strenge Zurückhaltung auf, die sie alle
-die Zeit hindurch gehabt.
-
-Es kam jetzt oft vor, daß sie sich mit ihm von den anderen absonderte.
-Es geschah ja im Interesse einer anderen. Und der Verlauf des Gesprächs
-war immer derselbe: sie begann damit, ihm irgendwelche Vorzüge von
-Edith zu rühmen, und dann ging die Unterhaltung andere Bahnen, berührte
-tausend Gebiete und enthüllte Monika jedesmal von neuem, welch weiten
-Horizont der Graf hatte. Der hing nicht an Vorurteilen, der war kein
-Prinzipienreiter wie Georg von Wetterhelm.
-
-Langsam ging Monika immer mehr aus sich heraus, erschloß immer mehr von
-ihrem Gefühlsleben, in der unwillkürlichen Empfindung einer starken,
-seelischen Verwandtschaft mit dem Grafen.
-
-Gleich ihr hatte er eine Abneigung gegen viele Forderungen der
-Konvention.
-
-Gleich ihr empfand er eine tiefe Liebe für die schönen Künste.
-
-Wohl bestand insofern ein Unterschied, als es ihm hauptsächlich die
-Musik angetan hatte, während sie in Gedichten ihre stärksten Anregungen
-fand. Aber dieser Unterschied war ja nicht fundamental, waren es doch
-Rhythmen, die sie beide beglückten.
-
-Uebrigens begann ihr häufiges Zusammensein aufzufallen. Bei einem
-Ausflug nach Rigi-Kaltbad, den man in größerer Gesellschaft
-unternahm, brüskierte Lork die anwesenden Damen dadurch, daß er sich
-ausschließlich mit Monika beschäftigte. Schon bei der Dampferfahrt von
-Luzern nach Vitznau war das aufgefallen. Als man dann in Vitznau die
-Rigibahn bestieg, richtete Lork es so ein, daß er mit Monika im zweiten
-Wagen der elektrischen Bahn saß, während alle übrigen Teilnehmer des
-Ausflugs im ersten Wagen Platz genommen hatten.
-
-Die Bahn stieg ihren steilen Weg empor, bot wundervolle Ausblicke auf
-den See, der in der Tiefe funkelte wie ein Juwel.
-
-Vorbei ging es an Reihen mächtiger Laubbäume, bis weiter oben die
-dunkeln Tannenwaldungen anfingen und spröde Bergkräuter den Boden
-überwucherten.
-
-Ein auffallender Temperaturunterschied machte sich bemerkbar. Für
-sie alle, die unten auf dem See den goldenen Geschossen der Sonne
-ausgesetzt gewesen, bedeutete es ein Aufatmen: die Luft voll kühler
-Frische, voll herber Reinheit. Leichte Wolken lagen in dieser Höhe,
-hingen wie ein dünner, weißer Schleier über den dunkeln Tannen.
-
-Auf Station Kaltbad verließ die Gesellschaft die Wagen, schritt,
-während die Bahn weiter der Höhe zustrebte, zum Hotel, in dem das
-Frühstück bestellt war.
-
-Es herrschte bei diesem Frühstück keine einheitliche Stimmung. Es
-hatten sich zu viele Einzelgruppen gebildet, die sich ihren eigenen
-Interessen hingaben, sich um das Allgemeinwohl nicht kümmerten.
-
-Der Leutnant von Berningen widmete sich ausschließlich seinen beiden
-schönen Holländerinnen, schenkte der Mutter Tee und der Tochter Whisky
-ein.
-
-Herr und Frau von Rassow, ein hochzeitsreisendes Paar, erfüllten
-getreulich ihre Verpflichtung als Jungvermählte: nur für einander zu
-existieren.
-
-Herr von Milorski, dem es, weil man so zeitig am Morgen aufgebrochen,
-möglich gewesen, seinen beiden Hüterinnen zu entfliehen, machte Edith
-die Cour, -- diese war übrigens damit sehr wenig einverstanden, sie
-betrachtete mißbilligend Milorskis frisches Gesicht, -- wie ein
-riesiges, wohlgenährtes Baby sah er aus. -- Seine Wangen glänzten vor
-Hitze und vor Freudigkeit.
-
-Nein, das war nichts für Edith! -- Sie warf einen bösen Blick auf
-Lork und Monika, die auch eine Gruppe für sich bildeten und lediglich
-miteinander beschäftigt schienen.
-
-Nach dem Frühstück ging man in den Park des Hotels, der schön
-wie ein Märchengarten war mit dem unvergleichlichen Grün seiner
-Rasenflächen und seinen Gruppen prachtvoller Nadelbäume, über denen das
-Silbergespinnst des zarten Nebels hing.
-
-Dieser Nebel trennte Monika und Lork bald von der übrigen Gesellschaft.
-Sie beide waren ganz allein in dieser grünen, silberumsponnenen
-Einsamkeit.
-
-„Was für ein Entzücken, hier zu atmen,“ sagte Monika, „so recht aus
-tiefster Brust zu atmen --“
-
-„Wie ein Rausch ist es.“
-
-„Ja, wie ein unendlich zarter Rausch -- --“
-
-„Höhenluft!“ sagte Lork.
-
-Und dieses Wort ließ mit einem Schlage in Monikas Gedanken die Gestalt
-ihres Mannes auftauchen.
-
-Sie wußte selber nicht warum. Aber sie empfand einen Zusammenhang
-zwischen der herben, starken Höhenluft und Georgs Wesen.
-
-Und gleich darauf flammte eine Empörung in ihr auf.
-
-Was sollte es, daß sie jetzt an ihn dachte?!
-
-Sie wollte nicht mehr an ihn denken -- -- nie mehr!
-
-Und sie lachte und sprach, und sie war lebhaft, liebenswürdig wie nie
-zuvor.
-
-An diesem Tage erzählte sie zum ersten Male Harry Lork von ihren
-schriftstellerischen Versuchen.
-
-Er bewies ein glühendes Interesse, schmeichelte ihr das Versprechen ab,
-ihm noch heute abend irgendeines ihrer Manuskripte zu geben.
-
-„Aber es sind eigentlich alles nur Notizen,“ sagte Monika verlegen,
-„gar nichts Fertiges, nur Betrachtungen. Ich habe sie eigentlich nur
-für mich selbst geschrieben.“
-
-„Aber das ist ja unendlich interessanter, als wenn es anders wäre,“
-rief er lebhaft. „Ich habe bei allen Kunstwerken mehr Interesse für die
-erste Skizze als für das fertige Werk.“
-
-Und am Abend gab ihm Monika wirklich ein paar Seiten, die sie
-geschrieben.
-
-Sie hatte mit sich gekämpft, ehe sie es getan. Aber dann sagte sie
-sich, daß sie doch nicht allein für sich schreibe, sondern daß sie für
-ein Publikum arbeiten wolle; daß es doch gerade ihr Lebensberuf sein
-würde, ihre Gedanken der Menge preiszugeben.
-
-Ja, sie hatte gedacht: „der Menge... preiszugeben ...“
-
-Warum empfand sie nicht mehr wie früher, als es ihr höchste Seligkeit
-erschienen war, ihre Gefühle anderen zugänglich zu machen, sie mit
-teilnehmen zu lassen an Freuden und Schmerzen?
-
-Jetzt war in ihr ein Zurückschauern vor diesem Gedanken.
-
-Waren das wieder Vorurteile, die Georg ihr in die Seele gepflanzt?!
-
-Nun, die wollte sie wohl noch besiegen....
-
-Und trotzig griff sie aufs Geratewohl in den kleinen Stoß von Heften in
-ihrem Schreibtisch, nahm eines davon heraus und gab es nach dem Diner
-dem Grafen Lork.
-
-Auf den Blättern stand:
-
-„In die Vasen auf meinem Kaminsims habe ich weiße Rosen gestellt.
-Halberblüht sind sie. Ihre schweren Kronen sehen aus wie aus Elfenbein
-geschnitzt; geschnitzt von einem primitiven Meister, denn ihr Kern
-ist noch plump. Die blassen Blätter liegen so fest übereinander,
-daß sie eine einzige Masse bilden.... Nur zwei, drei der äußersten
-Blütenblätter fangen an, sich von dem festen Kern zu lösen, und
-unter ihnen sitzen die zwei Hüllenblätter, weit auseinandergetan,
-sonderbar tiefrosig überhaucht.... Wie blutbefleckt sehen diese offenen
-Kelchblätter aus.
-
-Inmitten all der Rosen, all dieser weißen, halberblühten, mit den
-zwei blutigen Hüllenblättern, prangt die eine, die voll erblüht ist.
-Jedes einzige ihrer Blätter hat seine Schönheit vollendet, hauchdünn
-und leicht zeichnet es seine Form in zarter Kontur. Und in der
-weitgeöffneten Rose glüht der goldhelle Blütenstaub.
-
-Vollendung!...
-
-Warum gibt es so viele, die die halbgeöffnete Rose mehr lieben
-als die vollendete? Ist es der uralt ewige Fluch der unseligen
-Prometheuskinder, die ihr Glück immer nur in der Zukunft sehen? Denen
-die Ahnung einer seligen Zukunft lieber ist als die seligste Gegenwart?
-
-Ach, diese Rosen beschreiben -- wie kann man das? So beschreiben,
-daß man sie duften fühlt, daß man die seltsam rosigen Hüllenblätter
-sieht... und mit den Nerven der Fingerspitzen fühlt, wie unendlich
-weich und kühl diese Blütenblätter sind.
-
-Die Sprachen sind alle unzureichend, zu wenig ausgebildet.
-
-Wie viel tausend Empfindungen haben wir, die wir nicht sagen können,
-weil die Sprache keine Worte hat, um die tausendfarbigen Nuancen zu
-bezeichnen.
-
-Wir stehen da wie Robinson auf seiner Insel. Unsere Werkzeuge sind zu
-einfach, unsere Waffen zu stumpf.
-
-Mitunter kommt es wohl vor, daß man in einem Gedicht ein paar Worte
-hört, die einem die Nerven erzittern lassen, daß man schauernd
-ahnt, wie schön die Sprache sein +könnte+, wenn man sie pflegte
-und veredelte, wie der Gärtner die Rosen pflegen mußte, ehe sie so
-kühlweiße Kelche hatten mit zwei blutrosigen Hüllenblättern.
-
-Aber alle Sprachen sind ungepflegt, sind Stückwerk. Keine von ihnen
-kann die Nuancen geben.
-
-Schade! Worte sind doch alles.
-
-An Worten hängt unser Schicksal. Wie wenig haben Taten oft zu bedeuten!
-Taten gibt es, die nicht mehr zu erkennen sind unter der Last von
-tausenden schwirrenden Worten. Taten, die entstellt werden durch
-Worte, wie ein schönes Jünglingsantlitz durch Wunden, wie ein holdes
-Mädchengesicht von fressendem Aussatz.
-
-Andere wieder werden durch Worte so wundersam verschleiert wie eine
-Landschaft durch einen Nebelhauch.
-
-Ach, Worte...
-
-Und zu fühlen: die Worte, die wir kennen, sind zu schwach, sie, die uns
-Flügel sein sollten, sind uns nur Krücken!
-
-Wohl könnte ich sagen, was für Rosen in den Vasen auf meinem Kamin
-blühen, aber wie soll ich das Glück beschreiben, das ich empfinde beim
-Anschauen dieser Pracht, beim Anschauen dieser schwellenden Rosen, die
-schönheitsstrotzend ihrem Tode entgegenblühen?“ -- --
-
-Am nächsten Tage, während der Morgen-Bootfahrt, sagte Lork zu Monika:
-
-„Ich kann Ihnen nicht sagen, einen wie tiefen Eindruck Ihre Zeilen mir
-gemacht haben. Besonders darum, weil sie Gedanken enthalten, die ich
-oft gefühlt und die ich nie in Worte habe bringen können. Zum Beispiel
-das, was Sie über die Sprache sagen. Wie oft habe ich das empfunden:
-es gibt tausendfache Gefühlsnuancen, für die wir keine Worte haben.
-Besonders, wenn es sich um Liebe handelt. Gerade das Erwachen der Liebe
-ist mit Worten nicht zu bezeichnen, jenes Stadium, das eigentlich noch
-keine Liebe ist, auf das aber die Liebe so unbedingt folgt wie Frühling
-auf den Vorfrühling. Jenes Stadium, wo man einer Frau die Hand küßt und
-dabei anfängt, an ihre Lippen zu denken.....“
-
-Und Graf Lork beugte sich bei diesen Worten tief über Monikas Hand.
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-15.
-
-
-Von diesem Tage ab gab Monika ihm oft etwas, was sie geschrieben,
-Phantasien, Betrachtungen, manchmal ein Gedicht. Und immer aufs neue
-war sie erstaunt von dem Verständnis, das er ihr entgegenbrachte. Ein
-Verständnis, das bis ins einzelste ging und jede flüchtige Nuance zu
-würdigen wußte.
-
-Sie empfand ein lebhaftes Erstaunen darüber. Wenn man Lork kennen
-lernte, vermutete man so gar nichts Aehnliches in ihm. Die ganze erste
-Zeit ihrer Bekanntschaft war er ihr als weiter nichts erschienen
-als ein Mann von guten gesellschaftlichen Formen und von banaler
-Liebenswürdigkeit. Und nun dieses feinsinnige Eingehen auf jeden ihrer
-Gedanken.
-
-Und die grenzenlose Mühe, die er sich gab, ihr jeden Wunsch von den
-Augen abzulesen, ihr jede Laune zu erfüllen, kaum daß sie ausgesprochen
-war. -- -- Sie verstand ihn erst dann, als sie ihn einmal Klavier
-spielen hörte.
-
-An einem brütend heißen Nachmittag war’s. In der Halle hatte man die
-großen Stores heruntergelassen, und diese dünne Scheidewand genügte,
-um das rote Brennen des Sommertages in eine opalblasse Dämmerung zu
-verwandeln.
-
-In den Korbstühlen und Schaukelstühlen lagen ein paar Hotelgäste in
-„aufgelösten“ Stellungen herum.
-
-Eine sehr hübsche Russin war sogar im Peignoir erschienen, in einem
-nilgrünen und goldgestickten Peignoir, dessen Farben mit einem tiefen,
-metallischen Glanze aufleuchteten in dem sanften Halblicht, das man in
-der Halle hergestellt hatte.
-
-Ein Engländer verpflanzte tropische Angewohnheiten hierher, indem er
-sich ein nasses Handtuch auf den Kopf gelegt und einen der Liftboys
-angestellt hatte, ihm Kühlung zuzufächeln. -- Kein Punkah war’s, den
-er bewegte, sondern einer der bunten Papierfächer, die das Hotel als
-Reklame-Angebinde den Damen widmete, die dort soupierten.
-
-In der Bar, die an die Halle anstieß und in der ein übernächtigt
-aussehender Mixer immer neue ~Ice-drinks~ mischte, saßen Lork, Monika,
-Edith, Berningen und Milorski.
-
-Berningen war tief betrübt von seinem Ausflug ins Holländische
-zurückgekehrt, seitdem vor zwei Tagen zwei Offiziere der
-niederländischen Kolonial-Armee angekommen: der eine, Major, war der
-Gatte der schönen Mutter, und der Leutnant der Verlobte der pikanten
-Tochter, dessen Existenz sie bisher unterschlagen.
-
-Aber seitdem er da war, hatte sie jedenfalls nur für ihn noch Augen,
-und die schöne Mama bezeigte ihrem Manne eine hingebende Liebe, die als
-geradezu vorbildlich für eheliches Glück hätte gelten können.
-
-Berningen machte jetzt aus Verzweiflung Edith die Cour, Monika war
-seiner Ueberzeugung nach „in festen Händen“; Lork wich ihr ja nicht von
-der Seite.
-
-Edith sagte sich, daß die Redensarten Berningens nicht den mindesten
-Wert für sie besäßen. Sie wußte, daß er sich mit seiner knappen Zulage
-nur mit Mühe bei den Kronprinz-Ulanen zu halten vermochte; er konnte
-unbedingt nur ein reiches Mädchen heiraten.
-
-Und doch blieb es nicht ohne Eindruck auf sie, wenn er ihr
-Schmeicheleien sagte.
-
-Und wenn sie zehnmal wußte, daß das nur dumme Redensarten waren... sie
-hatte zu lange Jahre gedarbt, um jetzt nicht auch Brosamen zu genießen.
-
-Sie versuchte gegen das Wohlgefühl anzukämpfen, das sie durchrieselte,
-wenn die hübschen, leichtsinnigen Leutnantslippen ihr Freundliches
-zuflüsterten. Sie versuchte ganz bewußt, diesen Flirt dazu auszunutzen,
-um Lork eifersüchtig zu machen, aber das schien vergebliche Mühe. --
-
-Herr von Milorski war entzückt von der Hitze und zog sich die
-Verwünschungen der anderen zu, als er „hoffte, es würde noch monatelang
-so fortgehen“.
-
-Ja, er hoffte es!... Lag doch oben seine furchtbare Ehehälfte, machtlos
-hingestreckt im verdunkelten Zimmer, und im Zimmer nebenan, ebenso
-machtlos, ebenso unschädlich gemacht die dräuende Schwiegermutter.
-
-So saß man nun in der Bar des Hotels und trank auf Lorks Rat Whisky.
-
-Monika konnte zwar ein gewisses unangenehmes Gefühl nicht loswerden.
-Der Whisky schmeckte ihr, sogar sehr -- aber wie Georg das wohl
-gefunden haben würde, wenn eine Dame in der Bar saß und Whisky trank?
-
-Ach was, Georg! Schon wieder Georg.... Trotzig bejahte sie, als Lork
-sie fragte, ob sie noch ein Glas wolle. Und von neuem rann der seltsam
-brennende Trank ihr durch die Kehle.
-
-Das Gespräch kroch dahin wie ein verwundetes Tier; langsam..
-schleppend.. plötzlich ein paar krampfhaft schnelle
-Vorwärtsbewegungen.. und wieder.. der langsame Trott...
-
-Da sagte Lork in eine Stille hinein, in der man nur die Fliegen summen
-gehört: „Ich werde Ihnen etwas Musik machen.“
-
-„Spielen Sie denn?“ rief Edith lebhaft.
-
-Er hatte sich erhoben. Man ging in eines der Gesellschaftszimmer.
-Blauseidene Vorhänge dämpften dort das Licht. Durch einen Spalt fiel
-eine schräge Sonnenbahn ins Zimmer, Millionen Sonnenstäubchen flirrten
-goldig.
-
-Und dieser zuckende Flimmerschein beleuchtete Harry Lorks Züge, als
-er spielte. War es diese unruhige Beleuchtung, die sein Gesicht so
-verändert erscheinen ließ? Wo war nun die träumerische Weichheit, die
-sonst in seinen Augen lag?
-
-Zwei Fackelbrände waren aufgelodert in diesen Augen, zwei harte Linien
-zogen sich von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln hinunter, der
-Unterkiefer war vorgeschoben, wie in Gier und Qual...
-
-Und seine Hände, seine sonst so kraftlosen Hände mit den schmalen
-Gelenken hatten eine fanatische Energie, seit sie die Tasten berührt.
-Melodien stiegen empor.. brennend wie der Sommerwind, der den Blüten
-den Samen aus den Kelchen gerissen ... Melodien, die die Zuhörer
-aufwühlten, daß die Männer blaß wurden und die Frauen erröteten...
-
-Die Leidenschaft war’s, die aus diesen Tasten schrie.. und eine Frage..
-eine sehnsuchtzitternde, qualvoll inbrünstige Frage....
-
-Eine Frage war’s, das fühlten sie alle hier.
-
-Und die, an die diese Frage gerichtet war, verstand plötzlich.
-Verstand, daß da neben ihr und für sie die rote Rose Leidenschaft
-aufgeblüht war, von deren heißer Schönheit sie ihr Leben lang geträumt.
-
-Ein Wirbel von Empfindungen war in ihr, sie war keines klaren Gedankens
-fähig.
-
-In ihrem von der sengenden Hitze und den machtvollen Tonwellen
-überreizten Gehirn bebte nur ein Gedanke: die rote Rose Leidenschaft...
-
-Gleich darauf trennte man sich. Die Damen gingen in ihre Zimmer hinauf,
-um sich zum Diner umzuziehen.
-
-Und während Monika damit beschäftigt war, die Haken ihres weißen
-Chiffonkleides zu schließen, öffnete sich die Tür, die zu Ediths Zimmer
-führte.
-
-Ohne angeklopft zu haben, trat Edith herein und sagte mit vor Aufregung
-verzerrtem Gesicht:
-
-„Sie scheinen ja Ihre Freundschaftsmission recht hübsch ausgeführt zu
-haben.“
-
-„Was wollen Sie damit sagen?“
-
-„Daß Sie Lust nach einem zweiten Gatten spüren, ehe Sie den ersten los
-sind.“
-
-Eine brennende Zorneswelle überflutete Monika. Sie wollte auf
-Edith los, ihr die Faust mitten in das blasse, höhnische Gesicht
-hineinschlagen, aber mechanisch gehorchte sie den Worten, die ihr,
-wie von Georgs Stimme gesprochen, in den Ohren klangen: „Ruhe,
-Selbstbeherrschung...“
-
-Und so sagte sie nur: „Kein Wort weiter.“
-
-„Ja, das könnte Ihnen so passen: kein Wort weiter!“ klang es keifend
-zurück, „nachdem Sie mir heilig versprochen haben, Lork für mich
-einzunehmen, haben Sie ihn mit Ihrer raffinierten Koketterie für sich
-selbst geködert!“
-
-Eine Flut von Verwünschungen, von Vorwürfen stieß sie hervor.
-
-„Woraus schließen Sie denn eigentlich, daß ich Lork erobert habe?“
-fragte Monika kalt, als eine Augenblickspause ihr gestattete, ein Wort
-einzuschieben.
-
-„Woraus ich das schließe? Das habe ich eben im Gefühl.“
-
-„Sie behaupten doch sonst, daß Gefühle vor dem Verstand keine Geltung
-haben.“
-
-Aber Edith war nicht in der Verfassung, sich auf logische Gespräche
-einzulassen. Ihr Körper zuckte in stummem Schluchzen; sie preßte die
-Faust an den Mund, drückte sich die Zähne tief ins eigene Fleisch.
-Aber die hysterische Krise war nicht mehr zurückzudämmen. Ein paar
-Augenblicke später wälzte sich Edith auf dem Boden und stammelte unter
-stoßweisen Schluchzen und Schreien, wie unglücklich sie wäre.
-
-Monika stand ein paar Schritte davon. Ihr Mitgefühl wurde ausgelöscht
-von der Abneigung, die sie gegen diese Unbeherrschtheit empfand. Mit
-einer Art dumpfen Erstaunens dachte sie:
-
-„Vor ein paar Jahren, als junges Mädchen, habe ich mich gerade so
-angestellt, wenn ich etwas nicht erreichte.“
-
-Unfaßlich erschien ihr das jetzt.
-
-Als Edith endlich wieder drüben in ihrem Zimmer war, war es sehr spät
-geworden.
-
-Monika beschloß, gar nicht hinunterzugehen, sondern sich oben servieren
-zu lassen.
-
-Das Zimmertelephon schlug an.
-
-Graf Lork fragte an, ob die Damen heute nicht zum Essen kämen.
-
-„Nein,“ erwiderte Monika, „und morgen auch nicht. Ich habe einen
-Ausflug vor.“
-
-Am nächsten Morgen verließ sie das Hotel zu einer ungewöhnlich frühen
-Stunde.
-
-Sie mietete ein Motorboot für den Tag.
-
-„Irgendwohin,“ erwiderte sie dem Bootsmann auf seine Frage, nach
-welchem Orte sie wolle.
-
-Und sie lag, auf dem Rücken ausgestreckt, im Boot, das durch die
-durchsichtig grünen Wogen schnitt, an lachenden grünen Ufern vorüber.
-
-Die höhersteigende Sonne sandte Fluten von Licht und Wärme herunter.
-
-Monikas Gedanken waren wie taumelnde Schmetterlinge, die im
-fieberhaften Fluge über die Blüten irren...
-
-Sie kam erst spät am Abend ins Hotel und ging gleich in ihr Zimmer
-hinauf.
-
-Sie war todmüde und konnte doch nicht schlafen; eine sonderbare
-Helligkeit war in ihrem Kopfe...
-
-Wie rote Brände zuckte es vor ihren Augen.
-
-Das war wohl der lange Sommertag, der ihr Blut so überhitzt hatte, all
-die Glut, die auf sie niedergebrannt war, alle die Gerüche, die sie
-geschlürft: der herbe Hauch vom See, das frische Duften der Laubbäume
-und das strenge Aroma der Nadelwälder.
-
-Oder war es die Frage, die sie nicht schlafen ließ, die Frage, die
-gestern aus den Tonwellen auf sie eingedrungen?
-
-Am Morgen endlich verfiel sie in einen unruhigen Schlaf, aus dem eine
-schrill krähende Stimme sie weckte.
-
-„Wer ist denn heute bei Fräulein von Gräbert?“ fragte sie das
-Stubenmädchen, das gerade den Tee gebracht.
-
-Die brave Schweizerin machte erstaunte Augen. „Aber das ist ja
-Mademoiselle Bussy d’Armagnac de Montnoir, die da singt. Die haben wir
-seit gestern abend hier. Fräulein von Gräbert ist gestern doch schon
-mit dem Mittagszuge weg.“
-
-Ja, Edith war fort, ohne ein Wort des Abschieds. Monika atmete im
-ersten Augenblick wie erleichtert auf, also Szenen wie die gestrige
-waren nicht mehr zu befürchten.
-
-Aber als sie sich dann zum Lunch anzog, wollte es doch wie Bangen in
-ihr aufsteigen: zum ersten Male ganz allein.
-
-Sie überlegte einen Augenblick, ob sie Frau von Milorski und deren
-Mutter bitten solle, sie an ihrem Tische Platz nehmen zu lassen, aber
-gleich darauf sagte sie sich, daß es doch ein Unsinn sei, sich zur
-Tischgenossin dieser unliebenswürdigen Frauen zu machen, bloß weil es
-vielleicht nicht ganz passend war, ohne weibliche Begleitung zu sein.
-
-Und so ging sie denn auf den Tisch zu, an dem wie sonst Berningen und
-Lork schon warteten.
-
-Das Gespräch war sehr lebhaft. Monika zwang sich, so munter wie nur
-möglich zu sein. Sie plauderte unaufhörlich. Nur kein Stillschweigen
-wollte sie aufkommen lassen, das gefährlicher war als alle Worte.
-
-Beim Dessert sprach Lork von dem Jubelfeste, das heute auf dem See
-stattfände, der Festtag der Eidgenossenschaften.
-
-„Darf ich Sie bitten, sich das Feuerwerk von meinem Balkon aus
-anzusehen?“ fragte er Monika.
-
-Sie starrte ihm erschrocken ins Gesicht.
-
-Er aber fuhr ganz harmlos fort: „Die Milorskischen Damen haben zugesagt
--- --“
-
-„Und ich bin erfreulicherweise auch geladen,“ fügte Berningen hinzu,
-„von uns allen hat nämlich nur Lork den Balkon nach der Westseite.“
-
-„Wir gehen gleich nach dem Essen zu mir hinauf,“ sagte Lork.
-
-Monika nickte stumm.
-
-Die Milorskischen Damen sahen sich mit kaum verhehltem Neide um,
-als sie die von Lork bewohnten Räume betraten, die Fürstenzimmer
-des Hotels. Auf der Terrasse, die sich an einen schönen blauen
-Louis-XV.-Salon schloß, versammelte sich die Gesellschaft.
-
-Herr von Milorski bewunderte die Korbmöbel aus gediegenem grauen
-Geflecht mit Goldornamentierungen.
-
-„Bequem wie’n Klubsessel,“ sagte er und dehnte sich behaglich in einem
-der Sessel, -- „wenn ich denke, wie früher die Korbstühle waren! --
--- Die Welt schreitet doch alle Tage weiter. Es ist fabelhaft ...
-Nicht?...“
-
-Er erhielt auf diese Auslassungen keine Antwort. Seine Frau und seine
-Schwiegermutter waren in den Salon zurückgekehrt, wo sie die Nippes
-besahen. Berningen hatte sich auf das Geländer der Terrasse gesetzt
-und kokettierte von da aus in den Hotelgarten zu zwei niedlichen
-Amerikanerinnen hinunter.
-
-Monika und Lork standen ganz links, an der Seeseite. Monika sah in
-die Ferne, und Lork stand über ihren Stuhl gebeugt, so nahe, daß ein
-verschmitztes Lächeln das gutmütige Gesicht Milorskis überflog.
-
-Die Sonne war schon untergegangen, aber noch lag die ganze Schwüle
-dieses endlos langen Julitages über Luzern. In dieser durchsichtigen
-Dämmerung zogen sich die riesigen Laubmassen der Platanenallee am Kai
-hin wie ein schwarzes Band. In den Straßen drängten Menschenscharen,
-die in diesem Lichte unbestimmte Formen annahmen. Dunkel drohten die
-Felsmassen vom gegenüberliegenden Ufer des Sees.
-
-Wie ein dumpfer Druck lag es über Monika, wie eine atemraubende
-Erwartung.
-
-Berningen begann sich inzwischen zu langweilen. Seine neuen Flirts,
-denen es im Garten wohl zu tauig geworden sein mochte, waren ins Hotel
-zurückgegangen.
-
-„Die braven Schweizer werden ihr Feuerwerk wohl erst um Mitternacht
-loslassen. Hier geht ja alles so langsam,“ murrte er. Dann steckte
-er sich eine neue Zigarette an und überlegte die Situation. Die
-Milorskischen „Drachen“ konnten jeden Augenblick wieder auf die
-Terrasse heraustreten; Monika ließ der Lork doch nicht aus den Fingern,
-und Milorski schlief schon halb vor einer Flasche Hennessy, -- -- kurz,
-es war hier nichts los.
-
-So beschloß er denn, sich zu drücken, ging stolz über die Terrasse. Von
-den dreien hier achtete doch keiner auf ihn. Mit unendlicher Vorsicht
-schlängelte er sich an den Drachen im Salon vorbei.
-
-Dann schlenderte er zum Hafen.
-
-Die Schweizer waren mit Kind und Kegel von ihren Bergen
-heruntergekommen. Vierschrötige Gestalten, rotbäckige Gesichter. Aus
-hellen Augen starrten sie bewundernd auf das großstädtische Treiben
-und auf alle die internationalen Erscheinungen, die sich hier zwischen
-ihnen herumdrängten.
-
-Und diese Menge, die so verschiedenartig war wie die tausendfarbigen
-Steinchen eines Kaleidoskops, wurde zusammengehalten durch ein Band:
-die Schaugier!
-
-Ein „Ah“ ging über sie alle hin, als das erste geschmückte Schiff
-hinausglitt auf den See. Das gleiche „Ah“ kam von all diesen Lippen,
-den groben und den feinen, den schmutzigen und den gepflegten, den
-welken und den blühenden. -- -- Es gefiel ihm nicht, und reumütig
-schlug er den Weg wieder ein zu Lorks weißer Terrasse.
-
-Als er dort ankam, fand er zu seinem Erstaunen die Milorskische Familie
-vollzählig im Salon von Lork, damit beschäftigt, Whist zu spielen.
-
-„Na, und das Feuerwerk?“
-
-„Es hat ja noch nicht angefangen, -- und meine Schwiegermutter ist
-so gewöhnt, um diese Zeit ihr Spielchen zu machen,“ sagte Milorski
-kleinlaut. „Liebes Kerlchen, tun Sie mir den Gefallen und spielen Sie
-mit statt des Strohmanns,“ fügte er hinzu.
-
-„Und Lork?“
-
-„Ist auf der Terrasse.“
-
-„Zu zweien -- --,“ sagte Frau von Milorski sarkastisch.
-
-Berningen beschloß innerlich, dann „lieber nicht zu stören“, und setzte
-sich resigniert zum Whist nieder.
-
-Auf der Terrasse herrschte tiefes Schweigen.
-
-Die beiden sahen hinaus in die samtschwarze Nacht, und Monika fühlte
-mit fast schmerzhafter Deutlichkeit die elektrische Spannung des
-Mannes an ihrer Seite.
-
-Die Minuten strichen so langsam dahin -- tropften dahin...
-
-Und Nacht und Schweigen...
-
-Bis plötzlich ein blutroter Schein aufflammte in dieser samtschwarzen
-Nacht...
-
-Und wieder einer...
-
-Und hundert plötzlich... Brennende Feuerräder, die in ungeheurem Bogen
-über den tiefdunkeln Himmel emporgeschleudert wurden und in einer
-wilden Strahlengarbe hinabstürzten in den See. Strahlenkränze von roten
-Lichtern auf all den Masten und Rahen der Schiffe, die auf dem Wasser
-kreuzten.
-
-Alle diese Schiffe aber blieben im Dunkeln. Man sah nur die Girlanden
-von Licht -- wie Tausende roter Leuchtkäfer über dem See.
-
-Und wieder feurige Schlangen, die empor in den Himmel zischten,
-Kometen, die eine Flammenbahn über den Horizont zogen, feurige Blumen,
-die aus einem überreichen Füllhorn emporgeschleudert wurden -- -- ein
-wilder Taumel von Feuer, der von der Erde emporraste in den Himmel
-hinein und hinabstürzend im Wasser starb.
-
-Und wieder Nacht und Schweigen. -- -- Nein, Schweigen nicht...
-
-Worte flammten auf, heiß und rot, wie es die Feuerblumen eben gewesen...
-
-„Ich muß Ihnen von meiner Liebe reden, Monika. Ahnen Sie denn, wie sehr
-diese Liebe von mir Besitz genommen hat? Ich bete Sie ja an: Ihre süße
-Schönheit... Ihren Geist... Ihre Gutherzigkeit ... alles! Mein Denken
-bei Nacht und Tag ... mein süßes Glück... meine schöne Pantherkatze, --
-sag’ ein einziges Wort... ein einziges, liebes Wort.“
-
-Sie fühlte seinen brennenden Atem über ihre Wange streichen, fühlte,
-wie es ihn unwiderstehlich, übermächtig zwang, sie in die Arme zu
-nehmen...
-
-Und sich gewaltsam dem heißen Zauber entziehend, trat sie hastig einen
-Schritt zurück.
-
-„Still! Sagen Sie mir jetzt nichts weiter.“
-
-„Aber morgen muß ich Sie sprechen, Monika.“
-
-Sie antwortete nicht, trat hastig in den Salon, wo die Vier über ihrem
-Spiel das Feuerwerk vergessen hatten.
-
-Sie taumelte ein wenig, als sie ins Zimmer trat, und schloß die Augen
-vor der Helle des elektrischen Lichts -- und hatte eben doch mit
-offenen Augen in ein viel heißeres, rotes Feuer gesehen.
-
-[Illustration]
-
-Am nächsten Morgen hatte sie mit Lork die von ihm erbetene Aussprache.
-
-Solange sie nebeneinander auf der weißen Landstraße einhergingen,
-sprachen sie kein Wort. Dann bogen sie in einen Fußpfad ab, der an
-Wiesen und schattigen Laubbäumen vorbei hügelan führte.
-
-Monika setzte sich auf die Bank an irgendeinem Aussichtspunkte und
-hielt ihren weißen Spitzensonnenschirm vor das Gesicht, weniger zum
-Schutze gegen die Sonne als zum Schutze gegen seinen Blick. Und sie
-sagte hastig:
-
-„Sie dürfen nicht zu mir sprechen wie gestern abend, Graf Lork. Sie
-wissen ja überhaupt nichts von mir...“
-
-„Doch! Fräulein von Gräbert sprach mit mir, ehe sie fortfuhr.“
-
-Eine heiße Röte überflammte Monikas Gesicht. Edith hatte also vor ihrer
-Abreise noch ein Zusammentreffen mit Lork arrangiert. Wer weiß, was sie
-da für Verleumdungen über sie aufgetischt haben mochte!
-
-„Ich war unendlich glücklich über das, was Fräulein von Gräbert mir
-sagte. Ich hörte, daß Sie im Begriff sind, sich scheiden zu lassen. Ist
-das wahr?“
-
-Monika antwortete nicht; mit aufeinandergebissenen Zähnen starrte sie
-vor sich hin.
-
-Und in heißem Flehen sagte die Stimme des Mannes von neuem: „Das ist
-wahr?... Sagen Sie mir, daß es wahr ist...“
-
-Der Schirm war ihrer Hand entsunken. Sie sah jetzt geradeaus in die
-flammende Sonne.
-
-Da griff er nach ihren Händen, umkrampfte diese kühlen, kleinen Hände
-mit seinen glühend heißen Fingern und flehte: „Ist es wahr?“
-
-„Ja,“ sagte sie tonlos.
-
-„Monika, -- -- und wenn diese Scheidung vollzogen ist, dann darf
-ich hoffen, daß Sie meine Frau werden? Ich will ja Ihr Sklave sein,
-Monika, ich will Ihnen jeden Willen tun, Ihnen jeden Wunsch erfüllen...
-Alles! Sie wissen, wie ich Sie verstehe, wie ich jede Regung in Ihnen
-verstehe und liebe! In Ihrer prachtvollen Ursprünglichkeit sollen Sie
-bleiben, kein Atom Ihres Selbst will ich anders haben, als es ist.
-Unser Leben wird ein Rausch sein von Glanz und Leidenschaft!“
-
-Er preßte seine fiebernden Lippen auf ihre Hand.
-
-„Ihre Antwort, Monika...“
-
-„Nicht jetzt,“ sagte sie schwer atmend, „lassen Sie mir Zeit.“
-
-„Wann?“
-
-„Ich weiß nicht...“
-
-„Wann?“ flehte er.
-
-„Ein paar Tage nur...“
-
-Dann gingen sie langsam den Weg zurück, den sie gekommen.
-
-Monika hielt den Blick tief gesenkt, nicht ein einzigesmal sah sie auf.
-In seinen Augen aber war ein Schein von Siegessicherheit.
-
-Kurz bevor sie am Hotel ankamen, sagte er:
-
-„Ich werde heute und morgen wegfahren. Ich will Sie nicht stören, nicht
-beunruhigen in dieser Zeit der Ueberlegung... aber übermorgen früh hole
-ich mir meine Antwort.“
-
-Monika schritt dahin wie im Traum. Der Lift fuhr sie in ihre Etage
-hinauf, die Tür ihres Zimmers schloß sich hinter ihr. Ihr erster
-Gedanke war: Dunkel, die Vorhänge herunter.
-
-Dann, als sei es ihr immer noch zu hell, warf sie sich übers Bett und
-wühlte den Kopf in die Kissen. Dunkel... Dunkel und Schweigen...
-
-Aber es ward nicht dunkel vor ihren Augen. In unabsehbarer goldener und
-strotzender Fülle sah sie alle Herrlichkeiten dieser Welt!
-
-Die alle würde dieser Mann ihr geben, alles Schönste, wonach
-sie je Begehren getragen, alles Schönste, was Natur und Kunst
-hervorgebracht: edle Steine und schillernde Stoffe, kostbare Bücher
-und Marmorbildsäulen, Pferde und Automobile und Jachten, Gärten und
-Paläste...
-
-Das alles würde er ihr geben in seiner heißen Liebe, die so
-leidenschaftlich war, wie sie es immer ersehnt. Ganz einhüllen würde
-er sie in diese flammende Leidenschaft. Seine Liebe würde sklavisch
-zu ihren Füßen knien und darauf harren, ihr jeden Wunsch erfüllen zu
-dürfen.
-
-In allen Poren fühlte sie, welche Macht sie über diesen Mann besaß, der
-jede Bewegung an ihr vergötterte, jedes Wort, das sie sprach, jeden
-Gedanken, den sie dachte... Der sie liebte maßlos und schrankenlos...
-
-+Das+ war’s, was ihr wie ein Rausch ins Blut drang, diese Erfüllung
-ihrer jungen Sehnsucht: über alle Schranken hinaus...
-
-Georg hatte sie in Schranken gehalten und sich selbst auch. Hatte er
-sie überhaupt je geliebt? War das Liebe, die nach Zügeln fragte und
-nach Grenzen? Georg war ein Egoist gewesen, immer; im Mittelpunkte
-seines Denkens hatte er selbst gestanden, er und seine Karriere.
-
-Würde er ihr je eine Ueberzeugung geopfert haben? Von Harry Lork
-aber wußte sie, daß er es mit Freuden sehen würde, wenn sie alle
-ihre Gefühle, alle ihre Gedanken wild wuchern ließ, daß sie üppige
-Triebe und Blüten reckten. Mit Lork würde sie frei sein können im
-Denken und Tun -- und überschüttet von Reichtum und fortgerissen von
-Leidenschaften.
-
-Sie sah wieder sein Gesicht vor sich, wie sie es neulich im Musikzimmer
-gesehen, als die Sonnenstäubchen drüber hingeflirrt und die Linien
-beleuchtet, die die Leidenschaft hineinriß...
-
-Da wußte sie, was sie dem Grafen Harry Lork antworten würde, sobald er
-wiederkam.
-
-Sie war mit ihrem inneren Leben so sehr beschäftigt, daß sie es
-vermied, andere zu sprechen. Sie war fast unhöflich, gab kaum Antwort,
-wenn einer der Hotelgäste sie in ein Gespräch zu ziehen suchte.
-
-Am nächsten Vormittag schwamm sie weit in den See hinaus. Die scharfe
-körperliche Bewegung tat ihr wohl, lenkte sie ab von der heißen Arbeit
-ihres Gehirns.
-
-Aber als sie dann nachher auf dem weißen Sande des Badestrandes lag,
-waren sie alle wieder da, die Zukunftsträume. Die waren nicht mehr in
-den rosigen Farben ihrer ersten Jugend gemalt, sondern in Purpur und
-Gold ihrer wissenden Frauenphantasie.
-
-Und das Gefühl eines wilden Triumphes überkam sie: nie mehr „Sitte“
-und „Pflicht“... nur alle heißen Träume wahr machen, die ihr Gehirn je
-bewegt, -- -- jede Phantasie Wirklichkeit werden lassen!
-
-Ja, das alles +konnte+ sie, in der Kraft ihrer blühenden Jugend, die
-keinen Zügel mehr tragen würde, -- -- ungezählte Reichtümer zur Hilfe,
-und einen Mann zur Seite, der ein Sklave ihrer Launen war.
-
-„Schrankenlos genießen“ -- -- hatte er gesagt.
-
-Und wie ein brausender Jubelchor klang es ihr in den Ohren:
-„schrankenlos... genießen...“
-
-Und doch... und doch... Es war keine volle Harmonie in diesem Hymnus.
-Wohl klangen die Instrumente so lockend, lachten vor Rausch und Lust,
-aber irgendwo schluchzte eine Geige, schluchzte so tief schmerzlich --
-so unerträglich sehnsüchtig -- --
-
-Was war es denn, was die schluchzte? Ein Wort nur, ein einziges Wort:
-„Georg“...
-
-Aber sie jagte diesen Gedanken von sich. Er war ein Egoist, er hatte
-sie nie geliebt. Und nur jetzt keine falsche Sentimentalität.
-
-Sie war entschlossen. Sie wußte, was sie Lork morgen antworten würde.
-
-Als sie vom Schwimmbad nach Hause kam, den Blick gesenkt, um nicht
-wieder in Unterhaltungen verwickelt zu werden, die sie störten, wurde
-sie, als sie die Halle durchschritt, angerufen.
-
-„Ah, Frau von Wetterhelm,“ klang es ihr, in einer schnarrenden Stimme
-gesprochen, ins Ohr.
-
-Sie mußte eine Sekunde lang nachdenken, wo sie dieses narbenzerrissene
-Greisengesicht schon gesehen, dies Gesicht mit dem bulldoggenhaften
-Ausdruck und einem goldgefaßten Monokel im linken Auge.
-
-„Ah, Fürst Herrlingen.“
-
-Wie lange ihr das schon her schien, seit sie ihn zum letztenmal
-gesehen. Und es waren doch erst zwei Jahre, daß sie die Botschaft in
-London verlassen. Sie hatte dann mit dem Fürsten noch korrespondiert,
-und oft hatte er ihr geschrieben, welchen Spaß ihm ihre witzigen Briefe
-machten.
-
-Ob Herrlingen wohl wußte, wie sich ihr Lebensschicksal inzwischen
-gestaltet?
-
-Sie war verlegen, murmelte irgend etwas, daß sie hinauf müsse, aber er
-bat so dringend, sich ein paar Augenblicke zu ihm zu setzen.
-
-Er plauderte wie immer: in abgerissenen Sätzen, in der sehr lebhaften
-Art, die er sich, trotz seiner siebzig Jahre, bewahrt hatte. Er
-erzählte von gemeinsamen Bekannten. Ohne ein paar boshafte Ausfälle
-ging es dabei nie ab.
-
-Als sie im Begriffe waren, sich zu trennen, ließ er sich noch
-versprechen, daß sie heute abend mit ihm diniere. Das müsse sie schon
-für einen alten Freund tun. Nicht im großen Speisesaal -- gräßlich mit
-den vielen Leuten! Er würde den gelben Salon reservieren lassen.
-
-Monika zeigte sich am Abend in brillanter Laune. Sie scherzte und
-lachte und berauschte sich schließlich an ihrer eigenen Gesprächigkeit.
-
-Die Unterhaltung zwischen ihnen beiden flog hin und her wie ein
-Tennisball, den zwei geschickte Spieler sich zuschleudern.
-
-Wie früher war es.
-
-Nein, doch nicht wie früher...
-
-Da war Georg Wetterhelm mit dabei gewesen, hatte seiner Frau zugehört,
-stolz auf ihren Esprit und ein wenig ängstlich, ob sie die Grenzen
-innehalten würde...
-
-Nein, nicht wie früher war’s.
-
-Der Fürst schien den gleichen Gedanken zu haben.
-
-Einen Augenblick zögerte er, dann: „Ich möchte Sie etwas fragen, Frau
-von Wetterhelm. Nehmen Sie es als Freundschaftsbeweis. Man muß mich
-schon mehr interessieren, wenn ich indiskret sein soll. Hat es zwischen
-Ihnen und Wetterhelm einen Bruch gegeben?“
-
-Sie antwortete nicht.
-
-„Ich habe neulich Ihren Mann in Berlin gesehen,“ fuhr er fort, „er hat
-mir nichts Besonderes über Sie erzählt. Er sagte nur, es ginge Ihnen
-gut. Aber daß er nun doch nach Teheran will, nachdem er es Ihretwegen
-vor drei Jahren abgelehnt -- --“
-
-„Meinetwegen?!“
-
-„Ah, Sie wissen es gar nicht? -- Das ist mal wieder recht Georg
-Wetterhelm, es Ihnen gar nicht zu erzählen, wenn er ein Opfer bringt.“
-
-„Ein Opfer?“ fragte sie mit versagendem Atem.
-
-„Ja, für seine Karriere war’s eins. Das habe ich ihm damals klipp und
-klar auseinandergesetzt. Die Kombination lag ja damals ganz anders
-als heute. Allein die Tatsache, daß er dann vor drei Jahren schon
-erster Botschaftsrat geworden wäre.. Und außerdem ist damals der
-Herzog Wilhelm Friedrich hingegangen, der auf Wetterhelms Beihilfe
-bei seinen ethnologischen Forschungen rechnete. Wetterhelm hätte die
-schönste Gelegenheit gehabt, sich nach allen möglichen Richtungen hin
-auszuzeichnen. Aber er wollte nicht hin! Ihretwegen nicht. Er fürchtete
-für Sie das Klima, die zeitweise recht unruhige Bevölkerung -- es war
-gerade wieder ein Aufstand vorgekommen. Er sagte mir auch, daß Sie
-sich, so weit von unserer Kultur entfernt, gar zu unbehaglich fühlen
-würden. Ich erwiderte, das seien doch alles keine Gründe, wenn ein
-Vorteil für die Karriere in Frage käme. Aber ihm stand Ihr Wohl höher.
-Ich machte ihm dann den Vorschlag, sich doch für ein Jahr beurlauben zu
-lassen, um an der Expedition des Herzogs teilnehmen zu können -- Sie
-wissen, was Wilhelm Friedrichs Fürsprache bei uns zu bedeuten hat --,
-aber er antwortete, er wolle sich nicht so lange von Ihnen trennen. Ja,
-die Liebe beeinträchtigt eben auch bei sonst ganz vernünftigen Menschen
-den Verstand.“ --
-
-Monikas Hand zitterte so stark, daß der blutrote Burgunder aus ihrem
-Glase über das Tischtuch tropfte.
-
-Ihr Wohl hat ihm höher gestanden als seine Karriere!
-
-O nur allein sein, allein sein jetzt mit ihren Gedanken, die wie eine
-Meute über sie herstürzten!
-
-Aber die Frau von Georg Wetterhelm durfte ihre Haltung nicht verlieren.
-Und sie krampfte ihre Fingernägel in die Handflächen, daß sie ihr
-schmerzend ins Fleisch drangen.
-
-Und sie plauderte weiter, liebenswürdig und witzig, als schlüge ihr
-nicht das Herz wie rasend in der Brust, als stiege ihr nicht das Blut
-so heiß zu Kopfe, daß es wie ein Brausen in ihren Ohren war.
-
-Und der Augenblick kam, wo Herrlingen ihr abschiednehmend die Hand
-küßte.
-
-Dann endlich in ihrem Zimmer durfte sie sich ihrem Gefühle überlassen,
-durfte aufschluchzen, durfte weinen, wie sie noch nie geweint...
-
-War das der Mann, den sie einen starren Egoisten genannt? Dieser
-Mann, der seinem Avancement schadete, um der geliebten Frau einen
-unangenehmen Aufenthalt zu ersparen? Und der ihr nicht einmal etwas
-davon sagte, in der herben Vornehmheit seiner Natur, die Opfer brachte
-und keinen Dank dafür wollte!
-
-In wogenden Nebeln versanken farblos alle die farbenstrotzenden
-Zukunftsschlösser, die sie gestern noch gebaut. Was war aller Reichtum
-und alle Leidenschaft, was waren alle Genüsse dieser Welt, wenn ihr die
-Liebe fehlte?
-
-Und ihre Liebe zu Georg, die sie so lange gewaltsam zurückgedämmt,
-durchbrach alle Schranken, daß es ihr war, als sei ihr ganzes Sein nur
-noch ein einziger Sehnsuchtsschrei nach ihm!
-
-Aber eisig legte sich in den Aufruhr ihrer Gefühle die Frage: Wird er
-mir verzeihen? Hatte sie ihm nicht schlecht gelohnt? Hatte nicht ihr
-eigenes Selbst ihr höher gestanden als sein Glück?
-
-Eine tiefe Mutlosigkeit wollte sie überkommen, ein banges Gefühl: Wird
-das wieder gut?
-
-O, wenn sie ihm nur alles sagen könnte, ihm alles verständlich machen!
-
-Ein Irrtum war’s, der sie von seiner Seite gerissen.
-
-Noch einmal grüßte aus dem Dunkel des Unwiederbringlichen das Haupt
-des toten Bruders, die dunkeln Wimpern über den erloschenen Augen, ein
-wenig geöffnet der Mund, ein wenig traurig...
-
-Georgs Schuld?
-
-Ach nein! Die Schuld des Birkenschen Blutes, der Birkenschen Erziehung.
-Die Schuld des Blutes, das Alfred unter der Tropensonne seinem Geschick
-entgegenführte, das Heinrichs Leben in unklare Wirrnisse verstrickte,
-das sie selbst so gefährliche Bahnen geführt.
-
-Und hoch über ihnen allen stand Georg.
-
-Sein Leben lang hatte er idealen Gütern gedient, gab seine besten
-Kräfte dem Lande, das ihn gezeugt, hatte in strenger Selbstzucht, in
-treuer Erfüllung seiner Pflichten seine Einzelpersönlichkeit dem Wohle
-des Ganzen untergeordnet.
-
-Und nicht, wie sie geglaubt, war er unbeugsam und kalt dabei geworden
--- nein! Er war es fähig, ein Opfer zu bringen.
-
-Ob er ihr verzeihen würde?...
-
-Ach, kein Nachdenken jetzt -- kein Fragen.
-
-Zu ihm! Mit dem Nachtzuge noch.
-
-Sie erreichte ihn noch gerade.
-
-Und während die Räder in rasender Hast durch das Dunkel jagten, saß sie
-in eine Ecke des Coupés gedrückt, mit weit offenen Augen.
-
-Sie legte sich nicht hin, sie konnte ja doch nicht schlafen.
-
-Ob er ihr verzeihen würde?...
-
-Verzeihen, daß sie in egoistischer Aufwallung Haus und Herd verlassen
-und den Mann, der sie liebte?
-
-Und sie dachte an den Abend vor bald sechs Jahren, als sie zu ihm
-gefahren war, als ihr siebzehnjähriger Mädchenmund in Leidenschaft und
-Liebe und Egoismus gestammelt: „Ich will mein Glück wiederhaben!“
-
-Weiter und weiter durch die sternenlose Nacht, deren Schweigen mitunter
-zerrissen wurde von dem gellenden Schrei der Lokomotive. Immer weiter
-trug sie der Zug... zu ihm!
-
-Und in ihrem aufgewühlten, durchschütterten Gehirn zuckten neben den
-großen Fragen kleine Sorgen auf, kleinliche Bedenken:
-
-„Wird er zu Hause sein? Wer wird mir die Tür öffnen? Wie mache ich’s,
-daß er mich anhört ...?“
-
-Tausend Möglichkeiten durchdachte sie, tausend Schwierigkeiten überwand
-sie in Gedanken, immer neue Hindernisse überlegte sie sich, und wie sie
-ihnen entgegentreten solle.
-
-Und es kam alles viel einfacher, als sie gedacht. Der Diener öffnete,
-sagte ein freudig überraschtes: „Ah, die gnädige Frau!“ und nahm ihr
-den Reisemantel von den Schultern.
-
-Und mechanisch nahm sie auch den Hut ab, so als ob sie hier zu Hause
-wäre, wieder zu Hause.
-
-Sie schritt durch ihren blauen Salon und durch das Musikzimmer und
-öffnete die Tür zu Georgs Arbeitszimmer.
-
-Er saß am Schreibtisch und sah nicht auf.
-
-Wie ernst, wie furchtbar ernst das geliebte Gesicht war!
-
-Sie stammelte seinen Namen.
-
-Und da sprang er auf.
-
-Kein Besinnen, kein Fragen, keine Korrektheit ... nur ein einziger,
-wilder Schrei:
-
-„Du!“
-
-Und seine Arme, die sie umfaßten, sein Mund, der sich auf den ihren
-preßte, sein heißes Gestammel: „Bist Du doch gekommen, mein kleiner
-Schatz? Mein geliebter, kleiner Schatz, bist Du doch gekommen, mein
-Glück...“
-
-„Ja, Georg, und ich will bei Dir bleiben, immer ... immer...“
-
-Es bebte wie Angst in seiner Stimme:
-
-„Du weißt, wie verschieden unsere Naturen sind. Es mag wohl wieder ein
-Tag kommen, Monika, wo ich Dein phantastisches Köpfchen nicht verstehe,
-wo ich Deine Wildheit nicht gutheißen kann, wo ich Dir etwas nicht
-geben kann, nicht geben darf, was Du verlangst -- wo ich Dir Deine
-Wünsche nicht erfülle...“
-
-„Dann...“ Der Schein einer unendlichen Hingabe verklärte ihr Gesicht.
-„Dann werde ich nicht, wie in meinen Kinderjahren, sagen: ‚Mir
-zuliebe!‘ Dann werde ich nicht, wie in meiner Brautzeit, stammeln:
-‚Unserem Glücke zuliebe‘ -- dann werde ich das Wort sagen, das ich
-jetzt sprechen gelernt habe: ‚Dir zuliebe‘!“
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Romane beliebter Autoren
-
-
-In gleicher Form und Ausstattung erschienen:
-
- =R. Skowronnek=, Das Bataillon Sporck
-
- =Karl Hans Strobl=, Die Streiche der schlimmen Paulette
-
- =Ida Boy-Ed=, Ein Augenblick im Paradies
-
- =Felix Hollaender=, Der Eid des Stephan Huller
-
- =Paul Oskar Höcker=, Fasching
-
- =Rudolph Stratz=, Lieb Vaterland
-
- =G. v. Ompteda=, Margret und Ossana
-
- =F. v. Zobeltitz=, Die Spur des Ersten
-
- =Max Dreyer=, Auf eigener Erde
-
-Die Sammlung wird fortgesetzt
-
-In jeder Buchhandlung erhältlich
-
-
-
-
-Ullstein & Co.
-
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-
-Berlin SW^{68}
-
-
-
-
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-End of the Project Gutenberg EBook of Pantherkätzchen, by
-Gertrud Marie Madeleine von Puttkamer
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-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK PANTHERKÄTZCHEN ***
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- Pantherkätzchen, by Marie Madeleine&mdash;A Project Gutenberg eBook
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-<pre>
-
-Project Gutenberg's Pantherkätzchen, by Gertrud Marie Madeleine von Puttkamer
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
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-
-Title: Pantherkätzchen
-
-Author: Gertrud Marie Madeleine von Puttkamer
-
-Release Date: December 1, 2020 [EBook #63933]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK PANTHERKÄTZCHEN ***
-
-
-
-
-Produced by the Online Distributed Proofreading Team at
-https://www.pgdp.net (This book was produced from images
-made available by the HathiTrust Digital Library.)
-
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-
-
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-
-</pre>
-
-
-<div class="transnote">
-
-<p class="s3 center"><b>Anmerkungen zur Transkription</b></p>
-
-<p class="p0">Der vorliegende Text wurde anhand der 1913 erschienenen
-Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben.
-Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche
-und heute nicht mehr gebräuchliche Schreibweisen sowie Schreibvarianten
-bleiben gegenüber dem Original unverändert, sofern der Sinn des Texts
-dadurch nicht beeinträchtigt wird. Passagen in Dialekt wurden vom
-Original ohne Korrektur übernommen.</p>
-
-<p class="p0">Das Inhaltsverzeichnis wurde der Übersichtlichkeit halber
-vom Bearbeiter erstellt. Umlaute in Großbuchstaben (Ä, Ö, Ü) werden,
-gemäß der Originalvorlage, durch deren Umschreibungen (Ae, Oe, Ue)
-dargestellt.</p>
-
-<p class="p0">Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt; Passagen
-in <span class="antiqua">Antiquaschrift</span> werden im vorliegenden
-Text kursiv dargestellt. <span class="nohtml">Abhängig von der im
-jeweiligen Lesegerät installierten Schriftart können die im Original
-<em class="gesperrt">gesperrt</em> gedruckten Passagen gesperrt, in
-serifenloser Schrift, oder aber sowohl serifenlos als auch gesperrt
-erscheinen.</span></p>
-
-</div>
-
-<div class="titelei">
-
-<p class="s2 center padtop3 mbot3 break-before">Pantherkätzchen</p>
-
-<h1>Pantherkätzchen</h1>
-
-<p class="s3 center">von</p>
-
-<p class="s1 center">Marie Madeleine</p>
-
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-
-<p class="s3 center padtop3"><b>1913</b></p>
-
-<p class="s2 center">Ullstein &amp; Co. Berlin-Wien</p>
-
-<p class="center padtop5 break-before"><span class="antiqua">Copyright 1913 by<br />
-Ullstein &amp; Co., Berlin</span></p>
-
-</div>
-
-<div class="figcenter illowe32 break-before" id="titelseite">
- <img class="w100 padtop3" src="images/titelseite.jpg" alt="" />
- <div class="caption">Original-Titelseite</div>
-</div>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="nobreak">Inhalt.</h2>
-
-</div>
-
-<table class="toc" summary="Inhaltsverzeichnis">
- <tr>
- <td class="s5 vat" colspan="2">
- <div class="right">Seite</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
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- </tr>
- <tr>
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- <div class="left">Kapitel 2</div>
- </td>
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- </td>
- </tr>
- <tr>
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- <div class="left">Kapitel 3</div>
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- </td>
- </tr>
- <tr>
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- <div class="left">Kapitel 4</div>
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- </td>
- </tr>
- <tr>
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- <div class="left">Kapitel 5</div>
- </td>
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- </td>
- </tr>
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- <div class="left">Kapitel 6</div>
- </td>
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- </td>
- </tr>
- <tr>
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- <div class="left">Kapitel 7</div>
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- </tr>
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- <div class="left">Kapitel 8</div>
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- </tr>
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- </tr>
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- </tr>
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- </tr>
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- </tr>
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- </tr>
- <tr>
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- <div class="left">Kapitel 15</div>
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- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Kapitel_15">433</a></div>
- </td>
- </tr>
-</table>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_7"></a>[S. 7]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Kapitel_1">1.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="dc" id="p007initial">
- <img class="illowe6" src="images/p007initial.jpg" alt="D" />
-</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">D</span>as Königskleid der Wintereinsamkeit strahlte in der Sonne, weit über
-das Land war es gebreitet, &mdash; alle Unebenheiten, allen Schmutz des
-Alltags deckte es zu. Und die Milliarden Schneekristalle funkelten
-in der Sonne wie Gold und Brillanten; sie blitzten aus den Wegen
-und Stegen und auf den Aesten und Nadeln der Bäume, deren Umrisse
-phantastisch vergrößert erschienen unter der weißen Last. Die drückte
-anders als im Sommer die flattrig-leichtsinnigen Blüten.</p>
-
-<p>Nur wenige Bäume im Parke des Herrenhauses von Sarkow standen in
-trotziger Kraft und prahlten mit ihrem weißen Feierkleide &mdash; die
-meisten sahen schier erdrückt aus, zusammenbrechend unter des Winters
-harter Liebkosung &mdash; unter diesem Himmel von einem erbarmungslosen und
-kalten Blau.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_8"></a>[S. 8]</span></p>
-
-<p>Inmitten des winterlichen Parks erhebt sich das Herrenhaus in ungefügen
-Umrissen. Von außen ein anmutloser Kasten, aber drinnen die Zimmer, die
-waren groß und hoch und in den Kachelöfen prasselte gemütlich das Feuer.</p>
-
-<p>Im Eßzimmer waren Frau von Holtz und ihre Tochter Marie beschäftigt,
-Staub zu wischen. Nicht etwa, daß auch nur eine Andeutung von Staub
-auf den blitzblanken Möbeln zu sehen gewesen wäre, aber das Reiben und
-Polieren an den Gegenständen war eine Manie von Frau von Holtz.</p>
-
-<p>Mit ihren schönen, etwas fett gewordenen Händen führte sie das
-Staubtuch über eine silberne Jardiniere. Der große Brillant am
-Ringfinger ihrer linken Hand flammte auf im Strahle der Wintersonne,
-die durch die Doppelscheiben des Fensters leuchtete.</p>
-
-<p>Während des Putzens redete Frau von Holtz auf ihre Tochter ein:</p>
-
-<p>„Ich bitte Dich, Du machst ein so mißmutiges Gesicht, statt Dich zu
-freuen, daß Deine Cousine kommt.“</p>
-
-<p>„Warum sollte ich mich wohl darüber freuen?“ klang es scharf zurück.
-Die hageren, roten Hände<span class="pagenum"><a id="Seite_9"></a>[S. 9]</span> des neunzehnjährigen Mädchens zerrten nervös
-an dem Staubtuch, „Du weißt, mir ist Monika immer unsympathisch
-gewesen.“</p>
-
-<p>„Aber Marie, Ihr saht Euch zuletzt, als Du sechzehn Jahre warst und sie
-ein Kind von noch nicht dreizehn. Als wir damals auf der Durchreise in
-Berlin waren &mdash;“</p>
-
-<p>„Sie war damals unausstehlich, so eingebildet &mdash;“</p>
-
-<p>„Aber &mdash;“</p>
-
-<p>„Eingebildet auf alles: auf ihre Schönheit, ihren Geist, ihre
-Tanzstundenerfolge &mdash;“</p>
-
-<p>„Kindereien! Ich weiß nicht, wie Du das ernsthaft nehmen kannst.“</p>
-
-<p>„Sie wird sich inzwischen wohl kaum zum Besseren entwickelt haben.
-Tante Malis Brief wenigstens ließ nicht darauf schließen! &mdash; Ich
-verstehe überhaupt nicht, warum Du Tantes Wunsch, Monika einzuladen,
-gleich erfüllt hast. Hier ist doch keine Korrektionsanstalt.“</p>
-
-<p>„Du drückst Dich wieder einmal sehr lieblos aus, Marie. Aus dem Briefe
-Deiner Tante ergab sich durchaus nicht, daß Monika einer ernsthaften
-Korrektion bedürfe.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_10"></a>[S. 10]</span></p>
-
-<p>„So?! Wie verstehst Du denn das, wenn Tante schreibt, daß Monika
-„einfach nicht mehr zu bändigen“ ist, &mdash; daß Tante seit Onkels Tode
-jede Autorität verloren hat! &mdash; Nun, sehr viel Autorität bei ihren
-Kindern hat ja Deine liebe Schwägerin nie besessen!“</p>
-
-<p>Frau von Holtz nickte traurig. „Wie habe ich Johann damals gewarnt,“
-sagte sie gedankenverloren. „Man heiratet nicht solch einen
-Springinsfeld, wie Mali es war &mdash;“</p>
-
-<p>„Und geblieben ist,“ ergänzte Marie spöttisch.</p>
-
-<p>„Dir steht kein Urteil über Deine Tante zu,“ sagte die Mutter, aber
-es klang lau. Man merkte, daß auch ihr die Schwägerin keine große
-Hochachtung abnötigte.</p>
-
-<p>Statt jeder Antwort zog Marie ein unliebenswürdiges Gesicht. Sie trat
-ans Fenster und starrte auf die weißblendende Landschaft hinaus.</p>
-
-<p>Plötzlich schrie sie erstaunt auf.</p>
-
-<p>Und eine derartig lebhafte Gefühlsäußerung war an Marie etwas so
-Ungewohntes, daß Frau von Holtz gleichfalls ans Fenster trat.</p>
-
-<p>Ein Schlitten war’s, der herannahte, in schleudernder Fahrt, von zwei
-Trakehnern gezogen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_11"></a>[S. 11]</span></p>
-
-<p>Die Innenplätze des Schlittens waren leer. Auf dem Kutschersitze saß
-ein junges Mädchen, das mit einem starken Ruck an den Zügeln vor der
-Freitreppe parierte und mehrere Male hintereinander einen gellenden
-Pfiff ausstieß.</p>
-
-<p>„Natürlich &mdash; Monika &mdash;,“ sagte Marie achselzuckend, während Frau von
-Holtz entsetzt fragte:</p>
-
-<p>„Aber wo ist denn Papa? Und Friedrich? &mdash; Mein Gott, es wird doch
-nichts passiert sein &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>Sie war bis in die Lippen erblaßt und stützte sich schwer auf die
-Fensterbrüstung.</p>
-
-<p>Marie wollte hinaus, aber schon wurde die Tür von außen aufgerissen,
-und herein stürmte das junge Mädchen, das auf dem Kutscherbocke
-gesessen, &mdash; stürmte geradenwegs auf Frau von Holtz zu und umarmte sie
-mit allem Kraftaufwand, dessen ihre Arme fähig waren.</p>
-
-<p>„O, Tantchen, wie ich mich freue!“</p>
-
-<p>„Kind, Kind, wo ist Dein Onkel?“ fragte Frau von Holtz noch immer ganz
-fassungslos.</p>
-
-<p>„In der Bahnhofswirtschaft und hoffentlich mittlerweile beim achten
-Glase Grog &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Aber was &mdash; &mdash; warum &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_12"></a>[S. 12]</span></p>
-
-<p>Monika begrüßte eilfertig, aber ohne die glühende Herzlichkeit, die
-sie ihrer Tante bewiesen, ihre Cousine und erzählte dann, indes sie in
-fröhlichem Lachen ihre prachtvollen Zähne sehen ließ:</p>
-
-<p>„Also, Tantchen, Onkel holte mich vom Zuge ab, und als wir in den
-Schlitten wollten, kam der Drehrower Bärenstein auf Onkel zu und fragte
-den Onkel was wegen des neuen Kreisdeputierten. Da gingen wir alle
-drei noch in die Bahnhofswirtschaft und tranken Grog und der Drehrower
-erzählte so schrecklich langweilige Sachen, von Politik und so... Da
-schlich ich mich davon und auf den Schlitten. Der dicke Friedrich war
-nicht da, wohl wegen des Gepäckes. Da bin ich einfach losgefahren. Es
-war großartig. Bitte, bitte, nicht böse sein! Ich wollte gern schnell
-zu Dir.“</p>
-
-<p>Von neuem fiel Monika der Tante um den Hals.</p>
-
-<p>Da lächelte die, schon fast versöhnt, und klingelte den Diener herbei,
-der gleich wieder zur Station fahren sollte.</p>
-
-<p>Marie verließ mit einem halblauten „Unglaublich“ das Zimmer.</p>
-
-<p>„Nicht, Tante, Du bist mir nicht böse?“ bettelte Monika.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_13"></a>[S. 13]</span></p>
-
-<p>„Na, weil’s der erste Tag ist. &mdash; Aber Du mußt wirklich vernünftiger
-werden, Kind. &mdash; &mdash; Und nun laß Dich doch mal endlich ordentlich
-ansehen.“</p>
-
-<p>Mit prüfendem Blick musterte Frau von Holtz ihre Nichte.</p>
-
-<p>„Wie Du gewachsen bist! &mdash; Und hübscher geworden bist Du auch! &mdash;
-&mdash; Ordentlicher leider immer noch nicht!“ &mdash; &mdash; Mit bedenklichem
-Kopfschütteln faßte Frau von Holtz nach einem halbabgerissenen Knopfe
-an Monikas Mantel.</p>
-
-<p>„Ach, für die Sachen, die ich anhabe, lohnt sich’s gar nicht,
-ordentlich zu sein! &mdash; &mdash; So schöne Stoffe bekomme ich ja doch nicht!“
-Mit liebevoller Vorsicht strich Monika über das schwarzseidene Kleid
-von Frau von Holtz. „Und so schön werd’ ich auch nicht wie Du, Tante. O
-das wunder-wunderschöne weiße Haar und die stahlblauen Augen! Wie eine
-Marquise siehst Du aus, natürlich eine vom <span class="antiqua">ancien régime</span>! Zu schade,
-daß die Marie davon nichts abbekommen hat. Aber die sieht genau aus wie
-Onkel. Ich ähnele Dir doch viel mehr als Deine Tochter. Nicht?“</p>
-
-<p>„Ja, entschieden. &mdash; Aber nun laß Dir Dein Zimmer zeigen, kleine
-Plaudertasche.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_14"></a>[S. 14]</span></p>
-
-<p>„Welches bekomme ich?“</p>
-
-<p>„Das blaue.“</p>
-
-<p>„O wie fein! Das blaue, wo ich als ganz kleines Kind geschlafen habe!
-Hurra!“</p>
-
-<p>Monika schwang ihre Pelzmütze und folgte seelenvergnügt ihrer Tante
-die wuchtige Treppe hinauf. Das blaue Zimmer war ein großer, ziemlich
-spärlich möblierter Raum, in dem der stark geheizte Kachelofen eine
-angenehme Temperatur verbreitete.</p>
-
-<p>Ein altmodisch schmales Sofa, ebenso wie die beiden dazu gehörigen
-Sessel mit blauem Rips bezogen, nahm die eine Längswand ein. Dann noch
-ein schmales Bett, ein Waschtisch und ein Tisch, auf dem in einer
-bunten Porzellanvase ein Strauß von Tannenzweigen steckte.</p>
-
-<p>Monika schwelgte in Begeisterung. „Das blaue! &mdash; &mdash; Und ganz für mich
-allein! Himmlisch. Noch nie habe ich ein Zimmer für mich allein gehabt.“</p>
-
-<p>„Du schläfst mit Mama zusammen?“</p>
-
-<p>„Ja, leider. Und Mama liest immer die halbe Nacht. Und wenn Licht
-brennt, kann ich natürlich nicht einschlafen.“</p>
-
-<p>„Hier schläft Marie,“ sagte Frau von Holtz, indes sie die Tür zum
-Nebenraume öffnete.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_15"></a>[S. 15]</span></p>
-
-<p>„Oh &mdash; &mdash;“ Monika verstummte vor Bewunderung. In der Tat war der Raum
-&mdash; rosa Seide und weißer Lack &mdash; sehr elegant ausgestattet.</p>
-
-<p>„Hier geht’s in Maries Wohnzimmer.“</p>
-
-<p>Ein neuer Ausruf des Entzückens aus Monikas Munde.</p>
-
-<p>„Grau mit Gold. Wie distinguiert! Nein aber wie distinguiert!“</p>
-
-<p>„Gefällt es Dir?“ Voll Genugtuung warf Frau von Holtz einen Blick in
-die Runde.</p>
-
-<p>„Fabelhaft schön. Und wie teuer das sein muß!“</p>
-
-<p>„Nun, für unsere Einzige &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Hat’s die Marie gut!“</p>
-
-<p>Monika strich über die spiegelnden Holzflächen, über die seidenen
-Bezüge.</p>
-
-<p>Dann entdeckte sie neue Schätze. „Ach, und da ist ein Malkasten! Und da
-ein Brennapparat! Und da der Bücherschrank, ach, der Bücherschrank &mdash;
-&mdash;“</p>
-
-<p>Schon hatte Monika die Glastür geöffnet und tastete gierig in die
-Bücherreihen hinein.</p>
-
-<p>Aber Frau von Holtz legte ein Veto ein. „Wirst Du wohl! &mdash; Jetzt
-wird nicht gelesen. Es ist die höchste Zeit, daß Du Dich wäschst und
-sauber machst.<span class="pagenum"><a id="Seite_16"></a>[S. 16]</span> Ist Dir denn das nicht schrecklich, nach einer langen
-Eisenbahnfahrt so herum zu laufen? Und um zwei wird gegessen.“</p>
-
-<p>Als Monika dann zur angegebenen Stunde das Eßzimmer betrat &mdash; etwas
-ängstlich, wie der Onkel wohl ihre Eskapade aufgenommen &mdash; wurde sie
-bald beruhigt durch das gutmütige Lachen in seinem roten Gesicht.</p>
-
-<p>„Nur immer ran, Marjell,“ rief er Monika entgegen.</p>
-
-<p>Sie kam zögernd näher.</p>
-
-<p>Die Strafe fiel gnädig aus. Ein heftiges Zupfen an ihrem linken
-Ohrläppchen und ein freundlich gebrummtes: „Na, Du Racker, sei froh,
-daß Du die Trakehner heil hergebracht hast, sonst &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>Beim Mittagessen erregte Monikas Riesenappetit das Wohlwollen und die
-Heiterkeit von Onkel und Tante.</p>
-
-<p>Um Maries Mundwinkel aber zuckte unnachahmliche Verachtung jedesmal,
-wenn ihrer Cousine noch ein neues „Stückchen Schmorbraten“ auf
-den Teller geschoben wurde und sie noch einmal um das „wirklich
-großartige“ Pfirsichkompott bat. Nach Tische zogen sich die Eltern zum
-Nachmittagschlaf zurück,<span class="pagenum"><a id="Seite_17"></a>[S. 17]</span> und Monika bat ihre Cousine um die Erlaubnis,
-sie in ihre „Privatgemächer“ begleiten zu dürfen.</p>
-
-<p>Die herbe Cousine war etwas günstiger gestimmt durch Monikas wortreiche
-Bewunderung all ihrer Schätze.</p>
-
-<p>Und wer konnte wohl so bewundern wie Monika! Sie wurde warm und rosig
-dabei, &mdash; sie glühte und strahlte, &mdash; sie hob jede Einzelheit hervor:
-&mdash; &mdash; „diese Goldleiste, mit der die Tapete abschließt,“ &mdash; &mdash; und
-„diese himmlische Vase mit dem Kirschblütenzweig, der auf das blasse
-Opalglas gemalt ist! Und wie das alles abgetönt ist. Du hast wohl alles
-selbst angeordnet?“</p>
-
-<p>„Nein, aber der beste Tapezier aus Königsberg hat’s arrangiert,“ sagte
-Marie wichtig.</p>
-
-<p>„Wie glücklich Du hier sein mußt!“</p>
-
-<p>„Na, es geht an. Wenn Du glaubst, es ist ein Spaß, hier in der
-Einsamkeit zu sitzen &mdash; &mdash;! Ich habe ja meine Freundinnen in Neustadt,
-aber der Weg dahin ist so unbequem. Und nach Hahndorf ist’s noch
-weiter.“</p>
-
-<p>„Nach Hahndorf &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Wir fahren ja zu den Regimentsbällen hin, aber &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_18"></a>[S. 18]</span></p>
-
-<p>„Zu den Dragonern? Zu Papas Dragonern?“</p>
-
-<p>„Ja.“</p>
-
-<p>„Oh.“ Ein zitternder Atemzug hob die junge Brust. „Oh der Papa, der
-arme Papa!“</p>
-
-<p>Ihre Augen füllten sich mit Tränen; sie starrte an ihrer Cousine vorbei
-durchs Fenster, hinaus auf den schimmernden Schnee.</p>
-
-<p>„Jetzt ist er schon vierzehn Monate tot, der arme Papa...“</p>
-
-<p>Stillschweigen lastete über dem Zimmer.</p>
-
-<p>„Er hätte Sarkow so gern noch mal wiedergesehen,“ sagte Monika dann.</p>
-
-<p>„Mama hat ihn ja oft genug eingeladen.“</p>
-
-<p>„Er wollte nicht kommen, solange er... solange er keine... sehr gute
-Position hatte.“</p>
-
-<p>„Ja, wenn Deine Eltern vernünftiger gewesen wären, könnten sie noch
-hier sitzen, statt wir,“ sagte Marie.</p>
-
-<p>Monika nickte. „Rechnen konnte Mama ja wohl nicht sehr gut,“ sagte sie
-kläglich.</p>
-
-<p>„Und wollt’s auch nicht lernen,“ fügte Marie scharf hinzu. „Und von
-ihrem Manne hätte sie’s auch nicht lernen können. Bei Onkels Art...“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_19"></a>[S. 19]</span></p>
-
-<p>„Ja! Nobel ist der Papa gewesen,“ sagte Monika. Sie warf den Kopf ins
-Genick wie ein störrisches Pony und ihre Augen leuchteten auf. „Die
-Trinkgelder, die er gegeben hat!... Wenn er mich mitnahm nach Neustadt
-oder nach Hahndorf, dann dienerten die Leute dort alle bis zur Erde.
-Nobel war der Papa!... Er hat kein Portemonnaie getragen, sondern das
-Geld lose in der Westentasche. Und der Mama hat er gekauft, was sie
-haben wollte! Und uns!... So schöne Spielsachen wie wir vier hat kein
-Kind gehabt in ganz Ostpreußen!... Und wie ich vier Jahre alt gewesen
-bin, habe ich zweiunddreißig Kleider gehabt und ein paar davon sind aus
-echten Brüsseler Spitzen gewesen.“</p>
-
-<p>„Na, besser klein geflickt und groß gestickt, als umgekehrt!“ sagte
-Marie und sah an Monikas schäbigem Kleide herunter.</p>
-
-<p>Aber sie machte sich nichts draus.</p>
-
-<p>„All die Gesellschaften!“ schwärmte sie weiter, „nur französischen Sekt
-hat’s gegeben und lauter Delikatessen, und wir Kinder haben von allem
-bekommen ... von allem...“</p>
-
-<p>„Traurig genug, Monchen! Man hätte besser getan, an Eure Gesundheit
-zu denken. Wenn Du<span class="pagenum"><a id="Seite_20"></a>[S. 20]</span> glaubst, daß das Kindern gut tut: Sekt und
-Delikatessen! ... Wenn Ihr keine gekriegt hättet, würde das geliebte
-Heinzemännchen heute wohl einen besseren Magen haben!“</p>
-
-<p>„Seit wie lange hast Du eigentlich Heinrich nicht gesehn?“</p>
-
-<p>„O, seit drei Jahren. Er muß jetzt über vierzehn sein. Nicht wahr?“</p>
-
-<p>„Ja, grad ein Jahr jünger als ich.“</p>
-
-<p>„Und bringt ihm Deine Mama immer noch frühmorgens zwei Tassen
-Schokolade und zwei Setzeier ans Bett?“</p>
-
-<p>„O, er ißt jetzt mindestens drei Setzeier. Als Chef der Familie...“</p>
-
-<p>„Nanu... Alfred?“</p>
-
-<p>„Alfred hat ihm sein Erstgeburtsrecht verkauft, schon vor vier Jahren.
-Heinrich hat ihm dafür seine Briefmarkensammlung gegeben und seinen
-photographischen Apparat und noch fünfzehn Mark bar. Nachher wollte
-zwar Alfred die Sache wieder rückgängig machen, aber Mama...“</p>
-
-<p>„Tante Mali verteidigte natürlich Heinzemännchen.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_21"></a>[S. 21]</span></p>
-
-<p>„Richtig! Und seitdem sagt sie, das geliebte Heinzemännchen sei vermöge
-seiner ethischen und intellektuellen Eigenschaften weit mehr befähigt,
-der Erstgeborene zu sein, als Alfred. Mama bespricht auch alles mit
-Heinzemännchen &mdash; auch alles, was mich anbetrifft. Und das hat mich
-eben so wütend gemacht.“</p>
-
-<p>„Was war denn los?“</p>
-
-<p>„Ach, na so alles mögliche.“</p>
-
-<p>Monika besah ihre Fingernägel. Sie schien nicht recht auf das Thema
-eingehen zu wollen.</p>
-
-<p>Aber Marie ließ nicht locker.</p>
-
-<p>„Na, da wirst Du wahrscheinlich was Nettes angestellt haben?“</p>
-
-<p>„Ach wo. &mdash; Ein paarmal hab’ ich Zigaretten geraucht und... und hab’
-ein paar Bücher gelesen, die ich nicht lesen sollte. Noch viele Jahre
-nicht! hat Mama gesagt, und dabei habe ich alles, was drin stand, doch
-schon jetzt sehr gut verstanden.“</p>
-
-<p>„So, so...“</p>
-
-<p>„Ja, aber Heinzemännchen sagte, es wäre himmelschreiend und die Ehre
-der Familie litte darunter. &mdash; Und dann war die Sache mit Doktor
-Dörnberg...“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_22"></a>[S. 22]</span></p>
-
-<p>„Welche Sache?“</p>
-
-<p>„Ach...“ Monika zögerte verlegen.</p>
-
-<p>„Na, sag’s doch. Ist es denn so schlimm, daß Du es gar nicht erzählen
-kannst?“</p>
-
-<p>„Ach, ich kann’s schon erzählen. Also, weißt Du, Doktor Dörnberg ist
-unser Geschichtslehrer. Und ich liebe ihn wahnsinnig. Erstens ist er
-bildschön... aber ich sage Dir: wirklich bildschön!... Und dann spricht
-er hinreißend! Also: ich hatte drei Gedichte an ihn gemacht, und die
-lagen in meinem Vokabelheft. Da hat sie Mama gefunden &mdash; Mama stöbert
-immer alles durch &mdash; und hat es mit Heinzemännchen besprochen, und
-beide waren so außer sich und haben so auf mich gescholten, bis ich
-vor lauter Empörung Weinkrämpfe bekommen habe. Und ich habe Mama meine
-Meinung gesagt: daß es gefühlsroh ist, meine Gedichte Heinzemännchen zu
-zeigen. Als ob Jungens davon was verstehen!“</p>
-
-<p>„Was waren’s denn für Gedichte?“</p>
-
-<p>„Na, Liebesgedichte.“</p>
-
-<p>„Sag’ mal eins.“</p>
-
-<p>Monika warf einen zweifelnden Blick auf ihre Cousine. Sie
-kämpfte augenscheinlich mit sich. Dann aber gewann ihr offenes,
-mitteilungsbedürftiges<span class="pagenum"><a id="Seite_23"></a>[S. 23]</span> Naturell die Oberhand. Sie begann zu sprechen
-mit einer andächtigen Innigkeit, die ihre frische Kinderstimme ganz
-verwandelt erscheinen ließ:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent2">„Du Schönster mit den blauen Siegeraugen,</div>
- <div class="verse indent2">Laß mich an deinen hochgeschwungenen Lippen</div>
- <div class="verse indent2">Nur eine flüchtige Sekunde nippen</div>
- <div class="verse indent2">Und aller Seligkeiten Fülle saugen...“</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>„Pfui Teufel! &mdash; Na, höre mal, da kann ich Tante Malis Entrüstung
-verstehn!“</p>
-
-<p>„Warum denn?“ sagte Monika mit unschuldsvoll verwunderten Augen, „das
-ist doch schön. Und außerdem wahr. Ich liebte ihn doch.“</p>
-
-<p>„Na, der erste Vers war heftig! Geht’s so weiter?“</p>
-
-<p>„Nein! Es wird natürlich leidenschaftlicher! Es muß doch eine
-Steigerung geben, das ist doch ein ganz bekanntes poetisches Gesetz.
-&mdash; Aber wie gesagt: Mama war direkt schlecht und sagte, jetzt
-wüßte sie auch, warum ich immer am Dienstag und Freitag, wenn wir
-Geschichtsstunde haben, das neue, blaue Kleid anziehen wollte. Und
-Heinzemännchen sagte, ich sei sittlich verwahrlost. Na, das konnte ich
-mir doch nicht gefallen lassen.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_24"></a>[S. 24]</span></p>
-
-<p>„Wie kannst Du aber auch Liebesgedichte schreiben?“</p>
-
-<p>„Gott, dafür konnte ich doch nichts. Ich hatte mich doch in ihn
-verliebt. Kennst Du das nicht, wenn’s einem so warm im Herzen wird, als
-wollte das Herz aufblühen?“... Ein träumerisches Lächeln teilte die
-roten Lippen. „Und man ist so unglücklich und in all dem Schmerz liegt
-doch so eine Süßigkeit... Süßigkeit... so etwas Unnennbares &mdash; eine
-Erwartung, ach, ich weiß nicht...“</p>
-
-<p>Sie brach kurz ab, erstarrend unter dem eisig spöttischen Blick, der
-sie aus Maries grauen Augen traf.</p>
-
-<p>„Ich finde Dich riesig überspannt, liebe Mone,“ sagte sie gemessen,
-„und Deine Ansichten sind unpassend. So... und jetzt habe ich Briefe zu
-schreiben.“</p>
-
-<p>Ohne die Cousine noch eines Blickes zu würdigen, setzte sie sich an den
-Schreibtisch und begann einen Briefbogen mit ihrer prätentiös schönen
-Schrift zu füllen.</p>
-
-<p>Monika ging in ihr Zimmer. Das unangenehme Gefühl, wieder einmal zu
-vertrauensselig gewesen zu sein, sich bloßgestellt zu haben, bedrückte
-sie.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_25"></a>[S. 25]</span></p>
-
-<p>Betrübt kauerte sie sich in einen der blauen Sessel und begann an einem
-Stückchen Johannisbrot zu kauen, das sie zu ihrer Ueberraschung in
-ihrer Tasche entdeckt hatte.</p>
-
-<p>Gewiß hatte ihr Karl damit eine Ueberraschung bereiten wollen, Karl,
-ihr zehnjähriger Lieblingsbruder.</p>
-
-<p>Aber der Genuß war bald zu Ende, das Johannisbrot aufgeknabbert, und
-nun saß sie da und langweilte sich jämmerlich. Die Uhr zeigte auf drei
-&mdash; noch eine ganze Stunde Zeit bis zum Nachmittagskaffee.</p>
-
-<p>In plötzlichem Entschluß stülpte sie die Pelzmütze auf, zog den Mantel
-an und fort ging’s durch den verschneiten Park auf wohlbekannten Wegen
-ins Dorf.</p>
-
-<p>Ihr Weg führte zur kleinsten Hütte, einer Bauernkate, die gar elend,
-förmlich zusammengekauert unter der dichten Schneedecke dastand.</p>
-
-<p>Der Zaun war baufällig, die Fensterscheiben wie erblindet. Im Hof
-an der Pumpe, von der riesige Eiszapfen herabhingen, stand ein etwa
-dreijähriger, hübscher Junge und bemühte sich, den Pumpenschwengel in
-Gang zu setzen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_26"></a>[S. 26]</span></p>
-
-<p>„Ist die Liese zu Haus?“ rief Monika ihn an.</p>
-
-<p>Er sperrte verdutzt die blauen Augen und den roten Mund auf, ohne zu
-antworten. Da öffnete Monika ohne weiteres die Tür.</p>
-
-<p>Eine stickige, dumpf-heiße Luft schlug ihr entgegen. Kaum hatte sie die
-Schwelle überschritten, als es drinnen aufschrie: „Monchen!“</p>
-
-<p>Eine Frau stürzte auf sie zu und bedeckte ihre Hände mit Küssen. „Ach
-Gottchen, Monchen, bist Du’s denn wirklich, mein trautstes Monchen?“</p>
-
-<p>Monika gab ihr einen herzhaften Kuß. „Liebe alte Liese, wie freue ich
-mich!“</p>
-
-<p>Zärtlich betrachtete sie die vor ihr Stehende, die eine entschiedene
-Vorliebe für Farbenfreudigkeit an den Tag legte. Ein flammend rotes
-Umschlagetuch kreuzte sich über ihrer Brust, um sich auf dem Rücken zu
-einem großen Knoten zu vereinen. Unter dem Tuch kamen die Aermel einer
-unzweifelhaft unsauberen rosa Barchentjacke zum Vorschein, und eine
-dunkelblaue Küchenschürze deckte einen moosgrünen Rock. Und über dem
-schief zugehakten Kragen der rosa Jacke grüßte das liebe, verblühte
-Gesicht. Die dunkeln Augen, die sonst so dummpfiffig in die Welt sahen,
-standen voll Freudentränen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_27"></a>[S. 27]</span></p>
-
-<p>„Monchen, daß ich Dir nochmal wiederseh’! &mdash; Und wie scheen Du geworden
-bist, eine bildscheene Marjell &mdash; ’n bißchen anders wie Holtzens
-ihre Marie!... Gottchen, das sah man ja schon gleich damals, wie
-ich als Amme bei Dir kam! &mdash; Und nachher &mdash; wie warst Du scheen und
-rund und dick &mdash; der reine Marzipan! Wie oft hab’ ich zu Deiner Mama
-gesagt: ‚Madamchen, die wird!‘ &mdash; Gegen Dir sah die Marie keesig aus,
-das kannst Du mir glauben. &mdash; Na, nu setz’ Dich bloß mal hin, mein
-trautstes Monchen. So ’ne Freude, nein, die Freude!“</p>
-
-<p>„Liese, Du redst immer noch so viel wie früher. Und ausseh’n tust Du
-auch noch so. Sogar der Zopp ist noch derselbe!“</p>
-
-<p>Lachend wies Monika auf den armdicken, fuchsigen Haarkranz, der über
-Lieses Scheitel thronte.</p>
-
-<p>„Monchen, lach’ nich über meinen Zopp. Wenn er auch falsch is, scheen
-is er doch. Und mir hat er immer gekleidet, schon als ich noch ein
-scheenes, junges Mädchen war.“</p>
-
-<p>„Liese &mdash; fang’ nicht mit Jugenderinnerungen an! Sonst sitze ich heute
-abend noch hier. Und Tante weiß gar nicht, daß ich weggerannt bin.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_28"></a>[S. 28]</span></p>
-
-<p>„O weh, da wird’s was geben! Die gnädige Tante is ja so mächtig stolz,
-die spricht nie ein Sterbenswort mit uns arme Leute. Anders wie Deine
-Mamachen! Nu sage bloß, was macht denn die Mamachen, seit daß der
-liebe, gute, gnädige Herr Baron tot is?“</p>
-
-<p>Liese wischte sich erschüttert mit dem Schürzenzipfel die Augen.</p>
-
-<p>„So’n feiner, guter Herr kommt nich mehr wieder. Das Schwarzseidene,
-was er mir zur Hochzeit geschenkt hat!... Wären nich die Motten
-reingekommen, wäre es heut noch wie neu!... Ach Gottchen, so’n Herr wie
-der Herr Baron! Und hat so früh müssen versterben...“</p>
-
-<p>„Nicht davon sprechen, Liese.“</p>
-
-<p>„Und was macht denn nu die Mamachen? Gottchen, so ne junge Frau und mit
-vier Kinder... vier Waisenkinder...“</p>
-
-<p>Liese begann herzbrechend zu schluchzen. Und schluchzend und mit
-gurgelnder Stimme fragte sie nach Monikas Brüdern:</p>
-
-<p>„Ist der Karl denn immer noch so scheen mit seine schwarze Augen und
-seine blonde Locken? Ach, und wie hat der Herr Baron den Karl geliebt!“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_29"></a>[S. 29]</span></p>
-
-<p>„Liese, Du alte Heultute, wenn Du jetzt nicht aufhörst mit der
-Lamentiererei, dann fange ich auch an zu weinen oder ich laufe weg.“</p>
-
-<p>„Ich bin ja schon stille, Monchen,“ sagte Liese und heulte
-ohrenerschütternd weiter.</p>
-
-<p>„Erzähl’ mir doch lieber was von Dir &mdash; von Deinem Mann...“</p>
-
-<p>Wie auf ein Zauberwort hin versiegte der Tränenquell.</p>
-
-<p>„Ja, wir sind ja nu all vier Jahre verheiratet. Und er is so, wie
-Männer nu eben so sind. Er tut ja seinen Dienst bei de Bahn ganz
-ordentlich und hat auch das Allgemeine Ehrenzeichen gekriegt. Es is ja
-auch ein sehr scheener Mann. Du weißt, Monchen, ich war immer sehr für
-de Scheenheit.“</p>
-
-<p>„Na also.“</p>
-
-<p>„Ich wer’ Dir was sagen, Monchen: er ist zu alt. An die fuffzig is er
-jetzt...“</p>
-
-<p>„Na, und Du, Liese?“</p>
-
-<p>„Fünfundvierzig.“</p>
-
-<p>„Das paßt doch eigentlich ganz gut.“</p>
-
-<p>„Ach, er hat nu schon den ganzen Kopp voll graue Haare. Und so die
-richtige Forsche is auch nich mehr in ihm. Weißt Du, wenn ich dagegen
-an<span class="pagenum"><a id="Seite_30"></a>[S. 30]</span> den Hanschen denk’, den Stubenmaler aus Stallupönen ...“</p>
-
-<p>„Wer ist denn das?“</p>
-
-<p>„Mein erster Bräutigam, Kind. Ein forscher Kerl war das. Groß wie so
-’n Baum und den ganzen Kopp voll Locken und rote Backen. Und zwanzig
-Jahre war er alt... und ich achtzehn.“ Eine Sehnsucht glomm aus in den
-dumm-pfiffigen Augen.</p>
-
-<p>Mit ahnungsbangen Augen sah das knospende Mädchen hinüber zu der
-verblühten Frau, die von erster Liebe sprach.</p>
-
-<p>„Liese, es ist schrecklich spät. Ich glaube, ich muß weg.“</p>
-
-<p>„Ja, das mußt Du, mein Trautstes, aber erst muß ich Dir mal die Stub’
-zeigen. Nu all die ganze Zeit hier in die Küche...“</p>
-
-<p>Liese öffnete die Tür zur Stube. Auch hier herrschte die gleiche
-bedrückende Luft. Ein großes Bett nahm die eine Längswand ein; es war
-auf allen vier Seiten von einem roten Kattunvorhang umgeben.</p>
-
-<p>„’n Himmelbett muß der Mensch haben,“ behauptete Liese stolz.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_31"></a>[S. 31]</span></p>
-
-<p>„Und nu kiek mal her, Monchen...“ Triumphierend wies Liese auf die
-Kommode, wo vier Photographien von Monika in verschiedenen Lebensaltern
-standen.</p>
-
-<p>„Hier aber is das Feinste for Dich,“ sagte die Liese geheimnisvoll
-und führte sie ans Fenster. Auf dem Fensterbrett stand ein kleiner
-Blumentopf, in welchem ein junges Myrtenstämmchen ein kümmerliches
-Dasein führte. „Für Deinen Brautkranz, Monchen...“</p>
-
-<p>Monika lachte. „Du, die Mama hat gesagt, arme Mädchen werden heutzutage
-überhaupt nicht geheiratet.“</p>
-
-<p>„Ach, Monchen, so scheen wie Du bist mit Deinem Gesicht wie Milch und
-Blut &mdash; Dir wird früh genug einer holen.“</p>
-
-<p>„Desto besser, Liese, desto besser! Ich denke mir das Heiraten
-großartig!“</p>
-
-<p>Lachend wandte sich Monika zum Gehen, zuckte aber mit einem Ausruf des
-Schreckens, als plötzlich aus einer Ecke des Zimmers hinter dem Ofen
-hervor ein Stöhnen klang.</p>
-
-<p>„Die Ollsche,“ sagte Liese erklärend.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_32"></a>[S. 32]</span></p>
-
-<p>Monika gewahrte dann, daß, in einen Stuhl gekauert, eine uralte Frau
-hinter dem Ofen saß: sie hielt die Augen geschlossen. In dem von
-tausend Falten durchfurchten Gesicht zuckte kein Muskel, wie aus Stein
-gehauen saß sie da.</p>
-
-<p>„Die Ollsche, ’ne Tante vom Grün, Monchen. Sie is nu all
-siebenundachtzig und all ein bißchen lititi im Kopp. Na, da hab’ ich
-sie hergenommen.“</p>
-
-<p>Draußen auf dem Hof stand Fritzchen und hielt mit beiden Händen
-die Vorderpfoten eines nudeldicken, weißen Spitzes, der, auf den
-Hinterbeinen sitzend, genau so groß war wie der Knabe; die beiden sahen
-sich stumm und liebevoll in die Augen.</p>
-
-<p>„So steh’n sie manchmal ’ne halbe Stunde,“ sagte Liese.</p>
-
-<p>Und dieses freundliche Bildchen war das letzte, was Monika bei diesem
-Besuch erblickte.</p>
-
-<p>So schnell sie konnte, eilte sie nun zurück.</p>
-
-<p>Die frühe Winterdämmerung lag auf dem ebenen Lande und tauchte die
-endlose Schneefläche in ein fahles Blau. Der Wind hatte sich aufgemacht
-und blies durch Monikas dünnen Mantel, daß ihr ein Schauer nach dem
-anderen über den Rücken lief. Aber sie rannte freudig vorwärts.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_33"></a>[S. 33]</span></p>
-
-<p>Und Worte kamen ihr &mdash; sie wußte selbst nicht woher &mdash; die sie laut vor
-sich hinsang.</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent2">„Das ist der Wind meiner Heimat,</div>
- <div class="verse indent2">Der über das Schneefeld braust &mdash;</div>
- <div class="verse indent2">Das ist der Wind meiner Heimat,</div>
- <div class="verse indent2">Der heut mir die Locken zerzaust.</div>
- </div>
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent2">O tobe und tobe nur weiter, Herr Wind,</div>
- <div class="verse indent2">Und erfriert auch der See und die Zweige im Wald &mdash; &mdash;</div>
- <div class="verse indent2">Meine heiße, blühende Jugend,</div>
- <div class="verse indent2">Die machst Du doch nimmermehr kalt!“</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Warm und selig war ihr zumute.</p>
-
-<p>Mit aller Kraft ihrer Lungen sog sie die kühle Schneeluft ein.</p>
-
-<p>Wie anders das war als der Großstadt Luft. O, diese Schnee-Einsamkeit,
-durch die der Wind sang statt der tobenden Straßen Berlins. Ein
-Zusammengehörigkeitsgefühl mit der Natur rann warm und beseligend
-durch Monikas Adern. Sie mußte sich mit Gewalt zusammenreißen, um
-einigermaßen gesittet das Haus zu betreten.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_34"></a>[S. 34]</span></p>
-
-<p>Allerdings war der Empfang, der ihr zuteil wurde, ganz dazu angetan,
-ihre Stimmung schleunigst zu dämpfen.</p>
-
-<p>Marie empfing sie mit schadenfrohem Gesicht, und die Tante, die in
-ihrem Boudoir mit einer Stickerei beschäftigt war, trug in ihrem
-Gesichtsausdruck hoheitsvolle Würde zur Schau &mdash; ein böses Zeichen!</p>
-
-<p>Sie sagte einstweilen gar nichts, sondern zog mit gewählt schönen
-Bewegungen den Faden durch die Arbeit. Man hörte in dem hübschen,
-eleganten Zimmer keinen anderen Laut, als den schweren Schlag der
-großen Uhr.</p>
-
-<p>Monika konnte diese gespannte Stimmung nicht lange aushalten. Und so
-sagte sie, halb trotzig, halb flehend: „Tantchen, ich war bloß bei der
-Liese.“</p>
-
-<p>Wenn sie geglaubt hatte, daß das ein Milderungsgrund sei, so sah sie
-sich getäuscht.</p>
-
-<p>Tante wurde noch mehr als früher zürnende Gottheit, und dann ergoß
-sich über Monika eine Standpauke, die kein Ende zu finden schien.
-Erstens was die Unsitte betraf, allein auszugehen, zweitens der Mangel
-an Pünktlichkeit, drittens der unhygienische Leichtsinn, in eine
-Armeleutewohnung zu gehen, und so fort.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_35"></a>[S. 35]</span></p>
-
-<p>Immerhin schienen allmählich mildere Regungen in der Tante
-aufzudämmern, denn sie schloß mit den Worten: „Und nun klingle, daß man
-Dir den Kaffee nachserviert und den Napfkuchen. Du wirst einen schönen
-Hunger haben.“</p>
-
-<p>Am Abend schrieb Monika ihrer Mutter einen Brief.</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p class="mleft3">„Liebste Mama,</p>
-
-<p>jetzt bin ich also wieder in dem geliebten Sarkow. Die Verwandten
-sind sehr nett zu mir, ausgenommen Marie, die so hacksig ist wie
-immer.</p>
-
-<p>Bei der Liese war ich auch schon.</p>
-
-<p>Liebe Mama, ich wollte ja sehr gern von zu Hause weg, aber als
-der Zug sich in Bewegung setzte und ich Euch gleich darauf nur
-noch aus der Ferne sah, da wurde ich doch riesig traurig. Ich habe
-mich auf der langen Fahrt hierher gefragt, warum eigentlich alles
-so gekommen ist, und warum wir uns die letzte Zeit so schlecht
-standen, wo es doch früher so herrlich war. &mdash; Damals, als ich noch
-klein war und Dir alles, alles sagte. &mdash;</p>
-
-<p>Du hast in der letzten Zeit manchmal gesagt: wenn Dein Vater noch
-lebte, wärst Du nie so geworden!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_36"></a>[S. 36]</span></p>
-
-<p>Aber das ist ganz falsch. Das hat gar nichts mit Papas Tode zu tun
-&mdash; als ob ich jetzt weniger Angst hätte! Denn Angst habe ich in
-meinem ganzen Leben noch nie gehabt!</p>
-
-<p>Aber mir sind im letzten Jahre so viele Gefühle und Empfindungen
-gekommen, ich weiß selbst nicht woher &mdash; so vieles, was gar nicht
-zu definieren ist.</p>
-
-<p>Ich kann Dir nur sagen: wie Ihr mich zu Hause behandelt habt, das
-ist mir oft vorgekommen, als wenn man eine Pantherkatze wie einen
-Kanarienvogel erziehen will! Ach Gott, wie schön muß das sein,
-wenn man frei ist! Frei in der herrlichen Welt, sich sein Glück zu
-erkämpfen. Ich <em class="gesperrt">möchte</em> Glück! Ich möchte alles haben, was
-schön ist und reich! Ich möchte den Ruhm und die große Liebe und
-Rausch und Glanz!</p>
-
-<p>Jetzt wirst Du wieder sagen, ich sei zu frühreif. Ja, aber
-Frühreife ist doch auch eine Reife! Und dabei dann gequält werden
-mit tausend Verboten und Vorschriften, und mit Klavierüben und
-Anstand und Staubwischen! Gequält werden mit tausend Nichtigkeiten
-und Kinkerlitzchen! &mdash;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_37"></a>[S. 37]</span></p>
-
-<p>Uebrigens, ich hätte Dir zuliebe sehr viel davon ausgehalten, liebe
-Mama, aber was nicht auszuhalten war, das war die Behandlung, die
-Du mir durch Alfred und Heinrich angedeihen ließest. Warum waren
-die mir zu Aufpassern und Richtern bestellt? Warum? &mdash; Sind sie
-besser als ich oder reifer? &mdash;</p>
-
-<p>Ich würde mich schämen, wenn ich nur die Hälfte so dumme Streiche
-machte wie die.</p>
-
-<p>Sind sie klüger als ich? &mdash; Ich möchte wissen wo!</p>
-
-<p>Da sind sie nun im Gymnasium, haben die besten Lehrer &mdash; und sind
-so faul, daß sie die eine Hälfte ihres Pensums nicht wissen und die
-andere Hälfte abschreiben.</p>
-
-<p>Und ich mit meinem glühenden Wissensdurst und meiner
-ungewöhnlich guten Auffassungsgabe werde mit dem Bröckchen der
-Mädchenschulerziehung abgespeist und alle Werte der Menschheit
-erhalte ich <span class="antiqua">ad usum Delphini</span> zurechtgemacht &mdash; wenn Du
-soviel Latein verstehst, Mamachen.</p>
-
-<p>Und dann in anderer Beziehung: Ich will nicht davon sprechen,
-welche Sorte „Flammen“ Alfred und Heinrich haben, aber daß meine
-Brüder die<span class="pagenum"><a id="Seite_38"></a>[S. 38]</span> Frechheit besitzen, über meine Liebesgefühle zu Gericht
-zu sitzen, das ist nicht zu ertragen!</p>
-
-<p>Warum soll ich denn weniger empfinden als sie? Habe ich denn nicht
-auch Fleisch und Blut und Nerven und Empfindungen? &mdash; Na, lassen
-wir das. Ich ärgere mich bloß, wenn ich daran denke.</p>
-
-<p>Und ich will mich nicht ärgern, sondern selig sein, daß ich jung
-bin, und daß das Leben schön wird. Vorläufig stehe ich ja noch
-davor wie vor einem verschlossenen Garten. Die Mauer ist hoch,
-aber drüber her hängt doch manch ein Blütenzweig. Der zeigt mir an
-seinen kleinen, rosigen Blüten, wie süß die tausend Frühlingswunder
-sein müssen, die hinter der Mauer sind &mdash; im Garten des Lebens.</p>
-
-<p>Ich wollt’, ich dürfte schon hinein!</p>
-
-<p class="right mright2">Monika.“</p>
-
-</div>
-
-<div class="figcenter illowe10 padtop1" id="kapitelende1">
- <img class="w100" src="images/kapitelende.jpg" alt="Ende des Kapitels" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_39"></a>[S. 39]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Kapitel_2">2.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="dc" id="p039initial">
- <img class="illowe6" src="images/p039initial.jpg" alt="M" />
-</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">M</span>onika fügte sich besser in die Hausordnung, als man es nach dem ersten
-wilden Tage erwarten durfte. Sie war von überquellender Herzlichkeit zu
-ihrer Tante, die sie sehr liebte, weil sie sie so schön fand.</p>
-
-<p>Mit dem Onkel stand sie auf einem lustigen Neckfuß: nur mit Marie
-konnte sie zu keinem wärmeren Tone gelangen. Marie verhielt sich allem
-Entgegenkommen Monikas gegenüber durchaus ablehnend. Sie hatte eine
-instinktive Abneigung gegen das vollsaftige junge Geschöpf mit dem
-heißen Hirn und dem heißen Herzen.</p>
-
-<p>Die Cousinen sahen sich selten allein. Nur wenn Marie mal irgendein
-Anliegen an Monika hatte, bat sie sie in ihr Wohnzimmer. Und Monika tat
-ihr gern jeden Gefallen.</p>
-
-<p>Uebrigens beneidete Marie die Cousine nicht etwa um ihre kleinen
-Talente. Sie sah auf Monika herab<span class="pagenum"><a id="Seite_40"></a>[S. 40]</span> mit der ganzen Sicherheit, die die
-feste Position ihres Vaters ihr gab, und fühlte sich als einziges Kind
-des sehr wohlhabenden Herrn von Holtz dazu berechtigt, Ansprüche an
-ihre Zukunft zu stellen.</p>
-
-<p>Sie betrachtete Monika als tief unter sich stehend, gleichsam
-ausgeschieden aus den Reihen der guten Gesellschaft in ihrer
-Eigenschaft als Tochter einer vermögenslosen Witwe.</p>
-
-<p>„Du wirst natürlich Dein Lehrerinnen-Examen machen,“ sagte sie ihr.</p>
-
-<p>„Ich denk’ nicht dran!“ trotzte Monika.</p>
-
-<p>„Na, was sollst Du denn sonst tun? Deinen Lebensunterhalt mußt Du Dir
-doch mal verdienen und für ein Mädchen aus unseren Kreisen gibt es doch
-keine andere mögliche Erwerbsart.“</p>
-
-<p>„Ich könnte doch Schriftstellerin werden; die sollen ja so ’ne Menge
-Geld für Romane kriegen,“ warf Monika ein.</p>
-
-<p>Marie stimmte ein Hohngelächter an:</p>
-
-<p>„Ach, mach’ Dich doch nicht lächerlich. Schriftstellerin! &mdash; Als ob
-das so leicht wäre! Denkst Du, mit Deinen paar Verschen ist sowas zu
-machen? Du und Schriftstellerin!“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_41"></a>[S. 41]</span></p>
-
-<p>„Will ich auch gar nicht! Hab’ ich eben bloß so gesagt. Ich bin viel zu
-hübsch, um Schriftstellerin zu werden! Ich heirate einen Prinzen und
-lade Dich zur Hochzeit ein, obwohl Du es nicht um mich verdient hast.“</p>
-
-<p>„Rede doch kein Blech!“ Marie wurde nun im Ernst ärgerlich.</p>
-
-<p>Aber Monika ließ sich nicht stören.</p>
-
-<p>„Sollst mal sehen: einen Prinzen! Einen mit blauen Augen und
-weißblonden Haaren und einem süßen, kleinen Schnurrbärtchen, so wie ein
-Bürstchen geschoren. Riesig groß muß mein Prinz sein und ganz schlank
-und wahnsinnig elegant. So hohen Stehkragen und als Krawattennadel eine
-Perle für zehntausend Mark!“</p>
-
-<p>Nach diesem Trumpf trat Monika einen beschleunigten Rückzug an, da
-Marie in einen bedenklichen Grad von Wut geraten war.</p>
-
-<p>Marie rächte sich dann auch grausam für Monikas „Größenwahn“, als an
-diesem Tage die Nachmittagspost die Journalmappe brachte.</p>
-
-<p>Monika fand Marie behaglich ausgestreckt auf dem Teppich liegen, die
-zweiundzwanzig verschiedenen Journale malerisch um sich herumgruppiert.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_42"></a>[S. 42]</span></p>
-
-<p>Monika legte sich sofort auch bäuchlings auf den Teppich und pürschte
-sich langsam und vorsichtig an ihre Cousine heran.</p>
-
-<p>„Du, Mariechen...“</p>
-
-<p>Ein kühler Blick ward ihr zuteil.</p>
-
-<p>„Du wünschest?“</p>
-
-<p>„Würdest Du mir vielleicht erlauben, daß ich auch was davon lese?“</p>
-
-<p>„Nein.“</p>
-
-<p>„Nur, was Du schon gelesen hast.“</p>
-
-<p>„Bedaure.“</p>
-
-<p>„Ach, sei doch nicht so! Ich möchte doch so sehr gern. Gib mir bloß
-irgendeine ganz kleine Zeitschrift!“</p>
-
-<p>„Nein.“</p>
-
-<p>„Und warum nicht?“</p>
-
-<p>„Weil man einem Mädchen von Deinen Anlagen keine Romane in die Hand
-geben darf.“</p>
-
-<p>Aufseufzend ging Monika hinaus.</p>
-
-<p>„Alter Zeitungstiger!“ rief sie ihrer Cousine noch zu, die sich aber
-dadurch nicht stören ließ, sondern weiter in ihren Zeitschriften
-schwelgte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_43"></a>[S. 43]</span></p>
-
-<p>Monika saß indessen mit bitteren Gefühlen in ihrem Zimmer und rauchte
-eine dem Onkel „gestriezte“ Zigarette.</p>
-
-<p>Die schlechte Behandlung weckte wieder alle ihre oppositionellen
-Instinkte, die jetzt mehrere Tage lang geschlummert hatten.</p>
-
-<p>Ein kühner Griff nach der geliebten Pelzmütze, und gleich nachher lief
-Monika eilfertig ins Dorf hinunter.</p>
-
-<p>Zuerst fünf Minuten hinein zur Liese, die sie mit lärmender Freude
-begrüßte und tiefunglücklich war, daß Monika „nur auf so ein
-Augenblickchen“ gekommen war.</p>
-
-<p>„Ich will zu Doktor Rodenberg, Liese. Tante läßt mich nicht hin, obwohl
-ich ihr gesagt habe, daß ich ihm Grüße von Mama bringen soll.“</p>
-
-<p>„Na, denn lauf’ man hin, Monchen. Dem Doktor is die Freude zu gönnen,
-daß er Dir mal sieht. Lange leben tut der nich mehr, der sauft sich ja
-zu Tod!“</p>
-
-<p>„Pfui, Liese, wie kannst Du sowas sagen! Der sauft gewiß nicht. So ’n
-superiorer Mensch wie der Doktor!“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_44"></a>[S. 44]</span></p>
-
-<p>„So ’n was?“</p>
-
-<p>„Ach, das verstehst Du doch nicht. Nun gib mir schnell noch ’n Kuß und
-komm bald mal zu uns. Tante hat gesagt, wenn ich Dich sehen wollte,
-müßtest <em class="gesperrt">Du</em> mich besuchen und nicht ich Dich. Also komm bald. Ja?“</p>
-
-<p>Die Liese brummte etwas vor sich hin, was nicht gerade eine
-Schmeichelei für Frau von Holtz bedeutete, und sah Monika dann nach,
-die die Dorfstraße weiterstürmte.</p>
-
-<p>Immer geradeaus, bis es rechts und links keine Bauernhäuser mehr gab
-und endlos sich die verschneite Landstraße dehnte.</p>
-
-<p>Auf freiem Felde lag Doktor Rodenbergs kleines Haus. Ein häßliches Haus
-war’s aus roten Ziegeln. Auf der Haustür ein Schild, das anzeigte, wann
-der <span class="antiqua">Dr. med.</span> Ernst Rodenberg seine Sprechstunden abhielt.</p>
-
-<p>Monika riß heftig an der Klingel, die mit wahrhaft ohrenbetäubendem
-Lärm anschlug.</p>
-
-<p>Eine große, hagere Greisin öffnete die Tür.</p>
-
-<p>Die sonderbar geformte weiße Haube auf ihrem Kopf gab ihr etwas
-Nonnenhaftes. Ihr Gesicht sah<span class="pagenum"><a id="Seite_45"></a>[S. 45]</span> aus, als habe es einer der primitiven
-Meister des Mittelalters aus Holz geschnitzt. In ihren hellgrauen,
-gleichsam verblaßten Augen war der Ausdruck eines steinernen Schmerzes.</p>
-
-<p>„Den Doktor wollen Sie sprechen? Ja, mein Sohn ist hier.“</p>
-
-<p>Sie öffnete eine Tür. Ein Geruch von Jodoform quoll Monika beißend
-entgegen.</p>
-
-<p>Der Doktor saß an seinem Schreibtisch und drehte sich nicht um, als
-Monika eintrat und die Tür hinter sich ins Schloß drückte.</p>
-
-<p>„Herr Doktor...“</p>
-
-<p>„Ja, sofort.“</p>
-
-<p>Er schrieb noch ein paar Augenblicke, dann wendete er sich um und
-musterte erstaunt das junge Mädchen.</p>
-
-<p>„Doktor, wer bin ich?“ fragte sie strahlend.</p>
-
-<p>„Gott, die Mone!“ rief er, „die Mone...“</p>
-
-<p>Mit zwei Schritten war er bei ihr und schüttelte ihr die Hände.</p>
-
-<p>„Wie lieb, daß Du gekommen bist! &mdash; Daß Du hier bist, habe ich im
-Preußischen Adler schon gehört, aber ob Du herkommen würdest...“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_46"></a>[S. 46]</span></p>
-
-<p>„Na ob,“ sagte Monika und blickte ihm lachend ins Gesicht.</p>
-
-<p>Sie sah jetzt erst, wie verändert dieses Gesicht war. Die früher so
-schönen Züge begannen zu verfetten und ein trüber Glanz glomm in den
-dunkeln Augen.</p>
-
-<p>Seine Musterung dagegen fiel äußerst befriedigend aus.</p>
-
-<p>„Hübsch bist Du geworden, Mone, und wirst noch hübscher sein in drei
-Jahren.“</p>
-
-<p>Er betrachtete sie genau in dem hellen Nachmittagslicht.</p>
-
-<p>„Von der Mama hast Du gar nichts. Das ist der Vater, das ist
-Birkenscher Wuchs: die breiten Schultern und die schmalen Gelenke. Und
-auch das Birkensche Gesicht. Nur nicht so kalt siehst Du aus wie die
-alle... Die Wärme, Mone, die Wärme hast Du doch von der Mama.“</p>
-
-<p>Das war ein Fragen und Antworten, ein Plaudern und Lachen hin und her.</p>
-
-<p>Die steinerne Mutter, die hereinkam, um Tee zu bringen, bekam einen
-förmlichen Schreck vor Erstaunen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_47"></a>[S. 47]</span></p>
-
-<p>Wie lange war es doch her, daß ihr Sohn nicht mehr gelacht!</p>
-
-<p>Monika schwelgte in „Jugenderinnerungen“.</p>
-
-<p>„Lieber Doktor, da ist gar nichts zu lachen. Ich erhalte das aufrecht:
-Jugenderinnerungen! Es sind ja ganze sechs Jahre, daß ich Sie nicht
-mehr gesehen habe. Ich war ein Gör von zehn Jahren, als wir von hier
-wegzogen.</p>
-
-<p>Lieber, lieber Doktor, wissen Sie noch, wenn Sie mich jeden Morgen zum
-Spazierengehen abholten. Ach, war das schön, wenn Sie mich jede Pflanze
-kennen lehrten und jeden Stein, jeden Käfer und jeden Schmetterling. &mdash;
-Aber das schönste war doch, wenn Sie mir erzählten: Trojas Untergang
-oder von Siddharda, dem indischen Königssohn. Oder vielleicht war
-die germanische Mythologie doch noch schöner. Ach, Baldurs Tod oder
-wie Schwanhild von den gotischen Rossen zerstampft wurde. Und die
-Götterdämmerung. &mdash; Ich kann Ihnen ja nie genug für das alles danken.
-Das sind die stärksten Eindrücke meines Lebens gewesen. Ich glaube, so
-ein nagelneues, taufrisches Kindergehirn nimmt die Eindrücke wohl am
-allerschärfsten auf. Ja?“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_48"></a>[S. 48]</span></p>
-
-<p>„Ach, Du kleine Weisheit. &mdash; Na, und wer ist inzwischen Dein
-Lehrmeister gewesen?“</p>
-
-<p>„Niemand,“ seufzte Monika. „Der Papa hat sich ja nie für solche Sachen
-interessiert, und die letzten Jahre war er ja auch so krank, der
-arme Papa. Und Mama, ach, der bin ich ja schon lange über den Kopf
-gewachsen.“</p>
-
-<p>„Du Gelbschnabel.“</p>
-
-<p>„Doktor, es ist doch wahr! Die Mama ist eine liebe, süße Frau! Aber sie
-ist so kindisch!“</p>
-
-<p>„Wirst Du wohl nicht so despektierlich reden, Du Racker! Das glaube ich
-schon, daß sie Dich nicht klein kriegt!“</p>
-
-<p>„Nein, und in der Schule haben sie mich auch nicht klein gekriegt.
-Seit Oktober mit der <span class="antiqua">Ia</span> durch, Doktor, ein Jahr jünger als
-alle andern und <span class="antiqua">prima omnium</span> natürlich. Das wundert Sie doch
-nicht, alter Mentor? Mama hat mir oft genug erzählt, daß Sie mich
-schon im zarten Kindesalter für „geistig abnorm begabt“ erklärt haben.
-Inzwischen hat sich das ja etwas ausgeglichen und es gleicht sich wohl
-noch weiter aus. Wenn ich heirate, werde ich wohl einen normalen Geist
-aufzuweisen haben, und wenn ich silberne Hochzeit feiere...“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_49"></a>[S. 49]</span></p>
-
-<p>Der Doktor lachte Tränen.</p>
-
-<p>„Mone, Du warst immer eine Perle und das bist Du geblieben.“</p>
-
-<p>Als das junge Mädchen gegangen war, verfiel Rodenberg wieder in das
-stumme Brüten, das er sich in den letzten Jahren angewöhnt hatte.</p>
-
-<p>Seine Gedanken flogen zurück in die Zeiten, von denen Monika gesprochen.</p>
-
-<p>In der geistigen Vereinsamung, in der er hier immer gelebt, war es ihm
-geradezu ein Genuß gewesen, die empfängliche Kindesseele zu bilden,
-Monikas auffallend früh entwickeltem Geiste stets neue Nahrung zu
-geben. Mit dem Interesse des Arztes und Forschers hatte er beobachtet,
-wie gierig das Kinderhirn jeden Eindruck verarbeitete, wie jedes Wort
-auf fruchtbaren Boden fiel.</p>
-
-<p>Für den Doktor war es ein Schlag, daß Birkens fortzogen. Es wäre ihm
-eine wahrhafte Freude gewesen, Monika auch fernerhin geistig zu formen.
-Auch war das Birkensche Haus das einzige, in dem er verkehrte. In
-seinem öden Leben war die strahlende Freundlichkeit der Baronin Birken
-ein Lichtpunkt gewesen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_50"></a>[S. 50]</span></p>
-
-<p>Die lebhafte, hübsche Frau mit der unnatürlich schlanken Taille und der
-kunstvollen Frisur hatte eine ausgesprochene Vorliebe für den Doktor.</p>
-
-<p>Sie war liebenswürdig, kokett, sehr kapriziös, dabei ohne jede Energie
-&mdash; ein schlankes, schwankes Schilfrohr.</p>
-
-<p>Es hatte mal eine Zeit gegeben, wo sie dem Herzen des Doktors
-gefährlich gewesen war. Ein paar unvergessene Sommerabende auf des
-Herrenhauses Terrasse, während vom Park herauf der Flieder duftete.</p>
-
-<p>Ja, so hatten die Fliederbüsche wohl nie wieder geblüht wie in dem
-Jahre &mdash; in so lastender Fülle &mdash; und so betäubend hatten sie wohl nie
-mehr geduftet wie damals.</p>
-
-<p>Baron Birken war, wie so oft, bei „seinem“ Regiment in Hahndorf
-gewesen. Und der Doktor las auf der Terrasse Frau von Birken vor: Mirza
-Schaffys Gedichte.</p>
-
-<p>Er hatte die heißen Worte gesprochen, wie man nur sprechen kann, wenn
-man liebt!</p>
-
-<p>Und ihre Augen schienen Antwort zu geben auf all seine stummen
-Fragen...</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_51"></a>[S. 51]</span></p>
-
-<p>Eine trunkene Hoffnung schwellte in diesen Tagen des Doktors ganzes
-Sein.</p>
-
-<p>Nicht lange nachher wurde er zu einem Gartenfest nach Sarkow geladen.
-Da sah er, daß die hübsche Schloßherrin, wenn sie mit Kerkow
-von den Hahndorfer Dragonern sprach, genau ebenso liebevoll und
-verständnisinnig aussah wie an jenen Abenden, als der Flieder blühte.</p>
-
-<p>Und als der schöne Schmettwitz erschien, hatte sie nur für dessen
-Hünenfigur noch Augen und strahlte förmlich vor Glück, als sie mit ihm
-die Polonäse schritt.</p>
-
-<p>Der Doktor überwand die Enttäuschung schnell und freute sich nun
-nach Ueberwindung der sentimentalen Krise, ohne Nebengedanken des
-freundlichen Empfanges, dessen er auf Sarkow immer gewiß war. Der
-Hausherr war ein brillanter Gesellschafter, und Frau von Birken legte
-beim Erscheinen des Doktors regelmäßig eine Freude an den Tag, als ob
-sie einen geliebten Freund nach langjähriger Trennung wiederfände.</p>
-
-<p>Sie war dann in reizender Weise um den Doktor besorgt, besonders in
-kulinarischer Beziehung leistete<span class="pagenum"><a id="Seite_52"></a>[S. 52]</span> sie Ueberraschendes. Jedesmal gab
-es eine ganze Reihe ausgezeichneter Gerichte, deren Zubereitung sie
-womöglich selbst überwachte.</p>
-
-<p>So oft es ihr ihr Gatte, der diese Art sehr unvornehm fand, auch
-verboten, sie fand doch immer wieder „ein Momentchen“, um in die
-Küche hinunterzulaufen und dort der Bertha, der in Birkens ganzem
-Bekanntenkreise berühmten alten Bertha, nochmals einzuschärfen:</p>
-
-<p>„Aber recht viel Schmand an die Sauce, Bertha,“ oder „daß mir die
-Kaulbarsche bloß nicht zu lange kochen.“</p>
-
-<p>Bertha pflegte diese Ermahnungen nur mit einem verachtungsvollen: „Weeß
-ich alleene!“ zu beantworten.</p>
-
-<p>Ja, als der Doktor einmal krank war und sich recht verlassen und elend
-fühlte, allein in seinem Hause mit einer bäuerlichen Aufwärterin, hatte
-Frau von Birken ihm täglich alle Mahlzeiten hinausgeschickt und sich,
-was die Menüs anbetraf, geradezu selbst überboten.</p>
-
-<p>Daß ihre Gefühle nicht nur im Materiellen wurzelten, bewies sie sowohl
-durch die Blumen<span class="pagenum"><a id="Seite_53"></a>[S. 53]</span>sträuße, die sie den nahrhaften Gaben beifügte, als
-auch durch die ausgewählten Büchersendungen.</p>
-
-<p>Ja, sie war schon eine liebe Frau.</p>
-
-<p>Und sie blieb sich gleich.</p>
-
-<p>Man konnte kein Aelter-, kein Reiferwerden an ihr konstatieren.</p>
-
-<p>Sie hatte ihre backfischhafte Koketterie noch, als die Kinder
-heranwuchsen, als Alfred schon ein großer Quintaner war und Monika
-schon den Trojanischen Krieg in unleugbar talentvollen Versen besang.</p>
-
-<p>Ja, Monika! &mdash; Die war wohl des Doktors reinste Freude gewesen. Die
-anbetende Bewunderung und das grenzenlose Vertrauen, das sie ihm
-entgegenbrachte, ihr glühendes Miterleben, wenn er ihr von den uralten
-Märchen der Menschheit sprach, wenn sie bittere Tränen vergoß um das
-Schicksal des männermordenden Peliden oder selig strahlte über eine
-gelungene List des edlen Dulders Odysseus.</p>
-
-<p>Mit der Freude, die ein Gärtner hat, wenn an einer von ihm gezogenen
-Pflanze eine neue Knospe sprießt, war er ihrer Entwicklung gefolgt.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_54"></a>[S. 54]</span></p>
-
-<p>Aber schon als sie zehn Jahre alt war, hatte der Birkensche finanzielle
-Zusammenbruch, der die Familie veranlaßte, nach Berlin zu gehen, Monika
-seinem Einflusse entzogen.</p>
-
-<p>So wie er sie heute wiedergesehen, versprach sie viel für die Zukunft,
-versprach, körperlich und geistig ein Edelexemplar zu werden.</p>
-
-<p>Wieviel sie davon halten würde?</p>
-
-<p>Ein müdes Zucken hob die Schultern des Doktors.</p>
-
-<p>Er hatte schon zu viele schöne Knospen gesehen, die gar vulgäre Blumen
-wurden.</p>
-
-<p>Und dann &mdash; es war ja schließlich gleichgültig &mdash; es war ja alles so
-gleichgültig.</p>
-
-<p>Mit müder Gebärde schenkte er sich aus der Rumflasche ein und blies in
-dichten Wolken den Qualm seiner billigen Zigarre vor sich hin. &mdash;</p>
-
-<p>Als Monika zu Hause ankam, ziemlich beunruhigt, wie diese neue
-Durchgängerei wohl aufgenommen werden würde, kam sie zu ihrer großen
-Freude völlig unangefochten in ihr Zimmer.</p>
-
-<p>Sie war eben daran, mit einigen energischen Bürstenstrichen ihr
-zerzaustes Haar zu ordnen, als<span class="pagenum"><a id="Seite_55"></a>[S. 55]</span> Auguste, das sechzehnjährige
-Abwaschmädchen, das eine besondere Zuneigung zu Monika entwickelte,
-hereinpolterte.</p>
-
-<p>Sie erzählte in dem besten Deutsch, das sie aufzubringen vermochte, daß
-bei der Gnädigen Besuch aus Hahndorf sei und sie und Fräulein Marie und
-die Gäste eben im Salon Kaffee tränken.</p>
-
-<p>„Hat Tante schon nach mir gefragt?“ sagte Monika hastig.</p>
-
-<p>Auguste bejahte, fügte aber mit verschmitztem Grinsen hinzu, sie habe
-dem Diener gesagt, Fräulein Monika sei in den Ställen und werde wohl
-sofort wieder hereinkommen.</p>
-
-<p>„Schönen Dank, Auguste. Und jetzt hilf mir mal die Bluse zuhaken.“</p>
-
-<p>Mit Blitzgeschwindigkeit hatte Monika eine andere Bluse übergeworfen.</p>
-
-<p>Besuch aus Hahndorf! Also jedenfalls Dragoner! &mdash; &mdash;</p>
-
-<p>Um so enttäuschter war sie, als sie im Salon nur Damen fand.</p>
-
-<p>„Ach, Monika, ich ließ Dich schon herbitten,“ sagte die Tante &mdash; und
-dann zu der neben ihr sitzen<span class="pagenum"><a id="Seite_56"></a>[S. 56]</span>den Dame gewendet: „Meine Nichte Monika
-Birken.“</p>
-
-<p>„Ah, Baroneß Birken,“ sagte die hagere, ältliche Dame mit einer
-offiziersmäßig scharfen Stimme, „ich habe Ihren Papa gut gekannt.“</p>
-
-<p>Und ohne eine Entgegnung Monikas abzuwarten, wandte sie sich wieder zu
-Frau von Holtz, die ihrer Nichte einen Wink gab.</p>
-
-<p>Gehorsam ging Monika zum Erker, in dem ihre Cousine mit einer jungen
-Frau saß.</p>
-
-<p>Marie machte sie bekannt. Es war die Frau des Regimentsadjutanten von
-Roßberg. Sie war lang, schlank und häßlich. Im übrigen seit acht Wochen
-verheiratet, wie sie Monika in den ersten fünf Minuten erzählte.</p>
-
-<p>„Wonnegrinsend“ erzählte, konstatierte Monika in ihrem Innern und sah
-wie gebannt auf die langen Vorderzähne, welche die junge Frau beim
-Lachen enthüllte.</p>
-
-<p>Marie behandelte ihre Freundin mit ostentativer Verehrung, Hochachtung
-und Zuneigung.</p>
-
-<p>Monika war ganz erstaunt über die Gefühlstöne, welche die sonst so
-bittere Cousine anschlug.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_57"></a>[S. 57]</span></p>
-
-<p>„Du weißt nicht, wie ich mich nach Dir gebangt habe, Trudchen. Es war
-trostlos einsam.“</p>
-
-<p>„Nun, Du hattest ja Gesellschaft an Deinem Cousinchen,“ sagte die junge
-Frau höflich.</p>
-
-<p>Marie zog ein Gesicht, beredter als tausend Worte.</p>
-
-<p>Und Monika sagte mit der ihr eigenen fröhlichen Unbefangenheit:</p>
-
-<p>„Meine Cousine kann mich nämlich nicht ausstehn, Frau von Roßberg.“</p>
-
-<p>„Ach, rede doch nicht so,“ sagte Marie ohne jede Ueberzeugung, und dann
-zu ihrer Freundin gewendet:</p>
-
-<p>„Mone ist doch gar nicht in einem Alter mit mir, Trudchen. Noch keine
-sechzehn und noch gar nicht in die Gesellschaft eingeführt &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Aber zu unserem Balle kommen Sie doch wohl mit, Fräulein von Birken?“</p>
-
-<p>„Welcher Ball?“</p>
-
-<p>Marie fuhr dazwischen. „Ich glaube nicht, daß Mone hier schon ausgehn
-soll.“</p>
-
-<p>„Ein Ball in Hahndorf?“ fragte Monika aufleuchtend.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_58"></a>[S. 58]</span></p>
-
-<p>„Ja, unser erster Regimentsball diesen Winter. Frau von Teufel zur Höll
-wollte mit Ihrer Tante etwas besprechen wegen lebender Bilder, und da
-bin ich mitgefahren, um Mariechen zu sehn.“</p>
-
-<p>„Frau von Teufel zur Höll?“ wiederholte Monika begeistert und mit so
-wenig gedämpfter Stimme, daß Marie sie ärgerlich in den Arm kniff.</p>
-
-<p>„Ja, die Dame, die dort mit Ihrer Tante spricht, die Gattin unseres
-Etatsmäßigen.“</p>
-
-<p>„Ach, welch schöner Name, welch fabelhaft schneidiger Name,“
-wiederholte Monika ganz begeistert. „Von Teufel zur Höll, &mdash; &mdash;
-so möchte ich mal heißen. Hat Ihr Etatsmäßiger nicht irgend einen
-unverheirateten Bruder?“</p>
-
-<p>Frau von Roßberg brach in Lachen aus, in das albern klingende,
-grinsende Lachen, das ihr eigentümlich war.</p>
-
-<p>Frau von Teufel zur Höll rief herüber: „Nun, die Jugend amüsiert sich
-wieder mal ausgezeichnet. Da werden wohl Pläne für unsere lebenden
-Bilder entworfen. Entwickeln Sie nur recht viel Erfindungsgabe, meine
-Damen. Wir möchten diesmal etwas ganz Apartes bringen.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_59"></a>[S. 59]</span></p>
-
-<p>Monika näherte sich, förmlich wie von einer magischen Gewalt gezogen,
-der Sprecherin. In ihren Augen stand eine so intensive Anteilnahme, daß
-Frau von Teufels eisiger Gesichtsausdruck einem halben Lächeln Platz
-machte:</p>
-
-<p>„Na, das Tanzfieber fängt wohl jetzt schon an?“ sagte sie.</p>
-
-<p>„Darf ich denn mit?“ fragte Monika.</p>
-
-<p>Ungläubig klang’s und doch lag schon ein Jubel darin.</p>
-
-<p>Frau von Holtz neigte lächelnd den schönfrisierten, weißhaarigen Kopf.</p>
-
-<p>Da flog Monika auf ihre Tante zu und umarmte sie in so kindlich
-echtem Jubel, daß sogar Frau von Teufel zur Höll &mdash; im Regiment
-selbstverständlich „die Teufelin“ genannt &mdash; ihr darob nicht böse sein
-konnte.</p>
-
-<p>Monika hatte sich noch nicht beruhigt, als die Damen gegangen waren. Im
-Gegenteil: ihre Freude äußerte sich in Ausbrüchen, die ihre Cousine als
-„geradezu indianerhaft“ bezeichnete. Aber urplötzlich schlug der Jubel
-ins Gegenteil um. Mit tragischem Gesichtchen erinnerte sich Monika,
-daß sie „nichts, aber absolut nichts“ anzuziehen habe. Frau<span class="pagenum"><a id="Seite_60"></a>[S. 60]</span> von Holtz
-beruhigte sie: selbstverständlich würde für sie ein Kleid geschneidert
-werden und Marie müsse auch ein neues haben. „Morgen früh kommt Mine
-Petermann,“ fügte sie verheißungsvoll hinzu.</p>
-
-<p>Und am nächsten Morgen um zehn Uhr war Mine Petermann da, &mdash; die
-unförmlich dicke Gestalt in ein prallsitzendes, schwarzes Kleid
-gezwängt, &mdash; auf dem mächtigen Busen eine ganze Armee von Stecknadeln,
-&mdash; um die Taille eine grüne Schnur, an der die Schere hing, und unterm
-Arm eine ganze Ladung Mode-Journale.</p>
-
-<p>Auch Stoffmuster hatte Mine schon da, war in aller Herrgottsfrühe schon
-nach Neustadt hin- und zurückgestiefelt und hatte sich bei Kaufmann
-Kleinmichel Proben vom „Neuesten, Schönsten und Modernsten“ geben
-lassen.</p>
-
-<p>Ja, die Mine war eine rührige Person, &mdash; nicht umsonst beehrte die
-ganze Nachbarschaft sie seit zwanzig Jahren mit ihrer Kundschaft.</p>
-
-<p>Das war ein gar wichtiges Fragen und Beraten, was nun begann.</p>
-
-<p>Mine war vor dem Beginn erst im Vorzimmer mit einem Glase Portwein und
-zwei Buttersemmeln<span class="pagenum"><a id="Seite_61"></a>[S. 61]</span> mit Leberwurst gestärkt worden, was erfahrungsgemäß
-ihre Inspiration sehr anzuregen pflegte.</p>
-
-<p>Sie ging auch gleich mit einem wahren Feuereifer an die Arbeit,
-erklärte, für das gnädige Fräulein Marie sei „Empire“ wie geschaffen.</p>
-
-<p>Begeistert tippte sie mit ihrem zerstochenen Zeigefinger auf ein
-Modell: ein verführerisches Dämchen zeigte dort ihre Reize in
-einem überaus anschmiegenden Empirekleide aus nilgrüner Seide mit
-Perlenstickerei.</p>
-
-<p>Frau von Holtz wiegte bedenklich den Kopf, enthielt sich aber
-einstweilen jeder Meinungsäußerung, wogegen Marie, kaum daß sie einen
-Blick auf das Modebild geworfen, ihre lebhafteste Abwehr zu erkennen
-gab. Sie erklärte diese Mode „für direkt schamlos“ und „hätte Fräulein
-Petermann mehr Geschmack zugetraut“!</p>
-
-<p>Das dicke, alte Fräulein zog ein beleidigtes Gesicht, zeigte aber doch
-pflichtgemäß alle Abbildungen, die vorhanden waren. Vor Maries Augen
-fand nichts Gnade. Und ihre Miene entwölkte sich auch nicht, als nun
-Frau von Holtz selbständige Anregungen gab, und mit der ganzen Liebe
-einer<span class="pagenum"><a id="Seite_62"></a>[S. 62]</span> Mutter sich mühte, etwas recht Vorteilhaftes für ihr Kind zu
-finden.</p>
-
-<p>„Ich denke, Mariechen, als Farbe rosa. In rosa siehst Du nicht so blaß
-aus. Und ums Décolleté einen Chiffon-Volant, oder lieber zwei, das
-macht Dich schön breit in den Schultern.“</p>
-
-<p>„Ich will aber nichts vortäuschen.“</p>
-
-<p>„Aber, Kind, was für Ausdrücke.“</p>
-
-<p>„Ich glaube, Marie möchte am liebsten mit ’nem Trotteurrock und ’ner
-Bluse mit ’nem Stehkragen zum Ball gehn,“ rief Monika, die die Cousine
-oft mit ihrer Vorliebe für die etwas nüchterne Kleidung neckte.</p>
-
-<p>„Du kannst Dir Deine Naseweisheiten sparen,“ rief Marie, und auch
-Frau von Holtz warf ihr einen ernst verweisenden Blick zu: ihr war
-die momentane Situation zu ernst, um sie durch Witze unterbrechen zu
-lassen. „Also, glaube mir, Mariechen, oben die Volants und den Rock
-unten weit ausfallend, eine recht steife Balayeuse unten hinein &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Ach, mach’s nur, wie Du willst,“ sagte die Tochter übellaunig. Ihre
-Miene heiterte sich auch nicht auf, als Fräulein Petermann ihr Maß
-nahm.<span class="pagenum"><a id="Seite_63"></a>[S. 63]</span> Die dicke Dame erklärte, das gnädige Fräulein habe seit letztem
-Winter um zwei Zentimeter Brustumfang zugenommen. Frau von Holtz
-zeigte sich über diese Neuigkeit sehr erfreut, aber Marie sah die Mine
-nur verachtungsvoll an und sagte dann: „Denken Sie sich doch mal was
-Neues aus, Mine &mdash; denn das mit dem Brustumfang behaupten Sie ja doch
-jedesmal!“</p>
-
-<p>Mine überhörte mit parlamentarischer Gewandtheit die Bemerkung und
-diskutierte eifrig mit Frau von Holtz über die Blumen, die zu der rosa
-Toilette getragen werden sollten. „Heckenröschen“ fand beiderseits
-Billigung, aber Marie schrie förmlich vor Empörung.</p>
-
-<p>„Heckenröschen, &mdash; warum nicht lieber Gänseblümchen?! Schrecklich! Ich
-will überhaupt keine Blumen.“</p>
-
-<p>Allgemeines Entsetzen folgte diesem Ausspruche.</p>
-
-<p>Besonders Frau von Holtz war völlig zerschmettert.</p>
-
-<p>„Marie, ein junges Mädchen ohne Blumen auf dem Ball?! Wenn Du mir das
-antust &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Ich kann doch nu mal all das Grünzeug nicht leiden! Und es paßt auch
-gar nicht zu mir.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_64"></a>[S. 64]</span></p>
-
-<p>Frau von Holtz erhob sich, jeder Zoll gekränkte Königin.</p>
-
-<p>„Dann gehen wir nicht auf diesen Ball. Fräulein Petermann, Sie sind
-entlassen.“</p>
-
-<p>Monika wurde blaß bis in die Lippen.</p>
-
-<p>Und auch die herbe Marie bekam einen hörbaren Schreck. Das wurde Ernst!</p>
-
-<p>Wenn Mama „Fräulein Petermann“ sagte statt „Mine“ &mdash; &mdash;</p>
-
-<p>Sie lenkte also ein, in mürrischer Weise, &mdash; aber ihr Stolz war
-gebrochen. Sie gab klein bei. Nur „Heckenröschen“ sollte die Mama ihr
-nicht antun.</p>
-
-<p>Man einigte sich also auf Akazienblüten.</p>
-
-<p>Und dann &mdash; endlich! &mdash; wurde an Monika gedacht.</p>
-
-<p>Das war leichtere Arbeit. Sie zeigte sich von allem entzückt; was man
-ihr vorschlug, fand sie alles „großartig“ und „feenhaft“ und strahlte
-vor Seligkeit, als Frau von Holtz sich dann für hellblau entschieden,
-rund ausgeschnitten, als Garnierung Kirschblütenzweige.</p>
-
-<p>„Und auch ins Haar? Auch ins Haar Kirschblüten?!“ fragte Monika
-flehend.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_65"></a>[S. 65]</span></p>
-
-<p>„Ja.“</p>
-
-<p>Sie verstummte vor Begeisterung.</p>
-
-<p>Und in Frau von Holtz stieg es wie ein bitteres Gefühl auf: wenn doch
-Marie etwas von Monikas warmherzigem Wesen gehabt hätte, von ihrer
-glücklichen Gemütsart, ihrer Dankbarkeit.</p>
-
-<p>Und am Tage des Balles war es wieder ein Vergleich, der sich der Mutter
-aufdrängte, als sie die beiden in ihrem Staat sah.</p>
-
-<p>Marie, deren Hagerkeit das duftige Kleid nicht milderte, mit dem
-straff frisierten Haar, von dem die Akazienblüten steif abstanden, und
-daneben Monika, die in ihrem Ballstaat eine ganz andere schien. Die
-wenig hübschen Kleider, die sie sonst trug, hatten ihrer blühenden
-Jugend Eintrag getan. Das Hellblau ihres neuen Kleides hob ihren
-prächtigen Teint hervor, &mdash; der runde Ausschnitt enthüllte vollendet
-schöne Schultern und Arme und darüber lachte das selige Kindergesicht,
-gutmütig strahlend, lebensdurstig, durstig nach Glück!!</p>
-
-<p>Der Ball wurde für Monika ein Erfolg.</p>
-
-<p>An und für sich war es für die Hahndorfer Dragoner ein Ereignis,
-wenn ein „neues“ junges Mäd<span class="pagenum"><a id="Seite_66"></a>[S. 66]</span>chen auftauchte. Waren doch nur zwei
-unverheiratete Damen im Regiment: die Kommandeurstöchter, und mit denen
-tanzte man nun glücklich den dritten Winter, und außerdem waren sie
-nichts weniger als hübsch.</p>
-
-<p>Möglich, daß jede von ihnen an sich ganz nett gewirkt haben würde, aber
-man sah sie immer zusammen &mdash; und zusammen sahen sie geradezu komisch
-aus. Violette &mdash; sie hieß tatsächlich Violette &mdash; ihre verstorbene
-Mutter hatte ein <span class="antiqua">faible</span> für poetische Namen gehabt &mdash; gab an
-Größe dem längsten Leutnant des Regiments nichts nach, und an Breite
-übertraf sie ihn bedeutend. Sie hatte große, runde blaue Augen, einen
-Helm von goldblondem Haar und wäre als Urbild einer germanischen
-Heldenjungfrau gar nicht übel gewesen, wenn man nicht beständig Erika
-neben ihr gesehen hätte.</p>
-
-<p>Erika war so ziemlich das Kleinste und Zierlichste, was man sich
-vorstellen konnte, ein wahres Porzellanpüppchen! Dazu eine Fülle
-dunkelsten Haares und zwei ausdrucksvoll dunkle Augen in einem
-Spitzmausgesichtchen.</p>
-
-<p>Sie ließ ihre Schwester ungeschlacht erscheinen und dabei sah sie neben
-dieser Schwester „nach gar<span class="pagenum"><a id="Seite_67"></a>[S. 67]</span> nichts“ aus, &mdash; kurz, sie beeinträchtigten
-sich gegenseitig auf das schärfste.</p>
-
-<p>Die Leutnants pendelten ratlos zwischen ihnen hin und her, und das
-Resultat war, daß immer noch keine von ihnen verlobt war, obwohl ihr
-Vater keinen innigeren Wunsch hegte.</p>
-
-<p>Außer den beiden waren an jungen Mädchen nur noch einige
-Gutsbesitzerstöchter aus der Umgegend erschienen, die keine besonderen
-Attraktionen boten. Und nun eine „Neue“! &mdash; Und noch dazu die Tochter
-eines alten Herrn vom Regiment, des „fidelen Birken“, von dessen Taten
-man genug gehört. Und noch dazu Monika, die in den ersten fünf Minuten
-mehr gute Witze gemacht als sonst ein halbes Dutzend junger Mädchen
-zusammen.</p>
-
-<p>Nachdem sie in möglichster Eile den Damen ihren Knix gemacht, widmete
-sie sich völlig den Leutnants und entfesselte durch ihre Konversation
-derartige Lachstürme, daß man im Reiche der Mütter bedenklich die Köpfe
-zusammensteckte.</p>
-
-<p>Die jungen Frauen fanden den „Kiekindiewelt“ empörend, die jungen
-Mädchen erklärten sie für „schamlos kokett“.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_68"></a>[S. 68]</span></p>
-
-<p>Monika aber ließ sich die unverhohlene Mißbilligung, die ihr von
-weiblicher Seite zuteil wurde, nicht anfechten. Sie benahm sich
-übermütig froh. Ihr war zumute wie in einem Rausch; mit all ihrer
-unverbrauchten Begeisterung genoß sie diese Stunden, genoß den
-hohen Saal mit dem strahlenden Licht, die flirtenden Leutnants, die
-Bewunderung, die aus so viel Männeraugen sprach, und den Tanz, den
-Tanz, in dem sie selig dahinglitt.</p>
-
-<p>Schade, daß diesem Rausch so bald eine Ernüchterung folgte!</p>
-
-<p>Schon im Schlitten, der die Familie Holtz nach Hause fuhr, begann Marie
-die Schale ihres Zornes über Monika auszuschütten. Sie sparte nicht mit
-den schärfsten Ausdrücken, und Frau von Holtz tat ihr nicht wie sonst
-Einhalt, sondern schwieg verstimmt.</p>
-
-<p>Nur der Onkel, der, bevor er sich zum Whist niedergesetzt, eine Weile
-dem Tanze zugesehn, wiegte gutmütig den Kopf und murmelte schlaftrunken
-vor sich hin:</p>
-
-<p>„Die Marjell, &mdash; genau wie die Mali! Kokett &mdash; kokett.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_69"></a>[S. 69]</span></p>
-
-<p>Die anderthalb Stunden Fahrt wurden für Monika ein Martyrium.</p>
-
-<p>Sie seufzte hörbar und erleichtert auf, als endlich, endlich der
-Schlitten zu Hause hielt. Der Schnee knirschte scharf unter den
-Schlittenkufen. Und ehe noch die Pferde ganz zum Stehen gebracht waren,
-setzte Monika mit mächtigem Schwunge hinaus und rannte, ohne jemand
-gute Nacht zu sagen, die Treppe hinauf in ihr Zimmer.</p>
-
-<p>Eine eisige Kälte empfing sie; die taperige Auguste hatte wohl wieder
-mal vergessen, nachzulegen.</p>
-
-<p>Aber Monika störte die Kälte nicht. Rann doch ihr Blut so brennend
-heiß durch die Adern! Sie stellte sich vor den Spiegel und hielt die
-Lampe hoch. Also so &mdash; &mdash; so hübsch war sie! Die brennenden Wangen &mdash;
-die flammenden Lippen &mdash; die dunkeln Augen, über die sich die Lider
-mit den langen, schwarzen Wimpern langsam bewegten, wie wenn müde
-Schmetterlinge mit den Flügeln schlagen. Und darunter die blendend
-weiße Haut des Halses und der Schultern &mdash; &mdash; &mdash;.</p>
-
-<p>Monika hätte vor Glück schreien mögen, wie neulich, als sie durch den
-Schnee rannte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_70"></a>[S. 70]</span></p>
-
-<p>So hübsch war sie &mdash; &mdash; Welch ein Glück! &mdash;</p>
-
-<p>Maries Strafpredigten hatten ihr weiter keinen Eindruck gemacht. Nur
-daß sie bedauerte, jetzt niemanden zu haben, mit dem sie von all den
-Eindrücken sprechen konnte.</p>
-
-<p>Nur jetzt noch nicht schlafen!</p>
-
-<p>Das war doch nicht möglich, jetzt schlafen, still liegen &mdash; &mdash;</p>
-
-<p>Sie summte ein paar Walzertakte vor sich hin: &mdash; &mdash; ein heißes
-Glücksgefühl überrieselte sie.</p>
-
-<p>Noch einmal die süße, süße Melodie. &mdash; &mdash;</p>
-
-<p>Monika schlief nicht viel in dieser Nacht. Aber trotzdem war sie am
-Morgen die einzige, die frisch in die Welt schaute.</p>
-
-<p>Frau von Holtz hatte Migräne.</p>
-
-<p>Ihr Gatte sah verkatert aus, ihm bekam das lange Aufbleiben gar nicht.</p>
-
-<p>Marie machte einen überaus angegriffenen Eindruck, schlich, wie immer
-nach Bällen, mit hochgezogenen Schultern in vornübergebeugter Haltung
-herum und hüstelte, was ihre Eltern mit lebhafter Besorgnis erfüllte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_71"></a>[S. 71]</span></p>
-
-<p>Frau von Holtz vergaß die eigenen Schmerzen, um Marie beständig zu
-Hustenbonbons zu nötigen, und Herr von Holtz rührte unter beständigem
-Schimpfen auf die „verfluchte Tanzerei“ ein Eigelb mit Zucker, das
-Marie unweigerlich sofort zu essen hatte.</p>
-
-<p>Am Nachmittag, als man um den Kaffeetisch versammelt war, kam Besuch:
-die Leutnants von Seeburg, von Hellrich und Graf Herckenstedt kamen im
-Krümperschlitten an und erlaubten sich „gehorsamst zu fragen, wie den
-Damen der gestrige Ball bekommen“.</p>
-
-<p>Da die Herren sonst nie solche Lendemainvisiten gemacht, war Marie in
-bitterböser Laune, und mit der bei ihr üblichen Unverfrorenheit brachte
-sie ihre Gefühle zum Ausdruck.</p>
-
-<p>Frau von Holtz mußte mehrmals vermittelnd eingreifen, wenn ihr
-unliebliches Töchterlein wieder eine gar zu scharfe Bemerkung gemacht.</p>
-
-<p>Von seiten Monikas war keine Schroffheit zu fürchten. Im Gegenteil!
-Da hatte man nur in der entgegengesetzten Richtung einen Dämpfer
-aufzusetzen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_72"></a>[S. 72]</span></p>
-
-<p>Wie sie jetzt den Herckenstedt wieder anstrahlte!</p>
-
-<p>„Ja, getanzt haben Sie am allerbesten, Graf. Sie sind natürlich Kadiser
-gewesen? Die tanzen alle gut.“</p>
-
-<p>„Monika, man sagt „Kadett“. Deine Art, die Worte zu verstümmeln &mdash; &mdash;
-&mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Ach, Tantchen, das kommt doch nicht so genau darauf an unter uns
-Leutnants &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>Frau von Holtz fand keine Entgegnung. Es widerstrebte ihr, in Gegenwart
-eines Besuches unaufhörlich zu tadeln. Andererseits war ihr die
-burschikos-kokette Art ihrer Nichte entsetzlich.</p>
-
-<p>Sie selbst war immer sehr zurückhaltend gewesen, sehr prüde, und ihre
-Tochter hatte diese Eigenschaft in verdreifachtem Maße geerbt.</p>
-
-<p>Und zwischen ihnen beiden saß nun Monika und kokettierte mit einer
-Unbefangenheit, die geradezu verblüffend wirkte.</p>
-
-<p>Mit einer für ihr Alter durchaus unangemessenen Sicherheit dirigierte
-sie die Unterhaltung, die den Leutnants zwar sehr ungewohnt, aber dafür
-desto interessanter war.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_73"></a>[S. 73]</span></p>
-
-<p>Marie äußerte dazu in sehr sicherem Tone Ansichten, die sich gerade
-nicht durch Geistesschärfe auszeichneten.</p>
-
-<p>Frau von Holtz aber, die mit ihrem ganzen Sein und Wesen in den realen
-Forderungen des Alltags wurzelte, war ehrlich ärgerlich.</p>
-
-<p>Mit einem scharfen Ruck lenkte sie das leichte Gespräch in andere
-Bahnen. Sie fragte, was man in Hahndorf diesen Winter noch für
-Vergnügungen vorhabe.</p>
-
-<p>„Ja, hoffentlich werden nun bald die lebenden Bilder kommen, deren wir
-diesmal verlustig gegangen sind,“ sagte Seeburg.</p>
-
-<p>Und Hellrich erklärte Monika, es sei ewig schade darum, denn in seinem
-Kostüm als Griechenjüngling hätte er berauschend ausgesehen, und
-dann hätte sie ihn sicher nicht so grausam behandelt wie in seiner
-preußischen Dragoner-Uniform.</p>
-
-<p>„Und warum ist mir nun eigentlich dieser Genuß entrissen worden?“
-fragte Monika.</p>
-
-<p>„Ja, Baroneß, das liegt nur an Frau von Teufel zur Höll’ &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Die Teufelin,“ schob Monika verständnisinnig ein.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_74"></a>[S. 74]</span></p>
-
-<p>„Die ist nämlich höllisch &mdash;“</p>
-
-<p>„Natürlich!“</p>
-
-<p>„&mdash; anspruchsvoll, und so hat sie behauptet, unseren lebenden Bildern
-fehle der Clou.“</p>
-
-<p>„Und dabei war es so reizend,“ klagte Herckenstedt.</p>
-
-<p>„Ich als Griechenjüngling,“ betonte Hellrich.</p>
-
-<p>„Ja, mit Erika von Holl als Partnerin in einem „griechischen
-Frühlingsidyll“. &mdash; Und Fräulein Violette von Holl als Werthers Lotte
-und Roßberg als Werther &mdash;“</p>
-
-<p>„Das ist der hübsche Adjutant?“ fragte Monika eifrig.</p>
-
-<p>„Der hübsche? Dieser Ehekrüppel?“ erwiderte Herckenstedt entrüstet.</p>
-
-<p>Und Seeburg sekundierte: „So ’n alter, verheirateter Herr!“</p>
-
-<p>„Acht Wochen verheiratet!“ zitierte Monika und kopierte das
-Gesicht, das Frau von Roßberg immer machte, wenn sie jemandem diese
-welterschütternde Tatsache mitteilte.</p>
-
-<p>Die Leutnants unterdrückten nur mit Mühe einen Heiterkeitsausbruch.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_75"></a>[S. 75]</span></p>
-
-<p>Marie aber wollte eben zu einer kräftigen Entgegnung ansetzen, &mdash; denn
-wenn jemand eine ihrer Freundinnen angriff, so faßte sie das noch
-schlimmer auf, als wenn es gegen sie selbst ging, &mdash; doch der gewandte
-Herckenstedt verhinderte den Ausbruch, indem er in möglichster Eile
-weitererzählte, daß noch ein Bild „Tanzstunde“ geplant gewesen sei
-und das seit Methusalem rühmlichst bekannte: „Der Blumen Erwachen!“
-&mdash; &mdash; Aber alles das habe dem stolzen Sinn von Frau von Teufel nicht
-genügt. Nun ja, wenn man ein ganzes Jahr bei der Garde gestanden, wie
-die Etatsmäßige! Und so sei die Aufführung der lebenden Bilder auf
-unbestimmte Zeit verschoben worden.</p>
-
-<p>„Bis einem von uns mal was Geniales einfällt,“ sagte Seeburg betrübt.</p>
-
-<p>„Und dabei hätten wir bald die schönste Gelegenheit: nächsten Monat hat
-der Kommandeur Geburtstag,“ jammerte Hellrich, der es anscheinend nicht
-verwinden konnte, sich nicht in seiner griechischen Schönheit zeigen zu
-dürfen.</p>
-
-<p>„Aber das ist doch nicht so schwer, einen guten Einfall zu haben,“ rief
-Monika. „Ich werde schon was finden.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_76"></a>[S. 76]</span></p>
-
-<p>„Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort,“ begutachtete Seeburg
-zweifelnd. Aber Hellrich zeigte sich vertrauensvoller. „Ich bin
-überzeugt, daß Sie was Großartiges zustande bringen, Baronesse. Sie
-haben so was in den Augen, &mdash; ich finde da nicht gleich das richtige
-Wort dafür, &mdash; wissen Sie, eben so was Besonderes.“</p>
-
-<p>„Ich fürchte, Monika überschätzt ihre Fähigkeiten,“ sagte Frau von
-Holtz, die es für geraten hielt, die Bäume nicht in den Himmel wachsen
-zu lassen.</p>
-
-<p>Aber nun protestierten alle drei Leutnants.</p>
-
-<p>Und als die Herren abfuhren, war es beschlossene Sache: sie würden der
-„Teufelin“ Mitteilung machen, daß Fräulein von Birken sich anheischig
-mache, etwas ganz Apartes für die Aufführung zum Geburtstage des
-Kommandeurs zu erfinden.</p>
-
-<p>„Da hast Du Dich ja schön in die Nesseln gesetzt,“ sagte Marie
-schadenfroh, als das lustige Glockengeklingel des Krümpers in der Ferne
-verstummt.</p>
-
-<p>„Warum?“ fragte Monika kampfbereit.</p>
-
-<p>„Weil Du einen netten Kohl zusammenschreiben wirst.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_77"></a>[S. 77]</span></p>
-
-<p>„Abwarten!“ sagte Monika lakonisch.</p>
-
-<p>Nachdem sie beim Onkel Aktenbogen und Bleistift erbeutet, legte sie
-sich auf den Teppich und begann eifrig zu kritzeln.</p>
-
-<p>Am nächsten Morgen legte sie Frau von Holtz ihr Machwerk vor, die es
-mit lebhaftem Mißtrauen in die literarischen Fähigkeiten ihrer Nichte
-las.</p>
-
-<p>Wider ihren Willen fand sie es sehr nett. Aber sie traute ihrem Urteil
-nicht. Sie las sonst nie etwas anderes als Zeitungen, fand Poesien
-überspannt und war sich ehrlich bewußt, „von all diesen Sachen nichts
-zu verstehen“.</p>
-
-<p>Marie lehnte ab, Monikas Erzeugnis zu lesen, obwohl sie vor Neugierde
-darauf brannte. Aber Monika sollte sich ja nicht einbilden, daß sie für
-ihre Dummheiten etwas übrig habe.</p>
-
-<p>Mit stiller Verzweiflung sah die Dichterin, daß Tante auch nicht die
-mindesten Anstalten machte, das Opus nach Hahndorf abzuschicken. Und
-nachdem sie drei Tage in gräßlicher Nervenspannung verbracht, griff sie
-zu einem heroischen Mittel: sie packte ihr Werk ein und adressierte es
-selbst nach Hahndorf. Nicht etwa an die Teufelin. Vor der hatte sie zu
-großen Respekt. „Leutnant Graf Herckenstedt<span class="pagenum"><a id="Seite_78"></a>[S. 78]</span>“ stand auf dem Kuvert und
-auf das Manuskript hatte sie gekritzelt: „Wie Sie sehen, habe ich mein
-Versprechen gehalten. Hoffentlich gefällt’s!“</p>
-
-<p>Sie paßte den Briefträger ab und händigte ihm selbst das umfangreiche
-Kuvert ein. Als er umständlich die Adresse gelesen, grinste er
-freundlich und grinste noch freundlicher, als Monika ihm ein kleines
-Trinkgeld in die Hand gedrückt.</p>
-
-<p>Als einige Tage später Frau von Teufel zur Höll und Frau von Roßberg
-zum Besuch vorsprachen, war der jungen Autorin doch recht unbehaglich
-zumute.</p>
-
-<p>Aber ihre Besorgnisse hielten nicht lange vor, da die Teufelin ihr
-gleich beim Eintreten förmlich freundlich zugelächelt und dann Frau von
-Holtz versicherte, daß „ihre liebe Nichte wirklich eine ganz reizende
-Idee gehabt“.</p>
-
-<p>Frau von Holtz schwebte im Unklaren, wußte nicht recht, wie sie sich zu
-der ganzen Sache stellen sollte, aber sie wurde auch gar nicht gefragt.</p>
-
-<p>Frau von Teufel vertiefte sich sofort in ein detailliertes Gespräch mit
-Monika, Marie zog mit ihrer Freundin in ihre Privatgemächer, und Frau<span class="pagenum"><a id="Seite_79"></a>[S. 79]</span>
-von Holtz blieb nichts weiter zu tun, als Tee zu bestellen.</p>
-
-<p>Als dann dieser Tee und ein riesenhafter Napfkuchen die Parteien um den
-runden Tisch versammelt hatte, bat Frau von Teufel Monika, ihr Werk nun
-vorzulesen, damit man gemeinsam den Eindruck beurteilen könne.</p>
-
-<p>Monika begann. Aber die Teufelin, der niemals etwas schnell genug ging,
-kam von ihrer Idee zurück. „Nein, jetzt nicht vorlesen. Ich werde
-einen Extrakt des Stückes geben, und dann wollen wir uns erst über die
-Rollenbesetzung einig werden. Also &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>Eine kleine Kunstpause.</p>
-
-<p>Marie bemühte sich krampfhaft, ihr Interesse zu verbergen, indem sie
-mit unbeweglicher Miene aus den Fransen der Tischdecke Zöpfchen flocht.</p>
-
-<p>„Also die Szene zeigt zwei Leutnants. Der eine von ihnen, seit
-kurzer Zeit glücklich verheiratet, redet dem andern zu, sich endlich
-auch Hymens Rosenfesseln anlegen zu lassen. Der Freund versichert,
-daß er durchaus nicht abgeneigt wäre, daß ihm aber die Wahl arges
-Kopfzerbrechen mache. Hierauf verabschiedet sich der Freund. Der
-Junggeselle bleibt allein und schläft ein.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_80"></a>[S. 80]</span></p>
-
-<p>Marie stieß einen höhnischen Laut aus, worauf Monika sich in Positur
-setzte wie ein junger Kampfhahn. Sie fragte: „Sag’ mal, warum soll der
-Leutnant nicht einschlafen?“</p>
-
-<p>„Hierauf erscheint die Phantasie und sagt dem Schlafenden, sie
-wolle ihm die jungen Damen zeigen, unter denen er wählen könne. Die
-Phantasie hebt ihren Zauberstab, und es erscheinen, begrenzt von
-einem Bilderrahmen, nacheinander die Typen der weiblichen Wesen, die
-den Leutnant mit ihrer Hand beglücken möchten: Sportdame, Salondame,
-Studentin. Sie alle lassen unseren Helden kalt. Aber als zum Schlusse
-das ganz unmodern erzogene, altmodisch-holdselige Mädchen erscheint,
-das bei Mama kochen lernt und in ihrem kleinen Herzen eine große Liebe
-für diesen Leutnant trägt, da wählt er sie zu seiner Lebensgefährtin.“</p>
-
-<p>Einen Augenblick Stillschweigen.</p>
-
-<p>„Der Sieg der Tugend,“ sagte Monika mit bescheiden niedergeschlagenen
-Augen.</p>
-
-<p>Frau von Holtz, der die Tendenz des Werkes erst jetzt so recht aufging,
-zog Monika liebevoll zu sich heran und bat ihr im stillen vieles ab.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_81"></a>[S. 81]</span></p>
-
-<p>Wie nett und moralisch das liebe Kind das doch gedichtet hatte.</p>
-
-<p>Marie versuchte ihre verächtliche Miene beizubehalten.</p>
-
-<p>Frau von Roßberg grinste und sagte: „Den Helden muß natürlich mein Mann
-spielen.“</p>
-
-<p>Die Etatsmäßige, die diese Aeußerung vorlaut fand, warf ihr einen
-verweisenden Blick zu.</p>
-
-<p>Aber im Verlaufe der Beratung ergab sich, daß tatsächlich Roßberg
-den Helden spielen mußte, da er der einzige Herr war, der etwas
-theatralisches Talent besaß.</p>
-
-<p>„Und ich bin das junge Mädchen, mit dem er sich verlobt,“ sagte Frau
-von Roßberg.</p>
-
-<p>„Wir haben ja darüber noch gar nichts bestimmt,“ warf Frau von Teufel
-ein.</p>
-
-<p>„Aber er küßt sie doch.“</p>
-
-<p>„Theaterkuß!“ entschied die Teufelin. „Also bisher hätten wir: Ehemann:
-Herr von Hellrich, &mdash; der Junggeselle: Leutnant von Roßberg. Die
-Phantasie, &mdash; ja um alles in der Welt, wen könnten wir als Phantasie
-wählen?“</p>
-
-<p>Monika mußte sich in die Lippen beißen, um nicht zu flehen: „Mich!!“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_82"></a>[S. 82]</span></p>
-
-<p>Sie hatte sich alles schon bis ins Detail ausgemalt: ein
-dekolletiertes, pfauenblaues Chiffongewand, &mdash; Orchideen in den Haaren,
-schillernde Schmetterlingsflügel an den Schultern.</p>
-
-<p>Es traf sie wie ein Schlag, als jetzt Frau von Teufel sagte: „Ich
-denke, Violette Holl paßt dafür am besten. Mit ihrer stattlichen
-Erscheinung und den goldblonden Haaren. Also die Phantasie: Violette
-von Holl. &mdash; Die Sportsdame: ich!“</p>
-
-<p>Ein nicht ganz zu unterdrückendes Erstaunen bemächtigte sich der
-Anwesenden. Niemand hatte geahnt, daß die Teufelin mitspielen wollte.</p>
-
-<p>Sie selbst ging sehr schnell über diese Tatsache hinweg.</p>
-
-<p>„Die Salondame: nun, vielleicht Frau von Roßberg, da das keine Rolle
-für ein junges Mädchen ist. Die Studentin: Fräulein von Holtz. Ich bin
-überzeugt, das liegt Ihnen, Fräulein Marie. Die Tänzerin: ich hatte
-Fräulein von Birken gedacht, aber Erika Holl bat so, ob sie nicht
-die Rolle haben könnte. Sie wird das ja auch sicherlich sehr graziös
-machen. Und das brave, junge Mädchen, ich denke, das ist für Fräulein
-von Birken.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_83"></a>[S. 83]</span></p>
-
-<p>Monika machte ganz erstaunte Augen. Es war das erstemal in ihrem Leben,
-daß man sie als „ein braves junges Mädchen“ bezeichnete. Sie war mit
-der Rolle nicht sehr einverstanden. Sie hatte sich nun mal auf die
-Phantasie verspitzt.</p>
-
-<p>„Ich dachte: Fräulein von Birken, weil sie doch die Jüngste ist; ihr
-muß das Backfischhafte doch am besten liegen.“</p>
-
-<p>Monika fand &mdash; ein seltener Fall bei ihr &mdash; keine Entgegnung. Sie war
-noch ganz in Nachdenken versunken, als die Damen schon lange weg waren,
-nachdem man noch verabredet, wann die erste Probe stattfinden solle.</p>
-
-<p>Zwischen den Cousinen herrschte langes Stillschweigen. Endlich rang
-sich Marie zu einer Art Ehrenerklärung durch. „Im übrigen muß ich Dir
-noch sagen, Mone, die Tendenz von Deinem Dingsda ist gar nicht so
-überspannt, wie Du sonst bist. Daß der Leutnant das einzig häuslich
-erzogene, junge Mädchen nimmt, ist riesig vernünftig.“</p>
-
-<p>„Was, vernünftig?! Nur ein Beweis für seine haarsträubende Dummheit ist
-es. In der Ehe langweilt er sich doch tot mit dieser kleinen Gans!“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_84"></a>[S. 84]</span></p>
-
-<p>„Was?!“</p>
-
-<p>„Na, natürlich, ich wollte in dem Dings doch gerade zeigen, wie solch
-dummer Mann allen anderen das Gänschen vorzieht, bloß weil ihm das so
-vertraut und bequem ist: so eine Erziehung <span class="antiqua">vieux jeu</span>! &mdash; Eine
-Persiflage ist’s!“</p>
-
-<p>„Na so eine Falschheit von Dir! Das merkt doch kein Mensch, daß es eine
-Persiflage sein soll!“</p>
-
-<p>„Wenn man’s gleich merkt, dann ist ja kein Witz dabei.“</p>
-
-<p>„Unerhört! Das sag’ ich Frau von Teufel.“</p>
-
-<p>„Dann sag’ ich, Du hast mich mißverstanden; Du hast eben meine
-künstlerischen Intentionen nicht gefaßt.“</p>
-
-<p>„Mone, Du bist gemein!“</p>
-
-<p>Mit diesem vernichtenden Urteil beschloß Marie die Unterredung, verließ
-das Zimmer und schmetterte die Tür hinter sich ins Schloß.</p>
-
-<div class="figcenter illowe10 padtop1" id="kapitelende2">
- <img class="w100" src="images/kapitelende.jpg" alt="Ende des Kapitels" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_85"></a>[S. 85]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Kapitel_3">3.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent2 w15">
-<div class="dc2" id="p085initial">
- <img class="illowe6a" src="images/p085initial.jpg" alt="H" />
-</div>
- <span class="initial2">H</span>eut’ ist der große Tag erschienen,</div>
- <div class="verse indent2">Auf den so lang’ wir uns gefreut&nbsp;&mdash;&nbsp;&mdash;“</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p class="clearl">Schallend klang es durchs Haus.</p>
-
-<p>„Mone, Du tobst &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Schlimmer als das, Tantchen, viel schlimmer! Ich werde schon kindisch,
-ich fühle mich in meine zarteste Kindheit zurückversetzt: ich singe das
-Lied, das ich im Alter von vier Jahren zu Weihnachten sang.“</p>
-
-<p>Und wieder erklang es schallend:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent2">„Heut’ ist der große Tag erschienen,</div>
- <div class="verse indent2">Auf den so lang’ wir uns gefreut &mdash; &mdash;“</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>„Mone!“</p>
-
-<p>„Tantchen, darüber kann man den Verstand verlieren, auch wenn man davon
-mehr besitzt als ich! Heute bin ich fünfzehn Jahre elf Monate und zwei
-Tage, und heute wird schon ein Stück von mir auf<span class="pagenum"><a id="Seite_86"></a>[S. 86]</span>geführt, &mdash; ein Stück!
-Ich bin einer der frühzeitigsten Dramatiker, die es je gegeben hat.“</p>
-
-<p>„Mone, Du schnappst doch noch mal über,“ sagte Marie, die eben eintrat.</p>
-
-<p>Aber sie sagte das nicht mit dem grimmigen Ernst, den sie sonst ihrer
-Cousine gegenüber anwendete. Auch sie war freudiger Stimmung, in
-gespannter Erwartung auf die Ereignisse des Abends.</p>
-
-<p>Und dieser Abend versammelte eine fröhliche Menschenmenge im Hahndorfer
-Kasino.</p>
-
-<p>Wie bei allen Liebhaber-Aufführungen herrschte hinter den Kulissen ein
-lebhaftes Durcheinander.</p>
-
-<p>Violette behauptete, die Flügel der Phantasie würden nun und nimmer
-festsitzen, Erika jammerte, das Tänzerinnenkostüm sei viel kürzer, als
-sie es bestellt.</p>
-
-<p>Der Griechenjüngling fluchte, weil die Bänder seiner Sandalen immer
-wieder „von selbst aufgingen“, kurz, es herrschte Unruhe auf der ganzen
-Linie.</p>
-
-<p>Aber endlich erklangen die letzten Töne der Ouvertüre, die eine
-Rittmeistersgattin mit viel<span class="pagenum"><a id="Seite_87"></a>[S. 87]</span> gutem Willen und wenig Talent auf dem
-Flügel herunterhackte.</p>
-
-<p>Der Vorhang hob sich, das obligate entzückte „Ah“ der Zuschauer:</p>
-
-<p>Violette von Holl als Werthers Lotte, den Brotleib an den üppigen
-Busen gepreßt, umlagert von einer hungrigen Kinderschar &mdash; es waren
-sämtliche Kinder der Offiziersfamilien aufgeboten worden &mdash; in der Tür
-erscheinend Leutnant von Roßberg als Werther. Er machte ein entschieden
-unglückliches Gesicht. Ihm waren zu viel Kinder auf der Bühne. Er hatte
-nun mal eine unüberwindliche Abneigung gegen „Krabben“.</p>
-
-<p>Zu seinem Entsetzen wurde das Bild dreimal gezeigt.</p>
-
-<p>Der Oberst war ganz begeistert; er antizipierte bei dem lieblichen
-Anblick Großvaterfreuden.</p>
-
-<p>Dann ging es programmgemäß weiter. Die „griechische Frühlingsidylle“,
-besonders freudig von den Leutnants begrüßt, welche Hellrich schon seit
-Wochen mit seinem Griechenjüngling neckten.</p>
-
-<p>Dann Tasso und die Leonoren, &mdash; eine Tanzstunde im Biedermeierstil &mdash;,
-in mehr oder weniger<span class="pagenum"><a id="Seite_88"></a>[S. 88]</span> gelungener Darstellung wurden Szenen aus allen
-möglichen Kultur-Epochen vorgeführt.</p>
-
-<p>Endlich kam die große Pause, nach welcher Monikas Werk: „Die Brautwahl“
-steigen sollte.</p>
-
-<p>Die Autorin stand in der Kulisse, schon im Kostüm ihrer Rolle: ein
-weißes Batistkleid, die Haare in zwei dicke Hängezöpfe geflochten, mit
-großen, blauen Schleifen darin. Ihr Gesichtchen wollte trotz seiner
-Jugendlichkeit nicht ganz zu dem harmlosen Backfischstaat passen. Für
-einen Kenner lag schon zu viel Ausdruck in den langbewimperten, dunkeln
-Augen, zu viel Bewußtsein um den vollen, roten Mund.</p>
-
-<p>Monika markierte Sicherheit, sah unbeweglich zu, wie nun alles für die
-Szene arrangiert wurde.</p>
-
-<p>Herr von Roßberg, der neben ihr stand, ließ sich aber durch ihre äußere
-Ruhe nicht täuschen.</p>
-
-<p>„Die Angst, gnädiges Fräulein?! Was?!“</p>
-
-<p>Monika sah dem hübschen Adjutanten voll ins Gesicht.</p>
-
-<p>„Aber keine Spur! Ich bitte Sie, bei so einem Hauptakteur &mdash; &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_89"></a>[S. 89]</span></p>
-
-<p>Er verbeugte sich geschmeichelt.</p>
-
-<p>Und sie lachte ihn an mit blitzenden Zähnen.</p>
-
-<p>Es hatte sich aus den Proben ein kleiner Flirt zwischen den beiden
-entwickelt.</p>
-
-<p>Entschieden war Roßberg der amüsanteste und hübscheste der Leutnants.
-Daß er verheiratet war, störte Monika nicht. Im Gegenteil! Sie fand das
-„riesig pikant“. Und außerdem fand sie ihn „viel zu hübsch für seine
-Frau“.</p>
-
-<p>Ihr gefiel Frau von Roßberg nun mal in keiner Weise, und sie äußerte
-zu ihrer Cousine, Roßberg habe dieses grinsende Trudchen gewiß ihres
-Geldes wegen geheiratet.</p>
-
-<p>Marie war außer sich gewesen, hatte ihrer Freundin alle nur denkbaren
-Reize zugesprochen und behauptet, daß Roßberg seine Frau schon seit
-Jahren glühend liebe. Sie seien Nachbarskinder gewesen, und Trudchen
-sei Roßbergs erste, einzige und letzte Liebe.</p>
-
-<p>Monika hatte sehr interessiert zugehört, hatte dann, ungehindert
-durch irgendwelche Rücksichtnahmen, die sie als „Gefühlsduseleien“ zu
-bezeichnen pflegte, weiter mit Roßberg kokettiert, der ihr in seiner
-leichtsinnigen Art die Cour machte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_90"></a>[S. 90]</span></p>
-
-<p>Dieser Flirt wurde allseitig sehr harmlos aufgefaßt, selbst Frau
-Trudchen hatte nur ein amüsiertes Lächeln dafür. Die einzige, die
-die Neckereien zwischen Roßberg und Monika mit ernsthaftem Interesse
-verfolgte, war Marie. Mit lebhaftem Mißtrauen beobachtete sie jeden
-Blick ihrer Cousine, jedes Lächeln.</p>
-
-<p>So auch heute wieder, als Monika und Roßberg in den Kulissen plauderten.</p>
-
-<p>Von dem Platze aus, wo sie saß, konnte sie genau hören, was die beiden
-sich wieder zu erzählen hatten.</p>
-
-<p>„Bloß noch zehn Minuten bis zum Anfang, gnädiges Fräulein.“</p>
-
-<p>„Ja,“ ein Angstseufzer entrang sich, aller Selbstbeherrschung zum
-Trotze, Monikas Brust.</p>
-
-<p>„Und wir müssen doch noch üben, gnädiges Fräulein.“</p>
-
-<p>„Was denn üben?“</p>
-
-<p>„Na, den Kuß, den ich Ihnen zum Schlusse zu geben habe.“</p>
-
-<p>Monika lachte.</p>
-
-<p>„Theaterküsse brauchen nicht geübt zu werden.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_91"></a>[S. 91]</span></p>
-
-<p>„Wenn Sie ganz lieb bitten, gebe ich Ihnen einen echten statt so einen
-dummen Theaterkuß, Fräulein Monika.“</p>
-
-<p>„Oho, das sag’ ich Ihrer Frau.“</p>
-
-<p>„Können Sie dreist. Ich würde es doch nur tun, um Ihr Stück
-naturalistischer herauszubringen. Denken Sie, vielleicht hängt der
-Erfolg Ihres Werkes davon ab.“</p>
-
-<p>Monika lachte, lachte so ungezwungen und laut, wie sie es trotz aller
-Strafreden immer tat.</p>
-
-<p>„Wie wenn ein Füllen wiehert,“ hatten ihre Brüder immer gesagt.</p>
-
-<p>„Außerdem müssen Sie bedenken: solch verheirateter, alter Herr wie ich!
-Sie könnten ja meine Tochter sein, Fräulein Monika.“</p>
-
-<p>„Oho, ich werde nächsten Monat sechzehn.“</p>
-
-<p>„Und ich werde nächstes Jahr Oberleutnant!“</p>
-
-<p>„Ach, Sie Respektperson!“</p>
-
-<p>„Bin ich auch. Aus dreierlei Gründen. Erstens &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Lieber Herr von Roßberg, wenn Sie jetzt nicht bald aufhören zu
-erzählen, werden Sie heiser und<span class="pagenum"><a id="Seite_92"></a>[S. 92]</span> gefährden den Erfolg meines Stückes.
-Bitte, bitte, seien Sie still und essen Sie etwas Zuckerkand. Ich
-glaube, ich habe welchen mit &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>Sie begann eifrig in ihrer Tasche zu suchen.</p>
-
-<p>Indes trat Roßberg auf Marie zu und behauptete, der rote Stürmer stehe
-ihr famos.</p>
-
-<p>Marie antwortete dem Manne ihrer Freundin nicht mit der burschikosen
-Herzlichkeit, die sie sonst ihm gegenüber anschlug.</p>
-
-<p>Im Gegenteil! Sie wurde ironisch.</p>
-
-<p>„Die Rolle heute paßt Ihnen wohl, Herr von Roßberg, &mdash; &mdash; ein Held, der
-von so vielen Damen begehrt wird &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>Er schien gar keine Spitze zu fühlen.</p>
-
-<p>„Ja, entzückend,“ sagte er. „Sie haben ganz recht, die Rolle macht mir
-einen riesigen Spaß. Wenn nur das Auswendiglernen nicht wäre, &mdash; noch
-dazu Verse, gereimte Verse. Trude hat genug zu tun gehabt, mich zu
-überhören. So ganz tadellos geht’s immer noch nicht.“ &mdash; &mdash;</p>
-
-<p>„Wie war das doch, Poetessa,“ &mdash; er wandte sich zu Monika &mdash; „wie sage
-ich doch zu meinem Freunde:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_93"></a>[S. 93]</span></p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent2">Wenn ich Dich reden höre, alter Knabe,</div>
- <div class="verse indent2">So dünkt es mich wahrhaftig so, als ob</div>
- <div class="verse indent2">Auch ich Talent zum Ehemanne habe,</div>
- <div class="verse indent2">Denn ich bin phlegematisch, faul und grob &mdash;“</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Monika schrie beinahe vor Vergnügen. „O, Herr von Roßberg, so ist es
-famos, viel hübscher, als ich es gedichtet habe. Sagen Sie’s so! Ja?“</p>
-
-<p>„Ich werde mich schön hüten!“ erwiderte er ausdrucksvoll und ging
-seiner Gattin einen Schritt entgegen, die eben auf die Gruppe zukam.</p>
-
-<p>Sie war im Ballkleid, in ihrer Rolle als Salondame, und drehte sich
-beifallheischend einmal um ihre eigene Achse, &mdash; „wie ein Fixstern“,
-erläuterte ihr Gatte.</p>
-
-<p>Sie hatte ein creme Seidenkleid gewählt und trug rote Rosen am
-Ausschnitt.</p>
-
-<p>Sie fand ein freundliches Wort für Maries Anzug, ihre Hauptbewunderung
-aber spendete sie in ihrer offenen Art Monika. „Zu lieb sehen Sie aus,
-Fräulein von Birken. Ein süßes Backfischchen! Daß Sie die ganze Sache
-gedichtet haben, das kann man gar nicht glauben.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_94"></a>[S. 94]</span></p>
-
-<p>Graf Herckenstedt, der Regisseur, kam ganz aufgeregt angerannt und
-jammerte, daß wieder alles durcheinander laufe. Jetzt sei wieder
-Fräulein von Holl nicht zu finden. Dabei sah er aufmerksam in alle
-Ecken, als ob die große Violette sich in einer solchen verborgen haben
-könne.</p>
-
-<p>Er atmete förmlich erlöst auf, als Fräulein von Holls Walkürengestalt
-endlich auftauchte, im Schmucke der nun endlich sitzenden Flügel,
-„anzuschauen wie Zeppelin 3“, erklärte Roßberg.</p>
-
-<p>Ein Klingelzeichen &mdash; &mdash; noch einige Minuten heftiges Durcheinander,
-Reden, Fragen &mdash; &mdash; dann wieder ein Klingelzeichen, und der Vorhang
-hebt sich.</p>
-
-<p>Hellrich und Roßberg, beide in Litewka, beginnen ihren Dialog, und das
-Publikum lauscht gebannt den hübschen Versen. Nicht endenwollender
-Applaus am Schluß.</p>
-
-<p>Monika strahlt. Ein unendliches Wonnegefühl weitet ihr die Brust, füllt
-ihr die Adern zum Bersten.</p>
-
-<p>Das ehrgeizige Köpfchen glüht im Rausche des Erfolges. O, daß das Leben
-so schön sein kann... so schön...</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_95"></a>[S. 95]</span></p>
-
-<p>Dann kommt der Tanz.</p>
-
-<p>Monika fliegt von einem Arm in den andern. Schmeichelworte klingen ihr
-in die Ohren, Männerarme umfassen sie fest.</p>
-
-<p>Die welkenden Blumen an ihrem Ausschnitt duften schwül und süß, und
-die Walzermelodien hüllen alles in einen schillernden Schleier von
-Schönheit, von lachendem Leichtsinn.</p>
-
-<p>Der Leutnant von Roßberg tanzte an diesem Abend sehr oft mit Monika;
-als Hauptakteur prätendierte er besondere Rechte.</p>
-
-<p>Monika behauptete, daß er sie tyrannisiere.</p>
-
-<p>„Ich kann wirklich nicht mehr. Lassen Sie mir doch ein bißchen Ruhe.
-Ich bin so müde,“ jammerte Monika.</p>
-
-<p>„Dann werden wir diesen Tanz meinetwegen verplaudern.“</p>
-
-<p>Er zog ihre Hand durch seinen Arm und führte sie in eines der kleinen
-Rauchzimmer.</p>
-
-<p>Hier saßen zwei Fähnriche bei einer Flasche Sekt; sie hatten sich
-grollend hierher zurückgezogen, weil sie von den Damen „zurückgesetzt“
-und „niederträchtig behandelt“ worden waren.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_96"></a>[S. 96]</span></p>
-
-<p>Beim Eintritt des Regimentsadjutanten sprangen sie beide empor.</p>
-
-<p>Aber es kam noch schlimmer, als sie gedacht hatten.</p>
-
-<p>Roßberg machte ein geradezu entsetztes Gesicht:</p>
-
-<p>„Hier finde ich Sie also, meine Herren. Ist es möglich? Ist es denkbar?
-Das ist Deutschlands Jugend! Anstatt im rauschenden Ballsaal, gehorsam
-den Winken unserer Schönen, ergeben Sie sich hier dem stillen Suff!
-Schlemmen in egoistischer Weise! &mdash; An die Arbeit, meine Herren, an die
-Arbeit!“</p>
-
-<p>Er machte eine befehlende Geste, deren Autorität eines Napoleon würdig
-gewesen wäre.</p>
-
-<p>Die Fähnriche stoben davon.</p>
-
-<p>Roßbergs ernsthafte Miene wandelte sich in strahlende Heiterkeit.</p>
-
-<p>„Das haben wir fein gemacht. Was? So ist man wenigstens ungestört.“</p>
-
-<p>„Inwiefern störten Sie die Fähnriche?“ fragte Monika mit
-unschuldsvollen Augen.</p>
-
-<p>„Ach, das wissen Sie ja allein. Ihr Hauptdarsteller hat doch noch was
-nachzuholen.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_97"></a>[S. 97]</span></p>
-
-<p>„Was?“</p>
-
-<p>„Fräulein von Birken, ich bitte mir Offenheit aus. Sie wissen ganz
-genau, daß ich Ihnen bloß einen elenden Theaterkuß gegeben habe.
-Vorbeigeküßt habe ich. Ostentativ vorbeigeküßt! Das brauchen Sie sich
-nicht gefallen zu lassen!“</p>
-
-<p>Monika versuchte zu lachen.</p>
-
-<p>Aber sie lachte nicht so wie sonst.</p>
-
-<p>„Fräulein Monika, eine Belohnung haben Sie doch verdient,“ sagte er
-übermütig. Sein roter Mund mit dem kleinen, blonden Schnurrbart näherte
-sich bedenklich ihren Lippen.</p>
-
-<p>„Reden Sie doch nicht solchen Unsinn,“ stotterte Monika.</p>
-
-<p>„Nun, dann will ich ernsthaft sein. Die Belohnung habe <em class="gesperrt">ich</em>
-verdient.“</p>
-
-<p>Seine Lippen senkten sich auf die ihren.</p>
-
-<p>Und ohne Ueberlegung erwiderte sie seinen Kuß.</p>
-
-<p>Eine Minute später tanzten sie wieder im großen Saal.</p>
-
-<p>Und für den Rest des Abends wich ihr Roßberg nicht von der Seite. &mdash; &mdash;
-&mdash;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_98"></a>[S. 98]</span></p>
-
-<p>Als die Familie Holtz in Sarkow ankam, dämmerte schon fahlgrau der Tag
-herauf.</p>
-
-<p>Herr von Holtz beteuerte wie immer, daß es diesmal aber unbedingt das
-letztemal sei, daß er zu so einer verfluchten Tanzerei mitkomme.</p>
-
-<p>Monika war im Begriffe, sich auszuziehen, als zu ihrem Erstaunen laut
-an ihre Tür gepocht wurde und Marie erschien.</p>
-
-<p>Sie trug noch ihren Ballunterrock, hatte eine Nachtjacke angezogen
-und sah jämmerlich elend und bleichsüchtig aus in dem dämmerigen
-Tagesschein.</p>
-
-<p>Monika machte erstaunte Augen: „Was gibt’s denn?“</p>
-
-<p>„Das wirst Du gleich hören,“ sagte die Cousine in unheilverkündendem
-Tone.</p>
-
-<p>Dann schwieg sie wieder, stand da, lang und hager, und sah mit
-vernichtendem Blicke auf das rosige Mädel herab, das vor Schreck
-unfähig war, sich weiter auszuziehen.</p>
-
-<p>Beklemmendes Stillschweigen. Nur im Ofen knisterte es leise.</p>
-
-<p>„Na?“ fragte schließlich Monika halb schüchtern, halb trotzig.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_99"></a>[S. 99]</span></p>
-
-<p>„Sagt Dir Dein Gewissen nicht, warum ich komme?“</p>
-
-<p>Monika sah sie erstaunt an, blickte dann im Zimmer umher und wartete.</p>
-
-<p>Aber anscheinend regte sich ihr Gewissen nicht.</p>
-
-<p>Und so beantwortete sie die Frage ihrer Cousine mit einem „Nein“, dem
-man die Ehrlichkeit anhörte.</p>
-
-<p>„So?... Na, dann werde ich Dir mal zu Hilfe kommen. Also: ich habe
-alles gesehen.“</p>
-
-<p>„Was denn gesehen?“ fragte Monika.</p>
-
-<p>Eine heiße Röte überflammte ihr Gesicht.</p>
-
-<p>„Ich bin Dir nachgegangen, als Du Herrn von Roßberg aus dem Tanzlokal
-locktest.“</p>
-
-<p>Das Falsche der Anschuldigung gab Monika ihren Mut zurück.</p>
-
-<p>„Is ja gar nicht wahr.“</p>
-
-<p>Die hagere Cousine reckte sich noch gerader auf, wuchs förmlich in
-ihrer sittlichen Entrüstung.</p>
-
-<p>„Und dann habe ich gesehen, daß er Dich geküßt hat.“</p>
-
-<p>„Na, dann mache doch ihm Vorwürfe und nicht mir.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_100"></a>[S. 100]</span></p>
-
-<p>„Nur Dich trifft die Schuld. Ich weiß, wie Roßberg Trudchen liebt.
-Deine unpassende Koketterie ist an allem schuld, und Du solltest Dich
-schämen.“</p>
-
-<p>Und Monika schämte sich, ehrlich und glühend. Das süße Triumphgefühl,
-das sie gehabt: „Mein erster Kuß...“, die naive Zärtlichkeit, die sie
-in jenem Augenblick für den hübschen Leutnant empfunden &mdash; das alles
-wurde jetzt durch Maries grobe Worte vernichtet; es war, als ob eine
-zarte Blüte mit harten, roten Fingern zerpflückt wurde.</p>
-
-<p>Ein Frösteln überflog Monika. Sie verteidigte sich nicht.</p>
-
-<p>Sie stand regungslos da, einen starren Ausdruck in dem erblaßten
-Gesicht.</p>
-
-<p>Maries Sicherheit aber stieg durch Monikas Haltung ins Ungemessene.</p>
-
-<p>„Ja, ja, schäme Dich nur. Endlich machst Du das Armesündergesicht, das
-für Dich paßt... Ich habe Dir jedenfalls nur eins zu sagen: Du wirst
-übermorgen von hier wegfahren. Finde irgendeinen Vorwand &mdash; was, ist
-mir ganz gleichgültig. Aber weg mußt Du! Ich habe keine Lust, mich
-meiner eigenen Cousine zu schämen!“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_101"></a>[S. 101]</span></p>
-
-<p>„Aber ich kann doch nicht so ohne weiteres...“</p>
-
-<p>„Arrangiere das! Wenn Du übermorgen nicht fährst, benachrichtige ich
-Trudchen Roßberg von Deinem Benehmen und sage Mama, was ich gesehen
-habe.“</p>
-
-<p>Monika unterbrach kurz. „Ich werde fahren,“ sagte sie tonlos. „Sag’s
-Deiner Mama nicht. Die hab’ ich so lieb.“</p>
-
-<p>„Ah, Du bist Dir also ganz genau bewußt, wie Deine Handlungsweise war!“</p>
-
-<p>Da richtete sich Monika auf aus ihrer zusammengebrochenen Haltung.</p>
-
-<p>„Meine Handlungsweise? &mdash; Als ob ich überhaupt dabei eine
-Handlungsweise gehabt hätte! Ich habe &mdash; ich &mdash; ach, das war eben so
-ein Augenblick &mdash; aber <em class="gesperrt">Deine</em> Handlungsweise, mir so nachzuspüren
-...“</p>
-
-<p>„Bitte, keine Kritik,“ unterbrach Marie sie schneidend, „das wäre doch
-ein bißchen gar zu einfach für die leichtsinnigen Leute, wenn die nicht
-leichtsinnigen ... ihnen nicht nachspüren dürften!“</p>
-
-<div class="figcenter illowe5" id="gedankensprung1">
- <img class="w100" src="images/gedankensprung.jpg" alt="Gedankensprung" />
-</div>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_102"></a>[S. 102]</span></p>
-
-<p>Durch die dumpfe Stube der Liese klingt ein Weinen.</p>
-
-<p>„Ach, daß Du schon weggehst, Monchen...“</p>
-
-<p>„Na, Liese, besuchst uns mal in Berlin.“</p>
-
-<p>„Wird nich gehen, mein Trautstes. Wer soll denn für den Grün sorgen,
-für den Fritzchen, fürs Vieh und für die Ollsche?“</p>
-
-<p>„Laß Dich doch vertreten!“</p>
-
-<p>„Wird nich geh’n, Monchen. Fürs Vieh haben die andern nu schon gar kein
-Herz.“</p>
-
-<p>Dicke Tränen rollen ihr über das durchfurchte Gesicht.</p>
-
-<p>„Und grüß mir die Mamachen recht scheen. Und wenn sie wieder ein Paket
-schickt: der Kaffee war’s letztemal großartig &mdash; der Zucker auch &mdash;
-die vier Pfundchen waren ja bald weg &mdash; aber scheen war er &mdash; und denn
-ja nich wieder Nachtjacken, ich hab’ all genug &mdash; aber einen scheenen
-Unterrock mit een Volang.“</p>
-
-<p>„Wird bestellt, Liese.“</p>
-
-<p>„Und wenn Du wiederkommst, Monchen, komm mit ’nen recht forschen
-Bräutigam, das ist doch das scheenste auf der Welt...“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_103"></a>[S. 103]</span></p>
-
-<p>Der Abschied von Doktor Rodenberg gestaltete sich weniger tränenschwer.
-Er empfing Monika sogar ein wenig sarkastisch.</p>
-
-<p>„Na, lange nicht geseh’n. Die Hahndorfer Blauröcke lassen Dir wohl
-keine Zeit?... Was? Abschied nehmen? Du wolltest doch bis zum März
-bleiben.“</p>
-
-<p>Monika lachte verlegen. „Ich stehe mich mit Marie nicht sehr besonders.“</p>
-
-<p>„Kann ich mir lebhaft vorstellen, Kindchen. Also schon fort?“</p>
-
-<p>„Ach, und ich habe Sie so wenig gesehen, Doktor. Wie schade! So vieles
-wollte ich Sie fragen. Das ist so komisch mit mir! Ich möchte lernen,
-daß mir der Kopf raucht, alle schönen und alle großen Dinge möchte
-ich lernen &mdash; graben in den herrlichen und fruchtbaren Schächten der
-Weltgeschichte &mdash; die Pflanzen belauschen in ihrem Werden und Vergehen
-&mdash; den Tieren nachspüren, allen Tieren, bis hinab zu denen, die fast
-noch Pflanzen sind. Ach, lernen, immer mehr lernen! &mdash; Und dann wieder
-&mdash; dann lass’ ich alles im Stich, wenn ich bloß ein blaues Tüllkleid
-anprobieren soll und... und lass’ es gern<span class="pagenum"><a id="Seite_104"></a>[S. 104]</span> im Stich! Und auf dem
-Ball lache ich mit den Herren und finde alles gelehrte Zeug geradezu
-blödsinnig. Und... und bin auch dann so rasend glücklich! Ich weiß
-nicht, ich verstehe mich selbst nicht...“</p>
-
-<p>Sie brach ab.</p>
-
-<p>Der Doktor nahm ihr rosiges Gesicht in seine beiden Hände. Er
-betrachtete lächelnd die schönen Augen, den naiv-genußsüchtigen,
-hochgewölbten Mund.</p>
-
-<p>„Kind, wenn Du nicht so hübsch wärst, hätte aus Dir wahrhaftig was
-werden können,“ sagte er schließlich.</p>
-
-<p>„Aber das Hübschsein ist doch kein Hinderungsgrund für geistige
-Bedeutung?“ fragte Monika kampfbereit.</p>
-
-<p>„Doch Kind. Verträgt sich nicht miteinander. Das wirst Du schon noch
-sehen. Aphrodite und Pallas Athene haben sich nie leiden mögen.“</p>
-
-<p>„Und welcher soll ich folgen?“ fragte Monika ihn mit dem ganzen
-inbrünstigen Vertrauen ihrer Kinderjahre.</p>
-
-<p>Er lachte kurz auf.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_105"></a>[S. 105]</span></p>
-
-<p>„Du hast Dir einen schlechten Ratgeber ausgesucht. Ich hab’ mir selbst
-nicht raten können.“</p>
-
-<p>Es war ein so bitterer Ton in seiner Stimme, daß Monika einen
-Augenblick sich selbst vergaß, einen Augenblick den jugendlichen
-Egoismus, der sich selbst das Interessanteste ist, beiseite ließ.</p>
-
-<p>Ein heißes Mitgefühl blitzte in ihren Augen auf.</p>
-
-<p>„Ja, Doktor, es ist doch eigentlich sonderbar, daß Sie Ihr Leben hier
-so vertrauern. So rasend klug wie Sie sind und gebildet! Sie könnten
-doch eine Rolle spielen, könnten in großem Maßstabe wirken für die
-Allgemeinheit!“</p>
-
-<p>Er lächelte höhnisch.</p>
-
-<p>„Wenn mir die Allgemeinheit bloß nicht so verdammt gleichgültig wäre!“</p>
-
-<p>„Oh!“</p>
-
-<p>„Sieh mal, Kind, ich hab’ in meinen Brausejahren ja auch die Welt aus
-den Angeln heben wollen. Und zum Arzt war ich gewiß nicht gemacht.
-Ohnmächtig hingeschlagen bin ich, als ich das erstemal in den
-Seziersaal kam. Alles in mir hat sich aufgebäumt gegen den Anblick von
-Gebresten und<span class="pagenum"><a id="Seite_106"></a>[S. 106]</span> Tod. Zu meiner Mutter bin ich hingestürzt: ‚Umsatteln!
-Ich will nicht Medizin studieren. Literaturhistoriker.‘ &mdash;</p>
-
-<p>Na, die Antwort hättest Du hören sollen! Arzt werden sei ein
-Brotstudium, und das habe sie als Witfrau doch wohl um mich verdient,
-daß ich sie in absehbarer Zeit ernähre. Na, schön, ich habe
-nachgegeben. Man gewöhnt sich ja auch. Aber man sieht bei diesem Beruf
-zu sehr, was für ein armseliges Ding der Mensch ist! Und um nicht
-verrückt zu werden über all den gräßlichen Bildern, hab’ ich mich in
-die Philosophie geflüchtet, habe mich in die seltsamen, narkotischen
-Philosophien des Ostens vertieft: China und Indien.“</p>
-
-<p>Er starrte träumerisch geradeaus.</p>
-
-<p>Da traf Monikas Antwort sein Ohr. „Feig’ ist das!“</p>
-
-<p>Wie ein Schlachtruf klang’s. „Feig’! Sein Leben zu verträumen und
-verdösen in solch künstlicher Gemütsruhe. Wie ein Sumpf ist das. Ich
-aber will raus, raus in die See! Und wenn ich tausend blutige Schmerzen
-haben werd’, so werd’ ich auch tausend brennende Freuden haben! Und
-werd<span class="pagenum"><a id="Seite_107"></a>[S. 107]</span>’ leben, es in allen Adern fühlen, das herrliche, blutrote Leben!“</p>
-
-<p>Ihre Hände hatten sich zu Fäusten geballt. Eine so heiße Welle von
-Kraft ging von ihr aus, daß sie zu dem müden Manne hinüberstrahlte,
-seine Nerven aufzucken ließ in sekundenlangem Leben.</p>
-
-<p>„Hättest früher kommen sollen, Mone. Bist zwanzig Jahre zu spät geboren
-für mich. Viel früher hättest Du kommen sollen.“</p>
-
-<p>Es war ein dumpfer Klang in seiner Stimme.</p>
-
-<p>Und dann breitete er beide Arme aus und drückte sie fest an sich: „Leb’
-wohl, Mone. Adieu, Kätzchen. Wenn Du wiederkommst, bin ich wohl nicht
-mehr da.“</p>
-
-<p>„Oh!“ schrie sie erschreckt auf.</p>
-
-<p>„Stille. Sehr lange spielt mein Herz wohl nicht mehr mit. Der edle
-Alkohol wird ihm zu viel. Stille, Kind! Eines lehren meine weisen
-Freunde aus dem Osten: anständig zu sterben...“</p>
-
-<p>Monika war so erschüttert über diesen letzten Besuch bei Doktor
-Rodenberg, daß ihr der Abschied von Sarkow nicht so fühlbar wurde, wie
-sie geglaubt. Sie wollte von hier aus zu einer Schwester ihrer<span class="pagenum"><a id="Seite_108"></a>[S. 108]</span> Mutter,
-um dort noch einige Zeit zu bleiben, ehe sie nach Hause zurückkehrte.</p>
-
-<p>Herr und Frau von Holtz nahmen sehr herzlich von ihr Abschied.</p>
-
-<p>Marie begleitete ihre Cousine zur Bahn. Sie hatte sich das selbst
-ausbedungen. Es war, als ob sie immer noch Angst hätte, daß Monika
-dableiben könne.</p>
-
-<p>„Na, denn komm nur, Du Gefangenwärter,“ rief ihr Monika, die schon im
-Schlitten saß, zu.</p>
-
-<p>Die Pferde zogen an. Leicht glitt der Schlitten über den blendenden
-Schnee, und die Glocken klingelten hell.</p>
-
-<p>Die einförmige Fahrt wurde durch kein Gespräch unterbrochen. Schweigend
-saßen die Cousinen nebeneinander.</p>
-
-<p>Ein paar Kilometer vor Neustadt wurde die tote, weiße Landschaft
-lebendig.</p>
-
-<p>Eine Schwadron Dragoner kam daher.</p>
-
-<p>Monikas Züge hellten sich auf. Sie lachte vergnügt den Soldaten zu, die
-ihr bewundernde Blicke zuwarfen, indes sie langsam an dem Schlitten
-vorbeizogen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_109"></a>[S. 109]</span></p>
-
-<p>Die Offiziere grüßten.</p>
-
-<p>Als letzter kam Roßberg, der sofort seinen Trakehner anhielt.</p>
-
-<p>„Sie reisen?“ fragte er erstaunt.</p>
-
-<p>„Ja,“ sagte Monika mit einer Schmollmiene, deren Koketterie Marie
-innerlich rasen ließ.</p>
-
-<p>„Wie schade!“</p>
-
-<p>„Ja, schade. Aber ich muß fort.“</p>
-
-<p>Er sah ihr mit herzlichem Bedauern in die Augen:</p>
-
-<p>„Kommen Sie bald wieder. Wir werden uns alle sehr freuen.“</p>
-
-<p>Ein Händedruck &mdash; und er sprengte hinter den anderen her.</p>
-
-<p>Monika streifte mit einem Seitenblick das zornrote Gesicht ihrer
-Cousine. Eine plötzliche Empörung wallte in ihr auf gegen ihren
-unerbittlichen „Gefangenwärter“.</p>
-
-<p>Trotzig warf sie den Kopf ins Genick und pfiff laut vor sich hin:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent2">„Muß i denn &mdash; muß i denn</div>
- <div class="verse indent2">Zum Städtle ’naus</div>
- <div class="verse indent2">Und du, mein Schatz, bleibst hier...“</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_110"></a>[S. 110]</span></p>
-<p>Der Erfolg trat prompter ein, als sie erwartet.</p>
-
-<p>Marie stieß mit geballten Händen einen unartikulierten Zorneslaut durch
-die Zähne. Und durch die klare Luft kam deutlich das Echo aus dem Munde
-des davongaloppierenden Reiters &mdash; so lockend klang’s:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent2">„Muß i denn, muß i denn</div>
- <div class="verse indent2">Zum Städtle ’naus &mdash;</div>
- <div class="verse indent2">U &mdash; und &mdash; du &mdash; mein Schatz...“</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<div class="figcenter illowe10" id="kapitelende3">
- <img class="w100" src="images/kapitelende.jpg" alt="Kapitelende" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_111"></a>[S. 111]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Kapitel_4">4.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="dc" id="p085initial_b">
- <img class="illowe6" src="images/p085initial.jpg" alt="„H" />
-</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">H</span>einzemännchen...“</p>
-
-<p>Der Angeredete, der, in ein Buch vertieft, in einem roten Plüschsessel
-saß, gab ein unwilliges Grunzen von sich.</p>
-
-<p>Aber Frau von Birken ließ nicht locker. „Heinzemännchen, willst Du den
-Kalbsbregen mit oder ohne Sardellen gekocht?“</p>
-
-<p>„Mit!“ sagte Heinzemännchen energisch und versank von neuem in sein
-Gedichtbuch. Lyrik war seine Passion.</p>
-
-<p>Frau von Birken, deren zierlich schlanker Erscheinung und deren
-hübschem Gesicht mit den blühenden Farben man ihre siebenunddreißig
-Jahre nicht anmerkte, setzte sich auf die Armlehne des Sessels und
-küßte das storre, braune Haar ihres Lieblingssohnes.</p>
-
-<p>„Wieder in Poesie aufgegangen, mein Heinzichen? Was hast Du denn da?
-Den Eichendorff.<span class="pagenum"><a id="Seite_112"></a>[S. 112]</span> Ach, himmlisch. Und wie Du gleich wieder so was
-Schönes herausgefunden hast...“</p>
-
-<p>Sich über das Buch beugend, las sie:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent2">„Denkst du noch jenes Abends, still vor Sehnen &mdash;</div>
- <div class="verse indent2">Als wir das letztemal im Park beisammen?“...</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Sie las diese Zeilen mit pathetischer Betonung, indes sie begeistert
-den Kopf hin und her bewegte.</p>
-
-<p>Heinzemännchen grunzte. Er war heute in trübsinniger Gemütsstimmung und
-gar nicht dazu aufgelegt, seine poetischen Empfindungen mit der Mutter
-zu teilen.</p>
-
-<p>„Was hast Du heute eigentlich, mein Einzigstes? Wieder Aerger in der
-Schule? Nein? &mdash; Das Mittagessen hat Dir doch geschmeckt? &mdash; Der
-Schmorbraten war doch wirklich gut, und die grünen Erbsen so weich. Was
-hast Du denn? &mdash; Heinzi, sag’s doch.“</p>
-
-<p>Der Knabe stöhnte tief auf; er klappte schmerzlich die Lider halb über
-die braunen Augen und sagte:</p>
-
-<p>„Eine schwere Jugend habe ich &mdash; sehr, sehr schwer.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_113"></a>[S. 113]</span></p>
-
-<p>„Aber, Liebling, warum? Ich tue Dir doch alles zuliebe.“</p>
-
-<p>„Eine schwere Jugend,“ wiederholte Heinrich, „seit Papas Tode ruht
-alles auf meinen Schultern.“</p>
-
-<p>„Heinzchen!“</p>
-
-<p>„Ja, es ist doch aber so. Alles auf meinen Schultern. Denke Dir das
-Verantwortungsgefühl, das ich habe! Wie ich auf die andern aufpassen
-muß! Karls Leichtsinn gibt mir viel zu denken. Und Monika &mdash; Gott,
-Monika ist meine schwerste Sorge.“</p>
-
-<p>„Sie ist doch ein sehr gutes Mädchen, Heinzemännchen.“</p>
-
-<p>„Ja, aber sie hat so gefährliche Anlagen. Das schreibt auch Deine
-Schwester Kläre...“</p>
-
-<p>Heinrich zog ein Portefeuille heraus und entnahm diesem einen Brief.</p>
-
-<p>„Ach, an mich...“</p>
-
-<p>„Ja, Mama, ich vergaß, es Dir zu sagen. Aber es ist nichts Eiliges; ich
-habe ihn schon gelesen. Eine Charakteristik Monikas...“</p>
-
-<p>Frau von Birken nahm ihrem Sprößling den Brief hastig aus der Hand und
-begann zu lesen:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_114"></a>[S. 114]</span></p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>
-
-„Liebe Mali,<br />
-</p>
-
-<p>Deine Bitte, Dir genau mitzuteilen, wie Monika sich hier bei
-uns macht, erfülle ich gern. Nach allem, was Du mir von ihr
-geschrieben, bin ich nicht ohne Besorgnis gewesen, sie bei uns
-aufzunehmen. Leider hat unsere Tochter Bertha schon sowieso nicht
-den Ernst, welcher nötig ist, um die wissenschaftliche Laufbahn
-einzuschlagen, für welche ich sie bestimmt habe. Bertha findet
-einstweilen an kindischen Vergnügungen: Schlittschuhlaufen,
-Tanzstunde usw. viel zu viel Vergnügen. &mdash; Sie bereitet sich jetzt
-unter Leitung meines Mannes auf das Abiturium vor. Leider weiß
-sie das Opfer, das ihr Vater ihr bringt, indem er ihr so viel von
-seiner Zeit widmet, die doch durch seinen verantwortungsvollen
-Beruf als Oberlehrer schon so sehr in Anspruch genommen ist, nicht
-genügend zu würdigen.</p>
-
-<p>Offen gestanden, ich habe sehr gefürchtet, daß Monika, wie Du sie
-mir geschildert hast, einen ungünstigen Einfluß auf Bertha ausüben
-würde &mdash; um so mehr, als sie gerade aus Sarkow kam.</p>
-
-<p>Du weißt: Deine Schwägerin, Frau von Holtz, nötigt mir nicht gerade
-hervorragende Achtung<span class="pagenum"><a id="Seite_115"></a>[S. 115]</span> ab. Sie ist so recht eine Frau von der alten
-Schule &mdash; ohne jedes Verständnis für die ungeheure Bewegung, die
-sich seit Jahrzehnten in der Frauenwelt vollzieht.</p>
-
-<p>Sie erzieht auch ihre Tochter in tadelnswert unmoderner Weise, hat
-das dringende Bestreben, Marie bald zu verheiraten, lehrt ihre
-Tochter, in der Heirat das Endziel jeden Frauendaseins zu sehen.
-Ich weiß das alles von Monika, welche ja leider für ihre Tante
-Holtz sehr viel Zuneigung entfaltet.</p>
-
-<p>Entschieden hat Frau von Holtz auf Monika nur verderblich gewirkt.
-Als Deine Tochter ankam, schwärmte sie uns vor von dem blauen
-Ballkleide, das ihre Tante ihr hatte arbeiten lassen &mdash; denke Dir:
-dekolletiert! &mdash; meiner Meinung nach sehr ungeeignet für solch
-junges Mädchen.</p>
-
-<p>Ich möchte Dir auch nicht verhehlen, liebe Mali, daß Frau von Holtz
-Deiner Monika wie auch ihrer Tochter Marie vor den Bällen das
-Gesicht mit Reispuder gepudert hat &mdash; eine Handlungsweise, die sich
-zu sehr charakterisiert, als daß ich sie näher bezeichnen möchte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_116"></a>[S. 116]</span></p>
-
-<p>Erfreulicherweise wird Monika sich nicht dauernd von diesen
-frivolen Ratschlägen beeinflussen lassen.</p>
-
-<p>Mit Dank und Verständnis nimmt sie es auf, wenn ich ihr klarmache,
-daß es nicht das Lebensziel einer modernen Frau sein darf, hübsch
-auszusehen und liebenswürdig zu sein, sondern daß es der innere
-Wert ist, der eine Frau zu dem Vollmenschen gestaltet, den unsere
-Zeit verlangt.</p>
-
-<p>In unserem Bekanntenkreise gefällt Monika ganz ausgezeichnet.
-Gestern kamen mir in unserem Damenklub sehr schmeichelhafte
-Aeußerungen über sie zu Ohren. So sagte mir z. B. die Frau Geheime
-Baurat Wegener: „Ihre Nichte ist wirklich ein äußerst interessantes
-Mädchen.“ Andererseits kann ich Dir nicht verhehlen, liebe Mali,
-daß Deine Tochter auch gefährliche Anlagen besitzt...“</p></div>
-
-<p>„Da hörst Du’s,“ unterbrach Heinzemännchen in bedeutungsschwerem Tone.</p>
-
-<p>Mit ängstlichen Augen las die Baronin weiter.</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„Erstens: Monika ist adelsstolz. So oft, wie ich ihr schon
-auseinandergesetzt habe, daß nicht<span class="pagenum"><a id="Seite_117"></a>[S. 117]</span> ererbter Adel eine Zierde des
-Menschen ist, sondern einzig und allein nur der Adel der Bildung &mdash;
-sie scheint mir nicht überzeugt zu sein.</p>
-
-<p>Auch benutzt sie Briefpapier mit ostentativ großer Krone. Ferner
-zeigt sich bei ihr oft ein Hang zur Oberflächlichkeit, der die
-Freude an dem sonstigen Hochstand ihres geistigen Niveaus nicht
-ungetrübt erscheinen läßt.“</p></div>
-
-<p>„Sogar sehr oberflächlich,“ bestätigte Heinzemännchen mit
-mißbilligendem Kopfnicken &mdash; „gefährliche Eigenschaften hat sie.“</p>
-
-<p>Eine Sorgenfalte grub sich in seine schmale Stirn.</p>
-
-<p>Er hätte sich wohl des weiteren über seine Schwester ausgelassen,
-wenn nicht die Tür aufgerissen worden wäre. Karl, der jüngste Bruder,
-stürmte herein.</p>
-
-<p>„Mamachen, bitte, eine Stulle mit Wurst.“</p>
-
-<p>„Aber Karl, das ist die elfte heute.“</p>
-
-<p>„Dafür habe ich auch kein Mittag gegessen.“</p>
-
-<p>„Das ist es ja eben. Du verdirbst Dir den Appetit mit dem ewigen
-Butterbrotgestopfe. Du<span class="pagenum"><a id="Seite_118"></a>[S. 118]</span> kriegst aber auch nicht eine einzige Stulle
-mehr,“ schalt die Mutter und verfügte sich mit bewunderungswürdiger
-Konsequenz in die Küche, um die verlangte Stulle herzustellen.</p>
-
-<p>Karl zog mit seiner Beute triumphierend ab, und Heinrich versank wieder
-in die grünen Waldgründe Eichendorffs.</p>
-
-<p>Frau von Birken aber verblieb einstweilen in der Küche. Sie hatte
-sich in ein Gespräch mit Martha, dem hübschen „Mädchen für alles“,
-verwickelt.</p>
-
-<p>Die Baronin hegte eine glühende Anteilnahme für das Geschick aller
-Dienstboten, die sie je gehabt, sowie überhaupt für alle Angehörigen
-der unteren sozialen Schichten, die sie mit dem Sammelnamen: „die armen
-Leute“ zu bezeichnen pflegte.</p>
-
-<p>In Sarkow war keine Tagelöhnerfamilie gewesen, in welcher die Baronin
-nicht jeden einzelnen Sprößling beschenkt hätte, und hier in Berlin
-widmete sie ihr Interesse den Portierfamilien sämtlicher Häuser,
-in denen sie schon gewohnt; es waren ihrer eine ganze Anzahl, denn
-länger als ein Jahr wohnte Frau von Birken in der Regel nicht in einer
-Wohnung. Warum sie so oft wechselte, wußte sie<span class="pagenum"><a id="Seite_119"></a>[S. 119]</span> übrigens selbst nicht:
-sie war mit der jeweiligen Wohnung immer sehr zufrieden. Aber wenn der
-Kündigungstermin näher rückte, wurde sie nervös &mdash; vielleicht würde
-eine neue Wohnung doch noch schöner sein?</p>
-
-<p>Es war wohl besser, zu kündigen. Und so schnell würde ja die bisher
-innegehabte Wohnung auch nicht vermietet werden: wenn man nichts
-Besseres fand, konnte man ja immer noch bleiben. Also, sie kündigte.</p>
-
-<p>Die Folge davon war, daß die jetzige Wohnung oft schon längst einen
-Mieter gefunden, wenn Frau von Birken sich noch gar nicht für eine neue
-entschieden hatte.</p>
-
-<p>Sie tat das gewöhnlich erst einen Tag vor dem Umzug, zu welch letzterem
-dann keine „Ziehleute“ mehr aufzutreiben waren. Ein &mdash; zwei Tage
-schwebte die Baronin dann in wahrer Verzweiflung, wußte nicht aus noch
-ein. Aber wenn dann der Umzug endlich vor sich gegangen &mdash; meistens
-wurde dabei viel zerbrochen und beschädigt &mdash; glätteten sich die Wogen
-der Erregung bald. Die neue Wohnung wurde entzückend gefunden, bis im
-nächsten Jahre dasselbe Spiel von neuem wieder begann.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_120"></a>[S. 120]</span></p>
-
-<p>Zu ihren Dienstboten verhielt sich Frau von Birken gerade wie zu ihren
-Wohnungen: sie fand sie begeisternd, aber sie wechselte sehr gern.</p>
-
-<p>Uebrigens verabschiedete sie sie nie aufs Ungewisse hin.</p>
-
-<p>Mit geradezu rührender Sorgfalt suchte sie ihnen neue Stellungen aus,
-erließ diesbezügliche Annoncen und schrieb ihnen Zeugnisse, nach denen
-die Mädchen von hervorragenden Eigenschaften geradezu strotzten.</p>
-
-<p>Die jetzige war natürlich auch wieder eine Perle. Und wie nett sie
-zu erzählen wußte! Frau von Birken nahm lebhaften Anteil an den
-Schwankungen des Liebesverhältnisses, das Martha mit einem Schutzmann
-unterhielt. Die Herrin debattierte stundenlang mit dem Mädchen über die
-Frage, ob Otto sich zur Heirat entschließen würde oder nicht. Er konnte
-doch eine Frau ernähren bei der schönen Anstellung, die er hatte. Aber
-ob ihm zu trauen war?</p>
-
-<p>„Nehmen Sie sich nur in acht, Martha.“</p>
-
-<p>Gestern war er also wirklich nicht zu dem verabredeten
-Sonntags-Rendezvous gekommen? &mdash;<span class="pagenum"><a id="Seite_121"></a>[S. 121]</span> Das war doch entschieden sehr
-auffallend. Nun, vielleicht dienstlich verhindert?</p>
-
-<p>„Aber er hätte jedenfalls schreiben können.“</p>
-
-<p>Die beiden waren so in dieses passionierende Gespräch vertieft, daß sie
-das Läuten an der Korridortür überhörten.</p>
-
-<p>Erst als Heinrich grämlich hereinrief, daß wohl erst die Klingel
-abgerissen werden solle, ehe sich Martha zum Oeffnen entschlösse, lief
-die letztere zur Tür.</p>
-
-<p>Frau von Birken hörte ihren erstaunten Aufschrei. Gleich darauf wurde
-die Tür aufgerissen &mdash; zwei Arme schlangen sich um den Hals der
-Baronin, ein ungestümer Mund preßte sich auf den ihren: Monika.</p>
-
-<p>Die Mutter war zu überrascht, um Worte zu finden, aber Heinrich, der,
-seinen Eichendorff fest unter den Arm geklemmt, sich in der Küchentür
-sehen ließ, sagte ahnungsbang:</p>
-
-<p>„Du wirst wohl wieder was Nettes angestellt haben, Mone.“</p>
-
-<p>Monika ließ sich den brüderlichen Pessimismus nicht sehr zu Herzen
-gehen; sie umarmte den jungen Melancholiker freudestrahlend:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_122"></a>[S. 122]</span></p>
-
-<p>„Heinzemännchen, Du siehst schon wieder so lebensüberdrüssig aus wie
-ein asthmatischer Mops. Freust Du Dich denn nicht, daß ich wieder da
-bin? Oder belastet schon wieder die Verantwortung für mein Betragen
-Deine schwachen Schultern? Heinzemännchen, beruhige Dich &mdash; ich habe
-immer noch weder Wechsel gefälscht, noch einen Leutnant entführt.“</p>
-
-<p>Frau von Birken fand nun endlich Worte. „Was hast Du bloß für einen
-komischen Umhang um?“ fragte sie und strich erstaunt über die
-kapuzinerbraune Umhüllung aus schwerem Loden, welche Monika trug.</p>
-
-<p>„Das? &mdash; Ein Geschenk von Tante Kläre &mdash; ein ausrangiertes von ihr. Sie
-sagt: ‚Frauen, die Toiletten-Luxus treiben, sind keine Vollmenschen.‘
-&mdash; Da ich aber zu einem solchen erzogen werden sollte...“</p>
-
-<p>„O, Mone, Mone...“</p>
-
-<p>„So bin ich ausgerückt. Hurra, hurra, hurra!“ Monika warf ihre geliebte
-Pelzmütze in die Luft. „Martha, was zu essen, aber viel und gut! Ist
-was in der Speisekammer? Nein? Na, natürlich &mdash; wie<span class="pagenum"><a id="Seite_123"></a>[S. 123]</span> gewöhnlich. Gehen
-Sie bloß schnell was holen: Leberwurst und Semmeln und Butter und zwei
-Zuckerkringel &mdash; ich bin ganz verhungert.“</p>
-
-<p>Martha eilte fort, und Frau von Birken sagte mißbilligend: „Mone,
-wieder so materiell! Gleich in der ersten Minute des Wiedersehens ans
-Essen zu denken...“</p>
-
-<p>„Und Du hast in der ersten Minute nur an meinen Umhang gedacht, an
-den braunen Umhang. Wir nehmen uns nichts, Mamachen. Du denkst an die
-Kleidung, ich ans Essen &mdash; fürs Epikureische sind wir alle beide, Gott
-sei Dank.“</p>
-
-<p>„Ach, Mone, Du bist genau wie immer,“ klagte Frau von Birken, indes sie
-ihrer Tochter ins Eßzimmer folgte. „Und ich hatte gedacht, Du würdest
-Dich geändert haben. Gerade von Tante Kläre habe ich Einfluß auf Dich
-erwartet.“</p>
-
-<p>„Ach, es ist komisch, Mamachen, es hat eigentlich niemand Einfluß auf
-mich. Ich habe so andere Ansichten. Die würde ich ja gern ändern,
-wenn mich irgend jemand durch Argumente überzeugen könnte. Aber was
-die andern sagen, das ist nie stichhaltig: das zerfetze ich mit ein
-paar Worten.<span class="pagenum"><a id="Seite_124"></a>[S. 124]</span> &mdash; Wenn mich irgend jemand überzeugen könnte, mir eine
-Direktive geben &mdash; <span class="antiqua">mais je ne demande pas mieux</span>.“</p>
-
-<p>„Nun sage lieber bloß schon gleich, was Du angestellt hast,“ sagte das
-geliebte Heinzemännchen trocken.</p>
-
-<p>„Was ich angestellt habe? Ach, gar nichts. Bloß daß sich der Doktor
-Schelling in mich verliebt hat.“</p>
-
-<p>„Aha, ein Mann,“ bemerkte Heinrich.</p>
-
-<p>„Na &mdash; sozusagen,“ erwiderte Monika gedehnt. „Er ist kleiner als ich
-und schmäler als ich, und außerdem hinkt er auf dem linken Fuß...“</p>
-
-<p>„Mone, Deine Art, auf Aeußerlichkeiten Gewicht zu legen, ist
-schrecklich: ich kenne den Doktor Schelling &mdash; ein sehr geistreicher,
-feinsinniger Mann...“</p>
-
-<p>„Aber, Mama, wie er aussieht &mdash; direkt verboten!“</p>
-
-<p>„Mone, Du wirst wieder gemütsroh. Wo Du das nur herhast? Wenn ich so
-denke: das Gemüt, das <em class="gesperrt">ich</em> habe! Bei meinem Gemüt, Mone...“</p>
-
-<p>„Gott sei Dank hab’ ich das nicht geerbt, Mama. Aber um auf den Doktor
-Schelling zurückzukommen: der ist Tante Kläres Seelenfreund, Partisan
-der<span class="pagenum"><a id="Seite_125"></a>[S. 125]</span> Frauenbewegung natürlich. &mdash; Großartig, was sich die beiden jeden
-Tag zwischen fünf und sechs zu erzählen haben. Bertha und ich wurden
-dann immer mitzugezogen, um zu modernen Mädchen, zu Vollmenschen
-heranzureifen; ‚neue Horizonte eröffnen‘, nannte das Doktor Schelling.“</p>
-
-<p>„Und Du hast Dich gewiß unpassend benommen?“</p>
-
-<p>„Aber keine Spur! Reizend war ich, direkt niedlich. Ich habe sogar
-Goethe zitiert, den ich doch eigentlich nicht ausstehen kann. Natürlich
-Leonore &mdash; natürlich:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent2">‚Ich höre gern, wenn kluge Männer reden,</div>
- <div class="verse indent2">Daß ich verstehen lerne, wie sie’s meinen...‘“</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Frau von Birken atmete erleichtert auf.</p>
-
-<p>„Wahrhaftig, Du warst nicht ungezogen?“</p>
-
-<p>„Aber im Gegenteil! Ich war so artig, daß sich der gute Hinkepot in
-mich verliebte. Er hat bei Tante um meine Hand angehalten. Ich wußte
-gar nichts davon: mir hat er gar nichts gesagt &mdash; bloß, daß ich schöne
-Augen hätte und entzückende Hände und so. &mdash;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_126"></a>[S. 126]</span></p>
-
-<p>Aber Tante hat mir, als sie mir seinen Antrag übermittelte, einen
-kolossalen Krach gemacht: nur durch meine Koketterie und meinen Hang
-zur Frivolität hätte ich den großartigen, ernsthaften Doktor Schelling
-zu solch einer Dummheit verleitet &mdash; zu der Dummheit, einen völlig
-unerzogenen Backfisch heiraten zu wollen, der überhaupt gar kein
-Vollmensch wäre! &mdash;</p>
-
-<p>Und als ich dann der Tante sagte, ich dächte gar nicht daran, ihn zu
-heiraten, weil er so häßlich wäre und weil ich keinen Bürgerlichen
-möchte, da wurde sie erst recht böse und sagte, ich wäre ohne jeglichen
-Fond! Na, das wurde mir schließlich zu viel. Das brauche ich mir
-nicht gefallen zu lassen. „Ohne jeglichen Fond.“ Da kommt man sich ja
-schließlich zu dumm vor. &mdash; Also, da bin ich ausgerückt. Geld hatte ich
-bloß sehr wenig. Da bin ich dritter Klasse gefahren. Scheußlich! &mdash;
-Unterwegs hat mir ein Pferdehändler gesagt, er möchte sich gern mit mir
-verloben.“</p>
-
-<p>„Mone!“</p>
-
-<p>„Mamachen, keinen Verzweiflungsausbruch! Ich habe doch gar nichts
-getan. Was kann ich dafür,<span class="pagenum"><a id="Seite_127"></a>[S. 127]</span> wenn sich Leute in mich verlieben? &mdash;
-Ah, da kommt Martha mit der Leberwurst. Leberwurst und zum Dessert
-Zuckerkringel. Der alte ehrliche Wagner hat doch recht:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent2">‚Es gibt ein Glück, das ohne Reu’!‘“</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<div class="figcenter illowe5" id="gedankensprung2">
- <img class="w100" src="images/gedankensprung.jpg" alt="Gedankensprung" />
-</div>
-
-<p>Am Abend war die ganze Familie um den großen Tisch im Eßzimmer
-versammelt. Sogar Alfred war erschienen, Alfred, der sonst seine Abende
-außerhalb des Hauses zubrachte, vage Erklärungen für sein Fernbleiben
-gab, die niemand ihm glaubte, seine Mutter am wenigsten.</p>
-
-<p>Sie war von einem beständigen Mißtrauen gegen Alfred erfüllt. Für
-diesen ältesten Sohn hatte sie nie viel übrig gehabt &mdash; von seiner
-Geburt an nicht.</p>
-
-<p>Warum, war ihr selbst unklar.</p>
-
-<p>Doch Alfreds Verhalten ließ ihren Mangel an Zuneigung oft recht
-gerechtfertigt erscheinen; er war alles andere eher als ein guter
-Charakter. Er war bei allen, die ihn kannten, seiner Boshaftigkeit
-wegen<span class="pagenum"><a id="Seite_128"></a>[S. 128]</span> gefürchtet; es gab kaum ein größeres Vergnügen für ihn, als
-seine Bekannten gegenseitig aufeinanderzuhetzen. Er lernte ungern, war
-faul und genußsüchtig &mdash; dabei unleugbar von glänzender Begabung. Doch
-diese Begabung hatte etwas merkwürdig Partielles. In vielen Fächern
-leistete er absolut nichts, in anderen war er unübertrefflich. Er war
-ein mißtrauischer Charakter, der bei allen anderen Böses witterte,
-mitunter aber überraschte er durch einen Zug von Gutmütigkeit.</p>
-
-<p>Auch seine äußere Erscheinung wies kein einheitliches Gepräge auf.
-Sein kräftiger Körperbau und seine breiten Schultern ließen auf
-einen hochgewachsenen Menschen schließen, aber er erreichte kaum das
-Mittelmaß.</p>
-
-<p>Mit seinem Gesicht konnte er dagegen zufrieden sein. In der Tat war
-dieses Gesicht sehr schön &mdash; alle Züge von vollendeter Regelmäßigkeit.
-Er hatte kalte, blaue Augen und einen üppig geschwungenen, auffallend
-roten Mund, dessen Inkarnat noch leuchtender erschien durch den dunkeln
-Flaum auf der Oberlippe.</p>
-
-<p>Mit der Mutter stand Alfred in sehr gespannten Beziehungen, mit den
-Geschwistern kühl.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_129"></a>[S. 129]</span></p>
-
-<p>Ueber Monikas Kommen heute hatte er anscheinend auch keine Freude
-empfunden.</p>
-
-<p>Heinzemännchen dagegen war es angenehm, daß Monika da war. Nun konnte
-er ihr wieder Lyrik vorlesen.</p>
-
-<p>Monika ärgerte ihn nicht wie die Mama dadurch, daß sie seine
-Deklamationen unterbrach, selbst die Verse vollendete, und noch dazu
-mit falschen Versfüßen.</p>
-
-<p>Heute abend kam er zu Monika mit Eichendorff, den er eben „entdeckt“
-hatte.</p>
-
-<p>Mit tiefem Gefühl und übertriebener Betonung las er ihr vor, jenes
-schönste:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent2">„Denkst du noch jenes Abends, still vor Sehnen,</div>
- <div class="verse indent2">Als wir das letztemal im Park beisammen?</div>
- <div class="verse indent2">Wild standen rings des Abendrotes Flammen,</div>
- <div class="verse indent2">Ich scherzte wild &mdash; du lächeltest durch Tränen.</div>
- <div class="verse indent2">Ob du die Mutter auch belogst, betrübtest &mdash;</div>
- <div class="verse indent2">Was andre Leute drüber deuten, sagen &mdash;</div>
- <div class="verse indent2">Sonst scheu &mdash; heut’ magst du nicht nach allem fragen,</div>
- <div class="verse indent2">Mir einzig zeigen nur, wie du mich liebtest...“</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_130"></a>[S. 130]</span></p>
-<p>„Da siehst Du’s, Heinzemännchen,“ jubelte Monika: „‚Ob du die Mutter
-auch belogst, betrübtest &mdash; was andre Leute drüber deuten, sagen‘...
-Da siehst Du’s! Das ist alles schnuppe, wenn man liebt. So beim Lesen
-findest Du’s sehr schön, und wenn ich in Wirklichkeit so wäre...“</p>
-
-<p>„Laß Dir das nicht einfallen,“ grunzte Heinzemännchen, plötzlich aus
-seinen poetischen Himmeln gerissen.</p>
-
-<p>Alfred warf seiner Schwester einen Blick zu. Er sprach kein Wort. Aber
-dieser eiskalte Blick war eine schärfere Drohung als seines Bruders
-Worte.</p>
-
-<p>Karl kaute unbekümmert weiter an seiner Stulle. Frau von Birken
-aber sagte ganz erregt: „Mone, ich bitte Dich, nicht immer solch
-exzentrische Redensarten. Laß doch das endlich &mdash; mir zuliebe...“</p>
-
-<p>„Dir zuliebe?“ fragte Monika gedehnt. Sie warf den Kopf ins Genick:
-„Ich lebe doch für mich &mdash; nicht bloß Dir zuliebe, Mama. Man ist doch
-nicht bloß dazu da, um so zu sein, wie es zufällig gerade der Geschmack
-der betreffenden Eltern ist.“</p>
-
-<p>„Nettes Früchtchen,“ sagte Alfred spöttisch zur Mutter.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_131"></a>[S. 131]</span></p>
-
-<p>Und Heinrich sagte strafend:</p>
-
-<p>„Wenn man Dich so anhört, man sollte es rein nicht für möglich halten.“</p>
-
-<p>„Ach, Ihr heuchelt bloß wieder, Jungens. Lebt Ihr denn der
-Mama zuliebe? Wenn Alfred für achtzig Mark Schulden macht im
-Zigarrengeschäft und Heinrich sich verbotene Bücher kauft und Karl den
-ganzen Zucker stibitzt &mdash; na, ich will ja gar nichts gegen Euch reden.
-Mir ist das alles egal. Ich bin froh, wenn Ihr mich zufrieden laßt.
-Aber das ist nicht zu leugnen, daß Ihr Euch selbst zuliebe lebt! Und
-das tun überhaupt alle Menschen!“</p>
-
-<p>„Mone, wie Du das sagen kannst, mir sagen kannst, bei meinem Gemüt!“
-entrüstete sich Frau von Birken. „Meine ganze Jugend habe ich Euch
-hingeopfert. Immer bin ich im Kinderzimmer gewesen, auch als Ihr zwei
-Gouvernanten gleichzeitig hattet: Miß Smith, die liebe Person, und
-Mademoiselle Marguerite, das entzückende Mädchen.... Ich &mdash; habe ich
-je mir selbst zuliebe gelebt? Habe ich je an mich selbst gedacht? &mdash;
-Wo gibt es noch eine Mutter, die ihre Kinder so verwöhnt hätte wie
-ich, sie so gestopft &mdash; ja geradezu gestopft mit Leckerbissen &mdash; und
-mit Euch gespielt hab’ ich und mit<span class="pagenum"><a id="Seite_132"></a>[S. 132]</span> Euch gelernt. &mdash; Und das habt Ihr
-auch gewußt. Ja, als Ihr klein wart, wart Ihr noch dankbar. Gebrüllt
-habt Ihr, wenn ich auf Bälle ging &mdash; Euch an mein Kleid geklammert,
-damit ich dableiben solle... Das cremeseidene mit der griechischen
-Stickerei hast Du mir direkt entzweigerissen, Mone, als Du fünf Jahre
-alt warst, an dem Abend, als ich zum Regimentsball nach Hahndorf
-wollte... Und Heinzemännchen wollte sich direkt aus dem Fenster
-stürzen, aus der ersten Etage in Sarkow, als wir in großer Gesellschaft
-einen Schlittenausflug unternahmen ... Gott, wie heute weiß ich es
-noch! Ich war gerade im Begriff, in den Schlitten zu steigen &mdash; einen
-grauen Samtmantel hatte ich an mit Chinchillabesatz, und ein kleines
-Barett, wie es damals neueste Mode war &mdash; außer mir trug es noch
-niemand im ganzen Kreise. &mdash; Und Herr von Schmettwitz bietet mir die
-Hand zum Einsteigen &mdash; und plötzlich wird in der ersten Etage ein
-Fenster aufgerissen, und auf dem Fensterbrett steht Heinzemännchen und
-schreit... schreit, daß mir die Ohren gellen: er spränge runter, wenn
-ich ihm nicht verspräche, dazubleiben. &mdash; Ach Gott, den Augenblick
-vergesse ich nicht, und wenn ich hundert Jahre alt werde! Ich<span class="pagenum"><a id="Seite_133"></a>[S. 133]</span> rufe und
-schreie: ja, ja, ich bleibe! &mdash; Aber Heinzchen beugt sich noch weiter
-vor. &mdash; Und Euer Papa wie ein Sturmwind die Treppe hinauf und reißt den
-Jungen in seine Arme. Hauen wollte er ihn! Aber das habe ich natürlich
-nicht erlaubt! Und weil ich doch natürlich den Ausflug nicht versäumen
-wollte, habe ich Heinzchen mitgenommen. Ach, wie süß er aussah in
-seinem blauen Mäntelchen mit dem echten Persianerkragen... Ja, so
-geliebt habt Ihr mich! &mdash; Und jetzt ist das der Dank. Daß Mone solche
-Sachen sagt und mich des Egoismus bezichtigt...“</p>
-
-<p>„Aber, Mama, ich habe doch nichts von Dir gesagt, sondern daß die
-Menschen im allgemeinen...“</p>
-
-<p>„Dann hättest Du mich wenigstens davon ausnehmen sollen. Wenn Du Euch
-so charakterisiert hast, dagegen kann ich ja gar nichts einwenden. Ihr
-seid auch alle egoistisch! Nicht einer, der mein Gemüt geerbt hätte!“</p>
-
-<p>Aufseufzend warf die zierliche Frau einen Blick in die Runde,
-betrachtete die vier Gestalten mit den breiten Schultern, dem
-trotzigen, kurzen Genick &mdash; sah auf die üppigen Münder, hinter denen
-die blanken Zähne lauerten, sah in die vier jungen<span class="pagenum"><a id="Seite_134"></a>[S. 134]</span> Augenpaare, in
-denen der trotzige Spruch geschrieben stand:</p>
-
-<p>„Mir selbst zuliebe!“</p>
-
-<p>Wildpflanzen waren sie alle vier! &mdash; Schon in ihrer zarten Jugend waren
-die Birkenschen Kinder bekannt gewesen für ihre Ungezogenheit.</p>
-
-<p>Der Baron hatte die Erziehung seiner Sprößlinge völlig seiner Frau
-überlassen: er selbst war vollauf damit beschäftigt gewesen, das
-Grandseigneur-Leben zu führen, das er liebte.</p>
-
-<p>Er war seinerzeit als wenig begüterter Junker bei den Hahndorfer
-Dragonern eingetreten; trotz seiner geringen Zulage hatte er von allen
-Herren des Regiments am elegantesten gelebt.</p>
-
-<p>Er hatte Glück. Gerade als seine Schulden anfingen, bedenklich zu
-werden, starb sein Onkel, der kinderlose Besitzer von Sarkow, der einst
-ihm, dem Verwaisten, Vormund gewesen und ihm nun Sarkow vererbte.</p>
-
-<p>Er hatte sich sofort zur Reserve überführen lassen. Der Dienst hatte
-ihm, der einen starken Hang zur Bequemlichkeit hatte, nie viel
-Freude gemacht. Es war mehr die Tradition seiner Familie als innere<span class="pagenum"><a id="Seite_135"></a>[S. 135]</span>
-Notwendigkeit gewesen, die ihn zum Soldaten gemacht.</p>
-
-<p>So hatte er denn ganz gern den bunten Rock mit dem Frack vertauscht,
-den er an lustigen Abenden in Monte Carlo, Spa, Trouville und Biarritz
-trug.</p>
-
-<p>Johann Birken war fast zwei Jahre auf Reisen gewesen, ehe er sich
-persönlich der Verwaltung seines Gutes widmete.</p>
-
-<p>Er fand Sarkow sehr langweilig &mdash; so langweilig, daß er auf die Idee
-verfiel, sich zu verheiraten.</p>
-
-<p>Er verliebte sich bei einem Aufenthalt in der Landeshauptstadt in die
-Tochter eines dortigen Universitätsprofessors: die schöne Mali.</p>
-
-<p>„Die schöne Mali“ hieß hauptsächlich darum so, weil ihre Schwestern gar
-so häßlich waren.</p>
-
-<p>Vier Schwestern hatte sie, die waren unsinnig gebildet, und es ging
-die Sage von ihnen, daß sie ihrem Vater bei den schwierigsten Arbeiten
-halfen, daß sie Latein und Griechisch redeten wie ihre Muttersprache.</p>
-
-<p>Von diesem klassisch gebildeten Hintergrund hob sich die schöne Mali
-doppelt wirkungsvoll ab.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_136"></a>[S. 136]</span></p>
-
-<p>Statt der philosophischen Gelehrsamkeit besaß sie schöne, dunkle Augen
-und einen leichten Sinn.</p>
-
-<p>Neben dem blassen Teint der Schwestern wirkten ihre blühenden Farben
-desto schöner; neben der Schwestern knochiger Größe nahm sich ihre
-zierliche, geschmeidige Figur doppelt graziös aus &mdash; kurz, man konnte
-sich keine vorteilhaftere Folie denken für die schöne Mali.</p>
-
-<p>Baron Birken, der seinen stark ausgeprägten Adelsstolz auf seinen
-Reisen, inmitten der internationalen Milieus, zum großen Teile
-abgestreift hatte, hielt kurz entschlossen um des Professors schöne
-Tochter an.</p>
-
-<p>Achtzehn Jahre war sie alt, hübsch, temperamentvoll, nicht unbemittelt
-&mdash; kurz, diese Liebesheirat schien ihm außerdem nicht unvernünftig.</p>
-
-<p>Die Ehe war alles in allem weder glücklich noch unglücklich zu nennen
-gewesen.</p>
-
-<p>Der Baron ärgerte sich oft über den Hang zur Unordnung, den seine
-Frau hatte; sie besaß ein geradezu hervorragendes Talent, ihre Sachen
-durcheinander zu werfen und zu verlegen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_137"></a>[S. 137]</span></p>
-
-<p>Mitunter fand er Mali auch reichlich kokett und äußerte dann seine
-Mißbilligung in harten Worten. Aber ihr jugendlicher Charme, ihre
-liebenswürdige Gemütsart versöhnten ihn immer bald wieder.</p>
-
-<p>Mali hatte sich in ihrer Ehe oft „unverstanden“ gefühlt.</p>
-
-<p>Ihr Mann besaß so sehr wenig geistige Bedürfnisse, besaß auch
-nicht „so viel Gemüt“, wie sie es gewünscht hätte. In ihren ganzen
-Lebensanschauungen gingen die Eheleute sehr auseinander.</p>
-
-<p>Die liberalen Ansichten, die Mali aus ihrem Vaterhause mitgebracht,
-stimmten schlecht zu den Meinungen des Gatten, der &mdash; wenn auch nicht
-in extremer Weise &mdash; durchaus konservativen Anschauungen huldigte.</p>
-
-<p>Doch gab es Punkte, in welchen die beiden in ihren Gesinnungen durchaus
-zusammentrafen: sie hatten beide einen sehr ausgeprägten Sinn für
-Gastfreundschaft, liebten Gesellschaften und rauschende Vergnügungen &mdash;
-Luxus jeder Art.</p>
-
-<p>Da bei ihnen diese Anlagen durch keinerlei Selbstdisziplin gezähmt
-wurden, so hatte es nicht lange<span class="pagenum"><a id="Seite_138"></a>[S. 138]</span> gedauert, bis ihre wirtschaftlichen
-Verhältnisse sich verschlechterten.</p>
-
-<p>Die Jeu-Leidenschaft des Barons beschleunigte den pekuniären Abstieg,
-und schließlich hatte Birken froh sein müssen, als ihm sein Schwager,
-Herr von Holtz, das total überschuldete Sarkow für einen anständigen
-Preis abkaufte.</p>
-
-<p>Mit dem kleinen Kapital, das sich als Ueberschuß ergeben, ging’s
-nun der Großstadt zu, dem Schlachtfelde, auf dem die schwankenden
-Existenzen siegen oder verderben.</p>
-
-<p>Der Baron Birken war keine Siegernatur gewesen, wenn es arbeiten hieß.
-Er gehörte zu den Leuten, denen man alle guten Eigenschaften zubilligt,
-solange sie im Besitz von Stellung und Vermögen sind.</p>
-
-<p>Wenn sie auf den Höhen des Lebens stehen, scheinen diese Leute in eine
-Waffenrüstung gekleidet, geschützt und umpanzert, bewehrt und bewaffnet
-mit gutem Stahl, aber das sind Turnierwaffen, glänzende Nichtigkeiten,
-machtlos wie Pappschwerter, wenn es kein Turnier mehr gilt, sondern
-eine Schlacht, die Schlacht des hartgrinsenden Lebens.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_139"></a>[S. 139]</span></p>
-
-<p>Was half es Birken, daß er ein ausgezeichneter Reiter war, wenn er sich
-um eine Stellung als Versicherungsinspektor bewarb? &mdash;</p>
-
-<p>Was halfen ihm seine tadellosen Manieren, als er dem Chef, der den
-Posten eines Disponenten zu vergeben hatte, gestehen mußte, daß er von
-Buchführung keine Ahnung hatte? &mdash;</p>
-
-<p>Was half ihm seine Gentleman-Gesinnung, als er nach „Branchekenntnis“
-gefragt wurde bei dem Schuhwarenfabrikanten, der einen gut bezahlten
-Vertrauensposten zu vergeben hatte? &mdash;</p>
-
-<p>Die blanken Waffen des Barons Birken waren Kinderspielzeug, als die Not
-ihn rief. Und er ergab sich, war besiegt, ohne sich gewehrt zu haben,
-&mdash; ein gebrochener Mann!</p>
-
-<p>Seine schönen Hände mit den rosigen, manikürten Fingerspitzen waren
-nicht von jenen, die zupacken mit tödlich sicherem Griff, waren
-nicht von jenen, die sich zu trotzig willensstarken Fäusten ballen.
-Schöne Hände waren es, schöne, nutzlose Hände, nur gemacht, um einen
-Pferdezügel zwischen den Fingern zu fühlen, ein paar Kartenblätter zu
-halten, Goldstücke zu verstreuen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_140"></a>[S. 140]</span></p>
-
-<p>Und diese schönen Hände lernten es, sich zusammenzukrampfen in Not, in
-tatenloser Verzweiflung.</p>
-
-<p>Es stand schlecht um die Familie.</p>
-
-<p>Mali jammerte von früh bis spät. Was sie aber nicht verhinderte, oft
-recht glücklich zu sein. Oft trug sie ihr Leichtsinn über Abgründe
-hinweg, in denen andere schaudernd versinken.</p>
-
-<p>Wohl strengte sie oft ihre Lungen in geradezu übermäßiger Weise an, um
-ihren Mann an seine Pflicht zu erinnern: „Du mußt aufstehn, Johann.
-Glaubst Du, Du bekommst eine Stellung, wenn Du jeden Tag bis ein
-Uhr im Bett liegst?! Du mußt doch für uns sorgen!! Ich laufe immer
-noch mit dem Kleid vom Frühjahr herum, und Alfred und Heinzemännchen
-klagen, der Lehrer hätte sie schon zum zweiten Male nach dem Schulgeld
-gefragt...... O Gott, wie soll das alles noch enden?“</p>
-
-<p>Eine Antwort war ihr auf diese Frage nicht zuteil geworden. Herr von
-Birken war weniger expansiv als seine Frau. Was er gelitten haben
-mochte in der ihn demütigenden Rolle des Bittstellers, das wußte
-niemand. Das Leben, das er führte, hatte ihn bald<span class="pagenum"><a id="Seite_141"></a>[S. 141]</span> mürbe gemacht:
-sein willensschwacher Charakter hielt nicht stand, &mdash; sein Charakter
-verkümmerte wie ein Baum, den man der Heimatserde entrissen.</p>
-
-<p>Dann kam eine Lebensperiode, die Frau Mali als Aufschwung bezeichnete:
-der Baron Johann von Birken-Sarkow hatte eine Stellung als
-Sektreisender gefunden. Er war blaß wie Kalk, als er seiner Frau diese
-Neuigkeit mitteilte. Seine Zähne waren so fest zusammengekrampft, daß
-sich die Worte nur mit Mühe zwischen ihnen Bahn brachen.</p>
-
-<p>Aber das hatte Frau Mali nicht bemerkt. Sie war ganz begeistert, &mdash;
-eine so berühmte Firma &mdash; &mdash; ein so reichliches Gehalt! &mdash;</p>
-
-<p>Gott sei Dank, nun würden die bösen Tage vorüber sein. Mit der kleinen
-Rente, die man aus dem Schiffbruch gerettet, ließ es sich doch auch gar
-zu schlecht leben.</p>
-
-<p>Aber Mali war, wie so oft, zu hoffnungsfreudig gewesen. Ihr Mann, der
-früher immer ärgerlich jeden solchen „Sektfritzen“ abgewiesen, ohne ihn
-zu Worte kommen zu lassen, war nicht die geeignete Persönlichkeit, um
-nun selber die andern zum Kaufen anzuregen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_142"></a>[S. 142]</span></p>
-
-<p>Die Firma hielt ihn einige Zeit wegen seines klingenden Namens, seiner
-vornehmen Erscheinung, aber schließlich kam der Tag, an welchem sein
-Chef ihn darauf aufmerksam machte, daß seine Gesundheit vielleicht
-diesem Reiseleben nicht gewachsen sei. Herr von Birken bat darauf um
-seine Entlassung.</p>
-
-<p>Und dann ging es schnell abwärts. Eine schwere Nierenkrankheit
-ruinierte diesen mächtigen Körper.</p>
-
-<p>Mali entfaltete in der Leidenszeit ihre besten Eigenschaften, mit
-aufopfernder Sorgfalt und unermüdlicher Hingabe pflegte sie den
-Schwerkranken.</p>
-
-<p>Wieder trat ihre seltsame Charaktereigenschaft zutage: hauptsächlich
-die Leute gut zu behandeln, denen es recht schlecht ging.</p>
-
-<p>Ueber den Ernst der Krankheit war sie sich nie ganz klar; sie jammerte
-zwar über ihr schweres Los, aber an eine Lebensgefahr dachte sie nicht.</p>
-
-<p>Die Kinder wurden in dieser Zeit etwas vernachlässigt; es blieb
-wirklich keine Zeit, um sich mit ihnen zu beschäftigen. Alfred wurde
-aus dem Kadettenkorps, in dem er nur wenige Monate zuvor aufgenommen
-worden war, zurückgeschickt. Sein störrischer Charakter, sein Mangel an
-Autoritäts<span class="pagenum"><a id="Seite_143"></a>[S. 143]</span>glauben hatten es den Erziehern ratsam erscheinen lassen,
-ihn aus dem Korps zu entfernen.</p>
-
-<p>Zu Hause zeigte er sich verschlossen und seltsam wie immer, dazu
-unbotmäßig gegen die Mutter, die ihm ja nie weder Liebe noch Respekt
-eingeflößt hatte.</p>
-
-<p>Monika, die bis dahin ein sehr herzliches Verhältnis zur Mutter
-gehabt, in regstem Gedankenaustausch mit ihr gestanden, begann nun
-geistig eigene Wege zu gehen, schwelgte in Gedankengängen, deren heiße
-Phantastik ihrer Entwicklung Gefahren bot.</p>
-
-<p>Heinrich wurde noch verschlossener, als er es schon gewesen, und
-Karl bildete seine hervorragende Begabung fürs Lügen noch weiter
-aus. Er „schwänzte“ oft mehrmals wöchentlich die Schule, fand immer
-neue Entschuldigungsgründe dem Lehrer sowie der Mutter gegenüber,
-und blickte bei seinen haarsträubendsten Lügen mit so taubenhaft
-unschuldigen Augen und so gleichmäßig rosigen Wangen in die Welt, daß
-man ihm immer wieder glaubte.</p>
-
-<p>In dieser Atmosphäre von Krankenstubenluft und wirtschaftlichem
-Rückgang begann eine böse Saat aufzukeimen in den vier jungen Seelen.
-Zwischen diesem langsam sterbenden Vater, dessen tiefe Apathie mitunter
-durch aufflackernde Wutanfälle<span class="pagenum"><a id="Seite_144"></a>[S. 144]</span> unterbrochen wurde, und der fahrigen
-Mutter mit den ewig mädchenhaften Bewegungen und dem Mangel an
-Selbstdisziplin wuchsen diese vier Kinder empor, schossen in Blüte wie
-Unkraut.</p>
-
-<p>Es war keine Faust über ihnen, die mit sicherem Griff ihr Leben in
-gebahnte Gleise gelenkt hätte. Sie gingen ihre eigenen Wege. Ihre
-Wünsche durchsetzend um jeden Preis, begannen sie ihr Leben zu leben
-einfach und brutal, jung und genußsüchtig...</p>
-
-<div class="figcenter illowe10" id="kapitelende4">
- <img class="w100" src="images/kapitelende.jpg" alt="Ende des Kapitels" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_145"></a>[S. 145]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Kapitel_5">5.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="dc" id="p145initial">
- <img class="illowe6" src="images/p145initial.jpg" alt="D" />
-</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">D</span>ie ersten Tage nach Monikas Rückkehr konnte sich Frau von Birken nicht
-dem großen Einfluß entziehen, den ihre Tochter auf sie ausübte. Keines
-ihrer anderen Kinder war von so strahlender Lebenslust erfüllt wie
-Monika, keines der anderen hatte eine so amüsante Art.</p>
-
-<p>Trotzdem stand in den Gefühlen der Mutter Heinrich unbedingt obenan.</p>
-
-<p>Monika erhielt den zweiten Platz, in weitem Abstande folgte Karl und in
-unmeßbarer Distanz Alfred.</p>
-
-<p>Die Lieblingskinder hatten Vorrechte, die den anderen nie zuteil
-wurden. Frau von Birken machte da die merkwürdigsten Unterschiede:
-Heinzemännchen bekam ein gutes Frühstück ans Bett, Monika ein
-weniger reichhaltiges auch ans Bett, Karl mußte aufstehen, bevor er
-frühstückte, und für Alfred wurden überhaupt keine Umstände gemacht.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_146"></a>[S. 146]</span></p>
-
-<p>Seitdem jetzt Monika zurückgekehrt, hatte die Mutter viel Zeit für sie.
-Wenn die Jungen vormittags im Gymnasium waren, setzte sich Frau von
-Birken oft zu ihrer Tochter ans Bett. Monika war im Gegensatze zu ihrer
-Mutter, die sich schon um sieben Uhr früh im Haushalt beschäftigte, nur
-schwer zum Aufstehen zu bewegen. Arbeit im Haushalt war ihr vollends
-verhaßt.</p>
-
-<p>Frau von Birken hielt ihr diese beiden Punkte ihres Betragens täglich
-in tadelnder Weise vor, aber sie erreichte nicht das mindeste damit;
-sie wußte auch eigentlich ganz genau, daß das alles in den Wind
-gesprochen war. Aber das hielt sie nicht davon ab, Monika jeden Morgen
-dieselben Vorwürfe zu machen.</p>
-
-<p>„Was soll bloß aus Dir werden?! Wenn ich ein so großes Mädchen wäre,
-ich würde mich schämen, faul im Bette zu liegen, wenn meine Mutter
-arbeitet. Ich kann mir überhaupt gar nicht vorstellen, was aus Dir
-werden soll. Mit der Schule bist Du jetzt fertig, &mdash; heiraten wirst Du
-nicht, &mdash; heutzutage heiratet man kein armes Mädchen. Mehr als eine
-ganz kleine Rente das Jahr kann ich Dir nicht mitgeben. Der Papa hat
-so wenig hinterlassen;<span class="pagenum"><a id="Seite_147"></a>[S. 147]</span> wenn er nicht so hoch versichert gewesen wäre,
-könnten wir jetzt Hunger leiden. Und mit dem winzigen Zuschuß, den
-ich Dir geben kann, findest Du keinen Mann. Hübsch bist Du auch nicht
-besonders &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Ohh &mdash; &mdash; &mdash;,“ flehte Monika, „ohh &mdash;“</p>
-
-<p>„Nein, wenn ich denke, wie ich aussah, als ich in Deinem Alter war, &mdash;
-Du bist gar nicht schlank genug für ein junges Mädchen, &mdash; ich habe
-heute noch zehn Zentimeter Taillenweite weniger als Du, und Du bist
-auch nicht bescheiden genug für ein junges Mädchen. Nein, ein wirklich
-hübsches junges Mädchen muß ganz anders aussehen: große, fragende
-Kinderaugen muß es haben.“</p>
-
-<p>„Na, groß sind doch meine Augen genug!“</p>
-
-<p>„Ja, aber keine fragenden Kinderaugen! &mdash; Und ein kleines, kleines
-Mündchen muß ein schönes junges Mädchen haben und eine schlanke Taille
-und einen bescheidenen Gesichtsausdruck.“</p>
-
-<p>„Nur die Lumpe sind bescheiden!“</p>
-
-<p>„Mone, wende den Goethe bloß nicht immer so entsetzlich falsch an.
-Also: hübsch bist Du nicht. Klug, &mdash; ja, das will ich nicht leugnen.
-Du bist sehr<span class="pagenum"><a id="Seite_148"></a>[S. 148]</span> begabt, Du mußt das Hauptgewicht auf Deine geistige
-Ausbildung legen, &mdash; zur Hausfrau hast Du auch kein Talent.“</p>
-
-<p>„Ich möchte Schriftstellerin werden.“</p>
-
-<p>„Kind, Du hast doch einen förmlichen Größenwahn. Sieh mich an: ich bin
-doch Deine Mutter, &mdash; na, und bin zwanzig Jahre älter als Du, und mir
-ist es nicht einmal gelungen, gedruckt zu werden. Vierzehnmal habe ich
-Manuskripte abgeschickt &mdash; und alle, alle habe ich sie zurückbekommen.
-Das einzige, was je von mir gedruckt worden ist, ist ein Küchenrezept,
-&mdash; &mdash; und da willst Du Schriftstellerin werden?! Wo ich so viel mehr
-Gemüt habe als Du &mdash;“</p>
-
-<p>„Gemüt ist literarisch gar nicht mehr modern,“ versicherte Monika.</p>
-
-<p>„Ach, man weiß wirklich nicht, was man mit Dir anfangen soll,“ klagte
-die Mutter weiter, „um die Jungen ist mir ja nicht angst, das hat der
-Papa auch schon immer gesagt: „um meine Söhne ist es mir nicht angst,
-aber um Monika.“ &mdash; Ja, mit Mädchen hat man seine liebe Not. Am besten
-wäre es vielleicht, Du würdest studieren.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_149"></a>[S. 149]</span></p>
-
-<p>„Aha, Tante Kläres Prinzipien,“ bemerkte die Tochter.</p>
-
-<p>„Ich will gar nicht leugnen, daß Kläre Einfluß auf mich hat. Sie ist
-riesig klug, die klügste von uns Schwestern. Sie weiß ganz genau, was
-sie tut, wenn sie ihre eigene Tochter studieren läßt. Und so begabt
-wie Bertha bist Du noch lange. Ich bin sogar überzeugt, daß Du noch
-leichter lernst.“</p>
-
-<p>„Liebe Mama, soll ich studieren, um zu beweisen, daß ich leichter lerne
-als Bertha? Oder hast Du noch einen anderen Grund, um mir zum Studieren
-zu raten?“</p>
-
-<p>„Aber, Kind, ich habe Dir doch eben alles lang und breit
-auseinandergesetzt: Du hast mehr geistige als körperliche Vorzüge, Du
-hast wenig Chance, Dich zu verheiraten. Das Studium sichert Dir eine
-geachtete gesellschaftliche Position. ‚Fräulein Doktor‘ ist doch ganz
-was anderes, als wenn Du womöglich simple Gouvernante wirst. Irgend was
-wirst Du doch tun müssen. Der Papa hätte es ja natürlich nicht gewollt,
-&mdash; er hätte es „unstandesgemäß“ gefunden, &mdash; aber ich habe solche
-Vorurteile nicht. Ich bin eine moderne Frau! Ich gehe mit der Zeit
-mit.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_150"></a>[S. 150]</span></p>
-
-<p>„Und mit Tante Kläre &mdash; &mdash;,“ sagte Monika ironisch.</p>
-
-<p>Die Anregung der Mutter ging ihr lebhaft im Kopf herum.</p>
-
-<p>Zunächst einmal war sie tief gekränkt, daß die Mutter ihr Aeußeres
-so ungünstig beurteilt; die anderen Leute fanden sie doch hübsch,
-sagten ihr das in unverblümter Weise. Was das Studieren anbetraf, so
-war sie nicht etwa abgeneigt, die Wünsche ihrer Mutter zu erfüllen.
-Bei ihrem lebhaften Wissensdurst, ihrer Freude am Lernen wäre ihr das
-Studienprojekt geradezu ideal erschienen, wenn sie nicht eine lebhafte
-Abneigung gegen den Begriff der „Studentin“ gehabt hätte. Sie selbst
-kannte gar keine studierende Frau, sondern hatte sich aus Witzblättern
-und aus Redensarten, die sie gehört, eine Art Zerrbild der Studentin
-geschaffen, die sie sich mit kurz geschnittenen Haaren, männlichen
-Allüren und in uneleganter Kleidung vorstellte. Immerhin hatte sie
-keine Einrede, als sie eines Tages von ihrer Mutter ersucht wurde, mit
-ihr zu Fräulein Doktor Stark zu kommen.</p>
-
-<p>Fräulein Doktor Stark war die Begründerin und Leiterin der
-Mädchen-Gymnasial-Kurse, in denen<span class="pagenum"><a id="Seite_151"></a>[S. 151]</span> Damen zum Abiturienten-Examen
-vorbereitet wurden.</p>
-
-<p>Monika war unsympathisch berührt von dem scharfen Blick der grauen
-Augen. Dazu kam der schneidende Tonfall, in welchem das Fräulein Doktor
-ihre knappen Fragen stellte.</p>
-
-<p>„Ihr Name?“</p>
-
-<p>„Freiin Monika von Birken.“</p>
-
-<p>„Alter?“</p>
-
-<p>„Sechzehn.“</p>
-
-<p>„Bisheriger Bildungsgang?“</p>
-
-<p>„Ich habe die Töchterschule von Fräulein von Zieritz absolviert.“</p>
-
-<p>„Als <span class="antiqua">prima omnium</span>,“ fiel Frau von Birken ein, mit liebenswürdig
-verlegenem Lächeln; sie hatte vor dem gestrengen Fräulein Doktor viel
-mehr Angst als Monika.</p>
-
-<p>Fräulein Doktor Stark würdigte die Baronin nicht einmal eines
-Seitenblicks.</p>
-
-<p>„Wie denken Sie über die Stellung der Frau im gegenwärtigen Leben?“
-inquirierte sie Monika weiter.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_152"></a>[S. 152]</span></p>
-
-<p>Die Angeredete war etwas verblüfft; ihre sonstige Schlagfertigkeit
-schien sie im Stiche lassen zu wollen.</p>
-
-<p>„Hm, wir haben es doch schließlich eigentlich in den meisten Sachen
-bequemer als die Männer,“ sagte sie.</p>
-
-<p>Fräulein Doktor zuckte empört die Achseln und sagte:</p>
-
-<p>„Eine bedauerliche Unreife! Aber sonst spricht nichts gegen Ihre
-Aufnahme in meine Gymnasial-Kurse. Ihre Ansichten werden Sie bei uns
-schon ändern.“</p>
-
-<div class="figcenter illowe5" id="gedankensprung3">
- <img class="w100" src="images/gedankensprung.jpg" alt="Gedankensprung" />
-</div>
-
-<p>Diese Ueberzeugung der Gestrengen erwies sich als nicht stichhaltig.</p>
-
-<p>Nachdem Monika eine Zeitlang an den Kursen teilgenommen, war ihre
-Lebensauffassung immer noch die gleiche.</p>
-
-<p>Infolge ihrer eminent leichten Auffassungsgabe gehörte sie nach kurzer
-Zeit zu den besten Schülerinnen, ausgenommen in Mathematik, einer
-Wissen<span class="pagenum"><a id="Seite_153"></a>[S. 153]</span>schaft, von der sie nie auch nur das geringste verstand.</p>
-
-<p>Alles in allem machten ihr diese Kurse sehr viel weniger Eindruck,
-als sie erwartet. Es war eigentlich wie in der Schule von Fräulein
-von Zieritz, nur daß man hier mit dem Vatersnamen aufgerufen wurde,
-statt wie dort mit dem Vornamen, und daß die Schülerinnen hier
-nicht einheitlichen Alters waren, sondern in den verschiedensten
-„Jahrgängen“. Und die Damen stammten aus den verschiedensten Milieus.</p>
-
-<p>Neben Fräulein von Roch, der Tochter eines aktiven Generals, mit den
-korrekten Manieren der preußischen Offizierstochter, saß Olga Iwanowna
-Safiro, eine Russin von vager Herkunft und recht asiatischem Benehmen.</p>
-
-<p>Neben Frau Kramer, einer Frau mit ergrauenden Schläfenhaaren, die zu
-Hause zwei halbwüchsige Kinder hatte, saß ein kaum sechzehnjähriges
-Mädel, das vor wenigen Wochen noch die Schule besucht.</p>
-
-<p>Neben dem abgerissen gekleideten Mädchen, das sich nicht satt aß, um
-Geld für die Kurse aufzu<span class="pagenum"><a id="Seite_154"></a>[S. 154]</span>bringen, saß die Tochter eines Kommerzienrats,
-die einen wahren Juwelierladen zur Schau trug.</p>
-
-<p>Uebrigens waren so ziemlich alle in dieser aus allen Windrichtungen
-zusammengewehten Schar von ehrlichem Lerneifer erfüllt. Und fast alle
-waren sie durchdrungen von der Idee, daß nun eine neue Zeit für die
-Frau hereinbreche.</p>
-
-<p>Vielleicht war Monika die einzige, die das ganze Studieren als eine Art
-Spiel auffaßte, die die „Mission“ nicht sehr ernst nahm.</p>
-
-<p>Bei vielen der ernst strebenden Mitschülerinnen erregte ihre Art direkt
-Unwillen, um so mehr, als sie hier, wie auch früher in der Schule,
-einen ganzen Troß von Verehrerinnen und Anhängerinnen hatte, die jeden
-ihrer Witze dankbarst belachten.</p>
-
-<p>Ihre erbittertste Feindin war Magda Kirchstett, ein schlankes,
-brünettes Mädchen von sechsundzwanzig Jahren. Von allen in der Klasse
-war sie wohl am meisten von der Wichtigkeit dessen, was man hier tat,
-durchdrungen. Oft hielt sie flammende Agitationsreden.</p>
-
-<p>„Pioniere sind wir einer neuen Kultur, Schrittmacher für die Tausende
-von anderen, die nach uns kommen werden. Wir alle müssen<span class="pagenum"><a id="Seite_155"></a>[S. 155]</span> durchdrungen
-sein von dem stolzen Gefühl: mit zu den Ersten zu gehören, die sich
-frei machen von jahrtausendelanger, alter Schmach. Der Mann hat uns
-schlimmer behandelt, als man Tiere behandelt. Er hat uns körperlich und
-geistig gemißhandelt und hat uns ausgebeutet in jeder Beziehung, er hat
-uns rechtlos gemacht, uns tausendfach gekreuzigt!</p>
-
-<p>Aber der neue Morgen bricht an für unser Geschlecht. Noch sind wir
-wenige, aber mit brennendem Eifer schmieden wir die Waffen, mit denen
-wir uns befreien werden. Und diese Waffen sind: Fleiß, unermüdliche
-Arbeitskraft! Lernen müssen wir &mdash; Wissen erlangen, um unserem
-mächtigen Feinde entgegentreten zu können. Waffen brauchen wir! Und die
-mächtigste Waffe im Kampfe gegen den Mann ist...“</p>
-
-<p>„Das Küssen!“ schrie Monika.</p>
-
-<p>Magda Kirchstett tat den Mund auf, schnappte nach Atem, aber ehe sie
-diese Lähmung der Entrüstung überwunden, war Monika auf die Bank
-gestiegen.</p>
-
-<p>„Meine Damen!“ rief sie mit ihrer hellen Kinderstimme, „die besten
-Waffen im Kampfe gegen den Mann sind die ältesten Waffen &mdash; dieselben,
-die schon<span class="pagenum"><a id="Seite_156"></a>[S. 156]</span> unsere verehrten, gänzlich unmodernen und stupiden
-Großmütter gebraucht haben: ein bißchen schmeicheln &mdash; nein! &mdash; sehr
-viel schmeicheln und lieb sein und küssen! Sie sind ja auch nicht so
-schlimm, die Männer, wie Fräulein Kirchstett glaubt. Es gibt doch viele
-riesig nette, und es wäre doch gar zu langweilig, wenn es nur Damen auf
-der Welt gäbe! Jede von Ihnen, die mal einen Damenkaffee mitgemacht
-hat, wird mir beipflichten. Darum schlage ich Ihnen einen Toast auf die
-Männer vor. Wir wollen sie leben lassen. Was? Leben lassen &mdash; dreimal
-hoch! Hoch! und zum zweitenmale...“</p>
-
-<p>Die Tür öffnete sich.</p>
-
-<p>Herein schnaufte Professor Hermann, der dicke Mathematiklehrer.</p>
-
-<p>„Was ist denn hier los?“</p>
-
-<p>Monika warf ihm einen koketten Blick zu und sagte
-kindlich-liebenswürdig:</p>
-
-<p>„Es ist meine Schuld, Herr Professor, ich hatte vor den Damen einige
-Theorien erörtert, die allgemeinen Anklang fanden.“</p>
-
-<p>Magda Kirchstett stieß einen Zorneslaut aus; auch viele andere schienen
-lebhaft indigniert.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_157"></a>[S. 157]</span></p>
-
-<p>Andere lachten, und der Professor sagte wohlwollend: „Na, wenn es so
-allgemein gefallen hat, wird es wohl was sehr Nettes gewesen sein,
-Fräulein von Birken.“</p>
-
-<p>Monika setzte sich strahlend, denn so freundlich war der
-Mathematiklehrer zu seiner schlechtesten Schülerin selten.</p>
-
-<p>„Es war eben mein steinerweichender Blick, der ihn so liebenswürdig
-machte,“ triumphierte Monika nach der Stunde.</p>
-
-<p>Aber sie sollte nicht so billigen Kaufes davonkommen.</p>
-
-<p>Fräulein Kirchstett war nun wieder im Vollbesitz ihres Sprechorgans
-und ihrer geistigen Fähigkeiten, und so ergoß sich nun ein Niagara von
-Vorwürfen über Monikas schuldiges Haupt.</p>
-
-<p>„Birken, die von Ihnen geäußerten Ansichten decken eine sittliche
-Unreife auf, wie man sie bei einer Hörerin unserer Kurse nicht für
-möglich halten sollte! Leider bin ich genötigt, Fräulein Doktor Stark
-mitzuteilen, daß wir alle Sie für ungeeignet halten, mit uns zu kämpfen
-und zu streben. Ja, wir alle...“</p>
-
-<p>Protestierende Zurufe wurden laut.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_158"></a>[S. 158]</span></p>
-
-<p>„Von mir aus kann sie ruhig mitkämpfen,“ sagte die
-Kommerzienratstochter friedlich.</p>
-
-<p>„Birken ist überhaupt ein riesig netter Kerl,“ rief eine andere.</p>
-
-<p>Frau Kramer sagte melancholisch: „Ihr Loblied auf die Männer war
-wirklich von keiner Sachkenntnis getrübt, Birken.“</p>
-
-<p>Und im Hintergrunde schrie eine: „Birken ist ein ganz naseweiser Fratz.“</p>
-
-<p>Monika packte ihre Mappe zusammen und sagte: „Kinder, tobt Euch allein
-aus. Ich gehe mich ein bißchen erholen, in den Tiergarten. Kommt jemand
-mit? Entschuldigt mich, bitte, bei Professor Mellenthin. Es tut mir
-sehr leid, die griechische Stunde zu versäumen, aber das Wetter ist zu
-schön, und im Tiergarten fängt der Flieder schon an zu blühen.“</p>
-
-<p>Kaltblütig ging sie hinaus, während die drinnen wie ein aufgescheuchter
-Spatzenschwarm durcheinander lärmten.</p>
-
-<p>Monika schlenderte durch den Tiergarten, ließ den Zauber der
-erblühenden Büsche auf sich wirken, musterte Pferde und Reiter, die
-vorüberkamen, und dachte über sich selbst nach.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_159"></a>[S. 159]</span></p>
-
-<p>Sie fühlte sich sehr allein. „Ich bin doch eigentlich ein unglückliches
-Zwittergeschöpf,“ philosophierte sie und pfiff betrübt einen
-Schmachtwalzer vor sich hin. „Bin ich nun eigentlich ein Kind meiner
-Zeit? Dieser Zeit, in der die Frau die engumhegten Bahnen verläßt, in
-denen sie jahrtausendelang gewandelt, in der sie kühn hinausstürmt in
-die Weite, den Kopf noch ein bißchen benommen von dem grellen Licht,
-das so plötzlich auf sie einströmt.</p>
-
-<p>Oder wäre ich auch in jedem anderen Zeitalter möglich?</p>
-
-<p>Diese zwei Naturen in mir, die sich gegenseitig bekämpfen... wie sagt
-doch Doktor Rodenberg? Aphrodite und Pallas vertragen sich schlecht
-miteinander ...</p>
-
-<p>Die süße Aphrodite lächelt so spöttisch, wenn ich mich zu der
-eulentragenden, gelehrten Göttin flüchte, und die stolze Pallas
-grinst geradezu, wenn mich all mein Sein zur schönsten Göttin zieht.
-Schrecklich, schrecklich!“</p>
-
-<p>So sann Monika vor sich hin, ging aus dem gepfiffenen Walzer in eine
-Polka über und hopste nach dem Takt derselben den sonnenbeschienenen
-Fußpfad<span class="pagenum"><a id="Seite_160"></a>[S. 160]</span> entlang, von den wohlwollenden Blicken zweier alter Herren
-gefolgt.</p>
-
-<p>Am nächsten Tage hatte Fräulein Doktor Stark eine private Unterhaltung
-mit Monika.</p>
-
-<p>„Mir haben Damen Ihrer Klasse mitgeteilt, daß Sie Ihrer ganzen
-Auffassung nach vielleicht nicht geeignet sind...“</p>
-
-<p>Monika unterbrach.</p>
-
-<p>„Fräulein Doktor, ich habe mir einen harmlosen Scherz gemacht.“</p>
-
-<p>„So? &mdash; Nun, jedenfalls interessiert es mich, zu erfahren, welchen
-Standpunkt Sie mit Bezug auf Ihre Studien einnehmen. Wie denken Sie
-sich Ihren Lebensgang überhaupt?“</p>
-
-<p>„Zunächst will ich hier das Abiturientenexamen machen und dann...“</p>
-
-<p>Monika stockte.</p>
-
-<p>„Welchem Studium wollen Sie sich widmen? Medizin?“</p>
-
-<p>„O pfui!“ schrie Monika los, „Leichen zerschneiden!“</p>
-
-<p>Ihr Gesicht zeigte den Ausdruck höchsten Entsetzens.</p>
-
-<p>„O pfui!“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_161"></a>[S. 161]</span></p>
-
-<p>„Beherrschen Sie sich. Das ist kindisch. Also Philologie?“</p>
-
-<p>„Nein.“</p>
-
-<p>„Jura?“</p>
-
-<p>„Nein.“</p>
-
-<p>Monika besah ihre Fingernägel, und plötzlich kam ihr eine Eingebung.</p>
-
-<p>„Nationalökonomie,“ sagte sie entschlossen.</p>
-
-<p>„So, so,“ die Gestrenge schien besänftigt, „und in welcher Weise
-gedenken Sie diese Studien zum Wohle der Frauenwelt anzuwenden?“</p>
-
-<p>„Nationalökonomie,“ sagte Monika noch einmal bedeutungsschwer; sie ließ
-diese rettende Planke nicht mehr los.</p>
-
-<p>Daß sie etwas unklare Begriffe über die Bedeutung dieses Wortes hegte,
-brauchte Fräulein Doktor ja nicht zu erfahren.</p>
-
-<p>So endete die Unterredung weniger schlimm, als Monika es sich
-vorgestellt.</p>
-
-<div class="figcenter illowe5" id="gedankensprung4">
- <img class="w100" src="images/gedankensprung.jpg" alt="Gedankensprung" />
-</div>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_162"></a>[S. 162]</span></p>
-
-<p>Wochen und Monate gingen dahin.</p>
-
-<p>Die Baronin Birken erzählte stolz allen ihren Bekannten, daß Monika
-studieren solle; sie schrieb es ihren sämtlichen Verwandten.</p>
-
-<p>Frau von Holtz äußerte sich recht mißbilligend über das Studienprojekt.
-Sie erwähnte, daß ihre Tochter Marie sie auch schon um die Erlaubnis
-zum Studieren gebeten. Dieser „moderne Unsinn“ schien förmlich eine
-ansteckende Krankheit zu sein. Sie habe natürlich empört die Erlaubnis
-verweigert. Die Ungebundenheit der Studienjahre sei mit der Würde und
-dem Anstand eines jungen Mädchens unvereinbar. &mdash;</p>
-
-<p>Marie maulte jetzt die ganze Zeit, daß sie ihren Willen nicht
-durchsetzen dürfe; sie aber würde unbeirrt ihrer Mutterpflicht genügen
-und hoffe, den Verwandten schon in nächster Zeit die Verlobung
-Mariechens mitteilen zu können.</p>
-
-<p>„Ach, eine Verlobung!“ Frau von Birken war Feuer und Flamme. „Wer es
-wohl sein mag? Und ob es eine gute Partie ist? Nun, wahrscheinlich
-doch. Marie als Erbtochter von Sarkow kann Ansprüche machen.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_163"></a>[S. 163]</span></p>
-
-<p>Die Baronin sprach in den nächsten Tagen nur von dieser Verlobung und
-erging sich in den verschiedensten Vermutungen.</p>
-
-<p>Ihr Interesse wurde erst abgelenkt, als sie einen Brief ihrer Schwester
-Kläre empfing. Auch dieser Brief war eine Antwort auf Malis Mitteilung,
-daß ihre Tochter studieren solle.</p>
-
-<p>Kläre schrieb, sie freue sich, daß nun doch Monikas bessere Instinkte
-zum Durchbruch kämen. Das Studium würde ein unübertreffliches Mittel
-sein, um Monikas Hang zum Leichtsinn entgegenzuarbeiten.</p>
-
-<p>Was ihre eigene Tochter Bertha anbeträfe, so sei es für die nun auch
-höchste Zeit, sich auf das Abiturienten-Examen vorzubereiten, und zwar
-in ernsthafterer Weise als bisher. Der Unterricht durch den Vater
-zeitigte leider nicht die Früchte, die man berechtigt gewesen wäre,
-zu erwarten. Und so sähe sie sich denn genötigt, Bertha nach Berlin
-zu schicken, wo dieselbe auch den Gymnasialkursen von Fräulein Doktor
-Stark eingereiht werden solle. Sie hoffe dringend, daß sich Berthas
-Charakter dort von Grund auf ändere. Leider sei sie einstweilen ein
-durchaus unmodernes Mädchen, interessiere sich<span class="pagenum"><a id="Seite_164"></a>[S. 164]</span> mehr für den Haushalt
-als für die Wissenschaft. Natürlich aber werde sie &mdash; Kläre &mdash; ihren
-Mutterpflichten getreulich nachkommen und es zu verhindern wissen, daß
-Bertha ein Schablonendasein führe.</p>
-
-<p>„Ach, Berthchen kommt zu uns,“ rief Frau von Birken, indem sie
-plötzlich die Lektüre des Briefes unterbrach. „Wie nett! Bertha ist
-ein reizendes Mädchen. Ich muß doch gleich mal sehen, ob das gelbe
-Fremdenbettstell in Ordnung ist. Martha, schnell den Schlüssel zum
-Boden.“</p>
-
-<p>„Rege Dich gar nicht erst auf, Mamachen,“ sagte Monika, die den von
-ihrer Mutter achtlos weggeschleuderten Brief inzwischen zu Ende
-gelesen. „Bertha kommt nicht zu uns.“</p>
-
-<p>„Ach, warum denn nicht?“</p>
-
-<p>„Hier steht es: sie kommt zum Bruder ihres Vaters, dem Professor
-Reckling.“</p>
-
-<p>Frau von Birken war empört.</p>
-
-<p>„Komische Idee von Kläre. Ich als Schwester wäre wohl doch die nächste
-dazu, ihre Tochter aufzunehmen. Bertha ist ein nettes Mädchen, ich
-hätte sie so verwöhnt...“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_165"></a>[S. 165]</span></p>
-
-<p>„Mehr als mich,“ brummte Monika. „Fremde Kinder behandelst Du immer
-besser als uns, Mama.“</p>
-
-<p>„Die ärgern mich auch weniger als Ihr! Nicht ein einziger von Euch ist
-gehorsam.“</p>
-
-<p>„Das hat Tante Kläre wohl auch gedacht und unseren Einfluß auf Bertha
-gefürchtet,“ sagte Monika. „Mir wird doch immer gesagt, daß ich so
-demoralisierend wirke &mdash; de &mdash; mo &mdash; ra &mdash; li &mdash; sie &mdash; rend...,“ sang
-sie im Walzertakt und schwang die Mutter in die Runde.</p>
-
-<p>Nach Berthas erstem Besuch bei Birkens war Mali von ihrer Nichte
-entzückt. Das machte aber niemandem einen großen Eindruck, da sie sich
-für unendlich viele Leute begeisterte.</p>
-
-<p>In diesem Falle hatte sie wirklich keine genügende Ursache, entzückt zu
-sein. Bertha besaß nichts irgendwie Hervorragendes.</p>
-
-<p>Sie war ein schlankes, blondes Mädchen mit schmalen Schultern und
-ziemlich ausdruckslosen Augen. Ihre geistige Befähigung war knappes
-Mittelmaß, ihr Charakter war harmlos freundlich, nur momentan war ihre
-Stimmung verbittert durch<span class="pagenum"><a id="Seite_166"></a>[S. 166]</span> den Zwang, den die Mutter auf sie ausübte.
-Bertha wäre so froh gewesen, wenn man sie das Leben hätte führen
-lassen, wie es alle ihre Freundinnen führten: in der Wirtschaft helfen,
-ein bißchen Klavier spielen, ein bißchen malen, hübsche Handarbeiten
-machen, Bälle besuchen, die Eisbahn, den Tennisklub.</p>
-
-<p>Und dann sich verloben &mdash; ach, himmlisch! &mdash; heiraten, hübsche Kinder
-haben mit schön frisierten Haaren und weißen Spitzenkleidern.</p>
-
-<p>Und da kam Mama nun mit der unglücklichen Idee des Studiums.</p>
-
-<p>So oft sie ihrer Tochter auch vorhielt, in welch begnadeter Zeit
-sie lebe, daß es ihr gestattet sei, all ihre Geisteskräfte voll
-zu entfalten, indes ihre Mutter seinerzeit durch die herrschenden
-Anschauungen gezwungen gewesen, dem herrlichen Plane: ganz im Dienste
-der Wissenschaft aufzugehen, zu entsagen &mdash; Bertha ließ sich nicht
-überzeugen.</p>
-
-<p>Sie gehorchte zwar dem Gebot der Mutter, aber ohne jede innere
-Freudigkeit.</p>
-
-<p>In den Kursen &mdash; sie war in denselben Zötus eingereiht worden wie
-Monika &mdash; fiel sie durch<span class="pagenum"><a id="Seite_167"></a>[S. 167]</span> nichts auf. Eine knappe Mittelmäßigkeit war
-die Signatur ihres äußeren und inneren Menschen. Für keines der Fächer,
-in denen man Unterricht empfing, hegte sie besonderes Interesse.</p>
-
-<p>Im Gegenteil! Sie mokierte sich geradezu über Monika, die, als man im
-Latein und Griechischen die langweiligen Anfangsgründe überwunden, sich
-für das klassische Altertum zu begeistern begann. Die Glut, die sie in
-Kindertagen entfaltet, wenn Doktor Rodenberg ihr Sagen erzählt, lebte
-wieder auf; schattenhafte Träume erwachten zu neuem Leben.</p>
-
-<p>Und nicht nur wie einst sah sie nur die männermordenden Helden, die
-erzgeschienten Völkerfürsten, nicht nur wie früher verfolgte sie mit
-heißer Freude am Kampfe das Auf- und Niederwogen der Feldschlacht
-&mdash; jetzt wurde ihr auch die schöne Sklavin lebendig, die blühende
-Briseïs, die sich zitternd willig dem Peliden gibt. Jetzt schwirrten
-ihre Gedanken auch um die Götterschönheit der Helena, um die so viel
-Tausende starben.</p>
-
-<p>Die toten, heidnischen Sprachen, die Monika anfangs so langweilig
-gedünkt, waren ihr nun Zauberschlüssel &mdash; Zauberschlüssel, welche die
-Pforten zu märchenschönen Gärten öffneten.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_168"></a>[S. 168]</span></p>
-
-<p>Mit einer wahren Gier stürzte sie sich jetzt aufs Lernen.</p>
-
-<p>Und wie immer bei ihr: wenn sie erst angefangen, sich einer Sache zu
-widmen, so tat sie das ungeteilt; sie richtete all ihre Kräfte, all ihr
-Sinnen darauf.</p>
-
-<p>Ihre Geisteskräfte schienen zu wachsen in dem scharfen Training, das
-sie ihnen zumutete, und sie spornte sich selbst immer mehr an.</p>
-
-<p>Weltgeschichte, Chemie, Physik &mdash; je mehr, je besser! Mit einem wahren
-Heißhunger nahm sie alles Gebotene in sich auf und tat weit mehr, als
-das Pensum erforderte. Ihre Neigung zu Vergnügungen, zum Flirt, trat
-nun völlig zurück.</p>
-
-<p>Sie wollte nichts weiter, als möglichst ungestört über ihren Büchern
-brüten. Allein an der Art, wie sie ein Buch aufschlug, wie sie den
-Einband mit liebkosenden Fingerspitzen umspannte, als sei es eine
-kostbare Frucht, sah man die Wonne, die es ihr bereitete, sich in den
-Inhalt zu versenken.</p>
-
-<p>Die Brüder, denen besonders die alten Sprachen unangenehmer Zwang
-waren, spotteten, wenn sie Monika über den Homer gebeugt sahen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_169"></a>[S. 169]</span></p>
-
-<p>„Du wirst noch ’ne richtige verdrehte alte Schachtel werden,“ sagte ihr
-Alfred.</p>
-
-<p>Heinrich erklärte ihr Lernen für „im höchsten Grade unweiblich“.</p>
-
-<p>Karl enthielt sich jeder gesprochenen Meinungsäußerung, aber oft
-sah er, Butterbrote kauend, seiner Schwester mit entgeistertem
-Kopfschütteln zu. Wie es Menschen geben konnte, die gern lernten, war
-ihm ein unheimliches Rätsel.</p>
-
-<p>Frau von Birken zeigte sich von Monikas Lerneifer sehr befriedigt, aber
-bald trat ein Ereignis ein, das sie verhinderte, auch nur noch einen
-Gedanken für Monika zu haben: das geliebte Heinzemännchen wurde krank.</p>
-
-<p>Er litt an sehr schmerzhaften Magenkrämpfen. Was es eigentlich war, war
-nicht mit voller Sicherheit zu ermitteln.</p>
-
-<p>Monika behauptete, daß Heinrichs Mostrichkur wahrscheinlich eine
-gewisse Rolle spiele. Er hatte nämlich vor einigen Wochen erklärt, daß
-als Hauptnahrungsmittel für ihn nur Mostrich in Betracht käme.</p>
-
-<p>Die Baronin, der es völlig unmöglich war, ihrem Lieblingssohne irgend
-etwas abzuschlagen, hatte ihn<span class="pagenum"><a id="Seite_170"></a>[S. 170]</span> gewähren lassen, und so hatte Heinrich
-viele Wochen lang unglaubliche Quantitäten Mostrich vertilgt.</p>
-
-<p>Möglich, daß ihm diese selbsterfundene „Stärkungskur“ schlecht bekommen.</p>
-
-<p>Jedenfalls waren die von Zeit zu Zeit bei ihm auftretenden Magenkrisen
-so unsäglich schmerzhaft, daß der Arzt Morphiuminjektionen verordnete.</p>
-
-<p>Frau von Birken überließ sich lauten Verzweiflungsausbrüchen.</p>
-
-<p>Ihr Mann hatte in den letzten Monaten seines Lebens Morphium bekommen,
-und diese Tatsache genügte ihr, um Heinzemännchen einem nahen Tode
-verfallen zu sehen.</p>
-
-<p>„Aber das sage ich Euch, wenn Heinzemännchen stirbt, dann lege ich mich
-gleich mit dazu!“</p>
-
-<p>Sie ließ ihn völlig von der Schule dispensieren und verbrachte ihr
-Leben damit, ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Sie leistete
-gastronomisch geradezu Wunderbares. Die einfache, reizlose Diät, die
-der Doktor ihrem Sohne verordnet, leuchtete ihr nicht ein.</p>
-
-<p>„Das ist doch gar nichts Kräftiges! Das sind alles so übermoderne
-Anschauungen: Gemüse und<span class="pagenum"><a id="Seite_171"></a>[S. 171]</span> Obstsaft! &mdash; Früher hat jeder Doktor
-Ungarwein und Beefsteak verordnet &mdash; da kann man sich doch denken, daß
-das Kraft gibt. Man muß den Appetit reizen &mdash; das ist die Hauptsache!
-&mdash; Heinzemännchen, Du bekommst heute ein Rumsteak mit geschabtem
-Meerrettich und Kräuterbutter und einen Sherry &mdash; na, Du wirst ja
-sehen.“</p>
-
-<p>Heinrich war mit seiner Krankheit ganz zufrieden.</p>
-
-<p>Er brauchte nicht in die Schule, lebte wie ein Pascha.</p>
-
-<p>Es wurde aufopfernd für ihn gesorgt. Die ganze Zeit gab es Festmenüs.</p>
-
-<p>Seiner geistigen Unterhaltung diente das Leihbibliotheks-Abonnement,
-das seine Mutter ihm genommen.</p>
-
-<p>Er las täglich zwei bis drei Bände. Und wenn er zum Lesen keine Lust
-hatte, mußten seine Mutter und Alfred Skat mit ihm spielen.</p>
-
-<p>Wenn er wirklich mal Schmerzen hatte, beruhigte ihn das Morphium bald,
-und er verfiel dann in einen traumhaften Dusel, der viel Angenehmes
-hatte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_172"></a>[S. 172]</span></p>
-
-<p>Der Hausarzt hatte Frau von Birken eine kleine Quantität Morphium
-und eine Pravazspritze dagelassen, um Heinrich, dessen Anfälle sehr
-plötzlich eintraten, nicht unnötig lange Schmerzen leiden zu lassen.</p>
-
-<p>Es war jedesmal ein Ereignis, wenn Frau von Birken sich dazu entschloß,
-die spitze Nadel in Heinrichs Fleisch zu versenken.</p>
-
-<p>„Heinzemännchen, ich kann es nicht. Es bricht mir das Herz, diese
-ganze, lange Nadel hineinzubohren &mdash; das muß Dir ja zu weh tun!“</p>
-
-<p>„Aber mach’ doch endlich,“ stöhnte dann der von Schmerzen gefolterte
-Kranke unruhig, „schnell! Ich halte es nicht mehr aus!“</p>
-
-<p>Dann hob ein zitternder Seufzer Frau von Birkens Brust; sie schloß die
-Augen, indes ihre wenig geschickten Finger die blanke Spitze in ihres
-Sohnes Fleisch bohrten.</p>
-
-<p>An einem Frühherbsttage bekam Heinrich wieder einen sehr heftigen
-Anfall.</p>
-
-<p>„Gewiß kommt das von dem Witterungsumschlag!“ tröstete Frau von Birken.</p>
-
-<p>„Ach, Unsinn &mdash; Unsinn,“ murrte der Kranke.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_173"></a>[S. 173]</span></p>
-
-<p>„Vielleicht doch, Liebling. Die ganze Zeit hatten wir so schönes
-Wetter, und jetzt auf einmal die Kälte.“</p>
-
-<p>Sie sah durchs Fenster hinaus auf die die Straße flankierenden Bäume,
-die der Wind zauste.</p>
-
-<p>Die Blätter wirbelten durch die Luft.</p>
-
-<p>Frau von Birken fröstelte, teils infolge des suggestiven Anblicks,
-teils, weil sie, um ihre Schlankheit ins rechte Licht zu setzen, immer
-zu dünne Kleidung trug.</p>
-
-<p>Aber auch Monika, die eben aus ihrem Kursus gekommen, protestierte:</p>
-
-<p>„Mama, Du verstehst die Heilkunde wie so’n alter Schäfer! Das kommt
-doch nicht von der Witterung! Heinz wird sich eben wieder den Magen
-verdorben haben!“</p>
-
-<p>„Geh’, Du bist herzlos! Heinzemännchen ißt wie ein Vögelchen.“</p>
-
-<p>„Wird’s denn nun endlich mit meinem Morphium?“ rief der Kranke
-ungeduldig.</p>
-
-<p>„Ja, mein Geliebtes, ja, so schwer wie es mir wird,“ jammerte die
-Mutter.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_174"></a>[S. 174]</span></p>
-
-<p>Sie entnahm dem kleinen Etui die auf blauem Samt gebettete Spritze.</p>
-
-<p>Monika verließ das Zimmer. Sie hörte von nebenan, wie ihre Mutter das
-Schicksal anklagte, das sie verurteilte, ihrem geliebten Herzenskind
-weh zu tun.</p>
-
-<p>Frau von Birken war ganz blaß, als sie einige Augenblicke später aus
-dem Zimmer kam.</p>
-
-<p>„Ach, es ist zu schrecklich, der arme, liebe, süße Junge. Gewiß so ein
-unglückseliges Erbteil vom Papa. O, mein Heinzemännchen, mein süßes!
-Na, jetzt hat er Gott sei Dank wieder vierundzwanzig Stunden Ruhe.“</p>
-
-<p>Aber Frau von Birken irrte sich.</p>
-
-<p>Als sie nach einer Weile Heinrichs Zimmer von neuem betrat, waren seine
-Schmerzen kaum gelindert.</p>
-
-<p>„Schnell, Mama, noch mehr Morphium.“</p>
-
-<p>„Ausgeschlossen, mein Liebling. Du weißt doch, daß es ein gefährliches
-Gift ist. Eine einzige Spritze, hat der Doktor gesagt.“</p>
-
-<p>Heinrich wendete sich stöhnend auf die Seite und schwieg.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_175"></a>[S. 175]</span></p>
-
-<p>Aber nach einer halben Stunde forderte er energisch noch eine Spritze.</p>
-
-<p>„Gewiß hast Du bei der ersten alles vorbeigeplempert, Mama. Es tut so
-rasend weh. Das Morphium hat heute gar nicht gewirkt.“</p>
-
-<p>„Liebling, das geht doch nicht.“</p>
-
-<p>Frau von Birken stockte das Wort auf der Zunge. Ein unartikulierter
-Schrei brach von ihres Sohnes Lippen. Sein junger Körper wand sich in
-Qualen. Eine neue Krise schien einzusetzen.</p>
-
-<p>„Mama...,“ würgte er hervor. Eine flehende Gebärde... Seine tastende
-Hand wies auf die Marmorplatte des Nachttisches, auf dem die kleine
-Flasche stand mit der farblos hellen Flüssigkeit.</p>
-
-<p>Da hielt der Mutter Bedenken nicht stand. In fliegender Hast griff sie
-von neuem nach dem kleinen Etui.</p>
-
-<p>Noch eine kurze Zeitspanne &mdash; dann schien die gewünschte Wirkung
-einzutreten. Die schmerzhafte Spannung aller Glieder ließ nach, die
-qualdurchfurchten Gesichtszüge glätteten sich.</p>
-
-<p>Dankbar nickte Heinrich seiner Mutter zu. Zum Sprechen war er zu müde.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_176"></a>[S. 176]</span></p>
-
-<p>Auf Zehenspitzen schlich Frau von Birken ins Nebenzimmer.</p>
-
-<p>„Gott sei Dank, Mone, endlich hat’s gewirkt, das Morphium. Ich habe ihm
-noch eine Spritze gegeben, dem armen Liebling. Jetzt hat er wenigstens
-Ruhe.“ Dann ging die Baronin in die Küche und unterhielt sich mit
-Martha, die, seitdem der junge Herr leidend war, in der Erzählung von
-merkwürdigen Krankheitsfällen schwelgte.</p>
-
-<p>Monika, die über einer Mathematik-Aufgabe brütete, wurde aus ihrer
-Arbeit gestört durch einen sonderbar röchelnden Ton, der aus dem
-Nebenzimmer drang.</p>
-
-<p>Sie ging zu Heinrich hinein. „Laß doch bloß dieses gräßliche
-Schnarchen, man kann überhaupt nicht arbeiten dabei.“</p>
-
-<p>Ihr Bruder antwortete nicht.</p>
-
-<p>Und wieder der röchelnde Ton, der sich aus seinem halboffenen Munde
-rang.</p>
-
-<p>Monika rüttelte ihn am Arm: „Heinrich!“</p>
-
-<p>Und plötzlich durchzuckte sie ein fassungsloser Schreck. Eiskalt
-rieselte ihr das Entsetzen den Rücken hinunter. Dieses regungslos
-starre Gesicht, in welchem<span class="pagenum"><a id="Seite_177"></a>[S. 177]</span> kein Muskel gezuckt, als sie „Heinrich“
-gerufen, diese nur halbgeschlossenen Augenlider, die das Weiß der nach
-oben gedrehten Augäpfel erkennen ließen, das war kein Schlaf, das war
-Bewußtlosigkeit!</p>
-
-<p>Sie rannte in die Küche, stammelte ein angstbebendes: „Mama, komm
-schnell!“ und zog die Mutter mit sich fort.</p>
-
-<p>Frau von Birken stürzte auf ihren Sohn zu.</p>
-
-<p>„Heinrich!“</p>
-
-<p>Aber trotz der heftigen Berührung gab er kein Lebenszeichen von sich.
-Die weißen Augäpfel stierten gespenstisch unter den Lidern hervor.</p>
-
-<p>Die Mutter schrie auf, ein herzzerreißend gellender Schrei:</p>
-
-<p>„Heinrich!“</p>
-
-<p>„Aber er lebt ja noch,“ beruhigte Martha, die neugierig aus der Küche
-herzugelaufen war, „er ist noch ganz warm.“</p>
-
-<p>„Martha, pfui, um Gottes willen, reden Sie nicht so!“ schrie die
-Baronin.</p>
-
-<p>Und Monika sagte:</p>
-
-<p>„Halten Sie den Mund, und bleiben Sie hier im Zimmer &mdash; ich gehe den
-Arzt holen.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_178"></a>[S. 178]</span></p>
-
-<p>Sie eilte die Treppe hinunter.</p>
-
-<p>Die Adern schlugen ihr wie Hämmer, eine wahnsinnige Angst um den Bruder
-hatte sie erfaßt. Sie eilte, als hinge Heinrichs Leben an Sekunden.
-Keuchend langte sie bei ihrem Hausarzt an; das öffnende Mädchen sagte,
-daß er nicht zu Hause sei, erst spät abends zurückerwartet werde.</p>
-
-<p>Ohne ein Wort der Erwiderung machte Monika Kehrt, eilte die Treppen
-hinunter und die Straße entlang. Fieberhaft forschte sie nach dem
-Schilde eines Arztes.</p>
-
-<p>Bei noch zweien klingelte sie umsonst. Der dritte, ein jugendlicher,
-elend aussehender junger Mann war auf ihr inständiges Bitten bereit,
-gleich mit ihr zu gehen.</p>
-
-<p>Frau von Birken empfing den Arzt wie einen Heilsbringer.</p>
-
-<p>„Schnell, Doktor, erwecken Sie meinen Sohn, schnell, um Gottes willen,“
-flehte sie.</p>
-
-<p>„Ja, nun lassen Sie mich doch erst mal sehen,“ wehrte der Arzt ab,
-indem er seinen Ueberzieher auszog.</p>
-
-<p>Dann trat er zu Heinrichs Bett, hob die Augenlider des Bewußtlosen
-empor.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_179"></a>[S. 179]</span></p>
-
-<p>Die Pupillen waren zu winzigen Pünktchen verengert, reagierten
-überhaupt nicht auf das Einfallen des Lichts.</p>
-
-<p>Das erstaunte Gesicht des Arztes ließ Monika zu einer Erklärung
-schreiten:</p>
-
-<p>„Mein Bruder hat zu viel Morphium bekommen, Herr Doktor.“</p>
-
-<p>„Ah, also eine Vergiftung.“</p>
-
-<p>„Was? Eine Vergiftung? Herr Doktor, wie können Sie sowas sagen,“
-jammerte in den höchsten Tönen des Entsetzens die Baronin, „wie sollte
-denn Heinrich zu einer Vergiftung gekommen sein?“</p>
-
-<p>Der Arzt wandte sich ohne weiteres zu Monika, die so kurz wie möglich
-von Heinrichs Leiden sprach, von dem Morphium, das der Arzt verordnet.</p>
-
-<p>„Und das hat er in Ihren Händen gelassen?“ verwunderte sich der kleine
-Arzt.</p>
-
-<p>Er ließ sich die Flasche zeigen, betrachtete sie kopfschüttelnd.</p>
-
-<p>„Aber, Herr Doktor, eilen Sie sich, mein Kind stirbt!“ schrie die
-Mutter.</p>
-
-<p>„Ich muß mich doch erst informieren,“ sagte der junge Mann mürrisch,
-immer noch über die Flasche gebeugt.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_180"></a>[S. 180]</span></p>
-
-<p>Dann zog er seinen Notizblock hervor und schrieb mit einer Langsamkeit,
-welche Frau von Birken dem Wahnsinn nahe brachte, mehrere Medikamente
-auf, die Martha sofort aus der Apotheke holen sollte.</p>
-
-<p>Das Mädchen eilte weg, und Karl, der eben aus der Nachmittagsschule
-gekommen war, begleitete sie; ihm war es zu unheimlich, im Hause zu
-bleiben.</p>
-
-<p>Die Minuten dehnten sich zu Ewigkeiten.</p>
-
-<p>Ein atemraubendes Schweigen herrschte in dem Zimmer, nur von Zeit zu
-Zeit unterbrochen durch das furchtbare Röcheln, das sich aus Heinrichs
-Munde rang.</p>
-
-<p>Frau von Birken hatte den Kopf des Bewußtlosen an ihre Brust gebetet
-und bedeckte seine bläulichen Lippen, seine fühllosen Hände mit heißen
-Küssen.</p>
-
-<p>„Mein Glück, mein geliebtes Kind, sprich doch nur ein Wort, ein
-einziges, einziges Wort. Liebling ... Heinrich...“</p>
-
-<p>In ihren sonst so heiter liebenswürdigen Augen flammte ein tragisches
-Feuer.</p>
-
-<p>Dann versank sie in verzweifeltes Schweigen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_181"></a>[S. 181]</span></p>
-
-<p>Monikas Nerven hielten das nicht mehr aus. Jede Faser in ihr war zum
-Zerreißen gespannt; eine Jagd von Gedanken stürzte durch ihren Kopf,
-wirr, zusammenhanglos.</p>
-
-<p>Sie schritt taumelnd hinaus, öffnete die Korridortür, um die Treppe
-hinabzuspähen.</p>
-
-<p>Kam denn Martha immer noch nicht?</p>
-
-<p>Es war, als ob die Zeit stille stände, als ob Bleigewichte an den
-Minuten hingen.</p>
-
-<p>Monika verlor vollkommen den Begriff der Zeit.</p>
-
-<p>Als das Dienstmädchen kam, Karl ängstlich dicht neben ihr, wußte sie
-nicht, ob Minuten oder Stunden verflossen waren.</p>
-
-<p>Sie nahm Martha die Sachen aus der Hand und eilte mit diesen ins
-Krankenzimmer.</p>
-
-<p>„Herr Doktor, tun Sie ihm nicht weh,“ jammerte die Mutter, als der Arzt
-Heinrich eine Koffein-Einspritzung machte.</p>
-
-<p>Der Angeredete zuckte ungeduldig die Achseln und setzte sich dann
-wieder in seinen Sessel.</p>
-
-<p>„Aber er wacht ja immer noch nicht auf!“ rief die Mutter.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_182"></a>[S. 182]</span></p>
-
-<p>„Warten Sie’s doch ab.“</p>
-
-<p>„Aber tun Sie doch was, Herr Doktor, tun Sie doch etwas,“ rief Frau von
-Birken.</p>
-
-<p>„Wir können jetzt die Senfpflaster auflegen,“ wandte sich der Arzt an
-Monika. Diese griff nach einem Paket, das man aus der Apotheke geholt.
-Der Doktor legte Heinrich vier Senfpflaster auf.</p>
-
-<p>„O Gott, das muß ihn ja brennen. Heinz verträgt Senfpflaster überhaupt
-nicht,“ klagte Frau von Birken. „Heinrich..!“ brach sie dann plötzlich
-wieder los. In ihrer sonst so unbedeutenden, kleinen Stimme war ein
-tiefer Unterton, ein tierischer Schmerzensschrei, der Wehlaut der
-Mutter um ihr sterbendes Junges.</p>
-
-<p>„Herr Doktor, er will sprechen. Er will sprechen! Ich sehe es... es
-läuft wie ein Zucken über sein Gesicht... Er will sprechen, will
-klagen... und er kann es nicht... oh.. wie er leidet... er hört und
-fühlt alles... er will sprechen und kann es nicht...“</p>
-
-<p>Sie brüllte laut auf.</p>
-
-<p>Monika, die blaß bis in die Lippen geworden war, trat auf den Arzt zu.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_183"></a>[S. 183]</span></p>
-
-<p>„Können Sie der Mama nicht ein Mittel geben, um...“</p>
-
-<p>„Ach, Unsinn, das ist alles ganz nebensächlich. Erst müssen wir den
-jungen Mann da mal aufkriegen.“</p>
-
-<p>Er trat von neuem zu dem Kranken, nahm ihm die Senfpflaster ab.</p>
-
-<p>„Merkwürdig, keine Spur von Rötung.“</p>
-
-<p>Die Mutter schrie auf.</p>
-
-<p>„Frau Baronin, er ist noch ganz warm,“ tröstete Martha, die
-unaufgefordert wieder ins Zimmer gekommen war.</p>
-
-<p>„Geben Sie jetzt mal den Kampferspiritus.“</p>
-
-<p>Und wieder begann der Arzt die Brust des Regungslosen zu reiben.</p>
-
-<p>Aber immer noch kein Lebenszeichen.</p>
-
-<p>Der Doktor machte nun ein bedenkliches Gesicht.</p>
-
-<p>„Wir werden nochmal Koffein nehmen,“ sagte er kopfschüttelnd.</p>
-
-<p>Und wieder bohrte er die scharfe Nadel in das blasse Fleisch.</p>
-
-<p>Atemraubende Minuten der Erwartung.</p>
-
-<p>Sie alle waren so nervös geworden, daß sie zusammenschreckten, als die
-Zimmertür sich öffnete.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_184"></a>[S. 184]</span></p>
-
-<p>Alfred trat ins Zimmer. Er richtete ein paar Fragen an den Doktor, die
-dieser kaum beantwortete. Dann nahm er Monika am Arm und ging mit ihr
-ins Nebenzimmer.</p>
-
-<p>„Karl hat mir alles erzählt,“ sagte er seiner Schwester, „nun paß
-gut auf: wenn mit Heinrich irgend etwas passiert, dann weißt Du
-nichts davon, daß Mama noch ein zweitesmal Morphium gegeben hat. Das
-Dienstmädchen muß auch instruiert werden.“</p>
-
-<p>Monika starrte den Bruder ganz verständnislos an. „Was?“</p>
-
-<p>„Na, ganz einfach, weil Mama dann wegen fahrlässiger Tötung rankommt...“</p>
-
-<p>Monika schrie auf: „Alfred, wie kannst Du!“</p>
-
-<p>„Na, das ist doch ganz klar. Im Falle Heinrich stirbt...“</p>
-
-<p>Monika stieß den Bruder heftig vor die Brust und rannte ins
-Nebenzimmer; sie klammerte sich mit beiden Händen an das Fußende des
-Gitterbettes, betrachtete mit irren Augen den Bewußtlosen und die Frau,
-die da am Bette kniete, die Mutter, die vielleicht sein Leben auf dem
-Gewissen hatte... aus Liebe... aus Liebe...</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_185"></a>[S. 185]</span></p>
-
-<p>Und plötzlich strömte es Monika siedendheiß durch die Adern: ein wilder
-Trotz packte sie gegen diese dunkle und furchtbare Macht, die über dem
-blassen Jünglingshaupt schwebte, ein wütendes Sichauflehnen gegen das
-Schicksal, das blind und täppisch und erbarmungslos ein Uebermaß von
-Mutterliebe so entsetzlich ahnden zu wollen schien.</p>
-
-<p>Ihre Hände krampften sich um des Bettes schmale Stäbe; mit weit
-aufgerissenen Augen starrte sie in den Tod... Es war ein sonderbares
-Klingen in ihren Ohren. Wohl hörte sie, daß die Mutter auf den Arzt
-einsprach, aber sie verstand nicht mehr, was sie sagte.</p>
-
-<p>Der kleine Arzt wehrte die Baronin ab.</p>
-
-<p>„Nein, noch eine Koffein-Einspritzung ist unmöglich.“</p>
-
-<p>Dann setzte er zögernd hinzu:</p>
-
-<p>„Vielleicht lassen Sie jetzt nochmal fragen, ob Ihr Hausarzt zu Hause
-ist?“</p>
-
-<p>Von neuem eilte Martha davon.</p>
-
-<p>Und von neuem ging Frau von Birken durch alle Phasen der Hoffnung, der
-Verzweiflung, der Enttäuschung, neuer Hoffnung...</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_186"></a>[S. 186]</span></p>
-
-<p>„Er bewegt die Lippen, er will sprechen &mdash; ich sehe es... Heinrich, ein
-Wort, ein einziges...“</p>
-
-<p>Sie war so fassungslos in die martervollen Abgründe ihres Schmerzes
-versenkt, daß sie nichts von dem sah, was sich nun begab.</p>
-
-<p>Der Doktor verkündete mit seiner mürrischen Stimme: „Er schlägt die
-Augen auf.“</p>
-
-<p>Sie faßte es nicht, begriff es nicht, als Heinrich nun zu sprechen
-versuchte; als er sprach mit deutlicher, ein wenig traumschwerer Stimme:</p>
-
-<p>„Was... ist... denn...“</p>
-
-<p>Bis endlich das gemarterte Mutterhirn die selige Wirklichkeit erfaßte.
-Mit einem erschütternden Freudenschrei warf sich die Mutter über den
-Geretteten:</p>
-
-<p>„Mein Glück... mein einziges...“</p>
-
-<div class="figcenter illowe10" id="kapitelende5">
- <img class="w100" src="images/kapitelende.jpg" alt="Ende des Kapitels" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_187"></a>[S. 187]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Kapitel_6">6.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="dc" id="p145initial2">
- <img class="illowe6" src="images/p145initial.jpg" alt="D" />
-</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">D</span>ieses Ereignis klang in Monika nach mit einer bedeutungsvollen
-Schwere, die es für keinen der anderen gehabt.</p>
-
-<p>Schon der Tod ihres Vaters hatte ihr einen erschütternden Eindruck
-gemacht.</p>
-
-<p>Aber jener Tod war nichts Ueberraschendes, war nur die Folge einer
-langen Kette gewesen, geschmiedet aus leidensvollen Tagen und
-schlaflosen Nächten.</p>
-
-<p>Des Vaters mächtiger Körper war nicht zusammengebrochen wie ein Baum,
-den der Blitzstrahl trifft, nein! Die Krankheit hatte langsam ihr Werk
-getan; alle die vielen Tage und Nächte waren wie Ameisen gewesen, die
-fleißig und hastig Stück um Stück Gesundheit und Leben davontrugen.</p>
-
-<p>Monikas Vater war ein alter Mann gewesen, als seine Augen brachen; alt,
-trotzdem er kaum fünfundvierzig erreicht.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_188"></a>[S. 188]</span></p>
-
-<p>Seine Haare waren wie Schnee.</p>
-
-<p>Seine Augen waren wie verblaßt &mdash; ganz stumpf. Man hatte den Tod kommen
-sehen, wochenlang &mdash; viele Monate lang. &mdash;</p>
-
-<p>Jetzt aber war es anders gewesen.</p>
-
-<p>Jetzt war der Tod heruntergestürzt &mdash; wie ein Habicht aus blauer Höhe
-niederstößt auf sein Opfer. Wohl hatte man ihm seine Beute im letzten
-Moment noch abgejagt, aber allzunahe hatte man das Schwirren seiner
-starken Flügel gehört. &mdash;</p>
-
-<p>Monika sah jetzt im Wachen und im Traum ihres Bruders regungsloses
-Gesicht, das starre Weiß der Augäpfel unter halbgeschlossenen Lidern.</p>
-
-<p>Wie oft hatte sie gehört von Leuten, die jung gestorben waren. Aber das
-hatte ihr nie Eindruck gemacht. Was sie von anderen hörte, blieb ihr
-immer ganz gleichgültig. Sie erfaßte eine Sache erst dann, wenn sie sie
-erlebte.</p>
-
-<p>Und nun hatte sie gesehen, schaudernd mitgefühlt: das Ende! &mdash;</p>
-
-<p>Das brennende Mitleid, das sie für den Bruder gefühlt, verschwand,
-sobald sie sah, daß Heinrich mit einem Tage Kopfschmerzen davonkam.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_189"></a>[S. 189]</span></p>
-
-<p>Aber der Eindruck blieb. Es blieb die wahnsinnige Angst: nicht sterben,
-ehe ich gelebt, ehe ich alles Süße gekostet, was das Leben zu schenken
-hat.</p>
-
-<p>Und es kam der Zweifel, der nagende Zweifel: tue ich recht, wenn ich
-mich vergrabe in tote Gelehrsamkeit &mdash; wenn ich mein Leben verstreichen
-lasse mit dem Erlernen von Systemen, von Theorien?</p>
-
-<p>Mein Gehirn arbeitet &mdash; meine Geisteskräfte werden stärker durch Uebung
-und Erziehung, aber abstrakte Wissenschaft ist nicht das Leben.</p>
-
-<p>Manchmal war es ihr, als ob sie ihr Gehirn haßte, das alle anderen
-Regungen zu verschlingen drohte.</p>
-
-<p>Sie bemühte sich nun, nicht mehr an all die Themata zu denken, die sie
-in den letzten Monaten so sehr absorbiert hatten.</p>
-
-<p>Mit kindischem Trotze suchte sie alle streng geistigen Regungen in sich
-zu ertöten.</p>
-
-<p>Dafür ließ sie jetzt ihrer Phantasie die Zügel schießen. Und es war,
-als ob diese Phantasie, die während der Lernperiode geschlummert, nun
-mit doppelten Kräften aufwachte; lächelnd nahm die Phantasie Monika
-bei der Hand und führte sie viel<span class="pagenum"><a id="Seite_190"></a>[S. 190]</span>gestaltige Irrwege, auf denen viele
-schöne Giftblüten wucherten, wildflammende Blüten, die berauschend und
-betäubend dufteten.</p>
-
-<p>Und Monika spann sich in ihre Phantasien wie die fleißige Seidenraupe,
-die sich mit ihrem Köpfchen in ein silberschimmerndes, dichtes Gewebe
-einspinnt.</p>
-
-<p>Der Tadel der Lehrer &mdash; die Ermahnungen der Mutter blieben umsonst.</p>
-
-<p>Monika nahm am täglichen Leben wenig Anteil, war zerstreut und faul.</p>
-
-<p>Niemand konnte ergründen, was für Gedanken hinter der niedrigen, weißen
-Stirn rege waren. Mit der gleichen, fast unheimlichen Konzentration,
-mit der sie sich erst auf das Lernen gestürzt, widmete sie sich jetzt
-ihren uferlosen Phantasien. Kein fremder Einfluß vermochte sie dieser
-Manie zu entreißen &mdash; nur sie sich selbst.</p>
-
-<p>Und diese Stunde kam.</p>
-
-<p>Ein Gedanke &mdash; sie wußte nicht woher &mdash; eine schaudernde
-Selbsterkenntnis: auch das ist nicht Leben! Nicht nur die Wissenschaft
-stahl mir die Wirklichkeit, auch meine Träumereien haben nichts mit
-Wirklichkeit zu tun. Diese Träumereien, die sich<span class="pagenum"><a id="Seite_191"></a>[S. 191]</span> alle darum drehen,
-wie das wohl sein könnte, nicht, wie es wirklich ist!</p>
-
-<p>Ich aber möchte das Leben, wie es ist!</p>
-
-<p>Aber was sehe ich denn vom Leben, was weiß ich denn davon? Wir Töchter
-aus guter Familie werden gehalten wie die Kanarienvögel im Käfig. &mdash;
-Ach... Leben...</p>
-
-<p>Oft wünschte sie sich jemand, der ihr hätte raten, ihr hätte helfen
-können in dem brausenden Zwiespalt von Gefühlen.</p>
-
-<p>Aber es war niemand da. Sie blieb ganz allein. Allein in der frühen
-Reife des Körpers und des Geistes.</p>
-
-<p>Und ihr Trotz erstarkte in dieser Einsamkeit, ihr Trotz: allein
-dazustehen und allein zu bleiben. &mdash;</p>
-
-<p>In den Unterrichtsstunden verschlechterte sie sich sehr. Und das
-wurde noch schlimmer, als der Winter begann und sich ihr hier und da
-Gelegenheit bot, Tanzfestlichkeiten mitzumachen.</p>
-
-<p>Die Baronin jammerte zwar gottsjämmerlich, wie schrecklich das sei,
-daß sie in ihrem jugendlichen Alter schon als Ballmutter figurieren
-müsse &mdash; außerdem seien die Kosten für diese Vergnügungen<span class="pagenum"><a id="Seite_192"></a>[S. 192]</span> gar nicht zu
-erschwingen &mdash; aber im Grunde genommen ging sie gern hin.</p>
-
-<p>Der Verlauf war jedesmal derselbe: wenn so eine Einladung ins Haus kam,
-erklärte Frau von Birken feierlich, daß man sie unter keinen Umständen
-annehmen würde.</p>
-
-<p>Monika begann sich dann zu entrüsten:</p>
-
-<p>„Du gehst ja doch.“</p>
-
-<p>„Ich denke nicht daran! Wir können das gar nicht bei unseren Mitteln.
-Außerdem müßte ich ein neues Kleid haben.“</p>
-
-<p>„Ach, es geht ja noch mit dem alten, Mamachen, bitte, bitte, wir wollen
-doch hingehen.“</p>
-
-<p>„Unter keinen Umständen!“ sagte Frau von Birken streng. Sie genoß
-dann förmlich die Situation. Sie erschien sich in diesen Augenblicken
-bedeutender als sonst, in dem Bewußtsein, daß Monika von ihr abhängig
-war, daß sie bitten mußte mit kleinen, schmeichelnden Worten.</p>
-
-<p>„Nein, Du hast so eine Freude gar nicht verdient.“</p>
-
-<p>„Mama!“ &mdash; Die weißen Zähne gruben sich tief in die schwellende
-Unterlippe. Heiß flammte der Trotz in den dunkeln Augen auf. Nein, sie
-würde<span class="pagenum"><a id="Seite_193"></a>[S. 193]</span> kein Wort mehr sagen, nicht mehr bitten &mdash; nicht mehr bitten!</p>
-
-<p>Und dann schwirrte vor ihren Augen des Ballsaals blendendes Gewoge,
-dann klang in ihren Ohren die Tanzmusik, unwiderstehlich süß,
-unerträglich lockend...</p>
-
-<p>Und langsam quoll es ihr von den widerstrebenden Lippen: „Bitte...
-bitte...“</p>
-
-<p>„<em class="gesperrt">Ich</em> denke ja gar nicht daran &mdash; ich bin Mutter, ich habe zu
-bestimmen &mdash; wir gehen nicht hin!“</p>
-
-<p>Dann kam es wohl vor, daß Monika sich in einem maßlosen Wutausbruch auf
-der Erde wand und sich die Haare raufte; lange ließ Frau von Birken
-ihre Tochter nicht in dieser Verfassung; sie besänftigte sie in den
-zärtlichsten Schmeicheltönen:</p>
-
-<p>„Monchen, ich bitte Dich, das war ja nicht so ernst gemeint
-&mdash; natürlich gehen wir hin! Und ich schenke Dir mein blaues
-Emaille-Medaillon mit den kleinen Brillanten. Beruhige Dich doch bloß,
-Liebling. Wir gehen ja zu dem Balle. Ja, gewiß...“</p>
-
-<p>Und Monika, noch Tränen in den Augen, lächelte matt und glücklich wie
-eine Rekonvaleszentin.</p>
-
-<p>So trieb Monikas ungezähmter Wille weiter seine wuchernden Triebe, von
-keines verständigen<span class="pagenum"><a id="Seite_194"></a>[S. 194]</span> Gärtners Hand gepflegt, bald gezaust und bald
-gestreichelt von Mutterhänden, die unverständiger waren, als es manche
-Kinderhände sind.</p>
-
-<div class="figcenter illowe5" id="gedankensprung5">
- <img class="w100" src="images/gedankensprung.jpg" alt="Gedankensprung" />
-</div>
-
-<p>Und man ging zum Balle...</p>
-
-<p>Und wenn man nach Hause kam, lag Monika mit schlagenden Pulsen
-schlaflos im Bett mit wirrem Hirn und irritierten Nerven.</p>
-
-<p>Wohl hatte ihr der Ball all die Freude gebracht, die sie von ihm
-erwartet. Aber es war ein Augenblicksrausch gewesen; beim Nachdenken
-hielt er nicht stand. Was war’s denn auch schließlich: ein bißchen
-Musik und Licht und gute Tänzer...</p>
-
-<p>In diesem unbefriedigten Dasein, das ihr weder Ziel noch Zweck zu haben
-schien, glaubte sie dann plötzlich einen Leitstern zu entdecken: die
-Kunst! Mit glühender Begeisterung dichtete sie. Die Worte, die Verse
-strömten ihr zu mit einer Leichtigkeit, über die sie selbst verwundert
-war. Oft war ihr, als sei es gar nicht sie selbst, die das alles
-dächte, sondern als schwebe über ihr ein Unsichtbarer, der ihr ins Ohr<span class="pagenum"><a id="Seite_195"></a>[S. 195]</span>
-sprach, was sie schreiben sollte. Alles war dann wie verändert: die
-Teppiche, auf denen sie ging, waren weicher als sonst, die Bäume auf
-der Straße waren riesenhaft gewachsen &mdash; die eine Rose, die in einem
-Glase vor ihr stand, war ein Rosenfeld von Millionen Blüten.</p>
-
-<p>Sie war dann selig. Selig bis in die Fingerspitzen hinein. So lange,
-bis sie begeisterungsbebend ihrer Mutter und Heinzemännchen die Verse
-vorlas.</p>
-
-<p>Frau von Birken fand die Gedichte teilweise sehr schön, aber furchtbar
-unpassend &mdash; ein junges Mädchen dürfe überhaupt keine Liebesgedichte
-machen.</p>
-
-<p>Und Heinzemännchen rang die Hände und beschwor Monika, über den
-Frühling zu dichten und über den Sommer, oder über den Herbst, oder
-über den Winter &mdash; andere Themata seien für Lyrik unmöglich.</p>
-
-<p>Monika aber faßte eines Tages einen kühnen Entschluß: sie wollte der
-Welt die Proben ihres Talentes nicht länger vorenthalten.</p>
-
-<p>Und &mdash; die Kunstgeschichtsstunde schwänzend &mdash; begab sie sich eines
-Tages mit ängstlichem Herzklopfen in die Redaktion des „Leuchtturms“,
-einer<span class="pagenum"><a id="Seite_196"></a>[S. 196]</span> neu erscheinenden Zeitschrift, in der sich junge Lyriker
-verschiedener Schattierungen tummelten.</p>
-
-<p>Der „Leuchtturm“ war kein phantastisch prunkender Bau, wie Monika
-ihn sich vorgestellt. Drei Zimmer im Parterre eines Berliner
-Hinterhauses bildeten den Leuchtturm. Der Kontorist, der im Vorraum
-zum Allerheiligsten auf einem Drehschemel saß und trübsinnig vor sich
-hinstarrte, wurde durch Monikas Eintritt angenehm gestört. Eine so
-junge Dame hatte er in diesen Räumen noch nicht gesehen.</p>
-
-<p>„Ist der Herr Redakteur zu sprechen?“</p>
-
-<p>„Doktor Waldmann kommt erst in einer Stunde.“</p>
-
-<p>„Ach, so lange kann ich nicht warten: wollen Sie ihm, bitte, dieses
-geben...“</p>
-
-<p>Monika legte hastig ein Kuvert auf den Tisch.</p>
-
-<p>„Steht Ihr Name und Ihre Adresse auch drin?“ fragte der Kontorist.</p>
-
-<p>„Nein &mdash; ich komme wieder.“</p>
-
-<p>Monika rannte davon wie gejagt.</p>
-
-<p>Sie konnte sich viele Tage lang nicht entschließen, nach dem Schicksal
-ihrer Geisteskinder zu fragen. Aber endlich faßte sie Mut.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_197"></a>[S. 197]</span></p>
-
-<p>Es war ein gar unangenehmes Gefühl, so vor den prüfenden,
-pincenezbewehrten Augen des Doktor Waldmann dazustehen.</p>
-
-<p>„Mit wem habe ich die Ehre?“ fragte er.</p>
-
-<p>„Ach, der Name tut ja nichts zur Sache,“ sagte Monika heiß errötend.
-„Ich wollte nur wissen, ob mein Gedichtzyklus ‚Libellen‘ zu brauchen
-ist?“</p>
-
-<p>„Sehr talentvoll, mein gnädiges Fräulein,“ sagte der Redakteur
-wohlwollend, „wir wollen in der nächsten Nummer mit der
-Veröffentlichung anfangen.“</p>
-
-<p>„O...“ Monika schrie beinahe vor Freude.</p>
-
-<p>„Und wohin soll ich das Honorar senden lassen?“</p>
-
-<p>„Auch Honorar?“ Ihre Begeisterung erreichte jetzt den höchstmöglichen
-Grad.</p>
-
-<p>„Bitte, schicken Sie mir gar nichts,“ sagte sie stotternd. „Ich komme
-es mir gelegentlich selbst abholen.“</p>
-
-<p>„Soll mich freuen. Zwischen vier und sechs Uhr finden Sie mich meistens
-hier.“</p>
-
-<p>Ein Händedruck, und sie eilte fort.</p>
-
-<p>Kaum war sie zu Hause angelangt, als sie ihr sorgsam gehütetes
-Geheimnis verkündete.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_198"></a>[S. 198]</span></p>
-
-<p>Ihre Mutter war eine Beute der widerstrebendsten Empfindungen.
-Einerseits fand sie es maßlos unpassend, daß Monika allein auf eine
-Redaktion gegangen, andererseits imponierte ihr die Tatsache, daß ihre
-Tochter wirklich „gedruckt werden sollte“, kolossal. Hatte doch Frau
-von Birken mit vierzehn Manuskripten vergebens darum gekämpft.</p>
-
-<p>Monikas Brüder erklärten die Neuigkeit für Schwindel: „Monika will bloß
-bemänteln, daß sie über eine Stunde zu spät aus dem Kursus kommt.“</p>
-
-<p>Aber der nächste Leuchtturm brachte tatsächlich die „Libellen“, und
-Monika stürzte daraufhin in die Redaktion, allwo sie fünfzehn Mark
-Honorar empfing. Sie benutzte sie schleunigst dazu, sich lauter Sachen
-anzuschaffen, die ihr verboten waren: eine Schachtel Zigaretten, den
-neuen Roman eines naturalistischen Schriftstellers und eine Flasche
-Chypre-Parfum.</p>
-
-<p>Sie hatte auf der Redaktion wieder ihren Namen nicht genannt und tat
-es auch weiterhin nicht. Sie versäumte jetzt manchmal ein oder zwei
-Stunden in den Gymnasialkursen, war während dieser Zeit heimlich auf
-der Redaktion des Leuchtturms; da war immer der eine oder andere
-Zeichner, Schriftsteller<span class="pagenum"><a id="Seite_199"></a>[S. 199]</span> oder Redakteur, mit dem sie aufs angeregteste
-plauderte.</p>
-
-<p>Der ihr bisher unbekannte freie Ton der Unterhaltung begeisterte sie.
-Sie lauschte gespannt, wenn die Herren sich gegenseitig neckten oder
-ihre Abenteuer zum besten gaben; sie genierten sich nicht in Gegenwart
-dieses netten, „anonymen“ Mädchens.</p>
-
-<p>Die Komplimente, die sie Monika machten, waren anderer Art als die, die
-sie bisher von den Leutnants gehört. Aber es waren doch Komplimente!
-Das genügte ihr.</p>
-
-<p>Frau von Birken ahnte nichts von den kleinen Eskapaden ihrer Tochter.
-Sie gebärdete sich oft trostlos, wenn wieder ein neues Gedicht von
-Monika im Leuchtturm erschien.</p>
-
-<p>„Ich würde die Verse entzückend finden, wenn sie nicht von meiner
-eigenen Tochter wären,“ sagte sie. „O Gott, daß ich so etwas
-Unpassendes an Dir erleben muß!“</p>
-
-<p>Aber alles in allem war Monika doch in ihrer Achtung gestiegen, seitdem
-sie sich zur „Schriftstellerin“ entfaltete.</p>
-
-<p>Das hinderte aber nicht, daß eine Verlobung doch Frau von Birken
-bedeutend mehr impressionierte.<span class="pagenum"><a id="Seite_200"></a>[S. 200]</span> Sie sprach tagelang von nichts anderem
-als von der goldumränderten Karte, die ins Haus gekommen:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„Die Verlobung ihrer einzigen Tochter Marie mit dem Leutnant der
-Reserve im Dragoner-Regiment Kronprinz, Gutsbesitzer Wilhelm von
-Hammerhof auf Hammerhof beehren sich ergebenst anzuzeigen</p>
-
-<div class="right mright1">
- <div class="inblock">
- <div class="left">von Holtz-Sarkow und Frau,<br />
- geborene Freiin von Birken.“</div>
- </div>
-</div>
-
-</div>
-
-<p>„Nein, was die Marie für ein Glück macht!“ rief Frau von Birken ein
-über das anderemal.</p>
-
-<p>„Du weißt doch noch gar nicht, ob das ein Glück wird.“</p>
-
-<p>„Aber, Mone &mdash; das wird es schon! Ein so reizendes Mädchen wie Marie!
-Und er ist doch ein vornehmer, tadelloser Mann.“</p>
-
-<p>„Kennst Du ihn?“</p>
-
-<p>„Nein, aber ich bin sicher, daß er eine glänzende Partie ist. Du kannst
-nicht darüber urteilen, Mone, denn Du wirst sicher nie heiraten. Für
-ein Mädchen, das studiert und außerdem schriftstellert, paßt das ja
-auch gar nicht.“</p>
-
-<p>Monika zog ein Gesicht: sie schien nicht sehr damit einverstanden zu
-sein.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_201"></a>[S. 201]</span></p>
-
-<p>Einige Wochen nachher kam Frau von Holtz mit dem Brautpaare nach
-Berlin, um Einkäufe zu machen.</p>
-
-<p>Der Bräutigam war ein gut aussehender Mensch, höflich und freundlich,
-Geist und Bildung gesunder Durchschnitt.</p>
-
-<p>„Eine so passende Partie!“ Die zukünftige Schwiegermutter strahlte,
-war viel entzückter als Marie selbst. Sie erzählte ihrer Schwägerin:
-„Denke Dir, Marie wollte eigentlich noch gar nicht heiraten, kam auf
-ihr verrücktes Studierprojekt zurück, erklärte mir, vorläufig triebe
-sie nichts gebieterisch zu einer Heirat, und so wolle sie einstweilen
-warten, wolle ihre Freiheit nicht verlieren. &mdash; Na, ich habe ihr
-den neumodischen Unsinn schon ausgetrieben! &mdash; Es wäre doch auch
-zu unsinnig gewesen, Hammerhof auszuschlagen. Unsere Güter grenzen
-aneinander, Marie ist zwanzig Jahre alt, gerade das richtige Alter
-zum Heiraten! Wenn die Mädchen nicht früh heiraten, bekommen sie alle
-so sonderbare Ideen bei den überspannten Zeitströmungen, die jetzt
-herrschen.“</p>
-
-<p>„Ja, aber wenn sie ihren Bräutigam nicht glühend liebt?“ sagte die
-Baronin Birken bedenklich.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_202"></a>[S. 202]</span></p>
-
-<p>„Mein Gott, Mali, Du wirst schon wieder romantisch. Was soll das
-vorstellen: ‚glühend liebt‘? Ich habe meinen Mann, als wir verlobt
-waren, auch nicht glühend geliebt, und wir führen die harmonischste
-Ehe, die man sich vorstellen kann. Ich finde: ein Mädchen aus unseren
-Kreisen hat überhaupt nicht glühend zu lieben! Wirst Du Dir denn Deine
-Romantik nie abgewöhnen, Mali?“</p>
-
-<p>„Ich hoffe, nein!“ sagte die Baronin stolz. „Ich bin froh, daß ich
-meine jugendliche Begeisterung habe, und ein echtes Gemüt bleibt ewig
-jung!“ &mdash;</p>
-
-<p>Was Begeisterung anbetraf, so entfaltete Frau von Birken ein
-vollgemessenes Quantum in den nächsten Tagen; sie fand alles
-begeisternd: die Theatervorstellungen, die Einkäufe und Bestellungen,
-alles...</p>
-
-<p>Die Einkäufe waren übrigens ein Zankapfel zwischen Marie und ihrer
-Mutter. Frau von Holtz versuchte &mdash; autoritativ wie immer &mdash; ihren ganz
-persönlichen Geschmack zur Geltung zu bringen, und Marie fand mitunter
-ein scharfes Wort: „Schließlich, ich soll doch die Sachen haben und
-nicht Du, Mama. Da ist doch mein Geschmack eigentlich wichtiger.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_203"></a>[S. 203]</span></p>
-
-<p>Frau von Holtz klagte dann über die schreckliche, neue Zeit, in der
-die Töchter gar nicht mehr den richtigen Respekt entfalteten und sich
-anmaßten, eigene Meinungen zu haben. Hatte sie selbst einst ihrer
-Mutter Vorschriften zu machen gewagt, als diese ihr die Aussteuer
-gekauft? Mit ehrfurchtsvollem Danke hatte sie alles entgegengenommen &mdash;
-und dabei sei der gelbe Salon mehr als unpraktisch ausgesucht gewesen!</p>
-
-<p>Auch Monika fand Maries Benehmen als Braut zu tadeln.</p>
-
-<p>„Ich würde mich anders benehmen, wenn ich verlobt wäre,“ sagte sie zu
-ihrer Mutter. „Der Marie merkt man gar nicht an, daß sie glücklich ist.
-Ich glaube, die paßt gar nicht für die Ehe!“</p>
-
-<p>„Was, die Marie soll nicht für die Ehe passen?“ entrüstete sich Frau
-von Birken, „so ein reizendes Mädchen! Und die schönen Handarbeiten,
-die sie macht, und kocht tadellos; sogar Früchte einkochen kann sie
-ganz allein.“</p>
-
-<p>Am tiefsten berührt von der ganzen Verlobung war unstreitig Bertha,
-die das Brautpaar bei Birkens kennen gelernt hatte: sie fand Monika
-gegen<span class="pagenum"><a id="Seite_204"></a>[S. 204]</span>über nicht Worte genug, um Maries Glück zu rühmen.</p>
-
-<p>„Denke doch, verlobt sein mit solch nettem Menschen, lauter schöne
-Sachen bekommen und sich küssen dürfen... und dann nachher die Trauung,
-so im weißen Schleppkleide, schleierumwogt vor Gottes Altar &mdash; ach,
-entzückend! Und dann nachher junge Frau! Es gibt doch wohl nichts
-Schöneres als jung verheiratet zu sein. Und süße Kinder haben... Und
-nun zu denken, daß mir das alles nicht blühen wird &mdash; nein, sprich
-nicht dagegen! Wer soll denn eine Frau heiraten, die studiert? Ich sage
-Dir: wenn ich die Person wüßte, die das Frauenstudium erfunden hat, die
-brauchte sich nicht zu gratulieren!“</p>
-
-<p>Monika lachte. „Ach, die studierten Frauen können doch gerade so gut
-heiraten wie die anderen!“</p>
-
-<p>Aber Bertha war nicht zu überzeugen.</p>
-
-<p>Nach zehntägigem Aufenthalt reiste Frau von Holtz mit dem Brautpaar
-zurück.</p>
-
-<p>Die Hochzeit sollte in wenigen Monaten stattfinden, und die angehende
-Schwiegermutter fühlte sich ganz in ihrem Element bei all den
-Vorbereitungen, die nun Platz griffen. Mine Petermann ver<span class="pagenum"><a id="Seite_205"></a>[S. 205]</span>ließ
-Sarkow überhaupt nicht mehr; die schwarze Taille über dem mächtigen
-Busen dick mit Stecknadeln gespickt, brütete sie unermüdlich über
-den Modeblättern, probierte und verwarf, probierte von neuem und
-begeisterte sich &mdash; und begeisterte Frau von Holtz mit den glühenden
-Schilderungen der Meisterstücke von Toiletten, die sie im Begriff war,
-anzufertigen.</p>
-
-<p>Zwischen Mutter und Tochter entbrannten dieselben
-Meinungsverschiedenheiten wie bei der Auswahl der Möbel; jede suchte
-ihren eigenen Geschmack durchzusetzen. Die Mutter siegte auf der ganzen
-Linie, aber die Folge davon war, daß Marie nun ohne Freude die Anproben
-über sich ergehen ließ.</p>
-
-<p>Es war überhaupt nichts von strahlendem Glück an ihr zu merken. Zu
-ihren Freundinnen aus Neustadt und Hahndorf sagte sie zwar mit einer
-gewissen Wichtigkeit: „Mein Bräutigam...“, aber wenn dieser kam, so
-empfing ihn kein übermäßig freundliches Gesicht.</p>
-
-<p>Er machte sich übrigens nicht viel Gedanken darüber, zumal er selbst
-keine leidenschaftliche Verliebtheit für seine Braut entfaltete.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_206"></a>[S. 206]</span></p>
-
-<p>Sie war eben eine „so passende Partie“, paßte, was Familie, Alter,
-Vermögen anbetraf, vortrefflich zu ihm; ihre äußere Erscheinung
-genügte den Ansprüchen, die er an seine zukünftige Gattin stellte. Die
-Reserviertheit, die sie zur Schau trug, störte ihn nicht. Marie war mit
-Gefühlsäußerungen immer so zurückhaltend gewesen, daß Frau von Holtz
-ganz entsetzt war, als sie sie eines Tages in heißen Tränen fand.</p>
-
-<p>Sie war in ihrer Tochter Wohnzimmer gekommen, um ihr eine eben
-eingetroffene Auswahlsendung von weißen Seidenstoffen zu zeigen.</p>
-
-<p>Da fand sie Marie mit dem Oberkörper auf der Tischplatte liegend, die
-Hände vor die Augen gepreßt. Ein krampfhaftes Weinen ließ die schmalen
-Schultern erzittern.</p>
-
-<p>„Marie!“</p>
-
-<p>Das tränenüberströmte Gesicht hob sich empor:</p>
-
-<p>„Mama, laß mich Dir sagen, ich will Wilhelm nicht heiraten, ich will
-nicht.“</p>
-
-<p>„Was? &mdash; Was ist denn? &mdash; Warum...“</p>
-
-<p>„Ich liebe ihn nicht.“</p>
-
-<p>„Liebstes Kind, das kommt in der Ehe. Vernunftheiraten werden immer die
-glücklichsten Ehen.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_207"></a>[S. 207]</span></p>
-
-<p>„Mama, ich will nicht heiraten, noch nicht! Es ist langweilig hier so
-allein mit Euch, aber ich will gern hierbleiben, tausendmal lieber
-hierbleiben, als mit einem fremden Manne fortgehen. Er ist mir ja
-so fremd! In meinem Innern spricht nichts für ihn. Und nun soll ich
-Tag und Nacht mit einem Fremden sein, soll ihm mein ganzes Leben
-schenken...“</p>
-
-<p>Frau von Holtz war erblaßt vor Erregung.</p>
-
-<p>„Ich erkenne Dich nicht mehr wieder, Marie. Du wirst hysterisch. Was
-ist das nur auf einmal? Dich hat niemand zu der Verlobung gezwungen!“</p>
-
-<p>„Nein, gezwungen nicht. Nur zugeredet habt Ihr mir. Und ich war zuerst
-ja ganz einverstanden. Aber jetzt, wo der Hochzeitstag näher und näher
-rückt, habe ich mich zu der Ueberzeugung durchgerungen: Ich kann ihn
-nicht heiraten!“</p>
-
-<p>„Marie, besinne Dich auf Dich selbst! Du kannst doch jetzt Deinen
-Entschluß nicht ändern. Du hast Wilhelm Dein Wort gegeben &mdash; Du kannst
-ihm das nicht antun, Dein Wort zu brechen, so ohne jede Ursache, ohne
-jeden Grund! &mdash; Und wie stehst Du nachher da? Ein Mädchen, dessen
-Verlobung zurückgeht, wird immer scheel angesehen. Nein, was<span class="pagenum"><a id="Seite_208"></a>[S. 208]</span> würden
-die Leute nur sagen, jetzt, wo schon die ganze Aussteuer fast fertig
-ist!“</p>
-
-<p>„Ich will nicht,“ schluchzte Marie, „ich will nicht.“</p>
-
-<p>Und die Mutter redete weiter, abwechselnd drohend und bittend; sie
-wendete ihre ganze Kraft auf, um das, was sie als eine nervöse Laune
-ihrer Tochter empfand, zu besiegen; sie bat und beschwor, drohte und
-befahl.</p>
-
-<p>Dann schwieg sie erschöpft und starrte angstvoll auf Marie, die immer
-noch das Gesicht in den Händen verbarg.</p>
-
-<p>Und endlich hob die Tochter das Haupt.</p>
-
-<p>Und mit einem Zucken ihrer schmalen Schultern, dieser Bewegung, die sie
-immer machte, wenn der Mutter Willen den ihren besiegte, sagte sie müde:</p>
-
-<p>„Also ja &mdash; ich werde mein Wort halten. Aber vergiß diese Stunde hier
-nicht... vergiß sie nie, Mama...“</p>
-
-<div class="figcenter illowe10" id="kapitelende6">
- <img class="w100" src="images/kapitelende.jpg" alt="Ende des Kapitels" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_209"></a>[S. 209]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Kapitel_7">7.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="dc" id="p039initial2">
- <img class="illowe6" src="images/p039initial.jpg" alt="„M" />
-</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">M</span>onika..!“ &mdash; Monika hörte nicht. Sie hatte ihren „Katalogtag“. Sie
-behauptete, daß Kataloge studieren so ziemlich einer der größten
-Genüsse sei, dem man sich hingeben könne.</p>
-
-<p>Oft sagte ihr solch ein Preisverzeichnis mehr als ein Roman. Sie
-schwelgte geradezu in Katalogen, durchlief eine ganze Skala von
-Empfindungen von wunschlos anbetender Bewunderung bis zum heißgierigen
-Habenwollen.</p>
-
-<p>Das Preisverzeichnis einer Delikatessenwarenhandlung versetzte sie in
-Entzückungszustände. Die angepriesenen Sachen waren wie eines Baumes
-Aeste und Aestchen, auf denen sich ihre Phantasie, blankäugig und
-behend wie ein Eichhörnchen, hin und her schwang.</p>
-
-<p>Sie las: „Hummern, lebende Helgoländer und norwegische...“ Da sah sie
-die sonderbaren<span class="pagenum"><a id="Seite_210"></a>[S. 210]</span> Schaltiere vor sich, mit ihren komischen, gestielten
-Augen, mit dem harten Panzer über dem weichen Fleisch, dessen saftige
-Frische sie förmlich auf der Zunge fühlte.</p>
-
-<p>Und sie fühlte die scharfe, salzige Luft der Nordmeere, der grauen,
-kalten Meere, die um starre Felsen und Klippen rauschen. Das war
-dasselbe ewige Meer, das einst die Drachenschiffe getragen &mdash;
-dasselbe, das jetzt Panzerkreuzer und Torpedos trug, und das heute
-die komplizierten Wunderschöpfungen der Technik in böser Laune gerade
-so zerschlug und zerbrach, wie es einst die ungefügen Holzplanken
-zerschlagen.</p>
-
-<p>Und sie las weiter: „<span class="antiqua">India green turtle meat, sundried</span>.“ &mdash; Da
-fing ihr Herz an, ganz laut zu schlagen.</p>
-
-<p>Und sie las weiter: „<span class="antiqua">India green turtle meat</span>,“ so heiß, daß sie
-nicht mehr wohltat, sondern zerstörte, dort war sie ein vernichtend
-flammender Feuerball in einem unerhört blauen Himmel, schüttete
-Strahlengarben über das Land voll Prunk und Schmutz &mdash; über die
-schmalgliedrigen dunkeln Hindus mit den schmachtenden, sanften Augen &mdash;
-über die stolzen, blonden Engländer, die hier die<span class="pagenum"><a id="Seite_211"></a>[S. 211]</span> Herren waren. Und
-das geknechtete und mißhandelte Land war doch so oft stärker als sie,
-gab ihnen heimlich und böse lächelnd die Keime von Fieber, von Pest und
-Tod. &mdash;</p>
-
-<p>Und weiter: „Truffes de Périgord“. Monikas Näschen schnupperte, als
-fühle sie den unvergleichlichen Duft der schwarzen Erdfrucht.</p>
-
-<p>„Trüffeln“ bedeutete ihr förmlich ein Programm. Pikante Würze mit einem
-lockenden Dufthauch darüber. &mdash;</p>
-
-<p>Und „Périgord“, Frankreichs lachende Gefilde. Graue Edelschlösser auf
-sanften Hügelabhängen, umwogt von einem Meer von Blütenbäumen. &mdash; Und
-drinnen im Schloß ein Liebeshof &mdash; schöne Ritter und schöne Damen in
-Gold und Seide, zur feierlichen Beratung versammelt über der Liebe
-wichtige Fragen.</p>
-
-<p>Ueber alle herrschend die schöne Frau des Hauses, deren Urteil sich
-alle beugen, Edeldamen und Troubadours! Und der Troubadours Bester kam
-ihr in den Sinn, Bertrand de Born, „der mit einem Lied entflammte &mdash;
-Périgord und Ventadorn ...“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_212"></a>[S. 212]</span></p>
-
-<p>Der hochmütige Troubadour, der, ein Siegerlächeln um die blutroten,
-üppigen Lippen, sich gerühmt, „daß ihm nie mehr als die Hälfte &mdash;
-seines Geistes nötig sei!“</p>
-
-<p>O dieser Mann, der Sieger, strotzend von Kräften des Körpers und
-des Geistes wie ein Blütenbaum im Mai, ein Meister des Liedes, ein
-Gewaltiger der Sprache, der Männergehirne und Mädchenherzen mit süßen
-und bitteren Worten lockte und bezwang...</p>
-
-<p>Dieser Gedanke fand in Monika eine so starke Resonanz, daß sie ziemlich
-abwesend über einige Seiten hinweglas, die sie sonst mit Entzücken
-erfüllt haben würden.</p>
-
-<p>Die Preisverzeichnisse von Konfektionsgeschäften, von Wäschefirmen
-waren kaum weniger dazu angetan, ihr ein schwelgerisches Genießen zu
-verschaffen.</p>
-
-<p>Bei den Hemdeinsätzen aus Brüsseler und Brügger Spitzen dachte sie an
-die belgische Spitzenfabrikation, sah kleine flandrische Städtchen,
-saubere Häuschen mit blitzblanken Spiegelscheiben, den „Spion“ am
-Fenster &mdash; das Glockenspiel klingt vom Beffroi.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_213"></a>[S. 213]</span></p>
-
-<p>Im Beginenkloster des toten Brügge klöppelten blasse Nonnenhände
-die zarten Gebilde aus dünnen Fäden. &mdash; Und es gab Spitzen, die
-wurden in Kellern gearbeitet, die Luft mußte feucht sein, damit beim
-tausendfältigen, kunstvollen Durcheinanderwirren der Faden nicht brach,
-der &mdash; dünn wie Spinnengewebe &mdash; durch die Hände der bleichsüchtig
-armseligen Mädchen lief, welche Stunde um Stunde klöppelten, ohne
-aufzusehen. Die Mädchen hatten gewiß so kraftlos ausgesehen wie
-Kellerblumen; mit blutlosen Fingern hatten sie die Spitzen gearbeitet,
-die dazu bestimmt waren, die Wäsche und die Kleider leichtsinniger
-Schönen zu zieren, die bunt und glänzend wie Paradiesvögel oder Pfauen
-durchs Leben geschritten.</p>
-
-<p>Und dann die Verzeichnisse der Parfumfabriken. Die waren vielleicht
-doch das Schönste von allen. Ach, das Duften, das berauschende Duften,
-das aus des Büchelchens Seiten stieg.</p>
-
-<p>„White rose“ &mdash; herb und süß. Kaum erschlossene Rosenkelche,
-mondlichtüberflutet in einem Park von Englands Schlössern. &mdash; Eine
-blonde Herzogin, die sich aus dem Festgewühl hinabschleicht in den
-Park, der feucht ist vom Tau der Nacht. &mdash;<span class="pagenum"><a id="Seite_214"></a>[S. 214]</span> Und nach einer kleinen
-Weile verschwindet droben aus dem lichter- und gästeerfüllten Saale ein
-schlanker Kavalier. Die weißen Rosen duften so süß. &mdash;</p>
-
-<p>Und dann „Chypre“. Aufreizend und schwül, der Duft für eine Frau, die
-launisch ist und süß und grausam wie die Göttin der Insel Cypern selbst.</p>
-
-<p>„Ambra“! Der Orient wird lebendig, das Gewühl der Märkte und Basare,
-die wollüstigen und blutdürstigen Geschichten der tausend Nächte
-und der einen Nacht. Ueppige Prinzessinnen, die schönen Gesichter
-schleierverhüllt, schlanke Wüstensöhne, die starben aus Liebe.</p>
-
-<p>„Goldregen“ und „Flieder“, „Ylang-Ylang“ und „Coeur de Jeannette“,
-„Cuire de Russie“ und „Tuberosen“ &mdash; alles wurde eine Geschichte. &mdash;</p>
-
-<p>Ganz geistesabwesend sah Monika dann aus, wenn man zu ihr sprach, wenn
-ihre Mutter wieder einmal sagte:</p>
-
-<p>„Nimm Dir doch endlich was Vernünftiges vor! Wie kann man sich nur in
-solch langweilige Kataloge vertiefen?“</p>
-
-<p>Und wenn Alfred behauptete:</p>
-
-<p>„Ich habe ja schon viel von Stumpfsinn gesehen, aber etwas derartiges,
-wie sich hinsetzen und<span class="pagenum"><a id="Seite_215"></a>[S. 215]</span> solche Verzeichnisse lesen, das hab’ ich noch
-nicht gesehen!“</p>
-
-<p>Die Brüder waren überhaupt Monikas größtes Kreuz; sogar auf
-gesellschaftlichen Veranstaltungen war sie vor ihnen nicht sicher. War
-es etwa nötig, daß sie mit zu dem Wohltätigkeitsbasar „Am Posilipp“
-kamen?</p>
-
-<p>Zuerst war die Mutter geneigt gewesen, Monikas Protest: „Gymnasiasten
-gehörten überhaupt noch nicht auf solche Feste!“, anzuerkennen.
-Aber Alfred hatte die Worte seiner Schwester mit einem Höllenlachen
-aufgenommen.</p>
-
-<p>„Das könnte Dir wohl so passen, mein Kind, dort ohne unsere Aufsicht
-rumzukokettieren?“</p>
-
-<p>Und Heinzemännchen hatte erklärt, daß, da doch nun mal seit Papas Tode
-die ganze Verantwortung auf seinen Schultern läge, er nicht gestatten
-könne, daß Monika ohne ihn diesen Basar mitmache. Außerdem wünsche er
-sich von „dem italienischen Stimmungszauber dort lyrisch anregen zu
-lassen“.</p>
-
-<p>So war denn, Karl ausgenommen, die ganze Familie „Am Posilipp“. So
-hatte der „Frauenverein zum Wohle von Lungenkranken“ sein dies<span class="pagenum"><a id="Seite_216"></a>[S. 216]</span>jähriges
-Fest getauft. Von allen möglichen und unmöglichen Standorten herunter
-wehten die weiß-rot-grünen Flaggen Italiens mit dem Wappen des Hauses
-Savoyen.</p>
-
-<p>An den Wänden roh hingeworfene Dekorationen und Bemalungen, die jetzt
-das elektrische Licht verklärend und verschönend übergoß.</p>
-
-<p>Ein buntes, wirres Durcheinander von gut und schlecht angezogenen
-Leuten, von Gesellschaftstoiletten und italienschen Kostümen und auch
-von anderen Volkstrachten.</p>
-
-<p>Mit der Nationalität schien man es nicht so genau zu nehmen.</p>
-
-<p>Die Damen in den Verkaufsbuden waren in jedem Alter und in jedem
-Typ vorhanden. Die einzelnen Buden waren hübsch arrangiert. Die
-feilgebotenen Gegenstände, wie immer bei solchen Gelegenheiten,
-geschmacklose Ware.</p>
-
-<p>Jede <span class="antiqua">dame patronesse</span> hatte außer den Gehilfinnen in ihrer Bude
-noch eine Anzahl „fliegender Verkäuferinnen“, junge Mädchen, die wie
-Bienen emsig und unerschrocken den Saal durchschwirrten, ihren Vorrat
-an Blumen, Lotterielosen, Zigaretten<span class="pagenum"><a id="Seite_217"></a>[S. 217]</span> den Herren anboten und dann von
-Zeit zu Zeit an ihre Verkaufsstände zurückkehrten, zwar nicht wie die
-Bienen mit Blütenstaub, sondern mit Mammon beschwert.</p>
-
-<p>Monika gehörte zu den „Fliegenden“ von Frau von Wetterhelms Blumenstand.</p>
-
-<p>Frau von Wetterhelm war auf allen Wohltätigkeitsveranstaltungen
-bekannt wie ein bunter Hund. Sie kam, sie war da und unterzeichnete im
-„Festausschuß des Ehrenkomitees“: „Frau Oberst von Wetterhelm“. Das
-„geborene Krause“ ließ sie weg.</p>
-
-<p>Das „Frau Oberst“ war eigentlich eigenes Patent.</p>
-
-<p>Sie war von Wetterhelm geschieden worden, als dieser noch Leutnant
-war. Der hatte dann bald darauf zum zweitenmal geheiratet, hatte aus
-dieser zweiten Ehe fünf Kinder und bekümmerte sich nicht im mindesten
-um das Schicksal seiner ersten Gattin, an der er &mdash; wie der bekannte
-Villenkäufer &mdash; nur zwei Freuden erlebt hatte: den Tag, an dem er sie
-bekam, und den Tag, an dem er sie losward!</p>
-
-<p>Auch sie hatte nie mehr versucht, seinen Lebensweg zu kreuzen, aber sie
-avancierte mit! Sobald sie<span class="pagenum"><a id="Seite_218"></a>[S. 218]</span> erfuhr, daß ihrem Gatten eine höhere Charge
-zuteil geworden, ließ sie sich neue Visitenkarten drucken. So war
-der „Frau Oberleutnant von Wetterhelm“ im Laufe der Jahre eine „Frau
-Hauptmann“ gefolgt; jetzt war sie bei „Frau Oberst“ angelangt.</p>
-
-<p>Da sie eine auskömmliche Rente hatte und sich um ihren Lebensunterhalt
-nicht zu sorgen brauchte, so verbrachte sie ihre Zeit mit Besuchemachen
-und Teilnahme an Wohltätigkeitsfesten. Bei diesen war sie, wie gesagt,
-gar nicht zu vermeiden, und ebensowenig war es möglich, ihr die
-Blumenbude zu entreißen. „Blumen sind das Poetischste!“ sagte sie, „und
-gerade ich mit den so unendlich schweren Lebensschicksalen, &mdash; ich
-müßte ja verzweifeln, wenn ich mich nicht in die Poesie flüchten würde!
-&mdash; &mdash; Das verstehen Sie? Nicht wahr, das müssen Sie verstehn?! &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>So behielt sie die Poesie und die Blumenbude und machte gewöhnlich
-recht gute Geschäfte, da sie es verstand, reizvolle, hübsche Mädchen
-und Frauen als Gehilfinnen zu werben.</p>
-
-<p>Als sie vor wenigen Wochen in einer befreundeten Familie Monika kennen
-gelernt, hatte sie dieselbe sofort für den Posilipp dingfest gemacht.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_219"></a>[S. 219]</span></p>
-
-<p>Und Monika war begeistert. Konnte es denn überhaupt etwas Schöneres
-geben, als so losgelöst zu sein vom Zwange des Alltags? Ganz ungetrübt
-war ja ihr Glück nicht wegen der Anwesenheit der Brüder.</p>
-
-<p>Alfred hatte sein brüderliches Ueberwachungsamt zwar gleich im Stich
-gelassen, als eine blonde Neapolitanerin ihm zugelächelt.</p>
-
-<p>Heinzemännchen aber nahm seine Verpflichtung ernster.</p>
-
-<p>Mit unermüdlicher Ausdauer lief er hinter seiner leichtfüßigen
-Schwester her und holte Mama zur Verstärkung, wenn Monika wieder einmal
-allzulange Dialoge mit einem blumenkaufenden Leutnant führte.</p>
-
-<p>Natürlich stachelte diese Ueberwachung Monikas Trotz erst recht; sie
-ärgerte sich in eine förmliche Empörung hinein! Also nicht mal hier
-konnte man ihr Ruhe lassen! War sie denn wirklich so viel schlimmer als
-alle die anderen jungen Mädchen, die sich hier ungestört ihres Lebens
-freuten?!</p>
-
-<p>Was hatte sie denn schließlich begangen? Die paar Flirts, die paarmal,
-wo sie verliebt gewesen<span class="pagenum"><a id="Seite_220"></a>[S. 220]</span> war, was sich hauptsächlich auf das Dichten
-guter Verse beschränkt hatte &mdash; &mdash;</p>
-
-<p>Eine heiße Zornwelle flutete in ihr empor. Nun erst recht! Wollen doch
-mal sehn, ob wir nicht Heinzemännchen, dem Tugendbold, ein Schnippchen
-schlagen können?!</p>
-
-<p>Mit Blitzesschnelle hatte sie sich in das Leinwandzelt von Fräulein von
-Toring, die als Wahrsagerin fungierte, geflüchtet. Durch einen Spalt
-beobachtete sie Heinrichs ratloses Gesicht; er hatte nicht bemerkt,
-wohin sie so plötzlich entschwunden. Sein bestürzter Ausdruck war so
-komisch, daß Monika sich nur mit Mühe enthielt, laut aufzulachen.</p>
-
-<p>Dann sah sie ihre Mutter zu Heinrich herantreten, der er dann
-anscheinend einen Kriegsplan entwickelte; gleich darauf schwenkte er
-nach links ab, während Frau von Birken das Terrain nach rechts absuchte.</p>
-
-<p>Diesen Augenblick benutzte Monika, um aus dem Zelt zu rasen, die Treppe
-hinauf, die in den ersten Rang führte, wo all die Logen waren; dort
-würde man sich gut verstecken können.</p>
-
-<p>Wie ein Pfeil schoß sie hinauf, bog um die Ecke und prallte so heftig
-an einen Herrn an, daß nur<span class="pagenum"><a id="Seite_221"></a>[S. 221]</span> dessen schnelles Zufassen sie vor einem
-Falle bewahrte.</p>
-
-<p>„Na, wohin so eilig?“ fragte er lächelnd.</p>
-
-<p>Monika war zu atemlos, um zu antworten; sie blickte stumm den Fragenden
-an.</p>
-
-<p>Er war ein Kavalier in der Mitte der dreißiger Jahre, ein vollendeter
-Typus des norddeutschen Aristokraten. Er war groß, auf breiten
-Schultern saß ein stolz getragener Hals, ein schmaler Kopf. Er hatte
-die hochsattelige Nase der vornehmen Rassen, kühle graue Augen, einen
-bürstenförmig kurzgeschnittenen Schnurrbart über dem harten Mund. Er
-betrachtete mit Interesse das glühende, schöne Mädchen. „Vor wem sind
-Sie denn auf der Flucht? Vor welchem Argus?“</p>
-
-<p>„Argus stimmt auffallend,“ lachte Monika.</p>
-
-<p>„Hier finden Sie ein tadelloses Versteck.“ Er öffnete die Tür einer der
-Logen, die leer war.</p>
-
-<p>Monika ließ sich auf einen der Stühle nieder.</p>
-
-<p>„Erst mal atmen!“ sagte sie.</p>
-
-<p>Ihr schlug das Herz zum Zerspringen, von dem schnellen Laufen sowohl
-als auch wegen der ungewohnten Situation: allein mit diesem schönen
-Un<span class="pagenum"><a id="Seite_222"></a>[S. 222]</span>bekannten, auf drei Seiten von schirmenden Logenwänden umschlossen
-und vor sich den Blick auf des Ballsaals tobendes Gewühl da unten.</p>
-
-<p>Ihre anfängliche Befangenheit schwand schnell bei der überlegen
-sicheren Art, mit der ihr Begleiter das Gespräch führte. Bald vergaß in
-angeregtester Konversation Monika ihre Verkäuferinnenpflichten.</p>
-
-<p>Mit hellem Lachen nahm sie die scharfen Urteile auf, die ihr Begleiter
-über die Leute da unten im Ballsaal fällte.</p>
-
-<p>Er kannte eine Menge Menschen; er nannte die Herren, die sich beflissen
-um die Sektbude der Frau Geheimen Kommerzienrat von Dresdener
-drängten und nannte ihr auch die Summen, mit denen diese Herren den
-adelsfreundlichen Kommerzienrat angepumpt.</p>
-
-<p>Das rosa Mullkleid der Gräfin Himmlingen-Wolfsfeld war wahrhaftig
-jugendlicher als das ihrer jüngsten Enkelin, die im Nebensaale
-verkaufte.</p>
-
-<p>Die jungen Mädchen, welche eben in einer Rotte von etwa einem Dutzend
-auf den Prinzen Balduin losstürzten, den seine riesenhafte Gestalt und
-der<span class="pagenum"><a id="Seite_223"></a>[S. 223]</span> Hausorden des Hauses Hohenzollern weithin kenntlich machten, glich
-einer Horde von Haifischen, „ja, den Haifischen bei Saint-Thomé“.</p>
-
-<p>„Haben Sie die selbst gesehn?“ fragte Monika interessiert.</p>
-
-<p>„Ja, bei Saint-Thomé am Aequator. Das Wasser ist dort so sonderbar
-durchsichtig wie Glas. Bei fünfzehn Meter Tiefe sieht man noch den
-Grund, sieht all das Tierzeug, besonders viel Haifische. Und wenn
-einer von uns an Bord unserer Jacht bei den Schießübungen, die wir
-aus Langerweile anstellten &mdash; wir schossen auf die Haie in der Tiefe
-&mdash; dann so eine Bestie traf, dann stürzten die anderen Haie mit
-unnennbarer Gier über ihn her. Grad’ wie dort unsere jungen Damen über
-den Prinzen Balduin.“</p>
-
-<p>Monika lachte diesmal nicht.</p>
-
-<p>„So klar ist das Wasser dort?“ fragte sie.</p>
-
-<p>Ihre Stimme hatte plötzlich etwas Träumerisches bekommen.</p>
-
-<p>„O Gott, so tief kann man da hinuntersehn &mdash; &mdash;? Wie durch Glas? Wie
-durch Kristall? &mdash; Und all die Geheimnisse der Tiefe sind plötzlich
-aufgetan?<span class="pagenum"><a id="Seite_224"></a>[S. 224]</span> Man sieht die grünen Algen und die Korallenbäume, rosa und
-weiß, tausendfach verästelt. Und die Quallen, jene sonderbaren Wesen,
-die halb Blumen sind und halb Tiere, treiben dahin und leuchten wie
-Opale und Amethysten &mdash; &mdash;“ Ihre Augen schauten sehnsüchtig vor sich
-hin.</p>
-
-<p>„Sie dichten ja,“ sagte er erstaunt, lebhaft interessiert von dem
-Geist, der in diesem jungen Gesichte war und den Ausdruck dieser Züge
-so oft wechseln ließ.</p>
-
-<p>„Sind Sie zu Jagdausflügen in die Tropen gegangen?“</p>
-
-<p>Monikas Phantasie ließ sie in ihrem Begleiter einen Nabob vermuten,
-einen Globetrotter, der nur der Haifische wegen nach Saint-Thomé fuhr.</p>
-
-<p>Er lächelte ein wenig sarkastisch. „Nein, mein gnädiges Fräulein, ich
-war dienstlich drüben, als Vize-Konsul.“</p>
-
-<p>„Ach wie interessant! Und wie schön gefährlich es drüben sein muß. Sind
-Sie oft krank gewesen? &mdash; Malaria?“</p>
-
-<p>Er lachte. „Nein, ich muß Sie enttäuschen. Es war nicht der Rede wert.
-Ueber achtunddreißig<span class="pagenum"><a id="Seite_225"></a>[S. 225]</span> Grad hat es mein Thermometer nicht gebracht! Wir
-alle in der Familie sind so widerstandsfähig!“</p>
-
-<p>Unwillkürlich reckte er seinen schönen, kräftigen Körper noch höher
-empor.</p>
-
-<p>Sie warf ihm einen bewundernden Blick zu, sagte aber trotzdem: „Ich
-denke es mir eigentlich nett, hohes Fieber zu haben und schöne
-Fieberphantasien!“</p>
-
-<p>„Ihre Anschauung ist ebenso originell wie unzutreffend. Fieber ist
-natürlich häßlich wie jede Krankheit, häßlich wie alles, was den
-Menschen aus dem seelischen oder körperlichen Gleichgewicht bringt.“</p>
-
-<p>„O, Gleichgewicht ist so langweilig!“ sagte Monika. Ihre Augen und
-Zähne blitzten; sie fühlte ein starkes Bewußtsein von Kraft sie
-überfluten, wie immer, wenn sie sich gegen die Norm auflehnte. Und
-wie immer verbiß sie sich in den einmal gefaßten Gedanken, drehte
-und wendete ihn, zeigte ihn in verschiedenen Beleuchtungen wie einen
-Edelstein, auf dessen Schleiffläche man das Licht fallen läßt.</p>
-
-<p>Sie sagte: „Das Gleichgewicht? Schrecklich ist das! Das schließt ja
-von vornherein alles aus, um<span class="pagenum"><a id="Seite_226"></a>[S. 226]</span> das es sich lohnt zu leben: jeden Rausch
-schließt es aus, jedes Wunder schließt es aus.“</p>
-
-<p>Der sarkastische Zug um seine Mundwinkel vertiefte sich.</p>
-
-<p>„Glauben Sie an Wunder?“</p>
-
-<p>„Ja.“</p>
-
-<p>Sie war hinreißend schön in diesem Augenblick; ihre Züge waren wie
-verklärt vom heißen Glauben der Jugend, dem nichts unmöglich scheint,
-nichts unerreichbar. Der sich Wunder schafft mitten im grauen Alltag.</p>
-
-<p>„Möglich, daß Sie beneidenswert sind,“ sagte er. „Ich habe nie an
-Wunder geglaubt, ich bin ein nüchterner Mensch, an allzuviel Phantasie
-leidet meine ganze Familie nicht.“</p>
-
-<p>Dann ging das Gespräch weiter. Monikas elektrische Art ließ den Mann
-mehr aus seiner norddeutschen Reserve heraustreten, als er sonst wohl
-tat. Er fühlte sich angeregt wie selten, im Banne dieser dunkeln Augen,
-dieses lachenden, roten Mundes, der frühreif geistreiche und kindisch
-dumme Sachen durcheinanderplauderte.</p>
-
-<p>Er hätte gern gewußt, welchen sozialen Kreisen Monika angehörte; ihr
-Wesen und ihre Bildung<span class="pagenum"><a id="Seite_227"></a>[S. 227]</span> ließen auf beste Herkunft schließen, aber
-zwischendurch äußerte sie mal plötzlich eine Frivolität oder eine recht
-naturalistische Auffassung, die nicht zu dieser Vermutung passen wollte.</p>
-
-<p>Jedenfalls war sein Ton dadurch freier zu ihr, als er es gewesen wäre,
-wenn er ihr in einer Privatgesellschaft vorgestellt worden.</p>
-
-<p>Er überlegte gerade, ob er sie um ein Rendezvous bitten solle, als die
-Logentür heftig aufgerissen wurde.</p>
-
-<p>Monika fuhr mit einem halblauten Schreckensschrei zusammen; sie
-vermutete einen Racheengel in der Gestalt von Heinzemännchen, der
-sie zwar nicht mit flammendem Schwerte, aber mit der Drohung von der
-„verletzten Familienehre“ aus diesem Paradiese vertreiben würde. Aber
-es war nur ein Artillerieleutnant mit liebebedürftigem Gemüt, der sich,
-eine üppige, schwarzgelockte Pseudo-Italienerin am Arme, in diese
-Logen-Einsamkeit zu flüchten suchte. Enttäuscht klappte er die Tür
-gleich wieder zu.</p>
-
-<p>Man blieb von neuem allein, aber in Monika regte sich nun doch das
-Gewissen; sie raffte den Korb mit den Rosen auf, der die ganze Zeit
-ihr zu Füßen<span class="pagenum"><a id="Seite_228"></a>[S. 228]</span> gestanden, und bezichtigte sich selbst einer schreienden
-Herzlosigkeit gegenüber den unglücklichen Lungenkranken. Da sitze sie
-nun seit einer guten halben Stunde hier, statt ihre Blumen zu verkaufen.</p>
-
-<p>„Bitte, bitte, bleiben Sie doch,“ bat er, „ist es denn wirklich ein
-größeres Vergnügen, sich da drunten abzuhetzen und allen möglichen
-Leuten Rosen anzubieten?“</p>
-
-<p>„O, sicher ist es hübscher hier,“ sagte Monika mit naiver
-Offenherzigkeit, „aber meine Rosen &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Ich kaufe sie Ihnen alle ab, dann bekommen die Lungenkranken auch ihr
-Scherflein, und Sie brauchen sich nicht anzustrengen, sondern bleiben
-noch ein bißchen hier und erzählen mir von den Wundern, an die Sie
-glauben!“</p>
-
-<p>Monika war unschlüssig. Sie wußte nicht, ob der vorgeschlagene Handel
-korrekt war. Aber sie ließ es geschehen, daß der Unbekannte ihr die
-Rosen aus dem Körbchen nahm und eine Banknote dafür hineinschob.</p>
-
-<p>Und sie blieb mit schlechtem Gewissen, in Angst vor Strafe, &mdash; aber sie
-blieb. Und fühlte sich selig wie noch nie im Leben! Es war ihr förmlich
-ein körperliches Wohlgefühl, in diese kalten, grauen<span class="pagenum"><a id="Seite_229"></a>[S. 229]</span> Augen zu sehn,
-diese scharfe, ans Befehlen gewöhnte Stimme zu hören.</p>
-
-<p>Noch eine Viertelstunde..... und noch eine.... Aber endlich rang sie
-sich es doch ab, wieder hinunterzuwollen an die Stätte der Pflicht, den
-Verkaufsstand ihrer <span class="antiqua">dame patronesse</span>.</p>
-
-<p>„Wirklich, &mdash; wirklich, ich muß jetzt weg.“</p>
-
-<p>Sie stand vor ihm, in so offenbarer Betrübnis, diesem Beieinandersein
-ein Ende machen zu müssen, daß ihm ganz warm ums Herz wurde.</p>
-
-<p>„Wie schade,“ sagte er, „wie sehr schade. Wollen Sie mir nicht
-wenigstens noch etwas verkaufen zum Wohl der Armen?“</p>
-
-<p>„Aber ich habe Ihnen ja alle meine Blumen gegeben,“ sagte sie erstaunt.</p>
-
-<p>„Nein, nein, da ist noch eine Rose, die ich gern pflücken möchte, die
-schönste Blume von allen...“</p>
-
-<p>Er sah so verlangend auf ihren Mund, &mdash; und eine heiße Glutwelle der
-Scham und des Entzückens überflutete Monikas Gesicht, tauchte es in
-Glut bis in die kleinen Ohren hinein.</p>
-
-<p>In holdester Verlegenheit stand sie vor ihm. Kein Laut kam über ihre
-Lippen. Und auf diese Lippen legte sich mit warmem Druck sein Mund. &mdash;
-&mdash; &mdash; &mdash;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_230"></a>[S. 230]</span></p>
-
-<p>Eine Sekunde später stürmte Monika davon, die Treppe hinunter; wie
-gehetzt kam sie in Frau von Wetterhelms Bude an, die sie im Verlaufe
-des Festes nicht mehr verließ. Sie sei zu müde, um noch einmal die Säle
-zu durchkreuzen.</p>
-
-<p>Am liebsten wäre sie überhaupt fortgelaufen, hätte sich irgendwo in
-die Einsamkeit vergraben, um all die geheimnisvolle Seligkeit in sich
-nachbeben zu lassen, die sie bei dem Kusse des Unbekannten empfunden.</p>
-
-<p>O, fort von hier aus diesem Lärm und Gewoge. Allein sein.. die Augen
-zumachen.... und in Gedanken die kühlen, grauen Augen noch einmal vor
-sich sehen.</p>
-
-<p>Aber natürlich mußte sie dableiben. Frau von Wetterhelm hätte ihrer
-neuesten Akquisition einen so frühzeitigen Abschied nie erlaubt.
-Außerdem war weder Mama noch einer ihrer Brüder zu erblicken. Wer weiß,
-wo die sie jetzt suchten!</p>
-
-<p>So stand denn Monika da in der Blumenbude, umgeben von all dem bunten,
-üppigen Blumenflor. Wie traumverloren sah sie in das Gewühl der Gäste.
-Aber trotz dieser Teilnahmslosigkeit wirkte sie entschieden anziehend;
-immer neue Besucher traten an<span class="pagenum"><a id="Seite_231"></a>[S. 231]</span> ihren Tisch. Und Frau von Wetterhelm
-bedachte jeden der Kaufenden mit ihrem wohlwollenden Lächeln. &mdash; &mdash;</p>
-
-<p>Dann fing die Feststimmung langsam an abzuflauen. Die verkaufenden
-Damen wurden müde, ganze Scharen von Besuchern drängten schon nach dem
-Ausgang.</p>
-
-<p>Die Musikkapellen, die noch vor wenigen Stunden so überzeugt schmelzend
-das „<span class="antiqua">Bella Napoli</span>“ gebracht, ließen in ihrem Spiele eine gewisse
-Ermüdung merken. Auf die Feststimmung begann sich die beginnende
-Abspannung zu legen, das lähmende Bewußtsein des überschrittenen
-Höhepunktes.</p>
-
-<p>Monikas reizbare Nerven empfanden diese Stimmung; wie ein Aschenflor
-legte es sich über ihr eben noch so heißes Empfinden. Mit nervösen
-Händen wühlte sie in den halbwelken Blumen, die vor ihr lagen, atmete
-den ersterbenden Duft ein, der all diesen kühlen Blütenkelchen entstieg.</p>
-
-<p>Plötzlich zuckte sie zusammen. Unter den Leuten, die dem Ausgang
-zustrebten, hatte sie die hohe Gestalt ihres Freundes aus der Loge
-erkannt.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_232"></a>[S. 232]</span></p>
-
-<p>Spontan wich sie bis ganz in den Hintergrund des Verkaufsstandes
-zurück, eine Beute der widerstrebendsten Empfindungen. Sie wollte
-nicht, daß er sie bemerke &mdash; und trotzdem war eine herzklopfende Angst
-in ihr: „wenn er jetzt fortgeht, ohne mich zu sehen, dann seh’ ich ihn
-nie mehr wieder.“</p>
-
-<p>Da schlug die scharfe Stimme von Frau von Wetterhelm an ihr Ohr.</p>
-
-<p>„Vetter Georg, &mdash; Vetter Georg!“ rief sie mit einer so lauten
-Ungeniertheit, daß sich ein halbes Dutzend Köpfe nach ihr umdrehten.</p>
-
-<p>Und dann &mdash; war es Wirklichkeit? Der Unbekannte trat heran und beugte
-sich über die Hand von Frau von Wetterhelm. Sie begrüßte ihn mit einem
-wahren Wortschwall.</p>
-
-<p>„Welche Freude, Sie endlich mal wiederzusehen, Vetter Georg. Ich hörte
-schon, daß Sie jetzt hier in der Wilhelmstraße arbeiten. Aber zu mir
-haben Sie den Weg natürlich noch nicht gefunden.“</p>
-
-<p>„Aber gnädigste Cousine,“ wehrte er ab, „ich bin erst seit so kurzer
-Zeit hier &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>Plötzlich fiel sein Blick auf Monika, die sich ganz in einer Ecke
-versteckt hatte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_233"></a>[S. 233]</span></p>
-
-<p>„Darf ich bitten, mich vorzustellen?“</p>
-
-<p>„Aber mit dem größten Vergnügen. Fräulein von Birken, darf ich Ihnen
-den Konsul von Wetterhelm präsentieren &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>Monika erwiderte die tiefe Verbeugung des Konsuls mit einem sehr
-verlegenen Kopfnicken. Ihre sonstige Schlagfertigkeit war wie weggeweht.</p>
-
-<p>Die <span class="antiqua">dame patronesse</span> wunderte sich innerlich nicht wenig,
-mit welcher Einsilbigkeit das sonst so sprühende Mädchen auf die
-Unterhaltung des Konsuls einging. Kein Wunder, daß sich der so bald
-verabschiedete.</p>
-
-<p>„Er ist ein so interessanter Mensch,“ sagte sie nachher zu Monika,
-„ich höre ihn gar zu gern, obwohl er leider ein bißchen spöttisch ist.
-Ob ich nahe verwandt mit ihm bin? &mdash; Oh nein, er ist im vierten oder
-fünften Grade mit meinem gewesenen Mann verwandt. &mdash; &mdash; Er ist ein ganz
-hervorragender Mensch; ich glaube, er hat eine glänzende Karriere vor
-sich. Ich muß doch mal sehen, ob ich nicht eine passende Frau für ihn
-finde.“</p>
-
-<p>Frau von Wetterhelm versank in Nachdenken und musterte innerlich ihren
-Bekanntenkreis. Es<span class="pagenum"><a id="Seite_234"></a>[S. 234]</span> war die größte Leidenschaft ihres Lebens, Heiraten
-zu stiften.</p>
-
-<p>„Vielleicht die Komtesse Lerk-Eichenbruch,“ sagte sie nach einer Weile
-gedankenverloren. „Gott, natürlich wird sie sehr diffizil in ihrer
-Wahl sein. Sie ist die einzige Tochter vom Gesandten und eine geradezu
-blendende Schönheit, &mdash; aber Vetter Georg kann auch was verlangen! Bei
-den Aussichten, die er hat &mdash; und ein selbständiges Vermögen von seinem
-verstorbenen Vater hat er auch. &mdash; Uralter Name und solch auffallend
-gut aussehender Mensch wie er ist. Nicht?“</p>
-
-<p>Monika antwortete nicht. Ihre kleinen, weißen Hände zerrissen nervös
-die welken, roten Rosen.</p>
-
-<div class="figcenter illowe10" id="kapitelende7">
- <img class="w100" src="images/kapitelende.jpg" alt="Ende des Kapitels" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_235"></a>[S. 235]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Kapitel_8">8.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="dc" id="p145initial3">
- <img class="illowe6" src="images/p145initial.jpg" alt="D" />
-</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">D</span>ie Folge dieses Wohltätigkeitsabends war für Monika erstens mal, daß
-sie ein Gedicht verfaßte, in welchem sehr viel von kalten Augen und
-heißen Lippen die Rede war.</p>
-
-<p>Sie brachte das Gedicht selbst in die Redaktion des Leuchtturms und
-Doktor Waldmanns Kritik war verblüffend:</p>
-
-<p>„Sie haben bisher mit Tinte geschrieben, gnädiges Fräulein, aber dieses
-Gedicht ist mit Herzblut geschrieben!“ &mdash; ein Urteil, das Monika zwar
-schmeichelte, sie aber doch zu einem lauten Gelächter veranlaßte.</p>
-
-<p>Uebrigens wurden von jetzt ab ihre Besuche auf dem Leuchtturm
-seltener; unwillkürlich verglich sie immer wieder das ungezwungene und
-ungezügelte Wesen der dortigen Kunstjünger mit dem strafferen Wesen
-des Herrn von Wetterhelm. Der leuchtete von jetzt ab in ihren Gedanken
-als Stern. Aber<span class="pagenum"><a id="Seite_236"></a>[S. 236]</span> dem „Die Sterne, die begehrt man nicht“ hatte sie nie
-gehuldigt. Im Gegenteil! &mdash; sie begehrte gerade die Sterne, &mdash; waren
-nicht jene fernen Himmelsblumen tausendmal lockender als die Blumen am
-Wegrand? &mdash; Wenn sie nur gewußt hätte, wie sie ihren Stern wiedersehen
-könne!</p>
-
-<p>Bei den zwei Bällen, die Monika bald nach dem Basar mitmachte,
-behandelte sie ihre Tänzer schlecht. Sogar zu den Leutnants, denen
-sie sonst einen entschiedenen Vorzug vor dem Zivil einräumte, war sie
-ungnädig, &mdash; alles zu höheren Ehren ihres Sterns!</p>
-
-<p>Wie unendlich freudig überrascht war sie, als sie ein paar Tage darauf
-diesen unerreichbaren Stern in höchsteigener Person ihr entgegenkommen
-sah, als sie aus dem Kursus kam.</p>
-
-<p>Sie ging mit ihrer Cousine Bertha, die, als Herr von Wetterhelm grüßend
-vorbeigeschritten, aufs höchste interessiert fragte: „Was ist denn das
-für ein schneidiger Mensch?“</p>
-
-<p>„Was Du immer für Ausdrücke hast,“ sagte Monika unwirsch. Sie war
-ärgerlich, daß sie mit Bertha zusammen ging. Vielleicht hätte ihr Stern
-mit ihr gesprochen, wenn sie allein gewesen wäre.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_237"></a>[S. 237]</span></p>
-
-<p>Und diese Hoffnung veranlaßte sie, sich in den nächsten Tagen beim
-Nachhausewege streng zu isolieren. Nach dem Schlusse des Unterrichts
-trödelte sie herum, brauchte unglaubliche Zeit, um ihre Mappe zu
-packen, und legte es darauf an, als letzte das Schulgebäude zu
-verlassen.</p>
-
-<p>Vier, fünf Tage ging das so. Eine nervöse Erwartung spannte während der
-ganzen Zeit ihre Nerven an, machte sie unzufrieden und melancholisch
-wie nie zuvor. Aber dann kam doch ein Tag, an dem ihr wieder ihr Glück
-lächelte und ihr Stern.</p>
-
-<p>Herr von Wetterhelm kam langsam daher, begrüßte sie gemessen. Es lag
-nicht in seiner Art, Empfindungen zu zeigen, und seine Beherrschtheit
-wirkte abkühlend auf Monika, deren ganzes Wesen aufgeflammt war, als
-sie den Ersehnten erblickt.</p>
-
-<p>„Nun, wohl nicht sehr lange mehr bis zum Doktorexamen?“ neckte er
-lächelnd.</p>
-
-<p>„Woher wissen Sie überhaupt, daß ich studieren will?“</p>
-
-<p>„Von meiner Cousine Wetterhelm.“</p>
-
-<p>„Haben Sie die denn nun endlich mit dem Besuch beglückt, um den sie
-bat?“</p>
-
-<p>„Ja, ich mußte schon.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_238"></a>[S. 238]</span></p>
-
-<p>„Sie scheinen alte Damen nicht zu lieben?“</p>
-
-<p>„Das können Sie nicht verlangen! Alte Damen müssen schon sehr
-geistreich oder sehr liebenswürdig sein, um sich ihr Alter verzeihen zu
-lassen.“</p>
-
-<p>„O je, sind Sie scharf!“</p>
-
-<p>„Desto besser! Wir Deutschen sind überhaupt viel zu wenig scharf. Der
-Michel hat nun mal eine Anlage zur Träumerei, zum Philosophieren.“</p>
-
-<p>„Und ist’s denn nicht etwas wunderbar Schönes ums Philosophieren?“</p>
-
-<p>„O, wenn man es mit Maß tut... Aber es artet leicht aus. Alles mit Maß!“</p>
-
-<p>„Da sind Sie schon wieder bei Ihrer Theorie von der weisen Mäßigung.
-‚Die goldene Mittelstraße‘ nennt man’s, nicht wahr? Aber die ist
-doch unnatürlich! Die will doch die Natur selber nicht! Mäßigt sich
-denn etwa die Natur? &mdash; Die hat doch den Blitz und Sturm und Toben,
-zerschellende Weltkörper und ein Uebermaß von Blüten...“</p>
-
-<p>„Wir dürfen aber nicht nur die Natur sprechen lassen. Wir müssen uns an
-ihre jüngere und gesittetere Schwester halten: an die Kultur!... Was
-sollte denn sonst aus unseren Institutionen werden, aus unserem Volke,
-aus unserem Staat?“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_239"></a>[S. 239]</span></p>
-
-<p>„Unser Volk... unser Staat! Als ob das wichtig wäre!... Was spielt denn
-das für eine Rolle in der Entwicklungsgeschichte? Ein Menschengeist
-kann sich doch nicht an politische Grenzen halten, kann es doch nicht
-wichtig finden, was aus dem Staat wird! Der floriert eben... oder geht
-zugrunde.. wie andere Staaten auch.“</p>
-
-<p>„Feuerköpfchen, Sie sind doch noch sehr jung,“ lächelte der Konsul.</p>
-
-<p>Aber lächelnde Ironie vertrug Monika nicht. Sie machte eine ihrer
-Lieblingsgesten: warf den Kopf ins Genick: „Diese Kritik ist keine
-Widerlegung meiner Ansichten; daß diese keine Berechtigung haben,
-werden Sie doch wohl nicht zu behaupten wagen.“</p>
-
-<p>„Ich lasse jedem seine Ansichten,“ sagte er sehr kühl. „Was mich
-anbetrifft, so bin <em class="gesperrt">ich</em> jedenfalls von der Notwendigkeit eines
-nationalen Bewußtseins für den Menschen vollkommen überzeugt. Ich fühle
-mich als Deutscher, wie meine Vorfahren es taten. Ich diene mit allen
-Kräften meinem Vaterlande, denn das ist meine Pflicht &mdash; und meine gern
-erfüllte Pflicht!“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_240"></a>[S. 240]</span></p>
-
-<p>„Pflicht!“ sagte Monika und legte die ganze bodenlose Verachtung, die
-sie für diesen Begriff empfand, in ihre kindliche Stimme.</p>
-
-<p>„Ja, Pflicht, das Herbste und Köstlichste, was es gibt!“ sagte er. Sein
-schmales, rassiges Gesicht versteinerte förmlich, seine harten Züge
-schienen wie aus Erz gegossen.</p>
-
-<p>„Ich finde: man sollte seinen Neigungen folgen, nicht seiner Pflicht.
-Die weite Bahn, die sich dann vor einem auftut, ist...“</p>
-
-<p>„Eine schiefe Ebene.“</p>
-
-<p>Sie suchte krampfhaft nach einer ebenbürtigen Entgegnung, die
-sie diesen drei Worten, die wie drei Dolchstiche waren, hätte
-entgegensetzen können. Aber ehe sie etwas gefunden, hatte sich der
-Ernst ihres Begleiters gemildert, ein liebenswürdiges Lächeln teilte
-seine schmalen Lippen.</p>
-
-<p>„Aber sagen Sie, gnädiges Fräulein, ist es nicht wirklich zu
-unvernünftig, daß wir mit abstrakten Erörterungen dieses Wiedersehen
-feiern, über das ich mich so freue.“</p>
-
-<p>„Ich mich ja auch...,“ sagte sie, plötzlich ganz weich und lieb. Und
-wie ein Hauch kam es in ver<span class="pagenum"><a id="Seite_241"></a>[S. 241]</span>räterisch scheuem Tone von ihren Lippen:
-„So sehr freue ich mich...“</p>
-
-<p>Dann gingen sie langsam weiter. Monika machte einen großen Umweg, um
-nach Hause zurückzukehren.</p>
-
-<p>Ob sich die Mutter inzwischen beunruhigte, war ihr ja so gleichgültig!</p>
-
-<p>Die Schelte, die sie heute wegen der großen Verspätung bekam, machte
-ihr keinen besondern Eindruck. Wohl war es ihr unangenehm, aber
-schließlich: es war unwichtig, kam nicht auf gegen das Glücksgefühl,
-das sie durchflutete! Sie hatte ihn wiedergesehen!</p>
-
-<p>Ob er wohl ihretwegen vors Gymnasium gekommen war?... Oder war es sein
-Weg?... War es nur ein Zufall?... Ein Gefühl von Enttäuschung wollte
-bei diesem Gedanken in ihr aufsteigen, aber das kämpfte sie nieder.</p>
-
-<p>„Nein, nein, er kam meinetwegen! Und wenn er nicht meinetwegen kam,
-dann will ich’s wenigstens glauben &mdash; dann ist es gerade so süß!“...</p>
-
-<p>In den Unterrichtsstunden zeichnete sie sich von jetzt ab durch völlige
-Geistesabwesenheit aus. Ihre Liebe verschlang jedes andere Gefühl,
-jeden anderen<span class="pagenum"><a id="Seite_242"></a>[S. 242]</span> Gedanken. Wie lächerlich winzig erschienen ihr die
-Neigungen, die sie früher gehabt, gegenüber dem übermächtigen Gefühl,
-das sie jetzt durchflutete.</p>
-
-<p>Uebrigens wußte sie gar nicht, was sie eigentlich an Wetterhelm
-so liebte. Gewiß: er war ein schöner, vornehmer Mann, aber seinen
-Anschauungen vermochte sie so gar keinen Geschmack abzugewinnen. Und
-seine ewige Gemessenheit störte sie geradezu.</p>
-
-<p>Weit entfernt, sie mit Komplimenten zu überschütten, wie es andere so
-oft getan, blieb er gleichmäßig kühl. Auch das nächstemal, als sie ihn
-traf &mdash; sieben lange Tage hatte sie umsonst darauf gehofft &mdash; und er
-wieder neben ihr herschritt.</p>
-
-<p>„Lange nicht gesehen,“ sagte Monika mit erkünsteltem Gleichmut.</p>
-
-<p>„Ich hatte dienstlich viel zu tun.“</p>
-
-<p>„Bleiben Sie noch lange in Berlin?“</p>
-
-<p>„O nein, ich hoffe bald einen vernünftigen überseeischen Posten zu
-bekommen, recht bald.“</p>
-
-<p>„So...?“</p>
-
-<p>„Recht bald“ hatte er gesagt... also: ihn hielt nichts in Berlin... gar
-nichts!</p>
-
-<p>Aufsteigende Tränen verdunkelten Monikas Blick. Sie sprach kein Wort.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_243"></a>[S. 243]</span></p>
-
-<p>Also, er „hoffte“ recht bald wegzugehen &mdash; dann war ihr überhaupt alles
-gleichgültig!</p>
-
-<p>Alles... und wenn die Welt einstürzte...</p>
-
-<p>Und sogar das war ihr gleichgültig, daß plötzlich, kaum auf fünfzehn
-Schritt Entfernung, Heinzemännchen daherkam!</p>
-
-<p>Der zuckte überrascht zusammen, als er des Paares ansichtig wurde, dann
-drehte er, ohne gegrüßt zu haben, um und rannte spornstreichs den Weg
-nach Hause zurück, den er eben gekommen...</p>
-
-<p>Natürlich würde er nun „petzen“.</p>
-
-<p>Aber mochte er nur &mdash; es war ja alles, alles gleichgültig, wenn Georg
-von Wetterhelm jetzt fortging und sie ihn nicht mehr wiedersah!</p>
-
-<p>Es war, als ob jeder Tropfen Blut in ihr erstarrte.</p>
-
-<p>„Was Sie für kalte Hände haben,“ sagte beim Abschiedshändedruck der
-Konsul. In seiner Stimme klang dabei eine heimliche Zärtlichkeit.</p>
-
-<p>Aber das merkte sie gar nicht mehr in der eisigen Hoffnungslosigkeit,
-die über sie gekommen.</p>
-
-<div class="figcenter illowe5" id="gedankensprung6">
- <img class="w100" src="images/gedankensprung.jpg" alt="Gedankensprung" />
-</div>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_244"></a>[S. 244]</span></p>
-
-<p>Der Empfang zu Hause war noch schlimmer, als Monika ihn sich gedacht.
-Die Baronin rang die Hände. Hatte sie das um Monika verdient? Daß
-Monika sich von einem Herrn begleiten ließ, von einem ihr gänzlich
-unbekannten Herrn, von dem Heinzemännchen überhaupt nicht wußte, wer er
-sei!</p>
-
-<p>„Es war mein Mathematiklehrer, Professor Herrmann war’s,“ sagte Monika
-kalt.</p>
-
-<p>Aber wie ein Racheengel richtete sich Heinzemännchen in seiner ganzen,
-schlaksigen Höhe auf. „Das war kein Mathematiklehrer &mdash; das war ein
-Gentleman!“ sprach er mit Donnerstimme. „Und soll ich Dir sagen, was
-das Ganze war? Das war ein Rendezvous!“</p>
-
-<p>Er ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen.</p>
-
-<p>„Monika,“ sagte er, und seine Stimme kickste über, „hast Du denn gar
-nicht an mich gedacht?“</p>
-
-<p>„O nein,“ sagte Monika höflich.</p>
-
-<p>„Hast Du nicht daran gedacht, daß seit Papas Tode die ganze
-Verantwortung auf meinen Schultern ruht? Daß Du mir das antun kannst,
-Monika...“</p>
-
-<p>„O, mein Geliebtes,“ rief Frau von Birken, indes sie ihren Sohn an sich
-zog, „rege Dich nicht auf,<span class="pagenum"><a id="Seite_245"></a>[S. 245]</span> mein Geliebtes! Es kann Dir schaden!...
-Aber recht hast Du, das kann ich nicht anders sagen!... Monika, es ist
-unerhört von Dir! Dies Betragen geht über alle Grenzen hinaus... Du
-bist ein verlorenes Geschöpf, Monika!... Von einem Herrn läßt Du Dich
-begleiten auf dem Nachhausewege, statt von Deiner Cousine Bertha!...
-Die würde ihrer Mutter so etwas nicht antun!... Warum habe ich von
-allen Müttern gerade das Unglück? Aufgeopfert habe ich mich für Euch,
-mein ganzes Leben hindurch, und das ist nun der Dank!... Monika, wie
-kannst Du Dich so benehmen? Wo hast Du je ein solches Beispiel vor
-Augen gehabt? Habe ich je so etwas getan?“</p>
-
-<p>Monika zuckte mit den Achseln.</p>
-
-<p>„Was? Du zuckst mit den Schultern? Willst Du damit sagen, daß ich je so
-etwas getan hätte?... Monika, nie hättest Du mir das antun können, wenn
-Du auch nur einen Funken von meinem Gemüt geerbt hättest...“</p>
-
-<p>Sie unterbrach sich, denn ihre Tochter war aufgestanden, ging wortlos
-aus dem Zimmer; gleich darauf hörte man, wie sie sich im Schlafzimmer
-einschloß.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_246"></a>[S. 246]</span></p>
-
-<p>Ein fassungsloser Schmerz schüttelte ihren jungen Körper: sie hatte
-selbst nicht gewußt, mit welch elementarer Leidenschaft sie jenen
-schönen, kühlen Mann liebte. Immer wieder rang sich ihre Vernunft
-dazu durch, ihr zu sagen: Du kennst ihn ja kaum... Was kann er dir
-sein?... Was geht es dich an, ob er abreist?... Aber wenn sie an sein
-Fortgehen dachte, krampfte sich ihr Herz immer von neuem in rasendem
-Schmerz zusammen; immer von neuem zuckte sie in gewaltsam unterdrücktem
-Schluchzen.</p>
-
-<p>Und nichts tun zu können, um das Glück zu erzwingen! &mdash; Nichts tun zu
-dürfen, um das Glück festzuhalten &mdash; nichts!</p>
-
-<p>Uralte Satzung und auch ihr eigenes weibliches Gefühl verdammten sie zu
-stummem Warten.</p>
-
-<p>Warten!... Nichts weiter!... Hoffend und fürchtend warten, ob das Glück
-kommt in seiner Sonnenpracht &mdash; oder ob es am Horizont ihres Lebens nur
-ferne vorüberleuchten würde, wie ein fallender Stern.</p>
-
-<p>Sie litt so sehr unter diesem nagenden Zweifel, daß ihr sonstiger
-Uebermut wie weggeweht erschien.</p>
-
-<p>Herr von Wetterhelm, der sie nach einigen Tagen wieder in der Nähe des
-Gymnasiums erwartete,<span class="pagenum"><a id="Seite_247"></a>[S. 247]</span> fand sie verändert, blasser als sonst, einen
-schmerzlichen Zug um den schönen Mund, ihr ganzes Wesen von einem Hauch
-von Nervosität durchtränkt, den es sonst nicht gehabt.</p>
-
-<p>Auf seine Fragen antwortete sie ausweichend. Er gab sich wärmer als
-sonst. Dieses tragische Gesichtchen erweckte Beschützergefühle in ihm.</p>
-
-<p>„Soll ich morgen um dieselbe Zeit wieder hier sein?“ fragte er.</p>
-
-<p>Sie zögerte mit der Antwort. Dann endlich:</p>
-
-<p>„Mein Bruder hat mich neulich mit Ihnen gesehen, und ich habe Schelte
-bekommen.“</p>
-
-<p>Eine Blutwelle stieg ihm ins Gesicht. „Das ist auch ganz richtig.
-Es ist auch nicht korrekt von mir. Ich wollte Sie schon sowieso um
-die Erlaubnis bitten, bei Ihrer Mutter Besuch machen zu dürfen. Wann
-empfängt sie?“</p>
-
-<p>„O, Mama hat gar keinen <span class="antiqua">jour</span>,“ sagte Monika verlegen. Sie fand
-die Aussicht, ihren Freund bei sich zu Hause begrüßen zu können,
-durchaus nicht beglückend... Da war Mama und die Jungen, die so auf
-sie aufpaßten. Und man würde nie über ein vernünftiges Thema sprechen
-können... Und jeder Blick würde beobachtet werden... Und dann:<span class="pagenum"><a id="Seite_248"></a>[S. 248]</span> zu
-Hause war es gar nicht mehr elegant. Man war sehr zurückgegangen seit
-den Sarkower Tagen. Nicht mal einen Diener hatte man, bloß so ein
-dummes „Mädchen für alles“... Gewiß würde der Haushalt den Konsul sehr
-enttäuschen. Wer weiß, wie verwöhnt er war!...</p>
-
-<p>So schwieg sie, statt eine Antwort zu geben.</p>
-
-<p>Und schauderte doch zusammen vor Glück, als er sagte:</p>
-
-<p>„Ich komme übermorgen um eins.“</p>
-
-<div class="figcenter illowe5" id="gedankensprung7">
- <img class="w100" src="images/gedankensprung.jpg" alt="Gedankensprung" />
-</div>
-
-<p>Zu Hause gelang es ihr, den bevorstehenden Besuch als ganz
-gleichgültige, gesellschaftliche Förmlichkeit hinzustellen. Sie sagte,
-daß Frau von Wetterhelm ihr diesen Vetter auf dem Basar vorgestellt,
-sie habe ihn neulich zufällig auf der Straße getroffen, und er habe
-gesagt, daß er diesen Sonntag Besuch machen wolle.</p>
-
-<p>Die Baronin war von dem Besucher nicht sehr entzückt. Er war ihr zu
-förmlich gewesen. Eine knappe Viertelstunde hatte er im Salon gesessen,
-und<span class="pagenum"><a id="Seite_249"></a>[S. 249]</span> während dieser Viertelstunde hatte Frau von Birken das unangenehme
-Gefühl, daß er auf die abgestoßene Ecke des schwarzen Tisches sah, und
-wenn er mal die Augen wo anders hinwendete, so blickte er entschieden
-suchend auf den fehlenden Henkel der blauen Sèvresvase.</p>
-
-<p>Monika hatte still wie eine Puppe auf ihrem Stuhl gesessen und kaum die
-Augen aufgeschlagen. Sie war im Banne der brüderlichen Ueberwachung.
-Alfred, der sonst an Sonntagen spurlos verschwand, war zu Hause
-geblieben, und Heinzemännchen, der einen endlos langen schwarzen
-Gehrock trug, den er sich angeschafft hatte, um würdiger und älter zu
-erscheinen, bewachte sie wie ein Höllendrache. Kurz: Monika war ehrlich
-unglücklich, als Wetterhelm sich verabschiedet.</p>
-
-<p>Sie spähte hinter den heruntergelassenen Stores hindurch, um ihn noch
-einmal zu sehen. War’s Einbildung &mdash; oder ging er wirklich nicht ganz
-so straff wie sonst &mdash; den Kopf wie gedankenverloren ein wenig gesenkt?</p>
-
-<p>In der Tat war es ein intensives Nachdenken, das Georg Wetterhelm
-erfüllte, ein Zwiespalt von Gedanken und Gefühlen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_250"></a>[S. 250]</span></p>
-
-<p>Sein Leben war bisher in so glatten Bahnen verlaufen, er hatte nach
-dem Programm gelebt, das er sich selbst von seinem Leben entworfen.
-Er hatte seine Examina gut bestanden, war Rittmeister der Reserve
-bei den Garde-Ulanen; seine Gesundheit war ausgezeichnet, seine
-Vermögensverhältnisse rangiert. Er hatte gute Zukunftsaussichten,
-hoffte, später in die Diplomatie übernommen zu werden. Er hatte die
-Absicht, seine Konnexionen durch eine passende Heirat zu verstärken.</p>
-
-<p>Und nun sollte sein Lebensplan aus der Ordnung gebracht werden durch so
-einen süßen Wildfang, durch dieses hübsche, geistreiche, ungebärdige
-Persönchen, das neulich auf dem Basar sein kühles Wesen ganz mit
-Glut erfüllt. Sie hatte ihm einen Eindruck gemacht, wie er sich kaum
-erinnerte, ihn je empfangen zu haben. Und doch entsprach sie auch nicht
-im mindesten dem Bilde, das er sich in Gedanken von seiner zukünftigen
-Lebensgefährtin gemacht. Er fand sie zu jung, zu ungezügelt, mit einem
-bedenklichen Hang, eigene Wege zu gehen.</p>
-
-<p>Er hatte sich das alles gleich nach ihrer ersten Begegnung gesagt, aber
-die Wirkung, die sie auf ihn gehabt, war eine zu mächtige gewesen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_251"></a>[S. 251]</span></p>
-
-<p>Vorläufig war noch kein Wort gefallen, das ihn an sie band &mdash; noch kein
-Wort, das überhaupt seine Gefühle verraten hätte. Aber sich selbst
-hatte Wetterhelm längst gestanden, daß er sie liebte.</p>
-
-<p>Freilich... ob es nicht besser war, dieser Liebe nicht nachzugeben?
-Abreisen und den Weg zu gehen, den er sich vorgezeichnet...</p>
-
-<p>Schließlich, es war ja zu dumm, daß ein nettes Mädel einfach seine
-ganzen Zukunftspläne verändern sollte! Er war doch kein törichter
-junger Mensch mehr, sondern ein zielbewußter, ernster Mann.</p>
-
-<p>Und dieser Besuch, den er eben gemacht, war nicht dazu angetan gewesen,
-seine Heiratspläne zu fördern. Gegen den Namen war ja nicht das
-mindeste einzuwenden. Die Birkens waren Uradel wie die Wetterhelms.
-Aber dieser Birkensche Haushalt, den er eben kennen gelernt, hatte
-so gar nichts mit der Durchschnitts-Lebensführung einer deutschen
-Aristokratenfamilie zu tun!</p>
-
-<p>Monikas Mutter schien recht freien Anschauungen zu huldigen, was
-sich schon aus der Art erhellte, in der die halbwüchsigen Söhne die
-Konversation führten. Und auch die Idee mit Monikas Studium lag
-Wetterhelm gar nicht.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_252"></a>[S. 252]</span></p>
-
-<p>Nein, eine solche Heirat würde ein dummer Streich sein. Und sehenden
-Auges einen dummen Streich machen, das tat man nicht, wenn man Georg
-Wetterhelm war.</p>
-
-<p>Also zusammennehmen! Nicht mehr an die beiden strahlenden Augen denken,
-die so aufleuchteten, wenn sie ihn sahen! Nicht mehr an die helle,
-kindliche Stimme denken, die mit so heißer Begeisterung reden konnte!
-Die ganze Episode mußte abgetan und vergessen sein.</p>
-
-<p>Und der Konsul richtete sich auf, so straff wie sonst: Die Episode war
-aus und vorbei.</p>
-
-<p>Und darum war es ganz überflüssig, daß Monika es immer so absolut
-darauf anlegte, als Letzte aus dem Kursus zu kommen und ganz allein zu
-gehen. Sie sah die hohe Gestalt des Ersehnten nicht mehr.</p>
-
-<p>Sie war unglücklich wie nie zuvor. Nachdem sie neulich erst so
-verzweifelt gewesen, war ihr dieser nochmalige Sturz in die
-Hoffnungslosigkeit zu viel! Ihre Nerven begannen ernstlich zu leiden.</p>
-
-<p>Sie, die so sehr daran gewöhnt war, ihren Willen durchzusetzen, mußte
-nun tatlos und machtlos die Zeit verstreichen sehen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_253"></a>[S. 253]</span></p>
-
-<p>Sie hegte die abenteuerlichsten Gedanken, wie sie sich dem Geliebten
-nähern könne. Aber es blieb bei Gedanken! Die Rücksichtslosigkeit, die
-sie sonst entfaltete, wenn es galt, ihren Willen durchzusetzen, ließ
-sie völlig im Stich.</p>
-
-<p>Zum ersten Male wurde Monika schüchtern. Das Burschikos-Jungenhafte,
-das sie oft gehabt, wich einer verträumten Schwermut.</p>
-
-<p>Zum ersten Male war eine große Sehnsucht über ihr und ließ ihre Nerven
-erzittern wie Harfensaiten unter tastenden Fingern. Wieder und wieder
-durchlebte sie im Geiste jede Sekunde, in der Georg Wetterhelm sie
-angeblickt oder mit ihr gesprochen. Sie durchlebte immer wieder die
-selige Freude, die sie gehabt, wenn in seine kalten, grauen Augen ein
-wärmerer Schimmer gekommen. Sie sehnte sich nach ihm, sehnte sich jede
-Minute und jede Sekunde.</p>
-
-<p>Und fühlte nichts mehr als diese Sehnsucht.</p>
-
-<p>Als ihre Mutter Wetterhelm eine Woche nach seinem Besuche zum Tee
-gebeten, war eine höfliche Absage erfolgt. Und ans Gymnasium kam er
-auch nicht mehr. Es war aus! Zwei Wochen waren nun schon verstrichen.</p>
-
-<p>Vielleicht war er gar nicht mehr in Berlin.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_254"></a>[S. 254]</span></p>
-
-<p>Eine verzehrende Angst packte Monika bei diesem Gedanken. Dann kam
-ihr die Idee: vielleicht wußte das Frau von Wetterhelm, ihre <span class="antiqua">dame
-patronesse</span> vom letzten Basar. Zu der mußte sie hin. Dies konnte sie
-auch ganz unauffällig, denn sie hätte ihr schon längst mal wieder einen
-Besuch machen müssen.</p>
-
-<p>Frau von Wetterhelm war zu Hause und empfing Monika in ihrem, mit
-japanischem Krimskrams überladenen Boudoir. Sie war überaus freundlich.
-Wirklich zu nett, daß man zu so einer langweiligen, alten Frau käme,
-wie sie doch eine wäre!... Nein: keine Widerrede... Sie wisse, daß
-sie langweilig sei, habe doch nun mal keinen Geist aufzubieten, was
-entschieden die Schuld ihres Großvaters mütterlicherseits sei, der
-wirklich ganz auffallend unbegabt gewesen sein solle. &mdash; Aber wenn sie
-selber auch leider dumm sei, so wisse sie doch Geist bei anderen zu
-schätzen, und darum sei ihr Monika besonders herzlich willkommen! Denn
-Monika sei hervorragend geistreich! Allein die Tatsache, daß sie das
-Mädchengymnasium besuche, spräche Bände! Außerdem habe ihr Vetter Georg
-Monika auch direkt „geistvoll“ gefunden.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_255"></a>[S. 255]</span></p>
-
-<p>„Sehen Sie Ihren Vetter öfters?“ fragte Monika mit gewaltsam gespielter
-Gleichgültigkeit.</p>
-
-<p>„Leider nein. Eine langweilige, alte Frau wie ich kann das ja auch
-nicht verlangen! Aber gerade heute erwarte ich Georg. Er muß bald
-kommen. Ich hörte nämlich, daß er demnächst abreist, und da schrieb
-ich ihm, daß er mich besuchen solle in wichtiger Angelegenheit! Ihnen,
-meine liebe, kleine Freundin, kann ich’s ja sagen, Sie sind ja diskret.
-Ich will mit Georg über eine junge Dame reden, die wirklich eine
-fabelhaft gute Partie ist! Es handelt sich um...“</p>
-
-<p>„O bitte, keinen Namen,“ unterbrach Monika hastig, „das sind so interne
-Angelegenheiten, gnädige Frau. Ich möchte wirklich nicht...“</p>
-
-<p>„Aber ich bitte Sie, ich sag’s Ihnen ja gern.“</p>
-
-<p>„Ueberdies muß ich fort. Ich bin mit Mama bei unserer Schneiderin
-verabredet.“</p>
-
-<p>Sie hatte sich erhoben, ihr zitterten die Hände. Nur fort! Nur ihn
-nicht treffen, der sie verschmähte! Der Zeit fand, hierher zu kommen,
-und den Weg zu ihr vergessen hatte! Nur fort!</p>
-
-<p>Nach hastigem Abschied eilte sie die Treppen hinunter, der Haustür zu.
-Da wurde diese von außen geöffnet. Georg Wetterhelm trat ein.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_256"></a>[S. 256]</span></p>
-
-<p>Monika vermochte einen Aufschrei nicht zu unterdrücken. Aber sie faßte
-sich rasch. Er sollte nicht glauben, daß sie gewußt, daß er heute
-hierherkam. Daß sie etwa darum hier sei!</p>
-
-<p>So tauschten sie denn ein paar konventionelle Redensarten, dann hielt
-sie ihm abschiednehmend die Hand hin. Aber er sagte: „Ich begleite Sie
-ein Stück.“</p>
-
-<p>Er rief den Portier und trug ihm eine Entschuldigung an Frau von
-Wetterhelm auf; selbst in diesem Augenblicke, wo das Zusammentreffen
-mit Monika ihn so erschütterte, ließ er eine Höflichkeitspflicht nicht
-außer acht.</p>
-
-<p>Sie gingen nebeneinander her, auf einem Fußpfade im Tiergarten, dessen
-Bäume und Sträucher ein erstes knospendes Grün zeigten. Der feuchte und
-herbe Duft des Vorfrühlings lag in der Luft und stieg aus der feuchten
-Erde.</p>
-
-<p>Monika war das Herz so schwer; sie sprach gar nicht, ging, den Blick
-geradeaus gerichtet, neben ihrem Begleiter, der heute auch auffallend
-wortkarg war.</p>
-
-<p>Endlich sagte er: „Ich reise bald fort.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_257"></a>[S. 257]</span></p>
-
-<p>Monika erwiderte darauf nichts; sie preßte ihre Fingernägel in
-die Handflächen, daß sie ins Fleisch drangen, suchte durch diesen
-körperlichen Schmerz den seelischen zu übertäuben, der in ihr stürmte.</p>
-
-<p>„Ich hatte die Absicht, Ihnen noch Adieu sagen zu kommen,“ sagte
-Wetterhelm.</p>
-
-<p>Aber gleich darauf veränderte sich der kühle Ton seiner Stimme: „Nein,
-es ist nicht wahr. Ich wollte nicht mehr kommen. Ich wollte Sie nicht
-mehr sehen...“</p>
-
-<p>Da hob sie den Kopf zu ihm empor. Die Tränen, die schon so lange in
-ihren Augen gezittert, rannen nun an ihren langen, tiefdunkeln Wimpern
-herab, rannen in großen Perlen über die weich gerundeten Wangen.</p>
-
-<p>Und bei diesem Anblick brach in Georg von Wetterhelm sein
-„Lebensprogramm“ zusammen.</p>
-
-<p>Nicht denken jetzt... nur dieses süße, unglückliche Gesichtchen
-küssen... dieses schöne, warmherzige Geschöpf in die Arme nehmen... und
-ihre glühende Jugend fühlen... und ihre glühende Liebe...</p>
-
-<p>„Liebling!“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_258"></a>[S. 258]</span></p>
-
-<p>Er riß sie in die Arme, hielt sie fest umfangen wie mit Eisenklammern,
-hielt sie fest an sein Herz gepreßt und küßte immer wieder die bebenden
-roten Lippen, die so herzbewegend stammelten: „Geh’ nicht fort... ach,
-geh’ doch nicht fort...“</p>
-
-<p>„Nicht ohne Dich, mein Lieb!“</p>
-
-<p>„Ist’s wahr?“ Das war wie ein Jubelschrei.</p>
-
-<p>Mit beiden Armen umschlang sie seinen Hals, trank mit geschlossenen
-Augen seinen Atem, der herb und frisch duftete wie die Frühlingserde
-ringsumher.</p>
-
-<div class="figcenter illowe10" id="kapitelende8">
- <img class="w100" src="images/kapitelende.jpg" alt="Ende des Kapitels" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_259"></a>[S. 259]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Kapitel_9">9.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="dc" id="p259initial">
- <img class="illowe6" src="images/p259initial.jpg" alt="„J" />
-</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">J</span>a, gewiß, alles was Sie mir hier über Ihre Vermögenslage, Ihre
-Aussichten dargelegt haben, ist glänzend, Herr von Wetterhelm,“ sagte
-die Baronin Birken. „Ich könnte mir für meine Tochter gar keine bessere
-Partie wünschen &mdash; aber die Sache liegt doch nicht so einfach. Ich kann
-nicht lügen, wissen Sie, die Wahrheit über alles! Und darum sage ich
-Ihnen: ich kann Ihnen nur abraten, Monika zu heiraten!“</p>
-
-<p>Der Konsul, den sonst so leicht nichts in Erstaunen setzte, konnte sich
-nicht enthalten, ein etwas verblüfftes Gesicht zu machen.</p>
-
-<p>„Darf ich bitten, mir diese Worte zu erklären, gnädige Frau?“</p>
-
-<p>„Gern... Wissen Sie, Monika ist wirklich gar nicht fürs Heiraten
-geeignet. Sie besucht das Mädchengymnasium und will studieren. Und für<span class="pagenum"><a id="Seite_260"></a>[S. 260]</span>
-Frauen, die sich der Wissenschaft widmen, ist doch die Ehe eigentlich
-nichts.“</p>
-
-<p>„Wenn das der einzige Grund ist...“</p>
-
-<p>Der sarkastische Zug um Wetterhelms Lippen vertiefte sich.</p>
-
-<p>„O nein, nichts weniger als der einzige. Ein Dutzend Gründe sind es...
-die Wahrheit über alles!... Erstensmal: Monika kann nicht kochen, aber
-tatsächlich keine Ahnung davon!“</p>
-
-<p>„Die Dokumente, die ich Ihnen vorlegte, gnädige Frau, sollten Sie
-überzeugt haben, daß ich in der Lage bin, meiner Frau eine Köchin zu
-halten, sogar eine sehr gute.“</p>
-
-<p>„O ja, natürlich, aber selbst die beste Köchin wird nie das leisten,
-was eine kulinarisch gebildete Frau des Hauses leistet.“</p>
-
-<p>„Ich bin, was das Essen anbetrifft, sehr anspruchslos.“</p>
-
-<p>„Außerdem: Monika hält keine Ordnung. Alles wirft sie durcheinander und
-verlegt sie! Nicht einen Knopf näht sie sich allein an!“</p>
-
-<p>Wetterhelm sah tiefsinnig auf einen Knopf, der halb abgerissen an der
-Bluse der Sprecherin<span class="pagenum"><a id="Seite_261"></a>[S. 261]</span> baumelte, und sagte: „Ich werde ihr eine Zofe
-halten, die genau so gut ist wie die Köchin.“</p>
-
-<p>Frau von Birken seufzte: „Ach, Monika hat so gefährliche Anlagen. Sie
-ist so eigenwillig. Sie macht sich über alles eigene Gedanken; sie
-respektiert nichts! Nicht mal mich als Mutter! Nicht mal Goethe. Und
-immer muß sie ihren Willen durchsetzen! Monika ist ein Engel, wenn man
-ihr den Willen tut, aber den muß man ihr tun!“</p>
-
-<p>„Darin wird sie sich wohl ein wenig ändern,“ sagte Wetterhelm, mit
-demselben Gleichmut, den er bisher zur Schau getragen.</p>
-
-<p>„Sie ändert sich nicht, sie ist jetzt siebzehn Jahre und war immer so.“</p>
-
-<p>„Mit siebzehn ändert man sich noch oft.“</p>
-
-<p>Da Frau von Birken dieser Aeußerung nicht recht was entgegenzusetzen
-wußte, sagte sie: „Erlauben Sie, daß ich meinen Sohn rufe...“</p>
-
-<p>Heinzemännchen erschien.</p>
-
-<p>Er trug den neuen, unendlich langen Gehrock und sah sehr sorgenvoll aus.</p>
-
-<p>Wetterhelm zog die Augenbrauen hoch. Wollte man ihm in der Tat zumuten,
-seine Werbung bei diesem Obersekundaner anzubringen?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_262"></a>[S. 262]</span></p>
-
-<p>Aber schon wurde die Tür aufgerissen. Monika kam herein, flog auf
-Wetterhelm zu und küßte ihn stürmisch auf den Mund.</p>
-
-<p>„Was habt Ihr denn bloß so lange zu verhandeln?“ rief sie der wie
-erstarrt dasitzenden Mutter zu. „Ich kann doch nicht so lange draußen
-bleiben, wenn Georg da ist!“</p>
-
-<p>Und sie küßte ihn von neuem.</p>
-
-<p>„Jetzt kann ich allerdings nichts mehr einwenden,“ sagte Frau von
-Birken hilflos.</p>
-
-<p>Heinzemännchen seufzte auf. War’s die Erleichterung darüber, daß die
-Verantwortung für Monika von jetzt ab auf stärkeren Schultern ruhen
-sollte als auf den seinen? &mdash;</p>
-
-<p>Die Verlobungszeit sollte nur zwei Monate dauern. Frau von Birken fand
-das zwar geradezu ungebührlich kurz, aber es lag so gar kein Grund zum
-Warten vor. Im Gegenteil! Der Konsul erwartete bald seine Berufung auf
-einen überseeischen Posten und wollte selbstverständlich schon vorher
-heiraten.</p>
-
-<p>Monikas Glück wurde oft ein wenig getrübt durch die Behandlung, die
-man ihr zu Hause an<span class="pagenum"><a id="Seite_263"></a>[S. 263]</span>gedeihen ließ. Ihre Mutter, mit der sie jetzt die
-ganze Zeit zusammen war &mdash; seit ihrer Verlobung besuchte sie die Kurse
-nicht mehr &mdash; war nicht im mindesten anders zu ihr als sonst. Keine
-Spur einer anderen Stimmung war zu merken, nichts von der zärtlichen
-Ergriffenheit, die andere Mütter haben, wenn ihre einzige Tochter so
-bald schon fürs Leben das Haus verläßt. Frau von Birken nörgelte sogar
-mehr als sonst an Monika herum, sogar bei Sachen, von denen es nicht
-recht ersichtlich war, warum sie sie tadelnswert fand.</p>
-
-<p>Auch Alfred und Heinrich trugen jetzt, trotz der nahen, dauernden
-Trennung von ihrer Schwester, kein liebenswürdigeres Wesen ihr
-gegenüber zur Schau als sonst. Nur Karl, der ja auch sonst lieb und
-nett gewesen, entfaltete eine außergewöhnliche Hochachtung. Monika
-hatte ihm durch ihre Verlobung sehr imponiert, und er raubte jetzt mit
-doppelter Begeisterung aus Mamas oder Heinzemännchens Portemonnaie ein
-paar Nickel, um ihr irgendeine Kleinigkeit „zum Freuen“ zu kaufen.</p>
-
-<p>Monikas Liebe zu ihrem Bräutigam war in dieser kurzen Zeit noch
-gewachsen, aber das hinderte sie nicht, genau zu wissen, daß sie kein
-volles Ver<span class="pagenum"><a id="Seite_264"></a>[S. 264]</span>ständnis bei ihm fand. Wenn sie Gedanken äußerte, zu denen
-sie sich nach heißem Ringen durchgekämpft, tat er das oft ab mit einem
-lächelnden: „Du bist sehr jung, Liebling!“</p>
-
-<p>Und an Sachen, die Monika in Entzücken versetzten, konnte er oft „beim
-besten Willen nichts finden“! Zum Beispiel an dem Gratulationsbrief von
-Monikas ehemaliger Amme. Was war denn an diesem albernen, ungeschickten
-Schriftstück, daß es bei Monika lachende und weinende Begeisterung
-hervorrief?</p>
-
-<p>Die Liese schrieb:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p class="mleft2">„Liebstes Monchen,</p>
-
-<p>da komme ich nun und wünsche Dir Gottes reichsten Segen auf alle
-Zeit, indem, daß ich es mir ja auch nicht von Dir denken konnte,
-daß Du, wie die olle Trübnersch gesagt hat, studieren sollst wie
-ein Doktor.</p>
-
-<p>Weil das ja doch zu sündhaft und häßlich wär’ für ein
-Frauensmensch, wie denn auch das Sprichwort sagt:</p>
-
-<p>„Den Mädchen, die pfeifen, den Hühnern, die kräh’n, den’ soll der
-Teufel den Hals umdreh’n.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_265"></a>[S. 265]</span></p>
-
-<p>Aber natürlich habe ich es nicht geglaubt, mein trautstes Monchen,
-und die olle Trübnersch ist ein Lügenmaul, das sage ich dreist, und
-wenn sie jeden Tag bei die Muckersch in die kleine Kapelle geht.</p>
-
-<p>Na, denn hoffe ich, mein trautstes Monchen, daß es ein Forscher
-ist, sowie dem Fräulein Marie ihr Mann, der gnädige Herr von
-Hammerhof, der ist ja nu wohl viel zu hübsch für die lange Stange.
-&mdash;</p>
-
-<p>Mein Fritzchen wird auch mal so einer, der läuft schon jetzt mit
-die Mädchen rum und ist noch keine fünf Jahre alt.</p>
-
-<p>Die Ollsche, was die Tante vom Grün ist, ist ja nu gestorben, und
-wir haben ein sehr schönes Begräbnis gemacht, Fladen, Branntwein
-und alles.</p>
-
-<p>Mit meinem Grün is es nicht mehr so recht, zu alt, Monchen, zu alt.
-Er hat das Reißen in alle Knochen, aber sonst ist es ja ein sehr
-guter Mann.</p>
-
-<p>Zu Deine Hochzeit schicke ich Dir die Myrte, selbst gezogen, was Du
-im vorigen Winter bei mir gesehen hast.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_266"></a>[S. 266]</span></p>
-
-<p>Und nu grüße Deinen Bräutigam und sage ihm, er kriegt was Schönes,
-da er Dir heiratet.</p>
-
-<p>Es sendet Dir Gottes reichsten Segen</p>
-
-<p class="right mright2">Deine treue Liese.“</p>
-
-</div>
-
-<p>Wie gesagt, Wetterhelm fand das ja gewiß ganz nett von der alten
-Person, aber Monikas Bewegtheit war doch übertrieben!</p>
-
-<p>Auch gab es manchmal kleine Reibereien, weil Monika irgendwelche
-gesellschaftlichen Förmlichkeiten bei Besuchen oder Ausfahrten nicht
-eingehalten.</p>
-
-<p>Wohl hatte das Impulsive ihrer Natur einen starken Reiz für Wetterhelm,
-wohl bestand ein Teil ihrer Anziehungskraft für ihn gerade darin, aber
-sobald diese Art irgendwie in der Oeffentlichkeit hervortrat, störte
-sie ihn aufs schärfste.</p>
-
-<p>Schon ihre Manier, immer aus dem Wagen zu springen, ehe die Pferde
-standen.</p>
-
-<p>Und dann ihre Haltung. Sie hatte immer etwas so eigentümlich Trotziges:
-den Kopf ein bißchen vorgestreckt, die Ellenbogen lose, die linke Hand
-zur Faust geballt. Es war förmlich eine Verteidigungs<span class="pagenum"><a id="Seite_267"></a>[S. 267]</span>stellung, die
-nicht mit dem weichen Liebreiz ihrer siebzehn Jahre harmonierte. In
-ihrer Sprechweise störte ihn oft ein gar zu kräftiges Wort oder ein
-achselzuckendes: „<span class="antiqua">je m’en fiche</span>“, mit dem sie einen Vorwurf
-abtat.</p>
-
-<p>Jedenfalls war Georg nicht ohne Besorgnis im Hinblick auf den Besuch,
-bei dem er Monika seiner Mutter vorstellen wollte.</p>
-
-<p>An einem schönen Aprilmorgen fuhr die Baronin Birken und das Brautpaar
-nach Gerbitz, dem Gute, das Frau von Wetterhelms Wohnsitz war, auf dem
-sie mit ihrer einzigen unverheirateten Tochter Brigitte lebte.</p>
-
-<p>Bevor man zur Bahn fuhr, hatte Monika eine unangenehme, kleine Szene
-mit ihrem Bräutigam gehabt, der ihre Frisur getadelt hatte.</p>
-
-<p>„Du hast mich doch sonst so immer hübsch gefunden.“</p>
-
-<p>„Gewiß, aber Mama ist etwas <span class="antiqua">vieux jeu</span>, lieber Schatz; ihr würde
-das in die Stirn gebauschte Haar sicher nicht gefallen. Bitte, trage
-heute die Stirn frei und die Haare möglichst glatt.“</p>
-
-<p>Monika machte ein ungezogen trotziges Gesicht, ging aber doch hinaus,
-um eine Bürste zu holen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_268"></a>[S. 268]</span></p>
-
-<p>„Ich werde meine Frisur unter Deiner obrigkeitlichen Aufsicht
-arrangieren, lieber Georg,“ sagte sie mit einem Anflug von Spott.</p>
-
-<p>Ein paar Bürstenstriche: „Ist es so gut?“</p>
-
-<p>„Aber Kind, da ist ja kaum was geändert, viel glatter, bitte.“</p>
-
-<p>„Also so?“</p>
-
-<p>„Noch immer nicht richtig.“</p>
-
-<p>Statt einer Antwort feuerte sie die Bürste auf die Erde. Georg erhob
-sich. Er war sehr blaß geworden, und ehe noch Frau von Birken zu einer
-Strafpredigt ansetzen konnte, sagte er: „Das war Deiner unwürdig,
-Monika!“</p>
-
-<p>Nun fiel die Mutter ein, aber alles, was die auch vorbrachte, hatte
-keine Wirkung auf Monika, gegenüber den paar Worten aus Georgs Munde.</p>
-
-<p>Sie kämpfte einige Augenblicke mit sich, dann aber ging sie auf ihren
-Verlobten zu und sagte:</p>
-
-<p>„Du hast ganz recht, Georg, und ich bitte Dich um Verzeihung.“</p>
-
-<p>Ihre Frisur war wirklich von korrektester Einfachheit, als man in
-Gerbitz eintraf.</p>
-
-<p>Zwei Stunden war man Eisenbahn gefahren, dann eine Stunde in
-altmodischer Kalesche durch<span class="pagenum"><a id="Seite_269"></a>[S. 269]</span> märkischen Sand, dann kam man an dem
-grauen Herrenhause an.</p>
-
-<p>Frau von Wetterhelm und ihre Tochter Brigitte begrüßten die Gäste.</p>
-
-<p>Georgs Mutter war eine imposant große Erscheinung, in der Mitte der
-sechzig. Ihr Gesicht zeigte einen leidenden Ausdruck. War es doch
-Krankheit gewesen, die der Anlaß dazu war, daß der Sohn ihr jetzt erst
-seine Braut zuführte.</p>
-
-<p>Georg hatte innerlich gefürchtet, daß seine zukünftige Schwiegermutter
-den Damen seiner Familie wenig gefallen würde; ihr wenig seriöses
-Wesen, das Fehlen mütterlicher Würde in ihrem Aeußeren und ihr
-Benehmen würde wahrscheinlich von seinen überaus korrekten Angehörigen
-gemißbilligt werden.</p>
-
-<p>Zu seinem Erstaunen verstand sich Frau von Birken mit den Damen sehr
-gut. Schon nach kurzer Zeit war man eifrig in das wichtige Thema
-vertieft, welcher Zeitpunkt für das Einlegen von Johannisbeeren der
-geeignetste sei.</p>
-
-<p>Dies und eine Reihe ähnlicher Gesprächsthemata schlugen eine Brücke
-zwischen Monikas und zwischen Georgs Mutter. Als dann gar die
-Dienstboten<span class="pagenum"><a id="Seite_270"></a>[S. 270]</span>frage aufs Tapet kam, erwärmte sich selbst Brigitte, deren
-hagere Altjungfernfigur im schmucklos schwarzen Kleide wie aus Holz
-geschnitzt erschien.</p>
-
-<p>Monika trug bei diesen Unterhaltungen eine geradezu unhöfliche
-Unaufmerksamkeit zur Schau. Das lag ihr nicht... das alles hier lag
-ihr nicht... Die Einrichtung, die bei aller Wohlhabenheit geschmacklos
-puritanisch war, diese große, strenge Frau, zu der sie nun „Mama“ sagen
-sollte, die unschöne Schwester... das alles verstimmte sie.</p>
-
-<p>Sie war ganz verärgert, besonders, als Georg ihre Bitte, ihr den Park
-zu zeigen, abgeschlagen hatte.</p>
-
-<p>„Wir gehen nachher alle zusammen,“ sagte er.</p>
-
-<p>Bei dem Rundgang, den man nach dem Frühstück machte, wurde Monikas
-Benehmen von den Wetterhelmschen Damen innerlich „lächerlich kindisch“
-gefunden; sie geriet in Ekstase vor den jungen Lämmern mit ihren
-kurzlockigen Fellchen, sie kniete nieder, um sie an sich zu drücken;
-sie war im Schweinestall außer sich vor Freude über die Ferkel mit
-ihren rosa Körpern und den Ringelschwänzchen; sie hielt den Tieren
-Reden, besonders dem Hofhund,<span class="pagenum"><a id="Seite_271"></a>[S. 271]</span> der gleich eine große Sympathie für sie
-an den Tag legte:</p>
-
-<p>„O, was für ein guter Hund... Du bist ja sehr häßlich, mein armer
-Kerl, und so gelb wie Eidotter bist Du, und aus gar keiner feinen
-Familie... Nein, nicht mal Rasse hast Du... Aber Du bist doch gut, mein
-Dickerchen! Ach, was für’n guter Hund! Und gut sein ist ja auch was
-wert, wenn auch nicht so viel wie schön sein!“</p>
-
-<p>Da intervenierte Frau von Birken, sie legte die größtmögliche Strenge,
-deren sie fähig war, in ihren Ton:</p>
-
-<p>„Monika, genug des Unsinns! Wir wissen ja, daß Du nur scherzest, aber
-man soll auch im Scherz nicht sagen, daß Schönheit mehr ist als Güte!
-Die Güte ist das Weltprinzip...“</p>
-
-<p>Brigitte drückte der Baronin ostentativ die Hand.</p>
-
-<p>„Aber Mama,“ rief Monika, schnell wie aus der Pistole geschossen,
-„aber Mama! Du hast doch wohl schon Naturgeschichte gelesen und
-Weltgeschichte und Entwicklungstheorien? Das Weltprinzip ist doch die
-Grausamkeit, der ewige Kampf...“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_272"></a>[S. 272]</span></p>
-
-<p>„Lassen wir das doch,“ schnitt Georg ab; ein unmutiger Ausdruck lag
-über seinem Gesicht, ihm war nicht entgangen, daß sich in den Zügen
-seiner Mutter schärfste Mißbilligung bei Monikas Worten aussprach, daß
-die Züge seiner Schwester förmlich vereisten in schroffster Ablehnung.</p>
-
-<p>Dann ging man nach der Fohlenkoppel hinüber, wo Monika versuchte, auf
-die Fohlen hinaufzuturnen.</p>
-
-<p>„Zu schön ist’s auf dem Lande,“ sagte sie zu ihrem Bräutigam, als sie
-ihn endlich „ein bißchen für sich“ hatte. „Die Tage von Sarkow, meine
-Kinderjahre, sind mir so unvergeßlich. Am liebsten möchte ich mit Dir
-auf ein Gut ziehen, Georg.“</p>
-
-<p>„Mir liegt das nicht,“ erwiderte der Konsul. „Gewiß ist Landwirt sein
-auch ein schöner Beruf, in dem man seinem Vaterlande nützen kann, aber
-ich kann in meinem Berufe Größeres wirken, Besseres für Deutschland
-tun.“</p>
-
-<p>Monika stürzte sich mit Feuereifer auf diese neue Anregung.</p>
-
-<p>„Ja, da hast Du auch ganz recht! Ich werde mal eine tadellose
-Botschafterin!“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_273"></a>[S. 273]</span></p>
-
-<p>„Na, na, man immer sachte mit den jungen Pferden.“</p>
-
-<p>„Und wir bekommen einen historischen Palazzo als Dienstwohnung, weißt
-Du, sowas in Spätrenaissance, und ich gebe jeden Abend Empfänge, wo
-lauter Fürsten und Genies sind, <span class="antiqua">crème de la crème</span>, weißt Du?...
-Und ich trage ein himmelblaues, silbergesticktes Kleid und furchtbar
-viel Orden in Brillanten. Als Botschafterin bekomme ich doch Orden,
-nicht wahr? Und ich trage ein Perlcollier für eine Million. Das muß
-ich von meiner Schwiegermutter geerbt haben. ‚Das Kollier meiner
-Schwiegermutter‘ finde ich sehr stilvoll.“</p>
-
-<p>„Ach, Kind, hör’ bloß mit dem Unsinn auf. Und nimm Dich zusammen vor
-Mama und Brigitte. Korrekt, mein kleiner Schatz, korrekt!“</p>
-
-<p>Beim Mittagessen wirkte diese Ermahnung noch so nach, daß sie wie ein
-braves Schulkind dasaß.</p>
-
-<p>Aber nach Tisch, als sich die Damen zum Nachmittagsschlaf zurückgezogen
-und Monika mit ihrem Bräutigam durch den Park ging, verjagte die
-goldene Aprilsonne bald ihre mühsam bewahrte Gemessenheit.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_274"></a>[S. 274]</span></p>
-
-<p>Konnte man denn ruhig bleiben, wenn die Blattknospen gar so ungestüm
-aus ihren Hüllen drängten, wenn die Hyazinthen auf den Frühbeeten mit
-tiefen Farben prangten wie Edelstein: rubinrot, diamantenweiß und blau
-wie Saphir! Ach &mdash; und alle diese Blütenglocken sandten süße Duftwogen
-in die herbe deutsche Luft. In den Aesten lärmten und lockten die
-Vögel, schrien, weil der Frühling da war und die Liebe...</p>
-
-<p>Konnte man denn ruhig bleiben, wenn man einen so süßen, geliebten,
-schönen, guten Bräutigam hatte?</p>
-
-<p>Das fragte Monika Georg von Wetterhelm.</p>
-
-<p>Und er lachte zärtlich, immer aufs neue besiegt von ihrem wilden
-Charme. &mdash;</p>
-
-<p>Die Vesperstunde vereinigte alle wieder um den runden Tisch im Eßzimmer.</p>
-
-<p>Frau von Wetterhelm war Monika gegenüber aus ihrer ursprünglichen
-Freundlichkeit in eine gewisse Reserviertheit übergegangen. Sie fand:
-es war eigentlich eine fabelhafte Idee von Georg, ein so unbändiges,
-junges Ding heiraten zu wollen. Seiner sonstigen Wesensart war das
-so unähnlich,<span class="pagenum"><a id="Seite_275"></a>[S. 275]</span> er war doch immer ein so tadellos vernünftiger Mensch
-gewesen.</p>
-
-<p>„Georg hat mir nie Sorgen gemacht,“ erzählte sie an diesem Nachmittag.
-Ja, er war immer ein lieber, vernünftiger Sohn gewesen, körperlich und
-geistig gut beanlagt. Er war nie krank gewesen, er war immer unter
-den besten Schülern seiner Klasse. Alles in seinem Leben war wie am
-Schnürchen gegangen. Das Abiturium, die späteren Examina, die Ernennung
-zum Leutnant der Reserve, sein Avancement bei den Garde-Ulanen. Und
-seine Beamtenkarriere würde eine glänzende sein, das sagten alle, und
-sie hoffe nur, Monika würde ihren zukünftigen Gatten „voll und ganz zu
-würdigen verstehen“!</p>
-
-<p>„Na und ob!“ schmetterte Monika so überzeugt heraus, daß alle drei
-Damen ihr verweisende Blicke zusandten.</p>
-
-<p>„Hoffentlich habe ich mit meiner Schwiegertochter ebenso viel Glück wie
-mit meinen Kindern,“ fuhr Frau von Wetterhelm nicht ohne eine gewisse
-Anzüglichkeit fort, „ja, auch Brigitte hat mir nur Freude gemacht.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_276"></a>[S. 276]</span></p>
-
-<p>Monika warf einen erstaunten Blick auf die schwarzgekleidete, hagere
-Dame, welche sie im stillen „die hölzerne Jungfrau“ getauft hatte.</p>
-
-<p>„Ja, Brigitte ist immer tätig und häuslich gewesen,“ lobte die Herrin
-des Hauses weiter. „Mein lieber Mann starb ja so früh &mdash; Georg kam
-naturgemäß bald aus dem Hause &mdash; da war Brigitte das Einzige, was mir
-blieb. &mdash; Wie hat sie mich gepflegt in meinen vielen Krankheiten.
-Brigitte ist die geborene Krankenschwester! Und sie hat es nie übers
-Herz gebracht, mich zu verlassen, auch damals nicht, vor nunmehr
-zwanzig Jahren, als Herr von Lodringen um sie anhielt.“</p>
-
-<p>„Aber Mama!“ Ein schwaches Rot war in Brigittes welke Wangen gestiegen,
-mit einer nervösen Gebärde strich sie sich über den glatten,
-graublonden Scheitel.</p>
-
-<p>„Meine liebe Tochter, warum sollte ich nicht von Deiner aufopfernden
-Kindesliebe sprechen, von Deinem edlen Pflichtgefühl? Unsere kleine
-Monika kann daraus nur Gutes lernen! Ja, also als Lodringen um Brigitte
-anhielt, wies sie ihn ab, obwohl sie ihn sehr gern hatte und obwohl er
-eine<span class="pagenum"><a id="Seite_277"></a>[S. 277]</span> durchaus passende Partie war. Wies ihn ab, weil sie mich nicht
-verlassen wollte.“</p>
-
-<p>Brigitte sagte nichts. Ein Seufzer hob ihre Brust.</p>
-
-<p>„Ach...,“ rief Monika, ungläubig erstaunt.</p>
-
-<p>Frau von Wetterhelm fuhr fort: „Lodringen stand in Westfalen, und ich
-konnte natürlich nicht daran denken, mit in jene Garnison zu ziehen.
-Was hätte dann hier aus dem Gute werden sollen? Und so blieb Brigitte
-bei mir, mein aufopferndes Kind, als die Stütze meines Alters...“</p>
-
-<p>Frau von Birken hatte vor Rührung Tränen in den Augen.</p>
-
-<p>„Wie entzückend, wie heroisch geradezu, sein eigenes Lebensglück
-hinzugeben, um der Mutter Trost sein zu können! Diese echt weibliche
-Entsagung! Da siehst Du, Monika, was für junge Mädchen es auf Gottes
-Welt gibt!“</p>
-
-<p>„Aber das ist doch ein maßloser Unsinn,“ rief Monika heftig, mit
-sprühenden Augen; in ihrer Erregung bemerkte sie nichts von dem
-förmlich lähmenden Entsetzen, das ihr Ausruf bei der Tafelrunde
-hervorgerufen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_278"></a>[S. 278]</span></p>
-
-<p>„Ja, ein offenbarer Unsinn,“ stürmte sie weiter, „ein lebendiges,
-warmes Liebes- und Lebensglück zu opfern aus töchterlichem
-Pflichtbewußtsein! Man lebt doch nicht für seine Mutter!“</p>
-
-<p>Sie brach ab, erschreckt über das Verhalten ihres Bräutigams, der zu
-seiner Mutter getreten war. Er beugte sein erblaßtes Gesicht über die
-alte Frau und sagte, indem er wie beschwörend seine Hand auf ihren Arm
-legte:</p>
-
-<p>„Hör’ nicht hin, Mama, sie meint es nicht so. Sie ist noch so sehr
-jung.“</p>
-
-<p>Die böse Stimmung, die dieser Zwischenfall hervorgerufen, hielt an. Die
-Wetterhelmschen Damen brachten kaum ein Wort mehr über die Lippen.</p>
-
-<p>Gut, daß Frau von Birkens Redefluß auch bei dieser Gelegenheit nicht
-versiegte. Ihre Begabung, über die nichtigsten Dinge sehr viel zu
-reden, war ihrem zukünftigen Schwiegersohne zum erstenmale eine Freude.
-So herrschte wenigstens nicht dauernd Stillschweigen.</p>
-
-<p>Mit dem Abendzuge fuhr man fort. Auf der Rückfahrt berührte Wetterhelm
-mit keinem Worte den Vorfall, der ihm tiefgehenden Eindruck gemacht.<span class="pagenum"><a id="Seite_279"></a>[S. 279]</span>
-Bei seiner langsam denkenden Art wollte er erst mit sich selbst ins
-Reine kommen, ehe er mit Monika sprach.</p>
-
-<p>Die fühlte zwar, daß sie auf Georgs Angehörige keinen allzu günstigen
-Eindruck gemacht, aber sie nahm das ganze nicht wichtig.</p>
-
-<p>Sie wurde auch dadurch abgelenkt, daß sie zu Hause die Korrekturbogen
-ihres neuen Gedichtzyklus fand.</p>
-
-<p>Dieser Zyklus, der eine Ueberraschung für ihren Bräutigam sein sollte,
-war für die nächste Nummer des „Leuchtturm“ bestimmt.</p>
-
-<p>„An Georg“ hieß die Ueberschrift dieser sechs Gedichte, deren eines
-das andere an klingenden Worten und leidenschaftlichen Empfindungen
-übertraf.</p>
-
-<p>Monika war von ihrem eigenen Werke erschüttert, als sie die
-Korrekturbogen las. Ihr schienen diese Gedichte wie sechs voll erblühte
-Rosen, farbenflammend, duftsprühend... und die Dornen, die sonst Rosen
-tragen, hatte sie ihnen abgebrochen mit zärtlichen Fingern. Dornenlose
-Rosen waren’s nun, lauter Liebe und Leidenschaft und heißes, heißes
-Glück!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_280"></a>[S. 280]</span></p>
-
-<p>Eine heftige Ungeduld erfaßte sie plötzlich, Georg schon jetzt diese
-Verse zu senden. Nicht, wie sie sich vorgenommen, erst am nächsten
-Mittwoch, wenn das neue Heft des Leuchtturms erschienen war.</p>
-
-<p>Sie schrieb ein paar Zeilen, kuvertierte diese und die Druckbogen und
-schrieb mit ihrer weitausladenden, arroganten Handschrift die Adresse
-ihres Verlobten.</p>
-
-<p>Dann rannte sie fort, um den Brief selbst in den Kasten zu tragen; sie
-ließ Briefe an Georg nie durch jemand anders besorgen.</p>
-
-<p>Sie schlief nicht viel in dieser Nacht; immer wieder mußte sie daran
-denken, wie Georg sich wohl freuen würde, wenn er diese glühenden
-Liebesgeständnisse las und durch ihre Zeilen erfuhr, daß er es nicht
-allein war, der diese Gedichte las, sondern daß Tausende von anderen
-Menschen, von mitfühlenden, mitvibrierenden anderen Menschen es lesen
-würden &mdash; &mdash; &mdash;</p>
-
-<p>„An Georg“.</p>
-
-<p>Nun, bald würde sie ja wissen, wie sehr er sich gefreut. Er kam ja
-morgen zum Abendbrot &mdash; &mdash; nein, nicht morgen. Heute! Es hatte ja eben
-schon zwei geschlagen durch die stille Nacht.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_281"></a>[S. 281]</span></p>
-
-<p>Erst als es hell wurde, schlief Monika ein.</p>
-
-<p>Der Tag ging hin, wie jetzt alle Tage hingingen: in Erwartung ihres
-Bräutigams.</p>
-
-<p>Als sie sich eben für den Abend umgezogen hatte, kam Georgs Diener
-mit einem Briefe von ihm, den er Auftrag hatte, dem gnädigen Fräulein
-selbst zu übergeben.</p>
-
-<p>Monika schloß sich mit dem Schreiben ins Schlafzimmer ein; sie wußte,
-daß man sie sonst doch nicht bei der Lektüre ungestört ließ.</p>
-
-<p>Und sie las:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p class="mleft2">„Liebe Monika,</p>
-
-<p>es wird mir unendlich schwer, Dir diese Zeilen zu schreiben. Ich
-habe schwer mit mir gekämpft seit gestern abend. Nach reiflicher
-Ueberlegung aber halte ich es nun doch für besser, Dir zu sagen:
-wir passen nicht zueinander. Ich bin weit entfernt davon, die
-wundervollen Geistes- und Körpereigenschaften zu verkennen, mit
-denen die Natur Dich überschüttet hat. Aber Du hast Grundsätze,
-Anschauungen, Prinzipien, die für <em class="gesperrt">meine</em> Frau unmöglich sind!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_282"></a>[S. 282]</span></p>
-
-<p>Ich habe das zuerst alles für Kindereien gehalten, aber wie Du
-gestern meiner alten Mutter ins Gesicht hinein erklärtest, daß das
-hohe Liebeswerk, das meine Schwester an ihr getan, „barer Unsinn“
-sei, das gab mir einen Choc, den ich nicht überwinden kann.</p>
-
-<p>Dann kam Dein Brief &mdash; &mdash; &mdash; Die Verse sind gewiß sehr schön
-und talentvoll, aber für ein junges Mädchen wenig passend. Die
-Tatsache, daß Du sie veröffentlichen willst, entspringt einem mir
-geradezu unbegreiflichen Mangel an Zartgefühl.</p>
-
-<p>Wie kann man so intime Empfindungen der großen Menge preisgeben,
-sie der höhnischen Kritik jedes Uebelwollenden aussetzen. Wie
-kann man Gefühle, die in das tiefste Dunkel Deines Mädchenherzens
-gehören, an das grelle Licht der Oeffentlichkeit zerren?! &mdash; &mdash;</p>
-
-<p>Aber genug von alledem!</p>
-
-<p>Mit tiefem Schmerze reiße ich mich los von Dir in der Erkenntnis,
-daß unsere beiden Naturen zu grundverschieden sind, um je in eine
-harmonische Ehe zu verschmelzen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_283"></a>[S. 283]</span></p>
-
-<p>Ich sage Dir brieflich Lebewohl, weil ich weiß, daß ich dem Zauber
-Deiner Gegenwart doch nicht widerstehn kann. Du bist die Erste,
-bei der mein Gefühl stärker war als mein Verstand. Ich weiß und
-fühle, daß diese Schwäche Dir gegenüber für mein ganzes künftiges
-Leben eine Gefahr bedeutet, eine Gefahr hauptsächlich darum, weil
-Du Deinen ganzen Anschauungen nach mich oft zu Handlungen und
-Unterlassungen wirst veranlassen wollen, die meiner innersten Natur
-widerstreben.</p>
-
-<p>Lebe wohl, mein geliebter kleiner Schatz.</p>
-
-<p class="right mright2">Georg.“</p>
-
-</div>
-
-<p>Monikas Hand, die den Brief gehalten, sank schwer herunter. Ihr wirrer
-Blick traf zufällig auf den Spiegel, vor dem sie gestanden. Und dieser
-Blick wurde allmählich bewußt, erkannte das Spiegelbild, und wie ein
-grenzenloses Erstaunen ging es ihr durch den Kopf: „Herrgott, kann man
-denn überhaupt so blaß sein?!“</p>
-
-<p>Einige Sekunden lang irrte ihr Sinn noch herum wie ein Vogel, den die
-Kugel traf, der ängstlich flattert mit zuckenden Flügelschlägen und
-dann plötz<span class="pagenum"><a id="Seite_284"></a>[S. 284]</span>lich, sich des Schmerzes bewußt werdend, aufschreit und
-niederstürzt.</p>
-
-<p>Und dann Nacht...</p>
-
-<p>Eine tiefpurpurne Finsternis, aus der sich die Sinne nur langsam und
-qualvoll allmählich wieder zum Bewußtsein ringen.</p>
-
-<p>Das... das war doch nicht möglich! Das war doch nicht denkbar... nein,
-nicht auszudenken, daß diese Liebe, die strahlende Sonne, die ihr
-ganzes Leben erleuchten und erwärmen sollte, nur ein Irrlicht war, das
-eine flüchtige Sekunde aufschimmerte und dann versank...</p>
-
-<p>Nein, nicht möglich! Und doch? Was stand da in dem Briefe? In dem
-Briefe, der ihren Fingern entglitten war, den sie nun vom Boden
-emporriß und von neuem las?</p>
-
-<p>Und noch einmal...</p>
-
-<p>Und wieder...</p>
-
-<p>Sie verwundete sich an jedem Worte mit der wahnsinnigen Schmerzensgier
-einer Märtyrerin, die sich immer von neuem Dolchspitzen in ihr
-schauderndes Fleisch bohrt.</p>
-
-<p>Und dann &mdash; wie eine Eingebung &mdash; leuchtete in dem wirren Toben ihrer
-Empfindungen plötzlich ein<span class="pagenum"><a id="Seite_285"></a>[S. 285]</span> Gedanke auf, wie das klare Licht eines
-Leuchtturms im Dunkel einer sturm- und wogendurchtobten Nacht:</p>
-
-<p>Handeln jetzt! Nicht tatenlos zusehn, wie ihr Glück zerbrach!</p>
-
-<p>Ihre Pupillen erweiterten sich, brannten wie schwarze Flammen in ihrem
-tieferblaßten Gesicht.</p>
-
-<p>Ihre Hände ballten sich zusammen, krampften sich zu Fäusten, als wollte
-sie das Glück festhalten, &mdash; das Glück!</p>
-
-<p>Handeln jetzt! Zu ihm!</p>
-
-<p>Wie stand es doch in diesem Brief, von dem jetzt jedes Wort in ihrem
-Gehirn eingegraben stand wie mit ehernen Lettern?</p>
-
-<p>„Daß ich dem Zauber Deiner Gegenwart doch nicht widerstehn kann“.</p>
-
-<p>Dem Zauber... meiner... Gegenwart...</p>
-
-<p>Mit Gedankenschnelle hatte sie den Hut in die Haare gedrückt.</p>
-
-<p>Und die Treppe hinunter.</p>
-
-<p>Sie hielt die nächste Auto-Droschke an, rief dem Chauffeur die Adresse
-zu.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_286"></a>[S. 286]</span></p>
-
-<p>Das Auto glitt über den Asphalt, ziemlich langsam, denn ein grauer
-Regen rieselte leise über Berlin, hüllte die Riesenstadt in einen
-dünnen Tropfenschleier.</p>
-
-<p>An Monikas Augen glitten die steinernen Häusermassen vorbei, das
-Gelbrot der Gaslaternen und das bläulich-schimmernde Licht der
-elektrischen Lampen leuchtete in kurzen Zwischenräumen immer wieder auf.</p>
-
-<p>Leute kamen vorüber... Automobilhupen tönten, Hufschlag, &mdash; &mdash; das
-schrille Klingeln der elektrischen Bahnen.</p>
-
-<p>Monika sah und hörte das alles, aber es kam ihr nichts ins Bewußtsein.</p>
-
-<p>Sie fühlte auch keinen Schmerz.</p>
-
-<p>Sie sah und hörte und fühlte nichts als ihr Ziel: das Glück
-wiederhaben... das Glück...</p>
-
-<p>Das Auto hielt, sie stieg aus, bezahlte den Chauffeur und ging die
-Treppe hinauf zu der Wohnung von Georg von Wetterhelm.</p>
-
-<p>Der Diener vermochte trotz seiner Wohlgeschultheit nicht seine
-Ueberraschung zu verbergen. Er stotterte, daß der gnädige Herr
-ausgegangen sei.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_287"></a>[S. 287]</span></p>
-
-<p>„Wann kommt er zurück?“</p>
-
-<p>„Ich weiß nicht, gnädiges Fräulein.“</p>
-
-<p>„Gleichgültig. Ich werde ihn hier erwarten.“</p>
-
-<p>Sie schritt den Korridor entlang und öffnete die Tür zu Georgs
-Arbeitszimmer. Sie kannte den Weg von dem Male her, als Georg sie und
-die Mama und die Brüder zum Tee eingeladen.</p>
-
-<p>Mit was für anderen Gefühlen als heute hatte sie da in dem Gemache
-gestanden, dessen strenge, vornehme Einrichtung so überaus gut zu
-Georgs Wesen und Sein paßte.</p>
-
-<p>Sie setzte sich in den grünen Ledersessel und wies kurz den Diener
-zurück, der eintrat, um Licht zu machen.</p>
-
-<p>Sie starrte mit brennenden Augen in das Dunkel ringsum, das nur matt
-erhellt war von dem Schein der Straßenlaternen, der von draußen durch
-die Gardinen fiel.</p>
-
-<p>Sie überlegte nicht, was sie Georg sagen wollte, wenn er kam, sie
-dachte nur: das Glück wiederhaben ... das Glück...</p>
-
-<p>Leise, leise schlug der Regen an die Scheiben. Sie hörte jede Sekunde
-das Ticken der großen<span class="pagenum"><a id="Seite_288"></a>[S. 288]</span> Standuhr, hörte jede Viertelstunde ihr dumpfes
-Schlagen.</p>
-
-<p>Sie wußte nicht, wieviel Zeit verstrichen war. Ihr war es, als sei sie
-schon endlos in dieser weichen Dunkelheit. Da hörte sie einen Schlüssel
-in der Korridortüre.</p>
-
-<p>Schritte näherten sich dem Zimmer &mdash; dann das Knipsen am Schalter des
-elektrischen Lichts &mdash; eine grelle Helligkeit, die das Dunkel zerriß,
-&mdash; &mdash; und Georgs Aufschrei:</p>
-
-<p>„Du hier?“</p>
-
-<p>Sein Gesicht war ihr nie so ehern erschienen wie jetzt.</p>
-
-<p>„Du hättest das nicht tun dürfen, Monika! Warum machst Du’s uns beiden
-so schwer?“</p>
-
-<p>„Georg...,“ würgte sie hervor.</p>
-
-<p>„Kind, es ist mir so schon schwer genug geworden. Aber es ist besser
-so für uns beide. Ich werde mich nie in Deine Art fügen lernen, und Du
-Dich in meine auch nicht!“</p>
-
-<p>Sie trat näher zu ihm heran.</p>
-
-<p>„Aber ich will ja alles, was Du willst! Ich will ja werden, wie Du
-willst... glaub’ mir das! In<span class="pagenum"><a id="Seite_289"></a>[S. 289]</span> alles kann ich mich fügen... unserem
-Glück zuliebe!“</p>
-
-<p>Ihre Stimme, die fast versagt hatte, wurde fester; wie ein Feuer, das
-zuerst nur zögernd knistert und hie und da einen Funken aufleuchten
-läßt, bis es allmählich zur Glut wird, und zur flammenden Lohe dann
-&mdash; so wuchs ihre Rede. Wuchs über sie empor und über ihn, wurde das
-Hohelied von der Liebe &mdash; von der Liebe, die stark ist wie das Leben,
-stark ist wie der Tod &mdash; &mdash;!</p>
-
-<p>Sie wußte selbst nicht, woher ihr die Worte kamen. Sie wußte nicht,
-woher sie den Mut und die Kraft nahm, ihm all das zu sagen, den letzten
-Schleier von ihrem Seelenleben zu ziehen, ihn alle Höhen und alle
-Tiefen der Liebe schauen zu lassen, der Liebe, die sie zu ihm trug...</p>
-
-<p>Das waren nicht bloß Worte, die da auf ihn eindrangen und an sein
-kühles Herz klopften. Das war, als ob Monikas ganzes Sein sich auflöste
-in einen Strom, der zu ihm hinüberdrang, glühend und besiegend ...</p>
-
-<p>Wie von selbst breiteten sich seine Arme auseinander und schlossen sich
-um das Mädchen, das<span class="pagenum"><a id="Seite_290"></a>[S. 290]</span> sich mit einem unartikulierten Laut an seine Brust
-warf.</p>
-
-<p>„Georg, &mdash; &mdash; Georg &mdash; &mdash; hast Du mich lieb?“</p>
-
-<p>„Zu sehr, mein kleiner Schatz, zu sehr &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>Er preßte seine Lippen auf ihren Hals und wie ein Stöhnen klang’s: „Ich
-komme ja doch nicht mehr von Dir los.“</p>
-
-<p>Da hob sie den Kopf, und ihr Gesicht glühte von Liebe und glühte von
-Güte, von holdseliger, weiblicher Güte:</p>
-
-<p>„Und Du sollst das nicht bereuen, mein Lieb! Ich will mich ja bessern,
-will mich ja nach Deinen Wünschen formen, &mdash; in allem... unserem Glück
-zuliebe...!“</p>
-
-<div class="figcenter illowe10" id="kapitelende9">
- <img class="w100" src="images/kapitelende.jpg" alt="Ende des Kapitels" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_291"></a>[S. 291]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Kapitel_10">10.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="dc" id="p291initial">
- <img class="illowe6" src="images/p291initial.jpg" alt="E" />
-</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">E</span>ine scharfe Brise kräuselte des Mittelländischen Meeres blaues
-Wasser, aber der große Dampfer zog ruhig und sicher weiter seine
-tiefaufwühlende Furche.</p>
-
-<p>Es waren wenig Passagiere auf Deck. Außer ein paar Engländern, die
-mit hochgeklapptem Rockkragen, die Mütze tief in der Stirn und die
-Stummelpfeife zwischen den Zähnen herumspazierten, nur Georg von
-Wetterhelm mit seiner Frau.</p>
-
-<p>Monika hatte den Sturmriemen ihrer Mütze heruntergezogen und ließ sich
-den Wind ins Gesicht wehen. Sie sah so strahlend glücklich aus, daß des
-Konsuls harte Züge ein Schimmer von Zärtlichkeit überflog.</p>
-
-<p>„Du bist schon ein liebes Kerlchen, Mone! &mdash; Wie viele Frauen würden
-jammern über das schlechte Wetter, das wir bisher hatten.“</p>
-
-<p>„Aber, Georg, das Wetter war doch großartig.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_292"></a>[S. 292]</span></p>
-
-<p>Er lächelte. „Na, Liebchen, seit den zwölf Tagen, die wir verheiratet
-sind, ist noch kein Tag ohne Regen gewesen. &mdash; Schade! Ich hatte mir
-diese Seereise so nett gedacht.“</p>
-
-<p>„Aber sie ist doch entzückend! Weißt Du, es soll so viele Leute
-geben, die in der Phantasie wer weiß wie sehr genießen und von der
-Wirklichkeit enttäuscht sind! Das ist doch zu dumm... Ich habe es mir
-ja gewiß immer wunderschön gedacht, mit Dir verheiratet zu sein, aber
-daß es so über alle Begriffe schön ist, das habe ich nicht gewußt!“</p>
-
-<p>Er zog sie an sich und küßte das junge Gesicht, auf dem der kühle Hauch
-des Meeres lag.</p>
-
-<p>„Und zu denken, daß dieses Glück nicht aufhört, Georg, &mdash; daß ich jetzt
-immer bei Dir sein darf, immer... und mit Dir zusammen die herrliche
-Welt sehn soll &mdash; &mdash; &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>Ein tief erzitternder Atemzug hob ihre Brust, als könne sie das
-Uebermaß von Glück nicht fassen.</p>
-
-<p>Der Konsul hatte sich seine Hochzeitsreise „vernünftig gelegt“. Er war
-nach Bombay berufen, hatte noch sechs Wochen Urlaub; in Genua wollte
-man eine Zeit Aufenthalt nehmen, von da nach Rom und Neapel und von da
-aus zu Schiff weiter.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_293"></a>[S. 293]</span></p>
-
-<p>Die Schiffsreise Hamburg-Genua war durch schlechtes Wetter getrübt
-worden. Als aber der Dampfer sich dem langgestreckten Hafen von Genua
-näherte, zerriß der Wolkenschleier am Himmel, und eine strahlende
-Sonne überflammte Genua <span class="antiqua">la superba</span>, das sich im mächtigen Halbkreis
-auf den steil ins Meer abfallenden Bergen erhob. Die stolze, uralte
-Hafenstadt mit dem Gewirr ihrer Gassen und Märkte, mit ihren ragenden
-Marmorpalästen war ganz in Sonne getaucht und in Sommer. Maiblüten über
-grauen Mauern bedeckten vielhundertjährigen Marmor mit jungem Leben.</p>
-
-<p>Wenn Monika mit ihrem Gatten durch diese Stadt schritt, wenn sie
-mit ihm die Treppe zum Dogenpalast betrat oder im Palazzo Rosso vor
-einem Reiterbildnis von van Dyck stand oder vor Veroneses „Judith und
-Holofernes“, wenn sie im Boot zu dem Molo Duca di Galliera fuhr, von wo
-aus man die trotzige Stadt und das trotzige Gebirge in seiner ganzen
-wilden Schönheit sah, dann fühlte sie: das ist ein Höhepunkt!</p>
-
-<p>Und sie hätte dann der Zeit wie einem allzu feurigen Renner zuschreien
-mögen: „Halt an!“ Es konnte ja nicht mehr schöner werden!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_294"></a>[S. 294]</span></p>
-
-<p>Und doch wurde es noch schöner. Als sie die kleine Villa fanden, droben
-in San Lorenzo.</p>
-
-<p>Auf einer Spazierfahrt hatten sie sie gesehn, hatten sie, angelockt
-durch das Vermietungsplakat, besichtigt, und Monika hatte erklärt, daß
-sie gern auf Rom, Neapel und alle übrigen Städte des gesegneten Italien
-verzichten wolle, wenn Georg für den Monat, der ihnen noch an Urlaub
-blieb, dieses kleine Haus mieten wolle mit seiner großen Terrasse, mit
-seinem herrlichen Garten über dem Meer.</p>
-
-<p>Georg hatte gezögert. Eigentlich gehörte es zu seinem „Programm“,
-seiner jungen Frau die Kunstschätze Italiens zu zeigen, aber Monika
-hatte so herzbewegend gebeten und das Haus war so hübsch, daß er
-einwilligte. Ueber die Mangelhaftigkeit der italienischen Dienstboten,
-die man für den Monat nahm, kam er zwar nicht so leicht hinweg, &mdash; auch
-sonst gab es manches zu tadeln, &mdash; aber alles in allem fühlte auch er:
-meines Lebens schönste Zeit!</p>
-
-<p>Sein kühles Herz blühte auf in der heißen Liebe, mit der seine Frau ihn
-umgab. Seine nüchternen Sinne wurden angeregt durch ihre sprühende Art,
-ihre stürmische Begeisterung.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_295"></a>[S. 295]</span></p>
-
-<p>Jeder Tag war eine Kette von Wundern.</p>
-
-<p>Jeder Morgen kam wie ein junger Sieger.</p>
-
-<p>„Helios!“ sagte Monika, „der junge Sonnengott, der auf seinem goldenen
-Wagen einherkutschiert, die Zügel zwischen den Fäusten. Die mächtigen
-Pferde schäumen in ihr goldenes Gebiß und bäumen sich hochauf...
-Aber das tut ihm nichts... Er ist der Sonnengott, er ist der Sieger!
-Und da fährt er nun durch den Azur und verschwendet Sonne, vergeudet
-Sonne. Ach, in unserm armen Deutschland müssen wir einen halben Winter
-damit haushalten, was der hier an einem Maimorgen ausgibt! &mdash; &mdash;
-Jetzt verstehe ich erst den Sonnenkultus, verstehe alle die Völker,
-die Perser und Lydier und Phrygier und Griechen und Römer, die sich
-anbetend niederwerfen vor dem Leuchtenden da droben!“</p>
-
-<p>Sie streckte die Arme hoch, in einer spontanen Gebärde, zur Sonne
-empor. &mdash; &mdash;</p>
-
-<p>Dann ging man wohl mitunter an den Bergabhängen entlang, die hinunter
-nach Genua führten. Von den Kräutern, die an den Felsabhängen standen,
-ging ein herber und süßer Duft aus. Die Sonne drang mit Gewalt in sie
-hinein, in alle diese<span class="pagenum"><a id="Seite_296"></a>[S. 296]</span> spröden amethystfarbenen und silbergrauen und
-weißen Kräuter mit den stacheligen Blättern; sie drang in sie hinein
-und sog ihnen den Duft aus den Kelchen. Und neben der harten Bergwelt,
-neben all diesem Gewucher von Minze, Ginster und Heidekraut lockte die
-weiche, sinnliche Pracht der Rosen.</p>
-
-<p>Und Olivenbäume bedeckten in unzähligen Mengen alle Berge, alle
-Schluchten; ihre Milliarden schmaler Blätter schoben sich wie
-silbergraue Schleier vor die Aussicht, und durch diese Blätternetze
-hindurch sah man das Meer, das blaue Juwel. Auf den Segeln der
-träumerisch dahingleitenden Schiffe blitzte die Sonne wie in einem
-Brennspiegel. &mdash; &mdash;</p>
-
-<p>Oder war es noch schöner, wenn die Sonne schon untergegangen?</p>
-
-<p>Der Himmel zeigte dann noch purpurrote Streifen. Die tönten sich ab in
-Violett, das in Veilchenblau überging, und, tiefer hin immer blasser
-werdend, zeigte der Himmel da, wo er mit dem Meere zusammenstieß,
-denselben durchsichtig blaßblauen Ton wie das Wasser, verschmolz in
-eins mit ihm in zärtlicher Umarmung.</p>
-
-<p>Die riesigen Fischernetze waren lang über den Strand hingebreitet,
-sorgsam auseinandergezogen,<span class="pagenum"><a id="Seite_297"></a>[S. 297]</span> daß man das Gitterwerk ihrer Maschen
-sah, &mdash; ihre tief rotbraune Farbe gab einen düsteren Ton in diesem
-Zusammenklingen von leuchtenden und hellen Farben.</p>
-
-<p>„O dieses Rotbraun, &mdash; &mdash; das ist so richtig eine Farbe für
-Mordwerkzeuge,“ sagte Monika, „wie geronnenes Blut sieht es aus, so
-richtig eine Farbe für diese Netze, in denen sich Tag für Tag Hunderte
-und Tausende von lebendigen Fischen verstricken, um so qualvoll zu
-sterben.“</p>
-
-<p>Durch den flammenden Horizont taumelte im Zickzackflug eine Fledermaus,
-gefolgt von dem werbenden Männchen.</p>
-
-<p>Unten auf der Straße, die sich hart am Meere dahinzog wie ein endloses
-weißes Band, glitten auf Gummirädern ein paar Automobile vorüber. Ein
-paar Sekunden lang zerriß der gellende Schrei der Hupe den Abendfrieden
-&mdash; dann waren sie vorüber.</p>
-
-<p>Von dem alten Glockenturm herunter klang das Ave.</p>
-
-<p>Und der brennende Horizont wurde blasser, wurde farblos wie eine Blume,
-die verblüht.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_298"></a>[S. 298]</span></p>
-
-<p>Langsam sank die Nacht über die Erde.</p>
-
-<p>Der Mond, der während des Sonnenunterganges blaß am Himmel gestanden,
-leuchtete plötzlich auf. In dieser Beleuchtung war der Garten ein
-anderer, als er am Tage gewesen. Die Stämme der Palmen mit ihren
-dunkeln Schuppen sahen aus wie die höckrigen Panzer bösartiger Reptile.
-In den blanken Blättern des Tulpenbaums spiegelte sich das Mondlicht
-am gleißendsten. Jedes dieser dunkeln Blätter war wie ein Spiegel aus
-Metall. Und die Stauden der weißen Levkoien, die so hoch und breit
-waren, daß sie wie Büsche erschienen, trugen ihre Last von ungezählten
-Blüten wie Millionen Silbersternchen. Die Heliotropbüsche blieben
-dunkel; ihre Blüten, die am Tage von einem süßlichen Violett waren,
-nahmen nichts von Licht in sich auf. Sie schienen nun schwarz, fast
-farblos, aber sie dufteten nur um so stärker und sandten ganze Wogen
-von Wohlgeruch in die Luft.</p>
-
-<p>Und Mondlicht über dem allen, verschwenderische Wellen von Mondlicht
-über der See, über dem Garten, &mdash; in allen Räumen des Hauses. Das
-Schlafzimmer mit seinen weißen Möbeln gleißte wie Silber.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_299"></a>[S. 299]</span></p>
-
-<p>Und Monika war es, als ob die schweigende Welt ringsum einen Hymnus
-anstimmte, einen Jubelhymnus auf ihr Glück. Diese überirdischen
-Tonwellen drangen auf sie ein, durchschauerten sie mit einer
-schmerzhaften Intensität. Fester preßte sie sich in Georgs Arme. Ein
-Schluchzen hob ihre Brust.</p>
-
-<p>„Was ist Dir?“ fragte er erstaunt.</p>
-
-<p>„Zu glücklich bin ich!“</p>
-
-<p>„Das ist doch keine Ursache zum Weinen.“</p>
-
-<p>„Doch! Denn ich sage mir: schöner kann es doch nun aber ganz sicher
-nicht mehr werden! Noch höher hinauf geht es nicht. Kommt nun ein
-Abstieg? &mdash; &mdash; Ich muß an ein paar Verse denken:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent2">‚Sag’ nicht, daß Du mich liebst.</div>
- <div class="verse indent2">Ich weiß, das Schönste auf Erden,</div>
- <div class="verse indent2">Die Liebe und der Frühling,</div>
- <div class="verse indent2">Es muß zuschanden werden &mdash; &mdash;‘“</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Sie sah in diesem Augenblick den Abgrund, der alles verschlang, sah
-der Vergänglichkeit weitgeöffneten Höllenschlund, &mdash; und mit einer
-schutz<span class="pagenum"><a id="Seite_300"></a>[S. 300]</span>suchenden und verzweifelten Gebärde klammerte sie die Arme
-fester um Georgs Hals.</p>
-
-<p>„Mone, Du bist überreizt. Sicher heut zu lange in der Sonne gewesen. Du
-bist doch sonst nicht so sentimental.“</p>
-
-<p>Da sanken ihre Arme herab: also er verstand gar nicht? „Sentimental“
-nannte er ihr trotziges Aufbäumen gegen den Verfall. „Sentimental“
-diese schauernde Angst der blutroten Lebenswärme gegen die grausame
-Zeit, die unablässig, unaufhaltsam fortschritt, sie vorwärtsführte in
-das graue Alter und in den eisigen Tod...</p>
-
-<p>Sie hatte geglaubt, daß die große Liebe, die über ihnen beiden war,
-all ihre Nerven aufeinander abgestimmt hätte, wie wohl, wenn man
-einen Ton auf dem Klavier anschlägt, die Tonwelle sich durch die Luft
-weiterpflanzt und das Kristall eines Glases in Schwingungen versetzt,
-daß es mitklingt in reinster Harmonie.</p>
-
-<p>Und so war es nicht?! Den Erschütterungen ihres Innern setzte er ein
-banales Nichtverstehen gegenüber?</p>
-
-<p>Das war die erste Enttäuschung ihres Liebesglücks.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_301"></a>[S. 301]</span></p>
-
-<p>Sie war zu jung, um lange bei diesem Gedanken zu verweilen. Der nächste
-Tag schon brachte neue Freuden. „Schön, schön wie die Wirklichkeit,“
-sagte Monika.</p>
-
-<p>Und immer wieder durchzuckte sie der Gedanke: „Ach, die Zeit anhalten!“</p>
-
-<p>Mit heißem Bedauern sah sie jedem verflossenen Tage nach wie einer
-schönen Blume, die abblüht, die allzu schnell verwelkt.</p>
-
-<p>Und wie bald war der Tag gekommen, an dem man, an Bord des mächtigen
-Asiendampfers stehend, Genua im violetten Dunst der Ferne verschwinden
-sah.</p>
-
-<p>Monika war ein bißchen unglücklich darüber, daß man die kleine Villa
-und den großen Garten verlassen &mdash; und sehr glücklich darüber, daß es
-nun neuen Wundern entgegenging.</p>
-
-<p>„Jetzt wird’s immer noch schöner?! Nicht wahr, Georg?“</p>
-
-<p>„Sicher, Liebling; aber eins: hier auf dem Schiffe wissen nun alle
-Leute, wer wir sind, wissen so viele, daß ich als Konsul rübergehe. Du
-mußt Dich von nun an zusammennehmen. Für mich<span class="pagenum"><a id="Seite_302"></a>[S. 302]</span> allein habe ich Dein
-begeisterungsfähiges Wesen immer sehr reizend gefunden, aber als Frau
-eines Beamten darfst Du wirklich nicht mehr wie ein eben dem Pensionat
-entlaufener Backfisch herumspringen. Für eine Frau unserer Kreise ist
-es am angemessensten, man spricht gar nicht von ihr, weder im Guten
-noch im Bösen. Korrekt, mein kleiner Schatz, korrekt!“</p>
-
-<div class="figcenter illowe5" id="gedankensprung8">
- <img class="w100" src="images/gedankensprung.jpg" alt="Gedankensprung" />
-</div>
-
-<p>Und Monika wurde korrekt. Schneller als sie selbst, schneller als Georg
-es für möglich gehalten. Wohl schäumte sie im ersten Jahre ihrer Ehe
-noch mitunter auf wie ein junges Pferd, das sich ins Gebiß verbeißt.</p>
-
-<p>Aber Georgs ehern ruhige Art bändigte sie bald.</p>
-
-<p>Was ihrer Mutter, ihren Erzieherinnen nie gelungen, das gelang Georg
-Wetterhelm, ohne daß sie je ein hartes Wort von ihm zu hören bekommen
-hätte.</p>
-
-<p>Es war wohl überhaupt mehr das Beispiel als seine Worte, das so
-tiefgehende Wirkung auf Monika<span class="pagenum"><a id="Seite_303"></a>[S. 303]</span> ausübte. Georgs Wesen und Sein war so
-ausgeglichen, so in sich gefestigt.</p>
-
-<p>Uebrigens wirkte er, trotz seiner vollendeten Höflichkeit, oft geradezu
-lähmend auf Leute, die Anlage zu Extravaganzen, zu Ausgelassenheiten
-hatten. Mit ihm „nahm man sich mehr zusammen“ als mit anderen.</p>
-
-<p>Es kam alles so anders, wie die Bekannten vermutet, als sie von Georgs
-Verheiratung gehört.</p>
-
-<p>„Die Kleine wird ihn gut unterkriegen,“ hatte das allgemeine
-Urteil gelautet, „die mit ihrem sprühenden Temperament, ihrer so
-urpersönlichen Art, Menschen und Dinge aufzufassen &mdash; die wird es schon
-verstehen, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen.“</p>
-
-<p>Das alles traf nicht ein. Beim Aneinanderreihen dieser beiden
-Charaktere trug der Mann den Sieg davon. Immer von neuem rang seine
-Art Monika Bewunderung ab. Wohl fand sie oft seine Ansichten borniert,
-fand ihn mit Vorurteilen vollgepfropft, aber stets aufs neue wirkte die
-Geschlossenheit seines Wesens auf sie, der Zusammenschluß seiner ganzen
-Persönlichkeit. Alles stimmte bei ihm so harmonisch<span class="pagenum"><a id="Seite_304"></a>[S. 304]</span> zusammen: seine
-Abkunft und seine Ansichten, sein Aeußeres und sein Wesen.</p>
-
-<p>Diese Harmonie wirkte auf Monika wohl um so stärker, als ihre
-nächsten Verwandten alle etwas Zerfahrenes hatten. Ihr Vater, dem
-die Willenskraft gefehlt, die spielerisch kindliche Mutter, die ihre
-Kinder, als sie klein gewesen, wie geliebte Puppen behandelt, und die
-dann plötzlich mit erschreckten Augen die Heranwachsenden gesehen, die
-wild emporgeschossen waren.</p>
-
-<p>Ja, Monika bewunderte ihren Mann, und sie empfand zu weiblich, um sich
-ihm nicht zu beugen.</p>
-
-<p>Zuerst waren es Kleinigkeiten, die sie ihm opferte: einen Hut, den
-er „zu auffallend“ fand, eine zu kühne Frisur, eine burschikose
-Bezeichnung.</p>
-
-<p>Dann ging es weiter: hier eine ihrer Ansichten, die ihm zum Opfer fiel,
-dort eine Ueberzeugung!</p>
-
-<p>Allmählich gewann seine Art immer mehr Einfluß auf sie: die mächtigen
-Flügel ihrer Phantasie, die sie so oft in goldstrahlende Höhen und
-in purpurfinstere Tiefen getragen, begannen sich matter zu regen,
-gleichsam gelähmt von der Nüchternheit, die mit ihr Tisch und Bett
-teilte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_305"></a>[S. 305]</span></p>
-
-<p>„Korrekt, mein kleiner Schatz,“ und Monika zog das buntflimmernde Kleid
-ihrer Persönlichkeit aus, um die Gesellschaftsrobe einer gut erzogenen
-Dame zu tragen.</p>
-
-<p>Sie lernte es, zu lächeln statt zu lachen; sie lernte es, den Schrei
-der Begeisterung oder des Abscheus zu unterdrücken, sie lernte es,
-Meinungen zu haben, „die niemand verletzen konnten“.</p>
-
-<p>Wohl wollte ihr das manchmal wie ein Verrat an sich selbst bedünken,
-aber tat sie es nicht gern... ihrem Glück zuliebe? &mdash; &mdash; &mdash;</p>
-
-<p>Als Monika, nachdem sie anderthalb Jahre verheiratet war, zum ersten
-Male wieder nach Deutschland kam, konnte ihre Schwiegermutter nicht
-umhin, anzuerkennen, daß Monika sich „sehr zu ihrem Vorteil verändert“
-habe.</p>
-
-<p>Ihre eigene Mutter war ganz konsterniert über den Wechsel, der mit
-ihrer Tochter vorgegangen.</p>
-
-<p>„Daß Sie das fertig bekommen haben,“ sagte die Baronin immer aufs neue
-zu ihrem Schwiegersohn.</p>
-
-<p>Die Brüder hatten jeder sein besonderes Urteil über Monikas Wesen.
-Alfred, der inzwischen Fähnrich &mdash; „leider bei der Infanterie“ &mdash;
-gewor<span class="pagenum"><a id="Seite_306"></a>[S. 306]</span>den war, fand seine Schwester jetzt „auf der Höhe“. Sehr elegant
-&mdash; ohne die Koketterie, welche ihn an ihr so geärgert, als sie junges
-Mädchen war &mdash; in Haltung und Auftreten große Dame. Heinzemännchen
-fand, Monika sei ohne Zweifel „geistig verflacht“. Dichten könne
-sie anscheinend überhaupt nicht mehr. Sie zeige kaum noch Rudimente
-literarischer Bildung und hätte sogar seinen neuen Lieblingsdichter für
-„sentimentalen Unsinn“ erklärt.</p>
-
-<p>Karl urteilte, daß Monika nach wie vor großartig sei. Wo gab es
-wieder eine so gute Schwester? Sie beschied ihm kaum je einen Wunsch
-abschlägig. Und Karl hatte eine ganze Menge Wünsche.</p>
-
-<p>Das war Birkensches Erbteil: der Hang zur Verschwendung. Als
-erschwerenden Umstand hatte er seiner Mutter Leidenschaft fürs
-Verschenken geerbt. Im übrigen war er liebenswürdig und freundlich,
-faul und lügenhaft. In diesem Alter, in dem sonst Knaben beginnen,
-männliche Züge zu zeigen, behielt er etwas Anmutig-Kindliches. Ueber
-seinem rosigen Gesicht schimmerten die Haare in tiefem Goldblond. Seine
-Augen waren so dunkel, seine Zähne so weiß &mdash; über seinem ganzen Wesen
-lag eine friedliche Gottergebenheit.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_307"></a>[S. 307]</span></p>
-
-<p>Ernstere Interessen hatte Karl überhaupt nicht, nur die einfachsten
-animalischen Freuden waren für ihn vorhanden: gut essen und gut
-trinken, lange schlafen und nichts tun!</p>
-
-<p>Monika hatte gerade für diesen Bruder eine besondere Zuneigung. Doch
-auch Alfred und Heinrich waren ihr sehr ans Herz gewachsen, ungeachtet
-dessen, daß diese beiden kaum jemals freundlich zu ihr gewesen.</p>
-
-<p>Georg von Wetterhelm hatte mitunter ein tadelndes Wort dafür, daß
-seine Frau oft Zeit, Geld und Mühe an ihre Brüder verschwendete. Ihm
-waren diese jungen Schwäger, die so völlig anders lebten, als er es im
-gleichen Alter getan, nichts weniger als sympathisch.</p>
-
-<p>Auch mit Frau von Birkens kapriziöser Art vermochte er sich niemals
-recht zu befreunden. Er sagte über diese angeheirateten Verwandten zwar
-nie ein Wort, aber Monika merkte die mangelnde Sympathie zwischen ihrem
-Manne und ihren Angehörigen, und das abfällige Urteil über die Ihren,
-das sich in Georgs Verhalten dokumentierte, war nicht ohne Einfluß auf
-sie, wie nichts ohne Einfluß auf sie blieb, was seine Ueberzeugung war.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_308"></a>[S. 308]</span></p>
-
-<p>Halb unbewußt formte sie sich nach seinem Bilde. Halb unbewußt wurden
-ihre Ansichten anders, als sie es gewesen. Und langsam wuchs in ihr
-eine Scham gegen die Ungezügeltheit, die sie sonst zur Schau getragen.</p>
-
-<p>Die paar Male, wo sie aufgebraust war, in der ersten Zeit ihrer Ehe,
-blieben ihr unvergeßlich in Erinnerung, schmerzten sie wie alte Wunden,
-waren wie Niederlagen, deren sie sich schämen mußte.</p>
-
-<p>Ihre eitle und stolze Natur zuckte zusammen, wenn sie daran dachte,
-wie bei solchen Gelegenheiten Georgs Gesicht ausgesehen: erstaunt und
-peinlich berührt, etwas wie Verachtung um die Mundwinkel.</p>
-
-<p>Auch war das ganze Milieu, in dem Monika lebte, dazu angetan, allzu
-persönliche Wallungen zu unterdrücken.</p>
-
-<p>Ein Wirbel von Geselligkeit nahm sie auf, gleich in den ersten Jahren.
-Ueberall hatte sie zu repräsentieren, hatte die korrekt liebenswürdige
-Frau eines Beamten zu sein, für dessen Zukunft man viel hoffte.</p>
-
-<p>Da blieb für Extravaganzen kein Raum.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_309"></a>[S. 309]</span></p>
-
-<p>Uebrigens das, was Monika so glühend ersehnt: der Aufenthalt in
-fremden, bunten Ländern, das hatte weniger Einfluß auf ihr Leben, als
-man hätte annehmen dürfen. Es war eigentlich doch nur ein Wechsel des
-Schauplatzes, ein Kulissenwechsel &mdash; weiter nichts!</p>
-
-<p>Ob man zusammen mit den Mac Gregors und der Familie de Varency zur
-Sphinx von Gizeh ritt durch die ägyptische Wüste &mdash; ob man zusammen mit
-Graf Berrier und Frau von Hellingen und dem Rathorstschen Ehepaar von
-Brüssel aus einen Wagenausflug nach dem Kolonialmuseum von Tervueren
-machte &mdash; ob man in Paris im historischen Palais der Herzogin des
-Garviers tanzte &mdash; es war doch nur Wechsel des Dekors für ewig sich
-gleichbleibende gesellschaftliche Formen.</p>
-
-<p>Georg Wetterhelm war stolz auf seine Frau. Sie gefiel im allgemeinen
-ausgezeichnet. Abgesehen von einigen Damen, die ihre Erfolge
-beneideten, war man allgemein von Monika entzückt.</p>
-
-<p>Sogar Fürst Herrlingen, der Vorgesetzte Georgs, welch letzterer
-inzwischen zur Diplomatie übernommen worden war, zeigte lebhaftes
-Interesse für Frau von Wetterhelm.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_310"></a>[S. 310]</span></p>
-
-<p>Der alte Herr, der sonst im Rufe eines Frauenfeindes stand, plauderte
-oft aufs angeregteste mit ihr, hatte im kleinen Komitee von ihr gesagt,
-„sie wäre in seinem Leben die erste Frau, mit der man sich vernünftig
-unterhalten kann“.</p>
-
-<p>Das „vernünftig unterhalten“ bestand darin, daß er zu ihr eben nicht
-sprach, wie er sonst zu Damen redete, sondern Themata anschlug, über
-die er mit Männern sprach.</p>
-
-<p>Auch seinem Sarkasmus in der Beurteilung von Welt und Menschen ließ er
-ihr gegenüber ungehindert die Zügel schießen.</p>
-
-<p>Monika hatte zwar gar keine boshafte Ader, gar keinen Sinn für
-Klatsch, aber sie würdigte die Art, wie dieser Klatsch vorgetragen
-wurde, würdigte jede Pointe, jedes treffende Wort &mdash; die ganze Art des
-Fürsten, den Extrakt einer Sache zu geben.</p>
-
-<p>Und mit der hervorragenden Schlagfertigkeit, die sie von Jugend
-auf im Gespräch gehabt, fand sie immer eine zündende Antwort. Die
-Unterhaltungen zwischen ihnen beiden waren wie eine brillante
-Florettmensur, glänzende Ausfälle, die ebenso glänzend pariert wurden.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_311"></a>[S. 311]</span></p>
-
-<p>Aeußerlich war Monika jetzt wirklich eine Schönheit zu nennen. Der
-unruhige, so oft wechselnde Ausdruck, den sie als Mädchen gehabt, war
-einer lächelnden Gleichmäßigkeit gewichen, die trotzige Haltung von
-einst einer korrekten Grazie. Und der wilde Schimmer in den Augen war
-erloschen; in diesen dunkeln Sternen stand jetzt nichts mehr von heißer
-Sehnsucht und von brennender Gier.</p>
-
-<p>Das Leben war jetzt so nett. Georg schaffte ihr all den Luxus und die
-Eleganz, die ihr so viel Spaß machten.</p>
-
-<p>Er, der für sich selbst immer so sparsam gewesen, kannte nie ein
-Bedenken, wenn es galt, einen Wunsch seiner Frau zu erfüllen.</p>
-
-<p>Ja, er liebte sie, und sie ihn auch so sehr &mdash; und man würde Karriere
-machen.</p>
-
-<p>Famos war das Leben!</p>
-
-<p>Was schadete denn das, wenn manchmal in stillen Nächten all ihr wirres
-Jugendweh vor ihr auftauchte wie ein verlorenes Paradies?</p>
-
-<p>Alle die klingenden Verse, die Georg als „zu unpassend“ ein für allemal
-abgetan, schwirrten ihr dann durch den Kopf.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_312"></a>[S. 312]</span></p>
-
-<p>Und Worte kamen ihr, sie wußte nicht wie:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent2">„Wie liegt das alles mir schon so weit:</div>
- <div class="verse indent2">Alle die Hirngespinste</div>
- <div class="verse indent2">Aus meiner verträumten Kinderzeit. &mdash;</div>
- </div>
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent2">Vorbei!... Ich weiß nicht mehr, wie das ist,</div>
- <div class="verse indent2">Wenn man nicht schlafen kann in den Nächten</div>
- <div class="verse indent2">Und die Kissen des Bettes voll Inbrunst küßt!</div>
- </div>
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent2">In meinen fiebernden Kindertagen</div>
- <div class="verse indent2">War mir, als müßte mein Schulternpaar</div>
- <div class="verse indent2">Alles Leid von Himmel und Erde tragen, &mdash;</div>
- </div>
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent2">War mir, als müßte mein Leben sein</div>
- <div class="verse indent2">Wie ein kurzer Tag voll brennender Gluten,</div>
- <div class="verse indent2">Voll Frühlingssturm und Gewitterschein!</div>
- </div>
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent2">Und des Daseins Rätselfrage klang</div>
- <div class="verse indent2">Tag und Nacht durch mein Kinderhirn,</div>
- <div class="verse indent2">Indes die Sehnsucht mein Herzblut trank.</div>
- </div>
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent2">Ich war so krank. &mdash; Und bin so gesund!</div>
- <div class="verse indent2">Statt der heimlichen, giftigen Träume</div>
- <div class="verse indent2">Küßt mich das <em class="gesperrt">Leben</em> auf den Mund.</div><span class="pagenum"><a id="Seite_313"></a>[S. 313]</span>
- </div>
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent2">Ich weiß jetzt nichts mehr von Traumgefühl,</div>
- <div class="verse indent2">Weiß nichts von heimlichen Tränen,</div>
- <div class="verse indent2">Und „Sehnsucht“ finde ich <span class="antiqua">ridicule</span>!</div>
- </div>
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent2">Das Leben ist ja so schön und bunt</div>
- <div class="verse indent2">Und trägt mich auf starken Armen...“</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Ja, famos war das Leben!</p>
-
-<p>Und darauf war gar nichts zu geben, daß sie manchmal doch noch
-phantastische Träume hatte. Das waren ja keine Träume wie früher, mit
-wachenden Augen gesehen. Jetzt träumte sie nur noch manchmal, wenn sie
-schlief.</p>
-
-<p>In einer Frühlingsnacht war es ihr, als höre sie Hunderte und Hunderte
-von Vogelstimmen, wilde Vogelstimmen, die schrien und klagten... so
-herzzerreißend klang’s... Hunderte und Hunderte von Vögeln waren
-um sie herum, ihr goldglänzendes, buntschimmerndes Gefieder war so
-zerzaust von Sturm und Wetter. Sie klagten: „Wir sind Deine Lieder,
-wir sind Deine Gedanken, all Deine Träume sind wir &mdash; und Du hast uns
-hinausgejagt, hast uns vertrieben in die Fremde hinaus, daß wir nun
-nicht mehr wissen, wo wir unser Nest bauen sollen. Und<span class="pagenum"><a id="Seite_314"></a>[S. 314]</span> wir haben Dir
-doch so schön vorgesungen in all Deinen Kinderjahren und in der Zeit,
-da Du zum Weibe wurdest. Und hast uns verjagt und hinausgetrieben, und
-müssen wir jetzt so elend sterben...“</p>
-
-<p>Sie klagten und schrien... so herzzerreißend klang’s.</p>
-
-<p>Da weinte sie laut auf im Schlafe.</p>
-
-<p>Aber das war ja nur im Schlafe.</p>
-
-<p>Das Leben war ja famos, ja, natürlich war es das &mdash; „famos“.</p>
-
-<div class="figcenter illowe10" id="kapitelende10">
- <img class="w100" src="images/kapitelende.jpg" alt="Ende des Kapitels" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_315"></a>[S. 315]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Kapitel_11">11.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="dc" id="p145initial4">
- <img class="illowe6" src="images/p145initial.jpg" alt="D" />
-</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">D</span>er erste längere Aufenthalt, den Wetterhelms wieder in Deutschland
-nahmen, war dem Umstande zuzuschreiben, daß Georg für längere Zeit beim
-Auswärtigen Amt in Berlin eingezogen war.</p>
-
-<p>Fünf Jahre waren sie verheiratet, und was Korrektheit der Ansichten
-anbetraf, so war Monika die Schülerin, die ihren Lehrer übertraf.</p>
-
-<p>Ein bißchen snob geworden, die schöne Frau von Wetterhelm, die sich nur
-mit einem gelinden Schauer erinnern konnte, einst wilde Gedichte in dem
-längst dahingeschwundenen „Leuchtturm“ veröffentlicht zu haben.</p>
-
-<p>Auch hatte sie eine dunkle Erinnerung daran, daß sie früher einmal alle
-Menschen für gleichberechtigt erachtet hatte &mdash; jetzt hielt sie nur die
-Angehörigen verschwindend weniger Berufsarten für „anständig“.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_316"></a>[S. 316]</span></p>
-
-<p>Ja, es kam vor, daß ihr Mann gelegentlich einen leichten Tadel dafür
-hatte, daß sie ihre Exklusivität übertrieb. Er sagte dann, er sei ein
-modern denkender Mensch und neige sogar zu liberalen Ansichten.</p>
-
-<p>Er wußte selbst nicht, daß dies Redensarten waren, wußte selbst nicht,
-daß er im tiefsten Grunde seines Wesens auch nicht das winzigste
-Teilchen seines Junkertums der modernen Zeit geopfert.</p>
-
-<p>Aber Monika wußte es, fühlte es.</p>
-
-<p>Sie hatte seine Anschauungen in sich aufgenommen, und sie trieb diese
-Ansichten nun auf die Spitze.</p>
-
-<p>Mehr noch als ihr Gatte spöttelte sie jetzt über zur Schau getragene
-Gefühlsregungen. Ihr Herz, das einst so warm geschlagen, ihre ganze
-heißblütige Persönlichkeit erstarrte langsam, wie ein wilder Bach unter
-einer Eisdecke erstarrt. Sie hatte früher so leicht und so schnell
-verziehen, hatte immer einen guten Gedanken, ein gutes Wort gehabt für
-die Fehler von anderen.</p>
-
-<p>Jetzt aber war sie unnachsichtig, hatte sich das strenge Urteil ihres
-Gatten zu eigen gemacht. Seine ganze kühle Art war die ihre geworden.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_317"></a>[S. 317]</span></p>
-
-<p>Wie schnell und wie beschämt hatte sie sich die Freudenausbrüche
-abgewöhnt, die sie früher bei allen möglichen Gelegenheiten gehabt.
-Georgs eisiges: „ganz nett“, sein in ruhigstem Tone gesprochenes
-„herzlich unbedeutend“ schlugen ihre Begeisterung sofort tot. Jetzt
-sprach sie es noch überzeugter als er, das „herzlich unbedeutend“.</p>
-
-<p>Mit ihrer Mutter stand sie äußerlich in tadellosen Beziehungen. Aber wo
-waren die Zeiten, wo ein inniges Verhältnis zwischen ihnen geherrscht!</p>
-
-<p>Auch den Brüdern war sie entfremdet. Alfred sah sie überhaupt nicht.
-Wenn der aus seinem pommerschen Nest mit Urlaub &mdash; oft sogar ohne
-Urlaub &mdash; nach Berlin kam, hatte er anderes zu tun, als Familie zu
-simpeln. Ueberdies hatte er schärfste Worte für Monikas Hochmut, der er
-deutlich genug anmerkte, daß ihr ein Bruder bei der Linien-Infanterie
-nicht passe.</p>
-
-<p>Er besuchte Monika höchstens, wenn er sie damit ärgern konnte.</p>
-
-<p>Zum Beispiel einmal, als sie ihn nicht zu einem Frühstück geladen, und
-er sich, ob mit Recht oder mit Unrecht, einbildete, sie wolle ihn nicht
-bei diesem Essen, bei welchem die anwesenden Militärs<span class="pagenum"><a id="Seite_318"></a>[S. 318]</span> ausschließlich
-den exklusivsten Gardekavallerie-Regimentern angehörten.</p>
-
-<p>Da erschien Alfred uneingeladen und zeichnete sich durch ein
-hinterwäldlerisches Benehmen aus, das er sonst nicht im mindesten besaß.</p>
-
-<p>Es gewährte ihm ein ganz besonderes Vergnügen, zu sehen, wie Monika
-sich mühen mußte, ihre Haltung zu bewahren, als er dem Prinzen
-Schwarzenfels-Binsingen von den Gardedukorps vorschwärmte, wie
-„entzückend modern“ und „wunderbar poetisch“ die Truppe des Theaters
-von Treuenbrietzen gespielt, die vor einigen Wochen in seiner kleinen
-Garnison gastiert.</p>
-
-<p>Auch stellte er, der tatsächlich ein firmer Reiter war, bei diesem
-Frühstück so unsinnige sportliche Betrachtungen an, daß er seinen Zweck
-vollkommen erreichte: sämtliche anwesenden Leutnants wunderten sich
-darüber, daß diese schicke, erstklassige Frau von Wetterhelm einen „so
-üblen“ Bruder besaß.</p>
-
-<p>So weit wie Alfred ging Heinrich nicht. Zu einem Vorgehen durch
-Taten entschloß er sich nie, aber auch er war gekränkt von Monikas
-Hochmutsteufel. Die Dichter, die sie früher als Gottbegnadete und
-Auserwählte des Schicksals angesehen, waren<span class="pagenum"><a id="Seite_319"></a>[S. 319]</span> ihr doch jetzt eigentlich
-Menschen zweiter Klasse; sie waren oft von so vager Herkunft, hatten
-kaum jemals staatserhaltende Prinzipien, und alle die schönen Sachen,
-die sie fabulierten, hielten vor strenger Logik nicht stand. Daß
-Heinzemännchen ihr wie früher stundenlang Gedichte vorlas, konnte sie
-wirklich nicht mehr aushalten.</p>
-
-<p>Freundinnen sah sie keine. Als sie noch junges Mädchen war, hatten
-sich ihre Freundschaften immer so gestaltet, daß die andere zu ihr
-aufsah, mehr die Rolle einer untergeordneten Begleiterin als die einer
-Gleichberechtigten spielte. Jetzt aber hatte sie überhaupt keine Zeit
-mehr für Freundschaften.</p>
-
-<p>Mit ihrer Cousine Bertha, die sie sofort aufgesucht, fand sie nicht
-mehr den kameradschaftlichen Ton von früher. Monikas Art hatte ja jetzt
-etwas Gönnerhaftes, was bei Bertha gänzlich unangebracht war. Denn
-Bertha war jetzt ein „modernes Weib“.</p>
-
-<p>Man spürte in ihr nichts mehr von dem warmherzigen, naiven Mädchen,
-das sie vor fünf Jahren gewesen, als sie mit Monika zusammen die
-Gymnasialkurse besucht. Sie lächelte jetzt verächtlich, wenn sie daran
-erinnert wurde, wie sehr sie damals<span class="pagenum"><a id="Seite_320"></a>[S. 320]</span> jedes Mädchen beneidete, das sich
-verlobte oder gar verheiratete.</p>
-
-<p>O, jetzt war sie weit entfernt davon, sich „unter das Joch des Mannes
-zu beugen“. Sie studierte jetzt im fünften Semester Philologie. In
-Kleidung und Frisur trug sie eine puritanische Einfachheit zur Schau.
-Mitunter wurde sie damit geneckt, wie sehr sie vor fünf Jahren für rosa
-Kleider, seidene Unterröcke, gebrannte Stirnlöckchen geschwärmt.</p>
-
-<p>Solche Bemerkungen nahm sie durchaus nicht lächelnd auf, sondern setzte
-dann auseinander, daß sie damals eben noch ein ganz urteilsloses
-Geschöpf gewesen, daß aber inzwischen ihr Bildungsgang, ihre
-Kameradinnen &mdash; alles &mdash; sie dahin aufgeklärt habe, daß eine völlige
-Umwertung aller Werte des Frauendaseins zu erfolgen habe!</p>
-
-<p>Ein freier, selbständiger, unabhängiger Mensch müsse die Frau sein,
-frei von dem Sklaventum der Ehe! Man sähe ja, was bei den Ehen
-herauskam! Z. B. wie unglücklich hätte sich die Ehe von Monikas Cousine
-Frau von Hammerhof gestaltet! Ihr Sohn solle ja ganz nett sein, aber
-mit dem Gatten stände Marie Hammerhof sich spottschlecht. Das hatte
-Bertha von den verschiedensten Seiten gehört.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_321"></a>[S. 321]</span></p>
-
-<p>Und Bertha sei ihrer Mutter jetzt dankbar, daß sie ihr beizeiten den
-einzigen Weg des Heils für die Frau gewiesen: die Emanzipation! &mdash; &mdash;
-&mdash; &mdash; &mdash; Frau von Holtz dagegen, die Marie sozusagen gezwungen, den
-ersten besten zu heiraten, bloß weil sie in heiratsfähigem Alter war,
-&mdash; die würde ja jetzt genug Zeit und Gelegenheit haben, ihren eigenen
-Unverstand zu bedauern.</p>
-
-<p>In der Tat war Maries Ehe eine unglückliche. Das sah Monika, als sie
-das Hammerhofsche Ehepaar einmal bei ihrer Mutter traf.</p>
-
-<p>Hammerhofs waren auf der Durchreise nach Ems, wo ihr Sohn, der
-vierjährige Kurt, eine Kur gebrauchen sollte. Der Kleine hatte so
-zarte Bronchien. „Ein Erbteil von mir,“ sagte Marie mit verbissenem
-Gesichtsausdruck. Sie war überschlank geblieben, wie sie es als junges
-Mädchen gewesen; auch ihr Wesen war noch das gleiche: ihre brüske
-Aufrichtigkeit, ihre herbe Art.</p>
-
-<p>Wohl wußten alle, die sie näher kannten, daß hinter dieser Schroffheit
-sich ein tadellos anständiger Charakter, eine pflichtbewußte ernste
-Natur verbarg, aber ihre Art, der jede Grazie fehlte, die nichts von
-weiblicher Weichheit besaß, ließ es nicht unverständ<span class="pagenum"><a id="Seite_322"></a>[S. 322]</span>lich erscheinen,
-daß ihr Mann nicht gern in seiner Häuslichkeit weilte.</p>
-
-<p>Es gingen auch Gerüchte, daß es mit der ehelichen Treue bei ihm nicht
-sehr gut bestellt sei, auch solle er den Freuden des Bechers allzu gern
-und allzu häufig zusprechen.</p>
-
-<p>Jedenfalls sagte Marie selbst nie ein Wort darüber, beklagte sich auch
-nie.</p>
-
-<p>Für Fremde war entschieden Herr von Hammerhof der Sympathischere
-von den beiden. Er hatte so gute Manieren, eine liebenswürdige Art.
-In Gesellschaft anderer war er immer höflich und freundlich zu
-seiner Frau, wogegen diese ihn mit ausgesuchter Unliebenswürdigkeit
-behandelte. Es kam ihr nicht darauf an, ihm auch, wenn Fremde dabei
-waren, recht bittere Worte zu sagen; in ihren vorzeitig scharf
-gewordenen Zügen prägte sich dann eine schneidende Verachtung aus.</p>
-
-<p>Nur dann wurde sie anders, wenn sie ihr Kind sah, wenn sie ihren Jungen
-in den Armen hielt und ihn voll unendlicher Liebe betrachtete. In
-dieser hageren Frau, die in ihrer äußeren Erscheinung so gar nichts
-Mütterliches hatte, brannte die Mutterliebe in einer schönen und
-starken Glut.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_323"></a>[S. 323]</span></p>
-
-<p>Daß Marie bei ihrer schwachen Gesundheit so oft Nächte durchwachte,
-wenn der Kleine krank war, das war nichts so Besonderes, das hatte die
-Baronin Birken auch unzählige Male getan. Aber daß sie ihrem Kinde
-nicht jeden Willen ließ, daß sie Kurt auch strafte, so weh ihr das tat,
-daß sie viele seiner Wünsche, die sie ihm so gern gewährt haben würde,
-abschlug im Interesse seiner Entwicklung &mdash; das war es, was Maries
-Mutterliebe von Frau von Birkens Mutterliebe unterschied.</p>
-
-<p>Es gab kein besser gehaltenes, kein besser erzogenes Kind als Kurt,
-aber seine Gesundheit ließ zu wünschen übrig. Dieser Sprößling eines
-Ehepaares, das sich nie geliebt, hatte einen traurigen Zug, sogar
-sein Lächeln hatte etwas Kümmerliches. Er liebte niemanden als seine
-Mutter, verkroch sich oft wie schutzsuchend in ihren Armen, und Maries
-herbes Gesicht verklärte sich wundersam, wenn sie sich über das blonde
-Köpfchen neigte.</p>
-
-<p>„Mutter sein, &mdash; das ist doch das einzige Glück für eine Frau!“ sagte
-sie, als man bei Birkens ihr Kind gebührend bewunderte.</p>
-
-<p>Aber Monika protestierte. „Das einzige Glück? Das wirst Du nicht
-aufrechterhalten können. Ein<span class="pagenum"><a id="Seite_324"></a>[S. 324]</span> Glück, &mdash; gewiß. Aber das einzige?...
-Die Liebe, die man für ein Kind hat, kann doch nie annähernd das Glück
-gewähren, das die Liebe zum Gatten gibt.“</p>
-
-<p>Marie lachte höhnisch und erwiderte mit ein paar scharfen Bemerkungen.
-Bemerkungen, die Monika nicht widerlegte, denn sie liebte schon lange
-keine Diskussionen mehr. Am wenigsten solche, in denen man einen so
-scharfen Ton anschlug, wie Marie es tat. Monika stand jetzt auf dem
-Standpunkte, daß ihr Leute ohne Ueberzeugungen, wofern sie tadellose
-Manieren hatten, lieber waren als wertvollere Naturen, wenn diese sich
-rauh gaben.</p>
-
-<p>Dieser Ueberzeugung verlieh sie gelegentlich Worte, worauf Frau von
-Birken in überwallender Empörung erwiderte, daß das ein Gipfel von
-Snobismus sei, den sie ihrer Tochter nie zugetraut. Erst komme das
-Gemüt und nochmals das Gemüt, dann eine ganze Weile gar nichts, dann
-der Geist und lange nachher erst Manieren und Formen!</p>
-
-<p>Am schärfsten aber sprach sich Heinzemännchen gegen die neue
-Lebensauffassung seiner Schwester aus.</p>
-
-<p>„Du hast früher Wertvolles bewundert, jetzt aber betest Du ärmliche
-Nichtigkeiten an! Früher hast<span class="pagenum"><a id="Seite_325"></a>[S. 325]</span> Du ungeschliffene Edelsteine geliebt und
-jetzt geschliffene Kiesel!... Wie heißt es doch?</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent2">Das Leben schleift so oft Kristalle</div>
- <div class="verse indent2">Zu wunden Kieselsteinen ab &mdash; &mdash;“</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>„Sicher sind mir nette, glatte Kiesel lieber als irgend so ein zackiger
-Kristall, an dem man sich wundreißt.“</p>
-
-<p>Da erreichte Heinrichs Empörung den Höhepunkt.</p>
-
-<p>„Also das gibst Du zu, das gibst Du zu?! Du bist eben selbst so ein
-glattes Nichts geworden!“</p>
-
-<p>Sie lächelte. Das überlaute, nicht endenwollende Gelächter ihrer
-Mädchenjahre hatte sie sich ja schon so lange abgewöhnt.</p>
-
-<p>Sie lächelte. Reizend liebenswürdig und ein bißchen banal war dieses
-Lächeln und hatte die Gabe, Heinrich noch mehr in Harnisch zu bringen.</p>
-
-<p>„Ein glattes Nichts!“ wiederholte er zornbebend, „eine Modepuppe bist
-Du geworden mit dem „guten Ton“ statt eines Herzens, und Vorurteilen
-statt eines Gehirns.“</p>
-
-<p>„Und mit einer allzu großen Langmut, die mich veranlaßt, Dich
-anzuhören,“ sagte Monika in vollendeter Haltung. Dann knöpfte sie ihre
-langen<span class="pagenum"><a id="Seite_326"></a>[S. 326]</span> Handschuhe zu und sagte beim Abschiednehmen ihrer Mutter:</p>
-
-<p>„Du mußt verzeihen, Mama, wenn ich nicht oft mehr komme; auf Heinrichs
-Ton steht mir eine entsprechende Antwort nicht mehr zu Gebote.“</p>
-
-<p>Und sie ging, nachdem sie ihrem Bruder sehr höflich die Hand gereicht
-und der Mutter einen Kuß auf die Wange gehaucht.</p>
-
-<p>Heinrich sagte nachher ganz erschüttert: „Mama, früher wenn ich ihr
-sowas gesagt hätte, hätte sie mir was an den Kopf geworfen, hätte sich
-verteidigt, mich widerlegt, &mdash; und, glaube mir, es wäre mir lieber
-gewesen, sie hätte mit einem Donnerwetter geantwortet, als so!...
-Sie hatte ja früher gefährliche Anlagen, gewiß &mdash; &mdash; sie war eine
-Pantherkatze... Aber sie war doch wertvoll und originell. Und jetzt?...
-Eine Larve, Mama, eine Gesellschaftspuppe, &mdash; ein Kieselstein &mdash; und
-war doch einmal ein Kristall!“</p>
-
-<p>„Ja, sie hat keinen Funken von meinem Gemüt,“ sagte die Baronin
-traurig, „aber laß Dich das nicht anfechten, mein süßer Liebling,
-ärgere Dich nur nicht darüber! Du siehst schon ganz angegriffen aus,
-mein Heinuckelchen!“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_327"></a>[S. 327]</span></p>
-
-<p>Heinrich strich sich über die Schläfen. „Es wird vorübergehen.“</p>
-
-<p>„Aber Du siehst schlecht aus, ja wirklich,“ beharrte Frau von Birken
-mit einer so überzeugenden Wärme, daß Heinrich ganz unwillkürlich ein
-leidendes Gesicht machte.</p>
-
-<p>„Sag’, was hast Du denn, mein Einziges? Arbeitest Du vielleicht zu
-viel? Ach Gott, Jurisprudenz ist sicherlich das schwerste Studium von
-allen, aber Deines Geistes würdig. Nur überanstrenge Dich nicht! Schone
-Dich, mein Heinzemännchen, schone Dich!“ &mdash;</p>
-
-<p>Und das Sich-schonen besorgte Heinzemännchen redlich. Das erwählte
-Studium sagte seiner träumerischen Natur nicht sehr zu. Am wohlsten
-fühlte er sich im Kreise der jungen und jüngsten Literaten, mit denen
-er sich jeden Nachmittag in einem Café traf. Man saß dort viele Stunden
-zusammen, trank schwarzen Kaffee und schimpfte auf die herrschenden
-Literaturgrößen. Dieser Zeitvertreib wurde dadurch belebt, daß auch
-die Weiblichkeit vertreten war. Eine junge Dichterin, die jedem, den
-sie kennen lernte, in den ersten fünf Minuten versicherte, daß sie
-„sehr pervers“ sei &mdash; zwei Vortragskünstlerinnen<span class="pagenum"><a id="Seite_328"></a>[S. 328]</span> vom Kabarett „Zum
-Regenbogen“ &mdash; und eine Barfußtänzerin beschäftigten sich damit, den
-jungen Poeten himmlische Rosen ins irdische Leben zu flechten.</p>
-
-<p>Heinzemännchen nahm einen ehrenvollen Platz in diesem Kreise ein. Die
-Weisheit, die er hier lernte, machte mehr Eindruck auf ihn als die im
-Hörsaal. Das war so recht was für ihn, diese endlosen Diskussionen
-bei Kaffee und Zigarette über Naturalismus, Mystizismus, Symbolismus,
-Neo-Impressionismus, &mdash; &mdash; nur unterbrochen durch den Vortrag von
-lyrischen Gedichten, die bei allen anwesenden Freunden des jeweiligen
-Autors brausende Beifallsstürme hervorriefen.</p>
-
-<p>Heinrichs Gedichte hatten vor allem den Beifall der Damen.</p>
-
-<p>„So gefühlvoll dichtet doch kein anderer wie unser Baron
-Heinzemännchen,“ sagte die Barfußtänzerin mit Tränen in den Augen, als
-er seine Ode: „An die violette Ampel im Schlafzimmer meiner Geliebten“
-vorgetragen.</p>
-
-<p>Diese literarischen Freuden waren endlos, die Gespräche waren nicht
-einzudämmen. Die Gesellschaft saß manchmal noch zusammen, wenn schon<span class="pagenum"><a id="Seite_329"></a>[S. 329]</span>
-der Frühschein sich durch die Fenster stahl, und der Pikkolo, dessen
-großer Kopf vor Schlaftrunkenheit zwischen den Schultern schwankte, die
-unermüdliche Gesellschaft mit rachsüchtigen Augen anstarrte.</p>
-
-<p>Für Heinrich war es unangenehm, daß seine Mutter immer noch auf war,
-wenn er nach Hause kam.</p>
-
-<p>Auf alle seine Vorhaltungen erwiderte sie, sie könne doch nicht
-schlafen, wenn ihr Liebling nicht wohlgeborgen in seinem Bettchen ruhe.
-Und es wäre ja sehr häßlich von dem Liebling, seine Mutter so lange
-warten zu lassen, aber schlafen ginge sie nicht, ach nein! Sie opfere
-sich eben auf für ihn.</p>
-
-<p>Heinrich unterdrückte die Aeußerung, daß er auf dieses Opfer gern
-verzichte. Er war seiner Mutter gegenüber durchaus rücksichtsvoll im
-Ton. Aber innerlich wurde ihm die überzärtliche Bevormundung immer
-unerträglicher.</p>
-
-<p>Er schwankte noch einige Zeit hin und her, raffte sich dann aber doch
-zu einem Entschlusse auf und sagte ihr eines Tages, daß er von jetzt ab
-allein wohnen wolle.</p>
-
-<p>„Du mußt mir das nicht übel nehmen, Mama, aber bei Dir werde ich kein
-Mann, wie er fürs<span class="pagenum"><a id="Seite_330"></a>[S. 330]</span> Leben paßt. Dieses ewige Bemuttern und Streicheln
-und Küssen, &mdash; ich bin doch schließlich kein Wiegenkind mehr. Und ich
-komme natürlich sehr oft zum Besuch.“</p>
-
-<p>„Heinrich, das ist doch nicht möglich! Verlassen willst Du mich?! Das
-kannst Du mir doch nicht antun. Mir... Deiner Mutter, die sich zeit
-Deines Lebens so für Dich aufgeopfert hat.“</p>
-
-<p>Im Tone ihrer Stimme zitterte all ihr Gefühl für diesen Sohn, das
-größte und tiefste Gefühl ihres Lebens.</p>
-
-<p>Sie sprach nicht laut wie sonst, wenn sie erregt war. So tonlos
-klang’s... mit versagender Stimme: „Heinrich, ich habe doch alles
-getan, was ich Dir an den Augen absehn konnte, &mdash; alles... alles...“</p>
-
-<p>Er zögerte.</p>
-
-<p>„Ja, ich weiß das auch zu schätzen, Mama. Sicher... Halte mich nicht
-für undankbar! Ich bin doch jetzt ein erwachsener Mensch, ich muß doch
-mal endlich auf eigenen Füßen stehen lernen.“</p>
-
-<p>Sie fand keine Worte mehr, &mdash; sie, bei der sonst die Rede so lustig
-sprudelte wie ein Bächlein über Stock und Stein. Der Schlag war zu
-unerwartet<span class="pagenum"><a id="Seite_331"></a>[S. 331]</span> gewesen, kam zu sehr aus heiterem Himmel. Sie hoffte immer
-noch, Heinrich werde seine Absicht nicht ausführen. Das konnte er ihr
-doch gar nicht antun!</p>
-
-<p>Aber sie kannte ihr eigenes Fleisch und Blut schlecht. Die Birkenschen
-Kinder gaben keinen Plan auf.</p>
-
-<p>Das war einer der schwersten Schläge ihres Lebens, der Tag, an dem
-Heinzemännchen von ihr ging.</p>
-
-<p>Er hatte sich ein möbliertes Zimmer gemietet, im Studentenviertel, und
-kam sich in seiner endlich errungenen Freiheit sehr stolz und glücklich
-vor.</p>
-
-<p>Seine Mutter hatte gehofft, daß er schon nach den ersten Tagen
-wiederkommen würde, daß ein Leben ohne ihre Sorgfalt und Mühe nicht
-auszuhalten sei. Aber sie täuschte sich.</p>
-
-<p>Heinrich aß sogar sein zähes Restaurationsschnitzel, das er nun statt
-der herrlichen mütterlichen Fleischtöpfe vorgesetzt bekam, mit einem
-Gefühl der Befreiung. Sicher, die Mama war immer rührend um ihn besorgt
-gewesen, aber dieses Uebermaß hielt man nicht aus!</p>
-
-<p>Seiner im Grunde gutmütigen Natur entsprechend, besuchte er sie
-zuerst täglich. Dann aber<span class="pagenum"><a id="Seite_332"></a>[S. 332]</span> wurden die Bande, die ihn an seine
-Kaffeefreundinnen und -freunde knüpften, immer festere, und die Besuche
-bei seiner Mutter erfolgten in immer größeren Zwischenräumen.</p>
-
-<p>Frau von Birken konnte und konnte sich nicht in die Trennung von ihrem
-Lieblingssohn fügen. Ihr schien ihr Leben plötzlich seines besten
-Inhalts beraubt.</p>
-
-<p>Was war das für ein Aufwachen jetzt, seit sie wußte, daß sie nicht wie
-sonst nur eine Tür zu öffnen brauchte, um das geliebte Gesicht ihres
-Jungen im tiefen Morgenschlafe zu sehn!</p>
-
-<p>Was war das für ein Tag, der ihr keine Sorgen mehr darüber brachte, was
-Heinrich essen würde, womit man ihm eine Freude machen könne....</p>
-
-<p>Sie empfand ihr Mutterschicksal als ein unverdient unglückliches. Was
-hatte sie nun von ihren Kindern?! Daß Alfred sie verschwindend selten
-besuchte, war ihr nicht so wichtig. Mit dem hatten sie ja nie sehr
-intime Bande vereint.</p>
-
-<p>Daß Monika sich so verändert, darunter litt sie. Was war Mone früher
-für ein anschmiegendes, warmherziges Kind!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_333"></a>[S. 333]</span></p>
-
-<p>Was Heinzemännchen anbetraf, so gab sie ihm keine Schuld an seiner
-Fahnenflucht, &mdash; er war ja ein so edler Mensch, da mochten eben
-irgendwelche Einflüsse mitgespielt haben, dunkle Mächte, über die sich
-Frau von Birken selber nie klar wurde. Aber mochte es nun gewesen
-sein, was es wollte, &mdash; das Unglück war jedenfalls da: der Liebling
-war ihrem mütterlichen Herzen entrissen. Das unglückliche Kind hauste
-jetzt in einem Zimmer, auf dessen Bett nur Decken lagen, „nicht einmal
-ein Federzudeck“, und des Morgens bekam er statt Tee, Toast, Schinken,
-Setzeier und Marmelade &mdash; nun Zichorienkaffee und Schrippen mit
-Margarine. &mdash; &mdash;</p>
-
-<p>Nur Karl blieb jetzt der Mutter. Und Karl war kein ausreichender Trost.</p>
-
-<p>Er war ja ein netter, gutmütiger Junge, aber er hatte so gar keine
-Interessen, die ihn mit der Mutter verknüpften, so gar nichts von der
-geistigen Begabung ihrer anderen Kinder.</p>
-
-<p>Er war jetzt beinahe achtzehn Jahre alt und saß immer noch in
-Unter-Sekunda.</p>
-
-<p>Aeußerlich war er ein auffallend hübscher Mensch. Noch immer Cherubim.
-Kein Barthaar beschattete seine weichgeschwungene Oberlippe, seine<span class="pagenum"><a id="Seite_334"></a>[S. 334]</span>
-Haut war weiß und rosig wie die eines Babys. Noch immer hatte das
-Haar seinen Goldschimmer und die dunkeln Augen ihren unschuldsvollen
-Ausdruck.</p>
-
-<p>Noch immer war er gottergeben und leichtsinnig, nur daß diese
-Leichtsinnigkeiten jetzt einen sehr viel größeren Umfang angenommen
-als früher. Er raubte jetzt nicht mehr Nickel, aber er ging
-Schuldverschreibungen ein, die seine Mutter dann mit Ach und Krach, mit
-Lamentieren und Wehklagen einlöste. Oft, wenn sie ihm gar nichts mehr
-geben wollte, ging er zu Monika, die immer ein paar Goldstücke für ihn
-übrig hatte.</p>
-
-<p>Das Zuhören in den Lehrstunden gewöhnte er sich allgemach ganz ab. Das
-alles war so anstrengend und unverständlich. Er mußte ja hingehen aufs
-Gymnasium, das war klar, &mdash; das Einjährige zum mindesten mußte er haben.</p>
-
-<p>Aber das würde er schon irgendwo machen, das würde sich schon
-arrangieren lassen. Es arrangierte sich ja immer alles...</p>
-
-<p>Nur sein Körper saß auf der Schulbank. Sein Geist duselte in seligen
-Fernen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_335"></a>[S. 335]</span></p>
-
-<p>Es waren durchaus keine aufregenden Genüsse, die er sich vorstellte.
-Nur etwa so: stille daliegen auf dem weichen Sandstrande eines blauen
-Sees, die nackten Glieder von Luft und Sonne umspielen lassen... Und
-Stille ringsum und Schweigen... nichts tun, nichts denken, &mdash; &mdash; in
-die flimmernden Wellchen starren, die der See kräuselt, und Zigaretten
-rauchen... Oder: sehr gut essen, viel und gut, saftige Braten und kühle
-Fruchtgelees... Oder: ein hübsches Mädchen, das sehr nett und lieb zu
-ihm war...</p>
-
-<p>In Wirklichkeit waren viele Mädchen lieb zu ihm. Seine Schönheit, sein
-liebenswürdiges Wesen erschlossen ihm viele Herzen. Er selbst war nicht
-gerade leidenschaftlich, aber er nahm mit Freuden alle Liebe, die ihm
-dargebracht wurde.</p>
-
-<p>Frau von Birken war außer sich über die rosa Briefe, „noch dazu die
-meisten unorthographisch“, die ihm ins Haus flogen. Sie fing diese
-Briefe ab, öffnete sie, hielt sie dem Schuldigen vor, erging sich
-in Zornesausbrüchen über seine Liederlichkeit, worauf er mit einem
-ehrlichen Nichtverstehn ihr nur erwiderte:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_336"></a>[S. 336]</span></p>
-
-<p>„Aber da ist noch nichts dabei, Mama, &mdash; &mdash; es ist wirklich ein sehr
-nettes Mädchen.“</p>
-
-<p>„Mein Gott, was soll bloß aus Dir werden?“ stöhnte die Mutter.</p>
-
-<p>Er zuckte ratlos die Achseln.</p>
-
-<p>„Aber Du kannst doch nicht als Rentier leben, dazu haben wir ja gar
-nicht die Mittel. Ein Mann muß doch etwas tun, einen Beruf haben, &mdash;
-Pflichten erfüllen! Sag’ doch selbst, wozu Du Lust hast! Wozu Du Talent
-hast, &mdash; &mdash; irgend etwas!“</p>
-
-<p>„Zu gar nichts,“ sagte Karl gottergeben.</p>
-
-<p>Dann hatte er eine plötzliche Eingebung. „Ich möchte gern aus dem
-Gymnasium raus, Mama.“</p>
-
-<p>Frau von Birken rang die Hände. „Karl, das wagst Du mir zu sagen?! Das
-wagst Du?! &mdash; &mdash; Jetzt willst Du weg, noch vor dem Einjährigen? Karl,
-weißt Du denn nicht, welcher Familie Du angehörst? Dein Großvater
-war Universitätsprofessor! Und Deine Schwester ist bis Ober-Sekunda
-gekommen, obwohl sie nur ein Mädchen ist. Und wenn nicht diese Heirat
-dazwischengekommmen wäre, so wäre sie heute Fräulein Doktor. Jawohl!
-&mdash; &mdash; Und Alfred hat doch wenigstens das Abiturium gemacht, ehe er
-Offizier wurde. &mdash; &mdash; Und Heinze<span class="pagenum"><a id="Seite_337"></a>[S. 337]</span>männchen! &mdash; &mdash; Den Aufsatz, den er
-zum Abiturium gemacht hat, habe ich einbinden lassen... in grünes
-Leder... zur Erinnerung für Kinder und Kindeskinder ... <em class="gesperrt">so</em> ist
-der Aufsatz! &mdash; &mdash; Karl, wenn Du so ungebildet bleiben willst, das
-überlebe ich nicht!“</p>
-
-<p>„Na, wollen mal sehn, wollen mal sehn,“ sagte Karl begütigend. Aber
-sehr hoffnungsvoll klang es nicht.</p>
-
-<p>Immerhin schöpfte die optimistische Frau von Birken auf diese so
-maßvolle Aeußerung hin neuen Mut.</p>
-
-<p>Karl war ja ein guter Junge und würde sich nun wohl wirklich endlich
-bessern.</p>
-
-<p>Es war deshalb ein schwerer Sturz aus ihren neuerweckten Hoffnungen,
-als schon acht Tage nach diesem Gespräch Karl vor sie hintrat mit dem
-dringenden Ersuchen, ihm zweitausend Mark zu geben.</p>
-
-<p>Sie war außer sich. Was dachte er sich denn eigentlich? Wozu brauchte
-denn ein Schüler überhaupt so viel Geld? &mdash;</p>
-
-<p>Die Erklärungen, die er gab, waren so phantastisch, daß die Mutter
-trotz all ihrer Leichtgläubigkeit auch nicht ein Wort davon für wahr
-hielt.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_338"></a>[S. 338]</span></p>
-
-<p>Aber wie immer war aus Karl nichts herauszubekommen.</p>
-
-<p>Wenn man ihm eine Lüge nachgewiesen, fand er flugs eine andere. Ohne
-den leisesten Schimmer von Verlegenheit, ohne einen Augenblick des
-Nachsinnens strömten ihm die Ausflüchte zu. Er, der sonst eine so wenig
-rege Phantasie, eine so wenig lebhafte Geistestätigkeit besaß, war nie
-einen Augenblick verlegen darum, die kompliziertesten Geschichten zu
-erfinden.</p>
-
-<p>Er faßte die Weigerung seiner Mutter, ihm auch nur einen Pfennig zu
-geben, ernster auf, als er sonst zu tun pflegte.</p>
-
-<p>Sein rosiges Gesicht war blaß geworden; er klemmte die Unterlippe so
-fest zwischen die Zähne, daß ein Blutstropfen niederperlte.</p>
-
-<p>„Ich muß das Geld haben, Mama.“</p>
-
-<p>„Wir werden ja sehen, ob Du mußt.“</p>
-
-<p>Er drehte sich kurz um und verließ das Zimmer. Er ging zu Monika.</p>
-
-<p>Da es eine verhältnismäßig frühe Stunde war, war sie noch nicht fertig
-angezogen. Sie saß in einem Peignoir vor dem Spiegel, und ihre Jungfer
-bürstete<span class="pagenum"><a id="Seite_339"></a>[S. 339]</span> ihr die schönen kastanienfarbenen Haare, die in mächtigen
-Wogen niederflossen.</p>
-
-<p>Sie hatte Karl ohne weiteres in ihr Toilettenzimmer treten lassen; sie
-behandelte ihn noch ganz als Kind. Alle Leute behandelten Karl als Kind.</p>
-
-<p>Er setzte sich in einen der weißen Louis-XV.-Sessel und sah zerstreut
-zu, wie die Jungfer die Frisur vollendete. Dann wurde das Mädchen auf
-seine Bitte hinausgeschickt, und nun bat er in seiner langsamen, ein
-wenig ungeschickten Sprechweise seine Schwester um die zweitausend
-Mark, deren Zahlung seine Mutter so entrüstet abgelehnt.</p>
-
-<p>Auch bei Monika fand er kein Entgegenkommen.</p>
-
-<p>„Lieber Junge, ich habe nie ein Wort gesagt oder gefragt, wenn Du
-zwanzig Mark haben wolltest oder vierzig. Aber zweitausend? &mdash; &mdash; Wofür
-brauchst Du zweitausend Mark?“</p>
-
-<p>„Es ist eine Ehrenschuld.“</p>
-
-<p>„Sekundaner haben keine Ehrenschulden.“</p>
-
-<p>„Doch.“</p>
-
-<p>Sein sanftes Gesicht bekam einen verstörten Ausdruck.</p>
-
-<p>„Erzähl’s mir, Karl.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_340"></a>[S. 340]</span></p>
-
-<p>„Ach, Mone, davon wird’s auch nicht besser! Gib mir doch das Geld. Sieh
-mal, Du bist der einzige Mensch, den ich um sowas bitten kann, Mama hat
-Zetermordio geschrien, als ich sie darum gebeten. Alfred und Heinrich
-gebrauchen selber mehr als sie haben. &mdash; Mone, gib mir’s.“ Er drückte
-ihr die Hände.</p>
-
-<p>„Ich, &mdash; &mdash; ich hab’s ja auch nicht,“ sagte sie, schon schwankend
-geworden, „Du weißt doch, Karl, ich hab’ kein Geld. Und Georg kauft mir
-zwar alles, was ich haben will, aber er gibt mir doch kein Geld in die
-Hand. Ich kann Dir die zweitausend Mark gar nicht geben.“</p>
-
-<p>„Dann sag’s Deinem Mann,“ rief er mit ungewohnter Entschiedenheit.</p>
-
-<p>„Na schön,“ sagte sie nach sekundenlangem Besinnen, „ich werde es ihm
-heute nach dem Lunch sagen.“</p>
-
-<p>„Und ich komme mir die Antwort heute abend holen.“</p>
-
-<p>„Komm nicht. Wir sind zum Diner eingeladen. Ich schreibe Dir aber und
-schicke Dir schon heute nachmittag den Brief durch den Diener.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_341"></a>[S. 341]</span></p>
-
-<p>Mit einem erlösten Aufatmen beugte er sich über ihre Hand und küßte sie
-dankbar.</p>
-
-<p>Als er das Haus verließ, schien er seine ganze Spannkraft
-wiedergefunden zu haben.</p>
-
-<p>Monika aber hielt ihr Versprechen. Gleich nach dem Lunch, das man zu
-zweien eingenommen, bat sie ihren Mann, ihr die zweitausend Mark für
-Karl zu geben.</p>
-
-<p>„Höflich abgelehnt,“ sagte er.</p>
-
-<p>„O Georg...“</p>
-
-<p>„Lieber Schatz, es wäre ein haarsträubender Unsinn, einem noch nicht
-achtzehnjährigen Schüler eine solche Summe in die Hand zu geben. Wozu
-will er es denn überhaupt haben?“</p>
-
-<p>„Er sagt, es sei eine Ehrenschuld.“</p>
-
-<p>„Ehrenschuld? Mit dem Worte bezeichnen viele Leute recht unehrenhafte
-Schulden.“</p>
-
-<p>„O, Karl ist solch ein lieber, netter Junge.“</p>
-
-<p>„Gewiß, er ist ein sehr netter Mensch, aber das ist doch kein Grund,
-um seinen Hang zum Leichtsinn, zu bodenloser Liederlichkeit zu
-unterstützen! Was ist denn der Effekt davon, wenn wir ihm das<span class="pagenum"><a id="Seite_342"></a>[S. 342]</span> Geld
-geben?! Er gibt es in leichtsinniger Weise aus!“</p>
-
-<p>„Aber wenn er es doch für Schulden haben will...“</p>
-
-<p>„Dann bezahlt er vielleicht diese und macht sofort neue und zwar in
-noch größerem Maßstabe. Er hat ja dann die sichere Ueberzeugung, daß
-sie auch bezahlt werden.“</p>
-
-<p>„Ach, Georg, sei nicht geizig.“</p>
-
-<p>„Liebes Herz, die Aeußerung da hast Du Dir wohl nicht überlegt. Hast Du
-mich je geizig gefunden?“</p>
-
-<p>„Für mich nicht, aber für andere hast Du doch eigentlich nie was getan.“</p>
-
-<p>„Jeder ist sich selbst der Nächste, seine Familie natürlich
-miteingeschlossen. Bei dem uferlosen Mitleid für alles und alle kommt
-nie was Gutes heraus.“</p>
-
-<p>„Aber Karl ist doch Dein Schwager.“</p>
-
-<p>„Eine juristische Verpflichtung zur Unterstützung eines
-Schwagers besteht nicht, eine moralische unter Umständen, die
-hier nicht vorhanden sind. Wenn Dein Bruder durch Krankheit
-unterstützungsbedürftig wäre oder eine Summe brauchte, um sich eine<span class="pagenum"><a id="Seite_343"></a>[S. 343]</span>
-Existenz zu gründen, so würde ich Dir zuliebe eventuell sogar ein
-größeres Opfer bringen! Aber für einen derartig leichtsinnigen Bengel,
-der gar nicht ahnt, gar nicht faßt, was Pflicht heißt!“</p>
-
-<p>„Ja, die sogenannte Pflicht ist uns wohl nie genug eingetrichtert
-worden,“ sagte Monika nachdenklich.</p>
-
-<p>„Die strenge Hand hat Euch gefehlt. Dein Vater starb zu früh.“</p>
-
-<p>„Und vorher hat er sich auch nicht um unsere Erziehung bekümmert, und
-der Mama sind wir zu schnell über den Kopf gewachsen, alle vier.“</p>
-
-<p>„Ja, da Du davon sprichst, Monika &mdash; Du weißt, ich rede nie ungefragt
-über Deine Angehörigen, aber da das Thema nun einmal aufgerollt ist:
-Deine Brüder machen mir überhaupt Sorge. Ich hörte da neulich durch
-meinen Vetter Alexander, der Bataillonskommandeur von Alfred ist, &mdash; er
-gibt ihm keine zwei Jahre mehr im bunten Rock.“</p>
-
-<p>„O &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Ja, daß er Schulden hat, wäre schließlich nicht so schlimm, aber da
-ist eine Soldatenmißhandlungsgeschichte, bei der er eben noch mit
-einem blauen<span class="pagenum"><a id="Seite_344"></a>[S. 344]</span> Auge davongekommen ist. Alfred gilt als der brutalste,
-händelsüchtigste Offizier im Regiment.“</p>
-
-<p>„Er war schon als Kind so wenig gutmütig.“</p>
-
-<p>„Und Heinrich scheint sich auch nicht gerade in bester Gesellschaft zu
-bewegen. Im Amt erzählte mir neulich jemand, daß ein Baron Birken als
-‚Amateur-Dichter‘ Verse im Kabarett „zum Regenbogen“ vorgetragen, und
-fragte mich, ob der Jüngling zu Deinen Verwandten gehöre. &mdash; Und Karl,
-von dem ich eigentlich hoffte, er würde ein Normalmensch und seinerzeit
-ein brauchbarer Offizier werden, läßt sich ja jetzt auch recht niedlich
-an.“</p>
-
-<p>„Eine nette Familie sind wir! Und dabei hast Du in Deiner bekannten
-Höflichkeit mich und meine gefährlichen Anlagen noch gar nicht mal
-erwähnt,“ lachte Monika.</p>
-
-<p>„O, Du bist sehr schnell eine tadellose Frau geworden, und das weißt Du
-auch ganz genau.“</p>
-
-<p>„Wetterhelmsche Schule.“</p>
-
-<p>„Und, Liebling, was Karls Bitte anbetrifft, so siehst Du ein, daß es
-inkorrekt wäre, seine Dummenjungenstreiche zu unterstützen.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_345"></a>[S. 345]</span></p>
-
-<p>„Ja, Du hast ganz gewiß recht, nur, er bat so herzlich &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Keine falsche Gutmütigkeit! Schreibe ihm ruhig, daß Du das Geld nicht
-hättest, und daß ich es Dir nicht gäbe für Sachen, die so zweifelhafter
-Natur sind, daß Karl selber sie nicht erzählen kann! Und schärfe ihm
-ein bißchen das Gewissen in bezug auf seine Lebensführung &mdash; das geht
-doch nicht so weiter!“</p>
-
-<p>Und Monika schrieb ein paar Zeilen, die ganz im Sinne des eben
-stattgefundenen Gespräches waren &mdash; und ging mit dem Gefühl einer gut
-erfüllten Pflicht zu dem Diner. &mdash; &mdash;</p>
-
-<p>Als das Dessert aufgetragen wurde, bat ein Diener Frau von Wetterhelm
-ans Telephon.</p>
-
-<p>Monika folgte ihm erstaunt, ein wenig beunruhigt. Wer wußte denn
-überhaupt, daß sie hier war?</p>
-
-<p>Karl telephonierte. „Ich bin hier bei Euch, Mone. Der Diener hat mir
-gesagt, wo Ihr seid. Ich muß Dich sprechen.“</p>
-
-<p>„Aber, Karl, um Gottes willen, was gibt es denn?“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_346"></a>[S. 346]</span></p>
-
-<p>„Ich brauche das Geld, und Mama hat es mir eben zum letztenmale
-abgeschlagen.“</p>
-
-<p>„Aber wozu brauchst Du es?“</p>
-
-<p>„Das ist doch schließlich gleichgültig. Aber ich muß es sofort haben,
-Mone, spätestens morgen früh muß ich’s haben. Sprich mit Deinem Mann.“</p>
-
-<p>Mit einer ärgerlichen Bewegung ließ sie den Hörer sinken, entschloß
-sich aber doch, Georg rufen zu lassen.</p>
-
-<p>Als er hörte, worum es sich handelte, griff er mit einer ihm sonst
-ungewohnten Heftigkeit nach dem Hörer.</p>
-
-<p>„Karl.... Du &mdash; &mdash;?“</p>
-
-<p>„Ja.“</p>
-
-<p>„Wenn Du mir oder meiner Frau was zu sagen hast, so warte gefälligst,
-bis Du uns zu Hause antriffst, und störe uns nicht, wenn wir bei
-anderen zum Besuch sind. Schluß!“</p>
-
-<p>Er klingelte energisch ab. Dann wandte er sich an Monika.</p>
-
-<p>„Lieber Schatz, was ich eben Deinem Bruder sagte, hättest Du ihm sagen
-sollen im ersten Augen<span class="pagenum"><a id="Seite_347"></a>[S. 347]</span>blick, als er telephonierte. Mich noch herrufen
-zu lassen, war überflüssig. Es erregt unnötiges Aufsehen, wenn wir
-beide zu dieser späten Stunde in einem fremden Hause ans Telephon
-gerufen werden. Also nicht wahr, ein andermal etwas mehr Sinn für
-Korrektheit, lieber Schatz.“</p>
-
-<p>„Verzeih, ich hätte Dich nicht rufen lassen sollen.“</p>
-
-<p>Zusammen betraten sie wieder den Eßsaal, und im Verlaufe des sehr
-angeregten Abends vergaß Monika den Zwischenfall. &mdash;</p>
-
-<p>Aber am nächsten Morgen beschloß sie, gleich mal nach Karl zu sehen. Es
-war Sonntag, also war er nicht im Gymnasium.</p>
-
-<p>Monika ließ sich anziehn, sagte ihrem Manne, daß sie zum Lunch zurück
-sei, und fuhr zu ihrer Mutter.</p>
-
-<p>Das Dienstmädchen sagte ihr, die gnädige Frau sei schon vor zwei
-Stunden zum Baron Heinrich gefahren mit einer großen Punschtorte, die
-man ihm zum Sonntag gebacken. Monika unterdrückte mit Mühe ein Lächeln;
-ihre Mutter war mehr in der Studentenbude von Heinzemännchen als in
-ihrer eigenen Wohnung.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_348"></a>[S. 348]</span></p>
-
-<p>Aber es paßte ihr ganz gut, daß sie Karl nun allein sprechen konnte. Da
-würde sie ihn ordentlich ins Gebet nehmen.</p>
-
-<p>„Hat Karl schon gefrühstückt?“</p>
-
-<p>„Nein, Herr Karl schläft noch, am Sonntag schläft er immer so lang’,“
-sagte das Mädchen und lächelte strahlend. Wie die meisten weiblichen
-Wesen hatte sie für Karl ein faible.</p>
-
-<p>Monika sah nach der Uhr. Halb zwölf. Um halb eins mußte sie zu Hause
-sein. Da konnte sie wirklich nicht warten, bis der Langschläfer
-erwachte; da mußte sie ihn gleich wecken.</p>
-
-<p>Sie schritt den Korridor entlang bis zu dem abgelegenen Hinterzimmer,
-das Karls Reich bildete. Sie klopfte.</p>
-
-<p>Und lauter dann... und noch einmal...</p>
-
-<p>Keine Antwort. Seinen Schlaf schienen seine Geldsorgen einstweilen
-nicht zu stören. Wahrscheinlich hatte er gestern übertrieben wie schon
-so viele Male. Wahrscheinlich war der Hundertmarkschein ihm gar nicht
-sehr nötig, den sie in die Oeffnung ihres linken Handschuhs geschoben,
-um ihn Karl gleich beim Gutentagsagen geben zu können. Dieser Schein
-war ihm als Schmerzensgeld zugedacht für<span class="pagenum"><a id="Seite_349"></a>[S. 349]</span> die abschlägige Antwort,
-die sie ihm gestern gegeben. Ihr Mann hatte sie vollkommen überzeugt.
-Es wäre gegen ihre Pflicht gewesen, Karls bodenlosem Leichtsinn noch
-Vorschub zu leisten.</p>
-
-<p>„Karl &mdash; &mdash;!“</p>
-
-<p>Noch immer keine Antwort.</p>
-
-<p>Da drückte sie die Klinke auf und trat ein.</p>
-
-<p>„Na, Du Faulpelz,“ sagte sie, geblendet von der goldenen Sonne, die
-durch das Fenster drang.</p>
-
-<p>Näher trat sie zum Bett, trat näher... und sah...</p>
-
-<p>Und faßte es nicht.</p>
-
-<p>Das war doch... das war doch Blut, dieses dunkle Gerinnsel auf dem
-Boden, auf der Bettdecke, auf der nackten Brust da vor ihr...</p>
-
-<p>Mit beiden Händen griff sie nach ihres Bruders Schultern... und fuhr
-im selben Augenblicke schaudernd zurück vor der Eiseskälte, die ihr
-entgegenströmte.</p>
-
-<p>Das... das war doch nicht möglich! Er schlief doch bloß! Seine Augen
-waren friedlich geschlossen, die langen Wimpern lagen dunkel auf
-den Wangen. Der ein wenig geöffnete Mund, in dem die weißen<span class="pagenum"><a id="Seite_350"></a>[S. 350]</span> Zähne
-schimmerten, hatte einen traurigen Ausdruck. Ja, ein wenig traurig sah
-er aus, ernster als sonst.</p>
-
-<p>Dieses wunderschöne und traurige Gesicht über der blendend weißen
-Jünglingsbrust, diese großen Blutflecke allüberall, die wie dunkle
-Blumen waren ... das war doch ein Traum, ein Fiebertraum!</p>
-
-<p>Das konnte doch nicht Wahrheit sein!</p>
-
-<p>Ein Traum auch der Revolver, an den ihr Fuß jetzt stieß? Ein Traum die
-paar Blätter aus dem Schulheft, die da auf dem Nachttisch lagen, und
-auf denen Worte standen, über die Blut gespritzt war, Worte, die sie
-lesen wollte und nicht verstand, weil wilde Farbenspiele vor ihren
-Augen kreisten.</p>
-
-<div class="figcenter illowe5" id="gedankensprung9">
- <img class="w100" src="images/gedankensprung.jpg" alt="Gedankensprung" />
-</div>
-
-<p>Sie las diese Blätter erst viel später. Drei Tage später, als all
-das Schreckliche vorbei war: der Augenblick, als der herbeigerufene
-Arzt statt aller Worte nur die Achseln gezuckt, &mdash; der Mutter
-Verzweiflungsausbrüche &mdash;, das Begräbnis. &mdash;</p>
-
-<p>Und nun saß Monika allein in ihrem Toilettenzimmer und versuchte, jene
-Zeilen zu lesen. Da stand<span class="pagenum"><a id="Seite_351"></a>[S. 351]</span> in ihres Bruders unbeholfener Handschrift,
-mit der man ihn so oft geneckt:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>„Ich bitte Euch alle, mir zu verzeihn. Aber es ist besser, daß
-ich gehe. Ich sitze in soviel Schwierigkeiten und weiß nicht ein
-noch aus. Ihr müßt nicht glauben, daß ich etwas Schlechtes getan
-hätte. Ich habe mir gar nichts dabei gedacht, als mich neulich eine
-Freundin gebeten hat, einen Brillantring für sie zu kaufen. Ich
-sollte ja nur eine Unterschrift geben und Geld überhaupt nicht. Sie
-wollte es allein bezahlen.</p>
-
-<p>Aber nun will mich der Diamantenhändler beim Staatsanwalt
-anzeigen, weil es ein Betrug gewesen wäre und die Lonny den Ring
-gleich weiter verkauft hat. Das geht doch aber nicht, daß ich ins
-Gefängnis komme.</p>
-
-<p>Ich habe Euch ja so sehr um das Geld gebeten, aber Mama wollte ja
-nicht, und sie hatte wohl auch recht, denn sie als Mutter mußte
-doch etwas streng sein, und außerdem ist die Summe auch so hoch für
-sie. Ich dachte, Monika würde es mir geben. Die war meine einzige
-Hoffnung, sie ist immer meine liebe Schwester gewesen. O Gott,<span class="pagenum"><a id="Seite_352"></a>[S. 352]</span> wie
-gerne habe ich ihr was mitgebracht zum Freuen. So konnte sich kein
-anderer freuen, wie Monika sich früher freute.</p>
-
-<p>Mone ist immer so gut gewesen, bloß ihr Mann hat sie so hart und so
-kalt gemacht &mdash; &mdash;“</p></div>
-
-<p>Sie konnte nicht weiter lesen. Brennende Tränen verdunkelten ihren
-Blick und stürzten ihr aus den Augen. Das waren die heißesten Tränen,
-die sie je geweint. Es war ihr, als verbrennten sie ihr die Haut, indes
-sie ihr über die Wangen rollten.</p>
-
-<p>Das Schluchzen schüttelte sie wie ein Sturm. Sie hörte gar nicht, daß
-die Tür des Nebenzimmers geöffnet wurde.</p>
-
-<p>Georg trat auf seine Frau zu. Er sagte bewegt:</p>
-
-<p>„Liebling, gib Dich diesem Schmerz nicht so hin.“</p>
-
-<p>„Warum nicht?“ fuhr sie auf. „Warum soll ich mich diesem Schmerz nicht
-hingeben? Mein Bruder starb, und... durch unsere Schuld.“</p>
-
-<p>„Durch unsere Schuld? &mdash; Das sind Hirngespinste, Monika. Er suchte den
-Tod, weil er keinen sittlichen Halt hatte. Er war ein Kind, das sein
-kostbarstes Gut &mdash; das Leben &mdash; verschleuderte und wegwarf wie andere
-Kinder eine Glaskugel.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_353"></a>[S. 353]</span></p>
-
-<p>„Er starb, weil Du hartherzig warst und ich es mit Dir.“</p>
-
-<p>Er strich ihr begütigend übers Haar. Sein Gesicht wurde um eine
-Schattierung blasser, als sie bei dieser Berührung zurückzuckte.</p>
-
-<p>„Liebling, Deine Nerven sind jetzt zu angegriffen. Das ist die Ursache,
-daß Du etwas so Unzutreffendes sagst. Wir waren nicht hartherzig. Kein
-vernünftiger Mensch konnte dem Jungen ohne weiteres die Bitte gewähren
-&mdash; das habe ich Dir auseinandergesetzt.“</p>
-
-<p>„Ja, das hast Du!“</p>
-
-<p>Sie hatte sich erhoben, eine Zornesflamme sprühte aus ihren Augen.</p>
-
-<p>„Ja, das hast Du. Und ich war dumm und charakterlos genug, um wieder
-eine von Deinen hartherzigen Ansichten zu der meinen zu machen! &mdash; &mdash; O
-Gott, der Junge, der arme, liebe Kerl!“</p>
-
-<p>Sie schluchzte laut auf.</p>
-
-<p>Und von neuem näherte sich ihr Georg: „Mein geliebter Schatz, beruhige
-Dich doch.“</p>
-
-<p>Und von neuem wich sie seiner Berührung aus, und ihre Tränen versiegten
-in dem roten Zorn, der wieder in ihr emporloderte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_354"></a>[S. 354]</span></p>
-
-<p>„Ich will mich nicht beruhigen. Ich will heulen vor Schmerz, wenn mir
-danach zumute ist! Ich will nicht alles in mir ersticken lassen unter
-dem Panzer, den Du Dir anlegst, dem Panzer von Sitte, Pflicht und
-Korrektheit. &mdash; &mdash; Da, lies, was mein Bruder geschrieben hat in seiner
-Todesstunde, und sein Herzblut ist drüberhin gespritzt: ‚Mone ist immer
-so gut gewesen, bloß ihr Mann hat sie so hart und so kalt gemacht &mdash;
-&mdash;‘“</p>
-
-<p>„Und diese Worte eines unglücklichen, schlecht erzogenen und
-irregeleiteten jungen Menschen &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Haben mir gezeigt, wie es um mich bestellt ist!“ unterbrach Monika.
-„Ja, jedes Wort davon ist wahr! Ich habe unserer Ehe zuliebe meine
-ganze Persönlichkeit geopfert. Alles Beste in mir habe ich gewaltsam
-unterdrückt, jeden Funken von Begeisterung, von Warmherzigkeit erstickt
-unter einer Eisdecke von Vorurteilen! &mdash; &mdash; Fort will ich, &mdash; fort von
-Dir, der Du alles, was in mir ursprünglich ist, tötest. Ich will wieder
-ich selbst sein!“</p>
-
-<p>Georg von Wetterhelm war blaß bis in die Lippen.</p>
-
-<p>„Monika, Dein Schmerz macht Dich ungerecht! Ich will Dir heute
-verzeihen, &mdash; heute &mdash; alles.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_355"></a>[S. 355]</span></p>
-
-<p>„Ich brauche Deine Verzeihung nicht. Ich will fort, &mdash; fort um jeden
-Preis!“</p>
-
-<p>Ein sonderbar erstickter Ton rang sich aus seiner Kehle. Ein Augenblick
-war’s &mdash; dann klang seine Stimme fest wie je: „Ich kann Dich mit Gewalt
-nicht halten.“</p>
-
-<p>„Ich lasse mich auch nicht halten!“</p>
-
-<p>Zwei wilde Flammen brannten in ihren Augen.</p>
-
-<p>Das war nicht mehr die sanfte und korrekte Gattin, die fünf Jahre lang
-Georg von Wetterhelms Herzensfreude gewesen, &mdash; die sich fünf Jahre
-lang gezügelt hatte ihrem Glück zuliebe. Das war wieder das unbändige
-Geschöpf von einst, das jeder Gefühlsregung nachgab, jede Empfindung
-auskostete bis zum äußersten, bis zum letzten schalen Tropfen.</p>
-
-<p>Und auch diesen Becher leerte sie bis zur Neige: nicht genug Vorwürfe
-gab es für den, der ihr bis dahin das Liebste war auf der Welt.</p>
-
-<p>„Ich habe erkannt, welch eiskalter Egoist Du bist! Warum gabst Du Karl
-das Geld nicht?“</p>
-
-<p>„Es war nicht des Geldes wegen &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Das weiß ich! Und gerade das ist das furchtbarste: Deiner Prinzipien
-wegen tatest Du es nicht!<span class="pagenum"><a id="Seite_356"></a>[S. 356]</span> Deiner starren, hartherzigen Prinzipien
-wegen! Die sind das einzige, was Du liebst! Du hast auch mich nie
-geliebt. Du hast mich geheiratet, weil <em class="gesperrt">ich Dich</em> liebte! Du
-wolltest Dein frierendes Herz erwärmen an meiner Glut!“</p>
-
-<p>„Monika!“</p>
-
-<p>Georg Wetterhelm preßte die harten Lippen aufeinander. Er sprach kein
-einziges Wort mehr... zu seinem Glück, das von ihm ging.</p>
-
-<div class="figcenter illowe10" id="kapitelende11">
- <img class="w100" src="images/kapitelende.jpg" alt="Ende des Kapitels" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_357"></a>[S. 357]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Kapitel_12">12.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="dc" id="p291initial2">
- <img class="illowe6" src="images/p291initial.jpg" alt="E" />
-</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">E</span>in altes, winkliges Haus in einer von Zürichs Straßen. Ausgetretene
-Treppenstufen, schiefe Türen, an denen Dutzende von Visitenkarten mit
-Reißnägeln angeheftet waren. „<span class="antiqua">Stud. jur.</span> Freiherr von Neuern,
-<span class="antiqua">stud. med.</span> Hans Fischer, <span class="antiqua">stud. med.</span> Pietro Liguro,
-<span class="antiqua">stud. med.</span> Olga Nikolajewna Murawska, <span class="antiqua">stud. phil.</span> Bertha
-Reckling.“</p>
-
-<p>Vier Treppen hoch hauste Bertha, die seit einem Semester in Zürich
-studierte, zusammen mit der Studentin der Medizin Murawska.</p>
-
-<p>Die Wohnung bestand aus drei Stübchen und einer kleinen Küche. Die
-letztere wurde wenig benutzt, da die Mädchen ihre Mahlzeiten in
-einem Restaurant einnahmen und sich zu Hause nur das erste Frühstück
-bereiteten. Bertha hatte zwar zuerst vorgeschlagen, hier zu kochen,
-aber sie hatte es bald aufgesteckt. Es war gar zu unbequem. Allein
-das Feuermachen erforderte so viel Zeit und Mühe, und<span class="pagenum"><a id="Seite_358"></a>[S. 358]</span> es war so
-umständlich, die Vorräte die vier Treppen hinaufzuschleppen.</p>
-
-<p>Außerdem war Olga Nikolajewna den kulinarischen Bestrebungen Berthas
-durchaus feindlich gesinnt.</p>
-
-<p>Sie behauptete: viel Essen wirke schädlich auf die Gehirntätigkeit. Nur
-die Deutschen äßen so viel, und Bertha würde es nie zu etwas bringen,
-wenn sie sich nicht auch angewöhne, des öfteren nur von Tee und
-Zigaretten zu leben.</p>
-
-<p>Auch „Ordnung halten“ erklärte Olga Nikolajewna für eine von Berthas
-schädlichen Angewohnheiten. Dieses ewige Wegräumen war schrecklich!
-Jedenfalls bäte sie, ihre Sachen nicht anzutasten. Die lägen so, wie
-sie müßten.</p>
-
-<p>Und Bertha schenkte diesen Ausführungen ein williges Ohr. Sie nahm ja
-so leicht die Anschauungen ihrer Umgebung an. So wie sie früher auf die
-Ansichten ihrer deutschen Kolleginnen geschworen, die aus dem naiven,
-jungen Mädchen eine Frauenrechtlerin gemacht, ebenso ließ sie sich
-jetzt die Ansichten des internationalen Kreises aufpfropfen, der ihren
-Verkehr bildete.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_359"></a>[S. 359]</span></p>
-
-<p>Es waren gar verschiedenartige Leute, die sich da oft in ihrem
-kleinen Wohnzimmer zusammenfanden. Viel Platz war nicht auf dem roten
-Kattunsofa und den paar wackligen Rohrstühlen. Aber es standen eine
-Anzahl umgestülpter Kisten bereit, die als Sitzgelegenheiten dienten.</p>
-
-<p>Die Bewirtung beschränkte sich auf Tee. Rauchmaterial brachte jeder
-selber mit.</p>
-
-<p>Oft verschwamm das Stübchen in einem wahren Schwaden von Rauchwolken.
-Und man diskutierte über die neuesten Heilmethoden, über philosophische
-Systeme, über uralte und ewig ungelöste Menschheitsfragen.</p>
-
-<p>Es hatte sich ein ganz bestimmter Kreis herausgebildet, Stammgäste,
-die immer wiederkamen: Dimitri Iwanowitsch Lagin, ein Landsmann von
-Olga, der einen düsteren Märtyrerkopf und schmutzige Fingernägel
-besaß; Hans Fischer, ein sehr jugendlicher Mediziner, der ein Schüler
-von Berthas Vater gewesen und Bertha den gleichen angstvollen Respekt
-entgegenbrachte wie dereinst seinem Ordinarius; Marie Kramer, eine
-freundliche dicke Blondine, die nun schon im achten Semester studierte
-und immer noch unglaublich erstaunt darüber war, daß<span class="pagenum"><a id="Seite_360"></a>[S. 360]</span> sie es fertig
-gebracht, „ihre Angehörigen zu verlassen, ihrer inneren Stimme zu
-folgen“.</p>
-
-<p>Und Melitta Göritz war da, ein schlankes, sehr brünettes Mädchen, das
-ein sehr verschlossenes Wesen hatte und von dem überhaupt niemand etwas
-Näheres wußte.</p>
-
-<p>Dann noch ein norwegisches Ehepaar: die Steens. Merkwürdigerweise
-hatten die beiden äußerlich Aehnlichkeit miteinander. Sie waren beide
-sehr groß, sehr schlank, hatten weißblonde Haare und blaue, ein wenig
-vorstehende Augen, die an Fischaugen erinnerten.</p>
-
-<p>Sie studierten beide Philosophie. Sie behandelten andere Leute
-überaus höflich und nett, sich gegenseitig aber mit ausgesuchter
-Unliebenswürdigkeit. Sie warfen sich Grobheiten an den Kopf,
-schimpften sich auf norwegisch und trennten sich nie, wie ein Pärchen
-Wellensittiche, ob aus Liebe oder Haß, blieb unerfindlich.</p>
-
-<p>Auch Edith von Gräbert kam oft, eine norddeutsche Offizierstochter
-in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre, die Lehrerin an einer
-Töchterschule gewesen, dann aber ihren Hang zur Medizin entdeckt.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_361"></a>[S. 361]</span></p>
-
-<p>Diese alle saßen, wie so oft, an einem Maiabend in dem kleinen
-Wohnzimmer, als die Korridorklingel kurz und heftig in Bewegung gesetzt
-wurde.</p>
-
-<p>„Das ist gewiß Pietro,“ rief Edith von Gräbert lebhaft; sie hatte eine
-ausgesprochene Vorliebe für den jungen Italiener.</p>
-
-<p>Bertha, die Hausherrin, ging, um zu öffnen.</p>
-
-<p>Die Gäste hörten ihren überraschten Ausruf, und gleich darauf trat
-sie wieder ein, begleitet von einer jungen Dame, deren Erscheinung
-Sensation erregte.</p>
-
-<p>„Wie kommt der Glanz in diese niedre Hütte?“ murmelte Edith, nachdem
-sie einen taxierenden Blick auf die elegante Toilette des Ankömmlings
-geworfen.</p>
-
-<p>Sigrid Steen stieß ihrem Gatten den Ellenbogen in den Magen, da er
-ihrer Meinung nach den fremden Gast bewundernd angestarrt. Dimitri
-Iwanowitsch setzte sein Pincenez auf und nahm es nicht wieder ab,
-obwohl er es sonst, um seine sehr angegriffenen Augen zu schonen, nur
-zum Schreiben und Lesen trug.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_362"></a>[S. 362]</span></p>
-
-<p>Hans Fischer starrte die schöne Dame so verzückt an wie ein Kind eine
-einladende süße Speise &mdash; kurz es herrschte allgemeine Gemütsbewegung.</p>
-
-<p>„Meine Cousine Frau von Wetterhelm,“ stellte Bertha vor. In ihrer
-Bestürztheit vergaß sie, nun die Namen der anderen Leute zu nennen.</p>
-
-<p>Und diese alle saßen stumm wie die Oelgötzen; von allen diesen Leuten,
-die so gut und so viel reden konnten, wenn eine sie interessierende
-wissenschaftliche Frage aufgerollt war, fand keiner Worte, sobald es
-sich um eine leichte gesellschaftliche Unterhaltung handelte.</p>
-
-<p>Monikas mondaine Gewandtheit half vorläufig über das peinliche
-Stillschweigen hinweg. Aber eine rechte Stimmung kam an diesem Abend
-nicht mehr auf. Die Gäste fühlten sich durch die elegante Fremde
-geniert und gingen sehr viel früher als gewöhnlich.</p>
-
-<p>Monika hoffte nun mit ihrer Cousine allein sprechen zu können, aber auf
-dem roten Kattunsofa saß Olga Nikolajewna und rührte sich nicht. Als
-Bertha einen schüchternen Versuch machte, sie zum Verlassen des Zimmers
-zu bewegen, erwiderte sie ganz erstaunt:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_363"></a>[S. 363]</span></p>
-
-<p>„Aber wir haben doch bloß dieses Sofa!“ Wußte Bertha denn immer noch
-nicht, daß ihr Stühle unbequem waren?!</p>
-
-<p>So verfügten sich denn die beiden Cousinen in Berthas Schlafzimmer,
-das mit seinen winzigen Abmessungen, mit seiner schmalen, eisernen
-Bettstelle einen sehr ärmlichen Eindruck machte.</p>
-
-<p>Monika setzte sich auf einen Rohrstuhl am Fenster und Bertha ließ sich
-aufs Bett sinken; sie war noch immer unter dem Eindruck der großen
-Ueberraschung.</p>
-
-<p>Monika hier! Und sie kam zu ihr die vier wackligen Treppen hinauf! All
-das kam ihr ganz unwahrscheinlich vor.</p>
-
-<p>Freilich vermutete sie nicht so Entscheidendes, wie sie gleich darauf
-zu hören bekam.</p>
-
-<p>Also Monika war fort von ihrem Mann! Für immer fort?!</p>
-
-<p>Bertha fühlte bei dieser Nachricht erstaunlicherweise nicht die
-freudige Genugtuung, die sie bei ihren extremen Grundsätzen eigentlich
-hätte haben müssen. Nein, sie empfand nicht: „Gott sei Dank wieder
-eine, die das unwürdige Ehejoch von sich<span class="pagenum"><a id="Seite_364"></a>[S. 364]</span> abschüttelt!“ &mdash; sondern
-in diesem Augenblick überwog Berthas frühere Natur: „Wie töricht von
-Monika, ihrem Mann davonzulaufen!“</p>
-
-<p>Gut, daß, ehe sie diese Worte geäußert, ihr ihre neuerworbenen
-Grundsätze einfielen. Und so sagte sie denn, sie sei weit entfernt
-davon, Monikas Schritt zu mißbilligen. Sich durchsetzen, seine eigene
-Persönlichkeit zu bewahren, das sei das Höchste für ein denkendes
-menschliches Wesen, und die Zeiten, da man die Frauen nicht zu den
-denkenden menschlichen Wesen gerechnet, seien ja erfreulicherweise
-vorüber!</p>
-
-<p>Es sei sehr vernünftig von Mone, daß sie gleich hierher gekommen zu
-ihr, die ihr sehr gern mit ihrem Rate zur Seite stehen wolle.</p>
-
-<p>„Es ist jedenfalls sehr nett von Dir, daß Du Dich hier meiner annehmen
-willst,“ sagte Monika. Sie war nicht so sicher wie sonst.</p>
-
-<p>Allein, zum ersten Male war sie allein gefahren, den weiten Weg von
-Berlin nach Zürich, und aus des Zuges Räderrollen hatte sie eine so
-traurige Melodie gehört: Fort von ihm! Jeden Augenblick weiter fort von
-ihm, der mein Glück gewesen...</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_365"></a>[S. 365]</span></p>
-
-<p>Sie hatte sich dann selbst sentimental gescholten. Da sie nun mal
-eingesehen hatte, daß ihres Bleibens nicht länger bei ihm war, war
-alles abgetan! Mußte alles abgetan sein!</p>
-
-<p>Ein neues Leben!</p>
-
-<p>Und ein bescheidenes Leben.</p>
-
-<p>Sie wollte versuchen, mit der knappen Zulage auszukommen, die ihre
-Mutter ihr geben konnte.</p>
-
-<p>Darüber hatte es noch eine Meinungsverschiedenheit gegeben mit Georg,
-der ihr einen Scheck über eine hohe Summe mitgegeben.</p>
-
-<p>„Ich will kein Geld von Dir!“ hatte sie gesagt.</p>
-
-<p>„Du mußt es nehmen, Monika. So lange wie Du meine Frau bist, kannst
-Du nicht wie eine Zigeunerin durch die Welt laufen. Wie denkst Du Dir
-überhaupt Dein späteres Leben pekuniär?“</p>
-
-<p>„Ich will mir unbedingt selbständig meinen Lebensunterhalt verdienen,
-sei es schriftstellerisch oder daß ich studiere. Ich weiß es noch
-nicht.... Das alles ist noch so dunkel....“</p>
-
-<p>„Und Du willst nicht bei mir bleiben &mdash; statt so ins Ungewisse in die
-Welt hinauszugehen &mdash;?“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_366"></a>[S. 366]</span></p>
-
-<p>„Nein!“ antwortete sie hart.</p>
-
-<p>Es empörte sie, daß er diese Frage so an sie gestellt hatte, so als ob
-ein materielles Interesse je hätte mitsprechen können, sie zu fesseln.</p>
-
-<p>Ja, wenn er vor ihr niedergestürzt wäre, wenn er ihr in heißer Qual
-entgegengerufen: „Bleib’, ich kann nicht leben ohne Dich!“, dann hätte
-sie wohl nicht den Mut gefunden, fortzugehen auf Nimmerwiedersehen.</p>
-
-<p>Aber so sprach Georg von Wetterhelm nicht. Nach dem „Nein“, das sie
-ihm entgegengerufen, hatte er nur noch streng sachlich mit ihr die
-einzuleitende Scheidung besprochen, die wegen böswilliger Verlassung
-ihrerseits erfolgen werde. Sie würde eine Aufforderung erhalten, zu ihm
-zurückzukehren, und wenn sie dieser nicht Folge leiste, so erfolge ein
-Jahr nachher die gerichtliche Scheidung.</p>
-
-<p>Und sie war gegangen auf Nimmerwiedersehn.</p>
-
-<p>Als sie die erste Müdigkeit nach der langen Eisenbahnfahrt überwunden,
-hatte ein Gefühl von Energie sie durchflutet. Ein Bad, ein Glas Sherry,
-ein elegantes Kleid, und sie war zu Bertha gefahren.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_367"></a>[S. 367]</span></p>
-
-<p>Diese war entschieden so hilfsbereit gewesen, wie man es nur irgend
-erwarten konnte. Man hatte so manches verabredet.</p>
-
-<p>Monika sollte eine Wohnung im selben Hause wie Bertha nehmen, sowohl
-ihres schmalen Geldbeutels wegen, als damit sie Anschluß habe.</p>
-
-<p>Dann sollte sie erst mal in einigen Kollegs hospitieren, um sich dann
-endgültig zu entscheiden.</p>
-
-<p>Es würden in ihrem Wissen eine Menge Lücken auszufüllen sein. Aber das
-schreckte sie nicht, sie hatte ja immer so gern gelernt.</p>
-
-<p>War es denn etwas anderes, was sie schreckte? Was war dieses sonderbare
-Gefühl, das ihr das Herz zusammenpreßte?</p>
-
-<p>Sie hatte doch nun die Freiheit, konnte doch nun ihre Persönlichkeit so
-entfalten, wie sie es immer gewünscht.</p>
-
-<p>Nun war doch der sehnlichste Traum ihrer Jugendjahre in Erfüllung
-gegangen: frei! &mdash; &mdash;</p>
-
-<p>Und ein neues Leben jetzt!</p>
-
-<p>Nicht mehr an die grauen Augen denken, die sie zu sehr geliebt, &mdash; an
-die grauen Augen, die so<span class="pagenum"><a id="Seite_368"></a>[S. 368]</span> verächtlich erstaunt geblickt, wenn sie sich
-„inkorrekt“ benommen oder „wild“.</p>
-
-<p>Und nicht mehr an seine Hände denken, jene schönen, harten Hände, die
-sie so sicher und gebieterisch dahingeführt auf schnurgerader, grauer
-Strecke, während auf allen Seitenwegen und Fußpfaden so viel üppig
-schönes Blumengerank wucherte.</p>
-
-<p>Nicht mehr an ihn denken!</p>
-
-<p>Schade nur, daß sie so oft, so unendlich oft an ihn erinnert wurde.</p>
-
-<p>Sie sah jetzt erst, wie sehr Georg ihr die kleinlichen Sorgen des
-Lebens aus dem Wege geräumt, wie sehr er jede Unannehmlichkeit von ihr
-ferngehalten. &mdash; &mdash; &mdash;</p>
-
-<p>Sie sah jetzt erst, was es hieß, sich selbst um die Alltagssorgen
-bekümmern zu müssen. &mdash;</p>
-
-<p>Mit einem Gefühl der Erleichterung begrüßte sie den Tag, an dem sie zu
-Bertha übersiedelte. Sie hatte in Berthas Wohnung angrenzende Zimmer
-bekommen, die bisher ein Kandidat der Medizin bewohnt.</p>
-
-<p>Diese Zimmer trugen das ärmliche Gepräge, das dem ganzen Hause
-anhaftete, und Monika<span class="pagenum"><a id="Seite_369"></a>[S. 369]</span> konnte sich eines kleinen Schauders nicht
-erwehren, als sie ihre Wohnung des näheren besichtigte.</p>
-
-<p>Sie schwankte sogar einen Augenblick, ob sie nicht diese Baracke im
-Stiche lassen solle, um sich ein eleganteres Quartier zu nehmen. Sie
-hatte ja den Scheck da....</p>
-
-<p>Aber sofort wies sie diesen Gedanken von sich. Nein, nein, sie wollte
-mit dem Zuschuß von Mama auskommen, so wenig das auch war.</p>
-
-<p>Und Georg brauchte gar keine Angst zu haben, daß sein Name dadurch
-kompromittiert werde, wenn sie hier in so ärmlichen Verhältnissen
-hauste. Sie nannte sich mit ihrem Mädchennamen. Die Abneigung vor ihrer
-neuen Umgebung mußte eben heruntergewürgt werden! &mdash;</p>
-
-<p>Sie fand sich nicht schnell in dieses neue Leben hinein, beim besten
-Willen nicht!</p>
-
-<p>Sie fühlte sich nicht zu Hause in dieser häßlichen Wohnung.</p>
-
-<p>Unzählige Male am Tage trat sie hinaus auf den kleinen Balkon vor ihrem
-Zimmer.</p>
-
-<p>Zwischen ein paar altersgrauen Dächern erblickte man die grüne Limmat,
-Schwärme von<span class="pagenum"><a id="Seite_370"></a>[S. 370]</span> schneeweißen Möwen schwirrten über den Strom; sie sah dem
-unruhigen Spiel ihrer Flügel zu, die sie bald hoch zum Himmel, bald
-tief hinab zum Wasser trugen.</p>
-
-<p>Und eine unklare Sehnsucht war in ihr, die ihr das Herz zusammendrückte.</p>
-
-<p>Aufseufzend trat sie zurück ins Zimmer, in dem dann vielleicht gerade
-Olga Nikolajewna, Zigaretten paffend, auf dem Sofa lag.</p>
-
-<p>Monika hatte versucht, die allzu häufigen Besuche der Russin
-abzuwehren, aber diese hatte ihr in ihrem harten Deutsch erwidert:</p>
-
-<p>„Aber Ihr Sofa ist weicher.“</p>
-
-<p>Sie hielt diese Tatsache für völlig ausreichend, um von dem erwähnten
-Möbelstück Besitz zu nehmen.</p>
-
-<p>Als Monika sich bei Bertha beklagte, hatte diese ihr mißbilligend
-gesagt:</p>
-
-<p>„Aber sei doch nicht so unkameradschaftlich. Wir sind hier alle für
-Gütergemeinschaft.“</p>
-
-<p>Daß das keine leere Redensart war, lernte Monika bald genug einsehen.
-Man betrachtete<span class="pagenum"><a id="Seite_371"></a>[S. 371]</span> auch ihre Sachen als Gemeingut. Olga Nikolajewna goß
-sich den Inhalt von Monikas Parfümflaschen über Bluse und Haar. Bertha
-benutzte, ohne je um Erlaubnis zu fragen, Monikas Nähutensilien und
-ihre Bücher.</p>
-
-<p>Alle die „Stammgäste“ kamen, ohne dazu aufgefordert zu sein, jetzt auch
-in Monikas Zimmer hinüber.</p>
-
-<p>Die anfängliche Scheu, die sie vor der Fremden gehabt, war sehr bald
-einer kollegialen Vertraulichkeit gewichen.</p>
-
-<p>Am häufigsten wurde sie von Edith von Gräbert besucht.</p>
-
-<p>Diese hatte ein großes, mit Mißgunst gemischtes Interesse an Monika.</p>
-
-<p>Für alles an ihr: ihre Art, sich zu bewegen, sich anzuziehen, zu
-lächeln....</p>
-
-<p>Es war, als ob Edith von ihr zu lernen suche, sich nach ihrem Vorbild
-modele.</p>
-
-<p>Entschieden war das ein verfehltes Beginnen, denn die beiden waren
-äußerlich so voneinander verschieden, daß alles, was zu Monikas Wesen
-paßte, für Edith deplaciert war.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_372"></a>[S. 372]</span></p>
-
-<p>Bildete doch schon Monikas weiches Gesicht einen entschiedenen
-Gegensatz zu Ediths herben Zügen, die übrigens durchaus ebenmäßig
-geformt waren.</p>
-
-<p>Sie war überhaupt nicht ohne Reiz. Sie hatte eine große, gutgewachsene
-Figur.</p>
-
-<p>Aber etwas unnennbar Hartes lag in all ihren Linien, sowohl in denen
-des Körpers wie in denen des Gesichts.</p>
-
-<p>Ihre hellen Augen blickten klug und spöttisch unter blonden Brauen,
-ihre Gesichtsfarbe war von einer auffallenden Zartheit, und diese
-zarte, helle Haut begann schon ein wenig das Stigma des Welkens zu
-tragen. Die Augenlider waren schon etwas zerknittert, wie weiße
-Rosenblätter, die am Verblühen sind.</p>
-
-<p>Edith war von einer Offenheit, die an Zynismus grenzte. Sie erzählte
-Monika, ohne daß diese im mindesten danach gefragt hätte, die intimsten
-Einzelheiten aus ihrem Leben; sie sprach von der unglücklichen Ehe, die
-ihre Eltern geführt. Sie verhehlte nichts, beschönigte nichts von allen
-traurigen Fällen, die sie oder ihre Familienangehörigen getroffen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_373"></a>[S. 373]</span></p>
-
-<p>Monika machte mitunter Einwendungen, sagte ihr geradeheraus:</p>
-
-<p>„Das sind doch interne Angelegenheiten, über die spricht man doch
-nicht.“</p>
-
-<p>Aber Edith zeigte dann in höhnischem Lachen ihre großen, weißen Zähne:</p>
-
-<p>„Ach, den Schnickschnack habe ich mir abgewöhnt. Ich habe früher auch
-mal so gedacht wie Sie &mdash; o, sicher sogar sehr viel strenger gedacht
-als Sie. Es ist noch gar nicht so lange her. Da war ich Lehrerin an
-der Schule von Fräulein Cersfeld und gab für hundert Mark monatlich
-ungezogenen Mädels Französisch und Geographie, auch Religion und
-andere schöne Sachen. Von acht bis eins täglich dauerte der Scherz.
-Fünf Minuten nach eins ging ich nach Hause, wo ich gerade rechtzeitig
-ankam, um einer lärmenden Szene zwischen Mama und Papa beizuwohnen.
-Nachmittags dann Hefte korrigieren und abends um halb zehn in die
-Klappe. Ach, ein Leben.... Sieben und ein halbes Jahr ist das so
-gegangen. Dann...“</p>
-
-<p>Sie unterbrach sich.</p>
-
-<p>„Ach, ist ja alles Unsinn,“ fuhr sie mit veränderter Stimme fort. „Wozu
-von Vergangen<span class="pagenum"><a id="Seite_374"></a>[S. 374]</span>heiten reden! Ich fühle mich sehr wohl, seitdem mir das
-Familienleben Wurst ist! Es lebt sich doch sehr nett in dem ollen,
-ehrlichen Zürich.“</p>
-
-<p>„Ja...,“ sagte Monika, und ihr Blick irrte sehnsüchtig hinaus durchs
-Fenster auf den grünen Strom, über dem die weißen Möwen taumelten.</p>
-
-<p>Die Vorlesungen, die Monika belegt, interessierten sie teilweise sehr,
-aber sie gewöhnte sich nicht an das Zusammensein mit so vielen anderen.</p>
-
-<p>Es saßen da in den Hörsälen Leute aus aller Herren Ländern, junge und
-alte, Frauen und Männer.</p>
-
-<p>Alle diese Gehirne arbeiteten, dachten, waren wie Maschinen mit
-surrendem Räderwerk.</p>
-
-<p>Und sie alle, die starken und die schwachen, die schnell arbeitenden
-und die trägen Gehirne, sie alle holten sich hier Nahrung,
-Heizmaterial, Funken von der großen Flamme des Wissens, das die Welt
-erhellt.</p>
-
-<p>Wohl empfand Monika die Größe, die darin lag, aber das half ihr nicht
-darüber hinweg, daß ihr das Zusammengepferchtsein mit allen diesen
-unbekannten Menschen auf die Nerven fiel.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_375"></a>[S. 375]</span></p>
-
-<p>Sie wurde das Gefühl nicht los, daß sie denen allen hier überlegen war.</p>
-
-<p>Vor ihrem Verstand war dieses Gefühl nicht stichhaltig.</p>
-
-<p>Die Tatsache, daß sie eine sehr viel raffiniertere Körperpflege trieb
-als die alle hier, schuf ihr doch keine Ueberlegenheit?</p>
-
-<p>Und daß sie weltgewandter war, abgeschliffener, &mdash; das alles hatte doch
-hier keinen ernsthaften Wert.</p>
-
-<p>Sie war eben wohl immer noch von Vorurteilen befangen; zu sehr hatte
-Georg ihre frühere Wesensart umgewandelt. Aber das würde sich schon
-geben mit der Zeit.</p>
-
-<p>Mit der Zeit...</p>
-
-<p>Sie, die früher so oft der Zeit zugerufen: „Halt an!“, hätte ihr jetzt
-Sporen geben mögen wie einem schlechten Gaul.</p>
-
-<p>Nur schnell vorwärts! Nur Zeit legen zwischen sich und das Glück!</p>
-
-<p>Und Tage kamen und gingen... Wochen... und Monate... Und noch immer
-war sie nervös,<span class="pagenum"><a id="Seite_376"></a>[S. 376]</span> schreckte zusammen, wenn es klingelte, und ging immer
-wieder auf den Balkon und starrte hinüber auf den Strom und auf die
-weißen Möwen.</p>
-
-<p>Sie sprach mit niemandem über das, was sie innerlich bewegte.
-Den vielen Fragen von Edith von Gräbert setzte sie eine kühle
-Reserviertheit entgegen.</p>
-
-<p>Uebrigens war Edith die einzige, die neugierig war.</p>
-
-<p>Bertha fragte sie nie etwas. Nicht aus Diskretion, sondern weil sie zu
-sehr mit sich selbst beschäftigt war; sie steckte in ihrem Studium wie
-in einem Kleide, das ihr nach allen Richtungen hin zu groß war, und das
-sie sich wichtigtuerisch bemühte auszufüllen.</p>
-
-<p>Mit dem Wesen, das sie früher gewesen, hatte sie kaum noch einen
-Zusammenhang. Das bewies sie deutlich, als ihre Mutter ihr eines Tages
-schrieb.</p>
-
-<p>Sie brachte Monika den Brief hinüber mit der Aufforderung zu lesen.</p>
-
-<p>Frau Reckling schrieb, daß sie heute mit einer großen Bitte an ihre
-Tochter herantrete, einer Bitte,<span class="pagenum"><a id="Seite_377"></a>[S. 377]</span> die wohl geeignet sei, eine Umwälzung
-in Berthas Existenz hervorzurufen.</p>
-
-<p>Die Untersuchung, die Berthas Vater bei einem berühmten Berliner
-Augenarzt habe vornehmen lassen, hätte leider die Diagnose des
-Hausarztes vollkommen bestätigt: es sei eine Netzhautablösung, die in
-nicht zu ferner Zeit zu völliger Blindheit führen müsse.</p>
-
-<p>Natürlich könne der Vater seinen verantwortungsvollen Posten als
-Gymnasialdirektor nun nicht mehr ausfüllen.</p>
-
-<p>Man würde sich nach Harzburg, dem Heimatstädtchen des Direktors,
-zurückziehen.</p>
-
-<p>Und Bertha müsse kommen! Der Mutter Gicht habe solche Fortschritte
-gemacht, daß ihr die Hände oft gelähmt seien, unfähig zu jeder
-Tätigkeit. Die Mutter wäre ja tief unglücklich, daß Berthas
-hoffnungsreiches Studium abgebrochen werden solle, aber wer solle um
-den erblindenden Vater bemüht sein, wer die Tätigkeit ersetzen, die der
-Mutter gelähmte Hände nicht mehr tun konnten? Bertha solle kommen! Die
-einzige Tochter würde der Eltern Stütze sein.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_378"></a>[S. 378]</span></p>
-
-<p>„Meine Mutter scheint ja vollkommen durchgedreht zu sein!“ sagte
-Bertha. „Sie sollen sich doch eine Gesellschafterin nehmen. Es laufen
-ja genug junge Mädchen aus anständiger Familie herum, die für freie
-Station und ein Taschengeld den Beruf der Tochter des Hauses geradezu
-großartig ausfüllen! Wenn Mama ein Haustöchterchen haben wollte... ich
-hatte alle Anlage dazu! Dann brauchte sie mich nicht mit Gewalt auf
-diesen Weg zu führen. Auf dem bin ich und bleibe ich! Das kann niemand
-von mir verlangen, daß all die langen Jahre Studium, all meine Mühe
-und mein Fleiß umsonst gewesen sein sollen. Daß ich jetzt kurz vor dem
-Examen abspringen soll, ist wahrhaftig eine Zumutung!“</p>
-
-<p>In diesem Sinne schrieb sie an die Mutter. Und postwendend traf die
-Antwort ein: ein Jammerschrei über Berthas Lieblosigkeit, die ihre
-kranken Eltern der Hilfe einer bezahlten Fremden überlassen wolle!</p>
-
-<p>Bertha könne doch nicht so ganz jedes weibliche Fühlen verloren haben!</p>
-
-<p>„Hätte sie sich früher überlegen sollen, meine gute Mama. Was soll denn
-das heißen: weibliches<span class="pagenum"><a id="Seite_379"></a>[S. 379]</span> Fühlen?! Das soll weiter gar nichts heißen,
-als: sich selbst aufgeben zum Nutzen für andere! Wo bleibt da die
-Gleichberechtigung?! Wer verlangt von einem jungen Manne, der studiert,
-daß er nach Hause kommt, sein Studium aufgibt, um seine Eltern zu
-pflegen?! Wenn ich dasselbe leisten kann, was ein männlicher Student
-leistet, dann muß ich auch ebenso behandelt werden, dann kann ich
-denselben Respekt vor meiner Persönlichkeit verlangen! Und den verlange
-ich!... Mir tut die Krankheit meiner Eltern gewiß von ganzem Herzen
-und von ganzer Seele leid, aber mich selber ihnen opfern &mdash; &mdash; nun und
-nimmer! Sie werden schon eine nette Gesellschafterin finden. Ich lasse
-mich jedenfalls auf gar keine weiteren Unterhandlungen ein, und wenn
-sie mir die Zulage sperren, ist es noch so! Ich habe mein Eigenes von
-der Großmama. Die brave, alte Dame hatte geglaubt, ich würde meine
-Brautausstattung davon kaufen. Sie war noch so unmodern!“</p>
-
-<p>Monika war peinlich berührt von Berthas Standpunkt. Wie herzlos das
-klang... wie gefühlsroh ... Und doch... war sie selbst denn etwa
-aufopferungsfähiger? Hatte sie nicht, um ihre<span class="pagenum"><a id="Seite_380"></a>[S. 380]</span> Persönlichkeit zu
-wahren, ihren Mann verlassen, der so viel liebevoller zu ihr gewesen
-als Berthas Eltern zu ihrer Tochter?...</p>
-
-<p>O gewiß, Bertha hatte ganz recht, so zu handeln! Aber ein unangenehmes
-Gefühl wurde Monika nicht los. Und Georg Wetterhelms Schwester fiel ihr
-ein, ihre Schwägerin Brigitte, deren Aufopferung sie verlacht, gleich
-bei jenem ersten Besuche auf Gerbitz, als sie Braut war. &mdash; &mdash;</p>
-
-<p>Erinnerungen überfluteten sie wie große Wogen, die auf sie zukamen,
-über sie hinweggingen, ihren Widerstand ertränkten, daß sie in die Knie
-sank, daß sich in heißem Schluchzen ein Name von ihren Lippen rang:</p>
-
-<p>„Georg.“</p>
-
-<p>Nur einen Augenblick. Dann hatte sie die Herrschaft über sich
-zurückgewonnen.</p>
-
-<p>Das war ja nur Nervosität gewesen, sicherlich!</p>
-
-<p>Nur die Schuld der häßlichen, ärmlichen Umgebung. Oder die Schuld der
-allzu abstrakten Wissenschaft....</p>
-
-<p>O, nur weg von hier, fort von Zürich. Es war nichts mit dem Studieren.
-Die ganze Umgebung<span class="pagenum"><a id="Seite_381"></a>[S. 381]</span> hier, all die Leute mit den schlechten Manieren
-&mdash; das alles war nicht zu ertragen, wenn man fünf Jahre lang Georg
-Wetterhelms Frau gewesen war.</p>
-
-<p>Sie wollte fort. Irgendwo in die große bunte Welt, all die Schönheit
-genießen, die da aufgeschlagen lag wie ein Märchenbuch mit schönen
-Bildern.</p>
-
-<p>Und all diese Schönheit wollte sie beschreiben, sich ganz der Kunst
-widmen, die der leuchtende Stern ihrer Kindheit gewesen. Sie wollte
-denken und dichten, sie wollte glücklich sein! Ja sie war überzeugt,
-daß sie dann glücklich werden mußte!</p>
-
-<p>Noch am selben Tage teilte sie Bertha ihren Entschluß mit.</p>
-
-<p>Diese war überrascht, nahm die Sache aber nicht sehr wichtig. Dagegen
-empfing Edith von Gräbert einen großen Eindruck von der Neuigkeit, daß
-Monika fort wolle.</p>
-
-<p>Wo denn hin? Nach Luzern zuerst? &mdash; Da käme sie mit.</p>
-
-<p>Monika war überrascht von diesem Angebot; sie stand sich nicht so
-freundschaftlich mit Edith, als daß es gerechtfertigt gewesen wäre.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_382"></a>[S. 382]</span></p>
-
-<p>Immerhin war gegen das, was Edith sagte, nicht viel einzuwenden: sie
-war ermüdet, überanstrengt, mußte mal ausspannen. Sie würde sich sehr
-glücklich schätzen, wenn sie sich Monika anschließen dürfe.</p>
-
-<p>Da stimmte Monika zu, nicht gerade begeistert, aber es war ihr doch
-nicht unlieb, daß sie nun nicht so allein sein würde....</p>
-
-<div class="figcenter illowe10" id="kapitelende12">
- <img class="w100" src="images/kapitelende.jpg" alt="Ende des Kapitels" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_383"></a>[S. 383]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Kapitel_13">13.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="dc" id="p145initial5">
- <img class="illowe6" src="images/p145initial.jpg" alt="D" />
-</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">D</span>er „Seepalast“ in Luzern war auch eine riesige Fremden-Karawanserei
-wie das Hotel, in dem Monika zuerst in Zürich abgestiegen, aber
-er war von einem modernen, vornehm abgetönten Luxus, den Zürich
-nicht aufzuweisen gehabt. Im Hochparterre lagen drei riesenhafte
-Gesellschaftssäle nebeneinander. Und verschwiegene Schreibzimmer mit
-grünen Lederpolstern, ein Lesesaal, in dem alle großen Zeitungen des
-Erdballs auflagen, öffneten sich im Anschluß an eine ungeheure Halle,
-die die Hotelgäste zu den verschiedensten Tages- und Nachtzeiten
-versammelt sah.</p>
-
-<p>An jedes Schlafzimmer schloß sich ein Badezimmer mit Marmorwanne und
-blitzenden Dusche-Apparaten.</p>
-
-<p>Monika atmete auf.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_384"></a>[S. 384]</span></p>
-
-<p>Endlich wieder eine anständige Umgebung, endlich ein Hotel wie die, in
-denen sie mit Georg geweilt.</p>
-
-<p>Georg... schon wieder Georg....</p>
-
-<p>Nein, sie wollte nicht mehr an ihn denken. Lieber sich Vergessenheit
-trinken an all der Schönheit, die man vom Balkon ihres kleinen Zimmers
-im vierten Stock aus sah.</p>
-
-<p>Edith störte nicht.</p>
-
-<p>Die saß unten im Lesesaal und angelte nach Bekanntschaften.</p>
-
-<p>Und Monika blieb allein droben auf dem Balkon und schaute auf den
-Vierwaldstätter See. Der hatte am Tage die Farbe eines kostbaren
-Smaragds.</p>
-
-<p>Starre, zackige Felsen umkränzten ihn, und über dem allen wölbte sich
-kornblumenblau der Sommerhimmel, von dem sich die schwarzen Rauchsäulen
-der Dampfer abzeichneten, die über den See fuhren.</p>
-
-<p>Rechts lag der Hafen von Luzern. Die Menschenmengen, die sich dort
-drängten, sahen von hier aus wie Ameisenscharen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_385"></a>[S. 385]</span></p>
-
-<p>Sie saß und träumte.</p>
-
-<p>Sie ging nach den Mahlzeiten gleich immer wieder in ihr Zimmer hinauf.</p>
-
-<p>Edith war darüber tief enttäuscht.</p>
-
-<p>Sie hatte darauf gerechnet, sich überall mit Monika zusammen zu zeigen,
-und nun mußte sie allein herumlaufen.</p>
-
-<p>Die Bekanntschaften, die sie machte, genügten ihr durchaus nicht.</p>
-
-<p>Die wirklich eleganten Hotelgäste hatten kein Interesse für dieses
-weder auffallend schöne noch elegante Fräulein von Gräbert.</p>
-
-<p>Eines Tages wurde Monikas Einsamkeit durch einen überraschenden Besuch
-gestört.</p>
-
-<p>Ihre Cousine Marie von Hammerhof ließ sich melden.</p>
-
-<p>Marie hatte nie sehr freundliche Gefühle für Monika gehabt, und sie
-erschien mehr auf den Wunsch ihrer Tante Birken als aus eigener
-Initiative.</p>
-
-<p>Sie erzählte, daß sie mit ihrem Sohne zum Sommeraufenthalt in Gersau
-sei und bei der Durchreise in Berlin Monikas Mutter habe versprechen
-müssen, sie hier aufzusuchen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_386"></a>[S. 386]</span></p>
-
-<p>Uebrigens zeigte sich Marie freundlicher als sonst.</p>
-
-<p>„Mir hat das direkt imponiert, wie Du Deinem Manne so einfach auf und
-davon gelaufen bist,“ sagte sie. „Ganz recht hast Du gehabt! Die Männer
-taugen alle nichts!“</p>
-
-<p>„Daß er nichts taugt, ist unzutreffend,“ sagte Monika. „Im Gegenteil!
-Georg taugt sogar sehr viel. Aber ich habe eingesehen, daß er meine
-Persönlichkeit zerbrach, mich umformte &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Das versuchen sie ja alle,“ sagte Marie wegwerfend. „Die Männer fühlen
-sich nun mal alle gottähnlich und empfinden uns als ‚das schwache
-Werkzeug‘. Ich habe nicht einen... nein, Dutzende von Ehemännern
-sagen hören, daß ihre Frau nach der Heirat „sich doch unendlich
-herausgemacht“ habe, sowohl seelisch wie körperlich. Wie gesagt,
-versuchen tun sie die Umformung alle, nur sie haben nicht alle Glück
-damit! Mein Mann hat mich nicht geändert.“</p>
-
-<p>Die hagere Frauengestalt reckte sich hochauf, ein triumphierendes
-Lächeln huschte über ihre scharfen Züge.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_387"></a>[S. 387]</span></p>
-
-<p>„Ich bin geblieben, wie ich war, nichts habe ich ihm von meiner Seele
-gegeben, nichts von meinem eigentlichen Selbst.“</p>
-
-<p>„Und bist Du glücklich geworden?“</p>
-
-<p>„Nein, das Glücklichsein muß wohl eine Kunst sein. Ich habe sie nie
-rausgehabt!... Vielleicht kommt es daher, daß ich den falschen Weg
-gegangen bin. Mag Gott es der Mama verzeihen, daß sie mich damals
-bestimmte, diesen Mann zu heiraten, den ich nicht liebte, nicht haßte,
-&mdash; denn damals haßte ich ihn doch nicht &mdash; aber der mir fremd war, ganz
-fremd.“</p>
-
-<p>„Und hat dann nicht Eure junge Ehe eine Brücke geschlagen zwischen Euch
-beiden?“</p>
-
-<p>„Er blieb mir immer fremd... Und dann habe ich ihn hassen gelernt, wie
-man eben jemand haßt, an den man gegen seinen Willen sein Leben lang
-geschmiedet ist. Ein Leben lang &mdash; ein ganzes Leben &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>Sie war blaß geworden, so als ob sie die ungeheure Tragweite dieses
-Gedankens in dem Augenblicke jetzt erst restlos erfaßt hätte.</p>
-
-<p>„Du kannst ja weggehn,“ sagte Monika und fügte tonlos hinzu: „Weggehn,
-wie ich es tat“...</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_388"></a>[S. 388]</span></p>
-
-<p>„Nein, nicht wie Du, denn ich bin Mutter. Könnte ich leben ohne mein
-Kind?! Und der Junge bliebe meinem Mann, das ist gar keine Frage. Wenn
-ich Wilhelm verlasse, werde ich doch als der schuldige Teil erkannt.
-Glaubst Du, ich könnte ohne meinen Jungen leben? Er braucht mich doch!
-Und ich brauche ihn nötiger als die Luft zum Leben. Keinen Tag kann ich
-ohne ihn sein... Und immer, immer die Angst, die schreckliche Angst:
-bleibt er mir? Er ist sehr zart. Die Bronchien besonders. Jetzt war ich
-auch wieder in Ems mit ihm; Gersau ist uns zur Nachkur empfohlen.“</p>
-
-<p>„Ist er mit herübergekommen?“</p>
-
-<p>„Ja, er ist mit der Bonne im Garten. Ich habe ihn unten gelassen, weil
-ich mit Dir noch über manches sprechen muß. Weißt Du, Mone, mich geht’s
-ja eigentlich nichts an, aber wenn Du irgendeinen Einfluß auf Deine
-Mama hast, solltest Du sie veranlassen, daß sie Heinrich nicht jeden
-Unfug nachsieht.“</p>
-
-<p>„Was für Unfug?“</p>
-
-<p>„Na, seit er wieder bei Deiner Mutter wohnt, benimmt er sich genau so,
-als hätte er noch seine<span class="pagenum"><a id="Seite_389"></a>[S. 389]</span> Studentenbude. Seine Freundinnen und Freunde
-gehen bei ihm ein und aus, wie in einem Taubenschlag! Er veranstaltet
-Symposien mit violettem Seidenpapier um die Glühbirnen rum &mdash; „wegen
-des magischen Effekts“, sagt er! Bis vier Uhr morgens scheinen diese
-Gastmähler zu dauern. Als ich neulich bei Tante war und telephonieren
-wollte, sagte sie mir: das ginge nicht, denn in das Zimmer, wo
-das Telephon stände, könne ich nicht hinein, da säße gerade eine
-Schauspielerin, die auf Heinzemännchen warte, und offiziell dürfe sie
-als Mutter doch nichts davon wissen. Ich möchte doch bei dem Bäcker an
-der Ecke telephonieren, das sei ein sehr freundlicher Mann, der würde
-gewiß nichts dagegen haben.“</p>
-
-<p>„Echt!“</p>
-
-<p>„Ja, sage mal, ich finde, daß die Würde Deiner Mutter es erfordert, daß
-Heinrich wieder allein wohnt.“</p>
-
-<p>„Nein, das geht nicht,“ sagte Monika, „Mama kann nicht allein wohnen...
-Das weiß ich aus den Briefen, die sie mir bald nach Karls Tode schrieb.
-Verzweifelt war sie, vollkommen wie verirrt. Was nun mit ihr werden
-solle? Ihre Kinder brauchten sie nicht, schienen sie alle nicht zu
-brauchen.<span class="pagenum"><a id="Seite_390"></a>[S. 390]</span> Und das stimmte: wir brauchten sie alle nicht. Alfred in
-der fernen Garnison, Heinrich in seinem Studentenquartier, ich in die
-Welt verflogen &mdash; und Karl in seinem Grabe. &mdash; &mdash; Und sie schrieb,
-sie müsse jemand haben, für den sie sorgen könne. So allein könne sie
-nicht leben. Sie müsse einen von uns haben, um ihn zu betreuen, für den
-sie sich mühen könne... Da habe ich an Heinrich geschrieben und habe
-Gott gedankt, als er ja sagte und wieder zu Mama zog. Daß er sich so
-benimmt, ist ja nicht schön, aber es ist besser, als daß Mama allein
-bleibt! Denn dann kommt sie sich vor wie Spreu, ein Halm, dem man die
-Fruchtkörner wegnahm und der nun wertlos ist... Also Heinzemännchen
-soll ruhig weiter lila Symposien geben. Ich bin froh, daß die Mama ihn
-hat.“</p>
-
-<p>„Na, wie Du denkst. Ich empfand es jedenfalls als Pflicht, mit Dir
-darüber zu sprechen,“ sagte Marie spitz.</p>
-
-<p>Schweigen.</p>
-
-<p>Dann sagte nach einer Weile Marie:</p>
-
-<p>„Uebrigens, im Falle man fragen darf, was wird denn nun eigentlich aus
-Dir?“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_391"></a>[S. 391]</span></p>
-
-<p>„Das muß die Zukunft lehren.“</p>
-
-<p>„Nicht die Vergangenheit?“</p>
-
-<p>„Wie meinst Du das?“</p>
-
-<p>„Na, Mone, nimm’s mir nicht übel, aber ein rasend koketter Racker
-warst Du immer! Wenn ich noch daran denke, wie Du Roßberg den Kopf
-verdrehtest. Und dabei hat Roßberg Trudchen wirklich glühend geliebt.
-Es geht ihnen übrigens gut, sie haben jetzt das fünfte Kind bekommen...
-Na, also, kokett warst Du damals schon als halbwüchsige Göre. Ich meine
-immer: hat Dein Entschluß nicht doch noch eine andere Ursache als die,
-die Du erzählst? Ist da nicht irgendeine neue Passion von Dir im Spiel?“</p>
-
-<p>„Pfui! &mdash; ich habe Dir die reine Wahrheit gesagt. Wie mißtrauisch Du
-bist!“</p>
-
-<p>„Noch immer nicht mißtrauisch genug! Die paar Male, wo ich in meinem
-Leben vertraute, bin ich auch noch betrogen und belogen worden.
-Besonders von meinem Manne, immer von ihm &mdash; ach, Du weißt ja nicht,
-wie viele hunderte von Malen ich mir gesagt habe: Fort von ihm, fort
-aus der Ehe überhaupt. Die ist wie ein Kampf bis aufs letzte!<span class="pagenum"><a id="Seite_392"></a>[S. 392]</span> Die
-Ehen, die ich gesehen habe und die einen harmonischen Eindruck machten,
-waren immer so, daß der eine Teil der willenlose Sklave des anderen
-war. Dann ging’s! O, dann ja! &mdash; Oft trägt die Frau das Joch, oft auch
-der Mann!... Und diese sogenannte glückliche Ehe habe ich mir nicht
-schaffen können. Zur Sklavin war ich nicht feige, nicht charakterlos
-genug, zur Herrin hatte ich kein Talent.“</p>
-
-<p>„Und ich?“ schoß es Monika durch den Kopf, „was war ich in meiner
-glücklichen Ehe? Herrin? &mdash; Nein. Georg war nie ein Weiberknecht. Also
-Sklavin? Nur das?“</p>
-
-<p>Und Marie sprach weiter. Sie, die sonst so Kühle und Wortkarge, war
-heute von ungewohnter Mitteilsamkeit.</p>
-
-<p>Es war, als hätten Monikas veränderte Lebensumstände die Schranke
-niedergerissen, die immer zwischen den Cousinen bestanden.</p>
-
-<p>Es war, als ob Marie, nun sie zum erstenmal ihr starres Schweigen
-brach, den Trost empfände, der für die meisten Frauen im Sichmitteilen
-liegt.</p>
-
-<p>Immer weiter ging ihre Rede....</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_393"></a>[S. 393]</span></p>
-
-<p>Alles, was Wilhelm ihr angetan in diesen langen Jahren, alles, was
-sie bisher stumm und allein getragen, strömte sie aus, daß Monika
-zurückbebte vor dieser trüben Flut.</p>
-
-<p>„Ich hasse ihn! Du weißt nicht, wie sehr ich ihn hasse! Kaum ein Tag
-vergeht, kaum eine Nacht, wo ich mir nicht sage: nur fort!... Nicht
-eine Sekunde länger bleibe ich &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>Sie brach kurz ab, denn es wurde an die Tür geklopft.</p>
-
-<p>Und diese öffnete sich.</p>
-
-<p>Ein zarter, blonder Junge in einem gestickten Russenkittelchen lief auf
-die Mutter zu, während das Kinderfräulein verlegen an der Tür stehen
-blieb.</p>
-
-<p>„Mama, ich hab’ nicht länger warten wollen, Mama..“</p>
-
-<p>Da beugte sich die früh verblühte Frau tief über das Kind, und qualvoll
-innig kam es von ihren Lippen:</p>
-
-<p>„Mein einziges Glück...“</p>
-
-<div class="figcenter illowe5" id="gedankensprung10">
- <img class="w100" src="images/gedankensprung.jpg" alt="Gedankensprung" />
-</div>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_394"></a>[S. 394]</span></p>
-
-<p>Nach diesem Besuche vergrub sich Monika wieder in ihre Einsamkeit. Die
-Tage strichen gleichförmig dahin.</p>
-
-<p>Einmal riß ein Brief ihrer Mutter sie aus der Ruhe.</p>
-
-<p>Die Baronin schrieb ganz verzweifelt. Es täte ihr schrecklich leid,
-Monika so furchtbare Sachen mitteilen zu müssen, aber sie habe
-niemanden, dem sie ihr Herz ausschütten könne.</p>
-
-<p>Heinzemännchen wolle von der ganzen Angelegenheit nicht mehr sprechen
-hören.</p>
-
-<p>Er sei zu böse auf Alfred... Um Alfred handle es sich nämlich. Er habe,
-trotzdem er einmal schon an einer ähnlichen Geschichte haarscharf
-vorübergekommen, seinen Burschen mit dem Reitpeitschengriff so über den
-Kopf geschlagen, daß dieser eine erhebliche Verletzung davongetragen
-habe.</p>
-
-<p>Woher Alfred diese entsetzliche Brutalität habe, sei ihr rätselhaft.
-Der selige Papa sei doch sehr gutmütig gewesen, und sie selber, &mdash; nun,
-Monika wisse ja allein, was für ein Gemüt die Mutter habe.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_395"></a>[S. 395]</span></p>
-
-<p>Alexander Wetterhelm wolle, der angeheirateten Verwandtschaft zuliebe,
-nochmal versuchen, die Sache mit Alfred irgendwie zu vertuschen, obwohl
-es ihm selber an den Kragen ginge, wenn es herauskäme.</p>
-
-<p>Aber weg vom Regiment müsse Alfred so schnell wie möglich &mdash; das sei
-Bedingung!</p>
-
-<p>Er wolle nun zur Schutztruppe, und obwohl es ihr schrecklich sei, eines
-ihrer Kinder so weit weg zu lassen, müsse sie doch sagen, es sei wohl
-das beste!</p>
-
-<p>Hier in Deutschland würde Alfred der Familie bloß Schande machen, &mdash;
-das sei keine Frage.</p>
-
-<p>Monika schrieb sofort und bat ihre Mutter in dringendsten Worten,
-Alfred das Afrika-Projekt auszureden.</p>
-
-<p>Wenn’s nicht anders ginge, solle er Sektreisender werden oder
-Versicherungsagent. Nur nicht in die Tropen, wo schon manch gesunder
-Mensch sein seelisches Gleichgewicht verlor und Alfreds spezielle
-Anlagen zu einer Katastrophe führen mußten.</p>
-
-<p>Der Mutter Antwort lautete: Monika sehe gewiß zu pessimistisch!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_396"></a>[S. 396]</span></p>
-
-<p>Wenn die Leute nichts taugten, schicke man sie doch immer nach Afrika
-oder nach Amerika.</p>
-
-<p>Da würden sie zu brauchbaren Menschen gemacht!</p>
-
-<p>Das sei immer so, und sie hoffe, so würde es auch Alfred ergehn. &mdash;</p>
-
-<p>Ein eisiges Gefühl des Schreckens überrieselte Monika.</p>
-
-<p>Sie sah ein böses Ende voraus. Alfred mit seinem ausgesprochenen
-Hang zur Herrschsucht und zur Brutalität in jenem Lande, in dem dem
-Einzelnen so sehr viel Macht gegeben war, wo nicht wie hier seinen
-Instinkten Zaum und Zügel angelegt waren. Wo er eine Macht bedeutete
-und unter Umständen Herr war über Menschenleben.</p>
-
-<p>Ein böses Ende...</p>
-
-<p>Und sie konnte nichts tun; mußte tatenlos zusehen, wie er seinem
-Verderben entgegenging.</p>
-
-<p>Sie hatte Alfred nie ganz durchschaut. Die verschiedensten
-Charaktereigenschaften lagen bei ihm nebeneinander.</p>
-
-<p>Er konnte banal sein bis zum Stumpfsinn und geistreich wie selten
-einer. Er war sehr mißgünstig, sehr händelsüchtig; trotzdem bei vielen<span class="pagenum"><a id="Seite_397"></a>[S. 397]</span>
-beliebt wegen der unvergleichlich witzigen Art, die er oft hatte.</p>
-
-<p>Er malte talentvoll, hatte einen auffallend schönen Bariton &mdash; aber
-alle seine Gaben nutzte er nicht aus, von einem sonderbaren Mißtrauen
-gegen sich selbst erfüllt.</p>
-
-<p>Stückwerk war er, wie die Birkenschen Kinder alle, wie sie selber auch!</p>
-
-<p>Und Georg tauchte vor ihren Augen auf; der ging nie einen Schritt vom
-Wege, der ging den schnurgeraden Pfad der Korrektheit, der Sitte, der
-Pflicht!</p>
-
-<p>Ein trotziges Aufbäumen faßte sie: nein! Die Birkenschen Kinder gingen
-keinen vorgezeichneten Pfad. Die gingen durch Gestrüpp und auf Irrwege,
-die nahmen sich, was sie begehrten, und wenn es um den Hals ging. Und
-wenn man zugrunde ging!</p>
-
-<p>Erschreckend deutlich sah sie vor sich das wunderschöne und ein wenig
-traurige Jünglingsantlitz des toten Bruders.</p>
-
-<p>Und sie sah Alfreds Zukunft unter Afrikas sengender Sonne, die sein
-wildes Gehirn immer mehr aufreizte, immer mehr... Und sie sah Heinrich,
-dessen Energie immer schlaffer wurde in der regen<span class="pagenum"><a id="Seite_398"></a>[S. 398]</span>bogenfarbenen
-Dämmerung der Mystik und der Dichtkunst.</p>
-
-<p>Und sie sah sich selbst, losgelöst von Haus und Herd, voll von
-strotzender Jugendkraft, voll von heißen Phantasien.</p>
-
-<p>Wie ein böses und trauriges Lied, wie eine unendlich schmerzvolle
-Melodie klang es ihr im Ohr: „zugrunde gehn?“</p>
-
-<div class="figcenter illowe10" id="kapitelende13">
- <img class="w100" src="images/kapitelende.jpg" alt="Ende des Kapitels" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_399"></a>[S. 399]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Kapitel_14">14.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="dc" id="p399initial">
- <img class="illowe6" src="images/p399initial.jpg" alt="„W" />
-</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">W</span>enn Sie Ihre Freiheit dazu erobert haben, um Tage über auf dem Balkon
-zu sitzen und nachts den Schlaf des Gerechten zu schlafen, dann.. dann
-brauchten Sie eigentlich diese Freiheit verflucht wenig!“ sagte Edith
-eines Tages.</p>
-
-<p>Das traf Monika. Edith hatte recht. Was tat sie mit der heißbegehrten
-Freiheit? Und mit plötzlichem Entschluß sagte sie:</p>
-
-<p>„Ja, Sie haben recht, Edith. Es ist lächerlich, daß ich mich so
-abschließe.“</p>
-
-<p>Nicht mehr wie bisher ging sie gleich nach den Mahlzeiten nach oben,
-sondern blieb mit Edith in der Halle. In dem großen, prunkvollen
-Raume mit seinen riesigen Spiegeln, den hohen Marmorvasen, in dem
-exotische Pflanzen blühten, war besonders zur Zeit des Fünf-Uhr-Tees
-ein buntscheckiges Publikum versammelt. Hier wiegte sich<span class="pagenum"><a id="Seite_400"></a>[S. 400]</span> auf dem
-Rocking-Chair eine goldblonde junge Amerikanerin, den Strohhalm
-ihres Ice-Drink zwischen den purpurn geschminkten Lippen; ihre
-weitvorgestreckten Füße ließen ihre violetten Seidenstrümpfe und
-breithackige Lackschuhe sehen, auf deren Spangen Brillant-Agraffen
-blitzten. Und über diese Agraffen beunruhigte sich eine deutsche
-Bürgerfamilie, die, angelockt durch das Plakat: „Täglich von 5 bis 7
-Zigeuner-Musik“, sich hierherbegeben. Der Familienvater suchte sich
-immer von neuem dadurch Contenance zu geben, daß er sein Pincenez
-zurechtschob. Das alles hier herum war ihm sehr ungemütlich. Diese
-babylonische Pracht in der Runde sowohl wie die Blicke, mit denen seine
-gestrenge Gattin kontrollierte, ob er den extravaganten Damen hier
-Aufmerksamkeit schenke.</p>
-
-<p>An einem der nächsten Tische saß ein altes, englisches Ehepaar,
-das so häßlich war, daß man nicht verstehen konnte, wie es zu der
-wunderschönen Tochter kam, die es spazieren führte.</p>
-
-<p>Ein paar Südamerikaner mit stechenden schwarzen Augen in olivbraunen
-Gesichtern, Mister Raspkeeper, der Petroleumkönig, dessen mageres
-Gesicht über dem entfleischten Halse etwas Geierhaftes<span class="pagenum"><a id="Seite_401"></a>[S. 401]</span> hatte, die
-schöne Niniche, eine weltbekannte Tänzerin, die von echten und
-falschen Reizen strotzte, Herr von Aro, ein angekränkelter deutscher
-Rittmeister, Graf Lork, ein eleganter Russe, von dessen Reichtum man
-Fabelhaftes erzählte, und das alles trank Tee und Cocktails, aß Petits
-Fours und Sandwiches. Durch die riesigen Spiegelscheiben glänzte das
-tiefe und kostbare Grün des Sees, grüßte des Bürgenstocks wildzackiger
-Umriß.</p>
-
-<p>Und die Zigeuner in ihren roten Jacken spielten auf stöhnenden Geigen
-von der Liebe...</p>
-
-<p><span class="antiqua">Quand l’amour se meurt</span>...</p>
-
-<p>Da schlug Monikas Herz so qualvoll... Ihre Liebe zu Georg war ja tot.</p>
-
-<p>Sie nahm sich zusammen, hörte nicht mehr auf den schmachtenden,
-traurigen Walzer, der davon erzählte, wie die Liebe stirbt..</p>
-
-<p>Ins Leben hinein, &mdash; ins Leben! &mdash;</p>
-
-<p>Sobald Monika aus ihrer Reserve herausgetreten, hatte sie bald
-Freundschaften und Bekanntschaften die Menge. Natürlich waren es
-besonders Herren, die es sich angelegen sein ließen, ihr Gesellschaft
-zu leisten.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_402"></a>[S. 402]</span></p>
-
-<p>Des Morgens beim Rudern, nachmittags beim Tennis und beim Tee, abends
-nach dem Diner, wo ein großer Teil der Hotelgäste wieder in der Halle
-versammelt war, um neuen musikalischen Darbietungen zu lauschen &mdash;
-immer war sie von einer Anzahl Verehrer umgeben.</p>
-
-<p>Uebrigens benahm sie sich ihnen gegenüber durchaus reserviert.
-Sie hatte nichts mehr von der herausfordernden Koketterie ihrer
-Mädchenjahre. Die Zurückhaltung war ihr mehr in Fleisch und Blut
-übergegangen, als sie selbst es geahnt. Wetterhelmsche Schule!</p>
-
-<p>Edith dagegen war entgegenkommender. Sehr erfreut darüber, daß sie nun
-durch Monika Anschluß an elegante Kreise gefunden, zeigte sie sich von
-einer Lebhaftigkeit, die ihre äußere Erscheinung nicht erwarten ließ.</p>
-
-<p>Man unternahm jetzt immer sehr viel an diesen endlos langen
-Sommertagen, die ganz in Sonnengold getaucht waren. Morgens fuhr
-man meistens mit dem Motorboot des Grafen Lork. Mit spielerischer
-Sicherheit glitt das Boot über die grüne Wasserfläche, vorbei an
-starren Felswänden, die senkrecht ins Wasser abfielen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_403"></a>[S. 403]</span></p>
-
-<p>Der See hatte tiefe Einschnitte in die Felsmasse gewühlt, und
-triumphierend spielten seine Wellchen in den Buchten.</p>
-
-<p>Man machte in irgendeinem von den Orten am See Station, um dort zu
-frühstücken, im Schloß Hartenstein, in Gersau oder Vitznau. Man saß da
-auf einer glasgedeckten Veranda oder auch im Garten.</p>
-
-<p>Der Sommer goß einen heißen Strom von Leben über die Welt, über Büsche
-und Sträucher, über Blumen und Früchte.</p>
-
-<p>Die Zahl der Teilnehmer an diesen Fahrten war eine verschiedene, aber
-fünf waren immer dabei: Monika und Edith, Graf Harry Lork, der Besitzer
-des Motorboots, der Leutnant von Berningen und der Gutsbesitzer von
-Milorski, ein Pole, der diese Fahrten zu den Lichtpunkten seines Lebens
-zählte.</p>
-
-<p>Das konnte übrigens niemand wundernehmen, denn der hübsche
-dreißigjährige Milorski besaß eine Gattin, die an Häßlichkeit und
-Unliebenswürdigkeit das erlaubte Maß überschritt.</p>
-
-<p>Und als ob das nicht genug des Unglücks gewesen wäre, hatte der Himmel
-ihm dazu noch eine mit<span class="pagenum"><a id="Seite_404"></a>[S. 404]</span>reisende Schwiegermutter verliehen, die ihn
-schaudernd ahnen ließ, wie seine Gattin in zwanzig Jahren sein würde.</p>
-
-<p>Wenn jemand die Bekanntschaft von Frau von Milorski machte, so fühlte
-der Gatte sich verpflichtet, die neue Bekanntschaft so bald wie möglich
-beiseite zu nehmen und ihr zuzuflüstern:</p>
-
-<p>„Wissen Sie, ich habe meine Frau nämlich wegen ihres Geistes
-geheiratet!“</p>
-
-<p>Uebrigens besaß Frau von Milorski in der Tat Intelligenz und bildete in
-dieser Eigenschaft einen starken Gegensatz zu ihrem Gatten.</p>
-
-<p>Ein leichtes Leben hatte er übrigens nicht, denn seine Frau war
-eifersüchtig, bewachte, unterstützt von ihrer Mutter, jeden seiner
-Schritte, und nur die frühen Morgenstunden brachten ihm Befreiung,
-lösten ihn von jeder Fessel. Seine Damen waren ausgesprochene
-Langschläferinnen, schliefen bis in den hellen Mittag hinein, „weil das
-für den Teint gut“ sei.</p>
-
-<p>Und diese Morgenstunden in der letzten Zeit waren dazu angetan,
-Milorski den traurigen Rest des Tages vergessen zu lassen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_405"></a>[S. 405]</span></p>
-
-<p>Wie bildschön und reizend elegant sah Monika aus! Wie amüsant und
-witzig wußte Edith zu scherzen!</p>
-
-<p>Und dieser brave, liebe Kerl, der Berningen von den Kronprinz-Ulanen &mdash;
-und dieser famose Graf Lork. Und überhaupt alles so nett und friedlich!</p>
-
-<p>Herr von Milorski fühlte sich wie im Himmel, seine etwas
-hervorstehenden Augen in seinem frischen Gesicht mit der slawischen
-Stumpfnase blickten wie verklärt.</p>
-
-<p>Auch Graf Lork war immer in bester Stimmung. Nicht gerade, daß er eine
-übersprudelnde Laune zur Schau getragen, das war nicht seine Art. Er
-war immer sehr still.</p>
-
-<p>Es gab Leute, die ihn für dumm, andere, die ihn für einen großen
-Geist hielten. Er war nicht leicht zu durchschauen, verbarg etwaige
-Gefühle und Gedanken hinter einem Lächeln, das einen Anflug von
-Zynismus hatte. Aeußerlich war er eine Erscheinung von ungewöhnlicher
-Eleganz: sehr groß und sehr schlank. Das Gesicht zeigte etwas seltsam
-Widerspruchsvolles: die Augen hatten einen verträumten Ausdruck und der
-Mund einen Zug von Brutalität.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_406"></a>[S. 406]</span></p>
-
-<p>Er sprach wenig, und was er sagte, war fast immer freundlich und banal.
-Mitunter aber überraschte er durch eine Bemerkung von beißender Schärfe.</p>
-
-<p>Edith bemühte sich, in seiner Gegenwart immer ganz besonders geistreich
-und liebenswürdig zu sein, und sie hatte die Genugtuung, daß er über
-ihre scharfen Scherze herzlich lachte.</p>
-
-<p>„Wie finden Sie eigentlich den Grafen Lork?“ wurde Monika eines Abends
-von Edith gefragt.</p>
-
-<p>Sonst pflegte Edith, wenn man des Abends nach oben kam, gleich in ihr
-Zimmer zu gehen. Es herrschte durchaus kein besonders herzliches oder
-vertrautes Verhältnis zwischen den beiden. Aber heute blieb Edith in
-Monikas Zimmer, und diese verabschiedete sie nicht.</p>
-
-<p>Es war besser so, als allein bleiben in der blauen Sommernacht.</p>
-
-<p>„Wie ich Lork finde? Ganz nett,“ sagte sie gleichgültig. Dann fügte sie
-hinzu: „Entschieden sehr liebenswürdig zu uns.“</p>
-
-<p>„Ich finde ihn entzückend,“ sagte Edith mit schwerer Stimme.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_407"></a>[S. 407]</span></p>
-
-<p>„Wirklich?“</p>
-
-<p>„Er ist der überlegenste Mensch, den ich jemals sah.“</p>
-
-<p>„Das ist mir nie aufgefallen.“</p>
-
-<p>„Er ist so sicher! Vielleicht ist es sein Reichtum, der ihn so sicher
-macht. Er ist ja unsinnig reich.“</p>
-
-<p>„Das ist wahrscheinlich Hotelklatsch, Edith; die Lorks haben sonst
-nicht viel.“</p>
-
-<p>„Ja, aber seine verstorbene Mutter war doch eine geborene Arankow, die
-die Kupferminen im Ural haben und die Ziegeleien in Tiflis.“</p>
-
-<p>„Wie genau Sie orientiert sind.“</p>
-
-<p>„Mich interessiert Reichtum so sehr. Er ist die mächtigste Macht, die
-schönste Schönheit der Welt.“</p>
-
-<p>„Unsinn.“</p>
-
-<p>„Nein, Monika, kein Unsinn! Geld haben, das ist die Quintessenz von
-allem. Der Schlüssel, der alle Türen öffnet, das einzig sichere
-Piedestal in Sand und Sumpf. Ach, reich sein! Und genießen, wie alle
-sich davor beugen!“</p>
-
-<p>„Es beugen sich nicht alle vor dem Reichtum.“</p>
-
-<p>„O, es kommt auf die Höhe der Summe an.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_408"></a>[S. 408]</span></p>
-
-<p>„Sonderbare Ansichten.“</p>
-
-<p>„Ach, Monika, Sie können das nicht so empfinden. Ich weiß genug von
-Ihnen, um zu wissen: wirklich arm sind Sie nie gewesen: Aber <em class="gesperrt">ich</em>
-weiß, was es heißt: des Lebens Not! Vater als pensionierter Hauptmann
-mit fünf Kindern... Na, reden wir nicht davon. Glauben Sie mir, es gibt
-nichts Schlimmeres, als die täglichen nagenden, kleinen Sorgen. Die
-haben mir meine Kinderzeit vergiftet &mdash; und meine Jugendzeit.“</p>
-
-<p>Es war jetzt ganz dunkel geworden in dem kleinen Zimmer. Der See lag
-da wie in schwarzen Sammet gehüllt. Und durch das Dunkel sprach die
-Mädchenstimme:</p>
-
-<p>„Die Armut hat meine Kinderjahre vergiftet und meine Jugendzeit. Als
-Kind habe ich Kindermädchen bei meinen Geschwistern spielen müssen,
-und später, als ich kaum erwachsen war, habe ich fremder Leute Kinder
-unterrichten müssen. In einer Zeit, in der sonst die jungen Mädchen
-an Glück denken, hab’ ich an Brotverdienen gedacht. Ich lebte so hin,
-stumpf &mdash; ohne Schmerz &mdash; &mdash; und ohne Freude auch. Auch ohne die
-Hoffnung auf ein Besserwerden. Da kam einer &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_409"></a>[S. 409]</span></p>
-
-<p>„Und er liebte Sie?“</p>
-
-<p>„O nein, Monika, er liebte mich nicht. Nur ich ihn &mdash; &mdash;“ Sie brach
-kurz ab.</p>
-
-<p>Ein paar schwere zitternde Atemzüge.</p>
-
-<p>Und dann, nach einer Weile fuhr die harte Stimme fort:</p>
-
-<p>„Nein, er liebte mich nie. Er war immer ganz unpersönlich zu
-mir. Er betrachtete mich wie eine mathematische Formel, die er
-auflösen müsse. Er analysierte mich, meine körperlichen und meine
-seelischen Eigenschaften, und eines schönen Tages sagte er mir:
-„Wissen Sie, Edith, Sie sind eigentlich viel zu schade, um hier als
-Töchterschullehrerin zu versauern. Sie haben das Zeug dazu, im Leben
-etwas zu erreichen. Gehen Sie hinaus ins Leben.“ &mdash; &mdash;</p>
-
-<p>Und ich ging! Uebrigens erst, nachdem ich eingesehen hatte, daß er
-weiter absolut nichts für mich übrig hatte als diesen guten Rat.“</p>
-
-<p>„Nach Zürich gingen Sie?“</p>
-
-<p>„Ja &mdash; und nachdem man mich, als Mädchen aus guter Familie,
-jahrzehntelang mit Redensarten über die menschliche Würde gefüttert,
-mit beson<span class="pagenum"><a id="Seite_410"></a>[S. 410]</span>derer Berücksichtigung der weiblichen Würde, des Wertes
-einer streng sittlichen Lebensauffassung und so weiter... griff
-ich zum Studium der Medizin. Die klärt uns am besten auf über die
-Gottähnlichkeit der Menschen.“</p>
-
-<p>Ein häßliches Lachen kam aus ihrem Munde.</p>
-
-<p>„Und sind Sie seit dieser Aufklärung glücklicher?“</p>
-
-<p>„Nein, durchaus nicht. Mein Glück würde auf ganz anderem Gebiete
-liegen.“</p>
-
-<p>„Auf dem der Liebe?“</p>
-
-<p>„Kaum. Reich möchte ich sein, mir alles Schöne kaufen &mdash; so viel
-Schönes, erdrückend viel, um nicht mehr an all das Häßliche zu denken,
-das ich in meinem Leben gesehen habe. Um mir die Seele frei zu machen
-von all dem nüchternen Alltag, der zeitlebens auf ihr gelastet!... Und
-genießen, ach, Macht genießen... wie das sein muß für jemand, der sein
-ganzes Leben lang immer kuschen mußte: Macht genießen!“</p>
-
-<p>Ein heißes Beben kam in die harte Stimme.</p>
-
-<p>„Und zu denken, Monika, daß ich all das erreichen könnte. Daß mich
-dieser Lork nur zur Frau zu begehren braucht und &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_411"></a>[S. 411]</span></p>
-
-<p>„Ah so.“</p>
-
-<p>„Monika, das bringen doch so viele andere fertig: eine gute Partie zu
-machen! Mädchen, die häßlicher sind als ich, dümmer, ungebildeter,
-schlechter ... Herrgott, es gibt doch Tingeltangelmädchen, die
-Erzherzöge heiraten! Mädchen, die eine kolossale gesellschaftliche
-Kluft überspringen... Das gibt es doch nicht bloß in Märchen: daß
-Bettlerinnen später von goldenen Tellern aßen! Und hier ist nicht
-einmal ein sozialer Unterschied vorhanden. Wir Gräberts sind Uradel,
-gegen meinen Ruf ist nichts einzuwenden. Daß ich nicht dumm bin, weiß
-ich, und äußerlich &mdash; ich bin doch nicht reizlos? Nicht? Sagen Sie mir
-offen Ihre Meinung, Monika, ich bin doch nicht reizlos?“</p>
-
-<p>Es war ein heißes Flehen in diesen Worten. Das Dunkel verbarg die
-Schamröte, die in Ediths Wangen emporstieg bei diesem Betteln um ein
-anerkennendes Wort.</p>
-
-<p>„Sie haben sicher eine Menge Vorzüge.“</p>
-
-<p>„Monika, zu denken, daß es nur eines Wortes von Lork bedarf... und aus
-dem elenden Grau meiner Existenz wird ein Märchentraum.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_412"></a>[S. 412]</span></p>
-
-<p>„Wenn Sie einen anderen lieben...“</p>
-
-<p>„Ich liebe den nicht mehr. Ich habe eine gute Dosis Verstand, wissen
-Sie, und eine recht reichlich bemessene preußische Nüchternheit. Eine
-einseitige Liebe ist auf die Dauer nichts für mich! Es gibt ein altes
-Sprichwort: „Einer freut sich nie allein, es müssen immer zweie sein.“
-Das klingt dumm, aber wahr ist es doch. Meine erste Liebe macht mir
-wirklich keine Kopfschmerzen mehr.“</p>
-
-<p>„Und Sie lieben jetzt den Grafen Lork?“</p>
-
-<p>„Lieben ist vielleicht ein etwas starker Ausdruck. Er gefällt mir
-unendlich! Und wenn er mich heiratete, würde ich bemüht sein, ihm eine
-gute Frau zu werden... Ach, Monika, helfen Sie mir!“</p>
-
-<p>„Wie kann ich das?“</p>
-
-<p>„Helfen Sie mir! Beeinflussen Sie ihn! Männer sind doch so leicht
-zu beeinflussen. Reden Sie ihm doch von mir, machen Sie mich ihm
-interessant, bitte...“</p>
-
-<p>Zwei fieberheiße Hände griffen nach Monikas Händen und preßten sie in
-krampfhaftem Druck.</p>
-
-<p>„Helfen Sie mir! Versuchen Sie, mir zu helfen!“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_413"></a>[S. 413]</span></p>
-
-<p>Eine fanatische Inbrunst glühte aus diesen Worten. Die zitternde
-Hoffnung eines Menschen, der sich seinem Glücke &mdash; vielleicht &mdash; nahe
-sieht.</p>
-
-<p>Und in heißem Mitgefühl sagte Monika: „Was in meiner Macht steht, Ihnen
-zu helfen, will ich gern tun.“</p>
-
-<p>Dann knipste sie das elektrische Licht an und sah in der plötzlichen
-Helligkeit ein anderes Gesicht als das, das Edith immer zur Schau trug.
-Das liebenswürdige Lächeln war fort. Und die Herbheit auch.</p>
-
-<p>Ein aufgewühltes, leidenschaftliches Antlitz starrte ihr entgegen,
-heiße Augen und verlangende Lippen. Die Pupillen der hellgrauen
-Augen waren fieberhaft erweitert, in der Gier nach Geld und Glück...
-Blitzschnell senkten sich über diese Augen die blondbewimperten,
-breiten Lider, deren Haut schon ein wenig zerknittert war. Und die
-Lider blieben gesenkt, als wollten sie die Glut nicht sehen lassen, die
-in den hellen, kalten Augen so heiß emporgelodert war....</p>
-
-<div class="figcenter illowe5" id="gedankensprung11">
- <img class="w100" src="images/gedankensprung.jpg" alt="Gedankensprung" />
-</div>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_414"></a>[S. 414]</span></p>
-
-<p>Schon an einem der nächsten Abende hatte Monika Gelegenheit, sich mit
-der ihr anvertrauten Mission zu beschäftigen. Das Hotel gab seinen
-Gästen einen Ball. Auf schön lithographierten Einladungskarten empfing
-jeder ein auf den Namen ausgestelltes Billet.</p>
-
-<p>In den drei riesigen Sälen entfaltete sich ein kaleidoskopartiges
-buntes Bild.</p>
-
-<p>Monika hatte zuerst gezögert, ob sie an dieser Tanzfestlichkeit
-teilnehmen solle. Sie war in keiner frohen Laune. Aber Edith war es
-nicht schwer geworden, sie dann doch zur Teilnahme zu bewegen; sie sah
-ja vollkommen ein, daß es lächerlich war und unmotiviert, an keiner
-Festfreude teilnehmen zu wollen.</p>
-
-<p>Ja, sie würde hingehen &mdash; natürlich &mdash; und sich sehr gut amüsieren,
-und außerdem bei Lork für Edith „Reklame machen“, wie diese selbst mit
-bitterer Selbstironie sagte.</p>
-
-<p>Als die beiden herunterkamen, war schon eine Menge von Gästen
-versammelt. Eine Anzahl sehr gut angezogener Amerikanerinnen wiegte
-sich mit ihren glattrasierten Landsleuten im Twostep. Eine<span class="pagenum"><a id="Seite_415"></a>[S. 415]</span> Pariser
-Schauspielerin, mit einer gesucht kindlichen Frisur, erregte Aufsehen
-durch ihre montmartrehafte Art des Tanzens.</p>
-
-<p>Der Rittmeister von Aro vergaß sein Lungenleiden und schwenkte die
-Damen unermüdlich und begeistert.</p>
-
-<p>Herr von Milorski litt Tantalusqualen: er saß auf einem Stuhle,
-umzingelt von Frau und Schwiegermutter, die letztere in blauem
-Samt, die erstere in roter Seide. Die kleine, sehr dicke Frau von
-Milorski, die gut sechs Jahre älter war als ihr Mann, hatte in ihrem
-Gesichtsausdruck durchaus nichts von der Gutmütigkeit, nach der dicke
-Leute so häufig aussehen. Ihre winzigen Augen blinzelten bösartig in
-die tanzende Schar vor ihr, mit entschiedener Mißbilligung blickte sie
-auf die eleganten Erscheinungen, denen ihr Gatte sehnsuchtsvoll und
-träumerisch nachstarrte.</p>
-
-<p>Herr von Berningen, der Kronprinz-Ulan, widmete sich zwei holländischen
-Damen, die Mutter und Tochter waren. Wie einst ein deutscher
-Dichter, wußte er nicht genau, welche von beiden er zur Dame seines
-Herzens erwählen solle. Gegen die Heinesche Epoche war das Bild aber
-entschieden<span class="pagenum"><a id="Seite_416"></a>[S. 416]</span> verändert: den erfahreneren Eindruck von beiden machte die
-Tochter. Ihre Art, sich zu bewegen und zu benehmen, zeigte entschieden
-eine größere Sicherheit.</p>
-
-<p>Wenn sie mit ihrem energischen Schritt, in ihrem saphirblauen,
-goldgestickten Kleide, einen Blaufuchs über der linken Schulter, quer
-durch den Saal schritt und einen Tisch in Beschlag nahm, so machte sie
-entschieden den Eindruck, die Chaperonne ihrer Mutter zu sein, die ihr
-bescheiden folgte, und deren Schönheit das Gepräge stiller Lieblichkeit
-trug.</p>
-
-<p>Wie gesagt, &mdash; Berningen schwankte.</p>
-
-<p>Die Mutter hatte so schöne kastanienbraune Haare.</p>
-
-<p>Aber die Tochter war so pikant goldblond entfärbt. Die Tochter sprach
-Argot, rauchte Zigaretten, trank Cocktails, nahm Stellungen ein, die
-von bewußter Koketterie sprachen. Das alles gefiel aber Berningen
-weniger als die vornehm-liebenswürdige Art der Mutter.</p>
-
-<p>Jedoch die Tochter war achtzehn und die Mutter siebenunddreißig. Und
-doch war die Mutter schöner....</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_417"></a>[S. 417]</span></p>
-
-<p>Verzweifelt beschloß Berningen, sich nicht länger den Kopf zu
-zerbrechen, sondern beiden die Cour zu machen.</p>
-
-<p>Graf Lork stand gelangweilt an einer Säule; sein Gesicht hellte sich
-auf, als Monika und Edith eintraten.</p>
-
-<p>Edith sah entschieden in Balltoilette unvergleichlich besser aus
-als sonst, wenn auch ihr Kleid weder kostbar noch modern war. Die
-pfauenblaue Seide hob ihre durchsichtig helle Haut, ließ das Blond
-ihrer Haare wärmer erscheinen als sonst. Die gespannte Erwartung, in
-der sie sich befand, gab ihrem Gesichte ungewohnt lebhafte Farben.</p>
-
-<p>Monika war es nicht schwer gemacht, ihrem Gespräch mit Lork die Wendung
-zu geben, die sie beabsichtigte.</p>
-
-<p>„Wie hübsch Fräulein von Gräbert heute aussieht,“ sagte sie, als sie
-mit Lork auf der Galerie stand, die sich in halber Höhe des Saales an
-den Wänden entlang zog.</p>
-
-<p>Man hatte von hier aus ein wundervolles Bild auf das Gewühl des
-Ballsaales. Unter dem blendenden Lichte des elektrischen Kronleuchters
-waren<span class="pagenum"><a id="Seite_418"></a>[S. 418]</span> die Farben da unten wie ein tausendfarbiger Blumenstrauß:
-Lindenblütengrün und erikafarben, perlgrau und rosa, violett und
-altgold &mdash; das Schillern der Seide, die stumpfe Weichheit des
-Chiffon &mdash; die tiefen Töne des Sammet und das grelle Blitzen der
-Metallstickereien und der Paillettengarnierungen.</p>
-
-<p>Dazwischen das Weiß und Schwarz der Herrenkleidung; diese brutal
-einfachen Farben bildeten einen guten Hintergrund für die tausend
-schillernden Nuancen der Damenkleider.</p>
-
-<p>Und wie dem bunten Blumenstrauß Tautropfen, auf denen die Sonne
-funkelt, die letzte Vollendung geben, so funkelte hier das
-unvergleichliche Feuer der Edelsteine.</p>
-
-<p>Das Licht brach sich weißsprühend in den Brillanten, blutfarben
-brannten die Rubinen, Smaragden gleißten, der lockende, matte Schimmer
-der Perlen und das regenbogenfarbig gebrochene Licht der Opale.</p>
-
-<p>Monika sah nur zerstreut hinunter. Ihr lag ihr Auftrag am Herzen. Die
-abgrundtiefe Bitterkeit, die sie gestern in Ediths Seele gesehen, hatte
-sie<span class="pagenum"><a id="Seite_419"></a>[S. 419]</span> erschüttert. Wenn sie dazu beitragen konnte, dem armen Mädchen zu
-seinem Glück zu verhelfen, so würde ihr das eine Herzensfreude sein.</p>
-
-<p>Und sie wiederholte ihre erste Bemerkung.</p>
-
-<p>„Ja, Fräulein von Gräbert sieht heute überraschend gut aus,“ sagte Lork.</p>
-
-<p>„Warum überraschend? Sie ist doch immer reizvoll.“</p>
-
-<p>Er äußerte ein unbestimmtes „Hm“, das ebenso gut ja wie nein heißen
-konnte.</p>
-
-<p>Aber Monika ließ nicht locker.</p>
-
-<p>„Ich bin überhaupt froh, daß ich mich mit Fräulein von Gräbert für
-die Reise zusammengefunden habe. Sie ist so amüsant, sie verbindet
-schärfste Logik mit Sinn für Humor.“</p>
-
-<p>„Sind Sie schon lange miteinander befreundet?“</p>
-
-<p>„Nein, erst seit kurzer Zeit. Ich hatte zuerst die Absicht, allein nach
-Luzern zu gehen.“</p>
-
-<p>„Sie sind gar nicht dazu geschaffen, allein zu sein,“ sagte er und
-wendete sich plötzlich voll zu ihr herum. Bisher hatten sie beide
-nebeneinander an der Balustrade gelehnt.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_420"></a>[S. 420]</span></p>
-
-<p>Mit einem heißen Aufleuchten seiner Augen blickte er ihr ins Gesicht,
-in das reizende Gesicht mit den rosigen Farben. Ihre Schultern
-leuchteten blendend aus der rosa Seide ihres Kleides.</p>
-
-<p>„Warum sagen Sie das?“ fragte sie leise.</p>
-
-<p>„Weil ich das meine und weil ich mitunter sage, was ich meine.“</p>
-
-<p>„Nicht immer?“</p>
-
-<p>„O nein, durchaus nicht.“</p>
-
-<p>Da wurde sie lebhaft, wie immer, wenn etwas Ungewöhnliches ihre
-Aufmerksamkeit fesselte. Und es wurde ein lebhaftes Hin und Her von
-Meinungen und Gedanken, von Bemerkungen, die oft paradox, immer aber
-geistreich waren.</p>
-
-<p>Monika plauderte sich ganz heiß; zum ersten Male seit langer Zeit
-interessierte sie ein Gespräch.</p>
-
-<p>Sie hatte nie geglaubt, daß dieser Graf Lork, den sie bisher für einen
-recht oberflächlichen Lebemann gehalten, so originelle Anschauungen
-haben würde.</p>
-
-<p>Und sein Erstaunen war nicht kleiner. Er hatte geglaubt, Frau von
-Wetterhelm sei eine sehr hübsche<span class="pagenum"><a id="Seite_421"></a>[S. 421]</span> Modepuppe, deren Horizont über
-Toilettenfragen kaum hinausging.</p>
-
-<p>War doch Monika in der ganzen Zeit so sehr zurückhaltend gewesen, hatte
-so gar nichts von der sprühenden Art verraten, die sonst in ihrer Natur
-lag.</p>
-
-<p>Ja, das Erstaunen war ein gegenseitiges. Als man sich spät in der Nacht
-trennte, erwartete Lork mit förmlicher Ungeduld den nächsten Tag und
-die morgendliche Bootfahrt.</p>
-
-<p>Als an dem Ballabend Edith Monika vor dem Schlafengehen sehr gespannt
-fragte: „Nun, &mdash; &mdash; was sagte er?“, wußte sie einen Augenblick gar
-nicht, worum es sich handelte. Doch gleich darauf war sie im Bilde. Sie
-sagte:</p>
-
-<p>„Edith, ich will ganz offen sein. Also: ich habe nicht gemerkt, daß er
-ein besonderes Interesse für Sie hätte.“</p>
-
-<p>„Das weiß ich allein,“ klang es hart zurück, „ich will es ja auch erst
-in ihm erwecken.“</p>
-
-<p>„Vielleicht war ich nicht sehr geschickt im Erfüllen meiner Aufgabe,“
-sagte Monika. „Wir haben schließlich von ganz anderen Sachen
-gesprochen.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_422"></a>[S. 422]</span></p>
-
-<p>„Aber das ist doch selbstverständlich,“ rief Edith lebhaft dazwischen.
-„Allzu auffallend darf das doch nicht gemacht werden! Jetzt tun Sie
-mir bloß die Liebe, Monika, und werfen Sie nicht sofort die Flinte ins
-Korn! Das wäre doch nicht gerade eine große Freundschaft, wenn Sie
-schon genug davon hätten! Daß Sie nicht auf Anhieb einen großen Erfolg
-erzielen würden, mit der Reklame für mich &mdash; das war mir von vornherein
-klar. Aber nicht nachlassen &mdash; &mdash; bitte, bitte, Monika! Helfen Sie mir!
-Nicht wahr, Sie werden versuchen, mir weiter zu helfen?“</p>
-
-<p>So kam es denn, daß in der nächsten Zeit Monika viel mit Lork zusammen
-war. Sie gab ihm gegenüber die strenge Zurückhaltung auf, die sie alle
-die Zeit hindurch gehabt.</p>
-
-<p>Es kam jetzt oft vor, daß sie sich mit ihm von den anderen absonderte.
-Es geschah ja im Interesse einer anderen. Und der Verlauf des Gesprächs
-war immer derselbe: sie begann damit, ihm irgendwelche Vorzüge von
-Edith zu rühmen, und dann ging die Unterhaltung andere Bahnen, berührte
-tausend Gebiete und enthüllte Monika jedesmal von neuem, welch weiten
-Horizont der Graf hatte. Der hing<span class="pagenum"><a id="Seite_423"></a>[S. 423]</span> nicht an Vorurteilen, der war kein
-Prinzipienreiter wie Georg von Wetterhelm.</p>
-
-<p>Langsam ging Monika immer mehr aus sich heraus, erschloß immer mehr von
-ihrem Gefühlsleben, in der unwillkürlichen Empfindung einer starken,
-seelischen Verwandtschaft mit dem Grafen.</p>
-
-<p>Gleich ihr hatte er eine Abneigung gegen viele Forderungen der
-Konvention.</p>
-
-<p>Gleich ihr empfand er eine tiefe Liebe für die schönen Künste.</p>
-
-<p>Wohl bestand insofern ein Unterschied, als es ihm hauptsächlich die
-Musik angetan hatte, während sie in Gedichten ihre stärksten Anregungen
-fand. Aber dieser Unterschied war ja nicht fundamental, waren es doch
-Rhythmen, die sie beide beglückten.</p>
-
-<p>Uebrigens begann ihr häufiges Zusammensein aufzufallen. Bei einem
-Ausflug nach Rigi-Kaltbad, den man in größerer Gesellschaft
-unternahm, brüskierte Lork die anwesenden Damen dadurch, daß er sich
-ausschließlich mit Monika beschäftigte. Schon bei der Dampferfahrt von
-Luzern nach Vitznau war das aufgefallen. Als man dann in Vitznau die
-Rigibahn bestieg, richtete Lork es so ein, daß er mit Monika im zweiten
-Wagen der elek<span class="pagenum"><a id="Seite_424"></a>[S. 424]</span>trischen Bahn saß, während alle übrigen Teilnehmer des
-Ausflugs im ersten Wagen Platz genommen hatten.</p>
-
-<p>Die Bahn stieg ihren steilen Weg empor, bot wundervolle Ausblicke auf
-den See, der in der Tiefe funkelte wie ein Juwel.</p>
-
-<p>Vorbei ging es an Reihen mächtiger Laubbäume, bis weiter oben die
-dunkeln Tannenwaldungen anfingen und spröde Bergkräuter den Boden
-überwucherten.</p>
-
-<p>Ein auffallender Temperaturunterschied machte sich bemerkbar. Für
-sie alle, die unten auf dem See den goldenen Geschossen der Sonne
-ausgesetzt gewesen, bedeutete es ein Aufatmen: die Luft voll kühler
-Frische, voll herber Reinheit. Leichte Wolken lagen in dieser Höhe,
-hingen wie ein dünner, weißer Schleier über den dunkeln Tannen.</p>
-
-<p>Auf Station Kaltbad verließ die Gesellschaft die Wagen, schritt,
-während die Bahn weiter der Höhe zustrebte, zum Hotel, in dem das
-Frühstück bestellt war.</p>
-
-<p>Es herrschte bei diesem Frühstück keine einheitliche Stimmung. Es
-hatten sich zu viele Einzel<span class="pagenum"><a id="Seite_425"></a>[S. 425]</span>gruppen gebildet, die sich ihren eigenen
-Interessen hingaben, sich um das Allgemeinwohl nicht kümmerten.</p>
-
-<p>Der Leutnant von Berningen widmete sich ausschließlich seinen beiden
-schönen Holländerinnen, schenkte der Mutter Tee und der Tochter Whisky
-ein.</p>
-
-<p>Herr und Frau von Rassow, ein hochzeitsreisendes Paar, erfüllten
-getreulich ihre Verpflichtung als Jungvermählte: nur für einander zu
-existieren.</p>
-
-<p>Herr von Milorski, dem es, weil man so zeitig am Morgen aufgebrochen,
-möglich gewesen, seinen beiden Hüterinnen zu entfliehen, machte Edith
-die Cour, &mdash; diese war übrigens damit sehr wenig einverstanden, sie
-betrachtete mißbilligend Milorskis frisches Gesicht, &mdash; wie ein
-riesiges, wohlgenährtes Baby sah er aus. &mdash; Seine Wangen glänzten vor
-Hitze und vor Freudigkeit.</p>
-
-<p>Nein, das war nichts für Edith! &mdash; Sie warf einen bösen Blick auf
-Lork und Monika, die auch eine Gruppe für sich bildeten und lediglich
-miteinander beschäftigt schienen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_426"></a>[S. 426]</span></p>
-
-<p>Nach dem Frühstück ging man in den Park des Hotels, der schön
-wie ein Märchengarten war mit dem unvergleichlichen Grün seiner
-Rasenflächen und seinen Gruppen prachtvoller Nadelbäume, über denen das
-Silbergespinnst des zarten Nebels hing.</p>
-
-<p>Dieser Nebel trennte Monika und Lork bald von der übrigen Gesellschaft.
-Sie beide waren ganz allein in dieser grünen, silberumsponnenen
-Einsamkeit.</p>
-
-<p>„Was für ein Entzücken, hier zu atmen,“ sagte Monika, „so recht aus
-tiefster Brust zu atmen &mdash;“</p>
-
-<p>„Wie ein Rausch ist es.“</p>
-
-<p>„Ja, wie ein unendlich zarter Rausch &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Höhenluft!“ sagte Lork.</p>
-
-<p>Und dieses Wort ließ mit einem Schlage in Monikas Gedanken die Gestalt
-ihres Mannes auftauchen.</p>
-
-<p>Sie wußte selber nicht warum. Aber sie empfand einen Zusammenhang
-zwischen der herben, starken Höhenluft und Georgs Wesen.</p>
-
-<p>Und gleich darauf flammte eine Empörung in ihr auf.</p>
-
-<p>Was sollte es, daß sie jetzt an ihn dachte?!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_427"></a>[S. 427]</span></p>
-
-<p>Sie wollte nicht mehr an ihn denken &mdash; &mdash; nie mehr!</p>
-
-<p>Und sie lachte und sprach, und sie war lebhaft, liebenswürdig wie nie
-zuvor.</p>
-
-<p>An diesem Tage erzählte sie zum ersten Male Harry Lork von ihren
-schriftstellerischen Versuchen.</p>
-
-<p>Er bewies ein glühendes Interesse, schmeichelte ihr das Versprechen ab,
-ihm noch heute abend irgendeines ihrer Manuskripte zu geben.</p>
-
-<p>„Aber es sind eigentlich alles nur Notizen,“ sagte Monika verlegen,
-„gar nichts Fertiges, nur Betrachtungen. Ich habe sie eigentlich nur
-für mich selbst geschrieben.“</p>
-
-<p>„Aber das ist ja unendlich interessanter, als wenn es anders wäre,“
-rief er lebhaft. „Ich habe bei allen Kunstwerken mehr Interesse für die
-erste Skizze als für das fertige Werk.“</p>
-
-<p>Und am Abend gab ihm Monika wirklich ein paar Seiten, die sie
-geschrieben.</p>
-
-<p>Sie hatte mit sich gekämpft, ehe sie es getan. Aber dann sagte sie
-sich, daß sie doch nicht allein für sich schreibe, sondern daß sie für
-ein Publikum<span class="pagenum"><a id="Seite_428"></a>[S. 428]</span> arbeiten wolle; daß es doch gerade ihr Lebensberuf sein
-würde, ihre Gedanken der Menge preiszugeben.</p>
-
-<p>Ja, sie hatte gedacht: „der Menge... preiszugeben ...“</p>
-
-<p>Warum empfand sie nicht mehr wie früher, als es ihr höchste Seligkeit
-erschienen war, ihre Gefühle anderen zugänglich zu machen, sie mit
-teilnehmen zu lassen an Freuden und Schmerzen?</p>
-
-<p>Jetzt war in ihr ein Zurückschauern vor diesem Gedanken.</p>
-
-<p>Waren das wieder Vorurteile, die Georg ihr in die Seele gepflanzt?!</p>
-
-<p>Nun, die wollte sie wohl noch besiegen....</p>
-
-<p>Und trotzig griff sie aufs Geratewohl in den kleinen Stoß von Heften in
-ihrem Schreibtisch, nahm eines davon heraus und gab es nach dem Diner
-dem Grafen Lork.</p>
-
-<p>Auf den Blättern stand:</p>
-
-<p>„In die Vasen auf meinem Kaminsims habe ich weiße Rosen gestellt.
-Halberblüht sind sie. Ihre schweren Kronen sehen aus wie aus Elfenbein
-geschnitzt; geschnitzt von einem primitiven Meister,<span class="pagenum"><a id="Seite_429"></a>[S. 429]</span> denn ihr Kern
-ist noch plump. Die blassen Blätter liegen so fest übereinander,
-daß sie eine einzige Masse bilden.... Nur zwei, drei der äußersten
-Blütenblätter fangen an, sich von dem festen Kern zu lösen, und
-unter ihnen sitzen die zwei Hüllenblätter, weit auseinandergetan,
-sonderbar tiefrosig überhaucht.... Wie blutbefleckt sehen diese offenen
-Kelchblätter aus.</p>
-
-<p>Inmitten all der Rosen, all dieser weißen, halberblühten, mit den
-zwei blutigen Hüllenblättern, prangt die eine, die voll erblüht ist.
-Jedes einzige ihrer Blätter hat seine Schönheit vollendet, hauchdünn
-und leicht zeichnet es seine Form in zarter Kontur. Und in der
-weitgeöffneten Rose glüht der goldhelle Blütenstaub.</p>
-
-<p>Vollendung!...</p>
-
-<p>Warum gibt es so viele, die die halbgeöffnete Rose mehr lieben
-als die vollendete? Ist es der uralt ewige Fluch der unseligen
-Prometheuskinder, die ihr Glück immer nur in der Zukunft sehen? Denen
-die Ahnung einer seligen Zukunft lieber ist als die seligste Gegenwart?</p>
-
-<p>Ach, diese Rosen beschreiben &mdash; wie kann man das? So beschreiben,
-daß man sie duften fühlt, daß<span class="pagenum"><a id="Seite_430"></a>[S. 430]</span> man die seltsam rosigen Hüllenblätter
-sieht... und mit den Nerven der Fingerspitzen fühlt, wie unendlich
-weich und kühl diese Blütenblätter sind.</p>
-
-<p>Die Sprachen sind alle unzureichend, zu wenig ausgebildet.</p>
-
-<p>Wie viel tausend Empfindungen haben wir, die wir nicht sagen können,
-weil die Sprache keine Worte hat, um die tausendfarbigen Nuancen zu
-bezeichnen.</p>
-
-<p>Wir stehen da wie Robinson auf seiner Insel. Unsere Werkzeuge sind zu
-einfach, unsere Waffen zu stumpf.</p>
-
-<p>Mitunter kommt es wohl vor, daß man in einem Gedicht ein paar Worte
-hört, die einem die Nerven erzittern lassen, daß man schauernd ahnt,
-wie schön die Sprache sein <em class="gesperrt">könnte</em>, wenn man sie pflegte und
-veredelte, wie der Gärtner die Rosen pflegen mußte, ehe sie so
-kühlweiße Kelche hatten mit zwei blutrosigen Hüllenblättern.</p>
-
-<p>Aber alle Sprachen sind ungepflegt, sind Stückwerk. Keine von ihnen
-kann die Nuancen geben.</p>
-
-<p>Schade! Worte sind doch alles.</p>
-
-<p>An Worten hängt unser Schicksal. Wie wenig haben Taten oft zu bedeuten!
-Taten gibt es, die<span class="pagenum"><a id="Seite_431"></a>[S. 431]</span> nicht mehr zu erkennen sind unter der Last von
-tausenden schwirrenden Worten. Taten, die entstellt werden durch
-Worte, wie ein schönes Jünglingsantlitz durch Wunden, wie ein holdes
-Mädchengesicht von fressendem Aussatz.</p>
-
-<p>Andere wieder werden durch Worte so wundersam verschleiert wie eine
-Landschaft durch einen Nebelhauch.</p>
-
-<p>Ach, Worte...</p>
-
-<p>Und zu fühlen: die Worte, die wir kennen, sind zu schwach, sie, die uns
-Flügel sein sollten, sind uns nur Krücken!</p>
-
-<p>Wohl könnte ich sagen, was für Rosen in den Vasen auf meinem Kamin
-blühen, aber wie soll ich das Glück beschreiben, das ich empfinde beim
-Anschauen dieser Pracht, beim Anschauen dieser schwellenden Rosen, die
-schönheitsstrotzend ihrem Tode entgegenblühen?“ &mdash; &mdash;</p>
-
-<p>Am nächsten Tage, während der Morgen-Bootfahrt, sagte Lork zu Monika:</p>
-
-<p>„Ich kann Ihnen nicht sagen, einen wie tiefen Eindruck Ihre Zeilen mir
-gemacht haben. Besonders darum, weil sie Gedanken enthalten, die ich
-oft<span class="pagenum"><a id="Seite_432"></a>[S. 432]</span> gefühlt und die ich nie in Worte habe bringen können. Zum Beispiel
-das, was Sie über die Sprache sagen. Wie oft habe ich das empfunden:
-es gibt tausendfache Gefühlsnuancen, für die wir keine Worte haben.
-Besonders, wenn es sich um Liebe handelt. Gerade das Erwachen der Liebe
-ist mit Worten nicht zu bezeichnen, jenes Stadium, das eigentlich noch
-keine Liebe ist, auf das aber die Liebe so unbedingt folgt wie Frühling
-auf den Vorfrühling. Jenes Stadium, wo man einer Frau die Hand küßt und
-dabei anfängt, an ihre Lippen zu denken.....“</p>
-
-<p>Und Graf Lork beugte sich bei diesen Worten tief über Monikas Hand.</p>
-
-<div class="figcenter illowe10" id="kapitelende14">
- <img class="w100" src="images/kapitelende.jpg" alt="Ende des Kapitels" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_433"></a>[S. 433]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Kapitel_15">15.</h2>
-
-</div>
-
-<div class="dc" id="p433initial">
- <img class="illowe6" src="images/p433initial.jpg" alt="V" />
-</div>
-
-<p class="p0"><span class="initial">V</span>on diesem Tage ab gab Monika ihm oft etwas, was sie geschrieben,
-Phantasien, Betrachtungen, manchmal ein Gedicht. Und immer aufs neue
-war sie erstaunt von dem Verständnis, das er ihr entgegenbrachte. Ein
-Verständnis, das bis ins einzelste ging und jede flüchtige Nuance zu
-würdigen wußte.</p>
-
-<p>Sie empfand ein lebhaftes Erstaunen darüber. Wenn man Lork kennen
-lernte, vermutete man so gar nichts Aehnliches in ihm. Die ganze erste
-Zeit ihrer Bekanntschaft war er ihr als weiter nichts erschienen
-als ein Mann von guten gesellschaftlichen Formen und von banaler
-Liebenswürdigkeit. Und nun dieses feinsinnige Eingehen auf jeden ihrer
-Gedanken.</p>
-
-<p>Und die grenzenlose Mühe, die er sich gab, ihr jeden Wunsch von den
-Augen abzulesen, ihr jede Laune zu erfüllen, kaum daß sie ausgesprochen
-war.<span class="pagenum"><a id="Seite_434"></a>[S. 434]</span> &mdash; &mdash; Sie verstand ihn erst dann, als sie ihn einmal Klavier
-spielen hörte.</p>
-
-<p>An einem brütend heißen Nachmittag war’s. In der Halle hatte man die
-großen Stores heruntergelassen, und diese dünne Scheidewand genügte,
-um das rote Brennen des Sommertages in eine opalblasse Dämmerung zu
-verwandeln.</p>
-
-<p>In den Korbstühlen und Schaukelstühlen lagen ein paar Hotelgäste in
-„aufgelösten“ Stellungen herum.</p>
-
-<p>Eine sehr hübsche Russin war sogar im Peignoir erschienen, in einem
-nilgrünen und goldgestickten Peignoir, dessen Farben mit einem tiefen,
-metallischen Glanze aufleuchteten in dem sanften Halblicht, das man in
-der Halle hergestellt hatte.</p>
-
-<p>Ein Engländer verpflanzte tropische Angewohnheiten hierher, indem er
-sich ein nasses Handtuch auf den Kopf gelegt und einen der Liftboys
-angestellt hatte, ihm Kühlung zuzufächeln. &mdash; Kein Punkah war’s, den
-er bewegte, sondern einer der bunten Papierfächer, die das Hotel als
-Reklame-Angebinde den Damen widmete, die dort soupierten.</p>
-
-<p>In der Bar, die an die Halle anstieß und in der ein übernächtigt
-aussehender Mixer immer neue<span class="pagenum"><a id="Seite_435"></a>[S. 435]</span> <span class="antiqua">Ice-drinks</span> mischte, saßen Lork,
-Monika, Edith, Berningen und Milorski.</p>
-
-<p>Berningen war tief betrübt von seinem Ausflug ins Holländische
-zurückgekehrt, seitdem vor zwei Tagen zwei Offiziere der
-niederländischen Kolonial-Armee angekommen: der eine, Major, war der
-Gatte der schönen Mutter, und der Leutnant der Verlobte der pikanten
-Tochter, dessen Existenz sie bisher unterschlagen.</p>
-
-<p>Aber seitdem er da war, hatte sie jedenfalls nur für ihn noch Augen,
-und die schöne Mama bezeigte ihrem Manne eine hingebende Liebe, die als
-geradezu vorbildlich für eheliches Glück hätte gelten können.</p>
-
-<p>Berningen machte jetzt aus Verzweiflung Edith die Cour, Monika war
-seiner Ueberzeugung nach „in festen Händen“; Lork wich ihr ja nicht von
-der Seite.</p>
-
-<p>Edith sagte sich, daß die Redensarten Berningens nicht den mindesten
-Wert für sie besäßen. Sie wußte, daß er sich mit seiner knappen Zulage
-nur mit Mühe bei den Kronprinz-Ulanen zu halten vermochte; er konnte
-unbedingt nur ein reiches Mädchen heiraten.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_436"></a>[S. 436]</span></p>
-
-<p>Und doch blieb es nicht ohne Eindruck auf sie, wenn er ihr
-Schmeicheleien sagte.</p>
-
-<p>Und wenn sie zehnmal wußte, daß das nur dumme Redensarten waren... sie
-hatte zu lange Jahre gedarbt, um jetzt nicht auch Brosamen zu genießen.</p>
-
-<p>Sie versuchte gegen das Wohlgefühl anzukämpfen, das sie durchrieselte,
-wenn die hübschen, leichtsinnigen Leutnantslippen ihr Freundliches
-zuflüsterten. Sie versuchte ganz bewußt, diesen Flirt dazu auszunutzen,
-um Lork eifersüchtig zu machen, aber das schien vergebliche Mühe. &mdash;</p>
-
-<p>Herr von Milorski war entzückt von der Hitze und zog sich die
-Verwünschungen der anderen zu, als er „hoffte, es würde noch monatelang
-so fortgehen“.</p>
-
-<p>Ja, er hoffte es!... Lag doch oben seine furchtbare Ehehälfte, machtlos
-hingestreckt im verdunkelten Zimmer, und im Zimmer nebenan, ebenso
-machtlos, ebenso unschädlich gemacht die dräuende Schwiegermutter.</p>
-
-<p>So saß man nun in der Bar des Hotels und trank auf Lorks Rat Whisky.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_437"></a>[S. 437]</span></p>
-
-<p>Monika konnte zwar ein gewisses unangenehmes Gefühl nicht loswerden.
-Der Whisky schmeckte ihr, sogar sehr &mdash; aber wie Georg das wohl
-gefunden haben würde, wenn eine Dame in der Bar saß und Whisky trank?</p>
-
-<p>Ach was, Georg! Schon wieder Georg.... Trotzig bejahte sie, als Lork
-sie fragte, ob sie noch ein Glas wolle. Und von neuem rann der seltsam
-brennende Trank ihr durch die Kehle.</p>
-
-<p>Das Gespräch kroch dahin wie ein verwundetes Tier; langsam..
-schleppend.. plötzlich ein paar krampfhaft schnelle
-Vorwärtsbewegungen.. und wieder.. der langsame Trott...</p>
-
-<p>Da sagte Lork in eine Stille hinein, in der man nur die Fliegen summen
-gehört: „Ich werde Ihnen etwas Musik machen.“</p>
-
-<p>„Spielen Sie denn?“ rief Edith lebhaft.</p>
-
-<p>Er hatte sich erhoben. Man ging in eines der Gesellschaftszimmer.
-Blauseidene Vorhänge dämpften dort das Licht. Durch einen Spalt fiel
-eine schräge Sonnenbahn ins Zimmer, Millionen Sonnenstäubchen flirrten
-goldig.</p>
-
-<p>Und dieser zuckende Flimmerschein beleuchtete Harry Lorks Züge, als
-er spielte. War es diese<span class="pagenum"><a id="Seite_438"></a>[S. 438]</span> unruhige Beleuchtung, die sein Gesicht so
-verändert erscheinen ließ? Wo war nun die träumerische Weichheit, die
-sonst in seinen Augen lag?</p>
-
-<p>Zwei Fackelbrände waren aufgelodert in diesen Augen, zwei harte Linien
-zogen sich von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln hinunter, der
-Unterkiefer war vorgeschoben, wie in Gier und Qual...</p>
-
-<p>Und seine Hände, seine sonst so kraftlosen Hände mit den schmalen
-Gelenken hatten eine fanatische Energie, seit sie die Tasten berührt.
-Melodien stiegen empor.. brennend wie der Sommerwind, der den Blüten
-den Samen aus den Kelchen gerissen ... Melodien, die die Zuhörer
-aufwühlten, daß die Männer blaß wurden und die Frauen erröteten...</p>
-
-<p>Die Leidenschaft war’s, die aus diesen Tasten schrie.. und eine Frage..
-eine sehnsuchtzitternde, qualvoll inbrünstige Frage....</p>
-
-<p>Eine Frage war’s, das fühlten sie alle hier.</p>
-
-<p>Und die, an die diese Frage gerichtet war, verstand plötzlich.
-Verstand, daß da neben ihr und für sie die rote Rose Leidenschaft
-aufgeblüht war, von deren heißer Schönheit sie ihr Leben lang geträumt.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_439"></a>[S. 439]</span></p>
-
-<p>Ein Wirbel von Empfindungen war in ihr, sie war keines klaren Gedankens
-fähig.</p>
-
-<p>In ihrem von der sengenden Hitze und den machtvollen Tonwellen
-überreizten Gehirn bebte nur ein Gedanke: die rote Rose Leidenschaft...</p>
-
-<p>Gleich darauf trennte man sich. Die Damen gingen in ihre Zimmer hinauf,
-um sich zum Diner umzuziehen.</p>
-
-<p>Und während Monika damit beschäftigt war, die Haken ihres weißen
-Chiffonkleides zu schließen, öffnete sich die Tür, die zu Ediths Zimmer
-führte.</p>
-
-<p>Ohne angeklopft zu haben, trat Edith herein und sagte mit vor Aufregung
-verzerrtem Gesicht:</p>
-
-<p>„Sie scheinen ja Ihre Freundschaftsmission recht hübsch ausgeführt zu
-haben.“</p>
-
-<p>„Was wollen Sie damit sagen?“</p>
-
-<p>„Daß Sie Lust nach einem zweiten Gatten spüren, ehe Sie den ersten los
-sind.“</p>
-
-<p>Eine brennende Zorneswelle überflutete Monika. Sie wollte auf
-Edith los, ihr die Faust mitten in das blasse, höhnische Gesicht
-hineinschlagen, aber mechanisch gehorchte sie den Worten, die ihr,
-wie von Georgs Stimme gesprochen, in den Ohren klangen: „Ruhe,
-Selbstbeherrschung...“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_440"></a>[S. 440]</span></p>
-
-<p>Und so sagte sie nur: „Kein Wort weiter.“</p>
-
-<p>„Ja, das könnte Ihnen so passen: kein Wort weiter!“ klang es keifend
-zurück, „nachdem Sie mir heilig versprochen haben, Lork für mich
-einzunehmen, haben Sie ihn mit Ihrer raffinierten Koketterie für sich
-selbst geködert!“</p>
-
-<p>Eine Flut von Verwünschungen, von Vorwürfen stieß sie hervor.</p>
-
-<p>„Woraus schließen Sie denn eigentlich, daß ich Lork erobert habe?“
-fragte Monika kalt, als eine Augenblickspause ihr gestattete, ein Wort
-einzuschieben.</p>
-
-<p>„Woraus ich das schließe? Das habe ich eben im Gefühl.“</p>
-
-<p>„Sie behaupten doch sonst, daß Gefühle vor dem Verstand keine Geltung
-haben.“</p>
-
-<p>Aber Edith war nicht in der Verfassung, sich auf logische Gespräche
-einzulassen. Ihr Körper zuckte in stummem Schluchzen; sie preßte die
-Faust an den Mund, drückte sich die Zähne tief ins eigene Fleisch.
-Aber die hysterische Krise war nicht mehr zurückzudämmen. Ein paar
-Augenblicke später wälzte sich Edith auf dem Boden und stammelte<span class="pagenum"><a id="Seite_441"></a>[S. 441]</span> unter
-stoßweisen Schluchzen und Schreien, wie unglücklich sie wäre.</p>
-
-<p>Monika stand ein paar Schritte davon. Ihr Mitgefühl wurde ausgelöscht
-von der Abneigung, die sie gegen diese Unbeherrschtheit empfand. Mit
-einer Art dumpfen Erstaunens dachte sie:</p>
-
-<p>„Vor ein paar Jahren, als junges Mädchen, habe ich mich gerade so
-angestellt, wenn ich etwas nicht erreichte.“</p>
-
-<p>Unfaßlich erschien ihr das jetzt.</p>
-
-<p>Als Edith endlich wieder drüben in ihrem Zimmer war, war es sehr spät
-geworden.</p>
-
-<p>Monika beschloß, gar nicht hinunterzugehen, sondern sich oben servieren
-zu lassen.</p>
-
-<p>Das Zimmertelephon schlug an.</p>
-
-<p>Graf Lork fragte an, ob die Damen heute nicht zum Essen kämen.</p>
-
-<p>„Nein,“ erwiderte Monika, „und morgen auch nicht. Ich habe einen
-Ausflug vor.“</p>
-
-<p>Am nächsten Morgen verließ sie das Hotel zu einer ungewöhnlich frühen
-Stunde.</p>
-
-<p>Sie mietete ein Motorboot für den Tag.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_442"></a>[S. 442]</span></p>
-
-<p>„Irgendwohin,“ erwiderte sie dem Bootsmann auf seine Frage, nach
-welchem Orte sie wolle.</p>
-
-<p>Und sie lag, auf dem Rücken ausgestreckt, im Boot, das durch die
-durchsichtig grünen Wogen schnitt, an lachenden grünen Ufern vorüber.</p>
-
-<p>Die höhersteigende Sonne sandte Fluten von Licht und Wärme herunter.</p>
-
-<p>Monikas Gedanken waren wie taumelnde Schmetterlinge, die im
-fieberhaften Fluge über die Blüten irren...</p>
-
-<p>Sie kam erst spät am Abend ins Hotel und ging gleich in ihr Zimmer
-hinauf.</p>
-
-<p>Sie war todmüde und konnte doch nicht schlafen; eine sonderbare
-Helligkeit war in ihrem Kopfe...</p>
-
-<p>Wie rote Brände zuckte es vor ihren Augen.</p>
-
-<p>Das war wohl der lange Sommertag, der ihr Blut so überhitzt hatte, all
-die Glut, die auf sie niedergebrannt war, alle die Gerüche, die sie
-geschlürft: der herbe Hauch vom See, das frische Duften der Laubbäume
-und das strenge Aroma der Nadelwälder.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_443"></a>[S. 443]</span></p>
-
-<p>Oder war es die Frage, die sie nicht schlafen ließ, die Frage, die
-gestern aus den Tonwellen auf sie eingedrungen?</p>
-
-<p>Am Morgen endlich verfiel sie in einen unruhigen Schlaf, aus dem eine
-schrill krähende Stimme sie weckte.</p>
-
-<p>„Wer ist denn heute bei Fräulein von Gräbert?“ fragte sie das
-Stubenmädchen, das gerade den Tee gebracht.</p>
-
-<p>Die brave Schweizerin machte erstaunte Augen. „Aber das ist ja
-Mademoiselle Bussy d’Armagnac de Montnoir, die da singt. Die haben wir
-seit gestern abend hier. Fräulein von Gräbert ist gestern doch schon
-mit dem Mittagszuge weg.“</p>
-
-<p>Ja, Edith war fort, ohne ein Wort des Abschieds. Monika atmete im
-ersten Augenblick wie erleichtert auf, also Szenen wie die gestrige
-waren nicht mehr zu befürchten.</p>
-
-<p>Aber als sie sich dann zum Lunch anzog, wollte es doch wie Bangen in
-ihr aufsteigen: zum ersten Male ganz allein.</p>
-
-<p>Sie überlegte einen Augenblick, ob sie Frau von Milorski und deren
-Mutter bitten solle, sie an ihrem<span class="pagenum"><a id="Seite_444"></a>[S. 444]</span> Tische Platz nehmen zu lassen, aber
-gleich darauf sagte sie sich, daß es doch ein Unsinn sei, sich zur
-Tischgenossin dieser unliebenswürdigen Frauen zu machen, bloß weil es
-vielleicht nicht ganz passend war, ohne weibliche Begleitung zu sein.</p>
-
-<p>Und so ging sie denn auf den Tisch zu, an dem wie sonst Berningen und
-Lork schon warteten.</p>
-
-<p>Das Gespräch war sehr lebhaft. Monika zwang sich, so munter wie nur
-möglich zu sein. Sie plauderte unaufhörlich. Nur kein Stillschweigen
-wollte sie aufkommen lassen, das gefährlicher war als alle Worte.</p>
-
-<p>Beim Dessert sprach Lork von dem Jubelfeste, das heute auf dem See
-stattfände, der Festtag der Eidgenossenschaften.</p>
-
-<p>„Darf ich Sie bitten, sich das Feuerwerk von meinem Balkon aus
-anzusehen?“ fragte er Monika.</p>
-
-<p>Sie starrte ihm erschrocken ins Gesicht.</p>
-
-<p>Er aber fuhr ganz harmlos fort: „Die Milorskischen Damen haben zugesagt
-&mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Und ich bin erfreulicherweise auch geladen,“ fügte Berningen hinzu,
-„von uns allen hat nämlich nur Lork den Balkon nach der Westseite.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_445"></a>[S. 445]</span></p>
-
-<p>„Wir gehen gleich nach dem Essen zu mir hinauf,“ sagte Lork.</p>
-
-<p>Monika nickte stumm.</p>
-
-<p>Die Milorskischen Damen sahen sich mit kaum verhehltem Neide um,
-als sie die von Lork bewohnten Räume betraten, die Fürstenzimmer
-des Hotels. Auf der Terrasse, die sich an einen schönen blauen
-Louis-XV.-Salon schloß, versammelte sich die Gesellschaft.</p>
-
-<p>Herr von Milorski bewunderte die Korbmöbel aus gediegenem grauen
-Geflecht mit Goldornamentierungen.</p>
-
-<p>„Bequem wie’n Klubsessel,“ sagte er und dehnte sich behaglich in einem
-der Sessel, &mdash; „wenn ich denke, wie früher die Korbstühle waren! &mdash;
-&mdash; Die Welt schreitet doch alle Tage weiter. Es ist fabelhaft ...
-Nicht?...“</p>
-
-<p>Er erhielt auf diese Auslassungen keine Antwort. Seine Frau und seine
-Schwiegermutter waren in den Salon zurückgekehrt, wo sie die Nippes
-besahen. Berningen hatte sich auf das Geländer der Terrasse gesetzt
-und kokettierte von da aus in den Hotelgarten zu zwei niedlichen
-Amerikanerinnen hinunter.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_446"></a>[S. 446]</span></p>
-
-<p>Monika und Lork standen ganz links, an der Seeseite. Monika sah in
-die Ferne, und Lork stand über ihren Stuhl gebeugt, so nahe, daß ein
-verschmitztes Lächeln das gutmütige Gesicht Milorskis überflog.</p>
-
-<p>Die Sonne war schon untergegangen, aber noch lag die ganze Schwüle
-dieses endlos langen Julitages über Luzern. In dieser durchsichtigen
-Dämmerung zogen sich die riesigen Laubmassen der Platanenallee am Kai
-hin wie ein schwarzes Band. In den Straßen drängten Menschenscharen,
-die in diesem Lichte unbestimmte Formen annahmen. Dunkel drohten die
-Felsmassen vom gegenüberliegenden Ufer des Sees.</p>
-
-<p>Wie ein dumpfer Druck lag es über Monika, wie eine atemraubende
-Erwartung.</p>
-
-<p>Berningen begann sich inzwischen zu langweilen. Seine neuen Flirts,
-denen es im Garten wohl zu tauig geworden sein mochte, waren ins Hotel
-zurückgegangen.</p>
-
-<p>„Die braven Schweizer werden ihr Feuerwerk wohl erst um Mitternacht
-loslassen. Hier geht ja alles so langsam,“ murrte er. Dann steckte
-er sich eine neue Zigarette an und überlegte die Situation.<span class="pagenum"><a id="Seite_447"></a>[S. 447]</span> Die
-Milorskischen „Drachen“ konnten jeden Augenblick wieder auf die
-Terrasse heraustreten; Monika ließ der Lork doch nicht aus den Fingern,
-und Milorski schlief schon halb vor einer Flasche Hennessy, &mdash; &mdash; kurz,
-es war hier nichts los.</p>
-
-<p>So beschloß er denn, sich zu drücken, ging stolz über die Terrasse. Von
-den dreien hier achtete doch keiner auf ihn. Mit unendlicher Vorsicht
-schlängelte er sich an den Drachen im Salon vorbei.</p>
-
-<p>Dann schlenderte er zum Hafen.</p>
-
-<p>Die Schweizer waren mit Kind und Kegel von ihren Bergen
-heruntergekommen. Vierschrötige Gestalten, rotbäckige Gesichter. Aus
-hellen Augen starrten sie bewundernd auf das großstädtische Treiben
-und auf alle die internationalen Erscheinungen, die sich hier zwischen
-ihnen herumdrängten.</p>
-
-<p>Und diese Menge, die so verschiedenartig war wie die tausendfarbigen
-Steinchen eines Kaleidoskops, wurde zusammengehalten durch ein Band:
-die Schaugier!</p>
-
-<p>Ein „Ah“ ging über sie alle hin, als das erste geschmückte Schiff
-hinausglitt auf den See. Das gleiche „Ah“ kam von all diesen Lippen,
-den groben<span class="pagenum"><a id="Seite_448"></a>[S. 448]</span> und den feinen, den schmutzigen und den gepflegten, den
-welken und den blühenden. &mdash; &mdash; Es gefiel ihm nicht, und reumütig
-schlug er den Weg wieder ein zu Lorks weißer Terrasse.</p>
-
-<p>Als er dort ankam, fand er zu seinem Erstaunen die Milorskische Familie
-vollzählig im Salon von Lork, damit beschäftigt, Whist zu spielen.</p>
-
-<p>„Na, und das Feuerwerk?“</p>
-
-<p>„Es hat ja noch nicht angefangen, &mdash; und meine Schwiegermutter ist
-so gewöhnt, um diese Zeit ihr Spielchen zu machen,“ sagte Milorski
-kleinlaut. „Liebes Kerlchen, tun Sie mir den Gefallen und spielen Sie
-mit statt des Strohmanns,“ fügte er hinzu.</p>
-
-<p>„Und Lork?“</p>
-
-<p>„Ist auf der Terrasse.“</p>
-
-<p>„Zu zweien &mdash; &mdash;,“ sagte Frau von Milorski sarkastisch.</p>
-
-<p>Berningen beschloß innerlich, dann „lieber nicht zu stören“, und setzte
-sich resigniert zum Whist nieder.</p>
-
-<p>Auf der Terrasse herrschte tiefes Schweigen.</p>
-
-<p>Die beiden sahen hinaus in die samtschwarze Nacht, und Monika fühlte
-mit fast schmerzhafter<span class="pagenum"><a id="Seite_449"></a>[S. 449]</span> Deutlichkeit die elektrische Spannung des
-Mannes an ihrer Seite.</p>
-
-<p>Die Minuten strichen so langsam dahin &mdash; tropften dahin...</p>
-
-<p>Und Nacht und Schweigen...</p>
-
-<p>Bis plötzlich ein blutroter Schein aufflammte in dieser samtschwarzen
-Nacht...</p>
-
-<p>Und wieder einer...</p>
-
-<p>Und hundert plötzlich... Brennende Feuerräder, die in ungeheurem Bogen
-über den tiefdunkeln Himmel emporgeschleudert wurden und in einer
-wilden Strahlengarbe hinabstürzten in den See. Strahlenkränze von roten
-Lichtern auf all den Masten und Rahen der Schiffe, die auf dem Wasser
-kreuzten.</p>
-
-<p>Alle diese Schiffe aber blieben im Dunkeln. Man sah nur die Girlanden
-von Licht &mdash; wie Tausende roter Leuchtkäfer über dem See.</p>
-
-<p>Und wieder feurige Schlangen, die empor in den Himmel zischten,
-Kometen, die eine Flammenbahn über den Horizont zogen, feurige Blumen,
-die aus einem überreichen Füllhorn emporgeschleudert wurden &mdash; &mdash; ein
-wilder Taumel von Feuer, der<span class="pagenum"><a id="Seite_450"></a>[S. 450]</span> von der Erde emporraste in den Himmel
-hinein und hinabstürzend im Wasser starb.</p>
-
-<p>Und wieder Nacht und Schweigen. &mdash; &mdash; Nein, Schweigen nicht...</p>
-
-<p>Worte flammten auf, heiß und rot, wie es die Feuerblumen eben gewesen...</p>
-
-<p>„Ich muß Ihnen von meiner Liebe reden, Monika. Ahnen Sie denn, wie sehr
-diese Liebe von mir Besitz genommen hat? Ich bete Sie ja an: Ihre süße
-Schönheit... Ihren Geist... Ihre Gutherzigkeit ... alles! Mein Denken
-bei Nacht und Tag ... mein süßes Glück... meine schöne Pantherkatze, &mdash;
-sag’ ein einziges Wort... ein einziges, liebes Wort.“</p>
-
-<p>Sie fühlte seinen brennenden Atem über ihre Wange streichen, fühlte,
-wie es ihn unwiderstehlich, übermächtig zwang, sie in die Arme zu
-nehmen...</p>
-
-<p>Und sich gewaltsam dem heißen Zauber entziehend, trat sie hastig einen
-Schritt zurück.</p>
-
-<p>„Still! Sagen Sie mir jetzt nichts weiter.“</p>
-
-<p>„Aber morgen muß ich Sie sprechen, Monika.“</p>
-
-<p>Sie antwortete nicht, trat hastig in den Salon, wo die Vier über ihrem
-Spiel das Feuerwerk vergessen hatten.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_451"></a>[S. 451]</span></p>
-
-<p>Sie taumelte ein wenig, als sie ins Zimmer trat, und schloß die Augen
-vor der Helle des elektrischen Lichts &mdash; und hatte eben doch mit
-offenen Augen in ein viel heißeres, rotes Feuer gesehen.</p>
-
-<div class="figcenter illowe5" id="gedankensprung12">
- <img class="w100" src="images/gedankensprung.jpg" alt="Gedankensprung" />
-</div>
-
-<p>Am nächsten Morgen hatte sie mit Lork die von ihm erbetene Aussprache.</p>
-
-<p>Solange sie nebeneinander auf der weißen Landstraße einhergingen,
-sprachen sie kein Wort. Dann bogen sie in einen Fußpfad ab, der an
-Wiesen und schattigen Laubbäumen vorbei hügelan führte.</p>
-
-<p>Monika setzte sich auf die Bank an irgendeinem Aussichtspunkte und
-hielt ihren weißen Spitzensonnenschirm vor das Gesicht, weniger zum
-Schutze gegen die Sonne als zum Schutze gegen seinen Blick. Und sie
-sagte hastig:</p>
-
-<p>„Sie dürfen nicht zu mir sprechen wie gestern abend, Graf Lork. Sie
-wissen ja überhaupt nichts von mir...“</p>
-
-<p>„Doch! Fräulein von Gräbert sprach mit mir, ehe sie fortfuhr.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_452"></a>[S. 452]</span></p>
-
-<p>Eine heiße Röte überflammte Monikas Gesicht. Edith hatte also vor ihrer
-Abreise noch ein Zusammentreffen mit Lork arrangiert. Wer weiß, was sie
-da für Verleumdungen über sie aufgetischt haben mochte!</p>
-
-<p>„Ich war unendlich glücklich über das, was Fräulein von Gräbert mir
-sagte. Ich hörte, daß Sie im Begriff sind, sich scheiden zu lassen. Ist
-das wahr?“</p>
-
-<p>Monika antwortete nicht; mit aufeinandergebissenen Zähnen starrte sie
-vor sich hin.</p>
-
-<p>Und in heißem Flehen sagte die Stimme des Mannes von neuem: „Das ist
-wahr?... Sagen Sie mir, daß es wahr ist...“</p>
-
-<p>Der Schirm war ihrer Hand entsunken. Sie sah jetzt geradeaus in die
-flammende Sonne.</p>
-
-<p>Da griff er nach ihren Händen, umkrampfte diese kühlen, kleinen Hände
-mit seinen glühend heißen Fingern und flehte: „Ist es wahr?“</p>
-
-<p>„Ja,“ sagte sie tonlos.</p>
-
-<p>„Monika, &mdash; &mdash; und wenn diese Scheidung vollzogen ist, dann darf
-ich hoffen, daß Sie meine Frau werden? Ich will ja Ihr Sklave sein,
-Monika, ich will Ihnen jeden Willen tun, Ihnen jeden Wunsch erfüllen...
-Alles! Sie wissen, wie ich Sie ver<span class="pagenum"><a id="Seite_453"></a>[S. 453]</span>stehe, wie ich jede Regung in Ihnen
-verstehe und liebe! In Ihrer prachtvollen Ursprünglichkeit sollen Sie
-bleiben, kein Atom Ihres Selbst will ich anders haben, als es ist.
-Unser Leben wird ein Rausch sein von Glanz und Leidenschaft!“</p>
-
-<p>Er preßte seine fiebernden Lippen auf ihre Hand.</p>
-
-<p>„Ihre Antwort, Monika...“</p>
-
-<p>„Nicht jetzt,“ sagte sie schwer atmend, „lassen Sie mir Zeit.“</p>
-
-<p>„Wann?“</p>
-
-<p>„Ich weiß nicht...“</p>
-
-<p>„Wann?“ flehte er.</p>
-
-<p>„Ein paar Tage nur...“</p>
-
-<p>Dann gingen sie langsam den Weg zurück, den sie gekommen.</p>
-
-<p>Monika hielt den Blick tief gesenkt, nicht ein einzigesmal sah sie auf.
-In seinen Augen aber war ein Schein von Siegessicherheit.</p>
-
-<p>Kurz bevor sie am Hotel ankamen, sagte er:</p>
-
-<p>„Ich werde heute und morgen wegfahren. Ich will Sie nicht stören, nicht
-beunruhigen in dieser Zeit der Ueberlegung... aber übermorgen früh hole
-ich mir meine Antwort.“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_454"></a>[S. 454]</span></p>
-
-<p>Monika schritt dahin wie im Traum. Der Lift fuhr sie in ihre Etage
-hinauf, die Tür ihres Zimmers schloß sich hinter ihr. Ihr erster
-Gedanke war: Dunkel, die Vorhänge herunter.</p>
-
-<p>Dann, als sei es ihr immer noch zu hell, warf sie sich übers Bett und
-wühlte den Kopf in die Kissen. Dunkel... Dunkel und Schweigen...</p>
-
-<p>Aber es ward nicht dunkel vor ihren Augen. In unabsehbarer goldener und
-strotzender Fülle sah sie alle Herrlichkeiten dieser Welt!</p>
-
-<p>Die alle würde dieser Mann ihr geben, alles Schönste, wonach
-sie je Begehren getragen, alles Schönste, was Natur und Kunst
-hervorgebracht: edle Steine und schillernde Stoffe, kostbare Bücher
-und Marmorbildsäulen, Pferde und Automobile und Jachten, Gärten und
-Paläste...</p>
-
-<p>Das alles würde er ihr geben in seiner heißen Liebe, die so
-leidenschaftlich war, wie sie es immer ersehnt. Ganz einhüllen würde
-er sie in diese flammende Leidenschaft. Seine Liebe würde sklavisch
-zu ihren Füßen knien und darauf harren, ihr jeden Wunsch erfüllen zu
-dürfen.</p>
-
-<p>In allen Poren fühlte sie, welche Macht sie über diesen Mann besaß, der
-jede Bewegung an ihr ver<span class="pagenum"><a id="Seite_455"></a>[S. 455]</span>götterte, jedes Wort, das sie sprach, jeden
-Gedanken, den sie dachte... Der sie liebte maßlos und schrankenlos...</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Das</em> war’s, was ihr wie ein Rausch ins Blut drang, diese
-Erfüllung ihrer jungen Sehnsucht: über alle Schranken hinaus...</p>
-
-<p>Georg hatte sie in Schranken gehalten und sich selbst auch. Hatte er
-sie überhaupt je geliebt? War das Liebe, die nach Zügeln fragte und
-nach Grenzen? Georg war ein Egoist gewesen, immer; im Mittelpunkte
-seines Denkens hatte er selbst gestanden, er und seine Karriere.</p>
-
-<p>Würde er ihr je eine Ueberzeugung geopfert haben? Von Harry Lork
-aber wußte sie, daß er es mit Freuden sehen würde, wenn sie alle
-ihre Gefühle, alle ihre Gedanken wild wuchern ließ, daß sie üppige
-Triebe und Blüten reckten. Mit Lork würde sie frei sein können im
-Denken und Tun &mdash; und überschüttet von Reichtum und fortgerissen von
-Leidenschaften.</p>
-
-<p>Sie sah wieder sein Gesicht vor sich, wie sie es neulich im Musikzimmer
-gesehen, als die Sonnenstäubchen drüber hingeflirrt und die Linien
-beleuchtet, die die Leidenschaft hineinriß...</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_456"></a>[S. 456]</span></p>
-
-<p>Da wußte sie, was sie dem Grafen Harry Lork antworten würde, sobald er
-wiederkam.</p>
-
-<p>Sie war mit ihrem inneren Leben so sehr beschäftigt, daß sie es
-vermied, andere zu sprechen. Sie war fast unhöflich, gab kaum Antwort,
-wenn einer der Hotelgäste sie in ein Gespräch zu ziehen suchte.</p>
-
-<p>Am nächsten Vormittag schwamm sie weit in den See hinaus. Die scharfe
-körperliche Bewegung tat ihr wohl, lenkte sie ab von der heißen Arbeit
-ihres Gehirns.</p>
-
-<p>Aber als sie dann nachher auf dem weißen Sande des Badestrandes lag,
-waren sie alle wieder da, die Zukunftsträume. Die waren nicht mehr in
-den rosigen Farben ihrer ersten Jugend gemalt, sondern in Purpur und
-Gold ihrer wissenden Frauenphantasie.</p>
-
-<p>Und das Gefühl eines wilden Triumphes überkam sie: nie mehr „Sitte“
-und „Pflicht“... nur alle heißen Träume wahr machen, die ihr Gehirn je
-bewegt, &mdash; &mdash; jede Phantasie Wirklichkeit werden lassen!</p>
-
-<p>Ja, das alles <em class="gesperrt">konnte</em> sie, in der Kraft ihrer blühenden Jugend,
-die keinen Zügel mehr tragen<span class="pagenum"><a id="Seite_457"></a>[S. 457]</span> würde, &mdash; &mdash; ungezählte Reichtümer zur
-Hilfe, und einen Mann zur Seite, der ein Sklave ihrer Launen war.</p>
-
-<p>„Schrankenlos genießen“ &mdash; &mdash; hatte er gesagt.</p>
-
-<p>Und wie ein brausender Jubelchor klang es ihr in den Ohren:
-„schrankenlos... genießen...“</p>
-
-<p>Und doch... und doch... Es war keine volle Harmonie in diesem Hymnus.
-Wohl klangen die Instrumente so lockend, lachten vor Rausch und Lust,
-aber irgendwo schluchzte eine Geige, schluchzte so tief schmerzlich &mdash;
-so unerträglich sehnsüchtig &mdash; &mdash;</p>
-
-<p>Was war es denn, was die schluchzte? Ein Wort nur, ein einziges Wort:
-„Georg“...</p>
-
-<p>Aber sie jagte diesen Gedanken von sich. Er war ein Egoist, er hatte
-sie nie geliebt. Und nur jetzt keine falsche Sentimentalität.</p>
-
-<p>Sie war entschlossen. Sie wußte, was sie Lork morgen antworten würde.</p>
-
-<p>Als sie vom Schwimmbad nach Hause kam, den Blick gesenkt, um nicht
-wieder in Unterhaltungen verwickelt zu werden, die sie störten, wurde
-sie, als sie die Halle durchschritt, angerufen.</p>
-
-<p>„Ah, Frau von Wetterhelm,“ klang es ihr, in einer schnarrenden Stimme
-gesprochen, ins Ohr.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_458"></a>[S. 458]</span></p>
-
-<p>Sie mußte eine Sekunde lang nachdenken, wo sie dieses narbenzerrissene
-Greisengesicht schon gesehen, dies Gesicht mit dem bulldoggenhaften
-Ausdruck und einem goldgefaßten Monokel im linken Auge.</p>
-
-<p>„Ah, Fürst Herrlingen.“</p>
-
-<p>Wie lange ihr das schon her schien, seit sie ihn zum letztenmal
-gesehen. Und es waren doch erst zwei Jahre, daß sie die Botschaft in
-London verlassen. Sie hatte dann mit dem Fürsten noch korrespondiert,
-und oft hatte er ihr geschrieben, welchen Spaß ihm ihre witzigen Briefe
-machten.</p>
-
-<p>Ob Herrlingen wohl wußte, wie sich ihr Lebensschicksal inzwischen
-gestaltet?</p>
-
-<p>Sie war verlegen, murmelte irgend etwas, daß sie hinauf müsse, aber er
-bat so dringend, sich ein paar Augenblicke zu ihm zu setzen.</p>
-
-<p>Er plauderte wie immer: in abgerissenen Sätzen, in der sehr lebhaften
-Art, die er sich, trotz seiner siebzig Jahre, bewahrt hatte. Er
-erzählte von gemeinsamen Bekannten. Ohne ein paar boshafte Ausfälle
-ging es dabei nie ab.</p>
-
-<p>Als sie im Begriffe waren, sich zu trennen, ließ er sich noch
-versprechen, daß sie heute abend mit ihm diniere. Das müsse sie schon
-für einen alten<span class="pagenum"><a id="Seite_459"></a>[S. 459]</span> Freund tun. Nicht im großen Speisesaal &mdash; gräßlich mit
-den vielen Leuten! Er würde den gelben Salon reservieren lassen.</p>
-
-<p>Monika zeigte sich am Abend in brillanter Laune. Sie scherzte und
-lachte und berauschte sich schließlich an ihrer eigenen Gesprächigkeit.</p>
-
-<p>Die Unterhaltung zwischen ihnen beiden flog hin und her wie ein
-Tennisball, den zwei geschickte Spieler sich zuschleudern.</p>
-
-<p>Wie früher war es.</p>
-
-<p>Nein, doch nicht wie früher...</p>
-
-<p>Da war Georg Wetterhelm mit dabei gewesen, hatte seiner Frau zugehört,
-stolz auf ihren Esprit und ein wenig ängstlich, ob sie die Grenzen
-innehalten würde...</p>
-
-<p>Nein, nicht wie früher war’s.</p>
-
-<p>Der Fürst schien den gleichen Gedanken zu haben.</p>
-
-<p>Einen Augenblick zögerte er, dann: „Ich möchte Sie etwas fragen, Frau
-von Wetterhelm. Nehmen Sie es als Freundschaftsbeweis. Man muß mich
-schon mehr interessieren, wenn ich indiskret sein soll. Hat es zwischen
-Ihnen und Wetterhelm einen Bruch gegeben?“</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_460"></a>[S. 460]</span></p>
-
-<p>Sie antwortete nicht.</p>
-
-<p>„Ich habe neulich Ihren Mann in Berlin gesehen,“ fuhr er fort, „er hat
-mir nichts Besonderes über Sie erzählt. Er sagte nur, es ginge Ihnen
-gut. Aber daß er nun doch nach Teheran will, nachdem er es Ihretwegen
-vor drei Jahren abgelehnt &mdash; &mdash;“</p>
-
-<p>„Meinetwegen?!“</p>
-
-<p>„Ah, Sie wissen es gar nicht? &mdash; Das ist mal wieder recht Georg
-Wetterhelm, es Ihnen gar nicht zu erzählen, wenn er ein Opfer bringt.“</p>
-
-<p>„Ein Opfer?“ fragte sie mit versagendem Atem.</p>
-
-<p>„Ja, für seine Karriere war’s eins. Das habe ich ihm damals klipp und
-klar auseinandergesetzt. Die Kombination lag ja damals ganz anders
-als heute. Allein die Tatsache, daß er dann vor drei Jahren schon
-erster Botschaftsrat geworden wäre.. Und außerdem ist damals der
-Herzog Wilhelm Friedrich hingegangen, der auf Wetterhelms Beihilfe
-bei seinen ethnologischen Forschungen rechnete. Wetterhelm hätte die
-schönste Gelegenheit gehabt, sich nach allen möglichen Richtungen hin
-auszuzeichnen. Aber er wollte nicht hin! Ihretwegen nicht. Er fürchtete
-für Sie das Klima, die zeitweise recht unruhige Bevölkerung &mdash; es war
-gerade wie<span class="pagenum"><a id="Seite_461"></a>[S. 461]</span>der ein Aufstand vorgekommen. Er sagte mir auch, daß Sie
-sich, so weit von unserer Kultur entfernt, gar zu unbehaglich fühlen
-würden. Ich erwiderte, das seien doch alles keine Gründe, wenn ein
-Vorteil für die Karriere in Frage käme. Aber ihm stand Ihr Wohl höher.
-Ich machte ihm dann den Vorschlag, sich doch für ein Jahr beurlauben zu
-lassen, um an der Expedition des Herzogs teilnehmen zu können &mdash; Sie
-wissen, was Wilhelm Friedrichs Fürsprache bei uns zu bedeuten hat &mdash;,
-aber er antwortete, er wolle sich nicht so lange von Ihnen trennen. Ja,
-die Liebe beeinträchtigt eben auch bei sonst ganz vernünftigen Menschen
-den Verstand.“ &mdash;</p>
-
-<p>Monikas Hand zitterte so stark, daß der blutrote Burgunder aus ihrem
-Glase über das Tischtuch tropfte.</p>
-
-<p>Ihr Wohl hat ihm höher gestanden als seine Karriere!</p>
-
-<p>O nur allein sein, allein sein jetzt mit ihren Gedanken, die wie eine
-Meute über sie herstürzten!</p>
-
-<p>Aber die Frau von Georg Wetterhelm durfte ihre Haltung nicht verlieren.
-Und sie krampfte ihre Fingernägel in die Handflächen, daß sie ihr
-schmerzend ins Fleisch drangen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_462"></a>[S. 462]</span></p>
-
-<p>Und sie plauderte weiter, liebenswürdig und witzig, als schlüge ihr
-nicht das Herz wie rasend in der Brust, als stiege ihr nicht das Blut
-so heiß zu Kopfe, daß es wie ein Brausen in ihren Ohren war.</p>
-
-<p>Und der Augenblick kam, wo Herrlingen ihr abschiednehmend die Hand
-küßte.</p>
-
-<p>Dann endlich in ihrem Zimmer durfte sie sich ihrem Gefühle überlassen,
-durfte aufschluchzen, durfte weinen, wie sie noch nie geweint...</p>
-
-<p>War das der Mann, den sie einen starren Egoisten genannt? Dieser
-Mann, der seinem Avancement schadete, um der geliebten Frau einen
-unangenehmen Aufenthalt zu ersparen? Und der ihr nicht einmal etwas
-davon sagte, in der herben Vornehmheit seiner Natur, die Opfer brachte
-und keinen Dank dafür wollte!</p>
-
-<p>In wogenden Nebeln versanken farblos alle die farbenstrotzenden
-Zukunftsschlösser, die sie gestern noch gebaut. Was war aller Reichtum
-und alle Leidenschaft, was waren alle Genüsse dieser Welt, wenn ihr die
-Liebe fehlte?</p>
-
-<p>Und ihre Liebe zu Georg, die sie so lange gewaltsam zurückgedämmt,
-durchbrach alle Schranken,<span class="pagenum"><a id="Seite_463"></a>[S. 463]</span> daß es ihr war, als sei ihr ganzes Sein nur
-noch ein einziger Sehnsuchtsschrei nach ihm!</p>
-
-<p>Aber eisig legte sich in den Aufruhr ihrer Gefühle die Frage: Wird er
-mir verzeihen? Hatte sie ihm nicht schlecht gelohnt? Hatte nicht ihr
-eigenes Selbst ihr höher gestanden als sein Glück?</p>
-
-<p>Eine tiefe Mutlosigkeit wollte sie überkommen, ein banges Gefühl: Wird
-das wieder gut?</p>
-
-<p>O, wenn sie ihm nur alles sagen könnte, ihm alles verständlich machen!</p>
-
-<p>Ein Irrtum war’s, der sie von seiner Seite gerissen.</p>
-
-<p>Noch einmal grüßte aus dem Dunkel des Unwiederbringlichen das Haupt
-des toten Bruders, die dunkeln Wimpern über den erloschenen Augen, ein
-wenig geöffnet der Mund, ein wenig traurig...</p>
-
-<p>Georgs Schuld?</p>
-
-<p>Ach nein! Die Schuld des Birkenschen Blutes, der Birkenschen Erziehung.
-Die Schuld des Blutes, das Alfred unter der Tropensonne seinem Geschick
-entgegenführte, das Heinrichs Leben in unklare Wirrnisse verstrickte,
-das sie selbst so gefährliche Bahnen geführt.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_464"></a>[S. 464]</span></p>
-
-<p>Und hoch über ihnen allen stand Georg.</p>
-
-<p>Sein Leben lang hatte er idealen Gütern gedient, gab seine besten
-Kräfte dem Lande, das ihn gezeugt, hatte in strenger Selbstzucht, in
-treuer Erfüllung seiner Pflichten seine Einzelpersönlichkeit dem Wohle
-des Ganzen untergeordnet.</p>
-
-<p>Und nicht, wie sie geglaubt, war er unbeugsam und kalt dabei geworden
-&mdash; nein! Er war es fähig, ein Opfer zu bringen.</p>
-
-<p>Ob er ihr verzeihen würde?...</p>
-
-<p>Ach, kein Nachdenken jetzt &mdash; kein Fragen.</p>
-
-<p>Zu ihm! Mit dem Nachtzuge noch.</p>
-
-<p>Sie erreichte ihn noch gerade.</p>
-
-<p>Und während die Räder in rasender Hast durch das Dunkel jagten, saß sie
-in eine Ecke des Coupés gedrückt, mit weit offenen Augen.</p>
-
-<p>Sie legte sich nicht hin, sie konnte ja doch nicht schlafen.</p>
-
-<p>Ob er ihr verzeihen würde?...</p>
-
-<p>Verzeihen, daß sie in egoistischer Aufwallung Haus und Herd verlassen
-und den Mann, der sie liebte?</p>
-
-<p>Und sie dachte an den Abend vor bald sechs Jahren, als sie zu ihm
-gefahren war, als ihr sieb<span class="pagenum"><a id="Seite_465"></a>[S. 465]</span>zehnjähriger Mädchenmund in Leidenschaft und
-Liebe und Egoismus gestammelt: „Ich will mein Glück wiederhaben!“</p>
-
-<p>Weiter und weiter durch die sternenlose Nacht, deren Schweigen mitunter
-zerrissen wurde von dem gellenden Schrei der Lokomotive. Immer weiter
-trug sie der Zug... zu ihm!</p>
-
-<p>Und in ihrem aufgewühlten, durchschütterten Gehirn zuckten neben den
-großen Fragen kleine Sorgen auf, kleinliche Bedenken:</p>
-
-<p>„Wird er zu Hause sein? Wer wird mir die Tür öffnen? Wie mache ich’s,
-daß er mich anhört ...?“</p>
-
-<p>Tausend Möglichkeiten durchdachte sie, tausend Schwierigkeiten überwand
-sie in Gedanken, immer neue Hindernisse überlegte sie sich, und wie sie
-ihnen entgegentreten solle.</p>
-
-<p>Und es kam alles viel einfacher, als sie gedacht. Der Diener öffnete,
-sagte ein freudig überraschtes: „Ah, die gnädige Frau!“ und nahm ihr
-den Reisemantel von den Schultern.</p>
-
-<p>Und mechanisch nahm sie auch den Hut ab, so als ob sie hier zu Hause
-wäre, wieder zu Hause.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_466"></a>[S. 466]</span></p>
-
-<p>Sie schritt durch ihren blauen Salon und durch das Musikzimmer und
-öffnete die Tür zu Georgs Arbeitszimmer.</p>
-
-<p>Er saß am Schreibtisch und sah nicht auf.</p>
-
-<p>Wie ernst, wie furchtbar ernst das geliebte Gesicht war!</p>
-
-<p>Sie stammelte seinen Namen.</p>
-
-<p>Und da sprang er auf.</p>
-
-<p>Kein Besinnen, kein Fragen, keine Korrektheit ... nur ein einziger,
-wilder Schrei:</p>
-
-<p>„Du!“</p>
-
-<p>Und seine Arme, die sie umfaßten, sein Mund, der sich auf den ihren
-preßte, sein heißes Gestammel: „Bist Du doch gekommen, mein kleiner
-Schatz? Mein geliebter, kleiner Schatz, bist Du doch gekommen, mein
-Glück...“</p>
-
-<p>„Ja, Georg, und ich will bei Dir bleiben, immer ... immer...“</p>
-
-<p>Es bebte wie Angst in seiner Stimme:</p>
-
-<p>„Du weißt, wie verschieden unsere Naturen sind. Es mag wohl wieder ein
-Tag kommen, Monika, wo ich Dein phantastisches Köpfchen nicht verstehe,
-wo ich Deine Wildheit nicht gutheißen kann, wo ich Dir etwas nicht
-geben kann, nicht geben darf,<span class="pagenum"><a id="Seite_467"></a>[S. 467]</span> was Du verlangst &mdash; wo ich Dir Deine
-Wünsche nicht erfülle...“</p>
-
-<p>„Dann...“ Der Schein einer unendlichen Hingabe verklärte ihr Gesicht.
-„Dann werde ich nicht, wie in meinen Kinderjahren, sagen: ‚Mir
-zuliebe!‘ Dann werde ich nicht, wie in meiner Brautzeit, stammeln:
-‚Unserem Glücke zuliebe‘ &mdash; dann werde ich das Wort sagen, das ich
-jetzt sprechen gelernt habe: ‚Dir zuliebe‘!“</p>
-
-<div class="figcenter illowe10" id="text_ende">
- <img class="w100" src="images/text_ende.jpg" alt="Ende des Texts" />
-</div>
-
-<hr class="full" />
-
-<div class="chapter">
-
-<div class="rek">
-
-<p class="s2 center">Romane beliebter Autoren</p>
-
-<p class="center mbot2">In gleicher Form und Ausstattung erschienen:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p class="hang2"><b>R. Skowronnek</b>, Das Bataillon Sporck</p>
-
-<p class="hang2"><b>Karl Hans Strobl</b>, Die Streiche der schlimmen Paulette</p>
-
-<p class="hang2"><b>Ida Boy-Ed</b>, Ein Augenblick im Paradies</p>
-
-<p class="hang2"><b>Felix Hollaender</b>, Der Eid des Stephan Huller</p>
-
-<p class="hang2"><b>Paul Oskar Höcker</b>, Fasching</p>
-
-<p class="hang2"><b>Rudolph Stratz</b>, Lieb Vaterland</p>
-
-<p class="hang2"><b>G. v. Ompteda</b>, Margret und Ossana</p>
-
-<p class="hang2"><b>F. v. Zobeltitz</b>, Die Spur des Ersten</p>
-
-<p class="hang2"><b>Max Dreyer</b>, Auf eigener Erde</p></div>
-
-<p class="center mtop2">Die Sammlung wird fortgesetzt</p>
-
-<p class="s3 center"><em class="gesperrt">In jeder Buchhandlung erhältlich</em></p>
-
-</div>
-
-</div>
-
-<div class="chapter padtop3">
-
-<p class="s3 center">Ullstein &amp; Co.</p>
-</div>
-
-<div class="figcenter illowe8" id="verlagssignet">
- <img class="w100" src="images/verlagssignet.jpg" alt="Verlagssignet" />
-</div>
-
-<p class="s3 center">Berlin SW<sup>68</sup></p>
-
-
-
-
-
-
-
-
-<pre>
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Pantherkätzchen, by
-Gertrud Marie Madeleine von Puttkamer
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK PANTHERKÄTZCHEN ***
-
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-
-
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