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| author | nfenwick <nfenwick@pglaf.org> | 2025-02-04 12:37:35 -0800 |
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If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - -Title: Pantherkätzchen - -Author: Gertrud Marie Madeleine von Puttkamer - -Release Date: December 1, 2020 [EBook #63933] - -Language: German - -Character set encoding: UTF-8 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK PANTHERKÄTZCHEN *** - - - - -Produced by the Online Distributed Proofreading Team at -https://www.pgdp.net (This book was produced from images -made available by the HathiTrust Digital Library.) - - - - - - - #################################################################### - - Anmerkungen zur Transkription - - Der vorliegende Text wurde anhand der 1913 erschienenen Buchausgabe - so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische - Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute - nicht mehr gebräuchliche Schreibweisen sowie Schreibvarianten - bleiben gegenüber dem Original unverändert, sofern der Sinn des - Texts dadurch nicht beeinträchtigt wird. Passagen in Dialekt wurden - vom Original ohne Korrektur übernommen. - - Das Inhaltsverzeichnis wurde der Übersichtlichkeit halber vom - Bearbeiter erstellt. Umlaute in Großbuchstaben (Ä, Ö, Ü) werden, - gemäß der Originalvorlage, durch deren Umschreibungen (Ae, Oe, Ue) - dargestellt. - - Besondere Schriftschnitte wurden mit Hilfe der folgenden - Sonderzeichen gekennzeichnet: - - Fettdruck: =Gleichheitszeichen= - gesperrt: +Pluszeichen+ - Antiqua: ~Tilden~ - - Das Caret-Symbol (^) geht hochgestellten Zeichen voran; mehrere - Zeichen werden dabei durch geschweifte Klammern zusammengefasst. - - #################################################################### - - - - - Pantherkätzchen - - - - - Pantherkätzchen - von - Marie Madeleine - - [Illustration] - - 1913 - - Ullstein & Co. Berlin-Wien - - - - - ~Copyright 1913 by - Ullstein & Co., Berlin~ - - - - -Inhalt. - - - Seite - Kapitel 1 7 - Kapitel 2 39 - Kapitel 3 85 - Kapitel 4 111 - Kapitel 5 145 - Kapitel 6 187 - Kapitel 7 209 - Kapitel 8 235 - Kapitel 9 259 - Kapitel 10 291 - Kapitel 11 315 - Kapitel 12 357 - Kapitel 13 383 - Kapitel 14 399 - Kapitel 15 433 - - - - -1. - - -Das Königskleid der Wintereinsamkeit strahlte in der Sonne, weit über -das Land war es gebreitet, -- alle Unebenheiten, allen Schmutz des -Alltags deckte es zu. Und die Milliarden Schneekristalle funkelten -in der Sonne wie Gold und Brillanten; sie blitzten aus den Wegen -und Stegen und auf den Aesten und Nadeln der Bäume, deren Umrisse -phantastisch vergrößert erschienen unter der weißen Last. Die drückte -anders als im Sommer die flattrig-leichtsinnigen Blüten. - -Nur wenige Bäume im Parke des Herrenhauses von Sarkow standen in -trotziger Kraft und prahlten mit ihrem weißen Feierkleide -- die -meisten sahen schier erdrückt aus, zusammenbrechend unter des Winters -harter Liebkosung -- unter diesem Himmel von einem erbarmungslosen und -kalten Blau. - -Inmitten des winterlichen Parks erhebt sich das Herrenhaus in ungefügen -Umrissen. Von außen ein anmutloser Kasten, aber drinnen die Zimmer, die -waren groß und hoch und in den Kachelöfen prasselte gemütlich das Feuer. - -Im Eßzimmer waren Frau von Holtz und ihre Tochter Marie beschäftigt, -Staub zu wischen. Nicht etwa, daß auch nur eine Andeutung von Staub -auf den blitzblanken Möbeln zu sehen gewesen wäre, aber das Reiben und -Polieren an den Gegenständen war eine Manie von Frau von Holtz. - -Mit ihren schönen, etwas fett gewordenen Händen führte sie das -Staubtuch über eine silberne Jardiniere. Der große Brillant am -Ringfinger ihrer linken Hand flammte auf im Strahle der Wintersonne, -die durch die Doppelscheiben des Fensters leuchtete. - -Während des Putzens redete Frau von Holtz auf ihre Tochter ein: - -„Ich bitte Dich, Du machst ein so mißmutiges Gesicht, statt Dich zu -freuen, daß Deine Cousine kommt.“ - -„Warum sollte ich mich wohl darüber freuen?“ klang es scharf zurück. -Die hageren, roten Hände des neunzehnjährigen Mädchens zerrten nervös -an dem Staubtuch, „Du weißt, mir ist Monika immer unsympathisch -gewesen.“ - -„Aber Marie, Ihr saht Euch zuletzt, als Du sechzehn Jahre warst und sie -ein Kind von noch nicht dreizehn. Als wir damals auf der Durchreise in -Berlin waren --“ - -„Sie war damals unausstehlich, so eingebildet --“ - -„Aber --“ - -„Eingebildet auf alles: auf ihre Schönheit, ihren Geist, ihre -Tanzstundenerfolge --“ - -„Kindereien! Ich weiß nicht, wie Du das ernsthaft nehmen kannst.“ - -„Sie wird sich inzwischen wohl kaum zum Besseren entwickelt haben. -Tante Malis Brief wenigstens ließ nicht darauf schließen! -- Ich -verstehe überhaupt nicht, warum Du Tantes Wunsch, Monika einzuladen, -gleich erfüllt hast. Hier ist doch keine Korrektionsanstalt.“ - -„Du drückst Dich wieder einmal sehr lieblos aus, Marie. Aus dem Briefe -Deiner Tante ergab sich durchaus nicht, daß Monika einer ernsthaften -Korrektion bedürfe.“ - -„So?! Wie verstehst Du denn das, wenn Tante schreibt, daß Monika -„einfach nicht mehr zu bändigen“ ist, -- daß Tante seit Onkels Tode -jede Autorität verloren hat! -- Nun, sehr viel Autorität bei ihren -Kindern hat ja Deine liebe Schwägerin nie besessen!“ - -Frau von Holtz nickte traurig. „Wie habe ich Johann damals gewarnt,“ -sagte sie gedankenverloren. „Man heiratet nicht solch einen -Springinsfeld, wie Mali es war --“ - -„Und geblieben ist,“ ergänzte Marie spöttisch. - -„Dir steht kein Urteil über Deine Tante zu,“ sagte die Mutter, aber -es klang lau. Man merkte, daß auch ihr die Schwägerin keine große -Hochachtung abnötigte. - -Statt jeder Antwort zog Marie ein unliebenswürdiges Gesicht. Sie trat -ans Fenster und starrte auf die weißblendende Landschaft hinaus. - -Plötzlich schrie sie erstaunt auf. - -Und eine derartig lebhafte Gefühlsäußerung war an Marie etwas so -Ungewohntes, daß Frau von Holtz gleichfalls ans Fenster trat. - -Ein Schlitten war’s, der herannahte, in schleudernder Fahrt, von zwei -Trakehnern gezogen. - -Die Innenplätze des Schlittens waren leer. Auf dem Kutschersitze saß -ein junges Mädchen, das mit einem starken Ruck an den Zügeln vor der -Freitreppe parierte und mehrere Male hintereinander einen gellenden -Pfiff ausstieß. - -„Natürlich -- Monika --,“ sagte Marie achselzuckend, während Frau von -Holtz entsetzt fragte: - -„Aber wo ist denn Papa? Und Friedrich? -- Mein Gott, es wird doch -nichts passiert sein -- --“ - -Sie war bis in die Lippen erblaßt und stützte sich schwer auf die -Fensterbrüstung. - -Marie wollte hinaus, aber schon wurde die Tür von außen aufgerissen, -und herein stürmte das junge Mädchen, das auf dem Kutscherbocke -gesessen, -- stürmte geradenwegs auf Frau von Holtz zu und umarmte sie -mit allem Kraftaufwand, dessen ihre Arme fähig waren. - -„O, Tantchen, wie ich mich freue!“ - -„Kind, Kind, wo ist Dein Onkel?“ fragte Frau von Holtz noch immer ganz -fassungslos. - -„In der Bahnhofswirtschaft und hoffentlich mittlerweile beim achten -Glase Grog -- --“ - -„Aber was -- -- warum -- --“ - -Monika begrüßte eilfertig, aber ohne die glühende Herzlichkeit, die -sie ihrer Tante bewiesen, ihre Cousine und erzählte dann, indes sie in -fröhlichem Lachen ihre prachtvollen Zähne sehen ließ: - -„Also, Tantchen, Onkel holte mich vom Zuge ab, und als wir in den -Schlitten wollten, kam der Drehrower Bärenstein auf Onkel zu und fragte -den Onkel was wegen des neuen Kreisdeputierten. Da gingen wir alle -drei noch in die Bahnhofswirtschaft und tranken Grog und der Drehrower -erzählte so schrecklich langweilige Sachen, von Politik und so... Da -schlich ich mich davon und auf den Schlitten. Der dicke Friedrich war -nicht da, wohl wegen des Gepäckes. Da bin ich einfach losgefahren. Es -war großartig. Bitte, bitte, nicht böse sein! Ich wollte gern schnell -zu Dir.“ - -Von neuem fiel Monika der Tante um den Hals. - -Da lächelte die, schon fast versöhnt, und klingelte den Diener herbei, -der gleich wieder zur Station fahren sollte. - -Marie verließ mit einem halblauten „Unglaublich“ das Zimmer. - -„Nicht, Tante, Du bist mir nicht böse?“ bettelte Monika. - -„Na, weil’s der erste Tag ist. -- Aber Du mußt wirklich vernünftiger -werden, Kind. -- -- Und nun laß Dich doch mal endlich ordentlich -ansehen.“ - -Mit prüfendem Blick musterte Frau von Holtz ihre Nichte. - -„Wie Du gewachsen bist! -- Und hübscher geworden bist Du auch! -- -- -Ordentlicher leider immer noch nicht!“ -- -- Mit bedenklichem -Kopfschütteln faßte Frau von Holtz nach einem halbabgerissenen Knopfe -an Monikas Mantel. - -„Ach, für die Sachen, die ich anhabe, lohnt sich’s gar nicht, -ordentlich zu sein! -- -- So schöne Stoffe bekomme ich ja doch nicht!“ -Mit liebevoller Vorsicht strich Monika über das schwarzseidene Kleid -von Frau von Holtz. „Und so schön werd’ ich auch nicht wie Du, Tante. O -das wunder-wunderschöne weiße Haar und die stahlblauen Augen! Wie eine -Marquise siehst Du aus, natürlich eine vom ~ancien régime~! Zu schade, -daß die Marie davon nichts abbekommen hat. Aber die sieht genau aus wie -Onkel. Ich ähnele Dir doch viel mehr als Deine Tochter. Nicht?“ - -„Ja, entschieden. -- Aber nun laß Dir Dein Zimmer zeigen, kleine -Plaudertasche.“ - -„Welches bekomme ich?“ - -„Das blaue.“ - -„O wie fein! Das blaue, wo ich als ganz kleines Kind geschlafen habe! -Hurra!“ - -Monika schwang ihre Pelzmütze und folgte seelenvergnügt ihrer Tante -die wuchtige Treppe hinauf. Das blaue Zimmer war ein großer, ziemlich -spärlich möblierter Raum, in dem der stark geheizte Kachelofen eine -angenehme Temperatur verbreitete. - -Ein altmodisch schmales Sofa, ebenso wie die beiden dazu gehörigen -Sessel mit blauem Rips bezogen, nahm die eine Längswand ein. Dann noch -ein schmales Bett, ein Waschtisch und ein Tisch, auf dem in einer -bunten Porzellanvase ein Strauß von Tannenzweigen steckte. - -Monika schwelgte in Begeisterung. „Das blaue! -- -- Und ganz für mich -allein! Himmlisch. Noch nie habe ich ein Zimmer für mich allein gehabt.“ - -„Du schläfst mit Mama zusammen?“ - -„Ja, leider. Und Mama liest immer die halbe Nacht. Und wenn Licht -brennt, kann ich natürlich nicht einschlafen.“ - -„Hier schläft Marie,“ sagte Frau von Holtz, indes sie die Tür zum -Nebenraume öffnete. - -„Oh -- --“ Monika verstummte vor Bewunderung. In der Tat war der Raum --- rosa Seide und weißer Lack -- sehr elegant ausgestattet. - -„Hier geht’s in Maries Wohnzimmer.“ - -Ein neuer Ausruf des Entzückens aus Monikas Munde. - -„Grau mit Gold. Wie distinguiert! Nein aber wie distinguiert!“ - -„Gefällt es Dir?“ Voll Genugtuung warf Frau von Holtz einen Blick in -die Runde. - -„Fabelhaft schön. Und wie teuer das sein muß!“ - -„Nun, für unsere Einzige -- --“ - -„Hat’s die Marie gut!“ - -Monika strich über die spiegelnden Holzflächen, über die seidenen -Bezüge. - -Dann entdeckte sie neue Schätze. „Ach, und da ist ein Malkasten! Und da -ein Brennapparat! Und da der Bücherschrank, ach, der Bücherschrank --- --“ - -Schon hatte Monika die Glastür geöffnet und tastete gierig in die -Bücherreihen hinein. - -Aber Frau von Holtz legte ein Veto ein. „Wirst Du wohl! -- Jetzt -wird nicht gelesen. Es ist die höchste Zeit, daß Du Dich wäschst und -sauber machst. Ist Dir denn das nicht schrecklich, nach einer langen -Eisenbahnfahrt so herum zu laufen? Und um zwei wird gegessen.“ - -Als Monika dann zur angegebenen Stunde das Eßzimmer betrat -- etwas -ängstlich, wie der Onkel wohl ihre Eskapade aufgenommen -- wurde sie -bald beruhigt durch das gutmütige Lachen in seinem roten Gesicht. - -„Nur immer ran, Marjell,“ rief er Monika entgegen. - -Sie kam zögernd näher. - -Die Strafe fiel gnädig aus. Ein heftiges Zupfen an ihrem linken -Ohrläppchen und ein freundlich gebrummtes: „Na, Du Racker, sei froh, -daß Du die Trakehner heil hergebracht hast, sonst -- --“ - -Beim Mittagessen erregte Monikas Riesenappetit das Wohlwollen und die -Heiterkeit von Onkel und Tante. - -Um Maries Mundwinkel aber zuckte unnachahmliche Verachtung jedesmal, -wenn ihrer Cousine noch ein neues „Stückchen Schmorbraten“ auf -den Teller geschoben wurde und sie noch einmal um das „wirklich -großartige“ Pfirsichkompott bat. Nach Tische zogen sich die Eltern zum -Nachmittagschlaf zurück, und Monika bat ihre Cousine um die Erlaubnis, -sie in ihre „Privatgemächer“ begleiten zu dürfen. - -Die herbe Cousine war etwas günstiger gestimmt durch Monikas wortreiche -Bewunderung all ihrer Schätze. - -Und wer konnte wohl so bewundern wie Monika! Sie wurde warm und rosig -dabei, -- sie glühte und strahlte, -- sie hob jede Einzelheit hervor: --- -- „diese Goldleiste, mit der die Tapete abschließt,“ -- -- und -„diese himmlische Vase mit dem Kirschblütenzweig, der auf das blasse -Opalglas gemalt ist! Und wie das alles abgetönt ist. Du hast wohl alles -selbst angeordnet?“ - -„Nein, aber der beste Tapezier aus Königsberg hat’s arrangiert,“ sagte -Marie wichtig. - -„Wie glücklich Du hier sein mußt!“ - -„Na, es geht an. Wenn Du glaubst, es ist ein Spaß, hier in der -Einsamkeit zu sitzen -- --! Ich habe ja meine Freundinnen in Neustadt, -aber der Weg dahin ist so unbequem. Und nach Hahndorf ist’s noch -weiter.“ - -„Nach Hahndorf -- --“ - -„Wir fahren ja zu den Regimentsbällen hin, aber -- --“ - -„Zu den Dragonern? Zu Papas Dragonern?“ - -„Ja.“ - -„Oh.“ Ein zitternder Atemzug hob die junge Brust. „Oh der Papa, der -arme Papa!“ - -Ihre Augen füllten sich mit Tränen; sie starrte an ihrer Cousine vorbei -durchs Fenster, hinaus auf den schimmernden Schnee. - -„Jetzt ist er schon vierzehn Monate tot, der arme Papa...“ - -Stillschweigen lastete über dem Zimmer. - -„Er hätte Sarkow so gern noch mal wiedergesehen,“ sagte Monika dann. - -„Mama hat ihn ja oft genug eingeladen.“ - -„Er wollte nicht kommen, solange er... solange er keine... sehr gute -Position hatte.“ - -„Ja, wenn Deine Eltern vernünftiger gewesen wären, könnten sie noch -hier sitzen, statt wir,“ sagte Marie. - -Monika nickte. „Rechnen konnte Mama ja wohl nicht sehr gut,“ sagte sie -kläglich. - -„Und wollt’s auch nicht lernen,“ fügte Marie scharf hinzu. „Und von -ihrem Manne hätte sie’s auch nicht lernen können. Bei Onkels Art...“ - -„Ja! Nobel ist der Papa gewesen,“ sagte Monika. Sie warf den Kopf ins -Genick wie ein störrisches Pony und ihre Augen leuchteten auf. „Die -Trinkgelder, die er gegeben hat!... Wenn er mich mitnahm nach Neustadt -oder nach Hahndorf, dann dienerten die Leute dort alle bis zur Erde. -Nobel war der Papa!... Er hat kein Portemonnaie getragen, sondern das -Geld lose in der Westentasche. Und der Mama hat er gekauft, was sie -haben wollte! Und uns!... So schöne Spielsachen wie wir vier hat kein -Kind gehabt in ganz Ostpreußen!... Und wie ich vier Jahre alt gewesen -bin, habe ich zweiunddreißig Kleider gehabt und ein paar davon sind aus -echten Brüsseler Spitzen gewesen.“ - -„Na, besser klein geflickt und groß gestickt, als umgekehrt!“ sagte -Marie und sah an Monikas schäbigem Kleide herunter. - -Aber sie machte sich nichts draus. - -„All die Gesellschaften!“ schwärmte sie weiter, „nur französischen Sekt -hat’s gegeben und lauter Delikatessen, und wir Kinder haben von allem -bekommen ... von allem...“ - -„Traurig genug, Monchen! Man hätte besser getan, an Eure Gesundheit -zu denken. Wenn Du glaubst, daß das Kindern gut tut: Sekt und -Delikatessen! ... Wenn Ihr keine gekriegt hättet, würde das geliebte -Heinzemännchen heute wohl einen besseren Magen haben!“ - -„Seit wie lange hast Du eigentlich Heinrich nicht gesehn?“ - -„O, seit drei Jahren. Er muß jetzt über vierzehn sein. Nicht wahr?“ - -„Ja, grad ein Jahr jünger als ich.“ - -„Und bringt ihm Deine Mama immer noch frühmorgens zwei Tassen -Schokolade und zwei Setzeier ans Bett?“ - -„O, er ißt jetzt mindestens drei Setzeier. Als Chef der Familie...“ - -„Nanu... Alfred?“ - -„Alfred hat ihm sein Erstgeburtsrecht verkauft, schon vor vier Jahren. -Heinrich hat ihm dafür seine Briefmarkensammlung gegeben und seinen -photographischen Apparat und noch fünfzehn Mark bar. Nachher wollte -zwar Alfred die Sache wieder rückgängig machen, aber Mama...“ - -„Tante Mali verteidigte natürlich Heinzemännchen.“ - -„Richtig! Und seitdem sagt sie, das geliebte Heinzemännchen sei vermöge -seiner ethischen und intellektuellen Eigenschaften weit mehr befähigt, -der Erstgeborene zu sein, als Alfred. Mama bespricht auch alles mit -Heinzemännchen -- auch alles, was mich anbetrifft. Und das hat mich -eben so wütend gemacht.“ - -„Was war denn los?“ - -„Ach, na so alles mögliche.“ - -Monika besah ihre Fingernägel. Sie schien nicht recht auf das Thema -eingehen zu wollen. - -Aber Marie ließ nicht locker. - -„Na, da wirst Du wahrscheinlich was Nettes angestellt haben?“ - -„Ach wo. -- Ein paarmal hab’ ich Zigaretten geraucht und... und hab’ -ein paar Bücher gelesen, die ich nicht lesen sollte. Noch viele Jahre -nicht! hat Mama gesagt, und dabei habe ich alles, was drin stand, doch -schon jetzt sehr gut verstanden.“ - -„So, so...“ - -„Ja, aber Heinzemännchen sagte, es wäre himmelschreiend und die Ehre -der Familie litte darunter. -- Und dann war die Sache mit Doktor -Dörnberg...“ - -„Welche Sache?“ - -„Ach...“ Monika zögerte verlegen. - -„Na, sag’s doch. Ist es denn so schlimm, daß Du es gar nicht erzählen -kannst?“ - -„Ach, ich kann’s schon erzählen. Also, weißt Du, Doktor Dörnberg ist -unser Geschichtslehrer. Und ich liebe ihn wahnsinnig. Erstens ist er -bildschön... aber ich sage Dir: wirklich bildschön!... Und dann spricht -er hinreißend! Also: ich hatte drei Gedichte an ihn gemacht, und die -lagen in meinem Vokabelheft. Da hat sie Mama gefunden -- Mama stöbert -immer alles durch -- und hat es mit Heinzemännchen besprochen, und -beide waren so außer sich und haben so auf mich gescholten, bis ich -vor lauter Empörung Weinkrämpfe bekommen habe. Und ich habe Mama meine -Meinung gesagt: daß es gefühlsroh ist, meine Gedichte Heinzemännchen zu -zeigen. Als ob Jungens davon was verstehen!“ - -„Was waren’s denn für Gedichte?“ - -„Na, Liebesgedichte.“ - -„Sag’ mal eins.“ - -Monika warf einen zweifelnden Blick auf ihre Cousine. Sie -kämpfte augenscheinlich mit sich. Dann aber gewann ihr offenes, -mitteilungsbedürftiges Naturell die Oberhand. Sie begann zu sprechen -mit einer andächtigen Innigkeit, die ihre frische Kinderstimme ganz -verwandelt erscheinen ließ: - - „Du Schönster mit den blauen Siegeraugen, - Laß mich an deinen hochgeschwungenen Lippen - Nur eine flüchtige Sekunde nippen - Und aller Seligkeiten Fülle saugen...“ - -„Pfui Teufel! -- Na, höre mal, da kann ich Tante Malis Entrüstung -verstehn!“ - -„Warum denn?“ sagte Monika mit unschuldsvoll verwunderten Augen, „das -ist doch schön. Und außerdem wahr. Ich liebte ihn doch.“ - -„Na, der erste Vers war heftig! Geht’s so weiter?“ - -„Nein! Es wird natürlich leidenschaftlicher! Es muß doch eine -Steigerung geben, das ist doch ein ganz bekanntes poetisches Gesetz. --- Aber wie gesagt: Mama war direkt schlecht und sagte, jetzt -wüßte sie auch, warum ich immer am Dienstag und Freitag, wenn wir -Geschichtsstunde haben, das neue, blaue Kleid anziehen wollte. Und -Heinzemännchen sagte, ich sei sittlich verwahrlost. Na, das konnte ich -mir doch nicht gefallen lassen.“ - -„Wie kannst Du aber auch Liebesgedichte schreiben?“ - -„Gott, dafür konnte ich doch nichts. Ich hatte mich doch in ihn -verliebt. Kennst Du das nicht, wenn’s einem so warm im Herzen wird, als -wollte das Herz aufblühen?“... Ein träumerisches Lächeln teilte die -roten Lippen. „Und man ist so unglücklich und in all dem Schmerz liegt -doch so eine Süßigkeit... Süßigkeit... so etwas Unnennbares -- eine -Erwartung, ach, ich weiß nicht...“ - -Sie brach kurz ab, erstarrend unter dem eisig spöttischen Blick, der -sie aus Maries grauen Augen traf. - -„Ich finde Dich riesig überspannt, liebe Mone,“ sagte sie gemessen, -„und Deine Ansichten sind unpassend. So... und jetzt habe ich Briefe zu -schreiben.“ - -Ohne die Cousine noch eines Blickes zu würdigen, setzte sie sich an den -Schreibtisch und begann einen Briefbogen mit ihrer prätentiös schönen -Schrift zu füllen. - -Monika ging in ihr Zimmer. Das unangenehme Gefühl, wieder einmal zu -vertrauensselig gewesen zu sein, sich bloßgestellt zu haben, bedrückte -sie. - -Betrübt kauerte sie sich in einen der blauen Sessel und begann an einem -Stückchen Johannisbrot zu kauen, das sie zu ihrer Ueberraschung in -ihrer Tasche entdeckt hatte. - -Gewiß hatte ihr Karl damit eine Ueberraschung bereiten wollen, Karl, -ihr zehnjähriger Lieblingsbruder. - -Aber der Genuß war bald zu Ende, das Johannisbrot aufgeknabbert, und -nun saß sie da und langweilte sich jämmerlich. Die Uhr zeigte auf drei --- noch eine ganze Stunde Zeit bis zum Nachmittagskaffee. - -In plötzlichem Entschluß stülpte sie die Pelzmütze auf, zog den Mantel -an und fort ging’s durch den verschneiten Park auf wohlbekannten Wegen -ins Dorf. - -Ihr Weg führte zur kleinsten Hütte, einer Bauernkate, die gar elend, -förmlich zusammengekauert unter der dichten Schneedecke dastand. - -Der Zaun war baufällig, die Fensterscheiben wie erblindet. Im Hof -an der Pumpe, von der riesige Eiszapfen herabhingen, stand ein etwa -dreijähriger, hübscher Junge und bemühte sich, den Pumpenschwengel in -Gang zu setzen. - -„Ist die Liese zu Haus?“ rief Monika ihn an. - -Er sperrte verdutzt die blauen Augen und den roten Mund auf, ohne zu -antworten. Da öffnete Monika ohne weiteres die Tür. - -Eine stickige, dumpf-heiße Luft schlug ihr entgegen. Kaum hatte sie die -Schwelle überschritten, als es drinnen aufschrie: „Monchen!“ - -Eine Frau stürzte auf sie zu und bedeckte ihre Hände mit Küssen. „Ach -Gottchen, Monchen, bist Du’s denn wirklich, mein trautstes Monchen?“ - -Monika gab ihr einen herzhaften Kuß. „Liebe alte Liese, wie freue ich -mich!“ - -Zärtlich betrachtete sie die vor ihr Stehende, die eine entschiedene -Vorliebe für Farbenfreudigkeit an den Tag legte. Ein flammend rotes -Umschlagetuch kreuzte sich über ihrer Brust, um sich auf dem Rücken zu -einem großen Knoten zu vereinen. Unter dem Tuch kamen die Aermel einer -unzweifelhaft unsauberen rosa Barchentjacke zum Vorschein, und eine -dunkelblaue Küchenschürze deckte einen moosgrünen Rock. Und über dem -schief zugehakten Kragen der rosa Jacke grüßte das liebe, verblühte -Gesicht. Die dunkeln Augen, die sonst so dummpfiffig in die Welt sahen, -standen voll Freudentränen. - -„Monchen, daß ich Dir nochmal wiederseh’! -- Und wie scheen Du geworden -bist, eine bildscheene Marjell -- ’n bißchen anders wie Holtzens -ihre Marie!... Gottchen, das sah man ja schon gleich damals, wie -ich als Amme bei Dir kam! -- Und nachher -- wie warst Du scheen und -rund und dick -- der reine Marzipan! Wie oft hab’ ich zu Deiner Mama -gesagt: ‚Madamchen, die wird!‘ -- Gegen Dir sah die Marie keesig aus, -das kannst Du mir glauben. -- Na, nu setz’ Dich bloß mal hin, mein -trautstes Monchen. So ’ne Freude, nein, die Freude!“ - -„Liese, Du redst immer noch so viel wie früher. Und ausseh’n tust Du -auch noch so. Sogar der Zopp ist noch derselbe!“ - -Lachend wies Monika auf den armdicken, fuchsigen Haarkranz, der über -Lieses Scheitel thronte. - -„Monchen, lach’ nich über meinen Zopp. Wenn er auch falsch is, scheen -is er doch. Und mir hat er immer gekleidet, schon als ich noch ein -scheenes, junges Mädchen war.“ - -„Liese -- fang’ nicht mit Jugenderinnerungen an! Sonst sitze ich heute -abend noch hier. Und Tante weiß gar nicht, daß ich weggerannt bin.“ - -„O weh, da wird’s was geben! Die gnädige Tante is ja so mächtig stolz, -die spricht nie ein Sterbenswort mit uns arme Leute. Anders wie Deine -Mamachen! Nu sage bloß, was macht denn die Mamachen, seit daß der -liebe, gute, gnädige Herr Baron tot is?“ - -Liese wischte sich erschüttert mit dem Schürzenzipfel die Augen. - -„So’n feiner, guter Herr kommt nich mehr wieder. Das Schwarzseidene, -was er mir zur Hochzeit geschenkt hat!... Wären nich die Motten -reingekommen, wäre es heut noch wie neu!... Ach Gottchen, so’n Herr wie -der Herr Baron! Und hat so früh müssen versterben...“ - -„Nicht davon sprechen, Liese.“ - -„Und was macht denn nu die Mamachen? Gottchen, so ne junge Frau und mit -vier Kinder... vier Waisenkinder...“ - -Liese begann herzbrechend zu schluchzen. Und schluchzend und mit -gurgelnder Stimme fragte sie nach Monikas Brüdern: - -„Ist der Karl denn immer noch so scheen mit seine schwarze Augen und -seine blonde Locken? Ach, und wie hat der Herr Baron den Karl geliebt!“ - -„Liese, Du alte Heultute, wenn Du jetzt nicht aufhörst mit der -Lamentiererei, dann fange ich auch an zu weinen oder ich laufe weg.“ - -„Ich bin ja schon stille, Monchen,“ sagte Liese und heulte -ohrenerschütternd weiter. - -„Erzähl’ mir doch lieber was von Dir -- von Deinem Mann...“ - -Wie auf ein Zauberwort hin versiegte der Tränenquell. - -„Ja, wir sind ja nu all vier Jahre verheiratet. Und er is so, wie -Männer nu eben so sind. Er tut ja seinen Dienst bei de Bahn ganz -ordentlich und hat auch das Allgemeine Ehrenzeichen gekriegt. Es is ja -auch ein sehr scheener Mann. Du weißt, Monchen, ich war immer sehr für -de Scheenheit.“ - -„Na also.“ - -„Ich wer’ Dir was sagen, Monchen: er ist zu alt. An die fuffzig is er -jetzt...“ - -„Na, und Du, Liese?“ - -„Fünfundvierzig.“ - -„Das paßt doch eigentlich ganz gut.“ - -„Ach, er hat nu schon den ganzen Kopp voll graue Haare. Und so die -richtige Forsche is auch nich mehr in ihm. Weißt Du, wenn ich dagegen -an den Hanschen denk’, den Stubenmaler aus Stallupönen ...“ - -„Wer ist denn das?“ - -„Mein erster Bräutigam, Kind. Ein forscher Kerl war das. Groß wie so -’n Baum und den ganzen Kopp voll Locken und rote Backen. Und zwanzig -Jahre war er alt... und ich achtzehn.“ Eine Sehnsucht glomm aus in den -dumm-pfiffigen Augen. - -Mit ahnungsbangen Augen sah das knospende Mädchen hinüber zu der -verblühten Frau, die von erster Liebe sprach. - -„Liese, es ist schrecklich spät. Ich glaube, ich muß weg.“ - -„Ja, das mußt Du, mein Trautstes, aber erst muß ich Dir mal die Stub’ -zeigen. Nu all die ganze Zeit hier in die Küche...“ - -Liese öffnete die Tür zur Stube. Auch hier herrschte die gleiche -bedrückende Luft. Ein großes Bett nahm die eine Längswand ein; es war -auf allen vier Seiten von einem roten Kattunvorhang umgeben. - -„’n Himmelbett muß der Mensch haben,“ behauptete Liese stolz. - -„Und nu kiek mal her, Monchen...“ Triumphierend wies Liese auf die -Kommode, wo vier Photographien von Monika in verschiedenen Lebensaltern -standen. - -„Hier aber is das Feinste for Dich,“ sagte die Liese geheimnisvoll -und führte sie ans Fenster. Auf dem Fensterbrett stand ein kleiner -Blumentopf, in welchem ein junges Myrtenstämmchen ein kümmerliches -Dasein führte. „Für Deinen Brautkranz, Monchen...“ - -Monika lachte. „Du, die Mama hat gesagt, arme Mädchen werden heutzutage -überhaupt nicht geheiratet.“ - -„Ach, Monchen, so scheen wie Du bist mit Deinem Gesicht wie Milch und -Blut -- Dir wird früh genug einer holen.“ - -„Desto besser, Liese, desto besser! Ich denke mir das Heiraten -großartig!“ - -Lachend wandte sich Monika zum Gehen, zuckte aber mit einem Ausruf des -Schreckens, als plötzlich aus einer Ecke des Zimmers hinter dem Ofen -hervor ein Stöhnen klang. - -„Die Ollsche,“ sagte Liese erklärend. - -Monika gewahrte dann, daß, in einen Stuhl gekauert, eine uralte Frau -hinter dem Ofen saß: sie hielt die Augen geschlossen. In dem von -tausend Falten durchfurchten Gesicht zuckte kein Muskel, wie aus Stein -gehauen saß sie da. - -„Die Ollsche, ’ne Tante vom Grün, Monchen. Sie is nu all -siebenundachtzig und all ein bißchen lititi im Kopp. Na, da hab’ ich -sie hergenommen.“ - -Draußen auf dem Hof stand Fritzchen und hielt mit beiden Händen -die Vorderpfoten eines nudeldicken, weißen Spitzes, der, auf den -Hinterbeinen sitzend, genau so groß war wie der Knabe; die beiden sahen -sich stumm und liebevoll in die Augen. - -„So steh’n sie manchmal ’ne halbe Stunde,“ sagte Liese. - -Und dieses freundliche Bildchen war das letzte, was Monika bei diesem -Besuch erblickte. - -So schnell sie konnte, eilte sie nun zurück. - -Die frühe Winterdämmerung lag auf dem ebenen Lande und tauchte die -endlose Schneefläche in ein fahles Blau. Der Wind hatte sich aufgemacht -und blies durch Monikas dünnen Mantel, daß ihr ein Schauer nach dem -anderen über den Rücken lief. Aber sie rannte freudig vorwärts. - -Und Worte kamen ihr -- sie wußte selbst nicht woher -- die sie laut vor -sich hinsang. - - „Das ist der Wind meiner Heimat, - Der über das Schneefeld braust -- - Das ist der Wind meiner Heimat, - Der heut mir die Locken zerzaust. - - O tobe und tobe nur weiter, Herr Wind, - Und erfriert auch der See und die Zweige im Wald -- -- - Meine heiße, blühende Jugend, - Die machst Du doch nimmermehr kalt!“ - -Warm und selig war ihr zumute. - -Mit aller Kraft ihrer Lungen sog sie die kühle Schneeluft ein. - -Wie anders das war als der Großstadt Luft. O, diese Schnee-Einsamkeit, -durch die der Wind sang statt der tobenden Straßen Berlins. Ein -Zusammengehörigkeitsgefühl mit der Natur rann warm und beseligend -durch Monikas Adern. Sie mußte sich mit Gewalt zusammenreißen, um -einigermaßen gesittet das Haus zu betreten. - -Allerdings war der Empfang, der ihr zuteil wurde, ganz dazu angetan, -ihre Stimmung schleunigst zu dämpfen. - -Marie empfing sie mit schadenfrohem Gesicht, und die Tante, die in -ihrem Boudoir mit einer Stickerei beschäftigt war, trug in ihrem -Gesichtsausdruck hoheitsvolle Würde zur Schau -- ein böses Zeichen! - -Sie sagte einstweilen gar nichts, sondern zog mit gewählt schönen -Bewegungen den Faden durch die Arbeit. Man hörte in dem hübschen, -eleganten Zimmer keinen anderen Laut, als den schweren Schlag der -großen Uhr. - -Monika konnte diese gespannte Stimmung nicht lange aushalten. Und so -sagte sie, halb trotzig, halb flehend: „Tantchen, ich war bloß bei der -Liese.“ - -Wenn sie geglaubt hatte, daß das ein Milderungsgrund sei, so sah sie -sich getäuscht. - -Tante wurde noch mehr als früher zürnende Gottheit, und dann ergoß -sich über Monika eine Standpauke, die kein Ende zu finden schien. -Erstens was die Unsitte betraf, allein auszugehen, zweitens der Mangel -an Pünktlichkeit, drittens der unhygienische Leichtsinn, in eine -Armeleutewohnung zu gehen, und so fort. - -Immerhin schienen allmählich mildere Regungen in der Tante -aufzudämmern, denn sie schloß mit den Worten: „Und nun klingle, daß man -Dir den Kaffee nachserviert und den Napfkuchen. Du wirst einen schönen -Hunger haben.“ - -Am Abend schrieb Monika ihrer Mutter einen Brief. - - „Liebste Mama, - - jetzt bin ich also wieder in dem geliebten Sarkow. Die Verwandten - sind sehr nett zu mir, ausgenommen Marie, die so hacksig ist wie - immer. - - Bei der Liese war ich auch schon. - - Liebe Mama, ich wollte ja sehr gern von zu Hause weg, aber als - der Zug sich in Bewegung setzte und ich Euch gleich darauf nur - noch aus der Ferne sah, da wurde ich doch riesig traurig. Ich habe - mich auf der langen Fahrt hierher gefragt, warum eigentlich alles - so gekommen ist, und warum wir uns die letzte Zeit so schlecht - standen, wo es doch früher so herrlich war. -- Damals, als ich noch - klein war und Dir alles, alles sagte. -- - - Du hast in der letzten Zeit manchmal gesagt: wenn Dein Vater noch - lebte, wärst Du nie so geworden! - - Aber das ist ganz falsch. Das hat gar nichts mit Papas Tode zu tun - -- als ob ich jetzt weniger Angst hätte! Denn Angst habe ich in - meinem ganzen Leben noch nie gehabt! - - Aber mir sind im letzten Jahre so viele Gefühle und Empfindungen - gekommen, ich weiß selbst nicht woher -- so vieles, was gar nicht - zu definieren ist. - - Ich kann Dir nur sagen: wie Ihr mich zu Hause behandelt habt, das - ist mir oft vorgekommen, als wenn man eine Pantherkatze wie einen - Kanarienvogel erziehen will! Ach Gott, wie schön muß das sein, - wenn man frei ist! Frei in der herrlichen Welt, sich sein Glück zu - erkämpfen. Ich +möchte+ Glück! Ich möchte alles haben, was schön - ist und reich! Ich möchte den Ruhm und die große Liebe und Rausch - und Glanz! - - Jetzt wirst Du wieder sagen, ich sei zu frühreif. Ja, aber - Frühreife ist doch auch eine Reife! Und dabei dann gequält werden - mit tausend Verboten und Vorschriften, und mit Klavierüben und - Anstand und Staubwischen! Gequält werden mit tausend Nichtigkeiten - und Kinkerlitzchen! -- - - Uebrigens, ich hätte Dir zuliebe sehr viel davon ausgehalten, liebe - Mama, aber was nicht auszuhalten war, das war die Behandlung, die - Du mir durch Alfred und Heinrich angedeihen ließest. Warum waren - die mir zu Aufpassern und Richtern bestellt? Warum? -- Sind sie - besser als ich oder reifer? -- - - Ich würde mich schämen, wenn ich nur die Hälfte so dumme Streiche - machte wie die. - - Sind sie klüger als ich? -- Ich möchte wissen wo! - - Da sind sie nun im Gymnasium, haben die besten Lehrer -- und sind - so faul, daß sie die eine Hälfte ihres Pensums nicht wissen und die - andere Hälfte abschreiben. - - Und ich mit meinem glühenden Wissensdurst und meiner - ungewöhnlich guten Auffassungsgabe werde mit dem Bröckchen der - Mädchenschulerziehung abgespeist und alle Werte der Menschheit - erhalte ich ~ad usum Delphini~ zurechtgemacht -- wenn Du soviel - Latein verstehst, Mamachen. - - Und dann in anderer Beziehung: Ich will nicht davon sprechen, - welche Sorte „Flammen“ Alfred und Heinrich haben, aber daß meine - Brüder die Frechheit besitzen, über meine Liebesgefühle zu Gericht - zu sitzen, das ist nicht zu ertragen! - - Warum soll ich denn weniger empfinden als sie? Habe ich denn nicht - auch Fleisch und Blut und Nerven und Empfindungen? -- Na, lassen - wir das. Ich ärgere mich bloß, wenn ich daran denke. - - Und ich will mich nicht ärgern, sondern selig sein, daß ich jung - bin, und daß das Leben schön wird. Vorläufig stehe ich ja noch - davor wie vor einem verschlossenen Garten. Die Mauer ist hoch, - aber drüber her hängt doch manch ein Blütenzweig. Der zeigt mir an - seinen kleinen, rosigen Blüten, wie süß die tausend Frühlingswunder - sein müssen, die hinter der Mauer sind -- im Garten des Lebens. - - Ich wollt’, ich dürfte schon hinein! - - Monika.“ - -[Illustration] - - - - -2. - - -Monika fügte sich besser in die Hausordnung, als man es nach dem ersten -wilden Tage erwarten durfte. Sie war von überquellender Herzlichkeit zu -ihrer Tante, die sie sehr liebte, weil sie sie so schön fand. - -Mit dem Onkel stand sie auf einem lustigen Neckfuß: nur mit Marie -konnte sie zu keinem wärmeren Tone gelangen. Marie verhielt sich allem -Entgegenkommen Monikas gegenüber durchaus ablehnend. Sie hatte eine -instinktive Abneigung gegen das vollsaftige junge Geschöpf mit dem -heißen Hirn und dem heißen Herzen. - -Die Cousinen sahen sich selten allein. Nur wenn Marie mal irgendein -Anliegen an Monika hatte, bat sie sie in ihr Wohnzimmer. Und Monika tat -ihr gern jeden Gefallen. - -Uebrigens beneidete Marie die Cousine nicht etwa um ihre kleinen -Talente. Sie sah auf Monika herab mit der ganzen Sicherheit, die die -feste Position ihres Vaters ihr gab, und fühlte sich als einziges Kind -des sehr wohlhabenden Herrn von Holtz dazu berechtigt, Ansprüche an -ihre Zukunft zu stellen. - -Sie betrachtete Monika als tief unter sich stehend, gleichsam -ausgeschieden aus den Reihen der guten Gesellschaft in ihrer -Eigenschaft als Tochter einer vermögenslosen Witwe. - -„Du wirst natürlich Dein Lehrerinnen-Examen machen,“ sagte sie ihr. - -„Ich denk’ nicht dran!“ trotzte Monika. - -„Na, was sollst Du denn sonst tun? Deinen Lebensunterhalt mußt Du Dir -doch mal verdienen und für ein Mädchen aus unseren Kreisen gibt es doch -keine andere mögliche Erwerbsart.“ - -„Ich könnte doch Schriftstellerin werden; die sollen ja so ’ne Menge -Geld für Romane kriegen,“ warf Monika ein. - -Marie stimmte ein Hohngelächter an: - -„Ach, mach’ Dich doch nicht lächerlich. Schriftstellerin! -- Als ob -das so leicht wäre! Denkst Du, mit Deinen paar Verschen ist sowas zu -machen? Du und Schriftstellerin!“ - -„Will ich auch gar nicht! Hab’ ich eben bloß so gesagt. Ich bin viel zu -hübsch, um Schriftstellerin zu werden! Ich heirate einen Prinzen und -lade Dich zur Hochzeit ein, obwohl Du es nicht um mich verdient hast.“ - -„Rede doch kein Blech!“ Marie wurde nun im Ernst ärgerlich. - -Aber Monika ließ sich nicht stören. - -„Sollst mal sehen: einen Prinzen! Einen mit blauen Augen und -weißblonden Haaren und einem süßen, kleinen Schnurrbärtchen, so wie ein -Bürstchen geschoren. Riesig groß muß mein Prinz sein und ganz schlank -und wahnsinnig elegant. So hohen Stehkragen und als Krawattennadel eine -Perle für zehntausend Mark!“ - -Nach diesem Trumpf trat Monika einen beschleunigten Rückzug an, da -Marie in einen bedenklichen Grad von Wut geraten war. - -Marie rächte sich dann auch grausam für Monikas „Größenwahn“, als an -diesem Tage die Nachmittagspost die Journalmappe brachte. - -Monika fand Marie behaglich ausgestreckt auf dem Teppich liegen, die -zweiundzwanzig verschiedenen Journale malerisch um sich herumgruppiert. - -Monika legte sich sofort auch bäuchlings auf den Teppich und pürschte -sich langsam und vorsichtig an ihre Cousine heran. - -„Du, Mariechen...“ - -Ein kühler Blick ward ihr zuteil. - -„Du wünschest?“ - -„Würdest Du mir vielleicht erlauben, daß ich auch was davon lese?“ - -„Nein.“ - -„Nur, was Du schon gelesen hast.“ - -„Bedaure.“ - -„Ach, sei doch nicht so! Ich möchte doch so sehr gern. Gib mir bloß -irgendeine ganz kleine Zeitschrift!“ - -„Nein.“ - -„Und warum nicht?“ - -„Weil man einem Mädchen von Deinen Anlagen keine Romane in die Hand -geben darf.“ - -Aufseufzend ging Monika hinaus. - -„Alter Zeitungstiger!“ rief sie ihrer Cousine noch zu, die sich aber -dadurch nicht stören ließ, sondern weiter in ihren Zeitschriften -schwelgte. - -Monika saß indessen mit bitteren Gefühlen in ihrem Zimmer und rauchte -eine dem Onkel „gestriezte“ Zigarette. - -Die schlechte Behandlung weckte wieder alle ihre oppositionellen -Instinkte, die jetzt mehrere Tage lang geschlummert hatten. - -Ein kühner Griff nach der geliebten Pelzmütze, und gleich nachher lief -Monika eilfertig ins Dorf hinunter. - -Zuerst fünf Minuten hinein zur Liese, die sie mit lärmender Freude -begrüßte und tiefunglücklich war, daß Monika „nur auf so ein -Augenblickchen“ gekommen war. - -„Ich will zu Doktor Rodenberg, Liese. Tante läßt mich nicht hin, obwohl -ich ihr gesagt habe, daß ich ihm Grüße von Mama bringen soll.“ - -„Na, denn lauf’ man hin, Monchen. Dem Doktor is die Freude zu gönnen, -daß er Dir mal sieht. Lange leben tut der nich mehr, der sauft sich ja -zu Tod!“ - -„Pfui, Liese, wie kannst Du sowas sagen! Der sauft gewiß nicht. So ’n -superiorer Mensch wie der Doktor!“ - -„So ’n was?“ - -„Ach, das verstehst Du doch nicht. Nun gib mir schnell noch ’n Kuß und -komm bald mal zu uns. Tante hat gesagt, wenn ich Dich sehen wollte, -müßtest +Du+ mich besuchen und nicht ich Dich. Also komm bald. Ja?“ - -Die Liese brummte etwas vor sich hin, was nicht gerade eine -Schmeichelei für Frau von Holtz bedeutete, und sah Monika dann nach, -die die Dorfstraße weiterstürmte. - -Immer geradeaus, bis es rechts und links keine Bauernhäuser mehr gab -und endlos sich die verschneite Landstraße dehnte. - -Auf freiem Felde lag Doktor Rodenbergs kleines Haus. Ein häßliches Haus -war’s aus roten Ziegeln. Auf der Haustür ein Schild, das anzeigte, wann -der ~Dr. med.~ Ernst Rodenberg seine Sprechstunden abhielt. - -Monika riß heftig an der Klingel, die mit wahrhaft ohrenbetäubendem -Lärm anschlug. - -Eine große, hagere Greisin öffnete die Tür. - -Die sonderbar geformte weiße Haube auf ihrem Kopf gab ihr etwas -Nonnenhaftes. Ihr Gesicht sah aus, als habe es einer der primitiven -Meister des Mittelalters aus Holz geschnitzt. In ihren hellgrauen, -gleichsam verblaßten Augen war der Ausdruck eines steinernen Schmerzes. - -„Den Doktor wollen Sie sprechen? Ja, mein Sohn ist hier.“ - -Sie öffnete eine Tür. Ein Geruch von Jodoform quoll Monika beißend -entgegen. - -Der Doktor saß an seinem Schreibtisch und drehte sich nicht um, als -Monika eintrat und die Tür hinter sich ins Schloß drückte. - -„Herr Doktor...“ - -„Ja, sofort.“ - -Er schrieb noch ein paar Augenblicke, dann wendete er sich um und -musterte erstaunt das junge Mädchen. - -„Doktor, wer bin ich?“ fragte sie strahlend. - -„Gott, die Mone!“ rief er, „die Mone...“ - -Mit zwei Schritten war er bei ihr und schüttelte ihr die Hände. - -„Wie lieb, daß Du gekommen bist! -- Daß Du hier bist, habe ich im -Preußischen Adler schon gehört, aber ob Du herkommen würdest...“ - -„Na ob,“ sagte Monika und blickte ihm lachend ins Gesicht. - -Sie sah jetzt erst, wie verändert dieses Gesicht war. Die früher so -schönen Züge begannen zu verfetten und ein trüber Glanz glomm in den -dunkeln Augen. - -Seine Musterung dagegen fiel äußerst befriedigend aus. - -„Hübsch bist Du geworden, Mone, und wirst noch hübscher sein in drei -Jahren.“ - -Er betrachtete sie genau in dem hellen Nachmittagslicht. - -„Von der Mama hast Du gar nichts. Das ist der Vater, das ist -Birkenscher Wuchs: die breiten Schultern und die schmalen Gelenke. Und -auch das Birkensche Gesicht. Nur nicht so kalt siehst Du aus wie die -alle... Die Wärme, Mone, die Wärme hast Du doch von der Mama.“ - -Das war ein Fragen und Antworten, ein Plaudern und Lachen hin und her. - -Die steinerne Mutter, die hereinkam, um Tee zu bringen, bekam einen -förmlichen Schreck vor Erstaunen. - -Wie lange war es doch her, daß ihr Sohn nicht mehr gelacht! - -Monika schwelgte in „Jugenderinnerungen“. - -„Lieber Doktor, da ist gar nichts zu lachen. Ich erhalte das aufrecht: -Jugenderinnerungen! Es sind ja ganze sechs Jahre, daß ich Sie nicht -mehr gesehen habe. Ich war ein Gör von zehn Jahren, als wir von hier -wegzogen. - -Lieber, lieber Doktor, wissen Sie noch, wenn Sie mich jeden Morgen zum -Spazierengehen abholten. Ach, war das schön, wenn Sie mich jede Pflanze -kennen lehrten und jeden Stein, jeden Käfer und jeden Schmetterling. -- -Aber das schönste war doch, wenn Sie mir erzählten: Trojas Untergang -oder von Siddharda, dem indischen Königssohn. Oder vielleicht war -die germanische Mythologie doch noch schöner. Ach, Baldurs Tod oder -wie Schwanhild von den gotischen Rossen zerstampft wurde. Und die -Götterdämmerung. -- Ich kann Ihnen ja nie genug für das alles danken. -Das sind die stärksten Eindrücke meines Lebens gewesen. Ich glaube, so -ein nagelneues, taufrisches Kindergehirn nimmt die Eindrücke wohl am -allerschärfsten auf. Ja?“ - -„Ach, Du kleine Weisheit. -- Na, und wer ist inzwischen Dein -Lehrmeister gewesen?“ - -„Niemand,“ seufzte Monika. „Der Papa hat sich ja nie für solche Sachen -interessiert, und die letzten Jahre war er ja auch so krank, der -arme Papa. Und Mama, ach, der bin ich ja schon lange über den Kopf -gewachsen.“ - -„Du Gelbschnabel.“ - -„Doktor, es ist doch wahr! Die Mama ist eine liebe, süße Frau! Aber sie -ist so kindisch!“ - -„Wirst Du wohl nicht so despektierlich reden, Du Racker! Das glaube ich -schon, daß sie Dich nicht klein kriegt!“ - -„Nein, und in der Schule haben sie mich auch nicht klein gekriegt. -Seit Oktober mit der ~Ia~ durch, Doktor, ein Jahr jünger als alle -andern und ~prima omnium~ natürlich. Das wundert Sie doch nicht, alter -Mentor? Mama hat mir oft genug erzählt, daß Sie mich schon im zarten -Kindesalter für „geistig abnorm begabt“ erklärt haben. Inzwischen hat -sich das ja etwas ausgeglichen und es gleicht sich wohl noch weiter -aus. Wenn ich heirate, werde ich wohl einen normalen Geist aufzuweisen -haben, und wenn ich silberne Hochzeit feiere...“ - -Der Doktor lachte Tränen. - -„Mone, Du warst immer eine Perle und das bist Du geblieben.“ - -Als das junge Mädchen gegangen war, verfiel Rodenberg wieder in das -stumme Brüten, das er sich in den letzten Jahren angewöhnt hatte. - -Seine Gedanken flogen zurück in die Zeiten, von denen Monika gesprochen. - -In der geistigen Vereinsamung, in der er hier immer gelebt, war es ihm -geradezu ein Genuß gewesen, die empfängliche Kindesseele zu bilden, -Monikas auffallend früh entwickeltem Geiste stets neue Nahrung zu -geben. Mit dem Interesse des Arztes und Forschers hatte er beobachtet, -wie gierig das Kinderhirn jeden Eindruck verarbeitete, wie jedes Wort -auf fruchtbaren Boden fiel. - -Für den Doktor war es ein Schlag, daß Birkens fortzogen. Es wäre ihm -eine wahrhafte Freude gewesen, Monika auch fernerhin geistig zu formen. -Auch war das Birkensche Haus das einzige, in dem er verkehrte. In -seinem öden Leben war die strahlende Freundlichkeit der Baronin Birken -ein Lichtpunkt gewesen. - -Die lebhafte, hübsche Frau mit der unnatürlich schlanken Taille und der -kunstvollen Frisur hatte eine ausgesprochene Vorliebe für den Doktor. - -Sie war liebenswürdig, kokett, sehr kapriziös, dabei ohne jede Energie --- ein schlankes, schwankes Schilfrohr. - -Es hatte mal eine Zeit gegeben, wo sie dem Herzen des Doktors -gefährlich gewesen war. Ein paar unvergessene Sommerabende auf des -Herrenhauses Terrasse, während vom Park herauf der Flieder duftete. - -Ja, so hatten die Fliederbüsche wohl nie wieder geblüht wie in dem -Jahre -- in so lastender Fülle -- und so betäubend hatten sie wohl nie -mehr geduftet wie damals. - -Baron Birken war, wie so oft, bei „seinem“ Regiment in Hahndorf -gewesen. Und der Doktor las auf der Terrasse Frau von Birken vor: Mirza -Schaffys Gedichte. - -Er hatte die heißen Worte gesprochen, wie man nur sprechen kann, wenn -man liebt! - -Und ihre Augen schienen Antwort zu geben auf all seine stummen -Fragen... - -Eine trunkene Hoffnung schwellte in diesen Tagen des Doktors ganzes -Sein. - -Nicht lange nachher wurde er zu einem Gartenfest nach Sarkow geladen. -Da sah er, daß die hübsche Schloßherrin, wenn sie mit Kerkow -von den Hahndorfer Dragonern sprach, genau ebenso liebevoll und -verständnisinnig aussah wie an jenen Abenden, als der Flieder blühte. - -Und als der schöne Schmettwitz erschien, hatte sie nur für dessen -Hünenfigur noch Augen und strahlte förmlich vor Glück, als sie mit ihm -die Polonäse schritt. - -Der Doktor überwand die Enttäuschung schnell und freute sich nun -nach Ueberwindung der sentimentalen Krise, ohne Nebengedanken des -freundlichen Empfanges, dessen er auf Sarkow immer gewiß war. Der -Hausherr war ein brillanter Gesellschafter, und Frau von Birken legte -beim Erscheinen des Doktors regelmäßig eine Freude an den Tag, als ob -sie einen geliebten Freund nach langjähriger Trennung wiederfände. - -Sie war dann in reizender Weise um den Doktor besorgt, besonders in -kulinarischer Beziehung leistete sie Ueberraschendes. Jedesmal gab -es eine ganze Reihe ausgezeichneter Gerichte, deren Zubereitung sie -womöglich selbst überwachte. - -So oft es ihr ihr Gatte, der diese Art sehr unvornehm fand, auch -verboten, sie fand doch immer wieder „ein Momentchen“, um in die -Küche hinunterzulaufen und dort der Bertha, der in Birkens ganzem -Bekanntenkreise berühmten alten Bertha, nochmals einzuschärfen: - -„Aber recht viel Schmand an die Sauce, Bertha,“ oder „daß mir die -Kaulbarsche bloß nicht zu lange kochen.“ - -Bertha pflegte diese Ermahnungen nur mit einem verachtungsvollen: „Weeß -ich alleene!“ zu beantworten. - -Ja, als der Doktor einmal krank war und sich recht verlassen und elend -fühlte, allein in seinem Hause mit einer bäuerlichen Aufwärterin, hatte -Frau von Birken ihm täglich alle Mahlzeiten hinausgeschickt und sich, -was die Menüs anbetraf, geradezu selbst überboten. - -Daß ihre Gefühle nicht nur im Materiellen wurzelten, bewies sie sowohl -durch die Blumensträuße, die sie den nahrhaften Gaben beifügte, als -auch durch die ausgewählten Büchersendungen. - -Ja, sie war schon eine liebe Frau. - -Und sie blieb sich gleich. - -Man konnte kein Aelter-, kein Reiferwerden an ihr konstatieren. - -Sie hatte ihre backfischhafte Koketterie noch, als die Kinder -heranwuchsen, als Alfred schon ein großer Quintaner war und Monika -schon den Trojanischen Krieg in unleugbar talentvollen Versen besang. - -Ja, Monika! -- Die war wohl des Doktors reinste Freude gewesen. Die -anbetende Bewunderung und das grenzenlose Vertrauen, das sie ihm -entgegenbrachte, ihr glühendes Miterleben, wenn er ihr von den uralten -Märchen der Menschheit sprach, wenn sie bittere Tränen vergoß um das -Schicksal des männermordenden Peliden oder selig strahlte über eine -gelungene List des edlen Dulders Odysseus. - -Mit der Freude, die ein Gärtner hat, wenn an einer von ihm gezogenen -Pflanze eine neue Knospe sprießt, war er ihrer Entwicklung gefolgt. - -Aber schon als sie zehn Jahre alt war, hatte der Birkensche finanzielle -Zusammenbruch, der die Familie veranlaßte, nach Berlin zu gehen, Monika -seinem Einflusse entzogen. - -So wie er sie heute wiedergesehen, versprach sie viel für die Zukunft, -versprach, körperlich und geistig ein Edelexemplar zu werden. - -Wieviel sie davon halten würde? - -Ein müdes Zucken hob die Schultern des Doktors. - -Er hatte schon zu viele schöne Knospen gesehen, die gar vulgäre Blumen -wurden. - -Und dann -- es war ja schließlich gleichgültig -- es war ja alles so -gleichgültig. - -Mit müder Gebärde schenkte er sich aus der Rumflasche ein und blies in -dichten Wolken den Qualm seiner billigen Zigarre vor sich hin. -- - -Als Monika zu Hause ankam, ziemlich beunruhigt, wie diese neue -Durchgängerei wohl aufgenommen werden würde, kam sie zu ihrer großen -Freude völlig unangefochten in ihr Zimmer. - -Sie war eben daran, mit einigen energischen Bürstenstrichen ihr -zerzaustes Haar zu ordnen, als Auguste, das sechzehnjährige -Abwaschmädchen, das eine besondere Zuneigung zu Monika entwickelte, -hereinpolterte. - -Sie erzählte in dem besten Deutsch, das sie aufzubringen vermochte, daß -bei der Gnädigen Besuch aus Hahndorf sei und sie und Fräulein Marie und -die Gäste eben im Salon Kaffee tränken. - -„Hat Tante schon nach mir gefragt?“ sagte Monika hastig. - -Auguste bejahte, fügte aber mit verschmitztem Grinsen hinzu, sie habe -dem Diener gesagt, Fräulein Monika sei in den Ställen und werde wohl -sofort wieder hereinkommen. - -„Schönen Dank, Auguste. Und jetzt hilf mir mal die Bluse zuhaken.“ - -Mit Blitzgeschwindigkeit hatte Monika eine andere Bluse übergeworfen. - -Besuch aus Hahndorf! Also jedenfalls Dragoner! -- -- - -Um so enttäuschter war sie, als sie im Salon nur Damen fand. - -„Ach, Monika, ich ließ Dich schon herbitten,“ sagte die Tante -- und -dann zu der neben ihr sitzenden Dame gewendet: „Meine Nichte Monika -Birken.“ - -„Ah, Baroneß Birken,“ sagte die hagere, ältliche Dame mit einer -offiziersmäßig scharfen Stimme, „ich habe Ihren Papa gut gekannt.“ - -Und ohne eine Entgegnung Monikas abzuwarten, wandte sie sich wieder zu -Frau von Holtz, die ihrer Nichte einen Wink gab. - -Gehorsam ging Monika zum Erker, in dem ihre Cousine mit einer jungen -Frau saß. - -Marie machte sie bekannt. Es war die Frau des Regimentsadjutanten von -Roßberg. Sie war lang, schlank und häßlich. Im übrigen seit acht Wochen -verheiratet, wie sie Monika in den ersten fünf Minuten erzählte. - -„Wonnegrinsend“ erzählte, konstatierte Monika in ihrem Innern und sah -wie gebannt auf die langen Vorderzähne, welche die junge Frau beim -Lachen enthüllte. - -Marie behandelte ihre Freundin mit ostentativer Verehrung, Hochachtung -und Zuneigung. - -Monika war ganz erstaunt über die Gefühlstöne, welche die sonst so -bittere Cousine anschlug. - -„Du weißt nicht, wie ich mich nach Dir gebangt habe, Trudchen. Es war -trostlos einsam.“ - -„Nun, Du hattest ja Gesellschaft an Deinem Cousinchen,“ sagte die junge -Frau höflich. - -Marie zog ein Gesicht, beredter als tausend Worte. - -Und Monika sagte mit der ihr eigenen fröhlichen Unbefangenheit: - -„Meine Cousine kann mich nämlich nicht ausstehn, Frau von Roßberg.“ - -„Ach, rede doch nicht so,“ sagte Marie ohne jede Ueberzeugung, und dann -zu ihrer Freundin gewendet: - -„Mone ist doch gar nicht in einem Alter mit mir, Trudchen. Noch keine -sechzehn und noch gar nicht in die Gesellschaft eingeführt -- --“ - -„Aber zu unserem Balle kommen Sie doch wohl mit, Fräulein von Birken?“ - -„Welcher Ball?“ - -Marie fuhr dazwischen. „Ich glaube nicht, daß Mone hier schon ausgehn -soll.“ - -„Ein Ball in Hahndorf?“ fragte Monika aufleuchtend. - -„Ja, unser erster Regimentsball diesen Winter. Frau von Teufel zur Höll -wollte mit Ihrer Tante etwas besprechen wegen lebender Bilder, und da -bin ich mitgefahren, um Mariechen zu sehn.“ - -„Frau von Teufel zur Höll?“ wiederholte Monika begeistert und mit so -wenig gedämpfter Stimme, daß Marie sie ärgerlich in den Arm kniff. - -„Ja, die Dame, die dort mit Ihrer Tante spricht, die Gattin unseres -Etatsmäßigen.“ - -„Ach, welch schöner Name, welch fabelhaft schneidiger Name,“ -wiederholte Monika ganz begeistert. „Von Teufel zur Höll, -- -- -so möchte ich mal heißen. Hat Ihr Etatsmäßiger nicht irgend einen -unverheirateten Bruder?“ - -Frau von Roßberg brach in Lachen aus, in das albern klingende, -grinsende Lachen, das ihr eigentümlich war. - -Frau von Teufel zur Höll rief herüber: „Nun, die Jugend amüsiert sich -wieder mal ausgezeichnet. Da werden wohl Pläne für unsere lebenden -Bilder entworfen. Entwickeln Sie nur recht viel Erfindungsgabe, meine -Damen. Wir möchten diesmal etwas ganz Apartes bringen.“ - -Monika näherte sich, förmlich wie von einer magischen Gewalt gezogen, -der Sprecherin. In ihren Augen stand eine so intensive Anteilnahme, daß -Frau von Teufels eisiger Gesichtsausdruck einem halben Lächeln Platz -machte: - -„Na, das Tanzfieber fängt wohl jetzt schon an?“ sagte sie. - -„Darf ich denn mit?“ fragte Monika. - -Ungläubig klang’s und doch lag schon ein Jubel darin. - -Frau von Holtz neigte lächelnd den schönfrisierten, weißhaarigen Kopf. - -Da flog Monika auf ihre Tante zu und umarmte sie in so kindlich -echtem Jubel, daß sogar Frau von Teufel zur Höll -- im Regiment -selbstverständlich „die Teufelin“ genannt -- ihr darob nicht böse sein -konnte. - -Monika hatte sich noch nicht beruhigt, als die Damen gegangen waren. Im -Gegenteil: ihre Freude äußerte sich in Ausbrüchen, die ihre Cousine als -„geradezu indianerhaft“ bezeichnete. Aber urplötzlich schlug der Jubel -ins Gegenteil um. Mit tragischem Gesichtchen erinnerte sich Monika, -daß sie „nichts, aber absolut nichts“ anzuziehen habe. Frau von Holtz -beruhigte sie: selbstverständlich würde für sie ein Kleid geschneidert -werden und Marie müsse auch ein neues haben. „Morgen früh kommt Mine -Petermann,“ fügte sie verheißungsvoll hinzu. - -Und am nächsten Morgen um zehn Uhr war Mine Petermann da, -- die -unförmlich dicke Gestalt in ein prallsitzendes, schwarzes Kleid -gezwängt, -- auf dem mächtigen Busen eine ganze Armee von Stecknadeln, --- um die Taille eine grüne Schnur, an der die Schere hing, und unterm -Arm eine ganze Ladung Mode-Journale. - -Auch Stoffmuster hatte Mine schon da, war in aller Herrgottsfrühe schon -nach Neustadt hin- und zurückgestiefelt und hatte sich bei Kaufmann -Kleinmichel Proben vom „Neuesten, Schönsten und Modernsten“ geben -lassen. - -Ja, die Mine war eine rührige Person, -- nicht umsonst beehrte die -ganze Nachbarschaft sie seit zwanzig Jahren mit ihrer Kundschaft. - -Das war ein gar wichtiges Fragen und Beraten, was nun begann. - -Mine war vor dem Beginn erst im Vorzimmer mit einem Glase Portwein und -zwei Buttersemmeln mit Leberwurst gestärkt worden, was erfahrungsgemäß -ihre Inspiration sehr anzuregen pflegte. - -Sie ging auch gleich mit einem wahren Feuereifer an die Arbeit, -erklärte, für das gnädige Fräulein Marie sei „Empire“ wie geschaffen. - -Begeistert tippte sie mit ihrem zerstochenen Zeigefinger auf ein -Modell: ein verführerisches Dämchen zeigte dort ihre Reize in -einem überaus anschmiegenden Empirekleide aus nilgrüner Seide mit -Perlenstickerei. - -Frau von Holtz wiegte bedenklich den Kopf, enthielt sich aber -einstweilen jeder Meinungsäußerung, wogegen Marie, kaum daß sie einen -Blick auf das Modebild geworfen, ihre lebhafteste Abwehr zu erkennen -gab. Sie erklärte diese Mode „für direkt schamlos“ und „hätte Fräulein -Petermann mehr Geschmack zugetraut“! - -Das dicke, alte Fräulein zog ein beleidigtes Gesicht, zeigte aber doch -pflichtgemäß alle Abbildungen, die vorhanden waren. Vor Maries Augen -fand nichts Gnade. Und ihre Miene entwölkte sich auch nicht, als nun -Frau von Holtz selbständige Anregungen gab, und mit der ganzen Liebe -einer Mutter sich mühte, etwas recht Vorteilhaftes für ihr Kind zu -finden. - -„Ich denke, Mariechen, als Farbe rosa. In rosa siehst Du nicht so blaß -aus. Und ums Décolleté einen Chiffon-Volant, oder lieber zwei, das -macht Dich schön breit in den Schultern.“ - -„Ich will aber nichts vortäuschen.“ - -„Aber, Kind, was für Ausdrücke.“ - -„Ich glaube, Marie möchte am liebsten mit ’nem Trotteurrock und ’ner -Bluse mit ’nem Stehkragen zum Ball gehn,“ rief Monika, die die Cousine -oft mit ihrer Vorliebe für die etwas nüchterne Kleidung neckte. - -„Du kannst Dir Deine Naseweisheiten sparen,“ rief Marie, und auch -Frau von Holtz warf ihr einen ernst verweisenden Blick zu: ihr war -die momentane Situation zu ernst, um sie durch Witze unterbrechen zu -lassen. „Also, glaube mir, Mariechen, oben die Volants und den Rock -unten weit ausfallend, eine recht steife Balayeuse unten hinein -- --“ - -„Ach, mach’s nur, wie Du willst,“ sagte die Tochter übellaunig. Ihre -Miene heiterte sich auch nicht auf, als Fräulein Petermann ihr Maß -nahm. Die dicke Dame erklärte, das gnädige Fräulein habe seit letztem -Winter um zwei Zentimeter Brustumfang zugenommen. Frau von Holtz -zeigte sich über diese Neuigkeit sehr erfreut, aber Marie sah die Mine -nur verachtungsvoll an und sagte dann: „Denken Sie sich doch mal was -Neues aus, Mine -- denn das mit dem Brustumfang behaupten Sie ja doch -jedesmal!“ - -Mine überhörte mit parlamentarischer Gewandtheit die Bemerkung und -diskutierte eifrig mit Frau von Holtz über die Blumen, die zu der rosa -Toilette getragen werden sollten. „Heckenröschen“ fand beiderseits -Billigung, aber Marie schrie förmlich vor Empörung. - -„Heckenröschen, -- warum nicht lieber Gänseblümchen?! Schrecklich! Ich -will überhaupt keine Blumen.“ - -Allgemeines Entsetzen folgte diesem Ausspruche. - -Besonders Frau von Holtz war völlig zerschmettert. - -„Marie, ein junges Mädchen ohne Blumen auf dem Ball?! Wenn Du mir das -antust -- --“ - -„Ich kann doch nu mal all das Grünzeug nicht leiden! Und es paßt auch -gar nicht zu mir.“ - -Frau von Holtz erhob sich, jeder Zoll gekränkte Königin. - -„Dann gehen wir nicht auf diesen Ball. Fräulein Petermann, Sie sind -entlassen.“ - -Monika wurde blaß bis in die Lippen. - -Und auch die herbe Marie bekam einen hörbaren Schreck. Das wurde Ernst! - -Wenn Mama „Fräulein Petermann“ sagte statt „Mine“ -- -- - -Sie lenkte also ein, in mürrischer Weise, -- aber ihr Stolz war -gebrochen. Sie gab klein bei. Nur „Heckenröschen“ sollte die Mama ihr -nicht antun. - -Man einigte sich also auf Akazienblüten. - -Und dann -- endlich! -- wurde an Monika gedacht. - -Das war leichtere Arbeit. Sie zeigte sich von allem entzückt; was man -ihr vorschlug, fand sie alles „großartig“ und „feenhaft“ und strahlte -vor Seligkeit, als Frau von Holtz sich dann für hellblau entschieden, -rund ausgeschnitten, als Garnierung Kirschblütenzweige. - -„Und auch ins Haar? Auch ins Haar Kirschblüten?!“ fragte Monika -flehend. - -„Ja.“ - -Sie verstummte vor Begeisterung. - -Und in Frau von Holtz stieg es wie ein bitteres Gefühl auf: wenn doch -Marie etwas von Monikas warmherzigem Wesen gehabt hätte, von ihrer -glücklichen Gemütsart, ihrer Dankbarkeit. - -Und am Tage des Balles war es wieder ein Vergleich, der sich der Mutter -aufdrängte, als sie die beiden in ihrem Staat sah. - -Marie, deren Hagerkeit das duftige Kleid nicht milderte, mit dem -straff frisierten Haar, von dem die Akazienblüten steif abstanden, und -daneben Monika, die in ihrem Ballstaat eine ganz andere schien. Die -wenig hübschen Kleider, die sie sonst trug, hatten ihrer blühenden -Jugend Eintrag getan. Das Hellblau ihres neuen Kleides hob ihren -prächtigen Teint hervor, -- der runde Ausschnitt enthüllte vollendet -schöne Schultern und Arme und darüber lachte das selige Kindergesicht, -gutmütig strahlend, lebensdurstig, durstig nach Glück!! - -Der Ball wurde für Monika ein Erfolg. - -An und für sich war es für die Hahndorfer Dragoner ein Ereignis, -wenn ein „neues“ junges Mädchen auftauchte. Waren doch nur zwei -unverheiratete Damen im Regiment: die Kommandeurstöchter, und mit denen -tanzte man nun glücklich den dritten Winter, und außerdem waren sie -nichts weniger als hübsch. - -Möglich, daß jede von ihnen an sich ganz nett gewirkt haben würde, aber -man sah sie immer zusammen -- und zusammen sahen sie geradezu komisch -aus. Violette -- sie hieß tatsächlich Violette -- ihre verstorbene -Mutter hatte ein ~faible~ für poetische Namen gehabt -- gab an Größe -dem längsten Leutnant des Regiments nichts nach, und an Breite übertraf -sie ihn bedeutend. Sie hatte große, runde blaue Augen, einen Helm von -goldblondem Haar und wäre als Urbild einer germanischen Heldenjungfrau -gar nicht übel gewesen, wenn man nicht beständig Erika neben ihr -gesehen hätte. - -Erika war so ziemlich das Kleinste und Zierlichste, was man sich -vorstellen konnte, ein wahres Porzellanpüppchen! Dazu eine Fülle -dunkelsten Haares und zwei ausdrucksvoll dunkle Augen in einem -Spitzmausgesichtchen. - -Sie ließ ihre Schwester ungeschlacht erscheinen und dabei sah sie neben -dieser Schwester „nach gar nichts“ aus, -- kurz, sie beeinträchtigten -sich gegenseitig auf das schärfste. - -Die Leutnants pendelten ratlos zwischen ihnen hin und her, und das -Resultat war, daß immer noch keine von ihnen verlobt war, obwohl ihr -Vater keinen innigeren Wunsch hegte. - -Außer den beiden waren an jungen Mädchen nur noch einige -Gutsbesitzerstöchter aus der Umgegend erschienen, die keine besonderen -Attraktionen boten. Und nun eine „Neue“! -- Und noch dazu die Tochter -eines alten Herrn vom Regiment, des „fidelen Birken“, von dessen Taten -man genug gehört. Und noch dazu Monika, die in den ersten fünf Minuten -mehr gute Witze gemacht als sonst ein halbes Dutzend junger Mädchen -zusammen. - -Nachdem sie in möglichster Eile den Damen ihren Knix gemacht, widmete -sie sich völlig den Leutnants und entfesselte durch ihre Konversation -derartige Lachstürme, daß man im Reiche der Mütter bedenklich die Köpfe -zusammensteckte. - -Die jungen Frauen fanden den „Kiekindiewelt“ empörend, die jungen -Mädchen erklärten sie für „schamlos kokett“. - -Monika aber ließ sich die unverhohlene Mißbilligung, die ihr von -weiblicher Seite zuteil wurde, nicht anfechten. Sie benahm sich -übermütig froh. Ihr war zumute wie in einem Rausch; mit all ihrer -unverbrauchten Begeisterung genoß sie diese Stunden, genoß den -hohen Saal mit dem strahlenden Licht, die flirtenden Leutnants, die -Bewunderung, die aus so viel Männeraugen sprach, und den Tanz, den -Tanz, in dem sie selig dahinglitt. - -Schade, daß diesem Rausch so bald eine Ernüchterung folgte! - -Schon im Schlitten, der die Familie Holtz nach Hause fuhr, begann Marie -die Schale ihres Zornes über Monika auszuschütten. Sie sparte nicht mit -den schärfsten Ausdrücken, und Frau von Holtz tat ihr nicht wie sonst -Einhalt, sondern schwieg verstimmt. - -Nur der Onkel, der, bevor er sich zum Whist niedergesetzt, eine Weile -dem Tanze zugesehn, wiegte gutmütig den Kopf und murmelte schlaftrunken -vor sich hin: - -„Die Marjell, -- genau wie die Mali! Kokett -- kokett.“ - -Die anderthalb Stunden Fahrt wurden für Monika ein Martyrium. - -Sie seufzte hörbar und erleichtert auf, als endlich, endlich der -Schlitten zu Hause hielt. Der Schnee knirschte scharf unter den -Schlittenkufen. Und ehe noch die Pferde ganz zum Stehen gebracht waren, -setzte Monika mit mächtigem Schwunge hinaus und rannte, ohne jemand -gute Nacht zu sagen, die Treppe hinauf in ihr Zimmer. - -Eine eisige Kälte empfing sie; die taperige Auguste hatte wohl wieder -mal vergessen, nachzulegen. - -Aber Monika störte die Kälte nicht. Rann doch ihr Blut so brennend -heiß durch die Adern! Sie stellte sich vor den Spiegel und hielt die -Lampe hoch. Also so -- -- so hübsch war sie! Die brennenden Wangen -- -die flammenden Lippen -- die dunkeln Augen, über die sich die Lider -mit den langen, schwarzen Wimpern langsam bewegten, wie wenn müde -Schmetterlinge mit den Flügeln schlagen. Und darunter die blendend -weiße Haut des Halses und der Schultern -- -- --. - -Monika hätte vor Glück schreien mögen, wie neulich, als sie durch den -Schnee rannte. - -So hübsch war sie -- -- Welch ein Glück! -- - -Maries Strafpredigten hatten ihr weiter keinen Eindruck gemacht. Nur -daß sie bedauerte, jetzt niemanden zu haben, mit dem sie von all den -Eindrücken sprechen konnte. - -Nur jetzt noch nicht schlafen! - -Das war doch nicht möglich, jetzt schlafen, still liegen -- -- - -Sie summte ein paar Walzertakte vor sich hin: -- -- ein heißes -Glücksgefühl überrieselte sie. - -Noch einmal die süße, süße Melodie. -- -- - -Monika schlief nicht viel in dieser Nacht. Aber trotzdem war sie am -Morgen die einzige, die frisch in die Welt schaute. - -Frau von Holtz hatte Migräne. - -Ihr Gatte sah verkatert aus, ihm bekam das lange Aufbleiben gar nicht. - -Marie machte einen überaus angegriffenen Eindruck, schlich, wie immer -nach Bällen, mit hochgezogenen Schultern in vornübergebeugter Haltung -herum und hüstelte, was ihre Eltern mit lebhafter Besorgnis erfüllte. - -Frau von Holtz vergaß die eigenen Schmerzen, um Marie beständig zu -Hustenbonbons zu nötigen, und Herr von Holtz rührte unter beständigem -Schimpfen auf die „verfluchte Tanzerei“ ein Eigelb mit Zucker, das -Marie unweigerlich sofort zu essen hatte. - -Am Nachmittag, als man um den Kaffeetisch versammelt war, kam Besuch: -die Leutnants von Seeburg, von Hellrich und Graf Herckenstedt kamen im -Krümperschlitten an und erlaubten sich „gehorsamst zu fragen, wie den -Damen der gestrige Ball bekommen“. - -Da die Herren sonst nie solche Lendemainvisiten gemacht, war Marie in -bitterböser Laune, und mit der bei ihr üblichen Unverfrorenheit brachte -sie ihre Gefühle zum Ausdruck. - -Frau von Holtz mußte mehrmals vermittelnd eingreifen, wenn ihr -unliebliches Töchterlein wieder eine gar zu scharfe Bemerkung gemacht. - -Von seiten Monikas war keine Schroffheit zu fürchten. Im Gegenteil! -Da hatte man nur in der entgegengesetzten Richtung einen Dämpfer -aufzusetzen. - -Wie sie jetzt den Herckenstedt wieder anstrahlte! - -„Ja, getanzt haben Sie am allerbesten, Graf. Sie sind natürlich Kadiser -gewesen? Die tanzen alle gut.“ - -„Monika, man sagt „Kadett“. Deine Art, die Worte zu verstümmeln --- -- -- --“ - -„Ach, Tantchen, das kommt doch nicht so genau darauf an unter uns -Leutnants -- --“ - -Frau von Holtz fand keine Entgegnung. Es widerstrebte ihr, in Gegenwart -eines Besuches unaufhörlich zu tadeln. Andererseits war ihr die -burschikos-kokette Art ihrer Nichte entsetzlich. - -Sie selbst war immer sehr zurückhaltend gewesen, sehr prüde, und ihre -Tochter hatte diese Eigenschaft in verdreifachtem Maße geerbt. - -Und zwischen ihnen beiden saß nun Monika und kokettierte mit einer -Unbefangenheit, die geradezu verblüffend wirkte. - -Mit einer für ihr Alter durchaus unangemessenen Sicherheit dirigierte -sie die Unterhaltung, die den Leutnants zwar sehr ungewohnt, aber dafür -desto interessanter war. - -Marie äußerte dazu in sehr sicherem Tone Ansichten, die sich gerade -nicht durch Geistesschärfe auszeichneten. - -Frau von Holtz aber, die mit ihrem ganzen Sein und Wesen in den realen -Forderungen des Alltags wurzelte, war ehrlich ärgerlich. - -Mit einem scharfen Ruck lenkte sie das leichte Gespräch in andere -Bahnen. Sie fragte, was man in Hahndorf diesen Winter noch für -Vergnügungen vorhabe. - -„Ja, hoffentlich werden nun bald die lebenden Bilder kommen, deren wir -diesmal verlustig gegangen sind,“ sagte Seeburg. - -Und Hellrich erklärte Monika, es sei ewig schade darum, denn in seinem -Kostüm als Griechenjüngling hätte er berauschend ausgesehen, und -dann hätte sie ihn sicher nicht so grausam behandelt wie in seiner -preußischen Dragoner-Uniform. - -„Und warum ist mir nun eigentlich dieser Genuß entrissen worden?“ -fragte Monika. - -„Ja, Baroneß, das liegt nur an Frau von Teufel zur Höll’ -- --“ - -„Die Teufelin,“ schob Monika verständnisinnig ein. - -„Die ist nämlich höllisch --“ - -„Natürlich!“ - -„-- anspruchsvoll, und so hat sie behauptet, unseren lebenden Bildern -fehle der Clou.“ - -„Und dabei war es so reizend,“ klagte Herckenstedt. - -„Ich als Griechenjüngling,“ betonte Hellrich. - -„Ja, mit Erika von Holl als Partnerin in einem „griechischen -Frühlingsidyll“. -- Und Fräulein Violette von Holl als Werthers Lotte -und Roßberg als Werther --“ - -„Das ist der hübsche Adjutant?“ fragte Monika eifrig. - -„Der hübsche? Dieser Ehekrüppel?“ erwiderte Herckenstedt entrüstet. - -Und Seeburg sekundierte: „So ’n alter, verheirateter Herr!“ - -„Acht Wochen verheiratet!“ zitierte Monika und kopierte das -Gesicht, das Frau von Roßberg immer machte, wenn sie jemandem diese -welterschütternde Tatsache mitteilte. - -Die Leutnants unterdrückten nur mit Mühe einen Heiterkeitsausbruch. - -Marie aber wollte eben zu einer kräftigen Entgegnung ansetzen, -- denn -wenn jemand eine ihrer Freundinnen angriff, so faßte sie das noch -schlimmer auf, als wenn es gegen sie selbst ging, -- doch der gewandte -Herckenstedt verhinderte den Ausbruch, indem er in möglichster Eile -weitererzählte, daß noch ein Bild „Tanzstunde“ geplant gewesen sei -und das seit Methusalem rühmlichst bekannte: „Der Blumen Erwachen!“ --- -- Aber alles das habe dem stolzen Sinn von Frau von Teufel nicht -genügt. Nun ja, wenn man ein ganzes Jahr bei der Garde gestanden, wie -die Etatsmäßige! Und so sei die Aufführung der lebenden Bilder auf -unbestimmte Zeit verschoben worden. - -„Bis einem von uns mal was Geniales einfällt,“ sagte Seeburg betrübt. - -„Und dabei hätten wir bald die schönste Gelegenheit: nächsten Monat hat -der Kommandeur Geburtstag,“ jammerte Hellrich, der es anscheinend nicht -verwinden konnte, sich nicht in seiner griechischen Schönheit zeigen zu -dürfen. - -„Aber das ist doch nicht so schwer, einen guten Einfall zu haben,“ rief -Monika. „Ich werde schon was finden.“ - -„Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort,“ begutachtete Seeburg -zweifelnd. Aber Hellrich zeigte sich vertrauensvoller. „Ich bin -überzeugt, daß Sie was Großartiges zustande bringen, Baronesse. Sie -haben so was in den Augen, -- ich finde da nicht gleich das richtige -Wort dafür, -- wissen Sie, eben so was Besonderes.“ - -„Ich fürchte, Monika überschätzt ihre Fähigkeiten,“ sagte Frau von -Holtz, die es für geraten hielt, die Bäume nicht in den Himmel wachsen -zu lassen. - -Aber nun protestierten alle drei Leutnants. - -Und als die Herren abfuhren, war es beschlossene Sache: sie würden der -„Teufelin“ Mitteilung machen, daß Fräulein von Birken sich anheischig -mache, etwas ganz Apartes für die Aufführung zum Geburtstage des -Kommandeurs zu erfinden. - -„Da hast Du Dich ja schön in die Nesseln gesetzt,“ sagte Marie -schadenfroh, als das lustige Glockengeklingel des Krümpers in der Ferne -verstummt. - -„Warum?“ fragte Monika kampfbereit. - -„Weil Du einen netten Kohl zusammenschreiben wirst.“ - -„Abwarten!“ sagte Monika lakonisch. - -Nachdem sie beim Onkel Aktenbogen und Bleistift erbeutet, legte sie -sich auf den Teppich und begann eifrig zu kritzeln. - -Am nächsten Morgen legte sie Frau von Holtz ihr Machwerk vor, die es -mit lebhaftem Mißtrauen in die literarischen Fähigkeiten ihrer Nichte -las. - -Wider ihren Willen fand sie es sehr nett. Aber sie traute ihrem Urteil -nicht. Sie las sonst nie etwas anderes als Zeitungen, fand Poesien -überspannt und war sich ehrlich bewußt, „von all diesen Sachen nichts -zu verstehen“. - -Marie lehnte ab, Monikas Erzeugnis zu lesen, obwohl sie vor Neugierde -darauf brannte. Aber Monika sollte sich ja nicht einbilden, daß sie für -ihre Dummheiten etwas übrig habe. - -Mit stiller Verzweiflung sah die Dichterin, daß Tante auch nicht die -mindesten Anstalten machte, das Opus nach Hahndorf abzuschicken. Und -nachdem sie drei Tage in gräßlicher Nervenspannung verbracht, griff sie -zu einem heroischen Mittel: sie packte ihr Werk ein und adressierte es -selbst nach Hahndorf. Nicht etwa an die Teufelin. Vor der hatte sie zu -großen Respekt. „Leutnant Graf Herckenstedt“ stand auf dem Kuvert und -auf das Manuskript hatte sie gekritzelt: „Wie Sie sehen, habe ich mein -Versprechen gehalten. Hoffentlich gefällt’s!“ - -Sie paßte den Briefträger ab und händigte ihm selbst das umfangreiche -Kuvert ein. Als er umständlich die Adresse gelesen, grinste er -freundlich und grinste noch freundlicher, als Monika ihm ein kleines -Trinkgeld in die Hand gedrückt. - -Als einige Tage später Frau von Teufel zur Höll und Frau von Roßberg -zum Besuch vorsprachen, war der jungen Autorin doch recht unbehaglich -zumute. - -Aber ihre Besorgnisse hielten nicht lange vor, da die Teufelin ihr -gleich beim Eintreten förmlich freundlich zugelächelt und dann Frau von -Holtz versicherte, daß „ihre liebe Nichte wirklich eine ganz reizende -Idee gehabt“. - -Frau von Holtz schwebte im Unklaren, wußte nicht recht, wie sie sich zu -der ganzen Sache stellen sollte, aber sie wurde auch gar nicht gefragt. - -Frau von Teufel vertiefte sich sofort in ein detailliertes Gespräch mit -Monika, Marie zog mit ihrer Freundin in ihre Privatgemächer, und Frau -von Holtz blieb nichts weiter zu tun, als Tee zu bestellen. - -Als dann dieser Tee und ein riesenhafter Napfkuchen die Parteien um den -runden Tisch versammelt hatte, bat Frau von Teufel Monika, ihr Werk nun -vorzulesen, damit man gemeinsam den Eindruck beurteilen könne. - -Monika begann. Aber die Teufelin, der niemals etwas schnell genug ging, -kam von ihrer Idee zurück. „Nein, jetzt nicht vorlesen. Ich werde -einen Extrakt des Stückes geben, und dann wollen wir uns erst über die -Rollenbesetzung einig werden. Also -- --“ - -Eine kleine Kunstpause. - -Marie bemühte sich krampfhaft, ihr Interesse zu verbergen, indem sie -mit unbeweglicher Miene aus den Fransen der Tischdecke Zöpfchen flocht. - -„Also die Szene zeigt zwei Leutnants. Der eine von ihnen, seit -kurzer Zeit glücklich verheiratet, redet dem andern zu, sich endlich -auch Hymens Rosenfesseln anlegen zu lassen. Der Freund versichert, -daß er durchaus nicht abgeneigt wäre, daß ihm aber die Wahl arges -Kopfzerbrechen mache. Hierauf verabschiedet sich der Freund. Der -Junggeselle bleibt allein und schläft ein.“ - -Marie stieß einen höhnischen Laut aus, worauf Monika sich in Positur -setzte wie ein junger Kampfhahn. Sie fragte: „Sag’ mal, warum soll der -Leutnant nicht einschlafen?“ - -„Hierauf erscheint die Phantasie und sagt dem Schlafenden, sie -wolle ihm die jungen Damen zeigen, unter denen er wählen könne. Die -Phantasie hebt ihren Zauberstab, und es erscheinen, begrenzt von -einem Bilderrahmen, nacheinander die Typen der weiblichen Wesen, die -den Leutnant mit ihrer Hand beglücken möchten: Sportdame, Salondame, -Studentin. Sie alle lassen unseren Helden kalt. Aber als zum Schlusse -das ganz unmodern erzogene, altmodisch-holdselige Mädchen erscheint, -das bei Mama kochen lernt und in ihrem kleinen Herzen eine große Liebe -für diesen Leutnant trägt, da wählt er sie zu seiner Lebensgefährtin.“ - -Einen Augenblick Stillschweigen. - -„Der Sieg der Tugend,“ sagte Monika mit bescheiden niedergeschlagenen -Augen. - -Frau von Holtz, der die Tendenz des Werkes erst jetzt so recht aufging, -zog Monika liebevoll zu sich heran und bat ihr im stillen vieles ab. - -Wie nett und moralisch das liebe Kind das doch gedichtet hatte. - -Marie versuchte ihre verächtliche Miene beizubehalten. - -Frau von Roßberg grinste und sagte: „Den Helden muß natürlich mein Mann -spielen.“ - -Die Etatsmäßige, die diese Aeußerung vorlaut fand, warf ihr einen -verweisenden Blick zu. - -Aber im Verlaufe der Beratung ergab sich, daß tatsächlich Roßberg -den Helden spielen mußte, da er der einzige Herr war, der etwas -theatralisches Talent besaß. - -„Und ich bin das junge Mädchen, mit dem er sich verlobt,“ sagte Frau -von Roßberg. - -„Wir haben ja darüber noch gar nichts bestimmt,“ warf Frau von Teufel -ein. - -„Aber er küßt sie doch.“ - -„Theaterkuß!“ entschied die Teufelin. „Also bisher hätten wir: Ehemann: -Herr von Hellrich, -- der Junggeselle: Leutnant von Roßberg. Die -Phantasie, -- ja um alles in der Welt, wen könnten wir als Phantasie -wählen?“ - -Monika mußte sich in die Lippen beißen, um nicht zu flehen: „Mich!!“ - -Sie hatte sich alles schon bis ins Detail ausgemalt: ein -dekolletiertes, pfauenblaues Chiffongewand, -- Orchideen in den Haaren, -schillernde Schmetterlingsflügel an den Schultern. - -Es traf sie wie ein Schlag, als jetzt Frau von Teufel sagte: „Ich -denke, Violette Holl paßt dafür am besten. Mit ihrer stattlichen -Erscheinung und den goldblonden Haaren. Also die Phantasie: Violette -von Holl. -- Die Sportsdame: ich!“ - -Ein nicht ganz zu unterdrückendes Erstaunen bemächtigte sich der -Anwesenden. Niemand hatte geahnt, daß die Teufelin mitspielen wollte. - -Sie selbst ging sehr schnell über diese Tatsache hinweg. - -„Die Salondame: nun, vielleicht Frau von Roßberg, da das keine Rolle -für ein junges Mädchen ist. Die Studentin: Fräulein von Holtz. Ich bin -überzeugt, das liegt Ihnen, Fräulein Marie. Die Tänzerin: ich hatte -Fräulein von Birken gedacht, aber Erika Holl bat so, ob sie nicht -die Rolle haben könnte. Sie wird das ja auch sicherlich sehr graziös -machen. Und das brave, junge Mädchen, ich denke, das ist für Fräulein -von Birken.“ - -Monika machte ganz erstaunte Augen. Es war das erstemal in ihrem Leben, -daß man sie als „ein braves junges Mädchen“ bezeichnete. Sie war mit -der Rolle nicht sehr einverstanden. Sie hatte sich nun mal auf die -Phantasie verspitzt. - -„Ich dachte: Fräulein von Birken, weil sie doch die Jüngste ist; ihr -muß das Backfischhafte doch am besten liegen.“ - -Monika fand -- ein seltener Fall bei ihr -- keine Entgegnung. Sie war -noch ganz in Nachdenken versunken, als die Damen schon lange weg waren, -nachdem man noch verabredet, wann die erste Probe stattfinden solle. - -Zwischen den Cousinen herrschte langes Stillschweigen. Endlich rang -sich Marie zu einer Art Ehrenerklärung durch. „Im übrigen muß ich Dir -noch sagen, Mone, die Tendenz von Deinem Dingsda ist gar nicht so -überspannt, wie Du sonst bist. Daß der Leutnant das einzig häuslich -erzogene, junge Mädchen nimmt, ist riesig vernünftig.“ - -„Was, vernünftig?! Nur ein Beweis für seine haarsträubende Dummheit ist -es. In der Ehe langweilt er sich doch tot mit dieser kleinen Gans!“ - -„Was?!“ - -„Na, natürlich, ich wollte in dem Dings doch gerade zeigen, wie solch -dummer Mann allen anderen das Gänschen vorzieht, bloß weil ihm das -so vertraut und bequem ist: so eine Erziehung ~vieux jeu~! -- Eine -Persiflage ist’s!“ - -„Na so eine Falschheit von Dir! Das merkt doch kein Mensch, daß es eine -Persiflage sein soll!“ - -„Wenn man’s gleich merkt, dann ist ja kein Witz dabei.“ - -„Unerhört! Das sag’ ich Frau von Teufel.“ - -„Dann sag’ ich, Du hast mich mißverstanden; Du hast eben meine -künstlerischen Intentionen nicht gefaßt.“ - -„Mone, Du bist gemein!“ - -Mit diesem vernichtenden Urteil beschloß Marie die Unterredung, verließ -das Zimmer und schmetterte die Tür hinter sich ins Schloß. - -[Illustration] - - - - -3. - - - „Heut’ ist der große Tag erschienen, - Auf den so lang’ wir uns gefreut -- --“ - -Schallend klang es durchs Haus. - -„Mone, Du tobst -- --“ - -„Schlimmer als das, Tantchen, viel schlimmer! Ich werde schon kindisch, -ich fühle mich in meine zarteste Kindheit zurückversetzt: ich singe das -Lied, das ich im Alter von vier Jahren zu Weihnachten sang.“ - -Und wieder erklang es schallend: - - „Heut’ ist der große Tag erschienen, - Auf den so lang’ wir uns gefreut -- --“ - -„Mone!“ - -„Tantchen, darüber kann man den Verstand verlieren, auch wenn man davon -mehr besitzt als ich! Heute bin ich fünfzehn Jahre elf Monate und zwei -Tage, und heute wird schon ein Stück von mir aufgeführt, -- ein Stück! -Ich bin einer der frühzeitigsten Dramatiker, die es je gegeben hat.“ - -„Mone, Du schnappst doch noch mal über,“ sagte Marie, die eben eintrat. - -Aber sie sagte das nicht mit dem grimmigen Ernst, den sie sonst ihrer -Cousine gegenüber anwendete. Auch sie war freudiger Stimmung, in -gespannter Erwartung auf die Ereignisse des Abends. - -Und dieser Abend versammelte eine fröhliche Menschenmenge im Hahndorfer -Kasino. - -Wie bei allen Liebhaber-Aufführungen herrschte hinter den Kulissen ein -lebhaftes Durcheinander. - -Violette behauptete, die Flügel der Phantasie würden nun und nimmer -festsitzen, Erika jammerte, das Tänzerinnenkostüm sei viel kürzer, als -sie es bestellt. - -Der Griechenjüngling fluchte, weil die Bänder seiner Sandalen immer -wieder „von selbst aufgingen“, kurz, es herrschte Unruhe auf der ganzen -Linie. - -Aber endlich erklangen die letzten Töne der Ouvertüre, die eine -Rittmeistersgattin mit viel gutem Willen und wenig Talent auf dem -Flügel herunterhackte. - -Der Vorhang hob sich, das obligate entzückte „Ah“ der Zuschauer: - -Violette von Holl als Werthers Lotte, den Brotleib an den üppigen -Busen gepreßt, umlagert von einer hungrigen Kinderschar -- es waren -sämtliche Kinder der Offiziersfamilien aufgeboten worden -- in der Tür -erscheinend Leutnant von Roßberg als Werther. Er machte ein entschieden -unglückliches Gesicht. Ihm waren zu viel Kinder auf der Bühne. Er hatte -nun mal eine unüberwindliche Abneigung gegen „Krabben“. - -Zu seinem Entsetzen wurde das Bild dreimal gezeigt. - -Der Oberst war ganz begeistert; er antizipierte bei dem lieblichen -Anblick Großvaterfreuden. - -Dann ging es programmgemäß weiter. Die „griechische Frühlingsidylle“, -besonders freudig von den Leutnants begrüßt, welche Hellrich schon seit -Wochen mit seinem Griechenjüngling neckten. - -Dann Tasso und die Leonoren, -- eine Tanzstunde im Biedermeierstil --, -in mehr oder weniger gelungener Darstellung wurden Szenen aus allen -möglichen Kultur-Epochen vorgeführt. - -Endlich kam die große Pause, nach welcher Monikas Werk: „Die Brautwahl“ -steigen sollte. - -Die Autorin stand in der Kulisse, schon im Kostüm ihrer Rolle: ein -weißes Batistkleid, die Haare in zwei dicke Hängezöpfe geflochten, mit -großen, blauen Schleifen darin. Ihr Gesichtchen wollte trotz seiner -Jugendlichkeit nicht ganz zu dem harmlosen Backfischstaat passen. Für -einen Kenner lag schon zu viel Ausdruck in den langbewimperten, dunkeln -Augen, zu viel Bewußtsein um den vollen, roten Mund. - -Monika markierte Sicherheit, sah unbeweglich zu, wie nun alles für die -Szene arrangiert wurde. - -Herr von Roßberg, der neben ihr stand, ließ sich aber durch ihre äußere -Ruhe nicht täuschen. - -„Die Angst, gnädiges Fräulein?! Was?!“ - -Monika sah dem hübschen Adjutanten voll ins Gesicht. - -„Aber keine Spur! Ich bitte Sie, bei so einem Hauptakteur -- -- --“ - -Er verbeugte sich geschmeichelt. - -Und sie lachte ihn an mit blitzenden Zähnen. - -Es hatte sich aus den Proben ein kleiner Flirt zwischen den beiden -entwickelt. - -Entschieden war Roßberg der amüsanteste und hübscheste der Leutnants. -Daß er verheiratet war, störte Monika nicht. Im Gegenteil! Sie fand das -„riesig pikant“. Und außerdem fand sie ihn „viel zu hübsch für seine -Frau“. - -Ihr gefiel Frau von Roßberg nun mal in keiner Weise, und sie äußerte -zu ihrer Cousine, Roßberg habe dieses grinsende Trudchen gewiß ihres -Geldes wegen geheiratet. - -Marie war außer sich gewesen, hatte ihrer Freundin alle nur denkbaren -Reize zugesprochen und behauptet, daß Roßberg seine Frau schon seit -Jahren glühend liebe. Sie seien Nachbarskinder gewesen, und Trudchen -sei Roßbergs erste, einzige und letzte Liebe. - -Monika hatte sehr interessiert zugehört, hatte dann, ungehindert -durch irgendwelche Rücksichtnahmen, die sie als „Gefühlsduseleien“ zu -bezeichnen pflegte, weiter mit Roßberg kokettiert, der ihr in seiner -leichtsinnigen Art die Cour machte. - -Dieser Flirt wurde allseitig sehr harmlos aufgefaßt, selbst Frau -Trudchen hatte nur ein amüsiertes Lächeln dafür. Die einzige, die -die Neckereien zwischen Roßberg und Monika mit ernsthaftem Interesse -verfolgte, war Marie. Mit lebhaftem Mißtrauen beobachtete sie jeden -Blick ihrer Cousine, jedes Lächeln. - -So auch heute wieder, als Monika und Roßberg in den Kulissen plauderten. - -Von dem Platze aus, wo sie saß, konnte sie genau hören, was die beiden -sich wieder zu erzählen hatten. - -„Bloß noch zehn Minuten bis zum Anfang, gnädiges Fräulein.“ - -„Ja,“ ein Angstseufzer entrang sich, aller Selbstbeherrschung zum -Trotze, Monikas Brust. - -„Und wir müssen doch noch üben, gnädiges Fräulein.“ - -„Was denn üben?“ - -„Na, den Kuß, den ich Ihnen zum Schlusse zu geben habe.“ - -Monika lachte. - -„Theaterküsse brauchen nicht geübt zu werden.“ - -„Wenn Sie ganz lieb bitten, gebe ich Ihnen einen echten statt so einen -dummen Theaterkuß, Fräulein Monika.“ - -„Oho, das sag’ ich Ihrer Frau.“ - -„Können Sie dreist. Ich würde es doch nur tun, um Ihr Stück -naturalistischer herauszubringen. Denken Sie, vielleicht hängt der -Erfolg Ihres Werkes davon ab.“ - -Monika lachte, lachte so ungezwungen und laut, wie sie es trotz aller -Strafreden immer tat. - -„Wie wenn ein Füllen wiehert,“ hatten ihre Brüder immer gesagt. - -„Außerdem müssen Sie bedenken: solch verheirateter, alter Herr wie ich! -Sie könnten ja meine Tochter sein, Fräulein Monika.“ - -„Oho, ich werde nächsten Monat sechzehn.“ - -„Und ich werde nächstes Jahr Oberleutnant!“ - -„Ach, Sie Respektperson!“ - -„Bin ich auch. Aus dreierlei Gründen. Erstens -- --“ - -„Lieber Herr von Roßberg, wenn Sie jetzt nicht bald aufhören zu -erzählen, werden Sie heiser und gefährden den Erfolg meines Stückes. -Bitte, bitte, seien Sie still und essen Sie etwas Zuckerkand. Ich -glaube, ich habe welchen mit -- --“ - -Sie begann eifrig in ihrer Tasche zu suchen. - -Indes trat Roßberg auf Marie zu und behauptete, der rote Stürmer stehe -ihr famos. - -Marie antwortete dem Manne ihrer Freundin nicht mit der burschikosen -Herzlichkeit, die sie sonst ihm gegenüber anschlug. - -Im Gegenteil! Sie wurde ironisch. - -„Die Rolle heute paßt Ihnen wohl, Herr von Roßberg, -- -- ein Held, der -von so vielen Damen begehrt wird -- --“ - -Er schien gar keine Spitze zu fühlen. - -„Ja, entzückend,“ sagte er. „Sie haben ganz recht, die Rolle macht mir -einen riesigen Spaß. Wenn nur das Auswendiglernen nicht wäre, -- noch -dazu Verse, gereimte Verse. Trude hat genug zu tun gehabt, mich zu -überhören. So ganz tadellos geht’s immer noch nicht.“ -- -- - -„Wie war das doch, Poetessa,“ -- er wandte sich zu Monika -- „wie sage -ich doch zu meinem Freunde: - - Wenn ich Dich reden höre, alter Knabe, - So dünkt es mich wahrhaftig so, als ob - Auch ich Talent zum Ehemanne habe, - Denn ich bin phlegematisch, faul und grob --“ - -Monika schrie beinahe vor Vergnügen. „O, Herr von Roßberg, so ist es -famos, viel hübscher, als ich es gedichtet habe. Sagen Sie’s so! Ja?“ - -„Ich werde mich schön hüten!“ erwiderte er ausdrucksvoll und ging -seiner Gattin einen Schritt entgegen, die eben auf die Gruppe zukam. - -Sie war im Ballkleid, in ihrer Rolle als Salondame, und drehte sich -beifallheischend einmal um ihre eigene Achse, -- „wie ein Fixstern“, -erläuterte ihr Gatte. - -Sie hatte ein creme Seidenkleid gewählt und trug rote Rosen am -Ausschnitt. - -Sie fand ein freundliches Wort für Maries Anzug, ihre Hauptbewunderung -aber spendete sie in ihrer offenen Art Monika. „Zu lieb sehen Sie aus, -Fräulein von Birken. Ein süßes Backfischchen! Daß Sie die ganze Sache -gedichtet haben, das kann man gar nicht glauben.“ - -Graf Herckenstedt, der Regisseur, kam ganz aufgeregt angerannt und -jammerte, daß wieder alles durcheinander laufe. Jetzt sei wieder -Fräulein von Holl nicht zu finden. Dabei sah er aufmerksam in alle -Ecken, als ob die große Violette sich in einer solchen verborgen haben -könne. - -Er atmete förmlich erlöst auf, als Fräulein von Holls Walkürengestalt -endlich auftauchte, im Schmucke der nun endlich sitzenden Flügel, -„anzuschauen wie Zeppelin 3“, erklärte Roßberg. - -Ein Klingelzeichen -- -- noch einige Minuten heftiges Durcheinander, -Reden, Fragen -- -- dann wieder ein Klingelzeichen, und der Vorhang -hebt sich. - -Hellrich und Roßberg, beide in Litewka, beginnen ihren Dialog, und das -Publikum lauscht gebannt den hübschen Versen. Nicht endenwollender -Applaus am Schluß. - -Monika strahlt. Ein unendliches Wonnegefühl weitet ihr die Brust, füllt -ihr die Adern zum Bersten. - -Das ehrgeizige Köpfchen glüht im Rausche des Erfolges. O, daß das Leben -so schön sein kann... so schön... - -Dann kommt der Tanz. - -Monika fliegt von einem Arm in den andern. Schmeichelworte klingen ihr -in die Ohren, Männerarme umfassen sie fest. - -Die welkenden Blumen an ihrem Ausschnitt duften schwül und süß, und -die Walzermelodien hüllen alles in einen schillernden Schleier von -Schönheit, von lachendem Leichtsinn. - -Der Leutnant von Roßberg tanzte an diesem Abend sehr oft mit Monika; -als Hauptakteur prätendierte er besondere Rechte. - -Monika behauptete, daß er sie tyrannisiere. - -„Ich kann wirklich nicht mehr. Lassen Sie mir doch ein bißchen Ruhe. -Ich bin so müde,“ jammerte Monika. - -„Dann werden wir diesen Tanz meinetwegen verplaudern.“ - -Er zog ihre Hand durch seinen Arm und führte sie in eines der kleinen -Rauchzimmer. - -Hier saßen zwei Fähnriche bei einer Flasche Sekt; sie hatten sich -grollend hierher zurückgezogen, weil sie von den Damen „zurückgesetzt“ -und „niederträchtig behandelt“ worden waren. - -Beim Eintritt des Regimentsadjutanten sprangen sie beide empor. - -Aber es kam noch schlimmer, als sie gedacht hatten. - -Roßberg machte ein geradezu entsetztes Gesicht: - -„Hier finde ich Sie also, meine Herren. Ist es möglich? Ist es denkbar? -Das ist Deutschlands Jugend! Anstatt im rauschenden Ballsaal, gehorsam -den Winken unserer Schönen, ergeben Sie sich hier dem stillen Suff! -Schlemmen in egoistischer Weise! -- An die Arbeit, meine Herren, an die -Arbeit!“ - -Er machte eine befehlende Geste, deren Autorität eines Napoleon würdig -gewesen wäre. - -Die Fähnriche stoben davon. - -Roßbergs ernsthafte Miene wandelte sich in strahlende Heiterkeit. - -„Das haben wir fein gemacht. Was? So ist man wenigstens ungestört.“ - -„Inwiefern störten Sie die Fähnriche?“ fragte Monika mit -unschuldsvollen Augen. - -„Ach, das wissen Sie ja allein. Ihr Hauptdarsteller hat doch noch was -nachzuholen.“ - -„Was?“ - -„Fräulein von Birken, ich bitte mir Offenheit aus. Sie wissen ganz -genau, daß ich Ihnen bloß einen elenden Theaterkuß gegeben habe. -Vorbeigeküßt habe ich. Ostentativ vorbeigeküßt! Das brauchen Sie sich -nicht gefallen zu lassen!“ - -Monika versuchte zu lachen. - -Aber sie lachte nicht so wie sonst. - -„Fräulein Monika, eine Belohnung haben Sie doch verdient,“ sagte er -übermütig. Sein roter Mund mit dem kleinen, blonden Schnurrbart näherte -sich bedenklich ihren Lippen. - -„Reden Sie doch nicht solchen Unsinn,“ stotterte Monika. - -„Nun, dann will ich ernsthaft sein. Die Belohnung habe +ich+ verdient.“ - -Seine Lippen senkten sich auf die ihren. - -Und ohne Ueberlegung erwiderte sie seinen Kuß. - -Eine Minute später tanzten sie wieder im großen Saal. - -Und für den Rest des Abends wich ihr Roßberg nicht von der Seite. --- -- -- - -Als die Familie Holtz in Sarkow ankam, dämmerte schon fahlgrau der Tag -herauf. - -Herr von Holtz beteuerte wie immer, daß es diesmal aber unbedingt das -letztemal sei, daß er zu so einer verfluchten Tanzerei mitkomme. - -Monika war im Begriffe, sich auszuziehen, als zu ihrem Erstaunen laut -an ihre Tür gepocht wurde und Marie erschien. - -Sie trug noch ihren Ballunterrock, hatte eine Nachtjacke angezogen -und sah jämmerlich elend und bleichsüchtig aus in dem dämmerigen -Tagesschein. - -Monika machte erstaunte Augen: „Was gibt’s denn?“ - -„Das wirst Du gleich hören,“ sagte die Cousine in unheilverkündendem -Tone. - -Dann schwieg sie wieder, stand da, lang und hager, und sah mit -vernichtendem Blicke auf das rosige Mädel herab, das vor Schreck -unfähig war, sich weiter auszuziehen. - -Beklemmendes Stillschweigen. Nur im Ofen knisterte es leise. - -„Na?“ fragte schließlich Monika halb schüchtern, halb trotzig. - -„Sagt Dir Dein Gewissen nicht, warum ich komme?“ - -Monika sah sie erstaunt an, blickte dann im Zimmer umher und wartete. - -Aber anscheinend regte sich ihr Gewissen nicht. - -Und so beantwortete sie die Frage ihrer Cousine mit einem „Nein“, dem -man die Ehrlichkeit anhörte. - -„So?... Na, dann werde ich Dir mal zu Hilfe kommen. Also: ich habe -alles gesehen.“ - -„Was denn gesehen?“ fragte Monika. - -Eine heiße Röte überflammte ihr Gesicht. - -„Ich bin Dir nachgegangen, als Du Herrn von Roßberg aus dem Tanzlokal -locktest.“ - -Das Falsche der Anschuldigung gab Monika ihren Mut zurück. - -„Is ja gar nicht wahr.“ - -Die hagere Cousine reckte sich noch gerader auf, wuchs förmlich in -ihrer sittlichen Entrüstung. - -„Und dann habe ich gesehen, daß er Dich geküßt hat.“ - -„Na, dann mache doch ihm Vorwürfe und nicht mir.“ - -„Nur Dich trifft die Schuld. Ich weiß, wie Roßberg Trudchen liebt. -Deine unpassende Koketterie ist an allem schuld, und Du solltest Dich -schämen.“ - -Und Monika schämte sich, ehrlich und glühend. Das süße Triumphgefühl, -das sie gehabt: „Mein erster Kuß...“, die naive Zärtlichkeit, die sie -in jenem Augenblick für den hübschen Leutnant empfunden -- das alles -wurde jetzt durch Maries grobe Worte vernichtet; es war, als ob eine -zarte Blüte mit harten, roten Fingern zerpflückt wurde. - -Ein Frösteln überflog Monika. Sie verteidigte sich nicht. - -Sie stand regungslos da, einen starren Ausdruck in dem erblaßten -Gesicht. - -Maries Sicherheit aber stieg durch Monikas Haltung ins Ungemessene. - -„Ja, ja, schäme Dich nur. Endlich machst Du das Armesündergesicht, das -für Dich paßt... Ich habe Dir jedenfalls nur eins zu sagen: Du wirst -übermorgen von hier wegfahren. Finde irgendeinen Vorwand -- was, ist -mir ganz gleichgültig. Aber weg mußt Du! Ich habe keine Lust, mich -meiner eigenen Cousine zu schämen!“ - -„Aber ich kann doch nicht so ohne weiteres...“ - -„Arrangiere das! Wenn Du übermorgen nicht fährst, benachrichtige ich -Trudchen Roßberg von Deinem Benehmen und sage Mama, was ich gesehen -habe.“ - -Monika unterbrach kurz. „Ich werde fahren,“ sagte sie tonlos. „Sag’s -Deiner Mama nicht. Die hab’ ich so lieb.“ - -„Ah, Du bist Dir also ganz genau bewußt, wie Deine Handlungsweise war!“ - -Da richtete sich Monika auf aus ihrer zusammengebrochenen Haltung. - -„Meine Handlungsweise? -- Als ob ich überhaupt dabei eine -Handlungsweise gehabt hätte! Ich habe -- ich -- ach, das war eben so -ein Augenblick -- aber +Deine+ Handlungsweise, mir so nachzuspüren...“ - -„Bitte, keine Kritik,“ unterbrach Marie sie schneidend, „das wäre doch -ein bißchen gar zu einfach für die leichtsinnigen Leute, wenn die nicht -leichtsinnigen ... ihnen nicht nachspüren dürften!“ - -[Illustration] - -Durch die dumpfe Stube der Liese klingt ein Weinen. - -„Ach, daß Du schon weggehst, Monchen...“ - -„Na, Liese, besuchst uns mal in Berlin.“ - -„Wird nich gehen, mein Trautstes. Wer soll denn für den Grün sorgen, -für den Fritzchen, fürs Vieh und für die Ollsche?“ - -„Laß Dich doch vertreten!“ - -„Wird nich geh’n, Monchen. Fürs Vieh haben die andern nu schon gar kein -Herz.“ - -Dicke Tränen rollen ihr über das durchfurchte Gesicht. - -„Und grüß mir die Mamachen recht scheen. Und wenn sie wieder ein Paket -schickt: der Kaffee war’s letztemal großartig -- der Zucker auch -- -die vier Pfundchen waren ja bald weg -- aber scheen war er -- und denn -ja nich wieder Nachtjacken, ich hab’ all genug -- aber einen scheenen -Unterrock mit een Volang.“ - -„Wird bestellt, Liese.“ - -„Und wenn Du wiederkommst, Monchen, komm mit ’nen recht forschen -Bräutigam, das ist doch das scheenste auf der Welt...“ - -Der Abschied von Doktor Rodenberg gestaltete sich weniger tränenschwer. -Er empfing Monika sogar ein wenig sarkastisch. - -„Na, lange nicht geseh’n. Die Hahndorfer Blauröcke lassen Dir wohl -keine Zeit?... Was? Abschied nehmen? Du wolltest doch bis zum März -bleiben.“ - -Monika lachte verlegen. „Ich stehe mich mit Marie nicht sehr besonders.“ - -„Kann ich mir lebhaft vorstellen, Kindchen. Also schon fort?“ - -„Ach, und ich habe Sie so wenig gesehen, Doktor. Wie schade! So vieles -wollte ich Sie fragen. Das ist so komisch mit mir! Ich möchte lernen, -daß mir der Kopf raucht, alle schönen und alle großen Dinge möchte -ich lernen -- graben in den herrlichen und fruchtbaren Schächten der -Weltgeschichte -- die Pflanzen belauschen in ihrem Werden und Vergehen --- den Tieren nachspüren, allen Tieren, bis hinab zu denen, die fast -noch Pflanzen sind. Ach, lernen, immer mehr lernen! -- Und dann wieder --- dann lass’ ich alles im Stich, wenn ich bloß ein blaues Tüllkleid -anprobieren soll und... und lass’ es gern im Stich! Und auf dem -Ball lache ich mit den Herren und finde alles gelehrte Zeug geradezu -blödsinnig. Und... und bin auch dann so rasend glücklich! Ich weiß -nicht, ich verstehe mich selbst nicht...“ - -Sie brach ab. - -Der Doktor nahm ihr rosiges Gesicht in seine beiden Hände. Er -betrachtete lächelnd die schönen Augen, den naiv-genußsüchtigen, -hochgewölbten Mund. - -„Kind, wenn Du nicht so hübsch wärst, hätte aus Dir wahrhaftig was -werden können,“ sagte er schließlich. - -„Aber das Hübschsein ist doch kein Hinderungsgrund für geistige -Bedeutung?“ fragte Monika kampfbereit. - -„Doch Kind. Verträgt sich nicht miteinander. Das wirst Du schon noch -sehen. Aphrodite und Pallas Athene haben sich nie leiden mögen.“ - -„Und welcher soll ich folgen?“ fragte Monika ihn mit dem ganzen -inbrünstigen Vertrauen ihrer Kinderjahre. - -Er lachte kurz auf. - -„Du hast Dir einen schlechten Ratgeber ausgesucht. Ich hab’ mir selbst -nicht raten können.“ - -Es war ein so bitterer Ton in seiner Stimme, daß Monika einen -Augenblick sich selbst vergaß, einen Augenblick den jugendlichen -Egoismus, der sich selbst das Interessanteste ist, beiseite ließ. - -Ein heißes Mitgefühl blitzte in ihren Augen auf. - -„Ja, Doktor, es ist doch eigentlich sonderbar, daß Sie Ihr Leben hier -so vertrauern. So rasend klug wie Sie sind und gebildet! Sie könnten -doch eine Rolle spielen, könnten in großem Maßstabe wirken für die -Allgemeinheit!“ - -Er lächelte höhnisch. - -„Wenn mir die Allgemeinheit bloß nicht so verdammt gleichgültig wäre!“ - -„Oh!“ - -„Sieh mal, Kind, ich hab’ in meinen Brausejahren ja auch die Welt aus -den Angeln heben wollen. Und zum Arzt war ich gewiß nicht gemacht. -Ohnmächtig hingeschlagen bin ich, als ich das erstemal in den -Seziersaal kam. Alles in mir hat sich aufgebäumt gegen den Anblick von -Gebresten und Tod. Zu meiner Mutter bin ich hingestürzt: ‚Umsatteln! -Ich will nicht Medizin studieren. Literaturhistoriker.‘ -- - -Na, die Antwort hättest Du hören sollen! Arzt werden sei ein -Brotstudium, und das habe sie als Witfrau doch wohl um mich verdient, -daß ich sie in absehbarer Zeit ernähre. Na, schön, ich habe -nachgegeben. Man gewöhnt sich ja auch. Aber man sieht bei diesem Beruf -zu sehr, was für ein armseliges Ding der Mensch ist! Und um nicht -verrückt zu werden über all den gräßlichen Bildern, hab’ ich mich in -die Philosophie geflüchtet, habe mich in die seltsamen, narkotischen -Philosophien des Ostens vertieft: China und Indien.“ - -Er starrte träumerisch geradeaus. - -Da traf Monikas Antwort sein Ohr. „Feig’ ist das!“ - -Wie ein Schlachtruf klang’s. „Feig’! Sein Leben zu verträumen und -verdösen in solch künstlicher Gemütsruhe. Wie ein Sumpf ist das. Ich -aber will raus, raus in die See! Und wenn ich tausend blutige Schmerzen -haben werd’, so werd’ ich auch tausend brennende Freuden haben! Und -werd’ leben, es in allen Adern fühlen, das herrliche, blutrote Leben!“ - -Ihre Hände hatten sich zu Fäusten geballt. Eine so heiße Welle von -Kraft ging von ihr aus, daß sie zu dem müden Manne hinüberstrahlte, -seine Nerven aufzucken ließ in sekundenlangem Leben. - -„Hättest früher kommen sollen, Mone. Bist zwanzig Jahre zu spät geboren -für mich. Viel früher hättest Du kommen sollen.“ - -Es war ein dumpfer Klang in seiner Stimme. - -Und dann breitete er beide Arme aus und drückte sie fest an sich: „Leb’ -wohl, Mone. Adieu, Kätzchen. Wenn Du wiederkommst, bin ich wohl nicht -mehr da.“ - -„Oh!“ schrie sie erschreckt auf. - -„Stille. Sehr lange spielt mein Herz wohl nicht mehr mit. Der edle -Alkohol wird ihm zu viel. Stille, Kind! Eines lehren meine weisen -Freunde aus dem Osten: anständig zu sterben...“ - -Monika war so erschüttert über diesen letzten Besuch bei Doktor -Rodenberg, daß ihr der Abschied von Sarkow nicht so fühlbar wurde, wie -sie geglaubt. Sie wollte von hier aus zu einer Schwester ihrer Mutter, -um dort noch einige Zeit zu bleiben, ehe sie nach Hause zurückkehrte. - -Herr und Frau von Holtz nahmen sehr herzlich von ihr Abschied. - -Marie begleitete ihre Cousine zur Bahn. Sie hatte sich das selbst -ausbedungen. Es war, als ob sie immer noch Angst hätte, daß Monika -dableiben könne. - -„Na, denn komm nur, Du Gefangenwärter,“ rief ihr Monika, die schon im -Schlitten saß, zu. - -Die Pferde zogen an. Leicht glitt der Schlitten über den blendenden -Schnee, und die Glocken klingelten hell. - -Die einförmige Fahrt wurde durch kein Gespräch unterbrochen. Schweigend -saßen die Cousinen nebeneinander. - -Ein paar Kilometer vor Neustadt wurde die tote, weiße Landschaft -lebendig. - -Eine Schwadron Dragoner kam daher. - -Monikas Züge hellten sich auf. Sie lachte vergnügt den Soldaten zu, die -ihr bewundernde Blicke zuwarfen, indes sie langsam an dem Schlitten -vorbeizogen. - -Die Offiziere grüßten. - -Als letzter kam Roßberg, der sofort seinen Trakehner anhielt. - -„Sie reisen?“ fragte er erstaunt. - -„Ja,“ sagte Monika mit einer Schmollmiene, deren Koketterie Marie -innerlich rasen ließ. - -„Wie schade!“ - -„Ja, schade. Aber ich muß fort.“ - -Er sah ihr mit herzlichem Bedauern in die Augen: - -„Kommen Sie bald wieder. Wir werden uns alle sehr freuen.“ - -Ein Händedruck -- und er sprengte hinter den anderen her. - -Monika streifte mit einem Seitenblick das zornrote Gesicht ihrer -Cousine. Eine plötzliche Empörung wallte in ihr auf gegen ihren -unerbittlichen „Gefangenwärter“. - -Trotzig warf sie den Kopf ins Genick und pfiff laut vor sich hin: - - „Muß i denn -- muß i denn - Zum Städtle ’naus - Und du, mein Schatz, bleibst hier...“ - -Der Erfolg trat prompter ein, als sie erwartet. - -Marie stieß mit geballten Händen einen unartikulierten Zorneslaut durch -die Zähne. Und durch die klare Luft kam deutlich das Echo aus dem Munde -des davongaloppierenden Reiters -- so lockend klang’s: - - „Muß i denn, muß i denn - Zum Städtle ’naus -- - U -- und -- du -- mein Schatz...“ - -[Illustration] - - - - -4. - - -„Heinzemännchen...“ - -Der Angeredete, der, in ein Buch vertieft, in einem roten Plüschsessel -saß, gab ein unwilliges Grunzen von sich. - -Aber Frau von Birken ließ nicht locker. „Heinzemännchen, willst Du den -Kalbsbregen mit oder ohne Sardellen gekocht?“ - -„Mit!“ sagte Heinzemännchen energisch und versank von neuem in sein -Gedichtbuch. Lyrik war seine Passion. - -Frau von Birken, deren zierlich schlanker Erscheinung und deren -hübschem Gesicht mit den blühenden Farben man ihre siebenunddreißig -Jahre nicht anmerkte, setzte sich auf die Armlehne des Sessels und -küßte das storre, braune Haar ihres Lieblingssohnes. - -„Wieder in Poesie aufgegangen, mein Heinzichen? Was hast Du denn da? -Den Eichendorff. Ach, himmlisch. Und wie Du gleich wieder so was -Schönes herausgefunden hast...“ - -Sich über das Buch beugend, las sie: - - „Denkst du noch jenes Abends, still vor Sehnen -- - Als wir das letztemal im Park beisammen?“... - -Sie las diese Zeilen mit pathetischer Betonung, indes sie begeistert -den Kopf hin und her bewegte. - -Heinzemännchen grunzte. Er war heute in trübsinniger Gemütsstimmung und -gar nicht dazu aufgelegt, seine poetischen Empfindungen mit der Mutter -zu teilen. - -„Was hast Du heute eigentlich, mein Einzigstes? Wieder Aerger in der -Schule? Nein? -- Das Mittagessen hat Dir doch geschmeckt? -- Der -Schmorbraten war doch wirklich gut, und die grünen Erbsen so weich. Was -hast Du denn? -- Heinzi, sag’s doch.“ - -Der Knabe stöhnte tief auf; er klappte schmerzlich die Lider halb über -die braunen Augen und sagte: - -„Eine schwere Jugend habe ich -- sehr, sehr schwer.“ - -„Aber, Liebling, warum? Ich tue Dir doch alles zuliebe.“ - -„Eine schwere Jugend,“ wiederholte Heinrich, „seit Papas Tode ruht -alles auf meinen Schultern.“ - -„Heinzchen!“ - -„Ja, es ist doch aber so. Alles auf meinen Schultern. Denke Dir das -Verantwortungsgefühl, das ich habe! Wie ich auf die andern aufpassen -muß! Karls Leichtsinn gibt mir viel zu denken. Und Monika -- Gott, -Monika ist meine schwerste Sorge.“ - -„Sie ist doch ein sehr gutes Mädchen, Heinzemännchen.“ - -„Ja, aber sie hat so gefährliche Anlagen. Das schreibt auch Deine -Schwester Kläre...“ - -Heinrich zog ein Portefeuille heraus und entnahm diesem einen Brief. - -„Ach, an mich...“ - -„Ja, Mama, ich vergaß, es Dir zu sagen. Aber es ist nichts Eiliges; ich -habe ihn schon gelesen. Eine Charakteristik Monikas...“ - -Frau von Birken nahm ihrem Sprößling den Brief hastig aus der Hand und -begann zu lesen: - - „Liebe Mali, - - Deine Bitte, Dir genau mitzuteilen, wie Monika sich hier bei - uns macht, erfülle ich gern. Nach allem, was Du mir von ihr - geschrieben, bin ich nicht ohne Besorgnis gewesen, sie bei uns - aufzunehmen. Leider hat unsere Tochter Bertha schon sowieso nicht - den Ernst, welcher nötig ist, um die wissenschaftliche Laufbahn - einzuschlagen, für welche ich sie bestimmt habe. Bertha findet - einstweilen an kindischen Vergnügungen: Schlittschuhlaufen, - Tanzstunde usw. viel zu viel Vergnügen. -- Sie bereitet sich jetzt - unter Leitung meines Mannes auf das Abiturium vor. Leider weiß - sie das Opfer, das ihr Vater ihr bringt, indem er ihr so viel von - seiner Zeit widmet, die doch durch seinen verantwortungsvollen - Beruf als Oberlehrer schon so sehr in Anspruch genommen ist, nicht - genügend zu würdigen. - - Offen gestanden, ich habe sehr gefürchtet, daß Monika, wie Du sie - mir geschildert hast, einen ungünstigen Einfluß auf Bertha ausüben - würde -- um so mehr, als sie gerade aus Sarkow kam. - - Du weißt: Deine Schwägerin, Frau von Holtz, nötigt mir nicht gerade - hervorragende Achtung ab. Sie ist so recht eine Frau von der alten - Schule -- ohne jedes Verständnis für die ungeheure Bewegung, die - sich seit Jahrzehnten in der Frauenwelt vollzieht. - - Sie erzieht auch ihre Tochter in tadelnswert unmoderner Weise, hat - das dringende Bestreben, Marie bald zu verheiraten, lehrt ihre - Tochter, in der Heirat das Endziel jeden Frauendaseins zu sehen. - Ich weiß das alles von Monika, welche ja leider für ihre Tante - Holtz sehr viel Zuneigung entfaltet. - - Entschieden hat Frau von Holtz auf Monika nur verderblich gewirkt. - Als Deine Tochter ankam, schwärmte sie uns vor von dem blauen - Ballkleide, das ihre Tante ihr hatte arbeiten lassen -- denke Dir: - dekolletiert! -- meiner Meinung nach sehr ungeeignet für solch - junges Mädchen. - - Ich möchte Dir auch nicht verhehlen, liebe Mali, daß Frau von Holtz - Deiner Monika wie auch ihrer Tochter Marie vor den Bällen das - Gesicht mit Reispuder gepudert hat -- eine Handlungsweise, die sich - zu sehr charakterisiert, als daß ich sie näher bezeichnen möchte. - - Erfreulicherweise wird Monika sich nicht dauernd von diesen - frivolen Ratschlägen beeinflussen lassen. - - Mit Dank und Verständnis nimmt sie es auf, wenn ich ihr klarmache, - daß es nicht das Lebensziel einer modernen Frau sein darf, hübsch - auszusehen und liebenswürdig zu sein, sondern daß es der innere - Wert ist, der eine Frau zu dem Vollmenschen gestaltet, den unsere - Zeit verlangt. - - In unserem Bekanntenkreise gefällt Monika ganz ausgezeichnet. - Gestern kamen mir in unserem Damenklub sehr schmeichelhafte - Aeußerungen über sie zu Ohren. So sagte mir z. B. die Frau Geheime - Baurat Wegener: „Ihre Nichte ist wirklich ein äußerst interessantes - Mädchen.“ Andererseits kann ich Dir nicht verhehlen, liebe Mali, - daß Deine Tochter auch gefährliche Anlagen besitzt...“ - -„Da hörst Du’s,“ unterbrach Heinzemännchen in bedeutungsschwerem Tone. - -Mit ängstlichen Augen las die Baronin weiter. - - „Erstens: Monika ist adelsstolz. So oft, wie ich ihr schon - auseinandergesetzt habe, daß nicht ererbter Adel eine Zierde des - Menschen ist, sondern einzig und allein nur der Adel der Bildung -- - sie scheint mir nicht überzeugt zu sein. - - Auch benutzt sie Briefpapier mit ostentativ großer Krone. Ferner - zeigt sich bei ihr oft ein Hang zur Oberflächlichkeit, der die - Freude an dem sonstigen Hochstand ihres geistigen Niveaus nicht - ungetrübt erscheinen läßt.“ - -„Sogar sehr oberflächlich,“ bestätigte Heinzemännchen mit -mißbilligendem Kopfnicken -- „gefährliche Eigenschaften hat sie.“ - -Eine Sorgenfalte grub sich in seine schmale Stirn. - -Er hätte sich wohl des weiteren über seine Schwester ausgelassen, -wenn nicht die Tür aufgerissen worden wäre. Karl, der jüngste Bruder, -stürmte herein. - -„Mamachen, bitte, eine Stulle mit Wurst.“ - -„Aber Karl, das ist die elfte heute.“ - -„Dafür habe ich auch kein Mittag gegessen.“ - -„Das ist es ja eben. Du verdirbst Dir den Appetit mit dem ewigen -Butterbrotgestopfe. Du kriegst aber auch nicht eine einzige Stulle -mehr,“ schalt die Mutter und verfügte sich mit bewunderungswürdiger -Konsequenz in die Küche, um die verlangte Stulle herzustellen. - -Karl zog mit seiner Beute triumphierend ab, und Heinrich versank wieder -in die grünen Waldgründe Eichendorffs. - -Frau von Birken aber verblieb einstweilen in der Küche. Sie hatte -sich in ein Gespräch mit Martha, dem hübschen „Mädchen für alles“, -verwickelt. - -Die Baronin hegte eine glühende Anteilnahme für das Geschick aller -Dienstboten, die sie je gehabt, sowie überhaupt für alle Angehörigen -der unteren sozialen Schichten, die sie mit dem Sammelnamen: „die armen -Leute“ zu bezeichnen pflegte. - -In Sarkow war keine Tagelöhnerfamilie gewesen, in welcher die Baronin -nicht jeden einzelnen Sprößling beschenkt hätte, und hier in Berlin -widmete sie ihr Interesse den Portierfamilien sämtlicher Häuser, -in denen sie schon gewohnt; es waren ihrer eine ganze Anzahl, denn -länger als ein Jahr wohnte Frau von Birken in der Regel nicht in einer -Wohnung. Warum sie so oft wechselte, wußte sie übrigens selbst nicht: -sie war mit der jeweiligen Wohnung immer sehr zufrieden. Aber wenn der -Kündigungstermin näher rückte, wurde sie nervös -- vielleicht würde -eine neue Wohnung doch noch schöner sein? - -Es war wohl besser, zu kündigen. Und so schnell würde ja die bisher -innegehabte Wohnung auch nicht vermietet werden: wenn man nichts -Besseres fand, konnte man ja immer noch bleiben. Also, sie kündigte. - -Die Folge davon war, daß die jetzige Wohnung oft schon längst einen -Mieter gefunden, wenn Frau von Birken sich noch gar nicht für eine neue -entschieden hatte. - -Sie tat das gewöhnlich erst einen Tag vor dem Umzug, zu welch letzterem -dann keine „Ziehleute“ mehr aufzutreiben waren. Ein -- zwei Tage -schwebte die Baronin dann in wahrer Verzweiflung, wußte nicht aus noch -ein. Aber wenn dann der Umzug endlich vor sich gegangen -- meistens -wurde dabei viel zerbrochen und beschädigt -- glätteten sich die Wogen -der Erregung bald. Die neue Wohnung wurde entzückend gefunden, bis im -nächsten Jahre dasselbe Spiel von neuem wieder begann. - -Zu ihren Dienstboten verhielt sich Frau von Birken gerade wie zu ihren -Wohnungen: sie fand sie begeisternd, aber sie wechselte sehr gern. - -Uebrigens verabschiedete sie sie nie aufs Ungewisse hin. - -Mit geradezu rührender Sorgfalt suchte sie ihnen neue Stellungen aus, -erließ diesbezügliche Annoncen und schrieb ihnen Zeugnisse, nach denen -die Mädchen von hervorragenden Eigenschaften geradezu strotzten. - -Die jetzige war natürlich auch wieder eine Perle. Und wie nett sie -zu erzählen wußte! Frau von Birken nahm lebhaften Anteil an den -Schwankungen des Liebesverhältnisses, das Martha mit einem Schutzmann -unterhielt. Die Herrin debattierte stundenlang mit dem Mädchen über die -Frage, ob Otto sich zur Heirat entschließen würde oder nicht. Er konnte -doch eine Frau ernähren bei der schönen Anstellung, die er hatte. Aber -ob ihm zu trauen war? - -„Nehmen Sie sich nur in acht, Martha.“ - -Gestern war er also wirklich nicht zu dem verabredeten -Sonntags-Rendezvous gekommen? -- Das war doch entschieden sehr -auffallend. Nun, vielleicht dienstlich verhindert? - -„Aber er hätte jedenfalls schreiben können.“ - -Die beiden waren so in dieses passionierende Gespräch vertieft, daß sie -das Läuten an der Korridortür überhörten. - -Erst als Heinrich grämlich hereinrief, daß wohl erst die Klingel -abgerissen werden solle, ehe sich Martha zum Oeffnen entschlösse, lief -die letztere zur Tür. - -Frau von Birken hörte ihren erstaunten Aufschrei. Gleich darauf wurde -die Tür aufgerissen -- zwei Arme schlangen sich um den Hals der -Baronin, ein ungestümer Mund preßte sich auf den ihren: Monika. - -Die Mutter war zu überrascht, um Worte zu finden, aber Heinrich, der, -seinen Eichendorff fest unter den Arm geklemmt, sich in der Küchentür -sehen ließ, sagte ahnungsbang: - -„Du wirst wohl wieder was Nettes angestellt haben, Mone.“ - -Monika ließ sich den brüderlichen Pessimismus nicht sehr zu Herzen -gehen; sie umarmte den jungen Melancholiker freudestrahlend: - -„Heinzemännchen, Du siehst schon wieder so lebensüberdrüssig aus wie -ein asthmatischer Mops. Freust Du Dich denn nicht, daß ich wieder da -bin? Oder belastet schon wieder die Verantwortung für mein Betragen -Deine schwachen Schultern? Heinzemännchen, beruhige Dich -- ich habe -immer noch weder Wechsel gefälscht, noch einen Leutnant entführt.“ - -Frau von Birken fand nun endlich Worte. „Was hast Du bloß für einen -komischen Umhang um?“ fragte sie und strich erstaunt über die -kapuzinerbraune Umhüllung aus schwerem Loden, welche Monika trug. - -„Das? -- Ein Geschenk von Tante Kläre -- ein ausrangiertes von ihr. Sie -sagt: ‚Frauen, die Toiletten-Luxus treiben, sind keine Vollmenschen.‘ --- Da ich aber zu einem solchen erzogen werden sollte...“ - -„O, Mone, Mone...“ - -„So bin ich ausgerückt. Hurra, hurra, hurra!“ Monika warf ihre geliebte -Pelzmütze in die Luft. „Martha, was zu essen, aber viel und gut! Ist -was in der Speisekammer? Nein? Na, natürlich -- wie gewöhnlich. Gehen -Sie bloß schnell was holen: Leberwurst und Semmeln und Butter und zwei -Zuckerkringel -- ich bin ganz verhungert.“ - -Martha eilte fort, und Frau von Birken sagte mißbilligend: „Mone, -wieder so materiell! Gleich in der ersten Minute des Wiedersehens ans -Essen zu denken...“ - -„Und Du hast in der ersten Minute nur an meinen Umhang gedacht, an -den braunen Umhang. Wir nehmen uns nichts, Mamachen. Du denkst an die -Kleidung, ich ans Essen -- fürs Epikureische sind wir alle beide, Gott -sei Dank.“ - -„Ach, Mone, Du bist genau wie immer,“ klagte Frau von Birken, indes sie -ihrer Tochter ins Eßzimmer folgte. „Und ich hatte gedacht, Du würdest -Dich geändert haben. Gerade von Tante Kläre habe ich Einfluß auf Dich -erwartet.“ - -„Ach, es ist komisch, Mamachen, es hat eigentlich niemand Einfluß auf -mich. Ich habe so andere Ansichten. Die würde ich ja gern ändern, -wenn mich irgend jemand durch Argumente überzeugen könnte. Aber was -die andern sagen, das ist nie stichhaltig: das zerfetze ich mit ein -paar Worten. -- Wenn mich irgend jemand überzeugen könnte, mir eine -Direktive geben -- ~mais je ne demande pas mieux~.“ - -„Nun sage lieber bloß schon gleich, was Du angestellt hast,“ sagte das -geliebte Heinzemännchen trocken. - -„Was ich angestellt habe? Ach, gar nichts. Bloß daß sich der Doktor -Schelling in mich verliebt hat.“ - -„Aha, ein Mann,“ bemerkte Heinrich. - -„Na -- sozusagen,“ erwiderte Monika gedehnt. „Er ist kleiner als ich -und schmäler als ich, und außerdem hinkt er auf dem linken Fuß...“ - -„Mone, Deine Art, auf Aeußerlichkeiten Gewicht zu legen, ist -schrecklich: ich kenne den Doktor Schelling -- ein sehr geistreicher, -feinsinniger Mann...“ - -„Aber, Mama, wie er aussieht -- direkt verboten!“ - -„Mone, Du wirst wieder gemütsroh. Wo Du das nur herhast? Wenn ich so -denke: das Gemüt, das +ich+ habe! Bei meinem Gemüt, Mone...“ - -„Gott sei Dank hab’ ich das nicht geerbt, Mama. Aber um auf den Doktor -Schelling zurückzukommen: der ist Tante Kläres Seelenfreund, Partisan -der Frauenbewegung natürlich. -- Großartig, was sich die beiden jeden -Tag zwischen fünf und sechs zu erzählen haben. Bertha und ich wurden -dann immer mitzugezogen, um zu modernen Mädchen, zu Vollmenschen -heranzureifen; ‚neue Horizonte eröffnen‘, nannte das Doktor Schelling.“ - -„Und Du hast Dich gewiß unpassend benommen?“ - -„Aber keine Spur! Reizend war ich, direkt niedlich. Ich habe sogar -Goethe zitiert, den ich doch eigentlich nicht ausstehen kann. Natürlich -Leonore -- natürlich: - - ‚Ich höre gern, wenn kluge Männer reden, - Daß ich verstehen lerne, wie sie’s meinen...‘“ - -Frau von Birken atmete erleichtert auf. - -„Wahrhaftig, Du warst nicht ungezogen?“ - -„Aber im Gegenteil! Ich war so artig, daß sich der gute Hinkepot in -mich verliebte. Er hat bei Tante um meine Hand angehalten. Ich wußte -gar nichts davon: mir hat er gar nichts gesagt -- bloß, daß ich schöne -Augen hätte und entzückende Hände und so. -- - -Aber Tante hat mir, als sie mir seinen Antrag übermittelte, einen -kolossalen Krach gemacht: nur durch meine Koketterie und meinen Hang -zur Frivolität hätte ich den großartigen, ernsthaften Doktor Schelling -zu solch einer Dummheit verleitet -- zu der Dummheit, einen völlig -unerzogenen Backfisch heiraten zu wollen, der überhaupt gar kein -Vollmensch wäre! -- - -Und als ich dann der Tante sagte, ich dächte gar nicht daran, ihn zu -heiraten, weil er so häßlich wäre und weil ich keinen Bürgerlichen -möchte, da wurde sie erst recht böse und sagte, ich wäre ohne jeglichen -Fond! Na, das wurde mir schließlich zu viel. Das brauche ich mir -nicht gefallen zu lassen. „Ohne jeglichen Fond.“ Da kommt man sich ja -schließlich zu dumm vor. -- Also, da bin ich ausgerückt. Geld hatte ich -bloß sehr wenig. Da bin ich dritter Klasse gefahren. Scheußlich! -- -Unterwegs hat mir ein Pferdehändler gesagt, er möchte sich gern mit mir -verloben.“ - -„Mone!“ - -„Mamachen, keinen Verzweiflungsausbruch! Ich habe doch gar nichts -getan. Was kann ich dafür, wenn sich Leute in mich verlieben? -- -Ah, da kommt Martha mit der Leberwurst. Leberwurst und zum Dessert -Zuckerkringel. Der alte ehrliche Wagner hat doch recht: - - ‚Es gibt ein Glück, das ohne Reu’!‘“ - -[Illustration] - -Am Abend war die ganze Familie um den großen Tisch im Eßzimmer -versammelt. Sogar Alfred war erschienen, Alfred, der sonst seine Abende -außerhalb des Hauses zubrachte, vage Erklärungen für sein Fernbleiben -gab, die niemand ihm glaubte, seine Mutter am wenigsten. - -Sie war von einem beständigen Mißtrauen gegen Alfred erfüllt. Für -diesen ältesten Sohn hatte sie nie viel übrig gehabt -- von seiner -Geburt an nicht. - -Warum, war ihr selbst unklar. - -Doch Alfreds Verhalten ließ ihren Mangel an Zuneigung oft recht -gerechtfertigt erscheinen; er war alles andere eher als ein guter -Charakter. Er war bei allen, die ihn kannten, seiner Boshaftigkeit -wegen gefürchtet; es gab kaum ein größeres Vergnügen für ihn, als -seine Bekannten gegenseitig aufeinanderzuhetzen. Er lernte ungern, war -faul und genußsüchtig -- dabei unleugbar von glänzender Begabung. Doch -diese Begabung hatte etwas merkwürdig Partielles. In vielen Fächern -leistete er absolut nichts, in anderen war er unübertrefflich. Er war -ein mißtrauischer Charakter, der bei allen anderen Böses witterte, -mitunter aber überraschte er durch einen Zug von Gutmütigkeit. - -Auch seine äußere Erscheinung wies kein einheitliches Gepräge auf. -Sein kräftiger Körperbau und seine breiten Schultern ließen auf -einen hochgewachsenen Menschen schließen, aber er erreichte kaum das -Mittelmaß. - -Mit seinem Gesicht konnte er dagegen zufrieden sein. In der Tat war -dieses Gesicht sehr schön -- alle Züge von vollendeter Regelmäßigkeit. -Er hatte kalte, blaue Augen und einen üppig geschwungenen, auffallend -roten Mund, dessen Inkarnat noch leuchtender erschien durch den dunkeln -Flaum auf der Oberlippe. - -Mit der Mutter stand Alfred in sehr gespannten Beziehungen, mit den -Geschwistern kühl. - -Ueber Monikas Kommen heute hatte er anscheinend auch keine Freude -empfunden. - -Heinzemännchen dagegen war es angenehm, daß Monika da war. Nun konnte -er ihr wieder Lyrik vorlesen. - -Monika ärgerte ihn nicht wie die Mama dadurch, daß sie seine -Deklamationen unterbrach, selbst die Verse vollendete, und noch dazu -mit falschen Versfüßen. - -Heute abend kam er zu Monika mit Eichendorff, den er eben „entdeckt“ -hatte. - -Mit tiefem Gefühl und übertriebener Betonung las er ihr vor, jenes -schönste: - - „Denkst du noch jenes Abends, still vor Sehnen, - Als wir das letztemal im Park beisammen? - Wild standen rings des Abendrotes Flammen, - Ich scherzte wild -- du lächeltest durch Tränen. - Ob du die Mutter auch belogst, betrübtest -- - Was andre Leute drüber deuten, sagen -- - Sonst scheu -- heut’ magst du nicht nach allem fragen, - Mir einzig zeigen nur, wie du mich liebtest...“ - -„Da siehst Du’s, Heinzemännchen,“ jubelte Monika: „‚Ob du die Mutter -auch belogst, betrübtest -- was andre Leute drüber deuten, sagen‘... -Da siehst Du’s! Das ist alles schnuppe, wenn man liebt. So beim Lesen -findest Du’s sehr schön, und wenn ich in Wirklichkeit so wäre...“ - -„Laß Dir das nicht einfallen,“ grunzte Heinzemännchen, plötzlich aus -seinen poetischen Himmeln gerissen. - -Alfred warf seiner Schwester einen Blick zu. Er sprach kein Wort. Aber -dieser eiskalte Blick war eine schärfere Drohung als seines Bruders -Worte. - -Karl kaute unbekümmert weiter an seiner Stulle. Frau von Birken -aber sagte ganz erregt: „Mone, ich bitte Dich, nicht immer solch -exzentrische Redensarten. Laß doch das endlich -- mir zuliebe...“ - -„Dir zuliebe?“ fragte Monika gedehnt. Sie warf den Kopf ins Genick: -„Ich lebe doch für mich -- nicht bloß Dir zuliebe, Mama. Man ist doch -nicht bloß dazu da, um so zu sein, wie es zufällig gerade der Geschmack -der betreffenden Eltern ist.“ - -„Nettes Früchtchen,“ sagte Alfred spöttisch zur Mutter. - -Und Heinrich sagte strafend: - -„Wenn man Dich so anhört, man sollte es rein nicht für möglich halten.“ - -„Ach, Ihr heuchelt bloß wieder, Jungens. Lebt Ihr denn der -Mama zuliebe? Wenn Alfred für achtzig Mark Schulden macht im -Zigarrengeschäft und Heinrich sich verbotene Bücher kauft und Karl den -ganzen Zucker stibitzt -- na, ich will ja gar nichts gegen Euch reden. -Mir ist das alles egal. Ich bin froh, wenn Ihr mich zufrieden laßt. -Aber das ist nicht zu leugnen, daß Ihr Euch selbst zuliebe lebt! Und -das tun überhaupt alle Menschen!“ - -„Mone, wie Du das sagen kannst, mir sagen kannst, bei meinem Gemüt!“ -entrüstete sich Frau von Birken. „Meine ganze Jugend habe ich Euch -hingeopfert. Immer bin ich im Kinderzimmer gewesen, auch als Ihr zwei -Gouvernanten gleichzeitig hattet: Miß Smith, die liebe Person, und -Mademoiselle Marguerite, das entzückende Mädchen.... Ich -- habe ich -je mir selbst zuliebe gelebt? Habe ich je an mich selbst gedacht? -- -Wo gibt es noch eine Mutter, die ihre Kinder so verwöhnt hätte wie -ich, sie so gestopft -- ja geradezu gestopft mit Leckerbissen -- und -mit Euch gespielt hab’ ich und mit Euch gelernt. -- Und das habt Ihr -auch gewußt. Ja, als Ihr klein wart, wart Ihr noch dankbar. Gebrüllt -habt Ihr, wenn ich auf Bälle ging -- Euch an mein Kleid geklammert, -damit ich dableiben solle... Das cremeseidene mit der griechischen -Stickerei hast Du mir direkt entzweigerissen, Mone, als Du fünf Jahre -alt warst, an dem Abend, als ich zum Regimentsball nach Hahndorf -wollte... Und Heinzemännchen wollte sich direkt aus dem Fenster -stürzen, aus der ersten Etage in Sarkow, als wir in großer Gesellschaft -einen Schlittenausflug unternahmen ... Gott, wie heute weiß ich es -noch! Ich war gerade im Begriff, in den Schlitten zu steigen -- einen -grauen Samtmantel hatte ich an mit Chinchillabesatz, und ein kleines -Barett, wie es damals neueste Mode war -- außer mir trug es noch -niemand im ganzen Kreise. -- Und Herr von Schmettwitz bietet mir die -Hand zum Einsteigen -- und plötzlich wird in der ersten Etage ein -Fenster aufgerissen, und auf dem Fensterbrett steht Heinzemännchen und -schreit... schreit, daß mir die Ohren gellen: er spränge runter, wenn -ich ihm nicht verspräche, dazubleiben. -- Ach Gott, den Augenblick -vergesse ich nicht, und wenn ich hundert Jahre alt werde! Ich rufe und -schreie: ja, ja, ich bleibe! -- Aber Heinzchen beugt sich noch weiter -vor. -- Und Euer Papa wie ein Sturmwind die Treppe hinauf und reißt den -Jungen in seine Arme. Hauen wollte er ihn! Aber das habe ich natürlich -nicht erlaubt! Und weil ich doch natürlich den Ausflug nicht versäumen -wollte, habe ich Heinzchen mitgenommen. Ach, wie süß er aussah in -seinem blauen Mäntelchen mit dem echten Persianerkragen... Ja, so -geliebt habt Ihr mich! -- Und jetzt ist das der Dank. Daß Mone solche -Sachen sagt und mich des Egoismus bezichtigt...“ - -„Aber, Mama, ich habe doch nichts von Dir gesagt, sondern daß die -Menschen im allgemeinen...“ - -„Dann hättest Du mich wenigstens davon ausnehmen sollen. Wenn Du Euch -so charakterisiert hast, dagegen kann ich ja gar nichts einwenden. Ihr -seid auch alle egoistisch! Nicht einer, der mein Gemüt geerbt hätte!“ - -Aufseufzend warf die zierliche Frau einen Blick in die Runde, -betrachtete die vier Gestalten mit den breiten Schultern, dem -trotzigen, kurzen Genick -- sah auf die üppigen Münder, hinter denen -die blanken Zähne lauerten, sah in die vier jungen Augenpaare, in -denen der trotzige Spruch geschrieben stand: - -„Mir selbst zuliebe!“ - -Wildpflanzen waren sie alle vier! -- Schon in ihrer zarten Jugend waren -die Birkenschen Kinder bekannt gewesen für ihre Ungezogenheit. - -Der Baron hatte die Erziehung seiner Sprößlinge völlig seiner Frau -überlassen: er selbst war vollauf damit beschäftigt gewesen, das -Grandseigneur-Leben zu führen, das er liebte. - -Er war seinerzeit als wenig begüterter Junker bei den Hahndorfer -Dragonern eingetreten; trotz seiner geringen Zulage hatte er von allen -Herren des Regiments am elegantesten gelebt. - -Er hatte Glück. Gerade als seine Schulden anfingen, bedenklich zu -werden, starb sein Onkel, der kinderlose Besitzer von Sarkow, der einst -ihm, dem Verwaisten, Vormund gewesen und ihm nun Sarkow vererbte. - -Er hatte sich sofort zur Reserve überführen lassen. Der Dienst hatte -ihm, der einen starken Hang zur Bequemlichkeit hatte, nie viel -Freude gemacht. Es war mehr die Tradition seiner Familie als innere -Notwendigkeit gewesen, die ihn zum Soldaten gemacht. - -So hatte er denn ganz gern den bunten Rock mit dem Frack vertauscht, -den er an lustigen Abenden in Monte Carlo, Spa, Trouville und Biarritz -trug. - -Johann Birken war fast zwei Jahre auf Reisen gewesen, ehe er sich -persönlich der Verwaltung seines Gutes widmete. - -Er fand Sarkow sehr langweilig -- so langweilig, daß er auf die Idee -verfiel, sich zu verheiraten. - -Er verliebte sich bei einem Aufenthalt in der Landeshauptstadt in die -Tochter eines dortigen Universitätsprofessors: die schöne Mali. - -„Die schöne Mali“ hieß hauptsächlich darum so, weil ihre Schwestern gar -so häßlich waren. - -Vier Schwestern hatte sie, die waren unsinnig gebildet, und es ging -die Sage von ihnen, daß sie ihrem Vater bei den schwierigsten Arbeiten -halfen, daß sie Latein und Griechisch redeten wie ihre Muttersprache. - -Von diesem klassisch gebildeten Hintergrund hob sich die schöne Mali -doppelt wirkungsvoll ab. - -Statt der philosophischen Gelehrsamkeit besaß sie schöne, dunkle Augen -und einen leichten Sinn. - -Neben dem blassen Teint der Schwestern wirkten ihre blühenden Farben -desto schöner; neben der Schwestern knochiger Größe nahm sich ihre -zierliche, geschmeidige Figur doppelt graziös aus -- kurz, man konnte -sich keine vorteilhaftere Folie denken für die schöne Mali. - -Baron Birken, der seinen stark ausgeprägten Adelsstolz auf seinen -Reisen, inmitten der internationalen Milieus, zum großen Teile -abgestreift hatte, hielt kurz entschlossen um des Professors schöne -Tochter an. - -Achtzehn Jahre war sie alt, hübsch, temperamentvoll, nicht unbemittelt --- kurz, diese Liebesheirat schien ihm außerdem nicht unvernünftig. - -Die Ehe war alles in allem weder glücklich noch unglücklich zu nennen -gewesen. - -Der Baron ärgerte sich oft über den Hang zur Unordnung, den seine -Frau hatte; sie besaß ein geradezu hervorragendes Talent, ihre Sachen -durcheinander zu werfen und zu verlegen. - -Mitunter fand er Mali auch reichlich kokett und äußerte dann seine -Mißbilligung in harten Worten. Aber ihr jugendlicher Charme, ihre -liebenswürdige Gemütsart versöhnten ihn immer bald wieder. - -Mali hatte sich in ihrer Ehe oft „unverstanden“ gefühlt. - -Ihr Mann besaß so sehr wenig geistige Bedürfnisse, besaß auch -nicht „so viel Gemüt“, wie sie es gewünscht hätte. In ihren ganzen -Lebensanschauungen gingen die Eheleute sehr auseinander. - -Die liberalen Ansichten, die Mali aus ihrem Vaterhause mitgebracht, -stimmten schlecht zu den Meinungen des Gatten, der -- wenn auch nicht -in extremer Weise -- durchaus konservativen Anschauungen huldigte. - -Doch gab es Punkte, in welchen die beiden in ihren Gesinnungen durchaus -zusammentrafen: sie hatten beide einen sehr ausgeprägten Sinn für -Gastfreundschaft, liebten Gesellschaften und rauschende Vergnügungen -- -Luxus jeder Art. - -Da bei ihnen diese Anlagen durch keinerlei Selbstdisziplin gezähmt -wurden, so hatte es nicht lange gedauert, bis ihre wirtschaftlichen -Verhältnisse sich verschlechterten. - -Die Jeu-Leidenschaft des Barons beschleunigte den pekuniären Abstieg, -und schließlich hatte Birken froh sein müssen, als ihm sein Schwager, -Herr von Holtz, das total überschuldete Sarkow für einen anständigen -Preis abkaufte. - -Mit dem kleinen Kapital, das sich als Ueberschuß ergeben, ging’s -nun der Großstadt zu, dem Schlachtfelde, auf dem die schwankenden -Existenzen siegen oder verderben. - -Der Baron Birken war keine Siegernatur gewesen, wenn es arbeiten hieß. -Er gehörte zu den Leuten, denen man alle guten Eigenschaften zubilligt, -solange sie im Besitz von Stellung und Vermögen sind. - -Wenn sie auf den Höhen des Lebens stehen, scheinen diese Leute in eine -Waffenrüstung gekleidet, geschützt und umpanzert, bewehrt und bewaffnet -mit gutem Stahl, aber das sind Turnierwaffen, glänzende Nichtigkeiten, -machtlos wie Pappschwerter, wenn es kein Turnier mehr gilt, sondern -eine Schlacht, die Schlacht des hartgrinsenden Lebens. - -Was half es Birken, daß er ein ausgezeichneter Reiter war, wenn er sich -um eine Stellung als Versicherungsinspektor bewarb? -- - -Was halfen ihm seine tadellosen Manieren, als er dem Chef, der den -Posten eines Disponenten zu vergeben hatte, gestehen mußte, daß er von -Buchführung keine Ahnung hatte? -- - -Was half ihm seine Gentleman-Gesinnung, als er nach „Branchekenntnis“ -gefragt wurde bei dem Schuhwarenfabrikanten, der einen gut bezahlten -Vertrauensposten zu vergeben hatte? -- - -Die blanken Waffen des Barons Birken waren Kinderspielzeug, als die Not -ihn rief. Und er ergab sich, war besiegt, ohne sich gewehrt zu haben, --- ein gebrochener Mann! - -Seine schönen Hände mit den rosigen, manikürten Fingerspitzen waren -nicht von jenen, die zupacken mit tödlich sicherem Griff, waren -nicht von jenen, die sich zu trotzig willensstarken Fäusten ballen. -Schöne Hände waren es, schöne, nutzlose Hände, nur gemacht, um einen -Pferdezügel zwischen den Fingern zu fühlen, ein paar Kartenblätter zu -halten, Goldstücke zu verstreuen. - -Und diese schönen Hände lernten es, sich zusammenzukrampfen in Not, in -tatenloser Verzweiflung. - -Es stand schlecht um die Familie. - -Mali jammerte von früh bis spät. Was sie aber nicht verhinderte, oft -recht glücklich zu sein. Oft trug sie ihr Leichtsinn über Abgründe -hinweg, in denen andere schaudernd versinken. - -Wohl strengte sie oft ihre Lungen in geradezu übermäßiger Weise an, um -ihren Mann an seine Pflicht zu erinnern: „Du mußt aufstehn, Johann. -Glaubst Du, Du bekommst eine Stellung, wenn Du jeden Tag bis ein -Uhr im Bett liegst?! Du mußt doch für uns sorgen!! Ich laufe immer -noch mit dem Kleid vom Frühjahr herum, und Alfred und Heinzemännchen -klagen, der Lehrer hätte sie schon zum zweiten Male nach dem Schulgeld -gefragt...... O Gott, wie soll das alles noch enden?“ - -Eine Antwort war ihr auf diese Frage nicht zuteil geworden. Herr von -Birken war weniger expansiv als seine Frau. Was er gelitten haben -mochte in der ihn demütigenden Rolle des Bittstellers, das wußte -niemand. Das Leben, das er führte, hatte ihn bald mürbe gemacht: -sein willensschwacher Charakter hielt nicht stand, -- sein Charakter -verkümmerte wie ein Baum, den man der Heimatserde entrissen. - -Dann kam eine Lebensperiode, die Frau Mali als Aufschwung bezeichnete: -der Baron Johann von Birken-Sarkow hatte eine Stellung als -Sektreisender gefunden. Er war blaß wie Kalk, als er seiner Frau diese -Neuigkeit mitteilte. Seine Zähne waren so fest zusammengekrampft, daß -sich die Worte nur mit Mühe zwischen ihnen Bahn brachen. - -Aber das hatte Frau Mali nicht bemerkt. Sie war ganz begeistert, -- -eine so berühmte Firma -- -- ein so reichliches Gehalt! -- - -Gott sei Dank, nun würden die bösen Tage vorüber sein. Mit der kleinen -Rente, die man aus dem Schiffbruch gerettet, ließ es sich doch auch gar -zu schlecht leben. - -Aber Mali war, wie so oft, zu hoffnungsfreudig gewesen. Ihr Mann, der -früher immer ärgerlich jeden solchen „Sektfritzen“ abgewiesen, ohne ihn -zu Worte kommen zu lassen, war nicht die geeignete Persönlichkeit, um -nun selber die andern zum Kaufen anzuregen. - -Die Firma hielt ihn einige Zeit wegen seines klingenden Namens, seiner -vornehmen Erscheinung, aber schließlich kam der Tag, an welchem sein -Chef ihn darauf aufmerksam machte, daß seine Gesundheit vielleicht -diesem Reiseleben nicht gewachsen sei. Herr von Birken bat darauf um -seine Entlassung. - -Und dann ging es schnell abwärts. Eine schwere Nierenkrankheit -ruinierte diesen mächtigen Körper. - -Mali entfaltete in der Leidenszeit ihre besten Eigenschaften, mit -aufopfernder Sorgfalt und unermüdlicher Hingabe pflegte sie den -Schwerkranken. - -Wieder trat ihre seltsame Charaktereigenschaft zutage: hauptsächlich -die Leute gut zu behandeln, denen es recht schlecht ging. - -Ueber den Ernst der Krankheit war sie sich nie ganz klar; sie jammerte -zwar über ihr schweres Los, aber an eine Lebensgefahr dachte sie nicht. - -Die Kinder wurden in dieser Zeit etwas vernachlässigt; es blieb -wirklich keine Zeit, um sich mit ihnen zu beschäftigen. Alfred wurde -aus dem Kadettenkorps, in dem er nur wenige Monate zuvor aufgenommen -worden war, zurückgeschickt. Sein störrischer Charakter, sein Mangel an -Autoritätsglauben hatten es den Erziehern ratsam erscheinen lassen, -ihn aus dem Korps zu entfernen. - -Zu Hause zeigte er sich verschlossen und seltsam wie immer, dazu -unbotmäßig gegen die Mutter, die ihm ja nie weder Liebe noch Respekt -eingeflößt hatte. - -Monika, die bis dahin ein sehr herzliches Verhältnis zur Mutter -gehabt, in regstem Gedankenaustausch mit ihr gestanden, begann nun -geistig eigene Wege zu gehen, schwelgte in Gedankengängen, deren heiße -Phantastik ihrer Entwicklung Gefahren bot. - -Heinrich wurde noch verschlossener, als er es schon gewesen, und -Karl bildete seine hervorragende Begabung fürs Lügen noch weiter -aus. Er „schwänzte“ oft mehrmals wöchentlich die Schule, fand immer -neue Entschuldigungsgründe dem Lehrer sowie der Mutter gegenüber, -und blickte bei seinen haarsträubendsten Lügen mit so taubenhaft -unschuldigen Augen und so gleichmäßig rosigen Wangen in die Welt, daß -man ihm immer wieder glaubte. - -In dieser Atmosphäre von Krankenstubenluft und wirtschaftlichem -Rückgang begann eine böse Saat aufzukeimen in den vier jungen Seelen. -Zwischen diesem langsam sterbenden Vater, dessen tiefe Apathie mitunter -durch aufflackernde Wutanfälle unterbrochen wurde, und der fahrigen -Mutter mit den ewig mädchenhaften Bewegungen und dem Mangel an -Selbstdisziplin wuchsen diese vier Kinder empor, schossen in Blüte wie -Unkraut. - -Es war keine Faust über ihnen, die mit sicherem Griff ihr Leben in -gebahnte Gleise gelenkt hätte. Sie gingen ihre eigenen Wege. Ihre -Wünsche durchsetzend um jeden Preis, begannen sie ihr Leben zu leben -einfach und brutal, jung und genußsüchtig... - -[Illustration] - - - - -5. - - -Die ersten Tage nach Monikas Rückkehr konnte sich Frau von Birken nicht -dem großen Einfluß entziehen, den ihre Tochter auf sie ausübte. Keines -ihrer anderen Kinder war von so strahlender Lebenslust erfüllt wie -Monika, keines der anderen hatte eine so amüsante Art. - -Trotzdem stand in den Gefühlen der Mutter Heinrich unbedingt obenan. - -Monika erhielt den zweiten Platz, in weitem Abstande folgte Karl und in -unmeßbarer Distanz Alfred. - -Die Lieblingskinder hatten Vorrechte, die den anderen nie zuteil -wurden. Frau von Birken machte da die merkwürdigsten Unterschiede: -Heinzemännchen bekam ein gutes Frühstück ans Bett, Monika ein -weniger reichhaltiges auch ans Bett, Karl mußte aufstehen, bevor er -frühstückte, und für Alfred wurden überhaupt keine Umstände gemacht. - -Seitdem jetzt Monika zurückgekehrt, hatte die Mutter viel Zeit für sie. -Wenn die Jungen vormittags im Gymnasium waren, setzte sich Frau von -Birken oft zu ihrer Tochter ans Bett. Monika war im Gegensatze zu ihrer -Mutter, die sich schon um sieben Uhr früh im Haushalt beschäftigte, nur -schwer zum Aufstehen zu bewegen. Arbeit im Haushalt war ihr vollends -verhaßt. - -Frau von Birken hielt ihr diese beiden Punkte ihres Betragens täglich -in tadelnder Weise vor, aber sie erreichte nicht das mindeste damit; -sie wußte auch eigentlich ganz genau, daß das alles in den Wind -gesprochen war. Aber das hielt sie nicht davon ab, Monika jeden Morgen -dieselben Vorwürfe zu machen. - -„Was soll bloß aus Dir werden?! Wenn ich ein so großes Mädchen wäre, -ich würde mich schämen, faul im Bette zu liegen, wenn meine Mutter -arbeitet. Ich kann mir überhaupt gar nicht vorstellen, was aus Dir -werden soll. Mit der Schule bist Du jetzt fertig, -- heiraten wirst Du -nicht, -- heutzutage heiratet man kein armes Mädchen. Mehr als eine -ganz kleine Rente das Jahr kann ich Dir nicht mitgeben. Der Papa hat -so wenig hinterlassen; wenn er nicht so hoch versichert gewesen wäre, -könnten wir jetzt Hunger leiden. Und mit dem winzigen Zuschuß, den -ich Dir geben kann, findest Du keinen Mann. Hübsch bist Du auch nicht -besonders -- --“ - -„Ohh -- -- --,“ flehte Monika, „ohh --“ - -„Nein, wenn ich denke, wie ich aussah, als ich in Deinem Alter war, -- -Du bist gar nicht schlank genug für ein junges Mädchen, -- ich habe -heute noch zehn Zentimeter Taillenweite weniger als Du, und Du bist -auch nicht bescheiden genug für ein junges Mädchen. Nein, ein wirklich -hübsches junges Mädchen muß ganz anders aussehen: große, fragende -Kinderaugen muß es haben.“ - -„Na, groß sind doch meine Augen genug!“ - -„Ja, aber keine fragenden Kinderaugen! -- Und ein kleines, kleines -Mündchen muß ein schönes junges Mädchen haben und eine schlanke Taille -und einen bescheidenen Gesichtsausdruck.“ - -„Nur die Lumpe sind bescheiden!“ - -„Mone, wende den Goethe bloß nicht immer so entsetzlich falsch an. -Also: hübsch bist Du nicht. Klug, -- ja, das will ich nicht leugnen. -Du bist sehr begabt, Du mußt das Hauptgewicht auf Deine geistige -Ausbildung legen, -- zur Hausfrau hast Du auch kein Talent.“ - -„Ich möchte Schriftstellerin werden.“ - -„Kind, Du hast doch einen förmlichen Größenwahn. Sieh mich an: ich bin -doch Deine Mutter, -- na, und bin zwanzig Jahre älter als Du, und mir -ist es nicht einmal gelungen, gedruckt zu werden. Vierzehnmal habe ich -Manuskripte abgeschickt -- und alle, alle habe ich sie zurückbekommen. -Das einzige, was je von mir gedruckt worden ist, ist ein Küchenrezept, --- -- und da willst Du Schriftstellerin werden?! Wo ich so viel mehr -Gemüt habe als Du --“ - -„Gemüt ist literarisch gar nicht mehr modern,“ versicherte Monika. - -„Ach, man weiß wirklich nicht, was man mit Dir anfangen soll,“ klagte -die Mutter weiter, „um die Jungen ist mir ja nicht angst, das hat der -Papa auch schon immer gesagt: „um meine Söhne ist es mir nicht angst, -aber um Monika.“ -- Ja, mit Mädchen hat man seine liebe Not. Am besten -wäre es vielleicht, Du würdest studieren.“ - -„Aha, Tante Kläres Prinzipien,“ bemerkte die Tochter. - -„Ich will gar nicht leugnen, daß Kläre Einfluß auf mich hat. Sie ist -riesig klug, die klügste von uns Schwestern. Sie weiß ganz genau, was -sie tut, wenn sie ihre eigene Tochter studieren läßt. Und so begabt -wie Bertha bist Du noch lange. Ich bin sogar überzeugt, daß Du noch -leichter lernst.“ - -„Liebe Mama, soll ich studieren, um zu beweisen, daß ich leichter lerne -als Bertha? Oder hast Du noch einen anderen Grund, um mir zum Studieren -zu raten?“ - -„Aber, Kind, ich habe Dir doch eben alles lang und breit -auseinandergesetzt: Du hast mehr geistige als körperliche Vorzüge, Du -hast wenig Chance, Dich zu verheiraten. Das Studium sichert Dir eine -geachtete gesellschaftliche Position. ‚Fräulein Doktor‘ ist doch ganz -was anderes, als wenn Du womöglich simple Gouvernante wirst. Irgend was -wirst Du doch tun müssen. Der Papa hätte es ja natürlich nicht gewollt, --- er hätte es „unstandesgemäß“ gefunden, -- aber ich habe solche -Vorurteile nicht. Ich bin eine moderne Frau! Ich gehe mit der Zeit -mit.“ - -„Und mit Tante Kläre -- --,“ sagte Monika ironisch. - -Die Anregung der Mutter ging ihr lebhaft im Kopf herum. - -Zunächst einmal war sie tief gekränkt, daß die Mutter ihr Aeußeres -so ungünstig beurteilt; die anderen Leute fanden sie doch hübsch, -sagten ihr das in unverblümter Weise. Was das Studieren anbetraf, so -war sie nicht etwa abgeneigt, die Wünsche ihrer Mutter zu erfüllen. -Bei ihrem lebhaften Wissensdurst, ihrer Freude am Lernen wäre ihr das -Studienprojekt geradezu ideal erschienen, wenn sie nicht eine lebhafte -Abneigung gegen den Begriff der „Studentin“ gehabt hätte. Sie selbst -kannte gar keine studierende Frau, sondern hatte sich aus Witzblättern -und aus Redensarten, die sie gehört, eine Art Zerrbild der Studentin -geschaffen, die sie sich mit kurz geschnittenen Haaren, männlichen -Allüren und in uneleganter Kleidung vorstellte. Immerhin hatte sie -keine Einrede, als sie eines Tages von ihrer Mutter ersucht wurde, mit -ihr zu Fräulein Doktor Stark zu kommen. - -Fräulein Doktor Stark war die Begründerin und Leiterin der -Mädchen-Gymnasial-Kurse, in denen Damen zum Abiturienten-Examen -vorbereitet wurden. - -Monika war unsympathisch berührt von dem scharfen Blick der grauen -Augen. Dazu kam der schneidende Tonfall, in welchem das Fräulein Doktor -ihre knappen Fragen stellte. - -„Ihr Name?“ - -„Freiin Monika von Birken.“ - -„Alter?“ - -„Sechzehn.“ - -„Bisheriger Bildungsgang?“ - -„Ich habe die Töchterschule von Fräulein von Zieritz absolviert.“ - -„Als ~prima omnium~,“ fiel Frau von Birken ein, mit liebenswürdig -verlegenem Lächeln; sie hatte vor dem gestrengen Fräulein Doktor viel -mehr Angst als Monika. - -Fräulein Doktor Stark würdigte die Baronin nicht einmal eines -Seitenblicks. - -„Wie denken Sie über die Stellung der Frau im gegenwärtigen Leben?“ -inquirierte sie Monika weiter. - -Die Angeredete war etwas verblüfft; ihre sonstige Schlagfertigkeit -schien sie im Stiche lassen zu wollen. - -„Hm, wir haben es doch schließlich eigentlich in den meisten Sachen -bequemer als die Männer,“ sagte sie. - -Fräulein Doktor zuckte empört die Achseln und sagte: - -„Eine bedauerliche Unreife! Aber sonst spricht nichts gegen Ihre -Aufnahme in meine Gymnasial-Kurse. Ihre Ansichten werden Sie bei uns -schon ändern.“ - -[Illustration] - -Diese Ueberzeugung der Gestrengen erwies sich als nicht stichhaltig. - -Nachdem Monika eine Zeitlang an den Kursen teilgenommen, war ihre -Lebensauffassung immer noch die gleiche. - -Infolge ihrer eminent leichten Auffassungsgabe gehörte sie nach kurzer -Zeit zu den besten Schülerinnen, ausgenommen in Mathematik, einer -Wissenschaft, von der sie nie auch nur das geringste verstand. - -Alles in allem machten ihr diese Kurse sehr viel weniger Eindruck, -als sie erwartet. Es war eigentlich wie in der Schule von Fräulein -von Zieritz, nur daß man hier mit dem Vatersnamen aufgerufen wurde, -statt wie dort mit dem Vornamen, und daß die Schülerinnen hier -nicht einheitlichen Alters waren, sondern in den verschiedensten -„Jahrgängen“. Und die Damen stammten aus den verschiedensten Milieus. - -Neben Fräulein von Roch, der Tochter eines aktiven Generals, mit den -korrekten Manieren der preußischen Offizierstochter, saß Olga Iwanowna -Safiro, eine Russin von vager Herkunft und recht asiatischem Benehmen. - -Neben Frau Kramer, einer Frau mit ergrauenden Schläfenhaaren, die zu -Hause zwei halbwüchsige Kinder hatte, saß ein kaum sechzehnjähriges -Mädel, das vor wenigen Wochen noch die Schule besucht. - -Neben dem abgerissen gekleideten Mädchen, das sich nicht satt aß, um -Geld für die Kurse aufzubringen, saß die Tochter eines Kommerzienrats, -die einen wahren Juwelierladen zur Schau trug. - -Uebrigens waren so ziemlich alle in dieser aus allen Windrichtungen -zusammengewehten Schar von ehrlichem Lerneifer erfüllt. Und fast alle -waren sie durchdrungen von der Idee, daß nun eine neue Zeit für die -Frau hereinbreche. - -Vielleicht war Monika die einzige, die das ganze Studieren als eine Art -Spiel auffaßte, die die „Mission“ nicht sehr ernst nahm. - -Bei vielen der ernst strebenden Mitschülerinnen erregte ihre Art direkt -Unwillen, um so mehr, als sie hier, wie auch früher in der Schule, -einen ganzen Troß von Verehrerinnen und Anhängerinnen hatte, die jeden -ihrer Witze dankbarst belachten. - -Ihre erbittertste Feindin war Magda Kirchstett, ein schlankes, -brünettes Mädchen von sechsundzwanzig Jahren. Von allen in der Klasse -war sie wohl am meisten von der Wichtigkeit dessen, was man hier tat, -durchdrungen. Oft hielt sie flammende Agitationsreden. - -„Pioniere sind wir einer neuen Kultur, Schrittmacher für die Tausende -von anderen, die nach uns kommen werden. Wir alle müssen durchdrungen -sein von dem stolzen Gefühl: mit zu den Ersten zu gehören, die sich -frei machen von jahrtausendelanger, alter Schmach. Der Mann hat uns -schlimmer behandelt, als man Tiere behandelt. Er hat uns körperlich und -geistig gemißhandelt und hat uns ausgebeutet in jeder Beziehung, er hat -uns rechtlos gemacht, uns tausendfach gekreuzigt! - -Aber der neue Morgen bricht an für unser Geschlecht. Noch sind wir -wenige, aber mit brennendem Eifer schmieden wir die Waffen, mit denen -wir uns befreien werden. Und diese Waffen sind: Fleiß, unermüdliche -Arbeitskraft! Lernen müssen wir -- Wissen erlangen, um unserem -mächtigen Feinde entgegentreten zu können. Waffen brauchen wir! Und die -mächtigste Waffe im Kampfe gegen den Mann ist...“ - -„Das Küssen!“ schrie Monika. - -Magda Kirchstett tat den Mund auf, schnappte nach Atem, aber ehe sie -diese Lähmung der Entrüstung überwunden, war Monika auf die Bank -gestiegen. - -„Meine Damen!“ rief sie mit ihrer hellen Kinderstimme, „die besten -Waffen im Kampfe gegen den Mann sind die ältesten Waffen -- dieselben, -die schon unsere verehrten, gänzlich unmodernen und stupiden -Großmütter gebraucht haben: ein bißchen schmeicheln -- nein! -- sehr -viel schmeicheln und lieb sein und küssen! Sie sind ja auch nicht so -schlimm, die Männer, wie Fräulein Kirchstett glaubt. Es gibt doch viele -riesig nette, und es wäre doch gar zu langweilig, wenn es nur Damen auf -der Welt gäbe! Jede von Ihnen, die mal einen Damenkaffee mitgemacht -hat, wird mir beipflichten. Darum schlage ich Ihnen einen Toast auf die -Männer vor. Wir wollen sie leben lassen. Was? Leben lassen -- dreimal -hoch! Hoch! und zum zweitenmale...“ - -Die Tür öffnete sich. - -Herein schnaufte Professor Hermann, der dicke Mathematiklehrer. - -„Was ist denn hier los?“ - -Monika warf ihm einen koketten Blick zu und sagte -kindlich-liebenswürdig: - -„Es ist meine Schuld, Herr Professor, ich hatte vor den Damen einige -Theorien erörtert, die allgemeinen Anklang fanden.“ - -Magda Kirchstett stieß einen Zorneslaut aus; auch viele andere schienen -lebhaft indigniert. - -Andere lachten, und der Professor sagte wohlwollend: „Na, wenn es so -allgemein gefallen hat, wird es wohl was sehr Nettes gewesen sein, -Fräulein von Birken.“ - -Monika setzte sich strahlend, denn so freundlich war der -Mathematiklehrer zu seiner schlechtesten Schülerin selten. - -„Es war eben mein steinerweichender Blick, der ihn so liebenswürdig -machte,“ triumphierte Monika nach der Stunde. - -Aber sie sollte nicht so billigen Kaufes davonkommen. - -Fräulein Kirchstett war nun wieder im Vollbesitz ihres Sprechorgans -und ihrer geistigen Fähigkeiten, und so ergoß sich nun ein Niagara von -Vorwürfen über Monikas schuldiges Haupt. - -„Birken, die von Ihnen geäußerten Ansichten decken eine sittliche -Unreife auf, wie man sie bei einer Hörerin unserer Kurse nicht für -möglich halten sollte! Leider bin ich genötigt, Fräulein Doktor Stark -mitzuteilen, daß wir alle Sie für ungeeignet halten, mit uns zu kämpfen -und zu streben. Ja, wir alle...“ - -Protestierende Zurufe wurden laut. - -„Von mir aus kann sie ruhig mitkämpfen,“ sagte die -Kommerzienratstochter friedlich. - -„Birken ist überhaupt ein riesig netter Kerl,“ rief eine andere. - -Frau Kramer sagte melancholisch: „Ihr Loblied auf die Männer war -wirklich von keiner Sachkenntnis getrübt, Birken.“ - -Und im Hintergrunde schrie eine: „Birken ist ein ganz naseweiser Fratz.“ - -Monika packte ihre Mappe zusammen und sagte: „Kinder, tobt Euch allein -aus. Ich gehe mich ein bißchen erholen, in den Tiergarten. Kommt jemand -mit? Entschuldigt mich, bitte, bei Professor Mellenthin. Es tut mir -sehr leid, die griechische Stunde zu versäumen, aber das Wetter ist zu -schön, und im Tiergarten fängt der Flieder schon an zu blühen.“ - -Kaltblütig ging sie hinaus, während die drinnen wie ein aufgescheuchter -Spatzenschwarm durcheinander lärmten. - -Monika schlenderte durch den Tiergarten, ließ den Zauber der -erblühenden Büsche auf sich wirken, musterte Pferde und Reiter, die -vorüberkamen, und dachte über sich selbst nach. - -Sie fühlte sich sehr allein. „Ich bin doch eigentlich ein unglückliches -Zwittergeschöpf,“ philosophierte sie und pfiff betrübt einen -Schmachtwalzer vor sich hin. „Bin ich nun eigentlich ein Kind meiner -Zeit? Dieser Zeit, in der die Frau die engumhegten Bahnen verläßt, in -denen sie jahrtausendelang gewandelt, in der sie kühn hinausstürmt in -die Weite, den Kopf noch ein bißchen benommen von dem grellen Licht, -das so plötzlich auf sie einströmt. - -Oder wäre ich auch in jedem anderen Zeitalter möglich? - -Diese zwei Naturen in mir, die sich gegenseitig bekämpfen... wie sagt -doch Doktor Rodenberg? Aphrodite und Pallas vertragen sich schlecht -miteinander ... - -Die süße Aphrodite lächelt so spöttisch, wenn ich mich zu der -eulentragenden, gelehrten Göttin flüchte, und die stolze Pallas -grinst geradezu, wenn mich all mein Sein zur schönsten Göttin zieht. -Schrecklich, schrecklich!“ - -So sann Monika vor sich hin, ging aus dem gepfiffenen Walzer in eine -Polka über und hopste nach dem Takt derselben den sonnenbeschienenen -Fußpfad entlang, von den wohlwollenden Blicken zweier alter Herren -gefolgt. - -Am nächsten Tage hatte Fräulein Doktor Stark eine private Unterhaltung -mit Monika. - -„Mir haben Damen Ihrer Klasse mitgeteilt, daß Sie Ihrer ganzen -Auffassung nach vielleicht nicht geeignet sind...“ - -Monika unterbrach. - -„Fräulein Doktor, ich habe mir einen harmlosen Scherz gemacht.“ - -„So? -- Nun, jedenfalls interessiert es mich, zu erfahren, welchen -Standpunkt Sie mit Bezug auf Ihre Studien einnehmen. Wie denken Sie -sich Ihren Lebensgang überhaupt?“ - -„Zunächst will ich hier das Abiturientenexamen machen und dann...“ - -Monika stockte. - -„Welchem Studium wollen Sie sich widmen? Medizin?“ - -„O pfui!“ schrie Monika los, „Leichen zerschneiden!“ - -Ihr Gesicht zeigte den Ausdruck höchsten Entsetzens. - -„O pfui!“ - -„Beherrschen Sie sich. Das ist kindisch. Also Philologie?“ - -„Nein.“ - -„Jura?“ - -„Nein.“ - -Monika besah ihre Fingernägel, und plötzlich kam ihr eine Eingebung. - -„Nationalökonomie,“ sagte sie entschlossen. - -„So, so,“ die Gestrenge schien besänftigt, „und in welcher Weise -gedenken Sie diese Studien zum Wohle der Frauenwelt anzuwenden?“ - -„Nationalökonomie,“ sagte Monika noch einmal bedeutungsschwer; sie ließ -diese rettende Planke nicht mehr los. - -Daß sie etwas unklare Begriffe über die Bedeutung dieses Wortes hegte, -brauchte Fräulein Doktor ja nicht zu erfahren. - -So endete die Unterredung weniger schlimm, als Monika es sich -vorgestellt. - -[Illustration] - -Wochen und Monate gingen dahin. - -Die Baronin Birken erzählte stolz allen ihren Bekannten, daß Monika -studieren solle; sie schrieb es ihren sämtlichen Verwandten. - -Frau von Holtz äußerte sich recht mißbilligend über das Studienprojekt. -Sie erwähnte, daß ihre Tochter Marie sie auch schon um die Erlaubnis -zum Studieren gebeten. Dieser „moderne Unsinn“ schien förmlich eine -ansteckende Krankheit zu sein. Sie habe natürlich empört die Erlaubnis -verweigert. Die Ungebundenheit der Studienjahre sei mit der Würde und -dem Anstand eines jungen Mädchens unvereinbar. -- - -Marie maulte jetzt die ganze Zeit, daß sie ihren Willen nicht -durchsetzen dürfe; sie aber würde unbeirrt ihrer Mutterpflicht genügen -und hoffe, den Verwandten schon in nächster Zeit die Verlobung -Mariechens mitteilen zu können. - -„Ach, eine Verlobung!“ Frau von Birken war Feuer und Flamme. „Wer es -wohl sein mag? Und ob es eine gute Partie ist? Nun, wahrscheinlich -doch. Marie als Erbtochter von Sarkow kann Ansprüche machen.“ - -Die Baronin sprach in den nächsten Tagen nur von dieser Verlobung und -erging sich in den verschiedensten Vermutungen. - -Ihr Interesse wurde erst abgelenkt, als sie einen Brief ihrer Schwester -Kläre empfing. Auch dieser Brief war eine Antwort auf Malis Mitteilung, -daß ihre Tochter studieren solle. - -Kläre schrieb, sie freue sich, daß nun doch Monikas bessere Instinkte -zum Durchbruch kämen. Das Studium würde ein unübertreffliches Mittel -sein, um Monikas Hang zum Leichtsinn entgegenzuarbeiten. - -Was ihre eigene Tochter Bertha anbeträfe, so sei es für die nun auch -höchste Zeit, sich auf das Abiturienten-Examen vorzubereiten, und zwar -in ernsthafterer Weise als bisher. Der Unterricht durch den Vater -zeitigte leider nicht die Früchte, die man berechtigt gewesen wäre, -zu erwarten. Und so sähe sie sich denn genötigt, Bertha nach Berlin -zu schicken, wo dieselbe auch den Gymnasialkursen von Fräulein Doktor -Stark eingereiht werden solle. Sie hoffe dringend, daß sich Berthas -Charakter dort von Grund auf ändere. Leider sei sie einstweilen ein -durchaus unmodernes Mädchen, interessiere sich mehr für den Haushalt -als für die Wissenschaft. Natürlich aber werde sie -- Kläre -- ihren -Mutterpflichten getreulich nachkommen und es zu verhindern wissen, daß -Bertha ein Schablonendasein führe. - -„Ach, Berthchen kommt zu uns,“ rief Frau von Birken, indem sie -plötzlich die Lektüre des Briefes unterbrach. „Wie nett! Bertha ist -ein reizendes Mädchen. Ich muß doch gleich mal sehen, ob das gelbe -Fremdenbettstell in Ordnung ist. Martha, schnell den Schlüssel zum -Boden.“ - -„Rege Dich gar nicht erst auf, Mamachen,“ sagte Monika, die den von -ihrer Mutter achtlos weggeschleuderten Brief inzwischen zu Ende -gelesen. „Bertha kommt nicht zu uns.“ - -„Ach, warum denn nicht?“ - -„Hier steht es: sie kommt zum Bruder ihres Vaters, dem Professor -Reckling.“ - -Frau von Birken war empört. - -„Komische Idee von Kläre. Ich als Schwester wäre wohl doch die nächste -dazu, ihre Tochter aufzunehmen. Bertha ist ein nettes Mädchen, ich -hätte sie so verwöhnt...“ - -„Mehr als mich,“ brummte Monika. „Fremde Kinder behandelst Du immer -besser als uns, Mama.“ - -„Die ärgern mich auch weniger als Ihr! Nicht ein einziger von Euch ist -gehorsam.“ - -„Das hat Tante Kläre wohl auch gedacht und unseren Einfluß auf Bertha -gefürchtet,“ sagte Monika. „Mir wird doch immer gesagt, daß ich so -demoralisierend wirke -- de -- mo -- ra -- li -- sie -- rend...,“ sang -sie im Walzertakt und schwang die Mutter in die Runde. - -Nach Berthas erstem Besuch bei Birkens war Mali von ihrer Nichte -entzückt. Das machte aber niemandem einen großen Eindruck, da sie sich -für unendlich viele Leute begeisterte. - -In diesem Falle hatte sie wirklich keine genügende Ursache, entzückt zu -sein. Bertha besaß nichts irgendwie Hervorragendes. - -Sie war ein schlankes, blondes Mädchen mit schmalen Schultern und -ziemlich ausdruckslosen Augen. Ihre geistige Befähigung war knappes -Mittelmaß, ihr Charakter war harmlos freundlich, nur momentan war ihre -Stimmung verbittert durch den Zwang, den die Mutter auf sie ausübte. -Bertha wäre so froh gewesen, wenn man sie das Leben hätte führen -lassen, wie es alle ihre Freundinnen führten: in der Wirtschaft helfen, -ein bißchen Klavier spielen, ein bißchen malen, hübsche Handarbeiten -machen, Bälle besuchen, die Eisbahn, den Tennisklub. - -Und dann sich verloben -- ach, himmlisch! -- heiraten, hübsche Kinder -haben mit schön frisierten Haaren und weißen Spitzenkleidern. - -Und da kam Mama nun mit der unglücklichen Idee des Studiums. - -So oft sie ihrer Tochter auch vorhielt, in welch begnadeter Zeit -sie lebe, daß es ihr gestattet sei, all ihre Geisteskräfte voll -zu entfalten, indes ihre Mutter seinerzeit durch die herrschenden -Anschauungen gezwungen gewesen, dem herrlichen Plane: ganz im Dienste -der Wissenschaft aufzugehen, zu entsagen -- Bertha ließ sich nicht -überzeugen. - -Sie gehorchte zwar dem Gebot der Mutter, aber ohne jede innere -Freudigkeit. - -In den Kursen -- sie war in denselben Zötus eingereiht worden wie -Monika -- fiel sie durch nichts auf. Eine knappe Mittelmäßigkeit war -die Signatur ihres äußeren und inneren Menschen. Für keines der Fächer, -in denen man Unterricht empfing, hegte sie besonderes Interesse. - -Im Gegenteil! Sie mokierte sich geradezu über Monika, die, als man im -Latein und Griechischen die langweiligen Anfangsgründe überwunden, sich -für das klassische Altertum zu begeistern begann. Die Glut, die sie in -Kindertagen entfaltet, wenn Doktor Rodenberg ihr Sagen erzählt, lebte -wieder auf; schattenhafte Träume erwachten zu neuem Leben. - -Und nicht nur wie einst sah sie nur die männermordenden Helden, die -erzgeschienten Völkerfürsten, nicht nur wie früher verfolgte sie mit -heißer Freude am Kampfe das Auf- und Niederwogen der Feldschlacht --- jetzt wurde ihr auch die schöne Sklavin lebendig, die blühende -Briseïs, die sich zitternd willig dem Peliden gibt. Jetzt schwirrten -ihre Gedanken auch um die Götterschönheit der Helena, um die so viel -Tausende starben. - -Die toten, heidnischen Sprachen, die Monika anfangs so langweilig -gedünkt, waren ihr nun Zauberschlüssel -- Zauberschlüssel, welche die -Pforten zu märchenschönen Gärten öffneten. - -Mit einer wahren Gier stürzte sie sich jetzt aufs Lernen. - -Und wie immer bei ihr: wenn sie erst angefangen, sich einer Sache zu -widmen, so tat sie das ungeteilt; sie richtete all ihre Kräfte, all ihr -Sinnen darauf. - -Ihre Geisteskräfte schienen zu wachsen in dem scharfen Training, das -sie ihnen zumutete, und sie spornte sich selbst immer mehr an. - -Weltgeschichte, Chemie, Physik -- je mehr, je besser! Mit einem wahren -Heißhunger nahm sie alles Gebotene in sich auf und tat weit mehr, als -das Pensum erforderte. Ihre Neigung zu Vergnügungen, zum Flirt, trat -nun völlig zurück. - -Sie wollte nichts weiter, als möglichst ungestört über ihren Büchern -brüten. Allein an der Art, wie sie ein Buch aufschlug, wie sie den -Einband mit liebkosenden Fingerspitzen umspannte, als sei es eine -kostbare Frucht, sah man die Wonne, die es ihr bereitete, sich in den -Inhalt zu versenken. - -Die Brüder, denen besonders die alten Sprachen unangenehmer Zwang -waren, spotteten, wenn sie Monika über den Homer gebeugt sahen. - -„Du wirst noch ’ne richtige verdrehte alte Schachtel werden,“ sagte ihr -Alfred. - -Heinrich erklärte ihr Lernen für „im höchsten Grade unweiblich“. - -Karl enthielt sich jeder gesprochenen Meinungsäußerung, aber oft -sah er, Butterbrote kauend, seiner Schwester mit entgeistertem -Kopfschütteln zu. Wie es Menschen geben konnte, die gern lernten, war -ihm ein unheimliches Rätsel. - -Frau von Birken zeigte sich von Monikas Lerneifer sehr befriedigt, aber -bald trat ein Ereignis ein, das sie verhinderte, auch nur noch einen -Gedanken für Monika zu haben: das geliebte Heinzemännchen wurde krank. - -Er litt an sehr schmerzhaften Magenkrämpfen. Was es eigentlich war, war -nicht mit voller Sicherheit zu ermitteln. - -Monika behauptete, daß Heinrichs Mostrichkur wahrscheinlich eine -gewisse Rolle spiele. Er hatte nämlich vor einigen Wochen erklärt, daß -als Hauptnahrungsmittel für ihn nur Mostrich in Betracht käme. - -Die Baronin, der es völlig unmöglich war, ihrem Lieblingssohne irgend -etwas abzuschlagen, hatte ihn gewähren lassen, und so hatte Heinrich -viele Wochen lang unglaubliche Quantitäten Mostrich vertilgt. - -Möglich, daß ihm diese selbsterfundene „Stärkungskur“ schlecht bekommen. - -Jedenfalls waren die von Zeit zu Zeit bei ihm auftretenden Magenkrisen -so unsäglich schmerzhaft, daß der Arzt Morphiuminjektionen verordnete. - -Frau von Birken überließ sich lauten Verzweiflungsausbrüchen. - -Ihr Mann hatte in den letzten Monaten seines Lebens Morphium bekommen, -und diese Tatsache genügte ihr, um Heinzemännchen einem nahen Tode -verfallen zu sehen. - -„Aber das sage ich Euch, wenn Heinzemännchen stirbt, dann lege ich mich -gleich mit dazu!“ - -Sie ließ ihn völlig von der Schule dispensieren und verbrachte ihr -Leben damit, ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Sie leistete -gastronomisch geradezu Wunderbares. Die einfache, reizlose Diät, die -der Doktor ihrem Sohne verordnet, leuchtete ihr nicht ein. - -„Das ist doch gar nichts Kräftiges! Das sind alles so übermoderne -Anschauungen: Gemüse und Obstsaft! -- Früher hat jeder Doktor -Ungarwein und Beefsteak verordnet -- da kann man sich doch denken, daß -das Kraft gibt. Man muß den Appetit reizen -- das ist die Hauptsache! --- Heinzemännchen, Du bekommst heute ein Rumsteak mit geschabtem -Meerrettich und Kräuterbutter und einen Sherry -- na, Du wirst ja -sehen.“ - -Heinrich war mit seiner Krankheit ganz zufrieden. - -Er brauchte nicht in die Schule, lebte wie ein Pascha. - -Es wurde aufopfernd für ihn gesorgt. Die ganze Zeit gab es Festmenüs. - -Seiner geistigen Unterhaltung diente das Leihbibliotheks-Abonnement, -das seine Mutter ihm genommen. - -Er las täglich zwei bis drei Bände. Und wenn er zum Lesen keine Lust -hatte, mußten seine Mutter und Alfred Skat mit ihm spielen. - -Wenn er wirklich mal Schmerzen hatte, beruhigte ihn das Morphium bald, -und er verfiel dann in einen traumhaften Dusel, der viel Angenehmes -hatte. - -Der Hausarzt hatte Frau von Birken eine kleine Quantität Morphium -und eine Pravazspritze dagelassen, um Heinrich, dessen Anfälle sehr -plötzlich eintraten, nicht unnötig lange Schmerzen leiden zu lassen. - -Es war jedesmal ein Ereignis, wenn Frau von Birken sich dazu entschloß, -die spitze Nadel in Heinrichs Fleisch zu versenken. - -„Heinzemännchen, ich kann es nicht. Es bricht mir das Herz, diese -ganze, lange Nadel hineinzubohren -- das muß Dir ja zu weh tun!“ - -„Aber mach’ doch endlich,“ stöhnte dann der von Schmerzen gefolterte -Kranke unruhig, „schnell! Ich halte es nicht mehr aus!“ - -Dann hob ein zitternder Seufzer Frau von Birkens Brust; sie schloß die -Augen, indes ihre wenig geschickten Finger die blanke Spitze in ihres -Sohnes Fleisch bohrten. - -An einem Frühherbsttage bekam Heinrich wieder einen sehr heftigen -Anfall. - -„Gewiß kommt das von dem Witterungsumschlag!“ tröstete Frau von Birken. - -„Ach, Unsinn -- Unsinn,“ murrte der Kranke. - -„Vielleicht doch, Liebling. Die ganze Zeit hatten wir so schönes -Wetter, und jetzt auf einmal die Kälte.“ - -Sie sah durchs Fenster hinaus auf die die Straße flankierenden Bäume, -die der Wind zauste. - -Die Blätter wirbelten durch die Luft. - -Frau von Birken fröstelte, teils infolge des suggestiven Anblicks, -teils, weil sie, um ihre Schlankheit ins rechte Licht zu setzen, immer -zu dünne Kleidung trug. - -Aber auch Monika, die eben aus ihrem Kursus gekommen, protestierte: - -„Mama, Du verstehst die Heilkunde wie so’n alter Schäfer! Das kommt -doch nicht von der Witterung! Heinz wird sich eben wieder den Magen -verdorben haben!“ - -„Geh’, Du bist herzlos! Heinzemännchen ißt wie ein Vögelchen.“ - -„Wird’s denn nun endlich mit meinem Morphium?“ rief der Kranke -ungeduldig. - -„Ja, mein Geliebtes, ja, so schwer wie es mir wird,“ jammerte die -Mutter. - -Sie entnahm dem kleinen Etui die auf blauem Samt gebettete Spritze. - -Monika verließ das Zimmer. Sie hörte von nebenan, wie ihre Mutter das -Schicksal anklagte, das sie verurteilte, ihrem geliebten Herzenskind -weh zu tun. - -Frau von Birken war ganz blaß, als sie einige Augenblicke später aus -dem Zimmer kam. - -„Ach, es ist zu schrecklich, der arme, liebe, süße Junge. Gewiß so ein -unglückseliges Erbteil vom Papa. O, mein Heinzemännchen, mein süßes! -Na, jetzt hat er Gott sei Dank wieder vierundzwanzig Stunden Ruhe.“ - -Aber Frau von Birken irrte sich. - -Als sie nach einer Weile Heinrichs Zimmer von neuem betrat, waren seine -Schmerzen kaum gelindert. - -„Schnell, Mama, noch mehr Morphium.“ - -„Ausgeschlossen, mein Liebling. Du weißt doch, daß es ein gefährliches -Gift ist. Eine einzige Spritze, hat der Doktor gesagt.“ - -Heinrich wendete sich stöhnend auf die Seite und schwieg. - -Aber nach einer halben Stunde forderte er energisch noch eine Spritze. - -„Gewiß hast Du bei der ersten alles vorbeigeplempert, Mama. Es tut so -rasend weh. Das Morphium hat heute gar nicht gewirkt.“ - -„Liebling, das geht doch nicht.“ - -Frau von Birken stockte das Wort auf der Zunge. Ein unartikulierter -Schrei brach von ihres Sohnes Lippen. Sein junger Körper wand sich in -Qualen. Eine neue Krise schien einzusetzen. - -„Mama...,“ würgte er hervor. Eine flehende Gebärde... Seine tastende -Hand wies auf die Marmorplatte des Nachttisches, auf dem die kleine -Flasche stand mit der farblos hellen Flüssigkeit. - -Da hielt der Mutter Bedenken nicht stand. In fliegender Hast griff sie -von neuem nach dem kleinen Etui. - -Noch eine kurze Zeitspanne -- dann schien die gewünschte Wirkung -einzutreten. Die schmerzhafte Spannung aller Glieder ließ nach, die -qualdurchfurchten Gesichtszüge glätteten sich. - -Dankbar nickte Heinrich seiner Mutter zu. Zum Sprechen war er zu müde. - -Auf Zehenspitzen schlich Frau von Birken ins Nebenzimmer. - -„Gott sei Dank, Mone, endlich hat’s gewirkt, das Morphium. Ich habe ihm -noch eine Spritze gegeben, dem armen Liebling. Jetzt hat er wenigstens -Ruhe.“ Dann ging die Baronin in die Küche und unterhielt sich mit -Martha, die, seitdem der junge Herr leidend war, in der Erzählung von -merkwürdigen Krankheitsfällen schwelgte. - -Monika, die über einer Mathematik-Aufgabe brütete, wurde aus ihrer -Arbeit gestört durch einen sonderbar röchelnden Ton, der aus dem -Nebenzimmer drang. - -Sie ging zu Heinrich hinein. „Laß doch bloß dieses gräßliche -Schnarchen, man kann überhaupt nicht arbeiten dabei.“ - -Ihr Bruder antwortete nicht. - -Und wieder der röchelnde Ton, der sich aus seinem halboffenen Munde -rang. - -Monika rüttelte ihn am Arm: „Heinrich!“ - -Und plötzlich durchzuckte sie ein fassungsloser Schreck. Eiskalt -rieselte ihr das Entsetzen den Rücken hinunter. Dieses regungslos -starre Gesicht, in welchem kein Muskel gezuckt, als sie „Heinrich“ -gerufen, diese nur halbgeschlossenen Augenlider, die das Weiß der nach -oben gedrehten Augäpfel erkennen ließen, das war kein Schlaf, das war -Bewußtlosigkeit! - -Sie rannte in die Küche, stammelte ein angstbebendes: „Mama, komm -schnell!“ und zog die Mutter mit sich fort. - -Frau von Birken stürzte auf ihren Sohn zu. - -„Heinrich!“ - -Aber trotz der heftigen Berührung gab er kein Lebenszeichen von sich. -Die weißen Augäpfel stierten gespenstisch unter den Lidern hervor. - -Die Mutter schrie auf, ein herzzerreißend gellender Schrei: - -„Heinrich!“ - -„Aber er lebt ja noch,“ beruhigte Martha, die neugierig aus der Küche -herzugelaufen war, „er ist noch ganz warm.“ - -„Martha, pfui, um Gottes willen, reden Sie nicht so!“ schrie die -Baronin. - -Und Monika sagte: - -„Halten Sie den Mund, und bleiben Sie hier im Zimmer -- ich gehe den -Arzt holen.“ - -Sie eilte die Treppe hinunter. - -Die Adern schlugen ihr wie Hämmer, eine wahnsinnige Angst um den Bruder -hatte sie erfaßt. Sie eilte, als hinge Heinrichs Leben an Sekunden. -Keuchend langte sie bei ihrem Hausarzt an; das öffnende Mädchen sagte, -daß er nicht zu Hause sei, erst spät abends zurückerwartet werde. - -Ohne ein Wort der Erwiderung machte Monika Kehrt, eilte die Treppen -hinunter und die Straße entlang. Fieberhaft forschte sie nach dem -Schilde eines Arztes. - -Bei noch zweien klingelte sie umsonst. Der dritte, ein jugendlicher, -elend aussehender junger Mann war auf ihr inständiges Bitten bereit, -gleich mit ihr zu gehen. - -Frau von Birken empfing den Arzt wie einen Heilsbringer. - -„Schnell, Doktor, erwecken Sie meinen Sohn, schnell, um Gottes willen,“ -flehte sie. - -„Ja, nun lassen Sie mich doch erst mal sehen,“ wehrte der Arzt ab, -indem er seinen Ueberzieher auszog. - -Dann trat er zu Heinrichs Bett, hob die Augenlider des Bewußtlosen -empor. - -Die Pupillen waren zu winzigen Pünktchen verengert, reagierten -überhaupt nicht auf das Einfallen des Lichts. - -Das erstaunte Gesicht des Arztes ließ Monika zu einer Erklärung -schreiten: - -„Mein Bruder hat zu viel Morphium bekommen, Herr Doktor.“ - -„Ah, also eine Vergiftung.“ - -„Was? Eine Vergiftung? Herr Doktor, wie können Sie sowas sagen,“ -jammerte in den höchsten Tönen des Entsetzens die Baronin, „wie sollte -denn Heinrich zu einer Vergiftung gekommen sein?“ - -Der Arzt wandte sich ohne weiteres zu Monika, die so kurz wie möglich -von Heinrichs Leiden sprach, von dem Morphium, das der Arzt verordnet. - -„Und das hat er in Ihren Händen gelassen?“ verwunderte sich der kleine -Arzt. - -Er ließ sich die Flasche zeigen, betrachtete sie kopfschüttelnd. - -„Aber, Herr Doktor, eilen Sie sich, mein Kind stirbt!“ schrie die -Mutter. - -„Ich muß mich doch erst informieren,“ sagte der junge Mann mürrisch, -immer noch über die Flasche gebeugt. - -Dann zog er seinen Notizblock hervor und schrieb mit einer Langsamkeit, -welche Frau von Birken dem Wahnsinn nahe brachte, mehrere Medikamente -auf, die Martha sofort aus der Apotheke holen sollte. - -Das Mädchen eilte weg, und Karl, der eben aus der Nachmittagsschule -gekommen war, begleitete sie; ihm war es zu unheimlich, im Hause zu -bleiben. - -Die Minuten dehnten sich zu Ewigkeiten. - -Ein atemraubendes Schweigen herrschte in dem Zimmer, nur von Zeit zu -Zeit unterbrochen durch das furchtbare Röcheln, das sich aus Heinrichs -Munde rang. - -Frau von Birken hatte den Kopf des Bewußtlosen an ihre Brust gebetet -und bedeckte seine bläulichen Lippen, seine fühllosen Hände mit heißen -Küssen. - -„Mein Glück, mein geliebtes Kind, sprich doch nur ein Wort, ein -einziges, einziges Wort. Liebling ... Heinrich...“ - -In ihren sonst so heiter liebenswürdigen Augen flammte ein tragisches -Feuer. - -Dann versank sie in verzweifeltes Schweigen. - -Monikas Nerven hielten das nicht mehr aus. Jede Faser in ihr war zum -Zerreißen gespannt; eine Jagd von Gedanken stürzte durch ihren Kopf, -wirr, zusammenhanglos. - -Sie schritt taumelnd hinaus, öffnete die Korridortür, um die Treppe -hinabzuspähen. - -Kam denn Martha immer noch nicht? - -Es war, als ob die Zeit stille stände, als ob Bleigewichte an den -Minuten hingen. - -Monika verlor vollkommen den Begriff der Zeit. - -Als das Dienstmädchen kam, Karl ängstlich dicht neben ihr, wußte sie -nicht, ob Minuten oder Stunden verflossen waren. - -Sie nahm Martha die Sachen aus der Hand und eilte mit diesen ins -Krankenzimmer. - -„Herr Doktor, tun Sie ihm nicht weh,“ jammerte die Mutter, als der Arzt -Heinrich eine Koffein-Einspritzung machte. - -Der Angeredete zuckte ungeduldig die Achseln und setzte sich dann -wieder in seinen Sessel. - -„Aber er wacht ja immer noch nicht auf!“ rief die Mutter. - -„Warten Sie’s doch ab.“ - -„Aber tun Sie doch was, Herr Doktor, tun Sie doch etwas,“ rief Frau von -Birken. - -„Wir können jetzt die Senfpflaster auflegen,“ wandte sich der Arzt an -Monika. Diese griff nach einem Paket, das man aus der Apotheke geholt. -Der Doktor legte Heinrich vier Senfpflaster auf. - -„O Gott, das muß ihn ja brennen. Heinz verträgt Senfpflaster überhaupt -nicht,“ klagte Frau von Birken. „Heinrich..!“ brach sie dann plötzlich -wieder los. In ihrer sonst so unbedeutenden, kleinen Stimme war ein -tiefer Unterton, ein tierischer Schmerzensschrei, der Wehlaut der -Mutter um ihr sterbendes Junges. - -„Herr Doktor, er will sprechen. Er will sprechen! Ich sehe es... es -läuft wie ein Zucken über sein Gesicht... Er will sprechen, will -klagen... und er kann es nicht... oh.. wie er leidet... er hört und -fühlt alles... er will sprechen und kann es nicht...“ - -Sie brüllte laut auf. - -Monika, die blaß bis in die Lippen geworden war, trat auf den Arzt zu. - -„Können Sie der Mama nicht ein Mittel geben, um...“ - -„Ach, Unsinn, das ist alles ganz nebensächlich. Erst müssen wir den -jungen Mann da mal aufkriegen.“ - -Er trat von neuem zu dem Kranken, nahm ihm die Senfpflaster ab. - -„Merkwürdig, keine Spur von Rötung.“ - -Die Mutter schrie auf. - -„Frau Baronin, er ist noch ganz warm,“ tröstete Martha, die -unaufgefordert wieder ins Zimmer gekommen war. - -„Geben Sie jetzt mal den Kampferspiritus.“ - -Und wieder begann der Arzt die Brust des Regungslosen zu reiben. - -Aber immer noch kein Lebenszeichen. - -Der Doktor machte nun ein bedenkliches Gesicht. - -„Wir werden nochmal Koffein nehmen,“ sagte er kopfschüttelnd. - -Und wieder bohrte er die scharfe Nadel in das blasse Fleisch. - -Atemraubende Minuten der Erwartung. - -Sie alle waren so nervös geworden, daß sie zusammenschreckten, als die -Zimmertür sich öffnete. - -Alfred trat ins Zimmer. Er richtete ein paar Fragen an den Doktor, die -dieser kaum beantwortete. Dann nahm er Monika am Arm und ging mit ihr -ins Nebenzimmer. - -„Karl hat mir alles erzählt,“ sagte er seiner Schwester, „nun paß -gut auf: wenn mit Heinrich irgend etwas passiert, dann weißt Du -nichts davon, daß Mama noch ein zweitesmal Morphium gegeben hat. Das -Dienstmädchen muß auch instruiert werden.“ - -Monika starrte den Bruder ganz verständnislos an. „Was?“ - -„Na, ganz einfach, weil Mama dann wegen fahrlässiger Tötung rankommt...“ - -Monika schrie auf: „Alfred, wie kannst Du!“ - -„Na, das ist doch ganz klar. Im Falle Heinrich stirbt...“ - -Monika stieß den Bruder heftig vor die Brust und rannte ins -Nebenzimmer; sie klammerte sich mit beiden Händen an das Fußende des -Gitterbettes, betrachtete mit irren Augen den Bewußtlosen und die Frau, -die da am Bette kniete, die Mutter, die vielleicht sein Leben auf dem -Gewissen hatte... aus Liebe... aus Liebe... - -Und plötzlich strömte es Monika siedendheiß durch die Adern: ein wilder -Trotz packte sie gegen diese dunkle und furchtbare Macht, die über dem -blassen Jünglingshaupt schwebte, ein wütendes Sichauflehnen gegen das -Schicksal, das blind und täppisch und erbarmungslos ein Uebermaß von -Mutterliebe so entsetzlich ahnden zu wollen schien. - -Ihre Hände krampften sich um des Bettes schmale Stäbe; mit weit -aufgerissenen Augen starrte sie in den Tod... Es war ein sonderbares -Klingen in ihren Ohren. Wohl hörte sie, daß die Mutter auf den Arzt -einsprach, aber sie verstand nicht mehr, was sie sagte. - -Der kleine Arzt wehrte die Baronin ab. - -„Nein, noch eine Koffein-Einspritzung ist unmöglich.“ - -Dann setzte er zögernd hinzu: - -„Vielleicht lassen Sie jetzt nochmal fragen, ob Ihr Hausarzt zu Hause -ist?“ - -Von neuem eilte Martha davon. - -Und von neuem ging Frau von Birken durch alle Phasen der Hoffnung, der -Verzweiflung, der Enttäuschung, neuer Hoffnung... - -„Er bewegt die Lippen, er will sprechen -- ich sehe es... Heinrich, ein -Wort, ein einziges...“ - -Sie war so fassungslos in die martervollen Abgründe ihres Schmerzes -versenkt, daß sie nichts von dem sah, was sich nun begab. - -Der Doktor verkündete mit seiner mürrischen Stimme: „Er schlägt die -Augen auf.“ - -Sie faßte es nicht, begriff es nicht, als Heinrich nun zu sprechen -versuchte; als er sprach mit deutlicher, ein wenig traumschwerer Stimme: - -„Was... ist... denn...“ - -Bis endlich das gemarterte Mutterhirn die selige Wirklichkeit erfaßte. -Mit einem erschütternden Freudenschrei warf sich die Mutter über den -Geretteten: - -„Mein Glück... mein einziges...“ - -[Illustration] - - - - -6. - - -Dieses Ereignis klang in Monika nach mit einer bedeutungsvollen -Schwere, die es für keinen der anderen gehabt. - -Schon der Tod ihres Vaters hatte ihr einen erschütternden Eindruck -gemacht. - -Aber jener Tod war nichts Ueberraschendes, war nur die Folge einer -langen Kette gewesen, geschmiedet aus leidensvollen Tagen und -schlaflosen Nächten. - -Des Vaters mächtiger Körper war nicht zusammengebrochen wie ein Baum, -den der Blitzstrahl trifft, nein! Die Krankheit hatte langsam ihr Werk -getan; alle die vielen Tage und Nächte waren wie Ameisen gewesen, die -fleißig und hastig Stück um Stück Gesundheit und Leben davontrugen. - -Monikas Vater war ein alter Mann gewesen, als seine Augen brachen; alt, -trotzdem er kaum fünfundvierzig erreicht. - -Seine Haare waren wie Schnee. - -Seine Augen waren wie verblaßt -- ganz stumpf. Man hatte den Tod kommen -sehen, wochenlang -- viele Monate lang. -- - -Jetzt aber war es anders gewesen. - -Jetzt war der Tod heruntergestürzt -- wie ein Habicht aus blauer Höhe -niederstößt auf sein Opfer. Wohl hatte man ihm seine Beute im letzten -Moment noch abgejagt, aber allzunahe hatte man das Schwirren seiner -starken Flügel gehört. -- - -Monika sah jetzt im Wachen und im Traum ihres Bruders regungsloses -Gesicht, das starre Weiß der Augäpfel unter halbgeschlossenen Lidern. - -Wie oft hatte sie gehört von Leuten, die jung gestorben waren. Aber das -hatte ihr nie Eindruck gemacht. Was sie von anderen hörte, blieb ihr -immer ganz gleichgültig. Sie erfaßte eine Sache erst dann, wenn sie sie -erlebte. - -Und nun hatte sie gesehen, schaudernd mitgefühlt: das Ende! -- - -Das brennende Mitleid, das sie für den Bruder gefühlt, verschwand, -sobald sie sah, daß Heinrich mit einem Tage Kopfschmerzen davonkam. - -Aber der Eindruck blieb. Es blieb die wahnsinnige Angst: nicht sterben, -ehe ich gelebt, ehe ich alles Süße gekostet, was das Leben zu schenken -hat. - -Und es kam der Zweifel, der nagende Zweifel: tue ich recht, wenn ich -mich vergrabe in tote Gelehrsamkeit -- wenn ich mein Leben verstreichen -lasse mit dem Erlernen von Systemen, von Theorien? - -Mein Gehirn arbeitet -- meine Geisteskräfte werden stärker durch Uebung -und Erziehung, aber abstrakte Wissenschaft ist nicht das Leben. - -Manchmal war es ihr, als ob sie ihr Gehirn haßte, das alle anderen -Regungen zu verschlingen drohte. - -Sie bemühte sich nun, nicht mehr an all die Themata zu denken, die sie -in den letzten Monaten so sehr absorbiert hatten. - -Mit kindischem Trotze suchte sie alle streng geistigen Regungen in sich -zu ertöten. - -Dafür ließ sie jetzt ihrer Phantasie die Zügel schießen. Und es war, -als ob diese Phantasie, die während der Lernperiode geschlummert, nun -mit doppelten Kräften aufwachte; lächelnd nahm die Phantasie Monika -bei der Hand und führte sie vielgestaltige Irrwege, auf denen viele -schöne Giftblüten wucherten, wildflammende Blüten, die berauschend und -betäubend dufteten. - -Und Monika spann sich in ihre Phantasien wie die fleißige Seidenraupe, -die sich mit ihrem Köpfchen in ein silberschimmerndes, dichtes Gewebe -einspinnt. - -Der Tadel der Lehrer -- die Ermahnungen der Mutter blieben umsonst. - -Monika nahm am täglichen Leben wenig Anteil, war zerstreut und faul. - -Niemand konnte ergründen, was für Gedanken hinter der niedrigen, weißen -Stirn rege waren. Mit der gleichen, fast unheimlichen Konzentration, -mit der sie sich erst auf das Lernen gestürzt, widmete sie sich jetzt -ihren uferlosen Phantasien. Kein fremder Einfluß vermochte sie dieser -Manie zu entreißen -- nur sie sich selbst. - -Und diese Stunde kam. - -Ein Gedanke -- sie wußte nicht woher -- eine schaudernde -Selbsterkenntnis: auch das ist nicht Leben! Nicht nur die Wissenschaft -stahl mir die Wirklichkeit, auch meine Träumereien haben nichts mit -Wirklichkeit zu tun. Diese Träumereien, die sich alle darum drehen, -wie das wohl sein könnte, nicht, wie es wirklich ist! - -Ich aber möchte das Leben, wie es ist! - -Aber was sehe ich denn vom Leben, was weiß ich denn davon? Wir Töchter -aus guter Familie werden gehalten wie die Kanarienvögel im Käfig. -- -Ach... Leben... - -Oft wünschte sie sich jemand, der ihr hätte raten, ihr hätte helfen -können in dem brausenden Zwiespalt von Gefühlen. - -Aber es war niemand da. Sie blieb ganz allein. Allein in der frühen -Reife des Körpers und des Geistes. - -Und ihr Trotz erstarkte in dieser Einsamkeit, ihr Trotz: allein -dazustehen und allein zu bleiben. -- - -In den Unterrichtsstunden verschlechterte sie sich sehr. Und das -wurde noch schlimmer, als der Winter begann und sich ihr hier und da -Gelegenheit bot, Tanzfestlichkeiten mitzumachen. - -Die Baronin jammerte zwar gottsjämmerlich, wie schrecklich das sei, -daß sie in ihrem jugendlichen Alter schon als Ballmutter figurieren -müsse -- außerdem seien die Kosten für diese Vergnügungen gar nicht zu -erschwingen -- aber im Grunde genommen ging sie gern hin. - -Der Verlauf war jedesmal derselbe: wenn so eine Einladung ins Haus kam, -erklärte Frau von Birken feierlich, daß man sie unter keinen Umständen -annehmen würde. - -Monika begann sich dann zu entrüsten: - -„Du gehst ja doch.“ - -„Ich denke nicht daran! Wir können das gar nicht bei unseren Mitteln. -Außerdem müßte ich ein neues Kleid haben.“ - -„Ach, es geht ja noch mit dem alten, Mamachen, bitte, bitte, wir wollen -doch hingehen.“ - -„Unter keinen Umständen!“ sagte Frau von Birken streng. Sie genoß -dann förmlich die Situation. Sie erschien sich in diesen Augenblicken -bedeutender als sonst, in dem Bewußtsein, daß Monika von ihr abhängig -war, daß sie bitten mußte mit kleinen, schmeichelnden Worten. - -„Nein, Du hast so eine Freude gar nicht verdient.“ - -„Mama!“ -- Die weißen Zähne gruben sich tief in die schwellende -Unterlippe. Heiß flammte der Trotz in den dunkeln Augen auf. Nein, sie -würde kein Wort mehr sagen, nicht mehr bitten -- nicht mehr bitten! - -Und dann schwirrte vor ihren Augen des Ballsaals blendendes Gewoge, -dann klang in ihren Ohren die Tanzmusik, unwiderstehlich süß, -unerträglich lockend... - -Und langsam quoll es ihr von den widerstrebenden Lippen: „Bitte... -bitte...“ - -„+Ich+ denke ja gar nicht daran -- ich bin Mutter, ich habe zu -bestimmen -- wir gehen nicht hin!“ - -Dann kam es wohl vor, daß Monika sich in einem maßlosen Wutausbruch auf -der Erde wand und sich die Haare raufte; lange ließ Frau von Birken -ihre Tochter nicht in dieser Verfassung; sie besänftigte sie in den -zärtlichsten Schmeicheltönen: - -„Monchen, ich bitte Dich, das war ja nicht so ernst gemeint --- natürlich gehen wir hin! Und ich schenke Dir mein blaues -Emaille-Medaillon mit den kleinen Brillanten. Beruhige Dich doch bloß, -Liebling. Wir gehen ja zu dem Balle. Ja, gewiß...“ - -Und Monika, noch Tränen in den Augen, lächelte matt und glücklich wie -eine Rekonvaleszentin. - -So trieb Monikas ungezähmter Wille weiter seine wuchernden Triebe, von -keines verständigen Gärtners Hand gepflegt, bald gezaust und bald -gestreichelt von Mutterhänden, die unverständiger waren, als es manche -Kinderhände sind. - -[Illustration] - -Und man ging zum Balle... - -Und wenn man nach Hause kam, lag Monika mit schlagenden Pulsen -schlaflos im Bett mit wirrem Hirn und irritierten Nerven. - -Wohl hatte ihr der Ball all die Freude gebracht, die sie von ihm -erwartet. Aber es war ein Augenblicksrausch gewesen; beim Nachdenken -hielt er nicht stand. Was war’s denn auch schließlich: ein bißchen -Musik und Licht und gute Tänzer... - -In diesem unbefriedigten Dasein, das ihr weder Ziel noch Zweck zu haben -schien, glaubte sie dann plötzlich einen Leitstern zu entdecken: die -Kunst! Mit glühender Begeisterung dichtete sie. Die Worte, die Verse -strömten ihr zu mit einer Leichtigkeit, über die sie selbst verwundert -war. Oft war ihr, als sei es gar nicht sie selbst, die das alles -dächte, sondern als schwebe über ihr ein Unsichtbarer, der ihr ins Ohr -sprach, was sie schreiben sollte. Alles war dann wie verändert: die -Teppiche, auf denen sie ging, waren weicher als sonst, die Bäume auf -der Straße waren riesenhaft gewachsen -- die eine Rose, die in einem -Glase vor ihr stand, war ein Rosenfeld von Millionen Blüten. - -Sie war dann selig. Selig bis in die Fingerspitzen hinein. So lange, -bis sie begeisterungsbebend ihrer Mutter und Heinzemännchen die Verse -vorlas. - -Frau von Birken fand die Gedichte teilweise sehr schön, aber furchtbar -unpassend -- ein junges Mädchen dürfe überhaupt keine Liebesgedichte -machen. - -Und Heinzemännchen rang die Hände und beschwor Monika, über den -Frühling zu dichten und über den Sommer, oder über den Herbst, oder -über den Winter -- andere Themata seien für Lyrik unmöglich. - -Monika aber faßte eines Tages einen kühnen Entschluß: sie wollte der -Welt die Proben ihres Talentes nicht länger vorenthalten. - -Und -- die Kunstgeschichtsstunde schwänzend -- begab sie sich eines -Tages mit ängstlichem Herzklopfen in die Redaktion des „Leuchtturms“, -einer neu erscheinenden Zeitschrift, in der sich junge Lyriker -verschiedener Schattierungen tummelten. - -Der „Leuchtturm“ war kein phantastisch prunkender Bau, wie Monika -ihn sich vorgestellt. Drei Zimmer im Parterre eines Berliner -Hinterhauses bildeten den Leuchtturm. Der Kontorist, der im Vorraum -zum Allerheiligsten auf einem Drehschemel saß und trübsinnig vor sich -hinstarrte, wurde durch Monikas Eintritt angenehm gestört. Eine so -junge Dame hatte er in diesen Räumen noch nicht gesehen. - -„Ist der Herr Redakteur zu sprechen?“ - -„Doktor Waldmann kommt erst in einer Stunde.“ - -„Ach, so lange kann ich nicht warten: wollen Sie ihm, bitte, dieses -geben...“ - -Monika legte hastig ein Kuvert auf den Tisch. - -„Steht Ihr Name und Ihre Adresse auch drin?“ fragte der Kontorist. - -„Nein -- ich komme wieder.“ - -Monika rannte davon wie gejagt. - -Sie konnte sich viele Tage lang nicht entschließen, nach dem Schicksal -ihrer Geisteskinder zu fragen. Aber endlich faßte sie Mut. - -Es war ein gar unangenehmes Gefühl, so vor den prüfenden, -pincenezbewehrten Augen des Doktor Waldmann dazustehen. - -„Mit wem habe ich die Ehre?“ fragte er. - -„Ach, der Name tut ja nichts zur Sache,“ sagte Monika heiß errötend. -„Ich wollte nur wissen, ob mein Gedichtzyklus ‚Libellen‘ zu brauchen -ist?“ - -„Sehr talentvoll, mein gnädiges Fräulein,“ sagte der Redakteur -wohlwollend, „wir wollen in der nächsten Nummer mit der -Veröffentlichung anfangen.“ - -„O...“ Monika schrie beinahe vor Freude. - -„Und wohin soll ich das Honorar senden lassen?“ - -„Auch Honorar?“ Ihre Begeisterung erreichte jetzt den höchstmöglichen -Grad. - -„Bitte, schicken Sie mir gar nichts,“ sagte sie stotternd. „Ich komme -es mir gelegentlich selbst abholen.“ - -„Soll mich freuen. Zwischen vier und sechs Uhr finden Sie mich meistens -hier.“ - -Ein Händedruck, und sie eilte fort. - -Kaum war sie zu Hause angelangt, als sie ihr sorgsam gehütetes -Geheimnis verkündete. - -Ihre Mutter war eine Beute der widerstrebendsten Empfindungen. -Einerseits fand sie es maßlos unpassend, daß Monika allein auf eine -Redaktion gegangen, andererseits imponierte ihr die Tatsache, daß ihre -Tochter wirklich „gedruckt werden sollte“, kolossal. Hatte doch Frau -von Birken mit vierzehn Manuskripten vergebens darum gekämpft. - -Monikas Brüder erklärten die Neuigkeit für Schwindel: „Monika will bloß -bemänteln, daß sie über eine Stunde zu spät aus dem Kursus kommt.“ - -Aber der nächste Leuchtturm brachte tatsächlich die „Libellen“, und -Monika stürzte daraufhin in die Redaktion, allwo sie fünfzehn Mark -Honorar empfing. Sie benutzte sie schleunigst dazu, sich lauter Sachen -anzuschaffen, die ihr verboten waren: eine Schachtel Zigaretten, den -neuen Roman eines naturalistischen Schriftstellers und eine Flasche -Chypre-Parfum. - -Sie hatte auf der Redaktion wieder ihren Namen nicht genannt und tat -es auch weiterhin nicht. Sie versäumte jetzt manchmal ein oder zwei -Stunden in den Gymnasialkursen, war während dieser Zeit heimlich auf -der Redaktion des Leuchtturms; da war immer der eine oder andere -Zeichner, Schriftsteller oder Redakteur, mit dem sie aufs angeregteste -plauderte. - -Der ihr bisher unbekannte freie Ton der Unterhaltung begeisterte sie. -Sie lauschte gespannt, wenn die Herren sich gegenseitig neckten oder -ihre Abenteuer zum besten gaben; sie genierten sich nicht in Gegenwart -dieses netten, „anonymen“ Mädchens. - -Die Komplimente, die sie Monika machten, waren anderer Art als die, die -sie bisher von den Leutnants gehört. Aber es waren doch Komplimente! -Das genügte ihr. - -Frau von Birken ahnte nichts von den kleinen Eskapaden ihrer Tochter. -Sie gebärdete sich oft trostlos, wenn wieder ein neues Gedicht von -Monika im Leuchtturm erschien. - -„Ich würde die Verse entzückend finden, wenn sie nicht von meiner -eigenen Tochter wären,“ sagte sie. „O Gott, daß ich so etwas -Unpassendes an Dir erleben muß!“ - -Aber alles in allem war Monika doch in ihrer Achtung gestiegen, seitdem -sie sich zur „Schriftstellerin“ entfaltete. - -Das hinderte aber nicht, daß eine Verlobung doch Frau von Birken -bedeutend mehr impressionierte. Sie sprach tagelang von nichts anderem -als von der goldumränderten Karte, die ins Haus gekommen: - - „Die Verlobung ihrer einzigen Tochter Marie mit dem Leutnant der - Reserve im Dragoner-Regiment Kronprinz, Gutsbesitzer Wilhelm von - Hammerhof auf Hammerhof beehren sich ergebenst anzuzeigen - - von Holtz-Sarkow und Frau, - geborene Freiin von Birken.“ - -„Nein, was die Marie für ein Glück macht!“ rief Frau von Birken ein -über das anderemal. - -„Du weißt doch noch gar nicht, ob das ein Glück wird.“ - -„Aber, Mone -- das wird es schon! Ein so reizendes Mädchen wie Marie! -Und er ist doch ein vornehmer, tadelloser Mann.“ - -„Kennst Du ihn?“ - -„Nein, aber ich bin sicher, daß er eine glänzende Partie ist. Du kannst -nicht darüber urteilen, Mone, denn Du wirst sicher nie heiraten. Für -ein Mädchen, das studiert und außerdem schriftstellert, paßt das ja -auch gar nicht.“ - -Monika zog ein Gesicht: sie schien nicht sehr damit einverstanden zu -sein. - -Einige Wochen nachher kam Frau von Holtz mit dem Brautpaare nach -Berlin, um Einkäufe zu machen. - -Der Bräutigam war ein gut aussehender Mensch, höflich und freundlich, -Geist und Bildung gesunder Durchschnitt. - -„Eine so passende Partie!“ Die zukünftige Schwiegermutter strahlte, -war viel entzückter als Marie selbst. Sie erzählte ihrer Schwägerin: -„Denke Dir, Marie wollte eigentlich noch gar nicht heiraten, kam auf -ihr verrücktes Studierprojekt zurück, erklärte mir, vorläufig triebe -sie nichts gebieterisch zu einer Heirat, und so wolle sie einstweilen -warten, wolle ihre Freiheit nicht verlieren. -- Na, ich habe ihr -den neumodischen Unsinn schon ausgetrieben! -- Es wäre doch auch -zu unsinnig gewesen, Hammerhof auszuschlagen. Unsere Güter grenzen -aneinander, Marie ist zwanzig Jahre alt, gerade das richtige Alter -zum Heiraten! Wenn die Mädchen nicht früh heiraten, bekommen sie alle -so sonderbare Ideen bei den überspannten Zeitströmungen, die jetzt -herrschen.“ - -„Ja, aber wenn sie ihren Bräutigam nicht glühend liebt?“ sagte die -Baronin Birken bedenklich. - -„Mein Gott, Mali, Du wirst schon wieder romantisch. Was soll das -vorstellen: ‚glühend liebt‘? Ich habe meinen Mann, als wir verlobt -waren, auch nicht glühend geliebt, und wir führen die harmonischste -Ehe, die man sich vorstellen kann. Ich finde: ein Mädchen aus unseren -Kreisen hat überhaupt nicht glühend zu lieben! Wirst Du Dir denn Deine -Romantik nie abgewöhnen, Mali?“ - -„Ich hoffe, nein!“ sagte die Baronin stolz. „Ich bin froh, daß ich -meine jugendliche Begeisterung habe, und ein echtes Gemüt bleibt ewig -jung!“ -- - -Was Begeisterung anbetraf, so entfaltete Frau von Birken ein -vollgemessenes Quantum in den nächsten Tagen; sie fand alles -begeisternd: die Theatervorstellungen, die Einkäufe und Bestellungen, -alles... - -Die Einkäufe waren übrigens ein Zankapfel zwischen Marie und ihrer -Mutter. Frau von Holtz versuchte -- autoritativ wie immer -- ihren ganz -persönlichen Geschmack zur Geltung zu bringen, und Marie fand mitunter -ein scharfes Wort: „Schließlich, ich soll doch die Sachen haben und -nicht Du, Mama. Da ist doch mein Geschmack eigentlich wichtiger.“ - -Frau von Holtz klagte dann über die schreckliche, neue Zeit, in der -die Töchter gar nicht mehr den richtigen Respekt entfalteten und sich -anmaßten, eigene Meinungen zu haben. Hatte sie selbst einst ihrer -Mutter Vorschriften zu machen gewagt, als diese ihr die Aussteuer -gekauft? Mit ehrfurchtsvollem Danke hatte sie alles entgegengenommen -- -und dabei sei der gelbe Salon mehr als unpraktisch ausgesucht gewesen! - -Auch Monika fand Maries Benehmen als Braut zu tadeln. - -„Ich würde mich anders benehmen, wenn ich verlobt wäre,“ sagte sie zu -ihrer Mutter. „Der Marie merkt man gar nicht an, daß sie glücklich ist. -Ich glaube, die paßt gar nicht für die Ehe!“ - -„Was, die Marie soll nicht für die Ehe passen?“ entrüstete sich Frau -von Birken, „so ein reizendes Mädchen! Und die schönen Handarbeiten, -die sie macht, und kocht tadellos; sogar Früchte einkochen kann sie -ganz allein.“ - -Am tiefsten berührt von der ganzen Verlobung war unstreitig Bertha, -die das Brautpaar bei Birkens kennen gelernt hatte: sie fand Monika -gegenüber nicht Worte genug, um Maries Glück zu rühmen. - -„Denke doch, verlobt sein mit solch nettem Menschen, lauter schöne -Sachen bekommen und sich küssen dürfen... und dann nachher die Trauung, -so im weißen Schleppkleide, schleierumwogt vor Gottes Altar -- ach, -entzückend! Und dann nachher junge Frau! Es gibt doch wohl nichts -Schöneres als jung verheiratet zu sein. Und süße Kinder haben... Und -nun zu denken, daß mir das alles nicht blühen wird -- nein, sprich -nicht dagegen! Wer soll denn eine Frau heiraten, die studiert? Ich sage -Dir: wenn ich die Person wüßte, die das Frauenstudium erfunden hat, die -brauchte sich nicht zu gratulieren!“ - -Monika lachte. „Ach, die studierten Frauen können doch gerade so gut -heiraten wie die anderen!“ - -Aber Bertha war nicht zu überzeugen. - -Nach zehntägigem Aufenthalt reiste Frau von Holtz mit dem Brautpaar -zurück. - -Die Hochzeit sollte in wenigen Monaten stattfinden, und die angehende -Schwiegermutter fühlte sich ganz in ihrem Element bei all den -Vorbereitungen, die nun Platz griffen. Mine Petermann verließ -Sarkow überhaupt nicht mehr; die schwarze Taille über dem mächtigen -Busen dick mit Stecknadeln gespickt, brütete sie unermüdlich über -den Modeblättern, probierte und verwarf, probierte von neuem und -begeisterte sich -- und begeisterte Frau von Holtz mit den glühenden -Schilderungen der Meisterstücke von Toiletten, die sie im Begriff war, -anzufertigen. - -Zwischen Mutter und Tochter entbrannten dieselben -Meinungsverschiedenheiten wie bei der Auswahl der Möbel; jede suchte -ihren eigenen Geschmack durchzusetzen. Die Mutter siegte auf der ganzen -Linie, aber die Folge davon war, daß Marie nun ohne Freude die Anproben -über sich ergehen ließ. - -Es war überhaupt nichts von strahlendem Glück an ihr zu merken. Zu -ihren Freundinnen aus Neustadt und Hahndorf sagte sie zwar mit einer -gewissen Wichtigkeit: „Mein Bräutigam...“, aber wenn dieser kam, so -empfing ihn kein übermäßig freundliches Gesicht. - -Er machte sich übrigens nicht viel Gedanken darüber, zumal er selbst -keine leidenschaftliche Verliebtheit für seine Braut entfaltete. - -Sie war eben eine „so passende Partie“, paßte, was Familie, Alter, -Vermögen anbetraf, vortrefflich zu ihm; ihre äußere Erscheinung -genügte den Ansprüchen, die er an seine zukünftige Gattin stellte. Die -Reserviertheit, die sie zur Schau trug, störte ihn nicht. Marie war mit -Gefühlsäußerungen immer so zurückhaltend gewesen, daß Frau von Holtz -ganz entsetzt war, als sie sie eines Tages in heißen Tränen fand. - -Sie war in ihrer Tochter Wohnzimmer gekommen, um ihr eine eben -eingetroffene Auswahlsendung von weißen Seidenstoffen zu zeigen. - -Da fand sie Marie mit dem Oberkörper auf der Tischplatte liegend, die -Hände vor die Augen gepreßt. Ein krampfhaftes Weinen ließ die schmalen -Schultern erzittern. - -„Marie!“ - -Das tränenüberströmte Gesicht hob sich empor: - -„Mama, laß mich Dir sagen, ich will Wilhelm nicht heiraten, ich will -nicht.“ - -„Was? -- Was ist denn? -- Warum...“ - -„Ich liebe ihn nicht.“ - -„Liebstes Kind, das kommt in der Ehe. Vernunftheiraten werden immer die -glücklichsten Ehen.“ - -„Mama, ich will nicht heiraten, noch nicht! Es ist langweilig hier so -allein mit Euch, aber ich will gern hierbleiben, tausendmal lieber -hierbleiben, als mit einem fremden Manne fortgehen. Er ist mir ja -so fremd! In meinem Innern spricht nichts für ihn. Und nun soll ich -Tag und Nacht mit einem Fremden sein, soll ihm mein ganzes Leben -schenken...“ - -Frau von Holtz war erblaßt vor Erregung. - -„Ich erkenne Dich nicht mehr wieder, Marie. Du wirst hysterisch. Was -ist das nur auf einmal? Dich hat niemand zu der Verlobung gezwungen!“ - -„Nein, gezwungen nicht. Nur zugeredet habt Ihr mir. Und ich war zuerst -ja ganz einverstanden. Aber jetzt, wo der Hochzeitstag näher und näher -rückt, habe ich mich zu der Ueberzeugung durchgerungen: Ich kann ihn -nicht heiraten!“ - -„Marie, besinne Dich auf Dich selbst! Du kannst doch jetzt Deinen -Entschluß nicht ändern. Du hast Wilhelm Dein Wort gegeben -- Du kannst -ihm das nicht antun, Dein Wort zu brechen, so ohne jede Ursache, ohne -jeden Grund! -- Und wie stehst Du nachher da? Ein Mädchen, dessen -Verlobung zurückgeht, wird immer scheel angesehen. Nein, was würden -die Leute nur sagen, jetzt, wo schon die ganze Aussteuer fast fertig -ist!“ - -„Ich will nicht,“ schluchzte Marie, „ich will nicht.“ - -Und die Mutter redete weiter, abwechselnd drohend und bittend; sie -wendete ihre ganze Kraft auf, um das, was sie als eine nervöse Laune -ihrer Tochter empfand, zu besiegen; sie bat und beschwor, drohte und -befahl. - -Dann schwieg sie erschöpft und starrte angstvoll auf Marie, die immer -noch das Gesicht in den Händen verbarg. - -Und endlich hob die Tochter das Haupt. - -Und mit einem Zucken ihrer schmalen Schultern, dieser Bewegung, die sie -immer machte, wenn der Mutter Willen den ihren besiegte, sagte sie müde: - -„Also ja -- ich werde mein Wort halten. Aber vergiß diese Stunde hier -nicht... vergiß sie nie, Mama...“ - -[Illustration] - - - - -7. - - -„Monika..!“ -- Monika hörte nicht. Sie hatte ihren „Katalogtag“. Sie -behauptete, daß Kataloge studieren so ziemlich einer der größten -Genüsse sei, dem man sich hingeben könne. - -Oft sagte ihr solch ein Preisverzeichnis mehr als ein Roman. Sie -schwelgte geradezu in Katalogen, durchlief eine ganze Skala von -Empfindungen von wunschlos anbetender Bewunderung bis zum heißgierigen -Habenwollen. - -Das Preisverzeichnis einer Delikatessenwarenhandlung versetzte sie in -Entzückungszustände. Die angepriesenen Sachen waren wie eines Baumes -Aeste und Aestchen, auf denen sich ihre Phantasie, blankäugig und -behend wie ein Eichhörnchen, hin und her schwang. - -Sie las: „Hummern, lebende Helgoländer und norwegische...“ Da sah sie -die sonderbaren Schaltiere vor sich, mit ihren komischen, gestielten -Augen, mit dem harten Panzer über dem weichen Fleisch, dessen saftige -Frische sie förmlich auf der Zunge fühlte. - -Und sie fühlte die scharfe, salzige Luft der Nordmeere, der grauen, -kalten Meere, die um starre Felsen und Klippen rauschen. Das war -dasselbe ewige Meer, das einst die Drachenschiffe getragen -- -dasselbe, das jetzt Panzerkreuzer und Torpedos trug, und das heute -die komplizierten Wunderschöpfungen der Technik in böser Laune gerade -so zerschlug und zerbrach, wie es einst die ungefügen Holzplanken -zerschlagen. - -Und sie las weiter: „~India green turtle meat, sundried~.“ -- Da fing -ihr Herz an, ganz laut zu schlagen. - -Und sie las weiter: „~India green turtle meat~,“ so heiß, daß sie -nicht mehr wohltat, sondern zerstörte, dort war sie ein vernichtend -flammender Feuerball in einem unerhört blauen Himmel, schüttete -Strahlengarben über das Land voll Prunk und Schmutz -- über die -schmalgliedrigen dunkeln Hindus mit den schmachtenden, sanften Augen -- -über die stolzen, blonden Engländer, die hier die Herren waren. Und -das geknechtete und mißhandelte Land war doch so oft stärker als sie, -gab ihnen heimlich und böse lächelnd die Keime von Fieber, von Pest und -Tod. -- - -Und weiter: „Truffes de Périgord“. Monikas Näschen schnupperte, als -fühle sie den unvergleichlichen Duft der schwarzen Erdfrucht. - -„Trüffeln“ bedeutete ihr förmlich ein Programm. Pikante Würze mit einem -lockenden Dufthauch darüber. -- - -Und „Périgord“, Frankreichs lachende Gefilde. Graue Edelschlösser auf -sanften Hügelabhängen, umwogt von einem Meer von Blütenbäumen. -- Und -drinnen im Schloß ein Liebeshof -- schöne Ritter und schöne Damen in -Gold und Seide, zur feierlichen Beratung versammelt über der Liebe -wichtige Fragen. - -Ueber alle herrschend die schöne Frau des Hauses, deren Urteil sich -alle beugen, Edeldamen und Troubadours! Und der Troubadours Bester kam -ihr in den Sinn, Bertrand de Born, „der mit einem Lied entflammte -- -Périgord und Ventadorn ...“ - -Der hochmütige Troubadour, der, ein Siegerlächeln um die blutroten, -üppigen Lippen, sich gerühmt, „daß ihm nie mehr als die Hälfte -- -seines Geistes nötig sei!“ - -O dieser Mann, der Sieger, strotzend von Kräften des Körpers und -des Geistes wie ein Blütenbaum im Mai, ein Meister des Liedes, ein -Gewaltiger der Sprache, der Männergehirne und Mädchenherzen mit süßen -und bitteren Worten lockte und bezwang... - -Dieser Gedanke fand in Monika eine so starke Resonanz, daß sie ziemlich -abwesend über einige Seiten hinweglas, die sie sonst mit Entzücken -erfüllt haben würden. - -Die Preisverzeichnisse von Konfektionsgeschäften, von Wäschefirmen -waren kaum weniger dazu angetan, ihr ein schwelgerisches Genießen zu -verschaffen. - -Bei den Hemdeinsätzen aus Brüsseler und Brügger Spitzen dachte sie an -die belgische Spitzenfabrikation, sah kleine flandrische Städtchen, -saubere Häuschen mit blitzblanken Spiegelscheiben, den „Spion“ am -Fenster -- das Glockenspiel klingt vom Beffroi. - -Im Beginenkloster des toten Brügge klöppelten blasse Nonnenhände -die zarten Gebilde aus dünnen Fäden. -- Und es gab Spitzen, die -wurden in Kellern gearbeitet, die Luft mußte feucht sein, damit beim -tausendfältigen, kunstvollen Durcheinanderwirren der Faden nicht brach, -der -- dünn wie Spinnengewebe -- durch die Hände der bleichsüchtig -armseligen Mädchen lief, welche Stunde um Stunde klöppelten, ohne -aufzusehen. Die Mädchen hatten gewiß so kraftlos ausgesehen wie -Kellerblumen; mit blutlosen Fingern hatten sie die Spitzen gearbeitet, -die dazu bestimmt waren, die Wäsche und die Kleider leichtsinniger -Schönen zu zieren, die bunt und glänzend wie Paradiesvögel oder Pfauen -durchs Leben geschritten. - -Und dann die Verzeichnisse der Parfumfabriken. Die waren vielleicht -doch das Schönste von allen. Ach, das Duften, das berauschende Duften, -das aus des Büchelchens Seiten stieg. - -„White rose“ -- herb und süß. Kaum erschlossene Rosenkelche, -mondlichtüberflutet in einem Park von Englands Schlössern. -- Eine -blonde Herzogin, die sich aus dem Festgewühl hinabschleicht in den -Park, der feucht ist vom Tau der Nacht. -- Und nach einer kleinen -Weile verschwindet droben aus dem lichter- und gästeerfüllten Saale ein -schlanker Kavalier. Die weißen Rosen duften so süß. -- - -Und dann „Chypre“. Aufreizend und schwül, der Duft für eine Frau, die -launisch ist und süß und grausam wie die Göttin der Insel Cypern selbst. - -„Ambra“! Der Orient wird lebendig, das Gewühl der Märkte und Basare, -die wollüstigen und blutdürstigen Geschichten der tausend Nächte -und der einen Nacht. Ueppige Prinzessinnen, die schönen Gesichter -schleierverhüllt, schlanke Wüstensöhne, die starben aus Liebe. - -„Goldregen“ und „Flieder“, „Ylang-Ylang“ und „Coeur de Jeannette“, -„Cuire de Russie“ und „Tuberosen“ -- alles wurde eine Geschichte. -- - -Ganz geistesabwesend sah Monika dann aus, wenn man zu ihr sprach, wenn -ihre Mutter wieder einmal sagte: - -„Nimm Dir doch endlich was Vernünftiges vor! Wie kann man sich nur in -solch langweilige Kataloge vertiefen?“ - -Und wenn Alfred behauptete: - -„Ich habe ja schon viel von Stumpfsinn gesehen, aber etwas derartiges, -wie sich hinsetzen und solche Verzeichnisse lesen, das hab’ ich noch -nicht gesehen!“ - -Die Brüder waren überhaupt Monikas größtes Kreuz; sogar auf -gesellschaftlichen Veranstaltungen war sie vor ihnen nicht sicher. War -es etwa nötig, daß sie mit zu dem Wohltätigkeitsbasar „Am Posilipp“ -kamen? - -Zuerst war die Mutter geneigt gewesen, Monikas Protest: „Gymnasiasten -gehörten überhaupt noch nicht auf solche Feste!“, anzuerkennen. -Aber Alfred hatte die Worte seiner Schwester mit einem Höllenlachen -aufgenommen. - -„Das könnte Dir wohl so passen, mein Kind, dort ohne unsere Aufsicht -rumzukokettieren?“ - -Und Heinzemännchen hatte erklärt, daß, da doch nun mal seit Papas Tode -die ganze Verantwortung auf seinen Schultern läge, er nicht gestatten -könne, daß Monika ohne ihn diesen Basar mitmache. Außerdem wünsche er -sich von „dem italienischen Stimmungszauber dort lyrisch anregen zu -lassen“. - -So war denn, Karl ausgenommen, die ganze Familie „Am Posilipp“. So -hatte der „Frauenverein zum Wohle von Lungenkranken“ sein diesjähriges -Fest getauft. Von allen möglichen und unmöglichen Standorten herunter -wehten die weiß-rot-grünen Flaggen Italiens mit dem Wappen des Hauses -Savoyen. - -An den Wänden roh hingeworfene Dekorationen und Bemalungen, die jetzt -das elektrische Licht verklärend und verschönend übergoß. - -Ein buntes, wirres Durcheinander von gut und schlecht angezogenen -Leuten, von Gesellschaftstoiletten und italienschen Kostümen und auch -von anderen Volkstrachten. - -Mit der Nationalität schien man es nicht so genau zu nehmen. - -Die Damen in den Verkaufsbuden waren in jedem Alter und in jedem -Typ vorhanden. Die einzelnen Buden waren hübsch arrangiert. Die -feilgebotenen Gegenstände, wie immer bei solchen Gelegenheiten, -geschmacklose Ware. - -Jede ~dame patronesse~ hatte außer den Gehilfinnen in ihrer Bude noch -eine Anzahl „fliegender Verkäuferinnen“, junge Mädchen, die wie Bienen -emsig und unerschrocken den Saal durchschwirrten, ihren Vorrat an -Blumen, Lotterielosen, Zigaretten den Herren anboten und dann von Zeit -zu Zeit an ihre Verkaufsstände zurückkehrten, zwar nicht wie die Bienen -mit Blütenstaub, sondern mit Mammon beschwert. - -Monika gehörte zu den „Fliegenden“ von Frau von Wetterhelms Blumenstand. - -Frau von Wetterhelm war auf allen Wohltätigkeitsveranstaltungen -bekannt wie ein bunter Hund. Sie kam, sie war da und unterzeichnete im -„Festausschuß des Ehrenkomitees“: „Frau Oberst von Wetterhelm“. Das -„geborene Krause“ ließ sie weg. - -Das „Frau Oberst“ war eigentlich eigenes Patent. - -Sie war von Wetterhelm geschieden worden, als dieser noch Leutnant -war. Der hatte dann bald darauf zum zweitenmal geheiratet, hatte aus -dieser zweiten Ehe fünf Kinder und bekümmerte sich nicht im mindesten -um das Schicksal seiner ersten Gattin, an der er -- wie der bekannte -Villenkäufer -- nur zwei Freuden erlebt hatte: den Tag, an dem er sie -bekam, und den Tag, an dem er sie losward! - -Auch sie hatte nie mehr versucht, seinen Lebensweg zu kreuzen, aber sie -avancierte mit! Sobald sie erfuhr, daß ihrem Gatten eine höhere Charge -zuteil geworden, ließ sie sich neue Visitenkarten drucken. So war -der „Frau Oberleutnant von Wetterhelm“ im Laufe der Jahre eine „Frau -Hauptmann“ gefolgt; jetzt war sie bei „Frau Oberst“ angelangt. - -Da sie eine auskömmliche Rente hatte und sich um ihren Lebensunterhalt -nicht zu sorgen brauchte, so verbrachte sie ihre Zeit mit Besuchemachen -und Teilnahme an Wohltätigkeitsfesten. Bei diesen war sie, wie gesagt, -gar nicht zu vermeiden, und ebensowenig war es möglich, ihr die -Blumenbude zu entreißen. „Blumen sind das Poetischste!“ sagte sie, „und -gerade ich mit den so unendlich schweren Lebensschicksalen, -- ich -müßte ja verzweifeln, wenn ich mich nicht in die Poesie flüchten würde! --- -- Das verstehen Sie? Nicht wahr, das müssen Sie verstehn?! -- --“ - -So behielt sie die Poesie und die Blumenbude und machte gewöhnlich -recht gute Geschäfte, da sie es verstand, reizvolle, hübsche Mädchen -und Frauen als Gehilfinnen zu werben. - -Als sie vor wenigen Wochen in einer befreundeten Familie Monika kennen -gelernt, hatte sie dieselbe sofort für den Posilipp dingfest gemacht. - -Und Monika war begeistert. Konnte es denn überhaupt etwas Schöneres -geben, als so losgelöst zu sein vom Zwange des Alltags? Ganz ungetrübt -war ja ihr Glück nicht wegen der Anwesenheit der Brüder. - -Alfred hatte sein brüderliches Ueberwachungsamt zwar gleich im Stich -gelassen, als eine blonde Neapolitanerin ihm zugelächelt. - -Heinzemännchen aber nahm seine Verpflichtung ernster. - -Mit unermüdlicher Ausdauer lief er hinter seiner leichtfüßigen -Schwester her und holte Mama zur Verstärkung, wenn Monika wieder einmal -allzulange Dialoge mit einem blumenkaufenden Leutnant führte. - -Natürlich stachelte diese Ueberwachung Monikas Trotz erst recht; sie -ärgerte sich in eine förmliche Empörung hinein! Also nicht mal hier -konnte man ihr Ruhe lassen! War sie denn wirklich so viel schlimmer als -alle die anderen jungen Mädchen, die sich hier ungestört ihres Lebens -freuten?! - -Was hatte sie denn schließlich begangen? Die paar Flirts, die paarmal, -wo sie verliebt gewesen war, was sich hauptsächlich auf das Dichten -guter Verse beschränkt hatte -- -- - -Eine heiße Zornwelle flutete in ihr empor. Nun erst recht! Wollen doch -mal sehn, ob wir nicht Heinzemännchen, dem Tugendbold, ein Schnippchen -schlagen können?! - -Mit Blitzesschnelle hatte sie sich in das Leinwandzelt von Fräulein von -Toring, die als Wahrsagerin fungierte, geflüchtet. Durch einen Spalt -beobachtete sie Heinrichs ratloses Gesicht; er hatte nicht bemerkt, -wohin sie so plötzlich entschwunden. Sein bestürzter Ausdruck war so -komisch, daß Monika sich nur mit Mühe enthielt, laut aufzulachen. - -Dann sah sie ihre Mutter zu Heinrich herantreten, der er dann -anscheinend einen Kriegsplan entwickelte; gleich darauf schwenkte er -nach links ab, während Frau von Birken das Terrain nach rechts absuchte. - -Diesen Augenblick benutzte Monika, um aus dem Zelt zu rasen, die Treppe -hinauf, die in den ersten Rang führte, wo all die Logen waren; dort -würde man sich gut verstecken können. - -Wie ein Pfeil schoß sie hinauf, bog um die Ecke und prallte so heftig -an einen Herrn an, daß nur dessen schnelles Zufassen sie vor einem -Falle bewahrte. - -„Na, wohin so eilig?“ fragte er lächelnd. - -Monika war zu atemlos, um zu antworten; sie blickte stumm den Fragenden -an. - -Er war ein Kavalier in der Mitte der dreißiger Jahre, ein vollendeter -Typus des norddeutschen Aristokraten. Er war groß, auf breiten -Schultern saß ein stolz getragener Hals, ein schmaler Kopf. Er hatte -die hochsattelige Nase der vornehmen Rassen, kühle graue Augen, einen -bürstenförmig kurzgeschnittenen Schnurrbart über dem harten Mund. Er -betrachtete mit Interesse das glühende, schöne Mädchen. „Vor wem sind -Sie denn auf der Flucht? Vor welchem Argus?“ - -„Argus stimmt auffallend,“ lachte Monika. - -„Hier finden Sie ein tadelloses Versteck.“ Er öffnete die Tür einer der -Logen, die leer war. - -Monika ließ sich auf einen der Stühle nieder. - -„Erst mal atmen!“ sagte sie. - -Ihr schlug das Herz zum Zerspringen, von dem schnellen Laufen sowohl -als auch wegen der ungewohnten Situation: allein mit diesem schönen -Unbekannten, auf drei Seiten von schirmenden Logenwänden umschlossen -und vor sich den Blick auf des Ballsaals tobendes Gewühl da unten. - -Ihre anfängliche Befangenheit schwand schnell bei der überlegen -sicheren Art, mit der ihr Begleiter das Gespräch führte. Bald vergaß in -angeregtester Konversation Monika ihre Verkäuferinnenpflichten. - -Mit hellem Lachen nahm sie die scharfen Urteile auf, die ihr Begleiter -über die Leute da unten im Ballsaal fällte. - -Er kannte eine Menge Menschen; er nannte die Herren, die sich beflissen -um die Sektbude der Frau Geheimen Kommerzienrat von Dresdener -drängten und nannte ihr auch die Summen, mit denen diese Herren den -adelsfreundlichen Kommerzienrat angepumpt. - -Das rosa Mullkleid der Gräfin Himmlingen-Wolfsfeld war wahrhaftig -jugendlicher als das ihrer jüngsten Enkelin, die im Nebensaale -verkaufte. - -Die jungen Mädchen, welche eben in einer Rotte von etwa einem Dutzend -auf den Prinzen Balduin losstürzten, den seine riesenhafte Gestalt und -der Hausorden des Hauses Hohenzollern weithin kenntlich machten, glich -einer Horde von Haifischen, „ja, den Haifischen bei Saint-Thomé“. - -„Haben Sie die selbst gesehn?“ fragte Monika interessiert. - -„Ja, bei Saint-Thomé am Aequator. Das Wasser ist dort so sonderbar -durchsichtig wie Glas. Bei fünfzehn Meter Tiefe sieht man noch den -Grund, sieht all das Tierzeug, besonders viel Haifische. Und wenn -einer von uns an Bord unserer Jacht bei den Schießübungen, die wir -aus Langerweile anstellten -- wir schossen auf die Haie in der Tiefe --- dann so eine Bestie traf, dann stürzten die anderen Haie mit -unnennbarer Gier über ihn her. Grad’ wie dort unsere jungen Damen über -den Prinzen Balduin.“ - -Monika lachte diesmal nicht. - -„So klar ist das Wasser dort?“ fragte sie. - -Ihre Stimme hatte plötzlich etwas Träumerisches bekommen. - -„O Gott, so tief kann man da hinuntersehn -- --? Wie durch Glas? Wie -durch Kristall? -- Und all die Geheimnisse der Tiefe sind plötzlich -aufgetan? Man sieht die grünen Algen und die Korallenbäume, rosa und -weiß, tausendfach verästelt. Und die Quallen, jene sonderbaren Wesen, -die halb Blumen sind und halb Tiere, treiben dahin und leuchten wie -Opale und Amethysten -- --“ Ihre Augen schauten sehnsüchtig vor sich -hin. - -„Sie dichten ja,“ sagte er erstaunt, lebhaft interessiert von dem -Geist, der in diesem jungen Gesichte war und den Ausdruck dieser Züge -so oft wechseln ließ. - -„Sind Sie zu Jagdausflügen in die Tropen gegangen?“ - -Monikas Phantasie ließ sie in ihrem Begleiter einen Nabob vermuten, -einen Globetrotter, der nur der Haifische wegen nach Saint-Thomé fuhr. - -Er lächelte ein wenig sarkastisch. „Nein, mein gnädiges Fräulein, ich -war dienstlich drüben, als Vize-Konsul.“ - -„Ach wie interessant! Und wie schön gefährlich es drüben sein muß. Sind -Sie oft krank gewesen? -- Malaria?“ - -Er lachte. „Nein, ich muß Sie enttäuschen. Es war nicht der Rede wert. -Ueber achtunddreißig Grad hat es mein Thermometer nicht gebracht! Wir -alle in der Familie sind so widerstandsfähig!“ - -Unwillkürlich reckte er seinen schönen, kräftigen Körper noch höher -empor. - -Sie warf ihm einen bewundernden Blick zu, sagte aber trotzdem: „Ich -denke es mir eigentlich nett, hohes Fieber zu haben und schöne -Fieberphantasien!“ - -„Ihre Anschauung ist ebenso originell wie unzutreffend. Fieber ist -natürlich häßlich wie jede Krankheit, häßlich wie alles, was den -Menschen aus dem seelischen oder körperlichen Gleichgewicht bringt.“ - -„O, Gleichgewicht ist so langweilig!“ sagte Monika. Ihre Augen und -Zähne blitzten; sie fühlte ein starkes Bewußtsein von Kraft sie -überfluten, wie immer, wenn sie sich gegen die Norm auflehnte. Und -wie immer verbiß sie sich in den einmal gefaßten Gedanken, drehte -und wendete ihn, zeigte ihn in verschiedenen Beleuchtungen wie einen -Edelstein, auf dessen Schleiffläche man das Licht fallen läßt. - -Sie sagte: „Das Gleichgewicht? Schrecklich ist das! Das schließt ja -von vornherein alles aus, um das es sich lohnt zu leben: jeden Rausch -schließt es aus, jedes Wunder schließt es aus.“ - -Der sarkastische Zug um seine Mundwinkel vertiefte sich. - -„Glauben Sie an Wunder?“ - -„Ja.“ - -Sie war hinreißend schön in diesem Augenblick; ihre Züge waren wie -verklärt vom heißen Glauben der Jugend, dem nichts unmöglich scheint, -nichts unerreichbar. Der sich Wunder schafft mitten im grauen Alltag. - -„Möglich, daß Sie beneidenswert sind,“ sagte er. „Ich habe nie an -Wunder geglaubt, ich bin ein nüchterner Mensch, an allzuviel Phantasie -leidet meine ganze Familie nicht.“ - -Dann ging das Gespräch weiter. Monikas elektrische Art ließ den Mann -mehr aus seiner norddeutschen Reserve heraustreten, als er sonst wohl -tat. Er fühlte sich angeregt wie selten, im Banne dieser dunkeln Augen, -dieses lachenden, roten Mundes, der frühreif geistreiche und kindisch -dumme Sachen durcheinanderplauderte. - -Er hätte gern gewußt, welchen sozialen Kreisen Monika angehörte; ihr -Wesen und ihre Bildung ließen auf beste Herkunft schließen, aber -zwischendurch äußerte sie mal plötzlich eine Frivolität oder eine recht -naturalistische Auffassung, die nicht zu dieser Vermutung passen wollte. - -Jedenfalls war sein Ton dadurch freier zu ihr, als er es gewesen wäre, -wenn er ihr in einer Privatgesellschaft vorgestellt worden. - -Er überlegte gerade, ob er sie um ein Rendezvous bitten solle, als die -Logentür heftig aufgerissen wurde. - -Monika fuhr mit einem halblauten Schreckensschrei zusammen; sie -vermutete einen Racheengel in der Gestalt von Heinzemännchen, der -sie zwar nicht mit flammendem Schwerte, aber mit der Drohung von der -„verletzten Familienehre“ aus diesem Paradiese vertreiben würde. Aber -es war nur ein Artillerieleutnant mit liebebedürftigem Gemüt, der sich, -eine üppige, schwarzgelockte Pseudo-Italienerin am Arme, in diese -Logen-Einsamkeit zu flüchten suchte. Enttäuscht klappte er die Tür -gleich wieder zu. - -Man blieb von neuem allein, aber in Monika regte sich nun doch das -Gewissen; sie raffte den Korb mit den Rosen auf, der die ganze Zeit -ihr zu Füßen gestanden, und bezichtigte sich selbst einer schreienden -Herzlosigkeit gegenüber den unglücklichen Lungenkranken. Da sitze sie -nun seit einer guten halben Stunde hier, statt ihre Blumen zu verkaufen. - -„Bitte, bitte, bleiben Sie doch,“ bat er, „ist es denn wirklich ein -größeres Vergnügen, sich da drunten abzuhetzen und allen möglichen -Leuten Rosen anzubieten?“ - -„O, sicher ist es hübscher hier,“ sagte Monika mit naiver -Offenherzigkeit, „aber meine Rosen -- --“ - -„Ich kaufe sie Ihnen alle ab, dann bekommen die Lungenkranken auch ihr -Scherflein, und Sie brauchen sich nicht anzustrengen, sondern bleiben -noch ein bißchen hier und erzählen mir von den Wundern, an die Sie -glauben!“ - -Monika war unschlüssig. Sie wußte nicht, ob der vorgeschlagene Handel -korrekt war. Aber sie ließ es geschehen, daß der Unbekannte ihr die -Rosen aus dem Körbchen nahm und eine Banknote dafür hineinschob. - -Und sie blieb mit schlechtem Gewissen, in Angst vor Strafe, -- aber sie -blieb. Und fühlte sich selig wie noch nie im Leben! Es war ihr förmlich -ein körperliches Wohlgefühl, in diese kalten, grauen Augen zu sehn, -diese scharfe, ans Befehlen gewöhnte Stimme zu hören. - -Noch eine Viertelstunde..... und noch eine.... Aber endlich rang sie -sich es doch ab, wieder hinunterzuwollen an die Stätte der Pflicht, den -Verkaufsstand ihrer ~dame patronesse~. - -„Wirklich, -- wirklich, ich muß jetzt weg.“ - -Sie stand vor ihm, in so offenbarer Betrübnis, diesem Beieinandersein -ein Ende machen zu müssen, daß ihm ganz warm ums Herz wurde. - -„Wie schade,“ sagte er, „wie sehr schade. Wollen Sie mir nicht -wenigstens noch etwas verkaufen zum Wohl der Armen?“ - -„Aber ich habe Ihnen ja alle meine Blumen gegeben,“ sagte sie erstaunt. - -„Nein, nein, da ist noch eine Rose, die ich gern pflücken möchte, die -schönste Blume von allen...“ - -Er sah so verlangend auf ihren Mund, -- und eine heiße Glutwelle der -Scham und des Entzückens überflutete Monikas Gesicht, tauchte es in -Glut bis in die kleinen Ohren hinein. - -In holdester Verlegenheit stand sie vor ihm. Kein Laut kam über ihre -Lippen. Und auf diese Lippen legte sich mit warmem Druck sein Mund. --- -- -- -- - -Eine Sekunde später stürmte Monika davon, die Treppe hinunter; wie -gehetzt kam sie in Frau von Wetterhelms Bude an, die sie im Verlaufe -des Festes nicht mehr verließ. Sie sei zu müde, um noch einmal die Säle -zu durchkreuzen. - -Am liebsten wäre sie überhaupt fortgelaufen, hätte sich irgendwo in -die Einsamkeit vergraben, um all die geheimnisvolle Seligkeit in sich -nachbeben zu lassen, die sie bei dem Kusse des Unbekannten empfunden. - -O, fort von hier aus diesem Lärm und Gewoge. Allein sein.. die Augen -zumachen.... und in Gedanken die kühlen, grauen Augen noch einmal vor -sich sehen. - -Aber natürlich mußte sie dableiben. Frau von Wetterhelm hätte ihrer -neuesten Akquisition einen so frühzeitigen Abschied nie erlaubt. -Außerdem war weder Mama noch einer ihrer Brüder zu erblicken. Wer weiß, -wo die sie jetzt suchten! - -So stand denn Monika da in der Blumenbude, umgeben von all dem bunten, -üppigen Blumenflor. Wie traumverloren sah sie in das Gewühl der Gäste. -Aber trotz dieser Teilnahmslosigkeit wirkte sie entschieden anziehend; -immer neue Besucher traten an ihren Tisch. Und Frau von Wetterhelm -bedachte jeden der Kaufenden mit ihrem wohlwollenden Lächeln. -- -- - -Dann fing die Feststimmung langsam an abzuflauen. Die verkaufenden -Damen wurden müde, ganze Scharen von Besuchern drängten schon nach dem -Ausgang. - -Die Musikkapellen, die noch vor wenigen Stunden so überzeugt schmelzend -das „~Bella Napoli~“ gebracht, ließen in ihrem Spiele eine gewisse -Ermüdung merken. Auf die Feststimmung begann sich die beginnende -Abspannung zu legen, das lähmende Bewußtsein des überschrittenen -Höhepunktes. - -Monikas reizbare Nerven empfanden diese Stimmung; wie ein Aschenflor -legte es sich über ihr eben noch so heißes Empfinden. Mit nervösen -Händen wühlte sie in den halbwelken Blumen, die vor ihr lagen, atmete -den ersterbenden Duft ein, der all diesen kühlen Blütenkelchen entstieg. - -Plötzlich zuckte sie zusammen. Unter den Leuten, die dem Ausgang -zustrebten, hatte sie die hohe Gestalt ihres Freundes aus der Loge -erkannt. - -Spontan wich sie bis ganz in den Hintergrund des Verkaufsstandes -zurück, eine Beute der widerstrebendsten Empfindungen. Sie wollte -nicht, daß er sie bemerke -- und trotzdem war eine herzklopfende Angst -in ihr: „wenn er jetzt fortgeht, ohne mich zu sehen, dann seh’ ich ihn -nie mehr wieder.“ - -Da schlug die scharfe Stimme von Frau von Wetterhelm an ihr Ohr. - -„Vetter Georg, -- Vetter Georg!“ rief sie mit einer so lauten -Ungeniertheit, daß sich ein halbes Dutzend Köpfe nach ihr umdrehten. - -Und dann -- war es Wirklichkeit? Der Unbekannte trat heran und beugte -sich über die Hand von Frau von Wetterhelm. Sie begrüßte ihn mit einem -wahren Wortschwall. - -„Welche Freude, Sie endlich mal wiederzusehen, Vetter Georg. Ich hörte -schon, daß Sie jetzt hier in der Wilhelmstraße arbeiten. Aber zu mir -haben Sie den Weg natürlich noch nicht gefunden.“ - -„Aber gnädigste Cousine,“ wehrte er ab, „ich bin erst seit so kurzer -Zeit hier -- --“ - -Plötzlich fiel sein Blick auf Monika, die sich ganz in einer Ecke -versteckt hatte. - -„Darf ich bitten, mich vorzustellen?“ - -„Aber mit dem größten Vergnügen. Fräulein von Birken, darf ich Ihnen -den Konsul von Wetterhelm präsentieren -- --“ - -Monika erwiderte die tiefe Verbeugung des Konsuls mit einem sehr -verlegenen Kopfnicken. Ihre sonstige Schlagfertigkeit war wie weggeweht. - -Die ~dame patronesse~ wunderte sich innerlich nicht wenig, mit welcher -Einsilbigkeit das sonst so sprühende Mädchen auf die Unterhaltung des -Konsuls einging. Kein Wunder, daß sich der so bald verabschiedete. - -„Er ist ein so interessanter Mensch,“ sagte sie nachher zu Monika, -„ich höre ihn gar zu gern, obwohl er leider ein bißchen spöttisch ist. -Ob ich nahe verwandt mit ihm bin? -- Oh nein, er ist im vierten oder -fünften Grade mit meinem gewesenen Mann verwandt. -- -- Er ist ein ganz -hervorragender Mensch; ich glaube, er hat eine glänzende Karriere vor -sich. Ich muß doch mal sehen, ob ich nicht eine passende Frau für ihn -finde.“ - -Frau von Wetterhelm versank in Nachdenken und musterte innerlich ihren -Bekanntenkreis. Es war die größte Leidenschaft ihres Lebens, Heiraten -zu stiften. - -„Vielleicht die Komtesse Lerk-Eichenbruch,“ sagte sie nach einer Weile -gedankenverloren. „Gott, natürlich wird sie sehr diffizil in ihrer -Wahl sein. Sie ist die einzige Tochter vom Gesandten und eine geradezu -blendende Schönheit, -- aber Vetter Georg kann auch was verlangen! Bei -den Aussichten, die er hat -- und ein selbständiges Vermögen von seinem -verstorbenen Vater hat er auch. -- Uralter Name und solch auffallend -gut aussehender Mensch wie er ist. Nicht?“ - -Monika antwortete nicht. Ihre kleinen, weißen Hände zerrissen nervös -die welken, roten Rosen. - -[Illustration] - - - - -8. - - -Die Folge dieses Wohltätigkeitsabends war für Monika erstens mal, daß -sie ein Gedicht verfaßte, in welchem sehr viel von kalten Augen und -heißen Lippen die Rede war. - -Sie brachte das Gedicht selbst in die Redaktion des Leuchtturms und -Doktor Waldmanns Kritik war verblüffend: - -„Sie haben bisher mit Tinte geschrieben, gnädiges Fräulein, aber dieses -Gedicht ist mit Herzblut geschrieben!“ -- ein Urteil, das Monika zwar -schmeichelte, sie aber doch zu einem lauten Gelächter veranlaßte. - -Uebrigens wurden von jetzt ab ihre Besuche auf dem Leuchtturm -seltener; unwillkürlich verglich sie immer wieder das ungezwungene und -ungezügelte Wesen der dortigen Kunstjünger mit dem strafferen Wesen -des Herrn von Wetterhelm. Der leuchtete von jetzt ab in ihren Gedanken -als Stern. Aber dem „Die Sterne, die begehrt man nicht“ hatte sie nie -gehuldigt. Im Gegenteil! -- sie begehrte gerade die Sterne, -- waren -nicht jene fernen Himmelsblumen tausendmal lockender als die Blumen am -Wegrand? -- Wenn sie nur gewußt hätte, wie sie ihren Stern wiedersehen -könne! - -Bei den zwei Bällen, die Monika bald nach dem Basar mitmachte, -behandelte sie ihre Tänzer schlecht. Sogar zu den Leutnants, denen -sie sonst einen entschiedenen Vorzug vor dem Zivil einräumte, war sie -ungnädig, -- alles zu höheren Ehren ihres Sterns! - -Wie unendlich freudig überrascht war sie, als sie ein paar Tage darauf -diesen unerreichbaren Stern in höchsteigener Person ihr entgegenkommen -sah, als sie aus dem Kursus kam. - -Sie ging mit ihrer Cousine Bertha, die, als Herr von Wetterhelm grüßend -vorbeigeschritten, aufs höchste interessiert fragte: „Was ist denn das -für ein schneidiger Mensch?“ - -„Was Du immer für Ausdrücke hast,“ sagte Monika unwirsch. Sie war -ärgerlich, daß sie mit Bertha zusammen ging. Vielleicht hätte ihr Stern -mit ihr gesprochen, wenn sie allein gewesen wäre. - -Und diese Hoffnung veranlaßte sie, sich in den nächsten Tagen beim -Nachhausewege streng zu isolieren. Nach dem Schlusse des Unterrichts -trödelte sie herum, brauchte unglaubliche Zeit, um ihre Mappe zu -packen, und legte es darauf an, als letzte das Schulgebäude zu -verlassen. - -Vier, fünf Tage ging das so. Eine nervöse Erwartung spannte während der -ganzen Zeit ihre Nerven an, machte sie unzufrieden und melancholisch -wie nie zuvor. Aber dann kam doch ein Tag, an dem ihr wieder ihr Glück -lächelte und ihr Stern. - -Herr von Wetterhelm kam langsam daher, begrüßte sie gemessen. Es lag -nicht in seiner Art, Empfindungen zu zeigen, und seine Beherrschtheit -wirkte abkühlend auf Monika, deren ganzes Wesen aufgeflammt war, als -sie den Ersehnten erblickt. - -„Nun, wohl nicht sehr lange mehr bis zum Doktorexamen?“ neckte er -lächelnd. - -„Woher wissen Sie überhaupt, daß ich studieren will?“ - -„Von meiner Cousine Wetterhelm.“ - -„Haben Sie die denn nun endlich mit dem Besuch beglückt, um den sie -bat?“ - -„Ja, ich mußte schon.“ - -„Sie scheinen alte Damen nicht zu lieben?“ - -„Das können Sie nicht verlangen! Alte Damen müssen schon sehr -geistreich oder sehr liebenswürdig sein, um sich ihr Alter verzeihen zu -lassen.“ - -„O je, sind Sie scharf!“ - -„Desto besser! Wir Deutschen sind überhaupt viel zu wenig scharf. Der -Michel hat nun mal eine Anlage zur Träumerei, zum Philosophieren.“ - -„Und ist’s denn nicht etwas wunderbar Schönes ums Philosophieren?“ - -„O, wenn man es mit Maß tut... Aber es artet leicht aus. Alles mit Maß!“ - -„Da sind Sie schon wieder bei Ihrer Theorie von der weisen Mäßigung. -‚Die goldene Mittelstraße‘ nennt man’s, nicht wahr? Aber die ist -doch unnatürlich! Die will doch die Natur selber nicht! Mäßigt sich -denn etwa die Natur? -- Die hat doch den Blitz und Sturm und Toben, -zerschellende Weltkörper und ein Uebermaß von Blüten...“ - -„Wir dürfen aber nicht nur die Natur sprechen lassen. Wir müssen uns an -ihre jüngere und gesittetere Schwester halten: an die Kultur!... Was -sollte denn sonst aus unseren Institutionen werden, aus unserem Volke, -aus unserem Staat?“ - -„Unser Volk... unser Staat! Als ob das wichtig wäre!... Was spielt denn -das für eine Rolle in der Entwicklungsgeschichte? Ein Menschengeist -kann sich doch nicht an politische Grenzen halten, kann es doch nicht -wichtig finden, was aus dem Staat wird! Der floriert eben... oder geht -zugrunde.. wie andere Staaten auch.“ - -„Feuerköpfchen, Sie sind doch noch sehr jung,“ lächelte der Konsul. - -Aber lächelnde Ironie vertrug Monika nicht. Sie machte eine ihrer -Lieblingsgesten: warf den Kopf ins Genick: „Diese Kritik ist keine -Widerlegung meiner Ansichten; daß diese keine Berechtigung haben, -werden Sie doch wohl nicht zu behaupten wagen.“ - -„Ich lasse jedem seine Ansichten,“ sagte er sehr kühl. „Was mich -anbetrifft, so bin +ich+ jedenfalls von der Notwendigkeit eines -nationalen Bewußtseins für den Menschen vollkommen überzeugt. Ich fühle -mich als Deutscher, wie meine Vorfahren es taten. Ich diene mit allen -Kräften meinem Vaterlande, denn das ist meine Pflicht -- und meine gern -erfüllte Pflicht!“ - -„Pflicht!“ sagte Monika und legte die ganze bodenlose Verachtung, die -sie für diesen Begriff empfand, in ihre kindliche Stimme. - -„Ja, Pflicht, das Herbste und Köstlichste, was es gibt!“ sagte er. Sein -schmales, rassiges Gesicht versteinerte förmlich, seine harten Züge -schienen wie aus Erz gegossen. - -„Ich finde: man sollte seinen Neigungen folgen, nicht seiner Pflicht. -Die weite Bahn, die sich dann vor einem auftut, ist...“ - -„Eine schiefe Ebene.“ - -Sie suchte krampfhaft nach einer ebenbürtigen Entgegnung, die -sie diesen drei Worten, die wie drei Dolchstiche waren, hätte -entgegensetzen können. Aber ehe sie etwas gefunden, hatte sich der -Ernst ihres Begleiters gemildert, ein liebenswürdiges Lächeln teilte -seine schmalen Lippen. - -„Aber sagen Sie, gnädiges Fräulein, ist es nicht wirklich zu -unvernünftig, daß wir mit abstrakten Erörterungen dieses Wiedersehen -feiern, über das ich mich so freue.“ - -„Ich mich ja auch...,“ sagte sie, plötzlich ganz weich und lieb. Und -wie ein Hauch kam es in verräterisch scheuem Tone von ihren Lippen: -„So sehr freue ich mich...“ - -Dann gingen sie langsam weiter. Monika machte einen großen Umweg, um -nach Hause zurückzukehren. - -Ob sich die Mutter inzwischen beunruhigte, war ihr ja so gleichgültig! - -Die Schelte, die sie heute wegen der großen Verspätung bekam, machte -ihr keinen besondern Eindruck. Wohl war es ihr unangenehm, aber -schließlich: es war unwichtig, kam nicht auf gegen das Glücksgefühl, -das sie durchflutete! Sie hatte ihn wiedergesehen! - -Ob er wohl ihretwegen vors Gymnasium gekommen war?... Oder war es sein -Weg?... War es nur ein Zufall?... Ein Gefühl von Enttäuschung wollte -bei diesem Gedanken in ihr aufsteigen, aber das kämpfte sie nieder. - -„Nein, nein, er kam meinetwegen! Und wenn er nicht meinetwegen kam, -dann will ich’s wenigstens glauben -- dann ist es gerade so süß!“... - -In den Unterrichtsstunden zeichnete sie sich von jetzt ab durch völlige -Geistesabwesenheit aus. Ihre Liebe verschlang jedes andere Gefühl, -jeden anderen Gedanken. Wie lächerlich winzig erschienen ihr die -Neigungen, die sie früher gehabt, gegenüber dem übermächtigen Gefühl, -das sie jetzt durchflutete. - -Uebrigens wußte sie gar nicht, was sie eigentlich an Wetterhelm -so liebte. Gewiß: er war ein schöner, vornehmer Mann, aber seinen -Anschauungen vermochte sie so gar keinen Geschmack abzugewinnen. Und -seine ewige Gemessenheit störte sie geradezu. - -Weit entfernt, sie mit Komplimenten zu überschütten, wie es andere so -oft getan, blieb er gleichmäßig kühl. Auch das nächstemal, als sie ihn -traf -- sieben lange Tage hatte sie umsonst darauf gehofft -- und er -wieder neben ihr herschritt. - -„Lange nicht gesehen,“ sagte Monika mit erkünsteltem Gleichmut. - -„Ich hatte dienstlich viel zu tun.“ - -„Bleiben Sie noch lange in Berlin?“ - -„O nein, ich hoffe bald einen vernünftigen überseeischen Posten zu -bekommen, recht bald.“ - -„So...?“ - -„Recht bald“ hatte er gesagt... also: ihn hielt nichts in Berlin... gar -nichts! - -Aufsteigende Tränen verdunkelten Monikas Blick. Sie sprach kein Wort. - -Also, er „hoffte“ recht bald wegzugehen -- dann war ihr überhaupt alles -gleichgültig! - -Alles... und wenn die Welt einstürzte... - -Und sogar das war ihr gleichgültig, daß plötzlich, kaum auf fünfzehn -Schritt Entfernung, Heinzemännchen daherkam! - -Der zuckte überrascht zusammen, als er des Paares ansichtig wurde, dann -drehte er, ohne gegrüßt zu haben, um und rannte spornstreichs den Weg -nach Hause zurück, den er eben gekommen... - -Natürlich würde er nun „petzen“. - -Aber mochte er nur -- es war ja alles, alles gleichgültig, wenn Georg -von Wetterhelm jetzt fortging und sie ihn nicht mehr wiedersah! - -Es war, als ob jeder Tropfen Blut in ihr erstarrte. - -„Was Sie für kalte Hände haben,“ sagte beim Abschiedshändedruck der -Konsul. In seiner Stimme klang dabei eine heimliche Zärtlichkeit. - -Aber das merkte sie gar nicht mehr in der eisigen Hoffnungslosigkeit, -die über sie gekommen. - -[Illustration] - -Der Empfang zu Hause war noch schlimmer, als Monika ihn sich gedacht. -Die Baronin rang die Hände. Hatte sie das um Monika verdient? Daß -Monika sich von einem Herrn begleiten ließ, von einem ihr gänzlich -unbekannten Herrn, von dem Heinzemännchen überhaupt nicht wußte, wer er -sei! - -„Es war mein Mathematiklehrer, Professor Herrmann war’s,“ sagte Monika -kalt. - -Aber wie ein Racheengel richtete sich Heinzemännchen in seiner ganzen, -schlaksigen Höhe auf. „Das war kein Mathematiklehrer -- das war ein -Gentleman!“ sprach er mit Donnerstimme. „Und soll ich Dir sagen, was -das Ganze war? Das war ein Rendezvous!“ - -Er ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen. - -„Monika,“ sagte er, und seine Stimme kickste über, „hast Du denn gar -nicht an mich gedacht?“ - -„O nein,“ sagte Monika höflich. - -„Hast Du nicht daran gedacht, daß seit Papas Tode die ganze -Verantwortung auf meinen Schultern ruht? Daß Du mir das antun kannst, -Monika...“ - -„O, mein Geliebtes,“ rief Frau von Birken, indes sie ihren Sohn an sich -zog, „rege Dich nicht auf, mein Geliebtes! Es kann Dir schaden!... -Aber recht hast Du, das kann ich nicht anders sagen!... Monika, es ist -unerhört von Dir! Dies Betragen geht über alle Grenzen hinaus... Du -bist ein verlorenes Geschöpf, Monika!... Von einem Herrn läßt Du Dich -begleiten auf dem Nachhausewege, statt von Deiner Cousine Bertha!... -Die würde ihrer Mutter so etwas nicht antun!... Warum habe ich von -allen Müttern gerade das Unglück? Aufgeopfert habe ich mich für Euch, -mein ganzes Leben hindurch, und das ist nun der Dank!... Monika, wie -kannst Du Dich so benehmen? Wo hast Du je ein solches Beispiel vor -Augen gehabt? Habe ich je so etwas getan?“ - -Monika zuckte mit den Achseln. - -„Was? Du zuckst mit den Schultern? Willst Du damit sagen, daß ich je so -etwas getan hätte?... Monika, nie hättest Du mir das antun können, wenn -Du auch nur einen Funken von meinem Gemüt geerbt hättest...“ - -Sie unterbrach sich, denn ihre Tochter war aufgestanden, ging wortlos -aus dem Zimmer; gleich darauf hörte man, wie sie sich im Schlafzimmer -einschloß. - -Ein fassungsloser Schmerz schüttelte ihren jungen Körper: sie hatte -selbst nicht gewußt, mit welch elementarer Leidenschaft sie jenen -schönen, kühlen Mann liebte. Immer wieder rang sich ihre Vernunft -dazu durch, ihr zu sagen: Du kennst ihn ja kaum... Was kann er dir -sein?... Was geht es dich an, ob er abreist?... Aber wenn sie an sein -Fortgehen dachte, krampfte sich ihr Herz immer von neuem in rasendem -Schmerz zusammen; immer von neuem zuckte sie in gewaltsam unterdrücktem -Schluchzen. - -Und nichts tun zu können, um das Glück zu erzwingen! -- Nichts tun zu -dürfen, um das Glück festzuhalten -- nichts! - -Uralte Satzung und auch ihr eigenes weibliches Gefühl verdammten sie zu -stummem Warten. - -Warten!... Nichts weiter!... Hoffend und fürchtend warten, ob das Glück -kommt in seiner Sonnenpracht -- oder ob es am Horizont ihres Lebens nur -ferne vorüberleuchten würde, wie ein fallender Stern. - -Sie litt so sehr unter diesem nagenden Zweifel, daß ihr sonstiger -Uebermut wie weggeweht erschien. - -Herr von Wetterhelm, der sie nach einigen Tagen wieder in der Nähe des -Gymnasiums erwartete, fand sie verändert, blasser als sonst, einen -schmerzlichen Zug um den schönen Mund, ihr ganzes Wesen von einem Hauch -von Nervosität durchtränkt, den es sonst nicht gehabt. - -Auf seine Fragen antwortete sie ausweichend. Er gab sich wärmer als -sonst. Dieses tragische Gesichtchen erweckte Beschützergefühle in ihm. - -„Soll ich morgen um dieselbe Zeit wieder hier sein?“ fragte er. - -Sie zögerte mit der Antwort. Dann endlich: - -„Mein Bruder hat mich neulich mit Ihnen gesehen, und ich habe Schelte -bekommen.“ - -Eine Blutwelle stieg ihm ins Gesicht. „Das ist auch ganz richtig. -Es ist auch nicht korrekt von mir. Ich wollte Sie schon sowieso um -die Erlaubnis bitten, bei Ihrer Mutter Besuch machen zu dürfen. Wann -empfängt sie?“ - -„O, Mama hat gar keinen ~jour~,“ sagte Monika verlegen. Sie fand -die Aussicht, ihren Freund bei sich zu Hause begrüßen zu können, -durchaus nicht beglückend... Da war Mama und die Jungen, die so auf -sie aufpaßten. Und man würde nie über ein vernünftiges Thema sprechen -können... Und jeder Blick würde beobachtet werden... Und dann: zu -Hause war es gar nicht mehr elegant. Man war sehr zurückgegangen seit -den Sarkower Tagen. Nicht mal einen Diener hatte man, bloß so ein -dummes „Mädchen für alles“... Gewiß würde der Haushalt den Konsul sehr -enttäuschen. Wer weiß, wie verwöhnt er war!... - -So schwieg sie, statt eine Antwort zu geben. - -Und schauderte doch zusammen vor Glück, als er sagte: - -„Ich komme übermorgen um eins.“ - -[Illustration] - -Zu Hause gelang es ihr, den bevorstehenden Besuch als ganz -gleichgültige, gesellschaftliche Förmlichkeit hinzustellen. Sie sagte, -daß Frau von Wetterhelm ihr diesen Vetter auf dem Basar vorgestellt, -sie habe ihn neulich zufällig auf der Straße getroffen, und er habe -gesagt, daß er diesen Sonntag Besuch machen wolle. - -Die Baronin war von dem Besucher nicht sehr entzückt. Er war ihr zu -förmlich gewesen. Eine knappe Viertelstunde hatte er im Salon gesessen, -und während dieser Viertelstunde hatte Frau von Birken das unangenehme -Gefühl, daß er auf die abgestoßene Ecke des schwarzen Tisches sah, und -wenn er mal die Augen wo anders hinwendete, so blickte er entschieden -suchend auf den fehlenden Henkel der blauen Sèvresvase. - -Monika hatte still wie eine Puppe auf ihrem Stuhl gesessen und kaum die -Augen aufgeschlagen. Sie war im Banne der brüderlichen Ueberwachung. -Alfred, der sonst an Sonntagen spurlos verschwand, war zu Hause -geblieben, und Heinzemännchen, der einen endlos langen schwarzen -Gehrock trug, den er sich angeschafft hatte, um würdiger und älter zu -erscheinen, bewachte sie wie ein Höllendrache. Kurz: Monika war ehrlich -unglücklich, als Wetterhelm sich verabschiedet. - -Sie spähte hinter den heruntergelassenen Stores hindurch, um ihn noch -einmal zu sehen. War’s Einbildung -- oder ging er wirklich nicht ganz -so straff wie sonst -- den Kopf wie gedankenverloren ein wenig gesenkt? - -In der Tat war es ein intensives Nachdenken, das Georg Wetterhelm -erfüllte, ein Zwiespalt von Gedanken und Gefühlen. - -Sein Leben war bisher in so glatten Bahnen verlaufen, er hatte nach -dem Programm gelebt, das er sich selbst von seinem Leben entworfen. -Er hatte seine Examina gut bestanden, war Rittmeister der Reserve -bei den Garde-Ulanen; seine Gesundheit war ausgezeichnet, seine -Vermögensverhältnisse rangiert. Er hatte gute Zukunftsaussichten, -hoffte, später in die Diplomatie übernommen zu werden. Er hatte die -Absicht, seine Konnexionen durch eine passende Heirat zu verstärken. - -Und nun sollte sein Lebensplan aus der Ordnung gebracht werden durch so -einen süßen Wildfang, durch dieses hübsche, geistreiche, ungebärdige -Persönchen, das neulich auf dem Basar sein kühles Wesen ganz mit -Glut erfüllt. Sie hatte ihm einen Eindruck gemacht, wie er sich kaum -erinnerte, ihn je empfangen zu haben. Und doch entsprach sie auch nicht -im mindesten dem Bilde, das er sich in Gedanken von seiner zukünftigen -Lebensgefährtin gemacht. Er fand sie zu jung, zu ungezügelt, mit einem -bedenklichen Hang, eigene Wege zu gehen. - -Er hatte sich das alles gleich nach ihrer ersten Begegnung gesagt, aber -die Wirkung, die sie auf ihn gehabt, war eine zu mächtige gewesen. - -Vorläufig war noch kein Wort gefallen, das ihn an sie band -- noch kein -Wort, das überhaupt seine Gefühle verraten hätte. Aber sich selbst -hatte Wetterhelm längst gestanden, daß er sie liebte. - -Freilich... ob es nicht besser war, dieser Liebe nicht nachzugeben? -Abreisen und den Weg zu gehen, den er sich vorgezeichnet... - -Schließlich, es war ja zu dumm, daß ein nettes Mädel einfach seine -ganzen Zukunftspläne verändern sollte! Er war doch kein törichter -junger Mensch mehr, sondern ein zielbewußter, ernster Mann. - -Und dieser Besuch, den er eben gemacht, war nicht dazu angetan gewesen, -seine Heiratspläne zu fördern. Gegen den Namen war ja nicht das -mindeste einzuwenden. Die Birkens waren Uradel wie die Wetterhelms. -Aber dieser Birkensche Haushalt, den er eben kennen gelernt, hatte -so gar nichts mit der Durchschnitts-Lebensführung einer deutschen -Aristokratenfamilie zu tun! - -Monikas Mutter schien recht freien Anschauungen zu huldigen, was -sich schon aus der Art erhellte, in der die halbwüchsigen Söhne die -Konversation führten. Und auch die Idee mit Monikas Studium lag -Wetterhelm gar nicht. - -Nein, eine solche Heirat würde ein dummer Streich sein. Und sehenden -Auges einen dummen Streich machen, das tat man nicht, wenn man Georg -Wetterhelm war. - -Also zusammennehmen! Nicht mehr an die beiden strahlenden Augen denken, -die so aufleuchteten, wenn sie ihn sahen! Nicht mehr an die helle, -kindliche Stimme denken, die mit so heißer Begeisterung reden konnte! -Die ganze Episode mußte abgetan und vergessen sein. - -Und der Konsul richtete sich auf, so straff wie sonst: Die Episode war -aus und vorbei. - -Und darum war es ganz überflüssig, daß Monika es immer so absolut -darauf anlegte, als Letzte aus dem Kursus zu kommen und ganz allein zu -gehen. Sie sah die hohe Gestalt des Ersehnten nicht mehr. - -Sie war unglücklich wie nie zuvor. Nachdem sie neulich erst so -verzweifelt gewesen, war ihr dieser nochmalige Sturz in die -Hoffnungslosigkeit zu viel! Ihre Nerven begannen ernstlich zu leiden. - -Sie, die so sehr daran gewöhnt war, ihren Willen durchzusetzen, mußte -nun tatlos und machtlos die Zeit verstreichen sehen. - -Sie hegte die abenteuerlichsten Gedanken, wie sie sich dem Geliebten -nähern könne. Aber es blieb bei Gedanken! Die Rücksichtslosigkeit, die -sie sonst entfaltete, wenn es galt, ihren Willen durchzusetzen, ließ -sie völlig im Stich. - -Zum ersten Male wurde Monika schüchtern. Das Burschikos-Jungenhafte, -das sie oft gehabt, wich einer verträumten Schwermut. - -Zum ersten Male war eine große Sehnsucht über ihr und ließ ihre Nerven -erzittern wie Harfensaiten unter tastenden Fingern. Wieder und wieder -durchlebte sie im Geiste jede Sekunde, in der Georg Wetterhelm sie -angeblickt oder mit ihr gesprochen. Sie durchlebte immer wieder die -selige Freude, die sie gehabt, wenn in seine kalten, grauen Augen ein -wärmerer Schimmer gekommen. Sie sehnte sich nach ihm, sehnte sich jede -Minute und jede Sekunde. - -Und fühlte nichts mehr als diese Sehnsucht. - -Als ihre Mutter Wetterhelm eine Woche nach seinem Besuche zum Tee -gebeten, war eine höfliche Absage erfolgt. Und ans Gymnasium kam er -auch nicht mehr. Es war aus! Zwei Wochen waren nun schon verstrichen. - -Vielleicht war er gar nicht mehr in Berlin. - -Eine verzehrende Angst packte Monika bei diesem Gedanken. Dann kam -ihr die Idee: vielleicht wußte das Frau von Wetterhelm, ihre ~dame -patronesse~ vom letzten Basar. Zu der mußte sie hin. Dies konnte sie -auch ganz unauffällig, denn sie hätte ihr schon längst mal wieder einen -Besuch machen müssen. - -Frau von Wetterhelm war zu Hause und empfing Monika in ihrem, mit -japanischem Krimskrams überladenen Boudoir. Sie war überaus freundlich. -Wirklich zu nett, daß man zu so einer langweiligen, alten Frau käme, -wie sie doch eine wäre!... Nein: keine Widerrede... Sie wisse, daß -sie langweilig sei, habe doch nun mal keinen Geist aufzubieten, was -entschieden die Schuld ihres Großvaters mütterlicherseits sei, der -wirklich ganz auffallend unbegabt gewesen sein solle. -- Aber wenn sie -selber auch leider dumm sei, so wisse sie doch Geist bei anderen zu -schätzen, und darum sei ihr Monika besonders herzlich willkommen! Denn -Monika sei hervorragend geistreich! Allein die Tatsache, daß sie das -Mädchengymnasium besuche, spräche Bände! Außerdem habe ihr Vetter Georg -Monika auch direkt „geistvoll“ gefunden. - -„Sehen Sie Ihren Vetter öfters?“ fragte Monika mit gewaltsam gespielter -Gleichgültigkeit. - -„Leider nein. Eine langweilige, alte Frau wie ich kann das ja auch -nicht verlangen! Aber gerade heute erwarte ich Georg. Er muß bald -kommen. Ich hörte nämlich, daß er demnächst abreist, und da schrieb -ich ihm, daß er mich besuchen solle in wichtiger Angelegenheit! Ihnen, -meine liebe, kleine Freundin, kann ich’s ja sagen, Sie sind ja diskret. -Ich will mit Georg über eine junge Dame reden, die wirklich eine -fabelhaft gute Partie ist! Es handelt sich um...“ - -„O bitte, keinen Namen,“ unterbrach Monika hastig, „das sind so interne -Angelegenheiten, gnädige Frau. Ich möchte wirklich nicht...“ - -„Aber ich bitte Sie, ich sag’s Ihnen ja gern.“ - -„Ueberdies muß ich fort. Ich bin mit Mama bei unserer Schneiderin -verabredet.“ - -Sie hatte sich erhoben, ihr zitterten die Hände. Nur fort! Nur ihn -nicht treffen, der sie verschmähte! Der Zeit fand, hierher zu kommen, -und den Weg zu ihr vergessen hatte! Nur fort! - -Nach hastigem Abschied eilte sie die Treppen hinunter, der Haustür zu. -Da wurde diese von außen geöffnet. Georg Wetterhelm trat ein. - -Monika vermochte einen Aufschrei nicht zu unterdrücken. Aber sie faßte -sich rasch. Er sollte nicht glauben, daß sie gewußt, daß er heute -hierherkam. Daß sie etwa darum hier sei! - -So tauschten sie denn ein paar konventionelle Redensarten, dann hielt -sie ihm abschiednehmend die Hand hin. Aber er sagte: „Ich begleite Sie -ein Stück.“ - -Er rief den Portier und trug ihm eine Entschuldigung an Frau von -Wetterhelm auf; selbst in diesem Augenblicke, wo das Zusammentreffen -mit Monika ihn so erschütterte, ließ er eine Höflichkeitspflicht nicht -außer acht. - -Sie gingen nebeneinander her, auf einem Fußpfade im Tiergarten, dessen -Bäume und Sträucher ein erstes knospendes Grün zeigten. Der feuchte und -herbe Duft des Vorfrühlings lag in der Luft und stieg aus der feuchten -Erde. - -Monika war das Herz so schwer; sie sprach gar nicht, ging, den Blick -geradeaus gerichtet, neben ihrem Begleiter, der heute auch auffallend -wortkarg war. - -Endlich sagte er: „Ich reise bald fort.“ - -Monika erwiderte darauf nichts; sie preßte ihre Fingernägel in -die Handflächen, daß sie ins Fleisch drangen, suchte durch diesen -körperlichen Schmerz den seelischen zu übertäuben, der in ihr stürmte. - -„Ich hatte die Absicht, Ihnen noch Adieu sagen zu kommen,“ sagte -Wetterhelm. - -Aber gleich darauf veränderte sich der kühle Ton seiner Stimme: „Nein, -es ist nicht wahr. Ich wollte nicht mehr kommen. Ich wollte Sie nicht -mehr sehen...“ - -Da hob sie den Kopf zu ihm empor. Die Tränen, die schon so lange in -ihren Augen gezittert, rannen nun an ihren langen, tiefdunkeln Wimpern -herab, rannen in großen Perlen über die weich gerundeten Wangen. - -Und bei diesem Anblick brach in Georg von Wetterhelm sein -„Lebensprogramm“ zusammen. - -Nicht denken jetzt... nur dieses süße, unglückliche Gesichtchen -küssen... dieses schöne, warmherzige Geschöpf in die Arme nehmen... und -ihre glühende Jugend fühlen... und ihre glühende Liebe... - -„Liebling!“ - -Er riß sie in die Arme, hielt sie fest umfangen wie mit Eisenklammern, -hielt sie fest an sein Herz gepreßt und küßte immer wieder die bebenden -roten Lippen, die so herzbewegend stammelten: „Geh’ nicht fort... ach, -geh’ doch nicht fort...“ - -„Nicht ohne Dich, mein Lieb!“ - -„Ist’s wahr?“ Das war wie ein Jubelschrei. - -Mit beiden Armen umschlang sie seinen Hals, trank mit geschlossenen -Augen seinen Atem, der herb und frisch duftete wie die Frühlingserde -ringsumher. - -[Illustration] - - - - -9. - - -„Ja, gewiß, alles was Sie mir hier über Ihre Vermögenslage, Ihre -Aussichten dargelegt haben, ist glänzend, Herr von Wetterhelm,“ sagte -die Baronin Birken. „Ich könnte mir für meine Tochter gar keine bessere -Partie wünschen -- aber die Sache liegt doch nicht so einfach. Ich kann -nicht lügen, wissen Sie, die Wahrheit über alles! Und darum sage ich -Ihnen: ich kann Ihnen nur abraten, Monika zu heiraten!“ - -Der Konsul, den sonst so leicht nichts in Erstaunen setzte, konnte sich -nicht enthalten, ein etwas verblüfftes Gesicht zu machen. - -„Darf ich bitten, mir diese Worte zu erklären, gnädige Frau?“ - -„Gern... Wissen Sie, Monika ist wirklich gar nicht fürs Heiraten -geeignet. Sie besucht das Mädchengymnasium und will studieren. Und für -Frauen, die sich der Wissenschaft widmen, ist doch die Ehe eigentlich -nichts.“ - -„Wenn das der einzige Grund ist...“ - -Der sarkastische Zug um Wetterhelms Lippen vertiefte sich. - -„O nein, nichts weniger als der einzige. Ein Dutzend Gründe sind es... -die Wahrheit über alles!... Erstensmal: Monika kann nicht kochen, aber -tatsächlich keine Ahnung davon!“ - -„Die Dokumente, die ich Ihnen vorlegte, gnädige Frau, sollten Sie -überzeugt haben, daß ich in der Lage bin, meiner Frau eine Köchin zu -halten, sogar eine sehr gute.“ - -„O ja, natürlich, aber selbst die beste Köchin wird nie das leisten, -was eine kulinarisch gebildete Frau des Hauses leistet.“ - -„Ich bin, was das Essen anbetrifft, sehr anspruchslos.“ - -„Außerdem: Monika hält keine Ordnung. Alles wirft sie durcheinander und -verlegt sie! Nicht einen Knopf näht sie sich allein an!“ - -Wetterhelm sah tiefsinnig auf einen Knopf, der halb abgerissen an der -Bluse der Sprecherin baumelte, und sagte: „Ich werde ihr eine Zofe -halten, die genau so gut ist wie die Köchin.“ - -Frau von Birken seufzte: „Ach, Monika hat so gefährliche Anlagen. Sie -ist so eigenwillig. Sie macht sich über alles eigene Gedanken; sie -respektiert nichts! Nicht mal mich als Mutter! Nicht mal Goethe. Und -immer muß sie ihren Willen durchsetzen! Monika ist ein Engel, wenn man -ihr den Willen tut, aber den muß man ihr tun!“ - -„Darin wird sie sich wohl ein wenig ändern,“ sagte Wetterhelm, mit -demselben Gleichmut, den er bisher zur Schau getragen. - -„Sie ändert sich nicht, sie ist jetzt siebzehn Jahre und war immer so.“ - -„Mit siebzehn ändert man sich noch oft.“ - -Da Frau von Birken dieser Aeußerung nicht recht was entgegenzusetzen -wußte, sagte sie: „Erlauben Sie, daß ich meinen Sohn rufe...“ - -Heinzemännchen erschien. - -Er trug den neuen, unendlich langen Gehrock und sah sehr sorgenvoll aus. - -Wetterhelm zog die Augenbrauen hoch. Wollte man ihm in der Tat zumuten, -seine Werbung bei diesem Obersekundaner anzubringen? - -Aber schon wurde die Tür aufgerissen. Monika kam herein, flog auf -Wetterhelm zu und küßte ihn stürmisch auf den Mund. - -„Was habt Ihr denn bloß so lange zu verhandeln?“ rief sie der wie -erstarrt dasitzenden Mutter zu. „Ich kann doch nicht so lange draußen -bleiben, wenn Georg da ist!“ - -Und sie küßte ihn von neuem. - -„Jetzt kann ich allerdings nichts mehr einwenden,“ sagte Frau von -Birken hilflos. - -Heinzemännchen seufzte auf. War’s die Erleichterung darüber, daß die -Verantwortung für Monika von jetzt ab auf stärkeren Schultern ruhen -sollte als auf den seinen? -- - -Die Verlobungszeit sollte nur zwei Monate dauern. Frau von Birken fand -das zwar geradezu ungebührlich kurz, aber es lag so gar kein Grund zum -Warten vor. Im Gegenteil! Der Konsul erwartete bald seine Berufung auf -einen überseeischen Posten und wollte selbstverständlich schon vorher -heiraten. - -Monikas Glück wurde oft ein wenig getrübt durch die Behandlung, die -man ihr zu Hause angedeihen ließ. Ihre Mutter, mit der sie jetzt die -ganze Zeit zusammen war -- seit ihrer Verlobung besuchte sie die Kurse -nicht mehr -- war nicht im mindesten anders zu ihr als sonst. Keine -Spur einer anderen Stimmung war zu merken, nichts von der zärtlichen -Ergriffenheit, die andere Mütter haben, wenn ihre einzige Tochter so -bald schon fürs Leben das Haus verläßt. Frau von Birken nörgelte sogar -mehr als sonst an Monika herum, sogar bei Sachen, von denen es nicht -recht ersichtlich war, warum sie sie tadelnswert fand. - -Auch Alfred und Heinrich trugen jetzt, trotz der nahen, dauernden -Trennung von ihrer Schwester, kein liebenswürdigeres Wesen ihr -gegenüber zur Schau als sonst. Nur Karl, der ja auch sonst lieb und -nett gewesen, entfaltete eine außergewöhnliche Hochachtung. Monika -hatte ihm durch ihre Verlobung sehr imponiert, und er raubte jetzt mit -doppelter Begeisterung aus Mamas oder Heinzemännchens Portemonnaie ein -paar Nickel, um ihr irgendeine Kleinigkeit „zum Freuen“ zu kaufen. - -Monikas Liebe zu ihrem Bräutigam war in dieser kurzen Zeit noch -gewachsen, aber das hinderte sie nicht, genau zu wissen, daß sie kein -volles Verständnis bei ihm fand. Wenn sie Gedanken äußerte, zu denen -sie sich nach heißem Ringen durchgekämpft, tat er das oft ab mit einem -lächelnden: „Du bist sehr jung, Liebling!“ - -Und an Sachen, die Monika in Entzücken versetzten, konnte er oft „beim -besten Willen nichts finden“! Zum Beispiel an dem Gratulationsbrief von -Monikas ehemaliger Amme. Was war denn an diesem albernen, ungeschickten -Schriftstück, daß es bei Monika lachende und weinende Begeisterung -hervorrief? - -Die Liese schrieb: - - „Liebstes Monchen, - - da komme ich nun und wünsche Dir Gottes reichsten Segen auf alle - Zeit, indem, daß ich es mir ja auch nicht von Dir denken konnte, - daß Du, wie die olle Trübnersch gesagt hat, studieren sollst wie - ein Doktor. - - Weil das ja doch zu sündhaft und häßlich wär’ für ein - Frauensmensch, wie denn auch das Sprichwort sagt: - - „Den Mädchen, die pfeifen, den Hühnern, die kräh’n, den’ soll der - Teufel den Hals umdreh’n.“ - - Aber natürlich habe ich es nicht geglaubt, mein trautstes Monchen, - und die olle Trübnersch ist ein Lügenmaul, das sage ich dreist, und - wenn sie jeden Tag bei die Muckersch in die kleine Kapelle geht. - - Na, denn hoffe ich, mein trautstes Monchen, daß es ein Forscher - ist, sowie dem Fräulein Marie ihr Mann, der gnädige Herr von - Hammerhof, der ist ja nu wohl viel zu hübsch für die lange Stange. - -- - - Mein Fritzchen wird auch mal so einer, der läuft schon jetzt mit - die Mädchen rum und ist noch keine fünf Jahre alt. - - Die Ollsche, was die Tante vom Grün ist, ist ja nu gestorben, und - wir haben ein sehr schönes Begräbnis gemacht, Fladen, Branntwein - und alles. - - Mit meinem Grün is es nicht mehr so recht, zu alt, Monchen, zu alt. - Er hat das Reißen in alle Knochen, aber sonst ist es ja ein sehr - guter Mann. - - Zu Deine Hochzeit schicke ich Dir die Myrte, selbst gezogen, was Du - im vorigen Winter bei mir gesehen hast. - - Und nu grüße Deinen Bräutigam und sage ihm, er kriegt was Schönes, - da er Dir heiratet. - - Es sendet Dir Gottes reichsten Segen - - Deine treue Liese.“ - -Wie gesagt, Wetterhelm fand das ja gewiß ganz nett von der alten -Person, aber Monikas Bewegtheit war doch übertrieben! - -Auch gab es manchmal kleine Reibereien, weil Monika irgendwelche -gesellschaftlichen Förmlichkeiten bei Besuchen oder Ausfahrten nicht -eingehalten. - -Wohl hatte das Impulsive ihrer Natur einen starken Reiz für Wetterhelm, -wohl bestand ein Teil ihrer Anziehungskraft für ihn gerade darin, aber -sobald diese Art irgendwie in der Oeffentlichkeit hervortrat, störte -sie ihn aufs schärfste. - -Schon ihre Manier, immer aus dem Wagen zu springen, ehe die Pferde -standen. - -Und dann ihre Haltung. Sie hatte immer etwas so eigentümlich Trotziges: -den Kopf ein bißchen vorgestreckt, die Ellenbogen lose, die linke Hand -zur Faust geballt. Es war förmlich eine Verteidigungsstellung, die -nicht mit dem weichen Liebreiz ihrer siebzehn Jahre harmonierte. In -ihrer Sprechweise störte ihn oft ein gar zu kräftiges Wort oder ein -achselzuckendes: „~je m’en fiche~“, mit dem sie einen Vorwurf abtat. - -Jedenfalls war Georg nicht ohne Besorgnis im Hinblick auf den Besuch, -bei dem er Monika seiner Mutter vorstellen wollte. - -An einem schönen Aprilmorgen fuhr die Baronin Birken und das Brautpaar -nach Gerbitz, dem Gute, das Frau von Wetterhelms Wohnsitz war, auf dem -sie mit ihrer einzigen unverheirateten Tochter Brigitte lebte. - -Bevor man zur Bahn fuhr, hatte Monika eine unangenehme, kleine Szene -mit ihrem Bräutigam gehabt, der ihre Frisur getadelt hatte. - -„Du hast mich doch sonst so immer hübsch gefunden.“ - -„Gewiß, aber Mama ist etwas ~vieux jeu~, lieber Schatz; ihr würde das -in die Stirn gebauschte Haar sicher nicht gefallen. Bitte, trage heute -die Stirn frei und die Haare möglichst glatt.“ - -Monika machte ein ungezogen trotziges Gesicht, ging aber doch hinaus, -um eine Bürste zu holen. - -„Ich werde meine Frisur unter Deiner obrigkeitlichen Aufsicht -arrangieren, lieber Georg,“ sagte sie mit einem Anflug von Spott. - -Ein paar Bürstenstriche: „Ist es so gut?“ - -„Aber Kind, da ist ja kaum was geändert, viel glatter, bitte.“ - -„Also so?“ - -„Noch immer nicht richtig.“ - -Statt einer Antwort feuerte sie die Bürste auf die Erde. Georg erhob -sich. Er war sehr blaß geworden, und ehe noch Frau von Birken zu einer -Strafpredigt ansetzen konnte, sagte er: „Das war Deiner unwürdig, -Monika!“ - -Nun fiel die Mutter ein, aber alles, was die auch vorbrachte, hatte -keine Wirkung auf Monika, gegenüber den paar Worten aus Georgs Munde. - -Sie kämpfte einige Augenblicke mit sich, dann aber ging sie auf ihren -Verlobten zu und sagte: - -„Du hast ganz recht, Georg, und ich bitte Dich um Verzeihung.“ - -Ihre Frisur war wirklich von korrektester Einfachheit, als man in -Gerbitz eintraf. - -Zwei Stunden war man Eisenbahn gefahren, dann eine Stunde in -altmodischer Kalesche durch märkischen Sand, dann kam man an dem -grauen Herrenhause an. - -Frau von Wetterhelm und ihre Tochter Brigitte begrüßten die Gäste. - -Georgs Mutter war eine imposant große Erscheinung, in der Mitte der -sechzig. Ihr Gesicht zeigte einen leidenden Ausdruck. War es doch -Krankheit gewesen, die der Anlaß dazu war, daß der Sohn ihr jetzt erst -seine Braut zuführte. - -Georg hatte innerlich gefürchtet, daß seine zukünftige Schwiegermutter -den Damen seiner Familie wenig gefallen würde; ihr wenig seriöses -Wesen, das Fehlen mütterlicher Würde in ihrem Aeußeren und ihr -Benehmen würde wahrscheinlich von seinen überaus korrekten Angehörigen -gemißbilligt werden. - -Zu seinem Erstaunen verstand sich Frau von Birken mit den Damen sehr -gut. Schon nach kurzer Zeit war man eifrig in das wichtige Thema -vertieft, welcher Zeitpunkt für das Einlegen von Johannisbeeren der -geeignetste sei. - -Dies und eine Reihe ähnlicher Gesprächsthemata schlugen eine Brücke -zwischen Monikas und zwischen Georgs Mutter. Als dann gar die -Dienstbotenfrage aufs Tapet kam, erwärmte sich selbst Brigitte, deren -hagere Altjungfernfigur im schmucklos schwarzen Kleide wie aus Holz -geschnitzt erschien. - -Monika trug bei diesen Unterhaltungen eine geradezu unhöfliche -Unaufmerksamkeit zur Schau. Das lag ihr nicht... das alles hier lag -ihr nicht... Die Einrichtung, die bei aller Wohlhabenheit geschmacklos -puritanisch war, diese große, strenge Frau, zu der sie nun „Mama“ sagen -sollte, die unschöne Schwester... das alles verstimmte sie. - -Sie war ganz verärgert, besonders, als Georg ihre Bitte, ihr den Park -zu zeigen, abgeschlagen hatte. - -„Wir gehen nachher alle zusammen,“ sagte er. - -Bei dem Rundgang, den man nach dem Frühstück machte, wurde Monikas -Benehmen von den Wetterhelmschen Damen innerlich „lächerlich kindisch“ -gefunden; sie geriet in Ekstase vor den jungen Lämmern mit ihren -kurzlockigen Fellchen, sie kniete nieder, um sie an sich zu drücken; -sie war im Schweinestall außer sich vor Freude über die Ferkel mit -ihren rosa Körpern und den Ringelschwänzchen; sie hielt den Tieren -Reden, besonders dem Hofhund, der gleich eine große Sympathie für sie -an den Tag legte: - -„O, was für ein guter Hund... Du bist ja sehr häßlich, mein armer -Kerl, und so gelb wie Eidotter bist Du, und aus gar keiner feinen -Familie... Nein, nicht mal Rasse hast Du... Aber Du bist doch gut, mein -Dickerchen! Ach, was für’n guter Hund! Und gut sein ist ja auch was -wert, wenn auch nicht so viel wie schön sein!“ - -Da intervenierte Frau von Birken, sie legte die größtmögliche Strenge, -deren sie fähig war, in ihren Ton: - -„Monika, genug des Unsinns! Wir wissen ja, daß Du nur scherzest, aber -man soll auch im Scherz nicht sagen, daß Schönheit mehr ist als Güte! -Die Güte ist das Weltprinzip...“ - -Brigitte drückte der Baronin ostentativ die Hand. - -„Aber Mama,“ rief Monika, schnell wie aus der Pistole geschossen, -„aber Mama! Du hast doch wohl schon Naturgeschichte gelesen und -Weltgeschichte und Entwicklungstheorien? Das Weltprinzip ist doch die -Grausamkeit, der ewige Kampf...“ - -„Lassen wir das doch,“ schnitt Georg ab; ein unmutiger Ausdruck lag -über seinem Gesicht, ihm war nicht entgangen, daß sich in den Zügen -seiner Mutter schärfste Mißbilligung bei Monikas Worten aussprach, daß -die Züge seiner Schwester förmlich vereisten in schroffster Ablehnung. - -Dann ging man nach der Fohlenkoppel hinüber, wo Monika versuchte, auf -die Fohlen hinaufzuturnen. - -„Zu schön ist’s auf dem Lande,“ sagte sie zu ihrem Bräutigam, als sie -ihn endlich „ein bißchen für sich“ hatte. „Die Tage von Sarkow, meine -Kinderjahre, sind mir so unvergeßlich. Am liebsten möchte ich mit Dir -auf ein Gut ziehen, Georg.“ - -„Mir liegt das nicht,“ erwiderte der Konsul. „Gewiß ist Landwirt sein -auch ein schöner Beruf, in dem man seinem Vaterlande nützen kann, aber -ich kann in meinem Berufe Größeres wirken, Besseres für Deutschland -tun.“ - -Monika stürzte sich mit Feuereifer auf diese neue Anregung. - -„Ja, da hast Du auch ganz recht! Ich werde mal eine tadellose -Botschafterin!“ - -„Na, na, man immer sachte mit den jungen Pferden.“ - -„Und wir bekommen einen historischen Palazzo als Dienstwohnung, weißt -Du, sowas in Spätrenaissance, und ich gebe jeden Abend Empfänge, wo -lauter Fürsten und Genies sind, ~crème de la crème~, weißt Du?... -Und ich trage ein himmelblaues, silbergesticktes Kleid und furchtbar -viel Orden in Brillanten. Als Botschafterin bekomme ich doch Orden, -nicht wahr? Und ich trage ein Perlcollier für eine Million. Das muß -ich von meiner Schwiegermutter geerbt haben. ‚Das Kollier meiner -Schwiegermutter‘ finde ich sehr stilvoll.“ - -„Ach, Kind, hör’ bloß mit dem Unsinn auf. Und nimm Dich zusammen vor -Mama und Brigitte. Korrekt, mein kleiner Schatz, korrekt!“ - -Beim Mittagessen wirkte diese Ermahnung noch so nach, daß sie wie ein -braves Schulkind dasaß. - -Aber nach Tisch, als sich die Damen zum Nachmittagsschlaf zurückgezogen -und Monika mit ihrem Bräutigam durch den Park ging, verjagte die -goldene Aprilsonne bald ihre mühsam bewahrte Gemessenheit. - -Konnte man denn ruhig bleiben, wenn die Blattknospen gar so ungestüm -aus ihren Hüllen drängten, wenn die Hyazinthen auf den Frühbeeten mit -tiefen Farben prangten wie Edelstein: rubinrot, diamantenweiß und blau -wie Saphir! Ach -- und alle diese Blütenglocken sandten süße Duftwogen -in die herbe deutsche Luft. In den Aesten lärmten und lockten die -Vögel, schrien, weil der Frühling da war und die Liebe... - -Konnte man denn ruhig bleiben, wenn man einen so süßen, geliebten, -schönen, guten Bräutigam hatte? - -Das fragte Monika Georg von Wetterhelm. - -Und er lachte zärtlich, immer aufs neue besiegt von ihrem wilden -Charme. -- - -Die Vesperstunde vereinigte alle wieder um den runden Tisch im Eßzimmer. - -Frau von Wetterhelm war Monika gegenüber aus ihrer ursprünglichen -Freundlichkeit in eine gewisse Reserviertheit übergegangen. Sie fand: -es war eigentlich eine fabelhafte Idee von Georg, ein so unbändiges, -junges Ding heiraten zu wollen. Seiner sonstigen Wesensart war das -so unähnlich, er war doch immer ein so tadellos vernünftiger Mensch -gewesen. - -„Georg hat mir nie Sorgen gemacht,“ erzählte sie an diesem Nachmittag. -Ja, er war immer ein lieber, vernünftiger Sohn gewesen, körperlich und -geistig gut beanlagt. Er war nie krank gewesen, er war immer unter -den besten Schülern seiner Klasse. Alles in seinem Leben war wie am -Schnürchen gegangen. Das Abiturium, die späteren Examina, die Ernennung -zum Leutnant der Reserve, sein Avancement bei den Garde-Ulanen. Und -seine Beamtenkarriere würde eine glänzende sein, das sagten alle, und -sie hoffe nur, Monika würde ihren zukünftigen Gatten „voll und ganz zu -würdigen verstehen“! - -„Na und ob!“ schmetterte Monika so überzeugt heraus, daß alle drei -Damen ihr verweisende Blicke zusandten. - -„Hoffentlich habe ich mit meiner Schwiegertochter ebenso viel Glück wie -mit meinen Kindern,“ fuhr Frau von Wetterhelm nicht ohne eine gewisse -Anzüglichkeit fort, „ja, auch Brigitte hat mir nur Freude gemacht.“ - -Monika warf einen erstaunten Blick auf die schwarzgekleidete, hagere -Dame, welche sie im stillen „die hölzerne Jungfrau“ getauft hatte. - -„Ja, Brigitte ist immer tätig und häuslich gewesen,“ lobte die Herrin -des Hauses weiter. „Mein lieber Mann starb ja so früh -- Georg kam -naturgemäß bald aus dem Hause -- da war Brigitte das Einzige, was mir -blieb. -- Wie hat sie mich gepflegt in meinen vielen Krankheiten. -Brigitte ist die geborene Krankenschwester! Und sie hat es nie übers -Herz gebracht, mich zu verlassen, auch damals nicht, vor nunmehr -zwanzig Jahren, als Herr von Lodringen um sie anhielt.“ - -„Aber Mama!“ Ein schwaches Rot war in Brigittes welke Wangen gestiegen, -mit einer nervösen Gebärde strich sie sich über den glatten, -graublonden Scheitel. - -„Meine liebe Tochter, warum sollte ich nicht von Deiner aufopfernden -Kindesliebe sprechen, von Deinem edlen Pflichtgefühl? Unsere kleine -Monika kann daraus nur Gutes lernen! Ja, also als Lodringen um Brigitte -anhielt, wies sie ihn ab, obwohl sie ihn sehr gern hatte und obwohl er -eine durchaus passende Partie war. Wies ihn ab, weil sie mich nicht -verlassen wollte.“ - -Brigitte sagte nichts. Ein Seufzer hob ihre Brust. - -„Ach...,“ rief Monika, ungläubig erstaunt. - -Frau von Wetterhelm fuhr fort: „Lodringen stand in Westfalen, und ich -konnte natürlich nicht daran denken, mit in jene Garnison zu ziehen. -Was hätte dann hier aus dem Gute werden sollen? Und so blieb Brigitte -bei mir, mein aufopferndes Kind, als die Stütze meines Alters...“ - -Frau von Birken hatte vor Rührung Tränen in den Augen. - -„Wie entzückend, wie heroisch geradezu, sein eigenes Lebensglück -hinzugeben, um der Mutter Trost sein zu können! Diese echt weibliche -Entsagung! Da siehst Du, Monika, was für junge Mädchen es auf Gottes -Welt gibt!“ - -„Aber das ist doch ein maßloser Unsinn,“ rief Monika heftig, mit -sprühenden Augen; in ihrer Erregung bemerkte sie nichts von dem -förmlich lähmenden Entsetzen, das ihr Ausruf bei der Tafelrunde -hervorgerufen. - -„Ja, ein offenbarer Unsinn,“ stürmte sie weiter, „ein lebendiges, -warmes Liebes- und Lebensglück zu opfern aus töchterlichem -Pflichtbewußtsein! Man lebt doch nicht für seine Mutter!“ - -Sie brach ab, erschreckt über das Verhalten ihres Bräutigams, der zu -seiner Mutter getreten war. Er beugte sein erblaßtes Gesicht über die -alte Frau und sagte, indem er wie beschwörend seine Hand auf ihren Arm -legte: - -„Hör’ nicht hin, Mama, sie meint es nicht so. Sie ist noch so sehr -jung.“ - -Die böse Stimmung, die dieser Zwischenfall hervorgerufen, hielt an. Die -Wetterhelmschen Damen brachten kaum ein Wort mehr über die Lippen. - -Gut, daß Frau von Birkens Redefluß auch bei dieser Gelegenheit nicht -versiegte. Ihre Begabung, über die nichtigsten Dinge sehr viel zu -reden, war ihrem zukünftigen Schwiegersohne zum erstenmale eine Freude. -So herrschte wenigstens nicht dauernd Stillschweigen. - -Mit dem Abendzuge fuhr man fort. Auf der Rückfahrt berührte Wetterhelm -mit keinem Worte den Vorfall, der ihm tiefgehenden Eindruck gemacht. -Bei seiner langsam denkenden Art wollte er erst mit sich selbst ins -Reine kommen, ehe er mit Monika sprach. - -Die fühlte zwar, daß sie auf Georgs Angehörige keinen allzu günstigen -Eindruck gemacht, aber sie nahm das ganze nicht wichtig. - -Sie wurde auch dadurch abgelenkt, daß sie zu Hause die Korrekturbogen -ihres neuen Gedichtzyklus fand. - -Dieser Zyklus, der eine Ueberraschung für ihren Bräutigam sein sollte, -war für die nächste Nummer des „Leuchtturm“ bestimmt. - -„An Georg“ hieß die Ueberschrift dieser sechs Gedichte, deren eines -das andere an klingenden Worten und leidenschaftlichen Empfindungen -übertraf. - -Monika war von ihrem eigenen Werke erschüttert, als sie die -Korrekturbogen las. Ihr schienen diese Gedichte wie sechs voll erblühte -Rosen, farbenflammend, duftsprühend... und die Dornen, die sonst Rosen -tragen, hatte sie ihnen abgebrochen mit zärtlichen Fingern. Dornenlose -Rosen waren’s nun, lauter Liebe und Leidenschaft und heißes, heißes -Glück! - -Eine heftige Ungeduld erfaßte sie plötzlich, Georg schon jetzt diese -Verse zu senden. Nicht, wie sie sich vorgenommen, erst am nächsten -Mittwoch, wenn das neue Heft des Leuchtturms erschienen war. - -Sie schrieb ein paar Zeilen, kuvertierte diese und die Druckbogen und -schrieb mit ihrer weitausladenden, arroganten Handschrift die Adresse -ihres Verlobten. - -Dann rannte sie fort, um den Brief selbst in den Kasten zu tragen; sie -ließ Briefe an Georg nie durch jemand anders besorgen. - -Sie schlief nicht viel in dieser Nacht; immer wieder mußte sie daran -denken, wie Georg sich wohl freuen würde, wenn er diese glühenden -Liebesgeständnisse las und durch ihre Zeilen erfuhr, daß er es nicht -allein war, der diese Gedichte las, sondern daß Tausende von anderen -Menschen, von mitfühlenden, mitvibrierenden anderen Menschen es lesen -würden -- -- -- - -„An Georg“. - -Nun, bald würde sie ja wissen, wie sehr er sich gefreut. Er kam ja -morgen zum Abendbrot -- -- nein, nicht morgen. Heute! Es hatte ja eben -schon zwei geschlagen durch die stille Nacht. - -Erst als es hell wurde, schlief Monika ein. - -Der Tag ging hin, wie jetzt alle Tage hingingen: in Erwartung ihres -Bräutigams. - -Als sie sich eben für den Abend umgezogen hatte, kam Georgs Diener -mit einem Briefe von ihm, den er Auftrag hatte, dem gnädigen Fräulein -selbst zu übergeben. - -Monika schloß sich mit dem Schreiben ins Schlafzimmer ein; sie wußte, -daß man sie sonst doch nicht bei der Lektüre ungestört ließ. - -Und sie las: - - „Liebe Monika, - - es wird mir unendlich schwer, Dir diese Zeilen zu schreiben. Ich - habe schwer mit mir gekämpft seit gestern abend. Nach reiflicher - Ueberlegung aber halte ich es nun doch für besser, Dir zu sagen: - wir passen nicht zueinander. Ich bin weit entfernt davon, die - wundervollen Geistes- und Körpereigenschaften zu verkennen, mit - denen die Natur Dich überschüttet hat. Aber Du hast Grundsätze, - Anschauungen, Prinzipien, die für +meine+ Frau unmöglich sind! - - Ich habe das zuerst alles für Kindereien gehalten, aber wie Du - gestern meiner alten Mutter ins Gesicht hinein erklärtest, daß das - hohe Liebeswerk, das meine Schwester an ihr getan, „barer Unsinn“ - sei, das gab mir einen Choc, den ich nicht überwinden kann. - - Dann kam Dein Brief -- -- -- Die Verse sind gewiß sehr schön - und talentvoll, aber für ein junges Mädchen wenig passend. Die - Tatsache, daß Du sie veröffentlichen willst, entspringt einem mir - geradezu unbegreiflichen Mangel an Zartgefühl. - - Wie kann man so intime Empfindungen der großen Menge preisgeben, - sie der höhnischen Kritik jedes Uebelwollenden aussetzen. Wie - kann man Gefühle, die in das tiefste Dunkel Deines Mädchenherzens - gehören, an das grelle Licht der Oeffentlichkeit zerren?! -- -- - - Aber genug von alledem! - - Mit tiefem Schmerze reiße ich mich los von Dir in der Erkenntnis, - daß unsere beiden Naturen zu grundverschieden sind, um je in eine - harmonische Ehe zu verschmelzen. - - Ich sage Dir brieflich Lebewohl, weil ich weiß, daß ich dem Zauber - Deiner Gegenwart doch nicht widerstehn kann. Du bist die Erste, - bei der mein Gefühl stärker war als mein Verstand. Ich weiß und - fühle, daß diese Schwäche Dir gegenüber für mein ganzes künftiges - Leben eine Gefahr bedeutet, eine Gefahr hauptsächlich darum, weil - Du Deinen ganzen Anschauungen nach mich oft zu Handlungen und - Unterlassungen wirst veranlassen wollen, die meiner innersten Natur - widerstreben. - - Lebe wohl, mein geliebter kleiner Schatz. - - Georg.“ - -Monikas Hand, die den Brief gehalten, sank schwer herunter. Ihr wirrer -Blick traf zufällig auf den Spiegel, vor dem sie gestanden. Und dieser -Blick wurde allmählich bewußt, erkannte das Spiegelbild, und wie ein -grenzenloses Erstaunen ging es ihr durch den Kopf: „Herrgott, kann man -denn überhaupt so blaß sein?!“ - -Einige Sekunden lang irrte ihr Sinn noch herum wie ein Vogel, den die -Kugel traf, der ängstlich flattert mit zuckenden Flügelschlägen und -dann plötzlich, sich des Schmerzes bewußt werdend, aufschreit und -niederstürzt. - -Und dann Nacht... - -Eine tiefpurpurne Finsternis, aus der sich die Sinne nur langsam und -qualvoll allmählich wieder zum Bewußtsein ringen. - -Das... das war doch nicht möglich! Das war doch nicht denkbar... nein, -nicht auszudenken, daß diese Liebe, die strahlende Sonne, die ihr -ganzes Leben erleuchten und erwärmen sollte, nur ein Irrlicht war, das -eine flüchtige Sekunde aufschimmerte und dann versank... - -Nein, nicht möglich! Und doch? Was stand da in dem Briefe? In dem -Briefe, der ihren Fingern entglitten war, den sie nun vom Boden -emporriß und von neuem las? - -Und noch einmal... - -Und wieder... - -Sie verwundete sich an jedem Worte mit der wahnsinnigen Schmerzensgier -einer Märtyrerin, die sich immer von neuem Dolchspitzen in ihr -schauderndes Fleisch bohrt. - -Und dann -- wie eine Eingebung -- leuchtete in dem wirren Toben ihrer -Empfindungen plötzlich ein Gedanke auf, wie das klare Licht eines -Leuchtturms im Dunkel einer sturm- und wogendurchtobten Nacht: - -Handeln jetzt! Nicht tatenlos zusehn, wie ihr Glück zerbrach! - -Ihre Pupillen erweiterten sich, brannten wie schwarze Flammen in ihrem -tieferblaßten Gesicht. - -Ihre Hände ballten sich zusammen, krampften sich zu Fäusten, als wollte -sie das Glück festhalten, -- das Glück! - -Handeln jetzt! Zu ihm! - -Wie stand es doch in diesem Brief, von dem jetzt jedes Wort in ihrem -Gehirn eingegraben stand wie mit ehernen Lettern? - -„Daß ich dem Zauber Deiner Gegenwart doch nicht widerstehn kann“. - -Dem Zauber... meiner... Gegenwart... - -Mit Gedankenschnelle hatte sie den Hut in die Haare gedrückt. - -Und die Treppe hinunter. - -Sie hielt die nächste Auto-Droschke an, rief dem Chauffeur die Adresse -zu. - -Das Auto glitt über den Asphalt, ziemlich langsam, denn ein grauer -Regen rieselte leise über Berlin, hüllte die Riesenstadt in einen -dünnen Tropfenschleier. - -An Monikas Augen glitten die steinernen Häusermassen vorbei, das -Gelbrot der Gaslaternen und das bläulich-schimmernde Licht der -elektrischen Lampen leuchtete in kurzen Zwischenräumen immer wieder auf. - -Leute kamen vorüber... Automobilhupen tönten, Hufschlag, -- -- das -schrille Klingeln der elektrischen Bahnen. - -Monika sah und hörte das alles, aber es kam ihr nichts ins Bewußtsein. - -Sie fühlte auch keinen Schmerz. - -Sie sah und hörte und fühlte nichts als ihr Ziel: das Glück -wiederhaben... das Glück... - -Das Auto hielt, sie stieg aus, bezahlte den Chauffeur und ging die -Treppe hinauf zu der Wohnung von Georg von Wetterhelm. - -Der Diener vermochte trotz seiner Wohlgeschultheit nicht seine -Ueberraschung zu verbergen. Er stotterte, daß der gnädige Herr -ausgegangen sei. - -„Wann kommt er zurück?“ - -„Ich weiß nicht, gnädiges Fräulein.“ - -„Gleichgültig. Ich werde ihn hier erwarten.“ - -Sie schritt den Korridor entlang und öffnete die Tür zu Georgs -Arbeitszimmer. Sie kannte den Weg von dem Male her, als Georg sie und -die Mama und die Brüder zum Tee eingeladen. - -Mit was für anderen Gefühlen als heute hatte sie da in dem Gemache -gestanden, dessen strenge, vornehme Einrichtung so überaus gut zu -Georgs Wesen und Sein paßte. - -Sie setzte sich in den grünen Ledersessel und wies kurz den Diener -zurück, der eintrat, um Licht zu machen. - -Sie starrte mit brennenden Augen in das Dunkel ringsum, das nur matt -erhellt war von dem Schein der Straßenlaternen, der von draußen durch -die Gardinen fiel. - -Sie überlegte nicht, was sie Georg sagen wollte, wenn er kam, sie -dachte nur: das Glück wiederhaben ... das Glück... - -Leise, leise schlug der Regen an die Scheiben. Sie hörte jede Sekunde -das Ticken der großen Standuhr, hörte jede Viertelstunde ihr dumpfes -Schlagen. - -Sie wußte nicht, wieviel Zeit verstrichen war. Ihr war es, als sei sie -schon endlos in dieser weichen Dunkelheit. Da hörte sie einen Schlüssel -in der Korridortüre. - -Schritte näherten sich dem Zimmer -- dann das Knipsen am Schalter des -elektrischen Lichts -- eine grelle Helligkeit, die das Dunkel zerriß, --- -- und Georgs Aufschrei: - -„Du hier?“ - -Sein Gesicht war ihr nie so ehern erschienen wie jetzt. - -„Du hättest das nicht tun dürfen, Monika! Warum machst Du’s uns beiden -so schwer?“ - -„Georg...,“ würgte sie hervor. - -„Kind, es ist mir so schon schwer genug geworden. Aber es ist besser -so für uns beide. Ich werde mich nie in Deine Art fügen lernen, und Du -Dich in meine auch nicht!“ - -Sie trat näher zu ihm heran. - -„Aber ich will ja alles, was Du willst! Ich will ja werden, wie Du -willst... glaub’ mir das! In alles kann ich mich fügen... unserem -Glück zuliebe!“ - -Ihre Stimme, die fast versagt hatte, wurde fester; wie ein Feuer, das -zuerst nur zögernd knistert und hie und da einen Funken aufleuchten -läßt, bis es allmählich zur Glut wird, und zur flammenden Lohe dann --- so wuchs ihre Rede. Wuchs über sie empor und über ihn, wurde das -Hohelied von der Liebe -- von der Liebe, die stark ist wie das Leben, -stark ist wie der Tod -- --! - -Sie wußte selbst nicht, woher ihr die Worte kamen. Sie wußte nicht, -woher sie den Mut und die Kraft nahm, ihm all das zu sagen, den letzten -Schleier von ihrem Seelenleben zu ziehen, ihn alle Höhen und alle -Tiefen der Liebe schauen zu lassen, der Liebe, die sie zu ihm trug... - -Das waren nicht bloß Worte, die da auf ihn eindrangen und an sein -kühles Herz klopften. Das war, als ob Monikas ganzes Sein sich auflöste -in einen Strom, der zu ihm hinüberdrang, glühend und besiegend ... - -Wie von selbst breiteten sich seine Arme auseinander und schlossen sich -um das Mädchen, das sich mit einem unartikulierten Laut an seine Brust -warf. - -„Georg, -- -- Georg -- -- hast Du mich lieb?“ - -„Zu sehr, mein kleiner Schatz, zu sehr -- --“ - -Er preßte seine Lippen auf ihren Hals und wie ein Stöhnen klang’s: „Ich -komme ja doch nicht mehr von Dir los.“ - -Da hob sie den Kopf, und ihr Gesicht glühte von Liebe und glühte von -Güte, von holdseliger, weiblicher Güte: - -„Und Du sollst das nicht bereuen, mein Lieb! Ich will mich ja bessern, -will mich ja nach Deinen Wünschen formen, -- in allem... unserem Glück -zuliebe...!“ - -[Illustration] - - - - -10. - - -Eine scharfe Brise kräuselte des Mittelländischen Meeres blaues -Wasser, aber der große Dampfer zog ruhig und sicher weiter seine -tiefaufwühlende Furche. - -Es waren wenig Passagiere auf Deck. Außer ein paar Engländern, die -mit hochgeklapptem Rockkragen, die Mütze tief in der Stirn und die -Stummelpfeife zwischen den Zähnen herumspazierten, nur Georg von -Wetterhelm mit seiner Frau. - -Monika hatte den Sturmriemen ihrer Mütze heruntergezogen und ließ sich -den Wind ins Gesicht wehen. Sie sah so strahlend glücklich aus, daß des -Konsuls harte Züge ein Schimmer von Zärtlichkeit überflog. - -„Du bist schon ein liebes Kerlchen, Mone! -- Wie viele Frauen würden -jammern über das schlechte Wetter, das wir bisher hatten.“ - -„Aber, Georg, das Wetter war doch großartig.“ - -Er lächelte. „Na, Liebchen, seit den zwölf Tagen, die wir verheiratet -sind, ist noch kein Tag ohne Regen gewesen. -- Schade! Ich hatte mir -diese Seereise so nett gedacht.“ - -„Aber sie ist doch entzückend! Weißt Du, es soll so viele Leute -geben, die in der Phantasie wer weiß wie sehr genießen und von der -Wirklichkeit enttäuscht sind! Das ist doch zu dumm... Ich habe es mir -ja gewiß immer wunderschön gedacht, mit Dir verheiratet zu sein, aber -daß es so über alle Begriffe schön ist, das habe ich nicht gewußt!“ - -Er zog sie an sich und küßte das junge Gesicht, auf dem der kühle Hauch -des Meeres lag. - -„Und zu denken, daß dieses Glück nicht aufhört, Georg, -- daß ich jetzt -immer bei Dir sein darf, immer... und mit Dir zusammen die herrliche -Welt sehn soll -- -- -- --“ - -Ein tief erzitternder Atemzug hob ihre Brust, als könne sie das -Uebermaß von Glück nicht fassen. - -Der Konsul hatte sich seine Hochzeitsreise „vernünftig gelegt“. Er war -nach Bombay berufen, hatte noch sechs Wochen Urlaub; in Genua wollte -man eine Zeit Aufenthalt nehmen, von da nach Rom und Neapel und von da -aus zu Schiff weiter. - -Die Schiffsreise Hamburg-Genua war durch schlechtes Wetter getrübt -worden. Als aber der Dampfer sich dem langgestreckten Hafen von Genua -näherte, zerriß der Wolkenschleier am Himmel, und eine strahlende -Sonne überflammte Genua ~la superba~, das sich im mächtigen Halbkreis -auf den steil ins Meer abfallenden Bergen erhob. Die stolze, uralte -Hafenstadt mit dem Gewirr ihrer Gassen und Märkte, mit ihren ragenden -Marmorpalästen war ganz in Sonne getaucht und in Sommer. Maiblüten über -grauen Mauern bedeckten vielhundertjährigen Marmor mit jungem Leben. - -Wenn Monika mit ihrem Gatten durch diese Stadt schritt, wenn sie -mit ihm die Treppe zum Dogenpalast betrat oder im Palazzo Rosso vor -einem Reiterbildnis von van Dyck stand oder vor Veroneses „Judith und -Holofernes“, wenn sie im Boot zu dem Molo Duca di Galliera fuhr, von wo -aus man die trotzige Stadt und das trotzige Gebirge in seiner ganzen -wilden Schönheit sah, dann fühlte sie: das ist ein Höhepunkt! - -Und sie hätte dann der Zeit wie einem allzu feurigen Renner zuschreien -mögen: „Halt an!“ Es konnte ja nicht mehr schöner werden! - -Und doch wurde es noch schöner. Als sie die kleine Villa fanden, droben -in San Lorenzo. - -Auf einer Spazierfahrt hatten sie sie gesehn, hatten sie, angelockt -durch das Vermietungsplakat, besichtigt, und Monika hatte erklärt, daß -sie gern auf Rom, Neapel und alle übrigen Städte des gesegneten Italien -verzichten wolle, wenn Georg für den Monat, der ihnen noch an Urlaub -blieb, dieses kleine Haus mieten wolle mit seiner großen Terrasse, mit -seinem herrlichen Garten über dem Meer. - -Georg hatte gezögert. Eigentlich gehörte es zu seinem „Programm“, -seiner jungen Frau die Kunstschätze Italiens zu zeigen, aber Monika -hatte so herzbewegend gebeten und das Haus war so hübsch, daß er -einwilligte. Ueber die Mangelhaftigkeit der italienischen Dienstboten, -die man für den Monat nahm, kam er zwar nicht so leicht hinweg, -- auch -sonst gab es manches zu tadeln, -- aber alles in allem fühlte auch er: -meines Lebens schönste Zeit! - -Sein kühles Herz blühte auf in der heißen Liebe, mit der seine Frau ihn -umgab. Seine nüchternen Sinne wurden angeregt durch ihre sprühende Art, -ihre stürmische Begeisterung. - -Jeder Tag war eine Kette von Wundern. - -Jeder Morgen kam wie ein junger Sieger. - -„Helios!“ sagte Monika, „der junge Sonnengott, der auf seinem goldenen -Wagen einherkutschiert, die Zügel zwischen den Fäusten. Die mächtigen -Pferde schäumen in ihr goldenes Gebiß und bäumen sich hochauf... -Aber das tut ihm nichts... Er ist der Sonnengott, er ist der Sieger! -Und da fährt er nun durch den Azur und verschwendet Sonne, vergeudet -Sonne. Ach, in unserm armen Deutschland müssen wir einen halben Winter -damit haushalten, was der hier an einem Maimorgen ausgibt! -- -- -Jetzt verstehe ich erst den Sonnenkultus, verstehe alle die Völker, -die Perser und Lydier und Phrygier und Griechen und Römer, die sich -anbetend niederwerfen vor dem Leuchtenden da droben!“ - -Sie streckte die Arme hoch, in einer spontanen Gebärde, zur Sonne -empor. -- -- - -Dann ging man wohl mitunter an den Bergabhängen entlang, die hinunter -nach Genua führten. Von den Kräutern, die an den Felsabhängen standen, -ging ein herber und süßer Duft aus. Die Sonne drang mit Gewalt in sie -hinein, in alle diese spröden amethystfarbenen und silbergrauen und -weißen Kräuter mit den stacheligen Blättern; sie drang in sie hinein -und sog ihnen den Duft aus den Kelchen. Und neben der harten Bergwelt, -neben all diesem Gewucher von Minze, Ginster und Heidekraut lockte die -weiche, sinnliche Pracht der Rosen. - -Und Olivenbäume bedeckten in unzähligen Mengen alle Berge, alle -Schluchten; ihre Milliarden schmaler Blätter schoben sich wie -silbergraue Schleier vor die Aussicht, und durch diese Blätternetze -hindurch sah man das Meer, das blaue Juwel. Auf den Segeln der -träumerisch dahingleitenden Schiffe blitzte die Sonne wie in einem -Brennspiegel. -- -- - -Oder war es noch schöner, wenn die Sonne schon untergegangen? - -Der Himmel zeigte dann noch purpurrote Streifen. Die tönten sich ab in -Violett, das in Veilchenblau überging, und, tiefer hin immer blasser -werdend, zeigte der Himmel da, wo er mit dem Meere zusammenstieß, -denselben durchsichtig blaßblauen Ton wie das Wasser, verschmolz in -eins mit ihm in zärtlicher Umarmung. - -Die riesigen Fischernetze waren lang über den Strand hingebreitet, -sorgsam auseinandergezogen, daß man das Gitterwerk ihrer Maschen -sah, -- ihre tief rotbraune Farbe gab einen düsteren Ton in diesem -Zusammenklingen von leuchtenden und hellen Farben. - -„O dieses Rotbraun, -- -- das ist so richtig eine Farbe für -Mordwerkzeuge,“ sagte Monika, „wie geronnenes Blut sieht es aus, so -richtig eine Farbe für diese Netze, in denen sich Tag für Tag Hunderte -und Tausende von lebendigen Fischen verstricken, um so qualvoll zu -sterben.“ - -Durch den flammenden Horizont taumelte im Zickzackflug eine Fledermaus, -gefolgt von dem werbenden Männchen. - -Unten auf der Straße, die sich hart am Meere dahinzog wie ein endloses -weißes Band, glitten auf Gummirädern ein paar Automobile vorüber. Ein -paar Sekunden lang zerriß der gellende Schrei der Hupe den Abendfrieden --- dann waren sie vorüber. - -Von dem alten Glockenturm herunter klang das Ave. - -Und der brennende Horizont wurde blasser, wurde farblos wie eine Blume, -die verblüht. - -Langsam sank die Nacht über die Erde. - -Der Mond, der während des Sonnenunterganges blaß am Himmel gestanden, -leuchtete plötzlich auf. In dieser Beleuchtung war der Garten ein -anderer, als er am Tage gewesen. Die Stämme der Palmen mit ihren -dunkeln Schuppen sahen aus wie die höckrigen Panzer bösartiger Reptile. -In den blanken Blättern des Tulpenbaums spiegelte sich das Mondlicht -am gleißendsten. Jedes dieser dunkeln Blätter war wie ein Spiegel aus -Metall. Und die Stauden der weißen Levkoien, die so hoch und breit -waren, daß sie wie Büsche erschienen, trugen ihre Last von ungezählten -Blüten wie Millionen Silbersternchen. Die Heliotropbüsche blieben -dunkel; ihre Blüten, die am Tage von einem süßlichen Violett waren, -nahmen nichts von Licht in sich auf. Sie schienen nun schwarz, fast -farblos, aber sie dufteten nur um so stärker und sandten ganze Wogen -von Wohlgeruch in die Luft. - -Und Mondlicht über dem allen, verschwenderische Wellen von Mondlicht -über der See, über dem Garten, -- in allen Räumen des Hauses. Das -Schlafzimmer mit seinen weißen Möbeln gleißte wie Silber. - -Und Monika war es, als ob die schweigende Welt ringsum einen Hymnus -anstimmte, einen Jubelhymnus auf ihr Glück. Diese überirdischen -Tonwellen drangen auf sie ein, durchschauerten sie mit einer -schmerzhaften Intensität. Fester preßte sie sich in Georgs Arme. Ein -Schluchzen hob ihre Brust. - -„Was ist Dir?“ fragte er erstaunt. - -„Zu glücklich bin ich!“ - -„Das ist doch keine Ursache zum Weinen.“ - -„Doch! Denn ich sage mir: schöner kann es doch nun aber ganz sicher -nicht mehr werden! Noch höher hinauf geht es nicht. Kommt nun ein -Abstieg? -- -- Ich muß an ein paar Verse denken: - - ‚Sag’ nicht, daß Du mich liebst. - Ich weiß, das Schönste auf Erden, - Die Liebe und der Frühling, - Es muß zuschanden werden -- --‘“ - -Sie sah in diesem Augenblick den Abgrund, der alles verschlang, sah -der Vergänglichkeit weitgeöffneten Höllenschlund, -- und mit einer -schutzsuchenden und verzweifelten Gebärde klammerte sie die Arme -fester um Georgs Hals. - -„Mone, Du bist überreizt. Sicher heut zu lange in der Sonne gewesen. Du -bist doch sonst nicht so sentimental.“ - -Da sanken ihre Arme herab: also er verstand gar nicht? „Sentimental“ -nannte er ihr trotziges Aufbäumen gegen den Verfall. „Sentimental“ -diese schauernde Angst der blutroten Lebenswärme gegen die grausame -Zeit, die unablässig, unaufhaltsam fortschritt, sie vorwärtsführte in -das graue Alter und in den eisigen Tod... - -Sie hatte geglaubt, daß die große Liebe, die über ihnen beiden war, -all ihre Nerven aufeinander abgestimmt hätte, wie wohl, wenn man -einen Ton auf dem Klavier anschlägt, die Tonwelle sich durch die Luft -weiterpflanzt und das Kristall eines Glases in Schwingungen versetzt, -daß es mitklingt in reinster Harmonie. - -Und so war es nicht?! Den Erschütterungen ihres Innern setzte er ein -banales Nichtverstehen gegenüber? - -Das war die erste Enttäuschung ihres Liebesglücks. - -Sie war zu jung, um lange bei diesem Gedanken zu verweilen. Der nächste -Tag schon brachte neue Freuden. „Schön, schön wie die Wirklichkeit,“ -sagte Monika. - -Und immer wieder durchzuckte sie der Gedanke: „Ach, die Zeit anhalten!“ - -Mit heißem Bedauern sah sie jedem verflossenen Tage nach wie einer -schönen Blume, die abblüht, die allzu schnell verwelkt. - -Und wie bald war der Tag gekommen, an dem man, an Bord des mächtigen -Asiendampfers stehend, Genua im violetten Dunst der Ferne verschwinden -sah. - -Monika war ein bißchen unglücklich darüber, daß man die kleine Villa -und den großen Garten verlassen -- und sehr glücklich darüber, daß es -nun neuen Wundern entgegenging. - -„Jetzt wird’s immer noch schöner?! Nicht wahr, Georg?“ - -„Sicher, Liebling; aber eins: hier auf dem Schiffe wissen nun alle -Leute, wer wir sind, wissen so viele, daß ich als Konsul rübergehe. Du -mußt Dich von nun an zusammennehmen. Für mich allein habe ich Dein -begeisterungsfähiges Wesen immer sehr reizend gefunden, aber als Frau -eines Beamten darfst Du wirklich nicht mehr wie ein eben dem Pensionat -entlaufener Backfisch herumspringen. Für eine Frau unserer Kreise ist -es am angemessensten, man spricht gar nicht von ihr, weder im Guten -noch im Bösen. Korrekt, mein kleiner Schatz, korrekt!“ - -[Illustration] - -Und Monika wurde korrekt. Schneller als sie selbst, schneller als Georg -es für möglich gehalten. Wohl schäumte sie im ersten Jahre ihrer Ehe -noch mitunter auf wie ein junges Pferd, das sich ins Gebiß verbeißt. - -Aber Georgs ehern ruhige Art bändigte sie bald. - -Was ihrer Mutter, ihren Erzieherinnen nie gelungen, das gelang Georg -Wetterhelm, ohne daß sie je ein hartes Wort von ihm zu hören bekommen -hätte. - -Es war wohl überhaupt mehr das Beispiel als seine Worte, das so -tiefgehende Wirkung auf Monika ausübte. Georgs Wesen und Sein war so -ausgeglichen, so in sich gefestigt. - -Uebrigens wirkte er, trotz seiner vollendeten Höflichkeit, oft geradezu -lähmend auf Leute, die Anlage zu Extravaganzen, zu Ausgelassenheiten -hatten. Mit ihm „nahm man sich mehr zusammen“ als mit anderen. - -Es kam alles so anders, wie die Bekannten vermutet, als sie von Georgs -Verheiratung gehört. - -„Die Kleine wird ihn gut unterkriegen,“ hatte das allgemeine -Urteil gelautet, „die mit ihrem sprühenden Temperament, ihrer so -urpersönlichen Art, Menschen und Dinge aufzufassen -- die wird es schon -verstehen, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen.“ - -Das alles traf nicht ein. Beim Aneinanderreihen dieser beiden -Charaktere trug der Mann den Sieg davon. Immer von neuem rang seine -Art Monika Bewunderung ab. Wohl fand sie oft seine Ansichten borniert, -fand ihn mit Vorurteilen vollgepfropft, aber stets aufs neue wirkte die -Geschlossenheit seines Wesens auf sie, der Zusammenschluß seiner ganzen -Persönlichkeit. Alles stimmte bei ihm so harmonisch zusammen: seine -Abkunft und seine Ansichten, sein Aeußeres und sein Wesen. - -Diese Harmonie wirkte auf Monika wohl um so stärker, als ihre -nächsten Verwandten alle etwas Zerfahrenes hatten. Ihr Vater, dem -die Willenskraft gefehlt, die spielerisch kindliche Mutter, die ihre -Kinder, als sie klein gewesen, wie geliebte Puppen behandelt, und die -dann plötzlich mit erschreckten Augen die Heranwachsenden gesehen, die -wild emporgeschossen waren. - -Ja, Monika bewunderte ihren Mann, und sie empfand zu weiblich, um sich -ihm nicht zu beugen. - -Zuerst waren es Kleinigkeiten, die sie ihm opferte: einen Hut, den -er „zu auffallend“ fand, eine zu kühne Frisur, eine burschikose -Bezeichnung. - -Dann ging es weiter: hier eine ihrer Ansichten, die ihm zum Opfer fiel, -dort eine Ueberzeugung! - -Allmählich gewann seine Art immer mehr Einfluß auf sie: die mächtigen -Flügel ihrer Phantasie, die sie so oft in goldstrahlende Höhen und -in purpurfinstere Tiefen getragen, begannen sich matter zu regen, -gleichsam gelähmt von der Nüchternheit, die mit ihr Tisch und Bett -teilte. - -„Korrekt, mein kleiner Schatz,“ und Monika zog das buntflimmernde Kleid -ihrer Persönlichkeit aus, um die Gesellschaftsrobe einer gut erzogenen -Dame zu tragen. - -Sie lernte es, zu lächeln statt zu lachen; sie lernte es, den Schrei -der Begeisterung oder des Abscheus zu unterdrücken, sie lernte es, -Meinungen zu haben, „die niemand verletzen konnten“. - -Wohl wollte ihr das manchmal wie ein Verrat an sich selbst bedünken, -aber tat sie es nicht gern... ihrem Glück zuliebe? -- -- -- - -Als Monika, nachdem sie anderthalb Jahre verheiratet war, zum ersten -Male wieder nach Deutschland kam, konnte ihre Schwiegermutter nicht -umhin, anzuerkennen, daß Monika sich „sehr zu ihrem Vorteil verändert“ -habe. - -Ihre eigene Mutter war ganz konsterniert über den Wechsel, der mit -ihrer Tochter vorgegangen. - -„Daß Sie das fertig bekommen haben,“ sagte die Baronin immer aufs neue -zu ihrem Schwiegersohn. - -Die Brüder hatten jeder sein besonderes Urteil über Monikas Wesen. -Alfred, der inzwischen Fähnrich -- „leider bei der Infanterie“ -- -geworden war, fand seine Schwester jetzt „auf der Höhe“. Sehr elegant --- ohne die Koketterie, welche ihn an ihr so geärgert, als sie junges -Mädchen war -- in Haltung und Auftreten große Dame. Heinzemännchen -fand, Monika sei ohne Zweifel „geistig verflacht“. Dichten könne -sie anscheinend überhaupt nicht mehr. Sie zeige kaum noch Rudimente -literarischer Bildung und hätte sogar seinen neuen Lieblingsdichter für -„sentimentalen Unsinn“ erklärt. - -Karl urteilte, daß Monika nach wie vor großartig sei. Wo gab es -wieder eine so gute Schwester? Sie beschied ihm kaum je einen Wunsch -abschlägig. Und Karl hatte eine ganze Menge Wünsche. - -Das war Birkensches Erbteil: der Hang zur Verschwendung. Als -erschwerenden Umstand hatte er seiner Mutter Leidenschaft fürs -Verschenken geerbt. Im übrigen war er liebenswürdig und freundlich, -faul und lügenhaft. In diesem Alter, in dem sonst Knaben beginnen, -männliche Züge zu zeigen, behielt er etwas Anmutig-Kindliches. Ueber -seinem rosigen Gesicht schimmerten die Haare in tiefem Goldblond. Seine -Augen waren so dunkel, seine Zähne so weiß -- über seinem ganzen Wesen -lag eine friedliche Gottergebenheit. - -Ernstere Interessen hatte Karl überhaupt nicht, nur die einfachsten -animalischen Freuden waren für ihn vorhanden: gut essen und gut -trinken, lange schlafen und nichts tun! - -Monika hatte gerade für diesen Bruder eine besondere Zuneigung. Doch -auch Alfred und Heinrich waren ihr sehr ans Herz gewachsen, ungeachtet -dessen, daß diese beiden kaum jemals freundlich zu ihr gewesen. - -Georg von Wetterhelm hatte mitunter ein tadelndes Wort dafür, daß -seine Frau oft Zeit, Geld und Mühe an ihre Brüder verschwendete. Ihm -waren diese jungen Schwäger, die so völlig anders lebten, als er es im -gleichen Alter getan, nichts weniger als sympathisch. - -Auch mit Frau von Birkens kapriziöser Art vermochte er sich niemals -recht zu befreunden. Er sagte über diese angeheirateten Verwandten zwar -nie ein Wort, aber Monika merkte die mangelnde Sympathie zwischen ihrem -Manne und ihren Angehörigen, und das abfällige Urteil über die Ihren, -das sich in Georgs Verhalten dokumentierte, war nicht ohne Einfluß auf -sie, wie nichts ohne Einfluß auf sie blieb, was seine Ueberzeugung war. - -Halb unbewußt formte sie sich nach seinem Bilde. Halb unbewußt wurden -ihre Ansichten anders, als sie es gewesen. Und langsam wuchs in ihr -eine Scham gegen die Ungezügeltheit, die sie sonst zur Schau getragen. - -Die paar Male, wo sie aufgebraust war, in der ersten Zeit ihrer Ehe, -blieben ihr unvergeßlich in Erinnerung, schmerzten sie wie alte Wunden, -waren wie Niederlagen, deren sie sich schämen mußte. - -Ihre eitle und stolze Natur zuckte zusammen, wenn sie daran dachte, -wie bei solchen Gelegenheiten Georgs Gesicht ausgesehen: erstaunt und -peinlich berührt, etwas wie Verachtung um die Mundwinkel. - -Auch war das ganze Milieu, in dem Monika lebte, dazu angetan, allzu -persönliche Wallungen zu unterdrücken. - -Ein Wirbel von Geselligkeit nahm sie auf, gleich in den ersten Jahren. -Ueberall hatte sie zu repräsentieren, hatte die korrekt liebenswürdige -Frau eines Beamten zu sein, für dessen Zukunft man viel hoffte. - -Da blieb für Extravaganzen kein Raum. - -Uebrigens das, was Monika so glühend ersehnt: der Aufenthalt in -fremden, bunten Ländern, das hatte weniger Einfluß auf ihr Leben, als -man hätte annehmen dürfen. Es war eigentlich doch nur ein Wechsel des -Schauplatzes, ein Kulissenwechsel -- weiter nichts! - -Ob man zusammen mit den Mac Gregors und der Familie de Varency zur -Sphinx von Gizeh ritt durch die ägyptische Wüste -- ob man zusammen mit -Graf Berrier und Frau von Hellingen und dem Rathorstschen Ehepaar von -Brüssel aus einen Wagenausflug nach dem Kolonialmuseum von Tervueren -machte -- ob man in Paris im historischen Palais der Herzogin des -Garviers tanzte -- es war doch nur Wechsel des Dekors für ewig sich -gleichbleibende gesellschaftliche Formen. - -Georg Wetterhelm war stolz auf seine Frau. Sie gefiel im allgemeinen -ausgezeichnet. Abgesehen von einigen Damen, die ihre Erfolge -beneideten, war man allgemein von Monika entzückt. - -Sogar Fürst Herrlingen, der Vorgesetzte Georgs, welch letzterer -inzwischen zur Diplomatie übernommen worden war, zeigte lebhaftes -Interesse für Frau von Wetterhelm. - -Der alte Herr, der sonst im Rufe eines Frauenfeindes stand, plauderte -oft aufs angeregteste mit ihr, hatte im kleinen Komitee von ihr gesagt, -„sie wäre in seinem Leben die erste Frau, mit der man sich vernünftig -unterhalten kann“. - -Das „vernünftig unterhalten“ bestand darin, daß er zu ihr eben nicht -sprach, wie er sonst zu Damen redete, sondern Themata anschlug, über -die er mit Männern sprach. - -Auch seinem Sarkasmus in der Beurteilung von Welt und Menschen ließ er -ihr gegenüber ungehindert die Zügel schießen. - -Monika hatte zwar gar keine boshafte Ader, gar keinen Sinn für -Klatsch, aber sie würdigte die Art, wie dieser Klatsch vorgetragen -wurde, würdigte jede Pointe, jedes treffende Wort -- die ganze Art des -Fürsten, den Extrakt einer Sache zu geben. - -Und mit der hervorragenden Schlagfertigkeit, die sie von Jugend -auf im Gespräch gehabt, fand sie immer eine zündende Antwort. Die -Unterhaltungen zwischen ihnen beiden waren wie eine brillante -Florettmensur, glänzende Ausfälle, die ebenso glänzend pariert wurden. - -Aeußerlich war Monika jetzt wirklich eine Schönheit zu nennen. Der -unruhige, so oft wechselnde Ausdruck, den sie als Mädchen gehabt, war -einer lächelnden Gleichmäßigkeit gewichen, die trotzige Haltung von -einst einer korrekten Grazie. Und der wilde Schimmer in den Augen war -erloschen; in diesen dunkeln Sternen stand jetzt nichts mehr von heißer -Sehnsucht und von brennender Gier. - -Das Leben war jetzt so nett. Georg schaffte ihr all den Luxus und die -Eleganz, die ihr so viel Spaß machten. - -Er, der für sich selbst immer so sparsam gewesen, kannte nie ein -Bedenken, wenn es galt, einen Wunsch seiner Frau zu erfüllen. - -Ja, er liebte sie, und sie ihn auch so sehr -- und man würde Karriere -machen. - -Famos war das Leben! - -Was schadete denn das, wenn manchmal in stillen Nächten all ihr wirres -Jugendweh vor ihr auftauchte wie ein verlorenes Paradies? - -Alle die klingenden Verse, die Georg als „zu unpassend“ ein für allemal -abgetan, schwirrten ihr dann durch den Kopf. - -Und Worte kamen ihr, sie wußte nicht wie: - - „Wie liegt das alles mir schon so weit: - Alle die Hirngespinste - Aus meiner verträumten Kinderzeit. -- - - Vorbei!... Ich weiß nicht mehr, wie das ist, - Wenn man nicht schlafen kann in den Nächten - Und die Kissen des Bettes voll Inbrunst küßt! - - In meinen fiebernden Kindertagen - War mir, als müßte mein Schulternpaar - Alles Leid von Himmel und Erde tragen, -- - - War mir, als müßte mein Leben sein - Wie ein kurzer Tag voll brennender Gluten, - Voll Frühlingssturm und Gewitterschein! - - Und des Daseins Rätselfrage klang - Tag und Nacht durch mein Kinderhirn, - Indes die Sehnsucht mein Herzblut trank. - - Ich war so krank. -- Und bin so gesund! - Statt der heimlichen, giftigen Träume - Küßt mich das +Leben+ auf den Mund. - - Ich weiß jetzt nichts mehr von Traumgefühl, - Weiß nichts von heimlichen Tränen, - Und „Sehnsucht“ finde ich ~ridicule~! - - Das Leben ist ja so schön und bunt - Und trägt mich auf starken Armen...“ - -Ja, famos war das Leben! - -Und darauf war gar nichts zu geben, daß sie manchmal doch noch -phantastische Träume hatte. Das waren ja keine Träume wie früher, mit -wachenden Augen gesehen. Jetzt träumte sie nur noch manchmal, wenn sie -schlief. - -In einer Frühlingsnacht war es ihr, als höre sie Hunderte und Hunderte -von Vogelstimmen, wilde Vogelstimmen, die schrien und klagten... so -herzzerreißend klang’s... Hunderte und Hunderte von Vögeln waren -um sie herum, ihr goldglänzendes, buntschimmerndes Gefieder war so -zerzaust von Sturm und Wetter. Sie klagten: „Wir sind Deine Lieder, -wir sind Deine Gedanken, all Deine Träume sind wir -- und Du hast uns -hinausgejagt, hast uns vertrieben in die Fremde hinaus, daß wir nun -nicht mehr wissen, wo wir unser Nest bauen sollen. Und wir haben Dir -doch so schön vorgesungen in all Deinen Kinderjahren und in der Zeit, -da Du zum Weibe wurdest. Und hast uns verjagt und hinausgetrieben, und -müssen wir jetzt so elend sterben...“ - -Sie klagten und schrien... so herzzerreißend klang’s. - -Da weinte sie laut auf im Schlafe. - -Aber das war ja nur im Schlafe. - -Das Leben war ja famos, ja, natürlich war es das -- „famos“. - -[Illustration] - - - - -11. - - -Der erste längere Aufenthalt, den Wetterhelms wieder in Deutschland -nahmen, war dem Umstande zuzuschreiben, daß Georg für längere Zeit beim -Auswärtigen Amt in Berlin eingezogen war. - -Fünf Jahre waren sie verheiratet, und was Korrektheit der Ansichten -anbetraf, so war Monika die Schülerin, die ihren Lehrer übertraf. - -Ein bißchen snob geworden, die schöne Frau von Wetterhelm, die sich nur -mit einem gelinden Schauer erinnern konnte, einst wilde Gedichte in dem -längst dahingeschwundenen „Leuchtturm“ veröffentlicht zu haben. - -Auch hatte sie eine dunkle Erinnerung daran, daß sie früher einmal alle -Menschen für gleichberechtigt erachtet hatte -- jetzt hielt sie nur die -Angehörigen verschwindend weniger Berufsarten für „anständig“. - -Ja, es kam vor, daß ihr Mann gelegentlich einen leichten Tadel dafür -hatte, daß sie ihre Exklusivität übertrieb. Er sagte dann, er sei ein -modern denkender Mensch und neige sogar zu liberalen Ansichten. - -Er wußte selbst nicht, daß dies Redensarten waren, wußte selbst nicht, -daß er im tiefsten Grunde seines Wesens auch nicht das winzigste -Teilchen seines Junkertums der modernen Zeit geopfert. - -Aber Monika wußte es, fühlte es. - -Sie hatte seine Anschauungen in sich aufgenommen, und sie trieb diese -Ansichten nun auf die Spitze. - -Mehr noch als ihr Gatte spöttelte sie jetzt über zur Schau getragene -Gefühlsregungen. Ihr Herz, das einst so warm geschlagen, ihre ganze -heißblütige Persönlichkeit erstarrte langsam, wie ein wilder Bach unter -einer Eisdecke erstarrt. Sie hatte früher so leicht und so schnell -verziehen, hatte immer einen guten Gedanken, ein gutes Wort gehabt für -die Fehler von anderen. - -Jetzt aber war sie unnachsichtig, hatte sich das strenge Urteil ihres -Gatten zu eigen gemacht. Seine ganze kühle Art war die ihre geworden. - -Wie schnell und wie beschämt hatte sie sich die Freudenausbrüche -abgewöhnt, die sie früher bei allen möglichen Gelegenheiten gehabt. -Georgs eisiges: „ganz nett“, sein in ruhigstem Tone gesprochenes -„herzlich unbedeutend“ schlugen ihre Begeisterung sofort tot. Jetzt -sprach sie es noch überzeugter als er, das „herzlich unbedeutend“. - -Mit ihrer Mutter stand sie äußerlich in tadellosen Beziehungen. Aber wo -waren die Zeiten, wo ein inniges Verhältnis zwischen ihnen geherrscht! - -Auch den Brüdern war sie entfremdet. Alfred sah sie überhaupt nicht. -Wenn der aus seinem pommerschen Nest mit Urlaub -- oft sogar ohne -Urlaub -- nach Berlin kam, hatte er anderes zu tun, als Familie zu -simpeln. Ueberdies hatte er schärfste Worte für Monikas Hochmut, der er -deutlich genug anmerkte, daß ihr ein Bruder bei der Linien-Infanterie -nicht passe. - -Er besuchte Monika höchstens, wenn er sie damit ärgern konnte. - -Zum Beispiel einmal, als sie ihn nicht zu einem Frühstück geladen, und -er sich, ob mit Recht oder mit Unrecht, einbildete, sie wolle ihn nicht -bei diesem Essen, bei welchem die anwesenden Militärs ausschließlich -den exklusivsten Gardekavallerie-Regimentern angehörten. - -Da erschien Alfred uneingeladen und zeichnete sich durch ein -hinterwäldlerisches Benehmen aus, das er sonst nicht im mindesten besaß. - -Es gewährte ihm ein ganz besonderes Vergnügen, zu sehen, wie Monika -sich mühen mußte, ihre Haltung zu bewahren, als er dem Prinzen -Schwarzenfels-Binsingen von den Gardedukorps vorschwärmte, wie -„entzückend modern“ und „wunderbar poetisch“ die Truppe des Theaters -von Treuenbrietzen gespielt, die vor einigen Wochen in seiner kleinen -Garnison gastiert. - -Auch stellte er, der tatsächlich ein firmer Reiter war, bei diesem -Frühstück so unsinnige sportliche Betrachtungen an, daß er seinen Zweck -vollkommen erreichte: sämtliche anwesenden Leutnants wunderten sich -darüber, daß diese schicke, erstklassige Frau von Wetterhelm einen „so -üblen“ Bruder besaß. - -So weit wie Alfred ging Heinrich nicht. Zu einem Vorgehen durch -Taten entschloß er sich nie, aber auch er war gekränkt von Monikas -Hochmutsteufel. Die Dichter, die sie früher als Gottbegnadete und -Auserwählte des Schicksals angesehen, waren ihr doch jetzt eigentlich -Menschen zweiter Klasse; sie waren oft von so vager Herkunft, hatten -kaum jemals staatserhaltende Prinzipien, und alle die schönen Sachen, -die sie fabulierten, hielten vor strenger Logik nicht stand. Daß -Heinzemännchen ihr wie früher stundenlang Gedichte vorlas, konnte sie -wirklich nicht mehr aushalten. - -Freundinnen sah sie keine. Als sie noch junges Mädchen war, hatten -sich ihre Freundschaften immer so gestaltet, daß die andere zu ihr -aufsah, mehr die Rolle einer untergeordneten Begleiterin als die einer -Gleichberechtigten spielte. Jetzt aber hatte sie überhaupt keine Zeit -mehr für Freundschaften. - -Mit ihrer Cousine Bertha, die sie sofort aufgesucht, fand sie nicht -mehr den kameradschaftlichen Ton von früher. Monikas Art hatte ja jetzt -etwas Gönnerhaftes, was bei Bertha gänzlich unangebracht war. Denn -Bertha war jetzt ein „modernes Weib“. - -Man spürte in ihr nichts mehr von dem warmherzigen, naiven Mädchen, -das sie vor fünf Jahren gewesen, als sie mit Monika zusammen die -Gymnasialkurse besucht. Sie lächelte jetzt verächtlich, wenn sie daran -erinnert wurde, wie sehr sie damals jedes Mädchen beneidete, das sich -verlobte oder gar verheiratete. - -O, jetzt war sie weit entfernt davon, sich „unter das Joch des Mannes -zu beugen“. Sie studierte jetzt im fünften Semester Philologie. In -Kleidung und Frisur trug sie eine puritanische Einfachheit zur Schau. -Mitunter wurde sie damit geneckt, wie sehr sie vor fünf Jahren für rosa -Kleider, seidene Unterröcke, gebrannte Stirnlöckchen geschwärmt. - -Solche Bemerkungen nahm sie durchaus nicht lächelnd auf, sondern setzte -dann auseinander, daß sie damals eben noch ein ganz urteilsloses -Geschöpf gewesen, daß aber inzwischen ihr Bildungsgang, ihre -Kameradinnen -- alles -- sie dahin aufgeklärt habe, daß eine völlige -Umwertung aller Werte des Frauendaseins zu erfolgen habe! - -Ein freier, selbständiger, unabhängiger Mensch müsse die Frau sein, -frei von dem Sklaventum der Ehe! Man sähe ja, was bei den Ehen -herauskam! Z. B. wie unglücklich hätte sich die Ehe von Monikas Cousine -Frau von Hammerhof gestaltet! Ihr Sohn solle ja ganz nett sein, aber -mit dem Gatten stände Marie Hammerhof sich spottschlecht. Das hatte -Bertha von den verschiedensten Seiten gehört. - -Und Bertha sei ihrer Mutter jetzt dankbar, daß sie ihr beizeiten den -einzigen Weg des Heils für die Frau gewiesen: die Emanzipation! -- -- --- -- -- Frau von Holtz dagegen, die Marie sozusagen gezwungen, den -ersten besten zu heiraten, bloß weil sie in heiratsfähigem Alter war, --- die würde ja jetzt genug Zeit und Gelegenheit haben, ihren eigenen -Unverstand zu bedauern. - -In der Tat war Maries Ehe eine unglückliche. Das sah Monika, als sie -das Hammerhofsche Ehepaar einmal bei ihrer Mutter traf. - -Hammerhofs waren auf der Durchreise nach Ems, wo ihr Sohn, der -vierjährige Kurt, eine Kur gebrauchen sollte. Der Kleine hatte so -zarte Bronchien. „Ein Erbteil von mir,“ sagte Marie mit verbissenem -Gesichtsausdruck. Sie war überschlank geblieben, wie sie es als junges -Mädchen gewesen; auch ihr Wesen war noch das gleiche: ihre brüske -Aufrichtigkeit, ihre herbe Art. - -Wohl wußten alle, die sie näher kannten, daß hinter dieser Schroffheit -sich ein tadellos anständiger Charakter, eine pflichtbewußte ernste -Natur verbarg, aber ihre Art, der jede Grazie fehlte, die nichts von -weiblicher Weichheit besaß, ließ es nicht unverständlich erscheinen, -daß ihr Mann nicht gern in seiner Häuslichkeit weilte. - -Es gingen auch Gerüchte, daß es mit der ehelichen Treue bei ihm nicht -sehr gut bestellt sei, auch solle er den Freuden des Bechers allzu gern -und allzu häufig zusprechen. - -Jedenfalls sagte Marie selbst nie ein Wort darüber, beklagte sich auch -nie. - -Für Fremde war entschieden Herr von Hammerhof der Sympathischere -von den beiden. Er hatte so gute Manieren, eine liebenswürdige Art. -In Gesellschaft anderer war er immer höflich und freundlich zu -seiner Frau, wogegen diese ihn mit ausgesuchter Unliebenswürdigkeit -behandelte. Es kam ihr nicht darauf an, ihm auch, wenn Fremde dabei -waren, recht bittere Worte zu sagen; in ihren vorzeitig scharf -gewordenen Zügen prägte sich dann eine schneidende Verachtung aus. - -Nur dann wurde sie anders, wenn sie ihr Kind sah, wenn sie ihren Jungen -in den Armen hielt und ihn voll unendlicher Liebe betrachtete. In -dieser hageren Frau, die in ihrer äußeren Erscheinung so gar nichts -Mütterliches hatte, brannte die Mutterliebe in einer schönen und -starken Glut. - -Daß Marie bei ihrer schwachen Gesundheit so oft Nächte durchwachte, -wenn der Kleine krank war, das war nichts so Besonderes, das hatte die -Baronin Birken auch unzählige Male getan. Aber daß sie ihrem Kinde -nicht jeden Willen ließ, daß sie Kurt auch strafte, so weh ihr das tat, -daß sie viele seiner Wünsche, die sie ihm so gern gewährt haben würde, -abschlug im Interesse seiner Entwicklung -- das war es, was Maries -Mutterliebe von Frau von Birkens Mutterliebe unterschied. - -Es gab kein besser gehaltenes, kein besser erzogenes Kind als Kurt, -aber seine Gesundheit ließ zu wünschen übrig. Dieser Sprößling eines -Ehepaares, das sich nie geliebt, hatte einen traurigen Zug, sogar -sein Lächeln hatte etwas Kümmerliches. Er liebte niemanden als seine -Mutter, verkroch sich oft wie schutzsuchend in ihren Armen, und Maries -herbes Gesicht verklärte sich wundersam, wenn sie sich über das blonde -Köpfchen neigte. - -„Mutter sein, -- das ist doch das einzige Glück für eine Frau!“ sagte -sie, als man bei Birkens ihr Kind gebührend bewunderte. - -Aber Monika protestierte. „Das einzige Glück? Das wirst Du nicht -aufrechterhalten können. Ein Glück, -- gewiß. Aber das einzige?... -Die Liebe, die man für ein Kind hat, kann doch nie annähernd das Glück -gewähren, das die Liebe zum Gatten gibt.“ - -Marie lachte höhnisch und erwiderte mit ein paar scharfen Bemerkungen. -Bemerkungen, die Monika nicht widerlegte, denn sie liebte schon lange -keine Diskussionen mehr. Am wenigsten solche, in denen man einen so -scharfen Ton anschlug, wie Marie es tat. Monika stand jetzt auf dem -Standpunkte, daß ihr Leute ohne Ueberzeugungen, wofern sie tadellose -Manieren hatten, lieber waren als wertvollere Naturen, wenn diese sich -rauh gaben. - -Dieser Ueberzeugung verlieh sie gelegentlich Worte, worauf Frau von -Birken in überwallender Empörung erwiderte, daß das ein Gipfel von -Snobismus sei, den sie ihrer Tochter nie zugetraut. Erst komme das -Gemüt und nochmals das Gemüt, dann eine ganze Weile gar nichts, dann -der Geist und lange nachher erst Manieren und Formen! - -Am schärfsten aber sprach sich Heinzemännchen gegen die neue -Lebensauffassung seiner Schwester aus. - -„Du hast früher Wertvolles bewundert, jetzt aber betest Du ärmliche -Nichtigkeiten an! Früher hast Du ungeschliffene Edelsteine geliebt und -jetzt geschliffene Kiesel!... Wie heißt es doch? - - Das Leben schleift so oft Kristalle - Zu wunden Kieselsteinen ab -- --“ - -„Sicher sind mir nette, glatte Kiesel lieber als irgend so ein zackiger -Kristall, an dem man sich wundreißt.“ - -Da erreichte Heinrichs Empörung den Höhepunkt. - -„Also das gibst Du zu, das gibst Du zu?! Du bist eben selbst so ein -glattes Nichts geworden!“ - -Sie lächelte. Das überlaute, nicht endenwollende Gelächter ihrer -Mädchenjahre hatte sie sich ja schon so lange abgewöhnt. - -Sie lächelte. Reizend liebenswürdig und ein bißchen banal war dieses -Lächeln und hatte die Gabe, Heinrich noch mehr in Harnisch zu bringen. - -„Ein glattes Nichts!“ wiederholte er zornbebend, „eine Modepuppe bist -Du geworden mit dem „guten Ton“ statt eines Herzens, und Vorurteilen -statt eines Gehirns.“ - -„Und mit einer allzu großen Langmut, die mich veranlaßt, Dich -anzuhören,“ sagte Monika in vollendeter Haltung. Dann knöpfte sie ihre -langen Handschuhe zu und sagte beim Abschiednehmen ihrer Mutter: - -„Du mußt verzeihen, Mama, wenn ich nicht oft mehr komme; auf Heinrichs -Ton steht mir eine entsprechende Antwort nicht mehr zu Gebote.“ - -Und sie ging, nachdem sie ihrem Bruder sehr höflich die Hand gereicht -und der Mutter einen Kuß auf die Wange gehaucht. - -Heinrich sagte nachher ganz erschüttert: „Mama, früher wenn ich ihr -sowas gesagt hätte, hätte sie mir was an den Kopf geworfen, hätte sich -verteidigt, mich widerlegt, -- und, glaube mir, es wäre mir lieber -gewesen, sie hätte mit einem Donnerwetter geantwortet, als so!... -Sie hatte ja früher gefährliche Anlagen, gewiß -- -- sie war eine -Pantherkatze... Aber sie war doch wertvoll und originell. Und jetzt?... -Eine Larve, Mama, eine Gesellschaftspuppe, -- ein Kieselstein -- und -war doch einmal ein Kristall!“ - -„Ja, sie hat keinen Funken von meinem Gemüt,“ sagte die Baronin -traurig, „aber laß Dich das nicht anfechten, mein süßer Liebling, -ärgere Dich nur nicht darüber! Du siehst schon ganz angegriffen aus, -mein Heinuckelchen!“ - -Heinrich strich sich über die Schläfen. „Es wird vorübergehen.“ - -„Aber Du siehst schlecht aus, ja wirklich,“ beharrte Frau von Birken -mit einer so überzeugenden Wärme, daß Heinrich ganz unwillkürlich ein -leidendes Gesicht machte. - -„Sag’, was hast Du denn, mein Einziges? Arbeitest Du vielleicht zu -viel? Ach Gott, Jurisprudenz ist sicherlich das schwerste Studium von -allen, aber Deines Geistes würdig. Nur überanstrenge Dich nicht! Schone -Dich, mein Heinzemännchen, schone Dich!“ -- - -Und das Sich-schonen besorgte Heinzemännchen redlich. Das erwählte -Studium sagte seiner träumerischen Natur nicht sehr zu. Am wohlsten -fühlte er sich im Kreise der jungen und jüngsten Literaten, mit denen -er sich jeden Nachmittag in einem Café traf. Man saß dort viele Stunden -zusammen, trank schwarzen Kaffee und schimpfte auf die herrschenden -Literaturgrößen. Dieser Zeitvertreib wurde dadurch belebt, daß auch -die Weiblichkeit vertreten war. Eine junge Dichterin, die jedem, den -sie kennen lernte, in den ersten fünf Minuten versicherte, daß sie -„sehr pervers“ sei -- zwei Vortragskünstlerinnen vom Kabarett „Zum -Regenbogen“ -- und eine Barfußtänzerin beschäftigten sich damit, den -jungen Poeten himmlische Rosen ins irdische Leben zu flechten. - -Heinzemännchen nahm einen ehrenvollen Platz in diesem Kreise ein. Die -Weisheit, die er hier lernte, machte mehr Eindruck auf ihn als die im -Hörsaal. Das war so recht was für ihn, diese endlosen Diskussionen -bei Kaffee und Zigarette über Naturalismus, Mystizismus, Symbolismus, -Neo-Impressionismus, -- -- nur unterbrochen durch den Vortrag von -lyrischen Gedichten, die bei allen anwesenden Freunden des jeweiligen -Autors brausende Beifallsstürme hervorriefen. - -Heinrichs Gedichte hatten vor allem den Beifall der Damen. - -„So gefühlvoll dichtet doch kein anderer wie unser Baron -Heinzemännchen,“ sagte die Barfußtänzerin mit Tränen in den Augen, als -er seine Ode: „An die violette Ampel im Schlafzimmer meiner Geliebten“ -vorgetragen. - -Diese literarischen Freuden waren endlos, die Gespräche waren nicht -einzudämmen. Die Gesellschaft saß manchmal noch zusammen, wenn schon -der Frühschein sich durch die Fenster stahl, und der Pikkolo, dessen -großer Kopf vor Schlaftrunkenheit zwischen den Schultern schwankte, die -unermüdliche Gesellschaft mit rachsüchtigen Augen anstarrte. - -Für Heinrich war es unangenehm, daß seine Mutter immer noch auf war, -wenn er nach Hause kam. - -Auf alle seine Vorhaltungen erwiderte sie, sie könne doch nicht -schlafen, wenn ihr Liebling nicht wohlgeborgen in seinem Bettchen ruhe. -Und es wäre ja sehr häßlich von dem Liebling, seine Mutter so lange -warten zu lassen, aber schlafen ginge sie nicht, ach nein! Sie opfere -sich eben auf für ihn. - -Heinrich unterdrückte die Aeußerung, daß er auf dieses Opfer gern -verzichte. Er war seiner Mutter gegenüber durchaus rücksichtsvoll im -Ton. Aber innerlich wurde ihm die überzärtliche Bevormundung immer -unerträglicher. - -Er schwankte noch einige Zeit hin und her, raffte sich dann aber doch -zu einem Entschlusse auf und sagte ihr eines Tages, daß er von jetzt ab -allein wohnen wolle. - -„Du mußt mir das nicht übel nehmen, Mama, aber bei Dir werde ich kein -Mann, wie er fürs Leben paßt. Dieses ewige Bemuttern und Streicheln -und Küssen, -- ich bin doch schließlich kein Wiegenkind mehr. Und ich -komme natürlich sehr oft zum Besuch.“ - -„Heinrich, das ist doch nicht möglich! Verlassen willst Du mich?! Das -kannst Du mir doch nicht antun. Mir... Deiner Mutter, die sich zeit -Deines Lebens so für Dich aufgeopfert hat.“ - -Im Tone ihrer Stimme zitterte all ihr Gefühl für diesen Sohn, das -größte und tiefste Gefühl ihres Lebens. - -Sie sprach nicht laut wie sonst, wenn sie erregt war. So tonlos -klang’s... mit versagender Stimme: „Heinrich, ich habe doch alles -getan, was ich Dir an den Augen absehn konnte, -- alles... alles...“ - -Er zögerte. - -„Ja, ich weiß das auch zu schätzen, Mama. Sicher... Halte mich nicht -für undankbar! Ich bin doch jetzt ein erwachsener Mensch, ich muß doch -mal endlich auf eigenen Füßen stehen lernen.“ - -Sie fand keine Worte mehr, -- sie, bei der sonst die Rede so lustig -sprudelte wie ein Bächlein über Stock und Stein. Der Schlag war zu -unerwartet gewesen, kam zu sehr aus heiterem Himmel. Sie hoffte immer -noch, Heinrich werde seine Absicht nicht ausführen. Das konnte er ihr -doch gar nicht antun! - -Aber sie kannte ihr eigenes Fleisch und Blut schlecht. Die Birkenschen -Kinder gaben keinen Plan auf. - -Das war einer der schwersten Schläge ihres Lebens, der Tag, an dem -Heinzemännchen von ihr ging. - -Er hatte sich ein möbliertes Zimmer gemietet, im Studentenviertel, und -kam sich in seiner endlich errungenen Freiheit sehr stolz und glücklich -vor. - -Seine Mutter hatte gehofft, daß er schon nach den ersten Tagen -wiederkommen würde, daß ein Leben ohne ihre Sorgfalt und Mühe nicht -auszuhalten sei. Aber sie täuschte sich. - -Heinrich aß sogar sein zähes Restaurationsschnitzel, das er nun statt -der herrlichen mütterlichen Fleischtöpfe vorgesetzt bekam, mit einem -Gefühl der Befreiung. Sicher, die Mama war immer rührend um ihn besorgt -gewesen, aber dieses Uebermaß hielt man nicht aus! - -Seiner im Grunde gutmütigen Natur entsprechend, besuchte er sie -zuerst täglich. Dann aber wurden die Bande, die ihn an seine -Kaffeefreundinnen und -freunde knüpften, immer festere, und die Besuche -bei seiner Mutter erfolgten in immer größeren Zwischenräumen. - -Frau von Birken konnte und konnte sich nicht in die Trennung von ihrem -Lieblingssohn fügen. Ihr schien ihr Leben plötzlich seines besten -Inhalts beraubt. - -Was war das für ein Aufwachen jetzt, seit sie wußte, daß sie nicht wie -sonst nur eine Tür zu öffnen brauchte, um das geliebte Gesicht ihres -Jungen im tiefen Morgenschlafe zu sehn! - -Was war das für ein Tag, der ihr keine Sorgen mehr darüber brachte, was -Heinrich essen würde, womit man ihm eine Freude machen könne.... - -Sie empfand ihr Mutterschicksal als ein unverdient unglückliches. Was -hatte sie nun von ihren Kindern?! Daß Alfred sie verschwindend selten -besuchte, war ihr nicht so wichtig. Mit dem hatten sie ja nie sehr -intime Bande vereint. - -Daß Monika sich so verändert, darunter litt sie. Was war Mone früher -für ein anschmiegendes, warmherziges Kind! - -Was Heinzemännchen anbetraf, so gab sie ihm keine Schuld an seiner -Fahnenflucht, -- er war ja ein so edler Mensch, da mochten eben -irgendwelche Einflüsse mitgespielt haben, dunkle Mächte, über die sich -Frau von Birken selber nie klar wurde. Aber mochte es nun gewesen -sein, was es wollte, -- das Unglück war jedenfalls da: der Liebling -war ihrem mütterlichen Herzen entrissen. Das unglückliche Kind hauste -jetzt in einem Zimmer, auf dessen Bett nur Decken lagen, „nicht einmal -ein Federzudeck“, und des Morgens bekam er statt Tee, Toast, Schinken, -Setzeier und Marmelade -- nun Zichorienkaffee und Schrippen mit -Margarine. -- -- - -Nur Karl blieb jetzt der Mutter. Und Karl war kein ausreichender Trost. - -Er war ja ein netter, gutmütiger Junge, aber er hatte so gar keine -Interessen, die ihn mit der Mutter verknüpften, so gar nichts von der -geistigen Begabung ihrer anderen Kinder. - -Er war jetzt beinahe achtzehn Jahre alt und saß immer noch in -Unter-Sekunda. - -Aeußerlich war er ein auffallend hübscher Mensch. Noch immer Cherubim. -Kein Barthaar beschattete seine weichgeschwungene Oberlippe, seine -Haut war weiß und rosig wie die eines Babys. Noch immer hatte das -Haar seinen Goldschimmer und die dunkeln Augen ihren unschuldsvollen -Ausdruck. - -Noch immer war er gottergeben und leichtsinnig, nur daß diese -Leichtsinnigkeiten jetzt einen sehr viel größeren Umfang angenommen -als früher. Er raubte jetzt nicht mehr Nickel, aber er ging -Schuldverschreibungen ein, die seine Mutter dann mit Ach und Krach, mit -Lamentieren und Wehklagen einlöste. Oft, wenn sie ihm gar nichts mehr -geben wollte, ging er zu Monika, die immer ein paar Goldstücke für ihn -übrig hatte. - -Das Zuhören in den Lehrstunden gewöhnte er sich allgemach ganz ab. Das -alles war so anstrengend und unverständlich. Er mußte ja hingehen aufs -Gymnasium, das war klar, -- das Einjährige zum mindesten mußte er haben. - -Aber das würde er schon irgendwo machen, das würde sich schon -arrangieren lassen. Es arrangierte sich ja immer alles... - -Nur sein Körper saß auf der Schulbank. Sein Geist duselte in seligen -Fernen. - -Es waren durchaus keine aufregenden Genüsse, die er sich vorstellte. -Nur etwa so: stille daliegen auf dem weichen Sandstrande eines blauen -Sees, die nackten Glieder von Luft und Sonne umspielen lassen... Und -Stille ringsum und Schweigen... nichts tun, nichts denken, -- -- in -die flimmernden Wellchen starren, die der See kräuselt, und Zigaretten -rauchen... Oder: sehr gut essen, viel und gut, saftige Braten und kühle -Fruchtgelees... Oder: ein hübsches Mädchen, das sehr nett und lieb zu -ihm war... - -In Wirklichkeit waren viele Mädchen lieb zu ihm. Seine Schönheit, sein -liebenswürdiges Wesen erschlossen ihm viele Herzen. Er selbst war nicht -gerade leidenschaftlich, aber er nahm mit Freuden alle Liebe, die ihm -dargebracht wurde. - -Frau von Birken war außer sich über die rosa Briefe, „noch dazu die -meisten unorthographisch“, die ihm ins Haus flogen. Sie fing diese -Briefe ab, öffnete sie, hielt sie dem Schuldigen vor, erging sich -in Zornesausbrüchen über seine Liederlichkeit, worauf er mit einem -ehrlichen Nichtverstehn ihr nur erwiderte: - -„Aber da ist noch nichts dabei, Mama, -- -- es ist wirklich ein sehr -nettes Mädchen.“ - -„Mein Gott, was soll bloß aus Dir werden?“ stöhnte die Mutter. - -Er zuckte ratlos die Achseln. - -„Aber Du kannst doch nicht als Rentier leben, dazu haben wir ja gar -nicht die Mittel. Ein Mann muß doch etwas tun, einen Beruf haben, -- -Pflichten erfüllen! Sag’ doch selbst, wozu Du Lust hast! Wozu Du Talent -hast, -- -- irgend etwas!“ - -„Zu gar nichts,“ sagte Karl gottergeben. - -Dann hatte er eine plötzliche Eingebung. „Ich möchte gern aus dem -Gymnasium raus, Mama.“ - -Frau von Birken rang die Hände. „Karl, das wagst Du mir zu sagen?! Das -wagst Du?! -- -- Jetzt willst Du weg, noch vor dem Einjährigen? Karl, -weißt Du denn nicht, welcher Familie Du angehörst? Dein Großvater -war Universitätsprofessor! Und Deine Schwester ist bis Ober-Sekunda -gekommen, obwohl sie nur ein Mädchen ist. Und wenn nicht diese Heirat -dazwischengekommmen wäre, so wäre sie heute Fräulein Doktor. Jawohl! --- -- Und Alfred hat doch wenigstens das Abiturium gemacht, ehe er -Offizier wurde. -- -- Und Heinzemännchen! -- -- Den Aufsatz, den er -zum Abiturium gemacht hat, habe ich einbinden lassen... in grünes -Leder... zur Erinnerung für Kinder und Kindeskinder ... +so+ ist der -Aufsatz! -- -- Karl, wenn Du so ungebildet bleiben willst, das überlebe -ich nicht!“ - -„Na, wollen mal sehn, wollen mal sehn,“ sagte Karl begütigend. Aber -sehr hoffnungsvoll klang es nicht. - -Immerhin schöpfte die optimistische Frau von Birken auf diese so -maßvolle Aeußerung hin neuen Mut. - -Karl war ja ein guter Junge und würde sich nun wohl wirklich endlich -bessern. - -Es war deshalb ein schwerer Sturz aus ihren neuerweckten Hoffnungen, -als schon acht Tage nach diesem Gespräch Karl vor sie hintrat mit dem -dringenden Ersuchen, ihm zweitausend Mark zu geben. - -Sie war außer sich. Was dachte er sich denn eigentlich? Wozu brauchte -denn ein Schüler überhaupt so viel Geld? -- - -Die Erklärungen, die er gab, waren so phantastisch, daß die Mutter -trotz all ihrer Leichtgläubigkeit auch nicht ein Wort davon für wahr -hielt. - -Aber wie immer war aus Karl nichts herauszubekommen. - -Wenn man ihm eine Lüge nachgewiesen, fand er flugs eine andere. Ohne -den leisesten Schimmer von Verlegenheit, ohne einen Augenblick des -Nachsinnens strömten ihm die Ausflüchte zu. Er, der sonst eine so wenig -rege Phantasie, eine so wenig lebhafte Geistestätigkeit besaß, war nie -einen Augenblick verlegen darum, die kompliziertesten Geschichten zu -erfinden. - -Er faßte die Weigerung seiner Mutter, ihm auch nur einen Pfennig zu -geben, ernster auf, als er sonst zu tun pflegte. - -Sein rosiges Gesicht war blaß geworden; er klemmte die Unterlippe so -fest zwischen die Zähne, daß ein Blutstropfen niederperlte. - -„Ich muß das Geld haben, Mama.“ - -„Wir werden ja sehen, ob Du mußt.“ - -Er drehte sich kurz um und verließ das Zimmer. Er ging zu Monika. - -Da es eine verhältnismäßig frühe Stunde war, war sie noch nicht fertig -angezogen. Sie saß in einem Peignoir vor dem Spiegel, und ihre Jungfer -bürstete ihr die schönen kastanienfarbenen Haare, die in mächtigen -Wogen niederflossen. - -Sie hatte Karl ohne weiteres in ihr Toilettenzimmer treten lassen; sie -behandelte ihn noch ganz als Kind. Alle Leute behandelten Karl als Kind. - -Er setzte sich in einen der weißen Louis-XV.-Sessel und sah zerstreut -zu, wie die Jungfer die Frisur vollendete. Dann wurde das Mädchen auf -seine Bitte hinausgeschickt, und nun bat er in seiner langsamen, ein -wenig ungeschickten Sprechweise seine Schwester um die zweitausend -Mark, deren Zahlung seine Mutter so entrüstet abgelehnt. - -Auch bei Monika fand er kein Entgegenkommen. - -„Lieber Junge, ich habe nie ein Wort gesagt oder gefragt, wenn Du -zwanzig Mark haben wolltest oder vierzig. Aber zweitausend? -- -- Wofür -brauchst Du zweitausend Mark?“ - -„Es ist eine Ehrenschuld.“ - -„Sekundaner haben keine Ehrenschulden.“ - -„Doch.“ - -Sein sanftes Gesicht bekam einen verstörten Ausdruck. - -„Erzähl’s mir, Karl.“ - -„Ach, Mone, davon wird’s auch nicht besser! Gib mir doch das Geld. Sieh -mal, Du bist der einzige Mensch, den ich um sowas bitten kann, Mama hat -Zetermordio geschrien, als ich sie darum gebeten. Alfred und Heinrich -gebrauchen selber mehr als sie haben. -- Mone, gib mir’s.“ Er drückte -ihr die Hände. - -„Ich, -- -- ich hab’s ja auch nicht,“ sagte sie, schon schwankend -geworden, „Du weißt doch, Karl, ich hab’ kein Geld. Und Georg kauft mir -zwar alles, was ich haben will, aber er gibt mir doch kein Geld in die -Hand. Ich kann Dir die zweitausend Mark gar nicht geben.“ - -„Dann sag’s Deinem Mann,“ rief er mit ungewohnter Entschiedenheit. - -„Na schön,“ sagte sie nach sekundenlangem Besinnen, „ich werde es ihm -heute nach dem Lunch sagen.“ - -„Und ich komme mir die Antwort heute abend holen.“ - -„Komm nicht. Wir sind zum Diner eingeladen. Ich schreibe Dir aber und -schicke Dir schon heute nachmittag den Brief durch den Diener.“ - -Mit einem erlösten Aufatmen beugte er sich über ihre Hand und küßte sie -dankbar. - -Als er das Haus verließ, schien er seine ganze Spannkraft -wiedergefunden zu haben. - -Monika aber hielt ihr Versprechen. Gleich nach dem Lunch, das man zu -zweien eingenommen, bat sie ihren Mann, ihr die zweitausend Mark für -Karl zu geben. - -„Höflich abgelehnt,“ sagte er. - -„O Georg...“ - -„Lieber Schatz, es wäre ein haarsträubender Unsinn, einem noch nicht -achtzehnjährigen Schüler eine solche Summe in die Hand zu geben. Wozu -will er es denn überhaupt haben?“ - -„Er sagt, es sei eine Ehrenschuld.“ - -„Ehrenschuld? Mit dem Worte bezeichnen viele Leute recht unehrenhafte -Schulden.“ - -„O, Karl ist solch ein lieber, netter Junge.“ - -„Gewiß, er ist ein sehr netter Mensch, aber das ist doch kein Grund, -um seinen Hang zum Leichtsinn, zu bodenloser Liederlichkeit zu -unterstützen! Was ist denn der Effekt davon, wenn wir ihm das Geld -geben?! Er gibt es in leichtsinniger Weise aus!“ - -„Aber wenn er es doch für Schulden haben will...“ - -„Dann bezahlt er vielleicht diese und macht sofort neue und zwar in -noch größerem Maßstabe. Er hat ja dann die sichere Ueberzeugung, daß -sie auch bezahlt werden.“ - -„Ach, Georg, sei nicht geizig.“ - -„Liebes Herz, die Aeußerung da hast Du Dir wohl nicht überlegt. Hast Du -mich je geizig gefunden?“ - -„Für mich nicht, aber für andere hast Du doch eigentlich nie was getan.“ - -„Jeder ist sich selbst der Nächste, seine Familie natürlich -miteingeschlossen. Bei dem uferlosen Mitleid für alles und alle kommt -nie was Gutes heraus.“ - -„Aber Karl ist doch Dein Schwager.“ - -„Eine juristische Verpflichtung zur Unterstützung eines -Schwagers besteht nicht, eine moralische unter Umständen, die -hier nicht vorhanden sind. Wenn Dein Bruder durch Krankheit -unterstützungsbedürftig wäre oder eine Summe brauchte, um sich eine -Existenz zu gründen, so würde ich Dir zuliebe eventuell sogar ein -größeres Opfer bringen! Aber für einen derartig leichtsinnigen Bengel, -der gar nicht ahnt, gar nicht faßt, was Pflicht heißt!“ - -„Ja, die sogenannte Pflicht ist uns wohl nie genug eingetrichtert -worden,“ sagte Monika nachdenklich. - -„Die strenge Hand hat Euch gefehlt. Dein Vater starb zu früh.“ - -„Und vorher hat er sich auch nicht um unsere Erziehung bekümmert, und -der Mama sind wir zu schnell über den Kopf gewachsen, alle vier.“ - -„Ja, da Du davon sprichst, Monika -- Du weißt, ich rede nie ungefragt -über Deine Angehörigen, aber da das Thema nun einmal aufgerollt ist: -Deine Brüder machen mir überhaupt Sorge. Ich hörte da neulich durch -meinen Vetter Alexander, der Bataillonskommandeur von Alfred ist, -- er -gibt ihm keine zwei Jahre mehr im bunten Rock.“ - -„O -- --“ - -„Ja, daß er Schulden hat, wäre schließlich nicht so schlimm, aber da -ist eine Soldatenmißhandlungsgeschichte, bei der er eben noch mit -einem blauen Auge davongekommen ist. Alfred gilt als der brutalste, -händelsüchtigste Offizier im Regiment.“ - -„Er war schon als Kind so wenig gutmütig.“ - -„Und Heinrich scheint sich auch nicht gerade in bester Gesellschaft zu -bewegen. Im Amt erzählte mir neulich jemand, daß ein Baron Birken als -‚Amateur-Dichter‘ Verse im Kabarett „zum Regenbogen“ vorgetragen, und -fragte mich, ob der Jüngling zu Deinen Verwandten gehöre. -- Und Karl, -von dem ich eigentlich hoffte, er würde ein Normalmensch und seinerzeit -ein brauchbarer Offizier werden, läßt sich ja jetzt auch recht niedlich -an.“ - -„Eine nette Familie sind wir! Und dabei hast Du in Deiner bekannten -Höflichkeit mich und meine gefährlichen Anlagen noch gar nicht mal -erwähnt,“ lachte Monika. - -„O, Du bist sehr schnell eine tadellose Frau geworden, und das weißt Du -auch ganz genau.“ - -„Wetterhelmsche Schule.“ - -„Und, Liebling, was Karls Bitte anbetrifft, so siehst Du ein, daß es -inkorrekt wäre, seine Dummenjungenstreiche zu unterstützen.“ - -„Ja, Du hast ganz gewiß recht, nur, er bat so herzlich -- --“ - -„Keine falsche Gutmütigkeit! Schreibe ihm ruhig, daß Du das Geld nicht -hättest, und daß ich es Dir nicht gäbe für Sachen, die so zweifelhafter -Natur sind, daß Karl selber sie nicht erzählen kann! Und schärfe ihm -ein bißchen das Gewissen in bezug auf seine Lebensführung -- das geht -doch nicht so weiter!“ - -Und Monika schrieb ein paar Zeilen, die ganz im Sinne des eben -stattgefundenen Gespräches waren -- und ging mit dem Gefühl einer gut -erfüllten Pflicht zu dem Diner. -- -- - -Als das Dessert aufgetragen wurde, bat ein Diener Frau von Wetterhelm -ans Telephon. - -Monika folgte ihm erstaunt, ein wenig beunruhigt. Wer wußte denn -überhaupt, daß sie hier war? - -Karl telephonierte. „Ich bin hier bei Euch, Mone. Der Diener hat mir -gesagt, wo Ihr seid. Ich muß Dich sprechen.“ - -„Aber, Karl, um Gottes willen, was gibt es denn?“ - -„Ich brauche das Geld, und Mama hat es mir eben zum letztenmale -abgeschlagen.“ - -„Aber wozu brauchst Du es?“ - -„Das ist doch schließlich gleichgültig. Aber ich muß es sofort haben, -Mone, spätestens morgen früh muß ich’s haben. Sprich mit Deinem Mann.“ - -Mit einer ärgerlichen Bewegung ließ sie den Hörer sinken, entschloß -sich aber doch, Georg rufen zu lassen. - -Als er hörte, worum es sich handelte, griff er mit einer ihm sonst -ungewohnten Heftigkeit nach dem Hörer. - -„Karl.... Du -- --?“ - -„Ja.“ - -„Wenn Du mir oder meiner Frau was zu sagen hast, so warte gefälligst, -bis Du uns zu Hause antriffst, und störe uns nicht, wenn wir bei -anderen zum Besuch sind. Schluß!“ - -Er klingelte energisch ab. Dann wandte er sich an Monika. - -„Lieber Schatz, was ich eben Deinem Bruder sagte, hättest Du ihm sagen -sollen im ersten Augenblick, als er telephonierte. Mich noch herrufen -zu lassen, war überflüssig. Es erregt unnötiges Aufsehen, wenn wir -beide zu dieser späten Stunde in einem fremden Hause ans Telephon -gerufen werden. Also nicht wahr, ein andermal etwas mehr Sinn für -Korrektheit, lieber Schatz.“ - -„Verzeih, ich hätte Dich nicht rufen lassen sollen.“ - -Zusammen betraten sie wieder den Eßsaal, und im Verlaufe des sehr -angeregten Abends vergaß Monika den Zwischenfall. -- - -Aber am nächsten Morgen beschloß sie, gleich mal nach Karl zu sehen. Es -war Sonntag, also war er nicht im Gymnasium. - -Monika ließ sich anziehn, sagte ihrem Manne, daß sie zum Lunch zurück -sei, und fuhr zu ihrer Mutter. - -Das Dienstmädchen sagte ihr, die gnädige Frau sei schon vor zwei -Stunden zum Baron Heinrich gefahren mit einer großen Punschtorte, die -man ihm zum Sonntag gebacken. Monika unterdrückte mit Mühe ein Lächeln; -ihre Mutter war mehr in der Studentenbude von Heinzemännchen als in -ihrer eigenen Wohnung. - -Aber es paßte ihr ganz gut, daß sie Karl nun allein sprechen konnte. Da -würde sie ihn ordentlich ins Gebet nehmen. - -„Hat Karl schon gefrühstückt?“ - -„Nein, Herr Karl schläft noch, am Sonntag schläft er immer so lang’,“ -sagte das Mädchen und lächelte strahlend. Wie die meisten weiblichen -Wesen hatte sie für Karl ein faible. - -Monika sah nach der Uhr. Halb zwölf. Um halb eins mußte sie zu Hause -sein. Da konnte sie wirklich nicht warten, bis der Langschläfer -erwachte; da mußte sie ihn gleich wecken. - -Sie schritt den Korridor entlang bis zu dem abgelegenen Hinterzimmer, -das Karls Reich bildete. Sie klopfte. - -Und lauter dann... und noch einmal... - -Keine Antwort. Seinen Schlaf schienen seine Geldsorgen einstweilen -nicht zu stören. Wahrscheinlich hatte er gestern übertrieben wie schon -so viele Male. Wahrscheinlich war der Hundertmarkschein ihm gar nicht -sehr nötig, den sie in die Oeffnung ihres linken Handschuhs geschoben, -um ihn Karl gleich beim Gutentagsagen geben zu können. Dieser Schein -war ihm als Schmerzensgeld zugedacht für die abschlägige Antwort, -die sie ihm gestern gegeben. Ihr Mann hatte sie vollkommen überzeugt. -Es wäre gegen ihre Pflicht gewesen, Karls bodenlosem Leichtsinn noch -Vorschub zu leisten. - -„Karl -- --!“ - -Noch immer keine Antwort. - -Da drückte sie die Klinke auf und trat ein. - -„Na, Du Faulpelz,“ sagte sie, geblendet von der goldenen Sonne, die -durch das Fenster drang. - -Näher trat sie zum Bett, trat näher... und sah... - -Und faßte es nicht. - -Das war doch... das war doch Blut, dieses dunkle Gerinnsel auf dem -Boden, auf der Bettdecke, auf der nackten Brust da vor ihr... - -Mit beiden Händen griff sie nach ihres Bruders Schultern... und fuhr -im selben Augenblicke schaudernd zurück vor der Eiseskälte, die ihr -entgegenströmte. - -Das... das war doch nicht möglich! Er schlief doch bloß! Seine Augen -waren friedlich geschlossen, die langen Wimpern lagen dunkel auf -den Wangen. Der ein wenig geöffnete Mund, in dem die weißen Zähne -schimmerten, hatte einen traurigen Ausdruck. Ja, ein wenig traurig sah -er aus, ernster als sonst. - -Dieses wunderschöne und traurige Gesicht über der blendend weißen -Jünglingsbrust, diese großen Blutflecke allüberall, die wie dunkle -Blumen waren ... das war doch ein Traum, ein Fiebertraum! - -Das konnte doch nicht Wahrheit sein! - -Ein Traum auch der Revolver, an den ihr Fuß jetzt stieß? Ein Traum die -paar Blätter aus dem Schulheft, die da auf dem Nachttisch lagen, und -auf denen Worte standen, über die Blut gespritzt war, Worte, die sie -lesen wollte und nicht verstand, weil wilde Farbenspiele vor ihren -Augen kreisten. - -[Illustration] - -Sie las diese Blätter erst viel später. Drei Tage später, als all -das Schreckliche vorbei war: der Augenblick, als der herbeigerufene -Arzt statt aller Worte nur die Achseln gezuckt, -- der Mutter -Verzweiflungsausbrüche --, das Begräbnis. -- - -Und nun saß Monika allein in ihrem Toilettenzimmer und versuchte, jene -Zeilen zu lesen. Da stand in ihres Bruders unbeholfener Handschrift, -mit der man ihn so oft geneckt: - - „Ich bitte Euch alle, mir zu verzeihn. Aber es ist besser, daß - ich gehe. Ich sitze in soviel Schwierigkeiten und weiß nicht ein - noch aus. Ihr müßt nicht glauben, daß ich etwas Schlechtes getan - hätte. Ich habe mir gar nichts dabei gedacht, als mich neulich eine - Freundin gebeten hat, einen Brillantring für sie zu kaufen. Ich - sollte ja nur eine Unterschrift geben und Geld überhaupt nicht. Sie - wollte es allein bezahlen. - - Aber nun will mich der Diamantenhändler beim Staatsanwalt - anzeigen, weil es ein Betrug gewesen wäre und die Lonny den Ring - gleich weiter verkauft hat. Das geht doch aber nicht, daß ich ins - Gefängnis komme. - - Ich habe Euch ja so sehr um das Geld gebeten, aber Mama wollte ja - nicht, und sie hatte wohl auch recht, denn sie als Mutter mußte - doch etwas streng sein, und außerdem ist die Summe auch so hoch für - sie. Ich dachte, Monika würde es mir geben. Die war meine einzige - Hoffnung, sie ist immer meine liebe Schwester gewesen. O Gott, wie - gerne habe ich ihr was mitgebracht zum Freuen. So konnte sich kein - anderer freuen, wie Monika sich früher freute. - - Mone ist immer so gut gewesen, bloß ihr Mann hat sie so hart und so - kalt gemacht -- --“ - -Sie konnte nicht weiter lesen. Brennende Tränen verdunkelten ihren -Blick und stürzten ihr aus den Augen. Das waren die heißesten Tränen, -die sie je geweint. Es war ihr, als verbrennten sie ihr die Haut, indes -sie ihr über die Wangen rollten. - -Das Schluchzen schüttelte sie wie ein Sturm. Sie hörte gar nicht, daß -die Tür des Nebenzimmers geöffnet wurde. - -Georg trat auf seine Frau zu. Er sagte bewegt: - -„Liebling, gib Dich diesem Schmerz nicht so hin.“ - -„Warum nicht?“ fuhr sie auf. „Warum soll ich mich diesem Schmerz nicht -hingeben? Mein Bruder starb, und... durch unsere Schuld.“ - -„Durch unsere Schuld? -- Das sind Hirngespinste, Monika. Er suchte den -Tod, weil er keinen sittlichen Halt hatte. Er war ein Kind, das sein -kostbarstes Gut -- das Leben -- verschleuderte und wegwarf wie andere -Kinder eine Glaskugel.“ - -„Er starb, weil Du hartherzig warst und ich es mit Dir.“ - -Er strich ihr begütigend übers Haar. Sein Gesicht wurde um eine -Schattierung blasser, als sie bei dieser Berührung zurückzuckte. - -„Liebling, Deine Nerven sind jetzt zu angegriffen. Das ist die Ursache, -daß Du etwas so Unzutreffendes sagst. Wir waren nicht hartherzig. Kein -vernünftiger Mensch konnte dem Jungen ohne weiteres die Bitte gewähren --- das habe ich Dir auseinandergesetzt.“ - -„Ja, das hast Du!“ - -Sie hatte sich erhoben, eine Zornesflamme sprühte aus ihren Augen. - -„Ja, das hast Du. Und ich war dumm und charakterlos genug, um wieder -eine von Deinen hartherzigen Ansichten zu der meinen zu machen! -- -- O -Gott, der Junge, der arme, liebe Kerl!“ - -Sie schluchzte laut auf. - -Und von neuem näherte sich ihr Georg: „Mein geliebter Schatz, beruhige -Dich doch.“ - -Und von neuem wich sie seiner Berührung aus, und ihre Tränen versiegten -in dem roten Zorn, der wieder in ihr emporloderte. - -„Ich will mich nicht beruhigen. Ich will heulen vor Schmerz, wenn mir -danach zumute ist! Ich will nicht alles in mir ersticken lassen unter -dem Panzer, den Du Dir anlegst, dem Panzer von Sitte, Pflicht und -Korrektheit. -- -- Da, lies, was mein Bruder geschrieben hat in seiner -Todesstunde, und sein Herzblut ist drüberhin gespritzt: ‚Mone ist immer -so gut gewesen, bloß ihr Mann hat sie so hart und so kalt gemacht --- --‘“ - -„Und diese Worte eines unglücklichen, schlecht erzogenen und -irregeleiteten jungen Menschen -- --“ - -„Haben mir gezeigt, wie es um mich bestellt ist!“ unterbrach Monika. -„Ja, jedes Wort davon ist wahr! Ich habe unserer Ehe zuliebe meine -ganze Persönlichkeit geopfert. Alles Beste in mir habe ich gewaltsam -unterdrückt, jeden Funken von Begeisterung, von Warmherzigkeit erstickt -unter einer Eisdecke von Vorurteilen! -- -- Fort will ich, -- fort von -Dir, der Du alles, was in mir ursprünglich ist, tötest. Ich will wieder -ich selbst sein!“ - -Georg von Wetterhelm war blaß bis in die Lippen. - -„Monika, Dein Schmerz macht Dich ungerecht! Ich will Dir heute -verzeihen, -- heute -- alles.“ - -„Ich brauche Deine Verzeihung nicht. Ich will fort, -- fort um jeden -Preis!“ - -Ein sonderbar erstickter Ton rang sich aus seiner Kehle. Ein Augenblick -war’s -- dann klang seine Stimme fest wie je: „Ich kann Dich mit Gewalt -nicht halten.“ - -„Ich lasse mich auch nicht halten!“ - -Zwei wilde Flammen brannten in ihren Augen. - -Das war nicht mehr die sanfte und korrekte Gattin, die fünf Jahre lang -Georg von Wetterhelms Herzensfreude gewesen, -- die sich fünf Jahre -lang gezügelt hatte ihrem Glück zuliebe. Das war wieder das unbändige -Geschöpf von einst, das jeder Gefühlsregung nachgab, jede Empfindung -auskostete bis zum äußersten, bis zum letzten schalen Tropfen. - -Und auch diesen Becher leerte sie bis zur Neige: nicht genug Vorwürfe -gab es für den, der ihr bis dahin das Liebste war auf der Welt. - -„Ich habe erkannt, welch eiskalter Egoist Du bist! Warum gabst Du Karl -das Geld nicht?“ - -„Es war nicht des Geldes wegen -- --“ - -„Das weiß ich! Und gerade das ist das furchtbarste: Deiner Prinzipien -wegen tatest Du es nicht! Deiner starren, hartherzigen Prinzipien -wegen! Die sind das einzige, was Du liebst! Du hast auch mich nie -geliebt. Du hast mich geheiratet, weil +ich Dich+ liebte! Du wolltest -Dein frierendes Herz erwärmen an meiner Glut!“ - -„Monika!“ - -Georg Wetterhelm preßte die harten Lippen aufeinander. Er sprach kein -einziges Wort mehr... zu seinem Glück, das von ihm ging. - -[Illustration] - - - - -12. - - -Ein altes, winkliges Haus in einer von Zürichs Straßen. Ausgetretene -Treppenstufen, schiefe Türen, an denen Dutzende von Visitenkarten mit -Reißnägeln angeheftet waren. „~Stud. jur.~ Freiherr von Neuern, ~stud. -med.~ Hans Fischer, ~stud. med.~ Pietro Liguro, ~stud. med.~ Olga -Nikolajewna Murawska, ~stud. phil.~ Bertha Reckling.“ - -Vier Treppen hoch hauste Bertha, die seit einem Semester in Zürich -studierte, zusammen mit der Studentin der Medizin Murawska. - -Die Wohnung bestand aus drei Stübchen und einer kleinen Küche. Die -letztere wurde wenig benutzt, da die Mädchen ihre Mahlzeiten in -einem Restaurant einnahmen und sich zu Hause nur das erste Frühstück -bereiteten. Bertha hatte zwar zuerst vorgeschlagen, hier zu kochen, -aber sie hatte es bald aufgesteckt. Es war gar zu unbequem. Allein -das Feuermachen erforderte so viel Zeit und Mühe, und es war so -umständlich, die Vorräte die vier Treppen hinaufzuschleppen. - -Außerdem war Olga Nikolajewna den kulinarischen Bestrebungen Berthas -durchaus feindlich gesinnt. - -Sie behauptete: viel Essen wirke schädlich auf die Gehirntätigkeit. Nur -die Deutschen äßen so viel, und Bertha würde es nie zu etwas bringen, -wenn sie sich nicht auch angewöhne, des öfteren nur von Tee und -Zigaretten zu leben. - -Auch „Ordnung halten“ erklärte Olga Nikolajewna für eine von Berthas -schädlichen Angewohnheiten. Dieses ewige Wegräumen war schrecklich! -Jedenfalls bäte sie, ihre Sachen nicht anzutasten. Die lägen so, wie -sie müßten. - -Und Bertha schenkte diesen Ausführungen ein williges Ohr. Sie nahm ja -so leicht die Anschauungen ihrer Umgebung an. So wie sie früher auf die -Ansichten ihrer deutschen Kolleginnen geschworen, die aus dem naiven, -jungen Mädchen eine Frauenrechtlerin gemacht, ebenso ließ sie sich -jetzt die Ansichten des internationalen Kreises aufpfropfen, der ihren -Verkehr bildete. - -Es waren gar verschiedenartige Leute, die sich da oft in ihrem -kleinen Wohnzimmer zusammenfanden. Viel Platz war nicht auf dem roten -Kattunsofa und den paar wackligen Rohrstühlen. Aber es standen eine -Anzahl umgestülpter Kisten bereit, die als Sitzgelegenheiten dienten. - -Die Bewirtung beschränkte sich auf Tee. Rauchmaterial brachte jeder -selber mit. - -Oft verschwamm das Stübchen in einem wahren Schwaden von Rauchwolken. -Und man diskutierte über die neuesten Heilmethoden, über philosophische -Systeme, über uralte und ewig ungelöste Menschheitsfragen. - -Es hatte sich ein ganz bestimmter Kreis herausgebildet, Stammgäste, -die immer wiederkamen: Dimitri Iwanowitsch Lagin, ein Landsmann von -Olga, der einen düsteren Märtyrerkopf und schmutzige Fingernägel -besaß; Hans Fischer, ein sehr jugendlicher Mediziner, der ein Schüler -von Berthas Vater gewesen und Bertha den gleichen angstvollen Respekt -entgegenbrachte wie dereinst seinem Ordinarius; Marie Kramer, eine -freundliche dicke Blondine, die nun schon im achten Semester studierte -und immer noch unglaublich erstaunt darüber war, daß sie es fertig -gebracht, „ihre Angehörigen zu verlassen, ihrer inneren Stimme zu -folgen“. - -Und Melitta Göritz war da, ein schlankes, sehr brünettes Mädchen, das -ein sehr verschlossenes Wesen hatte und von dem überhaupt niemand etwas -Näheres wußte. - -Dann noch ein norwegisches Ehepaar: die Steens. Merkwürdigerweise -hatten die beiden äußerlich Aehnlichkeit miteinander. Sie waren beide -sehr groß, sehr schlank, hatten weißblonde Haare und blaue, ein wenig -vorstehende Augen, die an Fischaugen erinnerten. - -Sie studierten beide Philosophie. Sie behandelten andere Leute -überaus höflich und nett, sich gegenseitig aber mit ausgesuchter -Unliebenswürdigkeit. Sie warfen sich Grobheiten an den Kopf, -schimpften sich auf norwegisch und trennten sich nie, wie ein Pärchen -Wellensittiche, ob aus Liebe oder Haß, blieb unerfindlich. - -Auch Edith von Gräbert kam oft, eine norddeutsche Offizierstochter -in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre, die Lehrerin an einer -Töchterschule gewesen, dann aber ihren Hang zur Medizin entdeckt. - -Diese alle saßen, wie so oft, an einem Maiabend in dem kleinen -Wohnzimmer, als die Korridorklingel kurz und heftig in Bewegung gesetzt -wurde. - -„Das ist gewiß Pietro,“ rief Edith von Gräbert lebhaft; sie hatte eine -ausgesprochene Vorliebe für den jungen Italiener. - -Bertha, die Hausherrin, ging, um zu öffnen. - -Die Gäste hörten ihren überraschten Ausruf, und gleich darauf trat -sie wieder ein, begleitet von einer jungen Dame, deren Erscheinung -Sensation erregte. - -„Wie kommt der Glanz in diese niedre Hütte?“ murmelte Edith, nachdem -sie einen taxierenden Blick auf die elegante Toilette des Ankömmlings -geworfen. - -Sigrid Steen stieß ihrem Gatten den Ellenbogen in den Magen, da er -ihrer Meinung nach den fremden Gast bewundernd angestarrt. Dimitri -Iwanowitsch setzte sein Pincenez auf und nahm es nicht wieder ab, -obwohl er es sonst, um seine sehr angegriffenen Augen zu schonen, nur -zum Schreiben und Lesen trug. - -Hans Fischer starrte die schöne Dame so verzückt an wie ein Kind eine -einladende süße Speise -- kurz es herrschte allgemeine Gemütsbewegung. - -„Meine Cousine Frau von Wetterhelm,“ stellte Bertha vor. In ihrer -Bestürztheit vergaß sie, nun die Namen der anderen Leute zu nennen. - -Und diese alle saßen stumm wie die Oelgötzen; von allen diesen Leuten, -die so gut und so viel reden konnten, wenn eine sie interessierende -wissenschaftliche Frage aufgerollt war, fand keiner Worte, sobald es -sich um eine leichte gesellschaftliche Unterhaltung handelte. - -Monikas mondaine Gewandtheit half vorläufig über das peinliche -Stillschweigen hinweg. Aber eine rechte Stimmung kam an diesem Abend -nicht mehr auf. Die Gäste fühlten sich durch die elegante Fremde -geniert und gingen sehr viel früher als gewöhnlich. - -Monika hoffte nun mit ihrer Cousine allein sprechen zu können, aber auf -dem roten Kattunsofa saß Olga Nikolajewna und rührte sich nicht. Als -Bertha einen schüchternen Versuch machte, sie zum Verlassen des Zimmers -zu bewegen, erwiderte sie ganz erstaunt: - -„Aber wir haben doch bloß dieses Sofa!“ Wußte Bertha denn immer noch -nicht, daß ihr Stühle unbequem waren?! - -So verfügten sich denn die beiden Cousinen in Berthas Schlafzimmer, -das mit seinen winzigen Abmessungen, mit seiner schmalen, eisernen -Bettstelle einen sehr ärmlichen Eindruck machte. - -Monika setzte sich auf einen Rohrstuhl am Fenster und Bertha ließ sich -aufs Bett sinken; sie war noch immer unter dem Eindruck der großen -Ueberraschung. - -Monika hier! Und sie kam zu ihr die vier wackligen Treppen hinauf! All -das kam ihr ganz unwahrscheinlich vor. - -Freilich vermutete sie nicht so Entscheidendes, wie sie gleich darauf -zu hören bekam. - -Also Monika war fort von ihrem Mann! Für immer fort?! - -Bertha fühlte bei dieser Nachricht erstaunlicherweise nicht die -freudige Genugtuung, die sie bei ihren extremen Grundsätzen eigentlich -hätte haben müssen. Nein, sie empfand nicht: „Gott sei Dank wieder -eine, die das unwürdige Ehejoch von sich abschüttelt!“ -- sondern -in diesem Augenblick überwog Berthas frühere Natur: „Wie töricht von -Monika, ihrem Mann davonzulaufen!“ - -Gut, daß, ehe sie diese Worte geäußert, ihr ihre neuerworbenen -Grundsätze einfielen. Und so sagte sie denn, sie sei weit entfernt -davon, Monikas Schritt zu mißbilligen. Sich durchsetzen, seine eigene -Persönlichkeit zu bewahren, das sei das Höchste für ein denkendes -menschliches Wesen, und die Zeiten, da man die Frauen nicht zu den -denkenden menschlichen Wesen gerechnet, seien ja erfreulicherweise -vorüber! - -Es sei sehr vernünftig von Mone, daß sie gleich hierher gekommen zu -ihr, die ihr sehr gern mit ihrem Rate zur Seite stehen wolle. - -„Es ist jedenfalls sehr nett von Dir, daß Du Dich hier meiner annehmen -willst,“ sagte Monika. Sie war nicht so sicher wie sonst. - -Allein, zum ersten Male war sie allein gefahren, den weiten Weg von -Berlin nach Zürich, und aus des Zuges Räderrollen hatte sie eine so -traurige Melodie gehört: Fort von ihm! Jeden Augenblick weiter fort von -ihm, der mein Glück gewesen... - -Sie hatte sich dann selbst sentimental gescholten. Da sie nun mal -eingesehen hatte, daß ihres Bleibens nicht länger bei ihm war, war -alles abgetan! Mußte alles abgetan sein! - -Ein neues Leben! - -Und ein bescheidenes Leben. - -Sie wollte versuchen, mit der knappen Zulage auszukommen, die ihre -Mutter ihr geben konnte. - -Darüber hatte es noch eine Meinungsverschiedenheit gegeben mit Georg, -der ihr einen Scheck über eine hohe Summe mitgegeben. - -„Ich will kein Geld von Dir!“ hatte sie gesagt. - -„Du mußt es nehmen, Monika. So lange wie Du meine Frau bist, kannst -Du nicht wie eine Zigeunerin durch die Welt laufen. Wie denkst Du Dir -überhaupt Dein späteres Leben pekuniär?“ - -„Ich will mir unbedingt selbständig meinen Lebensunterhalt verdienen, -sei es schriftstellerisch oder daß ich studiere. Ich weiß es noch -nicht.... Das alles ist noch so dunkel....“ - -„Und Du willst nicht bei mir bleiben -- statt so ins Ungewisse in die -Welt hinauszugehen --?“ - -„Nein!“ antwortete sie hart. - -Es empörte sie, daß er diese Frage so an sie gestellt hatte, so als ob -ein materielles Interesse je hätte mitsprechen können, sie zu fesseln. - -Ja, wenn er vor ihr niedergestürzt wäre, wenn er ihr in heißer Qual -entgegengerufen: „Bleib’, ich kann nicht leben ohne Dich!“, dann hätte -sie wohl nicht den Mut gefunden, fortzugehen auf Nimmerwiedersehen. - -Aber so sprach Georg von Wetterhelm nicht. Nach dem „Nein“, das sie -ihm entgegengerufen, hatte er nur noch streng sachlich mit ihr die -einzuleitende Scheidung besprochen, die wegen böswilliger Verlassung -ihrerseits erfolgen werde. Sie würde eine Aufforderung erhalten, zu ihm -zurückzukehren, und wenn sie dieser nicht Folge leiste, so erfolge ein -Jahr nachher die gerichtliche Scheidung. - -Und sie war gegangen auf Nimmerwiedersehn. - -Als sie die erste Müdigkeit nach der langen Eisenbahnfahrt überwunden, -hatte ein Gefühl von Energie sie durchflutet. Ein Bad, ein Glas Sherry, -ein elegantes Kleid, und sie war zu Bertha gefahren. - -Diese war entschieden so hilfsbereit gewesen, wie man es nur irgend -erwarten konnte. Man hatte so manches verabredet. - -Monika sollte eine Wohnung im selben Hause wie Bertha nehmen, sowohl -ihres schmalen Geldbeutels wegen, als damit sie Anschluß habe. - -Dann sollte sie erst mal in einigen Kollegs hospitieren, um sich dann -endgültig zu entscheiden. - -Es würden in ihrem Wissen eine Menge Lücken auszufüllen sein. Aber das -schreckte sie nicht, sie hatte ja immer so gern gelernt. - -War es denn etwas anderes, was sie schreckte? Was war dieses sonderbare -Gefühl, das ihr das Herz zusammenpreßte? - -Sie hatte doch nun die Freiheit, konnte doch nun ihre Persönlichkeit so -entfalten, wie sie es immer gewünscht. - -Nun war doch der sehnlichste Traum ihrer Jugendjahre in Erfüllung -gegangen: frei! -- -- - -Und ein neues Leben jetzt! - -Nicht mehr an die grauen Augen denken, die sie zu sehr geliebt, -- an -die grauen Augen, die so verächtlich erstaunt geblickt, wenn sie sich -„inkorrekt“ benommen oder „wild“. - -Und nicht mehr an seine Hände denken, jene schönen, harten Hände, die -sie so sicher und gebieterisch dahingeführt auf schnurgerader, grauer -Strecke, während auf allen Seitenwegen und Fußpfaden so viel üppig -schönes Blumengerank wucherte. - -Nicht mehr an ihn denken! - -Schade nur, daß sie so oft, so unendlich oft an ihn erinnert wurde. - -Sie sah jetzt erst, wie sehr Georg ihr die kleinlichen Sorgen des -Lebens aus dem Wege geräumt, wie sehr er jede Unannehmlichkeit von ihr -ferngehalten. -- -- -- - -Sie sah jetzt erst, was es hieß, sich selbst um die Alltagssorgen -bekümmern zu müssen. -- - -Mit einem Gefühl der Erleichterung begrüßte sie den Tag, an dem sie zu -Bertha übersiedelte. Sie hatte in Berthas Wohnung angrenzende Zimmer -bekommen, die bisher ein Kandidat der Medizin bewohnt. - -Diese Zimmer trugen das ärmliche Gepräge, das dem ganzen Hause -anhaftete, und Monika konnte sich eines kleinen Schauders nicht -erwehren, als sie ihre Wohnung des näheren besichtigte. - -Sie schwankte sogar einen Augenblick, ob sie nicht diese Baracke im -Stiche lassen solle, um sich ein eleganteres Quartier zu nehmen. Sie -hatte ja den Scheck da.... - -Aber sofort wies sie diesen Gedanken von sich. Nein, nein, sie wollte -mit dem Zuschuß von Mama auskommen, so wenig das auch war. - -Und Georg brauchte gar keine Angst zu haben, daß sein Name dadurch -kompromittiert werde, wenn sie hier in so ärmlichen Verhältnissen -hauste. Sie nannte sich mit ihrem Mädchennamen. Die Abneigung vor ihrer -neuen Umgebung mußte eben heruntergewürgt werden! -- - -Sie fand sich nicht schnell in dieses neue Leben hinein, beim besten -Willen nicht! - -Sie fühlte sich nicht zu Hause in dieser häßlichen Wohnung. - -Unzählige Male am Tage trat sie hinaus auf den kleinen Balkon vor ihrem -Zimmer. - -Zwischen ein paar altersgrauen Dächern erblickte man die grüne Limmat, -Schwärme von schneeweißen Möwen schwirrten über den Strom; sie sah dem -unruhigen Spiel ihrer Flügel zu, die sie bald hoch zum Himmel, bald -tief hinab zum Wasser trugen. - -Und eine unklare Sehnsucht war in ihr, die ihr das Herz zusammendrückte. - -Aufseufzend trat sie zurück ins Zimmer, in dem dann vielleicht gerade -Olga Nikolajewna, Zigaretten paffend, auf dem Sofa lag. - -Monika hatte versucht, die allzu häufigen Besuche der Russin -abzuwehren, aber diese hatte ihr in ihrem harten Deutsch erwidert: - -„Aber Ihr Sofa ist weicher.“ - -Sie hielt diese Tatsache für völlig ausreichend, um von dem erwähnten -Möbelstück Besitz zu nehmen. - -Als Monika sich bei Bertha beklagte, hatte diese ihr mißbilligend -gesagt: - -„Aber sei doch nicht so unkameradschaftlich. Wir sind hier alle für -Gütergemeinschaft.“ - -Daß das keine leere Redensart war, lernte Monika bald genug einsehen. -Man betrachtete auch ihre Sachen als Gemeingut. Olga Nikolajewna goß -sich den Inhalt von Monikas Parfümflaschen über Bluse und Haar. Bertha -benutzte, ohne je um Erlaubnis zu fragen, Monikas Nähutensilien und -ihre Bücher. - -Alle die „Stammgäste“ kamen, ohne dazu aufgefordert zu sein, jetzt auch -in Monikas Zimmer hinüber. - -Die anfängliche Scheu, die sie vor der Fremden gehabt, war sehr bald -einer kollegialen Vertraulichkeit gewichen. - -Am häufigsten wurde sie von Edith von Gräbert besucht. - -Diese hatte ein großes, mit Mißgunst gemischtes Interesse an Monika. - -Für alles an ihr: ihre Art, sich zu bewegen, sich anzuziehen, zu -lächeln.... - -Es war, als ob Edith von ihr zu lernen suche, sich nach ihrem Vorbild -modele. - -Entschieden war das ein verfehltes Beginnen, denn die beiden waren -äußerlich so voneinander verschieden, daß alles, was zu Monikas Wesen -paßte, für Edith deplaciert war. - -Bildete doch schon Monikas weiches Gesicht einen entschiedenen -Gegensatz zu Ediths herben Zügen, die übrigens durchaus ebenmäßig -geformt waren. - -Sie war überhaupt nicht ohne Reiz. Sie hatte eine große, gutgewachsene -Figur. - -Aber etwas unnennbar Hartes lag in all ihren Linien, sowohl in denen -des Körpers wie in denen des Gesichts. - -Ihre hellen Augen blickten klug und spöttisch unter blonden Brauen, -ihre Gesichtsfarbe war von einer auffallenden Zartheit, und diese -zarte, helle Haut begann schon ein wenig das Stigma des Welkens zu -tragen. Die Augenlider waren schon etwas zerknittert, wie weiße -Rosenblätter, die am Verblühen sind. - -Edith war von einer Offenheit, die an Zynismus grenzte. Sie erzählte -Monika, ohne daß diese im mindesten danach gefragt hätte, die intimsten -Einzelheiten aus ihrem Leben; sie sprach von der unglücklichen Ehe, die -ihre Eltern geführt. Sie verhehlte nichts, beschönigte nichts von allen -traurigen Fällen, die sie oder ihre Familienangehörigen getroffen. - -Monika machte mitunter Einwendungen, sagte ihr geradeheraus: - -„Das sind doch interne Angelegenheiten, über die spricht man doch -nicht.“ - -Aber Edith zeigte dann in höhnischem Lachen ihre großen, weißen Zähne: - -„Ach, den Schnickschnack habe ich mir abgewöhnt. Ich habe früher auch -mal so gedacht wie Sie -- o, sicher sogar sehr viel strenger gedacht -als Sie. Es ist noch gar nicht so lange her. Da war ich Lehrerin an -der Schule von Fräulein Cersfeld und gab für hundert Mark monatlich -ungezogenen Mädels Französisch und Geographie, auch Religion und -andere schöne Sachen. Von acht bis eins täglich dauerte der Scherz. -Fünf Minuten nach eins ging ich nach Hause, wo ich gerade rechtzeitig -ankam, um einer lärmenden Szene zwischen Mama und Papa beizuwohnen. -Nachmittags dann Hefte korrigieren und abends um halb zehn in die -Klappe. Ach, ein Leben.... Sieben und ein halbes Jahr ist das so -gegangen. Dann...“ - -Sie unterbrach sich. - -„Ach, ist ja alles Unsinn,“ fuhr sie mit veränderter Stimme fort. „Wozu -von Vergangenheiten reden! Ich fühle mich sehr wohl, seitdem mir das -Familienleben Wurst ist! Es lebt sich doch sehr nett in dem ollen, -ehrlichen Zürich.“ - -„Ja...,“ sagte Monika, und ihr Blick irrte sehnsüchtig hinaus durchs -Fenster auf den grünen Strom, über dem die weißen Möwen taumelten. - -Die Vorlesungen, die Monika belegt, interessierten sie teilweise sehr, -aber sie gewöhnte sich nicht an das Zusammensein mit so vielen anderen. - -Es saßen da in den Hörsälen Leute aus aller Herren Ländern, junge und -alte, Frauen und Männer. - -Alle diese Gehirne arbeiteten, dachten, waren wie Maschinen mit -surrendem Räderwerk. - -Und sie alle, die starken und die schwachen, die schnell arbeitenden -und die trägen Gehirne, sie alle holten sich hier Nahrung, -Heizmaterial, Funken von der großen Flamme des Wissens, das die Welt -erhellt. - -Wohl empfand Monika die Größe, die darin lag, aber das half ihr nicht -darüber hinweg, daß ihr das Zusammengepferchtsein mit allen diesen -unbekannten Menschen auf die Nerven fiel. - -Sie wurde das Gefühl nicht los, daß sie denen allen hier überlegen war. - -Vor ihrem Verstand war dieses Gefühl nicht stichhaltig. - -Die Tatsache, daß sie eine sehr viel raffiniertere Körperpflege trieb -als die alle hier, schuf ihr doch keine Ueberlegenheit? - -Und daß sie weltgewandter war, abgeschliffener, -- das alles hatte doch -hier keinen ernsthaften Wert. - -Sie war eben wohl immer noch von Vorurteilen befangen; zu sehr hatte -Georg ihre frühere Wesensart umgewandelt. Aber das würde sich schon -geben mit der Zeit. - -Mit der Zeit... - -Sie, die früher so oft der Zeit zugerufen: „Halt an!“, hätte ihr jetzt -Sporen geben mögen wie einem schlechten Gaul. - -Nur schnell vorwärts! Nur Zeit legen zwischen sich und das Glück! - -Und Tage kamen und gingen... Wochen... und Monate... Und noch immer -war sie nervös, schreckte zusammen, wenn es klingelte, und ging immer -wieder auf den Balkon und starrte hinüber auf den Strom und auf die -weißen Möwen. - -Sie sprach mit niemandem über das, was sie innerlich bewegte. -Den vielen Fragen von Edith von Gräbert setzte sie eine kühle -Reserviertheit entgegen. - -Uebrigens war Edith die einzige, die neugierig war. - -Bertha fragte sie nie etwas. Nicht aus Diskretion, sondern weil sie zu -sehr mit sich selbst beschäftigt war; sie steckte in ihrem Studium wie -in einem Kleide, das ihr nach allen Richtungen hin zu groß war, und das -sie sich wichtigtuerisch bemühte auszufüllen. - -Mit dem Wesen, das sie früher gewesen, hatte sie kaum noch einen -Zusammenhang. Das bewies sie deutlich, als ihre Mutter ihr eines Tages -schrieb. - -Sie brachte Monika den Brief hinüber mit der Aufforderung zu lesen. - -Frau Reckling schrieb, daß sie heute mit einer großen Bitte an ihre -Tochter herantrete, einer Bitte, die wohl geeignet sei, eine Umwälzung -in Berthas Existenz hervorzurufen. - -Die Untersuchung, die Berthas Vater bei einem berühmten Berliner -Augenarzt habe vornehmen lassen, hätte leider die Diagnose des -Hausarztes vollkommen bestätigt: es sei eine Netzhautablösung, die in -nicht zu ferner Zeit zu völliger Blindheit führen müsse. - -Natürlich könne der Vater seinen verantwortungsvollen Posten als -Gymnasialdirektor nun nicht mehr ausfüllen. - -Man würde sich nach Harzburg, dem Heimatstädtchen des Direktors, -zurückziehen. - -Und Bertha müsse kommen! Der Mutter Gicht habe solche Fortschritte -gemacht, daß ihr die Hände oft gelähmt seien, unfähig zu jeder -Tätigkeit. Die Mutter wäre ja tief unglücklich, daß Berthas -hoffnungsreiches Studium abgebrochen werden solle, aber wer solle um -den erblindenden Vater bemüht sein, wer die Tätigkeit ersetzen, die der -Mutter gelähmte Hände nicht mehr tun konnten? Bertha solle kommen! Die -einzige Tochter würde der Eltern Stütze sein. - -„Meine Mutter scheint ja vollkommen durchgedreht zu sein!“ sagte -Bertha. „Sie sollen sich doch eine Gesellschafterin nehmen. Es laufen -ja genug junge Mädchen aus anständiger Familie herum, die für freie -Station und ein Taschengeld den Beruf der Tochter des Hauses geradezu -großartig ausfüllen! Wenn Mama ein Haustöchterchen haben wollte... ich -hatte alle Anlage dazu! Dann brauchte sie mich nicht mit Gewalt auf -diesen Weg zu führen. Auf dem bin ich und bleibe ich! Das kann niemand -von mir verlangen, daß all die langen Jahre Studium, all meine Mühe -und mein Fleiß umsonst gewesen sein sollen. Daß ich jetzt kurz vor dem -Examen abspringen soll, ist wahrhaftig eine Zumutung!“ - -In diesem Sinne schrieb sie an die Mutter. Und postwendend traf die -Antwort ein: ein Jammerschrei über Berthas Lieblosigkeit, die ihre -kranken Eltern der Hilfe einer bezahlten Fremden überlassen wolle! - -Bertha könne doch nicht so ganz jedes weibliche Fühlen verloren haben! - -„Hätte sie sich früher überlegen sollen, meine gute Mama. Was soll denn -das heißen: weibliches Fühlen?! Das soll weiter gar nichts heißen, -als: sich selbst aufgeben zum Nutzen für andere! Wo bleibt da die -Gleichberechtigung?! Wer verlangt von einem jungen Manne, der studiert, -daß er nach Hause kommt, sein Studium aufgibt, um seine Eltern zu -pflegen?! Wenn ich dasselbe leisten kann, was ein männlicher Student -leistet, dann muß ich auch ebenso behandelt werden, dann kann ich -denselben Respekt vor meiner Persönlichkeit verlangen! Und den verlange -ich!... Mir tut die Krankheit meiner Eltern gewiß von ganzem Herzen -und von ganzer Seele leid, aber mich selber ihnen opfern -- -- nun und -nimmer! Sie werden schon eine nette Gesellschafterin finden. Ich lasse -mich jedenfalls auf gar keine weiteren Unterhandlungen ein, und wenn -sie mir die Zulage sperren, ist es noch so! Ich habe mein Eigenes von -der Großmama. Die brave, alte Dame hatte geglaubt, ich würde meine -Brautausstattung davon kaufen. Sie war noch so unmodern!“ - -Monika war peinlich berührt von Berthas Standpunkt. Wie herzlos das -klang... wie gefühlsroh ... Und doch... war sie selbst denn etwa -aufopferungsfähiger? Hatte sie nicht, um ihre Persönlichkeit zu -wahren, ihren Mann verlassen, der so viel liebevoller zu ihr gewesen -als Berthas Eltern zu ihrer Tochter?... - -O gewiß, Bertha hatte ganz recht, so zu handeln! Aber ein unangenehmes -Gefühl wurde Monika nicht los. Und Georg Wetterhelms Schwester fiel ihr -ein, ihre Schwägerin Brigitte, deren Aufopferung sie verlacht, gleich -bei jenem ersten Besuche auf Gerbitz, als sie Braut war. -- -- - -Erinnerungen überfluteten sie wie große Wogen, die auf sie zukamen, -über sie hinweggingen, ihren Widerstand ertränkten, daß sie in die Knie -sank, daß sich in heißem Schluchzen ein Name von ihren Lippen rang: - -„Georg.“ - -Nur einen Augenblick. Dann hatte sie die Herrschaft über sich -zurückgewonnen. - -Das war ja nur Nervosität gewesen, sicherlich! - -Nur die Schuld der häßlichen, ärmlichen Umgebung. Oder die Schuld der -allzu abstrakten Wissenschaft.... - -O, nur weg von hier, fort von Zürich. Es war nichts mit dem Studieren. -Die ganze Umgebung hier, all die Leute mit den schlechten Manieren --- das alles war nicht zu ertragen, wenn man fünf Jahre lang Georg -Wetterhelms Frau gewesen war. - -Sie wollte fort. Irgendwo in die große bunte Welt, all die Schönheit -genießen, die da aufgeschlagen lag wie ein Märchenbuch mit schönen -Bildern. - -Und all diese Schönheit wollte sie beschreiben, sich ganz der Kunst -widmen, die der leuchtende Stern ihrer Kindheit gewesen. Sie wollte -denken und dichten, sie wollte glücklich sein! Ja sie war überzeugt, -daß sie dann glücklich werden mußte! - -Noch am selben Tage teilte sie Bertha ihren Entschluß mit. - -Diese war überrascht, nahm die Sache aber nicht sehr wichtig. Dagegen -empfing Edith von Gräbert einen großen Eindruck von der Neuigkeit, daß -Monika fort wolle. - -Wo denn hin? Nach Luzern zuerst? -- Da käme sie mit. - -Monika war überrascht von diesem Angebot; sie stand sich nicht so -freundschaftlich mit Edith, als daß es gerechtfertigt gewesen wäre. - -Immerhin war gegen das, was Edith sagte, nicht viel einzuwenden: sie -war ermüdet, überanstrengt, mußte mal ausspannen. Sie würde sich sehr -glücklich schätzen, wenn sie sich Monika anschließen dürfe. - -Da stimmte Monika zu, nicht gerade begeistert, aber es war ihr doch -nicht unlieb, daß sie nun nicht so allein sein würde.... - -[Illustration] - - - - -13. - - -Der „Seepalast“ in Luzern war auch eine riesige Fremden-Karawanserei -wie das Hotel, in dem Monika zuerst in Zürich abgestiegen, aber -er war von einem modernen, vornehm abgetönten Luxus, den Zürich -nicht aufzuweisen gehabt. Im Hochparterre lagen drei riesenhafte -Gesellschaftssäle nebeneinander. Und verschwiegene Schreibzimmer mit -grünen Lederpolstern, ein Lesesaal, in dem alle großen Zeitungen des -Erdballs auflagen, öffneten sich im Anschluß an eine ungeheure Halle, -die die Hotelgäste zu den verschiedensten Tages- und Nachtzeiten -versammelt sah. - -An jedes Schlafzimmer schloß sich ein Badezimmer mit Marmorwanne und -blitzenden Dusche-Apparaten. - -Monika atmete auf. - -Endlich wieder eine anständige Umgebung, endlich ein Hotel wie die, in -denen sie mit Georg geweilt. - -Georg... schon wieder Georg.... - -Nein, sie wollte nicht mehr an ihn denken. Lieber sich Vergessenheit -trinken an all der Schönheit, die man vom Balkon ihres kleinen Zimmers -im vierten Stock aus sah. - -Edith störte nicht. - -Die saß unten im Lesesaal und angelte nach Bekanntschaften. - -Und Monika blieb allein droben auf dem Balkon und schaute auf den -Vierwaldstätter See. Der hatte am Tage die Farbe eines kostbaren -Smaragds. - -Starre, zackige Felsen umkränzten ihn, und über dem allen wölbte sich -kornblumenblau der Sommerhimmel, von dem sich die schwarzen Rauchsäulen -der Dampfer abzeichneten, die über den See fuhren. - -Rechts lag der Hafen von Luzern. Die Menschenmengen, die sich dort -drängten, sahen von hier aus wie Ameisenscharen. - -Sie saß und träumte. - -Sie ging nach den Mahlzeiten gleich immer wieder in ihr Zimmer hinauf. - -Edith war darüber tief enttäuscht. - -Sie hatte darauf gerechnet, sich überall mit Monika zusammen zu zeigen, -und nun mußte sie allein herumlaufen. - -Die Bekanntschaften, die sie machte, genügten ihr durchaus nicht. - -Die wirklich eleganten Hotelgäste hatten kein Interesse für dieses -weder auffallend schöne noch elegante Fräulein von Gräbert. - -Eines Tages wurde Monikas Einsamkeit durch einen überraschenden Besuch -gestört. - -Ihre Cousine Marie von Hammerhof ließ sich melden. - -Marie hatte nie sehr freundliche Gefühle für Monika gehabt, und sie -erschien mehr auf den Wunsch ihrer Tante Birken als aus eigener -Initiative. - -Sie erzählte, daß sie mit ihrem Sohne zum Sommeraufenthalt in Gersau -sei und bei der Durchreise in Berlin Monikas Mutter habe versprechen -müssen, sie hier aufzusuchen. - -Uebrigens zeigte sich Marie freundlicher als sonst. - -„Mir hat das direkt imponiert, wie Du Deinem Manne so einfach auf und -davon gelaufen bist,“ sagte sie. „Ganz recht hast Du gehabt! Die Männer -taugen alle nichts!“ - -„Daß er nichts taugt, ist unzutreffend,“ sagte Monika. „Im Gegenteil! -Georg taugt sogar sehr viel. Aber ich habe eingesehen, daß er meine -Persönlichkeit zerbrach, mich umformte -- --“ - -„Das versuchen sie ja alle,“ sagte Marie wegwerfend. „Die Männer fühlen -sich nun mal alle gottähnlich und empfinden uns als ‚das schwache -Werkzeug‘. Ich habe nicht einen... nein, Dutzende von Ehemännern -sagen hören, daß ihre Frau nach der Heirat „sich doch unendlich -herausgemacht“ habe, sowohl seelisch wie körperlich. Wie gesagt, -versuchen tun sie die Umformung alle, nur sie haben nicht alle Glück -damit! Mein Mann hat mich nicht geändert.“ - -Die hagere Frauengestalt reckte sich hochauf, ein triumphierendes -Lächeln huschte über ihre scharfen Züge. - -„Ich bin geblieben, wie ich war, nichts habe ich ihm von meiner Seele -gegeben, nichts von meinem eigentlichen Selbst.“ - -„Und bist Du glücklich geworden?“ - -„Nein, das Glücklichsein muß wohl eine Kunst sein. Ich habe sie nie -rausgehabt!... Vielleicht kommt es daher, daß ich den falschen Weg -gegangen bin. Mag Gott es der Mama verzeihen, daß sie mich damals -bestimmte, diesen Mann zu heiraten, den ich nicht liebte, nicht haßte, --- denn damals haßte ich ihn doch nicht -- aber der mir fremd war, ganz -fremd.“ - -„Und hat dann nicht Eure junge Ehe eine Brücke geschlagen zwischen Euch -beiden?“ - -„Er blieb mir immer fremd... Und dann habe ich ihn hassen gelernt, wie -man eben jemand haßt, an den man gegen seinen Willen sein Leben lang -geschmiedet ist. Ein Leben lang -- ein ganzes Leben -- --“ - -Sie war blaß geworden, so als ob sie die ungeheure Tragweite dieses -Gedankens in dem Augenblicke jetzt erst restlos erfaßt hätte. - -„Du kannst ja weggehn,“ sagte Monika und fügte tonlos hinzu: „Weggehn, -wie ich es tat“... - -„Nein, nicht wie Du, denn ich bin Mutter. Könnte ich leben ohne mein -Kind?! Und der Junge bliebe meinem Mann, das ist gar keine Frage. Wenn -ich Wilhelm verlasse, werde ich doch als der schuldige Teil erkannt. -Glaubst Du, ich könnte ohne meinen Jungen leben? Er braucht mich doch! -Und ich brauche ihn nötiger als die Luft zum Leben. Keinen Tag kann ich -ohne ihn sein... Und immer, immer die Angst, die schreckliche Angst: -bleibt er mir? Er ist sehr zart. Die Bronchien besonders. Jetzt war ich -auch wieder in Ems mit ihm; Gersau ist uns zur Nachkur empfohlen.“ - -„Ist er mit herübergekommen?“ - -„Ja, er ist mit der Bonne im Garten. Ich habe ihn unten gelassen, weil -ich mit Dir noch über manches sprechen muß. Weißt Du, Mone, mich geht’s -ja eigentlich nichts an, aber wenn Du irgendeinen Einfluß auf Deine -Mama hast, solltest Du sie veranlassen, daß sie Heinrich nicht jeden -Unfug nachsieht.“ - -„Was für Unfug?“ - -„Na, seit er wieder bei Deiner Mutter wohnt, benimmt er sich genau so, -als hätte er noch seine Studentenbude. Seine Freundinnen und Freunde -gehen bei ihm ein und aus, wie in einem Taubenschlag! Er veranstaltet -Symposien mit violettem Seidenpapier um die Glühbirnen rum -- „wegen -des magischen Effekts“, sagt er! Bis vier Uhr morgens scheinen diese -Gastmähler zu dauern. Als ich neulich bei Tante war und telephonieren -wollte, sagte sie mir: das ginge nicht, denn in das Zimmer, wo -das Telephon stände, könne ich nicht hinein, da säße gerade eine -Schauspielerin, die auf Heinzemännchen warte, und offiziell dürfe sie -als Mutter doch nichts davon wissen. Ich möchte doch bei dem Bäcker an -der Ecke telephonieren, das sei ein sehr freundlicher Mann, der würde -gewiß nichts dagegen haben.“ - -„Echt!“ - -„Ja, sage mal, ich finde, daß die Würde Deiner Mutter es erfordert, daß -Heinrich wieder allein wohnt.“ - -„Nein, das geht nicht,“ sagte Monika, „Mama kann nicht allein wohnen... -Das weiß ich aus den Briefen, die sie mir bald nach Karls Tode schrieb. -Verzweifelt war sie, vollkommen wie verirrt. Was nun mit ihr werden -solle? Ihre Kinder brauchten sie nicht, schienen sie alle nicht zu -brauchen. Und das stimmte: wir brauchten sie alle nicht. Alfred in -der fernen Garnison, Heinrich in seinem Studentenquartier, ich in die -Welt verflogen -- und Karl in seinem Grabe. -- -- Und sie schrieb, -sie müsse jemand haben, für den sie sorgen könne. So allein könne sie -nicht leben. Sie müsse einen von uns haben, um ihn zu betreuen, für den -sie sich mühen könne... Da habe ich an Heinrich geschrieben und habe -Gott gedankt, als er ja sagte und wieder zu Mama zog. Daß er sich so -benimmt, ist ja nicht schön, aber es ist besser, als daß Mama allein -bleibt! Denn dann kommt sie sich vor wie Spreu, ein Halm, dem man die -Fruchtkörner wegnahm und der nun wertlos ist... Also Heinzemännchen -soll ruhig weiter lila Symposien geben. Ich bin froh, daß die Mama ihn -hat.“ - -„Na, wie Du denkst. Ich empfand es jedenfalls als Pflicht, mit Dir -darüber zu sprechen,“ sagte Marie spitz. - -Schweigen. - -Dann sagte nach einer Weile Marie: - -„Uebrigens, im Falle man fragen darf, was wird denn nun eigentlich aus -Dir?“ - -„Das muß die Zukunft lehren.“ - -„Nicht die Vergangenheit?“ - -„Wie meinst Du das?“ - -„Na, Mone, nimm’s mir nicht übel, aber ein rasend koketter Racker -warst Du immer! Wenn ich noch daran denke, wie Du Roßberg den Kopf -verdrehtest. Und dabei hat Roßberg Trudchen wirklich glühend geliebt. -Es geht ihnen übrigens gut, sie haben jetzt das fünfte Kind bekommen... -Na, also, kokett warst Du damals schon als halbwüchsige Göre. Ich meine -immer: hat Dein Entschluß nicht doch noch eine andere Ursache als die, -die Du erzählst? Ist da nicht irgendeine neue Passion von Dir im Spiel?“ - -„Pfui! -- ich habe Dir die reine Wahrheit gesagt. Wie mißtrauisch Du -bist!“ - -„Noch immer nicht mißtrauisch genug! Die paar Male, wo ich in meinem -Leben vertraute, bin ich auch noch betrogen und belogen worden. -Besonders von meinem Manne, immer von ihm -- ach, Du weißt ja nicht, -wie viele hunderte von Malen ich mir gesagt habe: Fort von ihm, fort -aus der Ehe überhaupt. Die ist wie ein Kampf bis aufs letzte! Die -Ehen, die ich gesehen habe und die einen harmonischen Eindruck machten, -waren immer so, daß der eine Teil der willenlose Sklave des anderen -war. Dann ging’s! O, dann ja! -- Oft trägt die Frau das Joch, oft auch -der Mann!... Und diese sogenannte glückliche Ehe habe ich mir nicht -schaffen können. Zur Sklavin war ich nicht feige, nicht charakterlos -genug, zur Herrin hatte ich kein Talent.“ - -„Und ich?“ schoß es Monika durch den Kopf, „was war ich in meiner -glücklichen Ehe? Herrin? -- Nein. Georg war nie ein Weiberknecht. Also -Sklavin? Nur das?“ - -Und Marie sprach weiter. Sie, die sonst so Kühle und Wortkarge, war -heute von ungewohnter Mitteilsamkeit. - -Es war, als hätten Monikas veränderte Lebensumstände die Schranke -niedergerissen, die immer zwischen den Cousinen bestanden. - -Es war, als ob Marie, nun sie zum erstenmal ihr starres Schweigen -brach, den Trost empfände, der für die meisten Frauen im Sichmitteilen -liegt. - -Immer weiter ging ihre Rede.... - -Alles, was Wilhelm ihr angetan in diesen langen Jahren, alles, was -sie bisher stumm und allein getragen, strömte sie aus, daß Monika -zurückbebte vor dieser trüben Flut. - -„Ich hasse ihn! Du weißt nicht, wie sehr ich ihn hasse! Kaum ein Tag -vergeht, kaum eine Nacht, wo ich mir nicht sage: nur fort!... Nicht -eine Sekunde länger bleibe ich -- --“ - -Sie brach kurz ab, denn es wurde an die Tür geklopft. - -Und diese öffnete sich. - -Ein zarter, blonder Junge in einem gestickten Russenkittelchen lief auf -die Mutter zu, während das Kinderfräulein verlegen an der Tür stehen -blieb. - -„Mama, ich hab’ nicht länger warten wollen, Mama..“ - -Da beugte sich die früh verblühte Frau tief über das Kind, und qualvoll -innig kam es von ihren Lippen: - -„Mein einziges Glück...“ - -[Illustration] - -Nach diesem Besuche vergrub sich Monika wieder in ihre Einsamkeit. Die -Tage strichen gleichförmig dahin. - -Einmal riß ein Brief ihrer Mutter sie aus der Ruhe. - -Die Baronin schrieb ganz verzweifelt. Es täte ihr schrecklich leid, -Monika so furchtbare Sachen mitteilen zu müssen, aber sie habe -niemanden, dem sie ihr Herz ausschütten könne. - -Heinzemännchen wolle von der ganzen Angelegenheit nicht mehr sprechen -hören. - -Er sei zu böse auf Alfred... Um Alfred handle es sich nämlich. Er habe, -trotzdem er einmal schon an einer ähnlichen Geschichte haarscharf -vorübergekommen, seinen Burschen mit dem Reitpeitschengriff so über den -Kopf geschlagen, daß dieser eine erhebliche Verletzung davongetragen -habe. - -Woher Alfred diese entsetzliche Brutalität habe, sei ihr rätselhaft. -Der selige Papa sei doch sehr gutmütig gewesen, und sie selber, -- nun, -Monika wisse ja allein, was für ein Gemüt die Mutter habe. - -Alexander Wetterhelm wolle, der angeheirateten Verwandtschaft zuliebe, -nochmal versuchen, die Sache mit Alfred irgendwie zu vertuschen, obwohl -es ihm selber an den Kragen ginge, wenn es herauskäme. - -Aber weg vom Regiment müsse Alfred so schnell wie möglich -- das sei -Bedingung! - -Er wolle nun zur Schutztruppe, und obwohl es ihr schrecklich sei, eines -ihrer Kinder so weit weg zu lassen, müsse sie doch sagen, es sei wohl -das beste! - -Hier in Deutschland würde Alfred der Familie bloß Schande machen, -- -das sei keine Frage. - -Monika schrieb sofort und bat ihre Mutter in dringendsten Worten, -Alfred das Afrika-Projekt auszureden. - -Wenn’s nicht anders ginge, solle er Sektreisender werden oder -Versicherungsagent. Nur nicht in die Tropen, wo schon manch gesunder -Mensch sein seelisches Gleichgewicht verlor und Alfreds spezielle -Anlagen zu einer Katastrophe führen mußten. - -Der Mutter Antwort lautete: Monika sehe gewiß zu pessimistisch! - -Wenn die Leute nichts taugten, schicke man sie doch immer nach Afrika -oder nach Amerika. - -Da würden sie zu brauchbaren Menschen gemacht! - -Das sei immer so, und sie hoffe, so würde es auch Alfred ergehn. -- - -Ein eisiges Gefühl des Schreckens überrieselte Monika. - -Sie sah ein böses Ende voraus. Alfred mit seinem ausgesprochenen -Hang zur Herrschsucht und zur Brutalität in jenem Lande, in dem dem -Einzelnen so sehr viel Macht gegeben war, wo nicht wie hier seinen -Instinkten Zaum und Zügel angelegt waren. Wo er eine Macht bedeutete -und unter Umständen Herr war über Menschenleben. - -Ein böses Ende... - -Und sie konnte nichts tun; mußte tatenlos zusehen, wie er seinem -Verderben entgegenging. - -Sie hatte Alfred nie ganz durchschaut. Die verschiedensten -Charaktereigenschaften lagen bei ihm nebeneinander. - -Er konnte banal sein bis zum Stumpfsinn und geistreich wie selten -einer. Er war sehr mißgünstig, sehr händelsüchtig; trotzdem bei vielen -beliebt wegen der unvergleichlich witzigen Art, die er oft hatte. - -Er malte talentvoll, hatte einen auffallend schönen Bariton -- aber -alle seine Gaben nutzte er nicht aus, von einem sonderbaren Mißtrauen -gegen sich selbst erfüllt. - -Stückwerk war er, wie die Birkenschen Kinder alle, wie sie selber auch! - -Und Georg tauchte vor ihren Augen auf; der ging nie einen Schritt vom -Wege, der ging den schnurgeraden Pfad der Korrektheit, der Sitte, der -Pflicht! - -Ein trotziges Aufbäumen faßte sie: nein! Die Birkenschen Kinder gingen -keinen vorgezeichneten Pfad. Die gingen durch Gestrüpp und auf Irrwege, -die nahmen sich, was sie begehrten, und wenn es um den Hals ging. Und -wenn man zugrunde ging! - -Erschreckend deutlich sah sie vor sich das wunderschöne und ein wenig -traurige Jünglingsantlitz des toten Bruders. - -Und sie sah Alfreds Zukunft unter Afrikas sengender Sonne, die sein -wildes Gehirn immer mehr aufreizte, immer mehr... Und sie sah Heinrich, -dessen Energie immer schlaffer wurde in der regenbogenfarbenen -Dämmerung der Mystik und der Dichtkunst. - -Und sie sah sich selbst, losgelöst von Haus und Herd, voll von -strotzender Jugendkraft, voll von heißen Phantasien. - -Wie ein böses und trauriges Lied, wie eine unendlich schmerzvolle -Melodie klang es ihr im Ohr: „zugrunde gehn?“ - -[Illustration] - - - - -14. - - -„Wenn Sie Ihre Freiheit dazu erobert haben, um Tage über auf dem Balkon -zu sitzen und nachts den Schlaf des Gerechten zu schlafen, dann.. dann -brauchten Sie eigentlich diese Freiheit verflucht wenig!“ sagte Edith -eines Tages. - -Das traf Monika. Edith hatte recht. Was tat sie mit der heißbegehrten -Freiheit? Und mit plötzlichem Entschluß sagte sie: - -„Ja, Sie haben recht, Edith. Es ist lächerlich, daß ich mich so -abschließe.“ - -Nicht mehr wie bisher ging sie gleich nach den Mahlzeiten nach oben, -sondern blieb mit Edith in der Halle. In dem großen, prunkvollen -Raume mit seinen riesigen Spiegeln, den hohen Marmorvasen, in dem -exotische Pflanzen blühten, war besonders zur Zeit des Fünf-Uhr-Tees -ein buntscheckiges Publikum versammelt. Hier wiegte sich auf dem -Rocking-Chair eine goldblonde junge Amerikanerin, den Strohhalm -ihres Ice-Drink zwischen den purpurn geschminkten Lippen; ihre -weitvorgestreckten Füße ließen ihre violetten Seidenstrümpfe und -breithackige Lackschuhe sehen, auf deren Spangen Brillant-Agraffen -blitzten. Und über diese Agraffen beunruhigte sich eine deutsche -Bürgerfamilie, die, angelockt durch das Plakat: „Täglich von 5 bis 7 -Zigeuner-Musik“, sich hierherbegeben. Der Familienvater suchte sich -immer von neuem dadurch Contenance zu geben, daß er sein Pincenez -zurechtschob. Das alles hier herum war ihm sehr ungemütlich. Diese -babylonische Pracht in der Runde sowohl wie die Blicke, mit denen seine -gestrenge Gattin kontrollierte, ob er den extravaganten Damen hier -Aufmerksamkeit schenke. - -An einem der nächsten Tische saß ein altes, englisches Ehepaar, -das so häßlich war, daß man nicht verstehen konnte, wie es zu der -wunderschönen Tochter kam, die es spazieren führte. - -Ein paar Südamerikaner mit stechenden schwarzen Augen in olivbraunen -Gesichtern, Mister Raspkeeper, der Petroleumkönig, dessen mageres -Gesicht über dem entfleischten Halse etwas Geierhaftes hatte, die -schöne Niniche, eine weltbekannte Tänzerin, die von echten und -falschen Reizen strotzte, Herr von Aro, ein angekränkelter deutscher -Rittmeister, Graf Lork, ein eleganter Russe, von dessen Reichtum man -Fabelhaftes erzählte, und das alles trank Tee und Cocktails, aß Petits -Fours und Sandwiches. Durch die riesigen Spiegelscheiben glänzte das -tiefe und kostbare Grün des Sees, grüßte des Bürgenstocks wildzackiger -Umriß. - -Und die Zigeuner in ihren roten Jacken spielten auf stöhnenden Geigen -von der Liebe... - -~Quand l’amour se meurt~... - -Da schlug Monikas Herz so qualvoll... Ihre Liebe zu Georg war ja tot. - -Sie nahm sich zusammen, hörte nicht mehr auf den schmachtenden, -traurigen Walzer, der davon erzählte, wie die Liebe stirbt.. - -Ins Leben hinein, -- ins Leben! -- - -Sobald Monika aus ihrer Reserve herausgetreten, hatte sie bald -Freundschaften und Bekanntschaften die Menge. Natürlich waren es -besonders Herren, die es sich angelegen sein ließen, ihr Gesellschaft -zu leisten. - -Des Morgens beim Rudern, nachmittags beim Tennis und beim Tee, abends -nach dem Diner, wo ein großer Teil der Hotelgäste wieder in der Halle -versammelt war, um neuen musikalischen Darbietungen zu lauschen -- -immer war sie von einer Anzahl Verehrer umgeben. - -Uebrigens benahm sie sich ihnen gegenüber durchaus reserviert. -Sie hatte nichts mehr von der herausfordernden Koketterie ihrer -Mädchenjahre. Die Zurückhaltung war ihr mehr in Fleisch und Blut -übergegangen, als sie selbst es geahnt. Wetterhelmsche Schule! - -Edith dagegen war entgegenkommender. Sehr erfreut darüber, daß sie nun -durch Monika Anschluß an elegante Kreise gefunden, zeigte sie sich von -einer Lebhaftigkeit, die ihre äußere Erscheinung nicht erwarten ließ. - -Man unternahm jetzt immer sehr viel an diesen endlos langen -Sommertagen, die ganz in Sonnengold getaucht waren. Morgens fuhr -man meistens mit dem Motorboot des Grafen Lork. Mit spielerischer -Sicherheit glitt das Boot über die grüne Wasserfläche, vorbei an -starren Felswänden, die senkrecht ins Wasser abfielen. - -Der See hatte tiefe Einschnitte in die Felsmasse gewühlt, und -triumphierend spielten seine Wellchen in den Buchten. - -Man machte in irgendeinem von den Orten am See Station, um dort zu -frühstücken, im Schloß Hartenstein, in Gersau oder Vitznau. Man saß da -auf einer glasgedeckten Veranda oder auch im Garten. - -Der Sommer goß einen heißen Strom von Leben über die Welt, über Büsche -und Sträucher, über Blumen und Früchte. - -Die Zahl der Teilnehmer an diesen Fahrten war eine verschiedene, aber -fünf waren immer dabei: Monika und Edith, Graf Harry Lork, der Besitzer -des Motorboots, der Leutnant von Berningen und der Gutsbesitzer von -Milorski, ein Pole, der diese Fahrten zu den Lichtpunkten seines Lebens -zählte. - -Das konnte übrigens niemand wundernehmen, denn der hübsche -dreißigjährige Milorski besaß eine Gattin, die an Häßlichkeit und -Unliebenswürdigkeit das erlaubte Maß überschritt. - -Und als ob das nicht genug des Unglücks gewesen wäre, hatte der Himmel -ihm dazu noch eine mitreisende Schwiegermutter verliehen, die ihn -schaudernd ahnen ließ, wie seine Gattin in zwanzig Jahren sein würde. - -Wenn jemand die Bekanntschaft von Frau von Milorski machte, so fühlte -der Gatte sich verpflichtet, die neue Bekanntschaft so bald wie möglich -beiseite zu nehmen und ihr zuzuflüstern: - -„Wissen Sie, ich habe meine Frau nämlich wegen ihres Geistes -geheiratet!“ - -Uebrigens besaß Frau von Milorski in der Tat Intelligenz und bildete in -dieser Eigenschaft einen starken Gegensatz zu ihrem Gatten. - -Ein leichtes Leben hatte er übrigens nicht, denn seine Frau war -eifersüchtig, bewachte, unterstützt von ihrer Mutter, jeden seiner -Schritte, und nur die frühen Morgenstunden brachten ihm Befreiung, -lösten ihn von jeder Fessel. Seine Damen waren ausgesprochene -Langschläferinnen, schliefen bis in den hellen Mittag hinein, „weil das -für den Teint gut“ sei. - -Und diese Morgenstunden in der letzten Zeit waren dazu angetan, -Milorski den traurigen Rest des Tages vergessen zu lassen. - -Wie bildschön und reizend elegant sah Monika aus! Wie amüsant und -witzig wußte Edith zu scherzen! - -Und dieser brave, liebe Kerl, der Berningen von den Kronprinz-Ulanen -- -und dieser famose Graf Lork. Und überhaupt alles so nett und friedlich! - -Herr von Milorski fühlte sich wie im Himmel, seine etwas -hervorstehenden Augen in seinem frischen Gesicht mit der slawischen -Stumpfnase blickten wie verklärt. - -Auch Graf Lork war immer in bester Stimmung. Nicht gerade, daß er eine -übersprudelnde Laune zur Schau getragen, das war nicht seine Art. Er -war immer sehr still. - -Es gab Leute, die ihn für dumm, andere, die ihn für einen großen -Geist hielten. Er war nicht leicht zu durchschauen, verbarg etwaige -Gefühle und Gedanken hinter einem Lächeln, das einen Anflug von -Zynismus hatte. Aeußerlich war er eine Erscheinung von ungewöhnlicher -Eleganz: sehr groß und sehr schlank. Das Gesicht zeigte etwas seltsam -Widerspruchsvolles: die Augen hatten einen verträumten Ausdruck und der -Mund einen Zug von Brutalität. - -Er sprach wenig, und was er sagte, war fast immer freundlich und banal. -Mitunter aber überraschte er durch eine Bemerkung von beißender Schärfe. - -Edith bemühte sich, in seiner Gegenwart immer ganz besonders geistreich -und liebenswürdig zu sein, und sie hatte die Genugtuung, daß er über -ihre scharfen Scherze herzlich lachte. - -„Wie finden Sie eigentlich den Grafen Lork?“ wurde Monika eines Abends -von Edith gefragt. - -Sonst pflegte Edith, wenn man des Abends nach oben kam, gleich in ihr -Zimmer zu gehen. Es herrschte durchaus kein besonders herzliches oder -vertrautes Verhältnis zwischen den beiden. Aber heute blieb Edith in -Monikas Zimmer, und diese verabschiedete sie nicht. - -Es war besser so, als allein bleiben in der blauen Sommernacht. - -„Wie ich Lork finde? Ganz nett,“ sagte sie gleichgültig. Dann fügte sie -hinzu: „Entschieden sehr liebenswürdig zu uns.“ - -„Ich finde ihn entzückend,“ sagte Edith mit schwerer Stimme. - -„Wirklich?“ - -„Er ist der überlegenste Mensch, den ich jemals sah.“ - -„Das ist mir nie aufgefallen.“ - -„Er ist so sicher! Vielleicht ist es sein Reichtum, der ihn so sicher -macht. Er ist ja unsinnig reich.“ - -„Das ist wahrscheinlich Hotelklatsch, Edith; die Lorks haben sonst -nicht viel.“ - -„Ja, aber seine verstorbene Mutter war doch eine geborene Arankow, die -die Kupferminen im Ural haben und die Ziegeleien in Tiflis.“ - -„Wie genau Sie orientiert sind.“ - -„Mich interessiert Reichtum so sehr. Er ist die mächtigste Macht, die -schönste Schönheit der Welt.“ - -„Unsinn.“ - -„Nein, Monika, kein Unsinn! Geld haben, das ist die Quintessenz von -allem. Der Schlüssel, der alle Türen öffnet, das einzig sichere -Piedestal in Sand und Sumpf. Ach, reich sein! Und genießen, wie alle -sich davor beugen!“ - -„Es beugen sich nicht alle vor dem Reichtum.“ - -„O, es kommt auf die Höhe der Summe an.“ - -„Sonderbare Ansichten.“ - -„Ach, Monika, Sie können das nicht so empfinden. Ich weiß genug von -Ihnen, um zu wissen: wirklich arm sind Sie nie gewesen: Aber +ich+ -weiß, was es heißt: des Lebens Not! Vater als pensionierter Hauptmann -mit fünf Kindern... Na, reden wir nicht davon. Glauben Sie mir, es gibt -nichts Schlimmeres, als die täglichen nagenden, kleinen Sorgen. Die -haben mir meine Kinderzeit vergiftet -- und meine Jugendzeit.“ - -Es war jetzt ganz dunkel geworden in dem kleinen Zimmer. Der See lag -da wie in schwarzen Sammet gehüllt. Und durch das Dunkel sprach die -Mädchenstimme: - -„Die Armut hat meine Kinderjahre vergiftet und meine Jugendzeit. Als -Kind habe ich Kindermädchen bei meinen Geschwistern spielen müssen, -und später, als ich kaum erwachsen war, habe ich fremder Leute Kinder -unterrichten müssen. In einer Zeit, in der sonst die jungen Mädchen -an Glück denken, hab’ ich an Brotverdienen gedacht. Ich lebte so hin, -stumpf -- ohne Schmerz -- -- und ohne Freude auch. Auch ohne die -Hoffnung auf ein Besserwerden. Da kam einer -- --“ - -„Und er liebte Sie?“ - -„O nein, Monika, er liebte mich nicht. Nur ich ihn -- --“ Sie brach -kurz ab. - -Ein paar schwere zitternde Atemzüge. - -Und dann, nach einer Weile fuhr die harte Stimme fort: - -„Nein, er liebte mich nie. Er war immer ganz unpersönlich zu -mir. Er betrachtete mich wie eine mathematische Formel, die er -auflösen müsse. Er analysierte mich, meine körperlichen und meine -seelischen Eigenschaften, und eines schönen Tages sagte er mir: -„Wissen Sie, Edith, Sie sind eigentlich viel zu schade, um hier als -Töchterschullehrerin zu versauern. Sie haben das Zeug dazu, im Leben -etwas zu erreichen. Gehen Sie hinaus ins Leben.“ -- -- - -Und ich ging! Uebrigens erst, nachdem ich eingesehen hatte, daß er -weiter absolut nichts für mich übrig hatte als diesen guten Rat.“ - -„Nach Zürich gingen Sie?“ - -„Ja -- und nachdem man mich, als Mädchen aus guter Familie, -jahrzehntelang mit Redensarten über die menschliche Würde gefüttert, -mit besonderer Berücksichtigung der weiblichen Würde, des Wertes -einer streng sittlichen Lebensauffassung und so weiter... griff -ich zum Studium der Medizin. Die klärt uns am besten auf über die -Gottähnlichkeit der Menschen.“ - -Ein häßliches Lachen kam aus ihrem Munde. - -„Und sind Sie seit dieser Aufklärung glücklicher?“ - -„Nein, durchaus nicht. Mein Glück würde auf ganz anderem Gebiete -liegen.“ - -„Auf dem der Liebe?“ - -„Kaum. Reich möchte ich sein, mir alles Schöne kaufen -- so viel -Schönes, erdrückend viel, um nicht mehr an all das Häßliche zu denken, -das ich in meinem Leben gesehen habe. Um mir die Seele frei zu machen -von all dem nüchternen Alltag, der zeitlebens auf ihr gelastet!... Und -genießen, ach, Macht genießen... wie das sein muß für jemand, der sein -ganzes Leben lang immer kuschen mußte: Macht genießen!“ - -Ein heißes Beben kam in die harte Stimme. - -„Und zu denken, Monika, daß ich all das erreichen könnte. Daß mich -dieser Lork nur zur Frau zu begehren braucht und -- --“ - -„Ah so.“ - -„Monika, das bringen doch so viele andere fertig: eine gute Partie zu -machen! Mädchen, die häßlicher sind als ich, dümmer, ungebildeter, -schlechter ... Herrgott, es gibt doch Tingeltangelmädchen, die -Erzherzöge heiraten! Mädchen, die eine kolossale gesellschaftliche -Kluft überspringen... Das gibt es doch nicht bloß in Märchen: daß -Bettlerinnen später von goldenen Tellern aßen! Und hier ist nicht -einmal ein sozialer Unterschied vorhanden. Wir Gräberts sind Uradel, -gegen meinen Ruf ist nichts einzuwenden. Daß ich nicht dumm bin, weiß -ich, und äußerlich -- ich bin doch nicht reizlos? Nicht? Sagen Sie mir -offen Ihre Meinung, Monika, ich bin doch nicht reizlos?“ - -Es war ein heißes Flehen in diesen Worten. Das Dunkel verbarg die -Schamröte, die in Ediths Wangen emporstieg bei diesem Betteln um ein -anerkennendes Wort. - -„Sie haben sicher eine Menge Vorzüge.“ - -„Monika, zu denken, daß es nur eines Wortes von Lork bedarf... und aus -dem elenden Grau meiner Existenz wird ein Märchentraum.“ - -„Wenn Sie einen anderen lieben...“ - -„Ich liebe den nicht mehr. Ich habe eine gute Dosis Verstand, wissen -Sie, und eine recht reichlich bemessene preußische Nüchternheit. Eine -einseitige Liebe ist auf die Dauer nichts für mich! Es gibt ein altes -Sprichwort: „Einer freut sich nie allein, es müssen immer zweie sein.“ -Das klingt dumm, aber wahr ist es doch. Meine erste Liebe macht mir -wirklich keine Kopfschmerzen mehr.“ - -„Und Sie lieben jetzt den Grafen Lork?“ - -„Lieben ist vielleicht ein etwas starker Ausdruck. Er gefällt mir -unendlich! Und wenn er mich heiratete, würde ich bemüht sein, ihm eine -gute Frau zu werden... Ach, Monika, helfen Sie mir!“ - -„Wie kann ich das?“ - -„Helfen Sie mir! Beeinflussen Sie ihn! Männer sind doch so leicht -zu beeinflussen. Reden Sie ihm doch von mir, machen Sie mich ihm -interessant, bitte...“ - -Zwei fieberheiße Hände griffen nach Monikas Händen und preßten sie in -krampfhaftem Druck. - -„Helfen Sie mir! Versuchen Sie, mir zu helfen!“ - -Eine fanatische Inbrunst glühte aus diesen Worten. Die zitternde -Hoffnung eines Menschen, der sich seinem Glücke -- vielleicht -- nahe -sieht. - -Und in heißem Mitgefühl sagte Monika: „Was in meiner Macht steht, Ihnen -zu helfen, will ich gern tun.“ - -Dann knipste sie das elektrische Licht an und sah in der plötzlichen -Helligkeit ein anderes Gesicht als das, das Edith immer zur Schau trug. -Das liebenswürdige Lächeln war fort. Und die Herbheit auch. - -Ein aufgewühltes, leidenschaftliches Antlitz starrte ihr entgegen, -heiße Augen und verlangende Lippen. Die Pupillen der hellgrauen -Augen waren fieberhaft erweitert, in der Gier nach Geld und Glück... -Blitzschnell senkten sich über diese Augen die blondbewimperten, -breiten Lider, deren Haut schon ein wenig zerknittert war. Und die -Lider blieben gesenkt, als wollten sie die Glut nicht sehen lassen, die -in den hellen, kalten Augen so heiß emporgelodert war.... - -[Illustration] - -Schon an einem der nächsten Abende hatte Monika Gelegenheit, sich mit -der ihr anvertrauten Mission zu beschäftigen. Das Hotel gab seinen -Gästen einen Ball. Auf schön lithographierten Einladungskarten empfing -jeder ein auf den Namen ausgestelltes Billet. - -In den drei riesigen Sälen entfaltete sich ein kaleidoskopartiges -buntes Bild. - -Monika hatte zuerst gezögert, ob sie an dieser Tanzfestlichkeit -teilnehmen solle. Sie war in keiner frohen Laune. Aber Edith war es -nicht schwer geworden, sie dann doch zur Teilnahme zu bewegen; sie sah -ja vollkommen ein, daß es lächerlich war und unmotiviert, an keiner -Festfreude teilnehmen zu wollen. - -Ja, sie würde hingehen -- natürlich -- und sich sehr gut amüsieren, -und außerdem bei Lork für Edith „Reklame machen“, wie diese selbst mit -bitterer Selbstironie sagte. - -Als die beiden herunterkamen, war schon eine Menge von Gästen -versammelt. Eine Anzahl sehr gut angezogener Amerikanerinnen wiegte -sich mit ihren glattrasierten Landsleuten im Twostep. Eine Pariser -Schauspielerin, mit einer gesucht kindlichen Frisur, erregte Aufsehen -durch ihre montmartrehafte Art des Tanzens. - -Der Rittmeister von Aro vergaß sein Lungenleiden und schwenkte die -Damen unermüdlich und begeistert. - -Herr von Milorski litt Tantalusqualen: er saß auf einem Stuhle, -umzingelt von Frau und Schwiegermutter, die letztere in blauem -Samt, die erstere in roter Seide. Die kleine, sehr dicke Frau von -Milorski, die gut sechs Jahre älter war als ihr Mann, hatte in ihrem -Gesichtsausdruck durchaus nichts von der Gutmütigkeit, nach der dicke -Leute so häufig aussehen. Ihre winzigen Augen blinzelten bösartig in -die tanzende Schar vor ihr, mit entschiedener Mißbilligung blickte sie -auf die eleganten Erscheinungen, denen ihr Gatte sehnsuchtsvoll und -träumerisch nachstarrte. - -Herr von Berningen, der Kronprinz-Ulan, widmete sich zwei holländischen -Damen, die Mutter und Tochter waren. Wie einst ein deutscher -Dichter, wußte er nicht genau, welche von beiden er zur Dame seines -Herzens erwählen solle. Gegen die Heinesche Epoche war das Bild aber -entschieden verändert: den erfahreneren Eindruck von beiden machte die -Tochter. Ihre Art, sich zu bewegen und zu benehmen, zeigte entschieden -eine größere Sicherheit. - -Wenn sie mit ihrem energischen Schritt, in ihrem saphirblauen, -goldgestickten Kleide, einen Blaufuchs über der linken Schulter, quer -durch den Saal schritt und einen Tisch in Beschlag nahm, so machte sie -entschieden den Eindruck, die Chaperonne ihrer Mutter zu sein, die ihr -bescheiden folgte, und deren Schönheit das Gepräge stiller Lieblichkeit -trug. - -Wie gesagt, -- Berningen schwankte. - -Die Mutter hatte so schöne kastanienbraune Haare. - -Aber die Tochter war so pikant goldblond entfärbt. Die Tochter sprach -Argot, rauchte Zigaretten, trank Cocktails, nahm Stellungen ein, die -von bewußter Koketterie sprachen. Das alles gefiel aber Berningen -weniger als die vornehm-liebenswürdige Art der Mutter. - -Jedoch die Tochter war achtzehn und die Mutter siebenunddreißig. Und -doch war die Mutter schöner.... - -Verzweifelt beschloß Berningen, sich nicht länger den Kopf zu -zerbrechen, sondern beiden die Cour zu machen. - -Graf Lork stand gelangweilt an einer Säule; sein Gesicht hellte sich -auf, als Monika und Edith eintraten. - -Edith sah entschieden in Balltoilette unvergleichlich besser aus -als sonst, wenn auch ihr Kleid weder kostbar noch modern war. Die -pfauenblaue Seide hob ihre durchsichtig helle Haut, ließ das Blond -ihrer Haare wärmer erscheinen als sonst. Die gespannte Erwartung, in -der sie sich befand, gab ihrem Gesichte ungewohnt lebhafte Farben. - -Monika war es nicht schwer gemacht, ihrem Gespräch mit Lork die Wendung -zu geben, die sie beabsichtigte. - -„Wie hübsch Fräulein von Gräbert heute aussieht,“ sagte sie, als sie -mit Lork auf der Galerie stand, die sich in halber Höhe des Saales an -den Wänden entlang zog. - -Man hatte von hier aus ein wundervolles Bild auf das Gewühl des -Ballsaales. Unter dem blendenden Lichte des elektrischen Kronleuchters -waren die Farben da unten wie ein tausendfarbiger Blumenstrauß: -Lindenblütengrün und erikafarben, perlgrau und rosa, violett und -altgold -- das Schillern der Seide, die stumpfe Weichheit des -Chiffon -- die tiefen Töne des Sammet und das grelle Blitzen der -Metallstickereien und der Paillettengarnierungen. - -Dazwischen das Weiß und Schwarz der Herrenkleidung; diese brutal -einfachen Farben bildeten einen guten Hintergrund für die tausend -schillernden Nuancen der Damenkleider. - -Und wie dem bunten Blumenstrauß Tautropfen, auf denen die Sonne -funkelt, die letzte Vollendung geben, so funkelte hier das -unvergleichliche Feuer der Edelsteine. - -Das Licht brach sich weißsprühend in den Brillanten, blutfarben -brannten die Rubinen, Smaragden gleißten, der lockende, matte Schimmer -der Perlen und das regenbogenfarbig gebrochene Licht der Opale. - -Monika sah nur zerstreut hinunter. Ihr lag ihr Auftrag am Herzen. Die -abgrundtiefe Bitterkeit, die sie gestern in Ediths Seele gesehen, hatte -sie erschüttert. Wenn sie dazu beitragen konnte, dem armen Mädchen zu -seinem Glück zu verhelfen, so würde ihr das eine Herzensfreude sein. - -Und sie wiederholte ihre erste Bemerkung. - -„Ja, Fräulein von Gräbert sieht heute überraschend gut aus,“ sagte Lork. - -„Warum überraschend? Sie ist doch immer reizvoll.“ - -Er äußerte ein unbestimmtes „Hm“, das ebenso gut ja wie nein heißen -konnte. - -Aber Monika ließ nicht locker. - -„Ich bin überhaupt froh, daß ich mich mit Fräulein von Gräbert für -die Reise zusammengefunden habe. Sie ist so amüsant, sie verbindet -schärfste Logik mit Sinn für Humor.“ - -„Sind Sie schon lange miteinander befreundet?“ - -„Nein, erst seit kurzer Zeit. Ich hatte zuerst die Absicht, allein nach -Luzern zu gehen.“ - -„Sie sind gar nicht dazu geschaffen, allein zu sein,“ sagte er und -wendete sich plötzlich voll zu ihr herum. Bisher hatten sie beide -nebeneinander an der Balustrade gelehnt. - -Mit einem heißen Aufleuchten seiner Augen blickte er ihr ins Gesicht, -in das reizende Gesicht mit den rosigen Farben. Ihre Schultern -leuchteten blendend aus der rosa Seide ihres Kleides. - -„Warum sagen Sie das?“ fragte sie leise. - -„Weil ich das meine und weil ich mitunter sage, was ich meine.“ - -„Nicht immer?“ - -„O nein, durchaus nicht.“ - -Da wurde sie lebhaft, wie immer, wenn etwas Ungewöhnliches ihre -Aufmerksamkeit fesselte. Und es wurde ein lebhaftes Hin und Her von -Meinungen und Gedanken, von Bemerkungen, die oft paradox, immer aber -geistreich waren. - -Monika plauderte sich ganz heiß; zum ersten Male seit langer Zeit -interessierte sie ein Gespräch. - -Sie hatte nie geglaubt, daß dieser Graf Lork, den sie bisher für einen -recht oberflächlichen Lebemann gehalten, so originelle Anschauungen -haben würde. - -Und sein Erstaunen war nicht kleiner. Er hatte geglaubt, Frau von -Wetterhelm sei eine sehr hübsche Modepuppe, deren Horizont über -Toilettenfragen kaum hinausging. - -War doch Monika in der ganzen Zeit so sehr zurückhaltend gewesen, hatte -so gar nichts von der sprühenden Art verraten, die sonst in ihrer Natur -lag. - -Ja, das Erstaunen war ein gegenseitiges. Als man sich spät in der Nacht -trennte, erwartete Lork mit förmlicher Ungeduld den nächsten Tag und -die morgendliche Bootfahrt. - -Als an dem Ballabend Edith Monika vor dem Schlafengehen sehr gespannt -fragte: „Nun, -- -- was sagte er?“, wußte sie einen Augenblick gar -nicht, worum es sich handelte. Doch gleich darauf war sie im Bilde. Sie -sagte: - -„Edith, ich will ganz offen sein. Also: ich habe nicht gemerkt, daß er -ein besonderes Interesse für Sie hätte.“ - -„Das weiß ich allein,“ klang es hart zurück, „ich will es ja auch erst -in ihm erwecken.“ - -„Vielleicht war ich nicht sehr geschickt im Erfüllen meiner Aufgabe,“ -sagte Monika. „Wir haben schließlich von ganz anderen Sachen -gesprochen.“ - -„Aber das ist doch selbstverständlich,“ rief Edith lebhaft dazwischen. -„Allzu auffallend darf das doch nicht gemacht werden! Jetzt tun Sie -mir bloß die Liebe, Monika, und werfen Sie nicht sofort die Flinte ins -Korn! Das wäre doch nicht gerade eine große Freundschaft, wenn Sie -schon genug davon hätten! Daß Sie nicht auf Anhieb einen großen Erfolg -erzielen würden, mit der Reklame für mich -- das war mir von vornherein -klar. Aber nicht nachlassen -- -- bitte, bitte, Monika! Helfen Sie mir! -Nicht wahr, Sie werden versuchen, mir weiter zu helfen?“ - -So kam es denn, daß in der nächsten Zeit Monika viel mit Lork zusammen -war. Sie gab ihm gegenüber die strenge Zurückhaltung auf, die sie alle -die Zeit hindurch gehabt. - -Es kam jetzt oft vor, daß sie sich mit ihm von den anderen absonderte. -Es geschah ja im Interesse einer anderen. Und der Verlauf des Gesprächs -war immer derselbe: sie begann damit, ihm irgendwelche Vorzüge von -Edith zu rühmen, und dann ging die Unterhaltung andere Bahnen, berührte -tausend Gebiete und enthüllte Monika jedesmal von neuem, welch weiten -Horizont der Graf hatte. Der hing nicht an Vorurteilen, der war kein -Prinzipienreiter wie Georg von Wetterhelm. - -Langsam ging Monika immer mehr aus sich heraus, erschloß immer mehr von -ihrem Gefühlsleben, in der unwillkürlichen Empfindung einer starken, -seelischen Verwandtschaft mit dem Grafen. - -Gleich ihr hatte er eine Abneigung gegen viele Forderungen der -Konvention. - -Gleich ihr empfand er eine tiefe Liebe für die schönen Künste. - -Wohl bestand insofern ein Unterschied, als es ihm hauptsächlich die -Musik angetan hatte, während sie in Gedichten ihre stärksten Anregungen -fand. Aber dieser Unterschied war ja nicht fundamental, waren es doch -Rhythmen, die sie beide beglückten. - -Uebrigens begann ihr häufiges Zusammensein aufzufallen. Bei einem -Ausflug nach Rigi-Kaltbad, den man in größerer Gesellschaft -unternahm, brüskierte Lork die anwesenden Damen dadurch, daß er sich -ausschließlich mit Monika beschäftigte. Schon bei der Dampferfahrt von -Luzern nach Vitznau war das aufgefallen. Als man dann in Vitznau die -Rigibahn bestieg, richtete Lork es so ein, daß er mit Monika im zweiten -Wagen der elektrischen Bahn saß, während alle übrigen Teilnehmer des -Ausflugs im ersten Wagen Platz genommen hatten. - -Die Bahn stieg ihren steilen Weg empor, bot wundervolle Ausblicke auf -den See, der in der Tiefe funkelte wie ein Juwel. - -Vorbei ging es an Reihen mächtiger Laubbäume, bis weiter oben die -dunkeln Tannenwaldungen anfingen und spröde Bergkräuter den Boden -überwucherten. - -Ein auffallender Temperaturunterschied machte sich bemerkbar. Für -sie alle, die unten auf dem See den goldenen Geschossen der Sonne -ausgesetzt gewesen, bedeutete es ein Aufatmen: die Luft voll kühler -Frische, voll herber Reinheit. Leichte Wolken lagen in dieser Höhe, -hingen wie ein dünner, weißer Schleier über den dunkeln Tannen. - -Auf Station Kaltbad verließ die Gesellschaft die Wagen, schritt, -während die Bahn weiter der Höhe zustrebte, zum Hotel, in dem das -Frühstück bestellt war. - -Es herrschte bei diesem Frühstück keine einheitliche Stimmung. Es -hatten sich zu viele Einzelgruppen gebildet, die sich ihren eigenen -Interessen hingaben, sich um das Allgemeinwohl nicht kümmerten. - -Der Leutnant von Berningen widmete sich ausschließlich seinen beiden -schönen Holländerinnen, schenkte der Mutter Tee und der Tochter Whisky -ein. - -Herr und Frau von Rassow, ein hochzeitsreisendes Paar, erfüllten -getreulich ihre Verpflichtung als Jungvermählte: nur für einander zu -existieren. - -Herr von Milorski, dem es, weil man so zeitig am Morgen aufgebrochen, -möglich gewesen, seinen beiden Hüterinnen zu entfliehen, machte Edith -die Cour, -- diese war übrigens damit sehr wenig einverstanden, sie -betrachtete mißbilligend Milorskis frisches Gesicht, -- wie ein -riesiges, wohlgenährtes Baby sah er aus. -- Seine Wangen glänzten vor -Hitze und vor Freudigkeit. - -Nein, das war nichts für Edith! -- Sie warf einen bösen Blick auf -Lork und Monika, die auch eine Gruppe für sich bildeten und lediglich -miteinander beschäftigt schienen. - -Nach dem Frühstück ging man in den Park des Hotels, der schön -wie ein Märchengarten war mit dem unvergleichlichen Grün seiner -Rasenflächen und seinen Gruppen prachtvoller Nadelbäume, über denen das -Silbergespinnst des zarten Nebels hing. - -Dieser Nebel trennte Monika und Lork bald von der übrigen Gesellschaft. -Sie beide waren ganz allein in dieser grünen, silberumsponnenen -Einsamkeit. - -„Was für ein Entzücken, hier zu atmen,“ sagte Monika, „so recht aus -tiefster Brust zu atmen --“ - -„Wie ein Rausch ist es.“ - -„Ja, wie ein unendlich zarter Rausch -- --“ - -„Höhenluft!“ sagte Lork. - -Und dieses Wort ließ mit einem Schlage in Monikas Gedanken die Gestalt -ihres Mannes auftauchen. - -Sie wußte selber nicht warum. Aber sie empfand einen Zusammenhang -zwischen der herben, starken Höhenluft und Georgs Wesen. - -Und gleich darauf flammte eine Empörung in ihr auf. - -Was sollte es, daß sie jetzt an ihn dachte?! - -Sie wollte nicht mehr an ihn denken -- -- nie mehr! - -Und sie lachte und sprach, und sie war lebhaft, liebenswürdig wie nie -zuvor. - -An diesem Tage erzählte sie zum ersten Male Harry Lork von ihren -schriftstellerischen Versuchen. - -Er bewies ein glühendes Interesse, schmeichelte ihr das Versprechen ab, -ihm noch heute abend irgendeines ihrer Manuskripte zu geben. - -„Aber es sind eigentlich alles nur Notizen,“ sagte Monika verlegen, -„gar nichts Fertiges, nur Betrachtungen. Ich habe sie eigentlich nur -für mich selbst geschrieben.“ - -„Aber das ist ja unendlich interessanter, als wenn es anders wäre,“ -rief er lebhaft. „Ich habe bei allen Kunstwerken mehr Interesse für die -erste Skizze als für das fertige Werk.“ - -Und am Abend gab ihm Monika wirklich ein paar Seiten, die sie -geschrieben. - -Sie hatte mit sich gekämpft, ehe sie es getan. Aber dann sagte sie -sich, daß sie doch nicht allein für sich schreibe, sondern daß sie für -ein Publikum arbeiten wolle; daß es doch gerade ihr Lebensberuf sein -würde, ihre Gedanken der Menge preiszugeben. - -Ja, sie hatte gedacht: „der Menge... preiszugeben ...“ - -Warum empfand sie nicht mehr wie früher, als es ihr höchste Seligkeit -erschienen war, ihre Gefühle anderen zugänglich zu machen, sie mit -teilnehmen zu lassen an Freuden und Schmerzen? - -Jetzt war in ihr ein Zurückschauern vor diesem Gedanken. - -Waren das wieder Vorurteile, die Georg ihr in die Seele gepflanzt?! - -Nun, die wollte sie wohl noch besiegen.... - -Und trotzig griff sie aufs Geratewohl in den kleinen Stoß von Heften in -ihrem Schreibtisch, nahm eines davon heraus und gab es nach dem Diner -dem Grafen Lork. - -Auf den Blättern stand: - -„In die Vasen auf meinem Kaminsims habe ich weiße Rosen gestellt. -Halberblüht sind sie. Ihre schweren Kronen sehen aus wie aus Elfenbein -geschnitzt; geschnitzt von einem primitiven Meister, denn ihr Kern -ist noch plump. Die blassen Blätter liegen so fest übereinander, -daß sie eine einzige Masse bilden.... Nur zwei, drei der äußersten -Blütenblätter fangen an, sich von dem festen Kern zu lösen, und -unter ihnen sitzen die zwei Hüllenblätter, weit auseinandergetan, -sonderbar tiefrosig überhaucht.... Wie blutbefleckt sehen diese offenen -Kelchblätter aus. - -Inmitten all der Rosen, all dieser weißen, halberblühten, mit den -zwei blutigen Hüllenblättern, prangt die eine, die voll erblüht ist. -Jedes einzige ihrer Blätter hat seine Schönheit vollendet, hauchdünn -und leicht zeichnet es seine Form in zarter Kontur. Und in der -weitgeöffneten Rose glüht der goldhelle Blütenstaub. - -Vollendung!... - -Warum gibt es so viele, die die halbgeöffnete Rose mehr lieben -als die vollendete? Ist es der uralt ewige Fluch der unseligen -Prometheuskinder, die ihr Glück immer nur in der Zukunft sehen? Denen -die Ahnung einer seligen Zukunft lieber ist als die seligste Gegenwart? - -Ach, diese Rosen beschreiben -- wie kann man das? So beschreiben, -daß man sie duften fühlt, daß man die seltsam rosigen Hüllenblätter -sieht... und mit den Nerven der Fingerspitzen fühlt, wie unendlich -weich und kühl diese Blütenblätter sind. - -Die Sprachen sind alle unzureichend, zu wenig ausgebildet. - -Wie viel tausend Empfindungen haben wir, die wir nicht sagen können, -weil die Sprache keine Worte hat, um die tausendfarbigen Nuancen zu -bezeichnen. - -Wir stehen da wie Robinson auf seiner Insel. Unsere Werkzeuge sind zu -einfach, unsere Waffen zu stumpf. - -Mitunter kommt es wohl vor, daß man in einem Gedicht ein paar Worte -hört, die einem die Nerven erzittern lassen, daß man schauernd -ahnt, wie schön die Sprache sein +könnte+, wenn man sie pflegte -und veredelte, wie der Gärtner die Rosen pflegen mußte, ehe sie so -kühlweiße Kelche hatten mit zwei blutrosigen Hüllenblättern. - -Aber alle Sprachen sind ungepflegt, sind Stückwerk. Keine von ihnen -kann die Nuancen geben. - -Schade! Worte sind doch alles. - -An Worten hängt unser Schicksal. Wie wenig haben Taten oft zu bedeuten! -Taten gibt es, die nicht mehr zu erkennen sind unter der Last von -tausenden schwirrenden Worten. Taten, die entstellt werden durch -Worte, wie ein schönes Jünglingsantlitz durch Wunden, wie ein holdes -Mädchengesicht von fressendem Aussatz. - -Andere wieder werden durch Worte so wundersam verschleiert wie eine -Landschaft durch einen Nebelhauch. - -Ach, Worte... - -Und zu fühlen: die Worte, die wir kennen, sind zu schwach, sie, die uns -Flügel sein sollten, sind uns nur Krücken! - -Wohl könnte ich sagen, was für Rosen in den Vasen auf meinem Kamin -blühen, aber wie soll ich das Glück beschreiben, das ich empfinde beim -Anschauen dieser Pracht, beim Anschauen dieser schwellenden Rosen, die -schönheitsstrotzend ihrem Tode entgegenblühen?“ -- -- - -Am nächsten Tage, während der Morgen-Bootfahrt, sagte Lork zu Monika: - -„Ich kann Ihnen nicht sagen, einen wie tiefen Eindruck Ihre Zeilen mir -gemacht haben. Besonders darum, weil sie Gedanken enthalten, die ich -oft gefühlt und die ich nie in Worte habe bringen können. Zum Beispiel -das, was Sie über die Sprache sagen. Wie oft habe ich das empfunden: -es gibt tausendfache Gefühlsnuancen, für die wir keine Worte haben. -Besonders, wenn es sich um Liebe handelt. Gerade das Erwachen der Liebe -ist mit Worten nicht zu bezeichnen, jenes Stadium, das eigentlich noch -keine Liebe ist, auf das aber die Liebe so unbedingt folgt wie Frühling -auf den Vorfrühling. Jenes Stadium, wo man einer Frau die Hand küßt und -dabei anfängt, an ihre Lippen zu denken.....“ - -Und Graf Lork beugte sich bei diesen Worten tief über Monikas Hand. - -[Illustration] - - - - -15. - - -Von diesem Tage ab gab Monika ihm oft etwas, was sie geschrieben, -Phantasien, Betrachtungen, manchmal ein Gedicht. Und immer aufs neue -war sie erstaunt von dem Verständnis, das er ihr entgegenbrachte. Ein -Verständnis, das bis ins einzelste ging und jede flüchtige Nuance zu -würdigen wußte. - -Sie empfand ein lebhaftes Erstaunen darüber. Wenn man Lork kennen -lernte, vermutete man so gar nichts Aehnliches in ihm. Die ganze erste -Zeit ihrer Bekanntschaft war er ihr als weiter nichts erschienen -als ein Mann von guten gesellschaftlichen Formen und von banaler -Liebenswürdigkeit. Und nun dieses feinsinnige Eingehen auf jeden ihrer -Gedanken. - -Und die grenzenlose Mühe, die er sich gab, ihr jeden Wunsch von den -Augen abzulesen, ihr jede Laune zu erfüllen, kaum daß sie ausgesprochen -war. -- -- Sie verstand ihn erst dann, als sie ihn einmal Klavier -spielen hörte. - -An einem brütend heißen Nachmittag war’s. In der Halle hatte man die -großen Stores heruntergelassen, und diese dünne Scheidewand genügte, -um das rote Brennen des Sommertages in eine opalblasse Dämmerung zu -verwandeln. - -In den Korbstühlen und Schaukelstühlen lagen ein paar Hotelgäste in -„aufgelösten“ Stellungen herum. - -Eine sehr hübsche Russin war sogar im Peignoir erschienen, in einem -nilgrünen und goldgestickten Peignoir, dessen Farben mit einem tiefen, -metallischen Glanze aufleuchteten in dem sanften Halblicht, das man in -der Halle hergestellt hatte. - -Ein Engländer verpflanzte tropische Angewohnheiten hierher, indem er -sich ein nasses Handtuch auf den Kopf gelegt und einen der Liftboys -angestellt hatte, ihm Kühlung zuzufächeln. -- Kein Punkah war’s, den -er bewegte, sondern einer der bunten Papierfächer, die das Hotel als -Reklame-Angebinde den Damen widmete, die dort soupierten. - -In der Bar, die an die Halle anstieß und in der ein übernächtigt -aussehender Mixer immer neue ~Ice-drinks~ mischte, saßen Lork, Monika, -Edith, Berningen und Milorski. - -Berningen war tief betrübt von seinem Ausflug ins Holländische -zurückgekehrt, seitdem vor zwei Tagen zwei Offiziere der -niederländischen Kolonial-Armee angekommen: der eine, Major, war der -Gatte der schönen Mutter, und der Leutnant der Verlobte der pikanten -Tochter, dessen Existenz sie bisher unterschlagen. - -Aber seitdem er da war, hatte sie jedenfalls nur für ihn noch Augen, -und die schöne Mama bezeigte ihrem Manne eine hingebende Liebe, die als -geradezu vorbildlich für eheliches Glück hätte gelten können. - -Berningen machte jetzt aus Verzweiflung Edith die Cour, Monika war -seiner Ueberzeugung nach „in festen Händen“; Lork wich ihr ja nicht von -der Seite. - -Edith sagte sich, daß die Redensarten Berningens nicht den mindesten -Wert für sie besäßen. Sie wußte, daß er sich mit seiner knappen Zulage -nur mit Mühe bei den Kronprinz-Ulanen zu halten vermochte; er konnte -unbedingt nur ein reiches Mädchen heiraten. - -Und doch blieb es nicht ohne Eindruck auf sie, wenn er ihr -Schmeicheleien sagte. - -Und wenn sie zehnmal wußte, daß das nur dumme Redensarten waren... sie -hatte zu lange Jahre gedarbt, um jetzt nicht auch Brosamen zu genießen. - -Sie versuchte gegen das Wohlgefühl anzukämpfen, das sie durchrieselte, -wenn die hübschen, leichtsinnigen Leutnantslippen ihr Freundliches -zuflüsterten. Sie versuchte ganz bewußt, diesen Flirt dazu auszunutzen, -um Lork eifersüchtig zu machen, aber das schien vergebliche Mühe. -- - -Herr von Milorski war entzückt von der Hitze und zog sich die -Verwünschungen der anderen zu, als er „hoffte, es würde noch monatelang -so fortgehen“. - -Ja, er hoffte es!... Lag doch oben seine furchtbare Ehehälfte, machtlos -hingestreckt im verdunkelten Zimmer, und im Zimmer nebenan, ebenso -machtlos, ebenso unschädlich gemacht die dräuende Schwiegermutter. - -So saß man nun in der Bar des Hotels und trank auf Lorks Rat Whisky. - -Monika konnte zwar ein gewisses unangenehmes Gefühl nicht loswerden. -Der Whisky schmeckte ihr, sogar sehr -- aber wie Georg das wohl -gefunden haben würde, wenn eine Dame in der Bar saß und Whisky trank? - -Ach was, Georg! Schon wieder Georg.... Trotzig bejahte sie, als Lork -sie fragte, ob sie noch ein Glas wolle. Und von neuem rann der seltsam -brennende Trank ihr durch die Kehle. - -Das Gespräch kroch dahin wie ein verwundetes Tier; langsam.. -schleppend.. plötzlich ein paar krampfhaft schnelle -Vorwärtsbewegungen.. und wieder.. der langsame Trott... - -Da sagte Lork in eine Stille hinein, in der man nur die Fliegen summen -gehört: „Ich werde Ihnen etwas Musik machen.“ - -„Spielen Sie denn?“ rief Edith lebhaft. - -Er hatte sich erhoben. Man ging in eines der Gesellschaftszimmer. -Blauseidene Vorhänge dämpften dort das Licht. Durch einen Spalt fiel -eine schräge Sonnenbahn ins Zimmer, Millionen Sonnenstäubchen flirrten -goldig. - -Und dieser zuckende Flimmerschein beleuchtete Harry Lorks Züge, als -er spielte. War es diese unruhige Beleuchtung, die sein Gesicht so -verändert erscheinen ließ? Wo war nun die träumerische Weichheit, die -sonst in seinen Augen lag? - -Zwei Fackelbrände waren aufgelodert in diesen Augen, zwei harte Linien -zogen sich von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln hinunter, der -Unterkiefer war vorgeschoben, wie in Gier und Qual... - -Und seine Hände, seine sonst so kraftlosen Hände mit den schmalen -Gelenken hatten eine fanatische Energie, seit sie die Tasten berührt. -Melodien stiegen empor.. brennend wie der Sommerwind, der den Blüten -den Samen aus den Kelchen gerissen ... Melodien, die die Zuhörer -aufwühlten, daß die Männer blaß wurden und die Frauen erröteten... - -Die Leidenschaft war’s, die aus diesen Tasten schrie.. und eine Frage.. -eine sehnsuchtzitternde, qualvoll inbrünstige Frage.... - -Eine Frage war’s, das fühlten sie alle hier. - -Und die, an die diese Frage gerichtet war, verstand plötzlich. -Verstand, daß da neben ihr und für sie die rote Rose Leidenschaft -aufgeblüht war, von deren heißer Schönheit sie ihr Leben lang geträumt. - -Ein Wirbel von Empfindungen war in ihr, sie war keines klaren Gedankens -fähig. - -In ihrem von der sengenden Hitze und den machtvollen Tonwellen -überreizten Gehirn bebte nur ein Gedanke: die rote Rose Leidenschaft... - -Gleich darauf trennte man sich. Die Damen gingen in ihre Zimmer hinauf, -um sich zum Diner umzuziehen. - -Und während Monika damit beschäftigt war, die Haken ihres weißen -Chiffonkleides zu schließen, öffnete sich die Tür, die zu Ediths Zimmer -führte. - -Ohne angeklopft zu haben, trat Edith herein und sagte mit vor Aufregung -verzerrtem Gesicht: - -„Sie scheinen ja Ihre Freundschaftsmission recht hübsch ausgeführt zu -haben.“ - -„Was wollen Sie damit sagen?“ - -„Daß Sie Lust nach einem zweiten Gatten spüren, ehe Sie den ersten los -sind.“ - -Eine brennende Zorneswelle überflutete Monika. Sie wollte auf -Edith los, ihr die Faust mitten in das blasse, höhnische Gesicht -hineinschlagen, aber mechanisch gehorchte sie den Worten, die ihr, -wie von Georgs Stimme gesprochen, in den Ohren klangen: „Ruhe, -Selbstbeherrschung...“ - -Und so sagte sie nur: „Kein Wort weiter.“ - -„Ja, das könnte Ihnen so passen: kein Wort weiter!“ klang es keifend -zurück, „nachdem Sie mir heilig versprochen haben, Lork für mich -einzunehmen, haben Sie ihn mit Ihrer raffinierten Koketterie für sich -selbst geködert!“ - -Eine Flut von Verwünschungen, von Vorwürfen stieß sie hervor. - -„Woraus schließen Sie denn eigentlich, daß ich Lork erobert habe?“ -fragte Monika kalt, als eine Augenblickspause ihr gestattete, ein Wort -einzuschieben. - -„Woraus ich das schließe? Das habe ich eben im Gefühl.“ - -„Sie behaupten doch sonst, daß Gefühle vor dem Verstand keine Geltung -haben.“ - -Aber Edith war nicht in der Verfassung, sich auf logische Gespräche -einzulassen. Ihr Körper zuckte in stummem Schluchzen; sie preßte die -Faust an den Mund, drückte sich die Zähne tief ins eigene Fleisch. -Aber die hysterische Krise war nicht mehr zurückzudämmen. Ein paar -Augenblicke später wälzte sich Edith auf dem Boden und stammelte unter -stoßweisen Schluchzen und Schreien, wie unglücklich sie wäre. - -Monika stand ein paar Schritte davon. Ihr Mitgefühl wurde ausgelöscht -von der Abneigung, die sie gegen diese Unbeherrschtheit empfand. Mit -einer Art dumpfen Erstaunens dachte sie: - -„Vor ein paar Jahren, als junges Mädchen, habe ich mich gerade so -angestellt, wenn ich etwas nicht erreichte.“ - -Unfaßlich erschien ihr das jetzt. - -Als Edith endlich wieder drüben in ihrem Zimmer war, war es sehr spät -geworden. - -Monika beschloß, gar nicht hinunterzugehen, sondern sich oben servieren -zu lassen. - -Das Zimmertelephon schlug an. - -Graf Lork fragte an, ob die Damen heute nicht zum Essen kämen. - -„Nein,“ erwiderte Monika, „und morgen auch nicht. Ich habe einen -Ausflug vor.“ - -Am nächsten Morgen verließ sie das Hotel zu einer ungewöhnlich frühen -Stunde. - -Sie mietete ein Motorboot für den Tag. - -„Irgendwohin,“ erwiderte sie dem Bootsmann auf seine Frage, nach -welchem Orte sie wolle. - -Und sie lag, auf dem Rücken ausgestreckt, im Boot, das durch die -durchsichtig grünen Wogen schnitt, an lachenden grünen Ufern vorüber. - -Die höhersteigende Sonne sandte Fluten von Licht und Wärme herunter. - -Monikas Gedanken waren wie taumelnde Schmetterlinge, die im -fieberhaften Fluge über die Blüten irren... - -Sie kam erst spät am Abend ins Hotel und ging gleich in ihr Zimmer -hinauf. - -Sie war todmüde und konnte doch nicht schlafen; eine sonderbare -Helligkeit war in ihrem Kopfe... - -Wie rote Brände zuckte es vor ihren Augen. - -Das war wohl der lange Sommertag, der ihr Blut so überhitzt hatte, all -die Glut, die auf sie niedergebrannt war, alle die Gerüche, die sie -geschlürft: der herbe Hauch vom See, das frische Duften der Laubbäume -und das strenge Aroma der Nadelwälder. - -Oder war es die Frage, die sie nicht schlafen ließ, die Frage, die -gestern aus den Tonwellen auf sie eingedrungen? - -Am Morgen endlich verfiel sie in einen unruhigen Schlaf, aus dem eine -schrill krähende Stimme sie weckte. - -„Wer ist denn heute bei Fräulein von Gräbert?“ fragte sie das -Stubenmädchen, das gerade den Tee gebracht. - -Die brave Schweizerin machte erstaunte Augen. „Aber das ist ja -Mademoiselle Bussy d’Armagnac de Montnoir, die da singt. Die haben wir -seit gestern abend hier. Fräulein von Gräbert ist gestern doch schon -mit dem Mittagszuge weg.“ - -Ja, Edith war fort, ohne ein Wort des Abschieds. Monika atmete im -ersten Augenblick wie erleichtert auf, also Szenen wie die gestrige -waren nicht mehr zu befürchten. - -Aber als sie sich dann zum Lunch anzog, wollte es doch wie Bangen in -ihr aufsteigen: zum ersten Male ganz allein. - -Sie überlegte einen Augenblick, ob sie Frau von Milorski und deren -Mutter bitten solle, sie an ihrem Tische Platz nehmen zu lassen, aber -gleich darauf sagte sie sich, daß es doch ein Unsinn sei, sich zur -Tischgenossin dieser unliebenswürdigen Frauen zu machen, bloß weil es -vielleicht nicht ganz passend war, ohne weibliche Begleitung zu sein. - -Und so ging sie denn auf den Tisch zu, an dem wie sonst Berningen und -Lork schon warteten. - -Das Gespräch war sehr lebhaft. Monika zwang sich, so munter wie nur -möglich zu sein. Sie plauderte unaufhörlich. Nur kein Stillschweigen -wollte sie aufkommen lassen, das gefährlicher war als alle Worte. - -Beim Dessert sprach Lork von dem Jubelfeste, das heute auf dem See -stattfände, der Festtag der Eidgenossenschaften. - -„Darf ich Sie bitten, sich das Feuerwerk von meinem Balkon aus -anzusehen?“ fragte er Monika. - -Sie starrte ihm erschrocken ins Gesicht. - -Er aber fuhr ganz harmlos fort: „Die Milorskischen Damen haben zugesagt --- --“ - -„Und ich bin erfreulicherweise auch geladen,“ fügte Berningen hinzu, -„von uns allen hat nämlich nur Lork den Balkon nach der Westseite.“ - -„Wir gehen gleich nach dem Essen zu mir hinauf,“ sagte Lork. - -Monika nickte stumm. - -Die Milorskischen Damen sahen sich mit kaum verhehltem Neide um, -als sie die von Lork bewohnten Räume betraten, die Fürstenzimmer -des Hotels. Auf der Terrasse, die sich an einen schönen blauen -Louis-XV.-Salon schloß, versammelte sich die Gesellschaft. - -Herr von Milorski bewunderte die Korbmöbel aus gediegenem grauen -Geflecht mit Goldornamentierungen. - -„Bequem wie’n Klubsessel,“ sagte er und dehnte sich behaglich in einem -der Sessel, -- „wenn ich denke, wie früher die Korbstühle waren! -- --- Die Welt schreitet doch alle Tage weiter. Es ist fabelhaft ... -Nicht?...“ - -Er erhielt auf diese Auslassungen keine Antwort. Seine Frau und seine -Schwiegermutter waren in den Salon zurückgekehrt, wo sie die Nippes -besahen. Berningen hatte sich auf das Geländer der Terrasse gesetzt -und kokettierte von da aus in den Hotelgarten zu zwei niedlichen -Amerikanerinnen hinunter. - -Monika und Lork standen ganz links, an der Seeseite. Monika sah in -die Ferne, und Lork stand über ihren Stuhl gebeugt, so nahe, daß ein -verschmitztes Lächeln das gutmütige Gesicht Milorskis überflog. - -Die Sonne war schon untergegangen, aber noch lag die ganze Schwüle -dieses endlos langen Julitages über Luzern. In dieser durchsichtigen -Dämmerung zogen sich die riesigen Laubmassen der Platanenallee am Kai -hin wie ein schwarzes Band. In den Straßen drängten Menschenscharen, -die in diesem Lichte unbestimmte Formen annahmen. Dunkel drohten die -Felsmassen vom gegenüberliegenden Ufer des Sees. - -Wie ein dumpfer Druck lag es über Monika, wie eine atemraubende -Erwartung. - -Berningen begann sich inzwischen zu langweilen. Seine neuen Flirts, -denen es im Garten wohl zu tauig geworden sein mochte, waren ins Hotel -zurückgegangen. - -„Die braven Schweizer werden ihr Feuerwerk wohl erst um Mitternacht -loslassen. Hier geht ja alles so langsam,“ murrte er. Dann steckte -er sich eine neue Zigarette an und überlegte die Situation. Die -Milorskischen „Drachen“ konnten jeden Augenblick wieder auf die -Terrasse heraustreten; Monika ließ der Lork doch nicht aus den Fingern, -und Milorski schlief schon halb vor einer Flasche Hennessy, -- -- kurz, -es war hier nichts los. - -So beschloß er denn, sich zu drücken, ging stolz über die Terrasse. Von -den dreien hier achtete doch keiner auf ihn. Mit unendlicher Vorsicht -schlängelte er sich an den Drachen im Salon vorbei. - -Dann schlenderte er zum Hafen. - -Die Schweizer waren mit Kind und Kegel von ihren Bergen -heruntergekommen. Vierschrötige Gestalten, rotbäckige Gesichter. Aus -hellen Augen starrten sie bewundernd auf das großstädtische Treiben -und auf alle die internationalen Erscheinungen, die sich hier zwischen -ihnen herumdrängten. - -Und diese Menge, die so verschiedenartig war wie die tausendfarbigen -Steinchen eines Kaleidoskops, wurde zusammengehalten durch ein Band: -die Schaugier! - -Ein „Ah“ ging über sie alle hin, als das erste geschmückte Schiff -hinausglitt auf den See. Das gleiche „Ah“ kam von all diesen Lippen, -den groben und den feinen, den schmutzigen und den gepflegten, den -welken und den blühenden. -- -- Es gefiel ihm nicht, und reumütig -schlug er den Weg wieder ein zu Lorks weißer Terrasse. - -Als er dort ankam, fand er zu seinem Erstaunen die Milorskische Familie -vollzählig im Salon von Lork, damit beschäftigt, Whist zu spielen. - -„Na, und das Feuerwerk?“ - -„Es hat ja noch nicht angefangen, -- und meine Schwiegermutter ist -so gewöhnt, um diese Zeit ihr Spielchen zu machen,“ sagte Milorski -kleinlaut. „Liebes Kerlchen, tun Sie mir den Gefallen und spielen Sie -mit statt des Strohmanns,“ fügte er hinzu. - -„Und Lork?“ - -„Ist auf der Terrasse.“ - -„Zu zweien -- --,“ sagte Frau von Milorski sarkastisch. - -Berningen beschloß innerlich, dann „lieber nicht zu stören“, und setzte -sich resigniert zum Whist nieder. - -Auf der Terrasse herrschte tiefes Schweigen. - -Die beiden sahen hinaus in die samtschwarze Nacht, und Monika fühlte -mit fast schmerzhafter Deutlichkeit die elektrische Spannung des -Mannes an ihrer Seite. - -Die Minuten strichen so langsam dahin -- tropften dahin... - -Und Nacht und Schweigen... - -Bis plötzlich ein blutroter Schein aufflammte in dieser samtschwarzen -Nacht... - -Und wieder einer... - -Und hundert plötzlich... Brennende Feuerräder, die in ungeheurem Bogen -über den tiefdunkeln Himmel emporgeschleudert wurden und in einer -wilden Strahlengarbe hinabstürzten in den See. Strahlenkränze von roten -Lichtern auf all den Masten und Rahen der Schiffe, die auf dem Wasser -kreuzten. - -Alle diese Schiffe aber blieben im Dunkeln. Man sah nur die Girlanden -von Licht -- wie Tausende roter Leuchtkäfer über dem See. - -Und wieder feurige Schlangen, die empor in den Himmel zischten, -Kometen, die eine Flammenbahn über den Horizont zogen, feurige Blumen, -die aus einem überreichen Füllhorn emporgeschleudert wurden -- -- ein -wilder Taumel von Feuer, der von der Erde emporraste in den Himmel -hinein und hinabstürzend im Wasser starb. - -Und wieder Nacht und Schweigen. -- -- Nein, Schweigen nicht... - -Worte flammten auf, heiß und rot, wie es die Feuerblumen eben gewesen... - -„Ich muß Ihnen von meiner Liebe reden, Monika. Ahnen Sie denn, wie sehr -diese Liebe von mir Besitz genommen hat? Ich bete Sie ja an: Ihre süße -Schönheit... Ihren Geist... Ihre Gutherzigkeit ... alles! Mein Denken -bei Nacht und Tag ... mein süßes Glück... meine schöne Pantherkatze, -- -sag’ ein einziges Wort... ein einziges, liebes Wort.“ - -Sie fühlte seinen brennenden Atem über ihre Wange streichen, fühlte, -wie es ihn unwiderstehlich, übermächtig zwang, sie in die Arme zu -nehmen... - -Und sich gewaltsam dem heißen Zauber entziehend, trat sie hastig einen -Schritt zurück. - -„Still! Sagen Sie mir jetzt nichts weiter.“ - -„Aber morgen muß ich Sie sprechen, Monika.“ - -Sie antwortete nicht, trat hastig in den Salon, wo die Vier über ihrem -Spiel das Feuerwerk vergessen hatten. - -Sie taumelte ein wenig, als sie ins Zimmer trat, und schloß die Augen -vor der Helle des elektrischen Lichts -- und hatte eben doch mit -offenen Augen in ein viel heißeres, rotes Feuer gesehen. - -[Illustration] - -Am nächsten Morgen hatte sie mit Lork die von ihm erbetene Aussprache. - -Solange sie nebeneinander auf der weißen Landstraße einhergingen, -sprachen sie kein Wort. Dann bogen sie in einen Fußpfad ab, der an -Wiesen und schattigen Laubbäumen vorbei hügelan führte. - -Monika setzte sich auf die Bank an irgendeinem Aussichtspunkte und -hielt ihren weißen Spitzensonnenschirm vor das Gesicht, weniger zum -Schutze gegen die Sonne als zum Schutze gegen seinen Blick. Und sie -sagte hastig: - -„Sie dürfen nicht zu mir sprechen wie gestern abend, Graf Lork. Sie -wissen ja überhaupt nichts von mir...“ - -„Doch! Fräulein von Gräbert sprach mit mir, ehe sie fortfuhr.“ - -Eine heiße Röte überflammte Monikas Gesicht. Edith hatte also vor ihrer -Abreise noch ein Zusammentreffen mit Lork arrangiert. Wer weiß, was sie -da für Verleumdungen über sie aufgetischt haben mochte! - -„Ich war unendlich glücklich über das, was Fräulein von Gräbert mir -sagte. Ich hörte, daß Sie im Begriff sind, sich scheiden zu lassen. Ist -das wahr?“ - -Monika antwortete nicht; mit aufeinandergebissenen Zähnen starrte sie -vor sich hin. - -Und in heißem Flehen sagte die Stimme des Mannes von neuem: „Das ist -wahr?... Sagen Sie mir, daß es wahr ist...“ - -Der Schirm war ihrer Hand entsunken. Sie sah jetzt geradeaus in die -flammende Sonne. - -Da griff er nach ihren Händen, umkrampfte diese kühlen, kleinen Hände -mit seinen glühend heißen Fingern und flehte: „Ist es wahr?“ - -„Ja,“ sagte sie tonlos. - -„Monika, -- -- und wenn diese Scheidung vollzogen ist, dann darf -ich hoffen, daß Sie meine Frau werden? Ich will ja Ihr Sklave sein, -Monika, ich will Ihnen jeden Willen tun, Ihnen jeden Wunsch erfüllen... -Alles! Sie wissen, wie ich Sie verstehe, wie ich jede Regung in Ihnen -verstehe und liebe! In Ihrer prachtvollen Ursprünglichkeit sollen Sie -bleiben, kein Atom Ihres Selbst will ich anders haben, als es ist. -Unser Leben wird ein Rausch sein von Glanz und Leidenschaft!“ - -Er preßte seine fiebernden Lippen auf ihre Hand. - -„Ihre Antwort, Monika...“ - -„Nicht jetzt,“ sagte sie schwer atmend, „lassen Sie mir Zeit.“ - -„Wann?“ - -„Ich weiß nicht...“ - -„Wann?“ flehte er. - -„Ein paar Tage nur...“ - -Dann gingen sie langsam den Weg zurück, den sie gekommen. - -Monika hielt den Blick tief gesenkt, nicht ein einzigesmal sah sie auf. -In seinen Augen aber war ein Schein von Siegessicherheit. - -Kurz bevor sie am Hotel ankamen, sagte er: - -„Ich werde heute und morgen wegfahren. Ich will Sie nicht stören, nicht -beunruhigen in dieser Zeit der Ueberlegung... aber übermorgen früh hole -ich mir meine Antwort.“ - -Monika schritt dahin wie im Traum. Der Lift fuhr sie in ihre Etage -hinauf, die Tür ihres Zimmers schloß sich hinter ihr. Ihr erster -Gedanke war: Dunkel, die Vorhänge herunter. - -Dann, als sei es ihr immer noch zu hell, warf sie sich übers Bett und -wühlte den Kopf in die Kissen. Dunkel... Dunkel und Schweigen... - -Aber es ward nicht dunkel vor ihren Augen. In unabsehbarer goldener und -strotzender Fülle sah sie alle Herrlichkeiten dieser Welt! - -Die alle würde dieser Mann ihr geben, alles Schönste, wonach -sie je Begehren getragen, alles Schönste, was Natur und Kunst -hervorgebracht: edle Steine und schillernde Stoffe, kostbare Bücher -und Marmorbildsäulen, Pferde und Automobile und Jachten, Gärten und -Paläste... - -Das alles würde er ihr geben in seiner heißen Liebe, die so -leidenschaftlich war, wie sie es immer ersehnt. Ganz einhüllen würde -er sie in diese flammende Leidenschaft. Seine Liebe würde sklavisch -zu ihren Füßen knien und darauf harren, ihr jeden Wunsch erfüllen zu -dürfen. - -In allen Poren fühlte sie, welche Macht sie über diesen Mann besaß, der -jede Bewegung an ihr vergötterte, jedes Wort, das sie sprach, jeden -Gedanken, den sie dachte... Der sie liebte maßlos und schrankenlos... - -+Das+ war’s, was ihr wie ein Rausch ins Blut drang, diese Erfüllung -ihrer jungen Sehnsucht: über alle Schranken hinaus... - -Georg hatte sie in Schranken gehalten und sich selbst auch. Hatte er -sie überhaupt je geliebt? War das Liebe, die nach Zügeln fragte und -nach Grenzen? Georg war ein Egoist gewesen, immer; im Mittelpunkte -seines Denkens hatte er selbst gestanden, er und seine Karriere. - -Würde er ihr je eine Ueberzeugung geopfert haben? Von Harry Lork -aber wußte sie, daß er es mit Freuden sehen würde, wenn sie alle -ihre Gefühle, alle ihre Gedanken wild wuchern ließ, daß sie üppige -Triebe und Blüten reckten. Mit Lork würde sie frei sein können im -Denken und Tun -- und überschüttet von Reichtum und fortgerissen von -Leidenschaften. - -Sie sah wieder sein Gesicht vor sich, wie sie es neulich im Musikzimmer -gesehen, als die Sonnenstäubchen drüber hingeflirrt und die Linien -beleuchtet, die die Leidenschaft hineinriß... - -Da wußte sie, was sie dem Grafen Harry Lork antworten würde, sobald er -wiederkam. - -Sie war mit ihrem inneren Leben so sehr beschäftigt, daß sie es -vermied, andere zu sprechen. Sie war fast unhöflich, gab kaum Antwort, -wenn einer der Hotelgäste sie in ein Gespräch zu ziehen suchte. - -Am nächsten Vormittag schwamm sie weit in den See hinaus. Die scharfe -körperliche Bewegung tat ihr wohl, lenkte sie ab von der heißen Arbeit -ihres Gehirns. - -Aber als sie dann nachher auf dem weißen Sande des Badestrandes lag, -waren sie alle wieder da, die Zukunftsträume. Die waren nicht mehr in -den rosigen Farben ihrer ersten Jugend gemalt, sondern in Purpur und -Gold ihrer wissenden Frauenphantasie. - -Und das Gefühl eines wilden Triumphes überkam sie: nie mehr „Sitte“ -und „Pflicht“... nur alle heißen Träume wahr machen, die ihr Gehirn je -bewegt, -- -- jede Phantasie Wirklichkeit werden lassen! - -Ja, das alles +konnte+ sie, in der Kraft ihrer blühenden Jugend, die -keinen Zügel mehr tragen würde, -- -- ungezählte Reichtümer zur Hilfe, -und einen Mann zur Seite, der ein Sklave ihrer Launen war. - -„Schrankenlos genießen“ -- -- hatte er gesagt. - -Und wie ein brausender Jubelchor klang es ihr in den Ohren: -„schrankenlos... genießen...“ - -Und doch... und doch... Es war keine volle Harmonie in diesem Hymnus. -Wohl klangen die Instrumente so lockend, lachten vor Rausch und Lust, -aber irgendwo schluchzte eine Geige, schluchzte so tief schmerzlich -- -so unerträglich sehnsüchtig -- -- - -Was war es denn, was die schluchzte? Ein Wort nur, ein einziges Wort: -„Georg“... - -Aber sie jagte diesen Gedanken von sich. Er war ein Egoist, er hatte -sie nie geliebt. Und nur jetzt keine falsche Sentimentalität. - -Sie war entschlossen. Sie wußte, was sie Lork morgen antworten würde. - -Als sie vom Schwimmbad nach Hause kam, den Blick gesenkt, um nicht -wieder in Unterhaltungen verwickelt zu werden, die sie störten, wurde -sie, als sie die Halle durchschritt, angerufen. - -„Ah, Frau von Wetterhelm,“ klang es ihr, in einer schnarrenden Stimme -gesprochen, ins Ohr. - -Sie mußte eine Sekunde lang nachdenken, wo sie dieses narbenzerrissene -Greisengesicht schon gesehen, dies Gesicht mit dem bulldoggenhaften -Ausdruck und einem goldgefaßten Monokel im linken Auge. - -„Ah, Fürst Herrlingen.“ - -Wie lange ihr das schon her schien, seit sie ihn zum letztenmal -gesehen. Und es waren doch erst zwei Jahre, daß sie die Botschaft in -London verlassen. Sie hatte dann mit dem Fürsten noch korrespondiert, -und oft hatte er ihr geschrieben, welchen Spaß ihm ihre witzigen Briefe -machten. - -Ob Herrlingen wohl wußte, wie sich ihr Lebensschicksal inzwischen -gestaltet? - -Sie war verlegen, murmelte irgend etwas, daß sie hinauf müsse, aber er -bat so dringend, sich ein paar Augenblicke zu ihm zu setzen. - -Er plauderte wie immer: in abgerissenen Sätzen, in der sehr lebhaften -Art, die er sich, trotz seiner siebzig Jahre, bewahrt hatte. Er -erzählte von gemeinsamen Bekannten. Ohne ein paar boshafte Ausfälle -ging es dabei nie ab. - -Als sie im Begriffe waren, sich zu trennen, ließ er sich noch -versprechen, daß sie heute abend mit ihm diniere. Das müsse sie schon -für einen alten Freund tun. Nicht im großen Speisesaal -- gräßlich mit -den vielen Leuten! Er würde den gelben Salon reservieren lassen. - -Monika zeigte sich am Abend in brillanter Laune. Sie scherzte und -lachte und berauschte sich schließlich an ihrer eigenen Gesprächigkeit. - -Die Unterhaltung zwischen ihnen beiden flog hin und her wie ein -Tennisball, den zwei geschickte Spieler sich zuschleudern. - -Wie früher war es. - -Nein, doch nicht wie früher... - -Da war Georg Wetterhelm mit dabei gewesen, hatte seiner Frau zugehört, -stolz auf ihren Esprit und ein wenig ängstlich, ob sie die Grenzen -innehalten würde... - -Nein, nicht wie früher war’s. - -Der Fürst schien den gleichen Gedanken zu haben. - -Einen Augenblick zögerte er, dann: „Ich möchte Sie etwas fragen, Frau -von Wetterhelm. Nehmen Sie es als Freundschaftsbeweis. Man muß mich -schon mehr interessieren, wenn ich indiskret sein soll. Hat es zwischen -Ihnen und Wetterhelm einen Bruch gegeben?“ - -Sie antwortete nicht. - -„Ich habe neulich Ihren Mann in Berlin gesehen,“ fuhr er fort, „er hat -mir nichts Besonderes über Sie erzählt. Er sagte nur, es ginge Ihnen -gut. Aber daß er nun doch nach Teheran will, nachdem er es Ihretwegen -vor drei Jahren abgelehnt -- --“ - -„Meinetwegen?!“ - -„Ah, Sie wissen es gar nicht? -- Das ist mal wieder recht Georg -Wetterhelm, es Ihnen gar nicht zu erzählen, wenn er ein Opfer bringt.“ - -„Ein Opfer?“ fragte sie mit versagendem Atem. - -„Ja, für seine Karriere war’s eins. Das habe ich ihm damals klipp und -klar auseinandergesetzt. Die Kombination lag ja damals ganz anders -als heute. Allein die Tatsache, daß er dann vor drei Jahren schon -erster Botschaftsrat geworden wäre.. Und außerdem ist damals der -Herzog Wilhelm Friedrich hingegangen, der auf Wetterhelms Beihilfe -bei seinen ethnologischen Forschungen rechnete. Wetterhelm hätte die -schönste Gelegenheit gehabt, sich nach allen möglichen Richtungen hin -auszuzeichnen. Aber er wollte nicht hin! Ihretwegen nicht. Er fürchtete -für Sie das Klima, die zeitweise recht unruhige Bevölkerung -- es war -gerade wieder ein Aufstand vorgekommen. Er sagte mir auch, daß Sie -sich, so weit von unserer Kultur entfernt, gar zu unbehaglich fühlen -würden. Ich erwiderte, das seien doch alles keine Gründe, wenn ein -Vorteil für die Karriere in Frage käme. Aber ihm stand Ihr Wohl höher. -Ich machte ihm dann den Vorschlag, sich doch für ein Jahr beurlauben zu -lassen, um an der Expedition des Herzogs teilnehmen zu können -- Sie -wissen, was Wilhelm Friedrichs Fürsprache bei uns zu bedeuten hat --, -aber er antwortete, er wolle sich nicht so lange von Ihnen trennen. Ja, -die Liebe beeinträchtigt eben auch bei sonst ganz vernünftigen Menschen -den Verstand.“ -- - -Monikas Hand zitterte so stark, daß der blutrote Burgunder aus ihrem -Glase über das Tischtuch tropfte. - -Ihr Wohl hat ihm höher gestanden als seine Karriere! - -O nur allein sein, allein sein jetzt mit ihren Gedanken, die wie eine -Meute über sie herstürzten! - -Aber die Frau von Georg Wetterhelm durfte ihre Haltung nicht verlieren. -Und sie krampfte ihre Fingernägel in die Handflächen, daß sie ihr -schmerzend ins Fleisch drangen. - -Und sie plauderte weiter, liebenswürdig und witzig, als schlüge ihr -nicht das Herz wie rasend in der Brust, als stiege ihr nicht das Blut -so heiß zu Kopfe, daß es wie ein Brausen in ihren Ohren war. - -Und der Augenblick kam, wo Herrlingen ihr abschiednehmend die Hand -küßte. - -Dann endlich in ihrem Zimmer durfte sie sich ihrem Gefühle überlassen, -durfte aufschluchzen, durfte weinen, wie sie noch nie geweint... - -War das der Mann, den sie einen starren Egoisten genannt? Dieser -Mann, der seinem Avancement schadete, um der geliebten Frau einen -unangenehmen Aufenthalt zu ersparen? Und der ihr nicht einmal etwas -davon sagte, in der herben Vornehmheit seiner Natur, die Opfer brachte -und keinen Dank dafür wollte! - -In wogenden Nebeln versanken farblos alle die farbenstrotzenden -Zukunftsschlösser, die sie gestern noch gebaut. Was war aller Reichtum -und alle Leidenschaft, was waren alle Genüsse dieser Welt, wenn ihr die -Liebe fehlte? - -Und ihre Liebe zu Georg, die sie so lange gewaltsam zurückgedämmt, -durchbrach alle Schranken, daß es ihr war, als sei ihr ganzes Sein nur -noch ein einziger Sehnsuchtsschrei nach ihm! - -Aber eisig legte sich in den Aufruhr ihrer Gefühle die Frage: Wird er -mir verzeihen? Hatte sie ihm nicht schlecht gelohnt? Hatte nicht ihr -eigenes Selbst ihr höher gestanden als sein Glück? - -Eine tiefe Mutlosigkeit wollte sie überkommen, ein banges Gefühl: Wird -das wieder gut? - -O, wenn sie ihm nur alles sagen könnte, ihm alles verständlich machen! - -Ein Irrtum war’s, der sie von seiner Seite gerissen. - -Noch einmal grüßte aus dem Dunkel des Unwiederbringlichen das Haupt -des toten Bruders, die dunkeln Wimpern über den erloschenen Augen, ein -wenig geöffnet der Mund, ein wenig traurig... - -Georgs Schuld? - -Ach nein! Die Schuld des Birkenschen Blutes, der Birkenschen Erziehung. -Die Schuld des Blutes, das Alfred unter der Tropensonne seinem Geschick -entgegenführte, das Heinrichs Leben in unklare Wirrnisse verstrickte, -das sie selbst so gefährliche Bahnen geführt. - -Und hoch über ihnen allen stand Georg. - -Sein Leben lang hatte er idealen Gütern gedient, gab seine besten -Kräfte dem Lande, das ihn gezeugt, hatte in strenger Selbstzucht, in -treuer Erfüllung seiner Pflichten seine Einzelpersönlichkeit dem Wohle -des Ganzen untergeordnet. - -Und nicht, wie sie geglaubt, war er unbeugsam und kalt dabei geworden --- nein! Er war es fähig, ein Opfer zu bringen. - -Ob er ihr verzeihen würde?... - -Ach, kein Nachdenken jetzt -- kein Fragen. - -Zu ihm! Mit dem Nachtzuge noch. - -Sie erreichte ihn noch gerade. - -Und während die Räder in rasender Hast durch das Dunkel jagten, saß sie -in eine Ecke des Coupés gedrückt, mit weit offenen Augen. - -Sie legte sich nicht hin, sie konnte ja doch nicht schlafen. - -Ob er ihr verzeihen würde?... - -Verzeihen, daß sie in egoistischer Aufwallung Haus und Herd verlassen -und den Mann, der sie liebte? - -Und sie dachte an den Abend vor bald sechs Jahren, als sie zu ihm -gefahren war, als ihr siebzehnjähriger Mädchenmund in Leidenschaft und -Liebe und Egoismus gestammelt: „Ich will mein Glück wiederhaben!“ - -Weiter und weiter durch die sternenlose Nacht, deren Schweigen mitunter -zerrissen wurde von dem gellenden Schrei der Lokomotive. Immer weiter -trug sie der Zug... zu ihm! - -Und in ihrem aufgewühlten, durchschütterten Gehirn zuckten neben den -großen Fragen kleine Sorgen auf, kleinliche Bedenken: - -„Wird er zu Hause sein? Wer wird mir die Tür öffnen? Wie mache ich’s, -daß er mich anhört ...?“ - -Tausend Möglichkeiten durchdachte sie, tausend Schwierigkeiten überwand -sie in Gedanken, immer neue Hindernisse überlegte sie sich, und wie sie -ihnen entgegentreten solle. - -Und es kam alles viel einfacher, als sie gedacht. Der Diener öffnete, -sagte ein freudig überraschtes: „Ah, die gnädige Frau!“ und nahm ihr -den Reisemantel von den Schultern. - -Und mechanisch nahm sie auch den Hut ab, so als ob sie hier zu Hause -wäre, wieder zu Hause. - -Sie schritt durch ihren blauen Salon und durch das Musikzimmer und -öffnete die Tür zu Georgs Arbeitszimmer. - -Er saß am Schreibtisch und sah nicht auf. - -Wie ernst, wie furchtbar ernst das geliebte Gesicht war! - -Sie stammelte seinen Namen. - -Und da sprang er auf. - -Kein Besinnen, kein Fragen, keine Korrektheit ... nur ein einziger, -wilder Schrei: - -„Du!“ - -Und seine Arme, die sie umfaßten, sein Mund, der sich auf den ihren -preßte, sein heißes Gestammel: „Bist Du doch gekommen, mein kleiner -Schatz? Mein geliebter, kleiner Schatz, bist Du doch gekommen, mein -Glück...“ - -„Ja, Georg, und ich will bei Dir bleiben, immer ... immer...“ - -Es bebte wie Angst in seiner Stimme: - -„Du weißt, wie verschieden unsere Naturen sind. Es mag wohl wieder ein -Tag kommen, Monika, wo ich Dein phantastisches Köpfchen nicht verstehe, -wo ich Deine Wildheit nicht gutheißen kann, wo ich Dir etwas nicht -geben kann, nicht geben darf, was Du verlangst -- wo ich Dir Deine -Wünsche nicht erfülle...“ - -„Dann...“ Der Schein einer unendlichen Hingabe verklärte ihr Gesicht. -„Dann werde ich nicht, wie in meinen Kinderjahren, sagen: ‚Mir -zuliebe!‘ Dann werde ich nicht, wie in meiner Brautzeit, stammeln: -‚Unserem Glücke zuliebe‘ -- dann werde ich das Wort sagen, das ich -jetzt sprechen gelernt habe: ‚Dir zuliebe‘!“ - -[Illustration] - - - - -Romane beliebter Autoren - - -In gleicher Form und Ausstattung erschienen: - - =R. Skowronnek=, Das Bataillon Sporck - - =Karl Hans Strobl=, Die Streiche der schlimmen Paulette - - =Ida Boy-Ed=, Ein Augenblick im Paradies - - =Felix Hollaender=, Der Eid des Stephan Huller - - =Paul Oskar Höcker=, Fasching - - =Rudolph Stratz=, Lieb Vaterland - - =G. v. Ompteda=, Margret und Ossana - - =F. v. Zobeltitz=, Die Spur des Ersten - - =Max Dreyer=, Auf eigener Erde - -Die Sammlung wird fortgesetzt - -In jeder Buchhandlung erhältlich - - - - -Ullstein & Co. - -[Illustration] - -Berlin SW^{68} - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Pantherkätzchen, by -Gertrud Marie Madeleine von Puttkamer - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK PANTHERKÄTZCHEN *** - -***** This file should be named 63933-0.txt or 63933-0.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/6/3/9/3/63933/ - -Produced by the Online Distributed Proofreading Team at -https://www.pgdp.net (This book was produced from images -made available by the HathiTrust Digital Library.) - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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You may copy it, give it away or re-use it under the terms of -the Project Gutenberg License included with this eBook or online at -www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - -Title: Pantherkätzchen - -Author: Gertrud Marie Madeleine von Puttkamer - -Release Date: December 1, 2020 [EBook #63933] - -Language: German - -Character set encoding: UTF-8 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK PANTHERKÄTZCHEN *** - - - - -Produced by the Online Distributed Proofreading Team at -https://www.pgdp.net (This book was produced from images -made available by the HathiTrust Digital Library.) - - - - - - -</pre> - - -<div class="transnote"> - -<p class="s3 center"><b>Anmerkungen zur Transkription</b></p> - -<p class="p0">Der vorliegende Text wurde anhand der 1913 erschienenen -Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. -Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche -und heute nicht mehr gebräuchliche Schreibweisen sowie Schreibvarianten -bleiben gegenüber dem Original unverändert, sofern der Sinn des Texts -dadurch nicht beeinträchtigt wird. Passagen in Dialekt wurden vom -Original ohne Korrektur übernommen.</p> - -<p class="p0">Das Inhaltsverzeichnis wurde der Übersichtlichkeit halber -vom Bearbeiter erstellt. Umlaute in Großbuchstaben (Ä, Ö, Ü) werden, -gemäß der Originalvorlage, durch deren Umschreibungen (Ae, Oe, Ue) -dargestellt.</p> - -<p class="p0">Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt; Passagen -in <span class="antiqua">Antiquaschrift</span> werden im vorliegenden -Text kursiv dargestellt. <span class="nohtml">Abhängig von der im -jeweiligen Lesegerät installierten Schriftart können die im Original -<em class="gesperrt">gesperrt</em> gedruckten Passagen gesperrt, in -serifenloser Schrift, oder aber sowohl serifenlos als auch gesperrt -erscheinen.</span></p> - -</div> - -<div class="titelei"> - -<p class="s2 center padtop3 mbot3 break-before">Pantherkätzchen</p> - -<h1>Pantherkätzchen</h1> - -<p class="s3 center">von</p> - -<p class="s1 center">Marie Madeleine</p> - -<div class="figcenter illowe5 padtop3" id="titel_zier"> - <img class="w100" src="images/titel_zier.jpg" alt="Verzierung" /> -</div> - -<p class="s3 center padtop3"><b>1913</b></p> - -<p class="s2 center">Ullstein & Co. Berlin-Wien</p> - -<p class="center padtop5 break-before"><span class="antiqua">Copyright 1913 by<br /> -Ullstein & Co., Berlin</span></p> - -</div> - -<div class="figcenter illowe32 break-before" id="titelseite"> - <img class="w100 padtop3" src="images/titelseite.jpg" alt="" /> - <div class="caption">Original-Titelseite</div> -</div> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="nobreak">Inhalt.</h2> - -</div> - -<table class="toc" summary="Inhaltsverzeichnis"> - <tr> - <td class="s5 vat" colspan="2"> - <div class="right">Seite</div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - <div class="left">Kapitel 1</div> - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Kapitel_1">7</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - <div class="left">Kapitel 2</div> - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Kapitel_2">39</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - <div class="left">Kapitel 3</div> - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Kapitel_3">85</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - <div class="left">Kapitel 4</div> - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Kapitel_4">111</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - <div class="left">Kapitel 5</div> - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Kapitel_5">145</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - <div class="left">Kapitel 6</div> - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Kapitel_6">187</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - <div class="left">Kapitel 7</div> - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Kapitel_7">209</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - <div class="left">Kapitel 8</div> - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Kapitel_8">235</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - <div class="left">Kapitel 9</div> - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Kapitel_9">259</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - <div class="left">Kapitel 10</div> - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Kapitel_10">291</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - <div class="left">Kapitel 11</div> - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Kapitel_11">315</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - <div class="left">Kapitel 12</div> - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Kapitel_12">357</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - <div class="left">Kapitel 13</div> - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Kapitel_13">383</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - <div class="left">Kapitel 14</div> - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Kapitel_14">399</a></div> - </td> - </tr> - <tr> - <td class="vat"> - <div class="left">Kapitel 15</div> - </td> - <td class="vab"> - <div class="right"><a href="#Kapitel_15">433</a></div> - </td> - </tr> -</table> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_7"></a>[S. 7]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="Kapitel_1">1.</h2> - -</div> - -<div class="dc" id="p007initial"> - <img class="illowe6" src="images/p007initial.jpg" alt="D" /> -</div> - -<p class="p0"><span class="initial">D</span>as Königskleid der Wintereinsamkeit strahlte in der Sonne, weit über -das Land war es gebreitet, — alle Unebenheiten, allen Schmutz des -Alltags deckte es zu. Und die Milliarden Schneekristalle funkelten -in der Sonne wie Gold und Brillanten; sie blitzten aus den Wegen -und Stegen und auf den Aesten und Nadeln der Bäume, deren Umrisse -phantastisch vergrößert erschienen unter der weißen Last. Die drückte -anders als im Sommer die flattrig-leichtsinnigen Blüten.</p> - -<p>Nur wenige Bäume im Parke des Herrenhauses von Sarkow standen in -trotziger Kraft und prahlten mit ihrem weißen Feierkleide — die -meisten sahen schier erdrückt aus, zusammenbrechend unter des Winters -harter Liebkosung — unter diesem Himmel von einem erbarmungslosen und -kalten Blau.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_8"></a>[S. 8]</span></p> - -<p>Inmitten des winterlichen Parks erhebt sich das Herrenhaus in ungefügen -Umrissen. Von außen ein anmutloser Kasten, aber drinnen die Zimmer, die -waren groß und hoch und in den Kachelöfen prasselte gemütlich das Feuer.</p> - -<p>Im Eßzimmer waren Frau von Holtz und ihre Tochter Marie beschäftigt, -Staub zu wischen. Nicht etwa, daß auch nur eine Andeutung von Staub -auf den blitzblanken Möbeln zu sehen gewesen wäre, aber das Reiben und -Polieren an den Gegenständen war eine Manie von Frau von Holtz.</p> - -<p>Mit ihren schönen, etwas fett gewordenen Händen führte sie das -Staubtuch über eine silberne Jardiniere. Der große Brillant am -Ringfinger ihrer linken Hand flammte auf im Strahle der Wintersonne, -die durch die Doppelscheiben des Fensters leuchtete.</p> - -<p>Während des Putzens redete Frau von Holtz auf ihre Tochter ein:</p> - -<p>„Ich bitte Dich, Du machst ein so mißmutiges Gesicht, statt Dich zu -freuen, daß Deine Cousine kommt.“</p> - -<p>„Warum sollte ich mich wohl darüber freuen?“ klang es scharf zurück. -Die hageren, roten Hände<span class="pagenum"><a id="Seite_9"></a>[S. 9]</span> des neunzehnjährigen Mädchens zerrten nervös -an dem Staubtuch, „Du weißt, mir ist Monika immer unsympathisch -gewesen.“</p> - -<p>„Aber Marie, Ihr saht Euch zuletzt, als Du sechzehn Jahre warst und sie -ein Kind von noch nicht dreizehn. Als wir damals auf der Durchreise in -Berlin waren —“</p> - -<p>„Sie war damals unausstehlich, so eingebildet —“</p> - -<p>„Aber —“</p> - -<p>„Eingebildet auf alles: auf ihre Schönheit, ihren Geist, ihre -Tanzstundenerfolge —“</p> - -<p>„Kindereien! Ich weiß nicht, wie Du das ernsthaft nehmen kannst.“</p> - -<p>„Sie wird sich inzwischen wohl kaum zum Besseren entwickelt haben. -Tante Malis Brief wenigstens ließ nicht darauf schließen! — Ich -verstehe überhaupt nicht, warum Du Tantes Wunsch, Monika einzuladen, -gleich erfüllt hast. Hier ist doch keine Korrektionsanstalt.“</p> - -<p>„Du drückst Dich wieder einmal sehr lieblos aus, Marie. Aus dem Briefe -Deiner Tante ergab sich durchaus nicht, daß Monika einer ernsthaften -Korrektion bedürfe.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_10"></a>[S. 10]</span></p> - -<p>„So?! Wie verstehst Du denn das, wenn Tante schreibt, daß Monika -„einfach nicht mehr zu bändigen“ ist, — daß Tante seit Onkels Tode -jede Autorität verloren hat! — Nun, sehr viel Autorität bei ihren -Kindern hat ja Deine liebe Schwägerin nie besessen!“</p> - -<p>Frau von Holtz nickte traurig. „Wie habe ich Johann damals gewarnt,“ -sagte sie gedankenverloren. „Man heiratet nicht solch einen -Springinsfeld, wie Mali es war —“</p> - -<p>„Und geblieben ist,“ ergänzte Marie spöttisch.</p> - -<p>„Dir steht kein Urteil über Deine Tante zu,“ sagte die Mutter, aber -es klang lau. Man merkte, daß auch ihr die Schwägerin keine große -Hochachtung abnötigte.</p> - -<p>Statt jeder Antwort zog Marie ein unliebenswürdiges Gesicht. Sie trat -ans Fenster und starrte auf die weißblendende Landschaft hinaus.</p> - -<p>Plötzlich schrie sie erstaunt auf.</p> - -<p>Und eine derartig lebhafte Gefühlsäußerung war an Marie etwas so -Ungewohntes, daß Frau von Holtz gleichfalls ans Fenster trat.</p> - -<p>Ein Schlitten war’s, der herannahte, in schleudernder Fahrt, von zwei -Trakehnern gezogen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_11"></a>[S. 11]</span></p> - -<p>Die Innenplätze des Schlittens waren leer. Auf dem Kutschersitze saß -ein junges Mädchen, das mit einem starken Ruck an den Zügeln vor der -Freitreppe parierte und mehrere Male hintereinander einen gellenden -Pfiff ausstieß.</p> - -<p>„Natürlich — Monika —,“ sagte Marie achselzuckend, während Frau von -Holtz entsetzt fragte:</p> - -<p>„Aber wo ist denn Papa? Und Friedrich? — Mein Gott, es wird doch -nichts passiert sein — —“</p> - -<p>Sie war bis in die Lippen erblaßt und stützte sich schwer auf die -Fensterbrüstung.</p> - -<p>Marie wollte hinaus, aber schon wurde die Tür von außen aufgerissen, -und herein stürmte das junge Mädchen, das auf dem Kutscherbocke -gesessen, — stürmte geradenwegs auf Frau von Holtz zu und umarmte sie -mit allem Kraftaufwand, dessen ihre Arme fähig waren.</p> - -<p>„O, Tantchen, wie ich mich freue!“</p> - -<p>„Kind, Kind, wo ist Dein Onkel?“ fragte Frau von Holtz noch immer ganz -fassungslos.</p> - -<p>„In der Bahnhofswirtschaft und hoffentlich mittlerweile beim achten -Glase Grog — —“</p> - -<p>„Aber was — — warum — —“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_12"></a>[S. 12]</span></p> - -<p>Monika begrüßte eilfertig, aber ohne die glühende Herzlichkeit, die -sie ihrer Tante bewiesen, ihre Cousine und erzählte dann, indes sie in -fröhlichem Lachen ihre prachtvollen Zähne sehen ließ:</p> - -<p>„Also, Tantchen, Onkel holte mich vom Zuge ab, und als wir in den -Schlitten wollten, kam der Drehrower Bärenstein auf Onkel zu und fragte -den Onkel was wegen des neuen Kreisdeputierten. Da gingen wir alle -drei noch in die Bahnhofswirtschaft und tranken Grog und der Drehrower -erzählte so schrecklich langweilige Sachen, von Politik und so... Da -schlich ich mich davon und auf den Schlitten. Der dicke Friedrich war -nicht da, wohl wegen des Gepäckes. Da bin ich einfach losgefahren. Es -war großartig. Bitte, bitte, nicht böse sein! Ich wollte gern schnell -zu Dir.“</p> - -<p>Von neuem fiel Monika der Tante um den Hals.</p> - -<p>Da lächelte die, schon fast versöhnt, und klingelte den Diener herbei, -der gleich wieder zur Station fahren sollte.</p> - -<p>Marie verließ mit einem halblauten „Unglaublich“ das Zimmer.</p> - -<p>„Nicht, Tante, Du bist mir nicht böse?“ bettelte Monika.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_13"></a>[S. 13]</span></p> - -<p>„Na, weil’s der erste Tag ist. — Aber Du mußt wirklich vernünftiger -werden, Kind. — — Und nun laß Dich doch mal endlich ordentlich -ansehen.“</p> - -<p>Mit prüfendem Blick musterte Frau von Holtz ihre Nichte.</p> - -<p>„Wie Du gewachsen bist! — Und hübscher geworden bist Du auch! — -— Ordentlicher leider immer noch nicht!“ — — Mit bedenklichem -Kopfschütteln faßte Frau von Holtz nach einem halbabgerissenen Knopfe -an Monikas Mantel.</p> - -<p>„Ach, für die Sachen, die ich anhabe, lohnt sich’s gar nicht, -ordentlich zu sein! — — So schöne Stoffe bekomme ich ja doch nicht!“ -Mit liebevoller Vorsicht strich Monika über das schwarzseidene Kleid -von Frau von Holtz. „Und so schön werd’ ich auch nicht wie Du, Tante. O -das wunder-wunderschöne weiße Haar und die stahlblauen Augen! Wie eine -Marquise siehst Du aus, natürlich eine vom <span class="antiqua">ancien régime</span>! Zu schade, -daß die Marie davon nichts abbekommen hat. Aber die sieht genau aus wie -Onkel. Ich ähnele Dir doch viel mehr als Deine Tochter. Nicht?“</p> - -<p>„Ja, entschieden. — Aber nun laß Dir Dein Zimmer zeigen, kleine -Plaudertasche.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_14"></a>[S. 14]</span></p> - -<p>„Welches bekomme ich?“</p> - -<p>„Das blaue.“</p> - -<p>„O wie fein! Das blaue, wo ich als ganz kleines Kind geschlafen habe! -Hurra!“</p> - -<p>Monika schwang ihre Pelzmütze und folgte seelenvergnügt ihrer Tante -die wuchtige Treppe hinauf. Das blaue Zimmer war ein großer, ziemlich -spärlich möblierter Raum, in dem der stark geheizte Kachelofen eine -angenehme Temperatur verbreitete.</p> - -<p>Ein altmodisch schmales Sofa, ebenso wie die beiden dazu gehörigen -Sessel mit blauem Rips bezogen, nahm die eine Längswand ein. Dann noch -ein schmales Bett, ein Waschtisch und ein Tisch, auf dem in einer -bunten Porzellanvase ein Strauß von Tannenzweigen steckte.</p> - -<p>Monika schwelgte in Begeisterung. „Das blaue! — — Und ganz für mich -allein! Himmlisch. Noch nie habe ich ein Zimmer für mich allein gehabt.“</p> - -<p>„Du schläfst mit Mama zusammen?“</p> - -<p>„Ja, leider. Und Mama liest immer die halbe Nacht. Und wenn Licht -brennt, kann ich natürlich nicht einschlafen.“</p> - -<p>„Hier schläft Marie,“ sagte Frau von Holtz, indes sie die Tür zum -Nebenraume öffnete.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_15"></a>[S. 15]</span></p> - -<p>„Oh — —“ Monika verstummte vor Bewunderung. In der Tat war der Raum -— rosa Seide und weißer Lack — sehr elegant ausgestattet.</p> - -<p>„Hier geht’s in Maries Wohnzimmer.“</p> - -<p>Ein neuer Ausruf des Entzückens aus Monikas Munde.</p> - -<p>„Grau mit Gold. Wie distinguiert! Nein aber wie distinguiert!“</p> - -<p>„Gefällt es Dir?“ Voll Genugtuung warf Frau von Holtz einen Blick in -die Runde.</p> - -<p>„Fabelhaft schön. Und wie teuer das sein muß!“</p> - -<p>„Nun, für unsere Einzige — —“</p> - -<p>„Hat’s die Marie gut!“</p> - -<p>Monika strich über die spiegelnden Holzflächen, über die seidenen -Bezüge.</p> - -<p>Dann entdeckte sie neue Schätze. „Ach, und da ist ein Malkasten! Und da -ein Brennapparat! Und da der Bücherschrank, ach, der Bücherschrank — -—“</p> - -<p>Schon hatte Monika die Glastür geöffnet und tastete gierig in die -Bücherreihen hinein.</p> - -<p>Aber Frau von Holtz legte ein Veto ein. „Wirst Du wohl! — Jetzt -wird nicht gelesen. Es ist die höchste Zeit, daß Du Dich wäschst und -sauber machst.<span class="pagenum"><a id="Seite_16"></a>[S. 16]</span> Ist Dir denn das nicht schrecklich, nach einer langen -Eisenbahnfahrt so herum zu laufen? Und um zwei wird gegessen.“</p> - -<p>Als Monika dann zur angegebenen Stunde das Eßzimmer betrat — etwas -ängstlich, wie der Onkel wohl ihre Eskapade aufgenommen — wurde sie -bald beruhigt durch das gutmütige Lachen in seinem roten Gesicht.</p> - -<p>„Nur immer ran, Marjell,“ rief er Monika entgegen.</p> - -<p>Sie kam zögernd näher.</p> - -<p>Die Strafe fiel gnädig aus. Ein heftiges Zupfen an ihrem linken -Ohrläppchen und ein freundlich gebrummtes: „Na, Du Racker, sei froh, -daß Du die Trakehner heil hergebracht hast, sonst — —“</p> - -<p>Beim Mittagessen erregte Monikas Riesenappetit das Wohlwollen und die -Heiterkeit von Onkel und Tante.</p> - -<p>Um Maries Mundwinkel aber zuckte unnachahmliche Verachtung jedesmal, -wenn ihrer Cousine noch ein neues „Stückchen Schmorbraten“ auf -den Teller geschoben wurde und sie noch einmal um das „wirklich -großartige“ Pfirsichkompott bat. Nach Tische zogen sich die Eltern zum -Nachmittagschlaf zurück,<span class="pagenum"><a id="Seite_17"></a>[S. 17]</span> und Monika bat ihre Cousine um die Erlaubnis, -sie in ihre „Privatgemächer“ begleiten zu dürfen.</p> - -<p>Die herbe Cousine war etwas günstiger gestimmt durch Monikas wortreiche -Bewunderung all ihrer Schätze.</p> - -<p>Und wer konnte wohl so bewundern wie Monika! Sie wurde warm und rosig -dabei, — sie glühte und strahlte, — sie hob jede Einzelheit hervor: -— — „diese Goldleiste, mit der die Tapete abschließt,“ — — und -„diese himmlische Vase mit dem Kirschblütenzweig, der auf das blasse -Opalglas gemalt ist! Und wie das alles abgetönt ist. Du hast wohl alles -selbst angeordnet?“</p> - -<p>„Nein, aber der beste Tapezier aus Königsberg hat’s arrangiert,“ sagte -Marie wichtig.</p> - -<p>„Wie glücklich Du hier sein mußt!“</p> - -<p>„Na, es geht an. Wenn Du glaubst, es ist ein Spaß, hier in der -Einsamkeit zu sitzen — —! Ich habe ja meine Freundinnen in Neustadt, -aber der Weg dahin ist so unbequem. Und nach Hahndorf ist’s noch -weiter.“</p> - -<p>„Nach Hahndorf — —“</p> - -<p>„Wir fahren ja zu den Regimentsbällen hin, aber — —“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_18"></a>[S. 18]</span></p> - -<p>„Zu den Dragonern? Zu Papas Dragonern?“</p> - -<p>„Ja.“</p> - -<p>„Oh.“ Ein zitternder Atemzug hob die junge Brust. „Oh der Papa, der -arme Papa!“</p> - -<p>Ihre Augen füllten sich mit Tränen; sie starrte an ihrer Cousine vorbei -durchs Fenster, hinaus auf den schimmernden Schnee.</p> - -<p>„Jetzt ist er schon vierzehn Monate tot, der arme Papa...“</p> - -<p>Stillschweigen lastete über dem Zimmer.</p> - -<p>„Er hätte Sarkow so gern noch mal wiedergesehen,“ sagte Monika dann.</p> - -<p>„Mama hat ihn ja oft genug eingeladen.“</p> - -<p>„Er wollte nicht kommen, solange er... solange er keine... sehr gute -Position hatte.“</p> - -<p>„Ja, wenn Deine Eltern vernünftiger gewesen wären, könnten sie noch -hier sitzen, statt wir,“ sagte Marie.</p> - -<p>Monika nickte. „Rechnen konnte Mama ja wohl nicht sehr gut,“ sagte sie -kläglich.</p> - -<p>„Und wollt’s auch nicht lernen,“ fügte Marie scharf hinzu. „Und von -ihrem Manne hätte sie’s auch nicht lernen können. Bei Onkels Art...“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_19"></a>[S. 19]</span></p> - -<p>„Ja! Nobel ist der Papa gewesen,“ sagte Monika. Sie warf den Kopf ins -Genick wie ein störrisches Pony und ihre Augen leuchteten auf. „Die -Trinkgelder, die er gegeben hat!... Wenn er mich mitnahm nach Neustadt -oder nach Hahndorf, dann dienerten die Leute dort alle bis zur Erde. -Nobel war der Papa!... Er hat kein Portemonnaie getragen, sondern das -Geld lose in der Westentasche. Und der Mama hat er gekauft, was sie -haben wollte! Und uns!... So schöne Spielsachen wie wir vier hat kein -Kind gehabt in ganz Ostpreußen!... Und wie ich vier Jahre alt gewesen -bin, habe ich zweiunddreißig Kleider gehabt und ein paar davon sind aus -echten Brüsseler Spitzen gewesen.“</p> - -<p>„Na, besser klein geflickt und groß gestickt, als umgekehrt!“ sagte -Marie und sah an Monikas schäbigem Kleide herunter.</p> - -<p>Aber sie machte sich nichts draus.</p> - -<p>„All die Gesellschaften!“ schwärmte sie weiter, „nur französischen Sekt -hat’s gegeben und lauter Delikatessen, und wir Kinder haben von allem -bekommen ... von allem...“</p> - -<p>„Traurig genug, Monchen! Man hätte besser getan, an Eure Gesundheit -zu denken. Wenn Du<span class="pagenum"><a id="Seite_20"></a>[S. 20]</span> glaubst, daß das Kindern gut tut: Sekt und -Delikatessen! ... Wenn Ihr keine gekriegt hättet, würde das geliebte -Heinzemännchen heute wohl einen besseren Magen haben!“</p> - -<p>„Seit wie lange hast Du eigentlich Heinrich nicht gesehn?“</p> - -<p>„O, seit drei Jahren. Er muß jetzt über vierzehn sein. Nicht wahr?“</p> - -<p>„Ja, grad ein Jahr jünger als ich.“</p> - -<p>„Und bringt ihm Deine Mama immer noch frühmorgens zwei Tassen -Schokolade und zwei Setzeier ans Bett?“</p> - -<p>„O, er ißt jetzt mindestens drei Setzeier. Als Chef der Familie...“</p> - -<p>„Nanu... Alfred?“</p> - -<p>„Alfred hat ihm sein Erstgeburtsrecht verkauft, schon vor vier Jahren. -Heinrich hat ihm dafür seine Briefmarkensammlung gegeben und seinen -photographischen Apparat und noch fünfzehn Mark bar. Nachher wollte -zwar Alfred die Sache wieder rückgängig machen, aber Mama...“</p> - -<p>„Tante Mali verteidigte natürlich Heinzemännchen.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_21"></a>[S. 21]</span></p> - -<p>„Richtig! Und seitdem sagt sie, das geliebte Heinzemännchen sei vermöge -seiner ethischen und intellektuellen Eigenschaften weit mehr befähigt, -der Erstgeborene zu sein, als Alfred. Mama bespricht auch alles mit -Heinzemännchen — auch alles, was mich anbetrifft. Und das hat mich -eben so wütend gemacht.“</p> - -<p>„Was war denn los?“</p> - -<p>„Ach, na so alles mögliche.“</p> - -<p>Monika besah ihre Fingernägel. Sie schien nicht recht auf das Thema -eingehen zu wollen.</p> - -<p>Aber Marie ließ nicht locker.</p> - -<p>„Na, da wirst Du wahrscheinlich was Nettes angestellt haben?“</p> - -<p>„Ach wo. — Ein paarmal hab’ ich Zigaretten geraucht und... und hab’ -ein paar Bücher gelesen, die ich nicht lesen sollte. Noch viele Jahre -nicht! hat Mama gesagt, und dabei habe ich alles, was drin stand, doch -schon jetzt sehr gut verstanden.“</p> - -<p>„So, so...“</p> - -<p>„Ja, aber Heinzemännchen sagte, es wäre himmelschreiend und die Ehre -der Familie litte darunter. — Und dann war die Sache mit Doktor -Dörnberg...“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_22"></a>[S. 22]</span></p> - -<p>„Welche Sache?“</p> - -<p>„Ach...“ Monika zögerte verlegen.</p> - -<p>„Na, sag’s doch. Ist es denn so schlimm, daß Du es gar nicht erzählen -kannst?“</p> - -<p>„Ach, ich kann’s schon erzählen. Also, weißt Du, Doktor Dörnberg ist -unser Geschichtslehrer. Und ich liebe ihn wahnsinnig. Erstens ist er -bildschön... aber ich sage Dir: wirklich bildschön!... Und dann spricht -er hinreißend! Also: ich hatte drei Gedichte an ihn gemacht, und die -lagen in meinem Vokabelheft. Da hat sie Mama gefunden — Mama stöbert -immer alles durch — und hat es mit Heinzemännchen besprochen, und -beide waren so außer sich und haben so auf mich gescholten, bis ich -vor lauter Empörung Weinkrämpfe bekommen habe. Und ich habe Mama meine -Meinung gesagt: daß es gefühlsroh ist, meine Gedichte Heinzemännchen zu -zeigen. Als ob Jungens davon was verstehen!“</p> - -<p>„Was waren’s denn für Gedichte?“</p> - -<p>„Na, Liebesgedichte.“</p> - -<p>„Sag’ mal eins.“</p> - -<p>Monika warf einen zweifelnden Blick auf ihre Cousine. Sie -kämpfte augenscheinlich mit sich. Dann aber gewann ihr offenes, -mitteilungsbedürftiges<span class="pagenum"><a id="Seite_23"></a>[S. 23]</span> Naturell die Oberhand. Sie begann zu sprechen -mit einer andächtigen Innigkeit, die ihre frische Kinderstimme ganz -verwandelt erscheinen ließ:</p> - -<div class="poetry-container"> -<div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent2">„Du Schönster mit den blauen Siegeraugen,</div> - <div class="verse indent2">Laß mich an deinen hochgeschwungenen Lippen</div> - <div class="verse indent2">Nur eine flüchtige Sekunde nippen</div> - <div class="verse indent2">Und aller Seligkeiten Fülle saugen...“</div> - </div> -</div> -</div> - -<p>„Pfui Teufel! — Na, höre mal, da kann ich Tante Malis Entrüstung -verstehn!“</p> - -<p>„Warum denn?“ sagte Monika mit unschuldsvoll verwunderten Augen, „das -ist doch schön. Und außerdem wahr. Ich liebte ihn doch.“</p> - -<p>„Na, der erste Vers war heftig! Geht’s so weiter?“</p> - -<p>„Nein! Es wird natürlich leidenschaftlicher! Es muß doch eine -Steigerung geben, das ist doch ein ganz bekanntes poetisches Gesetz. -— Aber wie gesagt: Mama war direkt schlecht und sagte, jetzt -wüßte sie auch, warum ich immer am Dienstag und Freitag, wenn wir -Geschichtsstunde haben, das neue, blaue Kleid anziehen wollte. Und -Heinzemännchen sagte, ich sei sittlich verwahrlost. Na, das konnte ich -mir doch nicht gefallen lassen.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_24"></a>[S. 24]</span></p> - -<p>„Wie kannst Du aber auch Liebesgedichte schreiben?“</p> - -<p>„Gott, dafür konnte ich doch nichts. Ich hatte mich doch in ihn -verliebt. Kennst Du das nicht, wenn’s einem so warm im Herzen wird, als -wollte das Herz aufblühen?“... Ein träumerisches Lächeln teilte die -roten Lippen. „Und man ist so unglücklich und in all dem Schmerz liegt -doch so eine Süßigkeit... Süßigkeit... so etwas Unnennbares — eine -Erwartung, ach, ich weiß nicht...“</p> - -<p>Sie brach kurz ab, erstarrend unter dem eisig spöttischen Blick, der -sie aus Maries grauen Augen traf.</p> - -<p>„Ich finde Dich riesig überspannt, liebe Mone,“ sagte sie gemessen, -„und Deine Ansichten sind unpassend. So... und jetzt habe ich Briefe zu -schreiben.“</p> - -<p>Ohne die Cousine noch eines Blickes zu würdigen, setzte sie sich an den -Schreibtisch und begann einen Briefbogen mit ihrer prätentiös schönen -Schrift zu füllen.</p> - -<p>Monika ging in ihr Zimmer. Das unangenehme Gefühl, wieder einmal zu -vertrauensselig gewesen zu sein, sich bloßgestellt zu haben, bedrückte -sie.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_25"></a>[S. 25]</span></p> - -<p>Betrübt kauerte sie sich in einen der blauen Sessel und begann an einem -Stückchen Johannisbrot zu kauen, das sie zu ihrer Ueberraschung in -ihrer Tasche entdeckt hatte.</p> - -<p>Gewiß hatte ihr Karl damit eine Ueberraschung bereiten wollen, Karl, -ihr zehnjähriger Lieblingsbruder.</p> - -<p>Aber der Genuß war bald zu Ende, das Johannisbrot aufgeknabbert, und -nun saß sie da und langweilte sich jämmerlich. Die Uhr zeigte auf drei -— noch eine ganze Stunde Zeit bis zum Nachmittagskaffee.</p> - -<p>In plötzlichem Entschluß stülpte sie die Pelzmütze auf, zog den Mantel -an und fort ging’s durch den verschneiten Park auf wohlbekannten Wegen -ins Dorf.</p> - -<p>Ihr Weg führte zur kleinsten Hütte, einer Bauernkate, die gar elend, -förmlich zusammengekauert unter der dichten Schneedecke dastand.</p> - -<p>Der Zaun war baufällig, die Fensterscheiben wie erblindet. Im Hof -an der Pumpe, von der riesige Eiszapfen herabhingen, stand ein etwa -dreijähriger, hübscher Junge und bemühte sich, den Pumpenschwengel in -Gang zu setzen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_26"></a>[S. 26]</span></p> - -<p>„Ist die Liese zu Haus?“ rief Monika ihn an.</p> - -<p>Er sperrte verdutzt die blauen Augen und den roten Mund auf, ohne zu -antworten. Da öffnete Monika ohne weiteres die Tür.</p> - -<p>Eine stickige, dumpf-heiße Luft schlug ihr entgegen. Kaum hatte sie die -Schwelle überschritten, als es drinnen aufschrie: „Monchen!“</p> - -<p>Eine Frau stürzte auf sie zu und bedeckte ihre Hände mit Küssen. „Ach -Gottchen, Monchen, bist Du’s denn wirklich, mein trautstes Monchen?“</p> - -<p>Monika gab ihr einen herzhaften Kuß. „Liebe alte Liese, wie freue ich -mich!“</p> - -<p>Zärtlich betrachtete sie die vor ihr Stehende, die eine entschiedene -Vorliebe für Farbenfreudigkeit an den Tag legte. Ein flammend rotes -Umschlagetuch kreuzte sich über ihrer Brust, um sich auf dem Rücken zu -einem großen Knoten zu vereinen. Unter dem Tuch kamen die Aermel einer -unzweifelhaft unsauberen rosa Barchentjacke zum Vorschein, und eine -dunkelblaue Küchenschürze deckte einen moosgrünen Rock. Und über dem -schief zugehakten Kragen der rosa Jacke grüßte das liebe, verblühte -Gesicht. Die dunkeln Augen, die sonst so dummpfiffig in die Welt sahen, -standen voll Freudentränen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_27"></a>[S. 27]</span></p> - -<p>„Monchen, daß ich Dir nochmal wiederseh’! — Und wie scheen Du geworden -bist, eine bildscheene Marjell — ’n bißchen anders wie Holtzens -ihre Marie!... Gottchen, das sah man ja schon gleich damals, wie -ich als Amme bei Dir kam! — Und nachher — wie warst Du scheen und -rund und dick — der reine Marzipan! Wie oft hab’ ich zu Deiner Mama -gesagt: ‚Madamchen, die wird!‘ — Gegen Dir sah die Marie keesig aus, -das kannst Du mir glauben. — Na, nu setz’ Dich bloß mal hin, mein -trautstes Monchen. So ’ne Freude, nein, die Freude!“</p> - -<p>„Liese, Du redst immer noch so viel wie früher. Und ausseh’n tust Du -auch noch so. Sogar der Zopp ist noch derselbe!“</p> - -<p>Lachend wies Monika auf den armdicken, fuchsigen Haarkranz, der über -Lieses Scheitel thronte.</p> - -<p>„Monchen, lach’ nich über meinen Zopp. Wenn er auch falsch is, scheen -is er doch. Und mir hat er immer gekleidet, schon als ich noch ein -scheenes, junges Mädchen war.“</p> - -<p>„Liese — fang’ nicht mit Jugenderinnerungen an! Sonst sitze ich heute -abend noch hier. Und Tante weiß gar nicht, daß ich weggerannt bin.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_28"></a>[S. 28]</span></p> - -<p>„O weh, da wird’s was geben! Die gnädige Tante is ja so mächtig stolz, -die spricht nie ein Sterbenswort mit uns arme Leute. Anders wie Deine -Mamachen! Nu sage bloß, was macht denn die Mamachen, seit daß der -liebe, gute, gnädige Herr Baron tot is?“</p> - -<p>Liese wischte sich erschüttert mit dem Schürzenzipfel die Augen.</p> - -<p>„So’n feiner, guter Herr kommt nich mehr wieder. Das Schwarzseidene, -was er mir zur Hochzeit geschenkt hat!... Wären nich die Motten -reingekommen, wäre es heut noch wie neu!... Ach Gottchen, so’n Herr wie -der Herr Baron! Und hat so früh müssen versterben...“</p> - -<p>„Nicht davon sprechen, Liese.“</p> - -<p>„Und was macht denn nu die Mamachen? Gottchen, so ne junge Frau und mit -vier Kinder... vier Waisenkinder...“</p> - -<p>Liese begann herzbrechend zu schluchzen. Und schluchzend und mit -gurgelnder Stimme fragte sie nach Monikas Brüdern:</p> - -<p>„Ist der Karl denn immer noch so scheen mit seine schwarze Augen und -seine blonde Locken? Ach, und wie hat der Herr Baron den Karl geliebt!“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_29"></a>[S. 29]</span></p> - -<p>„Liese, Du alte Heultute, wenn Du jetzt nicht aufhörst mit der -Lamentiererei, dann fange ich auch an zu weinen oder ich laufe weg.“</p> - -<p>„Ich bin ja schon stille, Monchen,“ sagte Liese und heulte -ohrenerschütternd weiter.</p> - -<p>„Erzähl’ mir doch lieber was von Dir — von Deinem Mann...“</p> - -<p>Wie auf ein Zauberwort hin versiegte der Tränenquell.</p> - -<p>„Ja, wir sind ja nu all vier Jahre verheiratet. Und er is so, wie -Männer nu eben so sind. Er tut ja seinen Dienst bei de Bahn ganz -ordentlich und hat auch das Allgemeine Ehrenzeichen gekriegt. Es is ja -auch ein sehr scheener Mann. Du weißt, Monchen, ich war immer sehr für -de Scheenheit.“</p> - -<p>„Na also.“</p> - -<p>„Ich wer’ Dir was sagen, Monchen: er ist zu alt. An die fuffzig is er -jetzt...“</p> - -<p>„Na, und Du, Liese?“</p> - -<p>„Fünfundvierzig.“</p> - -<p>„Das paßt doch eigentlich ganz gut.“</p> - -<p>„Ach, er hat nu schon den ganzen Kopp voll graue Haare. Und so die -richtige Forsche is auch nich mehr in ihm. Weißt Du, wenn ich dagegen -an<span class="pagenum"><a id="Seite_30"></a>[S. 30]</span> den Hanschen denk’, den Stubenmaler aus Stallupönen ...“</p> - -<p>„Wer ist denn das?“</p> - -<p>„Mein erster Bräutigam, Kind. Ein forscher Kerl war das. Groß wie so -’n Baum und den ganzen Kopp voll Locken und rote Backen. Und zwanzig -Jahre war er alt... und ich achtzehn.“ Eine Sehnsucht glomm aus in den -dumm-pfiffigen Augen.</p> - -<p>Mit ahnungsbangen Augen sah das knospende Mädchen hinüber zu der -verblühten Frau, die von erster Liebe sprach.</p> - -<p>„Liese, es ist schrecklich spät. Ich glaube, ich muß weg.“</p> - -<p>„Ja, das mußt Du, mein Trautstes, aber erst muß ich Dir mal die Stub’ -zeigen. Nu all die ganze Zeit hier in die Küche...“</p> - -<p>Liese öffnete die Tür zur Stube. Auch hier herrschte die gleiche -bedrückende Luft. Ein großes Bett nahm die eine Längswand ein; es war -auf allen vier Seiten von einem roten Kattunvorhang umgeben.</p> - -<p>„’n Himmelbett muß der Mensch haben,“ behauptete Liese stolz.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_31"></a>[S. 31]</span></p> - -<p>„Und nu kiek mal her, Monchen...“ Triumphierend wies Liese auf die -Kommode, wo vier Photographien von Monika in verschiedenen Lebensaltern -standen.</p> - -<p>„Hier aber is das Feinste for Dich,“ sagte die Liese geheimnisvoll -und führte sie ans Fenster. Auf dem Fensterbrett stand ein kleiner -Blumentopf, in welchem ein junges Myrtenstämmchen ein kümmerliches -Dasein führte. „Für Deinen Brautkranz, Monchen...“</p> - -<p>Monika lachte. „Du, die Mama hat gesagt, arme Mädchen werden heutzutage -überhaupt nicht geheiratet.“</p> - -<p>„Ach, Monchen, so scheen wie Du bist mit Deinem Gesicht wie Milch und -Blut — Dir wird früh genug einer holen.“</p> - -<p>„Desto besser, Liese, desto besser! Ich denke mir das Heiraten -großartig!“</p> - -<p>Lachend wandte sich Monika zum Gehen, zuckte aber mit einem Ausruf des -Schreckens, als plötzlich aus einer Ecke des Zimmers hinter dem Ofen -hervor ein Stöhnen klang.</p> - -<p>„Die Ollsche,“ sagte Liese erklärend.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_32"></a>[S. 32]</span></p> - -<p>Monika gewahrte dann, daß, in einen Stuhl gekauert, eine uralte Frau -hinter dem Ofen saß: sie hielt die Augen geschlossen. In dem von -tausend Falten durchfurchten Gesicht zuckte kein Muskel, wie aus Stein -gehauen saß sie da.</p> - -<p>„Die Ollsche, ’ne Tante vom Grün, Monchen. Sie is nu all -siebenundachtzig und all ein bißchen lititi im Kopp. Na, da hab’ ich -sie hergenommen.“</p> - -<p>Draußen auf dem Hof stand Fritzchen und hielt mit beiden Händen -die Vorderpfoten eines nudeldicken, weißen Spitzes, der, auf den -Hinterbeinen sitzend, genau so groß war wie der Knabe; die beiden sahen -sich stumm und liebevoll in die Augen.</p> - -<p>„So steh’n sie manchmal ’ne halbe Stunde,“ sagte Liese.</p> - -<p>Und dieses freundliche Bildchen war das letzte, was Monika bei diesem -Besuch erblickte.</p> - -<p>So schnell sie konnte, eilte sie nun zurück.</p> - -<p>Die frühe Winterdämmerung lag auf dem ebenen Lande und tauchte die -endlose Schneefläche in ein fahles Blau. Der Wind hatte sich aufgemacht -und blies durch Monikas dünnen Mantel, daß ihr ein Schauer nach dem -anderen über den Rücken lief. Aber sie rannte freudig vorwärts.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_33"></a>[S. 33]</span></p> - -<p>Und Worte kamen ihr — sie wußte selbst nicht woher — die sie laut vor -sich hinsang.</p> - -<div class="poetry-container"> -<div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent2">„Das ist der Wind meiner Heimat,</div> - <div class="verse indent2">Der über das Schneefeld braust —</div> - <div class="verse indent2">Das ist der Wind meiner Heimat,</div> - <div class="verse indent2">Der heut mir die Locken zerzaust.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent2">O tobe und tobe nur weiter, Herr Wind,</div> - <div class="verse indent2">Und erfriert auch der See und die Zweige im Wald — —</div> - <div class="verse indent2">Meine heiße, blühende Jugend,</div> - <div class="verse indent2">Die machst Du doch nimmermehr kalt!“</div> - </div> -</div> -</div> - -<p>Warm und selig war ihr zumute.</p> - -<p>Mit aller Kraft ihrer Lungen sog sie die kühle Schneeluft ein.</p> - -<p>Wie anders das war als der Großstadt Luft. O, diese Schnee-Einsamkeit, -durch die der Wind sang statt der tobenden Straßen Berlins. Ein -Zusammengehörigkeitsgefühl mit der Natur rann warm und beseligend -durch Monikas Adern. Sie mußte sich mit Gewalt zusammenreißen, um -einigermaßen gesittet das Haus zu betreten.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_34"></a>[S. 34]</span></p> - -<p>Allerdings war der Empfang, der ihr zuteil wurde, ganz dazu angetan, -ihre Stimmung schleunigst zu dämpfen.</p> - -<p>Marie empfing sie mit schadenfrohem Gesicht, und die Tante, die in -ihrem Boudoir mit einer Stickerei beschäftigt war, trug in ihrem -Gesichtsausdruck hoheitsvolle Würde zur Schau — ein böses Zeichen!</p> - -<p>Sie sagte einstweilen gar nichts, sondern zog mit gewählt schönen -Bewegungen den Faden durch die Arbeit. Man hörte in dem hübschen, -eleganten Zimmer keinen anderen Laut, als den schweren Schlag der -großen Uhr.</p> - -<p>Monika konnte diese gespannte Stimmung nicht lange aushalten. Und so -sagte sie, halb trotzig, halb flehend: „Tantchen, ich war bloß bei der -Liese.“</p> - -<p>Wenn sie geglaubt hatte, daß das ein Milderungsgrund sei, so sah sie -sich getäuscht.</p> - -<p>Tante wurde noch mehr als früher zürnende Gottheit, und dann ergoß -sich über Monika eine Standpauke, die kein Ende zu finden schien. -Erstens was die Unsitte betraf, allein auszugehen, zweitens der Mangel -an Pünktlichkeit, drittens der unhygienische Leichtsinn, in eine -Armeleutewohnung zu gehen, und so fort.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_35"></a>[S. 35]</span></p> - -<p>Immerhin schienen allmählich mildere Regungen in der Tante -aufzudämmern, denn sie schloß mit den Worten: „Und nun klingle, daß man -Dir den Kaffee nachserviert und den Napfkuchen. Du wirst einen schönen -Hunger haben.“</p> - -<p>Am Abend schrieb Monika ihrer Mutter einen Brief.</p> - -<div class="blockquot"> - -<p class="mleft3">„Liebste Mama,</p> - -<p>jetzt bin ich also wieder in dem geliebten Sarkow. Die Verwandten -sind sehr nett zu mir, ausgenommen Marie, die so hacksig ist wie -immer.</p> - -<p>Bei der Liese war ich auch schon.</p> - -<p>Liebe Mama, ich wollte ja sehr gern von zu Hause weg, aber als -der Zug sich in Bewegung setzte und ich Euch gleich darauf nur -noch aus der Ferne sah, da wurde ich doch riesig traurig. Ich habe -mich auf der langen Fahrt hierher gefragt, warum eigentlich alles -so gekommen ist, und warum wir uns die letzte Zeit so schlecht -standen, wo es doch früher so herrlich war. — Damals, als ich noch -klein war und Dir alles, alles sagte. —</p> - -<p>Du hast in der letzten Zeit manchmal gesagt: wenn Dein Vater noch -lebte, wärst Du nie so geworden!</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_36"></a>[S. 36]</span></p> - -<p>Aber das ist ganz falsch. Das hat gar nichts mit Papas Tode zu tun -— als ob ich jetzt weniger Angst hätte! Denn Angst habe ich in -meinem ganzen Leben noch nie gehabt!</p> - -<p>Aber mir sind im letzten Jahre so viele Gefühle und Empfindungen -gekommen, ich weiß selbst nicht woher — so vieles, was gar nicht -zu definieren ist.</p> - -<p>Ich kann Dir nur sagen: wie Ihr mich zu Hause behandelt habt, das -ist mir oft vorgekommen, als wenn man eine Pantherkatze wie einen -Kanarienvogel erziehen will! Ach Gott, wie schön muß das sein, -wenn man frei ist! Frei in der herrlichen Welt, sich sein Glück zu -erkämpfen. Ich <em class="gesperrt">möchte</em> Glück! Ich möchte alles haben, was -schön ist und reich! Ich möchte den Ruhm und die große Liebe und -Rausch und Glanz!</p> - -<p>Jetzt wirst Du wieder sagen, ich sei zu frühreif. Ja, aber -Frühreife ist doch auch eine Reife! Und dabei dann gequält werden -mit tausend Verboten und Vorschriften, und mit Klavierüben und -Anstand und Staubwischen! Gequält werden mit tausend Nichtigkeiten -und Kinkerlitzchen! —</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_37"></a>[S. 37]</span></p> - -<p>Uebrigens, ich hätte Dir zuliebe sehr viel davon ausgehalten, liebe -Mama, aber was nicht auszuhalten war, das war die Behandlung, die -Du mir durch Alfred und Heinrich angedeihen ließest. Warum waren -die mir zu Aufpassern und Richtern bestellt? Warum? — Sind sie -besser als ich oder reifer? —</p> - -<p>Ich würde mich schämen, wenn ich nur die Hälfte so dumme Streiche -machte wie die.</p> - -<p>Sind sie klüger als ich? — Ich möchte wissen wo!</p> - -<p>Da sind sie nun im Gymnasium, haben die besten Lehrer — und sind -so faul, daß sie die eine Hälfte ihres Pensums nicht wissen und die -andere Hälfte abschreiben.</p> - -<p>Und ich mit meinem glühenden Wissensdurst und meiner -ungewöhnlich guten Auffassungsgabe werde mit dem Bröckchen der -Mädchenschulerziehung abgespeist und alle Werte der Menschheit -erhalte ich <span class="antiqua">ad usum Delphini</span> zurechtgemacht — wenn Du -soviel Latein verstehst, Mamachen.</p> - -<p>Und dann in anderer Beziehung: Ich will nicht davon sprechen, -welche Sorte „Flammen“ Alfred und Heinrich haben, aber daß meine -Brüder die<span class="pagenum"><a id="Seite_38"></a>[S. 38]</span> Frechheit besitzen, über meine Liebesgefühle zu Gericht -zu sitzen, das ist nicht zu ertragen!</p> - -<p>Warum soll ich denn weniger empfinden als sie? Habe ich denn nicht -auch Fleisch und Blut und Nerven und Empfindungen? — Na, lassen -wir das. Ich ärgere mich bloß, wenn ich daran denke.</p> - -<p>Und ich will mich nicht ärgern, sondern selig sein, daß ich jung -bin, und daß das Leben schön wird. Vorläufig stehe ich ja noch -davor wie vor einem verschlossenen Garten. Die Mauer ist hoch, -aber drüber her hängt doch manch ein Blütenzweig. Der zeigt mir an -seinen kleinen, rosigen Blüten, wie süß die tausend Frühlingswunder -sein müssen, die hinter der Mauer sind — im Garten des Lebens.</p> - -<p>Ich wollt’, ich dürfte schon hinein!</p> - -<p class="right mright2">Monika.“</p> - -</div> - -<div class="figcenter illowe10 padtop1" id="kapitelende1"> - <img class="w100" src="images/kapitelende.jpg" alt="Ende des Kapitels" /> -</div> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_39"></a>[S. 39]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="Kapitel_2">2.</h2> - -</div> - -<div class="dc" id="p039initial"> - <img class="illowe6" src="images/p039initial.jpg" alt="M" /> -</div> - -<p class="p0"><span class="initial">M</span>onika fügte sich besser in die Hausordnung, als man es nach dem ersten -wilden Tage erwarten durfte. Sie war von überquellender Herzlichkeit zu -ihrer Tante, die sie sehr liebte, weil sie sie so schön fand.</p> - -<p>Mit dem Onkel stand sie auf einem lustigen Neckfuß: nur mit Marie -konnte sie zu keinem wärmeren Tone gelangen. Marie verhielt sich allem -Entgegenkommen Monikas gegenüber durchaus ablehnend. Sie hatte eine -instinktive Abneigung gegen das vollsaftige junge Geschöpf mit dem -heißen Hirn und dem heißen Herzen.</p> - -<p>Die Cousinen sahen sich selten allein. Nur wenn Marie mal irgendein -Anliegen an Monika hatte, bat sie sie in ihr Wohnzimmer. Und Monika tat -ihr gern jeden Gefallen.</p> - -<p>Uebrigens beneidete Marie die Cousine nicht etwa um ihre kleinen -Talente. Sie sah auf Monika herab<span class="pagenum"><a id="Seite_40"></a>[S. 40]</span> mit der ganzen Sicherheit, die die -feste Position ihres Vaters ihr gab, und fühlte sich als einziges Kind -des sehr wohlhabenden Herrn von Holtz dazu berechtigt, Ansprüche an -ihre Zukunft zu stellen.</p> - -<p>Sie betrachtete Monika als tief unter sich stehend, gleichsam -ausgeschieden aus den Reihen der guten Gesellschaft in ihrer -Eigenschaft als Tochter einer vermögenslosen Witwe.</p> - -<p>„Du wirst natürlich Dein Lehrerinnen-Examen machen,“ sagte sie ihr.</p> - -<p>„Ich denk’ nicht dran!“ trotzte Monika.</p> - -<p>„Na, was sollst Du denn sonst tun? Deinen Lebensunterhalt mußt Du Dir -doch mal verdienen und für ein Mädchen aus unseren Kreisen gibt es doch -keine andere mögliche Erwerbsart.“</p> - -<p>„Ich könnte doch Schriftstellerin werden; die sollen ja so ’ne Menge -Geld für Romane kriegen,“ warf Monika ein.</p> - -<p>Marie stimmte ein Hohngelächter an:</p> - -<p>„Ach, mach’ Dich doch nicht lächerlich. Schriftstellerin! — Als ob -das so leicht wäre! Denkst Du, mit Deinen paar Verschen ist sowas zu -machen? Du und Schriftstellerin!“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_41"></a>[S. 41]</span></p> - -<p>„Will ich auch gar nicht! Hab’ ich eben bloß so gesagt. Ich bin viel zu -hübsch, um Schriftstellerin zu werden! Ich heirate einen Prinzen und -lade Dich zur Hochzeit ein, obwohl Du es nicht um mich verdient hast.“</p> - -<p>„Rede doch kein Blech!“ Marie wurde nun im Ernst ärgerlich.</p> - -<p>Aber Monika ließ sich nicht stören.</p> - -<p>„Sollst mal sehen: einen Prinzen! Einen mit blauen Augen und -weißblonden Haaren und einem süßen, kleinen Schnurrbärtchen, so wie ein -Bürstchen geschoren. Riesig groß muß mein Prinz sein und ganz schlank -und wahnsinnig elegant. So hohen Stehkragen und als Krawattennadel eine -Perle für zehntausend Mark!“</p> - -<p>Nach diesem Trumpf trat Monika einen beschleunigten Rückzug an, da -Marie in einen bedenklichen Grad von Wut geraten war.</p> - -<p>Marie rächte sich dann auch grausam für Monikas „Größenwahn“, als an -diesem Tage die Nachmittagspost die Journalmappe brachte.</p> - -<p>Monika fand Marie behaglich ausgestreckt auf dem Teppich liegen, die -zweiundzwanzig verschiedenen Journale malerisch um sich herumgruppiert.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_42"></a>[S. 42]</span></p> - -<p>Monika legte sich sofort auch bäuchlings auf den Teppich und pürschte -sich langsam und vorsichtig an ihre Cousine heran.</p> - -<p>„Du, Mariechen...“</p> - -<p>Ein kühler Blick ward ihr zuteil.</p> - -<p>„Du wünschest?“</p> - -<p>„Würdest Du mir vielleicht erlauben, daß ich auch was davon lese?“</p> - -<p>„Nein.“</p> - -<p>„Nur, was Du schon gelesen hast.“</p> - -<p>„Bedaure.“</p> - -<p>„Ach, sei doch nicht so! Ich möchte doch so sehr gern. Gib mir bloß -irgendeine ganz kleine Zeitschrift!“</p> - -<p>„Nein.“</p> - -<p>„Und warum nicht?“</p> - -<p>„Weil man einem Mädchen von Deinen Anlagen keine Romane in die Hand -geben darf.“</p> - -<p>Aufseufzend ging Monika hinaus.</p> - -<p>„Alter Zeitungstiger!“ rief sie ihrer Cousine noch zu, die sich aber -dadurch nicht stören ließ, sondern weiter in ihren Zeitschriften -schwelgte.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_43"></a>[S. 43]</span></p> - -<p>Monika saß indessen mit bitteren Gefühlen in ihrem Zimmer und rauchte -eine dem Onkel „gestriezte“ Zigarette.</p> - -<p>Die schlechte Behandlung weckte wieder alle ihre oppositionellen -Instinkte, die jetzt mehrere Tage lang geschlummert hatten.</p> - -<p>Ein kühner Griff nach der geliebten Pelzmütze, und gleich nachher lief -Monika eilfertig ins Dorf hinunter.</p> - -<p>Zuerst fünf Minuten hinein zur Liese, die sie mit lärmender Freude -begrüßte und tiefunglücklich war, daß Monika „nur auf so ein -Augenblickchen“ gekommen war.</p> - -<p>„Ich will zu Doktor Rodenberg, Liese. Tante läßt mich nicht hin, obwohl -ich ihr gesagt habe, daß ich ihm Grüße von Mama bringen soll.“</p> - -<p>„Na, denn lauf’ man hin, Monchen. Dem Doktor is die Freude zu gönnen, -daß er Dir mal sieht. Lange leben tut der nich mehr, der sauft sich ja -zu Tod!“</p> - -<p>„Pfui, Liese, wie kannst Du sowas sagen! Der sauft gewiß nicht. So ’n -superiorer Mensch wie der Doktor!“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_44"></a>[S. 44]</span></p> - -<p>„So ’n was?“</p> - -<p>„Ach, das verstehst Du doch nicht. Nun gib mir schnell noch ’n Kuß und -komm bald mal zu uns. Tante hat gesagt, wenn ich Dich sehen wollte, -müßtest <em class="gesperrt">Du</em> mich besuchen und nicht ich Dich. Also komm bald. Ja?“</p> - -<p>Die Liese brummte etwas vor sich hin, was nicht gerade eine -Schmeichelei für Frau von Holtz bedeutete, und sah Monika dann nach, -die die Dorfstraße weiterstürmte.</p> - -<p>Immer geradeaus, bis es rechts und links keine Bauernhäuser mehr gab -und endlos sich die verschneite Landstraße dehnte.</p> - -<p>Auf freiem Felde lag Doktor Rodenbergs kleines Haus. Ein häßliches Haus -war’s aus roten Ziegeln. Auf der Haustür ein Schild, das anzeigte, wann -der <span class="antiqua">Dr. med.</span> Ernst Rodenberg seine Sprechstunden abhielt.</p> - -<p>Monika riß heftig an der Klingel, die mit wahrhaft ohrenbetäubendem -Lärm anschlug.</p> - -<p>Eine große, hagere Greisin öffnete die Tür.</p> - -<p>Die sonderbar geformte weiße Haube auf ihrem Kopf gab ihr etwas -Nonnenhaftes. Ihr Gesicht sah<span class="pagenum"><a id="Seite_45"></a>[S. 45]</span> aus, als habe es einer der primitiven -Meister des Mittelalters aus Holz geschnitzt. In ihren hellgrauen, -gleichsam verblaßten Augen war der Ausdruck eines steinernen Schmerzes.</p> - -<p>„Den Doktor wollen Sie sprechen? Ja, mein Sohn ist hier.“</p> - -<p>Sie öffnete eine Tür. Ein Geruch von Jodoform quoll Monika beißend -entgegen.</p> - -<p>Der Doktor saß an seinem Schreibtisch und drehte sich nicht um, als -Monika eintrat und die Tür hinter sich ins Schloß drückte.</p> - -<p>„Herr Doktor...“</p> - -<p>„Ja, sofort.“</p> - -<p>Er schrieb noch ein paar Augenblicke, dann wendete er sich um und -musterte erstaunt das junge Mädchen.</p> - -<p>„Doktor, wer bin ich?“ fragte sie strahlend.</p> - -<p>„Gott, die Mone!“ rief er, „die Mone...“</p> - -<p>Mit zwei Schritten war er bei ihr und schüttelte ihr die Hände.</p> - -<p>„Wie lieb, daß Du gekommen bist! — Daß Du hier bist, habe ich im -Preußischen Adler schon gehört, aber ob Du herkommen würdest...“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_46"></a>[S. 46]</span></p> - -<p>„Na ob,“ sagte Monika und blickte ihm lachend ins Gesicht.</p> - -<p>Sie sah jetzt erst, wie verändert dieses Gesicht war. Die früher so -schönen Züge begannen zu verfetten und ein trüber Glanz glomm in den -dunkeln Augen.</p> - -<p>Seine Musterung dagegen fiel äußerst befriedigend aus.</p> - -<p>„Hübsch bist Du geworden, Mone, und wirst noch hübscher sein in drei -Jahren.“</p> - -<p>Er betrachtete sie genau in dem hellen Nachmittagslicht.</p> - -<p>„Von der Mama hast Du gar nichts. Das ist der Vater, das ist -Birkenscher Wuchs: die breiten Schultern und die schmalen Gelenke. Und -auch das Birkensche Gesicht. Nur nicht so kalt siehst Du aus wie die -alle... Die Wärme, Mone, die Wärme hast Du doch von der Mama.“</p> - -<p>Das war ein Fragen und Antworten, ein Plaudern und Lachen hin und her.</p> - -<p>Die steinerne Mutter, die hereinkam, um Tee zu bringen, bekam einen -förmlichen Schreck vor Erstaunen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_47"></a>[S. 47]</span></p> - -<p>Wie lange war es doch her, daß ihr Sohn nicht mehr gelacht!</p> - -<p>Monika schwelgte in „Jugenderinnerungen“.</p> - -<p>„Lieber Doktor, da ist gar nichts zu lachen. Ich erhalte das aufrecht: -Jugenderinnerungen! Es sind ja ganze sechs Jahre, daß ich Sie nicht -mehr gesehen habe. Ich war ein Gör von zehn Jahren, als wir von hier -wegzogen.</p> - -<p>Lieber, lieber Doktor, wissen Sie noch, wenn Sie mich jeden Morgen zum -Spazierengehen abholten. Ach, war das schön, wenn Sie mich jede Pflanze -kennen lehrten und jeden Stein, jeden Käfer und jeden Schmetterling. — -Aber das schönste war doch, wenn Sie mir erzählten: Trojas Untergang -oder von Siddharda, dem indischen Königssohn. Oder vielleicht war -die germanische Mythologie doch noch schöner. Ach, Baldurs Tod oder -wie Schwanhild von den gotischen Rossen zerstampft wurde. Und die -Götterdämmerung. — Ich kann Ihnen ja nie genug für das alles danken. -Das sind die stärksten Eindrücke meines Lebens gewesen. Ich glaube, so -ein nagelneues, taufrisches Kindergehirn nimmt die Eindrücke wohl am -allerschärfsten auf. Ja?“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_48"></a>[S. 48]</span></p> - -<p>„Ach, Du kleine Weisheit. — Na, und wer ist inzwischen Dein -Lehrmeister gewesen?“</p> - -<p>„Niemand,“ seufzte Monika. „Der Papa hat sich ja nie für solche Sachen -interessiert, und die letzten Jahre war er ja auch so krank, der -arme Papa. Und Mama, ach, der bin ich ja schon lange über den Kopf -gewachsen.“</p> - -<p>„Du Gelbschnabel.“</p> - -<p>„Doktor, es ist doch wahr! Die Mama ist eine liebe, süße Frau! Aber sie -ist so kindisch!“</p> - -<p>„Wirst Du wohl nicht so despektierlich reden, Du Racker! Das glaube ich -schon, daß sie Dich nicht klein kriegt!“</p> - -<p>„Nein, und in der Schule haben sie mich auch nicht klein gekriegt. -Seit Oktober mit der <span class="antiqua">Ia</span> durch, Doktor, ein Jahr jünger als -alle andern und <span class="antiqua">prima omnium</span> natürlich. Das wundert Sie doch -nicht, alter Mentor? Mama hat mir oft genug erzählt, daß Sie mich -schon im zarten Kindesalter für „geistig abnorm begabt“ erklärt haben. -Inzwischen hat sich das ja etwas ausgeglichen und es gleicht sich wohl -noch weiter aus. Wenn ich heirate, werde ich wohl einen normalen Geist -aufzuweisen haben, und wenn ich silberne Hochzeit feiere...“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_49"></a>[S. 49]</span></p> - -<p>Der Doktor lachte Tränen.</p> - -<p>„Mone, Du warst immer eine Perle und das bist Du geblieben.“</p> - -<p>Als das junge Mädchen gegangen war, verfiel Rodenberg wieder in das -stumme Brüten, das er sich in den letzten Jahren angewöhnt hatte.</p> - -<p>Seine Gedanken flogen zurück in die Zeiten, von denen Monika gesprochen.</p> - -<p>In der geistigen Vereinsamung, in der er hier immer gelebt, war es ihm -geradezu ein Genuß gewesen, die empfängliche Kindesseele zu bilden, -Monikas auffallend früh entwickeltem Geiste stets neue Nahrung zu -geben. Mit dem Interesse des Arztes und Forschers hatte er beobachtet, -wie gierig das Kinderhirn jeden Eindruck verarbeitete, wie jedes Wort -auf fruchtbaren Boden fiel.</p> - -<p>Für den Doktor war es ein Schlag, daß Birkens fortzogen. Es wäre ihm -eine wahrhafte Freude gewesen, Monika auch fernerhin geistig zu formen. -Auch war das Birkensche Haus das einzige, in dem er verkehrte. In -seinem öden Leben war die strahlende Freundlichkeit der Baronin Birken -ein Lichtpunkt gewesen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_50"></a>[S. 50]</span></p> - -<p>Die lebhafte, hübsche Frau mit der unnatürlich schlanken Taille und der -kunstvollen Frisur hatte eine ausgesprochene Vorliebe für den Doktor.</p> - -<p>Sie war liebenswürdig, kokett, sehr kapriziös, dabei ohne jede Energie -— ein schlankes, schwankes Schilfrohr.</p> - -<p>Es hatte mal eine Zeit gegeben, wo sie dem Herzen des Doktors -gefährlich gewesen war. Ein paar unvergessene Sommerabende auf des -Herrenhauses Terrasse, während vom Park herauf der Flieder duftete.</p> - -<p>Ja, so hatten die Fliederbüsche wohl nie wieder geblüht wie in dem -Jahre — in so lastender Fülle — und so betäubend hatten sie wohl nie -mehr geduftet wie damals.</p> - -<p>Baron Birken war, wie so oft, bei „seinem“ Regiment in Hahndorf -gewesen. Und der Doktor las auf der Terrasse Frau von Birken vor: Mirza -Schaffys Gedichte.</p> - -<p>Er hatte die heißen Worte gesprochen, wie man nur sprechen kann, wenn -man liebt!</p> - -<p>Und ihre Augen schienen Antwort zu geben auf all seine stummen -Fragen...</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_51"></a>[S. 51]</span></p> - -<p>Eine trunkene Hoffnung schwellte in diesen Tagen des Doktors ganzes -Sein.</p> - -<p>Nicht lange nachher wurde er zu einem Gartenfest nach Sarkow geladen. -Da sah er, daß die hübsche Schloßherrin, wenn sie mit Kerkow -von den Hahndorfer Dragonern sprach, genau ebenso liebevoll und -verständnisinnig aussah wie an jenen Abenden, als der Flieder blühte.</p> - -<p>Und als der schöne Schmettwitz erschien, hatte sie nur für dessen -Hünenfigur noch Augen und strahlte förmlich vor Glück, als sie mit ihm -die Polonäse schritt.</p> - -<p>Der Doktor überwand die Enttäuschung schnell und freute sich nun -nach Ueberwindung der sentimentalen Krise, ohne Nebengedanken des -freundlichen Empfanges, dessen er auf Sarkow immer gewiß war. Der -Hausherr war ein brillanter Gesellschafter, und Frau von Birken legte -beim Erscheinen des Doktors regelmäßig eine Freude an den Tag, als ob -sie einen geliebten Freund nach langjähriger Trennung wiederfände.</p> - -<p>Sie war dann in reizender Weise um den Doktor besorgt, besonders in -kulinarischer Beziehung leistete<span class="pagenum"><a id="Seite_52"></a>[S. 52]</span> sie Ueberraschendes. Jedesmal gab -es eine ganze Reihe ausgezeichneter Gerichte, deren Zubereitung sie -womöglich selbst überwachte.</p> - -<p>So oft es ihr ihr Gatte, der diese Art sehr unvornehm fand, auch -verboten, sie fand doch immer wieder „ein Momentchen“, um in die -Küche hinunterzulaufen und dort der Bertha, der in Birkens ganzem -Bekanntenkreise berühmten alten Bertha, nochmals einzuschärfen:</p> - -<p>„Aber recht viel Schmand an die Sauce, Bertha,“ oder „daß mir die -Kaulbarsche bloß nicht zu lange kochen.“</p> - -<p>Bertha pflegte diese Ermahnungen nur mit einem verachtungsvollen: „Weeß -ich alleene!“ zu beantworten.</p> - -<p>Ja, als der Doktor einmal krank war und sich recht verlassen und elend -fühlte, allein in seinem Hause mit einer bäuerlichen Aufwärterin, hatte -Frau von Birken ihm täglich alle Mahlzeiten hinausgeschickt und sich, -was die Menüs anbetraf, geradezu selbst überboten.</p> - -<p>Daß ihre Gefühle nicht nur im Materiellen wurzelten, bewies sie sowohl -durch die Blumen<span class="pagenum"><a id="Seite_53"></a>[S. 53]</span>sträuße, die sie den nahrhaften Gaben beifügte, als -auch durch die ausgewählten Büchersendungen.</p> - -<p>Ja, sie war schon eine liebe Frau.</p> - -<p>Und sie blieb sich gleich.</p> - -<p>Man konnte kein Aelter-, kein Reiferwerden an ihr konstatieren.</p> - -<p>Sie hatte ihre backfischhafte Koketterie noch, als die Kinder -heranwuchsen, als Alfred schon ein großer Quintaner war und Monika -schon den Trojanischen Krieg in unleugbar talentvollen Versen besang.</p> - -<p>Ja, Monika! — Die war wohl des Doktors reinste Freude gewesen. Die -anbetende Bewunderung und das grenzenlose Vertrauen, das sie ihm -entgegenbrachte, ihr glühendes Miterleben, wenn er ihr von den uralten -Märchen der Menschheit sprach, wenn sie bittere Tränen vergoß um das -Schicksal des männermordenden Peliden oder selig strahlte über eine -gelungene List des edlen Dulders Odysseus.</p> - -<p>Mit der Freude, die ein Gärtner hat, wenn an einer von ihm gezogenen -Pflanze eine neue Knospe sprießt, war er ihrer Entwicklung gefolgt.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_54"></a>[S. 54]</span></p> - -<p>Aber schon als sie zehn Jahre alt war, hatte der Birkensche finanzielle -Zusammenbruch, der die Familie veranlaßte, nach Berlin zu gehen, Monika -seinem Einflusse entzogen.</p> - -<p>So wie er sie heute wiedergesehen, versprach sie viel für die Zukunft, -versprach, körperlich und geistig ein Edelexemplar zu werden.</p> - -<p>Wieviel sie davon halten würde?</p> - -<p>Ein müdes Zucken hob die Schultern des Doktors.</p> - -<p>Er hatte schon zu viele schöne Knospen gesehen, die gar vulgäre Blumen -wurden.</p> - -<p>Und dann — es war ja schließlich gleichgültig — es war ja alles so -gleichgültig.</p> - -<p>Mit müder Gebärde schenkte er sich aus der Rumflasche ein und blies in -dichten Wolken den Qualm seiner billigen Zigarre vor sich hin. —</p> - -<p>Als Monika zu Hause ankam, ziemlich beunruhigt, wie diese neue -Durchgängerei wohl aufgenommen werden würde, kam sie zu ihrer großen -Freude völlig unangefochten in ihr Zimmer.</p> - -<p>Sie war eben daran, mit einigen energischen Bürstenstrichen ihr -zerzaustes Haar zu ordnen, als<span class="pagenum"><a id="Seite_55"></a>[S. 55]</span> Auguste, das sechzehnjährige -Abwaschmädchen, das eine besondere Zuneigung zu Monika entwickelte, -hereinpolterte.</p> - -<p>Sie erzählte in dem besten Deutsch, das sie aufzubringen vermochte, daß -bei der Gnädigen Besuch aus Hahndorf sei und sie und Fräulein Marie und -die Gäste eben im Salon Kaffee tränken.</p> - -<p>„Hat Tante schon nach mir gefragt?“ sagte Monika hastig.</p> - -<p>Auguste bejahte, fügte aber mit verschmitztem Grinsen hinzu, sie habe -dem Diener gesagt, Fräulein Monika sei in den Ställen und werde wohl -sofort wieder hereinkommen.</p> - -<p>„Schönen Dank, Auguste. Und jetzt hilf mir mal die Bluse zuhaken.“</p> - -<p>Mit Blitzgeschwindigkeit hatte Monika eine andere Bluse übergeworfen.</p> - -<p>Besuch aus Hahndorf! Also jedenfalls Dragoner! — —</p> - -<p>Um so enttäuschter war sie, als sie im Salon nur Damen fand.</p> - -<p>„Ach, Monika, ich ließ Dich schon herbitten,“ sagte die Tante — und -dann zu der neben ihr sitzen<span class="pagenum"><a id="Seite_56"></a>[S. 56]</span>den Dame gewendet: „Meine Nichte Monika -Birken.“</p> - -<p>„Ah, Baroneß Birken,“ sagte die hagere, ältliche Dame mit einer -offiziersmäßig scharfen Stimme, „ich habe Ihren Papa gut gekannt.“</p> - -<p>Und ohne eine Entgegnung Monikas abzuwarten, wandte sie sich wieder zu -Frau von Holtz, die ihrer Nichte einen Wink gab.</p> - -<p>Gehorsam ging Monika zum Erker, in dem ihre Cousine mit einer jungen -Frau saß.</p> - -<p>Marie machte sie bekannt. Es war die Frau des Regimentsadjutanten von -Roßberg. Sie war lang, schlank und häßlich. Im übrigen seit acht Wochen -verheiratet, wie sie Monika in den ersten fünf Minuten erzählte.</p> - -<p>„Wonnegrinsend“ erzählte, konstatierte Monika in ihrem Innern und sah -wie gebannt auf die langen Vorderzähne, welche die junge Frau beim -Lachen enthüllte.</p> - -<p>Marie behandelte ihre Freundin mit ostentativer Verehrung, Hochachtung -und Zuneigung.</p> - -<p>Monika war ganz erstaunt über die Gefühlstöne, welche die sonst so -bittere Cousine anschlug.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_57"></a>[S. 57]</span></p> - -<p>„Du weißt nicht, wie ich mich nach Dir gebangt habe, Trudchen. Es war -trostlos einsam.“</p> - -<p>„Nun, Du hattest ja Gesellschaft an Deinem Cousinchen,“ sagte die junge -Frau höflich.</p> - -<p>Marie zog ein Gesicht, beredter als tausend Worte.</p> - -<p>Und Monika sagte mit der ihr eigenen fröhlichen Unbefangenheit:</p> - -<p>„Meine Cousine kann mich nämlich nicht ausstehn, Frau von Roßberg.“</p> - -<p>„Ach, rede doch nicht so,“ sagte Marie ohne jede Ueberzeugung, und dann -zu ihrer Freundin gewendet:</p> - -<p>„Mone ist doch gar nicht in einem Alter mit mir, Trudchen. Noch keine -sechzehn und noch gar nicht in die Gesellschaft eingeführt — —“</p> - -<p>„Aber zu unserem Balle kommen Sie doch wohl mit, Fräulein von Birken?“</p> - -<p>„Welcher Ball?“</p> - -<p>Marie fuhr dazwischen. „Ich glaube nicht, daß Mone hier schon ausgehn -soll.“</p> - -<p>„Ein Ball in Hahndorf?“ fragte Monika aufleuchtend.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_58"></a>[S. 58]</span></p> - -<p>„Ja, unser erster Regimentsball diesen Winter. Frau von Teufel zur Höll -wollte mit Ihrer Tante etwas besprechen wegen lebender Bilder, und da -bin ich mitgefahren, um Mariechen zu sehn.“</p> - -<p>„Frau von Teufel zur Höll?“ wiederholte Monika begeistert und mit so -wenig gedämpfter Stimme, daß Marie sie ärgerlich in den Arm kniff.</p> - -<p>„Ja, die Dame, die dort mit Ihrer Tante spricht, die Gattin unseres -Etatsmäßigen.“</p> - -<p>„Ach, welch schöner Name, welch fabelhaft schneidiger Name,“ -wiederholte Monika ganz begeistert. „Von Teufel zur Höll, — — -so möchte ich mal heißen. Hat Ihr Etatsmäßiger nicht irgend einen -unverheirateten Bruder?“</p> - -<p>Frau von Roßberg brach in Lachen aus, in das albern klingende, -grinsende Lachen, das ihr eigentümlich war.</p> - -<p>Frau von Teufel zur Höll rief herüber: „Nun, die Jugend amüsiert sich -wieder mal ausgezeichnet. Da werden wohl Pläne für unsere lebenden -Bilder entworfen. Entwickeln Sie nur recht viel Erfindungsgabe, meine -Damen. Wir möchten diesmal etwas ganz Apartes bringen.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_59"></a>[S. 59]</span></p> - -<p>Monika näherte sich, förmlich wie von einer magischen Gewalt gezogen, -der Sprecherin. In ihren Augen stand eine so intensive Anteilnahme, daß -Frau von Teufels eisiger Gesichtsausdruck einem halben Lächeln Platz -machte:</p> - -<p>„Na, das Tanzfieber fängt wohl jetzt schon an?“ sagte sie.</p> - -<p>„Darf ich denn mit?“ fragte Monika.</p> - -<p>Ungläubig klang’s und doch lag schon ein Jubel darin.</p> - -<p>Frau von Holtz neigte lächelnd den schönfrisierten, weißhaarigen Kopf.</p> - -<p>Da flog Monika auf ihre Tante zu und umarmte sie in so kindlich -echtem Jubel, daß sogar Frau von Teufel zur Höll — im Regiment -selbstverständlich „die Teufelin“ genannt — ihr darob nicht böse sein -konnte.</p> - -<p>Monika hatte sich noch nicht beruhigt, als die Damen gegangen waren. Im -Gegenteil: ihre Freude äußerte sich in Ausbrüchen, die ihre Cousine als -„geradezu indianerhaft“ bezeichnete. Aber urplötzlich schlug der Jubel -ins Gegenteil um. Mit tragischem Gesichtchen erinnerte sich Monika, -daß sie „nichts, aber absolut nichts“ anzuziehen habe. Frau<span class="pagenum"><a id="Seite_60"></a>[S. 60]</span> von Holtz -beruhigte sie: selbstverständlich würde für sie ein Kleid geschneidert -werden und Marie müsse auch ein neues haben. „Morgen früh kommt Mine -Petermann,“ fügte sie verheißungsvoll hinzu.</p> - -<p>Und am nächsten Morgen um zehn Uhr war Mine Petermann da, — die -unförmlich dicke Gestalt in ein prallsitzendes, schwarzes Kleid -gezwängt, — auf dem mächtigen Busen eine ganze Armee von Stecknadeln, -— um die Taille eine grüne Schnur, an der die Schere hing, und unterm -Arm eine ganze Ladung Mode-Journale.</p> - -<p>Auch Stoffmuster hatte Mine schon da, war in aller Herrgottsfrühe schon -nach Neustadt hin- und zurückgestiefelt und hatte sich bei Kaufmann -Kleinmichel Proben vom „Neuesten, Schönsten und Modernsten“ geben -lassen.</p> - -<p>Ja, die Mine war eine rührige Person, — nicht umsonst beehrte die -ganze Nachbarschaft sie seit zwanzig Jahren mit ihrer Kundschaft.</p> - -<p>Das war ein gar wichtiges Fragen und Beraten, was nun begann.</p> - -<p>Mine war vor dem Beginn erst im Vorzimmer mit einem Glase Portwein und -zwei Buttersemmeln<span class="pagenum"><a id="Seite_61"></a>[S. 61]</span> mit Leberwurst gestärkt worden, was erfahrungsgemäß -ihre Inspiration sehr anzuregen pflegte.</p> - -<p>Sie ging auch gleich mit einem wahren Feuereifer an die Arbeit, -erklärte, für das gnädige Fräulein Marie sei „Empire“ wie geschaffen.</p> - -<p>Begeistert tippte sie mit ihrem zerstochenen Zeigefinger auf ein -Modell: ein verführerisches Dämchen zeigte dort ihre Reize in -einem überaus anschmiegenden Empirekleide aus nilgrüner Seide mit -Perlenstickerei.</p> - -<p>Frau von Holtz wiegte bedenklich den Kopf, enthielt sich aber -einstweilen jeder Meinungsäußerung, wogegen Marie, kaum daß sie einen -Blick auf das Modebild geworfen, ihre lebhafteste Abwehr zu erkennen -gab. Sie erklärte diese Mode „für direkt schamlos“ und „hätte Fräulein -Petermann mehr Geschmack zugetraut“!</p> - -<p>Das dicke, alte Fräulein zog ein beleidigtes Gesicht, zeigte aber doch -pflichtgemäß alle Abbildungen, die vorhanden waren. Vor Maries Augen -fand nichts Gnade. Und ihre Miene entwölkte sich auch nicht, als nun -Frau von Holtz selbständige Anregungen gab, und mit der ganzen Liebe -einer<span class="pagenum"><a id="Seite_62"></a>[S. 62]</span> Mutter sich mühte, etwas recht Vorteilhaftes für ihr Kind zu -finden.</p> - -<p>„Ich denke, Mariechen, als Farbe rosa. In rosa siehst Du nicht so blaß -aus. Und ums Décolleté einen Chiffon-Volant, oder lieber zwei, das -macht Dich schön breit in den Schultern.“</p> - -<p>„Ich will aber nichts vortäuschen.“</p> - -<p>„Aber, Kind, was für Ausdrücke.“</p> - -<p>„Ich glaube, Marie möchte am liebsten mit ’nem Trotteurrock und ’ner -Bluse mit ’nem Stehkragen zum Ball gehn,“ rief Monika, die die Cousine -oft mit ihrer Vorliebe für die etwas nüchterne Kleidung neckte.</p> - -<p>„Du kannst Dir Deine Naseweisheiten sparen,“ rief Marie, und auch -Frau von Holtz warf ihr einen ernst verweisenden Blick zu: ihr war -die momentane Situation zu ernst, um sie durch Witze unterbrechen zu -lassen. „Also, glaube mir, Mariechen, oben die Volants und den Rock -unten weit ausfallend, eine recht steife Balayeuse unten hinein — —“</p> - -<p>„Ach, mach’s nur, wie Du willst,“ sagte die Tochter übellaunig. Ihre -Miene heiterte sich auch nicht auf, als Fräulein Petermann ihr Maß -nahm.<span class="pagenum"><a id="Seite_63"></a>[S. 63]</span> Die dicke Dame erklärte, das gnädige Fräulein habe seit letztem -Winter um zwei Zentimeter Brustumfang zugenommen. Frau von Holtz -zeigte sich über diese Neuigkeit sehr erfreut, aber Marie sah die Mine -nur verachtungsvoll an und sagte dann: „Denken Sie sich doch mal was -Neues aus, Mine — denn das mit dem Brustumfang behaupten Sie ja doch -jedesmal!“</p> - -<p>Mine überhörte mit parlamentarischer Gewandtheit die Bemerkung und -diskutierte eifrig mit Frau von Holtz über die Blumen, die zu der rosa -Toilette getragen werden sollten. „Heckenröschen“ fand beiderseits -Billigung, aber Marie schrie förmlich vor Empörung.</p> - -<p>„Heckenröschen, — warum nicht lieber Gänseblümchen?! Schrecklich! Ich -will überhaupt keine Blumen.“</p> - -<p>Allgemeines Entsetzen folgte diesem Ausspruche.</p> - -<p>Besonders Frau von Holtz war völlig zerschmettert.</p> - -<p>„Marie, ein junges Mädchen ohne Blumen auf dem Ball?! Wenn Du mir das -antust — —“</p> - -<p>„Ich kann doch nu mal all das Grünzeug nicht leiden! Und es paßt auch -gar nicht zu mir.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_64"></a>[S. 64]</span></p> - -<p>Frau von Holtz erhob sich, jeder Zoll gekränkte Königin.</p> - -<p>„Dann gehen wir nicht auf diesen Ball. Fräulein Petermann, Sie sind -entlassen.“</p> - -<p>Monika wurde blaß bis in die Lippen.</p> - -<p>Und auch die herbe Marie bekam einen hörbaren Schreck. Das wurde Ernst!</p> - -<p>Wenn Mama „Fräulein Petermann“ sagte statt „Mine“ — —</p> - -<p>Sie lenkte also ein, in mürrischer Weise, — aber ihr Stolz war -gebrochen. Sie gab klein bei. Nur „Heckenröschen“ sollte die Mama ihr -nicht antun.</p> - -<p>Man einigte sich also auf Akazienblüten.</p> - -<p>Und dann — endlich! — wurde an Monika gedacht.</p> - -<p>Das war leichtere Arbeit. Sie zeigte sich von allem entzückt; was man -ihr vorschlug, fand sie alles „großartig“ und „feenhaft“ und strahlte -vor Seligkeit, als Frau von Holtz sich dann für hellblau entschieden, -rund ausgeschnitten, als Garnierung Kirschblütenzweige.</p> - -<p>„Und auch ins Haar? Auch ins Haar Kirschblüten?!“ fragte Monika -flehend.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_65"></a>[S. 65]</span></p> - -<p>„Ja.“</p> - -<p>Sie verstummte vor Begeisterung.</p> - -<p>Und in Frau von Holtz stieg es wie ein bitteres Gefühl auf: wenn doch -Marie etwas von Monikas warmherzigem Wesen gehabt hätte, von ihrer -glücklichen Gemütsart, ihrer Dankbarkeit.</p> - -<p>Und am Tage des Balles war es wieder ein Vergleich, der sich der Mutter -aufdrängte, als sie die beiden in ihrem Staat sah.</p> - -<p>Marie, deren Hagerkeit das duftige Kleid nicht milderte, mit dem -straff frisierten Haar, von dem die Akazienblüten steif abstanden, und -daneben Monika, die in ihrem Ballstaat eine ganz andere schien. Die -wenig hübschen Kleider, die sie sonst trug, hatten ihrer blühenden -Jugend Eintrag getan. Das Hellblau ihres neuen Kleides hob ihren -prächtigen Teint hervor, — der runde Ausschnitt enthüllte vollendet -schöne Schultern und Arme und darüber lachte das selige Kindergesicht, -gutmütig strahlend, lebensdurstig, durstig nach Glück!!</p> - -<p>Der Ball wurde für Monika ein Erfolg.</p> - -<p>An und für sich war es für die Hahndorfer Dragoner ein Ereignis, -wenn ein „neues“ junges Mäd<span class="pagenum"><a id="Seite_66"></a>[S. 66]</span>chen auftauchte. Waren doch nur zwei -unverheiratete Damen im Regiment: die Kommandeurstöchter, und mit denen -tanzte man nun glücklich den dritten Winter, und außerdem waren sie -nichts weniger als hübsch.</p> - -<p>Möglich, daß jede von ihnen an sich ganz nett gewirkt haben würde, aber -man sah sie immer zusammen — und zusammen sahen sie geradezu komisch -aus. Violette — sie hieß tatsächlich Violette — ihre verstorbene -Mutter hatte ein <span class="antiqua">faible</span> für poetische Namen gehabt — gab an -Größe dem längsten Leutnant des Regiments nichts nach, und an Breite -übertraf sie ihn bedeutend. Sie hatte große, runde blaue Augen, einen -Helm von goldblondem Haar und wäre als Urbild einer germanischen -Heldenjungfrau gar nicht übel gewesen, wenn man nicht beständig Erika -neben ihr gesehen hätte.</p> - -<p>Erika war so ziemlich das Kleinste und Zierlichste, was man sich -vorstellen konnte, ein wahres Porzellanpüppchen! Dazu eine Fülle -dunkelsten Haares und zwei ausdrucksvoll dunkle Augen in einem -Spitzmausgesichtchen.</p> - -<p>Sie ließ ihre Schwester ungeschlacht erscheinen und dabei sah sie neben -dieser Schwester „nach gar<span class="pagenum"><a id="Seite_67"></a>[S. 67]</span> nichts“ aus, — kurz, sie beeinträchtigten -sich gegenseitig auf das schärfste.</p> - -<p>Die Leutnants pendelten ratlos zwischen ihnen hin und her, und das -Resultat war, daß immer noch keine von ihnen verlobt war, obwohl ihr -Vater keinen innigeren Wunsch hegte.</p> - -<p>Außer den beiden waren an jungen Mädchen nur noch einige -Gutsbesitzerstöchter aus der Umgegend erschienen, die keine besonderen -Attraktionen boten. Und nun eine „Neue“! — Und noch dazu die Tochter -eines alten Herrn vom Regiment, des „fidelen Birken“, von dessen Taten -man genug gehört. Und noch dazu Monika, die in den ersten fünf Minuten -mehr gute Witze gemacht als sonst ein halbes Dutzend junger Mädchen -zusammen.</p> - -<p>Nachdem sie in möglichster Eile den Damen ihren Knix gemacht, widmete -sie sich völlig den Leutnants und entfesselte durch ihre Konversation -derartige Lachstürme, daß man im Reiche der Mütter bedenklich die Köpfe -zusammensteckte.</p> - -<p>Die jungen Frauen fanden den „Kiekindiewelt“ empörend, die jungen -Mädchen erklärten sie für „schamlos kokett“.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_68"></a>[S. 68]</span></p> - -<p>Monika aber ließ sich die unverhohlene Mißbilligung, die ihr von -weiblicher Seite zuteil wurde, nicht anfechten. Sie benahm sich -übermütig froh. Ihr war zumute wie in einem Rausch; mit all ihrer -unverbrauchten Begeisterung genoß sie diese Stunden, genoß den -hohen Saal mit dem strahlenden Licht, die flirtenden Leutnants, die -Bewunderung, die aus so viel Männeraugen sprach, und den Tanz, den -Tanz, in dem sie selig dahinglitt.</p> - -<p>Schade, daß diesem Rausch so bald eine Ernüchterung folgte!</p> - -<p>Schon im Schlitten, der die Familie Holtz nach Hause fuhr, begann Marie -die Schale ihres Zornes über Monika auszuschütten. Sie sparte nicht mit -den schärfsten Ausdrücken, und Frau von Holtz tat ihr nicht wie sonst -Einhalt, sondern schwieg verstimmt.</p> - -<p>Nur der Onkel, der, bevor er sich zum Whist niedergesetzt, eine Weile -dem Tanze zugesehn, wiegte gutmütig den Kopf und murmelte schlaftrunken -vor sich hin:</p> - -<p>„Die Marjell, — genau wie die Mali! Kokett — kokett.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_69"></a>[S. 69]</span></p> - -<p>Die anderthalb Stunden Fahrt wurden für Monika ein Martyrium.</p> - -<p>Sie seufzte hörbar und erleichtert auf, als endlich, endlich der -Schlitten zu Hause hielt. Der Schnee knirschte scharf unter den -Schlittenkufen. Und ehe noch die Pferde ganz zum Stehen gebracht waren, -setzte Monika mit mächtigem Schwunge hinaus und rannte, ohne jemand -gute Nacht zu sagen, die Treppe hinauf in ihr Zimmer.</p> - -<p>Eine eisige Kälte empfing sie; die taperige Auguste hatte wohl wieder -mal vergessen, nachzulegen.</p> - -<p>Aber Monika störte die Kälte nicht. Rann doch ihr Blut so brennend -heiß durch die Adern! Sie stellte sich vor den Spiegel und hielt die -Lampe hoch. Also so — — so hübsch war sie! Die brennenden Wangen — -die flammenden Lippen — die dunkeln Augen, über die sich die Lider -mit den langen, schwarzen Wimpern langsam bewegten, wie wenn müde -Schmetterlinge mit den Flügeln schlagen. Und darunter die blendend -weiße Haut des Halses und der Schultern — — —.</p> - -<p>Monika hätte vor Glück schreien mögen, wie neulich, als sie durch den -Schnee rannte.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_70"></a>[S. 70]</span></p> - -<p>So hübsch war sie — — Welch ein Glück! —</p> - -<p>Maries Strafpredigten hatten ihr weiter keinen Eindruck gemacht. Nur -daß sie bedauerte, jetzt niemanden zu haben, mit dem sie von all den -Eindrücken sprechen konnte.</p> - -<p>Nur jetzt noch nicht schlafen!</p> - -<p>Das war doch nicht möglich, jetzt schlafen, still liegen — —</p> - -<p>Sie summte ein paar Walzertakte vor sich hin: — — ein heißes -Glücksgefühl überrieselte sie.</p> - -<p>Noch einmal die süße, süße Melodie. — —</p> - -<p>Monika schlief nicht viel in dieser Nacht. Aber trotzdem war sie am -Morgen die einzige, die frisch in die Welt schaute.</p> - -<p>Frau von Holtz hatte Migräne.</p> - -<p>Ihr Gatte sah verkatert aus, ihm bekam das lange Aufbleiben gar nicht.</p> - -<p>Marie machte einen überaus angegriffenen Eindruck, schlich, wie immer -nach Bällen, mit hochgezogenen Schultern in vornübergebeugter Haltung -herum und hüstelte, was ihre Eltern mit lebhafter Besorgnis erfüllte.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_71"></a>[S. 71]</span></p> - -<p>Frau von Holtz vergaß die eigenen Schmerzen, um Marie beständig zu -Hustenbonbons zu nötigen, und Herr von Holtz rührte unter beständigem -Schimpfen auf die „verfluchte Tanzerei“ ein Eigelb mit Zucker, das -Marie unweigerlich sofort zu essen hatte.</p> - -<p>Am Nachmittag, als man um den Kaffeetisch versammelt war, kam Besuch: -die Leutnants von Seeburg, von Hellrich und Graf Herckenstedt kamen im -Krümperschlitten an und erlaubten sich „gehorsamst zu fragen, wie den -Damen der gestrige Ball bekommen“.</p> - -<p>Da die Herren sonst nie solche Lendemainvisiten gemacht, war Marie in -bitterböser Laune, und mit der bei ihr üblichen Unverfrorenheit brachte -sie ihre Gefühle zum Ausdruck.</p> - -<p>Frau von Holtz mußte mehrmals vermittelnd eingreifen, wenn ihr -unliebliches Töchterlein wieder eine gar zu scharfe Bemerkung gemacht.</p> - -<p>Von seiten Monikas war keine Schroffheit zu fürchten. Im Gegenteil! -Da hatte man nur in der entgegengesetzten Richtung einen Dämpfer -aufzusetzen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_72"></a>[S. 72]</span></p> - -<p>Wie sie jetzt den Herckenstedt wieder anstrahlte!</p> - -<p>„Ja, getanzt haben Sie am allerbesten, Graf. Sie sind natürlich Kadiser -gewesen? Die tanzen alle gut.“</p> - -<p>„Monika, man sagt „Kadett“. Deine Art, die Worte zu verstümmeln — — -— —“</p> - -<p>„Ach, Tantchen, das kommt doch nicht so genau darauf an unter uns -Leutnants — —“</p> - -<p>Frau von Holtz fand keine Entgegnung. Es widerstrebte ihr, in Gegenwart -eines Besuches unaufhörlich zu tadeln. Andererseits war ihr die -burschikos-kokette Art ihrer Nichte entsetzlich.</p> - -<p>Sie selbst war immer sehr zurückhaltend gewesen, sehr prüde, und ihre -Tochter hatte diese Eigenschaft in verdreifachtem Maße geerbt.</p> - -<p>Und zwischen ihnen beiden saß nun Monika und kokettierte mit einer -Unbefangenheit, die geradezu verblüffend wirkte.</p> - -<p>Mit einer für ihr Alter durchaus unangemessenen Sicherheit dirigierte -sie die Unterhaltung, die den Leutnants zwar sehr ungewohnt, aber dafür -desto interessanter war.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_73"></a>[S. 73]</span></p> - -<p>Marie äußerte dazu in sehr sicherem Tone Ansichten, die sich gerade -nicht durch Geistesschärfe auszeichneten.</p> - -<p>Frau von Holtz aber, die mit ihrem ganzen Sein und Wesen in den realen -Forderungen des Alltags wurzelte, war ehrlich ärgerlich.</p> - -<p>Mit einem scharfen Ruck lenkte sie das leichte Gespräch in andere -Bahnen. Sie fragte, was man in Hahndorf diesen Winter noch für -Vergnügungen vorhabe.</p> - -<p>„Ja, hoffentlich werden nun bald die lebenden Bilder kommen, deren wir -diesmal verlustig gegangen sind,“ sagte Seeburg.</p> - -<p>Und Hellrich erklärte Monika, es sei ewig schade darum, denn in seinem -Kostüm als Griechenjüngling hätte er berauschend ausgesehen, und -dann hätte sie ihn sicher nicht so grausam behandelt wie in seiner -preußischen Dragoner-Uniform.</p> - -<p>„Und warum ist mir nun eigentlich dieser Genuß entrissen worden?“ -fragte Monika.</p> - -<p>„Ja, Baroneß, das liegt nur an Frau von Teufel zur Höll’ — —“</p> - -<p>„Die Teufelin,“ schob Monika verständnisinnig ein.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_74"></a>[S. 74]</span></p> - -<p>„Die ist nämlich höllisch —“</p> - -<p>„Natürlich!“</p> - -<p>„— anspruchsvoll, und so hat sie behauptet, unseren lebenden Bildern -fehle der Clou.“</p> - -<p>„Und dabei war es so reizend,“ klagte Herckenstedt.</p> - -<p>„Ich als Griechenjüngling,“ betonte Hellrich.</p> - -<p>„Ja, mit Erika von Holl als Partnerin in einem „griechischen -Frühlingsidyll“. — Und Fräulein Violette von Holl als Werthers Lotte -und Roßberg als Werther —“</p> - -<p>„Das ist der hübsche Adjutant?“ fragte Monika eifrig.</p> - -<p>„Der hübsche? Dieser Ehekrüppel?“ erwiderte Herckenstedt entrüstet.</p> - -<p>Und Seeburg sekundierte: „So ’n alter, verheirateter Herr!“</p> - -<p>„Acht Wochen verheiratet!“ zitierte Monika und kopierte das -Gesicht, das Frau von Roßberg immer machte, wenn sie jemandem diese -welterschütternde Tatsache mitteilte.</p> - -<p>Die Leutnants unterdrückten nur mit Mühe einen Heiterkeitsausbruch.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_75"></a>[S. 75]</span></p> - -<p>Marie aber wollte eben zu einer kräftigen Entgegnung ansetzen, — denn -wenn jemand eine ihrer Freundinnen angriff, so faßte sie das noch -schlimmer auf, als wenn es gegen sie selbst ging, — doch der gewandte -Herckenstedt verhinderte den Ausbruch, indem er in möglichster Eile -weitererzählte, daß noch ein Bild „Tanzstunde“ geplant gewesen sei -und das seit Methusalem rühmlichst bekannte: „Der Blumen Erwachen!“ -— — Aber alles das habe dem stolzen Sinn von Frau von Teufel nicht -genügt. Nun ja, wenn man ein ganzes Jahr bei der Garde gestanden, wie -die Etatsmäßige! Und so sei die Aufführung der lebenden Bilder auf -unbestimmte Zeit verschoben worden.</p> - -<p>„Bis einem von uns mal was Geniales einfällt,“ sagte Seeburg betrübt.</p> - -<p>„Und dabei hätten wir bald die schönste Gelegenheit: nächsten Monat hat -der Kommandeur Geburtstag,“ jammerte Hellrich, der es anscheinend nicht -verwinden konnte, sich nicht in seiner griechischen Schönheit zeigen zu -dürfen.</p> - -<p>„Aber das ist doch nicht so schwer, einen guten Einfall zu haben,“ rief -Monika. „Ich werde schon was finden.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_76"></a>[S. 76]</span></p> - -<p>„Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort,“ begutachtete Seeburg -zweifelnd. Aber Hellrich zeigte sich vertrauensvoller. „Ich bin -überzeugt, daß Sie was Großartiges zustande bringen, Baronesse. Sie -haben so was in den Augen, — ich finde da nicht gleich das richtige -Wort dafür, — wissen Sie, eben so was Besonderes.“</p> - -<p>„Ich fürchte, Monika überschätzt ihre Fähigkeiten,“ sagte Frau von -Holtz, die es für geraten hielt, die Bäume nicht in den Himmel wachsen -zu lassen.</p> - -<p>Aber nun protestierten alle drei Leutnants.</p> - -<p>Und als die Herren abfuhren, war es beschlossene Sache: sie würden der -„Teufelin“ Mitteilung machen, daß Fräulein von Birken sich anheischig -mache, etwas ganz Apartes für die Aufführung zum Geburtstage des -Kommandeurs zu erfinden.</p> - -<p>„Da hast Du Dich ja schön in die Nesseln gesetzt,“ sagte Marie -schadenfroh, als das lustige Glockengeklingel des Krümpers in der Ferne -verstummt.</p> - -<p>„Warum?“ fragte Monika kampfbereit.</p> - -<p>„Weil Du einen netten Kohl zusammenschreiben wirst.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_77"></a>[S. 77]</span></p> - -<p>„Abwarten!“ sagte Monika lakonisch.</p> - -<p>Nachdem sie beim Onkel Aktenbogen und Bleistift erbeutet, legte sie -sich auf den Teppich und begann eifrig zu kritzeln.</p> - -<p>Am nächsten Morgen legte sie Frau von Holtz ihr Machwerk vor, die es -mit lebhaftem Mißtrauen in die literarischen Fähigkeiten ihrer Nichte -las.</p> - -<p>Wider ihren Willen fand sie es sehr nett. Aber sie traute ihrem Urteil -nicht. Sie las sonst nie etwas anderes als Zeitungen, fand Poesien -überspannt und war sich ehrlich bewußt, „von all diesen Sachen nichts -zu verstehen“.</p> - -<p>Marie lehnte ab, Monikas Erzeugnis zu lesen, obwohl sie vor Neugierde -darauf brannte. Aber Monika sollte sich ja nicht einbilden, daß sie für -ihre Dummheiten etwas übrig habe.</p> - -<p>Mit stiller Verzweiflung sah die Dichterin, daß Tante auch nicht die -mindesten Anstalten machte, das Opus nach Hahndorf abzuschicken. Und -nachdem sie drei Tage in gräßlicher Nervenspannung verbracht, griff sie -zu einem heroischen Mittel: sie packte ihr Werk ein und adressierte es -selbst nach Hahndorf. Nicht etwa an die Teufelin. Vor der hatte sie zu -großen Respekt. „Leutnant Graf Herckenstedt<span class="pagenum"><a id="Seite_78"></a>[S. 78]</span>“ stand auf dem Kuvert und -auf das Manuskript hatte sie gekritzelt: „Wie Sie sehen, habe ich mein -Versprechen gehalten. Hoffentlich gefällt’s!“</p> - -<p>Sie paßte den Briefträger ab und händigte ihm selbst das umfangreiche -Kuvert ein. Als er umständlich die Adresse gelesen, grinste er -freundlich und grinste noch freundlicher, als Monika ihm ein kleines -Trinkgeld in die Hand gedrückt.</p> - -<p>Als einige Tage später Frau von Teufel zur Höll und Frau von Roßberg -zum Besuch vorsprachen, war der jungen Autorin doch recht unbehaglich -zumute.</p> - -<p>Aber ihre Besorgnisse hielten nicht lange vor, da die Teufelin ihr -gleich beim Eintreten förmlich freundlich zugelächelt und dann Frau von -Holtz versicherte, daß „ihre liebe Nichte wirklich eine ganz reizende -Idee gehabt“.</p> - -<p>Frau von Holtz schwebte im Unklaren, wußte nicht recht, wie sie sich zu -der ganzen Sache stellen sollte, aber sie wurde auch gar nicht gefragt.</p> - -<p>Frau von Teufel vertiefte sich sofort in ein detailliertes Gespräch mit -Monika, Marie zog mit ihrer Freundin in ihre Privatgemächer, und Frau<span class="pagenum"><a id="Seite_79"></a>[S. 79]</span> -von Holtz blieb nichts weiter zu tun, als Tee zu bestellen.</p> - -<p>Als dann dieser Tee und ein riesenhafter Napfkuchen die Parteien um den -runden Tisch versammelt hatte, bat Frau von Teufel Monika, ihr Werk nun -vorzulesen, damit man gemeinsam den Eindruck beurteilen könne.</p> - -<p>Monika begann. Aber die Teufelin, der niemals etwas schnell genug ging, -kam von ihrer Idee zurück. „Nein, jetzt nicht vorlesen. Ich werde -einen Extrakt des Stückes geben, und dann wollen wir uns erst über die -Rollenbesetzung einig werden. Also — —“</p> - -<p>Eine kleine Kunstpause.</p> - -<p>Marie bemühte sich krampfhaft, ihr Interesse zu verbergen, indem sie -mit unbeweglicher Miene aus den Fransen der Tischdecke Zöpfchen flocht.</p> - -<p>„Also die Szene zeigt zwei Leutnants. Der eine von ihnen, seit -kurzer Zeit glücklich verheiratet, redet dem andern zu, sich endlich -auch Hymens Rosenfesseln anlegen zu lassen. Der Freund versichert, -daß er durchaus nicht abgeneigt wäre, daß ihm aber die Wahl arges -Kopfzerbrechen mache. Hierauf verabschiedet sich der Freund. Der -Junggeselle bleibt allein und schläft ein.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_80"></a>[S. 80]</span></p> - -<p>Marie stieß einen höhnischen Laut aus, worauf Monika sich in Positur -setzte wie ein junger Kampfhahn. Sie fragte: „Sag’ mal, warum soll der -Leutnant nicht einschlafen?“</p> - -<p>„Hierauf erscheint die Phantasie und sagt dem Schlafenden, sie -wolle ihm die jungen Damen zeigen, unter denen er wählen könne. Die -Phantasie hebt ihren Zauberstab, und es erscheinen, begrenzt von -einem Bilderrahmen, nacheinander die Typen der weiblichen Wesen, die -den Leutnant mit ihrer Hand beglücken möchten: Sportdame, Salondame, -Studentin. Sie alle lassen unseren Helden kalt. Aber als zum Schlusse -das ganz unmodern erzogene, altmodisch-holdselige Mädchen erscheint, -das bei Mama kochen lernt und in ihrem kleinen Herzen eine große Liebe -für diesen Leutnant trägt, da wählt er sie zu seiner Lebensgefährtin.“</p> - -<p>Einen Augenblick Stillschweigen.</p> - -<p>„Der Sieg der Tugend,“ sagte Monika mit bescheiden niedergeschlagenen -Augen.</p> - -<p>Frau von Holtz, der die Tendenz des Werkes erst jetzt so recht aufging, -zog Monika liebevoll zu sich heran und bat ihr im stillen vieles ab.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_81"></a>[S. 81]</span></p> - -<p>Wie nett und moralisch das liebe Kind das doch gedichtet hatte.</p> - -<p>Marie versuchte ihre verächtliche Miene beizubehalten.</p> - -<p>Frau von Roßberg grinste und sagte: „Den Helden muß natürlich mein Mann -spielen.“</p> - -<p>Die Etatsmäßige, die diese Aeußerung vorlaut fand, warf ihr einen -verweisenden Blick zu.</p> - -<p>Aber im Verlaufe der Beratung ergab sich, daß tatsächlich Roßberg -den Helden spielen mußte, da er der einzige Herr war, der etwas -theatralisches Talent besaß.</p> - -<p>„Und ich bin das junge Mädchen, mit dem er sich verlobt,“ sagte Frau -von Roßberg.</p> - -<p>„Wir haben ja darüber noch gar nichts bestimmt,“ warf Frau von Teufel -ein.</p> - -<p>„Aber er küßt sie doch.“</p> - -<p>„Theaterkuß!“ entschied die Teufelin. „Also bisher hätten wir: Ehemann: -Herr von Hellrich, — der Junggeselle: Leutnant von Roßberg. Die -Phantasie, — ja um alles in der Welt, wen könnten wir als Phantasie -wählen?“</p> - -<p>Monika mußte sich in die Lippen beißen, um nicht zu flehen: „Mich!!“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_82"></a>[S. 82]</span></p> - -<p>Sie hatte sich alles schon bis ins Detail ausgemalt: ein -dekolletiertes, pfauenblaues Chiffongewand, — Orchideen in den Haaren, -schillernde Schmetterlingsflügel an den Schultern.</p> - -<p>Es traf sie wie ein Schlag, als jetzt Frau von Teufel sagte: „Ich -denke, Violette Holl paßt dafür am besten. Mit ihrer stattlichen -Erscheinung und den goldblonden Haaren. Also die Phantasie: Violette -von Holl. — Die Sportsdame: ich!“</p> - -<p>Ein nicht ganz zu unterdrückendes Erstaunen bemächtigte sich der -Anwesenden. Niemand hatte geahnt, daß die Teufelin mitspielen wollte.</p> - -<p>Sie selbst ging sehr schnell über diese Tatsache hinweg.</p> - -<p>„Die Salondame: nun, vielleicht Frau von Roßberg, da das keine Rolle -für ein junges Mädchen ist. Die Studentin: Fräulein von Holtz. Ich bin -überzeugt, das liegt Ihnen, Fräulein Marie. Die Tänzerin: ich hatte -Fräulein von Birken gedacht, aber Erika Holl bat so, ob sie nicht -die Rolle haben könnte. Sie wird das ja auch sicherlich sehr graziös -machen. Und das brave, junge Mädchen, ich denke, das ist für Fräulein -von Birken.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_83"></a>[S. 83]</span></p> - -<p>Monika machte ganz erstaunte Augen. Es war das erstemal in ihrem Leben, -daß man sie als „ein braves junges Mädchen“ bezeichnete. Sie war mit -der Rolle nicht sehr einverstanden. Sie hatte sich nun mal auf die -Phantasie verspitzt.</p> - -<p>„Ich dachte: Fräulein von Birken, weil sie doch die Jüngste ist; ihr -muß das Backfischhafte doch am besten liegen.“</p> - -<p>Monika fand — ein seltener Fall bei ihr — keine Entgegnung. Sie war -noch ganz in Nachdenken versunken, als die Damen schon lange weg waren, -nachdem man noch verabredet, wann die erste Probe stattfinden solle.</p> - -<p>Zwischen den Cousinen herrschte langes Stillschweigen. Endlich rang -sich Marie zu einer Art Ehrenerklärung durch. „Im übrigen muß ich Dir -noch sagen, Mone, die Tendenz von Deinem Dingsda ist gar nicht so -überspannt, wie Du sonst bist. Daß der Leutnant das einzig häuslich -erzogene, junge Mädchen nimmt, ist riesig vernünftig.“</p> - -<p>„Was, vernünftig?! Nur ein Beweis für seine haarsträubende Dummheit ist -es. In der Ehe langweilt er sich doch tot mit dieser kleinen Gans!“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_84"></a>[S. 84]</span></p> - -<p>„Was?!“</p> - -<p>„Na, natürlich, ich wollte in dem Dings doch gerade zeigen, wie solch -dummer Mann allen anderen das Gänschen vorzieht, bloß weil ihm das so -vertraut und bequem ist: so eine Erziehung <span class="antiqua">vieux jeu</span>! — Eine -Persiflage ist’s!“</p> - -<p>„Na so eine Falschheit von Dir! Das merkt doch kein Mensch, daß es eine -Persiflage sein soll!“</p> - -<p>„Wenn man’s gleich merkt, dann ist ja kein Witz dabei.“</p> - -<p>„Unerhört! Das sag’ ich Frau von Teufel.“</p> - -<p>„Dann sag’ ich, Du hast mich mißverstanden; Du hast eben meine -künstlerischen Intentionen nicht gefaßt.“</p> - -<p>„Mone, Du bist gemein!“</p> - -<p>Mit diesem vernichtenden Urteil beschloß Marie die Unterredung, verließ -das Zimmer und schmetterte die Tür hinter sich ins Schloß.</p> - -<div class="figcenter illowe10 padtop1" id="kapitelende2"> - <img class="w100" src="images/kapitelende.jpg" alt="Ende des Kapitels" /> -</div> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_85"></a>[S. 85]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="Kapitel_3">3.</h2> - -</div> - -<div class="poetry-container"> -<div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent2 w15"> -<div class="dc2" id="p085initial"> - <img class="illowe6a" src="images/p085initial.jpg" alt="H" /> -</div> - <span class="initial2">H</span>eut’ ist der große Tag erschienen,</div> - <div class="verse indent2">Auf den so lang’ wir uns gefreut — —“</div> - </div> -</div> -</div> - -<p class="clearl">Schallend klang es durchs Haus.</p> - -<p>„Mone, Du tobst — —“</p> - -<p>„Schlimmer als das, Tantchen, viel schlimmer! Ich werde schon kindisch, -ich fühle mich in meine zarteste Kindheit zurückversetzt: ich singe das -Lied, das ich im Alter von vier Jahren zu Weihnachten sang.“</p> - -<p>Und wieder erklang es schallend:</p> - -<div class="poetry-container"> -<div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent2">„Heut’ ist der große Tag erschienen,</div> - <div class="verse indent2">Auf den so lang’ wir uns gefreut — —“</div> - </div> -</div> -</div> - -<p>„Mone!“</p> - -<p>„Tantchen, darüber kann man den Verstand verlieren, auch wenn man davon -mehr besitzt als ich! Heute bin ich fünfzehn Jahre elf Monate und zwei -Tage, und heute wird schon ein Stück von mir auf<span class="pagenum"><a id="Seite_86"></a>[S. 86]</span>geführt, — ein Stück! -Ich bin einer der frühzeitigsten Dramatiker, die es je gegeben hat.“</p> - -<p>„Mone, Du schnappst doch noch mal über,“ sagte Marie, die eben eintrat.</p> - -<p>Aber sie sagte das nicht mit dem grimmigen Ernst, den sie sonst ihrer -Cousine gegenüber anwendete. Auch sie war freudiger Stimmung, in -gespannter Erwartung auf die Ereignisse des Abends.</p> - -<p>Und dieser Abend versammelte eine fröhliche Menschenmenge im Hahndorfer -Kasino.</p> - -<p>Wie bei allen Liebhaber-Aufführungen herrschte hinter den Kulissen ein -lebhaftes Durcheinander.</p> - -<p>Violette behauptete, die Flügel der Phantasie würden nun und nimmer -festsitzen, Erika jammerte, das Tänzerinnenkostüm sei viel kürzer, als -sie es bestellt.</p> - -<p>Der Griechenjüngling fluchte, weil die Bänder seiner Sandalen immer -wieder „von selbst aufgingen“, kurz, es herrschte Unruhe auf der ganzen -Linie.</p> - -<p>Aber endlich erklangen die letzten Töne der Ouvertüre, die eine -Rittmeistersgattin mit viel<span class="pagenum"><a id="Seite_87"></a>[S. 87]</span> gutem Willen und wenig Talent auf dem -Flügel herunterhackte.</p> - -<p>Der Vorhang hob sich, das obligate entzückte „Ah“ der Zuschauer:</p> - -<p>Violette von Holl als Werthers Lotte, den Brotleib an den üppigen -Busen gepreßt, umlagert von einer hungrigen Kinderschar — es waren -sämtliche Kinder der Offiziersfamilien aufgeboten worden — in der Tür -erscheinend Leutnant von Roßberg als Werther. Er machte ein entschieden -unglückliches Gesicht. Ihm waren zu viel Kinder auf der Bühne. Er hatte -nun mal eine unüberwindliche Abneigung gegen „Krabben“.</p> - -<p>Zu seinem Entsetzen wurde das Bild dreimal gezeigt.</p> - -<p>Der Oberst war ganz begeistert; er antizipierte bei dem lieblichen -Anblick Großvaterfreuden.</p> - -<p>Dann ging es programmgemäß weiter. Die „griechische Frühlingsidylle“, -besonders freudig von den Leutnants begrüßt, welche Hellrich schon seit -Wochen mit seinem Griechenjüngling neckten.</p> - -<p>Dann Tasso und die Leonoren, — eine Tanzstunde im Biedermeierstil —, -in mehr oder weniger<span class="pagenum"><a id="Seite_88"></a>[S. 88]</span> gelungener Darstellung wurden Szenen aus allen -möglichen Kultur-Epochen vorgeführt.</p> - -<p>Endlich kam die große Pause, nach welcher Monikas Werk: „Die Brautwahl“ -steigen sollte.</p> - -<p>Die Autorin stand in der Kulisse, schon im Kostüm ihrer Rolle: ein -weißes Batistkleid, die Haare in zwei dicke Hängezöpfe geflochten, mit -großen, blauen Schleifen darin. Ihr Gesichtchen wollte trotz seiner -Jugendlichkeit nicht ganz zu dem harmlosen Backfischstaat passen. Für -einen Kenner lag schon zu viel Ausdruck in den langbewimperten, dunkeln -Augen, zu viel Bewußtsein um den vollen, roten Mund.</p> - -<p>Monika markierte Sicherheit, sah unbeweglich zu, wie nun alles für die -Szene arrangiert wurde.</p> - -<p>Herr von Roßberg, der neben ihr stand, ließ sich aber durch ihre äußere -Ruhe nicht täuschen.</p> - -<p>„Die Angst, gnädiges Fräulein?! Was?!“</p> - -<p>Monika sah dem hübschen Adjutanten voll ins Gesicht.</p> - -<p>„Aber keine Spur! Ich bitte Sie, bei so einem Hauptakteur — — —“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_89"></a>[S. 89]</span></p> - -<p>Er verbeugte sich geschmeichelt.</p> - -<p>Und sie lachte ihn an mit blitzenden Zähnen.</p> - -<p>Es hatte sich aus den Proben ein kleiner Flirt zwischen den beiden -entwickelt.</p> - -<p>Entschieden war Roßberg der amüsanteste und hübscheste der Leutnants. -Daß er verheiratet war, störte Monika nicht. Im Gegenteil! Sie fand das -„riesig pikant“. Und außerdem fand sie ihn „viel zu hübsch für seine -Frau“.</p> - -<p>Ihr gefiel Frau von Roßberg nun mal in keiner Weise, und sie äußerte -zu ihrer Cousine, Roßberg habe dieses grinsende Trudchen gewiß ihres -Geldes wegen geheiratet.</p> - -<p>Marie war außer sich gewesen, hatte ihrer Freundin alle nur denkbaren -Reize zugesprochen und behauptet, daß Roßberg seine Frau schon seit -Jahren glühend liebe. Sie seien Nachbarskinder gewesen, und Trudchen -sei Roßbergs erste, einzige und letzte Liebe.</p> - -<p>Monika hatte sehr interessiert zugehört, hatte dann, ungehindert -durch irgendwelche Rücksichtnahmen, die sie als „Gefühlsduseleien“ zu -bezeichnen pflegte, weiter mit Roßberg kokettiert, der ihr in seiner -leichtsinnigen Art die Cour machte.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_90"></a>[S. 90]</span></p> - -<p>Dieser Flirt wurde allseitig sehr harmlos aufgefaßt, selbst Frau -Trudchen hatte nur ein amüsiertes Lächeln dafür. Die einzige, die -die Neckereien zwischen Roßberg und Monika mit ernsthaftem Interesse -verfolgte, war Marie. Mit lebhaftem Mißtrauen beobachtete sie jeden -Blick ihrer Cousine, jedes Lächeln.</p> - -<p>So auch heute wieder, als Monika und Roßberg in den Kulissen plauderten.</p> - -<p>Von dem Platze aus, wo sie saß, konnte sie genau hören, was die beiden -sich wieder zu erzählen hatten.</p> - -<p>„Bloß noch zehn Minuten bis zum Anfang, gnädiges Fräulein.“</p> - -<p>„Ja,“ ein Angstseufzer entrang sich, aller Selbstbeherrschung zum -Trotze, Monikas Brust.</p> - -<p>„Und wir müssen doch noch üben, gnädiges Fräulein.“</p> - -<p>„Was denn üben?“</p> - -<p>„Na, den Kuß, den ich Ihnen zum Schlusse zu geben habe.“</p> - -<p>Monika lachte.</p> - -<p>„Theaterküsse brauchen nicht geübt zu werden.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_91"></a>[S. 91]</span></p> - -<p>„Wenn Sie ganz lieb bitten, gebe ich Ihnen einen echten statt so einen -dummen Theaterkuß, Fräulein Monika.“</p> - -<p>„Oho, das sag’ ich Ihrer Frau.“</p> - -<p>„Können Sie dreist. Ich würde es doch nur tun, um Ihr Stück -naturalistischer herauszubringen. Denken Sie, vielleicht hängt der -Erfolg Ihres Werkes davon ab.“</p> - -<p>Monika lachte, lachte so ungezwungen und laut, wie sie es trotz aller -Strafreden immer tat.</p> - -<p>„Wie wenn ein Füllen wiehert,“ hatten ihre Brüder immer gesagt.</p> - -<p>„Außerdem müssen Sie bedenken: solch verheirateter, alter Herr wie ich! -Sie könnten ja meine Tochter sein, Fräulein Monika.“</p> - -<p>„Oho, ich werde nächsten Monat sechzehn.“</p> - -<p>„Und ich werde nächstes Jahr Oberleutnant!“</p> - -<p>„Ach, Sie Respektperson!“</p> - -<p>„Bin ich auch. Aus dreierlei Gründen. Erstens — —“</p> - -<p>„Lieber Herr von Roßberg, wenn Sie jetzt nicht bald aufhören zu -erzählen, werden Sie heiser und<span class="pagenum"><a id="Seite_92"></a>[S. 92]</span> gefährden den Erfolg meines Stückes. -Bitte, bitte, seien Sie still und essen Sie etwas Zuckerkand. Ich -glaube, ich habe welchen mit — —“</p> - -<p>Sie begann eifrig in ihrer Tasche zu suchen.</p> - -<p>Indes trat Roßberg auf Marie zu und behauptete, der rote Stürmer stehe -ihr famos.</p> - -<p>Marie antwortete dem Manne ihrer Freundin nicht mit der burschikosen -Herzlichkeit, die sie sonst ihm gegenüber anschlug.</p> - -<p>Im Gegenteil! Sie wurde ironisch.</p> - -<p>„Die Rolle heute paßt Ihnen wohl, Herr von Roßberg, — — ein Held, der -von so vielen Damen begehrt wird — —“</p> - -<p>Er schien gar keine Spitze zu fühlen.</p> - -<p>„Ja, entzückend,“ sagte er. „Sie haben ganz recht, die Rolle macht mir -einen riesigen Spaß. Wenn nur das Auswendiglernen nicht wäre, — noch -dazu Verse, gereimte Verse. Trude hat genug zu tun gehabt, mich zu -überhören. So ganz tadellos geht’s immer noch nicht.“ — —</p> - -<p>„Wie war das doch, Poetessa,“ — er wandte sich zu Monika — „wie sage -ich doch zu meinem Freunde:</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_93"></a>[S. 93]</span></p> - -<div class="poetry-container"> -<div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent2">Wenn ich Dich reden höre, alter Knabe,</div> - <div class="verse indent2">So dünkt es mich wahrhaftig so, als ob</div> - <div class="verse indent2">Auch ich Talent zum Ehemanne habe,</div> - <div class="verse indent2">Denn ich bin phlegematisch, faul und grob —“</div> - </div> -</div> -</div> - -<p>Monika schrie beinahe vor Vergnügen. „O, Herr von Roßberg, so ist es -famos, viel hübscher, als ich es gedichtet habe. Sagen Sie’s so! Ja?“</p> - -<p>„Ich werde mich schön hüten!“ erwiderte er ausdrucksvoll und ging -seiner Gattin einen Schritt entgegen, die eben auf die Gruppe zukam.</p> - -<p>Sie war im Ballkleid, in ihrer Rolle als Salondame, und drehte sich -beifallheischend einmal um ihre eigene Achse, — „wie ein Fixstern“, -erläuterte ihr Gatte.</p> - -<p>Sie hatte ein creme Seidenkleid gewählt und trug rote Rosen am -Ausschnitt.</p> - -<p>Sie fand ein freundliches Wort für Maries Anzug, ihre Hauptbewunderung -aber spendete sie in ihrer offenen Art Monika. „Zu lieb sehen Sie aus, -Fräulein von Birken. Ein süßes Backfischchen! Daß Sie die ganze Sache -gedichtet haben, das kann man gar nicht glauben.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_94"></a>[S. 94]</span></p> - -<p>Graf Herckenstedt, der Regisseur, kam ganz aufgeregt angerannt und -jammerte, daß wieder alles durcheinander laufe. Jetzt sei wieder -Fräulein von Holl nicht zu finden. Dabei sah er aufmerksam in alle -Ecken, als ob die große Violette sich in einer solchen verborgen haben -könne.</p> - -<p>Er atmete förmlich erlöst auf, als Fräulein von Holls Walkürengestalt -endlich auftauchte, im Schmucke der nun endlich sitzenden Flügel, -„anzuschauen wie Zeppelin 3“, erklärte Roßberg.</p> - -<p>Ein Klingelzeichen — — noch einige Minuten heftiges Durcheinander, -Reden, Fragen — — dann wieder ein Klingelzeichen, und der Vorhang -hebt sich.</p> - -<p>Hellrich und Roßberg, beide in Litewka, beginnen ihren Dialog, und das -Publikum lauscht gebannt den hübschen Versen. Nicht endenwollender -Applaus am Schluß.</p> - -<p>Monika strahlt. Ein unendliches Wonnegefühl weitet ihr die Brust, füllt -ihr die Adern zum Bersten.</p> - -<p>Das ehrgeizige Köpfchen glüht im Rausche des Erfolges. O, daß das Leben -so schön sein kann... so schön...</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_95"></a>[S. 95]</span></p> - -<p>Dann kommt der Tanz.</p> - -<p>Monika fliegt von einem Arm in den andern. Schmeichelworte klingen ihr -in die Ohren, Männerarme umfassen sie fest.</p> - -<p>Die welkenden Blumen an ihrem Ausschnitt duften schwül und süß, und -die Walzermelodien hüllen alles in einen schillernden Schleier von -Schönheit, von lachendem Leichtsinn.</p> - -<p>Der Leutnant von Roßberg tanzte an diesem Abend sehr oft mit Monika; -als Hauptakteur prätendierte er besondere Rechte.</p> - -<p>Monika behauptete, daß er sie tyrannisiere.</p> - -<p>„Ich kann wirklich nicht mehr. Lassen Sie mir doch ein bißchen Ruhe. -Ich bin so müde,“ jammerte Monika.</p> - -<p>„Dann werden wir diesen Tanz meinetwegen verplaudern.“</p> - -<p>Er zog ihre Hand durch seinen Arm und führte sie in eines der kleinen -Rauchzimmer.</p> - -<p>Hier saßen zwei Fähnriche bei einer Flasche Sekt; sie hatten sich -grollend hierher zurückgezogen, weil sie von den Damen „zurückgesetzt“ -und „niederträchtig behandelt“ worden waren.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_96"></a>[S. 96]</span></p> - -<p>Beim Eintritt des Regimentsadjutanten sprangen sie beide empor.</p> - -<p>Aber es kam noch schlimmer, als sie gedacht hatten.</p> - -<p>Roßberg machte ein geradezu entsetztes Gesicht:</p> - -<p>„Hier finde ich Sie also, meine Herren. Ist es möglich? Ist es denkbar? -Das ist Deutschlands Jugend! Anstatt im rauschenden Ballsaal, gehorsam -den Winken unserer Schönen, ergeben Sie sich hier dem stillen Suff! -Schlemmen in egoistischer Weise! — An die Arbeit, meine Herren, an die -Arbeit!“</p> - -<p>Er machte eine befehlende Geste, deren Autorität eines Napoleon würdig -gewesen wäre.</p> - -<p>Die Fähnriche stoben davon.</p> - -<p>Roßbergs ernsthafte Miene wandelte sich in strahlende Heiterkeit.</p> - -<p>„Das haben wir fein gemacht. Was? So ist man wenigstens ungestört.“</p> - -<p>„Inwiefern störten Sie die Fähnriche?“ fragte Monika mit -unschuldsvollen Augen.</p> - -<p>„Ach, das wissen Sie ja allein. Ihr Hauptdarsteller hat doch noch was -nachzuholen.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_97"></a>[S. 97]</span></p> - -<p>„Was?“</p> - -<p>„Fräulein von Birken, ich bitte mir Offenheit aus. Sie wissen ganz -genau, daß ich Ihnen bloß einen elenden Theaterkuß gegeben habe. -Vorbeigeküßt habe ich. Ostentativ vorbeigeküßt! Das brauchen Sie sich -nicht gefallen zu lassen!“</p> - -<p>Monika versuchte zu lachen.</p> - -<p>Aber sie lachte nicht so wie sonst.</p> - -<p>„Fräulein Monika, eine Belohnung haben Sie doch verdient,“ sagte er -übermütig. Sein roter Mund mit dem kleinen, blonden Schnurrbart näherte -sich bedenklich ihren Lippen.</p> - -<p>„Reden Sie doch nicht solchen Unsinn,“ stotterte Monika.</p> - -<p>„Nun, dann will ich ernsthaft sein. Die Belohnung habe <em class="gesperrt">ich</em> -verdient.“</p> - -<p>Seine Lippen senkten sich auf die ihren.</p> - -<p>Und ohne Ueberlegung erwiderte sie seinen Kuß.</p> - -<p>Eine Minute später tanzten sie wieder im großen Saal.</p> - -<p>Und für den Rest des Abends wich ihr Roßberg nicht von der Seite. — — -—</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_98"></a>[S. 98]</span></p> - -<p>Als die Familie Holtz in Sarkow ankam, dämmerte schon fahlgrau der Tag -herauf.</p> - -<p>Herr von Holtz beteuerte wie immer, daß es diesmal aber unbedingt das -letztemal sei, daß er zu so einer verfluchten Tanzerei mitkomme.</p> - -<p>Monika war im Begriffe, sich auszuziehen, als zu ihrem Erstaunen laut -an ihre Tür gepocht wurde und Marie erschien.</p> - -<p>Sie trug noch ihren Ballunterrock, hatte eine Nachtjacke angezogen -und sah jämmerlich elend und bleichsüchtig aus in dem dämmerigen -Tagesschein.</p> - -<p>Monika machte erstaunte Augen: „Was gibt’s denn?“</p> - -<p>„Das wirst Du gleich hören,“ sagte die Cousine in unheilverkündendem -Tone.</p> - -<p>Dann schwieg sie wieder, stand da, lang und hager, und sah mit -vernichtendem Blicke auf das rosige Mädel herab, das vor Schreck -unfähig war, sich weiter auszuziehen.</p> - -<p>Beklemmendes Stillschweigen. Nur im Ofen knisterte es leise.</p> - -<p>„Na?“ fragte schließlich Monika halb schüchtern, halb trotzig.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_99"></a>[S. 99]</span></p> - -<p>„Sagt Dir Dein Gewissen nicht, warum ich komme?“</p> - -<p>Monika sah sie erstaunt an, blickte dann im Zimmer umher und wartete.</p> - -<p>Aber anscheinend regte sich ihr Gewissen nicht.</p> - -<p>Und so beantwortete sie die Frage ihrer Cousine mit einem „Nein“, dem -man die Ehrlichkeit anhörte.</p> - -<p>„So?... Na, dann werde ich Dir mal zu Hilfe kommen. Also: ich habe -alles gesehen.“</p> - -<p>„Was denn gesehen?“ fragte Monika.</p> - -<p>Eine heiße Röte überflammte ihr Gesicht.</p> - -<p>„Ich bin Dir nachgegangen, als Du Herrn von Roßberg aus dem Tanzlokal -locktest.“</p> - -<p>Das Falsche der Anschuldigung gab Monika ihren Mut zurück.</p> - -<p>„Is ja gar nicht wahr.“</p> - -<p>Die hagere Cousine reckte sich noch gerader auf, wuchs förmlich in -ihrer sittlichen Entrüstung.</p> - -<p>„Und dann habe ich gesehen, daß er Dich geküßt hat.“</p> - -<p>„Na, dann mache doch ihm Vorwürfe und nicht mir.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_100"></a>[S. 100]</span></p> - -<p>„Nur Dich trifft die Schuld. Ich weiß, wie Roßberg Trudchen liebt. -Deine unpassende Koketterie ist an allem schuld, und Du solltest Dich -schämen.“</p> - -<p>Und Monika schämte sich, ehrlich und glühend. Das süße Triumphgefühl, -das sie gehabt: „Mein erster Kuß...“, die naive Zärtlichkeit, die sie -in jenem Augenblick für den hübschen Leutnant empfunden — das alles -wurde jetzt durch Maries grobe Worte vernichtet; es war, als ob eine -zarte Blüte mit harten, roten Fingern zerpflückt wurde.</p> - -<p>Ein Frösteln überflog Monika. Sie verteidigte sich nicht.</p> - -<p>Sie stand regungslos da, einen starren Ausdruck in dem erblaßten -Gesicht.</p> - -<p>Maries Sicherheit aber stieg durch Monikas Haltung ins Ungemessene.</p> - -<p>„Ja, ja, schäme Dich nur. Endlich machst Du das Armesündergesicht, das -für Dich paßt... Ich habe Dir jedenfalls nur eins zu sagen: Du wirst -übermorgen von hier wegfahren. Finde irgendeinen Vorwand — was, ist -mir ganz gleichgültig. Aber weg mußt Du! Ich habe keine Lust, mich -meiner eigenen Cousine zu schämen!“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_101"></a>[S. 101]</span></p> - -<p>„Aber ich kann doch nicht so ohne weiteres...“</p> - -<p>„Arrangiere das! Wenn Du übermorgen nicht fährst, benachrichtige ich -Trudchen Roßberg von Deinem Benehmen und sage Mama, was ich gesehen -habe.“</p> - -<p>Monika unterbrach kurz. „Ich werde fahren,“ sagte sie tonlos. „Sag’s -Deiner Mama nicht. Die hab’ ich so lieb.“</p> - -<p>„Ah, Du bist Dir also ganz genau bewußt, wie Deine Handlungsweise war!“</p> - -<p>Da richtete sich Monika auf aus ihrer zusammengebrochenen Haltung.</p> - -<p>„Meine Handlungsweise? — Als ob ich überhaupt dabei eine -Handlungsweise gehabt hätte! Ich habe — ich — ach, das war eben so -ein Augenblick — aber <em class="gesperrt">Deine</em> Handlungsweise, mir so nachzuspüren -...“</p> - -<p>„Bitte, keine Kritik,“ unterbrach Marie sie schneidend, „das wäre doch -ein bißchen gar zu einfach für die leichtsinnigen Leute, wenn die nicht -leichtsinnigen ... ihnen nicht nachspüren dürften!“</p> - -<div class="figcenter illowe5" id="gedankensprung1"> - <img class="w100" src="images/gedankensprung.jpg" alt="Gedankensprung" /> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_102"></a>[S. 102]</span></p> - -<p>Durch die dumpfe Stube der Liese klingt ein Weinen.</p> - -<p>„Ach, daß Du schon weggehst, Monchen...“</p> - -<p>„Na, Liese, besuchst uns mal in Berlin.“</p> - -<p>„Wird nich gehen, mein Trautstes. Wer soll denn für den Grün sorgen, -für den Fritzchen, fürs Vieh und für die Ollsche?“</p> - -<p>„Laß Dich doch vertreten!“</p> - -<p>„Wird nich geh’n, Monchen. Fürs Vieh haben die andern nu schon gar kein -Herz.“</p> - -<p>Dicke Tränen rollen ihr über das durchfurchte Gesicht.</p> - -<p>„Und grüß mir die Mamachen recht scheen. Und wenn sie wieder ein Paket -schickt: der Kaffee war’s letztemal großartig — der Zucker auch — -die vier Pfundchen waren ja bald weg — aber scheen war er — und denn -ja nich wieder Nachtjacken, ich hab’ all genug — aber einen scheenen -Unterrock mit een Volang.“</p> - -<p>„Wird bestellt, Liese.“</p> - -<p>„Und wenn Du wiederkommst, Monchen, komm mit ’nen recht forschen -Bräutigam, das ist doch das scheenste auf der Welt...“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_103"></a>[S. 103]</span></p> - -<p>Der Abschied von Doktor Rodenberg gestaltete sich weniger tränenschwer. -Er empfing Monika sogar ein wenig sarkastisch.</p> - -<p>„Na, lange nicht geseh’n. Die Hahndorfer Blauröcke lassen Dir wohl -keine Zeit?... Was? Abschied nehmen? Du wolltest doch bis zum März -bleiben.“</p> - -<p>Monika lachte verlegen. „Ich stehe mich mit Marie nicht sehr besonders.“</p> - -<p>„Kann ich mir lebhaft vorstellen, Kindchen. Also schon fort?“</p> - -<p>„Ach, und ich habe Sie so wenig gesehen, Doktor. Wie schade! So vieles -wollte ich Sie fragen. Das ist so komisch mit mir! Ich möchte lernen, -daß mir der Kopf raucht, alle schönen und alle großen Dinge möchte -ich lernen — graben in den herrlichen und fruchtbaren Schächten der -Weltgeschichte — die Pflanzen belauschen in ihrem Werden und Vergehen -— den Tieren nachspüren, allen Tieren, bis hinab zu denen, die fast -noch Pflanzen sind. Ach, lernen, immer mehr lernen! — Und dann wieder -— dann lass’ ich alles im Stich, wenn ich bloß ein blaues Tüllkleid -anprobieren soll und... und lass’ es gern<span class="pagenum"><a id="Seite_104"></a>[S. 104]</span> im Stich! Und auf dem -Ball lache ich mit den Herren und finde alles gelehrte Zeug geradezu -blödsinnig. Und... und bin auch dann so rasend glücklich! Ich weiß -nicht, ich verstehe mich selbst nicht...“</p> - -<p>Sie brach ab.</p> - -<p>Der Doktor nahm ihr rosiges Gesicht in seine beiden Hände. Er -betrachtete lächelnd die schönen Augen, den naiv-genußsüchtigen, -hochgewölbten Mund.</p> - -<p>„Kind, wenn Du nicht so hübsch wärst, hätte aus Dir wahrhaftig was -werden können,“ sagte er schließlich.</p> - -<p>„Aber das Hübschsein ist doch kein Hinderungsgrund für geistige -Bedeutung?“ fragte Monika kampfbereit.</p> - -<p>„Doch Kind. Verträgt sich nicht miteinander. Das wirst Du schon noch -sehen. Aphrodite und Pallas Athene haben sich nie leiden mögen.“</p> - -<p>„Und welcher soll ich folgen?“ fragte Monika ihn mit dem ganzen -inbrünstigen Vertrauen ihrer Kinderjahre.</p> - -<p>Er lachte kurz auf.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_105"></a>[S. 105]</span></p> - -<p>„Du hast Dir einen schlechten Ratgeber ausgesucht. Ich hab’ mir selbst -nicht raten können.“</p> - -<p>Es war ein so bitterer Ton in seiner Stimme, daß Monika einen -Augenblick sich selbst vergaß, einen Augenblick den jugendlichen -Egoismus, der sich selbst das Interessanteste ist, beiseite ließ.</p> - -<p>Ein heißes Mitgefühl blitzte in ihren Augen auf.</p> - -<p>„Ja, Doktor, es ist doch eigentlich sonderbar, daß Sie Ihr Leben hier -so vertrauern. So rasend klug wie Sie sind und gebildet! Sie könnten -doch eine Rolle spielen, könnten in großem Maßstabe wirken für die -Allgemeinheit!“</p> - -<p>Er lächelte höhnisch.</p> - -<p>„Wenn mir die Allgemeinheit bloß nicht so verdammt gleichgültig wäre!“</p> - -<p>„Oh!“</p> - -<p>„Sieh mal, Kind, ich hab’ in meinen Brausejahren ja auch die Welt aus -den Angeln heben wollen. Und zum Arzt war ich gewiß nicht gemacht. -Ohnmächtig hingeschlagen bin ich, als ich das erstemal in den -Seziersaal kam. Alles in mir hat sich aufgebäumt gegen den Anblick von -Gebresten und<span class="pagenum"><a id="Seite_106"></a>[S. 106]</span> Tod. Zu meiner Mutter bin ich hingestürzt: ‚Umsatteln! -Ich will nicht Medizin studieren. Literaturhistoriker.‘ —</p> - -<p>Na, die Antwort hättest Du hören sollen! Arzt werden sei ein -Brotstudium, und das habe sie als Witfrau doch wohl um mich verdient, -daß ich sie in absehbarer Zeit ernähre. Na, schön, ich habe -nachgegeben. Man gewöhnt sich ja auch. Aber man sieht bei diesem Beruf -zu sehr, was für ein armseliges Ding der Mensch ist! Und um nicht -verrückt zu werden über all den gräßlichen Bildern, hab’ ich mich in -die Philosophie geflüchtet, habe mich in die seltsamen, narkotischen -Philosophien des Ostens vertieft: China und Indien.“</p> - -<p>Er starrte träumerisch geradeaus.</p> - -<p>Da traf Monikas Antwort sein Ohr. „Feig’ ist das!“</p> - -<p>Wie ein Schlachtruf klang’s. „Feig’! Sein Leben zu verträumen und -verdösen in solch künstlicher Gemütsruhe. Wie ein Sumpf ist das. Ich -aber will raus, raus in die See! Und wenn ich tausend blutige Schmerzen -haben werd’, so werd’ ich auch tausend brennende Freuden haben! Und -werd<span class="pagenum"><a id="Seite_107"></a>[S. 107]</span>’ leben, es in allen Adern fühlen, das herrliche, blutrote Leben!“</p> - -<p>Ihre Hände hatten sich zu Fäusten geballt. Eine so heiße Welle von -Kraft ging von ihr aus, daß sie zu dem müden Manne hinüberstrahlte, -seine Nerven aufzucken ließ in sekundenlangem Leben.</p> - -<p>„Hättest früher kommen sollen, Mone. Bist zwanzig Jahre zu spät geboren -für mich. Viel früher hättest Du kommen sollen.“</p> - -<p>Es war ein dumpfer Klang in seiner Stimme.</p> - -<p>Und dann breitete er beide Arme aus und drückte sie fest an sich: „Leb’ -wohl, Mone. Adieu, Kätzchen. Wenn Du wiederkommst, bin ich wohl nicht -mehr da.“</p> - -<p>„Oh!“ schrie sie erschreckt auf.</p> - -<p>„Stille. Sehr lange spielt mein Herz wohl nicht mehr mit. Der edle -Alkohol wird ihm zu viel. Stille, Kind! Eines lehren meine weisen -Freunde aus dem Osten: anständig zu sterben...“</p> - -<p>Monika war so erschüttert über diesen letzten Besuch bei Doktor -Rodenberg, daß ihr der Abschied von Sarkow nicht so fühlbar wurde, wie -sie geglaubt. Sie wollte von hier aus zu einer Schwester ihrer<span class="pagenum"><a id="Seite_108"></a>[S. 108]</span> Mutter, -um dort noch einige Zeit zu bleiben, ehe sie nach Hause zurückkehrte.</p> - -<p>Herr und Frau von Holtz nahmen sehr herzlich von ihr Abschied.</p> - -<p>Marie begleitete ihre Cousine zur Bahn. Sie hatte sich das selbst -ausbedungen. Es war, als ob sie immer noch Angst hätte, daß Monika -dableiben könne.</p> - -<p>„Na, denn komm nur, Du Gefangenwärter,“ rief ihr Monika, die schon im -Schlitten saß, zu.</p> - -<p>Die Pferde zogen an. Leicht glitt der Schlitten über den blendenden -Schnee, und die Glocken klingelten hell.</p> - -<p>Die einförmige Fahrt wurde durch kein Gespräch unterbrochen. Schweigend -saßen die Cousinen nebeneinander.</p> - -<p>Ein paar Kilometer vor Neustadt wurde die tote, weiße Landschaft -lebendig.</p> - -<p>Eine Schwadron Dragoner kam daher.</p> - -<p>Monikas Züge hellten sich auf. Sie lachte vergnügt den Soldaten zu, die -ihr bewundernde Blicke zuwarfen, indes sie langsam an dem Schlitten -vorbeizogen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_109"></a>[S. 109]</span></p> - -<p>Die Offiziere grüßten.</p> - -<p>Als letzter kam Roßberg, der sofort seinen Trakehner anhielt.</p> - -<p>„Sie reisen?“ fragte er erstaunt.</p> - -<p>„Ja,“ sagte Monika mit einer Schmollmiene, deren Koketterie Marie -innerlich rasen ließ.</p> - -<p>„Wie schade!“</p> - -<p>„Ja, schade. Aber ich muß fort.“</p> - -<p>Er sah ihr mit herzlichem Bedauern in die Augen:</p> - -<p>„Kommen Sie bald wieder. Wir werden uns alle sehr freuen.“</p> - -<p>Ein Händedruck — und er sprengte hinter den anderen her.</p> - -<p>Monika streifte mit einem Seitenblick das zornrote Gesicht ihrer -Cousine. Eine plötzliche Empörung wallte in ihr auf gegen ihren -unerbittlichen „Gefangenwärter“.</p> - -<p>Trotzig warf sie den Kopf ins Genick und pfiff laut vor sich hin:</p> - -<div class="poetry-container"> -<div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent2">„Muß i denn — muß i denn</div> - <div class="verse indent2">Zum Städtle ’naus</div> - <div class="verse indent2">Und du, mein Schatz, bleibst hier...“</div> - </div> -</div> -</div> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_110"></a>[S. 110]</span></p> -<p>Der Erfolg trat prompter ein, als sie erwartet.</p> - -<p>Marie stieß mit geballten Händen einen unartikulierten Zorneslaut durch -die Zähne. Und durch die klare Luft kam deutlich das Echo aus dem Munde -des davongaloppierenden Reiters — so lockend klang’s:</p> - -<div class="poetry-container"> -<div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent2">„Muß i denn, muß i denn</div> - <div class="verse indent2">Zum Städtle ’naus —</div> - <div class="verse indent2">U — und — du — mein Schatz...“</div> - </div> -</div> -</div> - -<div class="figcenter illowe10" id="kapitelende3"> - <img class="w100" src="images/kapitelende.jpg" alt="Kapitelende" /> -</div> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_111"></a>[S. 111]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="Kapitel_4">4.</h2> - -</div> - -<div class="dc" id="p085initial_b"> - <img class="illowe6" src="images/p085initial.jpg" alt="„H" /> -</div> - -<p class="p0"><span class="initial">H</span>einzemännchen...“</p> - -<p>Der Angeredete, der, in ein Buch vertieft, in einem roten Plüschsessel -saß, gab ein unwilliges Grunzen von sich.</p> - -<p>Aber Frau von Birken ließ nicht locker. „Heinzemännchen, willst Du den -Kalbsbregen mit oder ohne Sardellen gekocht?“</p> - -<p>„Mit!“ sagte Heinzemännchen energisch und versank von neuem in sein -Gedichtbuch. Lyrik war seine Passion.</p> - -<p>Frau von Birken, deren zierlich schlanker Erscheinung und deren -hübschem Gesicht mit den blühenden Farben man ihre siebenunddreißig -Jahre nicht anmerkte, setzte sich auf die Armlehne des Sessels und -küßte das storre, braune Haar ihres Lieblingssohnes.</p> - -<p>„Wieder in Poesie aufgegangen, mein Heinzichen? Was hast Du denn da? -Den Eichendorff.<span class="pagenum"><a id="Seite_112"></a>[S. 112]</span> Ach, himmlisch. Und wie Du gleich wieder so was -Schönes herausgefunden hast...“</p> - -<p>Sich über das Buch beugend, las sie:</p> - -<div class="poetry-container"> -<div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent2">„Denkst du noch jenes Abends, still vor Sehnen —</div> - <div class="verse indent2">Als wir das letztemal im Park beisammen?“...</div> - </div> -</div> -</div> - -<p>Sie las diese Zeilen mit pathetischer Betonung, indes sie begeistert -den Kopf hin und her bewegte.</p> - -<p>Heinzemännchen grunzte. Er war heute in trübsinniger Gemütsstimmung und -gar nicht dazu aufgelegt, seine poetischen Empfindungen mit der Mutter -zu teilen.</p> - -<p>„Was hast Du heute eigentlich, mein Einzigstes? Wieder Aerger in der -Schule? Nein? — Das Mittagessen hat Dir doch geschmeckt? — Der -Schmorbraten war doch wirklich gut, und die grünen Erbsen so weich. Was -hast Du denn? — Heinzi, sag’s doch.“</p> - -<p>Der Knabe stöhnte tief auf; er klappte schmerzlich die Lider halb über -die braunen Augen und sagte:</p> - -<p>„Eine schwere Jugend habe ich — sehr, sehr schwer.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_113"></a>[S. 113]</span></p> - -<p>„Aber, Liebling, warum? Ich tue Dir doch alles zuliebe.“</p> - -<p>„Eine schwere Jugend,“ wiederholte Heinrich, „seit Papas Tode ruht -alles auf meinen Schultern.“</p> - -<p>„Heinzchen!“</p> - -<p>„Ja, es ist doch aber so. Alles auf meinen Schultern. Denke Dir das -Verantwortungsgefühl, das ich habe! Wie ich auf die andern aufpassen -muß! Karls Leichtsinn gibt mir viel zu denken. Und Monika — Gott, -Monika ist meine schwerste Sorge.“</p> - -<p>„Sie ist doch ein sehr gutes Mädchen, Heinzemännchen.“</p> - -<p>„Ja, aber sie hat so gefährliche Anlagen. Das schreibt auch Deine -Schwester Kläre...“</p> - -<p>Heinrich zog ein Portefeuille heraus und entnahm diesem einen Brief.</p> - -<p>„Ach, an mich...“</p> - -<p>„Ja, Mama, ich vergaß, es Dir zu sagen. Aber es ist nichts Eiliges; ich -habe ihn schon gelesen. Eine Charakteristik Monikas...“</p> - -<p>Frau von Birken nahm ihrem Sprößling den Brief hastig aus der Hand und -begann zu lesen:</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_114"></a>[S. 114]</span></p> - -<div class="blockquot"> - -<p> - -„Liebe Mali,<br /> -</p> - -<p>Deine Bitte, Dir genau mitzuteilen, wie Monika sich hier bei -uns macht, erfülle ich gern. Nach allem, was Du mir von ihr -geschrieben, bin ich nicht ohne Besorgnis gewesen, sie bei uns -aufzunehmen. Leider hat unsere Tochter Bertha schon sowieso nicht -den Ernst, welcher nötig ist, um die wissenschaftliche Laufbahn -einzuschlagen, für welche ich sie bestimmt habe. Bertha findet -einstweilen an kindischen Vergnügungen: Schlittschuhlaufen, -Tanzstunde usw. viel zu viel Vergnügen. — Sie bereitet sich jetzt -unter Leitung meines Mannes auf das Abiturium vor. Leider weiß -sie das Opfer, das ihr Vater ihr bringt, indem er ihr so viel von -seiner Zeit widmet, die doch durch seinen verantwortungsvollen -Beruf als Oberlehrer schon so sehr in Anspruch genommen ist, nicht -genügend zu würdigen.</p> - -<p>Offen gestanden, ich habe sehr gefürchtet, daß Monika, wie Du sie -mir geschildert hast, einen ungünstigen Einfluß auf Bertha ausüben -würde — um so mehr, als sie gerade aus Sarkow kam.</p> - -<p>Du weißt: Deine Schwägerin, Frau von Holtz, nötigt mir nicht gerade -hervorragende Achtung<span class="pagenum"><a id="Seite_115"></a>[S. 115]</span> ab. Sie ist so recht eine Frau von der alten -Schule — ohne jedes Verständnis für die ungeheure Bewegung, die -sich seit Jahrzehnten in der Frauenwelt vollzieht.</p> - -<p>Sie erzieht auch ihre Tochter in tadelnswert unmoderner Weise, hat -das dringende Bestreben, Marie bald zu verheiraten, lehrt ihre -Tochter, in der Heirat das Endziel jeden Frauendaseins zu sehen. -Ich weiß das alles von Monika, welche ja leider für ihre Tante -Holtz sehr viel Zuneigung entfaltet.</p> - -<p>Entschieden hat Frau von Holtz auf Monika nur verderblich gewirkt. -Als Deine Tochter ankam, schwärmte sie uns vor von dem blauen -Ballkleide, das ihre Tante ihr hatte arbeiten lassen — denke Dir: -dekolletiert! — meiner Meinung nach sehr ungeeignet für solch -junges Mädchen.</p> - -<p>Ich möchte Dir auch nicht verhehlen, liebe Mali, daß Frau von Holtz -Deiner Monika wie auch ihrer Tochter Marie vor den Bällen das -Gesicht mit Reispuder gepudert hat — eine Handlungsweise, die sich -zu sehr charakterisiert, als daß ich sie näher bezeichnen möchte.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_116"></a>[S. 116]</span></p> - -<p>Erfreulicherweise wird Monika sich nicht dauernd von diesen -frivolen Ratschlägen beeinflussen lassen.</p> - -<p>Mit Dank und Verständnis nimmt sie es auf, wenn ich ihr klarmache, -daß es nicht das Lebensziel einer modernen Frau sein darf, hübsch -auszusehen und liebenswürdig zu sein, sondern daß es der innere -Wert ist, der eine Frau zu dem Vollmenschen gestaltet, den unsere -Zeit verlangt.</p> - -<p>In unserem Bekanntenkreise gefällt Monika ganz ausgezeichnet. -Gestern kamen mir in unserem Damenklub sehr schmeichelhafte -Aeußerungen über sie zu Ohren. So sagte mir z. B. die Frau Geheime -Baurat Wegener: „Ihre Nichte ist wirklich ein äußerst interessantes -Mädchen.“ Andererseits kann ich Dir nicht verhehlen, liebe Mali, -daß Deine Tochter auch gefährliche Anlagen besitzt...“</p></div> - -<p>„Da hörst Du’s,“ unterbrach Heinzemännchen in bedeutungsschwerem Tone.</p> - -<p>Mit ängstlichen Augen las die Baronin weiter.</p> - -<div class="blockquot"> - -<p>„Erstens: Monika ist adelsstolz. So oft, wie ich ihr schon -auseinandergesetzt habe, daß nicht<span class="pagenum"><a id="Seite_117"></a>[S. 117]</span> ererbter Adel eine Zierde des -Menschen ist, sondern einzig und allein nur der Adel der Bildung — -sie scheint mir nicht überzeugt zu sein.</p> - -<p>Auch benutzt sie Briefpapier mit ostentativ großer Krone. Ferner -zeigt sich bei ihr oft ein Hang zur Oberflächlichkeit, der die -Freude an dem sonstigen Hochstand ihres geistigen Niveaus nicht -ungetrübt erscheinen läßt.“</p></div> - -<p>„Sogar sehr oberflächlich,“ bestätigte Heinzemännchen mit -mißbilligendem Kopfnicken — „gefährliche Eigenschaften hat sie.“</p> - -<p>Eine Sorgenfalte grub sich in seine schmale Stirn.</p> - -<p>Er hätte sich wohl des weiteren über seine Schwester ausgelassen, -wenn nicht die Tür aufgerissen worden wäre. Karl, der jüngste Bruder, -stürmte herein.</p> - -<p>„Mamachen, bitte, eine Stulle mit Wurst.“</p> - -<p>„Aber Karl, das ist die elfte heute.“</p> - -<p>„Dafür habe ich auch kein Mittag gegessen.“</p> - -<p>„Das ist es ja eben. Du verdirbst Dir den Appetit mit dem ewigen -Butterbrotgestopfe. Du<span class="pagenum"><a id="Seite_118"></a>[S. 118]</span> kriegst aber auch nicht eine einzige Stulle -mehr,“ schalt die Mutter und verfügte sich mit bewunderungswürdiger -Konsequenz in die Küche, um die verlangte Stulle herzustellen.</p> - -<p>Karl zog mit seiner Beute triumphierend ab, und Heinrich versank wieder -in die grünen Waldgründe Eichendorffs.</p> - -<p>Frau von Birken aber verblieb einstweilen in der Küche. Sie hatte -sich in ein Gespräch mit Martha, dem hübschen „Mädchen für alles“, -verwickelt.</p> - -<p>Die Baronin hegte eine glühende Anteilnahme für das Geschick aller -Dienstboten, die sie je gehabt, sowie überhaupt für alle Angehörigen -der unteren sozialen Schichten, die sie mit dem Sammelnamen: „die armen -Leute“ zu bezeichnen pflegte.</p> - -<p>In Sarkow war keine Tagelöhnerfamilie gewesen, in welcher die Baronin -nicht jeden einzelnen Sprößling beschenkt hätte, und hier in Berlin -widmete sie ihr Interesse den Portierfamilien sämtlicher Häuser, -in denen sie schon gewohnt; es waren ihrer eine ganze Anzahl, denn -länger als ein Jahr wohnte Frau von Birken in der Regel nicht in einer -Wohnung. Warum sie so oft wechselte, wußte sie<span class="pagenum"><a id="Seite_119"></a>[S. 119]</span> übrigens selbst nicht: -sie war mit der jeweiligen Wohnung immer sehr zufrieden. Aber wenn der -Kündigungstermin näher rückte, wurde sie nervös — vielleicht würde -eine neue Wohnung doch noch schöner sein?</p> - -<p>Es war wohl besser, zu kündigen. Und so schnell würde ja die bisher -innegehabte Wohnung auch nicht vermietet werden: wenn man nichts -Besseres fand, konnte man ja immer noch bleiben. Also, sie kündigte.</p> - -<p>Die Folge davon war, daß die jetzige Wohnung oft schon längst einen -Mieter gefunden, wenn Frau von Birken sich noch gar nicht für eine neue -entschieden hatte.</p> - -<p>Sie tat das gewöhnlich erst einen Tag vor dem Umzug, zu welch letzterem -dann keine „Ziehleute“ mehr aufzutreiben waren. Ein — zwei Tage -schwebte die Baronin dann in wahrer Verzweiflung, wußte nicht aus noch -ein. Aber wenn dann der Umzug endlich vor sich gegangen — meistens -wurde dabei viel zerbrochen und beschädigt — glätteten sich die Wogen -der Erregung bald. Die neue Wohnung wurde entzückend gefunden, bis im -nächsten Jahre dasselbe Spiel von neuem wieder begann.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_120"></a>[S. 120]</span></p> - -<p>Zu ihren Dienstboten verhielt sich Frau von Birken gerade wie zu ihren -Wohnungen: sie fand sie begeisternd, aber sie wechselte sehr gern.</p> - -<p>Uebrigens verabschiedete sie sie nie aufs Ungewisse hin.</p> - -<p>Mit geradezu rührender Sorgfalt suchte sie ihnen neue Stellungen aus, -erließ diesbezügliche Annoncen und schrieb ihnen Zeugnisse, nach denen -die Mädchen von hervorragenden Eigenschaften geradezu strotzten.</p> - -<p>Die jetzige war natürlich auch wieder eine Perle. Und wie nett sie -zu erzählen wußte! Frau von Birken nahm lebhaften Anteil an den -Schwankungen des Liebesverhältnisses, das Martha mit einem Schutzmann -unterhielt. Die Herrin debattierte stundenlang mit dem Mädchen über die -Frage, ob Otto sich zur Heirat entschließen würde oder nicht. Er konnte -doch eine Frau ernähren bei der schönen Anstellung, die er hatte. Aber -ob ihm zu trauen war?</p> - -<p>„Nehmen Sie sich nur in acht, Martha.“</p> - -<p>Gestern war er also wirklich nicht zu dem verabredeten -Sonntags-Rendezvous gekommen? —<span class="pagenum"><a id="Seite_121"></a>[S. 121]</span> Das war doch entschieden sehr -auffallend. Nun, vielleicht dienstlich verhindert?</p> - -<p>„Aber er hätte jedenfalls schreiben können.“</p> - -<p>Die beiden waren so in dieses passionierende Gespräch vertieft, daß sie -das Läuten an der Korridortür überhörten.</p> - -<p>Erst als Heinrich grämlich hereinrief, daß wohl erst die Klingel -abgerissen werden solle, ehe sich Martha zum Oeffnen entschlösse, lief -die letztere zur Tür.</p> - -<p>Frau von Birken hörte ihren erstaunten Aufschrei. Gleich darauf wurde -die Tür aufgerissen — zwei Arme schlangen sich um den Hals der -Baronin, ein ungestümer Mund preßte sich auf den ihren: Monika.</p> - -<p>Die Mutter war zu überrascht, um Worte zu finden, aber Heinrich, der, -seinen Eichendorff fest unter den Arm geklemmt, sich in der Küchentür -sehen ließ, sagte ahnungsbang:</p> - -<p>„Du wirst wohl wieder was Nettes angestellt haben, Mone.“</p> - -<p>Monika ließ sich den brüderlichen Pessimismus nicht sehr zu Herzen -gehen; sie umarmte den jungen Melancholiker freudestrahlend:</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_122"></a>[S. 122]</span></p> - -<p>„Heinzemännchen, Du siehst schon wieder so lebensüberdrüssig aus wie -ein asthmatischer Mops. Freust Du Dich denn nicht, daß ich wieder da -bin? Oder belastet schon wieder die Verantwortung für mein Betragen -Deine schwachen Schultern? Heinzemännchen, beruhige Dich — ich habe -immer noch weder Wechsel gefälscht, noch einen Leutnant entführt.“</p> - -<p>Frau von Birken fand nun endlich Worte. „Was hast Du bloß für einen -komischen Umhang um?“ fragte sie und strich erstaunt über die -kapuzinerbraune Umhüllung aus schwerem Loden, welche Monika trug.</p> - -<p>„Das? — Ein Geschenk von Tante Kläre — ein ausrangiertes von ihr. Sie -sagt: ‚Frauen, die Toiletten-Luxus treiben, sind keine Vollmenschen.‘ -— Da ich aber zu einem solchen erzogen werden sollte...“</p> - -<p>„O, Mone, Mone...“</p> - -<p>„So bin ich ausgerückt. Hurra, hurra, hurra!“ Monika warf ihre geliebte -Pelzmütze in die Luft. „Martha, was zu essen, aber viel und gut! Ist -was in der Speisekammer? Nein? Na, natürlich — wie<span class="pagenum"><a id="Seite_123"></a>[S. 123]</span> gewöhnlich. Gehen -Sie bloß schnell was holen: Leberwurst und Semmeln und Butter und zwei -Zuckerkringel — ich bin ganz verhungert.“</p> - -<p>Martha eilte fort, und Frau von Birken sagte mißbilligend: „Mone, -wieder so materiell! Gleich in der ersten Minute des Wiedersehens ans -Essen zu denken...“</p> - -<p>„Und Du hast in der ersten Minute nur an meinen Umhang gedacht, an -den braunen Umhang. Wir nehmen uns nichts, Mamachen. Du denkst an die -Kleidung, ich ans Essen — fürs Epikureische sind wir alle beide, Gott -sei Dank.“</p> - -<p>„Ach, Mone, Du bist genau wie immer,“ klagte Frau von Birken, indes sie -ihrer Tochter ins Eßzimmer folgte. „Und ich hatte gedacht, Du würdest -Dich geändert haben. Gerade von Tante Kläre habe ich Einfluß auf Dich -erwartet.“</p> - -<p>„Ach, es ist komisch, Mamachen, es hat eigentlich niemand Einfluß auf -mich. Ich habe so andere Ansichten. Die würde ich ja gern ändern, -wenn mich irgend jemand durch Argumente überzeugen könnte. Aber was -die andern sagen, das ist nie stichhaltig: das zerfetze ich mit ein -paar Worten.<span class="pagenum"><a id="Seite_124"></a>[S. 124]</span> — Wenn mich irgend jemand überzeugen könnte, mir eine -Direktive geben — <span class="antiqua">mais je ne demande pas mieux</span>.“</p> - -<p>„Nun sage lieber bloß schon gleich, was Du angestellt hast,“ sagte das -geliebte Heinzemännchen trocken.</p> - -<p>„Was ich angestellt habe? Ach, gar nichts. Bloß daß sich der Doktor -Schelling in mich verliebt hat.“</p> - -<p>„Aha, ein Mann,“ bemerkte Heinrich.</p> - -<p>„Na — sozusagen,“ erwiderte Monika gedehnt. „Er ist kleiner als ich -und schmäler als ich, und außerdem hinkt er auf dem linken Fuß...“</p> - -<p>„Mone, Deine Art, auf Aeußerlichkeiten Gewicht zu legen, ist -schrecklich: ich kenne den Doktor Schelling — ein sehr geistreicher, -feinsinniger Mann...“</p> - -<p>„Aber, Mama, wie er aussieht — direkt verboten!“</p> - -<p>„Mone, Du wirst wieder gemütsroh. Wo Du das nur herhast? Wenn ich so -denke: das Gemüt, das <em class="gesperrt">ich</em> habe! Bei meinem Gemüt, Mone...“</p> - -<p>„Gott sei Dank hab’ ich das nicht geerbt, Mama. Aber um auf den Doktor -Schelling zurückzukommen: der ist Tante Kläres Seelenfreund, Partisan -der<span class="pagenum"><a id="Seite_125"></a>[S. 125]</span> Frauenbewegung natürlich. — Großartig, was sich die beiden jeden -Tag zwischen fünf und sechs zu erzählen haben. Bertha und ich wurden -dann immer mitzugezogen, um zu modernen Mädchen, zu Vollmenschen -heranzureifen; ‚neue Horizonte eröffnen‘, nannte das Doktor Schelling.“</p> - -<p>„Und Du hast Dich gewiß unpassend benommen?“</p> - -<p>„Aber keine Spur! Reizend war ich, direkt niedlich. Ich habe sogar -Goethe zitiert, den ich doch eigentlich nicht ausstehen kann. Natürlich -Leonore — natürlich:</p> - -<div class="poetry-container"> -<div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent2">‚Ich höre gern, wenn kluge Männer reden,</div> - <div class="verse indent2">Daß ich verstehen lerne, wie sie’s meinen...‘“</div> - </div> -</div> -</div> - -<p>Frau von Birken atmete erleichtert auf.</p> - -<p>„Wahrhaftig, Du warst nicht ungezogen?“</p> - -<p>„Aber im Gegenteil! Ich war so artig, daß sich der gute Hinkepot in -mich verliebte. Er hat bei Tante um meine Hand angehalten. Ich wußte -gar nichts davon: mir hat er gar nichts gesagt — bloß, daß ich schöne -Augen hätte und entzückende Hände und so. —</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_126"></a>[S. 126]</span></p> - -<p>Aber Tante hat mir, als sie mir seinen Antrag übermittelte, einen -kolossalen Krach gemacht: nur durch meine Koketterie und meinen Hang -zur Frivolität hätte ich den großartigen, ernsthaften Doktor Schelling -zu solch einer Dummheit verleitet — zu der Dummheit, einen völlig -unerzogenen Backfisch heiraten zu wollen, der überhaupt gar kein -Vollmensch wäre! —</p> - -<p>Und als ich dann der Tante sagte, ich dächte gar nicht daran, ihn zu -heiraten, weil er so häßlich wäre und weil ich keinen Bürgerlichen -möchte, da wurde sie erst recht böse und sagte, ich wäre ohne jeglichen -Fond! Na, das wurde mir schließlich zu viel. Das brauche ich mir -nicht gefallen zu lassen. „Ohne jeglichen Fond.“ Da kommt man sich ja -schließlich zu dumm vor. — Also, da bin ich ausgerückt. Geld hatte ich -bloß sehr wenig. Da bin ich dritter Klasse gefahren. Scheußlich! — -Unterwegs hat mir ein Pferdehändler gesagt, er möchte sich gern mit mir -verloben.“</p> - -<p>„Mone!“</p> - -<p>„Mamachen, keinen Verzweiflungsausbruch! Ich habe doch gar nichts -getan. Was kann ich dafür,<span class="pagenum"><a id="Seite_127"></a>[S. 127]</span> wenn sich Leute in mich verlieben? — -Ah, da kommt Martha mit der Leberwurst. Leberwurst und zum Dessert -Zuckerkringel. Der alte ehrliche Wagner hat doch recht:</p> - -<div class="poetry-container"> -<div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent2">‚Es gibt ein Glück, das ohne Reu’!‘“</div> - </div> -</div> -</div> - -<div class="figcenter illowe5" id="gedankensprung2"> - <img class="w100" src="images/gedankensprung.jpg" alt="Gedankensprung" /> -</div> - -<p>Am Abend war die ganze Familie um den großen Tisch im Eßzimmer -versammelt. Sogar Alfred war erschienen, Alfred, der sonst seine Abende -außerhalb des Hauses zubrachte, vage Erklärungen für sein Fernbleiben -gab, die niemand ihm glaubte, seine Mutter am wenigsten.</p> - -<p>Sie war von einem beständigen Mißtrauen gegen Alfred erfüllt. Für -diesen ältesten Sohn hatte sie nie viel übrig gehabt — von seiner -Geburt an nicht.</p> - -<p>Warum, war ihr selbst unklar.</p> - -<p>Doch Alfreds Verhalten ließ ihren Mangel an Zuneigung oft recht -gerechtfertigt erscheinen; er war alles andere eher als ein guter -Charakter. Er war bei allen, die ihn kannten, seiner Boshaftigkeit -wegen<span class="pagenum"><a id="Seite_128"></a>[S. 128]</span> gefürchtet; es gab kaum ein größeres Vergnügen für ihn, als -seine Bekannten gegenseitig aufeinanderzuhetzen. Er lernte ungern, war -faul und genußsüchtig — dabei unleugbar von glänzender Begabung. Doch -diese Begabung hatte etwas merkwürdig Partielles. In vielen Fächern -leistete er absolut nichts, in anderen war er unübertrefflich. Er war -ein mißtrauischer Charakter, der bei allen anderen Böses witterte, -mitunter aber überraschte er durch einen Zug von Gutmütigkeit.</p> - -<p>Auch seine äußere Erscheinung wies kein einheitliches Gepräge auf. -Sein kräftiger Körperbau und seine breiten Schultern ließen auf -einen hochgewachsenen Menschen schließen, aber er erreichte kaum das -Mittelmaß.</p> - -<p>Mit seinem Gesicht konnte er dagegen zufrieden sein. In der Tat war -dieses Gesicht sehr schön — alle Züge von vollendeter Regelmäßigkeit. -Er hatte kalte, blaue Augen und einen üppig geschwungenen, auffallend -roten Mund, dessen Inkarnat noch leuchtender erschien durch den dunkeln -Flaum auf der Oberlippe.</p> - -<p>Mit der Mutter stand Alfred in sehr gespannten Beziehungen, mit den -Geschwistern kühl.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_129"></a>[S. 129]</span></p> - -<p>Ueber Monikas Kommen heute hatte er anscheinend auch keine Freude -empfunden.</p> - -<p>Heinzemännchen dagegen war es angenehm, daß Monika da war. Nun konnte -er ihr wieder Lyrik vorlesen.</p> - -<p>Monika ärgerte ihn nicht wie die Mama dadurch, daß sie seine -Deklamationen unterbrach, selbst die Verse vollendete, und noch dazu -mit falschen Versfüßen.</p> - -<p>Heute abend kam er zu Monika mit Eichendorff, den er eben „entdeckt“ -hatte.</p> - -<p>Mit tiefem Gefühl und übertriebener Betonung las er ihr vor, jenes -schönste:</p> - -<div class="poetry-container"> -<div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent2">„Denkst du noch jenes Abends, still vor Sehnen,</div> - <div class="verse indent2">Als wir das letztemal im Park beisammen?</div> - <div class="verse indent2">Wild standen rings des Abendrotes Flammen,</div> - <div class="verse indent2">Ich scherzte wild — du lächeltest durch Tränen.</div> - <div class="verse indent2">Ob du die Mutter auch belogst, betrübtest —</div> - <div class="verse indent2">Was andre Leute drüber deuten, sagen —</div> - <div class="verse indent2">Sonst scheu — heut’ magst du nicht nach allem fragen,</div> - <div class="verse indent2">Mir einzig zeigen nur, wie du mich liebtest...“</div> - </div> -</div> -</div> -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_130"></a>[S. 130]</span></p> -<p>„Da siehst Du’s, Heinzemännchen,“ jubelte Monika: „‚Ob du die Mutter -auch belogst, betrübtest — was andre Leute drüber deuten, sagen‘... -Da siehst Du’s! Das ist alles schnuppe, wenn man liebt. So beim Lesen -findest Du’s sehr schön, und wenn ich in Wirklichkeit so wäre...“</p> - -<p>„Laß Dir das nicht einfallen,“ grunzte Heinzemännchen, plötzlich aus -seinen poetischen Himmeln gerissen.</p> - -<p>Alfred warf seiner Schwester einen Blick zu. Er sprach kein Wort. Aber -dieser eiskalte Blick war eine schärfere Drohung als seines Bruders -Worte.</p> - -<p>Karl kaute unbekümmert weiter an seiner Stulle. Frau von Birken -aber sagte ganz erregt: „Mone, ich bitte Dich, nicht immer solch -exzentrische Redensarten. Laß doch das endlich — mir zuliebe...“</p> - -<p>„Dir zuliebe?“ fragte Monika gedehnt. Sie warf den Kopf ins Genick: -„Ich lebe doch für mich — nicht bloß Dir zuliebe, Mama. Man ist doch -nicht bloß dazu da, um so zu sein, wie es zufällig gerade der Geschmack -der betreffenden Eltern ist.“</p> - -<p>„Nettes Früchtchen,“ sagte Alfred spöttisch zur Mutter.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_131"></a>[S. 131]</span></p> - -<p>Und Heinrich sagte strafend:</p> - -<p>„Wenn man Dich so anhört, man sollte es rein nicht für möglich halten.“</p> - -<p>„Ach, Ihr heuchelt bloß wieder, Jungens. Lebt Ihr denn der -Mama zuliebe? Wenn Alfred für achtzig Mark Schulden macht im -Zigarrengeschäft und Heinrich sich verbotene Bücher kauft und Karl den -ganzen Zucker stibitzt — na, ich will ja gar nichts gegen Euch reden. -Mir ist das alles egal. Ich bin froh, wenn Ihr mich zufrieden laßt. -Aber das ist nicht zu leugnen, daß Ihr Euch selbst zuliebe lebt! Und -das tun überhaupt alle Menschen!“</p> - -<p>„Mone, wie Du das sagen kannst, mir sagen kannst, bei meinem Gemüt!“ -entrüstete sich Frau von Birken. „Meine ganze Jugend habe ich Euch -hingeopfert. Immer bin ich im Kinderzimmer gewesen, auch als Ihr zwei -Gouvernanten gleichzeitig hattet: Miß Smith, die liebe Person, und -Mademoiselle Marguerite, das entzückende Mädchen.... Ich — habe ich -je mir selbst zuliebe gelebt? Habe ich je an mich selbst gedacht? — -Wo gibt es noch eine Mutter, die ihre Kinder so verwöhnt hätte wie -ich, sie so gestopft — ja geradezu gestopft mit Leckerbissen — und -mit Euch gespielt hab’ ich und mit<span class="pagenum"><a id="Seite_132"></a>[S. 132]</span> Euch gelernt. — Und das habt Ihr -auch gewußt. Ja, als Ihr klein wart, wart Ihr noch dankbar. Gebrüllt -habt Ihr, wenn ich auf Bälle ging — Euch an mein Kleid geklammert, -damit ich dableiben solle... Das cremeseidene mit der griechischen -Stickerei hast Du mir direkt entzweigerissen, Mone, als Du fünf Jahre -alt warst, an dem Abend, als ich zum Regimentsball nach Hahndorf -wollte... Und Heinzemännchen wollte sich direkt aus dem Fenster -stürzen, aus der ersten Etage in Sarkow, als wir in großer Gesellschaft -einen Schlittenausflug unternahmen ... Gott, wie heute weiß ich es -noch! Ich war gerade im Begriff, in den Schlitten zu steigen — einen -grauen Samtmantel hatte ich an mit Chinchillabesatz, und ein kleines -Barett, wie es damals neueste Mode war — außer mir trug es noch -niemand im ganzen Kreise. — Und Herr von Schmettwitz bietet mir die -Hand zum Einsteigen — und plötzlich wird in der ersten Etage ein -Fenster aufgerissen, und auf dem Fensterbrett steht Heinzemännchen und -schreit... schreit, daß mir die Ohren gellen: er spränge runter, wenn -ich ihm nicht verspräche, dazubleiben. — Ach Gott, den Augenblick -vergesse ich nicht, und wenn ich hundert Jahre alt werde! Ich<span class="pagenum"><a id="Seite_133"></a>[S. 133]</span> rufe und -schreie: ja, ja, ich bleibe! — Aber Heinzchen beugt sich noch weiter -vor. — Und Euer Papa wie ein Sturmwind die Treppe hinauf und reißt den -Jungen in seine Arme. Hauen wollte er ihn! Aber das habe ich natürlich -nicht erlaubt! Und weil ich doch natürlich den Ausflug nicht versäumen -wollte, habe ich Heinzchen mitgenommen. Ach, wie süß er aussah in -seinem blauen Mäntelchen mit dem echten Persianerkragen... Ja, so -geliebt habt Ihr mich! — Und jetzt ist das der Dank. Daß Mone solche -Sachen sagt und mich des Egoismus bezichtigt...“</p> - -<p>„Aber, Mama, ich habe doch nichts von Dir gesagt, sondern daß die -Menschen im allgemeinen...“</p> - -<p>„Dann hättest Du mich wenigstens davon ausnehmen sollen. Wenn Du Euch -so charakterisiert hast, dagegen kann ich ja gar nichts einwenden. Ihr -seid auch alle egoistisch! Nicht einer, der mein Gemüt geerbt hätte!“</p> - -<p>Aufseufzend warf die zierliche Frau einen Blick in die Runde, -betrachtete die vier Gestalten mit den breiten Schultern, dem -trotzigen, kurzen Genick — sah auf die üppigen Münder, hinter denen -die blanken Zähne lauerten, sah in die vier jungen<span class="pagenum"><a id="Seite_134"></a>[S. 134]</span> Augenpaare, in -denen der trotzige Spruch geschrieben stand:</p> - -<p>„Mir selbst zuliebe!“</p> - -<p>Wildpflanzen waren sie alle vier! — Schon in ihrer zarten Jugend waren -die Birkenschen Kinder bekannt gewesen für ihre Ungezogenheit.</p> - -<p>Der Baron hatte die Erziehung seiner Sprößlinge völlig seiner Frau -überlassen: er selbst war vollauf damit beschäftigt gewesen, das -Grandseigneur-Leben zu führen, das er liebte.</p> - -<p>Er war seinerzeit als wenig begüterter Junker bei den Hahndorfer -Dragonern eingetreten; trotz seiner geringen Zulage hatte er von allen -Herren des Regiments am elegantesten gelebt.</p> - -<p>Er hatte Glück. Gerade als seine Schulden anfingen, bedenklich zu -werden, starb sein Onkel, der kinderlose Besitzer von Sarkow, der einst -ihm, dem Verwaisten, Vormund gewesen und ihm nun Sarkow vererbte.</p> - -<p>Er hatte sich sofort zur Reserve überführen lassen. Der Dienst hatte -ihm, der einen starken Hang zur Bequemlichkeit hatte, nie viel -Freude gemacht. Es war mehr die Tradition seiner Familie als innere<span class="pagenum"><a id="Seite_135"></a>[S. 135]</span> -Notwendigkeit gewesen, die ihn zum Soldaten gemacht.</p> - -<p>So hatte er denn ganz gern den bunten Rock mit dem Frack vertauscht, -den er an lustigen Abenden in Monte Carlo, Spa, Trouville und Biarritz -trug.</p> - -<p>Johann Birken war fast zwei Jahre auf Reisen gewesen, ehe er sich -persönlich der Verwaltung seines Gutes widmete.</p> - -<p>Er fand Sarkow sehr langweilig — so langweilig, daß er auf die Idee -verfiel, sich zu verheiraten.</p> - -<p>Er verliebte sich bei einem Aufenthalt in der Landeshauptstadt in die -Tochter eines dortigen Universitätsprofessors: die schöne Mali.</p> - -<p>„Die schöne Mali“ hieß hauptsächlich darum so, weil ihre Schwestern gar -so häßlich waren.</p> - -<p>Vier Schwestern hatte sie, die waren unsinnig gebildet, und es ging -die Sage von ihnen, daß sie ihrem Vater bei den schwierigsten Arbeiten -halfen, daß sie Latein und Griechisch redeten wie ihre Muttersprache.</p> - -<p>Von diesem klassisch gebildeten Hintergrund hob sich die schöne Mali -doppelt wirkungsvoll ab.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_136"></a>[S. 136]</span></p> - -<p>Statt der philosophischen Gelehrsamkeit besaß sie schöne, dunkle Augen -und einen leichten Sinn.</p> - -<p>Neben dem blassen Teint der Schwestern wirkten ihre blühenden Farben -desto schöner; neben der Schwestern knochiger Größe nahm sich ihre -zierliche, geschmeidige Figur doppelt graziös aus — kurz, man konnte -sich keine vorteilhaftere Folie denken für die schöne Mali.</p> - -<p>Baron Birken, der seinen stark ausgeprägten Adelsstolz auf seinen -Reisen, inmitten der internationalen Milieus, zum großen Teile -abgestreift hatte, hielt kurz entschlossen um des Professors schöne -Tochter an.</p> - -<p>Achtzehn Jahre war sie alt, hübsch, temperamentvoll, nicht unbemittelt -— kurz, diese Liebesheirat schien ihm außerdem nicht unvernünftig.</p> - -<p>Die Ehe war alles in allem weder glücklich noch unglücklich zu nennen -gewesen.</p> - -<p>Der Baron ärgerte sich oft über den Hang zur Unordnung, den seine -Frau hatte; sie besaß ein geradezu hervorragendes Talent, ihre Sachen -durcheinander zu werfen und zu verlegen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_137"></a>[S. 137]</span></p> - -<p>Mitunter fand er Mali auch reichlich kokett und äußerte dann seine -Mißbilligung in harten Worten. Aber ihr jugendlicher Charme, ihre -liebenswürdige Gemütsart versöhnten ihn immer bald wieder.</p> - -<p>Mali hatte sich in ihrer Ehe oft „unverstanden“ gefühlt.</p> - -<p>Ihr Mann besaß so sehr wenig geistige Bedürfnisse, besaß auch -nicht „so viel Gemüt“, wie sie es gewünscht hätte. In ihren ganzen -Lebensanschauungen gingen die Eheleute sehr auseinander.</p> - -<p>Die liberalen Ansichten, die Mali aus ihrem Vaterhause mitgebracht, -stimmten schlecht zu den Meinungen des Gatten, der — wenn auch nicht -in extremer Weise — durchaus konservativen Anschauungen huldigte.</p> - -<p>Doch gab es Punkte, in welchen die beiden in ihren Gesinnungen durchaus -zusammentrafen: sie hatten beide einen sehr ausgeprägten Sinn für -Gastfreundschaft, liebten Gesellschaften und rauschende Vergnügungen — -Luxus jeder Art.</p> - -<p>Da bei ihnen diese Anlagen durch keinerlei Selbstdisziplin gezähmt -wurden, so hatte es nicht lange<span class="pagenum"><a id="Seite_138"></a>[S. 138]</span> gedauert, bis ihre wirtschaftlichen -Verhältnisse sich verschlechterten.</p> - -<p>Die Jeu-Leidenschaft des Barons beschleunigte den pekuniären Abstieg, -und schließlich hatte Birken froh sein müssen, als ihm sein Schwager, -Herr von Holtz, das total überschuldete Sarkow für einen anständigen -Preis abkaufte.</p> - -<p>Mit dem kleinen Kapital, das sich als Ueberschuß ergeben, ging’s -nun der Großstadt zu, dem Schlachtfelde, auf dem die schwankenden -Existenzen siegen oder verderben.</p> - -<p>Der Baron Birken war keine Siegernatur gewesen, wenn es arbeiten hieß. -Er gehörte zu den Leuten, denen man alle guten Eigenschaften zubilligt, -solange sie im Besitz von Stellung und Vermögen sind.</p> - -<p>Wenn sie auf den Höhen des Lebens stehen, scheinen diese Leute in eine -Waffenrüstung gekleidet, geschützt und umpanzert, bewehrt und bewaffnet -mit gutem Stahl, aber das sind Turnierwaffen, glänzende Nichtigkeiten, -machtlos wie Pappschwerter, wenn es kein Turnier mehr gilt, sondern -eine Schlacht, die Schlacht des hartgrinsenden Lebens.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_139"></a>[S. 139]</span></p> - -<p>Was half es Birken, daß er ein ausgezeichneter Reiter war, wenn er sich -um eine Stellung als Versicherungsinspektor bewarb? —</p> - -<p>Was halfen ihm seine tadellosen Manieren, als er dem Chef, der den -Posten eines Disponenten zu vergeben hatte, gestehen mußte, daß er von -Buchführung keine Ahnung hatte? —</p> - -<p>Was half ihm seine Gentleman-Gesinnung, als er nach „Branchekenntnis“ -gefragt wurde bei dem Schuhwarenfabrikanten, der einen gut bezahlten -Vertrauensposten zu vergeben hatte? —</p> - -<p>Die blanken Waffen des Barons Birken waren Kinderspielzeug, als die Not -ihn rief. Und er ergab sich, war besiegt, ohne sich gewehrt zu haben, -— ein gebrochener Mann!</p> - -<p>Seine schönen Hände mit den rosigen, manikürten Fingerspitzen waren -nicht von jenen, die zupacken mit tödlich sicherem Griff, waren -nicht von jenen, die sich zu trotzig willensstarken Fäusten ballen. -Schöne Hände waren es, schöne, nutzlose Hände, nur gemacht, um einen -Pferdezügel zwischen den Fingern zu fühlen, ein paar Kartenblätter zu -halten, Goldstücke zu verstreuen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_140"></a>[S. 140]</span></p> - -<p>Und diese schönen Hände lernten es, sich zusammenzukrampfen in Not, in -tatenloser Verzweiflung.</p> - -<p>Es stand schlecht um die Familie.</p> - -<p>Mali jammerte von früh bis spät. Was sie aber nicht verhinderte, oft -recht glücklich zu sein. Oft trug sie ihr Leichtsinn über Abgründe -hinweg, in denen andere schaudernd versinken.</p> - -<p>Wohl strengte sie oft ihre Lungen in geradezu übermäßiger Weise an, um -ihren Mann an seine Pflicht zu erinnern: „Du mußt aufstehn, Johann. -Glaubst Du, Du bekommst eine Stellung, wenn Du jeden Tag bis ein -Uhr im Bett liegst?! Du mußt doch für uns sorgen!! Ich laufe immer -noch mit dem Kleid vom Frühjahr herum, und Alfred und Heinzemännchen -klagen, der Lehrer hätte sie schon zum zweiten Male nach dem Schulgeld -gefragt...... O Gott, wie soll das alles noch enden?“</p> - -<p>Eine Antwort war ihr auf diese Frage nicht zuteil geworden. Herr von -Birken war weniger expansiv als seine Frau. Was er gelitten haben -mochte in der ihn demütigenden Rolle des Bittstellers, das wußte -niemand. Das Leben, das er führte, hatte ihn bald<span class="pagenum"><a id="Seite_141"></a>[S. 141]</span> mürbe gemacht: -sein willensschwacher Charakter hielt nicht stand, — sein Charakter -verkümmerte wie ein Baum, den man der Heimatserde entrissen.</p> - -<p>Dann kam eine Lebensperiode, die Frau Mali als Aufschwung bezeichnete: -der Baron Johann von Birken-Sarkow hatte eine Stellung als -Sektreisender gefunden. Er war blaß wie Kalk, als er seiner Frau diese -Neuigkeit mitteilte. Seine Zähne waren so fest zusammengekrampft, daß -sich die Worte nur mit Mühe zwischen ihnen Bahn brachen.</p> - -<p>Aber das hatte Frau Mali nicht bemerkt. Sie war ganz begeistert, — -eine so berühmte Firma — — ein so reichliches Gehalt! —</p> - -<p>Gott sei Dank, nun würden die bösen Tage vorüber sein. Mit der kleinen -Rente, die man aus dem Schiffbruch gerettet, ließ es sich doch auch gar -zu schlecht leben.</p> - -<p>Aber Mali war, wie so oft, zu hoffnungsfreudig gewesen. Ihr Mann, der -früher immer ärgerlich jeden solchen „Sektfritzen“ abgewiesen, ohne ihn -zu Worte kommen zu lassen, war nicht die geeignete Persönlichkeit, um -nun selber die andern zum Kaufen anzuregen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_142"></a>[S. 142]</span></p> - -<p>Die Firma hielt ihn einige Zeit wegen seines klingenden Namens, seiner -vornehmen Erscheinung, aber schließlich kam der Tag, an welchem sein -Chef ihn darauf aufmerksam machte, daß seine Gesundheit vielleicht -diesem Reiseleben nicht gewachsen sei. Herr von Birken bat darauf um -seine Entlassung.</p> - -<p>Und dann ging es schnell abwärts. Eine schwere Nierenkrankheit -ruinierte diesen mächtigen Körper.</p> - -<p>Mali entfaltete in der Leidenszeit ihre besten Eigenschaften, mit -aufopfernder Sorgfalt und unermüdlicher Hingabe pflegte sie den -Schwerkranken.</p> - -<p>Wieder trat ihre seltsame Charaktereigenschaft zutage: hauptsächlich -die Leute gut zu behandeln, denen es recht schlecht ging.</p> - -<p>Ueber den Ernst der Krankheit war sie sich nie ganz klar; sie jammerte -zwar über ihr schweres Los, aber an eine Lebensgefahr dachte sie nicht.</p> - -<p>Die Kinder wurden in dieser Zeit etwas vernachlässigt; es blieb -wirklich keine Zeit, um sich mit ihnen zu beschäftigen. Alfred wurde -aus dem Kadettenkorps, in dem er nur wenige Monate zuvor aufgenommen -worden war, zurückgeschickt. Sein störrischer Charakter, sein Mangel an -Autoritäts<span class="pagenum"><a id="Seite_143"></a>[S. 143]</span>glauben hatten es den Erziehern ratsam erscheinen lassen, -ihn aus dem Korps zu entfernen.</p> - -<p>Zu Hause zeigte er sich verschlossen und seltsam wie immer, dazu -unbotmäßig gegen die Mutter, die ihm ja nie weder Liebe noch Respekt -eingeflößt hatte.</p> - -<p>Monika, die bis dahin ein sehr herzliches Verhältnis zur Mutter -gehabt, in regstem Gedankenaustausch mit ihr gestanden, begann nun -geistig eigene Wege zu gehen, schwelgte in Gedankengängen, deren heiße -Phantastik ihrer Entwicklung Gefahren bot.</p> - -<p>Heinrich wurde noch verschlossener, als er es schon gewesen, und -Karl bildete seine hervorragende Begabung fürs Lügen noch weiter -aus. Er „schwänzte“ oft mehrmals wöchentlich die Schule, fand immer -neue Entschuldigungsgründe dem Lehrer sowie der Mutter gegenüber, -und blickte bei seinen haarsträubendsten Lügen mit so taubenhaft -unschuldigen Augen und so gleichmäßig rosigen Wangen in die Welt, daß -man ihm immer wieder glaubte.</p> - -<p>In dieser Atmosphäre von Krankenstubenluft und wirtschaftlichem -Rückgang begann eine böse Saat aufzukeimen in den vier jungen Seelen. -Zwischen diesem langsam sterbenden Vater, dessen tiefe Apathie mitunter -durch aufflackernde Wutanfälle<span class="pagenum"><a id="Seite_144"></a>[S. 144]</span> unterbrochen wurde, und der fahrigen -Mutter mit den ewig mädchenhaften Bewegungen und dem Mangel an -Selbstdisziplin wuchsen diese vier Kinder empor, schossen in Blüte wie -Unkraut.</p> - -<p>Es war keine Faust über ihnen, die mit sicherem Griff ihr Leben in -gebahnte Gleise gelenkt hätte. Sie gingen ihre eigenen Wege. Ihre -Wünsche durchsetzend um jeden Preis, begannen sie ihr Leben zu leben -einfach und brutal, jung und genußsüchtig...</p> - -<div class="figcenter illowe10" id="kapitelende4"> - <img class="w100" src="images/kapitelende.jpg" alt="Ende des Kapitels" /> -</div> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_145"></a>[S. 145]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="Kapitel_5">5.</h2> - -</div> - -<div class="dc" id="p145initial"> - <img class="illowe6" src="images/p145initial.jpg" alt="D" /> -</div> - -<p class="p0"><span class="initial">D</span>ie ersten Tage nach Monikas Rückkehr konnte sich Frau von Birken nicht -dem großen Einfluß entziehen, den ihre Tochter auf sie ausübte. Keines -ihrer anderen Kinder war von so strahlender Lebenslust erfüllt wie -Monika, keines der anderen hatte eine so amüsante Art.</p> - -<p>Trotzdem stand in den Gefühlen der Mutter Heinrich unbedingt obenan.</p> - -<p>Monika erhielt den zweiten Platz, in weitem Abstande folgte Karl und in -unmeßbarer Distanz Alfred.</p> - -<p>Die Lieblingskinder hatten Vorrechte, die den anderen nie zuteil -wurden. Frau von Birken machte da die merkwürdigsten Unterschiede: -Heinzemännchen bekam ein gutes Frühstück ans Bett, Monika ein -weniger reichhaltiges auch ans Bett, Karl mußte aufstehen, bevor er -frühstückte, und für Alfred wurden überhaupt keine Umstände gemacht.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_146"></a>[S. 146]</span></p> - -<p>Seitdem jetzt Monika zurückgekehrt, hatte die Mutter viel Zeit für sie. -Wenn die Jungen vormittags im Gymnasium waren, setzte sich Frau von -Birken oft zu ihrer Tochter ans Bett. Monika war im Gegensatze zu ihrer -Mutter, die sich schon um sieben Uhr früh im Haushalt beschäftigte, nur -schwer zum Aufstehen zu bewegen. Arbeit im Haushalt war ihr vollends -verhaßt.</p> - -<p>Frau von Birken hielt ihr diese beiden Punkte ihres Betragens täglich -in tadelnder Weise vor, aber sie erreichte nicht das mindeste damit; -sie wußte auch eigentlich ganz genau, daß das alles in den Wind -gesprochen war. Aber das hielt sie nicht davon ab, Monika jeden Morgen -dieselben Vorwürfe zu machen.</p> - -<p>„Was soll bloß aus Dir werden?! Wenn ich ein so großes Mädchen wäre, -ich würde mich schämen, faul im Bette zu liegen, wenn meine Mutter -arbeitet. Ich kann mir überhaupt gar nicht vorstellen, was aus Dir -werden soll. Mit der Schule bist Du jetzt fertig, — heiraten wirst Du -nicht, — heutzutage heiratet man kein armes Mädchen. Mehr als eine -ganz kleine Rente das Jahr kann ich Dir nicht mitgeben. Der Papa hat -so wenig hinterlassen;<span class="pagenum"><a id="Seite_147"></a>[S. 147]</span> wenn er nicht so hoch versichert gewesen wäre, -könnten wir jetzt Hunger leiden. Und mit dem winzigen Zuschuß, den -ich Dir geben kann, findest Du keinen Mann. Hübsch bist Du auch nicht -besonders — —“</p> - -<p>„Ohh — — —,“ flehte Monika, „ohh —“</p> - -<p>„Nein, wenn ich denke, wie ich aussah, als ich in Deinem Alter war, — -Du bist gar nicht schlank genug für ein junges Mädchen, — ich habe -heute noch zehn Zentimeter Taillenweite weniger als Du, und Du bist -auch nicht bescheiden genug für ein junges Mädchen. Nein, ein wirklich -hübsches junges Mädchen muß ganz anders aussehen: große, fragende -Kinderaugen muß es haben.“</p> - -<p>„Na, groß sind doch meine Augen genug!“</p> - -<p>„Ja, aber keine fragenden Kinderaugen! — Und ein kleines, kleines -Mündchen muß ein schönes junges Mädchen haben und eine schlanke Taille -und einen bescheidenen Gesichtsausdruck.“</p> - -<p>„Nur die Lumpe sind bescheiden!“</p> - -<p>„Mone, wende den Goethe bloß nicht immer so entsetzlich falsch an. -Also: hübsch bist Du nicht. Klug, — ja, das will ich nicht leugnen. -Du bist sehr<span class="pagenum"><a id="Seite_148"></a>[S. 148]</span> begabt, Du mußt das Hauptgewicht auf Deine geistige -Ausbildung legen, — zur Hausfrau hast Du auch kein Talent.“</p> - -<p>„Ich möchte Schriftstellerin werden.“</p> - -<p>„Kind, Du hast doch einen förmlichen Größenwahn. Sieh mich an: ich bin -doch Deine Mutter, — na, und bin zwanzig Jahre älter als Du, und mir -ist es nicht einmal gelungen, gedruckt zu werden. Vierzehnmal habe ich -Manuskripte abgeschickt — und alle, alle habe ich sie zurückbekommen. -Das einzige, was je von mir gedruckt worden ist, ist ein Küchenrezept, -— — und da willst Du Schriftstellerin werden?! Wo ich so viel mehr -Gemüt habe als Du —“</p> - -<p>„Gemüt ist literarisch gar nicht mehr modern,“ versicherte Monika.</p> - -<p>„Ach, man weiß wirklich nicht, was man mit Dir anfangen soll,“ klagte -die Mutter weiter, „um die Jungen ist mir ja nicht angst, das hat der -Papa auch schon immer gesagt: „um meine Söhne ist es mir nicht angst, -aber um Monika.“ — Ja, mit Mädchen hat man seine liebe Not. Am besten -wäre es vielleicht, Du würdest studieren.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_149"></a>[S. 149]</span></p> - -<p>„Aha, Tante Kläres Prinzipien,“ bemerkte die Tochter.</p> - -<p>„Ich will gar nicht leugnen, daß Kläre Einfluß auf mich hat. Sie ist -riesig klug, die klügste von uns Schwestern. Sie weiß ganz genau, was -sie tut, wenn sie ihre eigene Tochter studieren läßt. Und so begabt -wie Bertha bist Du noch lange. Ich bin sogar überzeugt, daß Du noch -leichter lernst.“</p> - -<p>„Liebe Mama, soll ich studieren, um zu beweisen, daß ich leichter lerne -als Bertha? Oder hast Du noch einen anderen Grund, um mir zum Studieren -zu raten?“</p> - -<p>„Aber, Kind, ich habe Dir doch eben alles lang und breit -auseinandergesetzt: Du hast mehr geistige als körperliche Vorzüge, Du -hast wenig Chance, Dich zu verheiraten. Das Studium sichert Dir eine -geachtete gesellschaftliche Position. ‚Fräulein Doktor‘ ist doch ganz -was anderes, als wenn Du womöglich simple Gouvernante wirst. Irgend was -wirst Du doch tun müssen. Der Papa hätte es ja natürlich nicht gewollt, -— er hätte es „unstandesgemäß“ gefunden, — aber ich habe solche -Vorurteile nicht. Ich bin eine moderne Frau! Ich gehe mit der Zeit -mit.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_150"></a>[S. 150]</span></p> - -<p>„Und mit Tante Kläre — —,“ sagte Monika ironisch.</p> - -<p>Die Anregung der Mutter ging ihr lebhaft im Kopf herum.</p> - -<p>Zunächst einmal war sie tief gekränkt, daß die Mutter ihr Aeußeres -so ungünstig beurteilt; die anderen Leute fanden sie doch hübsch, -sagten ihr das in unverblümter Weise. Was das Studieren anbetraf, so -war sie nicht etwa abgeneigt, die Wünsche ihrer Mutter zu erfüllen. -Bei ihrem lebhaften Wissensdurst, ihrer Freude am Lernen wäre ihr das -Studienprojekt geradezu ideal erschienen, wenn sie nicht eine lebhafte -Abneigung gegen den Begriff der „Studentin“ gehabt hätte. Sie selbst -kannte gar keine studierende Frau, sondern hatte sich aus Witzblättern -und aus Redensarten, die sie gehört, eine Art Zerrbild der Studentin -geschaffen, die sie sich mit kurz geschnittenen Haaren, männlichen -Allüren und in uneleganter Kleidung vorstellte. Immerhin hatte sie -keine Einrede, als sie eines Tages von ihrer Mutter ersucht wurde, mit -ihr zu Fräulein Doktor Stark zu kommen.</p> - -<p>Fräulein Doktor Stark war die Begründerin und Leiterin der -Mädchen-Gymnasial-Kurse, in denen<span class="pagenum"><a id="Seite_151"></a>[S. 151]</span> Damen zum Abiturienten-Examen -vorbereitet wurden.</p> - -<p>Monika war unsympathisch berührt von dem scharfen Blick der grauen -Augen. Dazu kam der schneidende Tonfall, in welchem das Fräulein Doktor -ihre knappen Fragen stellte.</p> - -<p>„Ihr Name?“</p> - -<p>„Freiin Monika von Birken.“</p> - -<p>„Alter?“</p> - -<p>„Sechzehn.“</p> - -<p>„Bisheriger Bildungsgang?“</p> - -<p>„Ich habe die Töchterschule von Fräulein von Zieritz absolviert.“</p> - -<p>„Als <span class="antiqua">prima omnium</span>,“ fiel Frau von Birken ein, mit liebenswürdig -verlegenem Lächeln; sie hatte vor dem gestrengen Fräulein Doktor viel -mehr Angst als Monika.</p> - -<p>Fräulein Doktor Stark würdigte die Baronin nicht einmal eines -Seitenblicks.</p> - -<p>„Wie denken Sie über die Stellung der Frau im gegenwärtigen Leben?“ -inquirierte sie Monika weiter.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_152"></a>[S. 152]</span></p> - -<p>Die Angeredete war etwas verblüfft; ihre sonstige Schlagfertigkeit -schien sie im Stiche lassen zu wollen.</p> - -<p>„Hm, wir haben es doch schließlich eigentlich in den meisten Sachen -bequemer als die Männer,“ sagte sie.</p> - -<p>Fräulein Doktor zuckte empört die Achseln und sagte:</p> - -<p>„Eine bedauerliche Unreife! Aber sonst spricht nichts gegen Ihre -Aufnahme in meine Gymnasial-Kurse. Ihre Ansichten werden Sie bei uns -schon ändern.“</p> - -<div class="figcenter illowe5" id="gedankensprung3"> - <img class="w100" src="images/gedankensprung.jpg" alt="Gedankensprung" /> -</div> - -<p>Diese Ueberzeugung der Gestrengen erwies sich als nicht stichhaltig.</p> - -<p>Nachdem Monika eine Zeitlang an den Kursen teilgenommen, war ihre -Lebensauffassung immer noch die gleiche.</p> - -<p>Infolge ihrer eminent leichten Auffassungsgabe gehörte sie nach kurzer -Zeit zu den besten Schülerinnen, ausgenommen in Mathematik, einer -Wissen<span class="pagenum"><a id="Seite_153"></a>[S. 153]</span>schaft, von der sie nie auch nur das geringste verstand.</p> - -<p>Alles in allem machten ihr diese Kurse sehr viel weniger Eindruck, -als sie erwartet. Es war eigentlich wie in der Schule von Fräulein -von Zieritz, nur daß man hier mit dem Vatersnamen aufgerufen wurde, -statt wie dort mit dem Vornamen, und daß die Schülerinnen hier -nicht einheitlichen Alters waren, sondern in den verschiedensten -„Jahrgängen“. Und die Damen stammten aus den verschiedensten Milieus.</p> - -<p>Neben Fräulein von Roch, der Tochter eines aktiven Generals, mit den -korrekten Manieren der preußischen Offizierstochter, saß Olga Iwanowna -Safiro, eine Russin von vager Herkunft und recht asiatischem Benehmen.</p> - -<p>Neben Frau Kramer, einer Frau mit ergrauenden Schläfenhaaren, die zu -Hause zwei halbwüchsige Kinder hatte, saß ein kaum sechzehnjähriges -Mädel, das vor wenigen Wochen noch die Schule besucht.</p> - -<p>Neben dem abgerissen gekleideten Mädchen, das sich nicht satt aß, um -Geld für die Kurse aufzu<span class="pagenum"><a id="Seite_154"></a>[S. 154]</span>bringen, saß die Tochter eines Kommerzienrats, -die einen wahren Juwelierladen zur Schau trug.</p> - -<p>Uebrigens waren so ziemlich alle in dieser aus allen Windrichtungen -zusammengewehten Schar von ehrlichem Lerneifer erfüllt. Und fast alle -waren sie durchdrungen von der Idee, daß nun eine neue Zeit für die -Frau hereinbreche.</p> - -<p>Vielleicht war Monika die einzige, die das ganze Studieren als eine Art -Spiel auffaßte, die die „Mission“ nicht sehr ernst nahm.</p> - -<p>Bei vielen der ernst strebenden Mitschülerinnen erregte ihre Art direkt -Unwillen, um so mehr, als sie hier, wie auch früher in der Schule, -einen ganzen Troß von Verehrerinnen und Anhängerinnen hatte, die jeden -ihrer Witze dankbarst belachten.</p> - -<p>Ihre erbittertste Feindin war Magda Kirchstett, ein schlankes, -brünettes Mädchen von sechsundzwanzig Jahren. Von allen in der Klasse -war sie wohl am meisten von der Wichtigkeit dessen, was man hier tat, -durchdrungen. Oft hielt sie flammende Agitationsreden.</p> - -<p>„Pioniere sind wir einer neuen Kultur, Schrittmacher für die Tausende -von anderen, die nach uns kommen werden. Wir alle müssen<span class="pagenum"><a id="Seite_155"></a>[S. 155]</span> durchdrungen -sein von dem stolzen Gefühl: mit zu den Ersten zu gehören, die sich -frei machen von jahrtausendelanger, alter Schmach. Der Mann hat uns -schlimmer behandelt, als man Tiere behandelt. Er hat uns körperlich und -geistig gemißhandelt und hat uns ausgebeutet in jeder Beziehung, er hat -uns rechtlos gemacht, uns tausendfach gekreuzigt!</p> - -<p>Aber der neue Morgen bricht an für unser Geschlecht. Noch sind wir -wenige, aber mit brennendem Eifer schmieden wir die Waffen, mit denen -wir uns befreien werden. Und diese Waffen sind: Fleiß, unermüdliche -Arbeitskraft! Lernen müssen wir — Wissen erlangen, um unserem -mächtigen Feinde entgegentreten zu können. Waffen brauchen wir! Und die -mächtigste Waffe im Kampfe gegen den Mann ist...“</p> - -<p>„Das Küssen!“ schrie Monika.</p> - -<p>Magda Kirchstett tat den Mund auf, schnappte nach Atem, aber ehe sie -diese Lähmung der Entrüstung überwunden, war Monika auf die Bank -gestiegen.</p> - -<p>„Meine Damen!“ rief sie mit ihrer hellen Kinderstimme, „die besten -Waffen im Kampfe gegen den Mann sind die ältesten Waffen — dieselben, -die schon<span class="pagenum"><a id="Seite_156"></a>[S. 156]</span> unsere verehrten, gänzlich unmodernen und stupiden -Großmütter gebraucht haben: ein bißchen schmeicheln — nein! — sehr -viel schmeicheln und lieb sein und küssen! Sie sind ja auch nicht so -schlimm, die Männer, wie Fräulein Kirchstett glaubt. Es gibt doch viele -riesig nette, und es wäre doch gar zu langweilig, wenn es nur Damen auf -der Welt gäbe! Jede von Ihnen, die mal einen Damenkaffee mitgemacht -hat, wird mir beipflichten. Darum schlage ich Ihnen einen Toast auf die -Männer vor. Wir wollen sie leben lassen. Was? Leben lassen — dreimal -hoch! Hoch! und zum zweitenmale...“</p> - -<p>Die Tür öffnete sich.</p> - -<p>Herein schnaufte Professor Hermann, der dicke Mathematiklehrer.</p> - -<p>„Was ist denn hier los?“</p> - -<p>Monika warf ihm einen koketten Blick zu und sagte -kindlich-liebenswürdig:</p> - -<p>„Es ist meine Schuld, Herr Professor, ich hatte vor den Damen einige -Theorien erörtert, die allgemeinen Anklang fanden.“</p> - -<p>Magda Kirchstett stieß einen Zorneslaut aus; auch viele andere schienen -lebhaft indigniert.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_157"></a>[S. 157]</span></p> - -<p>Andere lachten, und der Professor sagte wohlwollend: „Na, wenn es so -allgemein gefallen hat, wird es wohl was sehr Nettes gewesen sein, -Fräulein von Birken.“</p> - -<p>Monika setzte sich strahlend, denn so freundlich war der -Mathematiklehrer zu seiner schlechtesten Schülerin selten.</p> - -<p>„Es war eben mein steinerweichender Blick, der ihn so liebenswürdig -machte,“ triumphierte Monika nach der Stunde.</p> - -<p>Aber sie sollte nicht so billigen Kaufes davonkommen.</p> - -<p>Fräulein Kirchstett war nun wieder im Vollbesitz ihres Sprechorgans -und ihrer geistigen Fähigkeiten, und so ergoß sich nun ein Niagara von -Vorwürfen über Monikas schuldiges Haupt.</p> - -<p>„Birken, die von Ihnen geäußerten Ansichten decken eine sittliche -Unreife auf, wie man sie bei einer Hörerin unserer Kurse nicht für -möglich halten sollte! Leider bin ich genötigt, Fräulein Doktor Stark -mitzuteilen, daß wir alle Sie für ungeeignet halten, mit uns zu kämpfen -und zu streben. Ja, wir alle...“</p> - -<p>Protestierende Zurufe wurden laut.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_158"></a>[S. 158]</span></p> - -<p>„Von mir aus kann sie ruhig mitkämpfen,“ sagte die -Kommerzienratstochter friedlich.</p> - -<p>„Birken ist überhaupt ein riesig netter Kerl,“ rief eine andere.</p> - -<p>Frau Kramer sagte melancholisch: „Ihr Loblied auf die Männer war -wirklich von keiner Sachkenntnis getrübt, Birken.“</p> - -<p>Und im Hintergrunde schrie eine: „Birken ist ein ganz naseweiser Fratz.“</p> - -<p>Monika packte ihre Mappe zusammen und sagte: „Kinder, tobt Euch allein -aus. Ich gehe mich ein bißchen erholen, in den Tiergarten. Kommt jemand -mit? Entschuldigt mich, bitte, bei Professor Mellenthin. Es tut mir -sehr leid, die griechische Stunde zu versäumen, aber das Wetter ist zu -schön, und im Tiergarten fängt der Flieder schon an zu blühen.“</p> - -<p>Kaltblütig ging sie hinaus, während die drinnen wie ein aufgescheuchter -Spatzenschwarm durcheinander lärmten.</p> - -<p>Monika schlenderte durch den Tiergarten, ließ den Zauber der -erblühenden Büsche auf sich wirken, musterte Pferde und Reiter, die -vorüberkamen, und dachte über sich selbst nach.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_159"></a>[S. 159]</span></p> - -<p>Sie fühlte sich sehr allein. „Ich bin doch eigentlich ein unglückliches -Zwittergeschöpf,“ philosophierte sie und pfiff betrübt einen -Schmachtwalzer vor sich hin. „Bin ich nun eigentlich ein Kind meiner -Zeit? Dieser Zeit, in der die Frau die engumhegten Bahnen verläßt, in -denen sie jahrtausendelang gewandelt, in der sie kühn hinausstürmt in -die Weite, den Kopf noch ein bißchen benommen von dem grellen Licht, -das so plötzlich auf sie einströmt.</p> - -<p>Oder wäre ich auch in jedem anderen Zeitalter möglich?</p> - -<p>Diese zwei Naturen in mir, die sich gegenseitig bekämpfen... wie sagt -doch Doktor Rodenberg? Aphrodite und Pallas vertragen sich schlecht -miteinander ...</p> - -<p>Die süße Aphrodite lächelt so spöttisch, wenn ich mich zu der -eulentragenden, gelehrten Göttin flüchte, und die stolze Pallas -grinst geradezu, wenn mich all mein Sein zur schönsten Göttin zieht. -Schrecklich, schrecklich!“</p> - -<p>So sann Monika vor sich hin, ging aus dem gepfiffenen Walzer in eine -Polka über und hopste nach dem Takt derselben den sonnenbeschienenen -Fußpfad<span class="pagenum"><a id="Seite_160"></a>[S. 160]</span> entlang, von den wohlwollenden Blicken zweier alter Herren -gefolgt.</p> - -<p>Am nächsten Tage hatte Fräulein Doktor Stark eine private Unterhaltung -mit Monika.</p> - -<p>„Mir haben Damen Ihrer Klasse mitgeteilt, daß Sie Ihrer ganzen -Auffassung nach vielleicht nicht geeignet sind...“</p> - -<p>Monika unterbrach.</p> - -<p>„Fräulein Doktor, ich habe mir einen harmlosen Scherz gemacht.“</p> - -<p>„So? — Nun, jedenfalls interessiert es mich, zu erfahren, welchen -Standpunkt Sie mit Bezug auf Ihre Studien einnehmen. Wie denken Sie -sich Ihren Lebensgang überhaupt?“</p> - -<p>„Zunächst will ich hier das Abiturientenexamen machen und dann...“</p> - -<p>Monika stockte.</p> - -<p>„Welchem Studium wollen Sie sich widmen? Medizin?“</p> - -<p>„O pfui!“ schrie Monika los, „Leichen zerschneiden!“</p> - -<p>Ihr Gesicht zeigte den Ausdruck höchsten Entsetzens.</p> - -<p>„O pfui!“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_161"></a>[S. 161]</span></p> - -<p>„Beherrschen Sie sich. Das ist kindisch. Also Philologie?“</p> - -<p>„Nein.“</p> - -<p>„Jura?“</p> - -<p>„Nein.“</p> - -<p>Monika besah ihre Fingernägel, und plötzlich kam ihr eine Eingebung.</p> - -<p>„Nationalökonomie,“ sagte sie entschlossen.</p> - -<p>„So, so,“ die Gestrenge schien besänftigt, „und in welcher Weise -gedenken Sie diese Studien zum Wohle der Frauenwelt anzuwenden?“</p> - -<p>„Nationalökonomie,“ sagte Monika noch einmal bedeutungsschwer; sie ließ -diese rettende Planke nicht mehr los.</p> - -<p>Daß sie etwas unklare Begriffe über die Bedeutung dieses Wortes hegte, -brauchte Fräulein Doktor ja nicht zu erfahren.</p> - -<p>So endete die Unterredung weniger schlimm, als Monika es sich -vorgestellt.</p> - -<div class="figcenter illowe5" id="gedankensprung4"> - <img class="w100" src="images/gedankensprung.jpg" alt="Gedankensprung" /> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_162"></a>[S. 162]</span></p> - -<p>Wochen und Monate gingen dahin.</p> - -<p>Die Baronin Birken erzählte stolz allen ihren Bekannten, daß Monika -studieren solle; sie schrieb es ihren sämtlichen Verwandten.</p> - -<p>Frau von Holtz äußerte sich recht mißbilligend über das Studienprojekt. -Sie erwähnte, daß ihre Tochter Marie sie auch schon um die Erlaubnis -zum Studieren gebeten. Dieser „moderne Unsinn“ schien förmlich eine -ansteckende Krankheit zu sein. Sie habe natürlich empört die Erlaubnis -verweigert. Die Ungebundenheit der Studienjahre sei mit der Würde und -dem Anstand eines jungen Mädchens unvereinbar. —</p> - -<p>Marie maulte jetzt die ganze Zeit, daß sie ihren Willen nicht -durchsetzen dürfe; sie aber würde unbeirrt ihrer Mutterpflicht genügen -und hoffe, den Verwandten schon in nächster Zeit die Verlobung -Mariechens mitteilen zu können.</p> - -<p>„Ach, eine Verlobung!“ Frau von Birken war Feuer und Flamme. „Wer es -wohl sein mag? Und ob es eine gute Partie ist? Nun, wahrscheinlich -doch. Marie als Erbtochter von Sarkow kann Ansprüche machen.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_163"></a>[S. 163]</span></p> - -<p>Die Baronin sprach in den nächsten Tagen nur von dieser Verlobung und -erging sich in den verschiedensten Vermutungen.</p> - -<p>Ihr Interesse wurde erst abgelenkt, als sie einen Brief ihrer Schwester -Kläre empfing. Auch dieser Brief war eine Antwort auf Malis Mitteilung, -daß ihre Tochter studieren solle.</p> - -<p>Kläre schrieb, sie freue sich, daß nun doch Monikas bessere Instinkte -zum Durchbruch kämen. Das Studium würde ein unübertreffliches Mittel -sein, um Monikas Hang zum Leichtsinn entgegenzuarbeiten.</p> - -<p>Was ihre eigene Tochter Bertha anbeträfe, so sei es für die nun auch -höchste Zeit, sich auf das Abiturienten-Examen vorzubereiten, und zwar -in ernsthafterer Weise als bisher. Der Unterricht durch den Vater -zeitigte leider nicht die Früchte, die man berechtigt gewesen wäre, -zu erwarten. Und so sähe sie sich denn genötigt, Bertha nach Berlin -zu schicken, wo dieselbe auch den Gymnasialkursen von Fräulein Doktor -Stark eingereiht werden solle. Sie hoffe dringend, daß sich Berthas -Charakter dort von Grund auf ändere. Leider sei sie einstweilen ein -durchaus unmodernes Mädchen, interessiere sich<span class="pagenum"><a id="Seite_164"></a>[S. 164]</span> mehr für den Haushalt -als für die Wissenschaft. Natürlich aber werde sie — Kläre — ihren -Mutterpflichten getreulich nachkommen und es zu verhindern wissen, daß -Bertha ein Schablonendasein führe.</p> - -<p>„Ach, Berthchen kommt zu uns,“ rief Frau von Birken, indem sie -plötzlich die Lektüre des Briefes unterbrach. „Wie nett! Bertha ist -ein reizendes Mädchen. Ich muß doch gleich mal sehen, ob das gelbe -Fremdenbettstell in Ordnung ist. Martha, schnell den Schlüssel zum -Boden.“</p> - -<p>„Rege Dich gar nicht erst auf, Mamachen,“ sagte Monika, die den von -ihrer Mutter achtlos weggeschleuderten Brief inzwischen zu Ende -gelesen. „Bertha kommt nicht zu uns.“</p> - -<p>„Ach, warum denn nicht?“</p> - -<p>„Hier steht es: sie kommt zum Bruder ihres Vaters, dem Professor -Reckling.“</p> - -<p>Frau von Birken war empört.</p> - -<p>„Komische Idee von Kläre. Ich als Schwester wäre wohl doch die nächste -dazu, ihre Tochter aufzunehmen. Bertha ist ein nettes Mädchen, ich -hätte sie so verwöhnt...“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_165"></a>[S. 165]</span></p> - -<p>„Mehr als mich,“ brummte Monika. „Fremde Kinder behandelst Du immer -besser als uns, Mama.“</p> - -<p>„Die ärgern mich auch weniger als Ihr! Nicht ein einziger von Euch ist -gehorsam.“</p> - -<p>„Das hat Tante Kläre wohl auch gedacht und unseren Einfluß auf Bertha -gefürchtet,“ sagte Monika. „Mir wird doch immer gesagt, daß ich so -demoralisierend wirke — de — mo — ra — li — sie — rend...,“ sang -sie im Walzertakt und schwang die Mutter in die Runde.</p> - -<p>Nach Berthas erstem Besuch bei Birkens war Mali von ihrer Nichte -entzückt. Das machte aber niemandem einen großen Eindruck, da sie sich -für unendlich viele Leute begeisterte.</p> - -<p>In diesem Falle hatte sie wirklich keine genügende Ursache, entzückt zu -sein. Bertha besaß nichts irgendwie Hervorragendes.</p> - -<p>Sie war ein schlankes, blondes Mädchen mit schmalen Schultern und -ziemlich ausdruckslosen Augen. Ihre geistige Befähigung war knappes -Mittelmaß, ihr Charakter war harmlos freundlich, nur momentan war ihre -Stimmung verbittert durch<span class="pagenum"><a id="Seite_166"></a>[S. 166]</span> den Zwang, den die Mutter auf sie ausübte. -Bertha wäre so froh gewesen, wenn man sie das Leben hätte führen -lassen, wie es alle ihre Freundinnen führten: in der Wirtschaft helfen, -ein bißchen Klavier spielen, ein bißchen malen, hübsche Handarbeiten -machen, Bälle besuchen, die Eisbahn, den Tennisklub.</p> - -<p>Und dann sich verloben — ach, himmlisch! — heiraten, hübsche Kinder -haben mit schön frisierten Haaren und weißen Spitzenkleidern.</p> - -<p>Und da kam Mama nun mit der unglücklichen Idee des Studiums.</p> - -<p>So oft sie ihrer Tochter auch vorhielt, in welch begnadeter Zeit -sie lebe, daß es ihr gestattet sei, all ihre Geisteskräfte voll -zu entfalten, indes ihre Mutter seinerzeit durch die herrschenden -Anschauungen gezwungen gewesen, dem herrlichen Plane: ganz im Dienste -der Wissenschaft aufzugehen, zu entsagen — Bertha ließ sich nicht -überzeugen.</p> - -<p>Sie gehorchte zwar dem Gebot der Mutter, aber ohne jede innere -Freudigkeit.</p> - -<p>In den Kursen — sie war in denselben Zötus eingereiht worden wie -Monika — fiel sie durch<span class="pagenum"><a id="Seite_167"></a>[S. 167]</span> nichts auf. Eine knappe Mittelmäßigkeit war -die Signatur ihres äußeren und inneren Menschen. Für keines der Fächer, -in denen man Unterricht empfing, hegte sie besonderes Interesse.</p> - -<p>Im Gegenteil! Sie mokierte sich geradezu über Monika, die, als man im -Latein und Griechischen die langweiligen Anfangsgründe überwunden, sich -für das klassische Altertum zu begeistern begann. Die Glut, die sie in -Kindertagen entfaltet, wenn Doktor Rodenberg ihr Sagen erzählt, lebte -wieder auf; schattenhafte Träume erwachten zu neuem Leben.</p> - -<p>Und nicht nur wie einst sah sie nur die männermordenden Helden, die -erzgeschienten Völkerfürsten, nicht nur wie früher verfolgte sie mit -heißer Freude am Kampfe das Auf- und Niederwogen der Feldschlacht -— jetzt wurde ihr auch die schöne Sklavin lebendig, die blühende -Briseïs, die sich zitternd willig dem Peliden gibt. Jetzt schwirrten -ihre Gedanken auch um die Götterschönheit der Helena, um die so viel -Tausende starben.</p> - -<p>Die toten, heidnischen Sprachen, die Monika anfangs so langweilig -gedünkt, waren ihr nun Zauberschlüssel — Zauberschlüssel, welche die -Pforten zu märchenschönen Gärten öffneten.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_168"></a>[S. 168]</span></p> - -<p>Mit einer wahren Gier stürzte sie sich jetzt aufs Lernen.</p> - -<p>Und wie immer bei ihr: wenn sie erst angefangen, sich einer Sache zu -widmen, so tat sie das ungeteilt; sie richtete all ihre Kräfte, all ihr -Sinnen darauf.</p> - -<p>Ihre Geisteskräfte schienen zu wachsen in dem scharfen Training, das -sie ihnen zumutete, und sie spornte sich selbst immer mehr an.</p> - -<p>Weltgeschichte, Chemie, Physik — je mehr, je besser! Mit einem wahren -Heißhunger nahm sie alles Gebotene in sich auf und tat weit mehr, als -das Pensum erforderte. Ihre Neigung zu Vergnügungen, zum Flirt, trat -nun völlig zurück.</p> - -<p>Sie wollte nichts weiter, als möglichst ungestört über ihren Büchern -brüten. Allein an der Art, wie sie ein Buch aufschlug, wie sie den -Einband mit liebkosenden Fingerspitzen umspannte, als sei es eine -kostbare Frucht, sah man die Wonne, die es ihr bereitete, sich in den -Inhalt zu versenken.</p> - -<p>Die Brüder, denen besonders die alten Sprachen unangenehmer Zwang -waren, spotteten, wenn sie Monika über den Homer gebeugt sahen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_169"></a>[S. 169]</span></p> - -<p>„Du wirst noch ’ne richtige verdrehte alte Schachtel werden,“ sagte ihr -Alfred.</p> - -<p>Heinrich erklärte ihr Lernen für „im höchsten Grade unweiblich“.</p> - -<p>Karl enthielt sich jeder gesprochenen Meinungsäußerung, aber oft -sah er, Butterbrote kauend, seiner Schwester mit entgeistertem -Kopfschütteln zu. Wie es Menschen geben konnte, die gern lernten, war -ihm ein unheimliches Rätsel.</p> - -<p>Frau von Birken zeigte sich von Monikas Lerneifer sehr befriedigt, aber -bald trat ein Ereignis ein, das sie verhinderte, auch nur noch einen -Gedanken für Monika zu haben: das geliebte Heinzemännchen wurde krank.</p> - -<p>Er litt an sehr schmerzhaften Magenkrämpfen. Was es eigentlich war, war -nicht mit voller Sicherheit zu ermitteln.</p> - -<p>Monika behauptete, daß Heinrichs Mostrichkur wahrscheinlich eine -gewisse Rolle spiele. Er hatte nämlich vor einigen Wochen erklärt, daß -als Hauptnahrungsmittel für ihn nur Mostrich in Betracht käme.</p> - -<p>Die Baronin, der es völlig unmöglich war, ihrem Lieblingssohne irgend -etwas abzuschlagen, hatte ihn<span class="pagenum"><a id="Seite_170"></a>[S. 170]</span> gewähren lassen, und so hatte Heinrich -viele Wochen lang unglaubliche Quantitäten Mostrich vertilgt.</p> - -<p>Möglich, daß ihm diese selbsterfundene „Stärkungskur“ schlecht bekommen.</p> - -<p>Jedenfalls waren die von Zeit zu Zeit bei ihm auftretenden Magenkrisen -so unsäglich schmerzhaft, daß der Arzt Morphiuminjektionen verordnete.</p> - -<p>Frau von Birken überließ sich lauten Verzweiflungsausbrüchen.</p> - -<p>Ihr Mann hatte in den letzten Monaten seines Lebens Morphium bekommen, -und diese Tatsache genügte ihr, um Heinzemännchen einem nahen Tode -verfallen zu sehen.</p> - -<p>„Aber das sage ich Euch, wenn Heinzemännchen stirbt, dann lege ich mich -gleich mit dazu!“</p> - -<p>Sie ließ ihn völlig von der Schule dispensieren und verbrachte ihr -Leben damit, ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Sie leistete -gastronomisch geradezu Wunderbares. Die einfache, reizlose Diät, die -der Doktor ihrem Sohne verordnet, leuchtete ihr nicht ein.</p> - -<p>„Das ist doch gar nichts Kräftiges! Das sind alles so übermoderne -Anschauungen: Gemüse und<span class="pagenum"><a id="Seite_171"></a>[S. 171]</span> Obstsaft! — Früher hat jeder Doktor -Ungarwein und Beefsteak verordnet — da kann man sich doch denken, daß -das Kraft gibt. Man muß den Appetit reizen — das ist die Hauptsache! -— Heinzemännchen, Du bekommst heute ein Rumsteak mit geschabtem -Meerrettich und Kräuterbutter und einen Sherry — na, Du wirst ja -sehen.“</p> - -<p>Heinrich war mit seiner Krankheit ganz zufrieden.</p> - -<p>Er brauchte nicht in die Schule, lebte wie ein Pascha.</p> - -<p>Es wurde aufopfernd für ihn gesorgt. Die ganze Zeit gab es Festmenüs.</p> - -<p>Seiner geistigen Unterhaltung diente das Leihbibliotheks-Abonnement, -das seine Mutter ihm genommen.</p> - -<p>Er las täglich zwei bis drei Bände. Und wenn er zum Lesen keine Lust -hatte, mußten seine Mutter und Alfred Skat mit ihm spielen.</p> - -<p>Wenn er wirklich mal Schmerzen hatte, beruhigte ihn das Morphium bald, -und er verfiel dann in einen traumhaften Dusel, der viel Angenehmes -hatte.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_172"></a>[S. 172]</span></p> - -<p>Der Hausarzt hatte Frau von Birken eine kleine Quantität Morphium -und eine Pravazspritze dagelassen, um Heinrich, dessen Anfälle sehr -plötzlich eintraten, nicht unnötig lange Schmerzen leiden zu lassen.</p> - -<p>Es war jedesmal ein Ereignis, wenn Frau von Birken sich dazu entschloß, -die spitze Nadel in Heinrichs Fleisch zu versenken.</p> - -<p>„Heinzemännchen, ich kann es nicht. Es bricht mir das Herz, diese -ganze, lange Nadel hineinzubohren — das muß Dir ja zu weh tun!“</p> - -<p>„Aber mach’ doch endlich,“ stöhnte dann der von Schmerzen gefolterte -Kranke unruhig, „schnell! Ich halte es nicht mehr aus!“</p> - -<p>Dann hob ein zitternder Seufzer Frau von Birkens Brust; sie schloß die -Augen, indes ihre wenig geschickten Finger die blanke Spitze in ihres -Sohnes Fleisch bohrten.</p> - -<p>An einem Frühherbsttage bekam Heinrich wieder einen sehr heftigen -Anfall.</p> - -<p>„Gewiß kommt das von dem Witterungsumschlag!“ tröstete Frau von Birken.</p> - -<p>„Ach, Unsinn — Unsinn,“ murrte der Kranke.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_173"></a>[S. 173]</span></p> - -<p>„Vielleicht doch, Liebling. Die ganze Zeit hatten wir so schönes -Wetter, und jetzt auf einmal die Kälte.“</p> - -<p>Sie sah durchs Fenster hinaus auf die die Straße flankierenden Bäume, -die der Wind zauste.</p> - -<p>Die Blätter wirbelten durch die Luft.</p> - -<p>Frau von Birken fröstelte, teils infolge des suggestiven Anblicks, -teils, weil sie, um ihre Schlankheit ins rechte Licht zu setzen, immer -zu dünne Kleidung trug.</p> - -<p>Aber auch Monika, die eben aus ihrem Kursus gekommen, protestierte:</p> - -<p>„Mama, Du verstehst die Heilkunde wie so’n alter Schäfer! Das kommt -doch nicht von der Witterung! Heinz wird sich eben wieder den Magen -verdorben haben!“</p> - -<p>„Geh’, Du bist herzlos! Heinzemännchen ißt wie ein Vögelchen.“</p> - -<p>„Wird’s denn nun endlich mit meinem Morphium?“ rief der Kranke -ungeduldig.</p> - -<p>„Ja, mein Geliebtes, ja, so schwer wie es mir wird,“ jammerte die -Mutter.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_174"></a>[S. 174]</span></p> - -<p>Sie entnahm dem kleinen Etui die auf blauem Samt gebettete Spritze.</p> - -<p>Monika verließ das Zimmer. Sie hörte von nebenan, wie ihre Mutter das -Schicksal anklagte, das sie verurteilte, ihrem geliebten Herzenskind -weh zu tun.</p> - -<p>Frau von Birken war ganz blaß, als sie einige Augenblicke später aus -dem Zimmer kam.</p> - -<p>„Ach, es ist zu schrecklich, der arme, liebe, süße Junge. Gewiß so ein -unglückseliges Erbteil vom Papa. O, mein Heinzemännchen, mein süßes! -Na, jetzt hat er Gott sei Dank wieder vierundzwanzig Stunden Ruhe.“</p> - -<p>Aber Frau von Birken irrte sich.</p> - -<p>Als sie nach einer Weile Heinrichs Zimmer von neuem betrat, waren seine -Schmerzen kaum gelindert.</p> - -<p>„Schnell, Mama, noch mehr Morphium.“</p> - -<p>„Ausgeschlossen, mein Liebling. Du weißt doch, daß es ein gefährliches -Gift ist. Eine einzige Spritze, hat der Doktor gesagt.“</p> - -<p>Heinrich wendete sich stöhnend auf die Seite und schwieg.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_175"></a>[S. 175]</span></p> - -<p>Aber nach einer halben Stunde forderte er energisch noch eine Spritze.</p> - -<p>„Gewiß hast Du bei der ersten alles vorbeigeplempert, Mama. Es tut so -rasend weh. Das Morphium hat heute gar nicht gewirkt.“</p> - -<p>„Liebling, das geht doch nicht.“</p> - -<p>Frau von Birken stockte das Wort auf der Zunge. Ein unartikulierter -Schrei brach von ihres Sohnes Lippen. Sein junger Körper wand sich in -Qualen. Eine neue Krise schien einzusetzen.</p> - -<p>„Mama...,“ würgte er hervor. Eine flehende Gebärde... Seine tastende -Hand wies auf die Marmorplatte des Nachttisches, auf dem die kleine -Flasche stand mit der farblos hellen Flüssigkeit.</p> - -<p>Da hielt der Mutter Bedenken nicht stand. In fliegender Hast griff sie -von neuem nach dem kleinen Etui.</p> - -<p>Noch eine kurze Zeitspanne — dann schien die gewünschte Wirkung -einzutreten. Die schmerzhafte Spannung aller Glieder ließ nach, die -qualdurchfurchten Gesichtszüge glätteten sich.</p> - -<p>Dankbar nickte Heinrich seiner Mutter zu. Zum Sprechen war er zu müde.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_176"></a>[S. 176]</span></p> - -<p>Auf Zehenspitzen schlich Frau von Birken ins Nebenzimmer.</p> - -<p>„Gott sei Dank, Mone, endlich hat’s gewirkt, das Morphium. Ich habe ihm -noch eine Spritze gegeben, dem armen Liebling. Jetzt hat er wenigstens -Ruhe.“ Dann ging die Baronin in die Küche und unterhielt sich mit -Martha, die, seitdem der junge Herr leidend war, in der Erzählung von -merkwürdigen Krankheitsfällen schwelgte.</p> - -<p>Monika, die über einer Mathematik-Aufgabe brütete, wurde aus ihrer -Arbeit gestört durch einen sonderbar röchelnden Ton, der aus dem -Nebenzimmer drang.</p> - -<p>Sie ging zu Heinrich hinein. „Laß doch bloß dieses gräßliche -Schnarchen, man kann überhaupt nicht arbeiten dabei.“</p> - -<p>Ihr Bruder antwortete nicht.</p> - -<p>Und wieder der röchelnde Ton, der sich aus seinem halboffenen Munde -rang.</p> - -<p>Monika rüttelte ihn am Arm: „Heinrich!“</p> - -<p>Und plötzlich durchzuckte sie ein fassungsloser Schreck. Eiskalt -rieselte ihr das Entsetzen den Rücken hinunter. Dieses regungslos -starre Gesicht, in welchem<span class="pagenum"><a id="Seite_177"></a>[S. 177]</span> kein Muskel gezuckt, als sie „Heinrich“ -gerufen, diese nur halbgeschlossenen Augenlider, die das Weiß der nach -oben gedrehten Augäpfel erkennen ließen, das war kein Schlaf, das war -Bewußtlosigkeit!</p> - -<p>Sie rannte in die Küche, stammelte ein angstbebendes: „Mama, komm -schnell!“ und zog die Mutter mit sich fort.</p> - -<p>Frau von Birken stürzte auf ihren Sohn zu.</p> - -<p>„Heinrich!“</p> - -<p>Aber trotz der heftigen Berührung gab er kein Lebenszeichen von sich. -Die weißen Augäpfel stierten gespenstisch unter den Lidern hervor.</p> - -<p>Die Mutter schrie auf, ein herzzerreißend gellender Schrei:</p> - -<p>„Heinrich!“</p> - -<p>„Aber er lebt ja noch,“ beruhigte Martha, die neugierig aus der Küche -herzugelaufen war, „er ist noch ganz warm.“</p> - -<p>„Martha, pfui, um Gottes willen, reden Sie nicht so!“ schrie die -Baronin.</p> - -<p>Und Monika sagte:</p> - -<p>„Halten Sie den Mund, und bleiben Sie hier im Zimmer — ich gehe den -Arzt holen.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_178"></a>[S. 178]</span></p> - -<p>Sie eilte die Treppe hinunter.</p> - -<p>Die Adern schlugen ihr wie Hämmer, eine wahnsinnige Angst um den Bruder -hatte sie erfaßt. Sie eilte, als hinge Heinrichs Leben an Sekunden. -Keuchend langte sie bei ihrem Hausarzt an; das öffnende Mädchen sagte, -daß er nicht zu Hause sei, erst spät abends zurückerwartet werde.</p> - -<p>Ohne ein Wort der Erwiderung machte Monika Kehrt, eilte die Treppen -hinunter und die Straße entlang. Fieberhaft forschte sie nach dem -Schilde eines Arztes.</p> - -<p>Bei noch zweien klingelte sie umsonst. Der dritte, ein jugendlicher, -elend aussehender junger Mann war auf ihr inständiges Bitten bereit, -gleich mit ihr zu gehen.</p> - -<p>Frau von Birken empfing den Arzt wie einen Heilsbringer.</p> - -<p>„Schnell, Doktor, erwecken Sie meinen Sohn, schnell, um Gottes willen,“ -flehte sie.</p> - -<p>„Ja, nun lassen Sie mich doch erst mal sehen,“ wehrte der Arzt ab, -indem er seinen Ueberzieher auszog.</p> - -<p>Dann trat er zu Heinrichs Bett, hob die Augenlider des Bewußtlosen -empor.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_179"></a>[S. 179]</span></p> - -<p>Die Pupillen waren zu winzigen Pünktchen verengert, reagierten -überhaupt nicht auf das Einfallen des Lichts.</p> - -<p>Das erstaunte Gesicht des Arztes ließ Monika zu einer Erklärung -schreiten:</p> - -<p>„Mein Bruder hat zu viel Morphium bekommen, Herr Doktor.“</p> - -<p>„Ah, also eine Vergiftung.“</p> - -<p>„Was? Eine Vergiftung? Herr Doktor, wie können Sie sowas sagen,“ -jammerte in den höchsten Tönen des Entsetzens die Baronin, „wie sollte -denn Heinrich zu einer Vergiftung gekommen sein?“</p> - -<p>Der Arzt wandte sich ohne weiteres zu Monika, die so kurz wie möglich -von Heinrichs Leiden sprach, von dem Morphium, das der Arzt verordnet.</p> - -<p>„Und das hat er in Ihren Händen gelassen?“ verwunderte sich der kleine -Arzt.</p> - -<p>Er ließ sich die Flasche zeigen, betrachtete sie kopfschüttelnd.</p> - -<p>„Aber, Herr Doktor, eilen Sie sich, mein Kind stirbt!“ schrie die -Mutter.</p> - -<p>„Ich muß mich doch erst informieren,“ sagte der junge Mann mürrisch, -immer noch über die Flasche gebeugt.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_180"></a>[S. 180]</span></p> - -<p>Dann zog er seinen Notizblock hervor und schrieb mit einer Langsamkeit, -welche Frau von Birken dem Wahnsinn nahe brachte, mehrere Medikamente -auf, die Martha sofort aus der Apotheke holen sollte.</p> - -<p>Das Mädchen eilte weg, und Karl, der eben aus der Nachmittagsschule -gekommen war, begleitete sie; ihm war es zu unheimlich, im Hause zu -bleiben.</p> - -<p>Die Minuten dehnten sich zu Ewigkeiten.</p> - -<p>Ein atemraubendes Schweigen herrschte in dem Zimmer, nur von Zeit zu -Zeit unterbrochen durch das furchtbare Röcheln, das sich aus Heinrichs -Munde rang.</p> - -<p>Frau von Birken hatte den Kopf des Bewußtlosen an ihre Brust gebetet -und bedeckte seine bläulichen Lippen, seine fühllosen Hände mit heißen -Küssen.</p> - -<p>„Mein Glück, mein geliebtes Kind, sprich doch nur ein Wort, ein -einziges, einziges Wort. Liebling ... Heinrich...“</p> - -<p>In ihren sonst so heiter liebenswürdigen Augen flammte ein tragisches -Feuer.</p> - -<p>Dann versank sie in verzweifeltes Schweigen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_181"></a>[S. 181]</span></p> - -<p>Monikas Nerven hielten das nicht mehr aus. Jede Faser in ihr war zum -Zerreißen gespannt; eine Jagd von Gedanken stürzte durch ihren Kopf, -wirr, zusammenhanglos.</p> - -<p>Sie schritt taumelnd hinaus, öffnete die Korridortür, um die Treppe -hinabzuspähen.</p> - -<p>Kam denn Martha immer noch nicht?</p> - -<p>Es war, als ob die Zeit stille stände, als ob Bleigewichte an den -Minuten hingen.</p> - -<p>Monika verlor vollkommen den Begriff der Zeit.</p> - -<p>Als das Dienstmädchen kam, Karl ängstlich dicht neben ihr, wußte sie -nicht, ob Minuten oder Stunden verflossen waren.</p> - -<p>Sie nahm Martha die Sachen aus der Hand und eilte mit diesen ins -Krankenzimmer.</p> - -<p>„Herr Doktor, tun Sie ihm nicht weh,“ jammerte die Mutter, als der Arzt -Heinrich eine Koffein-Einspritzung machte.</p> - -<p>Der Angeredete zuckte ungeduldig die Achseln und setzte sich dann -wieder in seinen Sessel.</p> - -<p>„Aber er wacht ja immer noch nicht auf!“ rief die Mutter.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_182"></a>[S. 182]</span></p> - -<p>„Warten Sie’s doch ab.“</p> - -<p>„Aber tun Sie doch was, Herr Doktor, tun Sie doch etwas,“ rief Frau von -Birken.</p> - -<p>„Wir können jetzt die Senfpflaster auflegen,“ wandte sich der Arzt an -Monika. Diese griff nach einem Paket, das man aus der Apotheke geholt. -Der Doktor legte Heinrich vier Senfpflaster auf.</p> - -<p>„O Gott, das muß ihn ja brennen. Heinz verträgt Senfpflaster überhaupt -nicht,“ klagte Frau von Birken. „Heinrich..!“ brach sie dann plötzlich -wieder los. In ihrer sonst so unbedeutenden, kleinen Stimme war ein -tiefer Unterton, ein tierischer Schmerzensschrei, der Wehlaut der -Mutter um ihr sterbendes Junges.</p> - -<p>„Herr Doktor, er will sprechen. Er will sprechen! Ich sehe es... es -läuft wie ein Zucken über sein Gesicht... Er will sprechen, will -klagen... und er kann es nicht... oh.. wie er leidet... er hört und -fühlt alles... er will sprechen und kann es nicht...“</p> - -<p>Sie brüllte laut auf.</p> - -<p>Monika, die blaß bis in die Lippen geworden war, trat auf den Arzt zu.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_183"></a>[S. 183]</span></p> - -<p>„Können Sie der Mama nicht ein Mittel geben, um...“</p> - -<p>„Ach, Unsinn, das ist alles ganz nebensächlich. Erst müssen wir den -jungen Mann da mal aufkriegen.“</p> - -<p>Er trat von neuem zu dem Kranken, nahm ihm die Senfpflaster ab.</p> - -<p>„Merkwürdig, keine Spur von Rötung.“</p> - -<p>Die Mutter schrie auf.</p> - -<p>„Frau Baronin, er ist noch ganz warm,“ tröstete Martha, die -unaufgefordert wieder ins Zimmer gekommen war.</p> - -<p>„Geben Sie jetzt mal den Kampferspiritus.“</p> - -<p>Und wieder begann der Arzt die Brust des Regungslosen zu reiben.</p> - -<p>Aber immer noch kein Lebenszeichen.</p> - -<p>Der Doktor machte nun ein bedenkliches Gesicht.</p> - -<p>„Wir werden nochmal Koffein nehmen,“ sagte er kopfschüttelnd.</p> - -<p>Und wieder bohrte er die scharfe Nadel in das blasse Fleisch.</p> - -<p>Atemraubende Minuten der Erwartung.</p> - -<p>Sie alle waren so nervös geworden, daß sie zusammenschreckten, als die -Zimmertür sich öffnete.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_184"></a>[S. 184]</span></p> - -<p>Alfred trat ins Zimmer. Er richtete ein paar Fragen an den Doktor, die -dieser kaum beantwortete. Dann nahm er Monika am Arm und ging mit ihr -ins Nebenzimmer.</p> - -<p>„Karl hat mir alles erzählt,“ sagte er seiner Schwester, „nun paß -gut auf: wenn mit Heinrich irgend etwas passiert, dann weißt Du -nichts davon, daß Mama noch ein zweitesmal Morphium gegeben hat. Das -Dienstmädchen muß auch instruiert werden.“</p> - -<p>Monika starrte den Bruder ganz verständnislos an. „Was?“</p> - -<p>„Na, ganz einfach, weil Mama dann wegen fahrlässiger Tötung rankommt...“</p> - -<p>Monika schrie auf: „Alfred, wie kannst Du!“</p> - -<p>„Na, das ist doch ganz klar. Im Falle Heinrich stirbt...“</p> - -<p>Monika stieß den Bruder heftig vor die Brust und rannte ins -Nebenzimmer; sie klammerte sich mit beiden Händen an das Fußende des -Gitterbettes, betrachtete mit irren Augen den Bewußtlosen und die Frau, -die da am Bette kniete, die Mutter, die vielleicht sein Leben auf dem -Gewissen hatte... aus Liebe... aus Liebe...</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_185"></a>[S. 185]</span></p> - -<p>Und plötzlich strömte es Monika siedendheiß durch die Adern: ein wilder -Trotz packte sie gegen diese dunkle und furchtbare Macht, die über dem -blassen Jünglingshaupt schwebte, ein wütendes Sichauflehnen gegen das -Schicksal, das blind und täppisch und erbarmungslos ein Uebermaß von -Mutterliebe so entsetzlich ahnden zu wollen schien.</p> - -<p>Ihre Hände krampften sich um des Bettes schmale Stäbe; mit weit -aufgerissenen Augen starrte sie in den Tod... Es war ein sonderbares -Klingen in ihren Ohren. Wohl hörte sie, daß die Mutter auf den Arzt -einsprach, aber sie verstand nicht mehr, was sie sagte.</p> - -<p>Der kleine Arzt wehrte die Baronin ab.</p> - -<p>„Nein, noch eine Koffein-Einspritzung ist unmöglich.“</p> - -<p>Dann setzte er zögernd hinzu:</p> - -<p>„Vielleicht lassen Sie jetzt nochmal fragen, ob Ihr Hausarzt zu Hause -ist?“</p> - -<p>Von neuem eilte Martha davon.</p> - -<p>Und von neuem ging Frau von Birken durch alle Phasen der Hoffnung, der -Verzweiflung, der Enttäuschung, neuer Hoffnung...</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_186"></a>[S. 186]</span></p> - -<p>„Er bewegt die Lippen, er will sprechen — ich sehe es... Heinrich, ein -Wort, ein einziges...“</p> - -<p>Sie war so fassungslos in die martervollen Abgründe ihres Schmerzes -versenkt, daß sie nichts von dem sah, was sich nun begab.</p> - -<p>Der Doktor verkündete mit seiner mürrischen Stimme: „Er schlägt die -Augen auf.“</p> - -<p>Sie faßte es nicht, begriff es nicht, als Heinrich nun zu sprechen -versuchte; als er sprach mit deutlicher, ein wenig traumschwerer Stimme:</p> - -<p>„Was... ist... denn...“</p> - -<p>Bis endlich das gemarterte Mutterhirn die selige Wirklichkeit erfaßte. -Mit einem erschütternden Freudenschrei warf sich die Mutter über den -Geretteten:</p> - -<p>„Mein Glück... mein einziges...“</p> - -<div class="figcenter illowe10" id="kapitelende5"> - <img class="w100" src="images/kapitelende.jpg" alt="Ende des Kapitels" /> -</div> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_187"></a>[S. 187]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="Kapitel_6">6.</h2> - -</div> - -<div class="dc" id="p145initial2"> - <img class="illowe6" src="images/p145initial.jpg" alt="D" /> -</div> - -<p class="p0"><span class="initial">D</span>ieses Ereignis klang in Monika nach mit einer bedeutungsvollen -Schwere, die es für keinen der anderen gehabt.</p> - -<p>Schon der Tod ihres Vaters hatte ihr einen erschütternden Eindruck -gemacht.</p> - -<p>Aber jener Tod war nichts Ueberraschendes, war nur die Folge einer -langen Kette gewesen, geschmiedet aus leidensvollen Tagen und -schlaflosen Nächten.</p> - -<p>Des Vaters mächtiger Körper war nicht zusammengebrochen wie ein Baum, -den der Blitzstrahl trifft, nein! Die Krankheit hatte langsam ihr Werk -getan; alle die vielen Tage und Nächte waren wie Ameisen gewesen, die -fleißig und hastig Stück um Stück Gesundheit und Leben davontrugen.</p> - -<p>Monikas Vater war ein alter Mann gewesen, als seine Augen brachen; alt, -trotzdem er kaum fünfundvierzig erreicht.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_188"></a>[S. 188]</span></p> - -<p>Seine Haare waren wie Schnee.</p> - -<p>Seine Augen waren wie verblaßt — ganz stumpf. Man hatte den Tod kommen -sehen, wochenlang — viele Monate lang. —</p> - -<p>Jetzt aber war es anders gewesen.</p> - -<p>Jetzt war der Tod heruntergestürzt — wie ein Habicht aus blauer Höhe -niederstößt auf sein Opfer. Wohl hatte man ihm seine Beute im letzten -Moment noch abgejagt, aber allzunahe hatte man das Schwirren seiner -starken Flügel gehört. —</p> - -<p>Monika sah jetzt im Wachen und im Traum ihres Bruders regungsloses -Gesicht, das starre Weiß der Augäpfel unter halbgeschlossenen Lidern.</p> - -<p>Wie oft hatte sie gehört von Leuten, die jung gestorben waren. Aber das -hatte ihr nie Eindruck gemacht. Was sie von anderen hörte, blieb ihr -immer ganz gleichgültig. Sie erfaßte eine Sache erst dann, wenn sie sie -erlebte.</p> - -<p>Und nun hatte sie gesehen, schaudernd mitgefühlt: das Ende! —</p> - -<p>Das brennende Mitleid, das sie für den Bruder gefühlt, verschwand, -sobald sie sah, daß Heinrich mit einem Tage Kopfschmerzen davonkam.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_189"></a>[S. 189]</span></p> - -<p>Aber der Eindruck blieb. Es blieb die wahnsinnige Angst: nicht sterben, -ehe ich gelebt, ehe ich alles Süße gekostet, was das Leben zu schenken -hat.</p> - -<p>Und es kam der Zweifel, der nagende Zweifel: tue ich recht, wenn ich -mich vergrabe in tote Gelehrsamkeit — wenn ich mein Leben verstreichen -lasse mit dem Erlernen von Systemen, von Theorien?</p> - -<p>Mein Gehirn arbeitet — meine Geisteskräfte werden stärker durch Uebung -und Erziehung, aber abstrakte Wissenschaft ist nicht das Leben.</p> - -<p>Manchmal war es ihr, als ob sie ihr Gehirn haßte, das alle anderen -Regungen zu verschlingen drohte.</p> - -<p>Sie bemühte sich nun, nicht mehr an all die Themata zu denken, die sie -in den letzten Monaten so sehr absorbiert hatten.</p> - -<p>Mit kindischem Trotze suchte sie alle streng geistigen Regungen in sich -zu ertöten.</p> - -<p>Dafür ließ sie jetzt ihrer Phantasie die Zügel schießen. Und es war, -als ob diese Phantasie, die während der Lernperiode geschlummert, nun -mit doppelten Kräften aufwachte; lächelnd nahm die Phantasie Monika -bei der Hand und führte sie viel<span class="pagenum"><a id="Seite_190"></a>[S. 190]</span>gestaltige Irrwege, auf denen viele -schöne Giftblüten wucherten, wildflammende Blüten, die berauschend und -betäubend dufteten.</p> - -<p>Und Monika spann sich in ihre Phantasien wie die fleißige Seidenraupe, -die sich mit ihrem Köpfchen in ein silberschimmerndes, dichtes Gewebe -einspinnt.</p> - -<p>Der Tadel der Lehrer — die Ermahnungen der Mutter blieben umsonst.</p> - -<p>Monika nahm am täglichen Leben wenig Anteil, war zerstreut und faul.</p> - -<p>Niemand konnte ergründen, was für Gedanken hinter der niedrigen, weißen -Stirn rege waren. Mit der gleichen, fast unheimlichen Konzentration, -mit der sie sich erst auf das Lernen gestürzt, widmete sie sich jetzt -ihren uferlosen Phantasien. Kein fremder Einfluß vermochte sie dieser -Manie zu entreißen — nur sie sich selbst.</p> - -<p>Und diese Stunde kam.</p> - -<p>Ein Gedanke — sie wußte nicht woher — eine schaudernde -Selbsterkenntnis: auch das ist nicht Leben! Nicht nur die Wissenschaft -stahl mir die Wirklichkeit, auch meine Träumereien haben nichts mit -Wirklichkeit zu tun. Diese Träumereien, die sich<span class="pagenum"><a id="Seite_191"></a>[S. 191]</span> alle darum drehen, -wie das wohl sein könnte, nicht, wie es wirklich ist!</p> - -<p>Ich aber möchte das Leben, wie es ist!</p> - -<p>Aber was sehe ich denn vom Leben, was weiß ich denn davon? Wir Töchter -aus guter Familie werden gehalten wie die Kanarienvögel im Käfig. — -Ach... Leben...</p> - -<p>Oft wünschte sie sich jemand, der ihr hätte raten, ihr hätte helfen -können in dem brausenden Zwiespalt von Gefühlen.</p> - -<p>Aber es war niemand da. Sie blieb ganz allein. Allein in der frühen -Reife des Körpers und des Geistes.</p> - -<p>Und ihr Trotz erstarkte in dieser Einsamkeit, ihr Trotz: allein -dazustehen und allein zu bleiben. —</p> - -<p>In den Unterrichtsstunden verschlechterte sie sich sehr. Und das -wurde noch schlimmer, als der Winter begann und sich ihr hier und da -Gelegenheit bot, Tanzfestlichkeiten mitzumachen.</p> - -<p>Die Baronin jammerte zwar gottsjämmerlich, wie schrecklich das sei, -daß sie in ihrem jugendlichen Alter schon als Ballmutter figurieren -müsse — außerdem seien die Kosten für diese Vergnügungen<span class="pagenum"><a id="Seite_192"></a>[S. 192]</span> gar nicht zu -erschwingen — aber im Grunde genommen ging sie gern hin.</p> - -<p>Der Verlauf war jedesmal derselbe: wenn so eine Einladung ins Haus kam, -erklärte Frau von Birken feierlich, daß man sie unter keinen Umständen -annehmen würde.</p> - -<p>Monika begann sich dann zu entrüsten:</p> - -<p>„Du gehst ja doch.“</p> - -<p>„Ich denke nicht daran! Wir können das gar nicht bei unseren Mitteln. -Außerdem müßte ich ein neues Kleid haben.“</p> - -<p>„Ach, es geht ja noch mit dem alten, Mamachen, bitte, bitte, wir wollen -doch hingehen.“</p> - -<p>„Unter keinen Umständen!“ sagte Frau von Birken streng. Sie genoß -dann förmlich die Situation. Sie erschien sich in diesen Augenblicken -bedeutender als sonst, in dem Bewußtsein, daß Monika von ihr abhängig -war, daß sie bitten mußte mit kleinen, schmeichelnden Worten.</p> - -<p>„Nein, Du hast so eine Freude gar nicht verdient.“</p> - -<p>„Mama!“ — Die weißen Zähne gruben sich tief in die schwellende -Unterlippe. Heiß flammte der Trotz in den dunkeln Augen auf. Nein, sie -würde<span class="pagenum"><a id="Seite_193"></a>[S. 193]</span> kein Wort mehr sagen, nicht mehr bitten — nicht mehr bitten!</p> - -<p>Und dann schwirrte vor ihren Augen des Ballsaals blendendes Gewoge, -dann klang in ihren Ohren die Tanzmusik, unwiderstehlich süß, -unerträglich lockend...</p> - -<p>Und langsam quoll es ihr von den widerstrebenden Lippen: „Bitte... -bitte...“</p> - -<p>„<em class="gesperrt">Ich</em> denke ja gar nicht daran — ich bin Mutter, ich habe zu -bestimmen — wir gehen nicht hin!“</p> - -<p>Dann kam es wohl vor, daß Monika sich in einem maßlosen Wutausbruch auf -der Erde wand und sich die Haare raufte; lange ließ Frau von Birken -ihre Tochter nicht in dieser Verfassung; sie besänftigte sie in den -zärtlichsten Schmeicheltönen:</p> - -<p>„Monchen, ich bitte Dich, das war ja nicht so ernst gemeint -— natürlich gehen wir hin! Und ich schenke Dir mein blaues -Emaille-Medaillon mit den kleinen Brillanten. Beruhige Dich doch bloß, -Liebling. Wir gehen ja zu dem Balle. Ja, gewiß...“</p> - -<p>Und Monika, noch Tränen in den Augen, lächelte matt und glücklich wie -eine Rekonvaleszentin.</p> - -<p>So trieb Monikas ungezähmter Wille weiter seine wuchernden Triebe, von -keines verständigen<span class="pagenum"><a id="Seite_194"></a>[S. 194]</span> Gärtners Hand gepflegt, bald gezaust und bald -gestreichelt von Mutterhänden, die unverständiger waren, als es manche -Kinderhände sind.</p> - -<div class="figcenter illowe5" id="gedankensprung5"> - <img class="w100" src="images/gedankensprung.jpg" alt="Gedankensprung" /> -</div> - -<p>Und man ging zum Balle...</p> - -<p>Und wenn man nach Hause kam, lag Monika mit schlagenden Pulsen -schlaflos im Bett mit wirrem Hirn und irritierten Nerven.</p> - -<p>Wohl hatte ihr der Ball all die Freude gebracht, die sie von ihm -erwartet. Aber es war ein Augenblicksrausch gewesen; beim Nachdenken -hielt er nicht stand. Was war’s denn auch schließlich: ein bißchen -Musik und Licht und gute Tänzer...</p> - -<p>In diesem unbefriedigten Dasein, das ihr weder Ziel noch Zweck zu haben -schien, glaubte sie dann plötzlich einen Leitstern zu entdecken: die -Kunst! Mit glühender Begeisterung dichtete sie. Die Worte, die Verse -strömten ihr zu mit einer Leichtigkeit, über die sie selbst verwundert -war. Oft war ihr, als sei es gar nicht sie selbst, die das alles -dächte, sondern als schwebe über ihr ein Unsichtbarer, der ihr ins Ohr<span class="pagenum"><a id="Seite_195"></a>[S. 195]</span> -sprach, was sie schreiben sollte. Alles war dann wie verändert: die -Teppiche, auf denen sie ging, waren weicher als sonst, die Bäume auf -der Straße waren riesenhaft gewachsen — die eine Rose, die in einem -Glase vor ihr stand, war ein Rosenfeld von Millionen Blüten.</p> - -<p>Sie war dann selig. Selig bis in die Fingerspitzen hinein. So lange, -bis sie begeisterungsbebend ihrer Mutter und Heinzemännchen die Verse -vorlas.</p> - -<p>Frau von Birken fand die Gedichte teilweise sehr schön, aber furchtbar -unpassend — ein junges Mädchen dürfe überhaupt keine Liebesgedichte -machen.</p> - -<p>Und Heinzemännchen rang die Hände und beschwor Monika, über den -Frühling zu dichten und über den Sommer, oder über den Herbst, oder -über den Winter — andere Themata seien für Lyrik unmöglich.</p> - -<p>Monika aber faßte eines Tages einen kühnen Entschluß: sie wollte der -Welt die Proben ihres Talentes nicht länger vorenthalten.</p> - -<p>Und — die Kunstgeschichtsstunde schwänzend — begab sie sich eines -Tages mit ängstlichem Herzklopfen in die Redaktion des „Leuchtturms“, -einer<span class="pagenum"><a id="Seite_196"></a>[S. 196]</span> neu erscheinenden Zeitschrift, in der sich junge Lyriker -verschiedener Schattierungen tummelten.</p> - -<p>Der „Leuchtturm“ war kein phantastisch prunkender Bau, wie Monika -ihn sich vorgestellt. Drei Zimmer im Parterre eines Berliner -Hinterhauses bildeten den Leuchtturm. Der Kontorist, der im Vorraum -zum Allerheiligsten auf einem Drehschemel saß und trübsinnig vor sich -hinstarrte, wurde durch Monikas Eintritt angenehm gestört. Eine so -junge Dame hatte er in diesen Räumen noch nicht gesehen.</p> - -<p>„Ist der Herr Redakteur zu sprechen?“</p> - -<p>„Doktor Waldmann kommt erst in einer Stunde.“</p> - -<p>„Ach, so lange kann ich nicht warten: wollen Sie ihm, bitte, dieses -geben...“</p> - -<p>Monika legte hastig ein Kuvert auf den Tisch.</p> - -<p>„Steht Ihr Name und Ihre Adresse auch drin?“ fragte der Kontorist.</p> - -<p>„Nein — ich komme wieder.“</p> - -<p>Monika rannte davon wie gejagt.</p> - -<p>Sie konnte sich viele Tage lang nicht entschließen, nach dem Schicksal -ihrer Geisteskinder zu fragen. Aber endlich faßte sie Mut.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_197"></a>[S. 197]</span></p> - -<p>Es war ein gar unangenehmes Gefühl, so vor den prüfenden, -pincenezbewehrten Augen des Doktor Waldmann dazustehen.</p> - -<p>„Mit wem habe ich die Ehre?“ fragte er.</p> - -<p>„Ach, der Name tut ja nichts zur Sache,“ sagte Monika heiß errötend. -„Ich wollte nur wissen, ob mein Gedichtzyklus ‚Libellen‘ zu brauchen -ist?“</p> - -<p>„Sehr talentvoll, mein gnädiges Fräulein,“ sagte der Redakteur -wohlwollend, „wir wollen in der nächsten Nummer mit der -Veröffentlichung anfangen.“</p> - -<p>„O...“ Monika schrie beinahe vor Freude.</p> - -<p>„Und wohin soll ich das Honorar senden lassen?“</p> - -<p>„Auch Honorar?“ Ihre Begeisterung erreichte jetzt den höchstmöglichen -Grad.</p> - -<p>„Bitte, schicken Sie mir gar nichts,“ sagte sie stotternd. „Ich komme -es mir gelegentlich selbst abholen.“</p> - -<p>„Soll mich freuen. Zwischen vier und sechs Uhr finden Sie mich meistens -hier.“</p> - -<p>Ein Händedruck, und sie eilte fort.</p> - -<p>Kaum war sie zu Hause angelangt, als sie ihr sorgsam gehütetes -Geheimnis verkündete.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_198"></a>[S. 198]</span></p> - -<p>Ihre Mutter war eine Beute der widerstrebendsten Empfindungen. -Einerseits fand sie es maßlos unpassend, daß Monika allein auf eine -Redaktion gegangen, andererseits imponierte ihr die Tatsache, daß ihre -Tochter wirklich „gedruckt werden sollte“, kolossal. Hatte doch Frau -von Birken mit vierzehn Manuskripten vergebens darum gekämpft.</p> - -<p>Monikas Brüder erklärten die Neuigkeit für Schwindel: „Monika will bloß -bemänteln, daß sie über eine Stunde zu spät aus dem Kursus kommt.“</p> - -<p>Aber der nächste Leuchtturm brachte tatsächlich die „Libellen“, und -Monika stürzte daraufhin in die Redaktion, allwo sie fünfzehn Mark -Honorar empfing. Sie benutzte sie schleunigst dazu, sich lauter Sachen -anzuschaffen, die ihr verboten waren: eine Schachtel Zigaretten, den -neuen Roman eines naturalistischen Schriftstellers und eine Flasche -Chypre-Parfum.</p> - -<p>Sie hatte auf der Redaktion wieder ihren Namen nicht genannt und tat -es auch weiterhin nicht. Sie versäumte jetzt manchmal ein oder zwei -Stunden in den Gymnasialkursen, war während dieser Zeit heimlich auf -der Redaktion des Leuchtturms; da war immer der eine oder andere -Zeichner, Schriftsteller<span class="pagenum"><a id="Seite_199"></a>[S. 199]</span> oder Redakteur, mit dem sie aufs angeregteste -plauderte.</p> - -<p>Der ihr bisher unbekannte freie Ton der Unterhaltung begeisterte sie. -Sie lauschte gespannt, wenn die Herren sich gegenseitig neckten oder -ihre Abenteuer zum besten gaben; sie genierten sich nicht in Gegenwart -dieses netten, „anonymen“ Mädchens.</p> - -<p>Die Komplimente, die sie Monika machten, waren anderer Art als die, die -sie bisher von den Leutnants gehört. Aber es waren doch Komplimente! -Das genügte ihr.</p> - -<p>Frau von Birken ahnte nichts von den kleinen Eskapaden ihrer Tochter. -Sie gebärdete sich oft trostlos, wenn wieder ein neues Gedicht von -Monika im Leuchtturm erschien.</p> - -<p>„Ich würde die Verse entzückend finden, wenn sie nicht von meiner -eigenen Tochter wären,“ sagte sie. „O Gott, daß ich so etwas -Unpassendes an Dir erleben muß!“</p> - -<p>Aber alles in allem war Monika doch in ihrer Achtung gestiegen, seitdem -sie sich zur „Schriftstellerin“ entfaltete.</p> - -<p>Das hinderte aber nicht, daß eine Verlobung doch Frau von Birken -bedeutend mehr impressionierte.<span class="pagenum"><a id="Seite_200"></a>[S. 200]</span> Sie sprach tagelang von nichts anderem -als von der goldumränderten Karte, die ins Haus gekommen:</p> - -<div class="blockquot"> - -<p>„Die Verlobung ihrer einzigen Tochter Marie mit dem Leutnant der -Reserve im Dragoner-Regiment Kronprinz, Gutsbesitzer Wilhelm von -Hammerhof auf Hammerhof beehren sich ergebenst anzuzeigen</p> - -<div class="right mright1"> - <div class="inblock"> - <div class="left">von Holtz-Sarkow und Frau,<br /> - geborene Freiin von Birken.“</div> - </div> -</div> - -</div> - -<p>„Nein, was die Marie für ein Glück macht!“ rief Frau von Birken ein -über das anderemal.</p> - -<p>„Du weißt doch noch gar nicht, ob das ein Glück wird.“</p> - -<p>„Aber, Mone — das wird es schon! Ein so reizendes Mädchen wie Marie! -Und er ist doch ein vornehmer, tadelloser Mann.“</p> - -<p>„Kennst Du ihn?“</p> - -<p>„Nein, aber ich bin sicher, daß er eine glänzende Partie ist. Du kannst -nicht darüber urteilen, Mone, denn Du wirst sicher nie heiraten. Für -ein Mädchen, das studiert und außerdem schriftstellert, paßt das ja -auch gar nicht.“</p> - -<p>Monika zog ein Gesicht: sie schien nicht sehr damit einverstanden zu -sein.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_201"></a>[S. 201]</span></p> - -<p>Einige Wochen nachher kam Frau von Holtz mit dem Brautpaare nach -Berlin, um Einkäufe zu machen.</p> - -<p>Der Bräutigam war ein gut aussehender Mensch, höflich und freundlich, -Geist und Bildung gesunder Durchschnitt.</p> - -<p>„Eine so passende Partie!“ Die zukünftige Schwiegermutter strahlte, -war viel entzückter als Marie selbst. Sie erzählte ihrer Schwägerin: -„Denke Dir, Marie wollte eigentlich noch gar nicht heiraten, kam auf -ihr verrücktes Studierprojekt zurück, erklärte mir, vorläufig triebe -sie nichts gebieterisch zu einer Heirat, und so wolle sie einstweilen -warten, wolle ihre Freiheit nicht verlieren. — Na, ich habe ihr -den neumodischen Unsinn schon ausgetrieben! — Es wäre doch auch -zu unsinnig gewesen, Hammerhof auszuschlagen. Unsere Güter grenzen -aneinander, Marie ist zwanzig Jahre alt, gerade das richtige Alter -zum Heiraten! Wenn die Mädchen nicht früh heiraten, bekommen sie alle -so sonderbare Ideen bei den überspannten Zeitströmungen, die jetzt -herrschen.“</p> - -<p>„Ja, aber wenn sie ihren Bräutigam nicht glühend liebt?“ sagte die -Baronin Birken bedenklich.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_202"></a>[S. 202]</span></p> - -<p>„Mein Gott, Mali, Du wirst schon wieder romantisch. Was soll das -vorstellen: ‚glühend liebt‘? Ich habe meinen Mann, als wir verlobt -waren, auch nicht glühend geliebt, und wir führen die harmonischste -Ehe, die man sich vorstellen kann. Ich finde: ein Mädchen aus unseren -Kreisen hat überhaupt nicht glühend zu lieben! Wirst Du Dir denn Deine -Romantik nie abgewöhnen, Mali?“</p> - -<p>„Ich hoffe, nein!“ sagte die Baronin stolz. „Ich bin froh, daß ich -meine jugendliche Begeisterung habe, und ein echtes Gemüt bleibt ewig -jung!“ —</p> - -<p>Was Begeisterung anbetraf, so entfaltete Frau von Birken ein -vollgemessenes Quantum in den nächsten Tagen; sie fand alles -begeisternd: die Theatervorstellungen, die Einkäufe und Bestellungen, -alles...</p> - -<p>Die Einkäufe waren übrigens ein Zankapfel zwischen Marie und ihrer -Mutter. Frau von Holtz versuchte — autoritativ wie immer — ihren ganz -persönlichen Geschmack zur Geltung zu bringen, und Marie fand mitunter -ein scharfes Wort: „Schließlich, ich soll doch die Sachen haben und -nicht Du, Mama. Da ist doch mein Geschmack eigentlich wichtiger.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_203"></a>[S. 203]</span></p> - -<p>Frau von Holtz klagte dann über die schreckliche, neue Zeit, in der -die Töchter gar nicht mehr den richtigen Respekt entfalteten und sich -anmaßten, eigene Meinungen zu haben. Hatte sie selbst einst ihrer -Mutter Vorschriften zu machen gewagt, als diese ihr die Aussteuer -gekauft? Mit ehrfurchtsvollem Danke hatte sie alles entgegengenommen — -und dabei sei der gelbe Salon mehr als unpraktisch ausgesucht gewesen!</p> - -<p>Auch Monika fand Maries Benehmen als Braut zu tadeln.</p> - -<p>„Ich würde mich anders benehmen, wenn ich verlobt wäre,“ sagte sie zu -ihrer Mutter. „Der Marie merkt man gar nicht an, daß sie glücklich ist. -Ich glaube, die paßt gar nicht für die Ehe!“</p> - -<p>„Was, die Marie soll nicht für die Ehe passen?“ entrüstete sich Frau -von Birken, „so ein reizendes Mädchen! Und die schönen Handarbeiten, -die sie macht, und kocht tadellos; sogar Früchte einkochen kann sie -ganz allein.“</p> - -<p>Am tiefsten berührt von der ganzen Verlobung war unstreitig Bertha, -die das Brautpaar bei Birkens kennen gelernt hatte: sie fand Monika -gegen<span class="pagenum"><a id="Seite_204"></a>[S. 204]</span>über nicht Worte genug, um Maries Glück zu rühmen.</p> - -<p>„Denke doch, verlobt sein mit solch nettem Menschen, lauter schöne -Sachen bekommen und sich küssen dürfen... und dann nachher die Trauung, -so im weißen Schleppkleide, schleierumwogt vor Gottes Altar — ach, -entzückend! Und dann nachher junge Frau! Es gibt doch wohl nichts -Schöneres als jung verheiratet zu sein. Und süße Kinder haben... Und -nun zu denken, daß mir das alles nicht blühen wird — nein, sprich -nicht dagegen! Wer soll denn eine Frau heiraten, die studiert? Ich sage -Dir: wenn ich die Person wüßte, die das Frauenstudium erfunden hat, die -brauchte sich nicht zu gratulieren!“</p> - -<p>Monika lachte. „Ach, die studierten Frauen können doch gerade so gut -heiraten wie die anderen!“</p> - -<p>Aber Bertha war nicht zu überzeugen.</p> - -<p>Nach zehntägigem Aufenthalt reiste Frau von Holtz mit dem Brautpaar -zurück.</p> - -<p>Die Hochzeit sollte in wenigen Monaten stattfinden, und die angehende -Schwiegermutter fühlte sich ganz in ihrem Element bei all den -Vorbereitungen, die nun Platz griffen. Mine Petermann ver<span class="pagenum"><a id="Seite_205"></a>[S. 205]</span>ließ -Sarkow überhaupt nicht mehr; die schwarze Taille über dem mächtigen -Busen dick mit Stecknadeln gespickt, brütete sie unermüdlich über -den Modeblättern, probierte und verwarf, probierte von neuem und -begeisterte sich — und begeisterte Frau von Holtz mit den glühenden -Schilderungen der Meisterstücke von Toiletten, die sie im Begriff war, -anzufertigen.</p> - -<p>Zwischen Mutter und Tochter entbrannten dieselben -Meinungsverschiedenheiten wie bei der Auswahl der Möbel; jede suchte -ihren eigenen Geschmack durchzusetzen. Die Mutter siegte auf der ganzen -Linie, aber die Folge davon war, daß Marie nun ohne Freude die Anproben -über sich ergehen ließ.</p> - -<p>Es war überhaupt nichts von strahlendem Glück an ihr zu merken. Zu -ihren Freundinnen aus Neustadt und Hahndorf sagte sie zwar mit einer -gewissen Wichtigkeit: „Mein Bräutigam...“, aber wenn dieser kam, so -empfing ihn kein übermäßig freundliches Gesicht.</p> - -<p>Er machte sich übrigens nicht viel Gedanken darüber, zumal er selbst -keine leidenschaftliche Verliebtheit für seine Braut entfaltete.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_206"></a>[S. 206]</span></p> - -<p>Sie war eben eine „so passende Partie“, paßte, was Familie, Alter, -Vermögen anbetraf, vortrefflich zu ihm; ihre äußere Erscheinung -genügte den Ansprüchen, die er an seine zukünftige Gattin stellte. Die -Reserviertheit, die sie zur Schau trug, störte ihn nicht. Marie war mit -Gefühlsäußerungen immer so zurückhaltend gewesen, daß Frau von Holtz -ganz entsetzt war, als sie sie eines Tages in heißen Tränen fand.</p> - -<p>Sie war in ihrer Tochter Wohnzimmer gekommen, um ihr eine eben -eingetroffene Auswahlsendung von weißen Seidenstoffen zu zeigen.</p> - -<p>Da fand sie Marie mit dem Oberkörper auf der Tischplatte liegend, die -Hände vor die Augen gepreßt. Ein krampfhaftes Weinen ließ die schmalen -Schultern erzittern.</p> - -<p>„Marie!“</p> - -<p>Das tränenüberströmte Gesicht hob sich empor:</p> - -<p>„Mama, laß mich Dir sagen, ich will Wilhelm nicht heiraten, ich will -nicht.“</p> - -<p>„Was? — Was ist denn? — Warum...“</p> - -<p>„Ich liebe ihn nicht.“</p> - -<p>„Liebstes Kind, das kommt in der Ehe. Vernunftheiraten werden immer die -glücklichsten Ehen.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_207"></a>[S. 207]</span></p> - -<p>„Mama, ich will nicht heiraten, noch nicht! Es ist langweilig hier so -allein mit Euch, aber ich will gern hierbleiben, tausendmal lieber -hierbleiben, als mit einem fremden Manne fortgehen. Er ist mir ja -so fremd! In meinem Innern spricht nichts für ihn. Und nun soll ich -Tag und Nacht mit einem Fremden sein, soll ihm mein ganzes Leben -schenken...“</p> - -<p>Frau von Holtz war erblaßt vor Erregung.</p> - -<p>„Ich erkenne Dich nicht mehr wieder, Marie. Du wirst hysterisch. Was -ist das nur auf einmal? Dich hat niemand zu der Verlobung gezwungen!“</p> - -<p>„Nein, gezwungen nicht. Nur zugeredet habt Ihr mir. Und ich war zuerst -ja ganz einverstanden. Aber jetzt, wo der Hochzeitstag näher und näher -rückt, habe ich mich zu der Ueberzeugung durchgerungen: Ich kann ihn -nicht heiraten!“</p> - -<p>„Marie, besinne Dich auf Dich selbst! Du kannst doch jetzt Deinen -Entschluß nicht ändern. Du hast Wilhelm Dein Wort gegeben — Du kannst -ihm das nicht antun, Dein Wort zu brechen, so ohne jede Ursache, ohne -jeden Grund! — Und wie stehst Du nachher da? Ein Mädchen, dessen -Verlobung zurückgeht, wird immer scheel angesehen. Nein, was<span class="pagenum"><a id="Seite_208"></a>[S. 208]</span> würden -die Leute nur sagen, jetzt, wo schon die ganze Aussteuer fast fertig -ist!“</p> - -<p>„Ich will nicht,“ schluchzte Marie, „ich will nicht.“</p> - -<p>Und die Mutter redete weiter, abwechselnd drohend und bittend; sie -wendete ihre ganze Kraft auf, um das, was sie als eine nervöse Laune -ihrer Tochter empfand, zu besiegen; sie bat und beschwor, drohte und -befahl.</p> - -<p>Dann schwieg sie erschöpft und starrte angstvoll auf Marie, die immer -noch das Gesicht in den Händen verbarg.</p> - -<p>Und endlich hob die Tochter das Haupt.</p> - -<p>Und mit einem Zucken ihrer schmalen Schultern, dieser Bewegung, die sie -immer machte, wenn der Mutter Willen den ihren besiegte, sagte sie müde:</p> - -<p>„Also ja — ich werde mein Wort halten. Aber vergiß diese Stunde hier -nicht... vergiß sie nie, Mama...“</p> - -<div class="figcenter illowe10" id="kapitelende6"> - <img class="w100" src="images/kapitelende.jpg" alt="Ende des Kapitels" /> -</div> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_209"></a>[S. 209]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="Kapitel_7">7.</h2> - -</div> - -<div class="dc" id="p039initial2"> - <img class="illowe6" src="images/p039initial.jpg" alt="„M" /> -</div> - -<p class="p0"><span class="initial">M</span>onika..!“ — Monika hörte nicht. Sie hatte ihren „Katalogtag“. Sie -behauptete, daß Kataloge studieren so ziemlich einer der größten -Genüsse sei, dem man sich hingeben könne.</p> - -<p>Oft sagte ihr solch ein Preisverzeichnis mehr als ein Roman. Sie -schwelgte geradezu in Katalogen, durchlief eine ganze Skala von -Empfindungen von wunschlos anbetender Bewunderung bis zum heißgierigen -Habenwollen.</p> - -<p>Das Preisverzeichnis einer Delikatessenwarenhandlung versetzte sie in -Entzückungszustände. Die angepriesenen Sachen waren wie eines Baumes -Aeste und Aestchen, auf denen sich ihre Phantasie, blankäugig und -behend wie ein Eichhörnchen, hin und her schwang.</p> - -<p>Sie las: „Hummern, lebende Helgoländer und norwegische...“ Da sah sie -die sonderbaren<span class="pagenum"><a id="Seite_210"></a>[S. 210]</span> Schaltiere vor sich, mit ihren komischen, gestielten -Augen, mit dem harten Panzer über dem weichen Fleisch, dessen saftige -Frische sie förmlich auf der Zunge fühlte.</p> - -<p>Und sie fühlte die scharfe, salzige Luft der Nordmeere, der grauen, -kalten Meere, die um starre Felsen und Klippen rauschen. Das war -dasselbe ewige Meer, das einst die Drachenschiffe getragen — -dasselbe, das jetzt Panzerkreuzer und Torpedos trug, und das heute -die komplizierten Wunderschöpfungen der Technik in böser Laune gerade -so zerschlug und zerbrach, wie es einst die ungefügen Holzplanken -zerschlagen.</p> - -<p>Und sie las weiter: „<span class="antiqua">India green turtle meat, sundried</span>.“ — Da -fing ihr Herz an, ganz laut zu schlagen.</p> - -<p>Und sie las weiter: „<span class="antiqua">India green turtle meat</span>,“ so heiß, daß sie -nicht mehr wohltat, sondern zerstörte, dort war sie ein vernichtend -flammender Feuerball in einem unerhört blauen Himmel, schüttete -Strahlengarben über das Land voll Prunk und Schmutz — über die -schmalgliedrigen dunkeln Hindus mit den schmachtenden, sanften Augen — -über die stolzen, blonden Engländer, die hier die<span class="pagenum"><a id="Seite_211"></a>[S. 211]</span> Herren waren. Und -das geknechtete und mißhandelte Land war doch so oft stärker als sie, -gab ihnen heimlich und böse lächelnd die Keime von Fieber, von Pest und -Tod. —</p> - -<p>Und weiter: „Truffes de Périgord“. Monikas Näschen schnupperte, als -fühle sie den unvergleichlichen Duft der schwarzen Erdfrucht.</p> - -<p>„Trüffeln“ bedeutete ihr förmlich ein Programm. Pikante Würze mit einem -lockenden Dufthauch darüber. —</p> - -<p>Und „Périgord“, Frankreichs lachende Gefilde. Graue Edelschlösser auf -sanften Hügelabhängen, umwogt von einem Meer von Blütenbäumen. — Und -drinnen im Schloß ein Liebeshof — schöne Ritter und schöne Damen in -Gold und Seide, zur feierlichen Beratung versammelt über der Liebe -wichtige Fragen.</p> - -<p>Ueber alle herrschend die schöne Frau des Hauses, deren Urteil sich -alle beugen, Edeldamen und Troubadours! Und der Troubadours Bester kam -ihr in den Sinn, Bertrand de Born, „der mit einem Lied entflammte — -Périgord und Ventadorn ...“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_212"></a>[S. 212]</span></p> - -<p>Der hochmütige Troubadour, der, ein Siegerlächeln um die blutroten, -üppigen Lippen, sich gerühmt, „daß ihm nie mehr als die Hälfte — -seines Geistes nötig sei!“</p> - -<p>O dieser Mann, der Sieger, strotzend von Kräften des Körpers und -des Geistes wie ein Blütenbaum im Mai, ein Meister des Liedes, ein -Gewaltiger der Sprache, der Männergehirne und Mädchenherzen mit süßen -und bitteren Worten lockte und bezwang...</p> - -<p>Dieser Gedanke fand in Monika eine so starke Resonanz, daß sie ziemlich -abwesend über einige Seiten hinweglas, die sie sonst mit Entzücken -erfüllt haben würden.</p> - -<p>Die Preisverzeichnisse von Konfektionsgeschäften, von Wäschefirmen -waren kaum weniger dazu angetan, ihr ein schwelgerisches Genießen zu -verschaffen.</p> - -<p>Bei den Hemdeinsätzen aus Brüsseler und Brügger Spitzen dachte sie an -die belgische Spitzenfabrikation, sah kleine flandrische Städtchen, -saubere Häuschen mit blitzblanken Spiegelscheiben, den „Spion“ am -Fenster — das Glockenspiel klingt vom Beffroi.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_213"></a>[S. 213]</span></p> - -<p>Im Beginenkloster des toten Brügge klöppelten blasse Nonnenhände -die zarten Gebilde aus dünnen Fäden. — Und es gab Spitzen, die -wurden in Kellern gearbeitet, die Luft mußte feucht sein, damit beim -tausendfältigen, kunstvollen Durcheinanderwirren der Faden nicht brach, -der — dünn wie Spinnengewebe — durch die Hände der bleichsüchtig -armseligen Mädchen lief, welche Stunde um Stunde klöppelten, ohne -aufzusehen. Die Mädchen hatten gewiß so kraftlos ausgesehen wie -Kellerblumen; mit blutlosen Fingern hatten sie die Spitzen gearbeitet, -die dazu bestimmt waren, die Wäsche und die Kleider leichtsinniger -Schönen zu zieren, die bunt und glänzend wie Paradiesvögel oder Pfauen -durchs Leben geschritten.</p> - -<p>Und dann die Verzeichnisse der Parfumfabriken. Die waren vielleicht -doch das Schönste von allen. Ach, das Duften, das berauschende Duften, -das aus des Büchelchens Seiten stieg.</p> - -<p>„White rose“ — herb und süß. Kaum erschlossene Rosenkelche, -mondlichtüberflutet in einem Park von Englands Schlössern. — Eine -blonde Herzogin, die sich aus dem Festgewühl hinabschleicht in den -Park, der feucht ist vom Tau der Nacht. —<span class="pagenum"><a id="Seite_214"></a>[S. 214]</span> Und nach einer kleinen -Weile verschwindet droben aus dem lichter- und gästeerfüllten Saale ein -schlanker Kavalier. Die weißen Rosen duften so süß. —</p> - -<p>Und dann „Chypre“. Aufreizend und schwül, der Duft für eine Frau, die -launisch ist und süß und grausam wie die Göttin der Insel Cypern selbst.</p> - -<p>„Ambra“! Der Orient wird lebendig, das Gewühl der Märkte und Basare, -die wollüstigen und blutdürstigen Geschichten der tausend Nächte -und der einen Nacht. Ueppige Prinzessinnen, die schönen Gesichter -schleierverhüllt, schlanke Wüstensöhne, die starben aus Liebe.</p> - -<p>„Goldregen“ und „Flieder“, „Ylang-Ylang“ und „Coeur de Jeannette“, -„Cuire de Russie“ und „Tuberosen“ — alles wurde eine Geschichte. —</p> - -<p>Ganz geistesabwesend sah Monika dann aus, wenn man zu ihr sprach, wenn -ihre Mutter wieder einmal sagte:</p> - -<p>„Nimm Dir doch endlich was Vernünftiges vor! Wie kann man sich nur in -solch langweilige Kataloge vertiefen?“</p> - -<p>Und wenn Alfred behauptete:</p> - -<p>„Ich habe ja schon viel von Stumpfsinn gesehen, aber etwas derartiges, -wie sich hinsetzen und<span class="pagenum"><a id="Seite_215"></a>[S. 215]</span> solche Verzeichnisse lesen, das hab’ ich noch -nicht gesehen!“</p> - -<p>Die Brüder waren überhaupt Monikas größtes Kreuz; sogar auf -gesellschaftlichen Veranstaltungen war sie vor ihnen nicht sicher. War -es etwa nötig, daß sie mit zu dem Wohltätigkeitsbasar „Am Posilipp“ -kamen?</p> - -<p>Zuerst war die Mutter geneigt gewesen, Monikas Protest: „Gymnasiasten -gehörten überhaupt noch nicht auf solche Feste!“, anzuerkennen. -Aber Alfred hatte die Worte seiner Schwester mit einem Höllenlachen -aufgenommen.</p> - -<p>„Das könnte Dir wohl so passen, mein Kind, dort ohne unsere Aufsicht -rumzukokettieren?“</p> - -<p>Und Heinzemännchen hatte erklärt, daß, da doch nun mal seit Papas Tode -die ganze Verantwortung auf seinen Schultern läge, er nicht gestatten -könne, daß Monika ohne ihn diesen Basar mitmache. Außerdem wünsche er -sich von „dem italienischen Stimmungszauber dort lyrisch anregen zu -lassen“.</p> - -<p>So war denn, Karl ausgenommen, die ganze Familie „Am Posilipp“. So -hatte der „Frauenverein zum Wohle von Lungenkranken“ sein dies<span class="pagenum"><a id="Seite_216"></a>[S. 216]</span>jähriges -Fest getauft. Von allen möglichen und unmöglichen Standorten herunter -wehten die weiß-rot-grünen Flaggen Italiens mit dem Wappen des Hauses -Savoyen.</p> - -<p>An den Wänden roh hingeworfene Dekorationen und Bemalungen, die jetzt -das elektrische Licht verklärend und verschönend übergoß.</p> - -<p>Ein buntes, wirres Durcheinander von gut und schlecht angezogenen -Leuten, von Gesellschaftstoiletten und italienschen Kostümen und auch -von anderen Volkstrachten.</p> - -<p>Mit der Nationalität schien man es nicht so genau zu nehmen.</p> - -<p>Die Damen in den Verkaufsbuden waren in jedem Alter und in jedem -Typ vorhanden. Die einzelnen Buden waren hübsch arrangiert. Die -feilgebotenen Gegenstände, wie immer bei solchen Gelegenheiten, -geschmacklose Ware.</p> - -<p>Jede <span class="antiqua">dame patronesse</span> hatte außer den Gehilfinnen in ihrer Bude -noch eine Anzahl „fliegender Verkäuferinnen“, junge Mädchen, die wie -Bienen emsig und unerschrocken den Saal durchschwirrten, ihren Vorrat -an Blumen, Lotterielosen, Zigaretten<span class="pagenum"><a id="Seite_217"></a>[S. 217]</span> den Herren anboten und dann von -Zeit zu Zeit an ihre Verkaufsstände zurückkehrten, zwar nicht wie die -Bienen mit Blütenstaub, sondern mit Mammon beschwert.</p> - -<p>Monika gehörte zu den „Fliegenden“ von Frau von Wetterhelms Blumenstand.</p> - -<p>Frau von Wetterhelm war auf allen Wohltätigkeitsveranstaltungen -bekannt wie ein bunter Hund. Sie kam, sie war da und unterzeichnete im -„Festausschuß des Ehrenkomitees“: „Frau Oberst von Wetterhelm“. Das -„geborene Krause“ ließ sie weg.</p> - -<p>Das „Frau Oberst“ war eigentlich eigenes Patent.</p> - -<p>Sie war von Wetterhelm geschieden worden, als dieser noch Leutnant -war. Der hatte dann bald darauf zum zweitenmal geheiratet, hatte aus -dieser zweiten Ehe fünf Kinder und bekümmerte sich nicht im mindesten -um das Schicksal seiner ersten Gattin, an der er — wie der bekannte -Villenkäufer — nur zwei Freuden erlebt hatte: den Tag, an dem er sie -bekam, und den Tag, an dem er sie losward!</p> - -<p>Auch sie hatte nie mehr versucht, seinen Lebensweg zu kreuzen, aber sie -avancierte mit! Sobald sie<span class="pagenum"><a id="Seite_218"></a>[S. 218]</span> erfuhr, daß ihrem Gatten eine höhere Charge -zuteil geworden, ließ sie sich neue Visitenkarten drucken. So war -der „Frau Oberleutnant von Wetterhelm“ im Laufe der Jahre eine „Frau -Hauptmann“ gefolgt; jetzt war sie bei „Frau Oberst“ angelangt.</p> - -<p>Da sie eine auskömmliche Rente hatte und sich um ihren Lebensunterhalt -nicht zu sorgen brauchte, so verbrachte sie ihre Zeit mit Besuchemachen -und Teilnahme an Wohltätigkeitsfesten. Bei diesen war sie, wie gesagt, -gar nicht zu vermeiden, und ebensowenig war es möglich, ihr die -Blumenbude zu entreißen. „Blumen sind das Poetischste!“ sagte sie, „und -gerade ich mit den so unendlich schweren Lebensschicksalen, — ich -müßte ja verzweifeln, wenn ich mich nicht in die Poesie flüchten würde! -— — Das verstehen Sie? Nicht wahr, das müssen Sie verstehn?! — —“</p> - -<p>So behielt sie die Poesie und die Blumenbude und machte gewöhnlich -recht gute Geschäfte, da sie es verstand, reizvolle, hübsche Mädchen -und Frauen als Gehilfinnen zu werben.</p> - -<p>Als sie vor wenigen Wochen in einer befreundeten Familie Monika kennen -gelernt, hatte sie dieselbe sofort für den Posilipp dingfest gemacht.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_219"></a>[S. 219]</span></p> - -<p>Und Monika war begeistert. Konnte es denn überhaupt etwas Schöneres -geben, als so losgelöst zu sein vom Zwange des Alltags? Ganz ungetrübt -war ja ihr Glück nicht wegen der Anwesenheit der Brüder.</p> - -<p>Alfred hatte sein brüderliches Ueberwachungsamt zwar gleich im Stich -gelassen, als eine blonde Neapolitanerin ihm zugelächelt.</p> - -<p>Heinzemännchen aber nahm seine Verpflichtung ernster.</p> - -<p>Mit unermüdlicher Ausdauer lief er hinter seiner leichtfüßigen -Schwester her und holte Mama zur Verstärkung, wenn Monika wieder einmal -allzulange Dialoge mit einem blumenkaufenden Leutnant führte.</p> - -<p>Natürlich stachelte diese Ueberwachung Monikas Trotz erst recht; sie -ärgerte sich in eine förmliche Empörung hinein! Also nicht mal hier -konnte man ihr Ruhe lassen! War sie denn wirklich so viel schlimmer als -alle die anderen jungen Mädchen, die sich hier ungestört ihres Lebens -freuten?!</p> - -<p>Was hatte sie denn schließlich begangen? Die paar Flirts, die paarmal, -wo sie verliebt gewesen<span class="pagenum"><a id="Seite_220"></a>[S. 220]</span> war, was sich hauptsächlich auf das Dichten -guter Verse beschränkt hatte — —</p> - -<p>Eine heiße Zornwelle flutete in ihr empor. Nun erst recht! Wollen doch -mal sehn, ob wir nicht Heinzemännchen, dem Tugendbold, ein Schnippchen -schlagen können?!</p> - -<p>Mit Blitzesschnelle hatte sie sich in das Leinwandzelt von Fräulein von -Toring, die als Wahrsagerin fungierte, geflüchtet. Durch einen Spalt -beobachtete sie Heinrichs ratloses Gesicht; er hatte nicht bemerkt, -wohin sie so plötzlich entschwunden. Sein bestürzter Ausdruck war so -komisch, daß Monika sich nur mit Mühe enthielt, laut aufzulachen.</p> - -<p>Dann sah sie ihre Mutter zu Heinrich herantreten, der er dann -anscheinend einen Kriegsplan entwickelte; gleich darauf schwenkte er -nach links ab, während Frau von Birken das Terrain nach rechts absuchte.</p> - -<p>Diesen Augenblick benutzte Monika, um aus dem Zelt zu rasen, die Treppe -hinauf, die in den ersten Rang führte, wo all die Logen waren; dort -würde man sich gut verstecken können.</p> - -<p>Wie ein Pfeil schoß sie hinauf, bog um die Ecke und prallte so heftig -an einen Herrn an, daß nur<span class="pagenum"><a id="Seite_221"></a>[S. 221]</span> dessen schnelles Zufassen sie vor einem -Falle bewahrte.</p> - -<p>„Na, wohin so eilig?“ fragte er lächelnd.</p> - -<p>Monika war zu atemlos, um zu antworten; sie blickte stumm den Fragenden -an.</p> - -<p>Er war ein Kavalier in der Mitte der dreißiger Jahre, ein vollendeter -Typus des norddeutschen Aristokraten. Er war groß, auf breiten -Schultern saß ein stolz getragener Hals, ein schmaler Kopf. Er hatte -die hochsattelige Nase der vornehmen Rassen, kühle graue Augen, einen -bürstenförmig kurzgeschnittenen Schnurrbart über dem harten Mund. Er -betrachtete mit Interesse das glühende, schöne Mädchen. „Vor wem sind -Sie denn auf der Flucht? Vor welchem Argus?“</p> - -<p>„Argus stimmt auffallend,“ lachte Monika.</p> - -<p>„Hier finden Sie ein tadelloses Versteck.“ Er öffnete die Tür einer der -Logen, die leer war.</p> - -<p>Monika ließ sich auf einen der Stühle nieder.</p> - -<p>„Erst mal atmen!“ sagte sie.</p> - -<p>Ihr schlug das Herz zum Zerspringen, von dem schnellen Laufen sowohl -als auch wegen der ungewohnten Situation: allein mit diesem schönen -Un<span class="pagenum"><a id="Seite_222"></a>[S. 222]</span>bekannten, auf drei Seiten von schirmenden Logenwänden umschlossen -und vor sich den Blick auf des Ballsaals tobendes Gewühl da unten.</p> - -<p>Ihre anfängliche Befangenheit schwand schnell bei der überlegen -sicheren Art, mit der ihr Begleiter das Gespräch führte. Bald vergaß in -angeregtester Konversation Monika ihre Verkäuferinnenpflichten.</p> - -<p>Mit hellem Lachen nahm sie die scharfen Urteile auf, die ihr Begleiter -über die Leute da unten im Ballsaal fällte.</p> - -<p>Er kannte eine Menge Menschen; er nannte die Herren, die sich beflissen -um die Sektbude der Frau Geheimen Kommerzienrat von Dresdener -drängten und nannte ihr auch die Summen, mit denen diese Herren den -adelsfreundlichen Kommerzienrat angepumpt.</p> - -<p>Das rosa Mullkleid der Gräfin Himmlingen-Wolfsfeld war wahrhaftig -jugendlicher als das ihrer jüngsten Enkelin, die im Nebensaale -verkaufte.</p> - -<p>Die jungen Mädchen, welche eben in einer Rotte von etwa einem Dutzend -auf den Prinzen Balduin losstürzten, den seine riesenhafte Gestalt und -der<span class="pagenum"><a id="Seite_223"></a>[S. 223]</span> Hausorden des Hauses Hohenzollern weithin kenntlich machten, glich -einer Horde von Haifischen, „ja, den Haifischen bei Saint-Thomé“.</p> - -<p>„Haben Sie die selbst gesehn?“ fragte Monika interessiert.</p> - -<p>„Ja, bei Saint-Thomé am Aequator. Das Wasser ist dort so sonderbar -durchsichtig wie Glas. Bei fünfzehn Meter Tiefe sieht man noch den -Grund, sieht all das Tierzeug, besonders viel Haifische. Und wenn -einer von uns an Bord unserer Jacht bei den Schießübungen, die wir -aus Langerweile anstellten — wir schossen auf die Haie in der Tiefe -— dann so eine Bestie traf, dann stürzten die anderen Haie mit -unnennbarer Gier über ihn her. Grad’ wie dort unsere jungen Damen über -den Prinzen Balduin.“</p> - -<p>Monika lachte diesmal nicht.</p> - -<p>„So klar ist das Wasser dort?“ fragte sie.</p> - -<p>Ihre Stimme hatte plötzlich etwas Träumerisches bekommen.</p> - -<p>„O Gott, so tief kann man da hinuntersehn — —? Wie durch Glas? Wie -durch Kristall? — Und all die Geheimnisse der Tiefe sind plötzlich -aufgetan?<span class="pagenum"><a id="Seite_224"></a>[S. 224]</span> Man sieht die grünen Algen und die Korallenbäume, rosa und -weiß, tausendfach verästelt. Und die Quallen, jene sonderbaren Wesen, -die halb Blumen sind und halb Tiere, treiben dahin und leuchten wie -Opale und Amethysten — —“ Ihre Augen schauten sehnsüchtig vor sich -hin.</p> - -<p>„Sie dichten ja,“ sagte er erstaunt, lebhaft interessiert von dem -Geist, der in diesem jungen Gesichte war und den Ausdruck dieser Züge -so oft wechseln ließ.</p> - -<p>„Sind Sie zu Jagdausflügen in die Tropen gegangen?“</p> - -<p>Monikas Phantasie ließ sie in ihrem Begleiter einen Nabob vermuten, -einen Globetrotter, der nur der Haifische wegen nach Saint-Thomé fuhr.</p> - -<p>Er lächelte ein wenig sarkastisch. „Nein, mein gnädiges Fräulein, ich -war dienstlich drüben, als Vize-Konsul.“</p> - -<p>„Ach wie interessant! Und wie schön gefährlich es drüben sein muß. Sind -Sie oft krank gewesen? — Malaria?“</p> - -<p>Er lachte. „Nein, ich muß Sie enttäuschen. Es war nicht der Rede wert. -Ueber achtunddreißig<span class="pagenum"><a id="Seite_225"></a>[S. 225]</span> Grad hat es mein Thermometer nicht gebracht! Wir -alle in der Familie sind so widerstandsfähig!“</p> - -<p>Unwillkürlich reckte er seinen schönen, kräftigen Körper noch höher -empor.</p> - -<p>Sie warf ihm einen bewundernden Blick zu, sagte aber trotzdem: „Ich -denke es mir eigentlich nett, hohes Fieber zu haben und schöne -Fieberphantasien!“</p> - -<p>„Ihre Anschauung ist ebenso originell wie unzutreffend. Fieber ist -natürlich häßlich wie jede Krankheit, häßlich wie alles, was den -Menschen aus dem seelischen oder körperlichen Gleichgewicht bringt.“</p> - -<p>„O, Gleichgewicht ist so langweilig!“ sagte Monika. Ihre Augen und -Zähne blitzten; sie fühlte ein starkes Bewußtsein von Kraft sie -überfluten, wie immer, wenn sie sich gegen die Norm auflehnte. Und -wie immer verbiß sie sich in den einmal gefaßten Gedanken, drehte -und wendete ihn, zeigte ihn in verschiedenen Beleuchtungen wie einen -Edelstein, auf dessen Schleiffläche man das Licht fallen läßt.</p> - -<p>Sie sagte: „Das Gleichgewicht? Schrecklich ist das! Das schließt ja -von vornherein alles aus, um<span class="pagenum"><a id="Seite_226"></a>[S. 226]</span> das es sich lohnt zu leben: jeden Rausch -schließt es aus, jedes Wunder schließt es aus.“</p> - -<p>Der sarkastische Zug um seine Mundwinkel vertiefte sich.</p> - -<p>„Glauben Sie an Wunder?“</p> - -<p>„Ja.“</p> - -<p>Sie war hinreißend schön in diesem Augenblick; ihre Züge waren wie -verklärt vom heißen Glauben der Jugend, dem nichts unmöglich scheint, -nichts unerreichbar. Der sich Wunder schafft mitten im grauen Alltag.</p> - -<p>„Möglich, daß Sie beneidenswert sind,“ sagte er. „Ich habe nie an -Wunder geglaubt, ich bin ein nüchterner Mensch, an allzuviel Phantasie -leidet meine ganze Familie nicht.“</p> - -<p>Dann ging das Gespräch weiter. Monikas elektrische Art ließ den Mann -mehr aus seiner norddeutschen Reserve heraustreten, als er sonst wohl -tat. Er fühlte sich angeregt wie selten, im Banne dieser dunkeln Augen, -dieses lachenden, roten Mundes, der frühreif geistreiche und kindisch -dumme Sachen durcheinanderplauderte.</p> - -<p>Er hätte gern gewußt, welchen sozialen Kreisen Monika angehörte; ihr -Wesen und ihre Bildung<span class="pagenum"><a id="Seite_227"></a>[S. 227]</span> ließen auf beste Herkunft schließen, aber -zwischendurch äußerte sie mal plötzlich eine Frivolität oder eine recht -naturalistische Auffassung, die nicht zu dieser Vermutung passen wollte.</p> - -<p>Jedenfalls war sein Ton dadurch freier zu ihr, als er es gewesen wäre, -wenn er ihr in einer Privatgesellschaft vorgestellt worden.</p> - -<p>Er überlegte gerade, ob er sie um ein Rendezvous bitten solle, als die -Logentür heftig aufgerissen wurde.</p> - -<p>Monika fuhr mit einem halblauten Schreckensschrei zusammen; sie -vermutete einen Racheengel in der Gestalt von Heinzemännchen, der -sie zwar nicht mit flammendem Schwerte, aber mit der Drohung von der -„verletzten Familienehre“ aus diesem Paradiese vertreiben würde. Aber -es war nur ein Artillerieleutnant mit liebebedürftigem Gemüt, der sich, -eine üppige, schwarzgelockte Pseudo-Italienerin am Arme, in diese -Logen-Einsamkeit zu flüchten suchte. Enttäuscht klappte er die Tür -gleich wieder zu.</p> - -<p>Man blieb von neuem allein, aber in Monika regte sich nun doch das -Gewissen; sie raffte den Korb mit den Rosen auf, der die ganze Zeit -ihr zu Füßen<span class="pagenum"><a id="Seite_228"></a>[S. 228]</span> gestanden, und bezichtigte sich selbst einer schreienden -Herzlosigkeit gegenüber den unglücklichen Lungenkranken. Da sitze sie -nun seit einer guten halben Stunde hier, statt ihre Blumen zu verkaufen.</p> - -<p>„Bitte, bitte, bleiben Sie doch,“ bat er, „ist es denn wirklich ein -größeres Vergnügen, sich da drunten abzuhetzen und allen möglichen -Leuten Rosen anzubieten?“</p> - -<p>„O, sicher ist es hübscher hier,“ sagte Monika mit naiver -Offenherzigkeit, „aber meine Rosen — —“</p> - -<p>„Ich kaufe sie Ihnen alle ab, dann bekommen die Lungenkranken auch ihr -Scherflein, und Sie brauchen sich nicht anzustrengen, sondern bleiben -noch ein bißchen hier und erzählen mir von den Wundern, an die Sie -glauben!“</p> - -<p>Monika war unschlüssig. Sie wußte nicht, ob der vorgeschlagene Handel -korrekt war. Aber sie ließ es geschehen, daß der Unbekannte ihr die -Rosen aus dem Körbchen nahm und eine Banknote dafür hineinschob.</p> - -<p>Und sie blieb mit schlechtem Gewissen, in Angst vor Strafe, — aber sie -blieb. Und fühlte sich selig wie noch nie im Leben! Es war ihr förmlich -ein körperliches Wohlgefühl, in diese kalten, grauen<span class="pagenum"><a id="Seite_229"></a>[S. 229]</span> Augen zu sehn, -diese scharfe, ans Befehlen gewöhnte Stimme zu hören.</p> - -<p>Noch eine Viertelstunde..... und noch eine.... Aber endlich rang sie -sich es doch ab, wieder hinunterzuwollen an die Stätte der Pflicht, den -Verkaufsstand ihrer <span class="antiqua">dame patronesse</span>.</p> - -<p>„Wirklich, — wirklich, ich muß jetzt weg.“</p> - -<p>Sie stand vor ihm, in so offenbarer Betrübnis, diesem Beieinandersein -ein Ende machen zu müssen, daß ihm ganz warm ums Herz wurde.</p> - -<p>„Wie schade,“ sagte er, „wie sehr schade. Wollen Sie mir nicht -wenigstens noch etwas verkaufen zum Wohl der Armen?“</p> - -<p>„Aber ich habe Ihnen ja alle meine Blumen gegeben,“ sagte sie erstaunt.</p> - -<p>„Nein, nein, da ist noch eine Rose, die ich gern pflücken möchte, die -schönste Blume von allen...“</p> - -<p>Er sah so verlangend auf ihren Mund, — und eine heiße Glutwelle der -Scham und des Entzückens überflutete Monikas Gesicht, tauchte es in -Glut bis in die kleinen Ohren hinein.</p> - -<p>In holdester Verlegenheit stand sie vor ihm. Kein Laut kam über ihre -Lippen. Und auf diese Lippen legte sich mit warmem Druck sein Mund. — -— — —</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_230"></a>[S. 230]</span></p> - -<p>Eine Sekunde später stürmte Monika davon, die Treppe hinunter; wie -gehetzt kam sie in Frau von Wetterhelms Bude an, die sie im Verlaufe -des Festes nicht mehr verließ. Sie sei zu müde, um noch einmal die Säle -zu durchkreuzen.</p> - -<p>Am liebsten wäre sie überhaupt fortgelaufen, hätte sich irgendwo in -die Einsamkeit vergraben, um all die geheimnisvolle Seligkeit in sich -nachbeben zu lassen, die sie bei dem Kusse des Unbekannten empfunden.</p> - -<p>O, fort von hier aus diesem Lärm und Gewoge. Allein sein.. die Augen -zumachen.... und in Gedanken die kühlen, grauen Augen noch einmal vor -sich sehen.</p> - -<p>Aber natürlich mußte sie dableiben. Frau von Wetterhelm hätte ihrer -neuesten Akquisition einen so frühzeitigen Abschied nie erlaubt. -Außerdem war weder Mama noch einer ihrer Brüder zu erblicken. Wer weiß, -wo die sie jetzt suchten!</p> - -<p>So stand denn Monika da in der Blumenbude, umgeben von all dem bunten, -üppigen Blumenflor. Wie traumverloren sah sie in das Gewühl der Gäste. -Aber trotz dieser Teilnahmslosigkeit wirkte sie entschieden anziehend; -immer neue Besucher traten an<span class="pagenum"><a id="Seite_231"></a>[S. 231]</span> ihren Tisch. Und Frau von Wetterhelm -bedachte jeden der Kaufenden mit ihrem wohlwollenden Lächeln. — —</p> - -<p>Dann fing die Feststimmung langsam an abzuflauen. Die verkaufenden -Damen wurden müde, ganze Scharen von Besuchern drängten schon nach dem -Ausgang.</p> - -<p>Die Musikkapellen, die noch vor wenigen Stunden so überzeugt schmelzend -das „<span class="antiqua">Bella Napoli</span>“ gebracht, ließen in ihrem Spiele eine gewisse -Ermüdung merken. Auf die Feststimmung begann sich die beginnende -Abspannung zu legen, das lähmende Bewußtsein des überschrittenen -Höhepunktes.</p> - -<p>Monikas reizbare Nerven empfanden diese Stimmung; wie ein Aschenflor -legte es sich über ihr eben noch so heißes Empfinden. Mit nervösen -Händen wühlte sie in den halbwelken Blumen, die vor ihr lagen, atmete -den ersterbenden Duft ein, der all diesen kühlen Blütenkelchen entstieg.</p> - -<p>Plötzlich zuckte sie zusammen. Unter den Leuten, die dem Ausgang -zustrebten, hatte sie die hohe Gestalt ihres Freundes aus der Loge -erkannt.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_232"></a>[S. 232]</span></p> - -<p>Spontan wich sie bis ganz in den Hintergrund des Verkaufsstandes -zurück, eine Beute der widerstrebendsten Empfindungen. Sie wollte -nicht, daß er sie bemerke — und trotzdem war eine herzklopfende Angst -in ihr: „wenn er jetzt fortgeht, ohne mich zu sehen, dann seh’ ich ihn -nie mehr wieder.“</p> - -<p>Da schlug die scharfe Stimme von Frau von Wetterhelm an ihr Ohr.</p> - -<p>„Vetter Georg, — Vetter Georg!“ rief sie mit einer so lauten -Ungeniertheit, daß sich ein halbes Dutzend Köpfe nach ihr umdrehten.</p> - -<p>Und dann — war es Wirklichkeit? Der Unbekannte trat heran und beugte -sich über die Hand von Frau von Wetterhelm. Sie begrüßte ihn mit einem -wahren Wortschwall.</p> - -<p>„Welche Freude, Sie endlich mal wiederzusehen, Vetter Georg. Ich hörte -schon, daß Sie jetzt hier in der Wilhelmstraße arbeiten. Aber zu mir -haben Sie den Weg natürlich noch nicht gefunden.“</p> - -<p>„Aber gnädigste Cousine,“ wehrte er ab, „ich bin erst seit so kurzer -Zeit hier — —“</p> - -<p>Plötzlich fiel sein Blick auf Monika, die sich ganz in einer Ecke -versteckt hatte.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_233"></a>[S. 233]</span></p> - -<p>„Darf ich bitten, mich vorzustellen?“</p> - -<p>„Aber mit dem größten Vergnügen. Fräulein von Birken, darf ich Ihnen -den Konsul von Wetterhelm präsentieren — —“</p> - -<p>Monika erwiderte die tiefe Verbeugung des Konsuls mit einem sehr -verlegenen Kopfnicken. Ihre sonstige Schlagfertigkeit war wie weggeweht.</p> - -<p>Die <span class="antiqua">dame patronesse</span> wunderte sich innerlich nicht wenig, -mit welcher Einsilbigkeit das sonst so sprühende Mädchen auf die -Unterhaltung des Konsuls einging. Kein Wunder, daß sich der so bald -verabschiedete.</p> - -<p>„Er ist ein so interessanter Mensch,“ sagte sie nachher zu Monika, -„ich höre ihn gar zu gern, obwohl er leider ein bißchen spöttisch ist. -Ob ich nahe verwandt mit ihm bin? — Oh nein, er ist im vierten oder -fünften Grade mit meinem gewesenen Mann verwandt. — — Er ist ein ganz -hervorragender Mensch; ich glaube, er hat eine glänzende Karriere vor -sich. Ich muß doch mal sehen, ob ich nicht eine passende Frau für ihn -finde.“</p> - -<p>Frau von Wetterhelm versank in Nachdenken und musterte innerlich ihren -Bekanntenkreis. Es<span class="pagenum"><a id="Seite_234"></a>[S. 234]</span> war die größte Leidenschaft ihres Lebens, Heiraten -zu stiften.</p> - -<p>„Vielleicht die Komtesse Lerk-Eichenbruch,“ sagte sie nach einer Weile -gedankenverloren. „Gott, natürlich wird sie sehr diffizil in ihrer -Wahl sein. Sie ist die einzige Tochter vom Gesandten und eine geradezu -blendende Schönheit, — aber Vetter Georg kann auch was verlangen! Bei -den Aussichten, die er hat — und ein selbständiges Vermögen von seinem -verstorbenen Vater hat er auch. — Uralter Name und solch auffallend -gut aussehender Mensch wie er ist. Nicht?“</p> - -<p>Monika antwortete nicht. Ihre kleinen, weißen Hände zerrissen nervös -die welken, roten Rosen.</p> - -<div class="figcenter illowe10" id="kapitelende7"> - <img class="w100" src="images/kapitelende.jpg" alt="Ende des Kapitels" /> -</div> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_235"></a>[S. 235]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="Kapitel_8">8.</h2> - -</div> - -<div class="dc" id="p145initial3"> - <img class="illowe6" src="images/p145initial.jpg" alt="D" /> -</div> - -<p class="p0"><span class="initial">D</span>ie Folge dieses Wohltätigkeitsabends war für Monika erstens mal, daß -sie ein Gedicht verfaßte, in welchem sehr viel von kalten Augen und -heißen Lippen die Rede war.</p> - -<p>Sie brachte das Gedicht selbst in die Redaktion des Leuchtturms und -Doktor Waldmanns Kritik war verblüffend:</p> - -<p>„Sie haben bisher mit Tinte geschrieben, gnädiges Fräulein, aber dieses -Gedicht ist mit Herzblut geschrieben!“ — ein Urteil, das Monika zwar -schmeichelte, sie aber doch zu einem lauten Gelächter veranlaßte.</p> - -<p>Uebrigens wurden von jetzt ab ihre Besuche auf dem Leuchtturm -seltener; unwillkürlich verglich sie immer wieder das ungezwungene und -ungezügelte Wesen der dortigen Kunstjünger mit dem strafferen Wesen -des Herrn von Wetterhelm. Der leuchtete von jetzt ab in ihren Gedanken -als Stern. Aber<span class="pagenum"><a id="Seite_236"></a>[S. 236]</span> dem „Die Sterne, die begehrt man nicht“ hatte sie nie -gehuldigt. Im Gegenteil! — sie begehrte gerade die Sterne, — waren -nicht jene fernen Himmelsblumen tausendmal lockender als die Blumen am -Wegrand? — Wenn sie nur gewußt hätte, wie sie ihren Stern wiedersehen -könne!</p> - -<p>Bei den zwei Bällen, die Monika bald nach dem Basar mitmachte, -behandelte sie ihre Tänzer schlecht. Sogar zu den Leutnants, denen -sie sonst einen entschiedenen Vorzug vor dem Zivil einräumte, war sie -ungnädig, — alles zu höheren Ehren ihres Sterns!</p> - -<p>Wie unendlich freudig überrascht war sie, als sie ein paar Tage darauf -diesen unerreichbaren Stern in höchsteigener Person ihr entgegenkommen -sah, als sie aus dem Kursus kam.</p> - -<p>Sie ging mit ihrer Cousine Bertha, die, als Herr von Wetterhelm grüßend -vorbeigeschritten, aufs höchste interessiert fragte: „Was ist denn das -für ein schneidiger Mensch?“</p> - -<p>„Was Du immer für Ausdrücke hast,“ sagte Monika unwirsch. Sie war -ärgerlich, daß sie mit Bertha zusammen ging. Vielleicht hätte ihr Stern -mit ihr gesprochen, wenn sie allein gewesen wäre.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_237"></a>[S. 237]</span></p> - -<p>Und diese Hoffnung veranlaßte sie, sich in den nächsten Tagen beim -Nachhausewege streng zu isolieren. Nach dem Schlusse des Unterrichts -trödelte sie herum, brauchte unglaubliche Zeit, um ihre Mappe zu -packen, und legte es darauf an, als letzte das Schulgebäude zu -verlassen.</p> - -<p>Vier, fünf Tage ging das so. Eine nervöse Erwartung spannte während der -ganzen Zeit ihre Nerven an, machte sie unzufrieden und melancholisch -wie nie zuvor. Aber dann kam doch ein Tag, an dem ihr wieder ihr Glück -lächelte und ihr Stern.</p> - -<p>Herr von Wetterhelm kam langsam daher, begrüßte sie gemessen. Es lag -nicht in seiner Art, Empfindungen zu zeigen, und seine Beherrschtheit -wirkte abkühlend auf Monika, deren ganzes Wesen aufgeflammt war, als -sie den Ersehnten erblickt.</p> - -<p>„Nun, wohl nicht sehr lange mehr bis zum Doktorexamen?“ neckte er -lächelnd.</p> - -<p>„Woher wissen Sie überhaupt, daß ich studieren will?“</p> - -<p>„Von meiner Cousine Wetterhelm.“</p> - -<p>„Haben Sie die denn nun endlich mit dem Besuch beglückt, um den sie -bat?“</p> - -<p>„Ja, ich mußte schon.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_238"></a>[S. 238]</span></p> - -<p>„Sie scheinen alte Damen nicht zu lieben?“</p> - -<p>„Das können Sie nicht verlangen! Alte Damen müssen schon sehr -geistreich oder sehr liebenswürdig sein, um sich ihr Alter verzeihen zu -lassen.“</p> - -<p>„O je, sind Sie scharf!“</p> - -<p>„Desto besser! Wir Deutschen sind überhaupt viel zu wenig scharf. Der -Michel hat nun mal eine Anlage zur Träumerei, zum Philosophieren.“</p> - -<p>„Und ist’s denn nicht etwas wunderbar Schönes ums Philosophieren?“</p> - -<p>„O, wenn man es mit Maß tut... Aber es artet leicht aus. Alles mit Maß!“</p> - -<p>„Da sind Sie schon wieder bei Ihrer Theorie von der weisen Mäßigung. -‚Die goldene Mittelstraße‘ nennt man’s, nicht wahr? Aber die ist -doch unnatürlich! Die will doch die Natur selber nicht! Mäßigt sich -denn etwa die Natur? — Die hat doch den Blitz und Sturm und Toben, -zerschellende Weltkörper und ein Uebermaß von Blüten...“</p> - -<p>„Wir dürfen aber nicht nur die Natur sprechen lassen. Wir müssen uns an -ihre jüngere und gesittetere Schwester halten: an die Kultur!... Was -sollte denn sonst aus unseren Institutionen werden, aus unserem Volke, -aus unserem Staat?“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_239"></a>[S. 239]</span></p> - -<p>„Unser Volk... unser Staat! Als ob das wichtig wäre!... Was spielt denn -das für eine Rolle in der Entwicklungsgeschichte? Ein Menschengeist -kann sich doch nicht an politische Grenzen halten, kann es doch nicht -wichtig finden, was aus dem Staat wird! Der floriert eben... oder geht -zugrunde.. wie andere Staaten auch.“</p> - -<p>„Feuerköpfchen, Sie sind doch noch sehr jung,“ lächelte der Konsul.</p> - -<p>Aber lächelnde Ironie vertrug Monika nicht. Sie machte eine ihrer -Lieblingsgesten: warf den Kopf ins Genick: „Diese Kritik ist keine -Widerlegung meiner Ansichten; daß diese keine Berechtigung haben, -werden Sie doch wohl nicht zu behaupten wagen.“</p> - -<p>„Ich lasse jedem seine Ansichten,“ sagte er sehr kühl. „Was mich -anbetrifft, so bin <em class="gesperrt">ich</em> jedenfalls von der Notwendigkeit eines -nationalen Bewußtseins für den Menschen vollkommen überzeugt. Ich fühle -mich als Deutscher, wie meine Vorfahren es taten. Ich diene mit allen -Kräften meinem Vaterlande, denn das ist meine Pflicht — und meine gern -erfüllte Pflicht!“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_240"></a>[S. 240]</span></p> - -<p>„Pflicht!“ sagte Monika und legte die ganze bodenlose Verachtung, die -sie für diesen Begriff empfand, in ihre kindliche Stimme.</p> - -<p>„Ja, Pflicht, das Herbste und Köstlichste, was es gibt!“ sagte er. Sein -schmales, rassiges Gesicht versteinerte förmlich, seine harten Züge -schienen wie aus Erz gegossen.</p> - -<p>„Ich finde: man sollte seinen Neigungen folgen, nicht seiner Pflicht. -Die weite Bahn, die sich dann vor einem auftut, ist...“</p> - -<p>„Eine schiefe Ebene.“</p> - -<p>Sie suchte krampfhaft nach einer ebenbürtigen Entgegnung, die -sie diesen drei Worten, die wie drei Dolchstiche waren, hätte -entgegensetzen können. Aber ehe sie etwas gefunden, hatte sich der -Ernst ihres Begleiters gemildert, ein liebenswürdiges Lächeln teilte -seine schmalen Lippen.</p> - -<p>„Aber sagen Sie, gnädiges Fräulein, ist es nicht wirklich zu -unvernünftig, daß wir mit abstrakten Erörterungen dieses Wiedersehen -feiern, über das ich mich so freue.“</p> - -<p>„Ich mich ja auch...,“ sagte sie, plötzlich ganz weich und lieb. Und -wie ein Hauch kam es in ver<span class="pagenum"><a id="Seite_241"></a>[S. 241]</span>räterisch scheuem Tone von ihren Lippen: -„So sehr freue ich mich...“</p> - -<p>Dann gingen sie langsam weiter. Monika machte einen großen Umweg, um -nach Hause zurückzukehren.</p> - -<p>Ob sich die Mutter inzwischen beunruhigte, war ihr ja so gleichgültig!</p> - -<p>Die Schelte, die sie heute wegen der großen Verspätung bekam, machte -ihr keinen besondern Eindruck. Wohl war es ihr unangenehm, aber -schließlich: es war unwichtig, kam nicht auf gegen das Glücksgefühl, -das sie durchflutete! Sie hatte ihn wiedergesehen!</p> - -<p>Ob er wohl ihretwegen vors Gymnasium gekommen war?... Oder war es sein -Weg?... War es nur ein Zufall?... Ein Gefühl von Enttäuschung wollte -bei diesem Gedanken in ihr aufsteigen, aber das kämpfte sie nieder.</p> - -<p>„Nein, nein, er kam meinetwegen! Und wenn er nicht meinetwegen kam, -dann will ich’s wenigstens glauben — dann ist es gerade so süß!“...</p> - -<p>In den Unterrichtsstunden zeichnete sie sich von jetzt ab durch völlige -Geistesabwesenheit aus. Ihre Liebe verschlang jedes andere Gefühl, -jeden anderen<span class="pagenum"><a id="Seite_242"></a>[S. 242]</span> Gedanken. Wie lächerlich winzig erschienen ihr die -Neigungen, die sie früher gehabt, gegenüber dem übermächtigen Gefühl, -das sie jetzt durchflutete.</p> - -<p>Uebrigens wußte sie gar nicht, was sie eigentlich an Wetterhelm -so liebte. Gewiß: er war ein schöner, vornehmer Mann, aber seinen -Anschauungen vermochte sie so gar keinen Geschmack abzugewinnen. Und -seine ewige Gemessenheit störte sie geradezu.</p> - -<p>Weit entfernt, sie mit Komplimenten zu überschütten, wie es andere so -oft getan, blieb er gleichmäßig kühl. Auch das nächstemal, als sie ihn -traf — sieben lange Tage hatte sie umsonst darauf gehofft — und er -wieder neben ihr herschritt.</p> - -<p>„Lange nicht gesehen,“ sagte Monika mit erkünsteltem Gleichmut.</p> - -<p>„Ich hatte dienstlich viel zu tun.“</p> - -<p>„Bleiben Sie noch lange in Berlin?“</p> - -<p>„O nein, ich hoffe bald einen vernünftigen überseeischen Posten zu -bekommen, recht bald.“</p> - -<p>„So...?“</p> - -<p>„Recht bald“ hatte er gesagt... also: ihn hielt nichts in Berlin... gar -nichts!</p> - -<p>Aufsteigende Tränen verdunkelten Monikas Blick. Sie sprach kein Wort.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_243"></a>[S. 243]</span></p> - -<p>Also, er „hoffte“ recht bald wegzugehen — dann war ihr überhaupt alles -gleichgültig!</p> - -<p>Alles... und wenn die Welt einstürzte...</p> - -<p>Und sogar das war ihr gleichgültig, daß plötzlich, kaum auf fünfzehn -Schritt Entfernung, Heinzemännchen daherkam!</p> - -<p>Der zuckte überrascht zusammen, als er des Paares ansichtig wurde, dann -drehte er, ohne gegrüßt zu haben, um und rannte spornstreichs den Weg -nach Hause zurück, den er eben gekommen...</p> - -<p>Natürlich würde er nun „petzen“.</p> - -<p>Aber mochte er nur — es war ja alles, alles gleichgültig, wenn Georg -von Wetterhelm jetzt fortging und sie ihn nicht mehr wiedersah!</p> - -<p>Es war, als ob jeder Tropfen Blut in ihr erstarrte.</p> - -<p>„Was Sie für kalte Hände haben,“ sagte beim Abschiedshändedruck der -Konsul. In seiner Stimme klang dabei eine heimliche Zärtlichkeit.</p> - -<p>Aber das merkte sie gar nicht mehr in der eisigen Hoffnungslosigkeit, -die über sie gekommen.</p> - -<div class="figcenter illowe5" id="gedankensprung6"> - <img class="w100" src="images/gedankensprung.jpg" alt="Gedankensprung" /> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_244"></a>[S. 244]</span></p> - -<p>Der Empfang zu Hause war noch schlimmer, als Monika ihn sich gedacht. -Die Baronin rang die Hände. Hatte sie das um Monika verdient? Daß -Monika sich von einem Herrn begleiten ließ, von einem ihr gänzlich -unbekannten Herrn, von dem Heinzemännchen überhaupt nicht wußte, wer er -sei!</p> - -<p>„Es war mein Mathematiklehrer, Professor Herrmann war’s,“ sagte Monika -kalt.</p> - -<p>Aber wie ein Racheengel richtete sich Heinzemännchen in seiner ganzen, -schlaksigen Höhe auf. „Das war kein Mathematiklehrer — das war ein -Gentleman!“ sprach er mit Donnerstimme. „Und soll ich Dir sagen, was -das Ganze war? Das war ein Rendezvous!“</p> - -<p>Er ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen.</p> - -<p>„Monika,“ sagte er, und seine Stimme kickste über, „hast Du denn gar -nicht an mich gedacht?“</p> - -<p>„O nein,“ sagte Monika höflich.</p> - -<p>„Hast Du nicht daran gedacht, daß seit Papas Tode die ganze -Verantwortung auf meinen Schultern ruht? Daß Du mir das antun kannst, -Monika...“</p> - -<p>„O, mein Geliebtes,“ rief Frau von Birken, indes sie ihren Sohn an sich -zog, „rege Dich nicht auf,<span class="pagenum"><a id="Seite_245"></a>[S. 245]</span> mein Geliebtes! Es kann Dir schaden!... -Aber recht hast Du, das kann ich nicht anders sagen!... Monika, es ist -unerhört von Dir! Dies Betragen geht über alle Grenzen hinaus... Du -bist ein verlorenes Geschöpf, Monika!... Von einem Herrn läßt Du Dich -begleiten auf dem Nachhausewege, statt von Deiner Cousine Bertha!... -Die würde ihrer Mutter so etwas nicht antun!... Warum habe ich von -allen Müttern gerade das Unglück? Aufgeopfert habe ich mich für Euch, -mein ganzes Leben hindurch, und das ist nun der Dank!... Monika, wie -kannst Du Dich so benehmen? Wo hast Du je ein solches Beispiel vor -Augen gehabt? Habe ich je so etwas getan?“</p> - -<p>Monika zuckte mit den Achseln.</p> - -<p>„Was? Du zuckst mit den Schultern? Willst Du damit sagen, daß ich je so -etwas getan hätte?... Monika, nie hättest Du mir das antun können, wenn -Du auch nur einen Funken von meinem Gemüt geerbt hättest...“</p> - -<p>Sie unterbrach sich, denn ihre Tochter war aufgestanden, ging wortlos -aus dem Zimmer; gleich darauf hörte man, wie sie sich im Schlafzimmer -einschloß.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_246"></a>[S. 246]</span></p> - -<p>Ein fassungsloser Schmerz schüttelte ihren jungen Körper: sie hatte -selbst nicht gewußt, mit welch elementarer Leidenschaft sie jenen -schönen, kühlen Mann liebte. Immer wieder rang sich ihre Vernunft -dazu durch, ihr zu sagen: Du kennst ihn ja kaum... Was kann er dir -sein?... Was geht es dich an, ob er abreist?... Aber wenn sie an sein -Fortgehen dachte, krampfte sich ihr Herz immer von neuem in rasendem -Schmerz zusammen; immer von neuem zuckte sie in gewaltsam unterdrücktem -Schluchzen.</p> - -<p>Und nichts tun zu können, um das Glück zu erzwingen! — Nichts tun zu -dürfen, um das Glück festzuhalten — nichts!</p> - -<p>Uralte Satzung und auch ihr eigenes weibliches Gefühl verdammten sie zu -stummem Warten.</p> - -<p>Warten!... Nichts weiter!... Hoffend und fürchtend warten, ob das Glück -kommt in seiner Sonnenpracht — oder ob es am Horizont ihres Lebens nur -ferne vorüberleuchten würde, wie ein fallender Stern.</p> - -<p>Sie litt so sehr unter diesem nagenden Zweifel, daß ihr sonstiger -Uebermut wie weggeweht erschien.</p> - -<p>Herr von Wetterhelm, der sie nach einigen Tagen wieder in der Nähe des -Gymnasiums erwartete,<span class="pagenum"><a id="Seite_247"></a>[S. 247]</span> fand sie verändert, blasser als sonst, einen -schmerzlichen Zug um den schönen Mund, ihr ganzes Wesen von einem Hauch -von Nervosität durchtränkt, den es sonst nicht gehabt.</p> - -<p>Auf seine Fragen antwortete sie ausweichend. Er gab sich wärmer als -sonst. Dieses tragische Gesichtchen erweckte Beschützergefühle in ihm.</p> - -<p>„Soll ich morgen um dieselbe Zeit wieder hier sein?“ fragte er.</p> - -<p>Sie zögerte mit der Antwort. Dann endlich:</p> - -<p>„Mein Bruder hat mich neulich mit Ihnen gesehen, und ich habe Schelte -bekommen.“</p> - -<p>Eine Blutwelle stieg ihm ins Gesicht. „Das ist auch ganz richtig. -Es ist auch nicht korrekt von mir. Ich wollte Sie schon sowieso um -die Erlaubnis bitten, bei Ihrer Mutter Besuch machen zu dürfen. Wann -empfängt sie?“</p> - -<p>„O, Mama hat gar keinen <span class="antiqua">jour</span>,“ sagte Monika verlegen. Sie fand -die Aussicht, ihren Freund bei sich zu Hause begrüßen zu können, -durchaus nicht beglückend... Da war Mama und die Jungen, die so auf -sie aufpaßten. Und man würde nie über ein vernünftiges Thema sprechen -können... Und jeder Blick würde beobachtet werden... Und dann:<span class="pagenum"><a id="Seite_248"></a>[S. 248]</span> zu -Hause war es gar nicht mehr elegant. Man war sehr zurückgegangen seit -den Sarkower Tagen. Nicht mal einen Diener hatte man, bloß so ein -dummes „Mädchen für alles“... Gewiß würde der Haushalt den Konsul sehr -enttäuschen. Wer weiß, wie verwöhnt er war!...</p> - -<p>So schwieg sie, statt eine Antwort zu geben.</p> - -<p>Und schauderte doch zusammen vor Glück, als er sagte:</p> - -<p>„Ich komme übermorgen um eins.“</p> - -<div class="figcenter illowe5" id="gedankensprung7"> - <img class="w100" src="images/gedankensprung.jpg" alt="Gedankensprung" /> -</div> - -<p>Zu Hause gelang es ihr, den bevorstehenden Besuch als ganz -gleichgültige, gesellschaftliche Förmlichkeit hinzustellen. Sie sagte, -daß Frau von Wetterhelm ihr diesen Vetter auf dem Basar vorgestellt, -sie habe ihn neulich zufällig auf der Straße getroffen, und er habe -gesagt, daß er diesen Sonntag Besuch machen wolle.</p> - -<p>Die Baronin war von dem Besucher nicht sehr entzückt. Er war ihr zu -förmlich gewesen. Eine knappe Viertelstunde hatte er im Salon gesessen, -und<span class="pagenum"><a id="Seite_249"></a>[S. 249]</span> während dieser Viertelstunde hatte Frau von Birken das unangenehme -Gefühl, daß er auf die abgestoßene Ecke des schwarzen Tisches sah, und -wenn er mal die Augen wo anders hinwendete, so blickte er entschieden -suchend auf den fehlenden Henkel der blauen Sèvresvase.</p> - -<p>Monika hatte still wie eine Puppe auf ihrem Stuhl gesessen und kaum die -Augen aufgeschlagen. Sie war im Banne der brüderlichen Ueberwachung. -Alfred, der sonst an Sonntagen spurlos verschwand, war zu Hause -geblieben, und Heinzemännchen, der einen endlos langen schwarzen -Gehrock trug, den er sich angeschafft hatte, um würdiger und älter zu -erscheinen, bewachte sie wie ein Höllendrache. Kurz: Monika war ehrlich -unglücklich, als Wetterhelm sich verabschiedet.</p> - -<p>Sie spähte hinter den heruntergelassenen Stores hindurch, um ihn noch -einmal zu sehen. War’s Einbildung — oder ging er wirklich nicht ganz -so straff wie sonst — den Kopf wie gedankenverloren ein wenig gesenkt?</p> - -<p>In der Tat war es ein intensives Nachdenken, das Georg Wetterhelm -erfüllte, ein Zwiespalt von Gedanken und Gefühlen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_250"></a>[S. 250]</span></p> - -<p>Sein Leben war bisher in so glatten Bahnen verlaufen, er hatte nach -dem Programm gelebt, das er sich selbst von seinem Leben entworfen. -Er hatte seine Examina gut bestanden, war Rittmeister der Reserve -bei den Garde-Ulanen; seine Gesundheit war ausgezeichnet, seine -Vermögensverhältnisse rangiert. Er hatte gute Zukunftsaussichten, -hoffte, später in die Diplomatie übernommen zu werden. Er hatte die -Absicht, seine Konnexionen durch eine passende Heirat zu verstärken.</p> - -<p>Und nun sollte sein Lebensplan aus der Ordnung gebracht werden durch so -einen süßen Wildfang, durch dieses hübsche, geistreiche, ungebärdige -Persönchen, das neulich auf dem Basar sein kühles Wesen ganz mit -Glut erfüllt. Sie hatte ihm einen Eindruck gemacht, wie er sich kaum -erinnerte, ihn je empfangen zu haben. Und doch entsprach sie auch nicht -im mindesten dem Bilde, das er sich in Gedanken von seiner zukünftigen -Lebensgefährtin gemacht. Er fand sie zu jung, zu ungezügelt, mit einem -bedenklichen Hang, eigene Wege zu gehen.</p> - -<p>Er hatte sich das alles gleich nach ihrer ersten Begegnung gesagt, aber -die Wirkung, die sie auf ihn gehabt, war eine zu mächtige gewesen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_251"></a>[S. 251]</span></p> - -<p>Vorläufig war noch kein Wort gefallen, das ihn an sie band — noch kein -Wort, das überhaupt seine Gefühle verraten hätte. Aber sich selbst -hatte Wetterhelm längst gestanden, daß er sie liebte.</p> - -<p>Freilich... ob es nicht besser war, dieser Liebe nicht nachzugeben? -Abreisen und den Weg zu gehen, den er sich vorgezeichnet...</p> - -<p>Schließlich, es war ja zu dumm, daß ein nettes Mädel einfach seine -ganzen Zukunftspläne verändern sollte! Er war doch kein törichter -junger Mensch mehr, sondern ein zielbewußter, ernster Mann.</p> - -<p>Und dieser Besuch, den er eben gemacht, war nicht dazu angetan gewesen, -seine Heiratspläne zu fördern. Gegen den Namen war ja nicht das -mindeste einzuwenden. Die Birkens waren Uradel wie die Wetterhelms. -Aber dieser Birkensche Haushalt, den er eben kennen gelernt, hatte -so gar nichts mit der Durchschnitts-Lebensführung einer deutschen -Aristokratenfamilie zu tun!</p> - -<p>Monikas Mutter schien recht freien Anschauungen zu huldigen, was -sich schon aus der Art erhellte, in der die halbwüchsigen Söhne die -Konversation führten. Und auch die Idee mit Monikas Studium lag -Wetterhelm gar nicht.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_252"></a>[S. 252]</span></p> - -<p>Nein, eine solche Heirat würde ein dummer Streich sein. Und sehenden -Auges einen dummen Streich machen, das tat man nicht, wenn man Georg -Wetterhelm war.</p> - -<p>Also zusammennehmen! Nicht mehr an die beiden strahlenden Augen denken, -die so aufleuchteten, wenn sie ihn sahen! Nicht mehr an die helle, -kindliche Stimme denken, die mit so heißer Begeisterung reden konnte! -Die ganze Episode mußte abgetan und vergessen sein.</p> - -<p>Und der Konsul richtete sich auf, so straff wie sonst: Die Episode war -aus und vorbei.</p> - -<p>Und darum war es ganz überflüssig, daß Monika es immer so absolut -darauf anlegte, als Letzte aus dem Kursus zu kommen und ganz allein zu -gehen. Sie sah die hohe Gestalt des Ersehnten nicht mehr.</p> - -<p>Sie war unglücklich wie nie zuvor. Nachdem sie neulich erst so -verzweifelt gewesen, war ihr dieser nochmalige Sturz in die -Hoffnungslosigkeit zu viel! Ihre Nerven begannen ernstlich zu leiden.</p> - -<p>Sie, die so sehr daran gewöhnt war, ihren Willen durchzusetzen, mußte -nun tatlos und machtlos die Zeit verstreichen sehen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_253"></a>[S. 253]</span></p> - -<p>Sie hegte die abenteuerlichsten Gedanken, wie sie sich dem Geliebten -nähern könne. Aber es blieb bei Gedanken! Die Rücksichtslosigkeit, die -sie sonst entfaltete, wenn es galt, ihren Willen durchzusetzen, ließ -sie völlig im Stich.</p> - -<p>Zum ersten Male wurde Monika schüchtern. Das Burschikos-Jungenhafte, -das sie oft gehabt, wich einer verträumten Schwermut.</p> - -<p>Zum ersten Male war eine große Sehnsucht über ihr und ließ ihre Nerven -erzittern wie Harfensaiten unter tastenden Fingern. Wieder und wieder -durchlebte sie im Geiste jede Sekunde, in der Georg Wetterhelm sie -angeblickt oder mit ihr gesprochen. Sie durchlebte immer wieder die -selige Freude, die sie gehabt, wenn in seine kalten, grauen Augen ein -wärmerer Schimmer gekommen. Sie sehnte sich nach ihm, sehnte sich jede -Minute und jede Sekunde.</p> - -<p>Und fühlte nichts mehr als diese Sehnsucht.</p> - -<p>Als ihre Mutter Wetterhelm eine Woche nach seinem Besuche zum Tee -gebeten, war eine höfliche Absage erfolgt. Und ans Gymnasium kam er -auch nicht mehr. Es war aus! Zwei Wochen waren nun schon verstrichen.</p> - -<p>Vielleicht war er gar nicht mehr in Berlin.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_254"></a>[S. 254]</span></p> - -<p>Eine verzehrende Angst packte Monika bei diesem Gedanken. Dann kam -ihr die Idee: vielleicht wußte das Frau von Wetterhelm, ihre <span class="antiqua">dame -patronesse</span> vom letzten Basar. Zu der mußte sie hin. Dies konnte sie -auch ganz unauffällig, denn sie hätte ihr schon längst mal wieder einen -Besuch machen müssen.</p> - -<p>Frau von Wetterhelm war zu Hause und empfing Monika in ihrem, mit -japanischem Krimskrams überladenen Boudoir. Sie war überaus freundlich. -Wirklich zu nett, daß man zu so einer langweiligen, alten Frau käme, -wie sie doch eine wäre!... Nein: keine Widerrede... Sie wisse, daß -sie langweilig sei, habe doch nun mal keinen Geist aufzubieten, was -entschieden die Schuld ihres Großvaters mütterlicherseits sei, der -wirklich ganz auffallend unbegabt gewesen sein solle. — Aber wenn sie -selber auch leider dumm sei, so wisse sie doch Geist bei anderen zu -schätzen, und darum sei ihr Monika besonders herzlich willkommen! Denn -Monika sei hervorragend geistreich! Allein die Tatsache, daß sie das -Mädchengymnasium besuche, spräche Bände! Außerdem habe ihr Vetter Georg -Monika auch direkt „geistvoll“ gefunden.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_255"></a>[S. 255]</span></p> - -<p>„Sehen Sie Ihren Vetter öfters?“ fragte Monika mit gewaltsam gespielter -Gleichgültigkeit.</p> - -<p>„Leider nein. Eine langweilige, alte Frau wie ich kann das ja auch -nicht verlangen! Aber gerade heute erwarte ich Georg. Er muß bald -kommen. Ich hörte nämlich, daß er demnächst abreist, und da schrieb -ich ihm, daß er mich besuchen solle in wichtiger Angelegenheit! Ihnen, -meine liebe, kleine Freundin, kann ich’s ja sagen, Sie sind ja diskret. -Ich will mit Georg über eine junge Dame reden, die wirklich eine -fabelhaft gute Partie ist! Es handelt sich um...“</p> - -<p>„O bitte, keinen Namen,“ unterbrach Monika hastig, „das sind so interne -Angelegenheiten, gnädige Frau. Ich möchte wirklich nicht...“</p> - -<p>„Aber ich bitte Sie, ich sag’s Ihnen ja gern.“</p> - -<p>„Ueberdies muß ich fort. Ich bin mit Mama bei unserer Schneiderin -verabredet.“</p> - -<p>Sie hatte sich erhoben, ihr zitterten die Hände. Nur fort! Nur ihn -nicht treffen, der sie verschmähte! Der Zeit fand, hierher zu kommen, -und den Weg zu ihr vergessen hatte! Nur fort!</p> - -<p>Nach hastigem Abschied eilte sie die Treppen hinunter, der Haustür zu. -Da wurde diese von außen geöffnet. Georg Wetterhelm trat ein.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_256"></a>[S. 256]</span></p> - -<p>Monika vermochte einen Aufschrei nicht zu unterdrücken. Aber sie faßte -sich rasch. Er sollte nicht glauben, daß sie gewußt, daß er heute -hierherkam. Daß sie etwa darum hier sei!</p> - -<p>So tauschten sie denn ein paar konventionelle Redensarten, dann hielt -sie ihm abschiednehmend die Hand hin. Aber er sagte: „Ich begleite Sie -ein Stück.“</p> - -<p>Er rief den Portier und trug ihm eine Entschuldigung an Frau von -Wetterhelm auf; selbst in diesem Augenblicke, wo das Zusammentreffen -mit Monika ihn so erschütterte, ließ er eine Höflichkeitspflicht nicht -außer acht.</p> - -<p>Sie gingen nebeneinander her, auf einem Fußpfade im Tiergarten, dessen -Bäume und Sträucher ein erstes knospendes Grün zeigten. Der feuchte und -herbe Duft des Vorfrühlings lag in der Luft und stieg aus der feuchten -Erde.</p> - -<p>Monika war das Herz so schwer; sie sprach gar nicht, ging, den Blick -geradeaus gerichtet, neben ihrem Begleiter, der heute auch auffallend -wortkarg war.</p> - -<p>Endlich sagte er: „Ich reise bald fort.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_257"></a>[S. 257]</span></p> - -<p>Monika erwiderte darauf nichts; sie preßte ihre Fingernägel in -die Handflächen, daß sie ins Fleisch drangen, suchte durch diesen -körperlichen Schmerz den seelischen zu übertäuben, der in ihr stürmte.</p> - -<p>„Ich hatte die Absicht, Ihnen noch Adieu sagen zu kommen,“ sagte -Wetterhelm.</p> - -<p>Aber gleich darauf veränderte sich der kühle Ton seiner Stimme: „Nein, -es ist nicht wahr. Ich wollte nicht mehr kommen. Ich wollte Sie nicht -mehr sehen...“</p> - -<p>Da hob sie den Kopf zu ihm empor. Die Tränen, die schon so lange in -ihren Augen gezittert, rannen nun an ihren langen, tiefdunkeln Wimpern -herab, rannen in großen Perlen über die weich gerundeten Wangen.</p> - -<p>Und bei diesem Anblick brach in Georg von Wetterhelm sein -„Lebensprogramm“ zusammen.</p> - -<p>Nicht denken jetzt... nur dieses süße, unglückliche Gesichtchen -küssen... dieses schöne, warmherzige Geschöpf in die Arme nehmen... und -ihre glühende Jugend fühlen... und ihre glühende Liebe...</p> - -<p>„Liebling!“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_258"></a>[S. 258]</span></p> - -<p>Er riß sie in die Arme, hielt sie fest umfangen wie mit Eisenklammern, -hielt sie fest an sein Herz gepreßt und küßte immer wieder die bebenden -roten Lippen, die so herzbewegend stammelten: „Geh’ nicht fort... ach, -geh’ doch nicht fort...“</p> - -<p>„Nicht ohne Dich, mein Lieb!“</p> - -<p>„Ist’s wahr?“ Das war wie ein Jubelschrei.</p> - -<p>Mit beiden Armen umschlang sie seinen Hals, trank mit geschlossenen -Augen seinen Atem, der herb und frisch duftete wie die Frühlingserde -ringsumher.</p> - -<div class="figcenter illowe10" id="kapitelende8"> - <img class="w100" src="images/kapitelende.jpg" alt="Ende des Kapitels" /> -</div> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_259"></a>[S. 259]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="Kapitel_9">9.</h2> - -</div> - -<div class="dc" id="p259initial"> - <img class="illowe6" src="images/p259initial.jpg" alt="„J" /> -</div> - -<p class="p0"><span class="initial">J</span>a, gewiß, alles was Sie mir hier über Ihre Vermögenslage, Ihre -Aussichten dargelegt haben, ist glänzend, Herr von Wetterhelm,“ sagte -die Baronin Birken. „Ich könnte mir für meine Tochter gar keine bessere -Partie wünschen — aber die Sache liegt doch nicht so einfach. Ich kann -nicht lügen, wissen Sie, die Wahrheit über alles! Und darum sage ich -Ihnen: ich kann Ihnen nur abraten, Monika zu heiraten!“</p> - -<p>Der Konsul, den sonst so leicht nichts in Erstaunen setzte, konnte sich -nicht enthalten, ein etwas verblüfftes Gesicht zu machen.</p> - -<p>„Darf ich bitten, mir diese Worte zu erklären, gnädige Frau?“</p> - -<p>„Gern... Wissen Sie, Monika ist wirklich gar nicht fürs Heiraten -geeignet. Sie besucht das Mädchengymnasium und will studieren. Und für<span class="pagenum"><a id="Seite_260"></a>[S. 260]</span> -Frauen, die sich der Wissenschaft widmen, ist doch die Ehe eigentlich -nichts.“</p> - -<p>„Wenn das der einzige Grund ist...“</p> - -<p>Der sarkastische Zug um Wetterhelms Lippen vertiefte sich.</p> - -<p>„O nein, nichts weniger als der einzige. Ein Dutzend Gründe sind es... -die Wahrheit über alles!... Erstensmal: Monika kann nicht kochen, aber -tatsächlich keine Ahnung davon!“</p> - -<p>„Die Dokumente, die ich Ihnen vorlegte, gnädige Frau, sollten Sie -überzeugt haben, daß ich in der Lage bin, meiner Frau eine Köchin zu -halten, sogar eine sehr gute.“</p> - -<p>„O ja, natürlich, aber selbst die beste Köchin wird nie das leisten, -was eine kulinarisch gebildete Frau des Hauses leistet.“</p> - -<p>„Ich bin, was das Essen anbetrifft, sehr anspruchslos.“</p> - -<p>„Außerdem: Monika hält keine Ordnung. Alles wirft sie durcheinander und -verlegt sie! Nicht einen Knopf näht sie sich allein an!“</p> - -<p>Wetterhelm sah tiefsinnig auf einen Knopf, der halb abgerissen an der -Bluse der Sprecherin<span class="pagenum"><a id="Seite_261"></a>[S. 261]</span> baumelte, und sagte: „Ich werde ihr eine Zofe -halten, die genau so gut ist wie die Köchin.“</p> - -<p>Frau von Birken seufzte: „Ach, Monika hat so gefährliche Anlagen. Sie -ist so eigenwillig. Sie macht sich über alles eigene Gedanken; sie -respektiert nichts! Nicht mal mich als Mutter! Nicht mal Goethe. Und -immer muß sie ihren Willen durchsetzen! Monika ist ein Engel, wenn man -ihr den Willen tut, aber den muß man ihr tun!“</p> - -<p>„Darin wird sie sich wohl ein wenig ändern,“ sagte Wetterhelm, mit -demselben Gleichmut, den er bisher zur Schau getragen.</p> - -<p>„Sie ändert sich nicht, sie ist jetzt siebzehn Jahre und war immer so.“</p> - -<p>„Mit siebzehn ändert man sich noch oft.“</p> - -<p>Da Frau von Birken dieser Aeußerung nicht recht was entgegenzusetzen -wußte, sagte sie: „Erlauben Sie, daß ich meinen Sohn rufe...“</p> - -<p>Heinzemännchen erschien.</p> - -<p>Er trug den neuen, unendlich langen Gehrock und sah sehr sorgenvoll aus.</p> - -<p>Wetterhelm zog die Augenbrauen hoch. Wollte man ihm in der Tat zumuten, -seine Werbung bei diesem Obersekundaner anzubringen?</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_262"></a>[S. 262]</span></p> - -<p>Aber schon wurde die Tür aufgerissen. Monika kam herein, flog auf -Wetterhelm zu und küßte ihn stürmisch auf den Mund.</p> - -<p>„Was habt Ihr denn bloß so lange zu verhandeln?“ rief sie der wie -erstarrt dasitzenden Mutter zu. „Ich kann doch nicht so lange draußen -bleiben, wenn Georg da ist!“</p> - -<p>Und sie küßte ihn von neuem.</p> - -<p>„Jetzt kann ich allerdings nichts mehr einwenden,“ sagte Frau von -Birken hilflos.</p> - -<p>Heinzemännchen seufzte auf. War’s die Erleichterung darüber, daß die -Verantwortung für Monika von jetzt ab auf stärkeren Schultern ruhen -sollte als auf den seinen? —</p> - -<p>Die Verlobungszeit sollte nur zwei Monate dauern. Frau von Birken fand -das zwar geradezu ungebührlich kurz, aber es lag so gar kein Grund zum -Warten vor. Im Gegenteil! Der Konsul erwartete bald seine Berufung auf -einen überseeischen Posten und wollte selbstverständlich schon vorher -heiraten.</p> - -<p>Monikas Glück wurde oft ein wenig getrübt durch die Behandlung, die -man ihr zu Hause an<span class="pagenum"><a id="Seite_263"></a>[S. 263]</span>gedeihen ließ. Ihre Mutter, mit der sie jetzt die -ganze Zeit zusammen war — seit ihrer Verlobung besuchte sie die Kurse -nicht mehr — war nicht im mindesten anders zu ihr als sonst. Keine -Spur einer anderen Stimmung war zu merken, nichts von der zärtlichen -Ergriffenheit, die andere Mütter haben, wenn ihre einzige Tochter so -bald schon fürs Leben das Haus verläßt. Frau von Birken nörgelte sogar -mehr als sonst an Monika herum, sogar bei Sachen, von denen es nicht -recht ersichtlich war, warum sie sie tadelnswert fand.</p> - -<p>Auch Alfred und Heinrich trugen jetzt, trotz der nahen, dauernden -Trennung von ihrer Schwester, kein liebenswürdigeres Wesen ihr -gegenüber zur Schau als sonst. Nur Karl, der ja auch sonst lieb und -nett gewesen, entfaltete eine außergewöhnliche Hochachtung. Monika -hatte ihm durch ihre Verlobung sehr imponiert, und er raubte jetzt mit -doppelter Begeisterung aus Mamas oder Heinzemännchens Portemonnaie ein -paar Nickel, um ihr irgendeine Kleinigkeit „zum Freuen“ zu kaufen.</p> - -<p>Monikas Liebe zu ihrem Bräutigam war in dieser kurzen Zeit noch -gewachsen, aber das hinderte sie nicht, genau zu wissen, daß sie kein -volles Ver<span class="pagenum"><a id="Seite_264"></a>[S. 264]</span>ständnis bei ihm fand. Wenn sie Gedanken äußerte, zu denen -sie sich nach heißem Ringen durchgekämpft, tat er das oft ab mit einem -lächelnden: „Du bist sehr jung, Liebling!“</p> - -<p>Und an Sachen, die Monika in Entzücken versetzten, konnte er oft „beim -besten Willen nichts finden“! Zum Beispiel an dem Gratulationsbrief von -Monikas ehemaliger Amme. Was war denn an diesem albernen, ungeschickten -Schriftstück, daß es bei Monika lachende und weinende Begeisterung -hervorrief?</p> - -<p>Die Liese schrieb:</p> - -<div class="blockquot"> - -<p class="mleft2">„Liebstes Monchen,</p> - -<p>da komme ich nun und wünsche Dir Gottes reichsten Segen auf alle -Zeit, indem, daß ich es mir ja auch nicht von Dir denken konnte, -daß Du, wie die olle Trübnersch gesagt hat, studieren sollst wie -ein Doktor.</p> - -<p>Weil das ja doch zu sündhaft und häßlich wär’ für ein -Frauensmensch, wie denn auch das Sprichwort sagt:</p> - -<p>„Den Mädchen, die pfeifen, den Hühnern, die kräh’n, den’ soll der -Teufel den Hals umdreh’n.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_265"></a>[S. 265]</span></p> - -<p>Aber natürlich habe ich es nicht geglaubt, mein trautstes Monchen, -und die olle Trübnersch ist ein Lügenmaul, das sage ich dreist, und -wenn sie jeden Tag bei die Muckersch in die kleine Kapelle geht.</p> - -<p>Na, denn hoffe ich, mein trautstes Monchen, daß es ein Forscher -ist, sowie dem Fräulein Marie ihr Mann, der gnädige Herr von -Hammerhof, der ist ja nu wohl viel zu hübsch für die lange Stange. -—</p> - -<p>Mein Fritzchen wird auch mal so einer, der läuft schon jetzt mit -die Mädchen rum und ist noch keine fünf Jahre alt.</p> - -<p>Die Ollsche, was die Tante vom Grün ist, ist ja nu gestorben, und -wir haben ein sehr schönes Begräbnis gemacht, Fladen, Branntwein -und alles.</p> - -<p>Mit meinem Grün is es nicht mehr so recht, zu alt, Monchen, zu alt. -Er hat das Reißen in alle Knochen, aber sonst ist es ja ein sehr -guter Mann.</p> - -<p>Zu Deine Hochzeit schicke ich Dir die Myrte, selbst gezogen, was Du -im vorigen Winter bei mir gesehen hast.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_266"></a>[S. 266]</span></p> - -<p>Und nu grüße Deinen Bräutigam und sage ihm, er kriegt was Schönes, -da er Dir heiratet.</p> - -<p>Es sendet Dir Gottes reichsten Segen</p> - -<p class="right mright2">Deine treue Liese.“</p> - -</div> - -<p>Wie gesagt, Wetterhelm fand das ja gewiß ganz nett von der alten -Person, aber Monikas Bewegtheit war doch übertrieben!</p> - -<p>Auch gab es manchmal kleine Reibereien, weil Monika irgendwelche -gesellschaftlichen Förmlichkeiten bei Besuchen oder Ausfahrten nicht -eingehalten.</p> - -<p>Wohl hatte das Impulsive ihrer Natur einen starken Reiz für Wetterhelm, -wohl bestand ein Teil ihrer Anziehungskraft für ihn gerade darin, aber -sobald diese Art irgendwie in der Oeffentlichkeit hervortrat, störte -sie ihn aufs schärfste.</p> - -<p>Schon ihre Manier, immer aus dem Wagen zu springen, ehe die Pferde -standen.</p> - -<p>Und dann ihre Haltung. Sie hatte immer etwas so eigentümlich Trotziges: -den Kopf ein bißchen vorgestreckt, die Ellenbogen lose, die linke Hand -zur Faust geballt. Es war förmlich eine Verteidigungs<span class="pagenum"><a id="Seite_267"></a>[S. 267]</span>stellung, die -nicht mit dem weichen Liebreiz ihrer siebzehn Jahre harmonierte. In -ihrer Sprechweise störte ihn oft ein gar zu kräftiges Wort oder ein -achselzuckendes: „<span class="antiqua">je m’en fiche</span>“, mit dem sie einen Vorwurf -abtat.</p> - -<p>Jedenfalls war Georg nicht ohne Besorgnis im Hinblick auf den Besuch, -bei dem er Monika seiner Mutter vorstellen wollte.</p> - -<p>An einem schönen Aprilmorgen fuhr die Baronin Birken und das Brautpaar -nach Gerbitz, dem Gute, das Frau von Wetterhelms Wohnsitz war, auf dem -sie mit ihrer einzigen unverheirateten Tochter Brigitte lebte.</p> - -<p>Bevor man zur Bahn fuhr, hatte Monika eine unangenehme, kleine Szene -mit ihrem Bräutigam gehabt, der ihre Frisur getadelt hatte.</p> - -<p>„Du hast mich doch sonst so immer hübsch gefunden.“</p> - -<p>„Gewiß, aber Mama ist etwas <span class="antiqua">vieux jeu</span>, lieber Schatz; ihr würde -das in die Stirn gebauschte Haar sicher nicht gefallen. Bitte, trage -heute die Stirn frei und die Haare möglichst glatt.“</p> - -<p>Monika machte ein ungezogen trotziges Gesicht, ging aber doch hinaus, -um eine Bürste zu holen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_268"></a>[S. 268]</span></p> - -<p>„Ich werde meine Frisur unter Deiner obrigkeitlichen Aufsicht -arrangieren, lieber Georg,“ sagte sie mit einem Anflug von Spott.</p> - -<p>Ein paar Bürstenstriche: „Ist es so gut?“</p> - -<p>„Aber Kind, da ist ja kaum was geändert, viel glatter, bitte.“</p> - -<p>„Also so?“</p> - -<p>„Noch immer nicht richtig.“</p> - -<p>Statt einer Antwort feuerte sie die Bürste auf die Erde. Georg erhob -sich. Er war sehr blaß geworden, und ehe noch Frau von Birken zu einer -Strafpredigt ansetzen konnte, sagte er: „Das war Deiner unwürdig, -Monika!“</p> - -<p>Nun fiel die Mutter ein, aber alles, was die auch vorbrachte, hatte -keine Wirkung auf Monika, gegenüber den paar Worten aus Georgs Munde.</p> - -<p>Sie kämpfte einige Augenblicke mit sich, dann aber ging sie auf ihren -Verlobten zu und sagte:</p> - -<p>„Du hast ganz recht, Georg, und ich bitte Dich um Verzeihung.“</p> - -<p>Ihre Frisur war wirklich von korrektester Einfachheit, als man in -Gerbitz eintraf.</p> - -<p>Zwei Stunden war man Eisenbahn gefahren, dann eine Stunde in -altmodischer Kalesche durch<span class="pagenum"><a id="Seite_269"></a>[S. 269]</span> märkischen Sand, dann kam man an dem -grauen Herrenhause an.</p> - -<p>Frau von Wetterhelm und ihre Tochter Brigitte begrüßten die Gäste.</p> - -<p>Georgs Mutter war eine imposant große Erscheinung, in der Mitte der -sechzig. Ihr Gesicht zeigte einen leidenden Ausdruck. War es doch -Krankheit gewesen, die der Anlaß dazu war, daß der Sohn ihr jetzt erst -seine Braut zuführte.</p> - -<p>Georg hatte innerlich gefürchtet, daß seine zukünftige Schwiegermutter -den Damen seiner Familie wenig gefallen würde; ihr wenig seriöses -Wesen, das Fehlen mütterlicher Würde in ihrem Aeußeren und ihr -Benehmen würde wahrscheinlich von seinen überaus korrekten Angehörigen -gemißbilligt werden.</p> - -<p>Zu seinem Erstaunen verstand sich Frau von Birken mit den Damen sehr -gut. Schon nach kurzer Zeit war man eifrig in das wichtige Thema -vertieft, welcher Zeitpunkt für das Einlegen von Johannisbeeren der -geeignetste sei.</p> - -<p>Dies und eine Reihe ähnlicher Gesprächsthemata schlugen eine Brücke -zwischen Monikas und zwischen Georgs Mutter. Als dann gar die -Dienstboten<span class="pagenum"><a id="Seite_270"></a>[S. 270]</span>frage aufs Tapet kam, erwärmte sich selbst Brigitte, deren -hagere Altjungfernfigur im schmucklos schwarzen Kleide wie aus Holz -geschnitzt erschien.</p> - -<p>Monika trug bei diesen Unterhaltungen eine geradezu unhöfliche -Unaufmerksamkeit zur Schau. Das lag ihr nicht... das alles hier lag -ihr nicht... Die Einrichtung, die bei aller Wohlhabenheit geschmacklos -puritanisch war, diese große, strenge Frau, zu der sie nun „Mama“ sagen -sollte, die unschöne Schwester... das alles verstimmte sie.</p> - -<p>Sie war ganz verärgert, besonders, als Georg ihre Bitte, ihr den Park -zu zeigen, abgeschlagen hatte.</p> - -<p>„Wir gehen nachher alle zusammen,“ sagte er.</p> - -<p>Bei dem Rundgang, den man nach dem Frühstück machte, wurde Monikas -Benehmen von den Wetterhelmschen Damen innerlich „lächerlich kindisch“ -gefunden; sie geriet in Ekstase vor den jungen Lämmern mit ihren -kurzlockigen Fellchen, sie kniete nieder, um sie an sich zu drücken; -sie war im Schweinestall außer sich vor Freude über die Ferkel mit -ihren rosa Körpern und den Ringelschwänzchen; sie hielt den Tieren -Reden, besonders dem Hofhund,<span class="pagenum"><a id="Seite_271"></a>[S. 271]</span> der gleich eine große Sympathie für sie -an den Tag legte:</p> - -<p>„O, was für ein guter Hund... Du bist ja sehr häßlich, mein armer -Kerl, und so gelb wie Eidotter bist Du, und aus gar keiner feinen -Familie... Nein, nicht mal Rasse hast Du... Aber Du bist doch gut, mein -Dickerchen! Ach, was für’n guter Hund! Und gut sein ist ja auch was -wert, wenn auch nicht so viel wie schön sein!“</p> - -<p>Da intervenierte Frau von Birken, sie legte die größtmögliche Strenge, -deren sie fähig war, in ihren Ton:</p> - -<p>„Monika, genug des Unsinns! Wir wissen ja, daß Du nur scherzest, aber -man soll auch im Scherz nicht sagen, daß Schönheit mehr ist als Güte! -Die Güte ist das Weltprinzip...“</p> - -<p>Brigitte drückte der Baronin ostentativ die Hand.</p> - -<p>„Aber Mama,“ rief Monika, schnell wie aus der Pistole geschossen, -„aber Mama! Du hast doch wohl schon Naturgeschichte gelesen und -Weltgeschichte und Entwicklungstheorien? Das Weltprinzip ist doch die -Grausamkeit, der ewige Kampf...“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_272"></a>[S. 272]</span></p> - -<p>„Lassen wir das doch,“ schnitt Georg ab; ein unmutiger Ausdruck lag -über seinem Gesicht, ihm war nicht entgangen, daß sich in den Zügen -seiner Mutter schärfste Mißbilligung bei Monikas Worten aussprach, daß -die Züge seiner Schwester förmlich vereisten in schroffster Ablehnung.</p> - -<p>Dann ging man nach der Fohlenkoppel hinüber, wo Monika versuchte, auf -die Fohlen hinaufzuturnen.</p> - -<p>„Zu schön ist’s auf dem Lande,“ sagte sie zu ihrem Bräutigam, als sie -ihn endlich „ein bißchen für sich“ hatte. „Die Tage von Sarkow, meine -Kinderjahre, sind mir so unvergeßlich. Am liebsten möchte ich mit Dir -auf ein Gut ziehen, Georg.“</p> - -<p>„Mir liegt das nicht,“ erwiderte der Konsul. „Gewiß ist Landwirt sein -auch ein schöner Beruf, in dem man seinem Vaterlande nützen kann, aber -ich kann in meinem Berufe Größeres wirken, Besseres für Deutschland -tun.“</p> - -<p>Monika stürzte sich mit Feuereifer auf diese neue Anregung.</p> - -<p>„Ja, da hast Du auch ganz recht! Ich werde mal eine tadellose -Botschafterin!“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_273"></a>[S. 273]</span></p> - -<p>„Na, na, man immer sachte mit den jungen Pferden.“</p> - -<p>„Und wir bekommen einen historischen Palazzo als Dienstwohnung, weißt -Du, sowas in Spätrenaissance, und ich gebe jeden Abend Empfänge, wo -lauter Fürsten und Genies sind, <span class="antiqua">crème de la crème</span>, weißt Du?... -Und ich trage ein himmelblaues, silbergesticktes Kleid und furchtbar -viel Orden in Brillanten. Als Botschafterin bekomme ich doch Orden, -nicht wahr? Und ich trage ein Perlcollier für eine Million. Das muß -ich von meiner Schwiegermutter geerbt haben. ‚Das Kollier meiner -Schwiegermutter‘ finde ich sehr stilvoll.“</p> - -<p>„Ach, Kind, hör’ bloß mit dem Unsinn auf. Und nimm Dich zusammen vor -Mama und Brigitte. Korrekt, mein kleiner Schatz, korrekt!“</p> - -<p>Beim Mittagessen wirkte diese Ermahnung noch so nach, daß sie wie ein -braves Schulkind dasaß.</p> - -<p>Aber nach Tisch, als sich die Damen zum Nachmittagsschlaf zurückgezogen -und Monika mit ihrem Bräutigam durch den Park ging, verjagte die -goldene Aprilsonne bald ihre mühsam bewahrte Gemessenheit.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_274"></a>[S. 274]</span></p> - -<p>Konnte man denn ruhig bleiben, wenn die Blattknospen gar so ungestüm -aus ihren Hüllen drängten, wenn die Hyazinthen auf den Frühbeeten mit -tiefen Farben prangten wie Edelstein: rubinrot, diamantenweiß und blau -wie Saphir! Ach — und alle diese Blütenglocken sandten süße Duftwogen -in die herbe deutsche Luft. In den Aesten lärmten und lockten die -Vögel, schrien, weil der Frühling da war und die Liebe...</p> - -<p>Konnte man denn ruhig bleiben, wenn man einen so süßen, geliebten, -schönen, guten Bräutigam hatte?</p> - -<p>Das fragte Monika Georg von Wetterhelm.</p> - -<p>Und er lachte zärtlich, immer aufs neue besiegt von ihrem wilden -Charme. —</p> - -<p>Die Vesperstunde vereinigte alle wieder um den runden Tisch im Eßzimmer.</p> - -<p>Frau von Wetterhelm war Monika gegenüber aus ihrer ursprünglichen -Freundlichkeit in eine gewisse Reserviertheit übergegangen. Sie fand: -es war eigentlich eine fabelhafte Idee von Georg, ein so unbändiges, -junges Ding heiraten zu wollen. Seiner sonstigen Wesensart war das -so unähnlich,<span class="pagenum"><a id="Seite_275"></a>[S. 275]</span> er war doch immer ein so tadellos vernünftiger Mensch -gewesen.</p> - -<p>„Georg hat mir nie Sorgen gemacht,“ erzählte sie an diesem Nachmittag. -Ja, er war immer ein lieber, vernünftiger Sohn gewesen, körperlich und -geistig gut beanlagt. Er war nie krank gewesen, er war immer unter -den besten Schülern seiner Klasse. Alles in seinem Leben war wie am -Schnürchen gegangen. Das Abiturium, die späteren Examina, die Ernennung -zum Leutnant der Reserve, sein Avancement bei den Garde-Ulanen. Und -seine Beamtenkarriere würde eine glänzende sein, das sagten alle, und -sie hoffe nur, Monika würde ihren zukünftigen Gatten „voll und ganz zu -würdigen verstehen“!</p> - -<p>„Na und ob!“ schmetterte Monika so überzeugt heraus, daß alle drei -Damen ihr verweisende Blicke zusandten.</p> - -<p>„Hoffentlich habe ich mit meiner Schwiegertochter ebenso viel Glück wie -mit meinen Kindern,“ fuhr Frau von Wetterhelm nicht ohne eine gewisse -Anzüglichkeit fort, „ja, auch Brigitte hat mir nur Freude gemacht.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_276"></a>[S. 276]</span></p> - -<p>Monika warf einen erstaunten Blick auf die schwarzgekleidete, hagere -Dame, welche sie im stillen „die hölzerne Jungfrau“ getauft hatte.</p> - -<p>„Ja, Brigitte ist immer tätig und häuslich gewesen,“ lobte die Herrin -des Hauses weiter. „Mein lieber Mann starb ja so früh — Georg kam -naturgemäß bald aus dem Hause — da war Brigitte das Einzige, was mir -blieb. — Wie hat sie mich gepflegt in meinen vielen Krankheiten. -Brigitte ist die geborene Krankenschwester! Und sie hat es nie übers -Herz gebracht, mich zu verlassen, auch damals nicht, vor nunmehr -zwanzig Jahren, als Herr von Lodringen um sie anhielt.“</p> - -<p>„Aber Mama!“ Ein schwaches Rot war in Brigittes welke Wangen gestiegen, -mit einer nervösen Gebärde strich sie sich über den glatten, -graublonden Scheitel.</p> - -<p>„Meine liebe Tochter, warum sollte ich nicht von Deiner aufopfernden -Kindesliebe sprechen, von Deinem edlen Pflichtgefühl? Unsere kleine -Monika kann daraus nur Gutes lernen! Ja, also als Lodringen um Brigitte -anhielt, wies sie ihn ab, obwohl sie ihn sehr gern hatte und obwohl er -eine<span class="pagenum"><a id="Seite_277"></a>[S. 277]</span> durchaus passende Partie war. Wies ihn ab, weil sie mich nicht -verlassen wollte.“</p> - -<p>Brigitte sagte nichts. Ein Seufzer hob ihre Brust.</p> - -<p>„Ach...,“ rief Monika, ungläubig erstaunt.</p> - -<p>Frau von Wetterhelm fuhr fort: „Lodringen stand in Westfalen, und ich -konnte natürlich nicht daran denken, mit in jene Garnison zu ziehen. -Was hätte dann hier aus dem Gute werden sollen? Und so blieb Brigitte -bei mir, mein aufopferndes Kind, als die Stütze meines Alters...“</p> - -<p>Frau von Birken hatte vor Rührung Tränen in den Augen.</p> - -<p>„Wie entzückend, wie heroisch geradezu, sein eigenes Lebensglück -hinzugeben, um der Mutter Trost sein zu können! Diese echt weibliche -Entsagung! Da siehst Du, Monika, was für junge Mädchen es auf Gottes -Welt gibt!“</p> - -<p>„Aber das ist doch ein maßloser Unsinn,“ rief Monika heftig, mit -sprühenden Augen; in ihrer Erregung bemerkte sie nichts von dem -förmlich lähmenden Entsetzen, das ihr Ausruf bei der Tafelrunde -hervorgerufen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_278"></a>[S. 278]</span></p> - -<p>„Ja, ein offenbarer Unsinn,“ stürmte sie weiter, „ein lebendiges, -warmes Liebes- und Lebensglück zu opfern aus töchterlichem -Pflichtbewußtsein! Man lebt doch nicht für seine Mutter!“</p> - -<p>Sie brach ab, erschreckt über das Verhalten ihres Bräutigams, der zu -seiner Mutter getreten war. Er beugte sein erblaßtes Gesicht über die -alte Frau und sagte, indem er wie beschwörend seine Hand auf ihren Arm -legte:</p> - -<p>„Hör’ nicht hin, Mama, sie meint es nicht so. Sie ist noch so sehr -jung.“</p> - -<p>Die böse Stimmung, die dieser Zwischenfall hervorgerufen, hielt an. Die -Wetterhelmschen Damen brachten kaum ein Wort mehr über die Lippen.</p> - -<p>Gut, daß Frau von Birkens Redefluß auch bei dieser Gelegenheit nicht -versiegte. Ihre Begabung, über die nichtigsten Dinge sehr viel zu -reden, war ihrem zukünftigen Schwiegersohne zum erstenmale eine Freude. -So herrschte wenigstens nicht dauernd Stillschweigen.</p> - -<p>Mit dem Abendzuge fuhr man fort. Auf der Rückfahrt berührte Wetterhelm -mit keinem Worte den Vorfall, der ihm tiefgehenden Eindruck gemacht.<span class="pagenum"><a id="Seite_279"></a>[S. 279]</span> -Bei seiner langsam denkenden Art wollte er erst mit sich selbst ins -Reine kommen, ehe er mit Monika sprach.</p> - -<p>Die fühlte zwar, daß sie auf Georgs Angehörige keinen allzu günstigen -Eindruck gemacht, aber sie nahm das ganze nicht wichtig.</p> - -<p>Sie wurde auch dadurch abgelenkt, daß sie zu Hause die Korrekturbogen -ihres neuen Gedichtzyklus fand.</p> - -<p>Dieser Zyklus, der eine Ueberraschung für ihren Bräutigam sein sollte, -war für die nächste Nummer des „Leuchtturm“ bestimmt.</p> - -<p>„An Georg“ hieß die Ueberschrift dieser sechs Gedichte, deren eines -das andere an klingenden Worten und leidenschaftlichen Empfindungen -übertraf.</p> - -<p>Monika war von ihrem eigenen Werke erschüttert, als sie die -Korrekturbogen las. Ihr schienen diese Gedichte wie sechs voll erblühte -Rosen, farbenflammend, duftsprühend... und die Dornen, die sonst Rosen -tragen, hatte sie ihnen abgebrochen mit zärtlichen Fingern. Dornenlose -Rosen waren’s nun, lauter Liebe und Leidenschaft und heißes, heißes -Glück!</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_280"></a>[S. 280]</span></p> - -<p>Eine heftige Ungeduld erfaßte sie plötzlich, Georg schon jetzt diese -Verse zu senden. Nicht, wie sie sich vorgenommen, erst am nächsten -Mittwoch, wenn das neue Heft des Leuchtturms erschienen war.</p> - -<p>Sie schrieb ein paar Zeilen, kuvertierte diese und die Druckbogen und -schrieb mit ihrer weitausladenden, arroganten Handschrift die Adresse -ihres Verlobten.</p> - -<p>Dann rannte sie fort, um den Brief selbst in den Kasten zu tragen; sie -ließ Briefe an Georg nie durch jemand anders besorgen.</p> - -<p>Sie schlief nicht viel in dieser Nacht; immer wieder mußte sie daran -denken, wie Georg sich wohl freuen würde, wenn er diese glühenden -Liebesgeständnisse las und durch ihre Zeilen erfuhr, daß er es nicht -allein war, der diese Gedichte las, sondern daß Tausende von anderen -Menschen, von mitfühlenden, mitvibrierenden anderen Menschen es lesen -würden — — —</p> - -<p>„An Georg“.</p> - -<p>Nun, bald würde sie ja wissen, wie sehr er sich gefreut. Er kam ja -morgen zum Abendbrot — — nein, nicht morgen. Heute! Es hatte ja eben -schon zwei geschlagen durch die stille Nacht.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_281"></a>[S. 281]</span></p> - -<p>Erst als es hell wurde, schlief Monika ein.</p> - -<p>Der Tag ging hin, wie jetzt alle Tage hingingen: in Erwartung ihres -Bräutigams.</p> - -<p>Als sie sich eben für den Abend umgezogen hatte, kam Georgs Diener -mit einem Briefe von ihm, den er Auftrag hatte, dem gnädigen Fräulein -selbst zu übergeben.</p> - -<p>Monika schloß sich mit dem Schreiben ins Schlafzimmer ein; sie wußte, -daß man sie sonst doch nicht bei der Lektüre ungestört ließ.</p> - -<p>Und sie las:</p> - -<div class="blockquot"> - -<p class="mleft2">„Liebe Monika,</p> - -<p>es wird mir unendlich schwer, Dir diese Zeilen zu schreiben. Ich -habe schwer mit mir gekämpft seit gestern abend. Nach reiflicher -Ueberlegung aber halte ich es nun doch für besser, Dir zu sagen: -wir passen nicht zueinander. Ich bin weit entfernt davon, die -wundervollen Geistes- und Körpereigenschaften zu verkennen, mit -denen die Natur Dich überschüttet hat. Aber Du hast Grundsätze, -Anschauungen, Prinzipien, die für <em class="gesperrt">meine</em> Frau unmöglich sind!</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_282"></a>[S. 282]</span></p> - -<p>Ich habe das zuerst alles für Kindereien gehalten, aber wie Du -gestern meiner alten Mutter ins Gesicht hinein erklärtest, daß das -hohe Liebeswerk, das meine Schwester an ihr getan, „barer Unsinn“ -sei, das gab mir einen Choc, den ich nicht überwinden kann.</p> - -<p>Dann kam Dein Brief — — — Die Verse sind gewiß sehr schön -und talentvoll, aber für ein junges Mädchen wenig passend. Die -Tatsache, daß Du sie veröffentlichen willst, entspringt einem mir -geradezu unbegreiflichen Mangel an Zartgefühl.</p> - -<p>Wie kann man so intime Empfindungen der großen Menge preisgeben, -sie der höhnischen Kritik jedes Uebelwollenden aussetzen. Wie -kann man Gefühle, die in das tiefste Dunkel Deines Mädchenherzens -gehören, an das grelle Licht der Oeffentlichkeit zerren?! — —</p> - -<p>Aber genug von alledem!</p> - -<p>Mit tiefem Schmerze reiße ich mich los von Dir in der Erkenntnis, -daß unsere beiden Naturen zu grundverschieden sind, um je in eine -harmonische Ehe zu verschmelzen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_283"></a>[S. 283]</span></p> - -<p>Ich sage Dir brieflich Lebewohl, weil ich weiß, daß ich dem Zauber -Deiner Gegenwart doch nicht widerstehn kann. Du bist die Erste, -bei der mein Gefühl stärker war als mein Verstand. Ich weiß und -fühle, daß diese Schwäche Dir gegenüber für mein ganzes künftiges -Leben eine Gefahr bedeutet, eine Gefahr hauptsächlich darum, weil -Du Deinen ganzen Anschauungen nach mich oft zu Handlungen und -Unterlassungen wirst veranlassen wollen, die meiner innersten Natur -widerstreben.</p> - -<p>Lebe wohl, mein geliebter kleiner Schatz.</p> - -<p class="right mright2">Georg.“</p> - -</div> - -<p>Monikas Hand, die den Brief gehalten, sank schwer herunter. Ihr wirrer -Blick traf zufällig auf den Spiegel, vor dem sie gestanden. Und dieser -Blick wurde allmählich bewußt, erkannte das Spiegelbild, und wie ein -grenzenloses Erstaunen ging es ihr durch den Kopf: „Herrgott, kann man -denn überhaupt so blaß sein?!“</p> - -<p>Einige Sekunden lang irrte ihr Sinn noch herum wie ein Vogel, den die -Kugel traf, der ängstlich flattert mit zuckenden Flügelschlägen und -dann plötz<span class="pagenum"><a id="Seite_284"></a>[S. 284]</span>lich, sich des Schmerzes bewußt werdend, aufschreit und -niederstürzt.</p> - -<p>Und dann Nacht...</p> - -<p>Eine tiefpurpurne Finsternis, aus der sich die Sinne nur langsam und -qualvoll allmählich wieder zum Bewußtsein ringen.</p> - -<p>Das... das war doch nicht möglich! Das war doch nicht denkbar... nein, -nicht auszudenken, daß diese Liebe, die strahlende Sonne, die ihr -ganzes Leben erleuchten und erwärmen sollte, nur ein Irrlicht war, das -eine flüchtige Sekunde aufschimmerte und dann versank...</p> - -<p>Nein, nicht möglich! Und doch? Was stand da in dem Briefe? In dem -Briefe, der ihren Fingern entglitten war, den sie nun vom Boden -emporriß und von neuem las?</p> - -<p>Und noch einmal...</p> - -<p>Und wieder...</p> - -<p>Sie verwundete sich an jedem Worte mit der wahnsinnigen Schmerzensgier -einer Märtyrerin, die sich immer von neuem Dolchspitzen in ihr -schauderndes Fleisch bohrt.</p> - -<p>Und dann — wie eine Eingebung — leuchtete in dem wirren Toben ihrer -Empfindungen plötzlich ein<span class="pagenum"><a id="Seite_285"></a>[S. 285]</span> Gedanke auf, wie das klare Licht eines -Leuchtturms im Dunkel einer sturm- und wogendurchtobten Nacht:</p> - -<p>Handeln jetzt! Nicht tatenlos zusehn, wie ihr Glück zerbrach!</p> - -<p>Ihre Pupillen erweiterten sich, brannten wie schwarze Flammen in ihrem -tieferblaßten Gesicht.</p> - -<p>Ihre Hände ballten sich zusammen, krampften sich zu Fäusten, als wollte -sie das Glück festhalten, — das Glück!</p> - -<p>Handeln jetzt! Zu ihm!</p> - -<p>Wie stand es doch in diesem Brief, von dem jetzt jedes Wort in ihrem -Gehirn eingegraben stand wie mit ehernen Lettern?</p> - -<p>„Daß ich dem Zauber Deiner Gegenwart doch nicht widerstehn kann“.</p> - -<p>Dem Zauber... meiner... Gegenwart...</p> - -<p>Mit Gedankenschnelle hatte sie den Hut in die Haare gedrückt.</p> - -<p>Und die Treppe hinunter.</p> - -<p>Sie hielt die nächste Auto-Droschke an, rief dem Chauffeur die Adresse -zu.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_286"></a>[S. 286]</span></p> - -<p>Das Auto glitt über den Asphalt, ziemlich langsam, denn ein grauer -Regen rieselte leise über Berlin, hüllte die Riesenstadt in einen -dünnen Tropfenschleier.</p> - -<p>An Monikas Augen glitten die steinernen Häusermassen vorbei, das -Gelbrot der Gaslaternen und das bläulich-schimmernde Licht der -elektrischen Lampen leuchtete in kurzen Zwischenräumen immer wieder auf.</p> - -<p>Leute kamen vorüber... Automobilhupen tönten, Hufschlag, — — das -schrille Klingeln der elektrischen Bahnen.</p> - -<p>Monika sah und hörte das alles, aber es kam ihr nichts ins Bewußtsein.</p> - -<p>Sie fühlte auch keinen Schmerz.</p> - -<p>Sie sah und hörte und fühlte nichts als ihr Ziel: das Glück -wiederhaben... das Glück...</p> - -<p>Das Auto hielt, sie stieg aus, bezahlte den Chauffeur und ging die -Treppe hinauf zu der Wohnung von Georg von Wetterhelm.</p> - -<p>Der Diener vermochte trotz seiner Wohlgeschultheit nicht seine -Ueberraschung zu verbergen. Er stotterte, daß der gnädige Herr -ausgegangen sei.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_287"></a>[S. 287]</span></p> - -<p>„Wann kommt er zurück?“</p> - -<p>„Ich weiß nicht, gnädiges Fräulein.“</p> - -<p>„Gleichgültig. Ich werde ihn hier erwarten.“</p> - -<p>Sie schritt den Korridor entlang und öffnete die Tür zu Georgs -Arbeitszimmer. Sie kannte den Weg von dem Male her, als Georg sie und -die Mama und die Brüder zum Tee eingeladen.</p> - -<p>Mit was für anderen Gefühlen als heute hatte sie da in dem Gemache -gestanden, dessen strenge, vornehme Einrichtung so überaus gut zu -Georgs Wesen und Sein paßte.</p> - -<p>Sie setzte sich in den grünen Ledersessel und wies kurz den Diener -zurück, der eintrat, um Licht zu machen.</p> - -<p>Sie starrte mit brennenden Augen in das Dunkel ringsum, das nur matt -erhellt war von dem Schein der Straßenlaternen, der von draußen durch -die Gardinen fiel.</p> - -<p>Sie überlegte nicht, was sie Georg sagen wollte, wenn er kam, sie -dachte nur: das Glück wiederhaben ... das Glück...</p> - -<p>Leise, leise schlug der Regen an die Scheiben. Sie hörte jede Sekunde -das Ticken der großen<span class="pagenum"><a id="Seite_288"></a>[S. 288]</span> Standuhr, hörte jede Viertelstunde ihr dumpfes -Schlagen.</p> - -<p>Sie wußte nicht, wieviel Zeit verstrichen war. Ihr war es, als sei sie -schon endlos in dieser weichen Dunkelheit. Da hörte sie einen Schlüssel -in der Korridortüre.</p> - -<p>Schritte näherten sich dem Zimmer — dann das Knipsen am Schalter des -elektrischen Lichts — eine grelle Helligkeit, die das Dunkel zerriß, -— — und Georgs Aufschrei:</p> - -<p>„Du hier?“</p> - -<p>Sein Gesicht war ihr nie so ehern erschienen wie jetzt.</p> - -<p>„Du hättest das nicht tun dürfen, Monika! Warum machst Du’s uns beiden -so schwer?“</p> - -<p>„Georg...,“ würgte sie hervor.</p> - -<p>„Kind, es ist mir so schon schwer genug geworden. Aber es ist besser -so für uns beide. Ich werde mich nie in Deine Art fügen lernen, und Du -Dich in meine auch nicht!“</p> - -<p>Sie trat näher zu ihm heran.</p> - -<p>„Aber ich will ja alles, was Du willst! Ich will ja werden, wie Du -willst... glaub’ mir das! In<span class="pagenum"><a id="Seite_289"></a>[S. 289]</span> alles kann ich mich fügen... unserem -Glück zuliebe!“</p> - -<p>Ihre Stimme, die fast versagt hatte, wurde fester; wie ein Feuer, das -zuerst nur zögernd knistert und hie und da einen Funken aufleuchten -läßt, bis es allmählich zur Glut wird, und zur flammenden Lohe dann -— so wuchs ihre Rede. Wuchs über sie empor und über ihn, wurde das -Hohelied von der Liebe — von der Liebe, die stark ist wie das Leben, -stark ist wie der Tod — —!</p> - -<p>Sie wußte selbst nicht, woher ihr die Worte kamen. Sie wußte nicht, -woher sie den Mut und die Kraft nahm, ihm all das zu sagen, den letzten -Schleier von ihrem Seelenleben zu ziehen, ihn alle Höhen und alle -Tiefen der Liebe schauen zu lassen, der Liebe, die sie zu ihm trug...</p> - -<p>Das waren nicht bloß Worte, die da auf ihn eindrangen und an sein -kühles Herz klopften. Das war, als ob Monikas ganzes Sein sich auflöste -in einen Strom, der zu ihm hinüberdrang, glühend und besiegend ...</p> - -<p>Wie von selbst breiteten sich seine Arme auseinander und schlossen sich -um das Mädchen, das<span class="pagenum"><a id="Seite_290"></a>[S. 290]</span> sich mit einem unartikulierten Laut an seine Brust -warf.</p> - -<p>„Georg, — — Georg — — hast Du mich lieb?“</p> - -<p>„Zu sehr, mein kleiner Schatz, zu sehr — —“</p> - -<p>Er preßte seine Lippen auf ihren Hals und wie ein Stöhnen klang’s: „Ich -komme ja doch nicht mehr von Dir los.“</p> - -<p>Da hob sie den Kopf, und ihr Gesicht glühte von Liebe und glühte von -Güte, von holdseliger, weiblicher Güte:</p> - -<p>„Und Du sollst das nicht bereuen, mein Lieb! Ich will mich ja bessern, -will mich ja nach Deinen Wünschen formen, — in allem... unserem Glück -zuliebe...!“</p> - -<div class="figcenter illowe10" id="kapitelende9"> - <img class="w100" src="images/kapitelende.jpg" alt="Ende des Kapitels" /> -</div> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_291"></a>[S. 291]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="Kapitel_10">10.</h2> - -</div> - -<div class="dc" id="p291initial"> - <img class="illowe6" src="images/p291initial.jpg" alt="E" /> -</div> - -<p class="p0"><span class="initial">E</span>ine scharfe Brise kräuselte des Mittelländischen Meeres blaues -Wasser, aber der große Dampfer zog ruhig und sicher weiter seine -tiefaufwühlende Furche.</p> - -<p>Es waren wenig Passagiere auf Deck. Außer ein paar Engländern, die -mit hochgeklapptem Rockkragen, die Mütze tief in der Stirn und die -Stummelpfeife zwischen den Zähnen herumspazierten, nur Georg von -Wetterhelm mit seiner Frau.</p> - -<p>Monika hatte den Sturmriemen ihrer Mütze heruntergezogen und ließ sich -den Wind ins Gesicht wehen. Sie sah so strahlend glücklich aus, daß des -Konsuls harte Züge ein Schimmer von Zärtlichkeit überflog.</p> - -<p>„Du bist schon ein liebes Kerlchen, Mone! — Wie viele Frauen würden -jammern über das schlechte Wetter, das wir bisher hatten.“</p> - -<p>„Aber, Georg, das Wetter war doch großartig.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_292"></a>[S. 292]</span></p> - -<p>Er lächelte. „Na, Liebchen, seit den zwölf Tagen, die wir verheiratet -sind, ist noch kein Tag ohne Regen gewesen. — Schade! Ich hatte mir -diese Seereise so nett gedacht.“</p> - -<p>„Aber sie ist doch entzückend! Weißt Du, es soll so viele Leute -geben, die in der Phantasie wer weiß wie sehr genießen und von der -Wirklichkeit enttäuscht sind! Das ist doch zu dumm... Ich habe es mir -ja gewiß immer wunderschön gedacht, mit Dir verheiratet zu sein, aber -daß es so über alle Begriffe schön ist, das habe ich nicht gewußt!“</p> - -<p>Er zog sie an sich und küßte das junge Gesicht, auf dem der kühle Hauch -des Meeres lag.</p> - -<p>„Und zu denken, daß dieses Glück nicht aufhört, Georg, — daß ich jetzt -immer bei Dir sein darf, immer... und mit Dir zusammen die herrliche -Welt sehn soll — — — —“</p> - -<p>Ein tief erzitternder Atemzug hob ihre Brust, als könne sie das -Uebermaß von Glück nicht fassen.</p> - -<p>Der Konsul hatte sich seine Hochzeitsreise „vernünftig gelegt“. Er war -nach Bombay berufen, hatte noch sechs Wochen Urlaub; in Genua wollte -man eine Zeit Aufenthalt nehmen, von da nach Rom und Neapel und von da -aus zu Schiff weiter.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_293"></a>[S. 293]</span></p> - -<p>Die Schiffsreise Hamburg-Genua war durch schlechtes Wetter getrübt -worden. Als aber der Dampfer sich dem langgestreckten Hafen von Genua -näherte, zerriß der Wolkenschleier am Himmel, und eine strahlende -Sonne überflammte Genua <span class="antiqua">la superba</span>, das sich im mächtigen Halbkreis -auf den steil ins Meer abfallenden Bergen erhob. Die stolze, uralte -Hafenstadt mit dem Gewirr ihrer Gassen und Märkte, mit ihren ragenden -Marmorpalästen war ganz in Sonne getaucht und in Sommer. Maiblüten über -grauen Mauern bedeckten vielhundertjährigen Marmor mit jungem Leben.</p> - -<p>Wenn Monika mit ihrem Gatten durch diese Stadt schritt, wenn sie -mit ihm die Treppe zum Dogenpalast betrat oder im Palazzo Rosso vor -einem Reiterbildnis von van Dyck stand oder vor Veroneses „Judith und -Holofernes“, wenn sie im Boot zu dem Molo Duca di Galliera fuhr, von wo -aus man die trotzige Stadt und das trotzige Gebirge in seiner ganzen -wilden Schönheit sah, dann fühlte sie: das ist ein Höhepunkt!</p> - -<p>Und sie hätte dann der Zeit wie einem allzu feurigen Renner zuschreien -mögen: „Halt an!“ Es konnte ja nicht mehr schöner werden!</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_294"></a>[S. 294]</span></p> - -<p>Und doch wurde es noch schöner. Als sie die kleine Villa fanden, droben -in San Lorenzo.</p> - -<p>Auf einer Spazierfahrt hatten sie sie gesehn, hatten sie, angelockt -durch das Vermietungsplakat, besichtigt, und Monika hatte erklärt, daß -sie gern auf Rom, Neapel und alle übrigen Städte des gesegneten Italien -verzichten wolle, wenn Georg für den Monat, der ihnen noch an Urlaub -blieb, dieses kleine Haus mieten wolle mit seiner großen Terrasse, mit -seinem herrlichen Garten über dem Meer.</p> - -<p>Georg hatte gezögert. Eigentlich gehörte es zu seinem „Programm“, -seiner jungen Frau die Kunstschätze Italiens zu zeigen, aber Monika -hatte so herzbewegend gebeten und das Haus war so hübsch, daß er -einwilligte. Ueber die Mangelhaftigkeit der italienischen Dienstboten, -die man für den Monat nahm, kam er zwar nicht so leicht hinweg, — auch -sonst gab es manches zu tadeln, — aber alles in allem fühlte auch er: -meines Lebens schönste Zeit!</p> - -<p>Sein kühles Herz blühte auf in der heißen Liebe, mit der seine Frau ihn -umgab. Seine nüchternen Sinne wurden angeregt durch ihre sprühende Art, -ihre stürmische Begeisterung.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_295"></a>[S. 295]</span></p> - -<p>Jeder Tag war eine Kette von Wundern.</p> - -<p>Jeder Morgen kam wie ein junger Sieger.</p> - -<p>„Helios!“ sagte Monika, „der junge Sonnengott, der auf seinem goldenen -Wagen einherkutschiert, die Zügel zwischen den Fäusten. Die mächtigen -Pferde schäumen in ihr goldenes Gebiß und bäumen sich hochauf... -Aber das tut ihm nichts... Er ist der Sonnengott, er ist der Sieger! -Und da fährt er nun durch den Azur und verschwendet Sonne, vergeudet -Sonne. Ach, in unserm armen Deutschland müssen wir einen halben Winter -damit haushalten, was der hier an einem Maimorgen ausgibt! — — -Jetzt verstehe ich erst den Sonnenkultus, verstehe alle die Völker, -die Perser und Lydier und Phrygier und Griechen und Römer, die sich -anbetend niederwerfen vor dem Leuchtenden da droben!“</p> - -<p>Sie streckte die Arme hoch, in einer spontanen Gebärde, zur Sonne -empor. — —</p> - -<p>Dann ging man wohl mitunter an den Bergabhängen entlang, die hinunter -nach Genua führten. Von den Kräutern, die an den Felsabhängen standen, -ging ein herber und süßer Duft aus. Die Sonne drang mit Gewalt in sie -hinein, in alle diese<span class="pagenum"><a id="Seite_296"></a>[S. 296]</span> spröden amethystfarbenen und silbergrauen und -weißen Kräuter mit den stacheligen Blättern; sie drang in sie hinein -und sog ihnen den Duft aus den Kelchen. Und neben der harten Bergwelt, -neben all diesem Gewucher von Minze, Ginster und Heidekraut lockte die -weiche, sinnliche Pracht der Rosen.</p> - -<p>Und Olivenbäume bedeckten in unzähligen Mengen alle Berge, alle -Schluchten; ihre Milliarden schmaler Blätter schoben sich wie -silbergraue Schleier vor die Aussicht, und durch diese Blätternetze -hindurch sah man das Meer, das blaue Juwel. Auf den Segeln der -träumerisch dahingleitenden Schiffe blitzte die Sonne wie in einem -Brennspiegel. — —</p> - -<p>Oder war es noch schöner, wenn die Sonne schon untergegangen?</p> - -<p>Der Himmel zeigte dann noch purpurrote Streifen. Die tönten sich ab in -Violett, das in Veilchenblau überging, und, tiefer hin immer blasser -werdend, zeigte der Himmel da, wo er mit dem Meere zusammenstieß, -denselben durchsichtig blaßblauen Ton wie das Wasser, verschmolz in -eins mit ihm in zärtlicher Umarmung.</p> - -<p>Die riesigen Fischernetze waren lang über den Strand hingebreitet, -sorgsam auseinandergezogen,<span class="pagenum"><a id="Seite_297"></a>[S. 297]</span> daß man das Gitterwerk ihrer Maschen -sah, — ihre tief rotbraune Farbe gab einen düsteren Ton in diesem -Zusammenklingen von leuchtenden und hellen Farben.</p> - -<p>„O dieses Rotbraun, — — das ist so richtig eine Farbe für -Mordwerkzeuge,“ sagte Monika, „wie geronnenes Blut sieht es aus, so -richtig eine Farbe für diese Netze, in denen sich Tag für Tag Hunderte -und Tausende von lebendigen Fischen verstricken, um so qualvoll zu -sterben.“</p> - -<p>Durch den flammenden Horizont taumelte im Zickzackflug eine Fledermaus, -gefolgt von dem werbenden Männchen.</p> - -<p>Unten auf der Straße, die sich hart am Meere dahinzog wie ein endloses -weißes Band, glitten auf Gummirädern ein paar Automobile vorüber. Ein -paar Sekunden lang zerriß der gellende Schrei der Hupe den Abendfrieden -— dann waren sie vorüber.</p> - -<p>Von dem alten Glockenturm herunter klang das Ave.</p> - -<p>Und der brennende Horizont wurde blasser, wurde farblos wie eine Blume, -die verblüht.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_298"></a>[S. 298]</span></p> - -<p>Langsam sank die Nacht über die Erde.</p> - -<p>Der Mond, der während des Sonnenunterganges blaß am Himmel gestanden, -leuchtete plötzlich auf. In dieser Beleuchtung war der Garten ein -anderer, als er am Tage gewesen. Die Stämme der Palmen mit ihren -dunkeln Schuppen sahen aus wie die höckrigen Panzer bösartiger Reptile. -In den blanken Blättern des Tulpenbaums spiegelte sich das Mondlicht -am gleißendsten. Jedes dieser dunkeln Blätter war wie ein Spiegel aus -Metall. Und die Stauden der weißen Levkoien, die so hoch und breit -waren, daß sie wie Büsche erschienen, trugen ihre Last von ungezählten -Blüten wie Millionen Silbersternchen. Die Heliotropbüsche blieben -dunkel; ihre Blüten, die am Tage von einem süßlichen Violett waren, -nahmen nichts von Licht in sich auf. Sie schienen nun schwarz, fast -farblos, aber sie dufteten nur um so stärker und sandten ganze Wogen -von Wohlgeruch in die Luft.</p> - -<p>Und Mondlicht über dem allen, verschwenderische Wellen von Mondlicht -über der See, über dem Garten, — in allen Räumen des Hauses. Das -Schlafzimmer mit seinen weißen Möbeln gleißte wie Silber.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_299"></a>[S. 299]</span></p> - -<p>Und Monika war es, als ob die schweigende Welt ringsum einen Hymnus -anstimmte, einen Jubelhymnus auf ihr Glück. Diese überirdischen -Tonwellen drangen auf sie ein, durchschauerten sie mit einer -schmerzhaften Intensität. Fester preßte sie sich in Georgs Arme. Ein -Schluchzen hob ihre Brust.</p> - -<p>„Was ist Dir?“ fragte er erstaunt.</p> - -<p>„Zu glücklich bin ich!“</p> - -<p>„Das ist doch keine Ursache zum Weinen.“</p> - -<p>„Doch! Denn ich sage mir: schöner kann es doch nun aber ganz sicher -nicht mehr werden! Noch höher hinauf geht es nicht. Kommt nun ein -Abstieg? — — Ich muß an ein paar Verse denken:</p> - -<div class="poetry-container"> -<div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent2">‚Sag’ nicht, daß Du mich liebst.</div> - <div class="verse indent2">Ich weiß, das Schönste auf Erden,</div> - <div class="verse indent2">Die Liebe und der Frühling,</div> - <div class="verse indent2">Es muß zuschanden werden — —‘“</div> - </div> -</div> -</div> - -<p>Sie sah in diesem Augenblick den Abgrund, der alles verschlang, sah -der Vergänglichkeit weitgeöffneten Höllenschlund, — und mit einer -schutz<span class="pagenum"><a id="Seite_300"></a>[S. 300]</span>suchenden und verzweifelten Gebärde klammerte sie die Arme -fester um Georgs Hals.</p> - -<p>„Mone, Du bist überreizt. Sicher heut zu lange in der Sonne gewesen. Du -bist doch sonst nicht so sentimental.“</p> - -<p>Da sanken ihre Arme herab: also er verstand gar nicht? „Sentimental“ -nannte er ihr trotziges Aufbäumen gegen den Verfall. „Sentimental“ -diese schauernde Angst der blutroten Lebenswärme gegen die grausame -Zeit, die unablässig, unaufhaltsam fortschritt, sie vorwärtsführte in -das graue Alter und in den eisigen Tod...</p> - -<p>Sie hatte geglaubt, daß die große Liebe, die über ihnen beiden war, -all ihre Nerven aufeinander abgestimmt hätte, wie wohl, wenn man -einen Ton auf dem Klavier anschlägt, die Tonwelle sich durch die Luft -weiterpflanzt und das Kristall eines Glases in Schwingungen versetzt, -daß es mitklingt in reinster Harmonie.</p> - -<p>Und so war es nicht?! Den Erschütterungen ihres Innern setzte er ein -banales Nichtverstehen gegenüber?</p> - -<p>Das war die erste Enttäuschung ihres Liebesglücks.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_301"></a>[S. 301]</span></p> - -<p>Sie war zu jung, um lange bei diesem Gedanken zu verweilen. Der nächste -Tag schon brachte neue Freuden. „Schön, schön wie die Wirklichkeit,“ -sagte Monika.</p> - -<p>Und immer wieder durchzuckte sie der Gedanke: „Ach, die Zeit anhalten!“</p> - -<p>Mit heißem Bedauern sah sie jedem verflossenen Tage nach wie einer -schönen Blume, die abblüht, die allzu schnell verwelkt.</p> - -<p>Und wie bald war der Tag gekommen, an dem man, an Bord des mächtigen -Asiendampfers stehend, Genua im violetten Dunst der Ferne verschwinden -sah.</p> - -<p>Monika war ein bißchen unglücklich darüber, daß man die kleine Villa -und den großen Garten verlassen — und sehr glücklich darüber, daß es -nun neuen Wundern entgegenging.</p> - -<p>„Jetzt wird’s immer noch schöner?! Nicht wahr, Georg?“</p> - -<p>„Sicher, Liebling; aber eins: hier auf dem Schiffe wissen nun alle -Leute, wer wir sind, wissen so viele, daß ich als Konsul rübergehe. Du -mußt Dich von nun an zusammennehmen. Für mich<span class="pagenum"><a id="Seite_302"></a>[S. 302]</span> allein habe ich Dein -begeisterungsfähiges Wesen immer sehr reizend gefunden, aber als Frau -eines Beamten darfst Du wirklich nicht mehr wie ein eben dem Pensionat -entlaufener Backfisch herumspringen. Für eine Frau unserer Kreise ist -es am angemessensten, man spricht gar nicht von ihr, weder im Guten -noch im Bösen. Korrekt, mein kleiner Schatz, korrekt!“</p> - -<div class="figcenter illowe5" id="gedankensprung8"> - <img class="w100" src="images/gedankensprung.jpg" alt="Gedankensprung" /> -</div> - -<p>Und Monika wurde korrekt. Schneller als sie selbst, schneller als Georg -es für möglich gehalten. Wohl schäumte sie im ersten Jahre ihrer Ehe -noch mitunter auf wie ein junges Pferd, das sich ins Gebiß verbeißt.</p> - -<p>Aber Georgs ehern ruhige Art bändigte sie bald.</p> - -<p>Was ihrer Mutter, ihren Erzieherinnen nie gelungen, das gelang Georg -Wetterhelm, ohne daß sie je ein hartes Wort von ihm zu hören bekommen -hätte.</p> - -<p>Es war wohl überhaupt mehr das Beispiel als seine Worte, das so -tiefgehende Wirkung auf Monika<span class="pagenum"><a id="Seite_303"></a>[S. 303]</span> ausübte. Georgs Wesen und Sein war so -ausgeglichen, so in sich gefestigt.</p> - -<p>Uebrigens wirkte er, trotz seiner vollendeten Höflichkeit, oft geradezu -lähmend auf Leute, die Anlage zu Extravaganzen, zu Ausgelassenheiten -hatten. Mit ihm „nahm man sich mehr zusammen“ als mit anderen.</p> - -<p>Es kam alles so anders, wie die Bekannten vermutet, als sie von Georgs -Verheiratung gehört.</p> - -<p>„Die Kleine wird ihn gut unterkriegen,“ hatte das allgemeine -Urteil gelautet, „die mit ihrem sprühenden Temperament, ihrer so -urpersönlichen Art, Menschen und Dinge aufzufassen — die wird es schon -verstehen, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen.“</p> - -<p>Das alles traf nicht ein. Beim Aneinanderreihen dieser beiden -Charaktere trug der Mann den Sieg davon. Immer von neuem rang seine -Art Monika Bewunderung ab. Wohl fand sie oft seine Ansichten borniert, -fand ihn mit Vorurteilen vollgepfropft, aber stets aufs neue wirkte die -Geschlossenheit seines Wesens auf sie, der Zusammenschluß seiner ganzen -Persönlichkeit. Alles stimmte bei ihm so harmonisch<span class="pagenum"><a id="Seite_304"></a>[S. 304]</span> zusammen: seine -Abkunft und seine Ansichten, sein Aeußeres und sein Wesen.</p> - -<p>Diese Harmonie wirkte auf Monika wohl um so stärker, als ihre -nächsten Verwandten alle etwas Zerfahrenes hatten. Ihr Vater, dem -die Willenskraft gefehlt, die spielerisch kindliche Mutter, die ihre -Kinder, als sie klein gewesen, wie geliebte Puppen behandelt, und die -dann plötzlich mit erschreckten Augen die Heranwachsenden gesehen, die -wild emporgeschossen waren.</p> - -<p>Ja, Monika bewunderte ihren Mann, und sie empfand zu weiblich, um sich -ihm nicht zu beugen.</p> - -<p>Zuerst waren es Kleinigkeiten, die sie ihm opferte: einen Hut, den -er „zu auffallend“ fand, eine zu kühne Frisur, eine burschikose -Bezeichnung.</p> - -<p>Dann ging es weiter: hier eine ihrer Ansichten, die ihm zum Opfer fiel, -dort eine Ueberzeugung!</p> - -<p>Allmählich gewann seine Art immer mehr Einfluß auf sie: die mächtigen -Flügel ihrer Phantasie, die sie so oft in goldstrahlende Höhen und -in purpurfinstere Tiefen getragen, begannen sich matter zu regen, -gleichsam gelähmt von der Nüchternheit, die mit ihr Tisch und Bett -teilte.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_305"></a>[S. 305]</span></p> - -<p>„Korrekt, mein kleiner Schatz,“ und Monika zog das buntflimmernde Kleid -ihrer Persönlichkeit aus, um die Gesellschaftsrobe einer gut erzogenen -Dame zu tragen.</p> - -<p>Sie lernte es, zu lächeln statt zu lachen; sie lernte es, den Schrei -der Begeisterung oder des Abscheus zu unterdrücken, sie lernte es, -Meinungen zu haben, „die niemand verletzen konnten“.</p> - -<p>Wohl wollte ihr das manchmal wie ein Verrat an sich selbst bedünken, -aber tat sie es nicht gern... ihrem Glück zuliebe? — — —</p> - -<p>Als Monika, nachdem sie anderthalb Jahre verheiratet war, zum ersten -Male wieder nach Deutschland kam, konnte ihre Schwiegermutter nicht -umhin, anzuerkennen, daß Monika sich „sehr zu ihrem Vorteil verändert“ -habe.</p> - -<p>Ihre eigene Mutter war ganz konsterniert über den Wechsel, der mit -ihrer Tochter vorgegangen.</p> - -<p>„Daß Sie das fertig bekommen haben,“ sagte die Baronin immer aufs neue -zu ihrem Schwiegersohn.</p> - -<p>Die Brüder hatten jeder sein besonderes Urteil über Monikas Wesen. -Alfred, der inzwischen Fähnrich — „leider bei der Infanterie“ — -gewor<span class="pagenum"><a id="Seite_306"></a>[S. 306]</span>den war, fand seine Schwester jetzt „auf der Höhe“. Sehr elegant -— ohne die Koketterie, welche ihn an ihr so geärgert, als sie junges -Mädchen war — in Haltung und Auftreten große Dame. Heinzemännchen -fand, Monika sei ohne Zweifel „geistig verflacht“. Dichten könne -sie anscheinend überhaupt nicht mehr. Sie zeige kaum noch Rudimente -literarischer Bildung und hätte sogar seinen neuen Lieblingsdichter für -„sentimentalen Unsinn“ erklärt.</p> - -<p>Karl urteilte, daß Monika nach wie vor großartig sei. Wo gab es -wieder eine so gute Schwester? Sie beschied ihm kaum je einen Wunsch -abschlägig. Und Karl hatte eine ganze Menge Wünsche.</p> - -<p>Das war Birkensches Erbteil: der Hang zur Verschwendung. Als -erschwerenden Umstand hatte er seiner Mutter Leidenschaft fürs -Verschenken geerbt. Im übrigen war er liebenswürdig und freundlich, -faul und lügenhaft. In diesem Alter, in dem sonst Knaben beginnen, -männliche Züge zu zeigen, behielt er etwas Anmutig-Kindliches. Ueber -seinem rosigen Gesicht schimmerten die Haare in tiefem Goldblond. Seine -Augen waren so dunkel, seine Zähne so weiß — über seinem ganzen Wesen -lag eine friedliche Gottergebenheit.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_307"></a>[S. 307]</span></p> - -<p>Ernstere Interessen hatte Karl überhaupt nicht, nur die einfachsten -animalischen Freuden waren für ihn vorhanden: gut essen und gut -trinken, lange schlafen und nichts tun!</p> - -<p>Monika hatte gerade für diesen Bruder eine besondere Zuneigung. Doch -auch Alfred und Heinrich waren ihr sehr ans Herz gewachsen, ungeachtet -dessen, daß diese beiden kaum jemals freundlich zu ihr gewesen.</p> - -<p>Georg von Wetterhelm hatte mitunter ein tadelndes Wort dafür, daß -seine Frau oft Zeit, Geld und Mühe an ihre Brüder verschwendete. Ihm -waren diese jungen Schwäger, die so völlig anders lebten, als er es im -gleichen Alter getan, nichts weniger als sympathisch.</p> - -<p>Auch mit Frau von Birkens kapriziöser Art vermochte er sich niemals -recht zu befreunden. Er sagte über diese angeheirateten Verwandten zwar -nie ein Wort, aber Monika merkte die mangelnde Sympathie zwischen ihrem -Manne und ihren Angehörigen, und das abfällige Urteil über die Ihren, -das sich in Georgs Verhalten dokumentierte, war nicht ohne Einfluß auf -sie, wie nichts ohne Einfluß auf sie blieb, was seine Ueberzeugung war.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_308"></a>[S. 308]</span></p> - -<p>Halb unbewußt formte sie sich nach seinem Bilde. Halb unbewußt wurden -ihre Ansichten anders, als sie es gewesen. Und langsam wuchs in ihr -eine Scham gegen die Ungezügeltheit, die sie sonst zur Schau getragen.</p> - -<p>Die paar Male, wo sie aufgebraust war, in der ersten Zeit ihrer Ehe, -blieben ihr unvergeßlich in Erinnerung, schmerzten sie wie alte Wunden, -waren wie Niederlagen, deren sie sich schämen mußte.</p> - -<p>Ihre eitle und stolze Natur zuckte zusammen, wenn sie daran dachte, -wie bei solchen Gelegenheiten Georgs Gesicht ausgesehen: erstaunt und -peinlich berührt, etwas wie Verachtung um die Mundwinkel.</p> - -<p>Auch war das ganze Milieu, in dem Monika lebte, dazu angetan, allzu -persönliche Wallungen zu unterdrücken.</p> - -<p>Ein Wirbel von Geselligkeit nahm sie auf, gleich in den ersten Jahren. -Ueberall hatte sie zu repräsentieren, hatte die korrekt liebenswürdige -Frau eines Beamten zu sein, für dessen Zukunft man viel hoffte.</p> - -<p>Da blieb für Extravaganzen kein Raum.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_309"></a>[S. 309]</span></p> - -<p>Uebrigens das, was Monika so glühend ersehnt: der Aufenthalt in -fremden, bunten Ländern, das hatte weniger Einfluß auf ihr Leben, als -man hätte annehmen dürfen. Es war eigentlich doch nur ein Wechsel des -Schauplatzes, ein Kulissenwechsel — weiter nichts!</p> - -<p>Ob man zusammen mit den Mac Gregors und der Familie de Varency zur -Sphinx von Gizeh ritt durch die ägyptische Wüste — ob man zusammen mit -Graf Berrier und Frau von Hellingen und dem Rathorstschen Ehepaar von -Brüssel aus einen Wagenausflug nach dem Kolonialmuseum von Tervueren -machte — ob man in Paris im historischen Palais der Herzogin des -Garviers tanzte — es war doch nur Wechsel des Dekors für ewig sich -gleichbleibende gesellschaftliche Formen.</p> - -<p>Georg Wetterhelm war stolz auf seine Frau. Sie gefiel im allgemeinen -ausgezeichnet. Abgesehen von einigen Damen, die ihre Erfolge -beneideten, war man allgemein von Monika entzückt.</p> - -<p>Sogar Fürst Herrlingen, der Vorgesetzte Georgs, welch letzterer -inzwischen zur Diplomatie übernommen worden war, zeigte lebhaftes -Interesse für Frau von Wetterhelm.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_310"></a>[S. 310]</span></p> - -<p>Der alte Herr, der sonst im Rufe eines Frauenfeindes stand, plauderte -oft aufs angeregteste mit ihr, hatte im kleinen Komitee von ihr gesagt, -„sie wäre in seinem Leben die erste Frau, mit der man sich vernünftig -unterhalten kann“.</p> - -<p>Das „vernünftig unterhalten“ bestand darin, daß er zu ihr eben nicht -sprach, wie er sonst zu Damen redete, sondern Themata anschlug, über -die er mit Männern sprach.</p> - -<p>Auch seinem Sarkasmus in der Beurteilung von Welt und Menschen ließ er -ihr gegenüber ungehindert die Zügel schießen.</p> - -<p>Monika hatte zwar gar keine boshafte Ader, gar keinen Sinn für -Klatsch, aber sie würdigte die Art, wie dieser Klatsch vorgetragen -wurde, würdigte jede Pointe, jedes treffende Wort — die ganze Art des -Fürsten, den Extrakt einer Sache zu geben.</p> - -<p>Und mit der hervorragenden Schlagfertigkeit, die sie von Jugend -auf im Gespräch gehabt, fand sie immer eine zündende Antwort. Die -Unterhaltungen zwischen ihnen beiden waren wie eine brillante -Florettmensur, glänzende Ausfälle, die ebenso glänzend pariert wurden.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_311"></a>[S. 311]</span></p> - -<p>Aeußerlich war Monika jetzt wirklich eine Schönheit zu nennen. Der -unruhige, so oft wechselnde Ausdruck, den sie als Mädchen gehabt, war -einer lächelnden Gleichmäßigkeit gewichen, die trotzige Haltung von -einst einer korrekten Grazie. Und der wilde Schimmer in den Augen war -erloschen; in diesen dunkeln Sternen stand jetzt nichts mehr von heißer -Sehnsucht und von brennender Gier.</p> - -<p>Das Leben war jetzt so nett. Georg schaffte ihr all den Luxus und die -Eleganz, die ihr so viel Spaß machten.</p> - -<p>Er, der für sich selbst immer so sparsam gewesen, kannte nie ein -Bedenken, wenn es galt, einen Wunsch seiner Frau zu erfüllen.</p> - -<p>Ja, er liebte sie, und sie ihn auch so sehr — und man würde Karriere -machen.</p> - -<p>Famos war das Leben!</p> - -<p>Was schadete denn das, wenn manchmal in stillen Nächten all ihr wirres -Jugendweh vor ihr auftauchte wie ein verlorenes Paradies?</p> - -<p>Alle die klingenden Verse, die Georg als „zu unpassend“ ein für allemal -abgetan, schwirrten ihr dann durch den Kopf.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_312"></a>[S. 312]</span></p> - -<p>Und Worte kamen ihr, sie wußte nicht wie:</p> - -<div class="poetry-container"> -<div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent2">„Wie liegt das alles mir schon so weit:</div> - <div class="verse indent2">Alle die Hirngespinste</div> - <div class="verse indent2">Aus meiner verträumten Kinderzeit. —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent2">Vorbei!... Ich weiß nicht mehr, wie das ist,</div> - <div class="verse indent2">Wenn man nicht schlafen kann in den Nächten</div> - <div class="verse indent2">Und die Kissen des Bettes voll Inbrunst küßt!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent2">In meinen fiebernden Kindertagen</div> - <div class="verse indent2">War mir, als müßte mein Schulternpaar</div> - <div class="verse indent2">Alles Leid von Himmel und Erde tragen, —</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent2">War mir, als müßte mein Leben sein</div> - <div class="verse indent2">Wie ein kurzer Tag voll brennender Gluten,</div> - <div class="verse indent2">Voll Frühlingssturm und Gewitterschein!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent2">Und des Daseins Rätselfrage klang</div> - <div class="verse indent2">Tag und Nacht durch mein Kinderhirn,</div> - <div class="verse indent2">Indes die Sehnsucht mein Herzblut trank.</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent2">Ich war so krank. — Und bin so gesund!</div> - <div class="verse indent2">Statt der heimlichen, giftigen Träume</div> - <div class="verse indent2">Küßt mich das <em class="gesperrt">Leben</em> auf den Mund.</div><span class="pagenum"><a id="Seite_313"></a>[S. 313]</span> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent2">Ich weiß jetzt nichts mehr von Traumgefühl,</div> - <div class="verse indent2">Weiß nichts von heimlichen Tränen,</div> - <div class="verse indent2">Und „Sehnsucht“ finde ich <span class="antiqua">ridicule</span>!</div> - </div> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent2">Das Leben ist ja so schön und bunt</div> - <div class="verse indent2">Und trägt mich auf starken Armen...“</div> - </div> -</div> -</div> - -<p>Ja, famos war das Leben!</p> - -<p>Und darauf war gar nichts zu geben, daß sie manchmal doch noch -phantastische Träume hatte. Das waren ja keine Träume wie früher, mit -wachenden Augen gesehen. Jetzt träumte sie nur noch manchmal, wenn sie -schlief.</p> - -<p>In einer Frühlingsnacht war es ihr, als höre sie Hunderte und Hunderte -von Vogelstimmen, wilde Vogelstimmen, die schrien und klagten... so -herzzerreißend klang’s... Hunderte und Hunderte von Vögeln waren -um sie herum, ihr goldglänzendes, buntschimmerndes Gefieder war so -zerzaust von Sturm und Wetter. Sie klagten: „Wir sind Deine Lieder, -wir sind Deine Gedanken, all Deine Träume sind wir — und Du hast uns -hinausgejagt, hast uns vertrieben in die Fremde hinaus, daß wir nun -nicht mehr wissen, wo wir unser Nest bauen sollen. Und<span class="pagenum"><a id="Seite_314"></a>[S. 314]</span> wir haben Dir -doch so schön vorgesungen in all Deinen Kinderjahren und in der Zeit, -da Du zum Weibe wurdest. Und hast uns verjagt und hinausgetrieben, und -müssen wir jetzt so elend sterben...“</p> - -<p>Sie klagten und schrien... so herzzerreißend klang’s.</p> - -<p>Da weinte sie laut auf im Schlafe.</p> - -<p>Aber das war ja nur im Schlafe.</p> - -<p>Das Leben war ja famos, ja, natürlich war es das — „famos“.</p> - -<div class="figcenter illowe10" id="kapitelende10"> - <img class="w100" src="images/kapitelende.jpg" alt="Ende des Kapitels" /> -</div> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_315"></a>[S. 315]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="Kapitel_11">11.</h2> - -</div> - -<div class="dc" id="p145initial4"> - <img class="illowe6" src="images/p145initial.jpg" alt="D" /> -</div> - -<p class="p0"><span class="initial">D</span>er erste längere Aufenthalt, den Wetterhelms wieder in Deutschland -nahmen, war dem Umstande zuzuschreiben, daß Georg für längere Zeit beim -Auswärtigen Amt in Berlin eingezogen war.</p> - -<p>Fünf Jahre waren sie verheiratet, und was Korrektheit der Ansichten -anbetraf, so war Monika die Schülerin, die ihren Lehrer übertraf.</p> - -<p>Ein bißchen snob geworden, die schöne Frau von Wetterhelm, die sich nur -mit einem gelinden Schauer erinnern konnte, einst wilde Gedichte in dem -längst dahingeschwundenen „Leuchtturm“ veröffentlicht zu haben.</p> - -<p>Auch hatte sie eine dunkle Erinnerung daran, daß sie früher einmal alle -Menschen für gleichberechtigt erachtet hatte — jetzt hielt sie nur die -Angehörigen verschwindend weniger Berufsarten für „anständig“.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_316"></a>[S. 316]</span></p> - -<p>Ja, es kam vor, daß ihr Mann gelegentlich einen leichten Tadel dafür -hatte, daß sie ihre Exklusivität übertrieb. Er sagte dann, er sei ein -modern denkender Mensch und neige sogar zu liberalen Ansichten.</p> - -<p>Er wußte selbst nicht, daß dies Redensarten waren, wußte selbst nicht, -daß er im tiefsten Grunde seines Wesens auch nicht das winzigste -Teilchen seines Junkertums der modernen Zeit geopfert.</p> - -<p>Aber Monika wußte es, fühlte es.</p> - -<p>Sie hatte seine Anschauungen in sich aufgenommen, und sie trieb diese -Ansichten nun auf die Spitze.</p> - -<p>Mehr noch als ihr Gatte spöttelte sie jetzt über zur Schau getragene -Gefühlsregungen. Ihr Herz, das einst so warm geschlagen, ihre ganze -heißblütige Persönlichkeit erstarrte langsam, wie ein wilder Bach unter -einer Eisdecke erstarrt. Sie hatte früher so leicht und so schnell -verziehen, hatte immer einen guten Gedanken, ein gutes Wort gehabt für -die Fehler von anderen.</p> - -<p>Jetzt aber war sie unnachsichtig, hatte sich das strenge Urteil ihres -Gatten zu eigen gemacht. Seine ganze kühle Art war die ihre geworden.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_317"></a>[S. 317]</span></p> - -<p>Wie schnell und wie beschämt hatte sie sich die Freudenausbrüche -abgewöhnt, die sie früher bei allen möglichen Gelegenheiten gehabt. -Georgs eisiges: „ganz nett“, sein in ruhigstem Tone gesprochenes -„herzlich unbedeutend“ schlugen ihre Begeisterung sofort tot. Jetzt -sprach sie es noch überzeugter als er, das „herzlich unbedeutend“.</p> - -<p>Mit ihrer Mutter stand sie äußerlich in tadellosen Beziehungen. Aber wo -waren die Zeiten, wo ein inniges Verhältnis zwischen ihnen geherrscht!</p> - -<p>Auch den Brüdern war sie entfremdet. Alfred sah sie überhaupt nicht. -Wenn der aus seinem pommerschen Nest mit Urlaub — oft sogar ohne -Urlaub — nach Berlin kam, hatte er anderes zu tun, als Familie zu -simpeln. Ueberdies hatte er schärfste Worte für Monikas Hochmut, der er -deutlich genug anmerkte, daß ihr ein Bruder bei der Linien-Infanterie -nicht passe.</p> - -<p>Er besuchte Monika höchstens, wenn er sie damit ärgern konnte.</p> - -<p>Zum Beispiel einmal, als sie ihn nicht zu einem Frühstück geladen, und -er sich, ob mit Recht oder mit Unrecht, einbildete, sie wolle ihn nicht -bei diesem Essen, bei welchem die anwesenden Militärs<span class="pagenum"><a id="Seite_318"></a>[S. 318]</span> ausschließlich -den exklusivsten Gardekavallerie-Regimentern angehörten.</p> - -<p>Da erschien Alfred uneingeladen und zeichnete sich durch ein -hinterwäldlerisches Benehmen aus, das er sonst nicht im mindesten besaß.</p> - -<p>Es gewährte ihm ein ganz besonderes Vergnügen, zu sehen, wie Monika -sich mühen mußte, ihre Haltung zu bewahren, als er dem Prinzen -Schwarzenfels-Binsingen von den Gardedukorps vorschwärmte, wie -„entzückend modern“ und „wunderbar poetisch“ die Truppe des Theaters -von Treuenbrietzen gespielt, die vor einigen Wochen in seiner kleinen -Garnison gastiert.</p> - -<p>Auch stellte er, der tatsächlich ein firmer Reiter war, bei diesem -Frühstück so unsinnige sportliche Betrachtungen an, daß er seinen Zweck -vollkommen erreichte: sämtliche anwesenden Leutnants wunderten sich -darüber, daß diese schicke, erstklassige Frau von Wetterhelm einen „so -üblen“ Bruder besaß.</p> - -<p>So weit wie Alfred ging Heinrich nicht. Zu einem Vorgehen durch -Taten entschloß er sich nie, aber auch er war gekränkt von Monikas -Hochmutsteufel. Die Dichter, die sie früher als Gottbegnadete und -Auserwählte des Schicksals angesehen, waren<span class="pagenum"><a id="Seite_319"></a>[S. 319]</span> ihr doch jetzt eigentlich -Menschen zweiter Klasse; sie waren oft von so vager Herkunft, hatten -kaum jemals staatserhaltende Prinzipien, und alle die schönen Sachen, -die sie fabulierten, hielten vor strenger Logik nicht stand. Daß -Heinzemännchen ihr wie früher stundenlang Gedichte vorlas, konnte sie -wirklich nicht mehr aushalten.</p> - -<p>Freundinnen sah sie keine. Als sie noch junges Mädchen war, hatten -sich ihre Freundschaften immer so gestaltet, daß die andere zu ihr -aufsah, mehr die Rolle einer untergeordneten Begleiterin als die einer -Gleichberechtigten spielte. Jetzt aber hatte sie überhaupt keine Zeit -mehr für Freundschaften.</p> - -<p>Mit ihrer Cousine Bertha, die sie sofort aufgesucht, fand sie nicht -mehr den kameradschaftlichen Ton von früher. Monikas Art hatte ja jetzt -etwas Gönnerhaftes, was bei Bertha gänzlich unangebracht war. Denn -Bertha war jetzt ein „modernes Weib“.</p> - -<p>Man spürte in ihr nichts mehr von dem warmherzigen, naiven Mädchen, -das sie vor fünf Jahren gewesen, als sie mit Monika zusammen die -Gymnasialkurse besucht. Sie lächelte jetzt verächtlich, wenn sie daran -erinnert wurde, wie sehr sie damals<span class="pagenum"><a id="Seite_320"></a>[S. 320]</span> jedes Mädchen beneidete, das sich -verlobte oder gar verheiratete.</p> - -<p>O, jetzt war sie weit entfernt davon, sich „unter das Joch des Mannes -zu beugen“. Sie studierte jetzt im fünften Semester Philologie. In -Kleidung und Frisur trug sie eine puritanische Einfachheit zur Schau. -Mitunter wurde sie damit geneckt, wie sehr sie vor fünf Jahren für rosa -Kleider, seidene Unterröcke, gebrannte Stirnlöckchen geschwärmt.</p> - -<p>Solche Bemerkungen nahm sie durchaus nicht lächelnd auf, sondern setzte -dann auseinander, daß sie damals eben noch ein ganz urteilsloses -Geschöpf gewesen, daß aber inzwischen ihr Bildungsgang, ihre -Kameradinnen — alles — sie dahin aufgeklärt habe, daß eine völlige -Umwertung aller Werte des Frauendaseins zu erfolgen habe!</p> - -<p>Ein freier, selbständiger, unabhängiger Mensch müsse die Frau sein, -frei von dem Sklaventum der Ehe! Man sähe ja, was bei den Ehen -herauskam! Z. B. wie unglücklich hätte sich die Ehe von Monikas Cousine -Frau von Hammerhof gestaltet! Ihr Sohn solle ja ganz nett sein, aber -mit dem Gatten stände Marie Hammerhof sich spottschlecht. Das hatte -Bertha von den verschiedensten Seiten gehört.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_321"></a>[S. 321]</span></p> - -<p>Und Bertha sei ihrer Mutter jetzt dankbar, daß sie ihr beizeiten den -einzigen Weg des Heils für die Frau gewiesen: die Emanzipation! — — -— — — Frau von Holtz dagegen, die Marie sozusagen gezwungen, den -ersten besten zu heiraten, bloß weil sie in heiratsfähigem Alter war, -— die würde ja jetzt genug Zeit und Gelegenheit haben, ihren eigenen -Unverstand zu bedauern.</p> - -<p>In der Tat war Maries Ehe eine unglückliche. Das sah Monika, als sie -das Hammerhofsche Ehepaar einmal bei ihrer Mutter traf.</p> - -<p>Hammerhofs waren auf der Durchreise nach Ems, wo ihr Sohn, der -vierjährige Kurt, eine Kur gebrauchen sollte. Der Kleine hatte so -zarte Bronchien. „Ein Erbteil von mir,“ sagte Marie mit verbissenem -Gesichtsausdruck. Sie war überschlank geblieben, wie sie es als junges -Mädchen gewesen; auch ihr Wesen war noch das gleiche: ihre brüske -Aufrichtigkeit, ihre herbe Art.</p> - -<p>Wohl wußten alle, die sie näher kannten, daß hinter dieser Schroffheit -sich ein tadellos anständiger Charakter, eine pflichtbewußte ernste -Natur verbarg, aber ihre Art, der jede Grazie fehlte, die nichts von -weiblicher Weichheit besaß, ließ es nicht unverständ<span class="pagenum"><a id="Seite_322"></a>[S. 322]</span>lich erscheinen, -daß ihr Mann nicht gern in seiner Häuslichkeit weilte.</p> - -<p>Es gingen auch Gerüchte, daß es mit der ehelichen Treue bei ihm nicht -sehr gut bestellt sei, auch solle er den Freuden des Bechers allzu gern -und allzu häufig zusprechen.</p> - -<p>Jedenfalls sagte Marie selbst nie ein Wort darüber, beklagte sich auch -nie.</p> - -<p>Für Fremde war entschieden Herr von Hammerhof der Sympathischere -von den beiden. Er hatte so gute Manieren, eine liebenswürdige Art. -In Gesellschaft anderer war er immer höflich und freundlich zu -seiner Frau, wogegen diese ihn mit ausgesuchter Unliebenswürdigkeit -behandelte. Es kam ihr nicht darauf an, ihm auch, wenn Fremde dabei -waren, recht bittere Worte zu sagen; in ihren vorzeitig scharf -gewordenen Zügen prägte sich dann eine schneidende Verachtung aus.</p> - -<p>Nur dann wurde sie anders, wenn sie ihr Kind sah, wenn sie ihren Jungen -in den Armen hielt und ihn voll unendlicher Liebe betrachtete. In -dieser hageren Frau, die in ihrer äußeren Erscheinung so gar nichts -Mütterliches hatte, brannte die Mutterliebe in einer schönen und -starken Glut.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_323"></a>[S. 323]</span></p> - -<p>Daß Marie bei ihrer schwachen Gesundheit so oft Nächte durchwachte, -wenn der Kleine krank war, das war nichts so Besonderes, das hatte die -Baronin Birken auch unzählige Male getan. Aber daß sie ihrem Kinde -nicht jeden Willen ließ, daß sie Kurt auch strafte, so weh ihr das tat, -daß sie viele seiner Wünsche, die sie ihm so gern gewährt haben würde, -abschlug im Interesse seiner Entwicklung — das war es, was Maries -Mutterliebe von Frau von Birkens Mutterliebe unterschied.</p> - -<p>Es gab kein besser gehaltenes, kein besser erzogenes Kind als Kurt, -aber seine Gesundheit ließ zu wünschen übrig. Dieser Sprößling eines -Ehepaares, das sich nie geliebt, hatte einen traurigen Zug, sogar -sein Lächeln hatte etwas Kümmerliches. Er liebte niemanden als seine -Mutter, verkroch sich oft wie schutzsuchend in ihren Armen, und Maries -herbes Gesicht verklärte sich wundersam, wenn sie sich über das blonde -Köpfchen neigte.</p> - -<p>„Mutter sein, — das ist doch das einzige Glück für eine Frau!“ sagte -sie, als man bei Birkens ihr Kind gebührend bewunderte.</p> - -<p>Aber Monika protestierte. „Das einzige Glück? Das wirst Du nicht -aufrechterhalten können. Ein<span class="pagenum"><a id="Seite_324"></a>[S. 324]</span> Glück, — gewiß. Aber das einzige?... -Die Liebe, die man für ein Kind hat, kann doch nie annähernd das Glück -gewähren, das die Liebe zum Gatten gibt.“</p> - -<p>Marie lachte höhnisch und erwiderte mit ein paar scharfen Bemerkungen. -Bemerkungen, die Monika nicht widerlegte, denn sie liebte schon lange -keine Diskussionen mehr. Am wenigsten solche, in denen man einen so -scharfen Ton anschlug, wie Marie es tat. Monika stand jetzt auf dem -Standpunkte, daß ihr Leute ohne Ueberzeugungen, wofern sie tadellose -Manieren hatten, lieber waren als wertvollere Naturen, wenn diese sich -rauh gaben.</p> - -<p>Dieser Ueberzeugung verlieh sie gelegentlich Worte, worauf Frau von -Birken in überwallender Empörung erwiderte, daß das ein Gipfel von -Snobismus sei, den sie ihrer Tochter nie zugetraut. Erst komme das -Gemüt und nochmals das Gemüt, dann eine ganze Weile gar nichts, dann -der Geist und lange nachher erst Manieren und Formen!</p> - -<p>Am schärfsten aber sprach sich Heinzemännchen gegen die neue -Lebensauffassung seiner Schwester aus.</p> - -<p>„Du hast früher Wertvolles bewundert, jetzt aber betest Du ärmliche -Nichtigkeiten an! Früher hast<span class="pagenum"><a id="Seite_325"></a>[S. 325]</span> Du ungeschliffene Edelsteine geliebt und -jetzt geschliffene Kiesel!... Wie heißt es doch?</p> - -<div class="poetry-container"> -<div class="poetry"> - <div class="stanza"> - <div class="verse indent2">Das Leben schleift so oft Kristalle</div> - <div class="verse indent2">Zu wunden Kieselsteinen ab — —“</div> - </div> -</div> -</div> - -<p>„Sicher sind mir nette, glatte Kiesel lieber als irgend so ein zackiger -Kristall, an dem man sich wundreißt.“</p> - -<p>Da erreichte Heinrichs Empörung den Höhepunkt.</p> - -<p>„Also das gibst Du zu, das gibst Du zu?! Du bist eben selbst so ein -glattes Nichts geworden!“</p> - -<p>Sie lächelte. Das überlaute, nicht endenwollende Gelächter ihrer -Mädchenjahre hatte sie sich ja schon so lange abgewöhnt.</p> - -<p>Sie lächelte. Reizend liebenswürdig und ein bißchen banal war dieses -Lächeln und hatte die Gabe, Heinrich noch mehr in Harnisch zu bringen.</p> - -<p>„Ein glattes Nichts!“ wiederholte er zornbebend, „eine Modepuppe bist -Du geworden mit dem „guten Ton“ statt eines Herzens, und Vorurteilen -statt eines Gehirns.“</p> - -<p>„Und mit einer allzu großen Langmut, die mich veranlaßt, Dich -anzuhören,“ sagte Monika in vollendeter Haltung. Dann knöpfte sie ihre -langen<span class="pagenum"><a id="Seite_326"></a>[S. 326]</span> Handschuhe zu und sagte beim Abschiednehmen ihrer Mutter:</p> - -<p>„Du mußt verzeihen, Mama, wenn ich nicht oft mehr komme; auf Heinrichs -Ton steht mir eine entsprechende Antwort nicht mehr zu Gebote.“</p> - -<p>Und sie ging, nachdem sie ihrem Bruder sehr höflich die Hand gereicht -und der Mutter einen Kuß auf die Wange gehaucht.</p> - -<p>Heinrich sagte nachher ganz erschüttert: „Mama, früher wenn ich ihr -sowas gesagt hätte, hätte sie mir was an den Kopf geworfen, hätte sich -verteidigt, mich widerlegt, — und, glaube mir, es wäre mir lieber -gewesen, sie hätte mit einem Donnerwetter geantwortet, als so!... -Sie hatte ja früher gefährliche Anlagen, gewiß — — sie war eine -Pantherkatze... Aber sie war doch wertvoll und originell. Und jetzt?... -Eine Larve, Mama, eine Gesellschaftspuppe, — ein Kieselstein — und -war doch einmal ein Kristall!“</p> - -<p>„Ja, sie hat keinen Funken von meinem Gemüt,“ sagte die Baronin -traurig, „aber laß Dich das nicht anfechten, mein süßer Liebling, -ärgere Dich nur nicht darüber! Du siehst schon ganz angegriffen aus, -mein Heinuckelchen!“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_327"></a>[S. 327]</span></p> - -<p>Heinrich strich sich über die Schläfen. „Es wird vorübergehen.“</p> - -<p>„Aber Du siehst schlecht aus, ja wirklich,“ beharrte Frau von Birken -mit einer so überzeugenden Wärme, daß Heinrich ganz unwillkürlich ein -leidendes Gesicht machte.</p> - -<p>„Sag’, was hast Du denn, mein Einziges? Arbeitest Du vielleicht zu -viel? Ach Gott, Jurisprudenz ist sicherlich das schwerste Studium von -allen, aber Deines Geistes würdig. Nur überanstrenge Dich nicht! Schone -Dich, mein Heinzemännchen, schone Dich!“ —</p> - -<p>Und das Sich-schonen besorgte Heinzemännchen redlich. Das erwählte -Studium sagte seiner träumerischen Natur nicht sehr zu. Am wohlsten -fühlte er sich im Kreise der jungen und jüngsten Literaten, mit denen -er sich jeden Nachmittag in einem Café traf. Man saß dort viele Stunden -zusammen, trank schwarzen Kaffee und schimpfte auf die herrschenden -Literaturgrößen. Dieser Zeitvertreib wurde dadurch belebt, daß auch -die Weiblichkeit vertreten war. Eine junge Dichterin, die jedem, den -sie kennen lernte, in den ersten fünf Minuten versicherte, daß sie -„sehr pervers“ sei — zwei Vortragskünstlerinnen<span class="pagenum"><a id="Seite_328"></a>[S. 328]</span> vom Kabarett „Zum -Regenbogen“ — und eine Barfußtänzerin beschäftigten sich damit, den -jungen Poeten himmlische Rosen ins irdische Leben zu flechten.</p> - -<p>Heinzemännchen nahm einen ehrenvollen Platz in diesem Kreise ein. Die -Weisheit, die er hier lernte, machte mehr Eindruck auf ihn als die im -Hörsaal. Das war so recht was für ihn, diese endlosen Diskussionen -bei Kaffee und Zigarette über Naturalismus, Mystizismus, Symbolismus, -Neo-Impressionismus, — — nur unterbrochen durch den Vortrag von -lyrischen Gedichten, die bei allen anwesenden Freunden des jeweiligen -Autors brausende Beifallsstürme hervorriefen.</p> - -<p>Heinrichs Gedichte hatten vor allem den Beifall der Damen.</p> - -<p>„So gefühlvoll dichtet doch kein anderer wie unser Baron -Heinzemännchen,“ sagte die Barfußtänzerin mit Tränen in den Augen, als -er seine Ode: „An die violette Ampel im Schlafzimmer meiner Geliebten“ -vorgetragen.</p> - -<p>Diese literarischen Freuden waren endlos, die Gespräche waren nicht -einzudämmen. Die Gesellschaft saß manchmal noch zusammen, wenn schon<span class="pagenum"><a id="Seite_329"></a>[S. 329]</span> -der Frühschein sich durch die Fenster stahl, und der Pikkolo, dessen -großer Kopf vor Schlaftrunkenheit zwischen den Schultern schwankte, die -unermüdliche Gesellschaft mit rachsüchtigen Augen anstarrte.</p> - -<p>Für Heinrich war es unangenehm, daß seine Mutter immer noch auf war, -wenn er nach Hause kam.</p> - -<p>Auf alle seine Vorhaltungen erwiderte sie, sie könne doch nicht -schlafen, wenn ihr Liebling nicht wohlgeborgen in seinem Bettchen ruhe. -Und es wäre ja sehr häßlich von dem Liebling, seine Mutter so lange -warten zu lassen, aber schlafen ginge sie nicht, ach nein! Sie opfere -sich eben auf für ihn.</p> - -<p>Heinrich unterdrückte die Aeußerung, daß er auf dieses Opfer gern -verzichte. Er war seiner Mutter gegenüber durchaus rücksichtsvoll im -Ton. Aber innerlich wurde ihm die überzärtliche Bevormundung immer -unerträglicher.</p> - -<p>Er schwankte noch einige Zeit hin und her, raffte sich dann aber doch -zu einem Entschlusse auf und sagte ihr eines Tages, daß er von jetzt ab -allein wohnen wolle.</p> - -<p>„Du mußt mir das nicht übel nehmen, Mama, aber bei Dir werde ich kein -Mann, wie er fürs<span class="pagenum"><a id="Seite_330"></a>[S. 330]</span> Leben paßt. Dieses ewige Bemuttern und Streicheln -und Küssen, — ich bin doch schließlich kein Wiegenkind mehr. Und ich -komme natürlich sehr oft zum Besuch.“</p> - -<p>„Heinrich, das ist doch nicht möglich! Verlassen willst Du mich?! Das -kannst Du mir doch nicht antun. Mir... Deiner Mutter, die sich zeit -Deines Lebens so für Dich aufgeopfert hat.“</p> - -<p>Im Tone ihrer Stimme zitterte all ihr Gefühl für diesen Sohn, das -größte und tiefste Gefühl ihres Lebens.</p> - -<p>Sie sprach nicht laut wie sonst, wenn sie erregt war. So tonlos -klang’s... mit versagender Stimme: „Heinrich, ich habe doch alles -getan, was ich Dir an den Augen absehn konnte, — alles... alles...“</p> - -<p>Er zögerte.</p> - -<p>„Ja, ich weiß das auch zu schätzen, Mama. Sicher... Halte mich nicht -für undankbar! Ich bin doch jetzt ein erwachsener Mensch, ich muß doch -mal endlich auf eigenen Füßen stehen lernen.“</p> - -<p>Sie fand keine Worte mehr, — sie, bei der sonst die Rede so lustig -sprudelte wie ein Bächlein über Stock und Stein. Der Schlag war zu -unerwartet<span class="pagenum"><a id="Seite_331"></a>[S. 331]</span> gewesen, kam zu sehr aus heiterem Himmel. Sie hoffte immer -noch, Heinrich werde seine Absicht nicht ausführen. Das konnte er ihr -doch gar nicht antun!</p> - -<p>Aber sie kannte ihr eigenes Fleisch und Blut schlecht. Die Birkenschen -Kinder gaben keinen Plan auf.</p> - -<p>Das war einer der schwersten Schläge ihres Lebens, der Tag, an dem -Heinzemännchen von ihr ging.</p> - -<p>Er hatte sich ein möbliertes Zimmer gemietet, im Studentenviertel, und -kam sich in seiner endlich errungenen Freiheit sehr stolz und glücklich -vor.</p> - -<p>Seine Mutter hatte gehofft, daß er schon nach den ersten Tagen -wiederkommen würde, daß ein Leben ohne ihre Sorgfalt und Mühe nicht -auszuhalten sei. Aber sie täuschte sich.</p> - -<p>Heinrich aß sogar sein zähes Restaurationsschnitzel, das er nun statt -der herrlichen mütterlichen Fleischtöpfe vorgesetzt bekam, mit einem -Gefühl der Befreiung. Sicher, die Mama war immer rührend um ihn besorgt -gewesen, aber dieses Uebermaß hielt man nicht aus!</p> - -<p>Seiner im Grunde gutmütigen Natur entsprechend, besuchte er sie -zuerst täglich. Dann aber<span class="pagenum"><a id="Seite_332"></a>[S. 332]</span> wurden die Bande, die ihn an seine -Kaffeefreundinnen und -freunde knüpften, immer festere, und die Besuche -bei seiner Mutter erfolgten in immer größeren Zwischenräumen.</p> - -<p>Frau von Birken konnte und konnte sich nicht in die Trennung von ihrem -Lieblingssohn fügen. Ihr schien ihr Leben plötzlich seines besten -Inhalts beraubt.</p> - -<p>Was war das für ein Aufwachen jetzt, seit sie wußte, daß sie nicht wie -sonst nur eine Tür zu öffnen brauchte, um das geliebte Gesicht ihres -Jungen im tiefen Morgenschlafe zu sehn!</p> - -<p>Was war das für ein Tag, der ihr keine Sorgen mehr darüber brachte, was -Heinrich essen würde, womit man ihm eine Freude machen könne....</p> - -<p>Sie empfand ihr Mutterschicksal als ein unverdient unglückliches. Was -hatte sie nun von ihren Kindern?! Daß Alfred sie verschwindend selten -besuchte, war ihr nicht so wichtig. Mit dem hatten sie ja nie sehr -intime Bande vereint.</p> - -<p>Daß Monika sich so verändert, darunter litt sie. Was war Mone früher -für ein anschmiegendes, warmherziges Kind!</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_333"></a>[S. 333]</span></p> - -<p>Was Heinzemännchen anbetraf, so gab sie ihm keine Schuld an seiner -Fahnenflucht, — er war ja ein so edler Mensch, da mochten eben -irgendwelche Einflüsse mitgespielt haben, dunkle Mächte, über die sich -Frau von Birken selber nie klar wurde. Aber mochte es nun gewesen -sein, was es wollte, — das Unglück war jedenfalls da: der Liebling -war ihrem mütterlichen Herzen entrissen. Das unglückliche Kind hauste -jetzt in einem Zimmer, auf dessen Bett nur Decken lagen, „nicht einmal -ein Federzudeck“, und des Morgens bekam er statt Tee, Toast, Schinken, -Setzeier und Marmelade — nun Zichorienkaffee und Schrippen mit -Margarine. — —</p> - -<p>Nur Karl blieb jetzt der Mutter. Und Karl war kein ausreichender Trost.</p> - -<p>Er war ja ein netter, gutmütiger Junge, aber er hatte so gar keine -Interessen, die ihn mit der Mutter verknüpften, so gar nichts von der -geistigen Begabung ihrer anderen Kinder.</p> - -<p>Er war jetzt beinahe achtzehn Jahre alt und saß immer noch in -Unter-Sekunda.</p> - -<p>Aeußerlich war er ein auffallend hübscher Mensch. Noch immer Cherubim. -Kein Barthaar beschattete seine weichgeschwungene Oberlippe, seine<span class="pagenum"><a id="Seite_334"></a>[S. 334]</span> -Haut war weiß und rosig wie die eines Babys. Noch immer hatte das -Haar seinen Goldschimmer und die dunkeln Augen ihren unschuldsvollen -Ausdruck.</p> - -<p>Noch immer war er gottergeben und leichtsinnig, nur daß diese -Leichtsinnigkeiten jetzt einen sehr viel größeren Umfang angenommen -als früher. Er raubte jetzt nicht mehr Nickel, aber er ging -Schuldverschreibungen ein, die seine Mutter dann mit Ach und Krach, mit -Lamentieren und Wehklagen einlöste. Oft, wenn sie ihm gar nichts mehr -geben wollte, ging er zu Monika, die immer ein paar Goldstücke für ihn -übrig hatte.</p> - -<p>Das Zuhören in den Lehrstunden gewöhnte er sich allgemach ganz ab. Das -alles war so anstrengend und unverständlich. Er mußte ja hingehen aufs -Gymnasium, das war klar, — das Einjährige zum mindesten mußte er haben.</p> - -<p>Aber das würde er schon irgendwo machen, das würde sich schon -arrangieren lassen. Es arrangierte sich ja immer alles...</p> - -<p>Nur sein Körper saß auf der Schulbank. Sein Geist duselte in seligen -Fernen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_335"></a>[S. 335]</span></p> - -<p>Es waren durchaus keine aufregenden Genüsse, die er sich vorstellte. -Nur etwa so: stille daliegen auf dem weichen Sandstrande eines blauen -Sees, die nackten Glieder von Luft und Sonne umspielen lassen... Und -Stille ringsum und Schweigen... nichts tun, nichts denken, — — in -die flimmernden Wellchen starren, die der See kräuselt, und Zigaretten -rauchen... Oder: sehr gut essen, viel und gut, saftige Braten und kühle -Fruchtgelees... Oder: ein hübsches Mädchen, das sehr nett und lieb zu -ihm war...</p> - -<p>In Wirklichkeit waren viele Mädchen lieb zu ihm. Seine Schönheit, sein -liebenswürdiges Wesen erschlossen ihm viele Herzen. Er selbst war nicht -gerade leidenschaftlich, aber er nahm mit Freuden alle Liebe, die ihm -dargebracht wurde.</p> - -<p>Frau von Birken war außer sich über die rosa Briefe, „noch dazu die -meisten unorthographisch“, die ihm ins Haus flogen. Sie fing diese -Briefe ab, öffnete sie, hielt sie dem Schuldigen vor, erging sich -in Zornesausbrüchen über seine Liederlichkeit, worauf er mit einem -ehrlichen Nichtverstehn ihr nur erwiderte:</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_336"></a>[S. 336]</span></p> - -<p>„Aber da ist noch nichts dabei, Mama, — — es ist wirklich ein sehr -nettes Mädchen.“</p> - -<p>„Mein Gott, was soll bloß aus Dir werden?“ stöhnte die Mutter.</p> - -<p>Er zuckte ratlos die Achseln.</p> - -<p>„Aber Du kannst doch nicht als Rentier leben, dazu haben wir ja gar -nicht die Mittel. Ein Mann muß doch etwas tun, einen Beruf haben, — -Pflichten erfüllen! Sag’ doch selbst, wozu Du Lust hast! Wozu Du Talent -hast, — — irgend etwas!“</p> - -<p>„Zu gar nichts,“ sagte Karl gottergeben.</p> - -<p>Dann hatte er eine plötzliche Eingebung. „Ich möchte gern aus dem -Gymnasium raus, Mama.“</p> - -<p>Frau von Birken rang die Hände. „Karl, das wagst Du mir zu sagen?! Das -wagst Du?! — — Jetzt willst Du weg, noch vor dem Einjährigen? Karl, -weißt Du denn nicht, welcher Familie Du angehörst? Dein Großvater -war Universitätsprofessor! Und Deine Schwester ist bis Ober-Sekunda -gekommen, obwohl sie nur ein Mädchen ist. Und wenn nicht diese Heirat -dazwischengekommmen wäre, so wäre sie heute Fräulein Doktor. Jawohl! -— — Und Alfred hat doch wenigstens das Abiturium gemacht, ehe er -Offizier wurde. — — Und Heinze<span class="pagenum"><a id="Seite_337"></a>[S. 337]</span>männchen! — — Den Aufsatz, den er -zum Abiturium gemacht hat, habe ich einbinden lassen... in grünes -Leder... zur Erinnerung für Kinder und Kindeskinder ... <em class="gesperrt">so</em> ist -der Aufsatz! — — Karl, wenn Du so ungebildet bleiben willst, das -überlebe ich nicht!“</p> - -<p>„Na, wollen mal sehn, wollen mal sehn,“ sagte Karl begütigend. Aber -sehr hoffnungsvoll klang es nicht.</p> - -<p>Immerhin schöpfte die optimistische Frau von Birken auf diese so -maßvolle Aeußerung hin neuen Mut.</p> - -<p>Karl war ja ein guter Junge und würde sich nun wohl wirklich endlich -bessern.</p> - -<p>Es war deshalb ein schwerer Sturz aus ihren neuerweckten Hoffnungen, -als schon acht Tage nach diesem Gespräch Karl vor sie hintrat mit dem -dringenden Ersuchen, ihm zweitausend Mark zu geben.</p> - -<p>Sie war außer sich. Was dachte er sich denn eigentlich? Wozu brauchte -denn ein Schüler überhaupt so viel Geld? —</p> - -<p>Die Erklärungen, die er gab, waren so phantastisch, daß die Mutter -trotz all ihrer Leichtgläubigkeit auch nicht ein Wort davon für wahr -hielt.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_338"></a>[S. 338]</span></p> - -<p>Aber wie immer war aus Karl nichts herauszubekommen.</p> - -<p>Wenn man ihm eine Lüge nachgewiesen, fand er flugs eine andere. Ohne -den leisesten Schimmer von Verlegenheit, ohne einen Augenblick des -Nachsinnens strömten ihm die Ausflüchte zu. Er, der sonst eine so wenig -rege Phantasie, eine so wenig lebhafte Geistestätigkeit besaß, war nie -einen Augenblick verlegen darum, die kompliziertesten Geschichten zu -erfinden.</p> - -<p>Er faßte die Weigerung seiner Mutter, ihm auch nur einen Pfennig zu -geben, ernster auf, als er sonst zu tun pflegte.</p> - -<p>Sein rosiges Gesicht war blaß geworden; er klemmte die Unterlippe so -fest zwischen die Zähne, daß ein Blutstropfen niederperlte.</p> - -<p>„Ich muß das Geld haben, Mama.“</p> - -<p>„Wir werden ja sehen, ob Du mußt.“</p> - -<p>Er drehte sich kurz um und verließ das Zimmer. Er ging zu Monika.</p> - -<p>Da es eine verhältnismäßig frühe Stunde war, war sie noch nicht fertig -angezogen. Sie saß in einem Peignoir vor dem Spiegel, und ihre Jungfer -bürstete<span class="pagenum"><a id="Seite_339"></a>[S. 339]</span> ihr die schönen kastanienfarbenen Haare, die in mächtigen -Wogen niederflossen.</p> - -<p>Sie hatte Karl ohne weiteres in ihr Toilettenzimmer treten lassen; sie -behandelte ihn noch ganz als Kind. Alle Leute behandelten Karl als Kind.</p> - -<p>Er setzte sich in einen der weißen Louis-XV.-Sessel und sah zerstreut -zu, wie die Jungfer die Frisur vollendete. Dann wurde das Mädchen auf -seine Bitte hinausgeschickt, und nun bat er in seiner langsamen, ein -wenig ungeschickten Sprechweise seine Schwester um die zweitausend -Mark, deren Zahlung seine Mutter so entrüstet abgelehnt.</p> - -<p>Auch bei Monika fand er kein Entgegenkommen.</p> - -<p>„Lieber Junge, ich habe nie ein Wort gesagt oder gefragt, wenn Du -zwanzig Mark haben wolltest oder vierzig. Aber zweitausend? — — Wofür -brauchst Du zweitausend Mark?“</p> - -<p>„Es ist eine Ehrenschuld.“</p> - -<p>„Sekundaner haben keine Ehrenschulden.“</p> - -<p>„Doch.“</p> - -<p>Sein sanftes Gesicht bekam einen verstörten Ausdruck.</p> - -<p>„Erzähl’s mir, Karl.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_340"></a>[S. 340]</span></p> - -<p>„Ach, Mone, davon wird’s auch nicht besser! Gib mir doch das Geld. Sieh -mal, Du bist der einzige Mensch, den ich um sowas bitten kann, Mama hat -Zetermordio geschrien, als ich sie darum gebeten. Alfred und Heinrich -gebrauchen selber mehr als sie haben. — Mone, gib mir’s.“ Er drückte -ihr die Hände.</p> - -<p>„Ich, — — ich hab’s ja auch nicht,“ sagte sie, schon schwankend -geworden, „Du weißt doch, Karl, ich hab’ kein Geld. Und Georg kauft mir -zwar alles, was ich haben will, aber er gibt mir doch kein Geld in die -Hand. Ich kann Dir die zweitausend Mark gar nicht geben.“</p> - -<p>„Dann sag’s Deinem Mann,“ rief er mit ungewohnter Entschiedenheit.</p> - -<p>„Na schön,“ sagte sie nach sekundenlangem Besinnen, „ich werde es ihm -heute nach dem Lunch sagen.“</p> - -<p>„Und ich komme mir die Antwort heute abend holen.“</p> - -<p>„Komm nicht. Wir sind zum Diner eingeladen. Ich schreibe Dir aber und -schicke Dir schon heute nachmittag den Brief durch den Diener.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_341"></a>[S. 341]</span></p> - -<p>Mit einem erlösten Aufatmen beugte er sich über ihre Hand und küßte sie -dankbar.</p> - -<p>Als er das Haus verließ, schien er seine ganze Spannkraft -wiedergefunden zu haben.</p> - -<p>Monika aber hielt ihr Versprechen. Gleich nach dem Lunch, das man zu -zweien eingenommen, bat sie ihren Mann, ihr die zweitausend Mark für -Karl zu geben.</p> - -<p>„Höflich abgelehnt,“ sagte er.</p> - -<p>„O Georg...“</p> - -<p>„Lieber Schatz, es wäre ein haarsträubender Unsinn, einem noch nicht -achtzehnjährigen Schüler eine solche Summe in die Hand zu geben. Wozu -will er es denn überhaupt haben?“</p> - -<p>„Er sagt, es sei eine Ehrenschuld.“</p> - -<p>„Ehrenschuld? Mit dem Worte bezeichnen viele Leute recht unehrenhafte -Schulden.“</p> - -<p>„O, Karl ist solch ein lieber, netter Junge.“</p> - -<p>„Gewiß, er ist ein sehr netter Mensch, aber das ist doch kein Grund, -um seinen Hang zum Leichtsinn, zu bodenloser Liederlichkeit zu -unterstützen! Was ist denn der Effekt davon, wenn wir ihm das<span class="pagenum"><a id="Seite_342"></a>[S. 342]</span> Geld -geben?! Er gibt es in leichtsinniger Weise aus!“</p> - -<p>„Aber wenn er es doch für Schulden haben will...“</p> - -<p>„Dann bezahlt er vielleicht diese und macht sofort neue und zwar in -noch größerem Maßstabe. Er hat ja dann die sichere Ueberzeugung, daß -sie auch bezahlt werden.“</p> - -<p>„Ach, Georg, sei nicht geizig.“</p> - -<p>„Liebes Herz, die Aeußerung da hast Du Dir wohl nicht überlegt. Hast Du -mich je geizig gefunden?“</p> - -<p>„Für mich nicht, aber für andere hast Du doch eigentlich nie was getan.“</p> - -<p>„Jeder ist sich selbst der Nächste, seine Familie natürlich -miteingeschlossen. Bei dem uferlosen Mitleid für alles und alle kommt -nie was Gutes heraus.“</p> - -<p>„Aber Karl ist doch Dein Schwager.“</p> - -<p>„Eine juristische Verpflichtung zur Unterstützung eines -Schwagers besteht nicht, eine moralische unter Umständen, die -hier nicht vorhanden sind. Wenn Dein Bruder durch Krankheit -unterstützungsbedürftig wäre oder eine Summe brauchte, um sich eine<span class="pagenum"><a id="Seite_343"></a>[S. 343]</span> -Existenz zu gründen, so würde ich Dir zuliebe eventuell sogar ein -größeres Opfer bringen! Aber für einen derartig leichtsinnigen Bengel, -der gar nicht ahnt, gar nicht faßt, was Pflicht heißt!“</p> - -<p>„Ja, die sogenannte Pflicht ist uns wohl nie genug eingetrichtert -worden,“ sagte Monika nachdenklich.</p> - -<p>„Die strenge Hand hat Euch gefehlt. Dein Vater starb zu früh.“</p> - -<p>„Und vorher hat er sich auch nicht um unsere Erziehung bekümmert, und -der Mama sind wir zu schnell über den Kopf gewachsen, alle vier.“</p> - -<p>„Ja, da Du davon sprichst, Monika — Du weißt, ich rede nie ungefragt -über Deine Angehörigen, aber da das Thema nun einmal aufgerollt ist: -Deine Brüder machen mir überhaupt Sorge. Ich hörte da neulich durch -meinen Vetter Alexander, der Bataillonskommandeur von Alfred ist, — er -gibt ihm keine zwei Jahre mehr im bunten Rock.“</p> - -<p>„O — —“</p> - -<p>„Ja, daß er Schulden hat, wäre schließlich nicht so schlimm, aber da -ist eine Soldatenmißhandlungsgeschichte, bei der er eben noch mit -einem blauen<span class="pagenum"><a id="Seite_344"></a>[S. 344]</span> Auge davongekommen ist. Alfred gilt als der brutalste, -händelsüchtigste Offizier im Regiment.“</p> - -<p>„Er war schon als Kind so wenig gutmütig.“</p> - -<p>„Und Heinrich scheint sich auch nicht gerade in bester Gesellschaft zu -bewegen. Im Amt erzählte mir neulich jemand, daß ein Baron Birken als -‚Amateur-Dichter‘ Verse im Kabarett „zum Regenbogen“ vorgetragen, und -fragte mich, ob der Jüngling zu Deinen Verwandten gehöre. — Und Karl, -von dem ich eigentlich hoffte, er würde ein Normalmensch und seinerzeit -ein brauchbarer Offizier werden, läßt sich ja jetzt auch recht niedlich -an.“</p> - -<p>„Eine nette Familie sind wir! Und dabei hast Du in Deiner bekannten -Höflichkeit mich und meine gefährlichen Anlagen noch gar nicht mal -erwähnt,“ lachte Monika.</p> - -<p>„O, Du bist sehr schnell eine tadellose Frau geworden, und das weißt Du -auch ganz genau.“</p> - -<p>„Wetterhelmsche Schule.“</p> - -<p>„Und, Liebling, was Karls Bitte anbetrifft, so siehst Du ein, daß es -inkorrekt wäre, seine Dummenjungenstreiche zu unterstützen.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_345"></a>[S. 345]</span></p> - -<p>„Ja, Du hast ganz gewiß recht, nur, er bat so herzlich — —“</p> - -<p>„Keine falsche Gutmütigkeit! Schreibe ihm ruhig, daß Du das Geld nicht -hättest, und daß ich es Dir nicht gäbe für Sachen, die so zweifelhafter -Natur sind, daß Karl selber sie nicht erzählen kann! Und schärfe ihm -ein bißchen das Gewissen in bezug auf seine Lebensführung — das geht -doch nicht so weiter!“</p> - -<p>Und Monika schrieb ein paar Zeilen, die ganz im Sinne des eben -stattgefundenen Gespräches waren — und ging mit dem Gefühl einer gut -erfüllten Pflicht zu dem Diner. — —</p> - -<p>Als das Dessert aufgetragen wurde, bat ein Diener Frau von Wetterhelm -ans Telephon.</p> - -<p>Monika folgte ihm erstaunt, ein wenig beunruhigt. Wer wußte denn -überhaupt, daß sie hier war?</p> - -<p>Karl telephonierte. „Ich bin hier bei Euch, Mone. Der Diener hat mir -gesagt, wo Ihr seid. Ich muß Dich sprechen.“</p> - -<p>„Aber, Karl, um Gottes willen, was gibt es denn?“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_346"></a>[S. 346]</span></p> - -<p>„Ich brauche das Geld, und Mama hat es mir eben zum letztenmale -abgeschlagen.“</p> - -<p>„Aber wozu brauchst Du es?“</p> - -<p>„Das ist doch schließlich gleichgültig. Aber ich muß es sofort haben, -Mone, spätestens morgen früh muß ich’s haben. Sprich mit Deinem Mann.“</p> - -<p>Mit einer ärgerlichen Bewegung ließ sie den Hörer sinken, entschloß -sich aber doch, Georg rufen zu lassen.</p> - -<p>Als er hörte, worum es sich handelte, griff er mit einer ihm sonst -ungewohnten Heftigkeit nach dem Hörer.</p> - -<p>„Karl.... Du — —?“</p> - -<p>„Ja.“</p> - -<p>„Wenn Du mir oder meiner Frau was zu sagen hast, so warte gefälligst, -bis Du uns zu Hause antriffst, und störe uns nicht, wenn wir bei -anderen zum Besuch sind. Schluß!“</p> - -<p>Er klingelte energisch ab. Dann wandte er sich an Monika.</p> - -<p>„Lieber Schatz, was ich eben Deinem Bruder sagte, hättest Du ihm sagen -sollen im ersten Augen<span class="pagenum"><a id="Seite_347"></a>[S. 347]</span>blick, als er telephonierte. Mich noch herrufen -zu lassen, war überflüssig. Es erregt unnötiges Aufsehen, wenn wir -beide zu dieser späten Stunde in einem fremden Hause ans Telephon -gerufen werden. Also nicht wahr, ein andermal etwas mehr Sinn für -Korrektheit, lieber Schatz.“</p> - -<p>„Verzeih, ich hätte Dich nicht rufen lassen sollen.“</p> - -<p>Zusammen betraten sie wieder den Eßsaal, und im Verlaufe des sehr -angeregten Abends vergaß Monika den Zwischenfall. —</p> - -<p>Aber am nächsten Morgen beschloß sie, gleich mal nach Karl zu sehen. Es -war Sonntag, also war er nicht im Gymnasium.</p> - -<p>Monika ließ sich anziehn, sagte ihrem Manne, daß sie zum Lunch zurück -sei, und fuhr zu ihrer Mutter.</p> - -<p>Das Dienstmädchen sagte ihr, die gnädige Frau sei schon vor zwei -Stunden zum Baron Heinrich gefahren mit einer großen Punschtorte, die -man ihm zum Sonntag gebacken. Monika unterdrückte mit Mühe ein Lächeln; -ihre Mutter war mehr in der Studentenbude von Heinzemännchen als in -ihrer eigenen Wohnung.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_348"></a>[S. 348]</span></p> - -<p>Aber es paßte ihr ganz gut, daß sie Karl nun allein sprechen konnte. Da -würde sie ihn ordentlich ins Gebet nehmen.</p> - -<p>„Hat Karl schon gefrühstückt?“</p> - -<p>„Nein, Herr Karl schläft noch, am Sonntag schläft er immer so lang’,“ -sagte das Mädchen und lächelte strahlend. Wie die meisten weiblichen -Wesen hatte sie für Karl ein faible.</p> - -<p>Monika sah nach der Uhr. Halb zwölf. Um halb eins mußte sie zu Hause -sein. Da konnte sie wirklich nicht warten, bis der Langschläfer -erwachte; da mußte sie ihn gleich wecken.</p> - -<p>Sie schritt den Korridor entlang bis zu dem abgelegenen Hinterzimmer, -das Karls Reich bildete. Sie klopfte.</p> - -<p>Und lauter dann... und noch einmal...</p> - -<p>Keine Antwort. Seinen Schlaf schienen seine Geldsorgen einstweilen -nicht zu stören. Wahrscheinlich hatte er gestern übertrieben wie schon -so viele Male. Wahrscheinlich war der Hundertmarkschein ihm gar nicht -sehr nötig, den sie in die Oeffnung ihres linken Handschuhs geschoben, -um ihn Karl gleich beim Gutentagsagen geben zu können. Dieser Schein -war ihm als Schmerzensgeld zugedacht für<span class="pagenum"><a id="Seite_349"></a>[S. 349]</span> die abschlägige Antwort, -die sie ihm gestern gegeben. Ihr Mann hatte sie vollkommen überzeugt. -Es wäre gegen ihre Pflicht gewesen, Karls bodenlosem Leichtsinn noch -Vorschub zu leisten.</p> - -<p>„Karl — —!“</p> - -<p>Noch immer keine Antwort.</p> - -<p>Da drückte sie die Klinke auf und trat ein.</p> - -<p>„Na, Du Faulpelz,“ sagte sie, geblendet von der goldenen Sonne, die -durch das Fenster drang.</p> - -<p>Näher trat sie zum Bett, trat näher... und sah...</p> - -<p>Und faßte es nicht.</p> - -<p>Das war doch... das war doch Blut, dieses dunkle Gerinnsel auf dem -Boden, auf der Bettdecke, auf der nackten Brust da vor ihr...</p> - -<p>Mit beiden Händen griff sie nach ihres Bruders Schultern... und fuhr -im selben Augenblicke schaudernd zurück vor der Eiseskälte, die ihr -entgegenströmte.</p> - -<p>Das... das war doch nicht möglich! Er schlief doch bloß! Seine Augen -waren friedlich geschlossen, die langen Wimpern lagen dunkel auf -den Wangen. Der ein wenig geöffnete Mund, in dem die weißen<span class="pagenum"><a id="Seite_350"></a>[S. 350]</span> Zähne -schimmerten, hatte einen traurigen Ausdruck. Ja, ein wenig traurig sah -er aus, ernster als sonst.</p> - -<p>Dieses wunderschöne und traurige Gesicht über der blendend weißen -Jünglingsbrust, diese großen Blutflecke allüberall, die wie dunkle -Blumen waren ... das war doch ein Traum, ein Fiebertraum!</p> - -<p>Das konnte doch nicht Wahrheit sein!</p> - -<p>Ein Traum auch der Revolver, an den ihr Fuß jetzt stieß? Ein Traum die -paar Blätter aus dem Schulheft, die da auf dem Nachttisch lagen, und -auf denen Worte standen, über die Blut gespritzt war, Worte, die sie -lesen wollte und nicht verstand, weil wilde Farbenspiele vor ihren -Augen kreisten.</p> - -<div class="figcenter illowe5" id="gedankensprung9"> - <img class="w100" src="images/gedankensprung.jpg" alt="Gedankensprung" /> -</div> - -<p>Sie las diese Blätter erst viel später. Drei Tage später, als all -das Schreckliche vorbei war: der Augenblick, als der herbeigerufene -Arzt statt aller Worte nur die Achseln gezuckt, — der Mutter -Verzweiflungsausbrüche —, das Begräbnis. —</p> - -<p>Und nun saß Monika allein in ihrem Toilettenzimmer und versuchte, jene -Zeilen zu lesen. Da stand<span class="pagenum"><a id="Seite_351"></a>[S. 351]</span> in ihres Bruders unbeholfener Handschrift, -mit der man ihn so oft geneckt:</p> - -<div class="blockquot"> - -<p>„Ich bitte Euch alle, mir zu verzeihn. Aber es ist besser, daß -ich gehe. Ich sitze in soviel Schwierigkeiten und weiß nicht ein -noch aus. Ihr müßt nicht glauben, daß ich etwas Schlechtes getan -hätte. Ich habe mir gar nichts dabei gedacht, als mich neulich eine -Freundin gebeten hat, einen Brillantring für sie zu kaufen. Ich -sollte ja nur eine Unterschrift geben und Geld überhaupt nicht. Sie -wollte es allein bezahlen.</p> - -<p>Aber nun will mich der Diamantenhändler beim Staatsanwalt -anzeigen, weil es ein Betrug gewesen wäre und die Lonny den Ring -gleich weiter verkauft hat. Das geht doch aber nicht, daß ich ins -Gefängnis komme.</p> - -<p>Ich habe Euch ja so sehr um das Geld gebeten, aber Mama wollte ja -nicht, und sie hatte wohl auch recht, denn sie als Mutter mußte -doch etwas streng sein, und außerdem ist die Summe auch so hoch für -sie. Ich dachte, Monika würde es mir geben. Die war meine einzige -Hoffnung, sie ist immer meine liebe Schwester gewesen. O Gott,<span class="pagenum"><a id="Seite_352"></a>[S. 352]</span> wie -gerne habe ich ihr was mitgebracht zum Freuen. So konnte sich kein -anderer freuen, wie Monika sich früher freute.</p> - -<p>Mone ist immer so gut gewesen, bloß ihr Mann hat sie so hart und so -kalt gemacht — —“</p></div> - -<p>Sie konnte nicht weiter lesen. Brennende Tränen verdunkelten ihren -Blick und stürzten ihr aus den Augen. Das waren die heißesten Tränen, -die sie je geweint. Es war ihr, als verbrennten sie ihr die Haut, indes -sie ihr über die Wangen rollten.</p> - -<p>Das Schluchzen schüttelte sie wie ein Sturm. Sie hörte gar nicht, daß -die Tür des Nebenzimmers geöffnet wurde.</p> - -<p>Georg trat auf seine Frau zu. Er sagte bewegt:</p> - -<p>„Liebling, gib Dich diesem Schmerz nicht so hin.“</p> - -<p>„Warum nicht?“ fuhr sie auf. „Warum soll ich mich diesem Schmerz nicht -hingeben? Mein Bruder starb, und... durch unsere Schuld.“</p> - -<p>„Durch unsere Schuld? — Das sind Hirngespinste, Monika. Er suchte den -Tod, weil er keinen sittlichen Halt hatte. Er war ein Kind, das sein -kostbarstes Gut — das Leben — verschleuderte und wegwarf wie andere -Kinder eine Glaskugel.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_353"></a>[S. 353]</span></p> - -<p>„Er starb, weil Du hartherzig warst und ich es mit Dir.“</p> - -<p>Er strich ihr begütigend übers Haar. Sein Gesicht wurde um eine -Schattierung blasser, als sie bei dieser Berührung zurückzuckte.</p> - -<p>„Liebling, Deine Nerven sind jetzt zu angegriffen. Das ist die Ursache, -daß Du etwas so Unzutreffendes sagst. Wir waren nicht hartherzig. Kein -vernünftiger Mensch konnte dem Jungen ohne weiteres die Bitte gewähren -— das habe ich Dir auseinandergesetzt.“</p> - -<p>„Ja, das hast Du!“</p> - -<p>Sie hatte sich erhoben, eine Zornesflamme sprühte aus ihren Augen.</p> - -<p>„Ja, das hast Du. Und ich war dumm und charakterlos genug, um wieder -eine von Deinen hartherzigen Ansichten zu der meinen zu machen! — — O -Gott, der Junge, der arme, liebe Kerl!“</p> - -<p>Sie schluchzte laut auf.</p> - -<p>Und von neuem näherte sich ihr Georg: „Mein geliebter Schatz, beruhige -Dich doch.“</p> - -<p>Und von neuem wich sie seiner Berührung aus, und ihre Tränen versiegten -in dem roten Zorn, der wieder in ihr emporloderte.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_354"></a>[S. 354]</span></p> - -<p>„Ich will mich nicht beruhigen. Ich will heulen vor Schmerz, wenn mir -danach zumute ist! Ich will nicht alles in mir ersticken lassen unter -dem Panzer, den Du Dir anlegst, dem Panzer von Sitte, Pflicht und -Korrektheit. — — Da, lies, was mein Bruder geschrieben hat in seiner -Todesstunde, und sein Herzblut ist drüberhin gespritzt: ‚Mone ist immer -so gut gewesen, bloß ihr Mann hat sie so hart und so kalt gemacht — -—‘“</p> - -<p>„Und diese Worte eines unglücklichen, schlecht erzogenen und -irregeleiteten jungen Menschen — —“</p> - -<p>„Haben mir gezeigt, wie es um mich bestellt ist!“ unterbrach Monika. -„Ja, jedes Wort davon ist wahr! Ich habe unserer Ehe zuliebe meine -ganze Persönlichkeit geopfert. Alles Beste in mir habe ich gewaltsam -unterdrückt, jeden Funken von Begeisterung, von Warmherzigkeit erstickt -unter einer Eisdecke von Vorurteilen! — — Fort will ich, — fort von -Dir, der Du alles, was in mir ursprünglich ist, tötest. Ich will wieder -ich selbst sein!“</p> - -<p>Georg von Wetterhelm war blaß bis in die Lippen.</p> - -<p>„Monika, Dein Schmerz macht Dich ungerecht! Ich will Dir heute -verzeihen, — heute — alles.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_355"></a>[S. 355]</span></p> - -<p>„Ich brauche Deine Verzeihung nicht. Ich will fort, — fort um jeden -Preis!“</p> - -<p>Ein sonderbar erstickter Ton rang sich aus seiner Kehle. Ein Augenblick -war’s — dann klang seine Stimme fest wie je: „Ich kann Dich mit Gewalt -nicht halten.“</p> - -<p>„Ich lasse mich auch nicht halten!“</p> - -<p>Zwei wilde Flammen brannten in ihren Augen.</p> - -<p>Das war nicht mehr die sanfte und korrekte Gattin, die fünf Jahre lang -Georg von Wetterhelms Herzensfreude gewesen, — die sich fünf Jahre -lang gezügelt hatte ihrem Glück zuliebe. Das war wieder das unbändige -Geschöpf von einst, das jeder Gefühlsregung nachgab, jede Empfindung -auskostete bis zum äußersten, bis zum letzten schalen Tropfen.</p> - -<p>Und auch diesen Becher leerte sie bis zur Neige: nicht genug Vorwürfe -gab es für den, der ihr bis dahin das Liebste war auf der Welt.</p> - -<p>„Ich habe erkannt, welch eiskalter Egoist Du bist! Warum gabst Du Karl -das Geld nicht?“</p> - -<p>„Es war nicht des Geldes wegen — —“</p> - -<p>„Das weiß ich! Und gerade das ist das furchtbarste: Deiner Prinzipien -wegen tatest Du es nicht!<span class="pagenum"><a id="Seite_356"></a>[S. 356]</span> Deiner starren, hartherzigen Prinzipien -wegen! Die sind das einzige, was Du liebst! Du hast auch mich nie -geliebt. Du hast mich geheiratet, weil <em class="gesperrt">ich Dich</em> liebte! Du -wolltest Dein frierendes Herz erwärmen an meiner Glut!“</p> - -<p>„Monika!“</p> - -<p>Georg Wetterhelm preßte die harten Lippen aufeinander. Er sprach kein -einziges Wort mehr... zu seinem Glück, das von ihm ging.</p> - -<div class="figcenter illowe10" id="kapitelende11"> - <img class="w100" src="images/kapitelende.jpg" alt="Ende des Kapitels" /> -</div> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_357"></a>[S. 357]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="Kapitel_12">12.</h2> - -</div> - -<div class="dc" id="p291initial2"> - <img class="illowe6" src="images/p291initial.jpg" alt="E" /> -</div> - -<p class="p0"><span class="initial">E</span>in altes, winkliges Haus in einer von Zürichs Straßen. Ausgetretene -Treppenstufen, schiefe Türen, an denen Dutzende von Visitenkarten mit -Reißnägeln angeheftet waren. „<span class="antiqua">Stud. jur.</span> Freiherr von Neuern, -<span class="antiqua">stud. med.</span> Hans Fischer, <span class="antiqua">stud. med.</span> Pietro Liguro, -<span class="antiqua">stud. med.</span> Olga Nikolajewna Murawska, <span class="antiqua">stud. phil.</span> Bertha -Reckling.“</p> - -<p>Vier Treppen hoch hauste Bertha, die seit einem Semester in Zürich -studierte, zusammen mit der Studentin der Medizin Murawska.</p> - -<p>Die Wohnung bestand aus drei Stübchen und einer kleinen Küche. Die -letztere wurde wenig benutzt, da die Mädchen ihre Mahlzeiten in -einem Restaurant einnahmen und sich zu Hause nur das erste Frühstück -bereiteten. Bertha hatte zwar zuerst vorgeschlagen, hier zu kochen, -aber sie hatte es bald aufgesteckt. Es war gar zu unbequem. Allein -das Feuermachen erforderte so viel Zeit und Mühe, und<span class="pagenum"><a id="Seite_358"></a>[S. 358]</span> es war so -umständlich, die Vorräte die vier Treppen hinaufzuschleppen.</p> - -<p>Außerdem war Olga Nikolajewna den kulinarischen Bestrebungen Berthas -durchaus feindlich gesinnt.</p> - -<p>Sie behauptete: viel Essen wirke schädlich auf die Gehirntätigkeit. Nur -die Deutschen äßen so viel, und Bertha würde es nie zu etwas bringen, -wenn sie sich nicht auch angewöhne, des öfteren nur von Tee und -Zigaretten zu leben.</p> - -<p>Auch „Ordnung halten“ erklärte Olga Nikolajewna für eine von Berthas -schädlichen Angewohnheiten. Dieses ewige Wegräumen war schrecklich! -Jedenfalls bäte sie, ihre Sachen nicht anzutasten. Die lägen so, wie -sie müßten.</p> - -<p>Und Bertha schenkte diesen Ausführungen ein williges Ohr. Sie nahm ja -so leicht die Anschauungen ihrer Umgebung an. So wie sie früher auf die -Ansichten ihrer deutschen Kolleginnen geschworen, die aus dem naiven, -jungen Mädchen eine Frauenrechtlerin gemacht, ebenso ließ sie sich -jetzt die Ansichten des internationalen Kreises aufpfropfen, der ihren -Verkehr bildete.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_359"></a>[S. 359]</span></p> - -<p>Es waren gar verschiedenartige Leute, die sich da oft in ihrem -kleinen Wohnzimmer zusammenfanden. Viel Platz war nicht auf dem roten -Kattunsofa und den paar wackligen Rohrstühlen. Aber es standen eine -Anzahl umgestülpter Kisten bereit, die als Sitzgelegenheiten dienten.</p> - -<p>Die Bewirtung beschränkte sich auf Tee. Rauchmaterial brachte jeder -selber mit.</p> - -<p>Oft verschwamm das Stübchen in einem wahren Schwaden von Rauchwolken. -Und man diskutierte über die neuesten Heilmethoden, über philosophische -Systeme, über uralte und ewig ungelöste Menschheitsfragen.</p> - -<p>Es hatte sich ein ganz bestimmter Kreis herausgebildet, Stammgäste, -die immer wiederkamen: Dimitri Iwanowitsch Lagin, ein Landsmann von -Olga, der einen düsteren Märtyrerkopf und schmutzige Fingernägel -besaß; Hans Fischer, ein sehr jugendlicher Mediziner, der ein Schüler -von Berthas Vater gewesen und Bertha den gleichen angstvollen Respekt -entgegenbrachte wie dereinst seinem Ordinarius; Marie Kramer, eine -freundliche dicke Blondine, die nun schon im achten Semester studierte -und immer noch unglaublich erstaunt darüber war, daß<span class="pagenum"><a id="Seite_360"></a>[S. 360]</span> sie es fertig -gebracht, „ihre Angehörigen zu verlassen, ihrer inneren Stimme zu -folgen“.</p> - -<p>Und Melitta Göritz war da, ein schlankes, sehr brünettes Mädchen, das -ein sehr verschlossenes Wesen hatte und von dem überhaupt niemand etwas -Näheres wußte.</p> - -<p>Dann noch ein norwegisches Ehepaar: die Steens. Merkwürdigerweise -hatten die beiden äußerlich Aehnlichkeit miteinander. Sie waren beide -sehr groß, sehr schlank, hatten weißblonde Haare und blaue, ein wenig -vorstehende Augen, die an Fischaugen erinnerten.</p> - -<p>Sie studierten beide Philosophie. Sie behandelten andere Leute -überaus höflich und nett, sich gegenseitig aber mit ausgesuchter -Unliebenswürdigkeit. Sie warfen sich Grobheiten an den Kopf, -schimpften sich auf norwegisch und trennten sich nie, wie ein Pärchen -Wellensittiche, ob aus Liebe oder Haß, blieb unerfindlich.</p> - -<p>Auch Edith von Gräbert kam oft, eine norddeutsche Offizierstochter -in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre, die Lehrerin an einer -Töchterschule gewesen, dann aber ihren Hang zur Medizin entdeckt.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_361"></a>[S. 361]</span></p> - -<p>Diese alle saßen, wie so oft, an einem Maiabend in dem kleinen -Wohnzimmer, als die Korridorklingel kurz und heftig in Bewegung gesetzt -wurde.</p> - -<p>„Das ist gewiß Pietro,“ rief Edith von Gräbert lebhaft; sie hatte eine -ausgesprochene Vorliebe für den jungen Italiener.</p> - -<p>Bertha, die Hausherrin, ging, um zu öffnen.</p> - -<p>Die Gäste hörten ihren überraschten Ausruf, und gleich darauf trat -sie wieder ein, begleitet von einer jungen Dame, deren Erscheinung -Sensation erregte.</p> - -<p>„Wie kommt der Glanz in diese niedre Hütte?“ murmelte Edith, nachdem -sie einen taxierenden Blick auf die elegante Toilette des Ankömmlings -geworfen.</p> - -<p>Sigrid Steen stieß ihrem Gatten den Ellenbogen in den Magen, da er -ihrer Meinung nach den fremden Gast bewundernd angestarrt. Dimitri -Iwanowitsch setzte sein Pincenez auf und nahm es nicht wieder ab, -obwohl er es sonst, um seine sehr angegriffenen Augen zu schonen, nur -zum Schreiben und Lesen trug.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_362"></a>[S. 362]</span></p> - -<p>Hans Fischer starrte die schöne Dame so verzückt an wie ein Kind eine -einladende süße Speise — kurz es herrschte allgemeine Gemütsbewegung.</p> - -<p>„Meine Cousine Frau von Wetterhelm,“ stellte Bertha vor. In ihrer -Bestürztheit vergaß sie, nun die Namen der anderen Leute zu nennen.</p> - -<p>Und diese alle saßen stumm wie die Oelgötzen; von allen diesen Leuten, -die so gut und so viel reden konnten, wenn eine sie interessierende -wissenschaftliche Frage aufgerollt war, fand keiner Worte, sobald es -sich um eine leichte gesellschaftliche Unterhaltung handelte.</p> - -<p>Monikas mondaine Gewandtheit half vorläufig über das peinliche -Stillschweigen hinweg. Aber eine rechte Stimmung kam an diesem Abend -nicht mehr auf. Die Gäste fühlten sich durch die elegante Fremde -geniert und gingen sehr viel früher als gewöhnlich.</p> - -<p>Monika hoffte nun mit ihrer Cousine allein sprechen zu können, aber auf -dem roten Kattunsofa saß Olga Nikolajewna und rührte sich nicht. Als -Bertha einen schüchternen Versuch machte, sie zum Verlassen des Zimmers -zu bewegen, erwiderte sie ganz erstaunt:</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_363"></a>[S. 363]</span></p> - -<p>„Aber wir haben doch bloß dieses Sofa!“ Wußte Bertha denn immer noch -nicht, daß ihr Stühle unbequem waren?!</p> - -<p>So verfügten sich denn die beiden Cousinen in Berthas Schlafzimmer, -das mit seinen winzigen Abmessungen, mit seiner schmalen, eisernen -Bettstelle einen sehr ärmlichen Eindruck machte.</p> - -<p>Monika setzte sich auf einen Rohrstuhl am Fenster und Bertha ließ sich -aufs Bett sinken; sie war noch immer unter dem Eindruck der großen -Ueberraschung.</p> - -<p>Monika hier! Und sie kam zu ihr die vier wackligen Treppen hinauf! All -das kam ihr ganz unwahrscheinlich vor.</p> - -<p>Freilich vermutete sie nicht so Entscheidendes, wie sie gleich darauf -zu hören bekam.</p> - -<p>Also Monika war fort von ihrem Mann! Für immer fort?!</p> - -<p>Bertha fühlte bei dieser Nachricht erstaunlicherweise nicht die -freudige Genugtuung, die sie bei ihren extremen Grundsätzen eigentlich -hätte haben müssen. Nein, sie empfand nicht: „Gott sei Dank wieder -eine, die das unwürdige Ehejoch von sich<span class="pagenum"><a id="Seite_364"></a>[S. 364]</span> abschüttelt!“ — sondern -in diesem Augenblick überwog Berthas frühere Natur: „Wie töricht von -Monika, ihrem Mann davonzulaufen!“</p> - -<p>Gut, daß, ehe sie diese Worte geäußert, ihr ihre neuerworbenen -Grundsätze einfielen. Und so sagte sie denn, sie sei weit entfernt -davon, Monikas Schritt zu mißbilligen. Sich durchsetzen, seine eigene -Persönlichkeit zu bewahren, das sei das Höchste für ein denkendes -menschliches Wesen, und die Zeiten, da man die Frauen nicht zu den -denkenden menschlichen Wesen gerechnet, seien ja erfreulicherweise -vorüber!</p> - -<p>Es sei sehr vernünftig von Mone, daß sie gleich hierher gekommen zu -ihr, die ihr sehr gern mit ihrem Rate zur Seite stehen wolle.</p> - -<p>„Es ist jedenfalls sehr nett von Dir, daß Du Dich hier meiner annehmen -willst,“ sagte Monika. Sie war nicht so sicher wie sonst.</p> - -<p>Allein, zum ersten Male war sie allein gefahren, den weiten Weg von -Berlin nach Zürich, und aus des Zuges Räderrollen hatte sie eine so -traurige Melodie gehört: Fort von ihm! Jeden Augenblick weiter fort von -ihm, der mein Glück gewesen...</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_365"></a>[S. 365]</span></p> - -<p>Sie hatte sich dann selbst sentimental gescholten. Da sie nun mal -eingesehen hatte, daß ihres Bleibens nicht länger bei ihm war, war -alles abgetan! Mußte alles abgetan sein!</p> - -<p>Ein neues Leben!</p> - -<p>Und ein bescheidenes Leben.</p> - -<p>Sie wollte versuchen, mit der knappen Zulage auszukommen, die ihre -Mutter ihr geben konnte.</p> - -<p>Darüber hatte es noch eine Meinungsverschiedenheit gegeben mit Georg, -der ihr einen Scheck über eine hohe Summe mitgegeben.</p> - -<p>„Ich will kein Geld von Dir!“ hatte sie gesagt.</p> - -<p>„Du mußt es nehmen, Monika. So lange wie Du meine Frau bist, kannst -Du nicht wie eine Zigeunerin durch die Welt laufen. Wie denkst Du Dir -überhaupt Dein späteres Leben pekuniär?“</p> - -<p>„Ich will mir unbedingt selbständig meinen Lebensunterhalt verdienen, -sei es schriftstellerisch oder daß ich studiere. Ich weiß es noch -nicht.... Das alles ist noch so dunkel....“</p> - -<p>„Und Du willst nicht bei mir bleiben — statt so ins Ungewisse in die -Welt hinauszugehen —?“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_366"></a>[S. 366]</span></p> - -<p>„Nein!“ antwortete sie hart.</p> - -<p>Es empörte sie, daß er diese Frage so an sie gestellt hatte, so als ob -ein materielles Interesse je hätte mitsprechen können, sie zu fesseln.</p> - -<p>Ja, wenn er vor ihr niedergestürzt wäre, wenn er ihr in heißer Qual -entgegengerufen: „Bleib’, ich kann nicht leben ohne Dich!“, dann hätte -sie wohl nicht den Mut gefunden, fortzugehen auf Nimmerwiedersehen.</p> - -<p>Aber so sprach Georg von Wetterhelm nicht. Nach dem „Nein“, das sie -ihm entgegengerufen, hatte er nur noch streng sachlich mit ihr die -einzuleitende Scheidung besprochen, die wegen böswilliger Verlassung -ihrerseits erfolgen werde. Sie würde eine Aufforderung erhalten, zu ihm -zurückzukehren, und wenn sie dieser nicht Folge leiste, so erfolge ein -Jahr nachher die gerichtliche Scheidung.</p> - -<p>Und sie war gegangen auf Nimmerwiedersehn.</p> - -<p>Als sie die erste Müdigkeit nach der langen Eisenbahnfahrt überwunden, -hatte ein Gefühl von Energie sie durchflutet. Ein Bad, ein Glas Sherry, -ein elegantes Kleid, und sie war zu Bertha gefahren.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_367"></a>[S. 367]</span></p> - -<p>Diese war entschieden so hilfsbereit gewesen, wie man es nur irgend -erwarten konnte. Man hatte so manches verabredet.</p> - -<p>Monika sollte eine Wohnung im selben Hause wie Bertha nehmen, sowohl -ihres schmalen Geldbeutels wegen, als damit sie Anschluß habe.</p> - -<p>Dann sollte sie erst mal in einigen Kollegs hospitieren, um sich dann -endgültig zu entscheiden.</p> - -<p>Es würden in ihrem Wissen eine Menge Lücken auszufüllen sein. Aber das -schreckte sie nicht, sie hatte ja immer so gern gelernt.</p> - -<p>War es denn etwas anderes, was sie schreckte? Was war dieses sonderbare -Gefühl, das ihr das Herz zusammenpreßte?</p> - -<p>Sie hatte doch nun die Freiheit, konnte doch nun ihre Persönlichkeit so -entfalten, wie sie es immer gewünscht.</p> - -<p>Nun war doch der sehnlichste Traum ihrer Jugendjahre in Erfüllung -gegangen: frei! — —</p> - -<p>Und ein neues Leben jetzt!</p> - -<p>Nicht mehr an die grauen Augen denken, die sie zu sehr geliebt, — an -die grauen Augen, die so<span class="pagenum"><a id="Seite_368"></a>[S. 368]</span> verächtlich erstaunt geblickt, wenn sie sich -„inkorrekt“ benommen oder „wild“.</p> - -<p>Und nicht mehr an seine Hände denken, jene schönen, harten Hände, die -sie so sicher und gebieterisch dahingeführt auf schnurgerader, grauer -Strecke, während auf allen Seitenwegen und Fußpfaden so viel üppig -schönes Blumengerank wucherte.</p> - -<p>Nicht mehr an ihn denken!</p> - -<p>Schade nur, daß sie so oft, so unendlich oft an ihn erinnert wurde.</p> - -<p>Sie sah jetzt erst, wie sehr Georg ihr die kleinlichen Sorgen des -Lebens aus dem Wege geräumt, wie sehr er jede Unannehmlichkeit von ihr -ferngehalten. — — —</p> - -<p>Sie sah jetzt erst, was es hieß, sich selbst um die Alltagssorgen -bekümmern zu müssen. —</p> - -<p>Mit einem Gefühl der Erleichterung begrüßte sie den Tag, an dem sie zu -Bertha übersiedelte. Sie hatte in Berthas Wohnung angrenzende Zimmer -bekommen, die bisher ein Kandidat der Medizin bewohnt.</p> - -<p>Diese Zimmer trugen das ärmliche Gepräge, das dem ganzen Hause -anhaftete, und Monika<span class="pagenum"><a id="Seite_369"></a>[S. 369]</span> konnte sich eines kleinen Schauders nicht -erwehren, als sie ihre Wohnung des näheren besichtigte.</p> - -<p>Sie schwankte sogar einen Augenblick, ob sie nicht diese Baracke im -Stiche lassen solle, um sich ein eleganteres Quartier zu nehmen. Sie -hatte ja den Scheck da....</p> - -<p>Aber sofort wies sie diesen Gedanken von sich. Nein, nein, sie wollte -mit dem Zuschuß von Mama auskommen, so wenig das auch war.</p> - -<p>Und Georg brauchte gar keine Angst zu haben, daß sein Name dadurch -kompromittiert werde, wenn sie hier in so ärmlichen Verhältnissen -hauste. Sie nannte sich mit ihrem Mädchennamen. Die Abneigung vor ihrer -neuen Umgebung mußte eben heruntergewürgt werden! —</p> - -<p>Sie fand sich nicht schnell in dieses neue Leben hinein, beim besten -Willen nicht!</p> - -<p>Sie fühlte sich nicht zu Hause in dieser häßlichen Wohnung.</p> - -<p>Unzählige Male am Tage trat sie hinaus auf den kleinen Balkon vor ihrem -Zimmer.</p> - -<p>Zwischen ein paar altersgrauen Dächern erblickte man die grüne Limmat, -Schwärme von<span class="pagenum"><a id="Seite_370"></a>[S. 370]</span> schneeweißen Möwen schwirrten über den Strom; sie sah dem -unruhigen Spiel ihrer Flügel zu, die sie bald hoch zum Himmel, bald -tief hinab zum Wasser trugen.</p> - -<p>Und eine unklare Sehnsucht war in ihr, die ihr das Herz zusammendrückte.</p> - -<p>Aufseufzend trat sie zurück ins Zimmer, in dem dann vielleicht gerade -Olga Nikolajewna, Zigaretten paffend, auf dem Sofa lag.</p> - -<p>Monika hatte versucht, die allzu häufigen Besuche der Russin -abzuwehren, aber diese hatte ihr in ihrem harten Deutsch erwidert:</p> - -<p>„Aber Ihr Sofa ist weicher.“</p> - -<p>Sie hielt diese Tatsache für völlig ausreichend, um von dem erwähnten -Möbelstück Besitz zu nehmen.</p> - -<p>Als Monika sich bei Bertha beklagte, hatte diese ihr mißbilligend -gesagt:</p> - -<p>„Aber sei doch nicht so unkameradschaftlich. Wir sind hier alle für -Gütergemeinschaft.“</p> - -<p>Daß das keine leere Redensart war, lernte Monika bald genug einsehen. -Man betrachtete<span class="pagenum"><a id="Seite_371"></a>[S. 371]</span> auch ihre Sachen als Gemeingut. Olga Nikolajewna goß -sich den Inhalt von Monikas Parfümflaschen über Bluse und Haar. Bertha -benutzte, ohne je um Erlaubnis zu fragen, Monikas Nähutensilien und -ihre Bücher.</p> - -<p>Alle die „Stammgäste“ kamen, ohne dazu aufgefordert zu sein, jetzt auch -in Monikas Zimmer hinüber.</p> - -<p>Die anfängliche Scheu, die sie vor der Fremden gehabt, war sehr bald -einer kollegialen Vertraulichkeit gewichen.</p> - -<p>Am häufigsten wurde sie von Edith von Gräbert besucht.</p> - -<p>Diese hatte ein großes, mit Mißgunst gemischtes Interesse an Monika.</p> - -<p>Für alles an ihr: ihre Art, sich zu bewegen, sich anzuziehen, zu -lächeln....</p> - -<p>Es war, als ob Edith von ihr zu lernen suche, sich nach ihrem Vorbild -modele.</p> - -<p>Entschieden war das ein verfehltes Beginnen, denn die beiden waren -äußerlich so voneinander verschieden, daß alles, was zu Monikas Wesen -paßte, für Edith deplaciert war.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_372"></a>[S. 372]</span></p> - -<p>Bildete doch schon Monikas weiches Gesicht einen entschiedenen -Gegensatz zu Ediths herben Zügen, die übrigens durchaus ebenmäßig -geformt waren.</p> - -<p>Sie war überhaupt nicht ohne Reiz. Sie hatte eine große, gutgewachsene -Figur.</p> - -<p>Aber etwas unnennbar Hartes lag in all ihren Linien, sowohl in denen -des Körpers wie in denen des Gesichts.</p> - -<p>Ihre hellen Augen blickten klug und spöttisch unter blonden Brauen, -ihre Gesichtsfarbe war von einer auffallenden Zartheit, und diese -zarte, helle Haut begann schon ein wenig das Stigma des Welkens zu -tragen. Die Augenlider waren schon etwas zerknittert, wie weiße -Rosenblätter, die am Verblühen sind.</p> - -<p>Edith war von einer Offenheit, die an Zynismus grenzte. Sie erzählte -Monika, ohne daß diese im mindesten danach gefragt hätte, die intimsten -Einzelheiten aus ihrem Leben; sie sprach von der unglücklichen Ehe, die -ihre Eltern geführt. Sie verhehlte nichts, beschönigte nichts von allen -traurigen Fällen, die sie oder ihre Familienangehörigen getroffen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_373"></a>[S. 373]</span></p> - -<p>Monika machte mitunter Einwendungen, sagte ihr geradeheraus:</p> - -<p>„Das sind doch interne Angelegenheiten, über die spricht man doch -nicht.“</p> - -<p>Aber Edith zeigte dann in höhnischem Lachen ihre großen, weißen Zähne:</p> - -<p>„Ach, den Schnickschnack habe ich mir abgewöhnt. Ich habe früher auch -mal so gedacht wie Sie — o, sicher sogar sehr viel strenger gedacht -als Sie. Es ist noch gar nicht so lange her. Da war ich Lehrerin an -der Schule von Fräulein Cersfeld und gab für hundert Mark monatlich -ungezogenen Mädels Französisch und Geographie, auch Religion und -andere schöne Sachen. Von acht bis eins täglich dauerte der Scherz. -Fünf Minuten nach eins ging ich nach Hause, wo ich gerade rechtzeitig -ankam, um einer lärmenden Szene zwischen Mama und Papa beizuwohnen. -Nachmittags dann Hefte korrigieren und abends um halb zehn in die -Klappe. Ach, ein Leben.... Sieben und ein halbes Jahr ist das so -gegangen. Dann...“</p> - -<p>Sie unterbrach sich.</p> - -<p>„Ach, ist ja alles Unsinn,“ fuhr sie mit veränderter Stimme fort. „Wozu -von Vergangen<span class="pagenum"><a id="Seite_374"></a>[S. 374]</span>heiten reden! Ich fühle mich sehr wohl, seitdem mir das -Familienleben Wurst ist! Es lebt sich doch sehr nett in dem ollen, -ehrlichen Zürich.“</p> - -<p>„Ja...,“ sagte Monika, und ihr Blick irrte sehnsüchtig hinaus durchs -Fenster auf den grünen Strom, über dem die weißen Möwen taumelten.</p> - -<p>Die Vorlesungen, die Monika belegt, interessierten sie teilweise sehr, -aber sie gewöhnte sich nicht an das Zusammensein mit so vielen anderen.</p> - -<p>Es saßen da in den Hörsälen Leute aus aller Herren Ländern, junge und -alte, Frauen und Männer.</p> - -<p>Alle diese Gehirne arbeiteten, dachten, waren wie Maschinen mit -surrendem Räderwerk.</p> - -<p>Und sie alle, die starken und die schwachen, die schnell arbeitenden -und die trägen Gehirne, sie alle holten sich hier Nahrung, -Heizmaterial, Funken von der großen Flamme des Wissens, das die Welt -erhellt.</p> - -<p>Wohl empfand Monika die Größe, die darin lag, aber das half ihr nicht -darüber hinweg, daß ihr das Zusammengepferchtsein mit allen diesen -unbekannten Menschen auf die Nerven fiel.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_375"></a>[S. 375]</span></p> - -<p>Sie wurde das Gefühl nicht los, daß sie denen allen hier überlegen war.</p> - -<p>Vor ihrem Verstand war dieses Gefühl nicht stichhaltig.</p> - -<p>Die Tatsache, daß sie eine sehr viel raffiniertere Körperpflege trieb -als die alle hier, schuf ihr doch keine Ueberlegenheit?</p> - -<p>Und daß sie weltgewandter war, abgeschliffener, — das alles hatte doch -hier keinen ernsthaften Wert.</p> - -<p>Sie war eben wohl immer noch von Vorurteilen befangen; zu sehr hatte -Georg ihre frühere Wesensart umgewandelt. Aber das würde sich schon -geben mit der Zeit.</p> - -<p>Mit der Zeit...</p> - -<p>Sie, die früher so oft der Zeit zugerufen: „Halt an!“, hätte ihr jetzt -Sporen geben mögen wie einem schlechten Gaul.</p> - -<p>Nur schnell vorwärts! Nur Zeit legen zwischen sich und das Glück!</p> - -<p>Und Tage kamen und gingen... Wochen... und Monate... Und noch immer -war sie nervös,<span class="pagenum"><a id="Seite_376"></a>[S. 376]</span> schreckte zusammen, wenn es klingelte, und ging immer -wieder auf den Balkon und starrte hinüber auf den Strom und auf die -weißen Möwen.</p> - -<p>Sie sprach mit niemandem über das, was sie innerlich bewegte. -Den vielen Fragen von Edith von Gräbert setzte sie eine kühle -Reserviertheit entgegen.</p> - -<p>Uebrigens war Edith die einzige, die neugierig war.</p> - -<p>Bertha fragte sie nie etwas. Nicht aus Diskretion, sondern weil sie zu -sehr mit sich selbst beschäftigt war; sie steckte in ihrem Studium wie -in einem Kleide, das ihr nach allen Richtungen hin zu groß war, und das -sie sich wichtigtuerisch bemühte auszufüllen.</p> - -<p>Mit dem Wesen, das sie früher gewesen, hatte sie kaum noch einen -Zusammenhang. Das bewies sie deutlich, als ihre Mutter ihr eines Tages -schrieb.</p> - -<p>Sie brachte Monika den Brief hinüber mit der Aufforderung zu lesen.</p> - -<p>Frau Reckling schrieb, daß sie heute mit einer großen Bitte an ihre -Tochter herantrete, einer Bitte,<span class="pagenum"><a id="Seite_377"></a>[S. 377]</span> die wohl geeignet sei, eine Umwälzung -in Berthas Existenz hervorzurufen.</p> - -<p>Die Untersuchung, die Berthas Vater bei einem berühmten Berliner -Augenarzt habe vornehmen lassen, hätte leider die Diagnose des -Hausarztes vollkommen bestätigt: es sei eine Netzhautablösung, die in -nicht zu ferner Zeit zu völliger Blindheit führen müsse.</p> - -<p>Natürlich könne der Vater seinen verantwortungsvollen Posten als -Gymnasialdirektor nun nicht mehr ausfüllen.</p> - -<p>Man würde sich nach Harzburg, dem Heimatstädtchen des Direktors, -zurückziehen.</p> - -<p>Und Bertha müsse kommen! Der Mutter Gicht habe solche Fortschritte -gemacht, daß ihr die Hände oft gelähmt seien, unfähig zu jeder -Tätigkeit. Die Mutter wäre ja tief unglücklich, daß Berthas -hoffnungsreiches Studium abgebrochen werden solle, aber wer solle um -den erblindenden Vater bemüht sein, wer die Tätigkeit ersetzen, die der -Mutter gelähmte Hände nicht mehr tun konnten? Bertha solle kommen! Die -einzige Tochter würde der Eltern Stütze sein.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_378"></a>[S. 378]</span></p> - -<p>„Meine Mutter scheint ja vollkommen durchgedreht zu sein!“ sagte -Bertha. „Sie sollen sich doch eine Gesellschafterin nehmen. Es laufen -ja genug junge Mädchen aus anständiger Familie herum, die für freie -Station und ein Taschengeld den Beruf der Tochter des Hauses geradezu -großartig ausfüllen! Wenn Mama ein Haustöchterchen haben wollte... ich -hatte alle Anlage dazu! Dann brauchte sie mich nicht mit Gewalt auf -diesen Weg zu führen. Auf dem bin ich und bleibe ich! Das kann niemand -von mir verlangen, daß all die langen Jahre Studium, all meine Mühe -und mein Fleiß umsonst gewesen sein sollen. Daß ich jetzt kurz vor dem -Examen abspringen soll, ist wahrhaftig eine Zumutung!“</p> - -<p>In diesem Sinne schrieb sie an die Mutter. Und postwendend traf die -Antwort ein: ein Jammerschrei über Berthas Lieblosigkeit, die ihre -kranken Eltern der Hilfe einer bezahlten Fremden überlassen wolle!</p> - -<p>Bertha könne doch nicht so ganz jedes weibliche Fühlen verloren haben!</p> - -<p>„Hätte sie sich früher überlegen sollen, meine gute Mama. Was soll denn -das heißen: weibliches<span class="pagenum"><a id="Seite_379"></a>[S. 379]</span> Fühlen?! Das soll weiter gar nichts heißen, -als: sich selbst aufgeben zum Nutzen für andere! Wo bleibt da die -Gleichberechtigung?! Wer verlangt von einem jungen Manne, der studiert, -daß er nach Hause kommt, sein Studium aufgibt, um seine Eltern zu -pflegen?! Wenn ich dasselbe leisten kann, was ein männlicher Student -leistet, dann muß ich auch ebenso behandelt werden, dann kann ich -denselben Respekt vor meiner Persönlichkeit verlangen! Und den verlange -ich!... Mir tut die Krankheit meiner Eltern gewiß von ganzem Herzen -und von ganzer Seele leid, aber mich selber ihnen opfern — — nun und -nimmer! Sie werden schon eine nette Gesellschafterin finden. Ich lasse -mich jedenfalls auf gar keine weiteren Unterhandlungen ein, und wenn -sie mir die Zulage sperren, ist es noch so! Ich habe mein Eigenes von -der Großmama. Die brave, alte Dame hatte geglaubt, ich würde meine -Brautausstattung davon kaufen. Sie war noch so unmodern!“</p> - -<p>Monika war peinlich berührt von Berthas Standpunkt. Wie herzlos das -klang... wie gefühlsroh ... Und doch... war sie selbst denn etwa -aufopferungsfähiger? Hatte sie nicht, um ihre<span class="pagenum"><a id="Seite_380"></a>[S. 380]</span> Persönlichkeit zu -wahren, ihren Mann verlassen, der so viel liebevoller zu ihr gewesen -als Berthas Eltern zu ihrer Tochter?...</p> - -<p>O gewiß, Bertha hatte ganz recht, so zu handeln! Aber ein unangenehmes -Gefühl wurde Monika nicht los. Und Georg Wetterhelms Schwester fiel ihr -ein, ihre Schwägerin Brigitte, deren Aufopferung sie verlacht, gleich -bei jenem ersten Besuche auf Gerbitz, als sie Braut war. — —</p> - -<p>Erinnerungen überfluteten sie wie große Wogen, die auf sie zukamen, -über sie hinweggingen, ihren Widerstand ertränkten, daß sie in die Knie -sank, daß sich in heißem Schluchzen ein Name von ihren Lippen rang:</p> - -<p>„Georg.“</p> - -<p>Nur einen Augenblick. Dann hatte sie die Herrschaft über sich -zurückgewonnen.</p> - -<p>Das war ja nur Nervosität gewesen, sicherlich!</p> - -<p>Nur die Schuld der häßlichen, ärmlichen Umgebung. Oder die Schuld der -allzu abstrakten Wissenschaft....</p> - -<p>O, nur weg von hier, fort von Zürich. Es war nichts mit dem Studieren. -Die ganze Umgebung<span class="pagenum"><a id="Seite_381"></a>[S. 381]</span> hier, all die Leute mit den schlechten Manieren -— das alles war nicht zu ertragen, wenn man fünf Jahre lang Georg -Wetterhelms Frau gewesen war.</p> - -<p>Sie wollte fort. Irgendwo in die große bunte Welt, all die Schönheit -genießen, die da aufgeschlagen lag wie ein Märchenbuch mit schönen -Bildern.</p> - -<p>Und all diese Schönheit wollte sie beschreiben, sich ganz der Kunst -widmen, die der leuchtende Stern ihrer Kindheit gewesen. Sie wollte -denken und dichten, sie wollte glücklich sein! Ja sie war überzeugt, -daß sie dann glücklich werden mußte!</p> - -<p>Noch am selben Tage teilte sie Bertha ihren Entschluß mit.</p> - -<p>Diese war überrascht, nahm die Sache aber nicht sehr wichtig. Dagegen -empfing Edith von Gräbert einen großen Eindruck von der Neuigkeit, daß -Monika fort wolle.</p> - -<p>Wo denn hin? Nach Luzern zuerst? — Da käme sie mit.</p> - -<p>Monika war überrascht von diesem Angebot; sie stand sich nicht so -freundschaftlich mit Edith, als daß es gerechtfertigt gewesen wäre.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_382"></a>[S. 382]</span></p> - -<p>Immerhin war gegen das, was Edith sagte, nicht viel einzuwenden: sie -war ermüdet, überanstrengt, mußte mal ausspannen. Sie würde sich sehr -glücklich schätzen, wenn sie sich Monika anschließen dürfe.</p> - -<p>Da stimmte Monika zu, nicht gerade begeistert, aber es war ihr doch -nicht unlieb, daß sie nun nicht so allein sein würde....</p> - -<div class="figcenter illowe10" id="kapitelende12"> - <img class="w100" src="images/kapitelende.jpg" alt="Ende des Kapitels" /> -</div> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_383"></a>[S. 383]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="Kapitel_13">13.</h2> - -</div> - -<div class="dc" id="p145initial5"> - <img class="illowe6" src="images/p145initial.jpg" alt="D" /> -</div> - -<p class="p0"><span class="initial">D</span>er „Seepalast“ in Luzern war auch eine riesige Fremden-Karawanserei -wie das Hotel, in dem Monika zuerst in Zürich abgestiegen, aber -er war von einem modernen, vornehm abgetönten Luxus, den Zürich -nicht aufzuweisen gehabt. Im Hochparterre lagen drei riesenhafte -Gesellschaftssäle nebeneinander. Und verschwiegene Schreibzimmer mit -grünen Lederpolstern, ein Lesesaal, in dem alle großen Zeitungen des -Erdballs auflagen, öffneten sich im Anschluß an eine ungeheure Halle, -die die Hotelgäste zu den verschiedensten Tages- und Nachtzeiten -versammelt sah.</p> - -<p>An jedes Schlafzimmer schloß sich ein Badezimmer mit Marmorwanne und -blitzenden Dusche-Apparaten.</p> - -<p>Monika atmete auf.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_384"></a>[S. 384]</span></p> - -<p>Endlich wieder eine anständige Umgebung, endlich ein Hotel wie die, in -denen sie mit Georg geweilt.</p> - -<p>Georg... schon wieder Georg....</p> - -<p>Nein, sie wollte nicht mehr an ihn denken. Lieber sich Vergessenheit -trinken an all der Schönheit, die man vom Balkon ihres kleinen Zimmers -im vierten Stock aus sah.</p> - -<p>Edith störte nicht.</p> - -<p>Die saß unten im Lesesaal und angelte nach Bekanntschaften.</p> - -<p>Und Monika blieb allein droben auf dem Balkon und schaute auf den -Vierwaldstätter See. Der hatte am Tage die Farbe eines kostbaren -Smaragds.</p> - -<p>Starre, zackige Felsen umkränzten ihn, und über dem allen wölbte sich -kornblumenblau der Sommerhimmel, von dem sich die schwarzen Rauchsäulen -der Dampfer abzeichneten, die über den See fuhren.</p> - -<p>Rechts lag der Hafen von Luzern. Die Menschenmengen, die sich dort -drängten, sahen von hier aus wie Ameisenscharen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_385"></a>[S. 385]</span></p> - -<p>Sie saß und träumte.</p> - -<p>Sie ging nach den Mahlzeiten gleich immer wieder in ihr Zimmer hinauf.</p> - -<p>Edith war darüber tief enttäuscht.</p> - -<p>Sie hatte darauf gerechnet, sich überall mit Monika zusammen zu zeigen, -und nun mußte sie allein herumlaufen.</p> - -<p>Die Bekanntschaften, die sie machte, genügten ihr durchaus nicht.</p> - -<p>Die wirklich eleganten Hotelgäste hatten kein Interesse für dieses -weder auffallend schöne noch elegante Fräulein von Gräbert.</p> - -<p>Eines Tages wurde Monikas Einsamkeit durch einen überraschenden Besuch -gestört.</p> - -<p>Ihre Cousine Marie von Hammerhof ließ sich melden.</p> - -<p>Marie hatte nie sehr freundliche Gefühle für Monika gehabt, und sie -erschien mehr auf den Wunsch ihrer Tante Birken als aus eigener -Initiative.</p> - -<p>Sie erzählte, daß sie mit ihrem Sohne zum Sommeraufenthalt in Gersau -sei und bei der Durchreise in Berlin Monikas Mutter habe versprechen -müssen, sie hier aufzusuchen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_386"></a>[S. 386]</span></p> - -<p>Uebrigens zeigte sich Marie freundlicher als sonst.</p> - -<p>„Mir hat das direkt imponiert, wie Du Deinem Manne so einfach auf und -davon gelaufen bist,“ sagte sie. „Ganz recht hast Du gehabt! Die Männer -taugen alle nichts!“</p> - -<p>„Daß er nichts taugt, ist unzutreffend,“ sagte Monika. „Im Gegenteil! -Georg taugt sogar sehr viel. Aber ich habe eingesehen, daß er meine -Persönlichkeit zerbrach, mich umformte — —“</p> - -<p>„Das versuchen sie ja alle,“ sagte Marie wegwerfend. „Die Männer fühlen -sich nun mal alle gottähnlich und empfinden uns als ‚das schwache -Werkzeug‘. Ich habe nicht einen... nein, Dutzende von Ehemännern -sagen hören, daß ihre Frau nach der Heirat „sich doch unendlich -herausgemacht“ habe, sowohl seelisch wie körperlich. Wie gesagt, -versuchen tun sie die Umformung alle, nur sie haben nicht alle Glück -damit! Mein Mann hat mich nicht geändert.“</p> - -<p>Die hagere Frauengestalt reckte sich hochauf, ein triumphierendes -Lächeln huschte über ihre scharfen Züge.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_387"></a>[S. 387]</span></p> - -<p>„Ich bin geblieben, wie ich war, nichts habe ich ihm von meiner Seele -gegeben, nichts von meinem eigentlichen Selbst.“</p> - -<p>„Und bist Du glücklich geworden?“</p> - -<p>„Nein, das Glücklichsein muß wohl eine Kunst sein. Ich habe sie nie -rausgehabt!... Vielleicht kommt es daher, daß ich den falschen Weg -gegangen bin. Mag Gott es der Mama verzeihen, daß sie mich damals -bestimmte, diesen Mann zu heiraten, den ich nicht liebte, nicht haßte, -— denn damals haßte ich ihn doch nicht — aber der mir fremd war, ganz -fremd.“</p> - -<p>„Und hat dann nicht Eure junge Ehe eine Brücke geschlagen zwischen Euch -beiden?“</p> - -<p>„Er blieb mir immer fremd... Und dann habe ich ihn hassen gelernt, wie -man eben jemand haßt, an den man gegen seinen Willen sein Leben lang -geschmiedet ist. Ein Leben lang — ein ganzes Leben — —“</p> - -<p>Sie war blaß geworden, so als ob sie die ungeheure Tragweite dieses -Gedankens in dem Augenblicke jetzt erst restlos erfaßt hätte.</p> - -<p>„Du kannst ja weggehn,“ sagte Monika und fügte tonlos hinzu: „Weggehn, -wie ich es tat“...</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_388"></a>[S. 388]</span></p> - -<p>„Nein, nicht wie Du, denn ich bin Mutter. Könnte ich leben ohne mein -Kind?! Und der Junge bliebe meinem Mann, das ist gar keine Frage. Wenn -ich Wilhelm verlasse, werde ich doch als der schuldige Teil erkannt. -Glaubst Du, ich könnte ohne meinen Jungen leben? Er braucht mich doch! -Und ich brauche ihn nötiger als die Luft zum Leben. Keinen Tag kann ich -ohne ihn sein... Und immer, immer die Angst, die schreckliche Angst: -bleibt er mir? Er ist sehr zart. Die Bronchien besonders. Jetzt war ich -auch wieder in Ems mit ihm; Gersau ist uns zur Nachkur empfohlen.“</p> - -<p>„Ist er mit herübergekommen?“</p> - -<p>„Ja, er ist mit der Bonne im Garten. Ich habe ihn unten gelassen, weil -ich mit Dir noch über manches sprechen muß. Weißt Du, Mone, mich geht’s -ja eigentlich nichts an, aber wenn Du irgendeinen Einfluß auf Deine -Mama hast, solltest Du sie veranlassen, daß sie Heinrich nicht jeden -Unfug nachsieht.“</p> - -<p>„Was für Unfug?“</p> - -<p>„Na, seit er wieder bei Deiner Mutter wohnt, benimmt er sich genau so, -als hätte er noch seine<span class="pagenum"><a id="Seite_389"></a>[S. 389]</span> Studentenbude. Seine Freundinnen und Freunde -gehen bei ihm ein und aus, wie in einem Taubenschlag! Er veranstaltet -Symposien mit violettem Seidenpapier um die Glühbirnen rum — „wegen -des magischen Effekts“, sagt er! Bis vier Uhr morgens scheinen diese -Gastmähler zu dauern. Als ich neulich bei Tante war und telephonieren -wollte, sagte sie mir: das ginge nicht, denn in das Zimmer, wo -das Telephon stände, könne ich nicht hinein, da säße gerade eine -Schauspielerin, die auf Heinzemännchen warte, und offiziell dürfe sie -als Mutter doch nichts davon wissen. Ich möchte doch bei dem Bäcker an -der Ecke telephonieren, das sei ein sehr freundlicher Mann, der würde -gewiß nichts dagegen haben.“</p> - -<p>„Echt!“</p> - -<p>„Ja, sage mal, ich finde, daß die Würde Deiner Mutter es erfordert, daß -Heinrich wieder allein wohnt.“</p> - -<p>„Nein, das geht nicht,“ sagte Monika, „Mama kann nicht allein wohnen... -Das weiß ich aus den Briefen, die sie mir bald nach Karls Tode schrieb. -Verzweifelt war sie, vollkommen wie verirrt. Was nun mit ihr werden -solle? Ihre Kinder brauchten sie nicht, schienen sie alle nicht zu -brauchen.<span class="pagenum"><a id="Seite_390"></a>[S. 390]</span> Und das stimmte: wir brauchten sie alle nicht. Alfred in -der fernen Garnison, Heinrich in seinem Studentenquartier, ich in die -Welt verflogen — und Karl in seinem Grabe. — — Und sie schrieb, -sie müsse jemand haben, für den sie sorgen könne. So allein könne sie -nicht leben. Sie müsse einen von uns haben, um ihn zu betreuen, für den -sie sich mühen könne... Da habe ich an Heinrich geschrieben und habe -Gott gedankt, als er ja sagte und wieder zu Mama zog. Daß er sich so -benimmt, ist ja nicht schön, aber es ist besser, als daß Mama allein -bleibt! Denn dann kommt sie sich vor wie Spreu, ein Halm, dem man die -Fruchtkörner wegnahm und der nun wertlos ist... Also Heinzemännchen -soll ruhig weiter lila Symposien geben. Ich bin froh, daß die Mama ihn -hat.“</p> - -<p>„Na, wie Du denkst. Ich empfand es jedenfalls als Pflicht, mit Dir -darüber zu sprechen,“ sagte Marie spitz.</p> - -<p>Schweigen.</p> - -<p>Dann sagte nach einer Weile Marie:</p> - -<p>„Uebrigens, im Falle man fragen darf, was wird denn nun eigentlich aus -Dir?“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_391"></a>[S. 391]</span></p> - -<p>„Das muß die Zukunft lehren.“</p> - -<p>„Nicht die Vergangenheit?“</p> - -<p>„Wie meinst Du das?“</p> - -<p>„Na, Mone, nimm’s mir nicht übel, aber ein rasend koketter Racker -warst Du immer! Wenn ich noch daran denke, wie Du Roßberg den Kopf -verdrehtest. Und dabei hat Roßberg Trudchen wirklich glühend geliebt. -Es geht ihnen übrigens gut, sie haben jetzt das fünfte Kind bekommen... -Na, also, kokett warst Du damals schon als halbwüchsige Göre. Ich meine -immer: hat Dein Entschluß nicht doch noch eine andere Ursache als die, -die Du erzählst? Ist da nicht irgendeine neue Passion von Dir im Spiel?“</p> - -<p>„Pfui! — ich habe Dir die reine Wahrheit gesagt. Wie mißtrauisch Du -bist!“</p> - -<p>„Noch immer nicht mißtrauisch genug! Die paar Male, wo ich in meinem -Leben vertraute, bin ich auch noch betrogen und belogen worden. -Besonders von meinem Manne, immer von ihm — ach, Du weißt ja nicht, -wie viele hunderte von Malen ich mir gesagt habe: Fort von ihm, fort -aus der Ehe überhaupt. Die ist wie ein Kampf bis aufs letzte!<span class="pagenum"><a id="Seite_392"></a>[S. 392]</span> Die -Ehen, die ich gesehen habe und die einen harmonischen Eindruck machten, -waren immer so, daß der eine Teil der willenlose Sklave des anderen -war. Dann ging’s! O, dann ja! — Oft trägt die Frau das Joch, oft auch -der Mann!... Und diese sogenannte glückliche Ehe habe ich mir nicht -schaffen können. Zur Sklavin war ich nicht feige, nicht charakterlos -genug, zur Herrin hatte ich kein Talent.“</p> - -<p>„Und ich?“ schoß es Monika durch den Kopf, „was war ich in meiner -glücklichen Ehe? Herrin? — Nein. Georg war nie ein Weiberknecht. Also -Sklavin? Nur das?“</p> - -<p>Und Marie sprach weiter. Sie, die sonst so Kühle und Wortkarge, war -heute von ungewohnter Mitteilsamkeit.</p> - -<p>Es war, als hätten Monikas veränderte Lebensumstände die Schranke -niedergerissen, die immer zwischen den Cousinen bestanden.</p> - -<p>Es war, als ob Marie, nun sie zum erstenmal ihr starres Schweigen -brach, den Trost empfände, der für die meisten Frauen im Sichmitteilen -liegt.</p> - -<p>Immer weiter ging ihre Rede....</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_393"></a>[S. 393]</span></p> - -<p>Alles, was Wilhelm ihr angetan in diesen langen Jahren, alles, was -sie bisher stumm und allein getragen, strömte sie aus, daß Monika -zurückbebte vor dieser trüben Flut.</p> - -<p>„Ich hasse ihn! Du weißt nicht, wie sehr ich ihn hasse! Kaum ein Tag -vergeht, kaum eine Nacht, wo ich mir nicht sage: nur fort!... Nicht -eine Sekunde länger bleibe ich — —“</p> - -<p>Sie brach kurz ab, denn es wurde an die Tür geklopft.</p> - -<p>Und diese öffnete sich.</p> - -<p>Ein zarter, blonder Junge in einem gestickten Russenkittelchen lief auf -die Mutter zu, während das Kinderfräulein verlegen an der Tür stehen -blieb.</p> - -<p>„Mama, ich hab’ nicht länger warten wollen, Mama..“</p> - -<p>Da beugte sich die früh verblühte Frau tief über das Kind, und qualvoll -innig kam es von ihren Lippen:</p> - -<p>„Mein einziges Glück...“</p> - -<div class="figcenter illowe5" id="gedankensprung10"> - <img class="w100" src="images/gedankensprung.jpg" alt="Gedankensprung" /> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_394"></a>[S. 394]</span></p> - -<p>Nach diesem Besuche vergrub sich Monika wieder in ihre Einsamkeit. Die -Tage strichen gleichförmig dahin.</p> - -<p>Einmal riß ein Brief ihrer Mutter sie aus der Ruhe.</p> - -<p>Die Baronin schrieb ganz verzweifelt. Es täte ihr schrecklich leid, -Monika so furchtbare Sachen mitteilen zu müssen, aber sie habe -niemanden, dem sie ihr Herz ausschütten könne.</p> - -<p>Heinzemännchen wolle von der ganzen Angelegenheit nicht mehr sprechen -hören.</p> - -<p>Er sei zu böse auf Alfred... Um Alfred handle es sich nämlich. Er habe, -trotzdem er einmal schon an einer ähnlichen Geschichte haarscharf -vorübergekommen, seinen Burschen mit dem Reitpeitschengriff so über den -Kopf geschlagen, daß dieser eine erhebliche Verletzung davongetragen -habe.</p> - -<p>Woher Alfred diese entsetzliche Brutalität habe, sei ihr rätselhaft. -Der selige Papa sei doch sehr gutmütig gewesen, und sie selber, — nun, -Monika wisse ja allein, was für ein Gemüt die Mutter habe.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_395"></a>[S. 395]</span></p> - -<p>Alexander Wetterhelm wolle, der angeheirateten Verwandtschaft zuliebe, -nochmal versuchen, die Sache mit Alfred irgendwie zu vertuschen, obwohl -es ihm selber an den Kragen ginge, wenn es herauskäme.</p> - -<p>Aber weg vom Regiment müsse Alfred so schnell wie möglich — das sei -Bedingung!</p> - -<p>Er wolle nun zur Schutztruppe, und obwohl es ihr schrecklich sei, eines -ihrer Kinder so weit weg zu lassen, müsse sie doch sagen, es sei wohl -das beste!</p> - -<p>Hier in Deutschland würde Alfred der Familie bloß Schande machen, — -das sei keine Frage.</p> - -<p>Monika schrieb sofort und bat ihre Mutter in dringendsten Worten, -Alfred das Afrika-Projekt auszureden.</p> - -<p>Wenn’s nicht anders ginge, solle er Sektreisender werden oder -Versicherungsagent. Nur nicht in die Tropen, wo schon manch gesunder -Mensch sein seelisches Gleichgewicht verlor und Alfreds spezielle -Anlagen zu einer Katastrophe führen mußten.</p> - -<p>Der Mutter Antwort lautete: Monika sehe gewiß zu pessimistisch!</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_396"></a>[S. 396]</span></p> - -<p>Wenn die Leute nichts taugten, schicke man sie doch immer nach Afrika -oder nach Amerika.</p> - -<p>Da würden sie zu brauchbaren Menschen gemacht!</p> - -<p>Das sei immer so, und sie hoffe, so würde es auch Alfred ergehn. —</p> - -<p>Ein eisiges Gefühl des Schreckens überrieselte Monika.</p> - -<p>Sie sah ein böses Ende voraus. Alfred mit seinem ausgesprochenen -Hang zur Herrschsucht und zur Brutalität in jenem Lande, in dem dem -Einzelnen so sehr viel Macht gegeben war, wo nicht wie hier seinen -Instinkten Zaum und Zügel angelegt waren. Wo er eine Macht bedeutete -und unter Umständen Herr war über Menschenleben.</p> - -<p>Ein böses Ende...</p> - -<p>Und sie konnte nichts tun; mußte tatenlos zusehen, wie er seinem -Verderben entgegenging.</p> - -<p>Sie hatte Alfred nie ganz durchschaut. Die verschiedensten -Charaktereigenschaften lagen bei ihm nebeneinander.</p> - -<p>Er konnte banal sein bis zum Stumpfsinn und geistreich wie selten -einer. Er war sehr mißgünstig, sehr händelsüchtig; trotzdem bei vielen<span class="pagenum"><a id="Seite_397"></a>[S. 397]</span> -beliebt wegen der unvergleichlich witzigen Art, die er oft hatte.</p> - -<p>Er malte talentvoll, hatte einen auffallend schönen Bariton — aber -alle seine Gaben nutzte er nicht aus, von einem sonderbaren Mißtrauen -gegen sich selbst erfüllt.</p> - -<p>Stückwerk war er, wie die Birkenschen Kinder alle, wie sie selber auch!</p> - -<p>Und Georg tauchte vor ihren Augen auf; der ging nie einen Schritt vom -Wege, der ging den schnurgeraden Pfad der Korrektheit, der Sitte, der -Pflicht!</p> - -<p>Ein trotziges Aufbäumen faßte sie: nein! Die Birkenschen Kinder gingen -keinen vorgezeichneten Pfad. Die gingen durch Gestrüpp und auf Irrwege, -die nahmen sich, was sie begehrten, und wenn es um den Hals ging. Und -wenn man zugrunde ging!</p> - -<p>Erschreckend deutlich sah sie vor sich das wunderschöne und ein wenig -traurige Jünglingsantlitz des toten Bruders.</p> - -<p>Und sie sah Alfreds Zukunft unter Afrikas sengender Sonne, die sein -wildes Gehirn immer mehr aufreizte, immer mehr... Und sie sah Heinrich, -dessen Energie immer schlaffer wurde in der regen<span class="pagenum"><a id="Seite_398"></a>[S. 398]</span>bogenfarbenen -Dämmerung der Mystik und der Dichtkunst.</p> - -<p>Und sie sah sich selbst, losgelöst von Haus und Herd, voll von -strotzender Jugendkraft, voll von heißen Phantasien.</p> - -<p>Wie ein böses und trauriges Lied, wie eine unendlich schmerzvolle -Melodie klang es ihr im Ohr: „zugrunde gehn?“</p> - -<div class="figcenter illowe10" id="kapitelende13"> - <img class="w100" src="images/kapitelende.jpg" alt="Ende des Kapitels" /> -</div> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_399"></a>[S. 399]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="Kapitel_14">14.</h2> - -</div> - -<div class="dc" id="p399initial"> - <img class="illowe6" src="images/p399initial.jpg" alt="„W" /> -</div> - -<p class="p0"><span class="initial">W</span>enn Sie Ihre Freiheit dazu erobert haben, um Tage über auf dem Balkon -zu sitzen und nachts den Schlaf des Gerechten zu schlafen, dann.. dann -brauchten Sie eigentlich diese Freiheit verflucht wenig!“ sagte Edith -eines Tages.</p> - -<p>Das traf Monika. Edith hatte recht. Was tat sie mit der heißbegehrten -Freiheit? Und mit plötzlichem Entschluß sagte sie:</p> - -<p>„Ja, Sie haben recht, Edith. Es ist lächerlich, daß ich mich so -abschließe.“</p> - -<p>Nicht mehr wie bisher ging sie gleich nach den Mahlzeiten nach oben, -sondern blieb mit Edith in der Halle. In dem großen, prunkvollen -Raume mit seinen riesigen Spiegeln, den hohen Marmorvasen, in dem -exotische Pflanzen blühten, war besonders zur Zeit des Fünf-Uhr-Tees -ein buntscheckiges Publikum versammelt. Hier wiegte sich<span class="pagenum"><a id="Seite_400"></a>[S. 400]</span> auf dem -Rocking-Chair eine goldblonde junge Amerikanerin, den Strohhalm -ihres Ice-Drink zwischen den purpurn geschminkten Lippen; ihre -weitvorgestreckten Füße ließen ihre violetten Seidenstrümpfe und -breithackige Lackschuhe sehen, auf deren Spangen Brillant-Agraffen -blitzten. Und über diese Agraffen beunruhigte sich eine deutsche -Bürgerfamilie, die, angelockt durch das Plakat: „Täglich von 5 bis 7 -Zigeuner-Musik“, sich hierherbegeben. Der Familienvater suchte sich -immer von neuem dadurch Contenance zu geben, daß er sein Pincenez -zurechtschob. Das alles hier herum war ihm sehr ungemütlich. Diese -babylonische Pracht in der Runde sowohl wie die Blicke, mit denen seine -gestrenge Gattin kontrollierte, ob er den extravaganten Damen hier -Aufmerksamkeit schenke.</p> - -<p>An einem der nächsten Tische saß ein altes, englisches Ehepaar, -das so häßlich war, daß man nicht verstehen konnte, wie es zu der -wunderschönen Tochter kam, die es spazieren führte.</p> - -<p>Ein paar Südamerikaner mit stechenden schwarzen Augen in olivbraunen -Gesichtern, Mister Raspkeeper, der Petroleumkönig, dessen mageres -Gesicht über dem entfleischten Halse etwas Geierhaftes<span class="pagenum"><a id="Seite_401"></a>[S. 401]</span> hatte, die -schöne Niniche, eine weltbekannte Tänzerin, die von echten und -falschen Reizen strotzte, Herr von Aro, ein angekränkelter deutscher -Rittmeister, Graf Lork, ein eleganter Russe, von dessen Reichtum man -Fabelhaftes erzählte, und das alles trank Tee und Cocktails, aß Petits -Fours und Sandwiches. Durch die riesigen Spiegelscheiben glänzte das -tiefe und kostbare Grün des Sees, grüßte des Bürgenstocks wildzackiger -Umriß.</p> - -<p>Und die Zigeuner in ihren roten Jacken spielten auf stöhnenden Geigen -von der Liebe...</p> - -<p><span class="antiqua">Quand l’amour se meurt</span>...</p> - -<p>Da schlug Monikas Herz so qualvoll... Ihre Liebe zu Georg war ja tot.</p> - -<p>Sie nahm sich zusammen, hörte nicht mehr auf den schmachtenden, -traurigen Walzer, der davon erzählte, wie die Liebe stirbt..</p> - -<p>Ins Leben hinein, — ins Leben! —</p> - -<p>Sobald Monika aus ihrer Reserve herausgetreten, hatte sie bald -Freundschaften und Bekanntschaften die Menge. Natürlich waren es -besonders Herren, die es sich angelegen sein ließen, ihr Gesellschaft -zu leisten.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_402"></a>[S. 402]</span></p> - -<p>Des Morgens beim Rudern, nachmittags beim Tennis und beim Tee, abends -nach dem Diner, wo ein großer Teil der Hotelgäste wieder in der Halle -versammelt war, um neuen musikalischen Darbietungen zu lauschen — -immer war sie von einer Anzahl Verehrer umgeben.</p> - -<p>Uebrigens benahm sie sich ihnen gegenüber durchaus reserviert. -Sie hatte nichts mehr von der herausfordernden Koketterie ihrer -Mädchenjahre. Die Zurückhaltung war ihr mehr in Fleisch und Blut -übergegangen, als sie selbst es geahnt. Wetterhelmsche Schule!</p> - -<p>Edith dagegen war entgegenkommender. Sehr erfreut darüber, daß sie nun -durch Monika Anschluß an elegante Kreise gefunden, zeigte sie sich von -einer Lebhaftigkeit, die ihre äußere Erscheinung nicht erwarten ließ.</p> - -<p>Man unternahm jetzt immer sehr viel an diesen endlos langen -Sommertagen, die ganz in Sonnengold getaucht waren. Morgens fuhr -man meistens mit dem Motorboot des Grafen Lork. Mit spielerischer -Sicherheit glitt das Boot über die grüne Wasserfläche, vorbei an -starren Felswänden, die senkrecht ins Wasser abfielen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_403"></a>[S. 403]</span></p> - -<p>Der See hatte tiefe Einschnitte in die Felsmasse gewühlt, und -triumphierend spielten seine Wellchen in den Buchten.</p> - -<p>Man machte in irgendeinem von den Orten am See Station, um dort zu -frühstücken, im Schloß Hartenstein, in Gersau oder Vitznau. Man saß da -auf einer glasgedeckten Veranda oder auch im Garten.</p> - -<p>Der Sommer goß einen heißen Strom von Leben über die Welt, über Büsche -und Sträucher, über Blumen und Früchte.</p> - -<p>Die Zahl der Teilnehmer an diesen Fahrten war eine verschiedene, aber -fünf waren immer dabei: Monika und Edith, Graf Harry Lork, der Besitzer -des Motorboots, der Leutnant von Berningen und der Gutsbesitzer von -Milorski, ein Pole, der diese Fahrten zu den Lichtpunkten seines Lebens -zählte.</p> - -<p>Das konnte übrigens niemand wundernehmen, denn der hübsche -dreißigjährige Milorski besaß eine Gattin, die an Häßlichkeit und -Unliebenswürdigkeit das erlaubte Maß überschritt.</p> - -<p>Und als ob das nicht genug des Unglücks gewesen wäre, hatte der Himmel -ihm dazu noch eine mit<span class="pagenum"><a id="Seite_404"></a>[S. 404]</span>reisende Schwiegermutter verliehen, die ihn -schaudernd ahnen ließ, wie seine Gattin in zwanzig Jahren sein würde.</p> - -<p>Wenn jemand die Bekanntschaft von Frau von Milorski machte, so fühlte -der Gatte sich verpflichtet, die neue Bekanntschaft so bald wie möglich -beiseite zu nehmen und ihr zuzuflüstern:</p> - -<p>„Wissen Sie, ich habe meine Frau nämlich wegen ihres Geistes -geheiratet!“</p> - -<p>Uebrigens besaß Frau von Milorski in der Tat Intelligenz und bildete in -dieser Eigenschaft einen starken Gegensatz zu ihrem Gatten.</p> - -<p>Ein leichtes Leben hatte er übrigens nicht, denn seine Frau war -eifersüchtig, bewachte, unterstützt von ihrer Mutter, jeden seiner -Schritte, und nur die frühen Morgenstunden brachten ihm Befreiung, -lösten ihn von jeder Fessel. Seine Damen waren ausgesprochene -Langschläferinnen, schliefen bis in den hellen Mittag hinein, „weil das -für den Teint gut“ sei.</p> - -<p>Und diese Morgenstunden in der letzten Zeit waren dazu angetan, -Milorski den traurigen Rest des Tages vergessen zu lassen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_405"></a>[S. 405]</span></p> - -<p>Wie bildschön und reizend elegant sah Monika aus! Wie amüsant und -witzig wußte Edith zu scherzen!</p> - -<p>Und dieser brave, liebe Kerl, der Berningen von den Kronprinz-Ulanen — -und dieser famose Graf Lork. Und überhaupt alles so nett und friedlich!</p> - -<p>Herr von Milorski fühlte sich wie im Himmel, seine etwas -hervorstehenden Augen in seinem frischen Gesicht mit der slawischen -Stumpfnase blickten wie verklärt.</p> - -<p>Auch Graf Lork war immer in bester Stimmung. Nicht gerade, daß er eine -übersprudelnde Laune zur Schau getragen, das war nicht seine Art. Er -war immer sehr still.</p> - -<p>Es gab Leute, die ihn für dumm, andere, die ihn für einen großen -Geist hielten. Er war nicht leicht zu durchschauen, verbarg etwaige -Gefühle und Gedanken hinter einem Lächeln, das einen Anflug von -Zynismus hatte. Aeußerlich war er eine Erscheinung von ungewöhnlicher -Eleganz: sehr groß und sehr schlank. Das Gesicht zeigte etwas seltsam -Widerspruchsvolles: die Augen hatten einen verträumten Ausdruck und der -Mund einen Zug von Brutalität.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_406"></a>[S. 406]</span></p> - -<p>Er sprach wenig, und was er sagte, war fast immer freundlich und banal. -Mitunter aber überraschte er durch eine Bemerkung von beißender Schärfe.</p> - -<p>Edith bemühte sich, in seiner Gegenwart immer ganz besonders geistreich -und liebenswürdig zu sein, und sie hatte die Genugtuung, daß er über -ihre scharfen Scherze herzlich lachte.</p> - -<p>„Wie finden Sie eigentlich den Grafen Lork?“ wurde Monika eines Abends -von Edith gefragt.</p> - -<p>Sonst pflegte Edith, wenn man des Abends nach oben kam, gleich in ihr -Zimmer zu gehen. Es herrschte durchaus kein besonders herzliches oder -vertrautes Verhältnis zwischen den beiden. Aber heute blieb Edith in -Monikas Zimmer, und diese verabschiedete sie nicht.</p> - -<p>Es war besser so, als allein bleiben in der blauen Sommernacht.</p> - -<p>„Wie ich Lork finde? Ganz nett,“ sagte sie gleichgültig. Dann fügte sie -hinzu: „Entschieden sehr liebenswürdig zu uns.“</p> - -<p>„Ich finde ihn entzückend,“ sagte Edith mit schwerer Stimme.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_407"></a>[S. 407]</span></p> - -<p>„Wirklich?“</p> - -<p>„Er ist der überlegenste Mensch, den ich jemals sah.“</p> - -<p>„Das ist mir nie aufgefallen.“</p> - -<p>„Er ist so sicher! Vielleicht ist es sein Reichtum, der ihn so sicher -macht. Er ist ja unsinnig reich.“</p> - -<p>„Das ist wahrscheinlich Hotelklatsch, Edith; die Lorks haben sonst -nicht viel.“</p> - -<p>„Ja, aber seine verstorbene Mutter war doch eine geborene Arankow, die -die Kupferminen im Ural haben und die Ziegeleien in Tiflis.“</p> - -<p>„Wie genau Sie orientiert sind.“</p> - -<p>„Mich interessiert Reichtum so sehr. Er ist die mächtigste Macht, die -schönste Schönheit der Welt.“</p> - -<p>„Unsinn.“</p> - -<p>„Nein, Monika, kein Unsinn! Geld haben, das ist die Quintessenz von -allem. Der Schlüssel, der alle Türen öffnet, das einzig sichere -Piedestal in Sand und Sumpf. Ach, reich sein! Und genießen, wie alle -sich davor beugen!“</p> - -<p>„Es beugen sich nicht alle vor dem Reichtum.“</p> - -<p>„O, es kommt auf die Höhe der Summe an.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_408"></a>[S. 408]</span></p> - -<p>„Sonderbare Ansichten.“</p> - -<p>„Ach, Monika, Sie können das nicht so empfinden. Ich weiß genug von -Ihnen, um zu wissen: wirklich arm sind Sie nie gewesen: Aber <em class="gesperrt">ich</em> -weiß, was es heißt: des Lebens Not! Vater als pensionierter Hauptmann -mit fünf Kindern... Na, reden wir nicht davon. Glauben Sie mir, es gibt -nichts Schlimmeres, als die täglichen nagenden, kleinen Sorgen. Die -haben mir meine Kinderzeit vergiftet — und meine Jugendzeit.“</p> - -<p>Es war jetzt ganz dunkel geworden in dem kleinen Zimmer. Der See lag -da wie in schwarzen Sammet gehüllt. Und durch das Dunkel sprach die -Mädchenstimme:</p> - -<p>„Die Armut hat meine Kinderjahre vergiftet und meine Jugendzeit. Als -Kind habe ich Kindermädchen bei meinen Geschwistern spielen müssen, -und später, als ich kaum erwachsen war, habe ich fremder Leute Kinder -unterrichten müssen. In einer Zeit, in der sonst die jungen Mädchen -an Glück denken, hab’ ich an Brotverdienen gedacht. Ich lebte so hin, -stumpf — ohne Schmerz — — und ohne Freude auch. Auch ohne die -Hoffnung auf ein Besserwerden. Da kam einer — —“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_409"></a>[S. 409]</span></p> - -<p>„Und er liebte Sie?“</p> - -<p>„O nein, Monika, er liebte mich nicht. Nur ich ihn — —“ Sie brach -kurz ab.</p> - -<p>Ein paar schwere zitternde Atemzüge.</p> - -<p>Und dann, nach einer Weile fuhr die harte Stimme fort:</p> - -<p>„Nein, er liebte mich nie. Er war immer ganz unpersönlich zu -mir. Er betrachtete mich wie eine mathematische Formel, die er -auflösen müsse. Er analysierte mich, meine körperlichen und meine -seelischen Eigenschaften, und eines schönen Tages sagte er mir: -„Wissen Sie, Edith, Sie sind eigentlich viel zu schade, um hier als -Töchterschullehrerin zu versauern. Sie haben das Zeug dazu, im Leben -etwas zu erreichen. Gehen Sie hinaus ins Leben.“ — —</p> - -<p>Und ich ging! Uebrigens erst, nachdem ich eingesehen hatte, daß er -weiter absolut nichts für mich übrig hatte als diesen guten Rat.“</p> - -<p>„Nach Zürich gingen Sie?“</p> - -<p>„Ja — und nachdem man mich, als Mädchen aus guter Familie, -jahrzehntelang mit Redensarten über die menschliche Würde gefüttert, -mit beson<span class="pagenum"><a id="Seite_410"></a>[S. 410]</span>derer Berücksichtigung der weiblichen Würde, des Wertes -einer streng sittlichen Lebensauffassung und so weiter... griff -ich zum Studium der Medizin. Die klärt uns am besten auf über die -Gottähnlichkeit der Menschen.“</p> - -<p>Ein häßliches Lachen kam aus ihrem Munde.</p> - -<p>„Und sind Sie seit dieser Aufklärung glücklicher?“</p> - -<p>„Nein, durchaus nicht. Mein Glück würde auf ganz anderem Gebiete -liegen.“</p> - -<p>„Auf dem der Liebe?“</p> - -<p>„Kaum. Reich möchte ich sein, mir alles Schöne kaufen — so viel -Schönes, erdrückend viel, um nicht mehr an all das Häßliche zu denken, -das ich in meinem Leben gesehen habe. Um mir die Seele frei zu machen -von all dem nüchternen Alltag, der zeitlebens auf ihr gelastet!... Und -genießen, ach, Macht genießen... wie das sein muß für jemand, der sein -ganzes Leben lang immer kuschen mußte: Macht genießen!“</p> - -<p>Ein heißes Beben kam in die harte Stimme.</p> - -<p>„Und zu denken, Monika, daß ich all das erreichen könnte. Daß mich -dieser Lork nur zur Frau zu begehren braucht und — —“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_411"></a>[S. 411]</span></p> - -<p>„Ah so.“</p> - -<p>„Monika, das bringen doch so viele andere fertig: eine gute Partie zu -machen! Mädchen, die häßlicher sind als ich, dümmer, ungebildeter, -schlechter ... Herrgott, es gibt doch Tingeltangelmädchen, die -Erzherzöge heiraten! Mädchen, die eine kolossale gesellschaftliche -Kluft überspringen... Das gibt es doch nicht bloß in Märchen: daß -Bettlerinnen später von goldenen Tellern aßen! Und hier ist nicht -einmal ein sozialer Unterschied vorhanden. Wir Gräberts sind Uradel, -gegen meinen Ruf ist nichts einzuwenden. Daß ich nicht dumm bin, weiß -ich, und äußerlich — ich bin doch nicht reizlos? Nicht? Sagen Sie mir -offen Ihre Meinung, Monika, ich bin doch nicht reizlos?“</p> - -<p>Es war ein heißes Flehen in diesen Worten. Das Dunkel verbarg die -Schamröte, die in Ediths Wangen emporstieg bei diesem Betteln um ein -anerkennendes Wort.</p> - -<p>„Sie haben sicher eine Menge Vorzüge.“</p> - -<p>„Monika, zu denken, daß es nur eines Wortes von Lork bedarf... und aus -dem elenden Grau meiner Existenz wird ein Märchentraum.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_412"></a>[S. 412]</span></p> - -<p>„Wenn Sie einen anderen lieben...“</p> - -<p>„Ich liebe den nicht mehr. Ich habe eine gute Dosis Verstand, wissen -Sie, und eine recht reichlich bemessene preußische Nüchternheit. Eine -einseitige Liebe ist auf die Dauer nichts für mich! Es gibt ein altes -Sprichwort: „Einer freut sich nie allein, es müssen immer zweie sein.“ -Das klingt dumm, aber wahr ist es doch. Meine erste Liebe macht mir -wirklich keine Kopfschmerzen mehr.“</p> - -<p>„Und Sie lieben jetzt den Grafen Lork?“</p> - -<p>„Lieben ist vielleicht ein etwas starker Ausdruck. Er gefällt mir -unendlich! Und wenn er mich heiratete, würde ich bemüht sein, ihm eine -gute Frau zu werden... Ach, Monika, helfen Sie mir!“</p> - -<p>„Wie kann ich das?“</p> - -<p>„Helfen Sie mir! Beeinflussen Sie ihn! Männer sind doch so leicht -zu beeinflussen. Reden Sie ihm doch von mir, machen Sie mich ihm -interessant, bitte...“</p> - -<p>Zwei fieberheiße Hände griffen nach Monikas Händen und preßten sie in -krampfhaftem Druck.</p> - -<p>„Helfen Sie mir! Versuchen Sie, mir zu helfen!“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_413"></a>[S. 413]</span></p> - -<p>Eine fanatische Inbrunst glühte aus diesen Worten. Die zitternde -Hoffnung eines Menschen, der sich seinem Glücke — vielleicht — nahe -sieht.</p> - -<p>Und in heißem Mitgefühl sagte Monika: „Was in meiner Macht steht, Ihnen -zu helfen, will ich gern tun.“</p> - -<p>Dann knipste sie das elektrische Licht an und sah in der plötzlichen -Helligkeit ein anderes Gesicht als das, das Edith immer zur Schau trug. -Das liebenswürdige Lächeln war fort. Und die Herbheit auch.</p> - -<p>Ein aufgewühltes, leidenschaftliches Antlitz starrte ihr entgegen, -heiße Augen und verlangende Lippen. Die Pupillen der hellgrauen -Augen waren fieberhaft erweitert, in der Gier nach Geld und Glück... -Blitzschnell senkten sich über diese Augen die blondbewimperten, -breiten Lider, deren Haut schon ein wenig zerknittert war. Und die -Lider blieben gesenkt, als wollten sie die Glut nicht sehen lassen, die -in den hellen, kalten Augen so heiß emporgelodert war....</p> - -<div class="figcenter illowe5" id="gedankensprung11"> - <img class="w100" src="images/gedankensprung.jpg" alt="Gedankensprung" /> -</div> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_414"></a>[S. 414]</span></p> - -<p>Schon an einem der nächsten Abende hatte Monika Gelegenheit, sich mit -der ihr anvertrauten Mission zu beschäftigen. Das Hotel gab seinen -Gästen einen Ball. Auf schön lithographierten Einladungskarten empfing -jeder ein auf den Namen ausgestelltes Billet.</p> - -<p>In den drei riesigen Sälen entfaltete sich ein kaleidoskopartiges -buntes Bild.</p> - -<p>Monika hatte zuerst gezögert, ob sie an dieser Tanzfestlichkeit -teilnehmen solle. Sie war in keiner frohen Laune. Aber Edith war es -nicht schwer geworden, sie dann doch zur Teilnahme zu bewegen; sie sah -ja vollkommen ein, daß es lächerlich war und unmotiviert, an keiner -Festfreude teilnehmen zu wollen.</p> - -<p>Ja, sie würde hingehen — natürlich — und sich sehr gut amüsieren, -und außerdem bei Lork für Edith „Reklame machen“, wie diese selbst mit -bitterer Selbstironie sagte.</p> - -<p>Als die beiden herunterkamen, war schon eine Menge von Gästen -versammelt. Eine Anzahl sehr gut angezogener Amerikanerinnen wiegte -sich mit ihren glattrasierten Landsleuten im Twostep. Eine<span class="pagenum"><a id="Seite_415"></a>[S. 415]</span> Pariser -Schauspielerin, mit einer gesucht kindlichen Frisur, erregte Aufsehen -durch ihre montmartrehafte Art des Tanzens.</p> - -<p>Der Rittmeister von Aro vergaß sein Lungenleiden und schwenkte die -Damen unermüdlich und begeistert.</p> - -<p>Herr von Milorski litt Tantalusqualen: er saß auf einem Stuhle, -umzingelt von Frau und Schwiegermutter, die letztere in blauem -Samt, die erstere in roter Seide. Die kleine, sehr dicke Frau von -Milorski, die gut sechs Jahre älter war als ihr Mann, hatte in ihrem -Gesichtsausdruck durchaus nichts von der Gutmütigkeit, nach der dicke -Leute so häufig aussehen. Ihre winzigen Augen blinzelten bösartig in -die tanzende Schar vor ihr, mit entschiedener Mißbilligung blickte sie -auf die eleganten Erscheinungen, denen ihr Gatte sehnsuchtsvoll und -träumerisch nachstarrte.</p> - -<p>Herr von Berningen, der Kronprinz-Ulan, widmete sich zwei holländischen -Damen, die Mutter und Tochter waren. Wie einst ein deutscher -Dichter, wußte er nicht genau, welche von beiden er zur Dame seines -Herzens erwählen solle. Gegen die Heinesche Epoche war das Bild aber -entschieden<span class="pagenum"><a id="Seite_416"></a>[S. 416]</span> verändert: den erfahreneren Eindruck von beiden machte die -Tochter. Ihre Art, sich zu bewegen und zu benehmen, zeigte entschieden -eine größere Sicherheit.</p> - -<p>Wenn sie mit ihrem energischen Schritt, in ihrem saphirblauen, -goldgestickten Kleide, einen Blaufuchs über der linken Schulter, quer -durch den Saal schritt und einen Tisch in Beschlag nahm, so machte sie -entschieden den Eindruck, die Chaperonne ihrer Mutter zu sein, die ihr -bescheiden folgte, und deren Schönheit das Gepräge stiller Lieblichkeit -trug.</p> - -<p>Wie gesagt, — Berningen schwankte.</p> - -<p>Die Mutter hatte so schöne kastanienbraune Haare.</p> - -<p>Aber die Tochter war so pikant goldblond entfärbt. Die Tochter sprach -Argot, rauchte Zigaretten, trank Cocktails, nahm Stellungen ein, die -von bewußter Koketterie sprachen. Das alles gefiel aber Berningen -weniger als die vornehm-liebenswürdige Art der Mutter.</p> - -<p>Jedoch die Tochter war achtzehn und die Mutter siebenunddreißig. Und -doch war die Mutter schöner....</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_417"></a>[S. 417]</span></p> - -<p>Verzweifelt beschloß Berningen, sich nicht länger den Kopf zu -zerbrechen, sondern beiden die Cour zu machen.</p> - -<p>Graf Lork stand gelangweilt an einer Säule; sein Gesicht hellte sich -auf, als Monika und Edith eintraten.</p> - -<p>Edith sah entschieden in Balltoilette unvergleichlich besser aus -als sonst, wenn auch ihr Kleid weder kostbar noch modern war. Die -pfauenblaue Seide hob ihre durchsichtig helle Haut, ließ das Blond -ihrer Haare wärmer erscheinen als sonst. Die gespannte Erwartung, in -der sie sich befand, gab ihrem Gesichte ungewohnt lebhafte Farben.</p> - -<p>Monika war es nicht schwer gemacht, ihrem Gespräch mit Lork die Wendung -zu geben, die sie beabsichtigte.</p> - -<p>„Wie hübsch Fräulein von Gräbert heute aussieht,“ sagte sie, als sie -mit Lork auf der Galerie stand, die sich in halber Höhe des Saales an -den Wänden entlang zog.</p> - -<p>Man hatte von hier aus ein wundervolles Bild auf das Gewühl des -Ballsaales. Unter dem blendenden Lichte des elektrischen Kronleuchters -waren<span class="pagenum"><a id="Seite_418"></a>[S. 418]</span> die Farben da unten wie ein tausendfarbiger Blumenstrauß: -Lindenblütengrün und erikafarben, perlgrau und rosa, violett und -altgold — das Schillern der Seide, die stumpfe Weichheit des -Chiffon — die tiefen Töne des Sammet und das grelle Blitzen der -Metallstickereien und der Paillettengarnierungen.</p> - -<p>Dazwischen das Weiß und Schwarz der Herrenkleidung; diese brutal -einfachen Farben bildeten einen guten Hintergrund für die tausend -schillernden Nuancen der Damenkleider.</p> - -<p>Und wie dem bunten Blumenstrauß Tautropfen, auf denen die Sonne -funkelt, die letzte Vollendung geben, so funkelte hier das -unvergleichliche Feuer der Edelsteine.</p> - -<p>Das Licht brach sich weißsprühend in den Brillanten, blutfarben -brannten die Rubinen, Smaragden gleißten, der lockende, matte Schimmer -der Perlen und das regenbogenfarbig gebrochene Licht der Opale.</p> - -<p>Monika sah nur zerstreut hinunter. Ihr lag ihr Auftrag am Herzen. Die -abgrundtiefe Bitterkeit, die sie gestern in Ediths Seele gesehen, hatte -sie<span class="pagenum"><a id="Seite_419"></a>[S. 419]</span> erschüttert. Wenn sie dazu beitragen konnte, dem armen Mädchen zu -seinem Glück zu verhelfen, so würde ihr das eine Herzensfreude sein.</p> - -<p>Und sie wiederholte ihre erste Bemerkung.</p> - -<p>„Ja, Fräulein von Gräbert sieht heute überraschend gut aus,“ sagte Lork.</p> - -<p>„Warum überraschend? Sie ist doch immer reizvoll.“</p> - -<p>Er äußerte ein unbestimmtes „Hm“, das ebenso gut ja wie nein heißen -konnte.</p> - -<p>Aber Monika ließ nicht locker.</p> - -<p>„Ich bin überhaupt froh, daß ich mich mit Fräulein von Gräbert für -die Reise zusammengefunden habe. Sie ist so amüsant, sie verbindet -schärfste Logik mit Sinn für Humor.“</p> - -<p>„Sind Sie schon lange miteinander befreundet?“</p> - -<p>„Nein, erst seit kurzer Zeit. Ich hatte zuerst die Absicht, allein nach -Luzern zu gehen.“</p> - -<p>„Sie sind gar nicht dazu geschaffen, allein zu sein,“ sagte er und -wendete sich plötzlich voll zu ihr herum. Bisher hatten sie beide -nebeneinander an der Balustrade gelehnt.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_420"></a>[S. 420]</span></p> - -<p>Mit einem heißen Aufleuchten seiner Augen blickte er ihr ins Gesicht, -in das reizende Gesicht mit den rosigen Farben. Ihre Schultern -leuchteten blendend aus der rosa Seide ihres Kleides.</p> - -<p>„Warum sagen Sie das?“ fragte sie leise.</p> - -<p>„Weil ich das meine und weil ich mitunter sage, was ich meine.“</p> - -<p>„Nicht immer?“</p> - -<p>„O nein, durchaus nicht.“</p> - -<p>Da wurde sie lebhaft, wie immer, wenn etwas Ungewöhnliches ihre -Aufmerksamkeit fesselte. Und es wurde ein lebhaftes Hin und Her von -Meinungen und Gedanken, von Bemerkungen, die oft paradox, immer aber -geistreich waren.</p> - -<p>Monika plauderte sich ganz heiß; zum ersten Male seit langer Zeit -interessierte sie ein Gespräch.</p> - -<p>Sie hatte nie geglaubt, daß dieser Graf Lork, den sie bisher für einen -recht oberflächlichen Lebemann gehalten, so originelle Anschauungen -haben würde.</p> - -<p>Und sein Erstaunen war nicht kleiner. Er hatte geglaubt, Frau von -Wetterhelm sei eine sehr hübsche<span class="pagenum"><a id="Seite_421"></a>[S. 421]</span> Modepuppe, deren Horizont über -Toilettenfragen kaum hinausging.</p> - -<p>War doch Monika in der ganzen Zeit so sehr zurückhaltend gewesen, hatte -so gar nichts von der sprühenden Art verraten, die sonst in ihrer Natur -lag.</p> - -<p>Ja, das Erstaunen war ein gegenseitiges. Als man sich spät in der Nacht -trennte, erwartete Lork mit förmlicher Ungeduld den nächsten Tag und -die morgendliche Bootfahrt.</p> - -<p>Als an dem Ballabend Edith Monika vor dem Schlafengehen sehr gespannt -fragte: „Nun, — — was sagte er?“, wußte sie einen Augenblick gar -nicht, worum es sich handelte. Doch gleich darauf war sie im Bilde. Sie -sagte:</p> - -<p>„Edith, ich will ganz offen sein. Also: ich habe nicht gemerkt, daß er -ein besonderes Interesse für Sie hätte.“</p> - -<p>„Das weiß ich allein,“ klang es hart zurück, „ich will es ja auch erst -in ihm erwecken.“</p> - -<p>„Vielleicht war ich nicht sehr geschickt im Erfüllen meiner Aufgabe,“ -sagte Monika. „Wir haben schließlich von ganz anderen Sachen -gesprochen.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_422"></a>[S. 422]</span></p> - -<p>„Aber das ist doch selbstverständlich,“ rief Edith lebhaft dazwischen. -„Allzu auffallend darf das doch nicht gemacht werden! Jetzt tun Sie -mir bloß die Liebe, Monika, und werfen Sie nicht sofort die Flinte ins -Korn! Das wäre doch nicht gerade eine große Freundschaft, wenn Sie -schon genug davon hätten! Daß Sie nicht auf Anhieb einen großen Erfolg -erzielen würden, mit der Reklame für mich — das war mir von vornherein -klar. Aber nicht nachlassen — — bitte, bitte, Monika! Helfen Sie mir! -Nicht wahr, Sie werden versuchen, mir weiter zu helfen?“</p> - -<p>So kam es denn, daß in der nächsten Zeit Monika viel mit Lork zusammen -war. Sie gab ihm gegenüber die strenge Zurückhaltung auf, die sie alle -die Zeit hindurch gehabt.</p> - -<p>Es kam jetzt oft vor, daß sie sich mit ihm von den anderen absonderte. -Es geschah ja im Interesse einer anderen. Und der Verlauf des Gesprächs -war immer derselbe: sie begann damit, ihm irgendwelche Vorzüge von -Edith zu rühmen, und dann ging die Unterhaltung andere Bahnen, berührte -tausend Gebiete und enthüllte Monika jedesmal von neuem, welch weiten -Horizont der Graf hatte. Der hing<span class="pagenum"><a id="Seite_423"></a>[S. 423]</span> nicht an Vorurteilen, der war kein -Prinzipienreiter wie Georg von Wetterhelm.</p> - -<p>Langsam ging Monika immer mehr aus sich heraus, erschloß immer mehr von -ihrem Gefühlsleben, in der unwillkürlichen Empfindung einer starken, -seelischen Verwandtschaft mit dem Grafen.</p> - -<p>Gleich ihr hatte er eine Abneigung gegen viele Forderungen der -Konvention.</p> - -<p>Gleich ihr empfand er eine tiefe Liebe für die schönen Künste.</p> - -<p>Wohl bestand insofern ein Unterschied, als es ihm hauptsächlich die -Musik angetan hatte, während sie in Gedichten ihre stärksten Anregungen -fand. Aber dieser Unterschied war ja nicht fundamental, waren es doch -Rhythmen, die sie beide beglückten.</p> - -<p>Uebrigens begann ihr häufiges Zusammensein aufzufallen. Bei einem -Ausflug nach Rigi-Kaltbad, den man in größerer Gesellschaft -unternahm, brüskierte Lork die anwesenden Damen dadurch, daß er sich -ausschließlich mit Monika beschäftigte. Schon bei der Dampferfahrt von -Luzern nach Vitznau war das aufgefallen. Als man dann in Vitznau die -Rigibahn bestieg, richtete Lork es so ein, daß er mit Monika im zweiten -Wagen der elek<span class="pagenum"><a id="Seite_424"></a>[S. 424]</span>trischen Bahn saß, während alle übrigen Teilnehmer des -Ausflugs im ersten Wagen Platz genommen hatten.</p> - -<p>Die Bahn stieg ihren steilen Weg empor, bot wundervolle Ausblicke auf -den See, der in der Tiefe funkelte wie ein Juwel.</p> - -<p>Vorbei ging es an Reihen mächtiger Laubbäume, bis weiter oben die -dunkeln Tannenwaldungen anfingen und spröde Bergkräuter den Boden -überwucherten.</p> - -<p>Ein auffallender Temperaturunterschied machte sich bemerkbar. Für -sie alle, die unten auf dem See den goldenen Geschossen der Sonne -ausgesetzt gewesen, bedeutete es ein Aufatmen: die Luft voll kühler -Frische, voll herber Reinheit. Leichte Wolken lagen in dieser Höhe, -hingen wie ein dünner, weißer Schleier über den dunkeln Tannen.</p> - -<p>Auf Station Kaltbad verließ die Gesellschaft die Wagen, schritt, -während die Bahn weiter der Höhe zustrebte, zum Hotel, in dem das -Frühstück bestellt war.</p> - -<p>Es herrschte bei diesem Frühstück keine einheitliche Stimmung. Es -hatten sich zu viele Einzel<span class="pagenum"><a id="Seite_425"></a>[S. 425]</span>gruppen gebildet, die sich ihren eigenen -Interessen hingaben, sich um das Allgemeinwohl nicht kümmerten.</p> - -<p>Der Leutnant von Berningen widmete sich ausschließlich seinen beiden -schönen Holländerinnen, schenkte der Mutter Tee und der Tochter Whisky -ein.</p> - -<p>Herr und Frau von Rassow, ein hochzeitsreisendes Paar, erfüllten -getreulich ihre Verpflichtung als Jungvermählte: nur für einander zu -existieren.</p> - -<p>Herr von Milorski, dem es, weil man so zeitig am Morgen aufgebrochen, -möglich gewesen, seinen beiden Hüterinnen zu entfliehen, machte Edith -die Cour, — diese war übrigens damit sehr wenig einverstanden, sie -betrachtete mißbilligend Milorskis frisches Gesicht, — wie ein -riesiges, wohlgenährtes Baby sah er aus. — Seine Wangen glänzten vor -Hitze und vor Freudigkeit.</p> - -<p>Nein, das war nichts für Edith! — Sie warf einen bösen Blick auf -Lork und Monika, die auch eine Gruppe für sich bildeten und lediglich -miteinander beschäftigt schienen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_426"></a>[S. 426]</span></p> - -<p>Nach dem Frühstück ging man in den Park des Hotels, der schön -wie ein Märchengarten war mit dem unvergleichlichen Grün seiner -Rasenflächen und seinen Gruppen prachtvoller Nadelbäume, über denen das -Silbergespinnst des zarten Nebels hing.</p> - -<p>Dieser Nebel trennte Monika und Lork bald von der übrigen Gesellschaft. -Sie beide waren ganz allein in dieser grünen, silberumsponnenen -Einsamkeit.</p> - -<p>„Was für ein Entzücken, hier zu atmen,“ sagte Monika, „so recht aus -tiefster Brust zu atmen —“</p> - -<p>„Wie ein Rausch ist es.“</p> - -<p>„Ja, wie ein unendlich zarter Rausch — —“</p> - -<p>„Höhenluft!“ sagte Lork.</p> - -<p>Und dieses Wort ließ mit einem Schlage in Monikas Gedanken die Gestalt -ihres Mannes auftauchen.</p> - -<p>Sie wußte selber nicht warum. Aber sie empfand einen Zusammenhang -zwischen der herben, starken Höhenluft und Georgs Wesen.</p> - -<p>Und gleich darauf flammte eine Empörung in ihr auf.</p> - -<p>Was sollte es, daß sie jetzt an ihn dachte?!</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_427"></a>[S. 427]</span></p> - -<p>Sie wollte nicht mehr an ihn denken — — nie mehr!</p> - -<p>Und sie lachte und sprach, und sie war lebhaft, liebenswürdig wie nie -zuvor.</p> - -<p>An diesem Tage erzählte sie zum ersten Male Harry Lork von ihren -schriftstellerischen Versuchen.</p> - -<p>Er bewies ein glühendes Interesse, schmeichelte ihr das Versprechen ab, -ihm noch heute abend irgendeines ihrer Manuskripte zu geben.</p> - -<p>„Aber es sind eigentlich alles nur Notizen,“ sagte Monika verlegen, -„gar nichts Fertiges, nur Betrachtungen. Ich habe sie eigentlich nur -für mich selbst geschrieben.“</p> - -<p>„Aber das ist ja unendlich interessanter, als wenn es anders wäre,“ -rief er lebhaft. „Ich habe bei allen Kunstwerken mehr Interesse für die -erste Skizze als für das fertige Werk.“</p> - -<p>Und am Abend gab ihm Monika wirklich ein paar Seiten, die sie -geschrieben.</p> - -<p>Sie hatte mit sich gekämpft, ehe sie es getan. Aber dann sagte sie -sich, daß sie doch nicht allein für sich schreibe, sondern daß sie für -ein Publikum<span class="pagenum"><a id="Seite_428"></a>[S. 428]</span> arbeiten wolle; daß es doch gerade ihr Lebensberuf sein -würde, ihre Gedanken der Menge preiszugeben.</p> - -<p>Ja, sie hatte gedacht: „der Menge... preiszugeben ...“</p> - -<p>Warum empfand sie nicht mehr wie früher, als es ihr höchste Seligkeit -erschienen war, ihre Gefühle anderen zugänglich zu machen, sie mit -teilnehmen zu lassen an Freuden und Schmerzen?</p> - -<p>Jetzt war in ihr ein Zurückschauern vor diesem Gedanken.</p> - -<p>Waren das wieder Vorurteile, die Georg ihr in die Seele gepflanzt?!</p> - -<p>Nun, die wollte sie wohl noch besiegen....</p> - -<p>Und trotzig griff sie aufs Geratewohl in den kleinen Stoß von Heften in -ihrem Schreibtisch, nahm eines davon heraus und gab es nach dem Diner -dem Grafen Lork.</p> - -<p>Auf den Blättern stand:</p> - -<p>„In die Vasen auf meinem Kaminsims habe ich weiße Rosen gestellt. -Halberblüht sind sie. Ihre schweren Kronen sehen aus wie aus Elfenbein -geschnitzt; geschnitzt von einem primitiven Meister,<span class="pagenum"><a id="Seite_429"></a>[S. 429]</span> denn ihr Kern -ist noch plump. Die blassen Blätter liegen so fest übereinander, -daß sie eine einzige Masse bilden.... Nur zwei, drei der äußersten -Blütenblätter fangen an, sich von dem festen Kern zu lösen, und -unter ihnen sitzen die zwei Hüllenblätter, weit auseinandergetan, -sonderbar tiefrosig überhaucht.... Wie blutbefleckt sehen diese offenen -Kelchblätter aus.</p> - -<p>Inmitten all der Rosen, all dieser weißen, halberblühten, mit den -zwei blutigen Hüllenblättern, prangt die eine, die voll erblüht ist. -Jedes einzige ihrer Blätter hat seine Schönheit vollendet, hauchdünn -und leicht zeichnet es seine Form in zarter Kontur. Und in der -weitgeöffneten Rose glüht der goldhelle Blütenstaub.</p> - -<p>Vollendung!...</p> - -<p>Warum gibt es so viele, die die halbgeöffnete Rose mehr lieben -als die vollendete? Ist es der uralt ewige Fluch der unseligen -Prometheuskinder, die ihr Glück immer nur in der Zukunft sehen? Denen -die Ahnung einer seligen Zukunft lieber ist als die seligste Gegenwart?</p> - -<p>Ach, diese Rosen beschreiben — wie kann man das? So beschreiben, -daß man sie duften fühlt, daß<span class="pagenum"><a id="Seite_430"></a>[S. 430]</span> man die seltsam rosigen Hüllenblätter -sieht... und mit den Nerven der Fingerspitzen fühlt, wie unendlich -weich und kühl diese Blütenblätter sind.</p> - -<p>Die Sprachen sind alle unzureichend, zu wenig ausgebildet.</p> - -<p>Wie viel tausend Empfindungen haben wir, die wir nicht sagen können, -weil die Sprache keine Worte hat, um die tausendfarbigen Nuancen zu -bezeichnen.</p> - -<p>Wir stehen da wie Robinson auf seiner Insel. Unsere Werkzeuge sind zu -einfach, unsere Waffen zu stumpf.</p> - -<p>Mitunter kommt es wohl vor, daß man in einem Gedicht ein paar Worte -hört, die einem die Nerven erzittern lassen, daß man schauernd ahnt, -wie schön die Sprache sein <em class="gesperrt">könnte</em>, wenn man sie pflegte und -veredelte, wie der Gärtner die Rosen pflegen mußte, ehe sie so -kühlweiße Kelche hatten mit zwei blutrosigen Hüllenblättern.</p> - -<p>Aber alle Sprachen sind ungepflegt, sind Stückwerk. Keine von ihnen -kann die Nuancen geben.</p> - -<p>Schade! Worte sind doch alles.</p> - -<p>An Worten hängt unser Schicksal. Wie wenig haben Taten oft zu bedeuten! -Taten gibt es, die<span class="pagenum"><a id="Seite_431"></a>[S. 431]</span> nicht mehr zu erkennen sind unter der Last von -tausenden schwirrenden Worten. Taten, die entstellt werden durch -Worte, wie ein schönes Jünglingsantlitz durch Wunden, wie ein holdes -Mädchengesicht von fressendem Aussatz.</p> - -<p>Andere wieder werden durch Worte so wundersam verschleiert wie eine -Landschaft durch einen Nebelhauch.</p> - -<p>Ach, Worte...</p> - -<p>Und zu fühlen: die Worte, die wir kennen, sind zu schwach, sie, die uns -Flügel sein sollten, sind uns nur Krücken!</p> - -<p>Wohl könnte ich sagen, was für Rosen in den Vasen auf meinem Kamin -blühen, aber wie soll ich das Glück beschreiben, das ich empfinde beim -Anschauen dieser Pracht, beim Anschauen dieser schwellenden Rosen, die -schönheitsstrotzend ihrem Tode entgegenblühen?“ — —</p> - -<p>Am nächsten Tage, während der Morgen-Bootfahrt, sagte Lork zu Monika:</p> - -<p>„Ich kann Ihnen nicht sagen, einen wie tiefen Eindruck Ihre Zeilen mir -gemacht haben. Besonders darum, weil sie Gedanken enthalten, die ich -oft<span class="pagenum"><a id="Seite_432"></a>[S. 432]</span> gefühlt und die ich nie in Worte habe bringen können. Zum Beispiel -das, was Sie über die Sprache sagen. Wie oft habe ich das empfunden: -es gibt tausendfache Gefühlsnuancen, für die wir keine Worte haben. -Besonders, wenn es sich um Liebe handelt. Gerade das Erwachen der Liebe -ist mit Worten nicht zu bezeichnen, jenes Stadium, das eigentlich noch -keine Liebe ist, auf das aber die Liebe so unbedingt folgt wie Frühling -auf den Vorfrühling. Jenes Stadium, wo man einer Frau die Hand küßt und -dabei anfängt, an ihre Lippen zu denken.....“</p> - -<p>Und Graf Lork beugte sich bei diesen Worten tief über Monikas Hand.</p> - -<div class="figcenter illowe10" id="kapitelende14"> - <img class="w100" src="images/kapitelende.jpg" alt="Ende des Kapitels" /> -</div> - -<div class="chapter"> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_433"></a>[S. 433]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="Kapitel_15">15.</h2> - -</div> - -<div class="dc" id="p433initial"> - <img class="illowe6" src="images/p433initial.jpg" alt="V" /> -</div> - -<p class="p0"><span class="initial">V</span>on diesem Tage ab gab Monika ihm oft etwas, was sie geschrieben, -Phantasien, Betrachtungen, manchmal ein Gedicht. Und immer aufs neue -war sie erstaunt von dem Verständnis, das er ihr entgegenbrachte. Ein -Verständnis, das bis ins einzelste ging und jede flüchtige Nuance zu -würdigen wußte.</p> - -<p>Sie empfand ein lebhaftes Erstaunen darüber. Wenn man Lork kennen -lernte, vermutete man so gar nichts Aehnliches in ihm. Die ganze erste -Zeit ihrer Bekanntschaft war er ihr als weiter nichts erschienen -als ein Mann von guten gesellschaftlichen Formen und von banaler -Liebenswürdigkeit. Und nun dieses feinsinnige Eingehen auf jeden ihrer -Gedanken.</p> - -<p>Und die grenzenlose Mühe, die er sich gab, ihr jeden Wunsch von den -Augen abzulesen, ihr jede Laune zu erfüllen, kaum daß sie ausgesprochen -war.<span class="pagenum"><a id="Seite_434"></a>[S. 434]</span> — — Sie verstand ihn erst dann, als sie ihn einmal Klavier -spielen hörte.</p> - -<p>An einem brütend heißen Nachmittag war’s. In der Halle hatte man die -großen Stores heruntergelassen, und diese dünne Scheidewand genügte, -um das rote Brennen des Sommertages in eine opalblasse Dämmerung zu -verwandeln.</p> - -<p>In den Korbstühlen und Schaukelstühlen lagen ein paar Hotelgäste in -„aufgelösten“ Stellungen herum.</p> - -<p>Eine sehr hübsche Russin war sogar im Peignoir erschienen, in einem -nilgrünen und goldgestickten Peignoir, dessen Farben mit einem tiefen, -metallischen Glanze aufleuchteten in dem sanften Halblicht, das man in -der Halle hergestellt hatte.</p> - -<p>Ein Engländer verpflanzte tropische Angewohnheiten hierher, indem er -sich ein nasses Handtuch auf den Kopf gelegt und einen der Liftboys -angestellt hatte, ihm Kühlung zuzufächeln. — Kein Punkah war’s, den -er bewegte, sondern einer der bunten Papierfächer, die das Hotel als -Reklame-Angebinde den Damen widmete, die dort soupierten.</p> - -<p>In der Bar, die an die Halle anstieß und in der ein übernächtigt -aussehender Mixer immer neue<span class="pagenum"><a id="Seite_435"></a>[S. 435]</span> <span class="antiqua">Ice-drinks</span> mischte, saßen Lork, -Monika, Edith, Berningen und Milorski.</p> - -<p>Berningen war tief betrübt von seinem Ausflug ins Holländische -zurückgekehrt, seitdem vor zwei Tagen zwei Offiziere der -niederländischen Kolonial-Armee angekommen: der eine, Major, war der -Gatte der schönen Mutter, und der Leutnant der Verlobte der pikanten -Tochter, dessen Existenz sie bisher unterschlagen.</p> - -<p>Aber seitdem er da war, hatte sie jedenfalls nur für ihn noch Augen, -und die schöne Mama bezeigte ihrem Manne eine hingebende Liebe, die als -geradezu vorbildlich für eheliches Glück hätte gelten können.</p> - -<p>Berningen machte jetzt aus Verzweiflung Edith die Cour, Monika war -seiner Ueberzeugung nach „in festen Händen“; Lork wich ihr ja nicht von -der Seite.</p> - -<p>Edith sagte sich, daß die Redensarten Berningens nicht den mindesten -Wert für sie besäßen. Sie wußte, daß er sich mit seiner knappen Zulage -nur mit Mühe bei den Kronprinz-Ulanen zu halten vermochte; er konnte -unbedingt nur ein reiches Mädchen heiraten.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_436"></a>[S. 436]</span></p> - -<p>Und doch blieb es nicht ohne Eindruck auf sie, wenn er ihr -Schmeicheleien sagte.</p> - -<p>Und wenn sie zehnmal wußte, daß das nur dumme Redensarten waren... sie -hatte zu lange Jahre gedarbt, um jetzt nicht auch Brosamen zu genießen.</p> - -<p>Sie versuchte gegen das Wohlgefühl anzukämpfen, das sie durchrieselte, -wenn die hübschen, leichtsinnigen Leutnantslippen ihr Freundliches -zuflüsterten. Sie versuchte ganz bewußt, diesen Flirt dazu auszunutzen, -um Lork eifersüchtig zu machen, aber das schien vergebliche Mühe. —</p> - -<p>Herr von Milorski war entzückt von der Hitze und zog sich die -Verwünschungen der anderen zu, als er „hoffte, es würde noch monatelang -so fortgehen“.</p> - -<p>Ja, er hoffte es!... Lag doch oben seine furchtbare Ehehälfte, machtlos -hingestreckt im verdunkelten Zimmer, und im Zimmer nebenan, ebenso -machtlos, ebenso unschädlich gemacht die dräuende Schwiegermutter.</p> - -<p>So saß man nun in der Bar des Hotels und trank auf Lorks Rat Whisky.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_437"></a>[S. 437]</span></p> - -<p>Monika konnte zwar ein gewisses unangenehmes Gefühl nicht loswerden. -Der Whisky schmeckte ihr, sogar sehr — aber wie Georg das wohl -gefunden haben würde, wenn eine Dame in der Bar saß und Whisky trank?</p> - -<p>Ach was, Georg! Schon wieder Georg.... Trotzig bejahte sie, als Lork -sie fragte, ob sie noch ein Glas wolle. Und von neuem rann der seltsam -brennende Trank ihr durch die Kehle.</p> - -<p>Das Gespräch kroch dahin wie ein verwundetes Tier; langsam.. -schleppend.. plötzlich ein paar krampfhaft schnelle -Vorwärtsbewegungen.. und wieder.. der langsame Trott...</p> - -<p>Da sagte Lork in eine Stille hinein, in der man nur die Fliegen summen -gehört: „Ich werde Ihnen etwas Musik machen.“</p> - -<p>„Spielen Sie denn?“ rief Edith lebhaft.</p> - -<p>Er hatte sich erhoben. Man ging in eines der Gesellschaftszimmer. -Blauseidene Vorhänge dämpften dort das Licht. Durch einen Spalt fiel -eine schräge Sonnenbahn ins Zimmer, Millionen Sonnenstäubchen flirrten -goldig.</p> - -<p>Und dieser zuckende Flimmerschein beleuchtete Harry Lorks Züge, als -er spielte. War es diese<span class="pagenum"><a id="Seite_438"></a>[S. 438]</span> unruhige Beleuchtung, die sein Gesicht so -verändert erscheinen ließ? Wo war nun die träumerische Weichheit, die -sonst in seinen Augen lag?</p> - -<p>Zwei Fackelbrände waren aufgelodert in diesen Augen, zwei harte Linien -zogen sich von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln hinunter, der -Unterkiefer war vorgeschoben, wie in Gier und Qual...</p> - -<p>Und seine Hände, seine sonst so kraftlosen Hände mit den schmalen -Gelenken hatten eine fanatische Energie, seit sie die Tasten berührt. -Melodien stiegen empor.. brennend wie der Sommerwind, der den Blüten -den Samen aus den Kelchen gerissen ... Melodien, die die Zuhörer -aufwühlten, daß die Männer blaß wurden und die Frauen erröteten...</p> - -<p>Die Leidenschaft war’s, die aus diesen Tasten schrie.. und eine Frage.. -eine sehnsuchtzitternde, qualvoll inbrünstige Frage....</p> - -<p>Eine Frage war’s, das fühlten sie alle hier.</p> - -<p>Und die, an die diese Frage gerichtet war, verstand plötzlich. -Verstand, daß da neben ihr und für sie die rote Rose Leidenschaft -aufgeblüht war, von deren heißer Schönheit sie ihr Leben lang geträumt.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_439"></a>[S. 439]</span></p> - -<p>Ein Wirbel von Empfindungen war in ihr, sie war keines klaren Gedankens -fähig.</p> - -<p>In ihrem von der sengenden Hitze und den machtvollen Tonwellen -überreizten Gehirn bebte nur ein Gedanke: die rote Rose Leidenschaft...</p> - -<p>Gleich darauf trennte man sich. Die Damen gingen in ihre Zimmer hinauf, -um sich zum Diner umzuziehen.</p> - -<p>Und während Monika damit beschäftigt war, die Haken ihres weißen -Chiffonkleides zu schließen, öffnete sich die Tür, die zu Ediths Zimmer -führte.</p> - -<p>Ohne angeklopft zu haben, trat Edith herein und sagte mit vor Aufregung -verzerrtem Gesicht:</p> - -<p>„Sie scheinen ja Ihre Freundschaftsmission recht hübsch ausgeführt zu -haben.“</p> - -<p>„Was wollen Sie damit sagen?“</p> - -<p>„Daß Sie Lust nach einem zweiten Gatten spüren, ehe Sie den ersten los -sind.“</p> - -<p>Eine brennende Zorneswelle überflutete Monika. Sie wollte auf -Edith los, ihr die Faust mitten in das blasse, höhnische Gesicht -hineinschlagen, aber mechanisch gehorchte sie den Worten, die ihr, -wie von Georgs Stimme gesprochen, in den Ohren klangen: „Ruhe, -Selbstbeherrschung...“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_440"></a>[S. 440]</span></p> - -<p>Und so sagte sie nur: „Kein Wort weiter.“</p> - -<p>„Ja, das könnte Ihnen so passen: kein Wort weiter!“ klang es keifend -zurück, „nachdem Sie mir heilig versprochen haben, Lork für mich -einzunehmen, haben Sie ihn mit Ihrer raffinierten Koketterie für sich -selbst geködert!“</p> - -<p>Eine Flut von Verwünschungen, von Vorwürfen stieß sie hervor.</p> - -<p>„Woraus schließen Sie denn eigentlich, daß ich Lork erobert habe?“ -fragte Monika kalt, als eine Augenblickspause ihr gestattete, ein Wort -einzuschieben.</p> - -<p>„Woraus ich das schließe? Das habe ich eben im Gefühl.“</p> - -<p>„Sie behaupten doch sonst, daß Gefühle vor dem Verstand keine Geltung -haben.“</p> - -<p>Aber Edith war nicht in der Verfassung, sich auf logische Gespräche -einzulassen. Ihr Körper zuckte in stummem Schluchzen; sie preßte die -Faust an den Mund, drückte sich die Zähne tief ins eigene Fleisch. -Aber die hysterische Krise war nicht mehr zurückzudämmen. Ein paar -Augenblicke später wälzte sich Edith auf dem Boden und stammelte<span class="pagenum"><a id="Seite_441"></a>[S. 441]</span> unter -stoßweisen Schluchzen und Schreien, wie unglücklich sie wäre.</p> - -<p>Monika stand ein paar Schritte davon. Ihr Mitgefühl wurde ausgelöscht -von der Abneigung, die sie gegen diese Unbeherrschtheit empfand. Mit -einer Art dumpfen Erstaunens dachte sie:</p> - -<p>„Vor ein paar Jahren, als junges Mädchen, habe ich mich gerade so -angestellt, wenn ich etwas nicht erreichte.“</p> - -<p>Unfaßlich erschien ihr das jetzt.</p> - -<p>Als Edith endlich wieder drüben in ihrem Zimmer war, war es sehr spät -geworden.</p> - -<p>Monika beschloß, gar nicht hinunterzugehen, sondern sich oben servieren -zu lassen.</p> - -<p>Das Zimmertelephon schlug an.</p> - -<p>Graf Lork fragte an, ob die Damen heute nicht zum Essen kämen.</p> - -<p>„Nein,“ erwiderte Monika, „und morgen auch nicht. Ich habe einen -Ausflug vor.“</p> - -<p>Am nächsten Morgen verließ sie das Hotel zu einer ungewöhnlich frühen -Stunde.</p> - -<p>Sie mietete ein Motorboot für den Tag.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_442"></a>[S. 442]</span></p> - -<p>„Irgendwohin,“ erwiderte sie dem Bootsmann auf seine Frage, nach -welchem Orte sie wolle.</p> - -<p>Und sie lag, auf dem Rücken ausgestreckt, im Boot, das durch die -durchsichtig grünen Wogen schnitt, an lachenden grünen Ufern vorüber.</p> - -<p>Die höhersteigende Sonne sandte Fluten von Licht und Wärme herunter.</p> - -<p>Monikas Gedanken waren wie taumelnde Schmetterlinge, die im -fieberhaften Fluge über die Blüten irren...</p> - -<p>Sie kam erst spät am Abend ins Hotel und ging gleich in ihr Zimmer -hinauf.</p> - -<p>Sie war todmüde und konnte doch nicht schlafen; eine sonderbare -Helligkeit war in ihrem Kopfe...</p> - -<p>Wie rote Brände zuckte es vor ihren Augen.</p> - -<p>Das war wohl der lange Sommertag, der ihr Blut so überhitzt hatte, all -die Glut, die auf sie niedergebrannt war, alle die Gerüche, die sie -geschlürft: der herbe Hauch vom See, das frische Duften der Laubbäume -und das strenge Aroma der Nadelwälder.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_443"></a>[S. 443]</span></p> - -<p>Oder war es die Frage, die sie nicht schlafen ließ, die Frage, die -gestern aus den Tonwellen auf sie eingedrungen?</p> - -<p>Am Morgen endlich verfiel sie in einen unruhigen Schlaf, aus dem eine -schrill krähende Stimme sie weckte.</p> - -<p>„Wer ist denn heute bei Fräulein von Gräbert?“ fragte sie das -Stubenmädchen, das gerade den Tee gebracht.</p> - -<p>Die brave Schweizerin machte erstaunte Augen. „Aber das ist ja -Mademoiselle Bussy d’Armagnac de Montnoir, die da singt. Die haben wir -seit gestern abend hier. Fräulein von Gräbert ist gestern doch schon -mit dem Mittagszuge weg.“</p> - -<p>Ja, Edith war fort, ohne ein Wort des Abschieds. Monika atmete im -ersten Augenblick wie erleichtert auf, also Szenen wie die gestrige -waren nicht mehr zu befürchten.</p> - -<p>Aber als sie sich dann zum Lunch anzog, wollte es doch wie Bangen in -ihr aufsteigen: zum ersten Male ganz allein.</p> - -<p>Sie überlegte einen Augenblick, ob sie Frau von Milorski und deren -Mutter bitten solle, sie an ihrem<span class="pagenum"><a id="Seite_444"></a>[S. 444]</span> Tische Platz nehmen zu lassen, aber -gleich darauf sagte sie sich, daß es doch ein Unsinn sei, sich zur -Tischgenossin dieser unliebenswürdigen Frauen zu machen, bloß weil es -vielleicht nicht ganz passend war, ohne weibliche Begleitung zu sein.</p> - -<p>Und so ging sie denn auf den Tisch zu, an dem wie sonst Berningen und -Lork schon warteten.</p> - -<p>Das Gespräch war sehr lebhaft. Monika zwang sich, so munter wie nur -möglich zu sein. Sie plauderte unaufhörlich. Nur kein Stillschweigen -wollte sie aufkommen lassen, das gefährlicher war als alle Worte.</p> - -<p>Beim Dessert sprach Lork von dem Jubelfeste, das heute auf dem See -stattfände, der Festtag der Eidgenossenschaften.</p> - -<p>„Darf ich Sie bitten, sich das Feuerwerk von meinem Balkon aus -anzusehen?“ fragte er Monika.</p> - -<p>Sie starrte ihm erschrocken ins Gesicht.</p> - -<p>Er aber fuhr ganz harmlos fort: „Die Milorskischen Damen haben zugesagt -— —“</p> - -<p>„Und ich bin erfreulicherweise auch geladen,“ fügte Berningen hinzu, -„von uns allen hat nämlich nur Lork den Balkon nach der Westseite.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_445"></a>[S. 445]</span></p> - -<p>„Wir gehen gleich nach dem Essen zu mir hinauf,“ sagte Lork.</p> - -<p>Monika nickte stumm.</p> - -<p>Die Milorskischen Damen sahen sich mit kaum verhehltem Neide um, -als sie die von Lork bewohnten Räume betraten, die Fürstenzimmer -des Hotels. Auf der Terrasse, die sich an einen schönen blauen -Louis-XV.-Salon schloß, versammelte sich die Gesellschaft.</p> - -<p>Herr von Milorski bewunderte die Korbmöbel aus gediegenem grauen -Geflecht mit Goldornamentierungen.</p> - -<p>„Bequem wie’n Klubsessel,“ sagte er und dehnte sich behaglich in einem -der Sessel, — „wenn ich denke, wie früher die Korbstühle waren! — -— Die Welt schreitet doch alle Tage weiter. Es ist fabelhaft ... -Nicht?...“</p> - -<p>Er erhielt auf diese Auslassungen keine Antwort. Seine Frau und seine -Schwiegermutter waren in den Salon zurückgekehrt, wo sie die Nippes -besahen. Berningen hatte sich auf das Geländer der Terrasse gesetzt -und kokettierte von da aus in den Hotelgarten zu zwei niedlichen -Amerikanerinnen hinunter.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_446"></a>[S. 446]</span></p> - -<p>Monika und Lork standen ganz links, an der Seeseite. Monika sah in -die Ferne, und Lork stand über ihren Stuhl gebeugt, so nahe, daß ein -verschmitztes Lächeln das gutmütige Gesicht Milorskis überflog.</p> - -<p>Die Sonne war schon untergegangen, aber noch lag die ganze Schwüle -dieses endlos langen Julitages über Luzern. In dieser durchsichtigen -Dämmerung zogen sich die riesigen Laubmassen der Platanenallee am Kai -hin wie ein schwarzes Band. In den Straßen drängten Menschenscharen, -die in diesem Lichte unbestimmte Formen annahmen. Dunkel drohten die -Felsmassen vom gegenüberliegenden Ufer des Sees.</p> - -<p>Wie ein dumpfer Druck lag es über Monika, wie eine atemraubende -Erwartung.</p> - -<p>Berningen begann sich inzwischen zu langweilen. Seine neuen Flirts, -denen es im Garten wohl zu tauig geworden sein mochte, waren ins Hotel -zurückgegangen.</p> - -<p>„Die braven Schweizer werden ihr Feuerwerk wohl erst um Mitternacht -loslassen. Hier geht ja alles so langsam,“ murrte er. Dann steckte -er sich eine neue Zigarette an und überlegte die Situation.<span class="pagenum"><a id="Seite_447"></a>[S. 447]</span> Die -Milorskischen „Drachen“ konnten jeden Augenblick wieder auf die -Terrasse heraustreten; Monika ließ der Lork doch nicht aus den Fingern, -und Milorski schlief schon halb vor einer Flasche Hennessy, — — kurz, -es war hier nichts los.</p> - -<p>So beschloß er denn, sich zu drücken, ging stolz über die Terrasse. Von -den dreien hier achtete doch keiner auf ihn. Mit unendlicher Vorsicht -schlängelte er sich an den Drachen im Salon vorbei.</p> - -<p>Dann schlenderte er zum Hafen.</p> - -<p>Die Schweizer waren mit Kind und Kegel von ihren Bergen -heruntergekommen. Vierschrötige Gestalten, rotbäckige Gesichter. Aus -hellen Augen starrten sie bewundernd auf das großstädtische Treiben -und auf alle die internationalen Erscheinungen, die sich hier zwischen -ihnen herumdrängten.</p> - -<p>Und diese Menge, die so verschiedenartig war wie die tausendfarbigen -Steinchen eines Kaleidoskops, wurde zusammengehalten durch ein Band: -die Schaugier!</p> - -<p>Ein „Ah“ ging über sie alle hin, als das erste geschmückte Schiff -hinausglitt auf den See. Das gleiche „Ah“ kam von all diesen Lippen, -den groben<span class="pagenum"><a id="Seite_448"></a>[S. 448]</span> und den feinen, den schmutzigen und den gepflegten, den -welken und den blühenden. — — Es gefiel ihm nicht, und reumütig -schlug er den Weg wieder ein zu Lorks weißer Terrasse.</p> - -<p>Als er dort ankam, fand er zu seinem Erstaunen die Milorskische Familie -vollzählig im Salon von Lork, damit beschäftigt, Whist zu spielen.</p> - -<p>„Na, und das Feuerwerk?“</p> - -<p>„Es hat ja noch nicht angefangen, — und meine Schwiegermutter ist -so gewöhnt, um diese Zeit ihr Spielchen zu machen,“ sagte Milorski -kleinlaut. „Liebes Kerlchen, tun Sie mir den Gefallen und spielen Sie -mit statt des Strohmanns,“ fügte er hinzu.</p> - -<p>„Und Lork?“</p> - -<p>„Ist auf der Terrasse.“</p> - -<p>„Zu zweien — —,“ sagte Frau von Milorski sarkastisch.</p> - -<p>Berningen beschloß innerlich, dann „lieber nicht zu stören“, und setzte -sich resigniert zum Whist nieder.</p> - -<p>Auf der Terrasse herrschte tiefes Schweigen.</p> - -<p>Die beiden sahen hinaus in die samtschwarze Nacht, und Monika fühlte -mit fast schmerzhafter<span class="pagenum"><a id="Seite_449"></a>[S. 449]</span> Deutlichkeit die elektrische Spannung des -Mannes an ihrer Seite.</p> - -<p>Die Minuten strichen so langsam dahin — tropften dahin...</p> - -<p>Und Nacht und Schweigen...</p> - -<p>Bis plötzlich ein blutroter Schein aufflammte in dieser samtschwarzen -Nacht...</p> - -<p>Und wieder einer...</p> - -<p>Und hundert plötzlich... Brennende Feuerräder, die in ungeheurem Bogen -über den tiefdunkeln Himmel emporgeschleudert wurden und in einer -wilden Strahlengarbe hinabstürzten in den See. Strahlenkränze von roten -Lichtern auf all den Masten und Rahen der Schiffe, die auf dem Wasser -kreuzten.</p> - -<p>Alle diese Schiffe aber blieben im Dunkeln. Man sah nur die Girlanden -von Licht — wie Tausende roter Leuchtkäfer über dem See.</p> - -<p>Und wieder feurige Schlangen, die empor in den Himmel zischten, -Kometen, die eine Flammenbahn über den Horizont zogen, feurige Blumen, -die aus einem überreichen Füllhorn emporgeschleudert wurden — — ein -wilder Taumel von Feuer, der<span class="pagenum"><a id="Seite_450"></a>[S. 450]</span> von der Erde emporraste in den Himmel -hinein und hinabstürzend im Wasser starb.</p> - -<p>Und wieder Nacht und Schweigen. — — Nein, Schweigen nicht...</p> - -<p>Worte flammten auf, heiß und rot, wie es die Feuerblumen eben gewesen...</p> - -<p>„Ich muß Ihnen von meiner Liebe reden, Monika. Ahnen Sie denn, wie sehr -diese Liebe von mir Besitz genommen hat? Ich bete Sie ja an: Ihre süße -Schönheit... Ihren Geist... Ihre Gutherzigkeit ... alles! Mein Denken -bei Nacht und Tag ... mein süßes Glück... meine schöne Pantherkatze, — -sag’ ein einziges Wort... ein einziges, liebes Wort.“</p> - -<p>Sie fühlte seinen brennenden Atem über ihre Wange streichen, fühlte, -wie es ihn unwiderstehlich, übermächtig zwang, sie in die Arme zu -nehmen...</p> - -<p>Und sich gewaltsam dem heißen Zauber entziehend, trat sie hastig einen -Schritt zurück.</p> - -<p>„Still! Sagen Sie mir jetzt nichts weiter.“</p> - -<p>„Aber morgen muß ich Sie sprechen, Monika.“</p> - -<p>Sie antwortete nicht, trat hastig in den Salon, wo die Vier über ihrem -Spiel das Feuerwerk vergessen hatten.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_451"></a>[S. 451]</span></p> - -<p>Sie taumelte ein wenig, als sie ins Zimmer trat, und schloß die Augen -vor der Helle des elektrischen Lichts — und hatte eben doch mit -offenen Augen in ein viel heißeres, rotes Feuer gesehen.</p> - -<div class="figcenter illowe5" id="gedankensprung12"> - <img class="w100" src="images/gedankensprung.jpg" alt="Gedankensprung" /> -</div> - -<p>Am nächsten Morgen hatte sie mit Lork die von ihm erbetene Aussprache.</p> - -<p>Solange sie nebeneinander auf der weißen Landstraße einhergingen, -sprachen sie kein Wort. Dann bogen sie in einen Fußpfad ab, der an -Wiesen und schattigen Laubbäumen vorbei hügelan führte.</p> - -<p>Monika setzte sich auf die Bank an irgendeinem Aussichtspunkte und -hielt ihren weißen Spitzensonnenschirm vor das Gesicht, weniger zum -Schutze gegen die Sonne als zum Schutze gegen seinen Blick. Und sie -sagte hastig:</p> - -<p>„Sie dürfen nicht zu mir sprechen wie gestern abend, Graf Lork. Sie -wissen ja überhaupt nichts von mir...“</p> - -<p>„Doch! Fräulein von Gräbert sprach mit mir, ehe sie fortfuhr.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_452"></a>[S. 452]</span></p> - -<p>Eine heiße Röte überflammte Monikas Gesicht. Edith hatte also vor ihrer -Abreise noch ein Zusammentreffen mit Lork arrangiert. Wer weiß, was sie -da für Verleumdungen über sie aufgetischt haben mochte!</p> - -<p>„Ich war unendlich glücklich über das, was Fräulein von Gräbert mir -sagte. Ich hörte, daß Sie im Begriff sind, sich scheiden zu lassen. Ist -das wahr?“</p> - -<p>Monika antwortete nicht; mit aufeinandergebissenen Zähnen starrte sie -vor sich hin.</p> - -<p>Und in heißem Flehen sagte die Stimme des Mannes von neuem: „Das ist -wahr?... Sagen Sie mir, daß es wahr ist...“</p> - -<p>Der Schirm war ihrer Hand entsunken. Sie sah jetzt geradeaus in die -flammende Sonne.</p> - -<p>Da griff er nach ihren Händen, umkrampfte diese kühlen, kleinen Hände -mit seinen glühend heißen Fingern und flehte: „Ist es wahr?“</p> - -<p>„Ja,“ sagte sie tonlos.</p> - -<p>„Monika, — — und wenn diese Scheidung vollzogen ist, dann darf -ich hoffen, daß Sie meine Frau werden? Ich will ja Ihr Sklave sein, -Monika, ich will Ihnen jeden Willen tun, Ihnen jeden Wunsch erfüllen... -Alles! Sie wissen, wie ich Sie ver<span class="pagenum"><a id="Seite_453"></a>[S. 453]</span>stehe, wie ich jede Regung in Ihnen -verstehe und liebe! In Ihrer prachtvollen Ursprünglichkeit sollen Sie -bleiben, kein Atom Ihres Selbst will ich anders haben, als es ist. -Unser Leben wird ein Rausch sein von Glanz und Leidenschaft!“</p> - -<p>Er preßte seine fiebernden Lippen auf ihre Hand.</p> - -<p>„Ihre Antwort, Monika...“</p> - -<p>„Nicht jetzt,“ sagte sie schwer atmend, „lassen Sie mir Zeit.“</p> - -<p>„Wann?“</p> - -<p>„Ich weiß nicht...“</p> - -<p>„Wann?“ flehte er.</p> - -<p>„Ein paar Tage nur...“</p> - -<p>Dann gingen sie langsam den Weg zurück, den sie gekommen.</p> - -<p>Monika hielt den Blick tief gesenkt, nicht ein einzigesmal sah sie auf. -In seinen Augen aber war ein Schein von Siegessicherheit.</p> - -<p>Kurz bevor sie am Hotel ankamen, sagte er:</p> - -<p>„Ich werde heute und morgen wegfahren. Ich will Sie nicht stören, nicht -beunruhigen in dieser Zeit der Ueberlegung... aber übermorgen früh hole -ich mir meine Antwort.“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_454"></a>[S. 454]</span></p> - -<p>Monika schritt dahin wie im Traum. Der Lift fuhr sie in ihre Etage -hinauf, die Tür ihres Zimmers schloß sich hinter ihr. Ihr erster -Gedanke war: Dunkel, die Vorhänge herunter.</p> - -<p>Dann, als sei es ihr immer noch zu hell, warf sie sich übers Bett und -wühlte den Kopf in die Kissen. Dunkel... Dunkel und Schweigen...</p> - -<p>Aber es ward nicht dunkel vor ihren Augen. In unabsehbarer goldener und -strotzender Fülle sah sie alle Herrlichkeiten dieser Welt!</p> - -<p>Die alle würde dieser Mann ihr geben, alles Schönste, wonach -sie je Begehren getragen, alles Schönste, was Natur und Kunst -hervorgebracht: edle Steine und schillernde Stoffe, kostbare Bücher -und Marmorbildsäulen, Pferde und Automobile und Jachten, Gärten und -Paläste...</p> - -<p>Das alles würde er ihr geben in seiner heißen Liebe, die so -leidenschaftlich war, wie sie es immer ersehnt. Ganz einhüllen würde -er sie in diese flammende Leidenschaft. Seine Liebe würde sklavisch -zu ihren Füßen knien und darauf harren, ihr jeden Wunsch erfüllen zu -dürfen.</p> - -<p>In allen Poren fühlte sie, welche Macht sie über diesen Mann besaß, der -jede Bewegung an ihr ver<span class="pagenum"><a id="Seite_455"></a>[S. 455]</span>götterte, jedes Wort, das sie sprach, jeden -Gedanken, den sie dachte... Der sie liebte maßlos und schrankenlos...</p> - -<p><em class="gesperrt">Das</em> war’s, was ihr wie ein Rausch ins Blut drang, diese -Erfüllung ihrer jungen Sehnsucht: über alle Schranken hinaus...</p> - -<p>Georg hatte sie in Schranken gehalten und sich selbst auch. Hatte er -sie überhaupt je geliebt? War das Liebe, die nach Zügeln fragte und -nach Grenzen? Georg war ein Egoist gewesen, immer; im Mittelpunkte -seines Denkens hatte er selbst gestanden, er und seine Karriere.</p> - -<p>Würde er ihr je eine Ueberzeugung geopfert haben? Von Harry Lork -aber wußte sie, daß er es mit Freuden sehen würde, wenn sie alle -ihre Gefühle, alle ihre Gedanken wild wuchern ließ, daß sie üppige -Triebe und Blüten reckten. Mit Lork würde sie frei sein können im -Denken und Tun — und überschüttet von Reichtum und fortgerissen von -Leidenschaften.</p> - -<p>Sie sah wieder sein Gesicht vor sich, wie sie es neulich im Musikzimmer -gesehen, als die Sonnenstäubchen drüber hingeflirrt und die Linien -beleuchtet, die die Leidenschaft hineinriß...</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_456"></a>[S. 456]</span></p> - -<p>Da wußte sie, was sie dem Grafen Harry Lork antworten würde, sobald er -wiederkam.</p> - -<p>Sie war mit ihrem inneren Leben so sehr beschäftigt, daß sie es -vermied, andere zu sprechen. Sie war fast unhöflich, gab kaum Antwort, -wenn einer der Hotelgäste sie in ein Gespräch zu ziehen suchte.</p> - -<p>Am nächsten Vormittag schwamm sie weit in den See hinaus. Die scharfe -körperliche Bewegung tat ihr wohl, lenkte sie ab von der heißen Arbeit -ihres Gehirns.</p> - -<p>Aber als sie dann nachher auf dem weißen Sande des Badestrandes lag, -waren sie alle wieder da, die Zukunftsträume. Die waren nicht mehr in -den rosigen Farben ihrer ersten Jugend gemalt, sondern in Purpur und -Gold ihrer wissenden Frauenphantasie.</p> - -<p>Und das Gefühl eines wilden Triumphes überkam sie: nie mehr „Sitte“ -und „Pflicht“... nur alle heißen Träume wahr machen, die ihr Gehirn je -bewegt, — — jede Phantasie Wirklichkeit werden lassen!</p> - -<p>Ja, das alles <em class="gesperrt">konnte</em> sie, in der Kraft ihrer blühenden Jugend, -die keinen Zügel mehr tragen<span class="pagenum"><a id="Seite_457"></a>[S. 457]</span> würde, — — ungezählte Reichtümer zur -Hilfe, und einen Mann zur Seite, der ein Sklave ihrer Launen war.</p> - -<p>„Schrankenlos genießen“ — — hatte er gesagt.</p> - -<p>Und wie ein brausender Jubelchor klang es ihr in den Ohren: -„schrankenlos... genießen...“</p> - -<p>Und doch... und doch... Es war keine volle Harmonie in diesem Hymnus. -Wohl klangen die Instrumente so lockend, lachten vor Rausch und Lust, -aber irgendwo schluchzte eine Geige, schluchzte so tief schmerzlich — -so unerträglich sehnsüchtig — —</p> - -<p>Was war es denn, was die schluchzte? Ein Wort nur, ein einziges Wort: -„Georg“...</p> - -<p>Aber sie jagte diesen Gedanken von sich. Er war ein Egoist, er hatte -sie nie geliebt. Und nur jetzt keine falsche Sentimentalität.</p> - -<p>Sie war entschlossen. Sie wußte, was sie Lork morgen antworten würde.</p> - -<p>Als sie vom Schwimmbad nach Hause kam, den Blick gesenkt, um nicht -wieder in Unterhaltungen verwickelt zu werden, die sie störten, wurde -sie, als sie die Halle durchschritt, angerufen.</p> - -<p>„Ah, Frau von Wetterhelm,“ klang es ihr, in einer schnarrenden Stimme -gesprochen, ins Ohr.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_458"></a>[S. 458]</span></p> - -<p>Sie mußte eine Sekunde lang nachdenken, wo sie dieses narbenzerrissene -Greisengesicht schon gesehen, dies Gesicht mit dem bulldoggenhaften -Ausdruck und einem goldgefaßten Monokel im linken Auge.</p> - -<p>„Ah, Fürst Herrlingen.“</p> - -<p>Wie lange ihr das schon her schien, seit sie ihn zum letztenmal -gesehen. Und es waren doch erst zwei Jahre, daß sie die Botschaft in -London verlassen. Sie hatte dann mit dem Fürsten noch korrespondiert, -und oft hatte er ihr geschrieben, welchen Spaß ihm ihre witzigen Briefe -machten.</p> - -<p>Ob Herrlingen wohl wußte, wie sich ihr Lebensschicksal inzwischen -gestaltet?</p> - -<p>Sie war verlegen, murmelte irgend etwas, daß sie hinauf müsse, aber er -bat so dringend, sich ein paar Augenblicke zu ihm zu setzen.</p> - -<p>Er plauderte wie immer: in abgerissenen Sätzen, in der sehr lebhaften -Art, die er sich, trotz seiner siebzig Jahre, bewahrt hatte. Er -erzählte von gemeinsamen Bekannten. Ohne ein paar boshafte Ausfälle -ging es dabei nie ab.</p> - -<p>Als sie im Begriffe waren, sich zu trennen, ließ er sich noch -versprechen, daß sie heute abend mit ihm diniere. Das müsse sie schon -für einen alten<span class="pagenum"><a id="Seite_459"></a>[S. 459]</span> Freund tun. Nicht im großen Speisesaal — gräßlich mit -den vielen Leuten! Er würde den gelben Salon reservieren lassen.</p> - -<p>Monika zeigte sich am Abend in brillanter Laune. Sie scherzte und -lachte und berauschte sich schließlich an ihrer eigenen Gesprächigkeit.</p> - -<p>Die Unterhaltung zwischen ihnen beiden flog hin und her wie ein -Tennisball, den zwei geschickte Spieler sich zuschleudern.</p> - -<p>Wie früher war es.</p> - -<p>Nein, doch nicht wie früher...</p> - -<p>Da war Georg Wetterhelm mit dabei gewesen, hatte seiner Frau zugehört, -stolz auf ihren Esprit und ein wenig ängstlich, ob sie die Grenzen -innehalten würde...</p> - -<p>Nein, nicht wie früher war’s.</p> - -<p>Der Fürst schien den gleichen Gedanken zu haben.</p> - -<p>Einen Augenblick zögerte er, dann: „Ich möchte Sie etwas fragen, Frau -von Wetterhelm. Nehmen Sie es als Freundschaftsbeweis. Man muß mich -schon mehr interessieren, wenn ich indiskret sein soll. Hat es zwischen -Ihnen und Wetterhelm einen Bruch gegeben?“</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_460"></a>[S. 460]</span></p> - -<p>Sie antwortete nicht.</p> - -<p>„Ich habe neulich Ihren Mann in Berlin gesehen,“ fuhr er fort, „er hat -mir nichts Besonderes über Sie erzählt. Er sagte nur, es ginge Ihnen -gut. Aber daß er nun doch nach Teheran will, nachdem er es Ihretwegen -vor drei Jahren abgelehnt — —“</p> - -<p>„Meinetwegen?!“</p> - -<p>„Ah, Sie wissen es gar nicht? — Das ist mal wieder recht Georg -Wetterhelm, es Ihnen gar nicht zu erzählen, wenn er ein Opfer bringt.“</p> - -<p>„Ein Opfer?“ fragte sie mit versagendem Atem.</p> - -<p>„Ja, für seine Karriere war’s eins. Das habe ich ihm damals klipp und -klar auseinandergesetzt. Die Kombination lag ja damals ganz anders -als heute. Allein die Tatsache, daß er dann vor drei Jahren schon -erster Botschaftsrat geworden wäre.. Und außerdem ist damals der -Herzog Wilhelm Friedrich hingegangen, der auf Wetterhelms Beihilfe -bei seinen ethnologischen Forschungen rechnete. Wetterhelm hätte die -schönste Gelegenheit gehabt, sich nach allen möglichen Richtungen hin -auszuzeichnen. Aber er wollte nicht hin! Ihretwegen nicht. Er fürchtete -für Sie das Klima, die zeitweise recht unruhige Bevölkerung — es war -gerade wie<span class="pagenum"><a id="Seite_461"></a>[S. 461]</span>der ein Aufstand vorgekommen. Er sagte mir auch, daß Sie -sich, so weit von unserer Kultur entfernt, gar zu unbehaglich fühlen -würden. Ich erwiderte, das seien doch alles keine Gründe, wenn ein -Vorteil für die Karriere in Frage käme. Aber ihm stand Ihr Wohl höher. -Ich machte ihm dann den Vorschlag, sich doch für ein Jahr beurlauben zu -lassen, um an der Expedition des Herzogs teilnehmen zu können — Sie -wissen, was Wilhelm Friedrichs Fürsprache bei uns zu bedeuten hat —, -aber er antwortete, er wolle sich nicht so lange von Ihnen trennen. Ja, -die Liebe beeinträchtigt eben auch bei sonst ganz vernünftigen Menschen -den Verstand.“ —</p> - -<p>Monikas Hand zitterte so stark, daß der blutrote Burgunder aus ihrem -Glase über das Tischtuch tropfte.</p> - -<p>Ihr Wohl hat ihm höher gestanden als seine Karriere!</p> - -<p>O nur allein sein, allein sein jetzt mit ihren Gedanken, die wie eine -Meute über sie herstürzten!</p> - -<p>Aber die Frau von Georg Wetterhelm durfte ihre Haltung nicht verlieren. -Und sie krampfte ihre Fingernägel in die Handflächen, daß sie ihr -schmerzend ins Fleisch drangen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_462"></a>[S. 462]</span></p> - -<p>Und sie plauderte weiter, liebenswürdig und witzig, als schlüge ihr -nicht das Herz wie rasend in der Brust, als stiege ihr nicht das Blut -so heiß zu Kopfe, daß es wie ein Brausen in ihren Ohren war.</p> - -<p>Und der Augenblick kam, wo Herrlingen ihr abschiednehmend die Hand -küßte.</p> - -<p>Dann endlich in ihrem Zimmer durfte sie sich ihrem Gefühle überlassen, -durfte aufschluchzen, durfte weinen, wie sie noch nie geweint...</p> - -<p>War das der Mann, den sie einen starren Egoisten genannt? Dieser -Mann, der seinem Avancement schadete, um der geliebten Frau einen -unangenehmen Aufenthalt zu ersparen? Und der ihr nicht einmal etwas -davon sagte, in der herben Vornehmheit seiner Natur, die Opfer brachte -und keinen Dank dafür wollte!</p> - -<p>In wogenden Nebeln versanken farblos alle die farbenstrotzenden -Zukunftsschlösser, die sie gestern noch gebaut. Was war aller Reichtum -und alle Leidenschaft, was waren alle Genüsse dieser Welt, wenn ihr die -Liebe fehlte?</p> - -<p>Und ihre Liebe zu Georg, die sie so lange gewaltsam zurückgedämmt, -durchbrach alle Schranken,<span class="pagenum"><a id="Seite_463"></a>[S. 463]</span> daß es ihr war, als sei ihr ganzes Sein nur -noch ein einziger Sehnsuchtsschrei nach ihm!</p> - -<p>Aber eisig legte sich in den Aufruhr ihrer Gefühle die Frage: Wird er -mir verzeihen? Hatte sie ihm nicht schlecht gelohnt? Hatte nicht ihr -eigenes Selbst ihr höher gestanden als sein Glück?</p> - -<p>Eine tiefe Mutlosigkeit wollte sie überkommen, ein banges Gefühl: Wird -das wieder gut?</p> - -<p>O, wenn sie ihm nur alles sagen könnte, ihm alles verständlich machen!</p> - -<p>Ein Irrtum war’s, der sie von seiner Seite gerissen.</p> - -<p>Noch einmal grüßte aus dem Dunkel des Unwiederbringlichen das Haupt -des toten Bruders, die dunkeln Wimpern über den erloschenen Augen, ein -wenig geöffnet der Mund, ein wenig traurig...</p> - -<p>Georgs Schuld?</p> - -<p>Ach nein! Die Schuld des Birkenschen Blutes, der Birkenschen Erziehung. -Die Schuld des Blutes, das Alfred unter der Tropensonne seinem Geschick -entgegenführte, das Heinrichs Leben in unklare Wirrnisse verstrickte, -das sie selbst so gefährliche Bahnen geführt.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_464"></a>[S. 464]</span></p> - -<p>Und hoch über ihnen allen stand Georg.</p> - -<p>Sein Leben lang hatte er idealen Gütern gedient, gab seine besten -Kräfte dem Lande, das ihn gezeugt, hatte in strenger Selbstzucht, in -treuer Erfüllung seiner Pflichten seine Einzelpersönlichkeit dem Wohle -des Ganzen untergeordnet.</p> - -<p>Und nicht, wie sie geglaubt, war er unbeugsam und kalt dabei geworden -— nein! Er war es fähig, ein Opfer zu bringen.</p> - -<p>Ob er ihr verzeihen würde?...</p> - -<p>Ach, kein Nachdenken jetzt — kein Fragen.</p> - -<p>Zu ihm! Mit dem Nachtzuge noch.</p> - -<p>Sie erreichte ihn noch gerade.</p> - -<p>Und während die Räder in rasender Hast durch das Dunkel jagten, saß sie -in eine Ecke des Coupés gedrückt, mit weit offenen Augen.</p> - -<p>Sie legte sich nicht hin, sie konnte ja doch nicht schlafen.</p> - -<p>Ob er ihr verzeihen würde?...</p> - -<p>Verzeihen, daß sie in egoistischer Aufwallung Haus und Herd verlassen -und den Mann, der sie liebte?</p> - -<p>Und sie dachte an den Abend vor bald sechs Jahren, als sie zu ihm -gefahren war, als ihr sieb<span class="pagenum"><a id="Seite_465"></a>[S. 465]</span>zehnjähriger Mädchenmund in Leidenschaft und -Liebe und Egoismus gestammelt: „Ich will mein Glück wiederhaben!“</p> - -<p>Weiter und weiter durch die sternenlose Nacht, deren Schweigen mitunter -zerrissen wurde von dem gellenden Schrei der Lokomotive. Immer weiter -trug sie der Zug... zu ihm!</p> - -<p>Und in ihrem aufgewühlten, durchschütterten Gehirn zuckten neben den -großen Fragen kleine Sorgen auf, kleinliche Bedenken:</p> - -<p>„Wird er zu Hause sein? Wer wird mir die Tür öffnen? Wie mache ich’s, -daß er mich anhört ...?“</p> - -<p>Tausend Möglichkeiten durchdachte sie, tausend Schwierigkeiten überwand -sie in Gedanken, immer neue Hindernisse überlegte sie sich, und wie sie -ihnen entgegentreten solle.</p> - -<p>Und es kam alles viel einfacher, als sie gedacht. Der Diener öffnete, -sagte ein freudig überraschtes: „Ah, die gnädige Frau!“ und nahm ihr -den Reisemantel von den Schultern.</p> - -<p>Und mechanisch nahm sie auch den Hut ab, so als ob sie hier zu Hause -wäre, wieder zu Hause.</p> - -<p><span class="pagenum"><a id="Seite_466"></a>[S. 466]</span></p> - -<p>Sie schritt durch ihren blauen Salon und durch das Musikzimmer und -öffnete die Tür zu Georgs Arbeitszimmer.</p> - -<p>Er saß am Schreibtisch und sah nicht auf.</p> - -<p>Wie ernst, wie furchtbar ernst das geliebte Gesicht war!</p> - -<p>Sie stammelte seinen Namen.</p> - -<p>Und da sprang er auf.</p> - -<p>Kein Besinnen, kein Fragen, keine Korrektheit ... nur ein einziger, -wilder Schrei:</p> - -<p>„Du!“</p> - -<p>Und seine Arme, die sie umfaßten, sein Mund, der sich auf den ihren -preßte, sein heißes Gestammel: „Bist Du doch gekommen, mein kleiner -Schatz? Mein geliebter, kleiner Schatz, bist Du doch gekommen, mein -Glück...“</p> - -<p>„Ja, Georg, und ich will bei Dir bleiben, immer ... immer...“</p> - -<p>Es bebte wie Angst in seiner Stimme:</p> - -<p>„Du weißt, wie verschieden unsere Naturen sind. Es mag wohl wieder ein -Tag kommen, Monika, wo ich Dein phantastisches Köpfchen nicht verstehe, -wo ich Deine Wildheit nicht gutheißen kann, wo ich Dir etwas nicht -geben kann, nicht geben darf,<span class="pagenum"><a id="Seite_467"></a>[S. 467]</span> was Du verlangst — wo ich Dir Deine -Wünsche nicht erfülle...“</p> - -<p>„Dann...“ Der Schein einer unendlichen Hingabe verklärte ihr Gesicht. -„Dann werde ich nicht, wie in meinen Kinderjahren, sagen: ‚Mir -zuliebe!‘ Dann werde ich nicht, wie in meiner Brautzeit, stammeln: -‚Unserem Glücke zuliebe‘ — dann werde ich das Wort sagen, das ich -jetzt sprechen gelernt habe: ‚Dir zuliebe‘!“</p> - -<div class="figcenter illowe10" id="text_ende"> - <img class="w100" src="images/text_ende.jpg" alt="Ende des Texts" /> -</div> - -<hr class="full" /> - -<div class="chapter"> - -<div class="rek"> - -<p class="s2 center">Romane beliebter Autoren</p> - -<p class="center mbot2">In gleicher Form und Ausstattung erschienen:</p> - -<div class="blockquot"> - -<p class="hang2"><b>R. Skowronnek</b>, Das Bataillon Sporck</p> - -<p class="hang2"><b>Karl Hans Strobl</b>, Die Streiche der schlimmen Paulette</p> - -<p class="hang2"><b>Ida Boy-Ed</b>, Ein Augenblick im Paradies</p> - -<p class="hang2"><b>Felix Hollaender</b>, Der Eid des Stephan Huller</p> - -<p class="hang2"><b>Paul Oskar Höcker</b>, Fasching</p> - -<p class="hang2"><b>Rudolph Stratz</b>, Lieb Vaterland</p> - -<p class="hang2"><b>G. v. Ompteda</b>, Margret und Ossana</p> - -<p class="hang2"><b>F. v. Zobeltitz</b>, Die Spur des Ersten</p> - -<p class="hang2"><b>Max Dreyer</b>, Auf eigener Erde</p></div> - -<p class="center mtop2">Die Sammlung wird fortgesetzt</p> - -<p class="s3 center"><em class="gesperrt">In jeder Buchhandlung erhältlich</em></p> - -</div> - -</div> - -<div class="chapter padtop3"> - -<p class="s3 center">Ullstein & Co.</p> -</div> - -<div class="figcenter illowe8" id="verlagssignet"> - <img class="w100" src="images/verlagssignet.jpg" alt="Verlagssignet" /> -</div> - -<p class="s3 center">Berlin SW<sup>68</sup></p> - - - - - - - - -<pre> - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Pantherkätzchen, by -Gertrud Marie Madeleine von Puttkamer - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK PANTHERKÄTZCHEN *** - -***** This file should be named 63933-h.htm or 63933-h.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/6/3/9/3/63933/ - -Produced by the Online Distributed Proofreading Team at -https://www.pgdp.net (This book was produced from images -made available by the HathiTrust Digital Library.) - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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It -exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations -from people in all walks of life. - -Volunteers and financial support to provide volunteers with the -assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's -goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will -remain freely available for generations to come. In 2001, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure -and permanent future for Project Gutenberg-tm and future -generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see -Sections 3 and 4 and the Foundation information page at -www.gutenberg.org - - - -Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation - -The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit -501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the -state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal -Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification -number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by -U.S. federal laws and your state's laws. - -The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the -mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its -volunteers and employees are scattered throughout numerous -locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt -Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to -date contact information can be found at the Foundation's web site and -official page at www.gutenberg.org/contact - -For additional contact information: - - Dr. Gregory B. Newby - Chief Executive and Director - gbnewby@pglaf.org - -Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation - -Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide -spread public support and donations to carry out its mission of -increasing the number of public domain and licensed works that can be -freely distributed in machine readable form accessible by the widest -array of equipment including outdated equipment. Many small donations -($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt -status with the IRS. - -The Foundation is committed to complying with the laws regulating -charities and charitable donations in all 50 states of the United -States. 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Donations are accepted in a number of other -ways including checks, online payments and credit card donations. To -donate, please visit: www.gutenberg.org/donate - -Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. - -Professor Michael S. Hart was the originator of the Project -Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be -freely shared with anyone. For forty years, he produced and -distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of -volunteer support. - -Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed -editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in -the U.S. unless a copyright notice is included. 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