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diff --git a/59222-0.txt b/59222-0.txt new file mode 100644 index 0000000..be73819 --- /dev/null +++ b/59222-0.txt @@ -0,0 +1,6307 @@ +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 59222 *** + + + + + + + + + + + + + Schwedenklees Erlebnis + + + von + Bernhard Kellermann + + + 1923 + S. Fischer / Verlag / Berlin + + + Erste bis zehnte Auflage + Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung + Copyright 1923 by S. Fischer, Verlag A.-G., Berlin + + + + + Schwedenklees Erlebnis + + + + + 1 + + +Es gibt Menschen, die vom Glück geradezu verfolgt werden. Sie wachsen in +angenehmen Verhältnissen auf, behütet von Eltern und Verwandten, ihre +Gesundheit ist vorzüglich, sie sind begabt genug, um ohne besondere +Anstrengungen und Qualen ihre Erziehung zu beenden. Sie haben gerade +soviel Leidenschaftlichkeit, als dazu gehört, das Leben zu genießen, +allen wirklichen Konflikten aber weichen sie instinktiv aus -- oder +weichen die Konflikte vor ihnen zurück? Was immer sie anpacken, gelingt, +sie kommen nach Monte Carlo und setzen auf eine ganz unmögliche Nummer, +schon schiebt ihnen der Croupier zur Verblüffung der ergrauten +Serienspieler einen Haufen Banknoten zu. Aber sie, diese vom Schicksal +Verwöhnten, finden das vollkommen in Ordnung, so sehr sind sie an die +Ovationen des Glücks gewöhnt. Es kann vorkommen, daß solch ein +Umschmeichelter einmal aufs Trockene gerät, schon wird ihm der Atem +etwas kurz -- aber da stirbt im rechten Augenblick irgendein Verwandter, +den man völlig vergessen hatte ... + +Wie fangen diese Auserwählten es an, daß das Glück ihnen wie ihr +Schatten folgt? Tragen sie einen Talisman auf der Brust? Vielleicht die +Konstellation der Gestirne --? + +Wie kommt es, das ist die Antwort, daß ein Vogel als Papagei am +Amazonenstrom zur Welt kommt, dem Paradies der Vögel, in einer Luft, +schwirrend von Insekten, warm selbst in den kalten Jahreszeiten -- und +ein anderer Vogel wird als Sperling in einer Dachrinne Berlins oder +Londons geboren, wo jeder Tag ein Problem ist und jeder Winter ein Kampf +auf Leben und Tod? + + * * * * * + +Zu jener Klasse von Umschmeichelten gehörte ohne Zweifel der Architekt +Philipp Schwedenklee. Schwedenklee war wohlhabend, ohne gerade ein +Rothschild zu sein. Er konnte es sich jedenfalls, zum Beispiel, leisten, +einer jungen Dame ein Paar der elegantesten Lackschuhe zu schenken, nur +dafür, daß sie einen Abend mit ihm bei einer Flasche Wein verplauderte. +Er besaß ein schönes Wohnhaus im alten Westen von Berlin, daneben einige +große Bauplätze am Kurfürstendamm, auf denen seit Jahren Scharen von +Möbelwagen standen. Diese Bauplätze verzinsten sich mit nur drei +Prozent, aber ihr Wert hatte sich im Laufe der Jahre verdreißigfacht. +Daneben besaß er ein Landgut in Mecklenburg -- aber Schwedenklee +kümmerte sich wenig um seine Reichtümer. Sie schimmerten beruhigend im +Hintergrund seines Bewußtseins, genug. + +Schwedenklee hatte sein Vermögen von seinem Vater geerbt. Der alte +Schwedenklee hatte schon mit fünfzehn Jahren im Schweiße seines +Angesichts die Maurerkelle geschwungen, zehn Stunden täglich. Mit +fünfunddreißig heiratete er eine reiche Gastwirtstochter und wurde +Bauunternehmer, und im Alter von fünfundvierzig hatte er bereits einen +ganzen Straßenzug einer Provinzstadt in der Mark aufgebaut. Mit fünfzig +kam er nach Berlin, und damals erwarb er das schöne Wohnhaus im alten +Westen, etwas später, spottbillig, die Bauplätze, deren Wert sich +seitdem verdreißigfacht hatte. + +Die Begabung des alten Schwedenklee, aus Mauerflächen, Fenstern und +Türen ein Haus zusammenzustellen -- so sahen seine Bauten aus --, war +verfeinert in das Blut des Sohnes übergegangen. Philipp Schwedenklee +wurde Architekt. Er war über den Durchschnitt begabt, in der Sauberkeit +und Reinheit seiner Zeichnungen übertraf er alle seine Kameraden. Er +hatte auch kaum seine Studien beendet, als er sich schon auszeichnete. + +Eines Tages nämlich veröffentlichte die kleine Stadt in der Mark, die +der alte Schwedenklee zum Teil aufgebaut hatte, ein Preisausschreiben: +Eine alte Apotheke sollte in ein kleines Provinzmuseum umgebaut werden. +Der alte Schwedenklee machte seinen Sohn auf den Wettbewerb aufmerksam. +Und siehe da, schon hatte Philipp Schwedenklee -- unter vierzig +Bewerbern! -- das Preisausschreiben gewonnen. Nun aber zögerte der alte +Schwedenklee nicht länger. Er übertrug seinem Sohn die Aufgabe, ihm die +Pläne für eine Villa in Schmargendorf, wo er seine Tage zu beschließen +gedachte, zu entwerfen. Die Villa war im Rohbau kaum fertig, als ein +Nachbar, ein Ofenfabrikant, den jungen Schwedenklee ebenfalls mit dem +Entwurf einer Villa beauftragte. Dann kam ein Gastwirt, bei dem der alte +Schwedenklee zweimal in der Woche Kegel spielte. Dieser Gastwirt wollte +sich vergrößern und wünschte die Entwürfe zu einem Tanzlokal, in einem +ganz besonderen, heiteren Stil, mit chinesischen Anklängen. Philipp +Schwedenklee aber lehnte diesen Auftrag ohne Umstände ab! Er wollte sich +nicht verzetteln, denn, bei Gott, er hatte höhere Pläne, als Tanzlokale +mit chinesischen Anklängen zu entwerfen. Der alte Schwedenklee stimmte +ihm bei. Philipp reiste zur weiteren Ausbildung nach Italien, und von +Italien nach Paris. Einige Jahre blieb er im Ausland. Er gab viel Geld +aus, man hörte wenig von ihm. Einmal wurde erzählt, daß er in Paris wie +ein wahrer Zigeuner lebe, daß er in sozialistischen, ja sogar +anarchistischen Kreisen verkehre. Aber das war offenbar eine +Verleumdung, denn er kehrte aus Paris sehr elegant und als +ausgezeichneter Billardspieler zurück. + +Philipp Schwedenklee nahm sofort fieberhaft den Umbau der +Parterrewohnung in dem alten Haus im Westen in Angriff. Wände, Türen und +Fenster riß er heraus, zuletzt stand nichts mehr auf dem alten Fleck. +Ja, er wollte Berlin, dieser Kapitale des Kitsches, zeigen, was +Architektur war! Umbau und Einrichtung dauerten über zwei Jahre: nun +aber war jeder Raum, jedes Möbelstück genau nach seinem Geschmack! +Führende Zeitschriften veröffentlichten Photographien von Schwedenklees +Wohnung. Zusammen mit einem befreundeten Architekten baute er dann ein +Riesenhaus am Kurfürstendamm, ein Palais mit Marmortreppen und +Marmorsäulen, das großes Aufsehen erregte. Beinahe wäre das Unternehmen +eine finanzielle Katastrophe geworden, aber nur beinahe! Die +Kinematographie war eigens zu dem Zwecke erfunden worden, um +Schwedenklee vor dem Ruin zu bewahren. Sein Palast wurde in ein Kino +umgebaut und er verdiente Unsummen. + +Schwedenklee wurde später in den Zeitungen noch als der Erbauer eines +Elektrizitätswerkes voller Achtung genannt, er baute eine Reihe von +Bureauhäusern und Villen. Dann hörte man nichts mehr von ihm. Seine +Laufbahn als Architekt, die so verheißungsvoll begonnen, schien zu Ende +zu sein. + +Er hatte sich in seine Parterrewohnung zurückgezogen und arbeitete, wie +verlautete, an einem Werke über Städtebau. Es hieß, daß er Berlin von +Grund auf umbauen wolle! Dieses ganze Berlin war völlig falsch angelegt! +Er verschob Straßenzüge, ganze Stadtviertel. Sollte jemals aus Berlin +etwas werden, so mußte man seinen Schwerpunkt an die Flußläufe verlegen! +Der Reiz anderer Großstädte -- Paris, London, Neuyork -- bestand darin, +daß sie von den Flußläufen aus sich entwickelt hatten. Berlin hatte +unglücklicherweise seinen Aufschwung in einer Zeit genommen, da die +Frachten der Bahnen kaum höher waren als jene der wenig entwickelten +Flußschiffahrt. Es hatte sich in die Sandwüste des Westens +hinausgeschoben und das landschaftlich schönste Gelände untergeordneten +Vororten überlassen. Nun er, Schwedenklee, würde jedenfalls versuchen zu +retten, was zu retten war. Ganz besondere Aufmerksamkeit widmete er dem +Wirrwarr der Berliner Verkehrsverhältnisse. Auch in dieser Hinsicht +würde er eine Lösung finden. + +Jahrelang beschäftigten Schwedenklee diese Probleme. Er tat +geheimnisvoll -- eines Tages würde er Berlin mit seinem Werke +überraschen! Zuweilen schlug er sogar einen etwas überheblichen Ton an. + +Der alte Schwedenklee jedenfalls erlebte die Veröffentlichung des Werkes +nicht mehr. + + + + + 2 + + +Schwedenklee pflegte spät aufzustehen, da er häufig, wie er dem Mädchen +sagte, bis »zum frühen Morgen« arbeitete. Gegen zehn Uhr, wunderbar +ausgeschlafen, ausgehöhlt vom Hunger, frühstückte er mit Genuß: Kaffee, +Weißbrot, Honig, Butter, Schinken, Eier, abwechselnd gekocht und +gebraten. Nach dem Frühstück zog er sich in die geheiligten Räume, +Bibliothek und Arbeitszimmer, zurück, wo ihn niemand stören durfte. Hier +legte er sich noch etwas auf die Ottomane und las ausführlich die +Zeitungen -- er war sogar auf die Frankfurter Zeitung abonniert, die +dreimal täglich erscheint. Er arbeitete an seinen Zeichnungen, +telephonierte, sah nach dem Wetter, schrieb einen Brief -- schon war es +zwölf Uhr geworden. Schwedenklee ging spazieren, um »das Leben zu +betrachten«. + +Ohne jeden Tadel, fast etwas auffallend elegant gekleidet, das zart +gepuderte runde Kinn in den Pelzkragen gedrückt, in Schuhen der letzten +Mode, schwang er sich dahin, mit der Miene eines Menschen, der sich +seines Wertes wohl bewußt ist. Zuweilen erschien er auch -- ohne jeden +Anlaß -- im glänzenden Zylinder. Sein rascher, etwas kecker Blick +streift Mädchen und Frauen, während ein zufriedenes Lächeln seine vollen +Lippen umspielt. Er beobachtet sich, wie er, etwas voll, durch den +schwarzen Glanz der Spiegelscheiben schreitet -- sein Pelzkragen, seine +koketten Schuhe. Voller Genuß zieht er die Luft in die breite Brust. +Eine anziehende junge Dame geht an ihm vorüber und Schwedenklee folgt +ihr eine Weile in angemessener Entfernung, voller List, um sich keine +Blöße zu geben. Einen Augenblick später sieht man ihn in einem +Antiquitätengeschäft, eine kleine blaue Vase in den Händen. + +Um zwei Uhr aß er zu Mittag. Er hatte das Glück gehabt, eine +ausgezeichnete Köchin zu finden, ein Wunder von einer Kochkünstlerin: +Augusta, die sein Hauswesen führte. Sie hatte nur den einen Fehler, daß +sie zuweilen Weinkrämpfe bekam, die Küchendünste und das Stehen vor dem +Herde hatten ihre Nerven ruiniert. Und er, Schwedenklee, der nichts so +sehr haßte als Tränen! Aber schließlich ging es immer wieder vorüber. +Vollkommen war ja nichts auf dieser Welt. + +Schwedenklee liebte es, gut zu essen, und er machte gar kein Hehl +daraus. Er hatte einen ausgezeichneten Appetit und einen noch besseren +Magen. Sein Magen -- lieber Himmel, was für einen Magen hatte +Schwedenklee! Diese Veranlagung verdankte er seiner Mutter, Tochter +eines Provinzwirts. Er konnte essen, so oft und so viel er wollte. Er +konnte, für gewöhnlich war er mäßig, auch trinken, so viel es sein +mußte. Wenn andere schon lallten, begann Schwedenklee erst zu tanzen! +Diese Veranlagung verdankte er dem alten Schwedenklee, der Tag für Tag +schon von sechs Uhr morgens an mit allen denkbaren Getränken den Kampf +gegen den Baustaub aufgenommen hatte. Schwedenklee, es muß ausdrücklich +betont werden, stammte nicht von wohlhabenden Eltern ab, die das +Wohlleben schon verweichlicht hat, die ihren Kindern mit ihrem Gelde +degenerierte Organe hinterlassen, o nein, er wuchs mit beiden Füßen +direkt aus der Scholle. Seine Gesundheit war ausgezeichnet. + +Nach Tisch schlief Schwedenklee bis vier Uhr, dann schlürfte er den Tee, +während er sich über seine Zeichnungen beugte oder die Abendzeitungen +las. Zuweilen spielte er auch in der Dämmerstunde Geige. In den letzten +Jahren allerdings seltener. Schwedenklee war ein ganz ausgezeichneter +Dilettant! Seine Eltern, vernarrt in den Knaben, hatten keine Ausgabe +für seine Erziehung gescheut. Zwei Jahre lang hatte Schwedenklee jeden +Mittwoch und Sonnabend mit einigen Musikschülern, die er sehr gut +bezahlte, Quartett gespielt. Die Musik erschien ihm damals als das +Herrlichste auf der Welt, herrlicher noch als die Frauen! In dieser Zeit +hatte er sich sogar mit dem Gedanken beschäftigt, Geiger zu werden. Er +vernachlässigte seine Projekte vollkommen -- wie nebensächlich +erschienen sie ihm doch! -- und übte täglich mehrere Stunden. Er +träumte, ganz im geheimen, davon, wie er im Konzertsaal erscheinen +würde, umbrandet vom Beifall. Die Damen steigen auf die Stühle und +schwingen die Taschentücher: Schwedenklee, Schwedenklee! Oft gab er sich +diesen Ausschweifungen hin. + +Indessen, die Quartettabende fielen schließlich ganz aus, die Geige +ruhte in ihrem Kasten, nur zuweilen -- wie gesagt -- nahm er sie noch +heraus, nicht ohne Sehnsucht, Inbrunst, Reue ... + +Um sieben Uhr ging Schwedenklee wieder etwas an die frische Luft, um +»das Leben zu betrachten«, um acht Uhr aß er zu Abend, mit Genuß und +Appetit. Dann wusch er sich, polierte die Nägel und erschien heiter und +strotzend von guter Laune in seinem Stammcafé in der Potsdamer Straße. + +In den früheren Jahren noch hatte er häufig Theater und Konzerte +besucht, in der letzten Zeit aber verbrachte er die Abende fast +ausschließlich im Café. + +Acht Jahre verkehrte er in diesem Café. Nach drei Jahren gab ihm der +Oberkellner den Titel »Herr Baurat«. Nach fünf Jahren »Herr Oberbaurat«. +Jedermann nannte ihn so, die Kellner, die Gäste. Also selbst seinen +Titel hatte Schwedenklee ohne Mühe erworben! Wie lange Jahre sitzt +mancher Beamte in einer Behörde, bis er einen solch herrlichen Titel wie +»Oberbaurat« erhält? Schwedenklee erhielt ihn vom Oberkellner eines +Cafés in der Potsdamer Straße, und er war genau so gut, als ob ihn ein +Ministerium verliehen hätte. + +Schwedenklee war heute fünfundvierzig Jahre alt. Die Anstrengungen +seines Berufes hatten ihn fast sämtliche Haare gekostet -- nur im +Nacken, der sich feist über den weißen Kragen schob, stand noch ein +dünner fahlblonder Saum. Die Pflege, die er genoß, hatte ihm eine +gewisse vornehme Wohlbeleibtheit verliehen. Seine Wangen waren rund und +leuchtend rot wie die eines Prälaten. Das Kinn fett und glänzend. Was er +tief beklagte, war, daß sich sein Bauch nur noch schlecht in der elegant +geschnittenen Kleidung verbergen ließ. Mit bekümmerten Blicken +beobachtete er sich oft im Spiegel. + +Übrigens, sonderbar: Schwedenklees Augen -- einst förmliche Lampen -- +schienen von Jahr zu Jahr kleiner zu werden. Wie war es nur möglich? +Seit einiger Zeit sah er auch schlechter. Er war genötigt, beim Lesen +eine Hornbrille zu tragen. + + + + + 3 + + +In den letzten Wochen allerdings war Schwedenklee, der immer Heitere, +Strahlende, der Sieghafte, vom Glück Umschmeichelte, verändert. Er war +zerstreut, nachdenklich. Nur noch selten waren seine lauten Lachsalven, +die jedermann mit fortrissen, zu hören. Sprach man ihn unvermutet an, so +öffnete er erschrocken und hilflos den Mund, oft gab er überhaupt keine +Antwort. Allen Stammgästen des Cafés fiel die Veränderung auf. + +»Der Herr Oberbaurat scheinen in der letzten Zeit nicht ganz wohl«, +sagte der von schlaflosen Nächten bleiche Oberkellner, ein alter Wiener. +Also selbst ihm fiel die Veränderung auf! + +»Etwas abgearbeitet.« Schwedenklee runzelte die Stirn. + +»Ich habe gelesen, der Herr Oberbaurat haben einen Vortrag im +Architektenhaus gehalten.« + +Schwedenklee seufzte. + +»Nichts als Plackereien, die nichts einbringen.« + +Ja, so hatte man zu tun. Schwedenklee hatte über »Moderne +Bahnhofsarchitektur« gesprochen -- ein ganzer Winter Arbeit! + +Schwedenklees Stammcafé war scheinbar ein Café wie jedes andere. Ein +altes Berliner Café mit Gold und Stuck, verräuchert, die Plüschsofas +zusammengesessen, die Kellner in befleckten Fräcken und ausgetretenen +Schuhen. Unten saß das gewöhnliche Publikum, Familien, Liebespaare, +einsame Zeitungsleser. Eine vergoldete Treppe mit Plüschgeländer führte +zu dem großen Billardsaal empor, wo sechs Billards standen, und erst +wenn man den Billardsaal durchquert hatte, gelangte man in das +Allerheiligste: das Spielzimmer! Hier waren von fünf Uhr nachmittags an +bis zum grauenden Morgen einige Spieltische, umgeben von Kiebitzen, im +Gange, und hier kannte ein Gast den andern. Ärzte, Rechtsanwälte, +Kaufleute, ein Bassist von der Oper, ein bekannter Pianist und einige +junge Herren, die keinen ausgesprochenen Beruf zu haben schienen. Die +Karten wurden gemischt, die Zigarren qualmten, die Kellner flogen mit +Kaffeegeschirr und Biergläsern hin und her. Einzelne der Stammgäste +kamen hierher schon um fünf Uhr und blieben bis drei Uhr nachts. Andere +kamen nach dem Essen, wie Schwedenklee, nach Schluß der Theater und +Konzerte kam noch ein Trüppchen Nachzügler. Es wurde in Schichten +gearbeitet, fieberhaft und ohne jede Pause. + +Die Billardbälle knallten nebenan im Saal. Zuweilen verirrte sich sogar +eine Dame mit ihrem Freund in den Billardsaal und einer der Spieler +machte es bekannt. + +»Haben Sie die hübsche Person im Billardsaal gesehen?« + +Der eine oder der andere der Kartenspieler warf einen Blick durch die +Tür, während die Karten neu gegeben wurden, oder er machte sogar rasch +einen Gang durch den Saal, wenn es sich lohnte. »Eine verteufelt hübsche +Person, und Augen hat sie!« + +Aber es geschah nur sehr selten, daß eine Dame sich zu den Billards +hinan verirrte. Sonst gab es im Spielzimmer keinerlei Ereignisse. Das +Spielzimmer ignorierte Berlin und die große Welt, wie Berlin und die +große Welt das Spielzimmer ignorierten. Nur flüchtig wurden besondere +Ereignisse gestreift: ein Krieg irgendwo, ein Sensationsprozeß, ein +Schneesturm, eine Stockung der elektrischen Bahnen -- blitzschnell +flogen die Karten über die grünbespannten fleckigen Tische. + +Es gab sogar Stammgäste, die noch länger als Schwedenklee im Café +verkehrten. Ein Rechtsanwalt war zwölf Jahre lang Stammgast, und der +Bassist kam schon seit fünfzehn Jahren hierher. In den Sommermonaten +zerflatterten die Gäste auf einige Wochen, aber es blieb doch immer ein +Spieltisch wenigstens im Gange. + +So also sah Schwedenklees Heim aus, wo er seine Abende verbrachte, +anstatt Museen, Bahnhöfe und Kaufhäuser zu entwerfen, wie er es früher +plante. + +Schwedenklee spielte vorzüglich Karten! Er war als Gegner gefürchtet, +als Partner gesucht. Er war frisch und gut ausgeruht, natürlich, während +zum Beispiel die Rechtsanwälte und Ärzte, die schon seit acht Uhr +morgens in den Gerichtssälen und Kliniken arbeiteten, manchmal vor +Müdigkeit einschliefen, wenn die Karten gemischt wurden. + +Zuweilen war man der Karten überdrüssig. Man machte ein Spiel auf dem +großen Matchbillard, und der Kellner mußte das sorgfältig +eingeschlossene Privatqueue Schwedenklees aus dem Schrank holen. Dann +und wann auch spielte Schwedenklee mit dem Bassisten eine Partie Schach. + +Gegen drei Uhr, vier Uhr morgens leerte sich das Spielzimmer, die +letzten Kiebitze verließen den Kartentisch, und schließlich riefen auch +die leidenschaftlichsten Spieler, dem Erschöpftsein nahe, nach dem +Zahlkellner. + +Schwedenklee blieb selten länger als bis zwei Uhr. Nur während einer +ganz kurzen Periode hatte der Spielteufel so heftig von ihm Besitz +ergriffen, daß er jede Nacht hindurch bis sechs Uhr morgens Bakkarat +spielte. Doch das war schon einige Jahre her, und nicht er allein war +schwach geworden, die sämtlichen Spieler hatte plötzlich eine Art +Besessenheit befallen. + +Um zwei ging Schwedenklee nach Hause, um tief und ohne Pause zu +schlafen, ganz allein in einem großen zweischläfrigen Bett mit einem +hellgrünen Seidenhimmel. + +Schwedenklee war Junggeselle, natürlich. Über Frauen und Ehe hatte er +seine ganz besonderen Ansichten! + +Ein einziges Mal hatte er den Kopf so weit in der Schlinge, daß er das +Schlimmste befürchtete! Es war die »furchtbarste Zeit seines Lebens«, +wie er sagte. Er hatte sich mit einer hübschen Base eingelassen, nettes +Gesichtchen, plapperte erfrischend, und die Sache war gerade deshalb so +verzweifelt, weil die ganze Verwandtschaft, die er jahrelang völlig +ignoriert hatte, dabei im Spiele war. Schwedenklee verlor den Appetit +und verbrachte die Nächte ohne Schlaf. Er entwarf hundert +Abschiedsbriefe, ohne den Mut zu haben, die Base zu verabschieden. Es +war ja ganz unmöglich, ein so entzückendes Geschöpf bloßzustellen. Das +Wunderbare ereignete sich in dieser Periode: Schwedenklee hielt der +Braut die Treue, so schwer es ihm auch zuweilen wurde! »Eine herrliche +Sache ist die Treue,« pflegte er in dieser Zeit zu sagen, »aber sie +kostet Nerven, mein Freund!« Eines Tages aber übersandte das entzückende +Geschöpf ihm einen Abschiedsbrief! Voller Zerknirschung und Tränen: sie +hatte sich auf einer Bahnfahrt in einen Offizier verliebt. + +Gott sei gelobt! Glück zu, Schwedenklee! + +Ja, in der Tat, es war eine furchtbare Zeit! + +Schwedenklee schlief prachtvoll unter seinem hellgrünen Seidenhimmel, +obschon neben ihm noch recht gut Platz gewesen wäre. + + * * * * * + +Wie gesagt, aber in den letzten Tagen gefiel Schwedenklee den +Kartenspielern nicht mehr! Wer sollte sich sonst um ihn kümmern, wenn +nicht sie? Etwa Augusta? Nein, Augusta wich ihm aus, floh ihn direkt, +wenn sie merkte, daß er in schlechter Laune war, mit Rücksicht auf ihre +zerstörten Nerven. Augusta hatte nur beobachtet, daß eines Tages ein +Brief mit einem schwarzen Trauerrand angekommen war, und Schwedenklee +die Augen rollte. Die Kartenspieler aber, sie kannten ja jeden Zug in +seinem feisten, leuchtenden Gesicht. Und wenn ein gewiegter Spieler wie +Schwedenklee ein »angesagtes« Solo verlor, soviele Buben, soviele Asse, +Könige, Damen, eine Farbe blank -- was sollte man dann sagen? Wie? Ja, +nun war es offenbar, nicht mehr wegzuleugnen: etwas war bei Schwedenklee +nicht in Ordnung! + +Es entstand eine solch furchtbare Aufregung, daß man eine Runde +aussetzte und die Kellner aus dem Billardsaal zusammenliefen. + +Schwedenklee war sogar erbleicht, als das Solo so katastrophal +zusammenbrach! In all den Jahren hatte niemand beobachtet, daß +Schwedenklee erbleichte. Heute aber, in der Tat, war das Blut aus seinen +roten Wangen gewichen, und seine Nasenspitze war für eine Sekunde +schneeweiß geworden. + +Es nützte Schwedenklee nichts, daß er seine bekannte Lachsalve losließ. +Die Ärzte, die Notare blickten prüfend und argwöhnisch in sein Gesicht. + +Schwedenklee hatte trotz der geheuchelten Heiterkeit immer noch einen +verwirrten Gesichtsausdruck. Sein Blick war flackernd, nicht unbekümmert +und etwas keck wie gewöhnlich. Nun errötete er sogar. Er tat, als schäme +er sich, ein mit solch triumphierendem Lächeln angesagtes Solo verloren +zu haben. + +Die Erregung verflog. Die Kiebitze, die aufgesprungen waren, saßen +wieder ruhig auf ihren Stühlen, der Wollust hingegeben, die Chancen des +Spielers besser zu kennen als die einzelnen Spieler, die große +Überraschung, die jede Sekunde offenbar werden mußte, schon lange vorher +genießend. Hinter Schwedenklees breitem Rücken verschanzt saßen drei +Kiebitze dicht nebeneinandergedrängt. Schwedenklees Spiel interessierte +heute abend am meisten. Er erhielt eine große Karte nach der andern, er +spielte nunmehr konzentriert, führte jedes Spiel in großem Stil durch +und gewann. Er wurde rot, sooft er die Karte aufnahm: so wie heute hatte +ihn das Glück noch nie umschmeichelt. Den Kiebitzen aber fiel es auf, +daß er gepreßt atmete, sooft er ein großes Spiel gewonnen hatte. + +Plötzlich aber -- mitten in der Glücksserie! -- zog er die Uhr und erhob +sich ohne alle Umstände, zum Erstaunen der Spieler, zur Enttäuschung der +erregten Kiebitze. Er entschuldigte sich hastig mit dringlichen +Arbeiten. Sofort sprang ein anderer Spieler, der schon eine Stunde +lauerte, für ihn ein. Der Pikkolo lief mit seinem Überzieher herbei. + +Begleitet von einem der Kiebitze, dem bekannten Nervenarzt Wittmann, +einer Kapazität, durchschritt Schwedenklee, in Gedanken versunken, das +Billardzimmer. Und er erbleichte tatsächlich an diesem Abend zum +zweitenmal! Es war heute wirklich alles wie verhext, es gibt solche +Tage. Auf dem Mittagsspaziergang hatte er jene ganz in sich +zusammengekrümmte Bettlerin auf der Potsdamer Brücke getroffen, die wie +eine Verkünderin von Unheil an jenen Tagen auftauchte, da irgend etwas +Unangenehmes sich ereignen würde. Nun dieses Gesicht! Es saß gegenüber +der Tür des Spielzimmers im Billardsaal an einem kleinen +Marmortischchen. Das Gesicht eines zermürbten, alternden, grauhaarigen +Künstlers, eines völlig Hoffnungslosen, eines Bittstellers, fahl, mit +dunkeln, fiebernden Augen, und diese Augen streiften seinen Blick scheu +und tastend. Vielleicht hatte dieser Hoffnungslose, Hungrige voller Neid +beobachtet, wie Schwedenklee seinen Kartengewinn in die Tasche steckte? +Jedenfalls gehörte dieses Antlitz voller Gram und Elend zur Klasse jener +Gesichter, die Schwedenklee fürchtete, denen er aus dem Wege ging. Sie +verdarben ihm die gute Laune und riefen in ihm augenblicklich die +tausend Unannehmlichkeiten wach, große und kleine, die ihm das Leben +getrübt hatten. + +»Sie sind nervös, Schwedenklee«, sagte der berühmte Nervenarzt, die +Kapazität, mit einem mahnenden Blick hinter dem schiefsitzenden Kneifer. +»Sie sollten etwas für Ihre Nerven tun. Die ganzen Tage fiel mir schon +Ihr Wesen auf. Ich möchte fast vermuten, daß irgend etwas +Außergewöhnliches -- ich will nicht aufdringlich erscheinen ...« + +Schwedenklee schlug den Pelzkragen hoch, um sein Frösteln -- dieser +Nervenarzt! -- zu verbergen. Dann reckte er sich ein wenig und lachte +laut heraus, während er stehen blieb. »Was soll ich haben?« rief er +etwas zu laut. »Bedenken Sie, schon morgens um sieben Uhr kommt ein +falscher telephonischer Anruf. Ich hatte nachts gearbeitet und nur +wenige Stunden geschlafen. Dann kommen allein am Vormittag drei +unangenehme Besuche. Es ist ein Wahnsinn, in dieser Stadt zu leben!« + +»Ja, dieses Berlin ist eine Hölle!« + +»Eine völlig sinnlose Hölle -- eine Hölle ohne jeden Scharm. Bedenken +Sie dagegen, zum Beispiel, Paris, eine Hölle mit Reizen ...« + +»Mit fürchterlichen Reizen, Schwedenklee! Vielleicht ist Swedenborgs +Ansicht berechtigt, daß diese Erde überhaupt nichts anderes ist als eine +Art Fegefeuer, eine Vorhölle ...?« + +»Swedenborg?« + +»Ja, Swedenborg.« + +Schwedenklee gestand nicht ein, daß er diesen Namen heute zum erstenmal +hörte. + +»Oft scheint es mir, als ob diese Großstädte Exponenten der +Swedenborgschen Hölle seien: riesenhafte Kloaken, in die Tag und Nacht, +ohne Unterbrechung, der Schmutz rinnt, Bordelle, Mördergruben, +infernalische Verneinungen des göttlichen Gedankens!« + +Der kleine Arzt fröstelte. + +»Ja, in der Tat, vielleicht leben wir mitten in der Hölle, ohne es zu +wissen! Vielleicht sind all unsere Freunde, die jetzt da droben Karten +spielen, nichts als Teufel, Gespenster, Verdammte, Verfluchte ...« +Bleich und erschöpft von der Stubenluft blinzelte der berühmte +Nervenarzt in Schwedenklees rotes Gesicht. + +Plötzlich lächelte Schwedenklee und streckte dem Arzt die Hand hin. +»Hölle hin, Hölle her!« rief er mit einem sieghaften Lächeln. »Das Leben +ist doch schön! Gute Nacht, Doktor!« + +»Trotzdem« -- der Arzt berührte wohlwollend Schwedenklees Ärmel -- +»sollten Sie sich etwas Ruhe gönnen. Gehen Sie doch in Ihre Villa an der +Ostsee!« + +»Jetzt, im April? Sie ahnen nicht, Doktor, wie entsetzlich kalt es da +oben ist. Übrigens regnet es immer. Nein, danke herzlich!« + +Schwedenklee stand und sah dem kleinen, unsicher gehenden Arzt, der +Kapazität, betroffen nach. Welch eindringliche Ermahnungen! Und +»Fegefeuer, Gespenster --«? + +»Ja,« sagte Schwedenklee, »vielleicht hat er sogar recht! Aber, was für +eine Welt wäre das -- ein Betrug, nichts sonst! Und doch --?« + +In tiefes Nachdenken versunken ging er weiter. Es half nichts, daß er +die vorübergehenden Frauen musterte, um sich zu zerstreuen. Ein Paar +herrische, schöne Augen leuchteten aus der feuchten Dunkelheit der Bäume +-- vergebens. + +Schwedenklee atmete die laue Luft ein, er blickte in das knospende Geäst +der hohen Bäume empor, sah die Sterne durch das leichte, schillernde +Gewölk am Himmel jagen -- aber seine Gedanken wurden düsterer und +düsterer. Immer schwerer wurde die Last auf seinem Herzen. + +Endlich blieb er stehen und holte tief Atem. + +»Ja,« sagte er halblaut vor sich hin, »vielleicht sind wir in der Tat +von Gespenstern umgeben und vielleicht ist es _wahr_, daß die Toten nach +mir greifen!« Und er nickte ein paarmal schwer mit dem Kopfe. + +Wie? Schwedenklee? + +Wie ist es möglich, daß gerade er, Schwedenklee, der immer gut Gelaunte, +Strahlende, der vom Glück Umschmeichelte, von der Melancholie übermannt +wird? + + + + + 4 + + +Beruhigend brennt die grüne Schirmlampe auf dem riesigen +Diplomatenschreibtisch. Besänftigend blicken all die vertrauten Dinge +des Arbeitszimmers. Dort die Büste der Nubierin. Sie lächelt +vertraulich, fast etwas verschämt. + +Schon scheint das Düstere nicht mehr so drohend. + +In weichen gefütterten Hausschuhen gleitet Schwedenklee über den +Teppich, sein Blick wandert über die Decke. Schwedenklee schüttelt +abwehrend den Kopf. »Es ist ja alles Unsinn!« sagt er zu sich. »Diese +pathetische Phrase von den Toten -- und auch das mit dem kalten Hauch!« + +In der letzten Zeit war es ihm zuweilen gewesen, als ob ihm ein kalter +Hauch ins Genick blase. + +»Alles Unsinn! Es sind deine Nerven, mein Freund! Wie kann ein Brief, +ein unsinniger Brief -- ja, wie ist es nur möglich?« + +Schwedenklee bleibt stehen und mustert entschlossen den riesigen +Diplomatenschreibtisch. Plötzlich steuert er mit zwei, drei großen +Schritten auf den Schreibtisch zu und zieht, etwas asthmatisch atmend, +die unterste Schublade heraus. + +Es ist das beste! Er war entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen, +da es sich als unmöglich herausstellte, darüber hinwegzugleiten. Es war +feige, keine Worte, _nicht nachzuforschen_! Nein, heute hatte es ihm bei +den Karten keine Ruhe mehr gelassen ... + +Diese Schublade stellte er auf einen niedrigen Rauchtisch und +betrachtete, schon wieder etwas mutlos, den Wust von Karten, Bildern, +Briefen, Theaterzetteln. Sogar eine graue Seidenschleife befand sich +darunter. + +Schwedenklee warf sich in einen Sessel und streckte die Hand nach einem +der vergilbten Briefe aus. Aber schon erhob er sich wieder. Er entkorkte +eine Flasche Bordeaux und zündete sich umständlich -- um Zeit zu +gewinnen -- eine Zigarre an. + +Ja, nun war er bereit! + +»Eine von euch weilt also nicht mehr unter den Lebenden!« sagte er laut, +um sich Mut zu machen, und blies heftig in die Zigarre. Eine leise, aber +nicht quälende, ja fast angenehme Trauer überkam ihn. Ja, es ist +sonderbar, er fühlte sich sogar als eine gewissermaßen wichtige +Persönlichkeit, weil eine jener Frauen, die er geliebt hatte, schon ins +Reich der Schatten entwichen war. + +»Und sie gedachte meiner noch in ihrer letzten Stunde!« Wieder schwebte +Schwedenklee in den gefütterten Hausschuhen hin und her. Dann aber warf +er sich in den Sessel und griff entschlossen mitten in die vergilbten +Briefe hinein. + +Dieses graue Seidenband -- o, so deutlich erinnerte er sich -- vor +Jahren schmückte es Lissis blonden lockeren Haarschopf. Und es fiel ihm +ein: wie sie einmal unerwartet in sein Zimmer stürmte, es war im Winter, +Schneegestöber. Ihr Pelz war dick mit Schnee bedeckt -- und so, wie sie +war, im beschneiten Pelz, schloß er sie in die Arme. Noch heute fühlte +er die stechende Kälte der einzelnen Schneekristalle ... Und hier ist +eine Karte von Lissi, aus Oberhof, Lissi im Skikostüm. + +Nein, Lissi, die Heitere, war es gewiß nicht! Lissi kann nicht sterben! +Sie saß jetzt irgendwo in Nizza oder Gardone in der Diele eines Hotels +und blies lächelnd den Rauch der Zigarette in die Luft. + +Schwedenklee zog einen vergilbten Brief aus der Lade und begann ihn mit +hochgezogenen Brauen zu lesen. Er erinnerte sich an diesen Brief nicht +mehr! Wie? Er erinnerte sich auch nicht, jemals auf der Rennbahn in +Karlshorst gewesen zu sein? Der Brief war signiert: M. Z.? Wer war M. +Z.? Vorwürfe, Beteuerungen, Verdächtigungen, Küsse -- voller Interesse +las er den Brief vom Anfang bis zum Ende. + +Aber wie merkwürdig -- und er erinnerte sich gar nicht mehr! + +Schwedenklee schlug die Schenkel behaglich übereinander und machte es +sich im Sessel bequem: Diese Briefe, diese Erinnerungen waren weder so +langweilig, noch so erschreckend, noch so unangenehm, wie er es +befürchtet hatte. + +Wo mochte, zum Beispiel, jetzt diese Martha sein, die ihn Sonnabend ein +Viertel vor acht im Foyer des Lessingtheaters erwartete? Sie hatte wohl +einen kleinen Beamten geheiratet und schlief jetzt Seite an Seite mit +ihrem Gatten. Breit und weich waren ihre Hüften, eine schneeweiße, etwas +volle Büste hatte sie, und plötzlich erinnerte er sich an den Geruch +ihres Körpers: süße, frischgemolkene Milch. Martha schwärmte fürs +Theater, wöchentlich zweimal führte er sie aus. Dann soupierten sie +irgendwo, um bei ihm noch eine Tasse Kaffee zu trinken. Nie hatte er +eine bescheidenere, sanftere Frau gekannt. + +»So geht das Leben dahin!« sagte Schwedenklee und legte die Karte zur +Seite. + +Wer war Otti? Unmöglich, sich rasch an alles zu erinnern. Sie schrieb +etwas von Halensee -- ja, o richtig, es war Otti mit der Matrosenbluse! +Eine zierliche Stenotypistin, mit der er vor Jahren eine kleine Liebelei +unterhielt. Otti liebte es, in zweitklassigen Lokalen zu tanzen und sich +den frechen Blicken der Männer preiszugeben, die sie erregten. Sie war +eitel auf ihre Beine, edle, rassige Beine, glatt und hart wie Elfenbein, +und diese Beine stellte sie gern zur Schau. Auf Zurufe antwortete sie +mit seltener Schlagfertigkeit, wobei sie das Stupsnäschen keck in die +Luft warf. Unaufhörlich wanderten die Blicke ihrer großen blassen Augen, +unausgesetzt auf der Suche nach neuen Abenteuern, neuen Erregungen. +Sobald aber er auch nur einen Seitenblick wagte --! Verwirrend süß, die +Ungerechtigkeit der Frauen! + +Ihre Lippen waren breit und weich, dachte Schwedenklee, und sie standen +immer vor Erregung etwas offen. Ihre Brüste aber waren klein und spitz, +die Knospen waren deutlich unter der Bluse zu erkennen und gerade darauf +war Otti stolz. + +»Hoffentlich aber haben wir Ottis Abschiedsbrief noch!« Ja, er erinnerte +sich jetzt plötzlich, daß sie ihm einen solch amüsanten Abschiedsbrief +geschrieben hatte, seinerzeit, und er suchte ihn hastig in heiterster +Laune. + +Er hatte damals, als er mit dem Kompagnon das Haus am Kurfürstendamm +baute, das ihn beinahe ruiniert hätte, Otti in sein Bureau genommen. Ein +unverzeihlicher Fehler! Otti erschien, wann es ihr behagte, saß rauchend +bald auf diesem, bald auf jenem Zeichentisch, kokettierte mit dem +Kompagnon, zeigte allen Besuchern ihre schönen Beine -- kurz und gut, er +mußte, so leid es ihm tat, eines Tages ein offenes Wort mit ihr reden. +Es gab eine schreckliche Szene, an die er sich jetzt voller Behagen +erinnerte. Diese kleine Otti bebte vor Wut, und ehe er es sich versah, +schlug sie ihm mit ihrer kleinen, festen Hand ins Gesicht. Ja, +tatsächlich! Und dann schrieb sie ihm einen Brief, er entsann sich +genau, einen äußerst drolligen Brief. + +Hier ist er! + +Laut auflachend las Schwedenklee diesen Brief. + +Ja, sie, Otti, wußte es schon vom ersten Tage an, daß sein Wesen im +Grunde genommen ordinär war, obgleich er sich immer so aufspiele. Und +wie geizig er doch sei: welche Vorwürfe -- ein Dutzend Seidenstrümpfe, +zwei Paar Tanzschuhe, ein Sommerhut -- nein, nicht geizig, einfach +schmutzig war er! Ja, sie, Otti, würde wohl nicht so verrückt sein und +ihm die tausend Mark, die er ihr geliehen hatte, zurückzahlen, nein, für +so wahnsinnig werde er sie gewiß nicht halten. »Was die Ohrfeige +betrifft,« schloß Otti, »so wird es mir noch in meiner letzten Stunde +eine Befriedigung sein, daß ich Dich in Dein hochmütiges, aufgeblasenes +Gesicht geschlagen habe, auf das Du Dir so viel einbildest.« + +Noch in ihrer letzten Stunde! Schwedenklee lachte so laut, daß er husten +mußte und seine rote Zunge herausfuhr. »Auf deine Gesundheit, Otti!« + +Schwedenklee hatte nie Mangel an Frauen gelitten. Er war wohl keine +Schönheit, aber er war auch nicht häßlich, und wenn er lächelte -- seine +Lippen waren voll und schön geschwungen --, so erhielt sein Gesicht +sogar einen angenehmen Ausdruck. Er war elegant und er hatte stets Geld. +Er besaß eine schöne, behagliche Wohnung und er war gesund. In der Tat, +Schwedenklee konnte den Frauen etwas bieten. Schon als Student hatte er +vor den Kameraden einen nicht zu unterschätzenden Vorsprung gehabt. Er +verstand es ja ebenso gut wie sie, schöne Worte zu machen und +schlagfertig zu antworten, aber es reichte bei ihm noch etwas weiter: zu +einem kleinen Blumenstrauß, zu einer Einladung in eine Konditorei -- +siehst du! + +Schwedenklee wählte für gewöhnlich die Frauen aus der sozialen Schicht, +die gerade etwas unter der seinen lag. Diese Frauen schienen ihm am +umgänglichsten. Natürlich gab es auch Ausnahmen, und zuweilen mußte er +alle seine Energie aufbieten, um sich nicht zu verlieren. Man denke an +die Base! + +Nein, nein, Schwedenklee hatte geschworen, seine Freiheit nie +aufzugeben! Man konnte als Junggeselle tun und lassen, was man wollte. +Willst du ein Theater besuchen, so gehst du, ziehst du im letzten +Augenblick doch das Café vor, nun so wendest du noch im Foyer um. Du +willst ein paar Tage reisen, gut, du reisest, du wählst Reisetag und Zug +ganz nach deinem Belieben. Einmal verheiratet, ist es mit aller Freiheit +vorbei. Jeder deiner Schritte wird beobachtet, wann du dich niederlegst, +wann du aufstehst, alles. Deine Frau erkrankt, das Kind hustet, schon +telephonierst du erschrocken nach dem Arzt. Es könnte ein Unglück +geschehen -- nein, daran wollte er gar nicht denken! Als er die Mutter +verlor, war er ein leichtsinniger Student, der es nicht allzu schwer +nahm -- als sein Vater starb, war er schon gereift genug, um sich zu +beherrschen. Es war sein letzter wirklicher Schmerz. Nein, nein, +Schwedenklee hatte alles genau durchdacht, es war am besten so, wie es +war, und damit genug! Er wollte keine Aufregungen, keine Spannungen, +keine Qualen. + +Konnte man -- um nur etwas zu sagen -- als Ehemann mitten in der Nacht +in einem bequemen Sessel sitzen, bei einer Flasche Wein und einer +Zigarre, und in alten Liebesbriefen und Erinnerungen wühlen? + +Wie? Versuch' es. Und dazu, solange man wollte, es konnte Morgen werden +... + +Da war noch diese und jene Freundin -- diese und andere, in Rom, in +Paris, in Wien -- alle zogen sie vorüber: jung, heiter, strahlend. +Tanzfeste, Ausflüge, eine Reise im Schlafwagen, eine Dampferfahrt nach +Kopenhagen, ein kleiner Abstecher ins Holländische ... + +Alle diese Freundinnen gehörten mit wenigen Ausnahmen jener bequemen +sozialen Schicht an, die um ein Etwas tiefer lag als Schwedenklees +Gesellschaftsklasse. Es waren Stenotypistinnen, Modistinnen, +Erzieherinnen, kleine Schauspielerinnen, Tänzerinnen, sogar eine Dame +vom Varieté war dabei. Sie alle waren gierig nach dem Leben, wollten +zuweilen in einem eleganten Restaurant dinieren, wie feine Damen, +wollten zu einem Rennen fahren, im Auto über den Kurfürstendamm rollen, +wollten eine Oper besuchen, um vor ihren Freundinnen damit prahlen zu +können. Eine kleine Reise, lieber Himmel, wie wunderbar, ein Paar +Sommerschuhchen mit Seidenstrümpfen, herrlich! Ein Ausflug aufs Land, +mein Gott, sie wurden sofort um Jahre jünger, dreizehn, plapperten wie +Kinder. Sie genossen jede Kleinigkeit, das Nichts selbst, diese guten +Geschöpfe, schlürften, waren berauscht. Sie schrien vor Erregung, wenn +das Pferd, auf das sie gesetzt hatten, mit einer vollen Länge in den +Einlauf einbog, und zerbrachen den Sonnenschirm, wenn es knapp vor dem +Ziel noch geschlagen wurde. + +Es war nicht schwierig, ihre Bekanntschaft zu machen. Schwedenklee war, +es ist die Wahrheit, in gewissem Sinne schüchtern, und das Herz schlug +ihm im Halse vor jedem Abenteuer, aber es gelang fast immer. Schwieriger +war es schon, sie, wie er es nannte, »in der rechten Distanz zu halten«. +O, oft war es eine Kunst! Sie durften in ihren Gefühlen und Ansprüchen +niemals eine gewisse Linie überschreiten, die Beziehungen mußten leicht +und immer unverbindlich bleiben. Und doch lag es im Wesen dieser +Sehnsüchtigen, diese Linie stündlich, in jeder Minute zu verletzen. + +Das schwierigste aber war es, sie zu verabschieden! Ein unerfreuliches +Kapitel. Wirkliches oder geheucheltes Erkalten der Empfindungen, eine +vorgebliche Geschäftsreise, etwas Schauspielerei -- und, wenn es sein +mußte, sogar Härte! Es fiel Schwedenklee nicht leicht, Härte zu zeigen. +Zorn, Tränen, verzweifelte Briefe, Drohungen. Nein, nicht immer ging es +so leicht und einfach wie bei Otti, die einfach auf ihn einschlug und +einen rasenden Brief schrieb. + +Schwedenklee saß hingestreckt in dem bequemen Ledersessel, die Beine +übereinandergeschlagen, die Zigarre im Mund, und sah zur Decke empor. +Der Wein ging zur Neige, er war in eine warme, heitere Laune geraten. +Die Stunden flogen. Lächelnd, träumerisch war Schwedenklees Miene. + +Gestehen wir es nur, er hatte es verstanden, sein Leben zu genießen! +Seine Freundinnen waren alle gute, liebe Geschöpfe gewesen, auch Otti +natürlich, er hatte wenige, fast keine Enttäuschungen mit ihnen erlebt. + +Sonderbar, er hatte sie fast alle vergessen! Er erinnerte sich kaum noch +an ihr Aussehen, die Züge waren in seinem Gedächtnis verblaßt. Welche +Farbe hatten, zum Beispiel, ihre Augen? Die Farbe der Haare war +einigermaßen haften geblieben, ähnlich wie die Haare sich in den Gräbern +am längsten erhalten, wenn alles andere längst vermodert ist. Einzelne +hatten nicht den geringsten Eindruck hinterlassen, von anderen wußte er +nur, daß sie groß oder daß sie klein und zierlich waren. Von Otti hatte +er am klarsten die Matrosenbluse in Erinnerung und, wie gesagt, die +herrlichen Beine. Von einer Tänzerin wußte er noch, daß sie hohe +Straßenstiefelchen trug, aus einem Leder wie graue rauhe +Glacéhandschuhe. Von einer Französin war kaum mehr in seinem Gedächtnis +verblieben, als daß sie einen Bleistift mit den nackten Zehen hochheben +konnte. + +Für eine gewisse Ellen, eine Schauspielerin, hatte er fortwährend Villen +und Landhäuser entwerfen müssen, mit einem Schwimmbassin, das in ein +Palmenhaus eingebaut war. Er erinnerte sich an Ellens zarte +Fingerspitzen, die leise bebten, wenn sie ihn berührte. Diese Ellen +errötete leicht und sehr merkwürdig. Ihre Haut war sehr zart, und die +Röte überflog ganz unvermittelt wie ein Gluthauch ihr Gesicht und +bedeckte auch Hals und Nacken. Nichts sonst fiel ihm in dieser Sekunde +von Ellen ein. + +Eine andere quälte ihn eifersüchtig, und ihre schwarzen Augen funkelten. +Die Tänzerin sah er vor sich, wie sie im Varieté auftrat, abwechselnd +kalkgrün und korallenrot beleuchtet. Ihre Züge waren ihm entfallen, aber +er erinnerte sich, daß sie beim Souper nach dem Theater immer noch etwas +Farbe von der Schminke um die Augenlider hatte. Das sah ungeheuer +interessant aus. + +Berta mit dem pechschwarzen, schnurgeraden Scheitel hatte die Unart an +sich, in den Restaurants unbemerkt kleine Brotkugeln nach den +Nachbartischen zu werfen. Sie trug eine Narbe von einer +Blinddarmoperation am Leibe, und diese silbrige Narbe sah er ganz scharf +vor sich. Die Dame vom Varieté, die er bald verabschiedete, weil sie +täglich größere Ansprüche stellte, liebte es, eine schwermütige Miene +anzunehmen, während sie ihn mit ihren glasig-glänzenden braunen +Tieraugen ansah, um dann seufzend zu lächeln und ihr herrliches Gebiß zu +zeigen. + +Hier, siehst du, Schwedenklee, ist ein kleines, von schwarzen Haaren +umflattertes Gesichtchen, das große Tränen in den schönen Augen hat. Und +hier, Schwedenklee, da ist sie, wie hieß sie doch gleich, sie konnte so +wunderbar lachen! Sie war eine Virtuosin im Lachen, sie steckte die +Nachbartische an, sie gab Gastspiele im Lachen -- ach Gott, wie hieß sie +denn? Sie ging von dir zu einem Karikaturenzeichner über, der sie dann +hundertmal zeichnete, in allen Witzblättern war sie zu sehen. Es wird +ihr wohl nicht schlecht ergangen sein -- wir wünschen es ihr. + +Und da: Hanny im Schlafwagen -- mit der kleinen blauseidenen Nachthaube +... + +Schwedenklee saß und träumte. Er war so tief in Gedanken versunken, daß +er regungslos zur Decke blickte und in der Tat mehr schlief als wachte. +Aus seinem vollen, satten Gesicht stieg kerzengerade der Rauch der +Zigarre. + +Die Gesichte glitten ineinander; ein Rücken wie aus frischgefallenem +Schnee geformt, ein Haarschopf, der im Nacken funkelt, rasche, +flüchtende nackte Füße, ein Knie, wie aus der Hand Rodins, zitternde +Hände, die das Haar aufstecken ... + +Sonderbar! Schwedenklee sah fast keine seiner Freundinnen wieder, sobald +er sich von ihnen getrennt hatte. Berlin verschlang sie, die Welt, das +große Leben verschlang sie, ohne daß sie je wieder auftauchten. Sie +verwehten wie die Blätter im Walde. + +Schwedenklee sitzt inmitten einer Wolke von Träumen, der Zauber +versunkener Herrlichkeiten hat ihn gebannt. Das Leben! Gab es etwas +Wunderbareres als dieses verwirrende, unverständliche, dreimal +verfluchte, dreimal gepriesene Leben? Er lächelt, und sein Lächeln +verändert sich nicht mehr. Er ist glücklich. + + + + + 5 + + +»Aber Rosa?« + +Plötzlich sprang Schwedenklee auf und ging mit erregten Schritten in den +gefütterten Hausschuhen hin und her. Es war schon zwei Uhr morgens. Erst +in diesem Augenblick war ihm wieder eingefallen, aus welchem Anlaß er +nach den verblaßten Briefen gegriffen hatte. + +»Aber Rosa? Wer ist diese Rosa?« + +Unter all den Frauen gab es ja keine Rosa weit und breit! Wer war also +diese Rosa, von der ihm dieser Unbekannte geschrieben hatte? + +Geschrieben hatte --? Also hatte Augusta, die sonst wenig scharf +beobachtete, doch recht, daß ein Brief -- irgendein sonderbarer Brief -- +die Veränderung in Schwedenklees Laune hervorgerufen hatte! + +»Wie kommt dieser Unglückselige überhaupt dazu, mir, einem Unbekannten, +zu schreiben?« fuhr Schwedenklee fast drohend fort. + +In großer, ja förmlich unbegreiflicher, krankhafter Erregung eilte +Schwedenklee im Zimmer auf und ab. + +»Wie kommt dieser Unbekannte dazu?« + +»Vielleicht aber hat diesen Unglückseligen der Verlust seiner Gattin um +den Verstand gebracht -- wie?« + +»Rosa? Rosa? Aber, zum Satan, es gibt ja keine Rosa!« + +»Vielleicht habe ich sie einmal gekannt, möglich -- ganz flüchtig, +vielleicht gab sie einen falschen Namen an -- alles ist möglich!« + +»Möglich, ja, natürlich! Was sollte sie dann aber bewegen, sich nach +Jahren, in der Stunde ihres Todes, meiner zu erinnern --?« + +Ja, unbegreiflich, unverständlich, ganz unerklärlich! + +»Oder --?« Schwedenklee blieb mit einem triumphierenden Lächeln stehen. + +O ja! Auch das war recht gut denkbar! + +Vielleicht war dieser Unglückselige gar kein fassungsloser Ehemann, der +seine Frau betrauerte? Wie? Vielleicht war er nicht mehr und nicht +weniger als ein Schwindler, der einen Pumpversuch schlau einleitete? Ein +Erpresser? Schwedenklee war geneigt, sich wegen seines Scharfsinns +selbst zu bewundern. »Man braucht nur die Zeitungen zu öffnen, beim +großen Gott, welche Sorte von Spitzbuben haust in diesem Berlin! Sie +simulieren epileptische Anfälle in der Untergrundbahn, um die +mitleidigen Reisenden ungestört ausplündern zu können -- sie verfallen +auf die unmöglichsten Dinge! Ein Freund übersendet dir ein Billett zur +Oper, du gehst hin, und unterdessen plündern sie dir die Wohnung aus.« + +»Nein, mein Freund, du bist an den Unrechten gekommen. So einfach ist +die Sache mit mir nicht!« rief Schwedenklee mit überlegenem Lächeln aus. +Aber schon klang sein Lachen wieder unsicher, schon wurde er wieder +nachdenklich. + +Der _Ton_ dieser Briefe! Denn Schwedenklee hatte ja nicht einen, er +hatte _eine Reihe_ von Briefen erhalten -- seit Wochen erhielt er +Briefe! Und diese Briefe waren es ja, die in der letzten Zeit seinen +Gemütszustand so sehr beeinflußten. Der _Ton_ dieser Briefe war ohne +Zweifel -- _echt_! + +»Prüfen wir, überlegen wir,« rief Schwedenklee eifrig, schon etwas +berauscht -- »weshalb diese unsinnige Beunruhigung? Wir werden, wenn es +nicht anders geht, den Unglückseligen selbst aufsuchen. Ja, selbst, das +wird das allerbeste sein!« + +In dieser Minute war Schwedenklee außergewöhnlich mutig und +entschlossen. Er kam sich in seiner Entschlossenheit fast verwegen vor +-- beinahe wie Don Juan, der mitten in der Nacht im Friedhof das +Standbild des Comturs zu Tische lädt. + +»Gehen wir der Sache auf den Grund!« + +Aus einem Winkel der Bibliothek zog er einen Stoß Briefe hervor. + +Fast überkam ihn wieder Kleinmut. Wozu schließlich? Was kümmerte ihn das +Schicksal dieses Unbekannten? + +Schwedenklee hatte diese Briefe nie richtig gelesen -- nur durchflogen, +unwillig, ungehalten -- und doch im Tiefsten, ohne ersichtlichen Grund! +erschrocken. Drohung des Schicksals ging von diesen Blättern aus und +dumpfe Traurigkeit. Sie rochen nach welken Kränzen, und diesen Geruch +hatte er noch deutlich in der Erinnerung von der Beerdigung des alten +Schwedenklee her. Er haßte diesen Geruch von Moder, er haßte diese +Kränze in den Blumengeschäften, mit den Aufschriften in bleicher +Silberschrift auf den schwarzen Seidenbändern. Er schloß sogar die +Augen, wenn er an einem jener Geschäfte mit den häßlichen plumpen Särgen +vorbeiging, deren öffentliche Ausstellung die Polizei, die sich sonst in +alles mischt, verbieten sollte. Diese Särge waren in der Tat solch +unglaubliche Monstrositäten, daß Schwedenklee sich einmal die Mühe +genommen hatte, einige Särge zu entwerfen, die nobel und würdig +aussahen, wie sie eigentlich sein sollten. Er haßte wie gesagt alles, +was mit dem Tode und den Zeremonien der Bestattung zusammenhing. Vor +zwei Jahren war einer der Kartenspieler gestorben, der Doktor Helm, ein +Landgerichtsrat, ein sympathischer Mann -- einige der Spieler waren zur +Beerdigung gegangen, aber Schwedenklee hatte sich wohl gehütet. + +Er liebte es nicht, an den Tod zu denken, nein, ganz im Gegenteil, diese +Gedanken haßte er! Manchmal erwachte er mitten in der Nacht und mußte +daran denken, daß auch er einmal sterben mußte! Diese entsetzliche +Stunde wird kommen, so sicher wie etwas -- er sah sich liegen, er +röchelte noch, eine Pflegerin stand am Bett mit einer Kompresse. Oh, es +konnte auch ganz anders sein! Zum Beispiel, ein Autobus konnte ihn auf +der Potsdamer Straße zermalmen. Diese Gedanken folterten ihn zuweilen +derart, daß er Licht machen mußte. Und doch, die Menschen lebten dahin, +lachten, rauchten Zigarren, spielten Billard, tanzten -- unbegreiflich! + +Aus all diesen Gründen machte er sich hart und gefühllos gegen das +Geschick dieses Unglücklichen, den der Schmerz gezwungen hatte, an ihn, +Schwedenklee, zu schreiben. + +»Nun wohl«, sagte Schwedenklee und setzte sich, ergeben in sein +Schicksal, zurecht. »Dieser hier, ohne Trauerrand, war der erste!« + +Schwedenklee holte tief Atem. + +»Mein Herr!« Schon diese fahrige Schrift, diese Gespenster von +Buchstaben! »Ich fühle mich gedrängt, Ihnen mitzuteilen, daß eine Frau, +die wir beide geliebt haben -- heute abend nach langem Krankenlager zur +ewigen Ruhe heimgegangen ist. Das edelste Frauenherz hat aufgehört zu +schlagen. Rosa hielt ein Leben lang die Freundschaft, die sie einst mit +Ihnen verband, hoch in Ehren. Es wird Ihnen gewiß ein Bedürfnis sein, +der edlen Verblichenen die letzte Ehre zu erweisen. Die Beisetzung +findet am Freitag, den 21., statt ... In tiefstem Schmerz -- Edgar +Blank, ehemaliger Hofopernsänger.« + +Schwedenklee las den Brief mit fast der gleichen Verwunderung, +Verblüffung, dem gleichen leisen Grauen, wie vor Wochen, da er ihn +erhalten hatte. In einer Art von leichter Lähmung hielt ihn der Sessel +fest. + +Was sagt man dazu? Er war natürlich nicht zur Beerdigung gegangen, wie +sollte es ihm in den Sinn kommen -- eine ihm völlig Unbekannte! Als er +seinen Vater begraben hatte, hatte er sich geschworen, nie mehr einer +solchen Zeremonie beizuwohnen, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ. +Unvergeßlich war ihm dieser schreckliche Vormittag. Der alte +Schwedenklee ließ sich verbrennen. Im Krematorium warteten schon mehrere +Parteien, und Schwedenklee geriet, noch heute empfand er die +Peinlichkeit, zuerst in eine falsche Gruppe von Seidenhüten. Alle hatten +Eile. Dann sank der Sarg in die Versenkung. Der alte Schwedenklee hatte +noch im Alter den typischen Kopf eines Maurers gehabt, mit etwas zu +langem Schnurrbart, etwas abstehenden Ohren und verwittertem Gesicht. +Als der Sarg sank, verwandelte sich, so schien es Schwedenklee, der +ganze Sarg in den Kopf des Vaters. Schwedenklee jagte voller Schrecken +nach Hause, und noch heute sah er, wie der langsam sinkende Sarg sich in +den Kopf des Vaters verwandelte, noch heute hörte er das fürchterliche +kalte Klirren der sich schließenden Eisenplatten. + +Der zweite Brief des Unglücklichen schilderte ausführlich die Beerdigung +der Unbekannten. »Wir haben heute Rosa zu Grabe getragen. Sie sind nicht +gekommen! Es hätte die Tote geehrt. Aber vielleicht sind Sie gar nicht +in Berlin. Vielleicht hat mein erster Brief Sie überhaupt nicht +erreicht! Wir waren nur zwei im Trauergefolge, von den Trägern +abgesehen. Ein jämmerliches Trauergefolge -- und doch jubelten Rosa +früher auf der Bühne Tausende zu -- vergessen und einsam ging sie zur +Ruhe, und selbst Sie, den sie ihren Freund nannte, sind nicht gekommen +...« + +Diesen Brief hatte Schwedenklee vor Wochen, als er ihn empfing, entsetzt +zur Seite gelegt, ohne ihn zu Ende zu lesen. Der Briefschreiber verlor +sich selbstquälerisch in all die traurigen Einzelheiten: der Regen, der +Schmutz, die Grabsteine, der Trott der Sargträger, das lehmige Grab --. + +»-- ich schäme mich nicht, Ihnen zu bekennen, daß mich der Schmerz +übermannte, als der Sarg hinabglitt. Ich schrie und fiel zu Boden ...« + +Schwedenklee war erbleicht und wischte sich die Stirn ab. Er ging auf +und ab in seinen weichen Schuhen und suchte Beruhigung bei einer neuen +Zigarre. Man durfte nicht vergessen, daß ein Unglücklicher diesen Brief +schrieb! + +Aber Rosa? Ja, bei Gott, wer sollte --? + +Vielleicht war es ein Mißverständnis, eine Verwechselung --? Aber nein, +nein, in einem der Briefe schrieb der Unglückliche, daß Rosa mit +Schwedenklee in dem und dem Jahre in Paris zusammengetroffen sei. Er, +Schwedenklee, habe damals im Hotel Panthéon gewohnt. Alles stimmte. + +In einem der zuletzt eingetroffenen Briefe drückte der Unbekannte seine +Verwunderung darüber aus, daß Schwedenklee sich in Stillschweigen hülle. +»Ich habe mir in meinem letzten Brief«, schrieb er, »die Freiheit +genommen, anzudeuten, daß ich glücklich wäre -- so weit ich es in dieser +Zeit sein kann -- wenn ich Sie aufsuchen dürfte. Ich habe zwei Wochen +vergebens gewartet. Sie zögern, aus welchem Grund? Ich weiß, daß Sie in +Berlin sind. Vielleicht erscheine ich aufdringlich. Befürchten Sie +nichts. Ich befinde mich in tiefer Not, ich bin ein Bettler, aber nichts +läge mir ferner, als Rosas freundschaftliche Beziehung zu Ihnen zu +beflecken. Was ich wünsche, ist, einen Menschen zu sprechen, der Rosa +kannte, den Rosa liebte -- ich wiederhole: liebte!« + +Schwedenklee schüttelte den Kopf. Immer wirrer, dunkler schien das +Labyrinth. Ein Unglücklicher wollte sich in seinem Schmerze an ihm +aufrichten! + +Den Rosa liebte --? War es möglich, daß eine der vielen, die durch sein +Leben gegangen waren, noch nach zwanzig Jahren seiner gedachte? Daß eine +der vielen, die er »in der nötigen Distanz hielt«, für ihn eine +wirkliche Liebe empfunden haben sollte? + +»Ich werde ihn besuchen«, beschloß Schwedenklee mit feierlichem Ernst. +»Morgen -- und wenn es morgen nicht geht, spätestens übermorgen.« Er war +plötzlich von schwerer Müdigkeit überwältigt worden. Der Wein, die +Zigarren ... + +Fast augenblicklich schlief Schwedenklee hinter den hellgrünen +Seidenvorhängen ein. + + + + + 6 + + +Schwedenklee hatte in dieser Nacht verworrene, aber angenehme Träume: +Fremde, phantastische Landschaften, transparente Wälder, glühende Meere, +fremde, bezaubernd schöne Städte, unwirklich, wie aus Alabaster +geschnitten, sonderbare Begegnungen, seltsame Abenteuer, Frauen, +bekannte und fremde, eigenartig, aber alle in Tun und Gefühl nach ihm, +Schwedenklee, strebend. Er war umdrängt von Zuneigung, von Bewunderung, +von Liebe, es war ein großer und einziger Reichtum, man verschwendete +sich an ihn. Er genoß diese Bevorzugung, sie schien ihm +selbstverständlich, und gerade der Umstand, daß sie selbstverständlich +schien, erfüllte seine Seele mit Ruhe und Heiterkeit. + +Trotz der angenehmen Träume erwachte Schwedenklee spät am Morgen in +gereizter Laune und mit schmerzenden Schläfen. Er nahm sein Bad, und von +der Badewanne aus gab er das dreimalige Klingelzeichen zum Frühstück, so +scharf und hart, daß Augusta genau wußte, woran sie war. In grau- und +weißgestreiftem seidenen Pyjama betrat Schwedenklee das Speisezimmer. +Beschwörend hatte Augusta den Frühstückstisch gedeckt: Lachs und +Appetitsild, Oliven und gekochte Eier. + +Schwedenklee näherte sich dem Tisch mit gerunzelten Brauen. Ein Brief! +Wieder ein Brief mit den Gespensterbuchstaben! Mit zitternder Hand nahm +ihn Schwedenklee auf. + +»Sie verschmähen es, mir zu antworten. Sie ahnen wohl kaum, daß ich +Ihnen unter Umständen Mitteilungen machen könnte, die für Sie von +Wichtigkeit wären. Ich werde mir die Freiheit nehmen, bei Ihnen +anzurufen, und hoffe, daß Sie einer Begegnung nicht länger ausweichen.« + +Schwedenklee war an diesem Morgen schonungsbedürftig. Er hatte in der +Nacht eine Flasche schweren Bordeaux getrunken -- hingerissen von den +Erinnerungen, er hatte ein halbes Dutzend Zigarren geraucht. Er war +übernächtig, abgespannt, und seine Schläfe schmerzten. + +Ohne zu denken, ohne die Herrlichkeiten des Frühstückstisches zu +beachten: Lachs, Appetitsild, Oliven, stürzte er an den Schreibtisch und +schrieb mit wütender Hand, ihn endlich gefälligst mit diesen sinnlosen +Zuschriften verschonen zu wollen. »Sie mögen der Ansicht sein, daß Sie +mir wichtige Mitteilungen zu machen haben, behalten Sie diese +Mitteilungen für sich, ich lege nicht den geringsten Wert darauf.« + +Fort, Rohrpost -- augenblicklich! + +Augusta zitterte, sie hatte ihren Gebieter nie mit solch zornrotem +Gesicht gesehen. + +»Das überschreitet doch alle Grenzen!« schrie Schwedenklee wütend. + +»Welche unverschämte Zudringlichkeit! Besuchen, habe ich gesagt, ich +will ihn besuchen? -- Aber ich bin doch kein Narr!« + +Nun, nachdem er seinem Herzen Luft gemacht hatte, schmeckten all die +Leckerbissen des Frühstückstisches plötzlich wunderbar. Der Ärger +verflog, und Schwedenklee vertiefte sich in die Zeitung. + +Sein Unmut verrauchte vollends. Der Ausbruch von Raserei kam ihm nun +selbst lächerlich vor. Als er das Frühstückszimmer verließ, hatte er +sich soweit wiedergefunden, daß es ihn befriedigte, den zudringlichen +Brief noch einmal in die Hand zu nehmen. Offenbar hatte der Unbekannte +dieses letzte Schreiben in der größten Erregung hingeworfen. Die +Buchstaben waren kaum zu entziffern. Mit einem verächtlichen Lächeln riß +Schwedenklee den Brief mitten durch -- die Antwort würde ihre Wirkung +nicht verfehlen, er hätte schon lange Schluß machen sollen. + +Zu seinem Erstaunen entdeckte er aber plötzlich auf der Rückseite des +Briefbogens eine Nachschrift! + +»Ihr mir so unverständliches Verhalten, Ihre unbegreifliche +Gleichgültigkeit kann ich mir nur so erklären, daß Sie sich offenbar +nicht mehr entsinnen, wer Rosa ist -- oder leider -- war, dieser Gedanke +zuckt eben durch mein _krankes_ Gehirn! Rosa, meine geliebte Frau, die +ich, selbst dem Tode nahe, betrauere, war eine geborene Rosa Ellen +Fröhlich, ihr Bühnenname lautete Rosa Froh.« + + * * * * * + +Eine leise Lähmung befiel die Hand, die den Brief hielt. »Ellen +Fröhlich!« sagte Schwedenklee leise. »Dieses reizende Geschöpf! Sie also +...« + +Ein leises flüchtiges Bedauern, andere Empfindungen der Trauer löste +diese Mitteilung nicht aus. Diese lebenslustige Frau, für die er Villen +und das berühmte Schwimmbassin entwerfen mußte! Sie, die so sonderbar +rasch errötete, die Röte überzog sogar den Nacken -- diese Arme, sie +schien nicht glücklich geworden zu sein ... + +Und er, dieser Törichte, der sein Gehirn selbst ein _krankes_ Gehirn +nannte, hätte er ihm nicht schon früher sagen können, wer sich hinter +dieser Frau Rosa Blank versteckte? + +Schwedenklee fühlte sich ordentlich erleichtert. Die Ungewißheit, das +Grübeln wider Willen hatten ihn gemartert. Was hatte er weiter mit der +ganzen Sache zu schaffen? Er hatte vier Wochen lang, oder vielleicht +sechs, eine Liebschaft mit dieser Frau gehabt, eine kleine reizende +Liebelei, vor achtzehn, zwanzig Jahren -- damals in Paris -- das war +alles. + +Er instruierte Augusta, daß heute vormittag ein gewisser Herr Blank +anrufen werde. Sie möge sagen, er sei auf unbestimmte Zeit verreist. + +In bester Laune kleidete er sich an, um auszugehen. Seit langen Tagen +kam endlich die Sonne wieder durch. + +Schwedenklee war gerade mit der Toilette fertig, als das Telephon +klingelte. + +Er öffnete die Türe und hörte Augusta mit weinerlicher Stimme einigemal +wiederholen, daß der Herr Oberbaurat verreist sei. Offenbar gab sich +Blank mit dieser Auskunft nicht zufrieden. + +Augusta geriet in große Erregung. »Unverschämte Leute gibt es schon!« +rief sie aus, als sie abgehängt hatte. + +»So und damit ist die Sache erledigt«, dachte Schwedenklee und begab +sich in ausgezeichneter Laune zu seinem Schneider in der +Charlottenstraße. + +Bei diesem Schneider in der Charlottenstraße -- einer großen Firma -- +war eine junge Dame, ein Fräulein Wiedehopf, als Buchhalterin tätig. Die +dicken, glänzend braunen Flechten turmartig über dem heiteren, offenen +Gesicht aufgebaut, die Fingernägel glänzend poliert, duftend nach +Frische, wie aus dem Ei geschält, ohne das kleinste Staubkörnchen -- auf +diese junge Dame hatte Schwedenklee seit einiger Zeit ein Auge geworfen. + +»Ich lebe zu stumpfsinnig«, sagte er zu sich, als er dahinschlenderte. +»Immer das ewige Kaffeehaus. Dieses Leben bekommt dir nicht, +Schwedenklee. Wir werden diese kleine Wiedehopf heute abend zu >Figaros +Hochzeit< einladen.« + +Unterwegs löste er Karten zur Oper, und obwohl die Schar der Verkäufer +und Zuschneider diesen weiblichen Schatz mit eifersüchtigen Blicken +bewachte, hatte er Fräulein Wiedehopf, ohne daß es irgendwie auffiel, +beim Hinausgehen zu >Figaros Hochzeit< eingeladen. Man mußte es nur +verstehen. + + + + + 7 + + +Eine ganze Woche blieb Schwedenklee dem Kaffeehause fern. Theater, +Ballhäuser, Bars, sogar in ein Kino führte er die junge Dame mit den +turmartig aufgebauten Haaren und den glänzenden Fingernägeln. + +Diese kleine Wiedehopf war verlobt, nahezu verlobt, der Auserwählte war +zur Zeit auf Reisen -- wie oft hatte er das schon gehört! Sie spielte +die Dame, ließ sich verwöhnen, lockte an, wehrte ab -- sie tat, bei +Gott, wie eine Generalstochter ... + +Als Schwedenklee nach so langer Abwesenheit wieder das Kaffeehaus +aufsuchte, fand er die Spielergesellschaft von einer neuen Spielwut +besessen wieder. Man hatte die Karten verlassen und war zum Billard +übergegangen. + +Man spielte »vom roten«. Jeder Billardspieler kennt dieses Spiel. Die +Karambolage wird nur dann gezählt, wenn der rote Ball zuerst getroffen +wurde. Es spielten drei bis vier der besten Spieler, und auf sie wurde +gesetzt wie auf Pferde. + +Die Ärzte, die Rechtsanwälte, die Kaufleute, Spieler und Kiebitze, +Kellner saßen und standen in dichten Reihen um das Matchbillard herum, +in atemloser Spannung jeden Stoß verfolgend. + +Schwedenklee wurde freudig begrüßt. + +»Wie gut Sie aussehen, Schwedenklee!« rief der Nervenarzt Wittmann. »Sie +waren also doch verreist!« + +»Nein, ich war hier, habe gearbeitet und abends ein bißchen +Zerstreuung.« + +»Sie haben Ihr altes Aussehen wiederbekommen, prächtig!« + +»Ah, der Herr Oberbaurat. Nun wird es interessant! Kellner, das Queue +des Herrn Oberbaurat!« + +Sofort stiegen die Einsätze ums Dreifache. + +Einige Abende hintereinander spielte Schwedenklee hier vier, fünf +Stunden »vom roten«. Es wurden hohe Summen umgesetzt. Seine Kopfstöße, +Rückzieher, Zwei- und Dreibänder riefen lautes Händeklatschen hervor. + +Schwedenklee war bei bester Laune. Selbst das graue kreidige Antlitz des +alternden Künstlers, der nun häufiger ins Café kam, störte ihn in seinem +jetzigen Gemütszustande nicht mehr. Er genoß den Triumph. Nach dem +dritten Abend ließ er seinen schwarzseidenen weitärmeligen Billardkittel +von Augusta ins Kaffeehaus bringen, und nun konnte man fast meinen, es +mit einem Billardchampion zu tun zu haben. Er mußte seinen Gegnern +zuerst zwei Points auf zehn vorgeben, sodann drei. Je länger er spielte, +desto vollendeter wurde sein Spiel. + +»Schwedenklee ist in großer Form!« Man tuschelte. + +Es war Schwedenklee äußerst angenehm, für einige Abende Zerstreuung +gefunden zu haben: es war gewiß das beste Mittel, den Hochmut der +kleinen Wiedehopf zu beugen, wenn er eine Woche lang nichts von sich +hören ließ. Diese Methode nannte er die Methode des »Aushungerns«, im +Gegensatz zur Methode der »Belagerung«, die darin besteht, +ununterbrochen um die geliebte Frau zu werben, so daß sie -- wie +Schwedenklee sich ausdrückte -- überhaupt »nicht mehr zur Besinnung +kam«. + +In der Tat, die Methode des Aushungerns schien Erfolg zu versprechen. +Fräulein Wiedehopf wurde mürbe, schrieb ein violettes Kärtchen: Weshalb +hört man nichts mehr von Ihnen? Sind Sie verstimmt? + +O nein, nein, gar nicht verstimmt, gnädiges Fräulein Wiedehopf. Ganz im +Gegenteil! In vorzüglicher -- ich wiederhole: vorzüglicher Laune. + +Zwei Tage beantwortete Schwedenklee das Billett gar nicht. Dann schrieb +er einige höfliche Zeilen: gesellschaftliche Verpflichtungen -- in +einigen Tagen aber würde er wieder zur Verfügung sein. + +»Sonderbare Wesen sind doch diese Frauen!« dachte Schwedenklee, als er +nach dem Billardspiel nach Hause ging und den gleißenden Vollmond über +den Dächern betrachtete. »Zeigt man ihnen seine Verliebtheit, so neigen +sie augenblicklich dazu, ihre Macht zu mißbrauchen, zeigt man +Zurückhaltung, so lassen sie sofort wieder alle ihre Künste spielen. +Merken sie, daß man sich zurückziehen will, so entdecken sie plötzlich +ihre große Liebe. Ja, wie soll man sich bei ihnen zurechtfinden?« + +»Heiratet man sie, so ist man vollkommen verloren! Sieh dich doch um, +Schwedenklee -- die Ehen all deiner Bekannten und Freunde, mit ganz +vereinzelten Ausnahmen? Gleichgültigkeit, Untreue, Kampf bis aufs +Messer, Lüge. + +Ja, wie soll man es anstellen? Etwas ist hier sicher nicht in Ordnung, +das Leben ist zu kompliziert.« + +Es war gegen Abend etwas Schnee gefallen -- der Vollmond brachte die +Kälte mit -- Schwedenklee steckte das rasierte Kinn wohlig in den +Pelzkragen, während er langsam zwischen den hohen Bäumen am Kanal +dahinschlenderte. Die Straße war fast menschenleer, nur hinter ihm, in +einiger Entfernung, kroch eine hagere, zusammengekrümmte Gestalt, die +zuweilen scharf hüstelte. Die dünne Schneeschicht war an den Sohlen der +Passanten haften geblieben, so daß eine Anzahl geisterhafter schwarzer +Fußspuren kreuz und quer über die Straße lief, aus dem Unbekannten +kommend, ins Unbekannte verschwindend, verwirrend, wenn man sie lange +betrachtete. + +Plötzlich blies ein kalter Hauch in Schwedenklees Genick, ja, so schien +es ihm wenigstens. Er blieb erschrocken stehen und fröstelte. Kalte +Schauer überrieselten seinen Rücken. Weshalb mußte er gerade in diesem +Augenblick an die tote Ellen Fröhlich denken? Und weshalb hatte die +Erinnerung an diese Frau den Beigeschmack einer leisen, unerklärlichen +Scham? + +Unergründlich ist das Leben, und auch sein Herz, Schwedenklees Herz, war +ein unerforschtes Labyrinth. Weshalb? Weil die Fußspuren schwarz kreuz +und quer liefen? Ja, nur aus diesem Grunde! In Paris fällt selten Schnee +-- aber einmal hatte er Ellen abends nach Hause gebracht, und durch ihre +verschneite einsame Straße liefen genau dieselben schwarzen verwirrenden +Fußstapfen. Er sah sie in dieser Sekunde, zierlich, in ihren weiten +Mantel eingehüllt, klar vor sich, Schneekristalle glitzerten auf ihren +Haaren, und aus dem dunklen Gesicht glänzten heiter und lebensfreudig +die Augen. Fast zwanzig Jahre lang hatte diese Erinnerung in seinem +Kopfe geschlummert. + +Fragend, lauschend waren diese Augen gewesen, sie waren bernsteingelb, +wenn das Licht voll in sie fiel, dunkel, fast schwarz, wenn sie +beschattet waren -- Schwedenklee gab sich mit einer gewissen Wehmut der +Erinnerung hin, obgleich ihn dieses unerklärliche Schamgefühl im +Innersten peinigte. Er hatte sich jedoch nichts vorzuwerfen, o nein, er +erinnerte sich sogar, daß er ihr später zwei- oder dreimal noch geholfen +hatte, als sie sich an ihn wandte. Sie war damals Anfängerin und hatte +noch zu kämpfen. + +Plötzlich kroch eisige Kälte an ihm empor. Vielleicht -- wer weiß es -- +schritt ihr Geist in der Tat neben ihm? Schwedenklee war sehr +abergläubisch. + +»Ellen Fröhlich!« sagte er leise zu sich, etwas betreten. »Ich habe +keine Furcht, an dich zu denken!« + +Klar bis in die kleinsten und unscheinbarsten Einzelheiten stand vor ihm +die erste Begegnung mit Ellen. Er sitzt an einem kleinen Marmortisch auf +den großen Boulevards, zwei Damen, Mädchen, nehmen neben ihm Platz. Sie +sprechen deutsch, sie sprechen ungeniert und vergessen ganz oder wissen +es nicht, daß auf den großen Boulevards in Paris jeder vierte Mensch +deutsch versteht. Ihre Ungezwungenheit entzückt Schwedenklee: die jungen +Damen sprechen mit einer gewissen Kühnheit von unschuldigen +Liebesabenteuern. Eine hat wunderbar warme und weiche Augen, die +offenbar die Farben wechseln, von hell zu dunkel leuchten. Zuweilen +streifen diese fragenden Augen, lächelnd, voller Übermut, Schwedenklees +absichtlich kühl beobachtenden Blicke. Das ist Ellen Fröhlich! Die +Freundin ist eine Schwedin, eine Bildhauerin. + +Die jungen Damen gehen. Sie wandern zu Fuß durch die wimmelnden Straßen +bis zum Boulevard Raspail. Die Schwedin verabschiedet sich von der +Freundin, die in ein kleines Hotel verschwindet. Es ist sieben Uhr. Als +sie um neun Uhr das Hotel wieder verläßt -- wer tritt ihr in den Weg? +Schwedenklee. + +»Ein Landsmann, der das Vergnügen hatte, Ihr Gespräch heute nachmittag +im Café zu belauschen, bittet tausendmal um Entschuldigung --« + +Ihr Blick gesteht, daß sie ihn wiedererkennt. Sie ist verwirrt. Er habe +also alles gehört? Ja. Sie bricht in Lachen aus. + +»Aber,« sagt sie -- »wie kommt es, daß Sie hier sind?« + +»Ich wartete auf Sie!« + +»Es ist nicht schön von Ihnen, so etwas zu sagen, selbst wenn Sie es +getan haben sollten. Sie hätten sagen sollen: zufällig!« + +»Gut -- also zufällig!« + +Schwedenklee war ja nicht zwei Stunden auf und ab gegangen, so war es +nicht gerade. Gegenüber lag eine kleine Speisewirtschaft, und hier aß er +zu Abend; dann trank er Kaffee, und gerade als er gezahlt hatte, war sie +wieder aus dem Hotel getreten. + +Jedenfalls aber -- sie verzieh -- sie hatte nichts vor, und er brachte +sie in ein Tanzlokal, das er als äußerst anständig kannte. + +Museen, Ausstellungen, Ausflüge, Tanzlokale -- wie Ellen Fröhlich genoß! +Sie saugte die Eindrücke in sich, sie staunte, wunderte sich, +bewunderte. Ellen sprühte auf, berauscht, verwandelt, verhundertfacht. + +Und Schwedenklee, obgleich weniger schwärmerisch, lebt und atmet +leichter und heiterer in ihrer Nähe. + +Ja, es war die Jugend, nichts sonst. Die Sonne schien, man fuhr auf dem +Dach des Omnibusses, unvergleichlich, herrlich, als sei man nie auf dem +Omnibus im Sonnenschein gefahren. + +»Die Jugend, nichts anderes!« dachte Schwedenklee. »Wie herrlich! Ein +Zauber! Ist die Jugend ein Zauber?« + +Ein Ausflug nach St. Cloud. Vorfrühling. Das erste Grün, einige +versteckte Blümchen, die Knospen glänzen, die schwarzen Baumstämme +schwitzen Feuchtigkeit. Rasch schnellen die hohen Wasser der Seine +dahin. Auf dem Dampfer einige Pärchen -- er und Ellen unter ihnen, zu +den »Pärchen« gehören sie! Ein junger Geck mit einem dünnen +Spazierstöckchen amüsiert sämtliche Passagiere. Ellen klemmt zu ihrem +Vergnügen ein Monokel ins Auge, der junge Geck macht ihr den Hof, und +Ellen mustert ihn durchs Monokel und spielt etwas Theater. Wie sie +lachten, die »Pärchen«. Ja, worüber lachten sie so furchtbar? Und damals +gehörten sie zu den »Pärchen« und waren jung wie die anderen. + +Der frische Wind hat ihre Gesichter gerötet, die reine Luft hat den +Glanz in ihren Augen entfacht. Ihre Stimmen sind klar und laut geworden. +Ellen wirbelt und tanzt. Sie kriecht in die triefenden Büsche und findet +unter dem faulenden Laub Veilchen und gelbe Sternblumen. Sie steht auf +einem Stein und spricht voller Inbrunst ein paar wundervolle Verse, die +er vergessen hat. Sie essen zu Abend in einer kleinen Wirtschaft mit +fleckigen Tischtüchern und feuchter Tapete. Der Kellner bringt eine +verstaubte Macon in einem Körbchen. + +Sie plaudern. Ellens schöner frischer Mund steht nicht eine Sekunde +still. Sie lachen den ganzen Abend. Worüber? Wie herrlich war dieser +Tag, wie lang! War es nicht sonderbar, die Tage der Jugend schienen so +lang, sie nahmen kein Ende. Was war heute ein Tag? Nichts. Kaum hatte er +begonnen, war er schon zu Ende. + +»Es ist die Jugend, nichts anderes! Es gibt keine andere Erklärung +dafür«, rief Schwedenklee aus. »Sie verleiht dem Unscheinbarsten einen +zauberhaften Glanz. Ja, wie lang war dieser Tag doch. Reich an +Erlebnissen, an guten Einfällen, an schönen Gefühlen. Und Ellen mit dem +Monokel auf dem Dampfer! Ja, die Jugend! Und das da, was dahinten keift +und hustet« -- Schwedenklee drehte sich um, empört, daß man ihn in +seiner Träumerei störte -- »das ist das Alter! Das häßliche Alter!« + +Die hagere, zusammengekrümmte Gestalt, die den ganzen Weg hinter ihm +herkroch, stand wenige Schritte hinter ihm, mit der Hand an einen Baum +gestützt, geschüttelt von einem Hustenanfall. + +»Das abscheuliche Alter! In zwanzig Jahren wirst du auch so häßlich +husten, und die Jüngeren, die nicht gestört werden wollen, werden dich +verfluchen. Oh, wie boshaft und grausam ist dieses Leben eingerichtet!« + +Aber Schwedenklee schüttelte die düsteren Gedanken ab. Ellen! Wo waren +wir doch gleich geblieben? + +Ellen klagte über ihr Hotel. Schwedenklee, befreundet mit dem Pförtner, +Kellner und der Besitzerin seines Hotels, arrangierte alles aufs +vorzüglichste. Er trat Ellen sein großes bequemes Zimmer ab und bezog +eine kleine danebenliegende Kammer. Ellen staunte, wie billig ihr +schönes Zimmer war! Ja, man mußte nur Freunde und Beziehungen haben! + +»Wir werden Ihren Einzug feiern, Ellen, und heute abend zu Hause +speisen. Sie sollen sehen. Lassen Sie mich nur machen.« + +Schwedenklee besorgt den ganzen Nachmittag lang alles, was Paris an +leckeren Dingen zu bieten vermag. Geröstete Hähnchen und Hummer, +Vorspeisen und Nachtisch, Früchte. Auch Blumen vergißt er nicht. + +»Muß man in Abendtoilette kommen?« + +»Es wird gebeten, Ellen!« + +Von sieben bis acht ist Schwedenklee fieberhaft tätig. Punkt acht Uhr +klopft Ellen -- herein! Ellen ist im Abendkleid, er im Frack -- und +schon lachen sie, daß sie kaum die Tür zu schließen vermögen. + +Der Hausknecht, der im Kamin nachlegte -- Ellen sollte es recht +behaglich haben -- wird von der Heiterkeit mit fortgerissen. Der +Kellner, der den Wein angeschleppt bringt, wird ebenfalls angesteckt, +und so lachen sie alle -- weshalb? Gott allein weiß es. + +Ellen steht und staunt: »Jetzt sehe ich, daß Sie ein Künstler sind, +Schwedenklee!« ruft sie aus. »Mein Gott, wir sind ja Hunderte von +Personen!« + +»Sie sind in großer Gesellschaft, Ellen!« + +Dank Schwedenklees Freundschaft mit dem Pförtner und Hausknecht war es +ihm möglich gewesen, einige große Spiegel und Leuchter aus anderen +Zimmern des Hotels auszuleihen für den Abend. Die Kerzen blendeten, und +infolge der Spiegelung glaubte man in einem langen, sonderbar gebauten +Saale voller Lichter und Blumen zu sein. Schwedenklee führte seine Dame +zum Sessel -- und im gleichen Augenblick geleiteten Dutzende von +befrackten Kavalieren ihre Dame in heller Seide zu Tisch. Er sah Ellen +gleichzeitig von allen Seiten, und nie kam ihr herrlicher schmaler +Nacken mit dem braunroten Haarknoten reizvoller zur Geltung ... Ellens +Augen richteten sich blitzend im Schein der Kerzen auf ihn, und +augenblicklich funkelten Dutzende von gleichen Augen von allen Seiten +ihm entgegen. + +»Das Diner kann beginnen, Ellen -- aber ich habe vergessen« -- und er +erhebt sich und küßt Ellen auf den Mund. + +»Willkommen!« + +Sie errötet. Auch ihr Busen wird behaucht von flüchtigem Rot. + +»Das Diner kann beginnen«, wiederholt sie mit einem verwirrten Lächeln, +mit etwas matter Stimme. + + * * * * * + +Schwedenklee war bei seinem Hause angelangt. Automatisch stieg er die +Treppe empor, automatisch schloß er auf. + +So tief war er in die Erinnerung dieses Diners versunken, daß die Kerzen +ihn in der Tat blendeten und Ellens zarter wunderbarer Nacken aus all +den blitzenden und flammenden Spiegeln ihm entgegenleuchtete. + +»Und zu denken, daß ich zwanzig Jahre lang nicht an diesen Abend +dachte!« sagte er seufzend, als er in das kalte finstere Haus trat, und +begann zu pfeifen, um seine melancholische Anwandlung zu überwinden. + +In diesem Augenblick glaubte er das hastige, ungeduldige Scharren eines +raschen Schrittes draußen auf der Treppe zu vernehmen. Irgend jemand, +der die Gelegenheit benutzen wollte, ins Haus zu kommen. + +Aber auch das ist nicht völlig sicher. Jedenfalls wußte Schwedenklee nie +zu erklären, was in dieser Sekunde vorgegangen war. Hatte er diesen +hastig scharrenden Schritt gehört oder nicht? Es schien ihm später, als +ob er in der Tat gar nichts gehört habe, aber ein gänzlich +unverständlicher, ja mysteriöser Zwang ihn veranlaßt habe, das Haustor +nochmals zu öffnen. + +Jedenfalls, Schwedenklee ging, ohne viel zu denken, zur Türe, öffnete +sie ... + +Kaum aber hatte Schwedenklee das Tor geöffnet, da erschrak er so heftig, +daß er zurückprallte und am ganzen Körper entlang einen Schlag +verspürte, wie von einem schweren Eisenstab. Später erinnerte er sich +deutlich, daß sich ihm die Haare im Nacken gesträubt hatten, eine +Erscheinung, die er bisher nur für eine leere Redensart gehalten hatte. + +Dicht vor ihm war ein Gesicht erschienen, eine gespenstische +Erscheinung, etwas größer als er, die offenbar in diesem Augenblick +ausholte, um zu pochen. Gerade diese Geste hatte etwas ungeheuer +Drohendes und Erschreckendes an sich gehabt. + +Die Erscheinung prallte ebenfalls erschrocken zurück und tastete sich +hastig rückwärts die Stufen hinab. Das unter einem weichen, flachen +Filzhut verborgene Gesicht der Erscheinung glitt durch den Lichtschein +der Straßenlaterne, und in diesem Augenblick erkannte Schwedenklee das +Gesicht: es war das bleiche, vergrämte Antlitz jenes alternden, +verbrauchten Künstlers, das ihm zuweilen unangenehm und störend im +Billardsaal des Cafés aufgefallen war. + +Am Fuße der Treppe blieb die hagere, etwas zusammengekrümmte Gestalt +stehen und griff hastig nach dem flachen Hut. Es sah aus, als wollte sie +den Hut im Winde festhalten. + +Im Augenblick, da Schwedenklee das Gesicht erkannte, ließ das tödliche +Erschrecken nach. Er öffnete das Tor völlig und machte einen +entschlossenen Schritt vorwärts, obgleich der Schrecken noch in all +seinen Gliedern zitterte. + +»Was wünschen Sie?« fragte er, unnötig laut, und seine Stimme bebte noch +vor Erregung. + +Der Hagere wich noch einen kleinen unsicheren Schritt zurück, die Hand +aufs Herz gepreßt. Es schien Schwedenklee, als ob er heftig zittere. +Deutlich hörte er seinen hastig keuchenden Atem. + +»Was wollen Sie von mir?« wiederholte Schwedenklee, weniger laut, aber +härter im Ton. Er erkannte die völlige Gefahrlosigkeit der Situation. + +Der Hagere nahm den Filzhut ab und verbeugte sich, den Hut gegen die +Brust pressend. Sein graues wirres Haar bewegte sich im Winde. + +»Ich heiße Blank!« stammelte er, ganz Demut. Seine Stimme klang leise, +kaum vernehmbar, heiser dazu. Aber Schwedenklee verstand den Namen +augenblicklich! + + + + + 8 + + +Schwedenklee hatte schon manches erlebt. Nicht ohne weiteres wird man +fünfundvierzig Jahre alt! Einmal, zum Beispiel, war in einer hellen, +heißen Sommernacht ein Herr auf ihn zugetreten und hatte in +liebenswürdigstem Ton gefragt, ob er die Ehre habe, mit Herrn +Schwedenklee zu sprechen? Schwedenklee aber hatte kaum bejaht, als der +Liebenswürdige schon den Stock gegen ihn schwang. Es stellte sich +heraus, daß er der Gatte einer schönen Frau war, mit der Schwedenklee +zuweilen im Bristol Tee trank. Damals war es zu einer regelrechten +Schlägerei gekommen, und der Eifersüchtige brachte sogar die Passanten +gegen ihn auf. Erst als Schwedenklee heilige Eide schwor, daß die +bewußte Beziehung völlig platonisch sei, war der Rasende ruhiger +geworden. Die schöne Frau hatte ganz einfach gelogen, um ihren Gatten +bis aufs Blut zu reizen. Immerhin, Geständnis und Eide in der Bedrängnis +waren so peinlich, daß Schwedenklee den Auftritt als einen dunkeln +Schatten in seinen Erinnerungen empfand. + +Ja, schon mancherlei hatte er erlebt, Herr Schwedenklee -- nie aber +hatte er sich in einer Situation befunden, die peinlicher und +unbehaglicher war. + +Die unverständlichen Briefe Blanks schossen ihm wirr durch den Kopf, +auch sein brutaler Rohrpostbrief, der ihm im Augenblick noch weitaus +brutaler erschien, auch jene alberne, pathetische Phrase: »Die Toten +greifen nach dir!« + +Und hier unten also, dieser Grauhaarige, der sich demütig verbeugte und +vor Erregung kaum stammeln konnte, das war also Ellens Gatte -- der ihn +aus unerklärlichen Gründen zu sprechen wünschte ... + +Schwedenklee hatte das Gefühl, langsam in den Boden zu sinken. Es schien +ihm später, wenn er an diese unbehagliche Szene dachte, als habe er für +Sekunden das Bewußtsein verloren gehabt. Er glaubte sich auch zu +erinnern, wie seltsame Ahnungen, daß diese Begegnung ungeheure Bedeutung +für sein Leben gewinnen sollte, ihn erfüllten und erschreckten. +Jedenfalls empfand er deutlich die Ungewöhnlichkeit dieser nächtlichen +Begegnung, anders wäre sein Verhalten nicht zu erklären. + +Verlegen und unschlüssig starrte Schwedenklee auf die hagere Gestalt, +die unter ihm stand. Vor kaum fünf Minuten -- sonderbar genug! -- hatte +er sich der Erinnerung an Ellen hingegeben. Er konnte Blanks Gesicht nur +sehen, wenn ein schwankender Zweig das Licht des Mondes durchließ. +Gleich verlegen und hilflos starrten Blanks dunkle Augen aus dem +bleichen Gesicht zu ihm empor. + +Schwedenklees Empfindungen waren Chaos. Er wollte die Türe wütend ins +Schloß werfen, wollte seiner Empörung, daß Blank es wagte, ihn zu +verfolgen, unverblümt Ausdruck geben -- aber er tat nichts dergleichen. + +Im Gegenteil! »Herr Blank?« sagte er nach einer Weile, mit einer +unsicheren und unterwürfigen Stimme, deren er sich später schämte, und +einer verstümmelten Verbeugung. + +»Sie haben mir geschrieben, Herr Blank?« fuhr er fort, nur um das +unerträgliche Schweigen zu unterbrechen. + +Blank antwortete mit einer Verbeugung. Er erwiderte nichts. + +Ratlos stand Schwedenklee auf der Treppe. Nacht ringsum, kein Mensch auf +der Straße. Und ohne Unterbrechung fühlte er Blanks Blick auf sich +gerichtet. Schwedenklee trat wieder etwas mehr in das Haustor zurück. + +»Vielleicht erklären Sie mir --«, begann er von neuem. + +Endlich bewegte sich Blank. + +»Ich handle unter einem geheiligten Willen«, begann er leise, mit +heiserer Stimme, aber doch verständlich, ja sogar etwas deklamatorisch, +wie Schauspieler es häufig zu tun pflegen. Schwedenklee sah deutlich, +daß er hin und her schwankte und nach Atem rang. + +»Ich bitte um Verzeihung! Ich persönlich würde es ja nie gewagt haben.« + +Die Hand Blanks fuhr in die Rocktasche, er zog einen hellen +Briefumschlag heraus. + +»Hier«, sagte er, sehr leise. »Ich bitte.« Und er streckte Schwedenklee +mit flatternder Hand den Briefumschlag hin. »Die Tote hat mich +beauftragt.« + +Schon streckte Schwedenklee die Hand aus, aber er zog sie sofort wieder +erschrocken zurück. Eine tödliche Kälte strömte ihm von diesem +Briefumschlag entgegen. Und Schwedenklee sammelte sich zu einem letzten +Widerstand. Jene gewisse Brutalität, die, meist schlummernd, einen Teil +seines Wesens bildete, erwachte plötzlich und formte seine Gedanken zu +einer letzten Abwehr. + +»Mein Herr! Sie besaßen die Kühnheit, mir eine Anzahl von Briefen zu +schreiben, obgleich Sie mir völlig unbekannt sind. Sie verfolgen mich +und sind unverfroren genug, mich vor meinem Hause zu überfallen! Ihre +Unverschämtheit überschreitet alle Grenzen. Lassen Sie mich gefälligst +in Ruhe mit Ihrem Brief, lassen Sie mich überhaupt zufrieden. Scheren +Sie sich zum Teufel!« + +Das also war es, was Schwedenklee dieser zitternden, hageren Gestalt, +die demütig vor ihm stand, entgegenschrie, in äußerster Empörung. Aber +was geschah? Blank wagte es, die Treppe emporzusteigen -- und +Schwedenklee selbst war es, der ihm höflich das Tor öffnete -- Blank +verbeugte sich mit großer Förmlichkeit und trat ein. + +Schwedenklee hatte diese Ansprache ja nur in Gedanken gehalten. In +Wirklichkeit aber hatte er höflich, ergeben in sein Schicksal, wie sein +wahres Wesen es ihm befahl, Blank gebeten einzutreten. + +So geschah es, daß der unheimliche Gast, die »Erscheinung«, wie +Schwedenklee in seiner ersten Verwirrung gedacht hatte, zur großen +Verwunderung Schwedenklees sich ins Haus tastete. + + * * * * * + +»Nun wohl,« dachte Schwedenklee, als er das Licht in der Diele andrehte, +halb benommen im Kopf, »es muß wohl so sein. Irgend etwas Merkwürdiges, +Unabwendbares ist hier im Spiel. Im übrigen vergessen wir nicht, daß +dieser arme Teufel Ellens Gatte ist. Nun, wir werden ja sehen, komme, +was kommen soll ...« + +Ein fadendünner Überzieher mit einem abgeschabten lächerlich schmalen +Pelzkragen und zu kurzen Ärmeln, ein schmales, fast schönes, wachsfahles +Gesicht, von hundert kleinen Fältchen zerknittert wie Papier, mit einer +hohen, mächtigen Stirn, die graue Haarsträhnen umflatterten, mit +bläulichen Lippen und fiebrisch glänzenden, dunkeln, aber gutartigen, ja +gütigen Augen -- so sah die Erscheinung aus, als Schwedenklee sie bei +Licht besah. Ein ins Elend geratener, vergrämter Künstler mit der Miene +fatalistischer Hoffnungslosigkeit -- sein erster, obwohl flüchtiger und +unbewußter Eindruck war völlig richtig gewesen. Vielmehr noch: ein +körperlich und seelisch vollkommen Erschöpfter, der in dem überheizten +Zimmer von heftigen Hustenanfällen geschüttelt wurde, während er mit +heiserer, bescheidener Stimme Entschuldigungen stammelte. + +Schwedenklee betrachtete das Abenteuer schon mit ruhigeren Augen. Die +Erscheinung hatte gänzlich ihre Unheimlichkeit eingebüßt -- ein Kranker, +ein Hilfsbedürftiger, das war alles, was von ihr geblieben war. Ja, +schon empfand Schwedenklee, der brutale Schwedenklee, der Leute, die ihn +störten, zum Teufel schickte, Mitleid mit seinem Gast. + +Wie hatte Blank seinerzeit geschrieben? »Mein _krankes_ Gehirn.« +Vielleicht, ja sogar wahrscheinlich, war manches nicht mehr ganz in +Ordnung bei ihm. Er erweckte ohne Zweifel den Eindruck, besonders diese +_leuchtenden_ gütigen Augen! Wir werden sehen, höflich, freundlich, um +ihn nicht zu erregen, und dann wird sich ja alles weitere von selbst +finden. + +Schwedenklee setzte also eine alltägliche, freundliche Miene auf, als +sei überhaupt nichts Ungewöhnliches geschehen. + +»Ich bitte doch abzulegen, Herr Blank!« sagte er mit großer +Liebenswürdigkeit. + +Blank schälte sich, verwirrt und zerstreut um sich blickend, aus dem +fadenscheinigen Überzieher. Sein Anzug war so jämmerlich, daß +Schwedenklee sich betroffen abwandte. + +»Ich werde ihm helfen!« dachte er nun schon. »Ich habe ja genug alte +Kleider, Herrgott noch einmal!« + +»Mein Benehmen --,« stammelte Blank, während er zu einem Sessel +schwankte, »mein Benehmen muß aufdringlich und unverständlich +erscheinen. Eine abscheuliche Rolle, die ich nie in meinem Leben spielte +-- die ich verabscheue ...« + +»Ich bitte, Herr Blank.« + +Blank erhob sich wieder aus dem Sessel und tastete nach Schwedenklees +Hand. »Jedenfalls Dank, daß Sie mich nicht abweisen, Herr Schwedenklee!« +sagte er mit einem heißen Blick der dunklen Augen. »Allein das teuerste +Wesen, das ich besaß, eine Tote, befiehlt und ich gehorche!« + +»Eine Zigarre vielleicht?« Wollte er doch aufhören, von Toten zu +sprechen, dachte Schwedenklee, um Gottes willen! + +»Nein, unmöglich -- mein Husten --« + +Schwedenklee war bestrebt, die Peinlichkeit der Situation, die noch +immer, wenn auch gemildert, bestand, durch eine zerstreute +Geschäftigkeit zu verwischen. + +Blank saß im Sessel, die Hände auf die Lehne gelegt, und versuchte, ein +Zittern, das seinen kranken Körper ohne Aufhören durchlief, zu +verbergen. Wie sein Gesicht waren auch die Hände von hundert Fältchen +zerknittert, wie weiches Papier. Sie waren lang, wachsfahl und peinlich +gepflegt. + +»Ich zittere noch immer!« begann Blank, seine Schwäche verspottend. +»Aber Sie ahnen ja nicht, welche Angst ich hatte, als ich Ihnen folgte«, +fuhr er flüsternd, bekennend fort. »Kaum, daß mich die Füße trugen. +Schon gestern, vorgestern folgte ich Ihnen, aber ich wagte es nicht. +Gestern wollte ich Ihren Namen rufen, aber die Stimme versagte. In der +letzten Nacht nun mahnte mich ein Gesicht« -- er hielt inne, als erwarte +er, daß Schwedenklee etwas sagen werde, aber Schwedenklee sagte nichts +--, »ich legte ein Gelübde ab, und so wagte ich es heute, obschon die +Furcht mich fast tötete. Nie werde ich wissen, woher ich den Mut nahm +--« + +»Ich bitte Sie, sich nicht zu erregen, Herr Blank,« entgegnete +Schwedenklee, »vielleicht würde ein Gläschen Wein Sie beruhigen?« Hastig +war Schwedenklee bemüht, den Gast von dem unheimlichen Thema abzulenken. +Ohne jede Frage, eine sehr peinliche Geschichte! Aber es würde +sich ja wohl nach einiger Zeit Gelegenheit bieten, den Gast +hinauszukomplimentieren. + +Blank errötete flüchtig, als er die zitternde Hand nach dem Glase +ausstreckte. Sein Handgelenk war von einer erschreckenden Magerkeit, wie +Schwedenklee es noch nie beobachtet hatte. Langsam und bedächtig +schlürfte Blank den Wein, der ihn augenblicklich zu erfrischen schien. +Das Zittern seines Körpers ließ nach, ruhig glitt sein Blick durch +Schwedenklees Bibliothek. + +»Was für ein herrlicher Raum«, sagte er, indem er mehrmals nickte und +die Lippe hob, als versuche er zu lächeln. »Ich verstehe wohl, daß Sie +das Unglück meiden.« + +Schwedenklee wurde blutrot vor Scham. + +»Ich verstehe wohl, daß Sie die Armut meiden.« + +»Verzeihen Sie ...«, stammelte Schwedenklee. + +»Ich verstehe alles so gut. Ich bin ja selbst nicht anders gewesen -- +früher!« + +»Ich bin, wenn ich offen sein darf,« verteidigte sich Schwedenklee, +etwas stotternd, »aus Ihren Briefen nicht recht klug geworden. Zuerst +glaubte ich überhaupt an ein Mißverständnis. Ich dachte -- dazu war ich +sehr überarbeitet in dieser Zeit.« + +Blank nickte und hob abwehrend die Hand. + +»Meine Briefe waren wohl sehr verwirrt? Heute noch bin ich nicht +imstande, einen Gedanken zu Ende zu denken. Ich verstehe Sie jetzt, +heute vollkommen, Herr Schwedenklee! Vielleicht dachten Sie sogar, ein +Bettler -- oder noch schlimmer: ein Erpresser ...« + +»Aber nein!« Schwedenklee lachte verlegen. »Wie können Sie so etwas +denken. Ich wüßte nicht« -- endlich kam Schwedenklee der rettende +Einfall --, »ich ahnte ja nicht -- Sie schrieben mir erst ganz zuletzt, +welche Geborene Ihre Frau Gemahlin war.« + +»Ich nahm in meiner Verwirrung, meinem Schmerze an, jeder Mensch müsse +es wissen! Ich glaubte auch, es schon geschrieben zu haben. Habe ich es +nicht in der ersten Mitteilung geschrieben?« + +»Ich bitte Sie, sich jedenfalls in meine Lage versetzen zu wollen, Herr +Blank.« + +Blank schüttelte den Kopf und hob beide Hände beschwichtigend empor. + +»Kein Wort mehr, ich bitte Sie herzlich. Wer hier um Verzeihung zu +bitten hat, das bin ich und nicht Sie!« sagte er mit einer Verbeugung. +Zum erstenmal, seit er das Zimmer betreten hatte, blickte er +Schwedenklee ins Gesicht. »Sie erinnern sich nicht mehr, daß wir uns +schon einmal trafen?« begann er nach einem langen, wie es Schwedenklee +schien, forschenden Blick, mit etwas veränderter, leichterer Stimme. + +»Wir?« Schwedenklees Blick wurde unsicher. Nun wird sich das Geheimnis +enthüllen, dachte er voller Spannung und sofort wieder erregt. + +»Ja, ich hatte schon einmal die Ehre -- vor vielen Jahren. Vor etwa +zwanzig Jahren.« + +»Zwanzig --?« rief Schwedenklee erschrocken aus, als sei so etwas +gänzlich unmöglich. + +»Ja, vor mehr als zwanzig Jahren.« + +»Mehr als zwanzig!« + +»Ja, es war in München. Erinnern Sie sich an den Maler Pfitzner?« + +»Pfitzner? Aber natürlich. Ein guter alter Freund!« + +»Pfitzner hatte damals seinen ersten Porträtauftrag erhalten und gab +seinen Freunden ein Atelierfest, das drei Tage und drei Nächte dauern +sollte. Aber schon am ersten Abend gab es Zwistigkeiten. Einer der Gäste +war auf Pfitzner eifersüchtig geworden, es kam nahezu zu Tätlichkeiten +--« + +»Richtig, nun dämmert es in mir! Aber Sie, Herr Blank -- ich muß offen +gestehen ...« + +»Vielleicht entsinnen Sie sich noch, daß einer der Gäste sang?« + +»Ein junger Mann, jawohl.« + +»Er sang den Prolog von >Bajazzo<.« + +»Ja! Deutlich erinnere ich mich. Der Sänger stand dicht in meiner Nähe, +ich höre heute noch, in diesem Augenblick, seine prächtige, kernige +Stimme. -- Aber es ist doch wohl nicht möglich, Herr Blank, daß Sie +...?« rief Schwedenklee mit naivem Erstaunen aus und sprang auf. + +Blank nickte. »Doch, ich war dieser Sänger!« sagte er errötend, und die +Heiserkeit seiner Stimme drückte tiefste Traurigkeit aus. + +Sofort sah Schwedenklee ein, daß er eine ganz unbegreifliche +Taktlosigkeit begangen hatte. »Ist es möglich,« rief er hastig aus, »vor +zwanzig Jahren, sogar mehr als zwanzig Jahren, sagen Sie? Um Gottes +willen, wohin sind diese zwanzig Jahre nur gekommen? Ja, wunderbar haben +Sie damals gesungen -- es ist volle Wahrheit, was ich Ihnen sage, all +die Jahre habe ich den Klang Ihrer Stimme im Ohr behalten. Merkwürdig, +und Sie erinnern sich meiner noch? Das finde ich erstaunlich.« + +»Ich erinnere mich noch ganz deutlich an Sie. Sie haben sich nicht sehr +verändert.« + +»Nicht sehr?« + +»Sie sind etwas voller geworden und etwas breiter. Ich habe Sie auch +sofort wiedererkannt, als ich Sie vor Wochen auf der Straße sah.« + +»Als Sie mich auf der Straße sahen?« + +»Ja, vor Ihrem Hause«, gestand Blank errötend. + +»Ich erinnerte mich ganz besonders an Sie, weil Sie auf Pfitzners +Atelierfest eine Theorie vortrugen, die mich lange und oft +beschäftigte.« + +»Ich -- eine Theorie, sagen Sie?« + +»Ja, Sie erklärten, es sei an der Zeit, eine über den Staaten stehende +Republik der freien Geister und Künstler zu gründen.« + +»Ich hätte --?« Schwedenklee war äußerst erstaunt. + +»Ja, Sie führten diesen Gedanken bis ins einzelne aus und wir hörten +voller Interesse zu. Sie sprachen sehr ketzerische und revolutionäre +Gedanken aus, und wir waren um so mehr erstaunt, als Sie ja aus +Norddeutschland kamen.« + +Schwedenklee füllte die Gläser. »Sonderbare Einfälle hat man in der +Jugend!« rief er lachend aus. »Ja, ganz verrückte Gedanken!« + +»Sie gingen bald darauf nach Paris. Als ich Pfitzner wieder eines Tages +im Atelier besuchte, sagte er mir: Schwedenklee ist nach Paris gegangen, +um seine überstaatliche Republik der freien Geister und Künstler zu +gründen.« + +Hier lachte Schwedenklee laut und belustigt auf. + +»Im nächsten Jahre wurde ich nach Nürnberg engagiert«, fuhr Blank fort, +und seine Stimme veränderte sich wieder. »Und hier war es, wo ich Rosa +Fröhlich traf«, schloß er leise. + +»Ja, sie ging damals nach Nürnberg, ich entsinne mich«, warf +Schwedenklee etwas unsicher ein. Er war plötzlich rot geworden. + +»Ich kam mit ihr ins Gespräch und sie sagte mir gleich, daß sie aus +Paris käme. Aus Paris? Haben Sie vielleicht zufällig einen Bekannten von +mir, einen Architekten Schwedenklee getroffen? -- Nie werde ich Rosas +verblüfftes, ja entgeistertes Gesicht vergessen ...« + +»Ist das Leben nicht sonderbar?« + +»Ohne daß Sie es ahnten, haben Sie, Herr Schwedenklee, rasch unsere +Freundschaft vermittelt.« + +»Welch merkwürdige Zufälle es gibt!« + +»So also begann es. Mit Ihrem Namen!« sagte Blank leise und nickte vor +sich hin. »So also begann es!« wiederholte er, die Stimme von Trauer +überschattet. + +Sein Blick verlor sich ins Unbestimmte. Er bewegte die dünnen blutleeren +Lippen und feuchtete sie mit der Zunge an. Er schien noch um einen Grad +bleicher geworden zu sein. + +Schwedenklee erhob sich und bewegte sich lautlos über die Teppiche. +Diese ganze Erde sei in der Tat nichts als ein großes Bauerndorf! Und er +erzählte hastig und mit halblauter Stimme einige ähnliche Erlebnisse, +die ihm begegnet waren und seine Ansicht bestätigten, daß die Erde +nichts als ein Bauerndorf sei. Blank antwortete nicht, er schien gar +nicht zuzuhören. + +Mit aller Umständlichkeit machte sich Schwedenklee eine Zigarre zurecht. +Wieder bewegte er sich lautlos über die Teppiche. »Und was ist +eigentlich aus Pfitzner geworden?« Er blieb stehen. + +Aber Blank hörte ihn gar nicht. Er saß, den verschleierten Blick ins +Ungewisse verloren. Er hatte vergessen, wo er war, wandelte in einer +fernen, unbegreiflichen Welt. Ein wundes Lächeln spielte um seine +Lippen. Die schmalen gepflegten Hände lagen regungslos auf den Lehnen +des Sessels, sie zitterten nicht mehr, nur sein gebeugter Oberkörper +schwankte leise hin und her. + +Verstohlen blickte Schwedenklee auf die Uhr. Da erwachte Blank aus +seiner tiefen Versunkenheit. Er atmete tief auf und blickte sich +verstört um. + +»Verzeihung«, sagte er und schüttelte sich, als friere er. + +Schwedenklee streckte sich in den Sessel. + +»Und nun, Herr Blank,« begann er mit einer Stimme, die seinen Gast +ermutigen sollte, »Sie hatten mir etwas mitzuteilen?« + +Blank erschrak heftig. Die nervöse Hand zuckte, seine dunkeln Augen +weiteten sich. + +»Mitzuteilen --?« stammelte er, anscheinend tief betroffen. + +Schwedenklees Miene, der etwas leichtfertige und gutmütige +Gesichtsausdruck, versuchte ihn zu beruhigen. + +»Ja«, sagte Schwedenklee, sich lächelnd vorbeugend. »Sie schrieben mir +in einem Ihrer Briefe, Sie hätten mir Mitteilungen zu machen, die für +mich unter Umständen von Interesse sein könnten.« + +»Schrieb ich das?« Blank erhob sich erregt, ließ sich aber sofort wieder +in den Sessel fallen. »Nein, nein, mein Herr,« fuhr er hastig fort, +zuweilen errötend, »was ich zu tun habe, ist, Sie tausendfältig um +Entschuldigung zu bitten, das ist alles. Ich befinde mich in einem +Zustande der Verwirrung, der Verzweiflung -- ja, des, Sie verzeihen, es +klingt wie Pose, des Irrsinns. Ich muß um Nachsicht bitten. Ich weiß +nicht mehr, was ich in diesen furchtbaren Wochen sagte oder schrieb. +Verzeihen Sie mir. Aber, mitzuteilen? Nein, bei Gott, nein! Ich habe +Ihnen nichts mitzuteilen.« Rote fieberische Flecke erschienen unter den +Augen des fahlen Gesichts. + +Blank war in großer, ganz unbegreiflicher Erregung. Aber allmählich +beruhigte er sich. + +»Was ich Ihnen gerne sagen möchte, wenn Sie noch eine Minute Geduld mit +mir haben wollen,« fuhr er mit ruhigerer, feierlicher Stimme fort, »ist +dies --« Er holte tief Atem und senkte den Blick zu Boden. »Meine +Gattin, deren Verlust mich nahezu um meine Sinne gebracht hat, sagte mir +wenige Stunden vor dem Tode: Gehe zu Schwedenklee und grüße ihn von mir. +Sage ihm, daß ich ihm nicht mehr grolle.« + +»Nicht mehr grolle --?« Schwedenklee horchte auf. + +»Ja, so sagte sie. Vielleicht aber habe ich auch die Worte verwirrt. +Sage ihm, daß ich ihm stets gut war und noch heute gut bin --« + +Hier wurde Schwedenklee plötzlich ergriffen. + +»Sagte sie das wirklich?« flüsterte er. + +»Ja, und sie beauftragte mich, Ihnen dies Bild zu bringen. Es würde Sie +freuen, dachte sie. Eine Erinnerung aus der Pariser Zeit.« Blank schlug +sich an die Stirn. »Ja, dieses Bild, das war ja die Ursache meines +Besuches! Schon habe ich es wieder vergessen, ich sitze hier und +plaudere --« + +Blank erhob sich und tastete nervös die Taschen des Überrocks ab. + +»Mein Himmel, ich werde es doch nicht draußen verloren haben!« rief er +in äußerstem Schrecken. »Nein, hier, gottlob, hier ist es. Das ist ja +der eigentliche Grund, weshalb ich Sie aufsuchte.« + + * * * * * + +Eine verblaßte Photographie, in Paris aufgenommen -- seinerzeit. In +irgendeiner übermütigen Stunde. + +Eine zierliche Dame, in einem großen Hut -- das Gesicht kaum +erkenntlich. Daneben er, Schwedenklee, zwanzig Jahre jünger, mit einem +flotten kleinen Schnurrbart. Schwedenklee zerbrach sich den Kopf, wo das +Bild aufgenommen sein konnte. Er erinnerte sich nicht mehr. + +Er trat unter die Lampe und nahm eine Lupe vom Schreibtisch. + +Nun erkannte er die Züge der jungen Dame wieder, die in all den vielen +Jahren nur selten, flüchtig und verblaßt in seiner Erinnerung wieder +auflebten. Ein wehmütiges Gefühl überkam ihn -- daß diese herrliche +Jugendzeit vorbei war für immer. + +»Ellen Fröhlich!« sagte er vor sich hin. + +»Sie hatte zwei Namen«, warf Blank mit verletzter, fremder Stimme ein. +»Da Sie sie Ellen genannt hatten, wählte ich ihren anderen Namen. Ellen +für Sie, Rosa für mich!« + +Schwedenklee blickte ihn verständnislos an. + + + + + 9 + + +Als Schwedenklee am nächsten Morgen, etwas müde und abgespannt, in +seinem breiten Himmelbett erwachte, fiel ihm augenblicklich ein, daß er +Blank für heute zum Abendessen eingeladen hatte. + +Was für ein Dummkopf bin ich doch, dachte er, unzufrieden mit sich +selbst, immer diese alte Gutmütigkeit. Ich bin wütend über einen +Menschen und doch kann ich es mir nicht versagen, den Liebenswürdigen zu +spielen. Aber sofort erinnerte er sich auch, daß es ganz unmöglich war, +Blank, der Begriffe wie Zeit und Nachtruhe nicht zu kennen schien, auf +andere Weise zu verabschieden. Er hatte sich auch in der verflossenen +Nacht hin und her überlegt, wie er Blank seine Hilfe anbieten könnte, +aber keine Möglichkeit gefunden. Da war ihm der Einfall der Einladung +gekommen. + +Lieber Himmel, dachte er plötzlich erschreckend und setzte sich auf, wie +mag dieser arme kranke Mensch in der Nacht nach Hause gekommen sein? +Nach dem Osten. Ob er wohl, wie er ihm riet, eine Droschke genommen +hatte? Aber vielleicht hatte er gar nicht das Geld dazu? Ich selbst +hätte ihm eine Droschke holen und den Kutscher bezahlen sollen -- aber +dieser Einfall kam reichlich spät. + +Etwas Gutes hatte die gestrige Begegnung auf jeden Fall. Schwedenklee +fühlte sich erleichtert! Das »im Hintergrund lauernde Schicksal«, wie er +sich ausdrückte, hatte sich entschleiert. Obgleich Schwedenklee +eigentlich nicht an Gott, an ein zweites Leben, an Auferstehung, +Seelenwanderung und derartige Dinge glaubte, glaubte er doch an +mystische Einflüsse, an ein Fatum, das unheilvoll in das Leben eines +Menschen eingreifen konnte. In den zwei letzten Jahren hatte er sich +unsicher gefühlt. Es war ihm, als wäre er von heimtückischen Gefahren +umlauert. Einer seiner Bekannten starb plötzlich am Herzschlag, und +schon dachte er: wer weiß es, ob du morgen erwachen wirst? Zuweilen sah +er sich alt und krank als Bettler auf der Straße stehen und der Wind +blies eisig. Oder ein unheilbares Leiden befiel ihn, zum Beispiel Krebs. +Ganz deutlich spürte er die fortwährende Drohung feindseliger Mächte, +und nur so -- nicht anders -- läßt es sich erklären, daß die Briefe +Blanks auf ihn einen solch ungeheuren Eindruck machten. Nun also kam es, +heimtückisch schlich es näher, um ihn zu umstricken und zu vernichten! +Deutlich witterte er die Vorboten eines bösen Schicksals, das seine +Demütigung und Vernichtung beschlossen hatte. + +An diesem Morgen atmete er seit vielen Wochen befreit auf, seine +düsteren Grübeleien erschienen ihm unsinnig und albern. Seine +Hilfsbereitschaft für Blank entsprang ebenfalls, ohne daß er sich dessen +bewußt wurde, diesem Gefühl der Erleichterung und einer gewissen +Dankbarkeit gegen das Schicksal, das sich ihm nicht ungnädig gezeigt +hatte. + +Werde ich ihm denn abgelegte Kleider geben können? dachte er. Vielleicht +aber wird es ihn verletzen? Also Geld. Aber wieviel und in welcher Form? + +Man könnte ihm auch einen Korb mit Früchten und guten Sachen schicken, +eine Flasche Kognak dazu. Das war ein ausgezeichneter Einfall, und +Schwedenklee beschloß, noch heute den Korb zurecht machen zu lassen. + +Den ganzen Vormittag war Schwedenklee mit dem gestrigen Abenteuer +beschäftigt. Blank hatte ihm, mit einer gewissen Schwatzhaftigkeit, im +Laufe der Nacht sein Herz ausgeschüttet, er hatte ihm jede Einzelheit +seines Lebens erzählt -- und all das nur aus dem Grunde, weil er einige +Wochen lang eine Liebschaft mit seiner Frau gehabt hatte! Notabene: noch +bevor sie überhaupt seine Frau war ... + +Schwedenklee konnte der Versuchung nicht widerstehen. Er ging an den +Schreibtisch und nahm -- seine Hand zitterte etwas -- das verblichene +Bild aus dem Schubfach. + +Bei Tageslicht war das Gesicht unter der Lupe etwas deutlicher zu +erkennen. Lange, mit einer Art furchtsamer Neugierde, betrachtete er das +Bild, und sonderbarerweise begann sein Herz stark zu klopfen, als wäre +es frevelhaft, dieser Toten ins Gesicht zu sehen. + +Je länger er das verblaßte Bild betrachtete, desto klarer formte es sich +in seiner Phantasie, und plötzlich stand es, wie durch ein Wunder, +lebendig vor ihm. + +Ellen hatte Grübchen in den Wangen gehabt, auf der einen Wange war das +Grübchen um ein geringes tiefer als auf der andern -- das fiel ihm jetzt +ein, obschon die Grübchen auf dem verblaßten Bild nur dann zu erkennen +waren, wenn man wußte, daß sie existierten. Er erinnerte sich an ihre +schönen weißen Zähne, die sich beim Lachen ganz entblößten, als lachten +sie mit -- und wie scharf waren diese Zähne gewesen! Er erinnerte sich +an die Glätte ihrer Haut, die er nie wieder gefunden hatte bei einer +Frau, an die Ebenmäßigkeit ihres zarten Körpers, die weiche Biegsamkeit +ihrer schlanken Taille. Klar sah er in diesem Augenblick die +Modellierung ihrer sanften Schultern vor sich. + +Zartheit, Behutsamkeit, Stille und unendliche Sanftheit ging von dieser +Frau aus. Ihr Schritt war still, die Berührung ihrer Hand leise. +Schmiegte sie sich an ihn, so war es kaum zu fühlen, und doch war die +Berührung unsagbar innig. + +Ja, jetzt in dieser Sekunde fühlte er deutlich ihre zärtliche +Liebkosung. + +Sein Herz wurde schwer und er legte das Bild zurück. »Ein rührendes +Wesen, in der Tat«, sagte er. »Vorbei -- tot! Ja, das Leben ist eine +höllische Einrichtung!« + +Traurig das Schicksal dieser Frau, die das Leben so heiß geliebt hatte. +Von Paris war sie in ein Sommerengagement nach Nürnberg gegangen. Daran +erinnerte er sich noch deutlich. Sie hatten noch einige kurze Briefe +gewechselt, bis die Korrespondenz plötzlich ohne jeden sichtbaren Grund +einschlief. In Nürnberg hatte sie Blank kennengelernt, der sie -- wie er +selbst gesagt hatte -- liebte, bevor er sie sah. + +»Ich sah sie noch gar nicht. Die Tür ging auf -- ihre Seele strömte vor +ihr her. Wer kommt hier? dachte ich. Und ich liebte diese Frau, die im +Begriffe stand, über die Schwelle zu treten, bevor ich sie überhaupt +sah. Es ist mir heute noch rätselhaft!« + +Blank sollte in Köln gastieren. Sie begleitete ihn. Er sang »um Rosa«. +Er gefiel, zweijähriger Kontrakt, auch Ellen wurde engagiert. Sie +heirateten auf Grund dieses Engagements. Drei Jahre hier, zwei Jahre +dort, in kleineren und größeren Provinzstädten -- ein Nomadendasein, +fröhlich und heiter ertragen, obwohl voller Sorgen. Plötzlich aber ging +es in die Höhe: München, Mannheim, endlich Dresden! Blank hatte den +Gipfel erreicht. Das Dasein der beiden war ohne Sorgen -- einen +Pelzmantel mit Bärenkragen trug Blank, wie er sagte. Sie reisten im +Sommer nach der Schweiz, ans Meer. + +»Nie gab es wohl zwei glücklichere Menschen als uns beide! Ein Kreis +prächtiger Freunde, immer Blumen in den Zimmern, und ein Heim, das +widerhallte von der herrlichsten Musik! Der und der spielte Cello, der +und der Geige, der und der den Flügel -- erste Künstler, die in der +ganzen Welt konzertierten. Berühmte Dirigenten aßen bei uns zu Abend. +Und Rosa im Mittelpunkt, Rosa umschwärmt, bewundert, geliebt ...« + +In Dresden aber holte Blank das Geschick ein. Eine Erkältung, wenig +beachtet. Eine Wucherung an den Stimmbändern. Blanks Laufbahn als Sänger +war besiegelt. Ellen dagegen spielte noch, sie erhielt ihn Jahre +hindurch. Kuren, Ärzte. Der Niedergang begann. Schließlich erkrankte +auch Ellen, die Lunge. Das war das Ende. + +Furchtbarer Sturz in das tiefste Elend. Auch Blank wurde brustkrank. + +»Wir liefen um die Wette nach dem Tode, Rosa und ich. Sie hat das Ziel +zuerst erreicht, aber ich bin nicht weit hinter ihr.« + +Gestorben an der Schwindsucht, zwei Menschen trugen sie zu Grabe ... + +»Arme Ellen!« sagte Schwedenklee und legte das Bild zurück in das +Schubfach. + +Er war in solch melancholische Stimmung geraten, daß er, was selten +vorkam, schon am Nachmittag das Stammcafé aufsuchte. + +Hier saß er an einem kleinen Marmortisch und sah lustlos zu, wie der +Rechtsanwalt Cohnstamm mit dem Polizeileutnant Hammerstein eine +Cadrepartie auf dem Matchbillard ausfocht. Er war wortkarg und +zerstreut, trank ohne Genuß seine Tasse Kaffee. Der Rechtsanwalt erbat +seinen Rat bei einer schwierigen Stellung. Sprang Schwedenklee auf, wie +es sonst seine Art war, um sein Licht leuchten zu lassen? Er zuckte +gleichgültig die Achseln. + +»Und zu denken, wie diese Ellen lachen konnte! Wie sie es verstand, auch +das Nichtigste zu genießen! Und wie drollig sie sein konnte! Immer +bereit zu einem übermütigen Streich!« + +Der Oberkellner näherte sich, zutraulich: Es seien schon große Beträge +auf Herrn Oberbaurat für heute abend gesetzt. + +»Ich werde heute abend nicht spielen«, sagte Schwedenklee, mit Falten in +der Stirn. »Ich habe Gäste zu Hause.« + +Schon um einhalb acht Uhr begab sich Schwedenklee nach Hause. Er freute +sich auf Blanks Besuch. Ja, er freute sich, ist es zu glauben? + +»Und gestern zerbrach ich mir den Kopf, wie ich ihn loswerden könnte!« + + * * * * * + +Schwedenklee bekümmerte sich eigentlich nie um die Wirtschaft. Seine +ganze Tätigkeit bestand darin, jeden Monat das Wirtschaftsbuch +nachzuprüfen. Er nahm sich natürlich nie die Mühe, das Buch wirklich +nachzusehen, da aber Augusta den Eindruck gewinnen solle, als ob er +ganze Nächte hindurch rechne, so ließ er das Buch stets einige Tage +liegen. Einmal half ihm der Zufall. Er addierte eine Seite, eigentlich +aus Zerstreutheit, es stimmte nicht. + +»Sie haben sich hier zu Ihren Ungunsten getäuscht, Augusta!« + +Es war wirklich eine Fügung des Himmels, geschehen vor drei Jahren. Seit +dieser Zeit öffnete Schwedenklee dieses furchtbare Wirtschaftsbuch +überhaupt nicht mehr. + +Seine Anordnungen pflegte Schwedenklee in lakonischer Kürze zu erteilen, +häufig schrieb er sie auch auf einen Zettel. Ja, er liebte Scherereien +nicht, Schwedenklee. Es ging wunderbar. + +Auf den heutigen Abend aber hatte er Augusta besonders hingewiesen. Es +war seine Absicht, Blank mit der größten Sorgfalt zu bewirten. Dieser +arme Teufel sollte noch einmal eine Freude haben in seinem Leben ... + +Das Unglaubliche geschah. Schwedenklee inspizierte das Speisezimmer. +Augusta hatte sich wirklich Mühe gegeben. Man konnte jedermann +empfangen, einen Fürsten, wenn es sein mußte. + +»Und wie war das eigentlich, auf dem Atelierfest von Ellens Freundin, +der schwedischen Bildhauerin, wie hieß sie doch -- sagen wir: Fräulein +Svenska?« fragte sich Schwedenklee, als er, in der Bibliothek auf und ab +gehend, auf Blank wartete. + +Es war da jemand, der die Mundharmonika spielte, und man saß, da nicht +genug Stühle da waren, auf dem Boden -- nicht wahr? Es war ein +Kostümfest! + +Mein Gott, was konnte man doch damals alles machen. Man drehte den Rock +um, band sich ein Taschentuch um den Hals: schon war man ein Apache! + +Es war eine ungeheure Hitze in dem Atelier, ganz richtig. Man trank +schwedischen Punsch, und schon nach dem ersten Glas änderte sich der +Glanz von Ellens Augen. + +Ja, jetzt fiel es ihm ein: Sie, Ellen, führte ihn in einen Winkel neben +eine der mit nassen Tüchern verhängten Tonbüsten und schlang die Arme +zart und weich um seinen Hals. »Dich werde ich ewig lieben!« flüsterte +sie. + +Da ertönte die Klingel: Blank! + +Schwedenklee spürte noch Ellens weiche Arme, ihre Stimme flüsterte dicht +an seinem Ohr, als Blank eintrat. + +Er errötete, als er Blank die Hand reichte. + + + + + 10 + + +Blank hatte sich in große Gala geworfen. Er trug unter dem fadendünnen +Überzieher mit dem abgeschabten Pelzkragen einen grauen, dünnen Gehrock, +einen schlechtgebügelten Kragen, eine alte flotte graue Binde. Die +Knöpfe der altmodischen Weste waren aus Glas und einer fehlte. Seine +Hände waren gepflegt, wie gestern, die Manschetten ausgefranst, aber +peinlich sauber. + +»Wie glücklich ich bin!« rief er mit seiner heiseren Stimme etwas +theatralisch aus und drückte Schwedenklee die beiden Hände, mit einer +Herzlichkeit, die Schwedenklee in Verlegenheit brachte. + +»Ich freue mich, daß Sie heute viel wohler aussehen«, erwiderte +Schwedenklee, der das Bedürfnis empfand, seinem Gaste seinerseits etwas +Angenehmes zu sagen. In der Tat, die Leichenblässe, die Blank gestern +zeigte, schien heute etwas gemildert. + +»Wohler?« Blank lächelte und schüttelte den Kopf. »Ich lag den ganzen +Tag mit Fieber zu Bett.« + +»Und Sie haben nicht einfach angerufen?« + +»Dieses bißchen Fieber sollte mich abhalten? Bei meinem +Gesundheitszustand ist es ja völlig einerlei, ob ich mich schone oder +nicht. Könnten Sie auch nur ahnen, wie ich mich auf das Zusammensein mit +Ihnen freute!« + +Beim Anblick der gedeckten Tafel blieb Blank vor Erstaunen auf der +Schwelle stehen. + +»Ist es möglich?« rief er aus. + +Augusta hatte sogar einen Strauß Maiglöckchen in die Mitte des Tisches +gestellt. Das helle Speisezimmer war von einem herrlichen Duft erfüllt. + +»Ist es möglich? Für mich diese Mühe! Nie werde ich Ihnen das +vergessen.« Und wieder drückte er Schwedenklees beide Hände, während er +bemüht war, seine Ergriffenheit zu verbergen. Lebhaft fuhr er fort: »Ich +weiß ja wohl, daß Sie ein Künstler im Arrangement von Festen sind! Rosa +erzählte mir, daß Sie ihr einst in Paris -- Himmel, daß ich Sie nicht +belauschen konnte! -- ein Abendessen gaben, mit Dutzenden von Kerzen, +deren Glanz sich in geschickt aufgestellten Spiegeln verhundertfachte. +Vielleicht erinnern Sie sich noch? Ja, Sie erinnern sich -- ich sehe es +--« + +»Sonderbar, gerade dieser Tage --« + +»Verzeihen Sie mir, ich sehe, daß es Ihnen nicht angenehm ist, an +vergangene Zeiten erinnert zu werden. Ich muß Sie um Nachsicht bitten, +wenn ich im Laufe des Abends dann und wann auf das Vergangene +zurückkomme. Ich fürchte, ich kann nicht anders, denn gerade die Qual, +die ich bei jeder Erinnerung empfinde, ist mir eine Wollust. Ich darf +Ihnen wohl sagen, daß Rosa mir alles aus ihrem Leben erzählte, jede +Einzelheit. Ich bitte auch, obschon es unnötig genug erscheint, erklären +zu dürfen, daß nicht das geringste Arg gegen Sie in meinem Herzen ist. +Wie sollte es auch? Einmal war ich ja sehr eifersüchtig auf Sie« -- +Blank lächelte schmerzlich -- »furchtbar eifersüchtig, ich gestehe es +Ihnen offen. Ich haßte Sie, Sie ahnen nicht, wie ich Sie haßte.« Blank +errötete und seine dunkeln Augen glühten -- allein bei der Erinnerung an +diesen Haß. + +»Ich begreife nicht, weshalb haßten Sie mich?« + +»So wahnsinnig hatte mich die Eifersucht gemacht. Ich hatte natürlich +nicht den geringsten Grund. Nun, es ist lange her -- zwanzig Jahre. +Heute empfinde ich für Sie nur Freundschaft und Zuneigung, ohne zu +erwarten, daß Sie meine Gefühle erwidern. Darf ich dieses Glas auf Ihre +Gesundheit leeren?« + +Mit einem tiefen, wunderbar warmen Blick der dunkeln Augen und einem +schönen Lächeln des verwüsteten Gesichts hob Blank das Glas ins Licht. + +»Wenn jemand hier Ursache hätte, böse zu sein,« fuhr er mit großer +Lebhaftigkeit, leise lächelnd, fort, »so wären ja wohl Sie es!« + +»Ich? Aber, ich bitte --« + +»Gewiß, Sie! Denn ich war es ja, der Ihnen diese wundervolle Frau +entfremdete -- in einer Zeit, da sie noch sehr an Ihnen hing.« + +Schwedenklee hob verwundert den Blick vom Teller. »Noch an mir hing?« +fragte er, errötend und geschmeichelt. + +»Ja! Es war nicht so einfach, wie es heute aussieht ...« + +»Nicht so einfach?« + +»Nein, ganz im Gegenteil -- es war sehr schwer!« + +»Reden wir nicht mehr davon«, brummte Schwedenklee. + +Nichts mehr von der Peinlichkeit des gestrigen Abends. Man plauderte wie +alte Bekannte. Blank, dessen krankhafte Erregung gestern Schwedenklee +folterte, war heute viel ruhiger und beherrschter. Er zeigte sich als +ein Mann von den besten gesellschaftlichen Formen, wenn er auch seine +weltmännischen Allüren etwas zu stark betonte. Schwedenklee liebte es +nicht, bei Tisch viel zu reden, er antwortete nur träge und zerstreut. +Blank dagegen sprach mit großer Lebhaftigkeit, die Rede, begleitet von +lebhaften Gesten, schien ihm eine wahre Wohltat zu sein. Seine Wangen +färbten sich, seine Augen sprühten. Er fühlte sich wohl, er fühlte sich +fast wie zu Hause, nach dem zweiten Glas nannte er Schwedenklee, der +zuweilen seine Sicherheit verlor, sogar manchmal »lieber Freund«. Ja, +dann und wann hatte Schwedenklee den Eindruck, als spielte Blank den +Überlegenen. + +Augusta hatte sich in der Tat alle Mühe gegeben und ein vorzügliches +Menü zusammengestellt. Sie servierte aber schmollend. Sobald sie Blank +erblickt hatte -- sie starrte förmlich auf die ausgefransten Manschetten +-- hatte sie nur verächtliche Bewegungen. Jede Geste von ihr sagte: und +wegen dieses Bettlers lassen Sie mich den ganzen Tag herumrennen? + +»Eine Flasche Selters, Augusta«, sagte Schwedenklee mit einer gewissen +rügenden Schärfe, und Augusta zog brummend ab. + +Trotz des vorzüglichen Menüs und des herrlichen Weins fühlte sich +Schwedenklee nicht recht behaglich, ja vorübergehend war er sogar den +Anwandlungen einer schlechten Laune unterworfen. Die Lebhaftigkeit +Blanks störte ihn. Er hätte Blank gerne -- so albern es ihm selbst +vorkam -- bescheidener und demütiger gesehen. Nein, von den +ausgefransten Manschetten wollte er natürlich nicht sprechen, aber daß +Blank, den er gestern von der Straße aufgelesen hatte, den er aus purer +Gutmütigkeit zum Essen eingeladen hatte, ihn »lieber Freund« nannte -- +war das ganz in Ordnung? Mit einem gewissen Neid prüfte er zuweilen mit +verstohlenen Blicken Blanks Erscheinung. Ohne Zweifel mußte er vor +Jahren von großer, ja seltener Schönheit gewesen sein. Noch jetzt wirkte +sein großgeformter Musikerkopf imposant. In dem bleichen, zerknitterten +Gesicht glühte ein Paar wundervoller Augen. Was für Augen habe ich +dagegen? dachte Schwedenklee. Diese dunkeln Augen schienen das einzig +Lebendige -- Überlebende -- in dem wachsfahlen Gesicht zu sein. Sie +waren Feuer, Gedanke, Seele, Jugend, sie waren dreißigjährig, das +Gesicht fünfzig-, hundertjährig, wenn man will. + +So oft Schwedenklee von einer dieser Anwandlungen schlechter Laune +ergriffen wurde, verbarg er sie hinter ausgesuchtester Höflichkeit: +»Bitte zuzugreifen -- bitte sich zu bedienen!« + +»Ich sehe, ich ermüde Sie mit meinem Redestrom«, rief Blank aus. »Ich +muß auch in dieser Hinsicht um Ihre Nachsicht bitten. Seit Jahren habe +ich fast nie mehr mit einem gebildeten Menschen gesprochen. Sie ahnen +nicht, welcher Genuß für mich Ihre Gesellschaft ist. Bedenken Sie, diese +Menschen, mit denen ich noch zusammenkomme -- oh, mein Gott, welches +Niveau! Sie, mein verehrter Freund, der es wagte, einen Bettler ins Haus +zu laden ...« + +»Jeder Mensch kann einmal eine unglückliche Periode --« murmelte +Schwedenklee. + +»Einen Bettler, sage ich, was bin ich sonst? Sie verkehren mit einem vom +Unglück Gezeichneten auf gleich und gleich -- unterbrechen Sie mich +nicht -- wer tut das noch? Es ist das _Alleraußergewöhnlichste_ in der +heutigen Gesellschaft! Sie bewirten einen Mann, der gewissermaßen an +einem Wendepunkt Ihres Lebens als Ihr Rivale auftrat. Wie gut Rosa Sie +doch kannte! Sie kennen keine Vorurteile, keine kleinlichen Gefühle.« + +»Ich bitte!« stammelte Schwedenklee, aufs tiefste beschämt. Nichts ist +ja peinlicher, dachte er, als derartige Lobeshymnen anhören zu müssen. +Mein Himmel, diese liebe Ellen, was für Vorstellungen sie wohl von mir +gehabt haben mag! + + * * * * * + +»Dieses Glas dem Gedächtnis Rosas!« sagte Blank feierlich nach dem +dritten Glase und ließ den Wein im Licht funkeln. Obschon den Tod im +Antlitz, sah er schön aus in diesem Augenblick. Später, wenn +Schwedenklee sich an den Abend erinnerte, sah er Blank immer in dieser +Geste vor sich. + +Schwedenklee tat ihm Bescheid. + +Aber Blank erhob sich vom Sitze, und so konnte auch Schwedenklee, dem +jede Exaltiertheit ein Greuel war, nicht sitzenbleiben. Wenn er nur +diese theatralischen Manieren sein ließe, dachte er, tief unglücklich. + +Lange verharrte Blank in Schweigen und Versunkenheit. Aber seine Augen, +ohne Blick auf einen Stich an der Wand gerichtet, leuchteten verklärt. + +Augusta servierte mit verdrossener Miene den Nachtisch. + +Plötzlich fühlte Schwedenklee Blanks Auge auf sich gerichtet. Er hob die +Lider und begegnete einem forschenden, sonderbar und befremdend +forschenden, grübelnden, bohrenden Blick, dessen Ausdruck sich indessen +augenblicklich änderte. + +»Ich dachte eben --« begann Blank mit sonderbar leiser, heiserer, +zerstreuter Stimme. + +»Sie dachten --?« + +»Ja.« Blank sammelte sich. »Ich dachte: wie merkwürdig es ist, daß wir +beiden hier beisammensitzen.« + +»Was ist daran so merkwürdig?« sagte Schwedenklee, schon etwas +gelangweilt. Was kümmerte ihn schließlich dieser Blank, was kümmerte ihn +schließlich diese Ellen? Nichts, letzten Endes gar nichts. Er fing an, +die Einladung zu bereuen. + +»Merkwürdig ist natürlich ein falscher und völlig unzulänglicher +Ausdruck«, fuhr Blank mit leiser Stimme fort. »Dieser Augenblick +bedeutet mehr! Er ist erhaben, nichts anderes als erhaben! Wir drei -- +geeint -- in diesem Augenblick!« + +»Wir drei? Geeint?« + +»Ja!« Blanks Augen weiteten sich. »Nur uns beide, Sie und mich, hat +diese wunderbare Frau in ihrem Leben geliebt. Hier sitzen wir beide nun +-- und sie -- sie ist bei uns! Und sie ist glücklich!« + +Es entstand eine Pause. + +»Glauben Sie denn an diese Dinge?« fragte Schwedenklee dann betroffen +und etwas bleich. + +»Ob ich daran glaube? Es ist für mich Gewißheit, daß sie in diesem +Augenblick gegenwärtig ist. Ich empfinde es deutlich. Ein Strom von +Glück durchrinnt mich. Sie segnet uns aus einer unbegreiflichen, +vollkommeneren Welt.« + +Schwedenklee schüttelte den Kopf. + +»Der Gedanke wäre unerträglich, daß Verstorbene uns beobachten.« Er +erhob sich sogar vor Erregung. + +»Weshalb unerträglich?« Blank lächelte voller Nachsicht. + +»Ja, unerträglich!« wiederholte Schwedenklee an Stelle einer Antwort und +sah gereizt aus. Er ist doch wahnsinnig, dachte er, ganz im geheimen. + +Blank schwieg und versank in Gedanken. »Sie war ein Genie der Liebe«, +hub er nach langer Pause, als spräche er für sich, von neuem an. +»Stellen Sie sich eine Pflanze vor, die täglich neue Blüten treibt, +immer schönere, immer herrlichere Blüten -- so war sie! Sie konnte +lieben, wie nie ein Mensch liebte! Die Liebe machte sie genial, +schöpferisch. Denken Sie, sie wachte eine ganze Nacht, saß aufrecht +neben mir und sagte am Morgen: ich wollte dich eine ganze Nacht lang +atmen hören! Denken Sie: Rosa war eine leidenschaftliche Raucherin. Sie +rauchte zwanzig bis dreißig Zigaretten am Tage. Wenn ich aber verreiste, +auf ein Gastspiel, und sie konnte nicht mitkommen -- all die zwanzig +Jahre waren wir zusammengerechnet nicht vier Wochen voneinander +getrennt! -- so rauchte sie nicht. Das sind natürlich nur geringfügige +Beispiele, schlecht gewählt dazu. Tausende solcher Züge könnte ich Ihnen +berichten. Sie war ein unerschöpfliches Wunder. Nein, mein verehrter +Freund, Sie haben sie nicht gekannt! -- Gottlob, sage ich,« fügte er mit +einem eigentümlichen, verletzenden Lächeln hinzu, »denn sonst wären Sie +_seinerzeit nicht eine Stunde länger in Paris geblieben. Nicht eine +Minute!_« Triumphierend rief Blank dies plötzlich mit seiner heiseren +Stimme Schwedenklee ins Gesicht. + +Schon keimte ein sonderbares Gefühl des Neides in Schwedenklee auf. Und +Unmut über das Betragen seines Gastes. Man soll mit Leuten vom Theater +nichts zu tun haben, dachte er. Diese Pathetik, diese Theatralik, die +Bühne verdirbt den Menschen! Er wurde dunkelrot im Gesicht. + +Blank entging diese Veränderung Schwedenklees völlig. + +»Rosa erwartete Sie damals!« fuhr er geheimnisvoll und erregt fort. »Ich +sagte Ihnen ja, in der ersten Minute -- unvergeßlicher Augenblick! -- +fiel Ihr Name. Ihr Name war es ja, der rasch eine Verbindung zwischen +uns herstellte, erst später begriff ich es. >Schwedenklee,< sagte sie, +>oh, Sie kennen ihn? Er wird wohl in den nächsten Tagen ebenfalls hier +sein!<« + +»Sie glaubte also, daß ich kommen würde?« + +»Sie äußerte diesen Gedanken wiederholt. Aber Sie kamen nicht. Vierzehn +Tage lang wurden Sie erwartet. Dann sprach sie nicht mehr davon. Aber +ich fühlte deutlich, daß sie litt.« + +»Litt?« + +»Ja. Ich -- ohne Besinnung vor Eifersucht -- fühlte es allzu deutlich.« + +»Ich hatte seinerzeit -- bestimmte Studien hielten mich in Paris fest +--« + +Spöttisch war Blanks Blick. »Ich zitterte -- ich spreche offen -- jeden +Tag, daß Schwedenklee eintreffen könne. Aber Schwedenklee _kam nicht_!« + +»Nein!« warf Schwedenklee mit schwankendem Blick ein. »Er kam nicht!« + +»Und da fühlte ich -- beruhigt, daß Sie Rosa in Wahrheit nicht liebten. +Sie waren ja unabhängig, Sie konnten reisen --« + +»Ich? Wieso? Woraus schließen Sie, daß ich Rosa oder Ellen nicht +liebte?« Schwedenklee setzte sich zur Wehr. + +»Weil Sie nicht kamen!« triumphierte Blank. + +»Das sagt nichts«, knurrte Schwedenklee. + +»Doch, es sagt alles!« ereiferte sich Blank, unter dessen Augen rote +Flecke erschienen, in großer Erregung. »Sie hätten kommen _müssen_!« + +»Aber Sie sehen ja, daß ich nicht _kam_!« rief Schwedenklee, ebenfalls +außerordentlich erregt. + +»Ja!« Blank lehnte sich triumphierend zurück. Sein Auge funkelte. »In +der Tat, Sie kamen nicht! Sie waren leichtsinnig, Sie ahnten gar nicht +die Bedeutung dieser Tage! Sie ahnten gar nicht, daß es um das Glück +Ihres Lebens, um Ihr Lebensglück ging --« + +»Sie werden mir mehr und mehr unverständlich, Herr Blank«, entgegnete +Schwedenklee und zog die Brauen hoch. + +»Wieso? Aber ich bin ja der einzige, der ermessen kann, was Sie +weggegeben, was Sie verschwendet, was Sie achtlos fortgeworfen haben. +Ich! Ich allein! Zwanzig Jahre Glück -- wissen Sie, was das bedeutet?« +rief Blank triumphierend aus. »Verstehen Sie, was zwanzig Jahre Glück +bedeutet? Als Rosa starb, küßte ich sie, und ich fühlte, wie sie +versuchte, mich wiederzuküssen, obschon sie halb bewußtlos war. Ich +küßte sie, als sie schon erkaltete. Das ist das Glück von zwanzig +Jahren! Verstehen Sie? Ich küßte sie in den Tod. Und wenn ich sterbe -- +bald! -- so werde ich ihr meine Küsse _entgegensenden_! Das ist das +Glück von zwanzig Jahren. So steht es also. Sie sind reich -- ich bin +ein Bettler und weiß nicht, wovon ich morgen leben soll. Und doch: ich +würde für nichts mit Ihnen tauschen, für nichts!« + +Hier wurde Schwedenklee wirklich böse. + +»Schweigen Sie doch endlich!« schrie er, indem er aufsprang, rot vor +Zorn. + +Blank, der sich in der Erregung ebenfalls erhoben hatte, taumelte, wie +von einem Schlage getroffen, zurück. Er rang nach Atem. Dann streckte er +Schwedenklee flehend die mageren Hände entgegen, er rang diese Hände, +daß die Finger knackten. + +»Verzeihen Sie mir!« schrie er. »Ich weiß nicht, was ich tue!« Er war +einer Ohnmacht nahe. »Ein Glas Wasser!« stammelte er, und Schwedenklee +sah, daß sich ganz plötzlich Blanks von hundert Fältchen zerknitterte +Stirn mit unzähligen kleinen Schweißperlen bedeckt hatte. + +Mit zitternden Händen griff er nach dem Glas Wasser. Sein Blick war +scheu, Vergebung heischend. Der Blick eines Menschen, der Jahre hindurch +sich demütigen mußte -- oh, wie abscheulich! + + * * * * * + +Ja, grausam und unerbittlich sind die Menschen. Ein Mensch mit 39 Grad +Fieber kommt zu ihnen -- trotz dem Fieber! Sie sind gerührt. Aber wenn +der Fiebernde sich nicht wie ein normaler Mensch benimmt, gleich +verwünschen sie ihn. + +Als man bei Kaffee und Likören in der Bibliothek saß, hatte Blank sich +vollkommen wiedergefunden. Man plauderte über Theater, Oper, +Bühnenkünstler, Dirigenten, und Blank wußte anregend zu erzählen. Der +Name Rosa-Ellen fiel nicht mehr. + +Schließlich erhob sich Blank und ging an den Flügel. + +»Einmal noch wollen wir es versuchen!« sagte er, und seine langen +blassen Finger glitten scheu und zögernd, als fehle ihm der richtige +Mut, über die Tasten. + +Großer Ernst war über sein weißes Antlitz gebreitet. Er sang. Eine +italienische Romanze, schwermütig, mit Anläufen der Hoffnung, zuweilen +geheuchelt heiter. Schwedenklee verstand nicht ganz den Text. + +Blanks Stimme klang anfangs heiser und kraftlos, bald aber leuchteten +einzelne Töne klar und hell auf, und schließlich floß die Stimme groß +und gleichmäßig dahin. Mit Inbrunst, erschüttert sang Blank, und seine +Augen füllten sich mit Tränen. + +Welch herrliche Stimme er gehabt haben muß, dachte Schwedenklee, der +sich bedrückt in eine Ecke zurückgezogen hatte. + +Da machte ein hartnäckiger Hustenanfall Blanks Gesang ein Ende. Er +führte das Taschentuch an die Lippen. + +Entmutigt und still erhob sich Blank, den Blick zu Boden gerichtet. + +Er reichte Schwedenklee die Hand. + +»Leben Sie nun wohl, Herr Schwedenklee, und Dank für diesen Abend!« +sagte er und wandte die glänzenden Augen Schwedenklee zu. + + * * * * * + +Auch Schwedenklee griff nach dem Hut. + +»Ich bitte dringend, sich nicht bemühen zu wollen.« + +»Ich habe das Bedürfnis, noch ein paar Schritte zu gehen.« + +Schweigend gingen sie die dunkle Straße hinab. + +»Wie lau die Luft ist,« sagte Schwedenklee, sich verlegen räuspernd, »es +wäre Zeit, daß der Frühling endlich käme.« + +»Es wäre wirklich Zeit!« antwortete Blank in Gedanken. + +Endlich faßte sich Schwedenklee ein Herz. Er begann damit, wie erfreut +er wäre, ihn, Blank, näher kennengelernt zu haben. Wie gesagt, er hoffe, +daß sein Gesundheitszustand sich bald bessere. Nun wisse er ja wohl, daß +es ihm zur Zeit schwierig sei, seinem Körper jene Pflege angedeihen zu +lassen, wie es geboten sei. -- Kurz und gut, Schwedenklee nahm einen +Brief aus der Tasche. + +Blank hatte argwöhnisch auf Schwedenklees Rede gelauscht und fuhr nun +entsetzt zurück. »Nie, nie werde ich unser freundschaftliches Verhältnis +beflecken«, rief er mit großer Geste aus. + +»Aber gerade, wenn Sie das Wort Freundschaft gebrauchen --« + +»Nie, niemals.« + +Schwedenklee hatte wie gewöhnlich in seiner Unbeholfenheit nicht die +richtige Form gefunden. In der letzten Minute, er wollte den Brief schon +entmutigt einstecken, fielen ihm die rechten Worte ein. Er sprach davon, +daß man einem Freunde die Erlaubnis einräumen müsse, in besonderen +Fällen ein bescheidenes Darlehen --. + +Blank schien zu schwanken. + +»Wenn ich Ihr großherziges Anerbieten annehme, so geschieht es aus +Gründen, die ich Ihnen nicht auseinandersetzen kann!« sagte er dann mit +einem tiefen, langen Blick und nahm den Brief unter Dankesversicherungen +in Empfang. + +»Sobald ich in der Lage sein werde ...« + +»Keine, nicht die geringste Eile!« + +Es gelang schließlich Schwedenklee sogar, Blank in eine Droschke zu +stopfen, deren Kutscher er entlohnte. + +»Und wenn Sie einmal einen freien Abend haben, Herr Blank?« + +»Ich werde Ihre Güte nicht mißbrauchen. Dank und leben Sie wohl -- für +immer!« rief Blank. Und dann, schon in der Droschke, fügte er noch +einige Worte hinzu, denen Schwedenklee an diesem Abend keinerlei +Bedeutung beimaß. Er sagte: »Ich bin glücklich, Sie näher kennengelernt +zu haben. _Wie wichtig das für mich ist, werden Sie vielleicht einmal +erfassen._« Aber, wie gesagt, Schwedenklee beachtete diese Worte an +diesem Abend kaum. + +Blanks bleiche Hand winkte aus dem Fenster. Die Droschke rollte davon +und im Nu war sie unter anderen Gefährten untergetaucht. + +»Nun, Gott sei Dank, das wäre überstanden!« sagte Schwedenklee zu sich +selbst. »Großer Gott, was für Elend gibt es auf dieser Welt.« + +Schwedenklee fühlte sich erleichtert und befreit von einem +Schuldbewußtsein, das ihn quälte, ohne daß er bestimmte Ursachen hätte +angeben können. + +Das Schicksal seiner Mitmenschen, ja sogar seiner Bekannten und Freunde, +kümmerte Schwedenklee, der immer mit sich selbst beschäftigt war, nicht +allzusehr. Von Zeit zu Zeit hatte er das Bedürfnis, diese +Gleichgültigkeit, die er recht wohl als Mangel empfand, durch irgendeine +gute Handlung zu sühnen. Er schenkte, zum Beispiel, einer armen Frau, +die fünf Kinder hatte, eine Summe Geldes, einen Posten Wäsche und +Kleider. + +So hatte er Blank heute eine ziemlich große Summe aufgedrängt, um Ruhe +zu finden vor peinigenden Gedanken, Reflexionen über die heutige +Gesellschaft, Ungerechtigkeit der sozialen Schichtung und andere +peinliche Dinge. + +Beruhigt ging er zu Bett. + +Sein Schlaf indessen war unruhig. Er träumte von Ellen. Sie hatte ihren +Koffer gepackt, bereit abzureisen. Er brachte sie in einem Wagen zur +Bahn, aber schon angesichts der glühenden Uhr des Bahnhofs befahl sie +dem Kutscher zu wenden und zum Hotel zurückzufahren. Später, da stand +sie schon im Zuge, der Zug fuhr schon an, aber sie sprang im letzten +Moment -- zum Erstaunen und Schrecken aller Reisenden, die laut +aufschrien -- aus dem Zuge. Ich kann nicht, ich kann nicht, schrie sie. +Da verfiel Schwedenklee -- im Traum -- auf einen infamen Gedanken. Er +beschwätzte Ellen, daß er mit ihr reisen werde. Sie war überglücklich, +und sie fuhren zusammen. Bei der ersten Station verließ er heimtückisch +den Zug. Es war eine Station voller Dunkelheit und Düster, und er sah +das schöne glückliche Gesicht der Ahnungslosen an sich vorübergleiten. + +Hier erwachte Schwedenklee. Er war heiß, unruhig und voller Ängste. Die +Nacht war finster und lang. Vielleicht, dachte er, wäre ich mit dieser +Frau glücklich geworden? Vielleicht hat er recht, vielleicht habe ich +das Glück meines Lebens leichtsinnig fortgeworfen? + +Am Morgen erinnerte er sich deutlich an den Traum. Wie sonderbar, dachte +er, Ellen reiste in der Tat schwer ab. Wir telegraphierten sogar an das +Theater, jetzt erinnere ich mich. Aber ich wünschte, daß sie reiste, +denn -- ich hatte ja schon eine Verabredung mit ihrer Freundin, dieser +rotbäckigen, stupsnäsigen Schwedin -- wie hieß sie? -- Fräulein Svenska. +Ja, leichtsinnig ist die Jugend. + +»Welch ein Schuft bist du doch gewesen, Schwedenklee!« sagte er zu sich. +»Und diese Frau hat dich vielleicht wirklich geliebt!« + + + + + 11 + + +Ellen -- Blank -- schon nach kurzer Zeit streifte Schwedenklee das +immerhin nicht alltägliche Erlebnis nur noch selten in seinen Gedanken. +Er hatte die Verbindung mit Fräulein Wiedehopf wieder aufgenommen, und +seine Beziehungen zu der jungen Dame waren rasch vertraut geworden, in +viel kürzerer Zeit, als er anfänglich beabsichtigt hatte. Er hatte +Verpflichtungen, war wenig zu Hause, seine Gedanken waren durch die neue +Freundschaft hinlänglich beschäftigt. + +Etwa zwei Wochen nach jenem Abendessen, als er nachmittags gerade das +Programm zu einem Ausflug entwarf, klopfte Augusta und meldete Blank. + +»Herr Blank wartet mit einem Wagen vor der Türe.« + +»Wer?« + +»Herr Blank. Der Herr von neulich!« + +Ungläubig und etwas verwirrt starrte Schwedenklee auf Augusta -- schon +kam ihm Blank mit ausgestreckten Händen entgegen. + +»Ich hatte gelobt, Ihre Liebenswürdigkeit nicht mehr zu mißbrauchen!« +rief er lebhaft aus. »Sie sehen, ich bin schwach geworden. Wenn Sie mich +nicht tief unglücklich machen, kränken wollen, müssen Sie mir erlauben, +Sie zu einer Wagenpartie nach dem Grunewald einzuladen.« + +»Ich bin leider gerade sehr beschäftigt, Herr Blank.« + +»Nein, nein, verletzen Sie mich nicht, ich bitte Sie! Geben Sie mir +Gelegenheit, mich für Ihre Einladung zu revanchieren.« + +Schwedenklee fand sich noch immer nicht zurecht. Wagen -- Grunewald -- +und wie sah Blank aus? Er war kaum wiederzuerkennen! + +Er trug einen noch recht ordentlich aussehenden dunkeln Ulster, einen +neuen Hut, neue Schuhe -- und seine Blässe war völlig verschwunden. Sein +Gesicht war leicht und gleichmäßig gerötet, wie das eines gesunden, +glücklich erregten Menschen. Erst später fand Schwedenklee, daß diese +Röte von hohem Fieber herrührte. + +Blanks Augen strahlten vor Freude, es war Schwedenklee ganz unmöglich, +ihn zu enttäuschen. Er bat noch um eine Minute Geduld. + +»Ich werde dem Kutscher unterdessen Bescheid sagen. Sie essen doch im +Grunewald mit mir?« + +Nun rollten sie dahin. + +»Mein Freund!« rief Blank unter lebhaften Gesten aus. »Ich sehe, Sie +sind außerordentlich erstaunt. Ich bin es ja selbst! Noch immer kann ich +es nicht fassen. Wissen Sie denn, was geschehen ist? Niedergebrochen, +erschöpft, in Verzweiflung, habe ich plötzlich neuen Lebensmut bekommen. +Ahnen Sie, was das bedeutet? Neuen Lebensmut? Ich fange wieder an zu +hoffen. Vielleicht -- ja wer weiß es, aber ich habe immerhin die +Hoffnung --, vielleicht hat das Schicksal in einer guten Laune +beschlossen, mir so etwas wie einen Nachsommer zu schenken! He, +Kutscher, fahren Sie doch etwas hurtiger, nicht so langsam!« + +»Ich freue mich aufrichtig, Sie zuversichtlicher zu sehen!« + +»Und das kam so, mein lieber und verehrter Herr Schwedenklee! Hören Sie +nun. Sie, mein verehrter Freund, Sie sind die Ursache! Ja! Ihr, wie +sagten Sie in Ihrer großen Güte, Ihr Darlehen -- damit begann es. Mein +Himmel, was ist seitdem alles geschehen! Ich bin verwirrt, kindisch +geradezu. Ich hatte den Mut, die Selbstüberwindung, Ihren Brief nicht +sofort zu öffnen. Bei jeder Laterne kämpfte ich mit mir. Nein, sagte +ich, du bist kein Bettler! Zu Hause öffnete ich Ihren Brief und -- +glauben Sie mir -- ich war vor Erstaunen minutenlang betäubt. Morgen, +sagte ich, bringe ich ihm das Geld zurück. Morgen! Aber am Morgen dachte +ich anders. Plötzlich -- es war wie ein Wunder, stieg wieder, nach +Monaten, ein Gefühl der Hoffnung in meinem Herzen empor. Ich sagte mir: +wenn Gott dir einen gütigen Freund in den Weg gesandt hat, weshalb +willst du diesen Wink des Himmels nicht verstehen? Gut, ich brachte das +Geld nicht zurück! + +Ich handelte! Ich raffte mich auf! Ich löste meine Kleider aus -- hier, +diese Kleider. Ich ging zu einem Friseur. Ich ging in eine Badeanstalt. +Ich ging in ein Restaurant und aß. Ich wurde plötzlich ein anderer +Mensch! Hoffnungen beflügelten mich. Ich ging in die Filmbörse. Waren +Sie schon in der Filmbörse? Ein Kaffeehaus in der Friedrichstraße?« + +Schwedenklee schüttelte den Kopf. + +»Gehen Sie nicht hin. Sie werden nie so viel Elend, offenes und +verborgenes, schlecht verborgenes Elend, auf einer Stelle finden. Ich +gehe hin -- ich bin gesättigt, anständig gekleidet, ich bestelle Kaffee. +Glückt es heute nicht, so glückt es morgen. Ich fühle Ihr Kuvert in +meiner Tasche, ich habe keine Eile, ich fühle mich sicher. + +Was denken Sie? Regisseure kommen herein. Sie haben das ja nie +beobachtet. Man kennt diese Regisseure, die Herren und Damen stürzen +sich förmlich auf sie --! Aber auf _mir_ ruht sein Blick, der Blick des +Allmächtigen. Ich tue, als kümmere es mich nicht im geringsten. Er +geruht an meinen Tisch zu kommen. Er stellt sich vor, denken Sie, +obschon ihn hier jedermann kennt und er es genau weiß. Was denken Sie, +was geschieht? Er verpflichtet mich für zwei Filme, zwei -- bei sehr +gutem Honorar! Zwei Filme!« Blank lachte laut heraus und breitete die +Arme den Vorübergehenden entgegen. + +»Ich hatte früher eine Verachtung für den Film, müssen Sie wissen. Er +erschien mir wie eine Profanierung der Kunst. Ich war immer Idealist, +das heißt ein Dummkopf -- werde es bleiben bis an mein Lebensende, kann +nicht anders. Ich lehnte früher, da ich noch auf hohem Rosse saß, jedes +Engagement ab. Später aber gab sich es bescheidener und war zufrieden, +in der Komparserie zu filmen, bis ein Regisseur schrie: Bedauere, Sie +_verhusten_ mir ja jede Aufnahme. Ja, so sagte er: Sie verhusten ... +hahaha!« + +So laut war Blank, so froh erregt, daß Schwedenklee der Überzeugung war, +er sei etwas angeheitert. + +»Zwei Filme also,« fuhr Blank lebhaft fort, »Sie sehen, das Unfaßbare +war geschehen. Ein Wunder hat sich ereignet! Das Schicksal hatte mich +völlig vergessen, plötzlich aber ließ es sein Auge wieder in Gnaden auf +mir ruhen. Ich filme bereits eine ganze Woche, heute, am ersten freien +Tag, eilte ich zu Ihnen, um Ihnen die große Neuigkeit zu verkünden. -- +Im ersten Film, der zur Zeit gedreht wird, spiele ich die Rolle eines +Günstlings der großen Katharina, der an schleichendem Gift, das ihm sein +Rivale, ein französischer Abbé, eingab, dahinsiecht. >Die Rolle ist +Ihnen wie auf den Leib geschrieben, Blank<, sagte der Regisseur. Sie +sehen! Ja, eine herrliche Sache: ich sieche dahin, drei Akte hindurch. +Meine erlauchte Geliebte läßt mich fallen im Augenblick, da ich den +Stempel des Todes auf der Stirn trage. Aber ich räche mich ...« + +Blank nahm eine Schachtel aus der Tasche und bot Schwedenklee eine +Zigarette an. »Ich habe nicht vergessen, daß Sie ein leidenschaftlicher +Raucher sind, hoffentlich schmeckt Ihnen die Marke. He, Kutscher, lieber +Freund, halten Sie einen Augenblick!« Und Blank bot mit fliegender Hand +Feuer. »Und nun, lassen Sie das Pferdchen wieder laufen!« + +Wohlig stieß Blank die Rauchwolken in die durchsonnte Luft, indem er +fortfuhr: + +»Weitaus amüsanter ist der andere Film, den wir in acht Tagen drehen +werden. Er wird Sie erheitern, mein verehrter Freund. Ich bin also ein +heruntergekommener Graf und sitze an der Straße als Bettler! Eine Dame, +die mich in meinem früheren Leben kannte, eine Tänzerin, reicht mir -- +sie ist eben im Begriff, in ihr Auto einzusteigen -- ein Goldstück. Aber +siehe da, schon erkennt sie mich. Sie nimmt mich in ihren Wagen. Die +Menge der Neugierigen, die sich ansammelte, spendet ihrem mitleidigen +Herzen Beifall. Ich werde gefüttert, gepflegt -- und schon bin ich +wieder ein Graf, ein hochfeudaler, etwas hinfälliger Greis. Die Tänzerin +unterbreitet mir einen Ehekontrakt. Sie will meinen Adel heiraten, und +ich soll nach der Trauung, laut Kontrakt, verschwinden für immer. Aber +was glauben Sie? Ich tue es nicht, ich bin nun wieder an das gute Leben +gewöhnt, drohe, verteidige meine Ehre, werfe die Liebhaber die Treppe +hinunter, sperre meine schöne Gattin in die Bügelkammer. Hahaha! Ist es +nicht lustig? Ja, auch Sie müssen lachen. Ich sehe sogar, daß Sie +gespannt sind, wie es endet, aber Sie schämen sich zu fragen. Habe ich +recht?« + +»Ja, Sie haben recht.« + +»Nun, so sollen Sie hören. Meine Gemahlin ist schlauer als ich. Sie lädt +eine Nichte ein, ein süßes Geschöpf -- ich bin töricht genug, mich zu +verlieben, werde bei einem zärtlichen Tete-a-tete ertappt -- Scheidung! +Meine Aktien stehen schlecht, ich bin genötigt, mich zu verabschieden, +stecke die Abfindungssumme ein, und in der Schlußszene sehen Sie mich +als alten Gecken flanieren. Ich mache Bekanntschaft, Sekt, meine Dame +stiehlt mir die Abfindungssumme und die Kellner werfen mich auf die +Straße -- hahaha!« + +»Aber Kutscher,« unterbrach Blank plötzlich seinen Redeschwall und +berührte, erschrocken aufspringend, die Schulter des Kutschers, »ist es +denn nötig, daß Sie uns mitten in den See hineinfahren?« Augenblicklich +aber sah Blank seine Täuschung ein. »Verzeihung -- ja, es war eine +Sinnestäuschung. Ich sehe ja, es ist der Himmel, der sich im Asphalt +spiegelt, es war nur eine vorübergehende -- wie soll ich sagen --?« + +»Ich glaube,« fuhr Blank nach einer Pause mit der gleichen Lebhaftigkeit +fort, »mein Glück hat mich schwindlig gemacht! Ich fiebere in diesen +Tagen sehr stark, aber ich fiebere, weil ich wieder hoffe. Ich empfinde +dieses Fieber geradezu angenehm! Ja, merkwürdig und geheimnisvoll ist +dieses Leben! Ist es nicht sonderbar, daß schon früher einmal Sie, ja +gerade Sie, verehrter Freund, Sie und kein anderer es waren, der in +einem Augenblick der größten Verlegenheit entscheidend in mein Leben +eingriff? Soll man da nicht an Mysterien, an wunderbare, geheime +Zusammenhänge glauben?« + +Schwedenklee war äußerst erstaunt. »Ich sollte schon früher einmal --?« + +»Ja!« Blank rückte vertraulich näher und lachte. »Ja! Ein Geständnis. +Ich habe Ihnen erzählt, daß ich Rosa in Nürnberg kennenlernte. Mein +Engagement in dieser Stadt war geradezu kläglich, und ich war ziemlich +abgerissen. Nun schrieb mir ein Kollege aus Köln, daß dort eine Vakanz +sei. Köln! Aber wie nach Köln kommen, ohne Geld, in diesem Aufzuge -- +zum Verzweifeln. Ich sprach mit Rosa, und Rosa sagte, ich werde an +Schwedenklee schreiben.« + +»Schrieb sie denn?« + +»Ja. Sie flunkerte ein bißchen, daß sie notwendige Garderobe brauche. +Und Sie sandten postwendend tausend Franken. + +Tausend Franken! Reise, Anzug, Hotel, oh, wie wichtig ist das -- Sie +ahnen es nicht, da Sie das Theater nicht kennen. Alles war plötzlich +ermöglicht! Übrigens haben wir Ihnen die tausend Franken nach zwei +Monaten zurückgeschickt«, sagte Blank voller Genugtuung. + +»Ja -- was für merkwürdige Zusammenhänge! Und nun wieder! Fühlen Sie, +wie wunderbar die Luft ist!« schwärmte Blank, während sie in den +Grunewald hineinrollten. »Und die Sonne wärmt schon ordentlich! Sie +ahnen nicht, wie glücklich ich bin ...« + +Blank lehnte sich behaglich in den Wagen zurück. Er nahm den Hut ab und +ließ die heiße Stirn im Luftzuge kühlen. + + + + + 12 + + +Fräulein Nelly Wiedehopf -- die Dame mit den turmartig aufgebauten +Haaren und den glänzend polierten Fingernägeln -- hatte ihre +Eigenheiten. Es ging nicht alles so, wie Schwedenklee gedacht hatte. +Einmal erschien sie höchst erregt -- ihr Polarfuchs war gestohlen worden +oder sie hatte ihn verloren. Jedenfalls, der Polarfuchs war +verschwunden. Sie redete tagelang von dem Polarfuchs, war in +schlechtester Laune, so daß sich Schwedenklee endlich entschloß, ihr +einen neuen Polarfuchs zu kaufen. Kaum aber hatte er den Pelz gekauft, +da fand sich der alte Polarfuchs wieder! Und nun ließ sie den alten +Polarfuchs in einen Muff umarbeiten, mit Seidenfutter und einer +eleganten Innenausstattung für Spiegel und sonstige Kleinigkeiten -- +vergebens wies Schwedenklee darauf hin, daß der Sommer vor der Türe +stand. + +Kürzlich aber passierte folgende, immerhin etwas peinliche Sache: Nelly +erschien mit rotgeweinten Augen. Ihre Tante in Lübeck war gestorben. Sie +brauchte ein Trauerkostüm, Reisegeld und, da die Tante sehr arm war, +noch einen Zuschuß zu den Beerdigungskosten. »Ich kann die Schwester +meiner Mutter unmöglich wie eine Armenhäuslerin begraben lassen auf +städtische Unkosten!« Nelly war völlig aufgelöst. Schwedenklee griff in +die Brieftasche. Besonders der Zuschuß zu den Beerdigungskosten +schmerzte ihn. Ging es nicht etwas sehr weit, daß er sogar die +Bestattungskosten einer Tante tragen sollte, von deren Existenz er erst +in dem Augenblick etwas erfuhr, da sie starb? + +Er empfahl Sparsamkeit, die wahre Trauer zeige sich nicht in +Äußerlichkeiten. Er, für seine Person, würde zum Beispiel gern mit einer +einfachen Holzkiste zufrieden sein -- er würde sie einem der +entsetzlichen Särge sogar vorziehen! Überhaupt mache man zu große +Scherereien mit Verstorbenen, die ja nur den einen Wunsch hätten, daß +man sie in Ruhe lasse. + +Nelly nannte ihn herzlos. »Natürlich,« rief sie aus, »du hast ein +herrliches Leben genossen, was kümmert es dich, wenn du in einer +billigen Kiste begraben wirst? Aber Leute, denen es kümmerlich ging im +Leben, wollen wenigstens als Tote einigermaßen wohlhabend erscheinen. +Aber das wirst du nie begreifen.« + +Immer wurde Nelly sofort ausfallend! + +Um es gleich zu sagen: die ganze Sache mit der verstorbenen Tante war +eine Lüge. Nelly fuhr nach Lübeck, das ist wahr. Sie erschien nach etwa +einer Woche wieder, in ihrem schwarzen Trauerkostüm, das die Blässe +ihres Gesichtes herrlich hervorhob, kokettierte sie nach allen Seiten -- +später aber verplapperte sie sich. Es kam an den Tag, und sie gestand: +es war ein Einfall von ihr, dem sie nicht widerstehen konnte. + +Schwedenklee war verstimmt und zog sich zurück. Das ging denn doch zu +weit. Und dazu hatte Nelly richtig geweint, aus Schmerz über den Tod +einer Tante, die gar nicht existierte. Diese Frauen waren wirklich ein +Rätsel! + +»Nein, nein,« sagte Schwedenklee zu sich, »dir kann man ja schon alles +aufbinden!« Seine Eitelkeit war tief verletzt. + +Aber Nelly hatte ihre Vorzüge, ohne Zweifel. So war sie, zum Beispiel, +sehr leidenschaftlich. Sie zitterte, wenn man sie nur mit den Lippen +berührte. Aber vielleicht ist auch das nur Komödie? dachte Schwedenklee, +unsicher geworden. Man weiß wirklich nicht mehr, woran man bei diesen +Frauen ist! + +Sodann war Nelly interessant! Ihr Teint war bleich, und je näher man sie +betrachtete, desto bleicher erschien ihr Teint. Sie hatte kleine +rötliche Sommersprossen, die den Teint noch durchsichtiger erscheinen +ließen. Sie hatte scharfe, helle Vogelaugen, die Brauen wuchsen leicht +zusammen, und wenn man sie ganz nahe betrachtete, erschien ihr Gesicht +in der Tat fast gespenstisch. + +Nelly verstand es, sich zu kleiden -- mit nichts! Mit nichts täuschte +sie den Luxus einer reichen Ausländerin vor. Man nahm an, daß +Schwedenklee Tausende für sie ausgab. Das schmeichelte Schwedenklees +Eitelkeit immerhin. + +Nelly verstand es, sich zu benehmen. Man konnte mit ihr getrost in +ersten Hotels dinieren -- die Kellner wichen ersterbend zurück. Ein +Lächeln von ihr entzückte den Direktor, die Herren verdrehten die Hälse. +(Und doch war sie nur Buchhalterin in einem Herrenschneidergeschäft!) +Wie sie ihren Fuß setzte -- das allein war ein Roman! + +Aber was zuviel ist, ist zuviel. Schwedenklee zog sich zurück. Er +erkaltete. Aus purer Bosheit reiste er nach Lübeck -- zu Studienzwecken +-- und sandte ihr eine Ansichtskarte. + +Als er zurückkehrte, fand er einen kurzen, aber zu seiner größten +Verwunderung herzlich und warm gehaltenen Brief von Nelly vor. Dazu ein +Paar antiker goldener Ohrringe, die er ihr geschenkt hatte. + +Schwedenklee war beschämt. Er hatte kaum den Mantel abgeworfen, so +schrieb er Nelly schon einen langen Brief. »Das mit den Ohrringen würde +er ihr nie verzeihen!« + +Am nächsten Tage schon kam Nelly. Sie stürzte in seine Arme und biß ihn +so stark in die Wange, daß man tagelang ihre Zähne sah. »Das zur +Strafe!« sagte sie. Nach Tisch begann sie plötzlich zu singen -- nun, +kurz und gut, es stellte sich heraus, daß man während seiner Abwesenheit +ihre Stimme entdeckt hatte! Sie wollte sich ausbilden lassen. Sie war in +größter freudiger Erregung. In Wirklichkeit, Nelly hatte eine kräftige, +wenn auch etwas grelle Stimme. + +»Du hast jene unerklärliche Nebenschwingung in der Stimme,« sagte +Schwedenklee sachverständig, »jenes Timbre, das nur große Sängerinnen +haben, dazu hat deine Stimme Umfang. Du hast auch die bezeichnende, +etwas belegte Sprechstimme -- weiß Gott, wieso ich deine Stimme nicht +früher erkannte.« + +»Weil du kein wirkliches Interesse für mich hast!« + +Schwedenklee tat gekränkt. Die Versöhnung war vollständig. Schon in den +nächsten Tagen lud Schwedenklee den Bassisten von der Oper -- mit dem er +zuweilen Schach spielte -- zu sich zum Abendessen. Er sollte sein Urteil +abgeben. + +Wiederum hatte Augusta sich alle Mühe gegeben. Sie liebte Nelly, denn +Nelly lief immer in die Küche, umarmte Augusta, die von der Hitze des +Herdes schwitzte, und küßte sie sogar auf die Backe. + +Der Bassist aß mit vorzüglichem Appetit und trank ganz allein eine +Flasche teuren Rheinwein. Dann sang Nelly zu Schwedenklees Begleitung. + +»Herrlich, wunderbar!« schrie der Bassist begeistert und klatschte mit +den fetten Händen. »Die Patti, die Hempel, die Farrar -- in zwei Jahren +werden Sie in Neuyork singen!« + +»Siehst du?« sagte Nelly mit einem triumphierenden Blick. + +Man schmiedete Pläne, entwarf Programme, wählte Lehrer, der Bassist bot +sich für die stimmtechnische Ausbildung an. Und zwar ohne jegliches +Honorar! Aber Schwedenklee protestierte energisch und erklärte Schwarz +klipp und klar, daß er ihm Nellys Ausbildung nur dann anvertrauen würde, +wenn der Sänger sie zu seinen gewohnten Bedingungen als Schülerin +annehmen würde. In die Ecke gedrängt, willigte Schwarz endlich ein. +Schwedenklee war in gehobener Laune und holte neuen Wein aus seinem +Geheimschrank. + +Nelly hauchte ihm in einer Sekunde zehn kleine verliebte Küsse auf die +Glatze. Es blieb alles beim alten. Trotzdem -- die Sache mit der Tante +konnte Schwedenklee nie ganz vergessen. + + * * * * * + +Es wurde schon heiß. Die Kartentische leerten sich langsam. Die +Rechtsanwälte, Ärzte, Kaufleute fuhren mit ihren Familien aufs Land. Nur +in dieser Zeit wurde man plötzlich gewahr, daß fast alle Stammgäste und +Spieler Familienväter waren. Gewöhnlich hielt man sie für Junggesellen +ohne jegliche Verpflichtungen. + +Schwedenklee reiste mit Nelly auf vier Wochen nach Heringsdorf. Der +Bassist Schwarz -- der die stimmtechnische Ausbildung übernommen hatte +-- begleitete sie. Schwedenklee hatte ein kleines Gut an der Ostsee, und +Nelly, der er zuweilen von dem Landgut vorgeschwärmt hatte, wollte +zuerst dort den Urlaub verbringen. Sie träumte von Hühnern, Schweinen, +Leiterwagenpartien. Aber Schwedenklee setzte plötzlich die Besitzung +herab -- das Haus sei feucht! Die Kinder des Pächters hätten +Diphtheritis! Aus irgendeinem Grunde -- das fühlte Nelly -- wollte er +sie nicht in »Siebenbirken« haben. + +Aber sie tröstete sich schließlich mit Heringsdorf. Sie brachte ein +halbes Dutzend von Badekostümen mit, die Aufsehen erregten, so kühn +waren sie. Und woraus waren sie gemacht? Aus _nichts_! + +Nelly feierte Triumphe. Nach drei Tagen schon war sie eine der +bekanntesten Erscheinungen in Heringsdorf. Man beneidete Schwedenklee um +diese Frau, er fühlte es deutlich. (Und doch war sie nur Buchhalterin in +einem Herrenschneidergeschäft!) + +Die stimmtechnische Ausbildung nahm ziemlich viele Stunden des Tages in +Anspruch. Es gab sogar kleine Eifersuchtsszenen, obschon es +Schwedenklees oberstes Prinzip war, nie zu zeigen, daß ihm eine Frau so +viel wert war, daß er eifersüchtig werden könnte. »Denn dann«, pflegte +er zu sagen, »bist du verloren, mein Sohn!« + +Es war ja selbstverständlich, daß Schwedenklee die Hotelrechnungen des +Bassisten bezahlte -- sonstige Honorare forderte Schwarz während des +Badeaufenthalts nicht. Er tat es aus Begeisterung für Nellys Stimme. + +Nun, Gott sei Dank, auch diese Wochen gingen vorüber, und nun saß Nelly +wieder -- duftend, wie aus dem Ei geschält -- in der Herrenschneiderei. + +Nellys Unterricht bei Schwarz ging natürlich ohne Unterbrechung weiter +-- in nächster Zeit begann auch der dramatische Unterricht bei einem +Schauspieler. + +Alles hat schließlich seine Grenzen, dachte Schwedenklee, als er die +letzten Stundengelder bezahlte. + + + + + 13 + + +Schwedenklee hatte im Laufe des Sommers kaum mehr an Blank gedacht. Bei +seiner Rückkehr fand er einen Brief vor, voller Dankesbeteuerungen -- +die geliehene Summe lag bei -- bei Heller und Pfennig. + +Auch das hatte Schwedenklee vergessen, als der Winter anbrach. + +Er dachte gar nicht mehr an Blank. Plötzlich aber erhielt er einen +Brief: Blank war erkrankt. Sein »Nachsommer« hatte ein rasches Ende +gefunden. Eine Lungenentzündung hatte seiner Tätigkeit als +Filmschauspieler ein rasches Ende bereitet. Er war in größter Not, in +Verzweiflung. Selbstverständlich zögerte Schwedenklee nicht, ihm +beizuspringen. Er fühlte sich förmlich verpflichtet dazu. + +Dann hörte er nichts mehr von Blank. + +Nelly deutete an, daß sie ihre Stellung in der Herrenschneiderei +aufgeben wolle. Aber sie fand bei Schwedenklee nur taube Ohren. Eine +Frau von ihrer wirtschaftlichen Basis loslösen -- was bedeutete das? +Nein, dafür war Schwedenklee nicht zu haben, sein Verantwortungsgefühl +war zu groß. + +Also blieb Nelly in ihrer Stellung. Sie schmollte indessen, sie warf +Schwedenklee vor, daß er »nicht großzügig« sei, ja geradezu geizig, eine +Krämerseele. »Wenn ich nur einen deiner Bauplätze hätte, die heute +Millionen wert sind,« sagte sie, »da solltest du sehen, wie ich meine +Freunde behandeln würde! Da könntest du etwas lernen.« + +So sind die Frauen, dachte Schwedenklee, unersättlich! + +Er bezahlte die Stunden bei Schwarz, wöchentlich vier, und diese Sänger +hatten ja unerhörte Honorare! Neuerdings kam dazu der dramatische +Unterricht, und er hatte herausgefunden, daß Nelly mindestens die Hälfte +der Stunden zuviel notieren ließ. So viel freie Zeit erlaubte ihr ja +ihre Stellung in der Schneiderei gar nicht! + +Überdies mißfiel ihm das Verhältnis zwischen Schwarz und Nelly. Es +schien eine etwas sonderbare Vertraulichkeit angenommen zu haben. Er +hatte einmal einen kleinen, gänzlich unscheinbaren Blick zwischen den +beiden aufgefangen. Nun, er, Schwedenklee, war kein heuriger Hase, er +wußte genau, zu genau, was solch ein Blick unter Umständen bedeuten +konnte! Er behandelte den Sänger um einige Grade kühler. + +»Ich habe den Eindruck,« sagte der Bassist mit gekränkter Miene, »daß +Ihnen meine Honorare zu hoch sind?« + +»Ihre Honorare? Aber ich bitte Sie, Verehrtester, ich wünsche doch +nicht, daß Sie mir besondere Preise machen. Mißverstehen Sie mich nicht +-- die Ausgaben für Nellys Ausbildung im allgemeinen ...« + +»Aber ich bitte Sie, Verehrtester -- für solch eine Stimme!« + +»Zugegeben! Aber Sie ahnen nicht, welche Beträge ich monatlich zu +bezahlen habe. Jetzt taucht schon die Frage der Kostüme auf ...« + +»Gut.« Der Bassist bearbeitete mit der Kreide kunstgerecht das Leder des +Billardqueues -- die Unterredung fand im Billardsaal des Cafés statt -- +»Ich werde also künftighin kein Honorar mehr fordern. Ich unterrichte +aus Interesse für diese ungewöhnliche Begabung.« + +Schwedenklee protestierte mit großer Beredsamkeit. Unmöglich konnte er +diesen Vorschlag annehmen, ganz unmöglich! Er geriet sogar in Erregung. +Alles blieb beim alten. + +Schließlich aber hat alles seine Grenzen, dachte Schwedenklee, während +er sorgfältig mit der Spitze des kunstvoll aufgestützten Queues nach dem +Ball zielte. + + * * * * * + +Der Winter war lau. Nebel, Dunst, Regen. Nur dann und wann lag schwarzer +Schnee auf den Dächern. Im Februar aber setzte plötzlich eine solch +grimmige Kälte ein, daß die Dampfheizung nicht mehr genügte. +Schwedenklee mußte seinen elektrischen Ofen zu Hilfe nehmen, um nicht zu +frieren. Nichts haßte er mehr als Kälte. + +Gerade als Schwedenklee sich nach Tisch etwas niedergelegt hatte, die +Decke über den Knien, den elektrischen Ofen neben der Ottomane, wurde er +von Augusta aufgeweckt. + +»Eine Krankenschwester wünscht Sie dringend zu sprechen.« + +»Eine Krankenschwester?« fragte Schwedenklee ziemlich mürrisch. +Plötzlich, schnell erwachend, erschrak er. »Mich? Ja, was in aller Welt +--?« Vielleicht Nelly, dachte er. Ah, mit diesen Frauen hat man nie +Ruhe. + +Schon trat die Schwester ein, ohne viele Umstände zu machen. Sie war ein +großes, ungeschlachtes Mädchen mit weißgelbem Haar. + +»Herr Schwedenklee?« Ihre Stimme klang gefühllos und herrisch. + +Rügend ruhte Schwedenklees Blick auf ihren unförmigen Gummischuhen, die +sie mit ins Zimmer brachte und die seinen Teppich beschmutzten. + +»Ich bitte vielmals um Entschuldigung«, brummte er, während er die Decke +völlig von sich warf. »Ich bin nicht ganz wohl, etwas erkältet.« + +Die Schwester ignorierte seine Erkältung, seine Verlegenheit, seinen +deutlichen Unwillen über die Störung. + +»Ich komme von Herrn Blank«, sagte sie laut und mit völlig gefühlloser +Stimme, als bitte ihn Blank zu einer Partie Billard. »Er liegt im +Sterben.« + +»Wie sagen Sie --?« Schwedenklee sprang erschrocken auf. Er erbleichte. +Sterben, Tod ... + +Die Schwester erklärte, daß Blank den dringenden Wunsch habe, ihn zu +sehen. + +»Was will er von mir?« stammelte Schwedenklee. + +»Das weiß ich nicht. Es geht mich auch nichts an. Er hat im Fieber viel +von Ihnen gesprochen. Ich habe den Eindruck, daß er Ihnen etwas +Wichtiges mitteilen möchte.« + +»Mir? Mitteilen? Etwas Wichtiges?« + +»Was weiß ich? Es interessiert mich auch nicht. Sie werden also kommen?« + +»Ja, gewiß werde ich kommen.« Schwedenklee hätte gar nicht den Mut +besessen, dieser energischen Person etwas abzuschlagen. + +»Ich schreibe Ihnen hier die Adresse auf. Im Osten. Bei der Frankfurter +Allee.« + +»Sie gehen, Schwester?« + +»Ich kann ihn nicht allein lassen.« + +Schon war sie fort. + +»Eine unangenehm energische Person!« dachte Schwedenklee. »Gott soll +mich davor behüten, daß ich in meiner Sterbestunde solch ein Wesen, mit +so großen Füßen, um mich habe!« + +»Augusta!« + +Schwedenklee war sehr erregt. Einen Augenblick dachte er sogar trotz +seiner Zusage daran, nicht hinzugehen. Der Gedanke entsetzte ihn +plötzlich, in ein Sterbezimmer treten zu müssen. Armut dazu, vielleicht +war es schlecht gelüftet? Aber nein, das war ja Feigheit. Ein +Sterbender! Lieber Himmel, dieses Leben ist in der Tat eine höllische +Erfindung. Er starrt zur Türe, wartet auf ihn, den Todesschweiß auf der +Stirn. Nein, unmöglich! Ein Sterbender ist ein heiliges Wesen -- jeden +Wunsch muß man ihm erfüllen. + +Aber in welchem Anzug geht man zu einem Sterbenden? Schwedenklee kam in +seiner Aufregung auf den unglücklichen Einfall, einen Zylinder +aufzusetzen -- um die Feierlichkeit zu betonen. + +»Mitzuteilen?« Ja, was in aller Welt mochte er ihm mitzuteilen haben? +Schwedenklee erinnerte sich plötzlich jenes Briefes, in dem Blank +seinerzeit schrieb, daß er ihm unter Umständen wichtige Mitteilungen zu +machen habe. + +Und später hatte er widerrufen ... + +»Ich werde nie Ruhe vor diesem Menschen haben!« + +In großer Erregung eilte Schwedenklee auf die Straße. Die unmögliche +Adresse hielt er in der Hand. Es war ja ganz undenkbar, hier an der +Potsdamer Brücke einem Chauffeur _diese_ Adresse zu nennen. Schwedenklee +ging zu Fuß bis zum Potsdamer Platz, um sich zu sammeln. + +Nein, eine unangenehmere Sache konnte man sich beim besten Willen nicht +ausdenken. Und dazu -- plötzlich blieb Schwedenklee verwirrt stehen -- +dazu sollte Nelly um sechs Uhr zum Tee kommen! Schließlich konnte er ja +telephonieren ... Und diese eisige Kälte, die sich wie Säure in die Haut +fraß. + +Am Potsdamer Platz hatte Schwedenklee folgende Entschlüsse gefaßt. +Erstens: ich werde hingehen. Zweitens: ich werde bis zum Alexanderplatz +mit der Untergrundbahn fahren und dort eine Droschke nehmen -- dort +fällt es nicht auf -- drittens: ich werde Augusta telephonieren, für den +Fall, daß ich bis sechs Uhr nicht wieder zurück sein sollte. Viertens +werde ich jetzt erst einen Kaffee trinken. + +Es dämmerte schon, als Schwedenklee in der bezeichneten Straße ankam. +Das Auto, der Herr im Pelz und Zylinder erregten großes Aufsehen. +Beklemmend war diese düstere Straße voll schleichender, hüstelnder +Menschen, die seinen Zylinder und Pelz anstarrten, mit gierigen, +höhnischen, erstaunten Augen. Frech streiften Schwedenklee die Blicke +halbwüchsiger Mädchen. + +Das bezeichnete Haus strömte Armut und Verzweiflung aus. Es stand und +schwieg, wie ein düsteres Gesicht mit zusammengebissenen Zähnen. + +Schwedenklee betrat es klopfenden Herzens. + +Das Stiegenhaus war erfüllt von fernem, wirrem Lärm. Gezänk, +Kinderweinen, schlagende Türen. Ein saurer, unangenehmer Geruch stieg +von der schmutzigen Treppe auf -- hier roch es nicht nach Lack und dem +feinen Parfüm emporschwebender Pelze wie im Westen. + +Schwedenklee hatte von solchen Häusern bis jetzt nur _gelesen_. Hier +wurde gemordet, tagelang lagen Verstorbene in den kalten Wohnungen, +bevor man sie fand, Hoffnungslose lösten den Gasschlauch -- + +»Pst -- mein Herr -- wollen Sie zu Fräulein Lisa?« Zischeln unter ihm. + +Schwedenklee kletterte rascher die Treppe empor, sein Herz klopfte +erschrocken. + +»Pst -- pst -- mein Herr!« + +Achtunggebietend räusperte sich Schwedenklee, von Ekel und Furcht +ergriffen. + +Er floh an den Türen vorüber, hinter denen sich unbegreifliche +Schicksale verbargen, die zu erfahren ihn nicht gelüstete. + +Lärm empfing ihn im nächsten Stockwerk. Die Türe öffnete sich und eine +korpulente Dame, offenbar in festlicher hochzeitlicher Kleidung, trat +zigarettenrauchend, anscheinend etwas angeheitert, auf den Flur. Drinnen +lärmten und schrien ausgelassen die Hochzeitsgäste. + +Schwedenklee griff an die Krempe des Zylinders. + +»Guten Abend!« sagte die zigarettenrauchende Braut und warf Schwedenklee +einen langen verführerischen Blick zu. Langsam schloß sie die Türe, +während sie Schwedenklee, der sich nicht enthalten konnte +zurückzublicken, mit zusammengekniffenem Auge zulächelte. Der Lärm der +Hochzeitsgäste klang ferner. + +Schärfer stieg wieder der schlechte Geruch aus den feuchten +ausgetretenen Treppenstufen. + +Da hielt Schwedenklee den Schritt an: an einer Türe klebte ein Zettel. +»Leise klopfen, ein Schwerkranker! Man bittet auf der Treppe nicht zu +lärmen. Schwester Anna.« + +Hier also war es. Schwedenklees Herz stockte. Ein schweres, rätselhaftes +Schnarchen, ein Sägen wie das Schnarchen eines Riesen ertönte hinter der +Türe. Augenblicklich -- obschon er nicht weiter darüber nachdachte, was +das sonderbare Schnarchen zu bedeuten habe -- ergriff Schwedenklee die +Flucht. + +Er stieg bis zur Hochzeitsgesellschaft hinab. Dann wandte er um. »Wie +feige ich doch bin!« dachte er. + + + + + 14 + + +Zaghaft pochte Schwedenklee, und sofort, lautlos, öffnete ihm die +weißblonde, ungeschlachte Pflegerin mit den eckigen Hüften. + +»Sie kommen zu spät«, flüsterte sie vorwurfsvoll, mit einem +mißbilligenden Blick auf Pelz und Zylinder. »Noch vor einer halben +Stunde hat er nach Ihnen gefragt. Jetzt hat er das Bewußtsein verloren.« +»Er« nannte sie den Sterbenden, »er« -- nicht mehr wert ist ein Mensch, +der stirbt. + +Der gleiche röchelnde, furchtbare Schnarchton --. Schwester Anna schob +Schwedenklee resolut durch die Türe. + +»Hier, diese Türe!« sagte sie. + +In großer Befangenheit trat er ein. + +Da sah Schwedenklee, daß dieser röchelnde Schnarchton aus dem weit +geöffneten Munde eines im Bett halb aufrecht sitzenden leichenfahlen +Mannes mit großen, gläsernen Augen kam. + +Da sah Schwedenklee -- nie wußte er später zu sagen, was er früher +gesehen hatte, den Sterbenden oder das _Andere_ -- das Wesen, das vor +dem Bette kniete ... + +Das Zimmer war nicht hell. Eine kleine Petroleumlampe ohne Schirm stand +irgendwo auf dem Tische. Der Sterbende saß in den Kissen eines grau und +elend aussehenden Bettes. Seine Brust keuchte in kurzen Stößen, sein +gemarterter Atem stieß Rauchsäulen in die eisige Luft, sein +eingefallenes Gesicht blendete von Schweiß. + +Vor dem Bett aber kniete ein Wesen -- ein Geschöpf, etwas +Unbegreifliches, Wunderbares, vielleicht nur eine Vision seiner +aufgeschreckten und verwirrten Sinne? -- ein Mädchen, die Hände betend +verkrampft, die Augen auf das Antlitz des Sterbenden gerichtet -- ein +Wesen, verklärt, unfaßbar -- _Ellen Fröhlich_, dieselbe Ellen Fröhlich, +die er in Paris gekannt hatte -- nur jünger und seltsam verklärt! + +Fassungslos stand Schwedenklee und schloß die Augen. Er tastete mit der +Hand nach der Wand, da er fühlte, wie er schwankte ... + + * * * * * + +Wie lange dauerte dieses furchtbare Röcheln? Stunden, eine Ewigkeit. Und +immerfort, unbeweglich kniete dieses verklärte Wesen, die Hände betend +verkrampft vor dem Bette. + +Zuweilen nahm die Schwester ein feuchtes Tuch und wischte die Stirn des +Sterbenden ab. + +Zuweilen hörte man den heiteren, trunkenen Lärm der +Hochzeitsgesellschaft fern und wirr durch die Decke. + +Schwedenklee hatte nie gesehen, wie ein Mensch starb. Der Tod seiner +Mutter war ihm telegraphisch mitgeteilt worden. Als der alte +Schwedenklee im Sterben lag, hatte man ihm telegraphiert, und als er +ankam, war schon alles vorbei. + +Schwedenklee stand versteinert, regungslos in der Ecke, das +unbeschreibliche, unbegreifliche Wesen kniete, die Schwester tauchte +zuweilen mit ihren feisten Händen das Handtuch in das Waschbecken -- und +der Sterbende röchelte. + + * * * * * + +Das Röcheln wurde schwächer, pfeifender, und plötzlich -- nach einer +unfaßbaren Stille -- schrie eine ganz unbegreiflich entsetzte Stimme, +die Stimme eines Mädchens, eines Kindes: »Papa! Papa!« + +Augenblicklich, ins innerste Herz getroffen durch den Ton des Mädchens +-- der Kinderstimme, diesen Ton der letzten menschlichen Qual -- +augenblicklich wandte Schwedenklee sein Gesicht zur Wand. Nie in seinem +Leben hat er diesen Schrei vergessen. Er war totenbleich und zitterte an +allen Gliedern. + + + + + 15 + + +Die Schwester zog Schwedenklee in einen feuchten, eisigen Vorraum, eine +Art Küche mit Ausguß, die Fenster waren gefroren. + +»Man hat ihm,« sagte sie, »während er schon todkrank lag, die letzten +Habseligkeiten gepfändet. Noch gestern kam die Hauswirtin und machte +eine solch fürchterliche Szene, daß es zu Tätlichkeiten zwischen mir und +ihr kam. Sie holte die Polizei, die Polizei aber hatte doch mehr +Einsicht, als sie den Kranken sah, und zog ab.« + +»Wie schön von Ihnen!« stammelte Schwedenklee ergriffen. Er drückte der +Schwester bewundernd die Hand »Was für eine prächtige Frau sind Sie +doch!« Diese ungeschlachte, kalte Person, ja, es gab immer noch +Menschen! »Ich komme für alles auf, Schwester Anna,« stotterte er +verlegen. Immer noch zitterte er am ganzen Körper, und seine Zähne +klapperten. Seine Nerven hatten völlig versagt. + +»Wir haben nichts, auch nicht einen Pfennig, nur Schulden.« + +»Nun, so nehmen Sie, bitte. Ich gehe. Morgen früh bin ich wieder hier, +ich habe heute nicht länger Zeit.« + +»Einen Augenblick!« sagte Schwester Anna und nahm ein Päckchen Briefe +von einem verstaubten Brett. + +»Das hier ist für Sie, und hier ist ein Brief, den Blank gestern +schrieb.« + +»Danke«, stammelte Schwedenklee und stürzte mit seinem Zylinder die +Treppe hinab. + +Noch heute wußte Schwedenklee nicht zu sagen, wie er wieder in sein +Stadtviertel zurückgekommen war. Er erwachte aus einer Art von geistiger +Starre, als der Chauffeur die Türe des Autos öffnete. Zu seinem großen +Erstaunen stand das Auto vor seinem Stammcafé. + +In einem völlig verstörten, entgeisterten Zustand kam Schwedenklee in +den Billardsaal. Ohne zu denken hatte er offenbar dem Chauffeur das +Stammcafé genannt. + +Niemand sprach ihn an, der Kellner wagte kaum guten Abend zu sagen -- +jeder fühlte, daß mit Schwedenklee etwas Außergewöhnliches geschehen +war. + +»Lieber Freund!« Hinter einer Zeitung verborgen, zitternd an allen +Gliedern, zuweilen Kaffee schlürfend, um seine Erregung zu verbergen, +entzifferte Schwedenklee Blanks letzten Brief. + +»Lieber Freund! Ich habe große Eile. Schon umhüllen mich die Schleier +des Todes. Ich verbrenne vor Qual. Der Gedanke an Sie ist mein einziger +Trost, und ich klammere mich an Sie. + +Erbarmen Sie sich meiner Tochter Ellen! Beim Andenken Ihrer Mutter -- +erbarmen Sie sich meines Kindes. Ich übergebe Ellen Ihrem Schutz!« + +Schwedenklee zitterte, totenbleich im Gesicht, hinter seiner Zeitung. + +Der Bassist Schwarz näherte sich. + +»Nelly ist bitterböse auf Sie!« schrie er laut lachend. »Sie hat eine +Stunde auf Sie gewartet, mein Gott, wie böse sie war!« + +Schwedenklee wich dem Blick des Sängers aus. + +»Verzeihen Sie«, sagte er leise und stockend, bebend vor verhaltener +Erregung. »Ich komme soeben vom Sterbebett eines Freundes.« + +»Oh, ich bitte um Entschuldigung«, stammelte Schwarz und begab sich +rasch zu den Kartentischen. + +»Ich übergehe Ellen Ihrem Schutz ...« + +Heiß stieg ein heiliges Gelübde aus Schwedenklees Herzen. Plötzlich nahm +er Pelz und Zylinder, und mit einem verwirrten Lächeln auf dem +verstörten Gesicht eilte er zum großen Erstaunen der Gäste rasch die +Treppe hinab. + + * * * * * + +In den folgenden Tagen sah man Schwedenklee sehr geschäftig: im +Zylinder, schwarzem Überzieher. Er fuhr im Auto ab, er kehrte im Auto +zurück. Den ganzen Tag war er unterwegs, er aß in der Stadt. Er sprach +fast nichts, seine Miene war ernst, feierlich. + +Stundenlang ging er, tief in Gedanken versunken, durch die Zimmer seiner +Wohnung. Endlich war er ins reine gekommen. Er klingelte Augusta. + +»Augusta,« sagte er, »wir müssen diese Zimmer umräumen. Sagen Sie dem +Portier, daß er mir morgen früh helfen soll. Ich --« er verlor unter +Augustas Blick die Sicherheit -- »wir werden Besuch bekommen. Die +Tochter meines verstorbenen Freundes wird bei uns wohnen.« + +Augusta legte den Kopf auf die Seite, zog den Mund breit und betrachtete +ihn vom Kopf bis zu den Füßen. Dann wandte sie sich hastig ab und schlug +die Türe zu. Das war Augustas Antwort. + +»Nun gut,« dachte Schwedenklee, »soll sie gehen, die alberne Gans!« + +An einem Nachmittag fuhr ein Auto vor Schwedenklees Haus vor. Zuerst +stieg Schwedenklee aus, sehr erregt, scheue Blicke um sich werfend, und +dann eine schmächtige, ganz in Schwarz gekleidete, tief verschleierte +junge Dame, die eine armselige kleine Handtasche trug und den Blick auf +den Boden heftete. + +Unbeweglich, hilflos stand die junge verschleierte Dame auf der Treppe, +während Schwedenklee den Chauffeur entlohnte. + +»Augusta!« rief Schwedenklee. Aber niemand regte sich, das Haus schien +verlassen. + +Schwedenklee war äußerst verlegen und sehr aufgeregt. + +Er hatte zwei kleine Zimmer seiner Wohnung mit antiken Möbeln hübsch und +anheimelnd eingerichtet, so daß ein junges Mädchen von Geschmack daran +Gefallen haben mußte. Sogar einen kleinen elektrischen Ofen hatte er +angeschafft, damit sein Gast nicht frieren solle. + +»Ich habe diese kleinen Zimmer für Sie eingerichtet, Ellen«, sagte +Schwedenklee mit unsicherer Stimme. »Hoffentlich fühlen Sie sich wohl +hier. Auf jeden Fall, Sie sind hier ganz zu Hause.« + +»Danke«, sagte die tief verschleierte junge Dame tonlos, ohne einen +Blick in die Zimmer zu werfen, die Augen zu Boden gerichtet, +unbeweglich. + +»Jedenfalls vergessen Sie nicht, daß Sie hier ganz zu Hause sind«, +wiederholte Schwedenklee verwirrt und ging zur Türe. »Sie werden gleich +Tee bekommen. Ich denke, Sie wollen allein sein, und werde Ihnen Augusta +schicken.« + +Das Mädchen in schwarzer Kleidung wandte sich ihm zu. + +»Dank für alles, was Sie für Papa getan haben«, flüsterte sie tonlos, +ohne den Blick zu heben. Sie zitterte heftig. Und plötzlich fiel sie vor +Schwedenklee in die Knie. »Dank!« + +Schwedenklee hob den schlanken, zarten Körper auf. Er war aufs tiefste +erschüttert. + +»Sie sollen nicht so sprechen. Es ist ja alles selbstverständlich.« +Rasch verließ er das Zimmer. + +»Jetzt ist sie hier! Jetzt ist sie bei mir!« flüsterte Schwedenklee, als +er die Türe seines Zimmers hinter sich geschlossen hatte, und ein Strom +von Glückseligkeit durchrann ihn. + + + + + 16 + + +Immer noch sah er sie vor sich, wie sie, die schlanken Hände verkrampft, +mit dem Ausdruck letzter Inbrunst, Andacht, Aufgelöstheit vor dem Bette +kniete, das bleiche, schöne Antlitz verklärt von unbegreiflichem +Schmerz. Eigentlich, sagte er sich, sah sie aus, als ob sie grenzenlos +erstaunt wäre, ja, Staunen, Verwunderung -- nein, ich weiß nicht, es ist +jedenfalls nicht in Worten auszudrücken. + +Unauslöschlich hatte sich dieses Bild in sein Gedächtnis eingegraben. + +Er liebte es, sich diesem Anblick hinzugeben, obschon ihn die Dampfwolke +peinigte, die aus dem verzerrten Munde des Sterbenden über die rauhe +Wolldecke fuhr. + +Dann sah er sie, in letzter Schärfe, in ihrer Trauerkleidung vor sich. +Das schwarze Hütchen, der schwarze Schleier, der ihr Gesicht ganz +durchsichtig erscheinen ließ -- ihre Lippen, ihr atmender Mund, ihr +scheues Tierauge, die Grübchen in ihren glatten Wangen -- und wie bei +ihrer Mutter war das Grübchen auf der rechten Wange etwas tiefer als auf +der linken. Die schwarze Halskrause, aus der ihr feiner Nacken stieg, +ganz wie Ellens, der Mutter, Nacken. Und nun war sie hier! + +Lieber Himmel, Schwedenklee war ganz verwirrt! + +Es war nicht leicht gewesen, Ellen, die der Schmerz fassungslos gemacht +hatte, in ein Magazin für Trauerkleider zu bringen. Hundertmal +wiederholte Schwedenklee mit unendlicher Geduld: »Aber Sie können doch +nicht _so_ Ihren Vater beerdigen, seien Sie doch vernünftig!« + +Endlich ließ sie sich bewegen. Aber sie wünschte das Kleid so einfach +wie nur möglich. Die Verkäuferinnen, gerührt von ihrer Schönheit und +Hilflosigkeit, bemühten sich um sie. Schließlich stand sie fertig +angekleidet vor dem Spiegel. Sie blickte hinein und errötete! +Blitzschnell ergoß sich die Röte, zart, wie ein Hauch, über ihr Gesicht +und ihren Nacken -- ganz wie bei ihrer Mutter. Sie errötete, weil sie +sich in der Trauerkleidung gefallen hatte. + +»Und nun neue Schuhe, Ellen!« + +Sie sah ihn verständnislos an, während sie im Wagen weiterfuhren. + +»Aber Sie können doch nicht in diesen abgetretenen Schuhen --?« + +»Aber weshalb sorgen Sie sich um mich?« fragte sie unwillig, die kleine +Stirn zerknittert, und preßte die Hände an die zarten Schläfen. + +»Sie vergessen es immer wieder: ich bin ein Freund Ihrer Mutter und +Ihres Vaters.« + +Ellen nickte. »Ich vergaß es, ja!« + +»Nun will ich alles tun, wie Sie es wünschen«, sagte sie und schmiegte +sich an ihn, in kindlicher Aufwallung, obschon sie neunzehn, zwanzig +Jahre alt sein mußte. »Ich will gehorsam sein.« + +Schwedenklee sagte ihr, daß sie sich wegen ihrer Zukunft keine Sorgen zu +machen brauche. + +Sie sah ihn ohne jedes Verständnis an. »Ich mache mir ja keine Sorgen.« + +»Ich verstehe wohl. Sie müssen aber doch irgendwo bleiben.« + +»Bleiben?« Feindselig blendete ihr Blick. + +»Ja, natürlich. Sie müssen essen, trinken, schlafen.« + +»Nein, nein« -- unterbrach sie ihn -- »nein, das muß ich nicht!« + +»Sie haben mir versprochen, an all diese Dinge für Sie denken zu +dürfen.« + +»Ja!« + +Nach einer Pause fühlte er ihren Blick. + +»Papa ist sehr arm gewesen, aber er war trotzdem ein großer Künstler!« + +»Ein großer Künstler!« + +Ellens scheues, verstörtes Tierauge wanderte ruhelos. + +Fragmente ihrer kurzen Gespräche fielen Schwedenklee ein, Blicke, +Bewegungen. Als man den Sarg abholte, kniete Ellen in der Ecke der +Stube. Bei der Beerdigung war Ellen gefaßt. Sie stand wie versteinert, +den Blick zu Boden gerichtet. Sie waren nur zu dritt. Ellen, er, die +weißblonde Schwester, die heftig weinte. + +Bei ihrer Mutter waren es nur zwei, dachte Schwedenklee: Blank und +Ellen. Und er erinnerte sich, daß Blank ihm schrieb, er habe sich auf +die Erde geworfen ... + +Augusta servierte mit feuchten Augen, mit reuevoller Weichheit, das +Abendessen. + +»Sie werden uns also nicht im Stich lassen?« fragte Schwedenklee, +kauend, ohne vom Teller aufzusehen. + +»Sagte ich denn das?« Schon weinte Augusta, diese gute Seele. »Ich habe +ihr zugeredet, und sie hat eine Tasse Tee getrunken. Nun will ich sehen, +daß sie noch ein Ei ißt, dieses arme Kind!« + +Schwedenklee verbrachte den Abend zu Hause. Die Aufregungen der letzten +Tage hatten ihn so sehr mitgenommen, daß es ihm unerträglich gewesen +wäre, Menschen zu sehen. Er genoß jede Minute des Alleinseins. Seit +vielen Jahren hatte er einen solch zufriedenen, ausgeglichenen Abend +nicht gehabt. Er strich an seiner Bibliothek entlang. »Ich werde ein +schönes Buch lesen, ja!« Seit Jahren hatte er nicht mehr die Sammlung +besessen, sich auf ein umfangreicheres Werk einzulassen. + +Er zog eine Reihe von Büchern heraus, ohne sich entschließen zu können. +Die »erotische Abteilung« betrachtete er mit einem verächtlichen +Lächeln. + +»Augusta?« Schwedenklee erschien in der Küchentür! »Was macht unser +Gast?« + +»Sie hat jetzt den Hut abgenommen. Sie will versuchen zu schlafen, sagte +sie.« + +»Hat sie das Ei gegessen?« + +»Sie versprach es zu essen.« + +Schwedenklee klopfte an Ellens Türe. + +»Ich will Ihnen gute Nacht sagen«, sagte er mit väterlicher Wärme, indem +er den Kopf ins Zimmer streckte. »Haben Sie noch irgendwelche Wünsche?« + +»O nein, danke«, antwortete Ellens kleine Stimme, ganz fern. + +Ellen hatte wirklich den Hut abgenommen. Sie stand mitten im Zimmer und +wandte ihm ihr scheues, helles Auge zu. + +»Schlafen Sie wohl. Und wenn Sie Wünsche haben, so klingeln Sie.« + +»Ich habe keine Wünsche, danke!« + +»Hier ist jener Brief, den Ihr Vater mir hinterließ. Ich lege ihn +hierher, vielleicht haben Sie jetzt Sammlung genug, ihn zu lesen.« + +»Danke!« Regungslos stand Ellen. + + * * * * * + +Das Leben hat merkwürdige Einfälle, dachte Schwedenklee verwundert und +triumphierend zugleich. Ist es nicht sonderbar, daß Ellens Tochter, die +wiedergeborene und verjüngte Ellen, bei mir ist? Wer hätte sich das je +träumen lassen? + +Dank einer Fügung des Schicksals habe ich, ohne mein Zutun, plötzlich +eine Tochter bekommen -- ein wunderbares Wesen, ein Kleinod dazu -- den +angebeteten Liebling unglücklicher Eltern ... + +Ja, in der Tat, es war das alte Glück Schwedenklees, immer noch folgte +es ihm wie sein Schatten. Wie man sich erinnern wird, erhielt er den +Titel eines »Oberbaurats« vom Oberkellner des Cafés, ohne jede +Anstrengung -- ohne jedes Verdienst hatte ihn das Schicksal plötzlich, +gänzlich unerwartet, mit einer Tochter beschenkt. + +Schwedenklee war ganz erfüllt von seinem Glück. Als Blank, dieser gute, +arme Blank, dachte er, mir seinerzeit auflauerte, ahnte ich damals +nicht, daß diese merkwürdige Begegnung eine besondere Bedeutung für mein +Leben haben wird? Wie? Und Blanks unverständliche Bemerkungen, +Anspielungen, seine prüfenden Blicke -- ja, nun verstehe ich alles. Sie +ist in guten Händen bei mir, teuerster Freund -- unwillkürlich hatte er +Blanks Tonfall nachgeahmt, als er »teuerster Freund« sagte. + +Schwedenklee hatte die Briefe, die ihm Schwester Anna als ein +Vermächtnis Blanks in der eisigen Küche überreichte, schon flüchtig +durchflogen. Nun aber war er in der ausgeglichenen, ruhigen Verfassung, +sie genauer zu lesen. + +Es waren im ganzen sechs Briefe, kürzere und längere, die er an Ellen +von Paris aus geschrieben hatte. Er erkannte seine Handschrift wieder -- +seine Handschrift vor zwanzig Jahren --, heute schrieb er etwas +kräftiger und klarer. + +In dem ersten Briefe nach Ellens Abreise schrieb er ihr, daß er in ihr +Zimmer gezogen sei (im Hotel Panthéon) und daß sie gegenwärtig sei in +Möbeln und Wänden und tausend kleinen Dingen. + +Es lag ja so nahe, dies zu schreiben! Aber, sagte sich Schwedenklee, +welch bodenlose Verlogenheit! Um 9 Uhr abends reiste Ellen, ich weiß es +noch genau -- um 10 Uhr speiste ich mit Fräulein Svenska, mit der +rotbäckigen Schwedin, in diesem Zimmer -- und am nächsten Morgen schrieb +ich diesen Brief. + +Und hier, das war offenbar die Antwort auf einen Brief Ellens, in dem +sie ihm für ein Darlehen dankte. + +»Kein Wort, liebste Freundin,« schrieb er, »ich bin glücklich, Dir +gefällig sein zu können. Es ist ja so selbstverständlich! Es gibt eine +Solidarität des Adels, der Reichen, sollte es nicht auch eine +Solidarität der Künstler und geistig Schaffenden geben?« + +Lesen wir dies nochmals, sagte Schwedenklee, habe ich wirklich diese +Phrasen geschrieben? Ja, er hatte Ellen ganze tausend Franken geschickt +und auf ihren Dankesbrief mit derartig hochtrabenden Worten geantwortet! + +In einem anderen Brief entwickelte er mit großer Beredsamkeit und vieler +Wärme ein System, wie die Künstler und geistig Schaffenden zu leben +hätten! Wie Mönche, nicht anders, arm, anspruchslos, materielle Genüsse +und Güter verachtend, nur ihrer Kunst ergeben, in einer +kameradschaftlichen Gemeinschaft. Alle, die dem »Orden« angehörten, +hätten ihre Einnahmen der Gemeinschaft zu überweisen -- um der Welt ein +Beispiel zu geben, wie die Menschen eigentlich leben sollten. Es sollte +künftig nicht mehr Maler geben, die Millionen verdienten, während ihre +Kollegen darbten -- nein, die Millionen der Erfolgreichen sollten in die +Kasse der Gemeinschaft der Maler fließen. Wie bei den Malern, so bei den +Musikern, den Schriftstellern -- + +»Sind das meine Worte, wahrhaftig? Habe ich je solchen Anschauungen +gehuldigt?« + +Schwedenklee war erstaunt, ja förmlich verblüfft, auf diesen ihm +gänzlich fremden, jungen Schwedenklee zu stoßen. + +War dieser Einfall vielleicht schlecht? O nein, nein! + +War es nicht im Gegenteil ein herrlicher Gedanke? Und was ist daraus +geworden? + +Nichts, nichts. + +Schwedenklee erhob sich, verlegen. Wirklich nichts! Ich habe diese Idee +ganz einfach -- _vergessen_. + +Je länger er in den Briefen las, desto mehr erkannte er, daß der frühere +Schwedenklee und er eigentlich zwei völlig verschiedene Personen waren. +Schwedenklee der Jüngere, der leidenschaftlich soziale Probleme +erörterte, dessen Religion, wie er schrieb, die »Kameradschaft« war -- +und Schwedenklee der Ältere, der sich, Gott weiß es, den Kopf nicht mehr +mit derartigen Dingen zerbrach. Ja, in der Tat: zwei Welten. Ein +behaglicher Bourgeois war aus dem jungen Schwedenklee geworden, gestehen +wir es nur -- ein Bourgeois wie die andern, mit genau den gleichen +Ansichten wie der Kaufmann Jaffe, der Kinderkleider fabriziert. + +O ja, wahr! Wahr! + +Ähnliche Anschauungen kehrten in all den Briefen wieder. Tapfer hatte +sich Schwedenklee der Jüngere den Problemen entgegengeworfen. + +»Vorurteilslosigkeit und Mut brauchen wir,« schrieb er, »um dem Leben +entgegenzugehen, das vor uns liegt ...« + +Schwedenklee las und staunte. War er das wirklich? Etwas wie ein leises +Schamgefühl überkam ihn. + +In einem Briefe fand sich diese Stelle: »Ich finde ja an und für sich, +daß wir schon korrumpiert sind. Wir Künstler müßten gekleidet sein wie +Monteure und Arbeiter, in Manchesterhosen, wir müßten _betonen_, daß wir +und die Bourgeoisie verschiedene Welten sind.« + +Er? Er, Schwedenklee in Manchesterhosen? Er bekam einen roten Kopf. + +Ja, was ist doch aus diesem Schwedenklee geworden? Mit einem verlegenen +Lächeln erhob sich Schwedenklee. Was ist aus mir geworden? Sein ganzes +Leben, das Leben der letzten zehn, zwanzig Jahre erschien ihm plötzlich +unverständlich ... + + * * * * * + +»Herr Schwedenklee!« + +Jemand pochte an der Türe. Es war Augustas Stimme. + +Schwedenklee streifte die Uhr mit einem Blick. Es war schon spät in der +Nacht. + +»Was wollen Sie, Augusta?« fragte Schwedenklee, weich und versöhnlich +gestimmt. + +»Es ist etwas nicht in Ordnung mit dem Fräulein.« + +»Wie --?« + +»Ja, es ist etwas nicht in Ordnung!« + +Augenblicklich erschien Schwedenklees fahles Gesicht in der Türe. + +»Erst stöhnte sie so eigentümlich und jetzt antwortet sie nicht mehr.« + +Tödlich erschrocken eilte Schwedenklee an Ellens Türe und pochte. Erst +leise, dann ohne jede Rücksicht. + +Nichts regte sich, kein Laut. Aber durch das Schlüsselloch schimmerte +Licht. + +Schwedenklees Blicke begegneten dem entsetzten Auge Augustas. Das Haus +schwankte. + +Rasch, ohne zu denken, eilte er durch die Zimmer und klinkte die Tür +auf, die vom Speisezimmer in Ellens Räume führte. Diese Türe war offen: +Auf das Sofa gekauert sah er Ellen, in ihren Trauerkleidern, bleich, +still, die blutleeren Lippen schmerzvoll geöffnet, die Augen +erschrocken, wie die eines überraschten Tieres, auf ihn gerichtet. Ihre +kleine Hand hing herab, wie gebrochen ... es tropfte und rieselte -- + +Sofort übersah Schwedenklee alles. + +»Aber mein Kind!« rief er aus und berührte die schmale Schulter. Er war +selbst totenbleich und zitterte an allen Gliedern. In diesem Augenblicke +erkannte er ganz die Größe der Leidenschaft, die ihn für dieses Wesen +erfaßt hatte. + +Mit den gleichen Augen eines überraschten, erschrockenen Tieres blickte +ihn Ellen an. + +»Verzeihen Sie mir«, flüsterte sie, ohne jede Regung. + +Mit der Scherbe eines zerschlagenen Glases hatte Ellen sich die Pulsader +geöffnet. + +Um den Teppich nicht zu beflecken, hatte sie eine Blumenvase unter die +herabhängende Hand gestellt. + +Im Hause wohnte ein Arzt. In kaum zehn Minuten war er da. Es bestand +keine Gefahr für Ellens Leben. + +Schwedenklee schloß die ganze Nacht kein Auge. Kreidebleich, zuweilen in +Ellens Zimmer lauschend, schlich er schwankend in seiner Wohnung hin und +her. Er zitterte und fror entsetzlich. Laß sie leben, großer Gott im +Himmel! Ja, in der Tat, Schwedenklee betete. + +Und wieder stand er im dunkeln Speisezimmer und lauschte gegen die +offene Tür. Sie schlief -- ruhig und langsam ging ihr Atem. Der Arzt +hatte ihr Morphium gegeben. Unbegreiflich schön schien es ihm, hier zu +stehen, im dunkeln Zimmer, und ihren leisen Atemzügen zu lauschen. + + + + + 17 + + +Die Türen zu Ellens Zimmer standen immer offen. Am Tage behütete sie +Augusta und in der Nacht Schwedenklee. Er hatte die Schlösser von Ellens +Türen abgeschraubt. Jede Nacht wachte er, lesend, rauchend, mit sich +plaudernd, Gedanken hingegeben, bis er Augusta am Morgen in der Küche +hörte. + +Ellen genas rasch. Eines Tages saß sie in ihrem Bett aufrecht, die +Wangen gerötet, wie in leichtem Fieber, das brünette lockere Haar, das +einen Anflug ins Rötliche hatte, lässig um den zart, gleichsam +zerbrechlich geformten Kopf geschlungen, und _lächelte_. Zum erstenmal +sah Schwedenklee sie lächeln. Ihr Gesichtsausdruck war verändert. Ihr +Auge verträumt, voller Glanz und Hoffnung. + +»Schrauben Sie die Schlösser wieder an,« sagte sie klar und wach, »ich +verspreche Ihnen --« + +»Kann man Ihnen vertrauen?« fragte er lächelnd. + +»Ja!« Sie nickte beschwörend. »Ich gebe Ihnen mein Wort.« Sie winkte ihn +heran. »Jetzt erst verstehe ich Papa!« sagte sie, ihn ernst und groß +anblickend, und berührte seine Hand mit leisen, zarten Fingern. »Er hat +mir viel von Ihnen erzählt. Ein paarmal sagte er mir: wenn du +irgendeinen Rat brauchst, man weiß ja nicht, wie es kommen kann -- so +gehe getrost zu Herrn Schwedenklee. Er ist gütiger als alle Menschen.« + +Schwedenklee brachte keine Silbe über die Lippen. Er errötete und schlug +rasch die Augen nieder. + +»Jetzt erst verstehe ich Papa!« wiederholte Ellen nickend und zog sich +mit leisen Händen an ihn heran. »Wie soll ich Ihnen danken?« + +Schwedenklee lachte, um seine Verlegenheit zu verbergen. + +»Sie können mir danken, Ellen, indem Sie mir vertrauen. Sprechen Sie mit +mir, wie mit« -- beinahe hätte er Vater gesagt -- »wie mit einem Bruder. +Verfügen Sie über mich und versprechen Sie, immer Vertrauen zu mir zu +haben, was es auch sei.« + +»Ich verspreche es Ihnen«, erwiderte Ellen mit einem ernsten, hellen +Blick. »Ich war so unglücklich!« setzte sie flüsternd hinzu und drückte +leise, kaum merklich, seine Hand, und er fühlte, daß ihre Finger +zitterten. + +Schwedenklee sagte nichts. Verwirrt und scheu verließ er ihr Zimmer. + + * * * * * + +Schwedenklee hatte über eine Woche das Haus nicht verlassen. Er sprach +mit niemanden, er hütete sein Geheimnis! Natürlich war es nicht zu +umgehen gewesen, daß er Nelly von den Ereignissen der letzten Wochen +unterrichtete. Er hatte sie gebeten, ihn für einige Zeit zu +entschuldigen -- bis alles in Ordnung gebracht sei. Telephonisch hatte +er ihr alle Einzelheiten erzählt -- besonders den Selbstmordversuch +Ellens hatte er ausführlich und mit allen Einzelheiten berichtet, obwohl +er sich seiner Schwatzhaftigkeit schämte, noch während er am Telephon +stand. Aber es war doch notwendig, Nelly zu überzeugen, daß er für +einige Zeit ans Haus gebunden sei. + +Nelly telephonierte täglich. Der Patient sei noch immer nicht recht in +Ordnung. Er ermahnte sie, ihren Gesangsunterricht nicht zu +vernachlässigen und den dramatischen Unterricht ja nicht zu +unterbrechen. Er sei auch damit einverstanden, daß sie als dramatischen +Lehrer doch Dunker nehme -- ein ziemlich junger, hübscher Schauspieler, +der wegen seiner Liebesabenteuer berühmt war. + +Schwedenklee hatte keine Eile, Nelly zu sehen. + +Eines Tages aber trat Nelly ohne jede telephonische Anmeldung bei ihm +ein. + +Sie erschien Schwedenklee fremd, sozusagen unbekannt. Er erblickte sie +wie aus weiter Ferne -- ihre Züge, ihre interessante Blässe und die +turmartige Frisur, diese »schweren Flechten«, ließen ihn völlig +unberührt. + +Nelly verstand seinen Blick sofort: diese unverschämte Gleichgültigkeit +eines erkaltenden Geliebten! Sie war außerordentlich freundlich, +teilnahmsvoll. + +»Es ist merkwürdig,« sagte sie, »du hast mir nie gesagt, daß du so +intime Freunde hättest. Im Gegenteil, du klagtest ja immer, du habest +keine Freunde!« + +Sie hielt die Teetasse auf den Fingerspitzen, spielte die Dame auf +Teebesuch. + +Schwedenklee behandelte sie mit grausamer Höflichkeit. Er spielte den +Herrn, der eine Dame auf Teebesuch bewirtet. + +»Natürlich habe ich Freunde -- von früher her. Wir alle haben Freunde +nur von früher her, aus der Jugend. Es ist allerdings wahr, meine +Freunde haben sich wenig um mich bekümmert, und es ist ebenso wahr, daß +ich mich wenig um sie bekümmerte.« + +Er sprang auf und reichte ihr Feuer für die Zigarette. + +Sie dankte. »Ich bin dir sehr dankbar, daß du mir so lebhaft zu Dunker +geraten hast!« + +»Ist er also doch tüchtig?« + +»Oh!« Nelly lächelte sonderbar, indem sie die Augen zur Decke hob. »Er +ist ein wirklich moderner Künstler! Aber er ist keck --!« Schwedenklee +sagte nichts. »Er ist sehr keck. Er verfolgt mich unaufhörlich mit +seinen Anträgen.« + +»Aber du bist ja kein Kind mehr, Nelly!« Oh, wie gleichgültig klang hier +Schwedenklees Stimme! + +Welch bösen Blick sie ihm gab! Aber sofort lächelte sie wieder +gleichmütig. »Ich sagte ihm: spielen Sie Theater auf der Bühne!« + +»Sehr gut!« lobte Schwedenklee und lachte. + +Pause. Nelly forschte in seinem Gesicht. + +»Du bist gar nicht eifersüchtig?« Nelly lachte. + +»Eifersüchtig? Ich kenne dich ja, Nelly!« sagte Schwedenklee im Tone +unerschütterlichen Vertrauens. + +Nelly kokettierte über die Teetasse. + +»Vielleicht kennst du mich doch nicht? Er ist ein netter Junge! Erst +fünfunddreißig.« Sie lächelte anmutig. + +Schwedenklee ignorierte diesen impertinenten Angriff. Dabei war er +überzeugt, daß Nelly sich gar nichts aus Dunker machte -- es war ihm +übrigens völlig gleichgültig. + +»Er ist nett. Und was das Reizendste an ihm ist, er ist solch ein Kind. +Er ist -- trotz allem -- ein kleiner Junge!« + +»Wirklich?« Schwedenklee lachte anerkennend. »Gerade diese Naivität +liebe ich bei Männern.« + +Hier richtete sich Nelly in ihrem Sessel auf. Sie gab ihrem Kopf einen +Ruck und schleuderte die Tasse auf den Teppich. Sie stand auf. + +»Aber Nelly?« sagte Schwedenklee, scheinbar völlig erstaunt und gut +gelaunt. + +»Was zuviel ist, ist zuviel!« Nellys Brauen flogen in die Höhe. + +»Aber ich bitte dich, Nelly!« + +»Wenn du mich loshaben willst --«, schrie Nelly mit funkelnden Augen. + +»Einen Augenblick ..« Schwedenklee schloß eine Türe. + +»Ach so!« sagte Nelly, voller Hohn. + +Schwedenklee wurde rot, seine Schläfe zuckte. + +»Sie ist ein Mädchen«, sagte er beruhigend, aber seine Stimme zitterte +etwas, im Gefühl der Befriedigung, ihren impertinenten Angriff von +vorhin mit gleicher Impertinenz erwidert zu haben. »Sie soll sich +erholen, und ich möchte jede Aufregung von ihr fernhalten.« + +»Oh, welche Rücksichtnahme! Jede Aufregung von ihr fernhalten --!« + +»Bitte, Nelly!« sagte Schwedenklee lächelnd, beschwichtigend. + +Seine Ruhe und Gleichgültigkeit versetzten sie in Raserei. Ja, +Schwedenklee war als Gegner nicht zu verachten, wenn es darauf ankam. + +»Bitte, Nelly«, äffte sie ihm nach. »Ich möchte jede Aufregung von ihr +fernhalten. Ja, ja! Halte mich nicht für so töricht ...« + +Schwedenklee sandte ihr einen warnenden Blick zu. Er wußte -- und er +empfand es triumphierend --, daß sie jetzt verspielen würde. + +»Du hast dich in ein kleines Mädchen verliebt, das ist alles«, schrie +Nelly außer sich. »Und alles andere -- das mit dem Freunde, mit der +Doppelwaise, mit dem Selbstmordversuch, ist einfach eine dumme Komödie!« + +Sie ist verloren, dachte Schwedenklee mit Befriedigung -- und schon mit +einem gewissen Mitleid. + +»Nelly!« sagte er beruhigend, beschwörend. »Ich schwöre dir, alles ist +Wahrheit. Du bist heute sehr erregt --« + +Ja, Nelly war verloren. Sie schrie, sie verleumdete, beschimpfte. Sie +tobte und verließ rasend das Haus. + +Schwedenklee tat aufs tiefste gekränkt und machte keinen Versuch, sie +zurückzurufen. + +»Es ist sehr schade«, sagte Schwedenklee, als er allein war und sich mit +zitternden Fingern eine Zigarette anzündete. »Es ist sehr schade, daß +man mit Frauen nicht offen sprechen kann. Nun gut, daß es zu Ende ist! +Fort mit ihr! Fort mit allen -- ich will sie _alle_ nicht mehr sehen -- +Gott sei Dank!« + +Schwedenklee horchte an Ellens Türe. Kein Laut. Ellen hatte von der +ganzen Szene nichts gehört. + +Einige Wochen später aber sagte Ellen: »Es war einmal eine Dame bei +Ihnen. Sie war sehr erregt. Ich möchte nicht irgendwie im Wege sein.« + +»Aber Ellen! Wie können Sie so etwas denken. Sie sind zu jung, um das zu +verstehen!« + + + + + 18 + + +Schwedenklee hatte sich völlig verändert. In all den Wochen von Ellens +Genesung hatte er kaum das Haus verlassen. Ins Stammcafé kam er nicht +mehr. Man wunderte sich. Gerüchte schwirrten. Ein Stammgast berichtete, +Schwedenklee habe in einer Nacht, da er aus dem Café kam, eine junge +Dame -- eine Lebensüberdrüssige -- aus dem Kanal gezogen und zu sich ins +Haus genommen. + +Er wies auf eine Notiz hin, die in den Zeitungen erschienen war. +Architekt S. rettete eine Lebensüberdrüssige, die aus Liebeskummer in +den Landwehrkanal sprang. + +Kurzum, Schwedenklee erschien nicht mehr im Café, und eine Woche später +war er schon vergessen: ganz als ob er tot wäre. + +Schwedenklee holte seine großen Mappen aus der Bibliothek. In der +Bibliothek befanden sich besondere Schränke, und in diesen Schranken +standen die Mappen, die er vor Jahren hatte anfertigen lassen. Es waren +zehn graue Mappen, herrlich gebunden -- manche enthielten gar nichts, +manche enthielten ein, zwei Skizzen, andere mehrere. Die Mappe +»Fabriken« war besonders umfangreich, die Mappe »Warenhäuser« ebenso. +Die dickste Mappe hatte die Aufschrift »Städtebau -- Verkehr«. + +Über diese Mappe gebeugt saß Schwedenklee in all den Nächten, da er den +Schlummer Ellens bewachte. + +Vor Jahren hatte er sich, man wird sich erinnern, mit +verkehrstechnischen Problemen Berlins intensiv beschäftigt. Es waren +seinerzeit sogar einige Notizen darüber in den Zeitungen erschienen. Es +gab in Berlin ein halbes Dutzend Bahnhöfe: die Bahnhöfe der Stadtbahn, +den Lehrter Bahnhof, den Potsdamer, Anhalter, Schlesischen Bahnhof -- es +war, mit einem Wort, ein völliges Durcheinander. + +Schwedenklee aber hatte in der Arbeit vieler Jahre eine Lösung gesucht +und gefunden: von jedem beliebigen Punkte Berlins aus sollte man bequem +jede Reiseroute antreten können! + +Schwedenklee plante einen Riesenbahnhof, der gegenüber dem +Reichstagsgebäude, mitten im Tiergarten, gelegen war und, über und unter +der Erde, im Zusammenhang stand mit sämtlichen bereits vorhandenen +Bahnhöfen. + +Dieses interessante Problem fesselte ihn von neuem. Es schien ihm noch +schwieriger, noch interessanter geworden zu sein. Ganze Nächte hindurch +zeichnete er. Er plante die Veröffentlichung einer Broschüre, die +Berlin, die Behörden verblüffen sollte. + +Ellen genas. + +Der Arzt sagte: »Sobald die Witterung es erlaubt, heraus aus der Stadt. +Sie haben doch, höre ich, eine Besitzung auf dem Lande?« + +»Ja.« + +»Nun gut, dann sobald wie möglich aufs Land.« + +Es war noch kalt, noch fiel Schnee, und schon machte Schwedenklee Pläne. + +»Augusta,« sagte er, »halten Sie sich bereit. Wir werden bald aufs Land +gehen. Ich hoffe, Sie haben genügend eingekocht --« + +Zu Ellen sagte er: »Liebe Ellen, der Arzt will, daß du aufs Land in +frische Luft kommst. Wir werden bald reisen. Aber, liebes Kind, wir +müssen dich etwas ausstaffieren.« + +Herrliche und ganz wundervolle Tage für Schwedenklee, da er mit Ellen +einkaufte! + +Wäsche, Kleider, Schuhe. Sie besaß ja _nichts_! + +Ellen sträubte sich. + +»Aber, erlaube doch,« sagte Schwedenklee, so bestimmt, daß Ellen nicht +zu widersprechen wagte, »wir leben nun einmal in dieser Welt! Du mußt +Kleider haben, Mäntel, Hüte, Schuhe ...« + +Wochenlang waren sie in den Geschäften unterwegs. + +Er stattete sie aus wie eine Braut, als ob sie seine Tochter wäre, die +er zu verheiraten hätte. + +Obschon nur Junggeselle, wußte Schwedenklee ganz genau, was eine junge +Dame alles brauchte -- von den Taschentüchern angefangen bis zu den +Unterleibchen und Gürteln, an denen die Strumpfbänder befestigt sind. +Schwedenklee wußte genau, wie Taschentücher einer Dame gearbeitet sein +müssen, wie der Besatz eines Hemdes auszusehen hatte. + +Es war Schwedenklees höchste Freude, wenn er sah, wie Ellen errötete, +weil sie sich in einem Kostüm, einem Mantel gefiel. Oder, wenn sie +erregt wurde beim Befühlen von Linnen und Batist. + +Ellen war äußerst bescheiden, sie widerstrebte, aber zuletzt gelang es +ihm doch stets, sie umzustimmen. Zu Hause beobachtete er beglückt, wie +sie Hüte und Mäntel vor dem Spiegel aufprobierte und die Erregung ihre +Wangen färbte. + +Es war ihm ein Genuß, mit Ellen auf der Straße zu gehen. Niemand ging +vorüber, ohne daß sein Blick gefesselt auf ihrem Gesicht geruht hätte. +Voller Stolz kassierte er all ihre Erfolge ein, die sie nicht einmal +bemerkte. Sie ging leicht, ihr Schritt war leise, wie der ihrer Mutter, +nie hatte er einen solch schwebenden Gang, eine solche natürliche Würde +bei einer Frau beobachtet. Sie ging wie ein Tier, eine Katze vielleicht, +unbewußt und schön, ihre schmalen Hüften spielten. + +In einigen Geschäften gebrauchte man die Redensart: »Das gnädige +Fräulein, Ihre Tochter --« + +Schwedenklee wurde verlegen, zuweilen blutrot -- Ellen lachte wie ein +Kind. Sie hatte die Gewohnheit, wenn sie schelmisch lachte, die oberen +Zähne in die Unterlippe zu drücken und etwas mit den Augen zu blinzeln. + +Einige Sommerkleider für Ellen ließ Schwedenklee bei einer Schneiderin +Henrietta anfertigen, die er von Nelly her kannte. + +»Ich begreife nun, weshalb Nelly so rasend eifersüchtig ist«, flüsterte +die Schneiderin eines Tages in unverschämt zutraulichem Tone. + +»Ich bitte Sie, die Kleider, so wie sie sind, sofort an mich zu senden +und Rechnung vorzulegen«, schrieb Schwedenklee am gleichen Tage, empört, +daß die unverschämte Person Nelly und Ellen in einem Atem zu nennen +gewagt hatte. Ja, diesem Volke mußte man Manieren beibringen! + + + + + 19 + + +Endlich waren alle Einkäufe beendet. Koffer wurden gepackt. Der Tag der +Abreise aufs Land wurde festgesetzt. + +Der Zug verließ den Bahnhof. + +»Nun gehörst du ganz mir«, dachte Schwedenklee triumphierend, und seine +Erregung war so groß, daß seine Hände zitterten. + +»Was denkst du?« fragte Ellen, verwirrt durch seinen Blick. + +»Ich fürchte, Ellen wird sich langweilen«, erwiderte Schwedenklee +lächelnd, um seine Erregung zu verbergen. + +»Ich? Auf dem Lande? Oh, nie!« rief Ellen aus. Dann saß sie still, mit +großen Augen, die erfüllt waren von Genugtuung, diese grauen Hauswände, +zwischen denen der Zug sich durchzwang, hinter sich zu lassen. + +»Gott sei Dank!« flüsterte sie und atmete auf, als die Stadt zu Ende war +und die Wiesen kamen. + +»Allmächtiger!« dachte Schwedenklee. »Wie wird es sein, wenn ich mit ihr +allein sein werde?« + + * * * * * + +Schwedenklees Landgut »Siebenbirken« lag an der Ostsee, ganz in der Nähe +von Warnemünde. Es lag nicht direkt am Meer, gewährte aber eine +herrliche Aussicht über die See. + +Der Name stammte von Schwedenklee selbst. Früher hatte dieses Bauerngut +überhaupt keinen Namen gehabt, nur eine Hausnummer. Aber da gerade +sieben Birken vor dem Hause standen, hatte Schwedenklee den Besitz sehr +poetisch »Siebenbirken« genannt. + +In einer Anwandlung von Weltflucht hatte Schwedenklee vor Jahren +»Siebenbirken« gekauft. Er wollte allein, zurückgezogen, »wie ein Bauer« +leben. Damals. Er hatte das Bauernhaus und die Wirtschaftsgebäude +gelassen, wie sie waren, etwas krumm, plump, mit Stroh gedeckt, und ein +Haus auf einem Punkte errichtet, der die schönste und vollkommenste +Aussicht über die See bot. Seit Jahren hatte er sich nicht mehr um +»Siebenbirken« gekümmert. Er hatte einige Monate -- damals als er +weltflüchtig war -- auf dem Landsitz verbracht und den Bau des +Landhauses geleitet. Als der Bau fertig dastand, war er noch eine Woche +geblieben. Aber am Ende der Woche hatte ihn das Grauen der Einsamkeit +erfaßt. Noch in der Nacht hatte er gepackt: es war ja nicht auszuhalten! +Mit dem Frühzug schon war er nach Berlin gefahren. Nur einige Male war +er noch auf zwei, drei Tage in all den Jahren nach Siebenbirken +gekommen, und stets hatte ihn das Gefühl trostloser Langeweile wieder +vertrieben. Nein, nein, er hatte kein Talent, einsam zu leben! +Verschiedenen Anwandlungen, das Landgut zu verkaufen, hatte er nur aus +Trägheit nicht nachgegeben. + +»Ahnte ich etwas?« sagte er sich heute, in sein Inneres horchend. + +Der Bauer, an den das Gut verpachtet war, holte sie in einem wackligen +Stuhlwagen ab. + +Der Wagen war so klein, daß Augusta mit den Koffern und Kisten auf der +Station warten mußte. + +»Wie wunderbar! Wie herrlich!« rief Ellen mit leuchtenden Augen aus, als +sie durch die scharfe Märzluft dahinfuhren. In den Wäldern lag noch da +und dort Schnee. + +»Wird es dir hier gefallen?« + +Ellen nickte freudig. + +Am ersten Tage hätte Schwedenklee nahezu die gute Laune verloren: die +Mahlzeiten schienen ihm etwas sehr ländlich. Augusta ging mit Tränen in +den Augen, fiebernd, aufgelöst, in der völlig kahlen Küche hin und her. +»Es ist ja nichts da, gar nichts da!« sagte sie. Ellen hatte sich eine +von Augustas Schürzen umgebunden und versuchte durch ihre Munterkeit +Augustas Verzweiflung zu verscheuchen. + +Am nächsten Tage fuhren Augusta und Ellen zur Stadt, um einzukaufen. +Bepackt mit Töpfen, Schüsseln, Kochlöffeln, Sieben, Porzellan, Gläsern +kehrte der Wagen zurück. Augusta strahlte. + + * * * * * + +Auf Siebenbirken lebten der Bauer mit seiner Familie, ferner zwei +Pferde, drei Kühe, ein Rudel Schweine, etliche dreißig Hühner, einige +Familien Gänse und Enten. -- Es gab einen Hund, eine Art Schäferhund, +fahlgelb mit dunkelgrauen Rückenhaaren, mit Namen Strolly. Diesen Hund +hatte Schwedenklee aufgezogen, zur Zeit, da er baute, und obschon er nur +zwei-, dreimal auf das Gut zurückgekehrt war, hatte der Hund ihn +wiedererkannt. Das rührte Schwedenklee. »Strolly«, furchtbar bissig und +rasend allen Fremden gegenüber, war liebenswürdig, untergeben, sittsam +und von äußerstem Entgegenkommen gegen Freunde. Schon am ersten Tage war +er zu Ellen übergegangen, obschon ihn sein Feingefühl hinderte, es allzu +deutlich zu zeigen. Sooft er Schwedenklee sah, tat er so, als ob er ihm +die gleiche Anhänglichkeit bewahrt habe. Sobald aber Ellen nur sichtbar +wurde, zeigte sich offen seine Heuchelei. + +Es gab einen schwarzen, dicken Kater, Munki, der es liebte, sich auf den +Schultern spazierentragen zu lassen, ein menschenliebendes Tier, das +sich an den Beinen rieb, sobald man sich zeigte. Dick, befriedigt, +glücklich saß der Kater auf Ellens schmaler Schulter. Am dritten Tage +schon war auch er zu Ellen übergegangen. + +Es gab eine Stute »Lotte«, die -- ein Phänomen -- mit der Zunge eine +Türklinke hob, sobald sie neben dem Pferdestall Stimmen hörte. + +Es gab zwei Hähne, einen dicken alten, mit in hundert Schlachten +zerzausten Federn, und einen jungen -- schlank, graziös, mit den +Bewegungen eines Fechters --, die sich wie Teufel bekämpften. Zuweilen +wurde der jüngere von dem alten bis tief hinein in den Wald gejagt. + +Es gab ein kleines Schwein, das zärtlich war wie ein Hund und sich gerne +den Kopf graulen ließ. Das waren die Besonderheiten von Siebenbirken, +sonst war es ein Landgut wie jedes andere. Nicht zu vergessen eine Gans, +die -- ein Einzelgänger, nicht auf dem Hof gebrütet -- von den übrigen +Gänsen verleugnet und gehaßt wurde und den Menschen wie ein Hund folgte. +Sonst wie überall: Geschrei, Gegacker, Lärm, Blöken, und die Jauche rann +aus den Ställen in den großen Misthaufen des Wirtschaftshofes. + +Beglückt beobachtete Schwedenklee, daß Ellen auf dem Gute auflebte. Vom +Morgen bis zum Abend war sie unterwegs in Ställen und Scheunen. Munki, +der schwarze Kater, saß auf ihrer Schulter, Strolly sprang ihr bis an +die Ohrläppchen -- und sie zankte den fetten Hahn aus, der sich gegen +den jungen, den sie »Spanier« nannte, albern und eifersüchtig benahm. +Die Blässe ihres Gesichtes verlor sich, zartrotes Geäder erschien auf +den Wangen. Ihre Stimme zwitscherte fröhlich. + +Nur dann und wann saß sie in sich versunken abseits, den Blick gequält +in die Ferne gerichtet. An diesen Tagen sprach sie nur selten, leise, +die Stirn zerknittert. Ihr Blick war verschleiert von Schwermut, die +Gedanken ferne. + +Ein Zittern durchrieselte sie, wenn man sie berührte. Abends brannten +dann zwei Kerzen in ihrem Zimmer, und am Morgen erschien sie bleich, +verstört, mit geröteten Augen. Aber immer seltener wurden diese Anfälle +schwerer Traurigkeit, die Schwedenklee, besonders anfangs, sehr +beunruhigten. + +Ellen interessierte sich für alles, was in der Wirtschaft vorging. Sie +war als Stadtkind nur flüchtig mit dem Lande in Berührung gekommen. Was +für Futter erhielten Hühner und Schweine, weshalb wurde der Acker +gewalzt, wie kam es, daß der Klee zwei, drei Jahre stand, was war +eigentlich »Winterroggen«, von dem so viel die Rede war -- über all das +konnte sie nicht ausführlich genug mit dem Bauer sprechen, und sie +fragte auch Schwedenklee unausgesetzt, Schwedenklee, der kaum Weizen von +Roggen zu unterscheiden vermochte. + +Als die Pferde zum erstenmal auf die Koppel durften, war es ein +richtiger Festtag für Ellen. Sie selbst brachte die Pferde in den Stall +zurück. Sie lernte sogar das Melken der Kühe. Schwedenklee hatte sich +nie überwinden können, das Euter einer Kuh zwischen die Finger zu +nehmen. + +»Dir gefällt es hier?« Seine größte Sorge war, daß es ihr schließlich +doch nicht gefallen könnte. Allein, fern von allen Menschen wollte er +sie haben. Ja, so mußte es sein, grenzenlos war sein Egoismus, das +Schicksal hatte gesprochen. + +»Wir werden also hierbleiben? Du wirst sehen, es ist gar nicht zu +langweilig. Wenn erst die Badegäste kommen werden.« + +Ellen zog die Braue hoch, ihre feine nervöse Braue. »Ich will keine +Menschen sehen!« + +Wie dankbar war Schwedenklee. + +»Du willst also vorläufig nicht nach Berlin zurückkehren?« + +»Berlin?« Ellen war entsetzt. »Ich will bei Strolly und Munki bleiben!« + +Schwedenklees Gesicht wurde dunkel: er war eifersüchtig auf die Tiere +... + + + + + 20 + + +Schwedenklee hatte sich von dem Dorftischler einen großen Zeichentisch +nach eigener Angabe anfertigen lassen. Hingegeben an seine Idee +zeichnete er: er hatte nun den großen Berliner Zentralbahnhof weiter in +den Tiergarten hinein verlegt. Er brauchte -- ja, was er brauchte, das +war vor allem Platz! Monumentalität, Raum, Auffahrts- und +Abfahrtsalleen! Nicht, daß man nach zehn Jahren sagte: bei aller +Genialität, Schwedenklee hat es nicht verstanden, zehn, zwanzig, fünfzig +Jahre in die Zukunft zu blicken. Eine Stadt wie Berlin ging wie eine +Mine hoch! Also Raum -- immer tiefer hinein in den großen Tiergarten --. + +Aber schon nach kurzer Zeit beschäftigte ihn eine neue Idee +leidenschaftlich. + +Das Landhaus war zu klein! Es war nur für ihn, Schwedenklee, berechnet. +Er hatte es seinerzeit mit Absicht so klein gehalten: anders würden ihn, +hatte er befürchtet, fortwährend Bekannte überlaufen! Von einem kleinen, +sehr bescheidenen Gastzimmer abgesehen, das unter dem Dache lag, +enthielt es nur drei Zimmer. Schwedenklee hatte sich auf einen Raum +beschränkt, Ellen bewohnte das andere Zimmer, dazwischen lag die +»Halle«, die als Speiseraum diente. In dem Giebelzimmer hauste Augusta. + +Schwedenklee beschloß, das Landhaus in großem Stil auszubauen. In großem +Stil? Nein, in allergrößtem Stil, mochte es kosten, was es wollte. +Tagelang tat er geheimnisvoll. Als er mit sich im reinen war, rief er +Ellen an den Zeichentisch. + +Sie kam, den schwarzen Kater auf der Schulter. Strolly sah eifersüchtig +zum Fenster herein und winselte flehentlich. + +Lieber Himmel, was für ein stattliches Gebäude das Landhaus plötzlich +geworden war! Nach beiden Seiten und nach der Höhe baute Schwedenklee +aus. + +Ellen stimmte allen Plänen zu. So und so -- erklärte Schwedenklee. »Und +du sollst ein Schlafzimmer und ein Wohnzimmer haben -- mit einer kleinen +Loggia.« + +»Oh, wie fein!« rief sie aus. »Aber ich brauche alles gar nicht. Ich bin +so zufrieden mit meinem Zimmer!« + +»Und hier, siehst du, werden wir das Badezimmer hinausbauen!« + +Schwedenklee schwebte eine Art Glashaus vor: in der Mitte ein versenktes +Bassin, ringsum eine Art Gewächshaus mit Palmen, Blattpflanzen, Kakteen. +Schwedenklee sprach mit auffallend unsicherer, stotternder Stimme. Ellen +war hell begeistert. + +Schwedenklee verlor sich in Einzelheiten. Erschrocken und fast mystisch +erregt erinnerte er sich, daß er die gleichen Pläne, ganz die gleichen, +mit Ellens Mutter, der unglücklichen Ellen, in vielen Stunden +durchgesprochen hatte! Sein Atem stockte. Wie viele Jahre ist es her? +Und nun steht sie hier, ihre Tochter --! Jetzt aber sollten die Pläne +Wirklichkeit werden! + +»Und dann,« sagte er, atemlos vor Erregung -- denn Ellen schmiegte sich, +zärtlich, mädchenhaft, an seine Schulter -- »weißt du, wenn alles fertig +ist, was ich dann tun werde?« + +Ihr schönes reines Auge blendete. »Nein.« + +»Dann werde ich Siebenbirken der kleinen Ellen schenken.« + +»Ich will es nicht haben!« rief Ellen aus, und ihr Blick verriet +Unsicherheit und Argwohn. Sie löste leise die Hände von seiner Schulter +und lief verlegen lachend davon. + +»Meine Freude!« stammelte Schwedenklee und erhob sich schwankend, indem +er ihr mit den Blicken folgte. + + + + + 21 + + +Schon in der nächsten Woche kamen die Werkleute, und der Umbau und +Ausbau des Hauses begann. Es wimmelte auf Siebenbirken plötzlich von +Handwerkern. + +Schwedenklee erhob sich schon am frühen Morgen. Er ging mit dem +Meterstab hin und her. Er fertigte für Maurer und Zimmerleute und +Tischler Detailzeichnungen an. + +Man muß es zugeben, in den letzten Jahren war Schwedenklee die +Entschlußkraft einigermaßen abhanden gekommen. Er sollte zum Beispiel +einen wichtigen Brief schreiben. Er konnte sich nicht dazu aufraffen. Da +ist dieser Brief, dachte er, es wird höchste Zeit! Aber die Tinte war +dick geworden. Der Brief unterblieb. + +Schwedenklee hatte sich sehr geändert. Er sieht, daß eine Latte an einem +Zaun lose ist. Sofort holt er Hammer und Nägel und hämmert, daß es +lustig widerhallt. + +Da steht ein alter Fliederbusch, dessen Blätter matt herabhängen. +Schwedenklee hätte früher nie einen Finger gerührt. Jetzt holte er +sofort einen Hammer und einen langen Zimmermannsnagel und meißelt Löcher +in den zementharten Lehm rings um den Stamm. + +»Was tust du?« staunt Ellen, hingerissen und voll äußerster +Verwunderung. + +Schon schleppt Schwedenklee Wasser heran und gießt die Löcher voll, +sorgfältig, geduldig, bis der Zement sich erweicht. Schon am zweiten +Tage stellen sich die matten Blätter des Fliederbusches steif und prall. +Und Ellen staunt! + +Schwedenklee ließ sich wiegen -- auf derselben Wage, wo die Schweine, in +einem Holzverschlag, gewogen wurden. Sein Gewicht war außerordentlich +hoch. Er verschwieg es! Aber man sah ihn nun schon am frühen Morgen mit +dem Spaten im Garten. Er arbeitete im Schweiße seines Angesichts den +ganzen Tag über. Nach einer Woche hatte er bereits fünf Pfund verloren. + +Nun begann Schwedenklee schwere Steine, Feldsteine, die in Massen an +einer Hecke angehäuft waren, zu schleppen und zu rollen. Er hatte +beschlossen, einen Steingarten zu bauen. Der Schweiß rann ihm in Strömen +von der Stirne. + +In dieser Woche nahm er acht Pfund ab. Schon waren ihm die Hosen zu +weit. Sein Gang war leichter, er lief sogar zuweilen, allerdings nicht +lange, da ihm der Atem kurz wurde. In seine schlaffen Arme kam wieder +Kraft. + +Zuweilen strichen Radfahrer flink an Siebenbirken vorbei. Mit einem +merkwürdigen Interesse sah Schwedenklee diesen flinken Radfahrern nach. + +»Kannst du radfahren, Ellen?« fragte er eines Tages, voller +Entschlossenheit. + +»Nein!« + +»Vielleicht wäre es hübsch, Partien zu machen?« + +»Oh!« + +Schon fuhr Schwedenklee in die Stadt und brachte zwei funkelnagelneue +Räder mit. + +Ja, bei Gott, vielleicht hatte Schwedenklee sich doch etwas zuviel +zugemutet! Er fuhr vor etwa zwanzig Jahren Rad und glaubte nicht, daß es +möglich wäre, diese Kunst zu verlernen? Kaum aber hatte er das Rad +bestiegen, als er schon auf der anderen Seite in das Gras hinabstürzte. +Augusta lachte, Ellen lachte, die Handwerker lachten. Wurde Schwedenklee +böse? O nein, auch Schwedenklee lachte. Kühn fuhr er einige zwanzig +Meter geradeaus, um bei einem Holzhaufen zu kentern. + +Ellen, zierlich, leicht, gewandt, kletterte in das Rad, und Schwedenklee +führte die Maschine voller Vorsicht. Ellen schrie, lachte -- und wenn +sie fallen sollte, landete sie an Schwedenklees Schulter. + +Schon am vierten Tage nach den ersten Übungen unternahmen sie eine +kleine Radtour, die so reich an Erlebnissen war, daß sie tagelang +darüber sprachen. + +Schwedenklee wurde in der Tat täglich schlanker. Sein Blick wurde +offener, freimütiger. Seine dicken roten Prälatenwangen wurden flächig +und braun, sein Körper straffte sich. Seine Stimme bekam einen +metallischen Klang. + +Schwedenklee trug beim Lesen eine Hornbrille. Einmal trat Ellen ein, die +ihn nie mit dieser abscheulichen Brille gesehen hatte. Sie lächelte, ja +sie mußte laut herauslachen. + +In Zukunft trug Schwedenklee diese Brille nicht mehr. Die frische Luft, +die Bewegung stärkten seine Augen in wenigen Wochen so sehr, daß er +keine Brille mehr brauchte. + + * * * * * + +Eine ganze Woche regnete es. Schwedenklee zeichnete wieder an seinem +Zentralbahnhof. + +Dann packte er die Geige aus und begann, lustlos anfangs, Instrument und +Klang entfremdet, ganz leise zu spielen. + +Da erschien Ellen plötzlich -- ganz entgeistert! -- in der Türe. + +»Du spielst Geige?« rief sie maßlos überrascht aus. Freude stand in +ihren hellen Augen. + +»Du spielst ja sehr gut!« sagte sie, noch mehr überrascht. + +Schwedenklee kam in Verlegenheit. Er erinnerte sich an die Zeit -- viele +Jahre war es her -- da er begeistert mit den Musikstudenten zweimal in +der Woche musizierte, da er sogar den Ehrgeiz besessen hatte, Geiger zu +werden -- still! + +Es stellte sich heraus, daß auch Ellen Geige spielte. Ihr Vater hatte +sie unterrichtet. + +»So spiele.« + +»Nein. Ich werde üben, wenn du nicht zuhörst. Ich habe lange nicht +gespielt.« + +»Weshalb nicht?« + +Ellen errötete. + +»Papa verkaufte seine Geige.« + +»Ja, weshalb denn?« + +»Er verkaufte sie, als Mama starb. Wir hatten so große Ausgaben damals.« + +Schwedenklee fragte nichts mehr. + +»Es ist keine besondere Geige«, sagte er. »Aber wenn du mir eine Freude +bereiten willst, Ellen, so nimm sie als Geschenk an.« + +Alles, alles wollte er ihr schenken, nur um ein freudiges Feuer in ihren +Augen zu entzünden. Zart und kühl war die Haut ihrer Schultern. Sie war +nicht schöner als andere Frauen, oh, keineswegs, aber sie war jung und +unerfahren, das war alles, was sie anderen Frauen voraus hatte. Es war +die Jugend, nicht mehr, nicht weniger. + + * * * * * + +Er bemühte sich, Ellens Wünsche und Pläne zu erforschen. Sie war scheu, +sprach nie von sich und den Dingen, die sie im Innersten beschäftigten. +Sie errötete, wenn man sie nach ihren Wünschen fragte, und erklärte, sie +wünsche nichts. Vielleicht aber hatte sie irgendwelche Neigungen, Lust +zur Musik, zu irgendeinem Berufe? In allen Dingen wollte er ihr wie ein +Freund zur Seite stehen. + +Endlich überwand Ellen ihre Scheu und erschloß sich. Es fand sich, daß +Ellen längst einen Entschluß gefaßt hatte. Verlegen und errötend +bekannte sie, daß sie zur Bühne gehen wolle. Mehr als das, es stellte +sich heraus, daß ihre Ausbildung bei verschiedenen Lehrern bereits so +weit gefördert war, daß sie schon in diesem Sommer, wäre der Todesfall +nicht eingetreten, in ihr erstes Engagement in einen kleinen Badeort +hätte gehen sollen. + +Schwedenklee, der fürchtete, daß das Theater sie ihm entfremden könne, +versuchte sie umzustimmen. Aber Ellen hing voller Leidenschaft an dem +gewählten Berufe. Sie war fest entschlossen, denselben verführerischen +und gefährlichen Weg zu gehen wie ihre Eltern. + +»Nun gut«, dachte Schwedenklee. »Ich habe gute Beziehungen zu den +Theatern in Berlin. Sie wird es leichter haben, soll es leichter haben, +als andere. Freilich: das Theater -- lieber wäre mir ein anderer Beruf +-- lieber wäre mir gar kein Beruf ...« + +Ellen hatte einen hellen, ergreifenden Sopran: vielleicht Sängerin? + +Nun, sie sollte wählen, sie sollte werden, was sie wollte! + +Tagelang stand eine Überraschung in Schwedenklees Augen. Ellens +Neugierde war aufs höchste gestiegen. + +Eines Tages wurde ein kleiner funkelnagelneuer Stutzflügel vor dem Hause +abgeladen. Es war ein Glück, daß Ellen im Walde war! Als sie zurückkam, +fand sie den Flügel im Speisezimmer. Ein kleiner Strauß von +Frühlingsblumen stand darauf, und an der Vase lehnte eine Karte, auf die +Schwedenklee geschrieben hatte: der kleinen Ellen für ihre neue +Wohnstube. + +Ellen war überglücklich. Sie schlang ihre weichen, nach Gras und Wald +duftenden Arme um seinen Hals. Die Berührung ihrer Arme war leise und +doch unsagbar innig. + +Am Abend fand das erste Konzert statt. Schwedenklee spielte aus +bekannten Opern, und er spielte außerordentlich aufgeregt. Er spielte +Klavier keineswegs so gut wie Geige. Aber er spielte ohne Mühe, las +gewandt, und zudem konnte er die meisten Opern auswendig. Schon nach +wenigen Tagen hatte er sich wieder eingespielt, und der kleine Flügel +sang und donnerte wie ein Provinzorchester, das sich alle Mühe gibt. Nun +begann er auch einzelne Partien halblaut zu singen. + +Ellen war wie verzaubert. Mit glänzenden Augen saß sie da, den Mund +offen, die Ohren leuchteten purpurrot. Ihre Kindheit erwachte, da sie in +einer Luft von Musik aufwuchs. + +Bald aber -- wie angezogen -- stand sie hinter Schwedenklees Stuhl und +begleitete ihn mit leiser, erregt bebender Stimme. + +Fast jeden Abend wurde musiziert. Draußen die Nacht, der Mond klettert +in den samtschwarzen Himmel empor, die Bäume brausen. + +Mehr und mehr verlor Ellen ihre Scheu, und ihre Stimme strömte klar, +rührend, voller Leidenschaft. Sie glühte vor Erregung. + +»Vielleicht werden wir doch noch eine Sängerin aus dir machen, Ellen?« + +»Papa sagte, meine Stimme sei zu klein«, erwiderte Ellen, errötend über +das Lob. + +»Nun, wir werden ja sehen.« Schon war auch Schwedenklee vom Fieber +ergriffen: oft sah er sie, Ellen, seine Ellen, auf der Bühne stehen, +umbrandet vom Beifall. + + + + + 22 + + +Ellen verbarg nicht ihre Dankbarkeit für Schwedenklees Fürsorge und +Anteilnahme an allem, was sie betraf. Sie hielt diese Fürsorge für +völlig uneigennützig, der tiefen Freundschaft entspringend, die ihn mit +ihren Eltern verbunden hatte. Natürlich verriet ihr ihr weiblicher +Instinkt, daß er sie gern um sich sah. Wirkliches und aufrichtiges +Vertrauen aber empfand sie erst seit den letzten Wochen, da er sich so +lebhaft für ihre Pläne interessierte. + +Er hatte ihr eine kleine Bibliothek, die sie für ihre Studien brauchte, +besorgt. + +Mit allem Eifer gab sie sich der Arbeit hin. Jeden Morgen verschwand sie +nach dem Frühstück in den Wald, der an Schwedenklees Acker grenzte. Erst +gegen Mittag kehrte sie zurück, die Wangen gerötet, Glanz und den +Widerschein frohen Erlebens in den Augen. + +Neugierig schlich ihr Schwedenklee eines Tages nach. Er hätte sie nie +finden können, wenn nicht der Hund ihr Versteck verraten hätte. Auf +einer Kuppe des Waldes war eine kleine, von Erlen umgebene Lichtung, so +dicht abgeschlossen, daß es nahezu unmöglich war, die Lichtung zu +finden. + +Dies war Ellens Versteck. Er beobachtete, wie sie mit dem Buche in der +Hand auf und ab ging. Sie sprach, deklamierte, ohne daß er die Worte +verstanden hätte. Sie spielte! Sie kniete flüchtig nieder, hob die Arme, +sie flüchtete, sie wehrte unsichtbare Feinde ab, erstarrte in Qualen, +löste sich befreit -- wieder klang ihre Stimme. + +»Was mag sie wohl spielen?« dachte Schwedenklee neugierig in seinem +Versteck. Nie kam sie ihm seltsamer, rührender vor als in diesem Moment. + +Offenbar war sie nicht zufrieden. Wieder kniete sie nieder, ihre dünnen, +zarten Hände flehten, ihre ganze Gestalt, die Arme, die Neigung ihres +Kopfes. Wieder wich sie zurück -- herrlich und wunderbar erschien sie +ihm, leidenschaftlich hingegeben ihrem Werke, inmitten der Einsamkeit +und Heiligkeit des Waldes. + +Strolly, der Hund, gewöhnt an ihr wunderliches Gebaren, lag im Grase, +den Kopf zwischen die Pfoten gesteckt. In der Gabel eines Astes +entdeckte Schwedenklee den schwarzen Kater. + +Bei einer lebhaften Geste schreckte der Hund auf und sprang an ihr +empor. Sie umarmte ihn, küßte ihn und beide wälzten sie sich im Grase. +Hell und herzlich klang Ellens Gelächter. + +Heute, morgen, übermorgen belauschte sie Schwedenklee klopfenden +Herzens. Aber der Hund lief hin und her, bellte -- endlich stutzte +Ellen, unterbrach ihre Deklamation und lauschte. Sie machte Miene, dem +Hund zu folgen. + +Schwedenklee entfloh und belauschte sie fortan nicht mehr. + +Trotz dem kameradschaftlichen, harmlosen und nahezu kindlichen Tone, der +zwischen ihnen herrschte, bewahrte Ellen immer noch eine gewisse Scheu +und Fremdheit. Zuweilen sprach sie von ihren Hoffnungen in der Zukunft, +niemals, oder fast niemals rührte sie an die Vergangenheit. + +Bis zum Alter von ungefähr fünfzehn Jahren hatte sie wohl ein ziemlich +sorgloses, ja heiteres Leben geführt. Dann kam die Krankheit der Mutter. +Ellen, ein Kind noch, führte den Haushalt, die Sorge trat ihr ganz nahe. +Früh gereift in manchen Dingen, hatte die Schwere dieser Jahre sie in +ihrer seelischen Entwicklung in anderer Beziehung gehemmt. +Unentwickelter als Mädchen ihres Alters, die sorglos und heiter +erblühten, war sie in anderen Dingen. + +Oft beobachtete Schwedenklee, wie sie mit den Tieren plauderte. Sie +sprach mit ihnen wie mit kleinen Geschwistern, so naiv gläubig und +zärtlich. Die Tiere aber schienen sie völlig zu verstehen. + +»Wie rührend sie ist!« dachte Schwedenklee, und ein tiefes Gefühl der +Dankbarkeit und des Glückes erfüllte ihn. + + + + + 23 + + +Sterne, das Rauschen der Bäume, der laue Wind haucht, das Gras flüstert +unter den Büschen, eine Eule schreit schwingend in der Finsternis. Die +Dunkelheit berauscht, die Seele ist trunken von der Stille. + +Unfaßbar war Schwedenklee diese wundervolle, weiche Dunkelheit, die in +den Städten ausgestorben ist, vertrieben vom elektrisch glühenden +Kohlenfaden. Jeden Abend überraschte sie ihn aufs neue. Unfaßbar die +Stille. Unfaßbar die Sterne, die auf ihn herabstürzten, wenn er das Auge +zum Firmament hob. Matter Glanz lag auf dem Meere, ein feiner roter +Lichtfunke glitt irgendwo in die Weite. + +Wie ein Verzauberter, sich selbst fremd, wanderte Schwedenklee in der +Dunkelheit hin und her, sobald Ellen sich zurückgezogen hatte. Beglückt +hörte er zuweilen ihre Stimme in die Stille dringen. Sie sprach mit dem +Hunde, der in ihrem Zimmer schlief. Ellen schloß die Läden ihres Zimmers +nicht, wenn sie sich entkleidete. Diese Reinheit rührte ihn, und er +hütete sich wohl, ihrem Fenster zu nahe zu kommen. Nur aus der Ferne, +durch die Büsche hindurch, wagte er zuweilen einen kurzen Blick: ihre +Arme ordneten die Haare, sie schritt im Nachtgewand zur Kerze, spitzte +den Mund und blies das Licht aus. Ihr schönes mädchenhaftes Profil blieb +noch lange in der Dunkelheit haften, zuletzt verschwand der kindlich +gespitzte Mund. + +Schwedenklee setzte sich auf die Treppe des Hauses. Hingegeben, voller +Andacht atmete er Stille und Dunkelheit ein. Zu denken, daß es Menschen +gab, die in dieser Stunde in rauchigen Kaffeehäusern saßen und +schmutzige Karten mischten! Zu denken, daß er vor Jahren gerade vor +dieser Dunkelheit und Stille die Flucht ergriffen hatte! Unvorstellbar +der Gedanke, daß er einmal wieder in diese Höllenstadt zurückkehren +würde. + +In der Tat, war sein Leben bisher nicht leer, sinnlos? Welche +Freudlosigkeit, Nüchternheit, Betäubung, Unrast, Lärm, Flucht vor sich +selbst. + +Wunderbare Wendung, die sein Leben genommen hatte! Deutlich erkannte er +die Hand eines wohlwollenden Schicksals. + +Schwedenklee blickte in die Dunkelheit und überließ sich seinen +Empfindungen. Schon fühlte er die Schwere nicht mehr, schon schien er zu +schweben, schon schien er zu segeln auf den Fittichen der Nacht. + + * * * * * + +Mitten in einer lauten Nacht -- die Zweige peitschten gegen das Fenster +und der Vollmond flog rasend dahin -- erwachte Schwedenklee plötzlich, +von einem Gedanken gepeinigt. Dieser Gedanke quälte ihn so sehr, daß +sein Herz schmerzte. Es war ein Gedanke, den er in all den Wochen +verscheucht hatte, so oft er sich nahte. + +Er erhob sich, in Schweiß gebadet, warf den seidenen Schlafrock über und +ging in dem schattigen, von Lichtschwertern durchzuckten Zimmer hin und +her, immer hin und her. + +»Und wenn sie doch mein Kind wäre?« flüsterte er. Da! Nun war er +ausgesprochen, der Gedanke! + +Schwedenklee taumelte, so stark erschütterte ihn der Gedanke. + +Die arme Ellen, sie war damals von Paris nach Nürnberg gefahren und +hatte dort schon in den ersten Tagen Blank kennengelernt. Blank hatte +sich sofort in sie verliebt und sie hatten -- nach anfänglichem Zögern +Ellens -- geheiratet. Anfangs Januar des nächsten Jahres war die kleine +Ellen geboren worden. + +Soweit die Tatsachen -- gänzlich unverfänglich, wie man zugeben wird, +von dem verhältnismäßig frühen Termin der Geburt des Kindes abgesehen. +Ja, wann zum Beispiel hatte Ellen Fröhlich Paris verlassen? April, März, +früher? Ja, mein Gott, _man lebte damals in den Tag hinein_ -- wer +dachte an solch abenteuerliche Möglichkeiten? + +Nein, der Termin der Geburt war ohne Bedeutung. Leidenschaftlich und +rasch ist die Jugend, hatte er nicht selbst in dieser Hinsicht genug +Erfahrungen gesammelt? + +Aber Schwedenklee erinnerte sich noch heute deutlich an eine Andeutung +im ersten Brief, den Ellen Fröhlich von Nürnberg aus schrieb, eine +Andeutung, die ihm sofort die Hitze ins Gesicht getrieben hatte. Er +hatte diese Andeutung ignoriert, und in den folgenden Briefen war nicht +mehr die Rede davon gewesen. Später hatte er sich seiner Feigheit +geschämt, und gerade aus diesem Grunde erwachte ein leichtes, nicht +abzuschüttelndes Gefühl der Scham in ihm im Augenblick, da die +Erinnerung an Ellen Fröhlich unerwartet in ihm geweckt wurde. Es war +natürlich auch möglich, daß er diese Andeutung, jene dunkel klingende +Bemerkung, völlig mißverstanden hatte? + +Und doch, um ehrlich zu sein, augenblicklich hatte er sich an diese +seltsame Andeutung erinnert, als Blank ihm seinerzeit schrieb: +vielleicht habe ich Ihnen Mitteilungen zu machen, die Sie interessieren +könnten! + +Es gab aber ein weiteres gewichtiges Argument: Weshalb hatte Blank, der +ihm alle Einzelheiten seines Lebens anvertraute, _nie mit einer Silbe +erwähnt, daß er eine Tochter besaß_? Ja, weshalb, bei allen Göttern? + +Schwedenklees Herz blieb stehen. Der Schweiß brach erneut aus seiner +Stirn. + +Ja, war es nicht das allersonderbarste, daß Blank nie von seiner Tochter +sprach? Wie? + +War es -- mehr noch! -- nicht auffallend, daß Blank kurz vor seinem Tode +alle Papiere, die er besaß, vernichtete? + +»Es steht fest,« resümierte Schwedenklee, zitternd vor Erregung, »Ellen +ist deine Tochter! Ich will es dir beweisen!« + +Nehmen wir es einmal an: sofort ist Blanks sonderbares Benehmen, sind +all seine Worte und Anspielungen sonnenklar. + +Ellen Fröhlich trug dein Kind unter dem Herzen, als sie von Paris kam. +Sie machte eine Andeutung, sie war überzeugt, du würdest auf diese +Anspielung hin sofort zu ihr eilen. Blank berichtete ja, daß sie dich +bestimmt erwartete. Du ignoriertest die Andeutung, du kamst nicht. Sie +haßte dich! Ließ sie dir nicht bestellen: Sage ihm, daß ich ihm nicht +mehr grolle! Grolle? Oh, ja, nun wurde es klar. Blank liebte sie rasend, +er nahm das Kind als sein Kind entgegen. Das war das Geheimnis ihrer +Ehe! Aus welchem anderen Grunde solltest du zwanzig Jahre hindurch in +dieser Ehe diese wichtige Rolle gespielt haben? Weshalb vergaß man dich +nicht? Nun, sehr einfach, weil man dich nicht vergessen konnte! Das Kind +... + +Als Ellen fühlte, daß ihre Kräfte zu Ende gingen, war es da angesichts +der wirtschaftlichen Not nicht naheliegend, daß die beiden im Interesse +des Kindes beschlossen, das Geheimnis preiszugeben? Blank sollte zu dir +kommen, dich sprechen, dir das Geheimnis enthüllen. Aber du wolltest ihn +nicht empfangen -- er war gezwungen, Anspielungen zu machen, die dich +stutzig machen sollten. Ja, ja -- so ist es und nicht anders! + +Er kam zu dir -- aber im Augenblick, da er dich sah, war es ihm gänzlich +unmöglich, aus rasender Liebe für das Kind, aus rasender Eifersucht, die +entscheidenden Worte zu sprechen. Aus diesem Grunde sprach er nie von +seiner Tochter ... + +Es ist ja nur selbstverständlich: wäre mit der jungen Ellen nicht ein +Geheimnis verknüpft, so würde Blank in der ersten Stunde zu allererst +nur von ihr erzählt haben ... + +»Alles, alles erklärt sich!« + +Schwedenklee schwankte durch das Zimmer. »Ja,« sagte er zu sich, +inbrünstig, bis zu Tränen erregt, »ohne jeden Zweifel -- sie ist dein +Kind! Und morgen werde ich es ihr sagen. Von morgen an werden unsere +Beziehungen einen anderen Charakter tragen.« + +Schon aber blieb Schwedenklee verwirrt stehen. Obwohl es heiß im Zimmer +war, zitterte er vor Frost. Nein, das, gerade das war ja gänzlich +unmöglich! + +»Oder werde ich es ihr lieber nicht sagen --?« flüsterte er, aufs +äußerste erregt. + +»Oder werde ich es ihr _nie_ sagen?« + +»Aber selbst: wenn ich es ihr sagen würde, wie würde ich sie +_überzeugen_ können?« + +»Nie würde ich sie überzeugen können! Sie wird mich für einen Betrüger +halten. Sie wird mich hassen, weil ich das Andenken ihrer Eltern schmähe +...« + +Schwedenklee trat an das Fenster und blickte lange, ratlos, verquält, +zum rasend fliehenden hellblinkenden Mond empor. Dann tauchte er wieder +in das warme Dunkel des Zimmers zurück. + +»Es ist ja alles Unsinn!« dachte er und nahm die Wanderung wieder auf. +»Völliger Unsinn! Sie ist _nicht_ dein Kind!« + +»Nein, nun werde ich es dir beweisen! Die Sache ist ja so einfach, wenn +man sie ruhig betrachtet, und alles andere sind leere Spekulationen.« + +Ellen Fröhlich war lange leidend. Sie lebte wie alle schwer Leidenden, +fast ausschließlich in der Erinnerung. Ihre Erlebnisse, wie die der +meisten Frauen, einfach, klar und nicht chaotisch, ließen sich leicht +überblicken, und so konnte sie nicht umhin, an das Erlebnis in Paris zu +denken. Sie fand das verblaßte Bild. Vielleicht sagte sie zu Blank: +bring es ihm, wenn ich einmal nicht mehr bin, grüße ihn von mir. Ich +grolle ihm nicht mehr -- weil er mich damals so schwer enttäuschte ... + +Blank konnte auch recht gut ganz von selbst auf den Gedanken gekommen +sein! Verlassen, arm, krank, suchte er Anlehnung, Stütze. Nichts wäre +verständlicher. Der Gedanke an die Zukunft seines Kindes marterte ihn. +Mit dem Starrsinn eines Verzweifelten klammerte er sich an dich. +Vielleicht, sicher, hatte ihm auch seine Frau nahegelegt, daß in der +letzten Not du dich wohl als Freund erweisen würdest. + +Ich reagierte nicht auf seine Briefe. Er machte bedeutsam klingende +Anspielungen, um meine Neugierde zu reizen -- Anspielungen, die er +augenblicklich widerrief, als er seine Absicht, mich kennenzulernen, +erreicht hatte. + +Während er harmlos zu plaudern versuchte, während er zu lächeln +versuchte, marterte ihn vielleicht der Gedanke: kann man diesem da -- +wenn es zum Äußersten kommen sollte --, kann man diesem da, diesem +Schwedenklee, das Kind anvertrauen? Wird er nicht, teilnahmslos und +gleichgültig, die Bitte eines Unglücklichen verhallen lassen? + +Nun schien auch plötzlich die Bemerkung Sinn zu bekommen, die er machte, +als er nach dem Abendessen in der Droschke fortrollte: einmal werden Sie +vielleicht begreifen, welche Bedeutung es für mich hat, Sie näher +kennengelernt zu haben. + +Weshalb aber sprach er nicht von Ellen? Aus Scheu, aus Scham -- aus +letzter Scham ... + +»So und nicht anders ist die Sache«, wiederholte Schwedenklee, »und +alles andere sind nervöse Konstruktionen --« + +»Und ein Argument gibt es, wichtiger als alle, unwiderlegbar!« + +»Nehmen wir an, Ellen wäre deine Tochter -- hätte der sterbende Blank, +der ja noch die Kraft hatte, dir zu schreiben, hätte er in dieser +furchtbaren Stunde nicht die Wahrheit bekannt? Schon um sicher zu sein, +daß du Ellen gut aufnehmen würdest?« + +»Mit dem Tod vor Augen -- nein, nein, ganz unmöglich!« + +»Sie ist natürlich nicht deine Tochter!« rief Schwedenklee beglückt aus. + +Er wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Die Erregung hatte ihn völlig +erschöpft. + +»Wie albern die Menschen doch sind!« dachte er befreit und leicht. »Wie +albern! Mit welchem Unsinn sie sich die Köpfe angefüllt haben! Es ist ja +schließlich höchst einerlei, ob sie nun mein Kind ist oder nicht. Das +wesentliche ist ja doch, daß sie bei mir ist! Sie ist mein, sie wird +mein sein, sie wird meine Geliebte, meine Frau sein -- ja, selbst wenn +ich es wüßte, daß sie mein Kind ist! Ich werde glücklich sein. Was +kümmert mich schließlich alles andere?« + +Schon graute der Tag. Abgezehrt, verhärmt sank der Mond, eine blasse, +zerfressene Scheibe, in den Morgennebel, der aus den Feldern stieg. Ein +früher Vogel schrie geisterhaft. + +Spät am Morgen erwachte Schwedenklee. Als er sich ankleidete und durchs +Fenster blickte, sah er Ellen hoch oben auf einem Wagen herrlich +gehobelter Bretter sitzen, der so eben von einem Gespann starker +Bauernpferde in den Hof gezogen wurde. Es war der Fußboden des Anbaues. +Sie lachte mit dem Kutscher. Strolly, der Hund, tanzte wie rasend vor +den Nasen der Pferde. Ellen erblickte ihn am Fenster, und ihr zarter Arm +winkte, während die Sonne auf ihren Wangen funkelte. + +Verflüchtigt waren die Nachtgespenster. + + + + + 24 + + +Die Saat schoß aus der Erde, über Nacht wuchs das Gras auf der Wiese. +Die Wälder standen plötzlich in dichtem Grün. In Schwedenklees +verwahrlostem Garten erblühten plötzlich Scharen von Lilien, Päonien, +Stauden aller Art, Schlingrosen -- vor Jahren hatte er sie gepflanzt und +völlig vergessen. Der kleine Obstgarten, Pflaumen und Birnen, war eine +einzige schneeige Wolke, zwischen Haus und Wald gebettet. Ellen war +nichts als seliges Staunen. + +Heiß und plötzlich setzte der Sommer ein. Reichtum quoll aus der Erde, +Gräser, Blumen, Unkraut. Schon wogte das junge Getreide, der Klee stand +einen Schuh hoch. Bis an die Knie standen die Kühe im Gras, die Pferde +grasten in der grünen Koppel, die Schweine grunzten auf dem schwitzenden +Misthaufen. Die Hühner gackerten lärmend, und Scharen von Küken +wimmelten um die Glucken. Der Bauer schnitt die erste Mahd, und der +Schweiß rann ihm über das braune Gesicht. + +Ellen hatte bis jetzt fast immer dunkle Kleider getragen. Sie +vertauschte sie nun endgültig mit hellen Sommerkleidern. So erschien sie +plötzlich weltlicher, reizender, strahlender -- Schwedenklees Blicke +hingen an ihr, wie sie durch den Garten schritt, in den Wald lief, sich +zu einer Blume bückte, das lockere Haar mit der Hand in den Nacken warf. + +Schwedenklee schien größer geworden zu sein, da er sich besser hielt. +Sein Bauch war fast völlig verschwunden, sein Gesicht, wenn auch noch +massig und viereckig, war straff und braun, niemand konnte leugnen, daß +er sich um zehn Jahre verjüngt hatte. + +Er war in diesem Frühling und Sommer nicht müßig gewesen. Zusammen mit +Ellen hatte er einen neuen Obstgarten angelegt, gegen hundert Bäume, er +hatte eine Bewässerungsanlage von fünfzig Meter Länge gebaut. Er hatte +Wege ausgehoben, Bauschutt und Sand gefahren und festgestampft. Nun war +er dabei, eine Laube zu zimmern, die eine herrliche Aussicht bot. Er +hatte Schwielen an den Händen, ganz wie der Bauer. Am Abend sank er +todmüde ins Bett, um wie ein Stein zu schlafen. + +Sie waren viel auf den Rädern unterwegs. Ein wenig außer Atem folgte +Schwedenklee Ellen, die wie ein Rennfahrer dahinfuhr. Ellen hatte auch +kutschieren gelernt, etwas ängstlich noch saß sie, die Peitsche in der +Hand, in steifer Haltung auf dem Bock, und die Pferde trappelten hurtig +dahin. Schwedenklee hatte ihr einen kleinen eleganten Wagen gekauft. + +Das kameradschaftliche Verhältnis zwischen Ellen und Schwedenklee hatte +an Herzlichkeit gewonnen. Sie lachten und schwatzten zusammen -- nicht +wie Erwachsene eigentlich, eher wie Kinder. Sie umarmte ihn, schmiegte +sich an ihn, er gab ihr einen Gutenachtkuß, wenn sie schlafen ging. + +Bald! + +Schwedenklee war in großer Erregung. Oft ging er, verwirrt und unruhig, +mit großen Schritten im Garten hin und her und sprach halblaut mit sich +selbst. + +Bald! Bald! Tausend Kosenamen hatte er für Ellen in Gedanken, zärtliche +Namen, deren er sich vor Wochen noch geschämt hätte. + + * * * * * + +Der Sommer stand in voller Glut, die Mückenschwärme tanzten über den +Wegen, in den Augen glänzte Schweiß. Vom Strande unten stiegen an den +Abenden häufig bunte Leuchtkugeln in den Nachthimmel empor, der Strand +wimmelte von Menschen. Die Saison stand auf der Höhe. + +Der Anbau war fertig, ein mit Bändern geschmückter Tannenbaum funkelte +auf dem First. + +Schwedenklee hatte den Handwerkern ein Faß Bier gestiftet, am Abend aber +sollte das Ereignis im Hause gefeiert werden. Schon seit einer Woche war +das Programm erörtert worden. + +»Heute abend um sieben, Ellen, mache dich schön!« sagte Schwedenklee. + +Augusta hatte ihr letztes hergegeben. Allerlei Leckerbissen als +Vorspeise, eine göttliche Suppe mit Leberklößchen, gebratene Hähnchen +mit dem herrlichsten Salat der Welt. Törtchen von Walderdbeeren, Ellen +hatte sie gesammelt. Sekt im eisigen Wasser des Brunnens gekühlt. Im +Speisezimmer brannten zwei Dutzend Kerzen. Zur Feier des Tages durften +Strolly und Munki bei Tisch gegenwärtig sein. Sie benahmen sich anfangs +gesittet, aber, ganz wie Kinder bei außerordentlichen Anlässen, wurden +sie mehr und mehr ausgelassen: zuletzt sprang der Kater, von +unbezwinglicher Begierde fortgerissen, mitten auf den Tisch und +versuchte ein Hähnchen zu stehlen. + +Ellen war in der herrlichsten Laune. Die Katze kauerte aufgeregt auf +ihrer Schulter. Der Hund saß, ganz Spannung und Bereitschaft, an ihrer +Seite -- ihre Augen blendeten vor Freude. + +Schwedenklees Fröhlichkeit klang anfangs etwas gezwungen. Ein Schatten +war über sein Gesicht gebreitet. Gewiß, alles war wunderbar, es war ein +Abend, auf den er sich seit Wochen freute, ein Abend von ganz besonderer +Bedeutung, ein Schicksalsabend, und nur um die Feierlichkeit dieser +Stunde zu betonen, ohne jeden Nebengedanken, hatte er die zwei Dutzend +Kerzen angezündet. Aber als Ellen eintrat, strahlend, den Widerschein +der Kerzen in den klaren Augen, mußte er sich plötzlich an das Diner +erinnern, das er seinerzeit in Paris Ellens Mutter gab, mit den +Spiegeln, im Hotel Panthéon. + +Unvollkommen ist das menschliche Gehirn eingerichtet, dachte er, voller +Vorwurf gegen den Schöpfer, gänzlich unvollkommen. Die Erfindung eines +Pedanten. Kaum zündet man ein paar Kerzen an, schon ist man gezwungen, +an Dinge zu denken, die zwanzig Jahre zurückliegen -- weshalb? Etwas +steif und melancholisch sah sein Gesicht anfangs aus, etwas +melancholisch und dunkel klang seine Stimme. Mit einem Faltengekräusel +in der gebräunten Stirn saß er inmitten der vierundzwanzig Kerzen. +Vielleicht ist es Vermessenheit? dachte er, und sein Herz wurde +plötzlich düster. Vielleicht hat ein Mensch wie ich gar nicht mehr das +Recht, die Hand auszustrecken nach ...! Ellen -- die Liebliche -- sie +ahnte nichts, wie sollte sie? + +In diesem Augenblick aber sprang Munki auf den Tisch und versuchte ein +geröstetes Hähnchen mit der Kralle zu angeln. Ellen gelang es gerade +noch in der letzten Sekunde, den Kater abzufangen. Sie warf ihn ein +paarmal hoch in die Luft, um ihn dann an ihr Herz zu drücken und seinen +wilden struppigen Kopf mit Küssen zu bedecken. Ihr Lachen klang so +heiter und glücklich, daß Schwedenklee augenblicklich mit fortgerissen +wurde. Der Kater hatte den Abend gerettet. + +Schwedenklee erhob sich und füllte mit der großen Geste des erfahrenen +Zechers die Kelche. Fort mit den törichten Gedanken, fort! Gehen wir dem +Schicksal beherzt entgegen ... + +»Auf deine Gesundheit, Ellen!« rief er und ließ das Glas im Lichte der +Kerzen funkeln. + +»Sekt?« sagte Ellen. »Ich habe noch nie Sekt getrunken, es ist das +erstemal!« + +»Versuch' es nur! Es ist noch niemand daran gestorben.« + +»Er kitzelt!« rief Ellen und lachte. + +In wunderbarer Laune verlief das Diner. Schwedenklee wurde gesprächig. +Sie tranken auf Ellens Zukunft, ihren Ruhm, sie tranken auf ihre +Freundschaft und auf die Herrlichkeit dieses Sommers. Der Sekt hatte +Schwedenklees Gesicht gerötet, seine Augen glänzten, sein Gebiß +leuchtete jung und stark. Er fühlte sich wieder als derselbe lebensfrohe +Schwedenklee, der er in Paris war, seinerzeit. Zwanzig Jahre -- was +sollen sie bedeuten, es ist nur ein albernes Vorurteil ... Nein, damals +gab es nichts Unmögliches für ihn -- und heute? + +Schwedenklee leerte den Kelch und warf ihn lachend gegen die Wand. + +Ellen saß mit blendenden Augen, umweht vom Schein der Kerzen. Ihre Haut +leuchtete wie Blüten. Häufig kühlte sie die heißen Wangen mit den Rücken +der schmalen Hände. Sie lachte übermütig, und schon nach dem dritten +Glas lachte sie ausgelassen über die geringste Kleinigkeit. Sie fütterte +die Tiere mit Leckerbissen, und Strolly, obschon ein großer Hund, durfte +auf ihrem Schoß sitzen. + +»Unser Haus ist also glücklich fertig!« sagte Schwedenklee. »Nun beginnt +die Einrichtung. Es soll wunderbar werden, warte nur! Ein so behagliches +Nest wollen wir uns bauen, und hörst du, ein Bett soll Ellen bekommen -- +wie ein Traum!« + +»Ja, wie eine Muschel soll es sein und ganz in Spitzen eingehüllt --« + +»O, wie fein!« lachte Ellen. + +»Und dann werden wir hier in Mecklenburg herumfahren und antike hübsche +Möbel zusammenkaufen.« + +Ausführlich besprachen sie die Einrichtung des Hauses. Schwedenklee +wurde nicht müde, neue Vorschläge zu machen. + +»Und welche Farbe soll dein Schlafzimmer bekommen, Ellen?« + +Ellen dachte lange nach. »Rosa!« rief sie. »Weißt du, so ein zartes +Rosa, wie Korallen.« + +»Und dein Wohnzimmer?« + +»Himmelblau!« + +Schwedenklee lächelte. Ob wohl die Farben zusammenstimmen würden? + +»Weshalb sollten sie nicht zusammenstimmen?« + +»Gut also -- und dann das Badezimmer. Blattpflanzen, Palmen, Gummibäume, +Farne, Kakteen -- es wird wie ein Palmenhaus sein, Ellen!« + +Wohl eine volle Stunde wurde über das Badezimmer gesprochen, das das +schönste und originellste in ganz Deutschland werden würde. Dafür sollte +sein, Schwedenklees Name bürgen! + +»Aber Arbeit! Viel Arbeit. Bis alles soweit ist, wird auch schon der +Herbst da sein, Ellen!« + +»Oh, weh!« + +»Ja. Und dann werden wir nach Berlin zurückkehren und du wirst deine +Studien wieder aufnehmen. Ich werde dich zu den ersten Lehrern bringen. +Viele kenne ich ja persönlich.« Schwedenklee renommierte ein wenig mit +seinen Bühnenbekanntschaften. + +Ellen war hell begeistert. »Wie ich mich auf die Arbeit freue! +Hoffentlich enttäuscht mein Talent nicht.« + +»Weshalb sollte dein Talent enttäuschen? Ich sage dir nur eines« -- +Schwedenklee lächelte vielsagend und zwinkerte ein wenig mit den Augen +-- »du hast mehr Talent, als du je ahnen kannst, ja!« + +»Mein Himmel!« Ellen wirft erregt die Hände in die Luft. + +»Du wirst also deine Studien aufnehmen. Aber wir werden immerhin noch +Zeit haben, um im Winter auf vierzehn Tage nach St. Moritz zu fahren.« + +»St. Moritz?« + +»Ja. Es ist phantastisch im Winter. Es gibt dort Häuser, zehnstöckig -- +wie in Neuyork. Du wirst sehen. Es ist wunderbar. Am Tage Sport, abends +Tanz.« + +»Und dann,« fuhr Schwedenklee fort, »im Frühling fahren wir auf einige +Wochen nach Florenz. Du sollst Florenz sehen! Ein Schmuckkästchen! Ein +Museum! Die Straßen allein sind schon ein Museum!« + +»Wie herrlich!« + +Schwedenklee entwarf Plan um Plan. Schön und berauschend stand die +Zukunft vor ihm. + +Augusta hatte längst abserviert. Die Kerzen erloschen, es brannten nur +noch drei. Da sah man auch plötzlich den dunkeln Nachthimmel, flimmernd +von Sternen, in der offenen Türe stehen. Es funkelten die großen +Sternbilder, deren Namen Schwedenklee sich nie merken konnte. +Berauschend strich der Atem der Sommernacht ins Zimmer, die Grillen +feilten. Wolken von Düften hoben sich aus der trächtigen Erde. + +Plötzlich knatterte es und am Himmel erschienen farbige Leuchtkugeln und +Feuerräder. Rote Lohe schlug aus dem Meer empor, und die Sterne wurden +bleich und unscheinbar. + +Nein, Ellen hatte noch nichts von der Welt gesehen, noch gar nichts. +Aber ihre Augen weiteten sich, heiß vor Begierde, wenn er erzählte. +Höher noch schwang sich die feine Braue, und die Lippen atmeten erregt. + +Er also war ausersehen, er, ihr die Wunder der Erde zu zeigen, ihr +keusches Staunen, ihre reine Verzücktheit zu genießen! Er! Dank den +erhabenen Göttern ... + +Dann also würde er ihr Paris zeigen: wimmelnde Stadt, immer auf den +Beinen, ohne Schlaf, bebend von Lärm, widerhallend von Freude, +schwimmend in Licht. + +Und dann also -- + +Erregt ging Schwedenklee hin und her, von den großen Sternbildern zu +Ellen mit den glänzenden Augen und heißen Wangen, immer hin und her. + +Auch auf einem großen Dampfer war sie ja noch nicht gewesen: surrend und +tobend Tag und Nacht, das kühle gischtende Meer durchschneidend, +angefüllt mit Luxus und Behaglichkeit. Meer, Wolken -- unbeschreiblich +herrlich! Nein, sie hatte ja noch nichts, gar nichts gesehen -- wie +glücklich er war! + +So würden sie also dahinfahren, Tag um Tag. Indien! Japan! + +»Japan?« rief Ellen und schlug die kleinen Hände zusammen. + +»Ja, Japan. Ich bin ja auch noch nicht dagewesen, aber es soll ein +einziges Wunder sein. Man fährt in kleinen Wagen dahin, von braunen, +flinken Burschen gezogen -- die Teehäuser, die Tempel -- und die ganze +Bevölkerung in Kimonos und auf hohen Stöckelschuhen. Da gibt es einen +Berg, den man immer auf den Holzschnitten abgebildet sieht -- wie heißt +er doch? Fujiyama! Diesen Fujiyama wollen wir besteigen!« + +Wie Ellen sich freute zu reisen, die Welt zu sehen! Denn sie hatte ja +bis jetzt nichts gesehen. Sie kannte nur Dresden, Berlin, und einmal war +sie in Potsdam gewesen. + +Man höre! Schwedenklee lachte laut heraus. + +Und wieder ging Schwedenklee erregt hin und her, von den großen +Sternbildern zu Ellen, von Ellen zu den großen Sternbildern. Immer +größer wurden seine Schritte. Seine Stimme klang plötzlich unsicher. + +Sie würden also reisen, und er versprach, ihr die Welt zu zeigen, so +wahr er hier auf und ab gehe. + +»Aber«, begann Schwedenklee tastend, »in welcher Form -- ich meine, in +welchem gegenseitigen Verhältnis werden wir zusammen reisen?« + +Ellen verstand nicht. + +»Ich meine, in welcher Eigenschaft wirst du mit mir reisen?« +Schwedenklee blieb stehen, sein Herz pochte. + +»In welcher Eigenschaft?« Ellen saß mit offenen Lippen. Sie konnte gar +nicht begreifen. + +»Ja.« Aus lauter Hilflosigkeit runzelte Schwedenklee die Stirn. »Du +kannst doch nicht etwa als meine Nichte mit mir reisen, oder als meine +Sekretärin.« + +Ellen lachte laut heraus! + +Ihr Lachen ermutigte Schwedenklee wieder. Er verlor etwas seine +Befangenheit. »Auch als meine Tochter doch wohl nicht?« fragte er. + +»Nein!« Ellen schlug sofort die Augen nieder. + +Mutig ergriff Schwedenklee ihre beiden Hände. Er bemühte sich, seiner +Stimme einen heiteren, harmlosen Klang zu geben, als er fortfuhr: »Dann +bleibt ja nur eines, Ellen --?« + +Groß und hell bis in die tiefsten Tiefen waren Ellens Augen auf ihn +gerichtet. Sie errötete, ein zarter Gluthauch überzog blitzschnell +Gesicht und Nacken. Ja, nun hatte sie verstanden. Ihre Arme begannen +leise zu zittern. Sie zog die Hände an sich, schob den Sessel weit +zurück und stand auf. + +»Sprich nicht!« rief sie und hielt sich die Ohren zu, da sie sah, daß +Schwedenklee Miene machte, weiterzusprechen. Sie schüttelte hastig den +Kopf, in entzückender Verwirrung. »Nicht heute, nicht jetzt, frage nicht +--« stammelte sie -- »wie sollte ich heute antworten können? Sprich +nicht -- morgen ...« + +»Gut, dann morgen. Ich wollte dich nicht erschrecken, Ellen. Gute +Nacht.« Er streckte ihr die Hand hin. + +Sie nahm seine Hand. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals, so sanft, daß +er sie kaum fühlte, und bot ihm -- zum erstenmal -- die Lippen zum +Gutenachtkuß. Ihr Mund war heiß und weich. + + * * * * * + +Fiebernd, mit heißem Kopf, trat Schwedenklee ins Freie. + +»Ihr Sterne!« sagte er zu den großen Sternbildern, trunken vom Sekt, +berauscht von seinem Glück, und blickte lange zum flimmernden Firmament +empor. »Du grundgütiger Himmel, herrlich und wunderbar ist das Leben!« + +Es war ja wohl kein Zweifel, daß sie einwilligen würde. Immer noch +fühlte er ihren heißen, weichen Mund auf seinen Lippen. So zart, wie ein +Hauch nur. + +»Ja, dies ist die Lösung, und ich werde glücklich sein!« + +Mit glühenden Schläfen ging Schwedenklee lautlosen Schrittes durch das +taunasse Gras. Der Schweiß rann ihm über das Gesicht. Kühle hauchte vom +Walde her. Sternschnuppen schossen über den Himmel. + +Schwedenklee träumte, die Augen weit geöffnet. »Und immer wird sie um +mich sein,« flüsterte er, »am Morgen, am Mittag, in der Nacht. Immer +werde ich sie sehen, fühlen, sie wird plaudern, und ich werde entzückt +sein, nur ihre Stimme zu hören.« + +»Ich werde mit ihr reisen. Ich habe ja Geld, ich kann alles, alles +bezahlen! Wenn es sein muß, verkaufe ich die Bauplätze! Die Menschen +werden auf der Straße, in den Dielen der Hotels die Hälse verdrehen. Und +meine Bekannten werden sagen: Seht an, Schwedenklee, ja, das ist ein +Bursche!« + +»Schwedenklee, geschworener Gegner der Ehe, wird also plötzlich +heiraten? Seht an! Nun, laß sie reden. Eine junge Frau, die reizendste +Frau der Erde werde ich haben -- und glücklich sein -- laß sie reden +--!« + +»Vielleicht aber --?« + +Schwedenklee ging hastig weiter, über ein gemähtes Kleefeld, im +silbernen Licht der Sternennacht. + +»Vielleicht aber werde ich Kinder haben? Kinder? Ich, der Väter, die +ihre Sprößlinge spazieren führen, immer ungeheuer komisch fand -- nun +weshalb nicht? Man wird sie baden, pudern, pflegen -- sie werden +schreien -- aber was schadet es, laß sie nur schreien. Sie werden süß +sein. Und Ellen -- dieses süße Wesen, selbst noch ein Kind -- Mutter!« + +Schwedenklee blieb erschüttert stehen. Sternschnuppen fegten über ihn +hin. + +»Eins, zwei, drei --« zählte Schwedenklee. »Also drei Kinder! Gut!« + +»Sie, die selbst noch so zart ist, ein Kind fast --!« + +Ȇberlegen wir: mein bisheriges Leben -- nein, keine Reue, keine +Vorwürfe -- was geschehen ist, ist geschehen -- aber es wird von nun an +_Sinn_ in mein Dasein kommen, dieses In-den-Tag-hinein-Leben hat ein +Ende.« + +Ein Verzauberter, ging Schwedenklee über die Felder. Süß stieg der +Geruch der Erde auf. Nie in seinem Leben hatte er diesen Glanz der +Gestirne gesehen. + +»Und wir werden reisen, und alle werden mich beneiden! Welch ein junges, +herrliches Wesen er sich erobert hat, werden sie sagen, seht an, dieser +tolle Knabe! Und sie -- Ellen -- eine schlechte Partie wird sie ja nicht +machen. Nein, das kann wohl niemand behaupten ...« + +»Und wodurch habe gerade ich dieses Glück verdient?« fragte +Schwedenklee. »Durch nichts, durch nichts ...« + +»Durch nichts!« rief er triumphierend und herausfordernd. »So ist das +Leben!« + + + + + 25 + + +Schwedenklee schlief in dieser Nacht wunderbar! Er träumte angenehm: er +packte Koffer, Koffer, streute Trinkgelder um sich, Scharen von Kellnern +dienerten, Autos rollten, Dampfer tuteten, beglückt fühlte er Ellens +Gegenwart in jeder Sekunde, ohne daß er sie eigentlich je sah -- sie +waren unterwegs. + +Spät am Morgen erwachte er, dampfend und erfrischt vom Schlaf. Es war +fast schon neun Uhr. Ellen hatte soeben gefrühstückt und erhob sich vom +Tisch, als er eintrat. + +Sie errötete, rasch und tief -- augenblicklich mußte er wieder an ihre +heißen, weichen Lippen denken -- flüchtig, mit einer gewissen Hast, +berührten ihre kühlen Finger seine Hand. + +»Was für Langschläfer wir doch sind!« rief sie lachend aus. »Ich habe +einen richtigen Katzenjammer!« Und sie strich sich mit den Fingerspitzen +über die Schläfen, so daß die Hände ihr Gesicht verbargen. »Und was für +törichte Dinge ich wohl geschwatzt haben mag, heute nacht?« + +Schon war sie zur Türe hinaus. + +Schwedenklee fand ihre mädchenhafte Verwirrung entzückend. Sie schämte +sich, ohne jeden Grund. Wie herrlich, diese Reinheit! + +Nein, er hatte natürlich nicht erwartet, daß sie ihm um den Hals fallen +würde, keineswegs. Sie war ein junges Mädchen, vor eine bedeutsame Frage +gestellt, sie mußte Zeit zur Überlegung haben -- er würde weder mahnen +noch drängen, nicht, daß man einmal sagen könnte, er habe sie +überrumpelt. + +Und doch ... + +Nein, nein, Schwedenklee war gewissermaßen dankbar, daß sich die erste +Begegnung nach seinem Antrag so und nicht anders abgespielt hatte. + +Er frühstückte mit gutem Appetit. Aber, während er ein Ei in der Hand +aufschlug, konnte er doch den Gedanken nicht unterdrücken, daß es +schließlich nicht nötig war für Ellen, so rasch, so verwirrt und +verlegen wegzulaufen. Nein, nein, ganz unter uns, er hätte es hübscher +und richtiger gefunden, wenn sie ihm zum Beispiel beim Frühstück +Gesellschaft geleistet hätte. + +Mit einer kleinen Falte in der Stirn zerlegte er eine Sardine. + +Schwedenklee begann den Tag mit einer gewissen Feierlichkeit. Er ging +bedächtig durch die Ställe, was er selten tat, er sprach lange und fast +freundschaftlich mit dem Pächter, er stand und blickte über Felder und +Äcker. Hell glänzte der Tag, eine Lerche schmetterte im Sonnendunst, +sein Herz wurde heiter und froh. + +Trotzdem -- je länger er stand und in den hellen Tag hineinblickte -- +desto leerer und verwirrter wurde es in seinem Herzen. Er fühlte sich +vereinsamt, verlassen, der Glanz des Tages bedrückte ihn. Obschon er +sich geschworen hatte, Ellen in ihrem Versteck im Walde nie mehr zu +belauschen, trieb ihn doch ein unwiderstehliches Verlangen, sie zu +sehen, hinein in den Wald. Er pirschte sich vorsichtig durch das +Erlengebüsch, erschreckend bei jedem Knacken eines Astes. Die Naturbühne +aber war verlassen. Ellen war nicht da. + +Schwedenklee kehrte enttäuscht in den Garten zurück und nahm, um die +Langeweile zu verscheuchen, die Leere, mit übertriebenem Eifer seine +Arbeit auf. Der Garten, muß man wissen, stieg von der Eingangspforte zur +Treppe des Hauses sanft an. Schwedenklee beabsichtigte, diese Steigung +in zwei Terrassen abzubauen, die, mit Stauden und Sommerblumen +bepflanzt, dem Vorgarten ein heiteres und repräsentatives Gepräge geben +sollten. Schon seit Wochen war er mit dieser Terrassierung beschäftigt, +die Arbeit würde noch Wochen beanspruchen. + +Eifrig handhabte er den Spaten. Die Sonne stach scharf ins Genick. Und +Ellen, wo war sie? + + * * * * * + +Plötzlich hörte er eine Stimme, eine kernige, helle, etwas +selbstbewußte, ja arrogante Männerstimme. + +»Erlauben Sie mal, hören Sie mal!« rief diese Stimme. + +Schwedenklee richtete sich auf. Ein dicker Schweißtropfen lief über +seine Nase. + +An der Gartentüre stand ein junger Mann. So unangenehm ihn der +selbstbewußte, herrische Ton der Stimme berührt hatte, so sympathisch +erschien ihm zu seiner Überraschung das Aussehen des jungen Mannes. Er +war ein hübscher, großer Bursche mit gebräuntem Gesicht und hellen +blauen Augen, blonden, strähnigen Haaren, die flott zurückgebürstet +waren. Das Gesicht strahlte Jugend, Gesundheit und Selbstvertrauen. Er +trug einen lichtgrünen Touristenanzug, graue Wickelgamaschen, gelbe +Schuhe und einen weichen, breiten Kragen. Keinen Hut. Ein Badegast, +dachte Schwedenklee. Häufig verirrten sich Badegäste an seine Türe. + +»Sind wir hier richtig?« rief die helle, selbstsichere Stimme. »Ist dies +die Residenz des Herrn Schwedenklee?« + +Schwedenklee, etwas verwundert, nickte. + +»Nun wohl, Dank den erhabenen Göttern!« + +Der junge Mann klinkte die Türe auf und stieg die Stufen empor. + +In der Geste des Aufklinkens der Pforte, in der Art des Eintretens +erkannte Schwedenklees geschultes Auge sofort die Bühne. + +Etwas unwillig stach er den Spaten in die Erde und wischte sich den +Schweiß vom Gesicht. + +»Und wo, teurer Freund,« fuhr der Eindringling mit strahlender Miene und +einer höflichen Verbeugung fort, »wo können wir diesen sagenhaften +Millionär Schwedenklee finden?« + +»Schwedenklee, das bin ich.« + +Lachend, mit übertriebenem Erstaunen trat der Gast einen Schritt zurück. +»Sie? Verzeihen Sie, man sagte mir: ein _älterer Herr_! Es ist mir eine +Ehre, mich Ihnen zu Füßen zu legen: Richard Pohl -- nicht zu verwechseln +mit dem berühmten Nord- oder Südpol gleichen Namens -- Mitglied der +Vereinigten Sommertheater in Hamburg.« Kräftig und zutraulich schüttelte +er Schwedenklees Hand. »Also Sie sind es, dessen Güte die Himmel rühmen? +Es ist mir eine hohe Freude!« + +»Seit einigen Tagen bin ich hinter Ihnen her«, fuhr Pohl gesprächig und +lebhaft fort. »Sie sehen eine Art Odysseus vor sich! Ja, in der Tat, es +ist nicht leicht, Sie zu finden, Ehrwürdiger, und selbst hier im Ort +hatte ich noch Mühe. Aber nicht Sie suche ich eigentlich, obschon es +sich der Mühe lohnte, sondern eine Dame: Ellen Blank!« + +Aus der weitschweifigen Erzählung erfuhr Schwedenklee, daß Pohl mit der +Familie Blank schon seit der Dresdener Zeit bekannt war. Er war der Sohn +eines Musikers der Dresdener Oper, und Blank war sein erster Lehrer +gewesen. Zufällig hatte er in einer Fachzeitung von Blanks Tod gelesen. +Er schrieb einen Brief an Ellen nach Berlin, bekam ihn aber als +unbestellbar zurück, mit einem zweiten Brief erging es ihm ebenso. +Sobald seine Tätigkeit es ihm erlaubte, fuhr er nach Berlin, um Ellens +Spur aufzufinden, was ihm erst nach vieler Mühe gelang, nachdem er die +Hilfe der Polizei in Anspruch genommen hatte. Ja, und nun also war er +endlich hier, und er strahlte vor Freude und Genugtuung, sein Ziel +erreicht zu haben. + +Schwedenklee hörte ihm mit zerstreuter Miene zu. Ganz offen gestanden, +zu keiner Zeit hätte ihm der Besuch ungelegener kommen können als gerade +heute, an einem solch ungeheuer bedeutsamen Tage. + +»Welcher Teufel führt ihn gerade heute hierher!« dachte er, während Pohl +seiner Bewunderung über die herrliche Aussicht beredten Ausdruck +verlieh. Diese Aussicht riß ihn derart hin, daß er Miene machte zu +singen. »Gerade heute, da ich auf Ellens Bescheid warte und nicht weiß, +was ich vor Ungeduld tun soll!« Die überschäumende Fröhlichkeit und +heitere Natürlichkeit des Sängers -- trotz seiner etwas erkünstelten +Redeweise -- söhnten ihn indessen rasch wieder aus. »Nun gut, er wird +über Mittag bleiben, und am Abend sind wir ihn wieder los!« + +»Einen kleinen Imbiß werden Sie wohl nicht abschlagen?« Immer wenn +Schwedenklee in Verlegenheit war, bot er seinen Gästen zu essen oder zu +trinken an. + +Pohl aß mit vorzüglichem Appetit. Er hatte seit Tagen, während seiner +Irrfahrt, nur sehr wenig zu sich genommen. Mit Genuß schlürfte er eine +kleine Flasche Bordeaux. + +Ellen war noch immer nicht zurückgekehrt. + +Pohl wollte sie im Walde suchen, aber Schwedenklee machte ihm klar, daß +der Wald tief und labyrinthisch sei und Ellen ihre geheimen +Schleichpfade habe. + +»Gut, so werden wir sie rufen!« + +Schwedenklee lächelte. + +Aber Pohl kümmerte sich nicht darum. Er trat einen Schritt vor, reckte +sich in die Höhe und legte die Hände an die Wangen. Dann pumpte er die +breite Brust voller Luft und schrie: »Ellen!« Schwedenklees Ohren +gellten, der Ruf fuhr hell dahin, das Echo klang aus dem Walde. In der +Ferne arbeiteten Landleute auf dem Felde, sie alle hoben die Köpfe. + +»Sie werden sehen, es wird nicht lange dauern und wir haben sie hier. -- +Ellen!« Noch lauter hallte der Ruf. Die Luft schmetterte, der ganze Wald +hallte. Laut und hell antwortete das Echo. Die Pferde, die in der Koppel +grasten, blieben stehen und blickten neugierig herüber. + +Das Sonderbare geschah: kurz nach Pohls drittem Rufe erschien etwas +Gelbes zwischen den Büschen. Es war Strolly, hoch auf den Beinen +stehend, den Kopf gehoben. Dann teilten sich die Brombeerstauden, und +Ellen sprang auf den Acker. Ihr weißes Kleid flatterte im Winde. + +Pohl rief und schwenkte die Arme. Ellens Haltung war ganz Staunen. Sie +erkannte ihn nicht. Plötzlich aber stieß Ellen einen hohen Schrei aus +und winkte und begann zu laufen. Wie der Wind flog der blonde junge +Bursche ihr entgegen, und während er lief, lachte und rief er. + +Schwedenklee kehrte, etwas übelgelaunt, zu seinem Terrassenbau zurück. +Er wollte bei der Begrüßung nicht stören. + + * * * * * + +Ellen erschien bei ihm. Sie umschlang ihn freudig mit den Armen. »Ich +habe Besuch bekommen!« rief sie, glühend vor Erregung. »Richard ist +gekommen! Ich muß Augusta verständigen. Er hat Zeit bis zum Frühzug. +Augusta muß ihm ihr Zimmer abtreten. Du bist doch einverstanden, daß er +bei uns bleibt? Ich kenne Richard schon seit sieben Jahren.« + +»Du bist ja die Herrin im Haus!« antwortete Schwedenklee schweißtriefend +und strich etwas verlegen über ihre heiße Wange. + +Ellen stürzte ins Haus. + +Das Mittagessen verlief in ausgelassener Stimmung. Ellen konnte kaum +einen Bissen über die Lippen bringen, so sehr mußte sie über Pohls +Schnurren und seine drollige Ausdrucksweise lachen. Er hatte eine Anrede +für Schwedenklee gefunden, die sie begeisterte! Er nannte Schwedenklee, +etwas keck und zutraulich nach einer so kurzen Bekanntschaft: Don +Philipp! + +»Don Philipp! Wie herrlich der Name zu dir paßt!« lachte sie, indem sie +sich an ihn schmiegte. + +Nach Tisch legte sich Schwedenklee aufs Ohr. Er war noch müde vom +gestrigen Abend. Nach einstündigem Schlaf erwachte er: in vorzüglicher +Laune. Er war nunmehr direkt erfreut über Pohls Besuch! Seit vielen +Wochen war er mit Ellen allein, ihre Gespräche waren etwas monoton +geworden, viele Gesprächsstoffe nahezu erschöpft. Oft war es etwas sehr +still auf Siebenbirken, nicht für ihn, o nein, er liebte die Ruhe, aber, +wie er fand, für Ellen. Der Besuch regte sie an. Es war sehr wohltuend, +daß ein Hauch der Umwelt in das Leben auf Siebenbirken strich. + +»Don Philipp, Edler von Siebenbirken -- Pauken und Tusch!« begrüßte ihn +Pohl, der mit Ellen in der hellen Sonne auf einem Heuhaufen der gemähten +Wiese saß. (Schon mußte Ellen wieder laut herauslachen!) »Habt die +Gnade, das Programm entgegenzunehmen, das wir für Euch, um unsere +Ergebenheit zu bezeigen, entworfen haben: Zuerst die olympischen Spiele, +die sofort ihren Anfang nehmen. Sodann Festtafel bei Don Philipp mit +königlichen Weinen. Hierauf Festvorstellung im Hoftheater Euer +Durchlaucht: Figaros Hochzeit. Später Divertissements, Empfang, Defilé, +Cour. Genehm? -- Anfang! Don Philipp befiehlt den Beginn! Pagen heran! +Zurück der Pöbel!« + +»Ich starte,« fügte Pohl rasch hinzu, »nimm die Uhr, Ellen. Los!« Wie +ein fliehender Hirsch umrundete er die Wiese. Nie in seinem Leben hatte +Schwedenklee solch einen Läufer gesehen. + +»Ellen Blank!« schrie Pohl. Und Ellen lief. Schwedenklee war ergriffen, +als er sie laufen sah. Sie schleuderte die Knie, daß man ihre Wäsche +sah. Ihr Haarschopf fiel herunter und sie steckte ihn im Laufen auf. +Während sie lief, schrie sie aber ununterbrochen vor Vergnügen und +Erregung. + +Nun kam die Reihe an Schwedenklee. Er tat sein Bestes, um sich nicht zu +blamieren. Blutrot und schwitzend kam er an. + +»Don Philipp hat gewonnen!« entschied Pohl. Er behauptete allen Ernstes, +daß Schwedenklee ihn um zwei Sekunden geschlagen habe, und überreichte +ihm mit feierlicher Ansprache einen Birkenzweig. + +Es ist eine Tatsache, daß Erwachsene viel kindischer sein können -- in +besonderen, seltenen Stunden -- als Kinder, und es kann als Maßstab +ihrer Unverdorbenheit und Güte gelten, wenn sie diese Fähigkeit noch +besitzen. + +Jedenfalls, je länger die olympischen Spiele währten, desto +ausgelassener wurden die drei. + +Pohl war unerschöpflich an Erfindungen. Es gab Läufe, Sprünge, Hüpfen +auf einem Bein. Dann mußte man mit einer Hand an einem Aste hängen. +Schwedenklee hing, bis er blau im Gesicht wurde. Er schlug alle Rekorde. + +Zuletzt kam der Sprung in den Strohhaufen -- vom Dache des Stalles aus, +drei Meter tief. Pohl sprang im Hechtsprung, als spränge er ins Wasser. +Ellen sprang mit festgehaltenen Kleidern, schreiend und lachend. +Schwedenklee riskierte einen Purzelbaum. Kaum aber war er ins Stroh +versunken, so spürte er, wie die beiden über ihn herfielen und ihn immer +wieder mit Stroh bedeckten. Völlig außer Atem (und fast etwas böse!) +wühlte er sich endlich heraus. Er war mit Strohhalmen gespickt und sah +so komisch aus, daß Ellen laut herauslachen mußte. + + * * * * * + +Pohl kniete vor ihm. »Don Philipp, nehmet mein Haupt!« + +Schwedenklee hatte seine gute Laune schon wiedergefunden. + + + + + 26 + + +Nach dem Abendessen -- diesmal hatte Ellen die Kerzen angezündet! -- +wurde programmäßig »Figaros Hochzeit« aufgeführt. + +Richard sang Figaro -- vollendet, mit einer frischen, kernigen Stimme, +er agierte, als stände er auf der Bühne. Ellen hatte -- sehr erregt -- +Susanna und Cherubino übernommen. Sie sang schön, rührend, mit leicht +zitternder Stimme. Was übrigblieb, fiel Schwedenklee zu, der sich recht +und schlecht aus der Affäre zog. + +Es war -- alles in allem -- ein wundervoller Sommertag, ein Tag, der +kein Ende zu nehmen schien. Die Divertissements fielen aus. Ellen wurde +ins Bett geschickt, da ihre Augen vor Müdigkeit fieberten. + +Die Herren aber saßen noch bei einer Flasche Wein. + +»Eine neue Flasche, Don Philipp!« + +»Sofort!« + +Nach der dritten Flasche bot Pohl Schwedenklee die Brüderschaft an. Sie +stießen an. + +»Selten habe ich einen solch prachtvollen Menschen kennengelernt wie +dich, Don Philipp!« schrie Pohl, indem er begeistert aufsprang. + +Schwedenklee kletterte nun selbst in den Keller, um einen ganz +besonderen Rheinwein zu holen, einen seltsamen Jahrgang. + +»Und nun Schluß mit all den Dummheiten!« rief der Sänger aus. »Ein +ernstes Wort. Daß du dich des armen Blank erbarmt hast, das soll dir +ewig unvergessen bleiben! Daß du dich aber wie ein Vater Ellens +annahmst, das wird dir Gott im Himmel persönlich danken! Dafür laß dich +umarmen, bester aller Menschen!« + +Pohl drückte Schwedenklee an seine Brust und küßte ihn. Beide hatten +Tränen in den Augen. + +Es war das erstemal, daß Schwedenklee von einem Mann geküßt worden war. + + + + + 27 + + +Am gestrigen Tage hatte sich wahrhaftig keine Gelegenheit geboten, mit +Ellen über die Dinge zu sprechen, die Schwedenklee so sehr am Herzen +lagen. Dieser unglaubliche Bursche, der wie ein Meteor vom Himmel +gefallen war. + +Heute -- um die Wahrheit zusagen --, Schwedenklee war mit etwas schwerem +Kopf aufgestanden, er war müde, verschlafen, apathisch und freute sich +während des ganzen Tages schon auf die Stunde des Schlafengehens. Welch +ein Glück, daß dieser Pohl, so amüsant er auch war, am Mittag wieder +abreiste! + +Aber trotz seiner Müdigkeit beobachtete Schwedenklee, oder sollte er +sich täuschen? -- daß mit Ellen seit gestern eine Veränderung vor sich +gegangen war. Sie schien merkwürdig erregt, sie lachte ohne jeden Grund, +zerstreut lief sie hin und her, den ganzen Nachmittag war sie mit ihrer +Wäsche und Garderobe beschäftigt. + +Von der Antwort auf die bewußte wichtige Frage war nicht die Rede! +Vergebens wartete Schwedenklee auf ein Wort, einen Blick. Sie stammelte +erregt, wenn sie mit ihm sprach, ihr Blick flackerte, sie errötete, +schlug die Augen nieder. Es schien ihm sogar, als ob sie ihm auswiche +... + +Am nächsten Tage aber glaubte Schwedenklee zu seinem nicht geringen +Staunen zu beobachten, daß Ellen ernsthaft damit beschäftigt war, +einzupacken. + +Die Sache war, kurz gesagt, die: der Direktor der Vereinigten +Sommertheater in Hamburg war Pohls bester Freund. Es bestand, wie Pohl +versichert hatte, gar kein Zweifel, daß er Ellen engagieren würde. Im +Sommer sollte sie sich in kleineren Rollen einspielen, um im Herbst mit +dem Ensemble nach Bremen überzusiedeln. Ein gutes, ein vorzügliches +Theater! Der Zufall hatte ihr eine herrliche Gelegenheit geboten, eine +geradezu selten günstige Gelegenheit, ihre Laufbahn zu beginnen. War +Ellens glückliche Verwirrtheit nicht verständlich? + +Natürlich. Oh, Schwedenklee verstand ja wohl manches, er verschloß sich +keineswegs vernünftigen Gründen, er wußte nur zu gut, daß eine Frau, die +sich die Bühne in den Kopf gesetzt hatte, durch nichts abzubringen war. +Aber, hatte sie, Ellen, denn ganz vergessen, daß sie ihm auf eine +bestimmte Frage eine bestimmte Antwort schuldig war? + +Er bemühte sich, die Sache von der scherzhaften Seite zu nehmen. »Du +hast ja noch Zeit, Ellen, wozu diese Aufregung?« + +»Ich muß bereit sein, wenn das Telegramm kommt!« schrie Ellen. + +Ja, sie schien es in der Tat ganz vergessen zu haben. Allen Andeutungen, +die er wagte, wich sie aus. So oft er sie »antwortheischend« ansah -- +oh, sie verstand seinen Blick sehr wohl! --, geriet sie in hilflose +Verwirrung. Sie lenkte sofort errötend ab, sie sprach von ihren Plänen, +Erwartungen, und beschwor ihn, nicht nach Hamburg zu kommen, wenn sie +das erstemal auftrat. Sie würde auf der Bühne kein Wort hervorbringen +können. Aber er mußte ihr versprechen zu kommen, sobald sie einigermaßen +eingespielt wäre. + +»Aber, ich sehe schon, du wirst nicht kommen, Don Philipp. Du wirst mich +rasch vergessen!« sagte sie mit hochgezogener Braue. + +Also, er würde _sie_ vergessen? Schwedenklee fand vor Erstaunen kein +Wort der Entgegnung. + + * * * * * + +So vergingen zwei Tage in Unruhe und Spannung. Dann aber sah Ellen den +Depeschenboten an der Gartentüre, und sie rannte ihm entgegen. + +Strahlend vor Freude schwenkte sie das Telegramm. + +Sie umarmte Schwedenklee. »Er hat mich engagiert!« schrie sie in größter +Erregung. »Der Direktor war verreist, daher die Verspätung!« Rasch löste +sie sich aus der Umarmung und stürzte zu Augusta und beschwor sie, ihr +zu helfen, sie wisse weder aus noch ein. + +»Mein Gott, Augusta, ob die Wäsche noch trocknen wird?« + +Schwedenklee fühlte, daß er erbleichte: er wußte nun, daß sie ihn +verlassen würde. + +War es zu glauben: in diesen wenigen Tagen hatte Ellen alles vergessen, +das Badezimmer mit den Palmen, Florenz, Paris, Japan -- sie dachte gar +nicht mehr daran. Sie hatte auch ganz vergessen, daß sie ihm versprochen +hatte, auf eine gewisse Frage zu antworten ... + +Aber nein, nein, sie hatte nicht vergessen. Sie dachte vielleicht jede +Sekunde daran! Sie stammelte, errötend, verlegen, voller Scham: »Du +verstehst mich doch? Ich freue mich, tätig zu sein, ich freue mich +_anzufangen_. Es ist ja so schön bei dir, du weißt es, aber --! Ich muß +ja zusehen, mir mein Leben selbst zu gestalten. Du verstehst mich doch?« + +Schwedenklee verstand alles! + +»Ich verstehe sehr wohl!« sagte er, lächelnd, nachsichtig, verzeihend. + +Aber diese Nachsicht schien sie zu quälen. »Nein, du verstehst mich +vielleicht doch nicht?« + +»Doch, ich verstehe dich, Ellen.« + +Ihr Blick ruhte groß und voller Scheu auf ihm, während ihre Hände seine +Wangen streichelten. Genau so zart und sanft, mit zitternden Fingern, +wie die Hände ihrer Mutter -- seinerzeit in Paris ... + + + + + 28 + + +Schwedenklee sitzt in der Nacht auf der Treppe des Hauses. Das Haus ist +dunkel, schwarz der Wald, Schwedenklee sitzt in völliger Finsternis. +Zuweilen schlägt Feuer aus der Treppe des Hauses: das ist Schwedenklees +Zigarre, die Funken stiebt. + +Heute, morgen, übermorgen sitzt Schwedenklee in der Nacht, und nur +zuweilen fahren wilde Funken aus seiner Zigarre. + +Ruhelos rennt der Hund hin und her, die Nase am Boden. Durch den Garten, +über die Felder, in den Wald, immer die Nase am Boden, alten Spuren +nach. In der Nacht fällt Regen, und nun ist der Hund plötzlich ruhiger. + +Ellen also war ins Engagement abgereist ... + +Er hatte nicht mehr erwartet, daß sie ihm auf die gewisse Frage +antworten würde -- und doch, sie hatte es getan! Auf dem kleinen +Bahnhof, der wimmelte von lauten Badegästen, hatte sie zart seinen Arm +berührt und ihn mit einem Blicke angesehen -- ja, was für ein Blick war +es doch? + +Das war ihre Antwort! Schwedenklee atmete tief -- ja! Und er hatte sie +verstanden. Sie sagte: »Es wäre ja alles so wunderbar gewesen, aber +siehst du -- es ist nicht so einfach ...« + +Nun, er hatte verstanden, vollkommen. O gewiß, es war nicht so einfach +... + +Es ist ja möglich, dachte Schwedenklee, daß ihr, die hilflos und +vereinsamt im Leben steht, im ersten Augenblick eine Verbindung mit dir +erwägenswert erschien. Es ist wahrscheinlich, daß sie auf deinen +Vorschlag eingegangen wäre, da sie einen anderen Ausweg nicht fand! Da +aber erschien Pohl! Seine Stimme weckte plötzlich die Stimmen ihrer +Jugend. Und was die Hauptsache ist: er zeigte ihr einen Ausweg, in einem +Augenblick, da sie ratlos war, keinen Ausweg fand, ja nicht einmal mehr +an die Möglichkeit eines Ausweges dachte. Daher ihre unverständliche +Erregung. Blitzschnell folgte sie ihren Instinkten. + +»Aber wozu die vielen Worte?« sagte Schwedenklee zu sich. »Es gibt eine +viel einfachere Erklärung: sie liebte dich nicht! Sie fühlte, daß diese +Verbindung für sie nie glücklich sein konnte. Ja, die Wahrheit ist +zuweilen bitter!« + +Und dann kam da vielleicht noch etwas hinzu ... + +Schwedenklee lächelte. + +»Sie versteht es ja heute noch nicht, weshalb sie so begierig war, nach +Hamburg zu reisen -- die Reine, Wundervolle!« flüsterte er. »Später, +später! Ich habe vom ersten Augenblick an alles geahnt!« + +»Daß ich noch das Wettrennen um die Wiese mitmachte! Und an dem Ast hing +ich so lange, daß mir heute noch der Arm weh tut!« + +Funken fuhren aus Schwedenklees Zigarre. + +Jeden Abend saß Schwedenklee in der Dunkelheit auf der Treppe des +Hauses, und die Funken stoben. Es war Neumond. + +Am Tage arbeitete er an seiner Terrasse. + +»Diese fünfzig Kubikmeter Erde werden wir schon bewältigen!« sagte er, +selbstbewußt, und der Schweiß rann ihm über das Gesicht. + +Es darf indessen nicht verschwiegen werden, daß Schwedenklee in diesen +Tagen sich häufig selbst in den Weinkeller begab. + +Es gibt Menschen, die einen Stoß in die Herzgrube ohne besondere +Erschütterung ertragen, sie sind sehr selten, andere, die lamentieren +und ein großes Geschrei machen, und wieder andere, die einfach eine +Flasche aufziehen, sich räuspern und eine Zigarre anzünden ... + +Schwedenklee stand in diesen Tagen sehr spät auf und ging erst schlafen, +wenn der Morgen graute. Augusta betrachtete ihn mit vorwurfsvollen +Blicken. Er aß ihr zu wenig. + +Ja, diese Augusta, sie war keineswegs so albern, wie er glaubte. Sie sah +in sein eingesunkenes, verstörtes Gesicht und sagte sich: »Diese +Frauenzimmer, wie sie ihm zusetzen -- es ist schon eine Schande!« + +Der Neubau war fertig. Er roch nach Kalk, Gips und Glaserkitt. Auch das +Badezimmer -- das alle Badezimmer Deutschlands schlagen sollte -- war im +Rohbau fertig. Die versenkte Wanne war vier Meter lang und zwei Meter +breit, die Hähne blitzten. Eines Tages mühte sich ein Fuhrwerk, ein +kleiner Wald auf Rädern, die Straße herauf: die Blattpflanzen kamen. Sie +hatten ein Vermögen gekostet. + +»Stellen Sie sie einfach in den Baderaum!« sagte Schwedenklee. Da +standen sie, bis sie verkamen. + +Weshalb aber, zum Teufel, war es in diesem Neubau so kalt? Strömte der +Putz diese Kälte aus? Schwedenklee betrat den Neubau nicht mehr. + + * * * * * + +Zart und fein stieg die Mondsichel aus dem Meer empor. + +Schwedenklee saß im Dunkel auf der Treppe des Hauses und rauchte. + +Er hatte heute den ersten Brief Ellens erhalten. »Dank, Dank -- du wirst +mich verstehen -- du bist mir gewiß nicht böse ...« + +Ja, gewiß, Schwedenklee gehörte zur Klasse jener Menschen, die alles +verstehen und daher alles vergeben, denen nichts Menschliches fremd ist +-- gewiß, er verstand alles. Mehr als sie ahnte! Und böse? Nein, böse +konnte Schwedenklee überhaupt nicht werden. + +Und doch, gerade an diesem Abend wurde Schwedenklee von starker Unruhe +erfaßt. Er ging auf und ab, die Funken sprühten aus seiner Zigarre. +Schweiß brach aus seiner Stirn. + +Seine Augen sanken ein. »_Wenn sie nun aber doch mein Kind wäre?_« sagte +er voller Gram. »Auch die Krankenschwester, du erinnerst dich, sagte, +sie glaube, Blank habe dir besondere Mitteilungen zu machen ...« + +»Hätte ich Gewißheit -- alles wäre ja anders!« + +Verraten wir es: Schwedenklee ging in die Dunkelheit, wo sie am +schwärzesten war, um hier, ganz im Dunklen, obschon niemand in der Nähe +war, die Finger in die Augen zu drücken und zu stöhnen. + +Ja, Schwedenklee hatte heute einen schlechten Tag. Er strich die ganze +Nacht in der Finsternis hin und her, fröstelte im Nachtnebel. + +»Gerade als ich die Hand nach ihr ausstreckte --!« sagte er, aber er +sprach nicht weiter. + + + + + 29 + + +Am nächsten Tage gab Schwedenklee plötzlich seine Arbeit an der Terrasse +auf. Er stach den Spaten in die Erde, und hier mochte er steckenbleiben, +bis er verfaulte, wenn ihn der Pächter nicht unter Dach nahm. + +Schwedenklee hatte einen neuen resedafarbenen Anzug, den er noch nie +getragen hatte. Diesen Anzug legte er an. Er rasierte sich sorgfältig +und begab sich in den Badeort. + +Hier saß er auf der Terrasse des Kasinos und betrachtete mit finsterer +und verächtlicher Miene die promenierenden Badegäste. Was für +entsetzliche Frauen! Dick, formlos, lächerlich, unverschämt in ihrer +Einbildung, grotesk in ihrer Eitelkeit, mit falschen Haaren, gemalt, die +meisten krummbeinig -- ah, Schwedenklee war zur Zeit nicht gut auf die +Frauen zu sprechen. + +Am dritten Tage -- seine Miene war gleich geringschätzig und abweisend +-- hörte er plötzlich eine Frauenstimme: »Ist es möglich, Herr +Schwedenklee?« Und ein heiteres Lachen. + +Zwei flachsblonde Frauen in dünnen Sommerkleidern standen vor ihm, +Schwestern. Er hatte die eine der Schwestern gekannt, bevor sie +verheiratet war, die Unverheiratete lernte er heute erst kennen. + +Schwedenklee lächelte verlegen und wich etwas auffällig zurück. Zu nahe +drangen ihm Atem und Parfüm der beiden Damen. Die heitere Stimme klang +ihm zu laut ins Ohr. Nichts haßte er mehr als die Aufdringlichkeit der +Frauen, die der Ansicht waren, daß eine vorübergehende Verliebtheit eine +Freundschaft fürs ganze Leben bedeute. + +Knapp und kühl klangen Schwedenklees Antworten. Die Flachsblonden aber +schienen seine Zurückhaltung gar nicht zu merken und lachten fröhlich +und laut. + +Schwedenklee erhob sich und ging. Ein paar Tage vergrub er sich in +Siebenbirken. Dann aber erschien er wieder im Badeort, und schon nach +einigen Tagen ruderte er die beiden Flachsblonden hinaus in die See. + +Von nun an begab sich Schwedenklee schon am Morgen in seinem +resedafarbenen Anzug in den Badeort. Er aß im Kasino und kehrte erst +spät nach Siebenbirken zurück. + +Nach einer Woche reisten die flachsblonden Schwestern nach Berlin +zurück. + +Schwedenklee blieb zu Hause. Er beschäftigte sich wieder mit seinem +Zentralbahnhof, rauchte, trank, lebte in den Nächten. Kaum hatte er aber +einen Brief aus Berlin erhalten, der ihn sehr heiter stimmte, so befahl +er Augusta zu packen. + + + + + 30 + + +Es regnete leise, als Schwedenklee nach Berlin zurückkehrte. Die Stadt +dampfte. Seine Wohnung umfing ihn mit Behagen. + +»Vielleicht ist es doch das beste so! Wer weiß, wozu es gut war --!« +sagte er sich, indem er in den weichen Hausschuhen auf und ab ging. + +Dann telephonierte er lange in bester Laune. + +»Augusta,« sagte er, »morgen abend drei Gedecke, lassen Sie es an nichts +fehlen!« + +Gewiß, Schwedenklee erhielt Briefe von Ellen und schrieb ihr wieder. Die +erste Firma Berlins mußte auf seine Kosten Ellens Bühnengarderobe +anfertigen, und Schwedenklee selbst überwachte die Fertigstellung der +Kostüme. + +Schwedenklee wußte sehr wohl, was er versprochen hatte. Eines Tages +packte er einen Handkoffer und fuhr nach Bremen. Er fand Ellen heiter, +strahlend, wunderbar erblüht, er beobachtete, befriedigt fast, daß die +beiden, Pohl und Ellen, einander um vieles nähergekommen und sehr +glücklich waren. + +»Don Philipp, herrlichster aller Menschen!« schrie Pohl begeistert und +umarmte ihn, als sie im Bremer Ratskeller in später Nacht eine Flasche +leerten. + + * * * * * + +_Und wenn sie doch dein Kind wäre?_ + +Auch diese Frage, die ihn oft in den Nächten gemartert hatte, daß er +schlaflos auf und ab ging, die sein Herz verbrannte -- auch diese Frage +verblaßte allmählich in Schwedenklees Herzen -- -- + +Als der erste Schnee fiel, erschien Schwedenklee eines Abends wieder um +neun Uhr in seinem alten Stammcafé. Sein Rücken schien etwas gebeugt, +sein Gesicht hatte die Prälatenröte eingebüßt und schien etwas fahl, die +dünnen Haare waren grauer -- sonst aber war es ganz der alte +Schwedenklee. Mit lauter Herzlichkeit wurde er von den Spielern +empfangen. Nach einer Viertelstunde aber war es, als sei er nicht eine +Stunde abwesend gewesen. Schon saß er an einem der Pokertische, und drei +Kiebitze rückten ihre Stühle hinter seinen Sessel. + + + Ende + + + + + Werke von Bernhard Kellermann + + + Yester und Li + + Roman. 152. Auflage + + + Ingeborg + + Roman. 115. Auflage + + + Der Tor + + Roman. 50. Auflage + + + Das Meer + + Roman. 87. Auflage + + + Der Tunnel + + Roman. 227. Auflage + + + Der 9. November + + Roman. 51. Auflage + + + Die Heiligen + + Novelle + + Illustriert von Magnus Zeller + + 12. Auflage + + + Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig + + + + + Anmerkungen zur Transkription + + +Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigert. Weitere +Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher): + + [S. 17]: + ... Die Anstrengungen seines Berufes hatten ihm fast sämtliche ... + ... Die Anstrengungen seines Berufes hatten ihn fast sämtliche ... + + [S. 103]: + ... sich es bescheidener und war zufrieden, in der Komparerie ... + ... sich es bescheidener und war zufrieden, in der Komparserie ... + + [S. 180]: + ... deren Namen Schwedenklee nie merken konnte. ... + ... deren Namen Schwedenklee sich nie merken konnte. ... + + + + + + +End of Project Gutenberg's Schwedenklees Erlebnis, by Bernhard Kellermann + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 59222 *** diff --git a/59222-8.txt b/59222-8.txt deleted file mode 100644 index feca5d2..0000000 --- a/59222-8.txt +++ /dev/null @@ -1,6690 +0,0 @@ -The Project Gutenberg EBook of Schwedenklees Erlebnis, by Bernhard Kellermann - -This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most -other parts of the world at no cost and with almost no restrictions -whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of -the Project Gutenberg License included with this eBook or online at -www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - -Title: Schwedenklees Erlebnis - -Author: Bernhard Kellermann - -Release Date: April 8, 2019 [EBook #59222] - -Language: German - -Character set encoding: ISO-8859-1 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHWEDENKLEES ERLEBNIS *** - - - - -Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed -Proofreading Team at http://www.pgdp.net. - - - - - - - - - - Schwedenklees Erlebnis - - - von - Bernhard Kellermann - - - 1923 - S. Fischer / Verlag / Berlin - - - Erste bis zehnte Auflage - Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung - Copyright 1923 by S. Fischer, Verlag A.-G., Berlin - - - - - Schwedenklees Erlebnis - - - - - 1 - - -Es gibt Menschen, die vom Glück geradezu verfolgt werden. Sie wachsen in -angenehmen Verhältnissen auf, behütet von Eltern und Verwandten, ihre -Gesundheit ist vorzüglich, sie sind begabt genug, um ohne besondere -Anstrengungen und Qualen ihre Erziehung zu beenden. Sie haben gerade -soviel Leidenschaftlichkeit, als dazu gehört, das Leben zu genießen, -allen wirklichen Konflikten aber weichen sie instinktiv aus -- oder -weichen die Konflikte vor ihnen zurück? Was immer sie anpacken, gelingt, -sie kommen nach Monte Carlo und setzen auf eine ganz unmögliche Nummer, -schon schiebt ihnen der Croupier zur Verblüffung der ergrauten -Serienspieler einen Haufen Banknoten zu. Aber sie, diese vom Schicksal -Verwöhnten, finden das vollkommen in Ordnung, so sehr sind sie an die -Ovationen des Glücks gewöhnt. Es kann vorkommen, daß solch ein -Umschmeichelter einmal aufs Trockene gerät, schon wird ihm der Atem -etwas kurz -- aber da stirbt im rechten Augenblick irgendein Verwandter, -den man völlig vergessen hatte ... - -Wie fangen diese Auserwählten es an, daß das Glück ihnen wie ihr -Schatten folgt? Tragen sie einen Talisman auf der Brust? Vielleicht die -Konstellation der Gestirne --? - -Wie kommt es, das ist die Antwort, daß ein Vogel als Papagei am -Amazonenstrom zur Welt kommt, dem Paradies der Vögel, in einer Luft, -schwirrend von Insekten, warm selbst in den kalten Jahreszeiten -- und -ein anderer Vogel wird als Sperling in einer Dachrinne Berlins oder -Londons geboren, wo jeder Tag ein Problem ist und jeder Winter ein Kampf -auf Leben und Tod? - - * * * * * - -Zu jener Klasse von Umschmeichelten gehörte ohne Zweifel der Architekt -Philipp Schwedenklee. Schwedenklee war wohlhabend, ohne gerade ein -Rothschild zu sein. Er konnte es sich jedenfalls, zum Beispiel, leisten, -einer jungen Dame ein Paar der elegantesten Lackschuhe zu schenken, nur -dafür, daß sie einen Abend mit ihm bei einer Flasche Wein verplauderte. -Er besaß ein schönes Wohnhaus im alten Westen von Berlin, daneben einige -große Bauplätze am Kurfürstendamm, auf denen seit Jahren Scharen von -Möbelwagen standen. Diese Bauplätze verzinsten sich mit nur drei -Prozent, aber ihr Wert hatte sich im Laufe der Jahre verdreißigfacht. -Daneben besaß er ein Landgut in Mecklenburg -- aber Schwedenklee -kümmerte sich wenig um seine Reichtümer. Sie schimmerten beruhigend im -Hintergrund seines Bewußtseins, genug. - -Schwedenklee hatte sein Vermögen von seinem Vater geerbt. Der alte -Schwedenklee hatte schon mit fünfzehn Jahren im Schweiße seines -Angesichts die Maurerkelle geschwungen, zehn Stunden täglich. Mit -fünfunddreißig heiratete er eine reiche Gastwirtstochter und wurde -Bauunternehmer, und im Alter von fünfundvierzig hatte er bereits einen -ganzen Straßenzug einer Provinzstadt in der Mark aufgebaut. Mit fünfzig -kam er nach Berlin, und damals erwarb er das schöne Wohnhaus im alten -Westen, etwas später, spottbillig, die Bauplätze, deren Wert sich -seitdem verdreißigfacht hatte. - -Die Begabung des alten Schwedenklee, aus Mauerflächen, Fenstern und -Türen ein Haus zusammenzustellen -- so sahen seine Bauten aus --, war -verfeinert in das Blut des Sohnes übergegangen. Philipp Schwedenklee -wurde Architekt. Er war über den Durchschnitt begabt, in der Sauberkeit -und Reinheit seiner Zeichnungen übertraf er alle seine Kameraden. Er -hatte auch kaum seine Studien beendet, als er sich schon auszeichnete. - -Eines Tages nämlich veröffentlichte die kleine Stadt in der Mark, die -der alte Schwedenklee zum Teil aufgebaut hatte, ein Preisausschreiben: -Eine alte Apotheke sollte in ein kleines Provinzmuseum umgebaut werden. -Der alte Schwedenklee machte seinen Sohn auf den Wettbewerb aufmerksam. -Und siehe da, schon hatte Philipp Schwedenklee -- unter vierzig -Bewerbern! -- das Preisausschreiben gewonnen. Nun aber zögerte der alte -Schwedenklee nicht länger. Er übertrug seinem Sohn die Aufgabe, ihm die -Pläne für eine Villa in Schmargendorf, wo er seine Tage zu beschließen -gedachte, zu entwerfen. Die Villa war im Rohbau kaum fertig, als ein -Nachbar, ein Ofenfabrikant, den jungen Schwedenklee ebenfalls mit dem -Entwurf einer Villa beauftragte. Dann kam ein Gastwirt, bei dem der alte -Schwedenklee zweimal in der Woche Kegel spielte. Dieser Gastwirt wollte -sich vergrößern und wünschte die Entwürfe zu einem Tanzlokal, in einem -ganz besonderen, heiteren Stil, mit chinesischen Anklängen. Philipp -Schwedenklee aber lehnte diesen Auftrag ohne Umstände ab! Er wollte sich -nicht verzetteln, denn, bei Gott, er hatte höhere Pläne, als Tanzlokale -mit chinesischen Anklängen zu entwerfen. Der alte Schwedenklee stimmte -ihm bei. Philipp reiste zur weiteren Ausbildung nach Italien, und von -Italien nach Paris. Einige Jahre blieb er im Ausland. Er gab viel Geld -aus, man hörte wenig von ihm. Einmal wurde erzählt, daß er in Paris wie -ein wahrer Zigeuner lebe, daß er in sozialistischen, ja sogar -anarchistischen Kreisen verkehre. Aber das war offenbar eine -Verleumdung, denn er kehrte aus Paris sehr elegant und als -ausgezeichneter Billardspieler zurück. - -Philipp Schwedenklee nahm sofort fieberhaft den Umbau der -Parterrewohnung in dem alten Haus im Westen in Angriff. Wände, Türen und -Fenster riß er heraus, zuletzt stand nichts mehr auf dem alten Fleck. -Ja, er wollte Berlin, dieser Kapitale des Kitsches, zeigen, was -Architektur war! Umbau und Einrichtung dauerten über zwei Jahre: nun -aber war jeder Raum, jedes Möbelstück genau nach seinem Geschmack! -Führende Zeitschriften veröffentlichten Photographien von Schwedenklees -Wohnung. Zusammen mit einem befreundeten Architekten baute er dann ein -Riesenhaus am Kurfürstendamm, ein Palais mit Marmortreppen und -Marmorsäulen, das großes Aufsehen erregte. Beinahe wäre das Unternehmen -eine finanzielle Katastrophe geworden, aber nur beinahe! Die -Kinematographie war eigens zu dem Zwecke erfunden worden, um -Schwedenklee vor dem Ruin zu bewahren. Sein Palast wurde in ein Kino -umgebaut und er verdiente Unsummen. - -Schwedenklee wurde später in den Zeitungen noch als der Erbauer eines -Elektrizitätswerkes voller Achtung genannt, er baute eine Reihe von -Bureauhäusern und Villen. Dann hörte man nichts mehr von ihm. Seine -Laufbahn als Architekt, die so verheißungsvoll begonnen, schien zu Ende -zu sein. - -Er hatte sich in seine Parterrewohnung zurückgezogen und arbeitete, wie -verlautete, an einem Werke über Städtebau. Es hieß, daß er Berlin von -Grund auf umbauen wolle! Dieses ganze Berlin war völlig falsch angelegt! -Er verschob Straßenzüge, ganze Stadtviertel. Sollte jemals aus Berlin -etwas werden, so mußte man seinen Schwerpunkt an die Flußläufe verlegen! -Der Reiz anderer Großstädte -- Paris, London, Neuyork -- bestand darin, -daß sie von den Flußläufen aus sich entwickelt hatten. Berlin hatte -unglücklicherweise seinen Aufschwung in einer Zeit genommen, da die -Frachten der Bahnen kaum höher waren als jene der wenig entwickelten -Flußschiffahrt. Es hatte sich in die Sandwüste des Westens -hinausgeschoben und das landschaftlich schönste Gelände untergeordneten -Vororten überlassen. Nun er, Schwedenklee, würde jedenfalls versuchen zu -retten, was zu retten war. Ganz besondere Aufmerksamkeit widmete er dem -Wirrwarr der Berliner Verkehrsverhältnisse. Auch in dieser Hinsicht -würde er eine Lösung finden. - -Jahrelang beschäftigten Schwedenklee diese Probleme. Er tat -geheimnisvoll -- eines Tages würde er Berlin mit seinem Werke -überraschen! Zuweilen schlug er sogar einen etwas überheblichen Ton an. - -Der alte Schwedenklee jedenfalls erlebte die Veröffentlichung des Werkes -nicht mehr. - - - - - 2 - - -Schwedenklee pflegte spät aufzustehen, da er häufig, wie er dem Mädchen -sagte, bis »zum frühen Morgen« arbeitete. Gegen zehn Uhr, wunderbar -ausgeschlafen, ausgehöhlt vom Hunger, frühstückte er mit Genuß: Kaffee, -Weißbrot, Honig, Butter, Schinken, Eier, abwechselnd gekocht und -gebraten. Nach dem Frühstück zog er sich in die geheiligten Räume, -Bibliothek und Arbeitszimmer, zurück, wo ihn niemand stören durfte. Hier -legte er sich noch etwas auf die Ottomane und las ausführlich die -Zeitungen -- er war sogar auf die Frankfurter Zeitung abonniert, die -dreimal täglich erscheint. Er arbeitete an seinen Zeichnungen, -telephonierte, sah nach dem Wetter, schrieb einen Brief -- schon war es -zwölf Uhr geworden. Schwedenklee ging spazieren, um »das Leben zu -betrachten«. - -Ohne jeden Tadel, fast etwas auffallend elegant gekleidet, das zart -gepuderte runde Kinn in den Pelzkragen gedrückt, in Schuhen der letzten -Mode, schwang er sich dahin, mit der Miene eines Menschen, der sich -seines Wertes wohl bewußt ist. Zuweilen erschien er auch -- ohne jeden -Anlaß -- im glänzenden Zylinder. Sein rascher, etwas kecker Blick -streift Mädchen und Frauen, während ein zufriedenes Lächeln seine vollen -Lippen umspielt. Er beobachtet sich, wie er, etwas voll, durch den -schwarzen Glanz der Spiegelscheiben schreitet -- sein Pelzkragen, seine -koketten Schuhe. Voller Genuß zieht er die Luft in die breite Brust. -Eine anziehende junge Dame geht an ihm vorüber und Schwedenklee folgt -ihr eine Weile in angemessener Entfernung, voller List, um sich keine -Blöße zu geben. Einen Augenblick später sieht man ihn in einem -Antiquitätengeschäft, eine kleine blaue Vase in den Händen. - -Um zwei Uhr aß er zu Mittag. Er hatte das Glück gehabt, eine -ausgezeichnete Köchin zu finden, ein Wunder von einer Kochkünstlerin: -Augusta, die sein Hauswesen führte. Sie hatte nur den einen Fehler, daß -sie zuweilen Weinkrämpfe bekam, die Küchendünste und das Stehen vor dem -Herde hatten ihre Nerven ruiniert. Und er, Schwedenklee, der nichts so -sehr haßte als Tränen! Aber schließlich ging es immer wieder vorüber. -Vollkommen war ja nichts auf dieser Welt. - -Schwedenklee liebte es, gut zu essen, und er machte gar kein Hehl -daraus. Er hatte einen ausgezeichneten Appetit und einen noch besseren -Magen. Sein Magen -- lieber Himmel, was für einen Magen hatte -Schwedenklee! Diese Veranlagung verdankte er seiner Mutter, Tochter -eines Provinzwirts. Er konnte essen, so oft und so viel er wollte. Er -konnte, für gewöhnlich war er mäßig, auch trinken, so viel es sein -mußte. Wenn andere schon lallten, begann Schwedenklee erst zu tanzen! -Diese Veranlagung verdankte er dem alten Schwedenklee, der Tag für Tag -schon von sechs Uhr morgens an mit allen denkbaren Getränken den Kampf -gegen den Baustaub aufgenommen hatte. Schwedenklee, es muß ausdrücklich -betont werden, stammte nicht von wohlhabenden Eltern ab, die das -Wohlleben schon verweichlicht hat, die ihren Kindern mit ihrem Gelde -degenerierte Organe hinterlassen, o nein, er wuchs mit beiden Füßen -direkt aus der Scholle. Seine Gesundheit war ausgezeichnet. - -Nach Tisch schlief Schwedenklee bis vier Uhr, dann schlürfte er den Tee, -während er sich über seine Zeichnungen beugte oder die Abendzeitungen -las. Zuweilen spielte er auch in der Dämmerstunde Geige. In den letzten -Jahren allerdings seltener. Schwedenklee war ein ganz ausgezeichneter -Dilettant! Seine Eltern, vernarrt in den Knaben, hatten keine Ausgabe -für seine Erziehung gescheut. Zwei Jahre lang hatte Schwedenklee jeden -Mittwoch und Sonnabend mit einigen Musikschülern, die er sehr gut -bezahlte, Quartett gespielt. Die Musik erschien ihm damals als das -Herrlichste auf der Welt, herrlicher noch als die Frauen! In dieser Zeit -hatte er sich sogar mit dem Gedanken beschäftigt, Geiger zu werden. Er -vernachlässigte seine Projekte vollkommen -- wie nebensächlich -erschienen sie ihm doch! -- und übte täglich mehrere Stunden. Er -träumte, ganz im geheimen, davon, wie er im Konzertsaal erscheinen -würde, umbrandet vom Beifall. Die Damen steigen auf die Stühle und -schwingen die Taschentücher: Schwedenklee, Schwedenklee! Oft gab er sich -diesen Ausschweifungen hin. - -Indessen, die Quartettabende fielen schließlich ganz aus, die Geige -ruhte in ihrem Kasten, nur zuweilen -- wie gesagt -- nahm er sie noch -heraus, nicht ohne Sehnsucht, Inbrunst, Reue ... - -Um sieben Uhr ging Schwedenklee wieder etwas an die frische Luft, um -»das Leben zu betrachten«, um acht Uhr aß er zu Abend, mit Genuß und -Appetit. Dann wusch er sich, polierte die Nägel und erschien heiter und -strotzend von guter Laune in seinem Stammcafé in der Potsdamer Straße. - -In den früheren Jahren noch hatte er häufig Theater und Konzerte -besucht, in der letzten Zeit aber verbrachte er die Abende fast -ausschließlich im Café. - -Acht Jahre verkehrte er in diesem Café. Nach drei Jahren gab ihm der -Oberkellner den Titel »Herr Baurat«. Nach fünf Jahren »Herr Oberbaurat«. -Jedermann nannte ihn so, die Kellner, die Gäste. Also selbst seinen -Titel hatte Schwedenklee ohne Mühe erworben! Wie lange Jahre sitzt -mancher Beamte in einer Behörde, bis er einen solch herrlichen Titel wie -»Oberbaurat« erhält? Schwedenklee erhielt ihn vom Oberkellner eines -Cafés in der Potsdamer Straße, und er war genau so gut, als ob ihn ein -Ministerium verliehen hätte. - -Schwedenklee war heute fünfundvierzig Jahre alt. Die Anstrengungen -seines Berufes hatten ihn fast sämtliche Haare gekostet -- nur im -Nacken, der sich feist über den weißen Kragen schob, stand noch ein -dünner fahlblonder Saum. Die Pflege, die er genoß, hatte ihm eine -gewisse vornehme Wohlbeleibtheit verliehen. Seine Wangen waren rund und -leuchtend rot wie die eines Prälaten. Das Kinn fett und glänzend. Was er -tief beklagte, war, daß sich sein Bauch nur noch schlecht in der elegant -geschnittenen Kleidung verbergen ließ. Mit bekümmerten Blicken -beobachtete er sich oft im Spiegel. - -Übrigens, sonderbar: Schwedenklees Augen -- einst förmliche Lampen -- -schienen von Jahr zu Jahr kleiner zu werden. Wie war es nur möglich? -Seit einiger Zeit sah er auch schlechter. Er war genötigt, beim Lesen -eine Hornbrille zu tragen. - - - - - 3 - - -In den letzten Wochen allerdings war Schwedenklee, der immer Heitere, -Strahlende, der Sieghafte, vom Glück Umschmeichelte, verändert. Er war -zerstreut, nachdenklich. Nur noch selten waren seine lauten Lachsalven, -die jedermann mit fortrissen, zu hören. Sprach man ihn unvermutet an, so -öffnete er erschrocken und hilflos den Mund, oft gab er überhaupt keine -Antwort. Allen Stammgästen des Cafés fiel die Veränderung auf. - -»Der Herr Oberbaurat scheinen in der letzten Zeit nicht ganz wohl«, -sagte der von schlaflosen Nächten bleiche Oberkellner, ein alter Wiener. -Also selbst ihm fiel die Veränderung auf! - -»Etwas abgearbeitet.« Schwedenklee runzelte die Stirn. - -»Ich habe gelesen, der Herr Oberbaurat haben einen Vortrag im -Architektenhaus gehalten.« - -Schwedenklee seufzte. - -»Nichts als Plackereien, die nichts einbringen.« - -Ja, so hatte man zu tun. Schwedenklee hatte über »Moderne -Bahnhofsarchitektur« gesprochen -- ein ganzer Winter Arbeit! - -Schwedenklees Stammcafé war scheinbar ein Café wie jedes andere. Ein -altes Berliner Café mit Gold und Stuck, verräuchert, die Plüschsofas -zusammengesessen, die Kellner in befleckten Fräcken und ausgetretenen -Schuhen. Unten saß das gewöhnliche Publikum, Familien, Liebespaare, -einsame Zeitungsleser. Eine vergoldete Treppe mit Plüschgeländer führte -zu dem großen Billardsaal empor, wo sechs Billards standen, und erst -wenn man den Billardsaal durchquert hatte, gelangte man in das -Allerheiligste: das Spielzimmer! Hier waren von fünf Uhr nachmittags an -bis zum grauenden Morgen einige Spieltische, umgeben von Kiebitzen, im -Gange, und hier kannte ein Gast den andern. Ärzte, Rechtsanwälte, -Kaufleute, ein Bassist von der Oper, ein bekannter Pianist und einige -junge Herren, die keinen ausgesprochenen Beruf zu haben schienen. Die -Karten wurden gemischt, die Zigarren qualmten, die Kellner flogen mit -Kaffeegeschirr und Biergläsern hin und her. Einzelne der Stammgäste -kamen hierher schon um fünf Uhr und blieben bis drei Uhr nachts. Andere -kamen nach dem Essen, wie Schwedenklee, nach Schluß der Theater und -Konzerte kam noch ein Trüppchen Nachzügler. Es wurde in Schichten -gearbeitet, fieberhaft und ohne jede Pause. - -Die Billardbälle knallten nebenan im Saal. Zuweilen verirrte sich sogar -eine Dame mit ihrem Freund in den Billardsaal und einer der Spieler -machte es bekannt. - -»Haben Sie die hübsche Person im Billardsaal gesehen?« - -Der eine oder der andere der Kartenspieler warf einen Blick durch die -Tür, während die Karten neu gegeben wurden, oder er machte sogar rasch -einen Gang durch den Saal, wenn es sich lohnte. »Eine verteufelt hübsche -Person, und Augen hat sie!« - -Aber es geschah nur sehr selten, daß eine Dame sich zu den Billards -hinan verirrte. Sonst gab es im Spielzimmer keinerlei Ereignisse. Das -Spielzimmer ignorierte Berlin und die große Welt, wie Berlin und die -große Welt das Spielzimmer ignorierten. Nur flüchtig wurden besondere -Ereignisse gestreift: ein Krieg irgendwo, ein Sensationsprozeß, ein -Schneesturm, eine Stockung der elektrischen Bahnen -- blitzschnell -flogen die Karten über die grünbespannten fleckigen Tische. - -Es gab sogar Stammgäste, die noch länger als Schwedenklee im Café -verkehrten. Ein Rechtsanwalt war zwölf Jahre lang Stammgast, und der -Bassist kam schon seit fünfzehn Jahren hierher. In den Sommermonaten -zerflatterten die Gäste auf einige Wochen, aber es blieb doch immer ein -Spieltisch wenigstens im Gange. - -So also sah Schwedenklees Heim aus, wo er seine Abende verbrachte, -anstatt Museen, Bahnhöfe und Kaufhäuser zu entwerfen, wie er es früher -plante. - -Schwedenklee spielte vorzüglich Karten! Er war als Gegner gefürchtet, -als Partner gesucht. Er war frisch und gut ausgeruht, natürlich, während -zum Beispiel die Rechtsanwälte und Ärzte, die schon seit acht Uhr -morgens in den Gerichtssälen und Kliniken arbeiteten, manchmal vor -Müdigkeit einschliefen, wenn die Karten gemischt wurden. - -Zuweilen war man der Karten überdrüssig. Man machte ein Spiel auf dem -großen Matchbillard, und der Kellner mußte das sorgfältig -eingeschlossene Privatqueue Schwedenklees aus dem Schrank holen. Dann -und wann auch spielte Schwedenklee mit dem Bassisten eine Partie Schach. - -Gegen drei Uhr, vier Uhr morgens leerte sich das Spielzimmer, die -letzten Kiebitze verließen den Kartentisch, und schließlich riefen auch -die leidenschaftlichsten Spieler, dem Erschöpftsein nahe, nach dem -Zahlkellner. - -Schwedenklee blieb selten länger als bis zwei Uhr. Nur während einer -ganz kurzen Periode hatte der Spielteufel so heftig von ihm Besitz -ergriffen, daß er jede Nacht hindurch bis sechs Uhr morgens Bakkarat -spielte. Doch das war schon einige Jahre her, und nicht er allein war -schwach geworden, die sämtlichen Spieler hatte plötzlich eine Art -Besessenheit befallen. - -Um zwei ging Schwedenklee nach Hause, um tief und ohne Pause zu -schlafen, ganz allein in einem großen zweischläfrigen Bett mit einem -hellgrünen Seidenhimmel. - -Schwedenklee war Junggeselle, natürlich. Über Frauen und Ehe hatte er -seine ganz besonderen Ansichten! - -Ein einziges Mal hatte er den Kopf so weit in der Schlinge, daß er das -Schlimmste befürchtete! Es war die »furchtbarste Zeit seines Lebens«, -wie er sagte. Er hatte sich mit einer hübschen Base eingelassen, nettes -Gesichtchen, plapperte erfrischend, und die Sache war gerade deshalb so -verzweifelt, weil die ganze Verwandtschaft, die er jahrelang völlig -ignoriert hatte, dabei im Spiele war. Schwedenklee verlor den Appetit -und verbrachte die Nächte ohne Schlaf. Er entwarf hundert -Abschiedsbriefe, ohne den Mut zu haben, die Base zu verabschieden. Es -war ja ganz unmöglich, ein so entzückendes Geschöpf bloßzustellen. Das -Wunderbare ereignete sich in dieser Periode: Schwedenklee hielt der -Braut die Treue, so schwer es ihm auch zuweilen wurde! »Eine herrliche -Sache ist die Treue,« pflegte er in dieser Zeit zu sagen, »aber sie -kostet Nerven, mein Freund!« Eines Tages aber übersandte das entzückende -Geschöpf ihm einen Abschiedsbrief! Voller Zerknirschung und Tränen: sie -hatte sich auf einer Bahnfahrt in einen Offizier verliebt. - -Gott sei gelobt! Glück zu, Schwedenklee! - -Ja, in der Tat, es war eine furchtbare Zeit! - -Schwedenklee schlief prachtvoll unter seinem hellgrünen Seidenhimmel, -obschon neben ihm noch recht gut Platz gewesen wäre. - - * * * * * - -Wie gesagt, aber in den letzten Tagen gefiel Schwedenklee den -Kartenspielern nicht mehr! Wer sollte sich sonst um ihn kümmern, wenn -nicht sie? Etwa Augusta? Nein, Augusta wich ihm aus, floh ihn direkt, -wenn sie merkte, daß er in schlechter Laune war, mit Rücksicht auf ihre -zerstörten Nerven. Augusta hatte nur beobachtet, daß eines Tages ein -Brief mit einem schwarzen Trauerrand angekommen war, und Schwedenklee -die Augen rollte. Die Kartenspieler aber, sie kannten ja jeden Zug in -seinem feisten, leuchtenden Gesicht. Und wenn ein gewiegter Spieler wie -Schwedenklee ein »angesagtes« Solo verlor, soviele Buben, soviele Asse, -Könige, Damen, eine Farbe blank -- was sollte man dann sagen? Wie? Ja, -nun war es offenbar, nicht mehr wegzuleugnen: etwas war bei Schwedenklee -nicht in Ordnung! - -Es entstand eine solch furchtbare Aufregung, daß man eine Runde -aussetzte und die Kellner aus dem Billardsaal zusammenliefen. - -Schwedenklee war sogar erbleicht, als das Solo so katastrophal -zusammenbrach! In all den Jahren hatte niemand beobachtet, daß -Schwedenklee erbleichte. Heute aber, in der Tat, war das Blut aus seinen -roten Wangen gewichen, und seine Nasenspitze war für eine Sekunde -schneeweiß geworden. - -Es nützte Schwedenklee nichts, daß er seine bekannte Lachsalve losließ. -Die Ärzte, die Notare blickten prüfend und argwöhnisch in sein Gesicht. - -Schwedenklee hatte trotz der geheuchelten Heiterkeit immer noch einen -verwirrten Gesichtsausdruck. Sein Blick war flackernd, nicht unbekümmert -und etwas keck wie gewöhnlich. Nun errötete er sogar. Er tat, als schäme -er sich, ein mit solch triumphierendem Lächeln angesagtes Solo verloren -zu haben. - -Die Erregung verflog. Die Kiebitze, die aufgesprungen waren, saßen -wieder ruhig auf ihren Stühlen, der Wollust hingegeben, die Chancen des -Spielers besser zu kennen als die einzelnen Spieler, die große -Überraschung, die jede Sekunde offenbar werden mußte, schon lange vorher -genießend. Hinter Schwedenklees breitem Rücken verschanzt saßen drei -Kiebitze dicht nebeneinandergedrängt. Schwedenklees Spiel interessierte -heute abend am meisten. Er erhielt eine große Karte nach der andern, er -spielte nunmehr konzentriert, führte jedes Spiel in großem Stil durch -und gewann. Er wurde rot, sooft er die Karte aufnahm: so wie heute hatte -ihn das Glück noch nie umschmeichelt. Den Kiebitzen aber fiel es auf, -daß er gepreßt atmete, sooft er ein großes Spiel gewonnen hatte. - -Plötzlich aber -- mitten in der Glücksserie! -- zog er die Uhr und erhob -sich ohne alle Umstände, zum Erstaunen der Spieler, zur Enttäuschung der -erregten Kiebitze. Er entschuldigte sich hastig mit dringlichen -Arbeiten. Sofort sprang ein anderer Spieler, der schon eine Stunde -lauerte, für ihn ein. Der Pikkolo lief mit seinem Überzieher herbei. - -Begleitet von einem der Kiebitze, dem bekannten Nervenarzt Wittmann, -einer Kapazität, durchschritt Schwedenklee, in Gedanken versunken, das -Billardzimmer. Und er erbleichte tatsächlich an diesem Abend zum -zweitenmal! Es war heute wirklich alles wie verhext, es gibt solche -Tage. Auf dem Mittagsspaziergang hatte er jene ganz in sich -zusammengekrümmte Bettlerin auf der Potsdamer Brücke getroffen, die wie -eine Verkünderin von Unheil an jenen Tagen auftauchte, da irgend etwas -Unangenehmes sich ereignen würde. Nun dieses Gesicht! Es saß gegenüber -der Tür des Spielzimmers im Billardsaal an einem kleinen -Marmortischchen. Das Gesicht eines zermürbten, alternden, grauhaarigen -Künstlers, eines völlig Hoffnungslosen, eines Bittstellers, fahl, mit -dunkeln, fiebernden Augen, und diese Augen streiften seinen Blick scheu -und tastend. Vielleicht hatte dieser Hoffnungslose, Hungrige voller Neid -beobachtet, wie Schwedenklee seinen Kartengewinn in die Tasche steckte? -Jedenfalls gehörte dieses Antlitz voller Gram und Elend zur Klasse jener -Gesichter, die Schwedenklee fürchtete, denen er aus dem Wege ging. Sie -verdarben ihm die gute Laune und riefen in ihm augenblicklich die -tausend Unannehmlichkeiten wach, große und kleine, die ihm das Leben -getrübt hatten. - -»Sie sind nervös, Schwedenklee«, sagte der berühmte Nervenarzt, die -Kapazität, mit einem mahnenden Blick hinter dem schiefsitzenden Kneifer. -»Sie sollten etwas für Ihre Nerven tun. Die ganzen Tage fiel mir schon -Ihr Wesen auf. Ich möchte fast vermuten, daß irgend etwas -Außergewöhnliches -- ich will nicht aufdringlich erscheinen ...« - -Schwedenklee schlug den Pelzkragen hoch, um sein Frösteln -- dieser -Nervenarzt! -- zu verbergen. Dann reckte er sich ein wenig und lachte -laut heraus, während er stehen blieb. »Was soll ich haben?« rief er -etwas zu laut. »Bedenken Sie, schon morgens um sieben Uhr kommt ein -falscher telephonischer Anruf. Ich hatte nachts gearbeitet und nur -wenige Stunden geschlafen. Dann kommen allein am Vormittag drei -unangenehme Besuche. Es ist ein Wahnsinn, in dieser Stadt zu leben!« - -»Ja, dieses Berlin ist eine Hölle!« - -»Eine völlig sinnlose Hölle -- eine Hölle ohne jeden Scharm. Bedenken -Sie dagegen, zum Beispiel, Paris, eine Hölle mit Reizen ...« - -»Mit fürchterlichen Reizen, Schwedenklee! Vielleicht ist Swedenborgs -Ansicht berechtigt, daß diese Erde überhaupt nichts anderes ist als eine -Art Fegefeuer, eine Vorhölle ...?« - -»Swedenborg?« - -»Ja, Swedenborg.« - -Schwedenklee gestand nicht ein, daß er diesen Namen heute zum erstenmal -hörte. - -»Oft scheint es mir, als ob diese Großstädte Exponenten der -Swedenborgschen Hölle seien: riesenhafte Kloaken, in die Tag und Nacht, -ohne Unterbrechung, der Schmutz rinnt, Bordelle, Mördergruben, -infernalische Verneinungen des göttlichen Gedankens!« - -Der kleine Arzt fröstelte. - -»Ja, in der Tat, vielleicht leben wir mitten in der Hölle, ohne es zu -wissen! Vielleicht sind all unsere Freunde, die jetzt da droben Karten -spielen, nichts als Teufel, Gespenster, Verdammte, Verfluchte ...« -Bleich und erschöpft von der Stubenluft blinzelte der berühmte -Nervenarzt in Schwedenklees rotes Gesicht. - -Plötzlich lächelte Schwedenklee und streckte dem Arzt die Hand hin. -»Hölle hin, Hölle her!« rief er mit einem sieghaften Lächeln. »Das Leben -ist doch schön! Gute Nacht, Doktor!« - -»Trotzdem« -- der Arzt berührte wohlwollend Schwedenklees Ärmel -- -»sollten Sie sich etwas Ruhe gönnen. Gehen Sie doch in Ihre Villa an der -Ostsee!« - -»Jetzt, im April? Sie ahnen nicht, Doktor, wie entsetzlich kalt es da -oben ist. Übrigens regnet es immer. Nein, danke herzlich!« - -Schwedenklee stand und sah dem kleinen, unsicher gehenden Arzt, der -Kapazität, betroffen nach. Welch eindringliche Ermahnungen! Und -»Fegefeuer, Gespenster --«? - -»Ja,« sagte Schwedenklee, »vielleicht hat er sogar recht! Aber, was für -eine Welt wäre das -- ein Betrug, nichts sonst! Und doch --?« - -In tiefes Nachdenken versunken ging er weiter. Es half nichts, daß er -die vorübergehenden Frauen musterte, um sich zu zerstreuen. Ein Paar -herrische, schöne Augen leuchteten aus der feuchten Dunkelheit der Bäume --- vergebens. - -Schwedenklee atmete die laue Luft ein, er blickte in das knospende Geäst -der hohen Bäume empor, sah die Sterne durch das leichte, schillernde -Gewölk am Himmel jagen -- aber seine Gedanken wurden düsterer und -düsterer. Immer schwerer wurde die Last auf seinem Herzen. - -Endlich blieb er stehen und holte tief Atem. - -»Ja,« sagte er halblaut vor sich hin, »vielleicht sind wir in der Tat -von Gespenstern umgeben und vielleicht ist es _wahr_, daß die Toten nach -mir greifen!« Und er nickte ein paarmal schwer mit dem Kopfe. - -Wie? Schwedenklee? - -Wie ist es möglich, daß gerade er, Schwedenklee, der immer gut Gelaunte, -Strahlende, der vom Glück Umschmeichelte, von der Melancholie übermannt -wird? - - - - - 4 - - -Beruhigend brennt die grüne Schirmlampe auf dem riesigen -Diplomatenschreibtisch. Besänftigend blicken all die vertrauten Dinge -des Arbeitszimmers. Dort die Büste der Nubierin. Sie lächelt -vertraulich, fast etwas verschämt. - -Schon scheint das Düstere nicht mehr so drohend. - -In weichen gefütterten Hausschuhen gleitet Schwedenklee über den -Teppich, sein Blick wandert über die Decke. Schwedenklee schüttelt -abwehrend den Kopf. »Es ist ja alles Unsinn!« sagt er zu sich. »Diese -pathetische Phrase von den Toten -- und auch das mit dem kalten Hauch!« - -In der letzten Zeit war es ihm zuweilen gewesen, als ob ihm ein kalter -Hauch ins Genick blase. - -»Alles Unsinn! Es sind deine Nerven, mein Freund! Wie kann ein Brief, -ein unsinniger Brief -- ja, wie ist es nur möglich?« - -Schwedenklee bleibt stehen und mustert entschlossen den riesigen -Diplomatenschreibtisch. Plötzlich steuert er mit zwei, drei großen -Schritten auf den Schreibtisch zu und zieht, etwas asthmatisch atmend, -die unterste Schublade heraus. - -Es ist das beste! Er war entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen, -da es sich als unmöglich herausstellte, darüber hinwegzugleiten. Es war -feige, keine Worte, _nicht nachzuforschen_! Nein, heute hatte es ihm bei -den Karten keine Ruhe mehr gelassen ... - -Diese Schublade stellte er auf einen niedrigen Rauchtisch und -betrachtete, schon wieder etwas mutlos, den Wust von Karten, Bildern, -Briefen, Theaterzetteln. Sogar eine graue Seidenschleife befand sich -darunter. - -Schwedenklee warf sich in einen Sessel und streckte die Hand nach einem -der vergilbten Briefe aus. Aber schon erhob er sich wieder. Er entkorkte -eine Flasche Bordeaux und zündete sich umständlich -- um Zeit zu -gewinnen -- eine Zigarre an. - -Ja, nun war er bereit! - -»Eine von euch weilt also nicht mehr unter den Lebenden!« sagte er laut, -um sich Mut zu machen, und blies heftig in die Zigarre. Eine leise, aber -nicht quälende, ja fast angenehme Trauer überkam ihn. Ja, es ist -sonderbar, er fühlte sich sogar als eine gewissermaßen wichtige -Persönlichkeit, weil eine jener Frauen, die er geliebt hatte, schon ins -Reich der Schatten entwichen war. - -»Und sie gedachte meiner noch in ihrer letzten Stunde!« Wieder schwebte -Schwedenklee in den gefütterten Hausschuhen hin und her. Dann aber warf -er sich in den Sessel und griff entschlossen mitten in die vergilbten -Briefe hinein. - -Dieses graue Seidenband -- o, so deutlich erinnerte er sich -- vor -Jahren schmückte es Lissis blonden lockeren Haarschopf. Und es fiel ihm -ein: wie sie einmal unerwartet in sein Zimmer stürmte, es war im Winter, -Schneegestöber. Ihr Pelz war dick mit Schnee bedeckt -- und so, wie sie -war, im beschneiten Pelz, schloß er sie in die Arme. Noch heute fühlte -er die stechende Kälte der einzelnen Schneekristalle ... Und hier ist -eine Karte von Lissi, aus Oberhof, Lissi im Skikostüm. - -Nein, Lissi, die Heitere, war es gewiß nicht! Lissi kann nicht sterben! -Sie saß jetzt irgendwo in Nizza oder Gardone in der Diele eines Hotels -und blies lächelnd den Rauch der Zigarette in die Luft. - -Schwedenklee zog einen vergilbten Brief aus der Lade und begann ihn mit -hochgezogenen Brauen zu lesen. Er erinnerte sich an diesen Brief nicht -mehr! Wie? Er erinnerte sich auch nicht, jemals auf der Rennbahn in -Karlshorst gewesen zu sein? Der Brief war signiert: M. Z.? Wer war M. -Z.? Vorwürfe, Beteuerungen, Verdächtigungen, Küsse -- voller Interesse -las er den Brief vom Anfang bis zum Ende. - -Aber wie merkwürdig -- und er erinnerte sich gar nicht mehr! - -Schwedenklee schlug die Schenkel behaglich übereinander und machte es -sich im Sessel bequem: Diese Briefe, diese Erinnerungen waren weder so -langweilig, noch so erschreckend, noch so unangenehm, wie er es -befürchtet hatte. - -Wo mochte, zum Beispiel, jetzt diese Martha sein, die ihn Sonnabend ein -Viertel vor acht im Foyer des Lessingtheaters erwartete? Sie hatte wohl -einen kleinen Beamten geheiratet und schlief jetzt Seite an Seite mit -ihrem Gatten. Breit und weich waren ihre Hüften, eine schneeweiße, etwas -volle Büste hatte sie, und plötzlich erinnerte er sich an den Geruch -ihres Körpers: süße, frischgemolkene Milch. Martha schwärmte fürs -Theater, wöchentlich zweimal führte er sie aus. Dann soupierten sie -irgendwo, um bei ihm noch eine Tasse Kaffee zu trinken. Nie hatte er -eine bescheidenere, sanftere Frau gekannt. - -»So geht das Leben dahin!« sagte Schwedenklee und legte die Karte zur -Seite. - -Wer war Otti? Unmöglich, sich rasch an alles zu erinnern. Sie schrieb -etwas von Halensee -- ja, o richtig, es war Otti mit der Matrosenbluse! -Eine zierliche Stenotypistin, mit der er vor Jahren eine kleine Liebelei -unterhielt. Otti liebte es, in zweitklassigen Lokalen zu tanzen und sich -den frechen Blicken der Männer preiszugeben, die sie erregten. Sie war -eitel auf ihre Beine, edle, rassige Beine, glatt und hart wie Elfenbein, -und diese Beine stellte sie gern zur Schau. Auf Zurufe antwortete sie -mit seltener Schlagfertigkeit, wobei sie das Stupsnäschen keck in die -Luft warf. Unaufhörlich wanderten die Blicke ihrer großen blassen Augen, -unausgesetzt auf der Suche nach neuen Abenteuern, neuen Erregungen. -Sobald aber er auch nur einen Seitenblick wagte --! Verwirrend süß, die -Ungerechtigkeit der Frauen! - -Ihre Lippen waren breit und weich, dachte Schwedenklee, und sie standen -immer vor Erregung etwas offen. Ihre Brüste aber waren klein und spitz, -die Knospen waren deutlich unter der Bluse zu erkennen und gerade darauf -war Otti stolz. - -»Hoffentlich aber haben wir Ottis Abschiedsbrief noch!« Ja, er erinnerte -sich jetzt plötzlich, daß sie ihm einen solch amüsanten Abschiedsbrief -geschrieben hatte, seinerzeit, und er suchte ihn hastig in heiterster -Laune. - -Er hatte damals, als er mit dem Kompagnon das Haus am Kurfürstendamm -baute, das ihn beinahe ruiniert hätte, Otti in sein Bureau genommen. Ein -unverzeihlicher Fehler! Otti erschien, wann es ihr behagte, saß rauchend -bald auf diesem, bald auf jenem Zeichentisch, kokettierte mit dem -Kompagnon, zeigte allen Besuchern ihre schönen Beine -- kurz und gut, er -mußte, so leid es ihm tat, eines Tages ein offenes Wort mit ihr reden. -Es gab eine schreckliche Szene, an die er sich jetzt voller Behagen -erinnerte. Diese kleine Otti bebte vor Wut, und ehe er es sich versah, -schlug sie ihm mit ihrer kleinen, festen Hand ins Gesicht. Ja, -tatsächlich! Und dann schrieb sie ihm einen Brief, er entsann sich -genau, einen äußerst drolligen Brief. - -Hier ist er! - -Laut auflachend las Schwedenklee diesen Brief. - -Ja, sie, Otti, wußte es schon vom ersten Tage an, daß sein Wesen im -Grunde genommen ordinär war, obgleich er sich immer so aufspiele. Und -wie geizig er doch sei: welche Vorwürfe -- ein Dutzend Seidenstrümpfe, -zwei Paar Tanzschuhe, ein Sommerhut -- nein, nicht geizig, einfach -schmutzig war er! Ja, sie, Otti, würde wohl nicht so verrückt sein und -ihm die tausend Mark, die er ihr geliehen hatte, zurückzahlen, nein, für -so wahnsinnig werde er sie gewiß nicht halten. »Was die Ohrfeige -betrifft,« schloß Otti, »so wird es mir noch in meiner letzten Stunde -eine Befriedigung sein, daß ich Dich in Dein hochmütiges, aufgeblasenes -Gesicht geschlagen habe, auf das Du Dir so viel einbildest.« - -Noch in ihrer letzten Stunde! Schwedenklee lachte so laut, daß er husten -mußte und seine rote Zunge herausfuhr. »Auf deine Gesundheit, Otti!« - -Schwedenklee hatte nie Mangel an Frauen gelitten. Er war wohl keine -Schönheit, aber er war auch nicht häßlich, und wenn er lächelte -- seine -Lippen waren voll und schön geschwungen --, so erhielt sein Gesicht -sogar einen angenehmen Ausdruck. Er war elegant und er hatte stets Geld. -Er besaß eine schöne, behagliche Wohnung und er war gesund. In der Tat, -Schwedenklee konnte den Frauen etwas bieten. Schon als Student hatte er -vor den Kameraden einen nicht zu unterschätzenden Vorsprung gehabt. Er -verstand es ja ebenso gut wie sie, schöne Worte zu machen und -schlagfertig zu antworten, aber es reichte bei ihm noch etwas weiter: zu -einem kleinen Blumenstrauß, zu einer Einladung in eine Konditorei -- -siehst du! - -Schwedenklee wählte für gewöhnlich die Frauen aus der sozialen Schicht, -die gerade etwas unter der seinen lag. Diese Frauen schienen ihm am -umgänglichsten. Natürlich gab es auch Ausnahmen, und zuweilen mußte er -alle seine Energie aufbieten, um sich nicht zu verlieren. Man denke an -die Base! - -Nein, nein, Schwedenklee hatte geschworen, seine Freiheit nie -aufzugeben! Man konnte als Junggeselle tun und lassen, was man wollte. -Willst du ein Theater besuchen, so gehst du, ziehst du im letzten -Augenblick doch das Café vor, nun so wendest du noch im Foyer um. Du -willst ein paar Tage reisen, gut, du reisest, du wählst Reisetag und Zug -ganz nach deinem Belieben. Einmal verheiratet, ist es mit aller Freiheit -vorbei. Jeder deiner Schritte wird beobachtet, wann du dich niederlegst, -wann du aufstehst, alles. Deine Frau erkrankt, das Kind hustet, schon -telephonierst du erschrocken nach dem Arzt. Es könnte ein Unglück -geschehen -- nein, daran wollte er gar nicht denken! Als er die Mutter -verlor, war er ein leichtsinniger Student, der es nicht allzu schwer -nahm -- als sein Vater starb, war er schon gereift genug, um sich zu -beherrschen. Es war sein letzter wirklicher Schmerz. Nein, nein, -Schwedenklee hatte alles genau durchdacht, es war am besten so, wie es -war, und damit genug! Er wollte keine Aufregungen, keine Spannungen, -keine Qualen. - -Konnte man -- um nur etwas zu sagen -- als Ehemann mitten in der Nacht -in einem bequemen Sessel sitzen, bei einer Flasche Wein und einer -Zigarre, und in alten Liebesbriefen und Erinnerungen wühlen? - -Wie? Versuch' es. Und dazu, solange man wollte, es konnte Morgen werden -... - -Da war noch diese und jene Freundin -- diese und andere, in Rom, in -Paris, in Wien -- alle zogen sie vorüber: jung, heiter, strahlend. -Tanzfeste, Ausflüge, eine Reise im Schlafwagen, eine Dampferfahrt nach -Kopenhagen, ein kleiner Abstecher ins Holländische ... - -Alle diese Freundinnen gehörten mit wenigen Ausnahmen jener bequemen -sozialen Schicht an, die um ein Etwas tiefer lag als Schwedenklees -Gesellschaftsklasse. Es waren Stenotypistinnen, Modistinnen, -Erzieherinnen, kleine Schauspielerinnen, Tänzerinnen, sogar eine Dame -vom Varieté war dabei. Sie alle waren gierig nach dem Leben, wollten -zuweilen in einem eleganten Restaurant dinieren, wie feine Damen, -wollten zu einem Rennen fahren, im Auto über den Kurfürstendamm rollen, -wollten eine Oper besuchen, um vor ihren Freundinnen damit prahlen zu -können. Eine kleine Reise, lieber Himmel, wie wunderbar, ein Paar -Sommerschuhchen mit Seidenstrümpfen, herrlich! Ein Ausflug aufs Land, -mein Gott, sie wurden sofort um Jahre jünger, dreizehn, plapperten wie -Kinder. Sie genossen jede Kleinigkeit, das Nichts selbst, diese guten -Geschöpfe, schlürften, waren berauscht. Sie schrien vor Erregung, wenn -das Pferd, auf das sie gesetzt hatten, mit einer vollen Länge in den -Einlauf einbog, und zerbrachen den Sonnenschirm, wenn es knapp vor dem -Ziel noch geschlagen wurde. - -Es war nicht schwierig, ihre Bekanntschaft zu machen. Schwedenklee war, -es ist die Wahrheit, in gewissem Sinne schüchtern, und das Herz schlug -ihm im Halse vor jedem Abenteuer, aber es gelang fast immer. Schwieriger -war es schon, sie, wie er es nannte, »in der rechten Distanz zu halten«. -O, oft war es eine Kunst! Sie durften in ihren Gefühlen und Ansprüchen -niemals eine gewisse Linie überschreiten, die Beziehungen mußten leicht -und immer unverbindlich bleiben. Und doch lag es im Wesen dieser -Sehnsüchtigen, diese Linie stündlich, in jeder Minute zu verletzen. - -Das schwierigste aber war es, sie zu verabschieden! Ein unerfreuliches -Kapitel. Wirkliches oder geheucheltes Erkalten der Empfindungen, eine -vorgebliche Geschäftsreise, etwas Schauspielerei -- und, wenn es sein -mußte, sogar Härte! Es fiel Schwedenklee nicht leicht, Härte zu zeigen. -Zorn, Tränen, verzweifelte Briefe, Drohungen. Nein, nicht immer ging es -so leicht und einfach wie bei Otti, die einfach auf ihn einschlug und -einen rasenden Brief schrieb. - -Schwedenklee saß hingestreckt in dem bequemen Ledersessel, die Beine -übereinandergeschlagen, die Zigarre im Mund, und sah zur Decke empor. -Der Wein ging zur Neige, er war in eine warme, heitere Laune geraten. -Die Stunden flogen. Lächelnd, träumerisch war Schwedenklees Miene. - -Gestehen wir es nur, er hatte es verstanden, sein Leben zu genießen! -Seine Freundinnen waren alle gute, liebe Geschöpfe gewesen, auch Otti -natürlich, er hatte wenige, fast keine Enttäuschungen mit ihnen erlebt. - -Sonderbar, er hatte sie fast alle vergessen! Er erinnerte sich kaum noch -an ihr Aussehen, die Züge waren in seinem Gedächtnis verblaßt. Welche -Farbe hatten, zum Beispiel, ihre Augen? Die Farbe der Haare war -einigermaßen haften geblieben, ähnlich wie die Haare sich in den Gräbern -am längsten erhalten, wenn alles andere längst vermodert ist. Einzelne -hatten nicht den geringsten Eindruck hinterlassen, von anderen wußte er -nur, daß sie groß oder daß sie klein und zierlich waren. Von Otti hatte -er am klarsten die Matrosenbluse in Erinnerung und, wie gesagt, die -herrlichen Beine. Von einer Tänzerin wußte er noch, daß sie hohe -Straßenstiefelchen trug, aus einem Leder wie graue rauhe -Glacéhandschuhe. Von einer Französin war kaum mehr in seinem Gedächtnis -verblieben, als daß sie einen Bleistift mit den nackten Zehen hochheben -konnte. - -Für eine gewisse Ellen, eine Schauspielerin, hatte er fortwährend Villen -und Landhäuser entwerfen müssen, mit einem Schwimmbassin, das in ein -Palmenhaus eingebaut war. Er erinnerte sich an Ellens zarte -Fingerspitzen, die leise bebten, wenn sie ihn berührte. Diese Ellen -errötete leicht und sehr merkwürdig. Ihre Haut war sehr zart, und die -Röte überflog ganz unvermittelt wie ein Gluthauch ihr Gesicht und -bedeckte auch Hals und Nacken. Nichts sonst fiel ihm in dieser Sekunde -von Ellen ein. - -Eine andere quälte ihn eifersüchtig, und ihre schwarzen Augen funkelten. -Die Tänzerin sah er vor sich, wie sie im Varieté auftrat, abwechselnd -kalkgrün und korallenrot beleuchtet. Ihre Züge waren ihm entfallen, aber -er erinnerte sich, daß sie beim Souper nach dem Theater immer noch etwas -Farbe von der Schminke um die Augenlider hatte. Das sah ungeheuer -interessant aus. - -Berta mit dem pechschwarzen, schnurgeraden Scheitel hatte die Unart an -sich, in den Restaurants unbemerkt kleine Brotkugeln nach den -Nachbartischen zu werfen. Sie trug eine Narbe von einer -Blinddarmoperation am Leibe, und diese silbrige Narbe sah er ganz scharf -vor sich. Die Dame vom Varieté, die er bald verabschiedete, weil sie -täglich größere Ansprüche stellte, liebte es, eine schwermütige Miene -anzunehmen, während sie ihn mit ihren glasig-glänzenden braunen -Tieraugen ansah, um dann seufzend zu lächeln und ihr herrliches Gebiß zu -zeigen. - -Hier, siehst du, Schwedenklee, ist ein kleines, von schwarzen Haaren -umflattertes Gesichtchen, das große Tränen in den schönen Augen hat. Und -hier, Schwedenklee, da ist sie, wie hieß sie doch gleich, sie konnte so -wunderbar lachen! Sie war eine Virtuosin im Lachen, sie steckte die -Nachbartische an, sie gab Gastspiele im Lachen -- ach Gott, wie hieß sie -denn? Sie ging von dir zu einem Karikaturenzeichner über, der sie dann -hundertmal zeichnete, in allen Witzblättern war sie zu sehen. Es wird -ihr wohl nicht schlecht ergangen sein -- wir wünschen es ihr. - -Und da: Hanny im Schlafwagen -- mit der kleinen blauseidenen Nachthaube -... - -Schwedenklee saß und träumte. Er war so tief in Gedanken versunken, daß -er regungslos zur Decke blickte und in der Tat mehr schlief als wachte. -Aus seinem vollen, satten Gesicht stieg kerzengerade der Rauch der -Zigarre. - -Die Gesichte glitten ineinander; ein Rücken wie aus frischgefallenem -Schnee geformt, ein Haarschopf, der im Nacken funkelt, rasche, -flüchtende nackte Füße, ein Knie, wie aus der Hand Rodins, zitternde -Hände, die das Haar aufstecken ... - -Sonderbar! Schwedenklee sah fast keine seiner Freundinnen wieder, sobald -er sich von ihnen getrennt hatte. Berlin verschlang sie, die Welt, das -große Leben verschlang sie, ohne daß sie je wieder auftauchten. Sie -verwehten wie die Blätter im Walde. - -Schwedenklee sitzt inmitten einer Wolke von Träumen, der Zauber -versunkener Herrlichkeiten hat ihn gebannt. Das Leben! Gab es etwas -Wunderbareres als dieses verwirrende, unverständliche, dreimal -verfluchte, dreimal gepriesene Leben? Er lächelt, und sein Lächeln -verändert sich nicht mehr. Er ist glücklich. - - - - - 5 - - -»Aber Rosa?« - -Plötzlich sprang Schwedenklee auf und ging mit erregten Schritten in den -gefütterten Hausschuhen hin und her. Es war schon zwei Uhr morgens. Erst -in diesem Augenblick war ihm wieder eingefallen, aus welchem Anlaß er -nach den verblaßten Briefen gegriffen hatte. - -»Aber Rosa? Wer ist diese Rosa?« - -Unter all den Frauen gab es ja keine Rosa weit und breit! Wer war also -diese Rosa, von der ihm dieser Unbekannte geschrieben hatte? - -Geschrieben hatte --? Also hatte Augusta, die sonst wenig scharf -beobachtete, doch recht, daß ein Brief -- irgendein sonderbarer Brief -- -die Veränderung in Schwedenklees Laune hervorgerufen hatte! - -»Wie kommt dieser Unglückselige überhaupt dazu, mir, einem Unbekannten, -zu schreiben?« fuhr Schwedenklee fast drohend fort. - -In großer, ja förmlich unbegreiflicher, krankhafter Erregung eilte -Schwedenklee im Zimmer auf und ab. - -»Wie kommt dieser Unbekannte dazu?« - -»Vielleicht aber hat diesen Unglückseligen der Verlust seiner Gattin um -den Verstand gebracht -- wie?« - -»Rosa? Rosa? Aber, zum Satan, es gibt ja keine Rosa!« - -»Vielleicht habe ich sie einmal gekannt, möglich -- ganz flüchtig, -vielleicht gab sie einen falschen Namen an -- alles ist möglich!« - -»Möglich, ja, natürlich! Was sollte sie dann aber bewegen, sich nach -Jahren, in der Stunde ihres Todes, meiner zu erinnern --?« - -Ja, unbegreiflich, unverständlich, ganz unerklärlich! - -»Oder --?« Schwedenklee blieb mit einem triumphierenden Lächeln stehen. - -O ja! Auch das war recht gut denkbar! - -Vielleicht war dieser Unglückselige gar kein fassungsloser Ehemann, der -seine Frau betrauerte? Wie? Vielleicht war er nicht mehr und nicht -weniger als ein Schwindler, der einen Pumpversuch schlau einleitete? Ein -Erpresser? Schwedenklee war geneigt, sich wegen seines Scharfsinns -selbst zu bewundern. »Man braucht nur die Zeitungen zu öffnen, beim -großen Gott, welche Sorte von Spitzbuben haust in diesem Berlin! Sie -simulieren epileptische Anfälle in der Untergrundbahn, um die -mitleidigen Reisenden ungestört ausplündern zu können -- sie verfallen -auf die unmöglichsten Dinge! Ein Freund übersendet dir ein Billett zur -Oper, du gehst hin, und unterdessen plündern sie dir die Wohnung aus.« - -»Nein, mein Freund, du bist an den Unrechten gekommen. So einfach ist -die Sache mit mir nicht!« rief Schwedenklee mit überlegenem Lächeln aus. -Aber schon klang sein Lachen wieder unsicher, schon wurde er wieder -nachdenklich. - -Der _Ton_ dieser Briefe! Denn Schwedenklee hatte ja nicht einen, er -hatte _eine Reihe_ von Briefen erhalten -- seit Wochen erhielt er -Briefe! Und diese Briefe waren es ja, die in der letzten Zeit seinen -Gemütszustand so sehr beeinflußten. Der _Ton_ dieser Briefe war ohne -Zweifel -- _echt_! - -»Prüfen wir, überlegen wir,« rief Schwedenklee eifrig, schon etwas -berauscht -- »weshalb diese unsinnige Beunruhigung? Wir werden, wenn es -nicht anders geht, den Unglückseligen selbst aufsuchen. Ja, selbst, das -wird das allerbeste sein!« - -In dieser Minute war Schwedenklee außergewöhnlich mutig und -entschlossen. Er kam sich in seiner Entschlossenheit fast verwegen vor --- beinahe wie Don Juan, der mitten in der Nacht im Friedhof das -Standbild des Comturs zu Tische lädt. - -»Gehen wir der Sache auf den Grund!« - -Aus einem Winkel der Bibliothek zog er einen Stoß Briefe hervor. - -Fast überkam ihn wieder Kleinmut. Wozu schließlich? Was kümmerte ihn das -Schicksal dieses Unbekannten? - -Schwedenklee hatte diese Briefe nie richtig gelesen -- nur durchflogen, -unwillig, ungehalten -- und doch im Tiefsten, ohne ersichtlichen Grund! -erschrocken. Drohung des Schicksals ging von diesen Blättern aus und -dumpfe Traurigkeit. Sie rochen nach welken Kränzen, und diesen Geruch -hatte er noch deutlich in der Erinnerung von der Beerdigung des alten -Schwedenklee her. Er haßte diesen Geruch von Moder, er haßte diese -Kränze in den Blumengeschäften, mit den Aufschriften in bleicher -Silberschrift auf den schwarzen Seidenbändern. Er schloß sogar die -Augen, wenn er an einem jener Geschäfte mit den häßlichen plumpen Särgen -vorbeiging, deren öffentliche Ausstellung die Polizei, die sich sonst in -alles mischt, verbieten sollte. Diese Särge waren in der Tat solch -unglaubliche Monstrositäten, daß Schwedenklee sich einmal die Mühe -genommen hatte, einige Särge zu entwerfen, die nobel und würdig -aussahen, wie sie eigentlich sein sollten. Er haßte wie gesagt alles, -was mit dem Tode und den Zeremonien der Bestattung zusammenhing. Vor -zwei Jahren war einer der Kartenspieler gestorben, der Doktor Helm, ein -Landgerichtsrat, ein sympathischer Mann -- einige der Spieler waren zur -Beerdigung gegangen, aber Schwedenklee hatte sich wohl gehütet. - -Er liebte es nicht, an den Tod zu denken, nein, ganz im Gegenteil, diese -Gedanken haßte er! Manchmal erwachte er mitten in der Nacht und mußte -daran denken, daß auch er einmal sterben mußte! Diese entsetzliche -Stunde wird kommen, so sicher wie etwas -- er sah sich liegen, er -röchelte noch, eine Pflegerin stand am Bett mit einer Kompresse. Oh, es -konnte auch ganz anders sein! Zum Beispiel, ein Autobus konnte ihn auf -der Potsdamer Straße zermalmen. Diese Gedanken folterten ihn zuweilen -derart, daß er Licht machen mußte. Und doch, die Menschen lebten dahin, -lachten, rauchten Zigarren, spielten Billard, tanzten -- unbegreiflich! - -Aus all diesen Gründen machte er sich hart und gefühllos gegen das -Geschick dieses Unglücklichen, den der Schmerz gezwungen hatte, an ihn, -Schwedenklee, zu schreiben. - -»Nun wohl«, sagte Schwedenklee und setzte sich, ergeben in sein -Schicksal, zurecht. »Dieser hier, ohne Trauerrand, war der erste!« - -Schwedenklee holte tief Atem. - -»Mein Herr!« Schon diese fahrige Schrift, diese Gespenster von -Buchstaben! »Ich fühle mich gedrängt, Ihnen mitzuteilen, daß eine Frau, -die wir beide geliebt haben -- heute abend nach langem Krankenlager zur -ewigen Ruhe heimgegangen ist. Das edelste Frauenherz hat aufgehört zu -schlagen. Rosa hielt ein Leben lang die Freundschaft, die sie einst mit -Ihnen verband, hoch in Ehren. Es wird Ihnen gewiß ein Bedürfnis sein, -der edlen Verblichenen die letzte Ehre zu erweisen. Die Beisetzung -findet am Freitag, den 21., statt ... In tiefstem Schmerz -- Edgar -Blank, ehemaliger Hofopernsänger.« - -Schwedenklee las den Brief mit fast der gleichen Verwunderung, -Verblüffung, dem gleichen leisen Grauen, wie vor Wochen, da er ihn -erhalten hatte. In einer Art von leichter Lähmung hielt ihn der Sessel -fest. - -Was sagt man dazu? Er war natürlich nicht zur Beerdigung gegangen, wie -sollte es ihm in den Sinn kommen -- eine ihm völlig Unbekannte! Als er -seinen Vater begraben hatte, hatte er sich geschworen, nie mehr einer -solchen Zeremonie beizuwohnen, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ. -Unvergeßlich war ihm dieser schreckliche Vormittag. Der alte -Schwedenklee ließ sich verbrennen. Im Krematorium warteten schon mehrere -Parteien, und Schwedenklee geriet, noch heute empfand er die -Peinlichkeit, zuerst in eine falsche Gruppe von Seidenhüten. Alle hatten -Eile. Dann sank der Sarg in die Versenkung. Der alte Schwedenklee hatte -noch im Alter den typischen Kopf eines Maurers gehabt, mit etwas zu -langem Schnurrbart, etwas abstehenden Ohren und verwittertem Gesicht. -Als der Sarg sank, verwandelte sich, so schien es Schwedenklee, der -ganze Sarg in den Kopf des Vaters. Schwedenklee jagte voller Schrecken -nach Hause, und noch heute sah er, wie der langsam sinkende Sarg sich in -den Kopf des Vaters verwandelte, noch heute hörte er das fürchterliche -kalte Klirren der sich schließenden Eisenplatten. - -Der zweite Brief des Unglücklichen schilderte ausführlich die Beerdigung -der Unbekannten. »Wir haben heute Rosa zu Grabe getragen. Sie sind nicht -gekommen! Es hätte die Tote geehrt. Aber vielleicht sind Sie gar nicht -in Berlin. Vielleicht hat mein erster Brief Sie überhaupt nicht -erreicht! Wir waren nur zwei im Trauergefolge, von den Trägern -abgesehen. Ein jämmerliches Trauergefolge -- und doch jubelten Rosa -früher auf der Bühne Tausende zu -- vergessen und einsam ging sie zur -Ruhe, und selbst Sie, den sie ihren Freund nannte, sind nicht gekommen -...« - -Diesen Brief hatte Schwedenklee vor Wochen, als er ihn empfing, entsetzt -zur Seite gelegt, ohne ihn zu Ende zu lesen. Der Briefschreiber verlor -sich selbstquälerisch in all die traurigen Einzelheiten: der Regen, der -Schmutz, die Grabsteine, der Trott der Sargträger, das lehmige Grab --. - -»-- ich schäme mich nicht, Ihnen zu bekennen, daß mich der Schmerz -übermannte, als der Sarg hinabglitt. Ich schrie und fiel zu Boden ...« - -Schwedenklee war erbleicht und wischte sich die Stirn ab. Er ging auf -und ab in seinen weichen Schuhen und suchte Beruhigung bei einer neuen -Zigarre. Man durfte nicht vergessen, daß ein Unglücklicher diesen Brief -schrieb! - -Aber Rosa? Ja, bei Gott, wer sollte --? - -Vielleicht war es ein Mißverständnis, eine Verwechselung --? Aber nein, -nein, in einem der Briefe schrieb der Unglückliche, daß Rosa mit -Schwedenklee in dem und dem Jahre in Paris zusammengetroffen sei. Er, -Schwedenklee, habe damals im Hotel Panthéon gewohnt. Alles stimmte. - -In einem der zuletzt eingetroffenen Briefe drückte der Unbekannte seine -Verwunderung darüber aus, daß Schwedenklee sich in Stillschweigen hülle. -»Ich habe mir in meinem letzten Brief«, schrieb er, »die Freiheit -genommen, anzudeuten, daß ich glücklich wäre -- so weit ich es in dieser -Zeit sein kann -- wenn ich Sie aufsuchen dürfte. Ich habe zwei Wochen -vergebens gewartet. Sie zögern, aus welchem Grund? Ich weiß, daß Sie in -Berlin sind. Vielleicht erscheine ich aufdringlich. Befürchten Sie -nichts. Ich befinde mich in tiefer Not, ich bin ein Bettler, aber nichts -läge mir ferner, als Rosas freundschaftliche Beziehung zu Ihnen zu -beflecken. Was ich wünsche, ist, einen Menschen zu sprechen, der Rosa -kannte, den Rosa liebte -- ich wiederhole: liebte!« - -Schwedenklee schüttelte den Kopf. Immer wirrer, dunkler schien das -Labyrinth. Ein Unglücklicher wollte sich in seinem Schmerze an ihm -aufrichten! - -Den Rosa liebte --? War es möglich, daß eine der vielen, die durch sein -Leben gegangen waren, noch nach zwanzig Jahren seiner gedachte? Daß eine -der vielen, die er »in der nötigen Distanz hielt«, für ihn eine -wirkliche Liebe empfunden haben sollte? - -»Ich werde ihn besuchen«, beschloß Schwedenklee mit feierlichem Ernst. -»Morgen -- und wenn es morgen nicht geht, spätestens übermorgen.« Er war -plötzlich von schwerer Müdigkeit überwältigt worden. Der Wein, die -Zigarren ... - -Fast augenblicklich schlief Schwedenklee hinter den hellgrünen -Seidenvorhängen ein. - - - - - 6 - - -Schwedenklee hatte in dieser Nacht verworrene, aber angenehme Träume: -Fremde, phantastische Landschaften, transparente Wälder, glühende Meere, -fremde, bezaubernd schöne Städte, unwirklich, wie aus Alabaster -geschnitten, sonderbare Begegnungen, seltsame Abenteuer, Frauen, -bekannte und fremde, eigenartig, aber alle in Tun und Gefühl nach ihm, -Schwedenklee, strebend. Er war umdrängt von Zuneigung, von Bewunderung, -von Liebe, es war ein großer und einziger Reichtum, man verschwendete -sich an ihn. Er genoß diese Bevorzugung, sie schien ihm -selbstverständlich, und gerade der Umstand, daß sie selbstverständlich -schien, erfüllte seine Seele mit Ruhe und Heiterkeit. - -Trotz der angenehmen Träume erwachte Schwedenklee spät am Morgen in -gereizter Laune und mit schmerzenden Schläfen. Er nahm sein Bad, und von -der Badewanne aus gab er das dreimalige Klingelzeichen zum Frühstück, so -scharf und hart, daß Augusta genau wußte, woran sie war. In grau- und -weißgestreiftem seidenen Pyjama betrat Schwedenklee das Speisezimmer. -Beschwörend hatte Augusta den Frühstückstisch gedeckt: Lachs und -Appetitsild, Oliven und gekochte Eier. - -Schwedenklee näherte sich dem Tisch mit gerunzelten Brauen. Ein Brief! -Wieder ein Brief mit den Gespensterbuchstaben! Mit zitternder Hand nahm -ihn Schwedenklee auf. - -»Sie verschmähen es, mir zu antworten. Sie ahnen wohl kaum, daß ich -Ihnen unter Umständen Mitteilungen machen könnte, die für Sie von -Wichtigkeit wären. Ich werde mir die Freiheit nehmen, bei Ihnen -anzurufen, und hoffe, daß Sie einer Begegnung nicht länger ausweichen.« - -Schwedenklee war an diesem Morgen schonungsbedürftig. Er hatte in der -Nacht eine Flasche schweren Bordeaux getrunken -- hingerissen von den -Erinnerungen, er hatte ein halbes Dutzend Zigarren geraucht. Er war -übernächtig, abgespannt, und seine Schläfe schmerzten. - -Ohne zu denken, ohne die Herrlichkeiten des Frühstückstisches zu -beachten: Lachs, Appetitsild, Oliven, stürzte er an den Schreibtisch und -schrieb mit wütender Hand, ihn endlich gefälligst mit diesen sinnlosen -Zuschriften verschonen zu wollen. »Sie mögen der Ansicht sein, daß Sie -mir wichtige Mitteilungen zu machen haben, behalten Sie diese -Mitteilungen für sich, ich lege nicht den geringsten Wert darauf.« - -Fort, Rohrpost -- augenblicklich! - -Augusta zitterte, sie hatte ihren Gebieter nie mit solch zornrotem -Gesicht gesehen. - -»Das überschreitet doch alle Grenzen!« schrie Schwedenklee wütend. - -»Welche unverschämte Zudringlichkeit! Besuchen, habe ich gesagt, ich -will ihn besuchen? -- Aber ich bin doch kein Narr!« - -Nun, nachdem er seinem Herzen Luft gemacht hatte, schmeckten all die -Leckerbissen des Frühstückstisches plötzlich wunderbar. Der Ärger -verflog, und Schwedenklee vertiefte sich in die Zeitung. - -Sein Unmut verrauchte vollends. Der Ausbruch von Raserei kam ihm nun -selbst lächerlich vor. Als er das Frühstückszimmer verließ, hatte er -sich soweit wiedergefunden, daß es ihn befriedigte, den zudringlichen -Brief noch einmal in die Hand zu nehmen. Offenbar hatte der Unbekannte -dieses letzte Schreiben in der größten Erregung hingeworfen. Die -Buchstaben waren kaum zu entziffern. Mit einem verächtlichen Lächeln riß -Schwedenklee den Brief mitten durch -- die Antwort würde ihre Wirkung -nicht verfehlen, er hätte schon lange Schluß machen sollen. - -Zu seinem Erstaunen entdeckte er aber plötzlich auf der Rückseite des -Briefbogens eine Nachschrift! - -»Ihr mir so unverständliches Verhalten, Ihre unbegreifliche -Gleichgültigkeit kann ich mir nur so erklären, daß Sie sich offenbar -nicht mehr entsinnen, wer Rosa ist -- oder leider -- war, dieser Gedanke -zuckt eben durch mein _krankes_ Gehirn! Rosa, meine geliebte Frau, die -ich, selbst dem Tode nahe, betrauere, war eine geborene Rosa Ellen -Fröhlich, ihr Bühnenname lautete Rosa Froh.« - - * * * * * - -Eine leise Lähmung befiel die Hand, die den Brief hielt. »Ellen -Fröhlich!« sagte Schwedenklee leise. »Dieses reizende Geschöpf! Sie also -...« - -Ein leises flüchtiges Bedauern, andere Empfindungen der Trauer löste -diese Mitteilung nicht aus. Diese lebenslustige Frau, für die er Villen -und das berühmte Schwimmbassin entwerfen mußte! Sie, die so sonderbar -rasch errötete, die Röte überzog sogar den Nacken -- diese Arme, sie -schien nicht glücklich geworden zu sein ... - -Und er, dieser Törichte, der sein Gehirn selbst ein _krankes_ Gehirn -nannte, hätte er ihm nicht schon früher sagen können, wer sich hinter -dieser Frau Rosa Blank versteckte? - -Schwedenklee fühlte sich ordentlich erleichtert. Die Ungewißheit, das -Grübeln wider Willen hatten ihn gemartert. Was hatte er weiter mit der -ganzen Sache zu schaffen? Er hatte vier Wochen lang, oder vielleicht -sechs, eine Liebschaft mit dieser Frau gehabt, eine kleine reizende -Liebelei, vor achtzehn, zwanzig Jahren -- damals in Paris -- das war -alles. - -Er instruierte Augusta, daß heute vormittag ein gewisser Herr Blank -anrufen werde. Sie möge sagen, er sei auf unbestimmte Zeit verreist. - -In bester Laune kleidete er sich an, um auszugehen. Seit langen Tagen -kam endlich die Sonne wieder durch. - -Schwedenklee war gerade mit der Toilette fertig, als das Telephon -klingelte. - -Er öffnete die Türe und hörte Augusta mit weinerlicher Stimme einigemal -wiederholen, daß der Herr Oberbaurat verreist sei. Offenbar gab sich -Blank mit dieser Auskunft nicht zufrieden. - -Augusta geriet in große Erregung. »Unverschämte Leute gibt es schon!« -rief sie aus, als sie abgehängt hatte. - -»So und damit ist die Sache erledigt«, dachte Schwedenklee und begab -sich in ausgezeichneter Laune zu seinem Schneider in der -Charlottenstraße. - -Bei diesem Schneider in der Charlottenstraße -- einer großen Firma -- -war eine junge Dame, ein Fräulein Wiedehopf, als Buchhalterin tätig. Die -dicken, glänzend braunen Flechten turmartig über dem heiteren, offenen -Gesicht aufgebaut, die Fingernägel glänzend poliert, duftend nach -Frische, wie aus dem Ei geschält, ohne das kleinste Staubkörnchen -- auf -diese junge Dame hatte Schwedenklee seit einiger Zeit ein Auge geworfen. - -»Ich lebe zu stumpfsinnig«, sagte er zu sich, als er dahinschlenderte. -»Immer das ewige Kaffeehaus. Dieses Leben bekommt dir nicht, -Schwedenklee. Wir werden diese kleine Wiedehopf heute abend zu >Figaros -Hochzeit< einladen.« - -Unterwegs löste er Karten zur Oper, und obwohl die Schar der Verkäufer -und Zuschneider diesen weiblichen Schatz mit eifersüchtigen Blicken -bewachte, hatte er Fräulein Wiedehopf, ohne daß es irgendwie auffiel, -beim Hinausgehen zu >Figaros Hochzeit< eingeladen. Man mußte es nur -verstehen. - - - - - 7 - - -Eine ganze Woche blieb Schwedenklee dem Kaffeehause fern. Theater, -Ballhäuser, Bars, sogar in ein Kino führte er die junge Dame mit den -turmartig aufgebauten Haaren und den glänzenden Fingernägeln. - -Diese kleine Wiedehopf war verlobt, nahezu verlobt, der Auserwählte war -zur Zeit auf Reisen -- wie oft hatte er das schon gehört! Sie spielte -die Dame, ließ sich verwöhnen, lockte an, wehrte ab -- sie tat, bei -Gott, wie eine Generalstochter ... - -Als Schwedenklee nach so langer Abwesenheit wieder das Kaffeehaus -aufsuchte, fand er die Spielergesellschaft von einer neuen Spielwut -besessen wieder. Man hatte die Karten verlassen und war zum Billard -übergegangen. - -Man spielte »vom roten«. Jeder Billardspieler kennt dieses Spiel. Die -Karambolage wird nur dann gezählt, wenn der rote Ball zuerst getroffen -wurde. Es spielten drei bis vier der besten Spieler, und auf sie wurde -gesetzt wie auf Pferde. - -Die Ärzte, die Rechtsanwälte, die Kaufleute, Spieler und Kiebitze, -Kellner saßen und standen in dichten Reihen um das Matchbillard herum, -in atemloser Spannung jeden Stoß verfolgend. - -Schwedenklee wurde freudig begrüßt. - -»Wie gut Sie aussehen, Schwedenklee!« rief der Nervenarzt Wittmann. »Sie -waren also doch verreist!« - -»Nein, ich war hier, habe gearbeitet und abends ein bißchen -Zerstreuung.« - -»Sie haben Ihr altes Aussehen wiederbekommen, prächtig!« - -»Ah, der Herr Oberbaurat. Nun wird es interessant! Kellner, das Queue -des Herrn Oberbaurat!« - -Sofort stiegen die Einsätze ums Dreifache. - -Einige Abende hintereinander spielte Schwedenklee hier vier, fünf -Stunden »vom roten«. Es wurden hohe Summen umgesetzt. Seine Kopfstöße, -Rückzieher, Zwei- und Dreibänder riefen lautes Händeklatschen hervor. - -Schwedenklee war bei bester Laune. Selbst das graue kreidige Antlitz des -alternden Künstlers, der nun häufiger ins Café kam, störte ihn in seinem -jetzigen Gemütszustande nicht mehr. Er genoß den Triumph. Nach dem -dritten Abend ließ er seinen schwarzseidenen weitärmeligen Billardkittel -von Augusta ins Kaffeehaus bringen, und nun konnte man fast meinen, es -mit einem Billardchampion zu tun zu haben. Er mußte seinen Gegnern -zuerst zwei Points auf zehn vorgeben, sodann drei. Je länger er spielte, -desto vollendeter wurde sein Spiel. - -»Schwedenklee ist in großer Form!« Man tuschelte. - -Es war Schwedenklee äußerst angenehm, für einige Abende Zerstreuung -gefunden zu haben: es war gewiß das beste Mittel, den Hochmut der -kleinen Wiedehopf zu beugen, wenn er eine Woche lang nichts von sich -hören ließ. Diese Methode nannte er die Methode des »Aushungerns«, im -Gegensatz zur Methode der »Belagerung«, die darin besteht, -ununterbrochen um die geliebte Frau zu werben, so daß sie -- wie -Schwedenklee sich ausdrückte -- überhaupt »nicht mehr zur Besinnung -kam«. - -In der Tat, die Methode des Aushungerns schien Erfolg zu versprechen. -Fräulein Wiedehopf wurde mürbe, schrieb ein violettes Kärtchen: Weshalb -hört man nichts mehr von Ihnen? Sind Sie verstimmt? - -O nein, nein, gar nicht verstimmt, gnädiges Fräulein Wiedehopf. Ganz im -Gegenteil! In vorzüglicher -- ich wiederhole: vorzüglicher Laune. - -Zwei Tage beantwortete Schwedenklee das Billett gar nicht. Dann schrieb -er einige höfliche Zeilen: gesellschaftliche Verpflichtungen -- in -einigen Tagen aber würde er wieder zur Verfügung sein. - -»Sonderbare Wesen sind doch diese Frauen!« dachte Schwedenklee, als er -nach dem Billardspiel nach Hause ging und den gleißenden Vollmond über -den Dächern betrachtete. »Zeigt man ihnen seine Verliebtheit, so neigen -sie augenblicklich dazu, ihre Macht zu mißbrauchen, zeigt man -Zurückhaltung, so lassen sie sofort wieder alle ihre Künste spielen. -Merken sie, daß man sich zurückziehen will, so entdecken sie plötzlich -ihre große Liebe. Ja, wie soll man sich bei ihnen zurechtfinden?« - -»Heiratet man sie, so ist man vollkommen verloren! Sieh dich doch um, -Schwedenklee -- die Ehen all deiner Bekannten und Freunde, mit ganz -vereinzelten Ausnahmen? Gleichgültigkeit, Untreue, Kampf bis aufs -Messer, Lüge. - -Ja, wie soll man es anstellen? Etwas ist hier sicher nicht in Ordnung, -das Leben ist zu kompliziert.« - -Es war gegen Abend etwas Schnee gefallen -- der Vollmond brachte die -Kälte mit -- Schwedenklee steckte das rasierte Kinn wohlig in den -Pelzkragen, während er langsam zwischen den hohen Bäumen am Kanal -dahinschlenderte. Die Straße war fast menschenleer, nur hinter ihm, in -einiger Entfernung, kroch eine hagere, zusammengekrümmte Gestalt, die -zuweilen scharf hüstelte. Die dünne Schneeschicht war an den Sohlen der -Passanten haften geblieben, so daß eine Anzahl geisterhafter schwarzer -Fußspuren kreuz und quer über die Straße lief, aus dem Unbekannten -kommend, ins Unbekannte verschwindend, verwirrend, wenn man sie lange -betrachtete. - -Plötzlich blies ein kalter Hauch in Schwedenklees Genick, ja, so schien -es ihm wenigstens. Er blieb erschrocken stehen und fröstelte. Kalte -Schauer überrieselten seinen Rücken. Weshalb mußte er gerade in diesem -Augenblick an die tote Ellen Fröhlich denken? Und weshalb hatte die -Erinnerung an diese Frau den Beigeschmack einer leisen, unerklärlichen -Scham? - -Unergründlich ist das Leben, und auch sein Herz, Schwedenklees Herz, war -ein unerforschtes Labyrinth. Weshalb? Weil die Fußspuren schwarz kreuz -und quer liefen? Ja, nur aus diesem Grunde! In Paris fällt selten Schnee --- aber einmal hatte er Ellen abends nach Hause gebracht, und durch ihre -verschneite einsame Straße liefen genau dieselben schwarzen verwirrenden -Fußstapfen. Er sah sie in dieser Sekunde, zierlich, in ihren weiten -Mantel eingehüllt, klar vor sich, Schneekristalle glitzerten auf ihren -Haaren, und aus dem dunklen Gesicht glänzten heiter und lebensfreudig -die Augen. Fast zwanzig Jahre lang hatte diese Erinnerung in seinem -Kopfe geschlummert. - -Fragend, lauschend waren diese Augen gewesen, sie waren bernsteingelb, -wenn das Licht voll in sie fiel, dunkel, fast schwarz, wenn sie -beschattet waren -- Schwedenklee gab sich mit einer gewissen Wehmut der -Erinnerung hin, obgleich ihn dieses unerklärliche Schamgefühl im -Innersten peinigte. Er hatte sich jedoch nichts vorzuwerfen, o nein, er -erinnerte sich sogar, daß er ihr später zwei- oder dreimal noch geholfen -hatte, als sie sich an ihn wandte. Sie war damals Anfängerin und hatte -noch zu kämpfen. - -Plötzlich kroch eisige Kälte an ihm empor. Vielleicht -- wer weiß es -- -schritt ihr Geist in der Tat neben ihm? Schwedenklee war sehr -abergläubisch. - -»Ellen Fröhlich!« sagte er leise zu sich, etwas betreten. »Ich habe -keine Furcht, an dich zu denken!« - -Klar bis in die kleinsten und unscheinbarsten Einzelheiten stand vor ihm -die erste Begegnung mit Ellen. Er sitzt an einem kleinen Marmortisch auf -den großen Boulevards, zwei Damen, Mädchen, nehmen neben ihm Platz. Sie -sprechen deutsch, sie sprechen ungeniert und vergessen ganz oder wissen -es nicht, daß auf den großen Boulevards in Paris jeder vierte Mensch -deutsch versteht. Ihre Ungezwungenheit entzückt Schwedenklee: die jungen -Damen sprechen mit einer gewissen Kühnheit von unschuldigen -Liebesabenteuern. Eine hat wunderbar warme und weiche Augen, die -offenbar die Farben wechseln, von hell zu dunkel leuchten. Zuweilen -streifen diese fragenden Augen, lächelnd, voller Übermut, Schwedenklees -absichtlich kühl beobachtenden Blicke. Das ist Ellen Fröhlich! Die -Freundin ist eine Schwedin, eine Bildhauerin. - -Die jungen Damen gehen. Sie wandern zu Fuß durch die wimmelnden Straßen -bis zum Boulevard Raspail. Die Schwedin verabschiedet sich von der -Freundin, die in ein kleines Hotel verschwindet. Es ist sieben Uhr. Als -sie um neun Uhr das Hotel wieder verläßt -- wer tritt ihr in den Weg? -Schwedenklee. - -»Ein Landsmann, der das Vergnügen hatte, Ihr Gespräch heute nachmittag -im Café zu belauschen, bittet tausendmal um Entschuldigung --« - -Ihr Blick gesteht, daß sie ihn wiedererkennt. Sie ist verwirrt. Er habe -also alles gehört? Ja. Sie bricht in Lachen aus. - -»Aber,« sagt sie -- »wie kommt es, daß Sie hier sind?« - -»Ich wartete auf Sie!« - -»Es ist nicht schön von Ihnen, so etwas zu sagen, selbst wenn Sie es -getan haben sollten. Sie hätten sagen sollen: zufällig!« - -»Gut -- also zufällig!« - -Schwedenklee war ja nicht zwei Stunden auf und ab gegangen, so war es -nicht gerade. Gegenüber lag eine kleine Speisewirtschaft, und hier aß er -zu Abend; dann trank er Kaffee, und gerade als er gezahlt hatte, war sie -wieder aus dem Hotel getreten. - -Jedenfalls aber -- sie verzieh -- sie hatte nichts vor, und er brachte -sie in ein Tanzlokal, das er als äußerst anständig kannte. - -Museen, Ausstellungen, Ausflüge, Tanzlokale -- wie Ellen Fröhlich genoß! -Sie saugte die Eindrücke in sich, sie staunte, wunderte sich, -bewunderte. Ellen sprühte auf, berauscht, verwandelt, verhundertfacht. - -Und Schwedenklee, obgleich weniger schwärmerisch, lebt und atmet -leichter und heiterer in ihrer Nähe. - -Ja, es war die Jugend, nichts sonst. Die Sonne schien, man fuhr auf dem -Dach des Omnibusses, unvergleichlich, herrlich, als sei man nie auf dem -Omnibus im Sonnenschein gefahren. - -»Die Jugend, nichts anderes!« dachte Schwedenklee. »Wie herrlich! Ein -Zauber! Ist die Jugend ein Zauber?« - -Ein Ausflug nach St. Cloud. Vorfrühling. Das erste Grün, einige -versteckte Blümchen, die Knospen glänzen, die schwarzen Baumstämme -schwitzen Feuchtigkeit. Rasch schnellen die hohen Wasser der Seine -dahin. Auf dem Dampfer einige Pärchen -- er und Ellen unter ihnen, zu -den »Pärchen« gehören sie! Ein junger Geck mit einem dünnen -Spazierstöckchen amüsiert sämtliche Passagiere. Ellen klemmt zu ihrem -Vergnügen ein Monokel ins Auge, der junge Geck macht ihr den Hof, und -Ellen mustert ihn durchs Monokel und spielt etwas Theater. Wie sie -lachten, die »Pärchen«. Ja, worüber lachten sie so furchtbar? Und damals -gehörten sie zu den »Pärchen« und waren jung wie die anderen. - -Der frische Wind hat ihre Gesichter gerötet, die reine Luft hat den -Glanz in ihren Augen entfacht. Ihre Stimmen sind klar und laut geworden. -Ellen wirbelt und tanzt. Sie kriecht in die triefenden Büsche und findet -unter dem faulenden Laub Veilchen und gelbe Sternblumen. Sie steht auf -einem Stein und spricht voller Inbrunst ein paar wundervolle Verse, die -er vergessen hat. Sie essen zu Abend in einer kleinen Wirtschaft mit -fleckigen Tischtüchern und feuchter Tapete. Der Kellner bringt eine -verstaubte Macon in einem Körbchen. - -Sie plaudern. Ellens schöner frischer Mund steht nicht eine Sekunde -still. Sie lachen den ganzen Abend. Worüber? Wie herrlich war dieser -Tag, wie lang! War es nicht sonderbar, die Tage der Jugend schienen so -lang, sie nahmen kein Ende. Was war heute ein Tag? Nichts. Kaum hatte er -begonnen, war er schon zu Ende. - -»Es ist die Jugend, nichts anderes! Es gibt keine andere Erklärung -dafür«, rief Schwedenklee aus. »Sie verleiht dem Unscheinbarsten einen -zauberhaften Glanz. Ja, wie lang war dieser Tag doch. Reich an -Erlebnissen, an guten Einfällen, an schönen Gefühlen. Und Ellen mit dem -Monokel auf dem Dampfer! Ja, die Jugend! Und das da, was dahinten keift -und hustet« -- Schwedenklee drehte sich um, empört, daß man ihn in -seiner Träumerei störte -- »das ist das Alter! Das häßliche Alter!« - -Die hagere, zusammengekrümmte Gestalt, die den ganzen Weg hinter ihm -herkroch, stand wenige Schritte hinter ihm, mit der Hand an einen Baum -gestützt, geschüttelt von einem Hustenanfall. - -»Das abscheuliche Alter! In zwanzig Jahren wirst du auch so häßlich -husten, und die Jüngeren, die nicht gestört werden wollen, werden dich -verfluchen. Oh, wie boshaft und grausam ist dieses Leben eingerichtet!« - -Aber Schwedenklee schüttelte die düsteren Gedanken ab. Ellen! Wo waren -wir doch gleich geblieben? - -Ellen klagte über ihr Hotel. Schwedenklee, befreundet mit dem Pförtner, -Kellner und der Besitzerin seines Hotels, arrangierte alles aufs -vorzüglichste. Er trat Ellen sein großes bequemes Zimmer ab und bezog -eine kleine danebenliegende Kammer. Ellen staunte, wie billig ihr -schönes Zimmer war! Ja, man mußte nur Freunde und Beziehungen haben! - -»Wir werden Ihren Einzug feiern, Ellen, und heute abend zu Hause -speisen. Sie sollen sehen. Lassen Sie mich nur machen.« - -Schwedenklee besorgt den ganzen Nachmittag lang alles, was Paris an -leckeren Dingen zu bieten vermag. Geröstete Hähnchen und Hummer, -Vorspeisen und Nachtisch, Früchte. Auch Blumen vergißt er nicht. - -»Muß man in Abendtoilette kommen?« - -»Es wird gebeten, Ellen!« - -Von sieben bis acht ist Schwedenklee fieberhaft tätig. Punkt acht Uhr -klopft Ellen -- herein! Ellen ist im Abendkleid, er im Frack -- und -schon lachen sie, daß sie kaum die Tür zu schließen vermögen. - -Der Hausknecht, der im Kamin nachlegte -- Ellen sollte es recht -behaglich haben -- wird von der Heiterkeit mit fortgerissen. Der -Kellner, der den Wein angeschleppt bringt, wird ebenfalls angesteckt, -und so lachen sie alle -- weshalb? Gott allein weiß es. - -Ellen steht und staunt: »Jetzt sehe ich, daß Sie ein Künstler sind, -Schwedenklee!« ruft sie aus. »Mein Gott, wir sind ja Hunderte von -Personen!« - -»Sie sind in großer Gesellschaft, Ellen!« - -Dank Schwedenklees Freundschaft mit dem Pförtner und Hausknecht war es -ihm möglich gewesen, einige große Spiegel und Leuchter aus anderen -Zimmern des Hotels auszuleihen für den Abend. Die Kerzen blendeten, und -infolge der Spiegelung glaubte man in einem langen, sonderbar gebauten -Saale voller Lichter und Blumen zu sein. Schwedenklee führte seine Dame -zum Sessel -- und im gleichen Augenblick geleiteten Dutzende von -befrackten Kavalieren ihre Dame in heller Seide zu Tisch. Er sah Ellen -gleichzeitig von allen Seiten, und nie kam ihr herrlicher schmaler -Nacken mit dem braunroten Haarknoten reizvoller zur Geltung ... Ellens -Augen richteten sich blitzend im Schein der Kerzen auf ihn, und -augenblicklich funkelten Dutzende von gleichen Augen von allen Seiten -ihm entgegen. - -»Das Diner kann beginnen, Ellen -- aber ich habe vergessen« -- und er -erhebt sich und küßt Ellen auf den Mund. - -»Willkommen!« - -Sie errötet. Auch ihr Busen wird behaucht von flüchtigem Rot. - -»Das Diner kann beginnen«, wiederholt sie mit einem verwirrten Lächeln, -mit etwas matter Stimme. - - * * * * * - -Schwedenklee war bei seinem Hause angelangt. Automatisch stieg er die -Treppe empor, automatisch schloß er auf. - -So tief war er in die Erinnerung dieses Diners versunken, daß die Kerzen -ihn in der Tat blendeten und Ellens zarter wunderbarer Nacken aus all -den blitzenden und flammenden Spiegeln ihm entgegenleuchtete. - -»Und zu denken, daß ich zwanzig Jahre lang nicht an diesen Abend -dachte!« sagte er seufzend, als er in das kalte finstere Haus trat, und -begann zu pfeifen, um seine melancholische Anwandlung zu überwinden. - -In diesem Augenblick glaubte er das hastige, ungeduldige Scharren eines -raschen Schrittes draußen auf der Treppe zu vernehmen. Irgend jemand, -der die Gelegenheit benutzen wollte, ins Haus zu kommen. - -Aber auch das ist nicht völlig sicher. Jedenfalls wußte Schwedenklee nie -zu erklären, was in dieser Sekunde vorgegangen war. Hatte er diesen -hastig scharrenden Schritt gehört oder nicht? Es schien ihm später, als -ob er in der Tat gar nichts gehört habe, aber ein gänzlich -unverständlicher, ja mysteriöser Zwang ihn veranlaßt habe, das Haustor -nochmals zu öffnen. - -Jedenfalls, Schwedenklee ging, ohne viel zu denken, zur Türe, öffnete -sie ... - -Kaum aber hatte Schwedenklee das Tor geöffnet, da erschrak er so heftig, -daß er zurückprallte und am ganzen Körper entlang einen Schlag -verspürte, wie von einem schweren Eisenstab. Später erinnerte er sich -deutlich, daß sich ihm die Haare im Nacken gesträubt hatten, eine -Erscheinung, die er bisher nur für eine leere Redensart gehalten hatte. - -Dicht vor ihm war ein Gesicht erschienen, eine gespenstische -Erscheinung, etwas größer als er, die offenbar in diesem Augenblick -ausholte, um zu pochen. Gerade diese Geste hatte etwas ungeheuer -Drohendes und Erschreckendes an sich gehabt. - -Die Erscheinung prallte ebenfalls erschrocken zurück und tastete sich -hastig rückwärts die Stufen hinab. Das unter einem weichen, flachen -Filzhut verborgene Gesicht der Erscheinung glitt durch den Lichtschein -der Straßenlaterne, und in diesem Augenblick erkannte Schwedenklee das -Gesicht: es war das bleiche, vergrämte Antlitz jenes alternden, -verbrauchten Künstlers, das ihm zuweilen unangenehm und störend im -Billardsaal des Cafés aufgefallen war. - -Am Fuße der Treppe blieb die hagere, etwas zusammengekrümmte Gestalt -stehen und griff hastig nach dem flachen Hut. Es sah aus, als wollte sie -den Hut im Winde festhalten. - -Im Augenblick, da Schwedenklee das Gesicht erkannte, ließ das tödliche -Erschrecken nach. Er öffnete das Tor völlig und machte einen -entschlossenen Schritt vorwärts, obgleich der Schrecken noch in all -seinen Gliedern zitterte. - -»Was wünschen Sie?« fragte er, unnötig laut, und seine Stimme bebte noch -vor Erregung. - -Der Hagere wich noch einen kleinen unsicheren Schritt zurück, die Hand -aufs Herz gepreßt. Es schien Schwedenklee, als ob er heftig zittere. -Deutlich hörte er seinen hastig keuchenden Atem. - -»Was wollen Sie von mir?« wiederholte Schwedenklee, weniger laut, aber -härter im Ton. Er erkannte die völlige Gefahrlosigkeit der Situation. - -Der Hagere nahm den Filzhut ab und verbeugte sich, den Hut gegen die -Brust pressend. Sein graues wirres Haar bewegte sich im Winde. - -»Ich heiße Blank!« stammelte er, ganz Demut. Seine Stimme klang leise, -kaum vernehmbar, heiser dazu. Aber Schwedenklee verstand den Namen -augenblicklich! - - - - - 8 - - -Schwedenklee hatte schon manches erlebt. Nicht ohne weiteres wird man -fünfundvierzig Jahre alt! Einmal, zum Beispiel, war in einer hellen, -heißen Sommernacht ein Herr auf ihn zugetreten und hatte in -liebenswürdigstem Ton gefragt, ob er die Ehre habe, mit Herrn -Schwedenklee zu sprechen? Schwedenklee aber hatte kaum bejaht, als der -Liebenswürdige schon den Stock gegen ihn schwang. Es stellte sich -heraus, daß er der Gatte einer schönen Frau war, mit der Schwedenklee -zuweilen im Bristol Tee trank. Damals war es zu einer regelrechten -Schlägerei gekommen, und der Eifersüchtige brachte sogar die Passanten -gegen ihn auf. Erst als Schwedenklee heilige Eide schwor, daß die -bewußte Beziehung völlig platonisch sei, war der Rasende ruhiger -geworden. Die schöne Frau hatte ganz einfach gelogen, um ihren Gatten -bis aufs Blut zu reizen. Immerhin, Geständnis und Eide in der Bedrängnis -waren so peinlich, daß Schwedenklee den Auftritt als einen dunkeln -Schatten in seinen Erinnerungen empfand. - -Ja, schon mancherlei hatte er erlebt, Herr Schwedenklee -- nie aber -hatte er sich in einer Situation befunden, die peinlicher und -unbehaglicher war. - -Die unverständlichen Briefe Blanks schossen ihm wirr durch den Kopf, -auch sein brutaler Rohrpostbrief, der ihm im Augenblick noch weitaus -brutaler erschien, auch jene alberne, pathetische Phrase: »Die Toten -greifen nach dir!« - -Und hier unten also, dieser Grauhaarige, der sich demütig verbeugte und -vor Erregung kaum stammeln konnte, das war also Ellens Gatte -- der ihn -aus unerklärlichen Gründen zu sprechen wünschte ... - -Schwedenklee hatte das Gefühl, langsam in den Boden zu sinken. Es schien -ihm später, wenn er an diese unbehagliche Szene dachte, als habe er für -Sekunden das Bewußtsein verloren gehabt. Er glaubte sich auch zu -erinnern, wie seltsame Ahnungen, daß diese Begegnung ungeheure Bedeutung -für sein Leben gewinnen sollte, ihn erfüllten und erschreckten. -Jedenfalls empfand er deutlich die Ungewöhnlichkeit dieser nächtlichen -Begegnung, anders wäre sein Verhalten nicht zu erklären. - -Verlegen und unschlüssig starrte Schwedenklee auf die hagere Gestalt, -die unter ihm stand. Vor kaum fünf Minuten -- sonderbar genug! -- hatte -er sich der Erinnerung an Ellen hingegeben. Er konnte Blanks Gesicht nur -sehen, wenn ein schwankender Zweig das Licht des Mondes durchließ. -Gleich verlegen und hilflos starrten Blanks dunkle Augen aus dem -bleichen Gesicht zu ihm empor. - -Schwedenklees Empfindungen waren Chaos. Er wollte die Türe wütend ins -Schloß werfen, wollte seiner Empörung, daß Blank es wagte, ihn zu -verfolgen, unverblümt Ausdruck geben -- aber er tat nichts dergleichen. - -Im Gegenteil! »Herr Blank?« sagte er nach einer Weile, mit einer -unsicheren und unterwürfigen Stimme, deren er sich später schämte, und -einer verstümmelten Verbeugung. - -»Sie haben mir geschrieben, Herr Blank?« fuhr er fort, nur um das -unerträgliche Schweigen zu unterbrechen. - -Blank antwortete mit einer Verbeugung. Er erwiderte nichts. - -Ratlos stand Schwedenklee auf der Treppe. Nacht ringsum, kein Mensch auf -der Straße. Und ohne Unterbrechung fühlte er Blanks Blick auf sich -gerichtet. Schwedenklee trat wieder etwas mehr in das Haustor zurück. - -»Vielleicht erklären Sie mir --«, begann er von neuem. - -Endlich bewegte sich Blank. - -»Ich handle unter einem geheiligten Willen«, begann er leise, mit -heiserer Stimme, aber doch verständlich, ja sogar etwas deklamatorisch, -wie Schauspieler es häufig zu tun pflegen. Schwedenklee sah deutlich, -daß er hin und her schwankte und nach Atem rang. - -»Ich bitte um Verzeihung! Ich persönlich würde es ja nie gewagt haben.« - -Die Hand Blanks fuhr in die Rocktasche, er zog einen hellen -Briefumschlag heraus. - -»Hier«, sagte er, sehr leise. »Ich bitte.« Und er streckte Schwedenklee -mit flatternder Hand den Briefumschlag hin. »Die Tote hat mich -beauftragt.« - -Schon streckte Schwedenklee die Hand aus, aber er zog sie sofort wieder -erschrocken zurück. Eine tödliche Kälte strömte ihm von diesem -Briefumschlag entgegen. Und Schwedenklee sammelte sich zu einem letzten -Widerstand. Jene gewisse Brutalität, die, meist schlummernd, einen Teil -seines Wesens bildete, erwachte plötzlich und formte seine Gedanken zu -einer letzten Abwehr. - -»Mein Herr! Sie besaßen die Kühnheit, mir eine Anzahl von Briefen zu -schreiben, obgleich Sie mir völlig unbekannt sind. Sie verfolgen mich -und sind unverfroren genug, mich vor meinem Hause zu überfallen! Ihre -Unverschämtheit überschreitet alle Grenzen. Lassen Sie mich gefälligst -in Ruhe mit Ihrem Brief, lassen Sie mich überhaupt zufrieden. Scheren -Sie sich zum Teufel!« - -Das also war es, was Schwedenklee dieser zitternden, hageren Gestalt, -die demütig vor ihm stand, entgegenschrie, in äußerster Empörung. Aber -was geschah? Blank wagte es, die Treppe emporzusteigen -- und -Schwedenklee selbst war es, der ihm höflich das Tor öffnete -- Blank -verbeugte sich mit großer Förmlichkeit und trat ein. - -Schwedenklee hatte diese Ansprache ja nur in Gedanken gehalten. In -Wirklichkeit aber hatte er höflich, ergeben in sein Schicksal, wie sein -wahres Wesen es ihm befahl, Blank gebeten einzutreten. - -So geschah es, daß der unheimliche Gast, die »Erscheinung«, wie -Schwedenklee in seiner ersten Verwirrung gedacht hatte, zur großen -Verwunderung Schwedenklees sich ins Haus tastete. - - * * * * * - -»Nun wohl,« dachte Schwedenklee, als er das Licht in der Diele andrehte, -halb benommen im Kopf, »es muß wohl so sein. Irgend etwas Merkwürdiges, -Unabwendbares ist hier im Spiel. Im übrigen vergessen wir nicht, daß -dieser arme Teufel Ellens Gatte ist. Nun, wir werden ja sehen, komme, -was kommen soll ...« - -Ein fadendünner Überzieher mit einem abgeschabten lächerlich schmalen -Pelzkragen und zu kurzen Ärmeln, ein schmales, fast schönes, wachsfahles -Gesicht, von hundert kleinen Fältchen zerknittert wie Papier, mit einer -hohen, mächtigen Stirn, die graue Haarsträhnen umflatterten, mit -bläulichen Lippen und fiebrisch glänzenden, dunkeln, aber gutartigen, ja -gütigen Augen -- so sah die Erscheinung aus, als Schwedenklee sie bei -Licht besah. Ein ins Elend geratener, vergrämter Künstler mit der Miene -fatalistischer Hoffnungslosigkeit -- sein erster, obwohl flüchtiger und -unbewußter Eindruck war völlig richtig gewesen. Vielmehr noch: ein -körperlich und seelisch vollkommen Erschöpfter, der in dem überheizten -Zimmer von heftigen Hustenanfällen geschüttelt wurde, während er mit -heiserer, bescheidener Stimme Entschuldigungen stammelte. - -Schwedenklee betrachtete das Abenteuer schon mit ruhigeren Augen. Die -Erscheinung hatte gänzlich ihre Unheimlichkeit eingebüßt -- ein Kranker, -ein Hilfsbedürftiger, das war alles, was von ihr geblieben war. Ja, -schon empfand Schwedenklee, der brutale Schwedenklee, der Leute, die ihn -störten, zum Teufel schickte, Mitleid mit seinem Gast. - -Wie hatte Blank seinerzeit geschrieben? »Mein _krankes_ Gehirn.« -Vielleicht, ja sogar wahrscheinlich, war manches nicht mehr ganz in -Ordnung bei ihm. Er erweckte ohne Zweifel den Eindruck, besonders diese -_leuchtenden_ gütigen Augen! Wir werden sehen, höflich, freundlich, um -ihn nicht zu erregen, und dann wird sich ja alles weitere von selbst -finden. - -Schwedenklee setzte also eine alltägliche, freundliche Miene auf, als -sei überhaupt nichts Ungewöhnliches geschehen. - -»Ich bitte doch abzulegen, Herr Blank!« sagte er mit großer -Liebenswürdigkeit. - -Blank schälte sich, verwirrt und zerstreut um sich blickend, aus dem -fadenscheinigen Überzieher. Sein Anzug war so jämmerlich, daß -Schwedenklee sich betroffen abwandte. - -»Ich werde ihm helfen!« dachte er nun schon. »Ich habe ja genug alte -Kleider, Herrgott noch einmal!« - -»Mein Benehmen --,« stammelte Blank, während er zu einem Sessel -schwankte, »mein Benehmen muß aufdringlich und unverständlich -erscheinen. Eine abscheuliche Rolle, die ich nie in meinem Leben spielte --- die ich verabscheue ...« - -»Ich bitte, Herr Blank.« - -Blank erhob sich wieder aus dem Sessel und tastete nach Schwedenklees -Hand. »Jedenfalls Dank, daß Sie mich nicht abweisen, Herr Schwedenklee!« -sagte er mit einem heißen Blick der dunklen Augen. »Allein das teuerste -Wesen, das ich besaß, eine Tote, befiehlt und ich gehorche!« - -»Eine Zigarre vielleicht?« Wollte er doch aufhören, von Toten zu -sprechen, dachte Schwedenklee, um Gottes willen! - -»Nein, unmöglich -- mein Husten --« - -Schwedenklee war bestrebt, die Peinlichkeit der Situation, die noch -immer, wenn auch gemildert, bestand, durch eine zerstreute -Geschäftigkeit zu verwischen. - -Blank saß im Sessel, die Hände auf die Lehne gelegt, und versuchte, ein -Zittern, das seinen kranken Körper ohne Aufhören durchlief, zu -verbergen. Wie sein Gesicht waren auch die Hände von hundert Fältchen -zerknittert, wie weiches Papier. Sie waren lang, wachsfahl und peinlich -gepflegt. - -»Ich zittere noch immer!« begann Blank, seine Schwäche verspottend. -»Aber Sie ahnen ja nicht, welche Angst ich hatte, als ich Ihnen folgte«, -fuhr er flüsternd, bekennend fort. »Kaum, daß mich die Füße trugen. -Schon gestern, vorgestern folgte ich Ihnen, aber ich wagte es nicht. -Gestern wollte ich Ihren Namen rufen, aber die Stimme versagte. In der -letzten Nacht nun mahnte mich ein Gesicht« -- er hielt inne, als erwarte -er, daß Schwedenklee etwas sagen werde, aber Schwedenklee sagte nichts ---, »ich legte ein Gelübde ab, und so wagte ich es heute, obschon die -Furcht mich fast tötete. Nie werde ich wissen, woher ich den Mut nahm ---« - -»Ich bitte Sie, sich nicht zu erregen, Herr Blank,« entgegnete -Schwedenklee, »vielleicht würde ein Gläschen Wein Sie beruhigen?« Hastig -war Schwedenklee bemüht, den Gast von dem unheimlichen Thema abzulenken. -Ohne jede Frage, eine sehr peinliche Geschichte! Aber es würde -sich ja wohl nach einiger Zeit Gelegenheit bieten, den Gast -hinauszukomplimentieren. - -Blank errötete flüchtig, als er die zitternde Hand nach dem Glase -ausstreckte. Sein Handgelenk war von einer erschreckenden Magerkeit, wie -Schwedenklee es noch nie beobachtet hatte. Langsam und bedächtig -schlürfte Blank den Wein, der ihn augenblicklich zu erfrischen schien. -Das Zittern seines Körpers ließ nach, ruhig glitt sein Blick durch -Schwedenklees Bibliothek. - -»Was für ein herrlicher Raum«, sagte er, indem er mehrmals nickte und -die Lippe hob, als versuche er zu lächeln. »Ich verstehe wohl, daß Sie -das Unglück meiden.« - -Schwedenklee wurde blutrot vor Scham. - -»Ich verstehe wohl, daß Sie die Armut meiden.« - -»Verzeihen Sie ...«, stammelte Schwedenklee. - -»Ich verstehe alles so gut. Ich bin ja selbst nicht anders gewesen -- -früher!« - -»Ich bin, wenn ich offen sein darf,« verteidigte sich Schwedenklee, -etwas stotternd, »aus Ihren Briefen nicht recht klug geworden. Zuerst -glaubte ich überhaupt an ein Mißverständnis. Ich dachte -- dazu war ich -sehr überarbeitet in dieser Zeit.« - -Blank nickte und hob abwehrend die Hand. - -»Meine Briefe waren wohl sehr verwirrt? Heute noch bin ich nicht -imstande, einen Gedanken zu Ende zu denken. Ich verstehe Sie jetzt, -heute vollkommen, Herr Schwedenklee! Vielleicht dachten Sie sogar, ein -Bettler -- oder noch schlimmer: ein Erpresser ...« - -»Aber nein!« Schwedenklee lachte verlegen. »Wie können Sie so etwas -denken. Ich wüßte nicht« -- endlich kam Schwedenklee der rettende -Einfall --, »ich ahnte ja nicht -- Sie schrieben mir erst ganz zuletzt, -welche Geborene Ihre Frau Gemahlin war.« - -»Ich nahm in meiner Verwirrung, meinem Schmerze an, jeder Mensch müsse -es wissen! Ich glaubte auch, es schon geschrieben zu haben. Habe ich es -nicht in der ersten Mitteilung geschrieben?« - -»Ich bitte Sie, sich jedenfalls in meine Lage versetzen zu wollen, Herr -Blank.« - -Blank schüttelte den Kopf und hob beide Hände beschwichtigend empor. - -»Kein Wort mehr, ich bitte Sie herzlich. Wer hier um Verzeihung zu -bitten hat, das bin ich und nicht Sie!« sagte er mit einer Verbeugung. -Zum erstenmal, seit er das Zimmer betreten hatte, blickte er -Schwedenklee ins Gesicht. »Sie erinnern sich nicht mehr, daß wir uns -schon einmal trafen?« begann er nach einem langen, wie es Schwedenklee -schien, forschenden Blick, mit etwas veränderter, leichterer Stimme. - -»Wir?« Schwedenklees Blick wurde unsicher. Nun wird sich das Geheimnis -enthüllen, dachte er voller Spannung und sofort wieder erregt. - -»Ja, ich hatte schon einmal die Ehre -- vor vielen Jahren. Vor etwa -zwanzig Jahren.« - -»Zwanzig --?« rief Schwedenklee erschrocken aus, als sei so etwas -gänzlich unmöglich. - -»Ja, vor mehr als zwanzig Jahren.« - -»Mehr als zwanzig!« - -»Ja, es war in München. Erinnern Sie sich an den Maler Pfitzner?« - -»Pfitzner? Aber natürlich. Ein guter alter Freund!« - -»Pfitzner hatte damals seinen ersten Porträtauftrag erhalten und gab -seinen Freunden ein Atelierfest, das drei Tage und drei Nächte dauern -sollte. Aber schon am ersten Abend gab es Zwistigkeiten. Einer der Gäste -war auf Pfitzner eifersüchtig geworden, es kam nahezu zu Tätlichkeiten ---« - -»Richtig, nun dämmert es in mir! Aber Sie, Herr Blank -- ich muß offen -gestehen ...« - -»Vielleicht entsinnen Sie sich noch, daß einer der Gäste sang?« - -»Ein junger Mann, jawohl.« - -»Er sang den Prolog von >Bajazzo<.« - -»Ja! Deutlich erinnere ich mich. Der Sänger stand dicht in meiner Nähe, -ich höre heute noch, in diesem Augenblick, seine prächtige, kernige -Stimme. -- Aber es ist doch wohl nicht möglich, Herr Blank, daß Sie -...?« rief Schwedenklee mit naivem Erstaunen aus und sprang auf. - -Blank nickte. »Doch, ich war dieser Sänger!« sagte er errötend, und die -Heiserkeit seiner Stimme drückte tiefste Traurigkeit aus. - -Sofort sah Schwedenklee ein, daß er eine ganz unbegreifliche -Taktlosigkeit begangen hatte. »Ist es möglich,« rief er hastig aus, »vor -zwanzig Jahren, sogar mehr als zwanzig Jahren, sagen Sie? Um Gottes -willen, wohin sind diese zwanzig Jahre nur gekommen? Ja, wunderbar haben -Sie damals gesungen -- es ist volle Wahrheit, was ich Ihnen sage, all -die Jahre habe ich den Klang Ihrer Stimme im Ohr behalten. Merkwürdig, -und Sie erinnern sich meiner noch? Das finde ich erstaunlich.« - -»Ich erinnere mich noch ganz deutlich an Sie. Sie haben sich nicht sehr -verändert.« - -»Nicht sehr?« - -»Sie sind etwas voller geworden und etwas breiter. Ich habe Sie auch -sofort wiedererkannt, als ich Sie vor Wochen auf der Straße sah.« - -»Als Sie mich auf der Straße sahen?« - -»Ja, vor Ihrem Hause«, gestand Blank errötend. - -»Ich erinnerte mich ganz besonders an Sie, weil Sie auf Pfitzners -Atelierfest eine Theorie vortrugen, die mich lange und oft -beschäftigte.« - -»Ich -- eine Theorie, sagen Sie?« - -»Ja, Sie erklärten, es sei an der Zeit, eine über den Staaten stehende -Republik der freien Geister und Künstler zu gründen.« - -»Ich hätte --?« Schwedenklee war äußerst erstaunt. - -»Ja, Sie führten diesen Gedanken bis ins einzelne aus und wir hörten -voller Interesse zu. Sie sprachen sehr ketzerische und revolutionäre -Gedanken aus, und wir waren um so mehr erstaunt, als Sie ja aus -Norddeutschland kamen.« - -Schwedenklee füllte die Gläser. »Sonderbare Einfälle hat man in der -Jugend!« rief er lachend aus. »Ja, ganz verrückte Gedanken!« - -»Sie gingen bald darauf nach Paris. Als ich Pfitzner wieder eines Tages -im Atelier besuchte, sagte er mir: Schwedenklee ist nach Paris gegangen, -um seine überstaatliche Republik der freien Geister und Künstler zu -gründen.« - -Hier lachte Schwedenklee laut und belustigt auf. - -»Im nächsten Jahre wurde ich nach Nürnberg engagiert«, fuhr Blank fort, -und seine Stimme veränderte sich wieder. »Und hier war es, wo ich Rosa -Fröhlich traf«, schloß er leise. - -»Ja, sie ging damals nach Nürnberg, ich entsinne mich«, warf -Schwedenklee etwas unsicher ein. Er war plötzlich rot geworden. - -»Ich kam mit ihr ins Gespräch und sie sagte mir gleich, daß sie aus -Paris käme. Aus Paris? Haben Sie vielleicht zufällig einen Bekannten von -mir, einen Architekten Schwedenklee getroffen? -- Nie werde ich Rosas -verblüfftes, ja entgeistertes Gesicht vergessen ...« - -»Ist das Leben nicht sonderbar?« - -»Ohne daß Sie es ahnten, haben Sie, Herr Schwedenklee, rasch unsere -Freundschaft vermittelt.« - -»Welch merkwürdige Zufälle es gibt!« - -»So also begann es. Mit Ihrem Namen!« sagte Blank leise und nickte vor -sich hin. »So also begann es!« wiederholte er, die Stimme von Trauer -überschattet. - -Sein Blick verlor sich ins Unbestimmte. Er bewegte die dünnen blutleeren -Lippen und feuchtete sie mit der Zunge an. Er schien noch um einen Grad -bleicher geworden zu sein. - -Schwedenklee erhob sich und bewegte sich lautlos über die Teppiche. -Diese ganze Erde sei in der Tat nichts als ein großes Bauerndorf! Und er -erzählte hastig und mit halblauter Stimme einige ähnliche Erlebnisse, -die ihm begegnet waren und seine Ansicht bestätigten, daß die Erde -nichts als ein Bauerndorf sei. Blank antwortete nicht, er schien gar -nicht zuzuhören. - -Mit aller Umständlichkeit machte sich Schwedenklee eine Zigarre zurecht. -Wieder bewegte er sich lautlos über die Teppiche. »Und was ist -eigentlich aus Pfitzner geworden?« Er blieb stehen. - -Aber Blank hörte ihn gar nicht. Er saß, den verschleierten Blick ins -Ungewisse verloren. Er hatte vergessen, wo er war, wandelte in einer -fernen, unbegreiflichen Welt. Ein wundes Lächeln spielte um seine -Lippen. Die schmalen gepflegten Hände lagen regungslos auf den Lehnen -des Sessels, sie zitterten nicht mehr, nur sein gebeugter Oberkörper -schwankte leise hin und her. - -Verstohlen blickte Schwedenklee auf die Uhr. Da erwachte Blank aus -seiner tiefen Versunkenheit. Er atmete tief auf und blickte sich -verstört um. - -»Verzeihung«, sagte er und schüttelte sich, als friere er. - -Schwedenklee streckte sich in den Sessel. - -»Und nun, Herr Blank,« begann er mit einer Stimme, die seinen Gast -ermutigen sollte, »Sie hatten mir etwas mitzuteilen?« - -Blank erschrak heftig. Die nervöse Hand zuckte, seine dunkeln Augen -weiteten sich. - -»Mitzuteilen --?« stammelte er, anscheinend tief betroffen. - -Schwedenklees Miene, der etwas leichtfertige und gutmütige -Gesichtsausdruck, versuchte ihn zu beruhigen. - -»Ja«, sagte Schwedenklee, sich lächelnd vorbeugend. »Sie schrieben mir -in einem Ihrer Briefe, Sie hätten mir Mitteilungen zu machen, die für -mich unter Umständen von Interesse sein könnten.« - -»Schrieb ich das?« Blank erhob sich erregt, ließ sich aber sofort wieder -in den Sessel fallen. »Nein, nein, mein Herr,« fuhr er hastig fort, -zuweilen errötend, »was ich zu tun habe, ist, Sie tausendfältig um -Entschuldigung zu bitten, das ist alles. Ich befinde mich in einem -Zustande der Verwirrung, der Verzweiflung -- ja, des, Sie verzeihen, es -klingt wie Pose, des Irrsinns. Ich muß um Nachsicht bitten. Ich weiß -nicht mehr, was ich in diesen furchtbaren Wochen sagte oder schrieb. -Verzeihen Sie mir. Aber, mitzuteilen? Nein, bei Gott, nein! Ich habe -Ihnen nichts mitzuteilen.« Rote fieberische Flecke erschienen unter den -Augen des fahlen Gesichts. - -Blank war in großer, ganz unbegreiflicher Erregung. Aber allmählich -beruhigte er sich. - -»Was ich Ihnen gerne sagen möchte, wenn Sie noch eine Minute Geduld mit -mir haben wollen,« fuhr er mit ruhigerer, feierlicher Stimme fort, »ist -dies --« Er holte tief Atem und senkte den Blick zu Boden. »Meine -Gattin, deren Verlust mich nahezu um meine Sinne gebracht hat, sagte mir -wenige Stunden vor dem Tode: Gehe zu Schwedenklee und grüße ihn von mir. -Sage ihm, daß ich ihm nicht mehr grolle.« - -»Nicht mehr grolle --?« Schwedenklee horchte auf. - -»Ja, so sagte sie. Vielleicht aber habe ich auch die Worte verwirrt. -Sage ihm, daß ich ihm stets gut war und noch heute gut bin --« - -Hier wurde Schwedenklee plötzlich ergriffen. - -»Sagte sie das wirklich?« flüsterte er. - -»Ja, und sie beauftragte mich, Ihnen dies Bild zu bringen. Es würde Sie -freuen, dachte sie. Eine Erinnerung aus der Pariser Zeit.« Blank schlug -sich an die Stirn. »Ja, dieses Bild, das war ja die Ursache meines -Besuches! Schon habe ich es wieder vergessen, ich sitze hier und -plaudere --« - -Blank erhob sich und tastete nervös die Taschen des Überrocks ab. - -»Mein Himmel, ich werde es doch nicht draußen verloren haben!« rief er -in äußerstem Schrecken. »Nein, hier, gottlob, hier ist es. Das ist ja -der eigentliche Grund, weshalb ich Sie aufsuchte.« - - * * * * * - -Eine verblaßte Photographie, in Paris aufgenommen -- seinerzeit. In -irgendeiner übermütigen Stunde. - -Eine zierliche Dame, in einem großen Hut -- das Gesicht kaum -erkenntlich. Daneben er, Schwedenklee, zwanzig Jahre jünger, mit einem -flotten kleinen Schnurrbart. Schwedenklee zerbrach sich den Kopf, wo das -Bild aufgenommen sein konnte. Er erinnerte sich nicht mehr. - -Er trat unter die Lampe und nahm eine Lupe vom Schreibtisch. - -Nun erkannte er die Züge der jungen Dame wieder, die in all den vielen -Jahren nur selten, flüchtig und verblaßt in seiner Erinnerung wieder -auflebten. Ein wehmütiges Gefühl überkam ihn -- daß diese herrliche -Jugendzeit vorbei war für immer. - -»Ellen Fröhlich!« sagte er vor sich hin. - -»Sie hatte zwei Namen«, warf Blank mit verletzter, fremder Stimme ein. -»Da Sie sie Ellen genannt hatten, wählte ich ihren anderen Namen. Ellen -für Sie, Rosa für mich!« - -Schwedenklee blickte ihn verständnislos an. - - - - - 9 - - -Als Schwedenklee am nächsten Morgen, etwas müde und abgespannt, in -seinem breiten Himmelbett erwachte, fiel ihm augenblicklich ein, daß er -Blank für heute zum Abendessen eingeladen hatte. - -Was für ein Dummkopf bin ich doch, dachte er, unzufrieden mit sich -selbst, immer diese alte Gutmütigkeit. Ich bin wütend über einen -Menschen und doch kann ich es mir nicht versagen, den Liebenswürdigen zu -spielen. Aber sofort erinnerte er sich auch, daß es ganz unmöglich war, -Blank, der Begriffe wie Zeit und Nachtruhe nicht zu kennen schien, auf -andere Weise zu verabschieden. Er hatte sich auch in der verflossenen -Nacht hin und her überlegt, wie er Blank seine Hilfe anbieten könnte, -aber keine Möglichkeit gefunden. Da war ihm der Einfall der Einladung -gekommen. - -Lieber Himmel, dachte er plötzlich erschreckend und setzte sich auf, wie -mag dieser arme kranke Mensch in der Nacht nach Hause gekommen sein? -Nach dem Osten. Ob er wohl, wie er ihm riet, eine Droschke genommen -hatte? Aber vielleicht hatte er gar nicht das Geld dazu? Ich selbst -hätte ihm eine Droschke holen und den Kutscher bezahlen sollen -- aber -dieser Einfall kam reichlich spät. - -Etwas Gutes hatte die gestrige Begegnung auf jeden Fall. Schwedenklee -fühlte sich erleichtert! Das »im Hintergrund lauernde Schicksal«, wie er -sich ausdrückte, hatte sich entschleiert. Obgleich Schwedenklee -eigentlich nicht an Gott, an ein zweites Leben, an Auferstehung, -Seelenwanderung und derartige Dinge glaubte, glaubte er doch an -mystische Einflüsse, an ein Fatum, das unheilvoll in das Leben eines -Menschen eingreifen konnte. In den zwei letzten Jahren hatte er sich -unsicher gefühlt. Es war ihm, als wäre er von heimtückischen Gefahren -umlauert. Einer seiner Bekannten starb plötzlich am Herzschlag, und -schon dachte er: wer weiß es, ob du morgen erwachen wirst? Zuweilen sah -er sich alt und krank als Bettler auf der Straße stehen und der Wind -blies eisig. Oder ein unheilbares Leiden befiel ihn, zum Beispiel Krebs. -Ganz deutlich spürte er die fortwährende Drohung feindseliger Mächte, -und nur so -- nicht anders -- läßt es sich erklären, daß die Briefe -Blanks auf ihn einen solch ungeheuren Eindruck machten. Nun also kam es, -heimtückisch schlich es näher, um ihn zu umstricken und zu vernichten! -Deutlich witterte er die Vorboten eines bösen Schicksals, das seine -Demütigung und Vernichtung beschlossen hatte. - -An diesem Morgen atmete er seit vielen Wochen befreit auf, seine -düsteren Grübeleien erschienen ihm unsinnig und albern. Seine -Hilfsbereitschaft für Blank entsprang ebenfalls, ohne daß er sich dessen -bewußt wurde, diesem Gefühl der Erleichterung und einer gewissen -Dankbarkeit gegen das Schicksal, das sich ihm nicht ungnädig gezeigt -hatte. - -Werde ich ihm denn abgelegte Kleider geben können? dachte er. Vielleicht -aber wird es ihn verletzen? Also Geld. Aber wieviel und in welcher Form? - -Man könnte ihm auch einen Korb mit Früchten und guten Sachen schicken, -eine Flasche Kognak dazu. Das war ein ausgezeichneter Einfall, und -Schwedenklee beschloß, noch heute den Korb zurecht machen zu lassen. - -Den ganzen Vormittag war Schwedenklee mit dem gestrigen Abenteuer -beschäftigt. Blank hatte ihm, mit einer gewissen Schwatzhaftigkeit, im -Laufe der Nacht sein Herz ausgeschüttet, er hatte ihm jede Einzelheit -seines Lebens erzählt -- und all das nur aus dem Grunde, weil er einige -Wochen lang eine Liebschaft mit seiner Frau gehabt hatte! Notabene: noch -bevor sie überhaupt seine Frau war ... - -Schwedenklee konnte der Versuchung nicht widerstehen. Er ging an den -Schreibtisch und nahm -- seine Hand zitterte etwas -- das verblichene -Bild aus dem Schubfach. - -Bei Tageslicht war das Gesicht unter der Lupe etwas deutlicher zu -erkennen. Lange, mit einer Art furchtsamer Neugierde, betrachtete er das -Bild, und sonderbarerweise begann sein Herz stark zu klopfen, als wäre -es frevelhaft, dieser Toten ins Gesicht zu sehen. - -Je länger er das verblaßte Bild betrachtete, desto klarer formte es sich -in seiner Phantasie, und plötzlich stand es, wie durch ein Wunder, -lebendig vor ihm. - -Ellen hatte Grübchen in den Wangen gehabt, auf der einen Wange war das -Grübchen um ein geringes tiefer als auf der andern -- das fiel ihm jetzt -ein, obschon die Grübchen auf dem verblaßten Bild nur dann zu erkennen -waren, wenn man wußte, daß sie existierten. Er erinnerte sich an ihre -schönen weißen Zähne, die sich beim Lachen ganz entblößten, als lachten -sie mit -- und wie scharf waren diese Zähne gewesen! Er erinnerte sich -an die Glätte ihrer Haut, die er nie wieder gefunden hatte bei einer -Frau, an die Ebenmäßigkeit ihres zarten Körpers, die weiche Biegsamkeit -ihrer schlanken Taille. Klar sah er in diesem Augenblick die -Modellierung ihrer sanften Schultern vor sich. - -Zartheit, Behutsamkeit, Stille und unendliche Sanftheit ging von dieser -Frau aus. Ihr Schritt war still, die Berührung ihrer Hand leise. -Schmiegte sie sich an ihn, so war es kaum zu fühlen, und doch war die -Berührung unsagbar innig. - -Ja, jetzt in dieser Sekunde fühlte er deutlich ihre zärtliche -Liebkosung. - -Sein Herz wurde schwer und er legte das Bild zurück. »Ein rührendes -Wesen, in der Tat«, sagte er. »Vorbei -- tot! Ja, das Leben ist eine -höllische Einrichtung!« - -Traurig das Schicksal dieser Frau, die das Leben so heiß geliebt hatte. -Von Paris war sie in ein Sommerengagement nach Nürnberg gegangen. Daran -erinnerte er sich noch deutlich. Sie hatten noch einige kurze Briefe -gewechselt, bis die Korrespondenz plötzlich ohne jeden sichtbaren Grund -einschlief. In Nürnberg hatte sie Blank kennengelernt, der sie -- wie er -selbst gesagt hatte -- liebte, bevor er sie sah. - -»Ich sah sie noch gar nicht. Die Tür ging auf -- ihre Seele strömte vor -ihr her. Wer kommt hier? dachte ich. Und ich liebte diese Frau, die im -Begriffe stand, über die Schwelle zu treten, bevor ich sie überhaupt -sah. Es ist mir heute noch rätselhaft!« - -Blank sollte in Köln gastieren. Sie begleitete ihn. Er sang »um Rosa«. -Er gefiel, zweijähriger Kontrakt, auch Ellen wurde engagiert. Sie -heirateten auf Grund dieses Engagements. Drei Jahre hier, zwei Jahre -dort, in kleineren und größeren Provinzstädten -- ein Nomadendasein, -fröhlich und heiter ertragen, obwohl voller Sorgen. Plötzlich aber ging -es in die Höhe: München, Mannheim, endlich Dresden! Blank hatte den -Gipfel erreicht. Das Dasein der beiden war ohne Sorgen -- einen -Pelzmantel mit Bärenkragen trug Blank, wie er sagte. Sie reisten im -Sommer nach der Schweiz, ans Meer. - -»Nie gab es wohl zwei glücklichere Menschen als uns beide! Ein Kreis -prächtiger Freunde, immer Blumen in den Zimmern, und ein Heim, das -widerhallte von der herrlichsten Musik! Der und der spielte Cello, der -und der Geige, der und der den Flügel -- erste Künstler, die in der -ganzen Welt konzertierten. Berühmte Dirigenten aßen bei uns zu Abend. -Und Rosa im Mittelpunkt, Rosa umschwärmt, bewundert, geliebt ...« - -In Dresden aber holte Blank das Geschick ein. Eine Erkältung, wenig -beachtet. Eine Wucherung an den Stimmbändern. Blanks Laufbahn als Sänger -war besiegelt. Ellen dagegen spielte noch, sie erhielt ihn Jahre -hindurch. Kuren, Ärzte. Der Niedergang begann. Schließlich erkrankte -auch Ellen, die Lunge. Das war das Ende. - -Furchtbarer Sturz in das tiefste Elend. Auch Blank wurde brustkrank. - -»Wir liefen um die Wette nach dem Tode, Rosa und ich. Sie hat das Ziel -zuerst erreicht, aber ich bin nicht weit hinter ihr.« - -Gestorben an der Schwindsucht, zwei Menschen trugen sie zu Grabe ... - -»Arme Ellen!« sagte Schwedenklee und legte das Bild zurück in das -Schubfach. - -Er war in solch melancholische Stimmung geraten, daß er, was selten -vorkam, schon am Nachmittag das Stammcafé aufsuchte. - -Hier saß er an einem kleinen Marmortisch und sah lustlos zu, wie der -Rechtsanwalt Cohnstamm mit dem Polizeileutnant Hammerstein eine -Cadrepartie auf dem Matchbillard ausfocht. Er war wortkarg und -zerstreut, trank ohne Genuß seine Tasse Kaffee. Der Rechtsanwalt erbat -seinen Rat bei einer schwierigen Stellung. Sprang Schwedenklee auf, wie -es sonst seine Art war, um sein Licht leuchten zu lassen? Er zuckte -gleichgültig die Achseln. - -»Und zu denken, wie diese Ellen lachen konnte! Wie sie es verstand, auch -das Nichtigste zu genießen! Und wie drollig sie sein konnte! Immer -bereit zu einem übermütigen Streich!« - -Der Oberkellner näherte sich, zutraulich: Es seien schon große Beträge -auf Herrn Oberbaurat für heute abend gesetzt. - -»Ich werde heute abend nicht spielen«, sagte Schwedenklee, mit Falten in -der Stirn. »Ich habe Gäste zu Hause.« - -Schon um einhalb acht Uhr begab sich Schwedenklee nach Hause. Er freute -sich auf Blanks Besuch. Ja, er freute sich, ist es zu glauben? - -»Und gestern zerbrach ich mir den Kopf, wie ich ihn loswerden könnte!« - - * * * * * - -Schwedenklee bekümmerte sich eigentlich nie um die Wirtschaft. Seine -ganze Tätigkeit bestand darin, jeden Monat das Wirtschaftsbuch -nachzuprüfen. Er nahm sich natürlich nie die Mühe, das Buch wirklich -nachzusehen, da aber Augusta den Eindruck gewinnen solle, als ob er -ganze Nächte hindurch rechne, so ließ er das Buch stets einige Tage -liegen. Einmal half ihm der Zufall. Er addierte eine Seite, eigentlich -aus Zerstreutheit, es stimmte nicht. - -»Sie haben sich hier zu Ihren Ungunsten getäuscht, Augusta!« - -Es war wirklich eine Fügung des Himmels, geschehen vor drei Jahren. Seit -dieser Zeit öffnete Schwedenklee dieses furchtbare Wirtschaftsbuch -überhaupt nicht mehr. - -Seine Anordnungen pflegte Schwedenklee in lakonischer Kürze zu erteilen, -häufig schrieb er sie auch auf einen Zettel. Ja, er liebte Scherereien -nicht, Schwedenklee. Es ging wunderbar. - -Auf den heutigen Abend aber hatte er Augusta besonders hingewiesen. Es -war seine Absicht, Blank mit der größten Sorgfalt zu bewirten. Dieser -arme Teufel sollte noch einmal eine Freude haben in seinem Leben ... - -Das Unglaubliche geschah. Schwedenklee inspizierte das Speisezimmer. -Augusta hatte sich wirklich Mühe gegeben. Man konnte jedermann -empfangen, einen Fürsten, wenn es sein mußte. - -»Und wie war das eigentlich, auf dem Atelierfest von Ellens Freundin, -der schwedischen Bildhauerin, wie hieß sie doch -- sagen wir: Fräulein -Svenska?« fragte sich Schwedenklee, als er, in der Bibliothek auf und ab -gehend, auf Blank wartete. - -Es war da jemand, der die Mundharmonika spielte, und man saß, da nicht -genug Stühle da waren, auf dem Boden -- nicht wahr? Es war ein -Kostümfest! - -Mein Gott, was konnte man doch damals alles machen. Man drehte den Rock -um, band sich ein Taschentuch um den Hals: schon war man ein Apache! - -Es war eine ungeheure Hitze in dem Atelier, ganz richtig. Man trank -schwedischen Punsch, und schon nach dem ersten Glas änderte sich der -Glanz von Ellens Augen. - -Ja, jetzt fiel es ihm ein: Sie, Ellen, führte ihn in einen Winkel neben -eine der mit nassen Tüchern verhängten Tonbüsten und schlang die Arme -zart und weich um seinen Hals. »Dich werde ich ewig lieben!« flüsterte -sie. - -Da ertönte die Klingel: Blank! - -Schwedenklee spürte noch Ellens weiche Arme, ihre Stimme flüsterte dicht -an seinem Ohr, als Blank eintrat. - -Er errötete, als er Blank die Hand reichte. - - - - - 10 - - -Blank hatte sich in große Gala geworfen. Er trug unter dem fadendünnen -Überzieher mit dem abgeschabten Pelzkragen einen grauen, dünnen Gehrock, -einen schlechtgebügelten Kragen, eine alte flotte graue Binde. Die -Knöpfe der altmodischen Weste waren aus Glas und einer fehlte. Seine -Hände waren gepflegt, wie gestern, die Manschetten ausgefranst, aber -peinlich sauber. - -»Wie glücklich ich bin!« rief er mit seiner heiseren Stimme etwas -theatralisch aus und drückte Schwedenklee die beiden Hände, mit einer -Herzlichkeit, die Schwedenklee in Verlegenheit brachte. - -»Ich freue mich, daß Sie heute viel wohler aussehen«, erwiderte -Schwedenklee, der das Bedürfnis empfand, seinem Gaste seinerseits etwas -Angenehmes zu sagen. In der Tat, die Leichenblässe, die Blank gestern -zeigte, schien heute etwas gemildert. - -»Wohler?« Blank lächelte und schüttelte den Kopf. »Ich lag den ganzen -Tag mit Fieber zu Bett.« - -»Und Sie haben nicht einfach angerufen?« - -»Dieses bißchen Fieber sollte mich abhalten? Bei meinem -Gesundheitszustand ist es ja völlig einerlei, ob ich mich schone oder -nicht. Könnten Sie auch nur ahnen, wie ich mich auf das Zusammensein mit -Ihnen freute!« - -Beim Anblick der gedeckten Tafel blieb Blank vor Erstaunen auf der -Schwelle stehen. - -»Ist es möglich?« rief er aus. - -Augusta hatte sogar einen Strauß Maiglöckchen in die Mitte des Tisches -gestellt. Das helle Speisezimmer war von einem herrlichen Duft erfüllt. - -»Ist es möglich? Für mich diese Mühe! Nie werde ich Ihnen das -vergessen.« Und wieder drückte er Schwedenklees beide Hände, während er -bemüht war, seine Ergriffenheit zu verbergen. Lebhaft fuhr er fort: »Ich -weiß ja wohl, daß Sie ein Künstler im Arrangement von Festen sind! Rosa -erzählte mir, daß Sie ihr einst in Paris -- Himmel, daß ich Sie nicht -belauschen konnte! -- ein Abendessen gaben, mit Dutzenden von Kerzen, -deren Glanz sich in geschickt aufgestellten Spiegeln verhundertfachte. -Vielleicht erinnern Sie sich noch? Ja, Sie erinnern sich -- ich sehe es ---« - -»Sonderbar, gerade dieser Tage --« - -»Verzeihen Sie mir, ich sehe, daß es Ihnen nicht angenehm ist, an -vergangene Zeiten erinnert zu werden. Ich muß Sie um Nachsicht bitten, -wenn ich im Laufe des Abends dann und wann auf das Vergangene -zurückkomme. Ich fürchte, ich kann nicht anders, denn gerade die Qual, -die ich bei jeder Erinnerung empfinde, ist mir eine Wollust. Ich darf -Ihnen wohl sagen, daß Rosa mir alles aus ihrem Leben erzählte, jede -Einzelheit. Ich bitte auch, obschon es unnötig genug erscheint, erklären -zu dürfen, daß nicht das geringste Arg gegen Sie in meinem Herzen ist. -Wie sollte es auch? Einmal war ich ja sehr eifersüchtig auf Sie« -- -Blank lächelte schmerzlich -- »furchtbar eifersüchtig, ich gestehe es -Ihnen offen. Ich haßte Sie, Sie ahnen nicht, wie ich Sie haßte.« Blank -errötete und seine dunkeln Augen glühten -- allein bei der Erinnerung an -diesen Haß. - -»Ich begreife nicht, weshalb haßten Sie mich?« - -»So wahnsinnig hatte mich die Eifersucht gemacht. Ich hatte natürlich -nicht den geringsten Grund. Nun, es ist lange her -- zwanzig Jahre. -Heute empfinde ich für Sie nur Freundschaft und Zuneigung, ohne zu -erwarten, daß Sie meine Gefühle erwidern. Darf ich dieses Glas auf Ihre -Gesundheit leeren?« - -Mit einem tiefen, wunderbar warmen Blick der dunkeln Augen und einem -schönen Lächeln des verwüsteten Gesichts hob Blank das Glas ins Licht. - -»Wenn jemand hier Ursache hätte, böse zu sein,« fuhr er mit großer -Lebhaftigkeit, leise lächelnd, fort, »so wären ja wohl Sie es!« - -»Ich? Aber, ich bitte --« - -»Gewiß, Sie! Denn ich war es ja, der Ihnen diese wundervolle Frau -entfremdete -- in einer Zeit, da sie noch sehr an Ihnen hing.« - -Schwedenklee hob verwundert den Blick vom Teller. »Noch an mir hing?« -fragte er, errötend und geschmeichelt. - -»Ja! Es war nicht so einfach, wie es heute aussieht ...« - -»Nicht so einfach?« - -»Nein, ganz im Gegenteil -- es war sehr schwer!« - -»Reden wir nicht mehr davon«, brummte Schwedenklee. - -Nichts mehr von der Peinlichkeit des gestrigen Abends. Man plauderte wie -alte Bekannte. Blank, dessen krankhafte Erregung gestern Schwedenklee -folterte, war heute viel ruhiger und beherrschter. Er zeigte sich als -ein Mann von den besten gesellschaftlichen Formen, wenn er auch seine -weltmännischen Allüren etwas zu stark betonte. Schwedenklee liebte es -nicht, bei Tisch viel zu reden, er antwortete nur träge und zerstreut. -Blank dagegen sprach mit großer Lebhaftigkeit, die Rede, begleitet von -lebhaften Gesten, schien ihm eine wahre Wohltat zu sein. Seine Wangen -färbten sich, seine Augen sprühten. Er fühlte sich wohl, er fühlte sich -fast wie zu Hause, nach dem zweiten Glas nannte er Schwedenklee, der -zuweilen seine Sicherheit verlor, sogar manchmal »lieber Freund«. Ja, -dann und wann hatte Schwedenklee den Eindruck, als spielte Blank den -Überlegenen. - -Augusta hatte sich in der Tat alle Mühe gegeben und ein vorzügliches -Menü zusammengestellt. Sie servierte aber schmollend. Sobald sie Blank -erblickt hatte -- sie starrte förmlich auf die ausgefransten Manschetten --- hatte sie nur verächtliche Bewegungen. Jede Geste von ihr sagte: und -wegen dieses Bettlers lassen Sie mich den ganzen Tag herumrennen? - -»Eine Flasche Selters, Augusta«, sagte Schwedenklee mit einer gewissen -rügenden Schärfe, und Augusta zog brummend ab. - -Trotz des vorzüglichen Menüs und des herrlichen Weins fühlte sich -Schwedenklee nicht recht behaglich, ja vorübergehend war er sogar den -Anwandlungen einer schlechten Laune unterworfen. Die Lebhaftigkeit -Blanks störte ihn. Er hätte Blank gerne -- so albern es ihm selbst -vorkam -- bescheidener und demütiger gesehen. Nein, von den -ausgefransten Manschetten wollte er natürlich nicht sprechen, aber daß -Blank, den er gestern von der Straße aufgelesen hatte, den er aus purer -Gutmütigkeit zum Essen eingeladen hatte, ihn »lieber Freund« nannte -- -war das ganz in Ordnung? Mit einem gewissen Neid prüfte er zuweilen mit -verstohlenen Blicken Blanks Erscheinung. Ohne Zweifel mußte er vor -Jahren von großer, ja seltener Schönheit gewesen sein. Noch jetzt wirkte -sein großgeformter Musikerkopf imposant. In dem bleichen, zerknitterten -Gesicht glühte ein Paar wundervoller Augen. Was für Augen habe ich -dagegen? dachte Schwedenklee. Diese dunkeln Augen schienen das einzig -Lebendige -- Überlebende -- in dem wachsfahlen Gesicht zu sein. Sie -waren Feuer, Gedanke, Seele, Jugend, sie waren dreißigjährig, das -Gesicht fünfzig-, hundertjährig, wenn man will. - -So oft Schwedenklee von einer dieser Anwandlungen schlechter Laune -ergriffen wurde, verbarg er sie hinter ausgesuchtester Höflichkeit: -»Bitte zuzugreifen -- bitte sich zu bedienen!« - -»Ich sehe, ich ermüde Sie mit meinem Redestrom«, rief Blank aus. »Ich -muß auch in dieser Hinsicht um Ihre Nachsicht bitten. Seit Jahren habe -ich fast nie mehr mit einem gebildeten Menschen gesprochen. Sie ahnen -nicht, welcher Genuß für mich Ihre Gesellschaft ist. Bedenken Sie, diese -Menschen, mit denen ich noch zusammenkomme -- oh, mein Gott, welches -Niveau! Sie, mein verehrter Freund, der es wagte, einen Bettler ins Haus -zu laden ...« - -»Jeder Mensch kann einmal eine unglückliche Periode --« murmelte -Schwedenklee. - -»Einen Bettler, sage ich, was bin ich sonst? Sie verkehren mit einem vom -Unglück Gezeichneten auf gleich und gleich -- unterbrechen Sie mich -nicht -- wer tut das noch? Es ist das _Alleraußergewöhnlichste_ in der -heutigen Gesellschaft! Sie bewirten einen Mann, der gewissermaßen an -einem Wendepunkt Ihres Lebens als Ihr Rivale auftrat. Wie gut Rosa Sie -doch kannte! Sie kennen keine Vorurteile, keine kleinlichen Gefühle.« - -»Ich bitte!« stammelte Schwedenklee, aufs tiefste beschämt. Nichts ist -ja peinlicher, dachte er, als derartige Lobeshymnen anhören zu müssen. -Mein Himmel, diese liebe Ellen, was für Vorstellungen sie wohl von mir -gehabt haben mag! - - * * * * * - -»Dieses Glas dem Gedächtnis Rosas!« sagte Blank feierlich nach dem -dritten Glase und ließ den Wein im Licht funkeln. Obschon den Tod im -Antlitz, sah er schön aus in diesem Augenblick. Später, wenn -Schwedenklee sich an den Abend erinnerte, sah er Blank immer in dieser -Geste vor sich. - -Schwedenklee tat ihm Bescheid. - -Aber Blank erhob sich vom Sitze, und so konnte auch Schwedenklee, dem -jede Exaltiertheit ein Greuel war, nicht sitzenbleiben. Wenn er nur -diese theatralischen Manieren sein ließe, dachte er, tief unglücklich. - -Lange verharrte Blank in Schweigen und Versunkenheit. Aber seine Augen, -ohne Blick auf einen Stich an der Wand gerichtet, leuchteten verklärt. - -Augusta servierte mit verdrossener Miene den Nachtisch. - -Plötzlich fühlte Schwedenklee Blanks Auge auf sich gerichtet. Er hob die -Lider und begegnete einem forschenden, sonderbar und befremdend -forschenden, grübelnden, bohrenden Blick, dessen Ausdruck sich indessen -augenblicklich änderte. - -»Ich dachte eben --« begann Blank mit sonderbar leiser, heiserer, -zerstreuter Stimme. - -»Sie dachten --?« - -»Ja.« Blank sammelte sich. »Ich dachte: wie merkwürdig es ist, daß wir -beiden hier beisammensitzen.« - -»Was ist daran so merkwürdig?« sagte Schwedenklee, schon etwas -gelangweilt. Was kümmerte ihn schließlich dieser Blank, was kümmerte ihn -schließlich diese Ellen? Nichts, letzten Endes gar nichts. Er fing an, -die Einladung zu bereuen. - -»Merkwürdig ist natürlich ein falscher und völlig unzulänglicher -Ausdruck«, fuhr Blank mit leiser Stimme fort. »Dieser Augenblick -bedeutet mehr! Er ist erhaben, nichts anderes als erhaben! Wir drei -- -geeint -- in diesem Augenblick!« - -»Wir drei? Geeint?« - -»Ja!« Blanks Augen weiteten sich. »Nur uns beide, Sie und mich, hat -diese wunderbare Frau in ihrem Leben geliebt. Hier sitzen wir beide nun --- und sie -- sie ist bei uns! Und sie ist glücklich!« - -Es entstand eine Pause. - -»Glauben Sie denn an diese Dinge?« fragte Schwedenklee dann betroffen -und etwas bleich. - -»Ob ich daran glaube? Es ist für mich Gewißheit, daß sie in diesem -Augenblick gegenwärtig ist. Ich empfinde es deutlich. Ein Strom von -Glück durchrinnt mich. Sie segnet uns aus einer unbegreiflichen, -vollkommeneren Welt.« - -Schwedenklee schüttelte den Kopf. - -»Der Gedanke wäre unerträglich, daß Verstorbene uns beobachten.« Er -erhob sich sogar vor Erregung. - -»Weshalb unerträglich?« Blank lächelte voller Nachsicht. - -»Ja, unerträglich!« wiederholte Schwedenklee an Stelle einer Antwort und -sah gereizt aus. Er ist doch wahnsinnig, dachte er, ganz im geheimen. - -Blank schwieg und versank in Gedanken. »Sie war ein Genie der Liebe«, -hub er nach langer Pause, als spräche er für sich, von neuem an. -»Stellen Sie sich eine Pflanze vor, die täglich neue Blüten treibt, -immer schönere, immer herrlichere Blüten -- so war sie! Sie konnte -lieben, wie nie ein Mensch liebte! Die Liebe machte sie genial, -schöpferisch. Denken Sie, sie wachte eine ganze Nacht, saß aufrecht -neben mir und sagte am Morgen: ich wollte dich eine ganze Nacht lang -atmen hören! Denken Sie: Rosa war eine leidenschaftliche Raucherin. Sie -rauchte zwanzig bis dreißig Zigaretten am Tage. Wenn ich aber verreiste, -auf ein Gastspiel, und sie konnte nicht mitkommen -- all die zwanzig -Jahre waren wir zusammengerechnet nicht vier Wochen voneinander -getrennt! -- so rauchte sie nicht. Das sind natürlich nur geringfügige -Beispiele, schlecht gewählt dazu. Tausende solcher Züge könnte ich Ihnen -berichten. Sie war ein unerschöpfliches Wunder. Nein, mein verehrter -Freund, Sie haben sie nicht gekannt! -- Gottlob, sage ich,« fügte er mit -einem eigentümlichen, verletzenden Lächeln hinzu, »denn sonst wären Sie -_seinerzeit nicht eine Stunde länger in Paris geblieben. Nicht eine -Minute!_« Triumphierend rief Blank dies plötzlich mit seiner heiseren -Stimme Schwedenklee ins Gesicht. - -Schon keimte ein sonderbares Gefühl des Neides in Schwedenklee auf. Und -Unmut über das Betragen seines Gastes. Man soll mit Leuten vom Theater -nichts zu tun haben, dachte er. Diese Pathetik, diese Theatralik, die -Bühne verdirbt den Menschen! Er wurde dunkelrot im Gesicht. - -Blank entging diese Veränderung Schwedenklees völlig. - -»Rosa erwartete Sie damals!« fuhr er geheimnisvoll und erregt fort. »Ich -sagte Ihnen ja, in der ersten Minute -- unvergeßlicher Augenblick! -- -fiel Ihr Name. Ihr Name war es ja, der rasch eine Verbindung zwischen -uns herstellte, erst später begriff ich es. >Schwedenklee,< sagte sie, ->oh, Sie kennen ihn? Er wird wohl in den nächsten Tagen ebenfalls hier -sein!<« - -»Sie glaubte also, daß ich kommen würde?« - -»Sie äußerte diesen Gedanken wiederholt. Aber Sie kamen nicht. Vierzehn -Tage lang wurden Sie erwartet. Dann sprach sie nicht mehr davon. Aber -ich fühlte deutlich, daß sie litt.« - -»Litt?« - -»Ja. Ich -- ohne Besinnung vor Eifersucht -- fühlte es allzu deutlich.« - -»Ich hatte seinerzeit -- bestimmte Studien hielten mich in Paris fest ---« - -Spöttisch war Blanks Blick. »Ich zitterte -- ich spreche offen -- jeden -Tag, daß Schwedenklee eintreffen könne. Aber Schwedenklee _kam nicht_!« - -»Nein!« warf Schwedenklee mit schwankendem Blick ein. »Er kam nicht!« - -»Und da fühlte ich -- beruhigt, daß Sie Rosa in Wahrheit nicht liebten. -Sie waren ja unabhängig, Sie konnten reisen --« - -»Ich? Wieso? Woraus schließen Sie, daß ich Rosa oder Ellen nicht -liebte?« Schwedenklee setzte sich zur Wehr. - -»Weil Sie nicht kamen!« triumphierte Blank. - -»Das sagt nichts«, knurrte Schwedenklee. - -»Doch, es sagt alles!« ereiferte sich Blank, unter dessen Augen rote -Flecke erschienen, in großer Erregung. »Sie hätten kommen _müssen_!« - -»Aber Sie sehen ja, daß ich nicht _kam_!« rief Schwedenklee, ebenfalls -außerordentlich erregt. - -»Ja!« Blank lehnte sich triumphierend zurück. Sein Auge funkelte. »In -der Tat, Sie kamen nicht! Sie waren leichtsinnig, Sie ahnten gar nicht -die Bedeutung dieser Tage! Sie ahnten gar nicht, daß es um das Glück -Ihres Lebens, um Ihr Lebensglück ging --« - -»Sie werden mir mehr und mehr unverständlich, Herr Blank«, entgegnete -Schwedenklee und zog die Brauen hoch. - -»Wieso? Aber ich bin ja der einzige, der ermessen kann, was Sie -weggegeben, was Sie verschwendet, was Sie achtlos fortgeworfen haben. -Ich! Ich allein! Zwanzig Jahre Glück -- wissen Sie, was das bedeutet?« -rief Blank triumphierend aus. »Verstehen Sie, was zwanzig Jahre Glück -bedeutet? Als Rosa starb, küßte ich sie, und ich fühlte, wie sie -versuchte, mich wiederzuküssen, obschon sie halb bewußtlos war. Ich -küßte sie, als sie schon erkaltete. Das ist das Glück von zwanzig -Jahren! Verstehen Sie? Ich küßte sie in den Tod. Und wenn ich sterbe -- -bald! -- so werde ich ihr meine Küsse _entgegensenden_! Das ist das -Glück von zwanzig Jahren. So steht es also. Sie sind reich -- ich bin -ein Bettler und weiß nicht, wovon ich morgen leben soll. Und doch: ich -würde für nichts mit Ihnen tauschen, für nichts!« - -Hier wurde Schwedenklee wirklich böse. - -»Schweigen Sie doch endlich!« schrie er, indem er aufsprang, rot vor -Zorn. - -Blank, der sich in der Erregung ebenfalls erhoben hatte, taumelte, wie -von einem Schlage getroffen, zurück. Er rang nach Atem. Dann streckte er -Schwedenklee flehend die mageren Hände entgegen, er rang diese Hände, -daß die Finger knackten. - -»Verzeihen Sie mir!« schrie er. »Ich weiß nicht, was ich tue!« Er war -einer Ohnmacht nahe. »Ein Glas Wasser!« stammelte er, und Schwedenklee -sah, daß sich ganz plötzlich Blanks von hundert Fältchen zerknitterte -Stirn mit unzähligen kleinen Schweißperlen bedeckt hatte. - -Mit zitternden Händen griff er nach dem Glas Wasser. Sein Blick war -scheu, Vergebung heischend. Der Blick eines Menschen, der Jahre hindurch -sich demütigen mußte -- oh, wie abscheulich! - - * * * * * - -Ja, grausam und unerbittlich sind die Menschen. Ein Mensch mit 39 Grad -Fieber kommt zu ihnen -- trotz dem Fieber! Sie sind gerührt. Aber wenn -der Fiebernde sich nicht wie ein normaler Mensch benimmt, gleich -verwünschen sie ihn. - -Als man bei Kaffee und Likören in der Bibliothek saß, hatte Blank sich -vollkommen wiedergefunden. Man plauderte über Theater, Oper, -Bühnenkünstler, Dirigenten, und Blank wußte anregend zu erzählen. Der -Name Rosa-Ellen fiel nicht mehr. - -Schließlich erhob sich Blank und ging an den Flügel. - -»Einmal noch wollen wir es versuchen!« sagte er, und seine langen -blassen Finger glitten scheu und zögernd, als fehle ihm der richtige -Mut, über die Tasten. - -Großer Ernst war über sein weißes Antlitz gebreitet. Er sang. Eine -italienische Romanze, schwermütig, mit Anläufen der Hoffnung, zuweilen -geheuchelt heiter. Schwedenklee verstand nicht ganz den Text. - -Blanks Stimme klang anfangs heiser und kraftlos, bald aber leuchteten -einzelne Töne klar und hell auf, und schließlich floß die Stimme groß -und gleichmäßig dahin. Mit Inbrunst, erschüttert sang Blank, und seine -Augen füllten sich mit Tränen. - -Welch herrliche Stimme er gehabt haben muß, dachte Schwedenklee, der -sich bedrückt in eine Ecke zurückgezogen hatte. - -Da machte ein hartnäckiger Hustenanfall Blanks Gesang ein Ende. Er -führte das Taschentuch an die Lippen. - -Entmutigt und still erhob sich Blank, den Blick zu Boden gerichtet. - -Er reichte Schwedenklee die Hand. - -»Leben Sie nun wohl, Herr Schwedenklee, und Dank für diesen Abend!« -sagte er und wandte die glänzenden Augen Schwedenklee zu. - - * * * * * - -Auch Schwedenklee griff nach dem Hut. - -»Ich bitte dringend, sich nicht bemühen zu wollen.« - -»Ich habe das Bedürfnis, noch ein paar Schritte zu gehen.« - -Schweigend gingen sie die dunkle Straße hinab. - -»Wie lau die Luft ist,« sagte Schwedenklee, sich verlegen räuspernd, »es -wäre Zeit, daß der Frühling endlich käme.« - -»Es wäre wirklich Zeit!« antwortete Blank in Gedanken. - -Endlich faßte sich Schwedenklee ein Herz. Er begann damit, wie erfreut -er wäre, ihn, Blank, näher kennengelernt zu haben. Wie gesagt, er hoffe, -daß sein Gesundheitszustand sich bald bessere. Nun wisse er ja wohl, daß -es ihm zur Zeit schwierig sei, seinem Körper jene Pflege angedeihen zu -lassen, wie es geboten sei. -- Kurz und gut, Schwedenklee nahm einen -Brief aus der Tasche. - -Blank hatte argwöhnisch auf Schwedenklees Rede gelauscht und fuhr nun -entsetzt zurück. »Nie, nie werde ich unser freundschaftliches Verhältnis -beflecken«, rief er mit großer Geste aus. - -»Aber gerade, wenn Sie das Wort Freundschaft gebrauchen --« - -»Nie, niemals.« - -Schwedenklee hatte wie gewöhnlich in seiner Unbeholfenheit nicht die -richtige Form gefunden. In der letzten Minute, er wollte den Brief schon -entmutigt einstecken, fielen ihm die rechten Worte ein. Er sprach davon, -daß man einem Freunde die Erlaubnis einräumen müsse, in besonderen -Fällen ein bescheidenes Darlehen --. - -Blank schien zu schwanken. - -»Wenn ich Ihr großherziges Anerbieten annehme, so geschieht es aus -Gründen, die ich Ihnen nicht auseinandersetzen kann!« sagte er dann mit -einem tiefen, langen Blick und nahm den Brief unter Dankesversicherungen -in Empfang. - -»Sobald ich in der Lage sein werde ...« - -»Keine, nicht die geringste Eile!« - -Es gelang schließlich Schwedenklee sogar, Blank in eine Droschke zu -stopfen, deren Kutscher er entlohnte. - -»Und wenn Sie einmal einen freien Abend haben, Herr Blank?« - -»Ich werde Ihre Güte nicht mißbrauchen. Dank und leben Sie wohl -- für -immer!« rief Blank. Und dann, schon in der Droschke, fügte er noch -einige Worte hinzu, denen Schwedenklee an diesem Abend keinerlei -Bedeutung beimaß. Er sagte: »Ich bin glücklich, Sie näher kennengelernt -zu haben. _Wie wichtig das für mich ist, werden Sie vielleicht einmal -erfassen._« Aber, wie gesagt, Schwedenklee beachtete diese Worte an -diesem Abend kaum. - -Blanks bleiche Hand winkte aus dem Fenster. Die Droschke rollte davon -und im Nu war sie unter anderen Gefährten untergetaucht. - -»Nun, Gott sei Dank, das wäre überstanden!« sagte Schwedenklee zu sich -selbst. »Großer Gott, was für Elend gibt es auf dieser Welt.« - -Schwedenklee fühlte sich erleichtert und befreit von einem -Schuldbewußtsein, das ihn quälte, ohne daß er bestimmte Ursachen hätte -angeben können. - -Das Schicksal seiner Mitmenschen, ja sogar seiner Bekannten und Freunde, -kümmerte Schwedenklee, der immer mit sich selbst beschäftigt war, nicht -allzusehr. Von Zeit zu Zeit hatte er das Bedürfnis, diese -Gleichgültigkeit, die er recht wohl als Mangel empfand, durch irgendeine -gute Handlung zu sühnen. Er schenkte, zum Beispiel, einer armen Frau, -die fünf Kinder hatte, eine Summe Geldes, einen Posten Wäsche und -Kleider. - -So hatte er Blank heute eine ziemlich große Summe aufgedrängt, um Ruhe -zu finden vor peinigenden Gedanken, Reflexionen über die heutige -Gesellschaft, Ungerechtigkeit der sozialen Schichtung und andere -peinliche Dinge. - -Beruhigt ging er zu Bett. - -Sein Schlaf indessen war unruhig. Er träumte von Ellen. Sie hatte ihren -Koffer gepackt, bereit abzureisen. Er brachte sie in einem Wagen zur -Bahn, aber schon angesichts der glühenden Uhr des Bahnhofs befahl sie -dem Kutscher zu wenden und zum Hotel zurückzufahren. Später, da stand -sie schon im Zuge, der Zug fuhr schon an, aber sie sprang im letzten -Moment -- zum Erstaunen und Schrecken aller Reisenden, die laut -aufschrien -- aus dem Zuge. Ich kann nicht, ich kann nicht, schrie sie. -Da verfiel Schwedenklee -- im Traum -- auf einen infamen Gedanken. Er -beschwätzte Ellen, daß er mit ihr reisen werde. Sie war überglücklich, -und sie fuhren zusammen. Bei der ersten Station verließ er heimtückisch -den Zug. Es war eine Station voller Dunkelheit und Düster, und er sah -das schöne glückliche Gesicht der Ahnungslosen an sich vorübergleiten. - -Hier erwachte Schwedenklee. Er war heiß, unruhig und voller Ängste. Die -Nacht war finster und lang. Vielleicht, dachte er, wäre ich mit dieser -Frau glücklich geworden? Vielleicht hat er recht, vielleicht habe ich -das Glück meines Lebens leichtsinnig fortgeworfen? - -Am Morgen erinnerte er sich deutlich an den Traum. Wie sonderbar, dachte -er, Ellen reiste in der Tat schwer ab. Wir telegraphierten sogar an das -Theater, jetzt erinnere ich mich. Aber ich wünschte, daß sie reiste, -denn -- ich hatte ja schon eine Verabredung mit ihrer Freundin, dieser -rotbäckigen, stupsnäsigen Schwedin -- wie hieß sie? -- Fräulein Svenska. -Ja, leichtsinnig ist die Jugend. - -»Welch ein Schuft bist du doch gewesen, Schwedenklee!« sagte er zu sich. -»Und diese Frau hat dich vielleicht wirklich geliebt!« - - - - - 11 - - -Ellen -- Blank -- schon nach kurzer Zeit streifte Schwedenklee das -immerhin nicht alltägliche Erlebnis nur noch selten in seinen Gedanken. -Er hatte die Verbindung mit Fräulein Wiedehopf wieder aufgenommen, und -seine Beziehungen zu der jungen Dame waren rasch vertraut geworden, in -viel kürzerer Zeit, als er anfänglich beabsichtigt hatte. Er hatte -Verpflichtungen, war wenig zu Hause, seine Gedanken waren durch die neue -Freundschaft hinlänglich beschäftigt. - -Etwa zwei Wochen nach jenem Abendessen, als er nachmittags gerade das -Programm zu einem Ausflug entwarf, klopfte Augusta und meldete Blank. - -»Herr Blank wartet mit einem Wagen vor der Türe.« - -»Wer?« - -»Herr Blank. Der Herr von neulich!« - -Ungläubig und etwas verwirrt starrte Schwedenklee auf Augusta -- schon -kam ihm Blank mit ausgestreckten Händen entgegen. - -»Ich hatte gelobt, Ihre Liebenswürdigkeit nicht mehr zu mißbrauchen!« -rief er lebhaft aus. »Sie sehen, ich bin schwach geworden. Wenn Sie mich -nicht tief unglücklich machen, kränken wollen, müssen Sie mir erlauben, -Sie zu einer Wagenpartie nach dem Grunewald einzuladen.« - -»Ich bin leider gerade sehr beschäftigt, Herr Blank.« - -»Nein, nein, verletzen Sie mich nicht, ich bitte Sie! Geben Sie mir -Gelegenheit, mich für Ihre Einladung zu revanchieren.« - -Schwedenklee fand sich noch immer nicht zurecht. Wagen -- Grunewald -- -und wie sah Blank aus? Er war kaum wiederzuerkennen! - -Er trug einen noch recht ordentlich aussehenden dunkeln Ulster, einen -neuen Hut, neue Schuhe -- und seine Blässe war völlig verschwunden. Sein -Gesicht war leicht und gleichmäßig gerötet, wie das eines gesunden, -glücklich erregten Menschen. Erst später fand Schwedenklee, daß diese -Röte von hohem Fieber herrührte. - -Blanks Augen strahlten vor Freude, es war Schwedenklee ganz unmöglich, -ihn zu enttäuschen. Er bat noch um eine Minute Geduld. - -»Ich werde dem Kutscher unterdessen Bescheid sagen. Sie essen doch im -Grunewald mit mir?« - -Nun rollten sie dahin. - -»Mein Freund!« rief Blank unter lebhaften Gesten aus. »Ich sehe, Sie -sind außerordentlich erstaunt. Ich bin es ja selbst! Noch immer kann ich -es nicht fassen. Wissen Sie denn, was geschehen ist? Niedergebrochen, -erschöpft, in Verzweiflung, habe ich plötzlich neuen Lebensmut bekommen. -Ahnen Sie, was das bedeutet? Neuen Lebensmut? Ich fange wieder an zu -hoffen. Vielleicht -- ja wer weiß es, aber ich habe immerhin die -Hoffnung --, vielleicht hat das Schicksal in einer guten Laune -beschlossen, mir so etwas wie einen Nachsommer zu schenken! He, -Kutscher, fahren Sie doch etwas hurtiger, nicht so langsam!« - -»Ich freue mich aufrichtig, Sie zuversichtlicher zu sehen!« - -»Und das kam so, mein lieber und verehrter Herr Schwedenklee! Hören Sie -nun. Sie, mein verehrter Freund, Sie sind die Ursache! Ja! Ihr, wie -sagten Sie in Ihrer großen Güte, Ihr Darlehen -- damit begann es. Mein -Himmel, was ist seitdem alles geschehen! Ich bin verwirrt, kindisch -geradezu. Ich hatte den Mut, die Selbstüberwindung, Ihren Brief nicht -sofort zu öffnen. Bei jeder Laterne kämpfte ich mit mir. Nein, sagte -ich, du bist kein Bettler! Zu Hause öffnete ich Ihren Brief und -- -glauben Sie mir -- ich war vor Erstaunen minutenlang betäubt. Morgen, -sagte ich, bringe ich ihm das Geld zurück. Morgen! Aber am Morgen dachte -ich anders. Plötzlich -- es war wie ein Wunder, stieg wieder, nach -Monaten, ein Gefühl der Hoffnung in meinem Herzen empor. Ich sagte mir: -wenn Gott dir einen gütigen Freund in den Weg gesandt hat, weshalb -willst du diesen Wink des Himmels nicht verstehen? Gut, ich brachte das -Geld nicht zurück! - -Ich handelte! Ich raffte mich auf! Ich löste meine Kleider aus -- hier, -diese Kleider. Ich ging zu einem Friseur. Ich ging in eine Badeanstalt. -Ich ging in ein Restaurant und aß. Ich wurde plötzlich ein anderer -Mensch! Hoffnungen beflügelten mich. Ich ging in die Filmbörse. Waren -Sie schon in der Filmbörse? Ein Kaffeehaus in der Friedrichstraße?« - -Schwedenklee schüttelte den Kopf. - -»Gehen Sie nicht hin. Sie werden nie so viel Elend, offenes und -verborgenes, schlecht verborgenes Elend, auf einer Stelle finden. Ich -gehe hin -- ich bin gesättigt, anständig gekleidet, ich bestelle Kaffee. -Glückt es heute nicht, so glückt es morgen. Ich fühle Ihr Kuvert in -meiner Tasche, ich habe keine Eile, ich fühle mich sicher. - -Was denken Sie? Regisseure kommen herein. Sie haben das ja nie -beobachtet. Man kennt diese Regisseure, die Herren und Damen stürzen -sich förmlich auf sie --! Aber auf _mir_ ruht sein Blick, der Blick des -Allmächtigen. Ich tue, als kümmere es mich nicht im geringsten. Er -geruht an meinen Tisch zu kommen. Er stellt sich vor, denken Sie, -obschon ihn hier jedermann kennt und er es genau weiß. Was denken Sie, -was geschieht? Er verpflichtet mich für zwei Filme, zwei -- bei sehr -gutem Honorar! Zwei Filme!« Blank lachte laut heraus und breitete die -Arme den Vorübergehenden entgegen. - -»Ich hatte früher eine Verachtung für den Film, müssen Sie wissen. Er -erschien mir wie eine Profanierung der Kunst. Ich war immer Idealist, -das heißt ein Dummkopf -- werde es bleiben bis an mein Lebensende, kann -nicht anders. Ich lehnte früher, da ich noch auf hohem Rosse saß, jedes -Engagement ab. Später aber gab sich es bescheidener und war zufrieden, -in der Komparserie zu filmen, bis ein Regisseur schrie: Bedauere, Sie -_verhusten_ mir ja jede Aufnahme. Ja, so sagte er: Sie verhusten ... -hahaha!« - -So laut war Blank, so froh erregt, daß Schwedenklee der Überzeugung war, -er sei etwas angeheitert. - -»Zwei Filme also,« fuhr Blank lebhaft fort, »Sie sehen, das Unfaßbare -war geschehen. Ein Wunder hat sich ereignet! Das Schicksal hatte mich -völlig vergessen, plötzlich aber ließ es sein Auge wieder in Gnaden auf -mir ruhen. Ich filme bereits eine ganze Woche, heute, am ersten freien -Tag, eilte ich zu Ihnen, um Ihnen die große Neuigkeit zu verkünden. -- -Im ersten Film, der zur Zeit gedreht wird, spiele ich die Rolle eines -Günstlings der großen Katharina, der an schleichendem Gift, das ihm sein -Rivale, ein französischer Abbé, eingab, dahinsiecht. >Die Rolle ist -Ihnen wie auf den Leib geschrieben, Blank<, sagte der Regisseur. Sie -sehen! Ja, eine herrliche Sache: ich sieche dahin, drei Akte hindurch. -Meine erlauchte Geliebte läßt mich fallen im Augenblick, da ich den -Stempel des Todes auf der Stirn trage. Aber ich räche mich ...« - -Blank nahm eine Schachtel aus der Tasche und bot Schwedenklee eine -Zigarette an. »Ich habe nicht vergessen, daß Sie ein leidenschaftlicher -Raucher sind, hoffentlich schmeckt Ihnen die Marke. He, Kutscher, lieber -Freund, halten Sie einen Augenblick!« Und Blank bot mit fliegender Hand -Feuer. »Und nun, lassen Sie das Pferdchen wieder laufen!« - -Wohlig stieß Blank die Rauchwolken in die durchsonnte Luft, indem er -fortfuhr: - -»Weitaus amüsanter ist der andere Film, den wir in acht Tagen drehen -werden. Er wird Sie erheitern, mein verehrter Freund. Ich bin also ein -heruntergekommener Graf und sitze an der Straße als Bettler! Eine Dame, -die mich in meinem früheren Leben kannte, eine Tänzerin, reicht mir -- -sie ist eben im Begriff, in ihr Auto einzusteigen -- ein Goldstück. Aber -siehe da, schon erkennt sie mich. Sie nimmt mich in ihren Wagen. Die -Menge der Neugierigen, die sich ansammelte, spendet ihrem mitleidigen -Herzen Beifall. Ich werde gefüttert, gepflegt -- und schon bin ich -wieder ein Graf, ein hochfeudaler, etwas hinfälliger Greis. Die Tänzerin -unterbreitet mir einen Ehekontrakt. Sie will meinen Adel heiraten, und -ich soll nach der Trauung, laut Kontrakt, verschwinden für immer. Aber -was glauben Sie? Ich tue es nicht, ich bin nun wieder an das gute Leben -gewöhnt, drohe, verteidige meine Ehre, werfe die Liebhaber die Treppe -hinunter, sperre meine schöne Gattin in die Bügelkammer. Hahaha! Ist es -nicht lustig? Ja, auch Sie müssen lachen. Ich sehe sogar, daß Sie -gespannt sind, wie es endet, aber Sie schämen sich zu fragen. Habe ich -recht?« - -»Ja, Sie haben recht.« - -»Nun, so sollen Sie hören. Meine Gemahlin ist schlauer als ich. Sie lädt -eine Nichte ein, ein süßes Geschöpf -- ich bin töricht genug, mich zu -verlieben, werde bei einem zärtlichen Tete-a-tete ertappt -- Scheidung! -Meine Aktien stehen schlecht, ich bin genötigt, mich zu verabschieden, -stecke die Abfindungssumme ein, und in der Schlußszene sehen Sie mich -als alten Gecken flanieren. Ich mache Bekanntschaft, Sekt, meine Dame -stiehlt mir die Abfindungssumme und die Kellner werfen mich auf die -Straße -- hahaha!« - -»Aber Kutscher,« unterbrach Blank plötzlich seinen Redeschwall und -berührte, erschrocken aufspringend, die Schulter des Kutschers, »ist es -denn nötig, daß Sie uns mitten in den See hineinfahren?« Augenblicklich -aber sah Blank seine Täuschung ein. »Verzeihung -- ja, es war eine -Sinnestäuschung. Ich sehe ja, es ist der Himmel, der sich im Asphalt -spiegelt, es war nur eine vorübergehende -- wie soll ich sagen --?« - -»Ich glaube,« fuhr Blank nach einer Pause mit der gleichen Lebhaftigkeit -fort, »mein Glück hat mich schwindlig gemacht! Ich fiebere in diesen -Tagen sehr stark, aber ich fiebere, weil ich wieder hoffe. Ich empfinde -dieses Fieber geradezu angenehm! Ja, merkwürdig und geheimnisvoll ist -dieses Leben! Ist es nicht sonderbar, daß schon früher einmal Sie, ja -gerade Sie, verehrter Freund, Sie und kein anderer es waren, der in -einem Augenblick der größten Verlegenheit entscheidend in mein Leben -eingriff? Soll man da nicht an Mysterien, an wunderbare, geheime -Zusammenhänge glauben?« - -Schwedenklee war äußerst erstaunt. »Ich sollte schon früher einmal --?« - -»Ja!« Blank rückte vertraulich näher und lachte. »Ja! Ein Geständnis. -Ich habe Ihnen erzählt, daß ich Rosa in Nürnberg kennenlernte. Mein -Engagement in dieser Stadt war geradezu kläglich, und ich war ziemlich -abgerissen. Nun schrieb mir ein Kollege aus Köln, daß dort eine Vakanz -sei. Köln! Aber wie nach Köln kommen, ohne Geld, in diesem Aufzuge -- -zum Verzweifeln. Ich sprach mit Rosa, und Rosa sagte, ich werde an -Schwedenklee schreiben.« - -»Schrieb sie denn?« - -»Ja. Sie flunkerte ein bißchen, daß sie notwendige Garderobe brauche. -Und Sie sandten postwendend tausend Franken. - -Tausend Franken! Reise, Anzug, Hotel, oh, wie wichtig ist das -- Sie -ahnen es nicht, da Sie das Theater nicht kennen. Alles war plötzlich -ermöglicht! Übrigens haben wir Ihnen die tausend Franken nach zwei -Monaten zurückgeschickt«, sagte Blank voller Genugtuung. - -»Ja -- was für merkwürdige Zusammenhänge! Und nun wieder! Fühlen Sie, -wie wunderbar die Luft ist!« schwärmte Blank, während sie in den -Grunewald hineinrollten. »Und die Sonne wärmt schon ordentlich! Sie -ahnen nicht, wie glücklich ich bin ...« - -Blank lehnte sich behaglich in den Wagen zurück. Er nahm den Hut ab und -ließ die heiße Stirn im Luftzuge kühlen. - - - - - 12 - - -Fräulein Nelly Wiedehopf -- die Dame mit den turmartig aufgebauten -Haaren und den glänzend polierten Fingernägeln -- hatte ihre -Eigenheiten. Es ging nicht alles so, wie Schwedenklee gedacht hatte. -Einmal erschien sie höchst erregt -- ihr Polarfuchs war gestohlen worden -oder sie hatte ihn verloren. Jedenfalls, der Polarfuchs war -verschwunden. Sie redete tagelang von dem Polarfuchs, war in -schlechtester Laune, so daß sich Schwedenklee endlich entschloß, ihr -einen neuen Polarfuchs zu kaufen. Kaum aber hatte er den Pelz gekauft, -da fand sich der alte Polarfuchs wieder! Und nun ließ sie den alten -Polarfuchs in einen Muff umarbeiten, mit Seidenfutter und einer -eleganten Innenausstattung für Spiegel und sonstige Kleinigkeiten -- -vergebens wies Schwedenklee darauf hin, daß der Sommer vor der Türe -stand. - -Kürzlich aber passierte folgende, immerhin etwas peinliche Sache: Nelly -erschien mit rotgeweinten Augen. Ihre Tante in Lübeck war gestorben. Sie -brauchte ein Trauerkostüm, Reisegeld und, da die Tante sehr arm war, -noch einen Zuschuß zu den Beerdigungskosten. »Ich kann die Schwester -meiner Mutter unmöglich wie eine Armenhäuslerin begraben lassen auf -städtische Unkosten!« Nelly war völlig aufgelöst. Schwedenklee griff in -die Brieftasche. Besonders der Zuschuß zu den Beerdigungskosten -schmerzte ihn. Ging es nicht etwas sehr weit, daß er sogar die -Bestattungskosten einer Tante tragen sollte, von deren Existenz er erst -in dem Augenblick etwas erfuhr, da sie starb? - -Er empfahl Sparsamkeit, die wahre Trauer zeige sich nicht in -Äußerlichkeiten. Er, für seine Person, würde zum Beispiel gern mit einer -einfachen Holzkiste zufrieden sein -- er würde sie einem der -entsetzlichen Särge sogar vorziehen! Überhaupt mache man zu große -Scherereien mit Verstorbenen, die ja nur den einen Wunsch hätten, daß -man sie in Ruhe lasse. - -Nelly nannte ihn herzlos. »Natürlich,« rief sie aus, »du hast ein -herrliches Leben genossen, was kümmert es dich, wenn du in einer -billigen Kiste begraben wirst? Aber Leute, denen es kümmerlich ging im -Leben, wollen wenigstens als Tote einigermaßen wohlhabend erscheinen. -Aber das wirst du nie begreifen.« - -Immer wurde Nelly sofort ausfallend! - -Um es gleich zu sagen: die ganze Sache mit der verstorbenen Tante war -eine Lüge. Nelly fuhr nach Lübeck, das ist wahr. Sie erschien nach etwa -einer Woche wieder, in ihrem schwarzen Trauerkostüm, das die Blässe -ihres Gesichtes herrlich hervorhob, kokettierte sie nach allen Seiten -- -später aber verplapperte sie sich. Es kam an den Tag, und sie gestand: -es war ein Einfall von ihr, dem sie nicht widerstehen konnte. - -Schwedenklee war verstimmt und zog sich zurück. Das ging denn doch zu -weit. Und dazu hatte Nelly richtig geweint, aus Schmerz über den Tod -einer Tante, die gar nicht existierte. Diese Frauen waren wirklich ein -Rätsel! - -»Nein, nein,« sagte Schwedenklee zu sich, »dir kann man ja schon alles -aufbinden!« Seine Eitelkeit war tief verletzt. - -Aber Nelly hatte ihre Vorzüge, ohne Zweifel. So war sie, zum Beispiel, -sehr leidenschaftlich. Sie zitterte, wenn man sie nur mit den Lippen -berührte. Aber vielleicht ist auch das nur Komödie? dachte Schwedenklee, -unsicher geworden. Man weiß wirklich nicht mehr, woran man bei diesen -Frauen ist! - -Sodann war Nelly interessant! Ihr Teint war bleich, und je näher man sie -betrachtete, desto bleicher erschien ihr Teint. Sie hatte kleine -rötliche Sommersprossen, die den Teint noch durchsichtiger erscheinen -ließen. Sie hatte scharfe, helle Vogelaugen, die Brauen wuchsen leicht -zusammen, und wenn man sie ganz nahe betrachtete, erschien ihr Gesicht -in der Tat fast gespenstisch. - -Nelly verstand es, sich zu kleiden -- mit nichts! Mit nichts täuschte -sie den Luxus einer reichen Ausländerin vor. Man nahm an, daß -Schwedenklee Tausende für sie ausgab. Das schmeichelte Schwedenklees -Eitelkeit immerhin. - -Nelly verstand es, sich zu benehmen. Man konnte mit ihr getrost in -ersten Hotels dinieren -- die Kellner wichen ersterbend zurück. Ein -Lächeln von ihr entzückte den Direktor, die Herren verdrehten die Hälse. -(Und doch war sie nur Buchhalterin in einem Herrenschneidergeschäft!) -Wie sie ihren Fuß setzte -- das allein war ein Roman! - -Aber was zuviel ist, ist zuviel. Schwedenklee zog sich zurück. Er -erkaltete. Aus purer Bosheit reiste er nach Lübeck -- zu Studienzwecken --- und sandte ihr eine Ansichtskarte. - -Als er zurückkehrte, fand er einen kurzen, aber zu seiner größten -Verwunderung herzlich und warm gehaltenen Brief von Nelly vor. Dazu ein -Paar antiker goldener Ohrringe, die er ihr geschenkt hatte. - -Schwedenklee war beschämt. Er hatte kaum den Mantel abgeworfen, so -schrieb er Nelly schon einen langen Brief. »Das mit den Ohrringen würde -er ihr nie verzeihen!« - -Am nächsten Tage schon kam Nelly. Sie stürzte in seine Arme und biß ihn -so stark in die Wange, daß man tagelang ihre Zähne sah. »Das zur -Strafe!« sagte sie. Nach Tisch begann sie plötzlich zu singen -- nun, -kurz und gut, es stellte sich heraus, daß man während seiner Abwesenheit -ihre Stimme entdeckt hatte! Sie wollte sich ausbilden lassen. Sie war in -größter freudiger Erregung. In Wirklichkeit, Nelly hatte eine kräftige, -wenn auch etwas grelle Stimme. - -»Du hast jene unerklärliche Nebenschwingung in der Stimme,« sagte -Schwedenklee sachverständig, »jenes Timbre, das nur große Sängerinnen -haben, dazu hat deine Stimme Umfang. Du hast auch die bezeichnende, -etwas belegte Sprechstimme -- weiß Gott, wieso ich deine Stimme nicht -früher erkannte.« - -»Weil du kein wirkliches Interesse für mich hast!« - -Schwedenklee tat gekränkt. Die Versöhnung war vollständig. Schon in den -nächsten Tagen lud Schwedenklee den Bassisten von der Oper -- mit dem er -zuweilen Schach spielte -- zu sich zum Abendessen. Er sollte sein Urteil -abgeben. - -Wiederum hatte Augusta sich alle Mühe gegeben. Sie liebte Nelly, denn -Nelly lief immer in die Küche, umarmte Augusta, die von der Hitze des -Herdes schwitzte, und küßte sie sogar auf die Backe. - -Der Bassist aß mit vorzüglichem Appetit und trank ganz allein eine -Flasche teuren Rheinwein. Dann sang Nelly zu Schwedenklees Begleitung. - -»Herrlich, wunderbar!« schrie der Bassist begeistert und klatschte mit -den fetten Händen. »Die Patti, die Hempel, die Farrar -- in zwei Jahren -werden Sie in Neuyork singen!« - -»Siehst du?« sagte Nelly mit einem triumphierenden Blick. - -Man schmiedete Pläne, entwarf Programme, wählte Lehrer, der Bassist bot -sich für die stimmtechnische Ausbildung an. Und zwar ohne jegliches -Honorar! Aber Schwedenklee protestierte energisch und erklärte Schwarz -klipp und klar, daß er ihm Nellys Ausbildung nur dann anvertrauen würde, -wenn der Sänger sie zu seinen gewohnten Bedingungen als Schülerin -annehmen würde. In die Ecke gedrängt, willigte Schwarz endlich ein. -Schwedenklee war in gehobener Laune und holte neuen Wein aus seinem -Geheimschrank. - -Nelly hauchte ihm in einer Sekunde zehn kleine verliebte Küsse auf die -Glatze. Es blieb alles beim alten. Trotzdem -- die Sache mit der Tante -konnte Schwedenklee nie ganz vergessen. - - * * * * * - -Es wurde schon heiß. Die Kartentische leerten sich langsam. Die -Rechtsanwälte, Ärzte, Kaufleute fuhren mit ihren Familien aufs Land. Nur -in dieser Zeit wurde man plötzlich gewahr, daß fast alle Stammgäste und -Spieler Familienväter waren. Gewöhnlich hielt man sie für Junggesellen -ohne jegliche Verpflichtungen. - -Schwedenklee reiste mit Nelly auf vier Wochen nach Heringsdorf. Der -Bassist Schwarz -- der die stimmtechnische Ausbildung übernommen hatte --- begleitete sie. Schwedenklee hatte ein kleines Gut an der Ostsee, und -Nelly, der er zuweilen von dem Landgut vorgeschwärmt hatte, wollte -zuerst dort den Urlaub verbringen. Sie träumte von Hühnern, Schweinen, -Leiterwagenpartien. Aber Schwedenklee setzte plötzlich die Besitzung -herab -- das Haus sei feucht! Die Kinder des Pächters hätten -Diphtheritis! Aus irgendeinem Grunde -- das fühlte Nelly -- wollte er -sie nicht in »Siebenbirken« haben. - -Aber sie tröstete sich schließlich mit Heringsdorf. Sie brachte ein -halbes Dutzend von Badekostümen mit, die Aufsehen erregten, so kühn -waren sie. Und woraus waren sie gemacht? Aus _nichts_! - -Nelly feierte Triumphe. Nach drei Tagen schon war sie eine der -bekanntesten Erscheinungen in Heringsdorf. Man beneidete Schwedenklee um -diese Frau, er fühlte es deutlich. (Und doch war sie nur Buchhalterin in -einem Herrenschneidergeschäft!) - -Die stimmtechnische Ausbildung nahm ziemlich viele Stunden des Tages in -Anspruch. Es gab sogar kleine Eifersuchtsszenen, obschon es -Schwedenklees oberstes Prinzip war, nie zu zeigen, daß ihm eine Frau so -viel wert war, daß er eifersüchtig werden könnte. »Denn dann«, pflegte -er zu sagen, »bist du verloren, mein Sohn!« - -Es war ja selbstverständlich, daß Schwedenklee die Hotelrechnungen des -Bassisten bezahlte -- sonstige Honorare forderte Schwarz während des -Badeaufenthalts nicht. Er tat es aus Begeisterung für Nellys Stimme. - -Nun, Gott sei Dank, auch diese Wochen gingen vorüber, und nun saß Nelly -wieder -- duftend, wie aus dem Ei geschält -- in der Herrenschneiderei. - -Nellys Unterricht bei Schwarz ging natürlich ohne Unterbrechung weiter --- in nächster Zeit begann auch der dramatische Unterricht bei einem -Schauspieler. - -Alles hat schließlich seine Grenzen, dachte Schwedenklee, als er die -letzten Stundengelder bezahlte. - - - - - 13 - - -Schwedenklee hatte im Laufe des Sommers kaum mehr an Blank gedacht. Bei -seiner Rückkehr fand er einen Brief vor, voller Dankesbeteuerungen -- -die geliehene Summe lag bei -- bei Heller und Pfennig. - -Auch das hatte Schwedenklee vergessen, als der Winter anbrach. - -Er dachte gar nicht mehr an Blank. Plötzlich aber erhielt er einen -Brief: Blank war erkrankt. Sein »Nachsommer« hatte ein rasches Ende -gefunden. Eine Lungenentzündung hatte seiner Tätigkeit als -Filmschauspieler ein rasches Ende bereitet. Er war in größter Not, in -Verzweiflung. Selbstverständlich zögerte Schwedenklee nicht, ihm -beizuspringen. Er fühlte sich förmlich verpflichtet dazu. - -Dann hörte er nichts mehr von Blank. - -Nelly deutete an, daß sie ihre Stellung in der Herrenschneiderei -aufgeben wolle. Aber sie fand bei Schwedenklee nur taube Ohren. Eine -Frau von ihrer wirtschaftlichen Basis loslösen -- was bedeutete das? -Nein, dafür war Schwedenklee nicht zu haben, sein Verantwortungsgefühl -war zu groß. - -Also blieb Nelly in ihrer Stellung. Sie schmollte indessen, sie warf -Schwedenklee vor, daß er »nicht großzügig« sei, ja geradezu geizig, eine -Krämerseele. »Wenn ich nur einen deiner Bauplätze hätte, die heute -Millionen wert sind,« sagte sie, »da solltest du sehen, wie ich meine -Freunde behandeln würde! Da könntest du etwas lernen.« - -So sind die Frauen, dachte Schwedenklee, unersättlich! - -Er bezahlte die Stunden bei Schwarz, wöchentlich vier, und diese Sänger -hatten ja unerhörte Honorare! Neuerdings kam dazu der dramatische -Unterricht, und er hatte herausgefunden, daß Nelly mindestens die Hälfte -der Stunden zuviel notieren ließ. So viel freie Zeit erlaubte ihr ja -ihre Stellung in der Schneiderei gar nicht! - -Überdies mißfiel ihm das Verhältnis zwischen Schwarz und Nelly. Es -schien eine etwas sonderbare Vertraulichkeit angenommen zu haben. Er -hatte einmal einen kleinen, gänzlich unscheinbaren Blick zwischen den -beiden aufgefangen. Nun, er, Schwedenklee, war kein heuriger Hase, er -wußte genau, zu genau, was solch ein Blick unter Umständen bedeuten -konnte! Er behandelte den Sänger um einige Grade kühler. - -»Ich habe den Eindruck,« sagte der Bassist mit gekränkter Miene, »daß -Ihnen meine Honorare zu hoch sind?« - -»Ihre Honorare? Aber ich bitte Sie, Verehrtester, ich wünsche doch -nicht, daß Sie mir besondere Preise machen. Mißverstehen Sie mich nicht --- die Ausgaben für Nellys Ausbildung im allgemeinen ...« - -»Aber ich bitte Sie, Verehrtester -- für solch eine Stimme!« - -»Zugegeben! Aber Sie ahnen nicht, welche Beträge ich monatlich zu -bezahlen habe. Jetzt taucht schon die Frage der Kostüme auf ...« - -»Gut.« Der Bassist bearbeitete mit der Kreide kunstgerecht das Leder des -Billardqueues -- die Unterredung fand im Billardsaal des Cafés statt -- -»Ich werde also künftighin kein Honorar mehr fordern. Ich unterrichte -aus Interesse für diese ungewöhnliche Begabung.« - -Schwedenklee protestierte mit großer Beredsamkeit. Unmöglich konnte er -diesen Vorschlag annehmen, ganz unmöglich! Er geriet sogar in Erregung. -Alles blieb beim alten. - -Schließlich aber hat alles seine Grenzen, dachte Schwedenklee, während -er sorgfältig mit der Spitze des kunstvoll aufgestützten Queues nach dem -Ball zielte. - - * * * * * - -Der Winter war lau. Nebel, Dunst, Regen. Nur dann und wann lag schwarzer -Schnee auf den Dächern. Im Februar aber setzte plötzlich eine solch -grimmige Kälte ein, daß die Dampfheizung nicht mehr genügte. -Schwedenklee mußte seinen elektrischen Ofen zu Hilfe nehmen, um nicht zu -frieren. Nichts haßte er mehr als Kälte. - -Gerade als Schwedenklee sich nach Tisch etwas niedergelegt hatte, die -Decke über den Knien, den elektrischen Ofen neben der Ottomane, wurde er -von Augusta aufgeweckt. - -»Eine Krankenschwester wünscht Sie dringend zu sprechen.« - -»Eine Krankenschwester?« fragte Schwedenklee ziemlich mürrisch. -Plötzlich, schnell erwachend, erschrak er. »Mich? Ja, was in aller Welt ---?« Vielleicht Nelly, dachte er. Ah, mit diesen Frauen hat man nie -Ruhe. - -Schon trat die Schwester ein, ohne viele Umstände zu machen. Sie war ein -großes, ungeschlachtes Mädchen mit weißgelbem Haar. - -»Herr Schwedenklee?« Ihre Stimme klang gefühllos und herrisch. - -Rügend ruhte Schwedenklees Blick auf ihren unförmigen Gummischuhen, die -sie mit ins Zimmer brachte und die seinen Teppich beschmutzten. - -»Ich bitte vielmals um Entschuldigung«, brummte er, während er die Decke -völlig von sich warf. »Ich bin nicht ganz wohl, etwas erkältet.« - -Die Schwester ignorierte seine Erkältung, seine Verlegenheit, seinen -deutlichen Unwillen über die Störung. - -»Ich komme von Herrn Blank«, sagte sie laut und mit völlig gefühlloser -Stimme, als bitte ihn Blank zu einer Partie Billard. »Er liegt im -Sterben.« - -»Wie sagen Sie --?« Schwedenklee sprang erschrocken auf. Er erbleichte. -Sterben, Tod ... - -Die Schwester erklärte, daß Blank den dringenden Wunsch habe, ihn zu -sehen. - -»Was will er von mir?« stammelte Schwedenklee. - -»Das weiß ich nicht. Es geht mich auch nichts an. Er hat im Fieber viel -von Ihnen gesprochen. Ich habe den Eindruck, daß er Ihnen etwas -Wichtiges mitteilen möchte.« - -»Mir? Mitteilen? Etwas Wichtiges?« - -»Was weiß ich? Es interessiert mich auch nicht. Sie werden also kommen?« - -»Ja, gewiß werde ich kommen.« Schwedenklee hätte gar nicht den Mut -besessen, dieser energischen Person etwas abzuschlagen. - -»Ich schreibe Ihnen hier die Adresse auf. Im Osten. Bei der Frankfurter -Allee.« - -»Sie gehen, Schwester?« - -»Ich kann ihn nicht allein lassen.« - -Schon war sie fort. - -»Eine unangenehm energische Person!« dachte Schwedenklee. »Gott soll -mich davor behüten, daß ich in meiner Sterbestunde solch ein Wesen, mit -so großen Füßen, um mich habe!« - -»Augusta!« - -Schwedenklee war sehr erregt. Einen Augenblick dachte er sogar trotz -seiner Zusage daran, nicht hinzugehen. Der Gedanke entsetzte ihn -plötzlich, in ein Sterbezimmer treten zu müssen. Armut dazu, vielleicht -war es schlecht gelüftet? Aber nein, das war ja Feigheit. Ein -Sterbender! Lieber Himmel, dieses Leben ist in der Tat eine höllische -Erfindung. Er starrt zur Türe, wartet auf ihn, den Todesschweiß auf der -Stirn. Nein, unmöglich! Ein Sterbender ist ein heiliges Wesen -- jeden -Wunsch muß man ihm erfüllen. - -Aber in welchem Anzug geht man zu einem Sterbenden? Schwedenklee kam in -seiner Aufregung auf den unglücklichen Einfall, einen Zylinder -aufzusetzen -- um die Feierlichkeit zu betonen. - -»Mitzuteilen?« Ja, was in aller Welt mochte er ihm mitzuteilen haben? -Schwedenklee erinnerte sich plötzlich jenes Briefes, in dem Blank -seinerzeit schrieb, daß er ihm unter Umständen wichtige Mitteilungen zu -machen habe. - -Und später hatte er widerrufen ... - -»Ich werde nie Ruhe vor diesem Menschen haben!« - -In großer Erregung eilte Schwedenklee auf die Straße. Die unmögliche -Adresse hielt er in der Hand. Es war ja ganz undenkbar, hier an der -Potsdamer Brücke einem Chauffeur _diese_ Adresse zu nennen. Schwedenklee -ging zu Fuß bis zum Potsdamer Platz, um sich zu sammeln. - -Nein, eine unangenehmere Sache konnte man sich beim besten Willen nicht -ausdenken. Und dazu -- plötzlich blieb Schwedenklee verwirrt stehen -- -dazu sollte Nelly um sechs Uhr zum Tee kommen! Schließlich konnte er ja -telephonieren ... Und diese eisige Kälte, die sich wie Säure in die Haut -fraß. - -Am Potsdamer Platz hatte Schwedenklee folgende Entschlüsse gefaßt. -Erstens: ich werde hingehen. Zweitens: ich werde bis zum Alexanderplatz -mit der Untergrundbahn fahren und dort eine Droschke nehmen -- dort -fällt es nicht auf -- drittens: ich werde Augusta telephonieren, für den -Fall, daß ich bis sechs Uhr nicht wieder zurück sein sollte. Viertens -werde ich jetzt erst einen Kaffee trinken. - -Es dämmerte schon, als Schwedenklee in der bezeichneten Straße ankam. -Das Auto, der Herr im Pelz und Zylinder erregten großes Aufsehen. -Beklemmend war diese düstere Straße voll schleichender, hüstelnder -Menschen, die seinen Zylinder und Pelz anstarrten, mit gierigen, -höhnischen, erstaunten Augen. Frech streiften Schwedenklee die Blicke -halbwüchsiger Mädchen. - -Das bezeichnete Haus strömte Armut und Verzweiflung aus. Es stand und -schwieg, wie ein düsteres Gesicht mit zusammengebissenen Zähnen. - -Schwedenklee betrat es klopfenden Herzens. - -Das Stiegenhaus war erfüllt von fernem, wirrem Lärm. Gezänk, -Kinderweinen, schlagende Türen. Ein saurer, unangenehmer Geruch stieg -von der schmutzigen Treppe auf -- hier roch es nicht nach Lack und dem -feinen Parfüm emporschwebender Pelze wie im Westen. - -Schwedenklee hatte von solchen Häusern bis jetzt nur _gelesen_. Hier -wurde gemordet, tagelang lagen Verstorbene in den kalten Wohnungen, -bevor man sie fand, Hoffnungslose lösten den Gasschlauch -- - -»Pst -- mein Herr -- wollen Sie zu Fräulein Lisa?« Zischeln unter ihm. - -Schwedenklee kletterte rascher die Treppe empor, sein Herz klopfte -erschrocken. - -»Pst -- pst -- mein Herr!« - -Achtunggebietend räusperte sich Schwedenklee, von Ekel und Furcht -ergriffen. - -Er floh an den Türen vorüber, hinter denen sich unbegreifliche -Schicksale verbargen, die zu erfahren ihn nicht gelüstete. - -Lärm empfing ihn im nächsten Stockwerk. Die Türe öffnete sich und eine -korpulente Dame, offenbar in festlicher hochzeitlicher Kleidung, trat -zigarettenrauchend, anscheinend etwas angeheitert, auf den Flur. Drinnen -lärmten und schrien ausgelassen die Hochzeitsgäste. - -Schwedenklee griff an die Krempe des Zylinders. - -»Guten Abend!« sagte die zigarettenrauchende Braut und warf Schwedenklee -einen langen verführerischen Blick zu. Langsam schloß sie die Türe, -während sie Schwedenklee, der sich nicht enthalten konnte -zurückzublicken, mit zusammengekniffenem Auge zulächelte. Der Lärm der -Hochzeitsgäste klang ferner. - -Schärfer stieg wieder der schlechte Geruch aus den feuchten -ausgetretenen Treppenstufen. - -Da hielt Schwedenklee den Schritt an: an einer Türe klebte ein Zettel. -»Leise klopfen, ein Schwerkranker! Man bittet auf der Treppe nicht zu -lärmen. Schwester Anna.« - -Hier also war es. Schwedenklees Herz stockte. Ein schweres, rätselhaftes -Schnarchen, ein Sägen wie das Schnarchen eines Riesen ertönte hinter der -Türe. Augenblicklich -- obschon er nicht weiter darüber nachdachte, was -das sonderbare Schnarchen zu bedeuten habe -- ergriff Schwedenklee die -Flucht. - -Er stieg bis zur Hochzeitsgesellschaft hinab. Dann wandte er um. »Wie -feige ich doch bin!« dachte er. - - - - - 14 - - -Zaghaft pochte Schwedenklee, und sofort, lautlos, öffnete ihm die -weißblonde, ungeschlachte Pflegerin mit den eckigen Hüften. - -»Sie kommen zu spät«, flüsterte sie vorwurfsvoll, mit einem -mißbilligenden Blick auf Pelz und Zylinder. »Noch vor einer halben -Stunde hat er nach Ihnen gefragt. Jetzt hat er das Bewußtsein verloren.« -»Er« nannte sie den Sterbenden, »er« -- nicht mehr wert ist ein Mensch, -der stirbt. - -Der gleiche röchelnde, furchtbare Schnarchton --. Schwester Anna schob -Schwedenklee resolut durch die Türe. - -»Hier, diese Türe!« sagte sie. - -In großer Befangenheit trat er ein. - -Da sah Schwedenklee, daß dieser röchelnde Schnarchton aus dem weit -geöffneten Munde eines im Bett halb aufrecht sitzenden leichenfahlen -Mannes mit großen, gläsernen Augen kam. - -Da sah Schwedenklee -- nie wußte er später zu sagen, was er früher -gesehen hatte, den Sterbenden oder das _Andere_ -- das Wesen, das vor -dem Bette kniete ... - -Das Zimmer war nicht hell. Eine kleine Petroleumlampe ohne Schirm stand -irgendwo auf dem Tische. Der Sterbende saß in den Kissen eines grau und -elend aussehenden Bettes. Seine Brust keuchte in kurzen Stößen, sein -gemarterter Atem stieß Rauchsäulen in die eisige Luft, sein -eingefallenes Gesicht blendete von Schweiß. - -Vor dem Bett aber kniete ein Wesen -- ein Geschöpf, etwas -Unbegreifliches, Wunderbares, vielleicht nur eine Vision seiner -aufgeschreckten und verwirrten Sinne? -- ein Mädchen, die Hände betend -verkrampft, die Augen auf das Antlitz des Sterbenden gerichtet -- ein -Wesen, verklärt, unfaßbar -- _Ellen Fröhlich_, dieselbe Ellen Fröhlich, -die er in Paris gekannt hatte -- nur jünger und seltsam verklärt! - -Fassungslos stand Schwedenklee und schloß die Augen. Er tastete mit der -Hand nach der Wand, da er fühlte, wie er schwankte ... - - * * * * * - -Wie lange dauerte dieses furchtbare Röcheln? Stunden, eine Ewigkeit. Und -immerfort, unbeweglich kniete dieses verklärte Wesen, die Hände betend -verkrampft vor dem Bette. - -Zuweilen nahm die Schwester ein feuchtes Tuch und wischte die Stirn des -Sterbenden ab. - -Zuweilen hörte man den heiteren, trunkenen Lärm der -Hochzeitsgesellschaft fern und wirr durch die Decke. - -Schwedenklee hatte nie gesehen, wie ein Mensch starb. Der Tod seiner -Mutter war ihm telegraphisch mitgeteilt worden. Als der alte -Schwedenklee im Sterben lag, hatte man ihm telegraphiert, und als er -ankam, war schon alles vorbei. - -Schwedenklee stand versteinert, regungslos in der Ecke, das -unbeschreibliche, unbegreifliche Wesen kniete, die Schwester tauchte -zuweilen mit ihren feisten Händen das Handtuch in das Waschbecken -- und -der Sterbende röchelte. - - * * * * * - -Das Röcheln wurde schwächer, pfeifender, und plötzlich -- nach einer -unfaßbaren Stille -- schrie eine ganz unbegreiflich entsetzte Stimme, -die Stimme eines Mädchens, eines Kindes: »Papa! Papa!« - -Augenblicklich, ins innerste Herz getroffen durch den Ton des Mädchens --- der Kinderstimme, diesen Ton der letzten menschlichen Qual -- -augenblicklich wandte Schwedenklee sein Gesicht zur Wand. Nie in seinem -Leben hat er diesen Schrei vergessen. Er war totenbleich und zitterte an -allen Gliedern. - - - - - 15 - - -Die Schwester zog Schwedenklee in einen feuchten, eisigen Vorraum, eine -Art Küche mit Ausguß, die Fenster waren gefroren. - -»Man hat ihm,« sagte sie, »während er schon todkrank lag, die letzten -Habseligkeiten gepfändet. Noch gestern kam die Hauswirtin und machte -eine solch fürchterliche Szene, daß es zu Tätlichkeiten zwischen mir und -ihr kam. Sie holte die Polizei, die Polizei aber hatte doch mehr -Einsicht, als sie den Kranken sah, und zog ab.« - -»Wie schön von Ihnen!« stammelte Schwedenklee ergriffen. Er drückte der -Schwester bewundernd die Hand »Was für eine prächtige Frau sind Sie -doch!« Diese ungeschlachte, kalte Person, ja, es gab immer noch -Menschen! »Ich komme für alles auf, Schwester Anna,« stotterte er -verlegen. Immer noch zitterte er am ganzen Körper, und seine Zähne -klapperten. Seine Nerven hatten völlig versagt. - -»Wir haben nichts, auch nicht einen Pfennig, nur Schulden.« - -»Nun, so nehmen Sie, bitte. Ich gehe. Morgen früh bin ich wieder hier, -ich habe heute nicht länger Zeit.« - -»Einen Augenblick!« sagte Schwester Anna und nahm ein Päckchen Briefe -von einem verstaubten Brett. - -»Das hier ist für Sie, und hier ist ein Brief, den Blank gestern -schrieb.« - -»Danke«, stammelte Schwedenklee und stürzte mit seinem Zylinder die -Treppe hinab. - -Noch heute wußte Schwedenklee nicht zu sagen, wie er wieder in sein -Stadtviertel zurückgekommen war. Er erwachte aus einer Art von geistiger -Starre, als der Chauffeur die Türe des Autos öffnete. Zu seinem großen -Erstaunen stand das Auto vor seinem Stammcafé. - -In einem völlig verstörten, entgeisterten Zustand kam Schwedenklee in -den Billardsaal. Ohne zu denken hatte er offenbar dem Chauffeur das -Stammcafé genannt. - -Niemand sprach ihn an, der Kellner wagte kaum guten Abend zu sagen -- -jeder fühlte, daß mit Schwedenklee etwas Außergewöhnliches geschehen -war. - -»Lieber Freund!« Hinter einer Zeitung verborgen, zitternd an allen -Gliedern, zuweilen Kaffee schlürfend, um seine Erregung zu verbergen, -entzifferte Schwedenklee Blanks letzten Brief. - -»Lieber Freund! Ich habe große Eile. Schon umhüllen mich die Schleier -des Todes. Ich verbrenne vor Qual. Der Gedanke an Sie ist mein einziger -Trost, und ich klammere mich an Sie. - -Erbarmen Sie sich meiner Tochter Ellen! Beim Andenken Ihrer Mutter -- -erbarmen Sie sich meines Kindes. Ich übergebe Ellen Ihrem Schutz!« - -Schwedenklee zitterte, totenbleich im Gesicht, hinter seiner Zeitung. - -Der Bassist Schwarz näherte sich. - -»Nelly ist bitterböse auf Sie!« schrie er laut lachend. »Sie hat eine -Stunde auf Sie gewartet, mein Gott, wie böse sie war!« - -Schwedenklee wich dem Blick des Sängers aus. - -»Verzeihen Sie«, sagte er leise und stockend, bebend vor verhaltener -Erregung. »Ich komme soeben vom Sterbebett eines Freundes.« - -»Oh, ich bitte um Entschuldigung«, stammelte Schwarz und begab sich -rasch zu den Kartentischen. - -»Ich übergehe Ellen Ihrem Schutz ...« - -Heiß stieg ein heiliges Gelübde aus Schwedenklees Herzen. Plötzlich nahm -er Pelz und Zylinder, und mit einem verwirrten Lächeln auf dem -verstörten Gesicht eilte er zum großen Erstaunen der Gäste rasch die -Treppe hinab. - - * * * * * - -In den folgenden Tagen sah man Schwedenklee sehr geschäftig: im -Zylinder, schwarzem Überzieher. Er fuhr im Auto ab, er kehrte im Auto -zurück. Den ganzen Tag war er unterwegs, er aß in der Stadt. Er sprach -fast nichts, seine Miene war ernst, feierlich. - -Stundenlang ging er, tief in Gedanken versunken, durch die Zimmer seiner -Wohnung. Endlich war er ins reine gekommen. Er klingelte Augusta. - -»Augusta,« sagte er, »wir müssen diese Zimmer umräumen. Sagen Sie dem -Portier, daß er mir morgen früh helfen soll. Ich --« er verlor unter -Augustas Blick die Sicherheit -- »wir werden Besuch bekommen. Die -Tochter meines verstorbenen Freundes wird bei uns wohnen.« - -Augusta legte den Kopf auf die Seite, zog den Mund breit und betrachtete -ihn vom Kopf bis zu den Füßen. Dann wandte sie sich hastig ab und schlug -die Türe zu. Das war Augustas Antwort. - -»Nun gut,« dachte Schwedenklee, »soll sie gehen, die alberne Gans!« - -An einem Nachmittag fuhr ein Auto vor Schwedenklees Haus vor. Zuerst -stieg Schwedenklee aus, sehr erregt, scheue Blicke um sich werfend, und -dann eine schmächtige, ganz in Schwarz gekleidete, tief verschleierte -junge Dame, die eine armselige kleine Handtasche trug und den Blick auf -den Boden heftete. - -Unbeweglich, hilflos stand die junge verschleierte Dame auf der Treppe, -während Schwedenklee den Chauffeur entlohnte. - -»Augusta!« rief Schwedenklee. Aber niemand regte sich, das Haus schien -verlassen. - -Schwedenklee war äußerst verlegen und sehr aufgeregt. - -Er hatte zwei kleine Zimmer seiner Wohnung mit antiken Möbeln hübsch und -anheimelnd eingerichtet, so daß ein junges Mädchen von Geschmack daran -Gefallen haben mußte. Sogar einen kleinen elektrischen Ofen hatte er -angeschafft, damit sein Gast nicht frieren solle. - -»Ich habe diese kleinen Zimmer für Sie eingerichtet, Ellen«, sagte -Schwedenklee mit unsicherer Stimme. »Hoffentlich fühlen Sie sich wohl -hier. Auf jeden Fall, Sie sind hier ganz zu Hause.« - -»Danke«, sagte die tief verschleierte junge Dame tonlos, ohne einen -Blick in die Zimmer zu werfen, die Augen zu Boden gerichtet, -unbeweglich. - -»Jedenfalls vergessen Sie nicht, daß Sie hier ganz zu Hause sind«, -wiederholte Schwedenklee verwirrt und ging zur Türe. »Sie werden gleich -Tee bekommen. Ich denke, Sie wollen allein sein, und werde Ihnen Augusta -schicken.« - -Das Mädchen in schwarzer Kleidung wandte sich ihm zu. - -»Dank für alles, was Sie für Papa getan haben«, flüsterte sie tonlos, -ohne den Blick zu heben. Sie zitterte heftig. Und plötzlich fiel sie vor -Schwedenklee in die Knie. »Dank!« - -Schwedenklee hob den schlanken, zarten Körper auf. Er war aufs tiefste -erschüttert. - -»Sie sollen nicht so sprechen. Es ist ja alles selbstverständlich.« -Rasch verließ er das Zimmer. - -»Jetzt ist sie hier! Jetzt ist sie bei mir!« flüsterte Schwedenklee, als -er die Türe seines Zimmers hinter sich geschlossen hatte, und ein Strom -von Glückseligkeit durchrann ihn. - - - - - 16 - - -Immer noch sah er sie vor sich, wie sie, die schlanken Hände verkrampft, -mit dem Ausdruck letzter Inbrunst, Andacht, Aufgelöstheit vor dem Bette -kniete, das bleiche, schöne Antlitz verklärt von unbegreiflichem -Schmerz. Eigentlich, sagte er sich, sah sie aus, als ob sie grenzenlos -erstaunt wäre, ja, Staunen, Verwunderung -- nein, ich weiß nicht, es ist -jedenfalls nicht in Worten auszudrücken. - -Unauslöschlich hatte sich dieses Bild in sein Gedächtnis eingegraben. - -Er liebte es, sich diesem Anblick hinzugeben, obschon ihn die Dampfwolke -peinigte, die aus dem verzerrten Munde des Sterbenden über die rauhe -Wolldecke fuhr. - -Dann sah er sie, in letzter Schärfe, in ihrer Trauerkleidung vor sich. -Das schwarze Hütchen, der schwarze Schleier, der ihr Gesicht ganz -durchsichtig erscheinen ließ -- ihre Lippen, ihr atmender Mund, ihr -scheues Tierauge, die Grübchen in ihren glatten Wangen -- und wie bei -ihrer Mutter war das Grübchen auf der rechten Wange etwas tiefer als auf -der linken. Die schwarze Halskrause, aus der ihr feiner Nacken stieg, -ganz wie Ellens, der Mutter, Nacken. Und nun war sie hier! - -Lieber Himmel, Schwedenklee war ganz verwirrt! - -Es war nicht leicht gewesen, Ellen, die der Schmerz fassungslos gemacht -hatte, in ein Magazin für Trauerkleider zu bringen. Hundertmal -wiederholte Schwedenklee mit unendlicher Geduld: »Aber Sie können doch -nicht _so_ Ihren Vater beerdigen, seien Sie doch vernünftig!« - -Endlich ließ sie sich bewegen. Aber sie wünschte das Kleid so einfach -wie nur möglich. Die Verkäuferinnen, gerührt von ihrer Schönheit und -Hilflosigkeit, bemühten sich um sie. Schließlich stand sie fertig -angekleidet vor dem Spiegel. Sie blickte hinein und errötete! -Blitzschnell ergoß sich die Röte, zart, wie ein Hauch, über ihr Gesicht -und ihren Nacken -- ganz wie bei ihrer Mutter. Sie errötete, weil sie -sich in der Trauerkleidung gefallen hatte. - -»Und nun neue Schuhe, Ellen!« - -Sie sah ihn verständnislos an, während sie im Wagen weiterfuhren. - -»Aber Sie können doch nicht in diesen abgetretenen Schuhen --?« - -»Aber weshalb sorgen Sie sich um mich?« fragte sie unwillig, die kleine -Stirn zerknittert, und preßte die Hände an die zarten Schläfen. - -»Sie vergessen es immer wieder: ich bin ein Freund Ihrer Mutter und -Ihres Vaters.« - -Ellen nickte. »Ich vergaß es, ja!« - -»Nun will ich alles tun, wie Sie es wünschen«, sagte sie und schmiegte -sich an ihn, in kindlicher Aufwallung, obschon sie neunzehn, zwanzig -Jahre alt sein mußte. »Ich will gehorsam sein.« - -Schwedenklee sagte ihr, daß sie sich wegen ihrer Zukunft keine Sorgen zu -machen brauche. - -Sie sah ihn ohne jedes Verständnis an. »Ich mache mir ja keine Sorgen.« - -»Ich verstehe wohl. Sie müssen aber doch irgendwo bleiben.« - -»Bleiben?« Feindselig blendete ihr Blick. - -»Ja, natürlich. Sie müssen essen, trinken, schlafen.« - -»Nein, nein« -- unterbrach sie ihn -- »nein, das muß ich nicht!« - -»Sie haben mir versprochen, an all diese Dinge für Sie denken zu -dürfen.« - -»Ja!« - -Nach einer Pause fühlte er ihren Blick. - -»Papa ist sehr arm gewesen, aber er war trotzdem ein großer Künstler!« - -»Ein großer Künstler!« - -Ellens scheues, verstörtes Tierauge wanderte ruhelos. - -Fragmente ihrer kurzen Gespräche fielen Schwedenklee ein, Blicke, -Bewegungen. Als man den Sarg abholte, kniete Ellen in der Ecke der -Stube. Bei der Beerdigung war Ellen gefaßt. Sie stand wie versteinert, -den Blick zu Boden gerichtet. Sie waren nur zu dritt. Ellen, er, die -weißblonde Schwester, die heftig weinte. - -Bei ihrer Mutter waren es nur zwei, dachte Schwedenklee: Blank und -Ellen. Und er erinnerte sich, daß Blank ihm schrieb, er habe sich auf -die Erde geworfen ... - -Augusta servierte mit feuchten Augen, mit reuevoller Weichheit, das -Abendessen. - -»Sie werden uns also nicht im Stich lassen?« fragte Schwedenklee, -kauend, ohne vom Teller aufzusehen. - -»Sagte ich denn das?« Schon weinte Augusta, diese gute Seele. »Ich habe -ihr zugeredet, und sie hat eine Tasse Tee getrunken. Nun will ich sehen, -daß sie noch ein Ei ißt, dieses arme Kind!« - -Schwedenklee verbrachte den Abend zu Hause. Die Aufregungen der letzten -Tage hatten ihn so sehr mitgenommen, daß es ihm unerträglich gewesen -wäre, Menschen zu sehen. Er genoß jede Minute des Alleinseins. Seit -vielen Jahren hatte er einen solch zufriedenen, ausgeglichenen Abend -nicht gehabt. Er strich an seiner Bibliothek entlang. »Ich werde ein -schönes Buch lesen, ja!« Seit Jahren hatte er nicht mehr die Sammlung -besessen, sich auf ein umfangreicheres Werk einzulassen. - -Er zog eine Reihe von Büchern heraus, ohne sich entschließen zu können. -Die »erotische Abteilung« betrachtete er mit einem verächtlichen -Lächeln. - -»Augusta?« Schwedenklee erschien in der Küchentür! »Was macht unser -Gast?« - -»Sie hat jetzt den Hut abgenommen. Sie will versuchen zu schlafen, sagte -sie.« - -»Hat sie das Ei gegessen?« - -»Sie versprach es zu essen.« - -Schwedenklee klopfte an Ellens Türe. - -»Ich will Ihnen gute Nacht sagen«, sagte er mit väterlicher Wärme, indem -er den Kopf ins Zimmer streckte. »Haben Sie noch irgendwelche Wünsche?« - -»O nein, danke«, antwortete Ellens kleine Stimme, ganz fern. - -Ellen hatte wirklich den Hut abgenommen. Sie stand mitten im Zimmer und -wandte ihm ihr scheues, helles Auge zu. - -»Schlafen Sie wohl. Und wenn Sie Wünsche haben, so klingeln Sie.« - -»Ich habe keine Wünsche, danke!« - -»Hier ist jener Brief, den Ihr Vater mir hinterließ. Ich lege ihn -hierher, vielleicht haben Sie jetzt Sammlung genug, ihn zu lesen.« - -»Danke!« Regungslos stand Ellen. - - * * * * * - -Das Leben hat merkwürdige Einfälle, dachte Schwedenklee verwundert und -triumphierend zugleich. Ist es nicht sonderbar, daß Ellens Tochter, die -wiedergeborene und verjüngte Ellen, bei mir ist? Wer hätte sich das je -träumen lassen? - -Dank einer Fügung des Schicksals habe ich, ohne mein Zutun, plötzlich -eine Tochter bekommen -- ein wunderbares Wesen, ein Kleinod dazu -- den -angebeteten Liebling unglücklicher Eltern ... - -Ja, in der Tat, es war das alte Glück Schwedenklees, immer noch folgte -es ihm wie sein Schatten. Wie man sich erinnern wird, erhielt er den -Titel eines »Oberbaurats« vom Oberkellner des Cafés, ohne jede -Anstrengung -- ohne jedes Verdienst hatte ihn das Schicksal plötzlich, -gänzlich unerwartet, mit einer Tochter beschenkt. - -Schwedenklee war ganz erfüllt von seinem Glück. Als Blank, dieser gute, -arme Blank, dachte er, mir seinerzeit auflauerte, ahnte ich damals -nicht, daß diese merkwürdige Begegnung eine besondere Bedeutung für mein -Leben haben wird? Wie? Und Blanks unverständliche Bemerkungen, -Anspielungen, seine prüfenden Blicke -- ja, nun verstehe ich alles. Sie -ist in guten Händen bei mir, teuerster Freund -- unwillkürlich hatte er -Blanks Tonfall nachgeahmt, als er »teuerster Freund« sagte. - -Schwedenklee hatte die Briefe, die ihm Schwester Anna als ein -Vermächtnis Blanks in der eisigen Küche überreichte, schon flüchtig -durchflogen. Nun aber war er in der ausgeglichenen, ruhigen Verfassung, -sie genauer zu lesen. - -Es waren im ganzen sechs Briefe, kürzere und längere, die er an Ellen -von Paris aus geschrieben hatte. Er erkannte seine Handschrift wieder -- -seine Handschrift vor zwanzig Jahren --, heute schrieb er etwas -kräftiger und klarer. - -In dem ersten Briefe nach Ellens Abreise schrieb er ihr, daß er in ihr -Zimmer gezogen sei (im Hotel Panthéon) und daß sie gegenwärtig sei in -Möbeln und Wänden und tausend kleinen Dingen. - -Es lag ja so nahe, dies zu schreiben! Aber, sagte sich Schwedenklee, -welch bodenlose Verlogenheit! Um 9 Uhr abends reiste Ellen, ich weiß es -noch genau -- um 10 Uhr speiste ich mit Fräulein Svenska, mit der -rotbäckigen Schwedin, in diesem Zimmer -- und am nächsten Morgen schrieb -ich diesen Brief. - -Und hier, das war offenbar die Antwort auf einen Brief Ellens, in dem -sie ihm für ein Darlehen dankte. - -»Kein Wort, liebste Freundin,« schrieb er, »ich bin glücklich, Dir -gefällig sein zu können. Es ist ja so selbstverständlich! Es gibt eine -Solidarität des Adels, der Reichen, sollte es nicht auch eine -Solidarität der Künstler und geistig Schaffenden geben?« - -Lesen wir dies nochmals, sagte Schwedenklee, habe ich wirklich diese -Phrasen geschrieben? Ja, er hatte Ellen ganze tausend Franken geschickt -und auf ihren Dankesbrief mit derartig hochtrabenden Worten geantwortet! - -In einem anderen Brief entwickelte er mit großer Beredsamkeit und vieler -Wärme ein System, wie die Künstler und geistig Schaffenden zu leben -hätten! Wie Mönche, nicht anders, arm, anspruchslos, materielle Genüsse -und Güter verachtend, nur ihrer Kunst ergeben, in einer -kameradschaftlichen Gemeinschaft. Alle, die dem »Orden« angehörten, -hätten ihre Einnahmen der Gemeinschaft zu überweisen -- um der Welt ein -Beispiel zu geben, wie die Menschen eigentlich leben sollten. Es sollte -künftig nicht mehr Maler geben, die Millionen verdienten, während ihre -Kollegen darbten -- nein, die Millionen der Erfolgreichen sollten in die -Kasse der Gemeinschaft der Maler fließen. Wie bei den Malern, so bei den -Musikern, den Schriftstellern -- - -»Sind das meine Worte, wahrhaftig? Habe ich je solchen Anschauungen -gehuldigt?« - -Schwedenklee war erstaunt, ja förmlich verblüfft, auf diesen ihm -gänzlich fremden, jungen Schwedenklee zu stoßen. - -War dieser Einfall vielleicht schlecht? O nein, nein! - -War es nicht im Gegenteil ein herrlicher Gedanke? Und was ist daraus -geworden? - -Nichts, nichts. - -Schwedenklee erhob sich, verlegen. Wirklich nichts! Ich habe diese Idee -ganz einfach -- _vergessen_. - -Je länger er in den Briefen las, desto mehr erkannte er, daß der frühere -Schwedenklee und er eigentlich zwei völlig verschiedene Personen waren. -Schwedenklee der Jüngere, der leidenschaftlich soziale Probleme -erörterte, dessen Religion, wie er schrieb, die »Kameradschaft« war -- -und Schwedenklee der Ältere, der sich, Gott weiß es, den Kopf nicht mehr -mit derartigen Dingen zerbrach. Ja, in der Tat: zwei Welten. Ein -behaglicher Bourgeois war aus dem jungen Schwedenklee geworden, gestehen -wir es nur -- ein Bourgeois wie die andern, mit genau den gleichen -Ansichten wie der Kaufmann Jaffe, der Kinderkleider fabriziert. - -O ja, wahr! Wahr! - -Ähnliche Anschauungen kehrten in all den Briefen wieder. Tapfer hatte -sich Schwedenklee der Jüngere den Problemen entgegengeworfen. - -»Vorurteilslosigkeit und Mut brauchen wir,« schrieb er, »um dem Leben -entgegenzugehen, das vor uns liegt ...« - -Schwedenklee las und staunte. War er das wirklich? Etwas wie ein leises -Schamgefühl überkam ihn. - -In einem Briefe fand sich diese Stelle: »Ich finde ja an und für sich, -daß wir schon korrumpiert sind. Wir Künstler müßten gekleidet sein wie -Monteure und Arbeiter, in Manchesterhosen, wir müßten _betonen_, daß wir -und die Bourgeoisie verschiedene Welten sind.« - -Er? Er, Schwedenklee in Manchesterhosen? Er bekam einen roten Kopf. - -Ja, was ist doch aus diesem Schwedenklee geworden? Mit einem verlegenen -Lächeln erhob sich Schwedenklee. Was ist aus mir geworden? Sein ganzes -Leben, das Leben der letzten zehn, zwanzig Jahre erschien ihm plötzlich -unverständlich ... - - * * * * * - -»Herr Schwedenklee!« - -Jemand pochte an der Türe. Es war Augustas Stimme. - -Schwedenklee streifte die Uhr mit einem Blick. Es war schon spät in der -Nacht. - -»Was wollen Sie, Augusta?« fragte Schwedenklee, weich und versöhnlich -gestimmt. - -»Es ist etwas nicht in Ordnung mit dem Fräulein.« - -»Wie --?« - -»Ja, es ist etwas nicht in Ordnung!« - -Augenblicklich erschien Schwedenklees fahles Gesicht in der Türe. - -»Erst stöhnte sie so eigentümlich und jetzt antwortet sie nicht mehr.« - -Tödlich erschrocken eilte Schwedenklee an Ellens Türe und pochte. Erst -leise, dann ohne jede Rücksicht. - -Nichts regte sich, kein Laut. Aber durch das Schlüsselloch schimmerte -Licht. - -Schwedenklees Blicke begegneten dem entsetzten Auge Augustas. Das Haus -schwankte. - -Rasch, ohne zu denken, eilte er durch die Zimmer und klinkte die Tür -auf, die vom Speisezimmer in Ellens Räume führte. Diese Türe war offen: -Auf das Sofa gekauert sah er Ellen, in ihren Trauerkleidern, bleich, -still, die blutleeren Lippen schmerzvoll geöffnet, die Augen -erschrocken, wie die eines überraschten Tieres, auf ihn gerichtet. Ihre -kleine Hand hing herab, wie gebrochen ... es tropfte und rieselte -- - -Sofort übersah Schwedenklee alles. - -»Aber mein Kind!« rief er aus und berührte die schmale Schulter. Er war -selbst totenbleich und zitterte an allen Gliedern. In diesem Augenblicke -erkannte er ganz die Größe der Leidenschaft, die ihn für dieses Wesen -erfaßt hatte. - -Mit den gleichen Augen eines überraschten, erschrockenen Tieres blickte -ihn Ellen an. - -»Verzeihen Sie mir«, flüsterte sie, ohne jede Regung. - -Mit der Scherbe eines zerschlagenen Glases hatte Ellen sich die Pulsader -geöffnet. - -Um den Teppich nicht zu beflecken, hatte sie eine Blumenvase unter die -herabhängende Hand gestellt. - -Im Hause wohnte ein Arzt. In kaum zehn Minuten war er da. Es bestand -keine Gefahr für Ellens Leben. - -Schwedenklee schloß die ganze Nacht kein Auge. Kreidebleich, zuweilen in -Ellens Zimmer lauschend, schlich er schwankend in seiner Wohnung hin und -her. Er zitterte und fror entsetzlich. Laß sie leben, großer Gott im -Himmel! Ja, in der Tat, Schwedenklee betete. - -Und wieder stand er im dunkeln Speisezimmer und lauschte gegen die -offene Tür. Sie schlief -- ruhig und langsam ging ihr Atem. Der Arzt -hatte ihr Morphium gegeben. Unbegreiflich schön schien es ihm, hier zu -stehen, im dunkeln Zimmer, und ihren leisen Atemzügen zu lauschen. - - - - - 17 - - -Die Türen zu Ellens Zimmer standen immer offen. Am Tage behütete sie -Augusta und in der Nacht Schwedenklee. Er hatte die Schlösser von Ellens -Türen abgeschraubt. Jede Nacht wachte er, lesend, rauchend, mit sich -plaudernd, Gedanken hingegeben, bis er Augusta am Morgen in der Küche -hörte. - -Ellen genas rasch. Eines Tages saß sie in ihrem Bett aufrecht, die -Wangen gerötet, wie in leichtem Fieber, das brünette lockere Haar, das -einen Anflug ins Rötliche hatte, lässig um den zart, gleichsam -zerbrechlich geformten Kopf geschlungen, und _lächelte_. Zum erstenmal -sah Schwedenklee sie lächeln. Ihr Gesichtsausdruck war verändert. Ihr -Auge verträumt, voller Glanz und Hoffnung. - -»Schrauben Sie die Schlösser wieder an,« sagte sie klar und wach, »ich -verspreche Ihnen --« - -»Kann man Ihnen vertrauen?« fragte er lächelnd. - -»Ja!« Sie nickte beschwörend. »Ich gebe Ihnen mein Wort.« Sie winkte ihn -heran. »Jetzt erst verstehe ich Papa!« sagte sie, ihn ernst und groß -anblickend, und berührte seine Hand mit leisen, zarten Fingern. »Er hat -mir viel von Ihnen erzählt. Ein paarmal sagte er mir: wenn du -irgendeinen Rat brauchst, man weiß ja nicht, wie es kommen kann -- so -gehe getrost zu Herrn Schwedenklee. Er ist gütiger als alle Menschen.« - -Schwedenklee brachte keine Silbe über die Lippen. Er errötete und schlug -rasch die Augen nieder. - -»Jetzt erst verstehe ich Papa!« wiederholte Ellen nickend und zog sich -mit leisen Händen an ihn heran. »Wie soll ich Ihnen danken?« - -Schwedenklee lachte, um seine Verlegenheit zu verbergen. - -»Sie können mir danken, Ellen, indem Sie mir vertrauen. Sprechen Sie mit -mir, wie mit« -- beinahe hätte er Vater gesagt -- »wie mit einem Bruder. -Verfügen Sie über mich und versprechen Sie, immer Vertrauen zu mir zu -haben, was es auch sei.« - -»Ich verspreche es Ihnen«, erwiderte Ellen mit einem ernsten, hellen -Blick. »Ich war so unglücklich!« setzte sie flüsternd hinzu und drückte -leise, kaum merklich, seine Hand, und er fühlte, daß ihre Finger -zitterten. - -Schwedenklee sagte nichts. Verwirrt und scheu verließ er ihr Zimmer. - - * * * * * - -Schwedenklee hatte über eine Woche das Haus nicht verlassen. Er sprach -mit niemanden, er hütete sein Geheimnis! Natürlich war es nicht zu -umgehen gewesen, daß er Nelly von den Ereignissen der letzten Wochen -unterrichtete. Er hatte sie gebeten, ihn für einige Zeit zu -entschuldigen -- bis alles in Ordnung gebracht sei. Telephonisch hatte -er ihr alle Einzelheiten erzählt -- besonders den Selbstmordversuch -Ellens hatte er ausführlich und mit allen Einzelheiten berichtet, obwohl -er sich seiner Schwatzhaftigkeit schämte, noch während er am Telephon -stand. Aber es war doch notwendig, Nelly zu überzeugen, daß er für -einige Zeit ans Haus gebunden sei. - -Nelly telephonierte täglich. Der Patient sei noch immer nicht recht in -Ordnung. Er ermahnte sie, ihren Gesangsunterricht nicht zu -vernachlässigen und den dramatischen Unterricht ja nicht zu -unterbrechen. Er sei auch damit einverstanden, daß sie als dramatischen -Lehrer doch Dunker nehme -- ein ziemlich junger, hübscher Schauspieler, -der wegen seiner Liebesabenteuer berühmt war. - -Schwedenklee hatte keine Eile, Nelly zu sehen. - -Eines Tages aber trat Nelly ohne jede telephonische Anmeldung bei ihm -ein. - -Sie erschien Schwedenklee fremd, sozusagen unbekannt. Er erblickte sie -wie aus weiter Ferne -- ihre Züge, ihre interessante Blässe und die -turmartige Frisur, diese »schweren Flechten«, ließen ihn völlig -unberührt. - -Nelly verstand seinen Blick sofort: diese unverschämte Gleichgültigkeit -eines erkaltenden Geliebten! Sie war außerordentlich freundlich, -teilnahmsvoll. - -»Es ist merkwürdig,« sagte sie, »du hast mir nie gesagt, daß du so -intime Freunde hättest. Im Gegenteil, du klagtest ja immer, du habest -keine Freunde!« - -Sie hielt die Teetasse auf den Fingerspitzen, spielte die Dame auf -Teebesuch. - -Schwedenklee behandelte sie mit grausamer Höflichkeit. Er spielte den -Herrn, der eine Dame auf Teebesuch bewirtet. - -»Natürlich habe ich Freunde -- von früher her. Wir alle haben Freunde -nur von früher her, aus der Jugend. Es ist allerdings wahr, meine -Freunde haben sich wenig um mich bekümmert, und es ist ebenso wahr, daß -ich mich wenig um sie bekümmerte.« - -Er sprang auf und reichte ihr Feuer für die Zigarette. - -Sie dankte. »Ich bin dir sehr dankbar, daß du mir so lebhaft zu Dunker -geraten hast!« - -»Ist er also doch tüchtig?« - -»Oh!« Nelly lächelte sonderbar, indem sie die Augen zur Decke hob. »Er -ist ein wirklich moderner Künstler! Aber er ist keck --!« Schwedenklee -sagte nichts. »Er ist sehr keck. Er verfolgt mich unaufhörlich mit -seinen Anträgen.« - -»Aber du bist ja kein Kind mehr, Nelly!« Oh, wie gleichgültig klang hier -Schwedenklees Stimme! - -Welch bösen Blick sie ihm gab! Aber sofort lächelte sie wieder -gleichmütig. »Ich sagte ihm: spielen Sie Theater auf der Bühne!« - -»Sehr gut!« lobte Schwedenklee und lachte. - -Pause. Nelly forschte in seinem Gesicht. - -»Du bist gar nicht eifersüchtig?« Nelly lachte. - -»Eifersüchtig? Ich kenne dich ja, Nelly!« sagte Schwedenklee im Tone -unerschütterlichen Vertrauens. - -Nelly kokettierte über die Teetasse. - -»Vielleicht kennst du mich doch nicht? Er ist ein netter Junge! Erst -fünfunddreißig.« Sie lächelte anmutig. - -Schwedenklee ignorierte diesen impertinenten Angriff. Dabei war er -überzeugt, daß Nelly sich gar nichts aus Dunker machte -- es war ihm -übrigens völlig gleichgültig. - -»Er ist nett. Und was das Reizendste an ihm ist, er ist solch ein Kind. -Er ist -- trotz allem -- ein kleiner Junge!« - -»Wirklich?« Schwedenklee lachte anerkennend. »Gerade diese Naivität -liebe ich bei Männern.« - -Hier richtete sich Nelly in ihrem Sessel auf. Sie gab ihrem Kopf einen -Ruck und schleuderte die Tasse auf den Teppich. Sie stand auf. - -»Aber Nelly?« sagte Schwedenklee, scheinbar völlig erstaunt und gut -gelaunt. - -»Was zuviel ist, ist zuviel!« Nellys Brauen flogen in die Höhe. - -»Aber ich bitte dich, Nelly!« - -»Wenn du mich loshaben willst --«, schrie Nelly mit funkelnden Augen. - -»Einen Augenblick ..« Schwedenklee schloß eine Türe. - -»Ach so!« sagte Nelly, voller Hohn. - -Schwedenklee wurde rot, seine Schläfe zuckte. - -»Sie ist ein Mädchen«, sagte er beruhigend, aber seine Stimme zitterte -etwas, im Gefühl der Befriedigung, ihren impertinenten Angriff von -vorhin mit gleicher Impertinenz erwidert zu haben. »Sie soll sich -erholen, und ich möchte jede Aufregung von ihr fernhalten.« - -»Oh, welche Rücksichtnahme! Jede Aufregung von ihr fernhalten --!« - -»Bitte, Nelly!« sagte Schwedenklee lächelnd, beschwichtigend. - -Seine Ruhe und Gleichgültigkeit versetzten sie in Raserei. Ja, -Schwedenklee war als Gegner nicht zu verachten, wenn es darauf ankam. - -»Bitte, Nelly«, äffte sie ihm nach. »Ich möchte jede Aufregung von ihr -fernhalten. Ja, ja! Halte mich nicht für so töricht ...« - -Schwedenklee sandte ihr einen warnenden Blick zu. Er wußte -- und er -empfand es triumphierend --, daß sie jetzt verspielen würde. - -»Du hast dich in ein kleines Mädchen verliebt, das ist alles«, schrie -Nelly außer sich. »Und alles andere -- das mit dem Freunde, mit der -Doppelwaise, mit dem Selbstmordversuch, ist einfach eine dumme Komödie!« - -Sie ist verloren, dachte Schwedenklee mit Befriedigung -- und schon mit -einem gewissen Mitleid. - -»Nelly!« sagte er beruhigend, beschwörend. »Ich schwöre dir, alles ist -Wahrheit. Du bist heute sehr erregt --« - -Ja, Nelly war verloren. Sie schrie, sie verleumdete, beschimpfte. Sie -tobte und verließ rasend das Haus. - -Schwedenklee tat aufs tiefste gekränkt und machte keinen Versuch, sie -zurückzurufen. - -»Es ist sehr schade«, sagte Schwedenklee, als er allein war und sich mit -zitternden Fingern eine Zigarette anzündete. »Es ist sehr schade, daß -man mit Frauen nicht offen sprechen kann. Nun gut, daß es zu Ende ist! -Fort mit ihr! Fort mit allen -- ich will sie _alle_ nicht mehr sehen -- -Gott sei Dank!« - -Schwedenklee horchte an Ellens Türe. Kein Laut. Ellen hatte von der -ganzen Szene nichts gehört. - -Einige Wochen später aber sagte Ellen: »Es war einmal eine Dame bei -Ihnen. Sie war sehr erregt. Ich möchte nicht irgendwie im Wege sein.« - -»Aber Ellen! Wie können Sie so etwas denken. Sie sind zu jung, um das zu -verstehen!« - - - - - 18 - - -Schwedenklee hatte sich völlig verändert. In all den Wochen von Ellens -Genesung hatte er kaum das Haus verlassen. Ins Stammcafé kam er nicht -mehr. Man wunderte sich. Gerüchte schwirrten. Ein Stammgast berichtete, -Schwedenklee habe in einer Nacht, da er aus dem Café kam, eine junge -Dame -- eine Lebensüberdrüssige -- aus dem Kanal gezogen und zu sich ins -Haus genommen. - -Er wies auf eine Notiz hin, die in den Zeitungen erschienen war. -Architekt S. rettete eine Lebensüberdrüssige, die aus Liebeskummer in -den Landwehrkanal sprang. - -Kurzum, Schwedenklee erschien nicht mehr im Café, und eine Woche später -war er schon vergessen: ganz als ob er tot wäre. - -Schwedenklee holte seine großen Mappen aus der Bibliothek. In der -Bibliothek befanden sich besondere Schränke, und in diesen Schranken -standen die Mappen, die er vor Jahren hatte anfertigen lassen. Es waren -zehn graue Mappen, herrlich gebunden -- manche enthielten gar nichts, -manche enthielten ein, zwei Skizzen, andere mehrere. Die Mappe -»Fabriken« war besonders umfangreich, die Mappe »Warenhäuser« ebenso. -Die dickste Mappe hatte die Aufschrift »Städtebau -- Verkehr«. - -Über diese Mappe gebeugt saß Schwedenklee in all den Nächten, da er den -Schlummer Ellens bewachte. - -Vor Jahren hatte er sich, man wird sich erinnern, mit -verkehrstechnischen Problemen Berlins intensiv beschäftigt. Es waren -seinerzeit sogar einige Notizen darüber in den Zeitungen erschienen. Es -gab in Berlin ein halbes Dutzend Bahnhöfe: die Bahnhöfe der Stadtbahn, -den Lehrter Bahnhof, den Potsdamer, Anhalter, Schlesischen Bahnhof -- es -war, mit einem Wort, ein völliges Durcheinander. - -Schwedenklee aber hatte in der Arbeit vieler Jahre eine Lösung gesucht -und gefunden: von jedem beliebigen Punkte Berlins aus sollte man bequem -jede Reiseroute antreten können! - -Schwedenklee plante einen Riesenbahnhof, der gegenüber dem -Reichstagsgebäude, mitten im Tiergarten, gelegen war und, über und unter -der Erde, im Zusammenhang stand mit sämtlichen bereits vorhandenen -Bahnhöfen. - -Dieses interessante Problem fesselte ihn von neuem. Es schien ihm noch -schwieriger, noch interessanter geworden zu sein. Ganze Nächte hindurch -zeichnete er. Er plante die Veröffentlichung einer Broschüre, die -Berlin, die Behörden verblüffen sollte. - -Ellen genas. - -Der Arzt sagte: »Sobald die Witterung es erlaubt, heraus aus der Stadt. -Sie haben doch, höre ich, eine Besitzung auf dem Lande?« - -»Ja.« - -»Nun gut, dann sobald wie möglich aufs Land.« - -Es war noch kalt, noch fiel Schnee, und schon machte Schwedenklee Pläne. - -»Augusta,« sagte er, »halten Sie sich bereit. Wir werden bald aufs Land -gehen. Ich hoffe, Sie haben genügend eingekocht --« - -Zu Ellen sagte er: »Liebe Ellen, der Arzt will, daß du aufs Land in -frische Luft kommst. Wir werden bald reisen. Aber, liebes Kind, wir -müssen dich etwas ausstaffieren.« - -Herrliche und ganz wundervolle Tage für Schwedenklee, da er mit Ellen -einkaufte! - -Wäsche, Kleider, Schuhe. Sie besaß ja _nichts_! - -Ellen sträubte sich. - -»Aber, erlaube doch,« sagte Schwedenklee, so bestimmt, daß Ellen nicht -zu widersprechen wagte, »wir leben nun einmal in dieser Welt! Du mußt -Kleider haben, Mäntel, Hüte, Schuhe ...« - -Wochenlang waren sie in den Geschäften unterwegs. - -Er stattete sie aus wie eine Braut, als ob sie seine Tochter wäre, die -er zu verheiraten hätte. - -Obschon nur Junggeselle, wußte Schwedenklee ganz genau, was eine junge -Dame alles brauchte -- von den Taschentüchern angefangen bis zu den -Unterleibchen und Gürteln, an denen die Strumpfbänder befestigt sind. -Schwedenklee wußte genau, wie Taschentücher einer Dame gearbeitet sein -müssen, wie der Besatz eines Hemdes auszusehen hatte. - -Es war Schwedenklees höchste Freude, wenn er sah, wie Ellen errötete, -weil sie sich in einem Kostüm, einem Mantel gefiel. Oder, wenn sie -erregt wurde beim Befühlen von Linnen und Batist. - -Ellen war äußerst bescheiden, sie widerstrebte, aber zuletzt gelang es -ihm doch stets, sie umzustimmen. Zu Hause beobachtete er beglückt, wie -sie Hüte und Mäntel vor dem Spiegel aufprobierte und die Erregung ihre -Wangen färbte. - -Es war ihm ein Genuß, mit Ellen auf der Straße zu gehen. Niemand ging -vorüber, ohne daß sein Blick gefesselt auf ihrem Gesicht geruht hätte. -Voller Stolz kassierte er all ihre Erfolge ein, die sie nicht einmal -bemerkte. Sie ging leicht, ihr Schritt war leise, wie der ihrer Mutter, -nie hatte er einen solch schwebenden Gang, eine solche natürliche Würde -bei einer Frau beobachtet. Sie ging wie ein Tier, eine Katze vielleicht, -unbewußt und schön, ihre schmalen Hüften spielten. - -In einigen Geschäften gebrauchte man die Redensart: »Das gnädige -Fräulein, Ihre Tochter --« - -Schwedenklee wurde verlegen, zuweilen blutrot -- Ellen lachte wie ein -Kind. Sie hatte die Gewohnheit, wenn sie schelmisch lachte, die oberen -Zähne in die Unterlippe zu drücken und etwas mit den Augen zu blinzeln. - -Einige Sommerkleider für Ellen ließ Schwedenklee bei einer Schneiderin -Henrietta anfertigen, die er von Nelly her kannte. - -»Ich begreife nun, weshalb Nelly so rasend eifersüchtig ist«, flüsterte -die Schneiderin eines Tages in unverschämt zutraulichem Tone. - -»Ich bitte Sie, die Kleider, so wie sie sind, sofort an mich zu senden -und Rechnung vorzulegen«, schrieb Schwedenklee am gleichen Tage, empört, -daß die unverschämte Person Nelly und Ellen in einem Atem zu nennen -gewagt hatte. Ja, diesem Volke mußte man Manieren beibringen! - - - - - 19 - - -Endlich waren alle Einkäufe beendet. Koffer wurden gepackt. Der Tag der -Abreise aufs Land wurde festgesetzt. - -Der Zug verließ den Bahnhof. - -»Nun gehörst du ganz mir«, dachte Schwedenklee triumphierend, und seine -Erregung war so groß, daß seine Hände zitterten. - -»Was denkst du?« fragte Ellen, verwirrt durch seinen Blick. - -»Ich fürchte, Ellen wird sich langweilen«, erwiderte Schwedenklee -lächelnd, um seine Erregung zu verbergen. - -»Ich? Auf dem Lande? Oh, nie!« rief Ellen aus. Dann saß sie still, mit -großen Augen, die erfüllt waren von Genugtuung, diese grauen Hauswände, -zwischen denen der Zug sich durchzwang, hinter sich zu lassen. - -»Gott sei Dank!« flüsterte sie und atmete auf, als die Stadt zu Ende war -und die Wiesen kamen. - -»Allmächtiger!« dachte Schwedenklee. »Wie wird es sein, wenn ich mit ihr -allein sein werde?« - - * * * * * - -Schwedenklees Landgut »Siebenbirken« lag an der Ostsee, ganz in der Nähe -von Warnemünde. Es lag nicht direkt am Meer, gewährte aber eine -herrliche Aussicht über die See. - -Der Name stammte von Schwedenklee selbst. Früher hatte dieses Bauerngut -überhaupt keinen Namen gehabt, nur eine Hausnummer. Aber da gerade -sieben Birken vor dem Hause standen, hatte Schwedenklee den Besitz sehr -poetisch »Siebenbirken« genannt. - -In einer Anwandlung von Weltflucht hatte Schwedenklee vor Jahren -»Siebenbirken« gekauft. Er wollte allein, zurückgezogen, »wie ein Bauer« -leben. Damals. Er hatte das Bauernhaus und die Wirtschaftsgebäude -gelassen, wie sie waren, etwas krumm, plump, mit Stroh gedeckt, und ein -Haus auf einem Punkte errichtet, der die schönste und vollkommenste -Aussicht über die See bot. Seit Jahren hatte er sich nicht mehr um -»Siebenbirken« gekümmert. Er hatte einige Monate -- damals als er -weltflüchtig war -- auf dem Landsitz verbracht und den Bau des -Landhauses geleitet. Als der Bau fertig dastand, war er noch eine Woche -geblieben. Aber am Ende der Woche hatte ihn das Grauen der Einsamkeit -erfaßt. Noch in der Nacht hatte er gepackt: es war ja nicht auszuhalten! -Mit dem Frühzug schon war er nach Berlin gefahren. Nur einige Male war -er noch auf zwei, drei Tage in all den Jahren nach Siebenbirken -gekommen, und stets hatte ihn das Gefühl trostloser Langeweile wieder -vertrieben. Nein, nein, er hatte kein Talent, einsam zu leben! -Verschiedenen Anwandlungen, das Landgut zu verkaufen, hatte er nur aus -Trägheit nicht nachgegeben. - -»Ahnte ich etwas?« sagte er sich heute, in sein Inneres horchend. - -Der Bauer, an den das Gut verpachtet war, holte sie in einem wackligen -Stuhlwagen ab. - -Der Wagen war so klein, daß Augusta mit den Koffern und Kisten auf der -Station warten mußte. - -»Wie wunderbar! Wie herrlich!« rief Ellen mit leuchtenden Augen aus, als -sie durch die scharfe Märzluft dahinfuhren. In den Wäldern lag noch da -und dort Schnee. - -»Wird es dir hier gefallen?« - -Ellen nickte freudig. - -Am ersten Tage hätte Schwedenklee nahezu die gute Laune verloren: die -Mahlzeiten schienen ihm etwas sehr ländlich. Augusta ging mit Tränen in -den Augen, fiebernd, aufgelöst, in der völlig kahlen Küche hin und her. -»Es ist ja nichts da, gar nichts da!« sagte sie. Ellen hatte sich eine -von Augustas Schürzen umgebunden und versuchte durch ihre Munterkeit -Augustas Verzweiflung zu verscheuchen. - -Am nächsten Tage fuhren Augusta und Ellen zur Stadt, um einzukaufen. -Bepackt mit Töpfen, Schüsseln, Kochlöffeln, Sieben, Porzellan, Gläsern -kehrte der Wagen zurück. Augusta strahlte. - - * * * * * - -Auf Siebenbirken lebten der Bauer mit seiner Familie, ferner zwei -Pferde, drei Kühe, ein Rudel Schweine, etliche dreißig Hühner, einige -Familien Gänse und Enten. -- Es gab einen Hund, eine Art Schäferhund, -fahlgelb mit dunkelgrauen Rückenhaaren, mit Namen Strolly. Diesen Hund -hatte Schwedenklee aufgezogen, zur Zeit, da er baute, und obschon er nur -zwei-, dreimal auf das Gut zurückgekehrt war, hatte der Hund ihn -wiedererkannt. Das rührte Schwedenklee. »Strolly«, furchtbar bissig und -rasend allen Fremden gegenüber, war liebenswürdig, untergeben, sittsam -und von äußerstem Entgegenkommen gegen Freunde. Schon am ersten Tage war -er zu Ellen übergegangen, obschon ihn sein Feingefühl hinderte, es allzu -deutlich zu zeigen. Sooft er Schwedenklee sah, tat er so, als ob er ihm -die gleiche Anhänglichkeit bewahrt habe. Sobald aber Ellen nur sichtbar -wurde, zeigte sich offen seine Heuchelei. - -Es gab einen schwarzen, dicken Kater, Munki, der es liebte, sich auf den -Schultern spazierentragen zu lassen, ein menschenliebendes Tier, das -sich an den Beinen rieb, sobald man sich zeigte. Dick, befriedigt, -glücklich saß der Kater auf Ellens schmaler Schulter. Am dritten Tage -schon war auch er zu Ellen übergegangen. - -Es gab eine Stute »Lotte«, die -- ein Phänomen -- mit der Zunge eine -Türklinke hob, sobald sie neben dem Pferdestall Stimmen hörte. - -Es gab zwei Hähne, einen dicken alten, mit in hundert Schlachten -zerzausten Federn, und einen jungen -- schlank, graziös, mit den -Bewegungen eines Fechters --, die sich wie Teufel bekämpften. Zuweilen -wurde der jüngere von dem alten bis tief hinein in den Wald gejagt. - -Es gab ein kleines Schwein, das zärtlich war wie ein Hund und sich gerne -den Kopf graulen ließ. Das waren die Besonderheiten von Siebenbirken, -sonst war es ein Landgut wie jedes andere. Nicht zu vergessen eine Gans, -die -- ein Einzelgänger, nicht auf dem Hof gebrütet -- von den übrigen -Gänsen verleugnet und gehaßt wurde und den Menschen wie ein Hund folgte. -Sonst wie überall: Geschrei, Gegacker, Lärm, Blöken, und die Jauche rann -aus den Ställen in den großen Misthaufen des Wirtschaftshofes. - -Beglückt beobachtete Schwedenklee, daß Ellen auf dem Gute auflebte. Vom -Morgen bis zum Abend war sie unterwegs in Ställen und Scheunen. Munki, -der schwarze Kater, saß auf ihrer Schulter, Strolly sprang ihr bis an -die Ohrläppchen -- und sie zankte den fetten Hahn aus, der sich gegen -den jungen, den sie »Spanier« nannte, albern und eifersüchtig benahm. -Die Blässe ihres Gesichtes verlor sich, zartrotes Geäder erschien auf -den Wangen. Ihre Stimme zwitscherte fröhlich. - -Nur dann und wann saß sie in sich versunken abseits, den Blick gequält -in die Ferne gerichtet. An diesen Tagen sprach sie nur selten, leise, -die Stirn zerknittert. Ihr Blick war verschleiert von Schwermut, die -Gedanken ferne. - -Ein Zittern durchrieselte sie, wenn man sie berührte. Abends brannten -dann zwei Kerzen in ihrem Zimmer, und am Morgen erschien sie bleich, -verstört, mit geröteten Augen. Aber immer seltener wurden diese Anfälle -schwerer Traurigkeit, die Schwedenklee, besonders anfangs, sehr -beunruhigten. - -Ellen interessierte sich für alles, was in der Wirtschaft vorging. Sie -war als Stadtkind nur flüchtig mit dem Lande in Berührung gekommen. Was -für Futter erhielten Hühner und Schweine, weshalb wurde der Acker -gewalzt, wie kam es, daß der Klee zwei, drei Jahre stand, was war -eigentlich »Winterroggen«, von dem so viel die Rede war -- über all das -konnte sie nicht ausführlich genug mit dem Bauer sprechen, und sie -fragte auch Schwedenklee unausgesetzt, Schwedenklee, der kaum Weizen von -Roggen zu unterscheiden vermochte. - -Als die Pferde zum erstenmal auf die Koppel durften, war es ein -richtiger Festtag für Ellen. Sie selbst brachte die Pferde in den Stall -zurück. Sie lernte sogar das Melken der Kühe. Schwedenklee hatte sich -nie überwinden können, das Euter einer Kuh zwischen die Finger zu -nehmen. - -»Dir gefällt es hier?« Seine größte Sorge war, daß es ihr schließlich -doch nicht gefallen könnte. Allein, fern von allen Menschen wollte er -sie haben. Ja, so mußte es sein, grenzenlos war sein Egoismus, das -Schicksal hatte gesprochen. - -»Wir werden also hierbleiben? Du wirst sehen, es ist gar nicht zu -langweilig. Wenn erst die Badegäste kommen werden.« - -Ellen zog die Braue hoch, ihre feine nervöse Braue. »Ich will keine -Menschen sehen!« - -Wie dankbar war Schwedenklee. - -»Du willst also vorläufig nicht nach Berlin zurückkehren?« - -»Berlin?« Ellen war entsetzt. »Ich will bei Strolly und Munki bleiben!« - -Schwedenklees Gesicht wurde dunkel: er war eifersüchtig auf die Tiere -... - - - - - 20 - - -Schwedenklee hatte sich von dem Dorftischler einen großen Zeichentisch -nach eigener Angabe anfertigen lassen. Hingegeben an seine Idee -zeichnete er: er hatte nun den großen Berliner Zentralbahnhof weiter in -den Tiergarten hinein verlegt. Er brauchte -- ja, was er brauchte, das -war vor allem Platz! Monumentalität, Raum, Auffahrts- und -Abfahrtsalleen! Nicht, daß man nach zehn Jahren sagte: bei aller -Genialität, Schwedenklee hat es nicht verstanden, zehn, zwanzig, fünfzig -Jahre in die Zukunft zu blicken. Eine Stadt wie Berlin ging wie eine -Mine hoch! Also Raum -- immer tiefer hinein in den großen Tiergarten --. - -Aber schon nach kurzer Zeit beschäftigte ihn eine neue Idee -leidenschaftlich. - -Das Landhaus war zu klein! Es war nur für ihn, Schwedenklee, berechnet. -Er hatte es seinerzeit mit Absicht so klein gehalten: anders würden ihn, -hatte er befürchtet, fortwährend Bekannte überlaufen! Von einem kleinen, -sehr bescheidenen Gastzimmer abgesehen, das unter dem Dache lag, -enthielt es nur drei Zimmer. Schwedenklee hatte sich auf einen Raum -beschränkt, Ellen bewohnte das andere Zimmer, dazwischen lag die -»Halle«, die als Speiseraum diente. In dem Giebelzimmer hauste Augusta. - -Schwedenklee beschloß, das Landhaus in großem Stil auszubauen. In großem -Stil? Nein, in allergrößtem Stil, mochte es kosten, was es wollte. -Tagelang tat er geheimnisvoll. Als er mit sich im reinen war, rief er -Ellen an den Zeichentisch. - -Sie kam, den schwarzen Kater auf der Schulter. Strolly sah eifersüchtig -zum Fenster herein und winselte flehentlich. - -Lieber Himmel, was für ein stattliches Gebäude das Landhaus plötzlich -geworden war! Nach beiden Seiten und nach der Höhe baute Schwedenklee -aus. - -Ellen stimmte allen Plänen zu. So und so -- erklärte Schwedenklee. »Und -du sollst ein Schlafzimmer und ein Wohnzimmer haben -- mit einer kleinen -Loggia.« - -»Oh, wie fein!« rief sie aus. »Aber ich brauche alles gar nicht. Ich bin -so zufrieden mit meinem Zimmer!« - -»Und hier, siehst du, werden wir das Badezimmer hinausbauen!« - -Schwedenklee schwebte eine Art Glashaus vor: in der Mitte ein versenktes -Bassin, ringsum eine Art Gewächshaus mit Palmen, Blattpflanzen, Kakteen. -Schwedenklee sprach mit auffallend unsicherer, stotternder Stimme. Ellen -war hell begeistert. - -Schwedenklee verlor sich in Einzelheiten. Erschrocken und fast mystisch -erregt erinnerte er sich, daß er die gleichen Pläne, ganz die gleichen, -mit Ellens Mutter, der unglücklichen Ellen, in vielen Stunden -durchgesprochen hatte! Sein Atem stockte. Wie viele Jahre ist es her? -Und nun steht sie hier, ihre Tochter --! Jetzt aber sollten die Pläne -Wirklichkeit werden! - -»Und dann,« sagte er, atemlos vor Erregung -- denn Ellen schmiegte sich, -zärtlich, mädchenhaft, an seine Schulter -- »weißt du, wenn alles fertig -ist, was ich dann tun werde?« - -Ihr schönes reines Auge blendete. »Nein.« - -»Dann werde ich Siebenbirken der kleinen Ellen schenken.« - -»Ich will es nicht haben!« rief Ellen aus, und ihr Blick verriet -Unsicherheit und Argwohn. Sie löste leise die Hände von seiner Schulter -und lief verlegen lachend davon. - -»Meine Freude!« stammelte Schwedenklee und erhob sich schwankend, indem -er ihr mit den Blicken folgte. - - - - - 21 - - -Schon in der nächsten Woche kamen die Werkleute, und der Umbau und -Ausbau des Hauses begann. Es wimmelte auf Siebenbirken plötzlich von -Handwerkern. - -Schwedenklee erhob sich schon am frühen Morgen. Er ging mit dem -Meterstab hin und her. Er fertigte für Maurer und Zimmerleute und -Tischler Detailzeichnungen an. - -Man muß es zugeben, in den letzten Jahren war Schwedenklee die -Entschlußkraft einigermaßen abhanden gekommen. Er sollte zum Beispiel -einen wichtigen Brief schreiben. Er konnte sich nicht dazu aufraffen. Da -ist dieser Brief, dachte er, es wird höchste Zeit! Aber die Tinte war -dick geworden. Der Brief unterblieb. - -Schwedenklee hatte sich sehr geändert. Er sieht, daß eine Latte an einem -Zaun lose ist. Sofort holt er Hammer und Nägel und hämmert, daß es -lustig widerhallt. - -Da steht ein alter Fliederbusch, dessen Blätter matt herabhängen. -Schwedenklee hätte früher nie einen Finger gerührt. Jetzt holte er -sofort einen Hammer und einen langen Zimmermannsnagel und meißelt Löcher -in den zementharten Lehm rings um den Stamm. - -»Was tust du?« staunt Ellen, hingerissen und voll äußerster -Verwunderung. - -Schon schleppt Schwedenklee Wasser heran und gießt die Löcher voll, -sorgfältig, geduldig, bis der Zement sich erweicht. Schon am zweiten -Tage stellen sich die matten Blätter des Fliederbusches steif und prall. -Und Ellen staunt! - -Schwedenklee ließ sich wiegen -- auf derselben Wage, wo die Schweine, in -einem Holzverschlag, gewogen wurden. Sein Gewicht war außerordentlich -hoch. Er verschwieg es! Aber man sah ihn nun schon am frühen Morgen mit -dem Spaten im Garten. Er arbeitete im Schweiße seines Angesichts den -ganzen Tag über. Nach einer Woche hatte er bereits fünf Pfund verloren. - -Nun begann Schwedenklee schwere Steine, Feldsteine, die in Massen an -einer Hecke angehäuft waren, zu schleppen und zu rollen. Er hatte -beschlossen, einen Steingarten zu bauen. Der Schweiß rann ihm in Strömen -von der Stirne. - -In dieser Woche nahm er acht Pfund ab. Schon waren ihm die Hosen zu -weit. Sein Gang war leichter, er lief sogar zuweilen, allerdings nicht -lange, da ihm der Atem kurz wurde. In seine schlaffen Arme kam wieder -Kraft. - -Zuweilen strichen Radfahrer flink an Siebenbirken vorbei. Mit einem -merkwürdigen Interesse sah Schwedenklee diesen flinken Radfahrern nach. - -»Kannst du radfahren, Ellen?« fragte er eines Tages, voller -Entschlossenheit. - -»Nein!« - -»Vielleicht wäre es hübsch, Partien zu machen?« - -»Oh!« - -Schon fuhr Schwedenklee in die Stadt und brachte zwei funkelnagelneue -Räder mit. - -Ja, bei Gott, vielleicht hatte Schwedenklee sich doch etwas zuviel -zugemutet! Er fuhr vor etwa zwanzig Jahren Rad und glaubte nicht, daß es -möglich wäre, diese Kunst zu verlernen? Kaum aber hatte er das Rad -bestiegen, als er schon auf der anderen Seite in das Gras hinabstürzte. -Augusta lachte, Ellen lachte, die Handwerker lachten. Wurde Schwedenklee -böse? O nein, auch Schwedenklee lachte. Kühn fuhr er einige zwanzig -Meter geradeaus, um bei einem Holzhaufen zu kentern. - -Ellen, zierlich, leicht, gewandt, kletterte in das Rad, und Schwedenklee -führte die Maschine voller Vorsicht. Ellen schrie, lachte -- und wenn -sie fallen sollte, landete sie an Schwedenklees Schulter. - -Schon am vierten Tage nach den ersten Übungen unternahmen sie eine -kleine Radtour, die so reich an Erlebnissen war, daß sie tagelang -darüber sprachen. - -Schwedenklee wurde in der Tat täglich schlanker. Sein Blick wurde -offener, freimütiger. Seine dicken roten Prälatenwangen wurden flächig -und braun, sein Körper straffte sich. Seine Stimme bekam einen -metallischen Klang. - -Schwedenklee trug beim Lesen eine Hornbrille. Einmal trat Ellen ein, die -ihn nie mit dieser abscheulichen Brille gesehen hatte. Sie lächelte, ja -sie mußte laut herauslachen. - -In Zukunft trug Schwedenklee diese Brille nicht mehr. Die frische Luft, -die Bewegung stärkten seine Augen in wenigen Wochen so sehr, daß er -keine Brille mehr brauchte. - - * * * * * - -Eine ganze Woche regnete es. Schwedenklee zeichnete wieder an seinem -Zentralbahnhof. - -Dann packte er die Geige aus und begann, lustlos anfangs, Instrument und -Klang entfremdet, ganz leise zu spielen. - -Da erschien Ellen plötzlich -- ganz entgeistert! -- in der Türe. - -»Du spielst Geige?« rief sie maßlos überrascht aus. Freude stand in -ihren hellen Augen. - -»Du spielst ja sehr gut!« sagte sie, noch mehr überrascht. - -Schwedenklee kam in Verlegenheit. Er erinnerte sich an die Zeit -- viele -Jahre war es her -- da er begeistert mit den Musikstudenten zweimal in -der Woche musizierte, da er sogar den Ehrgeiz besessen hatte, Geiger zu -werden -- still! - -Es stellte sich heraus, daß auch Ellen Geige spielte. Ihr Vater hatte -sie unterrichtet. - -»So spiele.« - -»Nein. Ich werde üben, wenn du nicht zuhörst. Ich habe lange nicht -gespielt.« - -»Weshalb nicht?« - -Ellen errötete. - -»Papa verkaufte seine Geige.« - -»Ja, weshalb denn?« - -»Er verkaufte sie, als Mama starb. Wir hatten so große Ausgaben damals.« - -Schwedenklee fragte nichts mehr. - -»Es ist keine besondere Geige«, sagte er. »Aber wenn du mir eine Freude -bereiten willst, Ellen, so nimm sie als Geschenk an.« - -Alles, alles wollte er ihr schenken, nur um ein freudiges Feuer in ihren -Augen zu entzünden. Zart und kühl war die Haut ihrer Schultern. Sie war -nicht schöner als andere Frauen, oh, keineswegs, aber sie war jung und -unerfahren, das war alles, was sie anderen Frauen voraus hatte. Es war -die Jugend, nicht mehr, nicht weniger. - - * * * * * - -Er bemühte sich, Ellens Wünsche und Pläne zu erforschen. Sie war scheu, -sprach nie von sich und den Dingen, die sie im Innersten beschäftigten. -Sie errötete, wenn man sie nach ihren Wünschen fragte, und erklärte, sie -wünsche nichts. Vielleicht aber hatte sie irgendwelche Neigungen, Lust -zur Musik, zu irgendeinem Berufe? In allen Dingen wollte er ihr wie ein -Freund zur Seite stehen. - -Endlich überwand Ellen ihre Scheu und erschloß sich. Es fand sich, daß -Ellen längst einen Entschluß gefaßt hatte. Verlegen und errötend -bekannte sie, daß sie zur Bühne gehen wolle. Mehr als das, es stellte -sich heraus, daß ihre Ausbildung bei verschiedenen Lehrern bereits so -weit gefördert war, daß sie schon in diesem Sommer, wäre der Todesfall -nicht eingetreten, in ihr erstes Engagement in einen kleinen Badeort -hätte gehen sollen. - -Schwedenklee, der fürchtete, daß das Theater sie ihm entfremden könne, -versuchte sie umzustimmen. Aber Ellen hing voller Leidenschaft an dem -gewählten Berufe. Sie war fest entschlossen, denselben verführerischen -und gefährlichen Weg zu gehen wie ihre Eltern. - -»Nun gut«, dachte Schwedenklee. »Ich habe gute Beziehungen zu den -Theatern in Berlin. Sie wird es leichter haben, soll es leichter haben, -als andere. Freilich: das Theater -- lieber wäre mir ein anderer Beruf --- lieber wäre mir gar kein Beruf ...« - -Ellen hatte einen hellen, ergreifenden Sopran: vielleicht Sängerin? - -Nun, sie sollte wählen, sie sollte werden, was sie wollte! - -Tagelang stand eine Überraschung in Schwedenklees Augen. Ellens -Neugierde war aufs höchste gestiegen. - -Eines Tages wurde ein kleiner funkelnagelneuer Stutzflügel vor dem Hause -abgeladen. Es war ein Glück, daß Ellen im Walde war! Als sie zurückkam, -fand sie den Flügel im Speisezimmer. Ein kleiner Strauß von -Frühlingsblumen stand darauf, und an der Vase lehnte eine Karte, auf die -Schwedenklee geschrieben hatte: der kleinen Ellen für ihre neue -Wohnstube. - -Ellen war überglücklich. Sie schlang ihre weichen, nach Gras und Wald -duftenden Arme um seinen Hals. Die Berührung ihrer Arme war leise und -doch unsagbar innig. - -Am Abend fand das erste Konzert statt. Schwedenklee spielte aus -bekannten Opern, und er spielte außerordentlich aufgeregt. Er spielte -Klavier keineswegs so gut wie Geige. Aber er spielte ohne Mühe, las -gewandt, und zudem konnte er die meisten Opern auswendig. Schon nach -wenigen Tagen hatte er sich wieder eingespielt, und der kleine Flügel -sang und donnerte wie ein Provinzorchester, das sich alle Mühe gibt. Nun -begann er auch einzelne Partien halblaut zu singen. - -Ellen war wie verzaubert. Mit glänzenden Augen saß sie da, den Mund -offen, die Ohren leuchteten purpurrot. Ihre Kindheit erwachte, da sie in -einer Luft von Musik aufwuchs. - -Bald aber -- wie angezogen -- stand sie hinter Schwedenklees Stuhl und -begleitete ihn mit leiser, erregt bebender Stimme. - -Fast jeden Abend wurde musiziert. Draußen die Nacht, der Mond klettert -in den samtschwarzen Himmel empor, die Bäume brausen. - -Mehr und mehr verlor Ellen ihre Scheu, und ihre Stimme strömte klar, -rührend, voller Leidenschaft. Sie glühte vor Erregung. - -»Vielleicht werden wir doch noch eine Sängerin aus dir machen, Ellen?« - -»Papa sagte, meine Stimme sei zu klein«, erwiderte Ellen, errötend über -das Lob. - -»Nun, wir werden ja sehen.« Schon war auch Schwedenklee vom Fieber -ergriffen: oft sah er sie, Ellen, seine Ellen, auf der Bühne stehen, -umbrandet vom Beifall. - - - - - 22 - - -Ellen verbarg nicht ihre Dankbarkeit für Schwedenklees Fürsorge und -Anteilnahme an allem, was sie betraf. Sie hielt diese Fürsorge für -völlig uneigennützig, der tiefen Freundschaft entspringend, die ihn mit -ihren Eltern verbunden hatte. Natürlich verriet ihr ihr weiblicher -Instinkt, daß er sie gern um sich sah. Wirkliches und aufrichtiges -Vertrauen aber empfand sie erst seit den letzten Wochen, da er sich so -lebhaft für ihre Pläne interessierte. - -Er hatte ihr eine kleine Bibliothek, die sie für ihre Studien brauchte, -besorgt. - -Mit allem Eifer gab sie sich der Arbeit hin. Jeden Morgen verschwand sie -nach dem Frühstück in den Wald, der an Schwedenklees Acker grenzte. Erst -gegen Mittag kehrte sie zurück, die Wangen gerötet, Glanz und den -Widerschein frohen Erlebens in den Augen. - -Neugierig schlich ihr Schwedenklee eines Tages nach. Er hätte sie nie -finden können, wenn nicht der Hund ihr Versteck verraten hätte. Auf -einer Kuppe des Waldes war eine kleine, von Erlen umgebene Lichtung, so -dicht abgeschlossen, daß es nahezu unmöglich war, die Lichtung zu -finden. - -Dies war Ellens Versteck. Er beobachtete, wie sie mit dem Buche in der -Hand auf und ab ging. Sie sprach, deklamierte, ohne daß er die Worte -verstanden hätte. Sie spielte! Sie kniete flüchtig nieder, hob die Arme, -sie flüchtete, sie wehrte unsichtbare Feinde ab, erstarrte in Qualen, -löste sich befreit -- wieder klang ihre Stimme. - -»Was mag sie wohl spielen?« dachte Schwedenklee neugierig in seinem -Versteck. Nie kam sie ihm seltsamer, rührender vor als in diesem Moment. - -Offenbar war sie nicht zufrieden. Wieder kniete sie nieder, ihre dünnen, -zarten Hände flehten, ihre ganze Gestalt, die Arme, die Neigung ihres -Kopfes. Wieder wich sie zurück -- herrlich und wunderbar erschien sie -ihm, leidenschaftlich hingegeben ihrem Werke, inmitten der Einsamkeit -und Heiligkeit des Waldes. - -Strolly, der Hund, gewöhnt an ihr wunderliches Gebaren, lag im Grase, -den Kopf zwischen die Pfoten gesteckt. In der Gabel eines Astes -entdeckte Schwedenklee den schwarzen Kater. - -Bei einer lebhaften Geste schreckte der Hund auf und sprang an ihr -empor. Sie umarmte ihn, küßte ihn und beide wälzten sie sich im Grase. -Hell und herzlich klang Ellens Gelächter. - -Heute, morgen, übermorgen belauschte sie Schwedenklee klopfenden -Herzens. Aber der Hund lief hin und her, bellte -- endlich stutzte -Ellen, unterbrach ihre Deklamation und lauschte. Sie machte Miene, dem -Hund zu folgen. - -Schwedenklee entfloh und belauschte sie fortan nicht mehr. - -Trotz dem kameradschaftlichen, harmlosen und nahezu kindlichen Tone, der -zwischen ihnen herrschte, bewahrte Ellen immer noch eine gewisse Scheu -und Fremdheit. Zuweilen sprach sie von ihren Hoffnungen in der Zukunft, -niemals, oder fast niemals rührte sie an die Vergangenheit. - -Bis zum Alter von ungefähr fünfzehn Jahren hatte sie wohl ein ziemlich -sorgloses, ja heiteres Leben geführt. Dann kam die Krankheit der Mutter. -Ellen, ein Kind noch, führte den Haushalt, die Sorge trat ihr ganz nahe. -Früh gereift in manchen Dingen, hatte die Schwere dieser Jahre sie in -ihrer seelischen Entwicklung in anderer Beziehung gehemmt. -Unentwickelter als Mädchen ihres Alters, die sorglos und heiter -erblühten, war sie in anderen Dingen. - -Oft beobachtete Schwedenklee, wie sie mit den Tieren plauderte. Sie -sprach mit ihnen wie mit kleinen Geschwistern, so naiv gläubig und -zärtlich. Die Tiere aber schienen sie völlig zu verstehen. - -»Wie rührend sie ist!« dachte Schwedenklee, und ein tiefes Gefühl der -Dankbarkeit und des Glückes erfüllte ihn. - - - - - 23 - - -Sterne, das Rauschen der Bäume, der laue Wind haucht, das Gras flüstert -unter den Büschen, eine Eule schreit schwingend in der Finsternis. Die -Dunkelheit berauscht, die Seele ist trunken von der Stille. - -Unfaßbar war Schwedenklee diese wundervolle, weiche Dunkelheit, die in -den Städten ausgestorben ist, vertrieben vom elektrisch glühenden -Kohlenfaden. Jeden Abend überraschte sie ihn aufs neue. Unfaßbar die -Stille. Unfaßbar die Sterne, die auf ihn herabstürzten, wenn er das Auge -zum Firmament hob. Matter Glanz lag auf dem Meere, ein feiner roter -Lichtfunke glitt irgendwo in die Weite. - -Wie ein Verzauberter, sich selbst fremd, wanderte Schwedenklee in der -Dunkelheit hin und her, sobald Ellen sich zurückgezogen hatte. Beglückt -hörte er zuweilen ihre Stimme in die Stille dringen. Sie sprach mit dem -Hunde, der in ihrem Zimmer schlief. Ellen schloß die Läden ihres Zimmers -nicht, wenn sie sich entkleidete. Diese Reinheit rührte ihn, und er -hütete sich wohl, ihrem Fenster zu nahe zu kommen. Nur aus der Ferne, -durch die Büsche hindurch, wagte er zuweilen einen kurzen Blick: ihre -Arme ordneten die Haare, sie schritt im Nachtgewand zur Kerze, spitzte -den Mund und blies das Licht aus. Ihr schönes mädchenhaftes Profil blieb -noch lange in der Dunkelheit haften, zuletzt verschwand der kindlich -gespitzte Mund. - -Schwedenklee setzte sich auf die Treppe des Hauses. Hingegeben, voller -Andacht atmete er Stille und Dunkelheit ein. Zu denken, daß es Menschen -gab, die in dieser Stunde in rauchigen Kaffeehäusern saßen und -schmutzige Karten mischten! Zu denken, daß er vor Jahren gerade vor -dieser Dunkelheit und Stille die Flucht ergriffen hatte! Unvorstellbar -der Gedanke, daß er einmal wieder in diese Höllenstadt zurückkehren -würde. - -In der Tat, war sein Leben bisher nicht leer, sinnlos? Welche -Freudlosigkeit, Nüchternheit, Betäubung, Unrast, Lärm, Flucht vor sich -selbst. - -Wunderbare Wendung, die sein Leben genommen hatte! Deutlich erkannte er -die Hand eines wohlwollenden Schicksals. - -Schwedenklee blickte in die Dunkelheit und überließ sich seinen -Empfindungen. Schon fühlte er die Schwere nicht mehr, schon schien er zu -schweben, schon schien er zu segeln auf den Fittichen der Nacht. - - * * * * * - -Mitten in einer lauten Nacht -- die Zweige peitschten gegen das Fenster -und der Vollmond flog rasend dahin -- erwachte Schwedenklee plötzlich, -von einem Gedanken gepeinigt. Dieser Gedanke quälte ihn so sehr, daß -sein Herz schmerzte. Es war ein Gedanke, den er in all den Wochen -verscheucht hatte, so oft er sich nahte. - -Er erhob sich, in Schweiß gebadet, warf den seidenen Schlafrock über und -ging in dem schattigen, von Lichtschwertern durchzuckten Zimmer hin und -her, immer hin und her. - -»Und wenn sie doch mein Kind wäre?« flüsterte er. Da! Nun war er -ausgesprochen, der Gedanke! - -Schwedenklee taumelte, so stark erschütterte ihn der Gedanke. - -Die arme Ellen, sie war damals von Paris nach Nürnberg gefahren und -hatte dort schon in den ersten Tagen Blank kennengelernt. Blank hatte -sich sofort in sie verliebt und sie hatten -- nach anfänglichem Zögern -Ellens -- geheiratet. Anfangs Januar des nächsten Jahres war die kleine -Ellen geboren worden. - -Soweit die Tatsachen -- gänzlich unverfänglich, wie man zugeben wird, -von dem verhältnismäßig frühen Termin der Geburt des Kindes abgesehen. -Ja, wann zum Beispiel hatte Ellen Fröhlich Paris verlassen? April, März, -früher? Ja, mein Gott, _man lebte damals in den Tag hinein_ -- wer -dachte an solch abenteuerliche Möglichkeiten? - -Nein, der Termin der Geburt war ohne Bedeutung. Leidenschaftlich und -rasch ist die Jugend, hatte er nicht selbst in dieser Hinsicht genug -Erfahrungen gesammelt? - -Aber Schwedenklee erinnerte sich noch heute deutlich an eine Andeutung -im ersten Brief, den Ellen Fröhlich von Nürnberg aus schrieb, eine -Andeutung, die ihm sofort die Hitze ins Gesicht getrieben hatte. Er -hatte diese Andeutung ignoriert, und in den folgenden Briefen war nicht -mehr die Rede davon gewesen. Später hatte er sich seiner Feigheit -geschämt, und gerade aus diesem Grunde erwachte ein leichtes, nicht -abzuschüttelndes Gefühl der Scham in ihm im Augenblick, da die -Erinnerung an Ellen Fröhlich unerwartet in ihm geweckt wurde. Es war -natürlich auch möglich, daß er diese Andeutung, jene dunkel klingende -Bemerkung, völlig mißverstanden hatte? - -Und doch, um ehrlich zu sein, augenblicklich hatte er sich an diese -seltsame Andeutung erinnert, als Blank ihm seinerzeit schrieb: -vielleicht habe ich Ihnen Mitteilungen zu machen, die Sie interessieren -könnten! - -Es gab aber ein weiteres gewichtiges Argument: Weshalb hatte Blank, der -ihm alle Einzelheiten seines Lebens anvertraute, _nie mit einer Silbe -erwähnt, daß er eine Tochter besaß_? Ja, weshalb, bei allen Göttern? - -Schwedenklees Herz blieb stehen. Der Schweiß brach erneut aus seiner -Stirn. - -Ja, war es nicht das allersonderbarste, daß Blank nie von seiner Tochter -sprach? Wie? - -War es -- mehr noch! -- nicht auffallend, daß Blank kurz vor seinem Tode -alle Papiere, die er besaß, vernichtete? - -»Es steht fest,« resümierte Schwedenklee, zitternd vor Erregung, »Ellen -ist deine Tochter! Ich will es dir beweisen!« - -Nehmen wir es einmal an: sofort ist Blanks sonderbares Benehmen, sind -all seine Worte und Anspielungen sonnenklar. - -Ellen Fröhlich trug dein Kind unter dem Herzen, als sie von Paris kam. -Sie machte eine Andeutung, sie war überzeugt, du würdest auf diese -Anspielung hin sofort zu ihr eilen. Blank berichtete ja, daß sie dich -bestimmt erwartete. Du ignoriertest die Andeutung, du kamst nicht. Sie -haßte dich! Ließ sie dir nicht bestellen: Sage ihm, daß ich ihm nicht -mehr grolle! Grolle? Oh, ja, nun wurde es klar. Blank liebte sie rasend, -er nahm das Kind als sein Kind entgegen. Das war das Geheimnis ihrer -Ehe! Aus welchem anderen Grunde solltest du zwanzig Jahre hindurch in -dieser Ehe diese wichtige Rolle gespielt haben? Weshalb vergaß man dich -nicht? Nun, sehr einfach, weil man dich nicht vergessen konnte! Das Kind -... - -Als Ellen fühlte, daß ihre Kräfte zu Ende gingen, war es da angesichts -der wirtschaftlichen Not nicht naheliegend, daß die beiden im Interesse -des Kindes beschlossen, das Geheimnis preiszugeben? Blank sollte zu dir -kommen, dich sprechen, dir das Geheimnis enthüllen. Aber du wolltest ihn -nicht empfangen -- er war gezwungen, Anspielungen zu machen, die dich -stutzig machen sollten. Ja, ja -- so ist es und nicht anders! - -Er kam zu dir -- aber im Augenblick, da er dich sah, war es ihm gänzlich -unmöglich, aus rasender Liebe für das Kind, aus rasender Eifersucht, die -entscheidenden Worte zu sprechen. Aus diesem Grunde sprach er nie von -seiner Tochter ... - -Es ist ja nur selbstverständlich: wäre mit der jungen Ellen nicht ein -Geheimnis verknüpft, so würde Blank in der ersten Stunde zu allererst -nur von ihr erzählt haben ... - -»Alles, alles erklärt sich!« - -Schwedenklee schwankte durch das Zimmer. »Ja,« sagte er zu sich, -inbrünstig, bis zu Tränen erregt, »ohne jeden Zweifel -- sie ist dein -Kind! Und morgen werde ich es ihr sagen. Von morgen an werden unsere -Beziehungen einen anderen Charakter tragen.« - -Schon aber blieb Schwedenklee verwirrt stehen. Obwohl es heiß im Zimmer -war, zitterte er vor Frost. Nein, das, gerade das war ja gänzlich -unmöglich! - -»Oder werde ich es ihr lieber nicht sagen --?« flüsterte er, aufs -äußerste erregt. - -»Oder werde ich es ihr _nie_ sagen?« - -»Aber selbst: wenn ich es ihr sagen würde, wie würde ich sie -_überzeugen_ können?« - -»Nie würde ich sie überzeugen können! Sie wird mich für einen Betrüger -halten. Sie wird mich hassen, weil ich das Andenken ihrer Eltern schmähe -...« - -Schwedenklee trat an das Fenster und blickte lange, ratlos, verquält, -zum rasend fliehenden hellblinkenden Mond empor. Dann tauchte er wieder -in das warme Dunkel des Zimmers zurück. - -»Es ist ja alles Unsinn!« dachte er und nahm die Wanderung wieder auf. -»Völliger Unsinn! Sie ist _nicht_ dein Kind!« - -»Nein, nun werde ich es dir beweisen! Die Sache ist ja so einfach, wenn -man sie ruhig betrachtet, und alles andere sind leere Spekulationen.« - -Ellen Fröhlich war lange leidend. Sie lebte wie alle schwer Leidenden, -fast ausschließlich in der Erinnerung. Ihre Erlebnisse, wie die der -meisten Frauen, einfach, klar und nicht chaotisch, ließen sich leicht -überblicken, und so konnte sie nicht umhin, an das Erlebnis in Paris zu -denken. Sie fand das verblaßte Bild. Vielleicht sagte sie zu Blank: -bring es ihm, wenn ich einmal nicht mehr bin, grüße ihn von mir. Ich -grolle ihm nicht mehr -- weil er mich damals so schwer enttäuschte ... - -Blank konnte auch recht gut ganz von selbst auf den Gedanken gekommen -sein! Verlassen, arm, krank, suchte er Anlehnung, Stütze. Nichts wäre -verständlicher. Der Gedanke an die Zukunft seines Kindes marterte ihn. -Mit dem Starrsinn eines Verzweifelten klammerte er sich an dich. -Vielleicht, sicher, hatte ihm auch seine Frau nahegelegt, daß in der -letzten Not du dich wohl als Freund erweisen würdest. - -Ich reagierte nicht auf seine Briefe. Er machte bedeutsam klingende -Anspielungen, um meine Neugierde zu reizen -- Anspielungen, die er -augenblicklich widerrief, als er seine Absicht, mich kennenzulernen, -erreicht hatte. - -Während er harmlos zu plaudern versuchte, während er zu lächeln -versuchte, marterte ihn vielleicht der Gedanke: kann man diesem da -- -wenn es zum Äußersten kommen sollte --, kann man diesem da, diesem -Schwedenklee, das Kind anvertrauen? Wird er nicht, teilnahmslos und -gleichgültig, die Bitte eines Unglücklichen verhallen lassen? - -Nun schien auch plötzlich die Bemerkung Sinn zu bekommen, die er machte, -als er nach dem Abendessen in der Droschke fortrollte: einmal werden Sie -vielleicht begreifen, welche Bedeutung es für mich hat, Sie näher -kennengelernt zu haben. - -Weshalb aber sprach er nicht von Ellen? Aus Scheu, aus Scham -- aus -letzter Scham ... - -»So und nicht anders ist die Sache«, wiederholte Schwedenklee, »und -alles andere sind nervöse Konstruktionen --« - -»Und ein Argument gibt es, wichtiger als alle, unwiderlegbar!« - -»Nehmen wir an, Ellen wäre deine Tochter -- hätte der sterbende Blank, -der ja noch die Kraft hatte, dir zu schreiben, hätte er in dieser -furchtbaren Stunde nicht die Wahrheit bekannt? Schon um sicher zu sein, -daß du Ellen gut aufnehmen würdest?« - -»Mit dem Tod vor Augen -- nein, nein, ganz unmöglich!« - -»Sie ist natürlich nicht deine Tochter!« rief Schwedenklee beglückt aus. - -Er wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Die Erregung hatte ihn völlig -erschöpft. - -»Wie albern die Menschen doch sind!« dachte er befreit und leicht. »Wie -albern! Mit welchem Unsinn sie sich die Köpfe angefüllt haben! Es ist ja -schließlich höchst einerlei, ob sie nun mein Kind ist oder nicht. Das -wesentliche ist ja doch, daß sie bei mir ist! Sie ist mein, sie wird -mein sein, sie wird meine Geliebte, meine Frau sein -- ja, selbst wenn -ich es wüßte, daß sie mein Kind ist! Ich werde glücklich sein. Was -kümmert mich schließlich alles andere?« - -Schon graute der Tag. Abgezehrt, verhärmt sank der Mond, eine blasse, -zerfressene Scheibe, in den Morgennebel, der aus den Feldern stieg. Ein -früher Vogel schrie geisterhaft. - -Spät am Morgen erwachte Schwedenklee. Als er sich ankleidete und durchs -Fenster blickte, sah er Ellen hoch oben auf einem Wagen herrlich -gehobelter Bretter sitzen, der so eben von einem Gespann starker -Bauernpferde in den Hof gezogen wurde. Es war der Fußboden des Anbaues. -Sie lachte mit dem Kutscher. Strolly, der Hund, tanzte wie rasend vor -den Nasen der Pferde. Ellen erblickte ihn am Fenster, und ihr zarter Arm -winkte, während die Sonne auf ihren Wangen funkelte. - -Verflüchtigt waren die Nachtgespenster. - - - - - 24 - - -Die Saat schoß aus der Erde, über Nacht wuchs das Gras auf der Wiese. -Die Wälder standen plötzlich in dichtem Grün. In Schwedenklees -verwahrlostem Garten erblühten plötzlich Scharen von Lilien, Päonien, -Stauden aller Art, Schlingrosen -- vor Jahren hatte er sie gepflanzt und -völlig vergessen. Der kleine Obstgarten, Pflaumen und Birnen, war eine -einzige schneeige Wolke, zwischen Haus und Wald gebettet. Ellen war -nichts als seliges Staunen. - -Heiß und plötzlich setzte der Sommer ein. Reichtum quoll aus der Erde, -Gräser, Blumen, Unkraut. Schon wogte das junge Getreide, der Klee stand -einen Schuh hoch. Bis an die Knie standen die Kühe im Gras, die Pferde -grasten in der grünen Koppel, die Schweine grunzten auf dem schwitzenden -Misthaufen. Die Hühner gackerten lärmend, und Scharen von Küken -wimmelten um die Glucken. Der Bauer schnitt die erste Mahd, und der -Schweiß rann ihm über das braune Gesicht. - -Ellen hatte bis jetzt fast immer dunkle Kleider getragen. Sie -vertauschte sie nun endgültig mit hellen Sommerkleidern. So erschien sie -plötzlich weltlicher, reizender, strahlender -- Schwedenklees Blicke -hingen an ihr, wie sie durch den Garten schritt, in den Wald lief, sich -zu einer Blume bückte, das lockere Haar mit der Hand in den Nacken warf. - -Schwedenklee schien größer geworden zu sein, da er sich besser hielt. -Sein Bauch war fast völlig verschwunden, sein Gesicht, wenn auch noch -massig und viereckig, war straff und braun, niemand konnte leugnen, daß -er sich um zehn Jahre verjüngt hatte. - -Er war in diesem Frühling und Sommer nicht müßig gewesen. Zusammen mit -Ellen hatte er einen neuen Obstgarten angelegt, gegen hundert Bäume, er -hatte eine Bewässerungsanlage von fünfzig Meter Länge gebaut. Er hatte -Wege ausgehoben, Bauschutt und Sand gefahren und festgestampft. Nun war -er dabei, eine Laube zu zimmern, die eine herrliche Aussicht bot. Er -hatte Schwielen an den Händen, ganz wie der Bauer. Am Abend sank er -todmüde ins Bett, um wie ein Stein zu schlafen. - -Sie waren viel auf den Rädern unterwegs. Ein wenig außer Atem folgte -Schwedenklee Ellen, die wie ein Rennfahrer dahinfuhr. Ellen hatte auch -kutschieren gelernt, etwas ängstlich noch saß sie, die Peitsche in der -Hand, in steifer Haltung auf dem Bock, und die Pferde trappelten hurtig -dahin. Schwedenklee hatte ihr einen kleinen eleganten Wagen gekauft. - -Das kameradschaftliche Verhältnis zwischen Ellen und Schwedenklee hatte -an Herzlichkeit gewonnen. Sie lachten und schwatzten zusammen -- nicht -wie Erwachsene eigentlich, eher wie Kinder. Sie umarmte ihn, schmiegte -sich an ihn, er gab ihr einen Gutenachtkuß, wenn sie schlafen ging. - -Bald! - -Schwedenklee war in großer Erregung. Oft ging er, verwirrt und unruhig, -mit großen Schritten im Garten hin und her und sprach halblaut mit sich -selbst. - -Bald! Bald! Tausend Kosenamen hatte er für Ellen in Gedanken, zärtliche -Namen, deren er sich vor Wochen noch geschämt hätte. - - * * * * * - -Der Sommer stand in voller Glut, die Mückenschwärme tanzten über den -Wegen, in den Augen glänzte Schweiß. Vom Strande unten stiegen an den -Abenden häufig bunte Leuchtkugeln in den Nachthimmel empor, der Strand -wimmelte von Menschen. Die Saison stand auf der Höhe. - -Der Anbau war fertig, ein mit Bändern geschmückter Tannenbaum funkelte -auf dem First. - -Schwedenklee hatte den Handwerkern ein Faß Bier gestiftet, am Abend aber -sollte das Ereignis im Hause gefeiert werden. Schon seit einer Woche war -das Programm erörtert worden. - -»Heute abend um sieben, Ellen, mache dich schön!« sagte Schwedenklee. - -Augusta hatte ihr letztes hergegeben. Allerlei Leckerbissen als -Vorspeise, eine göttliche Suppe mit Leberklößchen, gebratene Hähnchen -mit dem herrlichsten Salat der Welt. Törtchen von Walderdbeeren, Ellen -hatte sie gesammelt. Sekt im eisigen Wasser des Brunnens gekühlt. Im -Speisezimmer brannten zwei Dutzend Kerzen. Zur Feier des Tages durften -Strolly und Munki bei Tisch gegenwärtig sein. Sie benahmen sich anfangs -gesittet, aber, ganz wie Kinder bei außerordentlichen Anlässen, wurden -sie mehr und mehr ausgelassen: zuletzt sprang der Kater, von -unbezwinglicher Begierde fortgerissen, mitten auf den Tisch und -versuchte ein Hähnchen zu stehlen. - -Ellen war in der herrlichsten Laune. Die Katze kauerte aufgeregt auf -ihrer Schulter. Der Hund saß, ganz Spannung und Bereitschaft, an ihrer -Seite -- ihre Augen blendeten vor Freude. - -Schwedenklees Fröhlichkeit klang anfangs etwas gezwungen. Ein Schatten -war über sein Gesicht gebreitet. Gewiß, alles war wunderbar, es war ein -Abend, auf den er sich seit Wochen freute, ein Abend von ganz besonderer -Bedeutung, ein Schicksalsabend, und nur um die Feierlichkeit dieser -Stunde zu betonen, ohne jeden Nebengedanken, hatte er die zwei Dutzend -Kerzen angezündet. Aber als Ellen eintrat, strahlend, den Widerschein -der Kerzen in den klaren Augen, mußte er sich plötzlich an das Diner -erinnern, das er seinerzeit in Paris Ellens Mutter gab, mit den -Spiegeln, im Hotel Panthéon. - -Unvollkommen ist das menschliche Gehirn eingerichtet, dachte er, voller -Vorwurf gegen den Schöpfer, gänzlich unvollkommen. Die Erfindung eines -Pedanten. Kaum zündet man ein paar Kerzen an, schon ist man gezwungen, -an Dinge zu denken, die zwanzig Jahre zurückliegen -- weshalb? Etwas -steif und melancholisch sah sein Gesicht anfangs aus, etwas -melancholisch und dunkel klang seine Stimme. Mit einem Faltengekräusel -in der gebräunten Stirn saß er inmitten der vierundzwanzig Kerzen. -Vielleicht ist es Vermessenheit? dachte er, und sein Herz wurde -plötzlich düster. Vielleicht hat ein Mensch wie ich gar nicht mehr das -Recht, die Hand auszustrecken nach ...! Ellen -- die Liebliche -- sie -ahnte nichts, wie sollte sie? - -In diesem Augenblick aber sprang Munki auf den Tisch und versuchte ein -geröstetes Hähnchen mit der Kralle zu angeln. Ellen gelang es gerade -noch in der letzten Sekunde, den Kater abzufangen. Sie warf ihn ein -paarmal hoch in die Luft, um ihn dann an ihr Herz zu drücken und seinen -wilden struppigen Kopf mit Küssen zu bedecken. Ihr Lachen klang so -heiter und glücklich, daß Schwedenklee augenblicklich mit fortgerissen -wurde. Der Kater hatte den Abend gerettet. - -Schwedenklee erhob sich und füllte mit der großen Geste des erfahrenen -Zechers die Kelche. Fort mit den törichten Gedanken, fort! Gehen wir dem -Schicksal beherzt entgegen ... - -»Auf deine Gesundheit, Ellen!« rief er und ließ das Glas im Lichte der -Kerzen funkeln. - -»Sekt?« sagte Ellen. »Ich habe noch nie Sekt getrunken, es ist das -erstemal!« - -»Versuch' es nur! Es ist noch niemand daran gestorben.« - -»Er kitzelt!« rief Ellen und lachte. - -In wunderbarer Laune verlief das Diner. Schwedenklee wurde gesprächig. -Sie tranken auf Ellens Zukunft, ihren Ruhm, sie tranken auf ihre -Freundschaft und auf die Herrlichkeit dieses Sommers. Der Sekt hatte -Schwedenklees Gesicht gerötet, seine Augen glänzten, sein Gebiß -leuchtete jung und stark. Er fühlte sich wieder als derselbe lebensfrohe -Schwedenklee, der er in Paris war, seinerzeit. Zwanzig Jahre -- was -sollen sie bedeuten, es ist nur ein albernes Vorurteil ... Nein, damals -gab es nichts Unmögliches für ihn -- und heute? - -Schwedenklee leerte den Kelch und warf ihn lachend gegen die Wand. - -Ellen saß mit blendenden Augen, umweht vom Schein der Kerzen. Ihre Haut -leuchtete wie Blüten. Häufig kühlte sie die heißen Wangen mit den Rücken -der schmalen Hände. Sie lachte übermütig, und schon nach dem dritten -Glas lachte sie ausgelassen über die geringste Kleinigkeit. Sie fütterte -die Tiere mit Leckerbissen, und Strolly, obschon ein großer Hund, durfte -auf ihrem Schoß sitzen. - -»Unser Haus ist also glücklich fertig!« sagte Schwedenklee. »Nun beginnt -die Einrichtung. Es soll wunderbar werden, warte nur! Ein so behagliches -Nest wollen wir uns bauen, und hörst du, ein Bett soll Ellen bekommen -- -wie ein Traum!« - -»Ja, wie eine Muschel soll es sein und ganz in Spitzen eingehüllt --« - -»O, wie fein!« lachte Ellen. - -»Und dann werden wir hier in Mecklenburg herumfahren und antike hübsche -Möbel zusammenkaufen.« - -Ausführlich besprachen sie die Einrichtung des Hauses. Schwedenklee -wurde nicht müde, neue Vorschläge zu machen. - -»Und welche Farbe soll dein Schlafzimmer bekommen, Ellen?« - -Ellen dachte lange nach. »Rosa!« rief sie. »Weißt du, so ein zartes -Rosa, wie Korallen.« - -»Und dein Wohnzimmer?« - -»Himmelblau!« - -Schwedenklee lächelte. Ob wohl die Farben zusammenstimmen würden? - -»Weshalb sollten sie nicht zusammenstimmen?« - -»Gut also -- und dann das Badezimmer. Blattpflanzen, Palmen, Gummibäume, -Farne, Kakteen -- es wird wie ein Palmenhaus sein, Ellen!« - -Wohl eine volle Stunde wurde über das Badezimmer gesprochen, das das -schönste und originellste in ganz Deutschland werden würde. Dafür sollte -sein, Schwedenklees Name bürgen! - -»Aber Arbeit! Viel Arbeit. Bis alles soweit ist, wird auch schon der -Herbst da sein, Ellen!« - -»Oh, weh!« - -»Ja. Und dann werden wir nach Berlin zurückkehren und du wirst deine -Studien wieder aufnehmen. Ich werde dich zu den ersten Lehrern bringen. -Viele kenne ich ja persönlich.« Schwedenklee renommierte ein wenig mit -seinen Bühnenbekanntschaften. - -Ellen war hell begeistert. »Wie ich mich auf die Arbeit freue! -Hoffentlich enttäuscht mein Talent nicht.« - -»Weshalb sollte dein Talent enttäuschen? Ich sage dir nur eines« -- -Schwedenklee lächelte vielsagend und zwinkerte ein wenig mit den Augen --- »du hast mehr Talent, als du je ahnen kannst, ja!« - -»Mein Himmel!« Ellen wirft erregt die Hände in die Luft. - -»Du wirst also deine Studien aufnehmen. Aber wir werden immerhin noch -Zeit haben, um im Winter auf vierzehn Tage nach St. Moritz zu fahren.« - -»St. Moritz?« - -»Ja. Es ist phantastisch im Winter. Es gibt dort Häuser, zehnstöckig -- -wie in Neuyork. Du wirst sehen. Es ist wunderbar. Am Tage Sport, abends -Tanz.« - -»Und dann,« fuhr Schwedenklee fort, »im Frühling fahren wir auf einige -Wochen nach Florenz. Du sollst Florenz sehen! Ein Schmuckkästchen! Ein -Museum! Die Straßen allein sind schon ein Museum!« - -»Wie herrlich!« - -Schwedenklee entwarf Plan um Plan. Schön und berauschend stand die -Zukunft vor ihm. - -Augusta hatte längst abserviert. Die Kerzen erloschen, es brannten nur -noch drei. Da sah man auch plötzlich den dunkeln Nachthimmel, flimmernd -von Sternen, in der offenen Türe stehen. Es funkelten die großen -Sternbilder, deren Namen Schwedenklee sich nie merken konnte. -Berauschend strich der Atem der Sommernacht ins Zimmer, die Grillen -feilten. Wolken von Düften hoben sich aus der trächtigen Erde. - -Plötzlich knatterte es und am Himmel erschienen farbige Leuchtkugeln und -Feuerräder. Rote Lohe schlug aus dem Meer empor, und die Sterne wurden -bleich und unscheinbar. - -Nein, Ellen hatte noch nichts von der Welt gesehen, noch gar nichts. -Aber ihre Augen weiteten sich, heiß vor Begierde, wenn er erzählte. -Höher noch schwang sich die feine Braue, und die Lippen atmeten erregt. - -Er also war ausersehen, er, ihr die Wunder der Erde zu zeigen, ihr -keusches Staunen, ihre reine Verzücktheit zu genießen! Er! Dank den -erhabenen Göttern ... - -Dann also würde er ihr Paris zeigen: wimmelnde Stadt, immer auf den -Beinen, ohne Schlaf, bebend von Lärm, widerhallend von Freude, -schwimmend in Licht. - -Und dann also -- - -Erregt ging Schwedenklee hin und her, von den großen Sternbildern zu -Ellen mit den glänzenden Augen und heißen Wangen, immer hin und her. - -Auch auf einem großen Dampfer war sie ja noch nicht gewesen: surrend und -tobend Tag und Nacht, das kühle gischtende Meer durchschneidend, -angefüllt mit Luxus und Behaglichkeit. Meer, Wolken -- unbeschreiblich -herrlich! Nein, sie hatte ja noch nichts, gar nichts gesehen -- wie -glücklich er war! - -So würden sie also dahinfahren, Tag um Tag. Indien! Japan! - -»Japan?« rief Ellen und schlug die kleinen Hände zusammen. - -»Ja, Japan. Ich bin ja auch noch nicht dagewesen, aber es soll ein -einziges Wunder sein. Man fährt in kleinen Wagen dahin, von braunen, -flinken Burschen gezogen -- die Teehäuser, die Tempel -- und die ganze -Bevölkerung in Kimonos und auf hohen Stöckelschuhen. Da gibt es einen -Berg, den man immer auf den Holzschnitten abgebildet sieht -- wie heißt -er doch? Fujiyama! Diesen Fujiyama wollen wir besteigen!« - -Wie Ellen sich freute zu reisen, die Welt zu sehen! Denn sie hatte ja -bis jetzt nichts gesehen. Sie kannte nur Dresden, Berlin, und einmal war -sie in Potsdam gewesen. - -Man höre! Schwedenklee lachte laut heraus. - -Und wieder ging Schwedenklee erregt hin und her, von den großen -Sternbildern zu Ellen, von Ellen zu den großen Sternbildern. Immer -größer wurden seine Schritte. Seine Stimme klang plötzlich unsicher. - -Sie würden also reisen, und er versprach, ihr die Welt zu zeigen, so -wahr er hier auf und ab gehe. - -»Aber«, begann Schwedenklee tastend, »in welcher Form -- ich meine, in -welchem gegenseitigen Verhältnis werden wir zusammen reisen?« - -Ellen verstand nicht. - -»Ich meine, in welcher Eigenschaft wirst du mit mir reisen?« -Schwedenklee blieb stehen, sein Herz pochte. - -»In welcher Eigenschaft?« Ellen saß mit offenen Lippen. Sie konnte gar -nicht begreifen. - -»Ja.« Aus lauter Hilflosigkeit runzelte Schwedenklee die Stirn. »Du -kannst doch nicht etwa als meine Nichte mit mir reisen, oder als meine -Sekretärin.« - -Ellen lachte laut heraus! - -Ihr Lachen ermutigte Schwedenklee wieder. Er verlor etwas seine -Befangenheit. »Auch als meine Tochter doch wohl nicht?« fragte er. - -»Nein!« Ellen schlug sofort die Augen nieder. - -Mutig ergriff Schwedenklee ihre beiden Hände. Er bemühte sich, seiner -Stimme einen heiteren, harmlosen Klang zu geben, als er fortfuhr: »Dann -bleibt ja nur eines, Ellen --?« - -Groß und hell bis in die tiefsten Tiefen waren Ellens Augen auf ihn -gerichtet. Sie errötete, ein zarter Gluthauch überzog blitzschnell -Gesicht und Nacken. Ja, nun hatte sie verstanden. Ihre Arme begannen -leise zu zittern. Sie zog die Hände an sich, schob den Sessel weit -zurück und stand auf. - -»Sprich nicht!« rief sie und hielt sich die Ohren zu, da sie sah, daß -Schwedenklee Miene machte, weiterzusprechen. Sie schüttelte hastig den -Kopf, in entzückender Verwirrung. »Nicht heute, nicht jetzt, frage nicht ---« stammelte sie -- »wie sollte ich heute antworten können? Sprich -nicht -- morgen ...« - -»Gut, dann morgen. Ich wollte dich nicht erschrecken, Ellen. Gute -Nacht.« Er streckte ihr die Hand hin. - -Sie nahm seine Hand. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals, so sanft, daß -er sie kaum fühlte, und bot ihm -- zum erstenmal -- die Lippen zum -Gutenachtkuß. Ihr Mund war heiß und weich. - - * * * * * - -Fiebernd, mit heißem Kopf, trat Schwedenklee ins Freie. - -»Ihr Sterne!« sagte er zu den großen Sternbildern, trunken vom Sekt, -berauscht von seinem Glück, und blickte lange zum flimmernden Firmament -empor. »Du grundgütiger Himmel, herrlich und wunderbar ist das Leben!« - -Es war ja wohl kein Zweifel, daß sie einwilligen würde. Immer noch -fühlte er ihren heißen, weichen Mund auf seinen Lippen. So zart, wie ein -Hauch nur. - -»Ja, dies ist die Lösung, und ich werde glücklich sein!« - -Mit glühenden Schläfen ging Schwedenklee lautlosen Schrittes durch das -taunasse Gras. Der Schweiß rann ihm über das Gesicht. Kühle hauchte vom -Walde her. Sternschnuppen schossen über den Himmel. - -Schwedenklee träumte, die Augen weit geöffnet. »Und immer wird sie um -mich sein,« flüsterte er, »am Morgen, am Mittag, in der Nacht. Immer -werde ich sie sehen, fühlen, sie wird plaudern, und ich werde entzückt -sein, nur ihre Stimme zu hören.« - -»Ich werde mit ihr reisen. Ich habe ja Geld, ich kann alles, alles -bezahlen! Wenn es sein muß, verkaufe ich die Bauplätze! Die Menschen -werden auf der Straße, in den Dielen der Hotels die Hälse verdrehen. Und -meine Bekannten werden sagen: Seht an, Schwedenklee, ja, das ist ein -Bursche!« - -»Schwedenklee, geschworener Gegner der Ehe, wird also plötzlich -heiraten? Seht an! Nun, laß sie reden. Eine junge Frau, die reizendste -Frau der Erde werde ich haben -- und glücklich sein -- laß sie reden ---!« - -»Vielleicht aber --?« - -Schwedenklee ging hastig weiter, über ein gemähtes Kleefeld, im -silbernen Licht der Sternennacht. - -»Vielleicht aber werde ich Kinder haben? Kinder? Ich, der Väter, die -ihre Sprößlinge spazieren führen, immer ungeheuer komisch fand -- nun -weshalb nicht? Man wird sie baden, pudern, pflegen -- sie werden -schreien -- aber was schadet es, laß sie nur schreien. Sie werden süß -sein. Und Ellen -- dieses süße Wesen, selbst noch ein Kind -- Mutter!« - -Schwedenklee blieb erschüttert stehen. Sternschnuppen fegten über ihn -hin. - -»Eins, zwei, drei --« zählte Schwedenklee. »Also drei Kinder! Gut!« - -»Sie, die selbst noch so zart ist, ein Kind fast --!« - -»Überlegen wir: mein bisheriges Leben -- nein, keine Reue, keine -Vorwürfe -- was geschehen ist, ist geschehen -- aber es wird von nun an -_Sinn_ in mein Dasein kommen, dieses In-den-Tag-hinein-Leben hat ein -Ende.« - -Ein Verzauberter, ging Schwedenklee über die Felder. Süß stieg der -Geruch der Erde auf. Nie in seinem Leben hatte er diesen Glanz der -Gestirne gesehen. - -»Und wir werden reisen, und alle werden mich beneiden! Welch ein junges, -herrliches Wesen er sich erobert hat, werden sie sagen, seht an, dieser -tolle Knabe! Und sie -- Ellen -- eine schlechte Partie wird sie ja nicht -machen. Nein, das kann wohl niemand behaupten ...« - -»Und wodurch habe gerade ich dieses Glück verdient?« fragte -Schwedenklee. »Durch nichts, durch nichts ...« - -»Durch nichts!« rief er triumphierend und herausfordernd. »So ist das -Leben!« - - - - - 25 - - -Schwedenklee schlief in dieser Nacht wunderbar! Er träumte angenehm: er -packte Koffer, Koffer, streute Trinkgelder um sich, Scharen von Kellnern -dienerten, Autos rollten, Dampfer tuteten, beglückt fühlte er Ellens -Gegenwart in jeder Sekunde, ohne daß er sie eigentlich je sah -- sie -waren unterwegs. - -Spät am Morgen erwachte er, dampfend und erfrischt vom Schlaf. Es war -fast schon neun Uhr. Ellen hatte soeben gefrühstückt und erhob sich vom -Tisch, als er eintrat. - -Sie errötete, rasch und tief -- augenblicklich mußte er wieder an ihre -heißen, weichen Lippen denken -- flüchtig, mit einer gewissen Hast, -berührten ihre kühlen Finger seine Hand. - -»Was für Langschläfer wir doch sind!« rief sie lachend aus. »Ich habe -einen richtigen Katzenjammer!« Und sie strich sich mit den Fingerspitzen -über die Schläfen, so daß die Hände ihr Gesicht verbargen. »Und was für -törichte Dinge ich wohl geschwatzt haben mag, heute nacht?« - -Schon war sie zur Türe hinaus. - -Schwedenklee fand ihre mädchenhafte Verwirrung entzückend. Sie schämte -sich, ohne jeden Grund. Wie herrlich, diese Reinheit! - -Nein, er hatte natürlich nicht erwartet, daß sie ihm um den Hals fallen -würde, keineswegs. Sie war ein junges Mädchen, vor eine bedeutsame Frage -gestellt, sie mußte Zeit zur Überlegung haben -- er würde weder mahnen -noch drängen, nicht, daß man einmal sagen könnte, er habe sie -überrumpelt. - -Und doch ... - -Nein, nein, Schwedenklee war gewissermaßen dankbar, daß sich die erste -Begegnung nach seinem Antrag so und nicht anders abgespielt hatte. - -Er frühstückte mit gutem Appetit. Aber, während er ein Ei in der Hand -aufschlug, konnte er doch den Gedanken nicht unterdrücken, daß es -schließlich nicht nötig war für Ellen, so rasch, so verwirrt und -verlegen wegzulaufen. Nein, nein, ganz unter uns, er hätte es hübscher -und richtiger gefunden, wenn sie ihm zum Beispiel beim Frühstück -Gesellschaft geleistet hätte. - -Mit einer kleinen Falte in der Stirn zerlegte er eine Sardine. - -Schwedenklee begann den Tag mit einer gewissen Feierlichkeit. Er ging -bedächtig durch die Ställe, was er selten tat, er sprach lange und fast -freundschaftlich mit dem Pächter, er stand und blickte über Felder und -Äcker. Hell glänzte der Tag, eine Lerche schmetterte im Sonnendunst, -sein Herz wurde heiter und froh. - -Trotzdem -- je länger er stand und in den hellen Tag hineinblickte -- -desto leerer und verwirrter wurde es in seinem Herzen. Er fühlte sich -vereinsamt, verlassen, der Glanz des Tages bedrückte ihn. Obschon er -sich geschworen hatte, Ellen in ihrem Versteck im Walde nie mehr zu -belauschen, trieb ihn doch ein unwiderstehliches Verlangen, sie zu -sehen, hinein in den Wald. Er pirschte sich vorsichtig durch das -Erlengebüsch, erschreckend bei jedem Knacken eines Astes. Die Naturbühne -aber war verlassen. Ellen war nicht da. - -Schwedenklee kehrte enttäuscht in den Garten zurück und nahm, um die -Langeweile zu verscheuchen, die Leere, mit übertriebenem Eifer seine -Arbeit auf. Der Garten, muß man wissen, stieg von der Eingangspforte zur -Treppe des Hauses sanft an. Schwedenklee beabsichtigte, diese Steigung -in zwei Terrassen abzubauen, die, mit Stauden und Sommerblumen -bepflanzt, dem Vorgarten ein heiteres und repräsentatives Gepräge geben -sollten. Schon seit Wochen war er mit dieser Terrassierung beschäftigt, -die Arbeit würde noch Wochen beanspruchen. - -Eifrig handhabte er den Spaten. Die Sonne stach scharf ins Genick. Und -Ellen, wo war sie? - - * * * * * - -Plötzlich hörte er eine Stimme, eine kernige, helle, etwas -selbstbewußte, ja arrogante Männerstimme. - -»Erlauben Sie mal, hören Sie mal!« rief diese Stimme. - -Schwedenklee richtete sich auf. Ein dicker Schweißtropfen lief über -seine Nase. - -An der Gartentüre stand ein junger Mann. So unangenehm ihn der -selbstbewußte, herrische Ton der Stimme berührt hatte, so sympathisch -erschien ihm zu seiner Überraschung das Aussehen des jungen Mannes. Er -war ein hübscher, großer Bursche mit gebräuntem Gesicht und hellen -blauen Augen, blonden, strähnigen Haaren, die flott zurückgebürstet -waren. Das Gesicht strahlte Jugend, Gesundheit und Selbstvertrauen. Er -trug einen lichtgrünen Touristenanzug, graue Wickelgamaschen, gelbe -Schuhe und einen weichen, breiten Kragen. Keinen Hut. Ein Badegast, -dachte Schwedenklee. Häufig verirrten sich Badegäste an seine Türe. - -»Sind wir hier richtig?« rief die helle, selbstsichere Stimme. »Ist dies -die Residenz des Herrn Schwedenklee?« - -Schwedenklee, etwas verwundert, nickte. - -»Nun wohl, Dank den erhabenen Göttern!« - -Der junge Mann klinkte die Türe auf und stieg die Stufen empor. - -In der Geste des Aufklinkens der Pforte, in der Art des Eintretens -erkannte Schwedenklees geschultes Auge sofort die Bühne. - -Etwas unwillig stach er den Spaten in die Erde und wischte sich den -Schweiß vom Gesicht. - -»Und wo, teurer Freund,« fuhr der Eindringling mit strahlender Miene und -einer höflichen Verbeugung fort, »wo können wir diesen sagenhaften -Millionär Schwedenklee finden?« - -»Schwedenklee, das bin ich.« - -Lachend, mit übertriebenem Erstaunen trat der Gast einen Schritt zurück. -»Sie? Verzeihen Sie, man sagte mir: ein _älterer Herr_! Es ist mir eine -Ehre, mich Ihnen zu Füßen zu legen: Richard Pohl -- nicht zu verwechseln -mit dem berühmten Nord- oder Südpol gleichen Namens -- Mitglied der -Vereinigten Sommertheater in Hamburg.« Kräftig und zutraulich schüttelte -er Schwedenklees Hand. »Also Sie sind es, dessen Güte die Himmel rühmen? -Es ist mir eine hohe Freude!« - -»Seit einigen Tagen bin ich hinter Ihnen her«, fuhr Pohl gesprächig und -lebhaft fort. »Sie sehen eine Art Odysseus vor sich! Ja, in der Tat, es -ist nicht leicht, Sie zu finden, Ehrwürdiger, und selbst hier im Ort -hatte ich noch Mühe. Aber nicht Sie suche ich eigentlich, obschon es -sich der Mühe lohnte, sondern eine Dame: Ellen Blank!« - -Aus der weitschweifigen Erzählung erfuhr Schwedenklee, daß Pohl mit der -Familie Blank schon seit der Dresdener Zeit bekannt war. Er war der Sohn -eines Musikers der Dresdener Oper, und Blank war sein erster Lehrer -gewesen. Zufällig hatte er in einer Fachzeitung von Blanks Tod gelesen. -Er schrieb einen Brief an Ellen nach Berlin, bekam ihn aber als -unbestellbar zurück, mit einem zweiten Brief erging es ihm ebenso. -Sobald seine Tätigkeit es ihm erlaubte, fuhr er nach Berlin, um Ellens -Spur aufzufinden, was ihm erst nach vieler Mühe gelang, nachdem er die -Hilfe der Polizei in Anspruch genommen hatte. Ja, und nun also war er -endlich hier, und er strahlte vor Freude und Genugtuung, sein Ziel -erreicht zu haben. - -Schwedenklee hörte ihm mit zerstreuter Miene zu. Ganz offen gestanden, -zu keiner Zeit hätte ihm der Besuch ungelegener kommen können als gerade -heute, an einem solch ungeheuer bedeutsamen Tage. - -»Welcher Teufel führt ihn gerade heute hierher!« dachte er, während Pohl -seiner Bewunderung über die herrliche Aussicht beredten Ausdruck -verlieh. Diese Aussicht riß ihn derart hin, daß er Miene machte zu -singen. »Gerade heute, da ich auf Ellens Bescheid warte und nicht weiß, -was ich vor Ungeduld tun soll!« Die überschäumende Fröhlichkeit und -heitere Natürlichkeit des Sängers -- trotz seiner etwas erkünstelten -Redeweise -- söhnten ihn indessen rasch wieder aus. »Nun gut, er wird -über Mittag bleiben, und am Abend sind wir ihn wieder los!« - -»Einen kleinen Imbiß werden Sie wohl nicht abschlagen?« Immer wenn -Schwedenklee in Verlegenheit war, bot er seinen Gästen zu essen oder zu -trinken an. - -Pohl aß mit vorzüglichem Appetit. Er hatte seit Tagen, während seiner -Irrfahrt, nur sehr wenig zu sich genommen. Mit Genuß schlürfte er eine -kleine Flasche Bordeaux. - -Ellen war noch immer nicht zurückgekehrt. - -Pohl wollte sie im Walde suchen, aber Schwedenklee machte ihm klar, daß -der Wald tief und labyrinthisch sei und Ellen ihre geheimen -Schleichpfade habe. - -»Gut, so werden wir sie rufen!« - -Schwedenklee lächelte. - -Aber Pohl kümmerte sich nicht darum. Er trat einen Schritt vor, reckte -sich in die Höhe und legte die Hände an die Wangen. Dann pumpte er die -breite Brust voller Luft und schrie: »Ellen!« Schwedenklees Ohren -gellten, der Ruf fuhr hell dahin, das Echo klang aus dem Walde. In der -Ferne arbeiteten Landleute auf dem Felde, sie alle hoben die Köpfe. - -»Sie werden sehen, es wird nicht lange dauern und wir haben sie hier. -- -Ellen!« Noch lauter hallte der Ruf. Die Luft schmetterte, der ganze Wald -hallte. Laut und hell antwortete das Echo. Die Pferde, die in der Koppel -grasten, blieben stehen und blickten neugierig herüber. - -Das Sonderbare geschah: kurz nach Pohls drittem Rufe erschien etwas -Gelbes zwischen den Büschen. Es war Strolly, hoch auf den Beinen -stehend, den Kopf gehoben. Dann teilten sich die Brombeerstauden, und -Ellen sprang auf den Acker. Ihr weißes Kleid flatterte im Winde. - -Pohl rief und schwenkte die Arme. Ellens Haltung war ganz Staunen. Sie -erkannte ihn nicht. Plötzlich aber stieß Ellen einen hohen Schrei aus -und winkte und begann zu laufen. Wie der Wind flog der blonde junge -Bursche ihr entgegen, und während er lief, lachte und rief er. - -Schwedenklee kehrte, etwas übelgelaunt, zu seinem Terrassenbau zurück. -Er wollte bei der Begrüßung nicht stören. - - * * * * * - -Ellen erschien bei ihm. Sie umschlang ihn freudig mit den Armen. »Ich -habe Besuch bekommen!« rief sie, glühend vor Erregung. »Richard ist -gekommen! Ich muß Augusta verständigen. Er hat Zeit bis zum Frühzug. -Augusta muß ihm ihr Zimmer abtreten. Du bist doch einverstanden, daß er -bei uns bleibt? Ich kenne Richard schon seit sieben Jahren.« - -»Du bist ja die Herrin im Haus!« antwortete Schwedenklee schweißtriefend -und strich etwas verlegen über ihre heiße Wange. - -Ellen stürzte ins Haus. - -Das Mittagessen verlief in ausgelassener Stimmung. Ellen konnte kaum -einen Bissen über die Lippen bringen, so sehr mußte sie über Pohls -Schnurren und seine drollige Ausdrucksweise lachen. Er hatte eine Anrede -für Schwedenklee gefunden, die sie begeisterte! Er nannte Schwedenklee, -etwas keck und zutraulich nach einer so kurzen Bekanntschaft: Don -Philipp! - -»Don Philipp! Wie herrlich der Name zu dir paßt!« lachte sie, indem sie -sich an ihn schmiegte. - -Nach Tisch legte sich Schwedenklee aufs Ohr. Er war noch müde vom -gestrigen Abend. Nach einstündigem Schlaf erwachte er: in vorzüglicher -Laune. Er war nunmehr direkt erfreut über Pohls Besuch! Seit vielen -Wochen war er mit Ellen allein, ihre Gespräche waren etwas monoton -geworden, viele Gesprächsstoffe nahezu erschöpft. Oft war es etwas sehr -still auf Siebenbirken, nicht für ihn, o nein, er liebte die Ruhe, aber, -wie er fand, für Ellen. Der Besuch regte sie an. Es war sehr wohltuend, -daß ein Hauch der Umwelt in das Leben auf Siebenbirken strich. - -»Don Philipp, Edler von Siebenbirken -- Pauken und Tusch!« begrüßte ihn -Pohl, der mit Ellen in der hellen Sonne auf einem Heuhaufen der gemähten -Wiese saß. (Schon mußte Ellen wieder laut herauslachen!) »Habt die -Gnade, das Programm entgegenzunehmen, das wir für Euch, um unsere -Ergebenheit zu bezeigen, entworfen haben: Zuerst die olympischen Spiele, -die sofort ihren Anfang nehmen. Sodann Festtafel bei Don Philipp mit -königlichen Weinen. Hierauf Festvorstellung im Hoftheater Euer -Durchlaucht: Figaros Hochzeit. Später Divertissements, Empfang, Defilé, -Cour. Genehm? -- Anfang! Don Philipp befiehlt den Beginn! Pagen heran! -Zurück der Pöbel!« - -»Ich starte,« fügte Pohl rasch hinzu, »nimm die Uhr, Ellen. Los!« Wie -ein fliehender Hirsch umrundete er die Wiese. Nie in seinem Leben hatte -Schwedenklee solch einen Läufer gesehen. - -»Ellen Blank!« schrie Pohl. Und Ellen lief. Schwedenklee war ergriffen, -als er sie laufen sah. Sie schleuderte die Knie, daß man ihre Wäsche -sah. Ihr Haarschopf fiel herunter und sie steckte ihn im Laufen auf. -Während sie lief, schrie sie aber ununterbrochen vor Vergnügen und -Erregung. - -Nun kam die Reihe an Schwedenklee. Er tat sein Bestes, um sich nicht zu -blamieren. Blutrot und schwitzend kam er an. - -»Don Philipp hat gewonnen!« entschied Pohl. Er behauptete allen Ernstes, -daß Schwedenklee ihn um zwei Sekunden geschlagen habe, und überreichte -ihm mit feierlicher Ansprache einen Birkenzweig. - -Es ist eine Tatsache, daß Erwachsene viel kindischer sein können -- in -besonderen, seltenen Stunden -- als Kinder, und es kann als Maßstab -ihrer Unverdorbenheit und Güte gelten, wenn sie diese Fähigkeit noch -besitzen. - -Jedenfalls, je länger die olympischen Spiele währten, desto -ausgelassener wurden die drei. - -Pohl war unerschöpflich an Erfindungen. Es gab Läufe, Sprünge, Hüpfen -auf einem Bein. Dann mußte man mit einer Hand an einem Aste hängen. -Schwedenklee hing, bis er blau im Gesicht wurde. Er schlug alle Rekorde. - -Zuletzt kam der Sprung in den Strohhaufen -- vom Dache des Stalles aus, -drei Meter tief. Pohl sprang im Hechtsprung, als spränge er ins Wasser. -Ellen sprang mit festgehaltenen Kleidern, schreiend und lachend. -Schwedenklee riskierte einen Purzelbaum. Kaum aber war er ins Stroh -versunken, so spürte er, wie die beiden über ihn herfielen und ihn immer -wieder mit Stroh bedeckten. Völlig außer Atem (und fast etwas böse!) -wühlte er sich endlich heraus. Er war mit Strohhalmen gespickt und sah -so komisch aus, daß Ellen laut herauslachen mußte. - - * * * * * - -Pohl kniete vor ihm. »Don Philipp, nehmet mein Haupt!« - -Schwedenklee hatte seine gute Laune schon wiedergefunden. - - - - - 26 - - -Nach dem Abendessen -- diesmal hatte Ellen die Kerzen angezündet! -- -wurde programmäßig »Figaros Hochzeit« aufgeführt. - -Richard sang Figaro -- vollendet, mit einer frischen, kernigen Stimme, -er agierte, als stände er auf der Bühne. Ellen hatte -- sehr erregt -- -Susanna und Cherubino übernommen. Sie sang schön, rührend, mit leicht -zitternder Stimme. Was übrigblieb, fiel Schwedenklee zu, der sich recht -und schlecht aus der Affäre zog. - -Es war -- alles in allem -- ein wundervoller Sommertag, ein Tag, der -kein Ende zu nehmen schien. Die Divertissements fielen aus. Ellen wurde -ins Bett geschickt, da ihre Augen vor Müdigkeit fieberten. - -Die Herren aber saßen noch bei einer Flasche Wein. - -»Eine neue Flasche, Don Philipp!« - -»Sofort!« - -Nach der dritten Flasche bot Pohl Schwedenklee die Brüderschaft an. Sie -stießen an. - -»Selten habe ich einen solch prachtvollen Menschen kennengelernt wie -dich, Don Philipp!« schrie Pohl, indem er begeistert aufsprang. - -Schwedenklee kletterte nun selbst in den Keller, um einen ganz -besonderen Rheinwein zu holen, einen seltsamen Jahrgang. - -»Und nun Schluß mit all den Dummheiten!« rief der Sänger aus. »Ein -ernstes Wort. Daß du dich des armen Blank erbarmt hast, das soll dir -ewig unvergessen bleiben! Daß du dich aber wie ein Vater Ellens -annahmst, das wird dir Gott im Himmel persönlich danken! Dafür laß dich -umarmen, bester aller Menschen!« - -Pohl drückte Schwedenklee an seine Brust und küßte ihn. Beide hatten -Tränen in den Augen. - -Es war das erstemal, daß Schwedenklee von einem Mann geküßt worden war. - - - - - 27 - - -Am gestrigen Tage hatte sich wahrhaftig keine Gelegenheit geboten, mit -Ellen über die Dinge zu sprechen, die Schwedenklee so sehr am Herzen -lagen. Dieser unglaubliche Bursche, der wie ein Meteor vom Himmel -gefallen war. - -Heute -- um die Wahrheit zusagen --, Schwedenklee war mit etwas schwerem -Kopf aufgestanden, er war müde, verschlafen, apathisch und freute sich -während des ganzen Tages schon auf die Stunde des Schlafengehens. Welch -ein Glück, daß dieser Pohl, so amüsant er auch war, am Mittag wieder -abreiste! - -Aber trotz seiner Müdigkeit beobachtete Schwedenklee, oder sollte er -sich täuschen? -- daß mit Ellen seit gestern eine Veränderung vor sich -gegangen war. Sie schien merkwürdig erregt, sie lachte ohne jeden Grund, -zerstreut lief sie hin und her, den ganzen Nachmittag war sie mit ihrer -Wäsche und Garderobe beschäftigt. - -Von der Antwort auf die bewußte wichtige Frage war nicht die Rede! -Vergebens wartete Schwedenklee auf ein Wort, einen Blick. Sie stammelte -erregt, wenn sie mit ihm sprach, ihr Blick flackerte, sie errötete, -schlug die Augen nieder. Es schien ihm sogar, als ob sie ihm auswiche -... - -Am nächsten Tage aber glaubte Schwedenklee zu seinem nicht geringen -Staunen zu beobachten, daß Ellen ernsthaft damit beschäftigt war, -einzupacken. - -Die Sache war, kurz gesagt, die: der Direktor der Vereinigten -Sommertheater in Hamburg war Pohls bester Freund. Es bestand, wie Pohl -versichert hatte, gar kein Zweifel, daß er Ellen engagieren würde. Im -Sommer sollte sie sich in kleineren Rollen einspielen, um im Herbst mit -dem Ensemble nach Bremen überzusiedeln. Ein gutes, ein vorzügliches -Theater! Der Zufall hatte ihr eine herrliche Gelegenheit geboten, eine -geradezu selten günstige Gelegenheit, ihre Laufbahn zu beginnen. War -Ellens glückliche Verwirrtheit nicht verständlich? - -Natürlich. Oh, Schwedenklee verstand ja wohl manches, er verschloß sich -keineswegs vernünftigen Gründen, er wußte nur zu gut, daß eine Frau, die -sich die Bühne in den Kopf gesetzt hatte, durch nichts abzubringen war. -Aber, hatte sie, Ellen, denn ganz vergessen, daß sie ihm auf eine -bestimmte Frage eine bestimmte Antwort schuldig war? - -Er bemühte sich, die Sache von der scherzhaften Seite zu nehmen. »Du -hast ja noch Zeit, Ellen, wozu diese Aufregung?« - -»Ich muß bereit sein, wenn das Telegramm kommt!« schrie Ellen. - -Ja, sie schien es in der Tat ganz vergessen zu haben. Allen Andeutungen, -die er wagte, wich sie aus. So oft er sie »antwortheischend« ansah -- -oh, sie verstand seinen Blick sehr wohl! --, geriet sie in hilflose -Verwirrung. Sie lenkte sofort errötend ab, sie sprach von ihren Plänen, -Erwartungen, und beschwor ihn, nicht nach Hamburg zu kommen, wenn sie -das erstemal auftrat. Sie würde auf der Bühne kein Wort hervorbringen -können. Aber er mußte ihr versprechen zu kommen, sobald sie einigermaßen -eingespielt wäre. - -»Aber, ich sehe schon, du wirst nicht kommen, Don Philipp. Du wirst mich -rasch vergessen!« sagte sie mit hochgezogener Braue. - -Also, er würde _sie_ vergessen? Schwedenklee fand vor Erstaunen kein -Wort der Entgegnung. - - * * * * * - -So vergingen zwei Tage in Unruhe und Spannung. Dann aber sah Ellen den -Depeschenboten an der Gartentüre, und sie rannte ihm entgegen. - -Strahlend vor Freude schwenkte sie das Telegramm. - -Sie umarmte Schwedenklee. »Er hat mich engagiert!« schrie sie in größter -Erregung. »Der Direktor war verreist, daher die Verspätung!« Rasch löste -sie sich aus der Umarmung und stürzte zu Augusta und beschwor sie, ihr -zu helfen, sie wisse weder aus noch ein. - -»Mein Gott, Augusta, ob die Wäsche noch trocknen wird?« - -Schwedenklee fühlte, daß er erbleichte: er wußte nun, daß sie ihn -verlassen würde. - -War es zu glauben: in diesen wenigen Tagen hatte Ellen alles vergessen, -das Badezimmer mit den Palmen, Florenz, Paris, Japan -- sie dachte gar -nicht mehr daran. Sie hatte auch ganz vergessen, daß sie ihm versprochen -hatte, auf eine gewisse Frage zu antworten ... - -Aber nein, nein, sie hatte nicht vergessen. Sie dachte vielleicht jede -Sekunde daran! Sie stammelte, errötend, verlegen, voller Scham: »Du -verstehst mich doch? Ich freue mich, tätig zu sein, ich freue mich -_anzufangen_. Es ist ja so schön bei dir, du weißt es, aber --! Ich muß -ja zusehen, mir mein Leben selbst zu gestalten. Du verstehst mich doch?« - -Schwedenklee verstand alles! - -»Ich verstehe sehr wohl!« sagte er, lächelnd, nachsichtig, verzeihend. - -Aber diese Nachsicht schien sie zu quälen. »Nein, du verstehst mich -vielleicht doch nicht?« - -»Doch, ich verstehe dich, Ellen.« - -Ihr Blick ruhte groß und voller Scheu auf ihm, während ihre Hände seine -Wangen streichelten. Genau so zart und sanft, mit zitternden Fingern, -wie die Hände ihrer Mutter -- seinerzeit in Paris ... - - - - - 28 - - -Schwedenklee sitzt in der Nacht auf der Treppe des Hauses. Das Haus ist -dunkel, schwarz der Wald, Schwedenklee sitzt in völliger Finsternis. -Zuweilen schlägt Feuer aus der Treppe des Hauses: das ist Schwedenklees -Zigarre, die Funken stiebt. - -Heute, morgen, übermorgen sitzt Schwedenklee in der Nacht, und nur -zuweilen fahren wilde Funken aus seiner Zigarre. - -Ruhelos rennt der Hund hin und her, die Nase am Boden. Durch den Garten, -über die Felder, in den Wald, immer die Nase am Boden, alten Spuren -nach. In der Nacht fällt Regen, und nun ist der Hund plötzlich ruhiger. - -Ellen also war ins Engagement abgereist ... - -Er hatte nicht mehr erwartet, daß sie ihm auf die gewisse Frage -antworten würde -- und doch, sie hatte es getan! Auf dem kleinen -Bahnhof, der wimmelte von lauten Badegästen, hatte sie zart seinen Arm -berührt und ihn mit einem Blicke angesehen -- ja, was für ein Blick war -es doch? - -Das war ihre Antwort! Schwedenklee atmete tief -- ja! Und er hatte sie -verstanden. Sie sagte: »Es wäre ja alles so wunderbar gewesen, aber -siehst du -- es ist nicht so einfach ...« - -Nun, er hatte verstanden, vollkommen. O gewiß, es war nicht so einfach -... - -Es ist ja möglich, dachte Schwedenklee, daß ihr, die hilflos und -vereinsamt im Leben steht, im ersten Augenblick eine Verbindung mit dir -erwägenswert erschien. Es ist wahrscheinlich, daß sie auf deinen -Vorschlag eingegangen wäre, da sie einen anderen Ausweg nicht fand! Da -aber erschien Pohl! Seine Stimme weckte plötzlich die Stimmen ihrer -Jugend. Und was die Hauptsache ist: er zeigte ihr einen Ausweg, in einem -Augenblick, da sie ratlos war, keinen Ausweg fand, ja nicht einmal mehr -an die Möglichkeit eines Ausweges dachte. Daher ihre unverständliche -Erregung. Blitzschnell folgte sie ihren Instinkten. - -»Aber wozu die vielen Worte?« sagte Schwedenklee zu sich. »Es gibt eine -viel einfachere Erklärung: sie liebte dich nicht! Sie fühlte, daß diese -Verbindung für sie nie glücklich sein konnte. Ja, die Wahrheit ist -zuweilen bitter!« - -Und dann kam da vielleicht noch etwas hinzu ... - -Schwedenklee lächelte. - -»Sie versteht es ja heute noch nicht, weshalb sie so begierig war, nach -Hamburg zu reisen -- die Reine, Wundervolle!« flüsterte er. »Später, -später! Ich habe vom ersten Augenblick an alles geahnt!« - -»Daß ich noch das Wettrennen um die Wiese mitmachte! Und an dem Ast hing -ich so lange, daß mir heute noch der Arm weh tut!« - -Funken fuhren aus Schwedenklees Zigarre. - -Jeden Abend saß Schwedenklee in der Dunkelheit auf der Treppe des -Hauses, und die Funken stoben. Es war Neumond. - -Am Tage arbeitete er an seiner Terrasse. - -»Diese fünfzig Kubikmeter Erde werden wir schon bewältigen!« sagte er, -selbstbewußt, und der Schweiß rann ihm über das Gesicht. - -Es darf indessen nicht verschwiegen werden, daß Schwedenklee in diesen -Tagen sich häufig selbst in den Weinkeller begab. - -Es gibt Menschen, die einen Stoß in die Herzgrube ohne besondere -Erschütterung ertragen, sie sind sehr selten, andere, die lamentieren -und ein großes Geschrei machen, und wieder andere, die einfach eine -Flasche aufziehen, sich räuspern und eine Zigarre anzünden ... - -Schwedenklee stand in diesen Tagen sehr spät auf und ging erst schlafen, -wenn der Morgen graute. Augusta betrachtete ihn mit vorwurfsvollen -Blicken. Er aß ihr zu wenig. - -Ja, diese Augusta, sie war keineswegs so albern, wie er glaubte. Sie sah -in sein eingesunkenes, verstörtes Gesicht und sagte sich: »Diese -Frauenzimmer, wie sie ihm zusetzen -- es ist schon eine Schande!« - -Der Neubau war fertig. Er roch nach Kalk, Gips und Glaserkitt. Auch das -Badezimmer -- das alle Badezimmer Deutschlands schlagen sollte -- war im -Rohbau fertig. Die versenkte Wanne war vier Meter lang und zwei Meter -breit, die Hähne blitzten. Eines Tages mühte sich ein Fuhrwerk, ein -kleiner Wald auf Rädern, die Straße herauf: die Blattpflanzen kamen. Sie -hatten ein Vermögen gekostet. - -»Stellen Sie sie einfach in den Baderaum!« sagte Schwedenklee. Da -standen sie, bis sie verkamen. - -Weshalb aber, zum Teufel, war es in diesem Neubau so kalt? Strömte der -Putz diese Kälte aus? Schwedenklee betrat den Neubau nicht mehr. - - * * * * * - -Zart und fein stieg die Mondsichel aus dem Meer empor. - -Schwedenklee saß im Dunkel auf der Treppe des Hauses und rauchte. - -Er hatte heute den ersten Brief Ellens erhalten. »Dank, Dank -- du wirst -mich verstehen -- du bist mir gewiß nicht böse ...« - -Ja, gewiß, Schwedenklee gehörte zur Klasse jener Menschen, die alles -verstehen und daher alles vergeben, denen nichts Menschliches fremd ist --- gewiß, er verstand alles. Mehr als sie ahnte! Und böse? Nein, böse -konnte Schwedenklee überhaupt nicht werden. - -Und doch, gerade an diesem Abend wurde Schwedenklee von starker Unruhe -erfaßt. Er ging auf und ab, die Funken sprühten aus seiner Zigarre. -Schweiß brach aus seiner Stirn. - -Seine Augen sanken ein. »_Wenn sie nun aber doch mein Kind wäre?_« sagte -er voller Gram. »Auch die Krankenschwester, du erinnerst dich, sagte, -sie glaube, Blank habe dir besondere Mitteilungen zu machen ...« - -»Hätte ich Gewißheit -- alles wäre ja anders!« - -Verraten wir es: Schwedenklee ging in die Dunkelheit, wo sie am -schwärzesten war, um hier, ganz im Dunklen, obschon niemand in der Nähe -war, die Finger in die Augen zu drücken und zu stöhnen. - -Ja, Schwedenklee hatte heute einen schlechten Tag. Er strich die ganze -Nacht in der Finsternis hin und her, fröstelte im Nachtnebel. - -»Gerade als ich die Hand nach ihr ausstreckte --!« sagte er, aber er -sprach nicht weiter. - - - - - 29 - - -Am nächsten Tage gab Schwedenklee plötzlich seine Arbeit an der Terrasse -auf. Er stach den Spaten in die Erde, und hier mochte er steckenbleiben, -bis er verfaulte, wenn ihn der Pächter nicht unter Dach nahm. - -Schwedenklee hatte einen neuen resedafarbenen Anzug, den er noch nie -getragen hatte. Diesen Anzug legte er an. Er rasierte sich sorgfältig -und begab sich in den Badeort. - -Hier saß er auf der Terrasse des Kasinos und betrachtete mit finsterer -und verächtlicher Miene die promenierenden Badegäste. Was für -entsetzliche Frauen! Dick, formlos, lächerlich, unverschämt in ihrer -Einbildung, grotesk in ihrer Eitelkeit, mit falschen Haaren, gemalt, die -meisten krummbeinig -- ah, Schwedenklee war zur Zeit nicht gut auf die -Frauen zu sprechen. - -Am dritten Tage -- seine Miene war gleich geringschätzig und abweisend --- hörte er plötzlich eine Frauenstimme: »Ist es möglich, Herr -Schwedenklee?« Und ein heiteres Lachen. - -Zwei flachsblonde Frauen in dünnen Sommerkleidern standen vor ihm, -Schwestern. Er hatte die eine der Schwestern gekannt, bevor sie -verheiratet war, die Unverheiratete lernte er heute erst kennen. - -Schwedenklee lächelte verlegen und wich etwas auffällig zurück. Zu nahe -drangen ihm Atem und Parfüm der beiden Damen. Die heitere Stimme klang -ihm zu laut ins Ohr. Nichts haßte er mehr als die Aufdringlichkeit der -Frauen, die der Ansicht waren, daß eine vorübergehende Verliebtheit eine -Freundschaft fürs ganze Leben bedeute. - -Knapp und kühl klangen Schwedenklees Antworten. Die Flachsblonden aber -schienen seine Zurückhaltung gar nicht zu merken und lachten fröhlich -und laut. - -Schwedenklee erhob sich und ging. Ein paar Tage vergrub er sich in -Siebenbirken. Dann aber erschien er wieder im Badeort, und schon nach -einigen Tagen ruderte er die beiden Flachsblonden hinaus in die See. - -Von nun an begab sich Schwedenklee schon am Morgen in seinem -resedafarbenen Anzug in den Badeort. Er aß im Kasino und kehrte erst -spät nach Siebenbirken zurück. - -Nach einer Woche reisten die flachsblonden Schwestern nach Berlin -zurück. - -Schwedenklee blieb zu Hause. Er beschäftigte sich wieder mit seinem -Zentralbahnhof, rauchte, trank, lebte in den Nächten. Kaum hatte er aber -einen Brief aus Berlin erhalten, der ihn sehr heiter stimmte, so befahl -er Augusta zu packen. - - - - - 30 - - -Es regnete leise, als Schwedenklee nach Berlin zurückkehrte. Die Stadt -dampfte. Seine Wohnung umfing ihn mit Behagen. - -»Vielleicht ist es doch das beste so! Wer weiß, wozu es gut war --!« -sagte er sich, indem er in den weichen Hausschuhen auf und ab ging. - -Dann telephonierte er lange in bester Laune. - -»Augusta,« sagte er, »morgen abend drei Gedecke, lassen Sie es an nichts -fehlen!« - -Gewiß, Schwedenklee erhielt Briefe von Ellen und schrieb ihr wieder. Die -erste Firma Berlins mußte auf seine Kosten Ellens Bühnengarderobe -anfertigen, und Schwedenklee selbst überwachte die Fertigstellung der -Kostüme. - -Schwedenklee wußte sehr wohl, was er versprochen hatte. Eines Tages -packte er einen Handkoffer und fuhr nach Bremen. Er fand Ellen heiter, -strahlend, wunderbar erblüht, er beobachtete, befriedigt fast, daß die -beiden, Pohl und Ellen, einander um vieles nähergekommen und sehr -glücklich waren. - -»Don Philipp, herrlichster aller Menschen!« schrie Pohl begeistert und -umarmte ihn, als sie im Bremer Ratskeller in später Nacht eine Flasche -leerten. - - * * * * * - -_Und wenn sie doch dein Kind wäre?_ - -Auch diese Frage, die ihn oft in den Nächten gemartert hatte, daß er -schlaflos auf und ab ging, die sein Herz verbrannte -- auch diese Frage -verblaßte allmählich in Schwedenklees Herzen -- -- - -Als der erste Schnee fiel, erschien Schwedenklee eines Abends wieder um -neun Uhr in seinem alten Stammcafé. Sein Rücken schien etwas gebeugt, -sein Gesicht hatte die Prälatenröte eingebüßt und schien etwas fahl, die -dünnen Haare waren grauer -- sonst aber war es ganz der alte -Schwedenklee. Mit lauter Herzlichkeit wurde er von den Spielern -empfangen. Nach einer Viertelstunde aber war es, als sei er nicht eine -Stunde abwesend gewesen. Schon saß er an einem der Pokertische, und drei -Kiebitze rückten ihre Stühle hinter seinen Sessel. - - - Ende - - - - - Werke von Bernhard Kellermann - - - Yester und Li - - Roman. 152. Auflage - - - Ingeborg - - Roman. 115. Auflage - - - Der Tor - - Roman. 50. Auflage - - - Das Meer - - Roman. 87. Auflage - - - Der Tunnel - - Roman. 227. Auflage - - - Der 9. November - - Roman. 51. Auflage - - - Die Heiligen - - Novelle - - Illustriert von Magnus Zeller - - 12. Auflage - - - Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig - - - - - Anmerkungen zur Transkription - - -Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigert. Weitere -Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher): - - [S. 17]: - ... Die Anstrengungen seines Berufes hatten ihm fast sämtliche ... - ... Die Anstrengungen seines Berufes hatten ihn fast sämtliche ... - - [S. 103]: - ... sich es bescheidener und war zufrieden, in der Komparerie ... - ... sich es bescheidener und war zufrieden, in der Komparserie ... - - [S. 180]: - ... deren Namen Schwedenklee nie merken konnte. ... - ... deren Namen Schwedenklee sich nie merken konnte. ... - - - - - - -End of Project Gutenberg's Schwedenklees Erlebnis, by Bernhard Kellermann - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHWEDENKLEES ERLEBNIS *** - -***** This file should be named 59222-8.txt or 59222-8.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/9/2/2/59222/ - -Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed -Proofreading Team at http://www.pgdp.net. - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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Of course, we hope -that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting -free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm -works in compliance with the terms of this agreement for keeping the -Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily -comply with the terms of this agreement by keeping this work in the -same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when -you share it without charge with others. - -1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern -what you can do with this work. Copyright laws in most countries are -in a constant state of change. If you are outside the United States, -check the laws of your country in addition to the terms of this -agreement before downloading, copying, displaying, performing, -distributing or creating derivative works based on this work or any -other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no -representations concerning the copyright status of any work in any -country outside the United States. - -1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg: - -1.E.1. The following sentence, with active links to, or other -immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear -prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work -on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the -phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, -performed, viewed, copied or distributed: - - This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and - most other parts of the world at no cost and with almost no - restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it - under the terms of the Project Gutenberg License included with this - eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the - United States, you'll have to check the laws of the country where you - are located before using this ebook. - -1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is -derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not -contain a notice indicating that it is posted with permission of the -copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in -the United States without paying any fees or charges. If you are -redistributing or providing access to a work with the phrase "Project -Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply -either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or -obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm -trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9. - -1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted -with the permission of the copyright holder, your use and distribution -must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any -additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms -will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works -posted with the permission of the copyright holder found at the -beginning of this work. - -1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm -License terms from this work, or any files containing a part of this -work or any other work associated with Project Gutenberg-tm. - -1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this -electronic work, or any part of this electronic work, without -prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with -active links or immediate access to the full terms of the Project -Gutenberg-tm License. - -1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, -compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including -any word processing or hypertext form. However, if you provide access -to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format -other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official -version posted on the official Project Gutenberg-tm web site -(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense -to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means -of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain -Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the -full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1. - -1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, -performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works -unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. - -1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing -access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works -provided that - -* You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from - the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method - you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed - to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has - agreed to donate royalties under this paragraph to the Project - Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid - within 60 days following each date on which you prepare (or are - legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty - payments should be clearly marked as such and sent to the Project - Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in - Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg - Literary Archive Foundation." - -* You provide a full refund of any money paid by a user who notifies - you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he - does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm - License. You must require such a user to return or destroy all - copies of the works possessed in a physical medium and discontinue - all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm - works. - -* You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of - any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the - electronic work is discovered and reported to you within 90 days of - receipt of the work. - -* You comply with all other terms of this agreement for free - distribution of Project Gutenberg-tm works. - -1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project -Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than -are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing -from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The -Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm -trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below. - -1.F. - -1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable -effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread -works not protected by U.S. copyright law in creating the Project -Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm -electronic works, and the medium on which they may be stored, may -contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate -or corrupt data, transcription errors, a copyright or other -intellectual property infringement, a defective or damaged disk or -other medium, a computer virus, or computer codes that damage or -cannot be read by your equipment. - -1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right -of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project -Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project -Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all -liability to you for damages, costs and expenses, including legal -fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT -LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE -PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE -TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE -LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR -INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH -DAMAGE. - -1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a -defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can -receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a -written explanation to the person you received the work from. If you -received the work on a physical medium, you must return the medium -with your written explanation. The person or entity that provided you -with the defective work may elect to provide a replacement copy in -lieu of a refund. If you received the work electronically, the person -or entity providing it to you may choose to give you a second -opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If -the second copy is also defective, you may demand a refund in writing -without further opportunities to fix the problem. - -1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth -in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO -OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT -LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. - -1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied -warranties or the exclusion or limitation of certain types of -damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement -violates the law of the state applicable to this agreement, the -agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or -limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or -unenforceability of any provision of this agreement shall not void the -remaining provisions. - -1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the -trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone -providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in -accordance with this agreement, and any volunteers associated with the -production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm -electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, -including legal fees, that arise directly or indirectly from any of -the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this -or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or -additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any -Defect you cause. - -Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm - -Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of -electronic works in formats readable by the widest variety of -computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It -exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations -from people in all walks of life. - -Volunteers and financial support to provide volunteers with the -assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's -goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will -remain freely available for generations to come. In 2001, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure -and permanent future for Project Gutenberg-tm and future -generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see -Sections 3 and 4 and the Foundation information page at -www.gutenberg.org - - - -Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation - -The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit -501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the -state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal -Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification -number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by -U.S. federal laws and your state's laws. - -The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the -mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its -volunteers and employees are scattered throughout numerous -locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt -Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to -date contact information can be found at the Foundation's web site and -official page at www.gutenberg.org/contact - -For additional contact information: - - Dr. Gregory B. Newby - Chief Executive and Director - gbnewby@pglaf.org - -Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation - -Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide -spread public support and donations to carry out its mission of -increasing the number of public domain and licensed works that can be -freely distributed in machine readable form accessible by the widest -array of equipment including outdated equipment. Many small donations -($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt -status with the IRS. - -The Foundation is committed to complying with the laws regulating -charities and charitable donations in all 50 states of the United -States. Compliance requirements are not uniform and it takes a -considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up -with these requirements. We do not solicit donations in locations -where we have not received written confirmation of compliance. To SEND -DONATIONS or determine the status of compliance for any particular -state visit www.gutenberg.org/donate - -While we cannot and do not solicit contributions from states where we -have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition -against accepting unsolicited donations from donors in such states who -approach us with offers to donate. - -International donations are gratefully accepted, but we cannot make -any statements concerning tax treatment of donations received from -outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. - -Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation -methods and addresses. Donations are accepted in a number of other -ways including checks, online payments and credit card donations. To -donate, please visit: www.gutenberg.org/donate - -Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. - -Professor Michael S. Hart was the originator of the Project -Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be -freely shared with anyone. For forty years, he produced and -distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of -volunteer support. - -Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed -editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in -the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not -necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper -edition. - -Most people start at our Web site which has the main PG search -facility: www.gutenberg.org - -This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, -including how to make donations to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to -subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. - diff --git a/59222-h/59222-h.htm b/59222-h/59222-h.htm index 525b516..67a9218 100644 --- a/59222-h/59222-h.htm +++ b/59222-h/59222-h.htm @@ -94,41 +94,7 @@ div.centerpic { text-align:center; text-indent:0; display:block; } <body> -<pre> - -The Project Gutenberg EBook of Schwedenklees Erlebnis, by Bernhard Kellermann - -This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most -other parts of the world at no cost and with almost no restrictions -whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of -the Project Gutenberg License included with this eBook or online at -www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - -Title: Schwedenklees Erlebnis - -Author: Bernhard Kellermann - -Release Date: April 8, 2019 [EBook #59222] - -Language: German - -Character set encoding: ISO-8859-1 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHWEDENKLEES ERLEBNIS *** - - - - -Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed -Proofreading Team at http://www.pgdp.net. - - - - - - -</pre> +<div>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 59222 ***</div> <div class="frontmatter chapter"> @@ -10651,379 +10617,7 @@ Weitere Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher): -<pre> - - - - - -End of Project Gutenberg's Schwedenklees Erlebnis, by Bernhard Kellermann - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHWEDENKLEES ERLEBNIS *** - -***** This file should be named 59222-h.htm or 59222-h.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/9/2/2/59222/ - -Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed -Proofreading Team at http://www.pgdp.net. - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part -of this license, apply to copying and distributing Project -Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm -concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, -and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive -specific permission. If you do not charge anything for copies of this -eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook -for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, -performances and research. They may be modified and printed and given -away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks -not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the -trademark license, especially commercial redistribution. - -START: FULL LICENSE - -THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE -PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK - -To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free -distribution of electronic works, by using or distributing this work -(or any other work associated in any way with the phrase "Project -Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full -Project Gutenberg-tm License available with this file or online at -www.gutenberg.org/license. - -Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project -Gutenberg-tm electronic works - -1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm -electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to -and accept all the terms of this license and intellectual property -(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all -the terms of this agreement, you must cease using and return or -destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your -possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a -Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound -by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the -person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph -1.E.8. - -1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be -used on or associated in any way with an electronic work by people who -agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few -things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works -even without complying with the full terms of this agreement. See -paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project -Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this -agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm -electronic works. See paragraph 1.E below. - -1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the -Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection -of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual -works in the collection are in the public domain in the United -States. If an individual work is unprotected by copyright law in the -United States and you are located in the United States, we do not -claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, -displaying or creating derivative works based on the work as long as -all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope -that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting -free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm -works in compliance with the terms of this agreement for keeping the -Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily -comply with the terms of this agreement by keeping this work in the -same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when -you share it without charge with others. - -1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern -what you can do with this work. Copyright laws in most countries are -in a constant state of change. If you are outside the United States, -check the laws of your country in addition to the terms of this -agreement before downloading, copying, displaying, performing, -distributing or creating derivative works based on this work or any -other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no -representations concerning the copyright status of any work in any -country outside the United States. - -1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg: - -1.E.1. The following sentence, with active links to, or other -immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear -prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work -on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the -phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, -performed, viewed, copied or distributed: - - This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and - most other parts of the world at no cost and with almost no - restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it - under the terms of the Project Gutenberg License included with this - eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the - United States, you'll have to check the laws of the country where you - are located before using this ebook. - -1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is -derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not -contain a notice indicating that it is posted with permission of the -copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in -the United States without paying any fees or charges. If you are -redistributing or providing access to a work with the phrase "Project -Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply -either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or -obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm -trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9. - -1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted -with the permission of the copyright holder, your use and distribution -must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any -additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms -will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works -posted with the permission of the copyright holder found at the -beginning of this work. - -1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm -License terms from this work, or any files containing a part of this -work or any other work associated with Project Gutenberg-tm. - -1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this -electronic work, or any part of this electronic work, without -prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with -active links or immediate access to the full terms of the Project -Gutenberg-tm License. - -1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, -compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including -any word processing or hypertext form. However, if you provide access -to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format -other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official -version posted on the official Project Gutenberg-tm web site -(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense -to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means -of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain -Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the -full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1. - -1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, -performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works -unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. - -1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing -access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works -provided that - -* You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from - the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method - you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed - to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has - agreed to donate royalties under this paragraph to the Project - Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid - within 60 days following each date on which you prepare (or are - legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty - payments should be clearly marked as such and sent to the Project - Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in - Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg - Literary Archive Foundation." - -* You provide a full refund of any money paid by a user who notifies - you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he - does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm - License. You must require such a user to return or destroy all - copies of the works possessed in a physical medium and discontinue - all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm - works. - -* You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of - any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the - electronic work is discovered and reported to you within 90 days of - receipt of the work. - -* You comply with all other terms of this agreement for free - distribution of Project Gutenberg-tm works. - -1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project -Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than -are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing -from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The -Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm -trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below. - -1.F. - -1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable -effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread -works not protected by U.S. copyright law in creating the Project -Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm -electronic works, and the medium on which they may be stored, may -contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate -or corrupt data, transcription errors, a copyright or other -intellectual property infringement, a defective or damaged disk or -other medium, a computer virus, or computer codes that damage or -cannot be read by your equipment. - -1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right -of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project -Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project -Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all -liability to you for damages, costs and expenses, including legal -fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT -LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE -PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE -TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE -LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR -INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH -DAMAGE. - -1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a -defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can -receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a -written explanation to the person you received the work from. If you -received the work on a physical medium, you must return the medium -with your written explanation. The person or entity that provided you -with the defective work may elect to provide a replacement copy in -lieu of a refund. If you received the work electronically, the person -or entity providing it to you may choose to give you a second -opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If -the second copy is also defective, you may demand a refund in writing -without further opportunities to fix the problem. - -1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth -in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO -OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT -LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. - -1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied -warranties or the exclusion or limitation of certain types of -damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement -violates the law of the state applicable to this agreement, the -agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or -limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or -unenforceability of any provision of this agreement shall not void the -remaining provisions. - -1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the -trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone -providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in -accordance with this agreement, and any volunteers associated with the -production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm -electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, -including legal fees, that arise directly or indirectly from any of -the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this -or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or -additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any -Defect you cause. - -Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm - -Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of -electronic works in formats readable by the widest variety of -computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It -exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations -from people in all walks of life. - -Volunteers and financial support to provide volunteers with the -assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's -goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will -remain freely available for generations to come. In 2001, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure -and permanent future for Project Gutenberg-tm and future -generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see -Sections 3 and 4 and the Foundation information page at -www.gutenberg.org - - - -Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation - -The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit -501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the -state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal -Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification -number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by -U.S. federal laws and your state's laws. - -The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the -mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its -volunteers and employees are scattered throughout numerous -locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt -Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to -date contact information can be found at the Foundation's web site and -official page at www.gutenberg.org/contact - -For additional contact information: - - Dr. Gregory B. Newby - Chief Executive and Director - gbnewby@pglaf.org - -Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation - -Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide -spread public support and donations to carry out its mission of -increasing the number of public domain and licensed works that can be -freely distributed in machine readable form accessible by the widest -array of equipment including outdated equipment. Many small donations -($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt -status with the IRS. - -The Foundation is committed to complying with the laws regulating -charities and charitable donations in all 50 states of the United -States. 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Donations are accepted in a number of other -ways including checks, online payments and credit card donations. To -donate, please visit: www.gutenberg.org/donate - -Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. - -Professor Michael S. Hart was the originator of the Project -Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be -freely shared with anyone. For forty years, he produced and -distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of -volunteer support. - -Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed -editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in -the U.S. unless a copyright notice is included. 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