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-Entwicklung und in ihrem Zusamme, by Friedrich Dannemann
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
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-Title: Die Naturwissenschaften in ihrer Entwicklung und in ihrem Zusammenhange
- Dritter Band: Das Emporblühen der modernen
- Naturwissenschaften bis zur Entdeckung des Energieprinzipes
-
-Author: Friedrich Dannemann
-
-Release Date: September 22, 2018 [EBook #57952]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE NATURWISSENSCHAFTEN IN ***
-
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-
-Produced by Peter Becker, Heike Leichsenring and the Online
-Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This
-file was produced from images generously made available
-by The Internet Archive)
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-belassen. Eine Liste mit sonstigen Korrekturen finden Sie am Ende des
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-
- DIE NATURWISSENSCHAFTEN
-
- IN IHRER ENTWICKLUNG UND
- IN IHREM ZUSAMMENHANGE
-
- DARGESTELLT VON
-
- FRIEDRICH DANNEMANN
-
- DRITTER BAND:
-
- DAS EMPORBLÜHEN DER MODERNEN NATURWISSENSCHAFTEN
- BIS ZUR ENTDECKUNG
- DES ENERGIEPRINZIPES
-
- MIT 60 ABBILDUNGEN IM TEXT
- UND EINEM BILDNIS VON GAUSS
-
- Verlag von Wilhelm Engelmann in Leipzig · 1911
-
- [Illustration: C. F. Gauß
-
- (Nach einer Büste von *G. Eberlein*.)]
-
-
-
-
- DIE NATURWISSENSCHAFTEN
-
- IN IHRER ENTWICKLUNG UND
- IN IHREM ZUSAMMENHANGE
-
- DARGESTELLT VON
-
- FRIEDRICH DANNEMANN
-
- DRITTER BAND:
-
- DAS EMPORBLÜHEN DER MODERNEN NATURWISSENSCHAFTEN
- BIS ZUR ENTDECKUNG
- DES ENERGIEPRINZIPES
-
- MIT 60 ABBILDUNGEN IM TEXT UND
- MIT EINEM BILDNIS VON GAUSS
-
- LEIPZIG
- VERLAG VON WILHELM ENGELMANN
- 1911
-
-
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-
-Copyright 1911 by Wilhelm Engelmann, Leipzig.
-
-Druck der Königl. Universitätsdruckerei H. Stürtz A. G., Würzburg.
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-
-Vorwort.
-
-
-Der zweite Band schilderte das Entstehen der neueren Naturwissenschaft.
-Er umfaßt den Zeitraum vom Anfang des 17. bis zur Mitte des 18.
-Jahrhunderts. Mit dem Ende dieses Abschnitts beginnt die neueste Phase
-in der Entwicklung der Naturwissenschaften. Diese Phase bis zu den
-Aufgaben der Gegenwart in den Grundzügen darzustellen, ist das Ziel
-des 3. und des 4. Bandes des vorliegenden Werkes. Da es sich nicht
-um eine bloße Aufzählung der Geschehnisse, sondern um den Nachweis
-ihrer inneren Verknüpfung handelt, so ist bei dem Ineinandergreifen
-der verschiedenen Gebiete eine scharfe Gliederung nach chronologischen
-Gesichtspunkten nicht möglich. Will man eine Schranke ziehen, so
-würde sie etwa mit dem Zeitpunkt der Entdeckung des Energieprinzips
-zusammenfallen. In der Hauptsache schildert der vorliegende dritte
-Band den großen Umschwung, den die Naturwissenschaften durch die
-Begründung der neueren Chemie, der Elektrizitätslehre, den Ausbau der
-übrigen Teile der Physik, sowie die Ausdehnung der experimentellen
-Forschungsweise auf die Wissenschaft vom Leben erfuhren. Dem vierten
-und letzten Bande bleibt es vorbehalten, den großartigen Aufschwung zu
-schildern, den die Naturwissenschaften im weiteren Verlauf des 19. und
-im Beginn des gegenwärtigen Jahrhunderts genommen haben.
-
-Auch in dem vorliegenden Bande war es das Bestreben des Verfassers, die
-Schilderung im Rahmen der Gesamtentwicklung zu halten, die Beziehungen
-der Naturwissenschaften zu den Nachbargebieten aufzuweisen und vor
-allem nur dasjenige zu bringen, was zum tieferen Verständnis des
-heutigen Wissenschaftsgebäudes beiträgt.
-
- Friedrich Dannemann.
-
-
-
-
-Inhalt.
-
-
- Seite
-
- 1. Wissenschaft und Weltgeschichte 1
-
- 2. Das 18. Jahrhundert errichtet die Fundamente der
- Elektrizitätslehre 6
-
- 3. Praktische und theoretische Fortschritte auf dem Gebiete der
- Wärmelehre 33
-
- 4. Die Naturbeschreibung unter der Herrschaft des künstlichen
- Systems 60
-
- 5. Die Ausdehnung der physikalischen Methoden auf das Gebiet der
- Pflanzenphysiologie 69
-
- 6. Der Ausbau der im 17. Jahrhundert begründeten Sexualtheorie 80
-
- 7. Fortschritte der Zoologie im 18. Jahrhundert 99
-
- 8. Die neuere Mathematik und ihre Beziehungen zu den
- Naturwissenschaften 116
-
- 9. Die wissenschaftliche Chemie von ihrer Begründung durch Boyle
- bis zu ihrer Erneuerung durch Lavoisier 138
-
- 10. Der Eintritt der Chemie in das Zeitalter der quantitativen
- Untersuchungsweise 155
-
- 11. Die Aufstellung der atomistischen Hypothese und ihre
- experimentelle Begründung 175
-
- 12. Die Entdeckung der galvanischen Elektrizität 189
-
- 13. Die Begründung der Elektrochemie 211
-
- 14. Die Erforschung der elektromagnetischen und der
- elektrodynamischen Grunderscheinungen 223
-
- 15. Die Entdeckung der Thermoelektrizität 237
-
- 16. Der insbesondere durch Laplace und Herschel bewirkte
- Aufschwung der Astronomie 241
-
- 17. Die Grundlagen der mechanischen Wärmetheorie 264
-
- 18. Fortschritte der Optik und Sieg der Wellentheorie 272
-
- 19. Die Chemie und die Physik treten in engere Wechselbeziehungen 282
-
- 20. Fortschritte in der Anwendung der Mathematik auf die
- Naturwissenschaften 296
-
- 21. Die Begründung der physikalischen Erdkunde 319
-
- 22. Die Mineralogie unter dem Einfluß der chemisch-physikalischen
- Forschung 340
-
- 23. Die Aufstellung eines natürlichen Pflanzensystems 350
-
- 24. Die Physiologie der Pflanzen unter dem Einfluß der neueren
- chemisch-physikalischen Forschung 360
-
- 25. Die Verschmelzung der Zoologie mit der vergleichenden Anatomie
- und das natürliche System der Tiere 376
-
- 26. Geologie und Paläontologie unter der Herrschaft der
- Katastrophenlehre 385
-
- 27. Fortschritte in der Begründung der Ontogenie
- (Entwicklungslehre) 390
-
-
-
-
-1. Wissenschaft und Weltgeschichte.
-
-
-Die bisherige Darstellung reicht bis etwa zur Mitte des 18.
-Jahrhunderts. Ein kurzer Rückblick im Rahmen der Weltgeschichte möge
-die Entwicklung vergegenwärtigen, welche die Naturwissenschaften
-bis zu jenem Zeitpunkt genommen. Die Grundlagen, auf denen sich die
-Wissenschaft wie die gesamte Kultur des Altertums erhoben, entstammten
-dem Orient. Dort wurde lange vor dem Beginn der griechischen
-Geschichte eine gewaltige, auf die Mathematik, die Astronomie, die
-Heilkunde und die drei Naturreiche sich beziehende Summe von Tatsachen
-bekannt. Den Griechen blieb es vorbehalten, die Einzelkenntnisse zu
-wissenschaftlichen Systemen zusammenzufassen und die Philosophie
-ins Leben zu rufen. Philosophie und Wissenschaft sahen wir seit der
-Blütezeit des griechischen Lebens die gleiche Aufgabe verfolgen. Sie
-lautet Welterklärung. Bei gleichem Ziele waren die Ausgangspunkte
-und folglich auch die Wege verschieden. Die Philosophie stellte
-das denkende Subjekt, die Wissenschaft die Summe der von außen
-herantretenden Erfahrungen in den Mittelpunkt der Betrachtung. Die
-philosophierende und die forschende Tätigkeit gingen während des
-Altertums Hand in Hand. Wir sahen sie sogar oft in derselben Person
-vereinigt. Das galt von Plato nicht minder als von Aristoteles, dem
-Schöpfer des größten philosophischen und naturwissenschaftlichen
-Systems, welches das Altertum hervorgebracht hat.
-
-Es war ein Mangel des Altertums, daß genaues Beobachten und überlegtes
-Experimentieren noch nicht genügend als die Grundlagen des Erkennens
-gewürdigt wurden. Dies führte zu Vorstellungen, die ihre Wurzel mehr
-in der Phantasie, als in der Erfahrung hatten. Beispiele hierfür bot
-uns insbesondere das Lehrgebäude des Aristoteles. Doch fehlte es auch
-nicht an Männern, die wie Archimedes im Sinne des modernen Forschers
-ihre Lehren auf Versuche und auf die Verknüpfung der Mathematik mit der
-Naturwissenschaft aufbauten. Auch die alexandrinischen Gelehrten haben
-durch ihre mehr auf die Gegenstände als auf das Allgemeine gerichtete
-Forschung Großes in der Astronomie, der Erdbeschreibung und der Physik
-geleistet. Eine wichtige Förderung der Naturkenntnis erwuchs dem
-Altertum aus der Technik. Auf diesem Gebiete sahen wir auch die mehr
-praktischen als wissenschaftlichen Zielen zugewandten Römer tätig.
-
-Das Ende der römischen Herrschaft bedeutet einen tiefen Einschnitt
-nicht nur in der Weltgeschichte, sondern auch in der Entwicklung der
-Naturwissenschaften. Sie fanden innerhalb der christlich-germanischen
-Kultur zunächst nicht den ihnen gebührenden Platz. Daß die Schöpfungen
-der Alten bis in die neuere Zeit erhalten blieben, ist das
-Hauptverdienst des arabischen Zeitalters. Erst im 13. Jahrhundert, nach
-der Berührung des Abendlandes mit dem Orient, lebten die Wissenschaften
-in Italien und in West- und Mitteleuropa wieder auf. Aus dem Studium
-des von den Arabern bearbeiteten astronomischen Hauptwerks des
-Altertums erwächst die neuere Astronomie. Durch ihre Verbindung mit
-der Nautik werden die Entdeckungsreisen ermöglicht. Die Ausdehnung
-des geographischen Gesichtskreises über den ganzen Erdball und die
-Befreiung von den Formen des mittelalterlichen Denkens und Fühlens
-bedingen einen Einschnitt von gleicher Wichtigkeit wie ein Jahrtausend
-vorher der Untergang der alten Welt. Als ein anderer, ein neuer, tritt
-der Mensch an die Natur heran. Er lernt die Fesseln der Autorität
-abstreifen und die Augen öffnen. Infolgedessen entstehen die ersten
-Ansätze zur Neubegründung der beschreibenden und der experimentellen
-Naturwissenschaften. Wie auf dem astronomischen Gebiete, so bilden auch
-hier die nach dem Fall Konstantinopels in größerer Zahl nach Westeuropa
-gelangenden Schriften der Alten den Stütz- und Ausgangspunkt für die
-Bestrebungen der Neuzeit. Eine weitere Stütze erwächst der neueren
-Wissenschaft in der Erfindung des Buchdrucks, dem Emporblühen des
-Städtewesens und der Umwandlung der mittelalterlichen Feudalherrschaft
-in den geordneten Staat.
-
-Ihren Höhepunkt erreicht diese Bewegung im 17. Jahrhundert. Die
-wohlhabenden italienischen Städte und die größeren europäischen
-Staaten, vor allem Frankreich und England, beginnen, die Pflege der
-Wissenschaft als eine ihrer Aufgaben zu erkennen. Die Hochschulen
-werden zu Stätten freierer Forschung. Wissenschaftliche Akademien
-treten ins Leben. Daß der Sieg des Neuen trotzdem kein leichter war,
-lehrte uns die Lebensgeschichte Galileis. Gestützt auf die Gunst
-der Mediceer und des venetianischen Senats vermochte es Galilei, die
-aristotelische Physik zu stürzen und auf ihren Trümmern die neuere
-Mechanik zu begründen. Was er begonnen, setzten in Italien zahlreiche
-Schüler fort. Sie riefen unter dem Namen der Akademie des Versuches
-eine Vereinigung ins Leben, die indessen bald infolge der in Italien
-herrschenden hierarchischen Strömung wieder aufgelöst wurde. Der
-Gegensatz zwischen Wissen und Glauben trat im 17. Jahrhundert, im
-Zeitalter der großen Religionskriege, in allen Ländern mit besonderer
-Schärfe hervor. Die protestantischen Teile Europas machten in dieser
-Hinsicht nicht etwa eine Ausnahme. Dieser Gegensatz war nicht nur das
-Verhängnis eines *Giordano Bruno* und eines *Galilei*, er griff gleich
-unheilvoll in das Leben *Keplers* ein.
-
-Jede Betätigung und jedes Bedürfnis zahlreicher einzelner findet seine
-Stütze in dem Staat, der ja nichts weiter ist als der Zusammenschluß
-der einzelnen. Zu den allgemeinsten Betätigungen gehören das Wissen
-und der Glauben. Für das, was sie hervorbringen, für die Wissenschaft
-und für die Religion, hatte der Staat seit alters in den Schulen
-und in der Kirche seine besonderen Veranstaltungen geschaffen. Das
-Mittel, durch welches Schule und Kirche bis zum 17. Jahrhundert sich
-vorzugsweise betätigt hatten, war die Lehre durch Schrift und Wort.
-Daher das Übergewicht der Autorität während dieses Zeitraums und der
-Mangel an innerem Wachstum. Ein solches konnte nur die von den Fesseln
-der Autorität befreite Forschung verleihen. Sie regte sich zuerst
-auf dem Gebiete der dem Wirklichen zugewandten Wissenschaft. Hier
-zeigt es sich, daß eine neue, auf den Versuch und eigene Beobachtung
-sich gründende Methode allein die Sicherheit bietet, das Richtige
-vom Unrichtigen, Wahrheit von Irrtum zu unterscheiden. Daher die
-überwältigende Macht, mit der die neuere Wissenschaft alle Hindernisse
-hinwegräumt und rasch die größten Erfolge erringt, während die dem
-Jenseits zugewandte Religion und ihre Institution, die Kirche, da es
-ihr an einem ähnlichen Mittel gebricht, an der Autorität festhält, ja,
-diese Autorität um so mehr hervorkehrt, je mehr die Wissenschaft sich
-ihrer zu entledigen sucht.
-
-Für die Naturwissenschaften kam noch der fördernde Umstand hinzu, daß
-man aus ihrer Pflege einen unmittelbaren Nutzen zu erzielen wußte. An
-der Pflege der Botanik und der Zoologie hatte die Heilkunde das größte
-Interesse. Die Ergebnisse der Physik, der Chemie und der Mineralogie
-kamen vielen Gewerben zugute. Die Astronomen hatten der Kartographie,
-der Zeitbestimmung und in neuerer Zeit vor allem der Nautik jedermann
-in die Augen springende Dienste erwiesen. Die Leistungen all dieser
-Zweige wurden seit der Erneuerung der Naturwissenschaften in hohem Maße
-gefördert durch die Erfindung zahlreicher Instrumente und durch die
-ausgedehnte Anwendung der Mathematik. Die Bewaffnung des Auges mit dem
-Fernrohr und mit dem Mikroskop, die Erfindung des Thermometers, der
-Luftpumpe, des Barometers und mancher anderen für die Forschung und für
-das Leben gleich wichtigen Instrumente ermöglichten die Schöpfung eines
-Weltbildes, das sich von dem mittelalterlichen in fast allen Teilen
-unterschied. In der Neugestaltung und der Verknüpfung der Mathematik
-mit den Naturwissenschaften leistete die *Newton-Huygens*-Periode das
-Hervorragendste. Ihr wertvollstes Ergebnis bestand in der Verknüpfung
-der Mechanik mit der Astronomie durch *Newtons* Weltgesetz. Die
-wichtigsten Pflegestätten der Wissenschaften waren in jenem Zeitalter
-England und die Niederlande. Hier genoß das Individuum zuerst diejenige
-Befreiung von staatlicher und kirchlicher Bevormundung, die als das
-Lebenselement der Wissenschaft betrachtet werden muß. In Frankreich
-dagegen war die Autorität des Staates und der Kirche damals so mächtig,
-daß ihr selbst der große *Huygens* das Feld räumte, nachdem er lange
-eine Zierde der Pariser Akademie gewesen. Deutschland litt unter den
-Folgen des dreißigjährigen Krieges. Und wenn auch einzelne Großes
-leisteten, vermochte dennoch hier die Wissenschaft als Ganzes nicht
-mit der geistigen Entwicklung der politisch erstarkten Länder gleichen
-Schritt zu halten.
-
-Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts machte sich auf allen Gebieten
-des geistigen, sowie des sozialen Lebens ein Umschwung bemerkbar,
-der für die gesamte Kulturentwicklung den Beginn einer neuen Phase
-bedeutete. In der Staatengeschichte erreichte dieser Vorgang seinen
-Höhepunkt in der französischen Revolution, mit welcher der Historiker
-die neueste Zeit beginnen läßt. Die Geschichte der Wissenschaften
-verzeichnet zwar gleichfalls einen mit der sozialen und politischen
-Entwicklung Schritt haltenden Wechsel; ihren Geschehnissen ist aber das
-scheinbar Unvermittelte bei weitem nicht in solchem Maße eigen wie den
-politischen Begebenheiten.
-
-Die Naturwissenschaften waren auf dem Punkte angelangt, daß zahlreiche
-Kräfte sich zu ihrem weiteren Ausbau die Hand reichen mußten,
-während in den vorhergehenden Perioden der einzelne noch einen
-überwiegenden Einfluß ausgeübt hatte. Das neueste Zeitalter in der
-Entwicklung der Wissenschaften, dem unsere weitere Darstellung gilt,
-wird dementsprechend auch nicht durch eine hervorragend wichtige
-Entdeckung oder durch das Auftreten eines bedeutenden Forschers
-eingeleitet. Während für die Chemie eine neue Epoche beginnt, wandeln
-die Astronomie und die Mechanik in den eingeschlagenen Bahnen weiter.
-Die Prinzipien der letzteren werden in immer höherem Maße auf die
-übrigen Teile der Physik angewandt, welcher sich mit der Entdeckung
-der galvanischen Elektrizität ein neues, wichtiges Gebiet erschließt.
-Auch die Zoologie und die Botanik werden von einem Wechsel betroffen.
-Auf das Vorherrschen der Systematik folgt eine Richtung, in der
-morphologische und bald darauf auch physiologische Fragen an die erste
-Stelle rücken. Etwa in die Mitte des 19. Jahrhunderts fällt dann die
-großartige Verallgemeinerung und Verknüpfung der gesamten bisherigen
-Forschungsergebnisse infolge der Durchführung des Prinzips von der
-Erhaltung der Kraft. Die Betrachtung der dann folgenden letzten
-Entwicklungsstufen wird uns bis zu den Aufgaben des Tages führen und
-schließlich einen Ausblick in eine verheißungsvolle Zukunft eröffnen.
-
-
-
-
-2. Das 18. Jahrhundert errichtet die Grundlagen der Elektrizitätslehre.
-
-
-Während die Physik im 17. Jahrhundert ihre Fortschritte vorzugsweise
-auf den Gebieten der Mechanik und der Optik, den ältesten Zweigen der
-Naturlehre, zu verzeichnen hatte, war das 18. Jahrhundert insbesondere
-dem Ausbau des von *Gilbert* und *Guericke* erschlossenen Gebietes
-der Reibungselektrizität gewidmet. *Gilbert* hatte zum erstenmal den
-Unterschied zwischen magnetischer und elektrischer Anziehung scharf
-hervorgehoben[1], während *Guericke* die elektrische Abstoßung entdeckt
-und die erste maschinelle Vorrichtung zur Erzeugung von Elektrizität
-ins Leben gerufen hatte. Leider wurde *Guerickes* Apparat zunächst
-nicht benutzt. Man begnügte sich damit, Elektrizität zu erzeugen,
-indem man Glas, Bernstein und andere geeignete Stoffe aus freier Hand
-rieb. Trotzdem gelang es, elektrische Entladungen von solcher Wirkung
-hervorzurufen, daß nicht nur ein Knistern, sondern auch das Auftreten
-von Funken bemerkt wurde. Ein Beobachter erwähnt sogar, »dieses Licht
-und Knistern scheine einigermaßen Blitz und Donner vorzustellen«[2].
-
-Auf das Studium der elektrischen Phänomene wurde man besonders
-durch eine merkwürdige Beobachtung am Quecksilberbarometer gelenkt.
-*Picard* bemerkte im Jahre 1675, daß sich bei völliger Dunkelheit
-beim Erschüttern der Quecksilbersäule in der *Torricelli*schen Leere
-ein eigentümliches phosphoreszierendes Leuchten zeigt. Die sonderbare
-Erscheinung erregte großes Aufsehen und rief eine umfangreiche
-Literatur hervor. Die richtige Erklärung fand *Francis Hawksbee*, ein
-Mitglied der Royal Society. *Hawksbee*, welcher seine Versuche
-über diesen Gegenstand seit dem Jahre 1705 in den Philosophical
-Transactions veröffentlichte[3], nahm an, daß man es hier mit einer
-durch die Reibung des Quecksilbers an dem Glase vor sich gehenden
-Elektrizitätserregung zu tun habe. Um seine Ansicht zu beweisen,
-stellte er eine hohle Glaskugel auf eine Achse und versetzte sie in
-rasche Drehung. Brachte er gleichzeitig die trockene, warme Hand an
-diese Kugel, so wurde sie so stark elektrisch, daß man zolllange
-Funken erhielt. Wurde die Kugel zuvor luftleer gemacht, so erschien
-in ihr dasselbe Leuchten, das man im Quecksilberbarometer beim
-Schütteln beobachtet hatte. *Hawksbee* ist somit als der Erfinder der
-Glaselektrisiermaschine zu betrachten. Allerdings kam diese Maschine
-erst viel später in allgemeinen Gebrauch. Obgleich *Hawksbee* auch
-Schwefelkugeln und Siegellackstangen elektrisierte, gelangte er
-noch nicht dazu, zwischen positiver und negativer Elektrizität zu
-unterscheiden.
-
-Der Fortschritt auf dem Gebiete der Reibungselektrizität mußte ein
-sehr langsamer bleiben, so lange es sich nur um zufällige, durch
-keine Theorie verknüpfte Beobachtungen handelte. Dieser allerersten
-Stufe jeder exakten Wissenschaft sollte keiner der Hauptzweige der
-Physik so spät entwachsen wie gerade die Elektrizitätslehre. Erst im
-Verlaufe des 18. Jahrhunderts tritt letztere in das zweite Stadium ein.
-Dieses ist dadurch gekennzeichnet, daß man zu einem planmäßigen, von
-hypothetischen Vorstellungen geleiteten Experimentieren übergeht. Als
-Vertreter jener ersten Stufe muß selbst noch ein *Du Fay* gelten. Seine
-Tätigkeit fällt in den Beginn des 18. Jahrhunderts, während *Aepinus*
-und *Franklin* auf den Schultern der Genannten stehen und dem zweiten
-Zeitraum angehören. Erst der gegen das Ende des 18. Jahrhunderts
-anhebenden Epoche blieb es vorbehalten, durch messende Beobachtung zu
-den Gesetzen der Reibungselektrizität vorzudringen[4]. Hieran reihte
-sich das deduktive, die Hilfsmittel der Mathematik und der Mechanik
-benutzende Verfahren, womit auch auf diesem Gebiete endlich diejenige
-Stufe erreicht war, welche der Wissenschaft nach einem Ausspruch
-*Galileis* in allen ihren Teilen erst eine würdevolle Behandlung
-verleiht[5].
-
-Dem erwähnten *Du Fay* verdankt die Elektrizitätslehre eine Anzahl
-grundlegender Versuche. *Charles François Du Fay* wurde 1698 in Paris
-geboren und starb daselbst im Jahre 1739. *Du Fay* beschäftigte sich
-mit magnetischen und elektrischen Versuchen, die in den Abhandlungen
-der Pariser Akademie beschrieben wurden[6]. Das wichtigste Ergebnis
-seiner Untersuchungen läßt sich in folgende Sätze zusammenfassen: 1.
-Ein elektrischer Körper zieht alle nichtelektrischen an und teilt
-ihnen Elektrizität mit, worauf er sie wieder abstößt. 2. Es gibt
-zwei entgegengesetzte Arten der Elektrizität, die Glas- und die
-Harzelektrizität. Zu der Entdeckung, daß es zwei Arten Elektrizität
-gibt, wurde *Du Fay* durch sein Blattgoldelektroskop geführt. *Du Fay*
-ging von der Annahme aus, daß ein mit dem Glasstab elektrisiertes
-Blättchen von jedem Körper, der durch Reiben in den elektrischen
-Zustand versetzt sei, abgestoßen werde. Diese Annahme bestätigte
-sich indessen nicht. Als *Du Fay* nämlich dem Blättchen geriebene
-Kopalstücke und andere geriebene harzartige Körper näherte, wurde es
-von diesen angezogen. *Du Fay* unterschied aus diesem Grunde zwei Arten
-von Elektrizität, die er als Harz- und Glaselektrizität bezeichnete.
-Später erkannte man indessen, daß diese Benennungen irreführend sind,
-da harzartige Körper mit Glaselektrizität, glasartige dagegen mit
-Harzelektrizität geladen werden können[7]. Deshalb wurden die Glas-
-und die Harzelektrizität als positive und negative Elektrizität
-unterschieden. *Du Fay* war es auch, der zuerst auf den Zusammenhang
-zwischen dem Leitungsvermögen und der Elektrisierbarkeit der Körper
-aufmerksam machte. Man fing nun an, die Nichtleiter in ausgedehnter
-Weise als Isolatoren zu benutzen. So gelang es dem genannten Forscher,
-einen an Haarschnüren oder an seidenen Stricken hängenden Menschen zu
-elektrisieren und ihm Funken zu entlocken.
-
-Die ersten Beobachtungen über die Fortleitung der Elektrizität rühren
-von *Guericke* her. Ausgedehntere Versuche über das Leitungsvermögen
-stellte ein Zeitgenosse *Du Fays*, der Engländer *Stephan Grey*, an.
-Er verschloß eine Glasröhre vermittelst eines Korkstopfens, um zu
-untersuchen, ob sie sich jetzt in gleicher Weise wie vorher durch
-Reiben elektrisieren lasse. *Grey* (er starb 1736 in London) bemerkte
-keinen Unterschied, fand aber, daß der Stopfen auch elektrisch
-geworden war, da er auf eine Feder wie die Glasröhre wirkte. Darauf
-steckte er in den Stopfen einen Holzstab, der am andern Ende eine
-Elfenbeinkugel trug. Wurde nun die Glasröhre gerieben, so zeigte sich
-diese Kugel gleichfalls elektrisch. Die Zustandsänderung hatte sich
-also von dem Glase aus durch den Stopfen und das Holz bis auf die Kugel
-fortgepflanzt. Um die Frage zu entscheiden, bis auf welche Entfernung
-eine solche Fortpflanzung möglich sei, ersetzte *Grey* den Holzstab
-durch einen ausgespannten Faden, der in seidenen Schleifen hing. Es
-gelang, eine Wirkung auf Entfernungen bis zu 700 Fuß nachzuweisen. Ließ
-man den Bindfaden nicht auf Seide, sondern auf Draht ruhen, so mißlang
-der Versuch. Auch hierdurch wurde man auf den Unterschied zwischen
-Leitern und Nichtleitern aufmerksam gemacht. Als letztere lernte man
-Haare, Seide, Harz und Glas kennen und zu ferneren Versuchen benutzen.
-*Grey* elektrisierte auch Personen, die auf einem Harzkuchen standen.
-Er ist also im Prinzip der Erfinder des Isolierschemels. *Grey* stellte
-eine Schale mit Wasser auf seine Isolierplatte. Wurde der Flüssigkeit
-ein elektrisierter Glasstab genähert, so erhob sie sich über ihr
-gewöhnliches Niveau. Dieser Versuch führte auf eine eigentümliche
-Entdeckung. Zwei Leydener Physiker[8] suchten Wasser, das sich in
-einem isolierenden Glasgefäß befand, zu elektrisieren, indem sie es
-vermittelst eines Drahtes mit einer geriebenen Glasröhre in Verbindung
-setzten. Als der eine von ihnen zufällig das Gefäß in der Hand hielt
-und zu gleicher Zeit die Röhre berührte, erhielt er einen kräftigen
-Schlag, der besonders im Arm und in der Brust zu spüren war. In der
-betreffenden Mitteilung vom Jahre 1746 hieß es, man sei in Leyden auf
-einen erschrecklichen Versuch geraten, dem sich die Erfinder nicht um
-die Krone Frankreichs zum zweitenmal aussetzen möchten. Die Priorität
-der Entdeckung gebührt jedoch nicht den Leydener Physikern, sondern
-dem in Pommern lebenden *von Kleist*[9]. Im Jahre 1745 machte dieser
-folgenden Versuch. Er stellte in eine Arzneiflasche einen eisernen
-Nagel und elektrisierte diesen. Als er darauf den Nagel mit der anderen
-Hand berührte, erhielt er einen heftigen Schlag, der noch verstärkt
-wurde, wenn sich etwas Quecksilber am Boden der Flasche befand. Die
-Entdeckung erregte großes Aufsehen und führte der Beschäftigung mit
-elektrischen Versuchen zahlreiche Dilettanten zu. Jene Vorrichtung,
-die man in der Folge als die Leydener Flasche bezeichnete, wurde
-in Frankreich im Beisein des Königs durch eine Kette von mehr als
-hundert Personen entladen. Das Wasser und die Hand, welche bei dem
-ursprünglichen Versuch die Rolle des inneren und des äußeren Belags
-gespielt hatten, wurden bald darauf durch Zinn ersetzt. Ferner machte
-man die Beobachtung, daß die Leydener Flasche die Elektrizität längere
-Zeit behält und daß sie sich nicht laden läßt, wenn sie isoliert ist.
-Zu einem Verständnis dieses Verhaltens gelangte erst *Franklin*. Als
-er eine, an einem Seidenfaden hängende, leichte Kugel dem inneren
-Belage näherte, wurde sie in der bekannten Weise zunächst angezogen,
-dann aber, nachdem sie gleichfalls elektrisch geworden war, wieder
-abgestoßen. Näherte er die Kugel jetzt dem äußeren Belag, so wurde sie
-angezogen. Es zeigte sich also, daß die Beläge entgegengesetzt geladen
-waren, und daß die Entladung der Flasche in dem Ausgleich dieser
-entgegengesetzten Elektrizitäten besteht. *Franklin* bediente sich bei
-seinen Versuchen einer auf beiden Seiten mit Zinn überzogenen Tafel,
-die nach ihm noch heute als *Franklin*sche Tafel bezeichnet wird.
-
-Die Vereinigung mehrerer Leydener Flaschen zu einer elektrischen
-Batterie bewerkstelligte zuerst der Danziger Bürgermeister
-*Gralath*[10]. Er nahm mehrere Glaskolben, füllte sie zur Hälfte mit
-Wasser und ließ einen eisernen, mit einer Kugel versehenen Draht aus
-der Flasche hervorragen. Sämtliche Kugeln wurden dann gleichzeitig mit
-dem Konduktor der Elektrisiermaschine verbunden. *Gralath* erhielt
-durch diese Vorrichtung einen sehr heftigen Schlag. Noch in demselben
-Jahre (1746) wurde die Wirkung der Batterie in solchem Maße verstärkt,
-daß man den Funken am hellen Tage 200 Schritte weit sah und die
-Entladung auf noch größere Entfernung zu hören vermochte.
-
-Die weitere Erforschung der Reibungselektrizität wurde dadurch
-außerordentlich gefördert, daß man nach dem Vorgange *Guerickes* und
-*Hawksbees* zur Anwendung maschineller Vorrichtungen schritt.
-
-Einem Leipziger Professor der Physik namens *Hausen* wurde im Jahre
-1743 von einem seiner Zuhörer der Vorschlag gemacht, sich das mühevolle
-Reiben der Glasröhre dadurch zu ersparen, daß er eine größere Glaskugel
-in Drehung versetze. Dieser Vorschlag erwies sich als über Erwarten
-praktisch, zumal ein Leipziger Handwerker den neuen Apparat mit dem
-ersten Reibzeug versah. Letzteres bestand aus einem wollenen Kissen.
-Bald darauf (1744) brachte der deutsche Physiker *Bose* neben der
-Glaskugel einen isolierten Metallkörper als Konduktor an. Diesen
-Konduktor finden wir schon wenige Jahre, nachdem *Hausen* seine
-Maschine gebaut, mit einem Saugkamm versehen[11], so daß noch vor
-Ablauf der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Elektrisiermaschine
-in ihrer noch jetzt gebräuchlichen Einrichtung den Physikern zu Gebote
-stand. Im weiteren Verlaufe des 18. Jahrhunderts ersetzte man die
-Glaskugel durch die handlichere Glasscheibe[12] und versah das Reibzeug
-mit dem bekannten, von *Kienmayer* empfohlenen Amalgam[13].
-
-[Illustration: Abb. 1. Elektrisiermaschine aus dem Jahre 1744.
-(Aus *Gerland* und *Traumüller*, Geschichte der physikalischen
-Experimentierkunst.)
-
-Als Reibzeug dient noch die Hand. Ihr gegenüber befindet sich als
-Konduktor eine auf seidenen Schnüren liegende Metallröhre AB, deren
-Ende A mit einem Bündel Fäden an Stelle des Saugkammes versehen ist. E
-steht auf einem mit isolierender Substanz (Pech) gefüllten Kasten. Aus
-der Spitze des Degens springt ein Funken über, welcher den im Löffel F
-befindlichen Weingeist entzündet.]
-
-Die Elektrisiermaschine kam nun sozusagen in Mode. Das Interesse,
-welches ihr bemittelte Dilettanten entgegenbrachten, bewirkte, daß
-sie schließlich gewaltige Dimensionen annahm[14]. In rascher Folge
-wurden jetzt die wichtigsten Erscheinungen der Reibungselektrizität
-entdeckt. Die zündende Wirkung des Funkens wurde an Schießpulver,
-Äther und anderen brennbaren Stoffen dargetan. Der Danziger
-Bürgermeister *Gralath*[15] entzündete ein eben ausgeblasenes Licht
-durch den elektrischen Funken. Ja, es gelang sogar, vermittelst eines
-elektrisierten Wasserstrahles Weingeist in Brand zu setzen.
-
-Ferner versuchte man die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Elektrizität
-zu bestimmen, indem man den Schlag einer Leydener Flasche durch
-einen mehrere tausend Meter langen Draht leitete (siehe Abb. 2).
-Derartige Versuche unternahm zuerst der Franzose *Le Monnier* und
-später der Engländer *Watson* (1715-1787). Da sich hierbei kein
-meßbarer Zeitunterschied ergab, so konnte man zunächst nur auf eine
-sehr große Geschwindigkeit schließen. Diese zu bestimmen, war eine
-neue, sinnreiche Methoden erfordernde Aufgabe der Experimentalphysik.
-Doch knüpfte man später an den der obigen Versuchsanordnung (Abb.
-2) zugrunde liegenden Gedanken wieder an, nur daß an Stelle der
-unmittelbaren Beobachtung der rasch rotierende Spiegel trat.
-
-[Illustration: Abb. 2. *Watsons* Versuch, die Geschwindigkeit der
-Elektrizität in einem Drahte zu bestimmen. Der innere Belag der
-Leydener Flasche C steht mit dem isoliert aufgehängten leitenden Stabe
-AD in Verbindung. Von dem äußeren Belag geht ein Draht nach der
-Kugel H. In F wird eine Person eingeschaltet. Obgleich das Drahtstück
-zwischen F und H etwa 12000 Fuß lang war, konnte der in F befindliche
-Beobachter doch keinen Zeitunterschied zwischen der empfangenen
-Erschütterung und dem Überspringen des Funkens bei H feststellen.]
-
-Auch der naheliegende Gedanke, das Verhalten des Funkens im Vakuum zu
-untersuchen, kam zur Ausführung[16]. Der erste, der darüber Versuche
-anstellte, war der Mechaniker *Grummert* (1719-1776) in Dresden.
-Es zeigte sich, daß die Elektrizität den luftleeren Raum auf eine
-beträchtliche Strecke durchdringt. Nach der Beschreibung *Watsons*,
-eines späteren Beobachters, erfüllte das elektrische Feuer die ganze
-Röhre, so daß man, so lange die Maschine in Bewegung blieb, eine
-ununterbrochene Lichterscheinung wahrnahm. Der weitere Verfolg dieses
-Versuches hat zur Erfindung der *Geißler*schen Röhre und endlich in der
-neuesten Zeit zur Entdeckung eigentümlicher Strahlengattungen geführt.
-Auch zur Erklärung des Nordlichts wurde das elektrische Leuchten in
-evakuierten Röhren herangezogen[17].
-
-Den neuen, wunderbaren Entdeckungen gegenüber, denen man nichts
-Ähnliches an die Seite stellen konnte, erhob sich schon bei den
-Physikern des 18. Jahrhunderts die Frage nach der Ursache der
-elektrischen Erscheinungen. War die Elektrizität ein Stoff, so
-ließ sich erwarten, daß die Körper durch das Elektrisieren eine
-Gewichtszunahme erfahren würden. Alle Versuche, die nach dieser
-Richtung hin angestellt wurden, blieben jedoch ohne Erfolg[18]. Zu
-dem gleichen Ergebnis war man hinsichtlich der Wärme gelangt, als man
-Gegenstände in erhitztem Zustande und bei gewöhnlicher Temperatur wog.
-
-Aus diesen Versuchen wurde nun keineswegs gefolgert, daß die
-Elektrizität und die Wärme bloße Zustände seien, sondern es wurde der
-Begriff des unwägbaren Stoffes oder der Imponderabilie, aus dem man ja
-auch die Lichterscheinungen zu erklären suchte, auf die elektrischen,
-die verwandten magnetischen und die kalorischen Vorgänge ausgedehnt.
-Die Lehre von den Imponderabilien hat die Physik bis in das 19.
-Jahrhunderte hinein beherrscht. Sie wurde hinsichtlich der Wärme zuerst
-von *Rumford* und *Davy* erschüttert. Ihre endgültige Beseitigung auf
-allen Gebieten ist eine Aufgabe, welche die Wissenschaft bis in die
-neueste Zeit beschäftigt hat.
-
-Obgleich die Lehre von den Imponderabilien nicht imstande war, einem
-vorgeschrittenen Kausalitätsbedürfnis zu genügen, bot sie bei der
-Stufe des Wissens, welche das 18. Jahrhundert erreicht hatte, doch die
-einzige Möglichkeit einer Erklärung. Wenn man die Lichterscheinungen
-auf die Fortbewegung eines besonderen Stoffes zurückführte, war man
-auch gezwungen, weitere Stoffe als Träger der Wärme, der elektrischen
-und der magnetischen Vorgänge anzunehmen. Einfacher gestaltete sich
-die Theorie der Elektrizität bei solchen Physikern, welche die
-Lichterscheinungen auf Wellenbewegung zurückführten. So besteht für
-*Euler* kein Zweifel, daß die Quelle aller elektrischen Vorgänge
-in dem Äther zu suchen sei, in dem sich nach ihm und *Huygens* das
-Licht fortpflanzt. Die Elektrizität, meint *Euler*, sei nichts als
-eine Störung im Gleichgewichte dieses Äthers, der in die Körper
-hineingepreßt oder aus ihnen herausgetrieben werde, je nachdem sie die
-eine oder die andere Art des Elektrizitätszustandes aufwiesen[19].
-
-Von einer ähnlichen Vorstellung ließ sich *Franklin* bei seinen
-Untersuchungen leiten. Die Körper waren für ihn positiv oder
-negativ elektrisch, je nachdem sie ein Zuviel oder ein Minder
-des hypothetischen elektrischen Fluidums enthielten, während sie
-unelektrisch seien, wenn sich dieses Fluidum außerhalb und innerhalb
-der Körper im Gleichgewicht befände.
-
-Nach *Franklin* durchdringt das elektrische Fluidum die ganze
-Körperwelt. Es ist die Ursache aller elektrischen Erscheinungen. Die
-Teilchen dieses Fluidums stoßen sich gegenseitig ab, werden aber
-von den Körperteilchen kräftig angezogen. Enthält der Körper soviel
-davon, als er aufnehmen kann, ohne daß etwas von dem Fluidum auf der
-Oberfläche des Körpers zurückbleibt, so ist dies nach *Franklin* der
-gewöhnliche Zustand, und der Körper erscheint uns unelektrisch.
-
-Andere wieder, wie *Symmer*, zogen es vor, die verschiedenen
-elektrischen Zustände aus der Annahme zweier Fluida zu erklären. Der
-hieraus entstehende Streit der Unitarier und Dualisten, so zwecklos er
-an sich auch war, bewirkte, daß die experimentelle Erforschung der in
-Frage kommenden Erscheinungen lebhaft gefördert wurde. Das Interesse
-dafür wurde ein solch allgemeines, daß den Physikern von Beruf mancher
-Bundesgenosse aus dem Laienkreise erstand. Der hervorragendste unter
-ihnen war der soeben genannte *Franklin*.
-
-*Benjamin Franklin* wurde am 17. Januar 1706 in Governors Island bei
-Boston geboren. Sein Vater hatte die englische Heimat verlassen, weil
-er dort nicht ungehindert seiner religiösen Überzeugung leben konnte.
-Da er sich und eine zahlreiche Familie durch Seifensieden nur mühsam
-ernährte, so wurde der junge Benjamin frühzeitig von der Schule
-genommen und seinem älteren Bruder, einem Buchdrucker, in die Lehre
-gegeben. Nachdem *Franklin* einige Zeit in England als Setzer tätig
-gewesen war, rief er in Philadelphia eine Zeitung und eine Druckerei
-ins Leben.
-
-Zur Beschäftigung mit der Elekrizitätslehre wurde *Franklin*
-dadurch angeregt, daß ein Londoner Kaufmann namens *Collinson* der
-Bibliotheksgesellschaft zu Philadelphia einige Gegenstände für
-elektrische Versuche übersandte. Ein Jahr später konnte *Franklin* an
-*Collinson* schreiben[20]: »Mein Eifer und meine Zeit wurden nie zuvor
-durch etwas in solchem Maße in Anspruch genommen. Ich stelle Versuche
-an, sobald ich allein sein kann, und wiederhole sie in Gegenwart meiner
-Freunde, die in Scharen kommen, um sie zu sehen. Ich habe kaum Zeit für
-irgend etwas anderes.«
-
-Die Ergebnisse, zu denen *Franklin* von 1747-1755 gelangte, legte er
-in zahlreichen Briefen nieder, die zum größten Teil an *Collinson*
-gerichtet sind, und von ihm der Royal Society mitgeteilt wurden. Im
-Jahre 1756 wurde *Franklin* Mitglied der Royal Society.
-
-*Franklins* erste Briefe handeln von der Ladung der Leydener Flasche
-und der unitarischen Lehre; spätere betreffen das Gebiet der
-atmosphärischen Elektrizität, welches durch *Franklins* Arbeiten erst
-erschlossen wurde. *Franklin* setzte seine wissenschaftliche Tätigkeit
-bis zum Jahre 1774 fort. Von diesem Zeitpunkt an widmete er sich
-ganz den Bestrebungen, die auf eine Loslösung der nordamerikanischen
-Kolonien von England abzielten. *Franklin* war bald einer der Führer in
-dieser gewaltigen politischen Bewegung.
-
-Als die griechische Philosophie an Stelle der mythischen Betrachtung
-eine ursächliche Erklärung des Naturgeschehens zu setzen suchte, führte
-man das Gewitter auf schweflige, brennbare Dünste zurück, die sich in
-den Wolken ansammeln und als Blitz die letzteren durchbrechen sollten.
-Selbst im 17. Jahrhundert ahnte noch niemand die wahre Natur der
-Erscheinung. Nach *Descartes* besteht das Gewitter in einem Herabfallen
-der oberen Wolken auf die darunter befindlichen. *Euler* erzählt, daß
-man die ersten, welche eine Ähnlichkeit zwischen den elektrischen
-Erscheinungen und dem Blitz zu finden glaubten, als Träumer angesehen
-habe[21]. Was noch im Beginn des 18. Jahrhunderts als bloße Vermutung
-geäußert wurde, erhob *Franklin* durch seine Untersuchungen auf den
-Boden der Gewißheit.
-
-Wenn wir von *Wall* absehen, der schon 1705 die gelegentliche Bemerkung
-gemacht hat, man könne die elektrische Entladung mit dem Blitz und dem
-Donner vergleichen, so besitzt *Franklin* mit seiner Gewittertheorie
-einen Vorläufer nur in dem Deutschen Winkler. Letzterer erörterte
-im Jahre 1746[22] die Frage: »ob Schlag und Funken der verstärkten
-Elektrizität (in *Kleist*schen Flaschen) für eine Art Blitz und Donner
-zu halten sind?« *Winkler* kam zu dem Ergebnis, daß das Gewitter und
-die künstlich herbeigeführte elektrische Entladung nur in der Stärke,
-indessen nicht in ihrem Wesen voneinander verschieden seien. Als die
-Quelle der Gewitterelektrizität betrachtete er die Verdunstung des
-Wassers und eine damit verbundene Reibung.
-
-*Franklin* sprach sich zuerst in seinem Briefe vom 7. November 1749
-für die elektrische Natur des Gewitters aus. Für die Übereinstimmung
-des Blitzes mit dem elektrischen Funken führte er folgende Gründe und
-Beweise an: 1. Die Ähnlichkeit des Lichtes, sowie des Geräusches und
-das fast Augenblickliche beider Erscheinungen. 2. Der Funke wie der
-Blitz sind imstande, Körper zu entzünden. 3. Beide vermögen lebende
-Wesen zu töten. (*Franklin* tötete ein Huhn durch die Entladung
-mehrerer Leydener Flaschen). 4. Beide rufen mechanische Zerstörungen
-hervor und erzeugen einen Geruch nach verbranntem Schwefel[23]. 5.
-Der Blitz und die Elektrizität folgen denselben Leitern und springen
-vorzugsweise auf die Spitzen über. 6. Beide sind imstande, den
-Magnetismus zu zerstören oder auch die Pole eines Magneten umzukehren.
-7. Durch den Funken können ebenso wie durch den Blitz Metalle zum
-Schmelzen gebracht werden.
-
-An die Versuche, durch welche *Franklin* den letzten Punkt
-dieser Aufzählung zu erweisen suchte, knüpfte sich eine
-Meinungsverschiedenheit mit seinem Freunde *Kinnersley*. Dieser
-befaßte sich gleichfalls mit elektrischen Versuchen und führte sie
-als wandernder Experimentator seinen Landsleuten vor. *Franklins*
-Verfahren, Metalle durch den Funken zu schmelzen, bestand darin, daß
-er dünne Blättchen von Zinn oder Gold zwischen zwei Glasscheiben legte
-und eine große Leydener Flasche durch diese Blättchen entlud[24]. Das
-Metall wurde dadurch in feinste Teilchen zerstiebt, ein Vorgang, den
-*Franklin* als kalte Schmelzung bezeichnete, da ihn sein Verfahren
-die bei der Entladung auftretende Wärme nicht erkennen ließ. Die
-kalte Schmelzung sollte nicht durch Hitze, sondern dadurch zustande
-kommen, daß das elektrische Fluidum in die Zwischenräume der Teilchen
-eindringe und auf diese Weise den Zusammenhang der Körper zerstöre.
-Demgegenüber zeigte *Kinnersley*, indem er die Entladung einer Batterie
-von 35 Flaschen durch einen Draht vor sich gehen ließ, daß Metalle
-zum Erglühen und sogar zum Schmelzen gebracht werden können. »Ihr
-herrlicher Versuch,« schrieb darauf *Franklin*, »setzt außer Zweifel,
-daß unsere künstliche Elektrizität Hitze hervorbringt und daß, wenn sie
-Metalle schmilzt, dies nicht durch das geschieht, was ich als kalte
-Schmelzung bezeichnet habe[25].«
-
-Die Ursache der elektrischen Erscheinungen ist nach *Franklin* eine
-äußerst feine Flüssigkeit, welche die Körper durchdringt und sich
-in ihnen gleichmäßig verteilt aufhält. Wenn es sich infolge eines
-künstlich herbeigeführten oder eines natürlichen Vorganges ereignet,
-daß diese Flüssigkeit in dem einen Körper in größerer Menge vorhanden
-ist als in einem anderen, so teilt der Körper, welcher mehr davon
-enthält, sie demjenigen mit, der weniger besitzt, bis die Verteilung
-eine gleichmäßige geworden ist, Voraussetzung ist, daß der Abstand
-zwischen den Körpern nicht zu groß ist, oder daß Leiter vorhanden
-sind, welche diese Materie von dem einen zum anderen Körper zu führen
-vermögen. Erfolgt die Mitteilung durch die Luft, ohne Vermittlung eines
-Leiters, so sieht man eine glänzende Lichterscheinung zwischen den
-Körpern und vernimmt dabei ein Geräusch. Bei den großartigen, in der
-Natur stattfindenden Entladungen ist dieses Licht dasjenige, was wir
-Blitz nennen, und das Geräusch und sein Widerhall ist der Donner[26].
-
-Den unmittelbaren Nachweis der atmosphärischen Elektrizität lieferte
-*Franklin* durch seinen berühmt gewordenen Versuch mit dem Drachen.
-Letzterer besaß eine eiserne Spitze und wurde im Juni des Jahres
-1752 während eines Gewitters an einer Hanfschnur emporgelassen.
-Die Schnur war an einen Schlüssel geknüpft, der mit einem seidenen
-Tuche festgehalten wurde. Zuerst blieb der Erfolg aus. Als die Schnur
-jedoch feucht geworden war und eine Wolke an dem Drachen vorüberzog,
-sträubten sich die losen Fäden. Als *Franklin* jetzt die Knöchel
-seiner Hand dem Schlüssel näherte, vermochte er deutliche Funken aus
-ihm hervorzuziehen. Das zweite von *Franklin* in Vorschlag gebrachte
-Verfahren, welches indes in Europa früher zur Ausführung gelangte als
-in Amerika, bestand darin, daß man hohe Eisenstangen errichtete und
-diesen während eines Gewitters Elektrizität entzog, ein Versuch, den
-fast zur selben Zeit, als *Franklin* seinen Drachen steigen ließ,
-einige Franzosen in der Nähe von Paris dem Könige vorführten. Später
-entdeckte *Franklin*, daß die Wolken bald positiv, bald negativ geladen
-sind. Diese Untersuchungen führten ihn schließlich auf den Gedanken,
-jene Eisenstangen als Blitzableiter zum Schutze von Gebäuden zu
-empfehlen, ein Vorschlag, der in Amerika und bald darauf auch in Europa
-allseitige Beachtung fand.
-
-Die Überlegungen, die ihn zu seinem Vorschlag führten, legte *Franklin*
-in einem vom 12. IX. 1753 datierten Briefe dar. »Wird außerhalb
-des Gebäudes«, heißt es dort, »ein eiserner Stab angebracht, der
-ununterbrochen von dem höchsten Teile bis in das feuchte Erdreich
-geht, so nimmt dieser Stab den Blitz an seinem oberen Ende auf und
-bietet ihm eine gute Leitung bis in die Erde. Auf solche Weise wird
-die Beschädigung irgend eines Teiles des Gebäudes verhindert. Dabei
-ist eine geringe Menge Metall imstande, eine große Menge Elektrizität
-fortzuleiten. Ein eiserner Draht, der nicht stärker als eine Gänsefeder
-war, vermochte eine Elektrizitätsmenge fortzuführen, die an seinen
-beiden Enden eine schreckliche Zerstörung anrichtete[27].
-
-Der Stab muß an der Mauer, dem Schornstein usw. mit eisernen Klammern
-befestigt werden. Der Blitz wird den Stab, der ein guter Leiter ist,
-nicht verlassen, um durch diese Klammern in die Mauer zu fahren.
-
-Wenn das Gebäude sehr groß ist, so kann man der größeren Sicherheit
-wegen zwei oder mehr Stäbe an verschiedenen Stellen errichten.
-
-Das untere Ende des Stabes muß so tief in den Boden geführt werden,
-daß es eine feuchte Stelle erreicht. Wenn man den Stab dann biegt, um
-ihn horizontal sechs bis acht Fuß von der Mauer fortlaufen zu lassen,
-und ihn dann drei bis vier Fuß abwärts gehen läßt, so schützt er alle
-Steine des Fundamentes vor Beschädigung.«
-
-Auf die Einrichtung von Blitzableitern ist *Franklin* besonders durch
-seine Versuche über die Spitzenwirkung gekommen, die er zuerst zu
-erklären suchte. Dies geschah in seinem Briefe vom 29. Juli 1749.
-*Franklin* führt darin folgendes aus. Befinde sich die Elektrizität
-auf der Oberfläche einer Kugel, so habe kein Teilchen des elektrischen
-Fluidums mehr Neigung wie ein anderes, die Oberfläche zu verlassen,
-weil die Anziehung der Materie auf das elektrische Fluidum in diesem
-Falle überall gleich groß sei. Setze man an Stelle der Kugel einen
-Würfel, so werde die Elektrizität auf den Flächen mehr angezogen als
-an den Ecken. Die Teilchen der Elektrizität würden daher infolge der
-zwischen ihnen wirkenden Abstoßung nach den Ecken strömen. Je feiner
-die Spitze, desto mehr müsse diese Abstoßung, weil sich die Anziehung
-der Materie auf der Spitze vermindere, zur Geltung kommen und die
-Elektrizität dorthin strömen.
-
-Ebenso bekannt wie durch seine wissenschaftlichen Erfolge ist
-*Franklin* durch die Rolle geworden, die er in der politischen
-Geschichte seines Vaterlandes gespielt hat. Während des amerikanischen
-Unabhängigkeitskampfes hielt sich *Franklin* in Paris auf, wo er im
-Jahre 1783 die Friedensverhandlungen unterzeichnete. Die Bewunderung,
-welche dem schlichten und doch so bedeutenden Manne von ganz Frankreich
-gezollt wurde, fand einen beredten Ausdruck in dem von *d'Alembert* an
-ihn gerichteten Worte: Eripuit coelo fulmen sceptrumque tyrannis[28].
-
-Bevor *Franklin* nach Amerika zurückkehrte, schloß er noch
-Freundschafts- und Handelsverträge mit Schweden und Preußen. Im Jahre
-1788 zog er sich vom öffentlichen Leben zurück. *Franklin* starb am 17.
-April 1790. Sein Tod versetzte, wie die von Washington gehaltene Rede
-bekundet, sein Vaterland in tiefe Trauer. Auch Europa, wo Mirabeau ihm
-einen Nachruf widmete, nahm lebhaften Anteil. Es war ein Augenblick,
-in welchem das Gefühl der geistigen Zusammengehörigkeit zwischen der
-alten Welt und der jungen, neuen Stätte der Kultur voll zum Ausdruck
-kam. Zwar sollte die Mitarbeit des amerikanischen Volkes an den
-Aufgaben der Wissenschaft nicht sobald Platz greifen, wie man nach den
-Erfolgen eines *Franklin* hätte erwarten mögen. Es harrten eben noch zu
-viele andere Aufgaben ihrer Erledigung, so daß ein volles Jahrhundert
-verstreichen konnte, bis die Wissenschaft jenseits des Ozeans die
-gleiche Pflege fand, die sie in den alten Staaten Europas genießt.
-
-Erwähnenswerte Versuche über die atmosphärische Elektrizität wurden
-auch von *de Romas*, *Richmann* und *Le Monnier* angestellt.
-
-*De Romas* (starb 1776), ein Franzose, wiederholte *Franklins*
-Drachenversuch in größerem Maßstabe im Sommer des Jahres 1753. Er ließ
-einen Drachen von 7½ Fuß Höhe an einer 780 Fuß langen, um einen
-Eisendraht gesponnenen Schnur 550 Fuß hoch emporsteigen. Die Schnur war
-an einer Blechröhre befestigt, aus der acht Fuß lange Funken gezogen
-wurden.
-
-Der Physiker *Richmann* in Petersburg (1711-1753) hatte eine Stange
-errichtet, an deren unterem Ende sich ein Elektroskop befand. Als er
-sich dem letzteren gelegentlich eines Gewitters näherte, wurde er von
-einem aus der Stange herausfahrenden Kugelblitz erschlagen.
-
-Von besonderer Wichtigkeit waren die Versuche des Franzosen *Le
-Monnier*. Diesem gelang im Jahre 1752 der Nachweis, daß die Atmosphäre
-auch elektrisch ist, wenn kein Gewitter, ja nicht einmal Wolken am
-Himmel stehen.
-
-Auch die chemische Wirkung der Elektrizität wurde schon in diesem
-Zeitraum, also noch vor der Erfindung der galvanischen Elemente,
-bekannt. Die Versuche *Beccarias* lieferten den Nachweis, daß sich
-mit Hilfe des Entladungsschlages aus Metalloxyden Metalle herstellen
-lassen. *Beccaria* erhielt auf diesem Wege Zink aus Zinkoxyd und
-Quecksilber aus Zinnober[29].
-
-Als man die Entladungen durch Flüssigkeiten hindurch vor sich
-gehen ließ, bemerkte man gleichfalls chemische Wirkungen. So fand
-*Priestley* im Jahre 1774, daß sich mit Hilfe der Elektrizität aus
-einigen Flüssigkeiten, z. B. aus Alkohol, Wasserstoff abspalten läßt.
-Unter allen Flüssigkeiten hatte stets das Wasser in seinem Verhalten
-gegenüber der Elektrizität am lebhaftesten interessiert. *Priestleys*
-Versuche wurden daher durch den holländischen Chemiker *van Troostwyk*
-im Jahre 1789 mit Wasser angestellt. Der Wunsch, vielleicht auf diesem
-Wege Aufschluß über die chemische Natur des Wassers zu erhalten, war
-besonders durch *Lavoisiers* Untersuchungen über die Bildung von
-Wasser aus Wasserstoff und Metalloxyden[30] hervorgerufen worden. Das
-Ergebnis *van Troostwyks* entsprach demjenigen *Lavoisiers* vollkommen.
-Als *van Troostwyk* die Entladung einer Leydener Flasche wiederholt
-durch destilliertes Wasser vor sich gehen ließ, fand eine Zerlegung
-der Flüssigkeit in ihre gasförmigen Bestandteile statt[31]. Ließ er
-den elektrischen Funken durch das entstandene Gasgemisch schlagen, so
-verwandelte es sich wieder in Wasser.
-
-Waren somit auch die chemischen Wirkungen der Elektrizität schon lange
-vor der Erfindung der galvanischen Elemente bekannt, so handelte
-es sich doch zunächst mehr um gelegentliche Beobachtungen, die nur
-geringe Beachtung fanden, da sich mit Hilfe der Leydener Flasche nur
-unerhebliche chemische Umsetzungen hervorrufen ließen. Erst als man in
-der Berührungselektrizität eine weit geeignetere Quelle für chemische
-Zerlegungen entdeckt hatte, eröffnete sich in der Elektrochemie
-ein neues, weites, für die Wissenschaft wie für die Technik gleich
-wichtiges Forschungsgebiet.
-
-Durch eine Reihe von Versuchen war man auch mit der physiologischen
-Wirkung der Elektrizität bekannt geworden. Vor allem hatte die
-heftige Erschütterung, welche die Leydener Flasche bewirkt, wenn die
-Entladung durch den Körper vor sich geht, das Interesse der Forscher
-wie der Laien hervorgerufen. Die Ärzte versprachen sich von diesen
-Erschütterungen die günstigsten Erfolge. Man verordnete gelähmten
-Kranken ein »elektrisches Bad«, indem man sie auf einer isolierenden
-Unterlage Platz nehmen und den Konduktor der Elektrisiermaschine
-berühren ließ. Nach der Erfindung der Leydener Flasche glaubte man,
-nicht nur Lähmungen, sondern auch alle möglichen anderen Krankheiten
-durch elektrische Kuren heilen zu können. Aus der Mitte des 18.
-Jahrhunderts liegen darüber eine Anzahl günstiger Krankenberichte
-vor[32]. Selbst an Versuchen, Tote mit Hilfe der Elektrizität wieder zu
-erwecken, hat es nicht gefehlt.
-
-So rasch wie die Elektrizität als Allheilmittel in Aufnahme gekommen
-war, ebenso schnell kam sie aus der Mode, bis unsere Zeit sie wieder
-in richtiger Beschränkung als therapeutisch wertvolles Mittel benutzen
-gelernt hat. Ganz unbekannt waren übrigens selbst den Alten die
-elektrischen Kuren nicht. Es wird nämlich berichtet, daß sie die
-tierische Elektrizität gegen nervöse Leiden anwandten, indem sie den
-Kranken mit dem Zitterrochen in Berührung brachten, natürlich ohne im
-entferntesten die Quelle des eigentümlichen Verhaltens dieses Tieres zu
-ahnen.
-
-Unter den deutschen Zeitgenossen *Franklins* ragen *Wilke* und
-*Aepinus* als Elektriker hervor.
-
-*Johann Karl Wilke* (Wilcke) wurde am 6. September 1732 in Wismar,
-das damals noch zu Schweden gehörte, geboren. *Wilke* studierte
-in Upsala, Göttingen und Rostock, wo er 1757 eine Dissertation
-über die entgegengesetzten Elektrizitäten, eine bedeutende Arbeit,
-herausgab[33]. Später wurde *Wilke* Sekretär der schwedischen
-Akademie der Wissenschaften. In dieser Stellung hielt er in Stockholm
-physikalische Vorlesungen. Er starb am 18. April 1796.
-
-In seiner Arbeit vom Jahre 1757 lieferte *Wilke* den wichtigen
-Nachweis, daß beim Aneinanderreiben zweier Körper stets beide
-Elektrizitätsarten entstehen. *Wilke* brachte darauf die untersuchten
-Stoffe in eine Reihe, in welcher jedes Glied, mit einem darauf
-folgenden gerieben, positiv-elektrisch, mit einem vorangehenden
-gerieben, dagegen negativ elektrisch wird. Einige Glieder dieser
-Reihe sind: Glas, Wolle, Holz, Lack, Metalle, Schwefel. Dieser ersten
-Reibungs- oder Spannungsreihe sind später zahlreiche Anordnungen
-gefolgt, die unter sich jedoch hin und wieder auffallende Abweichungen
-zeigen. Dies rührt daher, daß nicht nur die Art des Stoffes, sondern
-auch seine Oberflächenbeschaffenheit für die Stelle, die er innerhalb
-der Spannungsreihe einnimmt, mitbestimmend ist. Am bekanntesten sind
-die Reihen von *Young*[34] und die von *Faraday* geworden. Erstere
-mag hier noch Platz finden. Sie lautet: Glas, Wolle, Federn, Holz,
-Siegellack, Metalle, Harz, Seide, Schwefel.
-
-*Wilke* entdeckte ferner im Jahre 1757 eine neue Art der
-Elektrizitätserregung. Er fand nämlich, daß Schwefel und Harz, wenn man
-sie in einer Porzellanschale erstarren läßt, stark negativ elektrisch
-werden. Von *Wilke* rührt auch die erste Karte über die magnetische
-Inklination her. Von seinen Verdiensten um die Entwicklung der
-Wärmelehre werden wir im nächsten Abschnitt hören.
-
-Neben der durch Reibung und durch atmosphärische Vorgänge erzeugten
-Elektrizität lernte man auch die Erregung dieser Kraft durch
-physiologische Vorgänge und durch Wärmezufuhr kennen. Um die Mitte
-des 18. Jahrhunderts tauchte die Vermutung auf, daß man es in der
-schon von den Schriftstellern des Altertums erwähnten eigentümlichen
-Wirkung des Zitterrochens (Raja torpedo) auf den Menschen und andere
-lebende Wesen mit einer elektrischen Erscheinung zu tun habe[35].
-Seit *Richers* Anwesenheit in Cayenne war man auch mit dem Zitteraal
-(Gymnotus electricus) der südamerikanischen Gewässer bekannt
-geworden. Indes erst ein Jahrhundert, nachdem *Richer*[36] über dieses
-eigentümliche Geschöpf berichtet, hatte sich die Elektrizitätslehre
-soweit entwickelt, daß man die Identität jener physiologischen und
-der durch Reibung erzeugten Erscheinungen nachzuweisen vermochte.
-Dies geschah einmal dadurch, daß man den Impuls durch eine Kette von
-Personen leitete, wobei die erste und die letzte den Fisch an der
-Ober-, beziehungsweise an der Unterseite berührten. Alle empfingen
-dann einen Erschütterungsschlag, wie ihn die Leydener Flasche erteilt.
-Der zweite Nachweis bestand darin, daß man die Entladung durch einen
-auf Glas geklebten Stanniolstreifen vor sich gehen ließ, der eine
-Unterbrechung besaß. An der Stelle, wo sich diese befand, sah man
-bei jedem Schlage, den der Fisch bewirkte, einen elektrischen Funken
-überspringen[37].
-
-Die erste wissenschaftliche Untersuchung über die tierische
-Elektrizität wurde im Jahre 1773 von *Walsh* veröffentlicht. *Walsh*
-erbrachte nicht nur die soeben erwähnten Nachweise, sondern er zeigte
-auch, daß der Zitterrochen Elektrizität in einem ganz bestimmten
-Organ erzeugt, während der übrige Körper wie die Gewebe jedes Tieres
-nur leitend ist. Das elektrische Organ liegt, wie *Walsh* erkannte,
-zwischen dem Kopf und den Brustflossen (s. Abb. 3). Es besteht aus
-vielen Säulen, deren jede etwa 1/3 Zoll Durchmesser hat. *Walsh* zählte
-bei einigen Zitterrochen über 1000 solcher Säulen. Den kräftigsten
-elektrischen Schlag erhielt *Walsh* bei seinen Versuchen, wenn er eine
-leitende Verbindung zwischen dem Rücken und dem Bauch des Fisches
-herstellte[38].
-
-[Illustration: Abb. 3. Querschnitt durch den Torpedo nach der Zeichnung
-*Hunters*, der zuerst das elektrische Organ des Torpedos genauer
-untersuchte. (Philos. Transact. Vol. LXIII. Tab. XX. Fig. 3.)
-
-AA die obere Fläche des Fisches; BB die durchschnittenen Muskeln
-des Rückens; C das Rückenmark; D der Schlund; E die linke Kieme,
-gespalten, um den Vorlauf des sie durchziehenden Nerven zu zeigen;
-F die atmende Oberfläche der rechten Kieme; GG die Flossen; HH die
-senkrechten Säulen, welche das elektrische Organ zusammensetzen mit
-ihren horizontal verlaufenden Abteilungen; I einer der Nerven, welche
-das elektrische Organ versorgen, mit seinen Verzweigungen.]
-
-Noch eine zweite, schon lange bekannte Erscheinung wurde um die
-Mitte des 18. Jahrhunderts als eine elektrische erkannt. Bei der von
-den Juwelieren an Edelsteinen üblichen Feuerprobe konnte es nicht
-lange verborgen bleiben, daß der Turmalin, wenn er auf glühende
-Kohlen gelegt wird, Aschenteilchen anzieht und wieder von sich
-stößt[39]. Dieses eigentümliche, an das elektrische Pendel erinnernde
-Verhalten leichter Körper dem erwärmten Turmalin gegenüber wurde von
-*Aepinus*[40] genauer untersucht. Letzterer fand, daß die Erscheinung
-nur bei ungleicher Erwärmung der beiden Enden des Kristalls eintritt,
-sowie daß diese dabei entgegengesetzt elektrisch werden. Ein solcher
-Kristall, meint *Aepinus*, sei einem Magneten zu vergleichen, der ja
-auch an den beiden Polen ein entgegengesetztes Verhalten zeige[41].
-Er habe am Turmalin eine doppelte Elektrizität entdeckt und deutlich
-unterschieden, »davon die erstere auf die gewöhnliche Art durch Reiben,
-die andere aber durch einen gewissen Grad der Wärme, die man dem Steine
-beibringe, erweckt werde«. Diejenige Elektrizität, welche der Stein
-durch Reiben bekommt, war von der Elektrizität der glasartigen Körper
-nicht zu unterscheiden. Wurde der Turmalin aber erwärmt, so wurde
-die eine Seite positiv, die andere negativ elektrisch. Der erwärmte
-Turmalin zeigte also, »wie der Magnet eine doppelte Magnetkraft
-besitzt, beide Arten der Elektrizität zugleich«[42].
-
-Eine weitere Analogie zwischen einem Magneten und einem elektrisierten
-Körper entdeckte *Aepinus* in der Influenz. Wie ein Eisenstab in der
-Nähe eines Magneten magnetisch werde, so bringe ein elektrisierter
-Körper an einem benachbarten ähnliche Wirkungen hervor. *Aepinus* nahm
-einen Metallstab, der auf gläsernen Unterlagen ruhte und brachte an
-das eine Ende einen elektrisierten Körper heran, doch so, daß der Stab
-in einiger Entfernung davon blieb. Dasjenige Ende des Metallstabes,
-welches dem elektrisierten Körper zugewendet war, bekam dann die
-entgegengesetzte, das entferntere Ende dagegen dieselbe Elektrizität,
-welche der elektrisierte Körper besaß, mit dem man den Versuch
-anstellte. Bei einer geringen Abänderung des Versuches wurde jedoch
-eine große Verschiedenheit der Erscheinungen wahrgenommen. *Aepinus*
-brachte nämlich einen metallenen, auf gläserner Unterlage befindlichen
-Stab einem elektrisierten Körper so nahe, daß eine unmittelbare
-Berührung stattfand. Dann erhielt der zu elektrisierende Stab seiner
-ganzen Länge nach nur diejenige Art von Elektrizität, welche derjenige
-Körper besaß, mit dem man ihn berührt hatte.
-
-Die Beobachtung, daß sowohl der durch Erwärmung wie der durch Influenz
-elektrisierte Körper an beiden Enden entgegengesetzte Elektrizitäten
-aufweist, veranlaßte *Aepinus*, eine Analogie zwischen den elektrischen
-und den magnetischen Erscheinungen, bei denen bekanntlich stets eine
-solche Polarität wahrgenommen wird, zu behaupten. Die Zeit, den innigen
-Zusammenhang dieser Naturkräfte zu erkennen, war jedoch noch nicht
-gekommen. Es war dies vielmehr eine der wichtigsten Aufgaben, welche
-der naturwissenschaftlichen Forschung des 19. Jahrhunderts vorbehalten
-blieb[43].
-
-Sehr zutreffend waren auch die Ansichten, welche *Aepinus* über das
-Verhältnis zwischen Leitern und Nichtleitern entwickelte. Zwischen
-beiden Gruppen von Stoffen besteht nach ihm kein grundsätzlicher
-Unterschied. Dieser beruht nur auf den Unterschieden, den der
-Widerstand und in Verbindung damit die Leitungsgeschwindigkeit für die
-verschiedenen Körper aufweisen. Leiter sind danach solche Stoffe, deren
-Widerstand sehr klein, Nichtleiter solche, deren Widerstand sehr groß
-ist. Deshalb erfordert die Entladung durch letztere weit mehr Zeit. Auf
-diese Anschauung hat später *Faraday* seine Theorie vom elektrischen
-Rückstand gegründet.
-
-Mit der Pyroelektrizität des Turmalins hat sich von den Zeitgenossen
-des *Aepinus* besonders der Chemiker und Mineraloge *Tobern Bergman*
-beschäftigt. *Bergman* (1735-1784) war Professor der Chemie zu
-Upsala. Er zeigte, daß der Turmalin nicht durch die Erwärmung als
-solche, sondern durch das Hervorrufen einer Temperaturdifferenz
-elektrisch wird. War die Temperatur des Kristalls konstant, so war er
-unelektrisch, mochte die Temperatur hoch oder niedrig sein. Während
-der Temperaturzunahme war das eine Ende positiv, das andere negativ.
-Während der Abkühlung kehrten sich die Pole um. In einem späteren, der
-Mineralogie gewidmeten Abschnitt wird uns das an dem Turmalin entdeckte
-pyroelektrische Verhalten weiter beschäftigen.
-
-Einen gewissen Abschluß fanden die Entdeckungen auf dem Gebiete der
-statischen Elektrizität durch *Coulombs* erfolgreiche Bemühungen,
-messend an die bis dahin vorzugsweise nur in der Art ihrer Wirkungen
-erforschte Naturkraft heranzutreten.
-
-*Charles Augustin Coulomb* wurde am 14. Juni 1736 in Angoulème geboren.
-Sein Entwicklungsgang hat eine gewisse Ähnlichkeit mit demjenigen
-*Otto von Guerickes*. Wie letzterer war nämlich *Coulomb* ausgehend
-von der Ingenieurkunst zur Behandlung wissenschaftlicher Fragen
-gekommen. Die physikalischen Untersuchungen *Coulombs* knüpfen, wie
-wir gleich sehen werden, sämtlich an technische Probleme an. *Coulomb*
-studierte in Paris, wurde Offizier des Geniekorps und kam als solcher
-nach Martinique, wo er die Anlage von Befestigungen leitete. Im
-Jahre 1776 kehrte er nach Frankreich zurück und begann dort, sich
-mit technisch-mechanischen Untersuchungen zu befassen. Insbesondere
-beschäftigte er sich mit der Reibung, der Torsion und der Festigkeit
-der Körper. Seine erste Abhandlung betraf die Festigkeit eines
-horizontalen, mit dem einen Ende eingemauerten und am anderen Ende
-belasteten Balkens von rechteckigem Querschnitt. Für das Gewicht Q, bei
-welchem der Balken zerbricht, fand *Coulomb* den Wert 1/6k(bh^2)/l,
-wenn k den Koeffizienten der Zugfestigkeit, b die Breite, h die Höhe
-des Querschnittes und l die Länge des Balkens bedeutet. Ähnliche
-Untersuchungen stellte *Coulomb* über die Festigkeit von Säulen, die
-in der Richtung ihrer Achse belastet werden, sowie über den Erddruck
-bei Futtermauern an. Auch die Theorie der einfachen Maschinen machte
-*Coulomb* unter Berücksichtigung der Steifigkeit der Seile und der
-Reibung zum Gegenstande einer Abhandlung. Letztere trug ihm im Jahre
-1781 einen Preis und die Mitgliedschaft der Akademie der Wissenschaften
-ein. Um den Reibungskoeffizienten zu bestimmen, ließ *Coulomb*
-die zu untersuchende Substanz auf einer Unterlage von gleichem
-Material gleiten und ermittelte die zur Fortbewegung erforderliche
-Zugkraft[44].
-
-[Illustration: Abb. 4. *Coulombs* elektrische Wage.]
-
-Auf das Gebiet des Magnetismus und der Elektrizitätslehre wurde
-*Coulomb* dadurch geführt, daß die Akademie einen Preis für die
-beste Konstruktion des Schiffskompasses aussetzte. Im Anschluß an
-eine dadurch angeregte Untersuchung und unter Verwertung seiner
-Forschungen über die Festigkeit in allen ihren Formen, insbesondere
-die Torsionsfestigkeit, erfand *Coulomb* im Jahre 1785 seine Torsions-
-oder Drehwage. Von der Einrichtung und dem Gebrauch dieses Instruments
-gibt uns die nebenstehende Abb. 4 Kenntnis[45]. Ein Glaszylinder
-ABCD von etwa 30 cm Höhe wurde mit einer doppelt durchbohrten
-Glasplatte bedeckt. Durch ihre Mitte ist ein frei hängender, an der
-Scheibe *op* befestigter Silberdraht *qp* geführt, der an seinem
-unteren Ende die zu elektrisierende, möglichst isolierte Kugel a trägt.
-Ein Scheibchen g hat nur die Aufgabe, der Kugel a das Gegengewicht
-zu halten. Die Verbindung zwischen a und g besteht aus einem mit
-Siegellack überzogenen Seidenfaden. Die Scheibe *op*, welche den
-Silberfaden trägt, und der Umfang des großen Glaszylinders besitzen
-Gradeinteilungen. Die in der Abbildung rechts dargestellten Teile (H
-dient zur Fassung der Gradscheibe G) werden beim Gebrauch der Drehwage
-vereinigt und in der über dem Zylinder befindlichen, etwa einen halben
-Meter langen Glasröhre untergebracht. Durch die seitliche Öffnung
-des Glasdeckels werden elektrisierte Kugeln (d) eingeführt, deren
-Wirkung auf den in der Schwebe befindlichen elektrisierten Körper a
-man messen will. Ein Maß für die abstoßenden Kräfte ist in der Torsion
-des Silberdrahtes gegeben. Die Größe dieser Torsion, welche die Kugel
-a in ihre ursprüngliche Lage zurückzudrehen strebt, kann an der
-Gradeinteilung abgelesen werden.
-
-[Illustration: Abb. 5. *Coulombs* Untersuchung der Torsion.]
-
-Seine Arbeiten über die Torsion von Fäden und Metalldrähten hatte
-*Coulomb* ein Jahr vor der Erfindung der Drehwage veröffentlicht[46].
-Die Methode, welche er anwandte, ist diejenige der Schwingungen oder
-Oszillationen. Er wies nämlich nach, daß die Schwingungen eines
-schweren, an einem Faden aufgehängten Körpers (Abb. 5) isochron sind.
-Ist dies der Fall, dann muß auch die Torsionskraft dem Torsionswinkel
-proportional sein. Das Ergebnis seiner Beobachtungen an Drähten
-verschiedener Länge (l) und Dicke (D) konnte *Coulomb* durch folgende
-Formel darstellen: Das Drehungsmoment der Torsionskraft ist μ·B·D^4/l.
-In dieser Formel bedeutet μ eine charakteristische Konstante des
-Materials und B den Torsionswinkel. *Coulombs* Torsionswage beruht auf
-der von ihm entdeckten Eigenschaft der Drähte, eine dem Torsionswinkel
-proportionale Gegenkraft zu besitzen. Um die feinsten elektrischen
-und magnetischen Wirkungen messen zu können, wählte *Coulomb* den
-Torsionsdraht so fein, daß ein Torsionswinkel von einem Grad einer
-Torsionskraft von 1/100,000 Gran entsprach. Wurde der Aufhängefaden
-einem Kokon entnommen, so genügte schon eine Kraft von 1/60,000 Gran,
-um den Faden um 360 Grade zu tordieren.
-
-Das wichtigste Ergebnis der *Coulomb*schen Versuche besteht in dem
-Nachweise, daß »die abstoßende Kraft zweier kleiner, gleichartig
-elektrisierter Kugeln im umgekehrten Verhältnis zum Quadrat des
-Abstandes der Mittelpunkte beider Kugeln steht«[47].
-
-Den Nachweis dieses wichtigen Grundgesetzes lieferte *Coulomb* in
-folgender Weise. Er stellte die Scheibe *op* (siehe Abb. 5) so ein,
-daß die Kugel a unter der seitlichen Öffnung des Glasdeckels stand.
-Elektrisiert man nun die Kugel d und führt sie durch die Öffnung bis
-zur Berührung mit der beweglichen Kugel a ein, so nehmen beide Kugeln
-die gleiche elektrische Ladung von gleicher Dichtigkeit an. Es erfolgt
-Abstoßung um 36 Grade. Jetzt wird der Torsionskreis entgegengesetzt
-zur Ablenkung gedreht, bis letztere nur noch 18 Grad beträgt. Die
-Entfernung beträgt somit die Hälfte, während die Torsion jetzt 126°
-+ 18° = 144°, also das Vierfache beträgt. Um die Kugeln auf 1/4 der
-ursprünglichen Entfernung einander zu nähern, mußte man die Torsion des
-Aufhängefadens auf 576 Grad, mithin auf das Sechszehnfache bringen. Aus
-diesen Versuchen folgt das oben erwähnte Grundgesetz.
-
-In seiner zweiten Abhandlung vom Jahre 1785 dehnte *Coulomb* seine
-Untersuchung auf die anziehende Kraft elektrisierter Körper und auf die
-abstoßende und anziehende Kraft magnetisierter Körper aus. Er gelangte
-zu folgenden Ergebnissen:
-
-1. Die abstoßende wie die anziehende Wirkung zweier elektrisierten
-Kugeln und folglich zweier elektrischen Moleküle steht im geraden
-Verhältnis der Dichtigkeit der Elektrizität und ist umgekehrt
-proportional dem Quadrate der Entfernung.
-
-2. Die anziehende und abstoßende Kraft des Magnetismus steht
-gleichfalls im geraden Verhältnis zu den Dichtigkeiten und im
-umgekehrten Verhältnis zum Quadrat des Abstandes der magnetischen
-Moleküle.
-
-Eine Fehlerquelle der ersten Versuche bestand in dem im Verlaufe
-des Versuches vor sich gehenden Elektrizitätsverlust. Um den durch
-Abgabe an die Luft und die Aufhängevorrichtung entstehenden Verlust
-an Elektrizität in Rechnung ziehen zu können, war eine weitere
-Untersuchung erforderlich, die in der dritten Abhandlung vom Jahre
-1785 mitgeteilt wurde. Aus dieser Untersuchung ergab sich, daß die
-Zerstreuung mit dem Wassergehalt der Luft wächst. Und zwar ergab
-sich der Zerstreuungskoeffizient direkt proportional den Graden
-des von *Saussure* erfundenen, an anderer Stelle beschriebenen
-Haarhygrometers[48].
-
-Schließlich wandte sich *Coulomb* noch der Verteilung der Elektrizität
-zu. Er bedeckte eine isolierte Metallkugel mit zwei halbkugelförmigen
-Schalen, die mit isolierenden Handhaben versehen waren. Nachdem er das
-Ganze elektrisiert hatte, nahm er die Schalen fort. Es zeigte sich,
-daß die Kugel völlig unelektrisch, die Schalen dagegen elektrisch
-waren[49]. Wurde die Kugel allein elektrisiert und wurden die Schalen
-dann darauf gesetzt, so erhielt man nach der Trennung dasselbe
-Ergebnis, wie beim ersten Versuch[50].
-
-[Illustration: Abb. 6. *Coulombs* Versuch über die Verteilung der
-Elektrizität.]
-
-Die beiden Grundgesetze über die Verteilung der Elektrizität sprach
-*Coulomb* in folgender Fassung aus: 1. Die Elektrizität verbreitet
-sich in allen leitenden Körpern gemäß ihrer Gestalt, ohne daß sie eine
-auswählende Anziehung für einen Körper gegenüber einem anderen zu haben
-scheint. 2. In einem elektrisierten leitenden Körper verbreitet sich
-die Elektrizität auf der Oberfläche des Körpers, dringt aber nicht in
-das Innere ein.
-
-Sowohl *Coulomb* wie auch *Cavendish* erkannten, daß die Eigenschaft
-der Elektrizität, sich auf der Oberfläche der leitenden Körper
-auszubreiten und nicht in das Innere dieser Körper einzudringen, eine
-Folge des Gesetzes von der Abstoßung nach dem umgekehrten Quadrat der
-Entfernung sei.
-
-Mit *Coulomb* findet die erste Periode in der Entwicklung der
-Elektrizitätslehre ihren Abschluß. Seine Arbeiten galten der
-Elektrostatik und brachten dieses Gebiet zu hoher Vollendung. Auf das
-die Wirkung der elektrischen Kräfte vermittelnde Dielektrikum nahm
-*Coulomb* noch keine Rücksicht. Das geschah erst in der neuesten, durch
-*Faraday* eröffneten Periode der Elektrizitätslehre. Für *Coulomb*
-waren die elektrische Anziehung und Abstoßung wie die *Newton*sche
-Gravitation Fernkräfte, die momentan durch den leeren Raum hindurch
-wirken. Dieser Umstand tut indessen dem Wert der *Coulomb*schen
-Arbeiten keinen Abbruch, da sie nur den Anspruch erheben, mustergültige
-Messungen unter Ausschluß jeder Spekulation zu sein. Als solche
-bildeten sie die Grundlage, auf welche die nachfolgende Generation die
-mathematische Theorie der elektrischen und magnetischen Erscheinungen
-aufzubauen vermochte, eine Aufgabe, die mit Hilfe der höheren Analysis,
-insbesondere der Potentialtheorie, in den ersten Jahrzehnten des 19.
-Jahrhunderts gelöst wurde[51].
-
-
-
-
-3. Praktische und theoretische Fortschritte auf dem Gebiete der
-Wärmelehre.
-
-
-Während der Hauptanreiz zum Studium der elektrischen Phänomene in dem
-Wunderbaren und Außergewöhnlichen lag, das sich in ihnen offenbart,
-wandte man sich den Erscheinungen der Wärme mit wachsendem Interesse
-zu, seitdem man die bewegende Kraft des Dampfes kennen und verwerten
-gelernt hatte. Durch die Versuche *Herons von Alexandrien* war schon
-das Altertum mit den Äußerungen dieser Kraft bekannt geworden. Dazu
-waren seit Beginn der neueren Zeit die Bemühungen *Portas* und anderer
-gekommen. Der grundlegende Versuch, der zur Erfindung der Dampfmaschine
-führte, von welcher doch erst die Rede sein konnte, sobald die unter
-dem Namen der einfachen Maschinen bekannten Mechanismen durch den
-Dampf in Bewegung gesetzt wurden, rührt von *Papin* her. Es ist dies
-ein Versuch, der noch heute im elementaren Physikunterricht angestellt
-wird. *Papin* verdampfte Wasser in einem zylindrischen Gefäß, in dem
-sich ein luftdicht schließender, beweglicher Kolben befand (siehe
-Abbildung 7). Dieser Kolben wurde beim Erhitzen durch den Dampf
-emporgehoben, bei einer darauf folgenden Abkühlung aber infolge des
-Luftdruckes wieder abwärts bewegt. Die Lösung, welche *Papin* gab,
-war indes mehr eine theoretische als eine praktisch verwertbare. Die
-von *Papin* ersonnene Vorrichtung wird uns durch seine in Abb. 7
-wiedergegebene Zeichnung erläutert.
-
-*Papin* veröffentlichte[52] seine Erfindung unter dem Titel: »Neues
-Verfahren, bedeutende bewegende Kräfte zu billigen Preisen zu
-erhalten«. Der erhoffte Erfolg trat erst ein, als der englische
-Mechaniker *Newcomen* auf Veranlassung der Royal Society sich mit
-dem *Papin*schen Entwurf beschäftigte. Die wesentlichste Verbesserung,
-die *Newcomen* an der atmosphärischen Maschine anbrachte, bestand in
-der Verbindung der Kolbenstange mit einem Balancier. *Papins* Bemühen
-war darauf gerichtet gewesen, die geradlinige Bewegung des Kolbens in
-eine kreisförmige umzusetzen, um auf diese Weise ein von ihm erbautes
-Räderboot zu treiben[53].
-
-[Illustration: Abb. 7. *Papins* erste Dampfmaschine.
-
-AA ist der eiserne Zylinder, BB der Kolben, DD die Kolbenstange, II
-der Deckel des Zylinders. Der um F drehbare Hebel EE wurde durch
-die Kolbenstange in Bewegung gesetzt. Eine Feder G drückt den Hebel
-fortwährend in eine Nut der Kolbenstange. Der Kolben besaß eine
-Durchbohrung, um beim erstmaligen Herabdrücken die im Zylinder
-befindliche Luft entweichen zu lassen. MM ist eine Stange, welche die
-erwähnte Durchbohrung nach dem Herabdrücken des Kolbens verschloß. Beim
-Erhitzen drückte der Dampf den Kolben nach oben, beim Abkühlen wirkte
-nur der Luftdruck. Die Maschine war also eine atmosphärische.]
-
-Technische Erfindungen von epochemachender Bedeutung lassen sich meist
-auf ein zwingendes Bedürfnis zurückführen. Ein solches war es auch, das
-eine brauchbare Dampfmaschine gerade zur rechten Zeit und an rechter
-Stelle ins Leben treten ließ. In England war man schon im Mittelalter
-auf die Schätze aufmerksam geworden, den der Boden in den mineralischen
-Brennstoffen enthält. In dem Maße, in welchem das Land den Schmuck
-seiner Wälder einbüßte, nahm der Abbau der Steinkohle an Umfang zu.
-Man mußte die vorhandenen Flöze bis in immer größere Tiefen verfolgen
-und befand sich schließlich der Unmöglichkeit gegenüber, durch Tier-
-und Menschenkraft die Wasserhaltung in den Gruben zu bewerkstelligen.
-Diesem Zwecke wurde nun im 18. Jahrhundert der Dampf dienstbar gemacht.
-Nach vielen mühsamen Versuchen gelang es *Newcomen*, im Jahre 1712 eine
-nach *Papins* Idee gebaute Maschine in Gang zu setzen. Sie machte zwar
-nur zehn Hube in der Minute, förderte aber schon eine Wassermenge,
-zu deren Bewältigung vorher 50 Pferde und die sechsfachen Kosten
-erforderlich waren. Bei der Maschine *Newcomens* (siehe Abbildung
-8) fiel wie bei derjenigen *Papins* dem Dampf nur die Aufgabe zu,
-den Kolben t emporzuheben und durch Vermittlung des Balanciers das
-Pumpengestänge hinabzulassen. Die weit größere bewegende Kraft, die zum
-Heben des Wassers erforderlich ist, rührte nicht vom Druck des Dampfes,
-sondern von dem nach seiner Verdichtung auf den Kolben wirkenden
-Luftdruck her. War nämlich der Kolben gehoben und das Ventil bei d
-geschlossen, so wurde der Dampf dadurch verdichtet, daß man Kühlwasser
-auf den Kolben goß.
-
-[Illustration: Abb. 8. *Newcomens* Dampfmaschine.]
-
-Alsbald zeigte es sich, daß Maschinen mit geringen Undichtigkeiten,
-bei denen das Kühlwasser unter den Kolben trat und dadurch mit dem
-Dampf in unmittelbare Berührung kam, weit schneller arbeiteten. Diese
-Beobachtung führte dazu, daß man das Wasser absichtlich in den mit
-Dampf gefüllten Raum einspritzte, ein Geschäft, das zunächst einen
-besonderen Wärter erforderte. Später kam man auf den Gedanken, die
-Hähne mit dem Balancier zu verbinden, durch dessen Spiel sie fortan
-geöffnet und geschlossen wurden[54].
-
-In der ihr von *Newcomen* gegebenen Gestalt leistete die Dampfmaschine
-den Kohlengruben Englands bis über die Mitte des 18. Jahrhunderts
-wichtige Dienste, ohne die Aufmerksamkeit der Physiker sonderlich zu
-erregen. Da erhielt ein junger Mechaniker namens *James Watt*[55],
-den die Universität Glasgow mit der Instandhaltung ihrer Apparate
-betraut hatte, den Auftrag, das Modell der *Newcomen*schen Maschine
-auszubessern. Der kleine Apparat fesselte *Watt* in solchem Grade, daß
-er sein Leben der Vervollkommnung der Dampfmaschine widmete. Als den
-größten Mangel erkannte er den Umstand, daß die Wände des Cylinders
-durch das eingeführte Wasser immer wieder abgekühlt wurden und nach
-jedem Hube durch den einströmenden Dampf von neuem erwärmt werden
-mußten. Diesen Übelstand beseitigte *Watt* dadurch, daß er den Dampf
-außerhalb des Zylinders in einem besonderen Kondensator verdichtete,
-so daß der Zylinder, der außerdem mit schlechten Wärmeleitern
-umgeben wurde, die Temperatur des Dampfes beibehielt. Durch diese
-Verbesserungen, die *Watt* im Jahre 1765 anbrachte, wurde eine
-beträchtliche Ersparnis an Brennmaterial erzielt. Einige Jahre später
-erfolgte die grundsätzliche Änderung der Maschine[56], indem *Watt*
-hochgespannten Dampf abwechselnd von beiden Seiten auf den Kolben
-wirken und so aus der atmosphärischen die eigentliche Dampfmaschine
-entstehen ließ. Weitere Verbesserungen betrafen die Anwendung von
-Öl und Wachs als Mittel zum Abdichten der Maschinenteile, sowie die
-Regelung des Ganges vermittelst des Zentrifugalpendels. Ein weites
-Feld für neue Anwendungen eröffnete sich, nachdem es *Watt* gelungen
-war, die geradlinige Bewegung der Kolbenstange in eine drehende
-umzusetzen. Nun erst konnte an eine Übertragung der Kraft auf größere
-Entfernungen, sowie an eine Fortbewegung von Schiffen und Wagen
-vermittelst der Dampfmaschine gedacht werden. Letztere wurde bald eins
-der wichtigsten Mittel zur Belebung des Gewerbfleißes und damit zur
-Förderung der gesamten Kultur.
-
-Noch bevor *James Watt* am 19. August des Jahres 1819 starb, hatte
-*Fultons* Dampfschiff die Fluten des Hudson durchfurcht[57] und
-*Stephenson* seine erste Lokomotive laufen lassen. Letzteres geschah
-am 25. Juli 1814. Diese Lokomotive lief auf einer Kohlenbahn und
-zog 8 Wagen von 30000 kg Gewicht bei einer Steigung von 1 : 450. Die
-Geschwindigkeit betrug 6,4 km in der Stunde[58]. Schon 6 Jahre früher
-hatte ein anderer Engländer seinen Landsleuten eine kleine Lokomotive
-vorgeführt, die bei einem Dampfdruck von nahezu 3 Atmosphären 24
-km in der Stunde zurücklegte und den Namen »Catch me, who can!«
-erhielt[59]. Trotzdem wurde erst im Jahre 1830 die erste, dem Verkehr
-dienende Eisenbahnlinie Liverpool-Manchester von *Stephenson*
-fertiggestellt.
-
-Der Aufschwung, den Gewerbe, Handel und Verkehr durch Männer erfuhren,
-die gleich *Watt* und *Stephenson* eine auf den Grundlagen der Physik
-beruhende Technik schufen, kam mittelbar in stetig wachsendem Maße
-der Wissenschaft wieder zugute. So ließ es sich beispielsweise schon
-*Watt* angelegen sein, das vor ihm nicht bekannte Volumverhältnis
-des Wassers im flüssigen und im dampfförmigen Zustande zu ermitteln.
-Mußte es ihm doch darauf ankommen zu wissen, wie oft sein Zylinder
-durch das Verdampfen einer bestimmten Wassermenge mit gespanntem Dampf
-gefüllt werden konnte. *Watt* ermittelte, daß sich das Wasser bei der
-Umwandlung in Dampf etwa auf das 1700fache seines Volumens ausdehnt.
-Eine Untersuchung über die Verdichtung des Dampfes ließ *Watt* schon
-erkennen, daß die Kondensationswärme des Wasserdampfes sich auf 534
-Wärmeeinheiten beläuft. *Watt* bediente sich nur niedriger Spannungen.
-Er gelangte indessen schon dazu, die Expansion des Dampfes zu
-verwerten. Um die Expansion verfolgen und dadurch ein Urteil über die
-Arbeitsleistung des Dampfes gewinnen zu können, konstruierte *Watt* den
-heute noch bei der Aufnahme von Diagrammen üblichen Federindikator.
-
-Dem Andenken *Watts* wurde in der Westminsterabtei ein Denkmal mit
-folgender Inschrift errichtet:
-
- Nicht um einen Namen zu verewigen,
- Der dauern wird, so lange die Künste des Friedens blühen,
- Sondern, um zu zeigen,
- Daß die Menschheit denjenigen Ehre zollt,
- Denen sie Dank schuldet,
- Haben der König, seine Diener, sowie zahlreiche Edle
- Und Bürger des Königreichs
- *James Watt* dieses Denkmal errichtet.
- Seinem Genie gelang es,
- Auf dem Wege des Versuches
- Die Dampfmaschine zu verbessern.
- Er hob dadurch den Reichtum seines Vaterlandes,
- Vergrößerte die Macht der Menschen
- Und stieg zu hohem Range
- Unter den großen Förderern der Wissenschaft,
- Den wahren Wohltätern der Menschheit.
-
-Gleich der Dampfmaschine empfing im Laufe des 18. Jahrhunderts ein
-zweites, aus dem Studium der Wärmeerscheinungen hervorgegangenes
-Werkzeug seine endgültige Gestalt. Es war das Thermometer. Wir
-haben die Verdienste *Galileis* und der Accademia del Cimento um
-die Erfindung dieses Instrumentes kennen gelernt[60]. Von seiner
-Vervollkommnung hingen die Fortschritte auf dem Gebiete der Wärmelehre
-in erster Linie ab. Ja, das Streben nach einer solchen Vervollkommnung
-allein hat eine ganze Anzahl von wichtigen Entdeckungen zur Folge
-gehabt. Die Mitglieder der Accademia del Cimento hatten sich bei
-ihren Untersuchungen zwar schon wirklicher, auf der Ausdehnung von
-Weingeist beruhender Thermometer, indes noch einer willkürlichen Skala
-bedient. Durch ein Mitglied der Accademia del Cimento[61] erfolgte
-1694 der Vorschlag, den Gefrier- und den Siedepunkt des Wassers als
-Fixpunkte zu benutzen. Daß diese Temperaturpunkte konstant sind,
-erkannten gegen das Ende des 17. Jahrhunderts mehrere Forscher. So
-machte *Halley* 1693 auf die Beständigkeit des Siedepunktes aufmerksam.
-Noch früher war die Konstanz des Schmelzpunktes den Mitgliedern der
-Accademia aufgefallen. Trotzdem kamen die Florentiner Physiker nicht
-auf den Gedanken, diese Punkte zur Einrichtung einer Thermometerskala
-zu verwenden. Und ebensowenig dachten *Halley* und *Hooke*, die sich in
-England eingehend mit Thermometrie beschäftigten, an eine Verwendung
-der erwähnten Fixpunkte.
-
-Es handelte sich zunächst darum, den Gang der Ausdehnung von Weingeist,
-Wasser, Quecksilber und anderen Flüssigkeiten näher zu untersuchen,
-eine Aufgabe, mit der sich vor allem *Halley*[62] befaßt hat. Als
-Ausdehnungskoeffizienten des Quecksilbers für eine Temperaturerhöhung
-vom Schmelzpunkt bis zum Siedepunkt des Wassers fand *Halley* 1/74.
-Diese Ausdehnung hielt er für so gering, daß er Bedenken trug, das
-Quecksilber als Thermometerflüssigkeit in Vorschlag zu bringen.
-Andererseits machte er darauf aufmerksam, daß die Ausdehnung des
-Quecksilbers die Angaben des Barometers beeinflussen müsse, ohne daß
-er indessen die Notwendigkeit einer Wärmekorrektur dieses Instrumentes
-schon hervorgehoben hätte.
-
-Als oberen Fixpunkt brachte *Halley* die Siedetemperatur des Alkohols
-in Vorschlag, als unteren empfahl er die Temperatur tiefer Keller,
-weil er diese Temperatur für leichter bestimmbar hielt als diejenige
-schmelzender Flüssigkeiten.
-
-Die Aufgabe, wirklich gut vergleichbare, für den wissenschaftlichen
-Gebrauch geeignete Thermometer zu schaffen, hat kein gelehrter
-Physiker, sondern ein Mann von praktischem Blick und Geschick, der
-Deutsche *Fahrenheit*, gelöst.
-
-*Fahrenheit* wurde 1686 in Danzig geboren. Er kam als Kaufmann
-nach Holland, wo die Kunst, Glasapparate für den praktischen und
-wissenschaftlichen Gebrauch zu verfertigen, seit Alters in Blüte stand.
-*Fahrenheit* widmete sich dieser Kunst. Er starb in Amsterdam im Jahre
-1736.
-
-*Fahrenheits* Aufgabe, die er mit allen ihm zu Gebote stehenden
-wissenschaftlichen Mitteln, aber im geschäftlichen Interesse verfolgte,
-betraf die Verfertigung brauchbarer Thermometer. Seine ersten
-Thermometer waren mit Weingeist gefüllt und schon vor 1710 in vielen
-nördlichen Städten Europas in Gebrauch. Es wird berichtet[63], daß der
-Philosoph *Christian Wolf* in Halle sich über den übereinstimmenden
-Gang zweier Thermometer, die er von *Fahrenheit* erhalten hatte, nicht
-genug wundern konnte.
-
-*Fahrenheit* hatte gelesen, daß die Höhe der Quecksilbersäule im
-Barometer von der Temperatur abhängig sei. Dies brachte ihn um 1720 auf
-den Gedanken, das Quecksilber als Thermometerflüssigkeit anzuwenden.
-Seiner Skala legte er drei Punkte zugrunde:
-
-1. Den Punkt »strengster Kälte, wie man ihn durch Mischung von Wasser,
-Eis und Salmiak erhält«. Er bezeichnete diesen Punkt mit Null und hielt
-ihn für den absoluten Wärmenullpunkt.
-
-2. Den Schmelzpunkt des Eises, den er mit 32 bezeichnete.
-
-3. Die Temperatur im Innern des Mundes oder die Blutwärme, auf deren
-Beständigkeit schon die Florentiner aufmerksam geworden waren[64].
-*Fahrenheit* bezeichnete diesen Wärmegrad mit 96.
-
-Wahrscheinlich hat er außerdem bei der Regelung der Skala den
-Siedepunkt des Wassers verwertet[65], diesen Umstand indessen, und
-zwar wohl aus geschäftlichen Rücksichten, verschwiegen. *Fahrenheit*
-bestimmte auch die Siedepunkte verschiedener Flüssigkeiten. Er
-veröffentlichte über diesen Gegenstand im Jahre 1724 eine Tafel, aus
-der folgende Werte mitgeteilt seien:
-
- Alkohol 176
- Reines Wasser 212
- Schwefelsäure 546.
-
-Für die untersuchten Flüssigkeiten wurden die spezifischen Gewichte
-genau ermittelt, damit die erhaltenen Angaben mit späteren
-Untersuchungen vergleichbar seien[66]. Daß für reines Wasser der
-Siedepunkt nach dieser Skala 212 und daß der Fundamentalabstand 180
-Grade beträgt, war nicht, wie man oft meint, eine ursprüngliche
-Festsetzung, sondern diese Zahlen folgen erst aus den angenommenen
-Fixpunkten 0, 32, 96.
-
-Die Angabe, daß der Siedepunkt des Wassers 212 Grad betrage, wird von
-*Fahrenheit* in einer Abhandlung, die gleichfalls aus dem Jahre 1724
-stammt, durch eine wichtige Entdeckung eingeschränkt. *Fahrenheit*
-teilt darin[67] nämlich mit, er habe erkannt, daß jener Punkt »bei
-derselben Schwere der Atmosphäre fest sei, daß er sich aber bei
-veränderter Schwere der Atmosphäre in verschiedenem Sinne ändere«.
-Auch die unter dem Namen der Überkaltung bekannte Erscheinung, daß in
-völliger Ruhe befindliches Wasser erheblich unter den Gefrierpunkt
-abgekühlt werden kann, ohne zu erstarren, entdeckte *Fahrenheit*
-gelegentlich seiner thermometrischen Untersuchungen[68]. Er war, wie
-er erzählt, begierig zu erforschen, welches die Wirkung der Kälte sein
-werde, wenn man das Wasser in ein evakuiertes Gefäß bringe. Zu diesem
-Zwecke wurde eine Glaskugel zur Hälfte mit reinem Wasser gefüllt,
-luftleer gemacht und eine Nacht einer Temperatur von etwa -10° C
-ausgesetzt. Am folgenden Morgen bemerkte *Fahrenheit*, daß das Wasser
-noch immer flüssig war. Er schrieb dieses unvorhergesehene Verhalten
-zunächst der Abwesenheit der Luft zu. In dieser irrigen Annahme wurde
-er noch bestärkt, als er zu seinem Erstaunen beim Öffnen des Gefäßes
-sah, daß sich die ganze Wassermasse, unter Erhöhung der Temperatur bis
-zum Gefrierpunkt, mit Eisnadeln durchsetzte.
-
-Voll Eifer setzte *Fahrenheit* die Untersuchung dieser wunderbaren
-Erscheinung fort. Zunächst stellte er sich die Frage, ob das Gefrieren
-auch im Vakuum zustande kommen könne. Der Versuch wurde wiederholt und
-das überkaltete Wasser geschüttelt, ohne daß der Luft vorher Zutritt
-gegeben war. Bei heftiger Erschütterung wurde auch jetzt die ganze
-Wassermasse fast in demselben Augenblick von Eislamellen durchsetzt[69].
-
-Die Herstellung von Thermometern mit vergleichbaren Skalen hat auch den
-Franzosen *Réaumur* beschäftigt. Die Ergebnisse seiner umfangreichen
-Abhandlung sind indessen nur gering gewesen[70]. *Réaumur* wollte
-die Grade des Thermometers durch die relative Volumveränderung
-bestimmen, welche der Weingeist bei Temperaturschwankungen erfährt.
-Selbstverständlich mußte man, um vergleichbare Resultate zu erhalten,
-Weingeist von ganz bestimmter Konzentration nehmen. *Réaumur* schlug
-vor, für sämtliche nach seinem Verfahren hergestellte Thermometer einen
-Weingeist zu wählen, dessen Volumen »beim Gefrieren des Wassers 1000
-und, durch siedendes Wasser ausgedehnt, 1080 Raumteile beträgt«[71].
-Von diesem Vorschlage rührt die bekannte Zahl 80 der *Réaumur*schen
-Skala her.
-
-Gelegentlich seiner thermometrischen Untersuchungen machte *Réaumur*
-die wichtige Entdeckung, daß das Volumen eines Flüssigkeitsgemisches
-kleiner sein kann als die Summe der Teilvolumina[72]. *Réaumur* machte
-diese Entdeckung, als er Weingeist von bestimmter Konzentration
-herstellen wollte, der zur Füllung seiner Thermometer bestimmt war. Als
-er 50 Maß Wasser mit 50 Maß reinem Weingeist mischte, erhielt er statt
-100 nur 98 Maß verdünnten Weingeist. Die Raumverminderung betrug somit
-1/50.
-
-*Réaumur* dehnte diese Untersuchung auf die verschiedenartigsten
-Flüssigkeiten aus. Beim Mischen von Leinöl und Terpentinöl trat keine
-Raumverminderung ein; auch Milch und Wasser mischten sich ohne eine
-solche. Dagegen war die Raumverminderung beim Zusammenbringen von
-Wasser und Schwefelsäure »vielleicht die größte, welche sich erzielen
-läßt«. Es verbanden sich nämlich 40 Maß Wasser mit 10 Maß Schwefelsäure
-zu 48 Maß der Mischung. Die Volumabnahme betrug somit 1/25.
-
-Auch auf die mit der Volumabnahme Hand in Hand gehende Wärmeentwicklung
-richtete *Réaumur* seine Aufmerksamkeit. Die Erscheinung selbst
-versuchte er aus der molekularen Zusammensetzung zu erklären. Er nahm
-nämlich an, daß zwischen den Molekülen noch Lücken vorhanden seien,
-welche die Moleküle einer zweiten Substanz auszufüllen vermöchten.
-Folgender Vergleich soll diesen Vorgang begreiflich machen: »Mischt
-man«, sagt *Réaumur*, »ein Maß Bleikugeln und ein gleich großes Maß
-sehr kleiner Bleikörner, so werden diese nicht zwei Maß geben. Die
-kleinen Körner werden nämlich die Räume einnehmen, die zwischen den
-großen Kugeln leer blieben, und je kleiner die kleinen Kugeln im
-Verhältnis zu den großen sind, um so weniger wird die Mischung an
-Volumen zunehmen.«
-
-Dasjenige Thermometer, das heute in der Wissenschaft allein Geltung
-besitzt und auch im Leben die übrigen immer mehr verdrängt, rührt von
-*Celsius* her. Es beruht auf der scharfen Erfassung der Fixpunkte
-und der Einteilung des gewonnenen Fundamentalabstandes in 100 Grade.
-*Celsius* setzte den Zylinder seines Thermometers in klebrigen Schnee
-und vermerkte genau den Stand des Quecksilbers. Dann beobachtete
-er, welchen Stand das Quecksilber in siedendem Wasser bei einer
-Barometerhöhe von 25 Zoll und 3 Linien annimmt. Den Abstand teilte er
-in hundert gleiche Teile, und diese Teilung wurde über die Fixpunkte
-hinaus fortgesetzt[73]. Die Bezeichnung des Gefrierpunktes mit 0° und
-des Siedepunktes mit 100° rührt wahrscheinlich von *Linné* her, der in
-den Warmhäusern des botanischen Gartens in Upsala das *Celsius*sche
-Thermometer benutzte[74].
-
-Während *Réaumur* dem Weingeist als Thermometerflüssigkeit den
-Vorzug gab und die Temperaturgrade der Volumzunahme seiner
-Thermometerflüssigkeit proportional setzte, bediente sich *Celsius*,
-wie auch *Fahrenheit* bei seinen späteren Versuchen, des Quecksilbers,
-das höhere Temperaturen zu messen gestattet. *Celsius* hatte auch
-beobachtet, daß der Siedepunkt des Wassers nur dann derselbe bleibt,
-wenn sich der Barometerstand nicht ändert. Bei der Anfertigung
-seiner Thermometer verfuhr er folgendermaßen: Er setzte die Kugel
-des Thermometers in schmelzenden Schnee und merkte den Stand des
-Quecksilbers an. Um den zweiten Fundamentalpunkt zu bestimmen, tauchte
-er die Kugel in siedendes Wasser, während die Barometerhöhe ihren
-mittleren Wert besaß. Die erhaltene Strecke wurde in hundert gleiche
-Teile oder Grade geteilt. Diese Gradeinteilung wurde dann von beiden
-Fundamentalpunkten aus nach oben und nach unten fortgesetzt[75].
-Auch das Luftthermometer und das Pyrometer sind Erfindungen jenes
-Zeitraumes, so daß die Methoden der Messung des Wärmezustandes zu einem
-gewissen Abschluß gebracht wurden.
-
-Auf den Änderungen des Volumens, welche die Luft infolge von
-Temperaturschwankungen erfährt, beruhte bekanntlich schon der Apparat,
-dessen sich *Galilei* zum Messen der Wärme bediente. Brauchbar war
-dieses Verfahren indessen erst, als es gelang, die Einwirkung der
-Luftdruckschwankungen entweder auszuschließen oder zu berücksichtigen.
-Um die Verwirklichung dieses Problems haben sich besonders der Franzose
-*Amontons* (1663-1705), der Deutsche *Lambert* (1728-1777) und später
-*Regnault* und *Magnus* Verdienste erworben.
-
-*Amontons*' Luftthermometer besteht aus einer Kugel von etwa 8
-cm Durchmesser. Diese Kugel ist zum Teil mit Luft, zum Teil mit
-Quecksilber gefüllt und mit einer etwa einen Meter langen, engen
-Röhre verbunden. Die Durchmesser der Kugel und der Röhre sind so
-gewählt (etwa 1 : 60), daß eine geringe Volumvergrößerung der Luft
-ein bedeutendes Ansteigen der Quecksilbersäule in der engeren Röhre
-bewirkt. Die Temperatur wird also bei einem solchen Instrument nicht
-durch die Vergrößerung des Volumens, das ja im wesentlichen dasselbe
-bleibt, sondern durch die Änderung der Spannkraft der eingeschlossenen
-Luft gemessen. *Amontons* berücksichtigte bei seinen Messungen noch
-den Barometerstand. Ferner mußte er, da er die Spannkraft der Luft
-als Maß der Temperatur benutzte, schon auf den Gedanken kommen, den
-niedrigsten Wärmegrad in dem Zustande der Luft zu erblicken, in welchem
-ihre Spannkraft Null ist[76]. Zählt man von diesem absoluten Nullpunkt
-an, so verhält sich, wie *Amontons* mit hinlänglicher Genauigkeit
-berechnet, die größte Kälte zur größten Hitze in Paris wie 5 : 6.
-
-[Illustration: Abb. 9. *Amontons*' Luftthermometer.]
-
-Auch *Lambert* verwertete die Spannung der Luft zur Ermittlung der
-Temperaturen. Er wählte für sein Luftthermometer den Schmelzpunkt
-und den Siedepunkt des Wassers als Fundamentalpunkte. Setzte er dann
-für den Schmelzpunkt die Spannung der Luft gleich 1000, so ergab
-sich für den Siedepunkt in guter Übereinstimmung mit den späteren
-Bestimmungen von *Gay-Lussac* die Spannung gleich 1375, woraus als
-Ausdehnungskoeffizient 0,375 folgen würde[77].
-
-Aus dem Bemühen, höhere Temperaturen zu messen, als es die gewöhnlichen
-Thermometer gestatten, erwuchs das Pyrometer und die Pyrometrie.
-*Musschenbroek* suchte für diesen Zweck schon 1725 die Ausdehnung der
-Metalle zu verwerten. Ein Metallstab wurde auf ein Gestell gelegt.
-Das eine Ende des Stabes war mit dem Gestell verbunden, während sich
-das andere Ende gegen eine Zahnstange legte. Beim Erwärmen wurde die
-Zahnstange infolge der Ausdehnung des Metallstabes verschoben. Die
-Zahnstange wirkte auf ein Zahnrad. An diesem war ein Zeiger befestigt,
-welcher das Maß der Ausdehnung, beziehungsweise den Wärmegrad,
-abzulesen gestattete[78]. Das von *Wedgwood* im Jahre 1782 empfohlene
-Pyrometer gründete sich auf dem Vermögen des Tons, in der Hitze zu
-schwinden, ohne sich beim späteren Erkalten wieder auszudehnen[79].
-Besondere Verdienste auf diesem Gebiete erwarb sich der schon genannte
-*Lambert* durch eine 1779 erschienene Schrift, welche er »Pyrometrie
-oder vom Maß des Feuers und der Wärme« betitelte. *Lambert* bediente
-sich für seine Messungen, wie erwähnt, des Luftthermometers. Dehnte
-sich die Luft um 1/1000 desjenigen Volumens aus, das sie bei der
-Temperatur des schmelzenden Schnees einnimmt, so entsprach dies
-einem Grade seines Instruments. Der Siedetemperatur des Wassers
-entsprachen somit 375 Grade, da sich die Luft beim Erwärmen von der
-Gefriertemperatur bis zur Siedetemperatur nach *Lamberts* Ermittlung
-von 1000 auf 1375, also um 375/1000 ihres Volumens ausdehnt.
-
-[Illustration: Abb. 10. *Saussures* Haarhygrometer.]
-
-Daß mit dem Wärmezustand der Luft ihr Vermögen, Feuchtigkeit
-aufzunehmen, Änderungen unterworfen ist, wurde gleichfalls in diesem
-Zeitraum und zwar insbesondere durch *Lambert* und durch *Saussure*
-festgestellt. Dem Gedanken, die Luftfeuchtigkeit zu bestimmen, sind wir
-schon bei *Nikolaus von Cusa* und *Lionardo da Vinci*[80] begegnet.
-Beide bemerkten, daß trockene Wolle die Feuchtigkeit aus der Luft
-anzieht. Später benutzte man als hygroskopische Substanz Schwefelsäure,
-die in einem Gefäß auf einer Wage tariert war (*Gould* 1683)[81].
-*Lambert* wandte (1772) eine Darmsaite an; sie wurde an ihrem oberen
-Ende befestigt und am unteren mit einem über einer Teilung spielenden
-Zeiger verbunden. Zu einem erfolgreichen Abschluß kamen die Bemühungen,
-die Luftfeuchtigkeit mit Hilfe hygroskopischer Substanzen zu messen,
-erst durch die Erfindung des *Saussure*schen Haarhygrometers.
-
-*Horace Bénédicte de Saussure*, berühmt durch seine geologische
-Durchforschung der Alpen und seine Besteigungen des Mont-Blanc und
-des Monte Rosa, bemerkte, daß ein Haar sich verlängert, wenn es
-feucht wird, und sich verkürzt, wenn es austrocknet. Entfettete man
-das Haar, so betrug die Längenänderung das Vier- bis Fünffache der
-an dem rohen Haar beobachteten. Diese Entdeckung führte *Saussure*
-auf die Konstruktion eines Apparates, der nebenstehend abgebildet
-ist (Abb. 10). Die Einrichtung ist die folgende. Das untere Ende des
-Haares *ab* wird von dem Schraubenkloben b gehalten. Das andere Ende
-des Haares wird von dem Kloben a gehalten. Der obere Kloben steht
-mit einer horizontalen Welle d in Verbindung. Sie trägt den Zeiger
-und ein Gegengewicht g. Dies Gegengewicht ist etwas schwerer als der
-Kloben a, damit das Haar eine geringe Spannung erhält. Ferner ist das
-Gegengewicht an einem seidenen Faden befestigt, der sich um die Welle
-schlingt und sie in Drehung versetzt.
-
-Die Graduierung des Instruments erfolgte, indem *Saussure* zunächst
-den Punkt der größten Feuchtigkeit bestimmte. Zu diesem Zwecke wurde
-der Apparat unter eine Glocke gebracht, die auf einem mit Wasser
-bedeckten Teller stand, so daß die Luft unter der Glocke sich mit
-Feuchtigkeit sättigen mußte. Um den Punkt der äußersten Trockenheit zu
-bestimmen, brachte er unter den Rezipienten geschmolzenes, stark Wasser
-anziehendes Alkali. Nach einiger Zeit kam der Zeiger auf einen festen,
-der völlig trockenen Luft entsprechenden Stand. Der Raum zwischen den
-beiden so erhaltenen Fixpunkten wurde in 100 gleiche Teile eingeteilt.
-
-*Saussures* Hygrometer hat sich bis auf den heutigen Tag als eins der
-wichtigsten meteorologischen Instrumente erhalten. Es wurde samt einer
-Theorie der Hygrometrie von dem Erfinder im Jahre 1783 bekannt gegeben.
-*Saussures* Werk über die Hygrometrie, das *Cuvier* zu den besten
-zählte, um das die Wissenschaft im 18. Jahrhundert bereichert worden
-sei, erschien vor kurzem in deutscher Übersetzung[82].
-
-Der Wärme selbst schrieben die meisten Forscher im 18. Jahrhundert
-gleich dem Lichte stoffliche Natur zu, eine Auffassung, welche durch
-die Untersuchungen von *Black*[83] und *Wilke*[84] eine Stütze zu
-erhalten schien. Diese Forscher hatten nämlich entdeckt, daß beim
-Schmelzen des Eises eine bestimmte Menge Wärme für das Gefühl verloren
-geht, die sich scheinbar mit dem Eise bei seinem Übergang in Wasser
-verbindet. So gelangte man dazu, von gebundener (latenter) und freier
-Wärme zu reden, Namen, die zur Erhaltung der irrtümlichen Vorstellung
-von der Natur der Wärme jedenfalls mitgewirkt haben und dem Emporkommen
-neuer richtiger Anschauungen hinderlich gewesen sind. Doch trat neben
-den Mathematikern Daniel *Bernoulli I* und *Euler* besonders der
-Chemiker *Lomonossow*[85] schon um die Mitte des 18. Jahrhunderts
-dafür ein, daß die Wärme eine innere Bewegung des Stoffes sei. Wegen
-der geringen Größe der die Körper zusammensetzenden Korpuskeln könne
-man jene innere Bewegung zwar nicht sehen, sie verrate sich aber durch
-zahlreiche Erscheinungen. *Lomonossow* nahm an, daß die Wärme in einer
-kreisenden Bewegung der Korpuskeln oder Teilchen bestehe. Der tiefste
-mögliche Wärmegrad ist ihm ein absolutes Aufhören jener Bewegung.
-Einen höchsten Wärmegrad könne man sich nicht vorstellen, da es für
-die Geschwindigkeit der Bewegung keine Grenze gebe. So in richtiger
-Vorahnung der späteren Entwicklung *Lomonossow*[86]. Die ersten
-Beobachtungen über die Schmelzwärme wurden gleichfalls um die Mitte des
-18. Jahrhunderts gemacht. Ein französischer Forscher[87] ließ Wasser
-in einem Gefäß gefrieren, in das er zuvor ein Thermometer gestellt
-hatte. Wurde das Gefäß erwärmt, so stieg die Temperatur, bis das Eis
-zu schmelzen begann. Von diesem Augenblicke an blieb das Thermometer
-auf dem Schmelzpunkt stehen, so lange schmelzendes Eis in dem Gefäße
-vorhanden war. Die während dieses Zeitraums zugeführte Wärme wurde
-sozusagen verschluckt, gebunden oder latent.
-
-Ähnliche Ergebnisse erhielt man beim Mischen von Eis mit Wasser. Man
-war zunächst von der Voraussetzung ausgegangen, daß beim Mischen
-von Stoffen die Temperaturen sich unter Berücksichtigung der
-Flüssigkeitsmengen einfach ausgleichen müßten. Danach würde es sich in
-solchen Fällen also nur um eine leicht zu lösende rechnerische Aufgabe
-gehandelt haben[88]; und es müßten, um den einfachsten Fall zu wählen,
-gleiche Mengen beim Mischen eine mittlere Temperatur annehmen.
-
-Hier setzte *Black* ein, dessen Untersuchungen über die Eisschmelzung
-zu denjenigen gehören, die für das Gebiet der Wärmelehre am meisten
-aufklärend gewirkt haben[89]. Durch seine Untersuchungen über die
-Gewichtszunahme, welche die Metalle bei ihrer Verkalkung erfahren,
-wurde er gleich *Mayow* zum Vorläufer *Lavoisiers*. Er entdeckte,
-unabhängig von *Wilke*, die spezifische Wärme und die latente Wärme des
-Wassers und des Dampfes.
-
-*Blacks* entscheidender Versuch war folgender. Er brachte zu einer
-Eismasse von 32° F eine dem Gewichte nach genau gleiche Wassermasse
-von 172° F. Nach der oben erwähnten Mischungsregel hätte man eine
-Temperatur von 102° F erwarten sollen. Trotzdem behielt die Mischung
-die Temperatur des Eises von 32°. Letzteres war aber völlig in Wasser
-umgewandelt worden.
-
-»Das schmelzende Eis,« bemerkte *Black* zu diesem Versuch, »nimmt sehr
-viel Wärme in sich auf. Aber diese Wärme hat nur die Wirkung, das Eis
-in Wasser zu verwandeln. Und dieses Wasser ist um nichts wärmer, als
-vorher das Eis gewesen.« *Black* wies ferner darauf hin, daß auch beim
-Sieden des Wassers eine bestimmte Wärmemenge verbraucht wird, ohne daß
-die Temperatur sich erhöht. Er war es auch, der auf diese Vorgänge den
-Ausdruck »latente Wärme« anwandte.
-
-Wenn man diesen Fortschritt in der Erfassung der Wärmevorgänge würdigen
-will, muß man erwägen, daß vor *Black* die Verflüssigung einer
-bis zum Schmelzpunkt erwärmten Substanz als die Folge einer sehr
-geringfügigen Wärmezufuhr angesehen wurde. *Black* erkannte auch, daß
-beim Erstarren einer Flüssigkeit die Abgabe einer bestimmten Wärmemenge
-stattfindet. Als Beweis hierfür betrachtete er vor allem das Verhalten
-unterkühlter Flüssigkeiten[90]. *Black* wies darauf hin, daß z. B.
-auf -4° abgekühltes Wasser beim Schütteln plötzlich teilweise fest
-wird, während gleichzeitig die Temperatur der ganzen Masse auf 0°
-steigt. Erst *Black* vermochte dies Verhalten genügend aufzuklären.
-Gleichzeitig gewannen dadurch seine Ansichten aber eine Stütze. Ist
-das Gefrieren des unterkühlten Wassers eingeleitet, so gefriert, wie
-*Black* sehr richtig bemerkt, so viel, daß durch die frei werdende
-Wärme die Temperatur der ganzen Masse bis auf 0° steigt. Ist dieser
-Gleichgewichtszustand erreicht, so hört die Temperatursteigerung auf,
-weil die Bedingung des weiteren Gefrierens nicht mehr vorhanden ist.
-
-Die Vorstellung von der latenten Schmelzwärme dehnte *Black* von
-seinen zunächst am Wasser angestellten Beobachtungen und Versuchen auf
-die bei Lösungen und Kältemischungen auftretenden Wärmeerscheinungen
-aus. Danach nehmen die Bestandteile einer Kältemischung die zu ihrer
-Verflüssigung erforderliche Wärmemenge aus ihrem eigenen Wärmevorrat,
-wodurch ein bedeutendes Sinken der Temperatur innerhalb der Mischung
-veranlaßt wird.
-
-Die Schmelzwärme des Wassers bestimmte *Black* mit ziemlicher
-Genauigkeit und auf verschiedenen Wegen zu 77-78 Wärmeeinheiten (statt
-80). So wurden gleiche Mengen Wasser und Eis von 0° in zwei ganz
-gleichen Gefäßen in einen Raum von 20° gebracht. In der Zeit, in der
-sich das Wasser auf 4° erwärmte, war in dem zweiten Gefäß 1/20 des
-Eises geschmolzen, ohne daß die Temperatur gestiegen wäre. Trotzdem
-waren offenbar beiden Gefäßen die gleichen Wärmemengen zugeführt. In
-dem zweiten Gefäß würde danach völlige Schmelzung eingetreten sein,
-wenn es die zwanzigfache Wärmezufuhr erfahren hätte. Eine solche
-Wärmezufuhr würde, wie der Versuch mit dem ersten Gefäße zeigte, eine
-gleiche Wassermenge von 0° auf 80° erwärmt haben.
-
-*Black* hat als erster die Methode der Eisschmelzung zur Bestimmung
-von spezifischen Wärmen benutzt. Er brachte die auf eine bestimmte
-Temperatur erwärmte Substanz in die Höhlung eines Eisblocks, verschloß
-sie und wog das entstandene Schmelzwasser.
-
-Zu dem gleichen Ergebnis wie durch seine Versuche über die Schmelzung
-wurde *Black* durch seine wertvollen Arbeiten über die Verdampfung
-geführt. Wie die Versuche des mit ihm befreundeten *Watt*, so ergaben
-auch diejenigen *Blacks*, daß es nicht nur eine ganz bestimmte
-Schmelzwärme, sondern eine gleichfalls ihrer Größe nach bestimmte
-Verdampfungswärme gibt. *Black* stellte zunächst fest, daß unter
-Verhältnissen, die eine konstante Wärmezufuhr bedingen, die verdampfte
-Wassermenge der Zeit des Kochens proportional ist. Angenommen, 1 kg
-Wasser von 0° würde in einer bestimmten Zeit über einem konstanten
-Feuer zum Sieden und die Wassermenge würde darauf bei stets gleich
-bleibender Wärmezufuhr innerhalb der vierundeinhalbfachen Zeit zur
-Verdampfung gebracht, so würde dazu ein Aufwand von 450 Wärmeeinheiten
-erforderlich gewesen sein. Diese Zahlen entsprechen der zwar nur rohen,
-in ihrem Ergebnis jedoch von der Wahrheit nicht allzusehr abweichenden
-Bestimmung der Verdampfungswärme, wie sie *Black* anstellte. Die
-späteren, genaueren Ermittlungen haben 536 Wärmeeinheiten ergeben. Daß
-der Wert bei *Black* zu klein ausfiel, ist daraus leicht erklärlich,
-daß beim Fortschreiten des Verdampfens die Umstände sich etwas ändern,
-indem das Wasser eine im Verhältnis zu seiner Masse immer größere
-Oberfläche einnimmt und infolgedessen rascher verdampft.
-
-*Blacks* Versuche über die Verdampfungswärme wurden um dieselbe Zeit
-durch die Beobachtung[91] ergänzt, daß verdunstende Flüssigkeiten die
-zur Verflüchtigung erforderliche Wärme, wenn sie nicht rasch genug
-von außen zugeführt wird, ihrem eigenen Wärmevorrat entnehmen. In der
-überraschendsten Weise zeigte sich dies bei einem Luftpumpenversuch.
-Man hatte Äther in einem Gefäß unter den Rezipienten der Luftpumpe
-gebracht und beobachtete, daß zufällig an der Außenwand des Gefäßes
-hängende Wassertröpfchen sich in Eis verwandelten.
-
-Es erhob sich nun die Frage, ob die beim Verdampfen latent gewordene
-Wärme, ähnlich wie beim Erstarren von Flüssigkeiten, ihrem vollen
-Betrage nach zurückerhalten werden kann, wenn der Dampf in den
-flüssigen Zustand zurückkehrt. Um hierüber zu entscheiden, leitete
-*Black* eine bestimmte Menge Wasserdampf durch einen Schlangenkühler,
-in dem sich die hundertfache Menge Wasser befand. Die Temperatur des
-letzteren wurde bei der Kondensation des Dampfes um 5,25° C erhöht.
-Daraus ergab sich für die bei der Kondensation in die Erscheinung
-tretende, vorher latente Wärme des Dampfes der beträchtliche Wert von
-525 Wärmeeinheiten. *Watt* hat dieses Ergebnis bestätigt, während
-*Lavoisier* die Bestimmung nach der Eisschmelzungsmethode wiederholte
-und einen etwas höheren Wert (550) fand. Die späteren Versuche
-*Regnaults* haben, bei einer Spannung des Dampfes von 760 mm, für die
-Kondensationswärme den Wert von 536 Wärmeeinheiten ergeben.
-
-*Black* verstand es vortrefflich, seine Versuche mit den Beobachtungen
-des alltäglichen Lebens zu verknüpfen und dadurch ihre Beweiskraft
-eindringlicher zu gestalten. So bemerkt er bezüglich der Dampfwärme,
-sie müsse sehr groß sein, weil ein Dampfstrahl, der kaum die Hand
-feucht mache, die ganze Haut mit Brandblasen überziehe, wozu eine
-viel größere Menge kochenden Wassers nicht imstande sei. Auch hätten
-diejenigen, die Weingeist destillierten, erhebliche Mühe und Kosten
-aufzuwenden, daß das Kühlfaß genügend mit kaltem Wasser versorgt werde.
-
-*Black* erörterte sowohl die Bewegungs- wie die Stofftheorie der
-Wärme. Letztere schien ihm besser die von ihm beobachteten Vorgänge
-zu erklären. Indessen erwiesen sich alle Bemühungen, das Gewicht
-des zugeführten hypothetischen Wärmestoffes festzustellen, ebenso
-erfolglos[92], wie es bezüglich des elektrischen Fluidums der Fall
-gewesen war. Trotzdem gab es Physiker, denen die Annahme eines einzigen
-Stoffes zur Erklärung der Wärmeerscheinungen noch nicht genügte. Wie
-man zwei entgegengesetzte elektrische Fluida annahm, so sollte es
-neben der Wärme einen besonderen Kältestoff geben, der z. B. in den
-zur Herstellung von Kältemischungen dienenden Salzen vorhanden sei.
-Dieser Auffassung war schon *Mariotte*[93] entgegengetreten. Er ließ
-die Kälte nur als Mindermaß an Wärme gelten und unterschied durch klare
-Darlegung und Versuche die strahlende von der Körperwärme. Daß die
-erstere die Luft und manche anderen Substanzen durchdringt, ohne die
-Temperatur wesentlich zu erhöhen, wies er nach, indem er Schießpulver
-mittelst einer aus Eis bestehenden Linse entzündete. Auch gelangte man
-schon damals zu der Erkenntnis, daß die Wärmestrahlen wie das Licht
-sich mit großer Geschwindigkeit ausbreiten. Der Franzose *Pictet*[94]
-brachte in den Brennpunkt eines aus Metall verfertigten Hohlspiegels
-eine erhitzte, indessen nicht leuchtende Metallkugel, während sich in
-dem Brennpunkt eines gegenüber befindlichen zweiten Hohlspiegels ein
-empfindliches Luftthermometer befand. Zwischen beiden Spiegeln, deren
-Abstand etwa 25 m betrug, war ein Schirm aufgestellt. Entfernte man
-diesen, so begann die Absperrflüssigkeit des Thermometers in demselben
-Augenblicke zu steigen. Es begegnet uns schon hier ein Experiment,
-das mit geringen Abänderungen (Schießbaumwolle an Stelle des
-Luftthermometers) noch heute zu den beliebtesten Vorlesungsversuchen
-zählt.
-
-*Pictet* unterschied auf Grund seines Hohlspiegelversuchs die
-strahlende Wärme von der fortgeleiteten. Letztere schreite nur langsam
-von Teilchen zu Teilchen fort, während sich die Wärmestrahlung
-geradlinig und mit großer Geschwindigkeit, vielleicht ebenso schnell
-wie das Licht, ausbreite[95]. Aus der Tatsache, daß die Luft für
-Wärmestrahlen sehr durchlässig ist, ließ sich auch leicht die auf hohen
-Bergen wahrzunehmende geringe Temperatur erklären[96].
-
-Die geschilderten Fortschritte auf dem Gebiet der Wärmelehre hatten zur
-Folge, daß man sich dem chemischen Prozeß als einer der Hauptquellen
-der Wärme mit verdoppeltem Interesse zuwandte, sowie den Einfluß
-der Wärme auf den Verlauf der chemischen Vorgänge in Betracht zog.
-Damit wuchs zugleich die Einsicht in das Wesen und den Ursprung der
-animalischen Wärme. Letztere hatte man bisher wohl aus der Reibung
-des in den Gefäßen zirkulierenden Blutes zu erklären gesucht, während
-man die Atmung, in völliger Verkennung der Tatsachen, als ein Mittel
-zur Abkühlung des Blutes betrachtete. *Stahl*, der Begründer der
-Phlogistontheorie, und *Hales*, dessen große Verdienste um die
-Physiologie wir kennen lernen werden, erklärten jetzt die tierische
-Wärme als eine Folge der Atmung. Der Zirkulation des Blutes schrieben
-sie die Aufgabe zu, die nach ihrer Meinung schon in den Lungen erzeugte
-Wärme dem übrigen Körper mitzuteilen. Es wurde also zum erstenmal der
-Atmungsprozeß mit der Verbrennung in Parallele gestellt, wenn es auch
-dem Zeitalter *Lavoisiers* vorbehalten blieb, das Wesen beider Vorgänge
-schärfer zu erfassen. Auch im übrigen stehen die Leistungen der Chemie
-seit der Mitte des 18. Jahrhunderts mit der großen Tat *Lavoisiers* in
-solch inniger Verknüpfung, daß wir es vorziehen, Verbrennung und Atmung
-im Zusammenhange mit *Lavoisiers* chemischen Ansichten zu betrachten.
-
-*Lavoisier* hat sich auch um die Messung der Verbrennungswärme und der
-spezifischen Wärme Verdienste erworben, indem er in Gemeinschaft mit
-*Laplace* ein sehr zweckmäßiges Eiskalorimeter konstruierte[97] und mit
-diesem wertvolle Untersuchungen anstellte. Zunächst definieren beide
-Forscher den Begriff der spezifischen Wärme recht klar in folgenden
-Worten: »Wenn man zwei Substanzen von gleicher Masse und gleicher
-Temperatur voraussetzt, so ist die Wärmemenge, die erforderlich ist,
-um ihre Temperatur um 1° zu erhöhen, dennoch nicht für beide Körper
-dieselbe. Wenn man als Einheit diejenige Wärmemenge nimmt, welche
-die Temperatur der Gewichtseinheit Wasser um 1° erhöht, so können
-alle anderen Wärmemengen, die sich auf verschiedene Stoffe beziehen,
-in Teilen dieser Einheit ausgedrückt werden. Unter dem Ausdruck
-spezifische Wärme ist dieses Verhältnis der Wärmemengen zu verstehen.«
-
-Für ihre Untersuchung bedienten sich *Laplace* und *Lavoisier* des von
-*Black* herrührenden Verfahrens der Eisschmelzung. Der Grundgedanke
-dieses Verfahrens ist folgender: Im Innern einer Hohlkugel aus Eis von
-0 Grad Temperatur befinde sich ein Körper, der auf irgend einen Grad
-erhitzt ist. Die äußere Wärme kann in den Hohlraum einer solchen Kugel
-nicht eindringen. Die Wärme des Körpers dagegen kann sich nicht nach
-außen zerstreuen, sondern sie wird auf die innere Fläche der Höhlung
-beschränkt bleiben, von der sie so lange das Eis abschmelzen wird, bis
-die Temperatur des Körpers auf diejenige des Eises heruntergegangen ist.
-
-Will man die spezifische Wärme eines festen Körpers kennen lernen,
-so wird man also seine Temperatur um eine gewisse Anzahl von Graden
-erhöhen, ihn dann in das Innere der Eiskugel bringen und ihn darin
-lassen, bis seine Temperatur auf 0° gesunken ist. Dann wird man das
-Wasser sammeln, das sich infolge der Wärmeabgabe des Körpers gebildet
-hat. Diese Wassermenge, dividiert durch das Produkt aus der Masse des
-Körpers und der Anzahl von Graden, die seine ursprüngliche Temperatur
-angibt, wird seiner spezifischen Wärme proportional sein[98].
-
-[Illustration: Abb. 11. *Lavoisiers* Eiskalorimeter.]
-
-Auch die bei chemischen Vorgängen auftretenden Wärmemengen haben
-*Lavoisier* und *Laplace* mit ihrem Apparat gemessen. Um die Wärmemenge
-kennen zu lernen, die bei der Verbindung mehrerer Substanzen erzeugt
-wird, wurden sie sämtlich ebenso wie die Gefäße, in denen sie
-eingeschlossen waren, auf 0° abgekühlt. Ihre Mischung wurde dann
-sofort in das Innere der Eiskugel gebracht und darin gelassen, bis
-die Temperatur der Mischung wieder 0° war. Die Wassermenge, die
-bei diesem Versuche gesammelt wurde, ist das Maß für die bei der
-Verbindung entwickelte Wärme. Die Bestimmung der Wärmemengen, die bei
-der Verbrennung und der Atmung erzeugt werden, verursachte nicht mehr
-Schwierigkeiten. Man verbrannte die Körper im Innern der Eiskugel
-und ließ die Tiere innerhalb derselben atmen. Da aber die Erneuerung
-der Luft bei diesen Operationen unumgänglich nötig ist, so wurde
-eine Verbindung zwischen dem Innern der Kugel und der umgebenden
-Atmosphäre hergestellt. Damit ferner die Einführung der neuen Luft
-keinen merklichen Fehler veranlaßte, mußte man diese Versuche bei einer
-Temperatur von 0° machen oder mindestens die Luft, die man einführte,
-auf diese Temperatur abkühlen.
-
-Bei der Ausführung der Versuche wurde die Eiskugel durch einen
-zweckmäßigeren Apparat ersetzt, dessen senkrechter Schnitt in Abb. 11
-dargestellt ist. Der Hohlraum des Apparates ist in drei Teile geteilt.
-Die innere Höhlung besteht aus einem Eisendrahtgeflecht. In diese
-Höhlung bringt man die Körper, welche dem Versuche unterworfen werden
-sollen. Die obere Öffnung kann vermittelst eines Deckels geschlossen
-werden. Er ist in Abb. 11, HJ besonders dargestellt. Dieser Deckel
-ist oben offen; sein Boden wird durch ein Netz von Eisendraht gebildet.
-Der mittlere Raum *bbbb* des Kalorimeters ist dazu bestimmt, das Eis
-aufzunehmen, das den inneren Raum umgeben und durch die Wärme der dem
-Versuche unterworfenen Körper geschmolzen werden soll. Dieses Eis wird
-getragen und zurückgehalten durch einen Rost *mm*, unter dem sich ein
-Sieb befindet. In dem Maße, wie das Eis geschmolzen wird, läuft das
-Wasser durch den Rost und das Sieb, gelangt sodann in den Kegel *ccd*
-und die Röhre *xy*; endlich sammelt es sich in dem Gefäße P, das unter
-den Apparat gestellt wird. Die äußere Höhlung *aaaa* ist dazu bestimmt,
-dasjenige Eis aufzunehmen, welches den Einfluß der von außen kommenden
-Wärme abhalten soll. Das durch das Schmelzen dieses Eises entstandene
-Wasser fließt durch die Röhre ST zur Seite ab. Der ganze Apparat wird
-mit dem Deckel FG (Abb. 11) bedeckt.
-
-Um den Apparat in Gebrauch zu nehmen, füllt man die mittlere Höhlung
-und den Deckel HJ der mittleren Höhlung mit gestoßenem Eis, ebenso
-die äußere Höhlung und den Deckel FG des ganzen Apparates. Man
-läßt darauf das Eis der mittleren Höhlung abtropfen. Dann öffnet
-man den Apparat, um den Körper, mit dem man experimentieren will,
-hineinzubringen und schließt ihn sofort wieder. Man wartet, bis der
-Körper vollkommen abgekühlt ist und der Apparat gut abgetropft hat.
-Dann wägt man das aufgesammelte Wasser; sein Gewicht ist ein genaues
-Maß der von dem Körper abgegebenen Wärme.
-
-Weit größere Schwierigkeiten bereitete den beiden Forschern die
-Ermittlung der spezifischen Wärme von Gasen. Doch scheuten sie auch
-vor dieser Aufgabe nicht zurück. Sie ließen bestimmte Mengen der zu
-untersuchenden Gase durch ihr Eiskalorimeter strömen und bestimmten die
-Temperatur vor dem Eintritt und nach dem Ausströmen, sowie die Menge
-des geschmolzenen Eises. Damit waren zwar die Daten für eine Berechnung
-gegeben, doch erhielt man sehr ungenaue Ergebnisse[99].
-
-Zum Schlusse seien einige der von *Lavoisier* und *Laplace* gefundenen
-spezifischen Wärmen mitgeteilt unter Angabe der heute als richtig
-geltenden Werte in Klammern:
-
- Gewöhnliches Wasser 1 (1)
- Eisen 0,109 (0,113)
- Quecksilber 0,029 (0,033)
- Blei 0,028 (0,031)
- Schwefel 0,208 (0,202)
-
-Desgleichen seien die Ergebnisse einiger Versuche zur Bestimmung der
-Verbrennungswärme angegeben:
-
-Mengen des geschmolzenen Eises durch die Verbrennung von
-
- 1 Pfund Phosphor 100 Pfund
- 1 " Faulbaumkohle 96 "
- 1 " Olivenöl 148 "
-
-Die Abweichung von späteren Bestimmungen ist hier eine bedeutende,
-so entwickelt 1 kg Phosphor 5747 Kalorien und liefert demnach nur
-5747/80 = 71,8 kg Wasser, während nach *Lavoisier* und *Laplace* 1 Teil
-Phosphor bei seiner Verbrennung 100 Teile Schmelzwasser liefern soll.
-
-Von *Lavoisier* und *Laplace* rühren auch die ersten genauen Messungen
-der Ausdehnungskoeffizienten fester Körper her. Sie benutzten
-bei ihren Versuchen ein Fernrohr, das von den sich beim Erwärmen
-ausdehnenden Körpern gedreht wurde. Als Stützpunkte für die letzteren
-gebrauchten sie Pfeiler aus Stein, deren Form durch die Wärme nicht
-merklich verändert wird.
-
-Grundlegend auf dem Gebiete der Wärmelehre waren auch die
-Untersuchungen *Blagdens* über die Gesetze der Überkaltung und der
-Gefrierpunktserniedrigung. *Blagden*[100] veröffentlichte seine
-Arbeiten über diesen Gegenstand im Jahre 1788. Die erste dieser
-Arbeiten bringt eine Anzahl wichtiger Versuche über die Abkühlung
-des Wassers bis unter seinen Gefrierpunkt. *Blagden* zeigte, daß das
-Wasser, dessen Gefrierpunkt bei 32° Fahrenheit liegt, unter Umständen
-erst bei 24°, ja selbst bei 21° F in den festen Zustand übergeht. Die
-Überkaltung war auch möglich, wenn man dem Wasser Salze beimengte,
-die an sich schon den Gefrierpunkt herabsetzen. Eine Kochsalzlösung,
-deren Gefrierpunkt 28° F betrug, wurde auf 18½° abgekühlt. Erst bei
-weiterer Entziehung von Wärme wurde sie fest. Eine Salpeterlösung mit
-dem Gefrierpunkt 27° F wurde bis auf 16°, also 11° unter den neuen
-Gefrierpunkt »überkaltet«. Das merkwürdige Phänomen der Überkaltung
-hatte die Aufmerksamkeit einzelner Physiker schon vor *Blagden* erregt,
-keiner hat es aber so sorgfältig untersucht wie dieser. Eingehend
-befaßt er sich mit den Bedingungen der Überkaltung und der Ursache
-des plötzlichen Erstarrens überkalteter Flüssigkeiten. Rieb *Blagden*
-mit einem Glasstab an der Innenwand des Gefäßes, in welchem sich
-überkaltetes Wasser befand, so wurde das Wasser, das andere Bewegungen
-wohl vertrug, zum Erstarren gebracht. Überraschend war der Versuch, bei
-dem überkaltetes Wasser mit einem noch so winzigen Eisstück berührt
-wurde. Es trat sofortiges Gefrieren ein, indem die Eiskristalle von
-der Stelle aus, wo sich das Eisstückchen befand, durch die ganze Masse
-anschossen. Gleichzeitig erwärmte sich die ganze Masse bis zum normalen
-Gefrierpunkt des Wassers[101].
-
-Durch den beschriebenen Versuch erklärte sich auch die Erscheinung, daß
-die Überkaltung sicherer gelingt, wenn man das Gefäß leicht mit Papier
-bedeckt. *Blagden* nahm an, daß winzige erstarrte Wasserteilchen bei
-Frostwetter in der Luft schweben und auf das sich abkühlende Wasser
-fallen, dessen Erstarrung sie dann bewirken, während diese Teilchen im
-anderen Falle von dem Papier zurückgehalten werden.
-
-Als zweite Ursache, welche den Gefrierpunkt von Flüssigkeiten
-herabsetzt, hatte man den Zusatz von Salzen und Säuren erkannt. Die
-erste quantitative Untersuchung dieses Verhaltens rührt gleichfalls von
-*Blagden* her[102]. Für die erste Versuchsreihe diente das Kochsalz.
-Es ergab sich, daß das Salz den Gefrierpunkt nach dem einfachen
-Verhältnis, in welchem es zu dem Wasser der Lösung steht, erniedrigt.
-Man hat vorgeschlagen, dieses Gesetz das *Blagden*sche zu nennen[103].
-
-Weitere Versuchsreihen lieferten Salpeter, Salmiak, Glaubersalz
-und weinsaures Natrium-Kalium. Für alle entsprach die
-Gefrierpunktserniedrigung dem einfachen Verhältnisse von Salz zu
-Wasser[104]. Setzte *Blagden* Säuren, Alkalien oder Alkohol zum Wasser,
-so ließ sich keine solch einfache Beziehung nachweisen, doch schienen
-ihm gleiche Zutaten dieser Flüssigkeiten den Gefrierpunkt des Wassers
-in einem zunehmenden Verhältnis zu erniedrigen.
-
-*Blagdens* Untersuchung über diesen Gegenstand geriet zunächst ganz in
-Vergessenheit; man wurde auf sie erst wieder aufmerksam, als man in der
-neuesten Zeit in der Gefrierpunktserniedrigung, welche Salze und auch
-indifferente organische Stoffe bewirken, ein Mittel zur Bestimmung des
-Molekulargewichtes kennen lernte. Vorahnend bemerkt schon *Blagden*,
-man möge doch Untersuchungen wie die seine nicht für unwichtig halten,
-da man auf diesem Wege zu einer Kenntnis des inneren Gefüges gelangen
-werde, auf dem die Eigenschaften des Körpers beruhen.
-
-
-
-
-4. Die Naturbeschreibung unter der Herrschaft des künstlichen Systems.
-
-
-Wir haben an die Spitze dieses in seinem ersten Teile vornehmlich
-die Entwicklung während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
-schildernden Bandes die großen Fortschritte der Physik gestellt. Die
-nächsten Abschnitte sollen zeigen, wie sich die übrigen Wissenszweige
-entwickelt und sich wechselseitig befruchtet haben. Dabei tritt
-besonders in die Erscheinung, daß der Einfluß der physikalischen
-Lehren und vor allem der physikalischen Forschungsweise sich in immer
-höherem Maße auf die übrigen Disziplinen ausdehnt. Die Physik wurde
-das gemeinsame Band, das sie alle umschlang. Durch die Ausdehnung
-ihres quantitativen Verfahrens auf das Gebiet der stofflichen
-Veränderungen nahm die Chemie eine ganz neue Gestalt an. Gleichzeitig
-mit ihr wurde die Mineralogie auf neue Grundlagen gestellt. Auch
-die Lebenserscheinungen suchte man nach physikalischer Methode
-zu erforschen. Wenn auch die Zoologen und die Botaniker des 18.
-Jahrhunderts ihre Hauptaufgabe noch in einer auf das Äußere gerichteten
-Beschreibung und in der Systematik der Tiere und der Pflanzen
-erblickten, so fehlte es doch nicht an Untersuchungen, in den inneren
-Bau und die Verrichtungen der Organe einzudringen.
-
-Durch das genauere Studium der Pflanzen- und der Tierwelt Europas,
-sowie der übrigen Weltteile war das Material, welches der Systematik
-zu Gebote stand, schon im Beginn des 18. Jahrhunderts kaum mehr zu
-bewältigen. Die Bearbeitung dieses Materials wurde immer schwieriger,
-weil eine klare, auf scharfer Gliederung beruhende Nomenklatur noch
-nicht geschaffen war und die bisherigen Versuche zur Aufstellung
-eines umfassenden Systems sich stets als unzureichend erwiesen
-hatten. Der Mann, der zur rechten Zeit erschien und nach den beiden
-angegebenen Richtungen Abhilfe schuf, war der schwedische Naturforscher
-*Linné*. *Karl von Linné* wurde am 23. Mai des Jahres 1707 in dem
-Dorfe Råshult in Småland geboren. Sein Vater, ein Pfarrer, besaß für
-Gartenbau und Pflanzenkunde eine große Liebhaberei, die sich auf den
-Sohn übertrug. Als der junge *Linné* in einem benachbarten Städtchen
-die Schule besuchte, botanisierte er, anstatt seinen nächstliegenden
-Pflichten nachzukommen. Darüber erzürnte der Vater und gab ihn einem
-Schuhmacher in die Lehre. Ein Arzt, der *Linnés* botanische Neigungen
-unterstützte, vermochte jedoch den Vater zu versöhnen. *Linné*
-erhielt die Erlaubnis, sich dem Studium der Medizin zu widmen. Er
-bezog die Universität Lund, die er später mit Upsala vertauschte. Da
-*Linné* in ärmlichen Verhältnissen lebte, war er gezwungen, seinen
-Unterhalt durch Abschreiben und Unterricht zu verdienen. In Upsala
-nahm sich schließlich der Professor der Botanik *Rudbeck* seiner an.
-Er übertrug ihm die Aufsicht über den botanischen Garten, sowie die
-Stellvertretung bei seinen Vorlesungen. Im Jahre 1732 erhielt *Linné*
-den Auftrag, die nördlichsten Teile Schwedens zu durchforschen. Nachdem
-er von seiner während des Sommers 1732 unternommenen Lapplandreise
-zurückgekehrt war, beabsichtigte er, in Upsala Vorlesungen über
-Botanik zu halten. Eifersüchtige Nebenbuhler wußten indes sein
-Vorhaben durch den Einspruch, daß er noch nicht promoviert sei, zu
-verhindern. Da es damals Brauch war, den Doktorhut im Auslande zu
-erwerben, ging *Linné* zu diesem Zwecke im Jahre 1735 nach Holland.
-Dort wurde er mit *Clifford* bekannt, der in Harlem einen Garten besaß
-und *Linnés* Rat und Hilfe in botanischen Dingen zu schätzen wußte.
-In Holland gab *Linné* im Jahre 1735 neben einem größeren Werk über
-den *Clifford*schen Garten eine kleine, in Tabellenform verfaßte
-Schrift heraus, die er »Systema naturae« nannte. Dieses Büchlein,
-das die Früchte seiner bisherigen, sich über alle drei Naturreiche
-erstreckenden Bemühungen um die Systematik enthielt, wurde später
-wiederholt von neuem aufgelegt und wuchs dabei zu einem mehrbändigen
-Werke an[105].
-
-*Linnés* »System der Natur« erregte durch seine Übersichtlichkeit und
-Klarheit sofort große Bewunderung. Es war in seinem ganzen Umfange
-auf die Sexualität der Pflanzen begründet. Mit der Sexualtheorie
-war *Linné*, wie er selbst hervorhebt, durch die Engländer bekannt
-geworden. Letztere hatten ihrerseits die Anregung aus Deutschland
-empfangen.
-
-Bald nach 1735 erschienen *Linnés* Schriften, in denen er
-seine Grundsätze für die Bestimmung und Benennung der Pflanzen
-entwickelte[106]. Unter Berücksichtigung aller wesentlichen Merkmale
-bestimmte er mit großer Schärfe die Charaktere von nahezu 1000
-Gattungen. Nachdem *Linné* Reisen nach England und nach Frankreich
-unternommen hatte -- in Paris ernannte man ihn zum korrespondierenden
-Mitgliede der Akademie der Wissenschaften -- kehrte er nach Stockholm
-zurück. Hier nahm man ihn mit großen Ehrenbezeugungen auf. *Linné*,
-der sich zunächst dem ärztlichen Beruf zuwandte, wurde Leibarzt
-des Königs und Präsident der Akademie der Wissenschaften. Im Jahre
-1741 siedelte er nach dem nahen Upsala über. Während der beiden
-Jahrzehnte, die *Linné* dort als anregender Lehrer und unermüdlicher
-Forscher zubrachte, erlebte die Naturbeschreibung ihre Glanzperiode.
-Der botanische Garten wurde in seinem Geiste erneuert und mit einem
-naturhistorischen Museum verbunden. Im Jahre 1746 gab *Linné* ein Werk
-über die Tierwelt Schwedens heraus, einige Jahre später erschien seine
-allgemeine Botanik[107], das botanische Hauptwerk *Linnés*. 1762 wurde
-*Linné* in den Adelsstand erhoben. Seit dieser Zeit nannte er sich *von
-Linné*, während sein Name ursprünglich *Linnaeus* lautete. Er starb am
-10. Januar 1778[108].
-
-*Linnés* Verdienst bestand nicht in epochemachenden Entdeckungen, die
-späteren Geschlechtern unmittelbare Anregung zu weiterem Forschen
-gegeben hätten, sondern er erblickte seine Aufgabe vornehmlich in
-der systematischen Bearbeitung des gesamten, von seinen Vorgängern
-übermittelten naturgeschichtlichen Wissens. Hierin hat er Bedeutendes
-geleistet und sich einer Mühe unterzogen, deren Bewältigung im
-Interesse des weiteren Fortschritts lag. Daß seine Nachfolger das
-System überschätzten und die Einordnung der neu beschriebenen Formen
-für die hauptsächlichste Aufgabe der Wissenschaft hielten, darf man dem
-Begründer dieses Systems nicht zur Last legen. In der Botanik brachte
-*Linné* die seit *Caesalpin* auf die Aufstellung eines künstlichen
-Systems gerichteten Bestrebungen zum Abschluß. Die Kenntnis von der
-Sexualität der Pflanzen, auf welcher seine Einteilung fußte, verdankte
-er vor allem den Untersuchungen des Deutschen *Camerarius*[109],
-wie auch seine binäre Nomenklatur auf den Vorgang anderer Botaniker
-(*Jungius* und *Ray*) zurückzuführen ist.
-
-Der sogenannte Schlüssel, nach dem *Linné* in seinem System das ganze
-Pflanzenreich in Klassen einteilte, ist folgender:
-
- =A. Pflanzen mit Blüten.=
-
- Aa. *Mit lauter Zwitterblüten.*
-
- aa. Mit freien Staubfäden.
-
- aaa. Mit Staubfäden von unbestimmter Länge.
-
- 1. Klasse mit einem Staubfaden *Monandria*[110].
-
- 2. " " zwei Staubfäden *Diandria*.
-
- 3. " " drei " *Triandria*.
-
- 4. " " vier " *Tetrandria*.
-
- 5. " " fünf " *Pentandria*.
-
- 6. " " sechs " *Hexandria*.
-
- 7. " " sieben " *Heptandria*.
-
- 8. " " acht " *Octandria*.
-
- 9. " " neun " *Enneandria*.
-
- 10. " " zehn " *Decandria*.
-
- 11. " " 12-19 " *Dodecandria*.
-
- 12. Klasse mit 20 oder mehr Staubfäden,
- die nicht auf dem
- Fruchtboden, sondern auf der
- inneren Seite des Kelches sitzen *Icosandria*.
-
- 13. Klasse mit 20 oder mehr Staubfäden,
- die auf dem Fruchtboden
- sitzen *Polyandria*.
-
- abb. Mit Staubfäden von bestimmter
- Verschiedenheit in der Länge.
-
- 14. Klasse, Pflanzen mit vier Staubfäden,
- von denen zwei nebeneinander
- stehende länger und
- zwei kürzer sind *Didynamia*.
-
- 15. Klasse, Pflanzen mit sechs Staubfäden,
- von denen vier länger,
- zwei einander gegenüberstehende
- aber kürzer sind *Tetradynamia*[111].
-
- ab. Mit verwachsenen Staubfäden oder
- verwachsenen Staubbeuteln.
-
- 16. Klasse, Pflanzen mit Staubfäden,
- die unten zusammengewachsen
- sind *Monadelphia*.
-
- 17. Klasse, Pflanzen, deren Staubfäden
- zu zwei Bündeln verwachsen
- sind *Diadelphia*.
-
- 18. Klasse, Pflanzen, deren Staubfäden
- zu drei oder mehr Bündeln
- verwachsen sind *Polyadelphia*[112].
-
- 19. Klasse, Pflanzen, deren Staubbeutel
- zu einem Zylinder zusammengewachsen
- sind *Syngenesia*[113].
-
- 20. Klasse, Pflanzen, deren Staubfäden
- mit den Griffeln verwachsen
- sind *Gynandria*[114].
-
- Ab. *Mit getrennten Geschlechtern.*
-
- 21. Klasse, männliche und weibliche
- Blüten befinden sich an
- einer Pflanze *Monoecia*.
-
- 22. Klasse, männliche und weibliche
- Blüten befinden sich auf
- verschiedenen Pflanzen *Dioecia*[115].
-
- 23. Klasse, außer den Zwitterblumen
- befinden sich noch männliche
- oder weibliche Blüten oder
- beide zugleich an einer oder
- an verschiedenen Pflanzen *Polygamia*[116].
-
- =B. Pflanzen, bei denen weder Staubfäden noch Stempel,
- welche bei den übrigen Pflanzen wesentliche Teile
- der Blüte sind, in die Augen fallen.=
-
- 24. Klasse *Cryptogamia*[117].
-
-*Linnés* System fand anfangs viel Widerspruch. Entweder wurde die
-Sexualität der Pflanzen trotz aller unzweifelhaften Beweise geleugnet,
-oder man erhob den Einwand, daß »die neue Lehre zu unzüchtigen Gedanken
-reize«. Deutschlands großer Systematiker *Gleditsch*, der im Auftrage
-der Akademie zu Berlin den dortigen botanischen Garten gründete, mußte
-sich alle Mühe geben, um den Einwurf, daß die Lehre von der Befruchtung
-der Pflanzen unsittlich sei, zu widerlegen[118].
-
-Zu der Folgerichtigkeit, mit der *Linné* sein System durchführte,
-gesellte sich die umfassendste Kenntnis einheimischer und fremder
-Pflanzen. Seine Übersicht[119] der Arten enthielt 7300 Nummern und
-wurde neun Jahre später um weitere 1500 Nummern vermehrt. Am wenigsten
-gründlich durchforschte *Linné* die Pflanzen, welche der Kleinheit
-ihrer Organe wegen den Gebrauch von Vergrößerungsgläsern notwendig
-machten, wie die Doldengewächse und die Kryptogamen.
-
-*Linné* selbst war dem physiologischen Experiment, sowie der Anwendung
-des Mikroskopes wenig zugetan. Sehr selten begegnen wir bei ihm
-dem Bestreben, Erscheinungen auf ihre Ursachen zurückzuführen.
-Er begnügte sich damit, alles gehörig zu klassifizieren. Der
-mikroskopischen Forschung war das gesamte 18. Jahrhundert wenig
-hold. *Grews* und *Malpighis* epochemachende Untersuchungen über den
-inneren Bau der Pflanzen wurden nicht fortgesetzt. Ja, es fehlte
-sogar nicht an gewichtigen Stimmen, welche die bisherigen Ergebnisse
-der Pflanzenanatomie als unrichtig und trügerisch zu verdächtigen
-suchten[120].
-
-*Linnés* Art, etwas durch logisches Zergliedern klarzustellen, ohne die
-Natur selbst hinreichend zu befragen, erinnert häufig an *Aristoteles*.
-Daß sein Pflanzensystem in erster Linie auf die Erfüllung eines
-praktischen Bedürfnisses hinauslief und keine naturgemäße Gruppierung
-ergab, wußte *Linné* sehr wohl, während es seine Nachbeter später
-gänzlich vergessen zu haben schienen und in dem von *Linné*
-geschaffenen System die Krönung des naturgeschichtlichen Lehrgebäudes
-erblickten.
-
-In späteren Jahren hat sich *Linné* auch dem natürlichen System
-zugewandt. Schon in seiner Philosophie der Botanik[121] verlangte er,
-»die Fragmente der natürlichen Methode fleißig aufzusuchen«. Dies sei
-das erste und letzte, was man in der Botanik erstreben müsse, denn die
-Natur mache keine Sprünge. Ja, noch früher, nämlich im Jahre 1738[122],
-stellte *Linné* als Grundsatz eines natürlichen Systems die Forderung
-auf, sämtliche Teile der Pflanzen, insbesondere aber die Frucht, den
-Samen, die Lage des Embryos usw. systematisch zu verwerten. Auch muß
-anerkannt werden, daß *Linné* mit dem Wort natürliche Verwandtschaft
-einen besseren Begriff verband als die meisten seiner Vorgänger. Besaß
-dieser Begriff bei *Linné* zwar ebensowenig eine reale Bedeutung wie
-bei den übrigen Systematikern des 18. Jahrhunderts, so paßt sich
-seine Vorstellung der späteren Theorie der Abstammung der Arten doch
-weit besser an. Während nämlich der Satz, daß die Natur keine Sprünge
-mache, die meisten dazu verleitete, sich die organische Schöpfung als
-eine einzige aufsteigende Reihe vorzustellen, dachte sich *Linné* die
-Verwandtschaft der Formen unter dem Bilde eines vielmaschigen Netzes.
-»Alle Pflanzen,« sagt er, »zeigen eine Verwandtschaft nach allen
-Seiten.«
-
-*Linné* selbst hat ein Verzeichnis derjenigen Gruppen aufgestellt,
-die er als natürliche betrachtete. Der erste Versuch, von der
-Erfassung solcher Gruppen zur systematischen Gliederung des gesamten
-Pflanzenreiches zu gelangen, ging von den Franzosen aus. Die
-schwedischen, deutschen und englischen Botaniker dagegen verfolgten die
-von *Linné* eingeschlagene Richtung bis zur Einseitigkeit und suchten
-ihren Ruhm in der Kenntnis einer möglichst großen Zahl von Arten. Erst
-mit der Aufstellung des natürlichen Systems durch die beiden *Jussieu*
-und *Decandolle* wurde die Grundlage für den weiteren Fortschritt
-geschaffen.
-
-Wie auf dem botanischen, so war auch auf zoologischem Gebiete *Linnés*
-Wirken fast ausschließlich nach der beschreibenden und systematischen
-Seite gerichtet. Sein Tiersystem entsprach indes weit mehr der
-natürlichen Verwandtschaft, als dies hinsichtlich seiner Gruppierung
-der Pflanzen der Fall war. Die Einteilung der niederen Tiere, deren
-innerer Bau erst in der nächsten Periode eingehender studiert wurde,
-fußte jedoch noch auf ganz oberflächlichen Ähnlichkeiten. Das gesamte
-Tierreich zerfiel nach *Linné* in sechs Klassen, von denen nur
-diejenigen der Säugetiere und der Vögel ihren Wert und Umfang auch
-heute noch besitzen. Die Amphibien wurden noch mit den Reptilien zu
-einer Gruppe vereinigt. Die vierte Klasse umfaßte die Fische. Die
-Insekten bildeten die fünfte Klasse. Sie zerfielen in die noch heute
-geltenden Ordnungen, während die letzte Klasse der Würmer alles das
-umfaßte, was *Linné* anderweitig nicht unterzubringen vermochte.
-Hier finden wir z. B. die Weichtiere mit den Aufgußtierchen und die
-Eingeweidewürmer mit den Pflanzentieren vereinigt. Über die animalische
-Natur der letzteren ist *Linné* noch nicht völlig im klaren. Er
-bezeichnet sie als Pflanzen mit tierisch belebten Blüten. Mancher
-Widerspruch erhob sich gegen seinen Schritt, den Menschen als besondere
-Gattung an die Spitze des Systems zu stellen und ihn mit den höheren
-Affen zur Ordnung der Primaten zu vereinen. Man muß jedoch anerkennen,
-daß dieser Schritt die Naturgeschichte des Menschen als besonderen
-Wissenszweig angebahnt hat, so daß *Blumenbach*, als er die neuere
-Anthropologie begründete, nur der Auffassung *Linnés* zu folgen
-brauchte.
-
-Von besonderer Wichtigkeit für die Systematik war die von *Linné*
-herrührende strenge Durchführung der binären Nomenklatur. Anstatt
-weitschweifiger Definitionen, die man neu entdeckten Formen beilegte,
-erhielt jede Art zwei der lateinischen Sprache entnommene Namen, von
-denen der erste die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gattung, der
-zweite dagegen, meist in Form eines Eigenschaftsworts hinzutretend,
-die Art bezeichnete. Letztere erschien *Linné* als der durchaus
-unveränderliche Ausgangspunkt seines Systems. »Tot numeramus
-species, quot creavit ab initio infinitum ens« lautet sein bekannter
-Ausspruch, »wir zählen soviel Arten, wie Gott im Anbeginn erschaffen
-hat«. Diese Ansicht, welche die Beziehungen im anatomischen Bau der
-Lebewesen völlig unerklärt läßt und die Worte Verwandtschaft und
-Zusammengehörigkeit nur im bildlichen Sinne anzuwenden gestattet,
-erstarkte in der Folge zu einem Dogma, das nicht nur die Lehre von den
-heute lebenden Formen, sondern auch die Paläontologie bis zum Beginn
-des 19. Jahrhunderts vollständig beherrschte und erst in der zweiten
-Hälfte des letzteren zu Fall gebracht wurde.
-
-*Linnés* Bemühen, alles zu systematisieren, erstreckte sich auch
-auf das Mineralreich. Da er jedoch auch hier in erster Linie die
-äußere Beschaffenheit ins Auge faßte, so war der Erfolg nur gering.
-Eigentümliche Ansichten, die sich später als zum Teil begründet
-erwiesen, entwickelte *Linné* in seiner Abhandlung über das Anwachsen
-der Erde[123]. Danach bildeten sich die Schichten nicht aus zerriebenem
-Urgestein, sondern sie sind Erzeugnisse der Lebewelt. Das Kalkgebirge
-ist nach *Linné* aus Muscheln und Korallen entstanden, während die
-Pflanzen tonige Ablagerungen, die später zu Schiefer erstarrten,
-gebildet haben sollten.
-
-
-
-
-5. Die Ausdehnung der physikalischen Methoden auf das Gebiet der
-Pflanzenphysiologie.
-
-
-Wenn auch auf dem Gebiete der Botanik während des 18. Jahrhunderts die
-systematische Richtung überwog, so fällt doch in diesen Zeitraum die
-Begründung einiger wichtigen Zweige der Pflanzenphysiologie, um deren
-weiteren Ausbau man sich dann allerdings zunächst so wenig kümmerte wie
-um die Fortsetzung der pflanzenanatomischen Arbeiten eines *Grew* und
-*Malpighi*. Es sind dies die Arbeiten von *Hales* über die Bewegung
-des Pflanzensaftes und die Aufdeckung der Beziehungen zwischen Blumen
-und Insekten durch *Konrad Sprengel*, dessen Forschungen erst in
-neuerer Zeit, seit *Darwin* demselben Gegenstande seine Aufmerksamkeit
-zuwandte, zur vollen Würdigung gelangt sind.
-
-Auch an Versuchen einen gewissen Einblick in den Vorgang der Ernährung
-der Pflanze zu erhalten, hat es im 17. und 18. Jahrhundert nicht
-gefehlt. Solche Versuche wurden schon dadurch veranlaßt, daß sich
-*Aristoteles* über die Ernährung der Pflanzen geäußert hatte. Seine
-Meinung ging dahin, daß die Pflanzen ihre Nahrung fertig aus der Erde
-aufnähmen und daher auch keine Exkremente von sich gäben[124]. Da die
-neuere Naturwissenschaft die Haltlosigkeit derartiger, aus allgemeinen
-philosophischen Gründen entwickelter Urteile in zahlreichen Fällen
-nachgewiesen hatte, so wandte sie das Hilfsmittel, das ihr in allen
-diesen Fällen zum Siege verholfen, das experimentelle Verfahren
-nämlich, auch auf diese Frage an.
-
-Einer der ersten, der, wenn auch auf Grund nur mangelhafter
-chemischer und anatomischer Kenntnisse, die Frage der Ernährung der
-Pflanze vom naturwissenschaftlichen Standpunkte in Angriff nahm, war
-*Mariotte*. Wir haben ihn an anderer Stelle als einen der Begründer
-der Physik der Gase kennen gelernt[125]. *Mariotte* war, wie alle
-Gegner der aristotelischen Art der Naturerklärung, Anhänger der
-Korpuskulartheorie. Diese nahm bei ihren Erklärungsversuchen die
-Bewegung kleinster Teilchen oder Korpuskeln zu Hilfe. Die Ursache der
-Bewegung erblickte sie in anziehenden und abstoßenden Kräften.
-
-*Mariotte* hat seine Ansichten im Jahre 1679 zusammengefaßt[126]. Nach
-ihm nimmt die Pflanze aus dem Boden gewisse Stoffe -- »Prinzipien«
-sagt *Mariotte* -- auf. Solche Stoffe sind Salz, Salpeter, Schwefel,
-Wasser und Erden. Auch die Luftteilchen spielen nach *Mariotte* bei der
-Ernährung der Pflanze eine Rolle. Sie werden durch den Blitz verbrannt
-und mit dem Wasser dem Boden zugeführt. Erst viel spätere Forschungen
-haben bewiesen, daß diese Ansichten im allgemeinen das Richtige trafen.
-Eigentliche pflanzenchemische Versuche vermochte *Mariotte* nämlich
-noch nicht anzustellen. Um die Irrigkeit der aristotelischen Meinungen
-darzutun, waren solche auch nicht einmal nötig. Daß die Pflanzen die
-Bestandteile, aus denen sie sich zusammensetzen, nicht fertig aus dem
-Boden aufnehmen, beweist nach *Mariotte* schon die Tatsache, daß sich
-in derselben Handvoll Erde tausende von Pflanzen aufziehen lassen, die
-alle in ihrer chemischen Zusammensetzung Besonderheiten darbieten. Auch
-daß sich auf einen Stamm die verschiedensten Pfropfreiser aufpflanzen
-lassen, und daß diese gleichfalls aus offenbar doch ein und demselben,
-aus dem Boden eintretenden Saft Erzeugnisse der verschiedensten
-chemischen Art hervorbringen, beweist, wie *Mariotte* ganz richtig
-hervorhebt, daß sich aus den verschiedenen Prinzipien die pflanzlichen
-Substanzen durch passende Vereinigung aufbauen.
-
-Zu ähnlichen Anschauungen gelangte *Chr. Wolf*, der die
-*Leibniz*sche Philosophie fortsetzte und durch seine Bemühungen, die
-Korpuskulartheorie zur Erklärung der Naturerscheinungen zu verwerten,
-auch auf die Entwicklung der Chemie anregend gewirkt hat[127]. *Wolf*
-gab im Jahre 1723 eine allgemeine Naturlehre[128] heraus. In diesem
-Buche gibt er eine zusammenhängende Darstellung der Lehre von der
-Ernährung der Pflanzen. Auch *Wolf* vertritt die Ansicht, daß die
-Pflanze die in sie eintretenden Stoffe chemisch verändere. Dies wird
-daraus geschlossen, daß jede Pflanze eigenartige chemische Bestandteile
-(»ihr besonderes Öl«) enthält. Die Pflanze entnimmt nach *Wolf* ihre
-Nährstoffe nicht nur dem Boden, sondern auch der Luft.
-
-Im ganzen genommen bemerken wir also im 17. und in der ersten
-Hälfte des 18. Jahrhunderts zwar einen erheblichen Fortschritt
-gegen *Aristoteles* und van *Helmont*. Es fehlte aber noch an einer
-genügenden chemischen Grundlage, um einen wirklichen Einblick in diesen
-Teil des pflanzlichen Lebens zu gewinnen.
-
-Mit weit besserem Erfolge ließen sich die physikalischen
-Forschungsmittel auf die Probleme der Pflanzenphysiologie anwenden. Die
-Physik hatte während des 17. Jahrhunderts die glänzendste Periode ihrer
-Entwicklung gehabt. Sie bediente sich auf allen ihren Gebieten der
-quantitativen Untersuchungsweise. Letztere zuerst auf die Erscheinungen
-des pflanzlichen Lebens angewandt zu haben, ist das große Verdienst von
-*Hales*.
-
-*Stephan Hales* wurde am 17. September 1677 in der Nähe von Kent
-geboren. Er studierte in Cambridge Theologie. Gleichzeitig betrieb er
-mit großer Vorliebe Mathematik und Naturwissenschaften. Die Zeit, die
-ihm sein Pfarramt übrig ließ, verwandte er auf die Verwirklichung eines
-hohen Zieles, nämlich der Ausdehnung der physikalischen Forschungs-
-und Betrachtungsweise auf das Gebiet der Lebensvorgänge. Im Jahre 1718
-wurde *Hales* Mitglied der Royal Society; er starb am 4. Januar 1761.
-
-In seinem Hauptwerke, der Statik der Gewächse[129], versuchte *Hales*,
-auf Grund der bis dahin gewonnenen mechanischen und chemischen
-Kenntnisse, durch Versuche eine Einsicht in den Lebensprozeß der
-Pflanze zu gewinnen. *Harveys* Entdeckung des Blutkreislaufes
-hatte die Frage angeregt, ob im Pflanzenkörper ein entsprechender
-Vorgang stattfinde. Diese Frage ist es, welche *Hales* durch seine
-Versuche zu entscheiden suchte. Wie in der Physiologie des Tieres die
-Flüssigkeiten, deren Geschwindigkeiten, die Kräfte, welche auf sie
-wirken, sowie die Menge trockener und flüssiger Nahrung die größte
-Rolle spielen, so erhält, wie *Hales* des näheren ausführt, die
-Mechanik auch das Leben der Pflanzen und bringt deren Wachstum zuwege.
-Die Ähnlichkeit zwischen Pflanzen und Tieren sei so groß, daß, wenn
-man beide nach gleicher Methode untersuche, wichtige Entdeckungen
-zu erhoffen seien. Das Verfahren, das *Hales* zum erstenmale auf
-das Studium der Pflanzen anwendet, besteht in Zählen, Messen und
-Wägen. Der Einfluß der Physik war es, der sich auf immer weitere
-Gebiete erstreckte. »Durch Zählen und Messen«, sagt *Hales* in seinem
-Hauptwerk, »hat der große *Newton* die Regeln, nach denen die Gestirne
-ihren Lauf beschreiben, zu bestimmen vermocht. Der allweise Schöpfer
-hat sich nämlich die Richtschnur gesetzt, alles nach Zahl, Maß und
-Gewicht zu erschaffen. Damit nun auch wir seine Werke ergründen
-können, kommt es auf Zählen, Messen und Wägen an. Man geht dadurch den
-vernünftigsten und sichersten Weg. Und der so ungemein große Erfolg,
-den dieses Verfahren gezeitigt hat, muß uns anreizen, es anzuwenden.«
-
-*Hales'* Untersuchungen befassen sich zunächst mit der Feststellung
-der Flüssigkeitsmenge, die von den Pflanzen aus dem Boden aufgenommen
-und durch die Blätter wieder abgedunstet wird. Eine 3½ Fuß hohe
-Sonnenblume wurde in einen Topf gepflanzt, der durch eine Bleiplatte
-nach Möglichkeit gegen Verdunstung geschützt war. Durch diese Platte
-führte ein Rohr, das zum Nachfüllen von Wasser diente. Der infolge
-der Transpiration eintretende Gewichtsverlust betrug für die zwölf
-Stunden von morgens bis abends an heißen Tagen 1 Pfund 14 Unzen,
-während der Verlust desselben Topfes, nachdem die Pflanze abgeschnitten
-und der Stumpf verklebt war, unter im übrigen gleichen Umständen nur
-zwei Unzen[130] betrug. In einer warmen, trockenen Nacht betrug die
-Ausdünstung der Sonnenblume drei Unzen; wenn Tau auftrat, unterblieb
-sie ganz.
-
-Darauf stellte sich *Hales* die Aufgabe, die gesamte, oberhalb und
-unterhalb des Bodens befindliche Fläche der Sonnenblume zu messen.
-Zunächst wurden sämtliche Blätter abgeschnitten und der Größe nach in
-Gruppen geordnet. Sodann wurde ein Drahtnetz mit Maschen von bekannter
-Größe auf die einem jeden Haufen entnommenen Blätter gelegt und durch
-Abzählen der deckenden Maschen die Oberfläche bestimmt. Auf diese
-Weise fand *Hales* die Gesamtgröße der abdunstenden Fläche gleich 5616
-Quadratzoll, während er die Oberfläche der Wurzeln zu 2286 Quadratzoll
-und deren Gesamtlänge zu 1448 Fuß ermittelte. Innerhalb zwölf Stunden
-ging durch den Stamm eine Flüssigkeitsmenge von 34 Kubikzoll. Der Stamm
-besaß einen Quadratzoll Querschnitt. Dies ergab unter der Annahme,
-daß der Stamm sich wie ein hohles Rohr verhält, für den aufsteigenden
-Saft eine Geschwindigkeit von 34 Zoll. Die wahre Geschwindigkeit
-mußte, wie *Hales* bemerkte, viel größer sein, da der Raum des Stammes
-zum größten Teil mit fester Materie ausgefüllt ist. *Hales* fand,
-daß der immergrüne Zitronenbaum viel weniger transpiriert als die
-Sonnenblume, der Weinstock und andere Pflanzen, die ihre Blätter im
-Winter verlieren. Spätere Versuche, die sich auf zwölf immergrüne Bäume
-erstreckten, bestätigten die am Zitronenbaum gemachte Erfahrung[131].
-
-Von besonderem Interesse ist es, daß *Hales* das Ergebnis seiner mit
-den Pflanzen angestellten Versuche fortgesetzt mit den an Tieren und
-Menschen gemachten Beobachtungen verglich. So ergaben die Berechnungen,
-die er an seine Arbeit über die Transpiration der Sonnenblume
-anknüpfte, daß diese Pflanze in derselben Zeit unter Berücksichtigung
-des Körpergewichts 17mal so viel Flüssigkeit aufnimmt und abgibt wie
-der Mensch. Diesen Unterschied sieht *Hales* mit Recht darin begründet,
-daß die Flüssigkeit, welche die Pflanzen aus dem Boden einsaugen, nicht
-soviel Nährsubstanz enthält wie der Saft, der aus dem Verdauungskanal
-in den Körper des Tieres übergeht[132].
-
-[Illustration: Abb. 12. Der Wurzel Ziehen oder Saugen (*Hales*, Statik
-der Gewächse, Tab. III, Fig. X).]
-
-Da die Bewegung des Pflanzensaftes nicht wie bei den Tieren durch ein
-besonderes Triebwerk hervorgerufen wird und, wie *Hales* vermutete,
-nur nach einer Richtung vor sich geht, jedenfalls aber nicht in einem
-Kreislauf innerhalb der Gefäße besteht, so suchte er zunächst die Kraft
-ausfindig zu machen, durch welche die Pflanzen Flüssigkeiten in sich
-ziehen. Neben einem vollbeblätterten Baum wurde eine Grube hergestellt.
-Ein kräftiger Wurzelast wurde abgeschnitten, mit einer Röhre versehen
-und in ein mit Quecksilber gefülltes Becken getaucht (siehe Abb.
-12). Die Wurzel zog alsdann mit solcher Kraft, daß das Quecksilber
-in der Röhre bis zu einer beträchtlichen Höhe emporstieg[133]. Die
-gleiche Wirkung äußerte ein transpirierender Ast, wenn man das mit
-seinem abgeschnittenen Ende verbundene Rohr in Quecksilber tauchte.
-So wurde, um eins der vielen Beispiele zu erwähnen, ein frischer
-Zweig eines jungen Apfelbaums mit einer Röhre verbunden; diese wurde
-sodann mit Wasser gefüllt und in Quecksilber getaucht. Letzteres
-stieg in 7 Minuten um 12 Zoll (Abb. 13). In anderen Fällen wurde das
-Quecksilber jedoch nur wenig gehoben, sodaß *Hales* selbst das infolge
-der Transpiration ausgeübte Saugen der Zweige allein zur Erklärung
-der Wasserbewegung größerer Pflanzen für nicht ausreichend erachtete.
-Er nahm daher als weitere bewegende Kräfte die Kapillarität und den
-Wurzeldruck, den er durch viele Experimente messend verfolgt hat, in
-Anspruch.
-
-Die Erscheinung birgt indes selbst für die heutige Pflanzenphysiologie
-noch manches Rätsel. *Hales* schließt seine Untersuchung mit den
-Worten: »Die Pflanzen ziehen durch ihre kleinen Haarröhrchen die
-Feuchtigkeit so stark an, wie wir es gesehen haben. Die Feuchtigkeit
-verfliegt durch die Transpiration. Diese bewirkt, daß die Saftgefäße
-leer werden und infolgedessen neue Nahrung an sich ziehen.« Seine
-Ansicht, daß es sich bei diesem Vorgang nur um physikalische Kräfte
-handele, suchte er durch Versuche mit anorganischen, porösen Substanzen
-zu stützen. So wurde z. B. eine lange Glasröhre mit Mennige gefüllt
-und in derselben Weise wie die Wurzel mit Wasser und Quecksilber in
-Verbindung gesetzt. Auch in diesem Falle stieg nicht nur das Wasser
-in die poröse Masse empor, sondern das Quecksilber folgte bis zu
-einer Höhe von 8 Zoll. Nachdem man später die saugende Wirkung und
-die Kapillarität als unzureichend erkannt hatte, um das Wasser zu
-nennenswerter Höhe emporzuschaffen, hat man den Sitz der anziehenden
-Kräfte wohl in die Zellwand oder in den Zellinhalt verlegt, ohne daß
-bisher eine nach jeder Richtung befriedigende Erklärung des in Frage
-stehenden Vorgangs gelungen wäre.
-
-[Illustration: Abb. 13. *Hales'* Versuch über das Saugen eines
-transpirierenden Zweiges.]
-
-Die meisterhaften Untersuchungen eines *Hales* haben auch für die
-Aufhellung einer zweiten Reihe von Erscheinungen Grundlagen geschaffen,
-auf denen die Pflanzenphysiologie noch heute fußt. Es sind dies die
-unter dem Namen des Blutens[134] oder Tränens bekannten Vorgänge,
-welche durch den Wurzeldruck veranlaßt werden. *Hales* schnitt einen
-Weinstock 7 Zoll über der Erde ab. Der übriggebliebene Stumpf, Abb. 14
-c, besaß keine Äste, er war 4 bis 5 Jahre alt und 3/4 Zoll dick. An der
-Spitze dieses Stumpfes befestigte *Hales* vermittelst der Hülse b eine
-gläserne Röhre *bf* von 7 Fuß Länge und 1/4 Zoll Durchmesser. Die Fuge
-b dichtete er mit einer Masse aus Wachs und Terpentin, die er mit einer
-nassen Blase gut zuband. Er fügte dann eine zweite Röhre *fg* an die
-erste und fügte an die zweite noch eine dritte *ga*, so daß alle drei
-ein Rohr von 25 Fuß Länge bildeten.
-
-Zunächst sog der Stumpf Wasser ein. Bald darauf drang aber Saft aus
-dem Weinstock und die Flüssigkeit hatte nach wenigen Tagen eine Höhe
-von mehr als 20 Fuß erreicht, so daß *Hales* auf den Gedanken kam, den
-erzeugten Druck durch das soviel schwerere Quecksilber zu messen.
-
-Zu diesem Zwecke schnitt er einen Weinstock, bei a in Abb. 14, einige
-Fuß über der Erde ab. Der Stumpf *ab* besaß keine Zweige und war etwa
-einen Zoll dick. Daran befestigte er die Röhre *ayz* und goß in diese
-Quecksilber. Noch an demselben Tage stieg das Quecksilber bis z und
-stand 15 Zoll höher als im Schenkel x.
-
-[Illustration: Abb. 14. Das Steigen des Pflanzensaftes in einer 25 Fuß
-langen Röhre (*Hales'* Statik der Gewächse, Tab. IV, Fig. 17).]
-
-Einige Tage später betrug die Höhe des Quecksilbers 32½ Zoll. Sie
-würde noch mehr betragen haben, wenn mehr Quecksilber in der Röhre
-gewesen wäre. Die Versuche wurden im April angestellt. Im Verlauf
-des Monats Mai nahm die Kraft des Saftes nach und nach ab. Als die
-Quecksilberhöhe 32½ Zoll betrug, war diese Kraft dem Drucke einer
-36 Fuß 5 Zoll hohen Wassersäule gleich. Bei einem anderen derartigen
-Versuch hob diese Kraft des Saftes das Quecksilber auf 38 Zoll, was dem
-Drucke einer 43 Fuß 3 Zoll hohen Wassersäule entsprach.
-
-*Hales* wies darauf nach, daß diese Kraft etwa fünfmal so groß ist
-wie der Druck des Blutes in einer Pulsader des Pferdes und siebenmal
-größer als der Blutdruck beim Hunde. Den Druck des Blutes ermittelte
-er dadurch, daß er die Tiere lebend auf dem Rücken festband und eine
-große Pulsader öffnete. Darauf verband er diese Ader mit einem Glasrohr
-von 10 Fuß Länge und 1/8 Zoll Durchmesser. In diesem Rohr stieg das
-Blut eines Pferdes 8 Fuß 3 Zoll, dasjenige eines kleinen Hundes dagegen
-6½ Fuß hoch empor.
-
-Die Ansicht, daß in der Pflanze ein Kreislauf der Flüssigkeit wie in
-dem Gefäßsystem der Tiere stattfinde, suchte *Hales* gleichfalls durch
-Versuche zu widerlegen. So brachte er an transpirierenden Pflanzen oder
-Ästen geeignete Einschnitte übereinander an, die sämtlich bis zum Marke
-gingen und nach den vier Himmelsgegenden gerichtet waren. »Obgleich
-auf solche Weise dem Safte wiederholt der gerade Weg benommen war,
-sagt *Hales*, ging dennoch eine erhebliche Menge Feuchtigkeit durch
-den transpirierenden Ast hindurch. Auch wurde die obere Fläche der
-Einschnitte nicht etwa feucht, was doch bei einem Kreislauf des Saftes
-hätte eintreten müssen.«
-
-[Illustration: Abb. 15. Die Bestimmung des Wurzeldruckes mittelst des
-Quecksilbermanometers (*Hales*, Statik der Gewächse, Tab. IV, Fig. 18).]
-
-*Hales* dehnte seine Messungen von der Pflanze ausgehend auf den
-Boden aus. Er entnahm dem Boden Proben aus verschiedener Tiefe
-und bestimmte seinen Feuchtigkeitsgehalt. Ferner bestimmte er die
-Ausdünstung des Bodens ihrer Größe nach und verglich die gewonnenen
-Zahlen mit der Verdunstung des Wassers. Wenn auch die erhaltenen Werte
-noch mit manchen Fehlern behaftet, die Versuche zum Teil roh und die
-Versuchsbedingungen nicht sämtlich bekannt waren, so verdient es doch
-die größte Anerkennung, daß uns hier zum ersten Male das Streben
-begegnet, mit wissenschaftlicher Gründlichkeit ein bisher gänzlich
-unbekanntes Gebiet der Forschung zu erschließen. *Hales* wird daher mit
-Recht als der eigentliche Vater der Pflanzenphysiologie betrachtet. Er
-hat nicht nur den Flüssigkeitsverbrauch, sondern auch den Gaswechsel
-der Pflanze nach wissenschaftlichem Verfahren zu erforschen gesucht und
-zwar mit solchem Erfolge, daß wir ihm auch einen wesentlichen Anteil
-an der Begründung der neueren Chemie zusprechen müssen. Ist es doch
-*Hales*, dem diese Wissenschaft eins ihrer wichtigsten Hilfsmittel, die
-pneumatische Wanne nämlich, sowie wertvolle Untersuchungen über die
-Atmung und die Verbrennung verdankt. Allerdings wurden die Ergebnisse
-seines Forschens dadurch sehr getrübt, daß er noch nicht imstande war,
-die Gasarten zu unterscheiden. Für *Hales* war noch jeder elastisch
-flüssige Stoff, sei es, daß er durch Destillation, durch Gärung
-oder bei der Lösung entstand, durch verschiedenartige Beimengungen
-verunreinigte Luft. Schon früher hatte man bemerkt, daß Pflanzenteile,
-die sich längere Zeit unter einer mit Wasser gefüllten Glocke
-befinden, Gas entwickeln. Hieraus schloß *Hales*, daß die Luft an der
-Zusammensetzung der Pflanzen teilnimmt. Daß sie das Holz durchdringt,
-wies er vermittelst der Luftpumpe nach, auch erwähnt er die von *Grew*
-beschriebenen Dunstlöcher (Spaltöffnungen) und ihre Ähnlichkeit mit
-den Schweißporen. Durch diese Dunstlöcher dringe die zur Ernährung der
-Pflanze nötige Luft in den Stamm und die Blätter ein.
-
-[Illustration: Abb. 16. *Hales'* Versuche über die trockene
-Destillation mit Benutzung der pneumatischen Wanne (*Hales*, Statik,
-Tafel IX, Fig. 38).]
-
-Um das Gas zu untersuchen, das die Pflanzen bei ihrer Zersetzung
-liefern, bediente *Hales* sich gläserner Gefäße, die mit Wasser gefüllt
-und in größeren Behältern umgestülpt wurden (s. Abb. 16). Diese unter
-dem Namen der pneumatischen Wanne bekannte Vorrichtung hat in der Folge
-das Studium der Gase außerordentlich gefördert. Bei der trockenen
-Destillation von 398 Gran Erbsen erhielt *Hales* 396 Kubikzoll Gas, das
-sich an einem Licht entzündete. In einem zweiten Versuch gab ein halber
-Kubikzoll oder 135 Gran von dem Holz einer Eiche 128 Kubikzoll Gas. Das
-entstandene Gas nahm einen bedeutend größeren Raum ein. Es hatte sich
-aus einem Viertel des angewandten Holzes gebildet[135].
-
-Sehr wichtig ist, daß *Hales* seinen Apparat auch auf die Untersuchung
-der Steinkohle anwandte. Durch die trockene Destillation von 158 Gran
-Steinkohle erhielt er 180 Kubikzoll brennbare Luft. *Hales* war wohl
-der Erste, der auf solche Weise die experimentelle Grundlage für die
-Fabrikation des Leuchtgases schuf. An eine praktische Verwertung seines
-Ergebnisses hat man erst hundert Jahre später gedacht.
-
-Daß *Hales* nicht nur Pflanzenphysiologe war, geht aus seinen oben
-erwähnten Versuchen über die Größe des Blutdruckes hervor. *Hales*
-ermittelte, daß der Druck des Blutes in den größeren Arterien den
-Blutdruck in den großen Venen um viele Male (nach seinen Bestimmungen
-10 bis 12mal) übertrifft. Er maß ferner die Kraft, mit der die Lunge
-bei der Atmung sich ausdehnt, an einem der Vivisektion unterworfenen
-Hunde[136]. Er bestimmte den Durchmesser der Lungenbläschen und
-berechnete daraus für die Lunge die innere Gesamtfläche, die er viele
-Male größer als die Oberfläche des betreffenden Tieres fand. An seine
-Versuche über die Atmung knüpfte er ferner hygienische Winke über
-die Heizung und die Ventilation der Wohnräume an. Er konstruierte
-sogar einen Ventilator, um Abhilfe für die ungesunden Zustände
-herbeizuführen, welche damals auf den englischen Kriegsschiffen
-herrschten[137]. *Hales* wurde von dem Gedanken geleitet, daß seine
-Untersuchungen insbesondere dem Ackerbau Nutzen gewähren möchten. Es
-ist ohne Zweifel ein Ausfluß baconischer Philosophie, wenn er sein
-Werk, durchdrungen von der Bedeutung seiner Entdeckungen, mit den
-Worten schließt: »Wenn doch diejenigen, die ihre Zeit und ihr Vermögen
-damit verschwenden daß sie, einer leeren Einbildung folgend, alles in
-Gold verwandeln wollen, an der Erforschung dieser Vorgänge arbeiteten,
-so würden sie, anstatt Wind zu ernten, die Lorbeeren erlangen, mit
-denen nützliche Entdeckungen belohnt werden.« Wichtig ist, wie
-*Hales* seine wenn auch noch unvollkommene Erkenntnis, daß die Luft
-in die Bildung des Pflanzenkörpers eingeht und dabei ihre Elastizität
-verliert, durch das Studium chemischer Vorgänge zu erläutern und
-zu unterstützen sucht. So begegnet uns bei ihm schon jener für die
-spätere Analyse der Atmosphäre wichtige Versuch, daß Phosphor in
-einer abgeschlossenen Luftmenge verbrannt und eine dabei eintretende
-Raumverminderung nachgewiesen wird. Von diesem Versuche und den
-ähnlichen Versuchen *Guerickes*[138] bis zur Entdeckung der Tatsache,
-daß die von dem Phosphor gebundene Luft zu der übrig bleibenden
-Luftmenge stets in einem bestimmten Verhältnis steht, die Luft also
-aus *zwei* Gemengteilen zusammengesetzt ist, war nur noch ein Schritt.
-Auch daß Blei bei seiner Umwandlung in Mennige Luft verschlucke, die
-sich mit dem Blei vereinige und zur Schwere der Mennige beitrage, führt
-*Hales* als Beispiel an. Ja, er erzeugt diese Luft auch durch Erhitzen
-in seiner Retorte wieder, stellt also schon denselben Versuch an, der
-*Priestley* später zur Entdeckung des Sauerstoffs und *Lavoisier* zur
-richtigen Deutung des Verbrennungsprozesses geführt hat. *Hales* besaß
-somit, wie *Black* und andere Zeitgenossen, schon die experimentelle
-Grundlage für diese Deutung. Dennoch konnte man sich von den älteren
-Vorstellungen nicht frei machen. Das Verschwinden der Luft war für
-*Hales* nicht so wesentlich wie die vermeintliche Aufnahme aus dem
-Feuer herrührender Teilchen.
-
-Nach ihrer chemischen Seite ließ sich die Pflanzenphysiologie erst
-fördern, nachdem die Chemie selbst erhebliche Fortschritte gemacht
-hatte. Dies geschah durch die Arbeiten *Priestleys*, *Scheeles* und
-*Lavoisiers* im Verlauf der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
-Auf diese Arbeiten fußten *Ingen-Housz* und *de Saussure*, die wir
-in einem späteren Abschnitt als die eigentlichen Begründer der
-Ernährungsphysiologie kennen lernen werden.
-
-
-
-
-6. Der Ausbau der im 17. Jahrhundert begründeten Sexualtheorie.
-
-
-Außer den im vorigen Abschnitte geschilderten Schritten zur Begründung
-der Ernährungsphysiologie zeitigte das 18. Jahrhundert auf botanischem
-Gebiete auch hervorragende Arbeiten, welche den weiteren Ausbau der von
-*Camerarius* geschaffenen Sexualtheorie bezweckten. Es sind dies die
-Bastardierungsversuche *Kölreuters*, welche das Wesen der pflanzlichen
-Sexualität in das hellste Licht stellten, und *Sprengels* Nachweis der
-wichtigen Rolle, welche die Insekten bei der Befruchtung spielen.
-
-Zwischen dem Erscheinen der Schrift des *Camerarius* über das
-Geschlecht der Pflanzen (1694) und dem Werk *Kölreuters* über den
-gleichen Gegenstand liegt ein Zeitraum von etwa siebzig Jahren.
-Innerhalb dieses ausgedehnten Zeitraums wurde zwar für und gegen
-die neue Lehre viel gestritten, jedoch nur selten der allein den
-Fortschritt bedingende Weg des Versuches weiter verfolgt. So schreibt
-*Leibniz* 1701, die Blüten hätten offenbar die genaueste Beziehung zur
-Fortpflanzung, und es sei von großem Nutzen in der Fortpflanzungsweise
-Unterschiede aufzufinden. *Leibniz* mit seiner Vielgeschäftigkeit war
-indessen nicht der Mann, um mühevolle, zeitraubende Versuche nach der
-erwähnten Richtung anzustellen.
-
-Erwähnenswert für diesen Zeitraum sind die Versuche *Bradleys*[139],
-der zuerst mit Zwitterblüten experimentierte. *Bradley* pflanzte zwölf
-Tulpen und sorgte dafür, daß sich in der Nachbarschaft keine Tulpen
-befanden. Er beseitigte darauf die Staubgefäße dieser Pflanzen, bevor
-sie sich öffneten. Der Erfolg bestand darin, daß keine von den zwölf
-Pflanzen Samen entwickelte.
-
-Ein weiterer Fortschritt in der Erkenntnis der Sexualität der Pflanzen
-war es, daß man wenn auch zunächst vereinzelte Wahrnehmungen über die
-Bestäubung durch Insekten machte. Man[140] bemerkte z. B. bei einer
-Wiederholung des soeben erwähnten Versuches, daß Bienen von einem
-benachbarten Tulpenbeet Blütenstaub auf die der Staubgefäße beraubten
-Blüten übertrugen, und daß letztere dann reife Samen bildeten. Daneben
-beschäftigte man sich mit der Frage, wie der Pollen die Entstehung des
-von der Narbe oft so weit entfernten Samens bewirke. Man kam jedoch
-hierüber zu keinem Ergebnis.
-
-Das Beste, was in dem Zeitraum zwischen *Camerarius* und *Kölreuter*
-über die Sexualität der Pflanzen veröffentlicht wurde, ist wohl
-die Abhandlung von *Gleditsch* vom Jahre 1749[141]. Die Berliner
-Akademie der Wissenschaften ließ seit dem Beginn der ihr so günstigen
-Regierung Friedrichs des Großen der Botanik ihre besondere Förderung
-angedeihen. Ihr Mitglied *Gleditsch* schuf in Jahrzehnte währender,
-unermüdlicher Arbeit einen botanischen Garten, der als ein Muster
-für derartige Unternehmungen gelten konnte. Es wurden Vorlesungen
-über Forstwissenschaft eingerichtet und in einem von *Gleditsch*
-verfaßten Werk entstand das erste wissenschaftliche Lehrbuch für diese
-Disziplin. In gleicher Weise war man in Preußen unter der Führung
-von *Gleditsch* auch für die Landwirtschaft tätig. Man bemühte sich
-nicht nur, die Methoden zu verbessern, sondern war auch auf den Anbau
-neuer Nutzpflanzen bedacht. Es ist erklärlich, daß unter solchen
-Verhältnissen in Preußen auch die wissenschaftliche Botanik manchen
-Fortschritt aufwies. Besonders war es wieder *Gleditsch*, der zu
-Versuchen mit Pflanzen riet und zahlreiche Pflanzenversuche selbst
-anstellte. An dieser Stelle sind vor allem die sich über Jahre und
-zahlreiche Arten erstreckenden Versuche hervorzuheben, über die
-*Gleditsch* in der erwähnten Abhandlung berichtet. Er wählte als
-Versuchsobjekte die diözischen Bäume. Am bekanntesten ist seine
-Befruchtung einer Palme des Berliner botanischen Gartens durch den
-Pollen eines in Leipzig wachsenden männlichen Exemplars derselben Art
-geworden. *Gleditsch* bringt hierüber folgenden Bericht. Die Berliner
-Palme sei achtzig Jahre alt und weiblich; sie habe niemals Früchte
-getragen, auch habe es in Berlin keinen männlichen Baum derselben
-Art gegeben, wohl aber in Leipzig. *Gleditsch* ließ sich darauf die
-Staubgefäßblüten aus Leipzig kommen und streute deren Pollen auf die
-in Berlin blühende weibliche Pflanze. Das Ergebnis war der deutlichste
-Beweis für die Richtigkeit der Lehre von der Sexualität der Pflanzen.
-Der bis dahin völlig sterile Baum setzte nämlich Früchte an, die im
-Winter reiften und im darauf folgenden Frühjahr keimten.
-
-In den Jahrzehnten, die zwischen *Camerarius* und dem großen Vollender
-seines Werkes, *Kölreuter*, liegen, schuf *Linné* sein Pflanzensystem.
-Letzteres gründete sich zwar auf die Zahl und die Beschaffenheit der
-Staubgefäße und der Stempel, hat aber im Grunde genommen mit der
-Feststellung der Sexualität selbst nichts zu tun. Auf mikroskopische
-und experimentelle Forschungen, die hier allein entscheidend sind, hat
-*Linné* zufolge seiner ganzen Richtung wenig Gewicht gelegt.
-
-Mit der Entwicklung der Vorstellungen über die Sexualität der Pflanzen
-haben wir uns an anderen Stellen[142] wiederholt beschäftigt. Die Frage
-war nur auf experimentellem Wege zu lösen, und die Versuche, sie zu
-entscheiden, mehrten sich, nachdem die Entdeckung der Samenfäden[143]
-das Interesse für das Wesen des geschlechtlichen Vorganges auf das
-höchste gesteigert hatte. Im Anschluß an diese Entdeckung hatte
-*Leeuwenhoek* die Lehre aufgestellt, das bewegliche männliche Element
-sei der eigentliche Kernpunkt, aus dem sich der neue Organismus
-entwickle. Für die Botaniker erhob sich infolgedessen die Frage, wie
-dieses Element durch den Griffel in die Höhlung des Fruchtknotens
-gelange. In dem Bestreben, den Befruchtungsvorgang zu erforschen,
-wandte man sich auch mit Eifer den blütenlosen Pflanzen zu. In
-Deutschland wurde insbesondere die Naturgeschichte der Algen, Flechten
-und Moose gefördert[144].
-
-Ein neuer großer Fortschritt in der Enträtselung dieser Fragen erfolgte
-durch *Kölreuter*. Ist zur Erzeugung von keimfähigen Samen eine Wirkung
-des Pollens auf den Stempel erforderlich, die sich auf eine zunächst
-nicht näher zu erklärende Weise der Samenknospe mitteilt, so mußte
-sich die Frage erheben, welchen Anteil das männliche und das weibliche
-Element an dem Zustandekommen eines neuen Pflanzenindividuums besitzen.
-Da letzteres bei normaler Befruchtung den elterlichen Pflanzen
-gleicht, so war diese Frage nur durch die Übertragung des Pollens einer
-Pflanzenart auf die Narbe einer zweiten Art zu entscheiden, wie es
-schon *Camerarius* in Vorschlag gebracht hatte. Gelang dieser Versuch,
-so erwuchs daraus zugleich auch für die Richtigkeit der Sexualtheorie
-eine neue Bestätigung. Der erste, der auf diesem Wege Erfolg hatte
-und die Grundlage für alle in der gleichen Richtung sich bewegenden
-Arbeiten schuf, war der erwähnte *Kölreuter*[145]. *Kölreuters*
-Werk erhebt sich über alle früheren und gleichzeitigen botanischen
-Schriften. Es stellt eine mit großem Scharfsinn und außerordentlicher
-Mühe geschaffene, im Geiste modern wissenschaftlicher Forschung
-geschriebene Abhandlung dar, auf der alle späteren Untersuchungen über
-Sexualität und Bastardbildung fußen.
-
-*Kölreuter* geht von dem Bau des Pollens und den Veränderungen aus,
-die mit dem Pollen nach der Bestäubung vor sich gehen. Trotz der
-damals noch unentwickelten, den feineren Strukturverhältnissen nicht
-gewachsenen mikroskopischen Technik sah er, daß das Pollenkorn eine
-äußere dicke Haut und ein dünneres, darunter liegendes, ungleich
-schwächeres Häutchen besitzt. Das Innere erkannte er als eine körnige,
-im reifen Zustande gleichmäßige, flüssige und durchsichtige Masse
-(Protoplasma). Er bemerkte ferner die Stacheln und das Aufspringen der
-äußeren Haut, sah die Deckel, die sich von den in ihr entstehenden
-Löchern abheben, ja er sah endlich die innere Haut als Ausstülpung aus
-diesen Löchern hervortreten, beobachtete somit wenigstens den Beginn
-der Pollenschlauchbildung. Weiter vermochte *Kölreuter* den Vorgang
-nicht zu verfolgen. Der gewonnene Einblick war also nur unvollständig.
-Da *Kölreuter* trotzdem, losgelöst von der Erfahrung, weiterschritt,
-so konnte die von ihm geschaffene Theorie des Befruchtungsvorganges
-das Wesen des letzteren nicht aufhellen. Nach *Kölreuter* findet die
-Befruchtung schon auf der Narbe statt, indem sich die dort befindliche
-Flüssigkeit, die er für den weiblichen Zeugungstoff hielt, mit der
-öligen, männlichen Flüssigkeit des Pollenkorns vermische. Diese
-Mischung werde von der Narbe und dem Griffel aufgesogen und gelange
-dadurch in den Fruchtknoten, um dort in den Samenanlagen die Keimlinge
-zu erzeugen.
-
-Den Schleier von diesem für das Verständnis der organischen Welt
-grundlegenden Vorgang zu lüften, gelang erst den vereinten, mühevollen
-Anstrengungen zahlreicher Forscher des 19. Jahrhunderts.
-
-Die weiteren Untersuchungen *Kölreuters* befaßten sich mit der Frage,
-wie viel Pollenkörner zur Befruchtung nötig seien. Er wies nach, daß
-ein einziges Pollenkorn genügt, um einen einsamigen Fruchtknoten
-zu befruchten. Daraus schloß *Kölreuter*, daß die Zahl der für die
-Befruchtung nötigen Staubkörner im Verhältnis zu den in der Blüte
-vorhandenen Staubkörnern sehr gering sei. Er bewies dies durch
-folgenden Versuch. In einer Blüte von Hibiscus venetianus zählte
-*Kölreuter* 4863 Pollenkörner. Die Samenkapsel dieser Pflanze enthält
-aber bei der vollkommenen natürlichen Befruchtung nur etwa 30 Samen. Um
-letztere zu erzeugen, waren 50-60 Staubkörner erforderlich. Übertrug
-*Kölreuter* die zehnfache Menge auf die Narbe der Pflanze, so erhielt
-er deswegen nicht mehr und auch nicht etwa vollkommenere Samen. Man
-sieht, es waren ins kleinste gehende und dennoch für das Verständnis
-des Befruchtungsvorganges höchst wichtige Versuche, die wir *Kölreuter*
-verdanken.
-
-*Kölreuter* erörtert darauf die Möglichkeit, daß der Pollen der
-einen Art auf die Narbe der anderen gelange, erklärt aber als echter
-Naturforscher sofort, daß über den Erfolg einer solch widernatürlichen
-Vermischung nur der Versuch entscheiden könne. Von vornherein nimmt
-*Kölreuter* an, daß diese Vermischung etwas Außergewöhnliches sei.
-Die Natur, meint er, die jederzeit auch bei scheinbarer Unordnung die
-schönste Ordnung beobachte, habe dieser Verwirrung bei den Tieren außer
-durch andere Mittel besonders durch die natürlichen Triebe vorgebeugt.
-Man müsse daher annehmen, daß die Natur bei den Pflanzen, bei denen
-der Wind und die Insekten zu einer widernatürlichen Vermischung häufig
-Gelegenheit gäben, den Wirkungen dieser Vermischung durch ebenso
-sichere Mittel ihre Kraft zu benehmen gewußt habe. Am ehesten werde
-diese Vermischung in den botanischen Gärten vorkommen können, besonders
-wenn die Pflanzen dort so geordnet wären, daß die ähnlichsten am
-meisten benachbart seien -- bei einer Gruppierung nach dem natürlichen
-System würden wir heute sagen.
-
-Die erste Bastardierung gelang nach vielen vergeblichen Versuchen
-im Jahre 1760 an zwei Tabaksarten. »Weil ich schon lange von dem
-Geschlecht der Pflanzen überzeugt war,« sagt *Kölreuter*[146] darüber,
-»und an der Möglichkeit einer Bastarderzeugung niemals gezweifelt
-hatte, so ließ ich mich durch nichts abhalten, Versuche darüber
-anzustellen, in der Hoffnung, daß ich vielleicht einmal so glücklich
-sein würde, eine Bastardpflanze zu Wege zu bringen. Ich habe es endlich
-auch bei der Nicotiana paniculata und der Nicotiana rustica soweit
-gebracht, daß ich mit dem Pollen der ersteren den Stempel der anderen
-befruchtet, vollkommene Samen erhalten und aus diesen noch in demselben
-Jahre junge Pflanzen gezogen habe.«
-
-Da *Kölreuter* diesen Versuch bei vielen Blumen zu verschiedenen
-Zeiten und mit aller nur möglichen Vorsicht angestellt und jedesmal
-vollkommenen Samen erhalten hatte, waren jeder Irrtum und die
-Möglichkeit eines Versehens ausgeschlossen. Einen weiteren Beweis, daß
-die künstliche Bastardierung gelungen sei, brachte die Aussaat der
-durch jene Versuche erhaltenen Samen.
-
-*Kölreuter* bemerkte nämlich zu seiner größten Genugtuung, daß die aus
-dem Samen des Bastards gezogenen Pflanzen nicht nur in der Ausbreitung
-ihrer Äste und der Farbe der Blumen, sondern auch bezüglich fast
-aller zur Blume gehörenden Teile die Mitte zwischen beiden Stammarten
-innehielten. Dieses Ergebnis war mit der im 18. Jahrhundert von vielen
-gehegten, unter dem Namen der Evolutionstheorie bekannten Lehre, daß
-die Embryonen fertig in den weiblichen Organen vorhanden seien und
-es zu ihrer Belebung nur eines Anstoßes durch den Pollen oder Samen
-bedürfe, wie auch *Kölreuter* hervorhebt, ganz unvereinbar. Durch seine
-Versuche, meint er mit Recht, sei die alte aristotelische Lehre von der
-Erzeugung durch zweierlei Zeugungsstoff vollkommen bestätigt.
-
-In einem Punkte zeigte der Bastard jedoch ein bemerkenswertes
-Verhalten. Seine Staubgefäße waren auffallend klein und enthielten
-weniger Blütenstaub. Dieser war auch nicht mit Flüssigkeit gefüllt,
-sondern bestand aus leeren Bälgen, die eine Befruchtung nicht
-hervorzurufen vermochten. »Es ist also«, ruft *Kölreuter* aus[147],
-»diese Pflanze im eigentlichen Sinne ein wahrer und, soviel mir
-bekannt, der erste botanische Maulesel, der auf künstlichem Wege
-hervorgebracht worden ist.« Obgleich der Bastardtabak durch seinen
-eigenen Staub nicht befruchtet werden konnte, gelang es doch, ihn mit
-dem Pollen seiner Stammarten, sei es die Vater- oder die Mutterpflanze,
-zu befruchten. In beiden Fällen erhielt *Kölreuter* vollkommene
-Samen, wenn auch in einer ungleich geringeren Zahl als bei den nicht
-bastardierten Pflanzen durch »eine der Ordnung der Natur gemäße
-Befruchtung« erzeugt werden.
-
-Das Nächstliegende war nun, den Versuch sozusagen umzukehren und
-die Narbe von Nicotiana paniculata mit dem Pollen der Nicotiana
-rustica zu bestäuben. Zwar fand auch dieses Mal eine Befruchtung
-statt; doch waren die erhaltenen Samen kleiner als die natürlichen, und
-von sechzig dieser künstlich erhaltenen Samen ging nicht einer auf.
-Indessen übertrafen sie die unbefruchteten Samen, welche man von einer
-Blume erhält, die überhaupt keinen Pollen empfangen hat, bei weitem.
-*Kölreuter* schloß daraus, daß in ihnen trotz ihrer Unfruchtbarkeit
-doch etwas von einer Befruchtung und etwas von einem darauf erfolgten
-Wachstum vor sich gegangen sein müsse.
-
-Daß Pflanzenbastarde möglich seien, hatte *Linné* aus »philosophischen
-Gründen« angenommen, ohne je ein Experiment nach dieser Richtung zu
-machen. So leitete er eine Veronikaart von zwei anderen Arten derselben
-Pflanze ab, nur weil alle drei Formen in demselben Gebiet vorkamen.
-Die Gattung Saponaria sollte durch Bestäubung mit dem Pollen einer
-Gentiana, eine Actaeaart, mit Rhus toxicodendron Bastardformen
-liefern. Diesen vagen Vermutungen *Linnés* gegenüber wies *Kölreuter*
-durch zahlreiche Versuche nach, daß Bastardpflanzen sich nicht so
-leicht erzeugen lassen und daß die Bastardierung eine weit größere
-Ähnlichkeit der betreffenden Arten voraussetzt, als man bisher wohl
-angenommen hatte. Bei vielen Pflanzen ergab sich trotz ihrer nahen
-Verwandtschaft bei *Kölreuters* Bastardierungsversuchen nicht der
-geringste Erfolg.
-
-Auf die epochemachende Veröffentlichung *Kölreuters* von 1761 folgte
-die zweite Abhandlung im Jahre 1763. Sie brachte eine Fülle von
-neuem, die erste Mitteilung ergänzenden Material. Von 60 Samen des
-Bastards von Nicotiana paniculata (♀) und Nicotiana rustica
-(♂), die *Kölreuter* ausgesät hatte, war, wie 1761 erwähnt, kein
-einziger aufgegangen[148]. Eine Wiederholung brachte ein teilweises
-Gelingen. *Kölreuter* erhielt nämlich von vier Kapseln, deren Samen
-er zu verschiedener Zeit gesät hatte, acht Pflanzen, eine Zahl, die
-allerdings im Verhältnis zur Zahl der in den vier Kapseln befindlichen
-Samenkörner nur gering war.
-
-Grundlegend waren auch die Versuche, die Bastarde durch wiederholte
-Bestäubung mit dem Blütenstaub der väterlichen Urform in diese
-zurückzuführen. Wurde die Narbe eines Bastards von Nicot. rustica ♀
-und Nicot. panic. ♂ dem Pollen von Nicotiana rustica ♂ bestäubt, so
-näherte sich die aus dieser Vermischung hervorgehende Generation wieder
-der Nicotiana rustica; und diese Annäherung trat bei einer weiteren
-durch abermalige Bestäubung mit dem Pollen von Nicotiana rustica
-erzeugten Generation noch mehr in die Erscheinung.
-
-Weitere Bastarde rief *Kölreuter* innerhalb der Gattungen Dianthus,
-Hyoscyamus, Verbascum, Mattiola und anderen ins Leben. Ferner
-gelang ihm die Erzeugung von zusammengesetzten, d. h. aus drei oder
-mehr Arten hervorgegangenen Bastarden. So erfolgte die Vermischung von
-drei Nicotianaarten nach folgendem Schema:
-
- Nicot. rustica ♀ }
- Nicot. panic. ♂ } ♀ }
- Nicot. panic. ♂ } ♀
- Nicot. glut. ♂
-
-Zu den merkwürdigsten Versuchen gehört *Kölreuters* Erzeugung von
-Bastarden höheren Grades oder die »gänzlich vollbrachte Verwandlung
-einer natürlichen Pflanzenart in eine andere«. So gelingt die
-Verwandlung der Nicotiana rustica in Nicotiana paniculata nach
-folgendem Schema:
-
- Nicot. rustica ♀ }
- Nicot. panic. ♂ } ♀ }
- Nicot. panic. ♂ } ♀ }
- Nicot. panic. ♂ } ♀ }
- Nicot. panic. ♂ } ♀
-
-Es wurde also durch vier Generationen, ausgehend von Nicotiana
-rustica, zur Bestäubung stets wieder der Pollen von Nicotiana
-paniculata benutzt. Das Ergebnis war, daß die vierte so erzeugte
-Generation in allen Eigenschaften Pflanzen der Nicotiana paniculata
-waren. Um gänzlich verwandelt zu werden, mußten einige Pflanzen
-wohl einige Grade mehr durchlaufen. Bei anderen wiederum ließ sich
-die völlige Umwandlung schon in der zweiten oder dritten Generation
-erreichen. Ähnlich verhielt es sich mit der Zurückführung einer bereits
-verwandelten Art in die ursprüngliche Mutterpflanze. Die Ergebnisse
-waren so wunderbar, daß *Kölreuter* selbst sagt, die Möglichkeit
-solcher Vorgänge würde ihm zu Beginn seiner Versuche nicht einmal im
-Traume eingefallen sein.
-
-Daß die Bastardbildung in der Natur keinen solchen Umfang besitzt,
-als man nach diesen Versuchen vermuten sollte, hat, wie *Kölreuter*
-gleichfalls experimentell nachwies, seinen guten Grund. Kommt nämlich
-fremder und von derselben Art herrührender Blütenstaub auf die Narbe,
-so wirkt auch bei naher Verwandtschaft nur der letztere. Trotzdem
-ist, wie neuere Forschungen[149] dargetan haben, die Bastardbildung
-vielleicht eins der Mittel, die zur Entstehung neuer Arten führen.
-Wenn auch durch den Wind und durch die Insekten zu jeder Zeit und
-aller Orten Verwechslungen des Pollens bewirkt werden, so hat, wie
-*Kölreuter* sich ausdrückt, der Schöpfer »durch ein in die Natur
-gelegtes Gesetz, das wir nicht genug bewundern können, doch jeder zu
-besorgenden Unordnung und Verwirrung vorgebeugt. Dies Gesetz besteht
-darin, daß wenn eigener und fremder Samenstaub etwa zu gleicher Zeit
-auf die Narbe kommen, der eigene männliche Staub nur allein angenommen,
-der fremde hingegen gänzlich von der Befruchtung ausgeschlossen wird«.
-
-Durchdrungen von der Bedeutung dieser Ergebnisse meint *Kölreuter*,
-man habe die Verwandlung der Metalle ineinander seit uralten Zeiten
-für möglich gehalten, es sei aber keinem Menschen eingefallen, eine
-Pflanze in eine andere oder ein Tier in ein anderes zu verwandeln,
-vermutlich weil man dies für schwieriger angesehen. Dennoch habe er
-das letztere Problem in wenig Jahren gelöst, während man seit vielen
-Jahrhunderten die Metallverwandlung vergeblich zu bewerkstelligen
-suche. *Kölreuter* kam auch auf den Gedanken, das gleiche Problem auf
-die Tierwelt zu übertragen. Auch hier, meinte er, werde sich aller
-Wahrscheinlichkeit nach die Verwandlung auf die gleichen Gesetze
-gründen und sich ebenso gewiß wie bei den Pflanzen bewerkstelligen
-lassen. »Warum sollte man,« ruft er aus, »einen Kanarienvogel nicht in
-einen Hänfling verwandeln können.« Wenn man erwäge, daß durch seine
-Bastardierungen die Umwandlung einer Pflanzenart in eine zweite von
-wesentlich anderem Aussehen gelungen sei, so dürfe man etwas Ähnliches
-in der Tierwelt nicht für unmöglich halten. Unter Anspielung auf
-*Ovids* »Metamorphosen« bemerkt *Kölreuter*, daß die ihm gelungenen
-Umwandlungen den Vorzug besäßen, nicht nur in der Einbildung eines
-Dichters, sondern in der Wirklichkeit zu bestehen.
-
-Mit der künstlichen Züchtung von Bastarden aus verschiedenen
-Tierarten hat sich zuerst eingehender der italienische Physiologe
-*Spallanzani*[150] beschäftigt. Seine Versuche erstreckten sich
-besonders auf Amphibien und Insekten. Dabei bediente sich *Spallanzani*
-des Hilfsmittels der künstlichen Befruchtung.
-
-Wir haben bei *Kölreuters* Arbeiten etwas länger verweilt, weil sie zu
-den besten und lehrreichsten physiologischen Versuchen zählen. Seine
-Schrift wird nie veralten[151]. Sie mutet uns an, als ob sie unserer
-Zeit gehört und bildet die Grundlage alles dessen, was wir über die
-Sexualität der Pflanzen wissen. Mehr beiläufig machte *Kölreuter*
-einige sehr wichtige Beobachtungen, die er jedoch nicht weiter
-verfolgte. Sie bildeten vielmehr den Ausgangspunkt für die Erschließung
-weiter neuer Gebiete durch *Sprengel* und spätere Forscher. So erkannte
-*Kölreuter* die Dichogamie von Epilobium, die Reizbewegungen gewisser
-Staubgefäße und Narben, sowie an Verbascum die Tatsache, daß der
-Blütenstaub nicht befruchtend auf dieselbe Blüte wirkt. Das Seltsamste,
-sagt er bei der Schilderung der Sexualvorgänge von Verbascum, sei ihm
-gewesen, daß sich die Blüte durch ihren eigenen Staub nicht befruchten
-ließ. Zuerst wollte er nicht an die Richtigkeit seiner Beobachtung
-glauben. Fortgesetzte Versuche bestätigten sie jedoch. »Ich halte mich
-aber,« sagt er, »da ich keinen sicheren Grund davon zu geben weiß,
-nicht länger dabei auf.«
-
-Die Entdeckung, daß der Pollen nicht nur durch den Wind, sondern auch
-durch Insekten auf die Narben übertragen wird, während diese Tiere
-dem in den Blüten enthaltenen Nektar nachgehen, rührt gleichfalls von
-*Kölreuter* her. »Bei allen Kürbisgewächsen, Schwertlilien und nicht
-wenigen Malvenarten,« sagt er[152], »geschieht die Bestäubung allein
-durch Insekten. Ich erstaunte, als ich diese Entdeckung an einer der
-genannten Pflanzen machte und sah, daß die Natur eine so wichtige
-Sache wie die Fortpflanzung einem bloßen Ungefähr, einem glücklichen
-Zufall überlassen habe. Mein Erstaunen verwandelte sich aber bei
-fortgesetzter Beobachtung in die Bewunderung eines dem ersten Anschein
-nach zufälligen, in der Tat aber sichersten Mittels, dessen sich hier
-der weise Schöpfer bei der Fortpflanzung bedient.«
-
-»Zwar verrieten,« fährt er fort, »die Bewegungen der Insekten nicht die
-Absicht, die Bestäubung zu verrichten, obgleich sie nicht nur für die
-Blumen, sondern auch für die Erhaltung jener Tiere die allerwichtigste
-Handlung ist.« *Kölreuter* erkannte, daß zahlreiche Blumen einen
-zuckerhaltigen Saft, den Nektar, absondern und daß diesem der Besuch
-der Insekten gilt.
-
-Von besonderem Interesse ist *Kölreuters* Aufhellung des
-Zusammenwirkens von Tier und Pflanze bei der Mistel[153]. Die
-Bestäubung der weiblichen Misteln, sie mögen nun mit den männlichen
-auf einem Baume stehen oder in großer Entfernung auf anderen Bäumen
-wachsen, geschieht nach *Kölreuter* allein durch Insekten und zwar
-durch gewisse Fliegen, die eine in den männlichen wie auch in den
-weiblichen Blüten befindliche süße Flüssigkeit aufsuchen. Ziehe man
-die Beschaffenheit und die Menge des Blütenstaubes in Betracht,
-so müsse man einsehen, daß man hier die Bestäubung durch den Wind
-vergebens erwarten müßte. Wie die Befruchtung von Insekten, so hänge
-die Verbreitung der Samen der Mistel von Vögeln ab. Es liege hier also
-der bis dahin ganz unbekannte Fall vor, daß das Bestehen einer Pflanze
-an die Existenz von zwei ganz verschiedenen Tierklassen geknüpft sei.
-Andererseits sei die Erhaltung der in Betracht kommenden Insekten und
-Vögel wieder auf das Dasein der Mistel gegründet, ein Beispiel, »woraus
-die genaue und notwendige Verbindung aller Dinge untereinander sattsam
-erhelle«.
-
-Die Entdeckung *Kölreuters* über die Beziehungen zwischen Blumen
-und Insekten weiter verfolgt und im einzelnen den Nachweis des
-Zusammenwirkens der Tier- und Pflanzenwelt erbracht zu haben, ist das
-große Verdienst *Sprengels*, von dem mit Recht behauptet wurde[154],
-daß er an Kühnheit des Gedankens und an Genialität des Forschens weit
-über *Camerarius*, ja selbst über *Kölreuter* hinausragte. Leider
-hatte dies zur Folge, daß er von seinen Zeitgenossen und Epigonen noch
-weniger verstanden wurde als jene Männer.
-
-*Christian Konrad Sprengel* wurde im Jahre 1750 als der Sohn eines
-Geistlichen in Brandenburg a. d. H. geboren. Nachdem er Theologie
-und Philologie studiert hatte, wurde er zunächst Lehrer in Berlin
-und darauf in Spandau (1780) Rektor einer Schule. *Sprengel* widmete
-sich der Botanik mit solchem Eifer, daß ihm schließlich von seiten
-des ihm vorgesetzten kirchlichen Superintendenten und der Spandauer
-Bürgerschaft Widerwärtigkeiten erwuchsen. Der Superintendent als
-Inspektor der Schule konnte es *Sprengel* nicht verzeihen, daß er
-am Sonntag botanische Exkursionen machte und darüber die Predigt
-versäumte. Im Jahre 1794, ein Jahr nach der Herausgabe seines Werkes,
-schied er daher aus dem Amte.
-
-Die zeitgenössischen Botaniker vermochten die Ergebnisse der Arbeiten
-*Sprengels* nicht zu würdigen. Sein Buch fand nur geringen Beifall.
-Dies bewog ihn leider, seine Forschungen ganz aufzugeben und sich
-wieder der Philologie zu widmen. Einsam, verkannt und verarmt starb er
-am 7. April des Jahres 1816. *Sprengels* Werk, sowie sein Name gerieten
-in Vergessenheit, bis kein geringerer als *Darwin*, dessen Forschungen
-auf die Beziehungen zwischen Blumen und Insekten ein neues Licht
-geworfen haben, wieder auf *Sprengel* und dessen »eigentümliches Buch
-mit dem sonderbaren Titel« aufmerksam machte[155].
-
-Daß Blütenstaub auf die Narbe gelangen muß, wenn sich aus dem
-Fruchtknoten eine mit keimfähigen Samenkörnern gefüllte Samenkapsel
-bilden soll, war durch frühere Forschungen nachgewiesen. *Sprengel*
-blieb der Nachweis vorbehalten, »daß die Befruchtung des Fruchtknotens
-der Endzweck ist, auf den sich der ganze Aufbau der Saftblume bezieht
-und aus dem er sich völlig erklären läßt«[156]. Über den Vorgang der
-Befruchtung selbst konnten erst die mikroskopischen Untersuchungen des
-19. Jahrhunderts Aufschluß bringen[157]. Auch die Mikroskopiker jener
-Zeit, wie *Ledermüller*[158], bemühten sich vergeblich, die Vorgänge,
-die nach der Bestäubung der Blüten eintreten und zur Befruchtung
-führen, zu verfolgen. »Ich habe mir,« sagt *Ledermüller*[159], »alle
-Mühe gegeben, Öffnungen auf der Narbe zu sehen, in welche die Körner
-des Blütenstaubes kommen möchten, allein ich habe solche nicht
-entdecken können. Ich glaube daher, daß nicht der Staub selbst,
-sondern vielmehr die in seinen Körnern eingeschlossene Substanz die
-Befruchtung veranlaßt.« Jedoch ist *Ledermüller* wohl bekannt, daß
-sich in manchen Fällen in dem Griffel ein Kanal nachweisen läßt[160].
-Er erwähnt auch, daß von anderer Seite ein Eindringen des Staubes
-in diesen Kanal behauptet und der Befruchtungsvorgang in dieser
-Erscheinung erblickt werde.
-
-*Sprengel* glaubte, daß ein aus den Pollenkörnern hervorschwitzendes Öl
-die befruchtende Substanz sei. Wenn der Staub auf die Narbe gekommen
-ist, meint *Sprengel*, so dringt zwar nicht er selbst, da er viel zu
-grob sei, wohl aber das feine, befruchtende Wesen, welches er enthält,
-durch die Narbe hindurch in das Innere des Fruchtknotens und wirkt dort
-auf die Samenanlagen. Wegen der Ähnlichkeit dieser Befruchtungsart
-mit derjenigen im Tierreich nenne man mit Recht die Staubgefäße den
-männlichen, den Stempel dagegen den weiblichen Befruchtungsteil. Und es
-sei leicht einzusehen, daß dieses die wesentlichsten Teile der Blume
-seien. Die Klarstellung dieser Verhältnisse blieb jedoch, wie schon
-erwähnt, dem 19. Jahrhundert vorbehalten.
-
-[Illustration: Abb. 17. Die Blüte des Sumpfstorchschnabels. (Aus
-*Sprengel*, das entdeckte Geheimnis der Natur.)]
-
-Auf die Anpassung der Blüten an die Bestäubung durch Insekten wurde
-*Sprengel* besonders durch das Studium der Nektar absondernden
-Organe geführt. Als er im Sommer des Jahres 1787 die Blume des
-Waldstorchschnabels (Geranium silvaticum) aufmerksam betrachtete,
-fand er, daß der unterste Teil ihrer Kronenblätter auf der inneren
-Seite und an den beiden Rändern mit feinen Haaren versehen ist. Unter
-diesen Haaren erblickte er fünf Drüsen und fünf von diesen Drüsen
-abgesonderte Safttröpfchen, die, wie er erkannte, gewissen Insekten
-zur Nahrung dienen. *Sprengel* schloß, daß durch die Haare dafür
-gesorgt sei, daß der Saft nicht vom Regen verdorben werde. Da die
-Blume des Storchschnabels aufrecht steht und ziemlich groß ist, so
-könne es vorkommen, daß Regentropfen in sie hineinfallen. Es könne
-aber kein Tropfen zu einem Safttröpfchen gelangen und sich mit ihm
-vermischen, weil jeder Tropfen von den Haaren, die sich darüber
-befinden, aufgehalten werde. Ein Insekt dagegen werde durch diese Haare
-nicht daran gehindert, zu den Safttröpfchen zu gelangen. Dies war
-das Ergebnis von *Sprengels* Untersuchung des Sumpfstorchschnabels.
-Ähnliche Beobachtungen stellte er an anderen Saftblumen an. Er fand sie
-alle so eingerichtet, daß zwar die Insekten leicht zum Saft gelangen
-können, der Regen ihn aber nicht verderben kann. *Sprengel* schloß
-daraus, daß der Saft um der Insekten willen abgesondert werde, und daß
-der Saft, damit die Insekten ihn rein und unverdorben genießen könnten,
-gegen den Regen gesichert sei. Daß die Haare nicht immer als Schutz
-gegen Regen dienen, sondern in manchen Fällen auch die Aufgabe haben,
-unberufene Gäste von den Blumen fern zu halten, ist *Sprengel* noch
-entgangen.
-
-Später untersuchte *Sprengel* das Vergißmeinnicht (Myosotis
-palustris). Er fand, daß auch bei dieser Blume der Saft gegen den
-Regen völlig gesichert ist. Zugleich fiel ihm der gelbe Ring auf,
-welcher die Öffnung der Kronenröhre umgibt und gegen die blaue Farbe
-des Kronensaums so schön absticht. Sollte wohl, dachte er, dieser
-Umstand sich auch auf die Insekten beziehen und die Natur diesen Ring
-deshalb so auffallend gefärbt haben, damit er den Insekten den Weg
-zum Safthalter zeige? *Sprengel* untersuchte mit Rücksicht auf diese
-Annahme andere Blumen. Er erkannte, daß sich solche Flecken, Figuren,
-Linien oder Tüpfel von besonderer Farbe dort zeigen, wo sich der
-Eingang zum Safthalter befindet. Nun schloß er: »Wenn die Krone wegen
-der Insekten an einer besonderen Stelle besonders gefärbt ist, so ist
-sie überhaupt der Insekten wegen gefärbt; und wenn jene besondere
-Farbe eines Teiles der Krone dazu dient, daß ein Insekt, das sich auf
-die Blume gesetzt hat, den rechten Weg zum Saft leicht finden kann,
-so dient die Farbe der Krone dazu, daß die Blumen den Insekten als
-Saftbehältnisse schon von weitem in die Augen fallen.«
-
-Als *Sprengel* einige Arten der Iris untersuchte, fand er, daß ihre
-Blumen gar nicht anders befruchtet werden können als durch Insekten. Er
-untersuchte, ob auch andere Blumen so gebaut seien und überzeugte sich,
-daß viele, ja vielleicht alle Saftblumen, von den Insekten, die sich
-von dem Safte nähren, befruchtet werden. »Dann wäre«, sagt er, »diese
-Ernährung der Insekten zwar in Ansehung ihrer selbst Endzweck, in
-Ansehung der Blumen aber nur das Mittel zu deren Befruchtung.«
-
-Ferner entdeckte *Sprengel*, daß die Staubgefäße sich mitunter früher
-entwickeln als die Stempel, eine Beobachtung, die er zum ersten
-Male am schmalblättrigen Weidenröschen (Epilobium angustifolium)
-machte. Das Gegenteil lernte er an der gemeinen Wolfsmilch (Euphorbia
-Cyparissias) kennen. Er fand, daß bei dieser Pflanze zunächst der
-Griffel aus der Blume hervorragt, während von den Staubgefäßen noch
-nichts zu sehen ist. Die Staubgefäße befinden sich während dieses
-Zustandes noch am Grunde der Krone und enthalten noch nicht einmal
-fertig gebildeten Staub. Nach einigen Tagen strecken sie sich und
-versenden ihren Staub. Wenn die Insekten in eine ältere Blume
-hineinkriechen, so streifen sie diesen Staub ab. Besuchen sie dann eine
-jüngere Blume, so gelangt der Staub dort auf die Narbe und übt seine
-befruchtende Wirkung aus[161].
-
-Die als Dichogamie bezeichnete ungleichzeitige Entwicklung der
-Staubgefäße und der Stempel ist, wie auch alle späteren Forschungen
-dargetan haben, das gewöhnlichste und einfachste Mittel, um die
-Selbstbefruchtung einer Zwitterblume zu verhindern. Öffnen sich
-die Staubbeutel, wenn die Narben noch unentwickelt sind, so heißt
-die Pflanze protandrisch. Wird die Narbe vor der Verstäubung
-empfängnisfähig, so kann sie nur den Blütenstaub älterer Blumen
-empfangen. Die Pflanze wird dann protogynisch genannt. Auf die im
-vorstehenden kurz geschilderten Hauptentdeckungen *Sprengels* gründete
-er die Theorie, daß der ganze Bau der Saftblumen in allen ihren
-Einzelheiten der Bestäubung durch Insekten angepaßt sei.
-
-Von Interesse sind auch *Sprengels* Ausführungen über seine von dem
-Herkommen völlig abweichende Art des botanischen Studiums. Wer sich
-Blumen vom Felde hole und sie auf dem Zimmer untersuche, der werde
-nicht den Plan der Natur im Bau der Blumen entdecken. Man müsse die
-Pflanzen vielmehr an ihrem Standort untersuchen und darauf achten, ob
-sie von Insekten und von welchen Insekten sie besucht werden, wie sich
-die Insekten verhalten, ob sie die Staubbeutel oder die Narbe berühren.
-Kurz, man müsse die Natur auf der Tat zu ertappen suchen.
-
-Wie *Sprengel* eine der bekanntesten Anpassungen solcher Art im
-einzelnen aufdeckt, zeigt seine Untersuchung der Osterluzzei
-(Aristolochia Clematitis), einer in Gebirgswäldern häufig
-vorkommenden protogynischen Pflanze. *Sprengel* hatte fast jedesmal
-kleine Fliegen in dem Kessel (Abb. 18, k) der aufrecht stehenden Krone
-A gefunden, während in dem Kessel einer herabhängenden Krone (B)
-keine einzige Fliege war. *Sprengel* glaubte zuerst, das Innere der
-Krone sei glatt, so daß die Insekten, wenn die Blume sich nach unten
-kehrt, herausfielen. Als diese Vermutung indessen nicht bestätigt
-wurde, schnitt er die Krone auf. Da sah er, »daß die Röhre der
-aufrechtstehenden Blume mit steifen, fadenförmigen Haaren besetzt
-ist. Diese Haare sind mit ihrer Spitze nicht der Öffnung der Krone,
-sondern dem Kessel zugekehrt und bilden eine kleine Reuse, durch
-welche die Fliegen zwar leicht in den Kessel hinein, aber nicht wieder
-herauskriechen können. In der herabhängenden Blume sind dagegen die
-Haare verwelkt. Hierdurch war also das Gefängnis geöffnet worden, und
-die Fliegen hatten nicht gesäumt, sich wieder ins Freie zu begeben.«
-
-[Illustration: Abb. 18. Blüte der Osterluzzei. A vor und B nach der
-Bestäubung[162].]
-
-*Sprengel* zeigte, daß die Blume der Aristolochia drei verschiedene
-Zustände durchläuft. Nachdem sie eine bestimmte Größe erlangt und sich
-geöffnet hat, scheint sie zwar zu blühen, sie ist aber trotzdem nicht
-fähig, befruchtet zu werden, weil zunächst weder ein Staubgefäß seine
-gehörige Reife noch die Narbe ihre völlige Ausbildung erhalten haben.
-Während dieses Zustandes fängt die Blume eine Anzahl Fliegen ein,
-von denen sie im zweiten Stadium ihrer Entwicklung befruchtet wird.
-Sobald die Natur diesen Endzweck erreicht hat, versetzt sie die Blume
-in den dritten Zustand. Die Blume kehrt sich nämlich um, die kleine
-Reuse verschwindet, und die Fliegen erhalten ihre Freiheit wieder. Daß
-bei der Osterluzzei Fremdbestäubung stattfindet, indem die befreiten,
-mit dem Pollen bedeckten Insekten die früher als die Staubbeutel sich
-entfaltende Narbe einer jüngeren Blume bestäuben, hat *Sprengel*
-übersehen. Im übrigen war er der erste, der bei anderen Pflanzen auf
-die Fremdbestäubung aufmerksam gemacht und die Dichogamie als das
-sicherste Mittel zur Erreichung der Fremdbestäubung nachgewiesen
-hat. »Da viele Blumen«, sagt er, »getrennten Geschlechtes und viele
-Zwitterblumen dichogam sind, so scheint die Natur es nicht haben zu
-wollen, daß irgend eine Blume durch ihren eigenen Staub befruchtet
-wird«[163].
-
-Von den wunderbaren Einrichtungen, die *Sprengel* auf jenen Zweck
-zurückführte, seien noch diejenigen erwähnt, welche die Blüten der
-Berberitze, des Wiesensalbeis (siehe Abb. 19) und der Orchideen
-aufweisen.
-
-Bei Berberis beschreibt *Sprengel* das Verhalten der Staubgefäße, die
-sich bei der Berührung durch ein Insekt gegen den Stempel bewegen.
-Allerdings glaubte er, daß dieses Verhalten auf eine Selbstbestäubung
-hindeute, während tatsächlich das die Blüte besuchende Insekt durch
-die reizbaren Staubfäden mit Blütenstaub bedeckt wird und ihn auf eine
-andere Blüte überträgt.
-
-[Illustration: Abb. 19. *Sprengels* Abbildung der Befruchtung einer
-Salbeiblüte (Salvia pratensis). 18. Die Blume in natürlicher
-Stellung. 24. Die Blume wird von einer Hummel besucht, bestäubt und
-dadurch befruchtet. Dabei wird das Insekt, indem es die Staubgefäße
-herabdrückt und mit dem Rücken streift, von neuem mit Blütenstaub
-beladen, den es auf eine andere Narbe bringt[164].]
-
-Den Blütenbau und die Bestäubungseinrichtungen der Orchideen
-untersuchte *Sprengel* zuerst eingehend am breitblättrigen Knabenkraut
-(Orchis latifolia). Er wies nach, daß die Staubkölbchen, gegen Regen
-geschützt, in zwei Fächern verborgen sind. Daran, daß sie von selbst
-aus diesen Fächern herausfallen oder daß der Wind sie herauswehen
-könne, sei nicht zu denken. Führte *Sprengel* einen Grashalm in die
-Orchideenblüte ein, so sah er voll Verwunderung, daß sich auf diese
-Weise ein Kölbchen herausholen ließ. »Eine Anthere,« sagt er, »ist es
-zwar, einen Staubbeutel kann man es aber nicht nennen, da das Kölbchen
-nicht eine Haut um sich hat, sondern aus lauter Staub besteht.«
-Den Bestäubungsvorgang selbst hat *Sprengel* nicht beobachtet. Er
-nahm an, daß Fliegen ihn vollzögen, während es sich in der Tat um
-Fremdbestäubung durch Bienen handelt.
-
-Daß die Bienen und andere Insekten, indem sie ihrer Nahrung nachgehen,
-zugleich, ohne es zu wollen und zu wissen, die Blumen befruchten und
-dadurch den Grund zu ihrer und ihrer Nachkommen zukünftiger Erhaltung
-legen, erklärt *Sprengel* mit Recht als eine der bewundernswürdigsten
-Veranstaltungen der Natur.
-
-Was andere Insekten anbetrifft, so gebührt *Sprengel* auch das
-Verdienst, zuerst auf die Beziehungen zwischen Ameisen und Pflanzen
-aufmerksam gemacht zu haben. Wir können ihn als den Entdecker der heute
-als Myrmekophylie bezeichneten Erscheinung betrachten. *Sprengel*
-beschrieb sie an der Zaunwicke (Vicia sepium). Er beobachtete,
-daß diese Pflanze nicht nur in ihren Blumen, sondern auch in ihren
-Blattwinkeln Saft bereitet und daß die großen Waldameisen diesem Saft
-nachgehen. Deshalb finde man den Saft nur selten, wenn man die Pflanzen
-an ihrem Standorte untersuche. Nehme man aber einige Stengel mit nach
-Hause und stelle man sie in Wasser, so seien nach einigen Tagen die
-Blattwinkel voll Saft.
-
-Eine auf das Dogma von der Konstanz der Arten gegründete Botanik wußte
-zu all diesen merkwürdigen Ergebnissen keine Stellung zu nehmen. Man
-zog es daher vor, sie mit Stillschweigen zu übergehen. Erst als man
-jenes Dogma aufgegeben, wurde das Interesse an blütenbiologischen
-Untersuchungen, welche der Lehre von der allmählichen Entwicklung der
-Arten eine wesentliche Stütze verliehen haben, von neuem lebendig.
-
-Auch an den Pflanzen, welche durch den Wind befruchtet werden,
-stellte *Sprengel* Untersuchungen an. So wies er darauf hin, daß bei
-den Windblütern bei weitem mehr Staub bereitet werden müsse, als
-zur Befruchtung nötig sei. Denn der Wind wehe nicht jederzeit den
-Staub gerade auf die weiblichen Blütenteile zu und bringe auch nicht
-jedes Stäubchen gerade auf eine Blume, die noch nicht befruchtet
-sei. Auch wasche der Regen nicht nur viel Staub von den Staubbeuteln
-ab, da letztere dem Regen bei dergleichen Blumen sehr ausgesetzt
-seien, sondern er schlage auch den schon abgeflogenen und in der Luft
-befindlichen Staub nieder. Als Beispiel führt *Sprengel* die Kiefer an,
-die so viel Staub verstreue, daß es während ihrer Blütezeit, wie das
-Volk sage, zuweilen Schwefel regne.
-
-
-
-
-7. Fortschritte der Zoologie im 18. Jahrhundert.
-
-
-Auch hinsichtlich der Zoologie muß die Zeit, die wir zu schildern
-suchen, als eine Periode des Überwiegens der Systematik bezeichnet
-werden. Doch mehren sich die Bestrebungen, in den Bau, die Lebensweise
-und die Entwicklung insbesondere der niederen Tiere einzudringen.
-Während z. B. noch die Systematiker des 17. Jahrhunderts, darunter
-Männer wie *Ray*[165], die Korallen für Pflanzen hielten, taucht in
-den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts zum erstenmal die Ansicht
-auf, daß die vermeintlichen Blüten der Polypenstöcke Tiere und die
-Hartteile, welche Veranlassung zu der Bezeichnung »steinerne Pflanzen«
-gegeben hatten, deren Absonderungsprodukte seien, eine Ansicht, der
-freilich die Zoologen jener Zeit mit Spott begegneten. Selbst *Linné*
-war noch im Zweifel, ob er sich für die animalische Natur der Zoophyten
-(Pflanzentiere) entscheiden sollte.
-
-Der erste, der mit den triftigsten Gründen für die richtige Auffassung
-dieser Lebewesen eintrat, war der Franzose *Peyssonnel*. Er stellte in
-den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts an den Küsten Südfrankreichs
-und Nordafrikas genaue Untersuchungen an lebenden Polypenstöcken an und
-zeigte, daß alle Lebensäußerungen an den vermeintlichen Blüten mit der
-Annahme, daß es sich hier um Pflanzen handle, unvereinbar seien.
-
-Ein helles Licht verbreiteten über diesen Gegenstand etwa 20 Jahre
-später die Arbeiten *Trembleys* (1710-1784), mit deren Erscheinen *K.
-E. von Baer* eine neue Epoche der Physiologie beginnen ließ. *Trembley*
-stellte seine Untersuchungen an einem den Korallentieren und Schwämmen
-nahe verwandten Geschöpf unserer Binnengewässer, dem Süßwasserpolypen,
-an. Einige der von ihm erhaltenen Ergebnisse, und zwar diejenigen, die
-sich auf das außerordentliche Reproduktionsvermögen dieses Tieres
-beziehen, mögen hier Erwähnung finden.
-
-Wurde ein Süßwasserpolyp querdurch in zwei, drei oder mehr Teile
-zerschnitten, so entstand aus jedem Teile nach kurzer Zeit ein
-vollständiger, neuer Polyp. Die einer, auf beiden Seiten offenen Röhre
-gleichenden mittleren Stücke schlossen sich an dem einen Ende, während
-die gegenüber befindliche Öffnung zur Mundöffnung wurde und alsbald
-wieder mit einem Kranz von neuentstandenen Fangarmen umgeben war. Wurde
-ein Polyp der Länge nach halbiert, so erhielt man zwei Hautlappen.
-Diese verwandelten sich sofort in Röhren, indem die Ränder sich
-zusammenlegten und verwuchsen, so daß aus den Polypenhälften wieder
-vollständige Tiere wurden.
-
-[Illustration: Abb. 20. Der Süßwasserpolyp mit Knospen (c) auf einer
-Wasserpflanze.]
-
-Darauf schlitzte *Trembley* einen Polypen auf, breitete ihn aus
-und zerhackte ihn in viele kleine Stücke. Alle diese Stücke, sie
-mochten Arme haben oder nicht, wurden wieder vollkommene Polypen. Das
-wunderbarste Experiment bestand darin, daß *Trembley* den Polypen
-wie einen Handschuhfinger umstülpte. Dieser Versuch möge mit den
-Worten *Trembleys* geschildert werden: »Ich beginne damit, daß ich
-dem Polypen, den ich umkehren will, einen Wurm zu fressen gebe. Hat
-er diesen verschluckt, so drücke ich den Polypen am hinteren Ende
-und treibe dadurch den Wurm aus dem Magen nach dem Maule zu, bis ein
-Stück des Wurmes herauskommt. Dann nehme ich eine ziemlich dicke,
-stumpfe Schweinsborste, bringe sie an das hintere Ende des Polypen
-und drücke sie gegen den Magen, der hier leer und sehr erweitert ist.
-Hierauf drücke ich die Schweinsborste immer weiter voran; je weiter
-sie eindringt, um so mehr kehrt sich der Polyp um. Kommt die Borste
-bis an den Wurm, der das Maul des Polypen offen hält, so drückt sie
-diesen entweder heraus oder sie geht daneben aus dem Maule heraus
-und ist jetzt von dem hinteren Teile des Polypen bedeckt, der auf
-diese Weise umgekehrt ist. Es erübrigt nichts weiter, als ihn von der
-Schweinsborste abzustreifen.
-
-Sobald dies geschehen ist, verschließt sich der Mund. Später kehren
-sich die Lippen nach außen, als wenn sich der Polyp wieder umkrempeln
-und in seinen vorigen Zustand zurückkehren wollte. Dies versucht er
-auch in der Tat, und oft glückt es ihm. Meine Hauptaufgabe war daher,
-den Polypen umgekehrt zu erhalten, um zu sehen, ob er auch in diesem
-Zustande leben kann. Ein sicheres Mittel besteht darin, daß man das
-umgekrempelte Tier dicht hinter dem Kopfe mit einer Schweinsborste
-durchstößt. Ich habe dies mit umgewendeten Polypen getan, ohne daß es
-sie am Fressen und an ihrer Vermehrung gehindert hätte.«
-
-In der geschilderten Weise wurde durch *Trembley* die experimentelle
-Forschungsweise auf ein Gebiet übertragen, das sich kaum der
-deskriptiven Behandlung erschlossen hatte. Ein Forscher der neueren
-Zeit, dem der Süßwasserpolyp den Stoff zu einer ausgezeichneten
-Monographie geboten hat[166], rühmt von *Trembley*, daß alle
-Nachfolger seine Untersuchungen kaum in ihrer Vollständigkeit zu
-wiederholen vermocht hätten. Nur der später erfolgte Nachweis einer
-geschlechtlichen Fortpflanzung dieser Tiere ist als ein wesentlicher
-Fortschritt zu betrachten. *Trembley* hat wohl die Eier und Samen
-bereitenden Organe wahrgenommen, ohne jedoch ihre Bedeutung zu
-erkennen. Den Vorgang der Knospung (siehe Abb. 20) hatte schon
-*Leeuwenhoek*[167] am Süßwasserpolypen beobachtet.
-
-Das durch *Trembleys* Versuche erschlossene Studium der Regeneration
-wurde von *Spallanzani* auf höhere Tiere ausgedehnt. (*Spallanzani*,
-Über die Wiedererzeugung verloren gegangener Teile und über die
-Zeugung.) Der italienische Forscher zeigte am Wassersalamander, daß
-auch dieses Geschöpf ein ganz außerordentliches Regenerationsvermögen
-besitzt. Wurden die Augen, der Unterkiefer oder die Gliedmaßen
-abgetrennt, so entstanden sie binnen kurzem in ursprünglicher Form
-von neuem. Diese Regeneration trat wiederholt ein, wenn die neu
-entstandenen Organe nochmals wieder entfernt wurden.
-
-Das durch *Leeuwenhoek* erschlossene Gebiet der mikroskopischen
-Durchforschung von Aufgüssen oder »Infusionen« wurde während des 18.
-Jahrhunderts mehr von Liebhabern der Mikroskopie, die daran ihr »Gemüt
-ergötzen« wollten, als von eigentlichen Zoologen angebaut. Trotzdem
-wurde hierdurch die Formenkenntnis, sowie das Wissen von dem Leben
-der niederen Tiere außerordentlich bereichert. So entstanden die
-»Mikroskopischen Gemüts- und Augenergötzungen« *Ledermüllers*[168],
-ein reichillustriertes Werk, das sich gleich den »Arcana naturae«
-*Leeuwenhoeks*, ohne ein bestimmtes Ziel allem zuwendet, was die
-Wißbegierde des dilettantischen Mikroskopikers reizt. Dennoch birgt
-*Ledermüllers* Buch die Kunde von mancher wichtigen Entdeckung.
-In buntem Wechsel führen uns seine Tafeln Schimmelbildungen,
-Kristallisationen, Kleisterälchen, Haare, Schweißporen, Würmer,
-Stacheln, Zangen usw. vor. Auch die Nerven werden untersucht.
-*Ledermüller* (1719-1769) nennt sie »erschreckliche Folterwerkzeuge
-für den Menschen« und widerlegt die Ansicht, daß sie hohl seien.
-Wie *Ledermüller* berichtet, beschäftigte sich im Jahre 1727 auch
-die Petersburger Akademie mit dem Bau der Nerven. Sie dehnte ihre
-Untersuchung sogar auf den Elefanten aus und fand, daß die Nerven
-dieses Tieres weder hohl noch erheblich dicker seien als diejenigen der
-übrigen Säugetiere.
-
-Ein besonderes Interesse wandte *Ledermüller* den Aufgußtierchen zu,
-denen er den Namen Infusorien beilegte. Abbildung 21 ist die Wiedergabe
-einer Tafel seines Werkes[169], auf der er einige von ihm als
-Schalmeientierchen (i, k), Deckeltierchen (y, w, x), Glockentierlein
-(l) bezeichnete, den Gattungen Stentor und Vorticella angehörende
-Infusorienarten zur Darstellung brachte.
-
-*Ledermüllers* »Gemüts- und Augenergötzungen« sind die
-»Insektenbelustigungen« *Rosenhofs* an die Seite zu stellen. *Rösel
-von Rosenhof* (1705-1759) war seines Zeichens Kupferstecher. Er lebte
-in Nürnberg und widmete sich wie *Swammerdam* mit großer Ausdauer der
-Erforschung des Baues und der Lebensweise der kleinsten Organismen,
-insbesondere der Insekten. *Rosenhof* wurde dabei, wie manche
-Naturforscher des 18. Jahrhunderts, von dem Bestreben geleitet, in
-den Wundern, die uns gerade die niedere Lebewelt in so reichem Maße
-enthüllt, einen Beweis für die Weisheit und Güte des Schöpfers zu
-finden.
-
-Während die Mehrzahl der Zoologen sich bei dem Studium der Insekten auf
-die Beschreibung des Äußeren beschränkte und nur den Zweck verfolgte,
-jeder Art den ihr zukommenden Platz im System und in der Sammlung
-anzuweisen, hat *Rösel*, wie vor ihm *Réaumur*, seine Beobachtungen
-besonders auf die Entwicklung und die Lebensverhältnisse der Insekten
-gerichtet. Sein Werk ist daher für alle nachfolgenden Generationen
-eine der wichtigsten Fundgruben über das behandelte Gebiet geworden.
-Es führt den Titel »Monatlich herausgegebene Insektenbelustigung« und
-erschien seit 1746. Was den Wert des vier starke Bände umfassenden
-Werkes besonders erhöht, sind die zahlreichen, ihm beigefügten, in
-Farbendruck hergestellten Kupfertafeln. Sie geben die Insekten in
-einer selbst heute an Naturtreue kaum übertroffenen Ausführung wieder.
-
-[Illustration: Abb. 21. *Ledermüllers* Abbildung von Aufgußtierchen.]
-
-*Rösel* lieferte ferner eine Naturgeschichte der Frösche. Auch dieses
-Werk zeichnet sich weniger durch das Neue, das es über den Bau dieser
-Gruppe bringt, als durch die Fülle feiner Beobachtungen über die
-Entwicklung und die Lebensweise aus.
-
-*Trembleys* Arbeit über den Süßwasserpolypen regte *Rosenhof* zu einer
-Nachprüfung an. Er bestätigte nicht nur *Trembleys* Beobachtungen,
-sondern er förderte auch viel Neues über die verschiedenen Polypenarten
-zutage und stellte es in prächtigen Tafeln dar. *Rösel* betitelt den
-betreffenden Abschnitt seines Werkes »Historie der Polypen und anderer
-kleiner Wasserinsekten«[170]. Er macht darin auch Mitteilungen über
-die Naiden. Das sind im süßen Wasser lebende Würmer, an denen *Rösel*
-beobachtete, daß sie nicht nur durch Zerschneiden vermehrt werden
-können, sondern daß sie sich sogar durch eigene Teilung vervielfältigen.
-
-[Illustration: Abb. 22. *Rösel von Rosenhofs* Darstellung der Bewegung
-und der Teilung einer Amöbe. (Gezeichnet nach Tafel 101 des III. Teiles
-seiner Insektenbelustigungen.)]
-
-Ferner finden wir bei ihm wohl eine der ersten Schilderungen der
-amöboiden Bewegung, die wir hier mit den zugehörigen Abbildungen (Abb.
-22) wiedergeben wollen. *Rösel* beschreibt eine Amöbe unter dem Namen
-Proteus mit etwa folgenden Worten: »Mein Proteus ist ein sehr kleines
-Tier. Es begibt sich sehr langsam von einer Stelle zur anderen, wobei
-es fortwährend seine Gestalt verändert. Ich beobachtete die Tierchen
-in größerer Anzahl unter dem zusammengesetzten Mikroskop und bemühte
-mich, an ihnen eine gewisse Gestalt wahrzunehmen oder etwas an ihnen zu
-sehen, was einem Kopf, einem Schwanz oder Gliedmaßen gliche, ohne daß
-mir dies indessen gelungen wäre. Endlich betrachtete ich eins dieser
-Tiere allein und habe daran folgendes bemerkt: Das Tier besteht aus
-lauter ungleich großen Körnern. Nachdem es eine Zeitlang einer Kugel
-geglichen hatte, stellte es sich mir in der Form der mit C bezeichneten
-Figur dar, sah also einem Kleeblatt ähnlich. Kaum war aber eine halbe
-Minute verflossen, so sah es wie in D aus. Bald darauf wurde es länger,
-wie E zeigt. Diese Verlängerung dauerte so lange, daß es aussah, als
-wollte sich das Tier in zwei Teile teilen. Dies geschah auch wirklich
-nicht lange danach, indem sich die beiden Teile F und F bei G trennten.
-Nun hatte ich statt des einen Tieres deren zwei, von denen jedes bald
-wieder eine andere Gestalt annahm, wie H und I zeigen[171].«
-
-Auch die Frage nach der Entstehung der kleinsten Lebewesen wurde damals
-lebhaft erörtert. Während von der einen Seite die von *Swammerdam* und
-*Redi* hinsichtlich der Insekten widerlegte Urzeugung zur Erklärung des
-so rätselhaften Auftretens der Infusorien wieder in Anspruch genommen
-wurde, nahm *Spallanzani* (1729-1799) eine Fortpflanzung durch Eier
-und Keime an. Diese sollten sich in den zur Herstellung des Aufgusses
-benutzten Stoffen befinden[172]. Da ein Nachweis dieser Keime aber
-äußerst schwierig war, so konnte die Lehre von der Urzeugung, zumal
-sie in *Buffon* einen angesehenen und eifrigen Vertreter fand, sich
-bis ins 19. Jahrhundert hinein erhalten. Ihre endgültige Beseitigung
-erfolgte erst durch die Experimente *Pasteurs*. Die an anderer Stelle
-wiedergegebene Abhandlung dieses Forschers ist auch geeignet, den Leser
-mit dem im 18. Jahrhundert zwischen *Spallanzani* und seinen Gegnern
-geführten Streit bekannt zu machen[173].
-
-Für die niedersten Pflanzen, wie die Pilze und Flechten, hatte
-*Caesalpin*[174] gleichfalls Urzeugung angenommen. »Manche Pflanzen«,
-sagt *Caesalpin*, »haben überhaupt keinen Samen, sie entstehen nur
-durch Fäulnis und sind gewissermaßen ein Mittelding zwischen den
-Pflanzen und der unbelebten Natur.« *Jungius*, der aufgeklärteste
-Botaniker des 17. Jahrhunderts[175], auf den sich *Linné* ganz
-besonders stützte, bezweifelt dies jedoch, während *Linné* meinte,
-daß »auch bei den untersten Stufen der Gewächse Blumen und Früchte
-vorhanden seien, obgleich sie ihrer Kleinheit wegen nicht deutlich
-wahrgenommen werden«. Aus dieser Ansicht erklärt sich die von *Linné*
-für die niederen Pflanzen angewandte Bezeichnung »Kryptogamen«
-(Verborgenblütige). Die Einsicht in diejenigen Vorgänge, welche die
-Fortpflanzung der Kryptogamen ausmachen, blieb gleichfalls der neuesten
-Periode vorbehalten.
-
-Neben der Lehre von der Urzeugung wurde das Gebiet der Biologie während
-des 18. Jahrhunderts noch durch eine zweite Irrlehre verdunkelt, die
-uns heute fast noch sonderbarer anmutet. Es ist die von *Harvey*
-ausgehende und von dem großen Anatomen und Physiologen *Albrecht von
-Haller* gestützte Evolutions- oder Einschachtelungstheorie. Das Studium
-der Befruchtung und der Entwicklung hatte die Frage nach der Erklärung
-dieser Vorgänge angeregt. So nahm *Harvey* an, das Ei enthalte die
-vollständige Anlage desjenigen Wesens, welches daraus hervorgeht.
-Dadurch kamen wieder Philosophen und Naturkundige des 18. Jahrhunderts
-auf den Gedanken, daß folgerichtig nach der Lehre *Harveys* das Ei auch
-das nächstfolgende, sowie alle späteren Geschlechter enthalten müsse.
-Diese Einschachtelungstheorie, gegen welche vor allem auch die von
-*Kölreuter* bei seinen Bastardierungsversuchen erhaltenen Ergebnisse
-sprachen, wurde durch *Wolff* in seiner Theoria generationis vom
-Jahre 1759 vollständig widerlegt[176]. Mit *Wolff* beginnt die neuere
-Entwicklungsgeschichte, die den Vorgang der Entstehung als ein
-Werden oder einen Wachstumsprozeß betrachtet und ihn teils aus der
-Stammesgeschichte, teils aus mechanischen Ursachen zu erklären sucht.
-
-*Kaspar Friedrich Wolff* wurde im Jahre 1733 in Berlin geboren. Als
-junger Mediziner wandte er sich mit großer Vorliebe der Anatomie
-und der Botanik zu. In Halle geriet er unter den Einfluß der
-Philosophie des Leibnizianers *Christian Wolf*. So kam es, daß er
-bei seinen naturwissenschaftlichen Untersuchungen sich mitunter
-allzusehr von vorgefaßten Meinungen leiten ließ und häufig aus
-unzulänglichen, ungenauen Beobachtungen zuweitgehende philosophische
-Verallgemeinerungen zog. Da *Wolff* in Preußen nicht die gehoffte
-Anerkennung fand -- er wurde bei der Besetzung von Lehrstühlen mehrfach
-übergangen --, so folgte er im Jahre 1766, wie es auch *Euler* getan,
-einem Rufe an die Petersburger Akademie der Wissenschaften. *Wolff*
-blieb auch dort mit anatomischen und entwicklungsgeschichtlichen
-Arbeiten beschäftigt. Hervorzuheben ist seine Untersuchung über die
-Entwicklung des Darmes. Nach einem zurückgezogenen, der Wissenschaft
-gewidmeten Leben starb *Wolff* in Petersburg im Jahre 1794.
-
-*Wolffs* Theoria generationis geht von der Untersuchung der Pflanze
-aus, um auf diese Weise »die Richtschnur klarzulegen, an die man sich
-bei der Behandlung der viel schwierigeren zoologischen Verhältnisse zu
-halten hat«. *Wolffs* Untersuchungen über den Bau und die Entwicklung
-der Pflanze sind für die Geschichte der Pflanzenanatomie von nicht
-geringer Bedeutung. Es war das erste Mal, daß nach der Begründung
-dieses Wissenszweiges durch *Malpighi* und *Grew* sich wieder jemand
-eingehender mit diesem Gegenstand beschäftigte. Waren die Ergebnisse
-*Wolffs* auch noch sehr ungenau und fehlerhaft, so sicherten dennoch
-manche von den Verallgemeinerungen, die er an sie knüpfte, seiner
-Arbeit eine nachhaltige Wirkung. Vor allem wurde durch *Wolff* die
-Frage nach der Entstehung des zelligen Baues der Pflanze angeregt,
-wenn auch die Lösung, die er selbst zu bieten suchte, unrichtig war.
-*Wolff* nahm nämlich an, die Pflanzensubstanz in der Vegetationsspitze
-sei zunächst gallertartig. In dieser Gallerte sollten sich kleine
-Bläschen ausscheiden. Diese sollten sich in der Weise vergrößern, daß
-die zwischen den Bläschen befindliche Zwischensubstanz später als ein
-Maschwerk von Zellwänden erscheine. Das Wachstum geschehe durch die
-Ausdehnung der Bläschen und dadurch, daß neue Bläschen zwischen den
-alten entständen und sich gleichfalls vergrößerten. *Wolff* bemerkte
-ganz richtig, daß Fasern und Gefäße nicht etwa schon in der Anlage
-vorhanden sind. Die jungen Pflanzenteile seien aus gleichartigen
-Bläschen zusammengesetzt. Mitunter beständen sie aber aus einer
-gleichförmigen Substanz ohne alle Bläschen. Auf dieser letzteren
-irrtümlichen Beobachtung beruht seine unrichtige Theorie von der
-Zellenbildung, nach welcher die Zellen etwa so entstehen würden, wie
-die Hohlräume des Brotes in dem ursprünglich zusammenhängenden Teig,
-allerdings mit dem Unterschiede, daß die Hohlräume in der Pflanze nicht
-leer, sondern mit dem in ihnen sich ansammelnden Nahrungssaft erfüllt
-sein würden. Von letzterem sagt er, daß er »durch die Substanz der
-Bläschen hindurchkrieche«, ja daß er »die feste Pflanzensubstanz ebenso
-leicht durchdringen könne, wie dies mit Hilfe der Gefäße geschehe«.
-Er nimmt also für die Erklärung der Saftbewegung in der Pflanze
-das Verhalten zur Hilfe, das wir heute als Diffusion bezeichnen.
-Ähnlich wie die Zellen aus der Vergrößerung eines ruhenden Tropfens
-Nahrungssaft hervorgehen sollen, läßt *Wolff* die Gefäße durch die
-Fortbewegung eines solchen Tropfens durch die ursprünglich gleichartige
-Grundsubstanz entstehen. »Ein Flüssigkeitstropfen«, sagt *Wolff*[177],
-»der durch die feste Substanz hindurch fortschreitet und sich seinen
-Weg selbst bahnt, kann nicht eine kugelförmige Spur zurücklassen; er
-bildet vielmehr einen Kanal, der -- nach *Wolffs* Annahme -- infolge
-einer Erstarrungsfähigkeit des Nährsaftes erhalten bleibt.« Diese
-Erstarrungsfähigkeit des Nährsaftes wird nicht nur der pflanzlichen,
-sondern auch der tierischen Substanz zugeschrieben. Diese Fähigkeit,
-zusammen mit einer »wesentlichen Kraft«, wie *Wolff* sein formgebendes
-Prinzip nennt, sollte nun den Vorgang der Entwicklung organischer Wesen
-erklären. Die »wesentliche Kraft« ist nach ihm jene Kraft, durch welche
-die Flüssigkeiten im Organismus verteilt und ausgeschieden werden.
-»Die wesentliche Kraft«, sagt er, »und die Erstarrungsfähigkeit des
-Nährsaftes sind ein hinreichendes Prinzip jeder Entwicklung, sowohl bei
-den Pflanzen als auch bei den Tieren.«
-
-Aus dieser Übereinstimmung zwischen den beiden Naturreichen folgerte
-*Wolff* fast ein Jahrhundert, bevor *Schwann* den zelligen Bau der
-Lebewesen als allgemeines Prinzip erkannte, daß sich in den Tieren wie
-in den Pflanzen nicht nur Zellgewebe finde, sondern daß es sich auch
-auf dem gleichen Wege entwickle. Wenn *Wolff* auch über den Vorgang
-der Bildung von Zellgewebe, wie wir sahen, noch nicht zu richtigen
-Vorstellungen gelangt war, so hebt er doch zutreffend hervor, daß das
-Zellgewebe der Tiere »ebenso gebildet wird, wie das Zellgewebe und die
-Bläschenstruktur bei Pflanzen[178]«.
-
-Als typisches Beispiel hebt *Wolff*, wie es auch später von *Schwann*
-geschehen, die Knochen hervor. »Ihr innerer Bau, sagt er, ist zellig
-und entsteht ebenso wie das übrige Zellgewebe«.
-
-Bei der Untersuchung des tierischen Organismus kommt es *Wolff* vor
-allem darauf an, die Ansicht der Evolutionisten zu widerlegen, daß die
-Organe ursprünglich vorhanden und nur wegen ihrer unendlichen Kleinheit
-verborgen seien. Eine Widerlegung dieser Ansicht erblickt *Wolff* mit
-Recht schon darin, daß die Teilchen, welche alle tierischen Organe bei
-ihrer ersten Anlage zusammensetzen, Kügelchen sind, die man schon mit
-einem Mikroskop von mittlerer Vergrößerungskraft unterscheiden könne.
-»Wie kann man nun behaupten«, ruft er aus, »einen Körper wegen seiner
-Kleinheit nicht sehen zu können, wenn doch die Teile, aus denen er sich
-zusammensetzt, sehr wohl zu unterscheiden sind?«
-
-[Illustration: Abb. 23. *Wolffs* Abbildung eines Embryos.]
-
-Die nebenstehende Abbildung aus *Wolffs* Theoria generationis zeigt
-einen Embryo nach 36stündiger Bebrütung. Man erkennt die Teile des
-Gehirns, die Augen mit den Sehnerven, das Rückenmark (h), das Herz (k),
-die vorderen schon recht deutlichen (f) und die hinteren noch in der
-Absonderung begriffenen Wirbel (e und d). Die ernährenden Teile gehen
-aus dem Ei, dessen Dotter durch die Wärme aufgelöst und zerstört werde,
-in den Embryo über. Dazu, sagt *Wolff*, gehört wie bei den Pflanzen
-eine die Nährsäfte bewegende »wesentliche Kraft«. Daß diese Kraft und
-diese Flüssigkeitsbewegung auch im erwachsenen Körper tätig sei, dafür
-spreche z. B. das Wachstum der Nägel und der Haare. Zu dieser Kraft
-tritt dann nach *Wolff* als zweites, die Formgebung bedingendes Prinzip
-die Erstarrungsfähigkeit der jungen gallertigen Gewebe, eine Fähigkeit,
-die allerdings bei den Tieren geringer sei als bei den Pflanzen.
-
-Die Gefäßbildung im Embryo läßt *Wolff* in ähnlicher Weise wie die
-Entstehung der Gefäße in den Pflanzen vor sich gehen. Die bewegten
-Flüssigkeiten bahnen sich dort Wege, wo sie einen geringeren Widerstand
-finden. Die erste Anlage des Hauptstammes aller Gefäße, des Herzens,
-zeigt uns *Wolffs* nebenstehende, der Theoria generationis
-entnommene Abbildung (Abb. 24 c). Sie läßt uns auch die erste Anlage
-der Gliedmaßen erkennen. Als plumpe Höcker (r) heben sie sich aus der
-übrigen Masse hervor. Und zwar bestehen auch sie aus einer Substanz,
-die *Wolff* als zellig bezeichnet. Anfangs sind die Gliedmaßen ohne
-Gefäße. Letztere wachsen aus der zuerst entstehenden Hauptader oder
-Aorta in die Gliedmaßen hinein.
-
-Daß die Nieren erst entstehen, nachdem sich die Wirbelsäule gebildet
-hat, wird von *Wolff* besonders hervorgehoben. Er zeigt, daß die Nieren
-aus einem zelligen Gewebe hervorgehen, das erst am dritten Tage der
-Entwicklung unter der Wirbelsäule erscheint. Daß dieses Gewebe zunächst
-keine Spur von einem Organ enthält, ließ sich leicht feststellen, da es
-vollkommen durchsichtig ist.
-
-Durch all diese Beobachtungen war die insbesondere von
-*Haller* vertretene, indessen auch von *Leibniz* gebilligte
-Einschachtelungstheorie vollkommen widerlegt. Der einzige Weg, auf
-dem dies geschehen konnte, war der von *Wolff* betretene. Er wandte
-sich behufs Entscheidung der Streitfragen an die Natur selbst und
-untersuchte zum ersten Male genauer die Anlagen der einzelnen Organe
-im Embryo hinsichtlich ihrer Form und der Zeit ihres Entstehens.
-Das Ergebnis war, daß die Teile des Organismus weder präformiert
-sind, noch sich gleichzeitig entwickeln, sondern daß sie aus einer
-gleichartigen, zelligen Substanz nacheinander hervorgehen. Trotz
-zahlreicher Beobachtungsfehler, die *Wolff* im einzelnen gemacht hat,
-war damit für alle späteren entwicklungsgeschichtlichen Forschungen
-die Grundlage gewonnen. *Wolff* ist somit der Begründer der modernen
-Entwicklungsgeschichte. Das ist und bleibt sein unsterblicher
-Ruhmestitel.
-
-Auch der Gedanke der Metamorphose der Pflanze rührt von *Wolff* her.
-Das Nähere hierüber, sowie die Fortbildung, welche dieser Gedanke bei
-*Goethe* und anderen fand, bleibt späterer Erörterung vorbehalten.
-
-[Illustration: Abb. 24. *Wolffs* Darstellung der Entstehung des Herzens
-und der Gliedmaßen.]
-
-Die Frage nach den Vorgängen der Zeugung und der Entwicklung war zwar
-eine hervorragend wichtige, es war aber nur eine unter den vielen
-die Physiologie im 18. Jahrhundert beschäftigenden Fragen. Hat dieser
-Zeitraum doch den größten Physiologen in *Haller* hervorgebracht, um
-dessen Forschergestalt sich alles gruppieren läßt, was die weitere
-Entwicklung der Physiologie in dem erwähnten Zeitraum anbetrifft.
-
-*Albrecht von Haller* wurde am 16. Oktober 1708 in Bern geboren. Er
-verwaiste frühzeitig und wuchs bei einem Arzte auf, dem er seine
-Neigung für die Naturwissenschaften und ihre Anwendung auf das Gebiet
-der Heilkunde verdankte. *Haller* studierte in Tübingen Anatomie und
-Botanik, worin ihn *Camerarius* unterwies. Später hielt er sich in
-Leyden, wo *Boerhave* auf ihn einwirkte, sowie in London und in Paris
-auf. Nachdem *Haller* in Basel und in Bern Vorlesungen über Anatomie
-gehalten, siedelte er 1736 nach Göttingen über. Dort entfaltete er eine
-einzigartige Wirksamkeit. 1753 kehrte er in seine Heimatstadt zurück,
-wo er am 12. Dezember 1777 starb. In Göttingen hielt *Haller* an der
-neu gegründeten Universität Vorlesungen über Botanik, Anatomie und
-Chirurgie, begründete eine anatomische Sammlung und einen botanischen
-Garten, dessen Leitung er übernahm. Er rief die Göttinger Königliche
-Gesellschaft der Wissenschaften ins Leben und zog viele Schüler an sich
-heran, welche die Wissenschaft in der von ihm eingeschlagenen Richtung
-weiterführten.
-
-*Haller* wurde stets von dem Gedanken geleitet, daß die Anatomie als
-die wichtigste Grundlage der Physiologie zu betrachten sei, und zwar
-nicht nur die Anatomie des Menschen, sondern nicht minder diejenige der
-Tiere.
-
-Ferner gab er dem Experiment am lebenden Tiere eine Ausdehnung, wie sie
-vor ihm nicht bestand. »So grausam das Verfahren der Vivisektion auch
-erscheint«, sagt *Haller*, »so darf man doch nicht außer acht lassen,
-daß es der Physiologie mehr Nutzen schafft als alle übrigen Methoden
-und daß ein einziges derartiges Experiment oft die aus der Arbeit von
-Jahren entstandenen Irrtümer beseitigt hat.«
-
-*Haller* lieferte, durchdrungen von dem Gedanken, daß man mit dem
-Bau eines Organismus bekannt sein muß, wenn man seine Verrichtungen
-erforschen will, viele wertvolle Beiträge zur vergleichenden Anatomie.
-Über den Wert dieser Wissenschaft für die physiologische Forschung sagt
-er: »Täglich mache ich die Erfahrung, daß man über die Tätigkeit der
-meisten Organe des lebenden Körpers kein Urteil fällen kann, wenn man
-sich nicht über den Bau des betreffenden Organs vollkommene Klarheit
-verschafft hat und zwar nicht nur durch eine Untersuchung am Menschen,
-sondern auch durch eine solche an verschiedenen Vierfüßlern, Vögeln,
-Fischen, ja oft auch an niederen Tieren«.
-
-Das wichtigste allgemeine Ergebnis dieser Forschungen war *Hallers*
-Lehre von der Reizbarkeit und der Empfindung (der Irritabilität und der
-Sensibilität). Er betrachtete sie als besondere, mit physikalischen
-Kräften nicht zu verwechselnde Fähigkeiten der belebten Substanz. Wir
-erinnern uns, daß *Borelli* die Tätigkeit der Muskeln einer Elastizität
-dieser Organe zugeschrieben hatte. *Haller* dagegen erklärte die
-Fähigkeit sich zusammenzuziehen als eine den Muskeln innewohnende
-Eigenschaft und nannte diese Organe reizbar oder irritabel. Der
-gewöhnliche Reiz, welcher die Verkürzung der Muskeln bewirkt, gehe zwar
-von den Nerven aus, doch könnten an dessen Stelle auch andere Reize
-treten. Letztere können, wie *Haller* zeigte, noch eine Kontraktion des
-Muskels hervorrufen, wenn die Verbindung des letzteren mit dem Nerven
-unterbrochen ist, ein offenbar für seine Lehre günstiges Experiment.
-
-Wie die Irritabilität ausschließlich an die Muskeln gebunden ist, so
-ist die Sensibilität nur in den Nerven anzutreffen. Sie vermittelt
-die Veränderungen, welche äußere Reize hervorrufen, dem Bewußtsein.
-Wie das geschieht, blieb zunächst unerklärt. *Haller* war indessen
-geneigt, ein feines, in den Nerven sich bewegendes Fluidum nach dem
-Vorgange *Malpighis*[179] anzunehmen. Selbst *Kant* huldigte dieser
-ziemlich grob materialistischen Anschauung von dem Zustandekommen
-der Empfindungen[180]. Die weit zutreffendere Vorstellung, daß die
-Tätigkeit der Nerven in einer vibrierenden Bewegung bestehe, vermochte
-*Haller* nicht anzuerkennen. Trotzdem ist in seiner Darstellung von der
-Sensibilität dieser Organe die später von *Johannes Müller* ausführlich
-entwickelte Lehre von den spezifischen Energien der Sinnesorgane schon
-im Keime enthalten. Besonders zeigt sich dies in der Darstellung,
-die *Haller* von der Physiologie des Auges gab. Danach rufen die vom
-Gegenstande kommenden Lichtstrahlen ein Bild auf der Netzhaut hervor,
-das eine Reizung des Sehnerven veranlaßt. Was wir empfinden, ist
-nicht der Gegenstand selbst, sondern der Eindruck, den dieser auf den
-Sehnerven ausübt. Es folgt daraus, daß die Empfindungen und die darauf
-sich aufbauenden Vorstellungen subjektiver Art sind. Trotzdem denkt
-*Haller* nicht daran, das Vorhandensein der Außenwelt zu leugnen. Die
-Erfahrung ist es, der nach ihm die Aufgabe zufällt, aus dem subjektiven
-Eindruck ein Urteil über die Natur der wahrgenommenen Gegenstände
-zu bilden. Mit dieser Lehre stimmten die Beobachtungen überein, daß
-auch mechanische Reize aller Art eine Lichtempfindung hervorzurufen
-vermögen. Daß die Netzhaut der Sitz der Lichtempfindung sei, war,
-wie wir erfuhren, von *Mariotte* auf Grund seines Versuches über den
-blinden Fleck[181] angezweifelt worden. *Haller* hielt jedoch an der
-früheren, schon von *Kepler* begründeten Ansicht fest. Er hob mit Recht
-hervor, daß die Aderhaut, die nach *Mariotte* das Sehen vermitteln
-sollte, keine Nerven enthält. Dagegen sei die Netzhaut ein Geflecht
-von Nervenfasern, welchen im ganzen Organismus die Vermittlung der
-Empfindungen zukomme.
-
-Die besonderen Leistungen *Hallers* betreffen die Physiologie des
-Gefäßsystems und des Stimmorgans. Sie sind in seinem Meisterwerke, den
-Elementa physiologiae corporis humani, das 1757 und in den folgenden
-Jahren erschien, niedergelegt worden[182].
-
-*Haller* erforschte besonders den Klappenapparat des Herzens und
-die Bewegungen dieses Organes und seines flüssigen Inhalts. Seine
-Untersuchung betraf ferner die Bewegung und die Geschwindigkeit des
-Blutes in den Arterien, sowie den Einfluß, den die Wandungen der
-letzteren auf den Blutstrom ausüben, und vieles andere mehr.
-
-Hervorzuheben sind die Versuche, die beweisen sollten, daß der
-Pulsschlag im ganzen arteriellen System gleichzeitig erfolgt. An diese
-Versuche hat später *E. H. Weber* seine Anwendung der Wellenlehre auf
-die Lehre vom Kreislauf des Blutes angeknüpft und gefunden, daß die von
-*Haller* behauptete völlige Gleichzeitigkeit nicht besteht. Doch ergab
-sich, daß der Zeitunterschied nur den Bruchteil einer Sekunde ausmacht.
-*Haller* begründete seine Ansicht folgendermaßen: »Wenn man bei einem
-Menschen die rechte Hand auf die Gegend legt, wo das Herz liegt, und
-die linke an die Schläfenarterie oder an die Kniekehlenarterie bringt,
-so wird man finden, daß das Herz in dem nämlichen Augenblick gegen
-die Rippen stößt, in welchem es in allen genannten Arterien den Puls
-hervorbringt«[183].
-
-Zu erwähnen sind auch die Versuche *Hallers*, welche darin bestanden,
-Stoffe in den Blutstrom einzuführen, um deren physiologische und
-therapeutische Wirkung zu untersuchen. Dieses unter dem Namen
-Gefäßinfusion bekannte Verfahren kam zwar schon im 17. Jahrhundert
-infolge der Entdeckung des Blutkreislaufes auf. Es wurde aber zuerst
-durch *Haller* und einen seiner Schüler auf zahlreiche Chemikalien
-(Pflanzengifte, Säuren, Arsenverbindungen, Kupfersalze usw.) ausgedehnt
-und schließlich von den Ärzten jener Zeit mit sehr ungünstigem Erfolge,
-wie sich begreifen läßt, zu therapeutischen Zwecken angewandt. Immerhin
-ist das Verfahren erwähnenswert, weil die in neuerer Zeit mit besserem
-Erfolge geübte subkutane Injektion darauf zurückzuführen ist.
-
-Sehr eingehend und stets auf vergleichend anatomischer und
-physikalischer Grundlage fußend, untersuchte *Haller* den Kehlkopf
-und die Erzeugung der Stimme. Er wies nicht nur, wie es schon vor ihm
-geschehen, auf die Rolle der Stimmbänder hin, sondern er stellte vor
-allem auch fest, welche Aufgaben die einzelnen Kehlkopfknorpel, sowie
-die Mund- und die Nasenhöhle bei der Stimmbildung zu erfüllen haben.
-
-Nicht so glücklich wie auf dem Gebiete der Physiologie war *Hallers*
-Wirken auf demjenigen der Entwicklungsgeschichte. Hier ist er unter
-den Verteidigern der sonderbaren, auf *Harvey* zurückgehenden Lehre
-von der Evolution[184] zu nennen, nach welcher jedes neu entstehende
-Wesen als im Keime vorgebildet (präformiert) gedacht wurde. Obgleich
-schon 1759 *Caspar Friedrich Wolff* die Lehre von der Epigenesis,
-d. h. der folgeweisen Entwicklung der Organe aus einfacheren Teilen
-(Zellen und Zellschichten) an Stelle der Evolutionstheorie setzte, fand
-letztere durch die Autorität *Hallers* eine solche Stütze, daß *Wolffs*
-Anschauungen dagegen nicht aufkommen konnten. Sie gerieten fast in
-Vergessenheit und gelangten erst ein halbes Jahrhundert später zur
-Anerkennung, nachdem für die Entwicklungsgeschichte durch *Meckel*, *v.
-Baer* und andere Forscher eine neue Aera angebrochen war.
-
-Trotz dieses ablehnenden Verhaltens *Wolff* gegenüber hat *Haller* sich
-um die Entwicklungsgeschichte des Gefäßsystems und der Knochen bemüht
-und hierüber einige verdienstvolle Abhandlungen geschrieben (Sur la
-formation du coeur dans le poulet. 1758).
-
-Die Anatomie hatte während des 17. Jahrhunderts in Holland, wo
-*Swammerdam* und *Boerhave* wirkten, einen bedeutenden Aufschwung
-genommen. Sie erlebte im 18. Jahrhundert auch in Deutschland eine
-kräftige Förderung. Vor allem ist hier *Lieberkühn* als derjenige
-zu nennen, der die anatomische Kunst von Holland nach Deutschland
-verpflanzte. *Lieberkühn*, ein Schüler *Boerhaves*, kam 1740
-nach Berlin und wurde dort Mitglied der Preußischen Akademie der
-Wissenschaften. Vergeblich waren die Bemühungen dieser Gesellschaft,
-auch den großen Physiologen *Albrecht von Haller* zu gewinnen und
-so Berlin zum Mittelpunkt der medizinischen Wissenschaften zu
-machen. *Lieberkühn* war nicht nur ein eifriger Präparator, sondern
-er lehrte die Deutschen auch mit Hilfe des Mikroskops den feineren
-Bau der tierischen Gewebe untersuchen. Er verstand es meisterhaft,
-die Methode der Gefäßinjektion zu handhaben. Die bedeutendste
-Entdeckung *Lieberkühns* war diejenige der Darmzotten, jener winzigen
-Ausstülpungen der Darmwandung, die man später wohl als die inneren
-Wurzeln des Tieres bezeichnet hat[185].
-
-*Lieberkühns* Schüler und sein Nachfolger in der Preußischen Akademie
-war *Johann Friedrich Meckel*, der Ältere, dem die Nervenanatomie
-manche Entdeckung verdankt. Die Familie *Meckel* nahm auf dem Gebiete
-der Anatomie durch mehrere Generationen eine führende Stellung ein.
-Vor allem war es *Johann Friedrich Meckel* der Jüngere, der auf den
-Vorarbeiten seines Vaters und seines Großvaters fußend zu Beginn des
-19. Jahrhunderts der vergleichenden Anatomie in Deutschland eine
-Heimstätte bereitete. Dabei vermochte er sich auf eine von seinem
-Großvater begründete und von seinem Vater unter Aufwendung bedeutender
-Mittel erweiterte Sammlung zu stützen, die zu den ersten des 18.
-Jahrhunderts zählte.
-
-
-
-
-8. Die neuere Mathematik und ihre Beziehungen zu den
-Naturwissenschaften.
-
-
-Das 18. Jahrhundert war auf den Gebieten der Astronomie und der Physik
-vorzugsweise mit der Lösung der aus der *Newton*-*Huygens*periode
-übernommenen Probleme beschäftigt. Fast ausschließlich in das
-18. Jahrhundert fiel auch der Aufschwung, den die Lehre von der
-Reibungselektrizität nahm. Hier waren die beiden vorangehenden
-Perioden kaum über die seit alters bekannten einfachsten Wahrnehmungen
-hinausgekommen. Auf dem Gebiete der Chemie wurde durch zahlreiche
-Beobachtungen die große Tat vorbereitet, welche dieser Wissenschaft
-im Beginn der neuesten Zeit ein gänzlich verändertes Aussehen geben
-sollte, während in der Zoologie und in der Botanik die systematische
-Richtung überwog und nur hin und wieder das experimentelle Verfahren
-zum Durchbruch kam. Daß dieses Verfahren auf allen Gebieten Platz
-greift und daß man es überall mit der mathematischen Behandlungsweise
-zu verknüpfen sucht, kennzeichnet die gegen das Ende des 18.
-Jahrhunderts beginnende Periode in der Entwicklung der Wissenschaften,
-deren Betrachtung wir uns jetzt zuwenden.
-
-Daß sich die Natur aus der Mechanik der Atome erklären lasse, galt
-den meisten Forschern als ausgemacht. Die atomistisch-mechanische
-Behandlungsweise fand ihren weitgehendsten Ausdruck durch *Laplace*.
-»Ein Geist«, sagt er, »der für einen gegebenen Augenblick alle
-Kräfte kennt, welche die Natur beleben und die gegenseitige Lage der
-Wesen, aus denen sie besteht und diese Angaben der mathematischen
-Analyse unterwirft, könnte in dieselbe Formel die Bewegungen der
-größten Weltkörper und des leichtesten Atoms einbegreifen. Zukunft
-und Vergangenheit wären seinem Blicke gegenwärtig.« Der menschliche
-Verstand, fügt *Laplace* hinzu, biete in der Vollendung, die er der
-Astronomie gegeben, ein schwaches Abbild eines solchen Geistes dar.
-
-Für Deutschland ging die Anregung, die Mathematik auf die gesamte
-Naturlehre anzuwenden, besonders auf *Leibniz* und seinen Schüler
-*Wolf*[186] zurück. Während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts war
-die *Leibniz-Wolf*sche Philosophie die herrschende. In ihr wurzelt auch
-die darauf folgende Zeit der Aufklärung, mit der in Deutschland wie in
-Frankreich die Hauptzweige der bisherigen Entwicklung der Philosophie,
-der idealistische und der realistische nämlich, zu einem gewissen
-Abschluß kamen, indem sie beide in eine verflachende Popularphilosophie
-ausmündeten.
-
-In dem Bestreben, die Naturerscheinungen auf Bewegungen zurückzuführen
-und sie auf diese Weise der mathematischen und der mechanischen
-Erklärung zugänglich zu machen, hatte das 17. Jahrhundert die alte
-Lehre von der atomistischen Zusammensetzung als Korpuskulartheorie
-zu neuem Leben erweckt. Die Korpuskeln oder Partikeln spielten
-für die Erklärung der physikalischen Vorgänge eine große Rolle.
-Angeregt durch Christian *Wolf* versuchte *Lomonossow* die
-Korpuskulartheorie auf die Chemie auszudehnen, um dadurch auch diese
-Wissenschaft der mathematischen Behandlungsweise zugänglich zu
-machen. *Lomonossows*[187] Gedankengang war etwa der folgende: Alle
-Änderungen kommen nach der Lehre *Wolfs* durch Bewegungen zustande.
-Das gilt auch von den Änderungen der zusammengesetzten Körper,
-der chemischen Verbindungen, wie wir heute sagen würden. Mit den
-Bewegungen befaßt sich die Mechanik. Folglich müssen die Änderungen der
-zusammengesetzten Körper, d. h. die chemischen Vorgänge, mechanisch
-erklärt werden können. Nur so lasse sich die Chemie zu einer exakten
-Wissenschaft machen. Des weiteren fordert *Lomonossow*, die chemischen
-Veränderungen auf Grund der Versuche und Gesetze der Physik zu erklären
-und damit einen neuen Wissenszweig zu schaffen, den er schon als
-»physikalische Chemie« bezeichnet. Es blieb aber bei der Aufstellung
-von Forderungen und Zielen, von deren Verwirklichung die Wissenschaft
-noch weit entfernt war. Immerhin hat *Lomonossow* das Verdienst, jene
-Forderungen erhoben und jene Ziele erkannt und ausgesprochen zu haben.
-Auch auf dem Gebiete der Wärmelehre und der Oxydationsvorgänge war
-*Lomonossow* ein Vorläufer derjenigen Männer, die hier die neueren
-Grundlagen schufen[188]. Die Bestrebungen, die Mathematik auf die
-Chemie auszudehnen, ruhten jetzt nicht mehr. Und gerade im Herzen
-Deutschlands, wo *Wolf* gelehrt und *Lomonossow* studiert hatte,
-zeitigten diese Bestrebungen die ersten Früchte, indem *Wenzel* und
-*Richter* die Anfänge der Stöchiometrie schufen. Daß diesen Männern
-das ein halbes Jahrhundert früher gesteckte Ziel vorschwebte, leuchtet
-schon ans den Titeln ihrer stöchiometrischen Schriften hervor[189].
-
-Die Vorstellung von der atomistischen und molekularen Konstitution der
-Materie gewann noch größere Bedeutung, nachdem sie *Dalton* um 1800
-zu einer wohlbegründeten Theorie ausgestaltet hatte. Auf Grund dieser
-Theorie suchte man jetzt unter der Annahme von molekularen Fernkräften,
-für welche das *Newton*sche Gravitationsgesetz ein Analogon darbot, die
-Naturerscheinungen der mathematischen Analyse zu unterwerfen. Das Ziel
-indessen, das *Laplace* und seinen Zeitgenossen vorschwebte, und das
-in der Forderung gipfelte, aus möglichst wenigen Voraussetzungen den
-Gesamtverlauf der Naturerscheinungen mechanisch zu erklären, hat sich
-nicht verwirklichen lassen. An seine Stelle setzte die neuere Mechanik,
-um mit den Worten *Kirchhoffs* zu reden, die bescheidenere Aufgabe, den
-Ablauf der Vorgänge auf die einfachste Weise möglichst vollständig zu
-beschreiben.
-
-Die Mathematik hatte sich bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts Hand in
-Hand mit den Naturwissenschaften entwickelt. *Descartes*, *Galilei*,
-*Kepler*, *Newton*, *Leibniz*, sie alle hatten auf beiden Gebieten
-Hervorragendes geleistet, weil sie von dem Gedanken des innigen
-Zusammenhanges beider Wissenschaften durchdrungen waren. Zwar tauchten
-auch mathematische Probleme auf, die zunächst außer Beziehung zur
-realen Welt zu stehen schienen. Und sie wurden von den Mathematikern
-darum nicht etwa hintangesetzt. Doch kannte man jene im 19. Jahrhundert
-lange herrschende Richtung, die sich so stolz als »reine Mathematik«
-bezeichnete und schließlich jede Fühlung mit der Wirklichkeit verlor,
-weder im 17. noch im 18. Jahrhundert. Wir haben in einem früheren
-Abschnitt erfahren, wie *Bernoulli*, *Lagrange* und *Euler* die
-Infinitesimalrechnung zu einem der allerwichtigsten Hilfsmittel,
-sozusagen zum Handwerkszeug des Naturforschers, ausgestalteten. Um die
-Wende des 18. zum 19. Jahrhundert erlangen zwei neue mathematische
-Zweige für die Naturwissenschaften und ganz besonders für ihre
-Anwendungen eine ähnliche Bedeutung. Es sind das die darstellende und
-die projektivische Geometrie. In ihren Anfängen reichen beide zwar in
-weit frühere Perioden zurück.
-
-Die darstellende Geometrie, deren Aufgabe es ist, Raumgebilde in der
-Ebene darzustellen und aus diesen Darstellungen mit vollkommener
-Genauigkeit wieder zu rekonstruieren, wird gewöhnlich als eine
-Schöpfung von *Monge* betrachtet. Man darf aber nicht vergessen, daß
-die Benutzung von Grund- und Aufrißzeichnungen so alt ist, wie die
-Baukunst. Papyrusfunde haben bewiesen, daß die Ägypter für ihre Bauten
-derartige Zeichnungen anfertigten. Und *Vitruvius* gibt in seinem
-zur Zeit des Augustus entstandenen Werke über die Architektur eine
-ausführliche Darstellung des von den römischen Baumeistern geübten
-Grundriß- und Aufrißverfahrens. Seine Weiterentwicklung erfuhr dieses
-aus unmittelbaren Bedürfnissen entstandene Wissen nicht am Schreibtisch
-des Gelehrten, sondern an den Stätten der Praxis, vor allem in den
-Bauhütten des Mittelalters. Die wunderbaren architektonischen Werke
-jener Zeit konnten nur entstehen, wenn ihre Schöpfer Aufgaben der
-darstellenden Geometrie, wie sie besonders für den Schnitt der Gewölbe
-in Betracht kamen, zu lösen vermochten. Ohne Zweifel wurde manche der
-erforderlichen Konstruktionen empirisch gefunden und verwendet, ohne
-daß man den mathematischen Beweis für ihre Richtigkeit erbracht hätte.
-Dies geht z. B. auch daraus hervor, daß manche Schriften des 16. und
-17. Jahrhunderts für die Baukunst wichtige Konstruktionen mitteilen,
-ohne auch nur den Versuch eines Beweises zu machen.
-
-Ein nicht minder großes Interesse an der Entwicklung des Verfahrens,
-körperliche Gebilde in der Ebene richtig darzustellen, besaßen die
-Maler. Es kann daher nicht Wunder nehmen, daß das erste deutsche Buch
-über diesen Gegenstand von einem Maler und zwar von unserem großen
-*Albrecht Dürer* herstammt. Er verdient deshalb nicht minder als
-Lionardo da Vinci einen Platz in der Geschichte der Wissenschaften.
-
-*Dürers* Schrift erschien 1525; sie führt den Titel: »Underweysung
-der messung mit dem zirckel und richtscheyt in Linien, ebenen und
-gantzen corporen.« Die Bedeutung dieser Schrift besteht weniger
-in den Konstruktionen, die sie lehrt, als in der Forderung, die
-perspektivische Grundlage eines Bildes nicht wie bisher aus freier
-Hand zu fertigen, wobei grobe Fehler ganz unvermeidlich seien, sondern
-die perspektivische Zeichnung nach mathematischen Vorschriften zu
-machen. *Dürer* ist dadurch zum Begründer der Lehre von der Perspektive
-geworden.
-
-*Monge* dagegen gebührt das große Verdienst, die im Verlaufe einer
-langen Entwicklung entstandenen Ansätze, von denen hier nur einige
-Erwähnung finden konnten, nicht nur vermehrt, sondern zu einem, auf
-strenge Beweisführung gegründeten, wissenschaftlichen Lehrgebäude, der
-heutigen deskriptiven oder darstellenden Geometrie, ausgestaltet zu
-haben.
-
-In dem äußeren wie dem inneren Leben von *Monge* spiegeln sich die
-geistigen, politischen und kulturellen Zustände seiner Ära, des
-Zeitalters der französischen Revolution, die bald zu einer europäischen
-werden sollte, mit besonderer Deutlichkeit wieder.
-
-*Gaspard Monge* ging aus dem durch die Revolution erst zur Geltung
-gelangenden dritten Stand, der in geistiger Beziehung bald der erste
-werden sollte, hervor. *Monge* wurde 1746 in einem burgundischen
-Städtchen als der Sohn eines armen Handwerkers geboren, der
-sich die größten Entbehrungen auferlegte, um seinen Söhnen eine
-wissenschaftliche Ausbildung zu geben. Mit 16 Jahren wirkte *Monge*
-schon als Lehrer der Physik in Lyon. Später lehrte er an einer Schule
-für Militäringenieure Baukonstruktionslehre. Aus der Beschäftigung
-mit diesem Gegenstande schuf *Monge* in dem Bestreben, die teils
-umständlichen, teils noch empirischen älteren Methoden zu vereinfachen
-und wissenschaftlich zu begründen, seit 1770 etwa seine darstellende
-Geometrie. Veröffentlicht hat *Monge* sein Lebenswerk erst 1798[190],
-weil ihm, solange er an der Militärschule wirkte, die Geheimhaltung
-seines genialen Lehrganges zur Pflicht gemacht worden war.
-
-*Monge* gehörte, wenn er politisch auch weniger hervortrat, zu den
-großen Männern der französischen Revolution. Der Konvent ernannte ihn
-zum Leiter der Geschützgießereien. In dieser Stellung verfaßte er ein
-Werk über die Anfertigung von Kanonen. Während der Schreckensherrschaft
-wurde er in den Anklagezustand gesetzt. Er floh daher ins Ausland,
-kehrte aber bald nach Frankreich zurück und fand Gelegenheit, bei
-der Gründung der École polytechnique, dem großartigen Vorbilde
-für die technischen Schulen des 19. Jahrhunderts, einen maßgebenden
-Einfluß auf die Gestaltung des gewerblichen Unterrichtswesens[191]
-auszuüben. Die damals von *Monge* erhobenen Forderungen, nämlich
-naturwissenschaftlicher Unterricht, Übung der Schüler im Gebrauch
-wissenschaftlicher Instrumente, Pflege des wissenschaftlich begründeten
-Zeichnens, Anwendung der darstellenden Geometrie auf die Bau- und
-Maschinenkonstruktionslehre, sind für die Folge die wichtigsten
-Grundlagen geblieben, auf denen allein die moderne Technik zu der sie
-heute auszeichnenden Vollendung emporwachsen konnte.
-
-Aus dem späteren Leben von *Monge* verdient noch Erwähnung, daß er
-neben *Berthollet* der hervorragendste Gelehrte war, der sich an
-*Napoleons* Expedition nach Ägypten beteiligte. *Napoleon*, welcher
-die Bedeutung der exakten Wissenschaften wie kein anderer Herrscher
-zu würdigen verstand, überhäufte *Monge* mit Ehren. Auch während des
-Kaiserreichs war *Monge* an der École polytechnique als Lehrer tätig.
-Nach der Rückkehr der Bourbonen wurde er seiner Ämter entsetzt. Er
-verfiel infolgedessen in geistige Umnachtung, von der ihn jedoch ein
-baldiger Tod im Jahre 1818 erlöste.
-
-Unter den mathematischen und mechanischen Schriften, die wir *Monge*
-verdanken, nimmt seine »Darstellende Geometrie«, durch welche er diese
-Disziplin wissenschaftlich begründete, die erste Stelle ein. Ihre
-Aufgabe ist nach *Monge* eine doppelte. Einmal gilt es, alle Gebilde
-von drei Dimensionen auf Gebilde von zwei Dimensionen, die sich auf dem
-Zeichenblatte darstellen lassen, zurückzuführen. Zweitens lehrt die
-darstellende Geometrie aus der Zeichnung alle Beziehungen ableiten,
-die aus der Gestalt und der gegenseitigen Lage der in der Ebene
-dargestellten Raumgebilde entspringen.
-
-Die von *Monge* zur Lösung dieser Aufgaben angewandte
-Projektionsmethode geht von der Voraussetzung aus, daß die Lage
-eines Punktes im Raume mathematisch bestimmt ist, wenn man seine
-Projektionen auf zwei zu einander senkrechten Ebenen kennt. Unter der
-Projektion eines Punktes auf eine Ebene versteht *Monge* den Fußpunkt
-des von dem Punkte auf die Ebene gefällten Lotes. Sehr übersichtlich
-wurde das Projektionsverfahren vor allem dadurch gemacht, daß *Monge*
-sich die vertikale Ebene um ihre Schnittlinie mit der horizontalen
-Ebene gedreht denkt, bis sie mit der letzteren zusammenfällt. Die
-vertikale Ebene wird also mit den Projektionen, welche sie enthält,
-auf demselben Blatt gezeichnet, das für die horizontale Projektion
-dient. Beide Ebenen sind nur durch eine Schnittlinie (Projektionsachse)
-getrennt. Und man muß sich stets daran erinnern, daß die vertikale
-Ebene um diese Schnittlinie wie um ein Scharnier um 90 Grad gedreht
-werden muß, um in ihre eigentliche Stellung zu kommen. Dieser
-treffliche Grundgedanke bot eine Menge von Vereinfachungen und
-Vorteilen. So erkennt man ohne weiteres, daß die beiden Projektionen
-jedes Punktes in ein- und derselben, senkrecht zur Schnittlinie
-gezogenen Geraden liegen, daß eine Ebene durch ihre beiden Schnitte
-mit den Projektionsebenen (ihren Spuren) vollständig bestimmt ist, und
-daß diese Spuren die Schnittlinie der beiden Projektionsebenen (die
-Projektionsachse) in ein- und demselben Punkte treffen.
-
-Auf das Werk von *Monge* noch weiter einzugehen, verbietet sich von
-selbst. Es trägt die einzelnen Aufgaben über die Darstellung ebener
-und krummer Flächen, ihrer Schnitte, der wichtigsten Körper und ihrer
-Durchdringungen nach Umfang und Form in der noch heute üblichen Weise
-vor. Eine Weiterentwicklung hat die darstellende Geometrie erst in der
-neuesten Zeit durch ihre innigere Verknüpfung mit der von *Poncelet*
-und *Steiner* begründeten neueren synthetischen Geometrie erfahren.
-
-Die ersten Untersuchungen, durch welche die neuere synthetische
-Geometrie vorbereitet wurde, reichen bis ins 17. Jahrhundert zurück.
-Sie rühren von zwei Zeitgenossen und Landsleuten des *Descartes*, von
-*Desargues* und von *Pascal*, her. *Desargues*[192] zeigte in seiner
-Schrift Ȇber die Tatsachen, zu welchen der Schnitt eines Kegels durch
-eine Ebene Veranlassung gibt,« daß für die Kegelschnitte eine zu den
-allgemeinsten Sätzen führende Betrachtungsweise möglich ist. Denkt man
-sich das Auge in der Spitze des Kegels, so erscheint ein elliptischer
-Schnitt in dieser Perspektive in der Form eines Kreises. *Desargues*
-stellte sich die Aufgabe, aus den Eigenschaften dieses Kreises die
-Eigenschaften der Kegelschnitte durch eine Art perspektivischer
-Beweisführung abzuleiten und gelangte so zuerst zu Sätzen, die für alle
-Arten der Kegelschnitte gelten. Einer dieser für alle Kegelschnitte
-gültigen Sätze wird noch heute als der Satz von *Desargues*
-bezeichnet[193].
-
-Unter seinen Zeitgenossen wurde *Desargues* wohl nur von *Pascal*
-verstanden. *Desargues* Satz vom Sehnenviereck fügte *Pascal* den
-Satz vom *Pascal*schen Sechseck hinzu. Dieser besagt von jedem einem
-Kegelschnitte einbeschriebenen Sechseck, daß die drei Punkte, in
-welchen sich je zwei gegenüberliegende Seiten schneiden, auf einer
-geraden Linie liegen. Auch dieser Satz wurde zunächst für den Kreis
-bewiesen. Aus dem perspektivischen Zusammenhange zwischen dem Kreis und
-den Kegelschnitten wurde dann erst seine Verallgemeinerung abgeleitet.
-
-Der weitere Ausbau der perspektivischen, oder, wie sie auch wohl
-genannt wird, der projektiven Geometrie erfolgte im 19. Jahrhundert.
-Die erste systematische Zusammenfassung rührt wieder von einem
-Franzosen und zwar von *Poncelet* her, einem der genialsten Vertreter
-der angewandten Mathematik.
-
-*Jean Victor Poncelet* wurde 1788 als Sohn armer Eltern in Metz
-geboren. Er starb 1867. Als Zögling der École polytechnique genoß er
-den Unterricht eines Ampère, Fourier, Légendre und anderer Zierden der
-Wissenschaft, mit denen Frankreich um die Wende zum 19. Jahrhundert so
-reich gesegnet war. Als Genieoffizier nahm *Poncelet* an dem Feldzuge
-gegen Rußland teil. Er fiel in die Hände der Russen, und es folgten
-zwei Jahre Kriegsgefangenschaft. Diese unfreiwillige Muße füllte
-*Poncelet* damit aus, daß er die Grundzüge seines Verfahrens zu einem
-der bedeutendsten mathematischen Werke, dem »Traité des propriétés
-projectives des figures« entwickelte[194]. Durch dieses Buch ist
-*Poncelet* der Schöpfer der neueren synthetischen oder projektivischen
-Geometrie geworden. Dem Grundgedanken der neuen Betrachtungsweise sind
-wir schon im 17. Jahrhundert begegnet[195]. Sie unterscheidet sich von
-dem Verfahren der darstellenden Geometrie[196], das *Monge* ausbildete,
-in folgendem. Während *Monge* die Gebilde vermittelst paralleler
-Linien auf zwei zu einander senkrechte Ebenen projiziert, betrachtet
-*Poncelet* ihr perspektivisches Bild. Ein solches entsteht, wenn man
-von dem betrachtenden, als Punkt gedachten Auge aus Strahlen nach den
-Punkten des zu untersuchenden Gebildes zieht und in den Weg dieser
-Strahlen eine Fläche, in der Regel eine Ebene, bringt. Die Punkte, in
-welchen die Strahlen jene Ebene schneiden, bilden das perspektivische
-Bild. Aus diesem ergeben sich die Eigenschaften der zu untersuchenden
-und verwandter Gebilde oft mit überraschender Einfachheit. Zudem ist
-das Verfahren *Poncelets* in solchem Grade rein geometrisch, d. h.
-es verzichtet so gänzlich auf alle besonderen Hilfsmittel, daß es in
-dieser Hinsicht alle anderen Methoden übertrifft. Während wir uns in
-der analytischen Geometrie der Koordinaten und des Kalküls und in der
-darstellenden Geometrie des Auf- und Grundrisses bedienen, operiert
-*Poncelet* lediglich mit den Objekten selbst.
-
-Nach der Veröffentlichung seiner projektivischen Geometrie war
-*Poncelet* als Lehrer der technischen Wissenschaften in seiner
-Vaterstadt und später in Paris tätig. Dieser Umstand und die Angriffe,
-die seine mathematischen Arbeiten aus kleinlichen Beweggründen
-erfuhren, bewogen ihn, sich vorwiegend mit angewandter Mathematik zu
-beschäftigen. Auch auf diesem Gebiete reihen sich seine Leistungen
-den höchsten an. Was *Poncelet* in der Hydromechanik und in der
-Maschinentheorie geschaffen, wird noch heute zu den »Grundsäulen«
-dieser Wissenszweige gerechnet[197]. Erwähnt sei nur, daß *Poncelet*
-die Wasserräder verbesserte (*Poncelet*rad) und das Kilogrammmeter als
-Einheit für die mechanische Arbeit, deren Äquivalenz mit der lebendigen
-Kraft er besonders hervorhob, einführte.
-
-Zehn Jahre nach dem Erscheinen der projektivischen Geometrie
-*Poncelets* fand diese Wissenschaft in Deutschland die hervorragendste
-Förderung durch *Steiners* »Systematische Entwicklung der Abhängigkeit
-geometrischer Gestalten voneinander«[198].
-
-*Jakob Steiner* wurde 1796 als Sohn eines armen Bauern in der Nähe
-von Solothurn geboren[199]. Er empfing den ersten Unterricht in einer
-Dorfschule und besuchte darauf Pestalozzis Erziehungsanstalt. Hier,
-sowie in Heidelberg, wo *Steiner* drei Jahre seinen Lebensunterhalt
-durch Privatstunden erwarb, fand er für seine wissenschaftliche
-Richtung kaum irgend welche Anregung. Er war vielmehr auf seinem
-Gebiete, da es in Deutschland dafür zu jener Zeit kaum einen Vertreter
-gab, vorwiegend Autodidakt. Nachdem *Steiner* Heidelberg verlassen,
-wirkte er als Lehrer an einer Erziehungsanstalt in Berlin. Dort wurde
-er durch einen Zufall mit *Alexander von Humboldt* bekannt. Einer
-der schönsten Züge *Humboldts* bestand darin, daß er junge Talente
-sozusagen entdeckte und sie vermöge der hervorragenden Stellung, in die
-ihn Geburt und Verdienst gewiesen, neidlos förderte. *Steiner* wurde
-durch Vermittlung *Humboldts* an der Berliner Gewerbeschule angestellt,
-an der auch der Chemiker *Wöhler* wirkte. Später erhielt *Steiner*
-auf die Empfehlung *Humboldts* und *Jacobis* hin eine Professur an
-der Berliner Universität. Durch das Zusammenwirken von *Steiner* mit
-*Crelle* und dem in den zwanziger Jahren gleichfalls in Berlin lebenden
-nordischen Mathematiker *Abel* entstand 1826 Deutschlands bedeutendste
-mathematische Zeitschrift, das *Crelle*sche Journal für reine und
-angewandte Mathematik.
-
-Zu den ersten Beiträgen *Steiners* für diese Zeitschrift gehört seine
-unter dem Titel »Einige geometrische Betrachtungen« veröffentlichte
-Abhandlung vom Jahre 1826[200]. In dieser Abhandlung beschäftigt
-sich *Steiner*, angeregt durch das *Malfatti*sche Problem, besonders
-mit Kreisberührungsaufgaben. Auf den Inhalt kann hier nicht näher
-eingegangen werden. Erwähnung verdient jedoch *Steiners* von ihm
-selbst geschilderte Art, wissenschaftlich zu arbeiten. *Steiner* sagt
-nämlich, er pflege über eine Aufgabe oder einen Gegenstand sich nicht
-eher aus den Schriften anderer zu unterrichten, bis er eine Auflösung
-oder einen Weg durch eigenes Nachdenken gefunden habe. Erst dann
-vergleiche er seine Resultate mit den schon vorhandenen[201]. Es ist
-das zwar nicht ein Verfahren für jedermann. Es ist aber dasjenige, das
-am sichersten den Fortschritt der Wissenschaft verbürgt.
-
-In einer zweiten Abhandlung löst *Steiner* die Aufgabe, einzig mit
-Hilfe eines Lineals ohne Anwendung des Zirkels alle geometrischen
-Konstruktionen auszuführen, wenn nur irgend ein fester Hilfskreis
-gegeben ist. Die ältere Geometrie benötigte nämlich für die Mehrzahl
-ihrer Aufgaben des Lineals und des Zirkels. Die betreffende
-Abhandlung[202] *Steiners* bringt die Lehre von den harmonischen
-Strahlen und Punkten, von den harmonischen Eigenschaften des Kreises,
-den Ähnlichkeitspunkten, Potenzen von Kreisen und schließlich die
-Lösung aller geometrischen Aufgaben mittelst des Lineals, wenn ein
-fester Kreis gegeben ist.
-
-Wir gelangen endlich zu dem für die neuere Geometrie grundlegend
-gewordenen Hauptwerk *Steiners*, seiner »Systematischen Entwicklung
-der Abhängigkeit geometrischer Gestalten voneinander«[203]. Das Werk
-läßt sich als der erste Versuch bezeichnen, die Geometrie von einem
-Keime aus nach allen Richtungen organisch zu entwickeln[204], sodaß an
-Stelle des Heeres von auseinander gerissenen Eigentümlichkeiten eine
-umfassende und klare Übersicht gewonnen wurde.
-
-Auf dem bisher üblichen Wege gelangte man wohl zu einer Sammlung
-scharfsinniger Kunststücke, aber nicht zu einem innerlich
-zusammenhängenden Ganzen. Durch die Aneignung der Grundbeziehungen,
-so lauten *Steiners* Ausführungen über das Ziel seines Unternehmens,
-mache man sich zum Herrn des ganzen Gegenstandes. »Es tritt Ordnung
-in dem Chaos ein, und man sieht, wie alle Teile naturgemäß ineinander
-greifen und zu wohlbegrenzten Gruppen sich vereinigen. Der Kern der
-Sache besteht darin, daß die Abhängigkeit der Gestalten voneinander
-und die Art und Weise aufgedeckt wird, wie ihre Eigenschaften von den
-einfacheren Figuren zu den zusammengesetzteren sich fortpflanzen.
-Eigenschaften der Figuren, wie die konjugierten Durchmesser der
-Kegelschnitte und das mystische Sechseck und Sechsseit[205], von deren
-Vorhandensein man sich sonst durch künstliche Beweise überzeugen mußte,
-und die, wenn sie gefunden waren, als etwas Wunderbares dastanden,
-zeigen sich nun als notwendige Folgen der unscheinbarsten Eigenschaften
-der aufgefundenen Grundelemente.«
-
-Wenn wir es uns auch versagen müssen, *Steiners* »Systematische
-Entwicklung« im einzelnen zu erörtern, so wollen wir doch bei seiner
-Behandlung der Kegelschnitte, jenes Gebietes, das die Mathematiker
-seit der Zeit des *Menächmos* und des *Apollonios* bis auf den
-heutigen Tag beschäftigt, noch etwas verweilen. Erst bei der
-Erzeugung der Kegelschnitte durch projektivische Gebilde ergaben sich
-fundamentale Sätze, d. h. Sätze, die so umfassend sind, daß die übrigen
-Eigenschaften der Kegelschnitte klar aus ihnen folgen. *Steiner*
-folgerte z. B. aus seinen Fundamentalsätzen[206], daß durch fünf
-beliebige Tangenten oder durch irgend fünf Punkte in einer Ebene ein
-Kegelschnitt bestimmt ist. Fünf beliebige Gerade in einer Ebene können
-also stets von einem, aber auch nur von einem einzigen Kegelschnitt
-berührt werden. Oder auch: Fünf beliebige Punkte in einer Ebene liegen
-jedesmal in einem, aber auch nur in einem einzigen Kegelschnitte.
-
-In ganz neuer Beleuchtung und der Eigenschaft des Wunderbaren
-entkleidet erschienen nun auch die Sätze vom *Pascal*schen und
-*Brianchon*schen Sechseck. Zahlreiche Mathematiker hatten Beweise für
-diese Sätze beigebracht und die Lehre von den Kegelschnitten in mehr
-oder minder umfassender Weise darauf zu begründen versucht. *Pascals*
-Satz lautet, daß bei jedem einem Kegelschnitt umschriebenen Sechseck
-die Linien, welche die gegenüber liegenden Ecken verbinden, in einem
-Punkte zusammentreffen. Der Satz von *Brianchon* besagt, daß bei jedem
-einem Kegelschnitte eingeschriebenen Sechseck die drei Schnittpunkte
-der gegenüber liegenden Seiten in einer geraden Linie liegen.
-*Steiner* zeigte, daß beide Sätze nicht die eigentliche Grundlage für
-die Untersuchung der Kegelschnitte bilden, sondern daß sie zugleich mit
-vielen anderen Eigenschaften aus einer umfassenderen Quelle, nämlich
-aus der Beziehung projektivischer Gebilde fließen.
-
-Von der Behandlung der Kegelschnitte nach projektivischer Methode
-wendet sich *Steiner* zur Erzeugung projektivischer Raumgebilde[207].
-Die Untersuchung dreht sich besonders um die Eigenschaften der
-Paraboloide und der Hyperboloide.
-
-Konnten *Steiners* Verdienste um die neueste Entwicklung der Geometrie
-hier auch nur angedeutet werden, so geht aus dem Gesagten doch
-hervor, daß durch ihn die Lehre von den Kegelschnitten, die wir ihrer
-Beziehungen zur Naturwissenschaft und zur Technik wegen an manchen
-Stellen dieses Werkes in Betracht gezogen haben, im wesentlichen und
-auf allgemeinster Grundlage zum Abschluß kam. »Was seitdem noch in
-dieser Beziehung geleistet worden ist, beschränkt sich auf die weitere
-Durcharbeitung und die formale Vollendung«[208].
-
-Trotz dieser großen Erfolge der projektivischen Geometrie wurde die
-analytische Behandlung geometrischer Probleme keineswegs gänzlich
-beiseite geschoben. Wie die synthetische, so gewann auch die
-analytische Geometrie in der Neuzeit einen erhöhten Standpunkt.
-Dies geschah besonders durch *Plückers* »System der analytischen
-Geometrie«[209]. *Plückers* Verfahren bedeutet eine Loslösung von den
-zwei oder drei Achsen, auf die bisher die Flächen- oder die Raumgebilde
-bezogen wurden. Anstatt der Koordinaten führte er lineare Funktionen
-ein, welche den Strahlenbüscheln *Steiners* entsprechen. Die neueren
-Methoden der synthetischen und der analytischen Geometrie laufen daher,
-weil man sich auf beiden Gebieten beweglicher Elemente an Stelle der
-bisher üblichen festliegenden Grundgebilde bedient, auf eine Annäherung
-hinaus, die zu einer immer größeren, wechselseitigen Durchdringung und
-Befruchtung geführt hat[210].
-
-Die Erkenntnis, daß gewisse Axiome der gewöhnlichen (Euklidischen)
-Geometrie sich nicht beweisen lassen, führte im Verlaufe des 19.
-Jahrhunderts zu einer neuen, nichteuklidischen Geometrie. Eine der
-ersten, früher nie angezweifelten Grundlagen der elementaren Geometrie
-ist das Parallelenaxiom. Es besagt, daß man durch einen Punkt außerhalb
-einer Geraden in der durch den Punkt und die Gerade festgelegten Ebene
-nur eine einzige Gerade ziehen kann, welche die erste Gerade nicht
-schneidet.
-
-Bezweifelt man das Parallelenaxiom, so wankt auch der Satz, daß die
-Summe der Winkel eines Dreiecks gleich zwei Rechten ist. Kurz, die
-wichtigsten Grundlagen der Geometrie scheinen mit einer gewissen
-Unsicherheit behaftet zu sein, die eben daraus entspringt, daß man
-das Parallelenaxiom nicht beweisen kann. *Gauß* sprach daher, weil
-er die Unzulänglichkeit der zur Sicherstellung des Parallelenaxioms
-unternommenen Beweise erkannte, den Gedanken aus, daß es für die reine
-Mathematik von großem Wert sein müsse, eine Geometrie zu schaffen,
-die sich nicht auf jenes Axiom stützt. Was *Gauß* nur angedeutet,
-führte *Lobatschefskij*[211] aus. Er schuf in seiner Pangeometrie eine
-neue umfassendere Lehre, welche die gewöhnliche Geometrie als einen
-besonderen Fall, der unserer Auffassung vom Raume am vollkommensten
-entspricht, in sich einschließt[212]. Näher auf dieses Gebiet
-einzugehen, liegt nicht im Rahmen dieses Werkes, das die Mathematik
-nur insofern berücksichtigen kann, als sie die Entwicklung der
-Naturwissenschaften beeinflußt hat.
-
-Das Ergebnis seiner Untersuchungen veröffentlichte *Lobatschefskij*
-1856. Sein Urteil über die Bedeutung der nichteuklidischen Geometrie
-geht dahin, daß sie, auch wenn sie in der Natur keine Geltung hat,
-doch in unserer Vorstellung bestehen und ein neues weites Feld für
-mathematische Untersuchungen erschließen kann.
-
-Nachdem wir einen Blick auf die Entwicklung geworfen, welche die
-Geometrie in ihrer jüngsten Phase genommen hat, wollen wir in aller
-Kürze auch einige wichtige Fortschritte des Kalküls erörtern. Seit
-dem frühen Altertum beschäftigten sich die Mathematiker mit der Lehre
-von den Gleichungen. Das Eindringen in ihre Probleme war besonders
-mühselig und setzte alle Kräfte in Bewegung. Wie lange dauerte es,
-bis man das Wesen der negativen Wurzeln und vor allem den Zusammenhang
-der Wurzeln mit den Koeffizienten erkannt hatte. Erst die Mathematiker
-des 18. Jahrhunderts (*Euler*, *Lagrange* 1772, *Gauß* 1799) bewiesen,
-daß jede Gleichung sich in soviel reelle oder imaginäre Faktoren
-auflösen läßt, als ihr Grad anzeigt. Trotzdem vermochten selbst *Euler*
-und *Lagrange* es nicht, Gleichungen aufzulösen, welche den vierten
-Grad überschreiten. Schon *Gauß* äußerte daher die Ansicht, daß die
-allgemeine Gleichung fünften Grades wahrscheinlich nicht lösbar
-sei. Den Beweis für diese Tatsache brachte der große norwegische
-Mathematiker *Abel*, mit dessen Bedeutung für die neueste Entwicklung
-des Kalküls wir uns zunächst zu beschäftigen haben.
-
-*Niels Henrik Abel* wurde 1802 als der Sohn eines norwegischen
-Dorfpfarrers geboren. Er studierte in Christiania Mathematik und wurde
-seiner ungewöhnlichen Begabung wegen von der norwegischen Regierung
-mit einem Stipendium bedacht, um seine Studien in Deutschland und in
-Frankreich fortzusetzen. In Berlin gehörte *Abel* nebst *Steiner* zu
-den ersten Mitarbeitern des neu gegründeten *Crelle*schen Journals für
-die reine und angewandte Mathematik[213]. *Abel* starb mit 26 Jahren an
-einem Lungenleiden. Seine Berufung an die Berliner Universität traf ihn
-nicht mehr lebend an.
-
-Von *Abels* Arbeiten verdient zunächst eine Untersuchung über die
-binomische Reihe Erwähnung[214]. *Abel* untersuchte diese Reihe zuerst
-für komplexe Werte und summierte sie für diese. Seine Arbeit ist für
-das Gebiet der unendlichen Reihen ein Muster exakter Beweisführung
-geworden.
-
-Wichtiger als die erwähnte Arbeit ist *Abels* Nachweis, daß eine
-algebraische Gleichung von höherem als dem vierten Grade sich nicht
-allgemein auflösen läßt[215]. Einige Jahre später zeigte *Abel*, daß
-es trotzdem für jeden Grad eine besondere Klasse von Gleichungen
-gibt, deren algebraische Auflösung möglich ist. Die Auflösung dieser
-Gleichungen, die man später als »*Abel*sche Gleichungen« bezeichnet
-hat, ist dadurch möglich, daß zwischen ihren Wurzeln gewisse
-Beziehungen bestehen[216].
-
-Von dem großen Verdienst endlich, das sich *Abel* um die Mitbegründung
-der Theorie der elliptischen Funktionen erworben hat, wird an anderer
-Stelle die Rede sein. Hier gilt es zunächst, die weitere Entwicklung
-der Lehre von den Gleichungen zu verfolgen. Diese Entwicklung ist
-insbesondere den französischen Mathematikern *Fourier* und *Sturm* zu
-danken.
-
-Mit *Fouriers* Verdiensten um die mathematische Physik werden wir
-uns an anderer Stelle beschäftigen. Hier haben wir es nur mit seiner
-wichtigsten rein mathematischen Schrift zu tun, die 1831 unter dem
-Titel »Die Auflösung der bestimmten Gleichungen« erschien[217].
-*Fourier* lehrte darin die reellen Wurzeln finden, die zwischen
-zwei beliebigen Werten von x liegen, und verbesserte *Newtons*
-Berechnungsmethode wesentlich. An sein Theorem über die Bestimmung
-von Intervallen für die reellen Wurzeln einer Gleichung knüpfte
-*Charles Sturm* an (geboren 1803 in Genf, Professor an der École
-polytechnique. Er starb 1855). Seine Abhandlung über die Auflösung der
-numerischen Gleichungen (1835) zeigte, wie sich vermittelst des nach
-ihm benannten Theorems auf die einfachste Weise die Anzahl der reellen
-Wurzeln erkennen und ihre Begrenzung finden läßt. Sie bedeutet deshalb
-den hervorragendsten Fortschritt in dem Verfahren der numerischen
-Auflösung algebraischer Gleichungen mit reellen Koeffizienten[218].
-
-Als das hervorragendste mathematische Hilfsmittel der Naturwissenschaft
-erwies sich auch im 19. Jahrhundert in stetig wachsendem Maße die
-Differential- und Integralrechnung. Unter den zahlreichen Arbeiten,
-welche diese mathematische Disziplin während des ersten Zeitraums des
-19. Jahrhunderts förderten, verdienen die Abhandlungen von *Pfaff* und
-von *Cauchy* besondere Erwähnung.
-
-*Pfaff*[219] löste zuerst das Integrationsproblem der partiellen
-Differentialgleichungen, um welches *Euler* und *Lagrange* sich
-vergeblich bemüht hatten, in voller Allgemeinheit[220]. *Euler*
-vermochte nicht einmal für den einfachsten Fall, der mit der partiellen
-Differentialgleichung erster Ordnung mit zwei Veränderlichen gegeben
-ist, zu einer allgemeinen Theorie zu gelangen. *Lagrange* war zwar
-bis zur Integration solcher Gleichungen vorgedrungen; er hatte
-sich indessen auf den Fall beschränken müssen, daß die partiellen
-Differentialquotienten, falls mehr als drei Veränderliche in Betracht
-kommen, darin nur linearisch auftreten.
-
-Auch um die Reihenlehre, die Kombinationslehre und die Anwendung der
-letzteren auf die Probleme der höheren Analysis hat sich *Pfaff*
-verdient gemacht. Seine neue Summationsmethode für unendliche Reihen
-(1788) besteht darin, daß er die Glieder der unendlichen Reihe, deren
-Summe gesucht wird, wieder in unendliche Reihen verwandelt und deren
-Glieder so verbindet, daß neue summierbare Reihen entstehen.
-
-Unabhängig von *Pfaff* fand auch der französische Mathematiker *Cauchy*
-eine allgemeine Methode, um die partiellen Differentialgleichungen
-erster Ordnung zu integrieren, »welches auch die Zahl der unabhängigen
-Veränderlichen sein möge«[221]. *Augustin Louis Cauchy* wurde 1789
-in Paris geboren. Er wurde Zögling der »École polytechnique« und
-zeichnete sich schon als Knabe, ähnlich *Pascal* und *Clairaut*,
-durch eine solch hervorragende mathematische Beanlagung aus, daß
-sogar der große *Lagrange* auf ihn aufmerksam wurde. Später wirkte
-*Cauchy* als Lehrer an der »École polytechnique«. Er starb nach
-manchen, durch politische Ereignisse hervorgerufenen Wechselfällen im
-Jahre 1857. Unter den mathematischen Abhandlungen *Cauchys* verdient
-diejenige vom Jahre 1825 besondere Erwähnung, da er darin »den Grad
-der Allgemeinheit« feststellte, den ein bestimmtes Integral zwischen
-imaginären Grenzen zuläßt und die Zahl der Werte, die es annehmen kann,
-ermittelte[222]. In welchem Maße die mathematischen Untersuchungen
-*Cauchys* durch ihn und andere der theoretischen Physik, vor allem der
-Optik, zugute gekommen sind, wird an anderer Stelle gezeigt werden.
-
-Für die Entwicklung der höheren Analysis war ferner die Neugestaltung
-der Theorie der elliptischen Funktionen von der größten Wichtigkeit.
-Sie erfolgte durch *Abel*, dessen Verdienste um die Theorie der Reihen
-und der Gleichungen wir schon kennen lernten, und durch den großen
-deutschen Mathematiker *Jacobi*.
-
-*Karl Gustav Jacobi* wurde 1804 in Potsdam geboren. Er widmete sich
-zunächst unter *Böckh* der klassischen Philologie, entschied sich aber,
-angeregt durch die Werke von *Euler*, *Lagrange*, *Laplace* und *Gauß*
-bald darauf für das Studium der Mathematik. Mit 21 Jahren wurde er
-Dozent für dieses Fach an der Berliner Universität. Dann wirkte er in
-Königsberg, um schließlich nach Berlin zurückzukehren, wo er schon 1851
-starb.
-
-*Jacobis* erste Untersuchungen betrafen die elliptischen Funktionen. Im
-Jahre 1829 erschien sein großes Hauptwerk über diesen Gegenstand[223].
-Das Werk hat ihm die Hälfte des großen Preises eingetragen, den die
-Pariser Akademie für den bedeutendsten Fortschritt auf diesem Gebiete
-ausgesetzt hatte[224].
-
-Die ersten Anfänge der Theorie der elliptischen Funktionen begegnen uns
-bei *Euler*. Dieser suchte einen rechnerischen Ausdruck für den Bogen
-einer Ellipse zu gewinnen und wurde dabei durch folgende Überlegung
-geleitet. Da der Kreis ein besonderer Fall der Ellipse ist, so läßt
-sich der Bogen der letzteren vielleicht durch allgemeinere Funktionen
-ausdrücken, welche die Kreisfunktionen als besonderen Fall in sich
-einschließen. Das Problem wurde von *Legendre* wieder aufgenommen
-und weiter geführt. Er war es, der zuerst den Ausdruck »elliptische
-Funktionen« gebrauchte. Allerdings bezeichnete er, abweichend vom
-heutigen Gebrauch, mit diesem Ausdruck die Integrale, welche die
-Bogen der Ellipse und der Hyperbel ausdrücken. *Legendre* widmete
-diesem Gegenstande die Arbeit von Jahrzehnten und veröffentlichte das
-Ergebnis, als ihm eine weitere Fortbildung nicht möglich schien, in
-seiner zusammenfassenden Arbeit vom Jahre 1827[225]. Kaum war dies
-geschehen, da mußte *Legendre* gestehen, daß seine eigenen Forschungen
-durch *Abel* und *Jacobi* weit überholt worden seien. »Nachdem ich
-mich«, so schrieb *Legendre*, »eine lange Reihe von Jahren mit der
-Theorie der elliptischen Funktionen befaßt, für welche der unsterbliche
-*Euler* das Fundament geschaffen, glaubte ich die Ergebnisse in einem
-umfangreichen Werke herausgeben zu müssen. Kaum ist aber der Titel
-dieses Werkes bekannt geworden, und schon zeigt es sich, daß zwei
-junge Mathematiker, *Jacobi* und *Abel*, die Theorie der elliptischen
-Funktionen durch neue Untersuchungen beträchtlich vervollkommnet haben.«
-
-Unabhängig voneinander waren *Abel* und *Jacobi* auf den Gedanken
-gekommen, in diese Theorie das Imaginäre einzuführen. Dadurch wurden
-alle Rätsel der älteren Theorie gelöst und die elliptischen Funktionen
-gleichzeitig zu den Kreisfunktionen und den Exponentialgrößen in nahe
-Beziehung gesetzt.
-
-*Jacobi* drang aber noch tiefer in das Wesen der elliptischen
-Funktionen ein und erkannte, daß sie als Folgerungen gewisser
-Funktionen aufgefaßt werden können, die man seitdem als
-Theta-Funktionen bezeichnet hat. Während ferner die elliptischen
-Funktionen als die Umkehrungen der elliptischen Integrale nur zwei
-Perioden zulassen, schuf *Jacobi* später die Theorie der mehrfach
-periodischen Funktionen, welche als die Umkehrungsfunktionen der
-algebraischen Integrale auftreten. Die Abhandlung, in welcher die
-Natur dieser neuen Funktionen im hellsten Lichte erscheint, wurde
-neuerdings in deutscher Sprache zugänglich gemacht[226]. Um die
-Darstellung der vierfach periodischen Funktionen haben sich unter den
-deutschen Mathematikern später noch *Göpel* und *Rosenhain* besondere
-Verdienste erworben. Auch ihre Abhandlungen erschienen als Teile der
-*Ostwald*schen Sammlung in deutscher Übersetzung[227].
-
-Von den neu entdeckten Funktionen haben besonders die elliptischen und
-die durch *Legendre* eingeführten Kugelfunktionen der mathematischen
-Physik und der theoretischen Astronomie wertvolle Dienste geleistet.
-Um den weiteren Ausbau der höheren Analysis und ihre Anwendung auf
-das abstrakte Gebiet der Zahlentheorie, nicht minder aber auf die
-wichtigsten Probleme der mathematischen Physik hat sich der deutsche
-Mathematiker *Lejeune-Dirichlet* die größten Verdienste erworben.
-
-*Gustav Peter Lejeune-Dirichlet* wurde 1805 in Düren geboren[228].
-Anknüpfend an die Disquisitiones arithmeticae von *Gauß* verstand er
-es, die Zahlentheorie mit der Infinitesimalrechnung in Beziehung zu
-setzen und beide bis dahin getrennten Zweige der Mathematik vermöge der
-Durchführung dieses Gedankens zu bereichern. Einige Anwendungen dieser
-Methode veröffentlichte er in den Jahren 1839 und 1840. Die betreffende
-Abhandlung[229] bringt eine Frage, mit welcher sich schon *Lagrange*,
-*Legendre* und *Gauß* befaßten, zur Lösung, die Frage nämlich nach dem
-Zusammenhang zwischen der Anzahl der quadratischen Formen und einer
-gegebenen Determinante.
-
-In einer anderen, der *Ostwald*schen Sammlung einverleibten Abhandlung
-unternimmt *Dirichlet* die Darstellung ganz willkürlicher Funktionen
-durch Sinus- und Cosinusreihen[230]. Zu dieser für die Entwicklung der
-mathematischen Physik sehr wertvollen Untersuchung war *Dirichlet*
-dadurch gelangt, daß *Fourier*, mit dem der deutsche Forscher während
-eines längeren Studiums in Paris in enge Fühlung trat, durch seine
-analytischen Beiträge zur Wärmelehre auf trigonometrische Reihen
-geführt worden war.
-
-Nach dem Erfolge, den *Dirichlet* durch seine Untersuchung der
-*Fourier*schen Reihen errungen, stellte er mit Vorliebe sein
-mathematisches Können in den Dienst der theoretischen Physik. Er
-erfand eine besondere Integrationsmethode zur leichteren Bewältigung
-der bestimmten Integrale und wandte diese neue Methode auf
-Attraktionsprobleme an.
-
-Die betreffende Abhandlung erschien 1839 und wurde neuerdings durch
-*Ostwalds* Klassiker zugänglicher gemacht[231]. Nachdem *Riemann*
-gezeigt hatte, wie durch die von ihm vorgeschlagene Transformation die
-schwierigsten Integrationen vereinfacht werden, wählte *Dirichlet* das
-so oft von früheren Mathematikern (*Laplace*, *Gauß* u. a.) behandelte
-Beispiel der Attraktion der Ellipsoide. Während bis dahin das Problem
-des äußeren und des inneren Punktes unabhängig voneinander und mit
-verschiedenen Mitteln behandelt worden waren, zeigte *Dirichlet*, daß
-das Problem eine gleichförmige Behandlung zuläßt. Außerdem ist sein
-Verfahren nicht auf die Voraussetzung beschränkt, daß die Attraktion
-dem Quadrat der Entfernung umgekehrt proportional ist, sondern es
-bleibt auch für jede andere ganze oder gebrochene Potenz der Entfernung
-anwendbar. Endlich braucht auch die Dichtigkeit der anziehenden Masse
-nicht als konstant vorausgesetzt zu werden, sondern sie kann auch durch
-irgend eine rationale ganze Funktion der drei Koordinaten ausgedrückt
-sein. Indem *Dirichlet* ferner die Wirkung der nach dem Gesetze
-*Newtons* wirkenden Kräfte von neuem der höheren Analysis unterwarf,
-förderte er gleichzeitig die Potentialtheorie[232].
-
-Im Anschluß an *Dirichlet* hat sich besonders *Riemann* mit der
-Darstellung von Funktionen durch trigonometrische Reihen und dem Ausbau
-der Potentialtheorie beschäftigt[233]. Die Gestaltung, welche die
-Funktionenlehre durch *Riemann* erlangte, indem er die komplexe, d. h.
-aus einem reellen und einem imaginären Teile bestehende Veränderliche,
-einführte, hat der höheren Analysis in ihrer Anwendung auf die
-Naturwissenschaften während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
-Ziel und Richtung gegeben.
-
-
-
-
-9. Die wissenschaftliche Chemie von ihrer Begründung durch *Boyle* bis
-zu ihrer Erneuerung durch *Lavoisier*.
-
-
-Eine Reihe von Jahrzehnten war seit der Begründung der neueren Physik
-verflossen, ehe die Chemie ihr mittelalterliches Gewand abstreifte und
-unter der Führung von *Boyle* einem rein wissenschaftlichen Ziele,
-nämlich der Erforschung der Zusammensetzung der Körper, nachzustreben
-begann. *Boyle* hatte den Begriff des chemischen Elementes aufgestellt
-und der analytischen Chemie eine sichere Grundlage gegeben. Auch
-hatte er sowohl das experimentelle Studium als auch die Erklärung
-der Verbrennungserscheinungen in Angriff genommen. Während der
-erste Teil dieser Aufgabe durch *Boyle* und seine Nachfolger sehr
-gefördert und ein großes, auf den Vorgang der Verbrennung bezügliches
-Tatsachenmaterial herbeigeschafft wurde, blieb das gesamte von *Boyle*
-bis *Lavoisier* reichende Zeitalter bezüglich aller Erklärungsversuche
-in dem Banne der von *Stahl* begründeten Phlogistontheorie befangen.
-Selbst als *Lavoisier* seine antiphlogistische Lehre bis in ihre
-Einzelheiten ausgeführt hatte, vermochten jene Männer, auf die er sich
-besonders stützte, wie *Priestley* und *Scheele*, der älteren Theorie,
-die sie bei ihren großen Entdeckungen geleitet, nicht zu entsagen.
-Mit *Dalton*, *Berzelius* und *Gay-Lussac* trat indes ein neues
-Geschlecht von Forschern auf den Schauplatz. Indem diese an *Lavoisier*
-anknüpften, begann für die Chemie das Zeitalter der quantitativen
-Untersuchungen. Dadurch wurden die Beziehungen zur Physik immer engere,
-was sich auch darin aussprach, daß die Mehrzahl der damaligen Forscher
-auf beiden Gebieten hervorragende Leistungen aufzuweisen hatten. Die
-Chemie erhielt somit in dieser, den letzten Teil des 18. und den Beginn
-des 19. Jahrhunderts umfassenden Periode im wesentlichen ihre heutige
-Richtung und Gestalt.
-
-Die Einsicht in den Vorgang der Verbrennung wurde erst dadurch
-ermöglicht, daß *Priestley* die Erforschung der Gase in die Hand
-nahm und *Scheele* die Zusammensetzung der atmosphärischen Luft aus
-zwei Bestandteilen nachwies. Bis zur Zeit *van Helmonts* hatte man
-die Gasarten, von denen insbesondere der Wasserstoff, sowie das
-Kohlendioxyd bekannt geworden waren, noch nicht unter sich und von der
-atmosphärischen Luft unterschieden, sondern jeden gasförmigen Körper
-mit der Luft identifiziert und die beobachteten Verschiedenheiten auf
-Beimengungen zurückgeführt. Ein erfolgreiches Studium der Gase begann
-erst mit der von *Hales* herrührenden Erfindung der pneumatischen
-Wanne und der Verwendung des Quecksilbers als Absperrflüssigkeit. Das
-letztgenannte Verfahren ermöglichte *Priestley* die Entdeckung der im
-Wasser löslichen Gasarten, wie des Ammoniaks und des Chlorwasserstoffs.
-Klare Ansichten über die chemische Natur der Gase kamen jedoch erst
-mit *Lavoisier* auf, welcher Sauerstoff und Wasserstoff als Elemente
-ansprach.
-
-*Joseph Priestley*, auf dessen Untersuchungen *Lavoisier* ganz
-besonders die neuere Chemie begründete, wurde im Jahre 1733 in der Nähe
-von Leeds geboren. Er studierte Theologie. Infolge seiner Stellung
-zur englischen Kirche und seines exzentrischen Wesens führte er ein
-unstätes Leben. Er wirkte bald als Prediger, bald als Schul- oder
-Hauslehrer und siedelte endlich nach Nordamerika über, wo er 1804
-starb. Trotzdem *Priestley* eine gründliche naturwissenschaftliche
-Vorbildung fehlte, hat er mit großem Erfolge das schwierige Gebiet
-der pneumatischen Chemie eigentlich erst erschlossen. *Priestley*
-glich nämlich den erwähnten Mangel dadurch aus, daß er ein ganz
-außergewöhnliches Geschick zum Experimentieren besaß. Die Ergebnisse
-seiner mühevollen, auf die Gase bezüglichen Untersuchungen legte er
-in einer Anzahl seit dem Jahre 1772 veröffentlichter Abhandlungen
-nieder, die zum Teil zu einem größeren Werke[234] vereinigt wurden.
-Zunächst befaßt sich *Priestley* in diesen Schriften mit dem von ihm
-als fixe Luft bezeichneten Kohlendioxyd[235]. Er entnimmt dieses Gas,
-das sich bei der Gärung bildet, den Brauereien, oder er stellt es durch
-Übergießen von Kreide mit Säuren her. Die Untersuchungen *Priestleys*
-betreffen auch die Löslichkeit des Kohlendioxyds im Wasser.
-Gleichzeitig gibt er Anweisung über die durch Sättigen des Wassers mit
-Kohlendioxyd zu bewerkstelligende Gewinnung künstlicher Säuerlinge.
-Von der praktischen Verwertbarkeit der Ergebnisse wissenschaftlichen
-Forschens war *Priestley* tief durchdrungen. »Da wir selbst Teile des
-Systems sind,« heißt es in seiner Naturlehre, »so ergibt sich, daß,
-je vollkommener unsere Kenntnisse von den Naturgesetzen sind, wir um
-so mehr Gewalt über die Natur haben, und daß wir um so geschickter
-sind, solche Einrichtungen in der Welt zu treffen, die uns am meisten
-zusagen. Wenn die Wissenschaft wie bisher immer größere Fortschritte
-macht, so wird das menschliche Geschlecht nach einigen Jahrhunderten
-uns ebenso sehr übertreffen, wie wir jetzt die Wilden übertreffen, denn
-die Natur ist unerschöpflich, sie gleicht einer Erzgrube, in der sich
-immer neue Anbrüche zeigen[236].«
-
-Auf das Vorhandensein von »fixer Luft« in der Atmosphäre hatten
-schon *Black*[237], sowie der schwedische Naturforscher *Bergman*
-hingewiesen. Beide machten darauf aufmerksam, daß sich Kalkwasser an
-der Luft mit einer weißen, festen Masse bedeckt, aus der sich durch
-Übergießen mit Säure die »fixe Luft« wieder freimachen läßt[238].
-
-*Priestleys* weitere Bemühungen liefen insbesondere darauf hinaus, die
-Säuren in Luftarten zu verwandeln. So erzeugte er aus Schwefelsäure die
-»vitriolsaure Luft« (SO_{2}) und aus Salpetersäure »die salpetersaure
-Luft« (NO). Er bemerkte, daß letztere sich mit Sauerstoff unter
-Verminderung des Gesamtvolumens verbindet, und gründete hierauf
-ein Verfahren, die atmosphärische Luft zu analysieren. *Priestley*
-wies ferner nach, daß die beim Zusammenbringen von Kochsalz und
-Schwefelsäure auftretenden Dämpfe aus einer in Wasser außerordentlich
-löslichen Luftart bestehen. Es gelang ihm, dieses salzsaure Gas (HCl),
-wie auch die beim Zusammenbringen von Salmiak und Kalk auftretende
-»laugenartige Luft« (NH_{3}) über Quecksilber aufzufangen. Auch das
-Stickoxydul oder Lachgas (N_{2}O) und das Kohlenmonoxyd (CO) wurden von
-*Priestley* dargestellt. Am folgenreichsten war die ihm im Jahre 1771
-gelungene Entdeckung des Sauerstoffs, den *Priestley* durch Erhitzen
-von rotem Quecksilberoxyd bereitete. Den Ruhm dieser Entdeckung hat er
-allerdings, wie wir gleich sehen werden, mit *Scheele* zu teilen[239].
-
-Bevor sich *Priestley* seinen Arbeiten über die Gase zuwandte, befaßte
-er sich insbesondere mit elektrischen Versuchen. Sein Buch über die
-Geschichte und die Lehre von der Elektrizität[240] hatte großen Anklang
-gefunden und ihm die Mitgliedschaft der Royal Society eingetragen.
-Es ist nun von Interesse zu sehen, wie *Priestley* seine auf diesem
-Gebiete erworbenen Kenntnisse bei der experimentellen Erforschung der
-Gase verwertet. So schloß er atmosphärische Luft in eine Glasröhre
-über Wasser ein und ließ den Funken wiederholt hindurchschlagen. Dabei
-zeigte es sich, daß sich das Luftvolumen verminderte. War das in der
-Röhre befindliche Wasser mit Lackmus blau gefärbt, so nahm es eine
-rote Farbe an[241]. Das umgekehrte Verhalten zeigte Ammoniak oder
-»laugenhaftes Gas« (NH_{3}). Unter der fortgesetzten Einwirkung des
-elektrischen Funkens vergrößerte es nämlich sein Volumen. *Priestley*
-nahm auch wahr, daß hierbei eine tiefgreifende chemische Veränderung
-mit dem Ammoniakgas vor sich geht. »Vorher wurde es,« so berichtet er,
-»vom Wasser leicht verschluckt. Mit »elektrischer Materie« überladen,
-scheint es keine Verwandtschaft mehr zum Wasser zu haben. Es ist in
-eine eigene Art »zündbare Luft« verwandelt«[242]. Auch die Analyse
-von Gasen durch Detonation (Verpuffung) rührt von *Priestley* her.
-Brennbare Gase oder Gasgemenge mischte er über Quecksilber mit
-Sauerstoff. Durch den elektrischen Funken wurde dann eine Verpuffung
-herbeigeführt und darauf der Rückstand untersucht. So fand *Priestley*,
-daß diejenige zündbare Luft, die man erhält, wenn man Alkoholdampf
-durch eine glühende Röhre leitet oder Holz der trockenen Destillation
-unterwirft, nach dem Verpuffen mit Sauerstoff einen Rückstand von
-fixer Luft (CO_{2}) hinterläßt[243], während dies beim Detonieren der
-aus Eisen und Schwefelsäure hergestellten »zündbaren Luft« (H) nicht
-der Fall ist. All diese Errungenschaften eines ganz hervorragenden
-experimentellen Geschicks sind für die Entwicklung der Chemie von
-größter Bedeutung gewesen. Doch kleidet *Priestley* seine Ergebnisse
-noch in das Gewand der phlogistischen Theorie. Die Verbrennung besteht
-bei ihm in einem Entweichen von Phlogiston. Letzteres wird nach
-*Priestleys* Meinung von den die Verbrennung unterhaltenden Luftarten
-aufgenommen und zwar um so energischer, je weniger diese Luftarten
-selbst an Phlogiston besitzen. Sauerstoff unterhält die Verbrennung am
-besten, weil er gar kein Phlogiston enthält. *Priestley* nennt dieses
-Gas deshalb »dephlogistisierte Luft.« Wasserstoff ist dagegen reines
-Phlogiston, da es besonders geeignet ist, die erhitzten Metalloxyde
-in Metalle zurückzuverwandeln. Die atmosphärische Luft stellt sich
-nach dieser Theorie als ein Gemenge von »dephlogistisierter« (O) und
-»phlogistischer« Luft (N) dar. Durch die bei der Verbrennung vor sich
-gehende Zufuhr von Phlogiston verwandelt sich die atmosphärische
-Luft ganz in phlogistische. Auf den Widerspruch, der darin liegt,
-daß bei der Verbrennung die atmosphärische Luft ihrem Volumen,
-sowie ihrem Gewichte nach vermindert wird, ist *Priestley* nicht
-eingegangen. Auch die Entdeckung, daß bei der Vereinigung von reinem
-Phlogiston (H) mit reiner dephlogistisierter Luft (O) keine Spur von
-phlogistischer Luft (N), sondern Wasser auftritt, ließ ihn an der
-eingewurzelten Theorie nicht irre werden. Auf den nahe liegenden
-Gedanken, das Gewicht des vermeintlich zugeführten Phlogistons in den
-aus Metallkalk entstandenen Metallen zu ermitteln, einen Gedanken,
-dessen Ausführung auf einen weiteren Widerspruch geführt haben würde,
-ist *Priestley* zwar gekommen. Wie er sagt, ist er jedoch außer stande
-gewesen, die Frage, ob das Metalloxyd bei seiner Umwandlung in Metall
-schwerer oder leichter wird, zu entscheiden, da immer eine teilweise
-Sublimation stattgefunden habe. Er verfolgt die Sache daher trotz ihrer
-ausschlaggebenden Bedeutung nicht weiter, sondern entscheidet sie
-im Sinne der von ihm vertretenen Lehre. An ihm, sowie an *Scheele*,
-der gleichfalls das gesamte zur Aufstellung der wahren chemischen
-Theorie erforderliche Material in den Händen hielt, erwies sich recht
-eigentlich die Wahrheit des Wortes von *Laplace*, daß die Entdeckungen
-in der richtigen Verknüpfung derjenigen Ideen bestehen, die zueinander
-passen.
-
-Während sich *Priestley* wesentlich auf die Erforschung der Gase
-beschränkte, erfuhren zur selben Zeit sämtliche Teile der Chemie eine
-Bereicherung durch *Scheele*, wie sie kaum jemals wieder in solchem
-Maße von einem einzigen Manne ausging. *Scheele* war seiner Abstammung
-und Sprache nach ein Deutscher, wenn ihn auch die Schweden mit gleichem
-Rechte als den Ihrigen betrachten und seine Verdienste vor einer Reihe
-von Jahren durch die feierliche Begehung seines hundertundfünfzigsten
-Geburtstages und die Errichtung eines Standbildes gewürdigt haben. Wie
-aus den von *Nordenskjöld* herausgegebenen[244], an *Gahn*, *Bergman*
-und andere gerichteten Briefen *Scheeles* hervorgeht, hat sich dieser
-in seinen Briefen und in seinen Laboratoriumsnotizen der deutschen
-Sprache bedient. Eine Ausnahme bilden nur die Briefe, welche an
-Personen gerichtet sind, bei denen *Scheele* die Kenntnis des Deutschen
-nicht voraussetzen konnte.
-
-*Karl Wilhelm Scheele* wurde am 9. Dezember 1742 in dem damals
-schwedischen Stralsund geboren. Im 14. Lebensjahre widmete er sich
-der Apothekerlaufbahn. Nachdem er in mehreren schwedischen Städten
-seine Lehr- und Gehilfenjahre zugebracht und während dieser Zeit durch
-unermüdliches Experimentieren zu den hauptsächlichsten Ergebnissen
-seiner Forschertätigkeit gelangt war, übernahm er 1775 eine eigene
-Apotheke[245]. Er starb am 21. Mai des Jahres 1786.
-
-Über seine auf den Sauerstoff und die atmosphärische Luft bezüglichen
-Entdeckungen hat *Scheele* in einer wichtigen Schrift berichtet, die
-*Ostwald* als 58. Bändchen seiner Klassiker herausgegeben hat. Sie
-führt den Titel »Chemische Abhandlung von der Luft und dem Feuer« und
-erschien im Jahre 1777. Die Versuche, welche *Scheele* darin mitteilt,
-wurden jedoch schon in der Zeit von 1768-1773 angestellt. Aus
-*Scheeles* vor kurzem veröffentlichten Briefwechsel[246] geht, hervor,
-daß er schon im Jahre 1770 mit der Darstellung von Chlorwasserstoff,
-Ammoniak und Stickoxyd bekannt war.
-
-*Scheele* beginnt seine Abhandlung mit den Worten: »Die Körper
-geschickt in ihre Bestandteile zu zerlegen, ihre Eigenschaften zu
-entdecken und die Körper auf verschiedene Art zusammenzusetzen, ist der
-Hauptzweck der Chemie.« Die meisten Schwierigkeiten und Widersprüche
-habe indessen die Erklärung der Verbrennung hervorgerufen. Er habe
-daher von allen bisherigen Erklärungen abgesehen und eine Menge von
-Versuchen angestellt, um die Verbrennungserscheinungen so viel wie
-möglich zu ergründen. Dabei habe sich herausgestellt, daß man ohne eine
-genaue Untersuchung der Luft über die Erscheinungen, welche das Feuer
-darbietet, kein wahres Urteil fällen könne.
-
-Nachdem *Scheele* die Eigenschaften, welche die Luft von den anderen
-Gasen unterscheidet, genau gekennzeichnet hatte, stellte er eine Reihe
-von Versuchen an, die alle beweisen sollten, daß die Luft aus zwei
-verschiedenen Gasen zusammengesetzt ist.
-
-Sein Verfahren bestand darin, daß er ein bestimmtes Quantum Luft mit
-einem Stoff behandelte, welcher den einen Teil der Luft absorbierte.
-Dabei zeigte es sich, daß der andere Teil stets in der gleichen Menge
-und mit denselben Eigenschaften zurückblieb. So schloß er eine Lösung
-von Schwefelleber[247] in eine leere Flasche ein, drehte diese um und
-setzte den Hals in ein kleines Gefäß mit Wasser. In dieser Stellung
-beließ er die Flasche 14 Tage. Darauf öffnete er sie umgekehrt unter
-Wasser. Sogleich drang das Wasser in die Flasche ein; und es zeigte
-sich, daß vier Teile von 20 Teilen Luft absorbiert waren. Annähernd
-dieselbe Volumverminderung trat ein, als *Scheele* den Versuch
-unter Anwendung von Phosphor, Eisenfeile oder einer geeigneten
-Eisenverbindung an Stelle der Schwefelleber wiederholte.
-
-Auch bei der Verbrennung von Wasserstoff in einer abgeschlossenen
-Luftmenge (s. Abb. 25) fand eine Raumverminderung um 1/5 statt. Die
-zurückbleibende Luftart unterhielt die Verbrennung nicht.
-
-[Illustration: Abb. 25. *Scheele* analysiert die Luft.]
-
-[Illustration: Abb. 26. *Scheeles* Darstellung von Sauerstoff.]
-
-Zur Herstellung von Sauerstoff wandte *Scheele* folgendes Verfahren
-an. Er mischte konzentrierte Schwefelsäure mit fein zerriebenem
-Braunstein. Diese Mischung wurde in einer kleinen Retorte erhitzt. Zum
-Auffangen des Gases diente eine luftleere Blase. Sobald der Boden der
-Retorte glühte, ging eine Luftart über, welche die Blase nach und nach
-ausdehnte. *Scheele* füllte ein Glas mit dieser Luftart und brachte
-ein kleines angezündetes Licht hinein. »Kaum war dies geschehen, so
-fing das Licht an, mit einer großen Flamme zu brennen, wobei es einen
-so hellen Schein von sich gab, daß es die Augen blendete.« Mischte
-*Scheele* das aus dem Braunstein hergestellte Gas[248] mit derjenigen
-Luft, in welcher das Feuer bei den obigen Versuchen nicht mehr brennen
-wollte, so erhielt er eine Luft, die der gewöhnlichen in allen Stücken
-gleich war. Den Sauerstoff nannte er Feuerluft. Die andere Luftart, die
-zur Unterhaltung der Verbrennung ungeeignet ist, bezeichnete er mit den
-Namen »verdorbene Luft.« Später wurde sie Stickstoff genannt.
-
-Auch beim Erhitzen von Salpeter in einer gläsernen Retorte wurde
-die Blase von einem Gase ausgedehnt, das sich als reine »Feuerluft«
-erwies. *Scheele* wiederholte darauf die Versuche, die er zuerst mit
-Schwefelleber, Phosphor usw. und gewöhnlicher Luft angestellt hatte,
-unter Anwendung von »Feuerluft.« Es zeigte sich, daß jetzt kein
-Rückstand blieb, sondern das gesamte Gas absorbiert wurde. Mischte
-er aber die verdorbene Luft mit Feuerluft, und brachte er ein Stück
-Phosphor in diese Luftmischung, so wurde auch nur der auf die Feuerluft
-entfallende Teil absorbiert.
-
-All diese Versuche bewiesen somit, daß die Feuerluft das Gas ist,
-vermittelst dessen das Feuer in der atmosphärischen Luft unterhalten
-wird. »Sie ist darin«, sagt *Scheele*, »nur mit einer Luftart
-vermischt, die zum Brennbaren gar keine Anziehung zu haben scheint; und
-diese ist es, welche der sonst zu schnellen und heftigen Entzündung
-etwas Hinderung in den Weg legt.«
-
-Den Sauerstoff stellte er nicht nur durch Erhitzen eines Gemenges
-von Braunstein und Schwefelsäure, sowie aus Salpeter her, sondern er
-bereitete ihn auch durch Glühen leicht zersetzbarer Oxyde, wie des
-Goldoxyds und des roten Quecksilberoxyds, dessen sich auch *Priestley*
-bediente[249].
-
-*Scheeles* Arbeit über den Braunstein lehrte außer dem Sauerstoff noch
-Mangan, Chlor und Baryterde (BaO) kennen. Letztere war in den von ihm
-untersuchten Braunsteinsorten als Beimengung enthalten. Eine Lösung
-von Baryterde benutzte er, wie es noch heute geschieht, zum Nachweise
-der Schwefelsäure, während man sich vorher zu diesem Zwecke der viel
-weniger geeigneten Kalklösung bedient hatte.
-
-*Scheele* und *Bergman* gelang ferner die Aufschließung der Silikate,
-indem sie diese im Mineralreich eine so große Bedeutung beanspruchenden
-Verbindungen durch Zusammenschmelzen mit kohlensaurem Alkali in den
-löslichen Zustand überführten. Die Untersuchungen über die Silikate
-lehrten auch den Unterschied zwischen löslicher und unlöslicher
-Kieselsäure kennen. Große Verdienste erwarb sich *Scheele* auch um den
-Nachweis der Magnesium-, der Kupfer- und der Quecksilberverbindungen.
-Diese Fülle von Einzelbeobachtungen wußte *Scheeles* Freund *Bergman*
-jedoch besser systematisch zu verwerten als jener, sodaß *Bergman*
-besonders das Verdienst davontrug, die Grundlagen der qualitativen
-Analyse geschaffen zu haben. Nicht minder eifrig widmete sich *Scheele*
-dem Studium der Gase, von denen manche, deren Auffindung man wohl
-*Priestley* und anderen zugeschrieben hat, schon ihm bekannt waren.
-Es sind vor allem außer dem Sauerstoff, dem Stickstoff und dem
-Kohlendioxyd noch Chlorwasserstoff, Schwefelwasserstoff, Ammoniak und
-Stickoxyd, auf die sich *Scheeles* Untersuchungen erstrecken. Zum
-Auffangen der Gase bediente er sich nicht wie *Hales* und *Priestley*
-einer Wanne, sondern er brachte die Entwicklungsflasche mit tierischen
-Blasen in Verbindung, die er zuvor durch Zusammendrücken luftleer
-gemacht hatte. An solchen Blasen entdeckte *Scheele* die Erscheinung
-der Gasdiffusion. »Sind die Blasen oder auch nur die sie umgebende Luft
-feucht,« sagt *Scheele* bei der Beschreibung seines Apparats[250], »so
-dringen die darin befindlichen Gase in wenigen Tagen gänzlich durch die
-Blasen. Sind letztere und die Luft dagegen trocken, so geschieht dies
-nicht.«
-
-Ferner machte *Scheele* die Entdeckung, daß die beiden Bestandteile
-der Luft, die er als Feuerluft und als verdorbene Luft bezeichnete, in
-sehr verschiedenem Grade in Wasser löslich sind. Das Wasser habe die
-besondere Eigenschaft, die Bestandteile der Luft zu trennen, indem es
-die Feuerluft leichter aufnehme. Letztere sei den im Wasser lebenden
-Tieren unentbehrlich. Der Lebensprozeß dieser Tiere beruhe darauf,
-daß sie die Feuerluft verbrauchten und Luftsäure (CO_{2}) abschieden.
-Das ausgeschiedene Gas würde jedoch in die Atmosphäre abgedünstet und
-das Wasser dadurch befähigt, von neuem Feuerluft aufzulösen und sie
-den Tieren zuzuführen[251]. Zu dieser in den Grundzügen zutreffenden
-Darstellung war *Scheele* durch eine Reihe von Versuchen gelangt.
-Leider beziehen sich diese Versuche, wie es *Scheeles* Art war,
-vorwiegend auf den qualitativen Verlauf des Vorganges. *Scheele* würde
-sonst wahrscheinlich bezüglich der Bedeutung der »Feuerluft« zu den
-gleichen Ergebnissen wie *Lavoisier* gelangt sein.
-
-Nicht minder bedeutend als das bisher Erwähnte waren *Scheeles*
-Verdienste um die vor ihm kaum als Wissenszweig bestehende organische
-Chemie. Aus den sauren Pflanzensäften erhielt er durch Zusatz von Kalk-
-oder Bleilösung Niederschläge, die er als die Salze gewisser Säuren
-erkannte. Durch Zersetzen dieser Niederschläge mittelst Schwefelsäure
-gelang ihm die Herstellung der wichtigsten organischen Verbindungen,
-wie der Wein-, der Zitronen-, der Äpfel- und der Oxalsäure. Letztere
-stellte er nicht nur aus dem Sauerklee, sondern auch durch die
-Einwirkung von Salpetersäure auf Zucker her. Die Untersuchung von
-Harnsteinen führte ihn zur Auffindung der Harnsäure. Die Milchsäure war
-zwar schon vor ihm bekannt; auf *Scheele* ist indessen die genauere
-Kenntnis dieser Verbindung zurückzuführen.
-
-Die Zersetzung von Blutlaugensalz durch Schwefelsäure führte ihn
-im Jahre 1782 zur Entdeckung der Blausäure. Er widmete ihr eine
-mustergültige Untersuchung, die ihm einen ziemlich klaren Einblick
-in die Zusammensetzung dieser Verbindung erschloß. Auch auf das
-seit alters bekannte Verhalten der Fette gegen die Alkalien warfen
-seine Arbeiten das erste Licht. Es gelang ihm, aus Olivenöl durch
-die Einwirkung von Bleioxyd das von ihm »Ölsüß« genannte Glyzerin
-abzuscheiden.
-
-Alles dies sind Ergebnisse, die, wie wir sehen werden, für die
-Arbeiten späterer Forscher grundlegend gewesen sind. Der Umstand,
-daß die Untersuchungen unter dem Einfluß der Phlogistontheorie
-geführt wurden, ist durchaus nicht imstande, den Wert dieser
-Untersuchungen zu beeinträchtigen, zumal *Scheele* wie kein anderer
-der antiphlogistischen Lehre den Boden bereiten half. Gipfelt doch
-dasjenige, was er von der Luft und dem Feuer geschrieben, in der klaren
-Erkenntnis, daß die Luft aus zwei verschiedenen Gasen zusammengesetzt
-ist, von denen nur der Sauerstoff, den er als »Feuerluft« bezeichnet,
-die Verbrennung und alle der Verbrennung analogen Vorgänge unterhält.
-*Scheele* lehrte ferner, wie wir sahen, die Mittel kennen, um der
-Luft diesen wirksamen Bestandteil zu entziehen; er fand, daß das
-zurückbleibende Gas etwa vier Fünftel der gesamten Luft ausmacht.
-Letztere stellte er durch Mischen der beiden Bestandteile mit allen
-ihren Eigenschaften wieder her.
-
-Daß dem Meister der chemischen Experimentierkunst auch manche Ausbeute
-auf dem Gebiete der Physik zuteil wurde, läßt sich denken. *Scheeles*
-mehr gelegentliche Beobachtungen über die Löslichkeit und die Diffusion
-der Gase fanden schon Erwähnung. Zu systematischen Untersuchungen über
-die Wärme und das Licht führten ihn seine Bemühungen, den chemischen
-Vorgang der Verbrennung aufzuhellen. So gehört *Scheele* zu den ersten
-Naturforschern, die zu einer klaren Unterscheidung der Körperwärme
-und der strahlenden Wärme gelangten[252]. Nach *Scheele* ist die im
-Ofen aufsteigende und dem Ofen mitgeteilte Wärme von der in den Raum
-gestrahlten wohl zu unterscheiden. Letztere entferne sich in geraden
-Linien von ihrem Erzeugungspunkte und werde von poliertem Metall so
-zurückgeworfen, daß der Eintrittswinkel dem Austrittswinkel gleich sei.
-Diese strahlende Wärme werde von der Luft nicht absorbiert und durch
-Luftströmungen nicht abgelenkt, sie stimme also in mancher Hinsicht mit
-dem Lichte überein. Daß die strahlende Wärme sich leicht in Körperwärme
-verwandeln lasse, indem sie sich mit gewissen Körpern vereinige,
-erkenne man an einem mit Ruß überzogenen, metallenen Hohlspiegel.
-
-*Scheele* war auch einer der ersten, welcher der chemischen Wirkung des
-Lichtes seine Aufmerksamkeit zuwandte. Die älteste Beobachtung über
-die Lichtempfindlichkeit der Silber enthaltenden Niederschläge machte
-1727 der Professor der Medizin *J. H. Schulze*[253] in Halle. *Scheele*
-experimentierte mit reinem Chlorsilber und wies nach, daß dieses im
-Sonnenlichte zu Silber reduziert wird. Die Beobachtung, daß die das
-weiße Licht zusammensetzenden Strahlen auf Silbersalze verschieden
-wirken, rührt gleichfalls von *Scheele* her. Seinen hierauf bezüglichen
-wichtigen Versuch, in dem man die Anfänge der Spektralphotographie
-erblicken kann, beschreibt er mit folgenden Worten: »Man setze ein
-gläsernes Prisma vor das Fenster und lasse das gebrochene Licht auf die
-Erde fallen. In dieses farbige Licht bringe man ein Stück Papier, das
-mit Chlorsilber überzogen ist. Diese Verbindung wird in der violetten
-Farbe weit eher als in den anderen schwarz werden.«
-
-Die Reduktion bestand nach der Auffassung der Phlogistiker
-bekanntlich[254] in einer Zuführung von Phlogiston. Um die reduzierende
-Wirkung des Lichtes zu erklären, schrieb *Scheele* auch diesem einen
-Gehalt an Phlogiston zu. Das Phlogiston ist für ihn ein Element, das
-unter Herbeiführung wichtiger Veränderungen von einem Körper in den
-anderen übergeht. Auch mit der »Feuerluft« geht das Phlogiston nach
-*Scheeles* Auffassung eine Verbindung ein. Aus dieser Vereinigung
-läßt *Scheele* das Licht und die Wärme hervorgehen. Beide Kräfte faßt
-er noch als etwas durchaus Stoffliches auf. Das Phlogiston wurde
-dadurch noch unbegreiflicher, daß man seine Darstellung für unmöglich
-erklärte. Es sollte sich nämlich von keinem Körper scheiden, wenn nicht
-ein anderer Körper zugegen sei, der es sofort aufnehme.
-
-Gegen den Ausgang des phlogistischen Zeitalters wurde der Versuch
-wieder aufgenommen, das Wesen der chemischen Vorgänge aus einer
-Kraft zu erklären, die man seit alters als Affinität oder chemische
-Verwandtschaft bezeichnet hat. Dies geschah vor allem seit etwa 1775
-durch den schwedischen Chemiker und Mineralogen *Bergman*, dessen
-Ansichten bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts die herrschenden blieben.
-*Bergman* nahm an, daß je zwei beliebige Stoffe eine Anziehung
-zueinander äußern müßten, die ihrer Größe nach bestimmbar sei. Zu
-ein und demselben Stoffe besitzen danach verschiedene Stoffe eine
-größere oder geringere Anziehung. »Wenn man«, sagt *Bergman*, »auf
-eine Verbindung AB einen dritten Stoff C wirken läßt, welcher B aus
-der Verbindung ausscheidet und an Stelle von B mit A in Verbindung
-tritt, so erhält man statt AB eine neue Verbindung AC.« Um
-daher die Verwandtschaft zweier Stoffe B und C gegen einen dritten
-A zu bestimmen, sei es nur nötig, zu untersuchen, ob einer dieser
-Stoffe den anderen aus seiner Verbindung mit dem dritten ausscheide.
-*Bergmans* ganze Vorstellungsart beruht auf der Annahme, daß die
-Affinität eine unveränderliche Kraft sei, derart, daß ein Stoff, der
-aus einer Verbindung durch einen anderen ausgeschieden wird, nicht
-wieder umgekehrt durch den verdrängten Stoff ausgeschieden werden
-könne. Durch eine große Zahl genauer, auch abgesehen von theoretischen
-Erwägungen wertvoller Versuche gelangte *Bergman* zur Aufstellung von
-nicht weniger als 59 Verwandtschaftstafeln. Eine dieser Tafeln möge als
-Beispiel hier Platz finden.
-
-
-Kali
-
- in der Lösung: beim Zusammenschmelzen:
-
- Schwefelsäure Phosphorsäure
- Salpetersäure Borsäure
- Salzsäure Arsensäure
- Phosphorsäure Schwefelsäure
- Arsensäure Salpetersäure
- Essigsäure Salzsäure
- Borsäure Essigsäure.
- Schweflige Säure
- Kohlensäure
-
-Das Kali besitzt danach bei gewöhnlicher Temperatur die größte
-Anziehung zur Schwefelsäure. Letztere ist infolgedessen imstande,
-alle übrigen Säuren aus ihrer Verbindung mit Kali abzuscheiden.
-Mit der Gegenüberstellung der beiden Reihen wollte *Bergman* keine
-Abhängigkeit der Affinität von der Temperatur zum Ausdruck bringen. Die
-Verwandtschaftsgrade sind zwar, wie die zweite Reihe erkennen läßt,
-andere, wenn man die Körper nicht durch Lösungsmittel, sondern durch
-Wärmezufuhr flüssig macht, sie ändern sich aber nach *Bergman* nicht
-allmählich, sondern sind innerhalb jeder Gruppe, d. h. unter gleichen
-Bedingungen konstant, vor allem, so nahm *Bergman* an, sind sie von der
-Menge der chemisch aufeinander wirkenden Stoffe unabhängig.
-
-*Bergman* führte auch den Begriff der doppelten Wahlverwandtschaft[255]
-ein. Doch waren Erscheinungen, die unter diesen Begriff fallen,
-schon weit früher bekannt und richtig gedeutet worden[256]. Seine
-Bemühungen, die Größe der Verwandtschaft ihrem absoluten Werte nach zu
-bestimmen, d. h. sie ziffernmäßig auszudrücken, wurden von ihm selbst
-als fruchtlos aufgegeben. Die doppelte Verwandtschaft, die Erscheinung
-nämlich, daß zwei Verbindungen sich gegenseitig nach dem Schema AB + CD
-= AC + BD zersetzen, untersuchte *Bergman* für zahlreiche Einzelfälle.
-Nach seiner Lehre wird sie dadurch bedingt, daß die Summe der zwischen
-A und C oder B und D wirkenden Anziehungen größer ist als die Summe
-der zwischen A und B, beziehungsweise C und D wirkenden chemischen
-Kräfte. Letztere betrachtete er ihrem Wesen nach als identisch mit der
-allgemeinen Anziehung oder der Schwerkraft. Sie sollte nur durch die
-Gestalt und die Größe der Moleküle beeinflußt sein und infolgedessen
-als chemische Anziehung von wechselnder, indessen für die einzelnen
-Elemente gleichbleibender Stärke in die Erscheinung treten.
-
-Nach dem Sturz der Phlogistontheorie wurde auch *Bergmans*
-Verwandtschaftslehre einer Revision unterzogen. Dies geschah durch
-*Berthollet*, mit dessen Ansichten über die Affinität und deren
-Ursachen wir uns in einem späteren Abschnitt beschäftigen werden.
-
-*Bergman* verdient nicht nur als Theoretiker, sondern auch als
-Entdecker neuer wichtiger Tatsachen und Methoden Beachtung. Zunächst
-einiges über seinen Lebensgang. *Tobern Bergman* wurde 1735 in einem
-kleinen Orte Westgothlands geboren. Er studierte in Upsala unter
-*Linnés* Einfluß sämtliche Zweige der Naturwissenschaften. Im Jahre
-1767 erhielt er dort die Professur für Chemie, ohne bis dahin Arbeiten
-über dies Gebiet veröffentlicht zu haben. Von diesem Zeitpunkte an
-bis zu seinem durch Überanstrengung allzu früh herbeigeführten Tode
-(1784) hat *Bergman* die Chemie durch eine große Reihe wichtiger
-Untersuchungen gefördert. Sein Ruf drang auch ins Ausland. *Friedrich
-der Große* bemühte sich, *Bergman* für die Berliner Akademie zu
-gewinnen. Letzterer lehnte jedoch ab.
-
-Den Anfängen der Analyse auf nassem Wege, bei der man den zu
-untersuchenden Stoff zunächst in Lösung bringt, sind wir im 17.
-Jahrhundert bei *Boyle* begegnet. Dem 18. Jahrhundert, und zwar
-vornehmlich *Bergman*, blieb es vorbehalten, dies Verfahren zu
-einem wissenschaftlichen Hilfsmittel ersten Ranges auszubilden. Er
-gestaltete die Analyse auf nassem Wege im wesentlichen in der Weise,
-wie man sie noch heute handhabt. Insbesondere wandte er sie auf die
-Untersuchung von Mineralien an[257]. Vermochte er eine Substanz nicht
-in Wasser zu lösen, so setzte er sie in fein gepulvertem Zustande
-der Wirkung von Salz-, Salpeter- oder Schwefelsäure aus. Für die
-wenigen Fälle, in welchen diese Mittel versagten, erfand *Bergman* die
-Methode des Aufschließens. Sie besteht darin, daß man die Substanz
-vor dem Hinzusetzen von Säuren mit kohlensaurem Alkali (Pottasche)
-zusammenschmilzt. Erst durch diesen wichtigen Fortschritt in der Kunst
-der Analyse wurde es möglich, in die Zusammensetzung der Silikate
-einzudringen.
-
-Eine andere wichtige Neuerung ist der Grundsatz, daß die Analyse nicht
-die Bestandteile der zu untersuchenden Substanz völlig zu isolieren
-hat, sondern daß es genügt, die Bestandteile in leicht kenntliche,
-ihrer Zusammensetzung nach bekannte Verbindungen überzuführen. So
-bestimmte *Bergman* Kohlensäure durch Kalkwasser, Schwefelsäure
-durch Chlorbarium, manche Metalle nach der Fällung mit Alkali oder
-kohlensaurem Alkali in der Form von Hydroxyden oder Karbonaten, die
-Metallkalke als kohlensaure Salze usw. Endlich hat *Bergman* das
-Verdienst, unter Anwendung des Lösungsverfahrens die quantitative
-Analyse begründet zu haben. Unabhängig von *Lavoisier*, dem oft allein
-die Begründung der quantitativen chemischen Untersuchung zugeschrieben
-wird, hat *Bergman* von der Wage schon eine ausgedehnte Anwendung
-gemacht. Daß jene ersten, von *Bergman* ausgeführten quantitativen
-Analysen zum Teil recht ungenau waren, darf nicht Wunder nehmen. So
-fand er erhebliche Mengen von Wasser in Mineralien, die chemisch
-gebundenes Wasser garnicht enthalten, z. B. im Kalkspat (11%) und
-im Witherit (28%). Offenbar rührte dies daher, daß *Bergman* die zu
-untersuchende Substanz noch nicht genügend von der ihr in wechselndem
-Verhältnis beigemengten Feuchtigkeit befreite.
-
-Einige seiner Analysen weisen indes schon einen ziemlichen Grad von
-Genauigkeit auf. So fand er für Kristallsoda und Gips folgende Werte:
-
- Soda Gips
- Basis 20 (statt 21,8) Basis 32 (statt 32,9)
- Säure 16 ( " 15,4) Säure 46 ( " 46,3)
- Wasser 64 ( " 62,8) Wasser 22 ( " 20,8)
- ---------------- -----------------
- 100 (100) 100 (100)
-
-Die Ergebnisse der meisten von *Bergman* angestellten Mineralanalysen
-weichen jedoch von den richtigen Werten so sehr ab, daß sie wertlos
-sind und man in ihnen nur *Bergmans* Bemühen achten muß, als erster
-sich mit so schwierigen Aufgaben, wie sie die quantitative Analyse der
-Mineralien darbietet, befaßt zu haben.
-
-Wir haben *Bergmans* Verdienste um die Chemie im allgemeinen kennen
-gelernt. Einige seiner Einzeluntersuchungen dürfen aber auch nicht
-unerwähnt bleiben, weil man ihnen die ersten wichtigen Aufschlüsse
-verdankt. Sie betreffen den Salzgehalt der Mineralwässer und des
-Meeres, sowie die chemische Zusammensetzung der drei Eisensorten,
-Schmiedeeisen, Gußeisen und Stahl.
-
-Zur Untersuchung der Mineralwässer[258] benutzte *Bergman* eine große
-Zahl von Reagentien. Er zeigte, daß Blutlaugensalz daraus Eisen als
-blauen, Kupfer als braunen und Mangan als weißen Niederschlag fällt,
-daß Kalk durch Oxalsäure, Chlor durch Silberlösung, Schwefelsäure
-durch Chlorbarium ausgefällt werden. Er suchte die Bestandteile
-der Mineralwässer in unlösliche Verbindungen überzuführen, trennte
-verschiedene Salze durch Zusatz von Weingeist usw.
-
-*Bergman* untersuchte ferner zuerst den Salzgehalt des Seewassers
-unter dem Gesichtspunkte, daß er es verschiedenen Tiefen entnahm und
-den Gehalt verglich. Neben Kochsalz fand er auch Chlormagnesium und
-Calciumsulfat als Bestandteile des Meerwassers.
-
-Grundlegend für das Verständnis der Eisenarten war seine vergleichende
-Untersuchung von Schmiedeeisen, Stahl und Gußeisen. Er behandelte
-je eine Probe dieser drei Eisensorten mit Säure und fand, daß
-Schmiedeeisen am meisten, Stahl weniger und Gußeisen am wenigsten
-Wasserstoff freimacht. Daraus schloß er, daß Schmiedeeisen das reinste
-und Gußeisen das am wenigsten reine Eisen ist, während Stahl eine
-mittlere Stelle einnimmt. In Übereinstimmung hiermit hinterblieb
-denn auch beim Lösen von Schmiedeeisen der geringste, beim Lösen von
-Gußeisen der größte Rückstand. Letzteren erkannte er als Graphit. Er
-faßte dementsprechend die Eisenarten ganz richtig als Vereinigungen
-von Eisen mit mehr oder weniger Kohlenstoff auf. *Bergman* wies
-ferner nach, daß die sogenannte »Kaltbrüchigkeit« des Eisens von
-einem Phosphorgehalt herrührt[259]. Es ist bemerkenswert, daß die
-Entphosphorung des Eisens durch Zusatz von Kalk, ein Verfahren, auf dem
-der heute in so großartigem Maßstabe eingeführte Thomasprozeß beruht,
-schon um jene Zeit in Schweden in Vorschlag gebracht wurde[260].
-
-
-
-
-10. Der Eintritt der Chemie in das Zeitalter der quantitativen
-Untersuchungsweise.
-
-
-Eins der größten Ereignisse in der Entwicklung der Chemie war
-die den Beginn einer neuen Epoche bedeutende Aufklärung des
-Verbrennungsprozesses durch *Lavoisier*. Zwar hatte *John Mayow* schon
-im 17. Jahrhundert die Verbrennung der Metalle ganz richtig als einen
-unter Gewichtszunahme erfolgenden Hinzutritt eines Bestandteiles der
-Luft zu dem Metall betrachtet. *Mayows* Versuchen und Ausführungen
-fehlte jedoch noch die durchschlagende Beweiskraft, wie sie nur auf
-quantitativer Grundlage erwachsen konnte. Auch fanden seine Arbeiten
-nicht die verdiente Beachtung, ja sie waren in dem Zeitraum, der
-uns jetzt beschäftigt, fast in Vergessenheit geraten, obgleich die
-Erklärung des Verbrennungsprozesses gerade der Angelpunkt blieb, um den
-sich seitdem die chemische Forschung gedreht hatte.
-
-Daß *Scheele* nicht zum Verständnis der von ihm so musterhaft
-durchforschten Erscheinungen hindurchdrang, lag daran, daß auch er
-nicht in genügendem Maße die quantitativen Beziehungen, die zwischen
-ihnen obwalten, berücksichtigte. Sobald dies geschah, mußte bei der
-Stufe, auf welche die Chemie durch ihn und *Priestley* gelangt war,
-der Schleier, der die Wahrheit verhüllte, mit einem Male fallen. Es
-bedurfte hierzu keiner neuen Entdeckung, sondern nur der folgerichtigen
-Anwendung des Messens und des Wägens auf den bekannt gewordenen Verlauf
-der Erscheinungen. Diesen wichtigen Schritt getan zu haben, ist das
-unbestreitbare, große Verdienst des Franzosen *Lavoisier*.
-
-Die Verschiedenheit in dem Verfahren *Lavoisiers* und *Scheeles* tritt
-am deutlichsten hervor, wo wir beide Forscher mit der Untersuchung
-desselben Gegenstandes beschäftigt finden. Während des 17. Jahrhunderts
-hatte sich besonders auf Grund eines durch *van Helmont* bekannt
-gegebenen Versuches[261] die Meinung gebildet, daß sich Wasser in
-feste, erdige Stoffe verwandeln lasse. Im 18. Jahrhundert waren Zweifel
-hiergegen laut geworden. Sowohl *Scheele*, wie auch *Lavoisier* ließen
-es sich angelegen sein, die Entscheidung auf dem Wege des Experiments
-herbeizuführen. »Ich goß«, sagt ersterer[262], »ein halbes Lot
-destilliertes Schneewasser in einen gläsernen Kolben, der mit einem
-dünnen, eine Elle langen Halse versehen war, und verschloß ihn mit
-einem genau passenden Kork. Darauf hing ich diesen Kolben über einer
-brennenden Lampe auf und unterhielt das Wasser zwölf Tage und Nächte
-in beständigem Kochen. Als es zwei Tage gekocht, hatte es ein etwas
-weißliches Aussehen erhalten. Nach sechs Tagen war es wie Milch, und
-am zwölften Tage schien es schon dick zu sein.« Der Kolben zeigte
-sich auf seiner inneren Fläche, soweit das kochende Wasser gestanden
-hatte, korrodiert. Und die das Wasser trübende, zum Teil darin gelöste
-Substanz enthielt, wie die qualitative Untersuchung ergab, die
-Bestandteile, welche das Glas zusammensetzen, nämlich Alkali, Kalk und
-Kieselsäure. »Konnte ich«, fährt *Scheele* fort, »wohl länger zweifeln,
-daß das Wasser durch das beständige Kochen das Glas zersetzen kann?
-Die Erde, die ich erhielt, war von nichts weniger als aus dem Wasser
-entstanden.«
-
-Ganz anders verfährt *Lavoisier*[263] und gelangt dennoch zu dem
-gleichen Ergebnis. Ihm würde die qualitative Analyse der im Wasser
-befindlichen Stoffe große Schwierigkeiten bereitet haben. *Lavoisier*
-bedarf einer solchen aber auch garnicht, sondern er entscheidet die
-Frage auf rein quantitativem Wege. Er bringt Wasser in ein Glasgefäß,
-wägt und verschließt es und erhält den Inhalt etwa 100 Tage auf
-Siedewärme. Darauf zeigt es sich, daß das entleerte Gefäß gerade so
-viel an Gewicht verloren hat, wie die von dem Wasser gelösten und nach
-dem Verdampfen zurückbleibenden Stoffe wiegen.
-
-Wie in diesem Falle, so verfuhr *Lavoisier* bei allen Untersuchungen.
-Die qualitative Seite der von ihm studierten Vorgänge war meist durch
-die Arbeiten der Phlogistiker genügend bekannt geworden. Durch die
-Genauigkeit seiner Messungen und Wägungen, sowie durch die logische
-Schärfe der daran sich anschließenden Folgerungen verstand es
-*Lavoisier*, das verknüpfende Band zu finden und ein chemisches System,
-sowie eine Nomenklatur zu schaffen, welche die Einreihung und die
-Beschreibung aller bekannten und der später entdeckten Erscheinungen
-leicht ermöglichten.
-
-*Antoine Laurent Lavoisier* wurde am 26. August des Jahres
-1743 zu Paris geboren. Sein Vater, welcher durch den Handel zu
-bedeutendem Vermögen gelangt war, besaß ein großes Interesse für die
-Naturwissenschaften und ließ seinen Sohn durch ausgezeichnete Gelehrte
-darin unterrichten. Insbesondere fesselte den jungen *Lavoisier*, der
-auch eine vorzügliche mathematische Ausbildung erhielt, die Chemie in
-ihrer Anwendung auf das praktische Leben. Kaum 20 Jahre alt, löste er
-eine von der französischen Regierung gestellte technische Aufgabe.
-Großmütig überließ er den ihm zugefallenen Preis seinen Mitbewerbern,
-um diesen die ihnen erwachsenen Unkosten zu ersetzen, und begnügte sich
-mit der gleichfalls an den Preis geknüpften Denkmünze. Mit 25 Jahren
-(1768) wurde *Lavoisier* Mitglied der Akademie der Wissenschaften.
-Bald darauf erhielt er die Stelle eines Generalpächters. Die hohen
-Einkünfte, die damit verbunden waren, verwandte er auf seine,
-bedeutende Mittel erfordernden Experimentalarbeiten. Später übertrug
-man ihm die Verwaltung der Salpeter- und der Pulverfabriken, eine
-Stellung für die *Lavoisier* seiner chemischen Kenntnisse und seines
-Scharfblickes in allen praktischen Dingen wegen hervorragend geeignet
-war.
-
-Der wichtigste Vorläufer *Lavoisiers* war *Mayow*. Wir haben uns mit
-seinen Versuchen und Anschauungen schon an früherer Stelle eingehend
-beschäftigt (Bd. II, S. 190). Eine Untersuchung der Gewichtszunahme,
-welche die Metalle beim Verkalken erfahren, rührt von dem französischen
-Arzt *Jean Rey* († 1645) her. Die Abhandlung *Reys* erschien im Jahre
-1630[264]. *Rey* wurde zu seiner Untersuchung durch eine Mitteilung
-eines Apothekers angeregt. Letzterer hatte das Zinn, das er in einem
-eisernen Kessel schmelzen und verkalken wollte, vorher gewogen. Nachdem
-sich alles Zinn in den weißen Kalk verwandelt hatte, wog er die Masse
-wieder und fand zu seinem Erstaunen, daß sie erheblich mehr wog als
-das in den Kessel geschüttete Zinn. Er wandte sich deshalb an *Rey*
-mit der Bitte um eine Erklärung dieser merkwürdigen Tatsache. *Rey*
-erkannte wohl, daß die Luft bei der Verkalkung eine Rolle spielt.
-Er schrieb der Luft Schwere zu, bevor *Torricelli* und *Guericke*
-ihre grundlegenden Versuche über den Druck und das Gewicht der Luft
-angestellt hatten. Trotzdem kam *Rey* noch nicht auf den Gedanken, daß
-die Verkalkung in der Vereinigung der Luft mit dem Metall besteht. Er
-ist vielmehr der Ansicht, »die Luft vermische sich mit dem Kalk und
-hänge nun fest an dessen kleinsten Teilchen«[265].
-
-*Lavoisier* hatte bei *Boyle* gelesen, daß Blei und Zinn, wenn man
-sie in mit Luft gefüllten, verschlossenen Gefäßen erhitzt, unter
-Zunahme ihres Gewichtes in die entsprechenden Metallkalke übergehen.
-Da sich diese Erscheinung mit der herrschenden Theorie garnicht
-vereinigen ließ, faßte *Lavoisier* den Entschluß, die Verkalkung durch
-Versuche und deren vorurteilsfreie Deutung auf ihre wahre Ursache
-zurückzuführen. Er brachte eine abgewogene Menge Zinn in eine Retorte,
-verschloß sie vollkommen und erhitzte, bis das Zinn verkalkt war.
-Wurde die Retorte nach dem Erkalten von neuem gewogen, so zeigte es
-sich, daß ihr Gewicht dasselbe geblieben. Die Annahme *Boyles*, die
-Verkalkung bestehe darin, daß ein hypothetischer Stoff die Wände
-der Retorte durchdringe und mit dem Metall eine Verbindung eingehe,
-erwies sich somit als unhaltbar. Nach dieser Feststellung wurde die
-Retorte geöffnet; es drang Luft in sie hinein, und die Retorte besaß
-infolgedessen jetzt ein größeres Gewicht. Die entstandene Zinnasche
-wurde nun gewogen und es zeigte sich, daß der Zuwachs an Gewicht,
-den die Retorte durch das Eindringen der Luft erfuhr, genau so
-groß war, wie diejenige Zunahme, die vorher das Zinn innerhalb der
-Retorte erfahren hatte. Diese Versuche ließen für die Verkalkung der
-Metalle keine andere Deutung zu, als daß sich diese Stoffe unter
-entsprechender Vermehrung ihres Gewichtes mit der Luft verbinden. Im
-Jahre 1772 berichtete *Lavoisier* der Akademie über diese Ergebnisse.
-Die gewonnene Erkenntnis mußte jedoch unzulänglich bleiben, solange
-*Lavoisier* die Zusammensetzung der Atmosphäre nicht bekannt war. Erst
-als *Priestley* 1774 bei einem Besuche in Paris *Lavoisier* mit dem
-Sauerstoff und dessen Darstellung aus rotem Quecksilberoxyd vertraut
-gemacht hatte, war dem französischen Forscher der Schlüssel zum vollen
-Verständnis seiner Versuche gegeben.
-
-Bald darauf erschien denn auch die Arbeit *Lavoisiers*, die das Wesen
-der Verbrennung und der Reduktion in das klarste Licht stellte.
-Die Verbrennung, welcher die Verkalkung der Metalle analog ist,
-besteht danach in der Vereinigung des brennbaren Körpers mit dem
-einen, die Verbrennung unterhaltenden Bestandteil der Luft, der
-»dephlogistisierten« oder »Feuerluft« der früheren Chemiker, die
-*Lavoisier* zunächst als »reine Luft« und später, nachdem er ihre
-Bedeutung für die Bildung der Säuren erkannt hatte, als Sauerstoff
-bezeichnete.
-
-»Die Chemie gibt«, sagt *Lavoisier* bei der Schilderung seiner
-Versuche, »im allgemeinen zwei Mittel an die Hand, die Zusammensetzung
-einer Substanz zu bestimmen, die Synthese und die Analyse. Man darf
-sich nicht eher zufrieden geben, bis man diese beiden Arten der Prüfung
-hat vereinigen können. Diesen Vorteil bietet die Untersuchung der
-atmosphärischen Luft; sie läßt sich zerlegen und wieder zusammensetzen.«
-
-[Illustration: Abb. 27. Kolben zur Analyse der atmosphärischen Luft.
-
-(*Lavoisier*, Oeuvres. Tome I, Pl. II, Fig. 14.)]
-
-[Illustration: Abb. 28. Die Analyse der atmosphärischen Luft durch
-Erhitzen von Quecksilber in einer abgeschlossenen Luftmenge.
-
-(*Lavoisier*, Oeuvres, Tome I, Pl. IV, Fig. 2.)]
-
-*Lavoisier* nahm einen langhalsigen Kolben (Abb. 27) von etwa 36
-Kubikzoll Inhalt. Er bog ihn in der Weise, daß er in einen Ofen MMNN
-gelegt werden konnte, während das Ende E unter der Glocke FG in eine
-Quecksilberwanne RR mündete (Abb. 28). In diesen Kolben brachte er 4
-Unzen sehr reines Quecksilber. Darauf führte er einen Heber unter die
-Glocke FG und sog, bis sich das Quecksilber bis LL gehoben hatte.
-Er bezeichnete dieses Niveau sorgfältig und beobachtete genau den
-Barometerstand und die Temperatur.
-
-Nachdem diese Vorbereitungen getroffen waren, zündete *Lavoisier* in
-dem Ofen ein Feuer an und erhitzte das Quecksilber ununterbrochen zwölf
-Tage lang bis zu seinem Siedepunkte.
-
-Während des ersten Tages ereignete sich nichts Bemerkenswertes. Am
-zweiten Tage sah er, wie auf der Oberfläche des Quecksilbers kleine
-rote Flecken auftraten. Sie nahmen bis zum fünften Tage an Zahl und
-Größe zu. Darauf hörten sie auf zu wachsen und verblieben in demselben
-Zustande. Sobald die Verkalkung des Quecksilbers keinen Fortschritt
-mehr machte, ließ *Lavoisier* das Feuer ausgehen und die Gefäße
-erkalten. Das Volumen der gesamten Luft, die sich in dem Kolben und
-unter der Glocke befand, betrug, auf einen Druck von 28 Zoll und 10°
-Temperatur reduziert, vor dem Versuche fünfzig Kubikzoll. Nach der
-Beendigung des Versuches waren unter den gleichen Temperatur- und
-Druckverhältnissen nur noch 42-43 Kubikzoll vorhanden. Es hatte demnach
-eine Verminderung des Volumens um etwa 1/6 stattgefunden. *Lavoisier*
-sammelte darauf die rote Masse, die sich gebildet hatte, sorgfältig und
-befreite sie, so viel wie möglich, vom Quecksilber. Ihr Gewicht betrug
-45 Gran[266].
-
-Die Luft, welche nach diesem Versuch zurückblieb und durch die
-Verkalkung des Quecksilbers auf 5/6 ihres ursprünglichen Volumens
-vermindert war, erwies sich weder zur Atmung, noch zur Verbrennung
-mehr geeignet. Tiere, die man hineinbrachte, starben nach wenigen
-Augenblicken, und ein Licht erlosch darin sofort.
-
-Darauf brachte *Lavoisier* die 45 Gran der entstandenen roten
-Substanz in ein kleines Glasgefäß. Letzteres setzte er mit einem zum
-Auffangen etwaiger flüssiger und gasförmiger Produkte geeigneten
-Apparat in Verbindung. Als er das Gefäß erhitzte, begann der rote
-Körper an Umfang zu verlieren und in wenigen Minuten war er ganz
-verschwunden. Gleichzeitig hatten sich in dem kleinen Rezipienten
-41½ Gran flüssiges Quecksilber verdichtet, und unter der Glocke
-waren 7-8 Kubikzoll eines Gases aufgetreten, das viel besser als die
-atmosphärische Luft die Verbrennung und Atmung zu unterhalten imstande
-war.
-
-»Diesem Gas«, sagt *Lavoisier*, »das *Priestley*, *Scheele* und ich
-fast gleichzeitig entdeckten, will ich den Namen Sauerstoff geben,
-weil es eine seiner wichtigsten Eigenschaften ist, Säuren zu bilden,
-indem es sich mit den meisten Substanzen vereinigt. Beim Nachdenken
-über die Umstände dieses Versuches erkennt man, daß das Quecksilber,
-indem es sich verkalkt, den respirablen Teil der Luft aufnimmt, und daß
-der Teil der Luft, der übrig bleibt, unfähig ist, die Verbrennung und
-die Atmung zu unterhalten. Die atmosphärische Luft ist also aus zwei
-Gasen von verschiedener, man möchte fast sagen entgegengesetzter, Natur
-zusammengesetzt.«
-
-Die Probe auf diese wichtige Entdeckung machte *Lavoisier* in folgender
-Weise: Er vereinigte die beiden Gase wieder in dem aufgefundenen
-Verhältnis (42 : 8) und erhielt auf diese Weise ein Gas, das in jeder
-Hinsicht mit der atmosphärischen Luft übereinstimmt und in demselben
-Maße wie diese geeignet ist, die Verbrennung, die Atmung und die
-Verkalkung der Metalle zu unterhalten.
-
-Erhitzte *Lavoisier* die rote Quecksilberasche nicht für sich, sondern
-unter Zusatz von Kohle, so bildete sich an Stelle von Sauerstoff
-»fixe Luft«. Letztere, so folgerte *Lavoisier*, kann also nur in der
-Vereinigung von Kohlenstoff und Sauerstoff bestehen. Dieser Schluß
-findet eine weitere Bestätigung, indem *Lavoisier* beim Verbrennen
-von Holzkohle in Sauerstoff gleichfalls »fixe Luft« (CO_{2}) erhält.
-Dasselbe Gas trat auf, als er anstatt Holzkohle Diamant nahm, der
-vermittelst großer Brennspiegel in einem mit Sauerstoff gefüllten
-Glasgefäß entzündet wurde. Erst durch diese Abänderung des etwa 100
-Jahre früher in Florenz gemachten Versuches war das Wesen jenes
-merkwürdigen Minerals erkannt; der Diamant war danach nichts als
-kristallisierter Kohlenstoff. Eine andere merkwürdige Erscheinung, die
-man mit dem Florentiner Versuch gar nicht in Einklang bringen konnte,
-die Erscheinung nämlich, daß der Diamant, in Kohlenpulver verpackt,
-der größten Hitze ausgesetzt werden kann, ohne sich zu verändern,
-fand jetzt gleichfalls ihre Erklärung. Der Diamant ist eben eine
-unschmelzbare Substanz, welche durch die Hitze nicht etwa als solche
-verflüchtigt wird, sondern sich nur bei Gegenwart von Sauerstoff in
-eine gasförmige Verbindung, in »fixe Luft« oder Kohlendioxyd verwandelt.
-
-In einer die Verkalkung betreffenden, an *Boyle* anknüpfenden
-quantitativen Arbeit vom Jahre 1772 hatte *Lavoisier* seine
-Untersuchung auch auf Phosphor und Schwefel ausgedehnt und für diese
-Körper eine analoge, mit ihrer Verbrennung Hand in Hand gehende
-Vermehrung des Gewichtes festgestellt. Was lag näher, als diese
-Vermehrung gleichfalls auf eine Vereinigung mit dem Sauerstoff
-zurückzuführen? *Lavoisier* brachte deshalb in eine durch Quecksilber
-abgesperrte Luftmenge Phosphor, den er zum Teil verbrannte. Nach
-Beendigung dieser Verbrennung ließ sich der übrige Phosphor schmelzen
-und ins Sieden bringen, ohne daß wieder eine Entzündung eingetreten
-wäre. Letztere erfolgte erst, wenn von neuem Luft unter die Glocke
-gelangt war.
-
-[Illustration: Abb. 29. Die Verbrennung von Phosphor unter einer
-Glasglocke.
-
-(*Lavoisier*, Oeuvres. Tome I. Pl. IV, Fig. 3).]
-
-Die Verbrennung des Phosphors in reinem Sauerstoff bewerkstelligte
-*Lavoisier* folgendermaßen: Er füllte eine Glasglocke von etwa 6 Litern
-Inhalt mit Sauerstoff und brachte 61½ Gran Phosphor hinein. Das
-Quecksilber stand in der Glocke auf der Höhe EF. Darauf entzündete
-*Lavoisier* den Phosphor mit einem gebogenen, erhitzten Eisen. Die
-Verbrennung vollzog sich sehr rasch unter bedeutender Entwicklung von
-Wärme und Licht. Im ersten Augenblicke fand infolge der Erwärmung
-eine beträchtliche Ausdehnung des Sauerstoffes statt; bald aber stieg
-das Quecksilber über sein früheres Niveau hinaus, und es trat eine
-beträchtliche Abnahme ein. Gleichzeitig bedeckte sich das ganze Innere
-der Glocke mit weißen Flocken.
-
-Die Menge des Sauerstoffs betrug unter Berücksichtigung aller
-Korrekturen zu Beginn des Versuches 162 Kubikzoll; am Ende desselben
-waren nur noch 23¼ Kubikzoll vorhanden; die absorbierte Menge
-betrug also 138¾ Kubikzoll oder 69,375 Gran. Der Phosphor war nicht
-gänzlich verbrannt, es verblieben in dem Schälchen einige Stücke,
-die gewaschen wurden, um sie von den entstandenen weißen Flocken zu
-trennen. Sie ergaben getrocknet ein Gewicht von etwa 16¼ Gran.
-
-Die Menge des verbrannten Phosphors ergab sich demnach gleich 45
-Gran. Bei diesem Versuch hatten sich also 45 Gran Phosphor mit
-69,375 Gran Sauerstoff verbunden. Da nichts Wägbares durch das Glas
-entweichen konnte, so mußte das Gewicht der Substanz, welche bei dieser
-Verbrennung entstanden war und sich in weißen Flocken abgesetzt hatte,
-gleich der Summe der Gewichte des Sauerstoffs und des Phosphors sein,
-also gleich 114,375 Gran.
-
-Diese Beispiele zeigen uns, wie *Lavoisier* bestrebt war, jeden Vorgang
-qualitativ und quantitativ zu verfolgen. Die erhaltenen Ergebnisse
-weichen allerdings oft von den heutigen Werten nicht unbeträchtlich
-ab. Über die qualitative Seite des zuletzt geschilderten Vorgangs
-berichtet *Lavoisier* folgendes: »Der Phosphor verwandelt sich infolge
-seiner Verbrennung, mag sie in gewöhnlicher Luft oder in Sauerstoff
-stattfinden, wie erwähnt, in eine weiße, flockige Substanz und erhält
-ganz neue Eigenschaften. Er wird nicht nur löslich in Wasser, während
-er vorher darin unlöslich war, sondern er zieht auch die in der Luft
-enthaltene Feuchtigkeit erstaunlich schnell an und wird zu einer
-Flüssigkeit von viel größerem spezifischem Gewicht als Wasser. Vor
-seiner Verbrennung ist der Phosphor fast geschmacklos; durch seine
-Vereinigung mit Sauerstoff nimmt er einen stark sauren Geschmack an. Er
-geht endlich aus der Klasse der brennbaren Substanzen in diejenige der
-unverbrennlichen über und wird das, was man eine Säure nennt.«
-
-Da sich bei der Vereinigung von Phosphor und Schwefel mit Sauerstoff
-die Anhydride von Phosphorsäure und schwefliger Säure bilden,
-von denen das letztere durch weitere Oxydation und Zutritt von
-Wasser in Schwefelsäure übergeht, so wurde das bisher als reine
-Luft bezeichnete Gas von *Lavoisier* als säurebildendes Prinzip
-angesprochen. Diese Ansicht, welche später, als man in der Salz- und
-in der Blausäure sauerstofffreie Verbindungen kennen lernte, eine
-wesentliche Einschränkung erfuhr, fand durch *Lavoisiers* Untersuchung
-der Salpetersäure[267] eine wesentliche Stütze. *Lavoisier* löste
-eine abgewogene Menge Quecksilber in Salpetersäure (HNO_{3}) auf;
-dabei entwickelte sich das von *Priestley* als Salpeterluft (NO_{2})
-bezeichnete Gas. Wurde die nach dem Eindampfen erhaltene Verbindung
-(Hg[NO_{3}]_{2}) erhitzt, so fand eine weitere Entwicklung von
-Salpeterluft statt, und es blieb rotes Quecksilberoxyd zurück[268],
-das beim Glühen in Sauerstoff und ein der angewandten Menge gleiches
-Quantum Quecksilber zerfiel. Da das Quecksilber völlig wieder
-erhalten wurde, konnten der Sauerstoff und die Salpeterluft nur
-der Salpetersäure entstammen. Durch die Vereinigung dieser beiden
-Gase mit Wasser gelang es *Lavoisier*, auch die Salpetersäure
-wiederherzustellen und so durch die Synthese seinen Schlüssen doppeltes
-Gewicht zu verleihen.
-
-Völlig aufgeklärt wurde die chemische Natur der Salpetersäure durch
-das Hinzutreten einer wichtigen, von dem Phlogistiker *Cavendish*
-herrührenden Entdeckung. Ausgehend von *Priestleys* Beobachtung, daß
-die Luft durch fortgesetzte Einwirkung des elektrischen Funkens eine
-chemische Veränderung erleidet, zeigte *Cavendish*, daß sich hierbei
-die Gemengteile der Luft zu Salpetersäure verbinden[269]. Durch diesen
-synthetischen Versuch und die von *Lavoisier* herrührende Analyse
-war die hinsichtlich der Salpetersäure gestellte Aufgabe gelöst. Daß
-der durch Sättigen von Salpetersäure mit Alkali erhaltene Salpeter
-gleichfalls Sauerstoff enthält, wies *Lavoisier* dadurch nach, daß sich
-beim Erhitzen von Salpeter mit Kohle fixe Luft (CO_{2}) entwickelt.
-
-Wie die Verbrennung, so wurde durch die neue Theorie auch die Atmung
-in das rechte Licht gestellt. Sie besteht nach *Lavoisier* in der
-Verbindung von Sauerstoff mit den Bestandteilen der organischen
-Substanz. Wie bei der Verbrennung, so wird auch hierbei Wärme frei.
-In dem wesentlichsten Erzeugnis der Atmung, dem Kohlendioxyd, stammt
-der Kohlenstoff aus dem Organismus, der Sauerstoff dagegen aus der
-Atmosphäre. Die Analogie zwischen beiden Vorgängen wird von *Lavoisier*
-ferner daraus erschlossen, daß er Kohlendioxyd und Wasser auch bei
-der Verbrennung organischer Substanzen, wie Alkohol, Öl und Wachs,
-erhielt. Indem *Lavoisier* aus der Menge des entstandenen Kohlendioxyds
-und Wassers den Kohlenstoff- und Wasserstoffgehalt der verbrannten
-Substanzen ermittelte, wurde er zum Begründer der Elementaranalyse.
-
-Den Vorgang der Gärung faßte *Lavoisier* ganz richtig auf als den
-Zerfall einer ternären, d. h. einer aus drei Elementen (C, H und O)
-bestehenden organischen Verbindung, des Zuckers nämlich, in den eine
-relativ geringere Menge Sauerstoff enthaltenden Alkohol und das binäre,
-an Sauerstoff reiche Kohlendioxyd. Ließe sich eine Vereinigung des
-Alkohols mit dem Kohlendioxyd bewirken, so müßte sich, wie *Lavoisier*
-ganz richtig ausführt, wieder Zucker ergeben.
-
-Sein weiteres Bemühen war darauf gerichtet, für die von ihm
-untersuchten Substanzen das Gewichtsverhältnis ihrer Bestandteile
-festzustellen. So bestimmte er die quantitative Zusammensetzung des
-Kohlendioxyds, indem er eine abgewogene Menge Kohle vermittelst Mennige
-oxydierte. Aus dem Gewichtsverlust, den die Mennige dabei erlitt,
-berechnete er für Kohlendioxyd 72,1% Sauerstoff, ein Ergebnis, das dem
-wahren Wert (72,7%) ziemlich nahe kommt.
-
-Zu Beginn der 80er Jahre des 18. Jahrhunderts gelangte *Lavoisier*
-durch seine eigenen und die von *Cavendish* geführten Untersuchungen
-auch über die Natur des Wassers vollkommen ins reine. *Cavendish*
-hatte 1781 den Nachweis geliefert, daß sich bei der Vereinigung von
-Wasserstoff und Sauerstoff ausschließlich Wasser bildet, wobei sich
-100 Raumteile Sauerstoff mit 201,5 Raumteilen Wasserstoff verbinden
-sollten. Erst viel später erkannte man, daß in Wahrheit das einfache
-Verhältnis 100 : 200 obwaltet. Auf die Synthese ließ *Lavoisier* die
-Analyse des Wassers folgen, indem er Dampf durch eine Röhre leitete, in
-der sich glühendes Eisen befand. Bei diesem Versuche wurde das Eisen
-unter Freiwerden von Wasserstoff oxydiert. Die Zersetzung von 100
-Gewichtsteilen Wasser ergab eine durch den Sauerstoff des letzteren
-bewirkte Zunahme des Eisens um 85 Teile, während 15 Teile Wasserstoff
-aufgefangen wurden, ein Resultat, das von der Wahrheit erheblich
-abwich, da spätere Versuche für die Elemente des Wassers das Verhältnis
-89 : 11 ergeben haben.
-
-In der Mitte der 80er Jahre stand die antiphlogistische Theorie,
-deren Entwicklung wir in vorstehendem kennen gelernt haben, in
-ihren Grundzügen vollendet da. Einige Jahre später erfuhr sie durch
-*Lavoisier* eine lichtvolle Darstellung in seinem Lehrbuch der Chemie,
-dem die im vorstehenden mitgeteilten Proben seiner Experimentierkunst
-entnommen sind.
-
-Alles Bemühen, die Phlogistontheorie zu retten, war vergeblich; sie
-wurde mit *Scheele* und *Priestley* zu Grabe getragen. Indes sollte
-*Lavoisier* die allgemeine Anerkennung der neuen Lehre nicht mehr
-erleben[270]. Das Jahr, in welchem sein soeben erwähntes Lehrbuch
-erschien, war auch das Geburtsjahr der französischen Revolution. Die
-konstituierende Nationalversammlung hatte noch *Lavoisiers* Dienste
-in Anspruch genommen. Während der Schreckenszeit erinnerte man sich
-aber der einflußreichen Stellung, die er unter dem Königtum bekleidet
-hatte, und verurteilte ihn auf die nichtige Anklage hin, daß die von
-ihm verwaltete Regie den Tabak verschlechtert habe, zum Tode. Als ein
-Freund den Mut besaß, den Richtern gegenüber *Lavoisiers* Verdienste
-um die Wissenschaft hervorzuheben, erhielt er die den tollen Geist
-des Aufruhrs kennzeichnende Antwort: »Nous n'avons plus besoin des
-savants.« So starb denn *Lavoisier* gefaßt und ruhig am 8. Mai des
-Jahres 1794.
-
-Der Einfluß, welchen die von ihm geschaffenen Lehren und Methoden
-ausgeübt haben, ist ein gewaltiger gewesen. Die Chemie trat jetzt
-der Astronomie und der Physik, die gleichfalls ihr Emporblühen der
-Befolgung des quantitativen Verfahrens verdankten, als ebenbürtig an
-die Seite. Mit dem Auftreten *Lavoisiers* gelangte ferner ein Grundsatz
-zu allgemeiner Anerkennung, der für das quantitative Verfahren eine
-unerläßliche Vorbedingung bildet. Es ist dies der Satz, daß bei
-chemischen Vorgängen nichts entsteht und nichts vergeht, sondern daß
-die Summe der in den Prozeß eintretenden Stoffe eine unveränderliche
-Größe ist. Gegen diesen Satz, der fast selbstverständlich zu sein
-scheint und dennoch das Ergebnis der Erfahrung ist, wurde sogar noch
-von hervorragenden Chemikern des 18. Jahrhunderts gefehlt[271].
-
-Mit gleicher Schärfe erfaßte *Lavoisier* den von *Boyle* herrührenden
-Begriff des chemischen Elementes. Er versteht darunter jede Substanz,
-die nicht in einfachere zerlegt werden kann. Als Elemente in diesem
-Sinne gelten ihm die damals allein bekannten schweren Metalle und
-die als Metalloide bezeichneten Grundstoffe, nämlich Sauerstoff,
-Wasserstoff, Stickstoff, Kohlenstoff, Schwefel und Phosphor. Die
-Alkalien und die Erden hätten der gegebenen Erklärung gemäß zwar auch
-als Elemente betrachtet werden müssen, doch spricht *Lavoisier* schon
-die Vermutung aus, daß diese in mancher Hinsicht den Metallkalken
-ähnlichen Stoffe Verbindungen bisher unbekannter Metalle mit Sauerstoff
-seien, eine Vermutung, welche durch die späteren elektrochemischen
-Forschungen eine glänzende Bestätigung erhalten sollte.
-
-*Lavoisier* stand mit seinen Ansichten lange allein. Zuerst neigten
-sich seiner Lehre bedeutende Physiker und Mathematiker zu, unter
-denen vor allem *Laplace* zu nennen ist. Es fehlte diesen Männern
-jedoch auf dem Gebiete der Chemie die erforderliche Autorität,
-um den neuen, umwälzenden Anschauungen zum Siege zu verhelfen.
-Der erste hervorragende Vertreter dieser Wissenschaft, der sich
-zur antiphlogistischen Theorie bekannte, war *Berthollet*. Seine
-Untersuchungen über die chemische Verwandtschaft sind für die spätere
-Entwicklung der physikalischen Chemie von großer Wichtigkeit gewesen.
-
-*Berthollets* Leben ist mehr als dasjenige irgend eines anderen
-Forschers mit den großen politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen
-verknüpft gewesen, die Frankreich im Revolutionszeitalter erfuhr. Eine
-Schilderung dieser Gelehrtenlaufbahn läßt erkennen, in welchem Grade
-der gewaltige Aufschwung und die Entfaltung aller Volkskräfte des
-damaligen Frankreichs mit dem Emporblühen der Experimentalwissenschaft
-und der Technik Hand in Hand gingen.
-
-*Claude Louis Berthollet* wurde 1748 in Savoyen geboren. Er widmete
-sich zunächst dem Studium der Medizin und wurde 1772 in Paris Leibarzt
-des Herzogs von Orleans. In dieser Stellung fand er Muße, sich
-eingehend mit chemischen Untersuchungen zu beschäftigen. Letztere
-betrafen wie diejenigen *Lavoisiers* die Rolle der atmosphärischen
-Luft und trugen *Berthollet* im Jahre 1780 die Mitgliedschaft der
-Akademie der Wissenschaften ein. Bald darauf übertrug ihm die Regierung
-die technische Aufsicht über ihre Färbereien. Die Folge davon war,
-daß diese Betriebe mit vielen Verbesserungen versehen wurden, die
-*Berthollet* in einem Werke zusammenfassend dargestellt hat. Zu diesen
-Verbesserungen gehörte, um eine der bekanntesten zu erwähnen, die
-Anwendung des Chlors als Bleichmittel.
-
-Eine ganz hervorragende Tätigkeit auf dem Gebiete der technischen
-Chemie entfaltete *Berthollet*, als sein Vaterland infolge des
-Ausbruchs der Revolutionskriege vom Auslande abgeschnitten und ganz auf
-seine eigenen Hilfsquellen angewiesen war. Insbesondere waren es die
-Stahlbereitung und die Salpeterfabrikation, die unter *Berthollets*
-Führung einen großen Aufschwung nahmen. Die Revolutionsstürme würden
-*Berthollet* wie *Lavoisier* vernichtet haben, wenn ihn die damaligen
-Machthaber nicht für unentbehrlich gehalten hätten. *Berthollet* wurde
-im Jahre 1792 zum Leiter des Münzwesens und bald darauf zum Mitglied
-einer Kommission ernannt, der es oblag, die Wohlfahrt des Landes durch
-die Pflege der Gewerbe und der Landwirtschaft zu heben. Gleichzeitig
-wurde *Berthollet* zum Lehrer der Chemie an die École normale berufen.
-
-Nach der Eroberung Italiens sandte das Direktorium *Berthollet*
-dorthin, um unter den wissenschaftlichen Werken jenes Landes diejenigen
-auszusuchen, die nach Paris gesandt werden sollten. Bei dieser
-Gelegenheit wurde *Berthollet* mit Napoleon bekannt, der gleich
-Friedrich dem Großen den exakten Wissenschaften im wohlverstandenen
-eigenen Interesse stets eine rege Anteilnahme und Förderung angedeihen
-ließ. *Berthollet* hat Napoleon Vorträge über Chemie gehalten und ihn
-auf seinem Zuge nach Ägypten begleitet. Trotz aller Gunstbezeugungen,
-mit denen Napoleon nach seiner Krönung den großen Forscher überhäufte,
-erniedrigte sich dieser niemals zum schmeichlerischen Höfling, sondern
-bewahrte sich die biedere und furchtlose Ehrenhaftigkeit, die ihn auch
-während der wildesten Erregung der Revolutionszeit nicht verlassen
-hatte. Nach dem Sturze des Kaisers zog sich *Berthollet* auf einen
-Landsitz in dem nahe bei Paris gelegenen Arcueil zurück. Dieser kleine
-Ort hat dadurch in der Geschichte der Wissenschaften einen Namen
-erhalten, daß sich dort um *Berthollet* die hervorragendsten Gelehrten
-des Landes zu einer wissenschaftlichen Gesellschaft, der Société
-d'Arcueil, vereinigten. In den Abhandlungen dieser Gesellschaft[272]
-ist manche hervorragende Experimentaluntersuchung jener Zeit
-veröffentlicht worden. *Berthollet* starb im Jahre 1822.
-
-Daß *Berthollet* der erste Chemiker war, welcher der antiphlogistischen
-Lehre beipflichtete, wurde schon hervorgehoben. Seine eigenen Arbeiten
-hatten ihn im Beginn der achtziger Jahre des 18. Jahrhunderts zu
-der Erkenntnis geführt, daß Phosphor, Arsen und Schwefel sich unter
-Gewichtszunahme mit Sauerstoff zu Säuren verbinden. *Berthollet*
-war es auch, welcher die chemische Natur des Ammoniaks, des
-Schwefelwasserstoffs und der Blausäure durch grundlegende Versuche
-erschloß. Nachdem *Priestley* nachgewiesen, daß das Ammoniakgas
-unter der Einwirkung elektrischer Entladungen sein Volum vergrößert,
-bestimmte *Berthollet* jene Volumvergrößerung (es findet bekanntlich
-eine Verdopplung des Volumens statt). Er wies nach, daß sich dabei
-das Ammoniak in Wasserstoff und Stickstoff spaltet. Dieses Ergebnis
-hat später *Gay-Lussac* verwertet, als er die Volumverhältnisse
-untersuchte, nach denen die Gase sich zu chemischen Verbindungen
-vereinigen[273]. Auch für *Gay-Lussacs* Untersuchung über die
-Cyanverbindungen hat *Berthollet* die Grundlage geschaffen, indem er
-feststellte, daß die Blausäure (HCN) nur aus Kohlenstoff, Stickstoff
-und Wasserstoff zusammengesetzt ist. Daß Schwefelwasserstoff (H_{2}S)
-nur aus Schwefel und Wasserstoff besteht und nicht, wie man vorher
-angenommen, auch Sauerstoff enthält, wurde gleichfalls von *Berthollet*
-entdeckt. Seine Arbeiten über das Chlor, die wir an anderer Stelle als
-die Vorarbeiten zu *Davys* Theorie der Wasserstoffsäuren zu betrachten
-haben, führten ihn zur Entdeckung des Kaliumchlorats (KClO_{3}) und der
-diesem Salz zugrunde liegenden Säure.
-
-Nicht minder wie die Experimentalchemie und die chemische Technik wurde
-die theoretische Chemie durch *Berthollet* gefördert. Hier waren es vor
-allem seine umfangreichen Untersuchungen über das Wesen der chemischen
-Verwandtschaft, die seinen Ruhm begründeten.
-
-Die früheren Bemühungen, zu einiger Klarheit über die Affinität oder
-chemische Verwandtschaft zu gelangen, führten zu keinem Ergebnis,
-weil man die bei den chemischen Vorgängen obwaltenden physikalischen
-Bedingungen nicht berücksichtigte. Gegen diese Einseitigkeit bedeuten
-*Berthollets* »Untersuchungen über die Gesetze der Verwandtschaft«[274]
-trotz der Mängel und Unrichtigkeiten, welche dieser Arbeit anhaften,
-einen erfolgreichen Protest. »Sollen wir«, beginnt *Berthollet*, »zu
-einer wohlbegründeten Theorie der Verwandtschaft und dadurch zu einer
-Erklärung der chemischen Erscheinungen gelangen, so werden wir alle
-Umstände, welche auf diese Erscheinungen Einfluß haben, in Erwägung
-ziehen müssen.«
-
-Bis sich *Berthollet* mit diesem Gegenstande beschäftigte, galten
-die seit 1775 auf zahlreiche Versuche gegründeten Ansichten
-*Bergmans*[275], nach denen die Affinität als eine konstante, von
-äußeren Bedingungen wenig beeinflußte Größe betrachtet wurde.
-Demgegenüber bestand das Ziel der *Berthollet*schen Untersuchung darin
-zu beweisen, »daß die Wahlverwandtschaften nicht als absolute Kräfte
-wirken«. Man müsse, fügt *Berthollet* hinzu, wenn man die Wirksamkeit
-zweier Stoffe vergleichen wolle, sowohl auf die Verwandtschaftskraft
-als auch auf die Menge sehen. Daß *Berthollet* gerade auf die
-Bedeutung des letzteren Faktors ein solch großes Gewicht legte, daß
-er schließlich auch zu unrichtigen Folgerungen sich verleiten ließ,
-wird aus seiner Erklärung der Affinität begreiflich. Er betrachtete
-sie nämlich als identisch mit der Schwerkraft. Und wie diese durch die
-Massen bestimmt sei, so müsse auch die *chemische* Anziehung als ein
-besonderer Fall jener allgemeinen Kraft von den Massen der aufeinander
-wirkenden Stoffe abhängig sein. Die allgemeine Anziehung wirke bei
-den chemischen Umsetzungen anders wie zwischen entfernten Massen,
-weil sie im ersteren Falle durch die Gestalt und vor allem durch den
-Zusammenhang der Teilchen, ihr Verhalten zu Lösungsmitteln, ihre
-Flüchtigkeit usw. bedingt werde.
-
-Den zuletzt erwähnten Einfluß, die Flüchtigkeit nämlich, erörtert
-*Berthollet* in durchaus zutreffender Weise. Wenn ein Stoff, so führt
-er aus, im Augenblicke seiner Abscheidung aus einer Verbindung in den
-flüchtigen Zustand übergehe, so trage der in Gasform entwichene Teil
-nicht mehr zum Widerstande bei; er wirke daher nicht mehr durch seine
-Masse. Der wirkende Stoff könne dann eine vollständige Zersetzung
-hervorrufen. Man brauche daher nicht mehr davon anzuwenden, als gerade
-zu der Verbindung, in die er übergeführt werden solle, nötig sei. Ein
-Beispiel biete die leicht flüchtige Kohlensäure, wenn sie mit irgend
-einer Basis verbunden sei, und ihr eine andere, weniger flüchtige Säure
-entgegengesetzt werde. Diese andere Säure sei imstande, selbst wenn sie
-eine schwächere Verwandtschaft gegen die Basis besitze, die Kohlensäure
-aus ihrer Verbindung abzuscheiden.
-
-Die frühere Klassifikation der Verwandtschaften, die auf der
-Voraussetzung beruhte, daß eine Säure die andere nur durch die als eine
-absolute Kraft wirkende Verwandtschaft ausscheide, wurde durch die
-Betonung dieses neuen Gesichtspunktes erheblich ins Wanken gebracht,
-zumal als zweites bestimmendes Moment für chemische Umsetzungen durch
-*Berthollet* die Löslichkeit oder die Unlöslichkeit der entstehenden
-Verbindungen erkannt wurde. Wie sich *Berthollet* die Rolle der
-Schwerlöslichkeit -- Kohäsion lautet sein Ausdruck -- dachte, möge
-folgende Betrachtung lehren.
-
-Wirkt auf eine Verbindung *ab*, z. B. schwefelsaures Natrium, ein Stoff
-*c*, der imstande ist, mit einem Bestandteil jener Verbindung einen
-unlöslichen Körper zu bilden, z. B. Barium in irgend einer löslichen
-Verbindung, so wird *ab* durch *c* vollkommen zersetzt, und es bildet
-sich in unserem Falle Bariumsulfat, weil diese Verbindung unlöslich
-ist, niederfällt und damit in ähnlicher Weise aus dem Bereich der
-Affinitätswirkungen ausscheidet, wie es andere Verbindungen infolge
-ihrer Flüchtigkeit tun. Daß *c* sich mit dem Bestandteil *a* der Verbindung
-*ab* in Form eines Niederschlags *ac* abscheidet, beweist somit
-durchaus noch nicht, daß *c* eine größere Affinität zu *a* besitzt als *b*.
-Wirkten die Affinitäten allein, so würde sich *c* auf *a* und *b* verteilen.
-Der Teil von *c*, der sich mit *a* verbindet, scheidet aber infolge seiner
-Unlöslichkeit jedesmal aus, so daß endlich *a* völlig an *c* gebunden wird,
-wenn letzteres im Überschusse wirkt. Wenn also in einem Stoffe dadurch,
-daß er sich mit einem anderen in einem bestimmten Verhältnis verbindet,
-ein Bestreben in den Zustand der Festigkeit überzugehen entsteht, so
-wird durch eben dieses Bestreben notwendig eine Abscheidung jener
-Verbindung unabhängig von dem Spiel der Affinitäten bewirkt.
-
-Den Einfluß derartiger physikalischer Verhältnisse, wie sie in der
-Flüchtigkeit und im Verhalten zu Lösungsmitteln gegeben sind, bei der
-Betrachtung der Verwandtschaftserscheinungen zuerst gewürdigt zu haben,
-ist das bleibende Verdienst *Berthollets*.
-
-Auch der Wirkung der Wärme wird in durchaus zutreffender Weise
-Rechnung getragen, ohne daß die theoretischen Ansichten *Berthollets*
-über die Natur der Wärme hierbei von Belang wären. Ein Beispiel möge
-dies dartun. Vergegenwärtigen wir uns die oben[276] mitgeteilte
-Verwandtschaftstafel *Bergmans*, so besitzt danach die Phosphorsäure
-zum Kali, wenn die Umsetzung auf nassem Wege vor sich geht, eine
-geringere Affinität als Schwefelsäure, während die Schwefelsäure in
-ihrer Verwandtschaft zum Kali der Phosphorsäure nachsteht, wenn die
-Reaktion auf trockenem Wege, d. h. beim Schmelzfluß, erfolgt. Diese
-Verschiedenheit des Verhaltens führt *Berthollet* vollkommen richtig
-auf die Flüchtigkeit der einen und die Feuerbeständigkeit der anderen
-Säure zurück. »Es ist,« sagt er, »eine Wirkung der Wärme, daß alle
-feuerbeständigen Säuren diejenigen, die flüchtig sind, bei hinlänglich
-erhöhter Temperatur aus ihren Verbindungen austreiben. Und da sie
-untereinander in Ansehung dieser Eigenschaft sehr verschieden sind,
-so sind gewisse Säuren in Ansehung auf einige Säuren als beständig,
-in bezug auf andere dagegen als flüchtig zu betrachten.« Eine solche
-Mittelstellung nimmt z. B. die Schwefelsäure ein. Sie scheidet bei
-mittlerer Temperatur Salzsäure und Salpetersäure aus ihren Salzen aus,
-während sie selbst bei höherer Wärme aus ihren Verbindungen durch
-Phosphorsäure befreit wird. Und zwar geschieht dies, wie *Berthollet*
-hinzufügt, unabhängig von dem Grade der Verwandtschaft. Letztere wird
-am vollkommensten dann wirken, wenn sich kein Stoff durch Fällung oder
-durch die Annahme des gasförmigen Zustandes der chemischen Reaktion
-entzieht, nämlich dann, wenn die entstehenden Verbindungen in Lösung
-bleiben. Mischt man z. B. schwefelsaures Kalium mit einer Basis, so
-wird sich der Säurerest, wenn alles gelöst bleibt, im Verhältnis der
-wirkenden Affinitäten, aber auch im Verhältnis der wirkenden Mengen
-auf die Metalle verteilen. Oder, ein ähnlicher Fall, setzen wir zu
-gelöstem schwefelsaurem Kalium Salpetersäure, so wird ebenfalls, wenn
-alles gelöst bleibt, nach dem Gesetz der chemischen Massen, d. h. des
-Faktors, der sich aus der Affinität und der Menge des wirkenden Stoffes
-ergibt, eine Verteilung des einen Stoffes auf die beiden anderen
-stattfinden. »Wenn zwei Basen«, so lautet *Berthollets* Ausdruck für
-den ersten Fall, »auf eine Säure wirken, so verteilt sich die Säure im
-Verhältnis der chemischen Kräfte der Basen«[277].
-
-Durch übertriebene Betonung dieser Prinzipien, die *Berthollet* in
-seinem großen Werke über die chemische Statik weiter ausführte, kam
-er zu der irrigen Ansicht, daß zwei Stoffe sich auch nach stetig
-sich ändernden Verhältnissen verbinden. Der sich hieraus ergebende
-Widerspruch mit der von *Dalton* und *Proust* bald darauf begründeten
-Lehre von den festen und multiplen Proportionen wird an anderer Stelle
-erörtert werden.
-
-*Berthollets* großes Verdienst bleibt der Nachweis der Massenwirkung,
-d. h. der Tatsache, daß der Verlauf einer Reaktion nicht allein durch
-die Natur der Stoffe bestimmt wird, sondern auch durch die bei einer
-Reaktion obwaltenden Mengenverhältnisse, durch die mitunter geradezu
-Umkehrungen von Reaktionen herbeigeführt werden. »Der Umstand«,
-bemerkt *Berthollet* bei der Erläuterung derartiger Fälle, »der
-beweist, daß die chemischen Wirkungen ebensowohl von der Menge als
-von der Verwandtschaft der Stoffe abhängen, ist dieser, daß man, um
-entgegengesetzte Resultate zu erhalten, oft nur die Quantität der
-Stoffe zu ändern braucht.«
-
-Eine wichtige Rolle spielte zu Beginn des antiphlogistischen Zeitalters
-der Kampf der Meinungen über die chemische Natur des Chlors. *Scheele*
-hatte diesen merkwürdigen Stoff entdeckt, als er Salzsäure auf
-Braunstein wirken ließ. Er bezeichnete das Chlor vom Standpunkte
-der Phlogistontheorie als »dephlogistisierte Salzsäure«. *Scheele*
-nahm nämlich an, die Salzsäure enthalte »Phlogiston«. Und dieser
-hypothetische Stoff[278] sollte der Salzsäure durch den Braunstein
-entzogen werden. Durch *Lavoisier* wurden die Vorgänge der Oxydation
-und der Reduktion ihrem eigentlichen Wesen nach erkannt. *Lavoisier*
-hielt den Sauerstoff für das säurebildende Prinzip. Wie die Säuren
-des Phosphors, des Schwefels und anderer Radikale oder Elemente, so
-sollte auch die Salzsäure eine Verbindung des Sauerstoffs mit einem dem
-Phosphor oder Schwefel entsprechenden Radikal (radical muriatique)
-sein.
-
-Einige Versuche schienen darauf hinzudeuten, daß auch das Chlor eine
-Sauerstoffverbindung sei. So hatte *Berthollet* die Abscheidung von
-Sauerstoff unter gleichzeitiger Bildung von Salzsäure beobachtet,
-als er in Wasser gelöstes Chlor dem Sonnenlichte aussetzte. Dieser
-Versuch wurde als eine Zerlegung des Chlors in Sauerstoff und Salzsäure
-gedeutet. Chlor erschien somit als ein höheres Oxyd des Radikals der
-Salzsäure. Aus diesem Grunde wurde das Chlor als oxydierte Salzsäure
-bezeichnet.
-
-Den Nachweis, daß Chlor keinen Sauerstoff enthält, sondern ein
-Grundstoff ist, führten erst *Gay-Lussac*[279] im Jahre 1808 und *Davy*
-1809. Als *Gay-Lussac* aus dem Chlor durch Reduktion mittelst Phosphor
-Salzsäure abzuspalten suchte, traten weder das Oxyd des Phosphors noch
-Salzsäure in die Erscheinung. Das Chlor verband sich vielmehr mit dem
-Phosphor zu einer neuen, als Chlorphosphor bezeichneten Substanz.
-Ähnlich verhielt sich, wie *Davy* nachwies, das reine Chlor gegen
-Metalle. Wurden z. B. Zinn und Chlor zusammengebracht, so verschwanden
-beide, und es entstand eine helle Flüssigkeit (Chlorzinn, SnCl_{4}).
-Für die elementare Natur des Chlors sprach auch der Umstand, daß sich
-das Chlor nicht veränderte, wenn man es in Gefäßen, auf die es chemisch
-nicht zu wirken vermochte, einer sehr hohen Temperatur aussetzte.
-Die Schwierigkeit, über die chemische Natur des Chlors ins reine
-zu kommen, war dadurch hervorgerufen worden, daß man mit Chlor bei
-Gegenwart von Wasser experimentiert hatte. Sobald man wasserfreie
-Reagenzien benutzte, trat bei Versuchen mit Chlor auch keine Salzsäure
-auf. Die irrtümliche Bezeichnung »oxydierte Salzsäure« mußte also
-in Fortfall kommen. Sie wurde von *Davy* durch den Namen Chlor (von
-χλωρός, grün) ersetzt[280].
-
-
-
-
-11. Die Aufstellung der atomistischen Hypothese und ihre experimentelle
-Begründung.
-
-
-Als *Lavoisier* und *Cavendish* die Mengenverhältnisse, nach denen die
-Elemente zu chemischen Verbindungen zusammentreten, in den Bereich
-ihrer Untersuchung zogen, machten sie schon stillschweigend die
-Voraussetzung, daß diese Verhältnisse für scharf charakterisierte
-Verbindungen unveränderliche Größen seien. Das Quantitative konnte ja
-nur dann die Grundlage für die weitere Entwicklung der Chemie abgeben,
-wenn es die Bedeutung eines Naturgesetzes besaß. Demnach mußte die
-erste Aufgabe eines neuen Zeitalters in dem Nachweis bestehen, daß
-dies der Fall sei. Daran knüpfte sich dann weiter der Versuch einer
-ursächlichen Erklärung der chemischen Vorgänge und der bei diesen
-auftretenden Gesetzmäßigkeiten.
-
-Um den Nachweis des Gesetzes von der Konstanz der Gewichtsverhältnisse
-hat sich der Franzose *Proust*[281] sehr verdient gemacht. Ihm gelang
-es, die entgegengesetzte, von seinem Landsmann *Berthollet*[282]
-vertretene Ansicht, daß die Elemente in veränderlichen, von äußeren
-Umständen abhängenden Verhältnissen sich verbinden, nach langem
-Streite und auf Grund zahlreicher Analysen zu widerlegen. Die Ansicht
-*Berthollets*, daß zwischen zwei Verbindungen, wie sie z. B. Schwefel
-und Eisen (FeS, FeS_{2}) oder Zinn und Sauerstoff (SnO, SNO_{2})
-bilden, alle Übergänge möglich seien, ließ *Proust* nicht gelten.
-Er führte diesen Irrtum darauf zurück, daß *Berthollet* anstatt der
-vermeintlichen Übergangsstadien Gemenge jener Verbindungen in der
-Hand gehabt habe, und lieferte den Nachweis, daß, wenn zwischen
-zwei Elementen mehrere Verbindungen bestehen, die Änderung in der
-Zusammensetzung nicht allmählich, sondern sprungweise erfolgt. Geht
-z. B. Zinnoxydul, das 11,9% Sauerstoff enthält, durch weitere Aufnahme
-dieses Elementes in Zinnoxyd über, so erfolgt dieser Übergang durch
-einen Sprung auf eine andere bestimmte Menge Sauerstoff, nämlich
-auf 21,3%. Dasselbe Verhalten zeigten auch Metalle, die sich in
-mehreren Verhältnissen mit Schwefel verbinden. *Proust* dehnte seine
-Untersuchung auch auf die Verbindungen von Kupfer, Eisen, Nickel,
-Antimon, Gold, Silber, Quecksilber, sowie auf die organischen
-Substanzen aus. Für alle in Betracht gezogenen Fälle ergab sich
-das Vorhandensein jener von ihm behaupteten Gesetzmäßigkeit. Für
-die Vereinigung von Säuren und Basen unter Bildung von Salzen war
-die Konstanz der Gewichtsverhältnisse schon vor *Proust* durch den
-deutschen Chemiker *Richter* nachgewiesen worden; doch war die Arbeit
-dieses Mannes insbesondere ihrer dunklen Ausdrucksweise wegen zunächst
-fast unbeachtet geblieben. Die ersten Versuche, durch die Analyse
-eines Stoffes das Verhältnis seiner Bestandteile zu ermitteln, gingen
-wahrscheinlich von der alten philosophischen Ansicht aus, daß alles
-nach Maß und Gewicht geordnet sei. Die früheste wissenschaftliche
-Arbeit, die sich mit dem Nachweise bestimmter Verhältnisse beschäftigt,
-rührt von *Wenzel*[283] her. Sie erschien 1777 unter dem Titel
-»Lehre von der Verwandtschaft der Körper« und befaßte sich mit den
-Gewichtsverhältnissen, nach denen sich Säuren und Basen zu Salzen
-vereinigen. An *Wenzels* Untersuchungen knüpfte *Richter* an. Bei
-*Wenzel* findet sich auch schon das Massenwirkungsgesetz angedeutet. In
-diesem Punkte erscheint er als der Vorläufer *Berthollets*[284]. Erst
-später, als *Berzelius* die Gewichtsverhältnisse der Atome bestimmte,
-zeigte sich die grundlegende Bedeutung der Untersuchungen *Wenzels* und
-*Richters*.
-
-*Jeremias Benjamin Richter* wurde 1762 in Schlesien geboren[285].
-Er wirkte zuerst als Bergwerksbeamter in Breslau und darauf als
-Angestellter der Königlichen Porzellanmanufaktur in Berlin. Die
-Eigenart *Richters* besteht darin, daß fast alle seine Arbeiten auf
-eine Anwendung der Mathematik auf die Chemie abzielen. Dies spricht
-sich schon in dem Titel seiner Erstlingsarbeit aus[286]. *Richter*
-ging so weit, daß er die Chemie für einen Teil der angewandten
-Mathematik erklärte. Sein Hauptwerk führt den Titel »Stöchiometrie oder
-Meßkunst chymischer Elemente«[287]. Es erschien 1792-1802.
-
-*Richters* Verdienst besteht darin, daß er für die Säuren und die
-Basen den Äquivalentbegriff schuf. Der Gang seiner Untersuchung war
-der folgende. Er bestimmte die Gewichtsmengen der ihm bekannten
-Basen, welche ein und dieselbe Menge, z. B. 1000 Gewichtsteile,
-Schwefelsäure gerade neutralisieren. Die erhaltenen Werte nannte er die
-Neutralitätsreihe der Basen. Diese Werte mögen für einige Basen, nach
-*Richters* Angaben auf 1000 Teile Schwefelsäure berechnet, hier folgen.
-Sie sind in hohem Grade ungenau und nur dadurch von Wert, daß sie die
-erste Tafel der Äquivalentgewichte darstellen:
-
- Ammoniak 672
- Kalk 793
- Natron 859
- Kali 1605
- usw.
-
-Das Zweite war, daß *Richter* eine ähnliche »Neutralitätsreihe« der
-ihm bekannten Säuren mit Bezug auf eine bestimmte Menge einer Basis
-ermittelte. Sei die Basis Kalk, von dem nach ihm 793 Gewichtsteile
-durch 1000 Gewichtsteile Schwefelsäure neutralisiert werden, so ergeben
-sich für einige der übrigen bekannten Säuren folgende Äquivalente für
-die zugrunde liegende Basis:
-
- Kohlensäure 577
- Salpetersäure 1405
- Oxalsäure 755
- Schwefelsäure 1000
- usw.
-
-Den Wert solcher Tafeln erblickte *Richter* darin, daß sie die
-Zusammensetzung aller aus der Verbindung je einer Basis mit je einer
-Säure entstehenden neutralen Salze zu berechnen gestatten, wenn nur die
-Äquivalente der Basen und der Säuren in den beiden Tafeln enthalten
-sind. So würde z. B. salpetersaurer Kalk die Basis und die Säure im
-Verhältnis 793 : 1405 enthalten, da 1000 Gewichtsteile Schwefelsäure,
-die 793 Teile Kalk sättigen, 1405 Teilen Salpetersäure äquivalent sind.
-
-Eine Fortsetzung und Erweiterung fanden die stöchiometrischen
-Untersuchungen durch *Dalton*, mit dessen Hauptwerk, dem »Neuen System
-der chemischen Wissenschaft« wir uns jetzt näher befassen müssen.
-
-*John Dalton* wurde im Jahre 1766[288] als Sohn eines armen englischen
-Webers geboren. Nachdem er die Schule verlassen hatte, erteilte er
-in seinem Heimatsorte Elementarunterricht. Es gelang ihm, sich so
-weit fortzubilden, daß er mit 27 Jahren eine Stelle als Lehrer der
-Mathematik und der Physik am »New College« in Manchester einnehmen
-konnte. Später gab er diese Stelle auf und erwarb sich seinen
-Unterhalt, indem er in den größeren Städten Englands Vorlesungen über
-die Fortschritte der Naturwissenschaften hielt. Äußere Ehren hat
-*Dalton* nicht gesucht. Selbst als sein Ruhm weit über die Grenzen
-des Vaterlandes hinaus gedrungen war, blieb er der bescheidene
-Privatgelehrte, der in dem Forschen nach der Wahrheit seine größte
-Befriedigung fand. *Dalton* war Mitglied der Royal Society. Als das
-Alter herannahte, wurde ihm vom Könige eine kleine Pension ausgesetzt.
-*Dalton* starb im Jahre 1844 in Manchester.
-
-*Proust* hatte bei seinen Analysen der verschiedenen Oxydations-
-und Schwefelungsstufen eines und desselben Elementes die Ergebnisse
-in Prozenten angegeben. Vergleicht man die so erhaltenen Zahlen, z.
-B. für die oben erwähnten Oxyde des Zinns[289] (11,9% und 21,3%),
-so lassen sie keine einfache Beziehung erkennen. *Dalton*, welcher
-den Nachweis der konstanten Gewichtsverhältnisse insbesondere auf
-gasförmige Verbindungen auszudehnen suchte, kam auf den glücklichen
-Gedanken, die Zusammensetzung für gleiche Gewichtsmengen des mit
-Sauerstoff verbundenen Elementes zu berechnen. Dann ergeben sich z.
-B. für die Oxyde des Zinns, auf 100 Gewichtsteile dieses Elementes
-berechnet, 13,5, bezw. 27 Gewichtsteile Sauerstoff, oder für die Oxyde
-des Stickstoffs, mit welchen *Dalton* sich vorzugsweise beschäftigte,
-auf 14 Gewichtsteile Stickstoff 8, 16, 24, 32, 40 Gewichtsteile
-Sauerstoff. Indem *Dalton* diese Mengen verglich, entdeckte er eins
-der wichtigsten Gesetze der Chemie. Es zeigte sich nämlich, daß die
-Gewichtsmengen Sauerstoff, die mit einer bestimmten Menge Zinn oder
-Stickstoff zu Oxyden zusammentreten, unter sich in einem einfachen
-Verhältnis stehen. Diese Gewichte verhalten sich nämlich wie die Zahlen
-1, 2, 3, 4, 5. Oder die in die höheren Oxydationsstufen eingehenden
-Mengen sind einfache Multipla derjenigen Menge, die in der niedersten
-Oxydationsstufe enthalten ist. *Dalton* hat diese Untersuchungen,
-die um 1802 stattfanden, mit demselben Erfolge auf die Oxyde des
-Kohlenstoffs, sowie auf die Verbindungen des Kohlenstoffs mit
-Wasserstoff ausgedehnt. Von den Kohlenstoffverbindungen analysierte
-er das kurz vorher[290] entdeckte Äthylen (C_{2}H_{4}) und das
-Grubengas (CH_{4}). Er fand, daß sich darin die mit der gleichen Menge
-Kohlenstoff verbundenen Wasserstoffmengen wie 1 : 2 verhalten.
-
-Damit war trotz der großen Mängel, welche der analytischen Chemie
-und ihren Ergebnissen um 1800 noch anhafteten, durch *Dalton* das
-zweite Fundamentalgesetz der Chemie entdeckt, das alle späteren
-Untersuchungen nur bestätigen konnten. Dies »Gesetz von den multiplen
-Proportionen« besagt, daß verschiedene Mengen eines Elementes (in dem
-letzten Beispiel Wasserstoff), die sich mit der gleich bleibenden Menge
-eines anderen (in dem letzten Beispiel Kohlenstoff) zu chemischen
-Verbindungen vereinigen, unter sich einfache Multipla sind.
-
-An die Entdeckung wichtiger Gesetze hat sich jederzeit das Bemühen
-geknüpft, eine Vorstellung über die Natur der Dinge zu gewinnen, die
-mit den entdeckten Regeln so weit in Einklang steht, daß letztere als
-eine notwendige Folge jener Vorstellung erscheinen. Diesen wichtigen
-Schritt auf der Bahn der Erkenntnis an die Auffindung des Gesetzes von
-den Multiplen angeschlossen zu haben, ist gleichfalls das Verdienst
-*Daltons*, welcher dadurch eine der Grundlagen aller seitherigen
-naturwissenschaftlichen Betrachtung schuf.
-
-»Schon die Beobachtungen über die verschiedenen Aggregatszustände,«
-sagt *Dalton*, »müssen zu dem Schlusse führen, daß alle Körper aus
-einer ungeheuren Anzahl von äußerst kleinen Teilchen oder Atomen
-bestehen, die miteinander durch eine je nach den Umständen stärkere
-oder schwächere Anziehungskraft verbunden sind.«
-
-Ob die letzten Teilchen eines Stoffes, z. B. des Wassers, alle gleich
-sind, d. h. von derselben Gestalt, demselben Gewicht usw., ist dann
-die zweite Frage. Man habe indessen, meint *Dalton*, keinen Grund,
-eine Verschiedenheit dieser Teile anzunehmen. Bestände eine solche
-z. B. beim Wasser, so müßte sie gleicherweise in den Elementen, die
-das Wasser bilden, hervortreten. Wären einige Wasserteilchen leichter
-als andere, und würde ein Teil der Flüssigkeit bei irgend einer
-Gelegenheit aus solchen leichteren Teilchen gebildet, so müßte dies
-das spezifische Gewicht des Wassers beeinflussen, ein Umstand, der
-indessen nicht bekannt sei. Ähnlich verhalte es sich mit jeder anderen
-Verbindung. Daraus müsse man schließen, daß die letzten Teilchen aller
-homogenen Stoffe in Gewicht, Gestalt usw. völlig gleich sind. Die
-Zahl dieser Teilchen könne aber keine unendliche, sondern sie müsse
-in einem gegebenen Volumen eine begrenzte sein, wie auch in einem
-gegebenen Teile des Weltalls die Zahl der Gestirne nicht unbegrenzt
-sein könne. Die chemische Synthese und Analyse besteht nach *Dalton*
-in einer Trennung und Wiedervereinigung der Atome. Neuerschaffung
-oder Zerstörung eines Stoffes sind unmöglich. »Wir können,« sagt
-*Dalton*, »ebensowohl versuchen, einen neuen Planeten dem Sonnensystem
-einzuverleiben oder einen vorhandenen zu vernichten, als ein Atom
-Wasserstoff zu erschaffen oder zu zerstören. Alle Änderungen, die wir
-hervorbringen können, bestehen in der Trennung von Atomen, die vorher
-verbunden und in der Vereinigung solcher, die vorher getrennt waren.«
-
-Aus diesen Betrachtungen ergibt sich die Aufgabe, das Gewicht der Atome
-zu bestimmen. Atomgewichte nach ihrer absoluten Größe zu ermitteln,
-war *Dalton* zwar nicht in der Lage; wohl aber versuchte er auf Grund
-gewisser Annahmen die verhältnismäßige Schwere der kleinsten Teilchen
-festzustellen. Gibt es z. B. zwischen zwei Stoffen nur eine chemische
-Verbindung, so besteht die einfachste Annahme darin, daß sie sich
-durch Aneinanderlagerung von je einem Atom des einen und je einem
-Atom des anderen Elementes gebildet habe. In diesem Falle würde das
-Mengenverhältnis mit dem relativen Gewicht der Atome übereinstimmen.
-Nach *Dalton* trifft jene Voraussetzung z. B. für Wasser und
-Ammoniak zu; es war nämlich damals nur eine Wasserstoffverbindung
-des Sauerstoffs, sowie des Stickstoffs bekannt. Unter der Annahme,
-daß diese Verbindungen sich durch Aneinanderlagerung von je zwei
-Teilchen der betreffenden Elemente bilden, ergab sich das Atomgewicht
-des Sauerstoffs = 7 und dasjenige des Stickstoffs = 5. Genauere
-Analysen würden die Werte 8 und 4,6 geliefert haben. Wir bezeichnen
-diese Mengen, die einem Gewichtsteil Wasserstoff entsprechen, als
-Äquivalentgewichte. Sie ergeben erst mit der Valenz der betreffenden
-Elemente multipliziert die Atomgewichte. So ist das Atomgewicht des
-zweiwertigen Sauerstoffs 16 (2 × 8) und dasjenige des dreiwertigen
-Stickstoffs 14 (3 × 4,6).
-
-Wie das Gesetz von der Konstanz der Gewichtsverhältnisse, so erscheint
-auch das Gesetz von den multiplen Proportionen als eine Folge der
-atomistischen Hypothese. Gibt es nämlich zwischen zwei Elementen
-mehrere Verbindungen, so wird man annehmen dürfen, daß sich je ein
-Atom des ersten Elementes mit je einem, zwei, drei Atomen des zweiten
-vereinigt. Die zweite Verbindung muß dann, weil ja die Atome unter
-sich gleich schwer sind, in bezug auf die unverändert gebliebene Menge
-des ersten Elementes die zweifache, die dritte Verbindung dagegen die
-dreifache Gewichtsmenge des zweiten Elementes besitzen. So ist das
-Kohlenoxyd eine binäre Verbindung, die aus einem Atom Sauerstoff und
-einem Atom Kohlenstoff besteht. Die ternäre[291] Kohlensäure dagegen
-besteht aus einem Atom Kohlenstoff und zwei Atomen Sauerstoff, da mit
-der gleichen Gewichtsmenge des ersten die doppelte Menge des zweiten
-Elementes verbunden ist.
-
-Ein weiterer Fortschritt bestand darin, daß *Dalton* Symbole in die
-Chemie einführte. So bezeichnete er z. B. Wasserstoff mit ⊙, Sauerstoff
-mit ⃝, Schwefel mit ⊕; Schwefelsäureanhydrid bekam das Zeichen
-⃝/⊕/⃝⃝, da jedes seiner Teilchen aus einem Atom Schwefel und drei
-Atomen Sauerstoff zusammengesetzt ist. Die heutige Bezeichnungsweise,
-Wasserstoff = H, Sauerstoff = O, Schwefel = S, Schwefelsäureanhydrid =
-SO_{3} rührt von *Berzelius* her.
-
-Die von *Dalton* ermittelten Atomgewichte waren noch sehr ungenau.
-Einige der wichtigsten sind:
-
- Atomgewicht von nach *Dalton* richtiger Wert
-
- Sauerstoff 7 8 (16)
- Natrium 21 23
- Kalium 35 39
- Silber 100 108
-
-Für Natron und Kali, die *Dalton* in seiner Atomgewichtstafel noch als
-Elemente aufzählte, ergaben sich aus ihren Verbindungen mit Säuren
-die Zahlen 28 und 42. Nach *Davys* Entdeckung sind Natron und Kali
-Metalloxyde[292]. Natron mußte daher als eine Verbindung von einem Atom
-Metall (21) mit einem Atom Sauerstoff (7) angesehen werden, während
-Kali aus einem Atom Metall (35) und einem Atom Sauerstoff (7) bestand.
-
-Das Gesetz von den multiplen Proportionen wurde fast zur selben
-Zeit, als *Dalton* seine Theorie begründete, auch von dem Engländer
-*Wollaston* an den Salzen der Oxalsäure nachgewiesen. Daß sich die
-Oxal- oder die Kleesäure, die wir als zweibasische Säure kennen
-
- (COOH)
- (| ),
- (COOH)
-
-mit einigen Basen in verschiedenen Verhältnissen verbindet, war
-schon bekannt. *Wollaston*[293] stellte sich die Aufgabe, die mit
-der gleichen Menge Basis sich verbindenden Säuremengen zu ermitteln
-und durch die Ausdehnung seiner Untersuchung auf zahlreiche Fälle
-festzustellen, ob sich in den ermittelten Zahlenverhältnissen eine
-Regelmäßigkeit, ein Gesetz, kundgibt. *Wollastons* Befunde bejahten
-diese Frage. Er wies z. B. nach, daß sich die Mengen Kleesäure, die
-sich mit der in allen drei Fällen gleichen Menge Kali verbinden, genau
-wie 1 : 2 : 4 verhalten[294].
-
-Die Abhandlung, in der *Wollaston* über seine Versuche berichtet,
-ist auch deshalb von großem Interesse, weil uns darin schon an
-der Wiege der Atomtheorie die Frage nach der räumlichen Anordnung
-der Atome begegnet, eine Frage, die später in den Mittelpunkt der
-chemischen Spekulation gerückt wurde. *Wollaston* macht nämlich bei
-der Besprechung des übersauren oxalsauren Kaliums, bei dem auf ein
-Äquivalent Kali vier Äquivalente Säure kommen, folgende Bemerkung. Wenn
-auf ein Atom der einen Art (das Wort Atom wurde damals auch für die
-kleinsten Teile der Verbindungen gebraucht) vier Atome der anderen Art
-kämen, so könne stabiles Gleichgewicht eintreten, wenn das erste Atom
-die Mitte und die vier anderen die Ecken eines regulären Tetraeders
-bildeten. *Wollaston* schuf also genau dieselbe Vorstellung, nach der
-sich der Begründer der Stereochemie, *van't Hoff*, im Grubengase die
-vier Wasserstoffatome um das vierwertige Kohlenstoffatom gruppiert
-dachte.
-
-*Wollaston* ist jedoch vorsichtig genug, die von ihm ersonnene
-geometrische Anordnung der Grundbestandteile einer Verbindung als ganz
-hypothetisch hinzustellen. Ihre Bestätigung oder Ablehnung sei erst von
-späteren Beobachtungen zu erwarten. Ja, es sei vielleicht zu kühn, zu
-hoffen, daß die geometrische Anordnung der Atome jemals bekannt sein
-werde.
-
-Nachdem die atomistische Hypothese Geltung gefunden, bestand die
-nächste Aufgabe der Experimentalchemie in einer möglichst genauen
-Bestimmung der Äquivalente. Eine solche mußte nicht nur für die Analyse
-von der größten Wichtigkeit sein, sondern auch die Grundlage für alle
-weiteren Spekulationen bilden. Galt es doch, die Frage zu entscheiden,
-ob die erhaltenen Zahlen die wahren relativen Gewichte der Atome seien
-und ob ferner, dies vorausgesetzt, sich einfache Beziehungen zwischen
-den Atomgewichten ergeben würden.
-
-Spekulationen, die sich nicht auf eine hinreichend sichere Grundlage
-stützen, haben sich fast immer als übereilt erwiesen. Dies lehrt
-auch die weitere Entwicklung der Atomtheorie. Vergleicht man die
-von *Dalton* 1803 veröffentlichte Tabelle mit der später in seinem
-»neuen Systeme« mitgeteilten, so muß auffallen, daß die hier gegebenen
-Atomgewichte durchweg ganze Zahlen sind, während die Tabelle vom
-Jahre 1803, abgesehen von dem als Einheit geltenden Atomgewicht des
-Wasserstoffs, solche überhaupt nicht enthält.
-
-So lauten seine Verhältniszahlen:
-
- 1803 1808
-
- für Wasserstoff 1 1
- " Stickstoff 4,2 5
- " Kohlenstoff 4,3 5
- " Sauerstoff 5,5 7
- " Phosphor 7,2 9
-
-Diesen Abrundungen wurde durch den Engländer *Prout*, der sich um die
-Experimentalchemie kaum verdient gemacht hat, eine reale Bedeutung
-beigelegt. *Prout* nahm an, daß die wahren Atomgewichte ganze Zahlen
-und daß die Abweichungen, welche die Analyse ergibt, auf Fehler
-zurückzuführen seien. Auf Grund dieser irrigen Voraussetzung, die
-lediglich aus der weitgehenden Unsicherheit der analytischen Ergebnisse
-entsprang, führte *Prout* sämtliche Elemente auf den Wasserstoff
-als Urmaterie zurück. Die Atome der Grundstoffe sollten sich durch
-Aneinanderlagern einer verschieden großen Zahl von Wasserstoffatomen
-gebildet haben, woraus dann notwendig folgen würde, daß die
-Atomgewichte einfache Multipla desjenigen von Wasserstoff sind. Diese
-Hypothese *Prouts*, in der man zuerst das wahre Grundgesetz der Chemie
-erblicken wollte, ließ sich mit den späteren Ergebnissen der Analyse
-jedoch nicht vereinigen. Sie hat aber das Gute im Gefolge gehabt, daß
-sie zu immer schärferen Bestimmungen der Atomgewichte anregte. Der
-Mann, der sich dieser Aufgabe besonders unterzog, weil er erkannt
-hatte, daß über den Wert oder Unwert einer Hypothese nur die Tatsachen
-entscheiden können, war *Berzelius*.
-
-*Johann Jakob Berzelius*[295] wurde am 29. August des Jahres 1779 als
-Sohn eines Lehrers in Schweden geboren. Er studierte unter manchen
-Entbehrungen in Upsala Medizin und Chemie. Seine ersten Arbeiten
-betrafen die Analyse einer Heilquelle und die Wirkung der damals soeben
-entdeckten galvanischen Elektrizität auf chemische Verbindungen. Seit
-dem Jahre 1807 bekleidete *Berzelius* eine Lehrstelle für Chemie und
-Pharmazie an der medizinischen Schule in Stockholm. Einige Jahre später
-wurde er zum Präsidenten der dortigen Akademie der Wissenschaften
-ernannt. *Berzelius*[296] hat wie kein anderer ausländischer Forscher
-die Entwicklung der Chemie in Deutschland beeinflußt. *Mitscherlich*,
-*Heinrich* und *Gustav Rose*, *Magnus*, *Wöhler* und viele andere
-haben in seinem Laboratorium gearbeitet und zwar zu einer Zeit, als
-wissenschaftliche Werkstätten in Deutschland noch kaum anzutreffen
-waren. Selbst in dem Laboratorium, das *Berzelius* eingerichtet hatte,
-waren die zum Forschen nötigen Hilfsmittel noch so unvollkommen
-und spärlich, daß man kaum begreift, wie *Berzelius* zu der ihm
-nachzurühmenden Genauigkeit seiner Ergebnisse gelangen konnte. Mit
-den deutschen Forschern blieb *Berzelius* in engster persönlicher und
-wissenschaftlicher Fühlung. Davon zeugen seine wiederholten Besuche
-in Deutschland und vor allem der ausgedehnte Briefwechsel, den er mit
-*Wöhler* unterhielt[297].
-
-*Berzelius* starb am 7. August des Jahres 1848. Seine Verdienste um
-die gesamte Chemie und um die Mineralogie sind ganz hervorragend. Sie
-müssen aber zum größten Teil an anderer Stelle betrachtet werden.
-Hier fesselt nur seine Mitarbeit an dem Ausbau der Atomtheorie, in
-deren experimenteller Begründung *Berzelius* seine wichtigste Aufgabe
-erblickte. »Ich überzeugte mich bald durch neue Versuche,« sagt
-er[298], »daß *Daltons* Zahlen die Genauigkeit fehlte, die für die
-praktische Anwendung seiner Theorie erforderlich war. Ich erkannte, daß
-zuerst die Atomgewichte einer möglichst großen Zahl von Grundstoffen,
-vor allem der gewöhnlichen, mit möglichster Genauigkeit ermittelt
-werden müßten. Ohne eine solche Arbeit konnte auf die Morgenröte kein
-Tag folgen. Es war dies damals der wichtigste Gegenstand der chemischen
-Forschung, und ich widmete mich ihm in rastloser Arbeit. Nach
-zehnjährigen Mühen konnte ich im Jahre 1818 eine Tabelle herausgeben,
-die nach meinen Versuchen berechnete Atomgewichte und Angaben über die
-Zusammensetzung von etwa 2000 Verbindungen enthält.«
-
-Einige Werte aus dieser Tabelle mögen dem Leser einen Begriff von der
-Genauigkeit der *Berzelius*schen Untersuchungen geben[299].
-
- Kohlenstoff 12,12 (11,97),
- Sauerstoff 16,00 (15,96),
- Schwefel 32,3 (31,98),
- Stickstoff 14,18 (14,00),
- Chlor 35,47 (35,4),
- Blei 207,4 (207),
- Kupfer 63,4 (63,3).
-
-Es möge hier in aller Kürze gezeigt werden, wie *Berzelius* die
-Gewichtsverhältnisse und das Gesetz von den multiplen Proportionen
-an den drei Oxyden des Bleis nachwies. 10 g Blei wurden in reiner
-Salpetersäure aufgelöst[300]. Die Lösung wurde in einen abgewogenen
-Kolben gegossen und eingedampft. Der Rückstand wurde geglüht. Es
-entstanden 10,78 g Bleioxyd[301]. Es würden somit 100 Teile Blei, um
-sich in Bleiglätte (Bleioxyd) zu verwandeln, 7,8 Teile Sauerstoff
-aufnehmen. Für die Mennige ergab ein umständliches Verfahren, daß sie
-aus 100 Teilen Blei und 11,07 Teilen Sauerstoff zusammengesetzt ist.
-Durch Behandeln von Mennige mit Salpetersäure stellte *Berzelius*
-eine dritte Bleiverbindung, das braune Bleioxyd, her[302]. Fünf
-Gramm braunes Bleioxyd, das durch Auswaschen von allem anhängenden
-salpetersauren Blei befreit und getrocknet war, wurde in einem
-gewogenen Platintiegel geglüht. Es verlor dadurch 0,325 g Sauerstoff.
-Die rückständigen 4,675 g gelbes Oxyd hinterließen beim Auflösen in
-Essig schwefelsaures Blei und Kieselerde, die geglüht 0,13 g wogen.
-Die übrigen 4,545 g gelbes Oxyd enthielten 0,33 g Sauerstoff oder bis
-auf 0,005 g das nämliche, was das braune Oxyd durch Glühen verloren
-hatte. Es nehmen also 100 Teile Blei, um sich in braunes Oxyd zu
-verwandeln, doppelt so viel Sauerstoff auf, als sich im gelben Bleioxyd
-befindet[303].
-
-Auf die Erforschung der Gewichtsverhältnisse und der darin sich
-aussprechenden Gesetzmäßigkeiten wurde *Berzelius*, bevor er mit
-*Daltons* Theorie bekannt geworden war, schon durch das Studium der
-halb vergessenen Schriften des deutschen Chemikers *Richter* geführt.
-*Richter* hatte um 1790 die Lehre von den chemischen Proportionen
-durch seine an früherer Stelle[304] erwähnten Untersuchungen über
-die Gewichtsverhältnisse, nach denen Säuren und Basen in Verbindung
-treten, begründet. *Berzelius* erkannte die Wichtigkeit dieser Arbeit
-und bemühte sich, durch die möglichst genaue Analyse einiger Salze die
-Zusammensetzung anderer Salze, die aus den ersteren hergestellt werden
-können, abzuleiten. Er hatte nämlich im Anschluß an *Richter* gezeigt,
-daß für alle Salze derselben Säure das Verhältnis der in der Basis und
-in der Säure enthaltenen Sauerstoffmengen konstant ist[305].
-
-Für die atomistische Auffassung wichtig war auch der von *Berzelius*
-geführte Nachweis, daß das schwefelsaure Eisen (FeSO_{4}) die Elemente
-Schwefel und Eisen genau in dem gleichen Verhältnis enthält, in welchem
-sie das Schwefeleisen (FeS) zusammensetzen.
-
-Das wichtigste Ergebnis der Untersuchungen von *Berzelius*, die mit
-zahlreichen Verbesserungen der bestehenden Methoden, sowie mit der
-Erfindung mancher neuen analytischen Methode Hand in Hand gingen,
-war die durchgängige Bestätigung des Gesetzes von den multiplen
-Proportionen und der Nachweis, daß die *Prout*sche Hypothese sich
-nicht mit den Tatsachen vereinigen läßt.
-
-Durch das in vorstehendem betrachtete Lebenswerk eines *Lavoisier*,
-*Dalton* und *Berzelius*, sowie die Bemühungen zahlreicher anderen
-Forscher hatte die Chemie im Verlauf von wenigen Jahrzehnten eine neue
-Gestalt und eine sichere Grundlage für ihre Fortentwicklung gewonnen;
-sie war der Physik als ebenbürtig an die Seite getreten. Auch hatten
-die Beziehungen zwischen diesen beiden Wissenschaften eine stete
-Vermehrung gefunden, insbesondere seitdem man die Elektrizität als
-chemisch wirksame Kraft kennen gelernt hatte. Bevor wir den weiteren
-Verlauf der chemisch-physikalischen Forschung betrachten, ist es
-deshalb erforderlich, die mit der Begründung des antiphlogistischen
-Systems und der Aufstellung der Atomtheorie zusammenfallende großartige
-Erweiterung, welche die Elektrizitätslehre durch *Galvani* und *Volta*
-erfuhr, ins Auge zu fassen.
-
-
-
-
-12. Die Entdeckung der galvanischen Elektrizität.
-
-
-Neben der seit alters bekannten Elektrizitätserregung durch
-Reiben hatte das 18. Jahrhundert das Auftreten von Elektrizität
-durch Wärmezufuhr, sowie infolge atmosphärischer Vorgänge kennen
-gelernt[306]; auch hatte man die elektrische Natur der von dem
-Zitterrochen ausgehenden Wirkung entdeckt. Zu diesen vier Arten
-gesellte sich jetzt eine fünfte, die Berührungs- oder die galvanische
-Elektrizität, mit der man gegen den Schluß des 18. Jahrhunderts bekannt
-wurde, während der Ausbau der Lehre vom Galvanismus wohl als die
-wichtigste Tat des 19. Jahrhunderts anzusehen ist.
-
-Daß die bloße Berührung zweier Metalle eine eigentümliche, später
-als elektrisch erkannte Wirkung hervorruft, wurde zum erstenmal um
-das Jahr 1750 von einem Deutschen namens *Sulzer*[307] beobachtet.
-Dieser brachte die Spitze seiner Zunge zwischen ein Stück Blei und
-ein Stück Silber, die sich mit ihren Rändern berührten. Dabei nahm
-er eine prickelnde, an den Geschmack des Eisenvitriols erinnernde
-Empfindung wahr, die Blei oder Silber für sich nicht hervorzubringen
-vermögen[308]. Es sei doch nicht wahrscheinlich, meint *Sulzer*, daß
-bei der Berührung jener beiden Metalle eine Auflösung vor sich gehe.
-Man müsse vielmehr schließen, daß diese Vereinigung eine zitternde
-Bewegung der Teilchen verursache, welche die Nerven der Zunge anrege
-und dadurch den erwähnten Geschmack hervorbringe.
-
-Später wurde der Versuch in folgender Weise abgeändert. Man nahm einen
-Becher aus Zinn oder Zink, stellte ihn auf einen silbernen Fuß und
-füllte ihn mit Wasser. Wenn nun jemand die Spitze der Zunge ans Wasser
-brachte, fand er es völlig geschmacklos, solange er den silbernen Fuß
-nicht berührte. Sobald er diesen aber zwischen die benetzten Hände
-preßte, empfand die Zunge einen deutlichen Geschmack.
-
-[Illustration: Abb. 30. *Galvanis* Versuche an Froschschenkeln.]
-
-Da die Beobachtung *Sulzers* ganz vereinzelt blieb, ging es ihr,
-wie es in solchen Fällen meist zu gehen pflegt, sie wurde nicht
-beachtet und schließlich vergessen, bis die weitere Entwicklung der
-Wissenschaft ein Zurückgreifen auf jene Entdeckung erforderlich
-machte. Die eigentliche Erforschung der Berührungselektrizität beginnt
-mit der zufällig gemachten Beobachtung, daß ein frisch präparierter
-Froschschenkel jedesmal in Zuckungen gerät, wenn in seiner Nähe eine
-elektrische Entladung stattfindet. *Galvani* hatte jenes Verhalten
-des Froschschenkels um das Jahr 1780 kennen gelernt. Daß an toten
-Tieren Zuckungen der Muskeln unter dem unmittelbaren Einfluß von
-elektrischen Entladungen eintreten, war zwar längst bekannt; auch
-hatte man bemerkt, daß ein Zitterrochen leblose Fische zu Bewegungen
-veranlaßt. Was *Galvanis* Erstaunen hervorrief, war indes der Umstand,
-daß jene Zuckungen eintraten, ohne daß eine Verbindung zwischen der
-Elektrisiermaschine und dem Froschpräparat vorhanden war.
-
-*Galvani* präparierte einen Frosch, wie es in Abb. 30 Fig. 2
-dargestellt ist, und legte ihn auf einen Tisch, auf dem eine
-Elektrisiermaschine stand. Als darauf die eine von den Personen, die
-ihm zur Hand gingen, mit der Spitze eines Messers die Schenkelnerven
-DD des Frosches zufällig ganz leicht berührte, zogen sich alle
-Muskeln an den Gelenken derartig zusammen, als wären sie von heftigen
-Krämpfen befallen. Dies geschah, während dem Konduktor der Maschine ein
-Funke entlockt wurde.
-
-Wir haben es in dieser Erscheinung noch nicht mit einer Wirkung
-der Berührungselektrizität zu tun, sondern mit einem sogenannten
-Rückschlag. Ein solcher besteht darin, daß die infolge des Ladens
-der Maschine in dem Schenkel stattfindende elektrische Verteilung in
-dem Augenblicke des Entladens eine Änderung erfährt. Die elektrische
-Verteilung, sowie ihr Ausgleich tritt bei größerer Entfernung von dem
-Konduktor der Elektrisiermaschine nur dann in hinreichendem Maße ein,
-wenn der Schenkel mit der Erde in leitender Verbindung steht, was bei
-dem Versuch *Galvanis* durch eine anfangs zufällige, nachher jedoch
-absichtlich herbeigeführte Berührung des Schenkels mit einem leitenden
-Gegenstand bewirkt wurde (s. Abbildung 30). Das Erstaunen, in das
-*Galvani* über seine Beobachtung geriet, ist der erste Schritt zu einer
-fast endlosen Reihe der wichtigsten Entdeckungen gewesen. »Ich wurde«,
-sagt er, »von einem unglaublichen Eifer entflammt, dasjenige ans Licht
-zu ziehen, was hinter dieser Erscheinung verborgen war[309].« Bevor
-wir jedoch *Galvani* auf seinem Wege folgen, wollen wir uns einige
-Augenblicke mit dem Leben dieses Mannes beschäftigen, dessen Glück und
-Verdienst der Wissenschaft ein neues, großes Gebiet erschließen sollte.
-
-*Aloisio Galvani* wurde am 9. September 1737 in Bologna geboren. Er
-studierte an der Universität seiner Vaterstadt Medizin und heiratete
-die Tochter eines der dortigen Professoren, der legendenhafte Berichte
-einen hervorragenden, wenn nicht gar den Hauptanteil an der Entdeckung
-des Galvanismus zugeschrieben haben[310]. Die ersten wissenschaftlichen
-Arbeiten *Galvanis* betrafen das Gebiet der Anatomie. Seit dem Jahre
-1775 sehen wir ihn in Bologna eine Professur für dieses Fach bekleiden.
-Seine Versuche über die Wirkung der Elektrizität auf Froschschenkel
-begannen im Jahre 1780. *Galvani* führte darüber zunächst nur ein
-Tagebuch. Erst ein Jahrzehnt später vereinigte er die Ergebnisse seiner
-Untersuchungen zu einer Abhandlung über die Wirkung der Elektrizität
-auf die Muskelbewegung[311].
-
-Nachdem *Galvani* die Wirkung des Entladens auf einen in der Nähe der
-Elektrisiermaschine befindlichen Froschschenkel nachgewiesen, suchte
-er festzustellen, ob sich das gleiche, ihm zunächst ganz unerklärliche
-Phänomen auch durch den Einfluß der atmosphärischen Elektrizität
-hervorrufen lasse. Die hierauf bezüglichen Versuche sind im zweiten
-Teile jener Abhandlung vom Jahre 1791 beschrieben. Die präparierten
-Frösche, sowie Schenkel von Warmblütern wurden bei einem Gewitter
-an den Nerven aufgehängt, während ein Eisendraht die Füße mit der
-Erde verband. Die erwartete Wirkung blieb nicht aus. In demselben
-Augenblick, in welchem der Schein eines Blitzes das Auge traf, gerieten
-die Muskeln in lebhafte Zuckungen.
-
-»Nachdem wir die Kräfte der Gewitterelektrizität kennen gelernt
-hatten, brannte unser Herz vor Begierde, auch die Macht der täglichen
-ruhigen Elektrizität der Atmosphäre zu erforschen.« Mit diesen
-Worten beginnt *Galvani* den dritten Teil seiner Schrift, in dem wir
-mit den Erscheinungen der nach ihm benannten, ganz neuen Art der
-Elektrizitätserregung vertraut gemacht werden.
-
-Da *Galvani* bemerkt hatte, daß präparierte Frösche, die an einem
-Eisengitter an Messinghaken aufgehängt waren, nicht nur beim Gewitter,
-sondern auch bei heiterem Himmel gelegentlich in Zuckungen verfielen,
-so meinte er, die Ursache dieser Zuckungen sei in Veränderungen der
-atmosphärischen Elektrizität zu suchen. Deshalb beobachtete er zu
-verschiedenen Stunden des Tages passend hergerichtete Tiere. Aber nur
-selten trat eine Bewegung in den Muskeln ein. Schließlich drückte er,
-des Wartens müde, die Haken, die in dem Rückenmark befestigt waren,
-gegen das eiserne Gitter. Dabei beobachtete er häufig Zuckungen, die er
-zunächst der atmosphärischen Elektrizität zuzuschreiben geneigt war.
-
-Als er das Tier in das geschlossene Zimmer gebracht, auf eine
-Eisenplatte gelegt und den im Rückenmark befindlichen Messinghaken
-gegen die Eisenplatte zu gedrückt hatte, bemerkte er die gleichen
-Zuckungen.
-
-Jetzt erkannte er, daß es sich hier um ein ganz neues, unerwartetes
-Phänomen handelt, das mit den Änderungen der atmosphärischen
-Elektrizität in gar keinem Zusammenhange steht. *Galvani* änderte
-darauf den Versuch in der Weise ab, daß er den Frosch auf eine die
-Elektrizität nicht leitende Glasplatte legte und den Messinghaken
-mit den Füßen des Tieres verband. Bestand die Verbindung aus einem
-Metall, so traten Zuckungen ein, während sie bei Anwendung einer
-nicht leitenden Substanz ausblieben. Mit den von *Galvani* ersonnenen
-Abänderungen dieses Fundamentalversuches macht uns die dritte Figur
-seiner Abhandlung (Abb. 31) bekannt.
-
-Von besonderem Interesse ist das elektrische Froschpendel, das
-*Galvani* in der Figur 11 (s. S. 194) abbildet und folgendermaßen
-beschreibt: »Der Frosch wird an einem Beine in die Höhe gehalten, so
-daß der in dem Rückenmark befestigte Haken eine Silberplatte berührt,
-das andere Bein aber frei auf der Platte gleiten kann. Sowie dies Bein
-die Platte berührt, werden die Muskeln zusammengezogen, wodurch sich
-das Bein hebt. Bald aber erschlaffen die Muskeln von selbst, das Bein
-sinkt und kommt wieder mit der Platte in Berührung. Infolgedessen wird
-es wieder hochgehoben und fährt so fort, sich zu heben und zu senken,
-so daß es einem elektrischen Pendel gleicht.« Die Platte dient dabei
-gewissermaßen als Bogen, der den Kreislauf der Elektrizität ermöglicht,
-wenn das Bein auf die Platte niederfällt, für den Kreislauf aber nicht
-mehr vorhanden ist, wenn das Bein sich von der Platte entfernt hat.
-
-Für die merkwürdige Erscheinung selbst gab es nur zwei Erklärungen.
-Entweder war sie in dem Wesen des tierischen Organismus begründet,
-oder es handelte sich um einen auf die Berührung der Metalle
-zurückzuführenden elektrischen Vorgang, bei dem der Froschschenkel
-nur die Rolle eines empfindlichen Elektroskopes spielt. *Galvani*
-entschied sich für die erstere Ansicht, indem er die beschriebenen
-Erscheinungen als Betätigungen einer tierischen Elektrizität
-auffaßte. Diese sollte vom Gehirn aus durch die Nerven dem Muskel
-zufließen. Letzteren verglich er mit der Leydener Flasche, indem er
-sich vorstellte, daß die Oberfläche und das Innere eines Muskels
-entgegengesetzt geladen seien. Brachte man demgemäß den Nerven, als den
-Konduktor dieser Flasche, mit der Oberfläche eines Muskels, die dem
-äußeren Belag entsprechen sollte, in leitende Verbindung, so fand eine
-Entladung statt, als deren Folge die Zusammenziehung der Muskelsubstanz
-aufgefaßt wurde.
-
-[Illustration: Abb. 31. Zuckungen der Froschschenkel bei der Berührung
-mit verschiedenartigen Metallen. (Aus *Galvanis* Abhandlung über die
-Kräfte der Elektrizität.)
-
- Fig. 9. _A_ Stanniolblatt über der Wirbelsäule des präparierten
- Frosches.
- _BB_ Die Tierschenkel.
- _C_ Ein anderes Metallblatt aus Messing.
- _D_ Ein eherner mit Silber überzogener Bogen.
- _F_ Glasplatte, auf welcher das Tier liegt.
-
- Fig. 10. _AA_ Zwei Bogen, die in den Zylinder B aus Glas oder Harz
- gesteckt sind.
- _C_ Ein mit dem Rückenmark verbundener Haken.
-
- Fig. 11. Ein präparierter Frosch, der an einem Bein aufgehängt wird,
- während das andere samt dem mit dem Rückgrat verbundenen Haken
- die Fläche der silbernen Kapsel E berührt.
-
- Fig. 12. _FF_ Zwei Metallbögen, der eine aus Kupfer, der andere aus
- Silber.
-
- Fig. 13. _GG_ Metallkonduktoren, von denen der eine mit der oberen, der
- andere mit der unteren Belegung des Quadrates in Verbindung
- steht.
- _H_ Nerven, die so über den Rand des Quadrates hingestreckt
- sind, daß sie zugleich mit dem Rückenmark die untere Belegung
- berühren.
-
- Fig. 14. _K_ Eine mit verschiedenen Flüssigkeiten anzufüllende Glasröhre.
-
- Fig. 15. Schenkel, voneinander getrennt.
-
- Fig. 16. Schenkel, voneinander getrennt, samt dem in zwei Teile
- gespaltenen Rückgrat.
-
-]
-
-Natürlich erregten *Galvanis* Versuche und seine Lehre, die zunächst
-allgemeine Anerkennung fand, das größte Aufsehen. »Der Sturm, den
-das Erscheinen von *Galvanis* Abhandlung in der Welt der Physiker,
-der Physiologen und Ärzte erregte«, sagt ein hervorragender
-Geschichtsschreiber des Galvanismus[312], »kann nur mit demjenigen
-verglichen werden, der zur selben Zeit am politischen Horizont Europas
-heraufzog. Wo es Frösche gab und wo sich zwei Stücke ungleichartigen
-Metalls erschwingen ließen, wollte jedermann sich von der wunderbaren
-Wiederbelebung der verstümmelten Gliedmaßen durch den Augenschein
-überzeugen.«
-
-*Galvanis* wissenschaftliche Tätigkeit hatte mit dem Erscheinen
-seiner »Abhandlung über die Kräfte der Elektrizität« ihren Höhepunkt
-erreicht. Die Führung auf dem neu erschlossenen Gebiete übernahm jetzt
-*Alessandro Volta*, während sich *Galvani* darauf beschränkte, seine
-Theorie gegen die ihr von *Volta* bereiteten Angriffe zu verteidigen.
-Die letzten Lebensjahre verbrachte *Galvani* in einem Zustande tiefster
-Niedergeschlagenheit, den der Tod der Gattin und die Amtsentsetzung
-herbeigeführt hatten. Letztere erfolgte, weil *Galvani* sich weigerte,
-den bei der Gründung der cisalpinischen Republik von ihm geforderten,
-seiner Überzeugung zuwiderlaufenden Eid zu leisten. Er starb am 4.
-Dezember 1798. Die Erfindung der *Volta*schen Säule, welche den
-gänzlichen Untergang der älteren Theorie herbeiführte, sollte er nicht
-mehr erleben.
-
-*Alessandro Volta* wurde am 18. Februar 1745 zu Como geboren. Fast
-30 Jahre alt, wurde er Professor der Physik an dem Gymnasium seiner
-Vaterstadt. In derselben Eigenschaft berief man ihn fünf Jahre später
-an die Universität Padua, wo er bis zum Jahre 1819 wirkte. Die letzte
-Zeit seines Lebens verbrachte *Volta* in der Zurückgezogenheit; er
-starb am 5. März des Jahres 1827 in Como.
-
-Als *Galvanis* berühmte Abhandlung erschien, hatte *Volta*, der während
-der ersten Zeit seiner wissenschaftlichen Laufbahn mit Vorliebe das
-Verhalten der Gase untersuchte, sich schon hervorragende Verdienste
-um die Elektrizitätslehre erworben. In dem Kondensator, den er mit
-dem Strohhalmelektrometer verband, hatte er ein Mittel zum Nachweis
-geringer Elektrizitätsmengen ersonnen[313], das bei der späteren
-Untersuchung der kontaktelektrischen Phänomene von größtem Werte sein
-sollte. Die Royal Society hatte ihn dafür zu ihrem Mitgliede ernannt
-und ihn durch die Verleihung einer Medaille ausgezeichnet.
-
-Über sein Elektrometer macht *Volta* folgende Angaben. Es sei von
-großer Bedeutung, daß man die früheren Elektrometer ändere und an
-Stelle der feinen Metalldrähte zwei sehr feine und trockene Strohhalme
-von etwa 2 Zoll Länge anwende, die man mittelst kleiner Ringe sehr
-beweglich aufhängen müsse. Diese Halme müßten sich im unelektrischen
-Zustande ihrer ganzen Länge nach berühren.
-
-Anfangs war auch *Volta* von der Richtigkeit der Ansichten *Galvanis*
-überzeugt. Die Zuckungen, meinte er, müßten von dem Mißverhältnis
-herrühren, das zwischen der Elektrizität des Muskels und jener des
-Nerven bestehe. Die metallische Verbindung habe nur die Aufgabe,
-das Gleichgewicht wiederherzustellen. Einige Jahre später erkannte
-er jedoch, daß von einem Vergleich des Muskels mit der Leydener
-Flasche nicht die Rede sein könne. Der Froschschenkel geriet nämlich
-auch in Zuckungen, wenn ein elektrischer Ausgleich lediglich durch
-den Nerven hindurch erfolgte und die Muskeln gänzlich außerhalb
-des leitenden Kreises blieben. Ähnlich wie bei dem von *Sulzer*
-herrührenden Versuch[314] gelang es *Volta*, durch Anlegen von zwei
-verschiedenartigen Metallstücken an Mund und Auge nicht nur eine
-Geschmackserregung, sondern auch Lichtempfindung hervorzurufen.
-
-Diesen fundamentalen Versuch, der bewies, daß der Einfluß einer
-elektrischen Entladung nicht nur Zuckungen, sondern auch eine Erregung
-der Empfindungsnerven hervorrufen kann, stellte *Volta* folgendermaßen
-an. Ein breites Stück Zinnfolie wurde auf die Zungenspitze gelegt.
-Auf den Rücken der Zunge wurde eine Silbermünze gebracht. Beide
-Metalle brachte *Volta* vermittelst eines Kupferdrahtes in Verbindung.
-Er empfand dann einen stark sauren Geschmack. Wenn der Kupferdraht
-vermieden wurde und nur Silber und Zinn zur Anwendung kamen, war das
-Ergebnis dasselbe. *Volta* erzielte dies[315], indem er keine Münze,
-sondern einen silbernen Löffel nahm, diesen auf den Rücken der Zunge
-legte und mit dem Stiel das Stanniolblatt, das auf der Zungenspitze
-lag, berührte.
-
-Daß sich eine Lichtempfindung durch galvanische Elektrizität
-hervorrufen läßt, wies *Volta* nach, indem er den Schließungsbogen
-aus verschiedenen Metallen mit der Stirn und dem Gaumen in Berührung
-brachte. Das Auge empfand dann im Augenblicke der Berührung einen
-hellen Schein.
-
-Auf diese Weise gewann in *Volta* die Vorstellung immer mehr an Raum,
-daß man es in den Metallen nicht mit bloßen Leitern, sondern mit
-den eigentlichen Erregern der Elektrizität zu tun habe. Im Anschluß
-an die Schilderung der soeben erwähnten physiologischen Versuche
-gelangte *Volta* daher um 1792 zu einer Änderung seiner ursprünglichen
-Ansichten[316]. Es sei klar, meinte er, daß bei diesen Versuchen
-die Nerven nur erregt würden und daß die Ursache des elektrischen
-Stromes, der diese Erregung veranlasse, in den Metallen selbst zu
-suchen sei. »Sie sind«, sagt er, »im eigentlichen Sinne die Erreger der
-Elektrizität, während die Nerven selbst passiv sind.« Zur selben Zeit
-machte *Volta* die wichtige Entdeckung, daß die Kohle bei galvanischen
-Versuchen an Stelle eines Metalles gebraucht werden kann. »Ich habe«,
-sagte er[317], »gefunden, daß Holzkohle, die schon früher als ein guter
-Leiter bekannt war, wenig oder gar nicht den Metallen nachsteht und
-sich auch darin wie diese verhält, daß sie ein Erreger der Elektrizität
-ist.«
-
-In einer Schrift vom Jahre 1794 bekennt sich *Volta* offen als Gegner
-der Lehre von der tierischen Elektrizität. Er braucht für die hierher
-gehörigen Erscheinungen fortan das Wort metallische Elektrizität. Die
-ganze Wirkung rühre von den Metallen her, die irgend einen feuchten
-Körper berühren. Die Elektrizität werde dadurch in einen Kreislauf
-gebracht. Gehe der Strom durch Nerven, die noch einen Rest von Leben
-besäßen, so würden die den Nerven gehorchenden Muskeln dadurch in
-Zuckungen versetzt. Diese Bewegungen und die beschriebenen Geschmacks-
-und Lichtempfindungen fand *Volta* bei seinem unausgesetzten,
-mühevollen Forschen je nach der Natur der angewandten Metalle sehr
-verschieden. Die Wirkungen waren um so lebhafter, je weiter die Metalle
-in folgender, von *Volta* 1799 aufgestellten Reihe[318] voneinander
-abstehen:
-
- Zink,
- Zinn,
- Blei,
- Eisen,
- Kupfer,
- Platin,
- Gold,
- Silber,
- Graphit,
- Holzkohle.
-
-Diese erste Spannungsreihe wurde bald darauf um zahlreiche Glieder
-vermehrt, indem auch Mineralien, wie Schwefelkies, Bleiglanz,
-Kupferkies, in sie eingefügt wurden.
-
-*Volta* suchte darauf der Mitwirkung von Nerv und Muskel gänzlich zu
-entraten. Er brachte die Metalle mit allen möglichen feuchten Stoffen,
-wie Papier, Tuch usw. in Berührung. Um den hierbei eintretenden
-elektrischen Ausgleich, der sich bisher in den Zuckungen der Muskeln
-geltend gemacht hatte, unzweifelhaft darzutun, bediente er sich
-eines Kondensators, mit dem sich die geringsten Elektrizitätsmengen
-nachweisen ließen.
-
-Auf die Konstruktion des als elektrischer Ansammlungsapparat dienenden
-Kondensators war *Volta* durch fortgesetzte Untersuchungen am
-Elektrophor gekommen. Schon in seiner ersten Schrift vom Jahre 1769
-befaßte er sich mit der elektrischen Anziehung. In einer Abhandlung
-vom Jahre 1771 beschreibt er unter dem Namen elettroforo perpetuo den
-Apparat, der auch heute noch in derselben Ausführung als Elektrophor
-bekannt ist. Er besteht aus einer Metallschale, aus dem Kuchen, d. i.
-eine Scheibe von nichtleitender Substanz (Harz, Pech) und aus einer
-an isolierenden seidenen Schnüren befestigten Metallplatte (Abb. 33).
-Um den Kuchen zu erhalten, schmolz *Volta* drei Teile Terpentin, zwei
-Teile Harz und einen Teil Wachs zusammen. Wie die Elektrisiermaschinen,
-so erreichten auch die Elektrophore im 18. Jahrhundert riesige Ausmaße
-(bis zu 7 Fuß Durchmesser). Die Wirkungsweise des Elektrophors
-besteht darin, daß die dem Kuchen mitgeteilte Elektrizität durch
-Influenz auf den Deckel wirkt und daß die abgestoßene Elektrizität des
-letzteren durch kurze Berührung entfernt wird. In seiner Wirkungsweise
-stimmt, wie *Wilke* dargetan[319], somit das Elektrophor mit der
-*Franklin*schen Tafel überein[320].
-
-[Illustration: Abb. 32. *Voltas* Kondensator.]
-
-[Illustration: Abb. 33. *Voltas* Elektrophor.]
-
-Ausgehend vom Elektrophor gelangte *Volta* im Jahre 1782
-zur Konstruktion des von ihm als Kondensator bezeichneten
-Ansammlungsapparats. Der Kondensator ist im Grunde genommen ein
-Elektrophor mit äußerst dünner Harzschicht an Stelle des bislang
-gebrauchten dicken Harzkuchens. Wurde auf diese dünne Harzschicht
-ein Deckel gelegt und dieser dann mit einer sehr schwachen
-Elektrizitätsquelle, z. B. einer schon entladenen Flasche in Berührung
-gebracht, an welcher durch andere Mittel keine Elektrizität mehr
-nachgewiesen werden konnte, so war der Deckel nach dem Abheben deutlich
-elektrisch geworden. Aus diesem Grunde bezeichnete *Volta* den neuen
-Apparat als Kondensator. Es war von Wichtigkeit, die Harzschicht vor
-Beginn jedes Versuches wieder vollständig zu entladen. Bei der Lösung
-dieser Aufgabe entdeckte schon *Volta* eine wichtige Beziehung zwischen
-der Elektrizität und dem Lichte. Er fand nämlich, daß die Entladung
-sich rasch und vollständig bewirken ließ, wenn er die Harzschicht in
-die Sonne stellte[321].
-
-Aus den Bemühungen *Voltas* ging der Kondensator schließlich in der
-Form hervor, wie er noch heute gebraucht wird. Es wurden nämlich zwei
-gleiche Metallplatten, von denen die eine direkt mit dem Elektroskop
-verbunden ist, mit einer möglichst gleichmäßigen, dünnen Firnisschicht
-überzogen (Abb. 32). Die Wirkung dieses Apparates ergibt sich aus den
-von *Aepinus* und *Wilke* entdeckten Influenzgesetzen. Der oberen
-Platte wird z. B. positive Elektrizität mitgeteilt. Legt man sie dann
-auf die untere Platte, von welcher sie durch die doppelte Firnisschicht
-getrennt ist, so wird sich auf dem der oberen Platte zugewandten Teile
-der unteren Platte negative, auf dem abgewandten positive Elektrizität
-befinden. Letztere wird abgeleitet. Hebt man dann die obere, auch wohl
-Kollektor genannte Platte ab, so breitet sich die negative Elektrizität
-über die ganze untere Scheibe, die Kondensatorscheibe, aus. Durch
-häufigere Wiederholung dieses Verfahrens läßt sich die Ansammlung der
-negativen Elektrizität auf der unteren Platte und die Wirkung auf das
-mit dieser Platte verbundene Elektroskop erheblich steigern.
-
-Erst diese Vorversuche setzten *Volta* in den Stand, seinen berühmten
-Fundamentalversuch der Kontaktelektrizität anzustellen. Letzterer
-bestand darin, daß man das Auftreten entgegengesetzter Elektrizitäten
-durch die bloße Berührung zweier Metalle bewirkte, ohne dazu einer
-feuchten Zwischensubstanz, sei letztere animalisch oder nicht, zu
-bedürfen. *Volta* beschreibt diesen Versuch, zu dem er nichts weiter
-benötigte als Platten von verschiedenen Metallen mit isolierenden
-Handhaben, einen Kondensator und ein Elektrometer mit Streifen vom
-feinsten Blattgold, mit folgenden Worten[322]: »Bringt man die
-miteinander in Berührung gewesenen Platten an das sehr empfindliche
-Elektrometer, so werden die Goldblättchen etwas auseinandergehen und
-dadurch einige Elektrizität anzeigen, die positiv oder negativ sein
-wird, je nach der Natur des Metalles, das man untersucht, und des
-anderen, mit dem dieses vorher in Berührung stand.« Nahm *Volta* z. B.
-eine Zink- und eine Kupferscheibe, so erwies sich nach der Berührung
-erstere als positiv, letztere als negativ elektrisch. Brachte man das
-Kupfer mit Zinn oder Eisen zusammen, so wurde es gleichfalls, indes
-in weit geringerem Maße, negativ elektrisch, während das Zinn und
-das Eisen sich wie das Zink in dem ersten Versuch verhielten. Wurden
-endlich Gold oder Silber mit Kupfer berührt, so wurde das letztere
-diesmal positiv, Gold und Silber dagegen wurden negativ elektrisch.
-
-*Volta* beschreibt seinen Fundamentalversuch in einem Brief vom Jahre
-1797[323]. Eine solch beträchtliche Elektrizität durch einfache
-Berührung verschiedener Metalle zu erhalten, fügt *Volta* hinzu, sei
-gewiß etwas Bewundernswürdiges und alle Sachverständigen, denen er
-seinen Versuch gezeigt habe, seien erstaunt darüber.
-
-Welcher Art die Elektrizität der verschiedenen Metalle nach der
-Berührung ist, findet *Volta*, indem er dem Elektrometer, dem er die
-Elektrizität mitgeteilt hat, eine geriebene Glas- und eine geriebene
-Harzstange nähert und darauf achtet, ob die Divergenz der Goldblättchen
-zu- oder abnimmt. Wurden z. B. Zink und Kupfer in Berührung gebracht,
-so war nach der Trennung das Zink positiv, denn bei Annäherung der
-positiven Glasstange nahm die Divergenz des Pendel zu, während sie sich
-bei Annäherung der mit negativer Elektrizität geladenen Harzstange
-verminderte.
-
-Indem *Volta* auf solche Weise seinen Fundamentalversuch vielfach
-abänderte, gelangte er zur Aufstellung der folgenden elektrischen
-Spannungsreihe:
-
- +
- Zink
- Blei
- Zinn
- Eisen
- Kupfer
- Silber
- Gold
- Graphit
- -
-
-Diese Reihe enthält Graphit und die bekanntesten Metalle in einer
-solchen Anordnung, daß jedes vorhergehende Glied, mit einem der
-nachfolgenden in Berührung gebracht, positiv elektrisch wird, während
-das spätere Glied stets den negativ elektrischen Zustand annimmt. Dabei
-stellte sich beim Messen mit dem Strohhalmelektrometer heraus, daß der
-elektrische Unterschied zwischen je zwei Gliedern dieser Reihe um so
-größer ist, je weiter die Glieder voneinander entfernt sind. So ergaben
-sich[324] für die ersten vier Glieder der Reihe folgende Differenzen:
-
- Zink | Blei = 5
- Blei | Zinn = 1
- Zinn | Eisen = 3
-
-Für Zink | Eisen erhielt man den Wert 9 (= 5 + 1 + 3). Damit war das
-Gesetz gefunden, daß der elektrische Unterschied für zwei Glieder der
-Spannungsreihe gleich der Summe der Unterschiede aller dazwischen
-liegenden Glieder ist, so daß in einer geschlossenen Kette von
-Metallen, in der z. B. Zink mit Blei, dieses mit Zinn, dieses mit Eisen
-und das letztere wieder mit Zink verbunden wird, die elektrischen
-Unterschiede sich ausgleichen und die Spannung infolgedessen Null ist.
-
-*Volta* hatte auf Grund dieser Versuche angenommen, daß die erregende
-Kraft ausschließlich an der Berührungsstelle der Metalle ihren
-Sitz habe und die animalischen oder andere Feuchtigkeiten nur als
-Leiter dienen. Weitere Versuche belehrten ihn jedoch, daß auch bei
-der Berührung zwischen Metall und Flüssigkeit eine erregende oder
-elektromotorische Kraft auftritt. Isolierte Platten von Silber, Zinn,
-Zink usw. wurden mit feuchtem Holz, Papier oder feuchten Ziegeln in
-Berührung gebracht. Nach dem Abheben erwiesen sich die Metallplatten
-als negativ elektrisch. Die Metalle wurden Elektromotoren erster, die
-Flüssigkeiten, die sich nicht in die Spannungsreihe eingliedern lassen,
-Elektromotoren oder Leiter zweiter Klasse genannt.
-
-»Die Berührung verschiedener Leiter«, sagt *Volta* in einem Schreiben
-vom Jahre 1796[325], »die ich trockne Leiter oder Leiter der ersten
-Klasse nenne, mit feuchten oder Leitern der zweiten Klasse erregt
-das elektrische Fluidum und gibt ihm einen gewissen Antrieb. Fragen
-Sie noch nicht, wie dies geschieht; es ist vorläufig genug, daß es
-geschieht und daß es sich um ein allgemeines Verhalten handelt.«
-
-*Volta* zeigte, daß in einem nur aus Elektromotoren erster Klasse
-bestehenden Kreise keine Bewegung der Elektrizitäten, kein Strom
-entsteht. Er zeigte ferner, daß ein solcher hervorgerufen wird, wenn
-zwei Elektromotoren erster Klasse mit einem feuchten Leiter der zweiten
-Klasse und unter sich, entweder unmittelbar oder vermittelst eines
-dritten Leiters, in Verbindung stehen und auf diese Weise einen Kreis
-von Leitern bilden. Eine derartige Vereinigung wurde ein galvanisches
-Element genannt. Die Wirkung des letzteren vervielfältigte *Volta*,
-indem er eine größere Anzahl solcher Elemente zu seiner Säule verband.
-
-[Illustration: Abb. 34. *Voltas* erste Säule.]
-
-[Illustration: Abb. 35. *Voltas* aus zwei Teilen zusammengesetzte
-Säule.]
-
-Den ersten Bericht über diese, an Wichtigkeit von keiner anderen
-übertroffene Erfindung erstattete *Volta* im Jahre 1800[326]. Er teilte
-darin mit, daß es ihm im Verfolg seiner Versuche über die Erzeugung von
-Elektrizität durch bloße Berührung gelungen sei, einen neuen Apparat
-herzurichten. Dieser habe in sehr schwachem Maße die Wirkung der
-Leydener Flasche, andererseits übertreffe er die letztere darin, daß
-er nicht vorher mit fremder Elektrizität geladen werden müsse, sondern
-jedesmal wirke, wenn man ihn in geeigneter Weise berühre. Der Apparat
-besitze seiner Wirkung und auch seiner Einrichtung nach eine gewisse
-Ähnlichkeit mit dem elektrischen Organ des Zitterrochens. Abb. 34 zeigt
-die erste Säule *Voltas*. Ihre Herstellung wird mit folgenden Worten
-beschrieben[327]: »Dreißig, vierzig, sechzig oder mehr Stücke Silber,
-von denen jedes auf ein Stück Zink gelegt wird, und die gleiche Anzahl
-mit Salzwasser oder Lauge getränkter Tuchstücke, diese Stücke zwischen
-jede Verbindung der beiden Metalle geschaltet, eine derartige Folge der
-drei Leiter in stets gleicher Anordnung: das ist alles, woraus der neue
-Apparat besteht.« Außer der leichten Erschütterung, die man erhielt,
-wenn man die oberste Platte berührte und die andere Hand in das Gefäß
-b tauchte und so den Stromkreis schloß, ließ sich auch eine Wirkung
-dieses Apparates auf die Geschmacks-, Gesichts- und die Gehörnerven
-nachweisen.
-
-[Illustration: Abb. 36. *Voltas* Becherapparat.]
-
-Bei einer größeren Zahl von Platten war *Volta* gezwungen, entweder die
-Säule mit Stützen zu umgeben oder sie, wie es Abb. 35 zeigt, in mehrere
-Teile zu zerlegen. Eine Säule besaß nämlich die Unvollkommenheit, daß
-die Metallstücke durch ihr Gewicht die Tuchscheiben auspreßten, so daß
-die darin enthaltene Flüssigkeit schließlich die ganze Säule überzog
-und unwirksam machte. *Volta* war daher auf eine Anordnung bedacht,
-welche diesen Übelstand vermeidet: Er stellte eine Reihe von Bechern
-auf, die aus einem nichtmetallischen Stoff wie Holz, Ton oder Glas
-bestanden. Diese Becher füllte er zur Hälfte mit Salzwasser oder Lauge.
-Dann setzte er sie sämtlich in Verbindung, so daß sie eine Art Kette
-bildeten. Dies geschah vermittelst einer gleichen Zahl metallischer
-Bögen. Der Teil A, der in einen der Becher tauchte, war aus Kupfer
-oder aus versilbertem Kupfer hergestellt, während der andere Teil Z,
-der in den folgenden Becher tauchte, aus Zinn oder aus Zink bestand.
-Die beiden Metalle wurden an irgend einer Stelle oberhalb des Teiles,
-der in die Flüssigkeit tauchte, zusammengelötet. Damit die letztere
-mit einer hinreichend großen Fläche der Metalle in Berührung kam, gab
-*Volta* den Metallen die Form von Platten.
-
-»Eine Folge von 30, 40 oder 60 dieser auf solche Weise verbundenen
-Becher,« sagt *Volta*, »die entweder in einer geraden Linie oder in
-einer beliebigen Kurve angeordnet sein können: das ist alles, woraus
-dieser neue Apparat besteht. Im Prinzip und in Anbetracht der ihn
-bildenden Substanzen stimmt er mit dem oben beschriebenen Säulenapparat
-überein.«
-
-Um eine Erschütterung zu erhalten, genügte es, die eine Hand in einen
-der Becher und einen Finger der anderen Hand in einen zweiten Becher
-zu tauchen. Die Erschütterung war um so stärker, je weiter die beiden
-Becher von einander entfernt waren. *Volta* erhielt folglich den
-stärksten Schlag, wenn er das erste und das letzte Glied der Kette
-berührte.
-
-Die Wirkungen, die ein aus 40 oder 50 Plattenpaaren hergestellter
-Apparat hervorrief, beschränkten sich nicht auf Erschütterungen. Der
-Apparat erregte auch die Organe des Geschmacks-, des Gesichts-, des
-Gehör- und des eigentlichen Gefühlssinnes und rief in ihnen die einem
-jeden entsprechenden Empfindungen hervor, eine Tatsache, die für die
-Physiologie der Sinnesorgane von der größten Bedeutung war und später
-*Johannes Müller* zur Aufstellung seiner Lehre von den spezifischen
-Energien dieser Organe geführt hat.
-
-Die Wirkungen auf die Haut schildert *Volta* mit folgenden Worten: »Ich
-fühle in dem Augenblicke, in welchem der leitende Kreis geschlossen
-wird, an der berührten Stelle der Haut und ein wenig darüber hinaus
-einen Schlag und einen Stich, die schnell vorübergehen und sich so
-oft wiederholen, wie man den Kreis öffnet und schließt. Wenn dieser
-Wechsel häufig stattfindet, so ruft er ein sehr unangenehmes Prickeln
-und Stechen hervor. Bleibt jedoch die Verbindung bestehen, so fühlt
-man einige Augenblicke nichts mehr; darauf entsteht aber in dem von
-dem Drahtende berührten Körperteil eine andere Empfindung, nämlich
-ein scharfer, ohne Erschütterung auftretender Schmerz, der sich auf
-die berührte Stelle beschränkt, ein Brennen, das nicht nur andauert,
-sondern immer stärker und schließlich unerträglich wird und das erst
-aufhört, wenn man den Kreis unterbricht. Welch ein augenscheinlicher
-Beweis dafür, daß der elektrische Strom andauert, solange die leitenden
-Substanzen in Verbindung stehen, und daß erst, wenn wir diese
-Verbindung aufheben, der Strom unterbrochen wird. Daß das elektrische
-Fluidum unaufhörlich kreist, kann paradox erscheinen und unerklärlich
-sein. Nichtsdestoweniger ist es tatsächlich so; es läßt sich sozusagen
-mit den Händen greifen.«
-
-Die Erfindung der *Volta*schen Säule erregte nicht nur in England,
-sondern auch in Frankreich das größte Aufsehen. Auf Veranlassung
-des ersten Konsuls erschien *Volta* in Paris, wo er im November des
-Jahres 1801 einen Vortrag hielt. Die hervorragendsten französischen
-Gelehrten bildeten darauf einen Ausschuß, der Bericht erstatten
-mußte[328]. Napoleon ließ für *Volta* eine goldene Medaille prägen und
-stiftete einen Ehrenpreis für die besten Arbeiten auf dem Gebiete der
-galvanischen Elektrizität.
-
-Daß die beiden Pole der Säule eine anziehende Wirkung ausüben, bewies
-der Deutsche *Ritter* auf folgende Weise. Er verband die Pole der Säule
-mit zwei Drähten. An den Drahtenden befestigte er Goldplattstreifen und
-näherte sie einander. Die Streifen zogen sich darauf gegenseitig an,
-bis sie sich schließlich berührten und so die Kette schlossen[329].
-
-Bevor wir uns mit den chemischen, thermischen und dynamischen Wirkungen
-der von *Galvani* und *Volta* entdeckten Naturkraft näher befassen,
-wollen wir die weitere Entwicklung der galvanischen Ketten, für welche
-*Voltas* Apparat das Vorbild gewesen ist, verfolgen.
-
-Von Verbesserungen und Entdeckungen, die bald nach ihrer Erfindung
-an der *Volta*schen Säule in rascher Folge gemacht wurden, sind vor
-allem folgende erwähnenswert. Um die Berührung der Metallplatten
-vollständiger zu machen, lötete man sie zusammen[330]. Daß die
-physiologische Wirkung der Säule proportional der Anzahl der Platten
-sei, hatte schon *Volta* nachgewiesen; *Nicholson* fand dies auch
-für die chemische Wirkung bestätigt. Es lag nahe, den Einfluß des
-Durchmessers der Platten auf die Art der Wirkung zu untersuchen. Das
-Ergebnis war, daß eine Vergrößerung des Plattendurchmessers die Funken
-intensiver machte. Eine Säule von fünf großen Platten gab stärkere
-Funken als eine solche von 80 kleinen, dagegen war die physiologische
-Wirkung der fünf Platten sehr gering[331]. Der Zusammenhang der
-thermischen Wirkung des galvanischen Stromes mit der Zahl und Größe
-der Platten wurde eingehend im Jahre 1805 untersucht[332]. Man fand,
-daß große Platten leichter Drähte zum Erglühen bringen. Während z.
-B. eine Säule von 400 Plattenpaaren von 4 Zoll Durchmesser nur einen
-Eisendraht von 2 Zoll Länge zum Erglühen brachte, war eine zweite Säule
-von nur 100 Paaren, die aber einen Durchmesser von 8 Zoll besaßen,
-imstande, ein 32 Zoll langes Stück desselben Eisendrahtes glühend zu
-machen. Unter einen gemeinsamen Gesichtspunkt gebracht wurden diese
-Erscheinungen erst weit später durch das Gesetz von *Ohm* über den
-Zusammenhang der Stromstärke mit der elektromotorischen Kraft und dem
-Widerstande.
-
-Einen Vorläufer besaß *Ohm* in *Ritter*[333], der schon 1805 zu dem
-Ergebnis gelangte, daß »der Effekt der Säule bei gleicher Spannung
-von der Summe der Leitung in der Säule und dem schließenden Bogen
-abhänge«[334]. Bezeichnen wir die Spannung (elektromotorische Kraft)
-mit E, den Effekt (Intensität) mit i und den inneren und äußeren
-Leitungswiderstand mit W und w, so drückt das *Ohm*sche Gesetz die
-Beziehung zwischen den genannten Größen durch die Formel i = E/(W+w)
-aus, und diese Beziehung finden wir in dem von *Ritter* ausgesprochenen
-Satze angedeutet.
-
-Nachdem *Volta* seinen Fundamentalversuch angestellt hatte, lag der
-Gedanke nahe, eine galvanische Säule ohne Flüssigkeit zu konstruieren
-und dadurch der Kontaktheorie gegenüber der chemischen Erklärungsweise
-eine größere Stütze zu verleihen. Dieser Gedanke führte *Behrens* zur
-Konstruktion des Säulenelektroskops und *Zamboni* zur Herstellung der
-Trockensäule.
-
-*Behrens* brachte ein isoliert aufgehängtes Goldblättchen zwischen
-die entgegengesetzten Pole zweier aus Goldpapier und Stanniol
-aufgeschichteten gleichen Säulen. Da die anziehenden Kräfte gleich
-stark waren, befand sich das isolierte Goldblättchen zunächst in
-senkrechter Lage. Wurde dem Knopfe, an welchem das Goldblättchen hing,
-ein elektrisierter Körper genähert, so wurde es entweder vom positiven
-Pole der einen oder vom negativen Pole der anderen Säule angezogen, je
-nachdem der genäherte Körper positiv oder negativ war[335].
-
-Zweckmäßiger ist die Einrichtung, die später *Rieß*[336] dem
-Säulenelektroskop gegeben hat. *Rieß* benutzte nur eine aus Gold-
-und Silberpapier geschichtete Säule, deren Pole mit zwei einander
-gegenüberstehenden Metallplatten in Verbindung stehen. Die
-Elektrizitäten dieser Platten (Abb. 37) sind gleich stark. Zwischen
-den Platten hängt das isolierte Goldblättchen. Wird diesem nur die
-geringste Spur Elektrizität mitgeteilt, so wird es sich nach der einen
-oder der anderen Platte bewegen und dadurch nicht nur die Elektrizität
-selbst, sondern auch ihre Art anzeigen.
-
-[Illustration: Abb. 37. Das Säulenelektroskop.]
-
-Unabhängig von *Behrens*, dessen Erfindung zunächst wenig Beachtung
-fand, konstruierte der Italiener *Zamboni* Trockensäulen aus Gold- und
-Silberpapierscheiben, die er tausendfach übereinander aufschichtete.
-Sie gaben ihm Funken von einem halben Zoll Länge[337]. *Zamboni*
-suchte mit Hilfe seiner Säule eine Art Perpetuum mobile herzustellen.
-Hatte *Behrens* zwischen zwei Trockensäulen einen Goldblattstreifen
-aufgehängt, so brachte *Zamboni* zwischen den entgegengesetzten Polen
-DD seiner Säulen (s. Abb. 38) eine Magnetnadel *ccc* an. Das obere
-Ende dieser Nadel wurde von DD abwechselnd angezogen und wieder
-abgestoßen, so daß die Nadel fortwährend hin und her pendelte.
-
-Die Erfindung der Trockensäulen schien zunächst den Sieg der
-Kontakttheorie zu bedeuten, bis 1807 durch *Erman* gezeigt wurde, daß
-die Trockensäule ihre Wirkung einbüßt, wenn sie in völlig trockene Luft
-gebracht wird, so daß das hygroskopische Papier seine Feuchtigkeit
-verliert. Brachte man die Säule aus dem Chlorkalziumtrockenapparat,
-dessen sich *Erman*[338] bediente, wieder in gewöhnliche Luft, so wurde
-sie wieder wirksam.
-
-Kehren wir zur eigentlichen galvanischen Säule zurück. Schon das Jahr
-1802 brachte eine weitere grundlegende Entdeckung. Jemand brachte die
-Platindrähte eines Wasserzersetzungsapparats, nachdem durch letzteren
-eine Zeitlang der Strom geschickt war, an die Zunge. Der Apparat
-wirkte jetzt wie ein galvanisches Element, da sich die bekannte
-Geschmacksempfindung einstellte. Man hatte die Polarisation und den
-durch sie hervorgerufenen Polarisationsstrom entdeckt[339].
-
-[Illustration: Abb. 38. *Zambonis* Trockensäule.]
-
-Eine der soeben erwähnten ganz analoge Beobachtung machte der schon
-wiederholt genannte *Ritter*. Er hatte eine Säule ausschließlich aus
-Silber und angefeuchteten Tuchscheiben ohne Zuhilfenahme eines zweiten
-Metalles zusammengesetzt. Diese Säule gab natürlich zunächst keinen
-Strom. Nachdem er sie aber einige Zeit der Wirkung einer *Volta*schen
-Säule ausgesetzt und die Verbindung darauf gelöst hatte, gab die
-vorerwähnte nur ein Metall enthaltende »Ladungssäule« einen Strom.
-*Ritter* glaubte zuerst eine neue Art von Kondensator erfunden zu
-haben, bis *Volta*[340] nachwies, daß man es hier nicht mit einer
-bloßen Ansammlung von Elektrizität, sondern mit einer chemischen
-Zersetzung des Wassers zu tun habe. Infolgedessen überziehe sich jede
-Silberplatte mit einer Wasserstoffschicht auf der dem positiven Pole
-zugekehrten und mit einer Sauerstoffschicht auf der dem negativen Pole
-zugekehrten Seite. Eine solche aus zwei gasförmigen Flüssigkeiten und
-einem Metall bestehende Säule wirke so lange, bis das zersetzte Wasser
-sich zurückgebildet habe. Die Ladungssäule *Ritters* ist somit die
-erste Form des Akkumulators und *Volta* hatte mit vorstehenden Worten
-das Prinzip der Polarisation, das später *Planté* zur Konstruktion der
-sekundären Elemente oder Akkumulatoren führte, ganz richtig dargestellt.
-
-*Ritter* fand auch, daß durch Einschalten einer Ladungssäule der
-Strom der *Volta*schen Säule rasch geschwächt wird, eine Erscheinung,
-welche daher rührt, daß der von der Ladungssäule ausgehende Strom
-dem Ladestrom der *Volta*schen Säule entgegengesetzt ist. Man
-erkannte, daß aus demselben Grunde, d. h. infolge des Auftretens
-von Zersetzungsprodukten, die *Volta*sche Säule geschwächt werden
-muß, selbst wenn sie gar nicht mit einer »Ladungssäule« oder einem
-Wasserzersetzungsapparat in Verbindung steht. Das Bestreben, hier
-Abhilfe zu schaffen, führte zur Konstruktion der »konstanten Elemente«.
-
-
-
-
-13. Die Begründung der Elektrochemie.
-
-
-Wie bei so vielen großen Entdeckungen wurden auch bezüglich der
-chemischen Wirkung der galvanischen Elektrizität die ersten
-Beobachtungen gemacht, ohne daß man ihnen gleich die verdiente
-Bedeutung beigelegt und sie weiter verfolgt hätte. So wurde schon
-im Jahre 1795 darauf hingewiesen, daß, wenn Zink und Silber in
-Wasser tauchen, das Zink von einer Oxydschicht überzogen wird[341].
-*A. v. Humboldt* wiederholte diesen Versuch und sah am Silber
-Blasen aufsteigen, die aus Wasserstoff bestanden[342]. Übrigens war
-*Humboldt* ein Hauptgegner *Voltas*. *Humboldt* gab 1797-1799 ein
-Werk über die tierische Elektrizität heraus, das er »Versuche über
-die gereizte Nerven- und Muskelfaser« betitelte. Darin vertrat er
-die Ansicht, die galvanischen Erscheinungen würden durch ein Fluidum
-hervorgerufen, das in den tierischen Organen angehäuft sei. Ob dieses
-Fluidum, wie *Galvani* angenommen, elektrischer Natur sei, hielt
-*Humboldt* sogar noch für zweifelhaft. Eine bessere Aufnahme fanden
-die Forschungsergebnisse *Galvanis* und *Voltas* jenseits des Kanals.
-Sobald die Kunde von der Erfindung der *Volta*schen Säule nach England
-gelangt war, beeilten sich die dortigen Physiker, *Voltas* Apparat
-zusammenzustellen und damit zu experimentieren. Dabei richtete sich
-ihre Aufmerksamkeit auf die von *Volta* übersehenen, vielleicht auch
-in seiner Voreingenommenheit für die von ihm begründete Kontakttheorie
-nicht genügend beachteten chemischen Vorgänge.
-
-Der erste, der in England eine Säule nach *Voltas* Angaben
-zusammensetzte, war *Carlisle*[343]. Um eine bessere Berührung des
-Schließungsdrahtes mit der oberen Platte zu bewerkstelligen, hatte
-*Carlisle* die letztere mit einem Tropfen Wasser angefeuchtet. Dabei
-bemerkte er, daß sich um den Draht herum Gasbläschen bildeten. Um diese
-Erscheinung genauer zu verfolgen, führte *Carlisle* in Gemeinschaft
-mit *Nicholson*[344] im Mai des Jahres 1800 den galvanischen Strom
-unter Anwendung von zwei Messingdrähten durch eine mit Wasser gefüllte
-Röhre[345]. Der Abstand zwischen den Enden der Drähte betrug 1¾
-Zoll. Sogleich erhob sich an dem mit dem Silber verbundenen Drahte ein
-Strom kleiner Gasblasen, während die Spitze des anderen Drahtes anlief.
-Jenes Gas wurde als Wasserstoff erkannt. Der Sauerstoff des Wassers
-hatte sich dagegen mit der Substanz desjenigen Drahtes verbunden,
-der zum Zink führte, und ein Anlaufen des Endes verursacht. Als man
-anstatt der Messingdrähte solche aus Platin wählte, einem Metall,
-mit dem der Sauerstoff sich nicht direkt verbindet, gelang es, beide
-Gase als solche aus dem Wasser abzuscheiden. Dieses war die erste,
-vollständige und deutliche, mit Hilfe des galvanischen Stromes bewirkte
-Zerlegung einer chemischen Verbindung, deren zusammengesetzte Natur
-man allerdings schon vorher erkannt hatte. Zwar besaßen *Carlisle* und
-*Nicholson* in *von Humboldt* und einigen anderen Vorläufer, die schon
-auf gewisse Erscheinungen hingewiesen hatten, die offenbar chemische
-Wirkungen des Stromes waren. Ja, es tauchte schon vor der Erfindung der
-*Volta*schen Säule die Ansicht auf, daß vielleicht chemische Änderungen
-nicht die Folge, sondern die Ursache der Elektrizitätsentwicklung
-sein möchten[346]. Dennoch gebührt den beiden englischen Forschern
-das Verdienst, die Zerlegung des Wassers durch den galvanischen Strom
-zum ersten Male durch eine planvolle und ergebnisreiche Untersuchung
-dargetan zu haben. Nichts lag daher näher, als das neue Hilfsmittel auf
-Stoffe bislang unbekannter chemischer Zusammensetzung anzuwenden, ein
-Weg, den wir wenige Jahre nach der Anstellung der soeben beschriebenen
-ersten Elektrolyse mit dem größten Erfolge den Engländer *Davy*
-beschreiten sehen. Wie *Nicholson* und *Carlisle* in *v. Humboldt*, so
-besaß *Davy* auf diesem Gebiete einen Vorläufer in dem schon erwähnten
-Deutschen *Ritter*[347]. Im September des Jahres 1800[348] teilte
-dieser mit, daß er mit einer aus 64 Plattenpaaren bestehenden Säule
-nicht nur Wasser, sondern auch Kupfervitriol unter Abscheidung von
-Kupfer zersetzt habe. *Ritter* ließ den Strom auch auf Ammoniak wirken.
-Er gelangte schließlich zu der Ansicht, es gebe keine Flüssigkeit, die
-nicht durch den galvanischen Strom zersetzt werden könne.
-
-Es ist für uns Deutsche ruhmvoll, daß bei uns so oft in aller Stille
-und Verborgenheit die Erschließung neuer Wissensgebiete stattgefunden
-hat. Es ist dagegen eine fast beschämende, indessen aus den früheren
-Zuständen und dem Nationalcharakter erklärliche Tatsache, daß der
-weitere Ausbau der erschlossenen Gebiete und die praktische Verwertung
-der gewonnenen Kenntnisse, sowie infolgedessen häufig genug auch
-der Ruhm der Entdeckung dem Auslande vorbehalten blieb. Im Beginn
-des 19. Jahrhunderts herrschte zudem eine die empirische Forschung
-unterschätzende Naturphilosophie in Deutschland, in deren Banden sich
-*Ritter* und in seinen jüngeren Jahren auch *von Humboldt* befand. Sie
-hat der Naturforschung auf deutschem Boden mehr geschadet, als es in
-Frankreich die Wirren der französischen Revolution vermocht haben. Von
-beiden Hemmnissen blieben die Forscher Englands verschont. Und so sehen
-wir hier *Davy* mit Entdeckungen auf dem neuen Gebiete hervortreten,
-welche denjenigen *Voltas* nicht nachstehen.
-
-*Humphry Davy* wurde am 17. Dezember 1778 in Cornwall geboren[349].
-In ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen -- sein Vater sorgte für
-sich und die Seinen durch Herstellung von Holzschnitten -- wurde der
-junge *Davy* Gehilfe bei einem Chirurgen. Diesem mußte er auch bei
-der Herstellung von Arzneien zur Hand gehen. Auf solche Weise wurde
-in ihm ein Interesse an chemischen Vorgängen erweckt, das für seine
-spätere Laufbahn bestimmend werden sollte. Im Alter von 20 Jahren
-erhielt *Davy* eine Anstellung an einem Institut, das man in Bristol
-zu dem Zweck ins Leben gerufen hatte, um die Wirkungen gasförmiger
-Körper auf den Organismus zu prüfen[350]. *Davy* machte hier die
-Beobachtung, daß das von *Priestley* um 1772 entdeckte Stickoxydul
-(Lachgas) berauschend und betäubend wirkt[351]. Ferner stellte er
-Versuche über die physiologischen Wirkungen von Wasserstoff und
-Kohlendioxyd an und gelangte dadurch in den Ruf eines vorzüglichen
-Experimentators. Infolgedessen wurde *Davy*, bald nachdem die Kunde
-von *Voltas* Entdeckungen nach England gekommen war, als Professor
-der Chemie an die Royal Institution nach London berufen und zum
-Mitglied der Royal Society gewählt. Hier sehen wir ihn während
-des ersten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts eine außerordentliche
-Wirksamkeit entfalten, durch die er der Lehre vom Galvanismus
-eine neue Richtung gab. Nur die hervorragende, gleichzeitig das
-physikalische, wie das chemische Gebiet umfassende Forschertätigkeit
-eines *Davy* war imstande, die zahlreichen Irrtümer, welche jener
-Lehre infolge unrichtiger Auslegung der beobachteten elektrochemischen
-Vorgänge anhafteten, zu beseitigen. Der Elektrizität wurde damals
-alles Mögliche und Unmögliche zugeschrieben. Hielten es doch viele
-für ausgemacht, daß aus reinem Wasser und dem elektrischen Fluidum
-Salpetersäure, Salzsäure, Natron oder gar eine besondere elektrische
-Säure entstehen könne. *Davy* lieferte den Nachweis, daß in solchen
-Fällen das Wasser Verunreinigungen enthielt, durch deren Zersetzung
-die genannten Verbindungen entstanden waren, oder daß in anderen
-Fällen unter dem Einfluß der Elektrizität Bestandteile des Gefäßes
-an das Wasser abgegeben und zersetzt wurden[352]. Er zeigte ferner,
-daß chemisch reines Wasser sich durch die Elektrizität einzig und
-allein in Sauerstoff und Wasserstoff zersetzt[353]. Darauf folgten
-eine Anzahl Versuche über »Das Hinüberführen gewisser Bestandteile
-der Körper durch Elektrizität,« ein Vorgang, den man später als das
-Wandern der Ionen bezeichnet und durch die Annahme von freien, positiv
-oder negativ geladenen Ionen erklärt hat. *Davy* spricht das Ergebnis
-dieser Versuche etwa folgendermaßen aus: Wasserstoff und die Metalle
-würden von den negativ elektrischen Metallflächen angezogen, von den
-positiv elektrischen dagegen zurückgestoßen. Dagegen würden Sauerstoff
-und die Säuren (die Säurereste würden wir heute sagen) von den
-positiven Metallflächen angezogen, von den negativen abgestoßen. Diese
-anziehenden und zurückstoßenden Kräfte seien energisch genug, um die
-Wirkung der Wahlverwandtschaft zu zerstören.
-
-Die Schwierigkeit, daß die Bestandteile der Verbindungen an den weit
-voneinander entfernten Elektroden jeder für sich in die Erscheinung
-treten, erklärt *Davy*, indem er das Wasser als Beispiel wählt, auf
-folgende Weise. Da der Wasserstoff von der positiven Metallfläche
-(die Bezeichnung Elektrode hat erst *Faraday* eingeführt) und der
-Sauerstoff von der negativen Fläche abgestoßen würden, so müsse in
-der Mitte des flüssigen Leiters eine Verbindung der zurückgestoßenen
-Stoffe vor sich gehen, oder -- ein Gedanke, den später[354] *Grothuss*
-wieder aufgenommen -- es finde eine Reihe von Zersetzungen und
-Wiedervereinigungen von der einen Metallfläche bis zur anderen statt.
-
-Über eine Entdeckung von weittragendster Bedeutung berichtete *Davy*
-der Royal Society im Jahre 1807. Schon *Lavoisier* hatte die
-Vermutung ausgesprochen, daß man in den Alkalien und den Erden den
-Metallkalken ähnliche Verbindungen des Sauerstoffs mit bis dahin
-unbekannten Elementen zu erblicken habe. Alkali war auch die Substanz,
-die aus der Wand des Glasgefäßes in das Wasser überging, wenn letzteres
-in einem solchen der Elektrolyse unterworfen wurde. Was lag daher
-näher, als die zersetzende Kraft des galvanischen Stromes auf das
-Alkali selbst wirken zu lassen, um so das Dunkel, welches die chemische
-Natur dieser Verbindung einhüllte, zu lichten!
-
-*Davy* versuchte zuerst Kali und Natron in ihren wässerigen,
-bei gewöhnlicher Temperatur gesättigten Lösungen mit Hilfe der
-stärksten galvanischen Apparate, die ihm zu Gebote standen, zu
-zerlegen. Bei aller Intensität der Wirkung wurde jedoch das Wasser
-allein angegriffen, und unter großer Hitze und heftigem Aufbrausen
-entwickelten sich nur Wasserstoff und Sauerstoff. *Davy* schmolz daher
-bei seinen späteren Versuchen das Kali und das Natron, indem er sie in
-einen Platinlöffel legte und die Elektrizität zugleich als Schmelzungs-
-und Zersetzungsmittel wirken ließ.
-
-Das Kali, das er durch Glühen vollkommen getrocknet hatte, leitet
-zwar die Elektrizität nicht. Es wird aber schon leitend durch ein
-wenig Feuchtigkeit, welche den festen Zustand des Kalis nicht merklich
-ändert. In diesem Zustande wird es durch eine energische elektrische
-Einwirkung geschmolzen und zersetzt. *Davy* nahm ein kleines Stück
-reines Kali, ließ es einige Sekunden mit der Atmosphäre in Berührung,
-wodurch es an der Oberfläche durch Wasseranziehung leitend wurde,
-legte es auf eine isolierte Platinscheibe, die mit dem negativen Ende
-einer Batterie von 250 Plattenpaaren verbunden war, und berührte die
-Oberfläche des Kali mit dem positiven Platindrahte. Sogleich zeigte
-sich eine sehr lebhafte Wirkung. Das Kali begann zu schmelzen. An der
-oberen Fläche sah *Davy* ein heftiges Aufbrausen. An der unteren oder
-negativen Fläche war keine Gasentwicklung wahrzunehmen. Doch entdeckte
-*Davy* dort kleine Kügelchen, die einen sehr lebhaften Metallglanz
-hatten und völlig wie Quecksilber aussahen. Eine Menge von Versuchen
-bewiesen ihm alsbald, daß diese Kügelchen die Substanz waren, nach der
-er suchte, nämlich ein brennbarer Körper eigentümlicher Art, und zwar
-das dem Kali zugrunde liegende Metall. *Davy* fand, daß die Gegenwart
-von Platin ohne Einfluß auf das Resultat ist, und daß dieses Metall
-nur die Elektrizität zuführt, welche die Zersetzung bewirken soll. Es
-entstand nämlich immer dieselbe Substanz, er mochte den Stromkreis
-durch Stücke Kupfer, Silber, Gold, Graphit oder Kohle schließen. Natron
-gab ähnliche Resultate wie das Kali, wenn man es auf dieselbe Art
-behandelte.
-
-Bei allen Zersetzungen chemischer Verbindungen, welche *Davy* früher
-untersucht hatte, waren stets die brennbaren Elemente am negativen
-Pole entbunden worden, während der Sauerstoff am positiven Pole
-zum Vorschein kam oder dort in Verbindung trat. Es war daher ein
-naheliegender Gedanke, daß bei der Einwirkung der Elektrizität auf die
-Alkalien die neuen Substanzen auf ganz ähnliche Weise erzeugt werden.
-
-*Davy*[355] stellte deshalb in einem durch Quecksilber abgesperrten
-Apparat mehrere Versuche an, bei denen die äußere Luft ausgeschlossen
-war. Diese Versuche bewiesen, daß sich die Sache in der Tat so verhält.
-Als er nämlich festes Kali oder Natron, die so viel Feuchtigkeit
-eingesogen hatten, daß sie die Elektrizität leiteten, in Glasröhren
-einschloß, die mit Platindrähten versehen waren, und den Strom
-hindurchleitete, dann entstanden die neuen Substanzen an der negativen
-Metallspitze. Das Gas, das sich gleichzeitig an der positiven
-Metallspitze entwickelte, war reiner Sauerstoff. Am negativen Pole
-erschien gar kein Gas, außer wenn Wasser in größerer Menge vorhanden
-war. Dann wurde nämlich durch die Einwirkung des entstandenen Kaliums
-auf das Wasser Wasserstoff entwickelt.
-
-Um den Beweis, daß die Alkalien nur durch die Vereinigung von
-Sauerstoff mit den entdeckten Metallen entstanden sind, zu einem
-einwandfreien zu erheben, schloß *Davy* an seine durch das neue
-Hilfsmittel vollzogene Analyse (Elektrolyse) die Synthese der Alkalien
-an. In besonders dazu hergerichteten, durch Quecksilber abgesperrten
-Glasröhren wurden einige Kügelchen Kalium mit Sauerstoff in Berührung
-gebracht. Sie verschluckten augenblicklich den Sauerstoff und überzogen
-sich mit einer Rinde von Kaliumoxyd. Der Grundstoff des Natrons, das
-Element Natrium, verhielt sich ähnlich und lieferte wieder Natron.
-Wurden die aus Kali und aus Natron erhaltenen Elemente in einer
-gegebenen Menge Sauerstoff erhitzt, so verbrannten sie schnell mit
-weißer, glänzender Flamme und die metallischen Kügelchen verwandelten
-sich in eine feste, weiße Masse, die aus Kali oder aus Natron bestand,
-je nachdem man Kalium oder Natrium zu dem Versuch genommen hatte.
-Dabei wurde Sauerstoff verschluckt. Die Oxyde, die bei dem Versuche
-entstanden, übertrafen an Gewicht dasjenige der verbrannten Substanzen
-bedeutend.
-
-Diese Tatsachen berechtigten *Davy* anzunehmen, daß Kali und Natron aus
-Sauerstoff und zwei eigentümlichen Grundstoffen bestehen. Die Affinität
-der Alkalimetalle zu Sauerstoff erwies sich als so groß, daß *Davy* die
-entdeckten Elemente nur unter Steinöl aufbewahren konnte. Wasser wurde
-von ihnen so heftig unter Entwicklung von Wasserstoff zersetzt, daß die
-geringe Menge Wasser, welche im Alkohol und im Äther nach sorgfältiger
-Reinigung dieser Flüssigkeiten noch enthalten ist, zerstört wurde[356].
-
-Metalloxyde, die man mit Kalium erhitzte, wurden ihres Sauerstoffs
-beraubt (reduziert). Als *Davy* ein wenig Eisenoxyd mit Kalium
-erwärmte, erfolgte eine lebhafte Einwirkung. Es entstand Kali neben
-Teilchen eines grauen Metalls, das sich als Eisen erwies. Bleioxyd
-und Zinnoxyd wurden noch schneller reduziert. War Kalium im Überfluß
-vorhanden, so verband sich das entstehende Metall mit dem Kalium zu
-einer Legierung. Das chemische Verhalten des Natriums fand *Davy* im
-ganzen dem des Kaliums ähnlich, doch zeigten sich charakteristische
-Verschiedenheiten.
-
-*Davy* kam nach Abschluß dieser Untersuchung sofort auf die Vermutung,
-daß die alkalischen Erden, wie Baryt und Strontian, Verbindungen
-derselben Art wie die Alkalien seien, d. h. metallische Grundstoffe
-von hoher Brennbarkeit verbunden mit Sauerstoff[357]. Wie Baryt und
-Strontian, so besitzen auch Kalk, Magnesia, Tonerde und Kieselerde
-manche Ähnlichkeit mit den Alkalien[358]. Man durfte deshalb hoffen,
-daß auch diese widerspenstigen Stoffe der Einwirkung mächtiger
-Batterien nicht widerstehen und daß sich ihre Bestandteile mit Hilfe
-der neuen Methode abscheiden lassen würden[359].
-
-Die Verwandtschaftskräfte der neuen Metalle, die in den Alkalien
-enthalten sind, führten zu einer nicht zu ermessenden Menge von
-Versuchen. Diese Metalle wurden mächtige Agentien für die chemische
-Analyse. Und da sie an Verwandtschaft zum Sauerstoff alle bekannten
-Stoffe übertrafen, so konnten sie bei manchen Zerlegungen die
-Elektrizität ersetzen. So wurden, wie wir später sehen werden, die
-Grundstoffe der Kieselerde und der Tonerde, das Silizium und das
-Aluminium nämlich, zuerst durch die Einwirkung der Alkalimetalle
-aus ihren Verbindungen abgeschieden. Die Gewinnung des Aluminiums
-vermittelst des galvanischen Stromes erfolgte erst später.
-
-Die Elektrolyse von Kalk, Baryt, Strontian und Magnesia gelang, ganz
-wie *Davy* es vorausgesehen. Schon ein Jahr nach der Entdeckung der
-Alkalimetalle konnte er den staunenden Zeitgenossen von diesem neuen
-Erfolg berichten.
-
-Vor allem hatten die Untersuchungen *Davys* das wichtige Ergebnis,
-daß die Bedeutung, welche der Sauerstoff als Bestandteil chemischer
-Verbindungen beansprucht, in einem ganz anderen Umfange erkannt
-wurde. Hatte *Lavoisier* dieses Element als das säurebildende Prinzip
-angesprochen, so konnte man es jetzt mit der gleichen Berechtigung als
-ganz wesentlich für das Zustandekommen der Alkalien hinstellen. *Davy*
-erklärte infolgedessen am Schluß seiner Untersuchung: »Sauerstoff ist
-in allen wahren Alkalien vorhanden. Denselben Stoff, den die Franzosen
-als das Prinzip der Azidität charakterisieren, kann man daher auch
-das Prinzip der Alkalisierung nennen.« Nach den heutigen Anschauungen
-werden bekanntlich die basischen Eigenschaften durch das Vorhandensein
-der Hydroxylgruppe OH bedingt.
-
-Es ist begreiflich, daß *Davy*, nachdem er diese neue Rolle des
-Sauerstoffs erkannt hatte, sich auch dem flüchtigen Alkali, dem
-Ammoniak, zuwandte. Hier begegnete ihm nun der Irrtum, daß er den
-Sauerstoff, den er in dem Ammoniakgas (NH_{3}) vorhanden glaubte,
-auch wirklich fand, obgleich dies Element in dem völlig reinen, gut
-getrockneten Ammoniakgase fehlt. Indessen macht bekanntlich auch hier
-der Sauerstoff das Wesen der Alkalinität aus, indem das Ammoniakgas
-sich mit dem Wasserstoff und der Hydroxylgruppe des Wassers erst zur
-eigentlichen Basis verbindet (NH_{3} + HOH = NH_{4} . OH). *Davy* faßte
-das Verhältnis des Ammoniaks zu den fixen Alkalien auch ganz richtig
-auf, indem er sagte, es würde zu letzteren wohl in derselben Beziehung
-stehen wie die Pflanzensäuren mit zusammengesetztem Radikal zu den
-mineralischen Säuren von einfacherer Zusammensetzung. Dem Kalium würde
-also nach dieser noch heute geltenden Auffassung die Gruppe NH_{4}
-entsprechen.
-
-Selten ist die Chemie mit einer solchen Fülle neuer Tatsachen
-bereichert worden, wie es innerhalb eines so kurzen Zeitraumes durch
-die Ergebnisse der elektrochemischen Untersuchungen *Davys* geschah.
-In dem galvanischen Strom hatte man das gewaltigste Agens für die
-chemische Analyse kennen gelernt. Neben der zersetzenden Wirkung der
-*Volta*schen Säule wandte sich das Interesse in steigendem Maße auch
-den innerhalb der Säule zwischen den Metallen und den angewandten
-Flüssigkeiten vor sich gehenden chemischen Veränderungen zu. Während
-man letztere zuerst als etwas Nebensächliches betrachtet hatte, begann
-man jetzt in dem innerhalb der Kette sich abspielenden chemischen
-Vorgang die Ursache des elektrischen Stromes zu erblicken.
-
-Zwar erkannte schon *Davy*, daß nicht *jeder* chemische Vorgang
-elektromotorisch wirksam ist. Wurde Eisen in Sauerstoff verbrannt,
-während das Metall mit einem Elektrometer verbunden war, so erhielt
-letzteres während des Prozesses keine Spur von Ladung. Salpeter
-und Holzkohle wirkten, während sie unter Verpuffung zur Verbindung
-gebracht wurden, ebensowenig auf das Elektrometer. Auch bei der
-Verbindung von festem Alkali und Schwefelsäure machte sich kein
-Auftreten von Elektrizität bemerkbar[360]. Trotzdem suchte *Davy* die
-chemische Verwandtschaft auf elektrische Anziehungen und Abstoßungen
-zurückzuführen, so daß wir ihn als den Begründer einer elektrischen
-Theorie der chemischen Verbindungen betrachten müssen, einer
-Theorie, die ihren weiteren Ausbau durch *Berzelius* erfuhr und nach
-der Aufnahme mancher Verbesserungen die Grundlage für die neueren
-Anschauungen geworden ist.
-
-Ursprünglich war *Davy* Anhänger der rein chemischen Theorie, während
-er später gleichzeitig der Kontakttheorie Rechnung zu tragen suchte.
-Er nahm nämlich an, daß die Atome bei ihrer Berührung entgegengesetzt
-elektrisch würden und sich infolgedessen anzögen, während nach
-*Berzelius* eine verschiedenartige elektrische Ladung den Atomen
-ursprünglich eigen ist und sich bei ihrer Verbindung ausgleicht. »Alle
-Körper die sich chemisch miteinander verbinden,« so führt *Davy* seine
-Ansicht des näheren aus, »geben bei ihrer Berührung entgegengesetzte
-elektrische Zustände. Angenommen die kleinsten elementaren Teilchen
-können sich frei bewegen, so werden sie sich deshalb infolge ihrer
-bei der Berührung auftretenden elektrischen Kräfte anziehen müssen.«
-*Davy* meint, der Zusammenhang der Elektrizität mit der chemischen
-Verwandtschaft liege also ziemlich klar zutage. Man dürfe vielleicht
-annehmen, daß beide im Grunde genommen dasselbe seien. Daraus erklärt
-sich das Problem, das *Davy* aufwirft, nämlich »eine Stufenleiter der
-elektrischen Kräfte der Körper aufzufinden, wie sie den Graden der
-Verwandtschaft entsprechen[361].« Auch dieser Gedanke *Davys* ist in
-der Folge, nachdem man eine Untersuchung der Beziehungen zwischen dem
-elektrischen und dem chemischen Potential in Angriff genommen, von
-großer Tragweite gewesen[362].
-
-Auch die Wärme- und die Lichtwirkung der galvanischen Elektrizität
-konnten, als man die Zahl der Platten vergrößerte, nicht verborgen
-bleiben. Daß beim Öffnen und Schließen des galvanischen Stromes
-mehr oder minder kräftige Funken auftreten, gehörte zu den ersten
-Beobachtungen, die man an den neuen Apparaten machte. Als *Davy* den
-Strom seiner aus einigen hundert Plattenpaaren zusammengesetzten
-Batterie durch Alkali leitete, war die Wärmewirkung groß genug, um
-letzteres zu schmelzen. Und als derselbe Forscher später eine Batterie
-von 2000 Elementen benutzte, zeigte sich an der Unterbrechungsstelle,
-zumal bei Anwendung von Kohlenspitzen, ein äußerst blendendes
-Licht, das jedoch erst in der neueren Zeit, seitdem man billigere
-Elektrizitätsquellen kennen gelernt hatte, als Bogenlicht zu
-Beleuchtungszwecken Verwendung finden konnte. Es ist nicht ganz
-zutreffend, *Davy* als den Entdecker des Bogenlichtes zu bezeichnen.
-Dem Öffnungsfunken hatte sich schon länger das Interesse der Physiker
-zugewandt. Man hatte sein Zustandekommen aus dem Auftreten erglühender,
-abgerissener Metallteilchen erklärt und auch den einen Pol mit einem
-Kohlenstift verbunden, um dadurch stärkere Funken zu erhalten. Der
-erste, der zwei Kohlenstifte anwandte und so im Jahre 1820 ein Licht
-erzielte, das die Augen der Zuschauer blendete, war *de la Rive*.
-*Davy* machte seinen Versuch erst ein Jahr später bekannt[363]. Und es
-ist nicht einmal sicher, ob er unabhängig von *de la Rive*, der mit
-380 Elementen experimentierte, auf den Gedanken gekommen ist, zwei
-Kohlenspitzen zu verwenden.
-
-Als *Davy* die Kohlenspitzen nach der Unterbrechung des Stromes
-untersuchte, fand er, daß die mit dem positiven Pol verbundene Spitze
-ausgehöhlt, der gegenüberstehende Kohlenstift dagegen zugespitzt
-erschien. Es hatte somit eine Wanderung der Kohlenteilchen vom
-positiven zum negativen Pole stattgefunden. Dies zeigte sich noch
-deutlicher, als *Davy* die Verbrennung der hinüberwandernden Teilchen
-dadurch aufhob, daß er den Lichtbogen im luftleeren Raum entstehen ließ.
-
-Viele Entdeckungen *Davys* sind dem praktischen Leben zugute gekommen.
-Während seine Sicherheitslampe die Zahl der in den Kohlengruben
-stattfindenden Unglücksfälle erheblich verringerte, zeigte später
-das von ihm entdeckte Kalium dem in dunkler Nacht ins Meer gespülten
-Schiffer den Weg zur Rettung[364]. Zu erwähnen sind auch *Davys*
-Untersuchungen über das Leitungsvermögen. Er zeigte, daß dieses mit
-steigender Temperatur abnimmt und daß die schlechten Leiter leichter
-erglühen als die besseren. Um dies in augenfälliger Weise darzutun,
-verfertigte *Davy* eine Kette, deren Glieder abwechselnd aus Silber-
-und aus Platindraht bestanden. Leitete er durch diese Kette einen
-elektrischen Strom von zunehmender Stärke, so konnte er bewirken,
-daß die Platinstücke glühten, während das Silber kalt blieb, ein
-Experiment, das noch heute zu den beliebtesten Vorlesungsversuchen
-gehört.
-
-Nach ihrem Leitungsvermögen ordnete *Davy*, mit dem schlechtesten
-Leiter beginnend, die bekannten Metalle in folgende Reihe: Eisen,
-Platin, Zinn, Zink, Gold, Kupfer, Silber. Daß das Leitungsvermögen
-nicht von der Größe der Oberfläche, sondern von der Größe des
-Querschnitts abhängt, bewies er auf folgende Weise. Er ließ einen
-zylindrischen Draht, dessen Leitfähigkeit er geprüft hatte, zu einem
-Bande auswalzen. Obgleich die Oberfläche dadurch sechsmal so groß
-geworden war, besaß der Draht noch dasselbe Leitungsvermögen. Endlich
-ging aus *Davys* Untersuchung noch hervor, daß das Leitungsvermögen der
-Länge des eingeschalteten Drahtes umgekehrt proportional ist.
-
-Für *Davys* unvergleichliche Leistungen ist ihm reiche Anerkennung
-zuteil geworden. Napoleon verlieh, obgleich er damals mit England
-im Kriege lag, dem genialen Manne einen jener Preise, die er für
-hervorragende Arbeiten auf dem Gebiete der galvanischen Elektrizität
-gestiftet hatte. In seinem Vaterlande wurde *Davy* geadelt und zum
-Präsidenten der Royal Society gewählt, ein Amt, das er bekleidete,
-bis zunehmende Schwäche des Körpers ihn zum Rücktritt zwang. Auf einer
-zur Wiederherstellung der Gesundheit unternommenen Reise verschlimmerte
-sich sein Leiden. Er starb in Genf am 29. Mai des Jahres 1829[365].
-
-
-
-
-14. Die Erforschung der elektromagnetischen und der elektrodynamischen
-Grunderscheinungen.
-
-
-Die ersten Beobachtungen, die auf eine Beziehung zwischen der
-galvanischen Elektrizität und dem Magnetismus hindeuteten, wurden
-gleichfalls von *Davy* gemacht. Er fand nämlich, daß der zwischen
-den Kohleelektroden erzeugte Lichtbogen durch die Pole eines starken
-Magneten angezogen und abgestoßen wird, ja sogar in eine Drehung
-versetzt werden kann[366]. Besonders schön gelang dieser Versuch, wenn
-der Bogen sich im luftverdünnten Raum befand und darin auf eine Länge
-von 3-4 Zoll gebracht war. Es lag nahe, nun auch umgekehrt die Wirkung
-eines Stromes auf einen beweglich angebrachten Magneten nachzuweisen.
-Dies gelang dem dänischen Physiker *Oersted*.
-
-*Hans Christian Oersted* wurde am 14. August des Jahres 1777 auf
-Langeland geboren. Er war zunächst wie sein Vater Apotheker. Später
-wurde er Professor der Physik an der Universität zu Kopenhagen.
-*Oersted* befaßte sich besonders mit chemischen Versuchen. So stellte
-er zuerst Chloraluminium her und ermöglichte dadurch *Wöhler* die
-Darstellung des metallischen Aluminiums[367]. *Oersted* starb in
-Kopenhagen im Jahre 1851. Seine so überaus wichtige Entdeckung des
-Elektromagnetismus datiert vom 21. Juli 1820. Sie ging aus Versuchen
-hervor, welche *Oersted* anstellte, um die schon lange geahnte
-Beziehung zwischen den beiden so geheimnisvollen Naturkräften
-nachzuweisen. Die Erzählung, daß sein Diener das Schwanken der Nadel
-zufällig bemerkt und ihn darauf aufmerksam gemacht habe, ist unter die
-wissenschaftlichen Legenden zu verweisen.
-
-In einer 1820 an die hervorragendsten Physiker und Gesellschaften
-gesandten kurzen Mitteilung[368] berichtet *Oersted* über seine
-Versuche und deren Ergebnisse. Er brachte ein geradliniges Stück eines
-vom galvanischen Strom durchflossenen Drahtes in horizontaler Lage über
-eine gewöhnliche Magnetnadel, so daß der Draht der Nadel parallel war.
-Die Magnetnadel kam dann in Bewegung; und zwar wich ihr Nordpol, wenn
-er zum negativen Pole des galvanischen Apparates zeigte, nach Westen
-ab. War die Entfernung des Drahtes von der Magnetnadel nicht mehr
-als 5/4 Zoll, so betrug diese Abweichung ungefähr 45°. Bei größerer
-Entfernung nahmen die Winkel ab. Auch war die Abweichung verschieden je
-nach der Stärke des galvanischen Apparates.
-
-Die Natur des Metalles hatte auf den Erfolg keinen Einfluß. *Oersted*
-hat Drähte aus Platin, Gold, Silber, Messing und Eisen, ferner Zinn-
-und Bleistreifen, sowie Quecksilber mit gleichem Erfolge angewandt.
-Der stromdurchflossene Draht wirkte auf die Magnetnadel durch Glas,
-Metalle, Holz, Wasser und Harz, durch Tongefäße und durch Steine
-hindurch. Als *Oersted* zwischen den Leiter und die Nadel eine
-Glastafel, eine Metallplatte oder ein Brett gebracht hatte, blieb
-der Erfolg nicht aus. Selbst alle drei Substanzen vereinigt schienen
-die Wirkung kaum zu schwächen; ebensowenig ein irdenes Gefäß, selbst
-wenn es voll Wasser war. Die erwähnten Wirkungen traten sogar ein,
-als *Oersted* eine Magnetnadel anwandte, die sich in einer mit Wasser
-gefüllten Messingbüchse befand.
-
-Wenn der Leiter in einer horizontalen Ebene unter der Magnetnadel
-angebracht war, so gingen alle angegebenen Wirkungen nach
-entgegengesetzter Richtung vor sich. Drehte er den Leiter in der
-horizontalen Ebene, so daß er allmählich immer größere Winkel mit dem
-magnetischen Meridian machte, so wurde die Abweichung der Magnetnadel
-vom magnetischen Meridian vermehrt, wenn das Drehen des Drahtes der
-Lage der Magnetnadel zu gerichtet war. Die Abweichung nahm dagegen ab,
-wenn die Drehung von der Magnetnadel fort erfolgte. Hiervon ausgehend
-verfertigte *Pouillet* im Jahre 1837 die zur Messung der Stromstärke
-dienende Sinusboussole. Bei diesem Apparat wird der Leiter so
-lange gedreht, bis er mit der Nadel wieder in eine Ebene fällt. Die
-Stromstärke ist dann dem Sinus des Drehungswinkels proportional.
-
-*Oersted* folgerte aus seinen Versuchen, daß der Strom »nicht in dem
-Draht eingeschlossen ist, sondern sich zugleich in dem umgebenden Raum
-weithin ausbreitet«.
-
-Die Kunde von *Oersteds* großer Entdeckung nahm, weil *Oersted*
-allen namhaften Physikern seine Abhandlung zugehen ließ, sofort die
-wissenschaftliche Welt in Anspruch. Überall wurden seine Versuche
-nachgeprüft, bestätigt und durch neue Entdeckungen vervollständigt.
-So fand *Gay-Lussac* sofort, daß der Strom den Magneten nicht nur
-ablenkt, sondern eine vorher unmagnetische Stahlnadel in einen Magneten
-verwandelt. Die magnetisierende Wirkung zeigte sich besonders, wenn
-die Nadel in eine vom galvanischen Strom durchflossene Drahtspirale
-gebracht wurde. *Gay-Lussac* wurde dadurch auf den Gedanken gebracht,
-daß der stromdurchflossene Leiter selbst als ein Magnet betrachtet
-werden könne. Infolgedessen entdeckte er die anziehende Wirkung, welche
-der Leiter auf Eisenfeilspäne ausübt. Die gleiche Entdeckung machte
-unabhängig von *Gay-Lussac* der deutsche Physiker *Seebeck*.
-
-Besonders durch die Arbeiten *Seebecks* fanden diejenigen *Oersteds*
-ihre Fortsetzung. *Seebeck* gab noch im Jahre der *Oersted*schen
-Entdeckung und im darauffolgenden Jahre 1821 seine Versuche ȟber den
-Magnetismus der galvanischen Kette« bekannt[369].
-
-Thomas Johann *Seebeck*, dessen Hauptverdienst die später zu
-besprechende Entdeckung der Thermoelektrizität ist, wurde am 9. April
-1770 in Reval, wo sein Vater Kaufmann war, geboren. *Seebeck* studierte
-Medizin und lebte von 1802 bis 1810 in Jena, wo er auch mit *Goethe* in
-wissenschaftlichem Verkehr stand. Nachdem *Seebeck* zum Mitglied der
-Preußischen Akademie der Wissenschaften ernannt war, siedelte er nach
-Berlin über. Er starb am 10. Dezember des Jahres 1831.
-
-In *Seebecks* Arbeit »Über den Magnetismus der galvanischen Kette«
-wurde die magnetische Wirkung, die sich *Oersted* in der Umgebung des
-Stromleiters gezeigt hatte, eingehender untersucht. Das magnetische
-Feld oder, wie *Seebeck* sich ausdrückte, »die magnetische Atmosphäre«,
-wurde besonders durch die so bekannt gewordenen Versuche mit
-Eisenfeilspänen nachgewiesen und, wie es später *Faraday* tat, durch
-Kraftlinien dargestellt.
-
-*Seebeck* zeigte, wie seine nebenstehende Abbildung erläutert, (s. Abb.
-39), daß sich Eisenfeilspäne um lotrecht gestellte Schließungsdrähte
-kreisförmig ordnen. Er fand, daß die Späne konzentrische Kreise bilden,
-und zwar Kreise von desto größerem Durchmesser, je stärker die Spannung
-ist. Über und unter horizontal liegenden Stromleitern ordneten sich
-dagegen die Feilspäne in parallelen, senkrecht zur Längsrichtung
-stehenden Linien. Diese Feilstaub-Figuren bildeten sich am leichtesten
-um Stäbe von einigen Linien Durchmesser, minder deutlich an dünnen
-Drähten.
-
-[Illustration: Abb. 39. Der Nachweis des magnetischen Feldes.]
-
-[Illustration: Abb. 40. Der Nachweis der magnetischen Kraftlinien.]
-
-Auch die Beeinflussung der Kraftlinien des einen Leiters durch einen
-benachbarten Leiter wies *Seebeck* zum ersten Male nach. Er bediente
-sich dazu zweier stromdurchflossener Stahlbänder, deren Querschnitt in
-der nebenstehenden, von ihm herrührenden Zeichnung durch die beiden
-dicken Striche angedeutet ist[370]. Um diese Anordnung zu erhalten,
-brauchte er nur ein längeres Stahlband zu biegen und durch die beiden
-parallel zu einander verlaufenden Schenkel des Bogens den Strom zu
-senden. Waren die Schenkel dieses Bogens erheblich von einander
-entfernt, so ordnete sich der Eisenstaub um jeden Schenkel kreisförmig.
-Wurden sie jedoch einander genähert, so änderte sich der Verlauf der
-»magnetischen Linien«. Sie nahmen das in der Abbildung 40 dargestellte
-Aussehen an.
-
-Fast gleichzeitig mit dem französischen Physiker *Arago*, dem die
-Priorität gebührt, beobachtete *Seebeck* Erscheinungen, die man
-zunächst den bisherigen Forschungsergebnissen nicht anzugliedern
-vermochte und die erst in der neuen, durch *Faradays* Entdeckung der
-Induktion herbeigeführten Epoche der Elektrizitätslehre ihre Erklärung
-fanden. Es handelte sich um Vorgänge, die man später mit dem Worte
-»Dämpfung« bezeichnet hat. Am 9. Juni 1825 veröffentlichte *Seebeck*
-eine Abhandlung, in der das Theorem der Dämpfung folgenden klaren
-Ausdruck fand:
-
-1. Die Pendelschwingungen eines Magnetstabes werden durch benachbarte
-Metallmassen ebenso gehemmt, als wenn eine dichtere Luft den Stab
-umgäbe.
-
-2. Schwingt eine Kupfermasse über oder zwischen den Polen eines
-Magneten pendelförmig, so wird sie früher eine Verminderung der
-Schwingungsweite erleiden als eine frei schwebende Kupfermasse.
-
-Auch die Versuche *Seebecks* über Stromverzweigung gehören zu den
-ersten auf diesem Gebiete.
-
-Einer Wirkung des Stromes auf den Magneten, wie sie *Oersted* entdeckt
-hatte, mußte nach dem von *Newton* ausgesprochenen Grundgesetz eine
-gleichgroße Gegenwirkung des Magneten auf den Strom entsprechen. Von
-diesem Gedanken geleitet, bemühte sich der französische Physiker
-*Ampère* eine Beziehung zwischen der Elektrizität und dem Magnetismus
-nachzuweisen.
-
-André-Marie *Ampère* wurde am 20. Januar 1775 in Lyon geboren, wo
-sein Vater Kaufmann war. *Ampère* verriet schon frühzeitig eine ganz
-hervorragende mathematisch-naturwissenschaftliche Befähigung. Mit elf
-Jahren beherrschte er die Elementarmathematik, und als zwölfjähriger
-Knabe wurde er mit der Differentialrechnung bekannt. Später vertiefte
-er sich in die Werke von *Lagrange*, *Euler* und *Bernoulli*.
-
-Eine jähe Unterbrechung erlitt dieser so vielversprechende Studiengang
-durch die französische Revolution. *Ampères* Vater wurde ein Opfer
-der auch in Lyon errichteten, in zahllosen politischen Morden ihre
-Betätigung suchenden Schreckensherrschaft. Dies Ereignis machte auf den
-jungen *Ampère* einen solch niederschmetternden Eindruck, daß er ein
-volles Jahr in dumpfer Verzweiflung dahinbrütete. Erst als *Rousseaus*
-Briefe über die Botanik[371] in seine Hände gerieten, belebte sich sein
-Sinn für die Wissenschaft aufs Neue.
-
-Im Jahre 1802 veröffentlichte *Ampère* Betrachtungen über
-die mathematische Theorie des Spiels. Die Schrift lenkte die
-Aufmerksamkeit des großen Astronomen und Geodäten *Delambre* auf ihn
-und hatte seine Anstellung in Lyon, wo *Ampère* am Lyceum Mathematik
-zu lehren hatte, und später (1805) seine Berufung nach Paris zur
-Folge. Hier hatte *Ampère* an der polytechnischen Schule Differential-
-und Integralrechnung zu lehren. Gleichzeitig befaßte er sich mit den
-Problemen der Naturwissenschaften und der Philosophie.
-
-Die Anregung, sich sehr eingebend und fast ausschließlich mit der
-Erforschung der elektrischen Erscheinungen zu beschäftigen, empfing
-*Ampère* durch *Oersteds* Entdeckung der Wirkung des Stromes auf
-den Magneten. Im Herbst des Jahres 1820, bald nach Empfang der
-*Oersted*schen Mitteilung, prüfte *Ampère* *Oersteds* Versuche
-nach. Und eine Woche später konnte er schon mit wichtigen eigenen
-Entdeckungen hervortreten, die er in seiner berühmten, für das Gebiet
-der Elektrodynamik grundlegend gewordenen Abhandlung desselben Jahres
-veröffentlichte[372].
-
-In dieser Abhandlung führte *Ampère* die wichtige, seitdem allgemein
-üblich gewordene Bestimmung ein, *als Richtung des Stromes diejenige
-der strömenden positiven Elektrizität zu betrachten*. Dann folgt seine
-bekannte Regel, nach welcher die Richtung des Stromes aus der Ablenkung
-der Nadel sich mit Leichtigkeit bestimmen läßt. Sie lautet: *»Man denke
-sich in den elektrischen Strom versetzt, sodaß dessen Richtung von den
-Füßen zum Kopfe geht und habe das Gesicht der Nadel zugekehrt, dann ist
-der Pol der Nadel, der nach Norden zeigt, stets durch die ausgestreckte
-linke Hand gegeben.«* (*Ampères Schwimmerregel*[373]).
-
-Um den Einfluß eines Magneten auf den Strom nachzuweisen, kam *Ampère*
-auf den Gedanken, den Stromleiter beweglich zu machen. Dies gelang
-in der in Abb. 41 angegebenen Weise, eine Abbildung, die wir dem von
-*Ampère* und *Babinet* im Jahre 1822 gegebenen Bericht[374] über
-*Ampères* Entdeckungen entnehmen. Dieser Bericht wurde auch der
-nachfolgenden Darstellung der *Ampère*schen Forschungsergebnisse zu
-Grunde gelegt. Der Stromleiter wurde, wie die Abbildung 41 zeigt,
-dadurch leicht beweglich gemacht, daß man ihn in die Form eines
-Quadrats oder Rechtecks (DFGM) brachte. An beide Enden des Drahtes
-wurden bei A und B senkrechte Stahlspitzen angelötet. Diese Spitzen
-tauchen in die etwas Quecksilber enthaltenden Näpfchen neben A und B.
-Der Strom tritt bei der mit dem positiven Ende der Säule verbundenen
-Kapsel Z in den Apparat ein, durchfließt den gebogenen Schaft ZA und
-gelangt in die Kapsel A, in welcher das Quecksilber die Verbindung mit
-dem beweglichen Drahtbügel herstellt. Dieser wird dann in der Richtung
-ADFGMB durchflossen. In dem mit Quecksilber gefüllten Napfe B verläßt
-der Strom den Bügel und geht durch einen zweiten gebogenen Schaft Q zu
-der Kapsel C, die mit dem negativen Ende der Säule in Verbindung steht.
-
-[Illustration: Abb. 41. *Ampères* beweglicher Stromleiter[375].]
-
-[Illustration: Abb. 42. *Ampères* Vorrichtung zum Aufhängen seines
-beweglichen Stromleiters[376].]
-
-Mit Hilfe dieser sinnreichen Vorrichtung zeigte *Ampère* folgendes:
-Ließ er einen Magneten auf den beweglichen Leiter wirken, so fand er,
-daß der Leiter nach einigen Schwingungen in einer Lage zur Ruhe kommt,
-in welcher er mit der Verbindungslinie der Pole einen rechten Winkel
-bildet. Dabei bemerkte *Ampère*, daß sich der Südpol des Magneten nach
-Einnahme der Ruhelage stets zur Linken des Stromes befindet.
-
-[Illustration: Abb. 43. *Ampères* Apparat zum Nachweis, daß sich ein
-Stromleiter senkrecht zur Inklinationsnadel einstellt[377].]
-
-*Ampère* zeigte darauf, daß infolgedessen der Leiter, wenn nur der
-Erdmagnetismus auf ihn wirkt, eine Stellung einnimmt, in welcher
-seine Ebene den magnetischen Meridian senkrecht schneidet[378]. Diese
-Entdeckung erregte ein Aufsehen wie wenig andere[379]. *Ampère*
-beschreibt sie mit folgenden Worten: »Hängt man in der in Abbildung
-41 dargestellten Weise einen beweglichen Leiter auf, ohne daß in der
-Nähe dieses Leiters ein anderer Teil des Stromkreises sich befindet.
-(Wir müssen uns also in der Abbildung 41 das Drahtstück CILB, das
-auf den beweglichen Bügel einen richtenden Einfluß ausübt, entfernt
-denken), verbindet man hierauf die Kapseln C und Z mit den Polen der
-galvanischen Batterie, so sieht man den Bügel sich drehen, bis seine
-Ebene zu derjenigen des magnetischen Meridians NS senkrecht steht
-und der Strom in dem unteren Teil des Leiters, also in FG, von Ost
-nach West gerichtet ist, das Südende der Magnetnadel also zur Linken
-liegt.« Ließ *Ampère* den Strom in umgekehrter Richtung durch den Bügel
-gehen, so drehte sich dieser um einen Halbkreis zurück, um endlich
-nach einigen Schwingungen sich wieder senkrecht zur Richtung NS
-einzustellen.
-
-Eine der Neigung der Magnetnadel entsprechende Wirkung rief *Ampère*
-durch den in nebenstehender Abbildung 43 wiedergegebenen Apparat
-hervor. Der rechteckig gebogene Leiter ABCDEF, der durch einen
-Holzkörper VIZ daran gehindert wird, daß er sich biegt, wurde so
-angebracht, daß er sich um eine horizontale Achse XY drehen kann. Die
-Teile des Leiters waren so abgeglichen, daß in jeder Lage Gleichgewicht
-vorhanden war. Die Achse XY wurde dann senkrecht zum magnetischen
-Meridian gestellt und der Strom durch das Rechteck geleitet. Letzteres
-kam in Bewegung, nahm aber endlich eine Ruhelage ein, in welcher seine
-Ebene zur Richtung der Inklinationsnadel senkrecht stand.
-
-Fast noch merkwürdiger als diese Resultate war der von *Ampère* kurze
-Zeit nach der Entdeckung *Oersteds* erbrachte Nachweis, daß zwei
-galvanische Ströme anziehend oder abstoßend auf einander wirken, je
-nachdem sie gleich oder entgegengesetzt gerichtet sind.
-
-Wie durch einen Magneten und durch den Erdmagnetismus so wurde
-nämlich auch durch einen benachbarten Strom der bewegliche Leiter in
-Drehung versetzt. Die zum Nachweis dieses Verhaltens erforderliche
-Versuchsanordnung zeigt uns Abbildung 41. Nachdem der Strom den
-rechteckigen Bügel durchlaufen hat, wird er von C aus über IL
-parallel zur Seite DF des Bügels abwärts geführt. Durch die
-parallelen Metalldrähte IL und DF laufen somit gleichgerichtete
-elektrische Ströme. Und es zeigt sich, daß zwischen ihnen Anziehung
-stattfindet. Der Bügel dreht sich nämlich solange, bis die Seite DF
-dem Drahtstück IL möglichst nahe gekommen ist. Wird der Bügel um 180°
-gedreht, so daß das Stück MG, in welchem der Strom von unten nach
-oben fließt, sich dem in entgegengesetzter Richtung durchflossenen
-Leiter IL gegenüber befindet, so erfolgt Abstoßung.
-
-Kurz gefaßt lautet das so wichtige, von *Ampère* gefundene Grundgesetz
-der Elektrodynamik: *Zwei parallel und gleichgerichtete Ströme ziehen
-einander an, während zwei parallel und entgegengesetzt gerichtete
-Ströme einander abstoßen.*
-
-Die im ersteren Falle auftretenden anziehenden Kräfte zeigten sich als
-so beträchtlich, daß zwei von gleichgerichteten Strömen durchflossene
-Drahtstücke, zur Berührung gebracht, fest aneinander hafteten.
-
-*Ampère* wurde anfangs entgegengehalten, daß es sich hier um die längst
-bekannten Erscheinungen der Anziehung und Abstoßung elektrisierter
-Körper handle. Diesen Einwurf vermochte *Ampère* indessen schon durch
-den Hinweis zu entkräften, daß sich entgegengesetzt elektrisierte
-Körper anziehen, während sich entgegengesetzt gerichtete Ströme
-abstoßen.
-
-Wenn wir die in den vorstehenden Abschnitten in aller Kürze und
-mit Fortlassung zahlreicher Abänderungen und Nebenergebnisse
-dargestellten großen Entdeckungen *Ampères* überblicken, müssen wir
-anerkennen, daß hier eine Reihe von sinnvollen, logisch verknüpften
-und grundlegenden Versuchen vorliegt, wie sie vorher kaum und nachher
-nur selten uns wieder begegnen. Mit Recht hat man daher *Ampères*
-Fundamentaluntersuchung über den Zusammenhang zwischen den magnetischen
-und den elektrischen Erscheinungen als eins der hervorragendsten Muster
-einer wissenschaftlichen Untersuchung bezeichnet[380].
-
-Nach der experimentellen Erforschung der elektrodynamischen
-Grunderscheinungen galt es, auch hier einen mathematischen Ausdruck für
-die dabei obwaltenden quantitativen Beziehungen zu finden, ähnlich wie
-es *Coulomb* für das Gebiet der statischen Elektrizität getan hatte.
-Diese Aufgabe löste *Ampère* mit Hilfe des analytischen Kalküls. Er
-ging dabei von zwei kleinen, irgendwo im Raume liegenden Stromelementen
-aus, deren Länge er gleich *ds* und *ds^1* setzte, während mit i und
-i^1 die bezüglichen Intensitäten der Ströme bezeichnet wurden. Die
-anziehende oder abstoßende Kraft wurde proportional der Intensität und
-der Länge der Stromelemente angenommen.
-
-Den Abstand nannte *Ampère* r und setzte voraus, daß die Anziehung
-oder Abstoßung im umgekehrten Verhältnis zu r oder einer Potenz von r
-erfolge. Die weitere Untersuchung ergab, daß es sich nur um die zweite
-Potenz handeln konnte. Der erste Ausdruck des von *Ampère* gesuchten
-elektrodynamischen Grundgesetzes[381] lautete somit für die Wirkung w,
-welche die Stromelemente aufeinander ausüben:
-
- (i · i^1 · ds, ds^1)
- w = ------------------------------ .
- r^2
-
-Dabei galt als Voraussetzung, daß die Stromelemente parallel gerichtet
-sind. Für beliebig gerichtete Stromelemente ergab die Ableitung als
-elektrodynamisches Grundgesetz für die Wechselwirkung der Elemente in
-der Verbindungslinie ihrer Mittelpunkte
-
- i · i^1 · ds · ds^1 ( d^2r dr dr )
- w = ------------------- (r --------- - 1/2 -- · ----)
- r^2 ( ds · ds^1 ds ds^1)
-
-An dieses von *Ampère* gefundene Gesetz anknüpfend, hat, wie wir
-sehen werden, später *Weber* den allgemeinsten Ausdruck für das
-elektrodynamische Grundgesetz abgeleitet. Bezüglich der Ableitung des
-*Ampère*schen Gesetzes muß auf die Originalabhandlung oder auf ein
-Handbuch der Physik verwiesen werden[382].
-
-Wir sahen, zu welcher Fülle von Beobachtungen und Folgerungen der
-Kunstgriff dem Stromleiter die Form eines leicht beweglichen Bügels
-zu geben, *Ampère* geführt hat. Es war nun ein naheliegender, sehr
-fruchtbarer Gedanke, der sich *Ampère* fast aufdrängen mußte, an Stelle
-des nur eine Windung darstellenden rechteckigen oder kreisförmigen
-Bügels einen vielfach gewundenen beweglichen Leiter, den Schraubendraht
-oder nach *Ampères* Bezeichnung das Solenoid, in die experimentelle
-Physik einzuführen.
-
-Die von ihm entdeckten Beziehungen zwischen der Elektrizität und dem
-Magnetismus führten *Ampère* zu der Auffassung, die Teilchen eines
-Magneten seien von galvanischen Strömen umflossen und das Magnetisieren
-sei nichts weiter als ein Parallelmachen jener molekularen Ströme.
-Ein dieser Auffassung entsprechendes Bild des Magneten gibt *Ampères*
-Solenoid, jene beweglich aufgehängte, vom Strom durchflossene
-Drahtspirale. Letztere stellt sich den von *Ampère* entdeckten
-Gesetzen zufolge so ein, daß ihre Achse mit dem magnetischen Meridian
-zusammenfällt.
-
-Um das weitere Verhalten der Solenoide kennen zu lernen, galt es, die
-Wirkung des Erdmagnetismus auszuschalten. Dies erreichte *Ampère* durch
-die in umstehender Abbildung 44 dargestellte Versuchsanordnung. Der
-Leiter ABCDEF ist ein einziger Draht, der mit seinen Enden A und F
-in der bekannten *Ampère*schen Aufhängevorrichtung angebracht werden
-kann. Von A ist der Draht nach der Mitte einer Röhre geführt und dann
-um diese nach links gewunden. Nach einigen größeren Windungen wird
-der Draht durch die Röhre nach dem rechten Ende D und von hier in
-entgegengesetzt verlaufenden Windungen nach der Mitte und schließlich
-nach F zurückgeführt. Infolge dieser Anordnung der Windungen sucht der
-Erdmagnetismus ein derartiges Solenoid entgegengesetzt zu drehen und
-kann ihm folglich keine Bewegung mitteilen.
-
-Dies Solenoid verhielt sich einem Magneten gegenüber genau so wie ein
-zweiter Magnet. Wurde ein und derselbe Pol des Magneten nacheinander
-den beiden Enden des Solenoids genähert, so zog er das eine Ende an,
-während er das andere abstieß. Wurde die Spirale befestigt und ein
-beweglicher Magnet herangebracht, so fand gleichfalls Anziehung und
-Abstoßung statt.
-
-Versuche mit zwei Solenoiden ergaben, daß ihre Pole den
-elektrodynamischen Gesetzen zufolge eine abstoßende oder anziehende
-Wirkung äußern, je nachdem das Kreisen der Ströme an den gegenüber
-befindlichen Enden in entgegengesetzter oder in gleicher Richtung
-erfolgt. Ein vorübergeführter Strom lenkte eine solche Spirale nach
-der von *Ampère* aufgestellten Schwimmerregel ab. Kurz, das Solenoid
-verhielt sich, wie *Ampère* zur Bekräftigung seiner Theorie zeigen
-wollte, in jeder Hinsicht wie ein wahrer Magnet.
-
-[Illustration: Abb. 44. *Ampères* von dem Einfluß des Erdmagnetismus
-befreites Solenoid[383].]
-
-[Illustration: Abb. 45. *Ampères* astatische Magnetnadel[384].]
-
-Wie *Ampère* den Erdmagnetismus bei der Konstruktion seiner Solenoide
-auszuschalten vermochte (siehe Abb. 44), so gelang es ihm durch eine
-ähnliche geschickte Anordnung diese Kraft bei der Magnetnadel auf
-ein sehr kleines Maß zurückzuführen und der Nadel dadurch einen sehr
-hohen Grad von Empfindlichkeit gegenüber dem elektrischen Strome
-zu verleihen. *Ampère* verband nämlich, wie es die seiner Schrift
-entnommene Abbildung 45 zeigt, zwei gleiche, getrennte und annähernd
-gleich starke Magnetnadeln in der Weise, daß die gleichnamigen Pole
-entgegengesetzt gerichtet waren. So wurde die richtende Kraft der Erde
-auf die eine Nadel durch die entgegengesetzte Wirkung, welche diese
-Kraft auf die andere Nadel ausübt, nahezu aufgehoben[385].
-
-Bestand die Ursache des Magnetismus, wie *Ampère* annahm, in
-elektrischen Strömen, welche den Magneten senkrecht zur magnetischen
-Achse umkreisen, so mußte der Erdmagnetismus aus der gleichen Ursache
-erklärt werden. *Ampère* setzte deshalb ein Strömen der Elektrizität
-um die Erde voraus. Aus dem Verhalten der Solenoide zum Erdmagnetismus
-mußte man schließen, daß der Erdstrom von Ost nach West gerichtet und
-somit der Bewegung der Erde entgegengesetzt sei. *Ampère* zweifelte
-nicht daran, daß der Erdstrom und somit der Erdmagnetismus mit
-dieser Bewegung und der dadurch bewirkten periodischen Erwärmung
-der Erdhälften durch die Sonne in Beziehung zu setzen sei. Da zwei
-Körper von ein und derselben Natur, verschieden erwärmt, galvanisch
-aufeinander wirken, sei es wahrscheinlich, daß die Ströme der
-Erdkugel von der Erwärmung durch die Sonne herrührten[386]. Zu
-ähnlichen Anschauungen gelangte auch *Seebeck*, der Entdecker der
-Thermoelektrizität. Außer der Erwärmung durch die Sonne nahm *Ampère*
-auch eine galvanische Wirkung der verschiedenartigen Stoffe, aus denen
-die Erde besteht, zur Erklärung des Erdstroms in Anspruch.
-
-Zur selben Zeit, als *Ampère* seine epochemachenden Untersuchungen
-anstellte, erfuhr die Lehre vom Elektromagnetismus auch manche
-Bereicherung durch *Arago*.
-
-*Dominique François Jean Arago*, einer der vielseitigsten französischen
-Gelehrten, wurde am 26. Februar 1786 in der Nähe von Perpignan geboren.
-Er studierte in Paris, wurde Professor der Mathematik und Geodäsie
-an der dortigen polytechnischen Schule und gab mit *Gay-Lussac* die
-Annales de Chimie et de Physique heraus. Er starb in Paris am 2.
-Oktober 1853.
-
-*Arago* hat sich auf den Gebieten der Astronomie, der Optik und des
-Elektromagnetismus die hervorragendsten Verdienste erworben.
-
-So rührt von ihm das Verfahren her, Stahlnadeln dauernd zu
-magnetisieren, indem man sie in eine vom Strom durchflossene
-Drahtspule (Solenoid) einschließt. Um diese Wirkung auf Stahlnadeln zu
-erzielen, bedurfte es, wie *Arago* des weiteren zeigte, nicht einmal
-der dauernden Wirkung des galvanischen Stromes, sondern es genügte die
-einmalige, momentan erfolgende Entladung einer *Leydener* Flasche.
-
-Als *Arago* dem Schließungsdrahte einer Batterie Eisenfeilspäne
-näherte, entdeckte er eine weitere elektromagnetische Wirkung, welche
-darin bestand, daß die Eisenfeilspäne vom Drahte angezogen wurden.
-Diese Beobachtungen führten *Arago* zu der auch *Seebeck*[387]
-beherrschenden Vorstellung, daß ein vom Strom durchflossener Leiter
-selbst ein Magnet sei. Die wichtigsten, zum Teil in Gemeinschaft mit
-*Gay-Lussac* gemachten Entdeckungen über die magnetisierende Wirkung
-des Stromes veröffentlichte *Arago* im Jahre 1820[388].
-
-Einige Jahre später entdeckte *Arago* eine merkwürdige, zunächst ganz
-unerklärliche Erscheinung, die er als Rotationsmagnetismus bezeichnete.
-*Arago* fand nämlich, daß eine schwingende Magnetnadel über einer
-Metallfläche viel schneller zur Ruhe kommt als über einem Nichtleiter,
-wie Glas oder Marmor. Befand sich die Magnetnadel in der Ruhelage und
-setzte er dann die Metallscheibe in Drehung, so erfolgte eine Ablenkung
-der Nadel im Sinne der Rotation. Ja, die Nadel, konnte schließlich mit
-zur Rotation gebracht werden. Auch zeigte es sich, daß der Magnet je
-nach seiner Lage von der rotierenden Scheibe abgestoßen oder angezogen
-wurde[389]. Diese Versuche *Aragos* blieben unerklärt, bis *Faraday*
-sie als Ausgangspunkt zur Erforschung der Induktionserscheinungen
-benutzte[390].
-
-
-
-
-15. Die Entdeckung der Thermoelektrizität.
-
-
-[Illustration: Abb. 46. Die Entdeckung der Thermoelektrizität.]
-
-Kaum hatte man sich mit den hauptsächlichsten Wirkungen des
-galvanischen Stromes vertraut gemacht, als man auch schon eine neue
-Art der Elektrizitätserregung kennen lernte. Fast zur selben Zeit
-als *Oersted* und *Ampère* ihre grundlegenden Versuche machten,
-entdeckte der deutsche Physiker *Seebeck* die Stromerzeugung durch
-ungleichmäßige Erwärmung eines aus verschiedenen Metallen bestehenden
-Kreises. *Seebeck*[391] war auf den Gedanken gekommen, ob auch zwei
-Metalle für sich, ohne die Mitwirkung eines feuchten Leiters einen
-Strom hervorrufen könnten. Als *Seebeck* eine Wismutscheibe (Abb.
-46 B) unmittelbar auf eine Kupferscheibe K legte und beide Scheiben
-zwischen die Enden *ab* eines im magnetischen Meridian liegenden,
-spiralförmig gewundenen Kupferstreifens brachte, zeigte die in
-der Spirale befindliche Magnetnadel (*ns*) bei der Schließung des
-Kreises eine deutliche Ablenkung. Dies war ein Beweis, daß hierbei
-ein elektrischer Ausgleich stattfand. Die Wirkung war am stärksten,
-wenn die Schließung unmittelbar mit der Hand bewirkt wurde; sie blieb
-dagegen aus, wenn man sich beim Zusammendrücken einer Glasstange oder
-eines längeren Holzstückes bediente, während sich noch eine schwache
-Wirkung zeigte, wenn man dünne Zwischenkörper anwandte[392]. Es fiel
-aber jede Wirkung auf die Magnetnadel weg, wenn *Seebeck* die Enden
-der Spirale mit einer zwei Fuß langen Glas-, Holz- oder Metallstange
-auf die Wismutscheibe niederdrückte. Nach diesen Beobachtungen mußte
-sich der Gedanke aufdrängen, daß nur die Wärme die sich der berührten
-Stelle von der Hand mitteilt, die Ursache jenes durch den Ausschlag
-der Nadel sich verratenden elektrischen Ausgleichs ist. Danach war zu
-erwarten, daß ein höherer Grad der Temperatur als derjenige, welcher
-den Metallen durch die Berührung mitgeteilt wurde, auch eine größere
-Wirkung hervorrufen werde. Der Versuch bestätigte dies. Wurden Wismut-
-oder Antimonscheiben an dem einen Ende erwärmt und dann mit der Spirale
-in Berührung gebracht, so war die Abweichung der Nadel viel bedeutender
-als bei den früheren Versuchen.
-
-Künstliche Abkühlung eines der beiden Berührungspunkte ergab denselben
-Erfolg. Eine Wismutstange, deren Ende in einer Mischung von Salz
-und Schnee abgekühlt wurde, während das andere Ende die gewöhnliche
-Temperatur besaß, verhielt sich in Verbindung mit der Kupferspirale
-ganz so, als wenn der Temperaturunterschied beider Enden durch
-Erwärmung hervorgerufen worden wäre. Der Ausschlag der Nadel betrug
-beim Schließen des Kreises dreißig Grad.
-
-[Illustration: Abb. 47. *Seebecks* Thermoelement.]
-
-Die Wirkung dieser metallischen Ketten war um so stärker, je größer der
-Temperaturunterschied an den Berührungspunkten der verschiedenartigen
-Metalle war. Wurde ein Blatt Papier oder eine Haut zwischen die beiden
-Metalle geschoben, z. B. zwischen Antimon und Kupfer in a (Abb. 47),
-während der Berührungspunkt b mit einer Weingeistlampe erwärmt wurde,
-so zeigte sich gar keine Wirkung auf die Magnetnadel *ns*. Unmittelbare
-Berührung der Metalle war demnach eine wesentliche Bedingung, um
-Elektrizität durch Temperaturdifferenz zu erzeugen. Je vollkommener
-*Seebeck* diese Verbindung herstellte, desto stärker zeigte sich die
-Wirkung. Apparate, in welchen Stäbe von Antimon und Wismut durch Lötung
-verbunden waren, zeigten bei gleicher Temperaturdifferenz eine weit
-stärkere Ablenkung der Nadel als solche, in denen sich die Metalle nur
-äußerlich berührten.
-
-Auch gelegentlich der Entdeckung der Thermoelektrizität ergab es sich,
-daß die Entdeckung neuer Wirkungen und Beziehungen in der Regel
-zunächst in ihrer Tragweite überschätzt wird. So glaubte *Seebeck*
-den Erdmagnetismus aus der durch vulkanische Wärme hervorgerufenen
-ungleichen Erwärmung der Erdkugel erklären zu können. Eine Verwendung
-fanden die Thermoströme nach zwei Richtungen, nämlich als Stromquelle
-und zum Messen der Temperaturen.
-
-Da die innige Berührung der Metalle neben dem Vorhandensein eines
-Temperaturunterschieds die wesentliche Bedingung des Gelingens
-war, hatte *Seebeck* seine Stäbe zusammengelötet und so das erste
-Thermoelement geschaffen. War dieses zunächst auch nicht geeignet,
-einen ergiebigen Strom zu liefern, so wurde es doch im Jahre 1834 in
-den Händen *Nobilis*, der eine Anzahl solcher Elemente zur Thermosäule
-vereinigte, zu einem brauchbaren Instrument, um Wärmestrahlungen
-nachzuweisen und durch den Ausschlag eines empfindlichen Galvanometers
-zu messen. Ein solches erhielt *Nobili*, als er nach dem Vorgang
-*Ampères* zwei Nadeln von nahezu gleicher magnetischer Stärke zu einem
-astatischen Nadelpaare verband[393]. Mit dieser unter dem Namen des
-Thermomultiplikators bekannten Vereinigung beider Apparate hat später
-*Melloni* seine Versuche über die Wärmestrahlung angestellt[394].
-Zum Messen der Körperwärme wurde seit 1840 etwa ein Thermoelement
-aus schwerer schmelzbaren Metallen, gewöhnlich Eisen und Neusilber,
-gebraucht, dessen Lötstelle man in den Körper steckte.
-
-Eine andere Verwertung der Thermoströme suchte schon *Seebeck*
-anzubahnen, indem er aus mehreren, hintereinander geschalteten
-Elementen eine thermoelektrische Säule konstruierte. Doch fand er, daß
-die erhaltene Stromstärke nicht proportional der Anzahl der erwärmten
-Berührungsstellen wuchs. Es schien vielmehr ein Teil verloren zu
-gehen. Seitdem sind viele Thermosäulen konstruiert worden, so die von
-*Noë* aus Neusilberdrähten und Stäben einer Zinkantimonlegierung und
-neuerdings diejenige von *Gülcher*, der Antimon und Kupfer verwendet.
-Zur Erzeugung starker Ströme haben sich alle ersonnenen Einrichtungen
-jedoch nicht brauchbar erwiesen. Sie haben vor den galvanischen
-Elementen nur die bequemere Handhabung und eine größere Beständigkeit
-voraus.
-
-Vergegenwärtigen wir uns noch einmal den Inhalt der letzten Abschnitte,
-so finden wir, daß zu Beginn der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts
-die wesentlichsten Gebiete der Elektrizitätslehre mit Ausnahme der
-Induktion erschlossen waren. Die Entdeckung der letzteren sollte der
-unvergleichlichen Experimentierkunst eines *Faraday* vorbehalten
-bleiben, mit dessen grundlegenden Arbeiten wir uns im nächsten Bande
-beschäftigen werden.
-
-
-
-
-16. Der insbesondere durch Laplace und Herschel bewirkte Aufschwung der
-Astronomie.
-
-
-Eine so weitgehende Umgestaltung, beziehungsweise Erschließung neuer
-Gebiete, wie sie die Chemie und die Physik erfuhren, hat die Astronomie
-um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert nicht aufzuweisen. Ihr
-Lehrgebäude war durch die Arbeiten des 17. und des 18. Jahrhunderts
-so festbegründet, daß es sich im wesentlichen nur noch um den Ausbau
-im einzelnen und späterhin um eine Anwendung der physikalischen und
-chemischen Forschungsergebnisse auf kosmische Erscheinungen handeln
-konnte.
-
-Die Hauptvertreter der Astronomie waren gegen das Ende des 18. und
-zu Beginn des 19. Jahrhunderts *Laplace* und *Herschel*. Während der
-erstere seine Untersuchungen vorwiegend auf unser Planetensystem
-beschränkte und hier das Erbe *Newtons* vervielfältigte, hat
-*Herschel*, wie *Humboldt* sich einmal ausdrückt[395], das Senkblei
-zuerst in die Tiefen des Himmels geworfen. Wir werden ihn als den
-eigentlichen Begründer der Astronomie der Fixsterne kennen lernen.
-
-*Pierre Simon Laplace* wurde am 28. März 1749 in einer kleinen Stadt
-der Normandie[396] als der Sohn eines armen Landmannes geboren. Die
-außerordentliche Begabung, die *Laplace* auszeichnete, leuchtet schon
-daraus hervor, daß er von seinem 18. bis zur Vollendung des 20.
-Lebensjahres mehrere Abhandlungen aus dem Gebiete der Integralrechnung
-veröffentlichte, die ihm den Ruf eines bedeutenden Mathematikers
-eintrugen.
-
-*Laplace* wurde infolgedessen zum Lehrer der Mathematik ernannt. Als
-solcher wirkte er zunächst in seiner Vaterstadt; bald darauf berief
-man ihn an die Militärschule zu Paris. Seit dieser Zeit stellte
-*Laplace* seine außerordentliche mathematische Befähigung vorzugsweise
-in den Dienst der theoretischen Astronomie, die erst durch seine
-Untersuchungen in den Stand gesetzt wurde, eine befriedigende Erklärung
-der in unserem Planetensystem auftretenden säkularen Änderungen zu
-geben. Während manche Astronomen schon geneigt waren, gewisser, bei
-der Bewegung der Planeten in die Erscheinung tretender Umstände wegen
-eine nur annähernde Gültigkeit des *Newton*schen Gravitationsgesetzes
-anzunehmen, lieferte *Laplace*, der sich dabei auf die Vorarbeiten
-*Eulers* stützen konnte, den Nachweis, daß, unter dem Gesichtspunkte
-des Problems von den drei Körpern, jene scheinbaren Abweichungen von
-der Regel letztere erst vollauf bestätigen. *Newton* selbst hatte
-nämlich nur die Bewegung eines Planeten um seinen Zentralkörper
-untersucht und gezeigt, daß sie in einem Kegelschnitte erfolgen muß.
-Das Problem der drei Körper war damit gegeben, daß bei dem Umlauf
-des Mondes um die Erde der Einfluß der Sonne in Rechnung zu stellen
-ist, um zu einer Übereinstimmung zwischen Theorie und Beobachtung zu
-gelangen. Diese Untersuchung hatte schon *Euler* beschäftigt und ihn
-zu Ergebnissen geführt, die später den von *Tobias Mayer* entworfenen
-Mondtafeln als Unterlage dienten[397]. Das Hauptverdienst von *Laplace*
-bestand darin, daß er das Problem von den drei Körpern auch auf die
-Planeten und die Kometen ausdehnte und eine Theorie der Störungen,
-d. h. der Abweichungen, welche diese Himmelskörper durch ihre
-wechselseitige Anziehung erfahren, lieferte. Die strenge Lösung des
-Problems der drei Körper, die auch heute noch die Kräfte der höheren
-Analysis übersteigt, vermochte *Laplace* jedoch nicht zu geben.
-
-Eine seiner frühesten Abhandlungen aus dem Bereich der theoretischen
-Astronomie lieferte den wichtigen Nachweis, daß die mittlere Entfernung
-der Planeten von der Sonne zwar Änderungen erleidet, im Mittel jedoch
-konstant ist. Bald darauf wurde *Laplace*, kaum 24 Jahre alt, zum
-Mitglied der Akademie der Wissenschaften gewählt. Nachdem er ein
-Lehramt an der École normale erhalten, sehen wir ihn an den großen
-Aufgaben, mit denen sich damals die französische Nation trotz der
-politischen Gärung beschäftigte, den hervorragendsten Anteil nehmen. So
-gehörte *Laplace* der aus dem Schoße der Akademie gewählten Kommission
-für Maß und Gewicht an. Diese erhielt von der Nationalversammlung im
-Jahre 1790 den Auftrag, eine unveränderliche Grundlage für ein neues
-Maß- und Gewichtssystem in Vorschlag zu bringen. Die Bemühungen, das
-schon von *Huygens* hierfür in Aussicht genommene Sekundenpendel zu
-wählen, wurden durch *Laplace* gekreuzt. Letzterer, der offenbar
-eine neue Gradmessung wünschte, bestimmte die Kommission, von dem
-Meridianquadranten auszugehen. Die Akademie brachte daher im Jahre 1791
-den zehnmillionsten Teil dieses Quadranten als Meter in Vorschlag.
-
-Unter dem Vorsitz von *Laplace* wurde die École polytechnique,
-eine der hervorragendsten Pflanzstätten der Wissenschaft und Technik
-umgestaltet. Napoleon übertrug *Laplace*, den er sehr schätzte, sogar
-das Ministerium des Innern und erhob ihn in den Grafenstand. Auch nach
-der Restauration wurde *Laplace* mit Ehren überhäuft. Er schied am 5.
-März des Jahres 1827 mit den Worten aus dem Leben: »Was wir wissen, ist
-wenig, aber was wir nicht wissen, ist ungeheuer viel.«
-
-Von den Schriften dieses größten Astronomen, den Frankreich
-hervorgebracht, wurde später auf öffentliche Kosten eine Ausgabe
-veranstaltet[398]. Die ersten fünf Bände enthalten das von 1799
-bis 1825 erschienene Hauptwerk von *Laplace*, die »Mécanique
-céleste«. Ein hervorragender Geschichtsschreiber der Astronomie[399]
-bezeichnet es als »eine unendlich ausgedehnte und bereicherte
-Ausgabe von *Newtons* Prinzipien«. Nach einer Ableitung der aus dem
-Gravitationsgesetze folgenden allgemeinen Gleichungen für die Bewegung
-der Himmelskörper entwickelte *Laplace* in diesem Werke seine schon
-erwähnte Theorie der Störungen. Hierbei boten ihm die Beobachtungen an
-den großen Planeten Saturn und Jupiter, deren Ungleichheiten er auf den
-Einfluß, den diese Himmelskörper aufeinander ausüben, zurückführte,
-sowie die Beobachtungen an den Jupitermonden die willkommenste
-Unterlage für seine theoretischen Erwägungen.
-
-Da die Jupitertrabanten mit ihrem Zentralkörper ein Ganzes ausmachen,
-das dem Planetensystem sehr ähnlich ist, die Umläufe hier aber in
-verhältnismäßig kurzer Zeit erfolgen, so ließen diese *Laplace* in
-einem kurzen Zeitraume alle jene großen Veränderungen erkennen, die
-sich im Planetensystem im Verlaufe von Jahrhunderten abspielen. War
-*Newton* noch geneigt, die trotz aller gegenseitigen Störungen
-im Sonnensystem offenbar vorhandene Stabilität auf übernatürliche
-Einflüsse zurückzuführen, so gelang es *Laplace*, diese Stabilität als
-eine Notwendigkeit nachzuweisen und damit die der Gravitationsmechanik
-gestellte Aufgabe erst endgültig zu lösen[400].
-
-Auch das Problem der Gezeiten, für das *Newton* die erste, indes in
-mancher Hinsicht mit den Tatsachen noch nicht im Einklang stehende
-theoretische Ableitung gegeben hatte, wurde durch *Laplace* zu einem
-gewissen Abschluß gebracht. Dabei stand ihm in den über mehrere Jahre
-sich erstreckenden täglichen Beobachtungen, die auf Veranlassung der
-Akademie der Wissenschaften in den französischen Häfen, insbesondere in
-Brest, stattgefunden hatten, ein vortreffliches Material zur Verfügung,
-das er unter Anwendung der zur Zeit *Newtons* noch nicht entwickelten
-Prinzipien der Hydrodynamik bearbeitete. Es gelang ihm, Linien gleicher
-Flutzeit, die sogenannten Isorachien, zu ermitteln. Eine befriedigende
-Theorie der Gezeiten vermochte jedoch erst die vereinte Arbeit
-zahlreicher Beobachter und Theoretiker der neueren Zeit zu geben.
-
-Einige Jahre vor dem Erscheinen der Mécanique céleste suchte
-*Laplace* die Ergebnisse der astronomischen Forschung in allgemein
-verständlicher Weise weiteren Kreisen zugänglich zu machen. So
-entstand seine »Darstellung des Weltsystems«, ein Buch, in dem er
-unter anderem seine Ansichten von der Bildung der Welt aus einem
-chaotischen Urnebel entwickelte. Zunächst setzt *Laplace* auseinander,
-daß die Glieder des Planetensystems, obgleich sie selbständig sind,
-dennoch sehr merkwürdige Beziehungen zu einander aufweisen, die uns
-über den Ursprung des Systems aufklären können. Man bemerke nämlich,
-daß sämtliche Planeten fast in derselben Ebene von West nach Ost um
-die Sonne kreisen. Die Monde bewegten sich ferner um die Planeten
-im gleichen Sinne und fast in derselben Ebene wie die letzteren.
-Endlich drehten sich Sonne, Planeten und Monde sämtlich in einerlei
-Richtung um ihre Achse, und zwar geschehe dies fast in der Ebene ihrer
-Umlaufsbewegungen. Eine solch außergewöhnliche Erscheinung könne kein
-Spiel des Zufalls sein; sie deute auf eine gemeinsame Ursache hin.
-*Buffon* hatte zur Erklärung dieser merkwürdigen Gesetzmäßigkeiten
-angenommen, daß ein Komet in seinem Falle auf die Sonne einen Strom
-Materie von dieser losgerissen habe, der sich dann zu größeren
-und kleineren, von der Sonne verschieden weit abstehenden Kugeln
-zusammengeballt hätte. Diese Hypothese erklärt nach *Laplace* indessen
-nur eine der erwähnten Erscheinungen. Denn es sei einleuchtend, daß
-alle auf solche Weise entstandenen Körper sich ungefähr in derjenigen
-Ebene bewegen müßten, welche durch den Mittelpunkt der Sonne und den
-Weg des materiellen Stromes gehe, der jene Körper erzeugt habe. Die
-anderen Erscheinungen können, wie *Laplace* ausführt, aus der Hypothese
-*Buffons* nicht erklärt werden. Ja, die geringe Exzentrizität der
-Planetenbahnen spricht geradezu gegen diese Hypothese. Denn nach der
-Theorie der Zentralkräfte wird ein Körper, der sich um die Sonne bewegt
-und dabei ihre Oberfläche streift, bei jedem seiner Umläufe dahin
-zurückkehren müssen. Wären also die Planeten ursprünglich von der
-Sonne losgerissen worden, so würden sie die Sonne nach jedem Umlauf
-berühren. Ihre Bahnen wären also nicht nahezu kreisförmig, sondern
-stark exzentrisch.
-
-Eine Ursache, welche die Bewegungen der Planeten und der Monde
-veranlaßte, mußte sich, welches auch ihre Natur war, auf alle diese
-Körper erstrecken. In Anbetracht der gewaltigen Zwischenräume, welche
-die Planeten trennen, kann diese Ursache, so führt *Laplace* aus, nur
-in einem Fluidum von ungeheurer Ausdehnung bestanden haben. Sollte
-dieses Fluidum den Planeten fast kreisförmige, gleich gerichtete
-Bewegungen um die Sonne verleihen, so mußte es die Sonne wie eine
-Atmosphäre umgeben. Durch diese Überlegungen wurde *Laplace* zu der
-Annahme geführt, daß die Sonnenatmosphäre sich uranfänglich über
-sämtliche Planetenbahnen hinaus erstreckt habe und allmählich bis auf
-ihren jetzigen Umfang zusammengeschrumpft sei.
-
-Die große Exzentrizität der Kometenbahnen führte *Laplace* zu
-demselben Ergebnis. Die Kometen sind nach ihm Weltkörper, die sich
-zu jener Zeit, als die Bildung der Planeten vor sich ging, außerhalb
-jenes Fluidums befanden. Die Bahnen der Kometen sind so verschieden,
-als wären diese Körper aufs Geratewohl geschleudert worden, weil
-eben die Sonnenatmosphäre keinen Einfluß auf ihre Bewegungen haben
-konnte. Um zu erklären, wie die Sonnenatmosphäre den Umlauf und
-die Rotation der Planeten hervorrief, nahm *Laplace* an, daß die
-Planeten an den aufeinander folgenden Grenzen jener Atmosphäre durch
-die Verdichtung derjenigen Zonen entstanden seien, die sich in der
-Äquatorebene infolge von Abkühlung und Zusammenziehung bilden mußten.
-Die Monde sollten auf ähnliche Weise aus der Atmosphäre der Planeten
-hervorgegangen sein. Die beobachteten Erscheinungen erklärten sich also
-sämtlich ungezwungen aus dieser Annahme, welche durch die Saturnringe
-eine weitere Stütze erhielt.
-
-Ein Versuch, auf deduktivem Wege zu einer Vorstellung von dem
-Weltbildungsprozesse, insbesondere der Entstehung unseres
-Planetensystems zu gelangen, wurde schon mehrere Jahrzehnte vor
-*Laplace* in Deutschland durch *Immanuel Kant* (1724-1804) gemacht.
-In seiner »allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels[401]«,
-vom Jahre 1755 nimmt *Kant* als Urzustand die feinste Verteilung der
-Materie durch den ganzen Weltraum an, weshalb man seine Ansicht auch
-als Nebularhypothese bezeichnet hat. Infolge der Gravitation bildeten
-sich dann Zentralkörper. Die benachbarte Materie verdichtete sich
-gleichfalls um besondere Bildungsmittelpunkte und näherte sich, durch
-die allgemeine Anziehung getrieben, dem Zentrum. Gäbe es nur Anziehung,
-so müßte eine Vereinigung des Zentralkörpers mit den um besondere
-Punkte sich anhäufenden Massen stattgefunden haben. Unter dem Einfluß
-einer der Materie gleichfalls innewohnenden abstoßenden Kraft wurden
-die herabsinkenden Massen indessen abgelenkt. Der Fall schlug in eine
-Wirbelbewegung um, woraus nach *Kant* die Tatsache ihre Erklärung
-findet, daß sämtliche Planeten in nahezu einer Ebene und in derselben
-Richtung um die Sonne kreisen.
-
-In Wahrheit ist die erste Ursache der Rotation durch *Kants* Annahme
-nicht erklärt. *Laplace* gesteht die Unzulänglichkeit seiner Hypothese
-in diesem Punkte zu. Er gibt für das Zustandekommen der Rotation keine
-Erklärung, sondern geht von einem in Drehung begriffenen Gasball aus,
-gelangt aber, wie wir sahen, im wesentlichen zu demselben Ergebnis wie
-*Kant*.
-
-*Kant* selbst war zu seinen Spekulationen durch die Schrift des
-Engländers *Wright* angeregt worden[402]. Auf diesen ist wohl die
-Beobachtung zurückzuführen, daß die Fixsterne nicht ohne Gesetz
-zerstreut, sondern auf eine Ebene zu beziehen sind. *Wright* sagt
-nämlich: »Die Sterne stehen um so dichter, je mehr wir uns der
-Milchstraße nähern, so daß von den 2000 Sternen, die das unbewaffnete
-Auge wahrnimmt, der größte Teil in einer nicht gar breiten Zone, deren
-Mitte die Milchstraße bildet, angetroffen wird.« Auch *Lambert* hat,
-wie wir an anderer Stelle schon erwähnten, diesen Gedanken weiter
-ausgeführt und begründet[403]. Eine wertvolle Stütze erhielt *Kants*
-Theorie dadurch, daß gewisse Ableitungen, die *Kant* anstellte, durch
-spätere Beobachtungen bestätigt wurden. Das schönste Beispiel ist
-*Kants* Berechnung der Rotation der Saturnringe[404]. *Kant* nahm
-an, daß die Materie dieser Ringe sich von dem Äquator des Planeten
-losgelöst habe und infolgedessen auch eine rotierende Bewegung
-besitze. Seine Berechnung ergab für den inneren Rand des Ringes
-eine Rotationsdauer von »etwa zehn Stunden«. Nach den Beobachtungen
-*Herschels*, die 34 Jahre später angestellt wurden, ergab sich für die
-Rotationszeit der Wert von 10½ Stunden. Die Ansicht *Kants*, daß
-die Ringe des Saturn aus einer Häufung einzelner Teilchen bestehen,
-haben gleichfalls spätere teils analytische, teils photometrische
-Untersuchungen bestätigt. Auch die Vorstellung, daß das Zodiakallicht
-auf einen die Sonne umgebenden und von ihr erleuchteten Ring von
-kosmischem Staub zurückzuführen sei, hat *Kant* in Anlehnung an seine
-Betrachtungen über den Saturnring entwickelt[405].
-
-*Kant* erörtert auch die Frage, ob die Achsendrehung der Weltkörper
-durch irgend welche Umstände vermindert oder ganz aufgezehrt werden
-könne. Sollte z. B., meint er, der Mond sich nicht früher schneller
-um seine Achse gedreht haben und durch irgend welche Ursachen seine
-Bewegung auf das jetzige Maß herabgemindert worden sein[406]. Eine
-nähere Untersuchung dieses Problems hat *Kant* zu der Annahme geführt,
-daß die Flutwelle eine solche hemmende Wirkung ausübe. *Kant* ist
-auch darin bahnbrechend und glücklich gewesen. Er zeigte, daß die
-Rotation der Erde eine Verlangsamung erfahren müsse, weil sich unser
-Planet unter den durch Mond und Sonne erzeugten Flutwellen wie in
-einem Friktionshemmschuh bewege. Die Rotation des Mondes sei so sehr
-vermindert und habe sich schließlich dem Umlauf dieses Weltkörpers um
-die Erde vollkommen angepaßt, weil die Erdwirkung, die auf dem Monde
-eine Flut erzeugte, 3600 mal so groß sei als diejenige, welche der
-Mond auf die Gewässer der Erde ausübt. Diese Annahmen *Kants* sind
-durch spätere, streng mathematische Ableitungen bestätigt worden[407].
-So stellte sich denn *Kants* Hypothese als ein zwar kühner, aber doch
-glücklicher Griff dar, weil sich nach allen Seiten Wechselbeziehungen
-und Bestätigungen ergaben[408].
-
-Am Schlusse seiner Abhandlung wendet sich *Kant* noch gegen die
-religiösen Bedenken, die vielleicht gegen seine Ansichten geltend
-gemacht werden könnten. Seien doch viele der Meinung, es heiße Gott
-die Regierung der Welt streitig machen, wenn man den Ursprung des
-Geschehens in den Naturkräften suche. Wenn die Ordnung der Welt, so
-betont demgegenüber *Kant*, aus allgemeinen Naturgesetzen herfließen
-konnte, so ist die ganze Natur notwendig eine Wirkung der höchsten
-Weisheit. *Kant* zieht indessen aus seiner Lehre nicht die letzten
-Folgerungen. Er beschränkt nämlich die mechanische Naturerklärung auf
-die Vorgänge der unorganischen Welt und hält sie für die Erklärung auch
-des einfachsten Organismus nicht für ausreichend. Die Ausdehnung der
-mechanischen Naturerklärung auf das gesamte Geschehen wurde besonders
-im 19. Jahrhundert versucht, ohne jedoch in das Verhältnis der Psyche
-zur Materie einen befriedigenden Einblick vermitteln zu können.
-
-Mit dem Ausbau der Theorie ging eine beträchtliche Erweiterung der
-Kenntnis des Planetensystems Hand in Hand. Schon *Kepler* hatte auf
-den verhältnismäßig großen Abstand hingewiesen, der sich zwischen den
-Bahnen des Mars und des Jupiter befindet. Angeregt durch Spekulationen,
-die darauf abzielten, eine die Abstände der Planeten beherrschende
-Gesetzmäßigkeit zu finden, begann man mit dem Jahre 1800 den Tierkreis
-nach kleineren Wandelsternen zu durchsuchen. Den ersten Erfolg nach
-dieser Richtung hatte *Piazzi*[409] zu verzeichnen.
-
-Dieser Astronom beobachtete anfangs Januar 1801 einen Stern 8. Größe,
-der sich im Stier befand. Als er den Stern an den nächsten Abenden
-von neuem aufsuchte, zeigte es sich, daß er seine Stellung zu den
-benachbarten Sternen verändert hatte, also offenbar ein Planet war.
-Das neue Gestirn erhielt den Namen »Ceres«. Es wurde, nachdem *Piazzi*
-es aus den Augen verloren, *Gauß* aber seine Stellung wieder berechnet
-hatte, von neuem durch *Olbers* entdeckt und in die Lücke zwischen Mars
-und Jupiter verwiesen. Dasselbe geschah mit einem zweiten, von *Olbers*
-aufgefundenen Planeten, der Pallas. An diese reihten sich noch 1804
-die Juno und 1807 die Vesta. Damit war der Anfang zur Entdeckung eines
-zwischen Mars und Jupiter befindlichen Planetenoidenringes gemacht,
-dessen Glieder, wie man nach der Anfertigung genauerer, die Sterne bis
-zur neunten Größe umfassender Himmelskarten erkannte, nach hunderten
-zählen.
-
-Eine andere Erweiterung der Kenntnis vom Planetensystem erfolgte
-durch den zweiten großen Vertreter, den die Astronomie in dieser
-Periode hatte, durch *Wilhelm Herschel*. Diese Erweiterung bestand
-in der Entdeckung des Uranus. Da *Herschel* wie kein anderer den
-Blick über die Grenzen des Planetensystems hinaus gerichtet hat und
-damit zum eigentlichen Begründer der Fixsternastronomie geworden ist,
-wollen wir uns mit seinem außergewöhnlichen Lebenslauf und seinen
-wissenschaftlichen Taten etwas eingehender beschäftigen.
-
-*Friedrich Wilhelm Herschel* wurde am 15. November 1738 in Hannover
-geboren. Sein Vater war ein armer, mit zahlreichen Nachkommen
-gesegneter Musiker, der eine große Bewunderung für die Astronomie an
-den Tag legte. *Herschels* Schwester, deren Aufzeichnungen[410] wir
-fast alles verdanken, was über die Jugend des großen Astronomen bekannt
-geworden ist, erzählt, der Vater habe sie und ihre Geschwister in
-einer klaren Nacht auf die Straße geführt, um sie mit den schönsten
-Sternbildern bekannt zu machen. Auch sei er ihrem Bruder Wilhelm bei
-seinen Studien an die Hand gegangen.
-
-Letzterer war gleichfalls zum Musiker bestimmt. Ein lebhaftes Interesse
-für die Theorie seiner Kunst veranlaßte ihn, sich eingehend mit der
-Mathematik zu befassen. Fünfzehn Jahre alt, wurde Wilhelm Mitglied
-der Kapelle eines Regiments, mit dem er bald darauf[411] nach England
-ging. Nachdem er seinen Dienst aufgegeben, bekleidete er eine
-Organistenstelle in Bath, wohin ihm seine Schwester Karoline folgte.
-Letztere hing mit schwärmerischer Bewunderung an dem Bruder und half
-ihm als treue Mitarbeiterin den Ruhm gewinnen, der seinen Namen später
-verherrlichen sollte. Trotzdem *Herschel* durch seine Stellung in
-Bath sehr in Anspruch genommen war, fand er doch Zeit zur Fortsetzung
-seiner Studien. Der Umstand, daß der Mann, der auf musiktheoretischem
-Gebiete[412] sein Lieblingsschriftsteller war, auch ein Werk über Optik
-geschrieben, im Verein mit den Anregungen, die er in seiner Jugendzeit
-empfangen, führten *Herschel* dazu, daß er sich mit immer größerem
-Eifer und Verständnis der Astronomie zuwandte. »Als ich mit dieser
-Wissenschaft bekannt wurde«, schrieb er später[413], »faßte ich den
-Entschluß, nichts auf Treu und Glauben anzunehmen, sondern alles, was
-andere vor mir erblickt hatten, mit meinen eigenen Augen zu sehen.«
-Da indessen die Kosten der Anschaffung eines Fernrohres zu bedeutend
-waren, beschloß *Herschel*, selbst ein solches anzufertigen. Nach
-vielen Mühen brachte er im 37. Jahre seines Lebens ein Spiegelteleskop
-zu stande, mit dem man den Saturnring erblicken konnte. *Herschels*
-Fleiß verdoppelte sich jetzt; sein ganzer Stolz bestand darin,
-Teleskope zu liefern, von denen immer eins das andere übertraf.
-
-Einige kleinere astronomische Abhandlungen waren schon aus seiner Feder
-hervorgegangen, als er mit einem Schlage durch die Entdeckung eines
-neuen, jenseits des Saturn umlaufenden Planeten zum berühmten Manne
-wurde. Diese Entdeckung des Uranus erfolgte am 13. Mai des Jahres
-1781. Es war ein astronomisches Ereignis, dem sich nichts Ähnliches
-zur Seite stellen ließ. König Georg III., der eine Sternwarte besaß,
-ernannte *Herschel*, nachdem er dessen Teleskop gesehen und nachdem
-sich herausgestellt hatte, daß es die besten Instrumente übertraf, zum
-königlichen Astronomen.
-
-*Herschel* gab jetzt seine Stellung als Musiker auf und verließ Bath
-im Jahre 1782, um sich ausschließlich der Erforschung des Himmels
-zu widmen. Mit reichen Mitteln -- der König stellte 4000 Pfund zur
-Verfügung -- wurde ein Riesenteleskop geschaffen, dessen Bau mehrere
-Jahre (1785-1789) in Anspruch nahm. Die Konstruktion, die *Herschel*
-hierbei wählte, war eine eigenartige (siehe Abb. 48). Das neue
-Instrument besaß nämlich nur einen Spiegel, der beiläufig etwa 2000
-Pfund wog und einen Durchmesser von 4 Fuß besaß. Dieser Spiegel M war
-gegen die Achse des Instruments ein wenig geneigt, so daß das Bild
-*ab* am unteren Rande der Öffnung entstand und dort durch das Okular
-betrachtet werden konnte. Allerdings ging hierbei ein Teil des Lichtes
-verloren, da der Beobachter von vorn in das Rohr hineinschauen mußte.
-Doch war dieser Verlust bei genügendem Durchmesser des Spiegels nicht
-so beträchtlich, um die Konstruktion in Frage zu stellen.
-
-[Illustration: Abb. 48. Schema des von *Herschel* konstruierten
-Spiegelteleskops.]
-
-Bis zu seinem am 25. August des Jahres 1822 erfolgten Tode blieb
-*Herschel* auf der in der Nähe von Windsor errichteten Sternwarte
-unermüdlich mit der Durchmusterung des Himmels beschäftigt. Diese
-Arbeitsstätte verließ er nur, um von Zeit zu Zeit der Royal Society
-über die Ergebnisse seiner Forschungen, denen wir uns jetzt zuwenden
-wollen, zu berichten.
-
-Zunächst reihte sich an die Auffindung des Uranus noch manche
-wertvolle, unser Planetensystem betreffende Beobachtung. So entdeckte
-*Herschel* mehrere Trabanten dieses Hauptplaneten, sowie den ersten und
-den zweiten Mond des Saturn. Für diesen Planeten hatte *Huygens* zuerst
-das Vorhandensein eines Trabanten, und zwar des sechsten, nachgewiesen.
-Die gleichfalls von *Huygens* entdeckten weißen Flecke an den Marspolen
-fand *Herschel* abhängig von den Jahreszeiten des Mars, für den er
-eine an irdische Verhältnisse erinnernde Beschaffenheit nachzuweisen
-suchte[414]. Während schon *Cassini* imstande war, die Rotationszeit
-des Jupiter aus der Beobachtung gewisser Flecken dieses Planeten zu
-ermitteln, gelang erst *Herschel* die Lösung der gleichen Aufgabe für
-den Saturn[415].
-
-[Illustration: Abb. 49. Der von *Herschel* in den Jahren 1785-1789
-erbaute vierzigfüßige Reflektor[416].]
-
-Zum Zentralkörper unseres Systems übergehend, suchte *Herschel* sowohl
-dessen physische Natur als dessen Bewegung und Stellung im Weltraum zu
-bestimmen. Seine Theorie über die Beschaffenheit des Sonnenkörpers,
-welche er auf die Beobachtung der Flecken gründete, hat jedoch die
-Mitte des 19. Jahrhunderts nicht überlebt. *Herschel* verließ nämlich
-die alte, heute wieder als richtig geltende Ansicht, daß wir es in
-der Sonne mit einem Körper von sehr hoher Temperatur zu tun haben.
-Er nahm an, daß sie aus einem festen, nicht leuchtenden, vielleicht
-bewohnbaren Kern bestehe, der von einer durchsichtigen Atmosphäre
-und einer darüber befindlichen lichtspendenden Photosphäre umgeben
-sei. *Herschels* Theorie gemäß entsteht ein Sonnenfleck, indem jene
-Photosphäre infolge aufsteigender Dämpfe zerreißt und der dunkle Körper
-der Sonne zum Vorschein kommt.
-
-Da es gelungen war, an den Fixsternen eine Eigenbewegung nachzuweisen,
-so lag der Gedanke nahe, daß auch unsere Sonne mit all' ihren
-Planeten, Monden und Kometen eine nach einem bestimmten Punkte
-des Himmels gerichtete Bewegung besitze. Eine solche würde ein
-scheinbares Auseinanderweichen der in der Richtung dieser Bewegung
-befindlichen Fixsterne, sowie ein Zusammenrücken der Sterne in der
-Nähe des entgegengesetzten Himmelspunktes zur Folge haben. Es gelang
-*Herschel*[417], derartige Veränderungen, die ein Fortschreiten
-des Sonnensystems erkennen lassen und sich mit den wirklichen
-Eigenbewegungen der Fixsterne kombinieren, nachzuweisen. Der von ihm
-ermittelte Punkt, dem sich die Sonne nähert, liegt im Sternbilde des
-Herkules. Obgleich die Größe der Sonnenbewegung wahrscheinlich mehrere
-tausend Meilen in der Stunde beträgt, werden doch noch lange Zeiträume
-verfließen, bis der vielleicht um einen weit entfernten Schwerpunkt
-erfolgende Umlauf unseres Zentralkörpers erkannt sein wird.
-
-Eng verknüpft mit dem Problem der Sonnenbewegung ist der gleichfalls
-von *Herschel* erbrachte Nachweis, daß die von den früheren Astronomen
-für nur scheinbar benachbart gehaltenen Doppelsterne, wirklich
-zusammengehören und binäre Systeme bilden. *Herschel* hat nicht
-weniger als 846 Doppelsterne katalogisiert. Spätere Forschungen haben
-ergeben, daß die Bewegung innerhalb solcher binären Systeme nach dem
-Gravitationsgesetz erfolgt, das damit erst als das wahre Weltgesetz
-erkannt war.
-
-Bislang hatte man die Fixsterne wenigstens so betrachtet, als ob sie
-über die Fläche einer Kugel verteilt wären. Seit *Herschel* beginnt
-die Astronomie sich mit der räumlichen Verteilung dieser Weltkörper zu
-beschäftigen. Schon vor ihm hatte die Milchstraße und die Anordnung
-der außerhalb der Milchstraße befindlichen Sterne das Nachdenken
-eines *Kant*[418] erregt. Jedoch erst *Herschel* setzte an die Stelle
-bloßer Vermutungen den auf systematisch angestellten Beobachtungen,
-seinen sogenannten Aichungen, gegründeten Nachweis, daß die deutlich
-sichtbaren Sterne samt der Milchstraße -- ein Komplex von etwa 20
-Millionen Weltkörpern -- einen linsenförmigen Haufen bilden und daß die
-Sonne sich etwas außerhalb der Mitte jenes Haufens befindet. Diesen
-Nachweis lieferte er in einer »Über den Bau des Himmels« betitelten
-Schrift[419].
-
-*Messiers* etwa 100 Nummern enthaltendes Verzeichnis von Nebelflecken
-und Sternhaufen veranlaßte *Herschel*, sein zwanzigfüßiges
-Spiegelteleskop von 12 Zoll Öffnung auf diese Himmelskörper zu richten.
-Dabei sah er zu seiner größten Freude, daß die meisten Nebelflecken der
-Stärke seines Instrumentes unterlagen und in Sterne aufgelöst wurden.
-Es ergab sich, daß sie entweder nichts als lauter Sterne sind. Oder
-sie enthielten wenigstens Sterne. Den in *Messiers* Verzeichnis[420]
-erwähnten »Nebelfleck ohne Stern«, der sich nahe dem Haupthaar der
-Berenice befindet, erblickte *Herschel* als einen Haufen dicht
-gedrängter Sterne. »Es ist dies«, sagt *Herschel*, »einer der schönsten
-Gegenstände, die ich mich erinnere, am Himmel gesehen zu haben. Der
-Haufen erscheint unter der Gestalt einer Kugel aus kleinen, in einen
-einzigen Lichtglanz zusammengedrängten Sternen samt einer Anzahl, die
-ringsum stehen und in der Hauptmasse deutlich zu unterscheiden sind«
-(siehe Abbildung 50).
-
-[Illustration: Abb. 50. *Herschels* Abbildung eines Nebelfleckes[421].]
-
-Als *Herschel* seine Beobachtungen begann, vermutete er, daß manche
-Nebelflecken noch unentdeckt geblieben seien. Er gab sich daher der
-Hoffnung hin, zu den von *Messier* verzeichneten 100 Sternhaufen und
-Nebelflecken eine schätzbare Zugabe liefern zu können. Der Erfolg
-bewies, daß seine Erwartungen begründet waren. Während *Halley* nur
-sechs Nebel kannte und *Messiers* Verzeichnis, wie erwähnt, nur etwa
-100 Nummern enthielt, wurden in den Jahren 1786 bis 1802 von *Herschel*
-nahezu 2500 Nebelflecke katalogisiert, beschrieben und gezeichnet. Eine
-Fortsetzung dieser Studien verdanken wir *Herschels* Sohn John, der auf
-einer Expedition nach dem Kap der guten Hoffnung[422] eine fast ebenso
-große Zahl von Nebelflecken am südlichen Himmel entdeckte.
-
-[Illustration: Abb 51. *Herschels* Ableitung der Gestalt der
-Milchstraße[423].]
-
-Die mühevollen Studien über die Nebelflecken führten *Herschel* zu der
-Erkenntnis, daß auch die Milchstraße nichts anderes als eine Schicht
-von Fixsternen ist, innerhalb deren sich die Sonne, wenn auch nicht
-genau im Mittelpunkte, befindet. Es läßt sich dies nach *Herschel*
-aus der Gestalt der Milchstraße entnehmen, die sich in einem größten
-Kreise um den gesamten Himmel ziehen muß, wenn sich die Sonne innerhalb
-dieser Sternenschicht befindet. Nehmen wir mit *Herschel* an, eine
-Anzahl Sterne sei zwischen zwei, in einem gegebenen Abstande einander
-parallel laufenden, weit ausgedehnten Ebenen angeordnet, so wird
-ein Beobachter, der sich irgendwo innerhalb einer solchen Schicht
-befindet, sämtliche zu ihr gehörigen Sterne in einem großen Kreise
-sehen. Letzterer wird nach Maßgabe der Anhäufung der Sterne sich mehr
-oder weniger hell zeigen, während es scheinen wird, als ob die übrigen
-Gegenden des Himmels nur mit Sternbildern bestreut wären. So würde
-ein Auge bei S (siehe Abb. 51) innerhalb der Schicht *ab* die in der
-Richtung des Verlaufes der Schicht befindlichen Sterne als einen hellen
-Kreis ABCD sehen, während die Sterne an den Seiten *mv*, *nw* über
-den übrigen Teil des Himmels bei MVNW zerstreut erscheinen würden.
-
-Stände der Beobachter irgendwo außerhalb der Schicht, so würde die
-Schicht die Gestalt einer Scheibe annehmen, die nach Maßgabe der
-Entfernung des Beobachters mehr oder weniger groß sein würde. Und nähme
-dieser Abstand über alles Maß zu, so müßte die ganze Sternenschicht
-zuletzt in einen lichten Fleck zusammenschrumpfen.
-
-Nehmen wir nun weiter mit *Herschel* an, daß eine kleinere Schicht
-aus der ersteren nach einer bestimmten Richtung hin ausläuft und
-gleichfalls von zwei parallelen Ebenen, die sich ins Unbestimmte
-ausdehnen, eingeschlossen ist. Befindet sich der Beobachter in der
-großen Schicht irgendwo in der Nähe der Abzweigung, dann wird diese
-zweite Schicht nicht einen Kreis darstellen, sondern wie ein lichter
-Zweig erscheinen, der von dem Kreise ausgeht und in einer gewissen
-Entfernung wieder zu ihm zurückkehrt. So werden in Abb. 51 die Sterne
-in der kleinen Schicht *pq* in einem hellen Bogen PRRP gesehen
-werden, der nach der Absonderung vom Kreise sich mit ihm wieder
-vereinigt.
-
-Aus dem Bilde, das uns die Milchstraße bietet, folgerte *Herschel*
-deshalb, daß sich die Sonne in einer großen Fixsternschicht nicht fern
-von der Stelle befinde, von der eine kleinere Schicht als ein Zweig der
-größeren ausläuft.
-
-Anfangs hielt *Herschel* sämtliche Nebelflecke für Sternhaufen. Als er
-jedoch auch deutliche Sterne entdeckte, die von einem Nebel umgeben
-sind, der offenbar zu dem Sterne in Beziehung steht, nahm er an, daß
-es sich hier um leuchtende Gasmassen handele, die auch, ohne einen
-Stern zu umschließen, existieren und der Urstoff für die Bildung neuer
-Himmelskörper seien. Dementsprechend glaubte er, in dem Zustande, den
-uns der Fixsternhimmel gegenwärtig darbietet, sämtliche Stufen des
-Weltbildungsprozesses nachweisen zu können. Spätere, insbesondere
-spektroskopische Forschungen haben die Richtigkeit dieser kühnen
-Schlüsse dargetan.
-
-Die Betrachtungen, welche *Herschel* über die Abmessungen des mit
-seinem Teleskop durchforschten Raumes anstellte, lieferten den
-Nachweis, daß das Licht, um von den entferntesten Objekten des Himmels
-zu uns zu gelangen, viele tausend Jahre gebraucht, so daß unsere
-Teleskope nicht allein den Raum, sondern auch die Zeit durchdringen.
-Anknüpfend an die von *Herschel* erhaltenen Ergebnisse konnte deshalb
-*Humboldt*[424] wohl sagen, daß das Licht der fernsten Weltkörper das
-älteste sinnliche Zeugnis von dem Dasein der Materie sei.
-
-Als zur Jahrhundertfeier der Uranusentdeckung eine Biographie
-*Herschels*[425] erschien, wurde darin mit Recht hervorgehoben, daß
-an *Herschels* Ansicht über den Bau des Himmels nur wenig zu ändern
-gewesen sei. »Jede astronomische Entdeckung«, heißt es dort[426], »und
-jede gut beobachtete physikalische Tatsache gibt Material für die
-Ausarbeitung der Einzelheiten oder für die Verbesserung untergeordneter
-Punkte dieser Ansicht. Als wissenschaftliche Auffassung ist sie
-vielleicht die großartigste, die jemals der menschliche Geist gewonnen
-hat.«
-
-Den Ansichten, die fast gleichzeitig *Herschel* und *Laplace* und vor
-ihnen schon *Kant* über die Entstehung der Welt entwickelten, ist der
-Gedanke gemeinsam, daß die Gestirne, die sich die früheren Zeitalter
-aus ganz besonderem Stoff gebildet dachten, in materieller Hinsicht
-untereinander und von der Erde nicht wesentlich verschieden sind.
-Dieses Ergebnis einer denkenden Naturbetrachtung sollte nicht nur durch
-die spätere spektroskopische Untersuchung, sondern auch durch die noch
-im Zeitalter von *Herschel* und *Laplace* erfolgte richtige Deutung der
-Meteoriten ihre Bestätigung finden.
-
-Nachrichten über vom Himmel gefallene Stein- und Eisenmassen reichen
-bis ins graue Altertum zurück, ohne daß dadurch bis gegen das 18.
-Jahrhundert das wissenschaftliche Interesse rege geworden wäre. Um
-die Mitte jenes Zeitabschnitts waren zwei auffallende Tatsachen zu
-verzeichnen. Der Sibirien bereisende deutsche Naturforscher *Pallas*
-entdeckte 1749 in der Nähe des Jenissei eine 1600 Pfund schwere
-Eisenmasse, deren Beschaffenheit darauf hinwies, daß man es in ihr
-mit einem Naturerzeugnis zu tun habe[427]. Ferner hatte in Agram im
-Jahre 1751 einer der am besten beglaubigten Meteoreisenfälle[428]
-stattgefunden. Das dort gefallene Stück war ausgegraben und dem Wiener
-Naturalienkabinet einverleibt worden. Der Leiter dieses Instituts wies
-jedoch die Meinung, daß die Masse überhaupt gefallen sei, mit Spott
-zurück. Seiner Ansicht nach sollte sich das Eisen unter dem Einfluß
-der atmosphärischen Elektrizität aus Bestandteilen des Bodens gebildet
-haben.
-
-In einer 1794 erschienenen Abhandlung wagte es der deutsche Physiker
-*Chladni*, im Gegensatz zu allen gelehrten Zeitgenossen, für die
-Feuerkugeln einen kosmischen Ursprung zu behaupten und die von
-*Pallas*[429] entdeckte und ähnliche Eisenmassen als den Stoff solcher
-niedergefallenen Feuerkugeln in Anspruch zu nehmen.
-
-*Chladni* wies zunächst auf folgende, gut beobachteten und
-wissenschaftlich erörterten Meteorsteinfälle des 18. Jahrhunderts hin.
-
-Am 17. Mai 1719 erschien eine Feuerkugel in England[430]; sie durchlief
-300 Meilen in einer Minute und zersprang mit einem Getöse, bei welchem
-Türen, Fenster und ganze Häuser erschüttert wurden.
-
-Am 11. November 1761 sah man eine Feuerkugel[431] in Frankreich; sie
-zersprang mit heftigem Getöse in viele kleine Stücke; manche Personen
-glaubten Feuer neben sich gesehen zu haben. Ein Stück ist[432] in ein
-Haus gefallen und hat dieses entzündet.
-
-Am 23. Juli 1762 wurde eine Feuerkugel, die *Silberschlag* in seiner
-»Theorie der am 23. Juli 1762 erschienenen Feuerkugel, Magdeburg 1764«
-beschrieb[433], ungefähr senkrecht über der Gegend zwischen Leipzig
-und Zeitz in Gestalt eines kleinen Sternes sichtbar. Sie nahm an
-scheinbarer Größe zu, ging über Wittenberg und Potsdam und zersprang
-einige Meilen hinter Potsdam mit einem lauten Knall. Ihr Licht ist sehr
-weiß gewesen und hat einen Umfang von wenigstens 60 deutschen Meilen
-erleuchtet. Die Höhe war im Beginn der Beobachtung etwa 19 und beim
-Zerspringen über 4 Meilen.
-
-*Chladni* wies die früheren Erklärungsarten, nach denen man es in den
-Meteoren mit elektrischen Entladungen, mit brennbaren gasförmigen
-Anhäufungen, kurz mit Erscheinungen irdischen Ursprungs zu tun hätte,
-als unvereinbar mit den von ihm zusammengestellten Befunden zurück.
-Nach *Chladnis* heute keinen Widerspruch mehr findenden Meinung
-sind unzählige kleine Massen, die zu keinem größeren Weltkörper in
-unmittelbarer Beziehung stehen, im Weltraume zerstreut. Sie bewegen
-sich, durch Wurfkräfte oder Anziehung getrieben, so lange fort, bis
-sie der Erde oder einem anderen Weltkörper nahekommen und, von ihrer
-Anziehungskraft ergriffen, darauf niederfallen. Bei ihrer schnellen
-Bewegung muß infolge der heftigen Reibung mit der Atmosphäre eine sehr
-starke Hitze erzeugt werden, wodurch sie in Gluthitze geraten und
-Dämpfe im Innern entwickeln, welche die Masse zum Zerspringen bringen.
-
-Die Frage, wie diese Massen entstanden oder in einen solch isolierten
-Zustand gekommen sind, wäre, meint *Chladni*, dasselbe wie die Frage
-nach der Entstehung der Weltkörper. Man müsse doch entweder annehmen,
-daß die Weltkörper, abgesehen von Revolutionen auf ihrer Oberfläche,
-immer das gewesen sind und sein werden, was sie jetzt sind, oder daß es
-Kräfte gäbe, die imstande seien, Weltkörper und ganze Weltsysteme zu
-bilden, zu zerstören und aus ihrem Stoffe wieder neue hervorzubringen.
-Für diese Meinung sprächen wohl mehr Gründe als für die erstere. Ein
-solches Entstehen der Weltkörper ließe sich aber wohl nicht anders
-denken, als daß entweder materielle Teile, die vorher zerstreut gewesen
-sind, sich durch die Anziehungskraft zu großen Massen angehäuft hätten,
-oder daß eine Zerstückelung einer größeren Masse stattgefunden habe.
-
-Die isoliert gebliebenen Massen müßten ihre Bewegung durch den Weltraum
-fortsetzen, bis sie von der Anziehung eines Weltkörpers ergriffen
-würden und die Erscheinungen der Feuerkugeln hervorriefen.
-
-Die gleiche Entstehung nahm *Chladni* für die von *Pallas* und anderen
-Reisenden gefundenen Eisenmassen in Anspruch. Eine solche 300 Zentner
-schwere Masse war z. B. im südlichen Amerika gefunden worden, und zwar
-an einer Stelle, wo in einem Umkreise von 100 Meilen keine Eisenerze,
-ja nicht einmal Steine anzutreffen sind.
-
-*Chladni* wies nach, daß diese Eisenmassen weder auf nassem Wege, noch
-durch die Wirkung des Blitzes entstanden sein könnten, auch nicht
-vulkanischen Ursprungs seien. Es sei merkwürdig, meint er, daß das
-Eisen der Hauptbestandteil der bisher gefundenen Meteoriten sei. Man
-könne daher vermuten, daß das Eisen hauptsächlich zur Bildung der
-Weltkörper beigetragen habe[434]. Auch sei wahrscheinlich, daß die
-anderen, in manchen herabgefallenen Massen enthaltenen Stoffe, wie
-Schwefel, Kieselerde, Bittererde usw. nicht unserer Erde allein eigen
-seien, sondern zu den Stoffen gezählt werden müßten, die sich an der
-Bildung der Weltkörper beteiligt hätten[435].
-
-*Chladni* wurde zunächst mit Hohn überschüttet. Die französische
-Akademie sprach sich trotz aller gut beglaubigten Fälle dahin aus, daß
-die Nachrichten über derartige Naturerscheinungen in das Gebiet der
-Fabel zu verweisen seien. Sie wurde indes sehr bald durch die Tatsachen
-selbst eines Besseren belehrt. In der Normandie ereignete sich nämlich
-am 26. April des Jahres 1803 ein großer Steinfall, der von hunderten
-beobachtet und von den Abgesandten der Akademie selbst in seinen
-Einzelheiten festgestellt wurde[436]. Die Ausführungen *Chladnis*
-wurden darauf allgemein als richtig anerkannt. Ja, man ging jetzt so
-weit, daß man sich die Weltkörper durch die Anhäufung von Meteoriten
-entstanden dachte[437].
-
-Die chemische Analyse war weit genug fortgeschritten, um an den
-Meteoriten unter der Voraussetzung ihres kosmischen Ursprungs den
-Nachweis zu führen, daß außerhalb der Erde befindlicher Weltstoff
-in seiner elementaren Zusammensetzung mit der irdischen Materie
-übereinstimmt. So entdeckte man[438], daß das Meteoreisen stets
-mehr oder weniger Nickel (bis zu 35%) enthält, und lernte den
-Gehalt an diesem Metall, sowie die beim Anätzen auftretenden
-*Widmannstätten*schen Figuren (von *Widmannstätten* 1808 entdeckt;
-er druckte mit den geätzten Flächen die Figuren naturgetreu ab)[439]
-als besondere Eigentümlichkeit des Meteoreisens kennen. Nachdem
-man neben Nickel auch Kobalt und Kupfer darin aufgefunden hatte,
-wurden durch eine Arbeit, die *Berzelius* über die Meteoriten
-veröffentlichte, sechs neue Elemente in ihnen nachgewiesen; es waren
-dies Phosphor, Kohlenstoff, Silizium, Magnesium, Zinn und Mangan.
-Spätere Untersuchungen haben die Zahl der Bestandteile, die sämtlich
-mit irdischen Grundstoffen übereinstimmen, noch vermehrt.
-
-Was *Chladni* für die Meteoriten leistete, gelang zwei anderen
-Deutschen namens *Benzenberg*[440] und *Brandes*[441] hinsichtlich der
-Sternschnuppen. Durch gleichzeitig an verschiedenen Orten angestellte
-Beobachtungen gelang es ihnen, auch für diese Phänomene, die man bis
-dahin auf schweflige Dünste oder brennbare Gase zurückgeführt hatte,
-einen kosmischen Ursprung nachzuweisen. *Benzenberg* und *Brandes*
-beobachteten Sternschnuppenfälle von den Endpunkten einer 27000 Pariser
-Fuß langen Standlinie. Indem sie den Ort und die Zeit des Verschwindens
-genau anmerkten, vermochten sie in vielen Fällen die Identität der
-beobachteten Erscheinungen nachzuweisen und aus den gewonnenen Daten
-planetarische Geschwindigkeiten, sowie auf einen kosmischen Ursprung
-hinweisende Höhen zu ermitteln[442].
-
-War es in der vorhergehenden Periode durch *Bradleys* Entdeckung der
-Aberration gelungen, einen sinnlichen Beweis für die Bewegung der Erde
-um die Sonne zu erbringen, so vermochte *Benzenberg* einen solchen
-Nachweis auch für die Rotation zu führen. Bekanntlich lautete einer
-der Scheingründe gegen die koppernikanische Weltansicht dahin, ein
-frei fallender Körper müsse, weil die Erde sich unter ihm fortbewege,
-einen westlich von seinem Ausgangspunkt gelegenen Ort treffen.
-*Newton* wies im Jahre 1679 darauf hin, daß bei dem freien Fall
-infolge des Beharrungsvermögens und der größeren Geschwindigkeit in
-tangentialer Richtung, welche der Körper zu Beginn der Fallbewegung
-besitzt, im Gegenteil eine östliche Abweichung zu erwarten sei. Die
-Royal Society beschloß durch genaue Fallversuche *Newtons* Annahme
-auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Da man jedoch mit zu geringen Höhen
-experimentierte, verlief die Angelegenheit ergebnislos. Es dauerte
-länger als ein Jahrhundert, bis neue Untersuchungen und zwar mit
-besserem Erfolge angestellt wurden. Dies geschah durch *Guglielmini* in
-Bologna in einem Turme, der schon den Fallversuchen *Ricciolis*[443]
-gedient hatte.
-
-*Guglielmini*[444] wählte diesen Turm, weil sein Inneres für derartige
-Versuche wie gemacht war und sich darin Fallhöhen von 240 Par. Fuß
-erreichen ließen. Die Versuche erforderten manche Vorsichtsmaßregel,
-da jeder Luftzug, sowie Erschütterungen des Gebäudes oder der Kugel
-selbst im Augenblicke des Loslassens ausgeschlossen sein mußten.
-*Guglielminis* Versuche, über welche *Benzenberg* eingehend berichtet,
-sind zwar ein schöner Beweis unermüdlicher Ausdauer, sie ließen auch
-deutlich eine östliche Abweichung erkennen, trotzdem waren sie noch
-nicht so frei von Fehlern, daß sie eine genügende Übereinstimmung
-zwischen der Theorie und der Beobachtung erkennen ließen. Mit großer
-Spannung sah die gelehrte Welt einer endgültigen Entscheidung der von
-*Guglielmini* wieder angeregten, Jahrhunderte alten Frage entgegen.
-Diese Entscheidung brachten unabhängig voneinander zwei deutsche
-Physiker *Benzenberg* und *Reich*.
-
-Den Nachweis der von der Theorie geforderten Abweichung führte
-*Benzenberg* durch seine 1802 im Michaelisturm zu Hamburg, sowie in
-einem rheinischen Kohlenschachte angestellten Fallversuche[445]. Bei
-einer Höhe von 235, beziehungsweise 262 Fuß ergab sich eine deutliche
-Abweichung von mehreren Linien. Die zu dem gleichen Zwecke angestellten
-Versuche[446] *Reichs* zeigten bei einer Fallhöhe von 488 Fuß eine
-östliche, der Theorie ihrer Größe nach genau entsprechende Abweichung
-von 12,6 Linien.
-
-Die Astronomie war in dieser von uns nach *Laplace* und *Herschel*
-benannten Periode noch wesentlich Himmelsmechanik. Für ein Studium
-der Himmelskörper, das über die Fragen nach der Form, der Verteilung
-und der Bewegung hinausging, fehlten noch fast alle physikalischen
-und chemischen Grundlagen. Sie erwuchsen erst im 19. Jahrhundert
-auf den Gebieten der Wärmelehre und der Optik. Erst nachdem wir auf
-diesen Gebieten die weitere Entwicklung verfolgt haben, können wir zur
-Astronomie zurückkehren und ihre Ausgestaltung zu einer kosmischen
-Physik und Chemie verfolgen.
-
-
-
-
-17. Die Grundlagen der mechanischen Wärmetheorie.
-
-
-Die Neubegründung der Chemie durch *Lavoisier*, sowie die Entdeckung
-der galvanischen Elektrizität und ihrer hauptsächlichsten Wirkungen
-waren Umwälzungen und Erweiterungen von solcher Bedeutung, daß sie
-wohl imstande waren, eine neue Epoche zu eröffnen. Letztere ist
-unter anderem auch dadurch gekennzeichnet, daß die Physik und die
-Chemie, seitdem man den Zusammenhang zwischen chemischen Vorgängen
-und elektrischen Erscheinungen erkannt hatte, in immer engere Fühlung
-traten. Dies hatte eine Fülle von grundlegenden Entdeckungen zur Folge,
-die uns in den nächsten Abschnitten beschäftigen sollen, Entdeckungen,
-auf denen die um die Mitte des 19. Jahrhunderts entstehende großartige
-Konzeption von der Einheit der Kraft, sowie unsere heutigen
-Vorstellungen von dem Wesen der Materie in erster Linie beruhen. Im
-engsten Anschluß an diesen Fortschritt erwuchsen ferner Theorien, die
-sich zu einem bleibenden Besitz der Wissenschaft entwickelt haben.
-Diese Theorien betrafen insbesondere die Wärmelehre und die Optik,
-Gebiete, auf denen die frühere Lehre von den Imponderabilien durch eine
-auf mechanischen Grundlagen fußende Erklärung ersetzt wurde.
-
-Die Vorstellung, daß wir es in der Wärme nicht mit einem Stoff, sondern
-mit einer Bewegung der kleinsten Teilchen zu tun haben, begegnet uns
-schon im Beginn des 18. Jahrhunderts[447]. Die ersten, für die seit
-der Mitte des 19. Jahrhunderts zur Herrschaft gelangende, mechanische
-Theorie der Wärme als grundlegend zu betrachtenden Versuche und
-Folgerungen gehören indes jener Zeit an, in welcher gegen das Ende des
-18. Jahrhunderts der hier geschilderte großartige Aufschwung der Chemie
-und der Physik beginnt. Am erfolgreichsten nach dieser Richtung waren
-die Bemühungen *Rumfords*[448].
-
-*Rumford* wurde 1753 in Nordamerika geboren. Er stand während des
-Befreiungskampfes auf englischer Seite und kam 1776 nach London.
-*Rumford* war ein sehr geschickter, wissenschaftlich und praktisch
-gleich hervorragender Mensch, der besonders durch sein Bemühen, im
-Kriegswesen und im sozialen Leben Neuerungen einzuführen, überall die
-Aufmerksamkeit der Machthaber auf sich lenkte. Eine Reihe von Jahren
-war *Rumford* in Bayern tätig. Er richtete dort Werkstätten ein,
-brachte es bis zum Kriegsminister und wurde schließlich in Anerkennung
-seiner Verdienste in den Grafenstand erhoben. 1800 rief er in London
-die Royal Institution ins Leben. Einige Jahre später siedelte er nach
-Paris über. Dort heiratete er die Witwe *Lavoisiers*, deren Salon den
-Sammelpunkt der gelehrten Welt bildete. Von Bonaparte, zu dessen großen
-Zügen seine Vorliebe für die Wissenschaft und seine Achtung gegenüber
-ihren Vertretern gehören, wurde auch *Rumford* mit Auszeichnung
-behandelt. Er starb in Paris im Jahre 1814.
-
-*Rumford* wiederholte zunächst den schon von *Boyle* angestellten,
-gegen die Stoffnatur der Wärme gedeuteten Wägungsversuch. Er setzte
-zwei Flaschen, die gleiche Mengen Quecksilber und Wasser enthielten,
-genau ins Gleichgewicht, während die Temperatur der Umgebung 61°
-betrug. Das Ganze wurde dann in ein Zimmer gebracht, das eine
-Temperatur von 34° besaß. Obgleich die spezifische Wärme des Wassers
-etwa 30mal so groß ist wie diejenige des Quecksilbers, das Wasser also
-eine viel größere Wärmemenge abgegeben hatte, zeigte sich nicht der
-geringste Ausschlag[449].
-
-Wollte man trotzdem an der stofflichen Beschaffenheit der Wärme
-festhalten, so mußte man wenigstens annehmen, daß ein isoliertes System
-von Körpern nicht beständig der Umgebung Wärme mitteilen kann, ohne
-allmählich erschöpft zu werden. Indem *Rumford* durch den Versuch
-bewies, daß durch gegenseitige Reibung zweier Körper unbegrenzte
-Wärmemengen erzeugt werden können, entzog er der soeben erwähnten
-Voraussetzung von der stofflichen Natur der Wärme den Boden. Über
-diesen berühmt gewordenen Versuch berichtet *Rumford* der Royal
-Society im Jahre 1798[450]. »Da ich seit kurzem«, beginnt er, »die
-Oberaufsicht beim Kanonenbohren im Zeughause zu München hatte, so
-überraschte mich der beträchtliche Wärmegrad, den eine Kanone in kurzer
-Zeit beim Bohren erhält.« Wäre die spezifische Wärme der Späne eine
-geringere als diejenige des zusammenhängenden Metalles, so hätte man
-das Auftreten der Wärme auf einen solchen Unterschied der Kapazitäten
-zurückführen können. Der Versuch ergab jedoch, daß Stücke und feine
-Spänchen eines Metalles dieselbe spezifische Wärme besitzen. Brachte
-man nämlich gleiche Mengen der Spänchen und der Stücke, welche auf
-die Temperatur des kochenden Wassers erhitzt waren, in gleiche Mengen
-kalten Wassers, so erfuhr das letztere in beiden Fällen dieselbe
-Temperaturerhöhung.
-
-[Illustration: Abb. 52. Die für *Rumfords* Versuch hergerichtete und in
-die Bohrmaschine gespannte Kanone. Die Stange w verbindet die Kanone
-mit dem Göpel.]
-
-Da chemische Vorgänge, sowie irgend welche Zuleitung von Wärme bei den
-Bohrversuchen ausgeschlossen waren, so blieb nichts anderes übrig, als
-die Ursache der Wärmeentwicklung in der Bewegung zu erblicken. Die
-weiteren Versuche bezweckten den Nachweis, daß diese Wärmequelle nicht
-versiegt, solange die Bewegung dauert. Hieran schloß sich schon das
-erste Aufdämmern der Erkenntnis, daß einem gewissen Aufwand an Arbeit
-eine bestimmte Menge erzeugter Wärme entspricht. *Rumford* ließ nämlich
-einen aus Kanonenmetall bestehenden Zylinder von 112,13 Pfund Gewicht
-in einem Kasten (Abb. 53) rotieren, der 18,77 Pfund Wasser enthielt.
-Wurde die Drehung, bei der ein stumpfer eiserner Bohrer m n gegen das
-Metall gepreßt wurde, durch die Kraft eines Pferdes bewerkstelligt,
-so kochte das Wasser nach 2 Stunden und 30 Minuten. »Die Überraschung
-und das Staunen der Umstehenden, solch eine Wassermasse ohne Feuer
-zum Kochen gebracht zu sehen, war über alle Beschreibung groß«, heißt
-es in dem Berichte *Rumfords*[451]. Die Rechnung ergab, daß die ganze
-Menge der erzeugten Wärme, die sich auf das Wasser und die Metallstücke
-verteilte, hinreichend war, um 26,58 Pfund eiskalten Wassers zum Sieden
-zu bringen, ungerechnet diejenige Wärme, die während des Versuches
-verloren ging. Diese Wärmemenge entspricht nach *Rumford* einer
-Pferdekraft. Da nach *Watt* die letztere imstande ist, 33 000 Pfund in
-der Minute einen Fuß hoch zu heben, so würde eine weitere Berechnung
-gezeigt haben, daß diejenige Wärme, die ein Pfund Wasser um 1° erwärmt,
-einer mechanischen Leistung von 1034 Fußpfund entspricht. Spätere,
-genauere Untersuchungen, welche der Engländer *Joule* anstellte,
-haben für dieses Äquivalent den Wert von 772 Fußpfund ergeben. Der
-beträchtliche Unterschied wird daraus erklärlich, daß *Rumford* die
-Verluste nicht in Rechnung zog, und daß bezüglich des Arbeitsaufwandes
-nur eine rohe Annäherung an die von *Watt* als eine Pferdekraft
-bestimmte Größe vorlag.
-
-[Illustration: Abb. 53. Der vor der Mündung der Kanone angebrachte
-hölzerne Kasten. Der stumpfe Bohrer m n wird gegen den Boden des
-ausgebohrten hohlen Zylinders gepreßt, welcher durch einen kurzen Hals
-mit dem Ende der Kanone verbunden ist.
-
-Die Abbildungen 52 und 53 sind der unten erwähnten Abhandlung
-*Rumfords* entnommen.]
-
-Von gleicher Beweiskraft für die Immaterialität der Wärme wie der
-*Rumford*sche Versuch war ein von *Davy* angestelltes Experiment. In
-seinen 1799 veröffentlichten[452] »Untersuchungen über Wärme, Licht
-und Atmung« teilte dieser Forscher mit, daß er bei 29° Fahrenheit,
-also einer unter dem Gefrierpunkt liegenden Temperatur, zwei an Stäben
-befestigte Eisstücke durch gegenseitige Reibung zum Schmelzen gebracht
-habe[453]. Obgleich die Wärmekapazität des Schmelzwassers größer
-ist als diejenige von Eis, zeigte das erhaltene Wasser dennoch eine
-Temperatur von 35° Fahrenheit. Auch *Davy* schloß hieraus, daß die
-Wärme kein Stoff, sondern eine unmittelbare Folge der Bewegung sei.
-Er dachte sich die Materie von zwei Kräften, der Anziehung und der
-Abstoßung, beherrscht. Die Erscheinungen der Wärme rühren nach *Davy*,
-dessen Vorstellungen sich im wesentlichen mit den heute geltenden
-Anschauungen decken, von einer besonderen Bewegung der Körperteilchen
-her. Alle festen Körper werden durch heftiges Reiben ausgedehnt, indem
-ihre Teilchen in schwingende Bewegung kommen und sich voneinander
-entfernen. Die verschiedenen Aggregatszustände werden gleichfalls ganz
-im Sinne der neueren Physik aus dem Verhältnis zwischen Anziehung und
-Abstoßung erklärt. Je nachdem die erstere oder die letztere überwiegt
-oder beide nahezu gleich sind, ist der Körper fest, gasförmig oder
-flüssig. Die Abstoßung kann durch chemische Vorgänge oder durch
-Mitteilung des Bewegungszustandes benachbarter Körper erregt werden. In
-letzterem Falle ist die Bewegungsgröße, die der eine Körper gewinnt,
-genau gleich derjenigen, welche der andere verliert.
-
-*Davy* gehört zu jenen Vorläufern von *Mayer*, *Joule* und *Helmholtz*,
-die von der Allgemeingültigkeit des Prinzips von der Erhaltung
-der Kraft schon eine deutliche Ahnung hatten. Dafür zeugt auch
-sein Ausspruch: »Es läßt sich keine erhabenere Vorstellung von den
-Bewegungen der Materie gewinnen, als daß die verschiedenen Arten der
-Bewegung sich fortwährend ineinander umwandeln.«
-
-*Rumford* und *Davy* waren jedoch ihrer Zeit vorausgeeilt. Die von
-ihnen entwickelte Lehre sollte erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts
-durch die zuerst genannten Männer erneuert und fortentwickelt werden.
-
-Die weitere Entwicklung der Prinzipien der Thermodynamik knüpft
-besonders an Entdeckungen an, die man über das Verhalten der Gase bei
-Temperatur- und Volumenveränderungen und über die Beziehungen zwischen
-beiden machte.
-
-Gegen das Ende des 18. Jahrhunderts wurden die Physiker darauf
-aufmerksam, daß zusammengepreßte Luft bei ihrer Ausdehnung sich
-abkühlt. Man entdeckte diese Tatsache, als man die Luft aus einer
-Windbüchse gegen ein Thermometer strömen ließ und dabei ein Fallen des
-Quecksilbers beobachtete[454]. Auch glaubte man hieraus die niedrige
-Temperatur auf hohen Bergen erklären zu können. Dies war allerdings
-in dieser Allgemeinheit ein Fehlschluß, da die Abkühlung nur im
-Augenblicke der Verdünnung und im Zusammenhange mit einer mechanischen
-Leistung auftritt, mit diesem mechanischen Vorgange also in engster
-Beziehung steht. Verdünnte Luft ist also nicht etwa an sich kälter
-als dichtere. Dagegen hat die Meteorologie die Temperaturänderungen
-aufsteigender und niedersinkender Luftmassen zur Erklärung mancher
-Witterungserscheinung verwerten können. Ein welch wesentlicher Faktor
-mit der neuen Erkenntnis gewonnen war, läßt sich daraus ermessen, daß
-die Abkühlung für trockene aufsteigende Luft bei 100 Metern Steighöhe
-sich schon auf einen Grad beläuft. Niedersinkende Luft erfährt eine
-entsprechende Temperaturzunahme, und diese Wärmeschwankungen sind
-wieder für den relativen Feuchtigkeitsgehalt der Luft bedingend.
-
-Systematische Untersuchungen über die bei der Verdünnung und der
-Ausdehnung der Luft eintretenden Wärmeschwankungen stellte zuerst
-*Dalton*[455] an, doch war er weit davon entfernt, sie auf ihre wahre
-Ursache zurückzuführen. Er glaubte nämlich, dichtere Luft besitze
-eine geringere Wärmekapazität als verdünnte. Eine solche Annahme
-mußte auf den sonderbaren Schluß führen, daß dem Vakuum die größte
-Wärmekapazität zukomme. Um dieselbe Zeit, als *Dalton* seine Versuche
-bekannt gab, wurde die gelehrte Welt in hohem Grade durch die
-Entdeckung überrascht, daß durch eine plötzliche Verdichtung der Luft
-Stoffe, wie der Zündschwamm, auf die Entzündungstemperatur gebracht
-werden können[456]. Die Annahme *Daltons*, daß diese Erscheinung auf
-eine Änderung der Wärmekapazität zurückzuführen sei, wurde durch einen
-entscheidenden Versuch *Gay-Lussacs* widerlegt. Nebenbei bemerkt,
-hatte man bei den Versuchen *Rumfords* auch zuerst an eine Änderung
-der Wärmekapazität gedacht[457]. *Gay-Lussac* stellte den erwähnten
-Versuch in folgender Weise an. Der Behälter A sei mit einem Gas
-gefüllt, B sei evakuiert. Stellt man nun zwischen beiden Behältern
-eine Verbindung her, so verdoppelt das Gas sein Volumen. *Gay-Lussac*
-erwartete, eine Abkühlung eintreten zu sehen und war überrascht, daß
-im ganzen keine Temperaturveränderung stattfand[458]. Der nach B
-überströmende Teil des Gases wurde nämlich um ebenso viel erwärmt, wie
-der in A zurückbleibende abgekühlt wurde. Die spezifische Wärme oder
-die Wärmekapazität konnte sich also durch die Volumvergrößerung nicht
-geändert haben.
-
-[Illustration: Abb. 54. *Gay-Lussacs* Versuch zur Thermodynamik der
-Gase.]
-
-Da die Ausdehnung eines Gases unter Wärmeverbrauch vor sich geht, so
-mußte man mehr Wärme zuführen, um das Gas auf eine bestimmte Temperatur
-zu erhitzen, wenn die Erwärmung unter gleichzeitiger Ausdehnung
-erfolgte, als wenn sie bei konstantem Volumen vor sich ging. In
-letzterem Falle nahm mit der Erwähnung der Druck des eingeschlossenen
-Gases zu.
-
-Es galt nun zu untersuchen, ob sich für diese zunächst nur nach ihrer
-qualitativen Natur erkannte Eigenart der Gase auch eine quantitative
-Beziehung finden läßt, d. h. ob der Wärmeverbrauch bei konstantem Druck
-und einer entsprechenden Ausdehnung des Gases und der Wärmeverbrauch
-bei konstantem Volumen in einem bestimmten Verhältnis stehen. Ohne
-hier näher auf den Gang der Untersuchung einzugehen, sei bemerkt,
-daß man dies Verhältnis der spezifischen Wärme bei konstantem Druck
-zur spezifischen Wärme bei konstantem Volumen gleich etwa 1,4 : 1
-ermittelte. So erhielt man für die damals als permanent betrachteten
-Gase folgende Werte:
-
- Sauerstoff 1,415
- Stickstoff 1,420
- Wasserstoff 1,405
- Luft 1,421
-
-Die übrigen Gase zeigten für dieses Verhältnis etwas niedrigere Werte,
-z. B.
-
- Kohlendioxyd 1,340
- Kohlenmonoxyd 1,423
- Stickoxyd 1,343
-
-Es gelang erst einer späteren Periode, den Mehrbedarf an Wärme mit
-der Arbeit in Beziehung zu bringen, welche das Gas leistet, wenn es
-sich unter konstantem Druck ausdehnt. Wir werden sehen, wie *Robert
-Mayer* aus dem Wert 1,421 das Wärmeäquivalent berechnete. Die weitere
-Entwicklung der Thermodynamik wurde bis *Mayer* am meisten dadurch
-gehindert, daß man an der alten Stofftheorie festhielt. Man dachte
-sich die ihr Volumen »ändernden Körper« ähnlich einem Schwamm, der
-beim Zusammenpressen den Wärmestoff von sich gibt und ihn bei seiner
-Ausdehnung wieder aufsaugt[459]. Auch *Carnot*, mit dessen Verdiensten
-um die Begründung der Thermodynamik wir uns in einem späteren Abschnitt
-beschäftigen werden, hielt an der Stofftheorie fest, vermittelte aber
-durch seine Arbeit den Übergang zu der durch *Mayer*, *Joule* und
-*Helmholtz* gewonnenen Einsicht in die Umwandlungsfähigkeit von Wärme
-und Arbeit.
-
-
-
-
-18. Fortschritte der Optik und Sieg der Wellentheorie.
-
-
-Daß die Teile des Spektrums nicht nur hinsichtlich der Wärmewirkung,
-wie *Herschel* nachgewiesen, sondern auch hinsichtlich des chemischen
-Verhaltens große Unterschiede zeigen, war schon durch *Scheele*
-nachgewiesen worden. Dieser brachte in das Spektrum ein Stück Papier,
-das er mit Chlorsilber überzogen hatte. Von dieser Substanz wußte man,
-daß sie am Lichte allmählich geschwärzt wird. *Scheele* bemerkte[460],
-daß das Chlorsilber im Violett weit eher schwarz wird als in den
-anderen Farben. Dieser einfache Versuch läßt sich als der Anfang
-der heute so hoch entwickelten Spektralphotographie betrachten. Die
-Analogie des von *Scheele* erhaltenen Befundes mit den Ergebnissen
-*Herschels* trat noch deutlicher hervor, als 1801 das Vorkommen von
-chemisch wirksamen Strahlen über das Violett hinaus nachgewiesen
-wurde[461]. Auch in diesem Falle ergab sich, daß das Maximum der
-Wirkung jenseits des sichtbaren Teiles gelegen ist, da die Zersetzung
-des Chlorsilbers hier energischer als im Violett selbst vor sich geht.
-Die ultravioletten Strahlen wurden daher seit der Zeit auch wohl als
-chemische Strahlen bezeichnet.
-
-Wieder ein Jahr später (1802) wurde die Kenntnis von der Beschaffenheit
-des Spektrums um eine Entdeckung von der allergrößten Tragweite
-bereichert. Der Engländer *Wollaston*[462], der sich gleichfalls
-um den Nachweis der ultravioletten Strahlen verdient gemacht hat,
-bemerkte, daß das hinter einem feinen Spalt erzeugte Sonnenspektrum vom
-zahlreichen dunklen Linien durchzogen ist[463]. Wie diese Entdeckung
-von *Fraunhofer* erneuert und zur Grundlage der Spektralanalyse gemacht
-wurde, soll in einem späteren Abschnitt gezeigt werden.
-
-In diesem Zeitraum, in welchem die Optik um so manchen wichtigen
-Fortschritt bereichert wurde, sollte auch der alte, an die Namen
-*Newton* und *Huygens* sich knüpfende Streit über das Wesen des Lichtes
-zu gunsten der von letzterem vertretenen Theorie entschieden und damit
-in die Lehre von den Imponderabilien eine zweite Bresche gelegt werden.
-Der erste Angriff auf die Emanationstheorie erfolgte im Vaterlande
-*Newtons* durch *Young*[464], welcher die von *Hooke* begonnene und von
-*Newton* fortgesetzte Untersuchung der Farben dünner Blättchen wieder
-aufnahm.
-
-Jene Folge von hellen und dunklen Streifen oder Ringen, die *Newton* im
-gleichartigen Lichte beobachtet hatte, ohne dafür eine Erklärung finden
-zu können, die mehr als eine bloße Umschreibung war, führte *Young* auf
-das Zusammentreffen der von der ersten und zweiten begrenzenden Fläche
-zurückgeworfenen Strahlen zurück. Er bezeichnete diese Erscheinung
-mit dem noch jetzt dafür gebräuchlichen Namen als Interferenz und
-suchte darzutun, daß ein Hinzufügen von Licht zu Licht in ähnlicher
-Weise Dunkelheit zur Folge haben könne, wie durch das Zusammentreffen
-von gleichen aber entgegengesetzten Bewegungen, z. B. Schwingungen
-verschiedener Phase, Ruhe entsteht.
-
-*Young* gelang sogar der Nachweis, daß die Interferenz sich auch auf
-den unsichtbaren, ultravioletten Teil des Spektrums erstreckt. Er
-erreichte dies durch folgende Versuchsanordnung[465]. Der ultraviolette
-Teil des Spektrums wurde auf eine dünne, zur Erzeugung der farbigen
-Ringe geeignete Schicht geworfen und von den begrenzenden Flächen
-so reflektiert, daß der unsichtbare Reflex auf ein mit Silberlösung
-getränktes Papier fiel. Nach einiger Zeit entstanden auf letzterem
-die bekannten dunklen Ringe. Das dieser Erscheinung zugrunde liegende
-Prinzip der Interferenz sprach *Young* in folgenden Worten aus[466]:
-»Wenn zwei Wellen verschiedenen Ursprungs sich in gleicher oder in
-nahezu gleicher Richtung fortpflanzen, so besteht ihre Gesamtwirkung in
-der Vereinigung der einer jeden entsprechenden Bewegung.«
-
-Die Bewegungen, welche das Licht zur Folge haben, geschehen nach
-*Young* in einem dünnen, außerordentlich elastischen Äther, der das
-Weltall erfüllt. Die Verschiedenheit der Farben erklärt *Young* aus
-der Häufigkeit der Schwingungen, welche durch jene Bewegung des Äthers
-in der Netzhaut erzeugt werden. Letztere denkt er sich aus drei
-verschiedenartigen, die Empfindung der drei Grundfarben vermittelnden
-Nervenelementen zusammengesetzt. Die Erregung der einen Art von Fasern
-soll demgemäß die Empfindung Rot, die der zweiten die Empfindung Grün
-zur Folge haben, während die dritte Art vorzugsweise durch das violette
-Licht gereizt werden soll. So wird z. B. homogenes rotes Licht die
-rotempfindenden Nervenfasern stark erregen, während es auf die beiden
-anderen Arten nur eine schwache Wirkung ausübt. Werden alle drei Arten
-in gleicher Stärke getroffen, so entsteht der Eindruck Weiß. Diese
-Lehre *Youngs* wurde später von *Helmholtz* wieder aufgenommen und
-eingehender begründet[467].
-
-Wie das Licht so wird auch die strahlende Wärme nach *Young* auf die
-Bewegung des Äthers zurückgeführt. Nach ihm unterscheiden sich die
-Wärmeschwingungen einzig durch ihre Länge und die ihnen zukommende
-Schwingungszahl von den Lichtschwingungen. Die wesentlichste Schwäche
-der von *Young* entwickelten Lehre bestand in der schon von *Huygens*
-gemachten Annahme, die schwingende Bewegung erfolge longitudinal,
-d. h. in der Fortpflanzungsrichtung. Daß eine solche Annahme die
-ursprüngliche war, ist begreiflich, da man zu einer Wellentheorie des
-Lichtes gelangte, indem man die Licht- und die Schallerscheinungen als
-analoge Vorgänge betrachtete. Der Schall war aber schon längst auf
-longitudinale Schwingungen der Luftteilchen zurückgeführt.
-
-Jene Schwäche der von *Young* entwickelten Lehre trat besonders
-zutage, als *Malus* die Polarisation durch Reflexion entdeckte. Wird
-ein Lichtstrahl reflektiert oder gebrochen, so werden bekanntlich
-seine physikalischen Eigenschaften im allgemeinen nicht geändert,
-sondern er verhält sich geradeso, als ob er von dem leuchtenden Körper
-käme. Bei der Brechung findet zwar in der Regel eine Zerlegung des
-zusammengesetzten Lichtes statt, doch besitzt jede der erhaltenen
-Komponenten ihre konstante Eigenschaft, was schon *Newton* dadurch
-nachwies, daß er aus diesen Komponenten den weißen Strahl in seiner
-früheren Beschaffenheit wieder zusammensetzte. Von dieser Eigenschaft
-des gewöhnlichen Lichtes gänzlich abweichend ist dagegen, wie auch
-*Newton* erkannte, das Verhalten eines Lichtstrahls, welcher die zu
-*Newtons* Zeiten an dem Kalkspat entdeckte Doppelbrechung erlitten hat.
-Die erhaltenen Strahlen gehen nämlich bei einer bestimmten Lage durch
-einen zweiten Kalkspatkristall hindurch, ohne wieder zerlegt zu werden,
-während bei einer anderen Lage des zweiten Kristalles eine nochmalige
-Teilung stattfindet. Hieran knüpfte *Newton* die Bemerkung, ein solcher
-Lichtstrahl möge wohl verschiedene Seiten besitzen, die mit voneinander
-abweichenden Eigenschaften begabt seien[468].
-
-Nahezu ein Jahrhundert sollte es dauern, bis ein Zufall lehrte, daß
-derartiges polarisiertes Licht keine vereinzelte, nur an gewissen
-Mineralien auftretende Erscheinung ist. Es war im Jahre 1808, als der
-französische Physiker *Malus*[469] eines Tages durch einen isländischen
-Doppelspat nach den von der untergehenden Sonne beleuchteten Fenstern
-des Palais du Luxembourg blickte. *Malus* drehte den Kristall und
-nahm dabei zu seinem Erstaunen wahr, daß die Bilder, welche dieser
-lieferte, abwechselnd ihre Stärke veränderten. Zuerst dachte er an
-eine Beeinflussung des Sonnenlichtes bei seinem Durchgang durch
-die Atmosphäre. Später erkannte er jedoch, daß in diesem Falle
-die Reflexion die einzige Ursache der Polarisation des Lichtes
-ist[470]. *Malus* fand, daß unter einem bestimmten, von der Natur des
-reflektierten Stoffes abhängigen Winkel die Polarisation in solchem
-Grade stattfindet, daß von den Doppelbildern, welche der Kalkspat
-liefert, das eine bei einer gewissen Lage des Kalkspats verschwindet.
-Diese Versuche vermochte *Young* aus seiner Lehre infolge der erwähnten
-Schwäche nicht zu erklären, worüber *Malus*, ein unerschütterlicher
-Anhänger der Emissionstheorie, große Freude empfand[471].
-
-Die endgültige Beseitigung dieser Theorie gelang erst dem Franzosen
-*Fresnel*[472]. *Fresnel* begann seine optischen Untersuchungen im
-Jahre 1815. Noch im selben Jahre veröffentlichte er eine Arbeit,
-die mit einem Preise gekrönt wurde. Sie handelte von der Beugung
-des Lichtes[473]. Schon in dieser Abhandlung erklärte *Fresnel* die
-bei der Beugung auftretenden Fransen aus der Undulationstheorie des
-Lichtes. »Man begreift leicht«, heißt es in jener Schrift, »daß die
-Schwingungen zweier Lichtstrahlen, die sich unter einem sehr kleinen
-Winkel kreuzen, einander aufheben können. Und zwar geschieht dies, wenn
-die Knoten des einen Strahles mit den Schwingungsbäuchen des anderen
-zusammenfallen.« Aus der in diesen Worten ausgesprochenen Theorie
-der Interferenz erklärte *Fresnel* auch die Farben dünner Blättchen.
-Von ausschlaggebender Bedeutung waren seine Interferenzversuche mit
-polarisiertem Licht. Sie zeigten, daß zwei polarisierte Strahlen
-nur dann interferieren, wenn ihre Polarisationsebenen parallel zu
-einander sind. Lagen die Polarisationsebenen senkrecht zu einander,
-so traten keine Interferenzerscheinungen ein. Dies Verhalten war mit
-der Annahme longitudinaler Schwingungen des Äthers nicht vereinbar. Es
-läßt sich aber leicht begreifen, wenn man voraussetzt, daß das Licht
-in transversalen Ätherschwingungen besteht. Unter dieser Annahme
-können nämlich benachbarte Strahlen, wenn ihre Schwingungen in zwei
-zueinander senkrecht stehenden Ebenen erfolgen, sich nicht gegenseitig
-beeinflussen. Zu der Theorie, daß das Licht in transversalen
-Schwingungen des Äthers bestehe, gelangte *Fresnel* um 1820. In
-ihren allgemeinen Grundzügen hat er diese Theorie im Jahre 1823
-entwickelt[474].
-
-In der Fassung, welche *Fresnel* der Undulationstheorie verliehen,
-ist sie in den Besitz der Wissenschaft übergegangen. Ihre Herrschaft
-erschien um so mehr gesichert, als es gelang, nicht nur die später
-entdeckten Erscheinungen aus dieser Theorie zu deuten, sondern sogar
-Vorgänge zu beschreiben, deren Stattfinden erst spätere Versuche
-dargetan haben[475].
-
-Die von *Young* und *Fresnel* entwickelten theoretischen Anschauungen
-erhielten eine wertvolle Stütze durch die analytischen Untersuchungen
-über die Wellenbewegung, welche der bedeutende französische
-Mathematiker *Cauchy* anstellte. Schon im Jahre 1815 hatte dieser
-für eine Arbeit über die »Theorie der Wellen« den großen Preis der
-Akademie erhalten. Seit dem Jahre 1829 hat er zahlreiche Beiträge zur
-Befestigung der Wellentheorie des Lichtes geliefert. Bis dahin war
-es nicht gelungen, die Dispersion aus dieser Theorie zu folgern. Den
-Grund erkannte *Fresnel* darin, daß der Einfluß der Körpermoleküle auf
-den Äther noch zu berücksichtigen blieb. *Cauchy* gelang es, diese
-Lücke auszufüllen und damit den Schlußstein in die Undulationstheorie
-zu fügen. Indem er das Verhältnis der Wellenlänge zum Abstand der
-Ätherteilchen berücksichtigte, gelangte er zu einem Ausdruck für die
-Geschwindigkeit des Lichtes, der für verschiedenfarbiges Licht eine
-verschieden große Brechung ergab. *Cauchy* setzte bei seiner Ableitung
-voraus, daß das Licht sich in optisch dichteren Mitteln mit geringerer
-Geschwindigkeit fortpflanze. *Foucaults* experimenteller Nachweis,
-daß dies wirklich zutrifft[476], sowie *Fraunhofers* Messungen der
-Wellenlängen[477] haben *Cauchys* Annahme bestätigt und somit zur
-weiteren Befestigung der theoretischen Optik beigetragen.
-
-Während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann sich der
-umgestaltende Einfluß, den die Dampfkraft auf die Entwicklung des
-Verkehrs und der Gewerbe gewinnen sollte, mehr und mehr geltend zu
-machen. Es kann daher nicht Wunder nehmen, daß sich die Physiker mit
-der bewegenden Kraft der Wärme eingehender beschäftigten. So entstanden
-im Beginn der zwanziger Jahre *Carnots* epochemachende Betrachtungen
-über die bewegende Kraft des Feuers[478], in denen dieser Forscher als
-ein Vorläufer von *R. Mayer*, *Joule* und *Helmholtz*, den Begründern
-der mechanischen Wärmetheorie, erscheint.
-
-*Sadi Carnot* wurde 1796 in Paris als Sohn des großen Revolutionsmannes
-geboren. Er war Zögling der École polytechnique und gehörte später
-der Armee als Genieoffizier an. Die Abhandlung, welche uns beschäftigt,
-ist die einzige abgerundete Arbeit, die *Carnot* veröffentlicht hat.
-Er starb in noch jugendlichem Alter (1832). *Carnot* machte darauf
-aufmerksam, daß die Erzeugung von Bewegung bei den Wärmemaschinen stets
-an eine Wiederherstellung des Gleichgewichts der Wärme gebunden ist, d.
-h. an einen Übergang der Wärme von einem Körper mit mehr oder weniger
-erhöhter Temperatur auf einen anderen, dessen Temperatur niedriger ist.
-Bei einer in Tätigkeit befindlichen Dampfmaschine z. B. durchdringt
-die in der Feuerung durch Verbrennung entwickelte Wärme die Wände des
-Kessels und erzeugt den Dampf; dieser nimmt die Wärme mit sich, führt
-sie zum Zylinder, wo sie irgend einen Dienst tut und von dort in den
-Kondensator. In letzter Linie bemächtigt sich daher das kalte Wasser
-des Kondensators der durch die Verbrennung erzeugten Wärme.
-
-»Überall, wo ein Temperaturunterschied besteht,« sagt *Carnot*, »und wo
-daher die Wiederherstellung des Gleichgewichts der Wärme eintritt, kann
-auch die Erzeugung von bewegender Kraft stattfinden. Der Wasserdampf
-ist ein Mittel, aber er ist nicht das einzige; alle Stoffe können zu
-diesem Zwecke benutzt werden. Alle sind fähig, Zusammenziehung und
-Ausdehnung durch den Wechsel von Kälte und Wärme zu erfahren. Bei
-diesen Volumänderungen vermögen die Körper bestimmte Widerstände zu
-überwinden und auf diese Weise bewegende Kraft zu entwickeln. Ein
-fester Körper, beispielsweise ein Metallstab, vermehrt und vermindert
-seine Länge, wenn er abwechselnd erwärmt und abgekühlt wird, und vermag
-Körper zu bewegen, die an seinen Enden befestigt sind. Eine gasförmige
-Flüssigkeit kann durch Temperaturänderungen erhebliche Änderungen des
-Volumens erfahren. Wenn sie sich in einem mit einem Kolben versehenen
-Zylinder befindet, kann sie ausgedehnte Bewegungen hervorbringen.
-Die Dämpfe aller Stoffe vermögen denselben Dienst zu leisten wie der
-Wasserdampf.«
-
-Aber, auch umgekehrt sei es stets möglich, wo man eine Bewegung
-anwende, Temperaturunterschiede entstehen zu lassen. So seien der Stoß
-und die Reibung Mittel, die Temperatur der Körper zu erhöhen. Bei dem
-geschilderten Ausgleich dachte *Carnot* zunächst nur an eine Bewegung
-der Wärme, deren materielle Natur er noch voraussetzte. Er hat jedoch,
-wie aus seinem Nachlaß hervorgeht[479], später die Annahme einer
-Konstanz der Wärme aufgegeben und sogar das mechanische Wärmeäquivalent
-ziemlich genau bestimmt[480]. Zu den Grundlagen der mechanischen
-Wärmetheorie gehört vor allem *Carnots* Konzeption des Kreisprozesses.
-*Carnot* geht von der Tatsache aus, daß die Temperatur eines Gases
-zunimmt, wenn es zusammengedrückt wird, daß sie dagegen fällt, wenn man
-das Gas rasch ausdehnt. Will man daher ein Gas nach dem Zusammendrücken
-auf seine ursprüngliche Temperatur zurückführen, so muß man ihm Wärme
-entziehen. Ebenso kann man bei der Ausdehnung eines Gases seine
-Temperaturerniedrigung vermeiden, wenn man ihm eine bestimmte Menge
-Wärme zuführt.
-
-[Illustration: Abb. 55. *Carnots* Erläuterung des Kreisprozesses.]
-
-An diese Tatsachen knüpft *Carnot* folgende Überlegung, die man ein
-Gedankenexperiment nennen kann[481], weil sich die Durchführung in
-der Wirklichkeit nur annäherungsweise bewerkstelligen läßt. A sei
-ein Körper von der Temperatur t_{1}. Die Temperatur eines zweiten
-Körpers B, der von A durch einen nichtleitenden Stoff getrennt ist,
-sei niedriger und zwar gleich t_{2}. In dem Zylinder *abgh* befinde
-sich eine elastische Flüssigkeit, z. B. Luft und ein beweglicher Kolben
-*cd*. Man stelle sich nun mit *Carnot* folgende Reihe von Veränderungen
-vor:
-
-1. Der Zylinder, dessen Wand ab die Wärme leicht durchlassen soll,
-befinde sich auf dem wärmeren Körper A. Das eingeschlossene Gas nimmt
-infolgedessen die Temperatur t_{1} an, die wir A zugeschrieben haben,
-und der Kolben erhebt sich aus seiner Anfangsstellung *cd* bis zur
-Stellung *ef*. Infolge der Wärmezufuhr, welche das Gas dabei von A
-empfängt, behält dieses trotz der Ausdehnung die Temperatur t_{1}.
-
-2. Der Zylinder wird jetzt von A entfernt, so daß ihm keine Wärme mehr
-zugeführt wird. Dehnt sich das Gas nun weiter aus, so sinkt bei dieser
-Volumverminderung seine Temperatur. Sie möge auf t_{2}, d. i. die
-Temperatur des kälteren Körpers B, gesunken sein, wenn der Kolben die
-Stellung *gh* einnimmt.
-
-3. Der Zylinder wird auf B gebracht und das Gas, das ja bei der
-Kolbenstellung *gh* die Temperatur von B besitzt, zusammengedrückt. Die
-so erzeugte Wärme wird dabei sofort von B, dessen Temperatur konstant
-t_{2} bleiben soll, aufgenommen. Voraussetzung ist, wenn sich die
-Temperatur von A und B trotz Abgabe und Zufuhr von Wärme nicht ändern
-soll, daß beide Körper eine ungeheure Wärmekapazität haben.
-
-4. Hat der Kolben die Stellung *cd* erreicht, so entfernt man den
-Zylinder von B und komprimiert ohne Wärmeabgabe weiter. Die Temperatur
-der eingeschlossenen Luft wird jetzt steigen und es möge der Kolben die
-Stellung *ik* angenommen haben, wenn die Temperatur des Gases wieder
-gleich derjenigen von A, nämlich gleich t_{1}, ist.
-
-Damit ist der Kreislauf abgeschlossen. Denn bringen wir jetzt den
-Zylinder auf A, so können die beschriebenen Vorgänge in vollkommen
-gleicher Weise sich, so oft wir wollen, wiederholen. Der beschriebene
-Kreisprozeß kann aber auch umgekehrt werden, indem man auf d zunächst
-c, dann b und endlich wieder a folgen läßt. Bei dieser Umkehrung wird
-aber eben soviel »bewegende Kraft« (Arbeit) verbraucht, als bei dem
-Ablauf der Vorgänge in der zuerst geschilderten Folge (a, b, c, d)
-gewonnen wurde.
-
-Fast zur selben Zeit, als *Rumford* und *Davy* ihre über die Natur
-der Körperwärme entscheidenden Versuche anstellten, wurde auch
-die Lehre von der strahlenden Wärme, die man schon länger von der
-körperlichen unterschieden hatte[482], um eine wichtige Entdeckung
-bereichert. *Wilhelm Herschel* bediente sich bei der Beobachtung der
-Sonne verschiedenartig gefärbter Gläser. Dabei fiel ihm auf, daß
-hinter gewissen Gläsern, die weniger Licht durchlassen, mitunter eine
-stärkere Wärmeempfindung stattfand, als hinter anderen helleren[483],
-so daß die erwärmende Kraft durchaus nicht von der Stärke des
-Lichtes abzuhängen schien. Um die Frage zu entscheiden, ob die
-Wärme etwa ungleichmäßig über die verschiedenen Strahlengattungen
-verteilt sei, erzeugte *Herschel* das Sonnenspektrum und brachte ein
-Thermometer mit geschwärzter Kugel in die verschiedenen Farben, die
-er nacheinander durch eine Öffnung fallen ließ. Ein zweites, etwas
-entferntes Thermometer zeigte die Wärme der umgebenden Luft an[484].
-*Herschel* verglich dann die Temperaturerhöhung, welche das Thermometer
-in gleichen Zeiträumen in den verschiedenen Teilen des Spektrums
-erfuhr. In derselben Zeit, in der es unter im übrigen gleichen
-Verhältnissen im violetten Teil des Spektrums um 2° stieg, betrug die
-Zunahme im Grün 3¼° und im Rot, wo sie am größten war, 6-7/8°.
-*Herschel* setzte diese Untersuchung fort und konnte schon einen Monat
-später[485] das merkwürdige Ergebnis mitteilen, daß ein ultraroter
-Teil des Spektrums bestehe, der aus unsichtbaren, Wärme spendenden
-Strahlen zusammengesetzt ist. Ja, es ergab sich, daß das Maximum der
-Wärmewirkung innerhalb dieser unsichtbaren Region liegt.
-
-
-
-
-19. Die Chemie und die Physik treten in engere Wechselbeziehungen.
-
-
-Sehr viele von den Errungenschaften, die auf chemischem und
-physikalischem Gebiete zu Beginn der neueren Zeit gewonnen wurden,
-knüpfen sich an den Namen *Gay-Lussacs*, so daß es gerechtfertigt
-erscheint, diese Forschergestalt unter den vielen, die sich um den
-Ausbau und die Verknüpfung der genannten Wissenszweige verdient gemacht
-haben, besonders hervortreten zu lassen.
-
-*Louis Joseph Gay-Lussac* wurde am 6. September 1778 in einer
-kleinen Stadt[486] des mittleren Frankreichs geboren. Da er zu den
-ausgezeichnetsten Schülern der École polytechnique gehörte, wählte
-ihn der Chemiker *Berthollet* zu seinem Gehilfen. Die ersten Lorbeeren,
-die sich *Gay-Lussac* auf dem Felde der Wissenschaft verdiente, hatte
-er einem eigentümlichen Umstande zu verdanken. Durch die alltägliche
-Beobachtung, daß der Rauch unter dem Einfluß warmer Luft im Kamin
-emporsteigt, waren die Gebrüder *Montgolfier* auf den Gedanken
-gekommen, eine Papierhülle durch ein darunter befindliches Feuer zum
-Emporsteigen zu bringen. Ihrem berühmt gewordenen Versuch vom Jahre
-1783, bei dem sich eine derartige Hülle von 22000 Kubikfuß Rauminhalt
-durch ein darunter befindliches Strohfeuer auf eine Höhe von etwa 2000
-Metern erhob, waren zahlreiche, von mehr oder weniger Erfolg begleitete
-Aufstiege gefolgt. Der Physiker *Charles* war noch in demselben Jahre
-zur Füllung der Ballons mit Wasserstoff übergegangen. Trotzdem blieb
-eine Luftreise bei dem Fehlen der heutigen Sicherheitsvorrichtungen
-zunächst ein sehr gewagtes Unternehmen. Als sich die Pariser
-Akademie im Anfang des 19. Jahrhunderts entschloß, Aufstiege zu
-wissenschaftlichen Zwecken zu veranstalten, galt es daher, einige
-jüngere, beherzte Forscher zu gewinnen. Die Wahl fiel auf *Gay-Lussac*
-und *Biot*, die im Sommer des Jahres 1804 einen gemeinschaftlichen
-Aufstieg unternahmen, dem bald darauf eine von *Gay-Lussac* allein
-ausgeführte Luftreise folgte. In der von dem letzteren erreichten Höhe
-von 7000 Metern betrug die Temperatur -9,5°, während zur selben Zeit
-in Paris ein im Schatten befindliches Thermometer +27,5° zeigte. Die
-atmosphärische Luft war nach den Analysen *Gay-Lussacs* in den oberen
-Schichten der Atmosphäre von derselben Zusammensetzung wie in der Nähe
-der Erdoberfläche. Auch wies *Gay-Lussac* nach, daß die Luft nicht
-etwa in größeren Höhen einen Gehalt von dem so leichten Wasserstoffgas
-besitze, wie einige Physiker zur Erklärung des Gewitters, das in
-Knallgasexplosionen bestehen sollte, angenommen hatten. Insbesondere
-war die Aufmerksamkeit *Gay-Lussacs* auf das Verhalten gerichtet,
-welches die Magnetnadel in größerer Entfernung vom Erdboden zeigt. Die
-angestellten Schwingungsbeobachtungen ergaben, daß ein Höhenunterschied
-von mehreren tausend Metern die magnetische Kraft nicht merklich
-beeinflußt. »*Biots* und *Gay-Lussacs* Luftfahrten«, schrieb später
-*Arago*[487], »werden im Andenken der Menschen fortleben als die
-ersten derartigen Unternehmungen, die behufs Lösung wissenschaftlicher
-Aufgaben mit entschiedenem Erfolge ausgeführt wurden«.
-
-Die Analyse der atmosphärischen Luft und die Zuverlässigkeit der
-hierfür benutzten Mittel waren zu der Zeit, als *Gay-Lussac* seine
-Tätigkeit begann, viel umstritten. Insbesondere war der Glaube
-verbreitet, daß der Gehalt an Sauerstoff schwankend und für die Güte
-der Luft bestimmend sei. Die zur Ermittlung des Sauerstoffgehaltes
-ersonnenen Apparate wurden daher Eudiometer (Luftgütemesser) genannt.
-Das erste Eudiometer rührt von *Priestley* her. Es beruhte auf dem
-Verhalten von Stickoxyd gegen Sauerstoff[488] und wurde von *Fontana*
-(1774) verbessert. Weit bessere Ergebnisse erhielt man bei dem von
-*Lavoisier* in Vorschlag gebrachten Verfahren[489]. Es besteht
-darin, daß eine gemessene Luftmenge über Quecksilber abgesperrt
-und mit Phosphor in Berührung gebracht wird. Durch die langsame
-Oxydation dieser Substanz wird der Sauerstoff völlig gebunden, und
-die Luft erleidet eine entsprechende Volumverminderung. Aber selbst
-*Lavoisiers* Versuchsfehler waren noch so groß, daß er für den
-Sauerstoffgehalt Schwankungen von 18 auf 25% annahm. Im wesentlichen
-auf dem gleichen Prinzip beruht das von *Volta* vorgeschlagene
-Eudiometer. Die zu untersuchende Luft wird mit Wasserstoff
-zusammengebracht. Ist dieses Gas in hinreichender Menge vorhanden, so
-reißt es bei der durch einen elektrischen Funken bewirkten Explosion
-des Gasgemisches den gesamten Sauerstoff der Luft an sich und verbindet
-sich damit zu Wasser.
-
-Auch *Alexander von Humboldt* beschäftigte sich mit eudiometrischen
-Bestimmungen. Nachdem er in Paris mit *Gay-Lussac* bekannt geworden
-war, schlossen beide, ihrer außerordentlichen Leistungen wegen
-gefeierten Männer ein enges Freundschaftsbündnis. Die schönste
-Frucht desselben war eine gemeinsame, im Jahre 1805 veröffentlichte
-Arbeit über die eudiometrischen Mittel und über das Verhältnis der
-Bestandteile der Atmosphäre[490]. Diese Arbeit ergab, daß *Voltas*
-Eudiometer das schätzbarste Instrument für die Analyse der Luft
-ist. Ein wichtiges Nebenergebnis war der Nachweis, daß sich der
-Sauerstoff mit dem Wasserstoff nach dem unveränderlichen und einfachen
-Volumverhältnis 1 : 2 verbindet. Nach den früheren Versuchen von
-*Cavendish* schien dies Verhältnis kein einfaches zu sein.
-
-Während sich der vielseitige *von Humboldt* neuen Aufgaben zuwandte,
-vertiefte sich *Gay-Lussac* in das Studium der Gase, über deren
-chemisches und physikalisches Verhalten wir ihm eine Fülle von
-Entdeckungen verdanken. Seine erste Arbeit über diesen Gegenstand war
-im Jahre 1802 auf *Berthollets* Anregung entstanden. Diese Arbeit
-handelte von der Ausdehnung gas- und dampfförmiger Körper[491] und
-lieferte den nicht nur in praktischer Hinsicht, sondern auch für die
-Theorie sehr wichtigen Nachweis, daß »alle Gasarten und Dämpfe bei
-derselben Temperaturerhöhung, unter im übrigen gleichen Umständen,
-in gleichem Grade ausgedehnt werden.« *Gay-Lussacs* Untersuchung
-erstreckte sich auf Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Ammoniak,
-Schwefeldioxyd Kohlendioxyd und Ätherdampf. Nach seinen Messungen
-beträgt die Volumzunahme dieser Gase bei einer Temperaturerhöhung
-von 0 auf 100 Grad 0,375 des ursprünglichen Volumens. Durch spätere
-Bestimmungen ist dieser Ausdehnungskoeffizient zu 0,366 (oder für eine
-Temperatursteigerung von 0° auf 1° zu 0,00366 = 1/273) ermittelt worden.
-
-*Gay-Lussacs* Untersuchung über die Ausdehnung der Gase war älteren
-Untersuchungen gegenüber besonders deshalb ein großer Fortschritt, weil
-er die gasförmigen Körper, an denen er Messungen anstellen wollte,
-vorher vermittelst Chlorkalzium trocknete und damit eine wesentliche
-Fehlerquelle beseitigte. Daß *Gay-Lussacs* Bestimmung dennoch mit einem
-nicht unerheblichen Fehler behaftet blieb, ist darauf zurückzuführen,
-daß das Trocknen der Gefäße und der Gase noch in nicht genügendem Maße
-stattfand.
-
-Das von *Gay-Lussac* beim Messen des Ausdehnungskoeffizienten
-eingeschlagene Verfahren wird aus der beistehenden, seiner Abhandlung
-entnommenen Abbildung ersichtlich. Der Ballon D wird über Quecksilber
-mit dem zu untersuchenden Gase gefüllt. Der ganze, in Abb. 57
-dargestellte Apparat wird in ein Wasserbad getaucht und auf 100°
-erhitzt. Dabei entweicht ein Teil des Gases durch das zweimal gebogene
-Rohr B, dessen Öffnung durch Quecksilber gesperrt ist. Hat der Ballon
-die Temperatur des siedenden Wassers angenommen, so wird die Glasröhre
-B entfernt und das Wasserbad auf die Temperatur des schmelzenden
-Eises abgekühlt. Das Quecksilber steigt dann, entsprechend der
-Zusammenziehung des Gases, den graduierten Hals des Ballons hinauf. Man
-erhält so die Größe des Luftvolumens, das durch die Erwärmung aus dem
-Ballon von bekanntem Inhalt entwichen ist.
-
-[Illustration: Abb. 56. Apparat *Gay-Lussacs* zur Bestimmung des
-Ausdehnungskoeffizienten der Gase.]
-
-Bei den Versuchen *Gay-Lussacs* dehnten sich die nachstehend
-aufgeführten vier Gase beim Erhitzen von 0° auf 100° in folgender Weise
-aus:
-
- 100 Teile dehnen sich aus um
-
- Atmosphärische Luft 37,5 Teile
- Wasserstoff 37,52 "
- Sauerstoff 37,49 "
- Stickstoff 37,49 "
-
-Um zu untersuchen, ob der Ausdehnungskoeffizient der Dämpfe derselbe
-sei, erwärmte *Gay-Lussac* Ätherdampf von 60° auf 100°. Er hatte die
-Genugtuung wahrzunehmen, daß sowohl beim Expandieren als auch bei
-der Raumverminderung durch Abkühlung der Ätherdampf gleichen Schritt
-mit der atmosphärischen Luft hielt, die er in einem zweiten Apparate
-denselben Bedingungen ausgesetzt hatte.
-
-Aus seinen Versuchen schloß *Gay-Lussac*, daß die Ausdehnung der Gase
-und der Dämpfe nicht auf der besonderen Natur der Stoffe, sondern
-lediglich darauf beruht, daß diese Körper sich im elastisch-flüssigen
-Zustande befinden[492].
-
-In dieser Untersuchung *Gay-Lussacs* findet sich keine Angabe darüber,
-ob auch die Ausdehnung des Glasgefäßes bei der Berechnung der
-Ergebnisse berücksichtigt wurde. In einer zweiten Untersuchung ist dies
-geschehen. Trotzdem weicht der gefundene Koeffizient (0,375) für die
-Erwärmung von 0° auf 100°, der fast vierzig Jahre in Geltung blieb,
-nicht unerheblich von dem wahren Werte (0,365) ab[493].
-
-Das Freundschaftsbündnis zwischen *Gay-Lussac* und *Alexander von
-Humboldt* wurde zu einem besonders vertrauten durch eine gemeinsame,
-im Jahre 1805 unternommene Reise nach Italien. Von Rom, für dessen
-Kunstschätze sich ihnen im Verkehr mit einem *Rauch* und einem
-*Thorwaldsen* der Sinn erschloß, machten die Freunde in Begleitung
-des Geologen *Leopold von Buch* einen Abstecher nach Neapel, wo sie
-Zeugen eines großartigen, von einem furchtbaren Erdbeben begleiteten
-Ausbruch des Vesuvs wurden. Auch in chemischer Hinsicht war diese Reise
-nicht ohne Ausbeute. So machte *Gay-Lussac* in Neapel die Beobachtung,
-daß die im Wasser gelöste Luft einen weit größeren Sauerstoffgehalt
-(etwa 30%) als die atmosphärische Luft (21%) besitzt[494]. Nachdem
-die Reisenden vor dem Verlassen des italienischen Bodens noch *Volta*
-aufgesucht hatten, trafen sie in Berlin ein, wo beide im Hause *von
-Humboldts* den Winter verlebten. Nach Paris zurückgekehrt, beschäftigte
-sich *Gay-Lussac* zunächst mit der Frage, ob seine Vermutung zutreffend
-sei, daß nicht nur Wasserstoff und Sauerstoff, sondern auch die übrigen
-Gasarten sich nach einfachen Raumverhältnissen miteinander verbinden.
-
-*Gay-Lussac* wählte zunächst salzsaures Gas und verband es mit
-Ammoniakgas. Es sättigten 100 Maß salzsaures Gas genau 100 Maß
-Ammoniakgas, und das entstehende Salz war vollkommen neutral[495].
-Brachte er kohlensaures Gas mit Ammoniak zusammen, so verbanden sich
-mit 100 Maß kohlensaurem Gas genau 200 Maß Ammoniakgas. Es ergab sich
-ferner, daß Schwefelsäureanhydrid auf 100 Maß schwefligsaures Gas 50
-Maß Sauerstoffgas enthält, daß somit auch die beiden zuletzt genannten
-Gase sich nach einem einfachen Verhältnis verbinden[496].
-
-Bei einem anderen Versuch vereinigten sich 50 Maß Sauerstoffgas mit 100
-Maß gasförmigem Kohlenstoffoxyd. Beide Gasarten verschwanden völlig,
-und es fanden sich an ihrer Stelle 100 Maß kohlensaures Gas. Schon vor
-*Gay-Lussac* hatte *Berthollet* gezeigt, daß im Ammoniak auf 100 Maß
-Stickstoff genau 300 Maß Wasserstoff kommen.
-
-Nach diesen Beweisen war es offenbar, daß zwei Gasarten, die auf
-einander chemisch einwirken, sich in den allereinfachsten Verhältnissen
-verbinden. In den untersuchten Fällen geschieht dies nach den
-Verhältnissen 1 : 1 oder 1 : 2 oder 1 : 3, während sich kein einfaches
-Verhältnis zwischen den Elementen einer Verbindung zeigt, wenn man auf
-die Gewichte sieht.
-
-Weitere Versuche ließen erkennen, daß die Gasarten sich nicht bloß
-mit einander nach sehr einfachen Verhältnissen verbinden, sondern
-daß die Raumverminderung, die sie bei der Vereinigung erleiden, auch
-immer in einem sehr einfachen Verhältnisse zu dem Volumen steht,
-das die Gase vor ihrer Vereinigung einnahmen[497]. So hatte schon
-*Berthollet* gefunden, daß 100 Maß gasförmiges Kohlenstoffoxyd, wenn
-sie sich mit 50 Maß Sauerstoff verbinden, dabei 100 Maß kohlensaures
-Gas geben[498]. Beide Gasarten ziehen sich also bei ihrer Verbindung
-um einen Raum zusammen, der gerade so groß ist wie derjenige, den das
-hinzugefügte Sauerstoffgas vorher besaß. Auch der Wasserdampf, der
-sich durch das Zusammentreten von zwei Raumteilen Wasserstoff und
-einem Raumteil Sauerstoff bildete, nahm unter gleichen Druck- und
-Temperaturbedingungen 2 Volumina ein, so daß bei seiner Entstehung
-eine Verdichtung von 3 auf 2 stattfindet, während sich bei der Bildung
-von Ammoniak eine Zusammenziehung von 2 auf 1 nachweisen läßt. Dieses
-von *Gay-Lussac* entdeckte Volumgesetz ist die Grundlage für die
-Avogadrosche Hypothese und damit für die weitere Entwicklung der
-theoretischen Chemie geworden[499].
-
-Wir kommen jetzt zu den hervorragenden Untersuchungen, durch welche
-*Gay-Lussac* die anorganische, die technische und die organische Chemie
-gefördert hat.
-
-Als die Kunde von der Entdeckung der Alkalimetalle nach Frankreich
-gekommen war, stellte Napoleon der polytechnischen Schule die Mittel
-zur Beschaffung einer gewaltigen Voltaschen Säule zur Verfügung.
-Noch bevor diese Säule in Tätigkeit gesetzt werden konnte, gelang es
-*Gay-Lussac* in Gemeinschaft mit *Thenard*, Kalium und Natrium durch
-Erhitzen von Kali und von Natron mit Eisen, also auf rein chemischem
-Wege, ohne Zuhilfenahme der Elektrizität darzustellen[500]. Beide
-Forscher veröffentlichten ihr Verfahren im Mai des Jahres 1808.
-Anstatt des Eisens nahmen sie auch Kohle, erzielten damit aber ein
-weniger günstiges Ergebnis. Besser gelang die Darstellung von Kalium
-und Natrium mittelst Kohle, als man kohlensaures Alkali mit Kohle und
-Leinöl mischte und dies Gemenge der Glühhitze aussetzte[501].
-
-Als eine der besten Monographien, die je über ein Element geschrieben
-wurden, gilt *Gay-Lussacs* mustergültige Abhandlung über das Jod und
-die Jodide. *Gay-Lussac* stellte in dieser Abhandlung den Begriff der
-Hydrosäure im Gegensatz zur Sauerstoffsäure auf. Das Jod lieferte
-nämlich, wie er nachwies, zwei Säuren, die eine in Verbindung mit
-Sauerstoff, die zweite in Verbindung mit Wasserstoff. Da die Säuren,
-welche das Chlor, das Jod und der Schwefel mit dem Wasserstoff
-bilden[502], die Eigenschaften der sauerstoffhaltigen Säuren besitzen,
-so mußten beide Arten von Verbindungen in eine Klasse gestellt werden.
-Um die Wasserstoffsäuren von den eigentlichen Säuren zu unterscheiden,
-bediente sich *Gay-Lussac* der Vorsilbe Hydro. Die sauren Verbindungen
-des Wasserstoffs mit dem Chlor und dem Jod erhielten also die Namen
-Hydrochlorsäure und Hydrojodsäure. Den sauren Verbindungen des
-Sauerstoffs mit denselben Elementen blieb dagegen die Bezeichnung
-Chlorsäure und Jodsäure[503] vorbehalten.
-
-Unter den zahlreichen Verbindungen, die *Gay-Lussac* in seiner
-Abhandlung über das Jod kennen lehrte, ist besonders das Jodäthyl
-hervorzuheben, ein Stoff, der vermöge seiner großen Reaktionsfähigkeit
-von großer Bedeutung für die organische Chemie geworden ist.
-
-Von wichtigen Reaktionen, zu denen das Studium des Jods *Gay-Lussac*
-geführt hat, verdienen noch folgende erwähnt zu werden. Jod wurde
-mit Phosphor zu Jodphosphor verbunden. Letzterer zerfiel unter der
-Einwirkung von Wasser in Jodwasserstoff und phosphorige Säure:
-
- PJ_{3} + 3H_{2}O = H_{3}PO_{3} + 3HJ.
-
-Durch Berührung mit Quecksilber wurde Jodwasserstoff unter Bildung von
-Jodquecksilber und Freiwerden von Wasserstoff zersetzt. Dabei ergab
-sich die volumetrische Gesetzmäßigkeit, daß der Wasserstoff genau die
-Hälfte des Raumes einnahm, den vorher der Jodwasserstoff ausgefüllt
-hatte.
-
-Wurde Jodwasserstoff der Rotglühhitze ausgesetzt, so fand eine
-teilweise Zersetzung in Jod und Wasserstoff statt. Andererseits gelang
-die Synthese von Jodwasserstoff, wenn *Gay-Lussac* das Gemenge von
-Jod und Wasserstoff auf Rotglut erhitzte. Diese Beobachtung war eine
-der ersten, welche über die Umkehrung einer Reaktion gemacht wurde.
-Indessen legte ihr *Gay-Lussac* weiter keine Bedeutung bei.
-
-Die Ähnlichkeit des Jodwasserstoffs mit der Salzsäure ergab sich
-auch aus dem Verhalten gegen Metalle. Letztere machten aus beiden
-Verbindungen unter Bildung salzartiger Körper Wasserstoff frei. Mit
-Ammoniak verband sich Jodwasserstoff unter Entstehung eines dem Salmiak
-ähnlichen Stoffes. Die Vereinigung erfolgte nach gleichen Raummengen,
-so daß sich nach jeder Richtung eine so weit gehende Analogie zwischen
-dem neu entdeckten Jod und dem schon länger bekannten Chlor zeigte,
-wie sie bis dahin zwischen zwei Elementen noch nicht nachgewiesen
-war. Diese Analogie wurde später auf das 1826 von *Balard* in der
-Mutterlauge des Meerwassers aufgefundene Brom ausgedehnt. Der Vergleich
-von Chlor, Brom und Jod führte *Döbereiner* später zur Aufstellung
-seiner Theorie von den Triaden, d. h. zu der Annahme, daß das System
-der Elemente sich in Gruppen von je drei sehr ähnlichen Grundstoffen
-gliedern lasse, ein Gedanke, durch den *Döbereiner* zum Begründer einer
-Systematik der Elemente und damit zum Vorläufer eines *Mendelejeff* und
-*Lothar Meyer* geworden ist[504].
-
-Die Aufdeckung der Analogie zwischen Chlor und Jod hat dahin
-mitgewirkt, daß die lange geltende Annahme, das Chlor sei eine
-Sauerstoffverbindung[505], allgemein aufgegeben wurde.
-
-Waren ferner die Reaktionen, welche das Jod zu anderen Elementen und
-Verbindungen äußerte, zwar denen des Chlors sehr ähnlich, so ging
-doch aus der ganzen Untersuchung *Gay-Lussacs* hervor, daß letzteres
-Element »mächtiger ist als das Jod«. Um die Dichte des Joddampfes zu
-bestimmen, ging *Gay-Lussac* von der Dichte des Jodwasserstoffes aus.
-Er ermittelte, indem er das von ihm entdeckte Volumgesetz zugrunde
-legte, daß der Dampf des Jods 117mal dichter als Wasserstoff ist, also
-von allen Dämpfen, die größte Dichtigkeit besitzt[506].
-
-*Gay-Lussacs* Arbeiten über die Schwefelsäure, um deren fabrikmäßige
-Darstellung er sich durch die Einführung des sogenannten
-*Gay-Lussac*-Turmes sehr verdient gemacht hat, sowie die durch ihn
-erfolgte Begründung des Titrierverfahrens sind auf die Entwicklung der
-chemischen Technik von größtem Einfluß gewesen.
-
-Auch die Chemie der organischen Verbindungen erfuhr durch *Gay-Lussac*
-eine bedeutende Förderung. Für die Analyse dieser Stoffe, die
-vor ihm in den Kinderschuhen stak, brachte er das Kupferoxyd als
-Verbrennungsmittel in Anwendung, während seine Arbeit über die
-Cyanverbindungen ein Muster für spätere Untersuchungen organischer
-Körper gewesen ist[507]. *Gay-Lussac* lieferte in dieser Arbeit
-den Nachweis, daß die von *Scheele* aus dem gelben Blutlaugensalz
-gewonnene Blausäure (HCN) eine dem Chlorwasserstoff (HCl) entsprechende
-Hydrosäure ist, in welcher ein aus Kohlenstoff und Stickstoff
-bestehendes Radikal CN, das den Namen Cyan erhielt, an die Stelle von
-Chlor tritt. Indem er weiter zeigte, daß dieses Radikal auch in anderen
-Verbindungen die Stelle eines Elements vertritt, eröffnete er die Reihe
-jener Untersuchungen, die darauf hinausliefen, sämtliche organischen
-Verbindungen auf Atomgruppen zurückzuführen. Dieses Bestreben hat dann
-später seinen Höhepunkt in der Forschertätigkeit *Liebigs* erreicht,
-welcher die organische Chemie als die Chemie der zusammengesetzten
-Radikale bezeichnete[508].
-
-Auch der Vorgang der Gärung, auf den die Untersuchungen *Lavoisiers*
-das erste Licht geworfen hatten[509], zog *Gay-Lussac* in den Bereich
-seiner Forschungen. Er wies nach, daß neben Kohlendioxyd und Alkohol
-als wesentliche Produkte der Gärung Glyzerin und Bernsteinsäure
-auftreten. Auch versuchte er diesen Vorgang, der später als ein
-physiologischer aufgefaßt wurde, in eine chemische Gleichung
-einzukleiden.
-
-Wie erwähnt, war *Gay-Lussac* aus der École polytechnique
-hervorgegangen, an der er zunächst als Repetent, später (1809) als
-Professor der Chemie angestellt wurde. Gleichzeitig bekleidete er an
-der Sorbonne die Professur für Physik. Auch im öffentlichen Leben
-Frankreichs nahm *Gay-Lussac* eine hervorragende Stelle ein. Er wirkte
-in zahlreichen, für gewerbliche oder Verwaltungszwecke ernannten
-Kommissionen, in denen er seiner chemischen und physikalischen
-Kenntnisse wegen das größte Ansehen genoß, wurde wiederholt zum
-Abgeordneten gewählt und endlich zum Pair ernannt. Ein nicht
-vollendetes, die Philosophie der Chemie betiteltes Werk ließ er vor
-seinem Tode verbrennen.
-
-Am 9. Mai des Jahres 1850 starb *Gay-Lussac*. Sein Leben ist reich an
-wissenschaftlichen, durch stete Arbeit erzielten Erfolgen gewesen. Es
-konnte aber auch in jeder anderen Hinsicht als vorbildlich gelten.
-*Arago*, der in der Akademie *Gay-Lussac* einen Nachruf widmete, schloß
-mit dem schönen Lobe: »Er ehrte Frankreich durch seine moralischen
-Eigenschaften und diese Akademie durch seine Entdeckungen. Sein Name
-wird mit Bewunderung und Hochachtung in allen Ländern genannt werden,
-in denen man die Wissenschaften pflegt«[510].
-
-Die Physik der gasförmigen Körper wurde vor allem durch Untersuchungen
-über die Absorption der Gase durch Flüssigkeiten gefördert. Zunächst
-fand der englische Chemiker *Henry*[511], daß die von einer Flüssigkeit
-absorbierte Gasmenge proportional dem Drucke ist, unter dem die
-Absorption erfolgt. Voraussetzung ist dabei, daß die Umstände im
-übrigen gleich sind und vor allem, daß die Gase und die Flüssigkeiten
-nicht chemisch aufeinander wirken[512].
-
-Eine Erweiterung der Untersuchung *Henrys* lieferte *Dalton* mit seiner
-Abhandlung Ȇber die Absorption der Gasarten durch Wasser und andere
-Flüssigkeiten«[513]. Diese Schrift ist auch dadurch geschichtlich
-interessant, daß sie die erste Atomgewichtstabelle enthält. *Dalton*
-suchte nämlich die verschiedene Löslichkeit der Gase aus der von ihm
-begründeten Atomtheorie[514] abzuleiten.
-
-Als Kennzeichen, daß ein Gas von einer Flüssigkeit nur absorbiert und
-nicht gebunden wird, galt *Dalton* der Umstand, daß es im ersteren
-Fall, wenn man den Druck unter Anwendung der Luftpumpe aufhebt, aus der
-Flüssigkeit wieder entweicht.
-
-*Dalton* ergänzte *Henrys* Untersuchung dahin, daß er sie auf
-Gasgemenge ausdehnte. Wurde z. B. Wasser, das von Luft befreit war, mit
-einer Mischung von zwei oder mehr Gasarten geschüttelt, so verschluckte
-es von jeder dieser Gasarten soviel, als es von ihnen einzeln bei
-derselben Dichtigkeit der Gasart aufgenommen haben würde. Bei den von
-*Dalton* behaupteten Gesetzmäßigkeiten handelt es sich jedoch mitunter
-um bloße Annäherungen, zum Teil auch um Unrichtigkeiten.
-
-Zum Schluß erhebt *Dalton* die Frage nach der Ursache der für die
-verschiedenen Gase so verschiedenen Löslichkeit. Es ist von hohem
-Interesse zu sehen, wie *Dalton* diese Frage aus seiner Atomtheorie
-zu beantworten sucht. Er habe gefunden, daß das relative Gewicht der
-kleinsten Teilchen der Körper sehr verschieden sei. Und nun zeige sich,
-daß diejenigen Gasarten, die leichtere Teilchen besäßen, weniger leicht
-absorbiert würden. Beides mache es wahrscheinlich, daß die Löslichkeit
-mit dem Atomgewicht in einem ursächlichen Zusammenhange stehe.
-
-*Dalton* war auch einer der ersten, der Messungen über die Spannkraft
-der Gase und der Dämpfe anstellte. So fand er, daß die Spannkraft
-der feuchten Luft gleich derjenigen der trockenen vermehrt um die
-Spannkraft des beigemengten Wasserdampfes ist. Auch diese Untersuchung
-dehnte *Dalton* auf Gasgemenge aus. Er bemerkte, daß Gase sich
-miteinander vollkommen mischen, auch wenn ein leichtes Gas sich über
-einem schwereren befindet (Diffusion). Dann zeigte er, daß der Druck
-eines Gasgemisches, auf das gleiche Volumen bezogen, der Summe der
-von den einzelnen Bestandteilen ausgeübten Spannungen gleich ist.
-Voraussetzung ist auch hier wieder, daß nur eine physikalische Mischung
-und keine chemische Verbindung stattgefunden hat.
-
-Endlich suchte *Dalton* zu bestimmen, wie die Spannkraft gesättigter
-Dämpfe von der Temperatur abhängt. Sein Verfahren ist noch heute im
-Gebrauch. Er brachte die in Dampf zu verwandelnde Flüssigkeit in den
-leeren Raum über dem Quecksilber eines Barometers. Dann wurde das
-Barometer in eine Glasröhre eingeschlossen und darin durch erwärmtes
-Wasser auf den gewünschten Wärmegrad gebracht. Die Spannung der
-entwickelten Dämpfe wurde durch das Herabsinken der Quecksilbersäule
-gemessen. Überstieg die Spannung den Druck einer Atmosphäre, so
-benutzte *Dalton* eine Röhre mit einem kürzeren geschlossenen und einem
-längeren offenen Schenkel, wie sie *Mariotte* zum Nachweis des von
-ihm und *Boyle* entdeckten Gesetzes gebraucht hatte. Die Flüssigkeit,
-deren Dampfspannung gemessen werden sollte, wurde in dem kürzeren
-geschlossenen Schenkel erhitzt, während in dem längeren die Spannung
-durch die von dem Dampf getragene Quecksilbersäule gemessen wurde. Auf
-große Genauigkeit konnten die ersten auf diesem Gebiete unternommenen
-Untersuchungen zwar keinen Anspruch machen. Sie verdienen aber doch
-Erwähnung, weil sie die Grundgedanken aufweisen, die später zu
-exakteren Messungen geführt haben.
-
-Am genauesten hat *Dalton* die Beziehung zwischen der Temperatur und
-der Spannung des gesättigten Wasserdampfes ermittelt. Er stellte seine
-Messungen innerhalb der weiten Grenzen von -40° bis +325° Fahrenheit an
-und glaubte auch den Zusammenhang von Temperatur und Spannung auf eine
-geometrische Reihe zurückführen zu können. Es hat sich jedoch ergeben,
-daß ein einfacher mathematischer Ausdruck für die hier obwaltende
-Beziehung nicht vorhanden ist.
-
-*Lavoisier* hatte den Satz aufgestellt, daß der Sauerstoff das Säure
-bildende Prinzip sei und daß in den Salzen wie in den Säuren dieses
-Element nie fehle. *Lavoisiers* Theorie der Sauerstoffsäuren fand zu
-Beginn des 19. Jahrhunderts besonders in *Berzelius* einen Verteidiger.
-Durch ihn wurde das dualistische, auf die Ergebnisse der Elektrolyse
-sich stützende System der chemischen Verbindungen ins Leben gerufen.
-Nach dieser Auffassung erhielt z. B. schwefelsaures Zink die Formel
-
- ZnO . SO_{3},
- + -
-
-welche andeuten sollte, daß diese Verbindung aus der Basis ZnO als
-positivem und der Schwefelsäure SO_{3} als negativem Bestandteil
-zusammengesetzt sei. Was wir heute als Säure bezeichnen und als
-einheitliche Verbindung betrachten, wurde als Säurehydrat aufgefaßt,
-z. B. galt die Schwefelsäure (H_{2}SO_{4}) als die Vereinigung des
-negativen Bestandteils SO_{3} mit dem schwach elektropositiven Wasser
-
- (SO_{3} . H_{2}O).
- - +
-
-Letzterem wurde eine Doppelnatur beigelegt, da es den stark positiven
-Metalloxyden gegenüber in die Bildung von basischen Hydraten als
-negativer Bestandteil eingeht
-
- (CuO + H_{2}O = CuO . H_{2}O).
- + -
-
-Der erste, der *Lavoisiers* Lehre erschütterte, war sein großer
-Zeitgenosse *Berthollet*. Er entdeckte, daß die Blausäure (HCN) und
-auch der Schwefelwasserstoff (H_{2}S) ausgesprochen die Eigenschaften
-von Säuren besitzen und dennoch keinen Sauerstoff enthalten.
-*Berthollet* hätte diesen Verbindungen die Salzsäure (HCl) hinzufügen
-können, wenn er nicht das Chlor als eine Sauerstoffverbindung
-betrachtet hätte[515]. Für diesen die Chemie Jahrzehnte beherrschenden
-Irrtum brachte er sogar eine vermeintliche Stütze in der von ihm
-unrichtig gedeuteten Beobachtung bei, daß sich aus einer Chlorlösung im
-Lichte Sauerstoff entwickelt. *Berthollet* schloß nämlich daraus, daß
-das Chlor als höhere Oxydationsstufe dabei in die vermeintlich weniger
-Sauerstoff enthaltende Salzsäure und Sauerstoff zerfallen sei, während
-doch der Vorgang sich tatsächlich als eine Zerlegung des Wassers
-darstellt (2 Cl + H_{2}O = 2 HCl + O). Als dritte Oxydationsstufe
-betrachtete man die sehr sauerstoffhaltige Verbindung, die wir heute
-als Chlorsäure bezeichnen.
-
-Die erste große Umgestaltung, welche das System *Lavoisiers* erfuhr,
-ging von *Davy* aus. Dieser hatte gefunden, daß das Salzsäuregas durch
-das von ihm entdeckte Kalium unter Entwicklung von Wasserstoff zersetzt
-wird. Dabei entstand Chlorkalium. Weiter zeigte *Davy*, daß aus Chlor
-nicht Salzsäure durch Entziehung von Sauerstoff entsteht, sondern
-daß sich die Salzsäure aus Chlor nur bildet, wenn dieses Element
-auf Wasserstoff oder auf eine Wasserstoff enthaltende Verbindung
-wirkt. Diese Tatsachen führten *Davy* zu der Annahme, daß das Chlor
-ein Element sei und die Salzsäure in einer Verbindung von Chlor mit
-Wasserstoff, die Salze der Salzsäure aber in einer Verbindung von Chlor
-mit den betreffenden Metallen bestehen. Bald darauf wies *Gay-Lussac*
-ein völlig analoges Verhalten für das Jod und den Jodwasserstoff nach.
-*Gay-Lussac* führte, nachdem er auch für die Blausäure dargetan hatte,
-daß der Sauerstoff an ihrer Zusammensetzung nicht beteiligt ist, für
-die der Salzsäure entsprechend zusammengesetzten Säuren die Bezeichnung
-Wasserstoffsäuren ein. Hartnäckig wurde an der alten Lehre von einem
-Teile der Chemiker, an deren Spitze *Berzelius* stand, festgehalten.
-Endlich um 1820 gab dieser seinen Widerstand auf, weil die Annahme, daß
-in den Halogenen und ihren Salzen doch ein, wenn auch experimentell
-nicht nachweisbarer Sauerstoffgehalt vorhanden sei, doch zu willkürlich
-und gekünstelt schien.
-
-*Gay-Lussac* hatte dem Chlor als analoges Element das Jod zur Seite
-gestellt. Im Jahre 1826 entdeckte *Balard* das Brom in der Mutterlauge
-des Meerwassers. Er stellte sofort eine ausgedehnte Untersuchung dieses
-Elementes an und erkannte, daß es dem Chlor und Jod vollkommen analog
-sei. Daß auch das Fluor in diese Gruppe gehört und Fluorwasserstoff
-(Flußsäure) dem Chlorwasserstoff entsprechend zusammengesetzt ist,
-sprach zuerst *Ampère* aus. Die Bemühungen, das Fluor zu isolieren,
-hatten der außerordentlichen Affinität dieses Elementes wegen
-zunächst keinen Erfolg. Dieser Versuch, um den sich sowohl *Davy* als
-*Gay-Lussac* vergeblich abmühten, gelang erst *Moissan* durch eine
-passend ausgeführte elektrolytische Zersetzung der Flußsäure. Immerhin
-ist die Erkenntnis der vier Halogene als einer scharf charakterisierten
-Gruppe von Elementen schon während der ersten Jahrzehnte des 19.
-Jahrhunderts erfolgt. Die Erforschung ihrer Glieder ist für die weitere
-Entwicklung der theoretischen nicht minder als der technischen Chemie
-von großer Bedeutung gewesen.
-
-
-
-
-20. Fortschritte in der Anwendung der Mathematik auf die
-Naturwissenschaften.
-
-
-Eine ähnliche Förderung und Durchdringung, wie sie die Physik und die
-Chemie vor allem durch *Gay-Lussac* erfuhr, vollzog sich zwischen der
-Physik und der Mathematik besonders durch *Gauß*.
-
-*Carl Friedrich Gauß* wurde am 30. April 1777 in Braunschweig
-geboren. Sein Vater war Baumeister und Kassenverwalter. Er wird als
-ein sehr tätiger und willensstarker Mann geschildert. Die Mutter war
-fleißig und sorgsam. Sie entstammte gleich dem Vater einer einfachen
-Handwerkerfamilie. Trotz aller vortrefflichen Eigenschaften gelang
-es den Eltern des frühreifen Knaben nicht, zu einigem Wohlstand zu
-gelangen. *Gauß* hätte daher nicht die Gelehrtenlaufbahn einschlagen
-können, wenn ihm nicht von seinem 14. Lebensjahre ab die Unterstützung
-seines Landesfürsten, des Herzogs Ferdinand von Braunschweig, zu Teil
-geworden wäre. Nachdem er das Gymnasium seiner Vaterstadt und das
-dortige Collegium Carolinum besucht hatte, bezog er im Jahre 1795
-die Universität Göttingen. Ihr ist *Gauß* trotz aller aus Berlin und
-Petersburg an ihn herantretenden Verlockungen bis an sein Lebensende
-treugeblieben.
-
-Seine Lehrmeister waren vor allem die Werke von *Newton*, *Euler*
-und *Lagrange*. In seine von 1795 bis 1798 dauernde Studienzeit
-fallen schon einige hervorragende mathematische Entdeckungen. So
-fand er bei seiner Beschäftigung mit der Kreisteilung, kaum 18
-Jahre alt, die Konstruktion des regelmäßigen Siebzehnecks. Er löste
-damit ein Problem, das den Mathematikern seit den Zeiten *Euklids*
-Schwierigkeiten bereitet hatte. Eine ähnliche Bereicherung erfuhr die
-Algebra durch seine 1799 erschienene Abhandlung über »die Zerlegung
-ganzer algebraischer Funktionen in reelle Faktoren ersten oder zweiten
-Grades«[516]. Es handelte sich um den Beweis, daß jede Gleichung m ten
-Grades, also ein Ausdruck von der Form:
-
- X^m + Ax^{m-1} + Bx^{m-2} + .... + M = 0
-
-stets m Wurzeln besitzt, oder daß sie, was dasselbe bedeutet, in m
-Faktoren (x - α), (x - β), (x - γ) usw. zerlegt werden kann, deren
-Produkt der linken Seite des obigen Ausdrucks gleich ist. Dieser
-wichtigste Satz der Theorie der algebraischen Gleichungen, auf dem die
-ganze höhere Algebra beruht, hatte zwar schon *d'Alembert*, *Euler* und
-andere Mathematiker beschäftigt. Der vollkommen strenge Beweis gelang
-indes erst *Gauß*.
-
-Zwei Jahre später folgte das arithmetische Hauptwerk des großen
-Mathematikers, die Disquisitiones arithmeticae (1801). Dies Werk, das
-er seinem hohen Gönner, dem Herzog Ferdinand von Braunschweig widmete,
-besitzt für die Zahlentheorie eine geradezu grundlegende Bedeutung.
-Einige Abschnitte der Disquisitiones wurden neuerdings in deutscher
-Übersetzung herausgegeben[517].
-
-In demselben Jahre, in welchem die Disquisitiones erschienen,
-wurde das unvergleichliche Genie eines *Gauß* auf das astronomische
-Gebiet gelenkt. Am 1. Januar 1801 hatte *Piazzi* den ersten
-Planetoiden entdeckt, den er Ceres nannte. *Piazzi* verfolgte das
-neue Gestirn durch einen Bogen von 9 Graden. Dann verschwand es
-in der Abenddämmerung, und es war sehr fraglich, ob man es bei
-der mangelhaften Kenntnis seiner Bahnelemente wieder auffinden
-werde. *Gauß* hörte von dem Problem, und da er sich gerade mit
-theoretisch-astronomischen Untersuchungen befaßte, so berechnete er
-die Bahn des neuen Planeten nach einer von ihm herrührenden Methode
-und sandte sein Ergebnis an eine astronomische Zeitschrift, welche
-als Sammelstelle[518] alle ihr eingesandten, die Ceres betreffenden
-Berechnungen veröffentlichte. Es war nämlich sehr wichtig, die
-Ephemeride dieses Planeten für den Zeitpunkt zu kennen, wenn man
-seinen Wiederhervortritt aus den Strahlen der Sonne erwarten durfte.
-Die Ephemeride von *Gauß* wurde mit dem wenig schmeichelhaften Zusatz
-veröffentlicht, daß die Redaktion auch ihren Abdruck für geboten halte,
-weil man eben nicht wissen könne, welche Berechnung die richtige sei.
-
-Man kann sich die Überraschung ausmalen, als die Ceres gerade auf Grund
-der Ephemeride von *Gauß*, der den Astronomen noch ganz unbekannt
-war, wieder aufgefunden wurde. Jetzt galt es, die Bahnelemente
-dieses Planeten zu berichtigen. Und wieder war es *Gauß*, der nach
-jedem Bekanntwerden neuer Daten verbesserte Bahnelemente an jene
-astronomische Zeitschrift einsandte. Gewiß nicht ohne das Gefühl
-einer gewissen Beschämung bemerkte die Redaktion schließlich, *Gauß*
-müsse eine völlig neue Methode besitzen, die ihm dasjenige, wozu
-sonst eine umfangreiche Rechnung nötig sei, in wenigen Zügen liefere.
-Diesmal hatte man das Richtige getroffen. Einmal befand sich *Gauß*
-schon damals im Besitze seiner Methode der kleinsten Quadrate, die es
-ihm ermöglichte, in einer Reihe von Beobachtungen den der Wahrheit
-am nächsten kommenden Wert zu berechnen. Ferner hatte er auch neue
-astronomische Methoden gefunden, die es ihm gestatteten, innerhalb
-einer Stunde eine Bahnberechnung auszuführen, zu welcher *Euler* noch
-drei Tage gebraucht hatte[519]. Zur Veröffentlichung dieser neuen
-Methoden schritt *Gauß* erst, nachdem er (1807) zum Professor der
-Mathematik und zum Leiter der Sternwarte in Göttingen ernannt war. Die
-Veröffentlichung erfolgte unter dem Titel: Theoria motus corporum
-coelestium in sectionibus conicis Solem ambientium. Eine deutsche
-Bearbeitung dieses Fundamentalwerkes, das *Gauß* übrigens ursprünglich
-in deutscher Sprache abgefaßt hat, erschien erst 1865[520]. Mit der
-Veröffentlichung der »Theoria motus« begann für die rechnende
-Astronomie ein neues Zeitalter. Man verließ allgemein die älteren
-Methoden, um diejenigen von *Gauß* in Gebrauch zu nehmen. In der
-»Theoria motus« gab *Gauß* auch seine Methode der kleinsten Quadrate
-bekannt, in deren Besitz er sich schon, wie er selbst angab, seit
-1795 befand. Inzwischen war auch *Légendre* auf die gleiche Methode
-gekommen. Er hat sie 1806 in den Worten ausgesprochen[521]: »Sind durch
-Beobachtungen mehr Gleichungen gegeben, als Unbekannte zu bestimmen
-sind, so sind die richtigsten Werte der letzteren diejenigen, für
-welche die Summe der Fehlerquadrate ein Minimum ist.« Von französischer
-Seite wurden deshalb Prioritätsansprüche hinsichtlich dieser Methode
-erhoben und, wenn das Datum der Veröffentlichung allein darüber zu
-entscheiden hätte, gewiß mit Recht. *Gauß* gebührt indessen außer der
-selbständigen und seinen eigenen Angaben nach viel früheren Entdeckung
-das Verdienst, daß er es war, der diese Methode in einem fundamentalen
-Werke[522] wissenschaftlich begründete und die Begriffe schuf, auf
-denen alle neueren Arbeiten über diese Methode beruhen.
-
-Von hervorragender Wichtigkeit sind die Abschnitte der
-Disquisitiones, welche die Rechnung mit Determinanten betreffen[523].
-Die ersten Anfänge dieses wichtigen Hilfsmittels der neueren Mathematik
-finden sich schon bei *Leibniz*. *Leibniz* machte zuerst darauf
-aufmerksam, daß die Kombinationslehre der Algebra bei der Auflösung
-von Gleichungen wertvolle Dienste zu leisten vermöge. Der eigentliche
-Begründer der Determinantenlehre war *Cramer*. Er veröffentlichte 1750
-eine neue Methode, um mit Hilfe der Permutationsrechnung n Gleichungen
-ersten Grades mit n Unbekannten aufzulösen. *Laplace*, sowie *Lagrange*
-knüpften an diese Arbeit weitere Untersuchungen an. Der bedeutendste
-Fortschritt auf dem neu erschlossenen Gebiete erfolgte jedoch durch
-*Gauß*. Von ihm rührt auch der Ausdruck Determinante her. Die neueste
-Entwicklung der Determinantenlehre knüpft an *Jacobi* an, doch müssen
-wir uns auf die bloße Erwähnung seiner Abhandlungen über diesen
-Gegenstand beschränken[524].
-
-Unter den späteren mathematischen Arbeiten von *Gauß* sind besonders
-zwei, wenn auch in aller Kürze, zu berücksichtigen, weil sie sich
-mit physikalischen Problemen befassen. Es sind dies eine Abhandlung
-über die Gestalt von Flüssigkeiten und ein grundlegender Beitrag zur
-Entwicklung der für die neuere mathematische Physik so wichtigen
-Potentialtheorie.
-
-Die Theorie der Flüssigkeiten hatte *Laplace* in einem Anhange zu
-seiner »Mécanique céleste« behandelt. Er hatte angenommen, daß
-zwischen den Flüssigkeitsteilen außer der gewöhnlichen Anziehung,
-welche dem Quadrate des Abstandes umgekehrt proportional ist, noch
-andere anziehende Kräfte wirken. Dieser zweite Teil der Anziehung sei
-ganz unmerklich, sobald es sich um meßbare, wenn auch sehr kleine
-Abstände handele. Dagegen könne diese zweite, Molekularanziehung
-genannte Kraft in unmeßbar kleinen Entfernungen die gewöhnliche
-Anziehung bei weitem übertreffen.
-
-*Laplace* hatte unter dieser Voraussetzung die Eigenschaften der
-Molekularkräfte der Rechnung unterworfen und war auf diesem Wege
-zu einer Erklärung der Kapillarität, sowie der Oberflächenform der
-Flüssigkeiten gelangt. Diese Untersuchungen[525], welche *Gauß* zu den
-»schönsten Bereicherungen« zählte, welche die Naturwissenschaften dem
-großen französischen Mathematiker zu verdanken hätten, waren jedoch in
-wesentlichen Punkten unzureichend und unvollständig geblieben. *Gauß*
-suchte deshalb von neuem, welche Gleichgewichtsform Flüssigkeiten
-annehmen, wenn sie unter dem Einfluß der Schwere und dem Einfluß der
-von ihnen selbst und dem Gefäße ausgeübten Molekularkräfte stehen[526].
-Er verfuhr dabei wesentlich anders als *Laplace*, indem er sich,
-ausgehend von den Grundlagen der Dynamik, des Prinzips der virtuellen
-Bewegungen bediente. Aus der auf diesem Wege abgeleiteten Formel
-vermochte *Gauß* mit Leichtigkeit das Grundphänomen der Kapillarität
-abzuleiten, daß nämlich in zylindrischen Kapillarröhren die Senkung
-oder Hebung einer Flüssigkeit dem Durchmesser des Rohres umgekehrt
-proportional ist. Das zweite der erwähnten mathematischen Werke zeigt
-*Gauß* in engster Beziehung zu einer Theorie, die für die neuere
-mathematische Physik mehr wie jede andere grundlegend geworden ist,
-Es ist die in ihren Anfängen bis in die siebziger Jahre des 18.
-Jahrhunderts zurückreichende Potentialtheorie. Damit der hervorragende
-Anteil, den *Gauß* an der Schöpfung dieser Theorie genommen, gewürdigt
-werden kann, ist es nötig, in aller Kürze auf die Arbeiten seiner
-Vorgänger zurückzugreifen.
-
-Der Ausgangspunkt für die Entwicklung der erwähnten neuen
-mathematischen Disziplin ist *Newtons* Gravitationsgesetz. Mit der
-Auffindung dieses Gesetzes war nämlich eine Reihe von Problemen
-gegeben, die für die Weiterentwicklung der Mathematik eine treibende
-Kraft bedeuteten. Das Gravitationsgesetz, nach welchem die Anziehung
-durch den Ausdruck (m · m')/r^2 bestimmt ist, galt zunächst für zwei
-materielle Punkte oder für zwei materielle Systeme, deren Ausdehnung
-gegenüber der sie trennenden Entfernung nicht in Betracht kommt.
-Solche Systeme ließen sich so betrachten, als ob ihre Massen in den
-beiden Schwerpunkten vereinigt wären und von diesen Punkten in der
-Richtung der Verbindungslinie wirkten. Sobald man aber die Körper als
-materielle Systeme auffaßte, bei denen jeder der unendlich vielen
-Teile dem *Newton*schen Gesetze gemäß auf andere materielle Systeme
-oder, um den einfacheren Fall vorwegzunehmen, auf einen materiellen
-Punkt wirkt, so war damit eine Fülle von Problemen, im wesentlichen
-mathematischer Art, gegeben, die mit den bisherigen Hilfsmitteln
-nicht gelöst werden konnten. Es bedurfte der Einführung einer für die
-Attraktionsrechnung charakteristischen Funktion, die sich auf die
-Summe oder das Integral sämtlicher wirkenden Massenteilchen beziehen
-mußte und die man später als das Potential der Massen bezeichnet hat.
-Vor allem galt es, die Anziehung von Ellipsoiden -- denn mit solchen
-und nicht mit Kugeln hatte es die Astronomie zu tun -- auf einen
-materiellen Punkt zu bestimmen. *Newton* beharrte auch hier bei seinem
-synthetisch-geometrischen Verfahren und fand z. B., daß eine von zwei
-ähnlichen, konzentrischen Ellipsoiden begrenzte homogene Schale auf
-einen beliebigen, in ihrem Innern befindlichen Punkt keine Anziehung
-ausübt.
-
-Ein Fortschritt in der Lösung derartiger Probleme[527] erfolgte
-indessen erst, als *Lagrange* das analytische Verfahren auf die
-zahlreichen, aus dem Attraktionsgesetz entspringenden Aufgaben
-anwandte. *Lagrange* suchte einen allgemeinen Ausdruck für die Kraft,
-mit der ein beliebig gestalteter Körper einen beliebig gelegenen
-Punkt anzieht. Er zeigte, daß die Anziehung, die ein aus einzelnen
-materiellen Punkten bestehendes System ausübt, sich in Komponenten
-zerlegen läßt, die sich als die partiellen Differentialquotienten
-einer Funktion darstellen lassen[528]. Gleichzeitig führte er, um
-die Lösung der Attraktionsaufgaben zu erleichtern, nach dem Vorgange
-*Bernoullis*, Polarkoordinaten ein. Das Ergebnis dieser Bemühungen
-war, daß *Lagrange* die meisten der bis dahin bekannt gewordenen Sätze
-über die Attraktion analytisch zu beweisen vermochte. Auf *Lagrange*
-folgt *Laplace*. Er wandte die von *Lagrange* aufgestellte Funktion
-zuerst auf zusammenhängende Massen an und löste in seiner Théorie
-des attractions des sphéroides et de la figure des planètes[529] das
-vielumworbene Ellipsenproblem, indem er die Anziehung dreiachsiger
-Ellipsoide auf einen außerhalb gelegenen Punkt bestimmte. *Laplace*
-gelangte zu einer Gleichung für die zweiten partiellen Derivierten der
-von *Lagrange* entdeckten und von *Laplace* mit dem noch jetzt üblichen
-Buchstaben V bezeichneten Funktion. Dieser noch heute als *Laplace*sche
-Gleichung bezeichnete Ausdruck lautet:
-
- δ^2V/δx^2 + δ^2V/δy^2 + δ^2V/δz^2 = 0.
-
-In ungeahntem Maße wuchs die Bedeutung des von *Lagrange* und *Laplace*
-geschaffenen Algorithmus, als *Coulomb* nachgewiesen hatte, daß auch
-die magnetischen und die elektrischen Anziehungen dem *Newton*schen
-Gravitationsgesetz entsprechend vor sich gehen. Ein Versuch, die
-Analyse unter Anwendung des Potentialbegriffes auf die Elektrizität und
-den Magnetismus anzuwenden, rührt von dem Engländer *Green* (1793-1841)
-her[530]. Dieser Versuch datiert vom Jahre 1828. Vorangegangen war
-nur *Poisson*, der in einer analytischen Untersuchung die Verteilung
-der Elektrizität an der Oberfläche leitender Körper bestimmt und die
-Herrschaft der Analysis auch auf das Gebiet des Magnetismus auszudehnen
-versucht hatte. An diese Arbeiten *Poissons* und an die von *Laplace*
-gewonnene Differentialgleichung zweiter Ordnung, deren Wichtigkeit
-für alle nach dem *Newton*schen Gesetze wirkenden Kräfte er erkannte,
-knüpfte *Green* an. Ihn beseelte der Wunsch, eine Kraft von solch
-allgemeiner Wirksamkeit wie die Elektrizität, soweit wie möglich, der
-Rechnung zu unterwerfen. Dazu bediente er sich der Analysis, einmal, um
-die »außerordentliche Macht dieses wunderbaren Gedankenwerkzeugs« zu
-offenbaren; dann aber auch, um diese Macht zu vergrößern.
-
-*Green* gebrauchte den Ausdruck Potentialfunktion für jene Funktion,
-die *Laplace* mit V bezeichnete und die *Gauß* später Potential genannt
-hat. Fast alle anziehenden und abstoßenden Kräfte sind nach *Green*
-so geartet, daß folgende Beziehung stattfindet: Wirkt ein Körper auf
-einen materiellen Punkt, so kann die auf diesen Punkt in einer gewissen
-Richtung wirkende Kraft durch einen partiellen Differentialquotienten
-einer gewissen Funktion der Koordinaten, welche die Lage des Punktes im
-Raume darstellen, ausgedrückt werden. Die Betrachtung dieser Funktion
-ist für viele Untersuchungen von großer Bedeutung, deshalb wurde sie
-von *Green* mit einem besonderen Namen bezeichnet[531].
-
-*Green* geht von der *Laplace*schen Gleichung
-
- δ^2V/δx^2 + δ^2V/δy^2 + δ^2V/δz^2 = 0
-
-aus. Sie gilt für jeden außerhalb des Körpers liegenden Punkt, dessen
-Koordinaten x, y, z sind. *Green* führt für diese Gleichung das kürzere
-Symbol δV = 0 ein und zeigt zunächst, daß für einen Punkt im Innern
-des Körpers die Gleichung δV + 4πρ = 0 besteht, δV somit den Wert -4πρ
-annimmt. Dabei ist unter ρ die elektrische Dichtigkeit im Punkte p zu
-verstehen. Die *Laplace*sche Gleichung für einen äußeren Punkt stellte
-sich danach nur als einen speziellen Fall der neuen Gleichung δV +
-4πρ = 0 dar, da ρ für einen äußeren Punkt = 0 wird. Beim Durchgange
-durch die Oberfläche macht somit die Potentialfunktion einen Sprung
-um 4πρ. Das Ergebnis der *Green*schen Untersuchung gipfelt darin,
-daß sich die elektrische Dichtigkeit aus der Potentialfunktion und
-letztere aus jener berechnen läßt. Nachdem *Green* die allgemeinsten
-Grundlehren der Elektrizitätstheorie und im Zusammenhange damit
-wichtige funktionstheoretische Sätze[532] entwickelt hatte, ging er
-zu einigen besonderen Fällen über. Die erste Anwendung betraf die
-*Leydener* Flasche. Es ergab sich folgendes: Grenzt man durch eine
-geschlossene Kurve ein Stück der inneren Belegung ab, und schneidet man
-ferner ein korrespondierendes Stück aus der äußeren Belegung heraus,
-indem man längs der ganzen Kurve Normalen errichtet, so ist die Summe
-der Ladungen auf diesen korrespondierenden Flächenstücken gleich Null.
-Die Flächenstücke haben nämlich gleiche und entgegengesetzte Ladungen,
-die sich gegenseitig genau neutralisieren[533].
-
-Mit den experimentell gefundenen Tatsachen vollkommen übereinstimmende
-Ergebnisse erhielt *Green* ferner, als er seine Theorie auf die
-Influenzerscheinungen anwandte. *Green* betrachtet zunächst den Fall,
-daß eine vollkommen leitende, hohle Schale von irgend welcher Form und
-Dicke der Wirkung beliebiger, außerhalb befindlicher, elektrischer
-Körper ausgesetzt ist. In der Schale wird dann ein elektrischer
-Zustand induziert, dessen Wirkung auf einen im Innern befindlichen,
-mit Elektrizität geladenen Punkt, wie *Green* berechnet, gleich Null
-ist[534].
-
-*Green* betrachtet dann den Fall, daß zwei Kugeln von verschiedenem
-Radius durch einen dünnen langen Draht verbunden werden. Er untersucht
-das Verhältnis ihrer Ladungen beim Gleichgewicht. Die Rechnung ergibt,
-daß sich die mittleren elektrischen Dichtigkeiten umgekehrt wie die
-Radien der Kugeln verhalten. Läßt man den Radius der einen Kugel
-darauf unendlich klein werden, so hat man den besonderen Fall der
-Spitzenwirkung[535].
-
-*Greens* Arbeit hatte ein merkwürdiges Schicksal. Da *Green* in
-ländlicher Abgeschiedenheit das Geschäft seines Vaters verwaltete
-und der gelehrten Welt unbekannt blieb, so wurden seine Abhandlungen
-weder in England noch auf dem Festlande beachtet. Sie gerieten in
-Vergessenheit, bis die in ihnen enthaltenen wichtigen Ergebnisse durch
-*Gauß* von neuem entdeckt wurden. Erst dann lenkte der Physiker *W.
-Thomson*, um seinem Lande die Priorität zu wahren, die Aufmerksamkeit
-auf *Greens* Abhandlungen und veröffentlichte die wichtigste von
-neuem[536]. Eine deutsche Übersetzung erschien in *Ostwalds*
-Klassikern[537].
-
-Die neueste Entwicklung der Potentialtheorie als einer selbständigen
-mathematischen Disziplin beginnt im Jahre 1849 mit dem Erscheinen der
-grundlegenden Abhandlung von *Gauß*[538]. Dem großen Deutschen gelang
-es, nicht nur die wichtigsten von ihm gefundenen Sätze zum ersten Male
-streng zu beweisen, sondern die Theorie durch neue wichtige Sätze
-in solchem Grade zu bereichern, daß sie für die Physik und für die
-Funktionenlehre fortan die größte Bedeutung besaß.
-
-*Gauß* entwickelte in jener Abhandlung allgemeine Sätze, die sowohl
-für die Gravitation als auch für die wichtigsten elektrischen und
-magnetischen Erscheinungen gelten. In dem Ausdruck (mm')/r^2 bedeuten
-also m und m' entweder ponderable Materie oder die Mengen einer
-magnetischen oder drittens die Mengen einer elektrischen Flüssigkeit,
-die aufeinander eine, sei es anziehende, sei es abstoßende Kraft
-ausüben. Ausgeschlossen blieb die Wirkung des galvanischen Stromes auf
-das magnetische Fluidum, weil hier die Kraft nicht in der verbindenden
-Geraden wirkt und weil ihre Stärke nicht allein von der Entfernung,
-sondern auch von einem Winkel abhängt. Ausgeschlossen blieb auch die
-Wirkung, welche zwei Stromelemente aufeinander ausüben. Und zwar
-geschah dies wegen der Abhängigkeit der Erscheinungen von der Richtung
-der Stromelemente, die im übrigen in der verbindenden Geraden und dem
-Quadrate der Entfernung umgekehrt proportional aufeinander einwirken.
-*Gauß* beschränkt sich also auf die drei zuerst genannten Fälle und
-versteht unter Masse nichts weiter als dasjenige, wovon Anziehung oder
-Abstoßung ausgeht.
-
-Wirken solche anziehenden oder abstoßenden Kräfte m^0, m', m'' usw. auf
-denselben Punkt aus den Entfernungen r^0, r', r'' usw., so existiert
-eine Funktion V, die gleich der Summe aller m/r ist. Diese Funktion
-nennt *Gauß* das Potential der Massen. Es ist, in Worten ausgedrückt,
-die Summe aller wirkenden Massenteilchen, jedes durch seine Entfernung
-von jenem Punkte dividiert. Aus ihr lassen sich die Komponenten der
-ganzen auf den Punkt wirkenden Kraft ableiten. Diese Kraft p ist
-gegeben durch den Ausdruck:
-
- p = √ ((δdV/δx)^2 + (δV/δy)^2 + (δV/δz)^2).
-
-*Gauß* führte darauf einen Begriff ein, der in seinen und den späteren
-Untersuchungen für die Potentialtheorie von der größten Bedeutung
-wurde. Er dachte sich durch alle Punkte, in denen das Potential ein und
-denselben Wert hat, eine Fläche gelegt. Eine solche Fläche scheidet den
-Raum, in welchem das Potential kleiner ist von demjenigen, wo es größer
-ist als der in jener Fläche herrschende Wert. Die Richtung der Kraft
-wird ferner in jedem Punkte einer solchen »Gleichgewichtsfläche« gegen
-die Fläche selbst normal sein. Die von *Gauß* als Gleichgewichtsflächen
-bezeichneten Flächen konstanten Potentials werden heute als
-»Niveauflächen« und die senkrecht zu einer Folge solcher Flächen
-stehenden Linien (die orthogonalen Trajektorien) als »Kraftlinien«
-bezeichnet.
-
-*Gauß* zeigte auch, daß für alle Punkte des Raumes, die außerhalb
-der wirkenden Massen liegen, die *Laplace*sche Gleichung gilt. Liegt
-ein Punkt von der Dichte k im Innern des Körpers, so ergab sich in
-Übereinstimmung mit *Green*, daß der *Laplace*sche Ausdruck die Form
--4πk annimmt. Bis dahin bietet *Gauß* also wenig Neues, doch sind seine
-Ableitungen bekannter Sätze einfacher und strenger als die früheren.
-
-Unter den vielen neuen Sätzen, die *Gauß* entdeckte, ist einer
-der wichtigsten derjenige, den man den Satz von der äquivalenten
-Massentransportation genannt hat. Er lautet: Anstatt einer beliebigen
-gegebenen Massenverteilung D, die entweder bloß auf den inneren von
-einer geschlossenen Fläche S begrenzten Raum beschränkt ist oder bloß
-auf den äußeren Raum, läßt sich eine Massenverteilung E bloß auf die
-Fläche selbst substituieren. Dies hat zur Folge, daß die Wirkung von
-E der Wirkung von D gleich wird in allen Punkten des äußeren Raumes
-für den ersten Fall oder in allen Punkten des inneren Raumes für den
-zweiten. Von diesem Satze hat *Gauß*, wie wir sogleich des näheren
-sehen werden, in seiner berühmten Abhandlung über die Intensität des
-Erdmagnetismus eine Anwendung gemacht.
-
-Wir gelangen damit zu einer neuen Phase in der wissenschaftlichen
-Entwicklung des großen Forschers. Durch *Alexander von Humboldt* war
-*Gauß* mit dem Physiker *Wilhelm Weber* bekannt geworden. Nachdem
-*Gauß* bewirkt hatte, daß *Weber* nach Göttingen berufen wurde,
-entstand zwischen beiden Männern ein ähnliches Verhältnis, wie es
-später zwischen *Kirchhoff* und *Bunsen* geherrscht hat.
-
-*Gauß* und *Weber* nahmen gemeinsam, ihren Fähigkeiten entsprechend
-und sich dadurch gegenseitig ergänzend, ein Gebiet in Angriff, das
-der wissenschaftlichen Bearbeitung noch wenig erschlossen war. Es
-war das Gebiet des Erdmagnetismus. Existierten doch für diese Kraft
-damals weder geeignete Meßapparate, noch zusammenhängende, planmäßig an
-verschiedenen Orten angestellte Beobachtungen. Eine Änderung wurde erst
-durch das Vorgehen von *Gauß* und *Weber* herbeigeführt. In Göttingen
-entstand das erste magnetische Observatorium. Im Verein mit *Humboldt*
-vermochten *Gauß* und *Weber* nicht nur die deutschen, sondern auch
-die auswärtigen Regierungen für die Sache zu gewinnen. Infolgedessen
-wurde ein magnetischer Verein gegründet und ein Netz von Observatorien,
-die sämtlich nach dem Vorbilde der Göttinger Anstalt errichtet waren,
-über die ganze Erde ausgebreitet. Die Übereinstimmung ging so weit, daß
-nicht nur mit den Apparaten und nach den Angaben von *Gauß* beobachtet
-wurde, sondern daß man sich auf allen Observatorien der Göttinger Zeit
-bediente und sämtliche Beobachtungsergebnisse nach Göttingen sandte, wo
-sie von 1836-1841 als »Resultate aus den Beobachtungen des magnetischen
-Vereins« veröffentlicht wurden. Auf diese Resultate baute *Gauß* seine
-allgemeine Theorie des Erdmagnetismus[539] auf. Es wurde zum ersten
-Male das magnetische Moment der Erde nach absolutem Maße bestimmt
-und für die Lehre vom Erdmagnetismus das geschaffen, was *Newton*
-in seinen »Prinzipien« für die Gravitationstheorie geleistet hatte.
-Ferner erschien auf Grund der vom magnetischen Verein gesammelten
-Beobachtungen im Jahre 1840 ein »Atlas des Erdmagnetismus.«
-
-Die theoretische Grundlage für die sämtlichen, ein Jahrzehnt
-umfassenden und so viele Kräfte beanspruchenden erdmagnetischen
-Untersuchungen hat *Gauß* in seiner Abhandlung über die Intensität der
-erdmagnetischen Kraft geschaffen. Für die Messungen selbst schuf er in
-seinem Bifilarmagnetometer das geeignetste Werkzeug.
-
-Die Abhandlung erschien im Jahre 1832. Sie besitzt nicht nur für das
-Gebiet des Magnetismus, sondern, da sie die Grundzüge des absoluten
-Maßsystems enthält, für die gesamte Physik eine solch außerordentliche
-Bedeutung, daß wir uns etwas eingehender mit ihrem Inhalt beschäftigen
-müssen[540].
-
-Zur vollständigen Bestimmung der erdmagnetischen Kraft an einem
-gegebenen Orte sind drei Elemente erforderlich, die Deklination, die
-Inklination und die Stärke (Intensität). Die größte Aufmerksamkeit
-hatte man ihrer Bedeutung für die Schiffahrt wegen der Deklination
-geschenkt; geringere Beachtung hatte die Inklination gefunden. Auf
-die Stärke des Erdmagnetismus als drittes, zunächst übersehenes
-Element, wurde besonders von *Alexander v. Humboldt* hingewiesen.
-Dieser hatte auf seinen Reisen festgestellt, daß ein und dieselbe
-Magnetnadel an verschiedenen Orten schneller oder langsamer schwingt.
-Er hatte daraus geschlossen, daß die Intensität der die Schwingungen
-veranlassenden erdmagnetischen Kraft bald größer, bald geringer sei
-und im allgemeinen mit der Annäherung gegen die magnetischen Pole
-zunehme. Das von *Humboldt* vorgeschlagene Verfahren gestattete aber
-nur relative Messungen und war außerdem mit manchen Fehlerquellen
-behaftet. Infolgedessen konnte es auf wissenschaftliche Zuverlässigkeit
-keinen Anspruch machen. Die Anzahl der Schwingungen, die eine Nadel
-macht, hängt nämlich nicht nur von der erdmagnetischen Kraft, sondern
-ebensosehr von dem magnetischen Zustand der Nadel und endlich auch von
-dem jeder Nadel zukommenden Trägheitsmomente ab. Wählte man zu den
-Schwingungsversuchen auch dieselbe Nadel, um Verschiedenheiten des
-Trägheitsmomentes auszuschließen, so konnte doch bei längeren Reisen
-die magnetische Kraft der Nadel eine Schwächung erfahren. Dieser
-Umstand würde auch ohne eine Verminderung der Kraft des Erdmagnetismus
-eine Verlangsamung der Schwingungen herbeiführen und zu falschen
-Schlüssen Anlaß geben. Endlich ließ sich vermuten, daß nicht nur die
-Deklination und die Inklination, sondern daß auch die Intensität für
-ein und denselben Ort langsame Änderungen erfährt. Offenbar verlor,
-sobald es sich um diese Frage handelte, das *Humboldt*sche Verfahren
-jede Gültigkeit.
-
-*Gauß* mußte daher, nachdem er diese Mängel der vergleichenden Methode
-erkannt hatte, an ihre Stelle eine neue setzen. Und zwar galt es, sich
-von den zufälligen Verschiedenheiten der Nadeln unabhängig zu machen
-und die Intensität des Erdmagnetismus auf feststehende Einheiten
-zurückzuführen. *Gauß* verfuhr dabei nach folgenden Gesichtspunkten.
-Die Anzahl der Schwingungen, die eine Nadel in einer gegebenen
-Zeit ausführt, hängt von drei Größen ab, nämlich von der Stärke
-des Erdmagnetismus, von dem Moment des in der Nadel enthaltenen
-freien Magnetismus und endlich von ihrem Trägheitsmomente. Besaß der
-schwingende Körper eine bestimmte Form und war er in seiner Masse
-überall von gleicher Beschaffenheit, so ließ sich das Trägheitsmoment
-nach bekannten Methoden berechnen. *Gauß* zog es jedoch vor, das
-Trägheitsmoment auf empirischem Wege zu bestimmen. Und zwar geschah
-dies, indem er die Nadel unter der Wirkung ein und derselben Kraft
-einmal im belasteten und dann im unbelasteten Zustande schwingen ließ.
-Die Verzögerung in der Schwingungsdauer, welche eine bekannte Last
-in einer bestimmten Entfernung von der Achse hervorrief, gab ihm ein
-Mittel an die Hand, das Trägheitsmoment der Nadel aufs genaueste zu
-bestimmen, auch wenn diese mit einer verwickelten Zurüstung, z. B.
-einem Spiegel zum Ablesen der Schwingungen, versehen war.
-
-Größere Schwierigkeiten bot die Bestimmung des magnetischen Moments
-der Nadel. Sie ließen sich nur durch die Einführung des absoluten
-Maßsystems bewältigen. *Gauß* bediente sich hierbei der bekannten
-Vorstellung von den magnetischen Flüssigkeiten. Der hypothetische
-Charakter einer solchen Annahme hatte auf den Gang und die Ergebnisse
-seiner Untersuchung keinen Einfluß. Die magnetischen Flüssigkeiten
-lassen sich nur an ihren Wirkungen erkennen und messen. Diese Wirkungen
-sind bewegende Kräfte, die einer bestimmten Masse eine gewisse
-Beschleunigung erteilen. Als Grundeinheiten für Länge, Masse und Zeit
-wählte *Gauß* das Millimeter, das Milligramm und die Sekunde[541].
-*Gauß* dehnte das für die Mechanik auf solche Grundeinheiten schon vor
-ihm aufgebaute System zum ersten Male auf magnetische Messungen aus. Er
-tat dies, indem er als Einheit der magnetischen Flüssigkeit diejenige
-Menge definierte, deren abstoßende Wirkung auf eine andere, ihr
-gleiche, in der Einheit der Entfernung befindliche Menge magnetischer
-Flüssigkeit gleich 1 ist, d. h. gleich der Wirkung der beschleunigenden
-Kraft 1 auf die Masse 1. Sind die Magnetismen verschiedenartig,
-so tritt unter im übrigen gleichen Verhältnissen an Stelle der
-Abstoßung eine gleich große Anziehung. Daß für diese Wirkungen der von
-*Coulomb* gefundene Ausdruck (mm')/r^2 gilt, wurde von *Gauß* zunächst
-vorausgesetzt, später aber durch seine Beobachtungen selbst bestätigt.
-
-Für die Beurteilung des magnetischen Zustandes der Nadel war das
-von *Gauß* in seinen »allgemeinen Lehrsätzen« bewiesene Theorem
-der Massentransportation[542] ausschlaggebend. Es lautet in seiner
-Anwendung auf das in Frage stehende Gebiet: Wie auch immer die
-Verteilung des freien Magnetismus innerhalb eines Körpers sich
-verhalten mag, stets kann man an deren Stelle eine andere Verteilung
-an der Oberfläche des Körpers setzen, die auf ein außerhalb gelegenes
-Element magnetischer Flüssigkeit vollständig dieselben Kräfte ausübt
-wie jene vorhandene Verteilung.
-
-Es galt, nach der Festsetzung der magnetischen Einheit die Intensität
-des Erdmagnetismus durch diejenige bewegende Kraft auszudrücken, welche
-der Erdmagnetismus auf jene Einheit ausübt. Man konnte sich dabei auf
-die Bestimmung der Horizontalintensität beschränken. Dividierte man
-diese durch den Cosinus der Inklination, so erhielt man den gesuchten
-vollen Wert für die Kraft des Erdmagnetismus.
-
-Zu seinem Ziele gelangte *Gauß* durch folgenden Kunstgriff: Er
-verglich[543] die Wirkung des Erdmagnetismus auf eine bewegliche Nadel
-mit derjenigen Wirkung, die eine zweite Nadel auf die erste im Zustande
-der Bewegung oder im Zustande des Gleichgewichts hervorruft.
-
-Als Wert der Intensität der horizontalen magnetischen Kraft ergab sich
-z. B. für Göttingen und für den 18. September des Jahres 1832
-
- T = 1,7821.
-
-Das bedeutet in Worten: Sie war für einen mit der Einheit des freien
-Magnetismus versehenen Magnetstab gleich dem Drucke, den 1,7821
-Krafteinheiten an einem Hebelarme von einem Millimeter Länge bewirken.
-Unter Krafteinheit ist nach dem von *Gauß* aufgestellten absoluten
-Maßsystem diejenige Kraft zu verstehen, welche der Masse eines
-Milligramms in der Sekunde die Geschwindigkeit von einem Millimeter
-erteilt.
-
-Um die ganze Intensität zu finden, war der gefundene Wert von 1,7821
-Krafteinheiten noch durch den Cosinus der Inklination zu dividieren.
-Letztere betrug im Sommer des Jahres 1832 in Göttingen 68°22'52''.
-
-Die auf Anregung von *Gauß* und *Weber* über alle Erdteile ausgedehnten
-Messungen der erdmagnetischen Kraft lieferten das allgemeine Ergebnis,
-daß diese Kraft mit der Annäherung gegen die Pole zunimmt und in der
-Nähe der magnetischen Pole etwa 1,5mal so groß ist wie am magnetischen
-Äquator. Auch zeigte sich, wie zu erwarten war, daß die Intensität
-an ein und demselben Orte wie die Deklination und die Inklination
-täglichen und säkularen Schwankungen unterworfen ist.
-
-Mit Recht sagt *Gauß* am Schlusse seiner Abhandlung, indem er die
-*Ampère*sche Theorie des Magnetismus streift, welche Auffassung man
-auch künftig von den magnetischen Erscheinungen hegen werde, sie müsse
-zu demselben Ergebnis führen, zu dem er mit Hilfe der Theorie von den
-magnetischen Flüssigkeiten gelangt sei. »Was auf Grund dieser Theorie«,
-mit diesen Worten schließt er, »in der vorliegenden Abhandlung
-entwickelt wurde, kann nur in der Form, nicht aber im Wesen geändert
-werden«.
-
-Ein Wort sei noch den technischen Schwierigkeiten gewidmet, die *Gauß*
-und *Weber* bei der Durchführung ihrer erdmagnetischen Messungen
-zu überwinden hatten. Vor allem mußten sich ihre Bemühungen darauf
-richten, daß sie die Schwingungszeiten und die Richtungen der Nadeln
-weit genauer bestimmten, als es bisher geschehen war. Sie erfanden
-daher die bei erdmagnetischen Messungen zuerst erprobte Methode der
-Winkelmessung mit Spiegel, Skala und Fernrohr, eine Methode, welche
-für die moderne Beobachtungskunst von bleibendem, unvergleichlich
-hohem Wert geworden ist. Ferner galt es, die zur Anwendung kommenden
-Meßapparate vor jedem Luftzug und vor allem vor der Einwirkung von
-Eisen zu schützen. Bei dem Bau von magnetischen Observatorien wurde
-deshalb dem Vorschlag von *Gauß* und *Weber* entsprochen und jede
-Verwendung von Eisen ausgeschlossen. Auf diese Weise gelang es ihnen,
-ihren Messungen, wie *Gauß* sich ausdrückt, die Schärfe astronomischer
-Beobachtungen zu geben.
-
-Endlich sei noch einiges über den von *Gauß* für die Ausführung seiner
-Versuche geschaffenen Apparat, das Magnetometer, gesagt. Es besteht
-aus einem hängenden Magnetstabe (s. Abb. 57) und einem Fernrohr zum
-Beobachten der Schwingungen. Der Magnetstab ist mit einem Spiegel (a)
-versehen, der genau senkrecht zur Achse angebracht ist. Dem Spiegel
-gegenüber befindet sich in einiger Entfernung von dem Magneten das
-Fernrohr, dessen optische Achse gegen die Mitte des Spiegels gerichtet
-ist. Unter dem Fernrohr ist eine Skala (SS) angebracht. Sie bildet
-mit dem magnetischen Meridian einen rechten Winkel, ist also parallel
-zum horizontalen Durchmesser des Spiegels gerichtet. Der Mittelpunkt
-jener Skala und die optische Achse des Fernrohrs liegen in derselben
-Vertikalebene. Die Skala ist ferner so angebracht, daß ihre Teilpunkte
-durch den Spiegel in das Fernrohr geworfen werden.
-
-[Illustration: Abb. 57. Das von *Gauß* zum Messen der erdmagnetischen
-Kraft erfundene Magnetometer.]
-
-Der Gebrauch dieses Apparates ist hiernach leicht verständlich. Man
-versetzt den Magneten durch Annäherung eines zweiten Magneten in
-kleine Schwingungen. In dem Fernrohr erscheinen dann nacheinander die
-Teilstriche der Skala. Die Dauer einer Schwingung ergibt sich, wenn
-man die Zeit bestimmt, die bis zum Wiedererscheinen eines bestimmten
-Teilstrichs im Fadenkreuz des Fernrohrs verfließt.
-
-Neben der Astronomie und der Physik gibt es noch ein drittes Gebiet,
-welches durch das mathematische Genie von *Gauß* in hohem Grade
-gefördert wurde. Es ist die der Astronomie so nahe verwandte Geodäsie.
-*Gauß* wurde dieser Wissenschaft durch folgende Veranlassung zugeführt.
-Der ihm befreundete dänische Astronom *Schumacher* (1780 in Holstein
-geboren, also der Stammeszugehörigkeit nach ein Deutscher) hatte im
-Auftrage seiner Regierung eine Triangulation von Schleswig-Holstein
-vorgenommen. Man beschloß nun in Hannover die Fortsetzung dieses
-Unternehmens von Altona bis zu den südlichen Grenzen des Königreiches
-und beauftragte *Gauß* mit der Ausführung dieser gewaltigen, den
-Zeitraum von 24 Jahren in Anspruch nehmenden Arbeit, der sich *Gauß*
-von 1821-1827 fast ausschließlich widmete. Das Ergebnis war ein
-Verzeichnis von nicht weniger als 2578 festgelegten Punkten. Wichtiger
-als dieser praktische, nur einem kleinen Lande erwiesene Dienst war
-die Förderung, welche die Geodäsie durch die mit dieser Vermessung
-verknüpfte Bereicherung an neuen Methoden erfuhr. *Gauß* selbst bemerkt
-in dieser Hinsicht, daß er nicht nur in bezug auf die Art, wie die
-Messungen angestellt wurden, sondern noch mehr in bezug auf ihre
-nachherige Verarbeitung und mathematische Behandlung Wege eingeschlagen
-habe, die von den sonst gebräuchlichen erheblich abwichen[544].
-
-Zunächst ist hervorzuheben, daß *Gauß* seine Methode der kleinsten
-Quadrate für geodätische Zwecke in die Form brachte, in der sie seitdem
-in der Geodäsie allgemein angewandt wird.
-
-Mit den Aufgaben der höheren Geodäsie hängen zwei wichtige
-mathematische Abhandlungen zusammen, die *Gauß* in den zwanziger
-Jahren des 19. Jahrhunderts veröffentlichte. Die erste dieser
-Abhandlungen steht mit der Kartenprojektion in enger Beziehung. Sie
-wurde durch eine von der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu
-Kopenhagen im Jahre 1822 gestellte Preisaufgabe veranlaßt und enthält
-die allgemeine Lösung folgender Aufgabe: Die Teile einer gegebenen
-Fläche sind auf einer anderen gegebenen Fläche so abzubilden, daß
-die Abbildung dem Abgebildeten in den kleinsten Teilen ähnlich wird.
-Diese für die Kartographie grundlegende Aufgabe hatte sich schon
-*Lambert* gestellt[545]. Er hatte sich jedoch auf die Kugeloberfläche
-und die Ebene beschränkt und eine allgemeine Lösung nicht zu geben
-vermocht. Sie blieb den großen Mathematikern *Lagrange* und *Gauß*
-vorbehalten[546]. Die geforderte Art der Abbildung hat *Gauß* als
-»konform« (neuerdings sagt man »winkeltreu«) bezeichnet. Nachdem *Gauß*
-die allgemeine Auflösung des Problems gegeben, betrachtet er einige
-besondere Fälle. Er untersucht die konforme Abbildung von ebenen
-Flächenstücken aufeinander und zeigt, wie man eine Karte, die in den
-Einzelheiten gut, im ganzen aber etwas verzerrt ist, in eine bessere
-verwandeln kann, wenn man die richtige Lage einer Anzahl von Punkten
-kennt. Es folgen die Darstellung eines Kegels, einer Kugel und eines
-Rotationsellipsoids in der Ebene. Den Schluß bildet die Darstellung
-des Rotationsellipsoids auf einer Kugelfläche. Durch diese Ableitungen
-von konformen Abbildungen wurden die umständlichen Rechnungen auf dem
-Erdsphäroid weit einfacher gestaltet als es bei den bisherigen Methoden
-möglich war.
-
-In einem, wenn auch weniger engen Zusammenhange mit den Aufgaben der
-höheren Geodäsie steht die von *Gauß* im Jahre 1827 herausgegebene
-Flächentheorie[547]. *Gauß* beschäftigt sich in dieser Abhandlung
-besonders mit der Krümmung der Flächen. Er führt vor allem den Begriff
-des Krümmungsmaßes ein, indem er die Teile der krummen Fläche mit dem
-entsprechenden Oberflächenstück einer festen Hilfskugel vergleicht. Es
-ist leicht ersichtlich, daß letzteres Stück um so kleiner sein wird,
-je weniger das entsprechende Stück der krummen Fläche von der Ebene
-abweicht. Außer dem Krümmungsmaß betrachtet *Gauß* in der erwähnten
-Abhandlung die Konstruktion von Figuren auf krummen Flächen, die
-Winkel und den Flächeninhalt solcher Figuren, die Verbindung von
-Flächenpunkten durch kürzeste Linien usw., alles Aufgaben, die für
-die Geodäsie von der größten Bedeutung sind. Insbesondere gilt dies
-von der Untersuchung der durch kürzeste Linien gebildeten Dreiecke,
-durch welche die sphärische Trigonometrie gefördert wurde. Solche
-Linien hat man geodätische Linien und die aus ihnen gebildeten
-Dreiecke geodätische Dreiecke genannt. Von den *Gauß*schen Sätzen über
-geodätische Linien und Dreiecke sind vor allem folgende wichtig: Wenn
-auf einer krummen Fläche von einem Punkte aus ein System geodätischer
-Linien von gleicher Länge gezogen wird, so steht die ihre Endpunkte
-verbindende Linie zu allen Linien des Systems senkrecht[548]. Zieht man
-auf einer krummen Fläche eine beliebige Linie und läßt man von dieser
-Linie unter rechten Winkeln und nach derselben Seite hin ein System
-geodätischer Linien von gleicher Länge ausgehen. so schneidet die
-Kurve, welche ihre Endpunkte verbindet, sämtliche geodätische Linien
-rechtwinklig[549].
-
-Besondere Erwähnung verdient auch der Satz, daß der Überschuß der
-Summe der Winkel eines aus geodätischen Linien gebildeten Dreiecks
-über zwei Rechte der Gesamtkrümmung des Dreiecks gleich ist[550].
-Für eine ganze Reihe weiterer geodätischer Untersuchungen ist der am
-Schlusse der Abhandlung geführte Vergleich der geodätischen Dreiecke
-mit geradlinigen Dreiecken von gleicher Seitenlänge grundlegend gewesen.
-
-Die beiden soeben nach Ziel und Inhalt kurz charakterisierten
-Abhandlungen über die konforme Abbildung von Flächen (Kartenprojektion)
-und die Linien und Stücke krummer Flächen (geodätische Linien und
-Dreiecke) können als Bruchstücke eines größeren Werkes betrachtet
-werden, das *Gauß* über die Geodäsie zu schreiben gedachte. Dies Werk
-sollte nach Art des von ihm geschaffenen astronomischen Hauptwerkes,
-der Theoria motus corporum coelestium vom Jahre 1809, die gesamten
-Grundlagen der Geodäsie entwickeln und die Triangulation des
-Königsreichs Hannover als großes Beispiel, an welchem die Theorien
-erläutert werden sollten, enthalten. Leider ist dieser Plan nicht zur
-Ausführung gekommen. Trotzdem sind die Verdienste, die sich *Gauß*
-um die Entwicklung der Geodäsie erworben, unübertroffen. Durch ihn
-wurde diese Wissenschaft, die bisher nicht viel mehr als gewöhnliche
-Feldmeßkunst gewesen, der Astronomie im Range gleichgestellt. So
-wurde z. B. bei jener Triangulation das sphärische Dreieck, dessen
-Fläche sich auf 53 Quadratmeilen belief, mit einer solchen Genauigkeit
-gemessen, daß die wirkliche Winkelsumme von der berechneten nur um zwei
-Zehntel Sekunden abwich[551]. Um Dreiecke von solcher Größe ausmessen
-zu können, schuf *Gauß* in dem Heliotrop einen neuen geodätischen
-Apparat. Seine Konstruktion stützt sich auf einen katoptrischen Satz,
-der aus Abb. 58 leicht ersichtlich ist. Er lautet: Wenn von einem
-genügend weit entfernten, leuchtenden Punkte ein Strahl SA auf zwei
-zu einander senkrecht stehende Spiegel (MN und PQ) fällt, so wird
-er nach entgegengesetzten Richtungen AC und AB reflektiert[552].
-
-Eine solche Spiegelkombination brachte *Gauß* vor seinem bei
-Vermessungen dienenden Fernrohr an. Die Kombination wurde so gedreht,
-daß der eine Strahl, z. B. AC, in die Achse des Fernrohrs gelangte.
-In diesem Falle wurde der andere Strahl AB nach dem Orte hingeworfen,
-nach dem das Fernrohr gerichtet war und konnte dort zur Einstellung
-eines zweiten Fernrohrs benutzt werden. Natürlich mußten in dem
-Spiegelapparat geeignete Öffnungen freigelassen werden, durch welche
-die Achse des Fernrohrs hindurchging. *Gauß* erfand das Heliotrop im
-Jahre 1821. Er konnte es also für die vorzunehmende Triangulation
-sofort zur Verfügung stellen.
-
-[Illustration: Abb. 58. Das dem *Gauß'*schen Heliotrop zu Grunde
-liegende Gesetz.]
-
-Nicht nur die Meßkunst, sondern auch das praktische Rechnen erfuhr
-durch *Gauß* eine wesentliche Förderung. Dies geschah dadurch, daß
-er Tafeln zur bequemen Berechnung der Logarithmen von Summen oder
-Differenzen zweier Größen, die selbst nur durch ihre Logarithmen
-gegeben sind, herausgab. *Gauß* wandte sich auch gegen den zwecklosen
-Gebrauch vielstelliger Logarithmentafeln. Es kamen zehn-, vierzehn-,
-selbst zwanzigstellige vor. *Gauß* sprach sich für den Gebrauch von
-fünfstelligen Tafeln aus, weil die Fälle, wo sie ausreichen, häufig,
-ja die häufigsten seien und so scharfe Rechnungen, welche den Gebrauch
-vielstelliger Tafeln rechtfertigen würden, in der Praxis des Astronomen
-nicht vorkämen.
-
-Von *Gauß* hat man gesagt, er habe lange auf einsamer Höhe gewandelt.
-Es lag das daran, daß er es nicht verstand, die Ergebnisse seiner
-Forschungen zum Allgemeingut zu machen. Seiner wissenschaftlichen
-Tätigkeit gegenüber trat bei ihm das akademische Lehramt sehr zurück.
-Er besaß nur wenige Schüler, da ihm nur wenige zu folgen vermochten.
-Auch seine Schriften wurden von den zeitgenössischen Fachleuten
-zu wenig beachtet; ferner blieben wichtige Entdeckungen mitunter
-Jahrzehnte in seinem Schreibpult vergraben. Dieser sonderbare Egoismus
-in wissenschaftlichen Dingen -- wohl die einzige Schattenseite des
-Geistesriesen -- ging so weit, daß er wiederholt erklärte, er stelle
-seine Untersuchungen nur seiner selbst wegen an, und es sei für ihn
-von untergeordneter Bedeutung, ob seine Arbeiten zur Belehrung anderer
-später im Druck erschienen[553]. *Gauß* veröffentlichte nichts, was er
-nicht zum Abschluß gebracht hatte. Daher erscheint jede seiner Arbeiten
-als ein vollendetes Kunstwerk, an welchem man von den Zurüstungen und
-Hilfsmitteln, die zu dem Aufbau führten, nichts mehr bemerkt. Dieser
-Umstand hat das Studium der *Gauß*schen Schriften sehr erschwert. Als
-man einst dem Verfasser den Vorwurf allzu großer Schwierigkeit machte,
-erklärte er, man dürfe dem fertigen Gebäude nichts mehr vom Baugerüst
-ansehen. Mit Recht ist ihm darauf erwidert worden, daß man doch
-wenigstens eine Tür zu sehen wünsche, um hineinzugelangen.
-
-Im Jahre 1855 verschied *Gauß*. Eine zur Erinnerung an ihn vom König
-gestiftete Denkmünze trägt die Inschrift: Dem Könige der Mathematiker.
-Nach seinem Tode sind die Werke von *Gauß* dadurch zugänglicher
-geworden, daß sie von vielen Seiten kommentiert wurden. Sie erschienen
-von 1863-1874 in einer Gesamtausgabe[554]. Wir verlassen *Gauß* mit
-einigen Worten eines Nachrufs den ihm einer der bedeutendsten unter den
-neueren Mathematikern[555] gewidmet hat: »Unter allen Werken von *Gauß*
-ist keins, das nicht in dem betreffenden Fache einen wesentlichen
-Fortschritt durch neue Methoden und neue Ergebnisse begründete.
-Sie sind Meisterwerke, welche den Stempel der Mustergültigkeit an
-sich tragen. Dies bürgt dafür, daß sie für alle Zeiten nicht nur
-geschichtlichen Wert besitzen, sondern auch künftigen Geschlechtern als
-Grundlage jedes tieferen Studiums und als reiche Fundgrube fruchtbarer
-Gedanken dienen werden«.
-
-Die letzten Abschnitte ließen uns erkennen, in welch außerordentlichem
-Maße der mathematische Genius die Astronomie, die Physik und die
-Geodäsie zu befruchten vermochte. Der Einfluß der Mathematik auf die
-Naturwissenschaften ist seit den Zeiten eines *Gauß* nicht geringer
-geworden, wenn es auch kaum noch einen Mathematiker gab, der sich
-in gleicher Weise neben dem Ausbau seines Forschungsgebietes der
-Verknüpfung der Mathematik mit anderen Wissenszweigen gewidmet hätte.
-Selbst *Helmholtz*, der unter den neueren am meisten an *Gauß*
-heranreichte, war doch in erster Linie Physiker, der die Mathematik als
-Hilfswissenschaft und weniger ihrer selbst willen betrieb.
-
-Um das Verhältnis der höheren Mathematik zur reinen und angewandten
-Naturwissenschaft, wie es sich im 19. Jahrhundert herausgebildet,
-kennen zu lernen, richtete sich unser Blick zuerst auf Frankreich.
-Hier war es, wo während der Revolutions- und der Kaiserzeit durch eine
-Reihe bedeutender Männer die Wechselbeziehung zwischen den genannten
-Gebieten am klarsten erkannt und am nachhaltigsten gefördert wurde.
-Und zwar geschah dies zu einer Zeit, als Deutschland an bedeutenderen
-Mathematikern so arm war, daß *Gauß* nicht verstanden und Vorlesungen
-über höhere Mathematik an deutschen Universitäten für unnütz erklärt
-und daher nur selten gehalten wurden. Die große Zeit, welche die
-Mathematik und die exakten Naturwissenschaften in Frankreich erlebten,
-knüpft an die Namen *Laplace*, *Lagrange* und *Lavoisier* an. Wir
-lernten den ersten als den Schöpfer der Mécanique céleste, den
-zweiten als den Verfasser der Mécanique analytique und *Lavoisier*
-als den Begründer der neueren Chemie kennen.
-
-Erst als in den von *Gauß* eröffneten Bahnen Männer wie *Dirichlet*,
-sein Nachfolger auf dem Göttinger Lehrstuhl, wie *Jacobi* und *Riemann*
-die Mathematik fortsetzten, während in Frankreich ihre Entwicklung
-nachließ, gelang es Deutschland, die Führung auf diesem Gebiete zu
-erhalten.
-
-
-
-
-21. Die Begründung der physikalischen Erdbeschreibung.
-
-
-Durch den außerordentlichen Aufschwung, den die gesamten
-Naturwissenschaften in der neueren Zeit erfuhren, wurde von den übrigen
-Wissenschaften keine in solchem Maße in ihrem Ziel und ihrem Inhalt
-umgestaltet wie die Erdkunde. Zwar hatte ihr das Zeitalter der großen
-geographischen Entdeckungen einen gewaltigen Anstoß gegeben, sie war
-aber im wesentlichen bloße Erdbeschreibung geblieben. Die Geographie
-als Lehre von dem inneren Zusammenhange der tellurischen Erscheinungen
-und ihrer Abhängigkeit von kosmischen Vorgängen entwickelte sich
-erst während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Während dieses
-Zeitraumes entstanden als die wichtigsten Grundlagen einer den
-Naturwissenschaften ebenbürtigen, in ihrem Geiste und nach ihren
-Methoden schaffenden Erdkunde vor allem die tellurische Physik und die
-Tier- und Pflanzengeographie. Um die Begründung dieser Wissenszweige
-hat sich in jenem Zeitraume kaum jemand solch hervorragende Verdienste
-erworben wie *Alexander von Humboldt*.
-
-Die Meteorologie konnte erst zu einer auf allgemeineren Grundlagen
-beruhenden Wissenschaft werden, wenn sie ihre Beobachtungen, die
-sich bisher im wesentlichen auf Europa beschränkt hatten, über die
-gesamte Erde ausdehnte. Und daß dies geschah, ist das Verdienst *von
-Humboldts*. Er machte zuerst die tropischen Witterungsverhältnisse zum
-Gegenstande eingehender Untersuchung und vertrat die Überzeugung, daß
-nicht nur die tropischen, sondern auch die in mittleren und höheren
-Breiten sich abspielenden meteorologischen Vorgänge von gesetzmäßig
-wirkenden Ursachen, deren Kenntnis sich auf die Dauer der Forschung
-nicht entziehen könne, beherrscht seien.
-
-Dadurch, daß *Humboldt* die Isothermen oder die Linien gleicher
-Jahrestemperatur einführte, wurde er zu einem der Begründer einer
-wissenschaftlichen Klimalehre. Sie verdankt ihm außer jenem Verfahren
-der graphischen Darstellung ihrer Elemente[556] auch die wichtigen
-Begriffe des Küsten- und Kontinentalklimas, sowie des Höhen- und
-Tiefenklimas. *Humboldt* erkannte ferner, daß die Linien gleicher
-Sommerwärme (die Isothermen) wesentlich anders als die Linien gleicher
-Winterwärme (die Isochimenen) verlaufen[557]. Die weitere Ausgestaltung
-dieses Forschungsmittels, das wie eine Offenbarung wirkte, ist vor
-allem zwei Deutschen zu verdanken, nämlich *Dove*, der den Begriff
-der isanomalen Linien aufstellte und *Berghaus*, der zuerst (1838) in
-seinem physikalischen Atlas ein umfangreiches kartographisches Material
-zusammenbrachte.
-
-Jetzt erst gelangte man zu einer klaren Erkenntnis der Abhängigkeit des
-Klimas von der Verteilung von Wasser und Land, der Richtung und der
-Höhe der Gebirge und den vorherrschenden Luft- und Meeresströmungen.
-Ihres historischen Wertes wegen verdient die von *Humboldt* entworfene
-und seiner Abhandlung vom Jahre 1817 beigegebene, Isothermenkarte
-immer noch Beachtung. Daß er die Idee *Halley* verdankt, hat er selbst
-mitgeteilt. Es ist gewiß verwunderlich, daß während des langen von
-*Halley* bis *Humboldt* reichenden Zeitraums[558] niemand darauf
-verfallen ist, *Halleys* so außerordentlich glücklichen und fruchtbaren
-Gedanken auf andere Gebiete zu übertragen. Eine Erweiterung des
-Verfahrens, die wir *Dove* verdanken, bestand darin, daß er nicht die
-Orte gleicher Werte, sondern diejenigen gleicher Abweichung von einem
-nach theoretischen Voraussetzungen berechneten Mittel durch seine
-Kurven, die Isanomalen, verband und dadurch neue, wertvolle Aufschlüsse
-über die Ursachen der Temperaturerniedrigung oder -erhöhung, die
-bestimmte Teile der Erdoberfläche aufweisen, erhielt.
-
-Auch auf die ungleiche Verteilung der Wärme in vertikaler Richtung und
-die Gesetzmäßigkeiten, welche dieser Erscheinung zugrunde liegen, hat
-neben dem Alpenforscher *Saussure* und dem Veranstalter der ersten
-wissenschaftlichen Ballonfahrt, *Gay-Lussac*, besonders *Humboldt*
-hingewiesen. Nach seinen Angaben[559] findet eine durchschnittliche
-Verminderung der mittleren Jahreswärme um 1° C statt, wenn man um etwa
-85 Toisen in die Höhe steigt. Doch bestätigte sich andererseits die
-schon von *Saussure* ausgesprochene Vermutung, daß der Winter auf Höhen
-verhältnismäßig milder ist als in der Ebene.
-
-Die Erklärung der Passate und der Monsune hatte schon *Halley*
-beschäftigt. Doch wurde die Lehre von den Luftströmungen erst
-eingehender durch *Dove* begründet. *Dove* wies nach, daß der Wind mit
-ziemlicher Regelmäßigkeit, von West ausgehend, durch Nord und Ost und
-Süd nach West zurückkehrt, während sich auf der südlichen Halbkugel
-die entgegengesetzte Drehung zeigt. Etwa ein Vierteljahrhundert später
-erkannte man, daß *Doves* Regel nur ein unvollkommener Ausdruck des
-barischen Windgesetzes[560] ist. Letzteres spricht die enge Beziehung
-zwischen Luftdruck und Luftbewegung folgendermaßen aus: Die Luft
-bewegt sich stets von einem Orte höheren nach dem nächstliegenden Orte
-niederen Luftdrucks hin. Dabei wird sie auf der nördlichen Halbkugel
-nach rechts, auf der südlichen nach links abgelenkt. Jede Luftbewegung,
-ob sanft oder heftig, erfolgt danach in der Form einer Spirale
-(Zyklone) und zwar ist die Spiralbewegung in der Nähe eines Minimums
-derjenigen in der Nähe eines Maximums entgegengesetzt (zyklonal und
-antizyklonal). Auf dieser Grundlage hat sich die heutige Meteorologie
-mit ihren synoptischen Karten, ihrer Wetterprognose und dem so
-wertvollen Sturmwarnungswesen entwickelt.
-
-Außer dem Netz von Stern- und Wetterwarten, mit dem im 19. Jahrhundert
-der ganze Erdball überzogen wurde, ist auch der zahlreichen,
-während dieses Zeitraums ins Leben gerufenen erdmagnetischen und
-seismologischen Observatorien zu gedenken. Welche Verdienste sich um
-das Zustandekommen der erdmagnetischen Warten und um die Erforschung
-des magnetischen Zustandes der Erde *Gauß* und *von Humboldt* erworben
-haben, ist schon an früherer Stelle erwähnt worden[561].
-
-Eine ähnliche zentrale Stellung, wie sie *Gauß* während der ersten
-Hälfte des 19. Jahrhunderts für das Gebiet der reinen und der
-angewandten Mathematik einnahm, besaß *Alexander von Humboldt* während
-dieses Zeitraums für das gesamte weite Gebiet der Naturwissenschaften,
-wenn auch die Fortschritte, die wir ihm verdanken, weniger in die Tiefe
-gingen, sondern vorzugsweise auf die Verknüpfung der verschiedenen
-Wissensgebiete durch gemeinsame Gesichtspunkte und wechselseitige
-Durchdringung abzweckten. Dieser Bedeutung *von Humboldts*, der in
-seiner Geistesart mehr an *Aristoteles* und *Leibniz* wie an einen
-*Newton* und einen *Gauß* erinnert, soll hier eingehender Rechnung
-getragen werden.
-
-*Alexander von Humboldt* wurde am 14. September 1769 als Sprößling
-eines altadeligen preußischen Geschlechtes in Berlin geboren und dort
-und auf dem elterlichen Gute in Tegel gemeinsam mit seinem Bruder
-*Wilhelm* durch Privatunterricht vorgebildet. *Alexander von Humboldt*
-widmete sich zunächst dem Studium der Verwaltungsfächer, da er den
-Traditionen seiner Familie folgen und eine Staatsanstellung bekleiden
-sollte. Innere Neigung und der Verkehr mit seinem Freunde *Willdenow*
-führten ihn jedoch bald den Naturwissenschaften zu. Mit 19 Jahren
-sehen wir ihn schon mit der Abfassung eines größeren botanischen
-Werkes beschäftigt[562]. Sein Interesse für die Naturwissenschaften
-wurde besonders angefacht, als er die Universität Göttingen bezog,
-wo damals die hervorragendsten deutschen Vertreter dieser Fächer
-lehrten. Den Einfluß, welchen der Physiker *Lichtenberg*, der Chemiker
-*Gmelin* und der Anatom *Blumenbach* dort auf ihn ausgeübt haben,
-hat *Humboldt* stets dankbar anerkannt. In Göttingen lernte er auch
-*Georg Forster* kennen, der *Cook* auf seiner zweiten Weltumsegelung
-begleitet und sich als ein Meister in der Naturschilderung einen Namen
-erworben hatte. *Forster*, der eine ganz außergewöhnlich vielseitige
-wissenschaftliche Begabung besaß, ist für *Alexander von Humboldt*
-vorbildlich gewesen und hat auf seinen ferneren Studien- und Lebensgang
-einen entscheidenden Einfluß ausgeübt[563]. In Gemeinschaft mit
-*Forster* unternahm *Humboldt* im Sommer 1790 seine erste größere
-Reise nach Holland, England und Frankreich. Sie wurde für ihn unter
-der Anleitung des Weltumseglers zur Vorschule für seine eigenen
-großen Entdeckungsreisen. Diese Reise, auf welcher die Leidenschaft
-für das Seewesen und tropische Länder in *Humboldt* erwachte, hat er
-oft als ein besonderes Glück bezeichnet[564]. Seine Studien setzte
-*Humboldt* zunächst an der Bergakademie zu Freiberg fort, wo er zu
-den begeistertsten Schülern des Mineralogen *Werner* zählte, des
-Hauptvertreters der später von *Humboldt* und von *L. v. Buch* so
-eifrig befehdeten neptunistischen Richtung.
-
-Aus allen Teilen der Welt kamen damals Mineralogen, Geologen und
-Bergleute nach Freiberg, um *Werner* zu hören. *Humboldt* fand bei ihm
-eine besonders gute Aufnahme, da er sich durch seine »Beobachtungen
-über einige Basalte am Rhein« (1790) schon einen Namen gemacht hatte.
-Noch drei Jahrzehnte nach dieser Zeit sprach *Humboldt* seinem
-verdienten Lehrer in folgenden Worten seine Anerkennung aus: »*Werner*
-erkannte mit bewundernswertem Scharfsinn alle Beziehungen, die bei der
-Betrachtung der geologischen Formationen beachtet werden müssen. Er
-lehrte, was man zu wissen und was man zu beobachten habe. Er hat in
-Gegenden, deren Untersuchung ihm nicht vergönnt gewesen, einen Teil
-der Entdeckungen vorbereitet. Da nämlich die Formationen unabhängig
-sind von dem Wechsel der geographischen Breite und vom Klima, so kann
-irgend ein sehr beschränkter Raum der Erdfeste, in welchem die Natur
-viele Formationen vereinigt hat, gleich einem wahrhaften Mikrokosmos
-im Geiste eines bewährten Beobachters sehr richtige Gedanken über die
-Grundwahrheiten der Geologie erwecken«[565]. Nach seinem Fortgange
-von Freiberg war *Humboldt* einige Jahre als Bergassessor und als
-Bergmeister im Fichtelgebirge tätig. Während dieser Zeit kam er auch
-wiederholt mit dem Weimar-Jena-Kreise, dem sein Bruder *Wilhelm* seit
-1794 angehörte, in Berührung.
-
-Wie *Wilhelm* zu *Schiller* so trat *Alexander* zu *Goethe* in nähere
-Beziehungen. Die Naturwissenschaften waren damals in Weimar Mode.
-Alles trieb Mineralogie. Selbst die Damen des Hofes legten sich
-naturwissenschaftliche Sammlungen an, und *Goethe* war in seinem
-Eifer für Mineralogie und Geognosie kein Berg zu hoch, kein Schacht
-zu tief, kein Stollen zu niedrig und keine Höhle labyrinthisch
-genug[566]. Auch an *Humboldts* Versuchen über den galvanischen Reiz
-der Nerven und Muskelfaser hat sich *Goethe* lebhaft beteiligt. Das
-von *Humboldt* über diesen Gegenstand veröffentlichte Werk war zwar
-durch manchen Versuch wertvoll, es blieb aber in der Tendenz verfehlt,
-da es die Reaktionen der Muskeln nicht als Wirkungen des galvanischen
-Stromes, sondern als die Äußerungen einer eigentümlichen Lebenskraft
-hinstellte[567].
-
-Auch die Arbeiten *Goethes* über die vergleichende Anatomie,
-insbesondere die vergleichende Osteologie, kamen zwischen ihm, der
-schon im Jahre 1786 über das Zwischenkieferbein geschrieben, und
-*Alexander von Humboldt* zur Sprache. "Meine naturwissenschaftlichen
-Arbeiten", schrieb *Goethe* damals, "sind durch *Humboldt* aus ihrem
-Winterschlafe geweckt worden". Nach verbürgten Zeugnissen hat der
-Dichterfürst es dankbar anerkannt, daß die Gebrüder *Humboldt* mit
-ihrem jugendlichen, frischen Streben den größten Einfluß auf ihn
-ausgeübt hätten, als er selbst schon begonnen habe, an der Welt müde zu
-werden.
-
-Auch *Schiller* kam mit *Alexander von Humboldt* häufiger in
-persönliche Berührung. Es ist nun interessant zu sehen, wie sehr seine
-Beurteilung des Forschers von derjenigen *Goethes* abwich. Nachdem
-er dem Bruder *Wilhelm* alle Anerkennung gespendet, schreibt er über
-*Alexander*: »Bei allem ungeheuren Reichtum des Stoffes finde ich
-in ihm eine Dürftigkeit des Sinnes, der bei dem Gegenstande, den er
-behandelt, das schlimmste Übel ist. Es ist der nackte schneidende
-Verstand, der die Natur, die immer unfaßlich und ehrwürdig ist,
-schamlos ausgemessen haben will und mit einer Frechheit, die ich
-nicht begreife, seine Formeln, die oft nur leere Worte und immer nur
-enge Begriffe sind, zu ihrem Maßstabe macht. Kurz, mir scheint er
-für seinen Gegenstand ein viel zu grobes Organ und dabei ein viel zu
-beschränkter Verstandesmensch zu sein. Er hat keine Einbildungskraft,
-und so fehlt ihm nach meinem Urteil das notwendigste Vermögen zu seiner
-Wissenschaft, denn die Natur muß angeschaut und empfunden werden in
-ihren einzelnsten Erscheinungen wie in ihren höchsten Gesetzen.« Wie
-würden die heutige Naturwissenschaft und ihre Vertreter vor diesem von
-übertriebenem Idealismus diktierten Urteil *Schillers* wohl bestehen!
-Andererseits ist die in Schillers Worten zum Ausdruck kommende,
-durchaus subjektive Art, über die Mittel und Ziele der Naturforschung
-zu urteilen, durch die gesamte Entwicklung, die Philosophie und
-Wissenschaft im 19. Jahrhundert genommen haben, in ihrer Haltlosigkeit
-und inneren Unwahrheit dargetan worden. Doch darf nicht vergessen
-werden, daß es auch Extreme in der naturwissenschaftlichen Methode
-gibt, von denen *Humboldt* sich aber -- und darin besteht das Irrige
-des *Schiller*schen Urteils -- weit entfernt hielt, Extreme, vor
-denen das idealistische und philosophische Denken ein Recht hat, den
-Warnungsruf ertönen zu lassen.
-
-Erwähnt sei noch, daß in späteren Jahren *Goethe* *Alexander von
-Humboldt*, als der letztere die Bedeutung des Vulkanismus erkannte,
-nicht zu folgen vermochte, sondern an den veralteten neptunistischen
-Ansichten festhielt. *Goethe* begegnete den Vertretern der neueren
-Geologie nicht nur mit Spott, wovon manche Stellen seiner poetischen
-Schöpfungen Zeugnis ablegen[568], sondern fast mit einem Groll, der
-erst gegen sein Lebensende einer gewissen Resignation in dieser
-wissenschaftlichen Frage Platz machte.
-
-Das bedeutendste Ereignis und gleichzeitig die größte wissenschaftliche
-Tat in dem Leben *Alexander von Humboldts* war seine amerikanische
-Forschungsreise, die erste große wissenschaftliche Expedition, die für
-alle späteren Unternehmungen dieser Art vorbildlich gewesen ist. Nach
-jahrelangen Vorbereitungen und vielen Mühen und Enttäuschungen, von
-denen wir uns heute, im Zeitalter des Verkehrs, keinen Begriff machen
-können, erfolgte *Humboldts* Abreise von Coruña im Juni des Jahres
-1799. Sein Reisegefährte war der Botaniker *Bonpland*, ein Schüler
-*Jussieus*.
-
-Über die Erfolge dieser Reise hat später einer der Berufensten, der
-große Geograph Carl *Ritter*, die Worte geäußert: »Es war, als wäre
-eine neue Sonne voll Licht und Wärme im Westen über der Neuen Welt
-emporgestiegen, um auf die alte Welt wohltätig zurückzustrahlen«[569].
-Eine Reihe von Umständen und Voraussetzungen haben zusammengewirkt,
-um *Humboldt* durch seine amerikanische Reise zum Begründer einer
-neuen Epoche der physischen Erdbeschreibung, der innigsten Verknüpfung
-von Naturwissenschaft und Geographie zu machen. Für eine Vorbereitung
-durch vielseitige und eifrige Studien und eine Ausrüstung mit den
-besten astronomischen und physikalischen Apparaten war zunächst Sorge
-getragen. Dazu gesellte sich das Streben, den zu erforschenden Teil
-der Erde als ein Ganzes zum Gegenstande des Studiums zu machen. Es
-galt zwar zunächst Einzelheiten zu erforschen, aber ihre Verknüpfung,
-die Erkenntnis ihres gesetzmäßigen Zusammenhanges wurde stets als das
-höhere Ziel ins Auge gefaßt.
-
-Wir können hier *von Humboldt* nicht auf seinen Kreuz- und Querzügen
-durch Süd- und Mittelamerika folgen, da aber seine Reise epochemachend
-für alle späteren Expeditionen in das Innere großer Kontinente gewesen
-ist, so wollen wir doch in einigen Punkten untersuchen, wie er der
-Fülle der ihm gestellten Aufgaben gerecht geworden ist.
-
-Von Coruña ging die Fahrt nach Teneriffa. Dort erfolgte die erste zu
-wissenschaftlichen Zwecken unternommene Besteigung eines innerhalb
-der subtropischen Zone liegenden Berges. An seinem Fuße wurde ein
-Drachenbaum von 45 Fuß Umfang gefunden, den *Humboldt* für einen der
-ältesten Bewohner der Erde erklärte. Am Abhange des nur im Winter mit
-Schnee bedeckten Piks zeigte sich eine Eishöhle. Der Gipfel selbst
-besaß den Charakter einer Solfatara. Ferner unterschied *von Humboldt*
-fünf Pflanzenzonen, die sich an dem Pik von seinem mit Weinreben
-geschmückten Fuß bis zu dem Gipfel, wo die Flechten an der Zersetzung
-der vulkanischen Schlacken arbeiten, wie Stockwerke übereinander
-aufbauen.
-
-Den ersten längeren Aufenthalt nahm *Humboldt* in Cumana, das seit
-Jahrhunderten als ein Herd der furchtbarsten Erdbeben galt. Erst
-zwei Jahre vor seiner Ankunft hatte ein solches die Stadt gänzlich
-zerstört. *Humboldt* verwandte mehrere Wochen darauf, die Spuren jenes
-furchtbaren Elementarereignisses eingehend zu erforschen. Wenige Monate
-nach seiner Ankunft in Cumana fand an diesem Orte ein neues Erdbeben
-statt. Es war das erste, das unser Forscher miterlebte. Und von dem
-tiefen Eindruck, den es auf ihn machte, legt seine Schilderung Zeugnis
-ab[570].
-
-Nicht minder bekannt geworden ist die Schilderung des großen
-Sternschnuppenfalls, den *Humboldt* im November des Jahres 1799 in
-Cumana beobachtete. Innerhalb weniger Stunden vermochte er tausende von
-Sternschnuppen und Feuerkugeln zu zählen.
-
-Im Anfang des Jahres 1800 drangen die Reisenden tiefer in den
-südamerikanischen Kontinent ein. Sie erforschten das Stromnetz des
-Orinoko, durchstreiften die einförmigen Llanos, die sich an die
-Waldregion der großen Ströme anschließen, und stellten Untersuchungen
-über den Zitteraal (Gymnotus electricus), dessen Fang *von Humboldt*
-so anschaulich schilderte, und über die Reizbarkeit der Mimosen an.
-
-Um die Cordilleren zu erforschen, hielt sich *von Humboldt* lange
-Zeit in Quito auf. Von dort unternahm er die berühmte Besteigung des
-Chimborazo, der damals für den höchsten Berg der Erde gehalten wurde.
-*Von Humboldt* erreichte eine Höhe[571], die vor ihm noch kein Mensch
-erklommen hatte.
-
-Nach der Durchforschung Mexikos und einem kurzen Aufenthalt in den
-Vereinigten Staaten hielt sich *von Humboldt* fast zwei Jahrzehnte[572]
-in Paris auf. Noch länger dauerte die Abfassung des monumentalen
-Werkes über seine Reise[573]. Daneben fand *Humboldt* noch Zeit, sich
-mit erdmagnetischen und in Gemeinschaft mit *Gay-Lussac* sich mit
-eudiometrischen Untersuchungen[574] zu beschäftigen.
-
-Die deutsche Forschung ist zu Beginn des 19. Jahrhunderts von keinem
-Lande so sehr wie von Frankreich angeregt und befruchtet worden. Von
-dort ist nicht nur in die europäische Staatenentwicklung, sondern
-auch für das Gebiet der exakten Forschung der erfrischende Luftzug
-gekommen, der die Periode der neuesten Entwicklung einleitete. In
-Frankreichs Hauptstadt hatten große Meister der Forschung, wie
-*Cuvier*, *Lavoisier*, *Laplace*, *Ampère*, *Gay-Lussac* und viele
-andere, diejenige grundlegende Tätigkeit entfaltet, welche den Boden
-für die neueste Entwicklung der Naturwissenschaften bereitet hat.
-Eine wichtige Rolle bei der Vermittlung zwischen der französischen
-und der emporstrebenden deutschen Wissenschaft hat *Alexander von
-Humboldt* ausgeübt. Man darf nicht so kleinlich sein und *Humboldt*
-daraus den Vorwurf machen, daß in ihm der Patriot hinter dem Forscher
-zurückgetreten sei. Die Wissenschaft darf sich nicht hinter nationalen
-Grenzen verschanzen. Sie muß das Gute nehmen, wo sie es findet. Wer
-ihre Geschichte schreibt, darf das Verdienst des Auslandes gegenüber
-dem des eigenen Landes nicht zu verkleinern suchen. Wir müssen
-deshalb Frankreich die Anerkennung zollen, daß ohne die Schulung,
-welche die deutschen Forscher dort während der ersten Jahrzehnte
-des 19. Jahrhunderts erfuhren, Deutschland schwerlich so rasch, wie
-es geschehen, in wissenschaftlichen Wettbewerb mit Frankreich hätte
-treten, geschweige denn es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
-überflügeln können, wie auch von französischer Seite mitunter neidlos
-anerkannt worden ist.
-
-Über den Inhalt des gewaltigen *Humboldt*schen Reisewerkes, an dessen
-Abfassung sich viele Kräfte beteiligten, möge noch einiges hier Platz
-finden. Es umfaßt sechs Abteilungen, von denen jede aus mehreren Bänden
-besteht. Die erste Abteilung (Rélation historique) enthält neben
-dem von *Humboldt* selbst verfaßten Reisebericht eine Geschichte der
-geographischen Erschließung des neuen Kontinents und einen aus 39
-Karten bestehenden Atlas.
-
-Die zweite Abteilung ist der Zoologie und der vergleichenden Anatomie
-gewidmet. Bei ihrer Abfassung zählten die Reisenden *Cuvier*,
-*Latreille* (für die Insekten) und *Valenciennes* (für die Fische und
-die Weichtiere) zu ihren Mitarbeitern.
-
-Die dritte Abteilung behandelt die politische Geographie der spanischen
-Besitzungen in Amerika, die sich damals vom 38. Grade nördlicher bis
-zum 42. Grade südlicher Breite erstreckten.
-
-Die vierte Abteilung enthält die astronomischen, trigonometrischen
-und barometrischen Messungen, während die fünfte die Geologie und die
-Pflanzengeographie der erforschten Länder zum Gegenstande hat.
-
-Ausschließlich botanischen Inhalts ist endlich die sechste Abteilung.
-Sie enthält eine Übersicht über sämtliche gesammelten Pflanzen
-und beschäftigt sich außerdem in monographischer Behandlung mit
-den Mimosen, den neu entdeckten Gräsern und der in Südamerika in
-zahlreichen Arten vorkommenden tropischen Familie der Melastomeen[575].
-
-Im Jahre 1827 vertauschte von *Humboldt* das ihm so lieb gewordene
-Paris auf den dringenden Wunsch seines Königs mit der an geistiger
-Bedeutung hinter Paris damals weit zurückstehenden preußischen
-Hauptstadt. Jetzt begann für den fast Sechzigjährigen eine neue
-Lebensaufgabe, die er durch die Verwirklichung des schon lange
-gehegten Planes einer physischen Weltbeschreibung erfüllte. Bevor
-sich jedoch von *Humboldt* an die Abfassung seines »Kosmos« begab,
-unternahm er im Auftrage des russischen Herrschers, begleitet von
-dem Zoologen *Ehrenberg* und dem Mineralogen *Rose* eine kurze, aber
-ergebnisreiche Expedition ins asiatische Rußland. *Humboldt* und seine
-Begleiter besuchten die Erzlagerstätten des Altai, überschritten die
-chinesische Grenze und durchzogen von dort die ungeheure Steppe, um den
-südlichen Ural zu erreichen. An die geologische Durchforschung dieses
-Gebirgszuges knüpft die berühmt gewordene Voraussage *Humboldts*,
-daß der Ural mit seinen Gold- und Platinschätzen ein wahres Dorado
-sei[576]. Zahlreiche Beobachtungen wurden auch an den Besuch des
-Kaspischen Meeres geknüpft und Material für das von *Cuvier* und
-*Valenciennes* bearbeitete große Werk über die Fische gesammelt.
-
-Wir gelangen zu dem reifsten Werke von *Humboldts*, das seinen Namen
-populär gemacht hat, dem »Kosmos«, wie er seinen Entwurf einer
-physischen Weltbeschreibung nannte. Hervorgegangen ist das Werk
-aus Vorlesungen, die er nach seinem Eintreffen in Berlin vor einem
-großen Kreise im Beisein des Königs und des Hofes hielt und die als
-ein Ereignis des Winters 1827/28 galten. Der Kosmos ist nicht minder
-als das große Reisewerk epochemachend nicht nur für die deutsche,
-sondern für die Weltliteratur[577] gewesen und wird, wenn auch manche
-Einzelheiten veraltet sind oder sich als irrig erwiesen haben, als
-Ganzes immer seinen Wert besitzen. Einen solchen besitzt das Werk nicht
-nur nach der wissenschaftlichen, sondern auch nach der sprachlichen und
-allgemein literarischen Seite. Mag dem heutigen Geschlecht, das die
-Natur oft mit zu nüchternem Verstande betrachtet, *Humboldts* Ausdruck
-pathetisch und seine Sprache allzu reich an Bildern erscheinen, eins
-darf man nicht vergessen: war es doch *Humboldt*, der die Deutschen
-wissenschaftliche Dinge in formvollendeter Sprache behandeln
-lehrte. Um das zu würdigen, muß man die trostlose Dürre der meisten
-früheren naturwissenschaftlichen Schriftsteller und die hohlen, von
-unverständlicher Mystik triefenden Phrasen der während des ersten
-Viertels des 19. Jahrhunderts den deutschen Geist beherrschenden, ja
-knebelnden naturphilosophischen Schule genossen haben.
-
-Auch die Vorlesungen, aus denen der Kosmos entstanden ist, waren in
-gewisser Hinsicht epochemachend. Sie stellen nämlich den ersten und
-gelungensten Versuch dar, die Kluft, welche die große Masse des Volkes
-von der Wissenschaft trennt, zu überbrücken. Etwa tausend Zuhörer aller
-Kreise »vom Könige bis zum einfachen Maurer« folgten den Ausführungen
-*Humboldts* mit der größten Spannung.
-
-Der Plan zum »Kosmos« entstand in *Humboldt* schon in den neunziger
-Jahren des von universellem Streben beherrschten 18. Jahrhunderts,
-wahrscheinlich unter der Einwirkung des Weimar-Jena-Kreises[578]. »Am
-späten Abend eines vielbewegten Lebens«, so lauten von *Humboldts*
-einleitende Worte, »übergebe ich der Öffentlichkeit ein Werk, das
-in unbestimmten Umrissen mir ein halbes Jahrhundert vor der Seele
-schwebte.«
-
-Den ersten Band bezeichnet er als ein allgemeines Naturgemälde,
-das von den fernsten Nebelflecken des Weltraums und den kreisenden
-Doppelsternen stufenweise zu der Sternschicht herabsteigt, der unser
-Sonnensystem angehört, zu dem luft- und meerumflossenen Erdsphäroid,
-seiner Gestaltung, Temperatur und magnetischen Spannung bis zu der
-Lebensfülle, die vom Lichte angeregt sich an seiner Oberfläche
-entfaltet. Die Aufgabe war dem Umfang nach eine weitgespannte, dem
-Ziele nach entsprach sie als ein »Gemälde«, eine »Weltbeschreibung«,
-indessen nicht mehr der Forderung des nach tieferer Erkenntnis des
-kausalen Zusammenhanges strebenden 19. Jahrhunderts, dessen wichtigste
-Aufgabe in der Fortentwicklung der mathematischen Physik und der
-Aufstellung des Energieprinzips gelöst wurde.
-
-Was *Humboldt* mit seinem Kosmos leisten wollte, war die Befriedigung
-eines Gefühles, das man wohl als Natur-Ästhetik bezeichnet, eines
-Gefühls, in dem auch Goethes Naturanschauung wurzelt und dem er an
-vielen Stellen seiner Faustdichtung einen solch tiefen und ergreifenden
-Ausdruck verliehen hat. Diese Aufgabe hat *Humboldt* mit dem ersten
-Bande seines Werkes eigentlich schon gelöst. Wie sehr er sich aber
-unter dem Einfluß einer solchen Grundstimmung befunden, gesteht er ein,
-wenn er an einer Stelle von *Goethe* sagt: »Wer hat beredter als er
-seine Zeitgenossen angeregt, des Weltalls heilige Rätsel zu lösen und
-das Bündnis zu erneuern, das im Jugendalter der Menschheit Philosophie,
-Naturlehre und Dichtkunst umschlang.«
-
-In dem zweiten Bande stellt sich *Humboldt* eine andere, mit der
-physischen Weltbeschreibung allerdings in engem Zusammenhange stehende
-Aufgabe. Er gibt darin eine Geschichte der physischen Weltanschauung
-und verfolgt durch alle Zeitalter das »Streben der Menschheit, das
-Zusammenwirken der Kräfte im Erd- und Himmelsraume zu begreifen.« Die
-Arbeit, welche *Humboldt* dadurch für die Begründung einer Geschichte
-der Naturwissenschaften geleistet hat, ist eine bedeutende; sie
-besitzt auch, wie es bei einer auf zuverlässigen Quellen gegründeten
-geschichtlichen Darstellung in der Natur der Sache liegt, vor allen
-anderen einen bleibenden Wert. Als die Hauptmomente einer Geschichte
-der physischen Weltanschauung stellt *Humboldt* die Kultur der
-Hellenen, die vermittelnde Tätigkeit der Araber und die Erfindungen und
-Entdeckungen der süd- und westeuropäischen Völker in ein solch klares
-Licht, daß seine Darstellung dieser Verhältnisse wertvoll für alle
-Zeiten genannt werden muß.
-
-In den weiteren Bänden des »Kosmos« ändert sich der Charakter des
-Werkes noch mehr. Es wird daraus erklärlich, daß sich seine Abfassung
-über einen Zeitraum von Jahrzehnten erstreckte, innerhalb dessen
-die Wissenschaft selbst durch die Entdeckung des Prinzips von der
-Erhaltung der Kraft, eine neue Epoche erlebte. *Humboldt* suchte
-sich mit der neuen Richtung, in die er sich indessen nicht mehr
-einzuleben vermochte, auseinanderzusetzen. Indessen überkam seine
-Zeitgenossen und auch ihn selbst immer mehr das Gefühl, daß seine
-Art der Weltbetrachtung einer neuen weichen mußte, die als die wahre
-Fortsetzung des von *Newton*, *Huygens* und den führenden Geistern des
-18. Jahrhunderts geschaffenen Werkes gelten durfte.
-
-Die letzten Bände sind vorwiegend der Astronomie und der Geophysik
-gewidmet; sie besitzen einen gelehrten Grundzug und treten in
-literarischer Beziehung gegen die ersten Bände, die als Muster für eine
-nach Popularität im edelsten Sinne des Wortes strebende Ausdrucksweise
-gelten können, sehr zurück. Während *von Humboldt* noch mit der
-Abfassung eines fünften Bandes seines Kosmos beschäftigt war, ereilte
-den Unermüdlichen, fast Neunzigjährigen, am 21. April 1859 der Tod.
-
-In rein wissenschaftlicher Beziehung liegt *v. Humboldts*
-Hauptverdienst auf dem Gebiete der Pflanzengeographie. Er beschränkte
-sich nicht auf die floristische Erforschung der von ihm bereisten
-Länder. Sein Bestreben ging vielmehr dahin, die Pflanzenwelt in ihrer
-Abhängigkeit vom Klima und vom Boden zu verstehen und die allgemeinen
-Bedingungen für dieses Verhältnis aufzudecken.
-
-Bevor wir *Humboldts* Verdienst um die Pflanzengeographie würdigen,
-müssen wir des Mannes gedenken, dem er hier die meisten Anregungen und
-Vorarbeiten zu verdanken hatte. Es war das *Willdenow*[579], ein Neffe
-des an früherer Stelle erwähnten *Gleditsch*[580] und sein Nachfolger
-in der Leitung des Berliner botanischen Gartens. *Willdenow* war mit
-*Humboldt* eng befreundet und hat ihn der Botanik zugeführt. Er ist als
-der geistige Urheber *von Humboldts* Schrift »Ideen zu einer Geographie
-der Pflanzen« zu betrachten. *Willdenow* hatte die hier *von Humboldt*
-behandelten Fragen bereits in seinem Grundriß der Kräuterkunde
-aufgeworfen und beleuchtet. Er war es, der die Grenze zwischen der
-mitteleuropäischen und der Mittelmeerflora zog und die drei großen
-Gebiete unterschied, die wir als boreale, tropische und australische
-Flora bezeichnen. Ferner hat schon *Willdenow* die Abhängigkeit der
-Pflanzenverbreitung vom Klima, von der Bodenbeschaffenheit und von
-der Wandertätigkeit, das was die Wissenschaft als klimatologisches,
-als geologisches und als migratorisches Moment zu bezeichnen pflegt,
-deutlich hervorgehoben.
-
-Ganz neue Bahnen wurden dadurch erschlossen, daß man die Verbreitung
-des Lebens über die Erde aus gesetzmäßig wirkenden Ursachen, und zwar
-vor allem aus den herrschenden physischen Bedingungen zu erforschen
-strebte. In dieser Hinsicht bahnbrechend gewirkt zu haben, ist wohl
-das bedeutendste unter den rein wissenschaftlichen Verdiensten *von
-Humboldts*. »Die Ideen zu einer Geographie der Pflanzen« sind die erste
-Veröffentlichung nach seiner Rückkehr aus Südamerika. Sie erschienen
-(1805) nebst einem Naturgemälde der Tropenländer. Den meisten Stoff
-für die neue, bislang kaum dem Namen nach vorhandene Wissenschaft
-der Pflanzengeographie sammelte *von Humboldt* auf jener Reise. So
-kam es, daß die »Ideen« zum größten Teile am Fuße des Chimborazo
-niedergeschrieben wurden.
-
-Der Gedanke, die räumliche Verbreitung der Pflanzen festzustellen,
-begegnet uns zwar schon früher. *Von Humboldt* erstrebte aber weit mehr
-als dies. Es galt ihm, die Verteilung und die typische Organisation der
-Pflanzen im Zusammenhange mit allen gegenwärtig auf die Erdoberfläche
-wirkenden Kräften und mit der Geschichte unseres Planeten[581] zu
-ergründen.
-
-Was *Humboldt* vorfand, waren nur wenige bescheidene Ansätze. Und
-was er zu schaffen vermochte, waren im wesentlichen auch nur die
-Grundlinien und die Bezeichnung der Ziele der neuen Wissenschaft, zumal
-die Erdgeschichte einen lebensvollen Inhalt erst nach dem Siege der
-Entwicklungslehre über das Dogma von der Konstanz der Arten gewinnen
-konnte. Das Problem der Entwicklungslehre begegnet uns in *Humboldts*
-Worten, die Pflanzengeographie habe zu untersuchen, ob es unter den
-zahllosen Gewächsen der Erde gewisse Urformen gäbe. Vielleicht könne
-man die Verschiedenheit der Arten als die Wirkung der Ausartung und als
-Abweichungen von solchen Urformen betrachten[582].
-
-Zwar, fügt er hinzu, schienen alle Pflanzen und Tiere, welche
-gegenwärtig die Erde bewohnen, seit Jahrtausenden ihre
-charakteristische Form nicht verloren zu haben. So sei der Ibis, den
-man in den ägyptischen Gräbern finde, identisch mit dem, der
-gegenwärtig am Ufer des Niles fischt[583]. Andererseits weist
-*Humboldt* auf die Veränderungen hin, welche die Erde im Laufe
-ihrer, ungeheure Zeiträume umfassenden Geschichte durchgemacht hat
-und mit denen Änderungen in der Tier- und Pflanzenwelt Hand in
-Hand gehen mußten. Die Geographie der Pflanzen sei deshalb an die
-Geologie anzuknüpfen[584], um Licht über die Urgeschichte der Erde zu
-verbreiten. Um ein Urteil über die ehemalige Verbindung nahegelegener
-Ländermassen zu gewinnen, verwerte die Geologie die Ähnlichkeit in der
-Schichtung und Lagerung der Küstengebirge und die Tiefenverhältnisse
-der trennenden Meeresabschnitte. Für die Entscheidung dieser Frage
-könne aber die Geographie der Pflanzen nicht minder wichtige
-Anhaltspunkte liefern. Sie mache es z. B. wahrscheinlich, daß
-Südamerika sich vor der Entwicklung organischer Wesen von Afrika
-getrennt habe. Durch die Pflanzengeographie geleitet könne man in
-das Dunkel eindringen, das den frühesten Zustand unseres Planeten
-einhülle. So gelte es zu entscheiden, ob die Erdrinde an vielen Orten
-zugleich mit verschiedenen Arten bedeckt worden sei, oder ob alle Keime
-sich zuerst in einer Gegend entwickelten und von dort auf schwer zu
-ergründenden Wegen nach anderen Weltteilen wanderten.
-
-*Humboldt* erwägt dann die Umstände, durch welche das ursprüngliche
-Wohngebiet einer Pflanzenart sich erweitern konnte. Als solche werden
-insbesondere die Strömungen der Atmosphäre und des Wassers und der
-Transport durch Tiere betrachtet. So groß indessen diese Einflüsse auch
-sind, sie verschwinden nach *Humboldt* gegenüber dem Einfluß, den der
-Mensch auf die Verbreitung der Gewächse ausübt. »Pflanzen, welche der
-Gegenstand des Garten- und des Ackerbaues sind, haben das wandernde
-Menschengeschlecht seit den fernsten Jahrhunderten begleitet«[585].
-Daher bleibe ihr erstes und ursprüngliches Vaterland oft ein ebenso
-rätselhaftes Problem wie das Vaterland der verschiedenen Menschenrassen
-selbst. Treffend führt *Humboldt* dann weiter aus, wie der Ackerbau
-die Herrschaft fremder eingewanderter Pflanzen über die einheimischen
-begründet und letztere nach und nach auf einen immer enger werdenden
-Raum zusammengedrängt habe. Für die Tropenwelt dagegen konnte
-*Humboldt* damals noch zutreffend sagen, die menschliche Kraft sei zu
-schwach, um eine Vegetation zu besiegen, die nichts unbedeckt lasse und
-den Boden unseren Augen entziehe.
-
-Zum ersten Male wurde durch *Humboldt* die Aufmerksamkeit der Botaniker
-ferner auf diejenigen Erscheinungen der Vegetation gelenkt, welche die
-Physiognomie der Landschaft bestimmen. Eine physiognomische Einteilung
-der Pflanzen nach der Entwicklungsweise ihrer Vegetationsorgane
-begründet zu haben, gilt als eine der wichtigsten Leistungen *von
-Humboldts*[586].
-
-Die Physiognomie einer Flora verdient indessen nicht nur eine
-ästhetische Würdigung, sondern in ihr spricht sich die innige
-Wechselbeziehung zwischen der gesamten Form und den physischen
-Bedingungen viel schärfer aus als in den Charakteren, welche der
-systematischen Einteilung des Pflanzenreiches zugrunde gelegt werden.
-
-In der zahllosen Menge von Pflanzenarten unterschied *Humboldt* nach
-dem erwähnten Gesichtspunkt etwa zwanzig verschiedene Grundgestalten,
-auf die man wahrscheinlich alle Arten zurückführen könne. Die
-wichtigsten unter diesen Vegetationsformen sind die Bananenform,
-die Palmenform, die Formen der Baumfarne, der Nadelhölzer und der
-Orchideen. Ferner seien genannt die Mimosenform mit ihren fein
-gefiederten Blättern, die Lilienform mit ihren einfachen, zart
-gestreiften Blättern, die Kaktusform mit ihren blattlosen, gestachelten
-Stämmen und die Grasform. Unter den blütenlosen Pflanzen werden
-die Formen der Laubmoose, der Blätterflechten und der Hutschwämme
-unterschieden. Mitunter decken sich diese Formen mit großen Abteilungen
-des natürlichen Pflanzensystems. Häufiger jedoch begegnet uns der
-gleiche, durch das Klima und die Bodenbeschaffenheit bedingte Habitus
-bei Pflanzen, die im Bau ihrer Blüten und Früchte weit voneinander
-abstehen.
-
-Untersuchungen über die Verteilung der Pflanzen auf verschiedene
-Höhengürtel hat zuerst *H. B. de Saussure* in den Alpen angestellt.
-Auch fehlte es nicht an dem gelegentlichen Hinweis, daß die Pflanzen
-eines Gebirges, z. B. der Pyrenäen, mit den Pflanzen höherer Breiten
-manche Ähnlichkeit aufweisen. Als allgemeine Gesetzmäßigkeit wurde
-diese Verknüpfung der Höhen mit entfernten, in höherer Breite liegenden
-Tiefebenen indes zuerst von *Humboldt* ausgesprochen[587]. Das reiche,
-ihm zu Gebote stehende Beobachtungsmaterial setzte ihn auch in den
-Stand, für die Tropen die Folge der beim Emporsteigen uns begegnenden
-Pflanzengürtel zu bestimmen. Als Beispiel diene uns die Übersicht der
-Pflanzenregionen, die *Humboldt* an den Abhängen der Cordillere von
-Quito unterschied[588].
-
-Die unterste Region ist diejenige der Palmen und Pisanggewächse. Sie
-steigt von der Meeresfläche bis zu einer Höhe von 1000 Metern empor.
-Unmittelbar darüber liegt die Region der Baumfarne. Dann folgen die
-Region der Eichen (bis 3000 Meter) und diejenige der Alpenkräuter.
-Letztere werden zwischen 4100 und 4600 Meter von den alpinen Gräsern,
-den letzten Blütenpflanzen abgelöst. Von dort bis zur Schneegrenze
-beleben nur Steinflechten die verwitternde Rinde des nackten
-Gesteins[589].
-
-Auch in den Anden Mexikos und am Pik von Teneriffa hat *Humboldt* die
-Aufeinanderfolge bestimmter Pflanzengürtel nachgewiesen.
-
-Dieser kurze Abriß läßt die großen Verdienste, die sich *Humboldt* um
-die Begründung der Pflanzengeographie erworben, zur Genüge erkennen.
-Das meiste, was ihn hier beschäftigte, blieb zwar zunächst Problem.
-Indessen mit vollem Rechte muß man fragen[590], ob sich nicht
-derjenige, der Fragen aufzuwerfen versteht, welche die Arbeit kommender
-Geschlechter auf bestimmte fruchtbare Bahnen lenken, ein ebenso großes
-Verdienst erwirbt, wie der Forscher, der einzelne wissenschaftliche
-Fragen erledigt.
-
-Ähnliches, wie er es in der Aufstellung der Pflanzenregionen geleistet,
-hielt *Humboldt* auch auf dem Gebiete der Zoologie für erstrebenswert.
-»Es wäre interessant«, sagt er, »in einem Profil die Höhen zu
-bestimmen, zu welchen sich die Tiere in den Gebirgsländern erheben.«
-Was ihm dabei vorschwebte, war die Abhängigkeit des Tierlebens von
-meteorologischen Bedingungen, wie er überhaupt der Zoologie weniger
-durch Einzeluntersuchungen als durch den steten Hinweis auf den innigen
-Zusammenhang des Tierlebens mit seinen physischen Bedingungen genützt
-hat.
-
-Auch auf dem Gebiete der Geologie ist *Humboldts* Verdienst vor allem
-in seiner Betonung der allgemeinen Gesichtspunkte zu suchen. Er
-verstand es nämlich, die Geologie in ähnlicher Weise mit der Erdkunde
-in Verbindung zu setzen, wie es ihm so trefflich für diese Wissenschaft
-und die Botanik gelungen war.
-
-Im Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn stand *Humboldt* ganz
-unter dem Einfluß der neptunistischen, von seinem Lehrer *Werner*
-gegründeten Geologenschule. Zwischen ihren Anhängern und den
-Vulkanisten wurde besonders über die Entstehungsart des Basalts
-heftig gestritten. *Humboldts* erste Arbeit betraf gleichfalls diese
-Frage[591]. Er glaubte sie in Übereinstimmung mit *Werner* dahin
-entscheiden zu müssen, daß nach seinen Beobachtungen an den Basalten in
-der Nähe von Linz und Unkel nichts auf vulkanische Wirkungen schließen
-lasse.
-
-Etwa ein Jahrzehnt später begann *Humboldt* seine amerikanische Reise,
-deren Aufgabe und deren Ergebnisse zum großen Teil auf geologischem
-Gebiete lagen. Während der Erforschung der Cordilleren und der
-Verarbeitung des reichen, dort gefundenen Materials vollzog sich in
-ihm und besonders durch ihn ein völliger Umschwung in den geologischen
-Anschauungen. Die Folge war, daß nicht nur für den Basalt, sondern auch
-für den Granit, sowie die Trachyte und Porphyre, eine Entstehung auf
-feurig flüssigem Wege angenommen wurde. Die feinere mechanische Analyse
-des Basalts ergab für dies Gestein trotz seines scheinbar gleichartigen
-Aussehens, daß es ein Gemenge von Mineralien und dem Granit in seiner
-Zusammensetzung nicht unähnlich ist[592].
-
-Grundlegend für die Lehre vom Vulkanismus war vor allem *Humboldts*
-Beobachtung, daß in den Gebirgen Amerikas Trachyte in der Nachbarschaft
-von Vulkanen auftreten und diese gleichsam anzukündigen scheinen.
-*Humboldt* machte ferner auf den mitunter anzutreffenden allmählichen
-Übergang von Trachyt in Gesteine von glasiger und schlackiger
-Beschaffenheit aufmerksam. Da letztere (Obsidian, Bimsstein) noch heute
-als Erzeugnisse tätiger Vulkane angetroffen werden, so war der Schluß
-auf den eruptiven Ursprung der ohne scharfe Grenze in sie übergehenden
-Massengesteine wohl berechtigt.
-
-Die Erkenntnis, daß die Eruptivgesteine eine viel größere Verbreitung
-besitzen, als man früher geahnt hatte, führte bei *Humboldt* und seinem
-Mitarbeiter *L. v. Buch*, zu einer großen Überschätzung der Wirkungen
-der Eruptivgesteine. So nahm *von Buch* an, daß die Alpenkette und die
-Mehrzahl der übrigen Gebirge durch den Porphyr bei seinem Hervorbrechen
-aus dem Erdinnern emporgehoben sei[593]. Selbst der Dolomit sollte
-unter der Wirkung vulkanischer Kräfte in der Weise entstanden sein, daß
-dampfförmiges Magnesiumoxyd in den Kalkstein eindrang und damit ein
-Calcium-Magnesiumkarbonat bildete.
-
-Aus ähnlichen Voraussetzungen erklärte *Humboldt* die Entstehung der
-amerikanischen Gebirge. Die Ketten der Anden und Venezuelas sollten
-sich über langgestreckten Erdspalten, die Gebirgsgruppen dagegen
-über einem Netz von Spalten erhoben haben. Dabei habe ein von innen
-nach außen wirkender Druck die starren Massen gehoben und feurig
-flüssiges Material emporgepreßt. Die Gebirge erschienen nach dieser
-Auffassung als Zeugen großer Katastrophen, als Zeugnisse gewaltiger
-Erdrevolutionen. Doch suchte *Humboldt* das Katastrophenartige
-dieser etwa die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts beherrschenden
-Erklärungsweise dadurch zu mildern, daß er auf die verhältnismäßig
-geringe Masse des emporgehobenen Materials hinwies. So würden die
-Alpen, über das flache Land verteilt, Europa nur um 20 Fuß erhöhen.
-
-Auch die Vulkane, deren reihenförmige Anordnung *Humboldts* Erforschung
-des südamerikanischen Kontinents unzweifelhaft dargetan, sollten nach
-seiner und *von Buchs* Ansicht durch Erhebung entstehen. Aus der
-Anordnung der Vulkane wurde mit Recht auf das Vorhandensein von Spalten
-in der Erdkruste geschlossen. Über diesen Spalten entstanden nach der
-damals herrschenden Vorstellung die Vulkane aber weniger durch die
-Anhäufung von Schlacken und Lavaschichten. Sondern die vulkanische
-Tätigkeit sollte »formgebend und gestaltend[594] durch Erhebung des
-Bodens« wirken. Durch diese Tätigkeit entstehe eine blasenförmige
-Auftreibung des Bodens und endlich durch Sprengung des höchsten
-Teiles der »Erhebungskrater«. Die großen Vulkane dachten sich somit
-beide Forscher nicht durch Aufschüttung von Schlacken und Anhäufung
-von Laven, sondern gewissermaßen aus einem Stück erzeugt. Erst durch
-den großen Umschwung, den die Geologie durch *Lyell* und seine
-Schüler erfuhr, wurde die Bildung der Vulkane nicht aus plötzlichen
-Katastrophen, sondern durch einen allmählichen Aufbau erklärt.
-
-Mit den Vulkanen brachte *Humboldt* die Erscheinung des Erdbebens
-in engsten Zusammenhang, insofern er beide auf die gleiche Ursache
-zurückführte. Die in der Tiefe eingeschlossenen Dämpfe, denen die
-Entstehung und die Ausbrüche der Vulkane zugeschrieben wurden, sollten,
-wo sie keinen Ausgang finden, die Erschütterungen hervorrufen. Daher
-rührt auch sein auf eine Vorstellung *Strabons* zurückzuführendes Wort,
-daß die Vulkane als Sicherheitsventile zu betrachten seien. *Humboldt*
-führt als Beispiel einen südamerikanischen Vulkan an, dessen Tätigkeit
-plötzlich erlosch, während gleichzeitig in seiner Nachbarschaft eins
-der furchtbarsten Erdbeben stattfand.
-
-Haben sich auch manche Anschauungen über die Ursachen geologischer
-Vorgänge seit den Zeiten *Humboldts* und *Buchs* geändert, so dürfen
-wir doch nicht vergessen, daß diese Männer die wissenschaftliche
-Erforschung der Vulkane und der Erdbeben erst in Angriff genommen
-haben. Vor *Humboldts* südamerikanischer Reise waren der Vesuv
-und der Ätna die einzigen genauer untersuchten Vulkane[595]. Und
-hinsichtlich der Erdbeben hatte man weniger an die Erforschung der
-geologischen und der physischen Umstände als an die Aufzeichnung
-ihrer zerstörenden Wirkungen gedacht. *Humboldt* mit seinem auf
-Verallgemeinerung gerichteten Gedankenflug war es vor allem, der die
-verschiedenartigsten tellurischen Erscheinungen unter der Bezeichnung
-des Vulkanismus als die Ausflüsse ein und derselben Ursache auffassen
-lehrte. Sie alle bestanden in der Reaktion des heißen Erdinnern
-gegen die Rinde, mochten sie sich nun als bloße Erschütterungen, als
-Thermalquellen, Gasexhalationen, Schlamm- oder Vulkanausbrüche geltend
-machen. *Humboldt* lehrte all diese Erscheinungen als Abstufungen der
-vulkanischen Lebenstätigkeit unseres Planeten auffassen und verstand es
-von diesem hohen Gesichtspunkt aus, der Wissenschaft eine solche Fülle
-von Einzelbeobachtungen zuzuführen, wie es kaum ein anderer vor und
-nach ihm vermocht hat.
-
-
-
-
-22. Die Mineralogie unter dem Einfluß der chemisch-physikalischen
-Forschung.
-
-
-Wir befaßten uns mit der Mineralogie zuletzt im Schlußabschnitt des
-vorigen Bandes. Für *Linné* und *Werner* war die Mineralogie in der
-Hauptsache Mineralbeschreibung. Gegen das Ende des 18. Jahrhunderts
-wandten *Scheele* und *Bergman* ihre Aufmerksamkeit vorzugsweise der
-chemischen Zusammensetzung der anorganischen Naturkörper zu. Die
-großen Fortschritte der Physik und der Chemie, die wir in den ersten
-Abschnitten dieses Bandes kennen lernten, beeinflußten die weitere
-Entwicklung der Mineralogie in hohem Grade. Zwar beanspruchte nach wie
-vor die Form der Mineralien ein großes Interesse. An die Stelle der
-bloßen Beschreibung trat jetzt aber das Bestreben, die verwirrende
-Vielheit der Gestalten auf wenige Grundgesetze zurückzuführen.
-Gefördert wurde dieses Streben dadurch, daß in dem von *Wollaston*
-erfundenen Reflexionsgoniometer (1809) ein Werkzeug[596] zur genauen
-Untersuchung auch der kleineren Kristalle entstand.
-
-Von Bedeutung waren auch die Lehren *Hauys*. Nach *Hauy*[597]
-hängen das Gefüge und die Form eines Kristalles nur von der Gestalt
-der ihn zusammensetzenden Teilchen, sowie von deren Anordnung ab.
-Unter den Formen, in denen ein kristallisierter Stoff auftritt,
-gibt es nach ihm eine, die als die primitive betrachtet werden muß.
-Aus dieser lassen sich sämtliche Gestalten als sekundäre Formen
-ableiten. Als primitiv betrachtete *Hauy* die aus der Zertrümmerung
-des Kristalls hervorgehende Spaltform, auf deren Unveränderlichkeit
-er hinwies. Abb. 59 u. 60 zeigen, wie das Rhombendodekaeder und das
-Pentagondodekaeder durch verschiedenartigen Aufbau aus dem Würfel
-hervorgehen können[598]. Solche Betrachtungen führten *Hauy* zu der
-Entdeckung des die Kristallwelt beherrschenden Grundgesetzes von der
-Rationalität der Achsenabschnitte. Nach diesem Gesetz sind die Zahlen,
-nach denen die sekundären Formen aus der Grundform abgeleitet werden,
-stets rational und sehr einfach, z. B. 2, 3, 3/2 u. s. f. So läuft
-bei der am häufigsten vorkommenden Art des Pyramidenwürfels jede der
-24 Kristallflächen einer Achse parallel und schneidet die beiden
-anderen Achsen im Verhältnis 1 : 2. Die Bezeichnung für diese Form ist
-dementsprechend a : 2a: ∞a. Ferner kommen vor die Pyramidenwürfel a :
-3a : ∞a und a : 3/2a : ∞a (allgemein a : na : ∞a oder nach *Naumann*scher
-Bezeichnungsweise ∞ O n).
-
-[Illustration: Abb. 59. *Hauys* Ableitung des Rhombendodekaeders
-(*Hauy*, Traité de minéralogie. V. Pl. VIII).]
-
-[Illustration: Abb. 60. *Hauys* Ableitung des Pentagondodekaeders
-(*Hauy*, Traité de minéralogie. V. Pl. VIII.)]
-
-Während der ersten Dezennien des neunzehnten Jahrhunderts vollzog sich
-die festere Begründung der Kristallographie. *Weiß* entdeckte das
-Gesetz der Hemiedrie, nachdem schon vor ihm die Bemerkung gemacht
-worden war[599], das Pentagondodekaeder ((∞ O n)/2, n = 2, 3/2, 3 u.
-s. f.) mit seinen 12 Flächen gehe aus dem vierundzwanzigflächigen
-Pyramidenwürfel (∞ O n) hervor, wenn »die Gesetze nur zur Hälfte
-wirken«.
-
-*Weiß* und *Naumann* schufen fast zur selben Zeit, als *Berzelius*
-die chemische Zeichensprache ins Leben rief, jene einfachen, auf
-der Annahme von Achsen begründeten Bezeichnungen, die einen klaren
-Überblick über die Ergebnisse der kristallographischen Forschung
-ermöglichten und noch heute im Gebrauch sind.
-
-Seitdem in der mineralogischen Systematik die besonders durch
-*Berzelius*, *Bergman* und *Klaproth* geförderte chemische Richtung
-gesiegt hatte, lehrte die mit vielem Eifer betriebene Analyse
-zahlreiche neue Mineralien kennen, so daß ihre Zahl sich in dem
-Zeitraum von dem Tode *Werners* bis zum Erscheinen der Geschichte der
-Mineralogie *v. Kobells* (1817-1864) fast verdreifachte.
-
-Durch das Zusammenwirken von Analyse und Kristallbeschreibung
-gelangte man auch zur Entdeckung neuer wichtiger Beziehungen. Zwei
-bekannte Mineralien, Kalkspat und Aragonit, die man bis dahin oft
-verwechselt hatte, treten, wie *Hauy* nachwies, in Formen auf, die
-nicht aufeinander zurückgeführt werden können. Nun zeigte der um die
-Mineralanalyse sehr verdiente *Klaproth*[600], der Entdecker der
-Zirkon-, Uran- und Titanerde, daß beide Mineralien ihrer chemischen
-Natur nach dasselbe, nämlich Kalziumkarbonat, sind. Daß ein und
-dieselbe Substanz zwei verschiedene Mineralien bilden könne, wurde
-damals von vielen geradezu für unmöglich gehalten. Auch *Hauy*
-vermochte eine solche Annahme mit den von ihm entwickelten Ansichten
-nicht zu vereinigen. Man dachte daher zunächst, die Verschiedenheit
-in der Form und in den physikalischen Eigenschaften von Kalkspat und
-Aragonit werde durch Beimengungen hervorgebracht, und frohlockte, als
-man in dem Strontium einen regelmäßigen Bestandteil des Aragonits
-nachgewiesen zu haben glaubte. Bald darauf fand man jedoch Aragonit
-ohne einen Gehalt an Strontium und konnte sich nun nicht länger
-sträuben, die neuentdeckte Tatsache, welche man als Dimorphie
-bezeichnete, anzuerkennen.
-
-Auch das entgegengesetzte Verhalten, daß zwei Mineralien von
-verschiedener Zusammensetzung, wie Kalkspat und Eisenspat, in derselben
-Form kristallisieren, wurde beobachtet. *Hauy* glaubte indessen
-mathematisch beweisen zu können, daß verschiedene Stoffe, abgesehen
-von denjenigen, die regulär kristallisieren, nicht dieselbe Form
-besitzen können. Nach ihm sollte sich der Kalkspat unter Beibehaltung
-der Gestalt in Eisenspat umwandeln, also eine ähnliche Entstehung
-nehmen wie das versteinerte Holz. Daß es sich indessen hier nicht um
-Zufälligkeiten handelt, sondern daß die Kristallform enge Beziehungen
-zur chemischen Konstitution aufweist, diese Entdeckung und ihre
-allseitige Begründung verdanken wir dem genialen *Mitscherlich*, der
-auf fast allen Gebieten der Chemie und Mineralogie der Forschung neue
-Bahnen gewiesen hat.
-
-*Eilhard Mitscherlich* wurde 1794 in der Nähe von Jever geboren.
-Er wandte sich, angeregt durch den Historiker *Schlosser*, der auf
-dem Gymnasium zu Jever sein Lehrer war, zunächst der Philologie
-und der Geschichte zu. Mehr nebenbei betrieb er das Studium der
-Naturwissenschaften. *Mitscherlich* hatte das Glück, auf diesem
-Gebiete, wenige Jahre nachdem er es betreten, eine der wichtigsten
-Entdeckungen zu machen, die seinem ganzen ferneren Leben Richtung und
-Inhalt verliehen hat. Es war die schon erwähnte, später noch genauer
-zu besprechende Isomorphie ähnlich zusammengesetzter Mineralien und
-Präparate. *Mitscherlich* machte diese Entdeckung im Jahre 1818 in
-Berlin, wo bald darauf der große nordische Chemiker *Berzelius*
-vorübergehend weilte. Letzterer erkannte sofort die Bedeutung des
-jugendlichen Fachgenossen und bewog ihn, in Stockholm in seinem
-Laboratorium die in Berlin begonnenen Untersuchungen fortzusetzen.
-Im Jahre 1821 kehrte *Mitscherlich* nach Berlin zurück, wo man
-den 27jährigen Forscher dadurch zu fesseln wußte, daß man ihm die
-Mitgliedschaft der Akademie und die durch *Klaproths* Ableben erledigte
-Professur der Chemie übertrug. *Mitscherlich* starb in Berlin im Jahre
-1863.
-
-An früheren Beobachtungen, die zu *Mitscherlichs* Lehre von der
-Isomorphie hinüberleiten, ist kein Mangel. *Gay-Lussac* hatte gefunden,
-daß Kupfervitriol in der Form des Eisenvitriols kristallisiert, wenn
-letzterer in geringer Menge der Kupferlösung zugesetzt wird. Ferner
-war bekannt, daß im Alaun das Kalium durch Ammonium und durch Natrium
-vertreten werden kann. Anknüpfend an diese Erscheinung wies man darauf
-hin, daß auch im Mineralreich ein ähnliches Verhältnis vorkommt, das
-man mit dem Worte Vikariieren, d. h. sich gegenseitig vertreten,
-bezeichnete[601].
-
-Später (1819) zeigte *Mitscherlich*, daß die vikariierenden
-Bestandteile der Mineralien von analoger atomistischer Zusammensetzung
-sind und daß diese Analogie Gleichheit oder annähernde Gleichheit
-der Kristallform bedingt. *Mitscherlich* wies diese von ihm als
-Isomorphie bezeichnete Erscheinung besonders an künstlich dargestellten
-Verbindungen, z. B. an den Salzen, welche Phosphorsäure und Arsensäure
-mit demselben Metalle[602] bilden, nach. Auch Eisensulfat und
-Kobaltsulfat, sowie die mit 7 Molekülen Wasser kristallisierenden
-Sulfate von Magnesium, Nickel und Zink stimmen nach der Untersuchung
-*Mitscherlichs*[603] in ihrer Form vollkommen überein. An den Eisenspat
-schlossen sich Zink- und Manganspat als gleichfalls dem Kalkspat
-isomorphe Mineralien an. Aus den angeführten Beispielen geht schon
-zur Genüge hervor, daß es Verbindungen von ähnlicher chemischer
-Zusammensetzung sind, an denen sich Isomorphie beobachten läßt.
-
-Auf die Untersuchung der phosphorsauren und der arsensauren Salze
-wurde *Mitscherlich* dadurch geführt, daß *Berzelius* bei der
-Untersuchung der Säuren (Säureanhydride) des Phosphors und des
-Arsens eine Abweichung von der allgemeinen Regel gefunden hatte. Die
-Sauerstoffmengen, mit denen sich beide Elemente zu Säuren verbinden,
-verhalten sich nämlich, wie *Berzelius* fand, wie 3 zu 5 (P_{2}O_{3},
-P_{2}O_{5}; As_{2}O_{3}, As_{2}O_{5}).
-
-Als *Mitscherlich* im Jahre 1818 im Laboratorium zu Berlin mit der
-Nachprüfung dieser Proportionen beschäftigt war und zu diesem Zwecke
-auch die Salze der betreffenden Säuren untersuchte, war er überrascht,
-zu sehen, daß diese Salze sich in der Form zu gleichen schienen.
-*Mitscherlich* war damals mit den Methoden der Kristallographie
-noch nicht bekannt. Er bat deshalb *G. Rose*, den später so berühmt
-gewordenen Mineralogen, ihm bei der weiteren Untersuchung behilflich
-zu sein. In gemeinsamer Arbeit stellten beide darauf fest, daß
-phosphorsaure und arsensaure Salze von analoger Zusammensetzung in der
-Kristallform übereinstimmen.
-
-*Mitscherlich* kam durch seine Untersuchung zu dem allgemeinen
-Ergebnis[604], daß eine gleiche Anzahl von Atomen, wenn sie auf gleiche
-Weise verbunden sind, gleiche Kristallform hervorbringen, daß also
-die Kristallform nicht auf der Natur der Atome, sondern auf ihrer
-Anzahl und Verbindungsweise beruhe. Später erkannte er jedoch, daß
-neben der Zahl der elementaren Teilchen deren chemische Natur doch
-*mitbestimmend* ist.
-
-»Ich hoffe,« schloß *Mitscherlich* seine berühmte Abhandlung, in
-welcher er die Lehre von der Isomorphie begründete, »daß das Studium
-der Kristallisation ebenso bestimmt wie die chemische Analyse das
-Verhältnis der Bestandteile der Körper angeben wird.« Die Isomorphie
-wurde seitdem von *Mitscherlich* und von *Berzelius* auch umgekehrt
-dazu benutzt, um eine Übereinstimmung in dem atomistischen Aufbau der
-untersuchten Verbindungen nachzuweisen. Demgemäß erblickte *Berzelius*,
-welcher die Isomorphie als die wichtigste seit der Aufstellung der
-Lehre von den Proportionen gemachte Entdeckung bezeichnete, in den
-Mengen der sich entsprechenden Elemente (z. B. Kobalt und Eisen in
-ihren Sulfaten), die mit einer bestimmten Menge Sauerstoff verbunden
-sind, die relativen Atomgewichte. *Berzelius* wandte das neue
-Hilfsmittel auch als Prüfstein für die Zuverlässigkeit seiner eigenen
-Atomgewichtsbestimmungen in ausgedehnter Weise an. Das Ergebnis war
-sein berichtigtes Atomgewichtssystem vom Jahre 1821.
-
-*Mitscherlich* ist der Nachweis zu verdanken, daß die Dimorphie
-gleichfalls künstlich hervorgerufen werden kann und daß sie von den
-physikalischen Umständen abhängt, unter denen die Kristallisation
-vor sich geht[605]. So erhielt er Schwefel in verschiedenen Formen,
-je nachdem dies Element aus einer Lösung oder aus dem Schmelzfluß
-erstarrte. Ähnlich wurde später die Dimorphie von Calziumkarbonat
-erklärt[606]. Fällt man diese Substanz bei gewöhnlicher Temperatur,
-so weist sie die Gestalt des Kalkspats auf, während sich
-Aragonitkriställchen bilden, wenn der Niederschlag aus einer heißen
-Lösung entsteht.
-
-Eine neue Erweiterung erfuhr die Kristallographie durch *Mitscherlichs*
-Entdeckung, daß die Kristallform sich stetig, wenn auch wenig mit der
-Temperatur ändert und daß diese Änderung wieder in naher Beziehung
-zur Form der Kristalle, insbesondere zur Lage der Achsen steht. Die
-Untersuchung ergab im einzelnen folgendes: Die Kristalle des regulären
-Systems werden durch die Wärme nach allen Richtungen gleichstark
-ausgedehnt. Ihre Winkel wurden daher nicht geändert. Die Kristalle
-des hexagonalen Systems zeigen dagegen, wie *Mitscherlich* aus der
-Größe der beim Erwärmen eintretenden Winkeländerung bestimmte, in der
-Richtung der Hauptachse ein anderes Verhalten wie in der Richtung der
-Nebenachsen. Die Kristalle des rhombischen Systems endlich werden
-entsprechend der Verschiedenheit ihrer drei Achsen auch nach allen drei
-Richtungen von der Wärme in verschiedenem Maße beeinflußt. Durch diese
-thermische Untersuchung der Kristalle, welche durch die Prüfung ihres
-optischen Verhaltens seitens anderer Forscher eine Ergänzung erfuhr,
-wurde eine der Grundlagen für die physikalische Kristallographie
-geschaffen.
-
-Auch die so junge, aber erfolgreiche Wissenschaft der Mineralsynthese,
-die sich mit der künstlichen Erzeugung von Mineralien beschäftigt,
-um die Bedingungen kennen zu lernen, unter denen ihre natürliche
-Entstehung vor sich geht, wurde durch *Mitscherlich* mitbegründet[607].
-Als ein wichtiges Mittel für die Mineralsynthese erkannte er den
-Schmelzfluß. Er wies nach, daß die in den Schlacken vorkommenden
-Kristallbildungen häufig mit bekannten Mineralien, wie Glimmer und
-Augit, identisch sind.
-
-Hand in Hand mit all diesen Untersuchungen ging eine stete Verbesserung
-der Methoden und der Apparate. Unter letzteren ist insbesondere
-*Mitscherlichs* Fernrohrgoniometer zu nennen, das an Genauigkeit der
-Winkelmessungen das *Wollaston*sche Goniometer erheblich übertraf.
-
-*Mitscherlichs* Arbeiten auf dem Gebiete der reinen Chemie betrafen vor
-allem die organischen Verbindungen; sie werden an anderer Stelle zu
-behandeln sein. Hier sei jedoch noch seine Untersuchung des Mangans
-erwähnt, welche die Mangansäure und die Übermangansäure kennen lehrte.
-
-Die Verdienste *Klaproths* liegen in erster Linie auf dem Gebiete
-der Mineralchemie. Wir wollen ihrer hier noch im einzelnen gedenken,
-wie wir es soeben hinsichtlich *Mitscherlichs* Arbeiten getan haben.
-Das Wirken dieser beiden Männer zeigt am besten, welch hohe Stufe
-die chemische und die mineralogische Forschung am Ende des 18. und
-während der ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts auch in Deutschland
-erreicht hatten. Martin Heinrich *Klaproth* wurde 1743 in Wernigerode
-geboren. Er ist wie viele große Chemiker der früheren Zeit aus der
-pharmazeutischen Laufbahn hervorgegangen. *Klaproth* wirkte in Berlin
-als Apotheker und hielt dort Vorlesungen über Chemie. Nach der Gründung
-der Berliner Universität im Jahre 1810 wurde ihm die erste Professur
-für Chemie an dieser Hochschule übertragen. Gleichzeitig war er
-Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Er starb in Berlin im Jahre
-1817.
-
-*Klaproth* hat für die Mineralchemie fast dieselbe Bedeutung, wie
-sie *Lavoisier* für die allgemeine Chemie besitzt. Er eröffnete auf
-jenem Gebiete, dem er sich seit dem Jahre 1785 mit unermüdlichem Eifer
-widmete, das Zeitalter der quantitativen Untersuchungsweise. Nachdem
-die antiphlogistische Theorie in Deutschland bekannt geworden, war
-*Klaproth* einer der ersten, der sie einer gründlichen Nachprüfung
-unterwarf und seitdem -- es war im Jahre 1792 -- für die Beseitigung
-der in Deutschland herrschenden *Stahl*schen Lehre eintrat. Zu den
-ersten, die *Klaproth* von der Richtigkeit der *Lavoisier*schen Lehre
-zu überzeugen vermochte, gehörte *Alexander von Humboldt*.
-
-An Genauigkeit der Arbeitsweise und Gewissenhaftigkeit kommt unter den
-Forschern, die im Beginn des 19. Jahrhunderts die Führung übernahmen,
-dem Deutschen *Klaproth* nur der Schwede *Berzelius* gleich. Wie
-letzterer durch tausende von sorgfältigen Analysen sichere Grundlagen
-für das Gebiet der allgemeinen Chemie zu schaffen wußte, so war
-*Klaproth* mit gleichem Erfolge auf der enger begrenzten Domäne
-der Mineralchemie tätig. Bei diesen Untersuchungen konnte es nicht
-ausbleiben, daß er das Lehrgebäude der allgemeinen Chemie um manche
-wichtige Tatsache bereicherte. Hatte er doch das Glück, bei seinen
-Untersuchungen seltener Mineralien vier neue Elemente zu entdecken.
-»Wenn man bedenkt, wie selten einem Chemiker das Glück zuteil wird,
-ein einziges Element aufzufinden, so wird es begreiflich erscheinen,
-wie sehr *Klaproths* Entdeckung von vier Elementen seinen Zeitgenossen
-imponieren mußte«[608]. Es war im Jahre 1789, als *Klaproth* in der
-neuerdings durch die Radiumforschung so bekannt gewordenen Pechblende
-ein neues Metall entdeckte. Er nannte es zur Erinnerung an die in
-jenen Zeitraum fallende Auffindung des Planeten Uranus Uranium. In
-Wahrheit handelte es sich allerdings bei *Klaproths* Arbeit um eine
-Sauerstoffverbindung dieses Metalles, dessen Reindarstellung erst im
-Jahre 1842 gelang[609]. Im Jahre 1789 entdeckte *Klaproth* in dem
-Mineral Zirkon die Zirkonerde. Die Abscheidung des Metalles Zirkonium
-gelang *Berzelius* vermittelst einer Methode, welche auf der ganz
-außerordentlichen Fähigkeit des Kaliums, die Verbindungen anderer
-Metalle zu zersetzen, beruht. Etwas später (1795) entdeckte *Klaproth*
-einen neuen Metallkalk in dem Mineral Rutil. Er nannte das dem Kalk
-zugrunde liegende Metall Titanium. Aus der Titanverbindung das Metall
-abzuscheiden, gelang gleichfalls erst *Berzelius* mit Hilfe der
-erwähnten Methode. In dem in Schweden vorkommenden Silikat Cerit fanden
-beide Forscher gleichzeitig (1795) die Cererde, die jedoch wieder erst
-*Berzelius* als das Oxyd eines Metalls erkannte.
-
-Erwähnenswert sind ferner *Klaproths* Versuche, bei denen er eine
-Anzahl von Mineralien der höchsten ihm zu Gebote stehenden Glut des
-Porzellanofens aussetzte. Dabei zeigte es sich, daß man gewisse
-Stoffe, wie Kalk und Bittererde, bislang nur deshalb für schmelzbar
-gehalten hatte, weil sie sich mit der Masse des Schmelztiegels zu
-einer in der Weißglut schmelzenden Substanz verbinden. Für mehr als
-200 Mineralien hat *Klaproth* die sorgfältigsten Analysen angestellt.
-Die betreffenden, in der Literatur zerstreuten Arbeiten wurden zu
-einem umfangreichen Werk vereinigt, das er (1795-1810) unter dem
-Titel: »Beiträge zur chemischen Kenntnis der Mineralkörper« herausgab.
-Damit hat *Klaproth* den Grund zu der Gruppierung der Mineralien nach
-chemischen Gesichtspunkten gelegt.
-
-Auch einen wichtigen methodischen Fortschritt verdankt man *Klaproth*.
-Vor ihm war es die Gepflogenheit der Analytiker, als Ergebnis ihrer
-Untersuchungen korrigierte Werte und nicht die unmittelbar durch den
-Versuch gewonnenen Daten mitzuteilen. *Klaproth* dagegen teilte seine
-Analysen ohne jede Voreingenommenheit und ohne den Versuch einer
-Abrundung mit. Auf diese Weise ließ sich das Gewicht der Bestandteile
-mit dem Gesamtgewicht der untersuchten Substanz vergleichen. Verluste
-oder Überschüsse waren jedem Fachgenossen ersichtlich und dadurch war
-einer Kritik der angewandten Methode die beste Handhabe gegeben. Aus
-dieser Kritik -- und das war die günstige Rückwirkung, welche die
-Verbesserung der Methode hier wie in allen ähnlichen Fällen auf die
-Wissenschaft ausgeübt hat -- entsprangen neue Untersuchungen, die zur
-Verbesserung des analytischen Verfahrens, zur Berichtigung von Fehlern,
-zu immer neuen Entdeckungen, kurz zur Vertiefung und Vermehrung des
-Wissensschatzes führten.
-
-Wie der chemische Aufbau, so wurde auch das physikalische und zwar
-insbesondere das optische Verhalten mit der Form der Mineralien in
-Beziehung gebracht. Als *Huygens* seine Abhandlung über das Licht
-schrieb, war die Doppelbrechung nur am isländischen Kalkspat und am
-Quarz bekannt. Später entdeckte man sie auch an anderen Substanzen,
-indem man von kleinen Körpern, z. B. von der Spitze einer Nadel, ein
-doppeltes Bild erhielt. War der Richtungsunterschied der Strahlen
-nur klein, so entging er entweder gänzlich der Beobachtung, oder
-das Ergebnis war ein zweifelhaftes. Dies wurde anders, als *Arago*
-die chromatische Polarisation auffand[610]. Jetzt genügte es, ein
-dünnes Blättchen im polarisierten Licht zu untersuchen, um über die
-Beschaffenheit des betreffenden Minerales Aufschluß zu erlangen.
-
-Die Beziehung zwischen der Kristallform und dem optischen Verhalten
-konnte seitdem nicht länger verborgen bleiben. Man erkannte, daß
-alle regulären Substanzen das Licht einfach brechen, aber durch
-Zusammenpressen doppeltbrechend gemacht werden können. Eine derartige
-gewaltsame Änderung konnte nur bewirkt haben, daß die Moleküle in der
-einen Richtung einander genähert, in einer dazu senkrechten voneinander
-entfernt wurden, daraus schloß man, daß die Anordnung der Moleküle die
-Ursache des optischen Verhaltens der doppeltbrechenden Kristalle sei.
-
-
-
-
-23. Die Aufstellung eines natürlichen Pflanzensystems.
-
-
-Wie für die chemisch-physikalische Forschung, so begann auch für die
-beschreibenden Naturwissenschaften gegen das Ende des 18. Jahrhunderts
-eine neue Zeit. Während der auf *Linné* folgenden Jahrzehnte waren alle
-Bemühungen so sehr auf die Ausfeilung des von diesem Manne geschaffenen
-Systems gerichtet, daß das eigentliche Ziel der Naturforschung, welches
-doch in der Erkenntnis des Zusammenhanges der Erscheinungen besteht,
-darüber fast aus dem Auge verloren wurde. Endlich besann man sich,
-daß man in dem künstlichen System nichts mehr als ein bloßes Register
-besitze und von der Erreichung jenes Zieles noch unendlich weit
-entfernt sei. Diese Einsicht begegnet uns zunächst nur in einzelnen
-hervorragenden Köpfen. Wie die Neugestaltung der Chemie, so nahm die
-Umbildung der beschreibenden Naturwissenschaften ihren Ursprung in
-Frankreich, dem Lande, das gleichzeitig mit der größten Entfaltung
-seiner Volkskraft den belebendsten Einfluß auf die Wissenschaften
-ausgeübt hat.
-
-Die Forderung, daß das System die Verwandtschaft zum Ausdruck bringen
-solle, hatte schon *Linné* erhoben. Er bildete bereits eine Anzahl von
-Gruppen, die natürlichen Verwandtschaftskreisen entsprachen. Diese
-Gruppen umfaßten jedoch nicht das gesamte Pflanzenreich. Sie wurden
-von *Linné* ferner nur benannt und aufgezählt. Kurz, das Ganze war
-ein bloßer Versuch, der zu einer Fortsetzung in der eingeschlagenen
-Richtung ermuntern sollte.
-
-*Linnés* System hatte in Frankreich weniger Eingang gefunden als in
-anderen Ländern. In Frankreich waren es besonders *Adanson*, sowie
-der ältere und der jüngere *de Jussieu*, welche die Grundlagen des
-natürlichen Pflanzensystems schufen.
-
-*Adanson*[611] versuchte, durch eine außerordentlich umfassende
-Induktion zu einem Einblick in die natürliche Verwandtschaft zu
-gelangen. Er ordnete die Pflanzen zunächst nach der Beschaffenheit
-eines Organs und erhielt dadurch ein künstliches System. Dann
-gruppierte er die Pflanzen ein zweites Mal, indem er ein anderes Organ
-zugrunde legte. Indem er dies oft wiederholte, gelangte er jedesmal
-zu einem neuen künstlichen System[612]. Sein leitender Gedanke
-war nun der, daß die natürliche Verwandtschaft aus dem Vergleich
-dieser künstlichen Systeme hervorleuchten müsse. In je mehr Systemen
-nämlich die Arten nahe beieinander ständen, um so größer sei ihre
-Verwandtschaft. Bei *Adanson* begegnet uns auch schon die Ansicht, daß
-die Arten durchaus nicht unveränderliche Formen seien.
-
-Im engen Anschluß an den von *Linné* herrührenden Versuch stellte
-*Bernard de Jussieu* (1699-1777, Professor am Jardin royal in Trianon)
-seine Gruppen auf. *Jussieu* dehnte die Einteilung nach natürlichen
-Verwandtschaftsverhältnissen, die er auch in den Anpflanzungen des
-Jardin royal zum Ausdruck brachte, mit den Kryptogamen beginnend
-und daran die Monokotylen, die Dikotylen und endlich die Koniferen
-anschließend, über das gesamte Pflanzenreich aus. Sein System umfaßte
-14 Klassen. Die erste enthielt sämtliche Kryptogamen, die er als
-Akotyledonen bezeichnete. Die Monokotyledonen wurden, je nachdem
-die Staubfäden auf dem Blütenboden stehen, mit der Blütenhülle oder
-mit dem Fruchtknoten (Orchideen) verwachsen sind, in drei Klassen
-eingeteilt. Die Dikotyledonen zerfielen in die großen, nach der
-Beschaffenheit der Krone gebildeten Unterabteilungen der Apetalen
-(Blumenblattlose), der Monopetalen (Blumenkrone aus einem Stück
-bestehend) und der Polypetalen (mit mehreren Kronenblättern). Sie
-wurden nach den Stellungsverhältnissen von Blumenkrone, Staubgefäßen
-und Fruchtknoten wieder in Klassen eingeteilt. Das System *Bernard
-de Jussieus* beruhte auf der Verknüpfung der natürlichen mit einer
-künstlichen Anordnung. Es wurde durch seinen Neffen *Antoine Laurent
-de Jussieu* weiter ausgebaut. *Antoine Laurent de Jussieu* (1748-1836)
-war Professor am Jardin des Plantes zu Paris. Sein Verdienst besteht
-darin, daß er die Anzahl der natürlichen Gruppen (Familien) nicht nur
-vergrößerte, sondern die jeder Gruppe gemeinschaftlichen Merkmale, die
-Familiencharaktere, klar erkannte und scharf hervorhob.
-
-Ihre wertvollste Stütze erhielten die Bemühungen *A. L. de Jussieus*
-durch den deutschen Botaniker *Gärtner*, der gleich *Kölreuter* und
-*Sprengel* im eigenen Vaterlande kaum verstanden und gewürdigt wurde.
-
-*Joseph Gärtner*[613] hat in dem Bestreben, das natürliche System
-begründen zu helfen, die erste wissenschaftliche Morphologie der
-Früchte und der Samen geliefert. Die Zahl der von ihm hinsichtlich
-dieser Teile genau untersuchten Pflanzengattungen beläuft sich auf
-über tausend. Zu den wichtigsten Ergebnissen seiner Arbeit gehört
-die Erkenntnis, daß die Sporen der Kryptogamen und die Samen der
-Blütenpflanzen grundverschiedene Gebilde sind. Er zeigte, daß die
-eigentlichen Samen stets einen Embryo (Keimling) enthalten. Die
-Lage dieses Keimlings, die Richtung seiner Wurzel und die Zahl und
-Gestalt der Keimblätter machte er zum Gegenstande der eingehendsten
-Untersuchung, um auf die gefundenen Besonderheiten dann wieder
-Familiencharaktere zu gründen. Dabei verfiel er nie in einseitige
-Bevorzugung der von ihm auf diese Weise gefundenen Merkmale, sondern er
-betrachtete sie als zwar wichtige, indessen keineswegs als die einzigen
-für die natürliche Einteilung der Pflanzenwelt zu verwertenden Mittel.
-Erwähnt sei noch, daß bei dieser, im übrigen ganz im Sinne der modernen
-Naturwissenschaft geführten Untersuchung, stets nur die fertigen
-Gebilde betrachtet wurden und *Gärtner* kaum daran dachte, auch die
-Entwicklung der von ihm untersuchten Organe zu verfolgen[614]. Dieser
-Weg, auf dem sich die tiefste Einsicht in die verwandtschaftlichen
-Beziehungen der Organismen eröffnen sollte, blieb einem späteren
-Zeitalter vorbehalten.
-
-*Gärtners* großes Werk mit seinen zahlreichen, sorgfältig ausgeführten
-Kupfertafeln, dem er die Arbeit seines Lebens gewidmet, fand in
-Frankreich die höchste Anerkennung. Geradezu mit Begeisterung wurde es
-von *A. L. de Jussieu* aufgenommen, der bei seinen Untersuchungen über
-die Gattungs- und Familiencharaktere sehr oft auf *Gärtners* Werk »Über
-die Früchte und Samen der Pflanzen« zurückgriff.
-
-*A. L. de Jussieus* System beginnt mit den Akotyledonen (Kryptogamen),
-welche die Gruppen der Pilze, Algen, Moose und Farne umfassen.
-Die Monokotyledonen werden nach der Stellung der Staubgefäße zu
-dem Fruchtknoten in drei Reihen zerlegt. Sie umfassen insgesamt 16
-Familien, von denen wir als die bekanntesten die Gräser, Palmen,
-Lilien, Narzissen und Orchideen anführen. Die Dikotyledonen teilt
-*Jussieu* zunächst nach der Beschaffenheit der Blumenkrone in die
-Hauptgruppen der Apetalen, Monopetalen und Polypetalen, je nachdem die
-Kronenblätter fehlen, verwachsen oder frei sind. Nach der Stellung
-des Fruchtknotens zur Krone oder den Staubgefäßen zerfallen diese
-Hauptgruppen dann wieder in Unterabteilungen.
-
-So gehören die Lippenblüter (Labiatae) mit 14 anderen Familien
-zu einer solchen Unterabteilung. Einige von diesen Familien sind
-die Nachtschattengewächse, die Rauhblättrigen (Borragineen), die
-Windengewächse, die Enziangewächse (Gentianeen) usw. Das Gemeinsame
-dieser 15 Familien besteht darin, daß die Krone der Blütenachse
-unterhalb des Fruchtknotens eingefügt ist. Gleichzeitig ist die Krone
-bei diesen 15 Familien verwachsenblättrig; letztere werden daher mit
-anderen Gruppen von Familien zur Abteilung der Verwachsenblättrigen
-(Monopetalen) zusammengefaßt. Den Monopetalen gleichwertig sind die
-Polypetalen (Vielkronenblättrige) und die Apetalen (Kronenblattlose).
-Das System nennt unter den Polypetalen die Doldengewächse
-(Umbelliferae), die Hahnenfußgewächse (Ranunculaceae), die
-Kreuzblüter (Cruciferae), die Rosengewächse (Rosaceae), die
-Schmetterlingsblüter (Papilionaceae) und andere hervorragend wichtige
-natürliche Gruppen. Im ganzen umfaßt es 100 solcher Familien, von denen
-auf die Vielkronenblättrigen allein fast die Hälfte entfallen. Die
-letzte Familie bilden die Coniferen.
-
-Dieses System vom Jahre 1789 hat zwar manche Verbesserung erfahren, ist
-aber doch die Grundlage für alle späteren systematischen Anordnungen
-geblieben, unter denen diejenige Decandolles in erster Linie
-hervorgehoben werden muß.
-
-*Augustin Pyrame Decandolle* wurde 1778 in Genf geboren. Seine
-Vorfahren stammten aus Südfrankreich. In Genf wirkten um 1800 eine
-Anzahl hervorragender Naturforscher, die sich mit physikalischen und
-physiologischen Untersuchungen beschäftigten. Unter ihnen sind vor
-allem *de Saussure* und *Senebier* zu nennen. Durch diese Männer
-wurde *Decandolle* der Pflanzenphysiologie zugeführt. Ein Jahrzehnt
-(1798-1808) verbrachte *Decandolle* in Paris, das damals der glänzende
-Mittelpunkt der exakten Naturforschung war. Ihrem Geist und ihrer
-Methode konnte sich auch die Botanik nicht länger entziehen. Und
-*Decandolle* war es vor allem zu danken, daß sich diese Wandlung nicht
-auf die Physiologie beschränkte, sondern sich auch auf die Morphologie
-ausdehnte. Von letzterer aus wurde endlich auch die Systematik mit
-dem Geiste echter Naturforschung befruchtet, der in Frankreich an
-der Schwelle des 19. Jahrhunderts auf so vielen Gebieten und in so
-zahlreichen Männern sieghaft und die letzten Spuren der Scholastik
-hinwegfegend zum Durchbruch kam.
-
-An *Decandolles* Pariser Aufenthalt schlossen sich botanische Reisen
-durch Frankreich und die benachbarten Länder. Die letzten 25 Jahre
-seines Lebens verbrachte er wieder in Genf. Er starb dort 1841.
-
-Wir haben in diesem Abschnitt *Decandolles* Verdienste um die
-Entwicklung der morphologischen Grundbegriffe und um die Systematik zu
-betrachten und werden uns erst an späterer Stelle mit den Ergebnissen
-seiner pflanzenphysiologischen Arbeiten beschäftigen.
-
-Die Grundlagen für die heutige Morphologie veröffentlichte
-*Decandolle* im Jahre 1813 in seinen »Theoretischen Anfangsgründen
-der Botanik«[615]. Eine erweiterte Darstellung unter gleichzeitiger
-Berücksichtigung der Pflanzenanatomie erfuhren diese Grundzüge 1827
-in der Organographie[616]. Wir wollen der hier folgenden Darstellung
-dieses spätere Werk zugrunde legen. *Decandolle* vermehrte die Zahl
-der Familien von 100 (*Jussieu*) auf 161 und lieferte in Gemeinschaft
-mit einer Anzahl Fachgenossen eine ausführliche Beschreibung aller
-bis dahin bekannt gewordenen Pflanzenarten, das großartigste
-Unternehmen, welches die botanische Systematik aufzuweisen hat. In
-diesem, Prodromus systematis naturalis betitelten Sammelwerk hat
-*Decandolle* allein etwa 100 Familien bearbeitet. Das Erscheinen des
-Werkes erstreckte sich über eine Reihe von Jahrzehnten (1824-1873). Die
-Fortführung übernahm mit dem 8. Bande *Decandolles* Sohn *Alphons*,
-dem er sein Herbarium und seine Bibliothek vermacht hatte. Den
-Wert dieser umfangreichen systematischen Arbeit erkennt einer der
-hervorragendsten Geschichtsschreiber der neueren Botanik mit folgenden
-Worten an: »Es ist nicht wohl möglich, von dem in solchen Arbeiten
-liegenden Verdienst in Kürze Rechenschaft zu geben. Sie bilden eben die
-eigentlich empirische Grundlage der gesamten Botanik, und je besser
-und umsichtiger diese gelegt ist, desto größere Sicherheit gewinnt die
-ganze Wissenschaft in ihren Fundamenten«[617].
-
-Es gelang *Decandolle* indes ebensowenig wie *Jussieu*, eine scharfe
-Bestimmung und richtige Bewertung der Hauptgruppen des Pflanzenreiches
-zu geben. Dieses wurde erst dadurch ermöglicht, daß man sich nach dem
-Wiederaufleben der lange vernachlässigten mikroskopischen Forschung den
-schwer zugänglichen Formverhältnissen der Kryptogamen zuwandte. Jetzt
-erst wurde es klar, daß die schon von *Ray* in Vorschlag gebrachte
-Gegenüberstellung dieser Gruppe der Gesamtheit der übrigen Pflanzen
-gegenüber berechtigt ist und daß die großen Abteilungen, in welche
-die Kryptogamen zerfallen, den Monokotyledonen und den Dikotyledonen
-gleichwertig sind.
-
-*Decandolles* Mißgriff bestand darin, daß er seine Gruppierung auf das
-Vorhandensein und das Fehlen von Gefäßbündeln gründete. So kam es,
-daß in seinem System den Monokotylen die Gefäßkryptogamen beigesellt
-wurden. Bei diesen beiden Gruppen erblickte er das Gemeinsame in dem
-Umstande, daß sie nicht wie die Dikotylen ein am Umfange des Stammes
-vor sich gehendes Dickenwachstum aufweisen. Die Dikotylen wurden aus
-diesem Grunde als exogen, die beiden anderen Gruppen, für die er
-ein im Innern des Stammes vor sich gehendes, wenn auch beschränktes
-Dickwachstum annahm, als endogen bezeichnet.
-
-Die größte aller Gruppen des Pflanzenreichs, die Dikotylen, wurde
-wieder nach der Beschaffenheit der Blütenhülle (einfach oder doppelt)
-in zwei Untergruppen eingeteilt. War das gewählte Merkmal auch ein
-künstliches, so waren doch innerhalb dieser Untergruppen Vereinigungen
-von Familien (Reihen) möglich, die natürliche Verwandtschaft zu
-besitzen schienen.
-
-Den Begriffen »natürliches System« und »natürliche Verwandtschaft«
-fehlte indes gänzlich der reale Sinn, den erst die moderne
-Abstammungslehre in sie hineintragen konnte. Dazu kam, daß sich
-*Decandolle* die Beziehungen der von ihm geschaffenen Gruppen unter
-einem Bilde vorstellte, das recht ungeeignet war, den Gedanken an eine
-wirkliche, durch Abstammung bedingte Verwandtschaft vorzubereiten oder
-gar aufkommen zu lassen. Während man sich vor ihm das System wohl unter
-dem Bilde einer geraden Linie vorgestellt hatte, verglich *Decandolle*
-es nämlich mit einer geographischen Karte, in welcher die Erdteile den
-größten, the Staaten, Provinzen usw. den kleineren Gruppen entsprächen.
-Nach diesen Ausführungen stellt sich das von *Decandolle* geschaffene
-Pflanzensystem folgendermaßen dar:
-
- I. *Gefäßpflanzen.*
-
- 1. Exogene Pflanzen (Dikotylen).
-
- A. mit Kelch und Krone
-
- α) Kronenblätter frei und über dem Fruchtknoten
- stehend.
-
- β) Kronenblätter frei und um den Fruchtknoten stehend.
-
- γ) Kronenblätter verwachsen.
-
- B. mit einfachem Perigon
-
- 2. Endogene Gefäßpflanzen.
-
- α) Die Monokotylen.
-
- β) Die Gefäßkryptogamen.
-
- II. *Zellenpflanzen.*
-
- α) Beblätterte Zellenpflanzen (Moose).
-
- β) Blattlose Zellenpflanzen (Tallophyten).
-
-Die Lehre von der Sexualität der Pflanzen tauchte gegen das Ende des
-17. Jahrhunderts auf und errang nach vielem Widerstreit in der ersten
-Hälfte des 18. Jahrhunderts allgemeine Anerkennung. Schon in diesem
-Zeitraum setzen die Bemühungen ein, die Gültigkeit der Sexualtheorie
-auch für die an letzter Stelle genannten Gefäßkryptogamen, Moose
-und Tallophyten nachzuweisen. Man suchte Staubgefäße zwischen den
-Lamellen der Blätterpilze[618], deutete gewisse Teile der Moose als
-Fortpflanzungsorgane und glaubte auch deutliche Anzeichen für die
-Sexualität der Tange bemerkt zu haben[619]. Ihre volle Aufklärung fand
-die Frage nach der Fortpflanzung der Kryptogamen jedoch erst durch die
-erhöhte Leistungsfähigkeit der Mikroskope und die damit Hand in Hand
-gehende Ausbildung der mikroskopischen Technik im Verlaufe des 19.
-Jahrhunderts.
-
-Das Verständnis für die natürliche Verwandtschaft, die bei *Jussieu*
-und *Decandolle* ein bloßer, mit dem Dogma von der Konstanz
-der Arten schwer vereinbarer Begriff geblieben war, wurde erst
-ermöglicht, als das in den vierziger Jahren beginnende Studium der
-Entwicklungsgeschichte im Verein mit der Lehre vom Transformismus dem
-Worte »Verwandtschaft« einen neuen Sinn verlieh und das System als das
-Endergebnis einer zusammenhängenden, von einem gemeinsamen Ursprung
-ausgehenden Folge von Entwicklungsvorgängen erschien.
-
-Auch durch die vergleichende Betrachtung der Formen kam man auf dem
-Gebiete der Botanik zu wertvollen Ergebnissen. Während *Jussieu* und
-*Decandolle* durch eine solche sich über die Gesamtheit der Arten
-erstreckende Betrachtung zur Aufstellung des natürlichen Systems
-gelangten, spürten *Wolff* und *Goethe* den Beziehungen zwischen den
-einzelnen Organen der Pflanze nach und brachten diese Beziehungen in
-ihrer Lehre von der Metamorphose zum Ausdruck. Den Grundgedanken dieser
-Lehre hat *Wolff* in folgenden Worten ausgesprochen: »In der ganzen
-Pflanze, deren Teile wir beim ersten Anblick als so außerordentlich
-mannigfaltig bewundern, sehe ich, nachdem ich alles reiflich erwogen,
-schließlich nichts anderes als Blätter und Stengel«.
-
-Die Wurzel faßte *Wolff* als einen Teil, gleichsam als die Fortsetzung,
-des Stengels auf und auch die Kotyledonen wurden von ihm als
-blattartige Gebilde, nämlich als die ersten und untersten Blätter
-gedeutet. Derselbe Gedanke[620] wurde von *Goethe* in seinem »Versuch
-über die Metamorphose der Pflanzen« bis ins einzelne ausgeführt[621].
-
-Ein jeder, der das Wachstum der Pflanzen sorgfältig beobachtet, sagt
-*Goethe*, werde leicht bemerken, daß gewisse äußere Teile sich
-manchmal verwandeln und in die Gestalt der nächstliegenden Teile bald
-ganz, bald mehr oder weniger übergehen. So verändere sich z. B. die
-einfache Blume in eine gefüllte, wenn sich anstatt der Staubgefäße
-Blumenblätter entwickeln. Die Samenlappen lassen sich nur als die
-ersten, meist noch sehr einfachen Blätter des ersten Knotens deuten.
-Die Ausbildung des Blattes schreitet nach oben von Knoten zu Knoten
-fort. Daß die Teile des Kelches dieselben Organe sind, die sich
-vorher als Stengelblätter sehen lassen, erkenne man deutlich. Auch
-die Verwandtschaft der Krone mit den Stengelblättern lasse sich nicht
-verkennen.
-
-Selbst in den Samenbehältern könne man, schließt *Goethe* seine
-Betrachtung, ungeachtet ihrer mannigfaltigen Bildung, ihrer besonderen
-Bestimmung und Verbindung die Blattgestalt nicht verkennen. »So wäre
-z. B. die Hülse ein einfaches, an den Rändern verwachsenes Blatt. Die
-zusammengesetzten Gehäuse erklären sich aus mehreren Blättern, die sich
-um einen Mittelpunkt vereinigt und ihre Ränder miteinander verbunden
-haben.«
-
-Diese Gedanken sind auch noch heute der Ausgangspunkt der
-morphologischen Betrachtungsweise, so daß *Goethe*, dessen
-naturwissenschaftliche Arbeiten zum Teil erhebliche Schwächen[622]
-aufweisen und überhaupt nur unter Berücksichtigung der Eigenart
-ihres Verfassers betrachtet werden dürfen, sich hier ein bleibendes
-Verdienst erworben hat. *Wolff* und *Goethe* haben den Begriff
-»Metamorphose«, wie die gleichzeitig lebenden Systematiker den Begriff
-»Verwandtschaft«, zunächst als etwas Bildliches aufgefaßt[623]. Doch
-läßt sich nicht verkennen, daß *Goethe* mit seinem intuitiven Denken
-später den Transformismus, d. h. die Lehre von dem wirklichen, im Lauf
-der Zeit erfolgten Entstehen der einen Form aus der anderen vorahnte.
-So heißt es in seiner »Geschichte meines botanischen Studiums«: »Das
-Wechselhafte der Pflanzengestalt erweckte bei mir die Vorstellung, die
-uns umgebenden Pflanzenformen seien nicht ursprünglich determiniert
-und festgestellt, ihnen sei vielmehr eine glückliche Mobilität und
-Biegsamkeit verliehen, um in so viele Bedingungen, die über den
-Erdkreis auf sie einwirken, sich zu fügen und danach sich bilden und
-umbilden zu können.«
-
-
-
-
-24. Die Physiologie der Pflanzen unter dem Einfluß der neueren
-chemisch-physikalischen Forschung.
-
-
-Im Anschluß an die Systematik und die Morphologie der Pflanzen wenden
-wir uns jetzt der Physiologie dieser Lebewesen zu. Unter den Forschern,
-die sich bemühten, die Abhängigkeit des pflanzlichen Organismus von
-physikalischen Kräften darzutun, ist besonders *Knight* zu nennen.
-An seinen Namen knüpft sich die Entdeckung der als Geotropismus,
-Hydrotropismus und Heliotropismus bekannten Erscheinungen.
-
-*Thomas Andrew Knight* wurde 1759 in einer kleinen Ortschaft des
-westlichen Englands geboren. Nachdem er in Oxford studiert hatte,
-übernahm er ein kleines Gut und widmete sich dem Gartenbau und der
-Landwirtschaft. Im Verkehr mit *Banks*, dem Präsidenten der Royal
-Society, und anderen Naturforschern bemerkte *Knight*, daß er bei
-seiner engen und steten Fühlung mit der Natur vieles beobachtet habe,
-was den zünftigen Forschern bisher entgangen war. *Banks* regte
-*Knight* darauf an, seine Untersuchungen in den Abhandlungen der Royal
-Society zu veröffentlichen. Die pflanzenphysiologischen Arbeiten
-*Knigths* wurden neuerdings ins Deutsche übersetzt[624]. *Knight* starb
-im Jahre 1838.
-
-Seine für die Lehre vom Geotropismus grundlegende Arbeit »über die
-Richtung der jungen Wurzel und des jungen Stengels bei der Keimung«
-erschien im Jahre 1806. Als Ursache der Erscheinung, daß die
-Wurzel nach dem Mittelpunkt der Erde, der Stengel dagegen nach der
-entgegengesetzten Richtung wächst, hatte man schon vor *Knight* die
-Schwerkraft vermutet. Der experimentelle Nachweis hierfür, sagte sich
-dieser Forscher, wird sich am sichersten dadurch führen lassen, daß
-man die wachsende Pflanze bei Ausschluß der Schwerkraft untersucht. Da
-die Schwerkraft eine Wirkung nur hervorrufen kann, wenn der Keimling
-in Ruhe bleibt, so wird nach *Knights* Verfahren ihr Einfluß durch
-einen steten Wechsel der Lage des keimenden Samens aufgehoben. Den
-entscheidenden Versuch stellte *Knight* in folgender Weise an. An
-dem Umfang eines senkrecht stehenden Rades befestigte er kleine,
-nach der Radachse und nach außen offene Behälter. Diese wurden mit
-feuchtem Moos gefüllt. In das Moos jedes Behälters pflanzte er Samen
-der Gartenbohne. Das Rad wurde durch ein kleines Wasserwerk 150mal
-in der Minute um seine Achse gedreht. Auf diese Weise wurde die Lage
-der Samen zum Erdradius so oft gänzlich verändert, daß *Knight*
-den Einfluß der Schwerkraft als beseitigt betrachten durfte. Nach
-einigen Tagen begannen die Samen zu keimen, und man beobachtete,
-daß die Wurzeln, in welcher Richtung sie auch nach der jeweiligen
-Lage der Samen hervortraten, ihre Spitzen vom Radkranze in radialer
-Richtung nach außen kehrten, während die Stengel in entgegengesetzter
-Richtung wuchsen, bis sich schließlich ihre Spitzen im Mittelpunkte
-des Rades vereinigten. Wuchsen die Stengel über diesen Punkt hinaus,
-so kehrten sich ihre Spitzen bald wieder um, um wieder in der Mitte
-des Rades zusammenzutreffen. Die Zentrifugalkraft bestimmte somit die
-Wachstumsrichtung genau so, wie es bei den ruhenden Samen durch die
-Schwerkraft geschieht.
-
-Zu dieser Erkenntnis gesellte sich später der Nachweis[625], daß die
-Wurzeln sich nicht etwa infolge ihres Eigengewichtes nach abwärts
-krümmen, da sie eine Last, die größer als ihr Eigengewicht ist, bei
-ihrer Krümmung in Bewegung zu setzen vermögen.
-
-Bei einem zweiten Versuch vereinigte *Knight* die Wirkung der
-Zentrifugalkraft mit derjenigen der Schwerkraft. Er brachte die
-Samen in ähnlicher Weise, wie schon beschrieben, auf dem Kranz eines
-diesmal horizontal liegenden Rades an und setzte es in Drehung. Bei
-80 Umdrehungen wuchsen die Wurzeln unter einem Winkel von 45° nach
-unten, die Stengel dagegen unter dem gleichen Winkel nach oben. Dabei
-entfernten die Wurzeln ihre Spitzen von der Radachse, während die
-Stengel sich gegen die Achse hinneigten. Steigerte *Knight* die Zahl
-der Umdrehungen auf 250, so wichen die Wurzeln und die Stengel um
-einen noch viel höheren Betrag (um 80°) von der vertikalen Richtung ab,
-die sie in der Ruhelage eingenommen haben würden.
-
-Durch diese Versuche war der Beweis geliefert, daß durch eine bestimmte
-äußere Ursache und nicht infolge der inneren Eigenschaft des Organismus
-die Pflanzenteile veranlaßt werden, dasjenige Verhalten zu zeigen, das
-wir als positiven und negativen Geotropismus bezeichnen.
-
-Als eine weitere Ursache, welche die Richtung und das Wachstum der
-Wurzeln beeinflußt, erkannte *Knight* die Feuchtigkeitsunterschiede. Er
-zeigte, daß sie diejenigen Reaktionen der Pflanze herbeiführen, die man
-heute als Hydrotropismus bezeichnet.
-
-*Knight* ging[626] von folgender Beobachtung aus: Verpflanzt man einen
-Baum, der viel Feuchtigkeit nötig hat, in einen Boden, der erst in
-einiger Entfernung reichlich Wasser enthält, so wendet sich die Wurzel
-dem Wasser zu. Verlangt dagegen ein Baum einer anderen Art trockenen
-Boden, so entfernt sich seine Wurzel von dem Wasser. Es hat den
-Anschein, als ob die Pflanzen gewissermaßen planmäßige Anstrengungen
-machen, um günstige Feuchtigkeitsverhältnisse zu erlangen. Es gehörte
-damals, als die Lehre von der Lebenskraft in voller Blüte stand
-und man geneigt war, derartige Erscheinungen auf mystische Triebe
-und Begierden zurückzuführen, eine gewisse Kühnheit dazu, diese
-Erscheinungen aus mechanischen Ursachen erklären zu wollen. Dennoch
-versuchte dies *Knight*, überall wohin sein Forschen sich richtete. Er
-setzte dadurch das Werk seines großen Landsmannes *Hales*[627] fort,
-der ein halbes Jahrhundert vor ihm zuerst den Versuch gemacht hatte,
-die experimentelle, mechanische Erklärungsweise in die Physiologie
-einzuführen. »Ich wage«, sagte *Knight*, »aus meinen Versuchen zu
-schließen, daß die Wurzeln nur durch die unmittelbare Einwirkung der
-sie umgebenden Körper, nicht aber durch irgend eine Art von Begierde,
-ähnlich derjenigen der Tiere, beeinflußt werden.«
-
-Bemerkenswert war ein Versuch, bei dem die Wurzeln oben mit feuchter
-und unten mit trockener Erde in Berührung waren. *Knight* pflanzte
-nämlich Bohnen in Töpfe. Nach einiger Zeit kehrte er die Töpfe um
-und führte ihnen soviel Wasser durch den Boden zu, daß nur die dem
-Boden benachbarte, also jetzt über dem keimenden Samen befindliche
-Erde feucht war. Und siehe da, nach wenigen Tagen sandten die Pflanzen
-zahlreiche Wurzeln nach aufwärts in die feuchtere Erde hinein, als ob
-sie von den Instinkten eines tierischen Wesens geleitet würden. Dem
-Einfluß der Schwerkraft war bei diesem Versuche durch die Trockenheit
-auf der unteren Seite in ähnlicher Weise entgegengewirkt worden, wie
-es bei dem Versuche mit dem horizontalen rotierenden Rade durch die
-Zentrifugalkraft geschehen war. Offenbar handelte es sich in dem einen
-wie in dem anderen Falle nicht um instinktmäßige Triebe, sondern
-um rein mechanische Ursachen. Wie *Knight* des Näheren ausführt,
-entwickeln sich die Organe anfangs nach allen Richtungen. Es wachsen
-aber nur diejenigen weiter, die günstige Bedingungen finden. So bekommt
-es den Anschein, als ob die Wurzeln der einen Pflanze das in der Nähe
-befindliche Wasser suchen, diejenigen der anderen dagegen es vermeiden
-wollen.
-
-Eine größere Zahl von Versuchen stellte *Knight* über die
-Rankenbewegungen der Pflanzen an[628]. Diese Versuche ergaben, daß auch
-das Ranken aus reiner Notwendigkeit erfolgt und nicht durch irgend eine
-Art von Verstandeskräften bedingt wird. Seine Versuche stellte *Knight*
-besonders an der Erbse, dem Epheu, dem gewöhnlichen und dem wilden
-Wein an. Die Bewegungen, welche die Ranken machen, werden zunächst
-genau beschrieben und dann auf zwei Umstände zurückgeführt. Diese
-Umstände sind Besonderheiten im inneren Bau, man könnte dafür auch
-sagen eine bestimmte Reizbarkeit, und zweitens die Einwirkung äußerer
-Ursachen, unter denen das Licht und der mechanische Druck in erster
-Linie zu nennen sind. Nach *Knight* bewirken diese Reize Änderungen in
-der Saftverteilung und im Gefolge davon Wachstumsvorgänge. Der Druck,
-meint er, der auf die eine Seite einer Ranke ausgeübt wird, verdrängt
-wahrscheinlich den Saft, die gedrückte Seite zieht sich infolgedessen
-zusammen. Die so entstehende Bewegung wird dadurch noch verstärkt, daß
-der Saft, indem er nach den nicht gedrückten Stellen wandert, diese
-zu lebhafterem Wachstum veranlaßt. Infolgedessen umschlinge die Ranke
-einen dünnen Holz- und Metallstab. Trotz aller Unzulänglichkeit dieser
-Erklärung ist sie doch als der erste Versuch einer Zurückführung der
-an den Ranken beobachteten Erscheinungen auf mechanische Ursachen
-anzuerkennen.
-
-Von Wichtigkeit waren auch *Knights* Versuche über den von ihm
-entdeckten negativen Heliotropismus der Ranken des wilden Weins. Diese
-Pflanze wurde den Sonnenstrahlen voll ausgesetzt. Außerdem wurde ein
-Stück schwarzes Papier auf der einen Seite in der Nähe der Pflanze so
-angebracht, daß die Ranken es erreichen konnten. Die Ranken wurden
-dann von dem schwarzen Papier sozusagen angezogen. Brachte man das
-Papier auf die entgegengesetzte Seite, so folgten die Ranken bald auch
-dorthin. Brachte man an Stelle des Papieres eine Glasplatte an, die das
-Sonnenlicht so zurückwarf, daß es fortwährend auf die Ranken fiel, so
-wandten sie sich von dem Glase fort; und es schien so, als ob sie von
-dem Glase zurückgestoßen würden. Für die Haftwurzeln des Epheus wies
-*Knight* nach, daß sie nicht nur dem Lichte ausweichen, sondern sich
-auch nur an der Schattenseite des Stammes bilden.
-
-Auch dies Verhalten suchte *Knight* auf mechanische Gründe
-zurückzuführen, indem er beim negativen Heliotropismus eine Ausdehnung,
-beim positiven dagegen eine Zusammenziehung der belichteten
-Rindensubstanz annahm. Hier wie überall besteht das Unzulängliche der
-von *Knight* begründeten Phytodynamik darin, daß sie auf die innere
-Organisation der Pflanze keine genügende Rücksicht nehmen konnte, weil
-diese noch zu wenig der Erkenntnis erschlossen war. Besteht doch dieser
-Mangel selbst heute noch in solchem Grade, daß die neuere Wissenschaft
-an Stelle der Erklärungsversuche *Knights* trotz der Erkenntnis ihrer
-Unzulänglichkeit kaum etwas besseres zu setzen gewußt hat.
-
-Von dem Gedanken geleitet, daß das Studium der in den Gewächsen
-sich abspielenden Veränderungen am ehesten die Erkenntnis des
-Lebensprozesses ermöglichen werde, hatte *Stephan Hales* die ersten
-Schritte zur Begründung einer Ernährungsphysiologie der Pflanzen
-unternommen. Ein erfolgreiches Eindringen in diesen Gegenstand war
-jedoch erst möglich, nachdem die Rolle des Sauerstoffs erkannt und die
-Chemie auf eine wissenschaftliche Grundlage erhoben war. Schon vor der
-Entdeckung des Sauerstoffes hatte *Priestley* beobachtet, daß die durch
-die Atmung oder durch ein brennendes Licht »verdorbene« Luft wieder
-»heilsam« gemacht werde, wenn Pflanzen darin wachsen. Das heißt: Luft,
-in der ein Licht erlosch, wurde durch die Pflanzen in solchem Grade
-verbessert, daß das Licht wieder darin fortbrannte. Im Zusammenhange
-mit dieser Tatsache fand *Priestley*, daß die in den Blasen des
-Seetangs befindliche Luft sogar »besser« als die atmosphärische
-Luft ist. Als ein Anzeichen für die »Güte« der Luft diente ihm
-die Zusammenziehung, die sich in seinem Salpetergaseudiometer
-einstellte[629].
-
-Der eigentliche Entdecker der Assimilation und der Atmung der Pflanzen
-ist der Holländer *Ingenhouß* (1730-1799). Er veröffentlichte im Jahre
-1769 eine ausführliche Arbeit[630] über diesen Gegenstand. Darin findet
-sich der Nachweis, daß die meisten Pflanzen die »verdorbene Luft«
-im Sonnenlichte schnell verbessern, daß sie dagegen zur Nachtzeit
-Kohlendioxyd ausscheiden oder die Luft »unrein« machen, wie es damals,
-bevor die antiphlogistische Lehre bekannt geworden war, noch hieß. Die
-Verbesserung der Luft geht nach *Ingenhouß* jedoch nur von den grünen
-Stengeln und Blättern, und zwar besonders von der unteren Seite der
-letzteren aus; sie besteht in der Abscheidung von Sauerstoff, welcher
-das zur Nachtzeit ausgeatmete Kohlendioxyd (von *Ingenhouß* noch als
-schädliche Luft bezeichnet) an Menge mehrere hundert Mal übertrifft.
-Hieran schloß sich die Erkenntnis[631], daß der ausgeschiedene
-Sauerstoff von der Zersetzung des Kohlendioxyds herrührt, welches
-durch die Prozesse der Verbrennung, der Atmung und der Gärung in die
-atmosphärische Luft gelangt[632].
-
-Durch andere Versuche wurde dargetan, daß sich die Pflanzen allein
-mit Hilfe gasförmiger, flüssiger und in Flüssigkeiten gelöster Stoffe
-entwickeln können. Man ließ z. B. Pflanzen zwischen Moos, Baumwolle
-oder ausschließlich in Flußwasser wachsen, das eine genügende Menge von
-Mineralbestandteilen in Lösung enthielt. Auf solche Weise gelangte man
-schon gegen den Ausgang des 18. Jahrhunderts zu einer Kenntnis der
-qualitativen Seite der Ernährungsphysiologie.
-
-Nachdem für die Chemie das Zeitalter der quantitativen
-Untersuchungsweise gekommen war, galt es, die neue Methode auf
-die ihrem qualitativen Verlaufe nach erkannten Vorgänge der
-Ernährungsphysiologie anzuwenden. Dies geschah besonders durch
-*Saussure*. Wie *Knight* die Phytodynamik, so begründete er die Lehre
-von der Ernährung der Pflanzen, für welche *Ingenhouß* und *Senebier*
-nur einige sich auf den Gasaustausch erstreckende Vorarbeiten geliefert
-hatten.
-
-*Nicolas Théodore de Saussure* war der Sohn des durch seine
-Montblanc-Besteigung bekannt gewordenen Alpenforschers *Horace Benedict
-de Saussure*. Letzterer bekleidete ein Lehramt in Genf, wo *Théodore*
-im Jahre 1767 geboren wurde. *Théodore de Saussure* beteiligte sich
-zunächst an den Forschungen seines Vaters. Seit dem Jahre 1797 wandte
-er sich pflanzenphysiologischen Untersuchungen zu. Er starb in Genf im
-Jahre 1845.
-
-*Saussure* stellte sich die Aufgabe, die Rolle des Wassers, der Luft
-und des Humus bei der Ernährung der Gewächse und die Veränderungen
-der Atmosphäre durch die Pflanzen genauer zu erforschen. Insbesondere
-lenkte sich sein Augenmerk auf die Bedeutung, welche das Kohlendioxyd
-für das pflanzliche Leben besitzt.
-
-Er entwickelt sein Programm mit den Worten: »Ich werde Fragen erörtern,
-welche durch das Experiment entschieden werden können und verzichte
-auf bloße Mutmaßungen, denn die Tatsachen allein führen in der
-Naturwissenschaft zur Wahrheit«. Diesem Vorsatz ist *Saussure* treu
-geblieben. Stets werden in seiner meisterhaft geführten Untersuchung
-die Fragen bestimmt gestellt und ebenso bestimmt beantwortet. Hatten
-frühere die Ernährungsvorgänge in den allgemeinsten Grundzügen und
-ausschließlich nach der qualitativen Seite untersucht, so war er es,
-der zuerst durch quantitative Bestimmungen eine »Bilanz herstellte
-zwischen dem, was die Pflanze aufnimmt und dem, was sie abgibt und
-daher selbst erwirbt[633].« Durch dies Verfahren gelangte er zu dem
-Ergebnis, daß neben dem Kohlenstoff der Luft gleichzeitig die Elemente
-des Wassers und gewisse Bestandteile des Bodens sich am Aufbau der
-Pflanzensubstanz beteiligen.
-
-Der Gang seiner Untersuchung ist der folgende: Zunächst stellte er
-aus kohlensaurem Gas und gewöhnlicher Luft eine künstliche Atmosphäre
-her, welche 7½% kohlensaures Gas enthielt. Dieses Luftgemisch wurde
-in einen Behälter eingeschlossen und darin sieben Immergrünpflanzen
-(Vinca minor L.), von denen jede 20 cm hoch war, untergebracht. Die
-Wurzeln dieser Pflanzen tauchten in ein besonderes Gefäß, das 15 ccm
-Wasser enthielt. Dieser Apparat wurde sechs Tage hintereinander von 5
-bis 11 Uhr morgens den Sonnenstrahlen ausgesetzt. Am siebenten Tage
-nahm *Saussure* die Pflanzen heraus. Unter Berücksichtigung aller
-Korrekturen hatte sich das Volumen der Atmosphäre nicht verändert. Auch
-aus späteren Versuchen hat sich ergeben, daß das Gesamtvolumen einer
-Atmosphäre, in welcher die Pflanzen assimilieren, nahezu unverändert
-bleibt, da ein dem zersetzten Kohlendioxyd annähernd gleiches Volumen
-Sauerstoff ausgeschieden wird, während sich der Gehalt an Stickstoff im
-allgemeinen nicht verändert.
-
-Ein vergleichender Versuch zeigte, daß sieben Immergrünpflanzen,
-wie sie *Saussure* benutzt hatte, trocken vor der Zersetzung des
-kohlensauren Gases, 2,707 g wogen, und daß sie bei der Verkohlung im
-geschlossenen Gefäße 528 mg Kohle lieferten. Die Pflanzen, welche
-kohlensaures Gas zersetzt hatten, gaben, als sie getrocknet und nach
-demselben Verfahren verkohlt wurden, 649 mg Kohle. Die Zersetzung des
-kohlensauren Gases ergab also einen Gewinn von 120 mg Kohlenstoff.
-*Saussure* ließ dann Immergrünpflanzen, die in kohlensäurefreier
-Luft gewachsen waren, verkohlen und fand, daß sich der Gehalt an
-Kohle während des Aufenthaltes unter dem Behälter eher vermindert als
-vermehrt hatte.
-
-*Saussure* erkannte ferner, daß die Pflanzen, während sie Kohlenstoff
-assimilieren, gleichzeitig die Elemente des Wassers aufnehmen,
-welches dabei seinen flüssigen Zustand verliert und zur Vermehrung
-der Trockensubstanz beiträgt. Zunächst überzeugte er sich davon, daß
-100 Gewichtsteile der Pfefferminzpflanze 40,29 Teile Trockensubstanz
-enthielten, von denen nach der Verkohlung 10,56 Teile Kohle übrig
-blieben. Die 100 Gewichtsteile Pfefferminze wogen, nachdem sie zwei und
-einen halben Monat in freier Luft vegetiert hatten, 216 Teile. Zunächst
-lehrte diese Gewichtszunahme nichts, da sie vielleicht der Vermehrung
-des Vegetationswassers zuzuschreiben war. Durch das Trocknen ging das
-Gewicht auf 62 Teile zurück. Die Pflanzen vergrößerten also mit Hilfe
-von Luft und Wasser ihre Trockensubstanz um 21,71 Teile. Die 62 Teile
-lieferten bei der Verkohlung 15,78 Teile Kohle oder 4,82 Teile mehr
-als zuvor. Die übrige Zunahme war auf Rechnung des chemisch gebundenen
-Wassers zu setzen.
-
-Von entscheidender Wichtigkeit sind *Saussures* Versuche über das
-Verhalten der Pflanzen in den verschiedensten sauerstofffreien Medien
-gewesen. Sie führten zu dem Ergebnis, daß die Pflanzen Stickstoff und
-Wasserstoff im elementaren Zustande, sowie Kohlenoxydgas nicht zu
-assimilieren vermögen.
-
-Die Frage, ob Wasser und Luft als Nahrungsmittel ausreichen und die
-vollständige Entwicklung der Pflanzen bewirken können, wurde durch
-*Saussures* Versuche entschieden verneint. Die weitere Frage, welche
-Elemente oder Verbindungen zum Wasser und zur Luft hinzukommen müssen,
-um das erwähnte Ziel zu erreichen, ließ sich nur durch ausgedehnte
-Versuche in Nährlösungen entscheiden, ein Forschungsmittel, dessen sich
-*Saussure* in ausgedehnterem Maße bediente.
-
-Auch diese Versuche waren von grundlegender Wichtigkeit. Zunächst
-wurden den Versuchspflanzen Lösungen dargeboten, die nur je ein
-Salz enthielten. Der Gang der Untersuchung und das Ergebnis ist
-sehr lehrreich. Jede Lösung bestand aus 40 Kubikzoll Wasser und
-enthielt 100 Teile desjenigen Salzes, dessen Verhalten zur Pflanze
-(Polygonum persicaria) man prüfen wollte. Der Versuch wurde jedesmal
-unterbrochen, wenn die Hälfte der Lösung von der Pflanze aufgenommen
-war. Es ergab sich durch die Analyse der zurückgebliebenen Hälfte, daß
-Polygonum von den gebotenen 100 Teilen folgende Mengen aufgenommen
-hatte:
-
- Chlorkalium 14,7 Teile,
- Schwefelsaures Natrium 14,4 "
- Chlornatrium 13 "
- Chlorammonium 12 "
- Essigsauren Kalk 8 "
- Salpetersauren Kalk 4 "
- usw.
-
-Andere Pflanzen nahmen die Salze in anderen Mengen auf. Im allgemeinen
-bemerkte man, wie in dem hier durch Zahlen belegten Falle, daß das
-Wasser viel leichter in die Pflanze eindringt als der darin gelöste
-Körper. Blieben doch z. B., wenn 4 Teile salpetersaurer Kalk in die
-Pflanze eindrangen, 46 Teile dieses Salzes in der Lösung zurück, deren
-Gehalt an Salz sich infolgedessen relativ erheblich steigerte.
-
-*De Saussure* ging auch dazu über, der Pflanze, den natürlichen
-Verhältnissen entsprechend, gleichzeitig mehrere Salze in einer Lösung
-darzubieten. Auch diesmal stellte er Nährlösungen von ganz bestimmter
-Zusammensetzung her und analysierte sie, wenn sie bis zur Hälfte ihres
-ursprünglichen Volumens aufgenommen waren. So erhielt er einwandfreie,
-vergleichbare Zahlenwerte. Ein Beispiel hier für viele. Enthielt
-ein und dieselbe Lösung 100 Teile Chlornatrium neben 100 Teilen
-schwefelsaurem Natrium, so nahm Polygonum daraus 22 Teile von ersterem
-und 11,7 Teile von dem zweiten Salz auf. Damit war die wichtige, für
-alle späteren Untersuchungen dieser Art grundlegende Tatsache erwiesen,
-daß eine Pflanze aus einer Lösung von mehreren Stoffen bestimmte Stoffe
-bevorzugt. Durch die Veraschung der Versuchspflanzen überzeugte sich
-*de Saussure* davon, daß die aus der Lösung verschwundene Salzmenge
-wirklich in die Pflanze eingedrungen war. Von zwei Polygonumpflanzen
-von genau gleichem Gewicht ließ er die eine in destilliertem Wasser,
-die andere in einer Chlorkaliumlösung wachsen. Für letztere ergab
-sich bei der Verbrennung beider Pflanzen, daß sie ihren Aschengehalt
-um diejenige Chlorkaliummenge vergrößert hatte, die aus der Lösung
-verschwunden war. Derartige Versuche waren zu einer Zeit, in welcher
-wissenschaftlich gebildete Männer noch glaubten, die Pflanzen besäßen
-die Fähigkeit, Elemente zu erzeugen und ineinander umzuwandeln, von
-entscheidender Wichtigkeit.
-
-Weit größere Schwierigkeiten bot es bei dem damals noch unentwickelten
-Zustande der Mineralanalyse über die Zusammensetzung und die Bedeutung
-der aus dem Boden aufgenommenen Aschenbestandteile ins Reine zu
-kommen. Es war eine verbreitete Ansicht, daß die Mineralstoffe, die
-man in den Gewächsen fand, dort nur zufällig vorhanden und keineswegs
-für ihre Existenz nötig seien. Ja, man ging sogar noch weiter und
-schloß aus dem Umstande, daß einige Salze gewissen Pflanzen schädlich
-sind, daß alle Salze der Vegetation nicht nur keinen Nutzen brächten,
-sondern in mehr oder minder hohem Grade schädlich seien. *Saussures*
-Untersuchungen vermochten hier wenigstens die gröbsten Irrlehren zu
-beseitigen. Daß die geringe Menge der Pflanzenasche ein Anzeichen
-für ihre Nutzlosigkeit sei, widerlegte er durch den Hinweis auf den
-in den Tieren enthaltenen phosphorsauren Kalk. Dieser mache nur
-einen sehr geringfügigen Teil des Gewichtes der Tiere aus. Dennoch
-zweifle niemand daran, daß das Salz für den Aufbau der Knochen
-durchaus notwendig sei. *Saussure* fand dieses Salz in der Asche
-aller von ihm darauf untersuchten Pflanzen und vertrat die Ansicht,
-daß sie ohne phosphorsauren Kalk nicht bestehen könnten. Als die
-wichtigsten Bestandteile der Pflanzenasche erkannte *Saussure* außer
-dem phosphorsauren Kalk die Verbindungen von Magnesium und Eisen, sowie
-die Kieselsäure. Trotz dieser, durch zahlreiche Aschenanalysen, die
-lange als unübertroffen galten, gestützten wichtigen Ergebnisse der
-*Saussure*schen Untersuchungen blieben Zweifel an der Notwendigkeit der
-Aschenbestandteile bestehen, bis *Liebig* in den dreißiger Jahren des
-19. Jahrhunderts diese Frage endgültig im Sinne *Saussures* entschied.
-
-Die Frage nach der Aufnahme des Stickstoffes wurde noch später durch
-*Boussingault* zur Entscheidung gebracht. Zwar hatte *Saussure*
-nachgewiesen, daß der atmosphärische Stickstoff von der Pflanze nicht
-assimiliert wird. Woher aber der beträchtliche Gehalt der Pflanze
-an diesem Elemente stammt, blieb eine offene Frage. *Saussure*
-beschränkte sich auf die Annahme, daß er aus den tierischen und
-pflanzlichen Bestandteilen des Bodens stammen könne. Offenbar eine
-verhängnisvolle, an die unbegreiflich törichte Humustheorie erinnernde
-Gedankenlosigkeit, da ja die Quelle aufzuweisen war, woher eben die
-Tiere und Pflanzen den Stickstoff beziehen.
-
-Eine Anzahl wichtiger Versuche stellte *Saussure* endlich an, um die
-wichtige, schon von *Ingenhouß* angedeutete Rolle zu erkennen, welche
-der Sauerstoff bei dem Stoffwechsel der Pflanze spielt. Zunächst
-stellte er fest, daß zum Keimen Sauerstoff und Wasser erforderlich
-sind. Das Wasser allein vergrößere zwar die Samen, indem es in das
-Zellgewebe eindringe, es bringe sie aber ohne die Mitwirkung von
-Sauerstoff nicht zum Keimen. Weiter zeigte *Saussure*, daß beim Keimen
-Sauerstoff verschwindet und durch Kohlendioxyd ersetzt wird, ohne daß
-eine Änderung des Gesamtvolumens stattfindet. Die keimenden Samen
-änderten nämlich ebensowenig wie der brennende Kohlenstoff das Volumen
-des Sauerstoffgases, das sie in kohlensaures Gas verwandelten. Daß
-dieser der Atmung der Tiere analoge Vorgang auch in den fertigen
-Pflanzenteilen vor sich geht, zeigte *Saussure* durch mannigfache
-Versuche.
-
-Wurden z. B. frische Blätter gesammelt und während der Nacht unter
-einen mit Luft gefüllten Recipienten gestellt, so verschwand der
-Sauerstoffgehalt der Luft, und es bildete sich Kohlendioxyd, dessen
-Volumen allerdings geringer war als dasjenige des während des Versuches
-aufgezehrten Sauerstoffs. Wurden die Blätter am darauffolgenden Tage
-wieder der Sonne ausgesetzt, so schieden sie fast dieselbe Menge
-Sauerstoff wieder ab, die sie während der Nacht aufgenommen hatten. War
-ihre Lebenskraft so groß, daß sie mehrere Tage gesund blieben, so bot
-sich ein wunderbares Schauspiel dar. Die Blätter verringerten nämlich
-jede Nacht ihre Atmosphäre, um sie jeden Tag beinahe in demselben Maße
-zu vergrößern.
-
-*Saussure* dehnte die Untersuchung über den Einfluß des Sauerstoffs
-auf die Pflanzen auch auf die Stengel, die Wurzeln und die Blüten
-aus. Er zeigte, daß dieses Gas für die nicht-grünen Teile wesentlich
-ist, und daß letztere, indem sie Sauerstoff verbrauchen, Kohlendioxyd
-abscheiden, ohne dieses Produkt, wie es die grünen Pflanzenteile
-vermögen, wieder in Sauerstoff zurückverwandeln zu können. Zu
-diesen Beobachtungen kam noch der Nachweis, daß bei der Atmung die
-Pflanzensubstanz einen Gewichtsverlust erleidet, der dem Gewicht
-des ausgeschiedenen Kohlenstoffs entspricht. Auch darauf wurde
-schon *Saussure* aufmerksam, daß Pflanzenteile, die eine regere
-Lebenstätigkeit entfalten, wie Keimlinge und sich entfaltende Blüten
-mehr Sauerstoff gebrauchen als minder tätige. Ja, es gelang ihm sogar
-später[634], die Beziehung zwischen dem Sauerstoffverbrauch und eine
-dadurch bedingte Erwärmung der Blüten festzustellen.
-
-Durch diese Forschungsergebnisse war die Lehre von der Atmung der
-Pflanzen in ihren allerersten Grundlagen geschaffen und zwischen
-dem Pflanzen- und dem Tierreich eine wichtige Brücke geschlagen.
-Durchdrungen von dieser Erkenntnis äußerte sich *Saussure*
-folgendermaßen: Prüfe man als Anatom die Pflanzen und die Tiere, so
-komme man nicht auf den Gedanken, sie miteinander zu vergleichen.
-Vergegenwärtige man sich aber die großen physiologischen Züge, wie
-die Ernährung, die Absonderungen, den Einfluß des Sauerstoffs usw.,
-so müsse man eine auffallende Übereinstimmung zwischen Tieren und
-Pflanzen zugeben.
-
-Wir haben die Arbeit *Saussures* etwas eingehender erörtert, weil
-ein in gleicher Weise bahnbrechendes Werk auf dem Gebiete der
-Ernährungsphysiologie kaum wieder erschienen ist. Das sorgfältige
-Studium der *Saussure*schen, durch klare Fragestellung, sowie durch
-treffliche Methoden gleich ausgezeichneten »Untersuchungen« kann nicht
-genug empfohlen werden[635].
-
-Als besonderer, alle Vegetationsvorgänge behandelnder Zweig der Botanik
-wurde die Pflanzenphysiologie zuerst von *Decandolle* bearbeitet, mit
-dessen Verdiensten um die Morphologie und um die Systematik wir uns
-schon beschäftigt haben[636]. *Decandolle* stellte sich die Aufgabe,
-die Pflanzenphysiologie auf Grund der physikalischen, chemischen,
-anatomischen und biologischen Forschungsergebnisse als »abgeschlossene,
-eigenartige Wissenschaft darzustellen und so ein vollständiges und
-allseitiges Bild des Pflanzenlebens zu gewinnen«. Dies Unternehmen
-stand ohne Vorläufer da. Deshalb ist auch das Werk, in welchem
-*Decandolle* seine Aufgabe löste, von ganz außergewöhnlicher Bedeutung.
-Sie besteht weniger in der Mitteilung neuer Entdeckungen als in der
-Verknüpfung der bisher bekannt gewordenen Tatsachen, durch welche aus
-dem zerstreuten Wissen erst die Wissenschaft in der ihr eigenen und im
-wesentlichen auch bleibenden Gestalt und Richtung hervorgegangen ist.
-
-Die folgenden Abschnitte sollen dieser grundlegenden Bedeutung des von
-*Decandolle* verfaßten Werkes gerecht zu werden suchen. Es erschien
-1832 unter der Bezeichnung »Pflanzenphysiologie oder Darstellung der
-Lebenskräfte und Lebensverrichtungen der Gewächse«[637].
-
-Hatte *Decandolle* in seiner Organographie die Teile beschrieben, aus
-denen die Pflanzenmaschine besteht, so galt es in der »Physiologie«
-diese Maschine in ihrer Tätigkeit zu schildern und die sie bewegenden
-Kräfte sowohl wie das Ergebnis dieser Kräfte zu untersuchen. Als solche
-gelten ihm die physikalischen Kräfte, die chemische Verwandtschaft
-und die Lebenskraft. Letztere betrachtet er als die Ursache der
-physiologischen Vorgänge. Zu diesen Kräften sollten bei den Tieren
-noch die Beseelung als Ursache der psychologischen Vorgänge im
-weitesten Sinne treten. *Decandolle* nahm an, daß die Beseelung
-ausschließlich auf das Tierreich beschränkt sei.
-
-Unter der Lebenskraft versteht *Decandolle* diejenige Ursache, die
-während des Lebens der Pflanze Erscheinungen veranlaßt, die aus den
-bekannten Kräften allein nicht erklärt werden können. Indessen sucht
-*Decandolle*, soweit wie möglich, mit den physikalisch-chemischen
-Kräften auszukommen. Die Lebenskraft ist ihm der unerklärliche Rest,
-der trotz alles Strebens nach einer rein mechanischen Erklärungsweise
-auch für die heutige Physiologie noch nicht gänzlich getilgt ist und es
-in absehbarer Zeit auch nicht sein wird. »Wenn wir«, sagt *Decandolle*,
-»alle bekannten physikalischen und chemischen Ursachen, die eine
-gewisse Wirkung hervorzubringen vermögen, der Reihe nach geprüft haben,
-so werden wir den Teil der Erscheinung, der noch unerklärt bleibt, dem
-verborgenen Einfluß des Lebens zuschreiben«.
-
-Als Äußerungen der lebenden tierischen Gewebe unterscheidet
-*Decandolle* drei Stufen, die Ernährungs- und Wachstumsvorgänge, die
-Reizbarkeit und die Empfindung. Er untersucht dann, in welchem Grade
-diese Eigenschaften auch den Pflanzen zukommen und bemerkt, daß sich
-zwischen beiden Reichen natürliche Grenzen schwer ziehen lassen, so daß
-man nicht entscheiden könne, ob gewisse Kryptogamen oder Pflanzentiere
-Pflanzen oder Tiere seien.
-
-Die Untersuchung der Ernährungsvorgänge gipfelt in dem Nachweis, daß
-die einzelnen Erscheinungen, welche sie darbieten, und die Reihenfolge,
-in der sie ablaufen, für die beiden organischen Reiche ganz analog
-sind. Die Unterschiede werden mehr oder weniger als die unmittelbare
-Folge der tierischen Beweglichkeit und der pflanzlichen Unbeweglichkeit
-betrachtet.
-
-Jene bei Pflanzen und Tieren parallel verlaufende Reihe von
-Ernährungsvorgängen bietet nach *Decandolle* folgendes Bild: Zunächst
-wird der Nahrungsstoff dem Organismus in flüssiger oder fester Form
-zugeführt. Darauf gelangt die Nahrung in die Organe, in denen sie
-verarbeitet werden soll (Magen, Blätter). Der erhaltene Nahrungssaft
-wird in beiden Reichen der atmosphärischen Luft ausgesetzt, um Stoffe
-durch Ausdünstung abzugeben und Sauerstoff -- bei der assimilierenden
-Pflanze außerdem Kohlendioxyd -- aufzunehmen. Der so vorbereitete
-Nahrungssaft gelangt hauptsächlich zu den tätigsten Teilen des
-Organismus, um dort seine Bestandteile im Zellgewebe abzusetzen. Ein
-Teil der zubereiteten Nahrung wird auch wohl in besonderen Organen
-niedergelegt (Knollen als Reservestoffbehälter der Pflanzen). Endlich
-besitzen andere eigentümliche Organe, die man Drüsen nennt, die
-Fähigkeit, aus dem Nahrungssafte besondere Stoffe abzuscheiden, sei
-es, um den Körper von ihnen zu befreien, sei es, um dadurch besondere
-Zwecke zu erfüllen.
-
-*Decandolle* handelt dann von diesen Vorgängen im einzelnen. Er erwägt,
-welche Kräfte das Einsaugen der ernährenden Flüssigkeit bewirken; er
-untersucht die Zusammensetzung der Nährlösung, die Wege, auf denen
-sie in den Pflanzen emporsteigt, die Ursachen des Emporsteigens, die
-Geschwindigkeit, Kraft und Menge des Nahrungssaftes, die Rolle, welche
-die Atmosphäre bei der Ernährung spielt usw. Aus dem Zusammenwirken
-dieser Vorgänge entsteht nach *Decandolle* ein neuer Saft. Seine
-Existenz falle allerdings weniger in die Augen als diejenige des
-aufsteigenden Saftes, könne aber nicht bezweifelt werden.
-
-Die Ansicht, die Pflanzen besäßen einen dem Blutkreislauf der Tiere
-analogen Kreislauf der Säfte, wurde von *Decandolle* endgültig
-beseitigt. Zwar gibt es in den Pflanzen nach ihm einen Saft, welcher
-dem Blute der Tiere darin entspricht, daß er das Wachstum und die
-Ernährung der Organe bedingt. Dieser Saft nimmt seine Entstehung
-in den blattartigen Teilen. Dort wird die dem Boden entstammende
-Nährlösung konzentriert, indem die Blätter reines Wasser aushauchen und
-alle mineralischen Bestandteile, welche das Wasser mit sich führte,
-zurückhalten[638]. In den Blättern wird der konzentrierte Saft von den
-Sonnenstrahlen getroffen und dadurch das im Nahrungssafte gleichfalls
-gelöste Kohlendioxyd, das teils aus dem Boden, teils aus der Atmosphäre
-stammt, zersetzt. Als erstes Assimilationsprodukt betrachtet
-*Decandolle* Gummi. Dieser bestehe aus einem Molekül Wasser und einem
-Atom Kohlenstoff (CH_{2}O) und könne durch sehr geringe Umänderungen in
-Stärkemehl, Zucker oder Cellulose verwandelt werden.
-
-Der so entstandene Bildungssaft müsse offenbar die Pflanze bis in
-die Wurzel hinab durchdringen, um in den wachsenden Teilen, den
-Reservestoffbehältern und in sezernierenden Geweben Verwendung zu
-finden, oder weitere Umwandlungen zu erleiden.
-
-Es sind das, wie wir sehen, die Grundzüge der durch alle späteren
-Forschungen bestätigten Ernährungslehre der Pflanzen, wie sehr auch
-später das Bild im einzelnen verändert oder vervollständigt worden
-ist. Die Leistungen auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie, welche
-Deutschland[639] um jene Zeit aufzuweisen hatte, können sich nicht
-entfernt mit denen *Decandolles* messen. Man suchte unter dem Einfluß
-der Naturphilosophie alle Vorgänge auf das Wirken der Lebenskraft
-zurückzuführen. Auch besaßen die deutschen Pflanzenphysiologen[640]
-jener Zeit nicht die erforderliche exaktwissenschaftliche Vorbildung,
-wie sie *Decandolle* unter der Einwirkung der Genfer und Pariser
-Physiker und Chemiker sich erworben hatte. Nur auf dieser Grundlage,
-die auch für die Erneuerung der Chemie durch *Lavoisier* das
-Bestimmende war, konnte für die Physiologie der große Schritt zur
-messenden und wägenden, stets induktiv verfahrenden Naturwissenschaft
-geschehen. Bei dem Fortschreiten in dieser Richtung hat sich dann
-während des weiteren Verlaufs des 19. Jahrhunderts Deutschland auch auf
-diesem Gebiete, wie wir des Näheren noch erfahren werden, die größten
-Verdienste erworben.
-
-
-
-
-25. Die Fortschritte der Zoologie und ihre Verschmelzung mit der
-vergleichenden Anatomie.
-
-
-Auf zoologischem Gebiete hatte *Buffon*, der in seiner
-Naturgeschichte[641] nicht nur vortrefflich zu schildern, sondern auch
-allgemeine Gesichtspunkte hervorzuheben verstand, den Gedanken eines
-einheitlichen, das gesamte Tierreich beherrschenden Planes aufgestellt.
-*Buffon* ging sogar noch weiter. Nach seiner Meinung[642] gibt es
-keinen wesentlichen Unterschied zwischen Tier und Pflanze, sondern es
-besteht eine ununterbrochene Stufenfolge zwischen dem vollkommensten
-Tiere und dem niedrigsten pflanzlichen Lebewesen. Jener Plan, nach dem
-der Mensch und die übrigen Geschöpfe gebaut sein sollten, läßt nach
-*Buffon* erkennen, daß alle Wesen nach einem Urbild geschaffen und,
-unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, die Glieder einer großen Familie
-sind. *Buffons* Ausführungen blieben, weil die damaligen anatomischen
-Kenntnisse unzureichend waren, um in dieser Frage einen Entscheid
-herbeizuführen, zunächst nichts weiter als eine geistreiche Annahme.
-
-Nach *Buffon* fand der Gedanke von der Einheit der tierischen
-Organisation in *Geoffroy Saint-Hilaire*[643] einen eifrigen
-Verfechter. Wenn auch ein *Goethe* diesem Gedanken Beifall zollte,
-so konnte er den Ergebnissen der anatomischen Forschung *Cuviers*
-gegenüber doch nicht standhalten.
-
-Faßt man die Fortschritte der Zoologie, der vergleichenden Anatomie
-und der Paläontologie während der neuesten, mit dem 19. Jahrhundert
-beginnenden Entwicklung dieser Wissenschaften ins Auge, so wird sich
-das Interesse in erster Linie dem zuletztgenannten Manne zuwenden, dem
-wir deshalb wie *Gay-Lussac*, dem Meister der chemisch-physikalischen
-Forschung jener Zeit, eine etwas ausführlichere Darstellung widmen
-wollen.
-
-*Georg Cuvier* wurde 1769 zu Mömpelgard (Montbéliard), welches
-damals eine württembergische Enklave der Franche Comté war, geboren.
-Er starb in Paris im Jahre 1832. *Cuvier* zeigte schon als Knabe
-außergewöhnliche Anlagen. Nachdem er das Gymnasium verlassen hatte,
-wurde der Herzog Karl Eugen, der gern junge Talente förderte, auf ihn
-aufmerksam. So kam *Cuvier* 1784 zur Karlsakademie, um dort Rechtskunde
-zu studieren. Schon vorher hatte er sich, angeregt durch das Lesen der
-Werke *Buffons*, mit großer Liebe den Naturwissenschaften zugewandt.
-Auf der Karlsschule fand er neben seinen Berufsstudien noch Zeit, unter
-den Zöglingen einen naturwissenschaftlichen Verein ins Leben zu rufen,
-der sich die Aufgabe stellte, die Pflanzen und die Tiere der Umgegend
-zu sammeln und sie nach *Linnés* »Systema naturae« zu bestimmen.
-
-Im Jahre 1788 verließ *Cuvier* die Akademie und wurde Hauslehrer in der
-Normandie. *Cuvier* fand hier Gelegenheit und Muße, seine Forschungen
-auf die Tierwelt des Meeres auszudehnen. Er untersuchte den inneren Bau
-der Weichtiere, Krebse, Seesterne, Seeigel, usw. und gelangte zu der
-Überzeugung, daß die Vereinigung dieser so verschiedenartigen Geschöpfe
-in eine Klasse, wie sie *Linné* vorgenommen, sich nicht aufrecht
-erhalten ließ.
-
-Nachdem *Cuvier* vier Jahre in der Stille gearbeitet hatte, wurde
-er von einem durch die Stürme der Revolution nach der Normandie
-verschlagenen Pariser Gelehrten sozusagen erst entdeckt. Dieser schrieb
-an seine wissenschaftlichen Freunde, einen tüchtigeren Mann für
-vergleichende Anatomie wie *Cuvier* würde man nicht gewinnen können.
-So kam denn letzterer im Jahre 1795 nach Paris, wo er Professor an der
-École centrale wurde.
-
-Nachdem man gegen das Ende des 18. Jahrhunderts den Reichtum des
-Pariser Beckens an Resten von Säugetieren und Vögeln kennen gelernt
-hatte, war das Bemühen um die geologische Durchforschung dieser Gegend
-in hohem Grade rege geworden. Auch *Cuvier* wurde einige Jahre nach
-seiner Ankunft in Paris in diese Aufgabe hineingezogen, um schon nach
-kurzer Zeit auch hier die Führung zu übernehmen. Den ersten Anlaß bot
-ihm die Zusendung einiger Knochen, die man in den Gipsbrüchen des
-Montmartre gefunden hatte. *Cuviers* Kenntnis der lebenden Tierformen
-war so umfassend, daß er jenen Überresten gleich einen vorweltlichen
-Ursprung zuschreiben konnte. Alle Funde der Gipsbrüche gelangten
-jetzt an *Cuvier*, welcher durch seine Untersuchung jener Funde der
-Paläontologie einen Weg eröffnete, auf dem bisher nur wenige Schritte
-geschehen waren.
-
-»Als Altertumsforscher ganz neuer Art«, sagt *Cuvier*[644], »mußte
-ich diese Zeugen vorübergegangener Umwälzungen zu ergänzen und
-ihre eigentliche Bedeutung zu entziffern suchen. Ich hatte ihre
-zerbröckelten Trümmer zu sammeln und in ihrer ursprünglichen Ordnung
-zusammenzulegen, die Geschöpfe, denen sie angehörten, gleichsam zu
-rekonstruieren und sie mit denjenigen der Gegenwart zu vergleichen.«
-Bei der Ausübung dieser Tätigkeit ließ *Cuvier* sich von dem durch ihn
-klar ausgesprochenen Prinzip von der Korrelation der Organe leiten.
-Jeder Organismus bildet danach ein geschlossenes Ganzes, dessen Teile
-dergestalt miteinander in engster Wechselbeziehung stehen, daß kein
-Organ eine Abänderung aufweisen kann, ohne daß entsprechende Änderungen
-sich in allen übrigen Teilen finden.
-
-Sehen wir, wie *Cuvier* unter diesem Gesichtspunkt bei der Bestimmung
-fossiler Knochen verfuhr[645]: »Wenn die Eingeweide eines Tieres
-so beschaffen sind, daß sie nur Fleisch verdauen können, so müssen
-auch seine Kiefer zum Fressen, seine Klauen zum Festhalten und zum
-Zerreißen, seine Zähne zum Zerschneiden und Zerkleinern, das ganze
-System der Bewegungsorgane zum Verfolgen und Einholen der Beute, die
-Sinnesorgane zur Wahrnehmung der letzteren eingerichtet sein. Jedoch
-unter diesen allgemeinen Bedingungen sind auch noch einige besondere
-begriffen. Damit z. B. das Tier seine Beute forttragen könne, ist
-eine bestimmte Kraft derjenigen Muskeln erforderlich, durch welche
-der Kopf aufgerichtet wird; dieses setzt eine bestimmte Form der
-Wirbel, an denen die Muskeln entspringen, und des Hinterkopfes, wo
-sie sich anheften, voraus.« Des weiteren wird ausgeführt, daß dem
-Vorderarm eines seine Beute ergreifenden Tieres eine gegebene Form
-zukommen muß, die ihrerseits wieder die Gestalt des Oberarmknochens
-bestimmt. Kurz, es ergibt sich, daß die Form des Zahnes diejenige des
-Hinterhaupthöckers, der Gliedmaßenknochen, der Klauen usw. bedingt,
-so daß bei gründlicher Kenntnis dieser gegenseitigen Abhängigkeit
-aus einem dieser Teile das ganze Tier gewissermaßen rekonstruiert
-werden kann. Eine solche Tätigkeit konnte aber nur ein Meister auf
-dem Gebiete der vergleichenden Anatomie ausüben. *Cuvier* ist als
-der eigentliche Begründer dieses Wissenszweiges zu betrachten,
-wenn es auch an anerkennenswerten Vorläufern nicht gefehlt hat. Er
-war der erste, der das ganze Tierreich dem Skalpell unterwarf, und
-zwar mit solch vollendeter Meisterschaft, daß seine Arbeiten für
-alle Zeiten als Muster gelten können. So entstand sein anatomisches
-Hauptwerk[646], das neben einem Reichtum neuer Entdeckungen eine
-Verknüpfung des gesamten Tatsachenmaterials und dadurch einen Einblick
-in die Gesetze der tierischen Organisation vermittelt, wie es kein
-früheres und wenige spätere Werke in gleichem Grade vermocht haben. Von
-Einzeluntersuchungen *Cuviers* sind besonders seine Arbeiten über den
-unteren Kehlkopf der Vögel, über die Anatomie der Schnecke und über den
-Kreislauf der wirbellosen Tiere hervorzuheben.
-
-*Cuvier* war unterdessen Professor der vergleichenden Anatomie am
-Jardin des Plantes[647] und bald darauf Sekretär der Akademie geworden.
-Sein großes Lebenswerk wurde nicht nur dadurch gefördert, daß ihm diese
-höchsten wissenschaftlichen Stellungen eine Fülle von Hilfsmitteln
-erschlossen, sondern die gesamten Zeitumstände waren für ihn äußerst
-günstig. Die Machthaber Frankreichs, welche nach den ersten Stürmen
-der Revolutionszeit auftraten, brachten der großen Bedeutung der
-exakten Wissenschaften ein volles Verständnis entgegen. Schon unter dem
-Direktorium hatte man die von dem Nationalkonvent als gelehrten Plunder
-aufgehobene Akademie wieder eingerichtet. Napoleon ließ sich zu ihrem
-Mitgliede ernennen und trat zu *Cuvier*, den er besonders schätzte,
-in ein nahes persönliches Verhältnis. Letzterer wurde vom Kaiser mit
-der Reorganisation des arg in Unordnung geratenen Unterrichtswesens
-betraut. Diese Stellung brachte es mit sich, daß der große Gelehrte,
-dessen amtliche Tätigkeit sich auch auf die italienischen Universitäten
-erstreckte, weite Reisen unternahm und auswärtige Museen kennen
-lernte. Zum Mittelpunkt der naturwissenschaftlichen Sammeltätigkeit
-wurde aber Paris gemacht, wohin durch die französischen Eroberungszüge
-nicht nur die hervorragendsten Kunstschätze, sondern auch ein reiches
-wissenschaftliches Material gelangte. Paris war damals nicht nur das
-politische, sondern auch das geistige Zentrum der Welt.
-
-Nachdem *Cuvier* die Grundlagen der vergleichenden Anatomie geschaffen,
-ging sein ganzes Streben darauf hinaus, diese Wissenschaft mit der
-Zoologie zu verschmelzen und eine Anordnung der Formen zu treffen,
-welche der genaue und vollständige Ausdruck der Natur sein sollte[648].
-»Als ich anfing«, sagt er[649], »herrschte das *Linné*sche System.
-Es gab zwar ausgedehnte Arbeiten über einzelne Tierklassen. Die
-Bearbeiter hatten aber nur die äußeren Beziehungen der Arten
-berücksichtigt; niemand hatte sich damit abgegeben, die Klassen und
-ihre Unterabteilungen nach der Gesamtheit der inneren und äußeren
-Kennzeichen gegeneinander abzuwägen. Ich mußte also in der Anatomie und
-in der Zoologie mit dem Zergliedern und dem Einteilen von vorn anfangen
-und aus der gegenseitigen Befruchtung dieser beiden Wissenschaften das
-zoologische System hervorgehen lassen.« Die Grundzüge des letzteren
-veröffentlichte *Cuvier* in der berühmten Abhandlung vom Jahre 1812.
-Sie führt den Titel: »Über eine neue Anordnung der Klassen, welche das
-Tierreich zusammensetzen«[650].
-
-*Cuviers* System bedeutet den größten Fortschritt der Zoologie seit
-der Zeit des Aristoteles. *Linné* hatte als »Würmer« zahlreiche
-verschiedengestaltige Tiere beisammen gelassen, für die es unmöglich
-war, irgend ein gemeinsames Kennzeichen anzugeben. Während *Cuvier*
-an seinen ersten Abhandlungen zur vergleichenden Anatomie arbeitete,
-befand er sich der Unmöglichkeit gegenüber, irgend etwas allgemein
-Zutreffendes über die Würmer zu sagen, sei es über ihr Nervensystem,
-sei es über ihren Blutkreislauf, ihre Atmungs-, Fortpflanzungs- oder
-über ihre Verdauungsorgane. Dadurch wurde ihm denn klar, daß diese
-Klasse nicht gleich den übrigen auf positive Merkmale gegründet sei.
-Er machte deshalb 1795 den Vorschlag, die »Würmer« in vier Klassen
-zu teilen, welche auf ebenso deutliche Verschiedenheiten gegründet
-wären, wie die Klassen der Wirbeltiere. Während nämlich die Klassen
-der Wirbeltiere eine große Anzahl von Zügen gemeinsam haben, gilt für
-die wirbellosen Tiere nicht dasselbe. »Die Klassen der Wirbeltiere«,
-sagt *Cuvier*, »sind gewissermaßen nach demselben Plane gebaut. Will
-man aber ein Organsystem der wirbellosen Tiere beschreiben, so ist
-man gezwungen, fast ebensoviel Schemata zu entwerfen, als man Klassen
-innerhalb der Wirbellosen aufgestellt hat.« *Cuvier* gelangte so dahin,
-gewisse Klassen der letzteren der gesamten Reihe der Wirbeltiere als
-gleichwertig an die Seite zu stellen. Das Ergebnis war, daß er vier
-Hauptpläne nachwies, nach denen ihm sämtliche Tiere gebaut zu sein
-schienen. Die Unterabteilungen der so gewonnenen vier Hauptgruppen
-oder Kreise werden nach ihm dadurch bedingt, daß geringe Abänderungen
-durch die Entwicklung und das Hinzutreten gewisser Teile hervorgerufen
-werden, die indessen an den Grundzügen des Planes nichts ändern.
-
-Nach einer genauen Kennzeichnung der anatomischen Grundzüge jedes
-Kreises, gelangt *Cuvier* zu folgender Einteilung des Tierreiches:
-
- I. Kreis. Wirbeltiere.
-
- 1. Klasse Säugetiere.
- 2. " Vögel.
- 3. " Kriechtiere (Reptilien und Amphibien).
- 4. " Fische.
-
-
- II. Kreis. Weichtiere.
-
- 1. Klasse Kopffüßer oder Cephalopoden.
- 2. " Bauchfüßer oder Gasteropoden.
- 3. " Flossenfüßer oder Pteropoden.
- 4. " Muscheln oder Acephalen.
-
-
- III. Kreis. Gliedertiere.
-
- 1. Klasse Ringelwürmer oder Anneliden.
- 2. " Krebstiere oder Crustaceen.
- 3. " Spinnen oder Arachniden.
- 4. " Kerbtiere oder Insekten.
-
-
- IV. Kreis. Radiärtiere.
-
- 1. Klasse Stachelhäuter oder Echinodermen.
- 2. " Eingeweidewürmer.
- 3. " Pflanzentiere oder Polypen.
- 4. " Aufgußtiere oder Infusorien.
-
-Diese Einteilung *Cuviers* bildet auch heute noch im wesentlichen
-die Grundlage des natürlichen Systems. Doch ist die Zahl der
-Kreise auf sieben vermehrt worden. Zuerst wurde durch Abtrennung
-der Infusorien von den Radiärtieren der Kreis der Urtiere oder
-Protozoen gebildet. Sodann wurden die Stachelhäuter, welche einen Darm
-besitzen, als besonderer Kreis den darmlosen Radiärtieren (Korallen,
-Seerosen usw.) gegenübergestellt. Endlich wurden die Ringelwürmer
-mit den Eingeweidewürmern und anderen niederen Formen zum Kreise
-der Würmer vereinigt. Außerdem gestattet die Entdeckung zahlreicher
-Verbindungsglieder zwischen den einzelnen Kreisen, das gesamte
-Tierreich als eine Einheit im höchsten Sinne zu betrachten.
-
-Die Ergebnisse von *Cuviers* vergleichend anatomischen Untersuchungen
-widersprachen der von der naturphilosophischen Schule vorausgesetzten
-Einheit der tierischen Organisation. Seine durch Jahrzehnte
-fortgesetzten Arbeiten hatten den nicht hinwegzuleugnenden Nachweis
-geliefert, daß sich die scheinbar unendliche Mannigfaltigkeit der
-Lebewesen auf mehrere Typen oder allgemeinen Baupläne zurückführen
-läßt. Das von *Cuvier* geschaffene System, vor allem aber der
-Grundgedanke, daß es solche allgemeinen Baupläne gibt, ist durch
-weitere, insbesondere entwicklungsgeschichtliche Forschungen im
-wesentlichen bestätigt worden. Sah man sich auch gezwungen, die
-Zahl der Typen zu vermehren, sowie die Existenz von Zwischenformen
-anzunehmen, so wurde dadurch der Begriff des Typus doch nicht
-erschüttert. Und vollends haben sich Lehren, wie diejenige von
-*Geoffroy St. Hilaire*, nach welcher die Insekten mit ihrem
-bauchständigen Mark als umgekehrte Wirbeltiere betrachtet wurden, als
-unhaltbar erwiesen.
-
-*Cuviers* Untersuchungen über die fossilen Tiere berühren sich mit
-den Ergebnissen seiner zoologischen Arbeiten. Die Hauptpläne, die er
-für die lebenden Tiere erkannt hatte, fanden sich nämlich auch an den
-untergegangenen Formen verwirklicht, so daß sich die früheren mit den
-jetzigen Lebewesen zu einem großen System vereinigen ließen.
-
-Mit der Erkenntnis, daß die ausgestorbenen Wirbeltiere, auf die sich
-*Cuviers* paläontologische Forschungen insbesondere erstreckten, von
-den heutigen in solchem Maße abweichen, daß sie mit ihnen höchstens
-unter denselben Gattungsbegriff gestellt werden dürfen, konnte man
-das Dogma von der Konstanz der Arten nicht wohl vereinigen. So nahm
-denn *Cuvier* an, daß jede einer geologischen Epoche eigentümliche
-Lebewelt auf einen besonderen Schöpfungsvorgang zurückzuführen
-sei, während die Harmonie der gesamten Schöpfung in dem Einhalten
-der von ihm nachgewiesenen Baupläne zum Ausdruck gelangen sollte.
-Jeder Neuschöpfung sollte eine Beseitigung der vorhandenen Wesen
-vorangegangen sein. Hierfür nahm *Cuvier* gewaltige geologische
-Umwälzungen in Anspruch, deren Spuren er in den Veränderungen, welche
-die ursprünglich horizontalen, versteinerungsführenden Schichten
-erlitten haben, aufdecken zu können glaubte. Die Entwicklung der
-Paläontologie und der Geologie unter dem Einfluß dieser Anschauungen
-*Cuviers* und seiner Zeitgenossen wird uns in einem späteren Abschnitt
-beschäftigen.
-
-Erwähnen wir noch, daß *Cuvier* im Jahre 1817 unter dem Titel das
-»Tierreich« ein umfassendes Werk[651] herausgab, so ist damit die
-Bedeutung dieses außerordentlichen Mannes zwar nicht erschöpft, doch
-in den wesentlichsten Punkten gewürdigt. Am 13. Mai des Jahres 1832
-wurde er nach kurzer Krankheit seiner großartigen Tätigkeit durch den
-Tod entrissen. »Solange die Welt steht«, äußerte ein hervorragender
-Zeitgenosse in einem *Cuvier* gewidmeten Nachruf[652], »wird der
-Verstorbene als hellleuchtendes Gestirn am naturhistorischen Himmel
-glänzen und die Augen der Nachkommenden auf sich ziehen, um bei seinem
-Scheine den Reichtum der Natur zu bewundern, zu untersuchen, zu
-scheiden, zu ordnen, zu begreifen und zu benutzen.«
-
-Nachdem in der Anatomie die vergleichende Richtung über die einseitig
-beschreibende gesiegt hatte, konnte es nicht ausbleiben, daß auch der
-menschliche Organismus unter allgemeineren Gesichtspunkten betrachtet
-wurde. Schon *Linné* hatte dem Menschen einen Platz in seinem System,
-und zwar innerhalb der Ordnung der Primaten, angewiesen und dazu
-bemerkt, er habe bislang kein anatomisches Kennzeichen nachweisen
-können, wodurch der Körperbau des Menschen vom demjenigen des Affen
-unterschieden sei. Aus dem Bemühen, den von *Linné* vermißten
-»Charakter der Humanität« aufzufinden, überhaupt den Menschen als
-ein Naturgeschöpf zu würdigen und zu verstehen, entsprang die neuere
-Anthropologie, die sich seit dem Erscheinen von *Blumenbachs* Ȇber die
-angeborene Verschiedenheit im Menschengeschlecht« datieren läßt[653].
-In dieser Schrift sucht *Blumenbach* den Nachweis zu führen, daß die
-Menschheit aus Rassen bestehe, die aus einem gemeinschaftlichen Stamme
-hervorgegangen seien, ähnlich wie dies für die Spielarten der Haustiere
-zutrifft. Obgleich *Blumenbach* durchaus nicht verkennt, daß derartige
-Spielarten durch kaum merkliche Übergänge ineinander überfließen,
-gelangt er doch zur Aufstellung seiner bekannten fünf Hauptrassen
-(Kaukasier, Mongolen, Aethiopier, Amerikaner, Malayen[654]).
-
-Als ein wesentliches anatomisches Merkmal, das den Menschen vom höheren
-Tiere, insbesondere vom Affen unterscheidet, betrachtet *Blumenbach*,
-den wir als einen der frühesten vergleichenden Anatomen und den
-Begründer der ethnographischen Schädellehre gelten lassen müssen,
-das vortretende Kinn und die dadurch bedingte aufrechte Stellung der
-unteren Vorderzähne. Der gleichfalls auf dem Gebiete der vergleichenden
-Anatomie schon vor *Cuvier* tätige Holländer *Peter Camper* (1722-1789)
-wies in einer vortrefflichen Arbeit über den Orang-Utang darauf hin,
-daß der Gesichtswinkel dieses höchststehenden Affen beträchtlich
-kleiner als derjenige der am tiefsten stehenden menschlichen Rassen
-sei.
-
-
-
-
-26. Geologie und Paläontologie unter der Herrschaft der
-Katastrophenlehre.
-
-
-Schon *Hutton* hatte in seiner »Theorie der Erde« die heute herrschende
-Ansicht entwickelt, daß der gegenwärtige Zustand der Erde aus den noch
-jetzt wirkenden Kräften unter Zuhilfenahme ausgedehnter Zeiträume
-erklärt werden müsse. Die Mehrzahl der Geologen nahm aber für die
-früheren Epochen der Erdentwicklung außergewöhnliche Kräfte und
-Begebenheiten in Anspruch.
-
-Häufig wurde diese unter dem Namen der Katastrophentheorie bekannte
-Ansicht selbst bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein von dem Streben
-getragen, die Wissenschaft mit der biblischen Überlieferung in Einklang
-zu bringen. Manche wollten sogar in der Sintflut die letzte große
-Katastrophe erblicken. Zu den Anhängern der Katastrophentheorie gehörte
-auch *Cuvier*. Wir haben die hervorragenden Leistungen dieses Mannes
-um die vergleichende Anatomie und Zoologie schon kennen gelernt.
-Ausgehend von diesen Wissenszweigen hatte *Cuvier* die Paläontologie
-reformiert. In der allgemeinen Geologie blieben *Cuviers* Anschauungen
-und Kenntnisse jedoch weit hinter denen eines *Hutton* und *Füchsel*
-zurück. Trotzdem wurden diese Anschauungen, gestützt durch die große
-Autorität, die *Cuvier* auf den zu der Geologie in engster Beziehung
-stehenden Wissenszweigen genoß, zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts
-die herrschenden.
-
-Auch der Umstand, daß der große französische Forscher seine
-allgemeingeologischen Lehren seinem epochemachenden paläontologischen
-Werk[655], als eine Art Vorrede voranschickte, verlieh ihnen die
-besondere Beachtung der Zeitgenossen.
-
-Nachdem *Cuvier* die Beschaffenheit der uns zugänglichen Teile der
-Erde und die gegenwärtig noch tätigen geologischen Kräfte geschildert,
-kommt er zu dem Ergebnis, daß diese Kräfte nicht ausreichen, um die
-Veränderungen hervorzubringen, deren Spuren uns die Erdkruste darbietet.
-
-Die Veränderungen, die im Verlaufe der Erdgeschichte in der organischen
-Welt stattfanden, wurden nach *Cuvier* durch einen Wechsel in der
-Beschaffenheit des Mediums veranlaßt oder gingen einem solchen
-wenigstens parallel. Dieser Wechsel erfolgte nach ihm nicht allmählich,
-sondern plötzlich, katastrophenartig. Da inmitten der Meeresbildungen
-Schichten vorkommen, die mit tierischen und pflanzlichen Erzeugnissen
-des Festlandes und des süßen Wassers angefüllt sind, so müsse man
-schließen, daß zu wiederholten Malen schon aufs Trockene gesetzte
-Teile der Erde wieder überflutet wurden. Für die Behauptung, daß
-dieser Wechsel plötzlich erfolgte, dienten *Cuvier* besonders die
-im Eise Sibiriens entdeckten Leichen des Mammuts als Beweis. Die
-letzte Katastrophe, meint er, habe im hohen Norden Leichen gewaltiger
-Vierfüßer zurückgelassen, die vom Eise eingeschlossen wurden und
-bis auf unsere Tage mit Haut und Haar erhalten blieben. Wären das
-Einfrieren und der Tod nicht zur selben Zeit erfolgt, so würden
-die Tiere der Zersetzung anheim gefallen sein. Andererseits könne
-dieser ewige Frost vorher nicht an den Orten, wo die Tiere von ihm
-ergriffen wurden, geherrscht haben, denn sie hätten unter solchen
-Temperaturverhältnissen nicht leben können. Es sei also derselbe
-Augenblick, welcher den Tod dieser Tiere herbeigeführt und das Land,
-das sie bewohnten, mit Eis überzogen habe. Dies müsse plötzlich und
-nicht etwa nach und nach eingetreten sein. Und was sich so offenbar für
-diese letzte Katastrophe dartun lasse, sei kaum weniger ersichtlich für
-die vorangegangenen. Die Zerreißungen, Biegungen und Kippungen, welche
-die ältesten Schichten aufweisen, riefen in *Cuvier* die Überzeugung
-hervor, daß plötzliche und heftig wirkende Ursachen die Schichten in
-den Zustand versetzt hätten, in dem wir sie jetzt erblicken.
-
-*Cuviers* Irrtum entsprang zum Teil daraus, daß er die Zeitdauer der
-geologischen Entwicklung unterschätzte. So nahm er z. B. an, daß die
-letzte Erdrevolution vor nicht mehr als 5000 Jahren stattfand. Während
-*Cuviers* irrige Vorstellungen auf dem Gebiete der allgemeinen Geologie
-eine ähnliche Rolle gespielt haben wie *Newtons* Emanationslehre
-in der Optik, sind seine Verdienste um die Paläontologie von der
-größten Bedeutung. Ihm gelang es, dieser Wissenschaft durch die enge
-Verbindung, in die er sie mit der Zoologie und der vergleichenden
-Anatomie brachte, einen völlig neuen Geist, der sie seitdem belebt hat,
-einzuhauchen.
-
-Die Umgegend von Paris, die *Cuvier* für seine paläontologischen
-Forschungen das meiste Material lieferte, ist an fossilen
-Säugetierresten besonders reich. Die größte Schwierigkeit ergab sich
-aber daraus, daß vollständige Skelette äußerst selten gefunden werden,
-die einzelnen Knochen vielmehr ohne alle Ordnung und meist zerbrochen
-in den Gesteinsschichten sich vorfinden. All diese Schwierigkeiten
-schwanden, als *Cuvier* das schon früher erwähnte[656] Grundgesetz der
-allgemeinen Anatomie, das Prinzip der Korrelation der Organe aussprach.
-Nach diesem Prinzip regelt sich das gegenseitige Verhältnis der Formen
-in den organischen Geschöpfen in der Weise, daß jeder Organismus schon
-aus der Beschaffenheit eines seiner Teile in seiner ganzen Eigenart
-erkannt werden kann.
-
-Unter Anwendung dieses Prinzips und durch steten Vergleich mit
-den Skeletten lebender Tiergattungen gelang es *Cuvier*, aus den
-zerstreuten Knochen, die sich im Pariser Gips fanden, die erloschenen
-Gattungen, Paläotherium und Anoplotherium, zu rekonstruieren. Diese
-Gattungen der mittleren Tertiärzeit (Oligozän) erwiesen sich beim
-näheren Studium als ziemlich artenreich. Das Paläotherium mit seinen
-drei gleich starken Hufen wurde als ein Vorläufer unseres Pferdes
-erkannt, während das Anoplotherium den Urtypus eines Wiederkäuers
-darstellt. Auch Raubtiere, Beuteltiere, Vögel, Reptilien und Fische
-ließen sich in ihren Überresten im Gips des Montmartre nachweisen.
-Fast kein Block dieser tertiären Gesteinsmasse war frei von solchen
-zerstreuten Resten, die *Cuvier* auf mehr als 150 verschiedene Arten
-zurückzuführen vermochte. Von diesen Arten waren mehr als 90 vor
-*Cuvier* den Naturforschern gänzlich unbekannt.
-
-Auf Grund seiner Einzeluntersuchungen gelangte *Cuvier* zu einer
-klareren Einsicht in die geologische Zeitfolge der Organismen, als sie
-vor ihm möglich war. Er hob hervor, daß die Fische und die eierlegenden
-Vierfüßer früher auf der Erde erschienen als die Säugetiere und daß die
-erloschenen Gattungen der letzteren in älteren Schichten vorkommen als
-die Gattungen, von denen noch heute Arten existieren.
-
-Die Ichthyosauren, Plesiosauren, mehrere Schildkröten und Krokodile,
-schrieb *Cuvier* über das Verhältnis der Arten zu den Formationen,
-fänden sich unterhalb des Kreidegebietes in den Schichten des
-sogenannten Jura. Die zahlreichen Fische des Thüringer Kupferschiefers
-seien noch älter. In der Kreide selbst begegnen uns riesige Saurier
-und Schildkröten. Aber, fährt er fort, Knochen von Landsäugetieren
-finden sich außer den Beuteltierkiefern im Jura weder in älteren
-Gebirgsschichten noch in der Kreide. Trotz dieser im allgemeinen
-zutreffenden Erkenntnis von der geologischen Aufeinanderfolge der
-großen Gruppen der Organismen ahnte *Cuvier* nicht den genetischen
-Zusammenhang, der zwischen den vergangenen Lebewelten und der
-gegenwärtigen besteht.
-
-Von Einfluß auf die weitere Entwicklung der Geologie war die
-hervorragende Tätigkeit, welche Deutschlands größter Geologe, *von
-Buch*, entfaltete. *Leopold von Buch* wurde 1774 in der Uckermark
-geboren[657]. Gleichzeitig mit *Humboldt* wurde er auf der Bergakademie
-zu Freiberg durch *Werner* in die Mineralogie und in die Geognosie
-eingeführt. Wir haben *Werner* als den Begründer dieser Wissenschaft
-und den wichtigsten Verfechter der neptunistischen Lehre kennen
-gelernt[658]. Als *Buch* seine Forschungsreisen auf die vulkanischen
-Gebiete der Auvergne und Italiens ausdehnte, kamen ihm Zweifel an der
-Richtigkeit jener Lehre *Werners*, der seine Beobachtungen auf das
-mittlere Deutschland beschränkt hatte. Darauf vollzog sich bei *Buch*
-wie bei dem ihm befreundeten *Humboldt* ein entschiedener Abfall von
-*Werner*.
-
-Hochwichtige Ergebnisse förderte *v. Buchs* Durchforschung der
-skandinavischen Halbinsel zutage (1806-1808). Er untersuchte vor allem
-die Lagerungsverhältnisse der Massengesteine und fand, daß der Granit
-nicht immer das älteste Gestein sei, da er mitunter auf Versteinerungen
-führendem Kalk auflagere, wie z. B. bei Christiania. Als die älteste
-Grundlage betrachtete man nunmehr den *Gneiß*.
-
-Diese Entdeckung rief allgemeines Erstaunen hervor und veranlaßte den
-für geologische Fragen sich stets lebhaft interessierenden *Goethe* zu
-der Bemerkung, daß der Sohn zum Vater geworden sei. Auch der nordische
-Ursprung der deutschen Findlingsblöcke wurde durch *Buch* eingehender
-begründet. Endlich gelang es ihm, durch den Nachweis von Strandlinien
-die langsame Erhebung Skandinaviens aus dem Schoß des Meeres
-nachzuweisen und damit die neuere Lehre von den säkularen Hebungen und
-Senkungen zu begründen. Auf die Änderungen der Küsten jenes Landes
-hatte zwar schon *Celsius* im Jahre 1740 hingewiesen, sie aber aus
-einem langsamen Sinken des Meeresspiegels zu erklären gesucht.
-
-Von nicht geringerer Bedeutung für die Entwicklung der geologischen
-Vorstellungen als *Buchs* Werk über Skandinavien, war seine
-»Physikalische Beschreibung der kanarischen Inseln«[659]. Es lehrte
-die Unterscheidung von Zentral- und Reihenvulkanen, sowie die
-Entstehung der letzteren auf den großen Spalten der Erdrinde kennen,
-welche den Begrenzungen der Kontinente entsprechen. Gleichzeitig
-entwickelte *Buch* eine Theorie der Erhebung von Bergketten und ganzen
-Kontinentalmassen durch vulkanische Kräfte. War diese Theorie in
-ihren Einzelheiten auch nicht stichhaltig, so hat sie doch die heute
-geltenden Lehren der Gebirgsbildung vorbereitet.
-
-Dem Studium des Vulkanismus war auch *Humboldts* amerikanische
-Forschungsreise, soweit sie geologische Erscheinungen betraf, in erster
-Linie gewidmet. So machte es *Humboldt* schon wahrscheinlich, daß sich
-die gewaltigen Vulkane Mittelamerikas über einer 150 Meilen langen
-Erdspalte befinden.
-
-Die Ausdehnung der geologischen Forschung auf die außereuropäischen
-Erdteile, wie sie besonders *Humboldt* einleitete, war vor allem
-nötig, um die Allgemeingültigkeit der in Mitteleuropa an einem nur
-beschränkten Material zuerst ins Leben gerufenen Lehren über die
-Schichtenfolge darzutun und die ursächliche Begründung dieser Lehren zu
-ermöglichen.
-
-
-
-
-27. Fortschritte auf dem Gebiete der Entwicklungslehre.
-
-
-Um das Studium der Entwicklung des Tierindividuums hatte sich im
-18. Jahrhundert *Wolff* das größte Verdienst erworben[660]. Seine
-Ansichten vermochten der Evolutionstheorie gegenüber zunächst nicht
-durchzudringen. Im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts erfuhr die
-Entwicklungsgeschichte durch eine Reihe deutscher Forscher jedoch
-einen außerordentlichen Aufschwung, wobei *Wolffs* Lehre von der
-Epigenesis den Sieg davontrug. »Der Deutsche«, sagt *Hyrtl*, »darf mit
-Stolz sagen, daß alles, was in diesem Fache Großes geschah, von seinem
-Vaterlande ausging«. Die Männer, welche diesen Umschwung herbeiführten,
-waren außer dem Anatomen *Meckel*, der durch seine Übersetzung
-von *Wolffs* Schrift über die Bildung des Darmkanals (1812) die
-Aufmerksamkeit der Zoologen und Physiologen von neuem auf dieses Gebiet
-gelenkt hatte, vor allem *Pander* und *von Baer*.
-
-Die neue Ära wurde eingeleitet durch *Panders* Beiträge zur
-Entwicklungsgeschichte des Hühnchens im Ei. Es ist dies eine klassisch
-zu nennende Arbeit und zwar bis dahin die bei weitem bedeutendste auf
-diesem Gebiete. Daß die Bildung des Embryos von einer blattförmigen
-Schicht ausgeht, hatte *Wolff* schon angedeutet. »*Pander*[661] zeigte,
-daß in der Bildung der Keimhaut die ganze Entwicklung des Hühnchens
-begründet ist«. Alles, was weiter geschieht, sagt er, ist nichts
-anderes »als eine Metamorphose dieser mit einer unerschöpflichen Fülle
-des Bildungstriebes begabten Membran und ihrer Blätter«. *Pander*
-wies nach, daß sich das Keimblatt zunächst und zwar schon während der
-ersten 24 Stunden in drei übereinander liegende Blätter spaltet. Das
-äußerste nannte er das seröse, das innere das Schleimblatt und das
-zwischen beiden liegende das Gefäßblatt. Den eigentümlichen Gang der
-Entwicklung, den jedes dieser Primitivgebilde einschlägt, hat *Pander*
-auch schon in Betracht gezogen. Die Fortsetzung der Arbeit nach dieser
-Richtung blieb indessen vor allem *von Baer* vorbehalten, der sich den
-Ehrentitel des größten Embryologen aller Zeiten erworben hat.
-
-*Karl Ernst von Baer*[662] wurde am 28. Februar 1792 in Esthland
-geboren und studierte zunächst in Dorpat und später in Würzburg
-bei *Döllinger*, dem sowohl er als auch *Pander* die Anregung zu
-ihren embryologischen Arbeiten verdankten. *Döllinger* hatte den
-Wunsch geäußert, daß einer seiner Schüler sich der mühevollen Arbeit
-unterziehen möge, die Entwicklung des Hühnchens von Stunde zu Stunde
-zu verfolgen. Er wandte sich damit zuerst an *von Baer*, der seinen
-Genossen *Pander* zur Übernahme dieses Auftrages bewog. *Von Baer*
-wurde Professor der Naturgeschichte in Königsberg, folgte aber später
-einem Rufe an die Petersburger Akademie der Wissenschaften.
-
-*Von Baer* ist vor allem dadurch berühmt geworden, daß er die Frage
-nach dem Ei der Säugetiere, insbesondere des Menschen, um die sich
-Jahrtausende vergeblich bemüht hatten, zum Abschluß brachte. Um die
-Mitte des 17. Jahrhunderts wurde die Vermutung geäußert, daß diejenigen
-weiblichen Organe, die unter dem Namen Ovarien bekannt sind, die
-Bildungsstätte der Säugetiereier und der menschlichen Eier seien. Der
-Niederländer *de Graaf* entdeckte die seitdem als *Graaf*sche Follikel
-bezeichneten, mit Flüssigkeit gefüllten Bläschen. Manche Anatomen
-hielten sie für die Eier, was zur Bezeichnung Eierstock oder Ovarium
-für das sie erzeugende Organ geführt hat.
-
-*De Graaf* selbst sprach die Vermutung aus, daß sich das Ei in dem
-Follikel befinde. Die Richtigkeit dieser Ansicht bewies erst *von Baer*
-im Jahre 1827[663]. Einige Jahre vorher hatte man im unbebrüteten Ei
-des Vogels das Keimbläschen entdeckt, ein einzelliges Gebilde, von dem,
-wie man bemerkte, die Bildung der Keimhaut ihren Ausgang nimmt[664].
-
-*Von Baer* wies das Vorkommen dieses Keimbläschens in den Eiern der
-übrigen eierlegenden Tiere, wie der Frösche, Mollusken, Würmer und
-Gliedertiere, nach und zeigte, wie aus diesem einzelligen Gebilde
-durch einen Furchungsprozeß die Keimhäute als erste Anlage des Embryos
-hervorgehen und daß die Hauptsubstanz des früher als Ei bezeichneten
-Gebildes, der Dotter, nur den Nährstoff für das sich entwickelnde
-Lebewesen vorstellt.
-
-Damit war für das gesamte Tierreich eine die Entwicklung beherrschende
-Gesetzmäßigkeit gefunden, welche dahin lautet, daß jedes, auch das am
-höchsten stehende, Geschöpf sein Leben als einzelliges Gebilde beginnt.
-Mit der Entdeckung der Eizelle und des Furchungsprozesses[665] war
-nicht nur *Harveys* Ausspruch omne vivum ex ovo erst zur Wahrheit
-geworden, sondern es war durch diese Entdeckungen die wichtige
-Grundlage für die bald darauf von *Schwann* errichtete Zellenlehre[666]
-geschaffen.
-
-Schon im Jahre nach der Entdeckung des Säugetiereies ließ *von Baer*
-den ersten Band seines berühmten Werkes »Über die Entwicklung der
-Tiere« erscheinen. (1828. Der zweite Band erschien 1837.) Anknüpfend
-an die Untersuchungen *Panders* über die Bildung der drei Keimblätter
-zeigte *von Baer*, wie aus diesen Primitivgebilden die einzelnen
-Organe und Organsysteme des Embryos sich entwickeln. Während ferner
-*Pander* sich nach althergebrachter Weise auf die Entwicklung des
-Hühnchens beschränkt hatte, dehnte *von Baer* seine Untersuchung, indem
-er nach der in der Anatomie schon zum Durchbruch gelangten Methode
-vergleichend verfuhr, auf sämtliche Gruppen der Wirbeltiere aus. *Von
-Baer* verfolgte zunächst die Umwandlung der Keimblätter zum Nervenrohr
-und Darmrohr und zeigte, wie am ersteren die Sonderung in Hirn und
-Rückenmark, sowie durch Ausstülpung die Bildung der Sinnesorgane
-vor sich geht, während sich am Darmrohre eine ähnliche Sonderung in
-einzelne Abschnitte (Mundhöhle, Mitteldarm usw.) ausbildet. Auch
-daß die Entstehung des Atmungsorgans und der Leber vom Darmrohr aus
-beginnt, wurde durch *von Baer* nachgewiesen.
-
-Von allgemeinen Ergebnissen, zu denen er durch den Vergleich
-zahlreicher Einzelvorgänge gelangte, seien noch folgende hervorgehoben:
-Die ursprüngliche Keimesanlage der Wirbeltiere ist die gleiche.
-Die Entwicklung nimmt aber je nach dem Typus, der sich im Bau des
-fertigen Tieres ausspricht, alsbald eine verschiedene Richtung. Ein
-auffallender Unterschied besteht, wie weiter betont wird, in der
-Entwicklung der höheren und der niederen Wirbeltiere. Dieser Umstand
-mache sich besonders dadurch bemerkbar, daß letzteren Amnion und
-Allantois fehlen, während diese Embryonalorgane für die höheren
-Wirbeltiere charakteristisch sind. Die Frage nach dem Zusammenhang des
-Säugetierembryos mit der Mutter machte *von Baer* zum Gegenstand einer
-besonderen Untersuchung[667].
-
-Zahlreiche Forscher, auf deren Arbeiten hier jedoch nicht eingegangen
-werden kann, haben das von *Pander* und *von Baer* begonnene Werk
-fortgesetzt. Genannt sei nur *Rathke*[668], der über die Entwicklung
-der Geschlechtsorgane der Wirbeltiere das erste Licht verbreitete und
-das Vorhandensein von Kiemenanlagen, der sogenannten Schlundspalten,
-auch bei den Embryonen der Vögel und der Säugetiere entdeckte.
-*Rathke* war es ferner, welcher die Untersuchung über die Bildung der
-Keimanlagen aus der Eizelle auf das Gebiet der Wirbellosen ausdehnte.
-Vor allem ist hier sein Werk über die Entwicklung des Flußkrebses
-(1829) grundlegend gewesen.
-
-
-
-
-Fußnoten
-
-
-[1] Siehe *Dannemann*, Aus der Werkstatt großer Forscher, Abschn. 14.
-
-[2] Der Engländer *Wall* in den Philosoph. Transact. v. 1698. *Wall*
-rieb ein großes Stück Bernstein mit Wolle und erhielt einen Funken von
-fast einem Zoll Länge. Dabei trat ein Knall auf, als ob Steinkohle im
-Ofen zerspränge.
-
-[3] Eine Zusammenfassung seiner Untersuchungen ist die Schrift
-Physico-mechanical experiments. London 1709.
-
-[4] Vier Abhandlungen über die Elektrizität und den Magnetismus von
-*Coulomb* (1785-1786). (*Ostwalds* Klassiker Nr. 13.) Leipzig, Wilhelm
-Engelmann. 1890.
-
-[5] *Galilei*, Unterredungen und mathematische Demonstrationen
-(*Ostwalds* Klassiker Nr. 24, S. 80.)
-
-[6] Six Mémoires sur l'électricité, erschienen in den Memoiren der
-Pariser Akademie von 1733 und 1734.
-
-[7] Siehe auch die Ausführungen von *Aepinus* in *Dannemann*, Aus der
-Werkstatt großer Forscher, S. 177.
-
-[8] *Musschenbroek* und *Cunaeus*.
-
-[9] *Kleist* teilte seine Entdeckung am 4. November 1745 dem Anatomen
-*Lieberkühn* mit. Die Leydener Versuche fanden erst im Januar 1746
-statt. Es ist anzunehmen, daß den Leydener Physikern die *Kleist*sche
-Entdeckung nicht bekannt war (Mitteilungen zur Geschichte der Medizin
-und der Naturwissenschaften. IV. Bd. Nr. 1, S. 95).
-
-[10] Versuche und Abhandlungen der naturforschenden Gesellschaft zu
-Danzig, I. S. 442.
-
-[11] Durch *Wilson* um 1750.
-
-[12] 1755.
-
-[13] Journal de Phys. 1788.
-
-[14] *v. Marum*, Description d'une très-grande machine électrique et
-des expériences faites par le moyen de cette machine. 1785.
-
-[15] *Gralath* schrieb auch eine Geschichte der Elektrizität.
-
-[16] *Watson* in Philos. Transact. 1748. Vol. 45, N. 485, S. 92.
-
-[17] *Van Marum*, Über das Elektrisieren. 1777.
-
-[18] *J. C. Fischer*, Geschichte der Physik. 1801-1808. V. 483.
-
-[19] *Eulers* Briefe an eine deutsche Prinzessin. Leipzig 1773. Bd. II.
-S. 245 ff.
-
-[20] In dem ersten der an *Collinson* gerichteten Briefe vom 28. III.
-1747.
-
-[21] *Eulers* Briefe an eine deutsche Prinzessin. 1773. Bd. II. S. 287.
-
-[22] Die Stärke der elektrischen Kraft des Wassers in gläsernen
-Gefäßen. Leipzig 1746. S. 137 u. f.
-
-[23] Das Bestreben, die Ursache dieses »elektrischen« Geruches zu
-ermitteln, führte später zur Entdeckung des Ozons. Siehe *Dannemann*,
-Aus der Werkstatt großer Forscher. 1908. S. 375.
-
-[24] *Franklin* in seinem 5. Briefe an *Collinson*.
-
-[25] *Franklins* Brief an *Kinnersley* vom 20. II. 1762.
-
-[26] So etwa lauten die Worte, mit denen *Franklin* seine Ansicht in
-seinen Briefen entwickelt.
-
-[27] Den ersten Blitzableiter errichtete *Franklin* im Jahre 1752. In
-England begann man (*Watson*) 1762, in Deutschland 1769 Blitzableiter
-zu errichten. In Deutschland war es ein Arzt (*Reimarus*), der in
-Hamburg für die praktische Verwendung der neuen Erfindung eintrat.
-Durch *Reimarus* wurde der Physiker *Lichtenberg* veranlaßt, in
-Göttingen Blitzableiter anzulegen. *Lichtenberg* versah gemeinsam mit
-*Kästner* die Universitätsbibliothek mit einem Blitzableiter. (Siehe
-die Mitteilungen zur Geschichte der Medizin und der Naturw. Bd. IV. Nr.
-1. S. 104.)
-
-[28] Er entriß dem Himmel den Blitz und das Zepter den Tyrannen.
-
-[29] *Beccaria*, Lettere dell' elettricismo, pg. 282. Siehe *J. C.
-Fischer*, Geschichte der Physik (1801-1808). Bd. V. 753.
-
-[30] Siehe an späterer Stelle dieses Bandes.
-
-[31] *Fischer*, Geschichte der Physik, VIII. S. 541.
-
-[32] Siehe *Priestleys* Geschichte der Elektrizität, S. 261 u. f. und
-*Fischers* Geschichte der Physik, Bd. V. S. 837.
-
-[33] Dissertatio inauguralis de electricitatibus contrariis. Rostock
-1757.
-
-[34] *Th. Young*, Lectures on natural philosophy. London 1807. Bd. II.
-
-[35] War doch die Ähnlichkeit der Schläge, welche die Leydener Flasche
-und jener Fisch erteilen, eine zu auffallende.
-
-[36] Im Jahre 1671.
-
-[37] *Fischer*, Geschichte der Physik. Bd. V. S. 867.
-
-[38] Eine Bestätigung fanden diese Untersuchungen durch den Anatomen
-*John Hunter*, welcher das eigentümliche Organ der elektrischen Fische
-in den Phil. Transactions v. 1773 genauer beschrieb.
-
-Der genauere Titel der Abhandlung von *Walsh* lautet: On the
-electric Property of the Torpedo. In a letter from *John Walsh* to
-*Benjamin Franklin* (Juli 12. 1772). *Walsh* berichtet darin über
-Untersuchungen, die er in La Rochelle an dort gefangenen Zitterrochen
-anstellte. Diese Untersuchungen ergaben, daß »die Wirkung des Torpedos
-eine durchaus elektrische« sei. Die Schläge wurden durch eine Kette von
-Personen, sowie durch einen Draht geleitet.
-
-[39] Der Turmalin wurde daher auch als Aschenzieher bezeichnet.
-
-[40] *Franz Ulrich Theodor Aepinus*, der Entdecker der Influenz und
-der Thermoelektrizität, wurde im Jahre 1724 in Rostock geboren. Er
-studierte dort, wurde später Professor der Astronomie an der Akademie
-zu Berlin, folgte aber von dort einem Rufe nach Petersburg, wo er
-Physik lehrte und die Aufsicht über die russischen Normalschulen
-ausübte. Er starb 1802 in Dorpat.
-
-[41] *Aepinus*, Akademische Rede von der Ähnlichkeit der elektrischen
-und magnetischen Kraft. Leipzig 1760. Siehe auch *Dannemann*, Aus der
-Werkstatt großer Forscher. Leipzig 1908. Abschnitt 37.
-
-[42] Diese durch Erwärmung erregte Elektrizität, die an gewissen
-Kristallen auftritt, hat man als Pyroelektrizität bezeichnet. Bei der
-Abkühlung kehren sich die beiden Pole um; ist dagegen die Temperatur
-bleibend geworden, so ist der Kristall wieder unelektrisch. Später hat
-man diese Erscheinung auch an anderen Mineralien wahrgenommen, so am
-Kalkspat, Gips, Feldspat, Flußspat, Diamant usw.
-
-[43] Erst *Faraday* gelang es, eine so weitgehende Verknüpfung
-der elektrischen und der magnetischen Erscheinungen nachzuweisen,
-dass beide als Äußerungen ein- und derselben Naturkraft gelten.
-Elektrizität, Magnetismus, strahlende Wärme und Licht wurden auf
-Grund von *Maxwells* elektromagnetischer Theorie des Lichtes, sowie
-der Versuche von *Hertz* auf Zustände des Äthers zurückgeführt.
-Ausführlicheres darüber enthalten spätere Abschnitte dieses Werkes.
-
-[44] Nebenbei sei erwähnt, daß *Coulomb* durch mechanische
-Untersuchungen bewies, daß die Kraft des Menschen völlig unzulänglich
-sei, um ihn mittelst Flügel in die Lüfte zu erheben.
-
-[45] Vier Abhandlungen über die Elektrizität und den Magnetismus von
-*Coulomb*, übersetzt und herausgegeben von *Walter König*. (*Ostwalds*
-Klassiker der exakten Wissenschaften Nr. 13. Leipzig, Verlag von
-Wilhelm Engelmann, 1890). Fig. 1-5.
-
-[46] Mémoires de l'Académie royale, 1784. pg. 229 u. f.
-
-[47] *Ostwalds* Klassiker Nr. 13, S. 7.
-
-[48] Siehe *Ostwalds* Klassiker Nr. 115.
-
-[49] Mém. de l'Académie royale 1788. pg. 620 u. f.
-
-[50] Diese Fundamentalversuche über die Verteilung der Elektrizität hat
-*Cavendish*, wie aus seinen neuerdings veröffentlichten Untersuchungen
-über die Elektrizität hervorgeht, schon vor *Coulomb* angestellt.
-
-[51] Siehe *G. Green*, Ein Versuch, die mathematische Analysis auf die
-Theorien der Elektrizität und des Magnetismus anzuwenden. *Ostwalds*
-Klassiker der exakten Wissenschaften Nr. 64. Herausgegeben von *von
-Oettingen* und *Wangerin*. Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann, 1895.
-
-[52] Acta eruditorum. 1690. *Denis Papin* wurde 1647 in Blois
-geboren und starb 1712 in London. Er hielt sich viele Jahre in Hessen
-(Marburg und Kassel) auf und stand mit *Huygens* und *Leibniz* in regem
-wissenschaftlichen Verkehr.
-
-[53] *Ernst Jäger*, *Denis Papin* und seine Nachfolger in der Erfindung
-der Dampfmaschine. Stuttgart 1902. Siehe auch das Werk von *C.
-Matschoß*, Geschichte der Dampfmaschine, mit 118 Abbildungen, Berlin,
-Springer, sowie auch *Ernouf*, *Denis Papin*, sa vie et son œuvre. 4.
-Aufl., Paris, Hachette 1888.
-
-[54] Eine ausführliche Geschichte der Dampfmaschine hat *C. Matschoß*
-im Anschluß an sein auf S. 54 zitiertes Werk im Auftrage des Vereins
-deutscher Ingenieure geschrieben. Sie erschien 1908 bei J. Springer
-in Berlin, umfaßt 2 Bände und führt den Titel: *C. Matschoß*, Die
-Entwicklung der Dampfmaschine. Eine Geschichte der ortsfesten
-Dampfmaschine und der Lokomobile, der Schiffsmaschine und Lokomotive.
-
-[55] Geboren am 19. Januar 1736 in Greenock. Näheres über das Leben und
-die Bedeutung von *James Watt* enthält das Werk von *A. Ernst*: *James
-Watt* und die Grundlagen des modernen Dampfmaschinenbaus. Mit einem
-Bildnis von *James Watt* und 27 Textfiguren. Berlin, J. Springer, 1897.
-
-[56] Das Patent datiert vom 5. Januar 1769.
-
-[57] Im Jahre 1807.
-
-[58] Engineering 1894, I, S. 644.
-
-[59] *Berndt*, Die Entwicklung der Lokomotive. Darmstadt 1896.
-
-[60] Siehe Bd. II, S. 73.
-
-[61] *Renaldini*.
-
-[62] *Halley*, An account of several experiments, made to examine the
-nature of the expansion and contraction of fluids, by heat and cold,
-in order to ascertain the divisions of the thermometer (Philos.
-Transact. 1693).
-
-[63] *Fischer*, Gesch. d. Phys. III. 221.
-
-[64] Und zwar hat *Borelli*, den wir als Mitbegründer der neueren
-Physiologie kennen lernten, darauf hingewiesen.
-
-[65] *E. Mach*, Die Prinzipien der Wärmelehre. 1896.
-
-[66] *Daniel Gabriel Fahrenheit*, Versuche über den Siedepunkt einiger
-Flüssigkeiten. 1724. Im 57. Bande von *Ostwalds* Klassiker der exakten
-Wissenschaften, neu herausgegeben von *A. J. v. Oettingen*. Leipzig,
-Verlag von W. Engelmann. 1894.
-
-[67] *Ostwalds* Klassiker. Bd. 57. S. 17.
-
-[68] Siehe *Fahrenheits* Abhandlungen über Thermometrie (*Ostwalds*
-Klassiker, Nr. 57).
-
-[69] *Fahrenheit*, Experimente und Beobachtungen über das Gefrieren des
-Wassers im Vakuum. *Ostwalds* Klassiker, Bd. 57, S. 6 u. f.
-
-[70] *Réaumur*, Regeln zur Konstruktion von Thermometern mit
-vergleichbaren Skalen, 1730, 1731, im 57. Bande von *Ostwalds*
-Klassiker, herausgegeben von *A. J. v. Oettingen*. Leipzig, W.
-Engelmann, 1894. *Réaumur* (1683-1757) hat zahlreiche Abhandlungen aus
-den Gebieten der Physik, der Zoologie und der Botanik veröffentlicht.
-
-[71] *Ostwalds* Klassiker, Bd. 57, S. 49.
-
-[72] *Ostwalds* Klassiker, Bd. 57, S. 100 u. f. bringt eine Übersetzung
-der betreffenden Abhandlung *Réaumurs* vom Jahre 1733. Ihr Titel
-lautet: Über das Volumen der Flüssigkeitsgemische.
-
-[73] Abhandlungen der schwedischen Akademie. Bd. IV. 1742.
-
-[74] *R. Börnstein*, Zur Geschichte der hundertteiligen
-Thermometerskala. Physikal. Zeitschrift, Bd. 8, Nr. 23.
-
-Siehe auch die Notiz von *Rompel* im 53. Bande (1907) von Natur und
-Offenbarung. S. 749. Danach ist sichergestellt, daß *Linné* in Upsala
-im Jahre 1745 ein Thermometer benutzte, das den Gefrierpunkt mit 0° und
-den Siedepunkt mit 100° bezeichnet, besaß.
-
-[75] *Celsius* selbst hat den Siedepunkt mit 0 und den Gefrierpunkt
-mit 100 bezeichnet. Anders *Celsius* (1701-1744) war Professor der
-Astronomie in Upsala. Seine Abhandlung über das Thermometer erschien
-1742. Sie wurde im 57. Bande von *Ostwalds* Klassikern von neuem
-veröffentlicht. Leipzig, W. Engelmann. 1894.
-
-[76] Mémoires de l'Académie. Paris, 1703. S. 50 u. f. Siehe auch
-die Studie *Gerlands* in den Beiträgen aus der Geschichte der Chemie,
-herausgegeben von *P. Diergart*, 1909. S. 350-360: *Ernst Gerland*, Die
-Entdeckung der Gasgesetze und des absoluten Nullpunktes der Temperatur
-durch *Boyle* und *Amontons*.
-
-[77] Nach *Lambert* ist der absolute Nullpunkt dadurch definiert,
-daß bei diesem Punkt die Luft, da sie sich mit der Temperaturabnahme
-gleichmäßig zusammenzieht, fast keinen Raum mehr einnimmt. Nach den
-Angaben *Lamberts* tritt dieser Zustand bei der Abkühlung auf -270,3°
-Celsius ein. Die Abweichung von dem heute geltenden Wert (-273°)
-ist also nur gering. Aus des Daten *Amontons*' ergibt sich für den
-absoluten Nullpunkt der Wert von -293,5° Celsius.
-
-[78] Siehe das in *Gerland* und *Traumüller*, Gesch. d. phys.
-Experimentierkunst in Fig. 312 abgebildete und dort beschriebene
-Instrument.
-
-[79] Philos. Transact. Vol. LXXII.
-
-[80] Siehe Band I. S. 302.
-
-[81] Philos. Transact. 1683/84. Nr. 156. S. 304.
-
-[82] *De Saussure*, Versuch über die Hygrometrie, herausgegeben von *A.
-J. v. Öttingen*. Bd. 115 und 119 von *Ostwalds* Klassikern der exakten
-Wissenschaften. Leipzig, Verlag von W. Engelmann, 1900.
-
-[83] *Joseph Black* war schottischer Abkunft. Er wirkte als Professor
-der Chemie in Glasgow und später in Edinburg, wo er am 26. November
-1799 starb (Geburtsjahr 1728). *Blacks* chemische Arbeiten haben
-mehrere für die Begründung der neueren Chemie sehr wichtige Tatsachen
-zu Tage gefördert. (Siehe darüber an anderer Stelle.)
-
-[84] *Johann Karl Wilke* (*Wilcke*) wurde 1732 in Wismar (damals
-schwedisch) geboren und starb im Jahre 1796 in Stockholm, wo er die
-Stelle eines Mitgliedes und Sekretärs der Akademie der Wissenschaften
-bekleidete. Von ihm rührt die erste Inklinationskarte her (Försök
-till en magnetisk inclinationskarta. Stockholm 1768). Über *Wilkes*
-Verdienste um den Ausbau der Elektrizitätslehre wurde schon an anderer
-Stelle berichtet. (Siehe S. 22.)
-
-[85] Meditationes de caloris et frigoris causa (Abhandlungen der
-Petersburger Akademie von 1747 und 1748).
-
-[86] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 178. S. 19 u. f.
-
-[87] *Deluc* (1754).
-
-[88] Sind die Mengen m und m^1 und die Temperaturen t und t^1, so ist
-die Temperatur der Mischung, wenn nur ein Ausgleich stattfindet, T =
-(mt + m^1t^1)/(m + m^1).
-
-[89] *Mach*, Prinzipien der Wärmelehre. 1896. S. 162.
-
-[90] Siehe S. 41.
-
-[91] Durch *W. Cullen* (1710-1790) Professor der Chemie in Glasgow.
-*Cullen* veröffentlichte seine grundlegenden Versuche über die
-Verdunstungskälte (1755) in den Berichten der Edinburger Gesellschaft
-(Bd. II) unter dem Titel: On the cold produced by evaporating fluids
-and of some other means of producing cold. Siehe auch *E. Mach*, Die
-Prinzipien der Wärmelehre, historisch-kritisch dargestellt, 1896. S.
-177.
-
-[92] *J. C. Fischer*, Geschichte der Physik (1801-1808) V, 4.
-
-[93] *Mariotte*, Essai du chaud et du froid, 1679.
-
-[94] *M. A. Pictet* (1752-1825) war Professor und Präsident der
-Akademie der Wissenschaften in Genf.
-
-[95] *Pictet*, Essai sur le feu. Génève 1790. S. 83.
-
-[96] Hierauf wurde von *Black* hingewiesen. Siehe auch *E. Mach*,
-»Einfache Versuche über strahlende Wärme« (Zeitschr. für den phys. und
-chem. Unterricht VII, 3).
-
-[97] Die Abhandlungen von *Lavoisier* und *Laplace* über die Wärme
-wurden in den Mémoires de l'Académie veröffentlicht und im 2. Bande
-der gesammelten Werke *Lavoisiers* wieder abgedruckt. Die wichtigsten
-Ergebnisse sind im 40. Bande der *Ostwald*schen Sammlung enthalten.
-Zwei Abhandlungen über die Wärme von *A. L. Lavoisier* und *P. S. de
-Laplace* herausgegeben von *J. Rosenthal*. Leipzig, Verlag von W.
-Engelmann, 1892.
-
-[98] Zur Erläuterung diene folgendes Beispiel: Um 1 kg Eis von 0° in 1
-kg Wasser von 0° zu verwandeln, sind 80 Wärmeeinheiten erforderlich.
-Die Substanz, deren spezifische Wärme bestimmt werden soll, wiege 2 kg
-und sei auf 10° erhitzt, die Menge des Schmelzwassers betrage 1/10 kg.
-Daraus folgt, daß die 2 kg, als sie von 10° auf 0° abgekühlt wurden,
-um sie von 0° auf 10° zu erhitzen. Um demnach 1 kg von 0° auf 10° zu
-erwärmen, würden 4 Wärmeeinheiten, ((1/10)·80)/2, um es von 0° auf 1°
-zu erwärmen, würden dagegen nur 0,4 Wärmeeinheiten, ((1/10)·80)/(2·10),
-erforderlich sein.
-
-[99] Diese Untersuchung wurde später von verschiedenen Physikern wieder
-aufgenommen (Ann. de chimie et de physique, Bd. 85, S. 72, 1813),
-indessen erst durch *Regnault* (1840) unter Beobachtung aller in
-Betracht kommenden Umstände zu einem gewissen Abschluß gebracht.
-
-[100] Sir *Charles Blagden* (1748-1820) war Arzt in der englischen
-Armee und Mitglied der Royal Society. Seine Abhandlungen wurden
-neuerdings in deutscher Übersetzung von *A. J. v. Oettingen*
-herausgegeben (*Ostwalds* Klassiker der exakten Wissenschaften Nr. 56).
-Leipzig, Verlag von W. Engelmann, 1894.
-
-[101] Die letzte Beobachtung hatte schon *Fahrenheit* gemacht. S. S. 41.
-
-[102] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 56. S. 19 u. f.
-
-[103] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 56. S. 49.
-
-[104] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 56. S. 32.
-
-[105] Systema naturae. 1. Ausgabe von 1735 sehr selten und nur
-14 Seiten umfassend. 12. Ausgabe von *Müller*. 8 Bde. 13. Ausgabe
-von *Gmelin*. 10 Bände. Leipzig 1788-1793. Die 13. Ausgabe ist das
-letzte Werk, das alle zur Zeit seiner Herausgabe bekannten Tier- und
-Pflanzenarten beschreibt. Ein Neudruck der 10. Ausgabe wurde von der
-Deutschen zoologischen Gesellschaft veranstaltet (W. Engelmann, Leipzig
-1894).
-
-[106] Fundamenta botanica 1736. Critica botanica 1737.
-
-[107] Philosophia botanica.
-
-[108] Eine ausführliche Biographie *Linnés* veröffentlichte *Th. M.
-Fries* (Stockholm 1903). Auf dieses Werk gründet sich eine kürzere
-Darstellung, die *R. E. Fries* zur Erinnerung an die 200. Wiederkehr
-des Geburtstages *Linnés* herausgab. Sie erschien in *Englers*
-botanischen Jahrbüchern (1907 Heft 1, S. 1-54) und wurde auch gesondert
-herausgegeben. (Im Verlage von W. Engelmann in Leipzig.)
-
-Am ausführlichsten wurde *Carl von Linnés* Bedeutung als Naturforscher
-und Arzt in einem Sammelwerk der Schwedischen Akademie der
-Wissenschaften geschildert. Auch für diese Veröffentlichung (Jena,
-Gustav Fischer) bot die 200. Wiederkehr des Geburtstages *Linnés* die
-Veranlassung. Der Band enthält sechs von verschiedenen Bearbeitern
-herrührende Abschnitte, in denen *Linné* als Arzt, als Entomologe,
-als Geologe, als Mineraloge, als botanischer Forscher und *Linnés*
-Verdienste um die Zoologie der Wirbeltiere geschildert werden.
-
-[109] Siehe Bd. II, S. 348-352.
-
-[110] Verdeutscht lauten die Namen der ersten 10 Klassen Ein-, Zwei-,
-Drei- usw. Zehnmännige, der 11. Klasse Zwölfmännige, der 12. Klasse
-Zwanzigmännige, der 13. Vielmännige.
-
-Manche Klassen des *Linné*schen Systems, das sich wegen seiner
-Brauchbarkeit zum Bestimmen der Pflanzen neben dem in der Wissenschaft
-allein geltenden natürlichen System erhalten hat, fallen mit den
-Familien des letzteren ganz oder teilweise zusammen. So die 12. Klasse
-mit den Mandel-, Apfelbaum- und Rosengewächsen und die 13. Klasse mit
-den Mohn- und Hahnenfußgewächsen.
-
-[111] Die 14. Klasse (Zweimächtige) umfaßt die Mehrzahl der
-Lippenblüter, die 15. Klasse (Viermächtige) fällt mit der Familie der
-Kreuzblüter zusammen.
-
-[112] 16., 17., 18. Klasse = Ein-, Zwei-, Vielbrüdrige. Für die 16.
-Klasse bieten die Malven, für die 18. das Johanniskraut ein Beispiel.
-
-[113] Zusammengewachsene, so genannt, weil die Staubbeutel der unter
-diesem Namen vereinigten Pflanzen zu einer Röhre verwachsen sind.
-Die 19. Klasse fällt mit der Familie der Korbblüter oder Kompositen
-zusammen.
-
-[114] Weibermännige; hierzu gehören die Orchideen.
-
-[115] 21. und 22. Klasse = Einhäusige und Zweihäusige; für die ersteren
-bieten die Kiefern, für die zweiten die Weiden bekannte Beispiele.
-
-[116] Vielehige; hierher gehören die Ahornarten.
-
-[117] Blütenlose. *Linné* teilte sie in Algen, Schwämme, Moose und
-Farnkräuter ein. Für die weitere Einteilung der Klassen 1-23 in
-Unterabteilungen, die *Linné* Ordnungen nannte, waren vor allem die
-Zahl der Griffel, die Beschaffenheit der Früchte und die Anordnung der
-Blüten maßgebend.
-
-[118] Ein Petersburger Botaniker, den *Linné* selbst in einem zuerst in
-den Mitteilungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften
-(1907, S. 25) gedruckten lateinischen Brief abfertigte, schrieb
-folgendes. Gott würde niemals innerhalb des Pflanzenreiches eine so
-abscheuliche Unzucht zulassen, daß mehrere Männer (Staubgefäße) eine
-gemeinsame Frau (Frucht, Knoten) besäßen. Ein solch unkeusches System
-dürfte der studierenden Jugend nicht mitgeteilt werden.
-
-Diese Auffassung, der sich andere Botaniker anschlossen, ist gewiß für
-manche Sittlichkeitswächter bezeichnend. »Ich hatte gehofft, dem Reinen
-sei alles rein«, schrieb *Linné* in dem erwähnten Briefe, »ich werde
-mich nicht verteidigen, denn die Jahrhunderte werden urteilen.«
-
-[119] Veröffentlicht 1753.
-
-[120] So *Fontenelle*: Histoire de l'Académie 1711, S. 43. Eine
-Ausnahme machte der deutsche Philosoph und Physiker *Christian Wolf*,
-der sich mit einer anatomischen und physikalischen Untersuchung
-des Pflanzeninneren, sowie mit Fragen der Ernährungsphysiologie
-beschäftigte. *Wolfs* Ergebnisse blieben aber weit hinter denen von
-*Stephan Hales* zurück.
-
-[121] Philosophia botanica, 1751. S. 27.
-
-[122] Classes plantarum, p. 487.
-
-[123] *Linnés* Oratio de telluris habitabilis incremento.
-
-[124] *Meyer*, Geschichte der Botanik. Bd. I. S. 120.
-
-[125] Siehe Bd. II. S. 178.
-
-[126] Siehe den Abschnitt: Sur le sujet des plantes in Oeuvres de
-Mariotte.
-
-[127] Siehe an anderer Stelle dieses Bandes.
-
-[128] *Wolf*, Vernünftige Gedanken von den Wirkungen der Natur. Halle
-1723.
-
-[129] *Hales*, Statik der Gewächse. Halle 1748. Die englische Ausgabe
-war 1727 in London erschienen.
-
-[130] 1 Pfund = 16 Unzen.
-
-[131] *Hales*, Statik der Gewächse. S. 6. I. Hauptstück, 1. Erfahrung.
-
-[132] *Hales*, Statik. S. 49. II. Hauptstück, 21. Erfahrung.
-
-[133] *Hales*, Statik, I. Hauptstück, 5. Erfahrung.
-
-[134] Das Bluten der Rebe wurde in neuerer Zeit von *Ernst Brücke* in
-meisterhafter Weise wieder untersucht. Siehe *Brückes* Abhandlung in
-*Ostwalds* »Klassiker der exakten Wissenschaften« Nr. 95. Leipzig,
-Verlag von W. Engelmann, 1898.
-
-[135] *Hales*, Statik, S. 102 u. 103. VI. Hauptstück, 55. u. 57.
-Erfahrung.
-
-[136] *Hales*, Statik der Gewächse. VI. Hauptstück, 113. Erfahrung.
-
-[137] *Hales* berichtet darüber 1741 in der Royal Society.
-
-[138] Siehe Bd. II, S. 175.
-
-[139] New improvements in gardening. 1717. I. S. 20.
-
-[140] Die Beobachtung machte *Müller* im Jahre 1751.
-
-[141] Erschienen in den Abhandlungen der Berliner Akademie vom Jahre
-1751.
-
-[142] Siehe Bd. I. S. 112 und Bd. II. S. 348-352.
-
-[143] Siehe Bd. II. S. 338.
-
-[144] Durch *Dillenius*, der darüber ein epochemachendes Werk mit 85
-Kupfertafeln veröffentlichte: Historia muscorum 1741.
-
-*Dillenius* wurde 1687 in Darmstadt geboren, war Professor der Botanik
-in Oxford und starb im Jahre 1747.
-
-[145] *J. G. Kölreuter* wurde 1733 zu Sulz am Neckar geboren. Er starb
-1806 in Karlsruhe, wo er Professor der Naturgeschichte war. Fast
-zwanzig Jahre bekleidete er außerdem die Stelle eines Oberaufsehers des
-botanischen Hofgartens. Seine Ergebnisse hat er in einigen 1761-1766
-erschienenen Abhandlungen niedergelegt. *Kölreuters* Schrift wurde
-durch *W. Pfeffer* als 41. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten
-Wissenschaften (Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann, 1893) wieder
-herausgegeben. Ihr Titel lautet: Vorläufige Nachricht von einigen das
-Geschlecht der Pflanzen betreffenden Versuchen und Beobachtungen.
-
-[146] *Ostwalds* Klassiker Nr. 41. S. 30.
-
-[147] *Ostwalds* Klassiker Nr. 41. S. 31.
-
-[148] Der Zusatz ♂ bezeichnet die männliche, der Zusatz ♀ die weibliche
-Pflanze.
-
-[149] Besonders die von *Focke*.
-
-[150] Siehe S. 101 u. 105 dieses Bandes.
-
-[151] *Sachs*, Gesch. d. Bot. S. 440.
-
-[152] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 41, S. 20.
-
-[153] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 41, S. 83.
-
-[154] *Sachs*, Gesch. d. Botanik. S. 448.
-
-[155] *Christian Konrad Sprengel*, Das entdeckte Geheimnis der Natur
-im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin 1793. Als Nr. 48-51
-von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften herausgegeben von
-*Paul Knuth*. Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann, 1894.
-
-[156] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 48, S. 31.
-
-[157] Daß aus dem Staubkorn ein Pollenschlauch hervorwächst, der den
-Griffel durchdringt und sich mit der Samenknospe vereinigt, wurde erst
-seit dem Jahre 1823 durch *Amici* und andere festgestellt.
-
-[158] Geboren 1719 in Nürnberg, starb daselbst 1769, war von Beruf
-Jurist.
-
-[159] Mikroskopische Gemüts- und Augenergötzungen. 1761. S. 46.
-
-[160] Z. B. bei Butomus und Viola.
-
-[161] Spätere Forschungen haben dies im wesentlichen bestätigt, doch
-hat sich herausgestellt, daß bei Euphorbia spontane Selbstbestäubung
-vorkommt, wenn der Insektenbesuch ausbleibt.
-
-[162] *Sachs* Lehrbuch der Botanik. 4. Aufl. Leipzig 1874. Fig. 489.
-
-[163] *Ostwalds* Klassiker Nr. 48. S. 56.
-
-[164] *Ostwalds* Klassiker Nr. 48. S. 73 u. f.
-
-[165] *John Ray* (1628-1705). Hervorragender Systematiker des 17.
-Jahrhunderts; lehnte sich aber noch sehr an *Aristoteles* an.
-
-[166] *N. Kleinenberg*, Hydra. Eine
-anatomisch-entwicklungsgeschichtliche Untersuchung. Leipzig, Wilhelm
-Engelmann, 1872.
-
-[167] Siehe Bd. II. S. 335.
-
-[168] *Ledermüller*, Mikroskopische Gemüts- und Augenergötzungen.
-Nürnberg 1763.
-
-[169] *Ledermüller*, Mikroskopische Gemüts- und Augenergötzungen 1761.
-II. Bd. Tafel LXXXVIII.
-
-[170] Siehe *Rösels* Insektenbelustigung. III. Teil. S. 433 u. f.
-
-[171] Insektenbelustigungen III. S. 622.
-
-[172] *Spallanzani*, Entstehung der Infusionstiere aus Keimen, durch
-Experimente bewiesen. 1765.
-
-[173] *Dannemann*, Aus der Werkstatt großer Forscher, 1908. Abschn. 75.
-
-[174] Siehe S. 198 des II. Bandes.
-
-[175] *Jungius* wurde 1587 in Lübeck geboren und starb im Jahre 1657.
-
-[176] Übersetzt und herausgegeben von Dr. *Paul Samassa* als 84. und
-85. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften. Leipzig,
-Verlag von Wilhelm Engelmann. 1896.
-
-[177] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 84, S. 18.
-
-[178] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 85, S. 12.
-
-[179] Siehe Bd. II dieses Werkes, S. 334.
-
-[180] *Hirsch*, Geschichte der med. Wissenschaften, S. 212.
-
-[181] Siehe Bd. II dieses Werkes, S. 279.
-
-[182] Buch II-IV handelt vom Gefäßsystem, Buch IX von der Mechanik des
-Stimmorgans. Von *Hallers* Elementen der Physiologie sagt *Hirsch*,
-daß alle Zeitgenossen und Nachfolger daraus geschöpft haben. Auch nach
-*Cruveilhier* sind viele neuere Entdeckungen im Keime in diesem Werke
-enthalten.
-
-[183] *Haller*, Elementa physiologiae, IV. § 42.
-
-[184] Siehe S. 106 dieses Bandes.
-
-[185] *Lieberkühns* betreffende Abhandlung vom Jahre 1745 führt den
-Titel: De fabrica et actione villorum intestinarum tenuinum (Bau und
-Tätigkeit der feinen Zotten des Darmes).
-
-[186] *Christian von Wolf* (1679-1754) war Philosoph, Mathematiker und
-Physiker. Er wirkte in Halle, wurde wegen Irreligiosität ausgewiesen,
-von Friedrich dem Großen 1740 aber zurückberufen.
-
-[187] *Michael Wassiljewitsch Lomonossow* wurde 1711 in der Nähe von
-Archangelsk geboren. Er studierte zunächst in Rußland und dann mehrere
-Jahre in Deutschland. Seit 1746 wirkte er als Professor der Chemie in
-Petersburg, wo er 1765 starb.
-
-*Lomonossows* wichtigste Abhandlungen erschienen vor kurzem in
-deutscher Übersetzung (*Ostwalds* Klassiker, Nr. 178. Leipzig. W.
-Engelmann. 1910).
-
-[188] Siehe S. 48 dieses Bandes.
-
-[189] Siehe an anderer Stelle dieses Bandes.
-
-[190] *G. Monge*, Darstellende Geometrie. Als 117. Band von *Ostwalds*
-Klassikern der exakten Wissenschaften übersetzt und herausgegeben von
-*R. Haussner*. Leipzig, Verlag von W. Engelmann, 1900.
-
-[191] Im einzelnen weicht die Organisation des deutschen technischen
-Unterrichtswesens von der des französischen darin ab, daß die École
-polytechnique eine technische Hochschule im deutschen Sinne nur
-durch ihr Zusammenwirken mit der Schule für Bergbau, der Schule für
-Brücken- und Wegebau und anderen Fachschulen ist, denen sie insofern
-als Vorbereitungsanstalt dient, als sie die technische Allgemeinbildung
-vermittelt.
-
-[192] *Desargues* wurde in Lyon geboren und wirkte als Baumeister
-(1593-1662).
-
-[193] Er besagt, daß die Seiten jedes einem Kegelschnitte
-einbeschriebenen Vierecks eine beliebige, durch den Kegelschnitt
-gehende Linie so schneiden, daß die erhaltenen 6 Schnittpunkte eine
-Involution bilden, die abgeteilten Strecken also gewisse Beziehungen
-aufweisen.
-
-[194] Das Buch erschien erst 1822.
-
-[195] Siehe Bd. II. S. 148.
-
-[196] Siehe S. 121 dieses Bandes.
-
-[197] *Reuleaux*, Theoretische Kinematik, S. 13. *Poncelets*
-wichtigstes Werk über die theoretische Maschinenlehre ist seine
-Mécanique appliquée aux machines.
-
-[198] *Jakob Steiner*, Systematische Entwicklung der Abhängigkeit
-geometrischer Gestalten von einander mit Berücksichtigung der Arbeiten
-alter und neuer Geometer etc. Berlin 1832. Neu herausgegeben von *A. J.
-v. Oettingen* als 82. und 83. Band von *Ostwalds* Klassikern. Leipzig,
-W. Engelmann, 1896.
-
-[199] Er starb im Jahre 1863.
-
-[200] Vor kurzem als 123. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten
-Wissenschaften, neu herausgegeben von *R. Sturm*. Leipzig, Verlag von
-W. Engelmann, 1901.
-
-[201] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 123, S. 3.
-
-[202] Die geometrischen Konstruktionen ausgeführt mittelst der geraden
-Linie und eines festen Kreises von *Jakob Steiner*. Als 60. Band von
-*Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften, herausgegeben von *A.
-J. v. Oettingen*. Leipzig, Engelmann, 1895.
-
-[203] *Ostwalds* Klassiker, Bd. 82 und 83. Das erste Erscheinen des
-*Steiner*schen Werkes fällt in das Jahr 1832.
-
-[204] *Arneth*, Geschichte der Mathematik. S. 286.
-
-[205] Gemeint sind die Sätze von *Pascal* und *Brianchon* über die den
-Kegelschnitten ein- und umschriebenen Sechsecke. *Pascal* nannte sein
-Sechseck Hexagrammum mysticum.
-
-[206] *Steiner*, Systematische Entwicklung. § 38, III, IV.
-
-[207] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 83, S. 43 u. f.
-
-[208] *Hankel*, Die Elemente der projektivischen Geometrie. S. 27.
-
-[209] Berlin 1835; *Plücker* lebte 1801-1868. Er wirkte als Professor
-der Mathematik und der Physik in Halle und in Bonn.
-
-[210] *Arneth*, Die Geschichte der reinen Mathematik. S. 288.
-
-[211] *Lobatschefskij* (1793-1856) Professor der Mathematik in Kasan.
-Er war ein Schüler des in Rußland wirkenden deutschen Mathematikers
-*Bartels*, und letzterer stand wieder in engster Verbindung mit
-*Gauß*. Die dem Russen gelungene Schöpfung fußt also auf dem Boden der
-deutschen Mathematik.
-
-[212] *J. N. Lobatschefskij*, Pangeometrie 1856. Übersetzt und als
-130. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften,
-herausgegeben von *H. Liebmann*. Leipzig, W. Engelmann 1902.
-
-[213] Siehe S. 125 dieses Bandes.
-
-[214] Untersuchungen über die Reihe: 1 + mx + m(m-1)/(1·2) · x^2 +...
-von *N. H. Abel* (*Crelles* Journal, Bd. I. 1826). Diese Abhandlung
-wurde neuerdings von *A. Wangerin* als 71. Bändchen von *Ostwalds*
-Klassikern von neuem herausgegeben. Leipzig, Verlag von W. Engelmann,
-1895.
-
-[215] Sie erschien im 1. Bande des *Crelle*schen Journals und führt den
-Titel: Démonstration de l'impossibilité de la résolution algébraique
-des équations générales qui passent le quatrième degré.
-
-[216] *N. H. Abel*, Abhandlung über eine besondere Klasse algebraisch
-auflösbarer Gleichungen. *Crelles* Journal, Bd. IV. 1829. Als 111. Band
-von *Ostwalds* Klassikern von neuem und mit Anmerkungen herausgegeben
-von *A. Loewy*. Leipzig, W. Engelmann, 1900.
-
-[217] Als 127. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten
-Wissenschaften, übersetzt und herausgegeben von *Alfred Loewy*.
-Leipzig, Verlag von W. Engelmann, 1902.
-
-[218] *C. Sturms* Abhandlung wurde aus dem Französischen übersetzt und
-als 143. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften von
-*Alfred Loewy* herausgegeben. Leipzig, W. Engelmann, 1904.
-
-[219] *Johann Friedrich Pfaff* wurde 1765 geboren. Er bekleidete die
-Professur für Mathematik in Halle und starb dort 1825.
-
-[220] *J. F. Pfaff*, Allgemeine Methode partielle
-Differentialgleichungen zu integrieren. Aus dem Lateinischen übersetzt
-und als 129. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften
-herausgegeben von *Gerhard Kowalewski*. Leipzig, W. Engelmann, 1902.
-
-[221] *Cauchy*, Über die Integration der partiellen
-Differentialgleichungen erster Ordnung in einer beliebigen Zahl
-von Veränderlichen (1819). Im 113. Bande von *Ostwalds* Klassikern
-herausgegeben von *G. Kowalewski*. Leipzig, W. Engelmann, 1900.
-
-[222] Diese bisher schwer zugängliche, für die weitere Entwicklung der
-Funktionentheorie aber entscheidende Arbeit wurde neuerdings durch *P.
-Stäckel* als 112. Band von *Ostwalds* Klassikern wieder herausgegeben:
-*Cauchy*, Über bestimmte Integrale zwischen imaginären Grenzen.
-Leipzig, W. Engelmann, 1900.
-
-[223] Fundamenta nova theoriae functionum ellipticarum. Königsberg
-1829.
-
-[224] Die andere Hälfte erhielten die Angehörigen des schon 1829
-verstorbenen *Abel*.
-
-[225] *Legendre*, Traité des fonctions elliptiques.
-
-[226] *C. G. J. Jacobi*, Über die vierfach periodischen Funktionen
-zweier Variabeln (*Crelles* Journal f. r. u. angew. Math. 1834). Als
-Band 64 von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften aus dem
-Lateinischen übersetzt von *A. Witting* und herausgegeben von *H.
-Weber*. Leipzig, W. Engelmann, 1895.
-
-[227] *A. Göpel*, Entwurf einer Theorie der *Abel*schen Transzendenten
-erster Ordnung (*Crelles* Journal, Bd. 35, 1847). Aus dem Lateinischen
-übersetzt von *A. Witting* und als 67. Band von *Ostwalds* Klassikern
-der exakten Wissenschaften herausgegeben von *H. Weber*. Leipzig, W.
-Engelmann, 1895.
-
-*G. Rosenhain*, Abhandlung über die Funktionen zweier Variabeln mit
-vier Perioden (Mém. des savants, 1851). Aus dem Französischen
-übersetzt von *A. Witting* und als 65. Band von *Ostwalds* Klassikern
-herausgegeben von *H. Weber*. Leipzig, W. Engelmann, 1895.
-
-[228] Er starb 1859 in Göttingen.
-
-[229] *G. Lejeune Dirichlet*, Untersuchungen über verschiedene
-Anwendungen der Infinitesimalanalysis auf die Zahlentheorie (*Crelles*
-Journal, Bd. 19 u. 21). Als 91. Band von *Ostwalds* Klassikern
-herausgegeben von *R. Haussner*. Leipzig, W. Engelmann, 1897.
-
-[230] *Lejeune Dirichlet*, Die Darstellung ganz willkürlicher
-Funktionen durch Sinus- und Kosinusreihen, 1837. Im 116. Bande von
-*Ostwalds* Klassikern, herausgegeben von *H. Liebmann*. Leipzig, W.
-Engelmann, 1900.
-
-[231] Die letzte Abhandlung des 19. von der Anziehung homogener
-Ellipsoide handelnden Bandes von *Ostwalds* Klassikern. Diese
-Abhandlung *Dirichlets* führt den Titel »Über eine neue Methode zur
-Bestimmung vielfacher Integrale«.
-
-[232] *Lejeune Dirichlet*, Vorlesungen über die im umgekehrten
-Verhältnis des Quadrates der Entfernung wirkenden Kräfte, herausgegeben
-von *G. Grube*, Leipzig 1876.
-
-[233] *Schwere*, Elektrizität und Magnetismus. Nach Vorträgen von *B.
-Riemann*, bearbeitet von *K. Hattendorff*, Hannover 1876.
-
-[234] *Priestley*, Experiments and observations on different kinds of
-air. 3 vol. 1774-1777, übersetzt von *Ludewig*, 1778.
-
-[235] Philosophical Transactions. LXII. 1772.
-
-[236] *Priestley*, Versuche und Beobachtungen über verschiedene Teile
-der Naturlehre. Deutsche Übersetzung vom Jahre 1780. Bd. III. Vorrede.
-
-[237] *Joseph Black*, 1728-1799, Professor der Chemie zu Glasgow und
-Edinburg.
-
-[238] Abhandlungen der schwedischen Akademie d. Wissensch. XXXV.
-
-[239] Daß *Priestley* und *Scheele* unabhängig voneinander schon so
-früh den Sauerstoff dargestellt und seine wichtigsten Eigenschaften
-erkannt haben, wurde von *G. W. A. Kahlbaum* dargetan (Basel,
-Verhandlungen 1897 Bd. 12, S. 9.)
-
-[240] History and present state of electricity with original
-experiments. London 1767. Übersetzt von *Krünitz*. Stralsund 1772.
-
-[241] *Cavendish* wiederholte diesen Versuch und lieferte den Nachweis,
-daß hierbei durch die Vereinigung von Sauerstoff und Stickstoff
-Salpetersäure entsteht. Als absorbierende Flüssigkeit wandte er Alkali
-an, mit dem die entstandene Säure Salpeter bildet. *Cavendish* machte
-schon die Beobachtung, daß bei diesem Versuch trotz genügender Zufuhr
-von Sauerstoff ein nicht absorbierbarer Rest zurückbleibt. Diese
-eigentümliche Erscheinung hat erst im Jahre 1894 dadurch ihre Erklärung
-gefunden, daß *Rayleigh* und *Ramsay* als dritten wesentlichen
-Bestandteil der Atmosphäre das Argon nachwiesen, ein Element, das mit
-dem Sauerstoff unter der Einwirkung des elektrischen Funkens keine
-Verbindung eingeht.
-
-[242] Es ist dies die noch jetzt bei Vorlesungen beliebte Analyse
-des Ammoniaks, welches dabei unter Verdoppelung seines Volumens in
-Stickstoff und »zündbaren« Wasserstoff zerfällt.
-
-[243] Beim Hindurchleiten durch ein glühendes Rohr zerfällt der Alkohol
-in ein Gasgemisch, das vorzugsweise aus Kohlenwasserstoffverbindungen,
-wie Methan, Äthylen, Benzol usw., besteht und bei seiner Verpuffung mit
-Sauerstoff infolgedessen Kohlendioxyd (CO_{2}) liefert.
-
-[244] Stockholm, 1892.
-
-[245] In Köping.
-
-[246] Herausgegeben von *v. Nordenskjöld*. Siehe Naturwissenschaftliche
-Rundschau, VIII, S. 519.
-
-[247] Ein durch Zusammenschmelzen von Schwefel und Pottasche
-(K_{2}CO_{3}) erhaltenes Präparat, das im wesentlichen aus
-Schwefelkalium besteht und begierig Sauerstoff aufnimmt. *Scheele*
-benutzte auch eine Fällung von Eisenvitriol durch Kalilauge. Er
-erhielt so Ferrohydroxyd: FeSO_{4} + 2 KOH = Fe(OH)_{2} + K_{2}SO_{4}.
-Ferrohydroxyd geht unter Aufnahme von Wasser und Sauerstoff leicht in
-Ferrihydroxyd über: 2 Fe(OH)_{2} + 2 H_{2}O + O = 2 Fe(OH)_{3}.
-
-[248] Sauerstoff, der sich aus Braunstein durch Einwirkung der
-Schwefelsäure nach folgender Gleichung entwickelt:
-
-MnO_{2} + H_{2}SO_{4} = MnSO_{4} + H_{2}O + O.
-
-[249] Siehe S. 140 dieses Bandes.
-
-[250] *Ostwalds* Klassiker Nr. 58. S. 27.
-
-[251] *Ostwalds* Klassiker Nr. 58. S. 92.
-
-[252] *Ostwalds* Klassiker Nr. 58. S. 43 u. f.
-
-[253] Experimentum curiosum de effectu radiorum solarium (Act. Acad.
-Nat. Cur. I. 1727).
-
-[254] Siehe S. 142 dieses Bandes.
-
-[255] Attractio electiva duplex lautet sein Ausdruck.
-
-[256] z. B. von *Glauber* (siehe Bd. II, S. 187).
-
-[257] Dissertatio metallurgica de minerarum docimasia humida, 1780.
-
-[258] De analysi aquarum. 1778.
-
-[259] *Gmelin*, Geschichte der Chemie III. 1001.
-
-[260] Auch hierüber berichtet *Gmelin* a. a. O.
-
-[261] Siehe Bd. II, S. 183.
-
-[262] *Ostwalds* Klassiker Nr. 58, S. 5.
-
-[263] *Lavoisier*, Sur la nature de l'eau. Mémoir. de Paris, 1770.
-
-[264] Sie wurde neuerdings deutsch und mit Anmerkungen versehen als
-172. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften wieder
-herausgegeben (Leipzig, W. Engelmann 1909).
-
-[265] *Ostwalds* Klassiker Nr. 172. S. 28.
-
-[266] Das Medizinalpfund betrug 12 Unzen; jede Unze war gleich 480 Gran
-(1 Gran etwa = 0,06 g).
-
-[267] Sur l'existence de l'air dans l'acide nitreux. Mém. de Paris,
-1776.
-
-[268] Hg(NO_{3})_{2} = HgO + 2 NO_{2} + O.
-
-[269] *Cavendish*, welcher die entstandene Salpetersäure durch
-Kalilauge absorbieren ließ, bemerkte, daß ein nicht absorbierbarer Rest
-zurückbleibt, eine Tatsache, die erst 1894 durch die Entdeckung des
-Argons ihre Erklärung fand.
-
-[270] *G. W. A. Kahlbaum* und *A. Hoffmann*: Die Einführung der
-*Lavoisier*schen Theorie im besonderen in Deutschland (Monographien
-aus der Geschichte der Chemie. I. Heft. Leipzig 1897). Danach ist die
-Annahme, daß Deutschland sich länger als die übrigen Länder gegen die
-Annahme der Lehren *Lavoisiers* verschlossen habe, nicht gerechtfertigt.
-
-[271] Einen klaren Ausdruck dieses Prinzips von der Unzerstörbarkeit
-des Stoffes finden wir schon bei *Galilei* in seinem Dialog über die
-beiden Weltsysteme. (Ausg. v. *Strauß*, S. 47). Siehe auch Bd. II
-dieses Werkes, S. 25.
-
-[272] Mémoires de la Société d'Arcueil.
-
-[273] *Dannemann*, Aus der Werkstatt großer Forscher, 1908, S. 265.
-
-[274] *Berthollet*, Untersuchungen über die Gesetze der Verwandtschaft
-(1801). Als 74. Band von *Ostwalds* Klassikern erschienen bei W.
-Engelmann in Leipzig.
-
-[275] Siehe S. 150 dieses Bandes.
-
-[276] Siehe S. 150 dieses Bandes.
-
-[277] *Ostwalds* Klassiker Nr. 74, S. 51.
-
-[278] Näheres über die Phlogistontheorie. Siehe S. 142 dieses Bandes.
-
-[279] Gemeinsam mit *Thenard*. Mémoires de la Société d'Arcueil.
-Paris 1809, S. 295 u. f.
-
-[280] Aus der Geschichte des Chlors sei noch erwähnt, daß *Fourcroy*
-die ersten Verbrennungen in Chlor anstellte. (Annales de Chimie.
-Bd. IV. 1788. S. 249.) *Fourcroy* fand, daß ein Licht in Chlor weiter
-brennt und daß Phosphor in Chlor lebhafter brennt als in der Luft.
-
-Diese Versuche wurden von *Westrumb* auf fast alle Metalle und einige
-Metallsulfide ausgedehnt (Ann. de chimie. Bd. VI. S. 240). *Westrumb*
-entdeckte, daß die Metalle und die Metallsulfide in feiner Verteilung
-sich im Chlor sofort entzünden. Er wies dies z. B. an Antimon, Arsen,
-Wismut, Zinn, Blei, Antimonsulfid und Arsensulfid nach.
-
-[281] *Joseph Louis Proust* wurde 1755 in Angers geboren, wo er (1826)
-starb. Er war Apotheker in Paris; später bekleidete er eine Professur
-für Chemie, auch war er Mitglied der Akademie der Wissenschaften in
-Paris.
-
-[282] Siehe den vorigen Abschnitt, S. 170 u. f.
-
-[283] *Karl Friedrich Wenzel* wurde 1740 in Dresden geboren. Er war wie
-*Richter* zunächst im Hüttenwesen und später in einer Porzellanfabrik
-(Meißen) tätig. *Wenzel* starb im Jahre 1793 in Freiberg.
-
-[284] Siehe S. 170 dieses Bandes.
-
-[285] Er starb 1807.
-
-[286] De usu matheseos in chymia. 1789.
-
-[287] Der Ausdruck Stöchiometrie (στοιχεῖον heißt Grundstoff) rührt von
-*Richter* her.
-
-[288] Zu Eaglesfield in Cumberland am 5. September 1766.
-
-[289] Siehe S. 176 dieses Bandes.
-
-[290] Das Äthylen oder ölbildende Gas (so genannt, weil es sich mit
-Chlor zu einer ölartigen Flüssigkeit C_{2}H_{4}Cl_{2} vereinigt) wurde
-1795 von holländischen Chemikern entdeckt.
-
-[291] Die Ausdrücke binär, ternär, quaternär werden in der heutigen
-Chemie für Verbindungen aus je zwei, je drei oder je vier Elementen
-gebraucht, ohne Rücksicht auf die Anzahl der Atome, die eine solche
-Verbindung zusammensetzen.
-
-[292] Na_{2}O und K_{2}O nach heutiger Bezeichnungsweise.
-
-[293] *Wollaston*, Über übersaure und untersaure Salze. Philos.
-Transact. 1808.
-
-Diese Abhandlung wurde im 3. Bande von *Ostwalds* Klassikern der
-exakten Wissenschaften wieder herausgegeben.
-
-[294] Zum Verständnis dieser Salzbildung sei hinzugefügt, daß die Oxal-
-oder Kleesäure die stärkste organische Säure ist. Sie bildet z. B. mit
-Kalium ein neutrales Salz, in welchem K_{2}O mit C_{2}O_{3} (d. i.
-Oxalsäure nach Abzug des Konstitutionswassers) verbunden ist. Seine
-Formel lautet
-
- COOK
- |
- COOK
-
-Die Zusammensetzung des saures Salzes wird durch die Formel
-
- COOK
- |
- COOH
-
-ausgedrückt.
-
-Auf ein Äquivalent Kali (K_{2}O) kommen in diesem Falle 2 Äquivalente
-C_{2}O_{3} (2 KHC_{2}O_{4} = H_{2}O. K_{2}O. 2 C_{2}O_{3}). Ähnlich
-drückt die Formel für das übersaure Salz
-
- COOK COOH
- |
- COOH COOH
-
-aus, daß auf K_{2}O vier Äquivalente C_{2}O_{3} kommen.
-
- ( COOK COOH )
- (2 | . = 3 H_{2}O . K_{2}O . 4 C_{2}O_{3}).
- ( COOH COOH )
-
-Die drei Salze sind auch durch ihr kristallographisches Verhalten gut
-charakterisiert.
-
-[295] Am besten wird man sich über den Lebensgang von *Berzelius* durch
-seine selbstbiographischen Aufzeichnungen unterrichten lassen. Sie
-wurden im Auftrage der Schwedischen Akademie der Wissenschaften von
-*H. G. Söderbaum* herausgegeben. Eine deutsche Bearbeitung verdankt
-man *G. W. A. Kahlbaum* (Monographien aus der Geschichte der Chemie,
-Heft 7). Seine wissenschaftlichen Arbeiten hat *Berzelius* in der
-Selbstbiographie allerdings nur gelegentlich erwähnt. Etwas eingehender
-kommt er auf die Untersuchungen über die bestimmten Proportionen zu
-sprechen. Dies geschieht unter besonderer Anerkennung der Verdienste
-*Richters* (siehe S. 176 u. f. dieses Bandes).
-
-[296] Einen wichtigen Einblick in die Geschichte der neueren Chemie
-gewährt auch der Briefwechsel von *F. Wöhler* und *J. Berzelius*.
-Herausgegeben von O. Wallach, Leipzig. Verlag von Wilhelm Engelmann,
-1901. 2 Bände. Dieser Briefwechsel umfaßt den für die Entwicklung der
-Chemie hochwichtigen Zeitraum von 1824 bis 1848. Die Briefe enthalten
-zwar viel Persönliches, sie bieten aber auch zahlreiche Aufschlüsse
-über die Vorgeschichte wichtiger Entdeckungen, sowie über die
-Gedankengänge und die Arbeitsweise der beiden großen Forscher. Näheres
-darüber siehe im 4. Bande dieses Werkes bei *Wöhler*.
-
-[297] Dieser für die genauere Kenntnis der Entwicklung, welche die
-neuere Chemie genommen, sehr wertvolle »Briefwechsel« wurde im Auftrage
-der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen von *O.
-Wallach* in zwei umfangreichen Bänden herausgegeben.
-
-[298] *Berzelius*, Lehrbuch der Chemie, Bd. III, 1161. 5. Aufl.
-
-[299] Die heute geltenden Zahlen sind in Klammern beigefügt.
-
-[300] Es bildet sich salpetersaures Blei, dessen Zusammensetzung durch
-die Formel Pb(NO_{3})_{2} wiedergegeben wird.
-
-[301] Das salpetersaure Blei zerfällt beim Erhitzen in Bleioxyd,
-Sauerstoff und Stickstofftetroxyd: Pb(NO_{3})_{2} = PbO + N_{2}O_{4} +
-O.
-
-[302] Das braune Oxyd oder Bleisuperoxyd ist nach der Formel PbO_{2}
-zusammengesetzt; es bildet sich durch Behandeln von Mennige mit
-Salpetersäure: Pb_{3}O_{4} + 4 HNO_{3} = 2 Pb(NO_{3})_{2} + PbO_{2} +
-2 H_{2}O. Die Mennige läßt sich als eine Verbindung von Bleioxyd und
-Bleisuperoxyd auffassen: Pb_{3}O_{4} = 2 PbO . Pb_O{2}.
-
-[303] Daher lauten die entsprechenden Formeln für das gelbe und das
-braune Oxyd PbO und PbO_{2}. Mennige besitzt eine etwas schwankende
-Zusammensetzung. Die Formel Pb_{3}O_{4}, die man der Mennige beilegt,
-würde auf 100 Teile Blei nur 10,3 Teile Sauerstoff ergeben.
-
-[304] Siehe S. 176 u. f. dieses Bandes.
-
-[305] So verhalten sich in den salpetersauren Salzen diese Mengen wie
-1 : 5. Die ältere Schreibweise ihrer Formeln macht dies Verhältnis
-sofort ersichtlich: K_{2}O . N_{2}O_{5}; Na_{2}O . N_{2}O_{5};
-CuO . N_{2}O_{5}; CaO . N_{2}O_{5}.
-
-[306] Siehe Abschnitt 2 dieses Bandes.
-
-[307] *Johann Georg Sulzer* (1720-1779), Professor der Mathematik am
-Joachimsthalschen Gymnasium in Berlin.
-
-[308] *Sulzer*, Theorie der angenehmen und unangenehmen
-Geschmacksempfindungen. Berlin 1762. (Zuerst in den Mém. de Berlin
-1751/52.)
-
-[309] *Ostwalds* Klassiker Nr. 52, S. 4.
-
-[310] In einem von *Alibert*, dem Biographen *Galvanis* (*Alibert*,
-Éloge de *Galvani*, Paris, 1806) mitgeteilten Sonett lautet die
-zweite Strophe in der von *Emil du Bois Reymond* herrührenden
-Übersetzung:
-
- War sie es nicht, die neue Lebenstriebe
- In hautentblößter Frösche Gliedern fand,
- Wenn hier der Nerven wunderbar Getriebe,
- Dort funkensprüh'nden Leiter traf die Hand?
-
-
-
-[311] *Galvanis* Schrift führt den Titel: De viribus electricitatis
-in motu musculari commentatio. 1791. Sie erschien neuerdings unter
-dem Titel: Abhandlung über die Kräfte der Elektrizität bei der
-Muskelbewegung, herausgegeben von *A. J. v. Oettingen*, als 52. Band
-von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften. Leipzig, Verlag
-von Wilhelm Engelmann, 1894.
-
-[312] *E. du Bois-Reymond*, Untersuchungen über tierische Elektrizität.
-Berlin 1848. Bd. I. S. 50.
-
-[313] *Volta*, Del modo di rendere sensibilissima la più debole
-elettricità sia artificiale, sia naturale. 1784.
-
-*Voltas* sämtliche Werke erschienen unter dem Titel: Collezioni dell'
-Opere del Cavalieri Conte Allessandro Volta, Patrizio Comasco. Firenze
-1816, in drei Bänden und fünf Teilen herausgegeben von V. Antinori.
-
-[314] Siehe S. 189 dieses Bandes.
-
-[315] *Alessandro Volta*, Briefe über tierische Elektrizität.
-1792-1795. Als 114. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten
-Wissenschaften in deutscher Übersetzung herausgegeben von A. J. von
-Öttingen. S. 101.
-
-[316] *Ostwalds* Klassiker Nr. 114, S. 99.
-
-[317] *Ostwalds* Klassiker Nr. 114, S. 104.
-
-[318] *Ostwalds* Klassiker Nr. 114, S. 107.
-
-[319] Abhandlungen der schwed. Akademie der Wissenschaften. 29, 1777.
-
-[320] Siehe S. 10 dieses Bandes.
-
-[321] Phil. Transact. 1782, S. 242.
-
-[322] In *Voltas* dritten Brief an *Gren* vom Jahre 1797.
-
-[323] *Ostwalds* Klassiker Nr. 118, S. 54 u. f.
-
-[324] *Volta*, Gilberts Annalen, Bd. X, S. 443.
-
-[325] *Ostwalds* Klassiker Nr. 118, S. 4.
-
-[326] In einem an *Banks*, den Präsidenten der Royal Society,
-gerichteten Brief vom 20. März jenes Jahres. Dieser Brief wurde in den
-Philosophical Transactions, 1800, S. 403 veröffentlicht.
-
-[327] Brief an *Banks*, Philosophical Transactions, 1800, S. 403.
-
-Der berühmte Brief an *Banks* wurde mit einigen anderen bis zum Jahre
-1796 zurückreichenden Schriften *Voltas* als 118. Band von *Ostwalds*
-Klassikern in deutscher Übersetzung durch *A. J. v. Oettingen*
-herausgegeben. Leipzig, W. Engelmann. 1900.
-
-[328] Bericht an die mathematisch-physikalische Klasse des
-französischen Nationalinstituts über *Voltas* galvanische Versuche.
-Siehe *Gilberts* Annalen X, 1802, S. 389 ff. Ein Auszug des von *Volta*
-in Paris gehaltenen Vortrags in deutscher Übersetzung findet sich
-gleichfalls in *Gilberts* Annalen. Bd. X, S. 421.
-
-[329] *Gilberts* Annalen VIII, S. 390.
-
-[330] *Gilberts* Annalen XI, S. 132.
-
-[331] *Gilberts* Annalen IX, S. 385.
-
-[332] *Gilberts* Annalen XIX, S. 45.
-
-[333] *Johann Wilhelm Ritter* (1776-1810) lebte als Privatgelehrter
-in Gotha und Weimar. Im Jahre 1804 wurde *Ritter* an die bayerische
-Akademie nach München berufen. *Ritter* war einer der ersten Forscher
-auf dem Gebiete der galvanischen Elektrizität.
-
-[334] *Gilberts* Annalen XIX, 1805, S. 22.
-
-[335] *Gilberts* Annalen XXIII. S. 25.
-
-[336] *Rieß*, Die Lehre von der Reibungselektrizität. Bd. I, S. 18.
-Berlin 1853.
-
-[337] *Zamboni*, Della pila elettrica a secco. Verona 1812. Siehe
-auch *Schweiggers* Journal für Chemie und Physik. X. S. 129.
-
-[338] *Paul Erman* (1764-1851) war Professor der Physik in Berlin
-und veröffentlichte zahlreiche Arbeiten aus dem Gebiet der
-Elektrizitätslehre.
-
-[339] *Voigts* Magazin f. d. Neueste. Bd. 4. 1802. S. 832.
-
-[340] *Gilberts* Annalen, XIX, S. 490.
-
-[341] *Fischer*, Gesch. VIII, 649.
-
-[342] *Fischer*, VIII, 654.
-
-[343] *Anthony Carlisle* (1768-1840), Professor der Anatomie in London.
-
-[344] *William Nicholson* (1753-1815), als Ingenieur und Schriftsteller
-in London tätig, auch bekannt als Erfinder des Gewichtsaräometers.
-
-[345] *Gilberts* Annalen, 1800, VI, 340.
-
-[346] *Hoppe*, Gesch. d. Elektr. S. 137.
-
-[347] *Johann Wilhelm Ritter* (1776-1810) war Mitglied der bayerischen
-Akademie der Wissenschaften.
-
-[348] *Gilbert*, Annalen der Physik, VI, 1800, S. 470.
-
-[349] Die wissenschaftlichen Abhandlungen *Davys* wurden von seinem
-Bruder gesammelt und in 10 Bänden herausgegeben: The collected works
-of Sir Humphry Davy edited by his brother John Davy. London 1839-1841.
-
-[350] Die Pneumatic Institution des Dr. *Beddoes*.
-
-[351] Siehe *E. Cohen*, Das Lachgas. Eine chemisch-kulturhistorische
-Skizze. Leipzig, W. Engelmann. 1907.
-
-[352] Die Abhandlung wurde 1893 unter dem Titel Ȇber einige chemische
-Wirkungen der Elektrizität« im 45. Bande von *Ostwalds* Klassikern der
-exakten Wissenschaften herausgegeben. Leipzig, Verlag von W. Engelmann.
-
-[353] *Ostwalds* Klassiker Nr. 45. S. 12.
-
-[354] Ann. de Chimie 58, 54. 1806.
-
-[355] *Davy*, On some new Phenomena of chemical changes produced by
-electricity, particularly the decomposition of the fixed alkalies. Die
-Abhandlung wurde 1893 unter dem Titel »Elektrochemische Untersuchungen
-von *Humphry Davy*« als 45. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten
-Wissenschaften herausgegeben. Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann.
-
-[356] Aus diesem Grunde fand das Natrium Verwendung, um absoluten
-Alkohol zu bereiten, d. h. dem Alkohol die letzten Spuren Wasser zu
-entziehen.
-
-[357] Unter dem Namen alkalische Erden werden die Oxyde der Metalle
-Calcium, Strontium und Barium (CaO, SrO, BaO) zusammengefaßt. Diese
-Oxyde wurden früher als Kalk, Strontian und Baryt bezeichnet.
-
-[358] Magnesia, Tonerde, Kieselerde sind die Oxyde von Magnesium,
-Aluminium und Silicium (MgO, Al_{2}O_{3}, SiO_{2}).
-
-[359] Barium, Strontium, Calcium und Magnesium wurden bald darauf von
-*Davy* selbst isoliert. Silicium wurde zuerst von *Berzelius* 1823
-hergestellt. Die Abscheidung des Aluminiums aus der Tonerde gelang
-*Wöhler* im Jahre 1827.
-
-[360] *Ostwalds* Klassiker Nr. 45, S. 44.
-
-[361] *Ostwalds* Klassiker Nr. 45, S. 37.
-
-[362] *Ostwalds* Klassiker Nr. 45, S. 91, sowie auch *Ostwalds*
-Geschichte der Elektrochemie. S. 992 u. f.
-
-[363] Phil. Transact. v. 1821.
-
-[364] Eine mit Kalium gefüllte Büchse wurde mit dem Rettungsgürtel
-verbunden. Das Kalium entzündete sich, sobald es mit dem Wasser in
-Berührung kam.
-
-[365] Intimeres aus dem Leben *Davys* enthält die Skizze über
-*Berzelius* und *Davy*, welche *Kahlbaum* im III. Bande der
-Mitteilungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften
-veröffentlichte. 1904. S. 277 u. f.
-
-[366] *Gilberts* Annalen 1822, LXXI, S. 244.
-
-[367] *Dannemann*, Aus der Werkstatt großer Forscher, 1908, S. 280.
-
-[368] *Ostwalds* Klassiker der exakten Wissenschaften Nr. 63.
-Herausgegeben von *J. A. v. Oettingen*. Leipzig. Verlag von Wilh.
-Engelmann 1895.
-
-Die Abhandlung *H. C. Oersteds* erschien im Jahre 1820 unter dem Titel
-»Experimenta circa effectum conflictus electrici in acum magneticam«.
-Sie wurde von *Gilbert* übersetzt und in seinen Annalen (Bd. LXVI)
-veröffentlicht. Diese Übersetzung wurde mit geringen stilistischen
-Änderungen und wesentlich gekürzt der Neuausgabe zugrunde gelegt.
-
-[369] *Ostwalds* Klassiker Nr. 63, S. 9 u. f.
-
-[370] Man muß sich die Stahlbänder senkrecht zur Ebene der Zeichnung
-verlaufend vorstellen.
-
-[371] *J. J. Rousseaus* Briefe über die Anfangsgründe der Botanik. Sie
-fesselten auch *Goethe* in hohem Grade und erschienen in deutscher
-Übersetzung (M. Möbius) in Leipzig bei J. A. Barth. 1903.
-
-[372] Annales de Chimie et de Physique XV, 1820, S. 59 u. 170.
-
-[373] Annales XV, S. 67: Si l'on se place par la pensée dans la
-direction du courant, de manière qu'il soit dirigé des pieds à la tête
-de l'observateur, et que celuici ait la face tournée vers l'aiguille;
-c'est constamment à sa gauche que l'action du courant écartera de sa
-position ordinaire celle des ses extrémités qui se dirige vers le nord.
-
-[374] Übersetzt herausgegeben im Jahre 1822 bei Leopold Voß in Leipzig.
-
-[375] *Ampère* und *Babinet*. Tafel I, Fig. 3.
-
-[376] *Ampère* und *Babinet*. Tafel I, Fig. 2.
-
-[377] *Ampère* und *Babinet*. Tafel I. Fig. 12.
-
-[378] *Ampère*, Annales de chimie et phys. XV. S. 188 ff.
-
-[379] Siehe *Heller*, Gesch. d. Phys. II, S. 609.
-
-[380] *Heller*, Geschichte der Physik II, S. 609.
-
-[381] *Ampère*, Mémoire sur la théorie mathématique des phénomènes
-électrodynamiques uniquement déduite de l'expérience. Ann. de Chimie et
-de Phys. Bd. 20, S. 60.
-
-[382] *Wüllner*, Lehrb. d. Experim. Physik. IV, S. 673 u. f.
-
-[383] *Ampère* und *Babinet*. Tafel II, Fig. 29.
-
-[384] *Ampère* und *Babinet*. Tafel II, Fig. 14.
-
-[385] Ann. de Chimie et de Phys. Bd. 18, 1821, S. 320-322.
-
-[386] *Ampère* und *Babinet*. 1822. S. 115.
-
-[387] Siehe S. 1 dieses Bandes.
-
-[388] Annales de Chimie et de Physique XV. S. 93 u 110.
-
-[389] Annales de Chimie et de Physique. Bd. 27, 1824, S. 363.
-
-[390] Siehe an späterer Stelle.
-
-[391] *Thomas Johann Seebeck* wurde 1770 in Reval geboren. Er wurde
-1818 Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Berlin und starb dort
-1831.
-
-[392] *Th. J. Seebeck*, Magnetische Polarisation der Metalle und Erze
-durch Temperaturdifferenz. Siehe *Ostwalds* Klassiker der exakten
-Wissenschaften Nr. 70, S. 8 u. f. Die Abhandlung erschien zuerst in den
-Berichten der Berliner Akademie der Wissenschaften von 1822/23. Die
-Entdeckung der Thermoelektrizität erfolgte 1822.
-
-[393] *Nobili*, Sur un nouveau galvanomètre (Bibl. univ. XXV. 1824.)
-*Leopoldo Nobili* wurde 1781 in der Nähe von Reggio geboren. Er war
-Professor der Physik am großherzoglichen Museum in Florenz und starb
-dort 1835.
-
-[394] *Melloni*, La Thermochrôse ou la coloration calorifique. Neapel
-1850. *Macedonio Melloni* wurde 1798 in Parma geboren. Er war dort
-Professor der Physik. Später lebte er in Paris; zuletzt leitete er das
-Observatorium auf dem Vesuv. *Melloni* starb im Jahre 1854.
-
-[395] *Humboldt*, Kosmos. Bd. I. Abschn. 3.
-
-[396] Zu Beaumont en Auge.
-
-[397] Siehe S. 361 des II. Bandes dieses Werkes.
-
-[398] Laut Gesetz vom Jahre 1842. *Laplace*, Oeuvres complètes. 7
-Bde. 1843-1848.
-
-[399] *Wolf*, Geschichte der Astronomie. S. 510.
-
-[400] Eine ausführliche Darstellung der Entwicklung der
-Gravitationsmechanik von *Newton* bis *Laplace* enthält das Werk von
-*Todhunter*, A history of the mathematical theories of attraction
-and the figure of the earth from the time of *Newton* to that of
-*Laplace*. London, Macmillan and Co.
-
-[401] Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels oder
-Versuch von der Verfassung und dem mechanischen Ursprunge des
-ganzen Weltgebäudes, nach *Newton*schen Grundsätzen abgehandelt von
-*Immanuel Kant*. Als 12. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten
-Wissenschaften herausgegeben von *A. J. von Oettingen*. 2. Aufl.
-Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann, 1898.
-
-[402] *Thomas Wright*, Theory of the Universe. London 1750. *Wrights*
-Bedeutung wurde neuerdings durch *Jacobi* gewürdigt. (*Max Jacobi*,
-Ein Vorläufer der *Kant-Laplace*schen Theorie von der Weltentstehung.
-Preußische Jahrbücher, Bd. 117, 2. Heft).
-
-Der genauere Titel der Schrift von *Wright* lautet: An Original Theory
-or New Hypothesis of the Universe founded upon the laws of Nature.
-*Kant* hatte von dem Buche *Wrights* durch eine Besprechung in einer
-deutschen Zeitschrift Kenntnis erhalten.
-
-*Wright* wurde 1711 geboren. Er nahm an der Expedition teil, welche die
-Royal Society im Jahre 1769 zur Beobachtung des Venusdurchganges nach
-Kanada sandte. *Wright* starb im Jahre 1786.
-
-[403] Siehe Bd. II, S. 394.
-
-[404] *Ostwalds* Klassiker Nr. 12, S. 41 u. f.
-
-[405] *Ostwalds* Klassiker Nr. 12, S. 53 u. f.
-
-[406] *Ostwalds* Klassiker Nr. 12, S. 38.
-
-[407] *G. H. Darwin*, On the tidal friction of a planet attended by
-several satellites. Phil. Trans. London, 1881. II. p. 491 f.
-
-[408] *H. v. Helmholtz* (Vorträge II, S. 84).
-
-[409] *Piazzi* wurde 1746 geboren. Er erbaute und leitete die
-Sternwarte in Palermo und starb 1826 in Neapel.
-
-[410] *Karoline Herschels* Memoiren und Briefwechsel. Deutsch von
-*Scheibe*. Berlin 1877.
-
-[411] Im Jahre 1757.
-
-[412] *Smith*, Harmonics.
-
-[413] In einem Brief vom 15. Februar 1783, abgedruckt im Göttinger
-Magazin der Wissenschaften und Literatur. III, 584.
-
-[414] *Herschel*, On the remarkable appearances at the polar regions of
-the Planet Mars. 1784.
-
-[415] Nach seiner Angabe beträgt die Rotationszeit des Saturn 10
-Stunden 29 Minuten.
-
-[416] Philosoph. Transactions 1795, II. Tab. XXIV.
-
-[417] *Herschel*, On the proper motion of the Sun and the Solar
-System. 1783.
-
-[418] Siehe S. 246 dieses Bandes.
-
-[419] *Herschel*, On the construction of the heavens. Phil. Trans.
-1784. Eine Übersetzung mit einem nach *Kants* Durchsicht hergestellten
-Auszug aus *Kants* Naturgeschichte des Himmels erschien 1791.
-
-[420] *Messier* in den Abhandlungen der Pariser Akademie der
-Wissenschaften vom Jahre 1771. S. 435. Catalogue des nébuleuses et des
-amas d'étoiles, observées à Paris par *M. Messier*.
-
-[421] *W. Herschel*, Über den Bau des Himmels; übersetzt von *J. W.
-Pfaff*. Leipzig 1850. Taf. I, Fig. 2. (Nr. 53 des Verzeichnisses von
-*Messier*.)
-
-[422] 1834-1838.
-
-[423] *W. Herschel*, Über den Bau des Himmels. Taf. II, Fig. 16.
-
-[424] *Kosmos*, Bd. I, Abschn. 3.
-
-[425] *Holden*, *Wilhelm Herschel*, Sein Leben und seine Werke.
-Übersetzt von *Valentiner*. Berlin 1882.
-
-[426] A. a. O. S. 214.
-
-[427] Über den Ursprung der von *Pallas* gefundenen und anderer ihr
-ähnlichen Eisenmassen und über einige damit in Verbindung stehende
-Naturerscheinungen von *Chladni*. Riga 1794.
-
-[428] *Dannemann*, Aus der Werkstatt großer Forscher, 1908. S. 169.
-
-[429] Ein großes Stück des Pallaseisens befindet sich in den
-Königlichen Sammlungen zu Berlin.
-
-[430] Von dieser gibt *Halley* Nachricht; Philosophical transactions,
-n. 360. S. 978.
-
-[431] Von der in der Histoire de l'académie des sciences, 1761, S. 28
-Nachricht gegeben wurde.
-
-[432] Wie in den Mémoires de l'académie de Dijon, Bd. I. S. 42
-erzählt wird.
-
-[433] *Silberschlag* (1721-1791), Oberbaurat und Mitglied der
-Akademie in Berlin, nahm an, daß diese Feuerkugel aus den Dünsten der
-zahlreichen Leichen entstanden sei, die im Sommer des Jahres 1762 die
-Schlachtfelder bedeckten. (!!)
-
-[434] Diese Vermutung *Chladnis* ist später durch die
-spektralanalytische Untersuchung der Gestirne bestätigt worden.
-
-[435] Neuere Untersuchungen haben zu dem Ergebnis geführt, daß sich
-zahlreiche Elemente, die sämtlich auch an der Zusammensetzung der
-Erde beteiligt sind, als Bestandteile der Meteoriten nachweisen
-lassen. Die Annahme *Chladnis*, daß das Universum im wesentlichen
-überall die gleiche chemische Zusammensetzung hat, steht auch mit der
-*Kant*-*Laplace*schen Hypothese im Einklang und hat durch die moderne
-Astrophysik ihre Bestätigung gefunden.
-
-[436] *Gilberts* Annalen 15,74 und 16,44, 70.
-
-[437] *Bieberstein*, 1802.
-
-[438] *Howard*, 1802.
-
-[439] *G. Rose*, Abhandlungen der Berliner Akademie der Wissenschaften
-1863. S. 33.
-
-[440] *Johann Friedrich Benzenberg*, 1777-1846.
-
-[441] *Heinrich Wilhelm Brandes*, 1777-1834.
-
-[442] *Benzenberg* und *Brandes*, Versuch, die Entfernung, die
-Geschwindigkeit und die Bahnen der Sternschnuppen zu bestimmen, 1800.
-
-[443] Siehe Band II S. 80.
-
-[444] *J. Bapt. Guglielmini* de diurno terrae motu experimentis
-physico-mathematicis confirmato. Bologna 1792.
-
-[445] Versuche über das Gesetz des Falles. Dortmund 1804.
-
-[446] Von *Reich* in einem Schacht bei Freiberg.
-
-[447] Zu den ersten Physikern, welche die Wärme ohne die Annahme eines
-besonderen Stoffes zu erklären suchten, gehörte *Daniel Bernoulli I*.
-(Siehe *Bernoullis* im Jahre 1716 erschienene Schrift: Phoronomia
-sive de Viribus et Motibus corporum solidorum et fluidorum). Man hat
-*Bernoulli* auf Grund der von ihm entwickelten Ansichten als einen der
-Begründer der kinetischen Gastheorie hingestellt (*Rühlmann*, Handbuch
-der mechanischen Wärmetheorie. Bd. I. 1876. S. 72).
-
-Dieselbe Ansicht von der Natur der Wärme entwickelte ein Jahrzehnt
-später der große *Euler* in einer in den Abhandlungen der Petersburger
-Akademie vom Jahre 1727 erschienenen Arbeit »Tentamen explicationis
-phaenomenorum aeris«.
-
-Soweit es sich um bloße Andeutungen handelt, läßt sich die mechanische
-Wärmetheorie bis auf *Bacon* und auf *Hooke* (Micrography, London
-1667. S. 12) zurückverfolgen.
-
-[448] Sein eigentlicher Name ist *Benjamin Thompson*.
-
-[449] Philosophical Transactions. 1799.
-
-[450] Philosophical Transactions. 25. I. 1798.
-
-[451] *Rumford*, Untersuchung der durch Friktion hervorgebrachten
-Wärme, vorgelesen in der Königl. Sozietät der Wissenschaften, den 25.
-Januar 1798.
-
-[452] In den »Contributions to phys. and medic. knowledge« collect. by
-Beddoes. 1799.
-
-[453] Der Versuch wurde von *Davy* in der Weise angestellt, daß
-zwei Eisstücke unter einer luftleeren Glasglocke bei einer unter
-dem Gefrierpunkte liegenden Temperatur vermittelst eines Uhrwerkes
-aneinander gerieben wurden.
-
-[454] *Erasmus Darwin* (der Großvater von *Charles Darwin*), Frigoric
-experiments on the mechanical expansion of air. Phil. Trans. 1788.
-
-[455] *J. Dalton*, Experiments and Observations on the Heat and Cold
-produced by the mechanical condensation and rarefaction of air. Manch.
-Soc. V, p. II (1802).
-
-[456] Ein Arbeiter einer Gewehrfabrik soll diese Entdeckung bei
-Versuchen mit der Windbüchse gemacht haben. *Rosenberger*, Geschichte
-der Physik Bd. III. S. 224.
-
-[457] Siehe S. 266 dieses Bandes.
-
-[458] Mém. de la Société d'Arcueil I, 180 (1807).
-
-[459] *Mach*, Prinzipien der Wärmelehre, S. 210.
-
-[460] *Scheele*, Chemische Abhandlung von der Luft und dem Feuer.
-(*Ostwalds* Klassiker, Nr. 58, S. 54).
-
-[461] Durch *Ritter*. Siehe *Gilberts* Annalen VII, 1801. S. 525.
-
-[462] Philosoph. Transact. 1802.
-
-[463] *William Hyde Wollaston* wurde 1766 geboren. Er war Mitglied
-der Royal Society und starb 1828 in London. *Wollaston* entdeckte
-das Rhodium und das Palladium. Seine Erfindung, Platin zu schmieden,
-brachte ihm so reiche Mittel ein, daß er davon als Privatmann leben
-konnte.
-
-[464] *Thomas Young* wurde 1773 geboren. Er wirkte als Professor
-der Physik an der Royal Institution in London und war Mitglied
-der Royal Society. *Young* starb 1829 in London. Er gehörte zu
-den vielseitigsten Menschen, die je gelebt haben. *Young* war Arzt,
-Philosoph, Mathematiker, Physiker, Archäologe und gleichzeitig ein
-Weltmann, der in den vornehmsten Kreisen Londons einen Ruf als Reiter,
-Musiker und Maler genoß. Derselbe *Young*, der auf den Gebieten der
-Physik und der Physiologie so Hervorragendes leistete, gehörte zu den
-ersten Archäologen, denen die Enträtselung der Hieroglyphen gelang.
-
-[465] Philos. Transact. 1804. S. 1.
-
-[466] *Young*, On the theory of light and colours. Phil. Transact.
-1802. Seite 12.
-
-[467] *Helmholtz*, Handbuch der physiologischen Optik. Leipzig 1876. S.
-291 u. f.
-
-[468] *Newton*, Optice. Lib. III. Quaestio XXVI: Annon radiorum
-luminis diversa sunt latera, diversis proprietatibus congenitis
-praedita?
-
-[469] *Étienne Louis Malus* wurde 1775 in Paris geboren. Er
-besuchte dort die Schule für Militäringenieure und später die
-École polytechnique, wo *Monge* auf ihn aufmerksam wurde. (Über
-*Monge* s. S. 120 u. f.). Schon damals wandte sich *Malus* optischen
-Untersuchungen zu. Seine wissenschaftliche Tätigkeit wurde durch den
-Feldzug nach Ägypten und andere napoleonische Kriege unterbrochen.
-Später wirkte *Malus* an der École polytechnique in Paris, wo er
-schon im Jahre 1812 starb.
-
-[470] Sur une propriété de la lumière réfléchie par les corps
-diaphanes. Gelesen 1808. Veröffentlicht in den Mémoires d'Arcueil
-II. 143 (1809).
-
-[471] *Aragos* Werke. Bd. III. S. 117.
-
-[472] *Augustin Jean Fresnel* wurde 1788 in der Normandie geboren.
-Er besuchte die École polytechnique zu Paris und starb dort 1827.
-*Fresnel* wirkte an der École polytechnique und als Mitglied
-einer Leuchtturmkommission. In dieser Stellung hat er sich um
-die Verbesserung der Leuchtvorrichtungen sehr verdient gemacht
-(*Fresnel*scher Prismenapparat).
-
-[473] *Fresnel*, Mémoire sur la diffraction de la lumière (Annales
-chim.-phys. I. 1816 et XI, 1819).
-
-[474] Mémoire sur la loi des modifications, que la reflexion imprime à
-la lumière polarisée.
-
-[475] Z. B. die von *Hamilton* abgeleitete und von *Lloyd* am Aragonit
-nachgewiesene konische Refraktion. *Hamilton* in *Poggendorffs* Annalen
-Bd. XXVIII. *Lloyd* ebenda.
-
-[476] *Foucault*, Sur les vitesses relatives de la lumière dans l'air
-et dans l'eau (Annales chim. phys. XLI. 1854).
-
-[477] Siehe an späterer Stelle.
-
-[478] Betrachtungen über die bewegende Kraft des Feuers und die
-zur Entwicklung dieser Kraft geeigneten Maschinen von *S. Carnot*.
-Übersetzt und herausgegeben von *W. Ostwald*. *Ostwalds* Klassiker der
-exakten Wissenschaften Nr. 37. Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,
-1892. Der Titel des Originals lautet: Réflexions sur la puissance
-motrice du feu et sur les machines propres à développer cette puissance
-par *S. Carnot*. Paris 1824.
-
-[479] Dieser wurde samt der Abhandlung im Jahre 1878 von *Carnots*
-Bruder herausgegeben (Paris, Gauthier Villars).
-
-[480] *Mach*, Prinzipien der Wärmelehre. S. 215.
-
-[481] *Mach*, S. 218.
-
-[482] Siehe S. 52 dieses Bandes.
-
-[483] *Gilberts* Annalen VII. 1801. S. 137.
-
-[484] Philos. Transact. 27. III. 1800, S. 255. Investigation of the
-Powers of the prismatic Colours to heat and illuminate Objects.
-
-[485] Philos. Trans. 24. IV. 1800, S. 284. Experiments on the
-Refrangibility of the invisible Rays of the Sun.
-
-[486] *St. Léonard* in Limousin.
-
-[487] *Aragos* Werke, Bd. III. S. 14.
-
-[488] Siehe S. 140 dieses Bandes.
-
-[489] Annales de chimie IX. 1791. S. 239.
-
-[490] Journal de Physique, 60. S. 129-158. Neuerdings veröffentlicht
-im 42. Bande von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften.
-Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann, 1893.
-
-[491] Recherche sur la dilatation des gases et des vapeurs (Ann. chim.
-et phys. XLIII, 1802). Die Abhandlung wurde neuerdings im 44. Bande
-von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften in deutscher
-Übersetzung herausgegeben.
-
-[492] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 44, S. 24.
-
-[493] Siehe Bd. IV dieses Werkes.
-
-[494] Daß Sauerstoff löslicher ist als Stickstoff, wußte schon
-*Scheele*. Siehe S. 147.
-
-[495] NH_{3} + HCl = NH_{4}Cl (Salmiak).
-
-[496] SO_{2} + O = SO_{3}.
-
-[497] Mémoire sur la combinaison des substances gazeuses, les
-unes avec les autres (Mém. de la société d'Arcueil, 1809). In der
-Übersetzung herausgegeben in *Ostwalds* Klassikern der exakten
-Wissenschaften, Bd. 42. Leipzig, Engelmann, 1893.
-
-[498] CO + O = CO_{2}.
-
-[499] Sie besagt, daß die Volumeinheit aller Gase bei gleichem Druck
-und gleicher Temperatur dieselbe Anzahl von Molekülen enthält. Siehe
-*Avogadros* Abhandlung vom Jahre 1811 in *Ostwalds* Klassikern der
-exakten Wissenschaften. Bd. 8. Wilhelm Engelmann, Leipzig, 1889.
-
-[500] *Kopp*, Gesch. d. Chemie IV. S. 13.
-
-[501] Näheres hierüber siehe *Kopp*, Gesch. d. Chemie IV. S. 13.
-
-[502] HCl, HJ, H_{2}S.
-
-[503] HClO_{3} und HJO_{3}, deren Säureanhydride Cl_{2}O_{5} und
-J_{2}O_{5} sind.
-
-[504] Näheres siehe im IV. Bande dieses Werkes.
-
-[505] Siehe S. 173 dieses Bandes.
-
-[506] *Ostwalds* Klassiker Nr. 4. S. 9.
-
-[507] *Gay-Lussac*, Recherches sur l'acide prussique. Annales de
-chim. 1815. S. 136-231.
-
-[508] *Liebig*, Handbuch der organischen Chemie. S. 1.
-
-[509] Siehe S. 164 dieses Bandes.
-
-[510] *Aragos* Werke. Bd. III. S. 57.
-
-[511] *William Henry*, geboren 1775 zu Manchester; gestorben 1836.
-
-[512] Philos. Transact. 1803 und *Gilberts* Annalen XX. S. 147.
-
-[513] Im 3. Bande von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften
-herausgegeben von *W. Ostwald*. Leipzig, Verlag von W. Engelmann, 1889.
-
-[514] Siehe S. 180 dieses Bandes.
-
-[515] Siehe hierüber S. 173 dieses Bandes.
-
-[516] Die betreffende Abhandlung von *Gauß* wurde im 14. Bande von
-*Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften von *E. Netto* in
-deutscher Übersetzung herausgegeben. Siehe dort S. 3-36. *Gauß* kam auf
-denselben Gegenstand noch dreimal zurück. Sämtliche 4 Arbeiten finden
-sich im 14. Bd. der Klassiker vereinigt. Leipzig, W. Engelmann, 1900.
-
-[517] Erster und zweiter Beweis der Fundamentaltheorien über
-quadratische Reste. Im 122. Bande von *Ostwalds* Klassikern der exakten
-Wissenschaften herausgegeben von *Eugen Netto*. Leipzig, W. Engelmann,
-1901.
-
-[518] *Zachs* astronomische Korrespondenz.
-
-[519] *Gauß* Werke, Bd. VI. S. 65.
-
-[520] Sie rührt von *Hasse* her und ist in Hannover erschienen. In
-der Übersetzung lautet der Titel des *Gauß*schen Werkes: Theorie
-der Bewegung derjenigen Himmelskörper, die sich um die Sonne in
-Kegelschnitten bewegen.
-
-[521] *Légendre*, Nouvelles méthodes pour la détermination des orbites
-des comètes.
-
-[522] Theoria combinationis observationum erroribus minimis obnoxiae.
-1821.
-
-[523] Nr. 159 und 270.
-
-[524] *C. G. J. Jacobi*, Über die Bildung und die Eigenschaften der
-Determinanten und über die Funktionaldeterminanten. Beide Abhandlungen
-erschienen 1841 im *Crelle*schen Journal. Sie wurden 1896 als 77. und
-78. Bd. von *Ostwalds* Klassikern durch *P. Stäckel* mit Anmerkungen
-herausgegeben.
-
-[525] *Laplace*, Théorie capillaire im Anhang zum 10. Buche der
-Mécanique céleste. Siehe auch *Gilberts* Annalen XXXIII.
-
-[526] *C. F. Gauß*, Allgemeine Grundlagen einer Theorie der Gestalt
-von Flüssigkeiten im Zustande des Gleichgewichts, 1830. In deutscher
-Übersetzung herausgegeben von *H. Weber* als 135. Band von *Ostwalds*
-Klassikern. Leipzig, W. Engelmann, 1903.
-
-[527] Eine vortreffliche Geschichte der Attraktionstheorie rührt von
-*J. Todhunter* her. Siehe Anm. 1 auf S. 244 dieses Bandes.
-
-[528] Mém. de Berlin. 1777. S. 155.
-
-[529] Mémoires de l'académie roy. de Paris 1782. S. 113-196. Die
-Abhandlung wurde teilweise in der Mécanique céleste aufgenommen.
-Dieser Abschnitt der Mécanique céleste erschien in deutscher
-Übersetzung im 19. Bande von *Ostwalds* Klassikern. Leipzig, W.
-Engelmann, 1890.
-
-[530] *G. Green*, Ein Versuch, die mathematische Analysis auf die
-Theorien der Elektrizität und des Magnetismus anzuwenden. In deutscher
-Übersetzung und mit Erläuterungen herausgegeben von *Wangerin* und *v.
-Oettingen*. *Ostwalds* Klassiker Nr. 61. Leipzig, W. Engelmann, 1895.
-
-[531] Für Kräfte, die nicht nach dem *Newton*schen Gesetze wirken, hat
-man später den Ausdruck Kräftefunktion eingeführt.
-
-[532] Der wichtigste dieser Sätze, der noch heute bei der Anwendung
-der Potentialtheorie eine große Rolle spielt, wird der »Satz von
-*Green*« genannt. Er findet sich im dritten Abschnitt seiner Abhandlung
-entwickelt (*Ostwalds* Klassiker, Bd. 61, S. 24-28) und betrifft den
-Fall, daß U und V zwei Funktionen von x, y, z bedeuten, deren Werte für
-jeden Punkt im Innern eines Raumes als gegeben angesehen werden können.
-
-Der von *Green* für diesen Fall entdeckte Satz lautet unter der
-Annahme, daß die Funktionen von U und V, sowie die ersten Derivierten
-von U und V im Innern des betreffenden Raumes endlich und stetig
-variabel sind:
-
- ∭dx · dy · dz · U · δV + ∫dσ · U(dV/dw) =
-
- ∭dx · dy · dz · VδU + ∫dσ · V(dU/dw)
-
-dV und dU sind die bekannten Abkürzungen für den Ausdruck in der
-*Laplace*schen Gleichung, dσ ein Oberflächenelement und dw ein
-Linienelement senkrecht zu dσ und nach dem Innern des Körpers gemessen.
-Näheres siehe auch *Riemann*-*Hattendorff*, Schwere, Elektrizität und
-Magnetismus § 20.
-
-[533] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 61, S. 45.
-
-[534] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 61, S. 48.
-
-[535] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 61, S. 62.
-
-[536] *Grelles* Journal für Mathematik 1850.
-
-[537] Siehe Anmerkung auf S. 302 dieses Bandes.
-
-[538] *C. F. Gauß*, Allgemeine Lehrsätze in Beziehung auf die im
-verkehrten Verhältnisse des Quadrates der Entfernung wirkenden
-Anziehungs- und Abstoßungskräfte. Als 2. Band von *Ostwalds* Klassikern
-der exakten Wissenschaften, herausgegeben von *A. Wangerin*. Leipzig,
-Verlag von W. Engelmann, 1902.
-
-[539] *Gauß'* Werke Bd. V. S. 119.
-
-[540] *C. F. Gauß*, Die Intensität der erdmagnetischen Kraft auf
-absolutes Maß zurückgeführt. 1832. Als 53. Band von *Ostwalds*
-Klassikern der exakten Wissenschaften, herausgegeben von *E. Dorn*.
-Leipzig, Verlag von W. Engelmann. 1894.
-
-[541] An Stelle dieser Einheiten traten später nach dem Beschlusse der
-Pariser Konferenz vom Jahre 1881 das Zentimeter, das Gramm und die
-Sekunde.
-
-[542] Siehe S. 306 dieses Bandes.
-
-[543] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 53, S. 27.
-
-[544] *Gauß* Werke. Bd. IV. S. 259. Göttingen 1873.
-
-[545] Siehe Band II, S. 395.
-
-[546] Die betreffendes Abhandlungen von *Lagrange* (1779) und *Gauß*
-(1822) wurden durch *A. Wangerin* als 55. Band von *Ostwalds*
-Klassikern der exakten Wissenschaften von neuem herausgegeben. Leipzig,
-Verlag von W. Engelmann. 1894.
-
-[547] *C. F. Gauß*, Allgemeine Flächentheorie (1827). Deutsch
-herausgegeben von *A. Wangerin* als 5. Band von *Ostwalds* Klassikern
-der exakten Wissenschaften. Leipzig, W. Engelmann, 1889.
-
-[548] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 5, S. 29.
-
-[549] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 5, S. 30.
-
-[550] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 5, S. 36.
-
-[551] Dieses größte Dreieck, das gemessen wurde, besaß die Winkelpunkte
-Brocken, Inselsberg, Hohenhagen. Die Entfernungen dieser Punkte
-betragen 106702 m, 84957 m und 69195 m. Die Winkelsumme belief sich auf
-180° 0' 14,85''. Der sphärische Exzeß betrug also 14,85''.
-
-Näheres über die trigonometrische Vermessung des Königreichs Hannover
-enthält die Schrift »*C. F. Gauß*, Untersuchungen über Gegenstände der
-höheren Geodäsie.« Sie wurde als 177. Band von *Ostwalds* Klassikern
-neu herausgegeben von *S. Frischauf* (Leipzig, W. Engelmann, 1910).
-Nicht die Resultate jener Messung, sondern der Allgemeinwert des
-von *Gauß* dabei befolgten Weges rechtfertigt die Neuausgabe jener
-Abhandlung.
-
-[552] Es ist nämlich α + γ = 90° = β + δ. Folglich ist α + β + γ + δ =
-2 R.
-
-[553] *Sartorius von Waltershausen*, *Gauß* zum Gedächtnis. Leipzig
-1856. S. 78.
-
-[554] Die wichtigsten Abhandlungen von *Gauß* sind in folgenden Nummern
-von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften bei W. Engelmann
-in Leipzig erschienen: 2, 5, 14, 19, 53, 55, 122, 135, 177.
-
-[555] *Kummer*.
-
-[556] Das graphische Verfahren zur übersichtlichen Darstellung
-tellurischer Erscheinungen hat zuerst *Halley* angewandt, als er die
-Orte gleicher Deklination verband.
-
-[557] Die betreffende Arbeit *Humboldts* erschien in den Mémoires
-de la Société d'Arcueil unter dem Titel: Des lignes isothermes et
-de la distribution de la chaleur sur le globe 1817. III. 462 u. f.
-Siehe auch die Abhandlung vom Juli 1827 in den Berichten der Berliner
-Akademie der Wissenschaften.
-
-[558] 1683-1811.
-
-[559] *Peschel*, Geschichte der Erdkunde 1865. S. 654.
-
-[560] *Buys-Ballot* 1851.
-
-[561] Siehe S. 307 dieses Bandes.
-
-[562] *Bruhns*, *Alexander von Humboldt*. I. S. 67.
-
-[563] *Bruhns*, I. S. 95.
-
-[564] *Bruhns*, I. S. 103.
-
-[565] *Humboldt*, Essai géognostique. Übersetzt von *Leonhardt*. 1823.
-
-[566] *Böttiger*, Literarische Zustände und Zeitgenossen. I. 22.
-
-[567] *A. v. Humboldt*, Versuche über die gereizte Nerven- und
-Muskelfaser nebst Vermutungen über den chemischen Prozeß des Lebens in
-der Tier- und Pflanzenwelt. 2 Bde. 1797-1799.
-
-Eine poesievolle Darstellung seiner Auffassung von der Lebenskraft gab
-von *Humboldt* in Schillers Horen (1795) unter der Überschrift: Die
-Lebenskraft oder der rhodische Genius.
-
-[568] In sehr bezeichnender Weise äußert sich diese Stimmung Goethes in
-folgenden Versen:
-
- Basalt, der schwarze Teufelsmoor,
- Aus tiefster Hölle bricht hervor,
- Zerspaltet Fels, Gestein und Erden,
- Omega muß zum Alpha werden:
- Und so wär denn die liebe Welt
- Geognostisch auf den Kopf gestellt.
-
-
-
-[569] Festrede bei der Humboldtfeier am 5. Aug. 1844.
-
-[570] Reise in die Äquinoktialgegenden des neuen Kontinents in den
-Jahren 1799-1804. Eine deutsche Übersetzung des von *Bonpland* und *von
-Humboldt* verfaßten Berichtes erschien 1818-1829 bei J. G. Cotta.
-
-[571] Nach der barometrischen Formel 18096 Pariser Fuß.
-
-[572] Von 1808-1826.
-
-[573] Von 1805-1834. Der Preis des ganzen Werkes betrug 9500 Franken.
-Die Kosten der Reise, die *von Humboldt* aus eigenen Mitteln bestritten
-hatte, beliefen sich auf etwa 100000 Mark.
-
-[574] Siehe S. 284, sowie *Ostwalds* Klassiker der exakten
-Wissenschaften Nr. 42.
-
-[575] Eine genaue Inhaltsangabe des gesamten Werkes, dessen Herausgabe
-den Rest des *Humboldt*schen Vermögens verschlang, enthält die große
-von *Bruhns* im Verein mit *Dove*, *Peschel*, *Griesebach*, *Carus*
-und anderen Gelehrten herausgegebene wissenschaftliche Biographie über
-*Alexander von Humboldt*. 3 Bände, Brockhaus 1872. Manche Abschnitte
-sind auch in deutscher Übersetzung erschienen, so die Reisebeschreibung
-unter Mitwirkung *Humboldts* in 4 Bänden. (Stuttgart 1859-1860.)
-
-[576] Ein von dem russischen Finanzminister im Jahre 1827 gefordertes
-Gutachten über die Verwendung des im Ural entdeckten Platins ist die
-Veranlassung zu *Humboldts* asiatischer Reise gewesen.
-
-[577] Der Kosmos ist in elf fremde Sprachen übersetzt worden.
-
-[578] *Bruhns.* Bd. II. S. 357.
-
-[579] *Karl Ludwig Willdenow*, Berlin, 1765-1812.
-
-[580] Siehe S. 81 dieses Bandes.
-
-[581] Ideen, S. 2.
-
-[582] Ideen, S. 10.
-
-[583] Ideen, S. 21.
-
-[584] Ideen, S. 15.
-
-[585] Ideen, S. 17.
-
-[586] *Bruhns* (*Grisebach*) III. 248.
-
-[587] Rélation historique I. 600.
-
-[588] Naturgemälde der Tropenländer, S. 58-76.
-
-[589] Naturgemälde, S. 76.
-
-[590] *Bruhns*, III. 236.
-
-[591] Mineralogische Beobachtungen über einige Basalte am Rhein. 1790.
-
-[592] *Cordier*, 1815, Journ. Min. XXXVIII.
-
-[593] Annales de Chimie. 1823.
-
-[594] *Kosmos*, Bd. IV, S. 270.
-
-[595] *Bruhns*, III. S. 184.
-
-[596] Description of a reflective Goniometer. Philos. Transactions
-1809.
-
-[597] *Hauy*, Essai d'une théorie sur la structure des cristaux.
-Paris 1784.
-
-[598] Siehe auch *Hauy*, Exposition de la structure des cristaux in
-den Annales de Chimie 1793 (17. Bd.) S. 225 u. f.
-
-Einige Jahre früher hatte *Hauy* die schwierigen
-Kristallisationsverhältnisse, welche der Staurolith darbietet, genauer
-beschrieben. Siehe Annales de Chimie. Bd. IV (1790).
-
-[599] *Bernhardi*, Über die Kristallisation des Arsenkieses. *Gehlens*
-Journal für die Chemie und Physik. 1807. III.
-
-[600] *Martin Heinrich Klaproth* wurde 1743 in Wernigerode geboren. Er
-erlernte die Pharmazie. Seit der Begründung der Berliner Universität
-(1810) wirkte er dort als Professor der Chemie. *Klaproth* starb 1817
-in Berlin.
-
-[601] *Fuchs* in *Schweiggers* Journal vom Jahre 1815.
-
-[602] Die Metalle, die er in beide Säuren eintreten ließ, waren Kalium,
-Natrium, Barium, Blei.
-
-[603] *Mitscherlich*, Über die Kristallisation der Salze. Abhandlungen
-der Berliner Akademie 1818/19. *Mitscherlichs* im Jahre 1821
-veröffentlichte Untersuchung über das Verhältnis zwischen der
-chemischen Zusammensetzung und der Kristallform arseniksaurer und
-phosphorsaurer Salze erschien als 94. Band von *Ostwalds* Klassikern
-der exakten Wissenschaften. Leipzig 1898.
-
-[604] *Ostwalds* Klassiker Nr. 94. S. 54.
-
-[605] Abhandlungen der Berliner Akademie 1822/23. S. 43 ff.
-
-[606] *G. Rose*, 1837. *Poggendorffs* Annalen XLII.
-
-[607] Abhandlungen der Berliner Akademie von 1822/23.
-
-[608] *A. W. Hofmann*, Ein Jahrhundert chemischer Forschung unter dem
-Schirme der Hohenzollern.
-
-[609] *Péligot*, Annales chim. phys. V, 1842 und XII, 1844.
-
-[610] *Arago*, Mémoires de l'Institut de France. 1811.
-
-[611] *Michael Adanson* wurde 1727 in Aix geboren. Er war Mitglied der
-Akademie der Wissenschaften in Paris und starb dort 1806.
-
-[612] Er stellte deren nicht weniger als 65 auf.
-
-[613] Geboren 1732 in Württemberg. *Gärtner* bekleidete ein Lehramt
-in Tübingen und später in Petersburg. Seit 1770 lebte er wieder
-in Württemberg, ganz mit der Abfassung seines wissenschaftlichen
-Hauptwerkes beschäftigt. Letzteres erschien 1788-1791 unter dem Titel:
-De fructibus et seminibus plantarum. *Gärtner* starb im Jahre 1791.
-
-[614] Nur hin und wieder griff *Gärtner* auf die früheren
-Formverhältnisse zurück.
-
-[615] Unter diesem Titel wurde das epochemachende Buch ins Deutsche
-übersetzt (durch Dr. *Römer*, Zürich 1815). Der vollständige Titel des
-Originales lautet: Théorie élémentaire de la botanique ou exposition
-des principes de la classification naturelle et de l'art d'écrire et
-d'étudier les végétaux, Paris 1813.
-
-[616] Organographie végétale, Paris 1827. 2 Bände. Eine deutsche
-Bearbeitung gab *C. F. Meisner* 1828 heraus. Ihr Titel lautet:
-Organographie der Gewächse oder kritische Beschreibung der
-Pflanzenorgane. Eine Fortsetzung und Entwicklung der Anfangsgründe der
-Botanik und Einleitung zur Pflanzenphysiologie und der Beschreibung der
-Familien.
-
-[617] *Sachs*, in seiner Geschichte der Botanik.
-
-[618] So *Gleditsch*: Mém. de l'Académie de Berlin, 1748. S. 60.
-
-[619] *Sprengel*, Geschichte der Botanik II. 249.
-
-[620] *A. Kirchhoff*, Die Idee der Pflanzenmetamorphose bei *Wolff* und
-*Goethe*. 1867.
-
-[621] Siehe *Dannemann*, Aus der Werkstatt großer Forscher 1908. S. 227.
-
-[622] Daß *Goethes* umfangreiche, im ganzen als verfehlt zu
-betrachtende Farbenlehre (sie umfaßt allein fünf Bände der großen
-Weimarer Goetheausgabe) manchen trefflichen Gedanken aufweist,
-hat vor einigen Jahren *E. v. Lippmann* gezeigt (Zeitschrift für
-Naturwissenschaften, Bd. 74, 1901). Die Hauptschwäche der *Goethe*schen
-physikalischen Untersuchungen besteht darin, daß er das experimentelle
-und mathematische Rüstzeug des Physikers nicht nur nicht genügend
-kannte, sondern es auch allzu gering einschätzte. Von seinem Mißerfolg
-ließ sich *Goethe* nicht überzeugen; er betrachtete vielmehr seine
-Farbenlehre als sein verdienstvollstes Werk, dem gegenüber er sich »auf
-alles, was er als Poet geleistet, nichts einbildete.«
-
-[623] *Goethes* Metamorphosenlehre hat vor kurzem *A. Hansen* in
-ihrer Bedeutung und in ihrem Zusammenhange mit den Arbeiten *Wolffs*
-gewürdigt. Siehe *A. Hansen*, *Goethes* Metamorphose der Pflanzen.
-*Goethe*, Jahrbuch XXVII. Band 1906. S. 207-225 und das unter dem
-gleichen Titel erschienene ausführlichere Werk *Hansens*.
-
-[624] Sechs pflanzenphysiologische Abhandlungen von *Thomas Andrew
-Knight* (1803-1812); übersetzt und herausgegeben von *H. Ambronn*.
-*Ostwalds* Klassiker der exakten Wissenschaften. Band 62. Leipzig, W.
-Engelmann, 1895.
-
-[625] Durch *Johnson* im Jahre 1823.
-
-[626] Abhandlung vom Jahre 1811.
-
-[627] Siehe Abschnitt 5 dieses Bandes.
-
-[628] Abhandlung vom Jahre 1812.
-
-[629] Siehe Seite 140 dieses Bandes.
-
-[630] *Ingenhouß*, Versuche mit Pflanzen; übersetzt von *Scherer*, 1786.
-
-[631] Durch *Senebier*.
-
-[632] Eine Würdigung der Verdienste des Arztes und Naturforschers
-*Ingenhouß* erfolgte neuerdings durch *J. Wiesner*: *Jan. Ingenhouß.*
-Sein Leben und sein Wirken. Wien, 1905.
-
-Nach seiner Promotion zum Doktor der Medizin studierte *Ingenhouß*
-Physik und Chemie in Leyden. Er ging also wohl vorbereitet an die große
-Aufgabe heran, einen Einblick in den Gasaustausch und die chemischen
-Vorgänge der Pflanze zu erlangen.
-
-An Einzelheiten teilt *Wiesner* mit, daß *Ingenhouß* das Deckgläschen
-in die mikroskopische Technik eingeführt und zuerst eine Uhrfeder in
-Sauerstoff verbrannt habe. Auch der Ersatz der Glaskugel oder Walze
-der älteren Elektrisiermaschinen durch eine Glasscheibe wird auf
-*Ingenhouß* zurückgeführt.
-
-[633] *Théodore de Saussure*, Recherches chimiques sur la végétation.
-Paris 1804. Übersetzt herausgegeben von Dr. *A. Wieler* als 15. und 16.
-Band von *Ostwalds* Klassikern.
-
-[634] 1822.
-
-[635] Siehe *Ostwalds* Klassiker Nr. 15 und 16.
-
-[636] Siehe S. 353 dieses Bandes.
-
-[637] Die Übersetzung rührt von *Röper* her (Cottasche Buchhandlung,
-1833). Der Titel des Originals lautet: Physiologie végétale, ou
-exposition des forces et des fonctions vitales des végétaux par *A. P.
-De Candolle*. Paris 1832.
-
-[638] *Decandolle*, Bd. I. S. 421.
-
-[639] Hier kommt besonders *Treviranus* in Betracht, der 1835 eine
-Physiologie der Gewächse herausgab.
-
-[640] *Meyen*, Neues System der Pflanzenphysiologie. 1838.
-
-[641] *Buffon*, Histoire naturelle, générale et particulière,
-1749-1788.
-
-[642] Histoire naturelle, II, 4.
-
-[643] *Geoffroy Saint-Hilaire* wurde 1772 in der Nähe von Paris
-geboren. Er wirkte als Professor der Zoologie am Jardin des Plantes in
-Paris und starb dort 1844.
-
-[644] *Cuvier*, Discours sur les révolutions de la surface du globe.
-I, 1.
-
-[645] *Cuvier*, Discours sur les révolutions. I, 87.
-
-[646] Leçons d'anatomie comparée. 1805. Übersetzt von *Froriep* und
-*Meckel*. 4 Bde. Leipzig 1809.
-
-[647] 1802.
-
-[648] Règne animal. 2. Afl. I, 10.
-
-[649] In der Vorrede zur 1. Auflage d. Règne animal.
-
-[650] »Sur un nouveau rapprochement à établir entre les classes, qui
-composent le règne animal«. Annales du Muséum d'histoire naturelle.
-Tome XIX. 1812. pag. 73 ff.
-
-[651] *Cuvier*, Règne animal.
-
-[652] *Oken* in der Zeitschrift »Isis«. Jahrgang 1832, Seite 1303.
-
-[653] De generis humani varietate nativa. Göttingen, 1775.
-
-[654] Näheres siehe in *Dannemann*, Aus der Werkstatt großer Forscher.
-1908. Seite 251.
-
-[655] Recherches sur les ossements fossiles 1811. Der erste, die
-Grundzüge der Katastrophenlehre enthaltende Abschnitt führt darin
-die Überschrift Discours préliminaire. In der zweiten Auflage der
-Recherches (1821-1824) wird dieser Abschnitt als Discours sur les
-révolutions de la surface du globe bezeichnet. Dieser Abschnitt wurde
-mehrfach in deutscher Bearbeitung herausgegeben, so z. B. von *C. G.
-Giebel* unter dem Titel »Die Erdumwälzungen« von *Georg Cuvier*.
-
-[656] Siehe S. 378 dieses Bandes.
-
-[657] Er starb im Jahre 1852 in Berlin.
-
-[658] Siehe Band II, S. 411 u. f.
-
-[659] Das Werk erschien 1826, während die Erforschung dieser
-Inselgruppe durch *Buch* etwa ein Jahrzehnt früher stattfand.
-
-[660] Siehe S. 106 u. f. dieses Bandes.
-
-[661] *Christian Heinrich Pander* (1794-1865) ließ seine Arbeit,
-die er auf Anregung seines Lehrers *Döllinger* unternahm, 1817 als
-Dissertation erscheinen. Später gab er eine deutsche Bearbeitung
-heraus, der 16 musterhaft gestochene Kupfertafeln beigefügt sind.
-*Pander* war gleich so vielen hervorragenden Deutschen des 18. und 19.
-Jahrhunderts Mitglied der Akademie in Petersburg.
-
-[662] Eine Auswahl aus den Schriften *von Baers* enthält das Buch:
-*Remigius Stölzle*, *Karl Ernst von Baers* Schriften. Stuttgart,
-Greiner und Pfeiffer. VI. 230 S. Das Buch schildert das Wirken *von
-Baers* als Lehrer, Forscher und Philosoph. Die Auswahl ist besonders
-seinen »Reden« entnommen. In ihnen behandelt *von Baer* Stoffe aus der
-Naturphilosophie, der Anthropologie und der Entwicklungslehre.
-
-Eine Biographie *von Baers* veröffentlichte *Wilhelm Haacke* als
-dritten Band der »Klassiker der Naturwissenschaften« (Leipzig,
-Th. Thomas, 1905. 175 S.). *Haacke* macht die umfassende
-naturwissenschaftliche Weltanschauung *von Baers* zum Hauptgegenstande
-seiner Darstellung.
-
-[663] *Von Baer*, De ovi et animalium genesi epistola.
-
-[664] *J. C. Purkinje* (1787-1869), Professor in Breslau. Symbolae ad
-ovi avium historiam ante incubationem. 1825.
-
-[665] Erwähnt sei, daß die ersten Beobachtungen über die Furchung
-von *Prevost* und *Dumas* 1824 am Froschei gemacht wurden (Ann. des
-sciences nat. Bd. 2. S. 110).
-
-[666] S. Bd. IV dieses Werkes.
-
-[667] *Von Baer*, Untersuchungen über die Gefäßverbindungen zwischen
-Mutter und Frucht in den Säugetieren. 1828.
-
-[668] *Martin Heinrich Rathke*, Professor der Zoologie in Königsberg
-(1793-1860).
-
-
-
-
-Namenverzeichnis.
-
-
- A.
-
- Abel 125, 130-134.
-
- Adanson 350, 351.
-
- Aepinus 7, 8, 22, 25, 26.
-
- d'Alembert 19, 297.
-
- Amontons 44, 55.
-
- Ampère 227-235, 236.
-
- Arago 226, 235, 236, 283, 291, 349.
-
- Aristoteles 69.
-
-
- B.
-
- Babinet 228.
-
- v. Baer 99, 114, 391-393.
-
- Balard 290, 295.
-
- Beccaria 20.
-
- Behrens 207, 208.
-
- Benzenberg 261, 262.
-
- Bergmann 26, 140, 143, 146, 150-154, 169, 171, 340, 342.
-
- Berghaus 320.
-
- Bernoulli, Daniel 48, 301.
-
- Berthollet 151, 167-173, 175, 282, 284, 387, 294.
-
- Berzelius 138, 176, 184-188, 294, 295, 342-348.
-
- Biot 283.
-
- Black 48-52, 54, 140.
-
- Blagden 58, 59.
-
- Blumenbach 68, 322, 383, 384.
-
- Boerhave 111, 115.
-
- Bonpland 325.
-
- Borelli 40, 112.
-
- Bose 11.
-
- Boussingault 370.
-
- Boyle 138, 158, 161, 166, 265, 293.
-
- Bradley 80.
-
- Brandes 261.
-
- Brücke 75.
-
- v. Buch 286, 323, 337, 338, 388, 389.
-
- Buffon 376.
-
- Buys-Ballot 321.
-
-
- C.
-
- Caesalpin 63, 105.
-
- Camerarius 63, 80-83, 111.
-
- Camper 384.
-
- Carlisle 211, 212.
-
- Carnot 271, 278-280.
-
- Cassini 252.
-
- Cavendish 31, 32, 141, 164, 165, 175, 284.
-
- Celsius 43, 389.
-
- Charles 282.
-
- Chladni 258-261.
-
- Collinson 15, 17.
-
- Cordier 337.
-
- Coulomb 27-32, 232, 302, 310.
-
- Cramer 299.
-
- Crelle 125.
-
- Cullen 51.
-
- Cunaeus 9.
-
- Cusa 46.
-
- Cuvier 328, 329, 376-388.
-
-
- D.
-
- Dalton 118, 138, 172, 178-183, 269, 292, 293.
-
- Ch. Darwin 91.
-
- E. Darwin 269.
-
- Davy 13, 169, 173, 174, 212-223, 268, 269, 295.
-
- Decandolle 67, 353-357, 372-374.
-
- Delambre 228.
-
- Dela Rive 221.
-
- Deluc 48.
-
- Desargues 122, 123.
-
- Descartes 15, 122.
-
- Dillenius 82.
-
- Döbereiner 290.
-
- v. Döllinger 391.
-
- Dove 320, 321.
-
- Du Fay 7, 8.
-
- Dürer 119, 120.
-
-
- E.
-
- Ehrenberg 329.
-
- Erman 209.
-
- Euler 14, 15, 48, 130, 133, 134, 242, 297.
-
-
- F.
-
- Fahrenheit 39-41, 43, 58.
-
- Faraday 22, 26, 215, 226.
-
- Fontana 283.
-
- Forster 322.
-
- Foucault 277.
-
- Fourcroy 174.
-
- Fourier 131, 136.
-
- Franklin 7, 10, 14-20, 22.
-
- Fraunhofer 273, 277.
-
- Fresnel 276, 277.
-
- Füchsel 385.
-
- Fulton 37.
-
-
- G.
-
- Gahn 143.
-
- Galilei 7, 38.
-
- Galvani 190-196.
-
- Gärtner 352.
-
- Gauß 129, 130, 249, 296-298, 303 bis 318, 321.
-
- Gay-Lussac 45, 138, 169, 173, 225, 235, 236, 270, 282-291, 295, 320,
- 327, 343.
-
- Gilbert 6.
-
- Gleditsch 65, 81.
-
- Gmelin 322.
-
- Göpel 135.
-
- Goethe 110, 225, 323-325, 357, 358, 376.
-
- Gould 46.
-
- de Graaf 391, 392.
-
- Gralath 10, 12.
-
- Green 302, 303-306.
-
- Grew 66, 77.
-
- Grey 8, 9.
-
- Grothuß 215.
-
- Grummert 13.
-
- Guericke 6, 8, 10.
-
- Guglielmini 262.
-
- Gülcher 239.
-
-
- H.
-
- Hales 53, 66, 71-79, 139, 147, 364.
-
- von Haller 106, 110-115.
-
- Halley 38, 39, 254, 320, 321.
-
- Hamilton 277.
-
- Harvey 71, 106, 114.
-
- Hausen 11.
-
- Hauy 340-343.
-
- Hawksbee 6, 7, 10.
-
- Helmholtz 274, 318.
-
- v. Helmont 139, 155.
-
- Henry 292.
-
- J. Herschel 255.
-
- W. Herschel 241, 247-257, 272, 281.
-
- Hooke 39.
-
- A. v. Humboldt 125, 211-213, 257, 284, 286, 307, 308, 319-339, 347,
- 388, 389.
-
- W. v. Humboldt 224.
-
- Hunter 24.
-
- Hutton 385.
-
- Huygens 14, 251, 274.
-
-
- J.
-
- Jacobi 133, 134, 299.
-
- Ingenhouß 365.
-
- Joule 267.
-
- Jungius 63, 106.
-
- A. L. de Jussieu 67, 351-353.
-
- B. de Jussieu 67, 351.
-
-
- K.
-
- Kant 246-248, 257.
-
- Kästner 18.
-
- Kepler 113.
-
- Kienmayer 11.
-
- Kinnersley 16, 17.
-
- Kirchhoff 118.
-
- Klaproth 342, 343, 348, 349.
-
- v. Kleist 9.
-
- Knight 360-364.
-
- v. Kobell 342.
-
- Kölreuter 80, 82-90, 106.
-
-
- L.
-
- Lagrange 130, 299, 301, 302, 313.
-
- Lambert 44, 45, 46, 247, 313.
-
- Laplace 54-57, 116, 118, 143, 241 bis 246, 257, 299, 300, 302.
-
- Lavoisier 21, 52, 54-57, 79, 138, 139, 147, 152, 155-168, 173, 175,
- 215, 264, 283, 291, 294, 295.
-
- Le Monnier 12, 20.
-
- Ledermüller 91, 92, 102, 103.
-
- Leeuwenhoek 82, 101, 102.
-
- Legendre 134, 135, 298.
-
- Leibniz 110, 299.
-
- Lejeune-Dirichlet 135-137.
-
- Lichtenberg 18, 322.
-
- Lieberkühn 115.
-
- Liebig 191.
-
- Linné 60-68, 82, 86, 99, 106, 340, 350, 383.
-
- Lionardo da Vinci 46.
-
- Lloyd 277.
-
- Lobatschefskij 122.
-
- Lomonossow 48, 117, 118.
-
-
- M.
-
- Magnus 185.
-
- Malpighi 66, 112.
-
- Malus 275, 276.
-
- Mariotte 52, 69, 70, 113, 293.
-
- v. Marum 12.
-
- T. Mayer 242.
-
- R. Mayer 271.
-
- Mayow 49, 155, 157.
-
- Meckel 114, 115, 390.
-
- Melloni 239.
-
- Mendelejeff 290.
-
- Messier 254.
-
- L. Meyer 290.
-
- Mitscherlich 185, 343-347.
-
- Moissan 295.
-
- Monge 119-124.
-
- Montgolfier 282.
-
- Müller, Johannes v. 112, 205.
-
- Musschenbroek 9, 45.
-
-
- N.
-
- Naumann 342.
-
- Newcomen 33-36.
-
- Newton 244, 262, 275, 301.
-
- Nicholson 206, 212.
-
- Nobili 239.
-
- Noë 239.
-
-
- O.
-
- Oersted 223-228, 231, 236.
-
- Ohm 207.
-
- Olbers 249.
-
-
- P.
-
- Pallas 258.
-
- Pander 390-393.
-
- Papin 33-35.
-
- Pascal 122.
-
- Peyssonel 99.
-
- Pfaff 132.
-
- Piazzi 249, 297.
-
- Picard 6.
-
- Pictet 53.
-
- Planté 210.
-
- Plücker 128.
-
- Poisson 302.
-
- Poncelet 122-124.
-
- Pouillet 224.
-
- Priestley 20, 79, 138-143, 146, 147, 155, 158, 160, 163, 165, 168, 213,
- 283, 364.
-
- Proust 175, 176, 178.
-
- Prout 184.
-
-
- R.
-
- Ramsay 141.
-
- Rathke 393.
-
- Ray 63, 99.
-
- Rayleigh 141.
-
- Réaumur 21, 41, 103.
-
- Redi 105.
-
- Regnault 52.
-
- Reich 262.
-
- Reimarus 18.
-
- Renaldini 38.
-
- Rey 157.
-
- Richer 23.
-
- Richmann 20.
-
- Richter 118, 176, 177, 187.
-
- Riemann 136, 137.
-
- Rieß 208.
-
- Ritter 206, 207, 209, 210, 212, 213.
-
- de Romas 20.
-
- Rose 185, 329.
-
- Rosenhain 135.
-
- Rösel von Rosenhof 102, 104.
-
- Rousseau 227.
-
- Rumford 13, 265-270.
-
-
- S.
-
- G. Saint-Hilaire 370, 382.
-
- Th. de Saussure 353, 366-372.
-
- H. B. de Saussure 31, 46, 47, 320, 321, 335, 366.
-
- Scheele 138, 139, 143-149, 155, 156, 160, 165, 173, 272, 291, 340.
-
- Schulze 149.
-
- Schumacher 312.
-
- Schwann 108, 392.
-
- Seebeck 225-227, 235-239.
-
- Senebier 353.
-
- Silberschlag 258, 259.
-
- Spallanzani 89, 101, 105.
-
- Sprengel 89-98.
-
- Stahl 53, 138.
-
- Steiner 122, 125-128.
-
- Stephenson 37.
-
- Sturm 131.
-
- Sulzer 189.
-
- Swammerdam 102, 105, 115.
-
- Symmer 15.
-
-
- T.
-
- Thenard 288.
-
- Trembley 99, 100, 101, 104.
-
- Treviranus 375.
-
- van Troostwyk 21.
-
-
- V.
-
- Valenciennes 328, 329.
-
- Vitruvius 119.
-
- Volta 195-207, 210, 211.
-
-
- W.
-
- Wall 16.
-
- Walsh 23, 24.
-
- Watson 12, 13.
-
- Watt 36-38, 52, 267.
-
- E. H. Weber 113.
-
- W. Weber 233, 307, 311.
-
- Wedgwood 45.
-
- Weiß 342.
-
- Wenzel 118, 176.
-
- Werner 323, 340, 388.
-
- Westrumb 174.
-
- Widmanstätten 261.
-
- Wilke 22, 23, 48, 49, 199.
-
- Willdenow 322, 332.
-
- Wilson 11.
-
- Winkler 16.
-
- Wöhler 185, 223.
-
- Wolf, Christian 39, 70, 71, 106, 117, 118.
-
- Wolff, K. Fr. 106-110, 114, 115, 357, 358, 390.
-
- Wollaston 182, 183, 272, 273, 340.
-
- Wright 246, 247.
-
-
- Y.
-
- Young 22, 273-277.
-
-
- Z.
-
- Zamboni 207, 208.
-
-
-
-
-Verzeichnis der Abbildungen.
-
-
- Figur | aus
- -----------------------------------+-------------------------------------
- |
- 1. Elektrisiermaschine aus dem | Gerland und Traumüller, Geschichte
- Jahre 1744 | der physikalischen
- | Experimentierkunst. Leipzig 1899.
- | Abb. 319.
- |
- 2. Watsons Versuch, die | Philosophical Transactions. 1748.
- Geschwindigkeit der Elektrizität | Bd. 45.
- zu bestimmen |
- |
- 3. Querschnitt durch den | Philosoph. Transact. 1773. Bd.
- Zitterrochen | 63.
- |
- 4. Coulombs elektrische Wage | Ostwalds Klassiker der exakten
- | Wissenschaften. Nr. 13. Fig. 1
- | bis 5.
- |
- 5. Coulombs Untersuchung der | Wüllner, Lehrbuch der
- Torsion | Experimentalphysik. Bd. I. 1882.
- | Abb. 60.
- |
- 6. Coulombs Versuch über die | Wüllner, Lehrbuch der
- Verteilung der Elektrizität | Experimentalphysik. Bd. IV. 1875.
- | Abb. 52.
- |
- 7. Papins erste Dampfmaschine | Acta eruditorum 1690.
- |
- 8. Newcomens Dampfmaschine | Gehlers Physikalisches Wörterbuch.
- | Bd. II. Tab. XIII. Fig. 133.
- |
- 9. Amontons' Luftthermometer |
- |
- 10. Saussures Haarhygrometer | Ostwalds Klassiker. Nr. 115.
- | Fig. 1.
- |
- 11. Lavoisiers Eiskalorimeter | Ostwalds Klassiker. Nr. 40.
- |
- 12. Der Wurzel Ziehen oder Saugen | Hales, Statik der Gewächse.
- | Tab. III. Fig. X.
- |
- 13. Hales Versuch über das Saugen | Hales, Statik der Gewächse. Tab.
- eines transpirierenden Zweiges. | III. Fig. XI.
- |
- 14. Das Steigen des Pflanzensaftes | Hales, Statik der Gewächse. Tab.
- | IV. Fig. XVII.
- |
- 15. Die Bestimmung des | Hales, Statik d. Gewächse. Tab.
- Wurzeldruckes | IV. Fig. 18.
- |
- 16. Hales pneumatische Wanne | Hales, Statik. Tab. IX. Fig. 38.
- |
- 17. Die Blüte des | Sprengel, Das entdeckte Geheimnis
- Sumpfstorchschnabels | der Natur.
- |
- 18. Blüte der Osterluzzei | Sachs, Lehrbuch der Botanik.
- | 4. Aufl. Leipz. 1874. Fig. 489.
- |
- 19. Die Befruchtung der Salbeiblüte| Ostwalds Klassiker Nr. 48. S. 73.
- |
- 20. Der Süßwasserpolyp | Leunis Synopsis. II. Bd. 3. Aufl.
- |
- 21. Ledermüllers Abbildung von | Ledermüller, Mikroskopische
- Aufgußtierchen | Gemüts- und Augenergötzungen.
- | II. Bd. 88. Tafel.
- |
- 22. Bewegung und Teilung der Amöbe | Rösel von Rosenhof,
- | Insektenbelustigungen. III. Teil.
- | 101 Taf.
- |
- 23. Wolffs Abbildung eines Embryos | Aus Wolffs Theoria generationis
- | (Ostwalds Klassiker Nr. 85.
- | Tafel II. Fig. 5.)
- |
- 24. Entstehung des Herzens und der | Ostwalds Klassiker Nr. 85. Taf.
- Gliedmaßen | II. Fig. 11.
- |
- 25. Scheele analysiert die Luft | Aus Scheeles Abhandlung von
- | der Luft und dem Feuer.
- |
- 26. Scheeles Darstellung von | do.
- Sauerstoff |
- |
- 27. Lavoisiers Analyse der Luft | Lavoisier, Oeuvres, Tome I. Pl.
- | II. Fig. 14.
- |
- 28. Lavoisiers Analyse der Luft | Lavoisier, Oeuvres, Tome I. Pl.
- | IV. Fig. 2.
- |
- 29. Die Verbrennung von Phosphor | Lavoisier, Oeuvres, Tome I. Pl.
- | IV. Fig. 3.
- |
- 30. Galvanis Versuche mit | Aus dem 52. Bande von Ostwalds
- Froschschenkeln | Klassikern der exakten
- | Wissenschaften.
- |
- 31. Physiologischer Nachweis der | do.
- galvanischen Elektrizität |
- |
- 32. Voltas Kondensator | Wüllners Lehrbuch der
- | Experimentalphysik. 3. Aufl. IV.
- | Bd. Fig. 70.
- |
- 33. Voltas Elektrophor | ebendort Fig. 67.
- |
- 34. Voltas erste Säule | Philos. Transact. 1800. Pl.
- | XVII.
- |
- 35. Voltas zweiteilige Säule | do.
- |
- 36. Voltas Becherapparat | do.
- |
- 37. Das Säulenelektroskop | Rieß, Die Lehre von der
- | Reibungselektrizität. Bd. I,
- | S. 18.
- |
- 38. Zambonis Trockensäule | Gilberts Annalen von 1815. Bd. 49.
- |
- 39. Seebecks Nachweis des | Ostwalds Klassiker. Nr. 63. Fig 7.
- magnetischen Feldes |
- |
- 40. Seebecks Nachweis der | Ostwalds Klassiker. Nr. 63. Abb. 22.
- magnetischen Kraftlinien |
- |
- 41. Ampères beweglicher | Ampère und Babinet, Darstellung
- Stromleiter | der neuen Entdeckungen über
- | die Elektrizität und den
- | Magnetismus. Tafel I. Fig. 2.
- |
- 42. Ampères Vorrichtung zum | Ampère und Babinet, Tafel I.
- Aufhängen seines beweglichen | Fig. 3.
- Stromleiters |
- |
- 43. Ampères Nachweis, daß sich ein | Ampère und Babinet, Tafel I.
- Stromleiter senkrecht zur | Fig. 12.
- Inklinationsnadel einstellt |
- |
- 44. Ampères vom Einfluß des | Ampère und Babinet, Tafel I.
- Erdmagnetismus befreites Solenoid | Fig. 29.
- |
- 45. Ampères astatische Magnetnadel | Ampère und Babinet, Tafel I.
- | Fig. 14.
- |
- 46. Die Entdeckung der | Ostwalds Klassiker. Nr. 70. Abb. 1.
- Thermoelektrizität |
- |
- 47. Seebecks Thermoelement | Ostwalds Klassiker. Nr. 70. Abb. 4.
- |
- 48. Schema des von Herschel |
- konstruierten Spiegelteleskops |
- |
- 49. Herschels vierzigfüßiger | Philosophical Transactions. 1795.
- Reflektor | II. Tab. XXIV.
- |
- 50. Herschels Abbildung eines | W. Herschel, Über den Bau des
- Nebelflecks | Himmels. Tafel I. Fig. 2.
- |
- 51. Herschels Ableitung der Gestalt| W. Herschel, Über den Bau des
- der Milchstraße | Himmels. Tafel II. Fig. 16.
- |
- 52. Rumfords Versuch über | Philosophical Transactions. 1798.
- Wärmeerzeugung durch Reibung |
- |
- 53. Teileinrichtung zu Rumfords | Philosophical Transactions. 1798.
- Versuch |
- |
- 54. Gay-Lussacs Versuch zur | Mach, die Prinzipien der Wärmelehre.
- Thermodynamik der Gase. | Abb. 66.
- |
- 55. Zur Erläuterung des | Ostwalds Klassiker. Nr. 37. Abb. 1.
- Kreisprozesses |
- |
- 56. Gay-Lussacs Apparat zur | Ostwalds Klassiker. Nr. 44. Abb. 3.
- Bestimmung des |
- Ausdehnungskoeffizienten der Gase |
- |
- 57. Das von Gauß zum Messen der | Wüllner, Lehrbuch der
- erdmagnetischen Kraft erfundene | Experimentalphysik. Bd. IV. (1875).
- Magnetometer | S. 36.
- |
- 58. Das dem Heliotrop von Gauß | Hunaeus, Die geometrischen
- zugrunde liegende Gesetz | Instrumente. Fig. 129.
- |
- 59. Hauys Ableitung des | Hauy, Traité de minéralogie. V.
- Rhombendodekaeders | Pl. VIII.
- |
- 60. Hauys Ableitung des | Hauy, Traité de minéralogie. V.
- Pentagondodekaeders | Pl. VIII.
-
-
-
-
-Die Naturwissenschaften in ihrer Entwicklung und in ihrem Zusammenhange
-
-dargestellt von =Friedrich Dannemann=.
-
-
-Erster Band:
-
-Von den Anfängen bis zum Wiederaufleben der Wissenschaften.
-
-Mit 50 Abbildungen im Text und einem Bildnis von Aristoteles.
-
-Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann 1910.
-
-_24 Bogen gr. 8°._
-
-_Preis geheftet =Mk. 9=, in Leinen gebunden =Mk. 10=._
-
-
-Zweiter Band:
-
-Von Galilei bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts.
-
-Mit 116 Abbildungen im Text und einem Bildnis von Galilei.
-
-Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann 1911.
-
-_27 Bogen gr. 8°._
-
-_Preis geheftet =Mk. 10=, in Leinen gebunden =Mk. 11=._
-
-
-Die vier Bände des Werkes sind einzeln käuflich. Jeder Band bildet ein
-in sich abgeschlossenes Ganzes.
-
-
-Inhalt des ersten Bandes.
-
- Seite
-
- 1. In Asien und in Ägypten entstehen die Anfänge der Wissenschaften 1
-
- 2. Die Weiterentwicklung der Wissenschaften bei den Griechen bis zum
- Zeitalter des Aristoteles 51
-
- 3. Aristoteles und seine Zeit 81
-
- 4. Archimedes 118
-
- 5. Die erste Blüte der alexandrinischen Schule 130
-
- 6. Die Naturwissenschaften bei den Römern 164
-
- 7. Die zweite Blütezeit der alexandrinischen Schule 188
-
- 8. Der Verfall der Wissenschaften zu Beginn des Mittelalters 213
-
- 9. Das arabische Zeitalter 223
-
- 10. Die Wissenschaften unter dem Einfluß der christlich-germanischen
- Kultur 258
-
- 11. Der Beginn des Wiederauflebens der Wissenschaften 288
-
- 12. Die Begründung des heliozentrischen Weltsystems durch Koppernikus 315
-
- 13. Die ersten Ansätze zur Neubegründung der experimentellen und der
- anorganischen Naturwissenschaften 328
-
- 14. Die ersten Ansätze zur Neubegründung der organischen
- Naturwissenschaften 348
-
-
-Inhalt des zweiten Bandes.
-
- Seite
-
- 1. Altertum und Neuzeit 1
-
- 2. Die Erfindung der optischen Instrumente 7
-
- 3. Galileis grundlegende Schöpfungen 15
-
- 4. Die Ausbreitung der induktiven Forschungsweise 71
-
- 5. Die Astronomie im Zeitalter Tychos und Keplers 101
-
- 6. Die Förderung der Naturwissenschaften durch die Fortschritte der
- Mathematik 136
-
- 7. Der Ausbau der Physik der flüssigen und der gasförmigen Körper 155
-
- 8. Die Iatrochemie und die Begründung der Chemie als Wissenschaft
- durch Boyle 180
-
- 9. Der Ausbau der Botanik und der Zoologie nach dem Wiederaufleben
- der Wissenschaften 194
-
- 10. Die Begründung der großen wissenschaftlichen Akademien 206
-
- 11. Newton 215
-
- 12. Huygens und die übrigen Zeitgenossen Newtons 244
-
- 13. Unter dem Einfluß der chemisch-physikalischen Forschung entstehen
- die Grundlagen der neueren Mineralogie und Geologie 297
-
- 14. Das Emporblühen der Anatomie und der Physiologie 313
-
- 15. Die ersten Ergebnisse der mikroskopischen Erforschung der niederen
- Tiere 322
-
- 16. Die Begründung der Pflanzenanatomie und der Lehre von der
- Sexualität der Pflanzen 340
-
- 17. Der Ausbau der Mechanik, Akustik und Optik im achtzehnten
- Jahrhundert 353
-
- 18. Die Fortschritte der Astronomie nach der Begründung der
- Gravitationsmechanik 386
-
- 19. Mineralogie und Geologie im 18. Jahrhundert 399
-
-
-Auszüge aus den Besprechungen des ersten und zweiten Bandes.
-
-Der Verfasser, längst schon rühmlichst bekannt durch seine Schriften
-»Aus der Werkstatt großer Forscher« und »Die Entwicklung der
-Naturwissenschaften«, hat sich durch die vorliegende erweiterte
-Neuausgabe des letzteren Buches (die im Ganzen auf vier Bände
-berechnet ist) ein nicht genug anzuerkennendes Verdienst erworben,
-denn er bringt in gänzlich unparteiischer Weise das Wichtigste aus
-allen Gebieten naturwissenschaftlichen Wissens, und zwar so, daß es
-nicht nur das Interesse des Historikers von Fach erweckt, sondern die
-Teilnahme jedes naturhistorisch Gebildeten. Auf Einzelheiten kann an
-dieser Stelle nicht eingegangen werden, und das bloße Aufzählen der
-Kapitel-Überschriften würde ermüdend wirken, ohne einen zureichenden
-Begriff vom Inhalte zu gewähren. Es genüge also, auf dessen
-unerschöpflichen Reichtum hinzuweisen und das neue Werk ganz besonders
-auch den Chemikern zu empfehlen, für die es eine Fülle von Belehrung
-und Anregung birgt. --
-
- (Edmund O. von Lippmann in der Chemikerzeitung Nr.
- 32. 1911).
-
-Aus diesen ganz kurzen Inhaltsangaben geht ohne weiteres hervor, daß
-wir es hier mit einem Werke zu tun haben, das die Naturwissenschaften
-als Ganzes in ihrem Werdegange verfolgt. Dieser Versuch, in einem Werke
-von verhältnismäßig geringem Umfang alles, auch für jemand, der nicht
-selbst auf dem Gebiet arbeitet, sondern sich im allgemeinen darüber
-unterrichten will, lesbar zusammenzufassen, ist sehr zu begrüßen.
-Denn wie der Verfasser in der Einleitung zum ersten Band hervorhebt,
-erhalten die zahllosen Einzelergebnisse der Forschung erst im
-Gesamtbild ihren vollen Wert. --
-
- (C. Matschoß in der Zeitschrift des Vereins
- deutscher Ingenieure Nr. 13. 1911).
-
-In kürzester Frist ist dem ersten Bande dieses ausgezeichneten Werkes
-der zweite gefolgt. Man weiß nicht, was man mehr bewundern soll,
-die überraschende Belesenheit des Autors oder seine Gabe, selbst
-die schwierigsten Probleme wissenschaftlicher Forschung nicht nur
-dem Kenner, sondern auch dem interessierten Laien leichtfaßlich
-in ernst-vornehmer Form vorzutragen. Ein Vorzug dieses zweiten
-Bandes gegenüber dem ersten liegt in der größeren Beigabe von guten
-Abbildungen.
-
- (Pharmazeutische Zeitung Nr. 13. 1911.)
-
-Besonders dankenswert erscheint, wie *Dannemann* in allen diesen
-Wissenschaften die verbindenden großen Gedanken herauszuschälen
-weiß, die im hohen Maße geeignet sind, die Vertreter der einzelnen
-naturwissenschaftlichen Disziplinen vor Einseitigkeit zu bewahren. Es
-handelt sich hier aber nicht um ein Werk für den Fachmann allein, jeder
-gebildete Mensch wird daraus reiche Anregung schöpfen.
-
- (Ärztliche Rundschau XX. Jahrgang Nr. 47. 1910.)
-
-Dem Techniker, dem Lehrer, dem Arzte, jedem, der sich lebhafter
-für Naturwissenschaften interessiert, vor allem also auch unseren
-Studierenden, dürfte das Buch eine unerschöpfliche Quelle des Genusses
-und der Anregung sein. Einen ganz besonderen Wert besitzt das Werk
-dadurch, daß es gewissermaßen den Rahmen für *Ostwalds* Klassiker der
-exakten Wissenschaften (jetzt 173 Bände) abgibt und so die Beziehungen
-aufweist, durch welche die einzelnen Gebiete sich gegenseitig
-beeinflußt haben.
-
-Für die Hebung der Kultur unseres Volkes kann dieses Buch, das die
-Wissenschaft und ihre Erfolge als etwas Werdendes vorstellt, von
-größtem Nutzen sein, da es die Erfolge fortschrittlichen Denkens
-gegenüber den Schwächen dogmatischer Gesinnung aufs deutlichste
-vergegenwärtigt.
-
- (Prometheus, XXII. Jahrgang. 26. Nov. 1910.)
-
-Das erfolgreiche Bestreben des Verfs., stets nur die für den
-Fortschritt der Wissenschaften wirklich bedeutungsvollen Ereignisse
-zu berücksichtigen und die Entwicklung der Naturwissenschaften in
-ihren Beziehungen zu den übrigen Wissenschaften, insbesondere zur
-Philosophie, Mathematik und Technik darzustellen, gereicht dem Werke zu
-besonderem Vorteil und macht es dienlich für jeden, der sich für die
-Naturwissenschaften interessiert.
-
- (W. May im Zoologischen Zentralblatt 18. Jahrgang
- Nr. 110.)
-
-Wenn die weiteren Bände (bei denen die Schwierigkeiten der Darstellung
-natürlich steigen, je mehr die Schilderung sich unserer Zeit nähert,
-wo der Stoff fast unübersehbar anschwillt) das halten, was der erste
-verspricht, so wird uns D. ein Werk schenken, das einzigartig dasteht.
-
- (Literarisches Zentralblatt für Deutschland Nr. 44.
- 1910.)
-
-Des Verfassers Grundriß einer Geschichte der Naturwissenschaften
-hat in zweiter Auflage *G. W. A. Kahlbaum* (I, 160 u. III, 75)
-in anerkennendster Weise besprochen und zugleich die Gefühle
-ausgesprochen, die angesichts der Erfolge dieses Werkes jeden
-Historiker der Naturwissenschaften beseelen müssen. Aus den
-gleichen Gründen begrüßen wir es heute freudigst, daß unser
-Gesellschaftsmitglied und Mitarbeiter den zweiten Teil dieses Buches zu
-einem vierbändigen Werke ausgestalten will und davon bereits den ersten
-Band vorzulegen vermag.
-
- (H. Stadler in den Mitteilungen zur Geschichte der
- Medizin und der Naturwissenschaften Bd. X. 2. Heft.)
-
-Der soeben erschienene 2. Band dieses großen Werkes behandelt die Zeit
-von Galilei bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, also jene Epoche, in
-welcher die Grundlagen der neueren Naturwissenschaft gelegt wurden.
-Auch in diesem Bande hat sich der Verfasser mit Erfolg bemüht, eine
-Darstellung zu schaffen, die nicht nur dem Historiker dient, sondern
-für jeden anregend ist, der sich überhaupt für die Naturwissenschaften
-interessiert.
-
- (Kölnische Zeitung 20. Februar 1911.)
-
-Der Verfasser sagt zu wenig von sich, wenn er seine Arbeit als
-Ergänzung zu *Ostwalds* großem Unternehmen einschätzt; sie hat
-einen ganz eminenten Eigenwert; sie zeigt zum ersten Male in
-zusammenfassender Weise den Arbeitsanteil einzelner Völkergruppen
-an der Ausbildung einer Wissenschaft, die, mehr als jede andere,
-unmittelbar zurückstrahlt auf die Gesamtkultur. Und dieser eigenartige
-Zusammenhang ist es, den der Verfasser mit Erfolg und bedeutender
-Sachkenntnis herausgehoben hat. So steckt er seinem Werk ein großes
-und weites Ziel. Ganz überraschende Schlaglichter fallen da auf die
-einzelnen Gebiete, die, in getrennter Einzeldarstellung, nie so
-plastisch herausgearbeitet werden konnten.
-
-Jeder Historiker wird sich dieses Werk aneignen müssen. Und abgesehen
-vom Fachmann sollte jeder, der sich für Kulturprobleme interessiert,
-sei er nun Lehrer, Student, Techniker, Arzt -- jeder Gebildete
-überhaupt -- sollte sich vom Verfasser in diese großen Zusammenhänge
-hineinführen lassen; denn erst in ihren Zusammenhängen wird uns das
-Wesen und die Wirkung einer Wissenschaft verständlich.
-
- (Badische Schulzeitung 21. Januar 1911.)
-
-Jeder Lehrer, dem daran gelegen ist, der wichtigen Forderung
-(Hineinziehung des geschichtlichen Elements in den
-exaktwissenschaftlichen Unterricht) gerecht zu werden, wird daher
-mit Freuden das Erscheinen eines neuen Werkes von *Dannemann*
-begrüßen, das dazu bestimmt ist, ein ausführliches Gesamtbild von dem
-Entwicklungsgange aller naturwissenschaftlichen Disziplinen im engen
-Zusammenhange mit der Mathematik und mit der allgemeinen Geschichte zu
-geben.
-
-Ähnlich wie *Cantors* Vorlesungen über Geschichte der Mathematik
-ein »standard work« allerersten Ranges bleiben werden, so wird
-auch *Dannemanns* Werk von bleibendem Wert sein, das für den
-Geschichtsforscher wie für den Mediziner, für den Lehrer wie für den
-Techniker großen Nutzen haben und dessen Lektüre für jeden, der sich
-für die Naturwissenschaften interessiert, eine Quelle hohen Genusses
-bilden wird.
-
- (Monatsschrift für höhere Schulen, 6. Heft 1911.)
-
-
-Dr. Fr. Dannemann,
-
-Aus der Werkstatt großer Forscher.
-
-Allgemeinverständliche erläuterte Abschnitte aus den Werken
-hervorragender Naturforscher aller Völker und Zeiten.
-
-3. Aufl., geb. =6,80 Mk.=
-
-Aus den Besprechungen der ersten Auflage.
-
-Der Leser gewinnt hierdurch *ein klares und anschauliches Bild nicht
-allein von der Bedeutung der Leistung des betreffenden Forschers,
-sondern auch von der Eigenart seiner Geistesarbeit und seiner
-Darstellungsweise und kann so die Entwicklung der Gesamtwissenschaft,
-wenn auch nur skizzenhaft, in objektiver Form verfolgen*.
-
- (Naturwissensch. Rundschau 1897. Nr. 26.)
-
-*Daß die Bekanntschaft mit den Quellen auch die reiferen Schüler nach
-jeder Richtung hin fördert und anregt, ist... anerkannt; demgemäß hat
-man eine Reihe von Hilfsmitteln solcher Art bereits in den Dienst der
-höheren Schule gestellt.* Dem Verf. vorliegenden Werkes ist es hoch
-anzurechnen, daß er eine solche, bis *dahin fehlende Quellensammlung
-aus dem Gesamtgebiet der Naturwissenschaften* veranstaltet und damit
-auch dem naturwissenschaftlichen Lehrer ein treffliches Anregungsmittel
-geboten hat.
-
- (Literarisches Zentralblatt 1896. Nr. 41.)
-
-Let us hope the English language will soon possess a like work.
-
- (Pharmaceutical Review 1896. Nr. 12.)
-
-The choice of material is excellent and too much has been offered in
-no case, the collection is as admirable for what it omits as for what
-it includes.
-
- (Journal of Physical Chemistry Nr. 3. 1896.)
-
-*Den Schülerbibliotheken sei die Anschaffung des Grundrisses in
-zahlreichen Exemplaren besonders empfohlen*, um diese beim Unterricht
-unter möglichst viele Schüler verteilen zu können. Ebenso wird das Buch
-zu Prämien nützlichste Verwendung finden.
-
- (Jahresberichte üb. d. höhere Schulwesen. XI.
- Jahrg.)
-
-Auch erfolgten Empfehlungen seitens höherer Schulbehörden wie des
-Großherzoglich Badischen Oberschulrates, der Königl. Württemb.
-Kultusministerial-Abteilung und des k. k. österr. Kultusministeriums.
-
-
-Inhalt.
-
- 1. Aristoteles begründet die Zoologie.
- 2. Theophrast begründet die Botanik.
- 3. Archimedes entwickelt die Prinzipien der Mechanik.
- 4. Des Archimedes Sandesrechnung.
- 5. Die Begründung der Mechanik der Gase und Dämpfe.
- 6. Die naturwissenschaftlichen Kenntnisse des Altertums werden von
- Plinius gesammelt.
- 7. Die Naturwissenschaften im Mittelalter.
- 8. Die Aufstellung des heliozentrischen Weltsystems.
- 9. Die Ausbreitung der Koppernikanischen Lehre durch Galilei.
- 10. Die Entdeckung der Jupitermonde und der Saturnringe.
- 11. Galilei als Begründer der Dynamik.
- 12. Der weitere Ausbau der Astronomie durch Kepler.
- 13. Kepler begründet die neuere Optik.
- 14. Gilbert erforscht die Natur des Magneten. 1600.
- 15. Bacons Eintreten für die induktive Forschungsweise. 1620.
- 16. Pascal entdeckt die Abhängigkeit des Barometerstandes von der Höhe
- des Ortes. 1648.
- 17. Die Erfindung der Luftpumpe.
- 18. Newton erforscht die Natur des Sonnenlichtes. 1670.
- 19. Newton entdeckt das Gravitationsgesetz. 1682.
- 20. Newton entwickelt die Prinzipien der Naturlehre.
- 21. Das Licht wird von Huygens für eine Wellenbewegung des Äthers
- erklärt. 1678.
- 22. Die Entdeckung des Mariotteschen Gesetzes.
- 23. Das Auftauchen der ersten klaren Vorstellungen über die Verbrennung
- und die Atmung.
- 24. Swammerdam zergliedert die Insekten.
- 25. Die Begründung der Pflanzenphysiologie.
- 26. Celsius führt die hundertteilige Thermometerskala ein.
- 27. Die Lehre von der Sexualität der Pflanzen.
- 28. Das künstliche Pflanzensystem Linnés.
- 29. Die Polypen werden als tierische Organismen erkannt.
- 30. Kant erklärt den Ursprung des Weltgebäudes. 1755.
- 31. Laplace entwickelt ähnliche Ansichten über den Ursprung des
- Weltgebäudes wie Kant. Kant-Laplacesche Hypothese. 1796.
- 32. Herschel begründet die Astronomie der Fixsterne.
- 33. Die Meteore werden als kosmische Massen erkannt. 1794.
- 34. Die Wellentheorie findet einen hervorragenden Verfechter. 1760.
- 35. Die photometrischen Grundbegriffe.
- 36. Die Erfindung des Blitzableiters. 1753.
- 37. Die Entdeckung der elektrischen Influenz und der Pyroelektrizität.
- 1758.
- 38. Scheele entdeckt den Sauerstoff und analysiert die atmosphärische
- Luft. 1773.
- 39. Lavoisier erklärt die Verbrennungserscheinungen. 1774.
- 40. Die Erfindung des Eiskalorimeters und die Bestimmung von spezifischen
- Wärmen und Verbrennungswärmen mittelst desselben. 1780.
- 41. a) Die Entdeckung der galvanischen Elektrizität.
- b) Volta, Über die Elektrizität, welche durch die bloße Berührung
- verschiedenartiger leitender Stoffe hervorgerufen wird.
- 42. Die Botanik unter dem Einflusse der Metamorphosenlehre.
- 43. Die Begründung der Blütenbiologie.
- 44. Saussure begründet die Ernährungsphysiologie der Pflanzen. 1800.
- 45. Das Menschengeschlecht wird in fünf Rassen eingeteilt.
- 46. Cuvier begründet durch Verschmelzung der Zoologie mit der
- vergleichenden Anatomie ein natürliches System. 1812.
- 47. Die Aufstellung der atomistischen Hypothese. 1808.
- 48. Gay-Lussac entdeckt das Volumgesetz. 1808.
- 49. Das von Courtois (1811) entdeckte Jod wird von Gay-Lussac eingehend
- untersucht.
- 50. Die Entdeckung von Natrium und Kalium. 1807.
- 51. Die Entdeckung des Aluminiums. 1827.
- 52. Cuviers Katastrophentheorie. 1812.
- 53. Lyell begründet die neuere Richtung der Geologie. 1830.
- 54. Die Entdeckung des Elektromagnetismus. 1820.
- 55. Die Entdeckung der galvanischen und der magnetischen Induktion. 1832.
- 56. Es werden die experimentellen Grundlagen für eine elektromagnetische
- Theorie des Lichtes gewonnen.
- 57. Die Entdeckung des Diamagnetismus.
- 58. Die Erfindung der Photographie.
- 59. Die Physiologie erhält durch Johannes Müller eine wissenschaftliche
- Grundlage.
- 60. Die Zelle wird als das Elementarorgan des tierischen und pflanzlichen
- Organismus erkannt. 1839.
- 61. Die Physiologie wendet sich gegen die Annahme einer besonderen
- Lebenskraft.
- 62. Liebig beantwortet die Frage nach der Ernährung der Pflanzen. 1840.
- 63. Die Kryptogamenkunde wird durch wichtige Beobachtungen über die
- Fortpflanzung der Algen bereichert.
- 64. Darwin erklärt die Entstehung der Koralleninseln.
- 65. Carnot entwickelt eine Theorie der Dampfmaschine. 1824.
- 66. Die erste Bestimmung der Entfernung eines Fixsterns. 1838.
- 67. Das Dopplersche Prinzip. 1842.
- 68. Das Prinzip von der Erhaltung der Kraft.
- 69. Die Entdeckung des Ozons. 1840.
- 70. Der rote Phosphor wird als eine Modifikation des Elementes Phosphor
- erkannt. 1850.
- 71. Alexander von Humboldt vereinigt die Summe des Naturwissens seiner
- Zeit zu einem Gesamtbilde. 1845.
- 72. Kirchhoff und Bunsen schaffen die Spektralanalyse.
- 73. Pasteur weist nach, daß auch die niedrigsten Organismen aus Keimen
- und nicht durch Urzeugung entstehen. 1860.
- 74. Das Protoplasma wird als die Grundlage des organischen Lebens
- erkannt.
- 75. Hertz erforscht die Beziehungen zwischen dem Licht und der
- Elektrizität.
-
-
-Nachdem wir beim Erscheinen der *dritten Auflage* des Werkes:
-*Dannemann*, Grundriß einer Geschichte der Naturwissenschaften den
-Preis für den I. Band:
-
-+Aus der Werkstatt großer Forscher+
-
-auf =6 Mk.= herabgesetzt haben, offerieren wir den II. Band
-
-Die Entwicklung der Naturwissenschaften
-
-zu dem gleichfalls herabgesetzten Preise von =8 Mk.= Beide Bände
-zusammen sind für =12,50 Mk.= (gebunden für =14,50 Mk.=) zu beziehen.
-
-
-Von demselben Verfasser erschienen ferner:
-
- +=Otto von Guerickes neue »Magdeburgische« Versuche über den leeren
- Raum=+ (Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften Nr. 59). Mit
- 15 Textfiguren. Leipzig, 1894. Verlag von *Wilhelm Engelmann*.
- Geb. M. 2.--.
-
- +=Leitfaden für den Unterricht im chemischen Laboratorium.=+ Vierte
- Auflage. 1909. *Hahn*sche Buchhandlung in Hannover und Leipzig.
- (Als Vorwort diene des Verfassers Abhandlung Ȇber die Bedeutung,
- Einrichtung und Leitung praktischer Übungen im Laboratorium.«
- *Fries* und *Meyer*, Lehrproben und Lehrgänge. Heft XXXV.) M. 1.80.
-
- +=Der naturwissenschaftliche Unterricht auf praktisch-heuristischer
- Grundlage.=+ brosch. M. 6.--. Dasselbe gebunden M. 6.80.
- *Hahn*sche Buchhandlung in Hannover und Leipzig. 1907.
-
- +=Naturlehre für höhere Lehranstalten, auf Schülerübungen
- gegründet.=+ 2 Teile. *Hahn*sche Buchhandlung in Hannover und
- Leipzig. 1908. geb. M. 6.40.
-
- Die »Naturlehre« ist nach den Gesichtspunkten verfaßt, die
- in dem Buche »=Der naturwissenschaftliche Unterricht auf
- praktisch-heuristischer Grundlage=« entwickelt wurden. Sie ist
- der erste Versuch, den Unterrichtsstoff =mit grundlegenden
- Schülerübungen in engste Verbindung zu setzen=. Der erste Teil
- enthält den Lehrstoff für Chemie und Mineralogie; zwei kurze
- Abschnitte bringen das Wichtigste aus der Geologie und eine
- Anleitung zu pflanzenphysiologischen Versuchen. Der zweite Teil
- bringt die Physik.
-
- +=Quellenbuch zur Geschichte der Naturwissenschaften in
- Deutschland.=+ (Deutsche Schulausgaben Nr. 39.) 158 Seiten. Geb.
- M. 1.20. Verlag von *L. Ehlermann* in Dresden.
-
-
-Bei der Transkription vorgenommene Änderungen und weitere Anmerkungen:
-
-In "Die Bestäubung der weiblichen Misteln, sie mögen nun mit den
-männlichen auf einem Baume stehen oder in großer Entfernung auf anderen
-Bäumen wachsen" stand "wirklichen" statt "weiblichen".
-
-Im Abschnitt "*Gauß* gebührt indessen außer der selbständigen und seinen
-eigenen Angaben nach viel früheren Entdeckung das Verdienst, daß er es
-war, der diese Methode in einem fundamentalen Werke wissenschaftlich
-begründete und die Begriffe schuf, auf denen alle neueren Arbeiten über
-diese Methode beruhen." fehlte ein Verweis auf die Fußnote "Theoria
-combinationis observationum erroribus minimis obnoxiae. 1821.". Dieser
-wurde nach "fundamentalen Werke" eingefügt.
-
-Im Absatz "*Ampère* zeigte darauf, daß infolgedessen der Leiter, wenn
-nur der Erdmagnetismus auf ihn wirkt, eine Stellung einnimmt, in
-welcher seine Ebene den magnetischen Meridian senkrecht schneidet[378].
-Diese Entdeckung erregte ein Aufsehen wie wenig andere[379]. *Ampère*
-beschreibt sie mit folgenden Worten: »Hängt man in der in Abbildung
-41 dargestellten Weise einen beweglichen Leiter auf, ohne daß in der
-Nähe dieses Leiters ein anderer Teil des Stromkreises sich befindet.
-(Wir müssen uns also in der Abbildung 41 das Drahtstück CILB, das
-auf den beweglichen Bügel einen richtenden Einfluß ausübt, entfernt
-denken), verbindet man hierauf die Kapseln C und Z mit den Polen der
-galvanischen Batterie, so sieht man den Bügel sich drehen, bis seine
-Ebene zu derjenigen des magnetischen Meridians NS senkrecht steht
-und der Strom in dem unteren Teil des Leiters, also in FG, von Ost
-nach West gerichtet ist, das Südende der Magnetnadel also zur Linken
-liegt.« Ließ *Ampère* den Strom in umgekehrter Richtung durch den
-Bügel gehen, so drehte sich dieser um einen Halbkreis zurück, um
-endlich nach einigen Schwingungen sich wieder senkrecht zur Richtung
-NS einzustellen." fehlte das Anführungszeichen, welches das Zitat
-abschließt. Nach Sinn- und Textzusammenhang wurde dieses hinter
-"liegt." eingefügt.
-
-Der Name "Légendre/Legendre" ist uneinheitlich geschrieben, es handelt
-sich aber offenbar nicht um Satzfehler, daher wurde die uneinheitliche
-Schreibweise beibehalten.
-
-Der Name "Stephen Grey" ist konsistent (falsch) als "Grey" geschrieben.
-
-In "Meine
-naturwissenschaftlichen Arbeiten", schrieb *Goethe* damals, "sind
-durch *Humboldt* aus ihrem Winterschlafe geweckt worden". fehlten die
-Anführungszeichen für das wörtliche Zitat.
-
-Der mit "Daraus folgt," beginnende Satz in Fußnote 98 ist auch im
-Original unvollständig.
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Die Naturwissenschaften in ihrer
-Entwicklung und in ihrem Zusamme, by Friedrich Dannemann
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE NATURWISSENSCHAFTEN IN ***
-
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+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 57952 *** + + + + + + + + +Umschließungen mit * zeigen "gesperrt" gedruckten Text an, +Umschließungen mit _ kursiven Text, Umschließungen mit = fett +gedruckten Text und Umschließungen mit + unterstrichenen Text. Im +Original sind auch geometrische Angaben (Strecke AB, Dreieck ABC usw.) +gesperrt gedruckt; soweit dazu Großbuchstaben verwendet wurden, und in +Formeln, wurde auf eine entsprechende Markierung in dieser Ausgabe aus +Gründen der Lesbarkeit verzichtet. + +Offensichtliche Druckfehler wurden berichtigt. Im Übrigen wurden +Inkonsistenzen in der Interpunktion und Schreibweise einzelner Wörter +belassen. Eine Liste mit sonstigen Korrekturen finden Sie am Ende des +Buchs. + + + + + + DIE NATURWISSENSCHAFTEN + + IN IHRER ENTWICKLUNG UND + IN IHREM ZUSAMMENHANGE + + DARGESTELLT VON + + FRIEDRICH DANNEMANN + + DRITTER BAND: + + DAS EMPORBLÜHEN DER MODERNEN NATURWISSENSCHAFTEN + BIS ZUR ENTDECKUNG + DES ENERGIEPRINZIPES + + MIT 60 ABBILDUNGEN IM TEXT + UND EINEM BILDNIS VON GAUSS + + Verlag von Wilhelm Engelmann in Leipzig · 1911 + + [Illustration: C. F. Gauß + + (Nach einer Büste von *G. Eberlein*.)] + + + + + DIE NATURWISSENSCHAFTEN + + IN IHRER ENTWICKLUNG UND + IN IHREM ZUSAMMENHANGE + + DARGESTELLT VON + + FRIEDRICH DANNEMANN + + DRITTER BAND: + + DAS EMPORBLÜHEN DER MODERNEN NATURWISSENSCHAFTEN + BIS ZUR ENTDECKUNG + DES ENERGIEPRINZIPES + + MIT 60 ABBILDUNGEN IM TEXT UND + MIT EINEM BILDNIS VON GAUSS + + LEIPZIG + VERLAG VON WILHELM ENGELMANN + 1911 + + + + +Copyright 1911 by Wilhelm Engelmann, Leipzig. + +Druck der Königl. Universitätsdruckerei H. Stürtz A. G., Würzburg. + + + + +Vorwort. + + +Der zweite Band schilderte das Entstehen der neueren Naturwissenschaft. +Er umfaßt den Zeitraum vom Anfang des 17. bis zur Mitte des 18. +Jahrhunderts. Mit dem Ende dieses Abschnitts beginnt die neueste Phase +in der Entwicklung der Naturwissenschaften. Diese Phase bis zu den +Aufgaben der Gegenwart in den Grundzügen darzustellen, ist das Ziel +des 3. und des 4. Bandes des vorliegenden Werkes. Da es sich nicht +um eine bloße Aufzählung der Geschehnisse, sondern um den Nachweis +ihrer inneren Verknüpfung handelt, so ist bei dem Ineinandergreifen +der verschiedenen Gebiete eine scharfe Gliederung nach chronologischen +Gesichtspunkten nicht möglich. Will man eine Schranke ziehen, so +würde sie etwa mit dem Zeitpunkt der Entdeckung des Energieprinzips +zusammenfallen. In der Hauptsache schildert der vorliegende dritte +Band den großen Umschwung, den die Naturwissenschaften durch die +Begründung der neueren Chemie, der Elektrizitätslehre, den Ausbau der +übrigen Teile der Physik, sowie die Ausdehnung der experimentellen +Forschungsweise auf die Wissenschaft vom Leben erfuhren. Dem vierten +und letzten Bande bleibt es vorbehalten, den großartigen Aufschwung zu +schildern, den die Naturwissenschaften im weiteren Verlauf des 19. und +im Beginn des gegenwärtigen Jahrhunderts genommen haben. + +Auch in dem vorliegenden Bande war es das Bestreben des Verfassers, die +Schilderung im Rahmen der Gesamtentwicklung zu halten, die Beziehungen +der Naturwissenschaften zu den Nachbargebieten aufzuweisen und vor +allem nur dasjenige zu bringen, was zum tieferen Verständnis des +heutigen Wissenschaftsgebäudes beiträgt. + + Friedrich Dannemann. + + + + +Inhalt. + + + Seite + + 1. Wissenschaft und Weltgeschichte 1 + + 2. Das 18. Jahrhundert errichtet die Fundamente der + Elektrizitätslehre 6 + + 3. Praktische und theoretische Fortschritte auf dem Gebiete der + Wärmelehre 33 + + 4. Die Naturbeschreibung unter der Herrschaft des künstlichen + Systems 60 + + 5. Die Ausdehnung der physikalischen Methoden auf das Gebiet der + Pflanzenphysiologie 69 + + 6. Der Ausbau der im 17. Jahrhundert begründeten Sexualtheorie 80 + + 7. Fortschritte der Zoologie im 18. Jahrhundert 99 + + 8. Die neuere Mathematik und ihre Beziehungen zu den + Naturwissenschaften 116 + + 9. Die wissenschaftliche Chemie von ihrer Begründung durch Boyle + bis zu ihrer Erneuerung durch Lavoisier 138 + + 10. Der Eintritt der Chemie in das Zeitalter der quantitativen + Untersuchungsweise 155 + + 11. Die Aufstellung der atomistischen Hypothese und ihre + experimentelle Begründung 175 + + 12. Die Entdeckung der galvanischen Elektrizität 189 + + 13. Die Begründung der Elektrochemie 211 + + 14. Die Erforschung der elektromagnetischen und der + elektrodynamischen Grunderscheinungen 223 + + 15. Die Entdeckung der Thermoelektrizität 237 + + 16. Der insbesondere durch Laplace und Herschel bewirkte + Aufschwung der Astronomie 241 + + 17. Die Grundlagen der mechanischen Wärmetheorie 264 + + 18. Fortschritte der Optik und Sieg der Wellentheorie 272 + + 19. Die Chemie und die Physik treten in engere Wechselbeziehungen 282 + + 20. Fortschritte in der Anwendung der Mathematik auf die + Naturwissenschaften 296 + + 21. Die Begründung der physikalischen Erdkunde 319 + + 22. Die Mineralogie unter dem Einfluß der chemisch-physikalischen + Forschung 340 + + 23. Die Aufstellung eines natürlichen Pflanzensystems 350 + + 24. Die Physiologie der Pflanzen unter dem Einfluß der neueren + chemisch-physikalischen Forschung 360 + + 25. Die Verschmelzung der Zoologie mit der vergleichenden Anatomie + und das natürliche System der Tiere 376 + + 26. Geologie und Paläontologie unter der Herrschaft der + Katastrophenlehre 385 + + 27. Fortschritte in der Begründung der Ontogenie + (Entwicklungslehre) 390 + + + + +1. Wissenschaft und Weltgeschichte. + + +Die bisherige Darstellung reicht bis etwa zur Mitte des 18. +Jahrhunderts. Ein kurzer Rückblick im Rahmen der Weltgeschichte möge +die Entwicklung vergegenwärtigen, welche die Naturwissenschaften +bis zu jenem Zeitpunkt genommen. Die Grundlagen, auf denen sich die +Wissenschaft wie die gesamte Kultur des Altertums erhoben, entstammten +dem Orient. Dort wurde lange vor dem Beginn der griechischen +Geschichte eine gewaltige, auf die Mathematik, die Astronomie, die +Heilkunde und die drei Naturreiche sich beziehende Summe von Tatsachen +bekannt. Den Griechen blieb es vorbehalten, die Einzelkenntnisse zu +wissenschaftlichen Systemen zusammenzufassen und die Philosophie +ins Leben zu rufen. Philosophie und Wissenschaft sahen wir seit der +Blütezeit des griechischen Lebens die gleiche Aufgabe verfolgen. Sie +lautet Welterklärung. Bei gleichem Ziele waren die Ausgangspunkte +und folglich auch die Wege verschieden. Die Philosophie stellte +das denkende Subjekt, die Wissenschaft die Summe der von außen +herantretenden Erfahrungen in den Mittelpunkt der Betrachtung. Die +philosophierende und die forschende Tätigkeit gingen während des +Altertums Hand in Hand. Wir sahen sie sogar oft in derselben Person +vereinigt. Das galt von Plato nicht minder als von Aristoteles, dem +Schöpfer des größten philosophischen und naturwissenschaftlichen +Systems, welches das Altertum hervorgebracht hat. + +Es war ein Mangel des Altertums, daß genaues Beobachten und überlegtes +Experimentieren noch nicht genügend als die Grundlagen des Erkennens +gewürdigt wurden. Dies führte zu Vorstellungen, die ihre Wurzel mehr +in der Phantasie, als in der Erfahrung hatten. Beispiele hierfür bot +uns insbesondere das Lehrgebäude des Aristoteles. Doch fehlte es auch +nicht an Männern, die wie Archimedes im Sinne des modernen Forschers +ihre Lehren auf Versuche und auf die Verknüpfung der Mathematik mit der +Naturwissenschaft aufbauten. Auch die alexandrinischen Gelehrten haben +durch ihre mehr auf die Gegenstände als auf das Allgemeine gerichtete +Forschung Großes in der Astronomie, der Erdbeschreibung und der Physik +geleistet. Eine wichtige Förderung der Naturkenntnis erwuchs dem +Altertum aus der Technik. Auf diesem Gebiete sahen wir auch die mehr +praktischen als wissenschaftlichen Zielen zugewandten Römer tätig. + +Das Ende der römischen Herrschaft bedeutet einen tiefen Einschnitt +nicht nur in der Weltgeschichte, sondern auch in der Entwicklung der +Naturwissenschaften. Sie fanden innerhalb der christlich-germanischen +Kultur zunächst nicht den ihnen gebührenden Platz. Daß die Schöpfungen +der Alten bis in die neuere Zeit erhalten blieben, ist das +Hauptverdienst des arabischen Zeitalters. Erst im 13. Jahrhundert, nach +der Berührung des Abendlandes mit dem Orient, lebten die Wissenschaften +in Italien und in West- und Mitteleuropa wieder auf. Aus dem Studium +des von den Arabern bearbeiteten astronomischen Hauptwerks des +Altertums erwächst die neuere Astronomie. Durch ihre Verbindung mit +der Nautik werden die Entdeckungsreisen ermöglicht. Die Ausdehnung +des geographischen Gesichtskreises über den ganzen Erdball und die +Befreiung von den Formen des mittelalterlichen Denkens und Fühlens +bedingen einen Einschnitt von gleicher Wichtigkeit wie ein Jahrtausend +vorher der Untergang der alten Welt. Als ein anderer, ein neuer, tritt +der Mensch an die Natur heran. Er lernt die Fesseln der Autorität +abstreifen und die Augen öffnen. Infolgedessen entstehen die ersten +Ansätze zur Neubegründung der beschreibenden und der experimentellen +Naturwissenschaften. Wie auf dem astronomischen Gebiete, so bilden auch +hier die nach dem Fall Konstantinopels in größerer Zahl nach Westeuropa +gelangenden Schriften der Alten den Stütz- und Ausgangspunkt für die +Bestrebungen der Neuzeit. Eine weitere Stütze erwächst der neueren +Wissenschaft in der Erfindung des Buchdrucks, dem Emporblühen des +Städtewesens und der Umwandlung der mittelalterlichen Feudalherrschaft +in den geordneten Staat. + +Ihren Höhepunkt erreicht diese Bewegung im 17. Jahrhundert. Die +wohlhabenden italienischen Städte und die größeren europäischen +Staaten, vor allem Frankreich und England, beginnen, die Pflege der +Wissenschaft als eine ihrer Aufgaben zu erkennen. Die Hochschulen +werden zu Stätten freierer Forschung. Wissenschaftliche Akademien +treten ins Leben. Daß der Sieg des Neuen trotzdem kein leichter war, +lehrte uns die Lebensgeschichte Galileis. Gestützt auf die Gunst +der Mediceer und des venetianischen Senats vermochte es Galilei, die +aristotelische Physik zu stürzen und auf ihren Trümmern die neuere +Mechanik zu begründen. Was er begonnen, setzten in Italien zahlreiche +Schüler fort. Sie riefen unter dem Namen der Akademie des Versuches +eine Vereinigung ins Leben, die indessen bald infolge der in Italien +herrschenden hierarchischen Strömung wieder aufgelöst wurde. Der +Gegensatz zwischen Wissen und Glauben trat im 17. Jahrhundert, im +Zeitalter der großen Religionskriege, in allen Ländern mit besonderer +Schärfe hervor. Die protestantischen Teile Europas machten in dieser +Hinsicht nicht etwa eine Ausnahme. Dieser Gegensatz war nicht nur das +Verhängnis eines *Giordano Bruno* und eines *Galilei*, er griff gleich +unheilvoll in das Leben *Keplers* ein. + +Jede Betätigung und jedes Bedürfnis zahlreicher einzelner findet seine +Stütze in dem Staat, der ja nichts weiter ist als der Zusammenschluß +der einzelnen. Zu den allgemeinsten Betätigungen gehören das Wissen +und der Glauben. Für das, was sie hervorbringen, für die Wissenschaft +und für die Religion, hatte der Staat seit alters in den Schulen +und in der Kirche seine besonderen Veranstaltungen geschaffen. Das +Mittel, durch welches Schule und Kirche bis zum 17. Jahrhundert sich +vorzugsweise betätigt hatten, war die Lehre durch Schrift und Wort. +Daher das Übergewicht der Autorität während dieses Zeitraums und der +Mangel an innerem Wachstum. Ein solches konnte nur die von den Fesseln +der Autorität befreite Forschung verleihen. Sie regte sich zuerst +auf dem Gebiete der dem Wirklichen zugewandten Wissenschaft. Hier +zeigt es sich, daß eine neue, auf den Versuch und eigene Beobachtung +sich gründende Methode allein die Sicherheit bietet, das Richtige +vom Unrichtigen, Wahrheit von Irrtum zu unterscheiden. Daher die +überwältigende Macht, mit der die neuere Wissenschaft alle Hindernisse +hinwegräumt und rasch die größten Erfolge erringt, während die dem +Jenseits zugewandte Religion und ihre Institution, die Kirche, da es +ihr an einem ähnlichen Mittel gebricht, an der Autorität festhält, ja, +diese Autorität um so mehr hervorkehrt, je mehr die Wissenschaft sich +ihrer zu entledigen sucht. + +Für die Naturwissenschaften kam noch der fördernde Umstand hinzu, daß +man aus ihrer Pflege einen unmittelbaren Nutzen zu erzielen wußte. An +der Pflege der Botanik und der Zoologie hatte die Heilkunde das größte +Interesse. Die Ergebnisse der Physik, der Chemie und der Mineralogie +kamen vielen Gewerben zugute. Die Astronomen hatten der Kartographie, +der Zeitbestimmung und in neuerer Zeit vor allem der Nautik jedermann +in die Augen springende Dienste erwiesen. Die Leistungen all dieser +Zweige wurden seit der Erneuerung der Naturwissenschaften in hohem Maße +gefördert durch die Erfindung zahlreicher Instrumente und durch die +ausgedehnte Anwendung der Mathematik. Die Bewaffnung des Auges mit dem +Fernrohr und mit dem Mikroskop, die Erfindung des Thermometers, der +Luftpumpe, des Barometers und mancher anderen für die Forschung und für +das Leben gleich wichtigen Instrumente ermöglichten die Schöpfung eines +Weltbildes, das sich von dem mittelalterlichen in fast allen Teilen +unterschied. In der Neugestaltung und der Verknüpfung der Mathematik +mit den Naturwissenschaften leistete die *Newton-Huygens*-Periode das +Hervorragendste. Ihr wertvollstes Ergebnis bestand in der Verknüpfung +der Mechanik mit der Astronomie durch *Newtons* Weltgesetz. Die +wichtigsten Pflegestätten der Wissenschaften waren in jenem Zeitalter +England und die Niederlande. Hier genoß das Individuum zuerst diejenige +Befreiung von staatlicher und kirchlicher Bevormundung, die als das +Lebenselement der Wissenschaft betrachtet werden muß. In Frankreich +dagegen war die Autorität des Staates und der Kirche damals so mächtig, +daß ihr selbst der große *Huygens* das Feld räumte, nachdem er lange +eine Zierde der Pariser Akademie gewesen. Deutschland litt unter den +Folgen des dreißigjährigen Krieges. Und wenn auch einzelne Großes +leisteten, vermochte dennoch hier die Wissenschaft als Ganzes nicht +mit der geistigen Entwicklung der politisch erstarkten Länder gleichen +Schritt zu halten. + +Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts machte sich auf allen Gebieten +des geistigen, sowie des sozialen Lebens ein Umschwung bemerkbar, +der für die gesamte Kulturentwicklung den Beginn einer neuen Phase +bedeutete. In der Staatengeschichte erreichte dieser Vorgang seinen +Höhepunkt in der französischen Revolution, mit welcher der Historiker +die neueste Zeit beginnen läßt. Die Geschichte der Wissenschaften +verzeichnet zwar gleichfalls einen mit der sozialen und politischen +Entwicklung Schritt haltenden Wechsel; ihren Geschehnissen ist aber das +scheinbar Unvermittelte bei weitem nicht in solchem Maße eigen wie den +politischen Begebenheiten. + +Die Naturwissenschaften waren auf dem Punkte angelangt, daß zahlreiche +Kräfte sich zu ihrem weiteren Ausbau die Hand reichen mußten, +während in den vorhergehenden Perioden der einzelne noch einen +überwiegenden Einfluß ausgeübt hatte. Das neueste Zeitalter in der +Entwicklung der Wissenschaften, dem unsere weitere Darstellung gilt, +wird dementsprechend auch nicht durch eine hervorragend wichtige +Entdeckung oder durch das Auftreten eines bedeutenden Forschers +eingeleitet. Während für die Chemie eine neue Epoche beginnt, wandeln +die Astronomie und die Mechanik in den eingeschlagenen Bahnen weiter. +Die Prinzipien der letzteren werden in immer höherem Maße auf die +übrigen Teile der Physik angewandt, welcher sich mit der Entdeckung +der galvanischen Elektrizität ein neues, wichtiges Gebiet erschließt. +Auch die Zoologie und die Botanik werden von einem Wechsel betroffen. +Auf das Vorherrschen der Systematik folgt eine Richtung, in der +morphologische und bald darauf auch physiologische Fragen an die erste +Stelle rücken. Etwa in die Mitte des 19. Jahrhunderts fällt dann die +großartige Verallgemeinerung und Verknüpfung der gesamten bisherigen +Forschungsergebnisse infolge der Durchführung des Prinzips von der +Erhaltung der Kraft. Die Betrachtung der dann folgenden letzten +Entwicklungsstufen wird uns bis zu den Aufgaben des Tages führen und +schließlich einen Ausblick in eine verheißungsvolle Zukunft eröffnen. + + + + +2. Das 18. Jahrhundert errichtet die Grundlagen der Elektrizitätslehre. + + +Während die Physik im 17. Jahrhundert ihre Fortschritte vorzugsweise +auf den Gebieten der Mechanik und der Optik, den ältesten Zweigen der +Naturlehre, zu verzeichnen hatte, war das 18. Jahrhundert insbesondere +dem Ausbau des von *Gilbert* und *Guericke* erschlossenen Gebietes +der Reibungselektrizität gewidmet. *Gilbert* hatte zum erstenmal den +Unterschied zwischen magnetischer und elektrischer Anziehung scharf +hervorgehoben[1], während *Guericke* die elektrische Abstoßung entdeckt +und die erste maschinelle Vorrichtung zur Erzeugung von Elektrizität +ins Leben gerufen hatte. Leider wurde *Guerickes* Apparat zunächst +nicht benutzt. Man begnügte sich damit, Elektrizität zu erzeugen, +indem man Glas, Bernstein und andere geeignete Stoffe aus freier Hand +rieb. Trotzdem gelang es, elektrische Entladungen von solcher Wirkung +hervorzurufen, daß nicht nur ein Knistern, sondern auch das Auftreten +von Funken bemerkt wurde. Ein Beobachter erwähnt sogar, »dieses Licht +und Knistern scheine einigermaßen Blitz und Donner vorzustellen«[2]. + +Auf das Studium der elektrischen Phänomene wurde man besonders +durch eine merkwürdige Beobachtung am Quecksilberbarometer gelenkt. +*Picard* bemerkte im Jahre 1675, daß sich bei völliger Dunkelheit +beim Erschüttern der Quecksilbersäule in der *Torricelli*schen Leere +ein eigentümliches phosphoreszierendes Leuchten zeigt. Die sonderbare +Erscheinung erregte großes Aufsehen und rief eine umfangreiche +Literatur hervor. Die richtige Erklärung fand *Francis Hawksbee*, ein +Mitglied der Royal Society. *Hawksbee*, welcher seine Versuche +über diesen Gegenstand seit dem Jahre 1705 in den Philosophical +Transactions veröffentlichte[3], nahm an, daß man es hier mit einer +durch die Reibung des Quecksilbers an dem Glase vor sich gehenden +Elektrizitätserregung zu tun habe. Um seine Ansicht zu beweisen, +stellte er eine hohle Glaskugel auf eine Achse und versetzte sie in +rasche Drehung. Brachte er gleichzeitig die trockene, warme Hand an +diese Kugel, so wurde sie so stark elektrisch, daß man zolllange +Funken erhielt. Wurde die Kugel zuvor luftleer gemacht, so erschien +in ihr dasselbe Leuchten, das man im Quecksilberbarometer beim +Schütteln beobachtet hatte. *Hawksbee* ist somit als der Erfinder der +Glaselektrisiermaschine zu betrachten. Allerdings kam diese Maschine +erst viel später in allgemeinen Gebrauch. Obgleich *Hawksbee* auch +Schwefelkugeln und Siegellackstangen elektrisierte, gelangte er +noch nicht dazu, zwischen positiver und negativer Elektrizität zu +unterscheiden. + +Der Fortschritt auf dem Gebiete der Reibungselektrizität mußte ein +sehr langsamer bleiben, so lange es sich nur um zufällige, durch +keine Theorie verknüpfte Beobachtungen handelte. Dieser allerersten +Stufe jeder exakten Wissenschaft sollte keiner der Hauptzweige der +Physik so spät entwachsen wie gerade die Elektrizitätslehre. Erst im +Verlaufe des 18. Jahrhunderts tritt letztere in das zweite Stadium ein. +Dieses ist dadurch gekennzeichnet, daß man zu einem planmäßigen, von +hypothetischen Vorstellungen geleiteten Experimentieren übergeht. Als +Vertreter jener ersten Stufe muß selbst noch ein *Du Fay* gelten. Seine +Tätigkeit fällt in den Beginn des 18. Jahrhunderts, während *Aepinus* +und *Franklin* auf den Schultern der Genannten stehen und dem zweiten +Zeitraum angehören. Erst der gegen das Ende des 18. Jahrhunderts +anhebenden Epoche blieb es vorbehalten, durch messende Beobachtung zu +den Gesetzen der Reibungselektrizität vorzudringen[4]. Hieran reihte +sich das deduktive, die Hilfsmittel der Mathematik und der Mechanik +benutzende Verfahren, womit auch auf diesem Gebiete endlich diejenige +Stufe erreicht war, welche der Wissenschaft nach einem Ausspruch +*Galileis* in allen ihren Teilen erst eine würdevolle Behandlung +verleiht[5]. + +Dem erwähnten *Du Fay* verdankt die Elektrizitätslehre eine Anzahl +grundlegender Versuche. *Charles François Du Fay* wurde 1698 in Paris +geboren und starb daselbst im Jahre 1739. *Du Fay* beschäftigte sich +mit magnetischen und elektrischen Versuchen, die in den Abhandlungen +der Pariser Akademie beschrieben wurden[6]. Das wichtigste Ergebnis +seiner Untersuchungen läßt sich in folgende Sätze zusammenfassen: 1. +Ein elektrischer Körper zieht alle nichtelektrischen an und teilt +ihnen Elektrizität mit, worauf er sie wieder abstößt. 2. Es gibt +zwei entgegengesetzte Arten der Elektrizität, die Glas- und die +Harzelektrizität. Zu der Entdeckung, daß es zwei Arten Elektrizität +gibt, wurde *Du Fay* durch sein Blattgoldelektroskop geführt. *Du Fay* +ging von der Annahme aus, daß ein mit dem Glasstab elektrisiertes +Blättchen von jedem Körper, der durch Reiben in den elektrischen +Zustand versetzt sei, abgestoßen werde. Diese Annahme bestätigte +sich indessen nicht. Als *Du Fay* nämlich dem Blättchen geriebene +Kopalstücke und andere geriebene harzartige Körper näherte, wurde es +von diesen angezogen. *Du Fay* unterschied aus diesem Grunde zwei Arten +von Elektrizität, die er als Harz- und Glaselektrizität bezeichnete. +Später erkannte man indessen, daß diese Benennungen irreführend sind, +da harzartige Körper mit Glaselektrizität, glasartige dagegen mit +Harzelektrizität geladen werden können[7]. Deshalb wurden die Glas- +und die Harzelektrizität als positive und negative Elektrizität +unterschieden. *Du Fay* war es auch, der zuerst auf den Zusammenhang +zwischen dem Leitungsvermögen und der Elektrisierbarkeit der Körper +aufmerksam machte. Man fing nun an, die Nichtleiter in ausgedehnter +Weise als Isolatoren zu benutzen. So gelang es dem genannten Forscher, +einen an Haarschnüren oder an seidenen Stricken hängenden Menschen zu +elektrisieren und ihm Funken zu entlocken. + +Die ersten Beobachtungen über die Fortleitung der Elektrizität rühren +von *Guericke* her. Ausgedehntere Versuche über das Leitungsvermögen +stellte ein Zeitgenosse *Du Fays*, der Engländer *Stephan Grey*, an. +Er verschloß eine Glasröhre vermittelst eines Korkstopfens, um zu +untersuchen, ob sie sich jetzt in gleicher Weise wie vorher durch +Reiben elektrisieren lasse. *Grey* (er starb 1736 in London) bemerkte +keinen Unterschied, fand aber, daß der Stopfen auch elektrisch +geworden war, da er auf eine Feder wie die Glasröhre wirkte. Darauf +steckte er in den Stopfen einen Holzstab, der am andern Ende eine +Elfenbeinkugel trug. Wurde nun die Glasröhre gerieben, so zeigte sich +diese Kugel gleichfalls elektrisch. Die Zustandsänderung hatte sich +also von dem Glase aus durch den Stopfen und das Holz bis auf die Kugel +fortgepflanzt. Um die Frage zu entscheiden, bis auf welche Entfernung +eine solche Fortpflanzung möglich sei, ersetzte *Grey* den Holzstab +durch einen ausgespannten Faden, der in seidenen Schleifen hing. Es +gelang, eine Wirkung auf Entfernungen bis zu 700 Fuß nachzuweisen. Ließ +man den Bindfaden nicht auf Seide, sondern auf Draht ruhen, so mißlang +der Versuch. Auch hierdurch wurde man auf den Unterschied zwischen +Leitern und Nichtleitern aufmerksam gemacht. Als letztere lernte man +Haare, Seide, Harz und Glas kennen und zu ferneren Versuchen benutzen. +*Grey* elektrisierte auch Personen, die auf einem Harzkuchen standen. +Er ist also im Prinzip der Erfinder des Isolierschemels. *Grey* stellte +eine Schale mit Wasser auf seine Isolierplatte. Wurde der Flüssigkeit +ein elektrisierter Glasstab genähert, so erhob sie sich über ihr +gewöhnliches Niveau. Dieser Versuch führte auf eine eigentümliche +Entdeckung. Zwei Leydener Physiker[8] suchten Wasser, das sich in +einem isolierenden Glasgefäß befand, zu elektrisieren, indem sie es +vermittelst eines Drahtes mit einer geriebenen Glasröhre in Verbindung +setzten. Als der eine von ihnen zufällig das Gefäß in der Hand hielt +und zu gleicher Zeit die Röhre berührte, erhielt er einen kräftigen +Schlag, der besonders im Arm und in der Brust zu spüren war. In der +betreffenden Mitteilung vom Jahre 1746 hieß es, man sei in Leyden auf +einen erschrecklichen Versuch geraten, dem sich die Erfinder nicht um +die Krone Frankreichs zum zweitenmal aussetzen möchten. Die Priorität +der Entdeckung gebührt jedoch nicht den Leydener Physikern, sondern +dem in Pommern lebenden *von Kleist*[9]. Im Jahre 1745 machte dieser +folgenden Versuch. Er stellte in eine Arzneiflasche einen eisernen +Nagel und elektrisierte diesen. Als er darauf den Nagel mit der anderen +Hand berührte, erhielt er einen heftigen Schlag, der noch verstärkt +wurde, wenn sich etwas Quecksilber am Boden der Flasche befand. Die +Entdeckung erregte großes Aufsehen und führte der Beschäftigung mit +elektrischen Versuchen zahlreiche Dilettanten zu. Jene Vorrichtung, +die man in der Folge als die Leydener Flasche bezeichnete, wurde +in Frankreich im Beisein des Königs durch eine Kette von mehr als +hundert Personen entladen. Das Wasser und die Hand, welche bei dem +ursprünglichen Versuch die Rolle des inneren und des äußeren Belags +gespielt hatten, wurden bald darauf durch Zinn ersetzt. Ferner machte +man die Beobachtung, daß die Leydener Flasche die Elektrizität längere +Zeit behält und daß sie sich nicht laden läßt, wenn sie isoliert ist. +Zu einem Verständnis dieses Verhaltens gelangte erst *Franklin*. Als +er eine, an einem Seidenfaden hängende, leichte Kugel dem inneren +Belage näherte, wurde sie in der bekannten Weise zunächst angezogen, +dann aber, nachdem sie gleichfalls elektrisch geworden war, wieder +abgestoßen. Näherte er die Kugel jetzt dem äußeren Belag, so wurde sie +angezogen. Es zeigte sich also, daß die Beläge entgegengesetzt geladen +waren, und daß die Entladung der Flasche in dem Ausgleich dieser +entgegengesetzten Elektrizitäten besteht. *Franklin* bediente sich bei +seinen Versuchen einer auf beiden Seiten mit Zinn überzogenen Tafel, +die nach ihm noch heute als *Franklin*sche Tafel bezeichnet wird. + +Die Vereinigung mehrerer Leydener Flaschen zu einer elektrischen +Batterie bewerkstelligte zuerst der Danziger Bürgermeister +*Gralath*[10]. Er nahm mehrere Glaskolben, füllte sie zur Hälfte mit +Wasser und ließ einen eisernen, mit einer Kugel versehenen Draht aus +der Flasche hervorragen. Sämtliche Kugeln wurden dann gleichzeitig mit +dem Konduktor der Elektrisiermaschine verbunden. *Gralath* erhielt +durch diese Vorrichtung einen sehr heftigen Schlag. Noch in demselben +Jahre (1746) wurde die Wirkung der Batterie in solchem Maße verstärkt, +daß man den Funken am hellen Tage 200 Schritte weit sah und die +Entladung auf noch größere Entfernung zu hören vermochte. + +Die weitere Erforschung der Reibungselektrizität wurde dadurch +außerordentlich gefördert, daß man nach dem Vorgange *Guerickes* und +*Hawksbees* zur Anwendung maschineller Vorrichtungen schritt. + +Einem Leipziger Professor der Physik namens *Hausen* wurde im Jahre +1743 von einem seiner Zuhörer der Vorschlag gemacht, sich das mühevolle +Reiben der Glasröhre dadurch zu ersparen, daß er eine größere Glaskugel +in Drehung versetze. Dieser Vorschlag erwies sich als über Erwarten +praktisch, zumal ein Leipziger Handwerker den neuen Apparat mit dem +ersten Reibzeug versah. Letzteres bestand aus einem wollenen Kissen. +Bald darauf (1744) brachte der deutsche Physiker *Bose* neben der +Glaskugel einen isolierten Metallkörper als Konduktor an. Diesen +Konduktor finden wir schon wenige Jahre, nachdem *Hausen* seine +Maschine gebaut, mit einem Saugkamm versehen[11], so daß noch vor +Ablauf der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Elektrisiermaschine +in ihrer noch jetzt gebräuchlichen Einrichtung den Physikern zu Gebote +stand. Im weiteren Verlaufe des 18. Jahrhunderts ersetzte man die +Glaskugel durch die handlichere Glasscheibe[12] und versah das Reibzeug +mit dem bekannten, von *Kienmayer* empfohlenen Amalgam[13]. + +[Illustration: Abb. 1. Elektrisiermaschine aus dem Jahre 1744. +(Aus *Gerland* und *Traumüller*, Geschichte der physikalischen +Experimentierkunst.) + +Als Reibzeug dient noch die Hand. Ihr gegenüber befindet sich als +Konduktor eine auf seidenen Schnüren liegende Metallröhre AB, deren +Ende A mit einem Bündel Fäden an Stelle des Saugkammes versehen ist. E +steht auf einem mit isolierender Substanz (Pech) gefüllten Kasten. Aus +der Spitze des Degens springt ein Funken über, welcher den im Löffel F +befindlichen Weingeist entzündet.] + +Die Elektrisiermaschine kam nun sozusagen in Mode. Das Interesse, +welches ihr bemittelte Dilettanten entgegenbrachten, bewirkte, daß +sie schließlich gewaltige Dimensionen annahm[14]. In rascher Folge +wurden jetzt die wichtigsten Erscheinungen der Reibungselektrizität +entdeckt. Die zündende Wirkung des Funkens wurde an Schießpulver, +Äther und anderen brennbaren Stoffen dargetan. Der Danziger +Bürgermeister *Gralath*[15] entzündete ein eben ausgeblasenes Licht +durch den elektrischen Funken. Ja, es gelang sogar, vermittelst eines +elektrisierten Wasserstrahles Weingeist in Brand zu setzen. + +Ferner versuchte man die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Elektrizität +zu bestimmen, indem man den Schlag einer Leydener Flasche durch +einen mehrere tausend Meter langen Draht leitete (siehe Abb. 2). +Derartige Versuche unternahm zuerst der Franzose *Le Monnier* und +später der Engländer *Watson* (1715-1787). Da sich hierbei kein +meßbarer Zeitunterschied ergab, so konnte man zunächst nur auf eine +sehr große Geschwindigkeit schließen. Diese zu bestimmen, war eine +neue, sinnreiche Methoden erfordernde Aufgabe der Experimentalphysik. +Doch knüpfte man später an den der obigen Versuchsanordnung (Abb. +2) zugrunde liegenden Gedanken wieder an, nur daß an Stelle der +unmittelbaren Beobachtung der rasch rotierende Spiegel trat. + +[Illustration: Abb. 2. *Watsons* Versuch, die Geschwindigkeit der +Elektrizität in einem Drahte zu bestimmen. Der innere Belag der +Leydener Flasche C steht mit dem isoliert aufgehängten leitenden Stabe +AD in Verbindung. Von dem äußeren Belag geht ein Draht nach der +Kugel H. In F wird eine Person eingeschaltet. Obgleich das Drahtstück +zwischen F und H etwa 12000 Fuß lang war, konnte der in F befindliche +Beobachter doch keinen Zeitunterschied zwischen der empfangenen +Erschütterung und dem Überspringen des Funkens bei H feststellen.] + +Auch der naheliegende Gedanke, das Verhalten des Funkens im Vakuum zu +untersuchen, kam zur Ausführung[16]. Der erste, der darüber Versuche +anstellte, war der Mechaniker *Grummert* (1719-1776) in Dresden. +Es zeigte sich, daß die Elektrizität den luftleeren Raum auf eine +beträchtliche Strecke durchdringt. Nach der Beschreibung *Watsons*, +eines späteren Beobachters, erfüllte das elektrische Feuer die ganze +Röhre, so daß man, so lange die Maschine in Bewegung blieb, eine +ununterbrochene Lichterscheinung wahrnahm. Der weitere Verfolg dieses +Versuches hat zur Erfindung der *Geißler*schen Röhre und endlich in der +neuesten Zeit zur Entdeckung eigentümlicher Strahlengattungen geführt. +Auch zur Erklärung des Nordlichts wurde das elektrische Leuchten in +evakuierten Röhren herangezogen[17]. + +Den neuen, wunderbaren Entdeckungen gegenüber, denen man nichts +Ähnliches an die Seite stellen konnte, erhob sich schon bei den +Physikern des 18. Jahrhunderts die Frage nach der Ursache der +elektrischen Erscheinungen. War die Elektrizität ein Stoff, so +ließ sich erwarten, daß die Körper durch das Elektrisieren eine +Gewichtszunahme erfahren würden. Alle Versuche, die nach dieser +Richtung hin angestellt wurden, blieben jedoch ohne Erfolg[18]. Zu +dem gleichen Ergebnis war man hinsichtlich der Wärme gelangt, als man +Gegenstände in erhitztem Zustande und bei gewöhnlicher Temperatur wog. + +Aus diesen Versuchen wurde nun keineswegs gefolgert, daß die +Elektrizität und die Wärme bloße Zustände seien, sondern es wurde der +Begriff des unwägbaren Stoffes oder der Imponderabilie, aus dem man ja +auch die Lichterscheinungen zu erklären suchte, auf die elektrischen, +die verwandten magnetischen und die kalorischen Vorgänge ausgedehnt. +Die Lehre von den Imponderabilien hat die Physik bis in das 19. +Jahrhunderte hinein beherrscht. Sie wurde hinsichtlich der Wärme zuerst +von *Rumford* und *Davy* erschüttert. Ihre endgültige Beseitigung auf +allen Gebieten ist eine Aufgabe, welche die Wissenschaft bis in die +neueste Zeit beschäftigt hat. + +Obgleich die Lehre von den Imponderabilien nicht imstande war, einem +vorgeschrittenen Kausalitätsbedürfnis zu genügen, bot sie bei der +Stufe des Wissens, welche das 18. Jahrhundert erreicht hatte, doch die +einzige Möglichkeit einer Erklärung. Wenn man die Lichterscheinungen +auf die Fortbewegung eines besonderen Stoffes zurückführte, war man +auch gezwungen, weitere Stoffe als Träger der Wärme, der elektrischen +und der magnetischen Vorgänge anzunehmen. Einfacher gestaltete sich +die Theorie der Elektrizität bei solchen Physikern, welche die +Lichterscheinungen auf Wellenbewegung zurückführten. So besteht für +*Euler* kein Zweifel, daß die Quelle aller elektrischen Vorgänge +in dem Äther zu suchen sei, in dem sich nach ihm und *Huygens* das +Licht fortpflanzt. Die Elektrizität, meint *Euler*, sei nichts als +eine Störung im Gleichgewichte dieses Äthers, der in die Körper +hineingepreßt oder aus ihnen herausgetrieben werde, je nachdem sie die +eine oder die andere Art des Elektrizitätszustandes aufwiesen[19]. + +Von einer ähnlichen Vorstellung ließ sich *Franklin* bei seinen +Untersuchungen leiten. Die Körper waren für ihn positiv oder +negativ elektrisch, je nachdem sie ein Zuviel oder ein Minder +des hypothetischen elektrischen Fluidums enthielten, während sie +unelektrisch seien, wenn sich dieses Fluidum außerhalb und innerhalb +der Körper im Gleichgewicht befände. + +Nach *Franklin* durchdringt das elektrische Fluidum die ganze +Körperwelt. Es ist die Ursache aller elektrischen Erscheinungen. Die +Teilchen dieses Fluidums stoßen sich gegenseitig ab, werden aber +von den Körperteilchen kräftig angezogen. Enthält der Körper soviel +davon, als er aufnehmen kann, ohne daß etwas von dem Fluidum auf der +Oberfläche des Körpers zurückbleibt, so ist dies nach *Franklin* der +gewöhnliche Zustand, und der Körper erscheint uns unelektrisch. + +Andere wieder, wie *Symmer*, zogen es vor, die verschiedenen +elektrischen Zustände aus der Annahme zweier Fluida zu erklären. Der +hieraus entstehende Streit der Unitarier und Dualisten, so zwecklos er +an sich auch war, bewirkte, daß die experimentelle Erforschung der in +Frage kommenden Erscheinungen lebhaft gefördert wurde. Das Interesse +dafür wurde ein solch allgemeines, daß den Physikern von Beruf mancher +Bundesgenosse aus dem Laienkreise erstand. Der hervorragendste unter +ihnen war der soeben genannte *Franklin*. + +*Benjamin Franklin* wurde am 17. Januar 1706 in Governors Island bei +Boston geboren. Sein Vater hatte die englische Heimat verlassen, weil +er dort nicht ungehindert seiner religiösen Überzeugung leben konnte. +Da er sich und eine zahlreiche Familie durch Seifensieden nur mühsam +ernährte, so wurde der junge Benjamin frühzeitig von der Schule +genommen und seinem älteren Bruder, einem Buchdrucker, in die Lehre +gegeben. Nachdem *Franklin* einige Zeit in England als Setzer tätig +gewesen war, rief er in Philadelphia eine Zeitung und eine Druckerei +ins Leben. + +Zur Beschäftigung mit der Elekrizitätslehre wurde *Franklin* +dadurch angeregt, daß ein Londoner Kaufmann namens *Collinson* der +Bibliotheksgesellschaft zu Philadelphia einige Gegenstände für +elektrische Versuche übersandte. Ein Jahr später konnte *Franklin* an +*Collinson* schreiben[20]: »Mein Eifer und meine Zeit wurden nie zuvor +durch etwas in solchem Maße in Anspruch genommen. Ich stelle Versuche +an, sobald ich allein sein kann, und wiederhole sie in Gegenwart meiner +Freunde, die in Scharen kommen, um sie zu sehen. Ich habe kaum Zeit für +irgend etwas anderes.« + +Die Ergebnisse, zu denen *Franklin* von 1747-1755 gelangte, legte er +in zahlreichen Briefen nieder, die zum größten Teil an *Collinson* +gerichtet sind, und von ihm der Royal Society mitgeteilt wurden. Im +Jahre 1756 wurde *Franklin* Mitglied der Royal Society. + +*Franklins* erste Briefe handeln von der Ladung der Leydener Flasche +und der unitarischen Lehre; spätere betreffen das Gebiet der +atmosphärischen Elektrizität, welches durch *Franklins* Arbeiten erst +erschlossen wurde. *Franklin* setzte seine wissenschaftliche Tätigkeit +bis zum Jahre 1774 fort. Von diesem Zeitpunkt an widmete er sich +ganz den Bestrebungen, die auf eine Loslösung der nordamerikanischen +Kolonien von England abzielten. *Franklin* war bald einer der Führer in +dieser gewaltigen politischen Bewegung. + +Als die griechische Philosophie an Stelle der mythischen Betrachtung +eine ursächliche Erklärung des Naturgeschehens zu setzen suchte, führte +man das Gewitter auf schweflige, brennbare Dünste zurück, die sich in +den Wolken ansammeln und als Blitz die letzteren durchbrechen sollten. +Selbst im 17. Jahrhundert ahnte noch niemand die wahre Natur der +Erscheinung. Nach *Descartes* besteht das Gewitter in einem Herabfallen +der oberen Wolken auf die darunter befindlichen. *Euler* erzählt, daß +man die ersten, welche eine Ähnlichkeit zwischen den elektrischen +Erscheinungen und dem Blitz zu finden glaubten, als Träumer angesehen +habe[21]. Was noch im Beginn des 18. Jahrhunderts als bloße Vermutung +geäußert wurde, erhob *Franklin* durch seine Untersuchungen auf den +Boden der Gewißheit. + +Wenn wir von *Wall* absehen, der schon 1705 die gelegentliche Bemerkung +gemacht hat, man könne die elektrische Entladung mit dem Blitz und dem +Donner vergleichen, so besitzt *Franklin* mit seiner Gewittertheorie +einen Vorläufer nur in dem Deutschen Winkler. Letzterer erörterte +im Jahre 1746[22] die Frage: »ob Schlag und Funken der verstärkten +Elektrizität (in *Kleist*schen Flaschen) für eine Art Blitz und Donner +zu halten sind?« *Winkler* kam zu dem Ergebnis, daß das Gewitter und +die künstlich herbeigeführte elektrische Entladung nur in der Stärke, +indessen nicht in ihrem Wesen voneinander verschieden seien. Als die +Quelle der Gewitterelektrizität betrachtete er die Verdunstung des +Wassers und eine damit verbundene Reibung. + +*Franklin* sprach sich zuerst in seinem Briefe vom 7. November 1749 +für die elektrische Natur des Gewitters aus. Für die Übereinstimmung +des Blitzes mit dem elektrischen Funken führte er folgende Gründe und +Beweise an: 1. Die Ähnlichkeit des Lichtes, sowie des Geräusches und +das fast Augenblickliche beider Erscheinungen. 2. Der Funke wie der +Blitz sind imstande, Körper zu entzünden. 3. Beide vermögen lebende +Wesen zu töten. (*Franklin* tötete ein Huhn durch die Entladung +mehrerer Leydener Flaschen). 4. Beide rufen mechanische Zerstörungen +hervor und erzeugen einen Geruch nach verbranntem Schwefel[23]. 5. +Der Blitz und die Elektrizität folgen denselben Leitern und springen +vorzugsweise auf die Spitzen über. 6. Beide sind imstande, den +Magnetismus zu zerstören oder auch die Pole eines Magneten umzukehren. +7. Durch den Funken können ebenso wie durch den Blitz Metalle zum +Schmelzen gebracht werden. + +An die Versuche, durch welche *Franklin* den letzten Punkt +dieser Aufzählung zu erweisen suchte, knüpfte sich eine +Meinungsverschiedenheit mit seinem Freunde *Kinnersley*. Dieser +befaßte sich gleichfalls mit elektrischen Versuchen und führte sie +als wandernder Experimentator seinen Landsleuten vor. *Franklins* +Verfahren, Metalle durch den Funken zu schmelzen, bestand darin, daß +er dünne Blättchen von Zinn oder Gold zwischen zwei Glasscheiben legte +und eine große Leydener Flasche durch diese Blättchen entlud[24]. Das +Metall wurde dadurch in feinste Teilchen zerstiebt, ein Vorgang, den +*Franklin* als kalte Schmelzung bezeichnete, da ihn sein Verfahren +die bei der Entladung auftretende Wärme nicht erkennen ließ. Die +kalte Schmelzung sollte nicht durch Hitze, sondern dadurch zustande +kommen, daß das elektrische Fluidum in die Zwischenräume der Teilchen +eindringe und auf diese Weise den Zusammenhang der Körper zerstöre. +Demgegenüber zeigte *Kinnersley*, indem er die Entladung einer Batterie +von 35 Flaschen durch einen Draht vor sich gehen ließ, daß Metalle +zum Erglühen und sogar zum Schmelzen gebracht werden können. »Ihr +herrlicher Versuch,« schrieb darauf *Franklin*, »setzt außer Zweifel, +daß unsere künstliche Elektrizität Hitze hervorbringt und daß, wenn sie +Metalle schmilzt, dies nicht durch das geschieht, was ich als kalte +Schmelzung bezeichnet habe[25].« + +Die Ursache der elektrischen Erscheinungen ist nach *Franklin* eine +äußerst feine Flüssigkeit, welche die Körper durchdringt und sich +in ihnen gleichmäßig verteilt aufhält. Wenn es sich infolge eines +künstlich herbeigeführten oder eines natürlichen Vorganges ereignet, +daß diese Flüssigkeit in dem einen Körper in größerer Menge vorhanden +ist als in einem anderen, so teilt der Körper, welcher mehr davon +enthält, sie demjenigen mit, der weniger besitzt, bis die Verteilung +eine gleichmäßige geworden ist, Voraussetzung ist, daß der Abstand +zwischen den Körpern nicht zu groß ist, oder daß Leiter vorhanden +sind, welche diese Materie von dem einen zum anderen Körper zu führen +vermögen. Erfolgt die Mitteilung durch die Luft, ohne Vermittlung eines +Leiters, so sieht man eine glänzende Lichterscheinung zwischen den +Körpern und vernimmt dabei ein Geräusch. Bei den großartigen, in der +Natur stattfindenden Entladungen ist dieses Licht dasjenige, was wir +Blitz nennen, und das Geräusch und sein Widerhall ist der Donner[26]. + +Den unmittelbaren Nachweis der atmosphärischen Elektrizität lieferte +*Franklin* durch seinen berühmt gewordenen Versuch mit dem Drachen. +Letzterer besaß eine eiserne Spitze und wurde im Juni des Jahres +1752 während eines Gewitters an einer Hanfschnur emporgelassen. +Die Schnur war an einen Schlüssel geknüpft, der mit einem seidenen +Tuche festgehalten wurde. Zuerst blieb der Erfolg aus. Als die Schnur +jedoch feucht geworden war und eine Wolke an dem Drachen vorüberzog, +sträubten sich die losen Fäden. Als *Franklin* jetzt die Knöchel +seiner Hand dem Schlüssel näherte, vermochte er deutliche Funken aus +ihm hervorzuziehen. Das zweite von *Franklin* in Vorschlag gebrachte +Verfahren, welches indes in Europa früher zur Ausführung gelangte als +in Amerika, bestand darin, daß man hohe Eisenstangen errichtete und +diesen während eines Gewitters Elektrizität entzog, ein Versuch, den +fast zur selben Zeit, als *Franklin* seinen Drachen steigen ließ, +einige Franzosen in der Nähe von Paris dem Könige vorführten. Später +entdeckte *Franklin*, daß die Wolken bald positiv, bald negativ geladen +sind. Diese Untersuchungen führten ihn schließlich auf den Gedanken, +jene Eisenstangen als Blitzableiter zum Schutze von Gebäuden zu +empfehlen, ein Vorschlag, der in Amerika und bald darauf auch in Europa +allseitige Beachtung fand. + +Die Überlegungen, die ihn zu seinem Vorschlag führten, legte *Franklin* +in einem vom 12. IX. 1753 datierten Briefe dar. »Wird außerhalb +des Gebäudes«, heißt es dort, »ein eiserner Stab angebracht, der +ununterbrochen von dem höchsten Teile bis in das feuchte Erdreich +geht, so nimmt dieser Stab den Blitz an seinem oberen Ende auf und +bietet ihm eine gute Leitung bis in die Erde. Auf solche Weise wird +die Beschädigung irgend eines Teiles des Gebäudes verhindert. Dabei +ist eine geringe Menge Metall imstande, eine große Menge Elektrizität +fortzuleiten. Ein eiserner Draht, der nicht stärker als eine Gänsefeder +war, vermochte eine Elektrizitätsmenge fortzuführen, die an seinen +beiden Enden eine schreckliche Zerstörung anrichtete[27]. + +Der Stab muß an der Mauer, dem Schornstein usw. mit eisernen Klammern +befestigt werden. Der Blitz wird den Stab, der ein guter Leiter ist, +nicht verlassen, um durch diese Klammern in die Mauer zu fahren. + +Wenn das Gebäude sehr groß ist, so kann man der größeren Sicherheit +wegen zwei oder mehr Stäbe an verschiedenen Stellen errichten. + +Das untere Ende des Stabes muß so tief in den Boden geführt werden, +daß es eine feuchte Stelle erreicht. Wenn man den Stab dann biegt, um +ihn horizontal sechs bis acht Fuß von der Mauer fortlaufen zu lassen, +und ihn dann drei bis vier Fuß abwärts gehen läßt, so schützt er alle +Steine des Fundamentes vor Beschädigung.« + +Auf die Einrichtung von Blitzableitern ist *Franklin* besonders durch +seine Versuche über die Spitzenwirkung gekommen, die er zuerst zu +erklären suchte. Dies geschah in seinem Briefe vom 29. Juli 1749. +*Franklin* führt darin folgendes aus. Befinde sich die Elektrizität +auf der Oberfläche einer Kugel, so habe kein Teilchen des elektrischen +Fluidums mehr Neigung wie ein anderes, die Oberfläche zu verlassen, +weil die Anziehung der Materie auf das elektrische Fluidum in diesem +Falle überall gleich groß sei. Setze man an Stelle der Kugel einen +Würfel, so werde die Elektrizität auf den Flächen mehr angezogen als +an den Ecken. Die Teilchen der Elektrizität würden daher infolge der +zwischen ihnen wirkenden Abstoßung nach den Ecken strömen. Je feiner +die Spitze, desto mehr müsse diese Abstoßung, weil sich die Anziehung +der Materie auf der Spitze vermindere, zur Geltung kommen und die +Elektrizität dorthin strömen. + +Ebenso bekannt wie durch seine wissenschaftlichen Erfolge ist +*Franklin* durch die Rolle geworden, die er in der politischen +Geschichte seines Vaterlandes gespielt hat. Während des amerikanischen +Unabhängigkeitskampfes hielt sich *Franklin* in Paris auf, wo er im +Jahre 1783 die Friedensverhandlungen unterzeichnete. Die Bewunderung, +welche dem schlichten und doch so bedeutenden Manne von ganz Frankreich +gezollt wurde, fand einen beredten Ausdruck in dem von *d'Alembert* an +ihn gerichteten Worte: Eripuit coelo fulmen sceptrumque tyrannis[28]. + +Bevor *Franklin* nach Amerika zurückkehrte, schloß er noch +Freundschafts- und Handelsverträge mit Schweden und Preußen. Im Jahre +1788 zog er sich vom öffentlichen Leben zurück. *Franklin* starb am 17. +April 1790. Sein Tod versetzte, wie die von Washington gehaltene Rede +bekundet, sein Vaterland in tiefe Trauer. Auch Europa, wo Mirabeau ihm +einen Nachruf widmete, nahm lebhaften Anteil. Es war ein Augenblick, +in welchem das Gefühl der geistigen Zusammengehörigkeit zwischen der +alten Welt und der jungen, neuen Stätte der Kultur voll zum Ausdruck +kam. Zwar sollte die Mitarbeit des amerikanischen Volkes an den +Aufgaben der Wissenschaft nicht sobald Platz greifen, wie man nach den +Erfolgen eines *Franklin* hätte erwarten mögen. Es harrten eben noch zu +viele andere Aufgaben ihrer Erledigung, so daß ein volles Jahrhundert +verstreichen konnte, bis die Wissenschaft jenseits des Ozeans die +gleiche Pflege fand, die sie in den alten Staaten Europas genießt. + +Erwähnenswerte Versuche über die atmosphärische Elektrizität wurden +auch von *de Romas*, *Richmann* und *Le Monnier* angestellt. + +*De Romas* (starb 1776), ein Franzose, wiederholte *Franklins* +Drachenversuch in größerem Maßstabe im Sommer des Jahres 1753. Er ließ +einen Drachen von 7½ Fuß Höhe an einer 780 Fuß langen, um einen +Eisendraht gesponnenen Schnur 550 Fuß hoch emporsteigen. Die Schnur war +an einer Blechröhre befestigt, aus der acht Fuß lange Funken gezogen +wurden. + +Der Physiker *Richmann* in Petersburg (1711-1753) hatte eine Stange +errichtet, an deren unterem Ende sich ein Elektroskop befand. Als er +sich dem letzteren gelegentlich eines Gewitters näherte, wurde er von +einem aus der Stange herausfahrenden Kugelblitz erschlagen. + +Von besonderer Wichtigkeit waren die Versuche des Franzosen *Le +Monnier*. Diesem gelang im Jahre 1752 der Nachweis, daß die Atmosphäre +auch elektrisch ist, wenn kein Gewitter, ja nicht einmal Wolken am +Himmel stehen. + +Auch die chemische Wirkung der Elektrizität wurde schon in diesem +Zeitraum, also noch vor der Erfindung der galvanischen Elemente, +bekannt. Die Versuche *Beccarias* lieferten den Nachweis, daß sich +mit Hilfe des Entladungsschlages aus Metalloxyden Metalle herstellen +lassen. *Beccaria* erhielt auf diesem Wege Zink aus Zinkoxyd und +Quecksilber aus Zinnober[29]. + +Als man die Entladungen durch Flüssigkeiten hindurch vor sich +gehen ließ, bemerkte man gleichfalls chemische Wirkungen. So fand +*Priestley* im Jahre 1774, daß sich mit Hilfe der Elektrizität aus +einigen Flüssigkeiten, z. B. aus Alkohol, Wasserstoff abspalten läßt. +Unter allen Flüssigkeiten hatte stets das Wasser in seinem Verhalten +gegenüber der Elektrizität am lebhaftesten interessiert. *Priestleys* +Versuche wurden daher durch den holländischen Chemiker *van Troostwyk* +im Jahre 1789 mit Wasser angestellt. Der Wunsch, vielleicht auf diesem +Wege Aufschluß über die chemische Natur des Wassers zu erhalten, war +besonders durch *Lavoisiers* Untersuchungen über die Bildung von +Wasser aus Wasserstoff und Metalloxyden[30] hervorgerufen worden. Das +Ergebnis *van Troostwyks* entsprach demjenigen *Lavoisiers* vollkommen. +Als *van Troostwyk* die Entladung einer Leydener Flasche wiederholt +durch destilliertes Wasser vor sich gehen ließ, fand eine Zerlegung +der Flüssigkeit in ihre gasförmigen Bestandteile statt[31]. Ließ er +den elektrischen Funken durch das entstandene Gasgemisch schlagen, so +verwandelte es sich wieder in Wasser. + +Waren somit auch die chemischen Wirkungen der Elektrizität schon lange +vor der Erfindung der galvanischen Elemente bekannt, so handelte +es sich doch zunächst mehr um gelegentliche Beobachtungen, die nur +geringe Beachtung fanden, da sich mit Hilfe der Leydener Flasche nur +unerhebliche chemische Umsetzungen hervorrufen ließen. Erst als man in +der Berührungselektrizität eine weit geeignetere Quelle für chemische +Zerlegungen entdeckt hatte, eröffnete sich in der Elektrochemie +ein neues, weites, für die Wissenschaft wie für die Technik gleich +wichtiges Forschungsgebiet. + +Durch eine Reihe von Versuchen war man auch mit der physiologischen +Wirkung der Elektrizität bekannt geworden. Vor allem hatte die +heftige Erschütterung, welche die Leydener Flasche bewirkt, wenn die +Entladung durch den Körper vor sich geht, das Interesse der Forscher +wie der Laien hervorgerufen. Die Ärzte versprachen sich von diesen +Erschütterungen die günstigsten Erfolge. Man verordnete gelähmten +Kranken ein »elektrisches Bad«, indem man sie auf einer isolierenden +Unterlage Platz nehmen und den Konduktor der Elektrisiermaschine +berühren ließ. Nach der Erfindung der Leydener Flasche glaubte man, +nicht nur Lähmungen, sondern auch alle möglichen anderen Krankheiten +durch elektrische Kuren heilen zu können. Aus der Mitte des 18. +Jahrhunderts liegen darüber eine Anzahl günstiger Krankenberichte +vor[32]. Selbst an Versuchen, Tote mit Hilfe der Elektrizität wieder zu +erwecken, hat es nicht gefehlt. + +So rasch wie die Elektrizität als Allheilmittel in Aufnahme gekommen +war, ebenso schnell kam sie aus der Mode, bis unsere Zeit sie wieder +in richtiger Beschränkung als therapeutisch wertvolles Mittel benutzen +gelernt hat. Ganz unbekannt waren übrigens selbst den Alten die +elektrischen Kuren nicht. Es wird nämlich berichtet, daß sie die +tierische Elektrizität gegen nervöse Leiden anwandten, indem sie den +Kranken mit dem Zitterrochen in Berührung brachten, natürlich ohne im +entferntesten die Quelle des eigentümlichen Verhaltens dieses Tieres zu +ahnen. + +Unter den deutschen Zeitgenossen *Franklins* ragen *Wilke* und +*Aepinus* als Elektriker hervor. + +*Johann Karl Wilke* (Wilcke) wurde am 6. September 1732 in Wismar, +das damals noch zu Schweden gehörte, geboren. *Wilke* studierte +in Upsala, Göttingen und Rostock, wo er 1757 eine Dissertation +über die entgegengesetzten Elektrizitäten, eine bedeutende Arbeit, +herausgab[33]. Später wurde *Wilke* Sekretär der schwedischen +Akademie der Wissenschaften. In dieser Stellung hielt er in Stockholm +physikalische Vorlesungen. Er starb am 18. April 1796. + +In seiner Arbeit vom Jahre 1757 lieferte *Wilke* den wichtigen +Nachweis, daß beim Aneinanderreiben zweier Körper stets beide +Elektrizitätsarten entstehen. *Wilke* brachte darauf die untersuchten +Stoffe in eine Reihe, in welcher jedes Glied, mit einem darauf +folgenden gerieben, positiv-elektrisch, mit einem vorangehenden +gerieben, dagegen negativ elektrisch wird. Einige Glieder dieser +Reihe sind: Glas, Wolle, Holz, Lack, Metalle, Schwefel. Dieser ersten +Reibungs- oder Spannungsreihe sind später zahlreiche Anordnungen +gefolgt, die unter sich jedoch hin und wieder auffallende Abweichungen +zeigen. Dies rührt daher, daß nicht nur die Art des Stoffes, sondern +auch seine Oberflächenbeschaffenheit für die Stelle, die er innerhalb +der Spannungsreihe einnimmt, mitbestimmend ist. Am bekanntesten sind +die Reihen von *Young*[34] und die von *Faraday* geworden. Erstere +mag hier noch Platz finden. Sie lautet: Glas, Wolle, Federn, Holz, +Siegellack, Metalle, Harz, Seide, Schwefel. + +*Wilke* entdeckte ferner im Jahre 1757 eine neue Art der +Elektrizitätserregung. Er fand nämlich, daß Schwefel und Harz, wenn man +sie in einer Porzellanschale erstarren läßt, stark negativ elektrisch +werden. Von *Wilke* rührt auch die erste Karte über die magnetische +Inklination her. Von seinen Verdiensten um die Entwicklung der +Wärmelehre werden wir im nächsten Abschnitt hören. + +Neben der durch Reibung und durch atmosphärische Vorgänge erzeugten +Elektrizität lernte man auch die Erregung dieser Kraft durch +physiologische Vorgänge und durch Wärmezufuhr kennen. Um die Mitte +des 18. Jahrhunderts tauchte die Vermutung auf, daß man es in der +schon von den Schriftstellern des Altertums erwähnten eigentümlichen +Wirkung des Zitterrochens (Raja torpedo) auf den Menschen und andere +lebende Wesen mit einer elektrischen Erscheinung zu tun habe[35]. +Seit *Richers* Anwesenheit in Cayenne war man auch mit dem Zitteraal +(Gymnotus electricus) der südamerikanischen Gewässer bekannt +geworden. Indes erst ein Jahrhundert, nachdem *Richer*[36] über dieses +eigentümliche Geschöpf berichtet, hatte sich die Elektrizitätslehre +soweit entwickelt, daß man die Identität jener physiologischen und +der durch Reibung erzeugten Erscheinungen nachzuweisen vermochte. +Dies geschah einmal dadurch, daß man den Impuls durch eine Kette von +Personen leitete, wobei die erste und die letzte den Fisch an der +Ober-, beziehungsweise an der Unterseite berührten. Alle empfingen +dann einen Erschütterungsschlag, wie ihn die Leydener Flasche erteilt. +Der zweite Nachweis bestand darin, daß man die Entladung durch einen +auf Glas geklebten Stanniolstreifen vor sich gehen ließ, der eine +Unterbrechung besaß. An der Stelle, wo sich diese befand, sah man +bei jedem Schlage, den der Fisch bewirkte, einen elektrischen Funken +überspringen[37]. + +Die erste wissenschaftliche Untersuchung über die tierische +Elektrizität wurde im Jahre 1773 von *Walsh* veröffentlicht. *Walsh* +erbrachte nicht nur die soeben erwähnten Nachweise, sondern er zeigte +auch, daß der Zitterrochen Elektrizität in einem ganz bestimmten +Organ erzeugt, während der übrige Körper wie die Gewebe jedes Tieres +nur leitend ist. Das elektrische Organ liegt, wie *Walsh* erkannte, +zwischen dem Kopf und den Brustflossen (s. Abb. 3). Es besteht aus +vielen Säulen, deren jede etwa 1/3 Zoll Durchmesser hat. *Walsh* zählte +bei einigen Zitterrochen über 1000 solcher Säulen. Den kräftigsten +elektrischen Schlag erhielt *Walsh* bei seinen Versuchen, wenn er eine +leitende Verbindung zwischen dem Rücken und dem Bauch des Fisches +herstellte[38]. + +[Illustration: Abb. 3. Querschnitt durch den Torpedo nach der Zeichnung +*Hunters*, der zuerst das elektrische Organ des Torpedos genauer +untersuchte. (Philos. Transact. Vol. LXIII. Tab. XX. Fig. 3.) + +AA die obere Fläche des Fisches; BB die durchschnittenen Muskeln +des Rückens; C das Rückenmark; D der Schlund; E die linke Kieme, +gespalten, um den Vorlauf des sie durchziehenden Nerven zu zeigen; +F die atmende Oberfläche der rechten Kieme; GG die Flossen; HH die +senkrechten Säulen, welche das elektrische Organ zusammensetzen mit +ihren horizontal verlaufenden Abteilungen; I einer der Nerven, welche +das elektrische Organ versorgen, mit seinen Verzweigungen.] + +Noch eine zweite, schon lange bekannte Erscheinung wurde um die +Mitte des 18. Jahrhunderts als eine elektrische erkannt. Bei der von +den Juwelieren an Edelsteinen üblichen Feuerprobe konnte es nicht +lange verborgen bleiben, daß der Turmalin, wenn er auf glühende +Kohlen gelegt wird, Aschenteilchen anzieht und wieder von sich +stößt[39]. Dieses eigentümliche, an das elektrische Pendel erinnernde +Verhalten leichter Körper dem erwärmten Turmalin gegenüber wurde von +*Aepinus*[40] genauer untersucht. Letzterer fand, daß die Erscheinung +nur bei ungleicher Erwärmung der beiden Enden des Kristalls eintritt, +sowie daß diese dabei entgegengesetzt elektrisch werden. Ein solcher +Kristall, meint *Aepinus*, sei einem Magneten zu vergleichen, der ja +auch an den beiden Polen ein entgegengesetztes Verhalten zeige[41]. +Er habe am Turmalin eine doppelte Elektrizität entdeckt und deutlich +unterschieden, »davon die erstere auf die gewöhnliche Art durch Reiben, +die andere aber durch einen gewissen Grad der Wärme, die man dem Steine +beibringe, erweckt werde«. Diejenige Elektrizität, welche der Stein +durch Reiben bekommt, war von der Elektrizität der glasartigen Körper +nicht zu unterscheiden. Wurde der Turmalin aber erwärmt, so wurde +die eine Seite positiv, die andere negativ elektrisch. Der erwärmte +Turmalin zeigte also, »wie der Magnet eine doppelte Magnetkraft +besitzt, beide Arten der Elektrizität zugleich«[42]. + +Eine weitere Analogie zwischen einem Magneten und einem elektrisierten +Körper entdeckte *Aepinus* in der Influenz. Wie ein Eisenstab in der +Nähe eines Magneten magnetisch werde, so bringe ein elektrisierter +Körper an einem benachbarten ähnliche Wirkungen hervor. *Aepinus* nahm +einen Metallstab, der auf gläsernen Unterlagen ruhte und brachte an +das eine Ende einen elektrisierten Körper heran, doch so, daß der Stab +in einiger Entfernung davon blieb. Dasjenige Ende des Metallstabes, +welches dem elektrisierten Körper zugewendet war, bekam dann die +entgegengesetzte, das entferntere Ende dagegen dieselbe Elektrizität, +welche der elektrisierte Körper besaß, mit dem man den Versuch +anstellte. Bei einer geringen Abänderung des Versuches wurde jedoch +eine große Verschiedenheit der Erscheinungen wahrgenommen. *Aepinus* +brachte nämlich einen metallenen, auf gläserner Unterlage befindlichen +Stab einem elektrisierten Körper so nahe, daß eine unmittelbare +Berührung stattfand. Dann erhielt der zu elektrisierende Stab seiner +ganzen Länge nach nur diejenige Art von Elektrizität, welche derjenige +Körper besaß, mit dem man ihn berührt hatte. + +Die Beobachtung, daß sowohl der durch Erwärmung wie der durch Influenz +elektrisierte Körper an beiden Enden entgegengesetzte Elektrizitäten +aufweist, veranlaßte *Aepinus*, eine Analogie zwischen den elektrischen +und den magnetischen Erscheinungen, bei denen bekanntlich stets eine +solche Polarität wahrgenommen wird, zu behaupten. Die Zeit, den innigen +Zusammenhang dieser Naturkräfte zu erkennen, war jedoch noch nicht +gekommen. Es war dies vielmehr eine der wichtigsten Aufgaben, welche +der naturwissenschaftlichen Forschung des 19. Jahrhunderts vorbehalten +blieb[43]. + +Sehr zutreffend waren auch die Ansichten, welche *Aepinus* über das +Verhältnis zwischen Leitern und Nichtleitern entwickelte. Zwischen +beiden Gruppen von Stoffen besteht nach ihm kein grundsätzlicher +Unterschied. Dieser beruht nur auf den Unterschieden, den der +Widerstand und in Verbindung damit die Leitungsgeschwindigkeit für die +verschiedenen Körper aufweisen. Leiter sind danach solche Stoffe, deren +Widerstand sehr klein, Nichtleiter solche, deren Widerstand sehr groß +ist. Deshalb erfordert die Entladung durch letztere weit mehr Zeit. Auf +diese Anschauung hat später *Faraday* seine Theorie vom elektrischen +Rückstand gegründet. + +Mit der Pyroelektrizität des Turmalins hat sich von den Zeitgenossen +des *Aepinus* besonders der Chemiker und Mineraloge *Tobern Bergman* +beschäftigt. *Bergman* (1735-1784) war Professor der Chemie zu +Upsala. Er zeigte, daß der Turmalin nicht durch die Erwärmung als +solche, sondern durch das Hervorrufen einer Temperaturdifferenz +elektrisch wird. War die Temperatur des Kristalls konstant, so war er +unelektrisch, mochte die Temperatur hoch oder niedrig sein. Während +der Temperaturzunahme war das eine Ende positiv, das andere negativ. +Während der Abkühlung kehrten sich die Pole um. In einem späteren, der +Mineralogie gewidmeten Abschnitt wird uns das an dem Turmalin entdeckte +pyroelektrische Verhalten weiter beschäftigen. + +Einen gewissen Abschluß fanden die Entdeckungen auf dem Gebiete der +statischen Elektrizität durch *Coulombs* erfolgreiche Bemühungen, +messend an die bis dahin vorzugsweise nur in der Art ihrer Wirkungen +erforschte Naturkraft heranzutreten. + +*Charles Augustin Coulomb* wurde am 14. Juni 1736 in Angoulème geboren. +Sein Entwicklungsgang hat eine gewisse Ähnlichkeit mit demjenigen +*Otto von Guerickes*. Wie letzterer war nämlich *Coulomb* ausgehend +von der Ingenieurkunst zur Behandlung wissenschaftlicher Fragen +gekommen. Die physikalischen Untersuchungen *Coulombs* knüpfen, wie +wir gleich sehen werden, sämtlich an technische Probleme an. *Coulomb* +studierte in Paris, wurde Offizier des Geniekorps und kam als solcher +nach Martinique, wo er die Anlage von Befestigungen leitete. Im +Jahre 1776 kehrte er nach Frankreich zurück und begann dort, sich +mit technisch-mechanischen Untersuchungen zu befassen. Insbesondere +beschäftigte er sich mit der Reibung, der Torsion und der Festigkeit +der Körper. Seine erste Abhandlung betraf die Festigkeit eines +horizontalen, mit dem einen Ende eingemauerten und am anderen Ende +belasteten Balkens von rechteckigem Querschnitt. Für das Gewicht Q, bei +welchem der Balken zerbricht, fand *Coulomb* den Wert 1/6k(bh^2)/l, +wenn k den Koeffizienten der Zugfestigkeit, b die Breite, h die Höhe +des Querschnittes und l die Länge des Balkens bedeutet. Ähnliche +Untersuchungen stellte *Coulomb* über die Festigkeit von Säulen, die +in der Richtung ihrer Achse belastet werden, sowie über den Erddruck +bei Futtermauern an. Auch die Theorie der einfachen Maschinen machte +*Coulomb* unter Berücksichtigung der Steifigkeit der Seile und der +Reibung zum Gegenstande einer Abhandlung. Letztere trug ihm im Jahre +1781 einen Preis und die Mitgliedschaft der Akademie der Wissenschaften +ein. Um den Reibungskoeffizienten zu bestimmen, ließ *Coulomb* +die zu untersuchende Substanz auf einer Unterlage von gleichem +Material gleiten und ermittelte die zur Fortbewegung erforderliche +Zugkraft[44]. + +[Illustration: Abb. 4. *Coulombs* elektrische Wage.] + +Auf das Gebiet des Magnetismus und der Elektrizitätslehre wurde +*Coulomb* dadurch geführt, daß die Akademie einen Preis für die +beste Konstruktion des Schiffskompasses aussetzte. Im Anschluß an +eine dadurch angeregte Untersuchung und unter Verwertung seiner +Forschungen über die Festigkeit in allen ihren Formen, insbesondere +die Torsionsfestigkeit, erfand *Coulomb* im Jahre 1785 seine Torsions- +oder Drehwage. Von der Einrichtung und dem Gebrauch dieses Instruments +gibt uns die nebenstehende Abb. 4 Kenntnis[45]. Ein Glaszylinder +ABCD von etwa 30 cm Höhe wurde mit einer doppelt durchbohrten +Glasplatte bedeckt. Durch ihre Mitte ist ein frei hängender, an der +Scheibe *op* befestigter Silberdraht *qp* geführt, der an seinem +unteren Ende die zu elektrisierende, möglichst isolierte Kugel a trägt. +Ein Scheibchen g hat nur die Aufgabe, der Kugel a das Gegengewicht +zu halten. Die Verbindung zwischen a und g besteht aus einem mit +Siegellack überzogenen Seidenfaden. Die Scheibe *op*, welche den +Silberfaden trägt, und der Umfang des großen Glaszylinders besitzen +Gradeinteilungen. Die in der Abbildung rechts dargestellten Teile (H +dient zur Fassung der Gradscheibe G) werden beim Gebrauch der Drehwage +vereinigt und in der über dem Zylinder befindlichen, etwa einen halben +Meter langen Glasröhre untergebracht. Durch die seitliche Öffnung +des Glasdeckels werden elektrisierte Kugeln (d) eingeführt, deren +Wirkung auf den in der Schwebe befindlichen elektrisierten Körper a +man messen will. Ein Maß für die abstoßenden Kräfte ist in der Torsion +des Silberdrahtes gegeben. Die Größe dieser Torsion, welche die Kugel +a in ihre ursprüngliche Lage zurückzudrehen strebt, kann an der +Gradeinteilung abgelesen werden. + +[Illustration: Abb. 5. *Coulombs* Untersuchung der Torsion.] + +Seine Arbeiten über die Torsion von Fäden und Metalldrähten hatte +*Coulomb* ein Jahr vor der Erfindung der Drehwage veröffentlicht[46]. +Die Methode, welche er anwandte, ist diejenige der Schwingungen oder +Oszillationen. Er wies nämlich nach, daß die Schwingungen eines +schweren, an einem Faden aufgehängten Körpers (Abb. 5) isochron sind. +Ist dies der Fall, dann muß auch die Torsionskraft dem Torsionswinkel +proportional sein. Das Ergebnis seiner Beobachtungen an Drähten +verschiedener Länge (l) und Dicke (D) konnte *Coulomb* durch folgende +Formel darstellen: Das Drehungsmoment der Torsionskraft ist μ·B·D^4/l. +In dieser Formel bedeutet μ eine charakteristische Konstante des +Materials und B den Torsionswinkel. *Coulombs* Torsionswage beruht auf +der von ihm entdeckten Eigenschaft der Drähte, eine dem Torsionswinkel +proportionale Gegenkraft zu besitzen. Um die feinsten elektrischen +und magnetischen Wirkungen messen zu können, wählte *Coulomb* den +Torsionsdraht so fein, daß ein Torsionswinkel von einem Grad einer +Torsionskraft von 1/100,000 Gran entsprach. Wurde der Aufhängefaden +einem Kokon entnommen, so genügte schon eine Kraft von 1/60,000 Gran, +um den Faden um 360 Grade zu tordieren. + +Das wichtigste Ergebnis der *Coulomb*schen Versuche besteht in dem +Nachweise, daß »die abstoßende Kraft zweier kleiner, gleichartig +elektrisierter Kugeln im umgekehrten Verhältnis zum Quadrat des +Abstandes der Mittelpunkte beider Kugeln steht«[47]. + +Den Nachweis dieses wichtigen Grundgesetzes lieferte *Coulomb* in +folgender Weise. Er stellte die Scheibe *op* (siehe Abb. 5) so ein, +daß die Kugel a unter der seitlichen Öffnung des Glasdeckels stand. +Elektrisiert man nun die Kugel d und führt sie durch die Öffnung bis +zur Berührung mit der beweglichen Kugel a ein, so nehmen beide Kugeln +die gleiche elektrische Ladung von gleicher Dichtigkeit an. Es erfolgt +Abstoßung um 36 Grade. Jetzt wird der Torsionskreis entgegengesetzt +zur Ablenkung gedreht, bis letztere nur noch 18 Grad beträgt. Die +Entfernung beträgt somit die Hälfte, während die Torsion jetzt 126° ++ 18° = 144°, also das Vierfache beträgt. Um die Kugeln auf 1/4 der +ursprünglichen Entfernung einander zu nähern, mußte man die Torsion des +Aufhängefadens auf 576 Grad, mithin auf das Sechszehnfache bringen. Aus +diesen Versuchen folgt das oben erwähnte Grundgesetz. + +In seiner zweiten Abhandlung vom Jahre 1785 dehnte *Coulomb* seine +Untersuchung auf die anziehende Kraft elektrisierter Körper und auf die +abstoßende und anziehende Kraft magnetisierter Körper aus. Er gelangte +zu folgenden Ergebnissen: + +1. Die abstoßende wie die anziehende Wirkung zweier elektrisierten +Kugeln und folglich zweier elektrischen Moleküle steht im geraden +Verhältnis der Dichtigkeit der Elektrizität und ist umgekehrt +proportional dem Quadrate der Entfernung. + +2. Die anziehende und abstoßende Kraft des Magnetismus steht +gleichfalls im geraden Verhältnis zu den Dichtigkeiten und im +umgekehrten Verhältnis zum Quadrat des Abstandes der magnetischen +Moleküle. + +Eine Fehlerquelle der ersten Versuche bestand in dem im Verlaufe +des Versuches vor sich gehenden Elektrizitätsverlust. Um den durch +Abgabe an die Luft und die Aufhängevorrichtung entstehenden Verlust +an Elektrizität in Rechnung ziehen zu können, war eine weitere +Untersuchung erforderlich, die in der dritten Abhandlung vom Jahre +1785 mitgeteilt wurde. Aus dieser Untersuchung ergab sich, daß die +Zerstreuung mit dem Wassergehalt der Luft wächst. Und zwar ergab +sich der Zerstreuungskoeffizient direkt proportional den Graden +des von *Saussure* erfundenen, an anderer Stelle beschriebenen +Haarhygrometers[48]. + +Schließlich wandte sich *Coulomb* noch der Verteilung der Elektrizität +zu. Er bedeckte eine isolierte Metallkugel mit zwei halbkugelförmigen +Schalen, die mit isolierenden Handhaben versehen waren. Nachdem er das +Ganze elektrisiert hatte, nahm er die Schalen fort. Es zeigte sich, +daß die Kugel völlig unelektrisch, die Schalen dagegen elektrisch +waren[49]. Wurde die Kugel allein elektrisiert und wurden die Schalen +dann darauf gesetzt, so erhielt man nach der Trennung dasselbe +Ergebnis, wie beim ersten Versuch[50]. + +[Illustration: Abb. 6. *Coulombs* Versuch über die Verteilung der +Elektrizität.] + +Die beiden Grundgesetze über die Verteilung der Elektrizität sprach +*Coulomb* in folgender Fassung aus: 1. Die Elektrizität verbreitet +sich in allen leitenden Körpern gemäß ihrer Gestalt, ohne daß sie eine +auswählende Anziehung für einen Körper gegenüber einem anderen zu haben +scheint. 2. In einem elektrisierten leitenden Körper verbreitet sich +die Elektrizität auf der Oberfläche des Körpers, dringt aber nicht in +das Innere ein. + +Sowohl *Coulomb* wie auch *Cavendish* erkannten, daß die Eigenschaft +der Elektrizität, sich auf der Oberfläche der leitenden Körper +auszubreiten und nicht in das Innere dieser Körper einzudringen, eine +Folge des Gesetzes von der Abstoßung nach dem umgekehrten Quadrat der +Entfernung sei. + +Mit *Coulomb* findet die erste Periode in der Entwicklung der +Elektrizitätslehre ihren Abschluß. Seine Arbeiten galten der +Elektrostatik und brachten dieses Gebiet zu hoher Vollendung. Auf das +die Wirkung der elektrischen Kräfte vermittelnde Dielektrikum nahm +*Coulomb* noch keine Rücksicht. Das geschah erst in der neuesten, durch +*Faraday* eröffneten Periode der Elektrizitätslehre. Für *Coulomb* +waren die elektrische Anziehung und Abstoßung wie die *Newton*sche +Gravitation Fernkräfte, die momentan durch den leeren Raum hindurch +wirken. Dieser Umstand tut indessen dem Wert der *Coulomb*schen +Arbeiten keinen Abbruch, da sie nur den Anspruch erheben, mustergültige +Messungen unter Ausschluß jeder Spekulation zu sein. Als solche +bildeten sie die Grundlage, auf welche die nachfolgende Generation die +mathematische Theorie der elektrischen und magnetischen Erscheinungen +aufzubauen vermochte, eine Aufgabe, die mit Hilfe der höheren Analysis, +insbesondere der Potentialtheorie, in den ersten Jahrzehnten des 19. +Jahrhunderts gelöst wurde[51]. + + + + +3. Praktische und theoretische Fortschritte auf dem Gebiete der +Wärmelehre. + + +Während der Hauptanreiz zum Studium der elektrischen Phänomene in dem +Wunderbaren und Außergewöhnlichen lag, das sich in ihnen offenbart, +wandte man sich den Erscheinungen der Wärme mit wachsendem Interesse +zu, seitdem man die bewegende Kraft des Dampfes kennen und verwerten +gelernt hatte. Durch die Versuche *Herons von Alexandrien* war schon +das Altertum mit den Äußerungen dieser Kraft bekannt geworden. Dazu +waren seit Beginn der neueren Zeit die Bemühungen *Portas* und anderer +gekommen. Der grundlegende Versuch, der zur Erfindung der Dampfmaschine +führte, von welcher doch erst die Rede sein konnte, sobald die unter +dem Namen der einfachen Maschinen bekannten Mechanismen durch den +Dampf in Bewegung gesetzt wurden, rührt von *Papin* her. Es ist dies +ein Versuch, der noch heute im elementaren Physikunterricht angestellt +wird. *Papin* verdampfte Wasser in einem zylindrischen Gefäß, in dem +sich ein luftdicht schließender, beweglicher Kolben befand (siehe +Abbildung 7). Dieser Kolben wurde beim Erhitzen durch den Dampf +emporgehoben, bei einer darauf folgenden Abkühlung aber infolge des +Luftdruckes wieder abwärts bewegt. Die Lösung, welche *Papin* gab, +war indes mehr eine theoretische als eine praktisch verwertbare. Die +von *Papin* ersonnene Vorrichtung wird uns durch seine in Abb. 7 +wiedergegebene Zeichnung erläutert. + +*Papin* veröffentlichte[52] seine Erfindung unter dem Titel: »Neues +Verfahren, bedeutende bewegende Kräfte zu billigen Preisen zu +erhalten«. Der erhoffte Erfolg trat erst ein, als der englische +Mechaniker *Newcomen* auf Veranlassung der Royal Society sich mit +dem *Papin*schen Entwurf beschäftigte. Die wesentlichste Verbesserung, +die *Newcomen* an der atmosphärischen Maschine anbrachte, bestand in +der Verbindung der Kolbenstange mit einem Balancier. *Papins* Bemühen +war darauf gerichtet gewesen, die geradlinige Bewegung des Kolbens in +eine kreisförmige umzusetzen, um auf diese Weise ein von ihm erbautes +Räderboot zu treiben[53]. + +[Illustration: Abb. 7. *Papins* erste Dampfmaschine. + +AA ist der eiserne Zylinder, BB der Kolben, DD die Kolbenstange, II +der Deckel des Zylinders. Der um F drehbare Hebel EE wurde durch +die Kolbenstange in Bewegung gesetzt. Eine Feder G drückt den Hebel +fortwährend in eine Nut der Kolbenstange. Der Kolben besaß eine +Durchbohrung, um beim erstmaligen Herabdrücken die im Zylinder +befindliche Luft entweichen zu lassen. MM ist eine Stange, welche die +erwähnte Durchbohrung nach dem Herabdrücken des Kolbens verschloß. Beim +Erhitzen drückte der Dampf den Kolben nach oben, beim Abkühlen wirkte +nur der Luftdruck. Die Maschine war also eine atmosphärische.] + +Technische Erfindungen von epochemachender Bedeutung lassen sich meist +auf ein zwingendes Bedürfnis zurückführen. Ein solches war es auch, das +eine brauchbare Dampfmaschine gerade zur rechten Zeit und an rechter +Stelle ins Leben treten ließ. In England war man schon im Mittelalter +auf die Schätze aufmerksam geworden, den der Boden in den mineralischen +Brennstoffen enthält. In dem Maße, in welchem das Land den Schmuck +seiner Wälder einbüßte, nahm der Abbau der Steinkohle an Umfang zu. +Man mußte die vorhandenen Flöze bis in immer größere Tiefen verfolgen +und befand sich schließlich der Unmöglichkeit gegenüber, durch Tier- +und Menschenkraft die Wasserhaltung in den Gruben zu bewerkstelligen. +Diesem Zwecke wurde nun im 18. Jahrhundert der Dampf dienstbar gemacht. +Nach vielen mühsamen Versuchen gelang es *Newcomen*, im Jahre 1712 eine +nach *Papins* Idee gebaute Maschine in Gang zu setzen. Sie machte zwar +nur zehn Hube in der Minute, förderte aber schon eine Wassermenge, +zu deren Bewältigung vorher 50 Pferde und die sechsfachen Kosten +erforderlich waren. Bei der Maschine *Newcomens* (siehe Abbildung +8) fiel wie bei derjenigen *Papins* dem Dampf nur die Aufgabe zu, +den Kolben t emporzuheben und durch Vermittlung des Balanciers das +Pumpengestänge hinabzulassen. Die weit größere bewegende Kraft, die zum +Heben des Wassers erforderlich ist, rührte nicht vom Druck des Dampfes, +sondern von dem nach seiner Verdichtung auf den Kolben wirkenden +Luftdruck her. War nämlich der Kolben gehoben und das Ventil bei d +geschlossen, so wurde der Dampf dadurch verdichtet, daß man Kühlwasser +auf den Kolben goß. + +[Illustration: Abb. 8. *Newcomens* Dampfmaschine.] + +Alsbald zeigte es sich, daß Maschinen mit geringen Undichtigkeiten, +bei denen das Kühlwasser unter den Kolben trat und dadurch mit dem +Dampf in unmittelbare Berührung kam, weit schneller arbeiteten. Diese +Beobachtung führte dazu, daß man das Wasser absichtlich in den mit +Dampf gefüllten Raum einspritzte, ein Geschäft, das zunächst einen +besonderen Wärter erforderte. Später kam man auf den Gedanken, die +Hähne mit dem Balancier zu verbinden, durch dessen Spiel sie fortan +geöffnet und geschlossen wurden[54]. + +In der ihr von *Newcomen* gegebenen Gestalt leistete die Dampfmaschine +den Kohlengruben Englands bis über die Mitte des 18. Jahrhunderts +wichtige Dienste, ohne die Aufmerksamkeit der Physiker sonderlich zu +erregen. Da erhielt ein junger Mechaniker namens *James Watt*[55], +den die Universität Glasgow mit der Instandhaltung ihrer Apparate +betraut hatte, den Auftrag, das Modell der *Newcomen*schen Maschine +auszubessern. Der kleine Apparat fesselte *Watt* in solchem Grade, daß +er sein Leben der Vervollkommnung der Dampfmaschine widmete. Als den +größten Mangel erkannte er den Umstand, daß die Wände des Cylinders +durch das eingeführte Wasser immer wieder abgekühlt wurden und nach +jedem Hube durch den einströmenden Dampf von neuem erwärmt werden +mußten. Diesen Übelstand beseitigte *Watt* dadurch, daß er den Dampf +außerhalb des Zylinders in einem besonderen Kondensator verdichtete, +so daß der Zylinder, der außerdem mit schlechten Wärmeleitern +umgeben wurde, die Temperatur des Dampfes beibehielt. Durch diese +Verbesserungen, die *Watt* im Jahre 1765 anbrachte, wurde eine +beträchtliche Ersparnis an Brennmaterial erzielt. Einige Jahre später +erfolgte die grundsätzliche Änderung der Maschine[56], indem *Watt* +hochgespannten Dampf abwechselnd von beiden Seiten auf den Kolben +wirken und so aus der atmosphärischen die eigentliche Dampfmaschine +entstehen ließ. Weitere Verbesserungen betrafen die Anwendung von +Öl und Wachs als Mittel zum Abdichten der Maschinenteile, sowie die +Regelung des Ganges vermittelst des Zentrifugalpendels. Ein weites +Feld für neue Anwendungen eröffnete sich, nachdem es *Watt* gelungen +war, die geradlinige Bewegung der Kolbenstange in eine drehende +umzusetzen. Nun erst konnte an eine Übertragung der Kraft auf größere +Entfernungen, sowie an eine Fortbewegung von Schiffen und Wagen +vermittelst der Dampfmaschine gedacht werden. Letztere wurde bald eins +der wichtigsten Mittel zur Belebung des Gewerbfleißes und damit zur +Förderung der gesamten Kultur. + +Noch bevor *James Watt* am 19. August des Jahres 1819 starb, hatte +*Fultons* Dampfschiff die Fluten des Hudson durchfurcht[57] und +*Stephenson* seine erste Lokomotive laufen lassen. Letzteres geschah +am 25. Juli 1814. Diese Lokomotive lief auf einer Kohlenbahn und +zog 8 Wagen von 30000 kg Gewicht bei einer Steigung von 1 : 450. Die +Geschwindigkeit betrug 6,4 km in der Stunde[58]. Schon 6 Jahre früher +hatte ein anderer Engländer seinen Landsleuten eine kleine Lokomotive +vorgeführt, die bei einem Dampfdruck von nahezu 3 Atmosphären 24 +km in der Stunde zurücklegte und den Namen »Catch me, who can!« +erhielt[59]. Trotzdem wurde erst im Jahre 1830 die erste, dem Verkehr +dienende Eisenbahnlinie Liverpool-Manchester von *Stephenson* +fertiggestellt. + +Der Aufschwung, den Gewerbe, Handel und Verkehr durch Männer erfuhren, +die gleich *Watt* und *Stephenson* eine auf den Grundlagen der Physik +beruhende Technik schufen, kam mittelbar in stetig wachsendem Maße +der Wissenschaft wieder zugute. So ließ es sich beispielsweise schon +*Watt* angelegen sein, das vor ihm nicht bekannte Volumverhältnis +des Wassers im flüssigen und im dampfförmigen Zustande zu ermitteln. +Mußte es ihm doch darauf ankommen zu wissen, wie oft sein Zylinder +durch das Verdampfen einer bestimmten Wassermenge mit gespanntem Dampf +gefüllt werden konnte. *Watt* ermittelte, daß sich das Wasser bei der +Umwandlung in Dampf etwa auf das 1700fache seines Volumens ausdehnt. +Eine Untersuchung über die Verdichtung des Dampfes ließ *Watt* schon +erkennen, daß die Kondensationswärme des Wasserdampfes sich auf 534 +Wärmeeinheiten beläuft. *Watt* bediente sich nur niedriger Spannungen. +Er gelangte indessen schon dazu, die Expansion des Dampfes zu +verwerten. Um die Expansion verfolgen und dadurch ein Urteil über die +Arbeitsleistung des Dampfes gewinnen zu können, konstruierte *Watt* den +heute noch bei der Aufnahme von Diagrammen üblichen Federindikator. + +Dem Andenken *Watts* wurde in der Westminsterabtei ein Denkmal mit +folgender Inschrift errichtet: + + Nicht um einen Namen zu verewigen, + Der dauern wird, so lange die Künste des Friedens blühen, + Sondern, um zu zeigen, + Daß die Menschheit denjenigen Ehre zollt, + Denen sie Dank schuldet, + Haben der König, seine Diener, sowie zahlreiche Edle + Und Bürger des Königreichs + *James Watt* dieses Denkmal errichtet. + Seinem Genie gelang es, + Auf dem Wege des Versuches + Die Dampfmaschine zu verbessern. + Er hob dadurch den Reichtum seines Vaterlandes, + Vergrößerte die Macht der Menschen + Und stieg zu hohem Range + Unter den großen Förderern der Wissenschaft, + Den wahren Wohltätern der Menschheit. + +Gleich der Dampfmaschine empfing im Laufe des 18. Jahrhunderts ein +zweites, aus dem Studium der Wärmeerscheinungen hervorgegangenes +Werkzeug seine endgültige Gestalt. Es war das Thermometer. Wir +haben die Verdienste *Galileis* und der Accademia del Cimento um +die Erfindung dieses Instrumentes kennen gelernt[60]. Von seiner +Vervollkommnung hingen die Fortschritte auf dem Gebiete der Wärmelehre +in erster Linie ab. Ja, das Streben nach einer solchen Vervollkommnung +allein hat eine ganze Anzahl von wichtigen Entdeckungen zur Folge +gehabt. Die Mitglieder der Accademia del Cimento hatten sich bei +ihren Untersuchungen zwar schon wirklicher, auf der Ausdehnung von +Weingeist beruhender Thermometer, indes noch einer willkürlichen Skala +bedient. Durch ein Mitglied der Accademia del Cimento[61] erfolgte +1694 der Vorschlag, den Gefrier- und den Siedepunkt des Wassers als +Fixpunkte zu benutzen. Daß diese Temperaturpunkte konstant sind, +erkannten gegen das Ende des 17. Jahrhunderts mehrere Forscher. So +machte *Halley* 1693 auf die Beständigkeit des Siedepunktes aufmerksam. +Noch früher war die Konstanz des Schmelzpunktes den Mitgliedern der +Accademia aufgefallen. Trotzdem kamen die Florentiner Physiker nicht +auf den Gedanken, diese Punkte zur Einrichtung einer Thermometerskala +zu verwenden. Und ebensowenig dachten *Halley* und *Hooke*, die sich in +England eingehend mit Thermometrie beschäftigten, an eine Verwendung +der erwähnten Fixpunkte. + +Es handelte sich zunächst darum, den Gang der Ausdehnung von Weingeist, +Wasser, Quecksilber und anderen Flüssigkeiten näher zu untersuchen, +eine Aufgabe, mit der sich vor allem *Halley*[62] befaßt hat. Als +Ausdehnungskoeffizienten des Quecksilbers für eine Temperaturerhöhung +vom Schmelzpunkt bis zum Siedepunkt des Wassers fand *Halley* 1/74. +Diese Ausdehnung hielt er für so gering, daß er Bedenken trug, das +Quecksilber als Thermometerflüssigkeit in Vorschlag zu bringen. +Andererseits machte er darauf aufmerksam, daß die Ausdehnung des +Quecksilbers die Angaben des Barometers beeinflussen müsse, ohne daß +er indessen die Notwendigkeit einer Wärmekorrektur dieses Instrumentes +schon hervorgehoben hätte. + +Als oberen Fixpunkt brachte *Halley* die Siedetemperatur des Alkohols +in Vorschlag, als unteren empfahl er die Temperatur tiefer Keller, +weil er diese Temperatur für leichter bestimmbar hielt als diejenige +schmelzender Flüssigkeiten. + +Die Aufgabe, wirklich gut vergleichbare, für den wissenschaftlichen +Gebrauch geeignete Thermometer zu schaffen, hat kein gelehrter +Physiker, sondern ein Mann von praktischem Blick und Geschick, der +Deutsche *Fahrenheit*, gelöst. + +*Fahrenheit* wurde 1686 in Danzig geboren. Er kam als Kaufmann +nach Holland, wo die Kunst, Glasapparate für den praktischen und +wissenschaftlichen Gebrauch zu verfertigen, seit Alters in Blüte stand. +*Fahrenheit* widmete sich dieser Kunst. Er starb in Amsterdam im Jahre +1736. + +*Fahrenheits* Aufgabe, die er mit allen ihm zu Gebote stehenden +wissenschaftlichen Mitteln, aber im geschäftlichen Interesse verfolgte, +betraf die Verfertigung brauchbarer Thermometer. Seine ersten +Thermometer waren mit Weingeist gefüllt und schon vor 1710 in vielen +nördlichen Städten Europas in Gebrauch. Es wird berichtet[63], daß der +Philosoph *Christian Wolf* in Halle sich über den übereinstimmenden +Gang zweier Thermometer, die er von *Fahrenheit* erhalten hatte, nicht +genug wundern konnte. + +*Fahrenheit* hatte gelesen, daß die Höhe der Quecksilbersäule im +Barometer von der Temperatur abhängig sei. Dies brachte ihn um 1720 auf +den Gedanken, das Quecksilber als Thermometerflüssigkeit anzuwenden. +Seiner Skala legte er drei Punkte zugrunde: + +1. Den Punkt »strengster Kälte, wie man ihn durch Mischung von Wasser, +Eis und Salmiak erhält«. Er bezeichnete diesen Punkt mit Null und hielt +ihn für den absoluten Wärmenullpunkt. + +2. Den Schmelzpunkt des Eises, den er mit 32 bezeichnete. + +3. Die Temperatur im Innern des Mundes oder die Blutwärme, auf deren +Beständigkeit schon die Florentiner aufmerksam geworden waren[64]. +*Fahrenheit* bezeichnete diesen Wärmegrad mit 96. + +Wahrscheinlich hat er außerdem bei der Regelung der Skala den +Siedepunkt des Wassers verwertet[65], diesen Umstand indessen, und +zwar wohl aus geschäftlichen Rücksichten, verschwiegen. *Fahrenheit* +bestimmte auch die Siedepunkte verschiedener Flüssigkeiten. Er +veröffentlichte über diesen Gegenstand im Jahre 1724 eine Tafel, aus +der folgende Werte mitgeteilt seien: + + Alkohol 176 + Reines Wasser 212 + Schwefelsäure 546. + +Für die untersuchten Flüssigkeiten wurden die spezifischen Gewichte +genau ermittelt, damit die erhaltenen Angaben mit späteren +Untersuchungen vergleichbar seien[66]. Daß für reines Wasser der +Siedepunkt nach dieser Skala 212 und daß der Fundamentalabstand 180 +Grade beträgt, war nicht, wie man oft meint, eine ursprüngliche +Festsetzung, sondern diese Zahlen folgen erst aus den angenommenen +Fixpunkten 0, 32, 96. + +Die Angabe, daß der Siedepunkt des Wassers 212 Grad betrage, wird von +*Fahrenheit* in einer Abhandlung, die gleichfalls aus dem Jahre 1724 +stammt, durch eine wichtige Entdeckung eingeschränkt. *Fahrenheit* +teilt darin[67] nämlich mit, er habe erkannt, daß jener Punkt »bei +derselben Schwere der Atmosphäre fest sei, daß er sich aber bei +veränderter Schwere der Atmosphäre in verschiedenem Sinne ändere«. +Auch die unter dem Namen der Überkaltung bekannte Erscheinung, daß in +völliger Ruhe befindliches Wasser erheblich unter den Gefrierpunkt +abgekühlt werden kann, ohne zu erstarren, entdeckte *Fahrenheit* +gelegentlich seiner thermometrischen Untersuchungen[68]. Er war, wie +er erzählt, begierig zu erforschen, welches die Wirkung der Kälte sein +werde, wenn man das Wasser in ein evakuiertes Gefäß bringe. Zu diesem +Zwecke wurde eine Glaskugel zur Hälfte mit reinem Wasser gefüllt, +luftleer gemacht und eine Nacht einer Temperatur von etwa -10° C +ausgesetzt. Am folgenden Morgen bemerkte *Fahrenheit*, daß das Wasser +noch immer flüssig war. Er schrieb dieses unvorhergesehene Verhalten +zunächst der Abwesenheit der Luft zu. In dieser irrigen Annahme wurde +er noch bestärkt, als er zu seinem Erstaunen beim Öffnen des Gefäßes +sah, daß sich die ganze Wassermasse, unter Erhöhung der Temperatur bis +zum Gefrierpunkt, mit Eisnadeln durchsetzte. + +Voll Eifer setzte *Fahrenheit* die Untersuchung dieser wunderbaren +Erscheinung fort. Zunächst stellte er sich die Frage, ob das Gefrieren +auch im Vakuum zustande kommen könne. Der Versuch wurde wiederholt und +das überkaltete Wasser geschüttelt, ohne daß der Luft vorher Zutritt +gegeben war. Bei heftiger Erschütterung wurde auch jetzt die ganze +Wassermasse fast in demselben Augenblick von Eislamellen durchsetzt[69]. + +Die Herstellung von Thermometern mit vergleichbaren Skalen hat auch den +Franzosen *Réaumur* beschäftigt. Die Ergebnisse seiner umfangreichen +Abhandlung sind indessen nur gering gewesen[70]. *Réaumur* wollte +die Grade des Thermometers durch die relative Volumveränderung +bestimmen, welche der Weingeist bei Temperaturschwankungen erfährt. +Selbstverständlich mußte man, um vergleichbare Resultate zu erhalten, +Weingeist von ganz bestimmter Konzentration nehmen. *Réaumur* schlug +vor, für sämtliche nach seinem Verfahren hergestellte Thermometer einen +Weingeist zu wählen, dessen Volumen »beim Gefrieren des Wassers 1000 +und, durch siedendes Wasser ausgedehnt, 1080 Raumteile beträgt«[71]. +Von diesem Vorschlage rührt die bekannte Zahl 80 der *Réaumur*schen +Skala her. + +Gelegentlich seiner thermometrischen Untersuchungen machte *Réaumur* +die wichtige Entdeckung, daß das Volumen eines Flüssigkeitsgemisches +kleiner sein kann als die Summe der Teilvolumina[72]. *Réaumur* machte +diese Entdeckung, als er Weingeist von bestimmter Konzentration +herstellen wollte, der zur Füllung seiner Thermometer bestimmt war. Als +er 50 Maß Wasser mit 50 Maß reinem Weingeist mischte, erhielt er statt +100 nur 98 Maß verdünnten Weingeist. Die Raumverminderung betrug somit +1/50. + +*Réaumur* dehnte diese Untersuchung auf die verschiedenartigsten +Flüssigkeiten aus. Beim Mischen von Leinöl und Terpentinöl trat keine +Raumverminderung ein; auch Milch und Wasser mischten sich ohne eine +solche. Dagegen war die Raumverminderung beim Zusammenbringen von +Wasser und Schwefelsäure »vielleicht die größte, welche sich erzielen +läßt«. Es verbanden sich nämlich 40 Maß Wasser mit 10 Maß Schwefelsäure +zu 48 Maß der Mischung. Die Volumabnahme betrug somit 1/25. + +Auch auf die mit der Volumabnahme Hand in Hand gehende Wärmeentwicklung +richtete *Réaumur* seine Aufmerksamkeit. Die Erscheinung selbst +versuchte er aus der molekularen Zusammensetzung zu erklären. Er nahm +nämlich an, daß zwischen den Molekülen noch Lücken vorhanden seien, +welche die Moleküle einer zweiten Substanz auszufüllen vermöchten. +Folgender Vergleich soll diesen Vorgang begreiflich machen: »Mischt +man«, sagt *Réaumur*, »ein Maß Bleikugeln und ein gleich großes Maß +sehr kleiner Bleikörner, so werden diese nicht zwei Maß geben. Die +kleinen Körner werden nämlich die Räume einnehmen, die zwischen den +großen Kugeln leer blieben, und je kleiner die kleinen Kugeln im +Verhältnis zu den großen sind, um so weniger wird die Mischung an +Volumen zunehmen.« + +Dasjenige Thermometer, das heute in der Wissenschaft allein Geltung +besitzt und auch im Leben die übrigen immer mehr verdrängt, rührt von +*Celsius* her. Es beruht auf der scharfen Erfassung der Fixpunkte +und der Einteilung des gewonnenen Fundamentalabstandes in 100 Grade. +*Celsius* setzte den Zylinder seines Thermometers in klebrigen Schnee +und vermerkte genau den Stand des Quecksilbers. Dann beobachtete +er, welchen Stand das Quecksilber in siedendem Wasser bei einer +Barometerhöhe von 25 Zoll und 3 Linien annimmt. Den Abstand teilte er +in hundert gleiche Teile, und diese Teilung wurde über die Fixpunkte +hinaus fortgesetzt[73]. Die Bezeichnung des Gefrierpunktes mit 0° und +des Siedepunktes mit 100° rührt wahrscheinlich von *Linné* her, der in +den Warmhäusern des botanischen Gartens in Upsala das *Celsius*sche +Thermometer benutzte[74]. + +Während *Réaumur* dem Weingeist als Thermometerflüssigkeit den +Vorzug gab und die Temperaturgrade der Volumzunahme seiner +Thermometerflüssigkeit proportional setzte, bediente sich *Celsius*, +wie auch *Fahrenheit* bei seinen späteren Versuchen, des Quecksilbers, +das höhere Temperaturen zu messen gestattet. *Celsius* hatte auch +beobachtet, daß der Siedepunkt des Wassers nur dann derselbe bleibt, +wenn sich der Barometerstand nicht ändert. Bei der Anfertigung +seiner Thermometer verfuhr er folgendermaßen: Er setzte die Kugel +des Thermometers in schmelzenden Schnee und merkte den Stand des +Quecksilbers an. Um den zweiten Fundamentalpunkt zu bestimmen, tauchte +er die Kugel in siedendes Wasser, während die Barometerhöhe ihren +mittleren Wert besaß. Die erhaltene Strecke wurde in hundert gleiche +Teile oder Grade geteilt. Diese Gradeinteilung wurde dann von beiden +Fundamentalpunkten aus nach oben und nach unten fortgesetzt[75]. +Auch das Luftthermometer und das Pyrometer sind Erfindungen jenes +Zeitraumes, so daß die Methoden der Messung des Wärmezustandes zu einem +gewissen Abschluß gebracht wurden. + +Auf den Änderungen des Volumens, welche die Luft infolge von +Temperaturschwankungen erfährt, beruhte bekanntlich schon der Apparat, +dessen sich *Galilei* zum Messen der Wärme bediente. Brauchbar war +dieses Verfahren indessen erst, als es gelang, die Einwirkung der +Luftdruckschwankungen entweder auszuschließen oder zu berücksichtigen. +Um die Verwirklichung dieses Problems haben sich besonders der Franzose +*Amontons* (1663-1705), der Deutsche *Lambert* (1728-1777) und später +*Regnault* und *Magnus* Verdienste erworben. + +*Amontons*' Luftthermometer besteht aus einer Kugel von etwa 8 +cm Durchmesser. Diese Kugel ist zum Teil mit Luft, zum Teil mit +Quecksilber gefüllt und mit einer etwa einen Meter langen, engen +Röhre verbunden. Die Durchmesser der Kugel und der Röhre sind so +gewählt (etwa 1 : 60), daß eine geringe Volumvergrößerung der Luft +ein bedeutendes Ansteigen der Quecksilbersäule in der engeren Röhre +bewirkt. Die Temperatur wird also bei einem solchen Instrument nicht +durch die Vergrößerung des Volumens, das ja im wesentlichen dasselbe +bleibt, sondern durch die Änderung der Spannkraft der eingeschlossenen +Luft gemessen. *Amontons* berücksichtigte bei seinen Messungen noch +den Barometerstand. Ferner mußte er, da er die Spannkraft der Luft +als Maß der Temperatur benutzte, schon auf den Gedanken kommen, den +niedrigsten Wärmegrad in dem Zustande der Luft zu erblicken, in welchem +ihre Spannkraft Null ist[76]. Zählt man von diesem absoluten Nullpunkt +an, so verhält sich, wie *Amontons* mit hinlänglicher Genauigkeit +berechnet, die größte Kälte zur größten Hitze in Paris wie 5 : 6. + +[Illustration: Abb. 9. *Amontons*' Luftthermometer.] + +Auch *Lambert* verwertete die Spannung der Luft zur Ermittlung der +Temperaturen. Er wählte für sein Luftthermometer den Schmelzpunkt +und den Siedepunkt des Wassers als Fundamentalpunkte. Setzte er dann +für den Schmelzpunkt die Spannung der Luft gleich 1000, so ergab +sich für den Siedepunkt in guter Übereinstimmung mit den späteren +Bestimmungen von *Gay-Lussac* die Spannung gleich 1375, woraus als +Ausdehnungskoeffizient 0,375 folgen würde[77]. + +Aus dem Bemühen, höhere Temperaturen zu messen, als es die gewöhnlichen +Thermometer gestatten, erwuchs das Pyrometer und die Pyrometrie. +*Musschenbroek* suchte für diesen Zweck schon 1725 die Ausdehnung der +Metalle zu verwerten. Ein Metallstab wurde auf ein Gestell gelegt. +Das eine Ende des Stabes war mit dem Gestell verbunden, während sich +das andere Ende gegen eine Zahnstange legte. Beim Erwärmen wurde die +Zahnstange infolge der Ausdehnung des Metallstabes verschoben. Die +Zahnstange wirkte auf ein Zahnrad. An diesem war ein Zeiger befestigt, +welcher das Maß der Ausdehnung, beziehungsweise den Wärmegrad, +abzulesen gestattete[78]. Das von *Wedgwood* im Jahre 1782 empfohlene +Pyrometer gründete sich auf dem Vermögen des Tons, in der Hitze zu +schwinden, ohne sich beim späteren Erkalten wieder auszudehnen[79]. +Besondere Verdienste auf diesem Gebiete erwarb sich der schon genannte +*Lambert* durch eine 1779 erschienene Schrift, welche er »Pyrometrie +oder vom Maß des Feuers und der Wärme« betitelte. *Lambert* bediente +sich für seine Messungen, wie erwähnt, des Luftthermometers. Dehnte +sich die Luft um 1/1000 desjenigen Volumens aus, das sie bei der +Temperatur des schmelzenden Schnees einnimmt, so entsprach dies +einem Grade seines Instruments. Der Siedetemperatur des Wassers +entsprachen somit 375 Grade, da sich die Luft beim Erwärmen von der +Gefriertemperatur bis zur Siedetemperatur nach *Lamberts* Ermittlung +von 1000 auf 1375, also um 375/1000 ihres Volumens ausdehnt. + +[Illustration: Abb. 10. *Saussures* Haarhygrometer.] + +Daß mit dem Wärmezustand der Luft ihr Vermögen, Feuchtigkeit +aufzunehmen, Änderungen unterworfen ist, wurde gleichfalls in diesem +Zeitraum und zwar insbesondere durch *Lambert* und durch *Saussure* +festgestellt. Dem Gedanken, die Luftfeuchtigkeit zu bestimmen, sind wir +schon bei *Nikolaus von Cusa* und *Lionardo da Vinci*[80] begegnet. +Beide bemerkten, daß trockene Wolle die Feuchtigkeit aus der Luft +anzieht. Später benutzte man als hygroskopische Substanz Schwefelsäure, +die in einem Gefäß auf einer Wage tariert war (*Gould* 1683)[81]. +*Lambert* wandte (1772) eine Darmsaite an; sie wurde an ihrem oberen +Ende befestigt und am unteren mit einem über einer Teilung spielenden +Zeiger verbunden. Zu einem erfolgreichen Abschluß kamen die Bemühungen, +die Luftfeuchtigkeit mit Hilfe hygroskopischer Substanzen zu messen, +erst durch die Erfindung des *Saussure*schen Haarhygrometers. + +*Horace Bénédicte de Saussure*, berühmt durch seine geologische +Durchforschung der Alpen und seine Besteigungen des Mont-Blanc und +des Monte Rosa, bemerkte, daß ein Haar sich verlängert, wenn es +feucht wird, und sich verkürzt, wenn es austrocknet. Entfettete man +das Haar, so betrug die Längenänderung das Vier- bis Fünffache der +an dem rohen Haar beobachteten. Diese Entdeckung führte *Saussure* +auf die Konstruktion eines Apparates, der nebenstehend abgebildet +ist (Abb. 10). Die Einrichtung ist die folgende. Das untere Ende des +Haares *ab* wird von dem Schraubenkloben b gehalten. Das andere Ende +des Haares wird von dem Kloben a gehalten. Der obere Kloben steht +mit einer horizontalen Welle d in Verbindung. Sie trägt den Zeiger +und ein Gegengewicht g. Dies Gegengewicht ist etwas schwerer als der +Kloben a, damit das Haar eine geringe Spannung erhält. Ferner ist das +Gegengewicht an einem seidenen Faden befestigt, der sich um die Welle +schlingt und sie in Drehung versetzt. + +Die Graduierung des Instruments erfolgte, indem *Saussure* zunächst +den Punkt der größten Feuchtigkeit bestimmte. Zu diesem Zwecke wurde +der Apparat unter eine Glocke gebracht, die auf einem mit Wasser +bedeckten Teller stand, so daß die Luft unter der Glocke sich mit +Feuchtigkeit sättigen mußte. Um den Punkt der äußersten Trockenheit zu +bestimmen, brachte er unter den Rezipienten geschmolzenes, stark Wasser +anziehendes Alkali. Nach einiger Zeit kam der Zeiger auf einen festen, +der völlig trockenen Luft entsprechenden Stand. Der Raum zwischen den +beiden so erhaltenen Fixpunkten wurde in 100 gleiche Teile eingeteilt. + +*Saussures* Hygrometer hat sich bis auf den heutigen Tag als eins der +wichtigsten meteorologischen Instrumente erhalten. Es wurde samt einer +Theorie der Hygrometrie von dem Erfinder im Jahre 1783 bekannt gegeben. +*Saussures* Werk über die Hygrometrie, das *Cuvier* zu den besten +zählte, um das die Wissenschaft im 18. Jahrhundert bereichert worden +sei, erschien vor kurzem in deutscher Übersetzung[82]. + +Der Wärme selbst schrieben die meisten Forscher im 18. Jahrhundert +gleich dem Lichte stoffliche Natur zu, eine Auffassung, welche durch +die Untersuchungen von *Black*[83] und *Wilke*[84] eine Stütze zu +erhalten schien. Diese Forscher hatten nämlich entdeckt, daß beim +Schmelzen des Eises eine bestimmte Menge Wärme für das Gefühl verloren +geht, die sich scheinbar mit dem Eise bei seinem Übergang in Wasser +verbindet. So gelangte man dazu, von gebundener (latenter) und freier +Wärme zu reden, Namen, die zur Erhaltung der irrtümlichen Vorstellung +von der Natur der Wärme jedenfalls mitgewirkt haben und dem Emporkommen +neuer richtiger Anschauungen hinderlich gewesen sind. Doch trat neben +den Mathematikern Daniel *Bernoulli I* und *Euler* besonders der +Chemiker *Lomonossow*[85] schon um die Mitte des 18. Jahrhunderts +dafür ein, daß die Wärme eine innere Bewegung des Stoffes sei. Wegen +der geringen Größe der die Körper zusammensetzenden Korpuskeln könne +man jene innere Bewegung zwar nicht sehen, sie verrate sich aber durch +zahlreiche Erscheinungen. *Lomonossow* nahm an, daß die Wärme in einer +kreisenden Bewegung der Korpuskeln oder Teilchen bestehe. Der tiefste +mögliche Wärmegrad ist ihm ein absolutes Aufhören jener Bewegung. +Einen höchsten Wärmegrad könne man sich nicht vorstellen, da es für +die Geschwindigkeit der Bewegung keine Grenze gebe. So in richtiger +Vorahnung der späteren Entwicklung *Lomonossow*[86]. Die ersten +Beobachtungen über die Schmelzwärme wurden gleichfalls um die Mitte des +18. Jahrhunderts gemacht. Ein französischer Forscher[87] ließ Wasser +in einem Gefäß gefrieren, in das er zuvor ein Thermometer gestellt +hatte. Wurde das Gefäß erwärmt, so stieg die Temperatur, bis das Eis +zu schmelzen begann. Von diesem Augenblicke an blieb das Thermometer +auf dem Schmelzpunkt stehen, so lange schmelzendes Eis in dem Gefäße +vorhanden war. Die während dieses Zeitraums zugeführte Wärme wurde +sozusagen verschluckt, gebunden oder latent. + +Ähnliche Ergebnisse erhielt man beim Mischen von Eis mit Wasser. Man +war zunächst von der Voraussetzung ausgegangen, daß beim Mischen +von Stoffen die Temperaturen sich unter Berücksichtigung der +Flüssigkeitsmengen einfach ausgleichen müßten. Danach würde es sich in +solchen Fällen also nur um eine leicht zu lösende rechnerische Aufgabe +gehandelt haben[88]; und es müßten, um den einfachsten Fall zu wählen, +gleiche Mengen beim Mischen eine mittlere Temperatur annehmen. + +Hier setzte *Black* ein, dessen Untersuchungen über die Eisschmelzung +zu denjenigen gehören, die für das Gebiet der Wärmelehre am meisten +aufklärend gewirkt haben[89]. Durch seine Untersuchungen über die +Gewichtszunahme, welche die Metalle bei ihrer Verkalkung erfahren, +wurde er gleich *Mayow* zum Vorläufer *Lavoisiers*. Er entdeckte, +unabhängig von *Wilke*, die spezifische Wärme und die latente Wärme des +Wassers und des Dampfes. + +*Blacks* entscheidender Versuch war folgender. Er brachte zu einer +Eismasse von 32° F eine dem Gewichte nach genau gleiche Wassermasse +von 172° F. Nach der oben erwähnten Mischungsregel hätte man eine +Temperatur von 102° F erwarten sollen. Trotzdem behielt die Mischung +die Temperatur des Eises von 32°. Letzteres war aber völlig in Wasser +umgewandelt worden. + +»Das schmelzende Eis,« bemerkte *Black* zu diesem Versuch, »nimmt sehr +viel Wärme in sich auf. Aber diese Wärme hat nur die Wirkung, das Eis +in Wasser zu verwandeln. Und dieses Wasser ist um nichts wärmer, als +vorher das Eis gewesen.« *Black* wies ferner darauf hin, daß auch beim +Sieden des Wassers eine bestimmte Wärmemenge verbraucht wird, ohne daß +die Temperatur sich erhöht. Er war es auch, der auf diese Vorgänge den +Ausdruck »latente Wärme« anwandte. + +Wenn man diesen Fortschritt in der Erfassung der Wärmevorgänge würdigen +will, muß man erwägen, daß vor *Black* die Verflüssigung einer +bis zum Schmelzpunkt erwärmten Substanz als die Folge einer sehr +geringfügigen Wärmezufuhr angesehen wurde. *Black* erkannte auch, daß +beim Erstarren einer Flüssigkeit die Abgabe einer bestimmten Wärmemenge +stattfindet. Als Beweis hierfür betrachtete er vor allem das Verhalten +unterkühlter Flüssigkeiten[90]. *Black* wies darauf hin, daß z. B. +auf -4° abgekühltes Wasser beim Schütteln plötzlich teilweise fest +wird, während gleichzeitig die Temperatur der ganzen Masse auf 0° +steigt. Erst *Black* vermochte dies Verhalten genügend aufzuklären. +Gleichzeitig gewannen dadurch seine Ansichten aber eine Stütze. Ist +das Gefrieren des unterkühlten Wassers eingeleitet, so gefriert, wie +*Black* sehr richtig bemerkt, so viel, daß durch die frei werdende +Wärme die Temperatur der ganzen Masse bis auf 0° steigt. Ist dieser +Gleichgewichtszustand erreicht, so hört die Temperatursteigerung auf, +weil die Bedingung des weiteren Gefrierens nicht mehr vorhanden ist. + +Die Vorstellung von der latenten Schmelzwärme dehnte *Black* von +seinen zunächst am Wasser angestellten Beobachtungen und Versuchen auf +die bei Lösungen und Kältemischungen auftretenden Wärmeerscheinungen +aus. Danach nehmen die Bestandteile einer Kältemischung die zu ihrer +Verflüssigung erforderliche Wärmemenge aus ihrem eigenen Wärmevorrat, +wodurch ein bedeutendes Sinken der Temperatur innerhalb der Mischung +veranlaßt wird. + +Die Schmelzwärme des Wassers bestimmte *Black* mit ziemlicher +Genauigkeit und auf verschiedenen Wegen zu 77-78 Wärmeeinheiten (statt +80). So wurden gleiche Mengen Wasser und Eis von 0° in zwei ganz +gleichen Gefäßen in einen Raum von 20° gebracht. In der Zeit, in der +sich das Wasser auf 4° erwärmte, war in dem zweiten Gefäß 1/20 des +Eises geschmolzen, ohne daß die Temperatur gestiegen wäre. Trotzdem +waren offenbar beiden Gefäßen die gleichen Wärmemengen zugeführt. In +dem zweiten Gefäß würde danach völlige Schmelzung eingetreten sein, +wenn es die zwanzigfache Wärmezufuhr erfahren hätte. Eine solche +Wärmezufuhr würde, wie der Versuch mit dem ersten Gefäße zeigte, eine +gleiche Wassermenge von 0° auf 80° erwärmt haben. + +*Black* hat als erster die Methode der Eisschmelzung zur Bestimmung +von spezifischen Wärmen benutzt. Er brachte die auf eine bestimmte +Temperatur erwärmte Substanz in die Höhlung eines Eisblocks, verschloß +sie und wog das entstandene Schmelzwasser. + +Zu dem gleichen Ergebnis wie durch seine Versuche über die Schmelzung +wurde *Black* durch seine wertvollen Arbeiten über die Verdampfung +geführt. Wie die Versuche des mit ihm befreundeten *Watt*, so ergaben +auch diejenigen *Blacks*, daß es nicht nur eine ganz bestimmte +Schmelzwärme, sondern eine gleichfalls ihrer Größe nach bestimmte +Verdampfungswärme gibt. *Black* stellte zunächst fest, daß unter +Verhältnissen, die eine konstante Wärmezufuhr bedingen, die verdampfte +Wassermenge der Zeit des Kochens proportional ist. Angenommen, 1 kg +Wasser von 0° würde in einer bestimmten Zeit über einem konstanten +Feuer zum Sieden und die Wassermenge würde darauf bei stets gleich +bleibender Wärmezufuhr innerhalb der vierundeinhalbfachen Zeit zur +Verdampfung gebracht, so würde dazu ein Aufwand von 450 Wärmeeinheiten +erforderlich gewesen sein. Diese Zahlen entsprechen der zwar nur rohen, +in ihrem Ergebnis jedoch von der Wahrheit nicht allzusehr abweichenden +Bestimmung der Verdampfungswärme, wie sie *Black* anstellte. Die +späteren, genaueren Ermittlungen haben 536 Wärmeeinheiten ergeben. Daß +der Wert bei *Black* zu klein ausfiel, ist daraus leicht erklärlich, +daß beim Fortschreiten des Verdampfens die Umstände sich etwas ändern, +indem das Wasser eine im Verhältnis zu seiner Masse immer größere +Oberfläche einnimmt und infolgedessen rascher verdampft. + +*Blacks* Versuche über die Verdampfungswärme wurden um dieselbe Zeit +durch die Beobachtung[91] ergänzt, daß verdunstende Flüssigkeiten die +zur Verflüchtigung erforderliche Wärme, wenn sie nicht rasch genug +von außen zugeführt wird, ihrem eigenen Wärmevorrat entnehmen. In der +überraschendsten Weise zeigte sich dies bei einem Luftpumpenversuch. +Man hatte Äther in einem Gefäß unter den Rezipienten der Luftpumpe +gebracht und beobachtete, daß zufällig an der Außenwand des Gefäßes +hängende Wassertröpfchen sich in Eis verwandelten. + +Es erhob sich nun die Frage, ob die beim Verdampfen latent gewordene +Wärme, ähnlich wie beim Erstarren von Flüssigkeiten, ihrem vollen +Betrage nach zurückerhalten werden kann, wenn der Dampf in den +flüssigen Zustand zurückkehrt. Um hierüber zu entscheiden, leitete +*Black* eine bestimmte Menge Wasserdampf durch einen Schlangenkühler, +in dem sich die hundertfache Menge Wasser befand. Die Temperatur des +letzteren wurde bei der Kondensation des Dampfes um 5,25° C erhöht. +Daraus ergab sich für die bei der Kondensation in die Erscheinung +tretende, vorher latente Wärme des Dampfes der beträchtliche Wert von +525 Wärmeeinheiten. *Watt* hat dieses Ergebnis bestätigt, während +*Lavoisier* die Bestimmung nach der Eisschmelzungsmethode wiederholte +und einen etwas höheren Wert (550) fand. Die späteren Versuche +*Regnaults* haben, bei einer Spannung des Dampfes von 760 mm, für die +Kondensationswärme den Wert von 536 Wärmeeinheiten ergeben. + +*Black* verstand es vortrefflich, seine Versuche mit den Beobachtungen +des alltäglichen Lebens zu verknüpfen und dadurch ihre Beweiskraft +eindringlicher zu gestalten. So bemerkt er bezüglich der Dampfwärme, +sie müsse sehr groß sein, weil ein Dampfstrahl, der kaum die Hand +feucht mache, die ganze Haut mit Brandblasen überziehe, wozu eine +viel größere Menge kochenden Wassers nicht imstande sei. Auch hätten +diejenigen, die Weingeist destillierten, erhebliche Mühe und Kosten +aufzuwenden, daß das Kühlfaß genügend mit kaltem Wasser versorgt werde. + +*Black* erörterte sowohl die Bewegungs- wie die Stofftheorie der +Wärme. Letztere schien ihm besser die von ihm beobachteten Vorgänge +zu erklären. Indessen erwiesen sich alle Bemühungen, das Gewicht +des zugeführten hypothetischen Wärmestoffes festzustellen, ebenso +erfolglos[92], wie es bezüglich des elektrischen Fluidums der Fall +gewesen war. Trotzdem gab es Physiker, denen die Annahme eines einzigen +Stoffes zur Erklärung der Wärmeerscheinungen noch nicht genügte. Wie +man zwei entgegengesetzte elektrische Fluida annahm, so sollte es +neben der Wärme einen besonderen Kältestoff geben, der z. B. in den +zur Herstellung von Kältemischungen dienenden Salzen vorhanden sei. +Dieser Auffassung war schon *Mariotte*[93] entgegengetreten. Er ließ +die Kälte nur als Mindermaß an Wärme gelten und unterschied durch klare +Darlegung und Versuche die strahlende von der Körperwärme. Daß die +erstere die Luft und manche anderen Substanzen durchdringt, ohne die +Temperatur wesentlich zu erhöhen, wies er nach, indem er Schießpulver +mittelst einer aus Eis bestehenden Linse entzündete. Auch gelangte man +schon damals zu der Erkenntnis, daß die Wärmestrahlen wie das Licht +sich mit großer Geschwindigkeit ausbreiten. Der Franzose *Pictet*[94] +brachte in den Brennpunkt eines aus Metall verfertigten Hohlspiegels +eine erhitzte, indessen nicht leuchtende Metallkugel, während sich in +dem Brennpunkt eines gegenüber befindlichen zweiten Hohlspiegels ein +empfindliches Luftthermometer befand. Zwischen beiden Spiegeln, deren +Abstand etwa 25 m betrug, war ein Schirm aufgestellt. Entfernte man +diesen, so begann die Absperrflüssigkeit des Thermometers in demselben +Augenblicke zu steigen. Es begegnet uns schon hier ein Experiment, +das mit geringen Abänderungen (Schießbaumwolle an Stelle des +Luftthermometers) noch heute zu den beliebtesten Vorlesungsversuchen +zählt. + +*Pictet* unterschied auf Grund seines Hohlspiegelversuchs die +strahlende Wärme von der fortgeleiteten. Letztere schreite nur langsam +von Teilchen zu Teilchen fort, während sich die Wärmestrahlung +geradlinig und mit großer Geschwindigkeit, vielleicht ebenso schnell +wie das Licht, ausbreite[95]. Aus der Tatsache, daß die Luft für +Wärmestrahlen sehr durchlässig ist, ließ sich auch leicht die auf hohen +Bergen wahrzunehmende geringe Temperatur erklären[96]. + +Die geschilderten Fortschritte auf dem Gebiet der Wärmelehre hatten zur +Folge, daß man sich dem chemischen Prozeß als einer der Hauptquellen +der Wärme mit verdoppeltem Interesse zuwandte, sowie den Einfluß +der Wärme auf den Verlauf der chemischen Vorgänge in Betracht zog. +Damit wuchs zugleich die Einsicht in das Wesen und den Ursprung der +animalischen Wärme. Letztere hatte man bisher wohl aus der Reibung +des in den Gefäßen zirkulierenden Blutes zu erklären gesucht, während +man die Atmung, in völliger Verkennung der Tatsachen, als ein Mittel +zur Abkühlung des Blutes betrachtete. *Stahl*, der Begründer der +Phlogistontheorie, und *Hales*, dessen große Verdienste um die +Physiologie wir kennen lernen werden, erklärten jetzt die tierische +Wärme als eine Folge der Atmung. Der Zirkulation des Blutes schrieben +sie die Aufgabe zu, die nach ihrer Meinung schon in den Lungen erzeugte +Wärme dem übrigen Körper mitzuteilen. Es wurde also zum erstenmal der +Atmungsprozeß mit der Verbrennung in Parallele gestellt, wenn es auch +dem Zeitalter *Lavoisiers* vorbehalten blieb, das Wesen beider Vorgänge +schärfer zu erfassen. Auch im übrigen stehen die Leistungen der Chemie +seit der Mitte des 18. Jahrhunderts mit der großen Tat *Lavoisiers* in +solch inniger Verknüpfung, daß wir es vorziehen, Verbrennung und Atmung +im Zusammenhange mit *Lavoisiers* chemischen Ansichten zu betrachten. + +*Lavoisier* hat sich auch um die Messung der Verbrennungswärme und der +spezifischen Wärme Verdienste erworben, indem er in Gemeinschaft mit +*Laplace* ein sehr zweckmäßiges Eiskalorimeter konstruierte[97] und mit +diesem wertvolle Untersuchungen anstellte. Zunächst definieren beide +Forscher den Begriff der spezifischen Wärme recht klar in folgenden +Worten: »Wenn man zwei Substanzen von gleicher Masse und gleicher +Temperatur voraussetzt, so ist die Wärmemenge, die erforderlich ist, +um ihre Temperatur um 1° zu erhöhen, dennoch nicht für beide Körper +dieselbe. Wenn man als Einheit diejenige Wärmemenge nimmt, welche +die Temperatur der Gewichtseinheit Wasser um 1° erhöht, so können +alle anderen Wärmemengen, die sich auf verschiedene Stoffe beziehen, +in Teilen dieser Einheit ausgedrückt werden. Unter dem Ausdruck +spezifische Wärme ist dieses Verhältnis der Wärmemengen zu verstehen.« + +Für ihre Untersuchung bedienten sich *Laplace* und *Lavoisier* des von +*Black* herrührenden Verfahrens der Eisschmelzung. Der Grundgedanke +dieses Verfahrens ist folgender: Im Innern einer Hohlkugel aus Eis von +0 Grad Temperatur befinde sich ein Körper, der auf irgend einen Grad +erhitzt ist. Die äußere Wärme kann in den Hohlraum einer solchen Kugel +nicht eindringen. Die Wärme des Körpers dagegen kann sich nicht nach +außen zerstreuen, sondern sie wird auf die innere Fläche der Höhlung +beschränkt bleiben, von der sie so lange das Eis abschmelzen wird, bis +die Temperatur des Körpers auf diejenige des Eises heruntergegangen ist. + +Will man die spezifische Wärme eines festen Körpers kennen lernen, +so wird man also seine Temperatur um eine gewisse Anzahl von Graden +erhöhen, ihn dann in das Innere der Eiskugel bringen und ihn darin +lassen, bis seine Temperatur auf 0° gesunken ist. Dann wird man das +Wasser sammeln, das sich infolge der Wärmeabgabe des Körpers gebildet +hat. Diese Wassermenge, dividiert durch das Produkt aus der Masse des +Körpers und der Anzahl von Graden, die seine ursprüngliche Temperatur +angibt, wird seiner spezifischen Wärme proportional sein[98]. + +[Illustration: Abb. 11. *Lavoisiers* Eiskalorimeter.] + +Auch die bei chemischen Vorgängen auftretenden Wärmemengen haben +*Lavoisier* und *Laplace* mit ihrem Apparat gemessen. Um die Wärmemenge +kennen zu lernen, die bei der Verbindung mehrerer Substanzen erzeugt +wird, wurden sie sämtlich ebenso wie die Gefäße, in denen sie +eingeschlossen waren, auf 0° abgekühlt. Ihre Mischung wurde dann +sofort in das Innere der Eiskugel gebracht und darin gelassen, bis +die Temperatur der Mischung wieder 0° war. Die Wassermenge, die +bei diesem Versuche gesammelt wurde, ist das Maß für die bei der +Verbindung entwickelte Wärme. Die Bestimmung der Wärmemengen, die bei +der Verbrennung und der Atmung erzeugt werden, verursachte nicht mehr +Schwierigkeiten. Man verbrannte die Körper im Innern der Eiskugel +und ließ die Tiere innerhalb derselben atmen. Da aber die Erneuerung +der Luft bei diesen Operationen unumgänglich nötig ist, so wurde +eine Verbindung zwischen dem Innern der Kugel und der umgebenden +Atmosphäre hergestellt. Damit ferner die Einführung der neuen Luft +keinen merklichen Fehler veranlaßte, mußte man diese Versuche bei einer +Temperatur von 0° machen oder mindestens die Luft, die man einführte, +auf diese Temperatur abkühlen. + +Bei der Ausführung der Versuche wurde die Eiskugel durch einen +zweckmäßigeren Apparat ersetzt, dessen senkrechter Schnitt in Abb. 11 +dargestellt ist. Der Hohlraum des Apparates ist in drei Teile geteilt. +Die innere Höhlung besteht aus einem Eisendrahtgeflecht. In diese +Höhlung bringt man die Körper, welche dem Versuche unterworfen werden +sollen. Die obere Öffnung kann vermittelst eines Deckels geschlossen +werden. Er ist in Abb. 11, HJ besonders dargestellt. Dieser Deckel +ist oben offen; sein Boden wird durch ein Netz von Eisendraht gebildet. +Der mittlere Raum *bbbb* des Kalorimeters ist dazu bestimmt, das Eis +aufzunehmen, das den inneren Raum umgeben und durch die Wärme der dem +Versuche unterworfenen Körper geschmolzen werden soll. Dieses Eis wird +getragen und zurückgehalten durch einen Rost *mm*, unter dem sich ein +Sieb befindet. In dem Maße, wie das Eis geschmolzen wird, läuft das +Wasser durch den Rost und das Sieb, gelangt sodann in den Kegel *ccd* +und die Röhre *xy*; endlich sammelt es sich in dem Gefäße P, das unter +den Apparat gestellt wird. Die äußere Höhlung *aaaa* ist dazu bestimmt, +dasjenige Eis aufzunehmen, welches den Einfluß der von außen kommenden +Wärme abhalten soll. Das durch das Schmelzen dieses Eises entstandene +Wasser fließt durch die Röhre ST zur Seite ab. Der ganze Apparat wird +mit dem Deckel FG (Abb. 11) bedeckt. + +Um den Apparat in Gebrauch zu nehmen, füllt man die mittlere Höhlung +und den Deckel HJ der mittleren Höhlung mit gestoßenem Eis, ebenso +die äußere Höhlung und den Deckel FG des ganzen Apparates. Man +läßt darauf das Eis der mittleren Höhlung abtropfen. Dann öffnet +man den Apparat, um den Körper, mit dem man experimentieren will, +hineinzubringen und schließt ihn sofort wieder. Man wartet, bis der +Körper vollkommen abgekühlt ist und der Apparat gut abgetropft hat. +Dann wägt man das aufgesammelte Wasser; sein Gewicht ist ein genaues +Maß der von dem Körper abgegebenen Wärme. + +Weit größere Schwierigkeiten bereitete den beiden Forschern die +Ermittlung der spezifischen Wärme von Gasen. Doch scheuten sie auch +vor dieser Aufgabe nicht zurück. Sie ließen bestimmte Mengen der zu +untersuchenden Gase durch ihr Eiskalorimeter strömen und bestimmten die +Temperatur vor dem Eintritt und nach dem Ausströmen, sowie die Menge +des geschmolzenen Eises. Damit waren zwar die Daten für eine Berechnung +gegeben, doch erhielt man sehr ungenaue Ergebnisse[99]. + +Zum Schlusse seien einige der von *Lavoisier* und *Laplace* gefundenen +spezifischen Wärmen mitgeteilt unter Angabe der heute als richtig +geltenden Werte in Klammern: + + Gewöhnliches Wasser 1 (1) + Eisen 0,109 (0,113) + Quecksilber 0,029 (0,033) + Blei 0,028 (0,031) + Schwefel 0,208 (0,202) + +Desgleichen seien die Ergebnisse einiger Versuche zur Bestimmung der +Verbrennungswärme angegeben: + +Mengen des geschmolzenen Eises durch die Verbrennung von + + 1 Pfund Phosphor 100 Pfund + 1 " Faulbaumkohle 96 " + 1 " Olivenöl 148 " + +Die Abweichung von späteren Bestimmungen ist hier eine bedeutende, +so entwickelt 1 kg Phosphor 5747 Kalorien und liefert demnach nur +5747/80 = 71,8 kg Wasser, während nach *Lavoisier* und *Laplace* 1 Teil +Phosphor bei seiner Verbrennung 100 Teile Schmelzwasser liefern soll. + +Von *Lavoisier* und *Laplace* rühren auch die ersten genauen Messungen +der Ausdehnungskoeffizienten fester Körper her. Sie benutzten +bei ihren Versuchen ein Fernrohr, das von den sich beim Erwärmen +ausdehnenden Körpern gedreht wurde. Als Stützpunkte für die letzteren +gebrauchten sie Pfeiler aus Stein, deren Form durch die Wärme nicht +merklich verändert wird. + +Grundlegend auf dem Gebiete der Wärmelehre waren auch die +Untersuchungen *Blagdens* über die Gesetze der Überkaltung und der +Gefrierpunktserniedrigung. *Blagden*[100] veröffentlichte seine +Arbeiten über diesen Gegenstand im Jahre 1788. Die erste dieser +Arbeiten bringt eine Anzahl wichtiger Versuche über die Abkühlung +des Wassers bis unter seinen Gefrierpunkt. *Blagden* zeigte, daß das +Wasser, dessen Gefrierpunkt bei 32° Fahrenheit liegt, unter Umständen +erst bei 24°, ja selbst bei 21° F in den festen Zustand übergeht. Die +Überkaltung war auch möglich, wenn man dem Wasser Salze beimengte, +die an sich schon den Gefrierpunkt herabsetzen. Eine Kochsalzlösung, +deren Gefrierpunkt 28° F betrug, wurde auf 18½° abgekühlt. Erst bei +weiterer Entziehung von Wärme wurde sie fest. Eine Salpeterlösung mit +dem Gefrierpunkt 27° F wurde bis auf 16°, also 11° unter den neuen +Gefrierpunkt »überkaltet«. Das merkwürdige Phänomen der Überkaltung +hatte die Aufmerksamkeit einzelner Physiker schon vor *Blagden* erregt, +keiner hat es aber so sorgfältig untersucht wie dieser. Eingehend +befaßt er sich mit den Bedingungen der Überkaltung und der Ursache +des plötzlichen Erstarrens überkalteter Flüssigkeiten. Rieb *Blagden* +mit einem Glasstab an der Innenwand des Gefäßes, in welchem sich +überkaltetes Wasser befand, so wurde das Wasser, das andere Bewegungen +wohl vertrug, zum Erstarren gebracht. Überraschend war der Versuch, bei +dem überkaltetes Wasser mit einem noch so winzigen Eisstück berührt +wurde. Es trat sofortiges Gefrieren ein, indem die Eiskristalle von +der Stelle aus, wo sich das Eisstückchen befand, durch die ganze Masse +anschossen. Gleichzeitig erwärmte sich die ganze Masse bis zum normalen +Gefrierpunkt des Wassers[101]. + +Durch den beschriebenen Versuch erklärte sich auch die Erscheinung, daß +die Überkaltung sicherer gelingt, wenn man das Gefäß leicht mit Papier +bedeckt. *Blagden* nahm an, daß winzige erstarrte Wasserteilchen bei +Frostwetter in der Luft schweben und auf das sich abkühlende Wasser +fallen, dessen Erstarrung sie dann bewirken, während diese Teilchen im +anderen Falle von dem Papier zurückgehalten werden. + +Als zweite Ursache, welche den Gefrierpunkt von Flüssigkeiten +herabsetzt, hatte man den Zusatz von Salzen und Säuren erkannt. Die +erste quantitative Untersuchung dieses Verhaltens rührt gleichfalls von +*Blagden* her[102]. Für die erste Versuchsreihe diente das Kochsalz. +Es ergab sich, daß das Salz den Gefrierpunkt nach dem einfachen +Verhältnis, in welchem es zu dem Wasser der Lösung steht, erniedrigt. +Man hat vorgeschlagen, dieses Gesetz das *Blagden*sche zu nennen[103]. + +Weitere Versuchsreihen lieferten Salpeter, Salmiak, Glaubersalz +und weinsaures Natrium-Kalium. Für alle entsprach die +Gefrierpunktserniedrigung dem einfachen Verhältnisse von Salz zu +Wasser[104]. Setzte *Blagden* Säuren, Alkalien oder Alkohol zum Wasser, +so ließ sich keine solch einfache Beziehung nachweisen, doch schienen +ihm gleiche Zutaten dieser Flüssigkeiten den Gefrierpunkt des Wassers +in einem zunehmenden Verhältnis zu erniedrigen. + +*Blagdens* Untersuchung über diesen Gegenstand geriet zunächst ganz in +Vergessenheit; man wurde auf sie erst wieder aufmerksam, als man in der +neuesten Zeit in der Gefrierpunktserniedrigung, welche Salze und auch +indifferente organische Stoffe bewirken, ein Mittel zur Bestimmung des +Molekulargewichtes kennen lernte. Vorahnend bemerkt schon *Blagden*, +man möge doch Untersuchungen wie die seine nicht für unwichtig halten, +da man auf diesem Wege zu einer Kenntnis des inneren Gefüges gelangen +werde, auf dem die Eigenschaften des Körpers beruhen. + + + + +4. Die Naturbeschreibung unter der Herrschaft des künstlichen Systems. + + +Wir haben an die Spitze dieses in seinem ersten Teile vornehmlich +die Entwicklung während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts +schildernden Bandes die großen Fortschritte der Physik gestellt. Die +nächsten Abschnitte sollen zeigen, wie sich die übrigen Wissenszweige +entwickelt und sich wechselseitig befruchtet haben. Dabei tritt +besonders in die Erscheinung, daß der Einfluß der physikalischen +Lehren und vor allem der physikalischen Forschungsweise sich in immer +höherem Maße auf die übrigen Disziplinen ausdehnt. Die Physik wurde +das gemeinsame Band, das sie alle umschlang. Durch die Ausdehnung +ihres quantitativen Verfahrens auf das Gebiet der stofflichen +Veränderungen nahm die Chemie eine ganz neue Gestalt an. Gleichzeitig +mit ihr wurde die Mineralogie auf neue Grundlagen gestellt. Auch +die Lebenserscheinungen suchte man nach physikalischer Methode +zu erforschen. Wenn auch die Zoologen und die Botaniker des 18. +Jahrhunderts ihre Hauptaufgabe noch in einer auf das Äußere gerichteten +Beschreibung und in der Systematik der Tiere und der Pflanzen +erblickten, so fehlte es doch nicht an Untersuchungen, in den inneren +Bau und die Verrichtungen der Organe einzudringen. + +Durch das genauere Studium der Pflanzen- und der Tierwelt Europas, +sowie der übrigen Weltteile war das Material, welches der Systematik +zu Gebote stand, schon im Beginn des 18. Jahrhunderts kaum mehr zu +bewältigen. Die Bearbeitung dieses Materials wurde immer schwieriger, +weil eine klare, auf scharfer Gliederung beruhende Nomenklatur noch +nicht geschaffen war und die bisherigen Versuche zur Aufstellung +eines umfassenden Systems sich stets als unzureichend erwiesen +hatten. Der Mann, der zur rechten Zeit erschien und nach den beiden +angegebenen Richtungen Abhilfe schuf, war der schwedische Naturforscher +*Linné*. *Karl von Linné* wurde am 23. Mai des Jahres 1707 in dem +Dorfe Råshult in Småland geboren. Sein Vater, ein Pfarrer, besaß für +Gartenbau und Pflanzenkunde eine große Liebhaberei, die sich auf den +Sohn übertrug. Als der junge *Linné* in einem benachbarten Städtchen +die Schule besuchte, botanisierte er, anstatt seinen nächstliegenden +Pflichten nachzukommen. Darüber erzürnte der Vater und gab ihn einem +Schuhmacher in die Lehre. Ein Arzt, der *Linnés* botanische Neigungen +unterstützte, vermochte jedoch den Vater zu versöhnen. *Linné* +erhielt die Erlaubnis, sich dem Studium der Medizin zu widmen. Er +bezog die Universität Lund, die er später mit Upsala vertauschte. Da +*Linné* in ärmlichen Verhältnissen lebte, war er gezwungen, seinen +Unterhalt durch Abschreiben und Unterricht zu verdienen. In Upsala +nahm sich schließlich der Professor der Botanik *Rudbeck* seiner an. +Er übertrug ihm die Aufsicht über den botanischen Garten, sowie die +Stellvertretung bei seinen Vorlesungen. Im Jahre 1732 erhielt *Linné* +den Auftrag, die nördlichsten Teile Schwedens zu durchforschen. Nachdem +er von seiner während des Sommers 1732 unternommenen Lapplandreise +zurückgekehrt war, beabsichtigte er, in Upsala Vorlesungen über +Botanik zu halten. Eifersüchtige Nebenbuhler wußten indes sein +Vorhaben durch den Einspruch, daß er noch nicht promoviert sei, zu +verhindern. Da es damals Brauch war, den Doktorhut im Auslande zu +erwerben, ging *Linné* zu diesem Zwecke im Jahre 1735 nach Holland. +Dort wurde er mit *Clifford* bekannt, der in Harlem einen Garten besaß +und *Linnés* Rat und Hilfe in botanischen Dingen zu schätzen wußte. +In Holland gab *Linné* im Jahre 1735 neben einem größeren Werk über +den *Clifford*schen Garten eine kleine, in Tabellenform verfaßte +Schrift heraus, die er »Systema naturae« nannte. Dieses Büchlein, +das die Früchte seiner bisherigen, sich über alle drei Naturreiche +erstreckenden Bemühungen um die Systematik enthielt, wurde später +wiederholt von neuem aufgelegt und wuchs dabei zu einem mehrbändigen +Werke an[105]. + +*Linnés* »System der Natur« erregte durch seine Übersichtlichkeit und +Klarheit sofort große Bewunderung. Es war in seinem ganzen Umfange +auf die Sexualität der Pflanzen begründet. Mit der Sexualtheorie +war *Linné*, wie er selbst hervorhebt, durch die Engländer bekannt +geworden. Letztere hatten ihrerseits die Anregung aus Deutschland +empfangen. + +Bald nach 1735 erschienen *Linnés* Schriften, in denen er +seine Grundsätze für die Bestimmung und Benennung der Pflanzen +entwickelte[106]. Unter Berücksichtigung aller wesentlichen Merkmale +bestimmte er mit großer Schärfe die Charaktere von nahezu 1000 +Gattungen. Nachdem *Linné* Reisen nach England und nach Frankreich +unternommen hatte -- in Paris ernannte man ihn zum korrespondierenden +Mitgliede der Akademie der Wissenschaften -- kehrte er nach Stockholm +zurück. Hier nahm man ihn mit großen Ehrenbezeugungen auf. *Linné*, +der sich zunächst dem ärztlichen Beruf zuwandte, wurde Leibarzt +des Königs und Präsident der Akademie der Wissenschaften. Im Jahre +1741 siedelte er nach dem nahen Upsala über. Während der beiden +Jahrzehnte, die *Linné* dort als anregender Lehrer und unermüdlicher +Forscher zubrachte, erlebte die Naturbeschreibung ihre Glanzperiode. +Der botanische Garten wurde in seinem Geiste erneuert und mit einem +naturhistorischen Museum verbunden. Im Jahre 1746 gab *Linné* ein Werk +über die Tierwelt Schwedens heraus, einige Jahre später erschien seine +allgemeine Botanik[107], das botanische Hauptwerk *Linnés*. 1762 wurde +*Linné* in den Adelsstand erhoben. Seit dieser Zeit nannte er sich *von +Linné*, während sein Name ursprünglich *Linnaeus* lautete. Er starb am +10. Januar 1778[108]. + +*Linnés* Verdienst bestand nicht in epochemachenden Entdeckungen, die +späteren Geschlechtern unmittelbare Anregung zu weiterem Forschen +gegeben hätten, sondern er erblickte seine Aufgabe vornehmlich in +der systematischen Bearbeitung des gesamten, von seinen Vorgängern +übermittelten naturgeschichtlichen Wissens. Hierin hat er Bedeutendes +geleistet und sich einer Mühe unterzogen, deren Bewältigung im +Interesse des weiteren Fortschritts lag. Daß seine Nachfolger das +System überschätzten und die Einordnung der neu beschriebenen Formen +für die hauptsächlichste Aufgabe der Wissenschaft hielten, darf man dem +Begründer dieses Systems nicht zur Last legen. In der Botanik brachte +*Linné* die seit *Caesalpin* auf die Aufstellung eines künstlichen +Systems gerichteten Bestrebungen zum Abschluß. Die Kenntnis von der +Sexualität der Pflanzen, auf welcher seine Einteilung fußte, verdankte +er vor allem den Untersuchungen des Deutschen *Camerarius*[109], +wie auch seine binäre Nomenklatur auf den Vorgang anderer Botaniker +(*Jungius* und *Ray*) zurückzuführen ist. + +Der sogenannte Schlüssel, nach dem *Linné* in seinem System das ganze +Pflanzenreich in Klassen einteilte, ist folgender: + + =A. Pflanzen mit Blüten.= + + Aa. *Mit lauter Zwitterblüten.* + + aa. Mit freien Staubfäden. + + aaa. Mit Staubfäden von unbestimmter Länge. + + 1. Klasse mit einem Staubfaden *Monandria*[110]. + + 2. " " zwei Staubfäden *Diandria*. + + 3. " " drei " *Triandria*. + + 4. " " vier " *Tetrandria*. + + 5. " " fünf " *Pentandria*. + + 6. " " sechs " *Hexandria*. + + 7. " " sieben " *Heptandria*. + + 8. " " acht " *Octandria*. + + 9. " " neun " *Enneandria*. + + 10. " " zehn " *Decandria*. + + 11. " " 12-19 " *Dodecandria*. + + 12. Klasse mit 20 oder mehr Staubfäden, + die nicht auf dem + Fruchtboden, sondern auf der + inneren Seite des Kelches sitzen *Icosandria*. + + 13. Klasse mit 20 oder mehr Staubfäden, + die auf dem Fruchtboden + sitzen *Polyandria*. + + abb. Mit Staubfäden von bestimmter + Verschiedenheit in der Länge. + + 14. Klasse, Pflanzen mit vier Staubfäden, + von denen zwei nebeneinander + stehende länger und + zwei kürzer sind *Didynamia*. + + 15. Klasse, Pflanzen mit sechs Staubfäden, + von denen vier länger, + zwei einander gegenüberstehende + aber kürzer sind *Tetradynamia*[111]. + + ab. Mit verwachsenen Staubfäden oder + verwachsenen Staubbeuteln. + + 16. Klasse, Pflanzen mit Staubfäden, + die unten zusammengewachsen + sind *Monadelphia*. + + 17. Klasse, Pflanzen, deren Staubfäden + zu zwei Bündeln verwachsen + sind *Diadelphia*. + + 18. Klasse, Pflanzen, deren Staubfäden + zu drei oder mehr Bündeln + verwachsen sind *Polyadelphia*[112]. + + 19. Klasse, Pflanzen, deren Staubbeutel + zu einem Zylinder zusammengewachsen + sind *Syngenesia*[113]. + + 20. Klasse, Pflanzen, deren Staubfäden + mit den Griffeln verwachsen + sind *Gynandria*[114]. + + Ab. *Mit getrennten Geschlechtern.* + + 21. Klasse, männliche und weibliche + Blüten befinden sich an + einer Pflanze *Monoecia*. + + 22. Klasse, männliche und weibliche + Blüten befinden sich auf + verschiedenen Pflanzen *Dioecia*[115]. + + 23. Klasse, außer den Zwitterblumen + befinden sich noch männliche + oder weibliche Blüten oder + beide zugleich an einer oder + an verschiedenen Pflanzen *Polygamia*[116]. + + =B. Pflanzen, bei denen weder Staubfäden noch Stempel, + welche bei den übrigen Pflanzen wesentliche Teile + der Blüte sind, in die Augen fallen.= + + 24. Klasse *Cryptogamia*[117]. + +*Linnés* System fand anfangs viel Widerspruch. Entweder wurde die +Sexualität der Pflanzen trotz aller unzweifelhaften Beweise geleugnet, +oder man erhob den Einwand, daß »die neue Lehre zu unzüchtigen Gedanken +reize«. Deutschlands großer Systematiker *Gleditsch*, der im Auftrage +der Akademie zu Berlin den dortigen botanischen Garten gründete, mußte +sich alle Mühe geben, um den Einwurf, daß die Lehre von der Befruchtung +der Pflanzen unsittlich sei, zu widerlegen[118]. + +Zu der Folgerichtigkeit, mit der *Linné* sein System durchführte, +gesellte sich die umfassendste Kenntnis einheimischer und fremder +Pflanzen. Seine Übersicht[119] der Arten enthielt 7300 Nummern und +wurde neun Jahre später um weitere 1500 Nummern vermehrt. Am wenigsten +gründlich durchforschte *Linné* die Pflanzen, welche der Kleinheit +ihrer Organe wegen den Gebrauch von Vergrößerungsgläsern notwendig +machten, wie die Doldengewächse und die Kryptogamen. + +*Linné* selbst war dem physiologischen Experiment, sowie der Anwendung +des Mikroskopes wenig zugetan. Sehr selten begegnen wir bei ihm +dem Bestreben, Erscheinungen auf ihre Ursachen zurückzuführen. +Er begnügte sich damit, alles gehörig zu klassifizieren. Der +mikroskopischen Forschung war das gesamte 18. Jahrhundert wenig +hold. *Grews* und *Malpighis* epochemachende Untersuchungen über den +inneren Bau der Pflanzen wurden nicht fortgesetzt. Ja, es fehlte +sogar nicht an gewichtigen Stimmen, welche die bisherigen Ergebnisse +der Pflanzenanatomie als unrichtig und trügerisch zu verdächtigen +suchten[120]. + +*Linnés* Art, etwas durch logisches Zergliedern klarzustellen, ohne die +Natur selbst hinreichend zu befragen, erinnert häufig an *Aristoteles*. +Daß sein Pflanzensystem in erster Linie auf die Erfüllung eines +praktischen Bedürfnisses hinauslief und keine naturgemäße Gruppierung +ergab, wußte *Linné* sehr wohl, während es seine Nachbeter später +gänzlich vergessen zu haben schienen und in dem von *Linné* +geschaffenen System die Krönung des naturgeschichtlichen Lehrgebäudes +erblickten. + +In späteren Jahren hat sich *Linné* auch dem natürlichen System +zugewandt. Schon in seiner Philosophie der Botanik[121] verlangte er, +»die Fragmente der natürlichen Methode fleißig aufzusuchen«. Dies sei +das erste und letzte, was man in der Botanik erstreben müsse, denn die +Natur mache keine Sprünge. Ja, noch früher, nämlich im Jahre 1738[122], +stellte *Linné* als Grundsatz eines natürlichen Systems die Forderung +auf, sämtliche Teile der Pflanzen, insbesondere aber die Frucht, den +Samen, die Lage des Embryos usw. systematisch zu verwerten. Auch muß +anerkannt werden, daß *Linné* mit dem Wort natürliche Verwandtschaft +einen besseren Begriff verband als die meisten seiner Vorgänger. Besaß +dieser Begriff bei *Linné* zwar ebensowenig eine reale Bedeutung wie +bei den übrigen Systematikern des 18. Jahrhunderts, so paßt sich +seine Vorstellung der späteren Theorie der Abstammung der Arten doch +weit besser an. Während nämlich der Satz, daß die Natur keine Sprünge +mache, die meisten dazu verleitete, sich die organische Schöpfung als +eine einzige aufsteigende Reihe vorzustellen, dachte sich *Linné* die +Verwandtschaft der Formen unter dem Bilde eines vielmaschigen Netzes. +»Alle Pflanzen,« sagt er, »zeigen eine Verwandtschaft nach allen +Seiten.« + +*Linné* selbst hat ein Verzeichnis derjenigen Gruppen aufgestellt, +die er als natürliche betrachtete. Der erste Versuch, von der +Erfassung solcher Gruppen zur systematischen Gliederung des gesamten +Pflanzenreiches zu gelangen, ging von den Franzosen aus. Die +schwedischen, deutschen und englischen Botaniker dagegen verfolgten die +von *Linné* eingeschlagene Richtung bis zur Einseitigkeit und suchten +ihren Ruhm in der Kenntnis einer möglichst großen Zahl von Arten. Erst +mit der Aufstellung des natürlichen Systems durch die beiden *Jussieu* +und *Decandolle* wurde die Grundlage für den weiteren Fortschritt +geschaffen. + +Wie auf dem botanischen, so war auch auf zoologischem Gebiete *Linnés* +Wirken fast ausschließlich nach der beschreibenden und systematischen +Seite gerichtet. Sein Tiersystem entsprach indes weit mehr der +natürlichen Verwandtschaft, als dies hinsichtlich seiner Gruppierung +der Pflanzen der Fall war. Die Einteilung der niederen Tiere, deren +innerer Bau erst in der nächsten Periode eingehender studiert wurde, +fußte jedoch noch auf ganz oberflächlichen Ähnlichkeiten. Das gesamte +Tierreich zerfiel nach *Linné* in sechs Klassen, von denen nur +diejenigen der Säugetiere und der Vögel ihren Wert und Umfang auch +heute noch besitzen. Die Amphibien wurden noch mit den Reptilien zu +einer Gruppe vereinigt. Die vierte Klasse umfaßte die Fische. Die +Insekten bildeten die fünfte Klasse. Sie zerfielen in die noch heute +geltenden Ordnungen, während die letzte Klasse der Würmer alles das +umfaßte, was *Linné* anderweitig nicht unterzubringen vermochte. +Hier finden wir z. B. die Weichtiere mit den Aufgußtierchen und die +Eingeweidewürmer mit den Pflanzentieren vereinigt. Über die animalische +Natur der letzteren ist *Linné* noch nicht völlig im klaren. Er +bezeichnet sie als Pflanzen mit tierisch belebten Blüten. Mancher +Widerspruch erhob sich gegen seinen Schritt, den Menschen als besondere +Gattung an die Spitze des Systems zu stellen und ihn mit den höheren +Affen zur Ordnung der Primaten zu vereinen. Man muß jedoch anerkennen, +daß dieser Schritt die Naturgeschichte des Menschen als besonderen +Wissenszweig angebahnt hat, so daß *Blumenbach*, als er die neuere +Anthropologie begründete, nur der Auffassung *Linnés* zu folgen +brauchte. + +Von besonderer Wichtigkeit für die Systematik war die von *Linné* +herrührende strenge Durchführung der binären Nomenklatur. Anstatt +weitschweifiger Definitionen, die man neu entdeckten Formen beilegte, +erhielt jede Art zwei der lateinischen Sprache entnommene Namen, von +denen der erste die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gattung, der +zweite dagegen, meist in Form eines Eigenschaftsworts hinzutretend, +die Art bezeichnete. Letztere erschien *Linné* als der durchaus +unveränderliche Ausgangspunkt seines Systems. »Tot numeramus +species, quot creavit ab initio infinitum ens« lautet sein bekannter +Ausspruch, »wir zählen soviel Arten, wie Gott im Anbeginn erschaffen +hat«. Diese Ansicht, welche die Beziehungen im anatomischen Bau der +Lebewesen völlig unerklärt läßt und die Worte Verwandtschaft und +Zusammengehörigkeit nur im bildlichen Sinne anzuwenden gestattet, +erstarkte in der Folge zu einem Dogma, das nicht nur die Lehre von den +heute lebenden Formen, sondern auch die Paläontologie bis zum Beginn +des 19. Jahrhunderts vollständig beherrschte und erst in der zweiten +Hälfte des letzteren zu Fall gebracht wurde. + +*Linnés* Bemühen, alles zu systematisieren, erstreckte sich auch +auf das Mineralreich. Da er jedoch auch hier in erster Linie die +äußere Beschaffenheit ins Auge faßte, so war der Erfolg nur gering. +Eigentümliche Ansichten, die sich später als zum Teil begründet +erwiesen, entwickelte *Linné* in seiner Abhandlung über das Anwachsen +der Erde[123]. Danach bildeten sich die Schichten nicht aus zerriebenem +Urgestein, sondern sie sind Erzeugnisse der Lebewelt. Das Kalkgebirge +ist nach *Linné* aus Muscheln und Korallen entstanden, während die +Pflanzen tonige Ablagerungen, die später zu Schiefer erstarrten, +gebildet haben sollten. + + + + +5. Die Ausdehnung der physikalischen Methoden auf das Gebiet der +Pflanzenphysiologie. + + +Wenn auch auf dem Gebiete der Botanik während des 18. Jahrhunderts die +systematische Richtung überwog, so fällt doch in diesen Zeitraum die +Begründung einiger wichtigen Zweige der Pflanzenphysiologie, um deren +weiteren Ausbau man sich dann allerdings zunächst so wenig kümmerte wie +um die Fortsetzung der pflanzenanatomischen Arbeiten eines *Grew* und +*Malpighi*. Es sind dies die Arbeiten von *Hales* über die Bewegung +des Pflanzensaftes und die Aufdeckung der Beziehungen zwischen Blumen +und Insekten durch *Konrad Sprengel*, dessen Forschungen erst in +neuerer Zeit, seit *Darwin* demselben Gegenstande seine Aufmerksamkeit +zuwandte, zur vollen Würdigung gelangt sind. + +Auch an Versuchen einen gewissen Einblick in den Vorgang der Ernährung +der Pflanze zu erhalten, hat es im 17. und 18. Jahrhundert nicht +gefehlt. Solche Versuche wurden schon dadurch veranlaßt, daß sich +*Aristoteles* über die Ernährung der Pflanzen geäußert hatte. Seine +Meinung ging dahin, daß die Pflanzen ihre Nahrung fertig aus der Erde +aufnähmen und daher auch keine Exkremente von sich gäben[124]. Da die +neuere Naturwissenschaft die Haltlosigkeit derartiger, aus allgemeinen +philosophischen Gründen entwickelter Urteile in zahlreichen Fällen +nachgewiesen hatte, so wandte sie das Hilfsmittel, das ihr in allen +diesen Fällen zum Siege verholfen, das experimentelle Verfahren +nämlich, auch auf diese Frage an. + +Einer der ersten, der, wenn auch auf Grund nur mangelhafter +chemischer und anatomischer Kenntnisse, die Frage der Ernährung der +Pflanze vom naturwissenschaftlichen Standpunkte in Angriff nahm, war +*Mariotte*. Wir haben ihn an anderer Stelle als einen der Begründer +der Physik der Gase kennen gelernt[125]. *Mariotte* war, wie alle +Gegner der aristotelischen Art der Naturerklärung, Anhänger der +Korpuskulartheorie. Diese nahm bei ihren Erklärungsversuchen die +Bewegung kleinster Teilchen oder Korpuskeln zu Hilfe. Die Ursache der +Bewegung erblickte sie in anziehenden und abstoßenden Kräften. + +*Mariotte* hat seine Ansichten im Jahre 1679 zusammengefaßt[126]. Nach +ihm nimmt die Pflanze aus dem Boden gewisse Stoffe -- »Prinzipien« +sagt *Mariotte* -- auf. Solche Stoffe sind Salz, Salpeter, Schwefel, +Wasser und Erden. Auch die Luftteilchen spielen nach *Mariotte* bei der +Ernährung der Pflanze eine Rolle. Sie werden durch den Blitz verbrannt +und mit dem Wasser dem Boden zugeführt. Erst viel spätere Forschungen +haben bewiesen, daß diese Ansichten im allgemeinen das Richtige trafen. +Eigentliche pflanzenchemische Versuche vermochte *Mariotte* nämlich +noch nicht anzustellen. Um die Irrigkeit der aristotelischen Meinungen +darzutun, waren solche auch nicht einmal nötig. Daß die Pflanzen die +Bestandteile, aus denen sie sich zusammensetzen, nicht fertig aus dem +Boden aufnehmen, beweist nach *Mariotte* schon die Tatsache, daß sich +in derselben Handvoll Erde tausende von Pflanzen aufziehen lassen, die +alle in ihrer chemischen Zusammensetzung Besonderheiten darbieten. Auch +daß sich auf einen Stamm die verschiedensten Pfropfreiser aufpflanzen +lassen, und daß diese gleichfalls aus offenbar doch ein und demselben, +aus dem Boden eintretenden Saft Erzeugnisse der verschiedensten +chemischen Art hervorbringen, beweist, wie *Mariotte* ganz richtig +hervorhebt, daß sich aus den verschiedenen Prinzipien die pflanzlichen +Substanzen durch passende Vereinigung aufbauen. + +Zu ähnlichen Anschauungen gelangte *Chr. Wolf*, der die +*Leibniz*sche Philosophie fortsetzte und durch seine Bemühungen, die +Korpuskulartheorie zur Erklärung der Naturerscheinungen zu verwerten, +auch auf die Entwicklung der Chemie anregend gewirkt hat[127]. *Wolf* +gab im Jahre 1723 eine allgemeine Naturlehre[128] heraus. In diesem +Buche gibt er eine zusammenhängende Darstellung der Lehre von der +Ernährung der Pflanzen. Auch *Wolf* vertritt die Ansicht, daß die +Pflanze die in sie eintretenden Stoffe chemisch verändere. Dies wird +daraus geschlossen, daß jede Pflanze eigenartige chemische Bestandteile +(»ihr besonderes Öl«) enthält. Die Pflanze entnimmt nach *Wolf* ihre +Nährstoffe nicht nur dem Boden, sondern auch der Luft. + +Im ganzen genommen bemerken wir also im 17. und in der ersten +Hälfte des 18. Jahrhunderts zwar einen erheblichen Fortschritt +gegen *Aristoteles* und van *Helmont*. Es fehlte aber noch an einer +genügenden chemischen Grundlage, um einen wirklichen Einblick in diesen +Teil des pflanzlichen Lebens zu gewinnen. + +Mit weit besserem Erfolge ließen sich die physikalischen +Forschungsmittel auf die Probleme der Pflanzenphysiologie anwenden. Die +Physik hatte während des 17. Jahrhunderts die glänzendste Periode ihrer +Entwicklung gehabt. Sie bediente sich auf allen ihren Gebieten der +quantitativen Untersuchungsweise. Letztere zuerst auf die Erscheinungen +des pflanzlichen Lebens angewandt zu haben, ist das große Verdienst von +*Hales*. + +*Stephan Hales* wurde am 17. September 1677 in der Nähe von Kent +geboren. Er studierte in Cambridge Theologie. Gleichzeitig betrieb er +mit großer Vorliebe Mathematik und Naturwissenschaften. Die Zeit, die +ihm sein Pfarramt übrig ließ, verwandte er auf die Verwirklichung eines +hohen Zieles, nämlich der Ausdehnung der physikalischen Forschungs- +und Betrachtungsweise auf das Gebiet der Lebensvorgänge. Im Jahre 1718 +wurde *Hales* Mitglied der Royal Society; er starb am 4. Januar 1761. + +In seinem Hauptwerke, der Statik der Gewächse[129], versuchte *Hales*, +auf Grund der bis dahin gewonnenen mechanischen und chemischen +Kenntnisse, durch Versuche eine Einsicht in den Lebensprozeß der +Pflanze zu gewinnen. *Harveys* Entdeckung des Blutkreislaufes +hatte die Frage angeregt, ob im Pflanzenkörper ein entsprechender +Vorgang stattfinde. Diese Frage ist es, welche *Hales* durch seine +Versuche zu entscheiden suchte. Wie in der Physiologie des Tieres die +Flüssigkeiten, deren Geschwindigkeiten, die Kräfte, welche auf sie +wirken, sowie die Menge trockener und flüssiger Nahrung die größte +Rolle spielen, so erhält, wie *Hales* des näheren ausführt, die +Mechanik auch das Leben der Pflanzen und bringt deren Wachstum zuwege. +Die Ähnlichkeit zwischen Pflanzen und Tieren sei so groß, daß, wenn +man beide nach gleicher Methode untersuche, wichtige Entdeckungen +zu erhoffen seien. Das Verfahren, das *Hales* zum erstenmale auf +das Studium der Pflanzen anwendet, besteht in Zählen, Messen und +Wägen. Der Einfluß der Physik war es, der sich auf immer weitere +Gebiete erstreckte. »Durch Zählen und Messen«, sagt *Hales* in seinem +Hauptwerk, »hat der große *Newton* die Regeln, nach denen die Gestirne +ihren Lauf beschreiben, zu bestimmen vermocht. Der allweise Schöpfer +hat sich nämlich die Richtschnur gesetzt, alles nach Zahl, Maß und +Gewicht zu erschaffen. Damit nun auch wir seine Werke ergründen +können, kommt es auf Zählen, Messen und Wägen an. Man geht dadurch den +vernünftigsten und sichersten Weg. Und der so ungemein große Erfolg, +den dieses Verfahren gezeitigt hat, muß uns anreizen, es anzuwenden.« + +*Hales'* Untersuchungen befassen sich zunächst mit der Feststellung +der Flüssigkeitsmenge, die von den Pflanzen aus dem Boden aufgenommen +und durch die Blätter wieder abgedunstet wird. Eine 3½ Fuß hohe +Sonnenblume wurde in einen Topf gepflanzt, der durch eine Bleiplatte +nach Möglichkeit gegen Verdunstung geschützt war. Durch diese Platte +führte ein Rohr, das zum Nachfüllen von Wasser diente. Der infolge +der Transpiration eintretende Gewichtsverlust betrug für die zwölf +Stunden von morgens bis abends an heißen Tagen 1 Pfund 14 Unzen, +während der Verlust desselben Topfes, nachdem die Pflanze abgeschnitten +und der Stumpf verklebt war, unter im übrigen gleichen Umständen nur +zwei Unzen[130] betrug. In einer warmen, trockenen Nacht betrug die +Ausdünstung der Sonnenblume drei Unzen; wenn Tau auftrat, unterblieb +sie ganz. + +Darauf stellte sich *Hales* die Aufgabe, die gesamte, oberhalb und +unterhalb des Bodens befindliche Fläche der Sonnenblume zu messen. +Zunächst wurden sämtliche Blätter abgeschnitten und der Größe nach in +Gruppen geordnet. Sodann wurde ein Drahtnetz mit Maschen von bekannter +Größe auf die einem jeden Haufen entnommenen Blätter gelegt und durch +Abzählen der deckenden Maschen die Oberfläche bestimmt. Auf diese +Weise fand *Hales* die Gesamtgröße der abdunstenden Fläche gleich 5616 +Quadratzoll, während er die Oberfläche der Wurzeln zu 2286 Quadratzoll +und deren Gesamtlänge zu 1448 Fuß ermittelte. Innerhalb zwölf Stunden +ging durch den Stamm eine Flüssigkeitsmenge von 34 Kubikzoll. Der Stamm +besaß einen Quadratzoll Querschnitt. Dies ergab unter der Annahme, +daß der Stamm sich wie ein hohles Rohr verhält, für den aufsteigenden +Saft eine Geschwindigkeit von 34 Zoll. Die wahre Geschwindigkeit +mußte, wie *Hales* bemerkte, viel größer sein, da der Raum des Stammes +zum größten Teil mit fester Materie ausgefüllt ist. *Hales* fand, +daß der immergrüne Zitronenbaum viel weniger transpiriert als die +Sonnenblume, der Weinstock und andere Pflanzen, die ihre Blätter im +Winter verlieren. Spätere Versuche, die sich auf zwölf immergrüne Bäume +erstreckten, bestätigten die am Zitronenbaum gemachte Erfahrung[131]. + +Von besonderem Interesse ist es, daß *Hales* das Ergebnis seiner mit +den Pflanzen angestellten Versuche fortgesetzt mit den an Tieren und +Menschen gemachten Beobachtungen verglich. So ergaben die Berechnungen, +die er an seine Arbeit über die Transpiration der Sonnenblume +anknüpfte, daß diese Pflanze in derselben Zeit unter Berücksichtigung +des Körpergewichts 17mal so viel Flüssigkeit aufnimmt und abgibt wie +der Mensch. Diesen Unterschied sieht *Hales* mit Recht darin begründet, +daß die Flüssigkeit, welche die Pflanzen aus dem Boden einsaugen, nicht +soviel Nährsubstanz enthält wie der Saft, der aus dem Verdauungskanal +in den Körper des Tieres übergeht[132]. + +[Illustration: Abb. 12. Der Wurzel Ziehen oder Saugen (*Hales*, Statik +der Gewächse, Tab. III, Fig. X).] + +Da die Bewegung des Pflanzensaftes nicht wie bei den Tieren durch ein +besonderes Triebwerk hervorgerufen wird und, wie *Hales* vermutete, +nur nach einer Richtung vor sich geht, jedenfalls aber nicht in einem +Kreislauf innerhalb der Gefäße besteht, so suchte er zunächst die Kraft +ausfindig zu machen, durch welche die Pflanzen Flüssigkeiten in sich +ziehen. Neben einem vollbeblätterten Baum wurde eine Grube hergestellt. +Ein kräftiger Wurzelast wurde abgeschnitten, mit einer Röhre versehen +und in ein mit Quecksilber gefülltes Becken getaucht (siehe Abb. +12). Die Wurzel zog alsdann mit solcher Kraft, daß das Quecksilber +in der Röhre bis zu einer beträchtlichen Höhe emporstieg[133]. Die +gleiche Wirkung äußerte ein transpirierender Ast, wenn man das mit +seinem abgeschnittenen Ende verbundene Rohr in Quecksilber tauchte. +So wurde, um eins der vielen Beispiele zu erwähnen, ein frischer +Zweig eines jungen Apfelbaums mit einer Röhre verbunden; diese wurde +sodann mit Wasser gefüllt und in Quecksilber getaucht. Letzteres +stieg in 7 Minuten um 12 Zoll (Abb. 13). In anderen Fällen wurde das +Quecksilber jedoch nur wenig gehoben, sodaß *Hales* selbst das infolge +der Transpiration ausgeübte Saugen der Zweige allein zur Erklärung +der Wasserbewegung größerer Pflanzen für nicht ausreichend erachtete. +Er nahm daher als weitere bewegende Kräfte die Kapillarität und den +Wurzeldruck, den er durch viele Experimente messend verfolgt hat, in +Anspruch. + +Die Erscheinung birgt indes selbst für die heutige Pflanzenphysiologie +noch manches Rätsel. *Hales* schließt seine Untersuchung mit den +Worten: »Die Pflanzen ziehen durch ihre kleinen Haarröhrchen die +Feuchtigkeit so stark an, wie wir es gesehen haben. Die Feuchtigkeit +verfliegt durch die Transpiration. Diese bewirkt, daß die Saftgefäße +leer werden und infolgedessen neue Nahrung an sich ziehen.« Seine +Ansicht, daß es sich bei diesem Vorgang nur um physikalische Kräfte +handele, suchte er durch Versuche mit anorganischen, porösen Substanzen +zu stützen. So wurde z. B. eine lange Glasröhre mit Mennige gefüllt +und in derselben Weise wie die Wurzel mit Wasser und Quecksilber in +Verbindung gesetzt. Auch in diesem Falle stieg nicht nur das Wasser +in die poröse Masse empor, sondern das Quecksilber folgte bis zu +einer Höhe von 8 Zoll. Nachdem man später die saugende Wirkung und +die Kapillarität als unzureichend erkannt hatte, um das Wasser zu +nennenswerter Höhe emporzuschaffen, hat man den Sitz der anziehenden +Kräfte wohl in die Zellwand oder in den Zellinhalt verlegt, ohne daß +bisher eine nach jeder Richtung befriedigende Erklärung des in Frage +stehenden Vorgangs gelungen wäre. + +[Illustration: Abb. 13. *Hales'* Versuch über das Saugen eines +transpirierenden Zweiges.] + +Die meisterhaften Untersuchungen eines *Hales* haben auch für die +Aufhellung einer zweiten Reihe von Erscheinungen Grundlagen geschaffen, +auf denen die Pflanzenphysiologie noch heute fußt. Es sind dies die +unter dem Namen des Blutens[134] oder Tränens bekannten Vorgänge, +welche durch den Wurzeldruck veranlaßt werden. *Hales* schnitt einen +Weinstock 7 Zoll über der Erde ab. Der übriggebliebene Stumpf, Abb. 14 +c, besaß keine Äste, er war 4 bis 5 Jahre alt und 3/4 Zoll dick. An der +Spitze dieses Stumpfes befestigte *Hales* vermittelst der Hülse b eine +gläserne Röhre *bf* von 7 Fuß Länge und 1/4 Zoll Durchmesser. Die Fuge +b dichtete er mit einer Masse aus Wachs und Terpentin, die er mit einer +nassen Blase gut zuband. Er fügte dann eine zweite Röhre *fg* an die +erste und fügte an die zweite noch eine dritte *ga*, so daß alle drei +ein Rohr von 25 Fuß Länge bildeten. + +Zunächst sog der Stumpf Wasser ein. Bald darauf drang aber Saft aus +dem Weinstock und die Flüssigkeit hatte nach wenigen Tagen eine Höhe +von mehr als 20 Fuß erreicht, so daß *Hales* auf den Gedanken kam, den +erzeugten Druck durch das soviel schwerere Quecksilber zu messen. + +Zu diesem Zwecke schnitt er einen Weinstock, bei a in Abb. 14, einige +Fuß über der Erde ab. Der Stumpf *ab* besaß keine Zweige und war etwa +einen Zoll dick. Daran befestigte er die Röhre *ayz* und goß in diese +Quecksilber. Noch an demselben Tage stieg das Quecksilber bis z und +stand 15 Zoll höher als im Schenkel x. + +[Illustration: Abb. 14. Das Steigen des Pflanzensaftes in einer 25 Fuß +langen Röhre (*Hales'* Statik der Gewächse, Tab. IV, Fig. 17).] + +Einige Tage später betrug die Höhe des Quecksilbers 32½ Zoll. Sie +würde noch mehr betragen haben, wenn mehr Quecksilber in der Röhre +gewesen wäre. Die Versuche wurden im April angestellt. Im Verlauf +des Monats Mai nahm die Kraft des Saftes nach und nach ab. Als die +Quecksilberhöhe 32½ Zoll betrug, war diese Kraft dem Drucke einer +36 Fuß 5 Zoll hohen Wassersäule gleich. Bei einem anderen derartigen +Versuch hob diese Kraft des Saftes das Quecksilber auf 38 Zoll, was dem +Drucke einer 43 Fuß 3 Zoll hohen Wassersäule entsprach. + +*Hales* wies darauf nach, daß diese Kraft etwa fünfmal so groß ist +wie der Druck des Blutes in einer Pulsader des Pferdes und siebenmal +größer als der Blutdruck beim Hunde. Den Druck des Blutes ermittelte +er dadurch, daß er die Tiere lebend auf dem Rücken festband und eine +große Pulsader öffnete. Darauf verband er diese Ader mit einem Glasrohr +von 10 Fuß Länge und 1/8 Zoll Durchmesser. In diesem Rohr stieg das +Blut eines Pferdes 8 Fuß 3 Zoll, dasjenige eines kleinen Hundes dagegen +6½ Fuß hoch empor. + +Die Ansicht, daß in der Pflanze ein Kreislauf der Flüssigkeit wie in +dem Gefäßsystem der Tiere stattfinde, suchte *Hales* gleichfalls durch +Versuche zu widerlegen. So brachte er an transpirierenden Pflanzen oder +Ästen geeignete Einschnitte übereinander an, die sämtlich bis zum Marke +gingen und nach den vier Himmelsgegenden gerichtet waren. »Obgleich +auf solche Weise dem Safte wiederholt der gerade Weg benommen war, +sagt *Hales*, ging dennoch eine erhebliche Menge Feuchtigkeit durch +den transpirierenden Ast hindurch. Auch wurde die obere Fläche der +Einschnitte nicht etwa feucht, was doch bei einem Kreislauf des Saftes +hätte eintreten müssen.« + +[Illustration: Abb. 15. Die Bestimmung des Wurzeldruckes mittelst des +Quecksilbermanometers (*Hales*, Statik der Gewächse, Tab. IV, Fig. 18).] + +*Hales* dehnte seine Messungen von der Pflanze ausgehend auf den +Boden aus. Er entnahm dem Boden Proben aus verschiedener Tiefe +und bestimmte seinen Feuchtigkeitsgehalt. Ferner bestimmte er die +Ausdünstung des Bodens ihrer Größe nach und verglich die gewonnenen +Zahlen mit der Verdunstung des Wassers. Wenn auch die erhaltenen Werte +noch mit manchen Fehlern behaftet, die Versuche zum Teil roh und die +Versuchsbedingungen nicht sämtlich bekannt waren, so verdient es doch +die größte Anerkennung, daß uns hier zum ersten Male das Streben +begegnet, mit wissenschaftlicher Gründlichkeit ein bisher gänzlich +unbekanntes Gebiet der Forschung zu erschließen. *Hales* wird daher mit +Recht als der eigentliche Vater der Pflanzenphysiologie betrachtet. Er +hat nicht nur den Flüssigkeitsverbrauch, sondern auch den Gaswechsel +der Pflanze nach wissenschaftlichem Verfahren zu erforschen gesucht und +zwar mit solchem Erfolge, daß wir ihm auch einen wesentlichen Anteil +an der Begründung der neueren Chemie zusprechen müssen. Ist es doch +*Hales*, dem diese Wissenschaft eins ihrer wichtigsten Hilfsmittel, die +pneumatische Wanne nämlich, sowie wertvolle Untersuchungen über die +Atmung und die Verbrennung verdankt. Allerdings wurden die Ergebnisse +seines Forschens dadurch sehr getrübt, daß er noch nicht imstande war, +die Gasarten zu unterscheiden. Für *Hales* war noch jeder elastisch +flüssige Stoff, sei es, daß er durch Destillation, durch Gärung +oder bei der Lösung entstand, durch verschiedenartige Beimengungen +verunreinigte Luft. Schon früher hatte man bemerkt, daß Pflanzenteile, +die sich längere Zeit unter einer mit Wasser gefüllten Glocke +befinden, Gas entwickeln. Hieraus schloß *Hales*, daß die Luft an der +Zusammensetzung der Pflanzen teilnimmt. Daß sie das Holz durchdringt, +wies er vermittelst der Luftpumpe nach, auch erwähnt er die von *Grew* +beschriebenen Dunstlöcher (Spaltöffnungen) und ihre Ähnlichkeit mit +den Schweißporen. Durch diese Dunstlöcher dringe die zur Ernährung der +Pflanze nötige Luft in den Stamm und die Blätter ein. + +[Illustration: Abb. 16. *Hales'* Versuche über die trockene +Destillation mit Benutzung der pneumatischen Wanne (*Hales*, Statik, +Tafel IX, Fig. 38).] + +Um das Gas zu untersuchen, das die Pflanzen bei ihrer Zersetzung +liefern, bediente *Hales* sich gläserner Gefäße, die mit Wasser gefüllt +und in größeren Behältern umgestülpt wurden (s. Abb. 16). Diese unter +dem Namen der pneumatischen Wanne bekannte Vorrichtung hat in der Folge +das Studium der Gase außerordentlich gefördert. Bei der trockenen +Destillation von 398 Gran Erbsen erhielt *Hales* 396 Kubikzoll Gas, das +sich an einem Licht entzündete. In einem zweiten Versuch gab ein halber +Kubikzoll oder 135 Gran von dem Holz einer Eiche 128 Kubikzoll Gas. Das +entstandene Gas nahm einen bedeutend größeren Raum ein. Es hatte sich +aus einem Viertel des angewandten Holzes gebildet[135]. + +Sehr wichtig ist, daß *Hales* seinen Apparat auch auf die Untersuchung +der Steinkohle anwandte. Durch die trockene Destillation von 158 Gran +Steinkohle erhielt er 180 Kubikzoll brennbare Luft. *Hales* war wohl +der Erste, der auf solche Weise die experimentelle Grundlage für die +Fabrikation des Leuchtgases schuf. An eine praktische Verwertung seines +Ergebnisses hat man erst hundert Jahre später gedacht. + +Daß *Hales* nicht nur Pflanzenphysiologe war, geht aus seinen oben +erwähnten Versuchen über die Größe des Blutdruckes hervor. *Hales* +ermittelte, daß der Druck des Blutes in den größeren Arterien den +Blutdruck in den großen Venen um viele Male (nach seinen Bestimmungen +10 bis 12mal) übertrifft. Er maß ferner die Kraft, mit der die Lunge +bei der Atmung sich ausdehnt, an einem der Vivisektion unterworfenen +Hunde[136]. Er bestimmte den Durchmesser der Lungenbläschen und +berechnete daraus für die Lunge die innere Gesamtfläche, die er viele +Male größer als die Oberfläche des betreffenden Tieres fand. An seine +Versuche über die Atmung knüpfte er ferner hygienische Winke über +die Heizung und die Ventilation der Wohnräume an. Er konstruierte +sogar einen Ventilator, um Abhilfe für die ungesunden Zustände +herbeizuführen, welche damals auf den englischen Kriegsschiffen +herrschten[137]. *Hales* wurde von dem Gedanken geleitet, daß seine +Untersuchungen insbesondere dem Ackerbau Nutzen gewähren möchten. Es +ist ohne Zweifel ein Ausfluß baconischer Philosophie, wenn er sein +Werk, durchdrungen von der Bedeutung seiner Entdeckungen, mit den +Worten schließt: »Wenn doch diejenigen, die ihre Zeit und ihr Vermögen +damit verschwenden daß sie, einer leeren Einbildung folgend, alles in +Gold verwandeln wollen, an der Erforschung dieser Vorgänge arbeiteten, +so würden sie, anstatt Wind zu ernten, die Lorbeeren erlangen, mit +denen nützliche Entdeckungen belohnt werden.« Wichtig ist, wie +*Hales* seine wenn auch noch unvollkommene Erkenntnis, daß die Luft +in die Bildung des Pflanzenkörpers eingeht und dabei ihre Elastizität +verliert, durch das Studium chemischer Vorgänge zu erläutern und +zu unterstützen sucht. So begegnet uns bei ihm schon jener für die +spätere Analyse der Atmosphäre wichtige Versuch, daß Phosphor in +einer abgeschlossenen Luftmenge verbrannt und eine dabei eintretende +Raumverminderung nachgewiesen wird. Von diesem Versuche und den +ähnlichen Versuchen *Guerickes*[138] bis zur Entdeckung der Tatsache, +daß die von dem Phosphor gebundene Luft zu der übrig bleibenden +Luftmenge stets in einem bestimmten Verhältnis steht, die Luft also +aus *zwei* Gemengteilen zusammengesetzt ist, war nur noch ein Schritt. +Auch daß Blei bei seiner Umwandlung in Mennige Luft verschlucke, die +sich mit dem Blei vereinige und zur Schwere der Mennige beitrage, führt +*Hales* als Beispiel an. Ja, er erzeugt diese Luft auch durch Erhitzen +in seiner Retorte wieder, stellt also schon denselben Versuch an, der +*Priestley* später zur Entdeckung des Sauerstoffs und *Lavoisier* zur +richtigen Deutung des Verbrennungsprozesses geführt hat. *Hales* besaß +somit, wie *Black* und andere Zeitgenossen, schon die experimentelle +Grundlage für diese Deutung. Dennoch konnte man sich von den älteren +Vorstellungen nicht frei machen. Das Verschwinden der Luft war für +*Hales* nicht so wesentlich wie die vermeintliche Aufnahme aus dem +Feuer herrührender Teilchen. + +Nach ihrer chemischen Seite ließ sich die Pflanzenphysiologie erst +fördern, nachdem die Chemie selbst erhebliche Fortschritte gemacht +hatte. Dies geschah durch die Arbeiten *Priestleys*, *Scheeles* und +*Lavoisiers* im Verlauf der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. +Auf diese Arbeiten fußten *Ingen-Housz* und *de Saussure*, die wir +in einem späteren Abschnitt als die eigentlichen Begründer der +Ernährungsphysiologie kennen lernen werden. + + + + +6. Der Ausbau der im 17. Jahrhundert begründeten Sexualtheorie. + + +Außer den im vorigen Abschnitte geschilderten Schritten zur Begründung +der Ernährungsphysiologie zeitigte das 18. Jahrhundert auf botanischem +Gebiete auch hervorragende Arbeiten, welche den weiteren Ausbau der von +*Camerarius* geschaffenen Sexualtheorie bezweckten. Es sind dies die +Bastardierungsversuche *Kölreuters*, welche das Wesen der pflanzlichen +Sexualität in das hellste Licht stellten, und *Sprengels* Nachweis der +wichtigen Rolle, welche die Insekten bei der Befruchtung spielen. + +Zwischen dem Erscheinen der Schrift des *Camerarius* über das +Geschlecht der Pflanzen (1694) und dem Werk *Kölreuters* über den +gleichen Gegenstand liegt ein Zeitraum von etwa siebzig Jahren. +Innerhalb dieses ausgedehnten Zeitraums wurde zwar für und gegen +die neue Lehre viel gestritten, jedoch nur selten der allein den +Fortschritt bedingende Weg des Versuches weiter verfolgt. So schreibt +*Leibniz* 1701, die Blüten hätten offenbar die genaueste Beziehung zur +Fortpflanzung, und es sei von großem Nutzen in der Fortpflanzungsweise +Unterschiede aufzufinden. *Leibniz* mit seiner Vielgeschäftigkeit war +indessen nicht der Mann, um mühevolle, zeitraubende Versuche nach der +erwähnten Richtung anzustellen. + +Erwähnenswert für diesen Zeitraum sind die Versuche *Bradleys*[139], +der zuerst mit Zwitterblüten experimentierte. *Bradley* pflanzte zwölf +Tulpen und sorgte dafür, daß sich in der Nachbarschaft keine Tulpen +befanden. Er beseitigte darauf die Staubgefäße dieser Pflanzen, bevor +sie sich öffneten. Der Erfolg bestand darin, daß keine von den zwölf +Pflanzen Samen entwickelte. + +Ein weiterer Fortschritt in der Erkenntnis der Sexualität der Pflanzen +war es, daß man wenn auch zunächst vereinzelte Wahrnehmungen über die +Bestäubung durch Insekten machte. Man[140] bemerkte z. B. bei einer +Wiederholung des soeben erwähnten Versuches, daß Bienen von einem +benachbarten Tulpenbeet Blütenstaub auf die der Staubgefäße beraubten +Blüten übertrugen, und daß letztere dann reife Samen bildeten. Daneben +beschäftigte man sich mit der Frage, wie der Pollen die Entstehung des +von der Narbe oft so weit entfernten Samens bewirke. Man kam jedoch +hierüber zu keinem Ergebnis. + +Das Beste, was in dem Zeitraum zwischen *Camerarius* und *Kölreuter* +über die Sexualität der Pflanzen veröffentlicht wurde, ist wohl +die Abhandlung von *Gleditsch* vom Jahre 1749[141]. Die Berliner +Akademie der Wissenschaften ließ seit dem Beginn der ihr so günstigen +Regierung Friedrichs des Großen der Botanik ihre besondere Förderung +angedeihen. Ihr Mitglied *Gleditsch* schuf in Jahrzehnte währender, +unermüdlicher Arbeit einen botanischen Garten, der als ein Muster +für derartige Unternehmungen gelten konnte. Es wurden Vorlesungen +über Forstwissenschaft eingerichtet und in einem von *Gleditsch* +verfaßten Werk entstand das erste wissenschaftliche Lehrbuch für diese +Disziplin. In gleicher Weise war man in Preußen unter der Führung +von *Gleditsch* auch für die Landwirtschaft tätig. Man bemühte sich +nicht nur, die Methoden zu verbessern, sondern war auch auf den Anbau +neuer Nutzpflanzen bedacht. Es ist erklärlich, daß unter solchen +Verhältnissen in Preußen auch die wissenschaftliche Botanik manchen +Fortschritt aufwies. Besonders war es wieder *Gleditsch*, der zu +Versuchen mit Pflanzen riet und zahlreiche Pflanzenversuche selbst +anstellte. An dieser Stelle sind vor allem die sich über Jahre und +zahlreiche Arten erstreckenden Versuche hervorzuheben, über die +*Gleditsch* in der erwähnten Abhandlung berichtet. Er wählte als +Versuchsobjekte die diözischen Bäume. Am bekanntesten ist seine +Befruchtung einer Palme des Berliner botanischen Gartens durch den +Pollen eines in Leipzig wachsenden männlichen Exemplars derselben Art +geworden. *Gleditsch* bringt hierüber folgenden Bericht. Die Berliner +Palme sei achtzig Jahre alt und weiblich; sie habe niemals Früchte +getragen, auch habe es in Berlin keinen männlichen Baum derselben +Art gegeben, wohl aber in Leipzig. *Gleditsch* ließ sich darauf die +Staubgefäßblüten aus Leipzig kommen und streute deren Pollen auf die +in Berlin blühende weibliche Pflanze. Das Ergebnis war der deutlichste +Beweis für die Richtigkeit der Lehre von der Sexualität der Pflanzen. +Der bis dahin völlig sterile Baum setzte nämlich Früchte an, die im +Winter reiften und im darauf folgenden Frühjahr keimten. + +In den Jahrzehnten, die zwischen *Camerarius* und dem großen Vollender +seines Werkes, *Kölreuter*, liegen, schuf *Linné* sein Pflanzensystem. +Letzteres gründete sich zwar auf die Zahl und die Beschaffenheit der +Staubgefäße und der Stempel, hat aber im Grunde genommen mit der +Feststellung der Sexualität selbst nichts zu tun. Auf mikroskopische +und experimentelle Forschungen, die hier allein entscheidend sind, hat +*Linné* zufolge seiner ganzen Richtung wenig Gewicht gelegt. + +Mit der Entwicklung der Vorstellungen über die Sexualität der Pflanzen +haben wir uns an anderen Stellen[142] wiederholt beschäftigt. Die Frage +war nur auf experimentellem Wege zu lösen, und die Versuche, sie zu +entscheiden, mehrten sich, nachdem die Entdeckung der Samenfäden[143] +das Interesse für das Wesen des geschlechtlichen Vorganges auf das +höchste gesteigert hatte. Im Anschluß an diese Entdeckung hatte +*Leeuwenhoek* die Lehre aufgestellt, das bewegliche männliche Element +sei der eigentliche Kernpunkt, aus dem sich der neue Organismus +entwickle. Für die Botaniker erhob sich infolgedessen die Frage, wie +dieses Element durch den Griffel in die Höhlung des Fruchtknotens +gelange. In dem Bestreben, den Befruchtungsvorgang zu erforschen, +wandte man sich auch mit Eifer den blütenlosen Pflanzen zu. In +Deutschland wurde insbesondere die Naturgeschichte der Algen, Flechten +und Moose gefördert[144]. + +Ein neuer großer Fortschritt in der Enträtselung dieser Fragen erfolgte +durch *Kölreuter*. Ist zur Erzeugung von keimfähigen Samen eine Wirkung +des Pollens auf den Stempel erforderlich, die sich auf eine zunächst +nicht näher zu erklärende Weise der Samenknospe mitteilt, so mußte +sich die Frage erheben, welchen Anteil das männliche und das weibliche +Element an dem Zustandekommen eines neuen Pflanzenindividuums besitzen. +Da letzteres bei normaler Befruchtung den elterlichen Pflanzen +gleicht, so war diese Frage nur durch die Übertragung des Pollens einer +Pflanzenart auf die Narbe einer zweiten Art zu entscheiden, wie es +schon *Camerarius* in Vorschlag gebracht hatte. Gelang dieser Versuch, +so erwuchs daraus zugleich auch für die Richtigkeit der Sexualtheorie +eine neue Bestätigung. Der erste, der auf diesem Wege Erfolg hatte +und die Grundlage für alle in der gleichen Richtung sich bewegenden +Arbeiten schuf, war der erwähnte *Kölreuter*[145]. *Kölreuters* +Werk erhebt sich über alle früheren und gleichzeitigen botanischen +Schriften. Es stellt eine mit großem Scharfsinn und außerordentlicher +Mühe geschaffene, im Geiste modern wissenschaftlicher Forschung +geschriebene Abhandlung dar, auf der alle späteren Untersuchungen über +Sexualität und Bastardbildung fußen. + +*Kölreuter* geht von dem Bau des Pollens und den Veränderungen aus, +die mit dem Pollen nach der Bestäubung vor sich gehen. Trotz der +damals noch unentwickelten, den feineren Strukturverhältnissen nicht +gewachsenen mikroskopischen Technik sah er, daß das Pollenkorn eine +äußere dicke Haut und ein dünneres, darunter liegendes, ungleich +schwächeres Häutchen besitzt. Das Innere erkannte er als eine körnige, +im reifen Zustande gleichmäßige, flüssige und durchsichtige Masse +(Protoplasma). Er bemerkte ferner die Stacheln und das Aufspringen der +äußeren Haut, sah die Deckel, die sich von den in ihr entstehenden +Löchern abheben, ja er sah endlich die innere Haut als Ausstülpung aus +diesen Löchern hervortreten, beobachtete somit wenigstens den Beginn +der Pollenschlauchbildung. Weiter vermochte *Kölreuter* den Vorgang +nicht zu verfolgen. Der gewonnene Einblick war also nur unvollständig. +Da *Kölreuter* trotzdem, losgelöst von der Erfahrung, weiterschritt, +so konnte die von ihm geschaffene Theorie des Befruchtungsvorganges +das Wesen des letzteren nicht aufhellen. Nach *Kölreuter* findet die +Befruchtung schon auf der Narbe statt, indem sich die dort befindliche +Flüssigkeit, die er für den weiblichen Zeugungstoff hielt, mit der +öligen, männlichen Flüssigkeit des Pollenkorns vermische. Diese +Mischung werde von der Narbe und dem Griffel aufgesogen und gelange +dadurch in den Fruchtknoten, um dort in den Samenanlagen die Keimlinge +zu erzeugen. + +Den Schleier von diesem für das Verständnis der organischen Welt +grundlegenden Vorgang zu lüften, gelang erst den vereinten, mühevollen +Anstrengungen zahlreicher Forscher des 19. Jahrhunderts. + +Die weiteren Untersuchungen *Kölreuters* befaßten sich mit der Frage, +wie viel Pollenkörner zur Befruchtung nötig seien. Er wies nach, daß +ein einziges Pollenkorn genügt, um einen einsamigen Fruchtknoten +zu befruchten. Daraus schloß *Kölreuter*, daß die Zahl der für die +Befruchtung nötigen Staubkörner im Verhältnis zu den in der Blüte +vorhandenen Staubkörnern sehr gering sei. Er bewies dies durch +folgenden Versuch. In einer Blüte von Hibiscus venetianus zählte +*Kölreuter* 4863 Pollenkörner. Die Samenkapsel dieser Pflanze enthält +aber bei der vollkommenen natürlichen Befruchtung nur etwa 30 Samen. Um +letztere zu erzeugen, waren 50-60 Staubkörner erforderlich. Übertrug +*Kölreuter* die zehnfache Menge auf die Narbe der Pflanze, so erhielt +er deswegen nicht mehr und auch nicht etwa vollkommenere Samen. Man +sieht, es waren ins kleinste gehende und dennoch für das Verständnis +des Befruchtungsvorganges höchst wichtige Versuche, die wir *Kölreuter* +verdanken. + +*Kölreuter* erörtert darauf die Möglichkeit, daß der Pollen der +einen Art auf die Narbe der anderen gelange, erklärt aber als echter +Naturforscher sofort, daß über den Erfolg einer solch widernatürlichen +Vermischung nur der Versuch entscheiden könne. Von vornherein nimmt +*Kölreuter* an, daß diese Vermischung etwas Außergewöhnliches sei. +Die Natur, meint er, die jederzeit auch bei scheinbarer Unordnung die +schönste Ordnung beobachte, habe dieser Verwirrung bei den Tieren außer +durch andere Mittel besonders durch die natürlichen Triebe vorgebeugt. +Man müsse daher annehmen, daß die Natur bei den Pflanzen, bei denen +der Wind und die Insekten zu einer widernatürlichen Vermischung häufig +Gelegenheit gäben, den Wirkungen dieser Vermischung durch ebenso +sichere Mittel ihre Kraft zu benehmen gewußt habe. Am ehesten werde +diese Vermischung in den botanischen Gärten vorkommen können, besonders +wenn die Pflanzen dort so geordnet wären, daß die ähnlichsten am +meisten benachbart seien -- bei einer Gruppierung nach dem natürlichen +System würden wir heute sagen. + +Die erste Bastardierung gelang nach vielen vergeblichen Versuchen +im Jahre 1760 an zwei Tabaksarten. »Weil ich schon lange von dem +Geschlecht der Pflanzen überzeugt war,« sagt *Kölreuter*[146] darüber, +»und an der Möglichkeit einer Bastarderzeugung niemals gezweifelt +hatte, so ließ ich mich durch nichts abhalten, Versuche darüber +anzustellen, in der Hoffnung, daß ich vielleicht einmal so glücklich +sein würde, eine Bastardpflanze zu Wege zu bringen. Ich habe es endlich +auch bei der Nicotiana paniculata und der Nicotiana rustica soweit +gebracht, daß ich mit dem Pollen der ersteren den Stempel der anderen +befruchtet, vollkommene Samen erhalten und aus diesen noch in demselben +Jahre junge Pflanzen gezogen habe.« + +Da *Kölreuter* diesen Versuch bei vielen Blumen zu verschiedenen +Zeiten und mit aller nur möglichen Vorsicht angestellt und jedesmal +vollkommenen Samen erhalten hatte, waren jeder Irrtum und die +Möglichkeit eines Versehens ausgeschlossen. Einen weiteren Beweis, daß +die künstliche Bastardierung gelungen sei, brachte die Aussaat der +durch jene Versuche erhaltenen Samen. + +*Kölreuter* bemerkte nämlich zu seiner größten Genugtuung, daß die aus +dem Samen des Bastards gezogenen Pflanzen nicht nur in der Ausbreitung +ihrer Äste und der Farbe der Blumen, sondern auch bezüglich fast +aller zur Blume gehörenden Teile die Mitte zwischen beiden Stammarten +innehielten. Dieses Ergebnis war mit der im 18. Jahrhundert von vielen +gehegten, unter dem Namen der Evolutionstheorie bekannten Lehre, daß +die Embryonen fertig in den weiblichen Organen vorhanden seien und +es zu ihrer Belebung nur eines Anstoßes durch den Pollen oder Samen +bedürfe, wie auch *Kölreuter* hervorhebt, ganz unvereinbar. Durch seine +Versuche, meint er mit Recht, sei die alte aristotelische Lehre von der +Erzeugung durch zweierlei Zeugungsstoff vollkommen bestätigt. + +In einem Punkte zeigte der Bastard jedoch ein bemerkenswertes +Verhalten. Seine Staubgefäße waren auffallend klein und enthielten +weniger Blütenstaub. Dieser war auch nicht mit Flüssigkeit gefüllt, +sondern bestand aus leeren Bälgen, die eine Befruchtung nicht +hervorzurufen vermochten. »Es ist also«, ruft *Kölreuter* aus[147], +»diese Pflanze im eigentlichen Sinne ein wahrer und, soviel mir +bekannt, der erste botanische Maulesel, der auf künstlichem Wege +hervorgebracht worden ist.« Obgleich der Bastardtabak durch seinen +eigenen Staub nicht befruchtet werden konnte, gelang es doch, ihn mit +dem Pollen seiner Stammarten, sei es die Vater- oder die Mutterpflanze, +zu befruchten. In beiden Fällen erhielt *Kölreuter* vollkommene +Samen, wenn auch in einer ungleich geringeren Zahl als bei den nicht +bastardierten Pflanzen durch »eine der Ordnung der Natur gemäße +Befruchtung« erzeugt werden. + +Das Nächstliegende war nun, den Versuch sozusagen umzukehren und +die Narbe von Nicotiana paniculata mit dem Pollen der Nicotiana +rustica zu bestäuben. Zwar fand auch dieses Mal eine Befruchtung +statt; doch waren die erhaltenen Samen kleiner als die natürlichen, und +von sechzig dieser künstlich erhaltenen Samen ging nicht einer auf. +Indessen übertrafen sie die unbefruchteten Samen, welche man von einer +Blume erhält, die überhaupt keinen Pollen empfangen hat, bei weitem. +*Kölreuter* schloß daraus, daß in ihnen trotz ihrer Unfruchtbarkeit +doch etwas von einer Befruchtung und etwas von einem darauf erfolgten +Wachstum vor sich gegangen sein müsse. + +Daß Pflanzenbastarde möglich seien, hatte *Linné* aus »philosophischen +Gründen« angenommen, ohne je ein Experiment nach dieser Richtung zu +machen. So leitete er eine Veronikaart von zwei anderen Arten derselben +Pflanze ab, nur weil alle drei Formen in demselben Gebiet vorkamen. +Die Gattung Saponaria sollte durch Bestäubung mit dem Pollen einer +Gentiana, eine Actaeaart, mit Rhus toxicodendron Bastardformen +liefern. Diesen vagen Vermutungen *Linnés* gegenüber wies *Kölreuter* +durch zahlreiche Versuche nach, daß Bastardpflanzen sich nicht so +leicht erzeugen lassen und daß die Bastardierung eine weit größere +Ähnlichkeit der betreffenden Arten voraussetzt, als man bisher wohl +angenommen hatte. Bei vielen Pflanzen ergab sich trotz ihrer nahen +Verwandtschaft bei *Kölreuters* Bastardierungsversuchen nicht der +geringste Erfolg. + +Auf die epochemachende Veröffentlichung *Kölreuters* von 1761 folgte +die zweite Abhandlung im Jahre 1763. Sie brachte eine Fülle von +neuem, die erste Mitteilung ergänzenden Material. Von 60 Samen des +Bastards von Nicotiana paniculata (♀) und Nicotiana rustica +(♂), die *Kölreuter* ausgesät hatte, war, wie 1761 erwähnt, kein +einziger aufgegangen[148]. Eine Wiederholung brachte ein teilweises +Gelingen. *Kölreuter* erhielt nämlich von vier Kapseln, deren Samen +er zu verschiedener Zeit gesät hatte, acht Pflanzen, eine Zahl, die +allerdings im Verhältnis zur Zahl der in den vier Kapseln befindlichen +Samenkörner nur gering war. + +Grundlegend waren auch die Versuche, die Bastarde durch wiederholte +Bestäubung mit dem Blütenstaub der väterlichen Urform in diese +zurückzuführen. Wurde die Narbe eines Bastards von Nicot. rustica ♀ +und Nicot. panic. ♂ dem Pollen von Nicotiana rustica ♂ bestäubt, so +näherte sich die aus dieser Vermischung hervorgehende Generation wieder +der Nicotiana rustica; und diese Annäherung trat bei einer weiteren +durch abermalige Bestäubung mit dem Pollen von Nicotiana rustica +erzeugten Generation noch mehr in die Erscheinung. + +Weitere Bastarde rief *Kölreuter* innerhalb der Gattungen Dianthus, +Hyoscyamus, Verbascum, Mattiola und anderen ins Leben. Ferner +gelang ihm die Erzeugung von zusammengesetzten, d. h. aus drei oder +mehr Arten hervorgegangenen Bastarden. So erfolgte die Vermischung von +drei Nicotianaarten nach folgendem Schema: + + Nicot. rustica ♀ } + Nicot. panic. ♂ } ♀ } + Nicot. panic. ♂ } ♀ + Nicot. glut. ♂ + +Zu den merkwürdigsten Versuchen gehört *Kölreuters* Erzeugung von +Bastarden höheren Grades oder die »gänzlich vollbrachte Verwandlung +einer natürlichen Pflanzenart in eine andere«. So gelingt die +Verwandlung der Nicotiana rustica in Nicotiana paniculata nach +folgendem Schema: + + Nicot. rustica ♀ } + Nicot. panic. ♂ } ♀ } + Nicot. panic. ♂ } ♀ } + Nicot. panic. ♂ } ♀ } + Nicot. panic. ♂ } ♀ + +Es wurde also durch vier Generationen, ausgehend von Nicotiana +rustica, zur Bestäubung stets wieder der Pollen von Nicotiana +paniculata benutzt. Das Ergebnis war, daß die vierte so erzeugte +Generation in allen Eigenschaften Pflanzen der Nicotiana paniculata +waren. Um gänzlich verwandelt zu werden, mußten einige Pflanzen +wohl einige Grade mehr durchlaufen. Bei anderen wiederum ließ sich +die völlige Umwandlung schon in der zweiten oder dritten Generation +erreichen. Ähnlich verhielt es sich mit der Zurückführung einer bereits +verwandelten Art in die ursprüngliche Mutterpflanze. Die Ergebnisse +waren so wunderbar, daß *Kölreuter* selbst sagt, die Möglichkeit +solcher Vorgänge würde ihm zu Beginn seiner Versuche nicht einmal im +Traume eingefallen sein. + +Daß die Bastardbildung in der Natur keinen solchen Umfang besitzt, +als man nach diesen Versuchen vermuten sollte, hat, wie *Kölreuter* +gleichfalls experimentell nachwies, seinen guten Grund. Kommt nämlich +fremder und von derselben Art herrührender Blütenstaub auf die Narbe, +so wirkt auch bei naher Verwandtschaft nur der letztere. Trotzdem +ist, wie neuere Forschungen[149] dargetan haben, die Bastardbildung +vielleicht eins der Mittel, die zur Entstehung neuer Arten führen. +Wenn auch durch den Wind und durch die Insekten zu jeder Zeit und +aller Orten Verwechslungen des Pollens bewirkt werden, so hat, wie +*Kölreuter* sich ausdrückt, der Schöpfer »durch ein in die Natur +gelegtes Gesetz, das wir nicht genug bewundern können, doch jeder zu +besorgenden Unordnung und Verwirrung vorgebeugt. Dies Gesetz besteht +darin, daß wenn eigener und fremder Samenstaub etwa zu gleicher Zeit +auf die Narbe kommen, der eigene männliche Staub nur allein angenommen, +der fremde hingegen gänzlich von der Befruchtung ausgeschlossen wird«. + +Durchdrungen von der Bedeutung dieser Ergebnisse meint *Kölreuter*, +man habe die Verwandlung der Metalle ineinander seit uralten Zeiten +für möglich gehalten, es sei aber keinem Menschen eingefallen, eine +Pflanze in eine andere oder ein Tier in ein anderes zu verwandeln, +vermutlich weil man dies für schwieriger angesehen. Dennoch habe er +das letztere Problem in wenig Jahren gelöst, während man seit vielen +Jahrhunderten die Metallverwandlung vergeblich zu bewerkstelligen +suche. *Kölreuter* kam auch auf den Gedanken, das gleiche Problem auf +die Tierwelt zu übertragen. Auch hier, meinte er, werde sich aller +Wahrscheinlichkeit nach die Verwandlung auf die gleichen Gesetze +gründen und sich ebenso gewiß wie bei den Pflanzen bewerkstelligen +lassen. »Warum sollte man,« ruft er aus, »einen Kanarienvogel nicht in +einen Hänfling verwandeln können.« Wenn man erwäge, daß durch seine +Bastardierungen die Umwandlung einer Pflanzenart in eine zweite von +wesentlich anderem Aussehen gelungen sei, so dürfe man etwas Ähnliches +in der Tierwelt nicht für unmöglich halten. Unter Anspielung auf +*Ovids* »Metamorphosen« bemerkt *Kölreuter*, daß die ihm gelungenen +Umwandlungen den Vorzug besäßen, nicht nur in der Einbildung eines +Dichters, sondern in der Wirklichkeit zu bestehen. + +Mit der künstlichen Züchtung von Bastarden aus verschiedenen +Tierarten hat sich zuerst eingehender der italienische Physiologe +*Spallanzani*[150] beschäftigt. Seine Versuche erstreckten sich +besonders auf Amphibien und Insekten. Dabei bediente sich *Spallanzani* +des Hilfsmittels der künstlichen Befruchtung. + +Wir haben bei *Kölreuters* Arbeiten etwas länger verweilt, weil sie zu +den besten und lehrreichsten physiologischen Versuchen zählen. Seine +Schrift wird nie veralten[151]. Sie mutet uns an, als ob sie unserer +Zeit gehört und bildet die Grundlage alles dessen, was wir über die +Sexualität der Pflanzen wissen. Mehr beiläufig machte *Kölreuter* +einige sehr wichtige Beobachtungen, die er jedoch nicht weiter +verfolgte. Sie bildeten vielmehr den Ausgangspunkt für die Erschließung +weiter neuer Gebiete durch *Sprengel* und spätere Forscher. So erkannte +*Kölreuter* die Dichogamie von Epilobium, die Reizbewegungen gewisser +Staubgefäße und Narben, sowie an Verbascum die Tatsache, daß der +Blütenstaub nicht befruchtend auf dieselbe Blüte wirkt. Das Seltsamste, +sagt er bei der Schilderung der Sexualvorgänge von Verbascum, sei ihm +gewesen, daß sich die Blüte durch ihren eigenen Staub nicht befruchten +ließ. Zuerst wollte er nicht an die Richtigkeit seiner Beobachtung +glauben. Fortgesetzte Versuche bestätigten sie jedoch. »Ich halte mich +aber,« sagt er, »da ich keinen sicheren Grund davon zu geben weiß, +nicht länger dabei auf.« + +Die Entdeckung, daß der Pollen nicht nur durch den Wind, sondern auch +durch Insekten auf die Narben übertragen wird, während diese Tiere +dem in den Blüten enthaltenen Nektar nachgehen, rührt gleichfalls von +*Kölreuter* her. »Bei allen Kürbisgewächsen, Schwertlilien und nicht +wenigen Malvenarten,« sagt er[152], »geschieht die Bestäubung allein +durch Insekten. Ich erstaunte, als ich diese Entdeckung an einer der +genannten Pflanzen machte und sah, daß die Natur eine so wichtige +Sache wie die Fortpflanzung einem bloßen Ungefähr, einem glücklichen +Zufall überlassen habe. Mein Erstaunen verwandelte sich aber bei +fortgesetzter Beobachtung in die Bewunderung eines dem ersten Anschein +nach zufälligen, in der Tat aber sichersten Mittels, dessen sich hier +der weise Schöpfer bei der Fortpflanzung bedient.« + +»Zwar verrieten,« fährt er fort, »die Bewegungen der Insekten nicht die +Absicht, die Bestäubung zu verrichten, obgleich sie nicht nur für die +Blumen, sondern auch für die Erhaltung jener Tiere die allerwichtigste +Handlung ist.« *Kölreuter* erkannte, daß zahlreiche Blumen einen +zuckerhaltigen Saft, den Nektar, absondern und daß diesem der Besuch +der Insekten gilt. + +Von besonderem Interesse ist *Kölreuters* Aufhellung des +Zusammenwirkens von Tier und Pflanze bei der Mistel[153]. Die +Bestäubung der weiblichen Misteln, sie mögen nun mit den männlichen +auf einem Baume stehen oder in großer Entfernung auf anderen Bäumen +wachsen, geschieht nach *Kölreuter* allein durch Insekten und zwar +durch gewisse Fliegen, die eine in den männlichen wie auch in den +weiblichen Blüten befindliche süße Flüssigkeit aufsuchen. Ziehe man +die Beschaffenheit und die Menge des Blütenstaubes in Betracht, +so müsse man einsehen, daß man hier die Bestäubung durch den Wind +vergebens erwarten müßte. Wie die Befruchtung von Insekten, so hänge +die Verbreitung der Samen der Mistel von Vögeln ab. Es liege hier also +der bis dahin ganz unbekannte Fall vor, daß das Bestehen einer Pflanze +an die Existenz von zwei ganz verschiedenen Tierklassen geknüpft sei. +Andererseits sei die Erhaltung der in Betracht kommenden Insekten und +Vögel wieder auf das Dasein der Mistel gegründet, ein Beispiel, »woraus +die genaue und notwendige Verbindung aller Dinge untereinander sattsam +erhelle«. + +Die Entdeckung *Kölreuters* über die Beziehungen zwischen Blumen +und Insekten weiter verfolgt und im einzelnen den Nachweis des +Zusammenwirkens der Tier- und Pflanzenwelt erbracht zu haben, ist das +große Verdienst *Sprengels*, von dem mit Recht behauptet wurde[154], +daß er an Kühnheit des Gedankens und an Genialität des Forschens weit +über *Camerarius*, ja selbst über *Kölreuter* hinausragte. Leider +hatte dies zur Folge, daß er von seinen Zeitgenossen und Epigonen noch +weniger verstanden wurde als jene Männer. + +*Christian Konrad Sprengel* wurde im Jahre 1750 als der Sohn eines +Geistlichen in Brandenburg a. d. H. geboren. Nachdem er Theologie +und Philologie studiert hatte, wurde er zunächst Lehrer in Berlin +und darauf in Spandau (1780) Rektor einer Schule. *Sprengel* widmete +sich der Botanik mit solchem Eifer, daß ihm schließlich von seiten +des ihm vorgesetzten kirchlichen Superintendenten und der Spandauer +Bürgerschaft Widerwärtigkeiten erwuchsen. Der Superintendent als +Inspektor der Schule konnte es *Sprengel* nicht verzeihen, daß er +am Sonntag botanische Exkursionen machte und darüber die Predigt +versäumte. Im Jahre 1794, ein Jahr nach der Herausgabe seines Werkes, +schied er daher aus dem Amte. + +Die zeitgenössischen Botaniker vermochten die Ergebnisse der Arbeiten +*Sprengels* nicht zu würdigen. Sein Buch fand nur geringen Beifall. +Dies bewog ihn leider, seine Forschungen ganz aufzugeben und sich +wieder der Philologie zu widmen. Einsam, verkannt und verarmt starb er +am 7. April des Jahres 1816. *Sprengels* Werk, sowie sein Name gerieten +in Vergessenheit, bis kein geringerer als *Darwin*, dessen Forschungen +auf die Beziehungen zwischen Blumen und Insekten ein neues Licht +geworfen haben, wieder auf *Sprengel* und dessen »eigentümliches Buch +mit dem sonderbaren Titel« aufmerksam machte[155]. + +Daß Blütenstaub auf die Narbe gelangen muß, wenn sich aus dem +Fruchtknoten eine mit keimfähigen Samenkörnern gefüllte Samenkapsel +bilden soll, war durch frühere Forschungen nachgewiesen. *Sprengel* +blieb der Nachweis vorbehalten, »daß die Befruchtung des Fruchtknotens +der Endzweck ist, auf den sich der ganze Aufbau der Saftblume bezieht +und aus dem er sich völlig erklären läßt«[156]. Über den Vorgang der +Befruchtung selbst konnten erst die mikroskopischen Untersuchungen des +19. Jahrhunderts Aufschluß bringen[157]. Auch die Mikroskopiker jener +Zeit, wie *Ledermüller*[158], bemühten sich vergeblich, die Vorgänge, +die nach der Bestäubung der Blüten eintreten und zur Befruchtung +führen, zu verfolgen. »Ich habe mir,« sagt *Ledermüller*[159], »alle +Mühe gegeben, Öffnungen auf der Narbe zu sehen, in welche die Körner +des Blütenstaubes kommen möchten, allein ich habe solche nicht +entdecken können. Ich glaube daher, daß nicht der Staub selbst, +sondern vielmehr die in seinen Körnern eingeschlossene Substanz die +Befruchtung veranlaßt.« Jedoch ist *Ledermüller* wohl bekannt, daß +sich in manchen Fällen in dem Griffel ein Kanal nachweisen läßt[160]. +Er erwähnt auch, daß von anderer Seite ein Eindringen des Staubes +in diesen Kanal behauptet und der Befruchtungsvorgang in dieser +Erscheinung erblickt werde. + +*Sprengel* glaubte, daß ein aus den Pollenkörnern hervorschwitzendes Öl +die befruchtende Substanz sei. Wenn der Staub auf die Narbe gekommen +ist, meint *Sprengel*, so dringt zwar nicht er selbst, da er viel zu +grob sei, wohl aber das feine, befruchtende Wesen, welches er enthält, +durch die Narbe hindurch in das Innere des Fruchtknotens und wirkt dort +auf die Samenanlagen. Wegen der Ähnlichkeit dieser Befruchtungsart +mit derjenigen im Tierreich nenne man mit Recht die Staubgefäße den +männlichen, den Stempel dagegen den weiblichen Befruchtungsteil. Und es +sei leicht einzusehen, daß dieses die wesentlichsten Teile der Blume +seien. Die Klarstellung dieser Verhältnisse blieb jedoch, wie schon +erwähnt, dem 19. Jahrhundert vorbehalten. + +[Illustration: Abb. 17. Die Blüte des Sumpfstorchschnabels. (Aus +*Sprengel*, das entdeckte Geheimnis der Natur.)] + +Auf die Anpassung der Blüten an die Bestäubung durch Insekten wurde +*Sprengel* besonders durch das Studium der Nektar absondernden +Organe geführt. Als er im Sommer des Jahres 1787 die Blume des +Waldstorchschnabels (Geranium silvaticum) aufmerksam betrachtete, +fand er, daß der unterste Teil ihrer Kronenblätter auf der inneren +Seite und an den beiden Rändern mit feinen Haaren versehen ist. Unter +diesen Haaren erblickte er fünf Drüsen und fünf von diesen Drüsen +abgesonderte Safttröpfchen, die, wie er erkannte, gewissen Insekten +zur Nahrung dienen. *Sprengel* schloß, daß durch die Haare dafür +gesorgt sei, daß der Saft nicht vom Regen verdorben werde. Da die +Blume des Storchschnabels aufrecht steht und ziemlich groß ist, so +könne es vorkommen, daß Regentropfen in sie hineinfallen. Es könne +aber kein Tropfen zu einem Safttröpfchen gelangen und sich mit ihm +vermischen, weil jeder Tropfen von den Haaren, die sich darüber +befinden, aufgehalten werde. Ein Insekt dagegen werde durch diese Haare +nicht daran gehindert, zu den Safttröpfchen zu gelangen. Dies war +das Ergebnis von *Sprengels* Untersuchung des Sumpfstorchschnabels. +Ähnliche Beobachtungen stellte er an anderen Saftblumen an. Er fand sie +alle so eingerichtet, daß zwar die Insekten leicht zum Saft gelangen +können, der Regen ihn aber nicht verderben kann. *Sprengel* schloß +daraus, daß der Saft um der Insekten willen abgesondert werde, und daß +der Saft, damit die Insekten ihn rein und unverdorben genießen könnten, +gegen den Regen gesichert sei. Daß die Haare nicht immer als Schutz +gegen Regen dienen, sondern in manchen Fällen auch die Aufgabe haben, +unberufene Gäste von den Blumen fern zu halten, ist *Sprengel* noch +entgangen. + +Später untersuchte *Sprengel* das Vergißmeinnicht (Myosotis +palustris). Er fand, daß auch bei dieser Blume der Saft gegen den +Regen völlig gesichert ist. Zugleich fiel ihm der gelbe Ring auf, +welcher die Öffnung der Kronenröhre umgibt und gegen die blaue Farbe +des Kronensaums so schön absticht. Sollte wohl, dachte er, dieser +Umstand sich auch auf die Insekten beziehen und die Natur diesen Ring +deshalb so auffallend gefärbt haben, damit er den Insekten den Weg +zum Safthalter zeige? *Sprengel* untersuchte mit Rücksicht auf diese +Annahme andere Blumen. Er erkannte, daß sich solche Flecken, Figuren, +Linien oder Tüpfel von besonderer Farbe dort zeigen, wo sich der +Eingang zum Safthalter befindet. Nun schloß er: »Wenn die Krone wegen +der Insekten an einer besonderen Stelle besonders gefärbt ist, so ist +sie überhaupt der Insekten wegen gefärbt; und wenn jene besondere +Farbe eines Teiles der Krone dazu dient, daß ein Insekt, das sich auf +die Blume gesetzt hat, den rechten Weg zum Saft leicht finden kann, +so dient die Farbe der Krone dazu, daß die Blumen den Insekten als +Saftbehältnisse schon von weitem in die Augen fallen.« + +Als *Sprengel* einige Arten der Iris untersuchte, fand er, daß ihre +Blumen gar nicht anders befruchtet werden können als durch Insekten. Er +untersuchte, ob auch andere Blumen so gebaut seien und überzeugte sich, +daß viele, ja vielleicht alle Saftblumen, von den Insekten, die sich +von dem Safte nähren, befruchtet werden. »Dann wäre«, sagt er, »diese +Ernährung der Insekten zwar in Ansehung ihrer selbst Endzweck, in +Ansehung der Blumen aber nur das Mittel zu deren Befruchtung.« + +Ferner entdeckte *Sprengel*, daß die Staubgefäße sich mitunter früher +entwickeln als die Stempel, eine Beobachtung, die er zum ersten +Male am schmalblättrigen Weidenröschen (Epilobium angustifolium) +machte. Das Gegenteil lernte er an der gemeinen Wolfsmilch (Euphorbia +Cyparissias) kennen. Er fand, daß bei dieser Pflanze zunächst der +Griffel aus der Blume hervorragt, während von den Staubgefäßen noch +nichts zu sehen ist. Die Staubgefäße befinden sich während dieses +Zustandes noch am Grunde der Krone und enthalten noch nicht einmal +fertig gebildeten Staub. Nach einigen Tagen strecken sie sich und +versenden ihren Staub. Wenn die Insekten in eine ältere Blume +hineinkriechen, so streifen sie diesen Staub ab. Besuchen sie dann eine +jüngere Blume, so gelangt der Staub dort auf die Narbe und übt seine +befruchtende Wirkung aus[161]. + +Die als Dichogamie bezeichnete ungleichzeitige Entwicklung der +Staubgefäße und der Stempel ist, wie auch alle späteren Forschungen +dargetan haben, das gewöhnlichste und einfachste Mittel, um die +Selbstbefruchtung einer Zwitterblume zu verhindern. Öffnen sich +die Staubbeutel, wenn die Narben noch unentwickelt sind, so heißt +die Pflanze protandrisch. Wird die Narbe vor der Verstäubung +empfängnisfähig, so kann sie nur den Blütenstaub älterer Blumen +empfangen. Die Pflanze wird dann protogynisch genannt. Auf die im +vorstehenden kurz geschilderten Hauptentdeckungen *Sprengels* gründete +er die Theorie, daß der ganze Bau der Saftblumen in allen ihren +Einzelheiten der Bestäubung durch Insekten angepaßt sei. + +Von Interesse sind auch *Sprengels* Ausführungen über seine von dem +Herkommen völlig abweichende Art des botanischen Studiums. Wer sich +Blumen vom Felde hole und sie auf dem Zimmer untersuche, der werde +nicht den Plan der Natur im Bau der Blumen entdecken. Man müsse die +Pflanzen vielmehr an ihrem Standort untersuchen und darauf achten, ob +sie von Insekten und von welchen Insekten sie besucht werden, wie sich +die Insekten verhalten, ob sie die Staubbeutel oder die Narbe berühren. +Kurz, man müsse die Natur auf der Tat zu ertappen suchen. + +Wie *Sprengel* eine der bekanntesten Anpassungen solcher Art im +einzelnen aufdeckt, zeigt seine Untersuchung der Osterluzzei +(Aristolochia Clematitis), einer in Gebirgswäldern häufig +vorkommenden protogynischen Pflanze. *Sprengel* hatte fast jedesmal +kleine Fliegen in dem Kessel (Abb. 18, k) der aufrecht stehenden Krone +A gefunden, während in dem Kessel einer herabhängenden Krone (B) +keine einzige Fliege war. *Sprengel* glaubte zuerst, das Innere der +Krone sei glatt, so daß die Insekten, wenn die Blume sich nach unten +kehrt, herausfielen. Als diese Vermutung indessen nicht bestätigt +wurde, schnitt er die Krone auf. Da sah er, »daß die Röhre der +aufrechtstehenden Blume mit steifen, fadenförmigen Haaren besetzt +ist. Diese Haare sind mit ihrer Spitze nicht der Öffnung der Krone, +sondern dem Kessel zugekehrt und bilden eine kleine Reuse, durch +welche die Fliegen zwar leicht in den Kessel hinein, aber nicht wieder +herauskriechen können. In der herabhängenden Blume sind dagegen die +Haare verwelkt. Hierdurch war also das Gefängnis geöffnet worden, und +die Fliegen hatten nicht gesäumt, sich wieder ins Freie zu begeben.« + +[Illustration: Abb. 18. Blüte der Osterluzzei. A vor und B nach der +Bestäubung[162].] + +*Sprengel* zeigte, daß die Blume der Aristolochia drei verschiedene +Zustände durchläuft. Nachdem sie eine bestimmte Größe erlangt und sich +geöffnet hat, scheint sie zwar zu blühen, sie ist aber trotzdem nicht +fähig, befruchtet zu werden, weil zunächst weder ein Staubgefäß seine +gehörige Reife noch die Narbe ihre völlige Ausbildung erhalten haben. +Während dieses Zustandes fängt die Blume eine Anzahl Fliegen ein, +von denen sie im zweiten Stadium ihrer Entwicklung befruchtet wird. +Sobald die Natur diesen Endzweck erreicht hat, versetzt sie die Blume +in den dritten Zustand. Die Blume kehrt sich nämlich um, die kleine +Reuse verschwindet, und die Fliegen erhalten ihre Freiheit wieder. Daß +bei der Osterluzzei Fremdbestäubung stattfindet, indem die befreiten, +mit dem Pollen bedeckten Insekten die früher als die Staubbeutel sich +entfaltende Narbe einer jüngeren Blume bestäuben, hat *Sprengel* +übersehen. Im übrigen war er der erste, der bei anderen Pflanzen auf +die Fremdbestäubung aufmerksam gemacht und die Dichogamie als das +sicherste Mittel zur Erreichung der Fremdbestäubung nachgewiesen +hat. »Da viele Blumen«, sagt er, »getrennten Geschlechtes und viele +Zwitterblumen dichogam sind, so scheint die Natur es nicht haben zu +wollen, daß irgend eine Blume durch ihren eigenen Staub befruchtet +wird«[163]. + +Von den wunderbaren Einrichtungen, die *Sprengel* auf jenen Zweck +zurückführte, seien noch diejenigen erwähnt, welche die Blüten der +Berberitze, des Wiesensalbeis (siehe Abb. 19) und der Orchideen +aufweisen. + +Bei Berberis beschreibt *Sprengel* das Verhalten der Staubgefäße, die +sich bei der Berührung durch ein Insekt gegen den Stempel bewegen. +Allerdings glaubte er, daß dieses Verhalten auf eine Selbstbestäubung +hindeute, während tatsächlich das die Blüte besuchende Insekt durch +die reizbaren Staubfäden mit Blütenstaub bedeckt wird und ihn auf eine +andere Blüte überträgt. + +[Illustration: Abb. 19. *Sprengels* Abbildung der Befruchtung einer +Salbeiblüte (Salvia pratensis). 18. Die Blume in natürlicher +Stellung. 24. Die Blume wird von einer Hummel besucht, bestäubt und +dadurch befruchtet. Dabei wird das Insekt, indem es die Staubgefäße +herabdrückt und mit dem Rücken streift, von neuem mit Blütenstaub +beladen, den es auf eine andere Narbe bringt[164].] + +Den Blütenbau und die Bestäubungseinrichtungen der Orchideen +untersuchte *Sprengel* zuerst eingehend am breitblättrigen Knabenkraut +(Orchis latifolia). Er wies nach, daß die Staubkölbchen, gegen Regen +geschützt, in zwei Fächern verborgen sind. Daran, daß sie von selbst +aus diesen Fächern herausfallen oder daß der Wind sie herauswehen +könne, sei nicht zu denken. Führte *Sprengel* einen Grashalm in die +Orchideenblüte ein, so sah er voll Verwunderung, daß sich auf diese +Weise ein Kölbchen herausholen ließ. »Eine Anthere,« sagt er, »ist es +zwar, einen Staubbeutel kann man es aber nicht nennen, da das Kölbchen +nicht eine Haut um sich hat, sondern aus lauter Staub besteht.« +Den Bestäubungsvorgang selbst hat *Sprengel* nicht beobachtet. Er +nahm an, daß Fliegen ihn vollzögen, während es sich in der Tat um +Fremdbestäubung durch Bienen handelt. + +Daß die Bienen und andere Insekten, indem sie ihrer Nahrung nachgehen, +zugleich, ohne es zu wollen und zu wissen, die Blumen befruchten und +dadurch den Grund zu ihrer und ihrer Nachkommen zukünftiger Erhaltung +legen, erklärt *Sprengel* mit Recht als eine der bewundernswürdigsten +Veranstaltungen der Natur. + +Was andere Insekten anbetrifft, so gebührt *Sprengel* auch das +Verdienst, zuerst auf die Beziehungen zwischen Ameisen und Pflanzen +aufmerksam gemacht zu haben. Wir können ihn als den Entdecker der heute +als Myrmekophylie bezeichneten Erscheinung betrachten. *Sprengel* +beschrieb sie an der Zaunwicke (Vicia sepium). Er beobachtete, +daß diese Pflanze nicht nur in ihren Blumen, sondern auch in ihren +Blattwinkeln Saft bereitet und daß die großen Waldameisen diesem Saft +nachgehen. Deshalb finde man den Saft nur selten, wenn man die Pflanzen +an ihrem Standorte untersuche. Nehme man aber einige Stengel mit nach +Hause und stelle man sie in Wasser, so seien nach einigen Tagen die +Blattwinkel voll Saft. + +Eine auf das Dogma von der Konstanz der Arten gegründete Botanik wußte +zu all diesen merkwürdigen Ergebnissen keine Stellung zu nehmen. Man +zog es daher vor, sie mit Stillschweigen zu übergehen. Erst als man +jenes Dogma aufgegeben, wurde das Interesse an blütenbiologischen +Untersuchungen, welche der Lehre von der allmählichen Entwicklung der +Arten eine wesentliche Stütze verliehen haben, von neuem lebendig. + +Auch an den Pflanzen, welche durch den Wind befruchtet werden, +stellte *Sprengel* Untersuchungen an. So wies er darauf hin, daß bei +den Windblütern bei weitem mehr Staub bereitet werden müsse, als +zur Befruchtung nötig sei. Denn der Wind wehe nicht jederzeit den +Staub gerade auf die weiblichen Blütenteile zu und bringe auch nicht +jedes Stäubchen gerade auf eine Blume, die noch nicht befruchtet +sei. Auch wasche der Regen nicht nur viel Staub von den Staubbeuteln +ab, da letztere dem Regen bei dergleichen Blumen sehr ausgesetzt +seien, sondern er schlage auch den schon abgeflogenen und in der Luft +befindlichen Staub nieder. Als Beispiel führt *Sprengel* die Kiefer an, +die so viel Staub verstreue, daß es während ihrer Blütezeit, wie das +Volk sage, zuweilen Schwefel regne. + + + + +7. Fortschritte der Zoologie im 18. Jahrhundert. + + +Auch hinsichtlich der Zoologie muß die Zeit, die wir zu schildern +suchen, als eine Periode des Überwiegens der Systematik bezeichnet +werden. Doch mehren sich die Bestrebungen, in den Bau, die Lebensweise +und die Entwicklung insbesondere der niederen Tiere einzudringen. +Während z. B. noch die Systematiker des 17. Jahrhunderts, darunter +Männer wie *Ray*[165], die Korallen für Pflanzen hielten, taucht in +den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts zum erstenmal die Ansicht +auf, daß die vermeintlichen Blüten der Polypenstöcke Tiere und die +Hartteile, welche Veranlassung zu der Bezeichnung »steinerne Pflanzen« +gegeben hatten, deren Absonderungsprodukte seien, eine Ansicht, der +freilich die Zoologen jener Zeit mit Spott begegneten. Selbst *Linné* +war noch im Zweifel, ob er sich für die animalische Natur der Zoophyten +(Pflanzentiere) entscheiden sollte. + +Der erste, der mit den triftigsten Gründen für die richtige Auffassung +dieser Lebewesen eintrat, war der Franzose *Peyssonnel*. Er stellte in +den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts an den Küsten Südfrankreichs +und Nordafrikas genaue Untersuchungen an lebenden Polypenstöcken an und +zeigte, daß alle Lebensäußerungen an den vermeintlichen Blüten mit der +Annahme, daß es sich hier um Pflanzen handle, unvereinbar seien. + +Ein helles Licht verbreiteten über diesen Gegenstand etwa 20 Jahre +später die Arbeiten *Trembleys* (1710-1784), mit deren Erscheinen *K. +E. von Baer* eine neue Epoche der Physiologie beginnen ließ. *Trembley* +stellte seine Untersuchungen an einem den Korallentieren und Schwämmen +nahe verwandten Geschöpf unserer Binnengewässer, dem Süßwasserpolypen, +an. Einige der von ihm erhaltenen Ergebnisse, und zwar diejenigen, die +sich auf das außerordentliche Reproduktionsvermögen dieses Tieres +beziehen, mögen hier Erwähnung finden. + +Wurde ein Süßwasserpolyp querdurch in zwei, drei oder mehr Teile +zerschnitten, so entstand aus jedem Teile nach kurzer Zeit ein +vollständiger, neuer Polyp. Die einer, auf beiden Seiten offenen Röhre +gleichenden mittleren Stücke schlossen sich an dem einen Ende, während +die gegenüber befindliche Öffnung zur Mundöffnung wurde und alsbald +wieder mit einem Kranz von neuentstandenen Fangarmen umgeben war. Wurde +ein Polyp der Länge nach halbiert, so erhielt man zwei Hautlappen. +Diese verwandelten sich sofort in Röhren, indem die Ränder sich +zusammenlegten und verwuchsen, so daß aus den Polypenhälften wieder +vollständige Tiere wurden. + +[Illustration: Abb. 20. Der Süßwasserpolyp mit Knospen (c) auf einer +Wasserpflanze.] + +Darauf schlitzte *Trembley* einen Polypen auf, breitete ihn aus +und zerhackte ihn in viele kleine Stücke. Alle diese Stücke, sie +mochten Arme haben oder nicht, wurden wieder vollkommene Polypen. Das +wunderbarste Experiment bestand darin, daß *Trembley* den Polypen +wie einen Handschuhfinger umstülpte. Dieser Versuch möge mit den +Worten *Trembleys* geschildert werden: »Ich beginne damit, daß ich +dem Polypen, den ich umkehren will, einen Wurm zu fressen gebe. Hat +er diesen verschluckt, so drücke ich den Polypen am hinteren Ende +und treibe dadurch den Wurm aus dem Magen nach dem Maule zu, bis ein +Stück des Wurmes herauskommt. Dann nehme ich eine ziemlich dicke, +stumpfe Schweinsborste, bringe sie an das hintere Ende des Polypen +und drücke sie gegen den Magen, der hier leer und sehr erweitert ist. +Hierauf drücke ich die Schweinsborste immer weiter voran; je weiter +sie eindringt, um so mehr kehrt sich der Polyp um. Kommt die Borste +bis an den Wurm, der das Maul des Polypen offen hält, so drückt sie +diesen entweder heraus oder sie geht daneben aus dem Maule heraus +und ist jetzt von dem hinteren Teile des Polypen bedeckt, der auf +diese Weise umgekehrt ist. Es erübrigt nichts weiter, als ihn von der +Schweinsborste abzustreifen. + +Sobald dies geschehen ist, verschließt sich der Mund. Später kehren +sich die Lippen nach außen, als wenn sich der Polyp wieder umkrempeln +und in seinen vorigen Zustand zurückkehren wollte. Dies versucht er +auch in der Tat, und oft glückt es ihm. Meine Hauptaufgabe war daher, +den Polypen umgekehrt zu erhalten, um zu sehen, ob er auch in diesem +Zustande leben kann. Ein sicheres Mittel besteht darin, daß man das +umgekrempelte Tier dicht hinter dem Kopfe mit einer Schweinsborste +durchstößt. Ich habe dies mit umgewendeten Polypen getan, ohne daß es +sie am Fressen und an ihrer Vermehrung gehindert hätte.« + +In der geschilderten Weise wurde durch *Trembley* die experimentelle +Forschungsweise auf ein Gebiet übertragen, das sich kaum der +deskriptiven Behandlung erschlossen hatte. Ein Forscher der neueren +Zeit, dem der Süßwasserpolyp den Stoff zu einer ausgezeichneten +Monographie geboten hat[166], rühmt von *Trembley*, daß alle +Nachfolger seine Untersuchungen kaum in ihrer Vollständigkeit zu +wiederholen vermocht hätten. Nur der später erfolgte Nachweis einer +geschlechtlichen Fortpflanzung dieser Tiere ist als ein wesentlicher +Fortschritt zu betrachten. *Trembley* hat wohl die Eier und Samen +bereitenden Organe wahrgenommen, ohne jedoch ihre Bedeutung zu +erkennen. Den Vorgang der Knospung (siehe Abb. 20) hatte schon +*Leeuwenhoek*[167] am Süßwasserpolypen beobachtet. + +Das durch *Trembleys* Versuche erschlossene Studium der Regeneration +wurde von *Spallanzani* auf höhere Tiere ausgedehnt. (*Spallanzani*, +Über die Wiedererzeugung verloren gegangener Teile und über die +Zeugung.) Der italienische Forscher zeigte am Wassersalamander, daß +auch dieses Geschöpf ein ganz außerordentliches Regenerationsvermögen +besitzt. Wurden die Augen, der Unterkiefer oder die Gliedmaßen +abgetrennt, so entstanden sie binnen kurzem in ursprünglicher Form +von neuem. Diese Regeneration trat wiederholt ein, wenn die neu +entstandenen Organe nochmals wieder entfernt wurden. + +Das durch *Leeuwenhoek* erschlossene Gebiet der mikroskopischen +Durchforschung von Aufgüssen oder »Infusionen« wurde während des 18. +Jahrhunderts mehr von Liebhabern der Mikroskopie, die daran ihr »Gemüt +ergötzen« wollten, als von eigentlichen Zoologen angebaut. Trotzdem +wurde hierdurch die Formenkenntnis, sowie das Wissen von dem Leben +der niederen Tiere außerordentlich bereichert. So entstanden die +»Mikroskopischen Gemüts- und Augenergötzungen« *Ledermüllers*[168], +ein reichillustriertes Werk, das sich gleich den »Arcana naturae« +*Leeuwenhoeks*, ohne ein bestimmtes Ziel allem zuwendet, was die +Wißbegierde des dilettantischen Mikroskopikers reizt. Dennoch birgt +*Ledermüllers* Buch die Kunde von mancher wichtigen Entdeckung. +In buntem Wechsel führen uns seine Tafeln Schimmelbildungen, +Kristallisationen, Kleisterälchen, Haare, Schweißporen, Würmer, +Stacheln, Zangen usw. vor. Auch die Nerven werden untersucht. +*Ledermüller* (1719-1769) nennt sie »erschreckliche Folterwerkzeuge +für den Menschen« und widerlegt die Ansicht, daß sie hohl seien. +Wie *Ledermüller* berichtet, beschäftigte sich im Jahre 1727 auch +die Petersburger Akademie mit dem Bau der Nerven. Sie dehnte ihre +Untersuchung sogar auf den Elefanten aus und fand, daß die Nerven +dieses Tieres weder hohl noch erheblich dicker seien als diejenigen der +übrigen Säugetiere. + +Ein besonderes Interesse wandte *Ledermüller* den Aufgußtierchen zu, +denen er den Namen Infusorien beilegte. Abbildung 21 ist die Wiedergabe +einer Tafel seines Werkes[169], auf der er einige von ihm als +Schalmeientierchen (i, k), Deckeltierchen (y, w, x), Glockentierlein +(l) bezeichnete, den Gattungen Stentor und Vorticella angehörende +Infusorienarten zur Darstellung brachte. + +*Ledermüllers* »Gemüts- und Augenergötzungen« sind die +»Insektenbelustigungen« *Rosenhofs* an die Seite zu stellen. *Rösel +von Rosenhof* (1705-1759) war seines Zeichens Kupferstecher. Er lebte +in Nürnberg und widmete sich wie *Swammerdam* mit großer Ausdauer der +Erforschung des Baues und der Lebensweise der kleinsten Organismen, +insbesondere der Insekten. *Rosenhof* wurde dabei, wie manche +Naturforscher des 18. Jahrhunderts, von dem Bestreben geleitet, in +den Wundern, die uns gerade die niedere Lebewelt in so reichem Maße +enthüllt, einen Beweis für die Weisheit und Güte des Schöpfers zu +finden. + +Während die Mehrzahl der Zoologen sich bei dem Studium der Insekten auf +die Beschreibung des Äußeren beschränkte und nur den Zweck verfolgte, +jeder Art den ihr zukommenden Platz im System und in der Sammlung +anzuweisen, hat *Rösel*, wie vor ihm *Réaumur*, seine Beobachtungen +besonders auf die Entwicklung und die Lebensverhältnisse der Insekten +gerichtet. Sein Werk ist daher für alle nachfolgenden Generationen +eine der wichtigsten Fundgruben über das behandelte Gebiet geworden. +Es führt den Titel »Monatlich herausgegebene Insektenbelustigung« und +erschien seit 1746. Was den Wert des vier starke Bände umfassenden +Werkes besonders erhöht, sind die zahlreichen, ihm beigefügten, in +Farbendruck hergestellten Kupfertafeln. Sie geben die Insekten in +einer selbst heute an Naturtreue kaum übertroffenen Ausführung wieder. + +[Illustration: Abb. 21. *Ledermüllers* Abbildung von Aufgußtierchen.] + +*Rösel* lieferte ferner eine Naturgeschichte der Frösche. Auch dieses +Werk zeichnet sich weniger durch das Neue, das es über den Bau dieser +Gruppe bringt, als durch die Fülle feiner Beobachtungen über die +Entwicklung und die Lebensweise aus. + +*Trembleys* Arbeit über den Süßwasserpolypen regte *Rosenhof* zu einer +Nachprüfung an. Er bestätigte nicht nur *Trembleys* Beobachtungen, +sondern er förderte auch viel Neues über die verschiedenen Polypenarten +zutage und stellte es in prächtigen Tafeln dar. *Rösel* betitelt den +betreffenden Abschnitt seines Werkes »Historie der Polypen und anderer +kleiner Wasserinsekten«[170]. Er macht darin auch Mitteilungen über +die Naiden. Das sind im süßen Wasser lebende Würmer, an denen *Rösel* +beobachtete, daß sie nicht nur durch Zerschneiden vermehrt werden +können, sondern daß sie sich sogar durch eigene Teilung vervielfältigen. + +[Illustration: Abb. 22. *Rösel von Rosenhofs* Darstellung der Bewegung +und der Teilung einer Amöbe. (Gezeichnet nach Tafel 101 des III. Teiles +seiner Insektenbelustigungen.)] + +Ferner finden wir bei ihm wohl eine der ersten Schilderungen der +amöboiden Bewegung, die wir hier mit den zugehörigen Abbildungen (Abb. +22) wiedergeben wollen. *Rösel* beschreibt eine Amöbe unter dem Namen +Proteus mit etwa folgenden Worten: »Mein Proteus ist ein sehr kleines +Tier. Es begibt sich sehr langsam von einer Stelle zur anderen, wobei +es fortwährend seine Gestalt verändert. Ich beobachtete die Tierchen +in größerer Anzahl unter dem zusammengesetzten Mikroskop und bemühte +mich, an ihnen eine gewisse Gestalt wahrzunehmen oder etwas an ihnen zu +sehen, was einem Kopf, einem Schwanz oder Gliedmaßen gliche, ohne daß +mir dies indessen gelungen wäre. Endlich betrachtete ich eins dieser +Tiere allein und habe daran folgendes bemerkt: Das Tier besteht aus +lauter ungleich großen Körnern. Nachdem es eine Zeitlang einer Kugel +geglichen hatte, stellte es sich mir in der Form der mit C bezeichneten +Figur dar, sah also einem Kleeblatt ähnlich. Kaum war aber eine halbe +Minute verflossen, so sah es wie in D aus. Bald darauf wurde es länger, +wie E zeigt. Diese Verlängerung dauerte so lange, daß es aussah, als +wollte sich das Tier in zwei Teile teilen. Dies geschah auch wirklich +nicht lange danach, indem sich die beiden Teile F und F bei G trennten. +Nun hatte ich statt des einen Tieres deren zwei, von denen jedes bald +wieder eine andere Gestalt annahm, wie H und I zeigen[171].« + +Auch die Frage nach der Entstehung der kleinsten Lebewesen wurde damals +lebhaft erörtert. Während von der einen Seite die von *Swammerdam* und +*Redi* hinsichtlich der Insekten widerlegte Urzeugung zur Erklärung des +so rätselhaften Auftretens der Infusorien wieder in Anspruch genommen +wurde, nahm *Spallanzani* (1729-1799) eine Fortpflanzung durch Eier +und Keime an. Diese sollten sich in den zur Herstellung des Aufgusses +benutzten Stoffen befinden[172]. Da ein Nachweis dieser Keime aber +äußerst schwierig war, so konnte die Lehre von der Urzeugung, zumal +sie in *Buffon* einen angesehenen und eifrigen Vertreter fand, sich +bis ins 19. Jahrhundert hinein erhalten. Ihre endgültige Beseitigung +erfolgte erst durch die Experimente *Pasteurs*. Die an anderer Stelle +wiedergegebene Abhandlung dieses Forschers ist auch geeignet, den Leser +mit dem im 18. Jahrhundert zwischen *Spallanzani* und seinen Gegnern +geführten Streit bekannt zu machen[173]. + +Für die niedersten Pflanzen, wie die Pilze und Flechten, hatte +*Caesalpin*[174] gleichfalls Urzeugung angenommen. »Manche Pflanzen«, +sagt *Caesalpin*, »haben überhaupt keinen Samen, sie entstehen nur +durch Fäulnis und sind gewissermaßen ein Mittelding zwischen den +Pflanzen und der unbelebten Natur.« *Jungius*, der aufgeklärteste +Botaniker des 17. Jahrhunderts[175], auf den sich *Linné* ganz +besonders stützte, bezweifelt dies jedoch, während *Linné* meinte, +daß »auch bei den untersten Stufen der Gewächse Blumen und Früchte +vorhanden seien, obgleich sie ihrer Kleinheit wegen nicht deutlich +wahrgenommen werden«. Aus dieser Ansicht erklärt sich die von *Linné* +für die niederen Pflanzen angewandte Bezeichnung »Kryptogamen« +(Verborgenblütige). Die Einsicht in diejenigen Vorgänge, welche die +Fortpflanzung der Kryptogamen ausmachen, blieb gleichfalls der neuesten +Periode vorbehalten. + +Neben der Lehre von der Urzeugung wurde das Gebiet der Biologie während +des 18. Jahrhunderts noch durch eine zweite Irrlehre verdunkelt, die +uns heute fast noch sonderbarer anmutet. Es ist die von *Harvey* +ausgehende und von dem großen Anatomen und Physiologen *Albrecht von +Haller* gestützte Evolutions- oder Einschachtelungstheorie. Das Studium +der Befruchtung und der Entwicklung hatte die Frage nach der Erklärung +dieser Vorgänge angeregt. So nahm *Harvey* an, das Ei enthalte die +vollständige Anlage desjenigen Wesens, welches daraus hervorgeht. +Dadurch kamen wieder Philosophen und Naturkundige des 18. Jahrhunderts +auf den Gedanken, daß folgerichtig nach der Lehre *Harveys* das Ei auch +das nächstfolgende, sowie alle späteren Geschlechter enthalten müsse. +Diese Einschachtelungstheorie, gegen welche vor allem auch die von +*Kölreuter* bei seinen Bastardierungsversuchen erhaltenen Ergebnisse +sprachen, wurde durch *Wolff* in seiner Theoria generationis vom +Jahre 1759 vollständig widerlegt[176]. Mit *Wolff* beginnt die neuere +Entwicklungsgeschichte, die den Vorgang der Entstehung als ein +Werden oder einen Wachstumsprozeß betrachtet und ihn teils aus der +Stammesgeschichte, teils aus mechanischen Ursachen zu erklären sucht. + +*Kaspar Friedrich Wolff* wurde im Jahre 1733 in Berlin geboren. Als +junger Mediziner wandte er sich mit großer Vorliebe der Anatomie +und der Botanik zu. In Halle geriet er unter den Einfluß der +Philosophie des Leibnizianers *Christian Wolf*. So kam es, daß er +bei seinen naturwissenschaftlichen Untersuchungen sich mitunter +allzusehr von vorgefaßten Meinungen leiten ließ und häufig aus +unzulänglichen, ungenauen Beobachtungen zuweitgehende philosophische +Verallgemeinerungen zog. Da *Wolff* in Preußen nicht die gehoffte +Anerkennung fand -- er wurde bei der Besetzung von Lehrstühlen mehrfach +übergangen --, so folgte er im Jahre 1766, wie es auch *Euler* getan, +einem Rufe an die Petersburger Akademie der Wissenschaften. *Wolff* +blieb auch dort mit anatomischen und entwicklungsgeschichtlichen +Arbeiten beschäftigt. Hervorzuheben ist seine Untersuchung über die +Entwicklung des Darmes. Nach einem zurückgezogenen, der Wissenschaft +gewidmeten Leben starb *Wolff* in Petersburg im Jahre 1794. + +*Wolffs* Theoria generationis geht von der Untersuchung der Pflanze +aus, um auf diese Weise »die Richtschnur klarzulegen, an die man sich +bei der Behandlung der viel schwierigeren zoologischen Verhältnisse zu +halten hat«. *Wolffs* Untersuchungen über den Bau und die Entwicklung +der Pflanze sind für die Geschichte der Pflanzenanatomie von nicht +geringer Bedeutung. Es war das erste Mal, daß nach der Begründung +dieses Wissenszweiges durch *Malpighi* und *Grew* sich wieder jemand +eingehender mit diesem Gegenstand beschäftigte. Waren die Ergebnisse +*Wolffs* auch noch sehr ungenau und fehlerhaft, so sicherten dennoch +manche von den Verallgemeinerungen, die er an sie knüpfte, seiner +Arbeit eine nachhaltige Wirkung. Vor allem wurde durch *Wolff* die +Frage nach der Entstehung des zelligen Baues der Pflanze angeregt, +wenn auch die Lösung, die er selbst zu bieten suchte, unrichtig war. +*Wolff* nahm nämlich an, die Pflanzensubstanz in der Vegetationsspitze +sei zunächst gallertartig. In dieser Gallerte sollten sich kleine +Bläschen ausscheiden. Diese sollten sich in der Weise vergrößern, daß +die zwischen den Bläschen befindliche Zwischensubstanz später als ein +Maschwerk von Zellwänden erscheine. Das Wachstum geschehe durch die +Ausdehnung der Bläschen und dadurch, daß neue Bläschen zwischen den +alten entständen und sich gleichfalls vergrößerten. *Wolff* bemerkte +ganz richtig, daß Fasern und Gefäße nicht etwa schon in der Anlage +vorhanden sind. Die jungen Pflanzenteile seien aus gleichartigen +Bläschen zusammengesetzt. Mitunter beständen sie aber aus einer +gleichförmigen Substanz ohne alle Bläschen. Auf dieser letzteren +irrtümlichen Beobachtung beruht seine unrichtige Theorie von der +Zellenbildung, nach welcher die Zellen etwa so entstehen würden, wie +die Hohlräume des Brotes in dem ursprünglich zusammenhängenden Teig, +allerdings mit dem Unterschiede, daß die Hohlräume in der Pflanze nicht +leer, sondern mit dem in ihnen sich ansammelnden Nahrungssaft erfüllt +sein würden. Von letzterem sagt er, daß er »durch die Substanz der +Bläschen hindurchkrieche«, ja daß er »die feste Pflanzensubstanz ebenso +leicht durchdringen könne, wie dies mit Hilfe der Gefäße geschehe«. +Er nimmt also für die Erklärung der Saftbewegung in der Pflanze +das Verhalten zur Hilfe, das wir heute als Diffusion bezeichnen. +Ähnlich wie die Zellen aus der Vergrößerung eines ruhenden Tropfens +Nahrungssaft hervorgehen sollen, läßt *Wolff* die Gefäße durch die +Fortbewegung eines solchen Tropfens durch die ursprünglich gleichartige +Grundsubstanz entstehen. »Ein Flüssigkeitstropfen«, sagt *Wolff*[177], +»der durch die feste Substanz hindurch fortschreitet und sich seinen +Weg selbst bahnt, kann nicht eine kugelförmige Spur zurücklassen; er +bildet vielmehr einen Kanal, der -- nach *Wolffs* Annahme -- infolge +einer Erstarrungsfähigkeit des Nährsaftes erhalten bleibt.« Diese +Erstarrungsfähigkeit des Nährsaftes wird nicht nur der pflanzlichen, +sondern auch der tierischen Substanz zugeschrieben. Diese Fähigkeit, +zusammen mit einer »wesentlichen Kraft«, wie *Wolff* sein formgebendes +Prinzip nennt, sollte nun den Vorgang der Entwicklung organischer Wesen +erklären. Die »wesentliche Kraft« ist nach ihm jene Kraft, durch welche +die Flüssigkeiten im Organismus verteilt und ausgeschieden werden. +»Die wesentliche Kraft«, sagt er, »und die Erstarrungsfähigkeit des +Nährsaftes sind ein hinreichendes Prinzip jeder Entwicklung, sowohl bei +den Pflanzen als auch bei den Tieren.« + +Aus dieser Übereinstimmung zwischen den beiden Naturreichen folgerte +*Wolff* fast ein Jahrhundert, bevor *Schwann* den zelligen Bau der +Lebewesen als allgemeines Prinzip erkannte, daß sich in den Tieren wie +in den Pflanzen nicht nur Zellgewebe finde, sondern daß es sich auch +auf dem gleichen Wege entwickle. Wenn *Wolff* auch über den Vorgang +der Bildung von Zellgewebe, wie wir sahen, noch nicht zu richtigen +Vorstellungen gelangt war, so hebt er doch zutreffend hervor, daß das +Zellgewebe der Tiere »ebenso gebildet wird, wie das Zellgewebe und die +Bläschenstruktur bei Pflanzen[178]«. + +Als typisches Beispiel hebt *Wolff*, wie es auch später von *Schwann* +geschehen, die Knochen hervor. »Ihr innerer Bau, sagt er, ist zellig +und entsteht ebenso wie das übrige Zellgewebe«. + +Bei der Untersuchung des tierischen Organismus kommt es *Wolff* vor +allem darauf an, die Ansicht der Evolutionisten zu widerlegen, daß die +Organe ursprünglich vorhanden und nur wegen ihrer unendlichen Kleinheit +verborgen seien. Eine Widerlegung dieser Ansicht erblickt *Wolff* mit +Recht schon darin, daß die Teilchen, welche alle tierischen Organe bei +ihrer ersten Anlage zusammensetzen, Kügelchen sind, die man schon mit +einem Mikroskop von mittlerer Vergrößerungskraft unterscheiden könne. +»Wie kann man nun behaupten«, ruft er aus, »einen Körper wegen seiner +Kleinheit nicht sehen zu können, wenn doch die Teile, aus denen er sich +zusammensetzt, sehr wohl zu unterscheiden sind?« + +[Illustration: Abb. 23. *Wolffs* Abbildung eines Embryos.] + +Die nebenstehende Abbildung aus *Wolffs* Theoria generationis zeigt +einen Embryo nach 36stündiger Bebrütung. Man erkennt die Teile des +Gehirns, die Augen mit den Sehnerven, das Rückenmark (h), das Herz (k), +die vorderen schon recht deutlichen (f) und die hinteren noch in der +Absonderung begriffenen Wirbel (e und d). Die ernährenden Teile gehen +aus dem Ei, dessen Dotter durch die Wärme aufgelöst und zerstört werde, +in den Embryo über. Dazu, sagt *Wolff*, gehört wie bei den Pflanzen +eine die Nährsäfte bewegende »wesentliche Kraft«. Daß diese Kraft und +diese Flüssigkeitsbewegung auch im erwachsenen Körper tätig sei, dafür +spreche z. B. das Wachstum der Nägel und der Haare. Zu dieser Kraft +tritt dann nach *Wolff* als zweites, die Formgebung bedingendes Prinzip +die Erstarrungsfähigkeit der jungen gallertigen Gewebe, eine Fähigkeit, +die allerdings bei den Tieren geringer sei als bei den Pflanzen. + +Die Gefäßbildung im Embryo läßt *Wolff* in ähnlicher Weise wie die +Entstehung der Gefäße in den Pflanzen vor sich gehen. Die bewegten +Flüssigkeiten bahnen sich dort Wege, wo sie einen geringeren Widerstand +finden. Die erste Anlage des Hauptstammes aller Gefäße, des Herzens, +zeigt uns *Wolffs* nebenstehende, der Theoria generationis +entnommene Abbildung (Abb. 24 c). Sie läßt uns auch die erste Anlage +der Gliedmaßen erkennen. Als plumpe Höcker (r) heben sie sich aus der +übrigen Masse hervor. Und zwar bestehen auch sie aus einer Substanz, +die *Wolff* als zellig bezeichnet. Anfangs sind die Gliedmaßen ohne +Gefäße. Letztere wachsen aus der zuerst entstehenden Hauptader oder +Aorta in die Gliedmaßen hinein. + +Daß die Nieren erst entstehen, nachdem sich die Wirbelsäule gebildet +hat, wird von *Wolff* besonders hervorgehoben. Er zeigt, daß die Nieren +aus einem zelligen Gewebe hervorgehen, das erst am dritten Tage der +Entwicklung unter der Wirbelsäule erscheint. Daß dieses Gewebe zunächst +keine Spur von einem Organ enthält, ließ sich leicht feststellen, da es +vollkommen durchsichtig ist. + +Durch all diese Beobachtungen war die insbesondere von +*Haller* vertretene, indessen auch von *Leibniz* gebilligte +Einschachtelungstheorie vollkommen widerlegt. Der einzige Weg, auf +dem dies geschehen konnte, war der von *Wolff* betretene. Er wandte +sich behufs Entscheidung der Streitfragen an die Natur selbst und +untersuchte zum ersten Male genauer die Anlagen der einzelnen Organe +im Embryo hinsichtlich ihrer Form und der Zeit ihres Entstehens. +Das Ergebnis war, daß die Teile des Organismus weder präformiert +sind, noch sich gleichzeitig entwickeln, sondern daß sie aus einer +gleichartigen, zelligen Substanz nacheinander hervorgehen. Trotz +zahlreicher Beobachtungsfehler, die *Wolff* im einzelnen gemacht hat, +war damit für alle späteren entwicklungsgeschichtlichen Forschungen +die Grundlage gewonnen. *Wolff* ist somit der Begründer der modernen +Entwicklungsgeschichte. Das ist und bleibt sein unsterblicher +Ruhmestitel. + +Auch der Gedanke der Metamorphose der Pflanze rührt von *Wolff* her. +Das Nähere hierüber, sowie die Fortbildung, welche dieser Gedanke bei +*Goethe* und anderen fand, bleibt späterer Erörterung vorbehalten. + +[Illustration: Abb. 24. *Wolffs* Darstellung der Entstehung des Herzens +und der Gliedmaßen.] + +Die Frage nach den Vorgängen der Zeugung und der Entwicklung war zwar +eine hervorragend wichtige, es war aber nur eine unter den vielen +die Physiologie im 18. Jahrhundert beschäftigenden Fragen. Hat dieser +Zeitraum doch den größten Physiologen in *Haller* hervorgebracht, um +dessen Forschergestalt sich alles gruppieren läßt, was die weitere +Entwicklung der Physiologie in dem erwähnten Zeitraum anbetrifft. + +*Albrecht von Haller* wurde am 16. Oktober 1708 in Bern geboren. Er +verwaiste frühzeitig und wuchs bei einem Arzte auf, dem er seine +Neigung für die Naturwissenschaften und ihre Anwendung auf das Gebiet +der Heilkunde verdankte. *Haller* studierte in Tübingen Anatomie und +Botanik, worin ihn *Camerarius* unterwies. Später hielt er sich in +Leyden, wo *Boerhave* auf ihn einwirkte, sowie in London und in Paris +auf. Nachdem *Haller* in Basel und in Bern Vorlesungen über Anatomie +gehalten, siedelte er 1736 nach Göttingen über. Dort entfaltete er eine +einzigartige Wirksamkeit. 1753 kehrte er in seine Heimatstadt zurück, +wo er am 12. Dezember 1777 starb. In Göttingen hielt *Haller* an der +neu gegründeten Universität Vorlesungen über Botanik, Anatomie und +Chirurgie, begründete eine anatomische Sammlung und einen botanischen +Garten, dessen Leitung er übernahm. Er rief die Göttinger Königliche +Gesellschaft der Wissenschaften ins Leben und zog viele Schüler an sich +heran, welche die Wissenschaft in der von ihm eingeschlagenen Richtung +weiterführten. + +*Haller* wurde stets von dem Gedanken geleitet, daß die Anatomie als +die wichtigste Grundlage der Physiologie zu betrachten sei, und zwar +nicht nur die Anatomie des Menschen, sondern nicht minder diejenige der +Tiere. + +Ferner gab er dem Experiment am lebenden Tiere eine Ausdehnung, wie sie +vor ihm nicht bestand. »So grausam das Verfahren der Vivisektion auch +erscheint«, sagt *Haller*, »so darf man doch nicht außer acht lassen, +daß es der Physiologie mehr Nutzen schafft als alle übrigen Methoden +und daß ein einziges derartiges Experiment oft die aus der Arbeit von +Jahren entstandenen Irrtümer beseitigt hat.« + +*Haller* lieferte, durchdrungen von dem Gedanken, daß man mit dem +Bau eines Organismus bekannt sein muß, wenn man seine Verrichtungen +erforschen will, viele wertvolle Beiträge zur vergleichenden Anatomie. +Über den Wert dieser Wissenschaft für die physiologische Forschung sagt +er: »Täglich mache ich die Erfahrung, daß man über die Tätigkeit der +meisten Organe des lebenden Körpers kein Urteil fällen kann, wenn man +sich nicht über den Bau des betreffenden Organs vollkommene Klarheit +verschafft hat und zwar nicht nur durch eine Untersuchung am Menschen, +sondern auch durch eine solche an verschiedenen Vierfüßlern, Vögeln, +Fischen, ja oft auch an niederen Tieren«. + +Das wichtigste allgemeine Ergebnis dieser Forschungen war *Hallers* +Lehre von der Reizbarkeit und der Empfindung (der Irritabilität und der +Sensibilität). Er betrachtete sie als besondere, mit physikalischen +Kräften nicht zu verwechselnde Fähigkeiten der belebten Substanz. Wir +erinnern uns, daß *Borelli* die Tätigkeit der Muskeln einer Elastizität +dieser Organe zugeschrieben hatte. *Haller* dagegen erklärte die +Fähigkeit sich zusammenzuziehen als eine den Muskeln innewohnende +Eigenschaft und nannte diese Organe reizbar oder irritabel. Der +gewöhnliche Reiz, welcher die Verkürzung der Muskeln bewirkt, gehe zwar +von den Nerven aus, doch könnten an dessen Stelle auch andere Reize +treten. Letztere können, wie *Haller* zeigte, noch eine Kontraktion des +Muskels hervorrufen, wenn die Verbindung des letzteren mit dem Nerven +unterbrochen ist, ein offenbar für seine Lehre günstiges Experiment. + +Wie die Irritabilität ausschließlich an die Muskeln gebunden ist, so +ist die Sensibilität nur in den Nerven anzutreffen. Sie vermittelt +die Veränderungen, welche äußere Reize hervorrufen, dem Bewußtsein. +Wie das geschieht, blieb zunächst unerklärt. *Haller* war indessen +geneigt, ein feines, in den Nerven sich bewegendes Fluidum nach dem +Vorgange *Malpighis*[179] anzunehmen. Selbst *Kant* huldigte dieser +ziemlich grob materialistischen Anschauung von dem Zustandekommen +der Empfindungen[180]. Die weit zutreffendere Vorstellung, daß die +Tätigkeit der Nerven in einer vibrierenden Bewegung bestehe, vermochte +*Haller* nicht anzuerkennen. Trotzdem ist in seiner Darstellung von der +Sensibilität dieser Organe die später von *Johannes Müller* ausführlich +entwickelte Lehre von den spezifischen Energien der Sinnesorgane schon +im Keime enthalten. Besonders zeigt sich dies in der Darstellung, +die *Haller* von der Physiologie des Auges gab. Danach rufen die vom +Gegenstande kommenden Lichtstrahlen ein Bild auf der Netzhaut hervor, +das eine Reizung des Sehnerven veranlaßt. Was wir empfinden, ist +nicht der Gegenstand selbst, sondern der Eindruck, den dieser auf den +Sehnerven ausübt. Es folgt daraus, daß die Empfindungen und die darauf +sich aufbauenden Vorstellungen subjektiver Art sind. Trotzdem denkt +*Haller* nicht daran, das Vorhandensein der Außenwelt zu leugnen. Die +Erfahrung ist es, der nach ihm die Aufgabe zufällt, aus dem subjektiven +Eindruck ein Urteil über die Natur der wahrgenommenen Gegenstände +zu bilden. Mit dieser Lehre stimmten die Beobachtungen überein, daß +auch mechanische Reize aller Art eine Lichtempfindung hervorzurufen +vermögen. Daß die Netzhaut der Sitz der Lichtempfindung sei, war, +wie wir erfuhren, von *Mariotte* auf Grund seines Versuches über den +blinden Fleck[181] angezweifelt worden. *Haller* hielt jedoch an der +früheren, schon von *Kepler* begründeten Ansicht fest. Er hob mit Recht +hervor, daß die Aderhaut, die nach *Mariotte* das Sehen vermitteln +sollte, keine Nerven enthält. Dagegen sei die Netzhaut ein Geflecht +von Nervenfasern, welchen im ganzen Organismus die Vermittlung der +Empfindungen zukomme. + +Die besonderen Leistungen *Hallers* betreffen die Physiologie des +Gefäßsystems und des Stimmorgans. Sie sind in seinem Meisterwerke, den +Elementa physiologiae corporis humani, das 1757 und in den folgenden +Jahren erschien, niedergelegt worden[182]. + +*Haller* erforschte besonders den Klappenapparat des Herzens und +die Bewegungen dieses Organes und seines flüssigen Inhalts. Seine +Untersuchung betraf ferner die Bewegung und die Geschwindigkeit des +Blutes in den Arterien, sowie den Einfluß, den die Wandungen der +letzteren auf den Blutstrom ausüben, und vieles andere mehr. + +Hervorzuheben sind die Versuche, die beweisen sollten, daß der +Pulsschlag im ganzen arteriellen System gleichzeitig erfolgt. An diese +Versuche hat später *E. H. Weber* seine Anwendung der Wellenlehre auf +die Lehre vom Kreislauf des Blutes angeknüpft und gefunden, daß die von +*Haller* behauptete völlige Gleichzeitigkeit nicht besteht. Doch ergab +sich, daß der Zeitunterschied nur den Bruchteil einer Sekunde ausmacht. +*Haller* begründete seine Ansicht folgendermaßen: »Wenn man bei einem +Menschen die rechte Hand auf die Gegend legt, wo das Herz liegt, und +die linke an die Schläfenarterie oder an die Kniekehlenarterie bringt, +so wird man finden, daß das Herz in dem nämlichen Augenblick gegen +die Rippen stößt, in welchem es in allen genannten Arterien den Puls +hervorbringt«[183]. + +Zu erwähnen sind auch die Versuche *Hallers*, welche darin bestanden, +Stoffe in den Blutstrom einzuführen, um deren physiologische und +therapeutische Wirkung zu untersuchen. Dieses unter dem Namen +Gefäßinfusion bekannte Verfahren kam zwar schon im 17. Jahrhundert +infolge der Entdeckung des Blutkreislaufes auf. Es wurde aber zuerst +durch *Haller* und einen seiner Schüler auf zahlreiche Chemikalien +(Pflanzengifte, Säuren, Arsenverbindungen, Kupfersalze usw.) ausgedehnt +und schließlich von den Ärzten jener Zeit mit sehr ungünstigem Erfolge, +wie sich begreifen läßt, zu therapeutischen Zwecken angewandt. Immerhin +ist das Verfahren erwähnenswert, weil die in neuerer Zeit mit besserem +Erfolge geübte subkutane Injektion darauf zurückzuführen ist. + +Sehr eingehend und stets auf vergleichend anatomischer und +physikalischer Grundlage fußend, untersuchte *Haller* den Kehlkopf +und die Erzeugung der Stimme. Er wies nicht nur, wie es schon vor ihm +geschehen, auf die Rolle der Stimmbänder hin, sondern er stellte vor +allem auch fest, welche Aufgaben die einzelnen Kehlkopfknorpel, sowie +die Mund- und die Nasenhöhle bei der Stimmbildung zu erfüllen haben. + +Nicht so glücklich wie auf dem Gebiete der Physiologie war *Hallers* +Wirken auf demjenigen der Entwicklungsgeschichte. Hier ist er unter +den Verteidigern der sonderbaren, auf *Harvey* zurückgehenden Lehre +von der Evolution[184] zu nennen, nach welcher jedes neu entstehende +Wesen als im Keime vorgebildet (präformiert) gedacht wurde. Obgleich +schon 1759 *Caspar Friedrich Wolff* die Lehre von der Epigenesis, +d. h. der folgeweisen Entwicklung der Organe aus einfacheren Teilen +(Zellen und Zellschichten) an Stelle der Evolutionstheorie setzte, fand +letztere durch die Autorität *Hallers* eine solche Stütze, daß *Wolffs* +Anschauungen dagegen nicht aufkommen konnten. Sie gerieten fast in +Vergessenheit und gelangten erst ein halbes Jahrhundert später zur +Anerkennung, nachdem für die Entwicklungsgeschichte durch *Meckel*, *v. +Baer* und andere Forscher eine neue Aera angebrochen war. + +Trotz dieses ablehnenden Verhaltens *Wolff* gegenüber hat *Haller* sich +um die Entwicklungsgeschichte des Gefäßsystems und der Knochen bemüht +und hierüber einige verdienstvolle Abhandlungen geschrieben (Sur la +formation du coeur dans le poulet. 1758). + +Die Anatomie hatte während des 17. Jahrhunderts in Holland, wo +*Swammerdam* und *Boerhave* wirkten, einen bedeutenden Aufschwung +genommen. Sie erlebte im 18. Jahrhundert auch in Deutschland eine +kräftige Förderung. Vor allem ist hier *Lieberkühn* als derjenige +zu nennen, der die anatomische Kunst von Holland nach Deutschland +verpflanzte. *Lieberkühn*, ein Schüler *Boerhaves*, kam 1740 +nach Berlin und wurde dort Mitglied der Preußischen Akademie der +Wissenschaften. Vergeblich waren die Bemühungen dieser Gesellschaft, +auch den großen Physiologen *Albrecht von Haller* zu gewinnen und +so Berlin zum Mittelpunkt der medizinischen Wissenschaften zu +machen. *Lieberkühn* war nicht nur ein eifriger Präparator, sondern +er lehrte die Deutschen auch mit Hilfe des Mikroskops den feineren +Bau der tierischen Gewebe untersuchen. Er verstand es meisterhaft, +die Methode der Gefäßinjektion zu handhaben. Die bedeutendste +Entdeckung *Lieberkühns* war diejenige der Darmzotten, jener winzigen +Ausstülpungen der Darmwandung, die man später wohl als die inneren +Wurzeln des Tieres bezeichnet hat[185]. + +*Lieberkühns* Schüler und sein Nachfolger in der Preußischen Akademie +war *Johann Friedrich Meckel*, der Ältere, dem die Nervenanatomie +manche Entdeckung verdankt. Die Familie *Meckel* nahm auf dem Gebiete +der Anatomie durch mehrere Generationen eine führende Stellung ein. +Vor allem war es *Johann Friedrich Meckel* der Jüngere, der auf den +Vorarbeiten seines Vaters und seines Großvaters fußend zu Beginn des +19. Jahrhunderts der vergleichenden Anatomie in Deutschland eine +Heimstätte bereitete. Dabei vermochte er sich auf eine von seinem +Großvater begründete und von seinem Vater unter Aufwendung bedeutender +Mittel erweiterte Sammlung zu stützen, die zu den ersten des 18. +Jahrhunderts zählte. + + + + +8. Die neuere Mathematik und ihre Beziehungen zu den +Naturwissenschaften. + + +Das 18. Jahrhundert war auf den Gebieten der Astronomie und der Physik +vorzugsweise mit der Lösung der aus der *Newton*-*Huygens*periode +übernommenen Probleme beschäftigt. Fast ausschließlich in das +18. Jahrhundert fiel auch der Aufschwung, den die Lehre von der +Reibungselektrizität nahm. Hier waren die beiden vorangehenden +Perioden kaum über die seit alters bekannten einfachsten Wahrnehmungen +hinausgekommen. Auf dem Gebiete der Chemie wurde durch zahlreiche +Beobachtungen die große Tat vorbereitet, welche dieser Wissenschaft +im Beginn der neuesten Zeit ein gänzlich verändertes Aussehen geben +sollte, während in der Zoologie und in der Botanik die systematische +Richtung überwog und nur hin und wieder das experimentelle Verfahren +zum Durchbruch kam. Daß dieses Verfahren auf allen Gebieten Platz +greift und daß man es überall mit der mathematischen Behandlungsweise +zu verknüpfen sucht, kennzeichnet die gegen das Ende des 18. +Jahrhunderts beginnende Periode in der Entwicklung der Wissenschaften, +deren Betrachtung wir uns jetzt zuwenden. + +Daß sich die Natur aus der Mechanik der Atome erklären lasse, galt +den meisten Forschern als ausgemacht. Die atomistisch-mechanische +Behandlungsweise fand ihren weitgehendsten Ausdruck durch *Laplace*. +»Ein Geist«, sagt er, »der für einen gegebenen Augenblick alle +Kräfte kennt, welche die Natur beleben und die gegenseitige Lage der +Wesen, aus denen sie besteht und diese Angaben der mathematischen +Analyse unterwirft, könnte in dieselbe Formel die Bewegungen der +größten Weltkörper und des leichtesten Atoms einbegreifen. Zukunft +und Vergangenheit wären seinem Blicke gegenwärtig.« Der menschliche +Verstand, fügt *Laplace* hinzu, biete in der Vollendung, die er der +Astronomie gegeben, ein schwaches Abbild eines solchen Geistes dar. + +Für Deutschland ging die Anregung, die Mathematik auf die gesamte +Naturlehre anzuwenden, besonders auf *Leibniz* und seinen Schüler +*Wolf*[186] zurück. Während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts war +die *Leibniz-Wolf*sche Philosophie die herrschende. In ihr wurzelt auch +die darauf folgende Zeit der Aufklärung, mit der in Deutschland wie in +Frankreich die Hauptzweige der bisherigen Entwicklung der Philosophie, +der idealistische und der realistische nämlich, zu einem gewissen +Abschluß kamen, indem sie beide in eine verflachende Popularphilosophie +ausmündeten. + +In dem Bestreben, die Naturerscheinungen auf Bewegungen zurückzuführen +und sie auf diese Weise der mathematischen und der mechanischen +Erklärung zugänglich zu machen, hatte das 17. Jahrhundert die alte +Lehre von der atomistischen Zusammensetzung als Korpuskulartheorie +zu neuem Leben erweckt. Die Korpuskeln oder Partikeln spielten +für die Erklärung der physikalischen Vorgänge eine große Rolle. +Angeregt durch Christian *Wolf* versuchte *Lomonossow* die +Korpuskulartheorie auf die Chemie auszudehnen, um dadurch auch diese +Wissenschaft der mathematischen Behandlungsweise zugänglich zu +machen. *Lomonossows*[187] Gedankengang war etwa der folgende: Alle +Änderungen kommen nach der Lehre *Wolfs* durch Bewegungen zustande. +Das gilt auch von den Änderungen der zusammengesetzten Körper, +der chemischen Verbindungen, wie wir heute sagen würden. Mit den +Bewegungen befaßt sich die Mechanik. Folglich müssen die Änderungen der +zusammengesetzten Körper, d. h. die chemischen Vorgänge, mechanisch +erklärt werden können. Nur so lasse sich die Chemie zu einer exakten +Wissenschaft machen. Des weiteren fordert *Lomonossow*, die chemischen +Veränderungen auf Grund der Versuche und Gesetze der Physik zu erklären +und damit einen neuen Wissenszweig zu schaffen, den er schon als +»physikalische Chemie« bezeichnet. Es blieb aber bei der Aufstellung +von Forderungen und Zielen, von deren Verwirklichung die Wissenschaft +noch weit entfernt war. Immerhin hat *Lomonossow* das Verdienst, jene +Forderungen erhoben und jene Ziele erkannt und ausgesprochen zu haben. +Auch auf dem Gebiete der Wärmelehre und der Oxydationsvorgänge war +*Lomonossow* ein Vorläufer derjenigen Männer, die hier die neueren +Grundlagen schufen[188]. Die Bestrebungen, die Mathematik auf die +Chemie auszudehnen, ruhten jetzt nicht mehr. Und gerade im Herzen +Deutschlands, wo *Wolf* gelehrt und *Lomonossow* studiert hatte, +zeitigten diese Bestrebungen die ersten Früchte, indem *Wenzel* und +*Richter* die Anfänge der Stöchiometrie schufen. Daß diesen Männern +das ein halbes Jahrhundert früher gesteckte Ziel vorschwebte, leuchtet +schon ans den Titeln ihrer stöchiometrischen Schriften hervor[189]. + +Die Vorstellung von der atomistischen und molekularen Konstitution der +Materie gewann noch größere Bedeutung, nachdem sie *Dalton* um 1800 +zu einer wohlbegründeten Theorie ausgestaltet hatte. Auf Grund dieser +Theorie suchte man jetzt unter der Annahme von molekularen Fernkräften, +für welche das *Newton*sche Gravitationsgesetz ein Analogon darbot, die +Naturerscheinungen der mathematischen Analyse zu unterwerfen. Das Ziel +indessen, das *Laplace* und seinen Zeitgenossen vorschwebte, und das +in der Forderung gipfelte, aus möglichst wenigen Voraussetzungen den +Gesamtverlauf der Naturerscheinungen mechanisch zu erklären, hat sich +nicht verwirklichen lassen. An seine Stelle setzte die neuere Mechanik, +um mit den Worten *Kirchhoffs* zu reden, die bescheidenere Aufgabe, den +Ablauf der Vorgänge auf die einfachste Weise möglichst vollständig zu +beschreiben. + +Die Mathematik hatte sich bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts Hand in +Hand mit den Naturwissenschaften entwickelt. *Descartes*, *Galilei*, +*Kepler*, *Newton*, *Leibniz*, sie alle hatten auf beiden Gebieten +Hervorragendes geleistet, weil sie von dem Gedanken des innigen +Zusammenhanges beider Wissenschaften durchdrungen waren. Zwar tauchten +auch mathematische Probleme auf, die zunächst außer Beziehung zur +realen Welt zu stehen schienen. Und sie wurden von den Mathematikern +darum nicht etwa hintangesetzt. Doch kannte man jene im 19. Jahrhundert +lange herrschende Richtung, die sich so stolz als »reine Mathematik« +bezeichnete und schließlich jede Fühlung mit der Wirklichkeit verlor, +weder im 17. noch im 18. Jahrhundert. Wir haben in einem früheren +Abschnitt erfahren, wie *Bernoulli*, *Lagrange* und *Euler* die +Infinitesimalrechnung zu einem der allerwichtigsten Hilfsmittel, +sozusagen zum Handwerkszeug des Naturforschers, ausgestalteten. Um die +Wende des 18. zum 19. Jahrhundert erlangen zwei neue mathematische +Zweige für die Naturwissenschaften und ganz besonders für ihre +Anwendungen eine ähnliche Bedeutung. Es sind das die darstellende und +die projektivische Geometrie. In ihren Anfängen reichen beide zwar in +weit frühere Perioden zurück. + +Die darstellende Geometrie, deren Aufgabe es ist, Raumgebilde in der +Ebene darzustellen und aus diesen Darstellungen mit vollkommener +Genauigkeit wieder zu rekonstruieren, wird gewöhnlich als eine +Schöpfung von *Monge* betrachtet. Man darf aber nicht vergessen, daß +die Benutzung von Grund- und Aufrißzeichnungen so alt ist, wie die +Baukunst. Papyrusfunde haben bewiesen, daß die Ägypter für ihre Bauten +derartige Zeichnungen anfertigten. Und *Vitruvius* gibt in seinem +zur Zeit des Augustus entstandenen Werke über die Architektur eine +ausführliche Darstellung des von den römischen Baumeistern geübten +Grundriß- und Aufrißverfahrens. Seine Weiterentwicklung erfuhr dieses +aus unmittelbaren Bedürfnissen entstandene Wissen nicht am Schreibtisch +des Gelehrten, sondern an den Stätten der Praxis, vor allem in den +Bauhütten des Mittelalters. Die wunderbaren architektonischen Werke +jener Zeit konnten nur entstehen, wenn ihre Schöpfer Aufgaben der +darstellenden Geometrie, wie sie besonders für den Schnitt der Gewölbe +in Betracht kamen, zu lösen vermochten. Ohne Zweifel wurde manche der +erforderlichen Konstruktionen empirisch gefunden und verwendet, ohne +daß man den mathematischen Beweis für ihre Richtigkeit erbracht hätte. +Dies geht z. B. auch daraus hervor, daß manche Schriften des 16. und +17. Jahrhunderts für die Baukunst wichtige Konstruktionen mitteilen, +ohne auch nur den Versuch eines Beweises zu machen. + +Ein nicht minder großes Interesse an der Entwicklung des Verfahrens, +körperliche Gebilde in der Ebene richtig darzustellen, besaßen die +Maler. Es kann daher nicht Wunder nehmen, daß das erste deutsche Buch +über diesen Gegenstand von einem Maler und zwar von unserem großen +*Albrecht Dürer* herstammt. Er verdient deshalb nicht minder als +Lionardo da Vinci einen Platz in der Geschichte der Wissenschaften. + +*Dürers* Schrift erschien 1525; sie führt den Titel: »Underweysung +der messung mit dem zirckel und richtscheyt in Linien, ebenen und +gantzen corporen.« Die Bedeutung dieser Schrift besteht weniger +in den Konstruktionen, die sie lehrt, als in der Forderung, die +perspektivische Grundlage eines Bildes nicht wie bisher aus freier +Hand zu fertigen, wobei grobe Fehler ganz unvermeidlich seien, sondern +die perspektivische Zeichnung nach mathematischen Vorschriften zu +machen. *Dürer* ist dadurch zum Begründer der Lehre von der Perspektive +geworden. + +*Monge* dagegen gebührt das große Verdienst, die im Verlaufe einer +langen Entwicklung entstandenen Ansätze, von denen hier nur einige +Erwähnung finden konnten, nicht nur vermehrt, sondern zu einem, auf +strenge Beweisführung gegründeten, wissenschaftlichen Lehrgebäude, der +heutigen deskriptiven oder darstellenden Geometrie, ausgestaltet zu +haben. + +In dem äußeren wie dem inneren Leben von *Monge* spiegeln sich die +geistigen, politischen und kulturellen Zustände seiner Ära, des +Zeitalters der französischen Revolution, die bald zu einer europäischen +werden sollte, mit besonderer Deutlichkeit wieder. + +*Gaspard Monge* ging aus dem durch die Revolution erst zur Geltung +gelangenden dritten Stand, der in geistiger Beziehung bald der erste +werden sollte, hervor. *Monge* wurde 1746 in einem burgundischen +Städtchen als der Sohn eines armen Handwerkers geboren, der +sich die größten Entbehrungen auferlegte, um seinen Söhnen eine +wissenschaftliche Ausbildung zu geben. Mit 16 Jahren wirkte *Monge* +schon als Lehrer der Physik in Lyon. Später lehrte er an einer Schule +für Militäringenieure Baukonstruktionslehre. Aus der Beschäftigung +mit diesem Gegenstande schuf *Monge* in dem Bestreben, die teils +umständlichen, teils noch empirischen älteren Methoden zu vereinfachen +und wissenschaftlich zu begründen, seit 1770 etwa seine darstellende +Geometrie. Veröffentlicht hat *Monge* sein Lebenswerk erst 1798[190], +weil ihm, solange er an der Militärschule wirkte, die Geheimhaltung +seines genialen Lehrganges zur Pflicht gemacht worden war. + +*Monge* gehörte, wenn er politisch auch weniger hervortrat, zu den +großen Männern der französischen Revolution. Der Konvent ernannte ihn +zum Leiter der Geschützgießereien. In dieser Stellung verfaßte er ein +Werk über die Anfertigung von Kanonen. Während der Schreckensherrschaft +wurde er in den Anklagezustand gesetzt. Er floh daher ins Ausland, +kehrte aber bald nach Frankreich zurück und fand Gelegenheit, bei +der Gründung der École polytechnique, dem großartigen Vorbilde +für die technischen Schulen des 19. Jahrhunderts, einen maßgebenden +Einfluß auf die Gestaltung des gewerblichen Unterrichtswesens[191] +auszuüben. Die damals von *Monge* erhobenen Forderungen, nämlich +naturwissenschaftlicher Unterricht, Übung der Schüler im Gebrauch +wissenschaftlicher Instrumente, Pflege des wissenschaftlich begründeten +Zeichnens, Anwendung der darstellenden Geometrie auf die Bau- und +Maschinenkonstruktionslehre, sind für die Folge die wichtigsten +Grundlagen geblieben, auf denen allein die moderne Technik zu der sie +heute auszeichnenden Vollendung emporwachsen konnte. + +Aus dem späteren Leben von *Monge* verdient noch Erwähnung, daß er +neben *Berthollet* der hervorragendste Gelehrte war, der sich an +*Napoleons* Expedition nach Ägypten beteiligte. *Napoleon*, welcher +die Bedeutung der exakten Wissenschaften wie kein anderer Herrscher +zu würdigen verstand, überhäufte *Monge* mit Ehren. Auch während des +Kaiserreichs war *Monge* an der École polytechnique als Lehrer tätig. +Nach der Rückkehr der Bourbonen wurde er seiner Ämter entsetzt. Er +verfiel infolgedessen in geistige Umnachtung, von der ihn jedoch ein +baldiger Tod im Jahre 1818 erlöste. + +Unter den mathematischen und mechanischen Schriften, die wir *Monge* +verdanken, nimmt seine »Darstellende Geometrie«, durch welche er diese +Disziplin wissenschaftlich begründete, die erste Stelle ein. Ihre +Aufgabe ist nach *Monge* eine doppelte. Einmal gilt es, alle Gebilde +von drei Dimensionen auf Gebilde von zwei Dimensionen, die sich auf dem +Zeichenblatte darstellen lassen, zurückzuführen. Zweitens lehrt die +darstellende Geometrie aus der Zeichnung alle Beziehungen ableiten, +die aus der Gestalt und der gegenseitigen Lage der in der Ebene +dargestellten Raumgebilde entspringen. + +Die von *Monge* zur Lösung dieser Aufgaben angewandte +Projektionsmethode geht von der Voraussetzung aus, daß die Lage +eines Punktes im Raume mathematisch bestimmt ist, wenn man seine +Projektionen auf zwei zu einander senkrechten Ebenen kennt. Unter der +Projektion eines Punktes auf eine Ebene versteht *Monge* den Fußpunkt +des von dem Punkte auf die Ebene gefällten Lotes. Sehr übersichtlich +wurde das Projektionsverfahren vor allem dadurch gemacht, daß *Monge* +sich die vertikale Ebene um ihre Schnittlinie mit der horizontalen +Ebene gedreht denkt, bis sie mit der letzteren zusammenfällt. Die +vertikale Ebene wird also mit den Projektionen, welche sie enthält, +auf demselben Blatt gezeichnet, das für die horizontale Projektion +dient. Beide Ebenen sind nur durch eine Schnittlinie (Projektionsachse) +getrennt. Und man muß sich stets daran erinnern, daß die vertikale +Ebene um diese Schnittlinie wie um ein Scharnier um 90 Grad gedreht +werden muß, um in ihre eigentliche Stellung zu kommen. Dieser +treffliche Grundgedanke bot eine Menge von Vereinfachungen und +Vorteilen. So erkennt man ohne weiteres, daß die beiden Projektionen +jedes Punktes in ein- und derselben, senkrecht zur Schnittlinie +gezogenen Geraden liegen, daß eine Ebene durch ihre beiden Schnitte +mit den Projektionsebenen (ihren Spuren) vollständig bestimmt ist, und +daß diese Spuren die Schnittlinie der beiden Projektionsebenen (die +Projektionsachse) in ein- und demselben Punkte treffen. + +Auf das Werk von *Monge* noch weiter einzugehen, verbietet sich von +selbst. Es trägt die einzelnen Aufgaben über die Darstellung ebener +und krummer Flächen, ihrer Schnitte, der wichtigsten Körper und ihrer +Durchdringungen nach Umfang und Form in der noch heute üblichen Weise +vor. Eine Weiterentwicklung hat die darstellende Geometrie erst in der +neuesten Zeit durch ihre innigere Verknüpfung mit der von *Poncelet* +und *Steiner* begründeten neueren synthetischen Geometrie erfahren. + +Die ersten Untersuchungen, durch welche die neuere synthetische +Geometrie vorbereitet wurde, reichen bis ins 17. Jahrhundert zurück. +Sie rühren von zwei Zeitgenossen und Landsleuten des *Descartes*, von +*Desargues* und von *Pascal*, her. *Desargues*[192] zeigte in seiner +Schrift »Über die Tatsachen, zu welchen der Schnitt eines Kegels durch +eine Ebene Veranlassung gibt,« daß für die Kegelschnitte eine zu den +allgemeinsten Sätzen führende Betrachtungsweise möglich ist. Denkt man +sich das Auge in der Spitze des Kegels, so erscheint ein elliptischer +Schnitt in dieser Perspektive in der Form eines Kreises. *Desargues* +stellte sich die Aufgabe, aus den Eigenschaften dieses Kreises die +Eigenschaften der Kegelschnitte durch eine Art perspektivischer +Beweisführung abzuleiten und gelangte so zuerst zu Sätzen, die für alle +Arten der Kegelschnitte gelten. Einer dieser für alle Kegelschnitte +gültigen Sätze wird noch heute als der Satz von *Desargues* +bezeichnet[193]. + +Unter seinen Zeitgenossen wurde *Desargues* wohl nur von *Pascal* +verstanden. *Desargues* Satz vom Sehnenviereck fügte *Pascal* den +Satz vom *Pascal*schen Sechseck hinzu. Dieser besagt von jedem einem +Kegelschnitte einbeschriebenen Sechseck, daß die drei Punkte, in +welchen sich je zwei gegenüberliegende Seiten schneiden, auf einer +geraden Linie liegen. Auch dieser Satz wurde zunächst für den Kreis +bewiesen. Aus dem perspektivischen Zusammenhange zwischen dem Kreis und +den Kegelschnitten wurde dann erst seine Verallgemeinerung abgeleitet. + +Der weitere Ausbau der perspektivischen, oder, wie sie auch wohl +genannt wird, der projektiven Geometrie erfolgte im 19. Jahrhundert. +Die erste systematische Zusammenfassung rührt wieder von einem +Franzosen und zwar von *Poncelet* her, einem der genialsten Vertreter +der angewandten Mathematik. + +*Jean Victor Poncelet* wurde 1788 als Sohn armer Eltern in Metz +geboren. Er starb 1867. Als Zögling der École polytechnique genoß er +den Unterricht eines Ampère, Fourier, Légendre und anderer Zierden der +Wissenschaft, mit denen Frankreich um die Wende zum 19. Jahrhundert so +reich gesegnet war. Als Genieoffizier nahm *Poncelet* an dem Feldzuge +gegen Rußland teil. Er fiel in die Hände der Russen, und es folgten +zwei Jahre Kriegsgefangenschaft. Diese unfreiwillige Muße füllte +*Poncelet* damit aus, daß er die Grundzüge seines Verfahrens zu einem +der bedeutendsten mathematischen Werke, dem »Traité des propriétés +projectives des figures« entwickelte[194]. Durch dieses Buch ist +*Poncelet* der Schöpfer der neueren synthetischen oder projektivischen +Geometrie geworden. Dem Grundgedanken der neuen Betrachtungsweise sind +wir schon im 17. Jahrhundert begegnet[195]. Sie unterscheidet sich von +dem Verfahren der darstellenden Geometrie[196], das *Monge* ausbildete, +in folgendem. Während *Monge* die Gebilde vermittelst paralleler +Linien auf zwei zu einander senkrechte Ebenen projiziert, betrachtet +*Poncelet* ihr perspektivisches Bild. Ein solches entsteht, wenn man +von dem betrachtenden, als Punkt gedachten Auge aus Strahlen nach den +Punkten des zu untersuchenden Gebildes zieht und in den Weg dieser +Strahlen eine Fläche, in der Regel eine Ebene, bringt. Die Punkte, in +welchen die Strahlen jene Ebene schneiden, bilden das perspektivische +Bild. Aus diesem ergeben sich die Eigenschaften der zu untersuchenden +und verwandter Gebilde oft mit überraschender Einfachheit. Zudem ist +das Verfahren *Poncelets* in solchem Grade rein geometrisch, d. h. +es verzichtet so gänzlich auf alle besonderen Hilfsmittel, daß es in +dieser Hinsicht alle anderen Methoden übertrifft. Während wir uns in +der analytischen Geometrie der Koordinaten und des Kalküls und in der +darstellenden Geometrie des Auf- und Grundrisses bedienen, operiert +*Poncelet* lediglich mit den Objekten selbst. + +Nach der Veröffentlichung seiner projektivischen Geometrie war +*Poncelet* als Lehrer der technischen Wissenschaften in seiner +Vaterstadt und später in Paris tätig. Dieser Umstand und die Angriffe, +die seine mathematischen Arbeiten aus kleinlichen Beweggründen +erfuhren, bewogen ihn, sich vorwiegend mit angewandter Mathematik zu +beschäftigen. Auch auf diesem Gebiete reihen sich seine Leistungen +den höchsten an. Was *Poncelet* in der Hydromechanik und in der +Maschinentheorie geschaffen, wird noch heute zu den »Grundsäulen« +dieser Wissenszweige gerechnet[197]. Erwähnt sei nur, daß *Poncelet* +die Wasserräder verbesserte (*Poncelet*rad) und das Kilogrammmeter als +Einheit für die mechanische Arbeit, deren Äquivalenz mit der lebendigen +Kraft er besonders hervorhob, einführte. + +Zehn Jahre nach dem Erscheinen der projektivischen Geometrie +*Poncelets* fand diese Wissenschaft in Deutschland die hervorragendste +Förderung durch *Steiners* »Systematische Entwicklung der Abhängigkeit +geometrischer Gestalten voneinander«[198]. + +*Jakob Steiner* wurde 1796 als Sohn eines armen Bauern in der Nähe +von Solothurn geboren[199]. Er empfing den ersten Unterricht in einer +Dorfschule und besuchte darauf Pestalozzis Erziehungsanstalt. Hier, +sowie in Heidelberg, wo *Steiner* drei Jahre seinen Lebensunterhalt +durch Privatstunden erwarb, fand er für seine wissenschaftliche +Richtung kaum irgend welche Anregung. Er war vielmehr auf seinem +Gebiete, da es in Deutschland dafür zu jener Zeit kaum einen Vertreter +gab, vorwiegend Autodidakt. Nachdem *Steiner* Heidelberg verlassen, +wirkte er als Lehrer an einer Erziehungsanstalt in Berlin. Dort wurde +er durch einen Zufall mit *Alexander von Humboldt* bekannt. Einer +der schönsten Züge *Humboldts* bestand darin, daß er junge Talente +sozusagen entdeckte und sie vermöge der hervorragenden Stellung, in die +ihn Geburt und Verdienst gewiesen, neidlos förderte. *Steiner* wurde +durch Vermittlung *Humboldts* an der Berliner Gewerbeschule angestellt, +an der auch der Chemiker *Wöhler* wirkte. Später erhielt *Steiner* +auf die Empfehlung *Humboldts* und *Jacobis* hin eine Professur an +der Berliner Universität. Durch das Zusammenwirken von *Steiner* mit +*Crelle* und dem in den zwanziger Jahren gleichfalls in Berlin lebenden +nordischen Mathematiker *Abel* entstand 1826 Deutschlands bedeutendste +mathematische Zeitschrift, das *Crelle*sche Journal für reine und +angewandte Mathematik. + +Zu den ersten Beiträgen *Steiners* für diese Zeitschrift gehört seine +unter dem Titel »Einige geometrische Betrachtungen« veröffentlichte +Abhandlung vom Jahre 1826[200]. In dieser Abhandlung beschäftigt +sich *Steiner*, angeregt durch das *Malfatti*sche Problem, besonders +mit Kreisberührungsaufgaben. Auf den Inhalt kann hier nicht näher +eingegangen werden. Erwähnung verdient jedoch *Steiners* von ihm +selbst geschilderte Art, wissenschaftlich zu arbeiten. *Steiner* sagt +nämlich, er pflege über eine Aufgabe oder einen Gegenstand sich nicht +eher aus den Schriften anderer zu unterrichten, bis er eine Auflösung +oder einen Weg durch eigenes Nachdenken gefunden habe. Erst dann +vergleiche er seine Resultate mit den schon vorhandenen[201]. Es ist +das zwar nicht ein Verfahren für jedermann. Es ist aber dasjenige, das +am sichersten den Fortschritt der Wissenschaft verbürgt. + +In einer zweiten Abhandlung löst *Steiner* die Aufgabe, einzig mit +Hilfe eines Lineals ohne Anwendung des Zirkels alle geometrischen +Konstruktionen auszuführen, wenn nur irgend ein fester Hilfskreis +gegeben ist. Die ältere Geometrie benötigte nämlich für die Mehrzahl +ihrer Aufgaben des Lineals und des Zirkels. Die betreffende +Abhandlung[202] *Steiners* bringt die Lehre von den harmonischen +Strahlen und Punkten, von den harmonischen Eigenschaften des Kreises, +den Ähnlichkeitspunkten, Potenzen von Kreisen und schließlich die +Lösung aller geometrischen Aufgaben mittelst des Lineals, wenn ein +fester Kreis gegeben ist. + +Wir gelangen endlich zu dem für die neuere Geometrie grundlegend +gewordenen Hauptwerk *Steiners*, seiner »Systematischen Entwicklung +der Abhängigkeit geometrischer Gestalten voneinander«[203]. Das Werk +läßt sich als der erste Versuch bezeichnen, die Geometrie von einem +Keime aus nach allen Richtungen organisch zu entwickeln[204], sodaß an +Stelle des Heeres von auseinander gerissenen Eigentümlichkeiten eine +umfassende und klare Übersicht gewonnen wurde. + +Auf dem bisher üblichen Wege gelangte man wohl zu einer Sammlung +scharfsinniger Kunststücke, aber nicht zu einem innerlich +zusammenhängenden Ganzen. Durch die Aneignung der Grundbeziehungen, +so lauten *Steiners* Ausführungen über das Ziel seines Unternehmens, +mache man sich zum Herrn des ganzen Gegenstandes. »Es tritt Ordnung +in dem Chaos ein, und man sieht, wie alle Teile naturgemäß ineinander +greifen und zu wohlbegrenzten Gruppen sich vereinigen. Der Kern der +Sache besteht darin, daß die Abhängigkeit der Gestalten voneinander +und die Art und Weise aufgedeckt wird, wie ihre Eigenschaften von den +einfacheren Figuren zu den zusammengesetzteren sich fortpflanzen. +Eigenschaften der Figuren, wie die konjugierten Durchmesser der +Kegelschnitte und das mystische Sechseck und Sechsseit[205], von deren +Vorhandensein man sich sonst durch künstliche Beweise überzeugen mußte, +und die, wenn sie gefunden waren, als etwas Wunderbares dastanden, +zeigen sich nun als notwendige Folgen der unscheinbarsten Eigenschaften +der aufgefundenen Grundelemente.« + +Wenn wir es uns auch versagen müssen, *Steiners* »Systematische +Entwicklung« im einzelnen zu erörtern, so wollen wir doch bei seiner +Behandlung der Kegelschnitte, jenes Gebietes, das die Mathematiker +seit der Zeit des *Menächmos* und des *Apollonios* bis auf den +heutigen Tag beschäftigt, noch etwas verweilen. Erst bei der +Erzeugung der Kegelschnitte durch projektivische Gebilde ergaben sich +fundamentale Sätze, d. h. Sätze, die so umfassend sind, daß die übrigen +Eigenschaften der Kegelschnitte klar aus ihnen folgen. *Steiner* +folgerte z. B. aus seinen Fundamentalsätzen[206], daß durch fünf +beliebige Tangenten oder durch irgend fünf Punkte in einer Ebene ein +Kegelschnitt bestimmt ist. Fünf beliebige Gerade in einer Ebene können +also stets von einem, aber auch nur von einem einzigen Kegelschnitt +berührt werden. Oder auch: Fünf beliebige Punkte in einer Ebene liegen +jedesmal in einem, aber auch nur in einem einzigen Kegelschnitte. + +In ganz neuer Beleuchtung und der Eigenschaft des Wunderbaren +entkleidet erschienen nun auch die Sätze vom *Pascal*schen und +*Brianchon*schen Sechseck. Zahlreiche Mathematiker hatten Beweise für +diese Sätze beigebracht und die Lehre von den Kegelschnitten in mehr +oder minder umfassender Weise darauf zu begründen versucht. *Pascals* +Satz lautet, daß bei jedem einem Kegelschnitt umschriebenen Sechseck +die Linien, welche die gegenüber liegenden Ecken verbinden, in einem +Punkte zusammentreffen. Der Satz von *Brianchon* besagt, daß bei jedem +einem Kegelschnitte eingeschriebenen Sechseck die drei Schnittpunkte +der gegenüber liegenden Seiten in einer geraden Linie liegen. +*Steiner* zeigte, daß beide Sätze nicht die eigentliche Grundlage für +die Untersuchung der Kegelschnitte bilden, sondern daß sie zugleich mit +vielen anderen Eigenschaften aus einer umfassenderen Quelle, nämlich +aus der Beziehung projektivischer Gebilde fließen. + +Von der Behandlung der Kegelschnitte nach projektivischer Methode +wendet sich *Steiner* zur Erzeugung projektivischer Raumgebilde[207]. +Die Untersuchung dreht sich besonders um die Eigenschaften der +Paraboloide und der Hyperboloide. + +Konnten *Steiners* Verdienste um die neueste Entwicklung der Geometrie +hier auch nur angedeutet werden, so geht aus dem Gesagten doch +hervor, daß durch ihn die Lehre von den Kegelschnitten, die wir ihrer +Beziehungen zur Naturwissenschaft und zur Technik wegen an manchen +Stellen dieses Werkes in Betracht gezogen haben, im wesentlichen und +auf allgemeinster Grundlage zum Abschluß kam. »Was seitdem noch in +dieser Beziehung geleistet worden ist, beschränkt sich auf die weitere +Durcharbeitung und die formale Vollendung«[208]. + +Trotz dieser großen Erfolge der projektivischen Geometrie wurde die +analytische Behandlung geometrischer Probleme keineswegs gänzlich +beiseite geschoben. Wie die synthetische, so gewann auch die +analytische Geometrie in der Neuzeit einen erhöhten Standpunkt. +Dies geschah besonders durch *Plückers* »System der analytischen +Geometrie«[209]. *Plückers* Verfahren bedeutet eine Loslösung von den +zwei oder drei Achsen, auf die bisher die Flächen- oder die Raumgebilde +bezogen wurden. Anstatt der Koordinaten führte er lineare Funktionen +ein, welche den Strahlenbüscheln *Steiners* entsprechen. Die neueren +Methoden der synthetischen und der analytischen Geometrie laufen daher, +weil man sich auf beiden Gebieten beweglicher Elemente an Stelle der +bisher üblichen festliegenden Grundgebilde bedient, auf eine Annäherung +hinaus, die zu einer immer größeren, wechselseitigen Durchdringung und +Befruchtung geführt hat[210]. + +Die Erkenntnis, daß gewisse Axiome der gewöhnlichen (Euklidischen) +Geometrie sich nicht beweisen lassen, führte im Verlaufe des 19. +Jahrhunderts zu einer neuen, nichteuklidischen Geometrie. Eine der +ersten, früher nie angezweifelten Grundlagen der elementaren Geometrie +ist das Parallelenaxiom. Es besagt, daß man durch einen Punkt außerhalb +einer Geraden in der durch den Punkt und die Gerade festgelegten Ebene +nur eine einzige Gerade ziehen kann, welche die erste Gerade nicht +schneidet. + +Bezweifelt man das Parallelenaxiom, so wankt auch der Satz, daß die +Summe der Winkel eines Dreiecks gleich zwei Rechten ist. Kurz, die +wichtigsten Grundlagen der Geometrie scheinen mit einer gewissen +Unsicherheit behaftet zu sein, die eben daraus entspringt, daß man +das Parallelenaxiom nicht beweisen kann. *Gauß* sprach daher, weil +er die Unzulänglichkeit der zur Sicherstellung des Parallelenaxioms +unternommenen Beweise erkannte, den Gedanken aus, daß es für die reine +Mathematik von großem Wert sein müsse, eine Geometrie zu schaffen, +die sich nicht auf jenes Axiom stützt. Was *Gauß* nur angedeutet, +führte *Lobatschefskij*[211] aus. Er schuf in seiner Pangeometrie eine +neue umfassendere Lehre, welche die gewöhnliche Geometrie als einen +besonderen Fall, der unserer Auffassung vom Raume am vollkommensten +entspricht, in sich einschließt[212]. Näher auf dieses Gebiet +einzugehen, liegt nicht im Rahmen dieses Werkes, das die Mathematik +nur insofern berücksichtigen kann, als sie die Entwicklung der +Naturwissenschaften beeinflußt hat. + +Das Ergebnis seiner Untersuchungen veröffentlichte *Lobatschefskij* +1856. Sein Urteil über die Bedeutung der nichteuklidischen Geometrie +geht dahin, daß sie, auch wenn sie in der Natur keine Geltung hat, +doch in unserer Vorstellung bestehen und ein neues weites Feld für +mathematische Untersuchungen erschließen kann. + +Nachdem wir einen Blick auf die Entwicklung geworfen, welche die +Geometrie in ihrer jüngsten Phase genommen hat, wollen wir in aller +Kürze auch einige wichtige Fortschritte des Kalküls erörtern. Seit +dem frühen Altertum beschäftigten sich die Mathematiker mit der Lehre +von den Gleichungen. Das Eindringen in ihre Probleme war besonders +mühselig und setzte alle Kräfte in Bewegung. Wie lange dauerte es, +bis man das Wesen der negativen Wurzeln und vor allem den Zusammenhang +der Wurzeln mit den Koeffizienten erkannt hatte. Erst die Mathematiker +des 18. Jahrhunderts (*Euler*, *Lagrange* 1772, *Gauß* 1799) bewiesen, +daß jede Gleichung sich in soviel reelle oder imaginäre Faktoren +auflösen läßt, als ihr Grad anzeigt. Trotzdem vermochten selbst *Euler* +und *Lagrange* es nicht, Gleichungen aufzulösen, welche den vierten +Grad überschreiten. Schon *Gauß* äußerte daher die Ansicht, daß die +allgemeine Gleichung fünften Grades wahrscheinlich nicht lösbar +sei. Den Beweis für diese Tatsache brachte der große norwegische +Mathematiker *Abel*, mit dessen Bedeutung für die neueste Entwicklung +des Kalküls wir uns zunächst zu beschäftigen haben. + +*Niels Henrik Abel* wurde 1802 als der Sohn eines norwegischen +Dorfpfarrers geboren. Er studierte in Christiania Mathematik und wurde +seiner ungewöhnlichen Begabung wegen von der norwegischen Regierung +mit einem Stipendium bedacht, um seine Studien in Deutschland und in +Frankreich fortzusetzen. In Berlin gehörte *Abel* nebst *Steiner* zu +den ersten Mitarbeitern des neu gegründeten *Crelle*schen Journals für +die reine und angewandte Mathematik[213]. *Abel* starb mit 26 Jahren an +einem Lungenleiden. Seine Berufung an die Berliner Universität traf ihn +nicht mehr lebend an. + +Von *Abels* Arbeiten verdient zunächst eine Untersuchung über die +binomische Reihe Erwähnung[214]. *Abel* untersuchte diese Reihe zuerst +für komplexe Werte und summierte sie für diese. Seine Arbeit ist für +das Gebiet der unendlichen Reihen ein Muster exakter Beweisführung +geworden. + +Wichtiger als die erwähnte Arbeit ist *Abels* Nachweis, daß eine +algebraische Gleichung von höherem als dem vierten Grade sich nicht +allgemein auflösen läßt[215]. Einige Jahre später zeigte *Abel*, daß +es trotzdem für jeden Grad eine besondere Klasse von Gleichungen +gibt, deren algebraische Auflösung möglich ist. Die Auflösung dieser +Gleichungen, die man später als »*Abel*sche Gleichungen« bezeichnet +hat, ist dadurch möglich, daß zwischen ihren Wurzeln gewisse +Beziehungen bestehen[216]. + +Von dem großen Verdienst endlich, das sich *Abel* um die Mitbegründung +der Theorie der elliptischen Funktionen erworben hat, wird an anderer +Stelle die Rede sein. Hier gilt es zunächst, die weitere Entwicklung +der Lehre von den Gleichungen zu verfolgen. Diese Entwicklung ist +insbesondere den französischen Mathematikern *Fourier* und *Sturm* zu +danken. + +Mit *Fouriers* Verdiensten um die mathematische Physik werden wir +uns an anderer Stelle beschäftigen. Hier haben wir es nur mit seiner +wichtigsten rein mathematischen Schrift zu tun, die 1831 unter dem +Titel »Die Auflösung der bestimmten Gleichungen« erschien[217]. +*Fourier* lehrte darin die reellen Wurzeln finden, die zwischen +zwei beliebigen Werten von x liegen, und verbesserte *Newtons* +Berechnungsmethode wesentlich. An sein Theorem über die Bestimmung +von Intervallen für die reellen Wurzeln einer Gleichung knüpfte +*Charles Sturm* an (geboren 1803 in Genf, Professor an der École +polytechnique. Er starb 1855). Seine Abhandlung über die Auflösung der +numerischen Gleichungen (1835) zeigte, wie sich vermittelst des nach +ihm benannten Theorems auf die einfachste Weise die Anzahl der reellen +Wurzeln erkennen und ihre Begrenzung finden läßt. Sie bedeutet deshalb +den hervorragendsten Fortschritt in dem Verfahren der numerischen +Auflösung algebraischer Gleichungen mit reellen Koeffizienten[218]. + +Als das hervorragendste mathematische Hilfsmittel der Naturwissenschaft +erwies sich auch im 19. Jahrhundert in stetig wachsendem Maße die +Differential- und Integralrechnung. Unter den zahlreichen Arbeiten, +welche diese mathematische Disziplin während des ersten Zeitraums des +19. Jahrhunderts förderten, verdienen die Abhandlungen von *Pfaff* und +von *Cauchy* besondere Erwähnung. + +*Pfaff*[219] löste zuerst das Integrationsproblem der partiellen +Differentialgleichungen, um welches *Euler* und *Lagrange* sich +vergeblich bemüht hatten, in voller Allgemeinheit[220]. *Euler* +vermochte nicht einmal für den einfachsten Fall, der mit der partiellen +Differentialgleichung erster Ordnung mit zwei Veränderlichen gegeben +ist, zu einer allgemeinen Theorie zu gelangen. *Lagrange* war zwar +bis zur Integration solcher Gleichungen vorgedrungen; er hatte +sich indessen auf den Fall beschränken müssen, daß die partiellen +Differentialquotienten, falls mehr als drei Veränderliche in Betracht +kommen, darin nur linearisch auftreten. + +Auch um die Reihenlehre, die Kombinationslehre und die Anwendung der +letzteren auf die Probleme der höheren Analysis hat sich *Pfaff* +verdient gemacht. Seine neue Summationsmethode für unendliche Reihen +(1788) besteht darin, daß er die Glieder der unendlichen Reihe, deren +Summe gesucht wird, wieder in unendliche Reihen verwandelt und deren +Glieder so verbindet, daß neue summierbare Reihen entstehen. + +Unabhängig von *Pfaff* fand auch der französische Mathematiker *Cauchy* +eine allgemeine Methode, um die partiellen Differentialgleichungen +erster Ordnung zu integrieren, »welches auch die Zahl der unabhängigen +Veränderlichen sein möge«[221]. *Augustin Louis Cauchy* wurde 1789 +in Paris geboren. Er wurde Zögling der »École polytechnique« und +zeichnete sich schon als Knabe, ähnlich *Pascal* und *Clairaut*, +durch eine solch hervorragende mathematische Beanlagung aus, daß +sogar der große *Lagrange* auf ihn aufmerksam wurde. Später wirkte +*Cauchy* als Lehrer an der »École polytechnique«. Er starb nach +manchen, durch politische Ereignisse hervorgerufenen Wechselfällen im +Jahre 1857. Unter den mathematischen Abhandlungen *Cauchys* verdient +diejenige vom Jahre 1825 besondere Erwähnung, da er darin »den Grad +der Allgemeinheit« feststellte, den ein bestimmtes Integral zwischen +imaginären Grenzen zuläßt und die Zahl der Werte, die es annehmen kann, +ermittelte[222]. In welchem Maße die mathematischen Untersuchungen +*Cauchys* durch ihn und andere der theoretischen Physik, vor allem der +Optik, zugute gekommen sind, wird an anderer Stelle gezeigt werden. + +Für die Entwicklung der höheren Analysis war ferner die Neugestaltung +der Theorie der elliptischen Funktionen von der größten Wichtigkeit. +Sie erfolgte durch *Abel*, dessen Verdienste um die Theorie der Reihen +und der Gleichungen wir schon kennen lernten, und durch den großen +deutschen Mathematiker *Jacobi*. + +*Karl Gustav Jacobi* wurde 1804 in Potsdam geboren. Er widmete sich +zunächst unter *Böckh* der klassischen Philologie, entschied sich aber, +angeregt durch die Werke von *Euler*, *Lagrange*, *Laplace* und *Gauß* +bald darauf für das Studium der Mathematik. Mit 21 Jahren wurde er +Dozent für dieses Fach an der Berliner Universität. Dann wirkte er in +Königsberg, um schließlich nach Berlin zurückzukehren, wo er schon 1851 +starb. + +*Jacobis* erste Untersuchungen betrafen die elliptischen Funktionen. Im +Jahre 1829 erschien sein großes Hauptwerk über diesen Gegenstand[223]. +Das Werk hat ihm die Hälfte des großen Preises eingetragen, den die +Pariser Akademie für den bedeutendsten Fortschritt auf diesem Gebiete +ausgesetzt hatte[224]. + +Die ersten Anfänge der Theorie der elliptischen Funktionen begegnen uns +bei *Euler*. Dieser suchte einen rechnerischen Ausdruck für den Bogen +einer Ellipse zu gewinnen und wurde dabei durch folgende Überlegung +geleitet. Da der Kreis ein besonderer Fall der Ellipse ist, so läßt +sich der Bogen der letzteren vielleicht durch allgemeinere Funktionen +ausdrücken, welche die Kreisfunktionen als besonderen Fall in sich +einschließen. Das Problem wurde von *Legendre* wieder aufgenommen +und weiter geführt. Er war es, der zuerst den Ausdruck »elliptische +Funktionen« gebrauchte. Allerdings bezeichnete er, abweichend vom +heutigen Gebrauch, mit diesem Ausdruck die Integrale, welche die +Bogen der Ellipse und der Hyperbel ausdrücken. *Legendre* widmete +diesem Gegenstande die Arbeit von Jahrzehnten und veröffentlichte das +Ergebnis, als ihm eine weitere Fortbildung nicht möglich schien, in +seiner zusammenfassenden Arbeit vom Jahre 1827[225]. Kaum war dies +geschehen, da mußte *Legendre* gestehen, daß seine eigenen Forschungen +durch *Abel* und *Jacobi* weit überholt worden seien. »Nachdem ich +mich«, so schrieb *Legendre*, »eine lange Reihe von Jahren mit der +Theorie der elliptischen Funktionen befaßt, für welche der unsterbliche +*Euler* das Fundament geschaffen, glaubte ich die Ergebnisse in einem +umfangreichen Werke herausgeben zu müssen. Kaum ist aber der Titel +dieses Werkes bekannt geworden, und schon zeigt es sich, daß zwei +junge Mathematiker, *Jacobi* und *Abel*, die Theorie der elliptischen +Funktionen durch neue Untersuchungen beträchtlich vervollkommnet haben.« + +Unabhängig voneinander waren *Abel* und *Jacobi* auf den Gedanken +gekommen, in diese Theorie das Imaginäre einzuführen. Dadurch wurden +alle Rätsel der älteren Theorie gelöst und die elliptischen Funktionen +gleichzeitig zu den Kreisfunktionen und den Exponentialgrößen in nahe +Beziehung gesetzt. + +*Jacobi* drang aber noch tiefer in das Wesen der elliptischen +Funktionen ein und erkannte, daß sie als Folgerungen gewisser +Funktionen aufgefaßt werden können, die man seitdem als +Theta-Funktionen bezeichnet hat. Während ferner die elliptischen +Funktionen als die Umkehrungen der elliptischen Integrale nur zwei +Perioden zulassen, schuf *Jacobi* später die Theorie der mehrfach +periodischen Funktionen, welche als die Umkehrungsfunktionen der +algebraischen Integrale auftreten. Die Abhandlung, in welcher die +Natur dieser neuen Funktionen im hellsten Lichte erscheint, wurde +neuerdings in deutscher Sprache zugänglich gemacht[226]. Um die +Darstellung der vierfach periodischen Funktionen haben sich unter den +deutschen Mathematikern später noch *Göpel* und *Rosenhain* besondere +Verdienste erworben. Auch ihre Abhandlungen erschienen als Teile der +*Ostwald*schen Sammlung in deutscher Übersetzung[227]. + +Von den neu entdeckten Funktionen haben besonders die elliptischen und +die durch *Legendre* eingeführten Kugelfunktionen der mathematischen +Physik und der theoretischen Astronomie wertvolle Dienste geleistet. +Um den weiteren Ausbau der höheren Analysis und ihre Anwendung auf +das abstrakte Gebiet der Zahlentheorie, nicht minder aber auf die +wichtigsten Probleme der mathematischen Physik hat sich der deutsche +Mathematiker *Lejeune-Dirichlet* die größten Verdienste erworben. + +*Gustav Peter Lejeune-Dirichlet* wurde 1805 in Düren geboren[228]. +Anknüpfend an die Disquisitiones arithmeticae von *Gauß* verstand er +es, die Zahlentheorie mit der Infinitesimalrechnung in Beziehung zu +setzen und beide bis dahin getrennten Zweige der Mathematik vermöge der +Durchführung dieses Gedankens zu bereichern. Einige Anwendungen dieser +Methode veröffentlichte er in den Jahren 1839 und 1840. Die betreffende +Abhandlung[229] bringt eine Frage, mit welcher sich schon *Lagrange*, +*Legendre* und *Gauß* befaßten, zur Lösung, die Frage nämlich nach dem +Zusammenhang zwischen der Anzahl der quadratischen Formen und einer +gegebenen Determinante. + +In einer anderen, der *Ostwald*schen Sammlung einverleibten Abhandlung +unternimmt *Dirichlet* die Darstellung ganz willkürlicher Funktionen +durch Sinus- und Cosinusreihen[230]. Zu dieser für die Entwicklung der +mathematischen Physik sehr wertvollen Untersuchung war *Dirichlet* +dadurch gelangt, daß *Fourier*, mit dem der deutsche Forscher während +eines längeren Studiums in Paris in enge Fühlung trat, durch seine +analytischen Beiträge zur Wärmelehre auf trigonometrische Reihen +geführt worden war. + +Nach dem Erfolge, den *Dirichlet* durch seine Untersuchung der +*Fourier*schen Reihen errungen, stellte er mit Vorliebe sein +mathematisches Können in den Dienst der theoretischen Physik. Er +erfand eine besondere Integrationsmethode zur leichteren Bewältigung +der bestimmten Integrale und wandte diese neue Methode auf +Attraktionsprobleme an. + +Die betreffende Abhandlung erschien 1839 und wurde neuerdings durch +*Ostwalds* Klassiker zugänglicher gemacht[231]. Nachdem *Riemann* +gezeigt hatte, wie durch die von ihm vorgeschlagene Transformation die +schwierigsten Integrationen vereinfacht werden, wählte *Dirichlet* das +so oft von früheren Mathematikern (*Laplace*, *Gauß* u. a.) behandelte +Beispiel der Attraktion der Ellipsoide. Während bis dahin das Problem +des äußeren und des inneren Punktes unabhängig voneinander und mit +verschiedenen Mitteln behandelt worden waren, zeigte *Dirichlet*, daß +das Problem eine gleichförmige Behandlung zuläßt. Außerdem ist sein +Verfahren nicht auf die Voraussetzung beschränkt, daß die Attraktion +dem Quadrat der Entfernung umgekehrt proportional ist, sondern es +bleibt auch für jede andere ganze oder gebrochene Potenz der Entfernung +anwendbar. Endlich braucht auch die Dichtigkeit der anziehenden Masse +nicht als konstant vorausgesetzt zu werden, sondern sie kann auch durch +irgend eine rationale ganze Funktion der drei Koordinaten ausgedrückt +sein. Indem *Dirichlet* ferner die Wirkung der nach dem Gesetze +*Newtons* wirkenden Kräfte von neuem der höheren Analysis unterwarf, +förderte er gleichzeitig die Potentialtheorie[232]. + +Im Anschluß an *Dirichlet* hat sich besonders *Riemann* mit der +Darstellung von Funktionen durch trigonometrische Reihen und dem Ausbau +der Potentialtheorie beschäftigt[233]. Die Gestaltung, welche die +Funktionenlehre durch *Riemann* erlangte, indem er die komplexe, d. h. +aus einem reellen und einem imaginären Teile bestehende Veränderliche, +einführte, hat der höheren Analysis in ihrer Anwendung auf die +Naturwissenschaften während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts +Ziel und Richtung gegeben. + + + + +9. Die wissenschaftliche Chemie von ihrer Begründung durch *Boyle* bis +zu ihrer Erneuerung durch *Lavoisier*. + + +Eine Reihe von Jahrzehnten war seit der Begründung der neueren Physik +verflossen, ehe die Chemie ihr mittelalterliches Gewand abstreifte und +unter der Führung von *Boyle* einem rein wissenschaftlichen Ziele, +nämlich der Erforschung der Zusammensetzung der Körper, nachzustreben +begann. *Boyle* hatte den Begriff des chemischen Elementes aufgestellt +und der analytischen Chemie eine sichere Grundlage gegeben. Auch +hatte er sowohl das experimentelle Studium als auch die Erklärung +der Verbrennungserscheinungen in Angriff genommen. Während der +erste Teil dieser Aufgabe durch *Boyle* und seine Nachfolger sehr +gefördert und ein großes, auf den Vorgang der Verbrennung bezügliches +Tatsachenmaterial herbeigeschafft wurde, blieb das gesamte von *Boyle* +bis *Lavoisier* reichende Zeitalter bezüglich aller Erklärungsversuche +in dem Banne der von *Stahl* begründeten Phlogistontheorie befangen. +Selbst als *Lavoisier* seine antiphlogistische Lehre bis in ihre +Einzelheiten ausgeführt hatte, vermochten jene Männer, auf die er sich +besonders stützte, wie *Priestley* und *Scheele*, der älteren Theorie, +die sie bei ihren großen Entdeckungen geleitet, nicht zu entsagen. +Mit *Dalton*, *Berzelius* und *Gay-Lussac* trat indes ein neues +Geschlecht von Forschern auf den Schauplatz. Indem diese an *Lavoisier* +anknüpften, begann für die Chemie das Zeitalter der quantitativen +Untersuchungen. Dadurch wurden die Beziehungen zur Physik immer engere, +was sich auch darin aussprach, daß die Mehrzahl der damaligen Forscher +auf beiden Gebieten hervorragende Leistungen aufzuweisen hatten. Die +Chemie erhielt somit in dieser, den letzten Teil des 18. und den Beginn +des 19. Jahrhunderts umfassenden Periode im wesentlichen ihre heutige +Richtung und Gestalt. + +Die Einsicht in den Vorgang der Verbrennung wurde erst dadurch +ermöglicht, daß *Priestley* die Erforschung der Gase in die Hand +nahm und *Scheele* die Zusammensetzung der atmosphärischen Luft aus +zwei Bestandteilen nachwies. Bis zur Zeit *van Helmonts* hatte man +die Gasarten, von denen insbesondere der Wasserstoff, sowie das +Kohlendioxyd bekannt geworden waren, noch nicht unter sich und von der +atmosphärischen Luft unterschieden, sondern jeden gasförmigen Körper +mit der Luft identifiziert und die beobachteten Verschiedenheiten auf +Beimengungen zurückgeführt. Ein erfolgreiches Studium der Gase begann +erst mit der von *Hales* herrührenden Erfindung der pneumatischen +Wanne und der Verwendung des Quecksilbers als Absperrflüssigkeit. Das +letztgenannte Verfahren ermöglichte *Priestley* die Entdeckung der im +Wasser löslichen Gasarten, wie des Ammoniaks und des Chlorwasserstoffs. +Klare Ansichten über die chemische Natur der Gase kamen jedoch erst +mit *Lavoisier* auf, welcher Sauerstoff und Wasserstoff als Elemente +ansprach. + +*Joseph Priestley*, auf dessen Untersuchungen *Lavoisier* ganz +besonders die neuere Chemie begründete, wurde im Jahre 1733 in der Nähe +von Leeds geboren. Er studierte Theologie. Infolge seiner Stellung +zur englischen Kirche und seines exzentrischen Wesens führte er ein +unstätes Leben. Er wirkte bald als Prediger, bald als Schul- oder +Hauslehrer und siedelte endlich nach Nordamerika über, wo er 1804 +starb. Trotzdem *Priestley* eine gründliche naturwissenschaftliche +Vorbildung fehlte, hat er mit großem Erfolge das schwierige Gebiet +der pneumatischen Chemie eigentlich erst erschlossen. *Priestley* +glich nämlich den erwähnten Mangel dadurch aus, daß er ein ganz +außergewöhnliches Geschick zum Experimentieren besaß. Die Ergebnisse +seiner mühevollen, auf die Gase bezüglichen Untersuchungen legte er +in einer Anzahl seit dem Jahre 1772 veröffentlichter Abhandlungen +nieder, die zum Teil zu einem größeren Werke[234] vereinigt wurden. +Zunächst befaßt sich *Priestley* in diesen Schriften mit dem von ihm +als fixe Luft bezeichneten Kohlendioxyd[235]. Er entnimmt dieses Gas, +das sich bei der Gärung bildet, den Brauereien, oder er stellt es durch +Übergießen von Kreide mit Säuren her. Die Untersuchungen *Priestleys* +betreffen auch die Löslichkeit des Kohlendioxyds im Wasser. +Gleichzeitig gibt er Anweisung über die durch Sättigen des Wassers mit +Kohlendioxyd zu bewerkstelligende Gewinnung künstlicher Säuerlinge. +Von der praktischen Verwertbarkeit der Ergebnisse wissenschaftlichen +Forschens war *Priestley* tief durchdrungen. »Da wir selbst Teile des +Systems sind,« heißt es in seiner Naturlehre, »so ergibt sich, daß, +je vollkommener unsere Kenntnisse von den Naturgesetzen sind, wir um +so mehr Gewalt über die Natur haben, und daß wir um so geschickter +sind, solche Einrichtungen in der Welt zu treffen, die uns am meisten +zusagen. Wenn die Wissenschaft wie bisher immer größere Fortschritte +macht, so wird das menschliche Geschlecht nach einigen Jahrhunderten +uns ebenso sehr übertreffen, wie wir jetzt die Wilden übertreffen, denn +die Natur ist unerschöpflich, sie gleicht einer Erzgrube, in der sich +immer neue Anbrüche zeigen[236].« + +Auf das Vorhandensein von »fixer Luft« in der Atmosphäre hatten +schon *Black*[237], sowie der schwedische Naturforscher *Bergman* +hingewiesen. Beide machten darauf aufmerksam, daß sich Kalkwasser an +der Luft mit einer weißen, festen Masse bedeckt, aus der sich durch +Übergießen mit Säure die »fixe Luft« wieder freimachen läßt[238]. + +*Priestleys* weitere Bemühungen liefen insbesondere darauf hinaus, die +Säuren in Luftarten zu verwandeln. So erzeugte er aus Schwefelsäure die +»vitriolsaure Luft« (SO_{2}) und aus Salpetersäure »die salpetersaure +Luft« (NO). Er bemerkte, daß letztere sich mit Sauerstoff unter +Verminderung des Gesamtvolumens verbindet, und gründete hierauf +ein Verfahren, die atmosphärische Luft zu analysieren. *Priestley* +wies ferner nach, daß die beim Zusammenbringen von Kochsalz und +Schwefelsäure auftretenden Dämpfe aus einer in Wasser außerordentlich +löslichen Luftart bestehen. Es gelang ihm, dieses salzsaure Gas (HCl), +wie auch die beim Zusammenbringen von Salmiak und Kalk auftretende +»laugenartige Luft« (NH_{3}) über Quecksilber aufzufangen. Auch das +Stickoxydul oder Lachgas (N_{2}O) und das Kohlenmonoxyd (CO) wurden von +*Priestley* dargestellt. Am folgenreichsten war die ihm im Jahre 1771 +gelungene Entdeckung des Sauerstoffs, den *Priestley* durch Erhitzen +von rotem Quecksilberoxyd bereitete. Den Ruhm dieser Entdeckung hat er +allerdings, wie wir gleich sehen werden, mit *Scheele* zu teilen[239]. + +Bevor sich *Priestley* seinen Arbeiten über die Gase zuwandte, befaßte +er sich insbesondere mit elektrischen Versuchen. Sein Buch über die +Geschichte und die Lehre von der Elektrizität[240] hatte großen Anklang +gefunden und ihm die Mitgliedschaft der Royal Society eingetragen. +Es ist nun von Interesse zu sehen, wie *Priestley* seine auf diesem +Gebiete erworbenen Kenntnisse bei der experimentellen Erforschung der +Gase verwertet. So schloß er atmosphärische Luft in eine Glasröhre +über Wasser ein und ließ den Funken wiederholt hindurchschlagen. Dabei +zeigte es sich, daß sich das Luftvolumen verminderte. War das in der +Röhre befindliche Wasser mit Lackmus blau gefärbt, so nahm es eine +rote Farbe an[241]. Das umgekehrte Verhalten zeigte Ammoniak oder +»laugenhaftes Gas« (NH_{3}). Unter der fortgesetzten Einwirkung des +elektrischen Funkens vergrößerte es nämlich sein Volumen. *Priestley* +nahm auch wahr, daß hierbei eine tiefgreifende chemische Veränderung +mit dem Ammoniakgas vor sich geht. »Vorher wurde es,« so berichtet er, +»vom Wasser leicht verschluckt. Mit »elektrischer Materie« überladen, +scheint es keine Verwandtschaft mehr zum Wasser zu haben. Es ist in +eine eigene Art »zündbare Luft« verwandelt«[242]. Auch die Analyse +von Gasen durch Detonation (Verpuffung) rührt von *Priestley* her. +Brennbare Gase oder Gasgemenge mischte er über Quecksilber mit +Sauerstoff. Durch den elektrischen Funken wurde dann eine Verpuffung +herbeigeführt und darauf der Rückstand untersucht. So fand *Priestley*, +daß diejenige zündbare Luft, die man erhält, wenn man Alkoholdampf +durch eine glühende Röhre leitet oder Holz der trockenen Destillation +unterwirft, nach dem Verpuffen mit Sauerstoff einen Rückstand von +fixer Luft (CO_{2}) hinterläßt[243], während dies beim Detonieren der +aus Eisen und Schwefelsäure hergestellten »zündbaren Luft« (H) nicht +der Fall ist. All diese Errungenschaften eines ganz hervorragenden +experimentellen Geschicks sind für die Entwicklung der Chemie von +größter Bedeutung gewesen. Doch kleidet *Priestley* seine Ergebnisse +noch in das Gewand der phlogistischen Theorie. Die Verbrennung besteht +bei ihm in einem Entweichen von Phlogiston. Letzteres wird nach +*Priestleys* Meinung von den die Verbrennung unterhaltenden Luftarten +aufgenommen und zwar um so energischer, je weniger diese Luftarten +selbst an Phlogiston besitzen. Sauerstoff unterhält die Verbrennung am +besten, weil er gar kein Phlogiston enthält. *Priestley* nennt dieses +Gas deshalb »dephlogistisierte Luft.« Wasserstoff ist dagegen reines +Phlogiston, da es besonders geeignet ist, die erhitzten Metalloxyde +in Metalle zurückzuverwandeln. Die atmosphärische Luft stellt sich +nach dieser Theorie als ein Gemenge von »dephlogistisierter« (O) und +»phlogistischer« Luft (N) dar. Durch die bei der Verbrennung vor sich +gehende Zufuhr von Phlogiston verwandelt sich die atmosphärische +Luft ganz in phlogistische. Auf den Widerspruch, der darin liegt, +daß bei der Verbrennung die atmosphärische Luft ihrem Volumen, +sowie ihrem Gewichte nach vermindert wird, ist *Priestley* nicht +eingegangen. Auch die Entdeckung, daß bei der Vereinigung von reinem +Phlogiston (H) mit reiner dephlogistisierter Luft (O) keine Spur von +phlogistischer Luft (N), sondern Wasser auftritt, ließ ihn an der +eingewurzelten Theorie nicht irre werden. Auf den nahe liegenden +Gedanken, das Gewicht des vermeintlich zugeführten Phlogistons in den +aus Metallkalk entstandenen Metallen zu ermitteln, einen Gedanken, +dessen Ausführung auf einen weiteren Widerspruch geführt haben würde, +ist *Priestley* zwar gekommen. Wie er sagt, ist er jedoch außer stande +gewesen, die Frage, ob das Metalloxyd bei seiner Umwandlung in Metall +schwerer oder leichter wird, zu entscheiden, da immer eine teilweise +Sublimation stattgefunden habe. Er verfolgt die Sache daher trotz ihrer +ausschlaggebenden Bedeutung nicht weiter, sondern entscheidet sie +im Sinne der von ihm vertretenen Lehre. An ihm, sowie an *Scheele*, +der gleichfalls das gesamte zur Aufstellung der wahren chemischen +Theorie erforderliche Material in den Händen hielt, erwies sich recht +eigentlich die Wahrheit des Wortes von *Laplace*, daß die Entdeckungen +in der richtigen Verknüpfung derjenigen Ideen bestehen, die zueinander +passen. + +Während sich *Priestley* wesentlich auf die Erforschung der Gase +beschränkte, erfuhren zur selben Zeit sämtliche Teile der Chemie eine +Bereicherung durch *Scheele*, wie sie kaum jemals wieder in solchem +Maße von einem einzigen Manne ausging. *Scheele* war seiner Abstammung +und Sprache nach ein Deutscher, wenn ihn auch die Schweden mit gleichem +Rechte als den Ihrigen betrachten und seine Verdienste vor einer Reihe +von Jahren durch die feierliche Begehung seines hundertundfünfzigsten +Geburtstages und die Errichtung eines Standbildes gewürdigt haben. Wie +aus den von *Nordenskjöld* herausgegebenen[244], an *Gahn*, *Bergman* +und andere gerichteten Briefen *Scheeles* hervorgeht, hat sich dieser +in seinen Briefen und in seinen Laboratoriumsnotizen der deutschen +Sprache bedient. Eine Ausnahme bilden nur die Briefe, welche an +Personen gerichtet sind, bei denen *Scheele* die Kenntnis des Deutschen +nicht voraussetzen konnte. + +*Karl Wilhelm Scheele* wurde am 9. Dezember 1742 in dem damals +schwedischen Stralsund geboren. Im 14. Lebensjahre widmete er sich +der Apothekerlaufbahn. Nachdem er in mehreren schwedischen Städten +seine Lehr- und Gehilfenjahre zugebracht und während dieser Zeit durch +unermüdliches Experimentieren zu den hauptsächlichsten Ergebnissen +seiner Forschertätigkeit gelangt war, übernahm er 1775 eine eigene +Apotheke[245]. Er starb am 21. Mai des Jahres 1786. + +Über seine auf den Sauerstoff und die atmosphärische Luft bezüglichen +Entdeckungen hat *Scheele* in einer wichtigen Schrift berichtet, die +*Ostwald* als 58. Bändchen seiner Klassiker herausgegeben hat. Sie +führt den Titel »Chemische Abhandlung von der Luft und dem Feuer« und +erschien im Jahre 1777. Die Versuche, welche *Scheele* darin mitteilt, +wurden jedoch schon in der Zeit von 1768-1773 angestellt. Aus +*Scheeles* vor kurzem veröffentlichten Briefwechsel[246] geht, hervor, +daß er schon im Jahre 1770 mit der Darstellung von Chlorwasserstoff, +Ammoniak und Stickoxyd bekannt war. + +*Scheele* beginnt seine Abhandlung mit den Worten: »Die Körper +geschickt in ihre Bestandteile zu zerlegen, ihre Eigenschaften zu +entdecken und die Körper auf verschiedene Art zusammenzusetzen, ist der +Hauptzweck der Chemie.« Die meisten Schwierigkeiten und Widersprüche +habe indessen die Erklärung der Verbrennung hervorgerufen. Er habe +daher von allen bisherigen Erklärungen abgesehen und eine Menge von +Versuchen angestellt, um die Verbrennungserscheinungen so viel wie +möglich zu ergründen. Dabei habe sich herausgestellt, daß man ohne eine +genaue Untersuchung der Luft über die Erscheinungen, welche das Feuer +darbietet, kein wahres Urteil fällen könne. + +Nachdem *Scheele* die Eigenschaften, welche die Luft von den anderen +Gasen unterscheidet, genau gekennzeichnet hatte, stellte er eine Reihe +von Versuchen an, die alle beweisen sollten, daß die Luft aus zwei +verschiedenen Gasen zusammengesetzt ist. + +Sein Verfahren bestand darin, daß er ein bestimmtes Quantum Luft mit +einem Stoff behandelte, welcher den einen Teil der Luft absorbierte. +Dabei zeigte es sich, daß der andere Teil stets in der gleichen Menge +und mit denselben Eigenschaften zurückblieb. So schloß er eine Lösung +von Schwefelleber[247] in eine leere Flasche ein, drehte diese um und +setzte den Hals in ein kleines Gefäß mit Wasser. In dieser Stellung +beließ er die Flasche 14 Tage. Darauf öffnete er sie umgekehrt unter +Wasser. Sogleich drang das Wasser in die Flasche ein; und es zeigte +sich, daß vier Teile von 20 Teilen Luft absorbiert waren. Annähernd +dieselbe Volumverminderung trat ein, als *Scheele* den Versuch +unter Anwendung von Phosphor, Eisenfeile oder einer geeigneten +Eisenverbindung an Stelle der Schwefelleber wiederholte. + +Auch bei der Verbrennung von Wasserstoff in einer abgeschlossenen +Luftmenge (s. Abb. 25) fand eine Raumverminderung um 1/5 statt. Die +zurückbleibende Luftart unterhielt die Verbrennung nicht. + +[Illustration: Abb. 25. *Scheele* analysiert die Luft.] + +[Illustration: Abb. 26. *Scheeles* Darstellung von Sauerstoff.] + +Zur Herstellung von Sauerstoff wandte *Scheele* folgendes Verfahren +an. Er mischte konzentrierte Schwefelsäure mit fein zerriebenem +Braunstein. Diese Mischung wurde in einer kleinen Retorte erhitzt. Zum +Auffangen des Gases diente eine luftleere Blase. Sobald der Boden der +Retorte glühte, ging eine Luftart über, welche die Blase nach und nach +ausdehnte. *Scheele* füllte ein Glas mit dieser Luftart und brachte +ein kleines angezündetes Licht hinein. »Kaum war dies geschehen, so +fing das Licht an, mit einer großen Flamme zu brennen, wobei es einen +so hellen Schein von sich gab, daß es die Augen blendete.« Mischte +*Scheele* das aus dem Braunstein hergestellte Gas[248] mit derjenigen +Luft, in welcher das Feuer bei den obigen Versuchen nicht mehr brennen +wollte, so erhielt er eine Luft, die der gewöhnlichen in allen Stücken +gleich war. Den Sauerstoff nannte er Feuerluft. Die andere Luftart, die +zur Unterhaltung der Verbrennung ungeeignet ist, bezeichnete er mit den +Namen »verdorbene Luft.« Später wurde sie Stickstoff genannt. + +Auch beim Erhitzen von Salpeter in einer gläsernen Retorte wurde +die Blase von einem Gase ausgedehnt, das sich als reine »Feuerluft« +erwies. *Scheele* wiederholte darauf die Versuche, die er zuerst mit +Schwefelleber, Phosphor usw. und gewöhnlicher Luft angestellt hatte, +unter Anwendung von »Feuerluft.« Es zeigte sich, daß jetzt kein +Rückstand blieb, sondern das gesamte Gas absorbiert wurde. Mischte +er aber die verdorbene Luft mit Feuerluft, und brachte er ein Stück +Phosphor in diese Luftmischung, so wurde auch nur der auf die Feuerluft +entfallende Teil absorbiert. + +All diese Versuche bewiesen somit, daß die Feuerluft das Gas ist, +vermittelst dessen das Feuer in der atmosphärischen Luft unterhalten +wird. »Sie ist darin«, sagt *Scheele*, »nur mit einer Luftart +vermischt, die zum Brennbaren gar keine Anziehung zu haben scheint; und +diese ist es, welche der sonst zu schnellen und heftigen Entzündung +etwas Hinderung in den Weg legt.« + +Den Sauerstoff stellte er nicht nur durch Erhitzen eines Gemenges +von Braunstein und Schwefelsäure, sowie aus Salpeter her, sondern er +bereitete ihn auch durch Glühen leicht zersetzbarer Oxyde, wie des +Goldoxyds und des roten Quecksilberoxyds, dessen sich auch *Priestley* +bediente[249]. + +*Scheeles* Arbeit über den Braunstein lehrte außer dem Sauerstoff noch +Mangan, Chlor und Baryterde (BaO) kennen. Letztere war in den von ihm +untersuchten Braunsteinsorten als Beimengung enthalten. Eine Lösung +von Baryterde benutzte er, wie es noch heute geschieht, zum Nachweise +der Schwefelsäure, während man sich vorher zu diesem Zwecke der viel +weniger geeigneten Kalklösung bedient hatte. + +*Scheele* und *Bergman* gelang ferner die Aufschließung der Silikate, +indem sie diese im Mineralreich eine so große Bedeutung beanspruchenden +Verbindungen durch Zusammenschmelzen mit kohlensaurem Alkali in den +löslichen Zustand überführten. Die Untersuchungen über die Silikate +lehrten auch den Unterschied zwischen löslicher und unlöslicher +Kieselsäure kennen. Große Verdienste erwarb sich *Scheele* auch um den +Nachweis der Magnesium-, der Kupfer- und der Quecksilberverbindungen. +Diese Fülle von Einzelbeobachtungen wußte *Scheeles* Freund *Bergman* +jedoch besser systematisch zu verwerten als jener, sodaß *Bergman* +besonders das Verdienst davontrug, die Grundlagen der qualitativen +Analyse geschaffen zu haben. Nicht minder eifrig widmete sich *Scheele* +dem Studium der Gase, von denen manche, deren Auffindung man wohl +*Priestley* und anderen zugeschrieben hat, schon ihm bekannt waren. +Es sind vor allem außer dem Sauerstoff, dem Stickstoff und dem +Kohlendioxyd noch Chlorwasserstoff, Schwefelwasserstoff, Ammoniak und +Stickoxyd, auf die sich *Scheeles* Untersuchungen erstrecken. Zum +Auffangen der Gase bediente er sich nicht wie *Hales* und *Priestley* +einer Wanne, sondern er brachte die Entwicklungsflasche mit tierischen +Blasen in Verbindung, die er zuvor durch Zusammendrücken luftleer +gemacht hatte. An solchen Blasen entdeckte *Scheele* die Erscheinung +der Gasdiffusion. »Sind die Blasen oder auch nur die sie umgebende Luft +feucht,« sagt *Scheele* bei der Beschreibung seines Apparats[250], »so +dringen die darin befindlichen Gase in wenigen Tagen gänzlich durch die +Blasen. Sind letztere und die Luft dagegen trocken, so geschieht dies +nicht.« + +Ferner machte *Scheele* die Entdeckung, daß die beiden Bestandteile +der Luft, die er als Feuerluft und als verdorbene Luft bezeichnete, in +sehr verschiedenem Grade in Wasser löslich sind. Das Wasser habe die +besondere Eigenschaft, die Bestandteile der Luft zu trennen, indem es +die Feuerluft leichter aufnehme. Letztere sei den im Wasser lebenden +Tieren unentbehrlich. Der Lebensprozeß dieser Tiere beruhe darauf, +daß sie die Feuerluft verbrauchten und Luftsäure (CO_{2}) abschieden. +Das ausgeschiedene Gas würde jedoch in die Atmosphäre abgedünstet und +das Wasser dadurch befähigt, von neuem Feuerluft aufzulösen und sie +den Tieren zuzuführen[251]. Zu dieser in den Grundzügen zutreffenden +Darstellung war *Scheele* durch eine Reihe von Versuchen gelangt. +Leider beziehen sich diese Versuche, wie es *Scheeles* Art war, +vorwiegend auf den qualitativen Verlauf des Vorganges. *Scheele* würde +sonst wahrscheinlich bezüglich der Bedeutung der »Feuerluft« zu den +gleichen Ergebnissen wie *Lavoisier* gelangt sein. + +Nicht minder bedeutend als das bisher Erwähnte waren *Scheeles* +Verdienste um die vor ihm kaum als Wissenszweig bestehende organische +Chemie. Aus den sauren Pflanzensäften erhielt er durch Zusatz von Kalk- +oder Bleilösung Niederschläge, die er als die Salze gewisser Säuren +erkannte. Durch Zersetzen dieser Niederschläge mittelst Schwefelsäure +gelang ihm die Herstellung der wichtigsten organischen Verbindungen, +wie der Wein-, der Zitronen-, der Äpfel- und der Oxalsäure. Letztere +stellte er nicht nur aus dem Sauerklee, sondern auch durch die +Einwirkung von Salpetersäure auf Zucker her. Die Untersuchung von +Harnsteinen führte ihn zur Auffindung der Harnsäure. Die Milchsäure war +zwar schon vor ihm bekannt; auf *Scheele* ist indessen die genauere +Kenntnis dieser Verbindung zurückzuführen. + +Die Zersetzung von Blutlaugensalz durch Schwefelsäure führte ihn +im Jahre 1782 zur Entdeckung der Blausäure. Er widmete ihr eine +mustergültige Untersuchung, die ihm einen ziemlich klaren Einblick +in die Zusammensetzung dieser Verbindung erschloß. Auch auf das +seit alters bekannte Verhalten der Fette gegen die Alkalien warfen +seine Arbeiten das erste Licht. Es gelang ihm, aus Olivenöl durch +die Einwirkung von Bleioxyd das von ihm »Ölsüß« genannte Glyzerin +abzuscheiden. + +Alles dies sind Ergebnisse, die, wie wir sehen werden, für die +Arbeiten späterer Forscher grundlegend gewesen sind. Der Umstand, +daß die Untersuchungen unter dem Einfluß der Phlogistontheorie +geführt wurden, ist durchaus nicht imstande, den Wert dieser +Untersuchungen zu beeinträchtigen, zumal *Scheele* wie kein anderer +der antiphlogistischen Lehre den Boden bereiten half. Gipfelt doch +dasjenige, was er von der Luft und dem Feuer geschrieben, in der klaren +Erkenntnis, daß die Luft aus zwei verschiedenen Gasen zusammengesetzt +ist, von denen nur der Sauerstoff, den er als »Feuerluft« bezeichnet, +die Verbrennung und alle der Verbrennung analogen Vorgänge unterhält. +*Scheele* lehrte ferner, wie wir sahen, die Mittel kennen, um der +Luft diesen wirksamen Bestandteil zu entziehen; er fand, daß das +zurückbleibende Gas etwa vier Fünftel der gesamten Luft ausmacht. +Letztere stellte er durch Mischen der beiden Bestandteile mit allen +ihren Eigenschaften wieder her. + +Daß dem Meister der chemischen Experimentierkunst auch manche Ausbeute +auf dem Gebiete der Physik zuteil wurde, läßt sich denken. *Scheeles* +mehr gelegentliche Beobachtungen über die Löslichkeit und die Diffusion +der Gase fanden schon Erwähnung. Zu systematischen Untersuchungen über +die Wärme und das Licht führten ihn seine Bemühungen, den chemischen +Vorgang der Verbrennung aufzuhellen. So gehört *Scheele* zu den ersten +Naturforschern, die zu einer klaren Unterscheidung der Körperwärme +und der strahlenden Wärme gelangten[252]. Nach *Scheele* ist die im +Ofen aufsteigende und dem Ofen mitgeteilte Wärme von der in den Raum +gestrahlten wohl zu unterscheiden. Letztere entferne sich in geraden +Linien von ihrem Erzeugungspunkte und werde von poliertem Metall so +zurückgeworfen, daß der Eintrittswinkel dem Austrittswinkel gleich sei. +Diese strahlende Wärme werde von der Luft nicht absorbiert und durch +Luftströmungen nicht abgelenkt, sie stimme also in mancher Hinsicht mit +dem Lichte überein. Daß die strahlende Wärme sich leicht in Körperwärme +verwandeln lasse, indem sie sich mit gewissen Körpern vereinige, +erkenne man an einem mit Ruß überzogenen, metallenen Hohlspiegel. + +*Scheele* war auch einer der ersten, welcher der chemischen Wirkung des +Lichtes seine Aufmerksamkeit zuwandte. Die älteste Beobachtung über +die Lichtempfindlichkeit der Silber enthaltenden Niederschläge machte +1727 der Professor der Medizin *J. H. Schulze*[253] in Halle. *Scheele* +experimentierte mit reinem Chlorsilber und wies nach, daß dieses im +Sonnenlichte zu Silber reduziert wird. Die Beobachtung, daß die das +weiße Licht zusammensetzenden Strahlen auf Silbersalze verschieden +wirken, rührt gleichfalls von *Scheele* her. Seinen hierauf bezüglichen +wichtigen Versuch, in dem man die Anfänge der Spektralphotographie +erblicken kann, beschreibt er mit folgenden Worten: »Man setze ein +gläsernes Prisma vor das Fenster und lasse das gebrochene Licht auf die +Erde fallen. In dieses farbige Licht bringe man ein Stück Papier, das +mit Chlorsilber überzogen ist. Diese Verbindung wird in der violetten +Farbe weit eher als in den anderen schwarz werden.« + +Die Reduktion bestand nach der Auffassung der Phlogistiker +bekanntlich[254] in einer Zuführung von Phlogiston. Um die reduzierende +Wirkung des Lichtes zu erklären, schrieb *Scheele* auch diesem einen +Gehalt an Phlogiston zu. Das Phlogiston ist für ihn ein Element, das +unter Herbeiführung wichtiger Veränderungen von einem Körper in den +anderen übergeht. Auch mit der »Feuerluft« geht das Phlogiston nach +*Scheeles* Auffassung eine Verbindung ein. Aus dieser Vereinigung +läßt *Scheele* das Licht und die Wärme hervorgehen. Beide Kräfte faßt +er noch als etwas durchaus Stoffliches auf. Das Phlogiston wurde +dadurch noch unbegreiflicher, daß man seine Darstellung für unmöglich +erklärte. Es sollte sich nämlich von keinem Körper scheiden, wenn nicht +ein anderer Körper zugegen sei, der es sofort aufnehme. + +Gegen den Ausgang des phlogistischen Zeitalters wurde der Versuch +wieder aufgenommen, das Wesen der chemischen Vorgänge aus einer +Kraft zu erklären, die man seit alters als Affinität oder chemische +Verwandtschaft bezeichnet hat. Dies geschah vor allem seit etwa 1775 +durch den schwedischen Chemiker und Mineralogen *Bergman*, dessen +Ansichten bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts die herrschenden blieben. +*Bergman* nahm an, daß je zwei beliebige Stoffe eine Anziehung +zueinander äußern müßten, die ihrer Größe nach bestimmbar sei. Zu +ein und demselben Stoffe besitzen danach verschiedene Stoffe eine +größere oder geringere Anziehung. »Wenn man«, sagt *Bergman*, »auf +eine Verbindung AB einen dritten Stoff C wirken läßt, welcher B aus +der Verbindung ausscheidet und an Stelle von B mit A in Verbindung +tritt, so erhält man statt AB eine neue Verbindung AC.« Um +daher die Verwandtschaft zweier Stoffe B und C gegen einen dritten +A zu bestimmen, sei es nur nötig, zu untersuchen, ob einer dieser +Stoffe den anderen aus seiner Verbindung mit dem dritten ausscheide. +*Bergmans* ganze Vorstellungsart beruht auf der Annahme, daß die +Affinität eine unveränderliche Kraft sei, derart, daß ein Stoff, der +aus einer Verbindung durch einen anderen ausgeschieden wird, nicht +wieder umgekehrt durch den verdrängten Stoff ausgeschieden werden +könne. Durch eine große Zahl genauer, auch abgesehen von theoretischen +Erwägungen wertvoller Versuche gelangte *Bergman* zur Aufstellung von +nicht weniger als 59 Verwandtschaftstafeln. Eine dieser Tafeln möge als +Beispiel hier Platz finden. + + +Kali + + in der Lösung: beim Zusammenschmelzen: + + Schwefelsäure Phosphorsäure + Salpetersäure Borsäure + Salzsäure Arsensäure + Phosphorsäure Schwefelsäure + Arsensäure Salpetersäure + Essigsäure Salzsäure + Borsäure Essigsäure. + Schweflige Säure + Kohlensäure + +Das Kali besitzt danach bei gewöhnlicher Temperatur die größte +Anziehung zur Schwefelsäure. Letztere ist infolgedessen imstande, +alle übrigen Säuren aus ihrer Verbindung mit Kali abzuscheiden. +Mit der Gegenüberstellung der beiden Reihen wollte *Bergman* keine +Abhängigkeit der Affinität von der Temperatur zum Ausdruck bringen. Die +Verwandtschaftsgrade sind zwar, wie die zweite Reihe erkennen läßt, +andere, wenn man die Körper nicht durch Lösungsmittel, sondern durch +Wärmezufuhr flüssig macht, sie ändern sich aber nach *Bergman* nicht +allmählich, sondern sind innerhalb jeder Gruppe, d. h. unter gleichen +Bedingungen konstant, vor allem, so nahm *Bergman* an, sind sie von der +Menge der chemisch aufeinander wirkenden Stoffe unabhängig. + +*Bergman* führte auch den Begriff der doppelten Wahlverwandtschaft[255] +ein. Doch waren Erscheinungen, die unter diesen Begriff fallen, +schon weit früher bekannt und richtig gedeutet worden[256]. Seine +Bemühungen, die Größe der Verwandtschaft ihrem absoluten Werte nach zu +bestimmen, d. h. sie ziffernmäßig auszudrücken, wurden von ihm selbst +als fruchtlos aufgegeben. Die doppelte Verwandtschaft, die Erscheinung +nämlich, daß zwei Verbindungen sich gegenseitig nach dem Schema AB + CD += AC + BD zersetzen, untersuchte *Bergman* für zahlreiche Einzelfälle. +Nach seiner Lehre wird sie dadurch bedingt, daß die Summe der zwischen +A und C oder B und D wirkenden Anziehungen größer ist als die Summe +der zwischen A und B, beziehungsweise C und D wirkenden chemischen +Kräfte. Letztere betrachtete er ihrem Wesen nach als identisch mit der +allgemeinen Anziehung oder der Schwerkraft. Sie sollte nur durch die +Gestalt und die Größe der Moleküle beeinflußt sein und infolgedessen +als chemische Anziehung von wechselnder, indessen für die einzelnen +Elemente gleichbleibender Stärke in die Erscheinung treten. + +Nach dem Sturz der Phlogistontheorie wurde auch *Bergmans* +Verwandtschaftslehre einer Revision unterzogen. Dies geschah durch +*Berthollet*, mit dessen Ansichten über die Affinität und deren +Ursachen wir uns in einem späteren Abschnitt beschäftigen werden. + +*Bergman* verdient nicht nur als Theoretiker, sondern auch als +Entdecker neuer wichtiger Tatsachen und Methoden Beachtung. Zunächst +einiges über seinen Lebensgang. *Tobern Bergman* wurde 1735 in einem +kleinen Orte Westgothlands geboren. Er studierte in Upsala unter +*Linnés* Einfluß sämtliche Zweige der Naturwissenschaften. Im Jahre +1767 erhielt er dort die Professur für Chemie, ohne bis dahin Arbeiten +über dies Gebiet veröffentlicht zu haben. Von diesem Zeitpunkte an +bis zu seinem durch Überanstrengung allzu früh herbeigeführten Tode +(1784) hat *Bergman* die Chemie durch eine große Reihe wichtiger +Untersuchungen gefördert. Sein Ruf drang auch ins Ausland. *Friedrich +der Große* bemühte sich, *Bergman* für die Berliner Akademie zu +gewinnen. Letzterer lehnte jedoch ab. + +Den Anfängen der Analyse auf nassem Wege, bei der man den zu +untersuchenden Stoff zunächst in Lösung bringt, sind wir im 17. +Jahrhundert bei *Boyle* begegnet. Dem 18. Jahrhundert, und zwar +vornehmlich *Bergman*, blieb es vorbehalten, dies Verfahren zu +einem wissenschaftlichen Hilfsmittel ersten Ranges auszubilden. Er +gestaltete die Analyse auf nassem Wege im wesentlichen in der Weise, +wie man sie noch heute handhabt. Insbesondere wandte er sie auf die +Untersuchung von Mineralien an[257]. Vermochte er eine Substanz nicht +in Wasser zu lösen, so setzte er sie in fein gepulvertem Zustande +der Wirkung von Salz-, Salpeter- oder Schwefelsäure aus. Für die +wenigen Fälle, in welchen diese Mittel versagten, erfand *Bergman* die +Methode des Aufschließens. Sie besteht darin, daß man die Substanz +vor dem Hinzusetzen von Säuren mit kohlensaurem Alkali (Pottasche) +zusammenschmilzt. Erst durch diesen wichtigen Fortschritt in der Kunst +der Analyse wurde es möglich, in die Zusammensetzung der Silikate +einzudringen. + +Eine andere wichtige Neuerung ist der Grundsatz, daß die Analyse nicht +die Bestandteile der zu untersuchenden Substanz völlig zu isolieren +hat, sondern daß es genügt, die Bestandteile in leicht kenntliche, +ihrer Zusammensetzung nach bekannte Verbindungen überzuführen. So +bestimmte *Bergman* Kohlensäure durch Kalkwasser, Schwefelsäure +durch Chlorbarium, manche Metalle nach der Fällung mit Alkali oder +kohlensaurem Alkali in der Form von Hydroxyden oder Karbonaten, die +Metallkalke als kohlensaure Salze usw. Endlich hat *Bergman* das +Verdienst, unter Anwendung des Lösungsverfahrens die quantitative +Analyse begründet zu haben. Unabhängig von *Lavoisier*, dem oft allein +die Begründung der quantitativen chemischen Untersuchung zugeschrieben +wird, hat *Bergman* von der Wage schon eine ausgedehnte Anwendung +gemacht. Daß jene ersten, von *Bergman* ausgeführten quantitativen +Analysen zum Teil recht ungenau waren, darf nicht Wunder nehmen. So +fand er erhebliche Mengen von Wasser in Mineralien, die chemisch +gebundenes Wasser garnicht enthalten, z. B. im Kalkspat (11%) und +im Witherit (28%). Offenbar rührte dies daher, daß *Bergman* die zu +untersuchende Substanz noch nicht genügend von der ihr in wechselndem +Verhältnis beigemengten Feuchtigkeit befreite. + +Einige seiner Analysen weisen indes schon einen ziemlichen Grad von +Genauigkeit auf. So fand er für Kristallsoda und Gips folgende Werte: + + Soda Gips + Basis 20 (statt 21,8) Basis 32 (statt 32,9) + Säure 16 ( " 15,4) Säure 46 ( " 46,3) + Wasser 64 ( " 62,8) Wasser 22 ( " 20,8) + ---------------- ----------------- + 100 (100) 100 (100) + +Die Ergebnisse der meisten von *Bergman* angestellten Mineralanalysen +weichen jedoch von den richtigen Werten so sehr ab, daß sie wertlos +sind und man in ihnen nur *Bergmans* Bemühen achten muß, als erster +sich mit so schwierigen Aufgaben, wie sie die quantitative Analyse der +Mineralien darbietet, befaßt zu haben. + +Wir haben *Bergmans* Verdienste um die Chemie im allgemeinen kennen +gelernt. Einige seiner Einzeluntersuchungen dürfen aber auch nicht +unerwähnt bleiben, weil man ihnen die ersten wichtigen Aufschlüsse +verdankt. Sie betreffen den Salzgehalt der Mineralwässer und des +Meeres, sowie die chemische Zusammensetzung der drei Eisensorten, +Schmiedeeisen, Gußeisen und Stahl. + +Zur Untersuchung der Mineralwässer[258] benutzte *Bergman* eine große +Zahl von Reagentien. Er zeigte, daß Blutlaugensalz daraus Eisen als +blauen, Kupfer als braunen und Mangan als weißen Niederschlag fällt, +daß Kalk durch Oxalsäure, Chlor durch Silberlösung, Schwefelsäure +durch Chlorbarium ausgefällt werden. Er suchte die Bestandteile +der Mineralwässer in unlösliche Verbindungen überzuführen, trennte +verschiedene Salze durch Zusatz von Weingeist usw. + +*Bergman* untersuchte ferner zuerst den Salzgehalt des Seewassers +unter dem Gesichtspunkte, daß er es verschiedenen Tiefen entnahm und +den Gehalt verglich. Neben Kochsalz fand er auch Chlormagnesium und +Calciumsulfat als Bestandteile des Meerwassers. + +Grundlegend für das Verständnis der Eisenarten war seine vergleichende +Untersuchung von Schmiedeeisen, Stahl und Gußeisen. Er behandelte +je eine Probe dieser drei Eisensorten mit Säure und fand, daß +Schmiedeeisen am meisten, Stahl weniger und Gußeisen am wenigsten +Wasserstoff freimacht. Daraus schloß er, daß Schmiedeeisen das reinste +und Gußeisen das am wenigsten reine Eisen ist, während Stahl eine +mittlere Stelle einnimmt. In Übereinstimmung hiermit hinterblieb +denn auch beim Lösen von Schmiedeeisen der geringste, beim Lösen von +Gußeisen der größte Rückstand. Letzteren erkannte er als Graphit. Er +faßte dementsprechend die Eisenarten ganz richtig als Vereinigungen +von Eisen mit mehr oder weniger Kohlenstoff auf. *Bergman* wies +ferner nach, daß die sogenannte »Kaltbrüchigkeit« des Eisens von +einem Phosphorgehalt herrührt[259]. Es ist bemerkenswert, daß die +Entphosphorung des Eisens durch Zusatz von Kalk, ein Verfahren, auf dem +der heute in so großartigem Maßstabe eingeführte Thomasprozeß beruht, +schon um jene Zeit in Schweden in Vorschlag gebracht wurde[260]. + + + + +10. Der Eintritt der Chemie in das Zeitalter der quantitativen +Untersuchungsweise. + + +Eins der größten Ereignisse in der Entwicklung der Chemie war +die den Beginn einer neuen Epoche bedeutende Aufklärung des +Verbrennungsprozesses durch *Lavoisier*. Zwar hatte *John Mayow* schon +im 17. Jahrhundert die Verbrennung der Metalle ganz richtig als einen +unter Gewichtszunahme erfolgenden Hinzutritt eines Bestandteiles der +Luft zu dem Metall betrachtet. *Mayows* Versuchen und Ausführungen +fehlte jedoch noch die durchschlagende Beweiskraft, wie sie nur auf +quantitativer Grundlage erwachsen konnte. Auch fanden seine Arbeiten +nicht die verdiente Beachtung, ja sie waren in dem Zeitraum, der +uns jetzt beschäftigt, fast in Vergessenheit geraten, obgleich die +Erklärung des Verbrennungsprozesses gerade der Angelpunkt blieb, um den +sich seitdem die chemische Forschung gedreht hatte. + +Daß *Scheele* nicht zum Verständnis der von ihm so musterhaft +durchforschten Erscheinungen hindurchdrang, lag daran, daß auch er +nicht in genügendem Maße die quantitativen Beziehungen, die zwischen +ihnen obwalten, berücksichtigte. Sobald dies geschah, mußte bei der +Stufe, auf welche die Chemie durch ihn und *Priestley* gelangt war, +der Schleier, der die Wahrheit verhüllte, mit einem Male fallen. Es +bedurfte hierzu keiner neuen Entdeckung, sondern nur der folgerichtigen +Anwendung des Messens und des Wägens auf den bekannt gewordenen Verlauf +der Erscheinungen. Diesen wichtigen Schritt getan zu haben, ist das +unbestreitbare, große Verdienst des Franzosen *Lavoisier*. + +Die Verschiedenheit in dem Verfahren *Lavoisiers* und *Scheeles* tritt +am deutlichsten hervor, wo wir beide Forscher mit der Untersuchung +desselben Gegenstandes beschäftigt finden. Während des 17. Jahrhunderts +hatte sich besonders auf Grund eines durch *van Helmont* bekannt +gegebenen Versuches[261] die Meinung gebildet, daß sich Wasser in +feste, erdige Stoffe verwandeln lasse. Im 18. Jahrhundert waren Zweifel +hiergegen laut geworden. Sowohl *Scheele*, wie auch *Lavoisier* ließen +es sich angelegen sein, die Entscheidung auf dem Wege des Experiments +herbeizuführen. »Ich goß«, sagt ersterer[262], »ein halbes Lot +destilliertes Schneewasser in einen gläsernen Kolben, der mit einem +dünnen, eine Elle langen Halse versehen war, und verschloß ihn mit +einem genau passenden Kork. Darauf hing ich diesen Kolben über einer +brennenden Lampe auf und unterhielt das Wasser zwölf Tage und Nächte +in beständigem Kochen. Als es zwei Tage gekocht, hatte es ein etwas +weißliches Aussehen erhalten. Nach sechs Tagen war es wie Milch, und +am zwölften Tage schien es schon dick zu sein.« Der Kolben zeigte +sich auf seiner inneren Fläche, soweit das kochende Wasser gestanden +hatte, korrodiert. Und die das Wasser trübende, zum Teil darin gelöste +Substanz enthielt, wie die qualitative Untersuchung ergab, die +Bestandteile, welche das Glas zusammensetzen, nämlich Alkali, Kalk und +Kieselsäure. »Konnte ich«, fährt *Scheele* fort, »wohl länger zweifeln, +daß das Wasser durch das beständige Kochen das Glas zersetzen kann? +Die Erde, die ich erhielt, war von nichts weniger als aus dem Wasser +entstanden.« + +Ganz anders verfährt *Lavoisier*[263] und gelangt dennoch zu dem +gleichen Ergebnis. Ihm würde die qualitative Analyse der im Wasser +befindlichen Stoffe große Schwierigkeiten bereitet haben. *Lavoisier* +bedarf einer solchen aber auch garnicht, sondern er entscheidet die +Frage auf rein quantitativem Wege. Er bringt Wasser in ein Glasgefäß, +wägt und verschließt es und erhält den Inhalt etwa 100 Tage auf +Siedewärme. Darauf zeigt es sich, daß das entleerte Gefäß gerade so +viel an Gewicht verloren hat, wie die von dem Wasser gelösten und nach +dem Verdampfen zurückbleibenden Stoffe wiegen. + +Wie in diesem Falle, so verfuhr *Lavoisier* bei allen Untersuchungen. +Die qualitative Seite der von ihm studierten Vorgänge war meist durch +die Arbeiten der Phlogistiker genügend bekannt geworden. Durch die +Genauigkeit seiner Messungen und Wägungen, sowie durch die logische +Schärfe der daran sich anschließenden Folgerungen verstand es +*Lavoisier*, das verknüpfende Band zu finden und ein chemisches System, +sowie eine Nomenklatur zu schaffen, welche die Einreihung und die +Beschreibung aller bekannten und der später entdeckten Erscheinungen +leicht ermöglichten. + +*Antoine Laurent Lavoisier* wurde am 26. August des Jahres +1743 zu Paris geboren. Sein Vater, welcher durch den Handel zu +bedeutendem Vermögen gelangt war, besaß ein großes Interesse für die +Naturwissenschaften und ließ seinen Sohn durch ausgezeichnete Gelehrte +darin unterrichten. Insbesondere fesselte den jungen *Lavoisier*, der +auch eine vorzügliche mathematische Ausbildung erhielt, die Chemie in +ihrer Anwendung auf das praktische Leben. Kaum 20 Jahre alt, löste er +eine von der französischen Regierung gestellte technische Aufgabe. +Großmütig überließ er den ihm zugefallenen Preis seinen Mitbewerbern, +um diesen die ihnen erwachsenen Unkosten zu ersetzen, und begnügte sich +mit der gleichfalls an den Preis geknüpften Denkmünze. Mit 25 Jahren +(1768) wurde *Lavoisier* Mitglied der Akademie der Wissenschaften. +Bald darauf erhielt er die Stelle eines Generalpächters. Die hohen +Einkünfte, die damit verbunden waren, verwandte er auf seine, +bedeutende Mittel erfordernden Experimentalarbeiten. Später übertrug +man ihm die Verwaltung der Salpeter- und der Pulverfabriken, eine +Stellung für die *Lavoisier* seiner chemischen Kenntnisse und seines +Scharfblickes in allen praktischen Dingen wegen hervorragend geeignet +war. + +Der wichtigste Vorläufer *Lavoisiers* war *Mayow*. Wir haben uns mit +seinen Versuchen und Anschauungen schon an früherer Stelle eingehend +beschäftigt (Bd. II, S. 190). Eine Untersuchung der Gewichtszunahme, +welche die Metalle beim Verkalken erfahren, rührt von dem französischen +Arzt *Jean Rey* († 1645) her. Die Abhandlung *Reys* erschien im Jahre +1630[264]. *Rey* wurde zu seiner Untersuchung durch eine Mitteilung +eines Apothekers angeregt. Letzterer hatte das Zinn, das er in einem +eisernen Kessel schmelzen und verkalken wollte, vorher gewogen. Nachdem +sich alles Zinn in den weißen Kalk verwandelt hatte, wog er die Masse +wieder und fand zu seinem Erstaunen, daß sie erheblich mehr wog als +das in den Kessel geschüttete Zinn. Er wandte sich deshalb an *Rey* +mit der Bitte um eine Erklärung dieser merkwürdigen Tatsache. *Rey* +erkannte wohl, daß die Luft bei der Verkalkung eine Rolle spielt. +Er schrieb der Luft Schwere zu, bevor *Torricelli* und *Guericke* +ihre grundlegenden Versuche über den Druck und das Gewicht der Luft +angestellt hatten. Trotzdem kam *Rey* noch nicht auf den Gedanken, daß +die Verkalkung in der Vereinigung der Luft mit dem Metall besteht. Er +ist vielmehr der Ansicht, »die Luft vermische sich mit dem Kalk und +hänge nun fest an dessen kleinsten Teilchen«[265]. + +*Lavoisier* hatte bei *Boyle* gelesen, daß Blei und Zinn, wenn man +sie in mit Luft gefüllten, verschlossenen Gefäßen erhitzt, unter +Zunahme ihres Gewichtes in die entsprechenden Metallkalke übergehen. +Da sich diese Erscheinung mit der herrschenden Theorie garnicht +vereinigen ließ, faßte *Lavoisier* den Entschluß, die Verkalkung durch +Versuche und deren vorurteilsfreie Deutung auf ihre wahre Ursache +zurückzuführen. Er brachte eine abgewogene Menge Zinn in eine Retorte, +verschloß sie vollkommen und erhitzte, bis das Zinn verkalkt war. +Wurde die Retorte nach dem Erkalten von neuem gewogen, so zeigte es +sich, daß ihr Gewicht dasselbe geblieben. Die Annahme *Boyles*, die +Verkalkung bestehe darin, daß ein hypothetischer Stoff die Wände +der Retorte durchdringe und mit dem Metall eine Verbindung eingehe, +erwies sich somit als unhaltbar. Nach dieser Feststellung wurde die +Retorte geöffnet; es drang Luft in sie hinein, und die Retorte besaß +infolgedessen jetzt ein größeres Gewicht. Die entstandene Zinnasche +wurde nun gewogen und es zeigte sich, daß der Zuwachs an Gewicht, +den die Retorte durch das Eindringen der Luft erfuhr, genau so +groß war, wie diejenige Zunahme, die vorher das Zinn innerhalb der +Retorte erfahren hatte. Diese Versuche ließen für die Verkalkung der +Metalle keine andere Deutung zu, als daß sich diese Stoffe unter +entsprechender Vermehrung ihres Gewichtes mit der Luft verbinden. Im +Jahre 1772 berichtete *Lavoisier* der Akademie über diese Ergebnisse. +Die gewonnene Erkenntnis mußte jedoch unzulänglich bleiben, solange +*Lavoisier* die Zusammensetzung der Atmosphäre nicht bekannt war. Erst +als *Priestley* 1774 bei einem Besuche in Paris *Lavoisier* mit dem +Sauerstoff und dessen Darstellung aus rotem Quecksilberoxyd vertraut +gemacht hatte, war dem französischen Forscher der Schlüssel zum vollen +Verständnis seiner Versuche gegeben. + +Bald darauf erschien denn auch die Arbeit *Lavoisiers*, die das Wesen +der Verbrennung und der Reduktion in das klarste Licht stellte. +Die Verbrennung, welcher die Verkalkung der Metalle analog ist, +besteht danach in der Vereinigung des brennbaren Körpers mit dem +einen, die Verbrennung unterhaltenden Bestandteil der Luft, der +»dephlogistisierten« oder »Feuerluft« der früheren Chemiker, die +*Lavoisier* zunächst als »reine Luft« und später, nachdem er ihre +Bedeutung für die Bildung der Säuren erkannt hatte, als Sauerstoff +bezeichnete. + +»Die Chemie gibt«, sagt *Lavoisier* bei der Schilderung seiner +Versuche, »im allgemeinen zwei Mittel an die Hand, die Zusammensetzung +einer Substanz zu bestimmen, die Synthese und die Analyse. Man darf +sich nicht eher zufrieden geben, bis man diese beiden Arten der Prüfung +hat vereinigen können. Diesen Vorteil bietet die Untersuchung der +atmosphärischen Luft; sie läßt sich zerlegen und wieder zusammensetzen.« + +[Illustration: Abb. 27. Kolben zur Analyse der atmosphärischen Luft. + +(*Lavoisier*, Oeuvres. Tome I, Pl. II, Fig. 14.)] + +[Illustration: Abb. 28. Die Analyse der atmosphärischen Luft durch +Erhitzen von Quecksilber in einer abgeschlossenen Luftmenge. + +(*Lavoisier*, Oeuvres, Tome I, Pl. IV, Fig. 2.)] + +*Lavoisier* nahm einen langhalsigen Kolben (Abb. 27) von etwa 36 +Kubikzoll Inhalt. Er bog ihn in der Weise, daß er in einen Ofen MMNN +gelegt werden konnte, während das Ende E unter der Glocke FG in eine +Quecksilberwanne RR mündete (Abb. 28). In diesen Kolben brachte er 4 +Unzen sehr reines Quecksilber. Darauf führte er einen Heber unter die +Glocke FG und sog, bis sich das Quecksilber bis LL gehoben hatte. +Er bezeichnete dieses Niveau sorgfältig und beobachtete genau den +Barometerstand und die Temperatur. + +Nachdem diese Vorbereitungen getroffen waren, zündete *Lavoisier* in +dem Ofen ein Feuer an und erhitzte das Quecksilber ununterbrochen zwölf +Tage lang bis zu seinem Siedepunkte. + +Während des ersten Tages ereignete sich nichts Bemerkenswertes. Am +zweiten Tage sah er, wie auf der Oberfläche des Quecksilbers kleine +rote Flecken auftraten. Sie nahmen bis zum fünften Tage an Zahl und +Größe zu. Darauf hörten sie auf zu wachsen und verblieben in demselben +Zustande. Sobald die Verkalkung des Quecksilbers keinen Fortschritt +mehr machte, ließ *Lavoisier* das Feuer ausgehen und die Gefäße +erkalten. Das Volumen der gesamten Luft, die sich in dem Kolben und +unter der Glocke befand, betrug, auf einen Druck von 28 Zoll und 10° +Temperatur reduziert, vor dem Versuche fünfzig Kubikzoll. Nach der +Beendigung des Versuches waren unter den gleichen Temperatur- und +Druckverhältnissen nur noch 42-43 Kubikzoll vorhanden. Es hatte demnach +eine Verminderung des Volumens um etwa 1/6 stattgefunden. *Lavoisier* +sammelte darauf die rote Masse, die sich gebildet hatte, sorgfältig und +befreite sie, so viel wie möglich, vom Quecksilber. Ihr Gewicht betrug +45 Gran[266]. + +Die Luft, welche nach diesem Versuch zurückblieb und durch die +Verkalkung des Quecksilbers auf 5/6 ihres ursprünglichen Volumens +vermindert war, erwies sich weder zur Atmung, noch zur Verbrennung +mehr geeignet. Tiere, die man hineinbrachte, starben nach wenigen +Augenblicken, und ein Licht erlosch darin sofort. + +Darauf brachte *Lavoisier* die 45 Gran der entstandenen roten +Substanz in ein kleines Glasgefäß. Letzteres setzte er mit einem zum +Auffangen etwaiger flüssiger und gasförmiger Produkte geeigneten +Apparat in Verbindung. Als er das Gefäß erhitzte, begann der rote +Körper an Umfang zu verlieren und in wenigen Minuten war er ganz +verschwunden. Gleichzeitig hatten sich in dem kleinen Rezipienten +41½ Gran flüssiges Quecksilber verdichtet, und unter der Glocke +waren 7-8 Kubikzoll eines Gases aufgetreten, das viel besser als die +atmosphärische Luft die Verbrennung und Atmung zu unterhalten imstande +war. + +»Diesem Gas«, sagt *Lavoisier*, »das *Priestley*, *Scheele* und ich +fast gleichzeitig entdeckten, will ich den Namen Sauerstoff geben, +weil es eine seiner wichtigsten Eigenschaften ist, Säuren zu bilden, +indem es sich mit den meisten Substanzen vereinigt. Beim Nachdenken +über die Umstände dieses Versuches erkennt man, daß das Quecksilber, +indem es sich verkalkt, den respirablen Teil der Luft aufnimmt, und daß +der Teil der Luft, der übrig bleibt, unfähig ist, die Verbrennung und +die Atmung zu unterhalten. Die atmosphärische Luft ist also aus zwei +Gasen von verschiedener, man möchte fast sagen entgegengesetzter, Natur +zusammengesetzt.« + +Die Probe auf diese wichtige Entdeckung machte *Lavoisier* in folgender +Weise: Er vereinigte die beiden Gase wieder in dem aufgefundenen +Verhältnis (42 : 8) und erhielt auf diese Weise ein Gas, das in jeder +Hinsicht mit der atmosphärischen Luft übereinstimmt und in demselben +Maße wie diese geeignet ist, die Verbrennung, die Atmung und die +Verkalkung der Metalle zu unterhalten. + +Erhitzte *Lavoisier* die rote Quecksilberasche nicht für sich, sondern +unter Zusatz von Kohle, so bildete sich an Stelle von Sauerstoff +»fixe Luft«. Letztere, so folgerte *Lavoisier*, kann also nur in der +Vereinigung von Kohlenstoff und Sauerstoff bestehen. Dieser Schluß +findet eine weitere Bestätigung, indem *Lavoisier* beim Verbrennen +von Holzkohle in Sauerstoff gleichfalls »fixe Luft« (CO_{2}) erhält. +Dasselbe Gas trat auf, als er anstatt Holzkohle Diamant nahm, der +vermittelst großer Brennspiegel in einem mit Sauerstoff gefüllten +Glasgefäß entzündet wurde. Erst durch diese Abänderung des etwa 100 +Jahre früher in Florenz gemachten Versuches war das Wesen jenes +merkwürdigen Minerals erkannt; der Diamant war danach nichts als +kristallisierter Kohlenstoff. Eine andere merkwürdige Erscheinung, die +man mit dem Florentiner Versuch gar nicht in Einklang bringen konnte, +die Erscheinung nämlich, daß der Diamant, in Kohlenpulver verpackt, +der größten Hitze ausgesetzt werden kann, ohne sich zu verändern, +fand jetzt gleichfalls ihre Erklärung. Der Diamant ist eben eine +unschmelzbare Substanz, welche durch die Hitze nicht etwa als solche +verflüchtigt wird, sondern sich nur bei Gegenwart von Sauerstoff in +eine gasförmige Verbindung, in »fixe Luft« oder Kohlendioxyd verwandelt. + +In einer die Verkalkung betreffenden, an *Boyle* anknüpfenden +quantitativen Arbeit vom Jahre 1772 hatte *Lavoisier* seine +Untersuchung auch auf Phosphor und Schwefel ausgedehnt und für diese +Körper eine analoge, mit ihrer Verbrennung Hand in Hand gehende +Vermehrung des Gewichtes festgestellt. Was lag näher, als diese +Vermehrung gleichfalls auf eine Vereinigung mit dem Sauerstoff +zurückzuführen? *Lavoisier* brachte deshalb in eine durch Quecksilber +abgesperrte Luftmenge Phosphor, den er zum Teil verbrannte. Nach +Beendigung dieser Verbrennung ließ sich der übrige Phosphor schmelzen +und ins Sieden bringen, ohne daß wieder eine Entzündung eingetreten +wäre. Letztere erfolgte erst, wenn von neuem Luft unter die Glocke +gelangt war. + +[Illustration: Abb. 29. Die Verbrennung von Phosphor unter einer +Glasglocke. + +(*Lavoisier*, Oeuvres. Tome I. Pl. IV, Fig. 3).] + +Die Verbrennung des Phosphors in reinem Sauerstoff bewerkstelligte +*Lavoisier* folgendermaßen: Er füllte eine Glasglocke von etwa 6 Litern +Inhalt mit Sauerstoff und brachte 61½ Gran Phosphor hinein. Das +Quecksilber stand in der Glocke auf der Höhe EF. Darauf entzündete +*Lavoisier* den Phosphor mit einem gebogenen, erhitzten Eisen. Die +Verbrennung vollzog sich sehr rasch unter bedeutender Entwicklung von +Wärme und Licht. Im ersten Augenblicke fand infolge der Erwärmung +eine beträchtliche Ausdehnung des Sauerstoffes statt; bald aber stieg +das Quecksilber über sein früheres Niveau hinaus, und es trat eine +beträchtliche Abnahme ein. Gleichzeitig bedeckte sich das ganze Innere +der Glocke mit weißen Flocken. + +Die Menge des Sauerstoffs betrug unter Berücksichtigung aller +Korrekturen zu Beginn des Versuches 162 Kubikzoll; am Ende desselben +waren nur noch 23¼ Kubikzoll vorhanden; die absorbierte Menge +betrug also 138¾ Kubikzoll oder 69,375 Gran. Der Phosphor war nicht +gänzlich verbrannt, es verblieben in dem Schälchen einige Stücke, +die gewaschen wurden, um sie von den entstandenen weißen Flocken zu +trennen. Sie ergaben getrocknet ein Gewicht von etwa 16¼ Gran. + +Die Menge des verbrannten Phosphors ergab sich demnach gleich 45 +Gran. Bei diesem Versuch hatten sich also 45 Gran Phosphor mit +69,375 Gran Sauerstoff verbunden. Da nichts Wägbares durch das Glas +entweichen konnte, so mußte das Gewicht der Substanz, welche bei dieser +Verbrennung entstanden war und sich in weißen Flocken abgesetzt hatte, +gleich der Summe der Gewichte des Sauerstoffs und des Phosphors sein, +also gleich 114,375 Gran. + +Diese Beispiele zeigen uns, wie *Lavoisier* bestrebt war, jeden Vorgang +qualitativ und quantitativ zu verfolgen. Die erhaltenen Ergebnisse +weichen allerdings oft von den heutigen Werten nicht unbeträchtlich +ab. Über die qualitative Seite des zuletzt geschilderten Vorgangs +berichtet *Lavoisier* folgendes: »Der Phosphor verwandelt sich infolge +seiner Verbrennung, mag sie in gewöhnlicher Luft oder in Sauerstoff +stattfinden, wie erwähnt, in eine weiße, flockige Substanz und erhält +ganz neue Eigenschaften. Er wird nicht nur löslich in Wasser, während +er vorher darin unlöslich war, sondern er zieht auch die in der Luft +enthaltene Feuchtigkeit erstaunlich schnell an und wird zu einer +Flüssigkeit von viel größerem spezifischem Gewicht als Wasser. Vor +seiner Verbrennung ist der Phosphor fast geschmacklos; durch seine +Vereinigung mit Sauerstoff nimmt er einen stark sauren Geschmack an. Er +geht endlich aus der Klasse der brennbaren Substanzen in diejenige der +unverbrennlichen über und wird das, was man eine Säure nennt.« + +Da sich bei der Vereinigung von Phosphor und Schwefel mit Sauerstoff +die Anhydride von Phosphorsäure und schwefliger Säure bilden, +von denen das letztere durch weitere Oxydation und Zutritt von +Wasser in Schwefelsäure übergeht, so wurde das bisher als reine +Luft bezeichnete Gas von *Lavoisier* als säurebildendes Prinzip +angesprochen. Diese Ansicht, welche später, als man in der Salz- und +in der Blausäure sauerstofffreie Verbindungen kennen lernte, eine +wesentliche Einschränkung erfuhr, fand durch *Lavoisiers* Untersuchung +der Salpetersäure[267] eine wesentliche Stütze. *Lavoisier* löste +eine abgewogene Menge Quecksilber in Salpetersäure (HNO_{3}) auf; +dabei entwickelte sich das von *Priestley* als Salpeterluft (NO_{2}) +bezeichnete Gas. Wurde die nach dem Eindampfen erhaltene Verbindung +(Hg[NO_{3}]_{2}) erhitzt, so fand eine weitere Entwicklung von +Salpeterluft statt, und es blieb rotes Quecksilberoxyd zurück[268], +das beim Glühen in Sauerstoff und ein der angewandten Menge gleiches +Quantum Quecksilber zerfiel. Da das Quecksilber völlig wieder +erhalten wurde, konnten der Sauerstoff und die Salpeterluft nur +der Salpetersäure entstammen. Durch die Vereinigung dieser beiden +Gase mit Wasser gelang es *Lavoisier*, auch die Salpetersäure +wiederherzustellen und so durch die Synthese seinen Schlüssen doppeltes +Gewicht zu verleihen. + +Völlig aufgeklärt wurde die chemische Natur der Salpetersäure durch +das Hinzutreten einer wichtigen, von dem Phlogistiker *Cavendish* +herrührenden Entdeckung. Ausgehend von *Priestleys* Beobachtung, daß +die Luft durch fortgesetzte Einwirkung des elektrischen Funkens eine +chemische Veränderung erleidet, zeigte *Cavendish*, daß sich hierbei +die Gemengteile der Luft zu Salpetersäure verbinden[269]. Durch diesen +synthetischen Versuch und die von *Lavoisier* herrührende Analyse +war die hinsichtlich der Salpetersäure gestellte Aufgabe gelöst. Daß +der durch Sättigen von Salpetersäure mit Alkali erhaltene Salpeter +gleichfalls Sauerstoff enthält, wies *Lavoisier* dadurch nach, daß sich +beim Erhitzen von Salpeter mit Kohle fixe Luft (CO_{2}) entwickelt. + +Wie die Verbrennung, so wurde durch die neue Theorie auch die Atmung +in das rechte Licht gestellt. Sie besteht nach *Lavoisier* in der +Verbindung von Sauerstoff mit den Bestandteilen der organischen +Substanz. Wie bei der Verbrennung, so wird auch hierbei Wärme frei. +In dem wesentlichsten Erzeugnis der Atmung, dem Kohlendioxyd, stammt +der Kohlenstoff aus dem Organismus, der Sauerstoff dagegen aus der +Atmosphäre. Die Analogie zwischen beiden Vorgängen wird von *Lavoisier* +ferner daraus erschlossen, daß er Kohlendioxyd und Wasser auch bei +der Verbrennung organischer Substanzen, wie Alkohol, Öl und Wachs, +erhielt. Indem *Lavoisier* aus der Menge des entstandenen Kohlendioxyds +und Wassers den Kohlenstoff- und Wasserstoffgehalt der verbrannten +Substanzen ermittelte, wurde er zum Begründer der Elementaranalyse. + +Den Vorgang der Gärung faßte *Lavoisier* ganz richtig auf als den +Zerfall einer ternären, d. h. einer aus drei Elementen (C, H und O) +bestehenden organischen Verbindung, des Zuckers nämlich, in den eine +relativ geringere Menge Sauerstoff enthaltenden Alkohol und das binäre, +an Sauerstoff reiche Kohlendioxyd. Ließe sich eine Vereinigung des +Alkohols mit dem Kohlendioxyd bewirken, so müßte sich, wie *Lavoisier* +ganz richtig ausführt, wieder Zucker ergeben. + +Sein weiteres Bemühen war darauf gerichtet, für die von ihm +untersuchten Substanzen das Gewichtsverhältnis ihrer Bestandteile +festzustellen. So bestimmte er die quantitative Zusammensetzung des +Kohlendioxyds, indem er eine abgewogene Menge Kohle vermittelst Mennige +oxydierte. Aus dem Gewichtsverlust, den die Mennige dabei erlitt, +berechnete er für Kohlendioxyd 72,1% Sauerstoff, ein Ergebnis, das dem +wahren Wert (72,7%) ziemlich nahe kommt. + +Zu Beginn der 80er Jahre des 18. Jahrhunderts gelangte *Lavoisier* +durch seine eigenen und die von *Cavendish* geführten Untersuchungen +auch über die Natur des Wassers vollkommen ins reine. *Cavendish* +hatte 1781 den Nachweis geliefert, daß sich bei der Vereinigung von +Wasserstoff und Sauerstoff ausschließlich Wasser bildet, wobei sich +100 Raumteile Sauerstoff mit 201,5 Raumteilen Wasserstoff verbinden +sollten. Erst viel später erkannte man, daß in Wahrheit das einfache +Verhältnis 100 : 200 obwaltet. Auf die Synthese ließ *Lavoisier* die +Analyse des Wassers folgen, indem er Dampf durch eine Röhre leitete, in +der sich glühendes Eisen befand. Bei diesem Versuche wurde das Eisen +unter Freiwerden von Wasserstoff oxydiert. Die Zersetzung von 100 +Gewichtsteilen Wasser ergab eine durch den Sauerstoff des letzteren +bewirkte Zunahme des Eisens um 85 Teile, während 15 Teile Wasserstoff +aufgefangen wurden, ein Resultat, das von der Wahrheit erheblich +abwich, da spätere Versuche für die Elemente des Wassers das Verhältnis +89 : 11 ergeben haben. + +In der Mitte der 80er Jahre stand die antiphlogistische Theorie, +deren Entwicklung wir in vorstehendem kennen gelernt haben, in +ihren Grundzügen vollendet da. Einige Jahre später erfuhr sie durch +*Lavoisier* eine lichtvolle Darstellung in seinem Lehrbuch der Chemie, +dem die im vorstehenden mitgeteilten Proben seiner Experimentierkunst +entnommen sind. + +Alles Bemühen, die Phlogistontheorie zu retten, war vergeblich; sie +wurde mit *Scheele* und *Priestley* zu Grabe getragen. Indes sollte +*Lavoisier* die allgemeine Anerkennung der neuen Lehre nicht mehr +erleben[270]. Das Jahr, in welchem sein soeben erwähntes Lehrbuch +erschien, war auch das Geburtsjahr der französischen Revolution. Die +konstituierende Nationalversammlung hatte noch *Lavoisiers* Dienste +in Anspruch genommen. Während der Schreckenszeit erinnerte man sich +aber der einflußreichen Stellung, die er unter dem Königtum bekleidet +hatte, und verurteilte ihn auf die nichtige Anklage hin, daß die von +ihm verwaltete Regie den Tabak verschlechtert habe, zum Tode. Als ein +Freund den Mut besaß, den Richtern gegenüber *Lavoisiers* Verdienste +um die Wissenschaft hervorzuheben, erhielt er die den tollen Geist +des Aufruhrs kennzeichnende Antwort: »Nous n'avons plus besoin des +savants.« So starb denn *Lavoisier* gefaßt und ruhig am 8. Mai des +Jahres 1794. + +Der Einfluß, welchen die von ihm geschaffenen Lehren und Methoden +ausgeübt haben, ist ein gewaltiger gewesen. Die Chemie trat jetzt +der Astronomie und der Physik, die gleichfalls ihr Emporblühen der +Befolgung des quantitativen Verfahrens verdankten, als ebenbürtig an +die Seite. Mit dem Auftreten *Lavoisiers* gelangte ferner ein Grundsatz +zu allgemeiner Anerkennung, der für das quantitative Verfahren eine +unerläßliche Vorbedingung bildet. Es ist dies der Satz, daß bei +chemischen Vorgängen nichts entsteht und nichts vergeht, sondern daß +die Summe der in den Prozeß eintretenden Stoffe eine unveränderliche +Größe ist. Gegen diesen Satz, der fast selbstverständlich zu sein +scheint und dennoch das Ergebnis der Erfahrung ist, wurde sogar noch +von hervorragenden Chemikern des 18. Jahrhunderts gefehlt[271]. + +Mit gleicher Schärfe erfaßte *Lavoisier* den von *Boyle* herrührenden +Begriff des chemischen Elementes. Er versteht darunter jede Substanz, +die nicht in einfachere zerlegt werden kann. Als Elemente in diesem +Sinne gelten ihm die damals allein bekannten schweren Metalle und +die als Metalloide bezeichneten Grundstoffe, nämlich Sauerstoff, +Wasserstoff, Stickstoff, Kohlenstoff, Schwefel und Phosphor. Die +Alkalien und die Erden hätten der gegebenen Erklärung gemäß zwar auch +als Elemente betrachtet werden müssen, doch spricht *Lavoisier* schon +die Vermutung aus, daß diese in mancher Hinsicht den Metallkalken +ähnlichen Stoffe Verbindungen bisher unbekannter Metalle mit Sauerstoff +seien, eine Vermutung, welche durch die späteren elektrochemischen +Forschungen eine glänzende Bestätigung erhalten sollte. + +*Lavoisier* stand mit seinen Ansichten lange allein. Zuerst neigten +sich seiner Lehre bedeutende Physiker und Mathematiker zu, unter +denen vor allem *Laplace* zu nennen ist. Es fehlte diesen Männern +jedoch auf dem Gebiete der Chemie die erforderliche Autorität, +um den neuen, umwälzenden Anschauungen zum Siege zu verhelfen. +Der erste hervorragende Vertreter dieser Wissenschaft, der sich +zur antiphlogistischen Theorie bekannte, war *Berthollet*. Seine +Untersuchungen über die chemische Verwandtschaft sind für die spätere +Entwicklung der physikalischen Chemie von großer Wichtigkeit gewesen. + +*Berthollets* Leben ist mehr als dasjenige irgend eines anderen +Forschers mit den großen politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen +verknüpft gewesen, die Frankreich im Revolutionszeitalter erfuhr. Eine +Schilderung dieser Gelehrtenlaufbahn läßt erkennen, in welchem Grade +der gewaltige Aufschwung und die Entfaltung aller Volkskräfte des +damaligen Frankreichs mit dem Emporblühen der Experimentalwissenschaft +und der Technik Hand in Hand gingen. + +*Claude Louis Berthollet* wurde 1748 in Savoyen geboren. Er widmete +sich zunächst dem Studium der Medizin und wurde 1772 in Paris Leibarzt +des Herzogs von Orleans. In dieser Stellung fand er Muße, sich +eingehend mit chemischen Untersuchungen zu beschäftigen. Letztere +betrafen wie diejenigen *Lavoisiers* die Rolle der atmosphärischen +Luft und trugen *Berthollet* im Jahre 1780 die Mitgliedschaft der +Akademie der Wissenschaften ein. Bald darauf übertrug ihm die Regierung +die technische Aufsicht über ihre Färbereien. Die Folge davon war, +daß diese Betriebe mit vielen Verbesserungen versehen wurden, die +*Berthollet* in einem Werke zusammenfassend dargestellt hat. Zu diesen +Verbesserungen gehörte, um eine der bekanntesten zu erwähnen, die +Anwendung des Chlors als Bleichmittel. + +Eine ganz hervorragende Tätigkeit auf dem Gebiete der technischen +Chemie entfaltete *Berthollet*, als sein Vaterland infolge des +Ausbruchs der Revolutionskriege vom Auslande abgeschnitten und ganz auf +seine eigenen Hilfsquellen angewiesen war. Insbesondere waren es die +Stahlbereitung und die Salpeterfabrikation, die unter *Berthollets* +Führung einen großen Aufschwung nahmen. Die Revolutionsstürme würden +*Berthollet* wie *Lavoisier* vernichtet haben, wenn ihn die damaligen +Machthaber nicht für unentbehrlich gehalten hätten. *Berthollet* wurde +im Jahre 1792 zum Leiter des Münzwesens und bald darauf zum Mitglied +einer Kommission ernannt, der es oblag, die Wohlfahrt des Landes durch +die Pflege der Gewerbe und der Landwirtschaft zu heben. Gleichzeitig +wurde *Berthollet* zum Lehrer der Chemie an die École normale berufen. + +Nach der Eroberung Italiens sandte das Direktorium *Berthollet* +dorthin, um unter den wissenschaftlichen Werken jenes Landes diejenigen +auszusuchen, die nach Paris gesandt werden sollten. Bei dieser +Gelegenheit wurde *Berthollet* mit Napoleon bekannt, der gleich +Friedrich dem Großen den exakten Wissenschaften im wohlverstandenen +eigenen Interesse stets eine rege Anteilnahme und Förderung angedeihen +ließ. *Berthollet* hat Napoleon Vorträge über Chemie gehalten und ihn +auf seinem Zuge nach Ägypten begleitet. Trotz aller Gunstbezeugungen, +mit denen Napoleon nach seiner Krönung den großen Forscher überhäufte, +erniedrigte sich dieser niemals zum schmeichlerischen Höfling, sondern +bewahrte sich die biedere und furchtlose Ehrenhaftigkeit, die ihn auch +während der wildesten Erregung der Revolutionszeit nicht verlassen +hatte. Nach dem Sturze des Kaisers zog sich *Berthollet* auf einen +Landsitz in dem nahe bei Paris gelegenen Arcueil zurück. Dieser kleine +Ort hat dadurch in der Geschichte der Wissenschaften einen Namen +erhalten, daß sich dort um *Berthollet* die hervorragendsten Gelehrten +des Landes zu einer wissenschaftlichen Gesellschaft, der Société +d'Arcueil, vereinigten. In den Abhandlungen dieser Gesellschaft[272] +ist manche hervorragende Experimentaluntersuchung jener Zeit +veröffentlicht worden. *Berthollet* starb im Jahre 1822. + +Daß *Berthollet* der erste Chemiker war, welcher der antiphlogistischen +Lehre beipflichtete, wurde schon hervorgehoben. Seine eigenen Arbeiten +hatten ihn im Beginn der achtziger Jahre des 18. Jahrhunderts zu +der Erkenntnis geführt, daß Phosphor, Arsen und Schwefel sich unter +Gewichtszunahme mit Sauerstoff zu Säuren verbinden. *Berthollet* +war es auch, welcher die chemische Natur des Ammoniaks, des +Schwefelwasserstoffs und der Blausäure durch grundlegende Versuche +erschloß. Nachdem *Priestley* nachgewiesen, daß das Ammoniakgas +unter der Einwirkung elektrischer Entladungen sein Volum vergrößert, +bestimmte *Berthollet* jene Volumvergrößerung (es findet bekanntlich +eine Verdopplung des Volumens statt). Er wies nach, daß sich dabei +das Ammoniak in Wasserstoff und Stickstoff spaltet. Dieses Ergebnis +hat später *Gay-Lussac* verwertet, als er die Volumverhältnisse +untersuchte, nach denen die Gase sich zu chemischen Verbindungen +vereinigen[273]. Auch für *Gay-Lussacs* Untersuchung über die +Cyanverbindungen hat *Berthollet* die Grundlage geschaffen, indem er +feststellte, daß die Blausäure (HCN) nur aus Kohlenstoff, Stickstoff +und Wasserstoff zusammengesetzt ist. Daß Schwefelwasserstoff (H_{2}S) +nur aus Schwefel und Wasserstoff besteht und nicht, wie man vorher +angenommen, auch Sauerstoff enthält, wurde gleichfalls von *Berthollet* +entdeckt. Seine Arbeiten über das Chlor, die wir an anderer Stelle als +die Vorarbeiten zu *Davys* Theorie der Wasserstoffsäuren zu betrachten +haben, führten ihn zur Entdeckung des Kaliumchlorats (KClO_{3}) und der +diesem Salz zugrunde liegenden Säure. + +Nicht minder wie die Experimentalchemie und die chemische Technik wurde +die theoretische Chemie durch *Berthollet* gefördert. Hier waren es vor +allem seine umfangreichen Untersuchungen über das Wesen der chemischen +Verwandtschaft, die seinen Ruhm begründeten. + +Die früheren Bemühungen, zu einiger Klarheit über die Affinität oder +chemische Verwandtschaft zu gelangen, führten zu keinem Ergebnis, +weil man die bei den chemischen Vorgängen obwaltenden physikalischen +Bedingungen nicht berücksichtigte. Gegen diese Einseitigkeit bedeuten +*Berthollets* »Untersuchungen über die Gesetze der Verwandtschaft«[274] +trotz der Mängel und Unrichtigkeiten, welche dieser Arbeit anhaften, +einen erfolgreichen Protest. »Sollen wir«, beginnt *Berthollet*, »zu +einer wohlbegründeten Theorie der Verwandtschaft und dadurch zu einer +Erklärung der chemischen Erscheinungen gelangen, so werden wir alle +Umstände, welche auf diese Erscheinungen Einfluß haben, in Erwägung +ziehen müssen.« + +Bis sich *Berthollet* mit diesem Gegenstande beschäftigte, galten +die seit 1775 auf zahlreiche Versuche gegründeten Ansichten +*Bergmans*[275], nach denen die Affinität als eine konstante, von +äußeren Bedingungen wenig beeinflußte Größe betrachtet wurde. +Demgegenüber bestand das Ziel der *Berthollet*schen Untersuchung darin +zu beweisen, »daß die Wahlverwandtschaften nicht als absolute Kräfte +wirken«. Man müsse, fügt *Berthollet* hinzu, wenn man die Wirksamkeit +zweier Stoffe vergleichen wolle, sowohl auf die Verwandtschaftskraft +als auch auf die Menge sehen. Daß *Berthollet* gerade auf die +Bedeutung des letzteren Faktors ein solch großes Gewicht legte, daß +er schließlich auch zu unrichtigen Folgerungen sich verleiten ließ, +wird aus seiner Erklärung der Affinität begreiflich. Er betrachtete +sie nämlich als identisch mit der Schwerkraft. Und wie diese durch die +Massen bestimmt sei, so müsse auch die *chemische* Anziehung als ein +besonderer Fall jener allgemeinen Kraft von den Massen der aufeinander +wirkenden Stoffe abhängig sein. Die allgemeine Anziehung wirke bei +den chemischen Umsetzungen anders wie zwischen entfernten Massen, +weil sie im ersteren Falle durch die Gestalt und vor allem durch den +Zusammenhang der Teilchen, ihr Verhalten zu Lösungsmitteln, ihre +Flüchtigkeit usw. bedingt werde. + +Den zuletzt erwähnten Einfluß, die Flüchtigkeit nämlich, erörtert +*Berthollet* in durchaus zutreffender Weise. Wenn ein Stoff, so führt +er aus, im Augenblicke seiner Abscheidung aus einer Verbindung in den +flüchtigen Zustand übergehe, so trage der in Gasform entwichene Teil +nicht mehr zum Widerstande bei; er wirke daher nicht mehr durch seine +Masse. Der wirkende Stoff könne dann eine vollständige Zersetzung +hervorrufen. Man brauche daher nicht mehr davon anzuwenden, als gerade +zu der Verbindung, in die er übergeführt werden solle, nötig sei. Ein +Beispiel biete die leicht flüchtige Kohlensäure, wenn sie mit irgend +einer Basis verbunden sei, und ihr eine andere, weniger flüchtige Säure +entgegengesetzt werde. Diese andere Säure sei imstande, selbst wenn sie +eine schwächere Verwandtschaft gegen die Basis besitze, die Kohlensäure +aus ihrer Verbindung abzuscheiden. + +Die frühere Klassifikation der Verwandtschaften, die auf der +Voraussetzung beruhte, daß eine Säure die andere nur durch die als eine +absolute Kraft wirkende Verwandtschaft ausscheide, wurde durch die +Betonung dieses neuen Gesichtspunktes erheblich ins Wanken gebracht, +zumal als zweites bestimmendes Moment für chemische Umsetzungen durch +*Berthollet* die Löslichkeit oder die Unlöslichkeit der entstehenden +Verbindungen erkannt wurde. Wie sich *Berthollet* die Rolle der +Schwerlöslichkeit -- Kohäsion lautet sein Ausdruck -- dachte, möge +folgende Betrachtung lehren. + +Wirkt auf eine Verbindung *ab*, z. B. schwefelsaures Natrium, ein Stoff +*c*, der imstande ist, mit einem Bestandteil jener Verbindung einen +unlöslichen Körper zu bilden, z. B. Barium in irgend einer löslichen +Verbindung, so wird *ab* durch *c* vollkommen zersetzt, und es bildet +sich in unserem Falle Bariumsulfat, weil diese Verbindung unlöslich +ist, niederfällt und damit in ähnlicher Weise aus dem Bereich der +Affinitätswirkungen ausscheidet, wie es andere Verbindungen infolge +ihrer Flüchtigkeit tun. Daß *c* sich mit dem Bestandteil *a* der Verbindung +*ab* in Form eines Niederschlags *ac* abscheidet, beweist somit +durchaus noch nicht, daß *c* eine größere Affinität zu *a* besitzt als *b*. +Wirkten die Affinitäten allein, so würde sich *c* auf *a* und *b* verteilen. +Der Teil von *c*, der sich mit *a* verbindet, scheidet aber infolge seiner +Unlöslichkeit jedesmal aus, so daß endlich *a* völlig an *c* gebunden wird, +wenn letzteres im Überschusse wirkt. Wenn also in einem Stoffe dadurch, +daß er sich mit einem anderen in einem bestimmten Verhältnis verbindet, +ein Bestreben in den Zustand der Festigkeit überzugehen entsteht, so +wird durch eben dieses Bestreben notwendig eine Abscheidung jener +Verbindung unabhängig von dem Spiel der Affinitäten bewirkt. + +Den Einfluß derartiger physikalischer Verhältnisse, wie sie in der +Flüchtigkeit und im Verhalten zu Lösungsmitteln gegeben sind, bei der +Betrachtung der Verwandtschaftserscheinungen zuerst gewürdigt zu haben, +ist das bleibende Verdienst *Berthollets*. + +Auch der Wirkung der Wärme wird in durchaus zutreffender Weise +Rechnung getragen, ohne daß die theoretischen Ansichten *Berthollets* +über die Natur der Wärme hierbei von Belang wären. Ein Beispiel möge +dies dartun. Vergegenwärtigen wir uns die oben[276] mitgeteilte +Verwandtschaftstafel *Bergmans*, so besitzt danach die Phosphorsäure +zum Kali, wenn die Umsetzung auf nassem Wege vor sich geht, eine +geringere Affinität als Schwefelsäure, während die Schwefelsäure in +ihrer Verwandtschaft zum Kali der Phosphorsäure nachsteht, wenn die +Reaktion auf trockenem Wege, d. h. beim Schmelzfluß, erfolgt. Diese +Verschiedenheit des Verhaltens führt *Berthollet* vollkommen richtig +auf die Flüchtigkeit der einen und die Feuerbeständigkeit der anderen +Säure zurück. »Es ist,« sagt er, »eine Wirkung der Wärme, daß alle +feuerbeständigen Säuren diejenigen, die flüchtig sind, bei hinlänglich +erhöhter Temperatur aus ihren Verbindungen austreiben. Und da sie +untereinander in Ansehung dieser Eigenschaft sehr verschieden sind, +so sind gewisse Säuren in Ansehung auf einige Säuren als beständig, +in bezug auf andere dagegen als flüchtig zu betrachten.« Eine solche +Mittelstellung nimmt z. B. die Schwefelsäure ein. Sie scheidet bei +mittlerer Temperatur Salzsäure und Salpetersäure aus ihren Salzen aus, +während sie selbst bei höherer Wärme aus ihren Verbindungen durch +Phosphorsäure befreit wird. Und zwar geschieht dies, wie *Berthollet* +hinzufügt, unabhängig von dem Grade der Verwandtschaft. Letztere wird +am vollkommensten dann wirken, wenn sich kein Stoff durch Fällung oder +durch die Annahme des gasförmigen Zustandes der chemischen Reaktion +entzieht, nämlich dann, wenn die entstehenden Verbindungen in Lösung +bleiben. Mischt man z. B. schwefelsaures Kalium mit einer Basis, so +wird sich der Säurerest, wenn alles gelöst bleibt, im Verhältnis der +wirkenden Affinitäten, aber auch im Verhältnis der wirkenden Mengen +auf die Metalle verteilen. Oder, ein ähnlicher Fall, setzen wir zu +gelöstem schwefelsaurem Kalium Salpetersäure, so wird ebenfalls, wenn +alles gelöst bleibt, nach dem Gesetz der chemischen Massen, d. h. des +Faktors, der sich aus der Affinität und der Menge des wirkenden Stoffes +ergibt, eine Verteilung des einen Stoffes auf die beiden anderen +stattfinden. »Wenn zwei Basen«, so lautet *Berthollets* Ausdruck für +den ersten Fall, »auf eine Säure wirken, so verteilt sich die Säure im +Verhältnis der chemischen Kräfte der Basen«[277]. + +Durch übertriebene Betonung dieser Prinzipien, die *Berthollet* in +seinem großen Werke über die chemische Statik weiter ausführte, kam +er zu der irrigen Ansicht, daß zwei Stoffe sich auch nach stetig +sich ändernden Verhältnissen verbinden. Der sich hieraus ergebende +Widerspruch mit der von *Dalton* und *Proust* bald darauf begründeten +Lehre von den festen und multiplen Proportionen wird an anderer Stelle +erörtert werden. + +*Berthollets* großes Verdienst bleibt der Nachweis der Massenwirkung, +d. h. der Tatsache, daß der Verlauf einer Reaktion nicht allein durch +die Natur der Stoffe bestimmt wird, sondern auch durch die bei einer +Reaktion obwaltenden Mengenverhältnisse, durch die mitunter geradezu +Umkehrungen von Reaktionen herbeigeführt werden. »Der Umstand«, +bemerkt *Berthollet* bei der Erläuterung derartiger Fälle, »der +beweist, daß die chemischen Wirkungen ebensowohl von der Menge als +von der Verwandtschaft der Stoffe abhängen, ist dieser, daß man, um +entgegengesetzte Resultate zu erhalten, oft nur die Quantität der +Stoffe zu ändern braucht.« + +Eine wichtige Rolle spielte zu Beginn des antiphlogistischen Zeitalters +der Kampf der Meinungen über die chemische Natur des Chlors. *Scheele* +hatte diesen merkwürdigen Stoff entdeckt, als er Salzsäure auf +Braunstein wirken ließ. Er bezeichnete das Chlor vom Standpunkte +der Phlogistontheorie als »dephlogistisierte Salzsäure«. *Scheele* +nahm nämlich an, die Salzsäure enthalte »Phlogiston«. Und dieser +hypothetische Stoff[278] sollte der Salzsäure durch den Braunstein +entzogen werden. Durch *Lavoisier* wurden die Vorgänge der Oxydation +und der Reduktion ihrem eigentlichen Wesen nach erkannt. *Lavoisier* +hielt den Sauerstoff für das säurebildende Prinzip. Wie die Säuren +des Phosphors, des Schwefels und anderer Radikale oder Elemente, so +sollte auch die Salzsäure eine Verbindung des Sauerstoffs mit einem dem +Phosphor oder Schwefel entsprechenden Radikal (radical muriatique) +sein. + +Einige Versuche schienen darauf hinzudeuten, daß auch das Chlor eine +Sauerstoffverbindung sei. So hatte *Berthollet* die Abscheidung von +Sauerstoff unter gleichzeitiger Bildung von Salzsäure beobachtet, +als er in Wasser gelöstes Chlor dem Sonnenlichte aussetzte. Dieser +Versuch wurde als eine Zerlegung des Chlors in Sauerstoff und Salzsäure +gedeutet. Chlor erschien somit als ein höheres Oxyd des Radikals der +Salzsäure. Aus diesem Grunde wurde das Chlor als oxydierte Salzsäure +bezeichnet. + +Den Nachweis, daß Chlor keinen Sauerstoff enthält, sondern ein +Grundstoff ist, führten erst *Gay-Lussac*[279] im Jahre 1808 und *Davy* +1809. Als *Gay-Lussac* aus dem Chlor durch Reduktion mittelst Phosphor +Salzsäure abzuspalten suchte, traten weder das Oxyd des Phosphors noch +Salzsäure in die Erscheinung. Das Chlor verband sich vielmehr mit dem +Phosphor zu einer neuen, als Chlorphosphor bezeichneten Substanz. +Ähnlich verhielt sich, wie *Davy* nachwies, das reine Chlor gegen +Metalle. Wurden z. B. Zinn und Chlor zusammengebracht, so verschwanden +beide, und es entstand eine helle Flüssigkeit (Chlorzinn, SnCl_{4}). +Für die elementare Natur des Chlors sprach auch der Umstand, daß sich +das Chlor nicht veränderte, wenn man es in Gefäßen, auf die es chemisch +nicht zu wirken vermochte, einer sehr hohen Temperatur aussetzte. +Die Schwierigkeit, über die chemische Natur des Chlors ins reine +zu kommen, war dadurch hervorgerufen worden, daß man mit Chlor bei +Gegenwart von Wasser experimentiert hatte. Sobald man wasserfreie +Reagenzien benutzte, trat bei Versuchen mit Chlor auch keine Salzsäure +auf. Die irrtümliche Bezeichnung »oxydierte Salzsäure« mußte also +in Fortfall kommen. Sie wurde von *Davy* durch den Namen Chlor (von +χλωρός, grün) ersetzt[280]. + + + + +11. Die Aufstellung der atomistischen Hypothese und ihre experimentelle +Begründung. + + +Als *Lavoisier* und *Cavendish* die Mengenverhältnisse, nach denen die +Elemente zu chemischen Verbindungen zusammentreten, in den Bereich +ihrer Untersuchung zogen, machten sie schon stillschweigend die +Voraussetzung, daß diese Verhältnisse für scharf charakterisierte +Verbindungen unveränderliche Größen seien. Das Quantitative konnte ja +nur dann die Grundlage für die weitere Entwicklung der Chemie abgeben, +wenn es die Bedeutung eines Naturgesetzes besaß. Demnach mußte die +erste Aufgabe eines neuen Zeitalters in dem Nachweis bestehen, daß +dies der Fall sei. Daran knüpfte sich dann weiter der Versuch einer +ursächlichen Erklärung der chemischen Vorgänge und der bei diesen +auftretenden Gesetzmäßigkeiten. + +Um den Nachweis des Gesetzes von der Konstanz der Gewichtsverhältnisse +hat sich der Franzose *Proust*[281] sehr verdient gemacht. Ihm gelang +es, die entgegengesetzte, von seinem Landsmann *Berthollet*[282] +vertretene Ansicht, daß die Elemente in veränderlichen, von äußeren +Umständen abhängenden Verhältnissen sich verbinden, nach langem +Streite und auf Grund zahlreicher Analysen zu widerlegen. Die Ansicht +*Berthollets*, daß zwischen zwei Verbindungen, wie sie z. B. Schwefel +und Eisen (FeS, FeS_{2}) oder Zinn und Sauerstoff (SnO, SNO_{2}) +bilden, alle Übergänge möglich seien, ließ *Proust* nicht gelten. +Er führte diesen Irrtum darauf zurück, daß *Berthollet* anstatt der +vermeintlichen Übergangsstadien Gemenge jener Verbindungen in der +Hand gehabt habe, und lieferte den Nachweis, daß, wenn zwischen +zwei Elementen mehrere Verbindungen bestehen, die Änderung in der +Zusammensetzung nicht allmählich, sondern sprungweise erfolgt. Geht +z. B. Zinnoxydul, das 11,9% Sauerstoff enthält, durch weitere Aufnahme +dieses Elementes in Zinnoxyd über, so erfolgt dieser Übergang durch +einen Sprung auf eine andere bestimmte Menge Sauerstoff, nämlich +auf 21,3%. Dasselbe Verhalten zeigten auch Metalle, die sich in +mehreren Verhältnissen mit Schwefel verbinden. *Proust* dehnte seine +Untersuchung auch auf die Verbindungen von Kupfer, Eisen, Nickel, +Antimon, Gold, Silber, Quecksilber, sowie auf die organischen +Substanzen aus. Für alle in Betracht gezogenen Fälle ergab sich +das Vorhandensein jener von ihm behaupteten Gesetzmäßigkeit. Für +die Vereinigung von Säuren und Basen unter Bildung von Salzen war +die Konstanz der Gewichtsverhältnisse schon vor *Proust* durch den +deutschen Chemiker *Richter* nachgewiesen worden; doch war die Arbeit +dieses Mannes insbesondere ihrer dunklen Ausdrucksweise wegen zunächst +fast unbeachtet geblieben. Die ersten Versuche, durch die Analyse +eines Stoffes das Verhältnis seiner Bestandteile zu ermitteln, gingen +wahrscheinlich von der alten philosophischen Ansicht aus, daß alles +nach Maß und Gewicht geordnet sei. Die früheste wissenschaftliche +Arbeit, die sich mit dem Nachweise bestimmter Verhältnisse beschäftigt, +rührt von *Wenzel*[283] her. Sie erschien 1777 unter dem Titel +»Lehre von der Verwandtschaft der Körper« und befaßte sich mit den +Gewichtsverhältnissen, nach denen sich Säuren und Basen zu Salzen +vereinigen. An *Wenzels* Untersuchungen knüpfte *Richter* an. Bei +*Wenzel* findet sich auch schon das Massenwirkungsgesetz angedeutet. In +diesem Punkte erscheint er als der Vorläufer *Berthollets*[284]. Erst +später, als *Berzelius* die Gewichtsverhältnisse der Atome bestimmte, +zeigte sich die grundlegende Bedeutung der Untersuchungen *Wenzels* und +*Richters*. + +*Jeremias Benjamin Richter* wurde 1762 in Schlesien geboren[285]. +Er wirkte zuerst als Bergwerksbeamter in Breslau und darauf als +Angestellter der Königlichen Porzellanmanufaktur in Berlin. Die +Eigenart *Richters* besteht darin, daß fast alle seine Arbeiten auf +eine Anwendung der Mathematik auf die Chemie abzielen. Dies spricht +sich schon in dem Titel seiner Erstlingsarbeit aus[286]. *Richter* +ging so weit, daß er die Chemie für einen Teil der angewandten +Mathematik erklärte. Sein Hauptwerk führt den Titel »Stöchiometrie oder +Meßkunst chymischer Elemente«[287]. Es erschien 1792-1802. + +*Richters* Verdienst besteht darin, daß er für die Säuren und die +Basen den Äquivalentbegriff schuf. Der Gang seiner Untersuchung war +der folgende. Er bestimmte die Gewichtsmengen der ihm bekannten +Basen, welche ein und dieselbe Menge, z. B. 1000 Gewichtsteile, +Schwefelsäure gerade neutralisieren. Die erhaltenen Werte nannte er die +Neutralitätsreihe der Basen. Diese Werte mögen für einige Basen, nach +*Richters* Angaben auf 1000 Teile Schwefelsäure berechnet, hier folgen. +Sie sind in hohem Grade ungenau und nur dadurch von Wert, daß sie die +erste Tafel der Äquivalentgewichte darstellen: + + Ammoniak 672 + Kalk 793 + Natron 859 + Kali 1605 + usw. + +Das Zweite war, daß *Richter* eine ähnliche »Neutralitätsreihe« der +ihm bekannten Säuren mit Bezug auf eine bestimmte Menge einer Basis +ermittelte. Sei die Basis Kalk, von dem nach ihm 793 Gewichtsteile +durch 1000 Gewichtsteile Schwefelsäure neutralisiert werden, so ergeben +sich für einige der übrigen bekannten Säuren folgende Äquivalente für +die zugrunde liegende Basis: + + Kohlensäure 577 + Salpetersäure 1405 + Oxalsäure 755 + Schwefelsäure 1000 + usw. + +Den Wert solcher Tafeln erblickte *Richter* darin, daß sie die +Zusammensetzung aller aus der Verbindung je einer Basis mit je einer +Säure entstehenden neutralen Salze zu berechnen gestatten, wenn nur die +Äquivalente der Basen und der Säuren in den beiden Tafeln enthalten +sind. So würde z. B. salpetersaurer Kalk die Basis und die Säure im +Verhältnis 793 : 1405 enthalten, da 1000 Gewichtsteile Schwefelsäure, +die 793 Teile Kalk sättigen, 1405 Teilen Salpetersäure äquivalent sind. + +Eine Fortsetzung und Erweiterung fanden die stöchiometrischen +Untersuchungen durch *Dalton*, mit dessen Hauptwerk, dem »Neuen System +der chemischen Wissenschaft« wir uns jetzt näher befassen müssen. + +*John Dalton* wurde im Jahre 1766[288] als Sohn eines armen englischen +Webers geboren. Nachdem er die Schule verlassen hatte, erteilte er +in seinem Heimatsorte Elementarunterricht. Es gelang ihm, sich so +weit fortzubilden, daß er mit 27 Jahren eine Stelle als Lehrer der +Mathematik und der Physik am »New College« in Manchester einnehmen +konnte. Später gab er diese Stelle auf und erwarb sich seinen +Unterhalt, indem er in den größeren Städten Englands Vorlesungen über +die Fortschritte der Naturwissenschaften hielt. Äußere Ehren hat +*Dalton* nicht gesucht. Selbst als sein Ruhm weit über die Grenzen +des Vaterlandes hinaus gedrungen war, blieb er der bescheidene +Privatgelehrte, der in dem Forschen nach der Wahrheit seine größte +Befriedigung fand. *Dalton* war Mitglied der Royal Society. Als das +Alter herannahte, wurde ihm vom Könige eine kleine Pension ausgesetzt. +*Dalton* starb im Jahre 1844 in Manchester. + +*Proust* hatte bei seinen Analysen der verschiedenen Oxydations- +und Schwefelungsstufen eines und desselben Elementes die Ergebnisse +in Prozenten angegeben. Vergleicht man die so erhaltenen Zahlen, z. +B. für die oben erwähnten Oxyde des Zinns[289] (11,9% und 21,3%), +so lassen sie keine einfache Beziehung erkennen. *Dalton*, welcher +den Nachweis der konstanten Gewichtsverhältnisse insbesondere auf +gasförmige Verbindungen auszudehnen suchte, kam auf den glücklichen +Gedanken, die Zusammensetzung für gleiche Gewichtsmengen des mit +Sauerstoff verbundenen Elementes zu berechnen. Dann ergeben sich z. +B. für die Oxyde des Zinns, auf 100 Gewichtsteile dieses Elementes +berechnet, 13,5, bezw. 27 Gewichtsteile Sauerstoff, oder für die Oxyde +des Stickstoffs, mit welchen *Dalton* sich vorzugsweise beschäftigte, +auf 14 Gewichtsteile Stickstoff 8, 16, 24, 32, 40 Gewichtsteile +Sauerstoff. Indem *Dalton* diese Mengen verglich, entdeckte er eins +der wichtigsten Gesetze der Chemie. Es zeigte sich nämlich, daß die +Gewichtsmengen Sauerstoff, die mit einer bestimmten Menge Zinn oder +Stickstoff zu Oxyden zusammentreten, unter sich in einem einfachen +Verhältnis stehen. Diese Gewichte verhalten sich nämlich wie die Zahlen +1, 2, 3, 4, 5. Oder die in die höheren Oxydationsstufen eingehenden +Mengen sind einfache Multipla derjenigen Menge, die in der niedersten +Oxydationsstufe enthalten ist. *Dalton* hat diese Untersuchungen, +die um 1802 stattfanden, mit demselben Erfolge auf die Oxyde des +Kohlenstoffs, sowie auf die Verbindungen des Kohlenstoffs mit +Wasserstoff ausgedehnt. Von den Kohlenstoffverbindungen analysierte +er das kurz vorher[290] entdeckte Äthylen (C_{2}H_{4}) und das +Grubengas (CH_{4}). Er fand, daß sich darin die mit der gleichen Menge +Kohlenstoff verbundenen Wasserstoffmengen wie 1 : 2 verhalten. + +Damit war trotz der großen Mängel, welche der analytischen Chemie +und ihren Ergebnissen um 1800 noch anhafteten, durch *Dalton* das +zweite Fundamentalgesetz der Chemie entdeckt, das alle späteren +Untersuchungen nur bestätigen konnten. Dies »Gesetz von den multiplen +Proportionen« besagt, daß verschiedene Mengen eines Elementes (in dem +letzten Beispiel Wasserstoff), die sich mit der gleich bleibenden Menge +eines anderen (in dem letzten Beispiel Kohlenstoff) zu chemischen +Verbindungen vereinigen, unter sich einfache Multipla sind. + +An die Entdeckung wichtiger Gesetze hat sich jederzeit das Bemühen +geknüpft, eine Vorstellung über die Natur der Dinge zu gewinnen, die +mit den entdeckten Regeln so weit in Einklang steht, daß letztere als +eine notwendige Folge jener Vorstellung erscheinen. Diesen wichtigen +Schritt auf der Bahn der Erkenntnis an die Auffindung des Gesetzes von +den Multiplen angeschlossen zu haben, ist gleichfalls das Verdienst +*Daltons*, welcher dadurch eine der Grundlagen aller seitherigen +naturwissenschaftlichen Betrachtung schuf. + +»Schon die Beobachtungen über die verschiedenen Aggregatszustände,« +sagt *Dalton*, »müssen zu dem Schlusse führen, daß alle Körper aus +einer ungeheuren Anzahl von äußerst kleinen Teilchen oder Atomen +bestehen, die miteinander durch eine je nach den Umständen stärkere +oder schwächere Anziehungskraft verbunden sind.« + +Ob die letzten Teilchen eines Stoffes, z. B. des Wassers, alle gleich +sind, d. h. von derselben Gestalt, demselben Gewicht usw., ist dann +die zweite Frage. Man habe indessen, meint *Dalton*, keinen Grund, +eine Verschiedenheit dieser Teile anzunehmen. Bestände eine solche +z. B. beim Wasser, so müßte sie gleicherweise in den Elementen, die +das Wasser bilden, hervortreten. Wären einige Wasserteilchen leichter +als andere, und würde ein Teil der Flüssigkeit bei irgend einer +Gelegenheit aus solchen leichteren Teilchen gebildet, so müßte dies +das spezifische Gewicht des Wassers beeinflussen, ein Umstand, der +indessen nicht bekannt sei. Ähnlich verhalte es sich mit jeder anderen +Verbindung. Daraus müsse man schließen, daß die letzten Teilchen aller +homogenen Stoffe in Gewicht, Gestalt usw. völlig gleich sind. Die +Zahl dieser Teilchen könne aber keine unendliche, sondern sie müsse +in einem gegebenen Volumen eine begrenzte sein, wie auch in einem +gegebenen Teile des Weltalls die Zahl der Gestirne nicht unbegrenzt +sein könne. Die chemische Synthese und Analyse besteht nach *Dalton* +in einer Trennung und Wiedervereinigung der Atome. Neuerschaffung +oder Zerstörung eines Stoffes sind unmöglich. »Wir können,« sagt +*Dalton*, »ebensowohl versuchen, einen neuen Planeten dem Sonnensystem +einzuverleiben oder einen vorhandenen zu vernichten, als ein Atom +Wasserstoff zu erschaffen oder zu zerstören. Alle Änderungen, die wir +hervorbringen können, bestehen in der Trennung von Atomen, die vorher +verbunden und in der Vereinigung solcher, die vorher getrennt waren.« + +Aus diesen Betrachtungen ergibt sich die Aufgabe, das Gewicht der Atome +zu bestimmen. Atomgewichte nach ihrer absoluten Größe zu ermitteln, +war *Dalton* zwar nicht in der Lage; wohl aber versuchte er auf Grund +gewisser Annahmen die verhältnismäßige Schwere der kleinsten Teilchen +festzustellen. Gibt es z. B. zwischen zwei Stoffen nur eine chemische +Verbindung, so besteht die einfachste Annahme darin, daß sie sich +durch Aneinanderlagerung von je einem Atom des einen und je einem +Atom des anderen Elementes gebildet habe. In diesem Falle würde das +Mengenverhältnis mit dem relativen Gewicht der Atome übereinstimmen. +Nach *Dalton* trifft jene Voraussetzung z. B. für Wasser und +Ammoniak zu; es war nämlich damals nur eine Wasserstoffverbindung +des Sauerstoffs, sowie des Stickstoffs bekannt. Unter der Annahme, +daß diese Verbindungen sich durch Aneinanderlagerung von je zwei +Teilchen der betreffenden Elemente bilden, ergab sich das Atomgewicht +des Sauerstoffs = 7 und dasjenige des Stickstoffs = 5. Genauere +Analysen würden die Werte 8 und 4,6 geliefert haben. Wir bezeichnen +diese Mengen, die einem Gewichtsteil Wasserstoff entsprechen, als +Äquivalentgewichte. Sie ergeben erst mit der Valenz der betreffenden +Elemente multipliziert die Atomgewichte. So ist das Atomgewicht des +zweiwertigen Sauerstoffs 16 (2 × 8) und dasjenige des dreiwertigen +Stickstoffs 14 (3 × 4,6). + +Wie das Gesetz von der Konstanz der Gewichtsverhältnisse, so erscheint +auch das Gesetz von den multiplen Proportionen als eine Folge der +atomistischen Hypothese. Gibt es nämlich zwischen zwei Elementen +mehrere Verbindungen, so wird man annehmen dürfen, daß sich je ein +Atom des ersten Elementes mit je einem, zwei, drei Atomen des zweiten +vereinigt. Die zweite Verbindung muß dann, weil ja die Atome unter +sich gleich schwer sind, in bezug auf die unverändert gebliebene Menge +des ersten Elementes die zweifache, die dritte Verbindung dagegen die +dreifache Gewichtsmenge des zweiten Elementes besitzen. So ist das +Kohlenoxyd eine binäre Verbindung, die aus einem Atom Sauerstoff und +einem Atom Kohlenstoff besteht. Die ternäre[291] Kohlensäure dagegen +besteht aus einem Atom Kohlenstoff und zwei Atomen Sauerstoff, da mit +der gleichen Gewichtsmenge des ersten die doppelte Menge des zweiten +Elementes verbunden ist. + +Ein weiterer Fortschritt bestand darin, daß *Dalton* Symbole in die +Chemie einführte. So bezeichnete er z. B. Wasserstoff mit ⊙, Sauerstoff +mit ⃝, Schwefel mit ⊕; Schwefelsäureanhydrid bekam das Zeichen +⃝/⊕/⃝⃝, da jedes seiner Teilchen aus einem Atom Schwefel und drei +Atomen Sauerstoff zusammengesetzt ist. Die heutige Bezeichnungsweise, +Wasserstoff = H, Sauerstoff = O, Schwefel = S, Schwefelsäureanhydrid = +SO_{3} rührt von *Berzelius* her. + +Die von *Dalton* ermittelten Atomgewichte waren noch sehr ungenau. +Einige der wichtigsten sind: + + Atomgewicht von nach *Dalton* richtiger Wert + + Sauerstoff 7 8 (16) + Natrium 21 23 + Kalium 35 39 + Silber 100 108 + +Für Natron und Kali, die *Dalton* in seiner Atomgewichtstafel noch als +Elemente aufzählte, ergaben sich aus ihren Verbindungen mit Säuren +die Zahlen 28 und 42. Nach *Davys* Entdeckung sind Natron und Kali +Metalloxyde[292]. Natron mußte daher als eine Verbindung von einem Atom +Metall (21) mit einem Atom Sauerstoff (7) angesehen werden, während +Kali aus einem Atom Metall (35) und einem Atom Sauerstoff (7) bestand. + +Das Gesetz von den multiplen Proportionen wurde fast zur selben +Zeit, als *Dalton* seine Theorie begründete, auch von dem Engländer +*Wollaston* an den Salzen der Oxalsäure nachgewiesen. Daß sich die +Oxal- oder die Kleesäure, die wir als zweibasische Säure kennen + + (COOH) + (| ), + (COOH) + +mit einigen Basen in verschiedenen Verhältnissen verbindet, war +schon bekannt. *Wollaston*[293] stellte sich die Aufgabe, die mit +der gleichen Menge Basis sich verbindenden Säuremengen zu ermitteln +und durch die Ausdehnung seiner Untersuchung auf zahlreiche Fälle +festzustellen, ob sich in den ermittelten Zahlenverhältnissen eine +Regelmäßigkeit, ein Gesetz, kundgibt. *Wollastons* Befunde bejahten +diese Frage. Er wies z. B. nach, daß sich die Mengen Kleesäure, die +sich mit der in allen drei Fällen gleichen Menge Kali verbinden, genau +wie 1 : 2 : 4 verhalten[294]. + +Die Abhandlung, in der *Wollaston* über seine Versuche berichtet, +ist auch deshalb von großem Interesse, weil uns darin schon an +der Wiege der Atomtheorie die Frage nach der räumlichen Anordnung +der Atome begegnet, eine Frage, die später in den Mittelpunkt der +chemischen Spekulation gerückt wurde. *Wollaston* macht nämlich bei +der Besprechung des übersauren oxalsauren Kaliums, bei dem auf ein +Äquivalent Kali vier Äquivalente Säure kommen, folgende Bemerkung. Wenn +auf ein Atom der einen Art (das Wort Atom wurde damals auch für die +kleinsten Teile der Verbindungen gebraucht) vier Atome der anderen Art +kämen, so könne stabiles Gleichgewicht eintreten, wenn das erste Atom +die Mitte und die vier anderen die Ecken eines regulären Tetraeders +bildeten. *Wollaston* schuf also genau dieselbe Vorstellung, nach der +sich der Begründer der Stereochemie, *van't Hoff*, im Grubengase die +vier Wasserstoffatome um das vierwertige Kohlenstoffatom gruppiert +dachte. + +*Wollaston* ist jedoch vorsichtig genug, die von ihm ersonnene +geometrische Anordnung der Grundbestandteile einer Verbindung als ganz +hypothetisch hinzustellen. Ihre Bestätigung oder Ablehnung sei erst von +späteren Beobachtungen zu erwarten. Ja, es sei vielleicht zu kühn, zu +hoffen, daß die geometrische Anordnung der Atome jemals bekannt sein +werde. + +Nachdem die atomistische Hypothese Geltung gefunden, bestand die +nächste Aufgabe der Experimentalchemie in einer möglichst genauen +Bestimmung der Äquivalente. Eine solche mußte nicht nur für die Analyse +von der größten Wichtigkeit sein, sondern auch die Grundlage für alle +weiteren Spekulationen bilden. Galt es doch, die Frage zu entscheiden, +ob die erhaltenen Zahlen die wahren relativen Gewichte der Atome seien +und ob ferner, dies vorausgesetzt, sich einfache Beziehungen zwischen +den Atomgewichten ergeben würden. + +Spekulationen, die sich nicht auf eine hinreichend sichere Grundlage +stützen, haben sich fast immer als übereilt erwiesen. Dies lehrt +auch die weitere Entwicklung der Atomtheorie. Vergleicht man die +von *Dalton* 1803 veröffentlichte Tabelle mit der später in seinem +»neuen Systeme« mitgeteilten, so muß auffallen, daß die hier gegebenen +Atomgewichte durchweg ganze Zahlen sind, während die Tabelle vom +Jahre 1803, abgesehen von dem als Einheit geltenden Atomgewicht des +Wasserstoffs, solche überhaupt nicht enthält. + +So lauten seine Verhältniszahlen: + + 1803 1808 + + für Wasserstoff 1 1 + " Stickstoff 4,2 5 + " Kohlenstoff 4,3 5 + " Sauerstoff 5,5 7 + " Phosphor 7,2 9 + +Diesen Abrundungen wurde durch den Engländer *Prout*, der sich um die +Experimentalchemie kaum verdient gemacht hat, eine reale Bedeutung +beigelegt. *Prout* nahm an, daß die wahren Atomgewichte ganze Zahlen +und daß die Abweichungen, welche die Analyse ergibt, auf Fehler +zurückzuführen seien. Auf Grund dieser irrigen Voraussetzung, die +lediglich aus der weitgehenden Unsicherheit der analytischen Ergebnisse +entsprang, führte *Prout* sämtliche Elemente auf den Wasserstoff +als Urmaterie zurück. Die Atome der Grundstoffe sollten sich durch +Aneinanderlagern einer verschieden großen Zahl von Wasserstoffatomen +gebildet haben, woraus dann notwendig folgen würde, daß die +Atomgewichte einfache Multipla desjenigen von Wasserstoff sind. Diese +Hypothese *Prouts*, in der man zuerst das wahre Grundgesetz der Chemie +erblicken wollte, ließ sich mit den späteren Ergebnissen der Analyse +jedoch nicht vereinigen. Sie hat aber das Gute im Gefolge gehabt, daß +sie zu immer schärferen Bestimmungen der Atomgewichte anregte. Der +Mann, der sich dieser Aufgabe besonders unterzog, weil er erkannt +hatte, daß über den Wert oder Unwert einer Hypothese nur die Tatsachen +entscheiden können, war *Berzelius*. + +*Johann Jakob Berzelius*[295] wurde am 29. August des Jahres 1779 als +Sohn eines Lehrers in Schweden geboren. Er studierte unter manchen +Entbehrungen in Upsala Medizin und Chemie. Seine ersten Arbeiten +betrafen die Analyse einer Heilquelle und die Wirkung der damals soeben +entdeckten galvanischen Elektrizität auf chemische Verbindungen. Seit +dem Jahre 1807 bekleidete *Berzelius* eine Lehrstelle für Chemie und +Pharmazie an der medizinischen Schule in Stockholm. Einige Jahre später +wurde er zum Präsidenten der dortigen Akademie der Wissenschaften +ernannt. *Berzelius*[296] hat wie kein anderer ausländischer Forscher +die Entwicklung der Chemie in Deutschland beeinflußt. *Mitscherlich*, +*Heinrich* und *Gustav Rose*, *Magnus*, *Wöhler* und viele andere +haben in seinem Laboratorium gearbeitet und zwar zu einer Zeit, als +wissenschaftliche Werkstätten in Deutschland noch kaum anzutreffen +waren. Selbst in dem Laboratorium, das *Berzelius* eingerichtet hatte, +waren die zum Forschen nötigen Hilfsmittel noch so unvollkommen +und spärlich, daß man kaum begreift, wie *Berzelius* zu der ihm +nachzurühmenden Genauigkeit seiner Ergebnisse gelangen konnte. Mit +den deutschen Forschern blieb *Berzelius* in engster persönlicher und +wissenschaftlicher Fühlung. Davon zeugen seine wiederholten Besuche +in Deutschland und vor allem der ausgedehnte Briefwechsel, den er mit +*Wöhler* unterhielt[297]. + +*Berzelius* starb am 7. August des Jahres 1848. Seine Verdienste um +die gesamte Chemie und um die Mineralogie sind ganz hervorragend. Sie +müssen aber zum größten Teil an anderer Stelle betrachtet werden. +Hier fesselt nur seine Mitarbeit an dem Ausbau der Atomtheorie, in +deren experimenteller Begründung *Berzelius* seine wichtigste Aufgabe +erblickte. »Ich überzeugte mich bald durch neue Versuche,« sagt +er[298], »daß *Daltons* Zahlen die Genauigkeit fehlte, die für die +praktische Anwendung seiner Theorie erforderlich war. Ich erkannte, daß +zuerst die Atomgewichte einer möglichst großen Zahl von Grundstoffen, +vor allem der gewöhnlichen, mit möglichster Genauigkeit ermittelt +werden müßten. Ohne eine solche Arbeit konnte auf die Morgenröte kein +Tag folgen. Es war dies damals der wichtigste Gegenstand der chemischen +Forschung, und ich widmete mich ihm in rastloser Arbeit. Nach +zehnjährigen Mühen konnte ich im Jahre 1818 eine Tabelle herausgeben, +die nach meinen Versuchen berechnete Atomgewichte und Angaben über die +Zusammensetzung von etwa 2000 Verbindungen enthält.« + +Einige Werte aus dieser Tabelle mögen dem Leser einen Begriff von der +Genauigkeit der *Berzelius*schen Untersuchungen geben[299]. + + Kohlenstoff 12,12 (11,97), + Sauerstoff 16,00 (15,96), + Schwefel 32,3 (31,98), + Stickstoff 14,18 (14,00), + Chlor 35,47 (35,4), + Blei 207,4 (207), + Kupfer 63,4 (63,3). + +Es möge hier in aller Kürze gezeigt werden, wie *Berzelius* die +Gewichtsverhältnisse und das Gesetz von den multiplen Proportionen +an den drei Oxyden des Bleis nachwies. 10 g Blei wurden in reiner +Salpetersäure aufgelöst[300]. Die Lösung wurde in einen abgewogenen +Kolben gegossen und eingedampft. Der Rückstand wurde geglüht. Es +entstanden 10,78 g Bleioxyd[301]. Es würden somit 100 Teile Blei, um +sich in Bleiglätte (Bleioxyd) zu verwandeln, 7,8 Teile Sauerstoff +aufnehmen. Für die Mennige ergab ein umständliches Verfahren, daß sie +aus 100 Teilen Blei und 11,07 Teilen Sauerstoff zusammengesetzt ist. +Durch Behandeln von Mennige mit Salpetersäure stellte *Berzelius* +eine dritte Bleiverbindung, das braune Bleioxyd, her[302]. Fünf +Gramm braunes Bleioxyd, das durch Auswaschen von allem anhängenden +salpetersauren Blei befreit und getrocknet war, wurde in einem +gewogenen Platintiegel geglüht. Es verlor dadurch 0,325 g Sauerstoff. +Die rückständigen 4,675 g gelbes Oxyd hinterließen beim Auflösen in +Essig schwefelsaures Blei und Kieselerde, die geglüht 0,13 g wogen. +Die übrigen 4,545 g gelbes Oxyd enthielten 0,33 g Sauerstoff oder bis +auf 0,005 g das nämliche, was das braune Oxyd durch Glühen verloren +hatte. Es nehmen also 100 Teile Blei, um sich in braunes Oxyd zu +verwandeln, doppelt so viel Sauerstoff auf, als sich im gelben Bleioxyd +befindet[303]. + +Auf die Erforschung der Gewichtsverhältnisse und der darin sich +aussprechenden Gesetzmäßigkeiten wurde *Berzelius*, bevor er mit +*Daltons* Theorie bekannt geworden war, schon durch das Studium der +halb vergessenen Schriften des deutschen Chemikers *Richter* geführt. +*Richter* hatte um 1790 die Lehre von den chemischen Proportionen +durch seine an früherer Stelle[304] erwähnten Untersuchungen über +die Gewichtsverhältnisse, nach denen Säuren und Basen in Verbindung +treten, begründet. *Berzelius* erkannte die Wichtigkeit dieser Arbeit +und bemühte sich, durch die möglichst genaue Analyse einiger Salze die +Zusammensetzung anderer Salze, die aus den ersteren hergestellt werden +können, abzuleiten. Er hatte nämlich im Anschluß an *Richter* gezeigt, +daß für alle Salze derselben Säure das Verhältnis der in der Basis und +in der Säure enthaltenen Sauerstoffmengen konstant ist[305]. + +Für die atomistische Auffassung wichtig war auch der von *Berzelius* +geführte Nachweis, daß das schwefelsaure Eisen (FeSO_{4}) die Elemente +Schwefel und Eisen genau in dem gleichen Verhältnis enthält, in welchem +sie das Schwefeleisen (FeS) zusammensetzen. + +Das wichtigste Ergebnis der Untersuchungen von *Berzelius*, die mit +zahlreichen Verbesserungen der bestehenden Methoden, sowie mit der +Erfindung mancher neuen analytischen Methode Hand in Hand gingen, +war die durchgängige Bestätigung des Gesetzes von den multiplen +Proportionen und der Nachweis, daß die *Prout*sche Hypothese sich +nicht mit den Tatsachen vereinigen läßt. + +Durch das in vorstehendem betrachtete Lebenswerk eines *Lavoisier*, +*Dalton* und *Berzelius*, sowie die Bemühungen zahlreicher anderen +Forscher hatte die Chemie im Verlauf von wenigen Jahrzehnten eine neue +Gestalt und eine sichere Grundlage für ihre Fortentwicklung gewonnen; +sie war der Physik als ebenbürtig an die Seite getreten. Auch hatten +die Beziehungen zwischen diesen beiden Wissenschaften eine stete +Vermehrung gefunden, insbesondere seitdem man die Elektrizität als +chemisch wirksame Kraft kennen gelernt hatte. Bevor wir den weiteren +Verlauf der chemisch-physikalischen Forschung betrachten, ist es +deshalb erforderlich, die mit der Begründung des antiphlogistischen +Systems und der Aufstellung der Atomtheorie zusammenfallende großartige +Erweiterung, welche die Elektrizitätslehre durch *Galvani* und *Volta* +erfuhr, ins Auge zu fassen. + + + + +12. Die Entdeckung der galvanischen Elektrizität. + + +Neben der seit alters bekannten Elektrizitätserregung durch +Reiben hatte das 18. Jahrhundert das Auftreten von Elektrizität +durch Wärmezufuhr, sowie infolge atmosphärischer Vorgänge kennen +gelernt[306]; auch hatte man die elektrische Natur der von dem +Zitterrochen ausgehenden Wirkung entdeckt. Zu diesen vier Arten +gesellte sich jetzt eine fünfte, die Berührungs- oder die galvanische +Elektrizität, mit der man gegen den Schluß des 18. Jahrhunderts bekannt +wurde, während der Ausbau der Lehre vom Galvanismus wohl als die +wichtigste Tat des 19. Jahrhunderts anzusehen ist. + +Daß die bloße Berührung zweier Metalle eine eigentümliche, später +als elektrisch erkannte Wirkung hervorruft, wurde zum erstenmal um +das Jahr 1750 von einem Deutschen namens *Sulzer*[307] beobachtet. +Dieser brachte die Spitze seiner Zunge zwischen ein Stück Blei und +ein Stück Silber, die sich mit ihren Rändern berührten. Dabei nahm +er eine prickelnde, an den Geschmack des Eisenvitriols erinnernde +Empfindung wahr, die Blei oder Silber für sich nicht hervorzubringen +vermögen[308]. Es sei doch nicht wahrscheinlich, meint *Sulzer*, daß +bei der Berührung jener beiden Metalle eine Auflösung vor sich gehe. +Man müsse vielmehr schließen, daß diese Vereinigung eine zitternde +Bewegung der Teilchen verursache, welche die Nerven der Zunge anrege +und dadurch den erwähnten Geschmack hervorbringe. + +Später wurde der Versuch in folgender Weise abgeändert. Man nahm einen +Becher aus Zinn oder Zink, stellte ihn auf einen silbernen Fuß und +füllte ihn mit Wasser. Wenn nun jemand die Spitze der Zunge ans Wasser +brachte, fand er es völlig geschmacklos, solange er den silbernen Fuß +nicht berührte. Sobald er diesen aber zwischen die benetzten Hände +preßte, empfand die Zunge einen deutlichen Geschmack. + +[Illustration: Abb. 30. *Galvanis* Versuche an Froschschenkeln.] + +Da die Beobachtung *Sulzers* ganz vereinzelt blieb, ging es ihr, +wie es in solchen Fällen meist zu gehen pflegt, sie wurde nicht +beachtet und schließlich vergessen, bis die weitere Entwicklung der +Wissenschaft ein Zurückgreifen auf jene Entdeckung erforderlich +machte. Die eigentliche Erforschung der Berührungselektrizität beginnt +mit der zufällig gemachten Beobachtung, daß ein frisch präparierter +Froschschenkel jedesmal in Zuckungen gerät, wenn in seiner Nähe eine +elektrische Entladung stattfindet. *Galvani* hatte jenes Verhalten +des Froschschenkels um das Jahr 1780 kennen gelernt. Daß an toten +Tieren Zuckungen der Muskeln unter dem unmittelbaren Einfluß von +elektrischen Entladungen eintreten, war zwar längst bekannt; auch +hatte man bemerkt, daß ein Zitterrochen leblose Fische zu Bewegungen +veranlaßt. Was *Galvanis* Erstaunen hervorrief, war indes der Umstand, +daß jene Zuckungen eintraten, ohne daß eine Verbindung zwischen der +Elektrisiermaschine und dem Froschpräparat vorhanden war. + +*Galvani* präparierte einen Frosch, wie es in Abb. 30 Fig. 2 +dargestellt ist, und legte ihn auf einen Tisch, auf dem eine +Elektrisiermaschine stand. Als darauf die eine von den Personen, die +ihm zur Hand gingen, mit der Spitze eines Messers die Schenkelnerven +DD des Frosches zufällig ganz leicht berührte, zogen sich alle +Muskeln an den Gelenken derartig zusammen, als wären sie von heftigen +Krämpfen befallen. Dies geschah, während dem Konduktor der Maschine ein +Funke entlockt wurde. + +Wir haben es in dieser Erscheinung noch nicht mit einer Wirkung +der Berührungselektrizität zu tun, sondern mit einem sogenannten +Rückschlag. Ein solcher besteht darin, daß die infolge des Ladens +der Maschine in dem Schenkel stattfindende elektrische Verteilung in +dem Augenblicke des Entladens eine Änderung erfährt. Die elektrische +Verteilung, sowie ihr Ausgleich tritt bei größerer Entfernung von dem +Konduktor der Elektrisiermaschine nur dann in hinreichendem Maße ein, +wenn der Schenkel mit der Erde in leitender Verbindung steht, was bei +dem Versuch *Galvanis* durch eine anfangs zufällige, nachher jedoch +absichtlich herbeigeführte Berührung des Schenkels mit einem leitenden +Gegenstand bewirkt wurde (s. Abbildung 30). Das Erstaunen, in das +*Galvani* über seine Beobachtung geriet, ist der erste Schritt zu einer +fast endlosen Reihe der wichtigsten Entdeckungen gewesen. »Ich wurde«, +sagt er, »von einem unglaublichen Eifer entflammt, dasjenige ans Licht +zu ziehen, was hinter dieser Erscheinung verborgen war[309].« Bevor +wir jedoch *Galvani* auf seinem Wege folgen, wollen wir uns einige +Augenblicke mit dem Leben dieses Mannes beschäftigen, dessen Glück und +Verdienst der Wissenschaft ein neues, großes Gebiet erschließen sollte. + +*Aloisio Galvani* wurde am 9. September 1737 in Bologna geboren. Er +studierte an der Universität seiner Vaterstadt Medizin und heiratete +die Tochter eines der dortigen Professoren, der legendenhafte Berichte +einen hervorragenden, wenn nicht gar den Hauptanteil an der Entdeckung +des Galvanismus zugeschrieben haben[310]. Die ersten wissenschaftlichen +Arbeiten *Galvanis* betrafen das Gebiet der Anatomie. Seit dem Jahre +1775 sehen wir ihn in Bologna eine Professur für dieses Fach bekleiden. +Seine Versuche über die Wirkung der Elektrizität auf Froschschenkel +begannen im Jahre 1780. *Galvani* führte darüber zunächst nur ein +Tagebuch. Erst ein Jahrzehnt später vereinigte er die Ergebnisse seiner +Untersuchungen zu einer Abhandlung über die Wirkung der Elektrizität +auf die Muskelbewegung[311]. + +Nachdem *Galvani* die Wirkung des Entladens auf einen in der Nähe der +Elektrisiermaschine befindlichen Froschschenkel nachgewiesen, suchte +er festzustellen, ob sich das gleiche, ihm zunächst ganz unerklärliche +Phänomen auch durch den Einfluß der atmosphärischen Elektrizität +hervorrufen lasse. Die hierauf bezüglichen Versuche sind im zweiten +Teile jener Abhandlung vom Jahre 1791 beschrieben. Die präparierten +Frösche, sowie Schenkel von Warmblütern wurden bei einem Gewitter +an den Nerven aufgehängt, während ein Eisendraht die Füße mit der +Erde verband. Die erwartete Wirkung blieb nicht aus. In demselben +Augenblick, in welchem der Schein eines Blitzes das Auge traf, gerieten +die Muskeln in lebhafte Zuckungen. + +»Nachdem wir die Kräfte der Gewitterelektrizität kennen gelernt +hatten, brannte unser Herz vor Begierde, auch die Macht der täglichen +ruhigen Elektrizität der Atmosphäre zu erforschen.« Mit diesen +Worten beginnt *Galvani* den dritten Teil seiner Schrift, in dem wir +mit den Erscheinungen der nach ihm benannten, ganz neuen Art der +Elektrizitätserregung vertraut gemacht werden. + +Da *Galvani* bemerkt hatte, daß präparierte Frösche, die an einem +Eisengitter an Messinghaken aufgehängt waren, nicht nur beim Gewitter, +sondern auch bei heiterem Himmel gelegentlich in Zuckungen verfielen, +so meinte er, die Ursache dieser Zuckungen sei in Veränderungen der +atmosphärischen Elektrizität zu suchen. Deshalb beobachtete er zu +verschiedenen Stunden des Tages passend hergerichtete Tiere. Aber nur +selten trat eine Bewegung in den Muskeln ein. Schließlich drückte er, +des Wartens müde, die Haken, die in dem Rückenmark befestigt waren, +gegen das eiserne Gitter. Dabei beobachtete er häufig Zuckungen, die er +zunächst der atmosphärischen Elektrizität zuzuschreiben geneigt war. + +Als er das Tier in das geschlossene Zimmer gebracht, auf eine +Eisenplatte gelegt und den im Rückenmark befindlichen Messinghaken +gegen die Eisenplatte zu gedrückt hatte, bemerkte er die gleichen +Zuckungen. + +Jetzt erkannte er, daß es sich hier um ein ganz neues, unerwartetes +Phänomen handelt, das mit den Änderungen der atmosphärischen +Elektrizität in gar keinem Zusammenhange steht. *Galvani* änderte +darauf den Versuch in der Weise ab, daß er den Frosch auf eine die +Elektrizität nicht leitende Glasplatte legte und den Messinghaken +mit den Füßen des Tieres verband. Bestand die Verbindung aus einem +Metall, so traten Zuckungen ein, während sie bei Anwendung einer +nicht leitenden Substanz ausblieben. Mit den von *Galvani* ersonnenen +Abänderungen dieses Fundamentalversuches macht uns die dritte Figur +seiner Abhandlung (Abb. 31) bekannt. + +Von besonderem Interesse ist das elektrische Froschpendel, das +*Galvani* in der Figur 11 (s. S. 194) abbildet und folgendermaßen +beschreibt: »Der Frosch wird an einem Beine in die Höhe gehalten, so +daß der in dem Rückenmark befestigte Haken eine Silberplatte berührt, +das andere Bein aber frei auf der Platte gleiten kann. Sowie dies Bein +die Platte berührt, werden die Muskeln zusammengezogen, wodurch sich +das Bein hebt. Bald aber erschlaffen die Muskeln von selbst, das Bein +sinkt und kommt wieder mit der Platte in Berührung. Infolgedessen wird +es wieder hochgehoben und fährt so fort, sich zu heben und zu senken, +so daß es einem elektrischen Pendel gleicht.« Die Platte dient dabei +gewissermaßen als Bogen, der den Kreislauf der Elektrizität ermöglicht, +wenn das Bein auf die Platte niederfällt, für den Kreislauf aber nicht +mehr vorhanden ist, wenn das Bein sich von der Platte entfernt hat. + +Für die merkwürdige Erscheinung selbst gab es nur zwei Erklärungen. +Entweder war sie in dem Wesen des tierischen Organismus begründet, +oder es handelte sich um einen auf die Berührung der Metalle +zurückzuführenden elektrischen Vorgang, bei dem der Froschschenkel +nur die Rolle eines empfindlichen Elektroskopes spielt. *Galvani* +entschied sich für die erstere Ansicht, indem er die beschriebenen +Erscheinungen als Betätigungen einer tierischen Elektrizität +auffaßte. Diese sollte vom Gehirn aus durch die Nerven dem Muskel +zufließen. Letzteren verglich er mit der Leydener Flasche, indem er +sich vorstellte, daß die Oberfläche und das Innere eines Muskels +entgegengesetzt geladen seien. Brachte man demgemäß den Nerven, als den +Konduktor dieser Flasche, mit der Oberfläche eines Muskels, die dem +äußeren Belag entsprechen sollte, in leitende Verbindung, so fand eine +Entladung statt, als deren Folge die Zusammenziehung der Muskelsubstanz +aufgefaßt wurde. + +[Illustration: Abb. 31. Zuckungen der Froschschenkel bei der Berührung +mit verschiedenartigen Metallen. (Aus *Galvanis* Abhandlung über die +Kräfte der Elektrizität.) + + Fig. 9. _A_ Stanniolblatt über der Wirbelsäule des präparierten + Frosches. + _BB_ Die Tierschenkel. + _C_ Ein anderes Metallblatt aus Messing. + _D_ Ein eherner mit Silber überzogener Bogen. + _F_ Glasplatte, auf welcher das Tier liegt. + + Fig. 10. _AA_ Zwei Bogen, die in den Zylinder B aus Glas oder Harz + gesteckt sind. + _C_ Ein mit dem Rückenmark verbundener Haken. + + Fig. 11. Ein präparierter Frosch, der an einem Bein aufgehängt wird, + während das andere samt dem mit dem Rückgrat verbundenen Haken + die Fläche der silbernen Kapsel E berührt. + + Fig. 12. _FF_ Zwei Metallbögen, der eine aus Kupfer, der andere aus + Silber. + + Fig. 13. _GG_ Metallkonduktoren, von denen der eine mit der oberen, der + andere mit der unteren Belegung des Quadrates in Verbindung + steht. + _H_ Nerven, die so über den Rand des Quadrates hingestreckt + sind, daß sie zugleich mit dem Rückenmark die untere Belegung + berühren. + + Fig. 14. _K_ Eine mit verschiedenen Flüssigkeiten anzufüllende Glasröhre. + + Fig. 15. Schenkel, voneinander getrennt. + + Fig. 16. Schenkel, voneinander getrennt, samt dem in zwei Teile + gespaltenen Rückgrat. + +] + +Natürlich erregten *Galvanis* Versuche und seine Lehre, die zunächst +allgemeine Anerkennung fand, das größte Aufsehen. »Der Sturm, den +das Erscheinen von *Galvanis* Abhandlung in der Welt der Physiker, +der Physiologen und Ärzte erregte«, sagt ein hervorragender +Geschichtsschreiber des Galvanismus[312], »kann nur mit demjenigen +verglichen werden, der zur selben Zeit am politischen Horizont Europas +heraufzog. Wo es Frösche gab und wo sich zwei Stücke ungleichartigen +Metalls erschwingen ließen, wollte jedermann sich von der wunderbaren +Wiederbelebung der verstümmelten Gliedmaßen durch den Augenschein +überzeugen.« + +*Galvanis* wissenschaftliche Tätigkeit hatte mit dem Erscheinen +seiner »Abhandlung über die Kräfte der Elektrizität« ihren Höhepunkt +erreicht. Die Führung auf dem neu erschlossenen Gebiete übernahm jetzt +*Alessandro Volta*, während sich *Galvani* darauf beschränkte, seine +Theorie gegen die ihr von *Volta* bereiteten Angriffe zu verteidigen. +Die letzten Lebensjahre verbrachte *Galvani* in einem Zustande tiefster +Niedergeschlagenheit, den der Tod der Gattin und die Amtsentsetzung +herbeigeführt hatten. Letztere erfolgte, weil *Galvani* sich weigerte, +den bei der Gründung der cisalpinischen Republik von ihm geforderten, +seiner Überzeugung zuwiderlaufenden Eid zu leisten. Er starb am 4. +Dezember 1798. Die Erfindung der *Volta*schen Säule, welche den +gänzlichen Untergang der älteren Theorie herbeiführte, sollte er nicht +mehr erleben. + +*Alessandro Volta* wurde am 18. Februar 1745 zu Como geboren. Fast +30 Jahre alt, wurde er Professor der Physik an dem Gymnasium seiner +Vaterstadt. In derselben Eigenschaft berief man ihn fünf Jahre später +an die Universität Padua, wo er bis zum Jahre 1819 wirkte. Die letzte +Zeit seines Lebens verbrachte *Volta* in der Zurückgezogenheit; er +starb am 5. März des Jahres 1827 in Como. + +Als *Galvanis* berühmte Abhandlung erschien, hatte *Volta*, der während +der ersten Zeit seiner wissenschaftlichen Laufbahn mit Vorliebe das +Verhalten der Gase untersuchte, sich schon hervorragende Verdienste +um die Elektrizitätslehre erworben. In dem Kondensator, den er mit +dem Strohhalmelektrometer verband, hatte er ein Mittel zum Nachweis +geringer Elektrizitätsmengen ersonnen[313], das bei der späteren +Untersuchung der kontaktelektrischen Phänomene von größtem Werte sein +sollte. Die Royal Society hatte ihn dafür zu ihrem Mitgliede ernannt +und ihn durch die Verleihung einer Medaille ausgezeichnet. + +Über sein Elektrometer macht *Volta* folgende Angaben. Es sei von +großer Bedeutung, daß man die früheren Elektrometer ändere und an +Stelle der feinen Metalldrähte zwei sehr feine und trockene Strohhalme +von etwa 2 Zoll Länge anwende, die man mittelst kleiner Ringe sehr +beweglich aufhängen müsse. Diese Halme müßten sich im unelektrischen +Zustande ihrer ganzen Länge nach berühren. + +Anfangs war auch *Volta* von der Richtigkeit der Ansichten *Galvanis* +überzeugt. Die Zuckungen, meinte er, müßten von dem Mißverhältnis +herrühren, das zwischen der Elektrizität des Muskels und jener des +Nerven bestehe. Die metallische Verbindung habe nur die Aufgabe, +das Gleichgewicht wiederherzustellen. Einige Jahre später erkannte +er jedoch, daß von einem Vergleich des Muskels mit der Leydener +Flasche nicht die Rede sein könne. Der Froschschenkel geriet nämlich +auch in Zuckungen, wenn ein elektrischer Ausgleich lediglich durch +den Nerven hindurch erfolgte und die Muskeln gänzlich außerhalb +des leitenden Kreises blieben. Ähnlich wie bei dem von *Sulzer* +herrührenden Versuch[314] gelang es *Volta*, durch Anlegen von zwei +verschiedenartigen Metallstücken an Mund und Auge nicht nur eine +Geschmackserregung, sondern auch Lichtempfindung hervorzurufen. + +Diesen fundamentalen Versuch, der bewies, daß der Einfluß einer +elektrischen Entladung nicht nur Zuckungen, sondern auch eine Erregung +der Empfindungsnerven hervorrufen kann, stellte *Volta* folgendermaßen +an. Ein breites Stück Zinnfolie wurde auf die Zungenspitze gelegt. +Auf den Rücken der Zunge wurde eine Silbermünze gebracht. Beide +Metalle brachte *Volta* vermittelst eines Kupferdrahtes in Verbindung. +Er empfand dann einen stark sauren Geschmack. Wenn der Kupferdraht +vermieden wurde und nur Silber und Zinn zur Anwendung kamen, war das +Ergebnis dasselbe. *Volta* erzielte dies[315], indem er keine Münze, +sondern einen silbernen Löffel nahm, diesen auf den Rücken der Zunge +legte und mit dem Stiel das Stanniolblatt, das auf der Zungenspitze +lag, berührte. + +Daß sich eine Lichtempfindung durch galvanische Elektrizität +hervorrufen läßt, wies *Volta* nach, indem er den Schließungsbogen +aus verschiedenen Metallen mit der Stirn und dem Gaumen in Berührung +brachte. Das Auge empfand dann im Augenblicke der Berührung einen +hellen Schein. + +Auf diese Weise gewann in *Volta* die Vorstellung immer mehr an Raum, +daß man es in den Metallen nicht mit bloßen Leitern, sondern mit +den eigentlichen Erregern der Elektrizität zu tun habe. Im Anschluß +an die Schilderung der soeben erwähnten physiologischen Versuche +gelangte *Volta* daher um 1792 zu einer Änderung seiner ursprünglichen +Ansichten[316]. Es sei klar, meinte er, daß bei diesen Versuchen +die Nerven nur erregt würden und daß die Ursache des elektrischen +Stromes, der diese Erregung veranlasse, in den Metallen selbst zu +suchen sei. »Sie sind«, sagt er, »im eigentlichen Sinne die Erreger der +Elektrizität, während die Nerven selbst passiv sind.« Zur selben Zeit +machte *Volta* die wichtige Entdeckung, daß die Kohle bei galvanischen +Versuchen an Stelle eines Metalles gebraucht werden kann. »Ich habe«, +sagte er[317], »gefunden, daß Holzkohle, die schon früher als ein guter +Leiter bekannt war, wenig oder gar nicht den Metallen nachsteht und +sich auch darin wie diese verhält, daß sie ein Erreger der Elektrizität +ist.« + +In einer Schrift vom Jahre 1794 bekennt sich *Volta* offen als Gegner +der Lehre von der tierischen Elektrizität. Er braucht für die hierher +gehörigen Erscheinungen fortan das Wort metallische Elektrizität. Die +ganze Wirkung rühre von den Metallen her, die irgend einen feuchten +Körper berühren. Die Elektrizität werde dadurch in einen Kreislauf +gebracht. Gehe der Strom durch Nerven, die noch einen Rest von Leben +besäßen, so würden die den Nerven gehorchenden Muskeln dadurch in +Zuckungen versetzt. Diese Bewegungen und die beschriebenen Geschmacks- +und Lichtempfindungen fand *Volta* bei seinem unausgesetzten, +mühevollen Forschen je nach der Natur der angewandten Metalle sehr +verschieden. Die Wirkungen waren um so lebhafter, je weiter die Metalle +in folgender, von *Volta* 1799 aufgestellten Reihe[318] voneinander +abstehen: + + Zink, + Zinn, + Blei, + Eisen, + Kupfer, + Platin, + Gold, + Silber, + Graphit, + Holzkohle. + +Diese erste Spannungsreihe wurde bald darauf um zahlreiche Glieder +vermehrt, indem auch Mineralien, wie Schwefelkies, Bleiglanz, +Kupferkies, in sie eingefügt wurden. + +*Volta* suchte darauf der Mitwirkung von Nerv und Muskel gänzlich zu +entraten. Er brachte die Metalle mit allen möglichen feuchten Stoffen, +wie Papier, Tuch usw. in Berührung. Um den hierbei eintretenden +elektrischen Ausgleich, der sich bisher in den Zuckungen der Muskeln +geltend gemacht hatte, unzweifelhaft darzutun, bediente er sich +eines Kondensators, mit dem sich die geringsten Elektrizitätsmengen +nachweisen ließen. + +Auf die Konstruktion des als elektrischer Ansammlungsapparat dienenden +Kondensators war *Volta* durch fortgesetzte Untersuchungen am +Elektrophor gekommen. Schon in seiner ersten Schrift vom Jahre 1769 +befaßte er sich mit der elektrischen Anziehung. In einer Abhandlung +vom Jahre 1771 beschreibt er unter dem Namen elettroforo perpetuo den +Apparat, der auch heute noch in derselben Ausführung als Elektrophor +bekannt ist. Er besteht aus einer Metallschale, aus dem Kuchen, d. i. +eine Scheibe von nichtleitender Substanz (Harz, Pech) und aus einer +an isolierenden seidenen Schnüren befestigten Metallplatte (Abb. 33). +Um den Kuchen zu erhalten, schmolz *Volta* drei Teile Terpentin, zwei +Teile Harz und einen Teil Wachs zusammen. Wie die Elektrisiermaschinen, +so erreichten auch die Elektrophore im 18. Jahrhundert riesige Ausmaße +(bis zu 7 Fuß Durchmesser). Die Wirkungsweise des Elektrophors +besteht darin, daß die dem Kuchen mitgeteilte Elektrizität durch +Influenz auf den Deckel wirkt und daß die abgestoßene Elektrizität des +letzteren durch kurze Berührung entfernt wird. In seiner Wirkungsweise +stimmt, wie *Wilke* dargetan[319], somit das Elektrophor mit der +*Franklin*schen Tafel überein[320]. + +[Illustration: Abb. 32. *Voltas* Kondensator.] + +[Illustration: Abb. 33. *Voltas* Elektrophor.] + +Ausgehend vom Elektrophor gelangte *Volta* im Jahre 1782 +zur Konstruktion des von ihm als Kondensator bezeichneten +Ansammlungsapparats. Der Kondensator ist im Grunde genommen ein +Elektrophor mit äußerst dünner Harzschicht an Stelle des bislang +gebrauchten dicken Harzkuchens. Wurde auf diese dünne Harzschicht +ein Deckel gelegt und dieser dann mit einer sehr schwachen +Elektrizitätsquelle, z. B. einer schon entladenen Flasche in Berührung +gebracht, an welcher durch andere Mittel keine Elektrizität mehr +nachgewiesen werden konnte, so war der Deckel nach dem Abheben deutlich +elektrisch geworden. Aus diesem Grunde bezeichnete *Volta* den neuen +Apparat als Kondensator. Es war von Wichtigkeit, die Harzschicht vor +Beginn jedes Versuches wieder vollständig zu entladen. Bei der Lösung +dieser Aufgabe entdeckte schon *Volta* eine wichtige Beziehung zwischen +der Elektrizität und dem Lichte. Er fand nämlich, daß die Entladung +sich rasch und vollständig bewirken ließ, wenn er die Harzschicht in +die Sonne stellte[321]. + +Aus den Bemühungen *Voltas* ging der Kondensator schließlich in der +Form hervor, wie er noch heute gebraucht wird. Es wurden nämlich zwei +gleiche Metallplatten, von denen die eine direkt mit dem Elektroskop +verbunden ist, mit einer möglichst gleichmäßigen, dünnen Firnisschicht +überzogen (Abb. 32). Die Wirkung dieses Apparates ergibt sich aus den +von *Aepinus* und *Wilke* entdeckten Influenzgesetzen. Der oberen +Platte wird z. B. positive Elektrizität mitgeteilt. Legt man sie dann +auf die untere Platte, von welcher sie durch die doppelte Firnisschicht +getrennt ist, so wird sich auf dem der oberen Platte zugewandten Teile +der unteren Platte negative, auf dem abgewandten positive Elektrizität +befinden. Letztere wird abgeleitet. Hebt man dann die obere, auch wohl +Kollektor genannte Platte ab, so breitet sich die negative Elektrizität +über die ganze untere Scheibe, die Kondensatorscheibe, aus. Durch +häufigere Wiederholung dieses Verfahrens läßt sich die Ansammlung der +negativen Elektrizität auf der unteren Platte und die Wirkung auf das +mit dieser Platte verbundene Elektroskop erheblich steigern. + +Erst diese Vorversuche setzten *Volta* in den Stand, seinen berühmten +Fundamentalversuch der Kontaktelektrizität anzustellen. Letzterer +bestand darin, daß man das Auftreten entgegengesetzter Elektrizitäten +durch die bloße Berührung zweier Metalle bewirkte, ohne dazu einer +feuchten Zwischensubstanz, sei letztere animalisch oder nicht, zu +bedürfen. *Volta* beschreibt diesen Versuch, zu dem er nichts weiter +benötigte als Platten von verschiedenen Metallen mit isolierenden +Handhaben, einen Kondensator und ein Elektrometer mit Streifen vom +feinsten Blattgold, mit folgenden Worten[322]: »Bringt man die +miteinander in Berührung gewesenen Platten an das sehr empfindliche +Elektrometer, so werden die Goldblättchen etwas auseinandergehen und +dadurch einige Elektrizität anzeigen, die positiv oder negativ sein +wird, je nach der Natur des Metalles, das man untersucht, und des +anderen, mit dem dieses vorher in Berührung stand.« Nahm *Volta* z. B. +eine Zink- und eine Kupferscheibe, so erwies sich nach der Berührung +erstere als positiv, letztere als negativ elektrisch. Brachte man das +Kupfer mit Zinn oder Eisen zusammen, so wurde es gleichfalls, indes +in weit geringerem Maße, negativ elektrisch, während das Zinn und +das Eisen sich wie das Zink in dem ersten Versuch verhielten. Wurden +endlich Gold oder Silber mit Kupfer berührt, so wurde das letztere +diesmal positiv, Gold und Silber dagegen wurden negativ elektrisch. + +*Volta* beschreibt seinen Fundamentalversuch in einem Brief vom Jahre +1797[323]. Eine solch beträchtliche Elektrizität durch einfache +Berührung verschiedener Metalle zu erhalten, fügt *Volta* hinzu, sei +gewiß etwas Bewundernswürdiges und alle Sachverständigen, denen er +seinen Versuch gezeigt habe, seien erstaunt darüber. + +Welcher Art die Elektrizität der verschiedenen Metalle nach der +Berührung ist, findet *Volta*, indem er dem Elektrometer, dem er die +Elektrizität mitgeteilt hat, eine geriebene Glas- und eine geriebene +Harzstange nähert und darauf achtet, ob die Divergenz der Goldblättchen +zu- oder abnimmt. Wurden z. B. Zink und Kupfer in Berührung gebracht, +so war nach der Trennung das Zink positiv, denn bei Annäherung der +positiven Glasstange nahm die Divergenz des Pendel zu, während sie sich +bei Annäherung der mit negativer Elektrizität geladenen Harzstange +verminderte. + +Indem *Volta* auf solche Weise seinen Fundamentalversuch vielfach +abänderte, gelangte er zur Aufstellung der folgenden elektrischen +Spannungsreihe: + + + + Zink + Blei + Zinn + Eisen + Kupfer + Silber + Gold + Graphit + - + +Diese Reihe enthält Graphit und die bekanntesten Metalle in einer +solchen Anordnung, daß jedes vorhergehende Glied, mit einem der +nachfolgenden in Berührung gebracht, positiv elektrisch wird, während +das spätere Glied stets den negativ elektrischen Zustand annimmt. Dabei +stellte sich beim Messen mit dem Strohhalmelektrometer heraus, daß der +elektrische Unterschied zwischen je zwei Gliedern dieser Reihe um so +größer ist, je weiter die Glieder voneinander entfernt sind. So ergaben +sich[324] für die ersten vier Glieder der Reihe folgende Differenzen: + + Zink | Blei = 5 + Blei | Zinn = 1 + Zinn | Eisen = 3 + +Für Zink | Eisen erhielt man den Wert 9 (= 5 + 1 + 3). Damit war das +Gesetz gefunden, daß der elektrische Unterschied für zwei Glieder der +Spannungsreihe gleich der Summe der Unterschiede aller dazwischen +liegenden Glieder ist, so daß in einer geschlossenen Kette von +Metallen, in der z. B. Zink mit Blei, dieses mit Zinn, dieses mit Eisen +und das letztere wieder mit Zink verbunden wird, die elektrischen +Unterschiede sich ausgleichen und die Spannung infolgedessen Null ist. + +*Volta* hatte auf Grund dieser Versuche angenommen, daß die erregende +Kraft ausschließlich an der Berührungsstelle der Metalle ihren +Sitz habe und die animalischen oder andere Feuchtigkeiten nur als +Leiter dienen. Weitere Versuche belehrten ihn jedoch, daß auch bei +der Berührung zwischen Metall und Flüssigkeit eine erregende oder +elektromotorische Kraft auftritt. Isolierte Platten von Silber, Zinn, +Zink usw. wurden mit feuchtem Holz, Papier oder feuchten Ziegeln in +Berührung gebracht. Nach dem Abheben erwiesen sich die Metallplatten +als negativ elektrisch. Die Metalle wurden Elektromotoren erster, die +Flüssigkeiten, die sich nicht in die Spannungsreihe eingliedern lassen, +Elektromotoren oder Leiter zweiter Klasse genannt. + +»Die Berührung verschiedener Leiter«, sagt *Volta* in einem Schreiben +vom Jahre 1796[325], »die ich trockne Leiter oder Leiter der ersten +Klasse nenne, mit feuchten oder Leitern der zweiten Klasse erregt +das elektrische Fluidum und gibt ihm einen gewissen Antrieb. Fragen +Sie noch nicht, wie dies geschieht; es ist vorläufig genug, daß es +geschieht und daß es sich um ein allgemeines Verhalten handelt.« + +*Volta* zeigte, daß in einem nur aus Elektromotoren erster Klasse +bestehenden Kreise keine Bewegung der Elektrizitäten, kein Strom +entsteht. Er zeigte ferner, daß ein solcher hervorgerufen wird, wenn +zwei Elektromotoren erster Klasse mit einem feuchten Leiter der zweiten +Klasse und unter sich, entweder unmittelbar oder vermittelst eines +dritten Leiters, in Verbindung stehen und auf diese Weise einen Kreis +von Leitern bilden. Eine derartige Vereinigung wurde ein galvanisches +Element genannt. Die Wirkung des letzteren vervielfältigte *Volta*, +indem er eine größere Anzahl solcher Elemente zu seiner Säule verband. + +[Illustration: Abb. 34. *Voltas* erste Säule.] + +[Illustration: Abb. 35. *Voltas* aus zwei Teilen zusammengesetzte +Säule.] + +Den ersten Bericht über diese, an Wichtigkeit von keiner anderen +übertroffene Erfindung erstattete *Volta* im Jahre 1800[326]. Er teilte +darin mit, daß es ihm im Verfolg seiner Versuche über die Erzeugung von +Elektrizität durch bloße Berührung gelungen sei, einen neuen Apparat +herzurichten. Dieser habe in sehr schwachem Maße die Wirkung der +Leydener Flasche, andererseits übertreffe er die letztere darin, daß +er nicht vorher mit fremder Elektrizität geladen werden müsse, sondern +jedesmal wirke, wenn man ihn in geeigneter Weise berühre. Der Apparat +besitze seiner Wirkung und auch seiner Einrichtung nach eine gewisse +Ähnlichkeit mit dem elektrischen Organ des Zitterrochens. Abb. 34 zeigt +die erste Säule *Voltas*. Ihre Herstellung wird mit folgenden Worten +beschrieben[327]: »Dreißig, vierzig, sechzig oder mehr Stücke Silber, +von denen jedes auf ein Stück Zink gelegt wird, und die gleiche Anzahl +mit Salzwasser oder Lauge getränkter Tuchstücke, diese Stücke zwischen +jede Verbindung der beiden Metalle geschaltet, eine derartige Folge der +drei Leiter in stets gleicher Anordnung: das ist alles, woraus der neue +Apparat besteht.« Außer der leichten Erschütterung, die man erhielt, +wenn man die oberste Platte berührte und die andere Hand in das Gefäß +b tauchte und so den Stromkreis schloß, ließ sich auch eine Wirkung +dieses Apparates auf die Geschmacks-, Gesichts- und die Gehörnerven +nachweisen. + +[Illustration: Abb. 36. *Voltas* Becherapparat.] + +Bei einer größeren Zahl von Platten war *Volta* gezwungen, entweder die +Säule mit Stützen zu umgeben oder sie, wie es Abb. 35 zeigt, in mehrere +Teile zu zerlegen. Eine Säule besaß nämlich die Unvollkommenheit, daß +die Metallstücke durch ihr Gewicht die Tuchscheiben auspreßten, so daß +die darin enthaltene Flüssigkeit schließlich die ganze Säule überzog +und unwirksam machte. *Volta* war daher auf eine Anordnung bedacht, +welche diesen Übelstand vermeidet: Er stellte eine Reihe von Bechern +auf, die aus einem nichtmetallischen Stoff wie Holz, Ton oder Glas +bestanden. Diese Becher füllte er zur Hälfte mit Salzwasser oder Lauge. +Dann setzte er sie sämtlich in Verbindung, so daß sie eine Art Kette +bildeten. Dies geschah vermittelst einer gleichen Zahl metallischer +Bögen. Der Teil A, der in einen der Becher tauchte, war aus Kupfer +oder aus versilbertem Kupfer hergestellt, während der andere Teil Z, +der in den folgenden Becher tauchte, aus Zinn oder aus Zink bestand. +Die beiden Metalle wurden an irgend einer Stelle oberhalb des Teiles, +der in die Flüssigkeit tauchte, zusammengelötet. Damit die letztere +mit einer hinreichend großen Fläche der Metalle in Berührung kam, gab +*Volta* den Metallen die Form von Platten. + +»Eine Folge von 30, 40 oder 60 dieser auf solche Weise verbundenen +Becher,« sagt *Volta*, »die entweder in einer geraden Linie oder in +einer beliebigen Kurve angeordnet sein können: das ist alles, woraus +dieser neue Apparat besteht. Im Prinzip und in Anbetracht der ihn +bildenden Substanzen stimmt er mit dem oben beschriebenen Säulenapparat +überein.« + +Um eine Erschütterung zu erhalten, genügte es, die eine Hand in einen +der Becher und einen Finger der anderen Hand in einen zweiten Becher +zu tauchen. Die Erschütterung war um so stärker, je weiter die beiden +Becher von einander entfernt waren. *Volta* erhielt folglich den +stärksten Schlag, wenn er das erste und das letzte Glied der Kette +berührte. + +Die Wirkungen, die ein aus 40 oder 50 Plattenpaaren hergestellter +Apparat hervorrief, beschränkten sich nicht auf Erschütterungen. Der +Apparat erregte auch die Organe des Geschmacks-, des Gesichts-, des +Gehör- und des eigentlichen Gefühlssinnes und rief in ihnen die einem +jeden entsprechenden Empfindungen hervor, eine Tatsache, die für die +Physiologie der Sinnesorgane von der größten Bedeutung war und später +*Johannes Müller* zur Aufstellung seiner Lehre von den spezifischen +Energien dieser Organe geführt hat. + +Die Wirkungen auf die Haut schildert *Volta* mit folgenden Worten: »Ich +fühle in dem Augenblicke, in welchem der leitende Kreis geschlossen +wird, an der berührten Stelle der Haut und ein wenig darüber hinaus +einen Schlag und einen Stich, die schnell vorübergehen und sich so +oft wiederholen, wie man den Kreis öffnet und schließt. Wenn dieser +Wechsel häufig stattfindet, so ruft er ein sehr unangenehmes Prickeln +und Stechen hervor. Bleibt jedoch die Verbindung bestehen, so fühlt +man einige Augenblicke nichts mehr; darauf entsteht aber in dem von +dem Drahtende berührten Körperteil eine andere Empfindung, nämlich +ein scharfer, ohne Erschütterung auftretender Schmerz, der sich auf +die berührte Stelle beschränkt, ein Brennen, das nicht nur andauert, +sondern immer stärker und schließlich unerträglich wird und das erst +aufhört, wenn man den Kreis unterbricht. Welch ein augenscheinlicher +Beweis dafür, daß der elektrische Strom andauert, solange die leitenden +Substanzen in Verbindung stehen, und daß erst, wenn wir diese +Verbindung aufheben, der Strom unterbrochen wird. Daß das elektrische +Fluidum unaufhörlich kreist, kann paradox erscheinen und unerklärlich +sein. Nichtsdestoweniger ist es tatsächlich so; es läßt sich sozusagen +mit den Händen greifen.« + +Die Erfindung der *Volta*schen Säule erregte nicht nur in England, +sondern auch in Frankreich das größte Aufsehen. Auf Veranlassung +des ersten Konsuls erschien *Volta* in Paris, wo er im November des +Jahres 1801 einen Vortrag hielt. Die hervorragendsten französischen +Gelehrten bildeten darauf einen Ausschuß, der Bericht erstatten +mußte[328]. Napoleon ließ für *Volta* eine goldene Medaille prägen und +stiftete einen Ehrenpreis für die besten Arbeiten auf dem Gebiete der +galvanischen Elektrizität. + +Daß die beiden Pole der Säule eine anziehende Wirkung ausüben, bewies +der Deutsche *Ritter* auf folgende Weise. Er verband die Pole der Säule +mit zwei Drähten. An den Drahtenden befestigte er Goldplattstreifen und +näherte sie einander. Die Streifen zogen sich darauf gegenseitig an, +bis sie sich schließlich berührten und so die Kette schlossen[329]. + +Bevor wir uns mit den chemischen, thermischen und dynamischen Wirkungen +der von *Galvani* und *Volta* entdeckten Naturkraft näher befassen, +wollen wir die weitere Entwicklung der galvanischen Ketten, für welche +*Voltas* Apparat das Vorbild gewesen ist, verfolgen. + +Von Verbesserungen und Entdeckungen, die bald nach ihrer Erfindung +an der *Volta*schen Säule in rascher Folge gemacht wurden, sind vor +allem folgende erwähnenswert. Um die Berührung der Metallplatten +vollständiger zu machen, lötete man sie zusammen[330]. Daß die +physiologische Wirkung der Säule proportional der Anzahl der Platten +sei, hatte schon *Volta* nachgewiesen; *Nicholson* fand dies auch +für die chemische Wirkung bestätigt. Es lag nahe, den Einfluß des +Durchmessers der Platten auf die Art der Wirkung zu untersuchen. Das +Ergebnis war, daß eine Vergrößerung des Plattendurchmessers die Funken +intensiver machte. Eine Säule von fünf großen Platten gab stärkere +Funken als eine solche von 80 kleinen, dagegen war die physiologische +Wirkung der fünf Platten sehr gering[331]. Der Zusammenhang der +thermischen Wirkung des galvanischen Stromes mit der Zahl und Größe +der Platten wurde eingehend im Jahre 1805 untersucht[332]. Man fand, +daß große Platten leichter Drähte zum Erglühen bringen. Während z. +B. eine Säule von 400 Plattenpaaren von 4 Zoll Durchmesser nur einen +Eisendraht von 2 Zoll Länge zum Erglühen brachte, war eine zweite Säule +von nur 100 Paaren, die aber einen Durchmesser von 8 Zoll besaßen, +imstande, ein 32 Zoll langes Stück desselben Eisendrahtes glühend zu +machen. Unter einen gemeinsamen Gesichtspunkt gebracht wurden diese +Erscheinungen erst weit später durch das Gesetz von *Ohm* über den +Zusammenhang der Stromstärke mit der elektromotorischen Kraft und dem +Widerstande. + +Einen Vorläufer besaß *Ohm* in *Ritter*[333], der schon 1805 zu dem +Ergebnis gelangte, daß »der Effekt der Säule bei gleicher Spannung +von der Summe der Leitung in der Säule und dem schließenden Bogen +abhänge«[334]. Bezeichnen wir die Spannung (elektromotorische Kraft) +mit E, den Effekt (Intensität) mit i und den inneren und äußeren +Leitungswiderstand mit W und w, so drückt das *Ohm*sche Gesetz die +Beziehung zwischen den genannten Größen durch die Formel i = E/(W+w) +aus, und diese Beziehung finden wir in dem von *Ritter* ausgesprochenen +Satze angedeutet. + +Nachdem *Volta* seinen Fundamentalversuch angestellt hatte, lag der +Gedanke nahe, eine galvanische Säule ohne Flüssigkeit zu konstruieren +und dadurch der Kontaktheorie gegenüber der chemischen Erklärungsweise +eine größere Stütze zu verleihen. Dieser Gedanke führte *Behrens* zur +Konstruktion des Säulenelektroskops und *Zamboni* zur Herstellung der +Trockensäule. + +*Behrens* brachte ein isoliert aufgehängtes Goldblättchen zwischen +die entgegengesetzten Pole zweier aus Goldpapier und Stanniol +aufgeschichteten gleichen Säulen. Da die anziehenden Kräfte gleich +stark waren, befand sich das isolierte Goldblättchen zunächst in +senkrechter Lage. Wurde dem Knopfe, an welchem das Goldblättchen hing, +ein elektrisierter Körper genähert, so wurde es entweder vom positiven +Pole der einen oder vom negativen Pole der anderen Säule angezogen, je +nachdem der genäherte Körper positiv oder negativ war[335]. + +Zweckmäßiger ist die Einrichtung, die später *Rieß*[336] dem +Säulenelektroskop gegeben hat. *Rieß* benutzte nur eine aus Gold- +und Silberpapier geschichtete Säule, deren Pole mit zwei einander +gegenüberstehenden Metallplatten in Verbindung stehen. Die +Elektrizitäten dieser Platten (Abb. 37) sind gleich stark. Zwischen +den Platten hängt das isolierte Goldblättchen. Wird diesem nur die +geringste Spur Elektrizität mitgeteilt, so wird es sich nach der einen +oder der anderen Platte bewegen und dadurch nicht nur die Elektrizität +selbst, sondern auch ihre Art anzeigen. + +[Illustration: Abb. 37. Das Säulenelektroskop.] + +Unabhängig von *Behrens*, dessen Erfindung zunächst wenig Beachtung +fand, konstruierte der Italiener *Zamboni* Trockensäulen aus Gold- und +Silberpapierscheiben, die er tausendfach übereinander aufschichtete. +Sie gaben ihm Funken von einem halben Zoll Länge[337]. *Zamboni* +suchte mit Hilfe seiner Säule eine Art Perpetuum mobile herzustellen. +Hatte *Behrens* zwischen zwei Trockensäulen einen Goldblattstreifen +aufgehängt, so brachte *Zamboni* zwischen den entgegengesetzten Polen +DD seiner Säulen (s. Abb. 38) eine Magnetnadel *ccc* an. Das obere +Ende dieser Nadel wurde von DD abwechselnd angezogen und wieder +abgestoßen, so daß die Nadel fortwährend hin und her pendelte. + +Die Erfindung der Trockensäulen schien zunächst den Sieg der +Kontakttheorie zu bedeuten, bis 1807 durch *Erman* gezeigt wurde, daß +die Trockensäule ihre Wirkung einbüßt, wenn sie in völlig trockene Luft +gebracht wird, so daß das hygroskopische Papier seine Feuchtigkeit +verliert. Brachte man die Säule aus dem Chlorkalziumtrockenapparat, +dessen sich *Erman*[338] bediente, wieder in gewöhnliche Luft, so wurde +sie wieder wirksam. + +Kehren wir zur eigentlichen galvanischen Säule zurück. Schon das Jahr +1802 brachte eine weitere grundlegende Entdeckung. Jemand brachte die +Platindrähte eines Wasserzersetzungsapparats, nachdem durch letzteren +eine Zeitlang der Strom geschickt war, an die Zunge. Der Apparat +wirkte jetzt wie ein galvanisches Element, da sich die bekannte +Geschmacksempfindung einstellte. Man hatte die Polarisation und den +durch sie hervorgerufenen Polarisationsstrom entdeckt[339]. + +[Illustration: Abb. 38. *Zambonis* Trockensäule.] + +Eine der soeben erwähnten ganz analoge Beobachtung machte der schon +wiederholt genannte *Ritter*. Er hatte eine Säule ausschließlich aus +Silber und angefeuchteten Tuchscheiben ohne Zuhilfenahme eines zweiten +Metalles zusammengesetzt. Diese Säule gab natürlich zunächst keinen +Strom. Nachdem er sie aber einige Zeit der Wirkung einer *Volta*schen +Säule ausgesetzt und die Verbindung darauf gelöst hatte, gab die +vorerwähnte nur ein Metall enthaltende »Ladungssäule« einen Strom. +*Ritter* glaubte zuerst eine neue Art von Kondensator erfunden zu +haben, bis *Volta*[340] nachwies, daß man es hier nicht mit einer +bloßen Ansammlung von Elektrizität, sondern mit einer chemischen +Zersetzung des Wassers zu tun habe. Infolgedessen überziehe sich jede +Silberplatte mit einer Wasserstoffschicht auf der dem positiven Pole +zugekehrten und mit einer Sauerstoffschicht auf der dem negativen Pole +zugekehrten Seite. Eine solche aus zwei gasförmigen Flüssigkeiten und +einem Metall bestehende Säule wirke so lange, bis das zersetzte Wasser +sich zurückgebildet habe. Die Ladungssäule *Ritters* ist somit die +erste Form des Akkumulators und *Volta* hatte mit vorstehenden Worten +das Prinzip der Polarisation, das später *Planté* zur Konstruktion der +sekundären Elemente oder Akkumulatoren führte, ganz richtig dargestellt. + +*Ritter* fand auch, daß durch Einschalten einer Ladungssäule der +Strom der *Volta*schen Säule rasch geschwächt wird, eine Erscheinung, +welche daher rührt, daß der von der Ladungssäule ausgehende Strom +dem Ladestrom der *Volta*schen Säule entgegengesetzt ist. Man +erkannte, daß aus demselben Grunde, d. h. infolge des Auftretens +von Zersetzungsprodukten, die *Volta*sche Säule geschwächt werden +muß, selbst wenn sie gar nicht mit einer »Ladungssäule« oder einem +Wasserzersetzungsapparat in Verbindung steht. Das Bestreben, hier +Abhilfe zu schaffen, führte zur Konstruktion der »konstanten Elemente«. + + + + +13. Die Begründung der Elektrochemie. + + +Wie bei so vielen großen Entdeckungen wurden auch bezüglich der +chemischen Wirkung der galvanischen Elektrizität die ersten +Beobachtungen gemacht, ohne daß man ihnen gleich die verdiente +Bedeutung beigelegt und sie weiter verfolgt hätte. So wurde schon +im Jahre 1795 darauf hingewiesen, daß, wenn Zink und Silber in +Wasser tauchen, das Zink von einer Oxydschicht überzogen wird[341]. +*A. v. Humboldt* wiederholte diesen Versuch und sah am Silber +Blasen aufsteigen, die aus Wasserstoff bestanden[342]. Übrigens war +*Humboldt* ein Hauptgegner *Voltas*. *Humboldt* gab 1797-1799 ein +Werk über die tierische Elektrizität heraus, das er »Versuche über +die gereizte Nerven- und Muskelfaser« betitelte. Darin vertrat er +die Ansicht, die galvanischen Erscheinungen würden durch ein Fluidum +hervorgerufen, das in den tierischen Organen angehäuft sei. Ob dieses +Fluidum, wie *Galvani* angenommen, elektrischer Natur sei, hielt +*Humboldt* sogar noch für zweifelhaft. Eine bessere Aufnahme fanden +die Forschungsergebnisse *Galvanis* und *Voltas* jenseits des Kanals. +Sobald die Kunde von der Erfindung der *Volta*schen Säule nach England +gelangt war, beeilten sich die dortigen Physiker, *Voltas* Apparat +zusammenzustellen und damit zu experimentieren. Dabei richtete sich +ihre Aufmerksamkeit auf die von *Volta* übersehenen, vielleicht auch +in seiner Voreingenommenheit für die von ihm begründete Kontakttheorie +nicht genügend beachteten chemischen Vorgänge. + +Der erste, der in England eine Säule nach *Voltas* Angaben +zusammensetzte, war *Carlisle*[343]. Um eine bessere Berührung des +Schließungsdrahtes mit der oberen Platte zu bewerkstelligen, hatte +*Carlisle* die letztere mit einem Tropfen Wasser angefeuchtet. Dabei +bemerkte er, daß sich um den Draht herum Gasbläschen bildeten. Um diese +Erscheinung genauer zu verfolgen, führte *Carlisle* in Gemeinschaft +mit *Nicholson*[344] im Mai des Jahres 1800 den galvanischen Strom +unter Anwendung von zwei Messingdrähten durch eine mit Wasser gefüllte +Röhre[345]. Der Abstand zwischen den Enden der Drähte betrug 1¾ +Zoll. Sogleich erhob sich an dem mit dem Silber verbundenen Drahte ein +Strom kleiner Gasblasen, während die Spitze des anderen Drahtes anlief. +Jenes Gas wurde als Wasserstoff erkannt. Der Sauerstoff des Wassers +hatte sich dagegen mit der Substanz desjenigen Drahtes verbunden, +der zum Zink führte, und ein Anlaufen des Endes verursacht. Als man +anstatt der Messingdrähte solche aus Platin wählte, einem Metall, +mit dem der Sauerstoff sich nicht direkt verbindet, gelang es, beide +Gase als solche aus dem Wasser abzuscheiden. Dieses war die erste, +vollständige und deutliche, mit Hilfe des galvanischen Stromes bewirkte +Zerlegung einer chemischen Verbindung, deren zusammengesetzte Natur +man allerdings schon vorher erkannt hatte. Zwar besaßen *Carlisle* und +*Nicholson* in *von Humboldt* und einigen anderen Vorläufer, die schon +auf gewisse Erscheinungen hingewiesen hatten, die offenbar chemische +Wirkungen des Stromes waren. Ja, es tauchte schon vor der Erfindung der +*Volta*schen Säule die Ansicht auf, daß vielleicht chemische Änderungen +nicht die Folge, sondern die Ursache der Elektrizitätsentwicklung +sein möchten[346]. Dennoch gebührt den beiden englischen Forschern +das Verdienst, die Zerlegung des Wassers durch den galvanischen Strom +zum ersten Male durch eine planvolle und ergebnisreiche Untersuchung +dargetan zu haben. Nichts lag daher näher, als das neue Hilfsmittel auf +Stoffe bislang unbekannter chemischer Zusammensetzung anzuwenden, ein +Weg, den wir wenige Jahre nach der Anstellung der soeben beschriebenen +ersten Elektrolyse mit dem größten Erfolge den Engländer *Davy* +beschreiten sehen. Wie *Nicholson* und *Carlisle* in *v. Humboldt*, so +besaß *Davy* auf diesem Gebiete einen Vorläufer in dem schon erwähnten +Deutschen *Ritter*[347]. Im September des Jahres 1800[348] teilte +dieser mit, daß er mit einer aus 64 Plattenpaaren bestehenden Säule +nicht nur Wasser, sondern auch Kupfervitriol unter Abscheidung von +Kupfer zersetzt habe. *Ritter* ließ den Strom auch auf Ammoniak wirken. +Er gelangte schließlich zu der Ansicht, es gebe keine Flüssigkeit, die +nicht durch den galvanischen Strom zersetzt werden könne. + +Es ist für uns Deutsche ruhmvoll, daß bei uns so oft in aller Stille +und Verborgenheit die Erschließung neuer Wissensgebiete stattgefunden +hat. Es ist dagegen eine fast beschämende, indessen aus den früheren +Zuständen und dem Nationalcharakter erklärliche Tatsache, daß der +weitere Ausbau der erschlossenen Gebiete und die praktische Verwertung +der gewonnenen Kenntnisse, sowie infolgedessen häufig genug auch +der Ruhm der Entdeckung dem Auslande vorbehalten blieb. Im Beginn +des 19. Jahrhunderts herrschte zudem eine die empirische Forschung +unterschätzende Naturphilosophie in Deutschland, in deren Banden sich +*Ritter* und in seinen jüngeren Jahren auch *von Humboldt* befand. Sie +hat der Naturforschung auf deutschem Boden mehr geschadet, als es in +Frankreich die Wirren der französischen Revolution vermocht haben. Von +beiden Hemmnissen blieben die Forscher Englands verschont. Und so sehen +wir hier *Davy* mit Entdeckungen auf dem neuen Gebiete hervortreten, +welche denjenigen *Voltas* nicht nachstehen. + +*Humphry Davy* wurde am 17. Dezember 1778 in Cornwall geboren[349]. +In ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen -- sein Vater sorgte für +sich und die Seinen durch Herstellung von Holzschnitten -- wurde der +junge *Davy* Gehilfe bei einem Chirurgen. Diesem mußte er auch bei +der Herstellung von Arzneien zur Hand gehen. Auf solche Weise wurde +in ihm ein Interesse an chemischen Vorgängen erweckt, das für seine +spätere Laufbahn bestimmend werden sollte. Im Alter von 20 Jahren +erhielt *Davy* eine Anstellung an einem Institut, das man in Bristol +zu dem Zweck ins Leben gerufen hatte, um die Wirkungen gasförmiger +Körper auf den Organismus zu prüfen[350]. *Davy* machte hier die +Beobachtung, daß das von *Priestley* um 1772 entdeckte Stickoxydul +(Lachgas) berauschend und betäubend wirkt[351]. Ferner stellte er +Versuche über die physiologischen Wirkungen von Wasserstoff und +Kohlendioxyd an und gelangte dadurch in den Ruf eines vorzüglichen +Experimentators. Infolgedessen wurde *Davy*, bald nachdem die Kunde +von *Voltas* Entdeckungen nach England gekommen war, als Professor +der Chemie an die Royal Institution nach London berufen und zum +Mitglied der Royal Society gewählt. Hier sehen wir ihn während +des ersten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts eine außerordentliche +Wirksamkeit entfalten, durch die er der Lehre vom Galvanismus +eine neue Richtung gab. Nur die hervorragende, gleichzeitig das +physikalische, wie das chemische Gebiet umfassende Forschertätigkeit +eines *Davy* war imstande, die zahlreichen Irrtümer, welche jener +Lehre infolge unrichtiger Auslegung der beobachteten elektrochemischen +Vorgänge anhafteten, zu beseitigen. Der Elektrizität wurde damals +alles Mögliche und Unmögliche zugeschrieben. Hielten es doch viele +für ausgemacht, daß aus reinem Wasser und dem elektrischen Fluidum +Salpetersäure, Salzsäure, Natron oder gar eine besondere elektrische +Säure entstehen könne. *Davy* lieferte den Nachweis, daß in solchen +Fällen das Wasser Verunreinigungen enthielt, durch deren Zersetzung +die genannten Verbindungen entstanden waren, oder daß in anderen +Fällen unter dem Einfluß der Elektrizität Bestandteile des Gefäßes +an das Wasser abgegeben und zersetzt wurden[352]. Er zeigte ferner, +daß chemisch reines Wasser sich durch die Elektrizität einzig und +allein in Sauerstoff und Wasserstoff zersetzt[353]. Darauf folgten +eine Anzahl Versuche über »Das Hinüberführen gewisser Bestandteile +der Körper durch Elektrizität,« ein Vorgang, den man später als das +Wandern der Ionen bezeichnet und durch die Annahme von freien, positiv +oder negativ geladenen Ionen erklärt hat. *Davy* spricht das Ergebnis +dieser Versuche etwa folgendermaßen aus: Wasserstoff und die Metalle +würden von den negativ elektrischen Metallflächen angezogen, von den +positiv elektrischen dagegen zurückgestoßen. Dagegen würden Sauerstoff +und die Säuren (die Säurereste würden wir heute sagen) von den +positiven Metallflächen angezogen, von den negativen abgestoßen. Diese +anziehenden und zurückstoßenden Kräfte seien energisch genug, um die +Wirkung der Wahlverwandtschaft zu zerstören. + +Die Schwierigkeit, daß die Bestandteile der Verbindungen an den weit +voneinander entfernten Elektroden jeder für sich in die Erscheinung +treten, erklärt *Davy*, indem er das Wasser als Beispiel wählt, auf +folgende Weise. Da der Wasserstoff von der positiven Metallfläche +(die Bezeichnung Elektrode hat erst *Faraday* eingeführt) und der +Sauerstoff von der negativen Fläche abgestoßen würden, so müsse in +der Mitte des flüssigen Leiters eine Verbindung der zurückgestoßenen +Stoffe vor sich gehen, oder -- ein Gedanke, den später[354] *Grothuss* +wieder aufgenommen -- es finde eine Reihe von Zersetzungen und +Wiedervereinigungen von der einen Metallfläche bis zur anderen statt. + +Über eine Entdeckung von weittragendster Bedeutung berichtete *Davy* +der Royal Society im Jahre 1807. Schon *Lavoisier* hatte die +Vermutung ausgesprochen, daß man in den Alkalien und den Erden den +Metallkalken ähnliche Verbindungen des Sauerstoffs mit bis dahin +unbekannten Elementen zu erblicken habe. Alkali war auch die Substanz, +die aus der Wand des Glasgefäßes in das Wasser überging, wenn letzteres +in einem solchen der Elektrolyse unterworfen wurde. Was lag daher +näher, als die zersetzende Kraft des galvanischen Stromes auf das +Alkali selbst wirken zu lassen, um so das Dunkel, welches die chemische +Natur dieser Verbindung einhüllte, zu lichten! + +*Davy* versuchte zuerst Kali und Natron in ihren wässerigen, +bei gewöhnlicher Temperatur gesättigten Lösungen mit Hilfe der +stärksten galvanischen Apparate, die ihm zu Gebote standen, zu +zerlegen. Bei aller Intensität der Wirkung wurde jedoch das Wasser +allein angegriffen, und unter großer Hitze und heftigem Aufbrausen +entwickelten sich nur Wasserstoff und Sauerstoff. *Davy* schmolz daher +bei seinen späteren Versuchen das Kali und das Natron, indem er sie in +einen Platinlöffel legte und die Elektrizität zugleich als Schmelzungs- +und Zersetzungsmittel wirken ließ. + +Das Kali, das er durch Glühen vollkommen getrocknet hatte, leitet +zwar die Elektrizität nicht. Es wird aber schon leitend durch ein +wenig Feuchtigkeit, welche den festen Zustand des Kalis nicht merklich +ändert. In diesem Zustande wird es durch eine energische elektrische +Einwirkung geschmolzen und zersetzt. *Davy* nahm ein kleines Stück +reines Kali, ließ es einige Sekunden mit der Atmosphäre in Berührung, +wodurch es an der Oberfläche durch Wasseranziehung leitend wurde, +legte es auf eine isolierte Platinscheibe, die mit dem negativen Ende +einer Batterie von 250 Plattenpaaren verbunden war, und berührte die +Oberfläche des Kali mit dem positiven Platindrahte. Sogleich zeigte +sich eine sehr lebhafte Wirkung. Das Kali begann zu schmelzen. An der +oberen Fläche sah *Davy* ein heftiges Aufbrausen. An der unteren oder +negativen Fläche war keine Gasentwicklung wahrzunehmen. Doch entdeckte +*Davy* dort kleine Kügelchen, die einen sehr lebhaften Metallglanz +hatten und völlig wie Quecksilber aussahen. Eine Menge von Versuchen +bewiesen ihm alsbald, daß diese Kügelchen die Substanz waren, nach der +er suchte, nämlich ein brennbarer Körper eigentümlicher Art, und zwar +das dem Kali zugrunde liegende Metall. *Davy* fand, daß die Gegenwart +von Platin ohne Einfluß auf das Resultat ist, und daß dieses Metall +nur die Elektrizität zuführt, welche die Zersetzung bewirken soll. Es +entstand nämlich immer dieselbe Substanz, er mochte den Stromkreis +durch Stücke Kupfer, Silber, Gold, Graphit oder Kohle schließen. Natron +gab ähnliche Resultate wie das Kali, wenn man es auf dieselbe Art +behandelte. + +Bei allen Zersetzungen chemischer Verbindungen, welche *Davy* früher +untersucht hatte, waren stets die brennbaren Elemente am negativen +Pole entbunden worden, während der Sauerstoff am positiven Pole +zum Vorschein kam oder dort in Verbindung trat. Es war daher ein +naheliegender Gedanke, daß bei der Einwirkung der Elektrizität auf die +Alkalien die neuen Substanzen auf ganz ähnliche Weise erzeugt werden. + +*Davy*[355] stellte deshalb in einem durch Quecksilber abgesperrten +Apparat mehrere Versuche an, bei denen die äußere Luft ausgeschlossen +war. Diese Versuche bewiesen, daß sich die Sache in der Tat so verhält. +Als er nämlich festes Kali oder Natron, die so viel Feuchtigkeit +eingesogen hatten, daß sie die Elektrizität leiteten, in Glasröhren +einschloß, die mit Platindrähten versehen waren, und den Strom +hindurchleitete, dann entstanden die neuen Substanzen an der negativen +Metallspitze. Das Gas, das sich gleichzeitig an der positiven +Metallspitze entwickelte, war reiner Sauerstoff. Am negativen Pole +erschien gar kein Gas, außer wenn Wasser in größerer Menge vorhanden +war. Dann wurde nämlich durch die Einwirkung des entstandenen Kaliums +auf das Wasser Wasserstoff entwickelt. + +Um den Beweis, daß die Alkalien nur durch die Vereinigung von +Sauerstoff mit den entdeckten Metallen entstanden sind, zu einem +einwandfreien zu erheben, schloß *Davy* an seine durch das neue +Hilfsmittel vollzogene Analyse (Elektrolyse) die Synthese der Alkalien +an. In besonders dazu hergerichteten, durch Quecksilber abgesperrten +Glasröhren wurden einige Kügelchen Kalium mit Sauerstoff in Berührung +gebracht. Sie verschluckten augenblicklich den Sauerstoff und überzogen +sich mit einer Rinde von Kaliumoxyd. Der Grundstoff des Natrons, das +Element Natrium, verhielt sich ähnlich und lieferte wieder Natron. +Wurden die aus Kali und aus Natron erhaltenen Elemente in einer +gegebenen Menge Sauerstoff erhitzt, so verbrannten sie schnell mit +weißer, glänzender Flamme und die metallischen Kügelchen verwandelten +sich in eine feste, weiße Masse, die aus Kali oder aus Natron bestand, +je nachdem man Kalium oder Natrium zu dem Versuch genommen hatte. +Dabei wurde Sauerstoff verschluckt. Die Oxyde, die bei dem Versuche +entstanden, übertrafen an Gewicht dasjenige der verbrannten Substanzen +bedeutend. + +Diese Tatsachen berechtigten *Davy* anzunehmen, daß Kali und Natron aus +Sauerstoff und zwei eigentümlichen Grundstoffen bestehen. Die Affinität +der Alkalimetalle zu Sauerstoff erwies sich als so groß, daß *Davy* die +entdeckten Elemente nur unter Steinöl aufbewahren konnte. Wasser wurde +von ihnen so heftig unter Entwicklung von Wasserstoff zersetzt, daß die +geringe Menge Wasser, welche im Alkohol und im Äther nach sorgfältiger +Reinigung dieser Flüssigkeiten noch enthalten ist, zerstört wurde[356]. + +Metalloxyde, die man mit Kalium erhitzte, wurden ihres Sauerstoffs +beraubt (reduziert). Als *Davy* ein wenig Eisenoxyd mit Kalium +erwärmte, erfolgte eine lebhafte Einwirkung. Es entstand Kali neben +Teilchen eines grauen Metalls, das sich als Eisen erwies. Bleioxyd +und Zinnoxyd wurden noch schneller reduziert. War Kalium im Überfluß +vorhanden, so verband sich das entstehende Metall mit dem Kalium zu +einer Legierung. Das chemische Verhalten des Natriums fand *Davy* im +ganzen dem des Kaliums ähnlich, doch zeigten sich charakteristische +Verschiedenheiten. + +*Davy* kam nach Abschluß dieser Untersuchung sofort auf die Vermutung, +daß die alkalischen Erden, wie Baryt und Strontian, Verbindungen +derselben Art wie die Alkalien seien, d. h. metallische Grundstoffe +von hoher Brennbarkeit verbunden mit Sauerstoff[357]. Wie Baryt und +Strontian, so besitzen auch Kalk, Magnesia, Tonerde und Kieselerde +manche Ähnlichkeit mit den Alkalien[358]. Man durfte deshalb hoffen, +daß auch diese widerspenstigen Stoffe der Einwirkung mächtiger +Batterien nicht widerstehen und daß sich ihre Bestandteile mit Hilfe +der neuen Methode abscheiden lassen würden[359]. + +Die Verwandtschaftskräfte der neuen Metalle, die in den Alkalien +enthalten sind, führten zu einer nicht zu ermessenden Menge von +Versuchen. Diese Metalle wurden mächtige Agentien für die chemische +Analyse. Und da sie an Verwandtschaft zum Sauerstoff alle bekannten +Stoffe übertrafen, so konnten sie bei manchen Zerlegungen die +Elektrizität ersetzen. So wurden, wie wir später sehen werden, die +Grundstoffe der Kieselerde und der Tonerde, das Silizium und das +Aluminium nämlich, zuerst durch die Einwirkung der Alkalimetalle +aus ihren Verbindungen abgeschieden. Die Gewinnung des Aluminiums +vermittelst des galvanischen Stromes erfolgte erst später. + +Die Elektrolyse von Kalk, Baryt, Strontian und Magnesia gelang, ganz +wie *Davy* es vorausgesehen. Schon ein Jahr nach der Entdeckung der +Alkalimetalle konnte er den staunenden Zeitgenossen von diesem neuen +Erfolg berichten. + +Vor allem hatten die Untersuchungen *Davys* das wichtige Ergebnis, +daß die Bedeutung, welche der Sauerstoff als Bestandteil chemischer +Verbindungen beansprucht, in einem ganz anderen Umfange erkannt +wurde. Hatte *Lavoisier* dieses Element als das säurebildende Prinzip +angesprochen, so konnte man es jetzt mit der gleichen Berechtigung als +ganz wesentlich für das Zustandekommen der Alkalien hinstellen. *Davy* +erklärte infolgedessen am Schluß seiner Untersuchung: »Sauerstoff ist +in allen wahren Alkalien vorhanden. Denselben Stoff, den die Franzosen +als das Prinzip der Azidität charakterisieren, kann man daher auch +das Prinzip der Alkalisierung nennen.« Nach den heutigen Anschauungen +werden bekanntlich die basischen Eigenschaften durch das Vorhandensein +der Hydroxylgruppe OH bedingt. + +Es ist begreiflich, daß *Davy*, nachdem er diese neue Rolle des +Sauerstoffs erkannt hatte, sich auch dem flüchtigen Alkali, dem +Ammoniak, zuwandte. Hier begegnete ihm nun der Irrtum, daß er den +Sauerstoff, den er in dem Ammoniakgas (NH_{3}) vorhanden glaubte, +auch wirklich fand, obgleich dies Element in dem völlig reinen, gut +getrockneten Ammoniakgase fehlt. Indessen macht bekanntlich auch hier +der Sauerstoff das Wesen der Alkalinität aus, indem das Ammoniakgas +sich mit dem Wasserstoff und der Hydroxylgruppe des Wassers erst zur +eigentlichen Basis verbindet (NH_{3} + HOH = NH_{4} . OH). *Davy* faßte +das Verhältnis des Ammoniaks zu den fixen Alkalien auch ganz richtig +auf, indem er sagte, es würde zu letzteren wohl in derselben Beziehung +stehen wie die Pflanzensäuren mit zusammengesetztem Radikal zu den +mineralischen Säuren von einfacherer Zusammensetzung. Dem Kalium würde +also nach dieser noch heute geltenden Auffassung die Gruppe NH_{4} +entsprechen. + +Selten ist die Chemie mit einer solchen Fülle neuer Tatsachen +bereichert worden, wie es innerhalb eines so kurzen Zeitraumes durch +die Ergebnisse der elektrochemischen Untersuchungen *Davys* geschah. +In dem galvanischen Strom hatte man das gewaltigste Agens für die +chemische Analyse kennen gelernt. Neben der zersetzenden Wirkung der +*Volta*schen Säule wandte sich das Interesse in steigendem Maße auch +den innerhalb der Säule zwischen den Metallen und den angewandten +Flüssigkeiten vor sich gehenden chemischen Veränderungen zu. Während +man letztere zuerst als etwas Nebensächliches betrachtet hatte, begann +man jetzt in dem innerhalb der Kette sich abspielenden chemischen +Vorgang die Ursache des elektrischen Stromes zu erblicken. + +Zwar erkannte schon *Davy*, daß nicht *jeder* chemische Vorgang +elektromotorisch wirksam ist. Wurde Eisen in Sauerstoff verbrannt, +während das Metall mit einem Elektrometer verbunden war, so erhielt +letzteres während des Prozesses keine Spur von Ladung. Salpeter +und Holzkohle wirkten, während sie unter Verpuffung zur Verbindung +gebracht wurden, ebensowenig auf das Elektrometer. Auch bei der +Verbindung von festem Alkali und Schwefelsäure machte sich kein +Auftreten von Elektrizität bemerkbar[360]. Trotzdem suchte *Davy* die +chemische Verwandtschaft auf elektrische Anziehungen und Abstoßungen +zurückzuführen, so daß wir ihn als den Begründer einer elektrischen +Theorie der chemischen Verbindungen betrachten müssen, einer +Theorie, die ihren weiteren Ausbau durch *Berzelius* erfuhr und nach +der Aufnahme mancher Verbesserungen die Grundlage für die neueren +Anschauungen geworden ist. + +Ursprünglich war *Davy* Anhänger der rein chemischen Theorie, während +er später gleichzeitig der Kontakttheorie Rechnung zu tragen suchte. +Er nahm nämlich an, daß die Atome bei ihrer Berührung entgegengesetzt +elektrisch würden und sich infolgedessen anzögen, während nach +*Berzelius* eine verschiedenartige elektrische Ladung den Atomen +ursprünglich eigen ist und sich bei ihrer Verbindung ausgleicht. »Alle +Körper die sich chemisch miteinander verbinden,« so führt *Davy* seine +Ansicht des näheren aus, »geben bei ihrer Berührung entgegengesetzte +elektrische Zustände. Angenommen die kleinsten elementaren Teilchen +können sich frei bewegen, so werden sie sich deshalb infolge ihrer +bei der Berührung auftretenden elektrischen Kräfte anziehen müssen.« +*Davy* meint, der Zusammenhang der Elektrizität mit der chemischen +Verwandtschaft liege also ziemlich klar zutage. Man dürfe vielleicht +annehmen, daß beide im Grunde genommen dasselbe seien. Daraus erklärt +sich das Problem, das *Davy* aufwirft, nämlich »eine Stufenleiter der +elektrischen Kräfte der Körper aufzufinden, wie sie den Graden der +Verwandtschaft entsprechen[361].« Auch dieser Gedanke *Davys* ist in +der Folge, nachdem man eine Untersuchung der Beziehungen zwischen dem +elektrischen und dem chemischen Potential in Angriff genommen, von +großer Tragweite gewesen[362]. + +Auch die Wärme- und die Lichtwirkung der galvanischen Elektrizität +konnten, als man die Zahl der Platten vergrößerte, nicht verborgen +bleiben. Daß beim Öffnen und Schließen des galvanischen Stromes +mehr oder minder kräftige Funken auftreten, gehörte zu den ersten +Beobachtungen, die man an den neuen Apparaten machte. Als *Davy* den +Strom seiner aus einigen hundert Plattenpaaren zusammengesetzten +Batterie durch Alkali leitete, war die Wärmewirkung groß genug, um +letzteres zu schmelzen. Und als derselbe Forscher später eine Batterie +von 2000 Elementen benutzte, zeigte sich an der Unterbrechungsstelle, +zumal bei Anwendung von Kohlenspitzen, ein äußerst blendendes +Licht, das jedoch erst in der neueren Zeit, seitdem man billigere +Elektrizitätsquellen kennen gelernt hatte, als Bogenlicht zu +Beleuchtungszwecken Verwendung finden konnte. Es ist nicht ganz +zutreffend, *Davy* als den Entdecker des Bogenlichtes zu bezeichnen. +Dem Öffnungsfunken hatte sich schon länger das Interesse der Physiker +zugewandt. Man hatte sein Zustandekommen aus dem Auftreten erglühender, +abgerissener Metallteilchen erklärt und auch den einen Pol mit einem +Kohlenstift verbunden, um dadurch stärkere Funken zu erhalten. Der +erste, der zwei Kohlenstifte anwandte und so im Jahre 1820 ein Licht +erzielte, das die Augen der Zuschauer blendete, war *de la Rive*. +*Davy* machte seinen Versuch erst ein Jahr später bekannt[363]. Und es +ist nicht einmal sicher, ob er unabhängig von *de la Rive*, der mit +380 Elementen experimentierte, auf den Gedanken gekommen ist, zwei +Kohlenspitzen zu verwenden. + +Als *Davy* die Kohlenspitzen nach der Unterbrechung des Stromes +untersuchte, fand er, daß die mit dem positiven Pol verbundene Spitze +ausgehöhlt, der gegenüberstehende Kohlenstift dagegen zugespitzt +erschien. Es hatte somit eine Wanderung der Kohlenteilchen vom +positiven zum negativen Pole stattgefunden. Dies zeigte sich noch +deutlicher, als *Davy* die Verbrennung der hinüberwandernden Teilchen +dadurch aufhob, daß er den Lichtbogen im luftleeren Raum entstehen ließ. + +Viele Entdeckungen *Davys* sind dem praktischen Leben zugute gekommen. +Während seine Sicherheitslampe die Zahl der in den Kohlengruben +stattfindenden Unglücksfälle erheblich verringerte, zeigte später +das von ihm entdeckte Kalium dem in dunkler Nacht ins Meer gespülten +Schiffer den Weg zur Rettung[364]. Zu erwähnen sind auch *Davys* +Untersuchungen über das Leitungsvermögen. Er zeigte, daß dieses mit +steigender Temperatur abnimmt und daß die schlechten Leiter leichter +erglühen als die besseren. Um dies in augenfälliger Weise darzutun, +verfertigte *Davy* eine Kette, deren Glieder abwechselnd aus Silber- +und aus Platindraht bestanden. Leitete er durch diese Kette einen +elektrischen Strom von zunehmender Stärke, so konnte er bewirken, +daß die Platinstücke glühten, während das Silber kalt blieb, ein +Experiment, das noch heute zu den beliebtesten Vorlesungsversuchen +gehört. + +Nach ihrem Leitungsvermögen ordnete *Davy*, mit dem schlechtesten +Leiter beginnend, die bekannten Metalle in folgende Reihe: Eisen, +Platin, Zinn, Zink, Gold, Kupfer, Silber. Daß das Leitungsvermögen +nicht von der Größe der Oberfläche, sondern von der Größe des +Querschnitts abhängt, bewies er auf folgende Weise. Er ließ einen +zylindrischen Draht, dessen Leitfähigkeit er geprüft hatte, zu einem +Bande auswalzen. Obgleich die Oberfläche dadurch sechsmal so groß +geworden war, besaß der Draht noch dasselbe Leitungsvermögen. Endlich +ging aus *Davys* Untersuchung noch hervor, daß das Leitungsvermögen der +Länge des eingeschalteten Drahtes umgekehrt proportional ist. + +Für *Davys* unvergleichliche Leistungen ist ihm reiche Anerkennung +zuteil geworden. Napoleon verlieh, obgleich er damals mit England +im Kriege lag, dem genialen Manne einen jener Preise, die er für +hervorragende Arbeiten auf dem Gebiete der galvanischen Elektrizität +gestiftet hatte. In seinem Vaterlande wurde *Davy* geadelt und zum +Präsidenten der Royal Society gewählt, ein Amt, das er bekleidete, +bis zunehmende Schwäche des Körpers ihn zum Rücktritt zwang. Auf einer +zur Wiederherstellung der Gesundheit unternommenen Reise verschlimmerte +sich sein Leiden. Er starb in Genf am 29. Mai des Jahres 1829[365]. + + + + +14. Die Erforschung der elektromagnetischen und der elektrodynamischen +Grunderscheinungen. + + +Die ersten Beobachtungen, die auf eine Beziehung zwischen der +galvanischen Elektrizität und dem Magnetismus hindeuteten, wurden +gleichfalls von *Davy* gemacht. Er fand nämlich, daß der zwischen +den Kohleelektroden erzeugte Lichtbogen durch die Pole eines starken +Magneten angezogen und abgestoßen wird, ja sogar in eine Drehung +versetzt werden kann[366]. Besonders schön gelang dieser Versuch, wenn +der Bogen sich im luftverdünnten Raum befand und darin auf eine Länge +von 3-4 Zoll gebracht war. Es lag nahe, nun auch umgekehrt die Wirkung +eines Stromes auf einen beweglich angebrachten Magneten nachzuweisen. +Dies gelang dem dänischen Physiker *Oersted*. + +*Hans Christian Oersted* wurde am 14. August des Jahres 1777 auf +Langeland geboren. Er war zunächst wie sein Vater Apotheker. Später +wurde er Professor der Physik an der Universität zu Kopenhagen. +*Oersted* befaßte sich besonders mit chemischen Versuchen. So stellte +er zuerst Chloraluminium her und ermöglichte dadurch *Wöhler* die +Darstellung des metallischen Aluminiums[367]. *Oersted* starb in +Kopenhagen im Jahre 1851. Seine so überaus wichtige Entdeckung des +Elektromagnetismus datiert vom 21. Juli 1820. Sie ging aus Versuchen +hervor, welche *Oersted* anstellte, um die schon lange geahnte +Beziehung zwischen den beiden so geheimnisvollen Naturkräften +nachzuweisen. Die Erzählung, daß sein Diener das Schwanken der Nadel +zufällig bemerkt und ihn darauf aufmerksam gemacht habe, ist unter die +wissenschaftlichen Legenden zu verweisen. + +In einer 1820 an die hervorragendsten Physiker und Gesellschaften +gesandten kurzen Mitteilung[368] berichtet *Oersted* über seine +Versuche und deren Ergebnisse. Er brachte ein geradliniges Stück eines +vom galvanischen Strom durchflossenen Drahtes in horizontaler Lage über +eine gewöhnliche Magnetnadel, so daß der Draht der Nadel parallel war. +Die Magnetnadel kam dann in Bewegung; und zwar wich ihr Nordpol, wenn +er zum negativen Pole des galvanischen Apparates zeigte, nach Westen +ab. War die Entfernung des Drahtes von der Magnetnadel nicht mehr +als 5/4 Zoll, so betrug diese Abweichung ungefähr 45°. Bei größerer +Entfernung nahmen die Winkel ab. Auch war die Abweichung verschieden je +nach der Stärke des galvanischen Apparates. + +Die Natur des Metalles hatte auf den Erfolg keinen Einfluß. *Oersted* +hat Drähte aus Platin, Gold, Silber, Messing und Eisen, ferner Zinn- +und Bleistreifen, sowie Quecksilber mit gleichem Erfolge angewandt. +Der stromdurchflossene Draht wirkte auf die Magnetnadel durch Glas, +Metalle, Holz, Wasser und Harz, durch Tongefäße und durch Steine +hindurch. Als *Oersted* zwischen den Leiter und die Nadel eine +Glastafel, eine Metallplatte oder ein Brett gebracht hatte, blieb +der Erfolg nicht aus. Selbst alle drei Substanzen vereinigt schienen +die Wirkung kaum zu schwächen; ebensowenig ein irdenes Gefäß, selbst +wenn es voll Wasser war. Die erwähnten Wirkungen traten sogar ein, +als *Oersted* eine Magnetnadel anwandte, die sich in einer mit Wasser +gefüllten Messingbüchse befand. + +Wenn der Leiter in einer horizontalen Ebene unter der Magnetnadel +angebracht war, so gingen alle angegebenen Wirkungen nach +entgegengesetzter Richtung vor sich. Drehte er den Leiter in der +horizontalen Ebene, so daß er allmählich immer größere Winkel mit dem +magnetischen Meridian machte, so wurde die Abweichung der Magnetnadel +vom magnetischen Meridian vermehrt, wenn das Drehen des Drahtes der +Lage der Magnetnadel zu gerichtet war. Die Abweichung nahm dagegen ab, +wenn die Drehung von der Magnetnadel fort erfolgte. Hiervon ausgehend +verfertigte *Pouillet* im Jahre 1837 die zur Messung der Stromstärke +dienende Sinusboussole. Bei diesem Apparat wird der Leiter so +lange gedreht, bis er mit der Nadel wieder in eine Ebene fällt. Die +Stromstärke ist dann dem Sinus des Drehungswinkels proportional. + +*Oersted* folgerte aus seinen Versuchen, daß der Strom »nicht in dem +Draht eingeschlossen ist, sondern sich zugleich in dem umgebenden Raum +weithin ausbreitet«. + +Die Kunde von *Oersteds* großer Entdeckung nahm, weil *Oersted* +allen namhaften Physikern seine Abhandlung zugehen ließ, sofort die +wissenschaftliche Welt in Anspruch. Überall wurden seine Versuche +nachgeprüft, bestätigt und durch neue Entdeckungen vervollständigt. +So fand *Gay-Lussac* sofort, daß der Strom den Magneten nicht nur +ablenkt, sondern eine vorher unmagnetische Stahlnadel in einen Magneten +verwandelt. Die magnetisierende Wirkung zeigte sich besonders, wenn +die Nadel in eine vom galvanischen Strom durchflossene Drahtspirale +gebracht wurde. *Gay-Lussac* wurde dadurch auf den Gedanken gebracht, +daß der stromdurchflossene Leiter selbst als ein Magnet betrachtet +werden könne. Infolgedessen entdeckte er die anziehende Wirkung, welche +der Leiter auf Eisenfeilspäne ausübt. Die gleiche Entdeckung machte +unabhängig von *Gay-Lussac* der deutsche Physiker *Seebeck*. + +Besonders durch die Arbeiten *Seebecks* fanden diejenigen *Oersteds* +ihre Fortsetzung. *Seebeck* gab noch im Jahre der *Oersted*schen +Entdeckung und im darauffolgenden Jahre 1821 seine Versuche »über den +Magnetismus der galvanischen Kette« bekannt[369]. + +Thomas Johann *Seebeck*, dessen Hauptverdienst die später zu +besprechende Entdeckung der Thermoelektrizität ist, wurde am 9. April +1770 in Reval, wo sein Vater Kaufmann war, geboren. *Seebeck* studierte +Medizin und lebte von 1802 bis 1810 in Jena, wo er auch mit *Goethe* in +wissenschaftlichem Verkehr stand. Nachdem *Seebeck* zum Mitglied der +Preußischen Akademie der Wissenschaften ernannt war, siedelte er nach +Berlin über. Er starb am 10. Dezember des Jahres 1831. + +In *Seebecks* Arbeit »Über den Magnetismus der galvanischen Kette« +wurde die magnetische Wirkung, die sich *Oersted* in der Umgebung des +Stromleiters gezeigt hatte, eingehender untersucht. Das magnetische +Feld oder, wie *Seebeck* sich ausdrückte, »die magnetische Atmosphäre«, +wurde besonders durch die so bekannt gewordenen Versuche mit +Eisenfeilspänen nachgewiesen und, wie es später *Faraday* tat, durch +Kraftlinien dargestellt. + +*Seebeck* zeigte, wie seine nebenstehende Abbildung erläutert, (s. Abb. +39), daß sich Eisenfeilspäne um lotrecht gestellte Schließungsdrähte +kreisförmig ordnen. Er fand, daß die Späne konzentrische Kreise bilden, +und zwar Kreise von desto größerem Durchmesser, je stärker die Spannung +ist. Über und unter horizontal liegenden Stromleitern ordneten sich +dagegen die Feilspäne in parallelen, senkrecht zur Längsrichtung +stehenden Linien. Diese Feilstaub-Figuren bildeten sich am leichtesten +um Stäbe von einigen Linien Durchmesser, minder deutlich an dünnen +Drähten. + +[Illustration: Abb. 39. Der Nachweis des magnetischen Feldes.] + +[Illustration: Abb. 40. Der Nachweis der magnetischen Kraftlinien.] + +Auch die Beeinflussung der Kraftlinien des einen Leiters durch einen +benachbarten Leiter wies *Seebeck* zum ersten Male nach. Er bediente +sich dazu zweier stromdurchflossener Stahlbänder, deren Querschnitt in +der nebenstehenden, von ihm herrührenden Zeichnung durch die beiden +dicken Striche angedeutet ist[370]. Um diese Anordnung zu erhalten, +brauchte er nur ein längeres Stahlband zu biegen und durch die beiden +parallel zu einander verlaufenden Schenkel des Bogens den Strom zu +senden. Waren die Schenkel dieses Bogens erheblich von einander +entfernt, so ordnete sich der Eisenstaub um jeden Schenkel kreisförmig. +Wurden sie jedoch einander genähert, so änderte sich der Verlauf der +»magnetischen Linien«. Sie nahmen das in der Abbildung 40 dargestellte +Aussehen an. + +Fast gleichzeitig mit dem französischen Physiker *Arago*, dem die +Priorität gebührt, beobachtete *Seebeck* Erscheinungen, die man +zunächst den bisherigen Forschungsergebnissen nicht anzugliedern +vermochte und die erst in der neuen, durch *Faradays* Entdeckung der +Induktion herbeigeführten Epoche der Elektrizitätslehre ihre Erklärung +fanden. Es handelte sich um Vorgänge, die man später mit dem Worte +»Dämpfung« bezeichnet hat. Am 9. Juni 1825 veröffentlichte *Seebeck* +eine Abhandlung, in der das Theorem der Dämpfung folgenden klaren +Ausdruck fand: + +1. Die Pendelschwingungen eines Magnetstabes werden durch benachbarte +Metallmassen ebenso gehemmt, als wenn eine dichtere Luft den Stab +umgäbe. + +2. Schwingt eine Kupfermasse über oder zwischen den Polen eines +Magneten pendelförmig, so wird sie früher eine Verminderung der +Schwingungsweite erleiden als eine frei schwebende Kupfermasse. + +Auch die Versuche *Seebecks* über Stromverzweigung gehören zu den +ersten auf diesem Gebiete. + +Einer Wirkung des Stromes auf den Magneten, wie sie *Oersted* entdeckt +hatte, mußte nach dem von *Newton* ausgesprochenen Grundgesetz eine +gleichgroße Gegenwirkung des Magneten auf den Strom entsprechen. Von +diesem Gedanken geleitet, bemühte sich der französische Physiker +*Ampère* eine Beziehung zwischen der Elektrizität und dem Magnetismus +nachzuweisen. + +André-Marie *Ampère* wurde am 20. Januar 1775 in Lyon geboren, wo +sein Vater Kaufmann war. *Ampère* verriet schon frühzeitig eine ganz +hervorragende mathematisch-naturwissenschaftliche Befähigung. Mit elf +Jahren beherrschte er die Elementarmathematik, und als zwölfjähriger +Knabe wurde er mit der Differentialrechnung bekannt. Später vertiefte +er sich in die Werke von *Lagrange*, *Euler* und *Bernoulli*. + +Eine jähe Unterbrechung erlitt dieser so vielversprechende Studiengang +durch die französische Revolution. *Ampères* Vater wurde ein Opfer +der auch in Lyon errichteten, in zahllosen politischen Morden ihre +Betätigung suchenden Schreckensherrschaft. Dies Ereignis machte auf den +jungen *Ampère* einen solch niederschmetternden Eindruck, daß er ein +volles Jahr in dumpfer Verzweiflung dahinbrütete. Erst als *Rousseaus* +Briefe über die Botanik[371] in seine Hände gerieten, belebte sich sein +Sinn für die Wissenschaft aufs Neue. + +Im Jahre 1802 veröffentlichte *Ampère* Betrachtungen über +die mathematische Theorie des Spiels. Die Schrift lenkte die +Aufmerksamkeit des großen Astronomen und Geodäten *Delambre* auf ihn +und hatte seine Anstellung in Lyon, wo *Ampère* am Lyceum Mathematik +zu lehren hatte, und später (1805) seine Berufung nach Paris zur +Folge. Hier hatte *Ampère* an der polytechnischen Schule Differential- +und Integralrechnung zu lehren. Gleichzeitig befaßte er sich mit den +Problemen der Naturwissenschaften und der Philosophie. + +Die Anregung, sich sehr eingebend und fast ausschließlich mit der +Erforschung der elektrischen Erscheinungen zu beschäftigen, empfing +*Ampère* durch *Oersteds* Entdeckung der Wirkung des Stromes auf +den Magneten. Im Herbst des Jahres 1820, bald nach Empfang der +*Oersted*schen Mitteilung, prüfte *Ampère* *Oersteds* Versuche +nach. Und eine Woche später konnte er schon mit wichtigen eigenen +Entdeckungen hervortreten, die er in seiner berühmten, für das Gebiet +der Elektrodynamik grundlegend gewordenen Abhandlung desselben Jahres +veröffentlichte[372]. + +In dieser Abhandlung führte *Ampère* die wichtige, seitdem allgemein +üblich gewordene Bestimmung ein, *als Richtung des Stromes diejenige +der strömenden positiven Elektrizität zu betrachten*. Dann folgt seine +bekannte Regel, nach welcher die Richtung des Stromes aus der Ablenkung +der Nadel sich mit Leichtigkeit bestimmen läßt. Sie lautet: *»Man denke +sich in den elektrischen Strom versetzt, sodaß dessen Richtung von den +Füßen zum Kopfe geht und habe das Gesicht der Nadel zugekehrt, dann ist +der Pol der Nadel, der nach Norden zeigt, stets durch die ausgestreckte +linke Hand gegeben.«* (*Ampères Schwimmerregel*[373]). + +Um den Einfluß eines Magneten auf den Strom nachzuweisen, kam *Ampère* +auf den Gedanken, den Stromleiter beweglich zu machen. Dies gelang +in der in Abb. 41 angegebenen Weise, eine Abbildung, die wir dem von +*Ampère* und *Babinet* im Jahre 1822 gegebenen Bericht[374] über +*Ampères* Entdeckungen entnehmen. Dieser Bericht wurde auch der +nachfolgenden Darstellung der *Ampère*schen Forschungsergebnisse zu +Grunde gelegt. Der Stromleiter wurde, wie die Abbildung 41 zeigt, +dadurch leicht beweglich gemacht, daß man ihn in die Form eines +Quadrats oder Rechtecks (DFGM) brachte. An beide Enden des Drahtes +wurden bei A und B senkrechte Stahlspitzen angelötet. Diese Spitzen +tauchen in die etwas Quecksilber enthaltenden Näpfchen neben A und B. +Der Strom tritt bei der mit dem positiven Ende der Säule verbundenen +Kapsel Z in den Apparat ein, durchfließt den gebogenen Schaft ZA und +gelangt in die Kapsel A, in welcher das Quecksilber die Verbindung mit +dem beweglichen Drahtbügel herstellt. Dieser wird dann in der Richtung +ADFGMB durchflossen. In dem mit Quecksilber gefüllten Napfe B verläßt +der Strom den Bügel und geht durch einen zweiten gebogenen Schaft Q zu +der Kapsel C, die mit dem negativen Ende der Säule in Verbindung steht. + +[Illustration: Abb. 41. *Ampères* beweglicher Stromleiter[375].] + +[Illustration: Abb. 42. *Ampères* Vorrichtung zum Aufhängen seines +beweglichen Stromleiters[376].] + +Mit Hilfe dieser sinnreichen Vorrichtung zeigte *Ampère* folgendes: +Ließ er einen Magneten auf den beweglichen Leiter wirken, so fand er, +daß der Leiter nach einigen Schwingungen in einer Lage zur Ruhe kommt, +in welcher er mit der Verbindungslinie der Pole einen rechten Winkel +bildet. Dabei bemerkte *Ampère*, daß sich der Südpol des Magneten nach +Einnahme der Ruhelage stets zur Linken des Stromes befindet. + +[Illustration: Abb. 43. *Ampères* Apparat zum Nachweis, daß sich ein +Stromleiter senkrecht zur Inklinationsnadel einstellt[377].] + +*Ampère* zeigte darauf, daß infolgedessen der Leiter, wenn nur der +Erdmagnetismus auf ihn wirkt, eine Stellung einnimmt, in welcher +seine Ebene den magnetischen Meridian senkrecht schneidet[378]. Diese +Entdeckung erregte ein Aufsehen wie wenig andere[379]. *Ampère* +beschreibt sie mit folgenden Worten: »Hängt man in der in Abbildung +41 dargestellten Weise einen beweglichen Leiter auf, ohne daß in der +Nähe dieses Leiters ein anderer Teil des Stromkreises sich befindet. +(Wir müssen uns also in der Abbildung 41 das Drahtstück CILB, das +auf den beweglichen Bügel einen richtenden Einfluß ausübt, entfernt +denken), verbindet man hierauf die Kapseln C und Z mit den Polen der +galvanischen Batterie, so sieht man den Bügel sich drehen, bis seine +Ebene zu derjenigen des magnetischen Meridians NS senkrecht steht +und der Strom in dem unteren Teil des Leiters, also in FG, von Ost +nach West gerichtet ist, das Südende der Magnetnadel also zur Linken +liegt.« Ließ *Ampère* den Strom in umgekehrter Richtung durch den Bügel +gehen, so drehte sich dieser um einen Halbkreis zurück, um endlich +nach einigen Schwingungen sich wieder senkrecht zur Richtung NS +einzustellen. + +Eine der Neigung der Magnetnadel entsprechende Wirkung rief *Ampère* +durch den in nebenstehender Abbildung 43 wiedergegebenen Apparat +hervor. Der rechteckig gebogene Leiter ABCDEF, der durch einen +Holzkörper VIZ daran gehindert wird, daß er sich biegt, wurde so +angebracht, daß er sich um eine horizontale Achse XY drehen kann. Die +Teile des Leiters waren so abgeglichen, daß in jeder Lage Gleichgewicht +vorhanden war. Die Achse XY wurde dann senkrecht zum magnetischen +Meridian gestellt und der Strom durch das Rechteck geleitet. Letzteres +kam in Bewegung, nahm aber endlich eine Ruhelage ein, in welcher seine +Ebene zur Richtung der Inklinationsnadel senkrecht stand. + +Fast noch merkwürdiger als diese Resultate war der von *Ampère* kurze +Zeit nach der Entdeckung *Oersteds* erbrachte Nachweis, daß zwei +galvanische Ströme anziehend oder abstoßend auf einander wirken, je +nachdem sie gleich oder entgegengesetzt gerichtet sind. + +Wie durch einen Magneten und durch den Erdmagnetismus so wurde +nämlich auch durch einen benachbarten Strom der bewegliche Leiter in +Drehung versetzt. Die zum Nachweis dieses Verhaltens erforderliche +Versuchsanordnung zeigt uns Abbildung 41. Nachdem der Strom den +rechteckigen Bügel durchlaufen hat, wird er von C aus über IL +parallel zur Seite DF des Bügels abwärts geführt. Durch die +parallelen Metalldrähte IL und DF laufen somit gleichgerichtete +elektrische Ströme. Und es zeigt sich, daß zwischen ihnen Anziehung +stattfindet. Der Bügel dreht sich nämlich solange, bis die Seite DF +dem Drahtstück IL möglichst nahe gekommen ist. Wird der Bügel um 180° +gedreht, so daß das Stück MG, in welchem der Strom von unten nach +oben fließt, sich dem in entgegengesetzter Richtung durchflossenen +Leiter IL gegenüber befindet, so erfolgt Abstoßung. + +Kurz gefaßt lautet das so wichtige, von *Ampère* gefundene Grundgesetz +der Elektrodynamik: *Zwei parallel und gleichgerichtete Ströme ziehen +einander an, während zwei parallel und entgegengesetzt gerichtete +Ströme einander abstoßen.* + +Die im ersteren Falle auftretenden anziehenden Kräfte zeigten sich als +so beträchtlich, daß zwei von gleichgerichteten Strömen durchflossene +Drahtstücke, zur Berührung gebracht, fest aneinander hafteten. + +*Ampère* wurde anfangs entgegengehalten, daß es sich hier um die längst +bekannten Erscheinungen der Anziehung und Abstoßung elektrisierter +Körper handle. Diesen Einwurf vermochte *Ampère* indessen schon durch +den Hinweis zu entkräften, daß sich entgegengesetzt elektrisierte +Körper anziehen, während sich entgegengesetzt gerichtete Ströme +abstoßen. + +Wenn wir die in den vorstehenden Abschnitten in aller Kürze und +mit Fortlassung zahlreicher Abänderungen und Nebenergebnisse +dargestellten großen Entdeckungen *Ampères* überblicken, müssen wir +anerkennen, daß hier eine Reihe von sinnvollen, logisch verknüpften +und grundlegenden Versuchen vorliegt, wie sie vorher kaum und nachher +nur selten uns wieder begegnen. Mit Recht hat man daher *Ampères* +Fundamentaluntersuchung über den Zusammenhang zwischen den magnetischen +und den elektrischen Erscheinungen als eins der hervorragendsten Muster +einer wissenschaftlichen Untersuchung bezeichnet[380]. + +Nach der experimentellen Erforschung der elektrodynamischen +Grunderscheinungen galt es, auch hier einen mathematischen Ausdruck für +die dabei obwaltenden quantitativen Beziehungen zu finden, ähnlich wie +es *Coulomb* für das Gebiet der statischen Elektrizität getan hatte. +Diese Aufgabe löste *Ampère* mit Hilfe des analytischen Kalküls. Er +ging dabei von zwei kleinen, irgendwo im Raume liegenden Stromelementen +aus, deren Länge er gleich *ds* und *ds^1* setzte, während mit i und +i^1 die bezüglichen Intensitäten der Ströme bezeichnet wurden. Die +anziehende oder abstoßende Kraft wurde proportional der Intensität und +der Länge der Stromelemente angenommen. + +Den Abstand nannte *Ampère* r und setzte voraus, daß die Anziehung +oder Abstoßung im umgekehrten Verhältnis zu r oder einer Potenz von r +erfolge. Die weitere Untersuchung ergab, daß es sich nur um die zweite +Potenz handeln konnte. Der erste Ausdruck des von *Ampère* gesuchten +elektrodynamischen Grundgesetzes[381] lautete somit für die Wirkung w, +welche die Stromelemente aufeinander ausüben: + + (i · i^1 · ds, ds^1) + w = ------------------------------ . + r^2 + +Dabei galt als Voraussetzung, daß die Stromelemente parallel gerichtet +sind. Für beliebig gerichtete Stromelemente ergab die Ableitung als +elektrodynamisches Grundgesetz für die Wechselwirkung der Elemente in +der Verbindungslinie ihrer Mittelpunkte + + i · i^1 · ds · ds^1 ( d^2r dr dr ) + w = ------------------- (r --------- - 1/2 -- · ----) + r^2 ( ds · ds^1 ds ds^1) + +An dieses von *Ampère* gefundene Gesetz anknüpfend, hat, wie wir +sehen werden, später *Weber* den allgemeinsten Ausdruck für das +elektrodynamische Grundgesetz abgeleitet. Bezüglich der Ableitung des +*Ampère*schen Gesetzes muß auf die Originalabhandlung oder auf ein +Handbuch der Physik verwiesen werden[382]. + +Wir sahen, zu welcher Fülle von Beobachtungen und Folgerungen der +Kunstgriff dem Stromleiter die Form eines leicht beweglichen Bügels +zu geben, *Ampère* geführt hat. Es war nun ein naheliegender, sehr +fruchtbarer Gedanke, der sich *Ampère* fast aufdrängen mußte, an Stelle +des nur eine Windung darstellenden rechteckigen oder kreisförmigen +Bügels einen vielfach gewundenen beweglichen Leiter, den Schraubendraht +oder nach *Ampères* Bezeichnung das Solenoid, in die experimentelle +Physik einzuführen. + +Die von ihm entdeckten Beziehungen zwischen der Elektrizität und dem +Magnetismus führten *Ampère* zu der Auffassung, die Teilchen eines +Magneten seien von galvanischen Strömen umflossen und das Magnetisieren +sei nichts weiter als ein Parallelmachen jener molekularen Ströme. +Ein dieser Auffassung entsprechendes Bild des Magneten gibt *Ampères* +Solenoid, jene beweglich aufgehängte, vom Strom durchflossene +Drahtspirale. Letztere stellt sich den von *Ampère* entdeckten +Gesetzen zufolge so ein, daß ihre Achse mit dem magnetischen Meridian +zusammenfällt. + +Um das weitere Verhalten der Solenoide kennen zu lernen, galt es, die +Wirkung des Erdmagnetismus auszuschalten. Dies erreichte *Ampère* durch +die in umstehender Abbildung 44 dargestellte Versuchsanordnung. Der +Leiter ABCDEF ist ein einziger Draht, der mit seinen Enden A und F +in der bekannten *Ampère*schen Aufhängevorrichtung angebracht werden +kann. Von A ist der Draht nach der Mitte einer Röhre geführt und dann +um diese nach links gewunden. Nach einigen größeren Windungen wird +der Draht durch die Röhre nach dem rechten Ende D und von hier in +entgegengesetzt verlaufenden Windungen nach der Mitte und schließlich +nach F zurückgeführt. Infolge dieser Anordnung der Windungen sucht der +Erdmagnetismus ein derartiges Solenoid entgegengesetzt zu drehen und +kann ihm folglich keine Bewegung mitteilen. + +Dies Solenoid verhielt sich einem Magneten gegenüber genau so wie ein +zweiter Magnet. Wurde ein und derselbe Pol des Magneten nacheinander +den beiden Enden des Solenoids genähert, so zog er das eine Ende an, +während er das andere abstieß. Wurde die Spirale befestigt und ein +beweglicher Magnet herangebracht, so fand gleichfalls Anziehung und +Abstoßung statt. + +Versuche mit zwei Solenoiden ergaben, daß ihre Pole den +elektrodynamischen Gesetzen zufolge eine abstoßende oder anziehende +Wirkung äußern, je nachdem das Kreisen der Ströme an den gegenüber +befindlichen Enden in entgegengesetzter oder in gleicher Richtung +erfolgt. Ein vorübergeführter Strom lenkte eine solche Spirale nach +der von *Ampère* aufgestellten Schwimmerregel ab. Kurz, das Solenoid +verhielt sich, wie *Ampère* zur Bekräftigung seiner Theorie zeigen +wollte, in jeder Hinsicht wie ein wahrer Magnet. + +[Illustration: Abb. 44. *Ampères* von dem Einfluß des Erdmagnetismus +befreites Solenoid[383].] + +[Illustration: Abb. 45. *Ampères* astatische Magnetnadel[384].] + +Wie *Ampère* den Erdmagnetismus bei der Konstruktion seiner Solenoide +auszuschalten vermochte (siehe Abb. 44), so gelang es ihm durch eine +ähnliche geschickte Anordnung diese Kraft bei der Magnetnadel auf +ein sehr kleines Maß zurückzuführen und der Nadel dadurch einen sehr +hohen Grad von Empfindlichkeit gegenüber dem elektrischen Strome +zu verleihen. *Ampère* verband nämlich, wie es die seiner Schrift +entnommene Abbildung 45 zeigt, zwei gleiche, getrennte und annähernd +gleich starke Magnetnadeln in der Weise, daß die gleichnamigen Pole +entgegengesetzt gerichtet waren. So wurde die richtende Kraft der Erde +auf die eine Nadel durch die entgegengesetzte Wirkung, welche diese +Kraft auf die andere Nadel ausübt, nahezu aufgehoben[385]. + +Bestand die Ursache des Magnetismus, wie *Ampère* annahm, in +elektrischen Strömen, welche den Magneten senkrecht zur magnetischen +Achse umkreisen, so mußte der Erdmagnetismus aus der gleichen Ursache +erklärt werden. *Ampère* setzte deshalb ein Strömen der Elektrizität +um die Erde voraus. Aus dem Verhalten der Solenoide zum Erdmagnetismus +mußte man schließen, daß der Erdstrom von Ost nach West gerichtet und +somit der Bewegung der Erde entgegengesetzt sei. *Ampère* zweifelte +nicht daran, daß der Erdstrom und somit der Erdmagnetismus mit +dieser Bewegung und der dadurch bewirkten periodischen Erwärmung +der Erdhälften durch die Sonne in Beziehung zu setzen sei. Da zwei +Körper von ein und derselben Natur, verschieden erwärmt, galvanisch +aufeinander wirken, sei es wahrscheinlich, daß die Ströme der +Erdkugel von der Erwärmung durch die Sonne herrührten[386]. Zu +ähnlichen Anschauungen gelangte auch *Seebeck*, der Entdecker der +Thermoelektrizität. Außer der Erwärmung durch die Sonne nahm *Ampère* +auch eine galvanische Wirkung der verschiedenartigen Stoffe, aus denen +die Erde besteht, zur Erklärung des Erdstroms in Anspruch. + +Zur selben Zeit, als *Ampère* seine epochemachenden Untersuchungen +anstellte, erfuhr die Lehre vom Elektromagnetismus auch manche +Bereicherung durch *Arago*. + +*Dominique François Jean Arago*, einer der vielseitigsten französischen +Gelehrten, wurde am 26. Februar 1786 in der Nähe von Perpignan geboren. +Er studierte in Paris, wurde Professor der Mathematik und Geodäsie +an der dortigen polytechnischen Schule und gab mit *Gay-Lussac* die +Annales de Chimie et de Physique heraus. Er starb in Paris am 2. +Oktober 1853. + +*Arago* hat sich auf den Gebieten der Astronomie, der Optik und des +Elektromagnetismus die hervorragendsten Verdienste erworben. + +So rührt von ihm das Verfahren her, Stahlnadeln dauernd zu +magnetisieren, indem man sie in eine vom Strom durchflossene +Drahtspule (Solenoid) einschließt. Um diese Wirkung auf Stahlnadeln zu +erzielen, bedurfte es, wie *Arago* des weiteren zeigte, nicht einmal +der dauernden Wirkung des galvanischen Stromes, sondern es genügte die +einmalige, momentan erfolgende Entladung einer *Leydener* Flasche. + +Als *Arago* dem Schließungsdrahte einer Batterie Eisenfeilspäne +näherte, entdeckte er eine weitere elektromagnetische Wirkung, welche +darin bestand, daß die Eisenfeilspäne vom Drahte angezogen wurden. +Diese Beobachtungen führten *Arago* zu der auch *Seebeck*[387] +beherrschenden Vorstellung, daß ein vom Strom durchflossener Leiter +selbst ein Magnet sei. Die wichtigsten, zum Teil in Gemeinschaft mit +*Gay-Lussac* gemachten Entdeckungen über die magnetisierende Wirkung +des Stromes veröffentlichte *Arago* im Jahre 1820[388]. + +Einige Jahre später entdeckte *Arago* eine merkwürdige, zunächst ganz +unerklärliche Erscheinung, die er als Rotationsmagnetismus bezeichnete. +*Arago* fand nämlich, daß eine schwingende Magnetnadel über einer +Metallfläche viel schneller zur Ruhe kommt als über einem Nichtleiter, +wie Glas oder Marmor. Befand sich die Magnetnadel in der Ruhelage und +setzte er dann die Metallscheibe in Drehung, so erfolgte eine Ablenkung +der Nadel im Sinne der Rotation. Ja, die Nadel, konnte schließlich mit +zur Rotation gebracht werden. Auch zeigte es sich, daß der Magnet je +nach seiner Lage von der rotierenden Scheibe abgestoßen oder angezogen +wurde[389]. Diese Versuche *Aragos* blieben unerklärt, bis *Faraday* +sie als Ausgangspunkt zur Erforschung der Induktionserscheinungen +benutzte[390]. + + + + +15. Die Entdeckung der Thermoelektrizität. + + +[Illustration: Abb. 46. Die Entdeckung der Thermoelektrizität.] + +Kaum hatte man sich mit den hauptsächlichsten Wirkungen des +galvanischen Stromes vertraut gemacht, als man auch schon eine neue +Art der Elektrizitätserregung kennen lernte. Fast zur selben Zeit +als *Oersted* und *Ampère* ihre grundlegenden Versuche machten, +entdeckte der deutsche Physiker *Seebeck* die Stromerzeugung durch +ungleichmäßige Erwärmung eines aus verschiedenen Metallen bestehenden +Kreises. *Seebeck*[391] war auf den Gedanken gekommen, ob auch zwei +Metalle für sich, ohne die Mitwirkung eines feuchten Leiters einen +Strom hervorrufen könnten. Als *Seebeck* eine Wismutscheibe (Abb. +46 B) unmittelbar auf eine Kupferscheibe K legte und beide Scheiben +zwischen die Enden *ab* eines im magnetischen Meridian liegenden, +spiralförmig gewundenen Kupferstreifens brachte, zeigte die in +der Spirale befindliche Magnetnadel (*ns*) bei der Schließung des +Kreises eine deutliche Ablenkung. Dies war ein Beweis, daß hierbei +ein elektrischer Ausgleich stattfand. Die Wirkung war am stärksten, +wenn die Schließung unmittelbar mit der Hand bewirkt wurde; sie blieb +dagegen aus, wenn man sich beim Zusammendrücken einer Glasstange oder +eines längeren Holzstückes bediente, während sich noch eine schwache +Wirkung zeigte, wenn man dünne Zwischenkörper anwandte[392]. Es fiel +aber jede Wirkung auf die Magnetnadel weg, wenn *Seebeck* die Enden +der Spirale mit einer zwei Fuß langen Glas-, Holz- oder Metallstange +auf die Wismutscheibe niederdrückte. Nach diesen Beobachtungen mußte +sich der Gedanke aufdrängen, daß nur die Wärme die sich der berührten +Stelle von der Hand mitteilt, die Ursache jenes durch den Ausschlag +der Nadel sich verratenden elektrischen Ausgleichs ist. Danach war zu +erwarten, daß ein höherer Grad der Temperatur als derjenige, welcher +den Metallen durch die Berührung mitgeteilt wurde, auch eine größere +Wirkung hervorrufen werde. Der Versuch bestätigte dies. Wurden Wismut- +oder Antimonscheiben an dem einen Ende erwärmt und dann mit der Spirale +in Berührung gebracht, so war die Abweichung der Nadel viel bedeutender +als bei den früheren Versuchen. + +Künstliche Abkühlung eines der beiden Berührungspunkte ergab denselben +Erfolg. Eine Wismutstange, deren Ende in einer Mischung von Salz +und Schnee abgekühlt wurde, während das andere Ende die gewöhnliche +Temperatur besaß, verhielt sich in Verbindung mit der Kupferspirale +ganz so, als wenn der Temperaturunterschied beider Enden durch +Erwärmung hervorgerufen worden wäre. Der Ausschlag der Nadel betrug +beim Schließen des Kreises dreißig Grad. + +[Illustration: Abb. 47. *Seebecks* Thermoelement.] + +Die Wirkung dieser metallischen Ketten war um so stärker, je größer der +Temperaturunterschied an den Berührungspunkten der verschiedenartigen +Metalle war. Wurde ein Blatt Papier oder eine Haut zwischen die beiden +Metalle geschoben, z. B. zwischen Antimon und Kupfer in a (Abb. 47), +während der Berührungspunkt b mit einer Weingeistlampe erwärmt wurde, +so zeigte sich gar keine Wirkung auf die Magnetnadel *ns*. Unmittelbare +Berührung der Metalle war demnach eine wesentliche Bedingung, um +Elektrizität durch Temperaturdifferenz zu erzeugen. Je vollkommener +*Seebeck* diese Verbindung herstellte, desto stärker zeigte sich die +Wirkung. Apparate, in welchen Stäbe von Antimon und Wismut durch Lötung +verbunden waren, zeigten bei gleicher Temperaturdifferenz eine weit +stärkere Ablenkung der Nadel als solche, in denen sich die Metalle nur +äußerlich berührten. + +Auch gelegentlich der Entdeckung der Thermoelektrizität ergab es sich, +daß die Entdeckung neuer Wirkungen und Beziehungen in der Regel +zunächst in ihrer Tragweite überschätzt wird. So glaubte *Seebeck* +den Erdmagnetismus aus der durch vulkanische Wärme hervorgerufenen +ungleichen Erwärmung der Erdkugel erklären zu können. Eine Verwendung +fanden die Thermoströme nach zwei Richtungen, nämlich als Stromquelle +und zum Messen der Temperaturen. + +Da die innige Berührung der Metalle neben dem Vorhandensein eines +Temperaturunterschieds die wesentliche Bedingung des Gelingens +war, hatte *Seebeck* seine Stäbe zusammengelötet und so das erste +Thermoelement geschaffen. War dieses zunächst auch nicht geeignet, +einen ergiebigen Strom zu liefern, so wurde es doch im Jahre 1834 in +den Händen *Nobilis*, der eine Anzahl solcher Elemente zur Thermosäule +vereinigte, zu einem brauchbaren Instrument, um Wärmestrahlungen +nachzuweisen und durch den Ausschlag eines empfindlichen Galvanometers +zu messen. Ein solches erhielt *Nobili*, als er nach dem Vorgang +*Ampères* zwei Nadeln von nahezu gleicher magnetischer Stärke zu einem +astatischen Nadelpaare verband[393]. Mit dieser unter dem Namen des +Thermomultiplikators bekannten Vereinigung beider Apparate hat später +*Melloni* seine Versuche über die Wärmestrahlung angestellt[394]. +Zum Messen der Körperwärme wurde seit 1840 etwa ein Thermoelement +aus schwerer schmelzbaren Metallen, gewöhnlich Eisen und Neusilber, +gebraucht, dessen Lötstelle man in den Körper steckte. + +Eine andere Verwertung der Thermoströme suchte schon *Seebeck* +anzubahnen, indem er aus mehreren, hintereinander geschalteten +Elementen eine thermoelektrische Säule konstruierte. Doch fand er, daß +die erhaltene Stromstärke nicht proportional der Anzahl der erwärmten +Berührungsstellen wuchs. Es schien vielmehr ein Teil verloren zu +gehen. Seitdem sind viele Thermosäulen konstruiert worden, so die von +*Noë* aus Neusilberdrähten und Stäben einer Zinkantimonlegierung und +neuerdings diejenige von *Gülcher*, der Antimon und Kupfer verwendet. +Zur Erzeugung starker Ströme haben sich alle ersonnenen Einrichtungen +jedoch nicht brauchbar erwiesen. Sie haben vor den galvanischen +Elementen nur die bequemere Handhabung und eine größere Beständigkeit +voraus. + +Vergegenwärtigen wir uns noch einmal den Inhalt der letzten Abschnitte, +so finden wir, daß zu Beginn der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts +die wesentlichsten Gebiete der Elektrizitätslehre mit Ausnahme der +Induktion erschlossen waren. Die Entdeckung der letzteren sollte der +unvergleichlichen Experimentierkunst eines *Faraday* vorbehalten +bleiben, mit dessen grundlegenden Arbeiten wir uns im nächsten Bande +beschäftigen werden. + + + + +16. Der insbesondere durch Laplace und Herschel bewirkte Aufschwung der +Astronomie. + + +Eine so weitgehende Umgestaltung, beziehungsweise Erschließung neuer +Gebiete, wie sie die Chemie und die Physik erfuhren, hat die Astronomie +um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert nicht aufzuweisen. Ihr +Lehrgebäude war durch die Arbeiten des 17. und des 18. Jahrhunderts +so festbegründet, daß es sich im wesentlichen nur noch um den Ausbau +im einzelnen und späterhin um eine Anwendung der physikalischen und +chemischen Forschungsergebnisse auf kosmische Erscheinungen handeln +konnte. + +Die Hauptvertreter der Astronomie waren gegen das Ende des 18. und +zu Beginn des 19. Jahrhunderts *Laplace* und *Herschel*. Während der +erstere seine Untersuchungen vorwiegend auf unser Planetensystem +beschränkte und hier das Erbe *Newtons* vervielfältigte, hat +*Herschel*, wie *Humboldt* sich einmal ausdrückt[395], das Senkblei +zuerst in die Tiefen des Himmels geworfen. Wir werden ihn als den +eigentlichen Begründer der Astronomie der Fixsterne kennen lernen. + +*Pierre Simon Laplace* wurde am 28. März 1749 in einer kleinen Stadt +der Normandie[396] als der Sohn eines armen Landmannes geboren. Die +außerordentliche Begabung, die *Laplace* auszeichnete, leuchtet schon +daraus hervor, daß er von seinem 18. bis zur Vollendung des 20. +Lebensjahres mehrere Abhandlungen aus dem Gebiete der Integralrechnung +veröffentlichte, die ihm den Ruf eines bedeutenden Mathematikers +eintrugen. + +*Laplace* wurde infolgedessen zum Lehrer der Mathematik ernannt. Als +solcher wirkte er zunächst in seiner Vaterstadt; bald darauf berief +man ihn an die Militärschule zu Paris. Seit dieser Zeit stellte +*Laplace* seine außerordentliche mathematische Befähigung vorzugsweise +in den Dienst der theoretischen Astronomie, die erst durch seine +Untersuchungen in den Stand gesetzt wurde, eine befriedigende Erklärung +der in unserem Planetensystem auftretenden säkularen Änderungen zu +geben. Während manche Astronomen schon geneigt waren, gewisser, bei +der Bewegung der Planeten in die Erscheinung tretender Umstände wegen +eine nur annähernde Gültigkeit des *Newton*schen Gravitationsgesetzes +anzunehmen, lieferte *Laplace*, der sich dabei auf die Vorarbeiten +*Eulers* stützen konnte, den Nachweis, daß, unter dem Gesichtspunkte +des Problems von den drei Körpern, jene scheinbaren Abweichungen von +der Regel letztere erst vollauf bestätigen. *Newton* selbst hatte +nämlich nur die Bewegung eines Planeten um seinen Zentralkörper +untersucht und gezeigt, daß sie in einem Kegelschnitte erfolgen muß. +Das Problem der drei Körper war damit gegeben, daß bei dem Umlauf +des Mondes um die Erde der Einfluß der Sonne in Rechnung zu stellen +ist, um zu einer Übereinstimmung zwischen Theorie und Beobachtung zu +gelangen. Diese Untersuchung hatte schon *Euler* beschäftigt und ihn +zu Ergebnissen geführt, die später den von *Tobias Mayer* entworfenen +Mondtafeln als Unterlage dienten[397]. Das Hauptverdienst von *Laplace* +bestand darin, daß er das Problem von den drei Körpern auch auf die +Planeten und die Kometen ausdehnte und eine Theorie der Störungen, +d. h. der Abweichungen, welche diese Himmelskörper durch ihre +wechselseitige Anziehung erfahren, lieferte. Die strenge Lösung des +Problems der drei Körper, die auch heute noch die Kräfte der höheren +Analysis übersteigt, vermochte *Laplace* jedoch nicht zu geben. + +Eine seiner frühesten Abhandlungen aus dem Bereich der theoretischen +Astronomie lieferte den wichtigen Nachweis, daß die mittlere Entfernung +der Planeten von der Sonne zwar Änderungen erleidet, im Mittel jedoch +konstant ist. Bald darauf wurde *Laplace*, kaum 24 Jahre alt, zum +Mitglied der Akademie der Wissenschaften gewählt. Nachdem er ein +Lehramt an der École normale erhalten, sehen wir ihn an den großen +Aufgaben, mit denen sich damals die französische Nation trotz der +politischen Gärung beschäftigte, den hervorragendsten Anteil nehmen. So +gehörte *Laplace* der aus dem Schoße der Akademie gewählten Kommission +für Maß und Gewicht an. Diese erhielt von der Nationalversammlung im +Jahre 1790 den Auftrag, eine unveränderliche Grundlage für ein neues +Maß- und Gewichtssystem in Vorschlag zu bringen. Die Bemühungen, das +schon von *Huygens* hierfür in Aussicht genommene Sekundenpendel zu +wählen, wurden durch *Laplace* gekreuzt. Letzterer, der offenbar +eine neue Gradmessung wünschte, bestimmte die Kommission, von dem +Meridianquadranten auszugehen. Die Akademie brachte daher im Jahre 1791 +den zehnmillionsten Teil dieses Quadranten als Meter in Vorschlag. + +Unter dem Vorsitz von *Laplace* wurde die École polytechnique, +eine der hervorragendsten Pflanzstätten der Wissenschaft und Technik +umgestaltet. Napoleon übertrug *Laplace*, den er sehr schätzte, sogar +das Ministerium des Innern und erhob ihn in den Grafenstand. Auch nach +der Restauration wurde *Laplace* mit Ehren überhäuft. Er schied am 5. +März des Jahres 1827 mit den Worten aus dem Leben: »Was wir wissen, ist +wenig, aber was wir nicht wissen, ist ungeheuer viel.« + +Von den Schriften dieses größten Astronomen, den Frankreich +hervorgebracht, wurde später auf öffentliche Kosten eine Ausgabe +veranstaltet[398]. Die ersten fünf Bände enthalten das von 1799 +bis 1825 erschienene Hauptwerk von *Laplace*, die »Mécanique +céleste«. Ein hervorragender Geschichtsschreiber der Astronomie[399] +bezeichnet es als »eine unendlich ausgedehnte und bereicherte +Ausgabe von *Newtons* Prinzipien«. Nach einer Ableitung der aus dem +Gravitationsgesetze folgenden allgemeinen Gleichungen für die Bewegung +der Himmelskörper entwickelte *Laplace* in diesem Werke seine schon +erwähnte Theorie der Störungen. Hierbei boten ihm die Beobachtungen an +den großen Planeten Saturn und Jupiter, deren Ungleichheiten er auf den +Einfluß, den diese Himmelskörper aufeinander ausüben, zurückführte, +sowie die Beobachtungen an den Jupitermonden die willkommenste +Unterlage für seine theoretischen Erwägungen. + +Da die Jupitertrabanten mit ihrem Zentralkörper ein Ganzes ausmachen, +das dem Planetensystem sehr ähnlich ist, die Umläufe hier aber in +verhältnismäßig kurzer Zeit erfolgen, so ließen diese *Laplace* in +einem kurzen Zeitraume alle jene großen Veränderungen erkennen, die +sich im Planetensystem im Verlaufe von Jahrhunderten abspielen. War +*Newton* noch geneigt, die trotz aller gegenseitigen Störungen +im Sonnensystem offenbar vorhandene Stabilität auf übernatürliche +Einflüsse zurückzuführen, so gelang es *Laplace*, diese Stabilität als +eine Notwendigkeit nachzuweisen und damit die der Gravitationsmechanik +gestellte Aufgabe erst endgültig zu lösen[400]. + +Auch das Problem der Gezeiten, für das *Newton* die erste, indes in +mancher Hinsicht mit den Tatsachen noch nicht im Einklang stehende +theoretische Ableitung gegeben hatte, wurde durch *Laplace* zu einem +gewissen Abschluß gebracht. Dabei stand ihm in den über mehrere Jahre +sich erstreckenden täglichen Beobachtungen, die auf Veranlassung der +Akademie der Wissenschaften in den französischen Häfen, insbesondere in +Brest, stattgefunden hatten, ein vortreffliches Material zur Verfügung, +das er unter Anwendung der zur Zeit *Newtons* noch nicht entwickelten +Prinzipien der Hydrodynamik bearbeitete. Es gelang ihm, Linien gleicher +Flutzeit, die sogenannten Isorachien, zu ermitteln. Eine befriedigende +Theorie der Gezeiten vermochte jedoch erst die vereinte Arbeit +zahlreicher Beobachter und Theoretiker der neueren Zeit zu geben. + +Einige Jahre vor dem Erscheinen der Mécanique céleste suchte +*Laplace* die Ergebnisse der astronomischen Forschung in allgemein +verständlicher Weise weiteren Kreisen zugänglich zu machen. So +entstand seine »Darstellung des Weltsystems«, ein Buch, in dem er +unter anderem seine Ansichten von der Bildung der Welt aus einem +chaotischen Urnebel entwickelte. Zunächst setzt *Laplace* auseinander, +daß die Glieder des Planetensystems, obgleich sie selbständig sind, +dennoch sehr merkwürdige Beziehungen zu einander aufweisen, die uns +über den Ursprung des Systems aufklären können. Man bemerke nämlich, +daß sämtliche Planeten fast in derselben Ebene von West nach Ost um +die Sonne kreisen. Die Monde bewegten sich ferner um die Planeten +im gleichen Sinne und fast in derselben Ebene wie die letzteren. +Endlich drehten sich Sonne, Planeten und Monde sämtlich in einerlei +Richtung um ihre Achse, und zwar geschehe dies fast in der Ebene ihrer +Umlaufsbewegungen. Eine solch außergewöhnliche Erscheinung könne kein +Spiel des Zufalls sein; sie deute auf eine gemeinsame Ursache hin. +*Buffon* hatte zur Erklärung dieser merkwürdigen Gesetzmäßigkeiten +angenommen, daß ein Komet in seinem Falle auf die Sonne einen Strom +Materie von dieser losgerissen habe, der sich dann zu größeren +und kleineren, von der Sonne verschieden weit abstehenden Kugeln +zusammengeballt hätte. Diese Hypothese erklärt nach *Laplace* indessen +nur eine der erwähnten Erscheinungen. Denn es sei einleuchtend, daß +alle auf solche Weise entstandenen Körper sich ungefähr in derjenigen +Ebene bewegen müßten, welche durch den Mittelpunkt der Sonne und den +Weg des materiellen Stromes gehe, der jene Körper erzeugt habe. Die +anderen Erscheinungen können, wie *Laplace* ausführt, aus der Hypothese +*Buffons* nicht erklärt werden. Ja, die geringe Exzentrizität der +Planetenbahnen spricht geradezu gegen diese Hypothese. Denn nach der +Theorie der Zentralkräfte wird ein Körper, der sich um die Sonne bewegt +und dabei ihre Oberfläche streift, bei jedem seiner Umläufe dahin +zurückkehren müssen. Wären also die Planeten ursprünglich von der +Sonne losgerissen worden, so würden sie die Sonne nach jedem Umlauf +berühren. Ihre Bahnen wären also nicht nahezu kreisförmig, sondern +stark exzentrisch. + +Eine Ursache, welche die Bewegungen der Planeten und der Monde +veranlaßte, mußte sich, welches auch ihre Natur war, auf alle diese +Körper erstrecken. In Anbetracht der gewaltigen Zwischenräume, welche +die Planeten trennen, kann diese Ursache, so führt *Laplace* aus, nur +in einem Fluidum von ungeheurer Ausdehnung bestanden haben. Sollte +dieses Fluidum den Planeten fast kreisförmige, gleich gerichtete +Bewegungen um die Sonne verleihen, so mußte es die Sonne wie eine +Atmosphäre umgeben. Durch diese Überlegungen wurde *Laplace* zu der +Annahme geführt, daß die Sonnenatmosphäre sich uranfänglich über +sämtliche Planetenbahnen hinaus erstreckt habe und allmählich bis auf +ihren jetzigen Umfang zusammengeschrumpft sei. + +Die große Exzentrizität der Kometenbahnen führte *Laplace* zu +demselben Ergebnis. Die Kometen sind nach ihm Weltkörper, die sich +zu jener Zeit, als die Bildung der Planeten vor sich ging, außerhalb +jenes Fluidums befanden. Die Bahnen der Kometen sind so verschieden, +als wären diese Körper aufs Geratewohl geschleudert worden, weil +eben die Sonnenatmosphäre keinen Einfluß auf ihre Bewegungen haben +konnte. Um zu erklären, wie die Sonnenatmosphäre den Umlauf und +die Rotation der Planeten hervorrief, nahm *Laplace* an, daß die +Planeten an den aufeinander folgenden Grenzen jener Atmosphäre durch +die Verdichtung derjenigen Zonen entstanden seien, die sich in der +Äquatorebene infolge von Abkühlung und Zusammenziehung bilden mußten. +Die Monde sollten auf ähnliche Weise aus der Atmosphäre der Planeten +hervorgegangen sein. Die beobachteten Erscheinungen erklärten sich also +sämtlich ungezwungen aus dieser Annahme, welche durch die Saturnringe +eine weitere Stütze erhielt. + +Ein Versuch, auf deduktivem Wege zu einer Vorstellung von dem +Weltbildungsprozesse, insbesondere der Entstehung unseres +Planetensystems zu gelangen, wurde schon mehrere Jahrzehnte vor +*Laplace* in Deutschland durch *Immanuel Kant* (1724-1804) gemacht. +In seiner »allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels[401]«, +vom Jahre 1755 nimmt *Kant* als Urzustand die feinste Verteilung der +Materie durch den ganzen Weltraum an, weshalb man seine Ansicht auch +als Nebularhypothese bezeichnet hat. Infolge der Gravitation bildeten +sich dann Zentralkörper. Die benachbarte Materie verdichtete sich +gleichfalls um besondere Bildungsmittelpunkte und näherte sich, durch +die allgemeine Anziehung getrieben, dem Zentrum. Gäbe es nur Anziehung, +so müßte eine Vereinigung des Zentralkörpers mit den um besondere +Punkte sich anhäufenden Massen stattgefunden haben. Unter dem Einfluß +einer der Materie gleichfalls innewohnenden abstoßenden Kraft wurden +die herabsinkenden Massen indessen abgelenkt. Der Fall schlug in eine +Wirbelbewegung um, woraus nach *Kant* die Tatsache ihre Erklärung +findet, daß sämtliche Planeten in nahezu einer Ebene und in derselben +Richtung um die Sonne kreisen. + +In Wahrheit ist die erste Ursache der Rotation durch *Kants* Annahme +nicht erklärt. *Laplace* gesteht die Unzulänglichkeit seiner Hypothese +in diesem Punkte zu. Er gibt für das Zustandekommen der Rotation keine +Erklärung, sondern geht von einem in Drehung begriffenen Gasball aus, +gelangt aber, wie wir sahen, im wesentlichen zu demselben Ergebnis wie +*Kant*. + +*Kant* selbst war zu seinen Spekulationen durch die Schrift des +Engländers *Wright* angeregt worden[402]. Auf diesen ist wohl die +Beobachtung zurückzuführen, daß die Fixsterne nicht ohne Gesetz +zerstreut, sondern auf eine Ebene zu beziehen sind. *Wright* sagt +nämlich: »Die Sterne stehen um so dichter, je mehr wir uns der +Milchstraße nähern, so daß von den 2000 Sternen, die das unbewaffnete +Auge wahrnimmt, der größte Teil in einer nicht gar breiten Zone, deren +Mitte die Milchstraße bildet, angetroffen wird.« Auch *Lambert* hat, +wie wir an anderer Stelle schon erwähnten, diesen Gedanken weiter +ausgeführt und begründet[403]. Eine wertvolle Stütze erhielt *Kants* +Theorie dadurch, daß gewisse Ableitungen, die *Kant* anstellte, durch +spätere Beobachtungen bestätigt wurden. Das schönste Beispiel ist +*Kants* Berechnung der Rotation der Saturnringe[404]. *Kant* nahm +an, daß die Materie dieser Ringe sich von dem Äquator des Planeten +losgelöst habe und infolgedessen auch eine rotierende Bewegung +besitze. Seine Berechnung ergab für den inneren Rand des Ringes +eine Rotationsdauer von »etwa zehn Stunden«. Nach den Beobachtungen +*Herschels*, die 34 Jahre später angestellt wurden, ergab sich für die +Rotationszeit der Wert von 10½ Stunden. Die Ansicht *Kants*, daß +die Ringe des Saturn aus einer Häufung einzelner Teilchen bestehen, +haben gleichfalls spätere teils analytische, teils photometrische +Untersuchungen bestätigt. Auch die Vorstellung, daß das Zodiakallicht +auf einen die Sonne umgebenden und von ihr erleuchteten Ring von +kosmischem Staub zurückzuführen sei, hat *Kant* in Anlehnung an seine +Betrachtungen über den Saturnring entwickelt[405]. + +*Kant* erörtert auch die Frage, ob die Achsendrehung der Weltkörper +durch irgend welche Umstände vermindert oder ganz aufgezehrt werden +könne. Sollte z. B., meint er, der Mond sich nicht früher schneller +um seine Achse gedreht haben und durch irgend welche Ursachen seine +Bewegung auf das jetzige Maß herabgemindert worden sein[406]. Eine +nähere Untersuchung dieses Problems hat *Kant* zu der Annahme geführt, +daß die Flutwelle eine solche hemmende Wirkung ausübe. *Kant* ist +auch darin bahnbrechend und glücklich gewesen. Er zeigte, daß die +Rotation der Erde eine Verlangsamung erfahren müsse, weil sich unser +Planet unter den durch Mond und Sonne erzeugten Flutwellen wie in +einem Friktionshemmschuh bewege. Die Rotation des Mondes sei so sehr +vermindert und habe sich schließlich dem Umlauf dieses Weltkörpers um +die Erde vollkommen angepaßt, weil die Erdwirkung, die auf dem Monde +eine Flut erzeugte, 3600 mal so groß sei als diejenige, welche der +Mond auf die Gewässer der Erde ausübt. Diese Annahmen *Kants* sind +durch spätere, streng mathematische Ableitungen bestätigt worden[407]. +So stellte sich denn *Kants* Hypothese als ein zwar kühner, aber doch +glücklicher Griff dar, weil sich nach allen Seiten Wechselbeziehungen +und Bestätigungen ergaben[408]. + +Am Schlusse seiner Abhandlung wendet sich *Kant* noch gegen die +religiösen Bedenken, die vielleicht gegen seine Ansichten geltend +gemacht werden könnten. Seien doch viele der Meinung, es heiße Gott +die Regierung der Welt streitig machen, wenn man den Ursprung des +Geschehens in den Naturkräften suche. Wenn die Ordnung der Welt, so +betont demgegenüber *Kant*, aus allgemeinen Naturgesetzen herfließen +konnte, so ist die ganze Natur notwendig eine Wirkung der höchsten +Weisheit. *Kant* zieht indessen aus seiner Lehre nicht die letzten +Folgerungen. Er beschränkt nämlich die mechanische Naturerklärung auf +die Vorgänge der unorganischen Welt und hält sie für die Erklärung auch +des einfachsten Organismus nicht für ausreichend. Die Ausdehnung der +mechanischen Naturerklärung auf das gesamte Geschehen wurde besonders +im 19. Jahrhundert versucht, ohne jedoch in das Verhältnis der Psyche +zur Materie einen befriedigenden Einblick vermitteln zu können. + +Mit dem Ausbau der Theorie ging eine beträchtliche Erweiterung der +Kenntnis des Planetensystems Hand in Hand. Schon *Kepler* hatte auf +den verhältnismäßig großen Abstand hingewiesen, der sich zwischen den +Bahnen des Mars und des Jupiter befindet. Angeregt durch Spekulationen, +die darauf abzielten, eine die Abstände der Planeten beherrschende +Gesetzmäßigkeit zu finden, begann man mit dem Jahre 1800 den Tierkreis +nach kleineren Wandelsternen zu durchsuchen. Den ersten Erfolg nach +dieser Richtung hatte *Piazzi*[409] zu verzeichnen. + +Dieser Astronom beobachtete anfangs Januar 1801 einen Stern 8. Größe, +der sich im Stier befand. Als er den Stern an den nächsten Abenden +von neuem aufsuchte, zeigte es sich, daß er seine Stellung zu den +benachbarten Sternen verändert hatte, also offenbar ein Planet war. +Das neue Gestirn erhielt den Namen »Ceres«. Es wurde, nachdem *Piazzi* +es aus den Augen verloren, *Gauß* aber seine Stellung wieder berechnet +hatte, von neuem durch *Olbers* entdeckt und in die Lücke zwischen Mars +und Jupiter verwiesen. Dasselbe geschah mit einem zweiten, von *Olbers* +aufgefundenen Planeten, der Pallas. An diese reihten sich noch 1804 +die Juno und 1807 die Vesta. Damit war der Anfang zur Entdeckung eines +zwischen Mars und Jupiter befindlichen Planetenoidenringes gemacht, +dessen Glieder, wie man nach der Anfertigung genauerer, die Sterne bis +zur neunten Größe umfassender Himmelskarten erkannte, nach hunderten +zählen. + +Eine andere Erweiterung der Kenntnis vom Planetensystem erfolgte +durch den zweiten großen Vertreter, den die Astronomie in dieser +Periode hatte, durch *Wilhelm Herschel*. Diese Erweiterung bestand +in der Entdeckung des Uranus. Da *Herschel* wie kein anderer den +Blick über die Grenzen des Planetensystems hinaus gerichtet hat und +damit zum eigentlichen Begründer der Fixsternastronomie geworden ist, +wollen wir uns mit seinem außergewöhnlichen Lebenslauf und seinen +wissenschaftlichen Taten etwas eingehender beschäftigen. + +*Friedrich Wilhelm Herschel* wurde am 15. November 1738 in Hannover +geboren. Sein Vater war ein armer, mit zahlreichen Nachkommen +gesegneter Musiker, der eine große Bewunderung für die Astronomie an +den Tag legte. *Herschels* Schwester, deren Aufzeichnungen[410] wir +fast alles verdanken, was über die Jugend des großen Astronomen bekannt +geworden ist, erzählt, der Vater habe sie und ihre Geschwister in +einer klaren Nacht auf die Straße geführt, um sie mit den schönsten +Sternbildern bekannt zu machen. Auch sei er ihrem Bruder Wilhelm bei +seinen Studien an die Hand gegangen. + +Letzterer war gleichfalls zum Musiker bestimmt. Ein lebhaftes Interesse +für die Theorie seiner Kunst veranlaßte ihn, sich eingehend mit der +Mathematik zu befassen. Fünfzehn Jahre alt, wurde Wilhelm Mitglied +der Kapelle eines Regiments, mit dem er bald darauf[411] nach England +ging. Nachdem er seinen Dienst aufgegeben, bekleidete er eine +Organistenstelle in Bath, wohin ihm seine Schwester Karoline folgte. +Letztere hing mit schwärmerischer Bewunderung an dem Bruder und half +ihm als treue Mitarbeiterin den Ruhm gewinnen, der seinen Namen später +verherrlichen sollte. Trotzdem *Herschel* durch seine Stellung in +Bath sehr in Anspruch genommen war, fand er doch Zeit zur Fortsetzung +seiner Studien. Der Umstand, daß der Mann, der auf musiktheoretischem +Gebiete[412] sein Lieblingsschriftsteller war, auch ein Werk über Optik +geschrieben, im Verein mit den Anregungen, die er in seiner Jugendzeit +empfangen, führten *Herschel* dazu, daß er sich mit immer größerem +Eifer und Verständnis der Astronomie zuwandte. »Als ich mit dieser +Wissenschaft bekannt wurde«, schrieb er später[413], »faßte ich den +Entschluß, nichts auf Treu und Glauben anzunehmen, sondern alles, was +andere vor mir erblickt hatten, mit meinen eigenen Augen zu sehen.« +Da indessen die Kosten der Anschaffung eines Fernrohres zu bedeutend +waren, beschloß *Herschel*, selbst ein solches anzufertigen. Nach +vielen Mühen brachte er im 37. Jahre seines Lebens ein Spiegelteleskop +zu stande, mit dem man den Saturnring erblicken konnte. *Herschels* +Fleiß verdoppelte sich jetzt; sein ganzer Stolz bestand darin, +Teleskope zu liefern, von denen immer eins das andere übertraf. + +Einige kleinere astronomische Abhandlungen waren schon aus seiner Feder +hervorgegangen, als er mit einem Schlage durch die Entdeckung eines +neuen, jenseits des Saturn umlaufenden Planeten zum berühmten Manne +wurde. Diese Entdeckung des Uranus erfolgte am 13. Mai des Jahres +1781. Es war ein astronomisches Ereignis, dem sich nichts Ähnliches +zur Seite stellen ließ. König Georg III., der eine Sternwarte besaß, +ernannte *Herschel*, nachdem er dessen Teleskop gesehen und nachdem +sich herausgestellt hatte, daß es die besten Instrumente übertraf, zum +königlichen Astronomen. + +*Herschel* gab jetzt seine Stellung als Musiker auf und verließ Bath +im Jahre 1782, um sich ausschließlich der Erforschung des Himmels +zu widmen. Mit reichen Mitteln -- der König stellte 4000 Pfund zur +Verfügung -- wurde ein Riesenteleskop geschaffen, dessen Bau mehrere +Jahre (1785-1789) in Anspruch nahm. Die Konstruktion, die *Herschel* +hierbei wählte, war eine eigenartige (siehe Abb. 48). Das neue +Instrument besaß nämlich nur einen Spiegel, der beiläufig etwa 2000 +Pfund wog und einen Durchmesser von 4 Fuß besaß. Dieser Spiegel M war +gegen die Achse des Instruments ein wenig geneigt, so daß das Bild +*ab* am unteren Rande der Öffnung entstand und dort durch das Okular +betrachtet werden konnte. Allerdings ging hierbei ein Teil des Lichtes +verloren, da der Beobachter von vorn in das Rohr hineinschauen mußte. +Doch war dieser Verlust bei genügendem Durchmesser des Spiegels nicht +so beträchtlich, um die Konstruktion in Frage zu stellen. + +[Illustration: Abb. 48. Schema des von *Herschel* konstruierten +Spiegelteleskops.] + +Bis zu seinem am 25. August des Jahres 1822 erfolgten Tode blieb +*Herschel* auf der in der Nähe von Windsor errichteten Sternwarte +unermüdlich mit der Durchmusterung des Himmels beschäftigt. Diese +Arbeitsstätte verließ er nur, um von Zeit zu Zeit der Royal Society +über die Ergebnisse seiner Forschungen, denen wir uns jetzt zuwenden +wollen, zu berichten. + +Zunächst reihte sich an die Auffindung des Uranus noch manche +wertvolle, unser Planetensystem betreffende Beobachtung. So entdeckte +*Herschel* mehrere Trabanten dieses Hauptplaneten, sowie den ersten und +den zweiten Mond des Saturn. Für diesen Planeten hatte *Huygens* zuerst +das Vorhandensein eines Trabanten, und zwar des sechsten, nachgewiesen. +Die gleichfalls von *Huygens* entdeckten weißen Flecke an den Marspolen +fand *Herschel* abhängig von den Jahreszeiten des Mars, für den er +eine an irdische Verhältnisse erinnernde Beschaffenheit nachzuweisen +suchte[414]. Während schon *Cassini* imstande war, die Rotationszeit +des Jupiter aus der Beobachtung gewisser Flecken dieses Planeten zu +ermitteln, gelang erst *Herschel* die Lösung der gleichen Aufgabe für +den Saturn[415]. + +[Illustration: Abb. 49. Der von *Herschel* in den Jahren 1785-1789 +erbaute vierzigfüßige Reflektor[416].] + +Zum Zentralkörper unseres Systems übergehend, suchte *Herschel* sowohl +dessen physische Natur als dessen Bewegung und Stellung im Weltraum zu +bestimmen. Seine Theorie über die Beschaffenheit des Sonnenkörpers, +welche er auf die Beobachtung der Flecken gründete, hat jedoch die +Mitte des 19. Jahrhunderts nicht überlebt. *Herschel* verließ nämlich +die alte, heute wieder als richtig geltende Ansicht, daß wir es in +der Sonne mit einem Körper von sehr hoher Temperatur zu tun haben. +Er nahm an, daß sie aus einem festen, nicht leuchtenden, vielleicht +bewohnbaren Kern bestehe, der von einer durchsichtigen Atmosphäre +und einer darüber befindlichen lichtspendenden Photosphäre umgeben +sei. *Herschels* Theorie gemäß entsteht ein Sonnenfleck, indem jene +Photosphäre infolge aufsteigender Dämpfe zerreißt und der dunkle Körper +der Sonne zum Vorschein kommt. + +Da es gelungen war, an den Fixsternen eine Eigenbewegung nachzuweisen, +so lag der Gedanke nahe, daß auch unsere Sonne mit all' ihren +Planeten, Monden und Kometen eine nach einem bestimmten Punkte +des Himmels gerichtete Bewegung besitze. Eine solche würde ein +scheinbares Auseinanderweichen der in der Richtung dieser Bewegung +befindlichen Fixsterne, sowie ein Zusammenrücken der Sterne in der +Nähe des entgegengesetzten Himmelspunktes zur Folge haben. Es gelang +*Herschel*[417], derartige Veränderungen, die ein Fortschreiten +des Sonnensystems erkennen lassen und sich mit den wirklichen +Eigenbewegungen der Fixsterne kombinieren, nachzuweisen. Der von ihm +ermittelte Punkt, dem sich die Sonne nähert, liegt im Sternbilde des +Herkules. Obgleich die Größe der Sonnenbewegung wahrscheinlich mehrere +tausend Meilen in der Stunde beträgt, werden doch noch lange Zeiträume +verfließen, bis der vielleicht um einen weit entfernten Schwerpunkt +erfolgende Umlauf unseres Zentralkörpers erkannt sein wird. + +Eng verknüpft mit dem Problem der Sonnenbewegung ist der gleichfalls +von *Herschel* erbrachte Nachweis, daß die von den früheren Astronomen +für nur scheinbar benachbart gehaltenen Doppelsterne, wirklich +zusammengehören und binäre Systeme bilden. *Herschel* hat nicht +weniger als 846 Doppelsterne katalogisiert. Spätere Forschungen haben +ergeben, daß die Bewegung innerhalb solcher binären Systeme nach dem +Gravitationsgesetz erfolgt, das damit erst als das wahre Weltgesetz +erkannt war. + +Bislang hatte man die Fixsterne wenigstens so betrachtet, als ob sie +über die Fläche einer Kugel verteilt wären. Seit *Herschel* beginnt +die Astronomie sich mit der räumlichen Verteilung dieser Weltkörper zu +beschäftigen. Schon vor ihm hatte die Milchstraße und die Anordnung +der außerhalb der Milchstraße befindlichen Sterne das Nachdenken +eines *Kant*[418] erregt. Jedoch erst *Herschel* setzte an die Stelle +bloßer Vermutungen den auf systematisch angestellten Beobachtungen, +seinen sogenannten Aichungen, gegründeten Nachweis, daß die deutlich +sichtbaren Sterne samt der Milchstraße -- ein Komplex von etwa 20 +Millionen Weltkörpern -- einen linsenförmigen Haufen bilden und daß die +Sonne sich etwas außerhalb der Mitte jenes Haufens befindet. Diesen +Nachweis lieferte er in einer »Über den Bau des Himmels« betitelten +Schrift[419]. + +*Messiers* etwa 100 Nummern enthaltendes Verzeichnis von Nebelflecken +und Sternhaufen veranlaßte *Herschel*, sein zwanzigfüßiges +Spiegelteleskop von 12 Zoll Öffnung auf diese Himmelskörper zu richten. +Dabei sah er zu seiner größten Freude, daß die meisten Nebelflecken der +Stärke seines Instrumentes unterlagen und in Sterne aufgelöst wurden. +Es ergab sich, daß sie entweder nichts als lauter Sterne sind. Oder +sie enthielten wenigstens Sterne. Den in *Messiers* Verzeichnis[420] +erwähnten »Nebelfleck ohne Stern«, der sich nahe dem Haupthaar der +Berenice befindet, erblickte *Herschel* als einen Haufen dicht +gedrängter Sterne. »Es ist dies«, sagt *Herschel*, »einer der schönsten +Gegenstände, die ich mich erinnere, am Himmel gesehen zu haben. Der +Haufen erscheint unter der Gestalt einer Kugel aus kleinen, in einen +einzigen Lichtglanz zusammengedrängten Sternen samt einer Anzahl, die +ringsum stehen und in der Hauptmasse deutlich zu unterscheiden sind« +(siehe Abbildung 50). + +[Illustration: Abb. 50. *Herschels* Abbildung eines Nebelfleckes[421].] + +Als *Herschel* seine Beobachtungen begann, vermutete er, daß manche +Nebelflecken noch unentdeckt geblieben seien. Er gab sich daher der +Hoffnung hin, zu den von *Messier* verzeichneten 100 Sternhaufen und +Nebelflecken eine schätzbare Zugabe liefern zu können. Der Erfolg +bewies, daß seine Erwartungen begründet waren. Während *Halley* nur +sechs Nebel kannte und *Messiers* Verzeichnis, wie erwähnt, nur etwa +100 Nummern enthielt, wurden in den Jahren 1786 bis 1802 von *Herschel* +nahezu 2500 Nebelflecke katalogisiert, beschrieben und gezeichnet. Eine +Fortsetzung dieser Studien verdanken wir *Herschels* Sohn John, der auf +einer Expedition nach dem Kap der guten Hoffnung[422] eine fast ebenso +große Zahl von Nebelflecken am südlichen Himmel entdeckte. + +[Illustration: Abb 51. *Herschels* Ableitung der Gestalt der +Milchstraße[423].] + +Die mühevollen Studien über die Nebelflecken führten *Herschel* zu der +Erkenntnis, daß auch die Milchstraße nichts anderes als eine Schicht +von Fixsternen ist, innerhalb deren sich die Sonne, wenn auch nicht +genau im Mittelpunkte, befindet. Es läßt sich dies nach *Herschel* +aus der Gestalt der Milchstraße entnehmen, die sich in einem größten +Kreise um den gesamten Himmel ziehen muß, wenn sich die Sonne innerhalb +dieser Sternenschicht befindet. Nehmen wir mit *Herschel* an, eine +Anzahl Sterne sei zwischen zwei, in einem gegebenen Abstande einander +parallel laufenden, weit ausgedehnten Ebenen angeordnet, so wird +ein Beobachter, der sich irgendwo innerhalb einer solchen Schicht +befindet, sämtliche zu ihr gehörigen Sterne in einem großen Kreise +sehen. Letzterer wird nach Maßgabe der Anhäufung der Sterne sich mehr +oder weniger hell zeigen, während es scheinen wird, als ob die übrigen +Gegenden des Himmels nur mit Sternbildern bestreut wären. So würde +ein Auge bei S (siehe Abb. 51) innerhalb der Schicht *ab* die in der +Richtung des Verlaufes der Schicht befindlichen Sterne als einen hellen +Kreis ABCD sehen, während die Sterne an den Seiten *mv*, *nw* über +den übrigen Teil des Himmels bei MVNW zerstreut erscheinen würden. + +Stände der Beobachter irgendwo außerhalb der Schicht, so würde die +Schicht die Gestalt einer Scheibe annehmen, die nach Maßgabe der +Entfernung des Beobachters mehr oder weniger groß sein würde. Und nähme +dieser Abstand über alles Maß zu, so müßte die ganze Sternenschicht +zuletzt in einen lichten Fleck zusammenschrumpfen. + +Nehmen wir nun weiter mit *Herschel* an, daß eine kleinere Schicht +aus der ersteren nach einer bestimmten Richtung hin ausläuft und +gleichfalls von zwei parallelen Ebenen, die sich ins Unbestimmte +ausdehnen, eingeschlossen ist. Befindet sich der Beobachter in der +großen Schicht irgendwo in der Nähe der Abzweigung, dann wird diese +zweite Schicht nicht einen Kreis darstellen, sondern wie ein lichter +Zweig erscheinen, der von dem Kreise ausgeht und in einer gewissen +Entfernung wieder zu ihm zurückkehrt. So werden in Abb. 51 die Sterne +in der kleinen Schicht *pq* in einem hellen Bogen PRRP gesehen +werden, der nach der Absonderung vom Kreise sich mit ihm wieder +vereinigt. + +Aus dem Bilde, das uns die Milchstraße bietet, folgerte *Herschel* +deshalb, daß sich die Sonne in einer großen Fixsternschicht nicht fern +von der Stelle befinde, von der eine kleinere Schicht als ein Zweig der +größeren ausläuft. + +Anfangs hielt *Herschel* sämtliche Nebelflecke für Sternhaufen. Als er +jedoch auch deutliche Sterne entdeckte, die von einem Nebel umgeben +sind, der offenbar zu dem Sterne in Beziehung steht, nahm er an, daß +es sich hier um leuchtende Gasmassen handele, die auch, ohne einen +Stern zu umschließen, existieren und der Urstoff für die Bildung neuer +Himmelskörper seien. Dementsprechend glaubte er, in dem Zustande, den +uns der Fixsternhimmel gegenwärtig darbietet, sämtliche Stufen des +Weltbildungsprozesses nachweisen zu können. Spätere, insbesondere +spektroskopische Forschungen haben die Richtigkeit dieser kühnen +Schlüsse dargetan. + +Die Betrachtungen, welche *Herschel* über die Abmessungen des mit +seinem Teleskop durchforschten Raumes anstellte, lieferten den +Nachweis, daß das Licht, um von den entferntesten Objekten des Himmels +zu uns zu gelangen, viele tausend Jahre gebraucht, so daß unsere +Teleskope nicht allein den Raum, sondern auch die Zeit durchdringen. +Anknüpfend an die von *Herschel* erhaltenen Ergebnisse konnte deshalb +*Humboldt*[424] wohl sagen, daß das Licht der fernsten Weltkörper das +älteste sinnliche Zeugnis von dem Dasein der Materie sei. + +Als zur Jahrhundertfeier der Uranusentdeckung eine Biographie +*Herschels*[425] erschien, wurde darin mit Recht hervorgehoben, daß +an *Herschels* Ansicht über den Bau des Himmels nur wenig zu ändern +gewesen sei. »Jede astronomische Entdeckung«, heißt es dort[426], »und +jede gut beobachtete physikalische Tatsache gibt Material für die +Ausarbeitung der Einzelheiten oder für die Verbesserung untergeordneter +Punkte dieser Ansicht. Als wissenschaftliche Auffassung ist sie +vielleicht die großartigste, die jemals der menschliche Geist gewonnen +hat.« + +Den Ansichten, die fast gleichzeitig *Herschel* und *Laplace* und vor +ihnen schon *Kant* über die Entstehung der Welt entwickelten, ist der +Gedanke gemeinsam, daß die Gestirne, die sich die früheren Zeitalter +aus ganz besonderem Stoff gebildet dachten, in materieller Hinsicht +untereinander und von der Erde nicht wesentlich verschieden sind. +Dieses Ergebnis einer denkenden Naturbetrachtung sollte nicht nur durch +die spätere spektroskopische Untersuchung, sondern auch durch die noch +im Zeitalter von *Herschel* und *Laplace* erfolgte richtige Deutung der +Meteoriten ihre Bestätigung finden. + +Nachrichten über vom Himmel gefallene Stein- und Eisenmassen reichen +bis ins graue Altertum zurück, ohne daß dadurch bis gegen das 18. +Jahrhundert das wissenschaftliche Interesse rege geworden wäre. Um +die Mitte jenes Zeitabschnitts waren zwei auffallende Tatsachen zu +verzeichnen. Der Sibirien bereisende deutsche Naturforscher *Pallas* +entdeckte 1749 in der Nähe des Jenissei eine 1600 Pfund schwere +Eisenmasse, deren Beschaffenheit darauf hinwies, daß man es in ihr +mit einem Naturerzeugnis zu tun habe[427]. Ferner hatte in Agram im +Jahre 1751 einer der am besten beglaubigten Meteoreisenfälle[428] +stattgefunden. Das dort gefallene Stück war ausgegraben und dem Wiener +Naturalienkabinet einverleibt worden. Der Leiter dieses Instituts wies +jedoch die Meinung, daß die Masse überhaupt gefallen sei, mit Spott +zurück. Seiner Ansicht nach sollte sich das Eisen unter dem Einfluß +der atmosphärischen Elektrizität aus Bestandteilen des Bodens gebildet +haben. + +In einer 1794 erschienenen Abhandlung wagte es der deutsche Physiker +*Chladni*, im Gegensatz zu allen gelehrten Zeitgenossen, für die +Feuerkugeln einen kosmischen Ursprung zu behaupten und die von +*Pallas*[429] entdeckte und ähnliche Eisenmassen als den Stoff solcher +niedergefallenen Feuerkugeln in Anspruch zu nehmen. + +*Chladni* wies zunächst auf folgende, gut beobachteten und +wissenschaftlich erörterten Meteorsteinfälle des 18. Jahrhunderts hin. + +Am 17. Mai 1719 erschien eine Feuerkugel in England[430]; sie durchlief +300 Meilen in einer Minute und zersprang mit einem Getöse, bei welchem +Türen, Fenster und ganze Häuser erschüttert wurden. + +Am 11. November 1761 sah man eine Feuerkugel[431] in Frankreich; sie +zersprang mit heftigem Getöse in viele kleine Stücke; manche Personen +glaubten Feuer neben sich gesehen zu haben. Ein Stück ist[432] in ein +Haus gefallen und hat dieses entzündet. + +Am 23. Juli 1762 wurde eine Feuerkugel, die *Silberschlag* in seiner +»Theorie der am 23. Juli 1762 erschienenen Feuerkugel, Magdeburg 1764« +beschrieb[433], ungefähr senkrecht über der Gegend zwischen Leipzig +und Zeitz in Gestalt eines kleinen Sternes sichtbar. Sie nahm an +scheinbarer Größe zu, ging über Wittenberg und Potsdam und zersprang +einige Meilen hinter Potsdam mit einem lauten Knall. Ihr Licht ist sehr +weiß gewesen und hat einen Umfang von wenigstens 60 deutschen Meilen +erleuchtet. Die Höhe war im Beginn der Beobachtung etwa 19 und beim +Zerspringen über 4 Meilen. + +*Chladni* wies die früheren Erklärungsarten, nach denen man es in den +Meteoren mit elektrischen Entladungen, mit brennbaren gasförmigen +Anhäufungen, kurz mit Erscheinungen irdischen Ursprungs zu tun hätte, +als unvereinbar mit den von ihm zusammengestellten Befunden zurück. +Nach *Chladnis* heute keinen Widerspruch mehr findenden Meinung +sind unzählige kleine Massen, die zu keinem größeren Weltkörper in +unmittelbarer Beziehung stehen, im Weltraume zerstreut. Sie bewegen +sich, durch Wurfkräfte oder Anziehung getrieben, so lange fort, bis +sie der Erde oder einem anderen Weltkörper nahekommen und, von ihrer +Anziehungskraft ergriffen, darauf niederfallen. Bei ihrer schnellen +Bewegung muß infolge der heftigen Reibung mit der Atmosphäre eine sehr +starke Hitze erzeugt werden, wodurch sie in Gluthitze geraten und +Dämpfe im Innern entwickeln, welche die Masse zum Zerspringen bringen. + +Die Frage, wie diese Massen entstanden oder in einen solch isolierten +Zustand gekommen sind, wäre, meint *Chladni*, dasselbe wie die Frage +nach der Entstehung der Weltkörper. Man müsse doch entweder annehmen, +daß die Weltkörper, abgesehen von Revolutionen auf ihrer Oberfläche, +immer das gewesen sind und sein werden, was sie jetzt sind, oder daß es +Kräfte gäbe, die imstande seien, Weltkörper und ganze Weltsysteme zu +bilden, zu zerstören und aus ihrem Stoffe wieder neue hervorzubringen. +Für diese Meinung sprächen wohl mehr Gründe als für die erstere. Ein +solches Entstehen der Weltkörper ließe sich aber wohl nicht anders +denken, als daß entweder materielle Teile, die vorher zerstreut gewesen +sind, sich durch die Anziehungskraft zu großen Massen angehäuft hätten, +oder daß eine Zerstückelung einer größeren Masse stattgefunden habe. + +Die isoliert gebliebenen Massen müßten ihre Bewegung durch den Weltraum +fortsetzen, bis sie von der Anziehung eines Weltkörpers ergriffen +würden und die Erscheinungen der Feuerkugeln hervorriefen. + +Die gleiche Entstehung nahm *Chladni* für die von *Pallas* und anderen +Reisenden gefundenen Eisenmassen in Anspruch. Eine solche 300 Zentner +schwere Masse war z. B. im südlichen Amerika gefunden worden, und zwar +an einer Stelle, wo in einem Umkreise von 100 Meilen keine Eisenerze, +ja nicht einmal Steine anzutreffen sind. + +*Chladni* wies nach, daß diese Eisenmassen weder auf nassem Wege, noch +durch die Wirkung des Blitzes entstanden sein könnten, auch nicht +vulkanischen Ursprungs seien. Es sei merkwürdig, meint er, daß das +Eisen der Hauptbestandteil der bisher gefundenen Meteoriten sei. Man +könne daher vermuten, daß das Eisen hauptsächlich zur Bildung der +Weltkörper beigetragen habe[434]. Auch sei wahrscheinlich, daß die +anderen, in manchen herabgefallenen Massen enthaltenen Stoffe, wie +Schwefel, Kieselerde, Bittererde usw. nicht unserer Erde allein eigen +seien, sondern zu den Stoffen gezählt werden müßten, die sich an der +Bildung der Weltkörper beteiligt hätten[435]. + +*Chladni* wurde zunächst mit Hohn überschüttet. Die französische +Akademie sprach sich trotz aller gut beglaubigten Fälle dahin aus, daß +die Nachrichten über derartige Naturerscheinungen in das Gebiet der +Fabel zu verweisen seien. Sie wurde indes sehr bald durch die Tatsachen +selbst eines Besseren belehrt. In der Normandie ereignete sich nämlich +am 26. April des Jahres 1803 ein großer Steinfall, der von hunderten +beobachtet und von den Abgesandten der Akademie selbst in seinen +Einzelheiten festgestellt wurde[436]. Die Ausführungen *Chladnis* +wurden darauf allgemein als richtig anerkannt. Ja, man ging jetzt so +weit, daß man sich die Weltkörper durch die Anhäufung von Meteoriten +entstanden dachte[437]. + +Die chemische Analyse war weit genug fortgeschritten, um an den +Meteoriten unter der Voraussetzung ihres kosmischen Ursprungs den +Nachweis zu führen, daß außerhalb der Erde befindlicher Weltstoff +in seiner elementaren Zusammensetzung mit der irdischen Materie +übereinstimmt. So entdeckte man[438], daß das Meteoreisen stets +mehr oder weniger Nickel (bis zu 35%) enthält, und lernte den +Gehalt an diesem Metall, sowie die beim Anätzen auftretenden +*Widmannstätten*schen Figuren (von *Widmannstätten* 1808 entdeckt; +er druckte mit den geätzten Flächen die Figuren naturgetreu ab)[439] +als besondere Eigentümlichkeit des Meteoreisens kennen. Nachdem +man neben Nickel auch Kobalt und Kupfer darin aufgefunden hatte, +wurden durch eine Arbeit, die *Berzelius* über die Meteoriten +veröffentlichte, sechs neue Elemente in ihnen nachgewiesen; es waren +dies Phosphor, Kohlenstoff, Silizium, Magnesium, Zinn und Mangan. +Spätere Untersuchungen haben die Zahl der Bestandteile, die sämtlich +mit irdischen Grundstoffen übereinstimmen, noch vermehrt. + +Was *Chladni* für die Meteoriten leistete, gelang zwei anderen +Deutschen namens *Benzenberg*[440] und *Brandes*[441] hinsichtlich der +Sternschnuppen. Durch gleichzeitig an verschiedenen Orten angestellte +Beobachtungen gelang es ihnen, auch für diese Phänomene, die man bis +dahin auf schweflige Dünste oder brennbare Gase zurückgeführt hatte, +einen kosmischen Ursprung nachzuweisen. *Benzenberg* und *Brandes* +beobachteten Sternschnuppenfälle von den Endpunkten einer 27000 Pariser +Fuß langen Standlinie. Indem sie den Ort und die Zeit des Verschwindens +genau anmerkten, vermochten sie in vielen Fällen die Identität der +beobachteten Erscheinungen nachzuweisen und aus den gewonnenen Daten +planetarische Geschwindigkeiten, sowie auf einen kosmischen Ursprung +hinweisende Höhen zu ermitteln[442]. + +War es in der vorhergehenden Periode durch *Bradleys* Entdeckung der +Aberration gelungen, einen sinnlichen Beweis für die Bewegung der Erde +um die Sonne zu erbringen, so vermochte *Benzenberg* einen solchen +Nachweis auch für die Rotation zu führen. Bekanntlich lautete einer +der Scheingründe gegen die koppernikanische Weltansicht dahin, ein +frei fallender Körper müsse, weil die Erde sich unter ihm fortbewege, +einen westlich von seinem Ausgangspunkt gelegenen Ort treffen. +*Newton* wies im Jahre 1679 darauf hin, daß bei dem freien Fall +infolge des Beharrungsvermögens und der größeren Geschwindigkeit in +tangentialer Richtung, welche der Körper zu Beginn der Fallbewegung +besitzt, im Gegenteil eine östliche Abweichung zu erwarten sei. Die +Royal Society beschloß durch genaue Fallversuche *Newtons* Annahme +auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Da man jedoch mit zu geringen Höhen +experimentierte, verlief die Angelegenheit ergebnislos. Es dauerte +länger als ein Jahrhundert, bis neue Untersuchungen und zwar mit +besserem Erfolge angestellt wurden. Dies geschah durch *Guglielmini* in +Bologna in einem Turme, der schon den Fallversuchen *Ricciolis*[443] +gedient hatte. + +*Guglielmini*[444] wählte diesen Turm, weil sein Inneres für derartige +Versuche wie gemacht war und sich darin Fallhöhen von 240 Par. Fuß +erreichen ließen. Die Versuche erforderten manche Vorsichtsmaßregel, +da jeder Luftzug, sowie Erschütterungen des Gebäudes oder der Kugel +selbst im Augenblicke des Loslassens ausgeschlossen sein mußten. +*Guglielminis* Versuche, über welche *Benzenberg* eingehend berichtet, +sind zwar ein schöner Beweis unermüdlicher Ausdauer, sie ließen auch +deutlich eine östliche Abweichung erkennen, trotzdem waren sie noch +nicht so frei von Fehlern, daß sie eine genügende Übereinstimmung +zwischen der Theorie und der Beobachtung erkennen ließen. Mit großer +Spannung sah die gelehrte Welt einer endgültigen Entscheidung der von +*Guglielmini* wieder angeregten, Jahrhunderte alten Frage entgegen. +Diese Entscheidung brachten unabhängig voneinander zwei deutsche +Physiker *Benzenberg* und *Reich*. + +Den Nachweis der von der Theorie geforderten Abweichung führte +*Benzenberg* durch seine 1802 im Michaelisturm zu Hamburg, sowie in +einem rheinischen Kohlenschachte angestellten Fallversuche[445]. Bei +einer Höhe von 235, beziehungsweise 262 Fuß ergab sich eine deutliche +Abweichung von mehreren Linien. Die zu dem gleichen Zwecke angestellten +Versuche[446] *Reichs* zeigten bei einer Fallhöhe von 488 Fuß eine +östliche, der Theorie ihrer Größe nach genau entsprechende Abweichung +von 12,6 Linien. + +Die Astronomie war in dieser von uns nach *Laplace* und *Herschel* +benannten Periode noch wesentlich Himmelsmechanik. Für ein Studium +der Himmelskörper, das über die Fragen nach der Form, der Verteilung +und der Bewegung hinausging, fehlten noch fast alle physikalischen +und chemischen Grundlagen. Sie erwuchsen erst im 19. Jahrhundert +auf den Gebieten der Wärmelehre und der Optik. Erst nachdem wir auf +diesen Gebieten die weitere Entwicklung verfolgt haben, können wir zur +Astronomie zurückkehren und ihre Ausgestaltung zu einer kosmischen +Physik und Chemie verfolgen. + + + + +17. Die Grundlagen der mechanischen Wärmetheorie. + + +Die Neubegründung der Chemie durch *Lavoisier*, sowie die Entdeckung +der galvanischen Elektrizität und ihrer hauptsächlichsten Wirkungen +waren Umwälzungen und Erweiterungen von solcher Bedeutung, daß sie +wohl imstande waren, eine neue Epoche zu eröffnen. Letztere ist +unter anderem auch dadurch gekennzeichnet, daß die Physik und die +Chemie, seitdem man den Zusammenhang zwischen chemischen Vorgängen +und elektrischen Erscheinungen erkannt hatte, in immer engere Fühlung +traten. Dies hatte eine Fülle von grundlegenden Entdeckungen zur Folge, +die uns in den nächsten Abschnitten beschäftigen sollen, Entdeckungen, +auf denen die um die Mitte des 19. Jahrhunderts entstehende großartige +Konzeption von der Einheit der Kraft, sowie unsere heutigen +Vorstellungen von dem Wesen der Materie in erster Linie beruhen. Im +engsten Anschluß an diesen Fortschritt erwuchsen ferner Theorien, die +sich zu einem bleibenden Besitz der Wissenschaft entwickelt haben. +Diese Theorien betrafen insbesondere die Wärmelehre und die Optik, +Gebiete, auf denen die frühere Lehre von den Imponderabilien durch eine +auf mechanischen Grundlagen fußende Erklärung ersetzt wurde. + +Die Vorstellung, daß wir es in der Wärme nicht mit einem Stoff, sondern +mit einer Bewegung der kleinsten Teilchen zu tun haben, begegnet uns +schon im Beginn des 18. Jahrhunderts[447]. Die ersten, für die seit +der Mitte des 19. Jahrhunderts zur Herrschaft gelangende, mechanische +Theorie der Wärme als grundlegend zu betrachtenden Versuche und +Folgerungen gehören indes jener Zeit an, in welcher gegen das Ende des +18. Jahrhunderts der hier geschilderte großartige Aufschwung der Chemie +und der Physik beginnt. Am erfolgreichsten nach dieser Richtung waren +die Bemühungen *Rumfords*[448]. + +*Rumford* wurde 1753 in Nordamerika geboren. Er stand während des +Befreiungskampfes auf englischer Seite und kam 1776 nach London. +*Rumford* war ein sehr geschickter, wissenschaftlich und praktisch +gleich hervorragender Mensch, der besonders durch sein Bemühen, im +Kriegswesen und im sozialen Leben Neuerungen einzuführen, überall die +Aufmerksamkeit der Machthaber auf sich lenkte. Eine Reihe von Jahren +war *Rumford* in Bayern tätig. Er richtete dort Werkstätten ein, +brachte es bis zum Kriegsminister und wurde schließlich in Anerkennung +seiner Verdienste in den Grafenstand erhoben. 1800 rief er in London +die Royal Institution ins Leben. Einige Jahre später siedelte er nach +Paris über. Dort heiratete er die Witwe *Lavoisiers*, deren Salon den +Sammelpunkt der gelehrten Welt bildete. Von Bonaparte, zu dessen großen +Zügen seine Vorliebe für die Wissenschaft und seine Achtung gegenüber +ihren Vertretern gehören, wurde auch *Rumford* mit Auszeichnung +behandelt. Er starb in Paris im Jahre 1814. + +*Rumford* wiederholte zunächst den schon von *Boyle* angestellten, +gegen die Stoffnatur der Wärme gedeuteten Wägungsversuch. Er setzte +zwei Flaschen, die gleiche Mengen Quecksilber und Wasser enthielten, +genau ins Gleichgewicht, während die Temperatur der Umgebung 61° +betrug. Das Ganze wurde dann in ein Zimmer gebracht, das eine +Temperatur von 34° besaß. Obgleich die spezifische Wärme des Wassers +etwa 30mal so groß ist wie diejenige des Quecksilbers, das Wasser also +eine viel größere Wärmemenge abgegeben hatte, zeigte sich nicht der +geringste Ausschlag[449]. + +Wollte man trotzdem an der stofflichen Beschaffenheit der Wärme +festhalten, so mußte man wenigstens annehmen, daß ein isoliertes System +von Körpern nicht beständig der Umgebung Wärme mitteilen kann, ohne +allmählich erschöpft zu werden. Indem *Rumford* durch den Versuch +bewies, daß durch gegenseitige Reibung zweier Körper unbegrenzte +Wärmemengen erzeugt werden können, entzog er der soeben erwähnten +Voraussetzung von der stofflichen Natur der Wärme den Boden. Über +diesen berühmt gewordenen Versuch berichtet *Rumford* der Royal +Society im Jahre 1798[450]. »Da ich seit kurzem«, beginnt er, »die +Oberaufsicht beim Kanonenbohren im Zeughause zu München hatte, so +überraschte mich der beträchtliche Wärmegrad, den eine Kanone in kurzer +Zeit beim Bohren erhält.« Wäre die spezifische Wärme der Späne eine +geringere als diejenige des zusammenhängenden Metalles, so hätte man +das Auftreten der Wärme auf einen solchen Unterschied der Kapazitäten +zurückführen können. Der Versuch ergab jedoch, daß Stücke und feine +Spänchen eines Metalles dieselbe spezifische Wärme besitzen. Brachte +man nämlich gleiche Mengen der Spänchen und der Stücke, welche auf +die Temperatur des kochenden Wassers erhitzt waren, in gleiche Mengen +kalten Wassers, so erfuhr das letztere in beiden Fällen dieselbe +Temperaturerhöhung. + +[Illustration: Abb. 52. Die für *Rumfords* Versuch hergerichtete und in +die Bohrmaschine gespannte Kanone. Die Stange w verbindet die Kanone +mit dem Göpel.] + +Da chemische Vorgänge, sowie irgend welche Zuleitung von Wärme bei den +Bohrversuchen ausgeschlossen waren, so blieb nichts anderes übrig, als +die Ursache der Wärmeentwicklung in der Bewegung zu erblicken. Die +weiteren Versuche bezweckten den Nachweis, daß diese Wärmequelle nicht +versiegt, solange die Bewegung dauert. Hieran schloß sich schon das +erste Aufdämmern der Erkenntnis, daß einem gewissen Aufwand an Arbeit +eine bestimmte Menge erzeugter Wärme entspricht. *Rumford* ließ nämlich +einen aus Kanonenmetall bestehenden Zylinder von 112,13 Pfund Gewicht +in einem Kasten (Abb. 53) rotieren, der 18,77 Pfund Wasser enthielt. +Wurde die Drehung, bei der ein stumpfer eiserner Bohrer m n gegen das +Metall gepreßt wurde, durch die Kraft eines Pferdes bewerkstelligt, +so kochte das Wasser nach 2 Stunden und 30 Minuten. »Die Überraschung +und das Staunen der Umstehenden, solch eine Wassermasse ohne Feuer +zum Kochen gebracht zu sehen, war über alle Beschreibung groß«, heißt +es in dem Berichte *Rumfords*[451]. Die Rechnung ergab, daß die ganze +Menge der erzeugten Wärme, die sich auf das Wasser und die Metallstücke +verteilte, hinreichend war, um 26,58 Pfund eiskalten Wassers zum Sieden +zu bringen, ungerechnet diejenige Wärme, die während des Versuches +verloren ging. Diese Wärmemenge entspricht nach *Rumford* einer +Pferdekraft. Da nach *Watt* die letztere imstande ist, 33 000 Pfund in +der Minute einen Fuß hoch zu heben, so würde eine weitere Berechnung +gezeigt haben, daß diejenige Wärme, die ein Pfund Wasser um 1° erwärmt, +einer mechanischen Leistung von 1034 Fußpfund entspricht. Spätere, +genauere Untersuchungen, welche der Engländer *Joule* anstellte, +haben für dieses Äquivalent den Wert von 772 Fußpfund ergeben. Der +beträchtliche Unterschied wird daraus erklärlich, daß *Rumford* die +Verluste nicht in Rechnung zog, und daß bezüglich des Arbeitsaufwandes +nur eine rohe Annäherung an die von *Watt* als eine Pferdekraft +bestimmte Größe vorlag. + +[Illustration: Abb. 53. Der vor der Mündung der Kanone angebrachte +hölzerne Kasten. Der stumpfe Bohrer m n wird gegen den Boden des +ausgebohrten hohlen Zylinders gepreßt, welcher durch einen kurzen Hals +mit dem Ende der Kanone verbunden ist. + +Die Abbildungen 52 und 53 sind der unten erwähnten Abhandlung +*Rumfords* entnommen.] + +Von gleicher Beweiskraft für die Immaterialität der Wärme wie der +*Rumford*sche Versuch war ein von *Davy* angestelltes Experiment. In +seinen 1799 veröffentlichten[452] »Untersuchungen über Wärme, Licht +und Atmung« teilte dieser Forscher mit, daß er bei 29° Fahrenheit, +also einer unter dem Gefrierpunkt liegenden Temperatur, zwei an Stäben +befestigte Eisstücke durch gegenseitige Reibung zum Schmelzen gebracht +habe[453]. Obgleich die Wärmekapazität des Schmelzwassers größer +ist als diejenige von Eis, zeigte das erhaltene Wasser dennoch eine +Temperatur von 35° Fahrenheit. Auch *Davy* schloß hieraus, daß die +Wärme kein Stoff, sondern eine unmittelbare Folge der Bewegung sei. +Er dachte sich die Materie von zwei Kräften, der Anziehung und der +Abstoßung, beherrscht. Die Erscheinungen der Wärme rühren nach *Davy*, +dessen Vorstellungen sich im wesentlichen mit den heute geltenden +Anschauungen decken, von einer besonderen Bewegung der Körperteilchen +her. Alle festen Körper werden durch heftiges Reiben ausgedehnt, indem +ihre Teilchen in schwingende Bewegung kommen und sich voneinander +entfernen. Die verschiedenen Aggregatszustände werden gleichfalls ganz +im Sinne der neueren Physik aus dem Verhältnis zwischen Anziehung und +Abstoßung erklärt. Je nachdem die erstere oder die letztere überwiegt +oder beide nahezu gleich sind, ist der Körper fest, gasförmig oder +flüssig. Die Abstoßung kann durch chemische Vorgänge oder durch +Mitteilung des Bewegungszustandes benachbarter Körper erregt werden. In +letzterem Falle ist die Bewegungsgröße, die der eine Körper gewinnt, +genau gleich derjenigen, welche der andere verliert. + +*Davy* gehört zu jenen Vorläufern von *Mayer*, *Joule* und *Helmholtz*, +die von der Allgemeingültigkeit des Prinzips von der Erhaltung +der Kraft schon eine deutliche Ahnung hatten. Dafür zeugt auch +sein Ausspruch: »Es läßt sich keine erhabenere Vorstellung von den +Bewegungen der Materie gewinnen, als daß die verschiedenen Arten der +Bewegung sich fortwährend ineinander umwandeln.« + +*Rumford* und *Davy* waren jedoch ihrer Zeit vorausgeeilt. Die von +ihnen entwickelte Lehre sollte erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts +durch die zuerst genannten Männer erneuert und fortentwickelt werden. + +Die weitere Entwicklung der Prinzipien der Thermodynamik knüpft +besonders an Entdeckungen an, die man über das Verhalten der Gase bei +Temperatur- und Volumenveränderungen und über die Beziehungen zwischen +beiden machte. + +Gegen das Ende des 18. Jahrhunderts wurden die Physiker darauf +aufmerksam, daß zusammengepreßte Luft bei ihrer Ausdehnung sich +abkühlt. Man entdeckte diese Tatsache, als man die Luft aus einer +Windbüchse gegen ein Thermometer strömen ließ und dabei ein Fallen des +Quecksilbers beobachtete[454]. Auch glaubte man hieraus die niedrige +Temperatur auf hohen Bergen erklären zu können. Dies war allerdings +in dieser Allgemeinheit ein Fehlschluß, da die Abkühlung nur im +Augenblicke der Verdünnung und im Zusammenhange mit einer mechanischen +Leistung auftritt, mit diesem mechanischen Vorgange also in engster +Beziehung steht. Verdünnte Luft ist also nicht etwa an sich kälter +als dichtere. Dagegen hat die Meteorologie die Temperaturänderungen +aufsteigender und niedersinkender Luftmassen zur Erklärung mancher +Witterungserscheinung verwerten können. Ein welch wesentlicher Faktor +mit der neuen Erkenntnis gewonnen war, läßt sich daraus ermessen, daß +die Abkühlung für trockene aufsteigende Luft bei 100 Metern Steighöhe +sich schon auf einen Grad beläuft. Niedersinkende Luft erfährt eine +entsprechende Temperaturzunahme, und diese Wärmeschwankungen sind +wieder für den relativen Feuchtigkeitsgehalt der Luft bedingend. + +Systematische Untersuchungen über die bei der Verdünnung und der +Ausdehnung der Luft eintretenden Wärmeschwankungen stellte zuerst +*Dalton*[455] an, doch war er weit davon entfernt, sie auf ihre wahre +Ursache zurückzuführen. Er glaubte nämlich, dichtere Luft besitze +eine geringere Wärmekapazität als verdünnte. Eine solche Annahme +mußte auf den sonderbaren Schluß führen, daß dem Vakuum die größte +Wärmekapazität zukomme. Um dieselbe Zeit, als *Dalton* seine Versuche +bekannt gab, wurde die gelehrte Welt in hohem Grade durch die +Entdeckung überrascht, daß durch eine plötzliche Verdichtung der Luft +Stoffe, wie der Zündschwamm, auf die Entzündungstemperatur gebracht +werden können[456]. Die Annahme *Daltons*, daß diese Erscheinung auf +eine Änderung der Wärmekapazität zurückzuführen sei, wurde durch einen +entscheidenden Versuch *Gay-Lussacs* widerlegt. Nebenbei bemerkt, +hatte man bei den Versuchen *Rumfords* auch zuerst an eine Änderung +der Wärmekapazität gedacht[457]. *Gay-Lussac* stellte den erwähnten +Versuch in folgender Weise an. Der Behälter A sei mit einem Gas +gefüllt, B sei evakuiert. Stellt man nun zwischen beiden Behältern +eine Verbindung her, so verdoppelt das Gas sein Volumen. *Gay-Lussac* +erwartete, eine Abkühlung eintreten zu sehen und war überrascht, daß +im ganzen keine Temperaturveränderung stattfand[458]. Der nach B +überströmende Teil des Gases wurde nämlich um ebenso viel erwärmt, wie +der in A zurückbleibende abgekühlt wurde. Die spezifische Wärme oder +die Wärmekapazität konnte sich also durch die Volumvergrößerung nicht +geändert haben. + +[Illustration: Abb. 54. *Gay-Lussacs* Versuch zur Thermodynamik der +Gase.] + +Da die Ausdehnung eines Gases unter Wärmeverbrauch vor sich geht, so +mußte man mehr Wärme zuführen, um das Gas auf eine bestimmte Temperatur +zu erhitzen, wenn die Erwärmung unter gleichzeitiger Ausdehnung +erfolgte, als wenn sie bei konstantem Volumen vor sich ging. In +letzterem Falle nahm mit der Erwähnung der Druck des eingeschlossenen +Gases zu. + +Es galt nun zu untersuchen, ob sich für diese zunächst nur nach ihrer +qualitativen Natur erkannte Eigenart der Gase auch eine quantitative +Beziehung finden läßt, d. h. ob der Wärmeverbrauch bei konstantem Druck +und einer entsprechenden Ausdehnung des Gases und der Wärmeverbrauch +bei konstantem Volumen in einem bestimmten Verhältnis stehen. Ohne +hier näher auf den Gang der Untersuchung einzugehen, sei bemerkt, +daß man dies Verhältnis der spezifischen Wärme bei konstantem Druck +zur spezifischen Wärme bei konstantem Volumen gleich etwa 1,4 : 1 +ermittelte. So erhielt man für die damals als permanent betrachteten +Gase folgende Werte: + + Sauerstoff 1,415 + Stickstoff 1,420 + Wasserstoff 1,405 + Luft 1,421 + +Die übrigen Gase zeigten für dieses Verhältnis etwas niedrigere Werte, +z. B. + + Kohlendioxyd 1,340 + Kohlenmonoxyd 1,423 + Stickoxyd 1,343 + +Es gelang erst einer späteren Periode, den Mehrbedarf an Wärme mit +der Arbeit in Beziehung zu bringen, welche das Gas leistet, wenn es +sich unter konstantem Druck ausdehnt. Wir werden sehen, wie *Robert +Mayer* aus dem Wert 1,421 das Wärmeäquivalent berechnete. Die weitere +Entwicklung der Thermodynamik wurde bis *Mayer* am meisten dadurch +gehindert, daß man an der alten Stofftheorie festhielt. Man dachte +sich die ihr Volumen »ändernden Körper« ähnlich einem Schwamm, der +beim Zusammenpressen den Wärmestoff von sich gibt und ihn bei seiner +Ausdehnung wieder aufsaugt[459]. Auch *Carnot*, mit dessen Verdiensten +um die Begründung der Thermodynamik wir uns in einem späteren Abschnitt +beschäftigen werden, hielt an der Stofftheorie fest, vermittelte aber +durch seine Arbeit den Übergang zu der durch *Mayer*, *Joule* und +*Helmholtz* gewonnenen Einsicht in die Umwandlungsfähigkeit von Wärme +und Arbeit. + + + + +18. Fortschritte der Optik und Sieg der Wellentheorie. + + +Daß die Teile des Spektrums nicht nur hinsichtlich der Wärmewirkung, +wie *Herschel* nachgewiesen, sondern auch hinsichtlich des chemischen +Verhaltens große Unterschiede zeigen, war schon durch *Scheele* +nachgewiesen worden. Dieser brachte in das Spektrum ein Stück Papier, +das er mit Chlorsilber überzogen hatte. Von dieser Substanz wußte man, +daß sie am Lichte allmählich geschwärzt wird. *Scheele* bemerkte[460], +daß das Chlorsilber im Violett weit eher schwarz wird als in den +anderen Farben. Dieser einfache Versuch läßt sich als der Anfang +der heute so hoch entwickelten Spektralphotographie betrachten. Die +Analogie des von *Scheele* erhaltenen Befundes mit den Ergebnissen +*Herschels* trat noch deutlicher hervor, als 1801 das Vorkommen von +chemisch wirksamen Strahlen über das Violett hinaus nachgewiesen +wurde[461]. Auch in diesem Falle ergab sich, daß das Maximum der +Wirkung jenseits des sichtbaren Teiles gelegen ist, da die Zersetzung +des Chlorsilbers hier energischer als im Violett selbst vor sich geht. +Die ultravioletten Strahlen wurden daher seit der Zeit auch wohl als +chemische Strahlen bezeichnet. + +Wieder ein Jahr später (1802) wurde die Kenntnis von der Beschaffenheit +des Spektrums um eine Entdeckung von der allergrößten Tragweite +bereichert. Der Engländer *Wollaston*[462], der sich gleichfalls +um den Nachweis der ultravioletten Strahlen verdient gemacht hat, +bemerkte, daß das hinter einem feinen Spalt erzeugte Sonnenspektrum vom +zahlreichen dunklen Linien durchzogen ist[463]. Wie diese Entdeckung +von *Fraunhofer* erneuert und zur Grundlage der Spektralanalyse gemacht +wurde, soll in einem späteren Abschnitt gezeigt werden. + +In diesem Zeitraum, in welchem die Optik um so manchen wichtigen +Fortschritt bereichert wurde, sollte auch der alte, an die Namen +*Newton* und *Huygens* sich knüpfende Streit über das Wesen des Lichtes +zu gunsten der von letzterem vertretenen Theorie entschieden und damit +in die Lehre von den Imponderabilien eine zweite Bresche gelegt werden. +Der erste Angriff auf die Emanationstheorie erfolgte im Vaterlande +*Newtons* durch *Young*[464], welcher die von *Hooke* begonnene und von +*Newton* fortgesetzte Untersuchung der Farben dünner Blättchen wieder +aufnahm. + +Jene Folge von hellen und dunklen Streifen oder Ringen, die *Newton* im +gleichartigen Lichte beobachtet hatte, ohne dafür eine Erklärung finden +zu können, die mehr als eine bloße Umschreibung war, führte *Young* auf +das Zusammentreffen der von der ersten und zweiten begrenzenden Fläche +zurückgeworfenen Strahlen zurück. Er bezeichnete diese Erscheinung +mit dem noch jetzt dafür gebräuchlichen Namen als Interferenz und +suchte darzutun, daß ein Hinzufügen von Licht zu Licht in ähnlicher +Weise Dunkelheit zur Folge haben könne, wie durch das Zusammentreffen +von gleichen aber entgegengesetzten Bewegungen, z. B. Schwingungen +verschiedener Phase, Ruhe entsteht. + +*Young* gelang sogar der Nachweis, daß die Interferenz sich auch auf +den unsichtbaren, ultravioletten Teil des Spektrums erstreckt. Er +erreichte dies durch folgende Versuchsanordnung[465]. Der ultraviolette +Teil des Spektrums wurde auf eine dünne, zur Erzeugung der farbigen +Ringe geeignete Schicht geworfen und von den begrenzenden Flächen +so reflektiert, daß der unsichtbare Reflex auf ein mit Silberlösung +getränktes Papier fiel. Nach einiger Zeit entstanden auf letzterem +die bekannten dunklen Ringe. Das dieser Erscheinung zugrunde liegende +Prinzip der Interferenz sprach *Young* in folgenden Worten aus[466]: +»Wenn zwei Wellen verschiedenen Ursprungs sich in gleicher oder in +nahezu gleicher Richtung fortpflanzen, so besteht ihre Gesamtwirkung in +der Vereinigung der einer jeden entsprechenden Bewegung.« + +Die Bewegungen, welche das Licht zur Folge haben, geschehen nach +*Young* in einem dünnen, außerordentlich elastischen Äther, der das +Weltall erfüllt. Die Verschiedenheit der Farben erklärt *Young* aus +der Häufigkeit der Schwingungen, welche durch jene Bewegung des Äthers +in der Netzhaut erzeugt werden. Letztere denkt er sich aus drei +verschiedenartigen, die Empfindung der drei Grundfarben vermittelnden +Nervenelementen zusammengesetzt. Die Erregung der einen Art von Fasern +soll demgemäß die Empfindung Rot, die der zweiten die Empfindung Grün +zur Folge haben, während die dritte Art vorzugsweise durch das violette +Licht gereizt werden soll. So wird z. B. homogenes rotes Licht die +rotempfindenden Nervenfasern stark erregen, während es auf die beiden +anderen Arten nur eine schwache Wirkung ausübt. Werden alle drei Arten +in gleicher Stärke getroffen, so entsteht der Eindruck Weiß. Diese +Lehre *Youngs* wurde später von *Helmholtz* wieder aufgenommen und +eingehender begründet[467]. + +Wie das Licht so wird auch die strahlende Wärme nach *Young* auf die +Bewegung des Äthers zurückgeführt. Nach ihm unterscheiden sich die +Wärmeschwingungen einzig durch ihre Länge und die ihnen zukommende +Schwingungszahl von den Lichtschwingungen. Die wesentlichste Schwäche +der von *Young* entwickelten Lehre bestand in der schon von *Huygens* +gemachten Annahme, die schwingende Bewegung erfolge longitudinal, +d. h. in der Fortpflanzungsrichtung. Daß eine solche Annahme die +ursprüngliche war, ist begreiflich, da man zu einer Wellentheorie des +Lichtes gelangte, indem man die Licht- und die Schallerscheinungen als +analoge Vorgänge betrachtete. Der Schall war aber schon längst auf +longitudinale Schwingungen der Luftteilchen zurückgeführt. + +Jene Schwäche der von *Young* entwickelten Lehre trat besonders +zutage, als *Malus* die Polarisation durch Reflexion entdeckte. Wird +ein Lichtstrahl reflektiert oder gebrochen, so werden bekanntlich +seine physikalischen Eigenschaften im allgemeinen nicht geändert, +sondern er verhält sich geradeso, als ob er von dem leuchtenden Körper +käme. Bei der Brechung findet zwar in der Regel eine Zerlegung des +zusammengesetzten Lichtes statt, doch besitzt jede der erhaltenen +Komponenten ihre konstante Eigenschaft, was schon *Newton* dadurch +nachwies, daß er aus diesen Komponenten den weißen Strahl in seiner +früheren Beschaffenheit wieder zusammensetzte. Von dieser Eigenschaft +des gewöhnlichen Lichtes gänzlich abweichend ist dagegen, wie auch +*Newton* erkannte, das Verhalten eines Lichtstrahls, welcher die zu +*Newtons* Zeiten an dem Kalkspat entdeckte Doppelbrechung erlitten hat. +Die erhaltenen Strahlen gehen nämlich bei einer bestimmten Lage durch +einen zweiten Kalkspatkristall hindurch, ohne wieder zerlegt zu werden, +während bei einer anderen Lage des zweiten Kristalles eine nochmalige +Teilung stattfindet. Hieran knüpfte *Newton* die Bemerkung, ein solcher +Lichtstrahl möge wohl verschiedene Seiten besitzen, die mit voneinander +abweichenden Eigenschaften begabt seien[468]. + +Nahezu ein Jahrhundert sollte es dauern, bis ein Zufall lehrte, daß +derartiges polarisiertes Licht keine vereinzelte, nur an gewissen +Mineralien auftretende Erscheinung ist. Es war im Jahre 1808, als der +französische Physiker *Malus*[469] eines Tages durch einen isländischen +Doppelspat nach den von der untergehenden Sonne beleuchteten Fenstern +des Palais du Luxembourg blickte. *Malus* drehte den Kristall und +nahm dabei zu seinem Erstaunen wahr, daß die Bilder, welche dieser +lieferte, abwechselnd ihre Stärke veränderten. Zuerst dachte er an +eine Beeinflussung des Sonnenlichtes bei seinem Durchgang durch +die Atmosphäre. Später erkannte er jedoch, daß in diesem Falle +die Reflexion die einzige Ursache der Polarisation des Lichtes +ist[470]. *Malus* fand, daß unter einem bestimmten, von der Natur des +reflektierten Stoffes abhängigen Winkel die Polarisation in solchem +Grade stattfindet, daß von den Doppelbildern, welche der Kalkspat +liefert, das eine bei einer gewissen Lage des Kalkspats verschwindet. +Diese Versuche vermochte *Young* aus seiner Lehre infolge der erwähnten +Schwäche nicht zu erklären, worüber *Malus*, ein unerschütterlicher +Anhänger der Emissionstheorie, große Freude empfand[471]. + +Die endgültige Beseitigung dieser Theorie gelang erst dem Franzosen +*Fresnel*[472]. *Fresnel* begann seine optischen Untersuchungen im +Jahre 1815. Noch im selben Jahre veröffentlichte er eine Arbeit, +die mit einem Preise gekrönt wurde. Sie handelte von der Beugung +des Lichtes[473]. Schon in dieser Abhandlung erklärte *Fresnel* die +bei der Beugung auftretenden Fransen aus der Undulationstheorie des +Lichtes. »Man begreift leicht«, heißt es in jener Schrift, »daß die +Schwingungen zweier Lichtstrahlen, die sich unter einem sehr kleinen +Winkel kreuzen, einander aufheben können. Und zwar geschieht dies, wenn +die Knoten des einen Strahles mit den Schwingungsbäuchen des anderen +zusammenfallen.« Aus der in diesen Worten ausgesprochenen Theorie +der Interferenz erklärte *Fresnel* auch die Farben dünner Blättchen. +Von ausschlaggebender Bedeutung waren seine Interferenzversuche mit +polarisiertem Licht. Sie zeigten, daß zwei polarisierte Strahlen +nur dann interferieren, wenn ihre Polarisationsebenen parallel zu +einander sind. Lagen die Polarisationsebenen senkrecht zu einander, +so traten keine Interferenzerscheinungen ein. Dies Verhalten war mit +der Annahme longitudinaler Schwingungen des Äthers nicht vereinbar. Es +läßt sich aber leicht begreifen, wenn man voraussetzt, daß das Licht +in transversalen Ätherschwingungen besteht. Unter dieser Annahme +können nämlich benachbarte Strahlen, wenn ihre Schwingungen in zwei +zueinander senkrecht stehenden Ebenen erfolgen, sich nicht gegenseitig +beeinflussen. Zu der Theorie, daß das Licht in transversalen +Schwingungen des Äthers bestehe, gelangte *Fresnel* um 1820. In +ihren allgemeinen Grundzügen hat er diese Theorie im Jahre 1823 +entwickelt[474]. + +In der Fassung, welche *Fresnel* der Undulationstheorie verliehen, +ist sie in den Besitz der Wissenschaft übergegangen. Ihre Herrschaft +erschien um so mehr gesichert, als es gelang, nicht nur die später +entdeckten Erscheinungen aus dieser Theorie zu deuten, sondern sogar +Vorgänge zu beschreiben, deren Stattfinden erst spätere Versuche +dargetan haben[475]. + +Die von *Young* und *Fresnel* entwickelten theoretischen Anschauungen +erhielten eine wertvolle Stütze durch die analytischen Untersuchungen +über die Wellenbewegung, welche der bedeutende französische +Mathematiker *Cauchy* anstellte. Schon im Jahre 1815 hatte dieser +für eine Arbeit über die »Theorie der Wellen« den großen Preis der +Akademie erhalten. Seit dem Jahre 1829 hat er zahlreiche Beiträge zur +Befestigung der Wellentheorie des Lichtes geliefert. Bis dahin war +es nicht gelungen, die Dispersion aus dieser Theorie zu folgern. Den +Grund erkannte *Fresnel* darin, daß der Einfluß der Körpermoleküle auf +den Äther noch zu berücksichtigen blieb. *Cauchy* gelang es, diese +Lücke auszufüllen und damit den Schlußstein in die Undulationstheorie +zu fügen. Indem er das Verhältnis der Wellenlänge zum Abstand der +Ätherteilchen berücksichtigte, gelangte er zu einem Ausdruck für die +Geschwindigkeit des Lichtes, der für verschiedenfarbiges Licht eine +verschieden große Brechung ergab. *Cauchy* setzte bei seiner Ableitung +voraus, daß das Licht sich in optisch dichteren Mitteln mit geringerer +Geschwindigkeit fortpflanze. *Foucaults* experimenteller Nachweis, +daß dies wirklich zutrifft[476], sowie *Fraunhofers* Messungen der +Wellenlängen[477] haben *Cauchys* Annahme bestätigt und somit zur +weiteren Befestigung der theoretischen Optik beigetragen. + +Während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann sich der +umgestaltende Einfluß, den die Dampfkraft auf die Entwicklung des +Verkehrs und der Gewerbe gewinnen sollte, mehr und mehr geltend zu +machen. Es kann daher nicht Wunder nehmen, daß sich die Physiker mit +der bewegenden Kraft der Wärme eingehender beschäftigten. So entstanden +im Beginn der zwanziger Jahre *Carnots* epochemachende Betrachtungen +über die bewegende Kraft des Feuers[478], in denen dieser Forscher als +ein Vorläufer von *R. Mayer*, *Joule* und *Helmholtz*, den Begründern +der mechanischen Wärmetheorie, erscheint. + +*Sadi Carnot* wurde 1796 in Paris als Sohn des großen Revolutionsmannes +geboren. Er war Zögling der École polytechnique und gehörte später +der Armee als Genieoffizier an. Die Abhandlung, welche uns beschäftigt, +ist die einzige abgerundete Arbeit, die *Carnot* veröffentlicht hat. +Er starb in noch jugendlichem Alter (1832). *Carnot* machte darauf +aufmerksam, daß die Erzeugung von Bewegung bei den Wärmemaschinen stets +an eine Wiederherstellung des Gleichgewichts der Wärme gebunden ist, d. +h. an einen Übergang der Wärme von einem Körper mit mehr oder weniger +erhöhter Temperatur auf einen anderen, dessen Temperatur niedriger ist. +Bei einer in Tätigkeit befindlichen Dampfmaschine z. B. durchdringt +die in der Feuerung durch Verbrennung entwickelte Wärme die Wände des +Kessels und erzeugt den Dampf; dieser nimmt die Wärme mit sich, führt +sie zum Zylinder, wo sie irgend einen Dienst tut und von dort in den +Kondensator. In letzter Linie bemächtigt sich daher das kalte Wasser +des Kondensators der durch die Verbrennung erzeugten Wärme. + +»Überall, wo ein Temperaturunterschied besteht,« sagt *Carnot*, »und wo +daher die Wiederherstellung des Gleichgewichts der Wärme eintritt, kann +auch die Erzeugung von bewegender Kraft stattfinden. Der Wasserdampf +ist ein Mittel, aber er ist nicht das einzige; alle Stoffe können zu +diesem Zwecke benutzt werden. Alle sind fähig, Zusammenziehung und +Ausdehnung durch den Wechsel von Kälte und Wärme zu erfahren. Bei +diesen Volumänderungen vermögen die Körper bestimmte Widerstände zu +überwinden und auf diese Weise bewegende Kraft zu entwickeln. Ein +fester Körper, beispielsweise ein Metallstab, vermehrt und vermindert +seine Länge, wenn er abwechselnd erwärmt und abgekühlt wird, und vermag +Körper zu bewegen, die an seinen Enden befestigt sind. Eine gasförmige +Flüssigkeit kann durch Temperaturänderungen erhebliche Änderungen des +Volumens erfahren. Wenn sie sich in einem mit einem Kolben versehenen +Zylinder befindet, kann sie ausgedehnte Bewegungen hervorbringen. +Die Dämpfe aller Stoffe vermögen denselben Dienst zu leisten wie der +Wasserdampf.« + +Aber, auch umgekehrt sei es stets möglich, wo man eine Bewegung +anwende, Temperaturunterschiede entstehen zu lassen. So seien der Stoß +und die Reibung Mittel, die Temperatur der Körper zu erhöhen. Bei dem +geschilderten Ausgleich dachte *Carnot* zunächst nur an eine Bewegung +der Wärme, deren materielle Natur er noch voraussetzte. Er hat jedoch, +wie aus seinem Nachlaß hervorgeht[479], später die Annahme einer +Konstanz der Wärme aufgegeben und sogar das mechanische Wärmeäquivalent +ziemlich genau bestimmt[480]. Zu den Grundlagen der mechanischen +Wärmetheorie gehört vor allem *Carnots* Konzeption des Kreisprozesses. +*Carnot* geht von der Tatsache aus, daß die Temperatur eines Gases +zunimmt, wenn es zusammengedrückt wird, daß sie dagegen fällt, wenn man +das Gas rasch ausdehnt. Will man daher ein Gas nach dem Zusammendrücken +auf seine ursprüngliche Temperatur zurückführen, so muß man ihm Wärme +entziehen. Ebenso kann man bei der Ausdehnung eines Gases seine +Temperaturerniedrigung vermeiden, wenn man ihm eine bestimmte Menge +Wärme zuführt. + +[Illustration: Abb. 55. *Carnots* Erläuterung des Kreisprozesses.] + +An diese Tatsachen knüpft *Carnot* folgende Überlegung, die man ein +Gedankenexperiment nennen kann[481], weil sich die Durchführung in +der Wirklichkeit nur annäherungsweise bewerkstelligen läßt. A sei +ein Körper von der Temperatur t_{1}. Die Temperatur eines zweiten +Körpers B, der von A durch einen nichtleitenden Stoff getrennt ist, +sei niedriger und zwar gleich t_{2}. In dem Zylinder *abgh* befinde +sich eine elastische Flüssigkeit, z. B. Luft und ein beweglicher Kolben +*cd*. Man stelle sich nun mit *Carnot* folgende Reihe von Veränderungen +vor: + +1. Der Zylinder, dessen Wand ab die Wärme leicht durchlassen soll, +befinde sich auf dem wärmeren Körper A. Das eingeschlossene Gas nimmt +infolgedessen die Temperatur t_{1} an, die wir A zugeschrieben haben, +und der Kolben erhebt sich aus seiner Anfangsstellung *cd* bis zur +Stellung *ef*. Infolge der Wärmezufuhr, welche das Gas dabei von A +empfängt, behält dieses trotz der Ausdehnung die Temperatur t_{1}. + +2. Der Zylinder wird jetzt von A entfernt, so daß ihm keine Wärme mehr +zugeführt wird. Dehnt sich das Gas nun weiter aus, so sinkt bei dieser +Volumverminderung seine Temperatur. Sie möge auf t_{2}, d. i. die +Temperatur des kälteren Körpers B, gesunken sein, wenn der Kolben die +Stellung *gh* einnimmt. + +3. Der Zylinder wird auf B gebracht und das Gas, das ja bei der +Kolbenstellung *gh* die Temperatur von B besitzt, zusammengedrückt. Die +so erzeugte Wärme wird dabei sofort von B, dessen Temperatur konstant +t_{2} bleiben soll, aufgenommen. Voraussetzung ist, wenn sich die +Temperatur von A und B trotz Abgabe und Zufuhr von Wärme nicht ändern +soll, daß beide Körper eine ungeheure Wärmekapazität haben. + +4. Hat der Kolben die Stellung *cd* erreicht, so entfernt man den +Zylinder von B und komprimiert ohne Wärmeabgabe weiter. Die Temperatur +der eingeschlossenen Luft wird jetzt steigen und es möge der Kolben die +Stellung *ik* angenommen haben, wenn die Temperatur des Gases wieder +gleich derjenigen von A, nämlich gleich t_{1}, ist. + +Damit ist der Kreislauf abgeschlossen. Denn bringen wir jetzt den +Zylinder auf A, so können die beschriebenen Vorgänge in vollkommen +gleicher Weise sich, so oft wir wollen, wiederholen. Der beschriebene +Kreisprozeß kann aber auch umgekehrt werden, indem man auf d zunächst +c, dann b und endlich wieder a folgen läßt. Bei dieser Umkehrung wird +aber eben soviel »bewegende Kraft« (Arbeit) verbraucht, als bei dem +Ablauf der Vorgänge in der zuerst geschilderten Folge (a, b, c, d) +gewonnen wurde. + +Fast zur selben Zeit, als *Rumford* und *Davy* ihre über die Natur +der Körperwärme entscheidenden Versuche anstellten, wurde auch +die Lehre von der strahlenden Wärme, die man schon länger von der +körperlichen unterschieden hatte[482], um eine wichtige Entdeckung +bereichert. *Wilhelm Herschel* bediente sich bei der Beobachtung der +Sonne verschiedenartig gefärbter Gläser. Dabei fiel ihm auf, daß +hinter gewissen Gläsern, die weniger Licht durchlassen, mitunter eine +stärkere Wärmeempfindung stattfand, als hinter anderen helleren[483], +so daß die erwärmende Kraft durchaus nicht von der Stärke des +Lichtes abzuhängen schien. Um die Frage zu entscheiden, ob die +Wärme etwa ungleichmäßig über die verschiedenen Strahlengattungen +verteilt sei, erzeugte *Herschel* das Sonnenspektrum und brachte ein +Thermometer mit geschwärzter Kugel in die verschiedenen Farben, die +er nacheinander durch eine Öffnung fallen ließ. Ein zweites, etwas +entferntes Thermometer zeigte die Wärme der umgebenden Luft an[484]. +*Herschel* verglich dann die Temperaturerhöhung, welche das Thermometer +in gleichen Zeiträumen in den verschiedenen Teilen des Spektrums +erfuhr. In derselben Zeit, in der es unter im übrigen gleichen +Verhältnissen im violetten Teil des Spektrums um 2° stieg, betrug die +Zunahme im Grün 3¼° und im Rot, wo sie am größten war, 6-7/8°. +*Herschel* setzte diese Untersuchung fort und konnte schon einen Monat +später[485] das merkwürdige Ergebnis mitteilen, daß ein ultraroter +Teil des Spektrums bestehe, der aus unsichtbaren, Wärme spendenden +Strahlen zusammengesetzt ist. Ja, es ergab sich, daß das Maximum der +Wärmewirkung innerhalb dieser unsichtbaren Region liegt. + + + + +19. Die Chemie und die Physik treten in engere Wechselbeziehungen. + + +Sehr viele von den Errungenschaften, die auf chemischem und +physikalischem Gebiete zu Beginn der neueren Zeit gewonnen wurden, +knüpfen sich an den Namen *Gay-Lussacs*, so daß es gerechtfertigt +erscheint, diese Forschergestalt unter den vielen, die sich um den +Ausbau und die Verknüpfung der genannten Wissenszweige verdient gemacht +haben, besonders hervortreten zu lassen. + +*Louis Joseph Gay-Lussac* wurde am 6. September 1778 in einer +kleinen Stadt[486] des mittleren Frankreichs geboren. Da er zu den +ausgezeichnetsten Schülern der École polytechnique gehörte, wählte +ihn der Chemiker *Berthollet* zu seinem Gehilfen. Die ersten Lorbeeren, +die sich *Gay-Lussac* auf dem Felde der Wissenschaft verdiente, hatte +er einem eigentümlichen Umstande zu verdanken. Durch die alltägliche +Beobachtung, daß der Rauch unter dem Einfluß warmer Luft im Kamin +emporsteigt, waren die Gebrüder *Montgolfier* auf den Gedanken +gekommen, eine Papierhülle durch ein darunter befindliches Feuer zum +Emporsteigen zu bringen. Ihrem berühmt gewordenen Versuch vom Jahre +1783, bei dem sich eine derartige Hülle von 22000 Kubikfuß Rauminhalt +durch ein darunter befindliches Strohfeuer auf eine Höhe von etwa 2000 +Metern erhob, waren zahlreiche, von mehr oder weniger Erfolg begleitete +Aufstiege gefolgt. Der Physiker *Charles* war noch in demselben Jahre +zur Füllung der Ballons mit Wasserstoff übergegangen. Trotzdem blieb +eine Luftreise bei dem Fehlen der heutigen Sicherheitsvorrichtungen +zunächst ein sehr gewagtes Unternehmen. Als sich die Pariser +Akademie im Anfang des 19. Jahrhunderts entschloß, Aufstiege zu +wissenschaftlichen Zwecken zu veranstalten, galt es daher, einige +jüngere, beherzte Forscher zu gewinnen. Die Wahl fiel auf *Gay-Lussac* +und *Biot*, die im Sommer des Jahres 1804 einen gemeinschaftlichen +Aufstieg unternahmen, dem bald darauf eine von *Gay-Lussac* allein +ausgeführte Luftreise folgte. In der von dem letzteren erreichten Höhe +von 7000 Metern betrug die Temperatur -9,5°, während zur selben Zeit +in Paris ein im Schatten befindliches Thermometer +27,5° zeigte. Die +atmosphärische Luft war nach den Analysen *Gay-Lussacs* in den oberen +Schichten der Atmosphäre von derselben Zusammensetzung wie in der Nähe +der Erdoberfläche. Auch wies *Gay-Lussac* nach, daß die Luft nicht +etwa in größeren Höhen einen Gehalt von dem so leichten Wasserstoffgas +besitze, wie einige Physiker zur Erklärung des Gewitters, das in +Knallgasexplosionen bestehen sollte, angenommen hatten. Insbesondere +war die Aufmerksamkeit *Gay-Lussacs* auf das Verhalten gerichtet, +welches die Magnetnadel in größerer Entfernung vom Erdboden zeigt. Die +angestellten Schwingungsbeobachtungen ergaben, daß ein Höhenunterschied +von mehreren tausend Metern die magnetische Kraft nicht merklich +beeinflußt. »*Biots* und *Gay-Lussacs* Luftfahrten«, schrieb später +*Arago*[487], »werden im Andenken der Menschen fortleben als die +ersten derartigen Unternehmungen, die behufs Lösung wissenschaftlicher +Aufgaben mit entschiedenem Erfolge ausgeführt wurden«. + +Die Analyse der atmosphärischen Luft und die Zuverlässigkeit der +hierfür benutzten Mittel waren zu der Zeit, als *Gay-Lussac* seine +Tätigkeit begann, viel umstritten. Insbesondere war der Glaube +verbreitet, daß der Gehalt an Sauerstoff schwankend und für die Güte +der Luft bestimmend sei. Die zur Ermittlung des Sauerstoffgehaltes +ersonnenen Apparate wurden daher Eudiometer (Luftgütemesser) genannt. +Das erste Eudiometer rührt von *Priestley* her. Es beruhte auf dem +Verhalten von Stickoxyd gegen Sauerstoff[488] und wurde von *Fontana* +(1774) verbessert. Weit bessere Ergebnisse erhielt man bei dem von +*Lavoisier* in Vorschlag gebrachten Verfahren[489]. Es besteht +darin, daß eine gemessene Luftmenge über Quecksilber abgesperrt +und mit Phosphor in Berührung gebracht wird. Durch die langsame +Oxydation dieser Substanz wird der Sauerstoff völlig gebunden, und +die Luft erleidet eine entsprechende Volumverminderung. Aber selbst +*Lavoisiers* Versuchsfehler waren noch so groß, daß er für den +Sauerstoffgehalt Schwankungen von 18 auf 25% annahm. Im wesentlichen +auf dem gleichen Prinzip beruht das von *Volta* vorgeschlagene +Eudiometer. Die zu untersuchende Luft wird mit Wasserstoff +zusammengebracht. Ist dieses Gas in hinreichender Menge vorhanden, so +reißt es bei der durch einen elektrischen Funken bewirkten Explosion +des Gasgemisches den gesamten Sauerstoff der Luft an sich und verbindet +sich damit zu Wasser. + +Auch *Alexander von Humboldt* beschäftigte sich mit eudiometrischen +Bestimmungen. Nachdem er in Paris mit *Gay-Lussac* bekannt geworden +war, schlossen beide, ihrer außerordentlichen Leistungen wegen +gefeierten Männer ein enges Freundschaftsbündnis. Die schönste +Frucht desselben war eine gemeinsame, im Jahre 1805 veröffentlichte +Arbeit über die eudiometrischen Mittel und über das Verhältnis der +Bestandteile der Atmosphäre[490]. Diese Arbeit ergab, daß *Voltas* +Eudiometer das schätzbarste Instrument für die Analyse der Luft +ist. Ein wichtiges Nebenergebnis war der Nachweis, daß sich der +Sauerstoff mit dem Wasserstoff nach dem unveränderlichen und einfachen +Volumverhältnis 1 : 2 verbindet. Nach den früheren Versuchen von +*Cavendish* schien dies Verhältnis kein einfaches zu sein. + +Während sich der vielseitige *von Humboldt* neuen Aufgaben zuwandte, +vertiefte sich *Gay-Lussac* in das Studium der Gase, über deren +chemisches und physikalisches Verhalten wir ihm eine Fülle von +Entdeckungen verdanken. Seine erste Arbeit über diesen Gegenstand war +im Jahre 1802 auf *Berthollets* Anregung entstanden. Diese Arbeit +handelte von der Ausdehnung gas- und dampfförmiger Körper[491] und +lieferte den nicht nur in praktischer Hinsicht, sondern auch für die +Theorie sehr wichtigen Nachweis, daß »alle Gasarten und Dämpfe bei +derselben Temperaturerhöhung, unter im übrigen gleichen Umständen, +in gleichem Grade ausgedehnt werden.« *Gay-Lussacs* Untersuchung +erstreckte sich auf Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Ammoniak, +Schwefeldioxyd Kohlendioxyd und Ätherdampf. Nach seinen Messungen +beträgt die Volumzunahme dieser Gase bei einer Temperaturerhöhung +von 0 auf 100 Grad 0,375 des ursprünglichen Volumens. Durch spätere +Bestimmungen ist dieser Ausdehnungskoeffizient zu 0,366 (oder für eine +Temperatursteigerung von 0° auf 1° zu 0,00366 = 1/273) ermittelt worden. + +*Gay-Lussacs* Untersuchung über die Ausdehnung der Gase war älteren +Untersuchungen gegenüber besonders deshalb ein großer Fortschritt, weil +er die gasförmigen Körper, an denen er Messungen anstellen wollte, +vorher vermittelst Chlorkalzium trocknete und damit eine wesentliche +Fehlerquelle beseitigte. Daß *Gay-Lussacs* Bestimmung dennoch mit einem +nicht unerheblichen Fehler behaftet blieb, ist darauf zurückzuführen, +daß das Trocknen der Gefäße und der Gase noch in nicht genügendem Maße +stattfand. + +Das von *Gay-Lussac* beim Messen des Ausdehnungskoeffizienten +eingeschlagene Verfahren wird aus der beistehenden, seiner Abhandlung +entnommenen Abbildung ersichtlich. Der Ballon D wird über Quecksilber +mit dem zu untersuchenden Gase gefüllt. Der ganze, in Abb. 57 +dargestellte Apparat wird in ein Wasserbad getaucht und auf 100° +erhitzt. Dabei entweicht ein Teil des Gases durch das zweimal gebogene +Rohr B, dessen Öffnung durch Quecksilber gesperrt ist. Hat der Ballon +die Temperatur des siedenden Wassers angenommen, so wird die Glasröhre +B entfernt und das Wasserbad auf die Temperatur des schmelzenden +Eises abgekühlt. Das Quecksilber steigt dann, entsprechend der +Zusammenziehung des Gases, den graduierten Hals des Ballons hinauf. Man +erhält so die Größe des Luftvolumens, das durch die Erwärmung aus dem +Ballon von bekanntem Inhalt entwichen ist. + +[Illustration: Abb. 56. Apparat *Gay-Lussacs* zur Bestimmung des +Ausdehnungskoeffizienten der Gase.] + +Bei den Versuchen *Gay-Lussacs* dehnten sich die nachstehend +aufgeführten vier Gase beim Erhitzen von 0° auf 100° in folgender Weise +aus: + + 100 Teile dehnen sich aus um + + Atmosphärische Luft 37,5 Teile + Wasserstoff 37,52 " + Sauerstoff 37,49 " + Stickstoff 37,49 " + +Um zu untersuchen, ob der Ausdehnungskoeffizient der Dämpfe derselbe +sei, erwärmte *Gay-Lussac* Ätherdampf von 60° auf 100°. Er hatte die +Genugtuung wahrzunehmen, daß sowohl beim Expandieren als auch bei +der Raumverminderung durch Abkühlung der Ätherdampf gleichen Schritt +mit der atmosphärischen Luft hielt, die er in einem zweiten Apparate +denselben Bedingungen ausgesetzt hatte. + +Aus seinen Versuchen schloß *Gay-Lussac*, daß die Ausdehnung der Gase +und der Dämpfe nicht auf der besonderen Natur der Stoffe, sondern +lediglich darauf beruht, daß diese Körper sich im elastisch-flüssigen +Zustande befinden[492]. + +In dieser Untersuchung *Gay-Lussacs* findet sich keine Angabe darüber, +ob auch die Ausdehnung des Glasgefäßes bei der Berechnung der +Ergebnisse berücksichtigt wurde. In einer zweiten Untersuchung ist dies +geschehen. Trotzdem weicht der gefundene Koeffizient (0,375) für die +Erwärmung von 0° auf 100°, der fast vierzig Jahre in Geltung blieb, +nicht unerheblich von dem wahren Werte (0,365) ab[493]. + +Das Freundschaftsbündnis zwischen *Gay-Lussac* und *Alexander von +Humboldt* wurde zu einem besonders vertrauten durch eine gemeinsame, +im Jahre 1805 unternommene Reise nach Italien. Von Rom, für dessen +Kunstschätze sich ihnen im Verkehr mit einem *Rauch* und einem +*Thorwaldsen* der Sinn erschloß, machten die Freunde in Begleitung +des Geologen *Leopold von Buch* einen Abstecher nach Neapel, wo sie +Zeugen eines großartigen, von einem furchtbaren Erdbeben begleiteten +Ausbruch des Vesuvs wurden. Auch in chemischer Hinsicht war diese Reise +nicht ohne Ausbeute. So machte *Gay-Lussac* in Neapel die Beobachtung, +daß die im Wasser gelöste Luft einen weit größeren Sauerstoffgehalt +(etwa 30%) als die atmosphärische Luft (21%) besitzt[494]. Nachdem +die Reisenden vor dem Verlassen des italienischen Bodens noch *Volta* +aufgesucht hatten, trafen sie in Berlin ein, wo beide im Hause *von +Humboldts* den Winter verlebten. Nach Paris zurückgekehrt, beschäftigte +sich *Gay-Lussac* zunächst mit der Frage, ob seine Vermutung zutreffend +sei, daß nicht nur Wasserstoff und Sauerstoff, sondern auch die übrigen +Gasarten sich nach einfachen Raumverhältnissen miteinander verbinden. + +*Gay-Lussac* wählte zunächst salzsaures Gas und verband es mit +Ammoniakgas. Es sättigten 100 Maß salzsaures Gas genau 100 Maß +Ammoniakgas, und das entstehende Salz war vollkommen neutral[495]. +Brachte er kohlensaures Gas mit Ammoniak zusammen, so verbanden sich +mit 100 Maß kohlensaurem Gas genau 200 Maß Ammoniakgas. Es ergab sich +ferner, daß Schwefelsäureanhydrid auf 100 Maß schwefligsaures Gas 50 +Maß Sauerstoffgas enthält, daß somit auch die beiden zuletzt genannten +Gase sich nach einem einfachen Verhältnis verbinden[496]. + +Bei einem anderen Versuch vereinigten sich 50 Maß Sauerstoffgas mit 100 +Maß gasförmigem Kohlenstoffoxyd. Beide Gasarten verschwanden völlig, +und es fanden sich an ihrer Stelle 100 Maß kohlensaures Gas. Schon vor +*Gay-Lussac* hatte *Berthollet* gezeigt, daß im Ammoniak auf 100 Maß +Stickstoff genau 300 Maß Wasserstoff kommen. + +Nach diesen Beweisen war es offenbar, daß zwei Gasarten, die auf +einander chemisch einwirken, sich in den allereinfachsten Verhältnissen +verbinden. In den untersuchten Fällen geschieht dies nach den +Verhältnissen 1 : 1 oder 1 : 2 oder 1 : 3, während sich kein einfaches +Verhältnis zwischen den Elementen einer Verbindung zeigt, wenn man auf +die Gewichte sieht. + +Weitere Versuche ließen erkennen, daß die Gasarten sich nicht bloß +mit einander nach sehr einfachen Verhältnissen verbinden, sondern +daß die Raumverminderung, die sie bei der Vereinigung erleiden, auch +immer in einem sehr einfachen Verhältnisse zu dem Volumen steht, +das die Gase vor ihrer Vereinigung einnahmen[497]. So hatte schon +*Berthollet* gefunden, daß 100 Maß gasförmiges Kohlenstoffoxyd, wenn +sie sich mit 50 Maß Sauerstoff verbinden, dabei 100 Maß kohlensaures +Gas geben[498]. Beide Gasarten ziehen sich also bei ihrer Verbindung +um einen Raum zusammen, der gerade so groß ist wie derjenige, den das +hinzugefügte Sauerstoffgas vorher besaß. Auch der Wasserdampf, der +sich durch das Zusammentreten von zwei Raumteilen Wasserstoff und +einem Raumteil Sauerstoff bildete, nahm unter gleichen Druck- und +Temperaturbedingungen 2 Volumina ein, so daß bei seiner Entstehung +eine Verdichtung von 3 auf 2 stattfindet, während sich bei der Bildung +von Ammoniak eine Zusammenziehung von 2 auf 1 nachweisen läßt. Dieses +von *Gay-Lussac* entdeckte Volumgesetz ist die Grundlage für die +Avogadrosche Hypothese und damit für die weitere Entwicklung der +theoretischen Chemie geworden[499]. + +Wir kommen jetzt zu den hervorragenden Untersuchungen, durch welche +*Gay-Lussac* die anorganische, die technische und die organische Chemie +gefördert hat. + +Als die Kunde von der Entdeckung der Alkalimetalle nach Frankreich +gekommen war, stellte Napoleon der polytechnischen Schule die Mittel +zur Beschaffung einer gewaltigen Voltaschen Säule zur Verfügung. +Noch bevor diese Säule in Tätigkeit gesetzt werden konnte, gelang es +*Gay-Lussac* in Gemeinschaft mit *Thenard*, Kalium und Natrium durch +Erhitzen von Kali und von Natron mit Eisen, also auf rein chemischem +Wege, ohne Zuhilfenahme der Elektrizität darzustellen[500]. Beide +Forscher veröffentlichten ihr Verfahren im Mai des Jahres 1808. +Anstatt des Eisens nahmen sie auch Kohle, erzielten damit aber ein +weniger günstiges Ergebnis. Besser gelang die Darstellung von Kalium +und Natrium mittelst Kohle, als man kohlensaures Alkali mit Kohle und +Leinöl mischte und dies Gemenge der Glühhitze aussetzte[501]. + +Als eine der besten Monographien, die je über ein Element geschrieben +wurden, gilt *Gay-Lussacs* mustergültige Abhandlung über das Jod und +die Jodide. *Gay-Lussac* stellte in dieser Abhandlung den Begriff der +Hydrosäure im Gegensatz zur Sauerstoffsäure auf. Das Jod lieferte +nämlich, wie er nachwies, zwei Säuren, die eine in Verbindung mit +Sauerstoff, die zweite in Verbindung mit Wasserstoff. Da die Säuren, +welche das Chlor, das Jod und der Schwefel mit dem Wasserstoff +bilden[502], die Eigenschaften der sauerstoffhaltigen Säuren besitzen, +so mußten beide Arten von Verbindungen in eine Klasse gestellt werden. +Um die Wasserstoffsäuren von den eigentlichen Säuren zu unterscheiden, +bediente sich *Gay-Lussac* der Vorsilbe Hydro. Die sauren Verbindungen +des Wasserstoffs mit dem Chlor und dem Jod erhielten also die Namen +Hydrochlorsäure und Hydrojodsäure. Den sauren Verbindungen des +Sauerstoffs mit denselben Elementen blieb dagegen die Bezeichnung +Chlorsäure und Jodsäure[503] vorbehalten. + +Unter den zahlreichen Verbindungen, die *Gay-Lussac* in seiner +Abhandlung über das Jod kennen lehrte, ist besonders das Jodäthyl +hervorzuheben, ein Stoff, der vermöge seiner großen Reaktionsfähigkeit +von großer Bedeutung für die organische Chemie geworden ist. + +Von wichtigen Reaktionen, zu denen das Studium des Jods *Gay-Lussac* +geführt hat, verdienen noch folgende erwähnt zu werden. Jod wurde +mit Phosphor zu Jodphosphor verbunden. Letzterer zerfiel unter der +Einwirkung von Wasser in Jodwasserstoff und phosphorige Säure: + + PJ_{3} + 3H_{2}O = H_{3}PO_{3} + 3HJ. + +Durch Berührung mit Quecksilber wurde Jodwasserstoff unter Bildung von +Jodquecksilber und Freiwerden von Wasserstoff zersetzt. Dabei ergab +sich die volumetrische Gesetzmäßigkeit, daß der Wasserstoff genau die +Hälfte des Raumes einnahm, den vorher der Jodwasserstoff ausgefüllt +hatte. + +Wurde Jodwasserstoff der Rotglühhitze ausgesetzt, so fand eine +teilweise Zersetzung in Jod und Wasserstoff statt. Andererseits gelang +die Synthese von Jodwasserstoff, wenn *Gay-Lussac* das Gemenge von +Jod und Wasserstoff auf Rotglut erhitzte. Diese Beobachtung war eine +der ersten, welche über die Umkehrung einer Reaktion gemacht wurde. +Indessen legte ihr *Gay-Lussac* weiter keine Bedeutung bei. + +Die Ähnlichkeit des Jodwasserstoffs mit der Salzsäure ergab sich +auch aus dem Verhalten gegen Metalle. Letztere machten aus beiden +Verbindungen unter Bildung salzartiger Körper Wasserstoff frei. Mit +Ammoniak verband sich Jodwasserstoff unter Entstehung eines dem Salmiak +ähnlichen Stoffes. Die Vereinigung erfolgte nach gleichen Raummengen, +so daß sich nach jeder Richtung eine so weit gehende Analogie zwischen +dem neu entdeckten Jod und dem schon länger bekannten Chlor zeigte, +wie sie bis dahin zwischen zwei Elementen noch nicht nachgewiesen +war. Diese Analogie wurde später auf das 1826 von *Balard* in der +Mutterlauge des Meerwassers aufgefundene Brom ausgedehnt. Der Vergleich +von Chlor, Brom und Jod führte *Döbereiner* später zur Aufstellung +seiner Theorie von den Triaden, d. h. zu der Annahme, daß das System +der Elemente sich in Gruppen von je drei sehr ähnlichen Grundstoffen +gliedern lasse, ein Gedanke, durch den *Döbereiner* zum Begründer einer +Systematik der Elemente und damit zum Vorläufer eines *Mendelejeff* und +*Lothar Meyer* geworden ist[504]. + +Die Aufdeckung der Analogie zwischen Chlor und Jod hat dahin +mitgewirkt, daß die lange geltende Annahme, das Chlor sei eine +Sauerstoffverbindung[505], allgemein aufgegeben wurde. + +Waren ferner die Reaktionen, welche das Jod zu anderen Elementen und +Verbindungen äußerte, zwar denen des Chlors sehr ähnlich, so ging +doch aus der ganzen Untersuchung *Gay-Lussacs* hervor, daß letzteres +Element »mächtiger ist als das Jod«. Um die Dichte des Joddampfes zu +bestimmen, ging *Gay-Lussac* von der Dichte des Jodwasserstoffes aus. +Er ermittelte, indem er das von ihm entdeckte Volumgesetz zugrunde +legte, daß der Dampf des Jods 117mal dichter als Wasserstoff ist, also +von allen Dämpfen, die größte Dichtigkeit besitzt[506]. + +*Gay-Lussacs* Arbeiten über die Schwefelsäure, um deren fabrikmäßige +Darstellung er sich durch die Einführung des sogenannten +*Gay-Lussac*-Turmes sehr verdient gemacht hat, sowie die durch ihn +erfolgte Begründung des Titrierverfahrens sind auf die Entwicklung der +chemischen Technik von größtem Einfluß gewesen. + +Auch die Chemie der organischen Verbindungen erfuhr durch *Gay-Lussac* +eine bedeutende Förderung. Für die Analyse dieser Stoffe, die +vor ihm in den Kinderschuhen stak, brachte er das Kupferoxyd als +Verbrennungsmittel in Anwendung, während seine Arbeit über die +Cyanverbindungen ein Muster für spätere Untersuchungen organischer +Körper gewesen ist[507]. *Gay-Lussac* lieferte in dieser Arbeit +den Nachweis, daß die von *Scheele* aus dem gelben Blutlaugensalz +gewonnene Blausäure (HCN) eine dem Chlorwasserstoff (HCl) entsprechende +Hydrosäure ist, in welcher ein aus Kohlenstoff und Stickstoff +bestehendes Radikal CN, das den Namen Cyan erhielt, an die Stelle von +Chlor tritt. Indem er weiter zeigte, daß dieses Radikal auch in anderen +Verbindungen die Stelle eines Elements vertritt, eröffnete er die Reihe +jener Untersuchungen, die darauf hinausliefen, sämtliche organischen +Verbindungen auf Atomgruppen zurückzuführen. Dieses Bestreben hat dann +später seinen Höhepunkt in der Forschertätigkeit *Liebigs* erreicht, +welcher die organische Chemie als die Chemie der zusammengesetzten +Radikale bezeichnete[508]. + +Auch der Vorgang der Gärung, auf den die Untersuchungen *Lavoisiers* +das erste Licht geworfen hatten[509], zog *Gay-Lussac* in den Bereich +seiner Forschungen. Er wies nach, daß neben Kohlendioxyd und Alkohol +als wesentliche Produkte der Gärung Glyzerin und Bernsteinsäure +auftreten. Auch versuchte er diesen Vorgang, der später als ein +physiologischer aufgefaßt wurde, in eine chemische Gleichung +einzukleiden. + +Wie erwähnt, war *Gay-Lussac* aus der École polytechnique +hervorgegangen, an der er zunächst als Repetent, später (1809) als +Professor der Chemie angestellt wurde. Gleichzeitig bekleidete er an +der Sorbonne die Professur für Physik. Auch im öffentlichen Leben +Frankreichs nahm *Gay-Lussac* eine hervorragende Stelle ein. Er wirkte +in zahlreichen, für gewerbliche oder Verwaltungszwecke ernannten +Kommissionen, in denen er seiner chemischen und physikalischen +Kenntnisse wegen das größte Ansehen genoß, wurde wiederholt zum +Abgeordneten gewählt und endlich zum Pair ernannt. Ein nicht +vollendetes, die Philosophie der Chemie betiteltes Werk ließ er vor +seinem Tode verbrennen. + +Am 9. Mai des Jahres 1850 starb *Gay-Lussac*. Sein Leben ist reich an +wissenschaftlichen, durch stete Arbeit erzielten Erfolgen gewesen. Es +konnte aber auch in jeder anderen Hinsicht als vorbildlich gelten. +*Arago*, der in der Akademie *Gay-Lussac* einen Nachruf widmete, schloß +mit dem schönen Lobe: »Er ehrte Frankreich durch seine moralischen +Eigenschaften und diese Akademie durch seine Entdeckungen. Sein Name +wird mit Bewunderung und Hochachtung in allen Ländern genannt werden, +in denen man die Wissenschaften pflegt«[510]. + +Die Physik der gasförmigen Körper wurde vor allem durch Untersuchungen +über die Absorption der Gase durch Flüssigkeiten gefördert. Zunächst +fand der englische Chemiker *Henry*[511], daß die von einer Flüssigkeit +absorbierte Gasmenge proportional dem Drucke ist, unter dem die +Absorption erfolgt. Voraussetzung ist dabei, daß die Umstände im +übrigen gleich sind und vor allem, daß die Gase und die Flüssigkeiten +nicht chemisch aufeinander wirken[512]. + +Eine Erweiterung der Untersuchung *Henrys* lieferte *Dalton* mit seiner +Abhandlung »Über die Absorption der Gasarten durch Wasser und andere +Flüssigkeiten«[513]. Diese Schrift ist auch dadurch geschichtlich +interessant, daß sie die erste Atomgewichtstabelle enthält. *Dalton* +suchte nämlich die verschiedene Löslichkeit der Gase aus der von ihm +begründeten Atomtheorie[514] abzuleiten. + +Als Kennzeichen, daß ein Gas von einer Flüssigkeit nur absorbiert und +nicht gebunden wird, galt *Dalton* der Umstand, daß es im ersteren +Fall, wenn man den Druck unter Anwendung der Luftpumpe aufhebt, aus der +Flüssigkeit wieder entweicht. + +*Dalton* ergänzte *Henrys* Untersuchung dahin, daß er sie auf +Gasgemenge ausdehnte. Wurde z. B. Wasser, das von Luft befreit war, mit +einer Mischung von zwei oder mehr Gasarten geschüttelt, so verschluckte +es von jeder dieser Gasarten soviel, als es von ihnen einzeln bei +derselben Dichtigkeit der Gasart aufgenommen haben würde. Bei den von +*Dalton* behaupteten Gesetzmäßigkeiten handelt es sich jedoch mitunter +um bloße Annäherungen, zum Teil auch um Unrichtigkeiten. + +Zum Schluß erhebt *Dalton* die Frage nach der Ursache der für die +verschiedenen Gase so verschiedenen Löslichkeit. Es ist von hohem +Interesse zu sehen, wie *Dalton* diese Frage aus seiner Atomtheorie +zu beantworten sucht. Er habe gefunden, daß das relative Gewicht der +kleinsten Teilchen der Körper sehr verschieden sei. Und nun zeige sich, +daß diejenigen Gasarten, die leichtere Teilchen besäßen, weniger leicht +absorbiert würden. Beides mache es wahrscheinlich, daß die Löslichkeit +mit dem Atomgewicht in einem ursächlichen Zusammenhange stehe. + +*Dalton* war auch einer der ersten, der Messungen über die Spannkraft +der Gase und der Dämpfe anstellte. So fand er, daß die Spannkraft +der feuchten Luft gleich derjenigen der trockenen vermehrt um die +Spannkraft des beigemengten Wasserdampfes ist. Auch diese Untersuchung +dehnte *Dalton* auf Gasgemenge aus. Er bemerkte, daß Gase sich +miteinander vollkommen mischen, auch wenn ein leichtes Gas sich über +einem schwereren befindet (Diffusion). Dann zeigte er, daß der Druck +eines Gasgemisches, auf das gleiche Volumen bezogen, der Summe der +von den einzelnen Bestandteilen ausgeübten Spannungen gleich ist. +Voraussetzung ist auch hier wieder, daß nur eine physikalische Mischung +und keine chemische Verbindung stattgefunden hat. + +Endlich suchte *Dalton* zu bestimmen, wie die Spannkraft gesättigter +Dämpfe von der Temperatur abhängt. Sein Verfahren ist noch heute im +Gebrauch. Er brachte die in Dampf zu verwandelnde Flüssigkeit in den +leeren Raum über dem Quecksilber eines Barometers. Dann wurde das +Barometer in eine Glasröhre eingeschlossen und darin durch erwärmtes +Wasser auf den gewünschten Wärmegrad gebracht. Die Spannung der +entwickelten Dämpfe wurde durch das Herabsinken der Quecksilbersäule +gemessen. Überstieg die Spannung den Druck einer Atmosphäre, so +benutzte *Dalton* eine Röhre mit einem kürzeren geschlossenen und einem +längeren offenen Schenkel, wie sie *Mariotte* zum Nachweis des von +ihm und *Boyle* entdeckten Gesetzes gebraucht hatte. Die Flüssigkeit, +deren Dampfspannung gemessen werden sollte, wurde in dem kürzeren +geschlossenen Schenkel erhitzt, während in dem längeren die Spannung +durch die von dem Dampf getragene Quecksilbersäule gemessen wurde. Auf +große Genauigkeit konnten die ersten auf diesem Gebiete unternommenen +Untersuchungen zwar keinen Anspruch machen. Sie verdienen aber doch +Erwähnung, weil sie die Grundgedanken aufweisen, die später zu +exakteren Messungen geführt haben. + +Am genauesten hat *Dalton* die Beziehung zwischen der Temperatur und +der Spannung des gesättigten Wasserdampfes ermittelt. Er stellte seine +Messungen innerhalb der weiten Grenzen von -40° bis +325° Fahrenheit an +und glaubte auch den Zusammenhang von Temperatur und Spannung auf eine +geometrische Reihe zurückführen zu können. Es hat sich jedoch ergeben, +daß ein einfacher mathematischer Ausdruck für die hier obwaltende +Beziehung nicht vorhanden ist. + +*Lavoisier* hatte den Satz aufgestellt, daß der Sauerstoff das Säure +bildende Prinzip sei und daß in den Salzen wie in den Säuren dieses +Element nie fehle. *Lavoisiers* Theorie der Sauerstoffsäuren fand zu +Beginn des 19. Jahrhunderts besonders in *Berzelius* einen Verteidiger. +Durch ihn wurde das dualistische, auf die Ergebnisse der Elektrolyse +sich stützende System der chemischen Verbindungen ins Leben gerufen. +Nach dieser Auffassung erhielt z. B. schwefelsaures Zink die Formel + + ZnO . SO_{3}, + + - + +welche andeuten sollte, daß diese Verbindung aus der Basis ZnO als +positivem und der Schwefelsäure SO_{3} als negativem Bestandteil +zusammengesetzt sei. Was wir heute als Säure bezeichnen und als +einheitliche Verbindung betrachten, wurde als Säurehydrat aufgefaßt, +z. B. galt die Schwefelsäure (H_{2}SO_{4}) als die Vereinigung des +negativen Bestandteils SO_{3} mit dem schwach elektropositiven Wasser + + (SO_{3} . H_{2}O). + - + + +Letzterem wurde eine Doppelnatur beigelegt, da es den stark positiven +Metalloxyden gegenüber in die Bildung von basischen Hydraten als +negativer Bestandteil eingeht + + (CuO + H_{2}O = CuO . H_{2}O). + + - + +Der erste, der *Lavoisiers* Lehre erschütterte, war sein großer +Zeitgenosse *Berthollet*. Er entdeckte, daß die Blausäure (HCN) und +auch der Schwefelwasserstoff (H_{2}S) ausgesprochen die Eigenschaften +von Säuren besitzen und dennoch keinen Sauerstoff enthalten. +*Berthollet* hätte diesen Verbindungen die Salzsäure (HCl) hinzufügen +können, wenn er nicht das Chlor als eine Sauerstoffverbindung +betrachtet hätte[515]. Für diesen die Chemie Jahrzehnte beherrschenden +Irrtum brachte er sogar eine vermeintliche Stütze in der von ihm +unrichtig gedeuteten Beobachtung bei, daß sich aus einer Chlorlösung im +Lichte Sauerstoff entwickelt. *Berthollet* schloß nämlich daraus, daß +das Chlor als höhere Oxydationsstufe dabei in die vermeintlich weniger +Sauerstoff enthaltende Salzsäure und Sauerstoff zerfallen sei, während +doch der Vorgang sich tatsächlich als eine Zerlegung des Wassers +darstellt (2 Cl + H_{2}O = 2 HCl + O). Als dritte Oxydationsstufe +betrachtete man die sehr sauerstoffhaltige Verbindung, die wir heute +als Chlorsäure bezeichnen. + +Die erste große Umgestaltung, welche das System *Lavoisiers* erfuhr, +ging von *Davy* aus. Dieser hatte gefunden, daß das Salzsäuregas durch +das von ihm entdeckte Kalium unter Entwicklung von Wasserstoff zersetzt +wird. Dabei entstand Chlorkalium. Weiter zeigte *Davy*, daß aus Chlor +nicht Salzsäure durch Entziehung von Sauerstoff entsteht, sondern +daß sich die Salzsäure aus Chlor nur bildet, wenn dieses Element +auf Wasserstoff oder auf eine Wasserstoff enthaltende Verbindung +wirkt. Diese Tatsachen führten *Davy* zu der Annahme, daß das Chlor +ein Element sei und die Salzsäure in einer Verbindung von Chlor mit +Wasserstoff, die Salze der Salzsäure aber in einer Verbindung von Chlor +mit den betreffenden Metallen bestehen. Bald darauf wies *Gay-Lussac* +ein völlig analoges Verhalten für das Jod und den Jodwasserstoff nach. +*Gay-Lussac* führte, nachdem er auch für die Blausäure dargetan hatte, +daß der Sauerstoff an ihrer Zusammensetzung nicht beteiligt ist, für +die der Salzsäure entsprechend zusammengesetzten Säuren die Bezeichnung +Wasserstoffsäuren ein. Hartnäckig wurde an der alten Lehre von einem +Teile der Chemiker, an deren Spitze *Berzelius* stand, festgehalten. +Endlich um 1820 gab dieser seinen Widerstand auf, weil die Annahme, daß +in den Halogenen und ihren Salzen doch ein, wenn auch experimentell +nicht nachweisbarer Sauerstoffgehalt vorhanden sei, doch zu willkürlich +und gekünstelt schien. + +*Gay-Lussac* hatte dem Chlor als analoges Element das Jod zur Seite +gestellt. Im Jahre 1826 entdeckte *Balard* das Brom in der Mutterlauge +des Meerwassers. Er stellte sofort eine ausgedehnte Untersuchung dieses +Elementes an und erkannte, daß es dem Chlor und Jod vollkommen analog +sei. Daß auch das Fluor in diese Gruppe gehört und Fluorwasserstoff +(Flußsäure) dem Chlorwasserstoff entsprechend zusammengesetzt ist, +sprach zuerst *Ampère* aus. Die Bemühungen, das Fluor zu isolieren, +hatten der außerordentlichen Affinität dieses Elementes wegen +zunächst keinen Erfolg. Dieser Versuch, um den sich sowohl *Davy* als +*Gay-Lussac* vergeblich abmühten, gelang erst *Moissan* durch eine +passend ausgeführte elektrolytische Zersetzung der Flußsäure. Immerhin +ist die Erkenntnis der vier Halogene als einer scharf charakterisierten +Gruppe von Elementen schon während der ersten Jahrzehnte des 19. +Jahrhunderts erfolgt. Die Erforschung ihrer Glieder ist für die weitere +Entwicklung der theoretischen nicht minder als der technischen Chemie +von großer Bedeutung gewesen. + + + + +20. Fortschritte in der Anwendung der Mathematik auf die +Naturwissenschaften. + + +Eine ähnliche Förderung und Durchdringung, wie sie die Physik und die +Chemie vor allem durch *Gay-Lussac* erfuhr, vollzog sich zwischen der +Physik und der Mathematik besonders durch *Gauß*. + +*Carl Friedrich Gauß* wurde am 30. April 1777 in Braunschweig +geboren. Sein Vater war Baumeister und Kassenverwalter. Er wird als +ein sehr tätiger und willensstarker Mann geschildert. Die Mutter war +fleißig und sorgsam. Sie entstammte gleich dem Vater einer einfachen +Handwerkerfamilie. Trotz aller vortrefflichen Eigenschaften gelang +es den Eltern des frühreifen Knaben nicht, zu einigem Wohlstand zu +gelangen. *Gauß* hätte daher nicht die Gelehrtenlaufbahn einschlagen +können, wenn ihm nicht von seinem 14. Lebensjahre ab die Unterstützung +seines Landesfürsten, des Herzogs Ferdinand von Braunschweig, zu Teil +geworden wäre. Nachdem er das Gymnasium seiner Vaterstadt und das +dortige Collegium Carolinum besucht hatte, bezog er im Jahre 1795 +die Universität Göttingen. Ihr ist *Gauß* trotz aller aus Berlin und +Petersburg an ihn herantretenden Verlockungen bis an sein Lebensende +treugeblieben. + +Seine Lehrmeister waren vor allem die Werke von *Newton*, *Euler* +und *Lagrange*. In seine von 1795 bis 1798 dauernde Studienzeit +fallen schon einige hervorragende mathematische Entdeckungen. So +fand er bei seiner Beschäftigung mit der Kreisteilung, kaum 18 +Jahre alt, die Konstruktion des regelmäßigen Siebzehnecks. Er löste +damit ein Problem, das den Mathematikern seit den Zeiten *Euklids* +Schwierigkeiten bereitet hatte. Eine ähnliche Bereicherung erfuhr die +Algebra durch seine 1799 erschienene Abhandlung über »die Zerlegung +ganzer algebraischer Funktionen in reelle Faktoren ersten oder zweiten +Grades«[516]. Es handelte sich um den Beweis, daß jede Gleichung m ten +Grades, also ein Ausdruck von der Form: + + X^m + Ax^{m-1} + Bx^{m-2} + .... + M = 0 + +stets m Wurzeln besitzt, oder daß sie, was dasselbe bedeutet, in m +Faktoren (x - α), (x - β), (x - γ) usw. zerlegt werden kann, deren +Produkt der linken Seite des obigen Ausdrucks gleich ist. Dieser +wichtigste Satz der Theorie der algebraischen Gleichungen, auf dem die +ganze höhere Algebra beruht, hatte zwar schon *d'Alembert*, *Euler* und +andere Mathematiker beschäftigt. Der vollkommen strenge Beweis gelang +indes erst *Gauß*. + +Zwei Jahre später folgte das arithmetische Hauptwerk des großen +Mathematikers, die Disquisitiones arithmeticae (1801). Dies Werk, das +er seinem hohen Gönner, dem Herzog Ferdinand von Braunschweig widmete, +besitzt für die Zahlentheorie eine geradezu grundlegende Bedeutung. +Einige Abschnitte der Disquisitiones wurden neuerdings in deutscher +Übersetzung herausgegeben[517]. + +In demselben Jahre, in welchem die Disquisitiones erschienen, +wurde das unvergleichliche Genie eines *Gauß* auf das astronomische +Gebiet gelenkt. Am 1. Januar 1801 hatte *Piazzi* den ersten +Planetoiden entdeckt, den er Ceres nannte. *Piazzi* verfolgte das +neue Gestirn durch einen Bogen von 9 Graden. Dann verschwand es +in der Abenddämmerung, und es war sehr fraglich, ob man es bei +der mangelhaften Kenntnis seiner Bahnelemente wieder auffinden +werde. *Gauß* hörte von dem Problem, und da er sich gerade mit +theoretisch-astronomischen Untersuchungen befaßte, so berechnete er +die Bahn des neuen Planeten nach einer von ihm herrührenden Methode +und sandte sein Ergebnis an eine astronomische Zeitschrift, welche +als Sammelstelle[518] alle ihr eingesandten, die Ceres betreffenden +Berechnungen veröffentlichte. Es war nämlich sehr wichtig, die +Ephemeride dieses Planeten für den Zeitpunkt zu kennen, wenn man +seinen Wiederhervortritt aus den Strahlen der Sonne erwarten durfte. +Die Ephemeride von *Gauß* wurde mit dem wenig schmeichelhaften Zusatz +veröffentlicht, daß die Redaktion auch ihren Abdruck für geboten halte, +weil man eben nicht wissen könne, welche Berechnung die richtige sei. + +Man kann sich die Überraschung ausmalen, als die Ceres gerade auf Grund +der Ephemeride von *Gauß*, der den Astronomen noch ganz unbekannt +war, wieder aufgefunden wurde. Jetzt galt es, die Bahnelemente +dieses Planeten zu berichtigen. Und wieder war es *Gauß*, der nach +jedem Bekanntwerden neuer Daten verbesserte Bahnelemente an jene +astronomische Zeitschrift einsandte. Gewiß nicht ohne das Gefühl +einer gewissen Beschämung bemerkte die Redaktion schließlich, *Gauß* +müsse eine völlig neue Methode besitzen, die ihm dasjenige, wozu +sonst eine umfangreiche Rechnung nötig sei, in wenigen Zügen liefere. +Diesmal hatte man das Richtige getroffen. Einmal befand sich *Gauß* +schon damals im Besitze seiner Methode der kleinsten Quadrate, die es +ihm ermöglichte, in einer Reihe von Beobachtungen den der Wahrheit +am nächsten kommenden Wert zu berechnen. Ferner hatte er auch neue +astronomische Methoden gefunden, die es ihm gestatteten, innerhalb +einer Stunde eine Bahnberechnung auszuführen, zu welcher *Euler* noch +drei Tage gebraucht hatte[519]. Zur Veröffentlichung dieser neuen +Methoden schritt *Gauß* erst, nachdem er (1807) zum Professor der +Mathematik und zum Leiter der Sternwarte in Göttingen ernannt war. Die +Veröffentlichung erfolgte unter dem Titel: Theoria motus corporum +coelestium in sectionibus conicis Solem ambientium. Eine deutsche +Bearbeitung dieses Fundamentalwerkes, das *Gauß* übrigens ursprünglich +in deutscher Sprache abgefaßt hat, erschien erst 1865[520]. Mit der +Veröffentlichung der »Theoria motus« begann für die rechnende +Astronomie ein neues Zeitalter. Man verließ allgemein die älteren +Methoden, um diejenigen von *Gauß* in Gebrauch zu nehmen. In der +»Theoria motus« gab *Gauß* auch seine Methode der kleinsten Quadrate +bekannt, in deren Besitz er sich schon, wie er selbst angab, seit +1795 befand. Inzwischen war auch *Légendre* auf die gleiche Methode +gekommen. Er hat sie 1806 in den Worten ausgesprochen[521]: »Sind durch +Beobachtungen mehr Gleichungen gegeben, als Unbekannte zu bestimmen +sind, so sind die richtigsten Werte der letzteren diejenigen, für +welche die Summe der Fehlerquadrate ein Minimum ist.« Von französischer +Seite wurden deshalb Prioritätsansprüche hinsichtlich dieser Methode +erhoben und, wenn das Datum der Veröffentlichung allein darüber zu +entscheiden hätte, gewiß mit Recht. *Gauß* gebührt indessen außer der +selbständigen und seinen eigenen Angaben nach viel früheren Entdeckung +das Verdienst, daß er es war, der diese Methode in einem fundamentalen +Werke[522] wissenschaftlich begründete und die Begriffe schuf, auf +denen alle neueren Arbeiten über diese Methode beruhen. + +Von hervorragender Wichtigkeit sind die Abschnitte der +Disquisitiones, welche die Rechnung mit Determinanten betreffen[523]. +Die ersten Anfänge dieses wichtigen Hilfsmittels der neueren Mathematik +finden sich schon bei *Leibniz*. *Leibniz* machte zuerst darauf +aufmerksam, daß die Kombinationslehre der Algebra bei der Auflösung +von Gleichungen wertvolle Dienste zu leisten vermöge. Der eigentliche +Begründer der Determinantenlehre war *Cramer*. Er veröffentlichte 1750 +eine neue Methode, um mit Hilfe der Permutationsrechnung n Gleichungen +ersten Grades mit n Unbekannten aufzulösen. *Laplace*, sowie *Lagrange* +knüpften an diese Arbeit weitere Untersuchungen an. Der bedeutendste +Fortschritt auf dem neu erschlossenen Gebiete erfolgte jedoch durch +*Gauß*. Von ihm rührt auch der Ausdruck Determinante her. Die neueste +Entwicklung der Determinantenlehre knüpft an *Jacobi* an, doch müssen +wir uns auf die bloße Erwähnung seiner Abhandlungen über diesen +Gegenstand beschränken[524]. + +Unter den späteren mathematischen Arbeiten von *Gauß* sind besonders +zwei, wenn auch in aller Kürze, zu berücksichtigen, weil sie sich +mit physikalischen Problemen befassen. Es sind dies eine Abhandlung +über die Gestalt von Flüssigkeiten und ein grundlegender Beitrag zur +Entwicklung der für die neuere mathematische Physik so wichtigen +Potentialtheorie. + +Die Theorie der Flüssigkeiten hatte *Laplace* in einem Anhange zu +seiner »Mécanique céleste« behandelt. Er hatte angenommen, daß +zwischen den Flüssigkeitsteilen außer der gewöhnlichen Anziehung, +welche dem Quadrate des Abstandes umgekehrt proportional ist, noch +andere anziehende Kräfte wirken. Dieser zweite Teil der Anziehung sei +ganz unmerklich, sobald es sich um meßbare, wenn auch sehr kleine +Abstände handele. Dagegen könne diese zweite, Molekularanziehung +genannte Kraft in unmeßbar kleinen Entfernungen die gewöhnliche +Anziehung bei weitem übertreffen. + +*Laplace* hatte unter dieser Voraussetzung die Eigenschaften der +Molekularkräfte der Rechnung unterworfen und war auf diesem Wege +zu einer Erklärung der Kapillarität, sowie der Oberflächenform der +Flüssigkeiten gelangt. Diese Untersuchungen[525], welche *Gauß* zu den +»schönsten Bereicherungen« zählte, welche die Naturwissenschaften dem +großen französischen Mathematiker zu verdanken hätten, waren jedoch in +wesentlichen Punkten unzureichend und unvollständig geblieben. *Gauß* +suchte deshalb von neuem, welche Gleichgewichtsform Flüssigkeiten +annehmen, wenn sie unter dem Einfluß der Schwere und dem Einfluß der +von ihnen selbst und dem Gefäße ausgeübten Molekularkräfte stehen[526]. +Er verfuhr dabei wesentlich anders als *Laplace*, indem er sich, +ausgehend von den Grundlagen der Dynamik, des Prinzips der virtuellen +Bewegungen bediente. Aus der auf diesem Wege abgeleiteten Formel +vermochte *Gauß* mit Leichtigkeit das Grundphänomen der Kapillarität +abzuleiten, daß nämlich in zylindrischen Kapillarröhren die Senkung +oder Hebung einer Flüssigkeit dem Durchmesser des Rohres umgekehrt +proportional ist. Das zweite der erwähnten mathematischen Werke zeigt +*Gauß* in engster Beziehung zu einer Theorie, die für die neuere +mathematische Physik mehr wie jede andere grundlegend geworden ist, +Es ist die in ihren Anfängen bis in die siebziger Jahre des 18. +Jahrhunderts zurückreichende Potentialtheorie. Damit der hervorragende +Anteil, den *Gauß* an der Schöpfung dieser Theorie genommen, gewürdigt +werden kann, ist es nötig, in aller Kürze auf die Arbeiten seiner +Vorgänger zurückzugreifen. + +Der Ausgangspunkt für die Entwicklung der erwähnten neuen +mathematischen Disziplin ist *Newtons* Gravitationsgesetz. Mit der +Auffindung dieses Gesetzes war nämlich eine Reihe von Problemen +gegeben, die für die Weiterentwicklung der Mathematik eine treibende +Kraft bedeuteten. Das Gravitationsgesetz, nach welchem die Anziehung +durch den Ausdruck (m · m')/r^2 bestimmt ist, galt zunächst für zwei +materielle Punkte oder für zwei materielle Systeme, deren Ausdehnung +gegenüber der sie trennenden Entfernung nicht in Betracht kommt. +Solche Systeme ließen sich so betrachten, als ob ihre Massen in den +beiden Schwerpunkten vereinigt wären und von diesen Punkten in der +Richtung der Verbindungslinie wirkten. Sobald man aber die Körper als +materielle Systeme auffaßte, bei denen jeder der unendlich vielen +Teile dem *Newton*schen Gesetze gemäß auf andere materielle Systeme +oder, um den einfacheren Fall vorwegzunehmen, auf einen materiellen +Punkt wirkt, so war damit eine Fülle von Problemen, im wesentlichen +mathematischer Art, gegeben, die mit den bisherigen Hilfsmitteln +nicht gelöst werden konnten. Es bedurfte der Einführung einer für die +Attraktionsrechnung charakteristischen Funktion, die sich auf die +Summe oder das Integral sämtlicher wirkenden Massenteilchen beziehen +mußte und die man später als das Potential der Massen bezeichnet hat. +Vor allem galt es, die Anziehung von Ellipsoiden -- denn mit solchen +und nicht mit Kugeln hatte es die Astronomie zu tun -- auf einen +materiellen Punkt zu bestimmen. *Newton* beharrte auch hier bei seinem +synthetisch-geometrischen Verfahren und fand z. B., daß eine von zwei +ähnlichen, konzentrischen Ellipsoiden begrenzte homogene Schale auf +einen beliebigen, in ihrem Innern befindlichen Punkt keine Anziehung +ausübt. + +Ein Fortschritt in der Lösung derartiger Probleme[527] erfolgte +indessen erst, als *Lagrange* das analytische Verfahren auf die +zahlreichen, aus dem Attraktionsgesetz entspringenden Aufgaben +anwandte. *Lagrange* suchte einen allgemeinen Ausdruck für die Kraft, +mit der ein beliebig gestalteter Körper einen beliebig gelegenen +Punkt anzieht. Er zeigte, daß die Anziehung, die ein aus einzelnen +materiellen Punkten bestehendes System ausübt, sich in Komponenten +zerlegen läßt, die sich als die partiellen Differentialquotienten +einer Funktion darstellen lassen[528]. Gleichzeitig führte er, um +die Lösung der Attraktionsaufgaben zu erleichtern, nach dem Vorgange +*Bernoullis*, Polarkoordinaten ein. Das Ergebnis dieser Bemühungen +war, daß *Lagrange* die meisten der bis dahin bekannt gewordenen Sätze +über die Attraktion analytisch zu beweisen vermochte. Auf *Lagrange* +folgt *Laplace*. Er wandte die von *Lagrange* aufgestellte Funktion +zuerst auf zusammenhängende Massen an und löste in seiner Théorie +des attractions des sphéroides et de la figure des planètes[529] das +vielumworbene Ellipsenproblem, indem er die Anziehung dreiachsiger +Ellipsoide auf einen außerhalb gelegenen Punkt bestimmte. *Laplace* +gelangte zu einer Gleichung für die zweiten partiellen Derivierten der +von *Lagrange* entdeckten und von *Laplace* mit dem noch jetzt üblichen +Buchstaben V bezeichneten Funktion. Dieser noch heute als *Laplace*sche +Gleichung bezeichnete Ausdruck lautet: + + δ^2V/δx^2 + δ^2V/δy^2 + δ^2V/δz^2 = 0. + +In ungeahntem Maße wuchs die Bedeutung des von *Lagrange* und *Laplace* +geschaffenen Algorithmus, als *Coulomb* nachgewiesen hatte, daß auch +die magnetischen und die elektrischen Anziehungen dem *Newton*schen +Gravitationsgesetz entsprechend vor sich gehen. Ein Versuch, die +Analyse unter Anwendung des Potentialbegriffes auf die Elektrizität und +den Magnetismus anzuwenden, rührt von dem Engländer *Green* (1793-1841) +her[530]. Dieser Versuch datiert vom Jahre 1828. Vorangegangen war +nur *Poisson*, der in einer analytischen Untersuchung die Verteilung +der Elektrizität an der Oberfläche leitender Körper bestimmt und die +Herrschaft der Analysis auch auf das Gebiet des Magnetismus auszudehnen +versucht hatte. An diese Arbeiten *Poissons* und an die von *Laplace* +gewonnene Differentialgleichung zweiter Ordnung, deren Wichtigkeit +für alle nach dem *Newton*schen Gesetze wirkenden Kräfte er erkannte, +knüpfte *Green* an. Ihn beseelte der Wunsch, eine Kraft von solch +allgemeiner Wirksamkeit wie die Elektrizität, soweit wie möglich, der +Rechnung zu unterwerfen. Dazu bediente er sich der Analysis, einmal, um +die »außerordentliche Macht dieses wunderbaren Gedankenwerkzeugs« zu +offenbaren; dann aber auch, um diese Macht zu vergrößern. + +*Green* gebrauchte den Ausdruck Potentialfunktion für jene Funktion, +die *Laplace* mit V bezeichnete und die *Gauß* später Potential genannt +hat. Fast alle anziehenden und abstoßenden Kräfte sind nach *Green* +so geartet, daß folgende Beziehung stattfindet: Wirkt ein Körper auf +einen materiellen Punkt, so kann die auf diesen Punkt in einer gewissen +Richtung wirkende Kraft durch einen partiellen Differentialquotienten +einer gewissen Funktion der Koordinaten, welche die Lage des Punktes im +Raume darstellen, ausgedrückt werden. Die Betrachtung dieser Funktion +ist für viele Untersuchungen von großer Bedeutung, deshalb wurde sie +von *Green* mit einem besonderen Namen bezeichnet[531]. + +*Green* geht von der *Laplace*schen Gleichung + + δ^2V/δx^2 + δ^2V/δy^2 + δ^2V/δz^2 = 0 + +aus. Sie gilt für jeden außerhalb des Körpers liegenden Punkt, dessen +Koordinaten x, y, z sind. *Green* führt für diese Gleichung das kürzere +Symbol δV = 0 ein und zeigt zunächst, daß für einen Punkt im Innern +des Körpers die Gleichung δV + 4πρ = 0 besteht, δV somit den Wert -4πρ +annimmt. Dabei ist unter ρ die elektrische Dichtigkeit im Punkte p zu +verstehen. Die *Laplace*sche Gleichung für einen äußeren Punkt stellte +sich danach nur als einen speziellen Fall der neuen Gleichung δV + +4πρ = 0 dar, da ρ für einen äußeren Punkt = 0 wird. Beim Durchgange +durch die Oberfläche macht somit die Potentialfunktion einen Sprung +um 4πρ. Das Ergebnis der *Green*schen Untersuchung gipfelt darin, +daß sich die elektrische Dichtigkeit aus der Potentialfunktion und +letztere aus jener berechnen läßt. Nachdem *Green* die allgemeinsten +Grundlehren der Elektrizitätstheorie und im Zusammenhange damit +wichtige funktionstheoretische Sätze[532] entwickelt hatte, ging er +zu einigen besonderen Fällen über. Die erste Anwendung betraf die +*Leydener* Flasche. Es ergab sich folgendes: Grenzt man durch eine +geschlossene Kurve ein Stück der inneren Belegung ab, und schneidet man +ferner ein korrespondierendes Stück aus der äußeren Belegung heraus, +indem man längs der ganzen Kurve Normalen errichtet, so ist die Summe +der Ladungen auf diesen korrespondierenden Flächenstücken gleich Null. +Die Flächenstücke haben nämlich gleiche und entgegengesetzte Ladungen, +die sich gegenseitig genau neutralisieren[533]. + +Mit den experimentell gefundenen Tatsachen vollkommen übereinstimmende +Ergebnisse erhielt *Green* ferner, als er seine Theorie auf die +Influenzerscheinungen anwandte. *Green* betrachtet zunächst den Fall, +daß eine vollkommen leitende, hohle Schale von irgend welcher Form und +Dicke der Wirkung beliebiger, außerhalb befindlicher, elektrischer +Körper ausgesetzt ist. In der Schale wird dann ein elektrischer +Zustand induziert, dessen Wirkung auf einen im Innern befindlichen, +mit Elektrizität geladenen Punkt, wie *Green* berechnet, gleich Null +ist[534]. + +*Green* betrachtet dann den Fall, daß zwei Kugeln von verschiedenem +Radius durch einen dünnen langen Draht verbunden werden. Er untersucht +das Verhältnis ihrer Ladungen beim Gleichgewicht. Die Rechnung ergibt, +daß sich die mittleren elektrischen Dichtigkeiten umgekehrt wie die +Radien der Kugeln verhalten. Läßt man den Radius der einen Kugel +darauf unendlich klein werden, so hat man den besonderen Fall der +Spitzenwirkung[535]. + +*Greens* Arbeit hatte ein merkwürdiges Schicksal. Da *Green* in +ländlicher Abgeschiedenheit das Geschäft seines Vaters verwaltete +und der gelehrten Welt unbekannt blieb, so wurden seine Abhandlungen +weder in England noch auf dem Festlande beachtet. Sie gerieten in +Vergessenheit, bis die in ihnen enthaltenen wichtigen Ergebnisse durch +*Gauß* von neuem entdeckt wurden. Erst dann lenkte der Physiker *W. +Thomson*, um seinem Lande die Priorität zu wahren, die Aufmerksamkeit +auf *Greens* Abhandlungen und veröffentlichte die wichtigste von +neuem[536]. Eine deutsche Übersetzung erschien in *Ostwalds* +Klassikern[537]. + +Die neueste Entwicklung der Potentialtheorie als einer selbständigen +mathematischen Disziplin beginnt im Jahre 1849 mit dem Erscheinen der +grundlegenden Abhandlung von *Gauß*[538]. Dem großen Deutschen gelang +es, nicht nur die wichtigsten von ihm gefundenen Sätze zum ersten Male +streng zu beweisen, sondern die Theorie durch neue wichtige Sätze +in solchem Grade zu bereichern, daß sie für die Physik und für die +Funktionenlehre fortan die größte Bedeutung besaß. + +*Gauß* entwickelte in jener Abhandlung allgemeine Sätze, die sowohl +für die Gravitation als auch für die wichtigsten elektrischen und +magnetischen Erscheinungen gelten. In dem Ausdruck (mm')/r^2 bedeuten +also m und m' entweder ponderable Materie oder die Mengen einer +magnetischen oder drittens die Mengen einer elektrischen Flüssigkeit, +die aufeinander eine, sei es anziehende, sei es abstoßende Kraft +ausüben. Ausgeschlossen blieb die Wirkung des galvanischen Stromes auf +das magnetische Fluidum, weil hier die Kraft nicht in der verbindenden +Geraden wirkt und weil ihre Stärke nicht allein von der Entfernung, +sondern auch von einem Winkel abhängt. Ausgeschlossen blieb auch die +Wirkung, welche zwei Stromelemente aufeinander ausüben. Und zwar +geschah dies wegen der Abhängigkeit der Erscheinungen von der Richtung +der Stromelemente, die im übrigen in der verbindenden Geraden und dem +Quadrate der Entfernung umgekehrt proportional aufeinander einwirken. +*Gauß* beschränkt sich also auf die drei zuerst genannten Fälle und +versteht unter Masse nichts weiter als dasjenige, wovon Anziehung oder +Abstoßung ausgeht. + +Wirken solche anziehenden oder abstoßenden Kräfte m^0, m', m'' usw. auf +denselben Punkt aus den Entfernungen r^0, r', r'' usw., so existiert +eine Funktion V, die gleich der Summe aller m/r ist. Diese Funktion +nennt *Gauß* das Potential der Massen. Es ist, in Worten ausgedrückt, +die Summe aller wirkenden Massenteilchen, jedes durch seine Entfernung +von jenem Punkte dividiert. Aus ihr lassen sich die Komponenten der +ganzen auf den Punkt wirkenden Kraft ableiten. Diese Kraft p ist +gegeben durch den Ausdruck: + + p = √ ((δdV/δx)^2 + (δV/δy)^2 + (δV/δz)^2). + +*Gauß* führte darauf einen Begriff ein, der in seinen und den späteren +Untersuchungen für die Potentialtheorie von der größten Bedeutung +wurde. Er dachte sich durch alle Punkte, in denen das Potential ein und +denselben Wert hat, eine Fläche gelegt. Eine solche Fläche scheidet den +Raum, in welchem das Potential kleiner ist von demjenigen, wo es größer +ist als der in jener Fläche herrschende Wert. Die Richtung der Kraft +wird ferner in jedem Punkte einer solchen »Gleichgewichtsfläche« gegen +die Fläche selbst normal sein. Die von *Gauß* als Gleichgewichtsflächen +bezeichneten Flächen konstanten Potentials werden heute als +»Niveauflächen« und die senkrecht zu einer Folge solcher Flächen +stehenden Linien (die orthogonalen Trajektorien) als »Kraftlinien« +bezeichnet. + +*Gauß* zeigte auch, daß für alle Punkte des Raumes, die außerhalb +der wirkenden Massen liegen, die *Laplace*sche Gleichung gilt. Liegt +ein Punkt von der Dichte k im Innern des Körpers, so ergab sich in +Übereinstimmung mit *Green*, daß der *Laplace*sche Ausdruck die Form +-4πk annimmt. Bis dahin bietet *Gauß* also wenig Neues, doch sind seine +Ableitungen bekannter Sätze einfacher und strenger als die früheren. + +Unter den vielen neuen Sätzen, die *Gauß* entdeckte, ist einer +der wichtigsten derjenige, den man den Satz von der äquivalenten +Massentransportation genannt hat. Er lautet: Anstatt einer beliebigen +gegebenen Massenverteilung D, die entweder bloß auf den inneren von +einer geschlossenen Fläche S begrenzten Raum beschränkt ist oder bloß +auf den äußeren Raum, läßt sich eine Massenverteilung E bloß auf die +Fläche selbst substituieren. Dies hat zur Folge, daß die Wirkung von +E der Wirkung von D gleich wird in allen Punkten des äußeren Raumes +für den ersten Fall oder in allen Punkten des inneren Raumes für den +zweiten. Von diesem Satze hat *Gauß*, wie wir sogleich des näheren +sehen werden, in seiner berühmten Abhandlung über die Intensität des +Erdmagnetismus eine Anwendung gemacht. + +Wir gelangen damit zu einer neuen Phase in der wissenschaftlichen +Entwicklung des großen Forschers. Durch *Alexander von Humboldt* war +*Gauß* mit dem Physiker *Wilhelm Weber* bekannt geworden. Nachdem +*Gauß* bewirkt hatte, daß *Weber* nach Göttingen berufen wurde, +entstand zwischen beiden Männern ein ähnliches Verhältnis, wie es +später zwischen *Kirchhoff* und *Bunsen* geherrscht hat. + +*Gauß* und *Weber* nahmen gemeinsam, ihren Fähigkeiten entsprechend +und sich dadurch gegenseitig ergänzend, ein Gebiet in Angriff, das +der wissenschaftlichen Bearbeitung noch wenig erschlossen war. Es +war das Gebiet des Erdmagnetismus. Existierten doch für diese Kraft +damals weder geeignete Meßapparate, noch zusammenhängende, planmäßig an +verschiedenen Orten angestellte Beobachtungen. Eine Änderung wurde erst +durch das Vorgehen von *Gauß* und *Weber* herbeigeführt. In Göttingen +entstand das erste magnetische Observatorium. Im Verein mit *Humboldt* +vermochten *Gauß* und *Weber* nicht nur die deutschen, sondern auch +die auswärtigen Regierungen für die Sache zu gewinnen. Infolgedessen +wurde ein magnetischer Verein gegründet und ein Netz von Observatorien, +die sämtlich nach dem Vorbilde der Göttinger Anstalt errichtet waren, +über die ganze Erde ausgebreitet. Die Übereinstimmung ging so weit, daß +nicht nur mit den Apparaten und nach den Angaben von *Gauß* beobachtet +wurde, sondern daß man sich auf allen Observatorien der Göttinger Zeit +bediente und sämtliche Beobachtungsergebnisse nach Göttingen sandte, wo +sie von 1836-1841 als »Resultate aus den Beobachtungen des magnetischen +Vereins« veröffentlicht wurden. Auf diese Resultate baute *Gauß* seine +allgemeine Theorie des Erdmagnetismus[539] auf. Es wurde zum ersten +Male das magnetische Moment der Erde nach absolutem Maße bestimmt +und für die Lehre vom Erdmagnetismus das geschaffen, was *Newton* +in seinen »Prinzipien« für die Gravitationstheorie geleistet hatte. +Ferner erschien auf Grund der vom magnetischen Verein gesammelten +Beobachtungen im Jahre 1840 ein »Atlas des Erdmagnetismus.« + +Die theoretische Grundlage für die sämtlichen, ein Jahrzehnt +umfassenden und so viele Kräfte beanspruchenden erdmagnetischen +Untersuchungen hat *Gauß* in seiner Abhandlung über die Intensität der +erdmagnetischen Kraft geschaffen. Für die Messungen selbst schuf er in +seinem Bifilarmagnetometer das geeignetste Werkzeug. + +Die Abhandlung erschien im Jahre 1832. Sie besitzt nicht nur für das +Gebiet des Magnetismus, sondern, da sie die Grundzüge des absoluten +Maßsystems enthält, für die gesamte Physik eine solch außerordentliche +Bedeutung, daß wir uns etwas eingehender mit ihrem Inhalt beschäftigen +müssen[540]. + +Zur vollständigen Bestimmung der erdmagnetischen Kraft an einem +gegebenen Orte sind drei Elemente erforderlich, die Deklination, die +Inklination und die Stärke (Intensität). Die größte Aufmerksamkeit +hatte man ihrer Bedeutung für die Schiffahrt wegen der Deklination +geschenkt; geringere Beachtung hatte die Inklination gefunden. Auf +die Stärke des Erdmagnetismus als drittes, zunächst übersehenes +Element, wurde besonders von *Alexander v. Humboldt* hingewiesen. +Dieser hatte auf seinen Reisen festgestellt, daß ein und dieselbe +Magnetnadel an verschiedenen Orten schneller oder langsamer schwingt. +Er hatte daraus geschlossen, daß die Intensität der die Schwingungen +veranlassenden erdmagnetischen Kraft bald größer, bald geringer sei +und im allgemeinen mit der Annäherung gegen die magnetischen Pole +zunehme. Das von *Humboldt* vorgeschlagene Verfahren gestattete aber +nur relative Messungen und war außerdem mit manchen Fehlerquellen +behaftet. Infolgedessen konnte es auf wissenschaftliche Zuverlässigkeit +keinen Anspruch machen. Die Anzahl der Schwingungen, die eine Nadel +macht, hängt nämlich nicht nur von der erdmagnetischen Kraft, sondern +ebensosehr von dem magnetischen Zustand der Nadel und endlich auch von +dem jeder Nadel zukommenden Trägheitsmomente ab. Wählte man zu den +Schwingungsversuchen auch dieselbe Nadel, um Verschiedenheiten des +Trägheitsmomentes auszuschließen, so konnte doch bei längeren Reisen +die magnetische Kraft der Nadel eine Schwächung erfahren. Dieser +Umstand würde auch ohne eine Verminderung der Kraft des Erdmagnetismus +eine Verlangsamung der Schwingungen herbeiführen und zu falschen +Schlüssen Anlaß geben. Endlich ließ sich vermuten, daß nicht nur die +Deklination und die Inklination, sondern daß auch die Intensität für +ein und denselben Ort langsame Änderungen erfährt. Offenbar verlor, +sobald es sich um diese Frage handelte, das *Humboldt*sche Verfahren +jede Gültigkeit. + +*Gauß* mußte daher, nachdem er diese Mängel der vergleichenden Methode +erkannt hatte, an ihre Stelle eine neue setzen. Und zwar galt es, sich +von den zufälligen Verschiedenheiten der Nadeln unabhängig zu machen +und die Intensität des Erdmagnetismus auf feststehende Einheiten +zurückzuführen. *Gauß* verfuhr dabei nach folgenden Gesichtspunkten. +Die Anzahl der Schwingungen, die eine Nadel in einer gegebenen +Zeit ausführt, hängt von drei Größen ab, nämlich von der Stärke +des Erdmagnetismus, von dem Moment des in der Nadel enthaltenen +freien Magnetismus und endlich von ihrem Trägheitsmomente. Besaß der +schwingende Körper eine bestimmte Form und war er in seiner Masse +überall von gleicher Beschaffenheit, so ließ sich das Trägheitsmoment +nach bekannten Methoden berechnen. *Gauß* zog es jedoch vor, das +Trägheitsmoment auf empirischem Wege zu bestimmen. Und zwar geschah +dies, indem er die Nadel unter der Wirkung ein und derselben Kraft +einmal im belasteten und dann im unbelasteten Zustande schwingen ließ. +Die Verzögerung in der Schwingungsdauer, welche eine bekannte Last +in einer bestimmten Entfernung von der Achse hervorrief, gab ihm ein +Mittel an die Hand, das Trägheitsmoment der Nadel aufs genaueste zu +bestimmen, auch wenn diese mit einer verwickelten Zurüstung, z. B. +einem Spiegel zum Ablesen der Schwingungen, versehen war. + +Größere Schwierigkeiten bot die Bestimmung des magnetischen Moments +der Nadel. Sie ließen sich nur durch die Einführung des absoluten +Maßsystems bewältigen. *Gauß* bediente sich hierbei der bekannten +Vorstellung von den magnetischen Flüssigkeiten. Der hypothetische +Charakter einer solchen Annahme hatte auf den Gang und die Ergebnisse +seiner Untersuchung keinen Einfluß. Die magnetischen Flüssigkeiten +lassen sich nur an ihren Wirkungen erkennen und messen. Diese Wirkungen +sind bewegende Kräfte, die einer bestimmten Masse eine gewisse +Beschleunigung erteilen. Als Grundeinheiten für Länge, Masse und Zeit +wählte *Gauß* das Millimeter, das Milligramm und die Sekunde[541]. +*Gauß* dehnte das für die Mechanik auf solche Grundeinheiten schon vor +ihm aufgebaute System zum ersten Male auf magnetische Messungen aus. Er +tat dies, indem er als Einheit der magnetischen Flüssigkeit diejenige +Menge definierte, deren abstoßende Wirkung auf eine andere, ihr +gleiche, in der Einheit der Entfernung befindliche Menge magnetischer +Flüssigkeit gleich 1 ist, d. h. gleich der Wirkung der beschleunigenden +Kraft 1 auf die Masse 1. Sind die Magnetismen verschiedenartig, +so tritt unter im übrigen gleichen Verhältnissen an Stelle der +Abstoßung eine gleich große Anziehung. Daß für diese Wirkungen der von +*Coulomb* gefundene Ausdruck (mm')/r^2 gilt, wurde von *Gauß* zunächst +vorausgesetzt, später aber durch seine Beobachtungen selbst bestätigt. + +Für die Beurteilung des magnetischen Zustandes der Nadel war das +von *Gauß* in seinen »allgemeinen Lehrsätzen« bewiesene Theorem +der Massentransportation[542] ausschlaggebend. Es lautet in seiner +Anwendung auf das in Frage stehende Gebiet: Wie auch immer die +Verteilung des freien Magnetismus innerhalb eines Körpers sich +verhalten mag, stets kann man an deren Stelle eine andere Verteilung +an der Oberfläche des Körpers setzen, die auf ein außerhalb gelegenes +Element magnetischer Flüssigkeit vollständig dieselben Kräfte ausübt +wie jene vorhandene Verteilung. + +Es galt, nach der Festsetzung der magnetischen Einheit die Intensität +des Erdmagnetismus durch diejenige bewegende Kraft auszudrücken, welche +der Erdmagnetismus auf jene Einheit ausübt. Man konnte sich dabei auf +die Bestimmung der Horizontalintensität beschränken. Dividierte man +diese durch den Cosinus der Inklination, so erhielt man den gesuchten +vollen Wert für die Kraft des Erdmagnetismus. + +Zu seinem Ziele gelangte *Gauß* durch folgenden Kunstgriff: Er +verglich[543] die Wirkung des Erdmagnetismus auf eine bewegliche Nadel +mit derjenigen Wirkung, die eine zweite Nadel auf die erste im Zustande +der Bewegung oder im Zustande des Gleichgewichts hervorruft. + +Als Wert der Intensität der horizontalen magnetischen Kraft ergab sich +z. B. für Göttingen und für den 18. September des Jahres 1832 + + T = 1,7821. + +Das bedeutet in Worten: Sie war für einen mit der Einheit des freien +Magnetismus versehenen Magnetstab gleich dem Drucke, den 1,7821 +Krafteinheiten an einem Hebelarme von einem Millimeter Länge bewirken. +Unter Krafteinheit ist nach dem von *Gauß* aufgestellten absoluten +Maßsystem diejenige Kraft zu verstehen, welche der Masse eines +Milligramms in der Sekunde die Geschwindigkeit von einem Millimeter +erteilt. + +Um die ganze Intensität zu finden, war der gefundene Wert von 1,7821 +Krafteinheiten noch durch den Cosinus der Inklination zu dividieren. +Letztere betrug im Sommer des Jahres 1832 in Göttingen 68°22'52''. + +Die auf Anregung von *Gauß* und *Weber* über alle Erdteile ausgedehnten +Messungen der erdmagnetischen Kraft lieferten das allgemeine Ergebnis, +daß diese Kraft mit der Annäherung gegen die Pole zunimmt und in der +Nähe der magnetischen Pole etwa 1,5mal so groß ist wie am magnetischen +Äquator. Auch zeigte sich, wie zu erwarten war, daß die Intensität +an ein und demselben Orte wie die Deklination und die Inklination +täglichen und säkularen Schwankungen unterworfen ist. + +Mit Recht sagt *Gauß* am Schlusse seiner Abhandlung, indem er die +*Ampère*sche Theorie des Magnetismus streift, welche Auffassung man +auch künftig von den magnetischen Erscheinungen hegen werde, sie müsse +zu demselben Ergebnis führen, zu dem er mit Hilfe der Theorie von den +magnetischen Flüssigkeiten gelangt sei. »Was auf Grund dieser Theorie«, +mit diesen Worten schließt er, »in der vorliegenden Abhandlung +entwickelt wurde, kann nur in der Form, nicht aber im Wesen geändert +werden«. + +Ein Wort sei noch den technischen Schwierigkeiten gewidmet, die *Gauß* +und *Weber* bei der Durchführung ihrer erdmagnetischen Messungen +zu überwinden hatten. Vor allem mußten sich ihre Bemühungen darauf +richten, daß sie die Schwingungszeiten und die Richtungen der Nadeln +weit genauer bestimmten, als es bisher geschehen war. Sie erfanden +daher die bei erdmagnetischen Messungen zuerst erprobte Methode der +Winkelmessung mit Spiegel, Skala und Fernrohr, eine Methode, welche +für die moderne Beobachtungskunst von bleibendem, unvergleichlich +hohem Wert geworden ist. Ferner galt es, die zur Anwendung kommenden +Meßapparate vor jedem Luftzug und vor allem vor der Einwirkung von +Eisen zu schützen. Bei dem Bau von magnetischen Observatorien wurde +deshalb dem Vorschlag von *Gauß* und *Weber* entsprochen und jede +Verwendung von Eisen ausgeschlossen. Auf diese Weise gelang es ihnen, +ihren Messungen, wie *Gauß* sich ausdrückt, die Schärfe astronomischer +Beobachtungen zu geben. + +Endlich sei noch einiges über den von *Gauß* für die Ausführung seiner +Versuche geschaffenen Apparat, das Magnetometer, gesagt. Es besteht +aus einem hängenden Magnetstabe (s. Abb. 57) und einem Fernrohr zum +Beobachten der Schwingungen. Der Magnetstab ist mit einem Spiegel (a) +versehen, der genau senkrecht zur Achse angebracht ist. Dem Spiegel +gegenüber befindet sich in einiger Entfernung von dem Magneten das +Fernrohr, dessen optische Achse gegen die Mitte des Spiegels gerichtet +ist. Unter dem Fernrohr ist eine Skala (SS) angebracht. Sie bildet +mit dem magnetischen Meridian einen rechten Winkel, ist also parallel +zum horizontalen Durchmesser des Spiegels gerichtet. Der Mittelpunkt +jener Skala und die optische Achse des Fernrohrs liegen in derselben +Vertikalebene. Die Skala ist ferner so angebracht, daß ihre Teilpunkte +durch den Spiegel in das Fernrohr geworfen werden. + +[Illustration: Abb. 57. Das von *Gauß* zum Messen der erdmagnetischen +Kraft erfundene Magnetometer.] + +Der Gebrauch dieses Apparates ist hiernach leicht verständlich. Man +versetzt den Magneten durch Annäherung eines zweiten Magneten in +kleine Schwingungen. In dem Fernrohr erscheinen dann nacheinander die +Teilstriche der Skala. Die Dauer einer Schwingung ergibt sich, wenn +man die Zeit bestimmt, die bis zum Wiedererscheinen eines bestimmten +Teilstrichs im Fadenkreuz des Fernrohrs verfließt. + +Neben der Astronomie und der Physik gibt es noch ein drittes Gebiet, +welches durch das mathematische Genie von *Gauß* in hohem Grade +gefördert wurde. Es ist die der Astronomie so nahe verwandte Geodäsie. +*Gauß* wurde dieser Wissenschaft durch folgende Veranlassung zugeführt. +Der ihm befreundete dänische Astronom *Schumacher* (1780 in Holstein +geboren, also der Stammeszugehörigkeit nach ein Deutscher) hatte im +Auftrage seiner Regierung eine Triangulation von Schleswig-Holstein +vorgenommen. Man beschloß nun in Hannover die Fortsetzung dieses +Unternehmens von Altona bis zu den südlichen Grenzen des Königreiches +und beauftragte *Gauß* mit der Ausführung dieser gewaltigen, den +Zeitraum von 24 Jahren in Anspruch nehmenden Arbeit, der sich *Gauß* +von 1821-1827 fast ausschließlich widmete. Das Ergebnis war ein +Verzeichnis von nicht weniger als 2578 festgelegten Punkten. Wichtiger +als dieser praktische, nur einem kleinen Lande erwiesene Dienst war +die Förderung, welche die Geodäsie durch die mit dieser Vermessung +verknüpfte Bereicherung an neuen Methoden erfuhr. *Gauß* selbst bemerkt +in dieser Hinsicht, daß er nicht nur in bezug auf die Art, wie die +Messungen angestellt wurden, sondern noch mehr in bezug auf ihre +nachherige Verarbeitung und mathematische Behandlung Wege eingeschlagen +habe, die von den sonst gebräuchlichen erheblich abwichen[544]. + +Zunächst ist hervorzuheben, daß *Gauß* seine Methode der kleinsten +Quadrate für geodätische Zwecke in die Form brachte, in der sie seitdem +in der Geodäsie allgemein angewandt wird. + +Mit den Aufgaben der höheren Geodäsie hängen zwei wichtige +mathematische Abhandlungen zusammen, die *Gauß* in den zwanziger +Jahren des 19. Jahrhunderts veröffentlichte. Die erste dieser +Abhandlungen steht mit der Kartenprojektion in enger Beziehung. Sie +wurde durch eine von der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu +Kopenhagen im Jahre 1822 gestellte Preisaufgabe veranlaßt und enthält +die allgemeine Lösung folgender Aufgabe: Die Teile einer gegebenen +Fläche sind auf einer anderen gegebenen Fläche so abzubilden, daß +die Abbildung dem Abgebildeten in den kleinsten Teilen ähnlich wird. +Diese für die Kartographie grundlegende Aufgabe hatte sich schon +*Lambert* gestellt[545]. Er hatte sich jedoch auf die Kugeloberfläche +und die Ebene beschränkt und eine allgemeine Lösung nicht zu geben +vermocht. Sie blieb den großen Mathematikern *Lagrange* und *Gauß* +vorbehalten[546]. Die geforderte Art der Abbildung hat *Gauß* als +»konform« (neuerdings sagt man »winkeltreu«) bezeichnet. Nachdem *Gauß* +die allgemeine Auflösung des Problems gegeben, betrachtet er einige +besondere Fälle. Er untersucht die konforme Abbildung von ebenen +Flächenstücken aufeinander und zeigt, wie man eine Karte, die in den +Einzelheiten gut, im ganzen aber etwas verzerrt ist, in eine bessere +verwandeln kann, wenn man die richtige Lage einer Anzahl von Punkten +kennt. Es folgen die Darstellung eines Kegels, einer Kugel und eines +Rotationsellipsoids in der Ebene. Den Schluß bildet die Darstellung +des Rotationsellipsoids auf einer Kugelfläche. Durch diese Ableitungen +von konformen Abbildungen wurden die umständlichen Rechnungen auf dem +Erdsphäroid weit einfacher gestaltet als es bei den bisherigen Methoden +möglich war. + +In einem, wenn auch weniger engen Zusammenhange mit den Aufgaben der +höheren Geodäsie steht die von *Gauß* im Jahre 1827 herausgegebene +Flächentheorie[547]. *Gauß* beschäftigt sich in dieser Abhandlung +besonders mit der Krümmung der Flächen. Er führt vor allem den Begriff +des Krümmungsmaßes ein, indem er die Teile der krummen Fläche mit dem +entsprechenden Oberflächenstück einer festen Hilfskugel vergleicht. Es +ist leicht ersichtlich, daß letzteres Stück um so kleiner sein wird, +je weniger das entsprechende Stück der krummen Fläche von der Ebene +abweicht. Außer dem Krümmungsmaß betrachtet *Gauß* in der erwähnten +Abhandlung die Konstruktion von Figuren auf krummen Flächen, die +Winkel und den Flächeninhalt solcher Figuren, die Verbindung von +Flächenpunkten durch kürzeste Linien usw., alles Aufgaben, die für +die Geodäsie von der größten Bedeutung sind. Insbesondere gilt dies +von der Untersuchung der durch kürzeste Linien gebildeten Dreiecke, +durch welche die sphärische Trigonometrie gefördert wurde. Solche +Linien hat man geodätische Linien und die aus ihnen gebildeten +Dreiecke geodätische Dreiecke genannt. Von den *Gauß*schen Sätzen über +geodätische Linien und Dreiecke sind vor allem folgende wichtig: Wenn +auf einer krummen Fläche von einem Punkte aus ein System geodätischer +Linien von gleicher Länge gezogen wird, so steht die ihre Endpunkte +verbindende Linie zu allen Linien des Systems senkrecht[548]. Zieht man +auf einer krummen Fläche eine beliebige Linie und läßt man von dieser +Linie unter rechten Winkeln und nach derselben Seite hin ein System +geodätischer Linien von gleicher Länge ausgehen. so schneidet die +Kurve, welche ihre Endpunkte verbindet, sämtliche geodätische Linien +rechtwinklig[549]. + +Besondere Erwähnung verdient auch der Satz, daß der Überschuß der +Summe der Winkel eines aus geodätischen Linien gebildeten Dreiecks +über zwei Rechte der Gesamtkrümmung des Dreiecks gleich ist[550]. +Für eine ganze Reihe weiterer geodätischer Untersuchungen ist der am +Schlusse der Abhandlung geführte Vergleich der geodätischen Dreiecke +mit geradlinigen Dreiecken von gleicher Seitenlänge grundlegend gewesen. + +Die beiden soeben nach Ziel und Inhalt kurz charakterisierten +Abhandlungen über die konforme Abbildung von Flächen (Kartenprojektion) +und die Linien und Stücke krummer Flächen (geodätische Linien und +Dreiecke) können als Bruchstücke eines größeren Werkes betrachtet +werden, das *Gauß* über die Geodäsie zu schreiben gedachte. Dies Werk +sollte nach Art des von ihm geschaffenen astronomischen Hauptwerkes, +der Theoria motus corporum coelestium vom Jahre 1809, die gesamten +Grundlagen der Geodäsie entwickeln und die Triangulation des +Königsreichs Hannover als großes Beispiel, an welchem die Theorien +erläutert werden sollten, enthalten. Leider ist dieser Plan nicht zur +Ausführung gekommen. Trotzdem sind die Verdienste, die sich *Gauß* +um die Entwicklung der Geodäsie erworben, unübertroffen. Durch ihn +wurde diese Wissenschaft, die bisher nicht viel mehr als gewöhnliche +Feldmeßkunst gewesen, der Astronomie im Range gleichgestellt. So +wurde z. B. bei jener Triangulation das sphärische Dreieck, dessen +Fläche sich auf 53 Quadratmeilen belief, mit einer solchen Genauigkeit +gemessen, daß die wirkliche Winkelsumme von der berechneten nur um zwei +Zehntel Sekunden abwich[551]. Um Dreiecke von solcher Größe ausmessen +zu können, schuf *Gauß* in dem Heliotrop einen neuen geodätischen +Apparat. Seine Konstruktion stützt sich auf einen katoptrischen Satz, +der aus Abb. 58 leicht ersichtlich ist. Er lautet: Wenn von einem +genügend weit entfernten, leuchtenden Punkte ein Strahl SA auf zwei +zu einander senkrecht stehende Spiegel (MN und PQ) fällt, so wird +er nach entgegengesetzten Richtungen AC und AB reflektiert[552]. + +Eine solche Spiegelkombination brachte *Gauß* vor seinem bei +Vermessungen dienenden Fernrohr an. Die Kombination wurde so gedreht, +daß der eine Strahl, z. B. AC, in die Achse des Fernrohrs gelangte. +In diesem Falle wurde der andere Strahl AB nach dem Orte hingeworfen, +nach dem das Fernrohr gerichtet war und konnte dort zur Einstellung +eines zweiten Fernrohrs benutzt werden. Natürlich mußten in dem +Spiegelapparat geeignete Öffnungen freigelassen werden, durch welche +die Achse des Fernrohrs hindurchging. *Gauß* erfand das Heliotrop im +Jahre 1821. Er konnte es also für die vorzunehmende Triangulation +sofort zur Verfügung stellen. + +[Illustration: Abb. 58. Das dem *Gauß'*schen Heliotrop zu Grunde +liegende Gesetz.] + +Nicht nur die Meßkunst, sondern auch das praktische Rechnen erfuhr +durch *Gauß* eine wesentliche Förderung. Dies geschah dadurch, daß +er Tafeln zur bequemen Berechnung der Logarithmen von Summen oder +Differenzen zweier Größen, die selbst nur durch ihre Logarithmen +gegeben sind, herausgab. *Gauß* wandte sich auch gegen den zwecklosen +Gebrauch vielstelliger Logarithmentafeln. Es kamen zehn-, vierzehn-, +selbst zwanzigstellige vor. *Gauß* sprach sich für den Gebrauch von +fünfstelligen Tafeln aus, weil die Fälle, wo sie ausreichen, häufig, +ja die häufigsten seien und so scharfe Rechnungen, welche den Gebrauch +vielstelliger Tafeln rechtfertigen würden, in der Praxis des Astronomen +nicht vorkämen. + +Von *Gauß* hat man gesagt, er habe lange auf einsamer Höhe gewandelt. +Es lag das daran, daß er es nicht verstand, die Ergebnisse seiner +Forschungen zum Allgemeingut zu machen. Seiner wissenschaftlichen +Tätigkeit gegenüber trat bei ihm das akademische Lehramt sehr zurück. +Er besaß nur wenige Schüler, da ihm nur wenige zu folgen vermochten. +Auch seine Schriften wurden von den zeitgenössischen Fachleuten +zu wenig beachtet; ferner blieben wichtige Entdeckungen mitunter +Jahrzehnte in seinem Schreibpult vergraben. Dieser sonderbare Egoismus +in wissenschaftlichen Dingen -- wohl die einzige Schattenseite des +Geistesriesen -- ging so weit, daß er wiederholt erklärte, er stelle +seine Untersuchungen nur seiner selbst wegen an, und es sei für ihn +von untergeordneter Bedeutung, ob seine Arbeiten zur Belehrung anderer +später im Druck erschienen[553]. *Gauß* veröffentlichte nichts, was er +nicht zum Abschluß gebracht hatte. Daher erscheint jede seiner Arbeiten +als ein vollendetes Kunstwerk, an welchem man von den Zurüstungen und +Hilfsmitteln, die zu dem Aufbau führten, nichts mehr bemerkt. Dieser +Umstand hat das Studium der *Gauß*schen Schriften sehr erschwert. Als +man einst dem Verfasser den Vorwurf allzu großer Schwierigkeit machte, +erklärte er, man dürfe dem fertigen Gebäude nichts mehr vom Baugerüst +ansehen. Mit Recht ist ihm darauf erwidert worden, daß man doch +wenigstens eine Tür zu sehen wünsche, um hineinzugelangen. + +Im Jahre 1855 verschied *Gauß*. Eine zur Erinnerung an ihn vom König +gestiftete Denkmünze trägt die Inschrift: Dem Könige der Mathematiker. +Nach seinem Tode sind die Werke von *Gauß* dadurch zugänglicher +geworden, daß sie von vielen Seiten kommentiert wurden. Sie erschienen +von 1863-1874 in einer Gesamtausgabe[554]. Wir verlassen *Gauß* mit +einigen Worten eines Nachrufs den ihm einer der bedeutendsten unter den +neueren Mathematikern[555] gewidmet hat: »Unter allen Werken von *Gauß* +ist keins, das nicht in dem betreffenden Fache einen wesentlichen +Fortschritt durch neue Methoden und neue Ergebnisse begründete. +Sie sind Meisterwerke, welche den Stempel der Mustergültigkeit an +sich tragen. Dies bürgt dafür, daß sie für alle Zeiten nicht nur +geschichtlichen Wert besitzen, sondern auch künftigen Geschlechtern als +Grundlage jedes tieferen Studiums und als reiche Fundgrube fruchtbarer +Gedanken dienen werden«. + +Die letzten Abschnitte ließen uns erkennen, in welch außerordentlichem +Maße der mathematische Genius die Astronomie, die Physik und die +Geodäsie zu befruchten vermochte. Der Einfluß der Mathematik auf die +Naturwissenschaften ist seit den Zeiten eines *Gauß* nicht geringer +geworden, wenn es auch kaum noch einen Mathematiker gab, der sich +in gleicher Weise neben dem Ausbau seines Forschungsgebietes der +Verknüpfung der Mathematik mit anderen Wissenszweigen gewidmet hätte. +Selbst *Helmholtz*, der unter den neueren am meisten an *Gauß* +heranreichte, war doch in erster Linie Physiker, der die Mathematik als +Hilfswissenschaft und weniger ihrer selbst willen betrieb. + +Um das Verhältnis der höheren Mathematik zur reinen und angewandten +Naturwissenschaft, wie es sich im 19. Jahrhundert herausgebildet, +kennen zu lernen, richtete sich unser Blick zuerst auf Frankreich. +Hier war es, wo während der Revolutions- und der Kaiserzeit durch eine +Reihe bedeutender Männer die Wechselbeziehung zwischen den genannten +Gebieten am klarsten erkannt und am nachhaltigsten gefördert wurde. +Und zwar geschah dies zu einer Zeit, als Deutschland an bedeutenderen +Mathematikern so arm war, daß *Gauß* nicht verstanden und Vorlesungen +über höhere Mathematik an deutschen Universitäten für unnütz erklärt +und daher nur selten gehalten wurden. Die große Zeit, welche die +Mathematik und die exakten Naturwissenschaften in Frankreich erlebten, +knüpft an die Namen *Laplace*, *Lagrange* und *Lavoisier* an. Wir +lernten den ersten als den Schöpfer der Mécanique céleste, den +zweiten als den Verfasser der Mécanique analytique und *Lavoisier* +als den Begründer der neueren Chemie kennen. + +Erst als in den von *Gauß* eröffneten Bahnen Männer wie *Dirichlet*, +sein Nachfolger auf dem Göttinger Lehrstuhl, wie *Jacobi* und *Riemann* +die Mathematik fortsetzten, während in Frankreich ihre Entwicklung +nachließ, gelang es Deutschland, die Führung auf diesem Gebiete zu +erhalten. + + + + +21. Die Begründung der physikalischen Erdbeschreibung. + + +Durch den außerordentlichen Aufschwung, den die gesamten +Naturwissenschaften in der neueren Zeit erfuhren, wurde von den übrigen +Wissenschaften keine in solchem Maße in ihrem Ziel und ihrem Inhalt +umgestaltet wie die Erdkunde. Zwar hatte ihr das Zeitalter der großen +geographischen Entdeckungen einen gewaltigen Anstoß gegeben, sie war +aber im wesentlichen bloße Erdbeschreibung geblieben. Die Geographie +als Lehre von dem inneren Zusammenhange der tellurischen Erscheinungen +und ihrer Abhängigkeit von kosmischen Vorgängen entwickelte sich +erst während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Während dieses +Zeitraumes entstanden als die wichtigsten Grundlagen einer den +Naturwissenschaften ebenbürtigen, in ihrem Geiste und nach ihren +Methoden schaffenden Erdkunde vor allem die tellurische Physik und die +Tier- und Pflanzengeographie. Um die Begründung dieser Wissenszweige +hat sich in jenem Zeitraume kaum jemand solch hervorragende Verdienste +erworben wie *Alexander von Humboldt*. + +Die Meteorologie konnte erst zu einer auf allgemeineren Grundlagen +beruhenden Wissenschaft werden, wenn sie ihre Beobachtungen, die +sich bisher im wesentlichen auf Europa beschränkt hatten, über die +gesamte Erde ausdehnte. Und daß dies geschah, ist das Verdienst *von +Humboldts*. Er machte zuerst die tropischen Witterungsverhältnisse zum +Gegenstande eingehender Untersuchung und vertrat die Überzeugung, daß +nicht nur die tropischen, sondern auch die in mittleren und höheren +Breiten sich abspielenden meteorologischen Vorgänge von gesetzmäßig +wirkenden Ursachen, deren Kenntnis sich auf die Dauer der Forschung +nicht entziehen könne, beherrscht seien. + +Dadurch, daß *Humboldt* die Isothermen oder die Linien gleicher +Jahrestemperatur einführte, wurde er zu einem der Begründer einer +wissenschaftlichen Klimalehre. Sie verdankt ihm außer jenem Verfahren +der graphischen Darstellung ihrer Elemente[556] auch die wichtigen +Begriffe des Küsten- und Kontinentalklimas, sowie des Höhen- und +Tiefenklimas. *Humboldt* erkannte ferner, daß die Linien gleicher +Sommerwärme (die Isothermen) wesentlich anders als die Linien gleicher +Winterwärme (die Isochimenen) verlaufen[557]. Die weitere Ausgestaltung +dieses Forschungsmittels, das wie eine Offenbarung wirkte, ist vor +allem zwei Deutschen zu verdanken, nämlich *Dove*, der den Begriff +der isanomalen Linien aufstellte und *Berghaus*, der zuerst (1838) in +seinem physikalischen Atlas ein umfangreiches kartographisches Material +zusammenbrachte. + +Jetzt erst gelangte man zu einer klaren Erkenntnis der Abhängigkeit des +Klimas von der Verteilung von Wasser und Land, der Richtung und der +Höhe der Gebirge und den vorherrschenden Luft- und Meeresströmungen. +Ihres historischen Wertes wegen verdient die von *Humboldt* entworfene +und seiner Abhandlung vom Jahre 1817 beigegebene, Isothermenkarte +immer noch Beachtung. Daß er die Idee *Halley* verdankt, hat er selbst +mitgeteilt. Es ist gewiß verwunderlich, daß während des langen von +*Halley* bis *Humboldt* reichenden Zeitraums[558] niemand darauf +verfallen ist, *Halleys* so außerordentlich glücklichen und fruchtbaren +Gedanken auf andere Gebiete zu übertragen. Eine Erweiterung des +Verfahrens, die wir *Dove* verdanken, bestand darin, daß er nicht die +Orte gleicher Werte, sondern diejenigen gleicher Abweichung von einem +nach theoretischen Voraussetzungen berechneten Mittel durch seine +Kurven, die Isanomalen, verband und dadurch neue, wertvolle Aufschlüsse +über die Ursachen der Temperaturerniedrigung oder -erhöhung, die +bestimmte Teile der Erdoberfläche aufweisen, erhielt. + +Auch auf die ungleiche Verteilung der Wärme in vertikaler Richtung und +die Gesetzmäßigkeiten, welche dieser Erscheinung zugrunde liegen, hat +neben dem Alpenforscher *Saussure* und dem Veranstalter der ersten +wissenschaftlichen Ballonfahrt, *Gay-Lussac*, besonders *Humboldt* +hingewiesen. Nach seinen Angaben[559] findet eine durchschnittliche +Verminderung der mittleren Jahreswärme um 1° C statt, wenn man um etwa +85 Toisen in die Höhe steigt. Doch bestätigte sich andererseits die +schon von *Saussure* ausgesprochene Vermutung, daß der Winter auf Höhen +verhältnismäßig milder ist als in der Ebene. + +Die Erklärung der Passate und der Monsune hatte schon *Halley* +beschäftigt. Doch wurde die Lehre von den Luftströmungen erst +eingehender durch *Dove* begründet. *Dove* wies nach, daß der Wind mit +ziemlicher Regelmäßigkeit, von West ausgehend, durch Nord und Ost und +Süd nach West zurückkehrt, während sich auf der südlichen Halbkugel +die entgegengesetzte Drehung zeigt. Etwa ein Vierteljahrhundert später +erkannte man, daß *Doves* Regel nur ein unvollkommener Ausdruck des +barischen Windgesetzes[560] ist. Letzteres spricht die enge Beziehung +zwischen Luftdruck und Luftbewegung folgendermaßen aus: Die Luft +bewegt sich stets von einem Orte höheren nach dem nächstliegenden Orte +niederen Luftdrucks hin. Dabei wird sie auf der nördlichen Halbkugel +nach rechts, auf der südlichen nach links abgelenkt. Jede Luftbewegung, +ob sanft oder heftig, erfolgt danach in der Form einer Spirale +(Zyklone) und zwar ist die Spiralbewegung in der Nähe eines Minimums +derjenigen in der Nähe eines Maximums entgegengesetzt (zyklonal und +antizyklonal). Auf dieser Grundlage hat sich die heutige Meteorologie +mit ihren synoptischen Karten, ihrer Wetterprognose und dem so +wertvollen Sturmwarnungswesen entwickelt. + +Außer dem Netz von Stern- und Wetterwarten, mit dem im 19. Jahrhundert +der ganze Erdball überzogen wurde, ist auch der zahlreichen, +während dieses Zeitraums ins Leben gerufenen erdmagnetischen und +seismologischen Observatorien zu gedenken. Welche Verdienste sich um +das Zustandekommen der erdmagnetischen Warten und um die Erforschung +des magnetischen Zustandes der Erde *Gauß* und *von Humboldt* erworben +haben, ist schon an früherer Stelle erwähnt worden[561]. + +Eine ähnliche zentrale Stellung, wie sie *Gauß* während der ersten +Hälfte des 19. Jahrhunderts für das Gebiet der reinen und der +angewandten Mathematik einnahm, besaß *Alexander von Humboldt* während +dieses Zeitraums für das gesamte weite Gebiet der Naturwissenschaften, +wenn auch die Fortschritte, die wir ihm verdanken, weniger in die Tiefe +gingen, sondern vorzugsweise auf die Verknüpfung der verschiedenen +Wissensgebiete durch gemeinsame Gesichtspunkte und wechselseitige +Durchdringung abzweckten. Dieser Bedeutung *von Humboldts*, der in +seiner Geistesart mehr an *Aristoteles* und *Leibniz* wie an einen +*Newton* und einen *Gauß* erinnert, soll hier eingehender Rechnung +getragen werden. + +*Alexander von Humboldt* wurde am 14. September 1769 als Sprößling +eines altadeligen preußischen Geschlechtes in Berlin geboren und dort +und auf dem elterlichen Gute in Tegel gemeinsam mit seinem Bruder +*Wilhelm* durch Privatunterricht vorgebildet. *Alexander von Humboldt* +widmete sich zunächst dem Studium der Verwaltungsfächer, da er den +Traditionen seiner Familie folgen und eine Staatsanstellung bekleiden +sollte. Innere Neigung und der Verkehr mit seinem Freunde *Willdenow* +führten ihn jedoch bald den Naturwissenschaften zu. Mit 19 Jahren +sehen wir ihn schon mit der Abfassung eines größeren botanischen +Werkes beschäftigt[562]. Sein Interesse für die Naturwissenschaften +wurde besonders angefacht, als er die Universität Göttingen bezog, +wo damals die hervorragendsten deutschen Vertreter dieser Fächer +lehrten. Den Einfluß, welchen der Physiker *Lichtenberg*, der Chemiker +*Gmelin* und der Anatom *Blumenbach* dort auf ihn ausgeübt haben, +hat *Humboldt* stets dankbar anerkannt. In Göttingen lernte er auch +*Georg Forster* kennen, der *Cook* auf seiner zweiten Weltumsegelung +begleitet und sich als ein Meister in der Naturschilderung einen Namen +erworben hatte. *Forster*, der eine ganz außergewöhnlich vielseitige +wissenschaftliche Begabung besaß, ist für *Alexander von Humboldt* +vorbildlich gewesen und hat auf seinen ferneren Studien- und Lebensgang +einen entscheidenden Einfluß ausgeübt[563]. In Gemeinschaft mit +*Forster* unternahm *Humboldt* im Sommer 1790 seine erste größere +Reise nach Holland, England und Frankreich. Sie wurde für ihn unter +der Anleitung des Weltumseglers zur Vorschule für seine eigenen +großen Entdeckungsreisen. Diese Reise, auf welcher die Leidenschaft +für das Seewesen und tropische Länder in *Humboldt* erwachte, hat er +oft als ein besonderes Glück bezeichnet[564]. Seine Studien setzte +*Humboldt* zunächst an der Bergakademie zu Freiberg fort, wo er zu +den begeistertsten Schülern des Mineralogen *Werner* zählte, des +Hauptvertreters der später von *Humboldt* und von *L. v. Buch* so +eifrig befehdeten neptunistischen Richtung. + +Aus allen Teilen der Welt kamen damals Mineralogen, Geologen und +Bergleute nach Freiberg, um *Werner* zu hören. *Humboldt* fand bei ihm +eine besonders gute Aufnahme, da er sich durch seine »Beobachtungen +über einige Basalte am Rhein« (1790) schon einen Namen gemacht hatte. +Noch drei Jahrzehnte nach dieser Zeit sprach *Humboldt* seinem +verdienten Lehrer in folgenden Worten seine Anerkennung aus: »*Werner* +erkannte mit bewundernswertem Scharfsinn alle Beziehungen, die bei der +Betrachtung der geologischen Formationen beachtet werden müssen. Er +lehrte, was man zu wissen und was man zu beobachten habe. Er hat in +Gegenden, deren Untersuchung ihm nicht vergönnt gewesen, einen Teil +der Entdeckungen vorbereitet. Da nämlich die Formationen unabhängig +sind von dem Wechsel der geographischen Breite und vom Klima, so kann +irgend ein sehr beschränkter Raum der Erdfeste, in welchem die Natur +viele Formationen vereinigt hat, gleich einem wahrhaften Mikrokosmos +im Geiste eines bewährten Beobachters sehr richtige Gedanken über die +Grundwahrheiten der Geologie erwecken«[565]. Nach seinem Fortgange +von Freiberg war *Humboldt* einige Jahre als Bergassessor und als +Bergmeister im Fichtelgebirge tätig. Während dieser Zeit kam er auch +wiederholt mit dem Weimar-Jena-Kreise, dem sein Bruder *Wilhelm* seit +1794 angehörte, in Berührung. + +Wie *Wilhelm* zu *Schiller* so trat *Alexander* zu *Goethe* in nähere +Beziehungen. Die Naturwissenschaften waren damals in Weimar Mode. +Alles trieb Mineralogie. Selbst die Damen des Hofes legten sich +naturwissenschaftliche Sammlungen an, und *Goethe* war in seinem +Eifer für Mineralogie und Geognosie kein Berg zu hoch, kein Schacht +zu tief, kein Stollen zu niedrig und keine Höhle labyrinthisch +genug[566]. Auch an *Humboldts* Versuchen über den galvanischen Reiz +der Nerven und Muskelfaser hat sich *Goethe* lebhaft beteiligt. Das +von *Humboldt* über diesen Gegenstand veröffentlichte Werk war zwar +durch manchen Versuch wertvoll, es blieb aber in der Tendenz verfehlt, +da es die Reaktionen der Muskeln nicht als Wirkungen des galvanischen +Stromes, sondern als die Äußerungen einer eigentümlichen Lebenskraft +hinstellte[567]. + +Auch die Arbeiten *Goethes* über die vergleichende Anatomie, +insbesondere die vergleichende Osteologie, kamen zwischen ihm, der +schon im Jahre 1786 über das Zwischenkieferbein geschrieben, und +*Alexander von Humboldt* zur Sprache. "Meine naturwissenschaftlichen +Arbeiten", schrieb *Goethe* damals, "sind durch *Humboldt* aus ihrem +Winterschlafe geweckt worden". Nach verbürgten Zeugnissen hat der +Dichterfürst es dankbar anerkannt, daß die Gebrüder *Humboldt* mit +ihrem jugendlichen, frischen Streben den größten Einfluß auf ihn +ausgeübt hätten, als er selbst schon begonnen habe, an der Welt müde zu +werden. + +Auch *Schiller* kam mit *Alexander von Humboldt* häufiger in +persönliche Berührung. Es ist nun interessant zu sehen, wie sehr seine +Beurteilung des Forschers von derjenigen *Goethes* abwich. Nachdem +er dem Bruder *Wilhelm* alle Anerkennung gespendet, schreibt er über +*Alexander*: »Bei allem ungeheuren Reichtum des Stoffes finde ich +in ihm eine Dürftigkeit des Sinnes, der bei dem Gegenstande, den er +behandelt, das schlimmste Übel ist. Es ist der nackte schneidende +Verstand, der die Natur, die immer unfaßlich und ehrwürdig ist, +schamlos ausgemessen haben will und mit einer Frechheit, die ich +nicht begreife, seine Formeln, die oft nur leere Worte und immer nur +enge Begriffe sind, zu ihrem Maßstabe macht. Kurz, mir scheint er +für seinen Gegenstand ein viel zu grobes Organ und dabei ein viel zu +beschränkter Verstandesmensch zu sein. Er hat keine Einbildungskraft, +und so fehlt ihm nach meinem Urteil das notwendigste Vermögen zu seiner +Wissenschaft, denn die Natur muß angeschaut und empfunden werden in +ihren einzelnsten Erscheinungen wie in ihren höchsten Gesetzen.« Wie +würden die heutige Naturwissenschaft und ihre Vertreter vor diesem von +übertriebenem Idealismus diktierten Urteil *Schillers* wohl bestehen! +Andererseits ist die in Schillers Worten zum Ausdruck kommende, +durchaus subjektive Art, über die Mittel und Ziele der Naturforschung +zu urteilen, durch die gesamte Entwicklung, die Philosophie und +Wissenschaft im 19. Jahrhundert genommen haben, in ihrer Haltlosigkeit +und inneren Unwahrheit dargetan worden. Doch darf nicht vergessen +werden, daß es auch Extreme in der naturwissenschaftlichen Methode +gibt, von denen *Humboldt* sich aber -- und darin besteht das Irrige +des *Schiller*schen Urteils -- weit entfernt hielt, Extreme, vor +denen das idealistische und philosophische Denken ein Recht hat, den +Warnungsruf ertönen zu lassen. + +Erwähnt sei noch, daß in späteren Jahren *Goethe* *Alexander von +Humboldt*, als der letztere die Bedeutung des Vulkanismus erkannte, +nicht zu folgen vermochte, sondern an den veralteten neptunistischen +Ansichten festhielt. *Goethe* begegnete den Vertretern der neueren +Geologie nicht nur mit Spott, wovon manche Stellen seiner poetischen +Schöpfungen Zeugnis ablegen[568], sondern fast mit einem Groll, der +erst gegen sein Lebensende einer gewissen Resignation in dieser +wissenschaftlichen Frage Platz machte. + +Das bedeutendste Ereignis und gleichzeitig die größte wissenschaftliche +Tat in dem Leben *Alexander von Humboldts* war seine amerikanische +Forschungsreise, die erste große wissenschaftliche Expedition, die für +alle späteren Unternehmungen dieser Art vorbildlich gewesen ist. Nach +jahrelangen Vorbereitungen und vielen Mühen und Enttäuschungen, von +denen wir uns heute, im Zeitalter des Verkehrs, keinen Begriff machen +können, erfolgte *Humboldts* Abreise von Coruña im Juni des Jahres +1799. Sein Reisegefährte war der Botaniker *Bonpland*, ein Schüler +*Jussieus*. + +Über die Erfolge dieser Reise hat später einer der Berufensten, der +große Geograph Carl *Ritter*, die Worte geäußert: »Es war, als wäre +eine neue Sonne voll Licht und Wärme im Westen über der Neuen Welt +emporgestiegen, um auf die alte Welt wohltätig zurückzustrahlen«[569]. +Eine Reihe von Umständen und Voraussetzungen haben zusammengewirkt, +um *Humboldt* durch seine amerikanische Reise zum Begründer einer +neuen Epoche der physischen Erdbeschreibung, der innigsten Verknüpfung +von Naturwissenschaft und Geographie zu machen. Für eine Vorbereitung +durch vielseitige und eifrige Studien und eine Ausrüstung mit den +besten astronomischen und physikalischen Apparaten war zunächst Sorge +getragen. Dazu gesellte sich das Streben, den zu erforschenden Teil +der Erde als ein Ganzes zum Gegenstande des Studiums zu machen. Es +galt zwar zunächst Einzelheiten zu erforschen, aber ihre Verknüpfung, +die Erkenntnis ihres gesetzmäßigen Zusammenhanges wurde stets als das +höhere Ziel ins Auge gefaßt. + +Wir können hier *von Humboldt* nicht auf seinen Kreuz- und Querzügen +durch Süd- und Mittelamerika folgen, da aber seine Reise epochemachend +für alle späteren Expeditionen in das Innere großer Kontinente gewesen +ist, so wollen wir doch in einigen Punkten untersuchen, wie er der +Fülle der ihm gestellten Aufgaben gerecht geworden ist. + +Von Coruña ging die Fahrt nach Teneriffa. Dort erfolgte die erste zu +wissenschaftlichen Zwecken unternommene Besteigung eines innerhalb +der subtropischen Zone liegenden Berges. An seinem Fuße wurde ein +Drachenbaum von 45 Fuß Umfang gefunden, den *Humboldt* für einen der +ältesten Bewohner der Erde erklärte. Am Abhange des nur im Winter mit +Schnee bedeckten Piks zeigte sich eine Eishöhle. Der Gipfel selbst +besaß den Charakter einer Solfatara. Ferner unterschied *von Humboldt* +fünf Pflanzenzonen, die sich an dem Pik von seinem mit Weinreben +geschmückten Fuß bis zu dem Gipfel, wo die Flechten an der Zersetzung +der vulkanischen Schlacken arbeiten, wie Stockwerke übereinander +aufbauen. + +Den ersten längeren Aufenthalt nahm *Humboldt* in Cumana, das seit +Jahrhunderten als ein Herd der furchtbarsten Erdbeben galt. Erst +zwei Jahre vor seiner Ankunft hatte ein solches die Stadt gänzlich +zerstört. *Humboldt* verwandte mehrere Wochen darauf, die Spuren jenes +furchtbaren Elementarereignisses eingehend zu erforschen. Wenige Monate +nach seiner Ankunft in Cumana fand an diesem Orte ein neues Erdbeben +statt. Es war das erste, das unser Forscher miterlebte. Und von dem +tiefen Eindruck, den es auf ihn machte, legt seine Schilderung Zeugnis +ab[570]. + +Nicht minder bekannt geworden ist die Schilderung des großen +Sternschnuppenfalls, den *Humboldt* im November des Jahres 1799 in +Cumana beobachtete. Innerhalb weniger Stunden vermochte er tausende von +Sternschnuppen und Feuerkugeln zu zählen. + +Im Anfang des Jahres 1800 drangen die Reisenden tiefer in den +südamerikanischen Kontinent ein. Sie erforschten das Stromnetz des +Orinoko, durchstreiften die einförmigen Llanos, die sich an die +Waldregion der großen Ströme anschließen, und stellten Untersuchungen +über den Zitteraal (Gymnotus electricus), dessen Fang *von Humboldt* +so anschaulich schilderte, und über die Reizbarkeit der Mimosen an. + +Um die Cordilleren zu erforschen, hielt sich *von Humboldt* lange +Zeit in Quito auf. Von dort unternahm er die berühmte Besteigung des +Chimborazo, der damals für den höchsten Berg der Erde gehalten wurde. +*Von Humboldt* erreichte eine Höhe[571], die vor ihm noch kein Mensch +erklommen hatte. + +Nach der Durchforschung Mexikos und einem kurzen Aufenthalt in den +Vereinigten Staaten hielt sich *von Humboldt* fast zwei Jahrzehnte[572] +in Paris auf. Noch länger dauerte die Abfassung des monumentalen +Werkes über seine Reise[573]. Daneben fand *Humboldt* noch Zeit, sich +mit erdmagnetischen und in Gemeinschaft mit *Gay-Lussac* sich mit +eudiometrischen Untersuchungen[574] zu beschäftigen. + +Die deutsche Forschung ist zu Beginn des 19. Jahrhunderts von keinem +Lande so sehr wie von Frankreich angeregt und befruchtet worden. Von +dort ist nicht nur in die europäische Staatenentwicklung, sondern +auch für das Gebiet der exakten Forschung der erfrischende Luftzug +gekommen, der die Periode der neuesten Entwicklung einleitete. In +Frankreichs Hauptstadt hatten große Meister der Forschung, wie +*Cuvier*, *Lavoisier*, *Laplace*, *Ampère*, *Gay-Lussac* und viele +andere, diejenige grundlegende Tätigkeit entfaltet, welche den Boden +für die neueste Entwicklung der Naturwissenschaften bereitet hat. +Eine wichtige Rolle bei der Vermittlung zwischen der französischen +und der emporstrebenden deutschen Wissenschaft hat *Alexander von +Humboldt* ausgeübt. Man darf nicht so kleinlich sein und *Humboldt* +daraus den Vorwurf machen, daß in ihm der Patriot hinter dem Forscher +zurückgetreten sei. Die Wissenschaft darf sich nicht hinter nationalen +Grenzen verschanzen. Sie muß das Gute nehmen, wo sie es findet. Wer +ihre Geschichte schreibt, darf das Verdienst des Auslandes gegenüber +dem des eigenen Landes nicht zu verkleinern suchen. Wir müssen +deshalb Frankreich die Anerkennung zollen, daß ohne die Schulung, +welche die deutschen Forscher dort während der ersten Jahrzehnte +des 19. Jahrhunderts erfuhren, Deutschland schwerlich so rasch, wie +es geschehen, in wissenschaftlichen Wettbewerb mit Frankreich hätte +treten, geschweige denn es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts +überflügeln können, wie auch von französischer Seite mitunter neidlos +anerkannt worden ist. + +Über den Inhalt des gewaltigen *Humboldt*schen Reisewerkes, an dessen +Abfassung sich viele Kräfte beteiligten, möge noch einiges hier Platz +finden. Es umfaßt sechs Abteilungen, von denen jede aus mehreren Bänden +besteht. Die erste Abteilung (Rélation historique) enthält neben +dem von *Humboldt* selbst verfaßten Reisebericht eine Geschichte der +geographischen Erschließung des neuen Kontinents und einen aus 39 +Karten bestehenden Atlas. + +Die zweite Abteilung ist der Zoologie und der vergleichenden Anatomie +gewidmet. Bei ihrer Abfassung zählten die Reisenden *Cuvier*, +*Latreille* (für die Insekten) und *Valenciennes* (für die Fische und +die Weichtiere) zu ihren Mitarbeitern. + +Die dritte Abteilung behandelt die politische Geographie der spanischen +Besitzungen in Amerika, die sich damals vom 38. Grade nördlicher bis +zum 42. Grade südlicher Breite erstreckten. + +Die vierte Abteilung enthält die astronomischen, trigonometrischen +und barometrischen Messungen, während die fünfte die Geologie und die +Pflanzengeographie der erforschten Länder zum Gegenstande hat. + +Ausschließlich botanischen Inhalts ist endlich die sechste Abteilung. +Sie enthält eine Übersicht über sämtliche gesammelten Pflanzen +und beschäftigt sich außerdem in monographischer Behandlung mit +den Mimosen, den neu entdeckten Gräsern und der in Südamerika in +zahlreichen Arten vorkommenden tropischen Familie der Melastomeen[575]. + +Im Jahre 1827 vertauschte von *Humboldt* das ihm so lieb gewordene +Paris auf den dringenden Wunsch seines Königs mit der an geistiger +Bedeutung hinter Paris damals weit zurückstehenden preußischen +Hauptstadt. Jetzt begann für den fast Sechzigjährigen eine neue +Lebensaufgabe, die er durch die Verwirklichung des schon lange +gehegten Planes einer physischen Weltbeschreibung erfüllte. Bevor +sich jedoch von *Humboldt* an die Abfassung seines »Kosmos« begab, +unternahm er im Auftrage des russischen Herrschers, begleitet von +dem Zoologen *Ehrenberg* und dem Mineralogen *Rose* eine kurze, aber +ergebnisreiche Expedition ins asiatische Rußland. *Humboldt* und seine +Begleiter besuchten die Erzlagerstätten des Altai, überschritten die +chinesische Grenze und durchzogen von dort die ungeheure Steppe, um den +südlichen Ural zu erreichen. An die geologische Durchforschung dieses +Gebirgszuges knüpft die berühmt gewordene Voraussage *Humboldts*, +daß der Ural mit seinen Gold- und Platinschätzen ein wahres Dorado +sei[576]. Zahlreiche Beobachtungen wurden auch an den Besuch des +Kaspischen Meeres geknüpft und Material für das von *Cuvier* und +*Valenciennes* bearbeitete große Werk über die Fische gesammelt. + +Wir gelangen zu dem reifsten Werke von *Humboldts*, das seinen Namen +populär gemacht hat, dem »Kosmos«, wie er seinen Entwurf einer +physischen Weltbeschreibung nannte. Hervorgegangen ist das Werk +aus Vorlesungen, die er nach seinem Eintreffen in Berlin vor einem +großen Kreise im Beisein des Königs und des Hofes hielt und die als +ein Ereignis des Winters 1827/28 galten. Der Kosmos ist nicht minder +als das große Reisewerk epochemachend nicht nur für die deutsche, +sondern für die Weltliteratur[577] gewesen und wird, wenn auch manche +Einzelheiten veraltet sind oder sich als irrig erwiesen haben, als +Ganzes immer seinen Wert besitzen. Einen solchen besitzt das Werk nicht +nur nach der wissenschaftlichen, sondern auch nach der sprachlichen und +allgemein literarischen Seite. Mag dem heutigen Geschlecht, das die +Natur oft mit zu nüchternem Verstande betrachtet, *Humboldts* Ausdruck +pathetisch und seine Sprache allzu reich an Bildern erscheinen, eins +darf man nicht vergessen: war es doch *Humboldt*, der die Deutschen +wissenschaftliche Dinge in formvollendeter Sprache behandeln +lehrte. Um das zu würdigen, muß man die trostlose Dürre der meisten +früheren naturwissenschaftlichen Schriftsteller und die hohlen, von +unverständlicher Mystik triefenden Phrasen der während des ersten +Viertels des 19. Jahrhunderts den deutschen Geist beherrschenden, ja +knebelnden naturphilosophischen Schule genossen haben. + +Auch die Vorlesungen, aus denen der Kosmos entstanden ist, waren in +gewisser Hinsicht epochemachend. Sie stellen nämlich den ersten und +gelungensten Versuch dar, die Kluft, welche die große Masse des Volkes +von der Wissenschaft trennt, zu überbrücken. Etwa tausend Zuhörer aller +Kreise »vom Könige bis zum einfachen Maurer« folgten den Ausführungen +*Humboldts* mit der größten Spannung. + +Der Plan zum »Kosmos« entstand in *Humboldt* schon in den neunziger +Jahren des von universellem Streben beherrschten 18. Jahrhunderts, +wahrscheinlich unter der Einwirkung des Weimar-Jena-Kreises[578]. »Am +späten Abend eines vielbewegten Lebens«, so lauten von *Humboldts* +einleitende Worte, »übergebe ich der Öffentlichkeit ein Werk, das +in unbestimmten Umrissen mir ein halbes Jahrhundert vor der Seele +schwebte.« + +Den ersten Band bezeichnet er als ein allgemeines Naturgemälde, +das von den fernsten Nebelflecken des Weltraums und den kreisenden +Doppelsternen stufenweise zu der Sternschicht herabsteigt, der unser +Sonnensystem angehört, zu dem luft- und meerumflossenen Erdsphäroid, +seiner Gestaltung, Temperatur und magnetischen Spannung bis zu der +Lebensfülle, die vom Lichte angeregt sich an seiner Oberfläche +entfaltet. Die Aufgabe war dem Umfang nach eine weitgespannte, dem +Ziele nach entsprach sie als ein »Gemälde«, eine »Weltbeschreibung«, +indessen nicht mehr der Forderung des nach tieferer Erkenntnis des +kausalen Zusammenhanges strebenden 19. Jahrhunderts, dessen wichtigste +Aufgabe in der Fortentwicklung der mathematischen Physik und der +Aufstellung des Energieprinzips gelöst wurde. + +Was *Humboldt* mit seinem Kosmos leisten wollte, war die Befriedigung +eines Gefühles, das man wohl als Natur-Ästhetik bezeichnet, eines +Gefühls, in dem auch Goethes Naturanschauung wurzelt und dem er an +vielen Stellen seiner Faustdichtung einen solch tiefen und ergreifenden +Ausdruck verliehen hat. Diese Aufgabe hat *Humboldt* mit dem ersten +Bande seines Werkes eigentlich schon gelöst. Wie sehr er sich aber +unter dem Einfluß einer solchen Grundstimmung befunden, gesteht er ein, +wenn er an einer Stelle von *Goethe* sagt: »Wer hat beredter als er +seine Zeitgenossen angeregt, des Weltalls heilige Rätsel zu lösen und +das Bündnis zu erneuern, das im Jugendalter der Menschheit Philosophie, +Naturlehre und Dichtkunst umschlang.« + +In dem zweiten Bande stellt sich *Humboldt* eine andere, mit der +physischen Weltbeschreibung allerdings in engem Zusammenhange stehende +Aufgabe. Er gibt darin eine Geschichte der physischen Weltanschauung +und verfolgt durch alle Zeitalter das »Streben der Menschheit, das +Zusammenwirken der Kräfte im Erd- und Himmelsraume zu begreifen.« Die +Arbeit, welche *Humboldt* dadurch für die Begründung einer Geschichte +der Naturwissenschaften geleistet hat, ist eine bedeutende; sie +besitzt auch, wie es bei einer auf zuverlässigen Quellen gegründeten +geschichtlichen Darstellung in der Natur der Sache liegt, vor allen +anderen einen bleibenden Wert. Als die Hauptmomente einer Geschichte +der physischen Weltanschauung stellt *Humboldt* die Kultur der +Hellenen, die vermittelnde Tätigkeit der Araber und die Erfindungen und +Entdeckungen der süd- und westeuropäischen Völker in ein solch klares +Licht, daß seine Darstellung dieser Verhältnisse wertvoll für alle +Zeiten genannt werden muß. + +In den weiteren Bänden des »Kosmos« ändert sich der Charakter des +Werkes noch mehr. Es wird daraus erklärlich, daß sich seine Abfassung +über einen Zeitraum von Jahrzehnten erstreckte, innerhalb dessen +die Wissenschaft selbst durch die Entdeckung des Prinzips von der +Erhaltung der Kraft, eine neue Epoche erlebte. *Humboldt* suchte +sich mit der neuen Richtung, in die er sich indessen nicht mehr +einzuleben vermochte, auseinanderzusetzen. Indessen überkam seine +Zeitgenossen und auch ihn selbst immer mehr das Gefühl, daß seine +Art der Weltbetrachtung einer neuen weichen mußte, die als die wahre +Fortsetzung des von *Newton*, *Huygens* und den führenden Geistern des +18. Jahrhunderts geschaffenen Werkes gelten durfte. + +Die letzten Bände sind vorwiegend der Astronomie und der Geophysik +gewidmet; sie besitzen einen gelehrten Grundzug und treten in +literarischer Beziehung gegen die ersten Bände, die als Muster für eine +nach Popularität im edelsten Sinne des Wortes strebende Ausdrucksweise +gelten können, sehr zurück. Während *von Humboldt* noch mit der +Abfassung eines fünften Bandes seines Kosmos beschäftigt war, ereilte +den Unermüdlichen, fast Neunzigjährigen, am 21. April 1859 der Tod. + +In rein wissenschaftlicher Beziehung liegt *v. Humboldts* +Hauptverdienst auf dem Gebiete der Pflanzengeographie. Er beschränkte +sich nicht auf die floristische Erforschung der von ihm bereisten +Länder. Sein Bestreben ging vielmehr dahin, die Pflanzenwelt in ihrer +Abhängigkeit vom Klima und vom Boden zu verstehen und die allgemeinen +Bedingungen für dieses Verhältnis aufzudecken. + +Bevor wir *Humboldts* Verdienst um die Pflanzengeographie würdigen, +müssen wir des Mannes gedenken, dem er hier die meisten Anregungen und +Vorarbeiten zu verdanken hatte. Es war das *Willdenow*[579], ein Neffe +des an früherer Stelle erwähnten *Gleditsch*[580] und sein Nachfolger +in der Leitung des Berliner botanischen Gartens. *Willdenow* war mit +*Humboldt* eng befreundet und hat ihn der Botanik zugeführt. Er ist als +der geistige Urheber *von Humboldts* Schrift »Ideen zu einer Geographie +der Pflanzen« zu betrachten. *Willdenow* hatte die hier *von Humboldt* +behandelten Fragen bereits in seinem Grundriß der Kräuterkunde +aufgeworfen und beleuchtet. Er war es, der die Grenze zwischen der +mitteleuropäischen und der Mittelmeerflora zog und die drei großen +Gebiete unterschied, die wir als boreale, tropische und australische +Flora bezeichnen. Ferner hat schon *Willdenow* die Abhängigkeit der +Pflanzenverbreitung vom Klima, von der Bodenbeschaffenheit und von +der Wandertätigkeit, das was die Wissenschaft als klimatologisches, +als geologisches und als migratorisches Moment zu bezeichnen pflegt, +deutlich hervorgehoben. + +Ganz neue Bahnen wurden dadurch erschlossen, daß man die Verbreitung +des Lebens über die Erde aus gesetzmäßig wirkenden Ursachen, und zwar +vor allem aus den herrschenden physischen Bedingungen zu erforschen +strebte. In dieser Hinsicht bahnbrechend gewirkt zu haben, ist wohl +das bedeutendste unter den rein wissenschaftlichen Verdiensten *von +Humboldts*. »Die Ideen zu einer Geographie der Pflanzen« sind die erste +Veröffentlichung nach seiner Rückkehr aus Südamerika. Sie erschienen +(1805) nebst einem Naturgemälde der Tropenländer. Den meisten Stoff +für die neue, bislang kaum dem Namen nach vorhandene Wissenschaft +der Pflanzengeographie sammelte *von Humboldt* auf jener Reise. So +kam es, daß die »Ideen« zum größten Teile am Fuße des Chimborazo +niedergeschrieben wurden. + +Der Gedanke, die räumliche Verbreitung der Pflanzen festzustellen, +begegnet uns zwar schon früher. *Von Humboldt* erstrebte aber weit mehr +als dies. Es galt ihm, die Verteilung und die typische Organisation der +Pflanzen im Zusammenhange mit allen gegenwärtig auf die Erdoberfläche +wirkenden Kräften und mit der Geschichte unseres Planeten[581] zu +ergründen. + +Was *Humboldt* vorfand, waren nur wenige bescheidene Ansätze. Und +was er zu schaffen vermochte, waren im wesentlichen auch nur die +Grundlinien und die Bezeichnung der Ziele der neuen Wissenschaft, zumal +die Erdgeschichte einen lebensvollen Inhalt erst nach dem Siege der +Entwicklungslehre über das Dogma von der Konstanz der Arten gewinnen +konnte. Das Problem der Entwicklungslehre begegnet uns in *Humboldts* +Worten, die Pflanzengeographie habe zu untersuchen, ob es unter den +zahllosen Gewächsen der Erde gewisse Urformen gäbe. Vielleicht könne +man die Verschiedenheit der Arten als die Wirkung der Ausartung und als +Abweichungen von solchen Urformen betrachten[582]. + +Zwar, fügt er hinzu, schienen alle Pflanzen und Tiere, welche +gegenwärtig die Erde bewohnen, seit Jahrtausenden ihre +charakteristische Form nicht verloren zu haben. So sei der Ibis, den +man in den ägyptischen Gräbern finde, identisch mit dem, der +gegenwärtig am Ufer des Niles fischt[583]. Andererseits weist +*Humboldt* auf die Veränderungen hin, welche die Erde im Laufe +ihrer, ungeheure Zeiträume umfassenden Geschichte durchgemacht hat +und mit denen Änderungen in der Tier- und Pflanzenwelt Hand in +Hand gehen mußten. Die Geographie der Pflanzen sei deshalb an die +Geologie anzuknüpfen[584], um Licht über die Urgeschichte der Erde zu +verbreiten. Um ein Urteil über die ehemalige Verbindung nahegelegener +Ländermassen zu gewinnen, verwerte die Geologie die Ähnlichkeit in der +Schichtung und Lagerung der Küstengebirge und die Tiefenverhältnisse +der trennenden Meeresabschnitte. Für die Entscheidung dieser Frage +könne aber die Geographie der Pflanzen nicht minder wichtige +Anhaltspunkte liefern. Sie mache es z. B. wahrscheinlich, daß +Südamerika sich vor der Entwicklung organischer Wesen von Afrika +getrennt habe. Durch die Pflanzengeographie geleitet könne man in +das Dunkel eindringen, das den frühesten Zustand unseres Planeten +einhülle. So gelte es zu entscheiden, ob die Erdrinde an vielen Orten +zugleich mit verschiedenen Arten bedeckt worden sei, oder ob alle Keime +sich zuerst in einer Gegend entwickelten und von dort auf schwer zu +ergründenden Wegen nach anderen Weltteilen wanderten. + +*Humboldt* erwägt dann die Umstände, durch welche das ursprüngliche +Wohngebiet einer Pflanzenart sich erweitern konnte. Als solche werden +insbesondere die Strömungen der Atmosphäre und des Wassers und der +Transport durch Tiere betrachtet. So groß indessen diese Einflüsse auch +sind, sie verschwinden nach *Humboldt* gegenüber dem Einfluß, den der +Mensch auf die Verbreitung der Gewächse ausübt. »Pflanzen, welche der +Gegenstand des Garten- und des Ackerbaues sind, haben das wandernde +Menschengeschlecht seit den fernsten Jahrhunderten begleitet«[585]. +Daher bleibe ihr erstes und ursprüngliches Vaterland oft ein ebenso +rätselhaftes Problem wie das Vaterland der verschiedenen Menschenrassen +selbst. Treffend führt *Humboldt* dann weiter aus, wie der Ackerbau +die Herrschaft fremder eingewanderter Pflanzen über die einheimischen +begründet und letztere nach und nach auf einen immer enger werdenden +Raum zusammengedrängt habe. Für die Tropenwelt dagegen konnte +*Humboldt* damals noch zutreffend sagen, die menschliche Kraft sei zu +schwach, um eine Vegetation zu besiegen, die nichts unbedeckt lasse und +den Boden unseren Augen entziehe. + +Zum ersten Male wurde durch *Humboldt* die Aufmerksamkeit der Botaniker +ferner auf diejenigen Erscheinungen der Vegetation gelenkt, welche die +Physiognomie der Landschaft bestimmen. Eine physiognomische Einteilung +der Pflanzen nach der Entwicklungsweise ihrer Vegetationsorgane +begründet zu haben, gilt als eine der wichtigsten Leistungen *von +Humboldts*[586]. + +Die Physiognomie einer Flora verdient indessen nicht nur eine +ästhetische Würdigung, sondern in ihr spricht sich die innige +Wechselbeziehung zwischen der gesamten Form und den physischen +Bedingungen viel schärfer aus als in den Charakteren, welche der +systematischen Einteilung des Pflanzenreiches zugrunde gelegt werden. + +In der zahllosen Menge von Pflanzenarten unterschied *Humboldt* nach +dem erwähnten Gesichtspunkt etwa zwanzig verschiedene Grundgestalten, +auf die man wahrscheinlich alle Arten zurückführen könne. Die +wichtigsten unter diesen Vegetationsformen sind die Bananenform, +die Palmenform, die Formen der Baumfarne, der Nadelhölzer und der +Orchideen. Ferner seien genannt die Mimosenform mit ihren fein +gefiederten Blättern, die Lilienform mit ihren einfachen, zart +gestreiften Blättern, die Kaktusform mit ihren blattlosen, gestachelten +Stämmen und die Grasform. Unter den blütenlosen Pflanzen werden +die Formen der Laubmoose, der Blätterflechten und der Hutschwämme +unterschieden. Mitunter decken sich diese Formen mit großen Abteilungen +des natürlichen Pflanzensystems. Häufiger jedoch begegnet uns der +gleiche, durch das Klima und die Bodenbeschaffenheit bedingte Habitus +bei Pflanzen, die im Bau ihrer Blüten und Früchte weit voneinander +abstehen. + +Untersuchungen über die Verteilung der Pflanzen auf verschiedene +Höhengürtel hat zuerst *H. B. de Saussure* in den Alpen angestellt. +Auch fehlte es nicht an dem gelegentlichen Hinweis, daß die Pflanzen +eines Gebirges, z. B. der Pyrenäen, mit den Pflanzen höherer Breiten +manche Ähnlichkeit aufweisen. Als allgemeine Gesetzmäßigkeit wurde +diese Verknüpfung der Höhen mit entfernten, in höherer Breite liegenden +Tiefebenen indes zuerst von *Humboldt* ausgesprochen[587]. Das reiche, +ihm zu Gebote stehende Beobachtungsmaterial setzte ihn auch in den +Stand, für die Tropen die Folge der beim Emporsteigen uns begegnenden +Pflanzengürtel zu bestimmen. Als Beispiel diene uns die Übersicht der +Pflanzenregionen, die *Humboldt* an den Abhängen der Cordillere von +Quito unterschied[588]. + +Die unterste Region ist diejenige der Palmen und Pisanggewächse. Sie +steigt von der Meeresfläche bis zu einer Höhe von 1000 Metern empor. +Unmittelbar darüber liegt die Region der Baumfarne. Dann folgen die +Region der Eichen (bis 3000 Meter) und diejenige der Alpenkräuter. +Letztere werden zwischen 4100 und 4600 Meter von den alpinen Gräsern, +den letzten Blütenpflanzen abgelöst. Von dort bis zur Schneegrenze +beleben nur Steinflechten die verwitternde Rinde des nackten +Gesteins[589]. + +Auch in den Anden Mexikos und am Pik von Teneriffa hat *Humboldt* die +Aufeinanderfolge bestimmter Pflanzengürtel nachgewiesen. + +Dieser kurze Abriß läßt die großen Verdienste, die sich *Humboldt* um +die Begründung der Pflanzengeographie erworben, zur Genüge erkennen. +Das meiste, was ihn hier beschäftigte, blieb zwar zunächst Problem. +Indessen mit vollem Rechte muß man fragen[590], ob sich nicht +derjenige, der Fragen aufzuwerfen versteht, welche die Arbeit kommender +Geschlechter auf bestimmte fruchtbare Bahnen lenken, ein ebenso großes +Verdienst erwirbt, wie der Forscher, der einzelne wissenschaftliche +Fragen erledigt. + +Ähnliches, wie er es in der Aufstellung der Pflanzenregionen geleistet, +hielt *Humboldt* auch auf dem Gebiete der Zoologie für erstrebenswert. +»Es wäre interessant«, sagt er, »in einem Profil die Höhen zu +bestimmen, zu welchen sich die Tiere in den Gebirgsländern erheben.« +Was ihm dabei vorschwebte, war die Abhängigkeit des Tierlebens von +meteorologischen Bedingungen, wie er überhaupt der Zoologie weniger +durch Einzeluntersuchungen als durch den steten Hinweis auf den innigen +Zusammenhang des Tierlebens mit seinen physischen Bedingungen genützt +hat. + +Auch auf dem Gebiete der Geologie ist *Humboldts* Verdienst vor allem +in seiner Betonung der allgemeinen Gesichtspunkte zu suchen. Er +verstand es nämlich, die Geologie in ähnlicher Weise mit der Erdkunde +in Verbindung zu setzen, wie es ihm so trefflich für diese Wissenschaft +und die Botanik gelungen war. + +Im Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn stand *Humboldt* ganz +unter dem Einfluß der neptunistischen, von seinem Lehrer *Werner* +gegründeten Geologenschule. Zwischen ihren Anhängern und den +Vulkanisten wurde besonders über die Entstehungsart des Basalts +heftig gestritten. *Humboldts* erste Arbeit betraf gleichfalls diese +Frage[591]. Er glaubte sie in Übereinstimmung mit *Werner* dahin +entscheiden zu müssen, daß nach seinen Beobachtungen an den Basalten in +der Nähe von Linz und Unkel nichts auf vulkanische Wirkungen schließen +lasse. + +Etwa ein Jahrzehnt später begann *Humboldt* seine amerikanische Reise, +deren Aufgabe und deren Ergebnisse zum großen Teil auf geologischem +Gebiete lagen. Während der Erforschung der Cordilleren und der +Verarbeitung des reichen, dort gefundenen Materials vollzog sich in +ihm und besonders durch ihn ein völliger Umschwung in den geologischen +Anschauungen. Die Folge war, daß nicht nur für den Basalt, sondern auch +für den Granit, sowie die Trachyte und Porphyre, eine Entstehung auf +feurig flüssigem Wege angenommen wurde. Die feinere mechanische Analyse +des Basalts ergab für dies Gestein trotz seines scheinbar gleichartigen +Aussehens, daß es ein Gemenge von Mineralien und dem Granit in seiner +Zusammensetzung nicht unähnlich ist[592]. + +Grundlegend für die Lehre vom Vulkanismus war vor allem *Humboldts* +Beobachtung, daß in den Gebirgen Amerikas Trachyte in der Nachbarschaft +von Vulkanen auftreten und diese gleichsam anzukündigen scheinen. +*Humboldt* machte ferner auf den mitunter anzutreffenden allmählichen +Übergang von Trachyt in Gesteine von glasiger und schlackiger +Beschaffenheit aufmerksam. Da letztere (Obsidian, Bimsstein) noch heute +als Erzeugnisse tätiger Vulkane angetroffen werden, so war der Schluß +auf den eruptiven Ursprung der ohne scharfe Grenze in sie übergehenden +Massengesteine wohl berechtigt. + +Die Erkenntnis, daß die Eruptivgesteine eine viel größere Verbreitung +besitzen, als man früher geahnt hatte, führte bei *Humboldt* und seinem +Mitarbeiter *L. v. Buch*, zu einer großen Überschätzung der Wirkungen +der Eruptivgesteine. So nahm *von Buch* an, daß die Alpenkette und die +Mehrzahl der übrigen Gebirge durch den Porphyr bei seinem Hervorbrechen +aus dem Erdinnern emporgehoben sei[593]. Selbst der Dolomit sollte +unter der Wirkung vulkanischer Kräfte in der Weise entstanden sein, daß +dampfförmiges Magnesiumoxyd in den Kalkstein eindrang und damit ein +Calcium-Magnesiumkarbonat bildete. + +Aus ähnlichen Voraussetzungen erklärte *Humboldt* die Entstehung der +amerikanischen Gebirge. Die Ketten der Anden und Venezuelas sollten +sich über langgestreckten Erdspalten, die Gebirgsgruppen dagegen +über einem Netz von Spalten erhoben haben. Dabei habe ein von innen +nach außen wirkender Druck die starren Massen gehoben und feurig +flüssiges Material emporgepreßt. Die Gebirge erschienen nach dieser +Auffassung als Zeugen großer Katastrophen, als Zeugnisse gewaltiger +Erdrevolutionen. Doch suchte *Humboldt* das Katastrophenartige +dieser etwa die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts beherrschenden +Erklärungsweise dadurch zu mildern, daß er auf die verhältnismäßig +geringe Masse des emporgehobenen Materials hinwies. So würden die +Alpen, über das flache Land verteilt, Europa nur um 20 Fuß erhöhen. + +Auch die Vulkane, deren reihenförmige Anordnung *Humboldts* Erforschung +des südamerikanischen Kontinents unzweifelhaft dargetan, sollten nach +seiner und *von Buchs* Ansicht durch Erhebung entstehen. Aus der +Anordnung der Vulkane wurde mit Recht auf das Vorhandensein von Spalten +in der Erdkruste geschlossen. Über diesen Spalten entstanden nach der +damals herrschenden Vorstellung die Vulkane aber weniger durch die +Anhäufung von Schlacken und Lavaschichten. Sondern die vulkanische +Tätigkeit sollte »formgebend und gestaltend[594] durch Erhebung des +Bodens« wirken. Durch diese Tätigkeit entstehe eine blasenförmige +Auftreibung des Bodens und endlich durch Sprengung des höchsten +Teiles der »Erhebungskrater«. Die großen Vulkane dachten sich somit +beide Forscher nicht durch Aufschüttung von Schlacken und Anhäufung +von Laven, sondern gewissermaßen aus einem Stück erzeugt. Erst durch +den großen Umschwung, den die Geologie durch *Lyell* und seine +Schüler erfuhr, wurde die Bildung der Vulkane nicht aus plötzlichen +Katastrophen, sondern durch einen allmählichen Aufbau erklärt. + +Mit den Vulkanen brachte *Humboldt* die Erscheinung des Erdbebens +in engsten Zusammenhang, insofern er beide auf die gleiche Ursache +zurückführte. Die in der Tiefe eingeschlossenen Dämpfe, denen die +Entstehung und die Ausbrüche der Vulkane zugeschrieben wurden, sollten, +wo sie keinen Ausgang finden, die Erschütterungen hervorrufen. Daher +rührt auch sein auf eine Vorstellung *Strabons* zurückzuführendes Wort, +daß die Vulkane als Sicherheitsventile zu betrachten seien. *Humboldt* +führt als Beispiel einen südamerikanischen Vulkan an, dessen Tätigkeit +plötzlich erlosch, während gleichzeitig in seiner Nachbarschaft eins +der furchtbarsten Erdbeben stattfand. + +Haben sich auch manche Anschauungen über die Ursachen geologischer +Vorgänge seit den Zeiten *Humboldts* und *Buchs* geändert, so dürfen +wir doch nicht vergessen, daß diese Männer die wissenschaftliche +Erforschung der Vulkane und der Erdbeben erst in Angriff genommen +haben. Vor *Humboldts* südamerikanischer Reise waren der Vesuv +und der Ätna die einzigen genauer untersuchten Vulkane[595]. Und +hinsichtlich der Erdbeben hatte man weniger an die Erforschung der +geologischen und der physischen Umstände als an die Aufzeichnung +ihrer zerstörenden Wirkungen gedacht. *Humboldt* mit seinem auf +Verallgemeinerung gerichteten Gedankenflug war es vor allem, der die +verschiedenartigsten tellurischen Erscheinungen unter der Bezeichnung +des Vulkanismus als die Ausflüsse ein und derselben Ursache auffassen +lehrte. Sie alle bestanden in der Reaktion des heißen Erdinnern +gegen die Rinde, mochten sie sich nun als bloße Erschütterungen, als +Thermalquellen, Gasexhalationen, Schlamm- oder Vulkanausbrüche geltend +machen. *Humboldt* lehrte all diese Erscheinungen als Abstufungen der +vulkanischen Lebenstätigkeit unseres Planeten auffassen und verstand es +von diesem hohen Gesichtspunkt aus, der Wissenschaft eine solche Fülle +von Einzelbeobachtungen zuzuführen, wie es kaum ein anderer vor und +nach ihm vermocht hat. + + + + +22. Die Mineralogie unter dem Einfluß der chemisch-physikalischen +Forschung. + + +Wir befaßten uns mit der Mineralogie zuletzt im Schlußabschnitt des +vorigen Bandes. Für *Linné* und *Werner* war die Mineralogie in der +Hauptsache Mineralbeschreibung. Gegen das Ende des 18. Jahrhunderts +wandten *Scheele* und *Bergman* ihre Aufmerksamkeit vorzugsweise der +chemischen Zusammensetzung der anorganischen Naturkörper zu. Die +großen Fortschritte der Physik und der Chemie, die wir in den ersten +Abschnitten dieses Bandes kennen lernten, beeinflußten die weitere +Entwicklung der Mineralogie in hohem Grade. Zwar beanspruchte nach wie +vor die Form der Mineralien ein großes Interesse. An die Stelle der +bloßen Beschreibung trat jetzt aber das Bestreben, die verwirrende +Vielheit der Gestalten auf wenige Grundgesetze zurückzuführen. +Gefördert wurde dieses Streben dadurch, daß in dem von *Wollaston* +erfundenen Reflexionsgoniometer (1809) ein Werkzeug[596] zur genauen +Untersuchung auch der kleineren Kristalle entstand. + +Von Bedeutung waren auch die Lehren *Hauys*. Nach *Hauy*[597] +hängen das Gefüge und die Form eines Kristalles nur von der Gestalt +der ihn zusammensetzenden Teilchen, sowie von deren Anordnung ab. +Unter den Formen, in denen ein kristallisierter Stoff auftritt, +gibt es nach ihm eine, die als die primitive betrachtet werden muß. +Aus dieser lassen sich sämtliche Gestalten als sekundäre Formen +ableiten. Als primitiv betrachtete *Hauy* die aus der Zertrümmerung +des Kristalls hervorgehende Spaltform, auf deren Unveränderlichkeit +er hinwies. Abb. 59 u. 60 zeigen, wie das Rhombendodekaeder und das +Pentagondodekaeder durch verschiedenartigen Aufbau aus dem Würfel +hervorgehen können[598]. Solche Betrachtungen führten *Hauy* zu der +Entdeckung des die Kristallwelt beherrschenden Grundgesetzes von der +Rationalität der Achsenabschnitte. Nach diesem Gesetz sind die Zahlen, +nach denen die sekundären Formen aus der Grundform abgeleitet werden, +stets rational und sehr einfach, z. B. 2, 3, 3/2 u. s. f. So läuft +bei der am häufigsten vorkommenden Art des Pyramidenwürfels jede der +24 Kristallflächen einer Achse parallel und schneidet die beiden +anderen Achsen im Verhältnis 1 : 2. Die Bezeichnung für diese Form ist +dementsprechend a : 2a: ∞a. Ferner kommen vor die Pyramidenwürfel a : +3a : ∞a und a : 3/2a : ∞a (allgemein a : na : ∞a oder nach *Naumann*scher +Bezeichnungsweise ∞ O n). + +[Illustration: Abb. 59. *Hauys* Ableitung des Rhombendodekaeders +(*Hauy*, Traité de minéralogie. V. Pl. VIII).] + +[Illustration: Abb. 60. *Hauys* Ableitung des Pentagondodekaeders +(*Hauy*, Traité de minéralogie. V. Pl. VIII.)] + +Während der ersten Dezennien des neunzehnten Jahrhunderts vollzog sich +die festere Begründung der Kristallographie. *Weiß* entdeckte das +Gesetz der Hemiedrie, nachdem schon vor ihm die Bemerkung gemacht +worden war[599], das Pentagondodekaeder ((∞ O n)/2, n = 2, 3/2, 3 u. +s. f.) mit seinen 12 Flächen gehe aus dem vierundzwanzigflächigen +Pyramidenwürfel (∞ O n) hervor, wenn »die Gesetze nur zur Hälfte +wirken«. + +*Weiß* und *Naumann* schufen fast zur selben Zeit, als *Berzelius* +die chemische Zeichensprache ins Leben rief, jene einfachen, auf +der Annahme von Achsen begründeten Bezeichnungen, die einen klaren +Überblick über die Ergebnisse der kristallographischen Forschung +ermöglichten und noch heute im Gebrauch sind. + +Seitdem in der mineralogischen Systematik die besonders durch +*Berzelius*, *Bergman* und *Klaproth* geförderte chemische Richtung +gesiegt hatte, lehrte die mit vielem Eifer betriebene Analyse +zahlreiche neue Mineralien kennen, so daß ihre Zahl sich in dem +Zeitraum von dem Tode *Werners* bis zum Erscheinen der Geschichte der +Mineralogie *v. Kobells* (1817-1864) fast verdreifachte. + +Durch das Zusammenwirken von Analyse und Kristallbeschreibung +gelangte man auch zur Entdeckung neuer wichtiger Beziehungen. Zwei +bekannte Mineralien, Kalkspat und Aragonit, die man bis dahin oft +verwechselt hatte, treten, wie *Hauy* nachwies, in Formen auf, die +nicht aufeinander zurückgeführt werden können. Nun zeigte der um die +Mineralanalyse sehr verdiente *Klaproth*[600], der Entdecker der +Zirkon-, Uran- und Titanerde, daß beide Mineralien ihrer chemischen +Natur nach dasselbe, nämlich Kalziumkarbonat, sind. Daß ein und +dieselbe Substanz zwei verschiedene Mineralien bilden könne, wurde +damals von vielen geradezu für unmöglich gehalten. Auch *Hauy* +vermochte eine solche Annahme mit den von ihm entwickelten Ansichten +nicht zu vereinigen. Man dachte daher zunächst, die Verschiedenheit +in der Form und in den physikalischen Eigenschaften von Kalkspat und +Aragonit werde durch Beimengungen hervorgebracht, und frohlockte, als +man in dem Strontium einen regelmäßigen Bestandteil des Aragonits +nachgewiesen zu haben glaubte. Bald darauf fand man jedoch Aragonit +ohne einen Gehalt an Strontium und konnte sich nun nicht länger +sträuben, die neuentdeckte Tatsache, welche man als Dimorphie +bezeichnete, anzuerkennen. + +Auch das entgegengesetzte Verhalten, daß zwei Mineralien von +verschiedener Zusammensetzung, wie Kalkspat und Eisenspat, in derselben +Form kristallisieren, wurde beobachtet. *Hauy* glaubte indessen +mathematisch beweisen zu können, daß verschiedene Stoffe, abgesehen +von denjenigen, die regulär kristallisieren, nicht dieselbe Form +besitzen können. Nach ihm sollte sich der Kalkspat unter Beibehaltung +der Gestalt in Eisenspat umwandeln, also eine ähnliche Entstehung +nehmen wie das versteinerte Holz. Daß es sich indessen hier nicht um +Zufälligkeiten handelt, sondern daß die Kristallform enge Beziehungen +zur chemischen Konstitution aufweist, diese Entdeckung und ihre +allseitige Begründung verdanken wir dem genialen *Mitscherlich*, der +auf fast allen Gebieten der Chemie und Mineralogie der Forschung neue +Bahnen gewiesen hat. + +*Eilhard Mitscherlich* wurde 1794 in der Nähe von Jever geboren. +Er wandte sich, angeregt durch den Historiker *Schlosser*, der auf +dem Gymnasium zu Jever sein Lehrer war, zunächst der Philologie +und der Geschichte zu. Mehr nebenbei betrieb er das Studium der +Naturwissenschaften. *Mitscherlich* hatte das Glück, auf diesem +Gebiete, wenige Jahre nachdem er es betreten, eine der wichtigsten +Entdeckungen zu machen, die seinem ganzen ferneren Leben Richtung und +Inhalt verliehen hat. Es war die schon erwähnte, später noch genauer +zu besprechende Isomorphie ähnlich zusammengesetzter Mineralien und +Präparate. *Mitscherlich* machte diese Entdeckung im Jahre 1818 in +Berlin, wo bald darauf der große nordische Chemiker *Berzelius* +vorübergehend weilte. Letzterer erkannte sofort die Bedeutung des +jugendlichen Fachgenossen und bewog ihn, in Stockholm in seinem +Laboratorium die in Berlin begonnenen Untersuchungen fortzusetzen. +Im Jahre 1821 kehrte *Mitscherlich* nach Berlin zurück, wo man +den 27jährigen Forscher dadurch zu fesseln wußte, daß man ihm die +Mitgliedschaft der Akademie und die durch *Klaproths* Ableben erledigte +Professur der Chemie übertrug. *Mitscherlich* starb in Berlin im Jahre +1863. + +An früheren Beobachtungen, die zu *Mitscherlichs* Lehre von der +Isomorphie hinüberleiten, ist kein Mangel. *Gay-Lussac* hatte gefunden, +daß Kupfervitriol in der Form des Eisenvitriols kristallisiert, wenn +letzterer in geringer Menge der Kupferlösung zugesetzt wird. Ferner +war bekannt, daß im Alaun das Kalium durch Ammonium und durch Natrium +vertreten werden kann. Anknüpfend an diese Erscheinung wies man darauf +hin, daß auch im Mineralreich ein ähnliches Verhältnis vorkommt, das +man mit dem Worte Vikariieren, d. h. sich gegenseitig vertreten, +bezeichnete[601]. + +Später (1819) zeigte *Mitscherlich*, daß die vikariierenden +Bestandteile der Mineralien von analoger atomistischer Zusammensetzung +sind und daß diese Analogie Gleichheit oder annähernde Gleichheit +der Kristallform bedingt. *Mitscherlich* wies diese von ihm als +Isomorphie bezeichnete Erscheinung besonders an künstlich dargestellten +Verbindungen, z. B. an den Salzen, welche Phosphorsäure und Arsensäure +mit demselben Metalle[602] bilden, nach. Auch Eisensulfat und +Kobaltsulfat, sowie die mit 7 Molekülen Wasser kristallisierenden +Sulfate von Magnesium, Nickel und Zink stimmen nach der Untersuchung +*Mitscherlichs*[603] in ihrer Form vollkommen überein. An den Eisenspat +schlossen sich Zink- und Manganspat als gleichfalls dem Kalkspat +isomorphe Mineralien an. Aus den angeführten Beispielen geht schon +zur Genüge hervor, daß es Verbindungen von ähnlicher chemischer +Zusammensetzung sind, an denen sich Isomorphie beobachten läßt. + +Auf die Untersuchung der phosphorsauren und der arsensauren Salze +wurde *Mitscherlich* dadurch geführt, daß *Berzelius* bei der +Untersuchung der Säuren (Säureanhydride) des Phosphors und des +Arsens eine Abweichung von der allgemeinen Regel gefunden hatte. Die +Sauerstoffmengen, mit denen sich beide Elemente zu Säuren verbinden, +verhalten sich nämlich, wie *Berzelius* fand, wie 3 zu 5 (P_{2}O_{3}, +P_{2}O_{5}; As_{2}O_{3}, As_{2}O_{5}). + +Als *Mitscherlich* im Jahre 1818 im Laboratorium zu Berlin mit der +Nachprüfung dieser Proportionen beschäftigt war und zu diesem Zwecke +auch die Salze der betreffenden Säuren untersuchte, war er überrascht, +zu sehen, daß diese Salze sich in der Form zu gleichen schienen. +*Mitscherlich* war damals mit den Methoden der Kristallographie +noch nicht bekannt. Er bat deshalb *G. Rose*, den später so berühmt +gewordenen Mineralogen, ihm bei der weiteren Untersuchung behilflich +zu sein. In gemeinsamer Arbeit stellten beide darauf fest, daß +phosphorsaure und arsensaure Salze von analoger Zusammensetzung in der +Kristallform übereinstimmen. + +*Mitscherlich* kam durch seine Untersuchung zu dem allgemeinen +Ergebnis[604], daß eine gleiche Anzahl von Atomen, wenn sie auf gleiche +Weise verbunden sind, gleiche Kristallform hervorbringen, daß also +die Kristallform nicht auf der Natur der Atome, sondern auf ihrer +Anzahl und Verbindungsweise beruhe. Später erkannte er jedoch, daß +neben der Zahl der elementaren Teilchen deren chemische Natur doch +*mitbestimmend* ist. + +»Ich hoffe,« schloß *Mitscherlich* seine berühmte Abhandlung, in +welcher er die Lehre von der Isomorphie begründete, »daß das Studium +der Kristallisation ebenso bestimmt wie die chemische Analyse das +Verhältnis der Bestandteile der Körper angeben wird.« Die Isomorphie +wurde seitdem von *Mitscherlich* und von *Berzelius* auch umgekehrt +dazu benutzt, um eine Übereinstimmung in dem atomistischen Aufbau der +untersuchten Verbindungen nachzuweisen. Demgemäß erblickte *Berzelius*, +welcher die Isomorphie als die wichtigste seit der Aufstellung der +Lehre von den Proportionen gemachte Entdeckung bezeichnete, in den +Mengen der sich entsprechenden Elemente (z. B. Kobalt und Eisen in +ihren Sulfaten), die mit einer bestimmten Menge Sauerstoff verbunden +sind, die relativen Atomgewichte. *Berzelius* wandte das neue +Hilfsmittel auch als Prüfstein für die Zuverlässigkeit seiner eigenen +Atomgewichtsbestimmungen in ausgedehnter Weise an. Das Ergebnis war +sein berichtigtes Atomgewichtssystem vom Jahre 1821. + +*Mitscherlich* ist der Nachweis zu verdanken, daß die Dimorphie +gleichfalls künstlich hervorgerufen werden kann und daß sie von den +physikalischen Umständen abhängt, unter denen die Kristallisation +vor sich geht[605]. So erhielt er Schwefel in verschiedenen Formen, +je nachdem dies Element aus einer Lösung oder aus dem Schmelzfluß +erstarrte. Ähnlich wurde später die Dimorphie von Calziumkarbonat +erklärt[606]. Fällt man diese Substanz bei gewöhnlicher Temperatur, +so weist sie die Gestalt des Kalkspats auf, während sich +Aragonitkriställchen bilden, wenn der Niederschlag aus einer heißen +Lösung entsteht. + +Eine neue Erweiterung erfuhr die Kristallographie durch *Mitscherlichs* +Entdeckung, daß die Kristallform sich stetig, wenn auch wenig mit der +Temperatur ändert und daß diese Änderung wieder in naher Beziehung +zur Form der Kristalle, insbesondere zur Lage der Achsen steht. Die +Untersuchung ergab im einzelnen folgendes: Die Kristalle des regulären +Systems werden durch die Wärme nach allen Richtungen gleichstark +ausgedehnt. Ihre Winkel wurden daher nicht geändert. Die Kristalle +des hexagonalen Systems zeigen dagegen, wie *Mitscherlich* aus der +Größe der beim Erwärmen eintretenden Winkeländerung bestimmte, in der +Richtung der Hauptachse ein anderes Verhalten wie in der Richtung der +Nebenachsen. Die Kristalle des rhombischen Systems endlich werden +entsprechend der Verschiedenheit ihrer drei Achsen auch nach allen drei +Richtungen von der Wärme in verschiedenem Maße beeinflußt. Durch diese +thermische Untersuchung der Kristalle, welche durch die Prüfung ihres +optischen Verhaltens seitens anderer Forscher eine Ergänzung erfuhr, +wurde eine der Grundlagen für die physikalische Kristallographie +geschaffen. + +Auch die so junge, aber erfolgreiche Wissenschaft der Mineralsynthese, +die sich mit der künstlichen Erzeugung von Mineralien beschäftigt, +um die Bedingungen kennen zu lernen, unter denen ihre natürliche +Entstehung vor sich geht, wurde durch *Mitscherlich* mitbegründet[607]. +Als ein wichtiges Mittel für die Mineralsynthese erkannte er den +Schmelzfluß. Er wies nach, daß die in den Schlacken vorkommenden +Kristallbildungen häufig mit bekannten Mineralien, wie Glimmer und +Augit, identisch sind. + +Hand in Hand mit all diesen Untersuchungen ging eine stete Verbesserung +der Methoden und der Apparate. Unter letzteren ist insbesondere +*Mitscherlichs* Fernrohrgoniometer zu nennen, das an Genauigkeit der +Winkelmessungen das *Wollaston*sche Goniometer erheblich übertraf. + +*Mitscherlichs* Arbeiten auf dem Gebiete der reinen Chemie betrafen vor +allem die organischen Verbindungen; sie werden an anderer Stelle zu +behandeln sein. Hier sei jedoch noch seine Untersuchung des Mangans +erwähnt, welche die Mangansäure und die Übermangansäure kennen lehrte. + +Die Verdienste *Klaproths* liegen in erster Linie auf dem Gebiete +der Mineralchemie. Wir wollen ihrer hier noch im einzelnen gedenken, +wie wir es soeben hinsichtlich *Mitscherlichs* Arbeiten getan haben. +Das Wirken dieser beiden Männer zeigt am besten, welch hohe Stufe +die chemische und die mineralogische Forschung am Ende des 18. und +während der ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts auch in Deutschland +erreicht hatten. Martin Heinrich *Klaproth* wurde 1743 in Wernigerode +geboren. Er ist wie viele große Chemiker der früheren Zeit aus der +pharmazeutischen Laufbahn hervorgegangen. *Klaproth* wirkte in Berlin +als Apotheker und hielt dort Vorlesungen über Chemie. Nach der Gründung +der Berliner Universität im Jahre 1810 wurde ihm die erste Professur +für Chemie an dieser Hochschule übertragen. Gleichzeitig war er +Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Er starb in Berlin im Jahre +1817. + +*Klaproth* hat für die Mineralchemie fast dieselbe Bedeutung, wie +sie *Lavoisier* für die allgemeine Chemie besitzt. Er eröffnete auf +jenem Gebiete, dem er sich seit dem Jahre 1785 mit unermüdlichem Eifer +widmete, das Zeitalter der quantitativen Untersuchungsweise. Nachdem +die antiphlogistische Theorie in Deutschland bekannt geworden, war +*Klaproth* einer der ersten, der sie einer gründlichen Nachprüfung +unterwarf und seitdem -- es war im Jahre 1792 -- für die Beseitigung +der in Deutschland herrschenden *Stahl*schen Lehre eintrat. Zu den +ersten, die *Klaproth* von der Richtigkeit der *Lavoisier*schen Lehre +zu überzeugen vermochte, gehörte *Alexander von Humboldt*. + +An Genauigkeit der Arbeitsweise und Gewissenhaftigkeit kommt unter den +Forschern, die im Beginn des 19. Jahrhunderts die Führung übernahmen, +dem Deutschen *Klaproth* nur der Schwede *Berzelius* gleich. Wie +letzterer durch tausende von sorgfältigen Analysen sichere Grundlagen +für das Gebiet der allgemeinen Chemie zu schaffen wußte, so war +*Klaproth* mit gleichem Erfolge auf der enger begrenzten Domäne +der Mineralchemie tätig. Bei diesen Untersuchungen konnte es nicht +ausbleiben, daß er das Lehrgebäude der allgemeinen Chemie um manche +wichtige Tatsache bereicherte. Hatte er doch das Glück, bei seinen +Untersuchungen seltener Mineralien vier neue Elemente zu entdecken. +»Wenn man bedenkt, wie selten einem Chemiker das Glück zuteil wird, +ein einziges Element aufzufinden, so wird es begreiflich erscheinen, +wie sehr *Klaproths* Entdeckung von vier Elementen seinen Zeitgenossen +imponieren mußte«[608]. Es war im Jahre 1789, als *Klaproth* in der +neuerdings durch die Radiumforschung so bekannt gewordenen Pechblende +ein neues Metall entdeckte. Er nannte es zur Erinnerung an die in +jenen Zeitraum fallende Auffindung des Planeten Uranus Uranium. In +Wahrheit handelte es sich allerdings bei *Klaproths* Arbeit um eine +Sauerstoffverbindung dieses Metalles, dessen Reindarstellung erst im +Jahre 1842 gelang[609]. Im Jahre 1789 entdeckte *Klaproth* in dem +Mineral Zirkon die Zirkonerde. Die Abscheidung des Metalles Zirkonium +gelang *Berzelius* vermittelst einer Methode, welche auf der ganz +außerordentlichen Fähigkeit des Kaliums, die Verbindungen anderer +Metalle zu zersetzen, beruht. Etwas später (1795) entdeckte *Klaproth* +einen neuen Metallkalk in dem Mineral Rutil. Er nannte das dem Kalk +zugrunde liegende Metall Titanium. Aus der Titanverbindung das Metall +abzuscheiden, gelang gleichfalls erst *Berzelius* mit Hilfe der +erwähnten Methode. In dem in Schweden vorkommenden Silikat Cerit fanden +beide Forscher gleichzeitig (1795) die Cererde, die jedoch wieder erst +*Berzelius* als das Oxyd eines Metalls erkannte. + +Erwähnenswert sind ferner *Klaproths* Versuche, bei denen er eine +Anzahl von Mineralien der höchsten ihm zu Gebote stehenden Glut des +Porzellanofens aussetzte. Dabei zeigte es sich, daß man gewisse +Stoffe, wie Kalk und Bittererde, bislang nur deshalb für schmelzbar +gehalten hatte, weil sie sich mit der Masse des Schmelztiegels zu +einer in der Weißglut schmelzenden Substanz verbinden. Für mehr als +200 Mineralien hat *Klaproth* die sorgfältigsten Analysen angestellt. +Die betreffenden, in der Literatur zerstreuten Arbeiten wurden zu +einem umfangreichen Werk vereinigt, das er (1795-1810) unter dem +Titel: »Beiträge zur chemischen Kenntnis der Mineralkörper« herausgab. +Damit hat *Klaproth* den Grund zu der Gruppierung der Mineralien nach +chemischen Gesichtspunkten gelegt. + +Auch einen wichtigen methodischen Fortschritt verdankt man *Klaproth*. +Vor ihm war es die Gepflogenheit der Analytiker, als Ergebnis ihrer +Untersuchungen korrigierte Werte und nicht die unmittelbar durch den +Versuch gewonnenen Daten mitzuteilen. *Klaproth* dagegen teilte seine +Analysen ohne jede Voreingenommenheit und ohne den Versuch einer +Abrundung mit. Auf diese Weise ließ sich das Gewicht der Bestandteile +mit dem Gesamtgewicht der untersuchten Substanz vergleichen. Verluste +oder Überschüsse waren jedem Fachgenossen ersichtlich und dadurch war +einer Kritik der angewandten Methode die beste Handhabe gegeben. Aus +dieser Kritik -- und das war die günstige Rückwirkung, welche die +Verbesserung der Methode hier wie in allen ähnlichen Fällen auf die +Wissenschaft ausgeübt hat -- entsprangen neue Untersuchungen, die zur +Verbesserung des analytischen Verfahrens, zur Berichtigung von Fehlern, +zu immer neuen Entdeckungen, kurz zur Vertiefung und Vermehrung des +Wissensschatzes führten. + +Wie der chemische Aufbau, so wurde auch das physikalische und zwar +insbesondere das optische Verhalten mit der Form der Mineralien in +Beziehung gebracht. Als *Huygens* seine Abhandlung über das Licht +schrieb, war die Doppelbrechung nur am isländischen Kalkspat und am +Quarz bekannt. Später entdeckte man sie auch an anderen Substanzen, +indem man von kleinen Körpern, z. B. von der Spitze einer Nadel, ein +doppeltes Bild erhielt. War der Richtungsunterschied der Strahlen +nur klein, so entging er entweder gänzlich der Beobachtung, oder +das Ergebnis war ein zweifelhaftes. Dies wurde anders, als *Arago* +die chromatische Polarisation auffand[610]. Jetzt genügte es, ein +dünnes Blättchen im polarisierten Licht zu untersuchen, um über die +Beschaffenheit des betreffenden Minerales Aufschluß zu erlangen. + +Die Beziehung zwischen der Kristallform und dem optischen Verhalten +konnte seitdem nicht länger verborgen bleiben. Man erkannte, daß +alle regulären Substanzen das Licht einfach brechen, aber durch +Zusammenpressen doppeltbrechend gemacht werden können. Eine derartige +gewaltsame Änderung konnte nur bewirkt haben, daß die Moleküle in der +einen Richtung einander genähert, in einer dazu senkrechten voneinander +entfernt wurden, daraus schloß man, daß die Anordnung der Moleküle die +Ursache des optischen Verhaltens der doppeltbrechenden Kristalle sei. + + + + +23. Die Aufstellung eines natürlichen Pflanzensystems. + + +Wie für die chemisch-physikalische Forschung, so begann auch für die +beschreibenden Naturwissenschaften gegen das Ende des 18. Jahrhunderts +eine neue Zeit. Während der auf *Linné* folgenden Jahrzehnte waren alle +Bemühungen so sehr auf die Ausfeilung des von diesem Manne geschaffenen +Systems gerichtet, daß das eigentliche Ziel der Naturforschung, welches +doch in der Erkenntnis des Zusammenhanges der Erscheinungen besteht, +darüber fast aus dem Auge verloren wurde. Endlich besann man sich, +daß man in dem künstlichen System nichts mehr als ein bloßes Register +besitze und von der Erreichung jenes Zieles noch unendlich weit +entfernt sei. Diese Einsicht begegnet uns zunächst nur in einzelnen +hervorragenden Köpfen. Wie die Neugestaltung der Chemie, so nahm die +Umbildung der beschreibenden Naturwissenschaften ihren Ursprung in +Frankreich, dem Lande, das gleichzeitig mit der größten Entfaltung +seiner Volkskraft den belebendsten Einfluß auf die Wissenschaften +ausgeübt hat. + +Die Forderung, daß das System die Verwandtschaft zum Ausdruck bringen +solle, hatte schon *Linné* erhoben. Er bildete bereits eine Anzahl von +Gruppen, die natürlichen Verwandtschaftskreisen entsprachen. Diese +Gruppen umfaßten jedoch nicht das gesamte Pflanzenreich. Sie wurden +von *Linné* ferner nur benannt und aufgezählt. Kurz, das Ganze war +ein bloßer Versuch, der zu einer Fortsetzung in der eingeschlagenen +Richtung ermuntern sollte. + +*Linnés* System hatte in Frankreich weniger Eingang gefunden als in +anderen Ländern. In Frankreich waren es besonders *Adanson*, sowie +der ältere und der jüngere *de Jussieu*, welche die Grundlagen des +natürlichen Pflanzensystems schufen. + +*Adanson*[611] versuchte, durch eine außerordentlich umfassende +Induktion zu einem Einblick in die natürliche Verwandtschaft zu +gelangen. Er ordnete die Pflanzen zunächst nach der Beschaffenheit +eines Organs und erhielt dadurch ein künstliches System. Dann +gruppierte er die Pflanzen ein zweites Mal, indem er ein anderes Organ +zugrunde legte. Indem er dies oft wiederholte, gelangte er jedesmal +zu einem neuen künstlichen System[612]. Sein leitender Gedanke +war nun der, daß die natürliche Verwandtschaft aus dem Vergleich +dieser künstlichen Systeme hervorleuchten müsse. In je mehr Systemen +nämlich die Arten nahe beieinander ständen, um so größer sei ihre +Verwandtschaft. Bei *Adanson* begegnet uns auch schon die Ansicht, daß +die Arten durchaus nicht unveränderliche Formen seien. + +Im engen Anschluß an den von *Linné* herrührenden Versuch stellte +*Bernard de Jussieu* (1699-1777, Professor am Jardin royal in Trianon) +seine Gruppen auf. *Jussieu* dehnte die Einteilung nach natürlichen +Verwandtschaftsverhältnissen, die er auch in den Anpflanzungen des +Jardin royal zum Ausdruck brachte, mit den Kryptogamen beginnend +und daran die Monokotylen, die Dikotylen und endlich die Koniferen +anschließend, über das gesamte Pflanzenreich aus. Sein System umfaßte +14 Klassen. Die erste enthielt sämtliche Kryptogamen, die er als +Akotyledonen bezeichnete. Die Monokotyledonen wurden, je nachdem +die Staubfäden auf dem Blütenboden stehen, mit der Blütenhülle oder +mit dem Fruchtknoten (Orchideen) verwachsen sind, in drei Klassen +eingeteilt. Die Dikotyledonen zerfielen in die großen, nach der +Beschaffenheit der Krone gebildeten Unterabteilungen der Apetalen +(Blumenblattlose), der Monopetalen (Blumenkrone aus einem Stück +bestehend) und der Polypetalen (mit mehreren Kronenblättern). Sie +wurden nach den Stellungsverhältnissen von Blumenkrone, Staubgefäßen +und Fruchtknoten wieder in Klassen eingeteilt. Das System *Bernard +de Jussieus* beruhte auf der Verknüpfung der natürlichen mit einer +künstlichen Anordnung. Es wurde durch seinen Neffen *Antoine Laurent +de Jussieu* weiter ausgebaut. *Antoine Laurent de Jussieu* (1748-1836) +war Professor am Jardin des Plantes zu Paris. Sein Verdienst besteht +darin, daß er die Anzahl der natürlichen Gruppen (Familien) nicht nur +vergrößerte, sondern die jeder Gruppe gemeinschaftlichen Merkmale, die +Familiencharaktere, klar erkannte und scharf hervorhob. + +Ihre wertvollste Stütze erhielten die Bemühungen *A. L. de Jussieus* +durch den deutschen Botaniker *Gärtner*, der gleich *Kölreuter* und +*Sprengel* im eigenen Vaterlande kaum verstanden und gewürdigt wurde. + +*Joseph Gärtner*[613] hat in dem Bestreben, das natürliche System +begründen zu helfen, die erste wissenschaftliche Morphologie der +Früchte und der Samen geliefert. Die Zahl der von ihm hinsichtlich +dieser Teile genau untersuchten Pflanzengattungen beläuft sich auf +über tausend. Zu den wichtigsten Ergebnissen seiner Arbeit gehört +die Erkenntnis, daß die Sporen der Kryptogamen und die Samen der +Blütenpflanzen grundverschiedene Gebilde sind. Er zeigte, daß die +eigentlichen Samen stets einen Embryo (Keimling) enthalten. Die +Lage dieses Keimlings, die Richtung seiner Wurzel und die Zahl und +Gestalt der Keimblätter machte er zum Gegenstande der eingehendsten +Untersuchung, um auf die gefundenen Besonderheiten dann wieder +Familiencharaktere zu gründen. Dabei verfiel er nie in einseitige +Bevorzugung der von ihm auf diese Weise gefundenen Merkmale, sondern er +betrachtete sie als zwar wichtige, indessen keineswegs als die einzigen +für die natürliche Einteilung der Pflanzenwelt zu verwertenden Mittel. +Erwähnt sei noch, daß bei dieser, im übrigen ganz im Sinne der modernen +Naturwissenschaft geführten Untersuchung, stets nur die fertigen +Gebilde betrachtet wurden und *Gärtner* kaum daran dachte, auch die +Entwicklung der von ihm untersuchten Organe zu verfolgen[614]. Dieser +Weg, auf dem sich die tiefste Einsicht in die verwandtschaftlichen +Beziehungen der Organismen eröffnen sollte, blieb einem späteren +Zeitalter vorbehalten. + +*Gärtners* großes Werk mit seinen zahlreichen, sorgfältig ausgeführten +Kupfertafeln, dem er die Arbeit seines Lebens gewidmet, fand in +Frankreich die höchste Anerkennung. Geradezu mit Begeisterung wurde es +von *A. L. de Jussieu* aufgenommen, der bei seinen Untersuchungen über +die Gattungs- und Familiencharaktere sehr oft auf *Gärtners* Werk »Über +die Früchte und Samen der Pflanzen« zurückgriff. + +*A. L. de Jussieus* System beginnt mit den Akotyledonen (Kryptogamen), +welche die Gruppen der Pilze, Algen, Moose und Farne umfassen. +Die Monokotyledonen werden nach der Stellung der Staubgefäße zu +dem Fruchtknoten in drei Reihen zerlegt. Sie umfassen insgesamt 16 +Familien, von denen wir als die bekanntesten die Gräser, Palmen, +Lilien, Narzissen und Orchideen anführen. Die Dikotyledonen teilt +*Jussieu* zunächst nach der Beschaffenheit der Blumenkrone in die +Hauptgruppen der Apetalen, Monopetalen und Polypetalen, je nachdem die +Kronenblätter fehlen, verwachsen oder frei sind. Nach der Stellung +des Fruchtknotens zur Krone oder den Staubgefäßen zerfallen diese +Hauptgruppen dann wieder in Unterabteilungen. + +So gehören die Lippenblüter (Labiatae) mit 14 anderen Familien +zu einer solchen Unterabteilung. Einige von diesen Familien sind +die Nachtschattengewächse, die Rauhblättrigen (Borragineen), die +Windengewächse, die Enziangewächse (Gentianeen) usw. Das Gemeinsame +dieser 15 Familien besteht darin, daß die Krone der Blütenachse +unterhalb des Fruchtknotens eingefügt ist. Gleichzeitig ist die Krone +bei diesen 15 Familien verwachsenblättrig; letztere werden daher mit +anderen Gruppen von Familien zur Abteilung der Verwachsenblättrigen +(Monopetalen) zusammengefaßt. Den Monopetalen gleichwertig sind die +Polypetalen (Vielkronenblättrige) und die Apetalen (Kronenblattlose). +Das System nennt unter den Polypetalen die Doldengewächse +(Umbelliferae), die Hahnenfußgewächse (Ranunculaceae), die +Kreuzblüter (Cruciferae), die Rosengewächse (Rosaceae), die +Schmetterlingsblüter (Papilionaceae) und andere hervorragend wichtige +natürliche Gruppen. Im ganzen umfaßt es 100 solcher Familien, von denen +auf die Vielkronenblättrigen allein fast die Hälfte entfallen. Die +letzte Familie bilden die Coniferen. + +Dieses System vom Jahre 1789 hat zwar manche Verbesserung erfahren, ist +aber doch die Grundlage für alle späteren systematischen Anordnungen +geblieben, unter denen diejenige Decandolles in erster Linie +hervorgehoben werden muß. + +*Augustin Pyrame Decandolle* wurde 1778 in Genf geboren. Seine +Vorfahren stammten aus Südfrankreich. In Genf wirkten um 1800 eine +Anzahl hervorragender Naturforscher, die sich mit physikalischen und +physiologischen Untersuchungen beschäftigten. Unter ihnen sind vor +allem *de Saussure* und *Senebier* zu nennen. Durch diese Männer +wurde *Decandolle* der Pflanzenphysiologie zugeführt. Ein Jahrzehnt +(1798-1808) verbrachte *Decandolle* in Paris, das damals der glänzende +Mittelpunkt der exakten Naturforschung war. Ihrem Geist und ihrer +Methode konnte sich auch die Botanik nicht länger entziehen. Und +*Decandolle* war es vor allem zu danken, daß sich diese Wandlung nicht +auf die Physiologie beschränkte, sondern sich auch auf die Morphologie +ausdehnte. Von letzterer aus wurde endlich auch die Systematik mit +dem Geiste echter Naturforschung befruchtet, der in Frankreich an +der Schwelle des 19. Jahrhunderts auf so vielen Gebieten und in so +zahlreichen Männern sieghaft und die letzten Spuren der Scholastik +hinwegfegend zum Durchbruch kam. + +An *Decandolles* Pariser Aufenthalt schlossen sich botanische Reisen +durch Frankreich und die benachbarten Länder. Die letzten 25 Jahre +seines Lebens verbrachte er wieder in Genf. Er starb dort 1841. + +Wir haben in diesem Abschnitt *Decandolles* Verdienste um die +Entwicklung der morphologischen Grundbegriffe und um die Systematik zu +betrachten und werden uns erst an späterer Stelle mit den Ergebnissen +seiner pflanzenphysiologischen Arbeiten beschäftigen. + +Die Grundlagen für die heutige Morphologie veröffentlichte +*Decandolle* im Jahre 1813 in seinen »Theoretischen Anfangsgründen +der Botanik«[615]. Eine erweiterte Darstellung unter gleichzeitiger +Berücksichtigung der Pflanzenanatomie erfuhren diese Grundzüge 1827 +in der Organographie[616]. Wir wollen der hier folgenden Darstellung +dieses spätere Werk zugrunde legen. *Decandolle* vermehrte die Zahl +der Familien von 100 (*Jussieu*) auf 161 und lieferte in Gemeinschaft +mit einer Anzahl Fachgenossen eine ausführliche Beschreibung aller +bis dahin bekannt gewordenen Pflanzenarten, das großartigste +Unternehmen, welches die botanische Systematik aufzuweisen hat. In +diesem, Prodromus systematis naturalis betitelten Sammelwerk hat +*Decandolle* allein etwa 100 Familien bearbeitet. Das Erscheinen des +Werkes erstreckte sich über eine Reihe von Jahrzehnten (1824-1873). Die +Fortführung übernahm mit dem 8. Bande *Decandolles* Sohn *Alphons*, +dem er sein Herbarium und seine Bibliothek vermacht hatte. Den +Wert dieser umfangreichen systematischen Arbeit erkennt einer der +hervorragendsten Geschichtsschreiber der neueren Botanik mit folgenden +Worten an: »Es ist nicht wohl möglich, von dem in solchen Arbeiten +liegenden Verdienst in Kürze Rechenschaft zu geben. Sie bilden eben die +eigentlich empirische Grundlage der gesamten Botanik, und je besser +und umsichtiger diese gelegt ist, desto größere Sicherheit gewinnt die +ganze Wissenschaft in ihren Fundamenten«[617]. + +Es gelang *Decandolle* indes ebensowenig wie *Jussieu*, eine scharfe +Bestimmung und richtige Bewertung der Hauptgruppen des Pflanzenreiches +zu geben. Dieses wurde erst dadurch ermöglicht, daß man sich nach dem +Wiederaufleben der lange vernachlässigten mikroskopischen Forschung den +schwer zugänglichen Formverhältnissen der Kryptogamen zuwandte. Jetzt +erst wurde es klar, daß die schon von *Ray* in Vorschlag gebrachte +Gegenüberstellung dieser Gruppe der Gesamtheit der übrigen Pflanzen +gegenüber berechtigt ist und daß die großen Abteilungen, in welche +die Kryptogamen zerfallen, den Monokotyledonen und den Dikotyledonen +gleichwertig sind. + +*Decandolles* Mißgriff bestand darin, daß er seine Gruppierung auf das +Vorhandensein und das Fehlen von Gefäßbündeln gründete. So kam es, +daß in seinem System den Monokotylen die Gefäßkryptogamen beigesellt +wurden. Bei diesen beiden Gruppen erblickte er das Gemeinsame in dem +Umstande, daß sie nicht wie die Dikotylen ein am Umfange des Stammes +vor sich gehendes Dickenwachstum aufweisen. Die Dikotylen wurden aus +diesem Grunde als exogen, die beiden anderen Gruppen, für die er +ein im Innern des Stammes vor sich gehendes, wenn auch beschränktes +Dickwachstum annahm, als endogen bezeichnet. + +Die größte aller Gruppen des Pflanzenreichs, die Dikotylen, wurde +wieder nach der Beschaffenheit der Blütenhülle (einfach oder doppelt) +in zwei Untergruppen eingeteilt. War das gewählte Merkmal auch ein +künstliches, so waren doch innerhalb dieser Untergruppen Vereinigungen +von Familien (Reihen) möglich, die natürliche Verwandtschaft zu +besitzen schienen. + +Den Begriffen »natürliches System« und »natürliche Verwandtschaft« +fehlte indes gänzlich der reale Sinn, den erst die moderne +Abstammungslehre in sie hineintragen konnte. Dazu kam, daß sich +*Decandolle* die Beziehungen der von ihm geschaffenen Gruppen unter +einem Bilde vorstellte, das recht ungeeignet war, den Gedanken an eine +wirkliche, durch Abstammung bedingte Verwandtschaft vorzubereiten oder +gar aufkommen zu lassen. Während man sich vor ihm das System wohl unter +dem Bilde einer geraden Linie vorgestellt hatte, verglich *Decandolle* +es nämlich mit einer geographischen Karte, in welcher die Erdteile den +größten, the Staaten, Provinzen usw. den kleineren Gruppen entsprächen. +Nach diesen Ausführungen stellt sich das von *Decandolle* geschaffene +Pflanzensystem folgendermaßen dar: + + I. *Gefäßpflanzen.* + + 1. Exogene Pflanzen (Dikotylen). + + A. mit Kelch und Krone + + α) Kronenblätter frei und über dem Fruchtknoten + stehend. + + β) Kronenblätter frei und um den Fruchtknoten stehend. + + γ) Kronenblätter verwachsen. + + B. mit einfachem Perigon + + 2. Endogene Gefäßpflanzen. + + α) Die Monokotylen. + + β) Die Gefäßkryptogamen. + + II. *Zellenpflanzen.* + + α) Beblätterte Zellenpflanzen (Moose). + + β) Blattlose Zellenpflanzen (Tallophyten). + +Die Lehre von der Sexualität der Pflanzen tauchte gegen das Ende des +17. Jahrhunderts auf und errang nach vielem Widerstreit in der ersten +Hälfte des 18. Jahrhunderts allgemeine Anerkennung. Schon in diesem +Zeitraum setzen die Bemühungen ein, die Gültigkeit der Sexualtheorie +auch für die an letzter Stelle genannten Gefäßkryptogamen, Moose +und Tallophyten nachzuweisen. Man suchte Staubgefäße zwischen den +Lamellen der Blätterpilze[618], deutete gewisse Teile der Moose als +Fortpflanzungsorgane und glaubte auch deutliche Anzeichen für die +Sexualität der Tange bemerkt zu haben[619]. Ihre volle Aufklärung fand +die Frage nach der Fortpflanzung der Kryptogamen jedoch erst durch die +erhöhte Leistungsfähigkeit der Mikroskope und die damit Hand in Hand +gehende Ausbildung der mikroskopischen Technik im Verlaufe des 19. +Jahrhunderts. + +Das Verständnis für die natürliche Verwandtschaft, die bei *Jussieu* +und *Decandolle* ein bloßer, mit dem Dogma von der Konstanz +der Arten schwer vereinbarer Begriff geblieben war, wurde erst +ermöglicht, als das in den vierziger Jahren beginnende Studium der +Entwicklungsgeschichte im Verein mit der Lehre vom Transformismus dem +Worte »Verwandtschaft« einen neuen Sinn verlieh und das System als das +Endergebnis einer zusammenhängenden, von einem gemeinsamen Ursprung +ausgehenden Folge von Entwicklungsvorgängen erschien. + +Auch durch die vergleichende Betrachtung der Formen kam man auf dem +Gebiete der Botanik zu wertvollen Ergebnissen. Während *Jussieu* und +*Decandolle* durch eine solche sich über die Gesamtheit der Arten +erstreckende Betrachtung zur Aufstellung des natürlichen Systems +gelangten, spürten *Wolff* und *Goethe* den Beziehungen zwischen den +einzelnen Organen der Pflanze nach und brachten diese Beziehungen in +ihrer Lehre von der Metamorphose zum Ausdruck. Den Grundgedanken dieser +Lehre hat *Wolff* in folgenden Worten ausgesprochen: »In der ganzen +Pflanze, deren Teile wir beim ersten Anblick als so außerordentlich +mannigfaltig bewundern, sehe ich, nachdem ich alles reiflich erwogen, +schließlich nichts anderes als Blätter und Stengel«. + +Die Wurzel faßte *Wolff* als einen Teil, gleichsam als die Fortsetzung, +des Stengels auf und auch die Kotyledonen wurden von ihm als +blattartige Gebilde, nämlich als die ersten und untersten Blätter +gedeutet. Derselbe Gedanke[620] wurde von *Goethe* in seinem »Versuch +über die Metamorphose der Pflanzen« bis ins einzelne ausgeführt[621]. + +Ein jeder, der das Wachstum der Pflanzen sorgfältig beobachtet, sagt +*Goethe*, werde leicht bemerken, daß gewisse äußere Teile sich +manchmal verwandeln und in die Gestalt der nächstliegenden Teile bald +ganz, bald mehr oder weniger übergehen. So verändere sich z. B. die +einfache Blume in eine gefüllte, wenn sich anstatt der Staubgefäße +Blumenblätter entwickeln. Die Samenlappen lassen sich nur als die +ersten, meist noch sehr einfachen Blätter des ersten Knotens deuten. +Die Ausbildung des Blattes schreitet nach oben von Knoten zu Knoten +fort. Daß die Teile des Kelches dieselben Organe sind, die sich +vorher als Stengelblätter sehen lassen, erkenne man deutlich. Auch +die Verwandtschaft der Krone mit den Stengelblättern lasse sich nicht +verkennen. + +Selbst in den Samenbehältern könne man, schließt *Goethe* seine +Betrachtung, ungeachtet ihrer mannigfaltigen Bildung, ihrer besonderen +Bestimmung und Verbindung die Blattgestalt nicht verkennen. »So wäre +z. B. die Hülse ein einfaches, an den Rändern verwachsenes Blatt. Die +zusammengesetzten Gehäuse erklären sich aus mehreren Blättern, die sich +um einen Mittelpunkt vereinigt und ihre Ränder miteinander verbunden +haben.« + +Diese Gedanken sind auch noch heute der Ausgangspunkt der +morphologischen Betrachtungsweise, so daß *Goethe*, dessen +naturwissenschaftliche Arbeiten zum Teil erhebliche Schwächen[622] +aufweisen und überhaupt nur unter Berücksichtigung der Eigenart +ihres Verfassers betrachtet werden dürfen, sich hier ein bleibendes +Verdienst erworben hat. *Wolff* und *Goethe* haben den Begriff +»Metamorphose«, wie die gleichzeitig lebenden Systematiker den Begriff +»Verwandtschaft«, zunächst als etwas Bildliches aufgefaßt[623]. Doch +läßt sich nicht verkennen, daß *Goethe* mit seinem intuitiven Denken +später den Transformismus, d. h. die Lehre von dem wirklichen, im Lauf +der Zeit erfolgten Entstehen der einen Form aus der anderen vorahnte. +So heißt es in seiner »Geschichte meines botanischen Studiums«: »Das +Wechselhafte der Pflanzengestalt erweckte bei mir die Vorstellung, die +uns umgebenden Pflanzenformen seien nicht ursprünglich determiniert +und festgestellt, ihnen sei vielmehr eine glückliche Mobilität und +Biegsamkeit verliehen, um in so viele Bedingungen, die über den +Erdkreis auf sie einwirken, sich zu fügen und danach sich bilden und +umbilden zu können.« + + + + +24. Die Physiologie der Pflanzen unter dem Einfluß der neueren +chemisch-physikalischen Forschung. + + +Im Anschluß an die Systematik und die Morphologie der Pflanzen wenden +wir uns jetzt der Physiologie dieser Lebewesen zu. Unter den Forschern, +die sich bemühten, die Abhängigkeit des pflanzlichen Organismus von +physikalischen Kräften darzutun, ist besonders *Knight* zu nennen. +An seinen Namen knüpft sich die Entdeckung der als Geotropismus, +Hydrotropismus und Heliotropismus bekannten Erscheinungen. + +*Thomas Andrew Knight* wurde 1759 in einer kleinen Ortschaft des +westlichen Englands geboren. Nachdem er in Oxford studiert hatte, +übernahm er ein kleines Gut und widmete sich dem Gartenbau und der +Landwirtschaft. Im Verkehr mit *Banks*, dem Präsidenten der Royal +Society, und anderen Naturforschern bemerkte *Knight*, daß er bei +seiner engen und steten Fühlung mit der Natur vieles beobachtet habe, +was den zünftigen Forschern bisher entgangen war. *Banks* regte +*Knight* darauf an, seine Untersuchungen in den Abhandlungen der Royal +Society zu veröffentlichen. Die pflanzenphysiologischen Arbeiten +*Knigths* wurden neuerdings ins Deutsche übersetzt[624]. *Knight* starb +im Jahre 1838. + +Seine für die Lehre vom Geotropismus grundlegende Arbeit »über die +Richtung der jungen Wurzel und des jungen Stengels bei der Keimung« +erschien im Jahre 1806. Als Ursache der Erscheinung, daß die +Wurzel nach dem Mittelpunkt der Erde, der Stengel dagegen nach der +entgegengesetzten Richtung wächst, hatte man schon vor *Knight* die +Schwerkraft vermutet. Der experimentelle Nachweis hierfür, sagte sich +dieser Forscher, wird sich am sichersten dadurch führen lassen, daß +man die wachsende Pflanze bei Ausschluß der Schwerkraft untersucht. Da +die Schwerkraft eine Wirkung nur hervorrufen kann, wenn der Keimling +in Ruhe bleibt, so wird nach *Knights* Verfahren ihr Einfluß durch +einen steten Wechsel der Lage des keimenden Samens aufgehoben. Den +entscheidenden Versuch stellte *Knight* in folgender Weise an. An +dem Umfang eines senkrecht stehenden Rades befestigte er kleine, +nach der Radachse und nach außen offene Behälter. Diese wurden mit +feuchtem Moos gefüllt. In das Moos jedes Behälters pflanzte er Samen +der Gartenbohne. Das Rad wurde durch ein kleines Wasserwerk 150mal +in der Minute um seine Achse gedreht. Auf diese Weise wurde die Lage +der Samen zum Erdradius so oft gänzlich verändert, daß *Knight* +den Einfluß der Schwerkraft als beseitigt betrachten durfte. Nach +einigen Tagen begannen die Samen zu keimen, und man beobachtete, +daß die Wurzeln, in welcher Richtung sie auch nach der jeweiligen +Lage der Samen hervortraten, ihre Spitzen vom Radkranze in radialer +Richtung nach außen kehrten, während die Stengel in entgegengesetzter +Richtung wuchsen, bis sich schließlich ihre Spitzen im Mittelpunkte +des Rades vereinigten. Wuchsen die Stengel über diesen Punkt hinaus, +so kehrten sich ihre Spitzen bald wieder um, um wieder in der Mitte +des Rades zusammenzutreffen. Die Zentrifugalkraft bestimmte somit die +Wachstumsrichtung genau so, wie es bei den ruhenden Samen durch die +Schwerkraft geschieht. + +Zu dieser Erkenntnis gesellte sich später der Nachweis[625], daß die +Wurzeln sich nicht etwa infolge ihres Eigengewichtes nach abwärts +krümmen, da sie eine Last, die größer als ihr Eigengewicht ist, bei +ihrer Krümmung in Bewegung zu setzen vermögen. + +Bei einem zweiten Versuch vereinigte *Knight* die Wirkung der +Zentrifugalkraft mit derjenigen der Schwerkraft. Er brachte die +Samen in ähnlicher Weise, wie schon beschrieben, auf dem Kranz eines +diesmal horizontal liegenden Rades an und setzte es in Drehung. Bei +80 Umdrehungen wuchsen die Wurzeln unter einem Winkel von 45° nach +unten, die Stengel dagegen unter dem gleichen Winkel nach oben. Dabei +entfernten die Wurzeln ihre Spitzen von der Radachse, während die +Stengel sich gegen die Achse hinneigten. Steigerte *Knight* die Zahl +der Umdrehungen auf 250, so wichen die Wurzeln und die Stengel um +einen noch viel höheren Betrag (um 80°) von der vertikalen Richtung ab, +die sie in der Ruhelage eingenommen haben würden. + +Durch diese Versuche war der Beweis geliefert, daß durch eine bestimmte +äußere Ursache und nicht infolge der inneren Eigenschaft des Organismus +die Pflanzenteile veranlaßt werden, dasjenige Verhalten zu zeigen, das +wir als positiven und negativen Geotropismus bezeichnen. + +Als eine weitere Ursache, welche die Richtung und das Wachstum der +Wurzeln beeinflußt, erkannte *Knight* die Feuchtigkeitsunterschiede. Er +zeigte, daß sie diejenigen Reaktionen der Pflanze herbeiführen, die man +heute als Hydrotropismus bezeichnet. + +*Knight* ging[626] von folgender Beobachtung aus: Verpflanzt man einen +Baum, der viel Feuchtigkeit nötig hat, in einen Boden, der erst in +einiger Entfernung reichlich Wasser enthält, so wendet sich die Wurzel +dem Wasser zu. Verlangt dagegen ein Baum einer anderen Art trockenen +Boden, so entfernt sich seine Wurzel von dem Wasser. Es hat den +Anschein, als ob die Pflanzen gewissermaßen planmäßige Anstrengungen +machen, um günstige Feuchtigkeitsverhältnisse zu erlangen. Es gehörte +damals, als die Lehre von der Lebenskraft in voller Blüte stand +und man geneigt war, derartige Erscheinungen auf mystische Triebe +und Begierden zurückzuführen, eine gewisse Kühnheit dazu, diese +Erscheinungen aus mechanischen Ursachen erklären zu wollen. Dennoch +versuchte dies *Knight*, überall wohin sein Forschen sich richtete. Er +setzte dadurch das Werk seines großen Landsmannes *Hales*[627] fort, +der ein halbes Jahrhundert vor ihm zuerst den Versuch gemacht hatte, +die experimentelle, mechanische Erklärungsweise in die Physiologie +einzuführen. »Ich wage«, sagte *Knight*, »aus meinen Versuchen zu +schließen, daß die Wurzeln nur durch die unmittelbare Einwirkung der +sie umgebenden Körper, nicht aber durch irgend eine Art von Begierde, +ähnlich derjenigen der Tiere, beeinflußt werden.« + +Bemerkenswert war ein Versuch, bei dem die Wurzeln oben mit feuchter +und unten mit trockener Erde in Berührung waren. *Knight* pflanzte +nämlich Bohnen in Töpfe. Nach einiger Zeit kehrte er die Töpfe um +und führte ihnen soviel Wasser durch den Boden zu, daß nur die dem +Boden benachbarte, also jetzt über dem keimenden Samen befindliche +Erde feucht war. Und siehe da, nach wenigen Tagen sandten die Pflanzen +zahlreiche Wurzeln nach aufwärts in die feuchtere Erde hinein, als ob +sie von den Instinkten eines tierischen Wesens geleitet würden. Dem +Einfluß der Schwerkraft war bei diesem Versuche durch die Trockenheit +auf der unteren Seite in ähnlicher Weise entgegengewirkt worden, wie +es bei dem Versuche mit dem horizontalen rotierenden Rade durch die +Zentrifugalkraft geschehen war. Offenbar handelte es sich in dem einen +wie in dem anderen Falle nicht um instinktmäßige Triebe, sondern +um rein mechanische Ursachen. Wie *Knight* des Näheren ausführt, +entwickeln sich die Organe anfangs nach allen Richtungen. Es wachsen +aber nur diejenigen weiter, die günstige Bedingungen finden. So bekommt +es den Anschein, als ob die Wurzeln der einen Pflanze das in der Nähe +befindliche Wasser suchen, diejenigen der anderen dagegen es vermeiden +wollen. + +Eine größere Zahl von Versuchen stellte *Knight* über die +Rankenbewegungen der Pflanzen an[628]. Diese Versuche ergaben, daß auch +das Ranken aus reiner Notwendigkeit erfolgt und nicht durch irgend eine +Art von Verstandeskräften bedingt wird. Seine Versuche stellte *Knight* +besonders an der Erbse, dem Epheu, dem gewöhnlichen und dem wilden +Wein an. Die Bewegungen, welche die Ranken machen, werden zunächst +genau beschrieben und dann auf zwei Umstände zurückgeführt. Diese +Umstände sind Besonderheiten im inneren Bau, man könnte dafür auch +sagen eine bestimmte Reizbarkeit, und zweitens die Einwirkung äußerer +Ursachen, unter denen das Licht und der mechanische Druck in erster +Linie zu nennen sind. Nach *Knight* bewirken diese Reize Änderungen in +der Saftverteilung und im Gefolge davon Wachstumsvorgänge. Der Druck, +meint er, der auf die eine Seite einer Ranke ausgeübt wird, verdrängt +wahrscheinlich den Saft, die gedrückte Seite zieht sich infolgedessen +zusammen. Die so entstehende Bewegung wird dadurch noch verstärkt, daß +der Saft, indem er nach den nicht gedrückten Stellen wandert, diese +zu lebhafterem Wachstum veranlaßt. Infolgedessen umschlinge die Ranke +einen dünnen Holz- und Metallstab. Trotz aller Unzulänglichkeit dieser +Erklärung ist sie doch als der erste Versuch einer Zurückführung der +an den Ranken beobachteten Erscheinungen auf mechanische Ursachen +anzuerkennen. + +Von Wichtigkeit waren auch *Knights* Versuche über den von ihm +entdeckten negativen Heliotropismus der Ranken des wilden Weins. Diese +Pflanze wurde den Sonnenstrahlen voll ausgesetzt. Außerdem wurde ein +Stück schwarzes Papier auf der einen Seite in der Nähe der Pflanze so +angebracht, daß die Ranken es erreichen konnten. Die Ranken wurden +dann von dem schwarzen Papier sozusagen angezogen. Brachte man das +Papier auf die entgegengesetzte Seite, so folgten die Ranken bald auch +dorthin. Brachte man an Stelle des Papieres eine Glasplatte an, die das +Sonnenlicht so zurückwarf, daß es fortwährend auf die Ranken fiel, so +wandten sie sich von dem Glase fort; und es schien so, als ob sie von +dem Glase zurückgestoßen würden. Für die Haftwurzeln des Epheus wies +*Knight* nach, daß sie nicht nur dem Lichte ausweichen, sondern sich +auch nur an der Schattenseite des Stammes bilden. + +Auch dies Verhalten suchte *Knight* auf mechanische Gründe +zurückzuführen, indem er beim negativen Heliotropismus eine Ausdehnung, +beim positiven dagegen eine Zusammenziehung der belichteten +Rindensubstanz annahm. Hier wie überall besteht das Unzulängliche der +von *Knight* begründeten Phytodynamik darin, daß sie auf die innere +Organisation der Pflanze keine genügende Rücksicht nehmen konnte, weil +diese noch zu wenig der Erkenntnis erschlossen war. Besteht doch dieser +Mangel selbst heute noch in solchem Grade, daß die neuere Wissenschaft +an Stelle der Erklärungsversuche *Knights* trotz der Erkenntnis ihrer +Unzulänglichkeit kaum etwas besseres zu setzen gewußt hat. + +Von dem Gedanken geleitet, daß das Studium der in den Gewächsen +sich abspielenden Veränderungen am ehesten die Erkenntnis des +Lebensprozesses ermöglichen werde, hatte *Stephan Hales* die ersten +Schritte zur Begründung einer Ernährungsphysiologie der Pflanzen +unternommen. Ein erfolgreiches Eindringen in diesen Gegenstand war +jedoch erst möglich, nachdem die Rolle des Sauerstoffs erkannt und die +Chemie auf eine wissenschaftliche Grundlage erhoben war. Schon vor der +Entdeckung des Sauerstoffes hatte *Priestley* beobachtet, daß die durch +die Atmung oder durch ein brennendes Licht »verdorbene« Luft wieder +»heilsam« gemacht werde, wenn Pflanzen darin wachsen. Das heißt: Luft, +in der ein Licht erlosch, wurde durch die Pflanzen in solchem Grade +verbessert, daß das Licht wieder darin fortbrannte. Im Zusammenhange +mit dieser Tatsache fand *Priestley*, daß die in den Blasen des +Seetangs befindliche Luft sogar »besser« als die atmosphärische +Luft ist. Als ein Anzeichen für die »Güte« der Luft diente ihm +die Zusammenziehung, die sich in seinem Salpetergaseudiometer +einstellte[629]. + +Der eigentliche Entdecker der Assimilation und der Atmung der Pflanzen +ist der Holländer *Ingenhouß* (1730-1799). Er veröffentlichte im Jahre +1769 eine ausführliche Arbeit[630] über diesen Gegenstand. Darin findet +sich der Nachweis, daß die meisten Pflanzen die »verdorbene Luft« +im Sonnenlichte schnell verbessern, daß sie dagegen zur Nachtzeit +Kohlendioxyd ausscheiden oder die Luft »unrein« machen, wie es damals, +bevor die antiphlogistische Lehre bekannt geworden war, noch hieß. Die +Verbesserung der Luft geht nach *Ingenhouß* jedoch nur von den grünen +Stengeln und Blättern, und zwar besonders von der unteren Seite der +letzteren aus; sie besteht in der Abscheidung von Sauerstoff, welcher +das zur Nachtzeit ausgeatmete Kohlendioxyd (von *Ingenhouß* noch als +schädliche Luft bezeichnet) an Menge mehrere hundert Mal übertrifft. +Hieran schloß sich die Erkenntnis[631], daß der ausgeschiedene +Sauerstoff von der Zersetzung des Kohlendioxyds herrührt, welches +durch die Prozesse der Verbrennung, der Atmung und der Gärung in die +atmosphärische Luft gelangt[632]. + +Durch andere Versuche wurde dargetan, daß sich die Pflanzen allein +mit Hilfe gasförmiger, flüssiger und in Flüssigkeiten gelöster Stoffe +entwickeln können. Man ließ z. B. Pflanzen zwischen Moos, Baumwolle +oder ausschließlich in Flußwasser wachsen, das eine genügende Menge von +Mineralbestandteilen in Lösung enthielt. Auf solche Weise gelangte man +schon gegen den Ausgang des 18. Jahrhunderts zu einer Kenntnis der +qualitativen Seite der Ernährungsphysiologie. + +Nachdem für die Chemie das Zeitalter der quantitativen +Untersuchungsweise gekommen war, galt es, die neue Methode auf +die ihrem qualitativen Verlaufe nach erkannten Vorgänge der +Ernährungsphysiologie anzuwenden. Dies geschah besonders durch +*Saussure*. Wie *Knight* die Phytodynamik, so begründete er die Lehre +von der Ernährung der Pflanzen, für welche *Ingenhouß* und *Senebier* +nur einige sich auf den Gasaustausch erstreckende Vorarbeiten geliefert +hatten. + +*Nicolas Théodore de Saussure* war der Sohn des durch seine +Montblanc-Besteigung bekannt gewordenen Alpenforschers *Horace Benedict +de Saussure*. Letzterer bekleidete ein Lehramt in Genf, wo *Théodore* +im Jahre 1767 geboren wurde. *Théodore de Saussure* beteiligte sich +zunächst an den Forschungen seines Vaters. Seit dem Jahre 1797 wandte +er sich pflanzenphysiologischen Untersuchungen zu. Er starb in Genf im +Jahre 1845. + +*Saussure* stellte sich die Aufgabe, die Rolle des Wassers, der Luft +und des Humus bei der Ernährung der Gewächse und die Veränderungen +der Atmosphäre durch die Pflanzen genauer zu erforschen. Insbesondere +lenkte sich sein Augenmerk auf die Bedeutung, welche das Kohlendioxyd +für das pflanzliche Leben besitzt. + +Er entwickelt sein Programm mit den Worten: »Ich werde Fragen erörtern, +welche durch das Experiment entschieden werden können und verzichte +auf bloße Mutmaßungen, denn die Tatsachen allein führen in der +Naturwissenschaft zur Wahrheit«. Diesem Vorsatz ist *Saussure* treu +geblieben. Stets werden in seiner meisterhaft geführten Untersuchung +die Fragen bestimmt gestellt und ebenso bestimmt beantwortet. Hatten +frühere die Ernährungsvorgänge in den allgemeinsten Grundzügen und +ausschließlich nach der qualitativen Seite untersucht, so war er es, +der zuerst durch quantitative Bestimmungen eine »Bilanz herstellte +zwischen dem, was die Pflanze aufnimmt und dem, was sie abgibt und +daher selbst erwirbt[633].« Durch dies Verfahren gelangte er zu dem +Ergebnis, daß neben dem Kohlenstoff der Luft gleichzeitig die Elemente +des Wassers und gewisse Bestandteile des Bodens sich am Aufbau der +Pflanzensubstanz beteiligen. + +Der Gang seiner Untersuchung ist der folgende: Zunächst stellte er +aus kohlensaurem Gas und gewöhnlicher Luft eine künstliche Atmosphäre +her, welche 7½% kohlensaures Gas enthielt. Dieses Luftgemisch wurde +in einen Behälter eingeschlossen und darin sieben Immergrünpflanzen +(Vinca minor L.), von denen jede 20 cm hoch war, untergebracht. Die +Wurzeln dieser Pflanzen tauchten in ein besonderes Gefäß, das 15 ccm +Wasser enthielt. Dieser Apparat wurde sechs Tage hintereinander von 5 +bis 11 Uhr morgens den Sonnenstrahlen ausgesetzt. Am siebenten Tage +nahm *Saussure* die Pflanzen heraus. Unter Berücksichtigung aller +Korrekturen hatte sich das Volumen der Atmosphäre nicht verändert. Auch +aus späteren Versuchen hat sich ergeben, daß das Gesamtvolumen einer +Atmosphäre, in welcher die Pflanzen assimilieren, nahezu unverändert +bleibt, da ein dem zersetzten Kohlendioxyd annähernd gleiches Volumen +Sauerstoff ausgeschieden wird, während sich der Gehalt an Stickstoff im +allgemeinen nicht verändert. + +Ein vergleichender Versuch zeigte, daß sieben Immergrünpflanzen, +wie sie *Saussure* benutzt hatte, trocken vor der Zersetzung des +kohlensauren Gases, 2,707 g wogen, und daß sie bei der Verkohlung im +geschlossenen Gefäße 528 mg Kohle lieferten. Die Pflanzen, welche +kohlensaures Gas zersetzt hatten, gaben, als sie getrocknet und nach +demselben Verfahren verkohlt wurden, 649 mg Kohle. Die Zersetzung des +kohlensauren Gases ergab also einen Gewinn von 120 mg Kohlenstoff. +*Saussure* ließ dann Immergrünpflanzen, die in kohlensäurefreier +Luft gewachsen waren, verkohlen und fand, daß sich der Gehalt an +Kohle während des Aufenthaltes unter dem Behälter eher vermindert als +vermehrt hatte. + +*Saussure* erkannte ferner, daß die Pflanzen, während sie Kohlenstoff +assimilieren, gleichzeitig die Elemente des Wassers aufnehmen, +welches dabei seinen flüssigen Zustand verliert und zur Vermehrung +der Trockensubstanz beiträgt. Zunächst überzeugte er sich davon, daß +100 Gewichtsteile der Pfefferminzpflanze 40,29 Teile Trockensubstanz +enthielten, von denen nach der Verkohlung 10,56 Teile Kohle übrig +blieben. Die 100 Gewichtsteile Pfefferminze wogen, nachdem sie zwei und +einen halben Monat in freier Luft vegetiert hatten, 216 Teile. Zunächst +lehrte diese Gewichtszunahme nichts, da sie vielleicht der Vermehrung +des Vegetationswassers zuzuschreiben war. Durch das Trocknen ging das +Gewicht auf 62 Teile zurück. Die Pflanzen vergrößerten also mit Hilfe +von Luft und Wasser ihre Trockensubstanz um 21,71 Teile. Die 62 Teile +lieferten bei der Verkohlung 15,78 Teile Kohle oder 4,82 Teile mehr +als zuvor. Die übrige Zunahme war auf Rechnung des chemisch gebundenen +Wassers zu setzen. + +Von entscheidender Wichtigkeit sind *Saussures* Versuche über das +Verhalten der Pflanzen in den verschiedensten sauerstofffreien Medien +gewesen. Sie führten zu dem Ergebnis, daß die Pflanzen Stickstoff und +Wasserstoff im elementaren Zustande, sowie Kohlenoxydgas nicht zu +assimilieren vermögen. + +Die Frage, ob Wasser und Luft als Nahrungsmittel ausreichen und die +vollständige Entwicklung der Pflanzen bewirken können, wurde durch +*Saussures* Versuche entschieden verneint. Die weitere Frage, welche +Elemente oder Verbindungen zum Wasser und zur Luft hinzukommen müssen, +um das erwähnte Ziel zu erreichen, ließ sich nur durch ausgedehnte +Versuche in Nährlösungen entscheiden, ein Forschungsmittel, dessen sich +*Saussure* in ausgedehnterem Maße bediente. + +Auch diese Versuche waren von grundlegender Wichtigkeit. Zunächst +wurden den Versuchspflanzen Lösungen dargeboten, die nur je ein +Salz enthielten. Der Gang der Untersuchung und das Ergebnis ist +sehr lehrreich. Jede Lösung bestand aus 40 Kubikzoll Wasser und +enthielt 100 Teile desjenigen Salzes, dessen Verhalten zur Pflanze +(Polygonum persicaria) man prüfen wollte. Der Versuch wurde jedesmal +unterbrochen, wenn die Hälfte der Lösung von der Pflanze aufgenommen +war. Es ergab sich durch die Analyse der zurückgebliebenen Hälfte, daß +Polygonum von den gebotenen 100 Teilen folgende Mengen aufgenommen +hatte: + + Chlorkalium 14,7 Teile, + Schwefelsaures Natrium 14,4 " + Chlornatrium 13 " + Chlorammonium 12 " + Essigsauren Kalk 8 " + Salpetersauren Kalk 4 " + usw. + +Andere Pflanzen nahmen die Salze in anderen Mengen auf. Im allgemeinen +bemerkte man, wie in dem hier durch Zahlen belegten Falle, daß das +Wasser viel leichter in die Pflanze eindringt als der darin gelöste +Körper. Blieben doch z. B., wenn 4 Teile salpetersaurer Kalk in die +Pflanze eindrangen, 46 Teile dieses Salzes in der Lösung zurück, deren +Gehalt an Salz sich infolgedessen relativ erheblich steigerte. + +*De Saussure* ging auch dazu über, der Pflanze, den natürlichen +Verhältnissen entsprechend, gleichzeitig mehrere Salze in einer Lösung +darzubieten. Auch diesmal stellte er Nährlösungen von ganz bestimmter +Zusammensetzung her und analysierte sie, wenn sie bis zur Hälfte ihres +ursprünglichen Volumens aufgenommen waren. So erhielt er einwandfreie, +vergleichbare Zahlenwerte. Ein Beispiel hier für viele. Enthielt +ein und dieselbe Lösung 100 Teile Chlornatrium neben 100 Teilen +schwefelsaurem Natrium, so nahm Polygonum daraus 22 Teile von ersterem +und 11,7 Teile von dem zweiten Salz auf. Damit war die wichtige, für +alle späteren Untersuchungen dieser Art grundlegende Tatsache erwiesen, +daß eine Pflanze aus einer Lösung von mehreren Stoffen bestimmte Stoffe +bevorzugt. Durch die Veraschung der Versuchspflanzen überzeugte sich +*de Saussure* davon, daß die aus der Lösung verschwundene Salzmenge +wirklich in die Pflanze eingedrungen war. Von zwei Polygonumpflanzen +von genau gleichem Gewicht ließ er die eine in destilliertem Wasser, +die andere in einer Chlorkaliumlösung wachsen. Für letztere ergab +sich bei der Verbrennung beider Pflanzen, daß sie ihren Aschengehalt +um diejenige Chlorkaliummenge vergrößert hatte, die aus der Lösung +verschwunden war. Derartige Versuche waren zu einer Zeit, in welcher +wissenschaftlich gebildete Männer noch glaubten, die Pflanzen besäßen +die Fähigkeit, Elemente zu erzeugen und ineinander umzuwandeln, von +entscheidender Wichtigkeit. + +Weit größere Schwierigkeiten bot es bei dem damals noch unentwickelten +Zustande der Mineralanalyse über die Zusammensetzung und die Bedeutung +der aus dem Boden aufgenommenen Aschenbestandteile ins Reine zu +kommen. Es war eine verbreitete Ansicht, daß die Mineralstoffe, die +man in den Gewächsen fand, dort nur zufällig vorhanden und keineswegs +für ihre Existenz nötig seien. Ja, man ging sogar noch weiter und +schloß aus dem Umstande, daß einige Salze gewissen Pflanzen schädlich +sind, daß alle Salze der Vegetation nicht nur keinen Nutzen brächten, +sondern in mehr oder minder hohem Grade schädlich seien. *Saussures* +Untersuchungen vermochten hier wenigstens die gröbsten Irrlehren zu +beseitigen. Daß die geringe Menge der Pflanzenasche ein Anzeichen +für ihre Nutzlosigkeit sei, widerlegte er durch den Hinweis auf den +in den Tieren enthaltenen phosphorsauren Kalk. Dieser mache nur +einen sehr geringfügigen Teil des Gewichtes der Tiere aus. Dennoch +zweifle niemand daran, daß das Salz für den Aufbau der Knochen +durchaus notwendig sei. *Saussure* fand dieses Salz in der Asche +aller von ihm darauf untersuchten Pflanzen und vertrat die Ansicht, +daß sie ohne phosphorsauren Kalk nicht bestehen könnten. Als die +wichtigsten Bestandteile der Pflanzenasche erkannte *Saussure* außer +dem phosphorsauren Kalk die Verbindungen von Magnesium und Eisen, sowie +die Kieselsäure. Trotz dieser, durch zahlreiche Aschenanalysen, die +lange als unübertroffen galten, gestützten wichtigen Ergebnisse der +*Saussure*schen Untersuchungen blieben Zweifel an der Notwendigkeit der +Aschenbestandteile bestehen, bis *Liebig* in den dreißiger Jahren des +19. Jahrhunderts diese Frage endgültig im Sinne *Saussures* entschied. + +Die Frage nach der Aufnahme des Stickstoffes wurde noch später durch +*Boussingault* zur Entscheidung gebracht. Zwar hatte *Saussure* +nachgewiesen, daß der atmosphärische Stickstoff von der Pflanze nicht +assimiliert wird. Woher aber der beträchtliche Gehalt der Pflanze +an diesem Elemente stammt, blieb eine offene Frage. *Saussure* +beschränkte sich auf die Annahme, daß er aus den tierischen und +pflanzlichen Bestandteilen des Bodens stammen könne. Offenbar eine +verhängnisvolle, an die unbegreiflich törichte Humustheorie erinnernde +Gedankenlosigkeit, da ja die Quelle aufzuweisen war, woher eben die +Tiere und Pflanzen den Stickstoff beziehen. + +Eine Anzahl wichtiger Versuche stellte *Saussure* endlich an, um die +wichtige, schon von *Ingenhouß* angedeutete Rolle zu erkennen, welche +der Sauerstoff bei dem Stoffwechsel der Pflanze spielt. Zunächst +stellte er fest, daß zum Keimen Sauerstoff und Wasser erforderlich +sind. Das Wasser allein vergrößere zwar die Samen, indem es in das +Zellgewebe eindringe, es bringe sie aber ohne die Mitwirkung von +Sauerstoff nicht zum Keimen. Weiter zeigte *Saussure*, daß beim Keimen +Sauerstoff verschwindet und durch Kohlendioxyd ersetzt wird, ohne daß +eine Änderung des Gesamtvolumens stattfindet. Die keimenden Samen +änderten nämlich ebensowenig wie der brennende Kohlenstoff das Volumen +des Sauerstoffgases, das sie in kohlensaures Gas verwandelten. Daß +dieser der Atmung der Tiere analoge Vorgang auch in den fertigen +Pflanzenteilen vor sich geht, zeigte *Saussure* durch mannigfache +Versuche. + +Wurden z. B. frische Blätter gesammelt und während der Nacht unter +einen mit Luft gefüllten Recipienten gestellt, so verschwand der +Sauerstoffgehalt der Luft, und es bildete sich Kohlendioxyd, dessen +Volumen allerdings geringer war als dasjenige des während des Versuches +aufgezehrten Sauerstoffs. Wurden die Blätter am darauffolgenden Tage +wieder der Sonne ausgesetzt, so schieden sie fast dieselbe Menge +Sauerstoff wieder ab, die sie während der Nacht aufgenommen hatten. War +ihre Lebenskraft so groß, daß sie mehrere Tage gesund blieben, so bot +sich ein wunderbares Schauspiel dar. Die Blätter verringerten nämlich +jede Nacht ihre Atmosphäre, um sie jeden Tag beinahe in demselben Maße +zu vergrößern. + +*Saussure* dehnte die Untersuchung über den Einfluß des Sauerstoffs +auf die Pflanzen auch auf die Stengel, die Wurzeln und die Blüten +aus. Er zeigte, daß dieses Gas für die nicht-grünen Teile wesentlich +ist, und daß letztere, indem sie Sauerstoff verbrauchen, Kohlendioxyd +abscheiden, ohne dieses Produkt, wie es die grünen Pflanzenteile +vermögen, wieder in Sauerstoff zurückverwandeln zu können. Zu +diesen Beobachtungen kam noch der Nachweis, daß bei der Atmung die +Pflanzensubstanz einen Gewichtsverlust erleidet, der dem Gewicht +des ausgeschiedenen Kohlenstoffs entspricht. Auch darauf wurde +schon *Saussure* aufmerksam, daß Pflanzenteile, die eine regere +Lebenstätigkeit entfalten, wie Keimlinge und sich entfaltende Blüten +mehr Sauerstoff gebrauchen als minder tätige. Ja, es gelang ihm sogar +später[634], die Beziehung zwischen dem Sauerstoffverbrauch und eine +dadurch bedingte Erwärmung der Blüten festzustellen. + +Durch diese Forschungsergebnisse war die Lehre von der Atmung der +Pflanzen in ihren allerersten Grundlagen geschaffen und zwischen +dem Pflanzen- und dem Tierreich eine wichtige Brücke geschlagen. +Durchdrungen von dieser Erkenntnis äußerte sich *Saussure* +folgendermaßen: Prüfe man als Anatom die Pflanzen und die Tiere, so +komme man nicht auf den Gedanken, sie miteinander zu vergleichen. +Vergegenwärtige man sich aber die großen physiologischen Züge, wie +die Ernährung, die Absonderungen, den Einfluß des Sauerstoffs usw., +so müsse man eine auffallende Übereinstimmung zwischen Tieren und +Pflanzen zugeben. + +Wir haben die Arbeit *Saussures* etwas eingehender erörtert, weil +ein in gleicher Weise bahnbrechendes Werk auf dem Gebiete der +Ernährungsphysiologie kaum wieder erschienen ist. Das sorgfältige +Studium der *Saussure*schen, durch klare Fragestellung, sowie durch +treffliche Methoden gleich ausgezeichneten »Untersuchungen« kann nicht +genug empfohlen werden[635]. + +Als besonderer, alle Vegetationsvorgänge behandelnder Zweig der Botanik +wurde die Pflanzenphysiologie zuerst von *Decandolle* bearbeitet, mit +dessen Verdiensten um die Morphologie und um die Systematik wir uns +schon beschäftigt haben[636]. *Decandolle* stellte sich die Aufgabe, +die Pflanzenphysiologie auf Grund der physikalischen, chemischen, +anatomischen und biologischen Forschungsergebnisse als »abgeschlossene, +eigenartige Wissenschaft darzustellen und so ein vollständiges und +allseitiges Bild des Pflanzenlebens zu gewinnen«. Dies Unternehmen +stand ohne Vorläufer da. Deshalb ist auch das Werk, in welchem +*Decandolle* seine Aufgabe löste, von ganz außergewöhnlicher Bedeutung. +Sie besteht weniger in der Mitteilung neuer Entdeckungen als in der +Verknüpfung der bisher bekannt gewordenen Tatsachen, durch welche aus +dem zerstreuten Wissen erst die Wissenschaft in der ihr eigenen und im +wesentlichen auch bleibenden Gestalt und Richtung hervorgegangen ist. + +Die folgenden Abschnitte sollen dieser grundlegenden Bedeutung des von +*Decandolle* verfaßten Werkes gerecht zu werden suchen. Es erschien +1832 unter der Bezeichnung »Pflanzenphysiologie oder Darstellung der +Lebenskräfte und Lebensverrichtungen der Gewächse«[637]. + +Hatte *Decandolle* in seiner Organographie die Teile beschrieben, aus +denen die Pflanzenmaschine besteht, so galt es in der »Physiologie« +diese Maschine in ihrer Tätigkeit zu schildern und die sie bewegenden +Kräfte sowohl wie das Ergebnis dieser Kräfte zu untersuchen. Als solche +gelten ihm die physikalischen Kräfte, die chemische Verwandtschaft +und die Lebenskraft. Letztere betrachtet er als die Ursache der +physiologischen Vorgänge. Zu diesen Kräften sollten bei den Tieren +noch die Beseelung als Ursache der psychologischen Vorgänge im +weitesten Sinne treten. *Decandolle* nahm an, daß die Beseelung +ausschließlich auf das Tierreich beschränkt sei. + +Unter der Lebenskraft versteht *Decandolle* diejenige Ursache, die +während des Lebens der Pflanze Erscheinungen veranlaßt, die aus den +bekannten Kräften allein nicht erklärt werden können. Indessen sucht +*Decandolle*, soweit wie möglich, mit den physikalisch-chemischen +Kräften auszukommen. Die Lebenskraft ist ihm der unerklärliche Rest, +der trotz alles Strebens nach einer rein mechanischen Erklärungsweise +auch für die heutige Physiologie noch nicht gänzlich getilgt ist und es +in absehbarer Zeit auch nicht sein wird. »Wenn wir«, sagt *Decandolle*, +»alle bekannten physikalischen und chemischen Ursachen, die eine +gewisse Wirkung hervorzubringen vermögen, der Reihe nach geprüft haben, +so werden wir den Teil der Erscheinung, der noch unerklärt bleibt, dem +verborgenen Einfluß des Lebens zuschreiben«. + +Als Äußerungen der lebenden tierischen Gewebe unterscheidet +*Decandolle* drei Stufen, die Ernährungs- und Wachstumsvorgänge, die +Reizbarkeit und die Empfindung. Er untersucht dann, in welchem Grade +diese Eigenschaften auch den Pflanzen zukommen und bemerkt, daß sich +zwischen beiden Reichen natürliche Grenzen schwer ziehen lassen, so daß +man nicht entscheiden könne, ob gewisse Kryptogamen oder Pflanzentiere +Pflanzen oder Tiere seien. + +Die Untersuchung der Ernährungsvorgänge gipfelt in dem Nachweis, daß +die einzelnen Erscheinungen, welche sie darbieten, und die Reihenfolge, +in der sie ablaufen, für die beiden organischen Reiche ganz analog +sind. Die Unterschiede werden mehr oder weniger als die unmittelbare +Folge der tierischen Beweglichkeit und der pflanzlichen Unbeweglichkeit +betrachtet. + +Jene bei Pflanzen und Tieren parallel verlaufende Reihe von +Ernährungsvorgängen bietet nach *Decandolle* folgendes Bild: Zunächst +wird der Nahrungsstoff dem Organismus in flüssiger oder fester Form +zugeführt. Darauf gelangt die Nahrung in die Organe, in denen sie +verarbeitet werden soll (Magen, Blätter). Der erhaltene Nahrungssaft +wird in beiden Reichen der atmosphärischen Luft ausgesetzt, um Stoffe +durch Ausdünstung abzugeben und Sauerstoff -- bei der assimilierenden +Pflanze außerdem Kohlendioxyd -- aufzunehmen. Der so vorbereitete +Nahrungssaft gelangt hauptsächlich zu den tätigsten Teilen des +Organismus, um dort seine Bestandteile im Zellgewebe abzusetzen. Ein +Teil der zubereiteten Nahrung wird auch wohl in besonderen Organen +niedergelegt (Knollen als Reservestoffbehälter der Pflanzen). Endlich +besitzen andere eigentümliche Organe, die man Drüsen nennt, die +Fähigkeit, aus dem Nahrungssafte besondere Stoffe abzuscheiden, sei +es, um den Körper von ihnen zu befreien, sei es, um dadurch besondere +Zwecke zu erfüllen. + +*Decandolle* handelt dann von diesen Vorgängen im einzelnen. Er erwägt, +welche Kräfte das Einsaugen der ernährenden Flüssigkeit bewirken; er +untersucht die Zusammensetzung der Nährlösung, die Wege, auf denen +sie in den Pflanzen emporsteigt, die Ursachen des Emporsteigens, die +Geschwindigkeit, Kraft und Menge des Nahrungssaftes, die Rolle, welche +die Atmosphäre bei der Ernährung spielt usw. Aus dem Zusammenwirken +dieser Vorgänge entsteht nach *Decandolle* ein neuer Saft. Seine +Existenz falle allerdings weniger in die Augen als diejenige des +aufsteigenden Saftes, könne aber nicht bezweifelt werden. + +Die Ansicht, die Pflanzen besäßen einen dem Blutkreislauf der Tiere +analogen Kreislauf der Säfte, wurde von *Decandolle* endgültig +beseitigt. Zwar gibt es in den Pflanzen nach ihm einen Saft, welcher +dem Blute der Tiere darin entspricht, daß er das Wachstum und die +Ernährung der Organe bedingt. Dieser Saft nimmt seine Entstehung +in den blattartigen Teilen. Dort wird die dem Boden entstammende +Nährlösung konzentriert, indem die Blätter reines Wasser aushauchen und +alle mineralischen Bestandteile, welche das Wasser mit sich führte, +zurückhalten[638]. In den Blättern wird der konzentrierte Saft von den +Sonnenstrahlen getroffen und dadurch das im Nahrungssafte gleichfalls +gelöste Kohlendioxyd, das teils aus dem Boden, teils aus der Atmosphäre +stammt, zersetzt. Als erstes Assimilationsprodukt betrachtet +*Decandolle* Gummi. Dieser bestehe aus einem Molekül Wasser und einem +Atom Kohlenstoff (CH_{2}O) und könne durch sehr geringe Umänderungen in +Stärkemehl, Zucker oder Cellulose verwandelt werden. + +Der so entstandene Bildungssaft müsse offenbar die Pflanze bis in +die Wurzel hinab durchdringen, um in den wachsenden Teilen, den +Reservestoffbehältern und in sezernierenden Geweben Verwendung zu +finden, oder weitere Umwandlungen zu erleiden. + +Es sind das, wie wir sehen, die Grundzüge der durch alle späteren +Forschungen bestätigten Ernährungslehre der Pflanzen, wie sehr auch +später das Bild im einzelnen verändert oder vervollständigt worden +ist. Die Leistungen auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie, welche +Deutschland[639] um jene Zeit aufzuweisen hatte, können sich nicht +entfernt mit denen *Decandolles* messen. Man suchte unter dem Einfluß +der Naturphilosophie alle Vorgänge auf das Wirken der Lebenskraft +zurückzuführen. Auch besaßen die deutschen Pflanzenphysiologen[640] +jener Zeit nicht die erforderliche exaktwissenschaftliche Vorbildung, +wie sie *Decandolle* unter der Einwirkung der Genfer und Pariser +Physiker und Chemiker sich erworben hatte. Nur auf dieser Grundlage, +die auch für die Erneuerung der Chemie durch *Lavoisier* das +Bestimmende war, konnte für die Physiologie der große Schritt zur +messenden und wägenden, stets induktiv verfahrenden Naturwissenschaft +geschehen. Bei dem Fortschreiten in dieser Richtung hat sich dann +während des weiteren Verlaufs des 19. Jahrhunderts Deutschland auch auf +diesem Gebiete, wie wir des Näheren noch erfahren werden, die größten +Verdienste erworben. + + + + +25. Die Fortschritte der Zoologie und ihre Verschmelzung mit der +vergleichenden Anatomie. + + +Auf zoologischem Gebiete hatte *Buffon*, der in seiner +Naturgeschichte[641] nicht nur vortrefflich zu schildern, sondern auch +allgemeine Gesichtspunkte hervorzuheben verstand, den Gedanken eines +einheitlichen, das gesamte Tierreich beherrschenden Planes aufgestellt. +*Buffon* ging sogar noch weiter. Nach seiner Meinung[642] gibt es +keinen wesentlichen Unterschied zwischen Tier und Pflanze, sondern es +besteht eine ununterbrochene Stufenfolge zwischen dem vollkommensten +Tiere und dem niedrigsten pflanzlichen Lebewesen. Jener Plan, nach dem +der Mensch und die übrigen Geschöpfe gebaut sein sollten, läßt nach +*Buffon* erkennen, daß alle Wesen nach einem Urbild geschaffen und, +unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, die Glieder einer großen Familie +sind. *Buffons* Ausführungen blieben, weil die damaligen anatomischen +Kenntnisse unzureichend waren, um in dieser Frage einen Entscheid +herbeizuführen, zunächst nichts weiter als eine geistreiche Annahme. + +Nach *Buffon* fand der Gedanke von der Einheit der tierischen +Organisation in *Geoffroy Saint-Hilaire*[643] einen eifrigen +Verfechter. Wenn auch ein *Goethe* diesem Gedanken Beifall zollte, +so konnte er den Ergebnissen der anatomischen Forschung *Cuviers* +gegenüber doch nicht standhalten. + +Faßt man die Fortschritte der Zoologie, der vergleichenden Anatomie +und der Paläontologie während der neuesten, mit dem 19. Jahrhundert +beginnenden Entwicklung dieser Wissenschaften ins Auge, so wird sich +das Interesse in erster Linie dem zuletztgenannten Manne zuwenden, dem +wir deshalb wie *Gay-Lussac*, dem Meister der chemisch-physikalischen +Forschung jener Zeit, eine etwas ausführlichere Darstellung widmen +wollen. + +*Georg Cuvier* wurde 1769 zu Mömpelgard (Montbéliard), welches +damals eine württembergische Enklave der Franche Comté war, geboren. +Er starb in Paris im Jahre 1832. *Cuvier* zeigte schon als Knabe +außergewöhnliche Anlagen. Nachdem er das Gymnasium verlassen hatte, +wurde der Herzog Karl Eugen, der gern junge Talente förderte, auf ihn +aufmerksam. So kam *Cuvier* 1784 zur Karlsakademie, um dort Rechtskunde +zu studieren. Schon vorher hatte er sich, angeregt durch das Lesen der +Werke *Buffons*, mit großer Liebe den Naturwissenschaften zugewandt. +Auf der Karlsschule fand er neben seinen Berufsstudien noch Zeit, unter +den Zöglingen einen naturwissenschaftlichen Verein ins Leben zu rufen, +der sich die Aufgabe stellte, die Pflanzen und die Tiere der Umgegend +zu sammeln und sie nach *Linnés* »Systema naturae« zu bestimmen. + +Im Jahre 1788 verließ *Cuvier* die Akademie und wurde Hauslehrer in der +Normandie. *Cuvier* fand hier Gelegenheit und Muße, seine Forschungen +auf die Tierwelt des Meeres auszudehnen. Er untersuchte den inneren Bau +der Weichtiere, Krebse, Seesterne, Seeigel, usw. und gelangte zu der +Überzeugung, daß die Vereinigung dieser so verschiedenartigen Geschöpfe +in eine Klasse, wie sie *Linné* vorgenommen, sich nicht aufrecht +erhalten ließ. + +Nachdem *Cuvier* vier Jahre in der Stille gearbeitet hatte, wurde +er von einem durch die Stürme der Revolution nach der Normandie +verschlagenen Pariser Gelehrten sozusagen erst entdeckt. Dieser schrieb +an seine wissenschaftlichen Freunde, einen tüchtigeren Mann für +vergleichende Anatomie wie *Cuvier* würde man nicht gewinnen können. +So kam denn letzterer im Jahre 1795 nach Paris, wo er Professor an der +École centrale wurde. + +Nachdem man gegen das Ende des 18. Jahrhunderts den Reichtum des +Pariser Beckens an Resten von Säugetieren und Vögeln kennen gelernt +hatte, war das Bemühen um die geologische Durchforschung dieser Gegend +in hohem Grade rege geworden. Auch *Cuvier* wurde einige Jahre nach +seiner Ankunft in Paris in diese Aufgabe hineingezogen, um schon nach +kurzer Zeit auch hier die Führung zu übernehmen. Den ersten Anlaß bot +ihm die Zusendung einiger Knochen, die man in den Gipsbrüchen des +Montmartre gefunden hatte. *Cuviers* Kenntnis der lebenden Tierformen +war so umfassend, daß er jenen Überresten gleich einen vorweltlichen +Ursprung zuschreiben konnte. Alle Funde der Gipsbrüche gelangten +jetzt an *Cuvier*, welcher durch seine Untersuchung jener Funde der +Paläontologie einen Weg eröffnete, auf dem bisher nur wenige Schritte +geschehen waren. + +»Als Altertumsforscher ganz neuer Art«, sagt *Cuvier*[644], »mußte +ich diese Zeugen vorübergegangener Umwälzungen zu ergänzen und +ihre eigentliche Bedeutung zu entziffern suchen. Ich hatte ihre +zerbröckelten Trümmer zu sammeln und in ihrer ursprünglichen Ordnung +zusammenzulegen, die Geschöpfe, denen sie angehörten, gleichsam zu +rekonstruieren und sie mit denjenigen der Gegenwart zu vergleichen.« +Bei der Ausübung dieser Tätigkeit ließ *Cuvier* sich von dem durch ihn +klar ausgesprochenen Prinzip von der Korrelation der Organe leiten. +Jeder Organismus bildet danach ein geschlossenes Ganzes, dessen Teile +dergestalt miteinander in engster Wechselbeziehung stehen, daß kein +Organ eine Abänderung aufweisen kann, ohne daß entsprechende Änderungen +sich in allen übrigen Teilen finden. + +Sehen wir, wie *Cuvier* unter diesem Gesichtspunkt bei der Bestimmung +fossiler Knochen verfuhr[645]: »Wenn die Eingeweide eines Tieres +so beschaffen sind, daß sie nur Fleisch verdauen können, so müssen +auch seine Kiefer zum Fressen, seine Klauen zum Festhalten und zum +Zerreißen, seine Zähne zum Zerschneiden und Zerkleinern, das ganze +System der Bewegungsorgane zum Verfolgen und Einholen der Beute, die +Sinnesorgane zur Wahrnehmung der letzteren eingerichtet sein. Jedoch +unter diesen allgemeinen Bedingungen sind auch noch einige besondere +begriffen. Damit z. B. das Tier seine Beute forttragen könne, ist +eine bestimmte Kraft derjenigen Muskeln erforderlich, durch welche +der Kopf aufgerichtet wird; dieses setzt eine bestimmte Form der +Wirbel, an denen die Muskeln entspringen, und des Hinterkopfes, wo +sie sich anheften, voraus.« Des weiteren wird ausgeführt, daß dem +Vorderarm eines seine Beute ergreifenden Tieres eine gegebene Form +zukommen muß, die ihrerseits wieder die Gestalt des Oberarmknochens +bestimmt. Kurz, es ergibt sich, daß die Form des Zahnes diejenige des +Hinterhaupthöckers, der Gliedmaßenknochen, der Klauen usw. bedingt, +so daß bei gründlicher Kenntnis dieser gegenseitigen Abhängigkeit +aus einem dieser Teile das ganze Tier gewissermaßen rekonstruiert +werden kann. Eine solche Tätigkeit konnte aber nur ein Meister auf +dem Gebiete der vergleichenden Anatomie ausüben. *Cuvier* ist als +der eigentliche Begründer dieses Wissenszweiges zu betrachten, +wenn es auch an anerkennenswerten Vorläufern nicht gefehlt hat. Er +war der erste, der das ganze Tierreich dem Skalpell unterwarf, und +zwar mit solch vollendeter Meisterschaft, daß seine Arbeiten für +alle Zeiten als Muster gelten können. So entstand sein anatomisches +Hauptwerk[646], das neben einem Reichtum neuer Entdeckungen eine +Verknüpfung des gesamten Tatsachenmaterials und dadurch einen Einblick +in die Gesetze der tierischen Organisation vermittelt, wie es kein +früheres und wenige spätere Werke in gleichem Grade vermocht haben. Von +Einzeluntersuchungen *Cuviers* sind besonders seine Arbeiten über den +unteren Kehlkopf der Vögel, über die Anatomie der Schnecke und über den +Kreislauf der wirbellosen Tiere hervorzuheben. + +*Cuvier* war unterdessen Professor der vergleichenden Anatomie am +Jardin des Plantes[647] und bald darauf Sekretär der Akademie geworden. +Sein großes Lebenswerk wurde nicht nur dadurch gefördert, daß ihm diese +höchsten wissenschaftlichen Stellungen eine Fülle von Hilfsmitteln +erschlossen, sondern die gesamten Zeitumstände waren für ihn äußerst +günstig. Die Machthaber Frankreichs, welche nach den ersten Stürmen +der Revolutionszeit auftraten, brachten der großen Bedeutung der +exakten Wissenschaften ein volles Verständnis entgegen. Schon unter dem +Direktorium hatte man die von dem Nationalkonvent als gelehrten Plunder +aufgehobene Akademie wieder eingerichtet. Napoleon ließ sich zu ihrem +Mitgliede ernennen und trat zu *Cuvier*, den er besonders schätzte, +in ein nahes persönliches Verhältnis. Letzterer wurde vom Kaiser mit +der Reorganisation des arg in Unordnung geratenen Unterrichtswesens +betraut. Diese Stellung brachte es mit sich, daß der große Gelehrte, +dessen amtliche Tätigkeit sich auch auf die italienischen Universitäten +erstreckte, weite Reisen unternahm und auswärtige Museen kennen +lernte. Zum Mittelpunkt der naturwissenschaftlichen Sammeltätigkeit +wurde aber Paris gemacht, wohin durch die französischen Eroberungszüge +nicht nur die hervorragendsten Kunstschätze, sondern auch ein reiches +wissenschaftliches Material gelangte. Paris war damals nicht nur das +politische, sondern auch das geistige Zentrum der Welt. + +Nachdem *Cuvier* die Grundlagen der vergleichenden Anatomie geschaffen, +ging sein ganzes Streben darauf hinaus, diese Wissenschaft mit der +Zoologie zu verschmelzen und eine Anordnung der Formen zu treffen, +welche der genaue und vollständige Ausdruck der Natur sein sollte[648]. +»Als ich anfing«, sagt er[649], »herrschte das *Linné*sche System. +Es gab zwar ausgedehnte Arbeiten über einzelne Tierklassen. Die +Bearbeiter hatten aber nur die äußeren Beziehungen der Arten +berücksichtigt; niemand hatte sich damit abgegeben, die Klassen und +ihre Unterabteilungen nach der Gesamtheit der inneren und äußeren +Kennzeichen gegeneinander abzuwägen. Ich mußte also in der Anatomie und +in der Zoologie mit dem Zergliedern und dem Einteilen von vorn anfangen +und aus der gegenseitigen Befruchtung dieser beiden Wissenschaften das +zoologische System hervorgehen lassen.« Die Grundzüge des letzteren +veröffentlichte *Cuvier* in der berühmten Abhandlung vom Jahre 1812. +Sie führt den Titel: »Über eine neue Anordnung der Klassen, welche das +Tierreich zusammensetzen«[650]. + +*Cuviers* System bedeutet den größten Fortschritt der Zoologie seit +der Zeit des Aristoteles. *Linné* hatte als »Würmer« zahlreiche +verschiedengestaltige Tiere beisammen gelassen, für die es unmöglich +war, irgend ein gemeinsames Kennzeichen anzugeben. Während *Cuvier* +an seinen ersten Abhandlungen zur vergleichenden Anatomie arbeitete, +befand er sich der Unmöglichkeit gegenüber, irgend etwas allgemein +Zutreffendes über die Würmer zu sagen, sei es über ihr Nervensystem, +sei es über ihren Blutkreislauf, ihre Atmungs-, Fortpflanzungs- oder +über ihre Verdauungsorgane. Dadurch wurde ihm denn klar, daß diese +Klasse nicht gleich den übrigen auf positive Merkmale gegründet sei. +Er machte deshalb 1795 den Vorschlag, die »Würmer« in vier Klassen +zu teilen, welche auf ebenso deutliche Verschiedenheiten gegründet +wären, wie die Klassen der Wirbeltiere. Während nämlich die Klassen +der Wirbeltiere eine große Anzahl von Zügen gemeinsam haben, gilt für +die wirbellosen Tiere nicht dasselbe. »Die Klassen der Wirbeltiere«, +sagt *Cuvier*, »sind gewissermaßen nach demselben Plane gebaut. Will +man aber ein Organsystem der wirbellosen Tiere beschreiben, so ist +man gezwungen, fast ebensoviel Schemata zu entwerfen, als man Klassen +innerhalb der Wirbellosen aufgestellt hat.« *Cuvier* gelangte so dahin, +gewisse Klassen der letzteren der gesamten Reihe der Wirbeltiere als +gleichwertig an die Seite zu stellen. Das Ergebnis war, daß er vier +Hauptpläne nachwies, nach denen ihm sämtliche Tiere gebaut zu sein +schienen. Die Unterabteilungen der so gewonnenen vier Hauptgruppen +oder Kreise werden nach ihm dadurch bedingt, daß geringe Abänderungen +durch die Entwicklung und das Hinzutreten gewisser Teile hervorgerufen +werden, die indessen an den Grundzügen des Planes nichts ändern. + +Nach einer genauen Kennzeichnung der anatomischen Grundzüge jedes +Kreises, gelangt *Cuvier* zu folgender Einteilung des Tierreiches: + + I. Kreis. Wirbeltiere. + + 1. Klasse Säugetiere. + 2. " Vögel. + 3. " Kriechtiere (Reptilien und Amphibien). + 4. " Fische. + + + II. Kreis. Weichtiere. + + 1. Klasse Kopffüßer oder Cephalopoden. + 2. " Bauchfüßer oder Gasteropoden. + 3. " Flossenfüßer oder Pteropoden. + 4. " Muscheln oder Acephalen. + + + III. Kreis. Gliedertiere. + + 1. Klasse Ringelwürmer oder Anneliden. + 2. " Krebstiere oder Crustaceen. + 3. " Spinnen oder Arachniden. + 4. " Kerbtiere oder Insekten. + + + IV. Kreis. Radiärtiere. + + 1. Klasse Stachelhäuter oder Echinodermen. + 2. " Eingeweidewürmer. + 3. " Pflanzentiere oder Polypen. + 4. " Aufgußtiere oder Infusorien. + +Diese Einteilung *Cuviers* bildet auch heute noch im wesentlichen +die Grundlage des natürlichen Systems. Doch ist die Zahl der +Kreise auf sieben vermehrt worden. Zuerst wurde durch Abtrennung +der Infusorien von den Radiärtieren der Kreis der Urtiere oder +Protozoen gebildet. Sodann wurden die Stachelhäuter, welche einen Darm +besitzen, als besonderer Kreis den darmlosen Radiärtieren (Korallen, +Seerosen usw.) gegenübergestellt. Endlich wurden die Ringelwürmer +mit den Eingeweidewürmern und anderen niederen Formen zum Kreise +der Würmer vereinigt. Außerdem gestattet die Entdeckung zahlreicher +Verbindungsglieder zwischen den einzelnen Kreisen, das gesamte +Tierreich als eine Einheit im höchsten Sinne zu betrachten. + +Die Ergebnisse von *Cuviers* vergleichend anatomischen Untersuchungen +widersprachen der von der naturphilosophischen Schule vorausgesetzten +Einheit der tierischen Organisation. Seine durch Jahrzehnte +fortgesetzten Arbeiten hatten den nicht hinwegzuleugnenden Nachweis +geliefert, daß sich die scheinbar unendliche Mannigfaltigkeit der +Lebewesen auf mehrere Typen oder allgemeinen Baupläne zurückführen +läßt. Das von *Cuvier* geschaffene System, vor allem aber der +Grundgedanke, daß es solche allgemeinen Baupläne gibt, ist durch +weitere, insbesondere entwicklungsgeschichtliche Forschungen im +wesentlichen bestätigt worden. Sah man sich auch gezwungen, die +Zahl der Typen zu vermehren, sowie die Existenz von Zwischenformen +anzunehmen, so wurde dadurch der Begriff des Typus doch nicht +erschüttert. Und vollends haben sich Lehren, wie diejenige von +*Geoffroy St. Hilaire*, nach welcher die Insekten mit ihrem +bauchständigen Mark als umgekehrte Wirbeltiere betrachtet wurden, als +unhaltbar erwiesen. + +*Cuviers* Untersuchungen über die fossilen Tiere berühren sich mit +den Ergebnissen seiner zoologischen Arbeiten. Die Hauptpläne, die er +für die lebenden Tiere erkannt hatte, fanden sich nämlich auch an den +untergegangenen Formen verwirklicht, so daß sich die früheren mit den +jetzigen Lebewesen zu einem großen System vereinigen ließen. + +Mit der Erkenntnis, daß die ausgestorbenen Wirbeltiere, auf die sich +*Cuviers* paläontologische Forschungen insbesondere erstreckten, von +den heutigen in solchem Maße abweichen, daß sie mit ihnen höchstens +unter denselben Gattungsbegriff gestellt werden dürfen, konnte man +das Dogma von der Konstanz der Arten nicht wohl vereinigen. So nahm +denn *Cuvier* an, daß jede einer geologischen Epoche eigentümliche +Lebewelt auf einen besonderen Schöpfungsvorgang zurückzuführen +sei, während die Harmonie der gesamten Schöpfung in dem Einhalten +der von ihm nachgewiesenen Baupläne zum Ausdruck gelangen sollte. +Jeder Neuschöpfung sollte eine Beseitigung der vorhandenen Wesen +vorangegangen sein. Hierfür nahm *Cuvier* gewaltige geologische +Umwälzungen in Anspruch, deren Spuren er in den Veränderungen, welche +die ursprünglich horizontalen, versteinerungsführenden Schichten +erlitten haben, aufdecken zu können glaubte. Die Entwicklung der +Paläontologie und der Geologie unter dem Einfluß dieser Anschauungen +*Cuviers* und seiner Zeitgenossen wird uns in einem späteren Abschnitt +beschäftigen. + +Erwähnen wir noch, daß *Cuvier* im Jahre 1817 unter dem Titel das +»Tierreich« ein umfassendes Werk[651] herausgab, so ist damit die +Bedeutung dieses außerordentlichen Mannes zwar nicht erschöpft, doch +in den wesentlichsten Punkten gewürdigt. Am 13. Mai des Jahres 1832 +wurde er nach kurzer Krankheit seiner großartigen Tätigkeit durch den +Tod entrissen. »Solange die Welt steht«, äußerte ein hervorragender +Zeitgenosse in einem *Cuvier* gewidmeten Nachruf[652], »wird der +Verstorbene als hellleuchtendes Gestirn am naturhistorischen Himmel +glänzen und die Augen der Nachkommenden auf sich ziehen, um bei seinem +Scheine den Reichtum der Natur zu bewundern, zu untersuchen, zu +scheiden, zu ordnen, zu begreifen und zu benutzen.« + +Nachdem in der Anatomie die vergleichende Richtung über die einseitig +beschreibende gesiegt hatte, konnte es nicht ausbleiben, daß auch der +menschliche Organismus unter allgemeineren Gesichtspunkten betrachtet +wurde. Schon *Linné* hatte dem Menschen einen Platz in seinem System, +und zwar innerhalb der Ordnung der Primaten, angewiesen und dazu +bemerkt, er habe bislang kein anatomisches Kennzeichen nachweisen +können, wodurch der Körperbau des Menschen vom demjenigen des Affen +unterschieden sei. Aus dem Bemühen, den von *Linné* vermißten +»Charakter der Humanität« aufzufinden, überhaupt den Menschen als +ein Naturgeschöpf zu würdigen und zu verstehen, entsprang die neuere +Anthropologie, die sich seit dem Erscheinen von *Blumenbachs* »Über die +angeborene Verschiedenheit im Menschengeschlecht« datieren läßt[653]. +In dieser Schrift sucht *Blumenbach* den Nachweis zu führen, daß die +Menschheit aus Rassen bestehe, die aus einem gemeinschaftlichen Stamme +hervorgegangen seien, ähnlich wie dies für die Spielarten der Haustiere +zutrifft. Obgleich *Blumenbach* durchaus nicht verkennt, daß derartige +Spielarten durch kaum merkliche Übergänge ineinander überfließen, +gelangt er doch zur Aufstellung seiner bekannten fünf Hauptrassen +(Kaukasier, Mongolen, Aethiopier, Amerikaner, Malayen[654]). + +Als ein wesentliches anatomisches Merkmal, das den Menschen vom höheren +Tiere, insbesondere vom Affen unterscheidet, betrachtet *Blumenbach*, +den wir als einen der frühesten vergleichenden Anatomen und den +Begründer der ethnographischen Schädellehre gelten lassen müssen, +das vortretende Kinn und die dadurch bedingte aufrechte Stellung der +unteren Vorderzähne. Der gleichfalls auf dem Gebiete der vergleichenden +Anatomie schon vor *Cuvier* tätige Holländer *Peter Camper* (1722-1789) +wies in einer vortrefflichen Arbeit über den Orang-Utang darauf hin, +daß der Gesichtswinkel dieses höchststehenden Affen beträchtlich +kleiner als derjenige der am tiefsten stehenden menschlichen Rassen +sei. + + + + +26. Geologie und Paläontologie unter der Herrschaft der +Katastrophenlehre. + + +Schon *Hutton* hatte in seiner »Theorie der Erde« die heute herrschende +Ansicht entwickelt, daß der gegenwärtige Zustand der Erde aus den noch +jetzt wirkenden Kräften unter Zuhilfenahme ausgedehnter Zeiträume +erklärt werden müsse. Die Mehrzahl der Geologen nahm aber für die +früheren Epochen der Erdentwicklung außergewöhnliche Kräfte und +Begebenheiten in Anspruch. + +Häufig wurde diese unter dem Namen der Katastrophentheorie bekannte +Ansicht selbst bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein von dem Streben +getragen, die Wissenschaft mit der biblischen Überlieferung in Einklang +zu bringen. Manche wollten sogar in der Sintflut die letzte große +Katastrophe erblicken. Zu den Anhängern der Katastrophentheorie gehörte +auch *Cuvier*. Wir haben die hervorragenden Leistungen dieses Mannes +um die vergleichende Anatomie und Zoologie schon kennen gelernt. +Ausgehend von diesen Wissenszweigen hatte *Cuvier* die Paläontologie +reformiert. In der allgemeinen Geologie blieben *Cuviers* Anschauungen +und Kenntnisse jedoch weit hinter denen eines *Hutton* und *Füchsel* +zurück. Trotzdem wurden diese Anschauungen, gestützt durch die große +Autorität, die *Cuvier* auf den zu der Geologie in engster Beziehung +stehenden Wissenszweigen genoß, zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts +die herrschenden. + +Auch der Umstand, daß der große französische Forscher seine +allgemeingeologischen Lehren seinem epochemachenden paläontologischen +Werk[655], als eine Art Vorrede voranschickte, verlieh ihnen die +besondere Beachtung der Zeitgenossen. + +Nachdem *Cuvier* die Beschaffenheit der uns zugänglichen Teile der +Erde und die gegenwärtig noch tätigen geologischen Kräfte geschildert, +kommt er zu dem Ergebnis, daß diese Kräfte nicht ausreichen, um die +Veränderungen hervorzubringen, deren Spuren uns die Erdkruste darbietet. + +Die Veränderungen, die im Verlaufe der Erdgeschichte in der organischen +Welt stattfanden, wurden nach *Cuvier* durch einen Wechsel in der +Beschaffenheit des Mediums veranlaßt oder gingen einem solchen +wenigstens parallel. Dieser Wechsel erfolgte nach ihm nicht allmählich, +sondern plötzlich, katastrophenartig. Da inmitten der Meeresbildungen +Schichten vorkommen, die mit tierischen und pflanzlichen Erzeugnissen +des Festlandes und des süßen Wassers angefüllt sind, so müsse man +schließen, daß zu wiederholten Malen schon aufs Trockene gesetzte +Teile der Erde wieder überflutet wurden. Für die Behauptung, daß +dieser Wechsel plötzlich erfolgte, dienten *Cuvier* besonders die +im Eise Sibiriens entdeckten Leichen des Mammuts als Beweis. Die +letzte Katastrophe, meint er, habe im hohen Norden Leichen gewaltiger +Vierfüßer zurückgelassen, die vom Eise eingeschlossen wurden und +bis auf unsere Tage mit Haut und Haar erhalten blieben. Wären das +Einfrieren und der Tod nicht zur selben Zeit erfolgt, so würden +die Tiere der Zersetzung anheim gefallen sein. Andererseits könne +dieser ewige Frost vorher nicht an den Orten, wo die Tiere von ihm +ergriffen wurden, geherrscht haben, denn sie hätten unter solchen +Temperaturverhältnissen nicht leben können. Es sei also derselbe +Augenblick, welcher den Tod dieser Tiere herbeigeführt und das Land, +das sie bewohnten, mit Eis überzogen habe. Dies müsse plötzlich und +nicht etwa nach und nach eingetreten sein. Und was sich so offenbar für +diese letzte Katastrophe dartun lasse, sei kaum weniger ersichtlich für +die vorangegangenen. Die Zerreißungen, Biegungen und Kippungen, welche +die ältesten Schichten aufweisen, riefen in *Cuvier* die Überzeugung +hervor, daß plötzliche und heftig wirkende Ursachen die Schichten in +den Zustand versetzt hätten, in dem wir sie jetzt erblicken. + +*Cuviers* Irrtum entsprang zum Teil daraus, daß er die Zeitdauer der +geologischen Entwicklung unterschätzte. So nahm er z. B. an, daß die +letzte Erdrevolution vor nicht mehr als 5000 Jahren stattfand. Während +*Cuviers* irrige Vorstellungen auf dem Gebiete der allgemeinen Geologie +eine ähnliche Rolle gespielt haben wie *Newtons* Emanationslehre +in der Optik, sind seine Verdienste um die Paläontologie von der +größten Bedeutung. Ihm gelang es, dieser Wissenschaft durch die enge +Verbindung, in die er sie mit der Zoologie und der vergleichenden +Anatomie brachte, einen völlig neuen Geist, der sie seitdem belebt hat, +einzuhauchen. + +Die Umgegend von Paris, die *Cuvier* für seine paläontologischen +Forschungen das meiste Material lieferte, ist an fossilen +Säugetierresten besonders reich. Die größte Schwierigkeit ergab sich +aber daraus, daß vollständige Skelette äußerst selten gefunden werden, +die einzelnen Knochen vielmehr ohne alle Ordnung und meist zerbrochen +in den Gesteinsschichten sich vorfinden. All diese Schwierigkeiten +schwanden, als *Cuvier* das schon früher erwähnte[656] Grundgesetz der +allgemeinen Anatomie, das Prinzip der Korrelation der Organe aussprach. +Nach diesem Prinzip regelt sich das gegenseitige Verhältnis der Formen +in den organischen Geschöpfen in der Weise, daß jeder Organismus schon +aus der Beschaffenheit eines seiner Teile in seiner ganzen Eigenart +erkannt werden kann. + +Unter Anwendung dieses Prinzips und durch steten Vergleich mit +den Skeletten lebender Tiergattungen gelang es *Cuvier*, aus den +zerstreuten Knochen, die sich im Pariser Gips fanden, die erloschenen +Gattungen, Paläotherium und Anoplotherium, zu rekonstruieren. Diese +Gattungen der mittleren Tertiärzeit (Oligozän) erwiesen sich beim +näheren Studium als ziemlich artenreich. Das Paläotherium mit seinen +drei gleich starken Hufen wurde als ein Vorläufer unseres Pferdes +erkannt, während das Anoplotherium den Urtypus eines Wiederkäuers +darstellt. Auch Raubtiere, Beuteltiere, Vögel, Reptilien und Fische +ließen sich in ihren Überresten im Gips des Montmartre nachweisen. +Fast kein Block dieser tertiären Gesteinsmasse war frei von solchen +zerstreuten Resten, die *Cuvier* auf mehr als 150 verschiedene Arten +zurückzuführen vermochte. Von diesen Arten waren mehr als 90 vor +*Cuvier* den Naturforschern gänzlich unbekannt. + +Auf Grund seiner Einzeluntersuchungen gelangte *Cuvier* zu einer +klareren Einsicht in die geologische Zeitfolge der Organismen, als sie +vor ihm möglich war. Er hob hervor, daß die Fische und die eierlegenden +Vierfüßer früher auf der Erde erschienen als die Säugetiere und daß die +erloschenen Gattungen der letzteren in älteren Schichten vorkommen als +die Gattungen, von denen noch heute Arten existieren. + +Die Ichthyosauren, Plesiosauren, mehrere Schildkröten und Krokodile, +schrieb *Cuvier* über das Verhältnis der Arten zu den Formationen, +fänden sich unterhalb des Kreidegebietes in den Schichten des +sogenannten Jura. Die zahlreichen Fische des Thüringer Kupferschiefers +seien noch älter. In der Kreide selbst begegnen uns riesige Saurier +und Schildkröten. Aber, fährt er fort, Knochen von Landsäugetieren +finden sich außer den Beuteltierkiefern im Jura weder in älteren +Gebirgsschichten noch in der Kreide. Trotz dieser im allgemeinen +zutreffenden Erkenntnis von der geologischen Aufeinanderfolge der +großen Gruppen der Organismen ahnte *Cuvier* nicht den genetischen +Zusammenhang, der zwischen den vergangenen Lebewelten und der +gegenwärtigen besteht. + +Von Einfluß auf die weitere Entwicklung der Geologie war die +hervorragende Tätigkeit, welche Deutschlands größter Geologe, *von +Buch*, entfaltete. *Leopold von Buch* wurde 1774 in der Uckermark +geboren[657]. Gleichzeitig mit *Humboldt* wurde er auf der Bergakademie +zu Freiberg durch *Werner* in die Mineralogie und in die Geognosie +eingeführt. Wir haben *Werner* als den Begründer dieser Wissenschaft +und den wichtigsten Verfechter der neptunistischen Lehre kennen +gelernt[658]. Als *Buch* seine Forschungsreisen auf die vulkanischen +Gebiete der Auvergne und Italiens ausdehnte, kamen ihm Zweifel an der +Richtigkeit jener Lehre *Werners*, der seine Beobachtungen auf das +mittlere Deutschland beschränkt hatte. Darauf vollzog sich bei *Buch* +wie bei dem ihm befreundeten *Humboldt* ein entschiedener Abfall von +*Werner*. + +Hochwichtige Ergebnisse förderte *v. Buchs* Durchforschung der +skandinavischen Halbinsel zutage (1806-1808). Er untersuchte vor allem +die Lagerungsverhältnisse der Massengesteine und fand, daß der Granit +nicht immer das älteste Gestein sei, da er mitunter auf Versteinerungen +führendem Kalk auflagere, wie z. B. bei Christiania. Als die älteste +Grundlage betrachtete man nunmehr den *Gneiß*. + +Diese Entdeckung rief allgemeines Erstaunen hervor und veranlaßte den +für geologische Fragen sich stets lebhaft interessierenden *Goethe* zu +der Bemerkung, daß der Sohn zum Vater geworden sei. Auch der nordische +Ursprung der deutschen Findlingsblöcke wurde durch *Buch* eingehender +begründet. Endlich gelang es ihm, durch den Nachweis von Strandlinien +die langsame Erhebung Skandinaviens aus dem Schoß des Meeres +nachzuweisen und damit die neuere Lehre von den säkularen Hebungen und +Senkungen zu begründen. Auf die Änderungen der Küsten jenes Landes +hatte zwar schon *Celsius* im Jahre 1740 hingewiesen, sie aber aus +einem langsamen Sinken des Meeresspiegels zu erklären gesucht. + +Von nicht geringerer Bedeutung für die Entwicklung der geologischen +Vorstellungen als *Buchs* Werk über Skandinavien, war seine +»Physikalische Beschreibung der kanarischen Inseln«[659]. Es lehrte +die Unterscheidung von Zentral- und Reihenvulkanen, sowie die +Entstehung der letzteren auf den großen Spalten der Erdrinde kennen, +welche den Begrenzungen der Kontinente entsprechen. Gleichzeitig +entwickelte *Buch* eine Theorie der Erhebung von Bergketten und ganzen +Kontinentalmassen durch vulkanische Kräfte. War diese Theorie in +ihren Einzelheiten auch nicht stichhaltig, so hat sie doch die heute +geltenden Lehren der Gebirgsbildung vorbereitet. + +Dem Studium des Vulkanismus war auch *Humboldts* amerikanische +Forschungsreise, soweit sie geologische Erscheinungen betraf, in erster +Linie gewidmet. So machte es *Humboldt* schon wahrscheinlich, daß sich +die gewaltigen Vulkane Mittelamerikas über einer 150 Meilen langen +Erdspalte befinden. + +Die Ausdehnung der geologischen Forschung auf die außereuropäischen +Erdteile, wie sie besonders *Humboldt* einleitete, war vor allem +nötig, um die Allgemeingültigkeit der in Mitteleuropa an einem nur +beschränkten Material zuerst ins Leben gerufenen Lehren über die +Schichtenfolge darzutun und die ursächliche Begründung dieser Lehren zu +ermöglichen. + + + + +27. Fortschritte auf dem Gebiete der Entwicklungslehre. + + +Um das Studium der Entwicklung des Tierindividuums hatte sich im +18. Jahrhundert *Wolff* das größte Verdienst erworben[660]. Seine +Ansichten vermochten der Evolutionstheorie gegenüber zunächst nicht +durchzudringen. Im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts erfuhr die +Entwicklungsgeschichte durch eine Reihe deutscher Forscher jedoch +einen außerordentlichen Aufschwung, wobei *Wolffs* Lehre von der +Epigenesis den Sieg davontrug. »Der Deutsche«, sagt *Hyrtl*, »darf mit +Stolz sagen, daß alles, was in diesem Fache Großes geschah, von seinem +Vaterlande ausging«. Die Männer, welche diesen Umschwung herbeiführten, +waren außer dem Anatomen *Meckel*, der durch seine Übersetzung +von *Wolffs* Schrift über die Bildung des Darmkanals (1812) die +Aufmerksamkeit der Zoologen und Physiologen von neuem auf dieses Gebiet +gelenkt hatte, vor allem *Pander* und *von Baer*. + +Die neue Ära wurde eingeleitet durch *Panders* Beiträge zur +Entwicklungsgeschichte des Hühnchens im Ei. Es ist dies eine klassisch +zu nennende Arbeit und zwar bis dahin die bei weitem bedeutendste auf +diesem Gebiete. Daß die Bildung des Embryos von einer blattförmigen +Schicht ausgeht, hatte *Wolff* schon angedeutet. »*Pander*[661] zeigte, +daß in der Bildung der Keimhaut die ganze Entwicklung des Hühnchens +begründet ist«. Alles, was weiter geschieht, sagt er, ist nichts +anderes »als eine Metamorphose dieser mit einer unerschöpflichen Fülle +des Bildungstriebes begabten Membran und ihrer Blätter«. *Pander* +wies nach, daß sich das Keimblatt zunächst und zwar schon während der +ersten 24 Stunden in drei übereinander liegende Blätter spaltet. Das +äußerste nannte er das seröse, das innere das Schleimblatt und das +zwischen beiden liegende das Gefäßblatt. Den eigentümlichen Gang der +Entwicklung, den jedes dieser Primitivgebilde einschlägt, hat *Pander* +auch schon in Betracht gezogen. Die Fortsetzung der Arbeit nach dieser +Richtung blieb indessen vor allem *von Baer* vorbehalten, der sich den +Ehrentitel des größten Embryologen aller Zeiten erworben hat. + +*Karl Ernst von Baer*[662] wurde am 28. Februar 1792 in Esthland +geboren und studierte zunächst in Dorpat und später in Würzburg +bei *Döllinger*, dem sowohl er als auch *Pander* die Anregung zu +ihren embryologischen Arbeiten verdankten. *Döllinger* hatte den +Wunsch geäußert, daß einer seiner Schüler sich der mühevollen Arbeit +unterziehen möge, die Entwicklung des Hühnchens von Stunde zu Stunde +zu verfolgen. Er wandte sich damit zuerst an *von Baer*, der seinen +Genossen *Pander* zur Übernahme dieses Auftrages bewog. *Von Baer* +wurde Professor der Naturgeschichte in Königsberg, folgte aber später +einem Rufe an die Petersburger Akademie der Wissenschaften. + +*Von Baer* ist vor allem dadurch berühmt geworden, daß er die Frage +nach dem Ei der Säugetiere, insbesondere des Menschen, um die sich +Jahrtausende vergeblich bemüht hatten, zum Abschluß brachte. Um die +Mitte des 17. Jahrhunderts wurde die Vermutung geäußert, daß diejenigen +weiblichen Organe, die unter dem Namen Ovarien bekannt sind, die +Bildungsstätte der Säugetiereier und der menschlichen Eier seien. Der +Niederländer *de Graaf* entdeckte die seitdem als *Graaf*sche Follikel +bezeichneten, mit Flüssigkeit gefüllten Bläschen. Manche Anatomen +hielten sie für die Eier, was zur Bezeichnung Eierstock oder Ovarium +für das sie erzeugende Organ geführt hat. + +*De Graaf* selbst sprach die Vermutung aus, daß sich das Ei in dem +Follikel befinde. Die Richtigkeit dieser Ansicht bewies erst *von Baer* +im Jahre 1827[663]. Einige Jahre vorher hatte man im unbebrüteten Ei +des Vogels das Keimbläschen entdeckt, ein einzelliges Gebilde, von dem, +wie man bemerkte, die Bildung der Keimhaut ihren Ausgang nimmt[664]. + +*Von Baer* wies das Vorkommen dieses Keimbläschens in den Eiern der +übrigen eierlegenden Tiere, wie der Frösche, Mollusken, Würmer und +Gliedertiere, nach und zeigte, wie aus diesem einzelligen Gebilde +durch einen Furchungsprozeß die Keimhäute als erste Anlage des Embryos +hervorgehen und daß die Hauptsubstanz des früher als Ei bezeichneten +Gebildes, der Dotter, nur den Nährstoff für das sich entwickelnde +Lebewesen vorstellt. + +Damit war für das gesamte Tierreich eine die Entwicklung beherrschende +Gesetzmäßigkeit gefunden, welche dahin lautet, daß jedes, auch das am +höchsten stehende, Geschöpf sein Leben als einzelliges Gebilde beginnt. +Mit der Entdeckung der Eizelle und des Furchungsprozesses[665] war +nicht nur *Harveys* Ausspruch omne vivum ex ovo erst zur Wahrheit +geworden, sondern es war durch diese Entdeckungen die wichtige +Grundlage für die bald darauf von *Schwann* errichtete Zellenlehre[666] +geschaffen. + +Schon im Jahre nach der Entdeckung des Säugetiereies ließ *von Baer* +den ersten Band seines berühmten Werkes »Über die Entwicklung der +Tiere« erscheinen. (1828. Der zweite Band erschien 1837.) Anknüpfend +an die Untersuchungen *Panders* über die Bildung der drei Keimblätter +zeigte *von Baer*, wie aus diesen Primitivgebilden die einzelnen +Organe und Organsysteme des Embryos sich entwickeln. Während ferner +*Pander* sich nach althergebrachter Weise auf die Entwicklung des +Hühnchens beschränkt hatte, dehnte *von Baer* seine Untersuchung, indem +er nach der in der Anatomie schon zum Durchbruch gelangten Methode +vergleichend verfuhr, auf sämtliche Gruppen der Wirbeltiere aus. *Von +Baer* verfolgte zunächst die Umwandlung der Keimblätter zum Nervenrohr +und Darmrohr und zeigte, wie am ersteren die Sonderung in Hirn und +Rückenmark, sowie durch Ausstülpung die Bildung der Sinnesorgane +vor sich geht, während sich am Darmrohre eine ähnliche Sonderung in +einzelne Abschnitte (Mundhöhle, Mitteldarm usw.) ausbildet. Auch +daß die Entstehung des Atmungsorgans und der Leber vom Darmrohr aus +beginnt, wurde durch *von Baer* nachgewiesen. + +Von allgemeinen Ergebnissen, zu denen er durch den Vergleich +zahlreicher Einzelvorgänge gelangte, seien noch folgende hervorgehoben: +Die ursprüngliche Keimesanlage der Wirbeltiere ist die gleiche. +Die Entwicklung nimmt aber je nach dem Typus, der sich im Bau des +fertigen Tieres ausspricht, alsbald eine verschiedene Richtung. Ein +auffallender Unterschied besteht, wie weiter betont wird, in der +Entwicklung der höheren und der niederen Wirbeltiere. Dieser Umstand +mache sich besonders dadurch bemerkbar, daß letzteren Amnion und +Allantois fehlen, während diese Embryonalorgane für die höheren +Wirbeltiere charakteristisch sind. Die Frage nach dem Zusammenhang des +Säugetierembryos mit der Mutter machte *von Baer* zum Gegenstand einer +besonderen Untersuchung[667]. + +Zahlreiche Forscher, auf deren Arbeiten hier jedoch nicht eingegangen +werden kann, haben das von *Pander* und *von Baer* begonnene Werk +fortgesetzt. Genannt sei nur *Rathke*[668], der über die Entwicklung +der Geschlechtsorgane der Wirbeltiere das erste Licht verbreitete und +das Vorhandensein von Kiemenanlagen, der sogenannten Schlundspalten, +auch bei den Embryonen der Vögel und der Säugetiere entdeckte. +*Rathke* war es ferner, welcher die Untersuchung über die Bildung der +Keimanlagen aus der Eizelle auf das Gebiet der Wirbellosen ausdehnte. +Vor allem ist hier sein Werk über die Entwicklung des Flußkrebses +(1829) grundlegend gewesen. + + + + +Fußnoten + + +[1] Siehe *Dannemann*, Aus der Werkstatt großer Forscher, Abschn. 14. + +[2] Der Engländer *Wall* in den Philosoph. Transact. v. 1698. *Wall* +rieb ein großes Stück Bernstein mit Wolle und erhielt einen Funken von +fast einem Zoll Länge. Dabei trat ein Knall auf, als ob Steinkohle im +Ofen zerspränge. + +[3] Eine Zusammenfassung seiner Untersuchungen ist die Schrift +Physico-mechanical experiments. London 1709. + +[4] Vier Abhandlungen über die Elektrizität und den Magnetismus von +*Coulomb* (1785-1786). (*Ostwalds* Klassiker Nr. 13.) Leipzig, Wilhelm +Engelmann. 1890. + +[5] *Galilei*, Unterredungen und mathematische Demonstrationen +(*Ostwalds* Klassiker Nr. 24, S. 80.) + +[6] Six Mémoires sur l'électricité, erschienen in den Memoiren der +Pariser Akademie von 1733 und 1734. + +[7] Siehe auch die Ausführungen von *Aepinus* in *Dannemann*, Aus der +Werkstatt großer Forscher, S. 177. + +[8] *Musschenbroek* und *Cunaeus*. + +[9] *Kleist* teilte seine Entdeckung am 4. November 1745 dem Anatomen +*Lieberkühn* mit. Die Leydener Versuche fanden erst im Januar 1746 +statt. Es ist anzunehmen, daß den Leydener Physikern die *Kleist*sche +Entdeckung nicht bekannt war (Mitteilungen zur Geschichte der Medizin +und der Naturwissenschaften. IV. Bd. Nr. 1, S. 95). + +[10] Versuche und Abhandlungen der naturforschenden Gesellschaft zu +Danzig, I. S. 442. + +[11] Durch *Wilson* um 1750. + +[12] 1755. + +[13] Journal de Phys. 1788. + +[14] *v. Marum*, Description d'une très-grande machine électrique et +des expériences faites par le moyen de cette machine. 1785. + +[15] *Gralath* schrieb auch eine Geschichte der Elektrizität. + +[16] *Watson* in Philos. Transact. 1748. Vol. 45, N. 485, S. 92. + +[17] *Van Marum*, Über das Elektrisieren. 1777. + +[18] *J. C. Fischer*, Geschichte der Physik. 1801-1808. V. 483. + +[19] *Eulers* Briefe an eine deutsche Prinzessin. Leipzig 1773. Bd. II. +S. 245 ff. + +[20] In dem ersten der an *Collinson* gerichteten Briefe vom 28. III. +1747. + +[21] *Eulers* Briefe an eine deutsche Prinzessin. 1773. Bd. II. S. 287. + +[22] Die Stärke der elektrischen Kraft des Wassers in gläsernen +Gefäßen. Leipzig 1746. S. 137 u. f. + +[23] Das Bestreben, die Ursache dieses »elektrischen« Geruches zu +ermitteln, führte später zur Entdeckung des Ozons. Siehe *Dannemann*, +Aus der Werkstatt großer Forscher. 1908. S. 375. + +[24] *Franklin* in seinem 5. Briefe an *Collinson*. + +[25] *Franklins* Brief an *Kinnersley* vom 20. II. 1762. + +[26] So etwa lauten die Worte, mit denen *Franklin* seine Ansicht in +seinen Briefen entwickelt. + +[27] Den ersten Blitzableiter errichtete *Franklin* im Jahre 1752. In +England begann man (*Watson*) 1762, in Deutschland 1769 Blitzableiter +zu errichten. In Deutschland war es ein Arzt (*Reimarus*), der in +Hamburg für die praktische Verwendung der neuen Erfindung eintrat. +Durch *Reimarus* wurde der Physiker *Lichtenberg* veranlaßt, in +Göttingen Blitzableiter anzulegen. *Lichtenberg* versah gemeinsam mit +*Kästner* die Universitätsbibliothek mit einem Blitzableiter. (Siehe +die Mitteilungen zur Geschichte der Medizin und der Naturw. Bd. IV. Nr. +1. S. 104.) + +[28] Er entriß dem Himmel den Blitz und das Zepter den Tyrannen. + +[29] *Beccaria*, Lettere dell' elettricismo, pg. 282. Siehe *J. C. +Fischer*, Geschichte der Physik (1801-1808). Bd. V. 753. + +[30] Siehe an späterer Stelle dieses Bandes. + +[31] *Fischer*, Geschichte der Physik, VIII. S. 541. + +[32] Siehe *Priestleys* Geschichte der Elektrizität, S. 261 u. f. und +*Fischers* Geschichte der Physik, Bd. V. S. 837. + +[33] Dissertatio inauguralis de electricitatibus contrariis. Rostock +1757. + +[34] *Th. Young*, Lectures on natural philosophy. London 1807. Bd. II. + +[35] War doch die Ähnlichkeit der Schläge, welche die Leydener Flasche +und jener Fisch erteilen, eine zu auffallende. + +[36] Im Jahre 1671. + +[37] *Fischer*, Geschichte der Physik. Bd. V. S. 867. + +[38] Eine Bestätigung fanden diese Untersuchungen durch den Anatomen +*John Hunter*, welcher das eigentümliche Organ der elektrischen Fische +in den Phil. Transactions v. 1773 genauer beschrieb. + +Der genauere Titel der Abhandlung von *Walsh* lautet: On the +electric Property of the Torpedo. In a letter from *John Walsh* to +*Benjamin Franklin* (Juli 12. 1772). *Walsh* berichtet darin über +Untersuchungen, die er in La Rochelle an dort gefangenen Zitterrochen +anstellte. Diese Untersuchungen ergaben, daß »die Wirkung des Torpedos +eine durchaus elektrische« sei. Die Schläge wurden durch eine Kette von +Personen, sowie durch einen Draht geleitet. + +[39] Der Turmalin wurde daher auch als Aschenzieher bezeichnet. + +[40] *Franz Ulrich Theodor Aepinus*, der Entdecker der Influenz und +der Thermoelektrizität, wurde im Jahre 1724 in Rostock geboren. Er +studierte dort, wurde später Professor der Astronomie an der Akademie +zu Berlin, folgte aber von dort einem Rufe nach Petersburg, wo er +Physik lehrte und die Aufsicht über die russischen Normalschulen +ausübte. Er starb 1802 in Dorpat. + +[41] *Aepinus*, Akademische Rede von der Ähnlichkeit der elektrischen +und magnetischen Kraft. Leipzig 1760. Siehe auch *Dannemann*, Aus der +Werkstatt großer Forscher. Leipzig 1908. Abschnitt 37. + +[42] Diese durch Erwärmung erregte Elektrizität, die an gewissen +Kristallen auftritt, hat man als Pyroelektrizität bezeichnet. Bei der +Abkühlung kehren sich die beiden Pole um; ist dagegen die Temperatur +bleibend geworden, so ist der Kristall wieder unelektrisch. Später hat +man diese Erscheinung auch an anderen Mineralien wahrgenommen, so am +Kalkspat, Gips, Feldspat, Flußspat, Diamant usw. + +[43] Erst *Faraday* gelang es, eine so weitgehende Verknüpfung +der elektrischen und der magnetischen Erscheinungen nachzuweisen, +dass beide als Äußerungen ein- und derselben Naturkraft gelten. +Elektrizität, Magnetismus, strahlende Wärme und Licht wurden auf +Grund von *Maxwells* elektromagnetischer Theorie des Lichtes, sowie +der Versuche von *Hertz* auf Zustände des Äthers zurückgeführt. +Ausführlicheres darüber enthalten spätere Abschnitte dieses Werkes. + +[44] Nebenbei sei erwähnt, daß *Coulomb* durch mechanische +Untersuchungen bewies, daß die Kraft des Menschen völlig unzulänglich +sei, um ihn mittelst Flügel in die Lüfte zu erheben. + +[45] Vier Abhandlungen über die Elektrizität und den Magnetismus von +*Coulomb*, übersetzt und herausgegeben von *Walter König*. (*Ostwalds* +Klassiker der exakten Wissenschaften Nr. 13. Leipzig, Verlag von +Wilhelm Engelmann, 1890). Fig. 1-5. + +[46] Mémoires de l'Académie royale, 1784. pg. 229 u. f. + +[47] *Ostwalds* Klassiker Nr. 13, S. 7. + +[48] Siehe *Ostwalds* Klassiker Nr. 115. + +[49] Mém. de l'Académie royale 1788. pg. 620 u. f. + +[50] Diese Fundamentalversuche über die Verteilung der Elektrizität hat +*Cavendish*, wie aus seinen neuerdings veröffentlichten Untersuchungen +über die Elektrizität hervorgeht, schon vor *Coulomb* angestellt. + +[51] Siehe *G. Green*, Ein Versuch, die mathematische Analysis auf die +Theorien der Elektrizität und des Magnetismus anzuwenden. *Ostwalds* +Klassiker der exakten Wissenschaften Nr. 64. Herausgegeben von *von +Oettingen* und *Wangerin*. Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann, 1895. + +[52] Acta eruditorum. 1690. *Denis Papin* wurde 1647 in Blois +geboren und starb 1712 in London. Er hielt sich viele Jahre in Hessen +(Marburg und Kassel) auf und stand mit *Huygens* und *Leibniz* in regem +wissenschaftlichen Verkehr. + +[53] *Ernst Jäger*, *Denis Papin* und seine Nachfolger in der Erfindung +der Dampfmaschine. Stuttgart 1902. Siehe auch das Werk von *C. +Matschoß*, Geschichte der Dampfmaschine, mit 118 Abbildungen, Berlin, +Springer, sowie auch *Ernouf*, *Denis Papin*, sa vie et son œuvre. 4. +Aufl., Paris, Hachette 1888. + +[54] Eine ausführliche Geschichte der Dampfmaschine hat *C. Matschoß* +im Anschluß an sein auf S. 54 zitiertes Werk im Auftrage des Vereins +deutscher Ingenieure geschrieben. Sie erschien 1908 bei J. Springer +in Berlin, umfaßt 2 Bände und führt den Titel: *C. Matschoß*, Die +Entwicklung der Dampfmaschine. Eine Geschichte der ortsfesten +Dampfmaschine und der Lokomobile, der Schiffsmaschine und Lokomotive. + +[55] Geboren am 19. Januar 1736 in Greenock. Näheres über das Leben und +die Bedeutung von *James Watt* enthält das Werk von *A. Ernst*: *James +Watt* und die Grundlagen des modernen Dampfmaschinenbaus. Mit einem +Bildnis von *James Watt* und 27 Textfiguren. Berlin, J. Springer, 1897. + +[56] Das Patent datiert vom 5. Januar 1769. + +[57] Im Jahre 1807. + +[58] Engineering 1894, I, S. 644. + +[59] *Berndt*, Die Entwicklung der Lokomotive. Darmstadt 1896. + +[60] Siehe Bd. II, S. 73. + +[61] *Renaldini*. + +[62] *Halley*, An account of several experiments, made to examine the +nature of the expansion and contraction of fluids, by heat and cold, +in order to ascertain the divisions of the thermometer (Philos. +Transact. 1693). + +[63] *Fischer*, Gesch. d. Phys. III. 221. + +[64] Und zwar hat *Borelli*, den wir als Mitbegründer der neueren +Physiologie kennen lernten, darauf hingewiesen. + +[65] *E. Mach*, Die Prinzipien der Wärmelehre. 1896. + +[66] *Daniel Gabriel Fahrenheit*, Versuche über den Siedepunkt einiger +Flüssigkeiten. 1724. Im 57. Bande von *Ostwalds* Klassiker der exakten +Wissenschaften, neu herausgegeben von *A. J. v. Oettingen*. Leipzig, +Verlag von W. Engelmann. 1894. + +[67] *Ostwalds* Klassiker. Bd. 57. S. 17. + +[68] Siehe *Fahrenheits* Abhandlungen über Thermometrie (*Ostwalds* +Klassiker, Nr. 57). + +[69] *Fahrenheit*, Experimente und Beobachtungen über das Gefrieren des +Wassers im Vakuum. *Ostwalds* Klassiker, Bd. 57, S. 6 u. f. + +[70] *Réaumur*, Regeln zur Konstruktion von Thermometern mit +vergleichbaren Skalen, 1730, 1731, im 57. Bande von *Ostwalds* +Klassiker, herausgegeben von *A. J. v. Oettingen*. Leipzig, W. +Engelmann, 1894. *Réaumur* (1683-1757) hat zahlreiche Abhandlungen aus +den Gebieten der Physik, der Zoologie und der Botanik veröffentlicht. + +[71] *Ostwalds* Klassiker, Bd. 57, S. 49. + +[72] *Ostwalds* Klassiker, Bd. 57, S. 100 u. f. bringt eine Übersetzung +der betreffenden Abhandlung *Réaumurs* vom Jahre 1733. Ihr Titel +lautet: Über das Volumen der Flüssigkeitsgemische. + +[73] Abhandlungen der schwedischen Akademie. Bd. IV. 1742. + +[74] *R. Börnstein*, Zur Geschichte der hundertteiligen +Thermometerskala. Physikal. Zeitschrift, Bd. 8, Nr. 23. + +Siehe auch die Notiz von *Rompel* im 53. Bande (1907) von Natur und +Offenbarung. S. 749. Danach ist sichergestellt, daß *Linné* in Upsala +im Jahre 1745 ein Thermometer benutzte, das den Gefrierpunkt mit 0° und +den Siedepunkt mit 100° bezeichnet, besaß. + +[75] *Celsius* selbst hat den Siedepunkt mit 0 und den Gefrierpunkt +mit 100 bezeichnet. Anders *Celsius* (1701-1744) war Professor der +Astronomie in Upsala. Seine Abhandlung über das Thermometer erschien +1742. Sie wurde im 57. Bande von *Ostwalds* Klassikern von neuem +veröffentlicht. Leipzig, W. Engelmann. 1894. + +[76] Mémoires de l'Académie. Paris, 1703. S. 50 u. f. Siehe auch +die Studie *Gerlands* in den Beiträgen aus der Geschichte der Chemie, +herausgegeben von *P. Diergart*, 1909. S. 350-360: *Ernst Gerland*, Die +Entdeckung der Gasgesetze und des absoluten Nullpunktes der Temperatur +durch *Boyle* und *Amontons*. + +[77] Nach *Lambert* ist der absolute Nullpunkt dadurch definiert, +daß bei diesem Punkt die Luft, da sie sich mit der Temperaturabnahme +gleichmäßig zusammenzieht, fast keinen Raum mehr einnimmt. Nach den +Angaben *Lamberts* tritt dieser Zustand bei der Abkühlung auf -270,3° +Celsius ein. Die Abweichung von dem heute geltenden Wert (-273°) +ist also nur gering. Aus des Daten *Amontons*' ergibt sich für den +absoluten Nullpunkt der Wert von -293,5° Celsius. + +[78] Siehe das in *Gerland* und *Traumüller*, Gesch. d. phys. +Experimentierkunst in Fig. 312 abgebildete und dort beschriebene +Instrument. + +[79] Philos. Transact. Vol. LXXII. + +[80] Siehe Band I. S. 302. + +[81] Philos. Transact. 1683/84. Nr. 156. S. 304. + +[82] *De Saussure*, Versuch über die Hygrometrie, herausgegeben von *A. +J. v. Öttingen*. Bd. 115 und 119 von *Ostwalds* Klassikern der exakten +Wissenschaften. Leipzig, Verlag von W. Engelmann, 1900. + +[83] *Joseph Black* war schottischer Abkunft. Er wirkte als Professor +der Chemie in Glasgow und später in Edinburg, wo er am 26. November +1799 starb (Geburtsjahr 1728). *Blacks* chemische Arbeiten haben +mehrere für die Begründung der neueren Chemie sehr wichtige Tatsachen +zu Tage gefördert. (Siehe darüber an anderer Stelle.) + +[84] *Johann Karl Wilke* (*Wilcke*) wurde 1732 in Wismar (damals +schwedisch) geboren und starb im Jahre 1796 in Stockholm, wo er die +Stelle eines Mitgliedes und Sekretärs der Akademie der Wissenschaften +bekleidete. Von ihm rührt die erste Inklinationskarte her (Försök +till en magnetisk inclinationskarta. Stockholm 1768). Über *Wilkes* +Verdienste um den Ausbau der Elektrizitätslehre wurde schon an anderer +Stelle berichtet. (Siehe S. 22.) + +[85] Meditationes de caloris et frigoris causa (Abhandlungen der +Petersburger Akademie von 1747 und 1748). + +[86] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 178. S. 19 u. f. + +[87] *Deluc* (1754). + +[88] Sind die Mengen m und m^1 und die Temperaturen t und t^1, so ist +die Temperatur der Mischung, wenn nur ein Ausgleich stattfindet, T = +(mt + m^1t^1)/(m + m^1). + +[89] *Mach*, Prinzipien der Wärmelehre. 1896. S. 162. + +[90] Siehe S. 41. + +[91] Durch *W. Cullen* (1710-1790) Professor der Chemie in Glasgow. +*Cullen* veröffentlichte seine grundlegenden Versuche über die +Verdunstungskälte (1755) in den Berichten der Edinburger Gesellschaft +(Bd. II) unter dem Titel: On the cold produced by evaporating fluids +and of some other means of producing cold. Siehe auch *E. Mach*, Die +Prinzipien der Wärmelehre, historisch-kritisch dargestellt, 1896. S. +177. + +[92] *J. C. Fischer*, Geschichte der Physik (1801-1808) V, 4. + +[93] *Mariotte*, Essai du chaud et du froid, 1679. + +[94] *M. A. Pictet* (1752-1825) war Professor und Präsident der +Akademie der Wissenschaften in Genf. + +[95] *Pictet*, Essai sur le feu. Génève 1790. S. 83. + +[96] Hierauf wurde von *Black* hingewiesen. Siehe auch *E. Mach*, +»Einfache Versuche über strahlende Wärme« (Zeitschr. für den phys. und +chem. Unterricht VII, 3). + +[97] Die Abhandlungen von *Lavoisier* und *Laplace* über die Wärme +wurden in den Mémoires de l'Académie veröffentlicht und im 2. Bande +der gesammelten Werke *Lavoisiers* wieder abgedruckt. Die wichtigsten +Ergebnisse sind im 40. Bande der *Ostwald*schen Sammlung enthalten. +Zwei Abhandlungen über die Wärme von *A. L. Lavoisier* und *P. S. de +Laplace* herausgegeben von *J. Rosenthal*. Leipzig, Verlag von W. +Engelmann, 1892. + +[98] Zur Erläuterung diene folgendes Beispiel: Um 1 kg Eis von 0° in 1 +kg Wasser von 0° zu verwandeln, sind 80 Wärmeeinheiten erforderlich. +Die Substanz, deren spezifische Wärme bestimmt werden soll, wiege 2 kg +und sei auf 10° erhitzt, die Menge des Schmelzwassers betrage 1/10 kg. +Daraus folgt, daß die 2 kg, als sie von 10° auf 0° abgekühlt wurden, +um sie von 0° auf 10° zu erhitzen. Um demnach 1 kg von 0° auf 10° zu +erwärmen, würden 4 Wärmeeinheiten, ((1/10)·80)/2, um es von 0° auf 1° +zu erwärmen, würden dagegen nur 0,4 Wärmeeinheiten, ((1/10)·80)/(2·10), +erforderlich sein. + +[99] Diese Untersuchung wurde später von verschiedenen Physikern wieder +aufgenommen (Ann. de chimie et de physique, Bd. 85, S. 72, 1813), +indessen erst durch *Regnault* (1840) unter Beobachtung aller in +Betracht kommenden Umstände zu einem gewissen Abschluß gebracht. + +[100] Sir *Charles Blagden* (1748-1820) war Arzt in der englischen +Armee und Mitglied der Royal Society. Seine Abhandlungen wurden +neuerdings in deutscher Übersetzung von *A. J. v. Oettingen* +herausgegeben (*Ostwalds* Klassiker der exakten Wissenschaften Nr. 56). +Leipzig, Verlag von W. Engelmann, 1894. + +[101] Die letzte Beobachtung hatte schon *Fahrenheit* gemacht. S. S. 41. + +[102] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 56. S. 19 u. f. + +[103] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 56. S. 49. + +[104] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 56. S. 32. + +[105] Systema naturae. 1. Ausgabe von 1735 sehr selten und nur +14 Seiten umfassend. 12. Ausgabe von *Müller*. 8 Bde. 13. Ausgabe +von *Gmelin*. 10 Bände. Leipzig 1788-1793. Die 13. Ausgabe ist das +letzte Werk, das alle zur Zeit seiner Herausgabe bekannten Tier- und +Pflanzenarten beschreibt. Ein Neudruck der 10. Ausgabe wurde von der +Deutschen zoologischen Gesellschaft veranstaltet (W. Engelmann, Leipzig +1894). + +[106] Fundamenta botanica 1736. Critica botanica 1737. + +[107] Philosophia botanica. + +[108] Eine ausführliche Biographie *Linnés* veröffentlichte *Th. M. +Fries* (Stockholm 1903). Auf dieses Werk gründet sich eine kürzere +Darstellung, die *R. E. Fries* zur Erinnerung an die 200. Wiederkehr +des Geburtstages *Linnés* herausgab. Sie erschien in *Englers* +botanischen Jahrbüchern (1907 Heft 1, S. 1-54) und wurde auch gesondert +herausgegeben. (Im Verlage von W. Engelmann in Leipzig.) + +Am ausführlichsten wurde *Carl von Linnés* Bedeutung als Naturforscher +und Arzt in einem Sammelwerk der Schwedischen Akademie der +Wissenschaften geschildert. Auch für diese Veröffentlichung (Jena, +Gustav Fischer) bot die 200. Wiederkehr des Geburtstages *Linnés* die +Veranlassung. Der Band enthält sechs von verschiedenen Bearbeitern +herrührende Abschnitte, in denen *Linné* als Arzt, als Entomologe, +als Geologe, als Mineraloge, als botanischer Forscher und *Linnés* +Verdienste um die Zoologie der Wirbeltiere geschildert werden. + +[109] Siehe Bd. II, S. 348-352. + +[110] Verdeutscht lauten die Namen der ersten 10 Klassen Ein-, Zwei-, +Drei- usw. Zehnmännige, der 11. Klasse Zwölfmännige, der 12. Klasse +Zwanzigmännige, der 13. Vielmännige. + +Manche Klassen des *Linné*schen Systems, das sich wegen seiner +Brauchbarkeit zum Bestimmen der Pflanzen neben dem in der Wissenschaft +allein geltenden natürlichen System erhalten hat, fallen mit den +Familien des letzteren ganz oder teilweise zusammen. So die 12. Klasse +mit den Mandel-, Apfelbaum- und Rosengewächsen und die 13. Klasse mit +den Mohn- und Hahnenfußgewächsen. + +[111] Die 14. Klasse (Zweimächtige) umfaßt die Mehrzahl der +Lippenblüter, die 15. Klasse (Viermächtige) fällt mit der Familie der +Kreuzblüter zusammen. + +[112] 16., 17., 18. Klasse = Ein-, Zwei-, Vielbrüdrige. Für die 16. +Klasse bieten die Malven, für die 18. das Johanniskraut ein Beispiel. + +[113] Zusammengewachsene, so genannt, weil die Staubbeutel der unter +diesem Namen vereinigten Pflanzen zu einer Röhre verwachsen sind. +Die 19. Klasse fällt mit der Familie der Korbblüter oder Kompositen +zusammen. + +[114] Weibermännige; hierzu gehören die Orchideen. + +[115] 21. und 22. Klasse = Einhäusige und Zweihäusige; für die ersteren +bieten die Kiefern, für die zweiten die Weiden bekannte Beispiele. + +[116] Vielehige; hierher gehören die Ahornarten. + +[117] Blütenlose. *Linné* teilte sie in Algen, Schwämme, Moose und +Farnkräuter ein. Für die weitere Einteilung der Klassen 1-23 in +Unterabteilungen, die *Linné* Ordnungen nannte, waren vor allem die +Zahl der Griffel, die Beschaffenheit der Früchte und die Anordnung der +Blüten maßgebend. + +[118] Ein Petersburger Botaniker, den *Linné* selbst in einem zuerst in +den Mitteilungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften +(1907, S. 25) gedruckten lateinischen Brief abfertigte, schrieb +folgendes. Gott würde niemals innerhalb des Pflanzenreiches eine so +abscheuliche Unzucht zulassen, daß mehrere Männer (Staubgefäße) eine +gemeinsame Frau (Frucht, Knoten) besäßen. Ein solch unkeusches System +dürfte der studierenden Jugend nicht mitgeteilt werden. + +Diese Auffassung, der sich andere Botaniker anschlossen, ist gewiß für +manche Sittlichkeitswächter bezeichnend. »Ich hatte gehofft, dem Reinen +sei alles rein«, schrieb *Linné* in dem erwähnten Briefe, »ich werde +mich nicht verteidigen, denn die Jahrhunderte werden urteilen.« + +[119] Veröffentlicht 1753. + +[120] So *Fontenelle*: Histoire de l'Académie 1711, S. 43. Eine +Ausnahme machte der deutsche Philosoph und Physiker *Christian Wolf*, +der sich mit einer anatomischen und physikalischen Untersuchung +des Pflanzeninneren, sowie mit Fragen der Ernährungsphysiologie +beschäftigte. *Wolfs* Ergebnisse blieben aber weit hinter denen von +*Stephan Hales* zurück. + +[121] Philosophia botanica, 1751. S. 27. + +[122] Classes plantarum, p. 487. + +[123] *Linnés* Oratio de telluris habitabilis incremento. + +[124] *Meyer*, Geschichte der Botanik. Bd. I. S. 120. + +[125] Siehe Bd. II. S. 178. + +[126] Siehe den Abschnitt: Sur le sujet des plantes in Oeuvres de +Mariotte. + +[127] Siehe an anderer Stelle dieses Bandes. + +[128] *Wolf*, Vernünftige Gedanken von den Wirkungen der Natur. Halle +1723. + +[129] *Hales*, Statik der Gewächse. Halle 1748. Die englische Ausgabe +war 1727 in London erschienen. + +[130] 1 Pfund = 16 Unzen. + +[131] *Hales*, Statik der Gewächse. S. 6. I. Hauptstück, 1. Erfahrung. + +[132] *Hales*, Statik. S. 49. II. Hauptstück, 21. Erfahrung. + +[133] *Hales*, Statik, I. Hauptstück, 5. Erfahrung. + +[134] Das Bluten der Rebe wurde in neuerer Zeit von *Ernst Brücke* in +meisterhafter Weise wieder untersucht. Siehe *Brückes* Abhandlung in +*Ostwalds* »Klassiker der exakten Wissenschaften« Nr. 95. Leipzig, +Verlag von W. Engelmann, 1898. + +[135] *Hales*, Statik, S. 102 u. 103. VI. Hauptstück, 55. u. 57. +Erfahrung. + +[136] *Hales*, Statik der Gewächse. VI. Hauptstück, 113. Erfahrung. + +[137] *Hales* berichtet darüber 1741 in der Royal Society. + +[138] Siehe Bd. II, S. 175. + +[139] New improvements in gardening. 1717. I. S. 20. + +[140] Die Beobachtung machte *Müller* im Jahre 1751. + +[141] Erschienen in den Abhandlungen der Berliner Akademie vom Jahre +1751. + +[142] Siehe Bd. I. S. 112 und Bd. II. S. 348-352. + +[143] Siehe Bd. II. S. 338. + +[144] Durch *Dillenius*, der darüber ein epochemachendes Werk mit 85 +Kupfertafeln veröffentlichte: Historia muscorum 1741. + +*Dillenius* wurde 1687 in Darmstadt geboren, war Professor der Botanik +in Oxford und starb im Jahre 1747. + +[145] *J. G. Kölreuter* wurde 1733 zu Sulz am Neckar geboren. Er starb +1806 in Karlsruhe, wo er Professor der Naturgeschichte war. Fast +zwanzig Jahre bekleidete er außerdem die Stelle eines Oberaufsehers des +botanischen Hofgartens. Seine Ergebnisse hat er in einigen 1761-1766 +erschienenen Abhandlungen niedergelegt. *Kölreuters* Schrift wurde +durch *W. Pfeffer* als 41. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten +Wissenschaften (Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann, 1893) wieder +herausgegeben. Ihr Titel lautet: Vorläufige Nachricht von einigen das +Geschlecht der Pflanzen betreffenden Versuchen und Beobachtungen. + +[146] *Ostwalds* Klassiker Nr. 41. S. 30. + +[147] *Ostwalds* Klassiker Nr. 41. S. 31. + +[148] Der Zusatz ♂ bezeichnet die männliche, der Zusatz ♀ die weibliche +Pflanze. + +[149] Besonders die von *Focke*. + +[150] Siehe S. 101 u. 105 dieses Bandes. + +[151] *Sachs*, Gesch. d. Bot. S. 440. + +[152] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 41, S. 20. + +[153] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 41, S. 83. + +[154] *Sachs*, Gesch. d. Botanik. S. 448. + +[155] *Christian Konrad Sprengel*, Das entdeckte Geheimnis der Natur +im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin 1793. Als Nr. 48-51 +von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften herausgegeben von +*Paul Knuth*. Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann, 1894. + +[156] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 48, S. 31. + +[157] Daß aus dem Staubkorn ein Pollenschlauch hervorwächst, der den +Griffel durchdringt und sich mit der Samenknospe vereinigt, wurde erst +seit dem Jahre 1823 durch *Amici* und andere festgestellt. + +[158] Geboren 1719 in Nürnberg, starb daselbst 1769, war von Beruf +Jurist. + +[159] Mikroskopische Gemüts- und Augenergötzungen. 1761. S. 46. + +[160] Z. B. bei Butomus und Viola. + +[161] Spätere Forschungen haben dies im wesentlichen bestätigt, doch +hat sich herausgestellt, daß bei Euphorbia spontane Selbstbestäubung +vorkommt, wenn der Insektenbesuch ausbleibt. + +[162] *Sachs* Lehrbuch der Botanik. 4. Aufl. Leipzig 1874. Fig. 489. + +[163] *Ostwalds* Klassiker Nr. 48. S. 56. + +[164] *Ostwalds* Klassiker Nr. 48. S. 73 u. f. + +[165] *John Ray* (1628-1705). Hervorragender Systematiker des 17. +Jahrhunderts; lehnte sich aber noch sehr an *Aristoteles* an. + +[166] *N. Kleinenberg*, Hydra. Eine +anatomisch-entwicklungsgeschichtliche Untersuchung. Leipzig, Wilhelm +Engelmann, 1872. + +[167] Siehe Bd. II. S. 335. + +[168] *Ledermüller*, Mikroskopische Gemüts- und Augenergötzungen. +Nürnberg 1763. + +[169] *Ledermüller*, Mikroskopische Gemüts- und Augenergötzungen 1761. +II. Bd. Tafel LXXXVIII. + +[170] Siehe *Rösels* Insektenbelustigung. III. Teil. S. 433 u. f. + +[171] Insektenbelustigungen III. S. 622. + +[172] *Spallanzani*, Entstehung der Infusionstiere aus Keimen, durch +Experimente bewiesen. 1765. + +[173] *Dannemann*, Aus der Werkstatt großer Forscher, 1908. Abschn. 75. + +[174] Siehe S. 198 des II. Bandes. + +[175] *Jungius* wurde 1587 in Lübeck geboren und starb im Jahre 1657. + +[176] Übersetzt und herausgegeben von Dr. *Paul Samassa* als 84. und +85. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften. Leipzig, +Verlag von Wilhelm Engelmann. 1896. + +[177] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 84, S. 18. + +[178] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 85, S. 12. + +[179] Siehe Bd. II dieses Werkes, S. 334. + +[180] *Hirsch*, Geschichte der med. Wissenschaften, S. 212. + +[181] Siehe Bd. II dieses Werkes, S. 279. + +[182] Buch II-IV handelt vom Gefäßsystem, Buch IX von der Mechanik des +Stimmorgans. Von *Hallers* Elementen der Physiologie sagt *Hirsch*, +daß alle Zeitgenossen und Nachfolger daraus geschöpft haben. Auch nach +*Cruveilhier* sind viele neuere Entdeckungen im Keime in diesem Werke +enthalten. + +[183] *Haller*, Elementa physiologiae, IV. § 42. + +[184] Siehe S. 106 dieses Bandes. + +[185] *Lieberkühns* betreffende Abhandlung vom Jahre 1745 führt den +Titel: De fabrica et actione villorum intestinarum tenuinum (Bau und +Tätigkeit der feinen Zotten des Darmes). + +[186] *Christian von Wolf* (1679-1754) war Philosoph, Mathematiker und +Physiker. Er wirkte in Halle, wurde wegen Irreligiosität ausgewiesen, +von Friedrich dem Großen 1740 aber zurückberufen. + +[187] *Michael Wassiljewitsch Lomonossow* wurde 1711 in der Nähe von +Archangelsk geboren. Er studierte zunächst in Rußland und dann mehrere +Jahre in Deutschland. Seit 1746 wirkte er als Professor der Chemie in +Petersburg, wo er 1765 starb. + +*Lomonossows* wichtigste Abhandlungen erschienen vor kurzem in +deutscher Übersetzung (*Ostwalds* Klassiker, Nr. 178. Leipzig. W. +Engelmann. 1910). + +[188] Siehe S. 48 dieses Bandes. + +[189] Siehe an anderer Stelle dieses Bandes. + +[190] *G. Monge*, Darstellende Geometrie. Als 117. Band von *Ostwalds* +Klassikern der exakten Wissenschaften übersetzt und herausgegeben von +*R. Haussner*. Leipzig, Verlag von W. Engelmann, 1900. + +[191] Im einzelnen weicht die Organisation des deutschen technischen +Unterrichtswesens von der des französischen darin ab, daß die École +polytechnique eine technische Hochschule im deutschen Sinne nur +durch ihr Zusammenwirken mit der Schule für Bergbau, der Schule für +Brücken- und Wegebau und anderen Fachschulen ist, denen sie insofern +als Vorbereitungsanstalt dient, als sie die technische Allgemeinbildung +vermittelt. + +[192] *Desargues* wurde in Lyon geboren und wirkte als Baumeister +(1593-1662). + +[193] Er besagt, daß die Seiten jedes einem Kegelschnitte +einbeschriebenen Vierecks eine beliebige, durch den Kegelschnitt +gehende Linie so schneiden, daß die erhaltenen 6 Schnittpunkte eine +Involution bilden, die abgeteilten Strecken also gewisse Beziehungen +aufweisen. + +[194] Das Buch erschien erst 1822. + +[195] Siehe Bd. II. S. 148. + +[196] Siehe S. 121 dieses Bandes. + +[197] *Reuleaux*, Theoretische Kinematik, S. 13. *Poncelets* +wichtigstes Werk über die theoretische Maschinenlehre ist seine +Mécanique appliquée aux machines. + +[198] *Jakob Steiner*, Systematische Entwicklung der Abhängigkeit +geometrischer Gestalten von einander mit Berücksichtigung der Arbeiten +alter und neuer Geometer etc. Berlin 1832. Neu herausgegeben von *A. J. +v. Oettingen* als 82. und 83. Band von *Ostwalds* Klassikern. Leipzig, +W. Engelmann, 1896. + +[199] Er starb im Jahre 1863. + +[200] Vor kurzem als 123. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten +Wissenschaften, neu herausgegeben von *R. Sturm*. Leipzig, Verlag von +W. Engelmann, 1901. + +[201] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 123, S. 3. + +[202] Die geometrischen Konstruktionen ausgeführt mittelst der geraden +Linie und eines festen Kreises von *Jakob Steiner*. Als 60. Band von +*Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften, herausgegeben von *A. +J. v. Oettingen*. Leipzig, Engelmann, 1895. + +[203] *Ostwalds* Klassiker, Bd. 82 und 83. Das erste Erscheinen des +*Steiner*schen Werkes fällt in das Jahr 1832. + +[204] *Arneth*, Geschichte der Mathematik. S. 286. + +[205] Gemeint sind die Sätze von *Pascal* und *Brianchon* über die den +Kegelschnitten ein- und umschriebenen Sechsecke. *Pascal* nannte sein +Sechseck Hexagrammum mysticum. + +[206] *Steiner*, Systematische Entwicklung. § 38, III, IV. + +[207] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 83, S. 43 u. f. + +[208] *Hankel*, Die Elemente der projektivischen Geometrie. S. 27. + +[209] Berlin 1835; *Plücker* lebte 1801-1868. Er wirkte als Professor +der Mathematik und der Physik in Halle und in Bonn. + +[210] *Arneth*, Die Geschichte der reinen Mathematik. S. 288. + +[211] *Lobatschefskij* (1793-1856) Professor der Mathematik in Kasan. +Er war ein Schüler des in Rußland wirkenden deutschen Mathematikers +*Bartels*, und letzterer stand wieder in engster Verbindung mit +*Gauß*. Die dem Russen gelungene Schöpfung fußt also auf dem Boden der +deutschen Mathematik. + +[212] *J. N. Lobatschefskij*, Pangeometrie 1856. Übersetzt und als +130. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften, +herausgegeben von *H. Liebmann*. Leipzig, W. Engelmann 1902. + +[213] Siehe S. 125 dieses Bandes. + +[214] Untersuchungen über die Reihe: 1 + mx + m(m-1)/(1·2) · x^2 +... +von *N. H. Abel* (*Crelles* Journal, Bd. I. 1826). Diese Abhandlung +wurde neuerdings von *A. Wangerin* als 71. Bändchen von *Ostwalds* +Klassikern von neuem herausgegeben. Leipzig, Verlag von W. Engelmann, +1895. + +[215] Sie erschien im 1. Bande des *Crelle*schen Journals und führt den +Titel: Démonstration de l'impossibilité de la résolution algébraique +des équations générales qui passent le quatrième degré. + +[216] *N. H. Abel*, Abhandlung über eine besondere Klasse algebraisch +auflösbarer Gleichungen. *Crelles* Journal, Bd. IV. 1829. Als 111. Band +von *Ostwalds* Klassikern von neuem und mit Anmerkungen herausgegeben +von *A. Loewy*. Leipzig, W. Engelmann, 1900. + +[217] Als 127. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten +Wissenschaften, übersetzt und herausgegeben von *Alfred Loewy*. +Leipzig, Verlag von W. Engelmann, 1902. + +[218] *C. Sturms* Abhandlung wurde aus dem Französischen übersetzt und +als 143. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften von +*Alfred Loewy* herausgegeben. Leipzig, W. Engelmann, 1904. + +[219] *Johann Friedrich Pfaff* wurde 1765 geboren. Er bekleidete die +Professur für Mathematik in Halle und starb dort 1825. + +[220] *J. F. Pfaff*, Allgemeine Methode partielle +Differentialgleichungen zu integrieren. Aus dem Lateinischen übersetzt +und als 129. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften +herausgegeben von *Gerhard Kowalewski*. Leipzig, W. Engelmann, 1902. + +[221] *Cauchy*, Über die Integration der partiellen +Differentialgleichungen erster Ordnung in einer beliebigen Zahl +von Veränderlichen (1819). Im 113. Bande von *Ostwalds* Klassikern +herausgegeben von *G. Kowalewski*. Leipzig, W. Engelmann, 1900. + +[222] Diese bisher schwer zugängliche, für die weitere Entwicklung der +Funktionentheorie aber entscheidende Arbeit wurde neuerdings durch *P. +Stäckel* als 112. Band von *Ostwalds* Klassikern wieder herausgegeben: +*Cauchy*, Über bestimmte Integrale zwischen imaginären Grenzen. +Leipzig, W. Engelmann, 1900. + +[223] Fundamenta nova theoriae functionum ellipticarum. Königsberg +1829. + +[224] Die andere Hälfte erhielten die Angehörigen des schon 1829 +verstorbenen *Abel*. + +[225] *Legendre*, Traité des fonctions elliptiques. + +[226] *C. G. J. Jacobi*, Über die vierfach periodischen Funktionen +zweier Variabeln (*Crelles* Journal f. r. u. angew. Math. 1834). Als +Band 64 von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften aus dem +Lateinischen übersetzt von *A. Witting* und herausgegeben von *H. +Weber*. Leipzig, W. Engelmann, 1895. + +[227] *A. Göpel*, Entwurf einer Theorie der *Abel*schen Transzendenten +erster Ordnung (*Crelles* Journal, Bd. 35, 1847). Aus dem Lateinischen +übersetzt von *A. Witting* und als 67. Band von *Ostwalds* Klassikern +der exakten Wissenschaften herausgegeben von *H. Weber*. Leipzig, W. +Engelmann, 1895. + +*G. Rosenhain*, Abhandlung über die Funktionen zweier Variabeln mit +vier Perioden (Mém. des savants, 1851). Aus dem Französischen +übersetzt von *A. Witting* und als 65. Band von *Ostwalds* Klassikern +herausgegeben von *H. Weber*. Leipzig, W. Engelmann, 1895. + +[228] Er starb 1859 in Göttingen. + +[229] *G. Lejeune Dirichlet*, Untersuchungen über verschiedene +Anwendungen der Infinitesimalanalysis auf die Zahlentheorie (*Crelles* +Journal, Bd. 19 u. 21). Als 91. Band von *Ostwalds* Klassikern +herausgegeben von *R. Haussner*. Leipzig, W. Engelmann, 1897. + +[230] *Lejeune Dirichlet*, Die Darstellung ganz willkürlicher +Funktionen durch Sinus- und Kosinusreihen, 1837. Im 116. Bande von +*Ostwalds* Klassikern, herausgegeben von *H. Liebmann*. Leipzig, W. +Engelmann, 1900. + +[231] Die letzte Abhandlung des 19. von der Anziehung homogener +Ellipsoide handelnden Bandes von *Ostwalds* Klassikern. Diese +Abhandlung *Dirichlets* führt den Titel »Über eine neue Methode zur +Bestimmung vielfacher Integrale«. + +[232] *Lejeune Dirichlet*, Vorlesungen über die im umgekehrten +Verhältnis des Quadrates der Entfernung wirkenden Kräfte, herausgegeben +von *G. Grube*, Leipzig 1876. + +[233] *Schwere*, Elektrizität und Magnetismus. Nach Vorträgen von *B. +Riemann*, bearbeitet von *K. Hattendorff*, Hannover 1876. + +[234] *Priestley*, Experiments and observations on different kinds of +air. 3 vol. 1774-1777, übersetzt von *Ludewig*, 1778. + +[235] Philosophical Transactions. LXII. 1772. + +[236] *Priestley*, Versuche und Beobachtungen über verschiedene Teile +der Naturlehre. Deutsche Übersetzung vom Jahre 1780. Bd. III. Vorrede. + +[237] *Joseph Black*, 1728-1799, Professor der Chemie zu Glasgow und +Edinburg. + +[238] Abhandlungen der schwedischen Akademie d. Wissensch. XXXV. + +[239] Daß *Priestley* und *Scheele* unabhängig voneinander schon so +früh den Sauerstoff dargestellt und seine wichtigsten Eigenschaften +erkannt haben, wurde von *G. W. A. Kahlbaum* dargetan (Basel, +Verhandlungen 1897 Bd. 12, S. 9.) + +[240] History and present state of electricity with original +experiments. London 1767. Übersetzt von *Krünitz*. Stralsund 1772. + +[241] *Cavendish* wiederholte diesen Versuch und lieferte den Nachweis, +daß hierbei durch die Vereinigung von Sauerstoff und Stickstoff +Salpetersäure entsteht. Als absorbierende Flüssigkeit wandte er Alkali +an, mit dem die entstandene Säure Salpeter bildet. *Cavendish* machte +schon die Beobachtung, daß bei diesem Versuch trotz genügender Zufuhr +von Sauerstoff ein nicht absorbierbarer Rest zurückbleibt. Diese +eigentümliche Erscheinung hat erst im Jahre 1894 dadurch ihre Erklärung +gefunden, daß *Rayleigh* und *Ramsay* als dritten wesentlichen +Bestandteil der Atmosphäre das Argon nachwiesen, ein Element, das mit +dem Sauerstoff unter der Einwirkung des elektrischen Funkens keine +Verbindung eingeht. + +[242] Es ist dies die noch jetzt bei Vorlesungen beliebte Analyse +des Ammoniaks, welches dabei unter Verdoppelung seines Volumens in +Stickstoff und »zündbaren« Wasserstoff zerfällt. + +[243] Beim Hindurchleiten durch ein glühendes Rohr zerfällt der Alkohol +in ein Gasgemisch, das vorzugsweise aus Kohlenwasserstoffverbindungen, +wie Methan, Äthylen, Benzol usw., besteht und bei seiner Verpuffung mit +Sauerstoff infolgedessen Kohlendioxyd (CO_{2}) liefert. + +[244] Stockholm, 1892. + +[245] In Köping. + +[246] Herausgegeben von *v. Nordenskjöld*. Siehe Naturwissenschaftliche +Rundschau, VIII, S. 519. + +[247] Ein durch Zusammenschmelzen von Schwefel und Pottasche +(K_{2}CO_{3}) erhaltenes Präparat, das im wesentlichen aus +Schwefelkalium besteht und begierig Sauerstoff aufnimmt. *Scheele* +benutzte auch eine Fällung von Eisenvitriol durch Kalilauge. Er +erhielt so Ferrohydroxyd: FeSO_{4} + 2 KOH = Fe(OH)_{2} + K_{2}SO_{4}. +Ferrohydroxyd geht unter Aufnahme von Wasser und Sauerstoff leicht in +Ferrihydroxyd über: 2 Fe(OH)_{2} + 2 H_{2}O + O = 2 Fe(OH)_{3}. + +[248] Sauerstoff, der sich aus Braunstein durch Einwirkung der +Schwefelsäure nach folgender Gleichung entwickelt: + +MnO_{2} + H_{2}SO_{4} = MnSO_{4} + H_{2}O + O. + +[249] Siehe S. 140 dieses Bandes. + +[250] *Ostwalds* Klassiker Nr. 58. S. 27. + +[251] *Ostwalds* Klassiker Nr. 58. S. 92. + +[252] *Ostwalds* Klassiker Nr. 58. S. 43 u. f. + +[253] Experimentum curiosum de effectu radiorum solarium (Act. Acad. +Nat. Cur. I. 1727). + +[254] Siehe S. 142 dieses Bandes. + +[255] Attractio electiva duplex lautet sein Ausdruck. + +[256] z. B. von *Glauber* (siehe Bd. II, S. 187). + +[257] Dissertatio metallurgica de minerarum docimasia humida, 1780. + +[258] De analysi aquarum. 1778. + +[259] *Gmelin*, Geschichte der Chemie III. 1001. + +[260] Auch hierüber berichtet *Gmelin* a. a. O. + +[261] Siehe Bd. II, S. 183. + +[262] *Ostwalds* Klassiker Nr. 58, S. 5. + +[263] *Lavoisier*, Sur la nature de l'eau. Mémoir. de Paris, 1770. + +[264] Sie wurde neuerdings deutsch und mit Anmerkungen versehen als +172. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften wieder +herausgegeben (Leipzig, W. Engelmann 1909). + +[265] *Ostwalds* Klassiker Nr. 172. S. 28. + +[266] Das Medizinalpfund betrug 12 Unzen; jede Unze war gleich 480 Gran +(1 Gran etwa = 0,06 g). + +[267] Sur l'existence de l'air dans l'acide nitreux. Mém. de Paris, +1776. + +[268] Hg(NO_{3})_{2} = HgO + 2 NO_{2} + O. + +[269] *Cavendish*, welcher die entstandene Salpetersäure durch +Kalilauge absorbieren ließ, bemerkte, daß ein nicht absorbierbarer Rest +zurückbleibt, eine Tatsache, die erst 1894 durch die Entdeckung des +Argons ihre Erklärung fand. + +[270] *G. W. A. Kahlbaum* und *A. Hoffmann*: Die Einführung der +*Lavoisier*schen Theorie im besonderen in Deutschland (Monographien +aus der Geschichte der Chemie. I. Heft. Leipzig 1897). Danach ist die +Annahme, daß Deutschland sich länger als die übrigen Länder gegen die +Annahme der Lehren *Lavoisiers* verschlossen habe, nicht gerechtfertigt. + +[271] Einen klaren Ausdruck dieses Prinzips von der Unzerstörbarkeit +des Stoffes finden wir schon bei *Galilei* in seinem Dialog über die +beiden Weltsysteme. (Ausg. v. *Strauß*, S. 47). Siehe auch Bd. II +dieses Werkes, S. 25. + +[272] Mémoires de la Société d'Arcueil. + +[273] *Dannemann*, Aus der Werkstatt großer Forscher, 1908, S. 265. + +[274] *Berthollet*, Untersuchungen über die Gesetze der Verwandtschaft +(1801). Als 74. Band von *Ostwalds* Klassikern erschienen bei W. +Engelmann in Leipzig. + +[275] Siehe S. 150 dieses Bandes. + +[276] Siehe S. 150 dieses Bandes. + +[277] *Ostwalds* Klassiker Nr. 74, S. 51. + +[278] Näheres über die Phlogistontheorie. Siehe S. 142 dieses Bandes. + +[279] Gemeinsam mit *Thenard*. Mémoires de la Société d'Arcueil. +Paris 1809, S. 295 u. f. + +[280] Aus der Geschichte des Chlors sei noch erwähnt, daß *Fourcroy* +die ersten Verbrennungen in Chlor anstellte. (Annales de Chimie. +Bd. IV. 1788. S. 249.) *Fourcroy* fand, daß ein Licht in Chlor weiter +brennt und daß Phosphor in Chlor lebhafter brennt als in der Luft. + +Diese Versuche wurden von *Westrumb* auf fast alle Metalle und einige +Metallsulfide ausgedehnt (Ann. de chimie. Bd. VI. S. 240). *Westrumb* +entdeckte, daß die Metalle und die Metallsulfide in feiner Verteilung +sich im Chlor sofort entzünden. Er wies dies z. B. an Antimon, Arsen, +Wismut, Zinn, Blei, Antimonsulfid und Arsensulfid nach. + +[281] *Joseph Louis Proust* wurde 1755 in Angers geboren, wo er (1826) +starb. Er war Apotheker in Paris; später bekleidete er eine Professur +für Chemie, auch war er Mitglied der Akademie der Wissenschaften in +Paris. + +[282] Siehe den vorigen Abschnitt, S. 170 u. f. + +[283] *Karl Friedrich Wenzel* wurde 1740 in Dresden geboren. Er war wie +*Richter* zunächst im Hüttenwesen und später in einer Porzellanfabrik +(Meißen) tätig. *Wenzel* starb im Jahre 1793 in Freiberg. + +[284] Siehe S. 170 dieses Bandes. + +[285] Er starb 1807. + +[286] De usu matheseos in chymia. 1789. + +[287] Der Ausdruck Stöchiometrie (στοιχεῖον heißt Grundstoff) rührt von +*Richter* her. + +[288] Zu Eaglesfield in Cumberland am 5. September 1766. + +[289] Siehe S. 176 dieses Bandes. + +[290] Das Äthylen oder ölbildende Gas (so genannt, weil es sich mit +Chlor zu einer ölartigen Flüssigkeit C_{2}H_{4}Cl_{2} vereinigt) wurde +1795 von holländischen Chemikern entdeckt. + +[291] Die Ausdrücke binär, ternär, quaternär werden in der heutigen +Chemie für Verbindungen aus je zwei, je drei oder je vier Elementen +gebraucht, ohne Rücksicht auf die Anzahl der Atome, die eine solche +Verbindung zusammensetzen. + +[292] Na_{2}O und K_{2}O nach heutiger Bezeichnungsweise. + +[293] *Wollaston*, Über übersaure und untersaure Salze. Philos. +Transact. 1808. + +Diese Abhandlung wurde im 3. Bande von *Ostwalds* Klassikern der +exakten Wissenschaften wieder herausgegeben. + +[294] Zum Verständnis dieser Salzbildung sei hinzugefügt, daß die Oxal- +oder Kleesäure die stärkste organische Säure ist. Sie bildet z. B. mit +Kalium ein neutrales Salz, in welchem K_{2}O mit C_{2}O_{3} (d. i. +Oxalsäure nach Abzug des Konstitutionswassers) verbunden ist. Seine +Formel lautet + + COOK + | + COOK + +Die Zusammensetzung des saures Salzes wird durch die Formel + + COOK + | + COOH + +ausgedrückt. + +Auf ein Äquivalent Kali (K_{2}O) kommen in diesem Falle 2 Äquivalente +C_{2}O_{3} (2 KHC_{2}O_{4} = H_{2}O. K_{2}O. 2 C_{2}O_{3}). Ähnlich +drückt die Formel für das übersaure Salz + + COOK COOH + | + COOH COOH + +aus, daß auf K_{2}O vier Äquivalente C_{2}O_{3} kommen. + + ( COOK COOH ) + (2 | . = 3 H_{2}O . K_{2}O . 4 C_{2}O_{3}). + ( COOH COOH ) + +Die drei Salze sind auch durch ihr kristallographisches Verhalten gut +charakterisiert. + +[295] Am besten wird man sich über den Lebensgang von *Berzelius* durch +seine selbstbiographischen Aufzeichnungen unterrichten lassen. Sie +wurden im Auftrage der Schwedischen Akademie der Wissenschaften von +*H. G. Söderbaum* herausgegeben. Eine deutsche Bearbeitung verdankt +man *G. W. A. Kahlbaum* (Monographien aus der Geschichte der Chemie, +Heft 7). Seine wissenschaftlichen Arbeiten hat *Berzelius* in der +Selbstbiographie allerdings nur gelegentlich erwähnt. Etwas eingehender +kommt er auf die Untersuchungen über die bestimmten Proportionen zu +sprechen. Dies geschieht unter besonderer Anerkennung der Verdienste +*Richters* (siehe S. 176 u. f. dieses Bandes). + +[296] Einen wichtigen Einblick in die Geschichte der neueren Chemie +gewährt auch der Briefwechsel von *F. Wöhler* und *J. Berzelius*. +Herausgegeben von O. Wallach, Leipzig. Verlag von Wilhelm Engelmann, +1901. 2 Bände. Dieser Briefwechsel umfaßt den für die Entwicklung der +Chemie hochwichtigen Zeitraum von 1824 bis 1848. Die Briefe enthalten +zwar viel Persönliches, sie bieten aber auch zahlreiche Aufschlüsse +über die Vorgeschichte wichtiger Entdeckungen, sowie über die +Gedankengänge und die Arbeitsweise der beiden großen Forscher. Näheres +darüber siehe im 4. Bande dieses Werkes bei *Wöhler*. + +[297] Dieser für die genauere Kenntnis der Entwicklung, welche die +neuere Chemie genommen, sehr wertvolle »Briefwechsel« wurde im Auftrage +der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen von *O. +Wallach* in zwei umfangreichen Bänden herausgegeben. + +[298] *Berzelius*, Lehrbuch der Chemie, Bd. III, 1161. 5. Aufl. + +[299] Die heute geltenden Zahlen sind in Klammern beigefügt. + +[300] Es bildet sich salpetersaures Blei, dessen Zusammensetzung durch +die Formel Pb(NO_{3})_{2} wiedergegeben wird. + +[301] Das salpetersaure Blei zerfällt beim Erhitzen in Bleioxyd, +Sauerstoff und Stickstofftetroxyd: Pb(NO_{3})_{2} = PbO + N_{2}O_{4} + +O. + +[302] Das braune Oxyd oder Bleisuperoxyd ist nach der Formel PbO_{2} +zusammengesetzt; es bildet sich durch Behandeln von Mennige mit +Salpetersäure: Pb_{3}O_{4} + 4 HNO_{3} = 2 Pb(NO_{3})_{2} + PbO_{2} + +2 H_{2}O. Die Mennige läßt sich als eine Verbindung von Bleioxyd und +Bleisuperoxyd auffassen: Pb_{3}O_{4} = 2 PbO . Pb_O{2}. + +[303] Daher lauten die entsprechenden Formeln für das gelbe und das +braune Oxyd PbO und PbO_{2}. Mennige besitzt eine etwas schwankende +Zusammensetzung. Die Formel Pb_{3}O_{4}, die man der Mennige beilegt, +würde auf 100 Teile Blei nur 10,3 Teile Sauerstoff ergeben. + +[304] Siehe S. 176 u. f. dieses Bandes. + +[305] So verhalten sich in den salpetersauren Salzen diese Mengen wie +1 : 5. Die ältere Schreibweise ihrer Formeln macht dies Verhältnis +sofort ersichtlich: K_{2}O . N_{2}O_{5}; Na_{2}O . N_{2}O_{5}; +CuO . N_{2}O_{5}; CaO . N_{2}O_{5}. + +[306] Siehe Abschnitt 2 dieses Bandes. + +[307] *Johann Georg Sulzer* (1720-1779), Professor der Mathematik am +Joachimsthalschen Gymnasium in Berlin. + +[308] *Sulzer*, Theorie der angenehmen und unangenehmen +Geschmacksempfindungen. Berlin 1762. (Zuerst in den Mém. de Berlin +1751/52.) + +[309] *Ostwalds* Klassiker Nr. 52, S. 4. + +[310] In einem von *Alibert*, dem Biographen *Galvanis* (*Alibert*, +Éloge de *Galvani*, Paris, 1806) mitgeteilten Sonett lautet die +zweite Strophe in der von *Emil du Bois Reymond* herrührenden +Übersetzung: + + War sie es nicht, die neue Lebenstriebe + In hautentblößter Frösche Gliedern fand, + Wenn hier der Nerven wunderbar Getriebe, + Dort funkensprüh'nden Leiter traf die Hand? + + + +[311] *Galvanis* Schrift führt den Titel: De viribus electricitatis +in motu musculari commentatio. 1791. Sie erschien neuerdings unter +dem Titel: Abhandlung über die Kräfte der Elektrizität bei der +Muskelbewegung, herausgegeben von *A. J. v. Oettingen*, als 52. Band +von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften. Leipzig, Verlag +von Wilhelm Engelmann, 1894. + +[312] *E. du Bois-Reymond*, Untersuchungen über tierische Elektrizität. +Berlin 1848. Bd. I. S. 50. + +[313] *Volta*, Del modo di rendere sensibilissima la più debole +elettricità sia artificiale, sia naturale. 1784. + +*Voltas* sämtliche Werke erschienen unter dem Titel: Collezioni dell' +Opere del Cavalieri Conte Allessandro Volta, Patrizio Comasco. Firenze +1816, in drei Bänden und fünf Teilen herausgegeben von V. Antinori. + +[314] Siehe S. 189 dieses Bandes. + +[315] *Alessandro Volta*, Briefe über tierische Elektrizität. +1792-1795. Als 114. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten +Wissenschaften in deutscher Übersetzung herausgegeben von A. J. von +Öttingen. S. 101. + +[316] *Ostwalds* Klassiker Nr. 114, S. 99. + +[317] *Ostwalds* Klassiker Nr. 114, S. 104. + +[318] *Ostwalds* Klassiker Nr. 114, S. 107. + +[319] Abhandlungen der schwed. Akademie der Wissenschaften. 29, 1777. + +[320] Siehe S. 10 dieses Bandes. + +[321] Phil. Transact. 1782, S. 242. + +[322] In *Voltas* dritten Brief an *Gren* vom Jahre 1797. + +[323] *Ostwalds* Klassiker Nr. 118, S. 54 u. f. + +[324] *Volta*, Gilberts Annalen, Bd. X, S. 443. + +[325] *Ostwalds* Klassiker Nr. 118, S. 4. + +[326] In einem an *Banks*, den Präsidenten der Royal Society, +gerichteten Brief vom 20. März jenes Jahres. Dieser Brief wurde in den +Philosophical Transactions, 1800, S. 403 veröffentlicht. + +[327] Brief an *Banks*, Philosophical Transactions, 1800, S. 403. + +Der berühmte Brief an *Banks* wurde mit einigen anderen bis zum Jahre +1796 zurückreichenden Schriften *Voltas* als 118. Band von *Ostwalds* +Klassikern in deutscher Übersetzung durch *A. J. v. Oettingen* +herausgegeben. Leipzig, W. Engelmann. 1900. + +[328] Bericht an die mathematisch-physikalische Klasse des +französischen Nationalinstituts über *Voltas* galvanische Versuche. +Siehe *Gilberts* Annalen X, 1802, S. 389 ff. Ein Auszug des von *Volta* +in Paris gehaltenen Vortrags in deutscher Übersetzung findet sich +gleichfalls in *Gilberts* Annalen. Bd. X, S. 421. + +[329] *Gilberts* Annalen VIII, S. 390. + +[330] *Gilberts* Annalen XI, S. 132. + +[331] *Gilberts* Annalen IX, S. 385. + +[332] *Gilberts* Annalen XIX, S. 45. + +[333] *Johann Wilhelm Ritter* (1776-1810) lebte als Privatgelehrter +in Gotha und Weimar. Im Jahre 1804 wurde *Ritter* an die bayerische +Akademie nach München berufen. *Ritter* war einer der ersten Forscher +auf dem Gebiete der galvanischen Elektrizität. + +[334] *Gilberts* Annalen XIX, 1805, S. 22. + +[335] *Gilberts* Annalen XXIII. S. 25. + +[336] *Rieß*, Die Lehre von der Reibungselektrizität. Bd. I, S. 18. +Berlin 1853. + +[337] *Zamboni*, Della pila elettrica a secco. Verona 1812. Siehe +auch *Schweiggers* Journal für Chemie und Physik. X. S. 129. + +[338] *Paul Erman* (1764-1851) war Professor der Physik in Berlin +und veröffentlichte zahlreiche Arbeiten aus dem Gebiet der +Elektrizitätslehre. + +[339] *Voigts* Magazin f. d. Neueste. Bd. 4. 1802. S. 832. + +[340] *Gilberts* Annalen, XIX, S. 490. + +[341] *Fischer*, Gesch. VIII, 649. + +[342] *Fischer*, VIII, 654. + +[343] *Anthony Carlisle* (1768-1840), Professor der Anatomie in London. + +[344] *William Nicholson* (1753-1815), als Ingenieur und Schriftsteller +in London tätig, auch bekannt als Erfinder des Gewichtsaräometers. + +[345] *Gilberts* Annalen, 1800, VI, 340. + +[346] *Hoppe*, Gesch. d. Elektr. S. 137. + +[347] *Johann Wilhelm Ritter* (1776-1810) war Mitglied der bayerischen +Akademie der Wissenschaften. + +[348] *Gilbert*, Annalen der Physik, VI, 1800, S. 470. + +[349] Die wissenschaftlichen Abhandlungen *Davys* wurden von seinem +Bruder gesammelt und in 10 Bänden herausgegeben: The collected works +of Sir Humphry Davy edited by his brother John Davy. London 1839-1841. + +[350] Die Pneumatic Institution des Dr. *Beddoes*. + +[351] Siehe *E. Cohen*, Das Lachgas. Eine chemisch-kulturhistorische +Skizze. Leipzig, W. Engelmann. 1907. + +[352] Die Abhandlung wurde 1893 unter dem Titel »Über einige chemische +Wirkungen der Elektrizität« im 45. Bande von *Ostwalds* Klassikern der +exakten Wissenschaften herausgegeben. Leipzig, Verlag von W. Engelmann. + +[353] *Ostwalds* Klassiker Nr. 45. S. 12. + +[354] Ann. de Chimie 58, 54. 1806. + +[355] *Davy*, On some new Phenomena of chemical changes produced by +electricity, particularly the decomposition of the fixed alkalies. Die +Abhandlung wurde 1893 unter dem Titel »Elektrochemische Untersuchungen +von *Humphry Davy*« als 45. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten +Wissenschaften herausgegeben. Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann. + +[356] Aus diesem Grunde fand das Natrium Verwendung, um absoluten +Alkohol zu bereiten, d. h. dem Alkohol die letzten Spuren Wasser zu +entziehen. + +[357] Unter dem Namen alkalische Erden werden die Oxyde der Metalle +Calcium, Strontium und Barium (CaO, SrO, BaO) zusammengefaßt. Diese +Oxyde wurden früher als Kalk, Strontian und Baryt bezeichnet. + +[358] Magnesia, Tonerde, Kieselerde sind die Oxyde von Magnesium, +Aluminium und Silicium (MgO, Al_{2}O_{3}, SiO_{2}). + +[359] Barium, Strontium, Calcium und Magnesium wurden bald darauf von +*Davy* selbst isoliert. Silicium wurde zuerst von *Berzelius* 1823 +hergestellt. Die Abscheidung des Aluminiums aus der Tonerde gelang +*Wöhler* im Jahre 1827. + +[360] *Ostwalds* Klassiker Nr. 45, S. 44. + +[361] *Ostwalds* Klassiker Nr. 45, S. 37. + +[362] *Ostwalds* Klassiker Nr. 45, S. 91, sowie auch *Ostwalds* +Geschichte der Elektrochemie. S. 992 u. f. + +[363] Phil. Transact. v. 1821. + +[364] Eine mit Kalium gefüllte Büchse wurde mit dem Rettungsgürtel +verbunden. Das Kalium entzündete sich, sobald es mit dem Wasser in +Berührung kam. + +[365] Intimeres aus dem Leben *Davys* enthält die Skizze über +*Berzelius* und *Davy*, welche *Kahlbaum* im III. Bande der +Mitteilungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften +veröffentlichte. 1904. S. 277 u. f. + +[366] *Gilberts* Annalen 1822, LXXI, S. 244. + +[367] *Dannemann*, Aus der Werkstatt großer Forscher, 1908, S. 280. + +[368] *Ostwalds* Klassiker der exakten Wissenschaften Nr. 63. +Herausgegeben von *J. A. v. Oettingen*. Leipzig. Verlag von Wilh. +Engelmann 1895. + +Die Abhandlung *H. C. Oersteds* erschien im Jahre 1820 unter dem Titel +»Experimenta circa effectum conflictus electrici in acum magneticam«. +Sie wurde von *Gilbert* übersetzt und in seinen Annalen (Bd. LXVI) +veröffentlicht. Diese Übersetzung wurde mit geringen stilistischen +Änderungen und wesentlich gekürzt der Neuausgabe zugrunde gelegt. + +[369] *Ostwalds* Klassiker Nr. 63, S. 9 u. f. + +[370] Man muß sich die Stahlbänder senkrecht zur Ebene der Zeichnung +verlaufend vorstellen. + +[371] *J. J. Rousseaus* Briefe über die Anfangsgründe der Botanik. Sie +fesselten auch *Goethe* in hohem Grade und erschienen in deutscher +Übersetzung (M. Möbius) in Leipzig bei J. A. Barth. 1903. + +[372] Annales de Chimie et de Physique XV, 1820, S. 59 u. 170. + +[373] Annales XV, S. 67: Si l'on se place par la pensée dans la +direction du courant, de manière qu'il soit dirigé des pieds à la tête +de l'observateur, et que celuici ait la face tournée vers l'aiguille; +c'est constamment à sa gauche que l'action du courant écartera de sa +position ordinaire celle des ses extrémités qui se dirige vers le nord. + +[374] Übersetzt herausgegeben im Jahre 1822 bei Leopold Voß in Leipzig. + +[375] *Ampère* und *Babinet*. Tafel I, Fig. 3. + +[376] *Ampère* und *Babinet*. Tafel I, Fig. 2. + +[377] *Ampère* und *Babinet*. Tafel I. Fig. 12. + +[378] *Ampère*, Annales de chimie et phys. XV. S. 188 ff. + +[379] Siehe *Heller*, Gesch. d. Phys. II, S. 609. + +[380] *Heller*, Geschichte der Physik II, S. 609. + +[381] *Ampère*, Mémoire sur la théorie mathématique des phénomènes +électrodynamiques uniquement déduite de l'expérience. Ann. de Chimie et +de Phys. Bd. 20, S. 60. + +[382] *Wüllner*, Lehrb. d. Experim. Physik. IV, S. 673 u. f. + +[383] *Ampère* und *Babinet*. Tafel II, Fig. 29. + +[384] *Ampère* und *Babinet*. Tafel II, Fig. 14. + +[385] Ann. de Chimie et de Phys. Bd. 18, 1821, S. 320-322. + +[386] *Ampère* und *Babinet*. 1822. S. 115. + +[387] Siehe S. 1 dieses Bandes. + +[388] Annales de Chimie et de Physique XV. S. 93 u 110. + +[389] Annales de Chimie et de Physique. Bd. 27, 1824, S. 363. + +[390] Siehe an späterer Stelle. + +[391] *Thomas Johann Seebeck* wurde 1770 in Reval geboren. Er wurde +1818 Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Berlin und starb dort +1831. + +[392] *Th. J. Seebeck*, Magnetische Polarisation der Metalle und Erze +durch Temperaturdifferenz. Siehe *Ostwalds* Klassiker der exakten +Wissenschaften Nr. 70, S. 8 u. f. Die Abhandlung erschien zuerst in den +Berichten der Berliner Akademie der Wissenschaften von 1822/23. Die +Entdeckung der Thermoelektrizität erfolgte 1822. + +[393] *Nobili*, Sur un nouveau galvanomètre (Bibl. univ. XXV. 1824.) +*Leopoldo Nobili* wurde 1781 in der Nähe von Reggio geboren. Er war +Professor der Physik am großherzoglichen Museum in Florenz und starb +dort 1835. + +[394] *Melloni*, La Thermochrôse ou la coloration calorifique. Neapel +1850. *Macedonio Melloni* wurde 1798 in Parma geboren. Er war dort +Professor der Physik. Später lebte er in Paris; zuletzt leitete er das +Observatorium auf dem Vesuv. *Melloni* starb im Jahre 1854. + +[395] *Humboldt*, Kosmos. Bd. I. Abschn. 3. + +[396] Zu Beaumont en Auge. + +[397] Siehe S. 361 des II. Bandes dieses Werkes. + +[398] Laut Gesetz vom Jahre 1842. *Laplace*, Oeuvres complètes. 7 +Bde. 1843-1848. + +[399] *Wolf*, Geschichte der Astronomie. S. 510. + +[400] Eine ausführliche Darstellung der Entwicklung der +Gravitationsmechanik von *Newton* bis *Laplace* enthält das Werk von +*Todhunter*, A history of the mathematical theories of attraction +and the figure of the earth from the time of *Newton* to that of +*Laplace*. London, Macmillan and Co. + +[401] Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels oder +Versuch von der Verfassung und dem mechanischen Ursprunge des +ganzen Weltgebäudes, nach *Newton*schen Grundsätzen abgehandelt von +*Immanuel Kant*. Als 12. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten +Wissenschaften herausgegeben von *A. J. von Oettingen*. 2. Aufl. +Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann, 1898. + +[402] *Thomas Wright*, Theory of the Universe. London 1750. *Wrights* +Bedeutung wurde neuerdings durch *Jacobi* gewürdigt. (*Max Jacobi*, +Ein Vorläufer der *Kant-Laplace*schen Theorie von der Weltentstehung. +Preußische Jahrbücher, Bd. 117, 2. Heft). + +Der genauere Titel der Schrift von *Wright* lautet: An Original Theory +or New Hypothesis of the Universe founded upon the laws of Nature. +*Kant* hatte von dem Buche *Wrights* durch eine Besprechung in einer +deutschen Zeitschrift Kenntnis erhalten. + +*Wright* wurde 1711 geboren. Er nahm an der Expedition teil, welche die +Royal Society im Jahre 1769 zur Beobachtung des Venusdurchganges nach +Kanada sandte. *Wright* starb im Jahre 1786. + +[403] Siehe Bd. II, S. 394. + +[404] *Ostwalds* Klassiker Nr. 12, S. 41 u. f. + +[405] *Ostwalds* Klassiker Nr. 12, S. 53 u. f. + +[406] *Ostwalds* Klassiker Nr. 12, S. 38. + +[407] *G. H. Darwin*, On the tidal friction of a planet attended by +several satellites. Phil. Trans. London, 1881. II. p. 491 f. + +[408] *H. v. Helmholtz* (Vorträge II, S. 84). + +[409] *Piazzi* wurde 1746 geboren. Er erbaute und leitete die +Sternwarte in Palermo und starb 1826 in Neapel. + +[410] *Karoline Herschels* Memoiren und Briefwechsel. Deutsch von +*Scheibe*. Berlin 1877. + +[411] Im Jahre 1757. + +[412] *Smith*, Harmonics. + +[413] In einem Brief vom 15. Februar 1783, abgedruckt im Göttinger +Magazin der Wissenschaften und Literatur. III, 584. + +[414] *Herschel*, On the remarkable appearances at the polar regions of +the Planet Mars. 1784. + +[415] Nach seiner Angabe beträgt die Rotationszeit des Saturn 10 +Stunden 29 Minuten. + +[416] Philosoph. Transactions 1795, II. Tab. XXIV. + +[417] *Herschel*, On the proper motion of the Sun and the Solar +System. 1783. + +[418] Siehe S. 246 dieses Bandes. + +[419] *Herschel*, On the construction of the heavens. Phil. Trans. +1784. Eine Übersetzung mit einem nach *Kants* Durchsicht hergestellten +Auszug aus *Kants* Naturgeschichte des Himmels erschien 1791. + +[420] *Messier* in den Abhandlungen der Pariser Akademie der +Wissenschaften vom Jahre 1771. S. 435. Catalogue des nébuleuses et des +amas d'étoiles, observées à Paris par *M. Messier*. + +[421] *W. Herschel*, Über den Bau des Himmels; übersetzt von *J. W. +Pfaff*. Leipzig 1850. Taf. I, Fig. 2. (Nr. 53 des Verzeichnisses von +*Messier*.) + +[422] 1834-1838. + +[423] *W. Herschel*, Über den Bau des Himmels. Taf. II, Fig. 16. + +[424] *Kosmos*, Bd. I, Abschn. 3. + +[425] *Holden*, *Wilhelm Herschel*, Sein Leben und seine Werke. +Übersetzt von *Valentiner*. Berlin 1882. + +[426] A. a. O. S. 214. + +[427] Über den Ursprung der von *Pallas* gefundenen und anderer ihr +ähnlichen Eisenmassen und über einige damit in Verbindung stehende +Naturerscheinungen von *Chladni*. Riga 1794. + +[428] *Dannemann*, Aus der Werkstatt großer Forscher, 1908. S. 169. + +[429] Ein großes Stück des Pallaseisens befindet sich in den +Königlichen Sammlungen zu Berlin. + +[430] Von dieser gibt *Halley* Nachricht; Philosophical transactions, +n. 360. S. 978. + +[431] Von der in der Histoire de l'académie des sciences, 1761, S. 28 +Nachricht gegeben wurde. + +[432] Wie in den Mémoires de l'académie de Dijon, Bd. I. S. 42 +erzählt wird. + +[433] *Silberschlag* (1721-1791), Oberbaurat und Mitglied der +Akademie in Berlin, nahm an, daß diese Feuerkugel aus den Dünsten der +zahlreichen Leichen entstanden sei, die im Sommer des Jahres 1762 die +Schlachtfelder bedeckten. (!!) + +[434] Diese Vermutung *Chladnis* ist später durch die +spektralanalytische Untersuchung der Gestirne bestätigt worden. + +[435] Neuere Untersuchungen haben zu dem Ergebnis geführt, daß sich +zahlreiche Elemente, die sämtlich auch an der Zusammensetzung der +Erde beteiligt sind, als Bestandteile der Meteoriten nachweisen +lassen. Die Annahme *Chladnis*, daß das Universum im wesentlichen +überall die gleiche chemische Zusammensetzung hat, steht auch mit der +*Kant*-*Laplace*schen Hypothese im Einklang und hat durch die moderne +Astrophysik ihre Bestätigung gefunden. + +[436] *Gilberts* Annalen 15,74 und 16,44, 70. + +[437] *Bieberstein*, 1802. + +[438] *Howard*, 1802. + +[439] *G. Rose*, Abhandlungen der Berliner Akademie der Wissenschaften +1863. S. 33. + +[440] *Johann Friedrich Benzenberg*, 1777-1846. + +[441] *Heinrich Wilhelm Brandes*, 1777-1834. + +[442] *Benzenberg* und *Brandes*, Versuch, die Entfernung, die +Geschwindigkeit und die Bahnen der Sternschnuppen zu bestimmen, 1800. + +[443] Siehe Band II S. 80. + +[444] *J. Bapt. Guglielmini* de diurno terrae motu experimentis +physico-mathematicis confirmato. Bologna 1792. + +[445] Versuche über das Gesetz des Falles. Dortmund 1804. + +[446] Von *Reich* in einem Schacht bei Freiberg. + +[447] Zu den ersten Physikern, welche die Wärme ohne die Annahme eines +besonderen Stoffes zu erklären suchten, gehörte *Daniel Bernoulli I*. +(Siehe *Bernoullis* im Jahre 1716 erschienene Schrift: Phoronomia +sive de Viribus et Motibus corporum solidorum et fluidorum). Man hat +*Bernoulli* auf Grund der von ihm entwickelten Ansichten als einen der +Begründer der kinetischen Gastheorie hingestellt (*Rühlmann*, Handbuch +der mechanischen Wärmetheorie. Bd. I. 1876. S. 72). + +Dieselbe Ansicht von der Natur der Wärme entwickelte ein Jahrzehnt +später der große *Euler* in einer in den Abhandlungen der Petersburger +Akademie vom Jahre 1727 erschienenen Arbeit »Tentamen explicationis +phaenomenorum aeris«. + +Soweit es sich um bloße Andeutungen handelt, läßt sich die mechanische +Wärmetheorie bis auf *Bacon* und auf *Hooke* (Micrography, London +1667. S. 12) zurückverfolgen. + +[448] Sein eigentlicher Name ist *Benjamin Thompson*. + +[449] Philosophical Transactions. 1799. + +[450] Philosophical Transactions. 25. I. 1798. + +[451] *Rumford*, Untersuchung der durch Friktion hervorgebrachten +Wärme, vorgelesen in der Königl. Sozietät der Wissenschaften, den 25. +Januar 1798. + +[452] In den »Contributions to phys. and medic. knowledge« collect. by +Beddoes. 1799. + +[453] Der Versuch wurde von *Davy* in der Weise angestellt, daß +zwei Eisstücke unter einer luftleeren Glasglocke bei einer unter +dem Gefrierpunkte liegenden Temperatur vermittelst eines Uhrwerkes +aneinander gerieben wurden. + +[454] *Erasmus Darwin* (der Großvater von *Charles Darwin*), Frigoric +experiments on the mechanical expansion of air. Phil. Trans. 1788. + +[455] *J. Dalton*, Experiments and Observations on the Heat and Cold +produced by the mechanical condensation and rarefaction of air. Manch. +Soc. V, p. II (1802). + +[456] Ein Arbeiter einer Gewehrfabrik soll diese Entdeckung bei +Versuchen mit der Windbüchse gemacht haben. *Rosenberger*, Geschichte +der Physik Bd. III. S. 224. + +[457] Siehe S. 266 dieses Bandes. + +[458] Mém. de la Société d'Arcueil I, 180 (1807). + +[459] *Mach*, Prinzipien der Wärmelehre, S. 210. + +[460] *Scheele*, Chemische Abhandlung von der Luft und dem Feuer. +(*Ostwalds* Klassiker, Nr. 58, S. 54). + +[461] Durch *Ritter*. Siehe *Gilberts* Annalen VII, 1801. S. 525. + +[462] Philosoph. Transact. 1802. + +[463] *William Hyde Wollaston* wurde 1766 geboren. Er war Mitglied +der Royal Society und starb 1828 in London. *Wollaston* entdeckte +das Rhodium und das Palladium. Seine Erfindung, Platin zu schmieden, +brachte ihm so reiche Mittel ein, daß er davon als Privatmann leben +konnte. + +[464] *Thomas Young* wurde 1773 geboren. Er wirkte als Professor +der Physik an der Royal Institution in London und war Mitglied +der Royal Society. *Young* starb 1829 in London. Er gehörte zu +den vielseitigsten Menschen, die je gelebt haben. *Young* war Arzt, +Philosoph, Mathematiker, Physiker, Archäologe und gleichzeitig ein +Weltmann, der in den vornehmsten Kreisen Londons einen Ruf als Reiter, +Musiker und Maler genoß. Derselbe *Young*, der auf den Gebieten der +Physik und der Physiologie so Hervorragendes leistete, gehörte zu den +ersten Archäologen, denen die Enträtselung der Hieroglyphen gelang. + +[465] Philos. Transact. 1804. S. 1. + +[466] *Young*, On the theory of light and colours. Phil. Transact. +1802. Seite 12. + +[467] *Helmholtz*, Handbuch der physiologischen Optik. Leipzig 1876. S. +291 u. f. + +[468] *Newton*, Optice. Lib. III. Quaestio XXVI: Annon radiorum +luminis diversa sunt latera, diversis proprietatibus congenitis +praedita? + +[469] *Étienne Louis Malus* wurde 1775 in Paris geboren. Er +besuchte dort die Schule für Militäringenieure und später die +École polytechnique, wo *Monge* auf ihn aufmerksam wurde. (Über +*Monge* s. S. 120 u. f.). Schon damals wandte sich *Malus* optischen +Untersuchungen zu. Seine wissenschaftliche Tätigkeit wurde durch den +Feldzug nach Ägypten und andere napoleonische Kriege unterbrochen. +Später wirkte *Malus* an der École polytechnique in Paris, wo er +schon im Jahre 1812 starb. + +[470] Sur une propriété de la lumière réfléchie par les corps +diaphanes. Gelesen 1808. Veröffentlicht in den Mémoires d'Arcueil +II. 143 (1809). + +[471] *Aragos* Werke. Bd. III. S. 117. + +[472] *Augustin Jean Fresnel* wurde 1788 in der Normandie geboren. +Er besuchte die École polytechnique zu Paris und starb dort 1827. +*Fresnel* wirkte an der École polytechnique und als Mitglied +einer Leuchtturmkommission. In dieser Stellung hat er sich um +die Verbesserung der Leuchtvorrichtungen sehr verdient gemacht +(*Fresnel*scher Prismenapparat). + +[473] *Fresnel*, Mémoire sur la diffraction de la lumière (Annales +chim.-phys. I. 1816 et XI, 1819). + +[474] Mémoire sur la loi des modifications, que la reflexion imprime à +la lumière polarisée. + +[475] Z. B. die von *Hamilton* abgeleitete und von *Lloyd* am Aragonit +nachgewiesene konische Refraktion. *Hamilton* in *Poggendorffs* Annalen +Bd. XXVIII. *Lloyd* ebenda. + +[476] *Foucault*, Sur les vitesses relatives de la lumière dans l'air +et dans l'eau (Annales chim. phys. XLI. 1854). + +[477] Siehe an späterer Stelle. + +[478] Betrachtungen über die bewegende Kraft des Feuers und die +zur Entwicklung dieser Kraft geeigneten Maschinen von *S. Carnot*. +Übersetzt und herausgegeben von *W. Ostwald*. *Ostwalds* Klassiker der +exakten Wissenschaften Nr. 37. Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann, +1892. Der Titel des Originals lautet: Réflexions sur la puissance +motrice du feu et sur les machines propres à développer cette puissance +par *S. Carnot*. Paris 1824. + +[479] Dieser wurde samt der Abhandlung im Jahre 1878 von *Carnots* +Bruder herausgegeben (Paris, Gauthier Villars). + +[480] *Mach*, Prinzipien der Wärmelehre. S. 215. + +[481] *Mach*, S. 218. + +[482] Siehe S. 52 dieses Bandes. + +[483] *Gilberts* Annalen VII. 1801. S. 137. + +[484] Philos. Transact. 27. III. 1800, S. 255. Investigation of the +Powers of the prismatic Colours to heat and illuminate Objects. + +[485] Philos. Trans. 24. IV. 1800, S. 284. Experiments on the +Refrangibility of the invisible Rays of the Sun. + +[486] *St. Léonard* in Limousin. + +[487] *Aragos* Werke, Bd. III. S. 14. + +[488] Siehe S. 140 dieses Bandes. + +[489] Annales de chimie IX. 1791. S. 239. + +[490] Journal de Physique, 60. S. 129-158. Neuerdings veröffentlicht +im 42. Bande von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften. +Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann, 1893. + +[491] Recherche sur la dilatation des gases et des vapeurs (Ann. chim. +et phys. XLIII, 1802). Die Abhandlung wurde neuerdings im 44. Bande +von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften in deutscher +Übersetzung herausgegeben. + +[492] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 44, S. 24. + +[493] Siehe Bd. IV dieses Werkes. + +[494] Daß Sauerstoff löslicher ist als Stickstoff, wußte schon +*Scheele*. Siehe S. 147. + +[495] NH_{3} + HCl = NH_{4}Cl (Salmiak). + +[496] SO_{2} + O = SO_{3}. + +[497] Mémoire sur la combinaison des substances gazeuses, les +unes avec les autres (Mém. de la société d'Arcueil, 1809). In der +Übersetzung herausgegeben in *Ostwalds* Klassikern der exakten +Wissenschaften, Bd. 42. Leipzig, Engelmann, 1893. + +[498] CO + O = CO_{2}. + +[499] Sie besagt, daß die Volumeinheit aller Gase bei gleichem Druck +und gleicher Temperatur dieselbe Anzahl von Molekülen enthält. Siehe +*Avogadros* Abhandlung vom Jahre 1811 in *Ostwalds* Klassikern der +exakten Wissenschaften. Bd. 8. Wilhelm Engelmann, Leipzig, 1889. + +[500] *Kopp*, Gesch. d. Chemie IV. S. 13. + +[501] Näheres hierüber siehe *Kopp*, Gesch. d. Chemie IV. S. 13. + +[502] HCl, HJ, H_{2}S. + +[503] HClO_{3} und HJO_{3}, deren Säureanhydride Cl_{2}O_{5} und +J_{2}O_{5} sind. + +[504] Näheres siehe im IV. Bande dieses Werkes. + +[505] Siehe S. 173 dieses Bandes. + +[506] *Ostwalds* Klassiker Nr. 4. S. 9. + +[507] *Gay-Lussac*, Recherches sur l'acide prussique. Annales de +chim. 1815. S. 136-231. + +[508] *Liebig*, Handbuch der organischen Chemie. S. 1. + +[509] Siehe S. 164 dieses Bandes. + +[510] *Aragos* Werke. Bd. III. S. 57. + +[511] *William Henry*, geboren 1775 zu Manchester; gestorben 1836. + +[512] Philos. Transact. 1803 und *Gilberts* Annalen XX. S. 147. + +[513] Im 3. Bande von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften +herausgegeben von *W. Ostwald*. Leipzig, Verlag von W. Engelmann, 1889. + +[514] Siehe S. 180 dieses Bandes. + +[515] Siehe hierüber S. 173 dieses Bandes. + +[516] Die betreffende Abhandlung von *Gauß* wurde im 14. Bande von +*Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften von *E. Netto* in +deutscher Übersetzung herausgegeben. Siehe dort S. 3-36. *Gauß* kam auf +denselben Gegenstand noch dreimal zurück. Sämtliche 4 Arbeiten finden +sich im 14. Bd. der Klassiker vereinigt. Leipzig, W. Engelmann, 1900. + +[517] Erster und zweiter Beweis der Fundamentaltheorien über +quadratische Reste. Im 122. Bande von *Ostwalds* Klassikern der exakten +Wissenschaften herausgegeben von *Eugen Netto*. Leipzig, W. Engelmann, +1901. + +[518] *Zachs* astronomische Korrespondenz. + +[519] *Gauß* Werke, Bd. VI. S. 65. + +[520] Sie rührt von *Hasse* her und ist in Hannover erschienen. In +der Übersetzung lautet der Titel des *Gauß*schen Werkes: Theorie +der Bewegung derjenigen Himmelskörper, die sich um die Sonne in +Kegelschnitten bewegen. + +[521] *Légendre*, Nouvelles méthodes pour la détermination des orbites +des comètes. + +[522] Theoria combinationis observationum erroribus minimis obnoxiae. +1821. + +[523] Nr. 159 und 270. + +[524] *C. G. J. Jacobi*, Über die Bildung und die Eigenschaften der +Determinanten und über die Funktionaldeterminanten. Beide Abhandlungen +erschienen 1841 im *Crelle*schen Journal. Sie wurden 1896 als 77. und +78. Bd. von *Ostwalds* Klassikern durch *P. Stäckel* mit Anmerkungen +herausgegeben. + +[525] *Laplace*, Théorie capillaire im Anhang zum 10. Buche der +Mécanique céleste. Siehe auch *Gilberts* Annalen XXXIII. + +[526] *C. F. Gauß*, Allgemeine Grundlagen einer Theorie der Gestalt +von Flüssigkeiten im Zustande des Gleichgewichts, 1830. In deutscher +Übersetzung herausgegeben von *H. Weber* als 135. Band von *Ostwalds* +Klassikern. Leipzig, W. Engelmann, 1903. + +[527] Eine vortreffliche Geschichte der Attraktionstheorie rührt von +*J. Todhunter* her. Siehe Anm. 1 auf S. 244 dieses Bandes. + +[528] Mém. de Berlin. 1777. S. 155. + +[529] Mémoires de l'académie roy. de Paris 1782. S. 113-196. Die +Abhandlung wurde teilweise in der Mécanique céleste aufgenommen. +Dieser Abschnitt der Mécanique céleste erschien in deutscher +Übersetzung im 19. Bande von *Ostwalds* Klassikern. Leipzig, W. +Engelmann, 1890. + +[530] *G. Green*, Ein Versuch, die mathematische Analysis auf die +Theorien der Elektrizität und des Magnetismus anzuwenden. In deutscher +Übersetzung und mit Erläuterungen herausgegeben von *Wangerin* und *v. +Oettingen*. *Ostwalds* Klassiker Nr. 61. Leipzig, W. Engelmann, 1895. + +[531] Für Kräfte, die nicht nach dem *Newton*schen Gesetze wirken, hat +man später den Ausdruck Kräftefunktion eingeführt. + +[532] Der wichtigste dieser Sätze, der noch heute bei der Anwendung +der Potentialtheorie eine große Rolle spielt, wird der »Satz von +*Green*« genannt. Er findet sich im dritten Abschnitt seiner Abhandlung +entwickelt (*Ostwalds* Klassiker, Bd. 61, S. 24-28) und betrifft den +Fall, daß U und V zwei Funktionen von x, y, z bedeuten, deren Werte für +jeden Punkt im Innern eines Raumes als gegeben angesehen werden können. + +Der von *Green* für diesen Fall entdeckte Satz lautet unter der +Annahme, daß die Funktionen von U und V, sowie die ersten Derivierten +von U und V im Innern des betreffenden Raumes endlich und stetig +variabel sind: + + ∭dx · dy · dz · U · δV + ∫dσ · U(dV/dw) = + + ∭dx · dy · dz · VδU + ∫dσ · V(dU/dw) + +dV und dU sind die bekannten Abkürzungen für den Ausdruck in der +*Laplace*schen Gleichung, dσ ein Oberflächenelement und dw ein +Linienelement senkrecht zu dσ und nach dem Innern des Körpers gemessen. +Näheres siehe auch *Riemann*-*Hattendorff*, Schwere, Elektrizität und +Magnetismus § 20. + +[533] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 61, S. 45. + +[534] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 61, S. 48. + +[535] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 61, S. 62. + +[536] *Grelles* Journal für Mathematik 1850. + +[537] Siehe Anmerkung auf S. 302 dieses Bandes. + +[538] *C. F. Gauß*, Allgemeine Lehrsätze in Beziehung auf die im +verkehrten Verhältnisse des Quadrates der Entfernung wirkenden +Anziehungs- und Abstoßungskräfte. Als 2. Band von *Ostwalds* Klassikern +der exakten Wissenschaften, herausgegeben von *A. Wangerin*. Leipzig, +Verlag von W. Engelmann, 1902. + +[539] *Gauß'* Werke Bd. V. S. 119. + +[540] *C. F. Gauß*, Die Intensität der erdmagnetischen Kraft auf +absolutes Maß zurückgeführt. 1832. Als 53. Band von *Ostwalds* +Klassikern der exakten Wissenschaften, herausgegeben von *E. Dorn*. +Leipzig, Verlag von W. Engelmann. 1894. + +[541] An Stelle dieser Einheiten traten später nach dem Beschlusse der +Pariser Konferenz vom Jahre 1881 das Zentimeter, das Gramm und die +Sekunde. + +[542] Siehe S. 306 dieses Bandes. + +[543] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 53, S. 27. + +[544] *Gauß* Werke. Bd. IV. S. 259. Göttingen 1873. + +[545] Siehe Band II, S. 395. + +[546] Die betreffendes Abhandlungen von *Lagrange* (1779) und *Gauß* +(1822) wurden durch *A. Wangerin* als 55. Band von *Ostwalds* +Klassikern der exakten Wissenschaften von neuem herausgegeben. Leipzig, +Verlag von W. Engelmann. 1894. + +[547] *C. F. Gauß*, Allgemeine Flächentheorie (1827). Deutsch +herausgegeben von *A. Wangerin* als 5. Band von *Ostwalds* Klassikern +der exakten Wissenschaften. Leipzig, W. Engelmann, 1889. + +[548] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 5, S. 29. + +[549] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 5, S. 30. + +[550] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 5, S. 36. + +[551] Dieses größte Dreieck, das gemessen wurde, besaß die Winkelpunkte +Brocken, Inselsberg, Hohenhagen. Die Entfernungen dieser Punkte +betragen 106702 m, 84957 m und 69195 m. Die Winkelsumme belief sich auf +180° 0' 14,85''. Der sphärische Exzeß betrug also 14,85''. + +Näheres über die trigonometrische Vermessung des Königreichs Hannover +enthält die Schrift »*C. F. Gauß*, Untersuchungen über Gegenstände der +höheren Geodäsie.« Sie wurde als 177. Band von *Ostwalds* Klassikern +neu herausgegeben von *S. Frischauf* (Leipzig, W. Engelmann, 1910). +Nicht die Resultate jener Messung, sondern der Allgemeinwert des +von *Gauß* dabei befolgten Weges rechtfertigt die Neuausgabe jener +Abhandlung. + +[552] Es ist nämlich α + γ = 90° = β + δ. Folglich ist α + β + γ + δ = +2 R. + +[553] *Sartorius von Waltershausen*, *Gauß* zum Gedächtnis. Leipzig +1856. S. 78. + +[554] Die wichtigsten Abhandlungen von *Gauß* sind in folgenden Nummern +von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften bei W. Engelmann +in Leipzig erschienen: 2, 5, 14, 19, 53, 55, 122, 135, 177. + +[555] *Kummer*. + +[556] Das graphische Verfahren zur übersichtlichen Darstellung +tellurischer Erscheinungen hat zuerst *Halley* angewandt, als er die +Orte gleicher Deklination verband. + +[557] Die betreffende Arbeit *Humboldts* erschien in den Mémoires +de la Société d'Arcueil unter dem Titel: Des lignes isothermes et +de la distribution de la chaleur sur le globe 1817. III. 462 u. f. +Siehe auch die Abhandlung vom Juli 1827 in den Berichten der Berliner +Akademie der Wissenschaften. + +[558] 1683-1811. + +[559] *Peschel*, Geschichte der Erdkunde 1865. S. 654. + +[560] *Buys-Ballot* 1851. + +[561] Siehe S. 307 dieses Bandes. + +[562] *Bruhns*, *Alexander von Humboldt*. I. S. 67. + +[563] *Bruhns*, I. S. 95. + +[564] *Bruhns*, I. S. 103. + +[565] *Humboldt*, Essai géognostique. Übersetzt von *Leonhardt*. 1823. + +[566] *Böttiger*, Literarische Zustände und Zeitgenossen. I. 22. + +[567] *A. v. Humboldt*, Versuche über die gereizte Nerven- und +Muskelfaser nebst Vermutungen über den chemischen Prozeß des Lebens in +der Tier- und Pflanzenwelt. 2 Bde. 1797-1799. + +Eine poesievolle Darstellung seiner Auffassung von der Lebenskraft gab +von *Humboldt* in Schillers Horen (1795) unter der Überschrift: Die +Lebenskraft oder der rhodische Genius. + +[568] In sehr bezeichnender Weise äußert sich diese Stimmung Goethes in +folgenden Versen: + + Basalt, der schwarze Teufelsmoor, + Aus tiefster Hölle bricht hervor, + Zerspaltet Fels, Gestein und Erden, + Omega muß zum Alpha werden: + Und so wär denn die liebe Welt + Geognostisch auf den Kopf gestellt. + + + +[569] Festrede bei der Humboldtfeier am 5. Aug. 1844. + +[570] Reise in die Äquinoktialgegenden des neuen Kontinents in den +Jahren 1799-1804. Eine deutsche Übersetzung des von *Bonpland* und *von +Humboldt* verfaßten Berichtes erschien 1818-1829 bei J. G. Cotta. + +[571] Nach der barometrischen Formel 18096 Pariser Fuß. + +[572] Von 1808-1826. + +[573] Von 1805-1834. Der Preis des ganzen Werkes betrug 9500 Franken. +Die Kosten der Reise, die *von Humboldt* aus eigenen Mitteln bestritten +hatte, beliefen sich auf etwa 100000 Mark. + +[574] Siehe S. 284, sowie *Ostwalds* Klassiker der exakten +Wissenschaften Nr. 42. + +[575] Eine genaue Inhaltsangabe des gesamten Werkes, dessen Herausgabe +den Rest des *Humboldt*schen Vermögens verschlang, enthält die große +von *Bruhns* im Verein mit *Dove*, *Peschel*, *Griesebach*, *Carus* +und anderen Gelehrten herausgegebene wissenschaftliche Biographie über +*Alexander von Humboldt*. 3 Bände, Brockhaus 1872. Manche Abschnitte +sind auch in deutscher Übersetzung erschienen, so die Reisebeschreibung +unter Mitwirkung *Humboldts* in 4 Bänden. (Stuttgart 1859-1860.) + +[576] Ein von dem russischen Finanzminister im Jahre 1827 gefordertes +Gutachten über die Verwendung des im Ural entdeckten Platins ist die +Veranlassung zu *Humboldts* asiatischer Reise gewesen. + +[577] Der Kosmos ist in elf fremde Sprachen übersetzt worden. + +[578] *Bruhns.* Bd. II. S. 357. + +[579] *Karl Ludwig Willdenow*, Berlin, 1765-1812. + +[580] Siehe S. 81 dieses Bandes. + +[581] Ideen, S. 2. + +[582] Ideen, S. 10. + +[583] Ideen, S. 21. + +[584] Ideen, S. 15. + +[585] Ideen, S. 17. + +[586] *Bruhns* (*Grisebach*) III. 248. + +[587] Rélation historique I. 600. + +[588] Naturgemälde der Tropenländer, S. 58-76. + +[589] Naturgemälde, S. 76. + +[590] *Bruhns*, III. 236. + +[591] Mineralogische Beobachtungen über einige Basalte am Rhein. 1790. + +[592] *Cordier*, 1815, Journ. Min. XXXVIII. + +[593] Annales de Chimie. 1823. + +[594] *Kosmos*, Bd. IV, S. 270. + +[595] *Bruhns*, III. S. 184. + +[596] Description of a reflective Goniometer. Philos. Transactions +1809. + +[597] *Hauy*, Essai d'une théorie sur la structure des cristaux. +Paris 1784. + +[598] Siehe auch *Hauy*, Exposition de la structure des cristaux in +den Annales de Chimie 1793 (17. Bd.) S. 225 u. f. + +Einige Jahre früher hatte *Hauy* die schwierigen +Kristallisationsverhältnisse, welche der Staurolith darbietet, genauer +beschrieben. Siehe Annales de Chimie. Bd. IV (1790). + +[599] *Bernhardi*, Über die Kristallisation des Arsenkieses. *Gehlens* +Journal für die Chemie und Physik. 1807. III. + +[600] *Martin Heinrich Klaproth* wurde 1743 in Wernigerode geboren. Er +erlernte die Pharmazie. Seit der Begründung der Berliner Universität +(1810) wirkte er dort als Professor der Chemie. *Klaproth* starb 1817 +in Berlin. + +[601] *Fuchs* in *Schweiggers* Journal vom Jahre 1815. + +[602] Die Metalle, die er in beide Säuren eintreten ließ, waren Kalium, +Natrium, Barium, Blei. + +[603] *Mitscherlich*, Über die Kristallisation der Salze. Abhandlungen +der Berliner Akademie 1818/19. *Mitscherlichs* im Jahre 1821 +veröffentlichte Untersuchung über das Verhältnis zwischen der +chemischen Zusammensetzung und der Kristallform arseniksaurer und +phosphorsaurer Salze erschien als 94. Band von *Ostwalds* Klassikern +der exakten Wissenschaften. Leipzig 1898. + +[604] *Ostwalds* Klassiker Nr. 94. S. 54. + +[605] Abhandlungen der Berliner Akademie 1822/23. S. 43 ff. + +[606] *G. Rose*, 1837. *Poggendorffs* Annalen XLII. + +[607] Abhandlungen der Berliner Akademie von 1822/23. + +[608] *A. W. Hofmann*, Ein Jahrhundert chemischer Forschung unter dem +Schirme der Hohenzollern. + +[609] *Péligot*, Annales chim. phys. V, 1842 und XII, 1844. + +[610] *Arago*, Mémoires de l'Institut de France. 1811. + +[611] *Michael Adanson* wurde 1727 in Aix geboren. Er war Mitglied der +Akademie der Wissenschaften in Paris und starb dort 1806. + +[612] Er stellte deren nicht weniger als 65 auf. + +[613] Geboren 1732 in Württemberg. *Gärtner* bekleidete ein Lehramt +in Tübingen und später in Petersburg. Seit 1770 lebte er wieder +in Württemberg, ganz mit der Abfassung seines wissenschaftlichen +Hauptwerkes beschäftigt. Letzteres erschien 1788-1791 unter dem Titel: +De fructibus et seminibus plantarum. *Gärtner* starb im Jahre 1791. + +[614] Nur hin und wieder griff *Gärtner* auf die früheren +Formverhältnisse zurück. + +[615] Unter diesem Titel wurde das epochemachende Buch ins Deutsche +übersetzt (durch Dr. *Römer*, Zürich 1815). Der vollständige Titel des +Originales lautet: Théorie élémentaire de la botanique ou exposition +des principes de la classification naturelle et de l'art d'écrire et +d'étudier les végétaux, Paris 1813. + +[616] Organographie végétale, Paris 1827. 2 Bände. Eine deutsche +Bearbeitung gab *C. F. Meisner* 1828 heraus. Ihr Titel lautet: +Organographie der Gewächse oder kritische Beschreibung der +Pflanzenorgane. Eine Fortsetzung und Entwicklung der Anfangsgründe der +Botanik und Einleitung zur Pflanzenphysiologie und der Beschreibung der +Familien. + +[617] *Sachs*, in seiner Geschichte der Botanik. + +[618] So *Gleditsch*: Mém. de l'Académie de Berlin, 1748. S. 60. + +[619] *Sprengel*, Geschichte der Botanik II. 249. + +[620] *A. Kirchhoff*, Die Idee der Pflanzenmetamorphose bei *Wolff* und +*Goethe*. 1867. + +[621] Siehe *Dannemann*, Aus der Werkstatt großer Forscher 1908. S. 227. + +[622] Daß *Goethes* umfangreiche, im ganzen als verfehlt zu +betrachtende Farbenlehre (sie umfaßt allein fünf Bände der großen +Weimarer Goetheausgabe) manchen trefflichen Gedanken aufweist, +hat vor einigen Jahren *E. v. Lippmann* gezeigt (Zeitschrift für +Naturwissenschaften, Bd. 74, 1901). Die Hauptschwäche der *Goethe*schen +physikalischen Untersuchungen besteht darin, daß er das experimentelle +und mathematische Rüstzeug des Physikers nicht nur nicht genügend +kannte, sondern es auch allzu gering einschätzte. Von seinem Mißerfolg +ließ sich *Goethe* nicht überzeugen; er betrachtete vielmehr seine +Farbenlehre als sein verdienstvollstes Werk, dem gegenüber er sich »auf +alles, was er als Poet geleistet, nichts einbildete.« + +[623] *Goethes* Metamorphosenlehre hat vor kurzem *A. Hansen* in +ihrer Bedeutung und in ihrem Zusammenhange mit den Arbeiten *Wolffs* +gewürdigt. Siehe *A. Hansen*, *Goethes* Metamorphose der Pflanzen. +*Goethe*, Jahrbuch XXVII. Band 1906. S. 207-225 und das unter dem +gleichen Titel erschienene ausführlichere Werk *Hansens*. + +[624] Sechs pflanzenphysiologische Abhandlungen von *Thomas Andrew +Knight* (1803-1812); übersetzt und herausgegeben von *H. Ambronn*. +*Ostwalds* Klassiker der exakten Wissenschaften. Band 62. Leipzig, W. +Engelmann, 1895. + +[625] Durch *Johnson* im Jahre 1823. + +[626] Abhandlung vom Jahre 1811. + +[627] Siehe Abschnitt 5 dieses Bandes. + +[628] Abhandlung vom Jahre 1812. + +[629] Siehe Seite 140 dieses Bandes. + +[630] *Ingenhouß*, Versuche mit Pflanzen; übersetzt von *Scherer*, 1786. + +[631] Durch *Senebier*. + +[632] Eine Würdigung der Verdienste des Arztes und Naturforschers +*Ingenhouß* erfolgte neuerdings durch *J. Wiesner*: *Jan. Ingenhouß.* +Sein Leben und sein Wirken. Wien, 1905. + +Nach seiner Promotion zum Doktor der Medizin studierte *Ingenhouß* +Physik und Chemie in Leyden. Er ging also wohl vorbereitet an die große +Aufgabe heran, einen Einblick in den Gasaustausch und die chemischen +Vorgänge der Pflanze zu erlangen. + +An Einzelheiten teilt *Wiesner* mit, daß *Ingenhouß* das Deckgläschen +in die mikroskopische Technik eingeführt und zuerst eine Uhrfeder in +Sauerstoff verbrannt habe. Auch der Ersatz der Glaskugel oder Walze +der älteren Elektrisiermaschinen durch eine Glasscheibe wird auf +*Ingenhouß* zurückgeführt. + +[633] *Théodore de Saussure*, Recherches chimiques sur la végétation. +Paris 1804. Übersetzt herausgegeben von Dr. *A. Wieler* als 15. und 16. +Band von *Ostwalds* Klassikern. + +[634] 1822. + +[635] Siehe *Ostwalds* Klassiker Nr. 15 und 16. + +[636] Siehe S. 353 dieses Bandes. + +[637] Die Übersetzung rührt von *Röper* her (Cottasche Buchhandlung, +1833). Der Titel des Originals lautet: Physiologie végétale, ou +exposition des forces et des fonctions vitales des végétaux par *A. P. +De Candolle*. Paris 1832. + +[638] *Decandolle*, Bd. I. S. 421. + +[639] Hier kommt besonders *Treviranus* in Betracht, der 1835 eine +Physiologie der Gewächse herausgab. + +[640] *Meyen*, Neues System der Pflanzenphysiologie. 1838. + +[641] *Buffon*, Histoire naturelle, générale et particulière, +1749-1788. + +[642] Histoire naturelle, II, 4. + +[643] *Geoffroy Saint-Hilaire* wurde 1772 in der Nähe von Paris +geboren. Er wirkte als Professor der Zoologie am Jardin des Plantes in +Paris und starb dort 1844. + +[644] *Cuvier*, Discours sur les révolutions de la surface du globe. +I, 1. + +[645] *Cuvier*, Discours sur les révolutions. I, 87. + +[646] Leçons d'anatomie comparée. 1805. Übersetzt von *Froriep* und +*Meckel*. 4 Bde. Leipzig 1809. + +[647] 1802. + +[648] Règne animal. 2. Afl. I, 10. + +[649] In der Vorrede zur 1. Auflage d. Règne animal. + +[650] »Sur un nouveau rapprochement à établir entre les classes, qui +composent le règne animal«. Annales du Muséum d'histoire naturelle. +Tome XIX. 1812. pag. 73 ff. + +[651] *Cuvier*, Règne animal. + +[652] *Oken* in der Zeitschrift »Isis«. Jahrgang 1832, Seite 1303. + +[653] De generis humani varietate nativa. Göttingen, 1775. + +[654] Näheres siehe in *Dannemann*, Aus der Werkstatt großer Forscher. +1908. Seite 251. + +[655] Recherches sur les ossements fossiles 1811. Der erste, die +Grundzüge der Katastrophenlehre enthaltende Abschnitt führt darin +die Überschrift Discours préliminaire. In der zweiten Auflage der +Recherches (1821-1824) wird dieser Abschnitt als Discours sur les +révolutions de la surface du globe bezeichnet. Dieser Abschnitt wurde +mehrfach in deutscher Bearbeitung herausgegeben, so z. B. von *C. G. +Giebel* unter dem Titel »Die Erdumwälzungen« von *Georg Cuvier*. + +[656] Siehe S. 378 dieses Bandes. + +[657] Er starb im Jahre 1852 in Berlin. + +[658] Siehe Band II, S. 411 u. f. + +[659] Das Werk erschien 1826, während die Erforschung dieser +Inselgruppe durch *Buch* etwa ein Jahrzehnt früher stattfand. + +[660] Siehe S. 106 u. f. dieses Bandes. + +[661] *Christian Heinrich Pander* (1794-1865) ließ seine Arbeit, +die er auf Anregung seines Lehrers *Döllinger* unternahm, 1817 als +Dissertation erscheinen. Später gab er eine deutsche Bearbeitung +heraus, der 16 musterhaft gestochene Kupfertafeln beigefügt sind. +*Pander* war gleich so vielen hervorragenden Deutschen des 18. und 19. +Jahrhunderts Mitglied der Akademie in Petersburg. + +[662] Eine Auswahl aus den Schriften *von Baers* enthält das Buch: +*Remigius Stölzle*, *Karl Ernst von Baers* Schriften. Stuttgart, +Greiner und Pfeiffer. VI. 230 S. Das Buch schildert das Wirken *von +Baers* als Lehrer, Forscher und Philosoph. Die Auswahl ist besonders +seinen »Reden« entnommen. In ihnen behandelt *von Baer* Stoffe aus der +Naturphilosophie, der Anthropologie und der Entwicklungslehre. + +Eine Biographie *von Baers* veröffentlichte *Wilhelm Haacke* als +dritten Band der »Klassiker der Naturwissenschaften« (Leipzig, +Th. Thomas, 1905. 175 S.). *Haacke* macht die umfassende +naturwissenschaftliche Weltanschauung *von Baers* zum Hauptgegenstande +seiner Darstellung. + +[663] *Von Baer*, De ovi et animalium genesi epistola. + +[664] *J. C. Purkinje* (1787-1869), Professor in Breslau. Symbolae ad +ovi avium historiam ante incubationem. 1825. + +[665] Erwähnt sei, daß die ersten Beobachtungen über die Furchung +von *Prevost* und *Dumas* 1824 am Froschei gemacht wurden (Ann. des +sciences nat. Bd. 2. S. 110). + +[666] S. Bd. IV dieses Werkes. + +[667] *Von Baer*, Untersuchungen über die Gefäßverbindungen zwischen +Mutter und Frucht in den Säugetieren. 1828. + +[668] *Martin Heinrich Rathke*, Professor der Zoologie in Königsberg +(1793-1860). + + + + +Namenverzeichnis. + + + A. + + Abel 125, 130-134. + + Adanson 350, 351. + + Aepinus 7, 8, 22, 25, 26. + + d'Alembert 19, 297. + + Amontons 44, 55. + + Ampère 227-235, 236. + + Arago 226, 235, 236, 283, 291, 349. + + Aristoteles 69. + + + B. + + Babinet 228. + + v. Baer 99, 114, 391-393. + + Balard 290, 295. + + Beccaria 20. + + Behrens 207, 208. + + Benzenberg 261, 262. + + Bergmann 26, 140, 143, 146, 150-154, 169, 171, 340, 342. + + Berghaus 320. + + Bernoulli, Daniel 48, 301. + + Berthollet 151, 167-173, 175, 282, 284, 387, 294. + + Berzelius 138, 176, 184-188, 294, 295, 342-348. + + Biot 283. + + Black 48-52, 54, 140. + + Blagden 58, 59. + + Blumenbach 68, 322, 383, 384. + + Boerhave 111, 115. + + Bonpland 325. + + Borelli 40, 112. + + Bose 11. + + Boussingault 370. + + Boyle 138, 158, 161, 166, 265, 293. + + Bradley 80. + + Brandes 261. + + Brücke 75. + + v. Buch 286, 323, 337, 338, 388, 389. + + Buffon 376. + + Buys-Ballot 321. + + + C. + + Caesalpin 63, 105. + + Camerarius 63, 80-83, 111. + + Camper 384. + + Carlisle 211, 212. + + Carnot 271, 278-280. + + Cassini 252. + + Cavendish 31, 32, 141, 164, 165, 175, 284. + + Celsius 43, 389. + + Charles 282. + + Chladni 258-261. + + Collinson 15, 17. + + Cordier 337. + + Coulomb 27-32, 232, 302, 310. + + Cramer 299. + + Crelle 125. + + Cullen 51. + + Cunaeus 9. + + Cusa 46. + + Cuvier 328, 329, 376-388. + + + D. + + Dalton 118, 138, 172, 178-183, 269, 292, 293. + + Ch. Darwin 91. + + E. Darwin 269. + + Davy 13, 169, 173, 174, 212-223, 268, 269, 295. + + Decandolle 67, 353-357, 372-374. + + Delambre 228. + + Dela Rive 221. + + Deluc 48. + + Desargues 122, 123. + + Descartes 15, 122. + + Dillenius 82. + + Döbereiner 290. + + v. Döllinger 391. + + Dove 320, 321. + + Du Fay 7, 8. + + Dürer 119, 120. + + + E. + + Ehrenberg 329. + + Erman 209. + + Euler 14, 15, 48, 130, 133, 134, 242, 297. + + + F. + + Fahrenheit 39-41, 43, 58. + + Faraday 22, 26, 215, 226. + + Fontana 283. + + Forster 322. + + Foucault 277. + + Fourcroy 174. + + Fourier 131, 136. + + Franklin 7, 10, 14-20, 22. + + Fraunhofer 273, 277. + + Fresnel 276, 277. + + Füchsel 385. + + Fulton 37. + + + G. + + Gahn 143. + + Galilei 7, 38. + + Galvani 190-196. + + Gärtner 352. + + Gauß 129, 130, 249, 296-298, 303 bis 318, 321. + + Gay-Lussac 45, 138, 169, 173, 225, 235, 236, 270, 282-291, 295, 320, + 327, 343. + + Gilbert 6. + + Gleditsch 65, 81. + + Gmelin 322. + + Göpel 135. + + Goethe 110, 225, 323-325, 357, 358, 376. + + Gould 46. + + de Graaf 391, 392. + + Gralath 10, 12. + + Green 302, 303-306. + + Grew 66, 77. + + Grey 8, 9. + + Grothuß 215. + + Grummert 13. + + Guericke 6, 8, 10. + + Guglielmini 262. + + Gülcher 239. + + + H. + + Hales 53, 66, 71-79, 139, 147, 364. + + von Haller 106, 110-115. + + Halley 38, 39, 254, 320, 321. + + Hamilton 277. + + Harvey 71, 106, 114. + + Hausen 11. + + Hauy 340-343. + + Hawksbee 6, 7, 10. + + Helmholtz 274, 318. + + v. Helmont 139, 155. + + Henry 292. + + J. Herschel 255. + + W. Herschel 241, 247-257, 272, 281. + + Hooke 39. + + A. v. Humboldt 125, 211-213, 257, 284, 286, 307, 308, 319-339, 347, + 388, 389. + + W. v. Humboldt 224. + + Hunter 24. + + Hutton 385. + + Huygens 14, 251, 274. + + + J. + + Jacobi 133, 134, 299. + + Ingenhouß 365. + + Joule 267. + + Jungius 63, 106. + + A. L. de Jussieu 67, 351-353. + + B. de Jussieu 67, 351. + + + K. + + Kant 246-248, 257. + + Kästner 18. + + Kepler 113. + + Kienmayer 11. + + Kinnersley 16, 17. + + Kirchhoff 118. + + Klaproth 342, 343, 348, 349. + + v. Kleist 9. + + Knight 360-364. + + v. Kobell 342. + + Kölreuter 80, 82-90, 106. + + + L. + + Lagrange 130, 299, 301, 302, 313. + + Lambert 44, 45, 46, 247, 313. + + Laplace 54-57, 116, 118, 143, 241 bis 246, 257, 299, 300, 302. + + Lavoisier 21, 52, 54-57, 79, 138, 139, 147, 152, 155-168, 173, 175, + 215, 264, 283, 291, 294, 295. + + Le Monnier 12, 20. + + Ledermüller 91, 92, 102, 103. + + Leeuwenhoek 82, 101, 102. + + Legendre 134, 135, 298. + + Leibniz 110, 299. + + Lejeune-Dirichlet 135-137. + + Lichtenberg 18, 322. + + Lieberkühn 115. + + Liebig 191. + + Linné 60-68, 82, 86, 99, 106, 340, 350, 383. + + Lionardo da Vinci 46. + + Lloyd 277. + + Lobatschefskij 122. + + Lomonossow 48, 117, 118. + + + M. + + Magnus 185. + + Malpighi 66, 112. + + Malus 275, 276. + + Mariotte 52, 69, 70, 113, 293. + + v. Marum 12. + + T. Mayer 242. + + R. Mayer 271. + + Mayow 49, 155, 157. + + Meckel 114, 115, 390. + + Melloni 239. + + Mendelejeff 290. + + Messier 254. + + L. Meyer 290. + + Mitscherlich 185, 343-347. + + Moissan 295. + + Monge 119-124. + + Montgolfier 282. + + Müller, Johannes v. 112, 205. + + Musschenbroek 9, 45. + + + N. + + Naumann 342. + + Newcomen 33-36. + + Newton 244, 262, 275, 301. + + Nicholson 206, 212. + + Nobili 239. + + Noë 239. + + + O. + + Oersted 223-228, 231, 236. + + Ohm 207. + + Olbers 249. + + + P. + + Pallas 258. + + Pander 390-393. + + Papin 33-35. + + Pascal 122. + + Peyssonel 99. + + Pfaff 132. + + Piazzi 249, 297. + + Picard 6. + + Pictet 53. + + Planté 210. + + Plücker 128. + + Poisson 302. + + Poncelet 122-124. + + Pouillet 224. + + Priestley 20, 79, 138-143, 146, 147, 155, 158, 160, 163, 165, 168, 213, + 283, 364. + + Proust 175, 176, 178. + + Prout 184. + + + R. + + Ramsay 141. + + Rathke 393. + + Ray 63, 99. + + Rayleigh 141. + + Réaumur 21, 41, 103. + + Redi 105. + + Regnault 52. + + Reich 262. + + Reimarus 18. + + Renaldini 38. + + Rey 157. + + Richer 23. + + Richmann 20. + + Richter 118, 176, 177, 187. + + Riemann 136, 137. + + Rieß 208. + + Ritter 206, 207, 209, 210, 212, 213. + + de Romas 20. + + Rose 185, 329. + + Rosenhain 135. + + Rösel von Rosenhof 102, 104. + + Rousseau 227. + + Rumford 13, 265-270. + + + S. + + G. Saint-Hilaire 370, 382. + + Th. de Saussure 353, 366-372. + + H. B. de Saussure 31, 46, 47, 320, 321, 335, 366. + + Scheele 138, 139, 143-149, 155, 156, 160, 165, 173, 272, 291, 340. + + Schulze 149. + + Schumacher 312. + + Schwann 108, 392. + + Seebeck 225-227, 235-239. + + Senebier 353. + + Silberschlag 258, 259. + + Spallanzani 89, 101, 105. + + Sprengel 89-98. + + Stahl 53, 138. + + Steiner 122, 125-128. + + Stephenson 37. + + Sturm 131. + + Sulzer 189. + + Swammerdam 102, 105, 115. + + Symmer 15. + + + T. + + Thenard 288. + + Trembley 99, 100, 101, 104. + + Treviranus 375. + + van Troostwyk 21. + + + V. + + Valenciennes 328, 329. + + Vitruvius 119. + + Volta 195-207, 210, 211. + + + W. + + Wall 16. + + Walsh 23, 24. + + Watson 12, 13. + + Watt 36-38, 52, 267. + + E. H. Weber 113. + + W. Weber 233, 307, 311. + + Wedgwood 45. + + Weiß 342. + + Wenzel 118, 176. + + Werner 323, 340, 388. + + Westrumb 174. + + Widmanstätten 261. + + Wilke 22, 23, 48, 49, 199. + + Willdenow 322, 332. + + Wilson 11. + + Winkler 16. + + Wöhler 185, 223. + + Wolf, Christian 39, 70, 71, 106, 117, 118. + + Wolff, K. Fr. 106-110, 114, 115, 357, 358, 390. + + Wollaston 182, 183, 272, 273, 340. + + Wright 246, 247. + + + Y. + + Young 22, 273-277. + + + Z. + + Zamboni 207, 208. + + + + +Verzeichnis der Abbildungen. + + + Figur | aus + -----------------------------------+------------------------------------- + | + 1. Elektrisiermaschine aus dem | Gerland und Traumüller, Geschichte + Jahre 1744 | der physikalischen + | Experimentierkunst. Leipzig 1899. + | Abb. 319. + | + 2. Watsons Versuch, die | Philosophical Transactions. 1748. + Geschwindigkeit der Elektrizität | Bd. 45. + zu bestimmen | + | + 3. Querschnitt durch den | Philosoph. Transact. 1773. Bd. + Zitterrochen | 63. + | + 4. Coulombs elektrische Wage | Ostwalds Klassiker der exakten + | Wissenschaften. Nr. 13. Fig. 1 + | bis 5. + | + 5. Coulombs Untersuchung der | Wüllner, Lehrbuch der + Torsion | Experimentalphysik. Bd. I. 1882. + | Abb. 60. + | + 6. Coulombs Versuch über die | Wüllner, Lehrbuch der + Verteilung der Elektrizität | Experimentalphysik. Bd. IV. 1875. + | Abb. 52. + | + 7. Papins erste Dampfmaschine | Acta eruditorum 1690. + | + 8. Newcomens Dampfmaschine | Gehlers Physikalisches Wörterbuch. + | Bd. II. Tab. XIII. Fig. 133. + | + 9. Amontons' Luftthermometer | + | + 10. Saussures Haarhygrometer | Ostwalds Klassiker. Nr. 115. + | Fig. 1. + | + 11. Lavoisiers Eiskalorimeter | Ostwalds Klassiker. Nr. 40. + | + 12. Der Wurzel Ziehen oder Saugen | Hales, Statik der Gewächse. + | Tab. III. Fig. X. + | + 13. Hales Versuch über das Saugen | Hales, Statik der Gewächse. Tab. + eines transpirierenden Zweiges. | III. Fig. XI. + | + 14. Das Steigen des Pflanzensaftes | Hales, Statik der Gewächse. Tab. + | IV. Fig. XVII. + | + 15. Die Bestimmung des | Hales, Statik d. Gewächse. Tab. + Wurzeldruckes | IV. Fig. 18. + | + 16. Hales pneumatische Wanne | Hales, Statik. Tab. IX. Fig. 38. + | + 17. Die Blüte des | Sprengel, Das entdeckte Geheimnis + Sumpfstorchschnabels | der Natur. + | + 18. Blüte der Osterluzzei | Sachs, Lehrbuch der Botanik. + | 4. Aufl. Leipz. 1874. Fig. 489. + | + 19. Die Befruchtung der Salbeiblüte| Ostwalds Klassiker Nr. 48. S. 73. + | + 20. Der Süßwasserpolyp | Leunis Synopsis. II. Bd. 3. Aufl. + | + 21. Ledermüllers Abbildung von | Ledermüller, Mikroskopische + Aufgußtierchen | Gemüts- und Augenergötzungen. + | II. Bd. 88. Tafel. + | + 22. Bewegung und Teilung der Amöbe | Rösel von Rosenhof, + | Insektenbelustigungen. III. Teil. + | 101 Taf. + | + 23. Wolffs Abbildung eines Embryos | Aus Wolffs Theoria generationis + | (Ostwalds Klassiker Nr. 85. + | Tafel II. Fig. 5.) + | + 24. Entstehung des Herzens und der | Ostwalds Klassiker Nr. 85. Taf. + Gliedmaßen | II. Fig. 11. + | + 25. Scheele analysiert die Luft | Aus Scheeles Abhandlung von + | der Luft und dem Feuer. + | + 26. Scheeles Darstellung von | do. + Sauerstoff | + | + 27. Lavoisiers Analyse der Luft | Lavoisier, Oeuvres, Tome I. Pl. + | II. Fig. 14. + | + 28. Lavoisiers Analyse der Luft | Lavoisier, Oeuvres, Tome I. Pl. + | IV. Fig. 2. + | + 29. Die Verbrennung von Phosphor | Lavoisier, Oeuvres, Tome I. Pl. + | IV. Fig. 3. + | + 30. Galvanis Versuche mit | Aus dem 52. Bande von Ostwalds + Froschschenkeln | Klassikern der exakten + | Wissenschaften. + | + 31. Physiologischer Nachweis der | do. + galvanischen Elektrizität | + | + 32. Voltas Kondensator | Wüllners Lehrbuch der + | Experimentalphysik. 3. Aufl. IV. + | Bd. Fig. 70. + | + 33. Voltas Elektrophor | ebendort Fig. 67. + | + 34. Voltas erste Säule | Philos. Transact. 1800. Pl. + | XVII. + | + 35. Voltas zweiteilige Säule | do. + | + 36. Voltas Becherapparat | do. + | + 37. Das Säulenelektroskop | Rieß, Die Lehre von der + | Reibungselektrizität. Bd. I, + | S. 18. + | + 38. Zambonis Trockensäule | Gilberts Annalen von 1815. Bd. 49. + | + 39. Seebecks Nachweis des | Ostwalds Klassiker. Nr. 63. Fig 7. + magnetischen Feldes | + | + 40. Seebecks Nachweis der | Ostwalds Klassiker. Nr. 63. Abb. 22. + magnetischen Kraftlinien | + | + 41. Ampères beweglicher | Ampère und Babinet, Darstellung + Stromleiter | der neuen Entdeckungen über + | die Elektrizität und den + | Magnetismus. Tafel I. Fig. 2. + | + 42. Ampères Vorrichtung zum | Ampère und Babinet, Tafel I. + Aufhängen seines beweglichen | Fig. 3. + Stromleiters | + | + 43. Ampères Nachweis, daß sich ein | Ampère und Babinet, Tafel I. + Stromleiter senkrecht zur | Fig. 12. + Inklinationsnadel einstellt | + | + 44. Ampères vom Einfluß des | Ampère und Babinet, Tafel I. + Erdmagnetismus befreites Solenoid | Fig. 29. + | + 45. Ampères astatische Magnetnadel | Ampère und Babinet, Tafel I. + | Fig. 14. + | + 46. Die Entdeckung der | Ostwalds Klassiker. Nr. 70. Abb. 1. + Thermoelektrizität | + | + 47. Seebecks Thermoelement | Ostwalds Klassiker. Nr. 70. Abb. 4. + | + 48. Schema des von Herschel | + konstruierten Spiegelteleskops | + | + 49. Herschels vierzigfüßiger | Philosophical Transactions. 1795. + Reflektor | II. Tab. XXIV. + | + 50. Herschels Abbildung eines | W. Herschel, Über den Bau des + Nebelflecks | Himmels. Tafel I. Fig. 2. + | + 51. Herschels Ableitung der Gestalt| W. Herschel, Über den Bau des + der Milchstraße | Himmels. Tafel II. Fig. 16. + | + 52. Rumfords Versuch über | Philosophical Transactions. 1798. + Wärmeerzeugung durch Reibung | + | + 53. Teileinrichtung zu Rumfords | Philosophical Transactions. 1798. + Versuch | + | + 54. Gay-Lussacs Versuch zur | Mach, die Prinzipien der Wärmelehre. + Thermodynamik der Gase. | Abb. 66. + | + 55. Zur Erläuterung des | Ostwalds Klassiker. Nr. 37. Abb. 1. + Kreisprozesses | + | + 56. Gay-Lussacs Apparat zur | Ostwalds Klassiker. Nr. 44. Abb. 3. + Bestimmung des | + Ausdehnungskoeffizienten der Gase | + | + 57. Das von Gauß zum Messen der | Wüllner, Lehrbuch der + erdmagnetischen Kraft erfundene | Experimentalphysik. Bd. IV. (1875). + Magnetometer | S. 36. + | + 58. Das dem Heliotrop von Gauß | Hunaeus, Die geometrischen + zugrunde liegende Gesetz | Instrumente. Fig. 129. + | + 59. Hauys Ableitung des | Hauy, Traité de minéralogie. V. + Rhombendodekaeders | Pl. VIII. + | + 60. Hauys Ableitung des | Hauy, Traité de minéralogie. V. + Pentagondodekaeders | Pl. VIII. + + + + +Die Naturwissenschaften in ihrer Entwicklung und in ihrem Zusammenhange + +dargestellt von =Friedrich Dannemann=. + + +Erster Band: + +Von den Anfängen bis zum Wiederaufleben der Wissenschaften. + +Mit 50 Abbildungen im Text und einem Bildnis von Aristoteles. + +Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann 1910. + +_24 Bogen gr. 8°._ + +_Preis geheftet =Mk. 9=, in Leinen gebunden =Mk. 10=._ + + +Zweiter Band: + +Von Galilei bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. + +Mit 116 Abbildungen im Text und einem Bildnis von Galilei. + +Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann 1911. + +_27 Bogen gr. 8°._ + +_Preis geheftet =Mk. 10=, in Leinen gebunden =Mk. 11=._ + + +Die vier Bände des Werkes sind einzeln käuflich. Jeder Band bildet ein +in sich abgeschlossenes Ganzes. + + +Inhalt des ersten Bandes. + + Seite + + 1. In Asien und in Ägypten entstehen die Anfänge der Wissenschaften 1 + + 2. Die Weiterentwicklung der Wissenschaften bei den Griechen bis zum + Zeitalter des Aristoteles 51 + + 3. Aristoteles und seine Zeit 81 + + 4. Archimedes 118 + + 5. Die erste Blüte der alexandrinischen Schule 130 + + 6. Die Naturwissenschaften bei den Römern 164 + + 7. Die zweite Blütezeit der alexandrinischen Schule 188 + + 8. Der Verfall der Wissenschaften zu Beginn des Mittelalters 213 + + 9. Das arabische Zeitalter 223 + + 10. Die Wissenschaften unter dem Einfluß der christlich-germanischen + Kultur 258 + + 11. Der Beginn des Wiederauflebens der Wissenschaften 288 + + 12. Die Begründung des heliozentrischen Weltsystems durch Koppernikus 315 + + 13. Die ersten Ansätze zur Neubegründung der experimentellen und der + anorganischen Naturwissenschaften 328 + + 14. Die ersten Ansätze zur Neubegründung der organischen + Naturwissenschaften 348 + + +Inhalt des zweiten Bandes. + + Seite + + 1. Altertum und Neuzeit 1 + + 2. Die Erfindung der optischen Instrumente 7 + + 3. Galileis grundlegende Schöpfungen 15 + + 4. Die Ausbreitung der induktiven Forschungsweise 71 + + 5. Die Astronomie im Zeitalter Tychos und Keplers 101 + + 6. Die Förderung der Naturwissenschaften durch die Fortschritte der + Mathematik 136 + + 7. Der Ausbau der Physik der flüssigen und der gasförmigen Körper 155 + + 8. Die Iatrochemie und die Begründung der Chemie als Wissenschaft + durch Boyle 180 + + 9. Der Ausbau der Botanik und der Zoologie nach dem Wiederaufleben + der Wissenschaften 194 + + 10. Die Begründung der großen wissenschaftlichen Akademien 206 + + 11. Newton 215 + + 12. Huygens und die übrigen Zeitgenossen Newtons 244 + + 13. Unter dem Einfluß der chemisch-physikalischen Forschung entstehen + die Grundlagen der neueren Mineralogie und Geologie 297 + + 14. Das Emporblühen der Anatomie und der Physiologie 313 + + 15. Die ersten Ergebnisse der mikroskopischen Erforschung der niederen + Tiere 322 + + 16. Die Begründung der Pflanzenanatomie und der Lehre von der + Sexualität der Pflanzen 340 + + 17. Der Ausbau der Mechanik, Akustik und Optik im achtzehnten + Jahrhundert 353 + + 18. Die Fortschritte der Astronomie nach der Begründung der + Gravitationsmechanik 386 + + 19. Mineralogie und Geologie im 18. Jahrhundert 399 + + +Auszüge aus den Besprechungen des ersten und zweiten Bandes. + +Der Verfasser, längst schon rühmlichst bekannt durch seine Schriften +»Aus der Werkstatt großer Forscher« und »Die Entwicklung der +Naturwissenschaften«, hat sich durch die vorliegende erweiterte +Neuausgabe des letzteren Buches (die im Ganzen auf vier Bände +berechnet ist) ein nicht genug anzuerkennendes Verdienst erworben, +denn er bringt in gänzlich unparteiischer Weise das Wichtigste aus +allen Gebieten naturwissenschaftlichen Wissens, und zwar so, daß es +nicht nur das Interesse des Historikers von Fach erweckt, sondern die +Teilnahme jedes naturhistorisch Gebildeten. Auf Einzelheiten kann an +dieser Stelle nicht eingegangen werden, und das bloße Aufzählen der +Kapitel-Überschriften würde ermüdend wirken, ohne einen zureichenden +Begriff vom Inhalte zu gewähren. Es genüge also, auf dessen +unerschöpflichen Reichtum hinzuweisen und das neue Werk ganz besonders +auch den Chemikern zu empfehlen, für die es eine Fülle von Belehrung +und Anregung birgt. -- + + (Edmund O. von Lippmann in der Chemikerzeitung Nr. + 32. 1911). + +Aus diesen ganz kurzen Inhaltsangaben geht ohne weiteres hervor, daß +wir es hier mit einem Werke zu tun haben, das die Naturwissenschaften +als Ganzes in ihrem Werdegange verfolgt. Dieser Versuch, in einem Werke +von verhältnismäßig geringem Umfang alles, auch für jemand, der nicht +selbst auf dem Gebiet arbeitet, sondern sich im allgemeinen darüber +unterrichten will, lesbar zusammenzufassen, ist sehr zu begrüßen. +Denn wie der Verfasser in der Einleitung zum ersten Band hervorhebt, +erhalten die zahllosen Einzelergebnisse der Forschung erst im +Gesamtbild ihren vollen Wert. -- + + (C. Matschoß in der Zeitschrift des Vereins + deutscher Ingenieure Nr. 13. 1911). + +In kürzester Frist ist dem ersten Bande dieses ausgezeichneten Werkes +der zweite gefolgt. Man weiß nicht, was man mehr bewundern soll, +die überraschende Belesenheit des Autors oder seine Gabe, selbst +die schwierigsten Probleme wissenschaftlicher Forschung nicht nur +dem Kenner, sondern auch dem interessierten Laien leichtfaßlich +in ernst-vornehmer Form vorzutragen. Ein Vorzug dieses zweiten +Bandes gegenüber dem ersten liegt in der größeren Beigabe von guten +Abbildungen. + + (Pharmazeutische Zeitung Nr. 13. 1911.) + +Besonders dankenswert erscheint, wie *Dannemann* in allen diesen +Wissenschaften die verbindenden großen Gedanken herauszuschälen +weiß, die im hohen Maße geeignet sind, die Vertreter der einzelnen +naturwissenschaftlichen Disziplinen vor Einseitigkeit zu bewahren. Es +handelt sich hier aber nicht um ein Werk für den Fachmann allein, jeder +gebildete Mensch wird daraus reiche Anregung schöpfen. + + (Ärztliche Rundschau XX. Jahrgang Nr. 47. 1910.) + +Dem Techniker, dem Lehrer, dem Arzte, jedem, der sich lebhafter +für Naturwissenschaften interessiert, vor allem also auch unseren +Studierenden, dürfte das Buch eine unerschöpfliche Quelle des Genusses +und der Anregung sein. Einen ganz besonderen Wert besitzt das Werk +dadurch, daß es gewissermaßen den Rahmen für *Ostwalds* Klassiker der +exakten Wissenschaften (jetzt 173 Bände) abgibt und so die Beziehungen +aufweist, durch welche die einzelnen Gebiete sich gegenseitig +beeinflußt haben. + +Für die Hebung der Kultur unseres Volkes kann dieses Buch, das die +Wissenschaft und ihre Erfolge als etwas Werdendes vorstellt, von +größtem Nutzen sein, da es die Erfolge fortschrittlichen Denkens +gegenüber den Schwächen dogmatischer Gesinnung aufs deutlichste +vergegenwärtigt. + + (Prometheus, XXII. Jahrgang. 26. Nov. 1910.) + +Das erfolgreiche Bestreben des Verfs., stets nur die für den +Fortschritt der Wissenschaften wirklich bedeutungsvollen Ereignisse +zu berücksichtigen und die Entwicklung der Naturwissenschaften in +ihren Beziehungen zu den übrigen Wissenschaften, insbesondere zur +Philosophie, Mathematik und Technik darzustellen, gereicht dem Werke zu +besonderem Vorteil und macht es dienlich für jeden, der sich für die +Naturwissenschaften interessiert. + + (W. May im Zoologischen Zentralblatt 18. Jahrgang + Nr. 110.) + +Wenn die weiteren Bände (bei denen die Schwierigkeiten der Darstellung +natürlich steigen, je mehr die Schilderung sich unserer Zeit nähert, +wo der Stoff fast unübersehbar anschwillt) das halten, was der erste +verspricht, so wird uns D. ein Werk schenken, das einzigartig dasteht. + + (Literarisches Zentralblatt für Deutschland Nr. 44. + 1910.) + +Des Verfassers Grundriß einer Geschichte der Naturwissenschaften +hat in zweiter Auflage *G. W. A. Kahlbaum* (I, 160 u. III, 75) +in anerkennendster Weise besprochen und zugleich die Gefühle +ausgesprochen, die angesichts der Erfolge dieses Werkes jeden +Historiker der Naturwissenschaften beseelen müssen. Aus den +gleichen Gründen begrüßen wir es heute freudigst, daß unser +Gesellschaftsmitglied und Mitarbeiter den zweiten Teil dieses Buches zu +einem vierbändigen Werke ausgestalten will und davon bereits den ersten +Band vorzulegen vermag. + + (H. Stadler in den Mitteilungen zur Geschichte der + Medizin und der Naturwissenschaften Bd. X. 2. Heft.) + +Der soeben erschienene 2. Band dieses großen Werkes behandelt die Zeit +von Galilei bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, also jene Epoche, in +welcher die Grundlagen der neueren Naturwissenschaft gelegt wurden. +Auch in diesem Bande hat sich der Verfasser mit Erfolg bemüht, eine +Darstellung zu schaffen, die nicht nur dem Historiker dient, sondern +für jeden anregend ist, der sich überhaupt für die Naturwissenschaften +interessiert. + + (Kölnische Zeitung 20. Februar 1911.) + +Der Verfasser sagt zu wenig von sich, wenn er seine Arbeit als +Ergänzung zu *Ostwalds* großem Unternehmen einschätzt; sie hat +einen ganz eminenten Eigenwert; sie zeigt zum ersten Male in +zusammenfassender Weise den Arbeitsanteil einzelner Völkergruppen +an der Ausbildung einer Wissenschaft, die, mehr als jede andere, +unmittelbar zurückstrahlt auf die Gesamtkultur. Und dieser eigenartige +Zusammenhang ist es, den der Verfasser mit Erfolg und bedeutender +Sachkenntnis herausgehoben hat. So steckt er seinem Werk ein großes +und weites Ziel. Ganz überraschende Schlaglichter fallen da auf die +einzelnen Gebiete, die, in getrennter Einzeldarstellung, nie so +plastisch herausgearbeitet werden konnten. + +Jeder Historiker wird sich dieses Werk aneignen müssen. Und abgesehen +vom Fachmann sollte jeder, der sich für Kulturprobleme interessiert, +sei er nun Lehrer, Student, Techniker, Arzt -- jeder Gebildete +überhaupt -- sollte sich vom Verfasser in diese großen Zusammenhänge +hineinführen lassen; denn erst in ihren Zusammenhängen wird uns das +Wesen und die Wirkung einer Wissenschaft verständlich. + + (Badische Schulzeitung 21. Januar 1911.) + +Jeder Lehrer, dem daran gelegen ist, der wichtigen Forderung +(Hineinziehung des geschichtlichen Elements in den +exaktwissenschaftlichen Unterricht) gerecht zu werden, wird daher +mit Freuden das Erscheinen eines neuen Werkes von *Dannemann* +begrüßen, das dazu bestimmt ist, ein ausführliches Gesamtbild von dem +Entwicklungsgange aller naturwissenschaftlichen Disziplinen im engen +Zusammenhange mit der Mathematik und mit der allgemeinen Geschichte zu +geben. + +Ähnlich wie *Cantors* Vorlesungen über Geschichte der Mathematik +ein »standard work« allerersten Ranges bleiben werden, so wird +auch *Dannemanns* Werk von bleibendem Wert sein, das für den +Geschichtsforscher wie für den Mediziner, für den Lehrer wie für den +Techniker großen Nutzen haben und dessen Lektüre für jeden, der sich +für die Naturwissenschaften interessiert, eine Quelle hohen Genusses +bilden wird. + + (Monatsschrift für höhere Schulen, 6. Heft 1911.) + + +Dr. Fr. Dannemann, + +Aus der Werkstatt großer Forscher. + +Allgemeinverständliche erläuterte Abschnitte aus den Werken +hervorragender Naturforscher aller Völker und Zeiten. + +3. Aufl., geb. =6,80 Mk.= + +Aus den Besprechungen der ersten Auflage. + +Der Leser gewinnt hierdurch *ein klares und anschauliches Bild nicht +allein von der Bedeutung der Leistung des betreffenden Forschers, +sondern auch von der Eigenart seiner Geistesarbeit und seiner +Darstellungsweise und kann so die Entwicklung der Gesamtwissenschaft, +wenn auch nur skizzenhaft, in objektiver Form verfolgen*. + + (Naturwissensch. Rundschau 1897. Nr. 26.) + +*Daß die Bekanntschaft mit den Quellen auch die reiferen Schüler nach +jeder Richtung hin fördert und anregt, ist... anerkannt; demgemäß hat +man eine Reihe von Hilfsmitteln solcher Art bereits in den Dienst der +höheren Schule gestellt.* Dem Verf. vorliegenden Werkes ist es hoch +anzurechnen, daß er eine solche, bis *dahin fehlende Quellensammlung +aus dem Gesamtgebiet der Naturwissenschaften* veranstaltet und damit +auch dem naturwissenschaftlichen Lehrer ein treffliches Anregungsmittel +geboten hat. + + (Literarisches Zentralblatt 1896. Nr. 41.) + +Let us hope the English language will soon possess a like work. + + (Pharmaceutical Review 1896. Nr. 12.) + +The choice of material is excellent and too much has been offered in +no case, the collection is as admirable for what it omits as for what +it includes. + + (Journal of Physical Chemistry Nr. 3. 1896.) + +*Den Schülerbibliotheken sei die Anschaffung des Grundrisses in +zahlreichen Exemplaren besonders empfohlen*, um diese beim Unterricht +unter möglichst viele Schüler verteilen zu können. Ebenso wird das Buch +zu Prämien nützlichste Verwendung finden. + + (Jahresberichte üb. d. höhere Schulwesen. XI. + Jahrg.) + +Auch erfolgten Empfehlungen seitens höherer Schulbehörden wie des +Großherzoglich Badischen Oberschulrates, der Königl. Württemb. +Kultusministerial-Abteilung und des k. k. österr. Kultusministeriums. + + +Inhalt. + + 1. Aristoteles begründet die Zoologie. + 2. Theophrast begründet die Botanik. + 3. Archimedes entwickelt die Prinzipien der Mechanik. + 4. Des Archimedes Sandesrechnung. + 5. Die Begründung der Mechanik der Gase und Dämpfe. + 6. Die naturwissenschaftlichen Kenntnisse des Altertums werden von + Plinius gesammelt. + 7. Die Naturwissenschaften im Mittelalter. + 8. Die Aufstellung des heliozentrischen Weltsystems. + 9. Die Ausbreitung der Koppernikanischen Lehre durch Galilei. + 10. Die Entdeckung der Jupitermonde und der Saturnringe. + 11. Galilei als Begründer der Dynamik. + 12. Der weitere Ausbau der Astronomie durch Kepler. + 13. Kepler begründet die neuere Optik. + 14. Gilbert erforscht die Natur des Magneten. 1600. + 15. Bacons Eintreten für die induktive Forschungsweise. 1620. + 16. Pascal entdeckt die Abhängigkeit des Barometerstandes von der Höhe + des Ortes. 1648. + 17. Die Erfindung der Luftpumpe. + 18. Newton erforscht die Natur des Sonnenlichtes. 1670. + 19. Newton entdeckt das Gravitationsgesetz. 1682. + 20. Newton entwickelt die Prinzipien der Naturlehre. + 21. Das Licht wird von Huygens für eine Wellenbewegung des Äthers + erklärt. 1678. + 22. Die Entdeckung des Mariotteschen Gesetzes. + 23. Das Auftauchen der ersten klaren Vorstellungen über die Verbrennung + und die Atmung. + 24. Swammerdam zergliedert die Insekten. + 25. Die Begründung der Pflanzenphysiologie. + 26. Celsius führt die hundertteilige Thermometerskala ein. + 27. Die Lehre von der Sexualität der Pflanzen. + 28. Das künstliche Pflanzensystem Linnés. + 29. Die Polypen werden als tierische Organismen erkannt. + 30. Kant erklärt den Ursprung des Weltgebäudes. 1755. + 31. Laplace entwickelt ähnliche Ansichten über den Ursprung des + Weltgebäudes wie Kant. Kant-Laplacesche Hypothese. 1796. + 32. Herschel begründet die Astronomie der Fixsterne. + 33. Die Meteore werden als kosmische Massen erkannt. 1794. + 34. Die Wellentheorie findet einen hervorragenden Verfechter. 1760. + 35. Die photometrischen Grundbegriffe. + 36. Die Erfindung des Blitzableiters. 1753. + 37. Die Entdeckung der elektrischen Influenz und der Pyroelektrizität. + 1758. + 38. Scheele entdeckt den Sauerstoff und analysiert die atmosphärische + Luft. 1773. + 39. Lavoisier erklärt die Verbrennungserscheinungen. 1774. + 40. Die Erfindung des Eiskalorimeters und die Bestimmung von spezifischen + Wärmen und Verbrennungswärmen mittelst desselben. 1780. + 41. a) Die Entdeckung der galvanischen Elektrizität. + b) Volta, Über die Elektrizität, welche durch die bloße Berührung + verschiedenartiger leitender Stoffe hervorgerufen wird. + 42. Die Botanik unter dem Einflusse der Metamorphosenlehre. + 43. Die Begründung der Blütenbiologie. + 44. Saussure begründet die Ernährungsphysiologie der Pflanzen. 1800. + 45. Das Menschengeschlecht wird in fünf Rassen eingeteilt. + 46. Cuvier begründet durch Verschmelzung der Zoologie mit der + vergleichenden Anatomie ein natürliches System. 1812. + 47. Die Aufstellung der atomistischen Hypothese. 1808. + 48. Gay-Lussac entdeckt das Volumgesetz. 1808. + 49. Das von Courtois (1811) entdeckte Jod wird von Gay-Lussac eingehend + untersucht. + 50. Die Entdeckung von Natrium und Kalium. 1807. + 51. Die Entdeckung des Aluminiums. 1827. + 52. Cuviers Katastrophentheorie. 1812. + 53. Lyell begründet die neuere Richtung der Geologie. 1830. + 54. Die Entdeckung des Elektromagnetismus. 1820. + 55. Die Entdeckung der galvanischen und der magnetischen Induktion. 1832. + 56. Es werden die experimentellen Grundlagen für eine elektromagnetische + Theorie des Lichtes gewonnen. + 57. Die Entdeckung des Diamagnetismus. + 58. Die Erfindung der Photographie. + 59. Die Physiologie erhält durch Johannes Müller eine wissenschaftliche + Grundlage. + 60. Die Zelle wird als das Elementarorgan des tierischen und pflanzlichen + Organismus erkannt. 1839. + 61. Die Physiologie wendet sich gegen die Annahme einer besonderen + Lebenskraft. + 62. Liebig beantwortet die Frage nach der Ernährung der Pflanzen. 1840. + 63. Die Kryptogamenkunde wird durch wichtige Beobachtungen über die + Fortpflanzung der Algen bereichert. + 64. Darwin erklärt die Entstehung der Koralleninseln. + 65. Carnot entwickelt eine Theorie der Dampfmaschine. 1824. + 66. Die erste Bestimmung der Entfernung eines Fixsterns. 1838. + 67. Das Dopplersche Prinzip. 1842. + 68. Das Prinzip von der Erhaltung der Kraft. + 69. Die Entdeckung des Ozons. 1840. + 70. Der rote Phosphor wird als eine Modifikation des Elementes Phosphor + erkannt. 1850. + 71. Alexander von Humboldt vereinigt die Summe des Naturwissens seiner + Zeit zu einem Gesamtbilde. 1845. + 72. Kirchhoff und Bunsen schaffen die Spektralanalyse. + 73. Pasteur weist nach, daß auch die niedrigsten Organismen aus Keimen + und nicht durch Urzeugung entstehen. 1860. + 74. Das Protoplasma wird als die Grundlage des organischen Lebens + erkannt. + 75. Hertz erforscht die Beziehungen zwischen dem Licht und der + Elektrizität. + + +Nachdem wir beim Erscheinen der *dritten Auflage* des Werkes: +*Dannemann*, Grundriß einer Geschichte der Naturwissenschaften den +Preis für den I. Band: + ++Aus der Werkstatt großer Forscher+ + +auf =6 Mk.= herabgesetzt haben, offerieren wir den II. Band + +Die Entwicklung der Naturwissenschaften + +zu dem gleichfalls herabgesetzten Preise von =8 Mk.= Beide Bände +zusammen sind für =12,50 Mk.= (gebunden für =14,50 Mk.=) zu beziehen. + + +Von demselben Verfasser erschienen ferner: + + +=Otto von Guerickes neue »Magdeburgische« Versuche über den leeren + Raum=+ (Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften Nr. 59). Mit + 15 Textfiguren. Leipzig, 1894. Verlag von *Wilhelm Engelmann*. + Geb. M. 2.--. + + +=Leitfaden für den Unterricht im chemischen Laboratorium.=+ Vierte + Auflage. 1909. *Hahn*sche Buchhandlung in Hannover und Leipzig. + (Als Vorwort diene des Verfassers Abhandlung »Über die Bedeutung, + Einrichtung und Leitung praktischer Übungen im Laboratorium.« + *Fries* und *Meyer*, Lehrproben und Lehrgänge. Heft XXXV.) M. 1.80. + + +=Der naturwissenschaftliche Unterricht auf praktisch-heuristischer + Grundlage.=+ brosch. M. 6.--. Dasselbe gebunden M. 6.80. + *Hahn*sche Buchhandlung in Hannover und Leipzig. 1907. + + +=Naturlehre für höhere Lehranstalten, auf Schülerübungen + gegründet.=+ 2 Teile. *Hahn*sche Buchhandlung in Hannover und + Leipzig. 1908. geb. M. 6.40. + + Die »Naturlehre« ist nach den Gesichtspunkten verfaßt, die + in dem Buche »=Der naturwissenschaftliche Unterricht auf + praktisch-heuristischer Grundlage=« entwickelt wurden. Sie ist + der erste Versuch, den Unterrichtsstoff =mit grundlegenden + Schülerübungen in engste Verbindung zu setzen=. Der erste Teil + enthält den Lehrstoff für Chemie und Mineralogie; zwei kurze + Abschnitte bringen das Wichtigste aus der Geologie und eine + Anleitung zu pflanzenphysiologischen Versuchen. Der zweite Teil + bringt die Physik. + + +=Quellenbuch zur Geschichte der Naturwissenschaften in + Deutschland.=+ (Deutsche Schulausgaben Nr. 39.) 158 Seiten. Geb. + M. 1.20. Verlag von *L. Ehlermann* in Dresden. + + +Bei der Transkription vorgenommene Änderungen und weitere Anmerkungen: + +In "Die Bestäubung der weiblichen Misteln, sie mögen nun mit den +männlichen auf einem Baume stehen oder in großer Entfernung auf anderen +Bäumen wachsen" stand "wirklichen" statt "weiblichen". + +Im Abschnitt "*Gauß* gebührt indessen außer der selbständigen und seinen +eigenen Angaben nach viel früheren Entdeckung das Verdienst, daß er es +war, der diese Methode in einem fundamentalen Werke wissenschaftlich +begründete und die Begriffe schuf, auf denen alle neueren Arbeiten über +diese Methode beruhen." fehlte ein Verweis auf die Fußnote "Theoria +combinationis observationum erroribus minimis obnoxiae. 1821.". Dieser +wurde nach "fundamentalen Werke" eingefügt. + +Im Absatz "*Ampère* zeigte darauf, daß infolgedessen der Leiter, wenn +nur der Erdmagnetismus auf ihn wirkt, eine Stellung einnimmt, in +welcher seine Ebene den magnetischen Meridian senkrecht schneidet[378]. +Diese Entdeckung erregte ein Aufsehen wie wenig andere[379]. *Ampère* +beschreibt sie mit folgenden Worten: »Hängt man in der in Abbildung +41 dargestellten Weise einen beweglichen Leiter auf, ohne daß in der +Nähe dieses Leiters ein anderer Teil des Stromkreises sich befindet. +(Wir müssen uns also in der Abbildung 41 das Drahtstück CILB, das +auf den beweglichen Bügel einen richtenden Einfluß ausübt, entfernt +denken), verbindet man hierauf die Kapseln C und Z mit den Polen der +galvanischen Batterie, so sieht man den Bügel sich drehen, bis seine +Ebene zu derjenigen des magnetischen Meridians NS senkrecht steht +und der Strom in dem unteren Teil des Leiters, also in FG, von Ost +nach West gerichtet ist, das Südende der Magnetnadel also zur Linken +liegt.« Ließ *Ampère* den Strom in umgekehrter Richtung durch den +Bügel gehen, so drehte sich dieser um einen Halbkreis zurück, um +endlich nach einigen Schwingungen sich wieder senkrecht zur Richtung +NS einzustellen." fehlte das Anführungszeichen, welches das Zitat +abschließt. Nach Sinn- und Textzusammenhang wurde dieses hinter +"liegt." eingefügt. + +Der Name "Légendre/Legendre" ist uneinheitlich geschrieben, es handelt +sich aber offenbar nicht um Satzfehler, daher wurde die uneinheitliche +Schreibweise beibehalten. + +Der Name "Stephen Grey" ist konsistent (falsch) als "Grey" geschrieben. + +In "Meine +naturwissenschaftlichen Arbeiten", schrieb *Goethe* damals, "sind +durch *Humboldt* aus ihrem Winterschlafe geweckt worden". fehlten die +Anführungszeichen für das wörtliche Zitat. + +Der mit "Daraus folgt," beginnende Satz in Fußnote 98 ist auch im +Original unvollständig. + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Die Naturwissenschaften in ihrer +Entwicklung und in ihrem Zusamme, by Friedrich Dannemann + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 57952 *** diff --git a/57952-h/57952-h.htm b/57952-h/57952-h.htm index 9ddabdf..d5567a6 100644 --- a/57952-h/57952-h.htm +++ b/57952-h/57952-h.htm @@ -212,46 +212,7 @@ li {text-indent: -0.5em; margin-bottom: 0.3em;} <body> -<pre> - -The Project Gutenberg EBook of Die Naturwissenschaften in ihrer -Entwicklung und in ihrem Zusamme, by Friedrich Dannemann - -This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most -other parts of the world at no cost and with almost no restrictions -whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of -the Project Gutenberg License included with this eBook or online at -www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - -Title: Die Naturwissenschaften in ihrer Entwicklung und in ihrem Zusammenhange - Dritter Band: Das Emporblühen der modernen - Naturwissenschaften bis zur Entdeckung des Energieprinzipes - -Author: Friedrich Dannemann - -Release Date: September 22, 2018 [EBook #57952] - -Language: German - -Character set encoding: UTF-8 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE NATURWISSENSCHAFTEN IN *** - - - - -Produced by Peter Becker, Heike Leichsenring and the Online -Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This -file was produced from images generously made available -by The Internet Archive) - - - - - - -</pre> +<div>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 57952 ***</div> @@ -21212,382 +21173,7 @@ Original unvollständig.</p> -<pre> - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Die Naturwissenschaften in ihrer -Entwicklung und in ihrem Zusamme, by Friedrich Dannemann - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE NATURWISSENSCHAFTEN IN *** - -***** This file should be named 57952-h.htm or 57952-h.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/7/9/5/57952/ - -Produced by Peter Becker, Heike Leichsenring and the Online -Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This -file was produced from images generously made available -by The Internet Archive) - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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