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-The Project Gutenberg EBook of Die Naturwissenschaften in ihrer
-Entwicklung und in ihrem Zusamme, by Friedrich Dannemann
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
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-
-Title: Die Naturwissenschaften in ihrer Entwicklung und in ihrem Zusammenhange
- Dritter Band: Das Emporblühen der modernen
- Naturwissenschaften bis zur Entdeckung des Energieprinzipes
-
-Author: Friedrich Dannemann
-
-Release Date: September 22, 2018 [EBook #57952]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE NATURWISSENSCHAFTEN IN ***
-
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-
-Produced by Peter Becker, Heike Leichsenring and the Online
-Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This
-file was produced from images generously made available
-by The Internet Archive)
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-
- DIE NATURWISSENSCHAFTEN
-
- IN IHRER ENTWICKLUNG UND
- IN IHREM ZUSAMMENHANGE
-
- DARGESTELLT VON
-
- FRIEDRICH DANNEMANN
-
- DRITTER BAND:
-
- DAS EMPORBLÜHEN DER MODERNEN NATURWISSENSCHAFTEN
- BIS ZUR ENTDECKUNG
- DES ENERGIEPRINZIPES
-
- MIT 60 ABBILDUNGEN IM TEXT
- UND EINEM BILDNIS VON GAUSS
-
- Verlag von Wilhelm Engelmann in Leipzig · 1911
-
- [Illustration: C. F. Gauß
-
- (Nach einer Büste von *G. Eberlein*.)]
-
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-
- DIE NATURWISSENSCHAFTEN
-
- IN IHRER ENTWICKLUNG UND
- IN IHREM ZUSAMMENHANGE
-
- DARGESTELLT VON
-
- FRIEDRICH DANNEMANN
-
- DRITTER BAND:
-
- DAS EMPORBLÜHEN DER MODERNEN NATURWISSENSCHAFTEN
- BIS ZUR ENTDECKUNG
- DES ENERGIEPRINZIPES
-
- MIT 60 ABBILDUNGEN IM TEXT UND
- MIT EINEM BILDNIS VON GAUSS
-
- LEIPZIG
- VERLAG VON WILHELM ENGELMANN
- 1911
-
-
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-
-Copyright 1911 by Wilhelm Engelmann, Leipzig.
-
-Druck der Königl. Universitätsdruckerei H. Stürtz A. G., Würzburg.
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-
-Vorwort.
-
-
-Der zweite Band schilderte das Entstehen der neueren Naturwissenschaft.
-Er umfaßt den Zeitraum vom Anfang des 17. bis zur Mitte des 18.
-Jahrhunderts. Mit dem Ende dieses Abschnitts beginnt die neueste Phase
-in der Entwicklung der Naturwissenschaften. Diese Phase bis zu den
-Aufgaben der Gegenwart in den Grundzügen darzustellen, ist das Ziel
-des 3. und des 4. Bandes des vorliegenden Werkes. Da es sich nicht
-um eine bloße Aufzählung der Geschehnisse, sondern um den Nachweis
-ihrer inneren Verknüpfung handelt, so ist bei dem Ineinandergreifen
-der verschiedenen Gebiete eine scharfe Gliederung nach chronologischen
-Gesichtspunkten nicht möglich. Will man eine Schranke ziehen, so
-würde sie etwa mit dem Zeitpunkt der Entdeckung des Energieprinzips
-zusammenfallen. In der Hauptsache schildert der vorliegende dritte
-Band den großen Umschwung, den die Naturwissenschaften durch die
-Begründung der neueren Chemie, der Elektrizitätslehre, den Ausbau der
-übrigen Teile der Physik, sowie die Ausdehnung der experimentellen
-Forschungsweise auf die Wissenschaft vom Leben erfuhren. Dem vierten
-und letzten Bande bleibt es vorbehalten, den großartigen Aufschwung zu
-schildern, den die Naturwissenschaften im weiteren Verlauf des 19. und
-im Beginn des gegenwärtigen Jahrhunderts genommen haben.
-
-Auch in dem vorliegenden Bande war es das Bestreben des Verfassers, die
-Schilderung im Rahmen der Gesamtentwicklung zu halten, die Beziehungen
-der Naturwissenschaften zu den Nachbargebieten aufzuweisen und vor
-allem nur dasjenige zu bringen, was zum tieferen Verständnis des
-heutigen Wissenschaftsgebäudes beiträgt.
-
- Friedrich Dannemann.
-
-
-
-
-Inhalt.
-
-
- Seite
-
- 1. Wissenschaft und Weltgeschichte 1
-
- 2. Das 18. Jahrhundert errichtet die Fundamente der
- Elektrizitätslehre 6
-
- 3. Praktische und theoretische Fortschritte auf dem Gebiete der
- Wärmelehre 33
-
- 4. Die Naturbeschreibung unter der Herrschaft des künstlichen
- Systems 60
-
- 5. Die Ausdehnung der physikalischen Methoden auf das Gebiet der
- Pflanzenphysiologie 69
-
- 6. Der Ausbau der im 17. Jahrhundert begründeten Sexualtheorie 80
-
- 7. Fortschritte der Zoologie im 18. Jahrhundert 99
-
- 8. Die neuere Mathematik und ihre Beziehungen zu den
- Naturwissenschaften 116
-
- 9. Die wissenschaftliche Chemie von ihrer Begründung durch Boyle
- bis zu ihrer Erneuerung durch Lavoisier 138
-
- 10. Der Eintritt der Chemie in das Zeitalter der quantitativen
- Untersuchungsweise 155
-
- 11. Die Aufstellung der atomistischen Hypothese und ihre
- experimentelle Begründung 175
-
- 12. Die Entdeckung der galvanischen Elektrizität 189
-
- 13. Die Begründung der Elektrochemie 211
-
- 14. Die Erforschung der elektromagnetischen und der
- elektrodynamischen Grunderscheinungen 223
-
- 15. Die Entdeckung der Thermoelektrizität 237
-
- 16. Der insbesondere durch Laplace und Herschel bewirkte
- Aufschwung der Astronomie 241
-
- 17. Die Grundlagen der mechanischen Wärmetheorie 264
-
- 18. Fortschritte der Optik und Sieg der Wellentheorie 272
-
- 19. Die Chemie und die Physik treten in engere Wechselbeziehungen 282
-
- 20. Fortschritte in der Anwendung der Mathematik auf die
- Naturwissenschaften 296
-
- 21. Die Begründung der physikalischen Erdkunde 319
-
- 22. Die Mineralogie unter dem Einfluß der chemisch-physikalischen
- Forschung 340
-
- 23. Die Aufstellung eines natürlichen Pflanzensystems 350
-
- 24. Die Physiologie der Pflanzen unter dem Einfluß der neueren
- chemisch-physikalischen Forschung 360
-
- 25. Die Verschmelzung der Zoologie mit der vergleichenden Anatomie
- und das natürliche System der Tiere 376
-
- 26. Geologie und Paläontologie unter der Herrschaft der
- Katastrophenlehre 385
-
- 27. Fortschritte in der Begründung der Ontogenie
- (Entwicklungslehre) 390
-
-
-
-
-1. Wissenschaft und Weltgeschichte.
-
-
-Die bisherige Darstellung reicht bis etwa zur Mitte des 18.
-Jahrhunderts. Ein kurzer Rückblick im Rahmen der Weltgeschichte möge
-die Entwicklung vergegenwärtigen, welche die Naturwissenschaften
-bis zu jenem Zeitpunkt genommen. Die Grundlagen, auf denen sich die
-Wissenschaft wie die gesamte Kultur des Altertums erhoben, entstammten
-dem Orient. Dort wurde lange vor dem Beginn der griechischen
-Geschichte eine gewaltige, auf die Mathematik, die Astronomie, die
-Heilkunde und die drei Naturreiche sich beziehende Summe von Tatsachen
-bekannt. Den Griechen blieb es vorbehalten, die Einzelkenntnisse zu
-wissenschaftlichen Systemen zusammenzufassen und die Philosophie
-ins Leben zu rufen. Philosophie und Wissenschaft sahen wir seit der
-Blütezeit des griechischen Lebens die gleiche Aufgabe verfolgen. Sie
-lautet Welterklärung. Bei gleichem Ziele waren die Ausgangspunkte
-und folglich auch die Wege verschieden. Die Philosophie stellte
-das denkende Subjekt, die Wissenschaft die Summe der von außen
-herantretenden Erfahrungen in den Mittelpunkt der Betrachtung. Die
-philosophierende und die forschende Tätigkeit gingen während des
-Altertums Hand in Hand. Wir sahen sie sogar oft in derselben Person
-vereinigt. Das galt von Plato nicht minder als von Aristoteles, dem
-Schöpfer des größten philosophischen und naturwissenschaftlichen
-Systems, welches das Altertum hervorgebracht hat.
-
-Es war ein Mangel des Altertums, daß genaues Beobachten und überlegtes
-Experimentieren noch nicht genügend als die Grundlagen des Erkennens
-gewürdigt wurden. Dies führte zu Vorstellungen, die ihre Wurzel mehr
-in der Phantasie, als in der Erfahrung hatten. Beispiele hierfür bot
-uns insbesondere das Lehrgebäude des Aristoteles. Doch fehlte es auch
-nicht an Männern, die wie Archimedes im Sinne des modernen Forschers
-ihre Lehren auf Versuche und auf die Verknüpfung der Mathematik mit der
-Naturwissenschaft aufbauten. Auch die alexandrinischen Gelehrten haben
-durch ihre mehr auf die Gegenstände als auf das Allgemeine gerichtete
-Forschung Großes in der Astronomie, der Erdbeschreibung und der Physik
-geleistet. Eine wichtige Förderung der Naturkenntnis erwuchs dem
-Altertum aus der Technik. Auf diesem Gebiete sahen wir auch die mehr
-praktischen als wissenschaftlichen Zielen zugewandten Römer tätig.
-
-Das Ende der römischen Herrschaft bedeutet einen tiefen Einschnitt
-nicht nur in der Weltgeschichte, sondern auch in der Entwicklung der
-Naturwissenschaften. Sie fanden innerhalb der christlich-germanischen
-Kultur zunächst nicht den ihnen gebührenden Platz. Daß die Schöpfungen
-der Alten bis in die neuere Zeit erhalten blieben, ist das
-Hauptverdienst des arabischen Zeitalters. Erst im 13. Jahrhundert, nach
-der Berührung des Abendlandes mit dem Orient, lebten die Wissenschaften
-in Italien und in West- und Mitteleuropa wieder auf. Aus dem Studium
-des von den Arabern bearbeiteten astronomischen Hauptwerks des
-Altertums erwächst die neuere Astronomie. Durch ihre Verbindung mit
-der Nautik werden die Entdeckungsreisen ermöglicht. Die Ausdehnung
-des geographischen Gesichtskreises über den ganzen Erdball und die
-Befreiung von den Formen des mittelalterlichen Denkens und Fühlens
-bedingen einen Einschnitt von gleicher Wichtigkeit wie ein Jahrtausend
-vorher der Untergang der alten Welt. Als ein anderer, ein neuer, tritt
-der Mensch an die Natur heran. Er lernt die Fesseln der Autorität
-abstreifen und die Augen öffnen. Infolgedessen entstehen die ersten
-Ansätze zur Neubegründung der beschreibenden und der experimentellen
-Naturwissenschaften. Wie auf dem astronomischen Gebiete, so bilden auch
-hier die nach dem Fall Konstantinopels in größerer Zahl nach Westeuropa
-gelangenden Schriften der Alten den Stütz- und Ausgangspunkt für die
-Bestrebungen der Neuzeit. Eine weitere Stütze erwächst der neueren
-Wissenschaft in der Erfindung des Buchdrucks, dem Emporblühen des
-Städtewesens und der Umwandlung der mittelalterlichen Feudalherrschaft
-in den geordneten Staat.
-
-Ihren Höhepunkt erreicht diese Bewegung im 17. Jahrhundert. Die
-wohlhabenden italienischen Städte und die größeren europäischen
-Staaten, vor allem Frankreich und England, beginnen, die Pflege der
-Wissenschaft als eine ihrer Aufgaben zu erkennen. Die Hochschulen
-werden zu Stätten freierer Forschung. Wissenschaftliche Akademien
-treten ins Leben. Daß der Sieg des Neuen trotzdem kein leichter war,
-lehrte uns die Lebensgeschichte Galileis. Gestützt auf die Gunst
-der Mediceer und des venetianischen Senats vermochte es Galilei, die
-aristotelische Physik zu stürzen und auf ihren Trümmern die neuere
-Mechanik zu begründen. Was er begonnen, setzten in Italien zahlreiche
-Schüler fort. Sie riefen unter dem Namen der Akademie des Versuches
-eine Vereinigung ins Leben, die indessen bald infolge der in Italien
-herrschenden hierarchischen Strömung wieder aufgelöst wurde. Der
-Gegensatz zwischen Wissen und Glauben trat im 17. Jahrhundert, im
-Zeitalter der großen Religionskriege, in allen Ländern mit besonderer
-Schärfe hervor. Die protestantischen Teile Europas machten in dieser
-Hinsicht nicht etwa eine Ausnahme. Dieser Gegensatz war nicht nur das
-Verhängnis eines *Giordano Bruno* und eines *Galilei*, er griff gleich
-unheilvoll in das Leben *Keplers* ein.
-
-Jede Betätigung und jedes Bedürfnis zahlreicher einzelner findet seine
-Stütze in dem Staat, der ja nichts weiter ist als der Zusammenschluß
-der einzelnen. Zu den allgemeinsten Betätigungen gehören das Wissen
-und der Glauben. Für das, was sie hervorbringen, für die Wissenschaft
-und für die Religion, hatte der Staat seit alters in den Schulen
-und in der Kirche seine besonderen Veranstaltungen geschaffen. Das
-Mittel, durch welches Schule und Kirche bis zum 17. Jahrhundert sich
-vorzugsweise betätigt hatten, war die Lehre durch Schrift und Wort.
-Daher das Übergewicht der Autorität während dieses Zeitraums und der
-Mangel an innerem Wachstum. Ein solches konnte nur die von den Fesseln
-der Autorität befreite Forschung verleihen. Sie regte sich zuerst
-auf dem Gebiete der dem Wirklichen zugewandten Wissenschaft. Hier
-zeigt es sich, daß eine neue, auf den Versuch und eigene Beobachtung
-sich gründende Methode allein die Sicherheit bietet, das Richtige
-vom Unrichtigen, Wahrheit von Irrtum zu unterscheiden. Daher die
-überwältigende Macht, mit der die neuere Wissenschaft alle Hindernisse
-hinwegräumt und rasch die größten Erfolge erringt, während die dem
-Jenseits zugewandte Religion und ihre Institution, die Kirche, da es
-ihr an einem ähnlichen Mittel gebricht, an der Autorität festhält, ja,
-diese Autorität um so mehr hervorkehrt, je mehr die Wissenschaft sich
-ihrer zu entledigen sucht.
-
-Für die Naturwissenschaften kam noch der fördernde Umstand hinzu, daß
-man aus ihrer Pflege einen unmittelbaren Nutzen zu erzielen wußte. An
-der Pflege der Botanik und der Zoologie hatte die Heilkunde das größte
-Interesse. Die Ergebnisse der Physik, der Chemie und der Mineralogie
-kamen vielen Gewerben zugute. Die Astronomen hatten der Kartographie,
-der Zeitbestimmung und in neuerer Zeit vor allem der Nautik jedermann
-in die Augen springende Dienste erwiesen. Die Leistungen all dieser
-Zweige wurden seit der Erneuerung der Naturwissenschaften in hohem Maße
-gefördert durch die Erfindung zahlreicher Instrumente und durch die
-ausgedehnte Anwendung der Mathematik. Die Bewaffnung des Auges mit dem
-Fernrohr und mit dem Mikroskop, die Erfindung des Thermometers, der
-Luftpumpe, des Barometers und mancher anderen für die Forschung und für
-das Leben gleich wichtigen Instrumente ermöglichten die Schöpfung eines
-Weltbildes, das sich von dem mittelalterlichen in fast allen Teilen
-unterschied. In der Neugestaltung und der Verknüpfung der Mathematik
-mit den Naturwissenschaften leistete die *Newton-Huygens*-Periode das
-Hervorragendste. Ihr wertvollstes Ergebnis bestand in der Verknüpfung
-der Mechanik mit der Astronomie durch *Newtons* Weltgesetz. Die
-wichtigsten Pflegestätten der Wissenschaften waren in jenem Zeitalter
-England und die Niederlande. Hier genoß das Individuum zuerst diejenige
-Befreiung von staatlicher und kirchlicher Bevormundung, die als das
-Lebenselement der Wissenschaft betrachtet werden muß. In Frankreich
-dagegen war die Autorität des Staates und der Kirche damals so mächtig,
-daß ihr selbst der große *Huygens* das Feld räumte, nachdem er lange
-eine Zierde der Pariser Akademie gewesen. Deutschland litt unter den
-Folgen des dreißigjährigen Krieges. Und wenn auch einzelne Großes
-leisteten, vermochte dennoch hier die Wissenschaft als Ganzes nicht
-mit der geistigen Entwicklung der politisch erstarkten Länder gleichen
-Schritt zu halten.
-
-Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts machte sich auf allen Gebieten
-des geistigen, sowie des sozialen Lebens ein Umschwung bemerkbar,
-der für die gesamte Kulturentwicklung den Beginn einer neuen Phase
-bedeutete. In der Staatengeschichte erreichte dieser Vorgang seinen
-Höhepunkt in der französischen Revolution, mit welcher der Historiker
-die neueste Zeit beginnen läßt. Die Geschichte der Wissenschaften
-verzeichnet zwar gleichfalls einen mit der sozialen und politischen
-Entwicklung Schritt haltenden Wechsel; ihren Geschehnissen ist aber das
-scheinbar Unvermittelte bei weitem nicht in solchem Maße eigen wie den
-politischen Begebenheiten.
-
-Die Naturwissenschaften waren auf dem Punkte angelangt, daß zahlreiche
-Kräfte sich zu ihrem weiteren Ausbau die Hand reichen mußten,
-während in den vorhergehenden Perioden der einzelne noch einen
-überwiegenden Einfluß ausgeübt hatte. Das neueste Zeitalter in der
-Entwicklung der Wissenschaften, dem unsere weitere Darstellung gilt,
-wird dementsprechend auch nicht durch eine hervorragend wichtige
-Entdeckung oder durch das Auftreten eines bedeutenden Forschers
-eingeleitet. Während für die Chemie eine neue Epoche beginnt, wandeln
-die Astronomie und die Mechanik in den eingeschlagenen Bahnen weiter.
-Die Prinzipien der letzteren werden in immer höherem Maße auf die
-übrigen Teile der Physik angewandt, welcher sich mit der Entdeckung
-der galvanischen Elektrizität ein neues, wichtiges Gebiet erschließt.
-Auch die Zoologie und die Botanik werden von einem Wechsel betroffen.
-Auf das Vorherrschen der Systematik folgt eine Richtung, in der
-morphologische und bald darauf auch physiologische Fragen an die erste
-Stelle rücken. Etwa in die Mitte des 19. Jahrhunderts fällt dann die
-großartige Verallgemeinerung und Verknüpfung der gesamten bisherigen
-Forschungsergebnisse infolge der Durchführung des Prinzips von der
-Erhaltung der Kraft. Die Betrachtung der dann folgenden letzten
-Entwicklungsstufen wird uns bis zu den Aufgaben des Tages führen und
-schließlich einen Ausblick in eine verheißungsvolle Zukunft eröffnen.
-
-
-
-
-2. Das 18. Jahrhundert errichtet die Grundlagen der Elektrizitätslehre.
-
-
-Während die Physik im 17. Jahrhundert ihre Fortschritte vorzugsweise
-auf den Gebieten der Mechanik und der Optik, den ältesten Zweigen der
-Naturlehre, zu verzeichnen hatte, war das 18. Jahrhundert insbesondere
-dem Ausbau des von *Gilbert* und *Guericke* erschlossenen Gebietes
-der Reibungselektrizität gewidmet. *Gilbert* hatte zum erstenmal den
-Unterschied zwischen magnetischer und elektrischer Anziehung scharf
-hervorgehoben[1], während *Guericke* die elektrische Abstoßung entdeckt
-und die erste maschinelle Vorrichtung zur Erzeugung von Elektrizität
-ins Leben gerufen hatte. Leider wurde *Guerickes* Apparat zunächst
-nicht benutzt. Man begnügte sich damit, Elektrizität zu erzeugen,
-indem man Glas, Bernstein und andere geeignete Stoffe aus freier Hand
-rieb. Trotzdem gelang es, elektrische Entladungen von solcher Wirkung
-hervorzurufen, daß nicht nur ein Knistern, sondern auch das Auftreten
-von Funken bemerkt wurde. Ein Beobachter erwähnt sogar, »dieses Licht
-und Knistern scheine einigermaßen Blitz und Donner vorzustellen«[2].
-
-Auf das Studium der elektrischen Phänomene wurde man besonders
-durch eine merkwürdige Beobachtung am Quecksilberbarometer gelenkt.
-*Picard* bemerkte im Jahre 1675, daß sich bei völliger Dunkelheit
-beim Erschüttern der Quecksilbersäule in der *Torricelli*schen Leere
-ein eigentümliches phosphoreszierendes Leuchten zeigt. Die sonderbare
-Erscheinung erregte großes Aufsehen und rief eine umfangreiche
-Literatur hervor. Die richtige Erklärung fand *Francis Hawksbee*, ein
-Mitglied der Royal Society. *Hawksbee*, welcher seine Versuche
-über diesen Gegenstand seit dem Jahre 1705 in den Philosophical
-Transactions veröffentlichte[3], nahm an, daß man es hier mit einer
-durch die Reibung des Quecksilbers an dem Glase vor sich gehenden
-Elektrizitätserregung zu tun habe. Um seine Ansicht zu beweisen,
-stellte er eine hohle Glaskugel auf eine Achse und versetzte sie in
-rasche Drehung. Brachte er gleichzeitig die trockene, warme Hand an
-diese Kugel, so wurde sie so stark elektrisch, daß man zolllange
-Funken erhielt. Wurde die Kugel zuvor luftleer gemacht, so erschien
-in ihr dasselbe Leuchten, das man im Quecksilberbarometer beim
-Schütteln beobachtet hatte. *Hawksbee* ist somit als der Erfinder der
-Glaselektrisiermaschine zu betrachten. Allerdings kam diese Maschine
-erst viel später in allgemeinen Gebrauch. Obgleich *Hawksbee* auch
-Schwefelkugeln und Siegellackstangen elektrisierte, gelangte er
-noch nicht dazu, zwischen positiver und negativer Elektrizität zu
-unterscheiden.
-
-Der Fortschritt auf dem Gebiete der Reibungselektrizität mußte ein
-sehr langsamer bleiben, so lange es sich nur um zufällige, durch
-keine Theorie verknüpfte Beobachtungen handelte. Dieser allerersten
-Stufe jeder exakten Wissenschaft sollte keiner der Hauptzweige der
-Physik so spät entwachsen wie gerade die Elektrizitätslehre. Erst im
-Verlaufe des 18. Jahrhunderts tritt letztere in das zweite Stadium ein.
-Dieses ist dadurch gekennzeichnet, daß man zu einem planmäßigen, von
-hypothetischen Vorstellungen geleiteten Experimentieren übergeht. Als
-Vertreter jener ersten Stufe muß selbst noch ein *Du Fay* gelten. Seine
-Tätigkeit fällt in den Beginn des 18. Jahrhunderts, während *Aepinus*
-und *Franklin* auf den Schultern der Genannten stehen und dem zweiten
-Zeitraum angehören. Erst der gegen das Ende des 18. Jahrhunderts
-anhebenden Epoche blieb es vorbehalten, durch messende Beobachtung zu
-den Gesetzen der Reibungselektrizität vorzudringen[4]. Hieran reihte
-sich das deduktive, die Hilfsmittel der Mathematik und der Mechanik
-benutzende Verfahren, womit auch auf diesem Gebiete endlich diejenige
-Stufe erreicht war, welche der Wissenschaft nach einem Ausspruch
-*Galileis* in allen ihren Teilen erst eine würdevolle Behandlung
-verleiht[5].
-
-Dem erwähnten *Du Fay* verdankt die Elektrizitätslehre eine Anzahl
-grundlegender Versuche. *Charles François Du Fay* wurde 1698 in Paris
-geboren und starb daselbst im Jahre 1739. *Du Fay* beschäftigte sich
-mit magnetischen und elektrischen Versuchen, die in den Abhandlungen
-der Pariser Akademie beschrieben wurden[6]. Das wichtigste Ergebnis
-seiner Untersuchungen läßt sich in folgende Sätze zusammenfassen: 1.
-Ein elektrischer Körper zieht alle nichtelektrischen an und teilt
-ihnen Elektrizität mit, worauf er sie wieder abstößt. 2. Es gibt
-zwei entgegengesetzte Arten der Elektrizität, die Glas- und die
-Harzelektrizität. Zu der Entdeckung, daß es zwei Arten Elektrizität
-gibt, wurde *Du Fay* durch sein Blattgoldelektroskop geführt. *Du Fay*
-ging von der Annahme aus, daß ein mit dem Glasstab elektrisiertes
-Blättchen von jedem Körper, der durch Reiben in den elektrischen
-Zustand versetzt sei, abgestoßen werde. Diese Annahme bestätigte
-sich indessen nicht. Als *Du Fay* nämlich dem Blättchen geriebene
-Kopalstücke und andere geriebene harzartige Körper näherte, wurde es
-von diesen angezogen. *Du Fay* unterschied aus diesem Grunde zwei Arten
-von Elektrizität, die er als Harz- und Glaselektrizität bezeichnete.
-Später erkannte man indessen, daß diese Benennungen irreführend sind,
-da harzartige Körper mit Glaselektrizität, glasartige dagegen mit
-Harzelektrizität geladen werden können[7]. Deshalb wurden die Glas-
-und die Harzelektrizität als positive und negative Elektrizität
-unterschieden. *Du Fay* war es auch, der zuerst auf den Zusammenhang
-zwischen dem Leitungsvermögen und der Elektrisierbarkeit der Körper
-aufmerksam machte. Man fing nun an, die Nichtleiter in ausgedehnter
-Weise als Isolatoren zu benutzen. So gelang es dem genannten Forscher,
-einen an Haarschnüren oder an seidenen Stricken hängenden Menschen zu
-elektrisieren und ihm Funken zu entlocken.
-
-Die ersten Beobachtungen über die Fortleitung der Elektrizität rühren
-von *Guericke* her. Ausgedehntere Versuche über das Leitungsvermögen
-stellte ein Zeitgenosse *Du Fays*, der Engländer *Stephan Grey*, an.
-Er verschloß eine Glasröhre vermittelst eines Korkstopfens, um zu
-untersuchen, ob sie sich jetzt in gleicher Weise wie vorher durch
-Reiben elektrisieren lasse. *Grey* (er starb 1736 in London) bemerkte
-keinen Unterschied, fand aber, daß der Stopfen auch elektrisch
-geworden war, da er auf eine Feder wie die Glasröhre wirkte. Darauf
-steckte er in den Stopfen einen Holzstab, der am andern Ende eine
-Elfenbeinkugel trug. Wurde nun die Glasröhre gerieben, so zeigte sich
-diese Kugel gleichfalls elektrisch. Die Zustandsänderung hatte sich
-also von dem Glase aus durch den Stopfen und das Holz bis auf die Kugel
-fortgepflanzt. Um die Frage zu entscheiden, bis auf welche Entfernung
-eine solche Fortpflanzung möglich sei, ersetzte *Grey* den Holzstab
-durch einen ausgespannten Faden, der in seidenen Schleifen hing. Es
-gelang, eine Wirkung auf Entfernungen bis zu 700 Fuß nachzuweisen. Ließ
-man den Bindfaden nicht auf Seide, sondern auf Draht ruhen, so mißlang
-der Versuch. Auch hierdurch wurde man auf den Unterschied zwischen
-Leitern und Nichtleitern aufmerksam gemacht. Als letztere lernte man
-Haare, Seide, Harz und Glas kennen und zu ferneren Versuchen benutzen.
-*Grey* elektrisierte auch Personen, die auf einem Harzkuchen standen.
-Er ist also im Prinzip der Erfinder des Isolierschemels. *Grey* stellte
-eine Schale mit Wasser auf seine Isolierplatte. Wurde der Flüssigkeit
-ein elektrisierter Glasstab genähert, so erhob sie sich über ihr
-gewöhnliches Niveau. Dieser Versuch führte auf eine eigentümliche
-Entdeckung. Zwei Leydener Physiker[8] suchten Wasser, das sich in
-einem isolierenden Glasgefäß befand, zu elektrisieren, indem sie es
-vermittelst eines Drahtes mit einer geriebenen Glasröhre in Verbindung
-setzten. Als der eine von ihnen zufällig das Gefäß in der Hand hielt
-und zu gleicher Zeit die Röhre berührte, erhielt er einen kräftigen
-Schlag, der besonders im Arm und in der Brust zu spüren war. In der
-betreffenden Mitteilung vom Jahre 1746 hieß es, man sei in Leyden auf
-einen erschrecklichen Versuch geraten, dem sich die Erfinder nicht um
-die Krone Frankreichs zum zweitenmal aussetzen möchten. Die Priorität
-der Entdeckung gebührt jedoch nicht den Leydener Physikern, sondern
-dem in Pommern lebenden *von Kleist*[9]. Im Jahre 1745 machte dieser
-folgenden Versuch. Er stellte in eine Arzneiflasche einen eisernen
-Nagel und elektrisierte diesen. Als er darauf den Nagel mit der anderen
-Hand berührte, erhielt er einen heftigen Schlag, der noch verstärkt
-wurde, wenn sich etwas Quecksilber am Boden der Flasche befand. Die
-Entdeckung erregte großes Aufsehen und führte der Beschäftigung mit
-elektrischen Versuchen zahlreiche Dilettanten zu. Jene Vorrichtung,
-die man in der Folge als die Leydener Flasche bezeichnete, wurde
-in Frankreich im Beisein des Königs durch eine Kette von mehr als
-hundert Personen entladen. Das Wasser und die Hand, welche bei dem
-ursprünglichen Versuch die Rolle des inneren und des äußeren Belags
-gespielt hatten, wurden bald darauf durch Zinn ersetzt. Ferner machte
-man die Beobachtung, daß die Leydener Flasche die Elektrizität längere
-Zeit behält und daß sie sich nicht laden läßt, wenn sie isoliert ist.
-Zu einem Verständnis dieses Verhaltens gelangte erst *Franklin*. Als
-er eine, an einem Seidenfaden hängende, leichte Kugel dem inneren
-Belage näherte, wurde sie in der bekannten Weise zunächst angezogen,
-dann aber, nachdem sie gleichfalls elektrisch geworden war, wieder
-abgestoßen. Näherte er die Kugel jetzt dem äußeren Belag, so wurde sie
-angezogen. Es zeigte sich also, daß die Beläge entgegengesetzt geladen
-waren, und daß die Entladung der Flasche in dem Ausgleich dieser
-entgegengesetzten Elektrizitäten besteht. *Franklin* bediente sich bei
-seinen Versuchen einer auf beiden Seiten mit Zinn überzogenen Tafel,
-die nach ihm noch heute als *Franklin*sche Tafel bezeichnet wird.
-
-Die Vereinigung mehrerer Leydener Flaschen zu einer elektrischen
-Batterie bewerkstelligte zuerst der Danziger Bürgermeister
-*Gralath*[10]. Er nahm mehrere Glaskolben, füllte sie zur Hälfte mit
-Wasser und ließ einen eisernen, mit einer Kugel versehenen Draht aus
-der Flasche hervorragen. Sämtliche Kugeln wurden dann gleichzeitig mit
-dem Konduktor der Elektrisiermaschine verbunden. *Gralath* erhielt
-durch diese Vorrichtung einen sehr heftigen Schlag. Noch in demselben
-Jahre (1746) wurde die Wirkung der Batterie in solchem Maße verstärkt,
-daß man den Funken am hellen Tage 200 Schritte weit sah und die
-Entladung auf noch größere Entfernung zu hören vermochte.
-
-Die weitere Erforschung der Reibungselektrizität wurde dadurch
-außerordentlich gefördert, daß man nach dem Vorgange *Guerickes* und
-*Hawksbees* zur Anwendung maschineller Vorrichtungen schritt.
-
-Einem Leipziger Professor der Physik namens *Hausen* wurde im Jahre
-1743 von einem seiner Zuhörer der Vorschlag gemacht, sich das mühevolle
-Reiben der Glasröhre dadurch zu ersparen, daß er eine größere Glaskugel
-in Drehung versetze. Dieser Vorschlag erwies sich als über Erwarten
-praktisch, zumal ein Leipziger Handwerker den neuen Apparat mit dem
-ersten Reibzeug versah. Letzteres bestand aus einem wollenen Kissen.
-Bald darauf (1744) brachte der deutsche Physiker *Bose* neben der
-Glaskugel einen isolierten Metallkörper als Konduktor an. Diesen
-Konduktor finden wir schon wenige Jahre, nachdem *Hausen* seine
-Maschine gebaut, mit einem Saugkamm versehen[11], so daß noch vor
-Ablauf der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Elektrisiermaschine
-in ihrer noch jetzt gebräuchlichen Einrichtung den Physikern zu Gebote
-stand. Im weiteren Verlaufe des 18. Jahrhunderts ersetzte man die
-Glaskugel durch die handlichere Glasscheibe[12] und versah das Reibzeug
-mit dem bekannten, von *Kienmayer* empfohlenen Amalgam[13].
-
-[Illustration: Abb. 1. Elektrisiermaschine aus dem Jahre 1744.
-(Aus *Gerland* und *Traumüller*, Geschichte der physikalischen
-Experimentierkunst.)
-
-Als Reibzeug dient noch die Hand. Ihr gegenüber befindet sich als
-Konduktor eine auf seidenen Schnüren liegende Metallröhre AB, deren
-Ende A mit einem Bündel Fäden an Stelle des Saugkammes versehen ist. E
-steht auf einem mit isolierender Substanz (Pech) gefüllten Kasten. Aus
-der Spitze des Degens springt ein Funken über, welcher den im Löffel F
-befindlichen Weingeist entzündet.]
-
-Die Elektrisiermaschine kam nun sozusagen in Mode. Das Interesse,
-welches ihr bemittelte Dilettanten entgegenbrachten, bewirkte, daß
-sie schließlich gewaltige Dimensionen annahm[14]. In rascher Folge
-wurden jetzt die wichtigsten Erscheinungen der Reibungselektrizität
-entdeckt. Die zündende Wirkung des Funkens wurde an Schießpulver,
-Äther und anderen brennbaren Stoffen dargetan. Der Danziger
-Bürgermeister *Gralath*[15] entzündete ein eben ausgeblasenes Licht
-durch den elektrischen Funken. Ja, es gelang sogar, vermittelst eines
-elektrisierten Wasserstrahles Weingeist in Brand zu setzen.
-
-Ferner versuchte man die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Elektrizität
-zu bestimmen, indem man den Schlag einer Leydener Flasche durch
-einen mehrere tausend Meter langen Draht leitete (siehe Abb. 2).
-Derartige Versuche unternahm zuerst der Franzose *Le Monnier* und
-später der Engländer *Watson* (1715-1787). Da sich hierbei kein
-meßbarer Zeitunterschied ergab, so konnte man zunächst nur auf eine
-sehr große Geschwindigkeit schließen. Diese zu bestimmen, war eine
-neue, sinnreiche Methoden erfordernde Aufgabe der Experimentalphysik.
-Doch knüpfte man später an den der obigen Versuchsanordnung (Abb.
-2) zugrunde liegenden Gedanken wieder an, nur daß an Stelle der
-unmittelbaren Beobachtung der rasch rotierende Spiegel trat.
-
-[Illustration: Abb. 2. *Watsons* Versuch, die Geschwindigkeit der
-Elektrizität in einem Drahte zu bestimmen. Der innere Belag der
-Leydener Flasche C steht mit dem isoliert aufgehängten leitenden Stabe
-AD in Verbindung. Von dem äußeren Belag geht ein Draht nach der
-Kugel H. In F wird eine Person eingeschaltet. Obgleich das Drahtstück
-zwischen F und H etwa 12000 Fuß lang war, konnte der in F befindliche
-Beobachter doch keinen Zeitunterschied zwischen der empfangenen
-Erschütterung und dem Überspringen des Funkens bei H feststellen.]
-
-Auch der naheliegende Gedanke, das Verhalten des Funkens im Vakuum zu
-untersuchen, kam zur Ausführung[16]. Der erste, der darüber Versuche
-anstellte, war der Mechaniker *Grummert* (1719-1776) in Dresden.
-Es zeigte sich, daß die Elektrizität den luftleeren Raum auf eine
-beträchtliche Strecke durchdringt. Nach der Beschreibung *Watsons*,
-eines späteren Beobachters, erfüllte das elektrische Feuer die ganze
-Röhre, so daß man, so lange die Maschine in Bewegung blieb, eine
-ununterbrochene Lichterscheinung wahrnahm. Der weitere Verfolg dieses
-Versuches hat zur Erfindung der *Geißler*schen Röhre und endlich in der
-neuesten Zeit zur Entdeckung eigentümlicher Strahlengattungen geführt.
-Auch zur Erklärung des Nordlichts wurde das elektrische Leuchten in
-evakuierten Röhren herangezogen[17].
-
-Den neuen, wunderbaren Entdeckungen gegenüber, denen man nichts
-Ähnliches an die Seite stellen konnte, erhob sich schon bei den
-Physikern des 18. Jahrhunderts die Frage nach der Ursache der
-elektrischen Erscheinungen. War die Elektrizität ein Stoff, so
-ließ sich erwarten, daß die Körper durch das Elektrisieren eine
-Gewichtszunahme erfahren würden. Alle Versuche, die nach dieser
-Richtung hin angestellt wurden, blieben jedoch ohne Erfolg[18]. Zu
-dem gleichen Ergebnis war man hinsichtlich der Wärme gelangt, als man
-Gegenstände in erhitztem Zustande und bei gewöhnlicher Temperatur wog.
-
-Aus diesen Versuchen wurde nun keineswegs gefolgert, daß die
-Elektrizität und die Wärme bloße Zustände seien, sondern es wurde der
-Begriff des unwägbaren Stoffes oder der Imponderabilie, aus dem man ja
-auch die Lichterscheinungen zu erklären suchte, auf die elektrischen,
-die verwandten magnetischen und die kalorischen Vorgänge ausgedehnt.
-Die Lehre von den Imponderabilien hat die Physik bis in das 19.
-Jahrhunderte hinein beherrscht. Sie wurde hinsichtlich der Wärme zuerst
-von *Rumford* und *Davy* erschüttert. Ihre endgültige Beseitigung auf
-allen Gebieten ist eine Aufgabe, welche die Wissenschaft bis in die
-neueste Zeit beschäftigt hat.
-
-Obgleich die Lehre von den Imponderabilien nicht imstande war, einem
-vorgeschrittenen Kausalitätsbedürfnis zu genügen, bot sie bei der
-Stufe des Wissens, welche das 18. Jahrhundert erreicht hatte, doch die
-einzige Möglichkeit einer Erklärung. Wenn man die Lichterscheinungen
-auf die Fortbewegung eines besonderen Stoffes zurückführte, war man
-auch gezwungen, weitere Stoffe als Träger der Wärme, der elektrischen
-und der magnetischen Vorgänge anzunehmen. Einfacher gestaltete sich
-die Theorie der Elektrizität bei solchen Physikern, welche die
-Lichterscheinungen auf Wellenbewegung zurückführten. So besteht für
-*Euler* kein Zweifel, daß die Quelle aller elektrischen Vorgänge
-in dem Äther zu suchen sei, in dem sich nach ihm und *Huygens* das
-Licht fortpflanzt. Die Elektrizität, meint *Euler*, sei nichts als
-eine Störung im Gleichgewichte dieses Äthers, der in die Körper
-hineingepreßt oder aus ihnen herausgetrieben werde, je nachdem sie die
-eine oder die andere Art des Elektrizitätszustandes aufwiesen[19].
-
-Von einer ähnlichen Vorstellung ließ sich *Franklin* bei seinen
-Untersuchungen leiten. Die Körper waren für ihn positiv oder
-negativ elektrisch, je nachdem sie ein Zuviel oder ein Minder
-des hypothetischen elektrischen Fluidums enthielten, während sie
-unelektrisch seien, wenn sich dieses Fluidum außerhalb und innerhalb
-der Körper im Gleichgewicht befände.
-
-Nach *Franklin* durchdringt das elektrische Fluidum die ganze
-Körperwelt. Es ist die Ursache aller elektrischen Erscheinungen. Die
-Teilchen dieses Fluidums stoßen sich gegenseitig ab, werden aber
-von den Körperteilchen kräftig angezogen. Enthält der Körper soviel
-davon, als er aufnehmen kann, ohne daß etwas von dem Fluidum auf der
-Oberfläche des Körpers zurückbleibt, so ist dies nach *Franklin* der
-gewöhnliche Zustand, und der Körper erscheint uns unelektrisch.
-
-Andere wieder, wie *Symmer*, zogen es vor, die verschiedenen
-elektrischen Zustände aus der Annahme zweier Fluida zu erklären. Der
-hieraus entstehende Streit der Unitarier und Dualisten, so zwecklos er
-an sich auch war, bewirkte, daß die experimentelle Erforschung der in
-Frage kommenden Erscheinungen lebhaft gefördert wurde. Das Interesse
-dafür wurde ein solch allgemeines, daß den Physikern von Beruf mancher
-Bundesgenosse aus dem Laienkreise erstand. Der hervorragendste unter
-ihnen war der soeben genannte *Franklin*.
-
-*Benjamin Franklin* wurde am 17. Januar 1706 in Governors Island bei
-Boston geboren. Sein Vater hatte die englische Heimat verlassen, weil
-er dort nicht ungehindert seiner religiösen Überzeugung leben konnte.
-Da er sich und eine zahlreiche Familie durch Seifensieden nur mühsam
-ernährte, so wurde der junge Benjamin frühzeitig von der Schule
-genommen und seinem älteren Bruder, einem Buchdrucker, in die Lehre
-gegeben. Nachdem *Franklin* einige Zeit in England als Setzer tätig
-gewesen war, rief er in Philadelphia eine Zeitung und eine Druckerei
-ins Leben.
-
-Zur Beschäftigung mit der Elekrizitätslehre wurde *Franklin*
-dadurch angeregt, daß ein Londoner Kaufmann namens *Collinson* der
-Bibliotheksgesellschaft zu Philadelphia einige Gegenstände für
-elektrische Versuche übersandte. Ein Jahr später konnte *Franklin* an
-*Collinson* schreiben[20]: »Mein Eifer und meine Zeit wurden nie zuvor
-durch etwas in solchem Maße in Anspruch genommen. Ich stelle Versuche
-an, sobald ich allein sein kann, und wiederhole sie in Gegenwart meiner
-Freunde, die in Scharen kommen, um sie zu sehen. Ich habe kaum Zeit für
-irgend etwas anderes.«
-
-Die Ergebnisse, zu denen *Franklin* von 1747-1755 gelangte, legte er
-in zahlreichen Briefen nieder, die zum größten Teil an *Collinson*
-gerichtet sind, und von ihm der Royal Society mitgeteilt wurden. Im
-Jahre 1756 wurde *Franklin* Mitglied der Royal Society.
-
-*Franklins* erste Briefe handeln von der Ladung der Leydener Flasche
-und der unitarischen Lehre; spätere betreffen das Gebiet der
-atmosphärischen Elektrizität, welches durch *Franklins* Arbeiten erst
-erschlossen wurde. *Franklin* setzte seine wissenschaftliche Tätigkeit
-bis zum Jahre 1774 fort. Von diesem Zeitpunkt an widmete er sich
-ganz den Bestrebungen, die auf eine Loslösung der nordamerikanischen
-Kolonien von England abzielten. *Franklin* war bald einer der Führer in
-dieser gewaltigen politischen Bewegung.
-
-Als die griechische Philosophie an Stelle der mythischen Betrachtung
-eine ursächliche Erklärung des Naturgeschehens zu setzen suchte, führte
-man das Gewitter auf schweflige, brennbare Dünste zurück, die sich in
-den Wolken ansammeln und als Blitz die letzteren durchbrechen sollten.
-Selbst im 17. Jahrhundert ahnte noch niemand die wahre Natur der
-Erscheinung. Nach *Descartes* besteht das Gewitter in einem Herabfallen
-der oberen Wolken auf die darunter befindlichen. *Euler* erzählt, daß
-man die ersten, welche eine Ähnlichkeit zwischen den elektrischen
-Erscheinungen und dem Blitz zu finden glaubten, als Träumer angesehen
-habe[21]. Was noch im Beginn des 18. Jahrhunderts als bloße Vermutung
-geäußert wurde, erhob *Franklin* durch seine Untersuchungen auf den
-Boden der Gewißheit.
-
-Wenn wir von *Wall* absehen, der schon 1705 die gelegentliche Bemerkung
-gemacht hat, man könne die elektrische Entladung mit dem Blitz und dem
-Donner vergleichen, so besitzt *Franklin* mit seiner Gewittertheorie
-einen Vorläufer nur in dem Deutschen Winkler. Letzterer erörterte
-im Jahre 1746[22] die Frage: »ob Schlag und Funken der verstärkten
-Elektrizität (in *Kleist*schen Flaschen) für eine Art Blitz und Donner
-zu halten sind?« *Winkler* kam zu dem Ergebnis, daß das Gewitter und
-die künstlich herbeigeführte elektrische Entladung nur in der Stärke,
-indessen nicht in ihrem Wesen voneinander verschieden seien. Als die
-Quelle der Gewitterelektrizität betrachtete er die Verdunstung des
-Wassers und eine damit verbundene Reibung.
-
-*Franklin* sprach sich zuerst in seinem Briefe vom 7. November 1749
-für die elektrische Natur des Gewitters aus. Für die Übereinstimmung
-des Blitzes mit dem elektrischen Funken führte er folgende Gründe und
-Beweise an: 1. Die Ähnlichkeit des Lichtes, sowie des Geräusches und
-das fast Augenblickliche beider Erscheinungen. 2. Der Funke wie der
-Blitz sind imstande, Körper zu entzünden. 3. Beide vermögen lebende
-Wesen zu töten. (*Franklin* tötete ein Huhn durch die Entladung
-mehrerer Leydener Flaschen). 4. Beide rufen mechanische Zerstörungen
-hervor und erzeugen einen Geruch nach verbranntem Schwefel[23]. 5.
-Der Blitz und die Elektrizität folgen denselben Leitern und springen
-vorzugsweise auf die Spitzen über. 6. Beide sind imstande, den
-Magnetismus zu zerstören oder auch die Pole eines Magneten umzukehren.
-7. Durch den Funken können ebenso wie durch den Blitz Metalle zum
-Schmelzen gebracht werden.
-
-An die Versuche, durch welche *Franklin* den letzten Punkt
-dieser Aufzählung zu erweisen suchte, knüpfte sich eine
-Meinungsverschiedenheit mit seinem Freunde *Kinnersley*. Dieser
-befaßte sich gleichfalls mit elektrischen Versuchen und führte sie
-als wandernder Experimentator seinen Landsleuten vor. *Franklins*
-Verfahren, Metalle durch den Funken zu schmelzen, bestand darin, daß
-er dünne Blättchen von Zinn oder Gold zwischen zwei Glasscheiben legte
-und eine große Leydener Flasche durch diese Blättchen entlud[24]. Das
-Metall wurde dadurch in feinste Teilchen zerstiebt, ein Vorgang, den
-*Franklin* als kalte Schmelzung bezeichnete, da ihn sein Verfahren
-die bei der Entladung auftretende Wärme nicht erkennen ließ. Die
-kalte Schmelzung sollte nicht durch Hitze, sondern dadurch zustande
-kommen, daß das elektrische Fluidum in die Zwischenräume der Teilchen
-eindringe und auf diese Weise den Zusammenhang der Körper zerstöre.
-Demgegenüber zeigte *Kinnersley*, indem er die Entladung einer Batterie
-von 35 Flaschen durch einen Draht vor sich gehen ließ, daß Metalle
-zum Erglühen und sogar zum Schmelzen gebracht werden können. »Ihr
-herrlicher Versuch,« schrieb darauf *Franklin*, »setzt außer Zweifel,
-daß unsere künstliche Elektrizität Hitze hervorbringt und daß, wenn sie
-Metalle schmilzt, dies nicht durch das geschieht, was ich als kalte
-Schmelzung bezeichnet habe[25].«
-
-Die Ursache der elektrischen Erscheinungen ist nach *Franklin* eine
-äußerst feine Flüssigkeit, welche die Körper durchdringt und sich
-in ihnen gleichmäßig verteilt aufhält. Wenn es sich infolge eines
-künstlich herbeigeführten oder eines natürlichen Vorganges ereignet,
-daß diese Flüssigkeit in dem einen Körper in größerer Menge vorhanden
-ist als in einem anderen, so teilt der Körper, welcher mehr davon
-enthält, sie demjenigen mit, der weniger besitzt, bis die Verteilung
-eine gleichmäßige geworden ist, Voraussetzung ist, daß der Abstand
-zwischen den Körpern nicht zu groß ist, oder daß Leiter vorhanden
-sind, welche diese Materie von dem einen zum anderen Körper zu führen
-vermögen. Erfolgt die Mitteilung durch die Luft, ohne Vermittlung eines
-Leiters, so sieht man eine glänzende Lichterscheinung zwischen den
-Körpern und vernimmt dabei ein Geräusch. Bei den großartigen, in der
-Natur stattfindenden Entladungen ist dieses Licht dasjenige, was wir
-Blitz nennen, und das Geräusch und sein Widerhall ist der Donner[26].
-
-Den unmittelbaren Nachweis der atmosphärischen Elektrizität lieferte
-*Franklin* durch seinen berühmt gewordenen Versuch mit dem Drachen.
-Letzterer besaß eine eiserne Spitze und wurde im Juni des Jahres
-1752 während eines Gewitters an einer Hanfschnur emporgelassen.
-Die Schnur war an einen Schlüssel geknüpft, der mit einem seidenen
-Tuche festgehalten wurde. Zuerst blieb der Erfolg aus. Als die Schnur
-jedoch feucht geworden war und eine Wolke an dem Drachen vorüberzog,
-sträubten sich die losen Fäden. Als *Franklin* jetzt die Knöchel
-seiner Hand dem Schlüssel näherte, vermochte er deutliche Funken aus
-ihm hervorzuziehen. Das zweite von *Franklin* in Vorschlag gebrachte
-Verfahren, welches indes in Europa früher zur Ausführung gelangte als
-in Amerika, bestand darin, daß man hohe Eisenstangen errichtete und
-diesen während eines Gewitters Elektrizität entzog, ein Versuch, den
-fast zur selben Zeit, als *Franklin* seinen Drachen steigen ließ,
-einige Franzosen in der Nähe von Paris dem Könige vorführten. Später
-entdeckte *Franklin*, daß die Wolken bald positiv, bald negativ geladen
-sind. Diese Untersuchungen führten ihn schließlich auf den Gedanken,
-jene Eisenstangen als Blitzableiter zum Schutze von Gebäuden zu
-empfehlen, ein Vorschlag, der in Amerika und bald darauf auch in Europa
-allseitige Beachtung fand.
-
-Die Überlegungen, die ihn zu seinem Vorschlag führten, legte *Franklin*
-in einem vom 12. IX. 1753 datierten Briefe dar. »Wird außerhalb
-des Gebäudes«, heißt es dort, »ein eiserner Stab angebracht, der
-ununterbrochen von dem höchsten Teile bis in das feuchte Erdreich
-geht, so nimmt dieser Stab den Blitz an seinem oberen Ende auf und
-bietet ihm eine gute Leitung bis in die Erde. Auf solche Weise wird
-die Beschädigung irgend eines Teiles des Gebäudes verhindert. Dabei
-ist eine geringe Menge Metall imstande, eine große Menge Elektrizität
-fortzuleiten. Ein eiserner Draht, der nicht stärker als eine Gänsefeder
-war, vermochte eine Elektrizitätsmenge fortzuführen, die an seinen
-beiden Enden eine schreckliche Zerstörung anrichtete[27].
-
-Der Stab muß an der Mauer, dem Schornstein usw. mit eisernen Klammern
-befestigt werden. Der Blitz wird den Stab, der ein guter Leiter ist,
-nicht verlassen, um durch diese Klammern in die Mauer zu fahren.
-
-Wenn das Gebäude sehr groß ist, so kann man der größeren Sicherheit
-wegen zwei oder mehr Stäbe an verschiedenen Stellen errichten.
-
-Das untere Ende des Stabes muß so tief in den Boden geführt werden,
-daß es eine feuchte Stelle erreicht. Wenn man den Stab dann biegt, um
-ihn horizontal sechs bis acht Fuß von der Mauer fortlaufen zu lassen,
-und ihn dann drei bis vier Fuß abwärts gehen läßt, so schützt er alle
-Steine des Fundamentes vor Beschädigung.«
-
-Auf die Einrichtung von Blitzableitern ist *Franklin* besonders durch
-seine Versuche über die Spitzenwirkung gekommen, die er zuerst zu
-erklären suchte. Dies geschah in seinem Briefe vom 29. Juli 1749.
-*Franklin* führt darin folgendes aus. Befinde sich die Elektrizität
-auf der Oberfläche einer Kugel, so habe kein Teilchen des elektrischen
-Fluidums mehr Neigung wie ein anderes, die Oberfläche zu verlassen,
-weil die Anziehung der Materie auf das elektrische Fluidum in diesem
-Falle überall gleich groß sei. Setze man an Stelle der Kugel einen
-Würfel, so werde die Elektrizität auf den Flächen mehr angezogen als
-an den Ecken. Die Teilchen der Elektrizität würden daher infolge der
-zwischen ihnen wirkenden Abstoßung nach den Ecken strömen. Je feiner
-die Spitze, desto mehr müsse diese Abstoßung, weil sich die Anziehung
-der Materie auf der Spitze vermindere, zur Geltung kommen und die
-Elektrizität dorthin strömen.
-
-Ebenso bekannt wie durch seine wissenschaftlichen Erfolge ist
-*Franklin* durch die Rolle geworden, die er in der politischen
-Geschichte seines Vaterlandes gespielt hat. Während des amerikanischen
-Unabhängigkeitskampfes hielt sich *Franklin* in Paris auf, wo er im
-Jahre 1783 die Friedensverhandlungen unterzeichnete. Die Bewunderung,
-welche dem schlichten und doch so bedeutenden Manne von ganz Frankreich
-gezollt wurde, fand einen beredten Ausdruck in dem von *d'Alembert* an
-ihn gerichteten Worte: Eripuit coelo fulmen sceptrumque tyrannis[28].
-
-Bevor *Franklin* nach Amerika zurückkehrte, schloß er noch
-Freundschafts- und Handelsverträge mit Schweden und Preußen. Im Jahre
-1788 zog er sich vom öffentlichen Leben zurück. *Franklin* starb am 17.
-April 1790. Sein Tod versetzte, wie die von Washington gehaltene Rede
-bekundet, sein Vaterland in tiefe Trauer. Auch Europa, wo Mirabeau ihm
-einen Nachruf widmete, nahm lebhaften Anteil. Es war ein Augenblick,
-in welchem das Gefühl der geistigen Zusammengehörigkeit zwischen der
-alten Welt und der jungen, neuen Stätte der Kultur voll zum Ausdruck
-kam. Zwar sollte die Mitarbeit des amerikanischen Volkes an den
-Aufgaben der Wissenschaft nicht sobald Platz greifen, wie man nach den
-Erfolgen eines *Franklin* hätte erwarten mögen. Es harrten eben noch zu
-viele andere Aufgaben ihrer Erledigung, so daß ein volles Jahrhundert
-verstreichen konnte, bis die Wissenschaft jenseits des Ozeans die
-gleiche Pflege fand, die sie in den alten Staaten Europas genießt.
-
-Erwähnenswerte Versuche über die atmosphärische Elektrizität wurden
-auch von *de Romas*, *Richmann* und *Le Monnier* angestellt.
-
-*De Romas* (starb 1776), ein Franzose, wiederholte *Franklins*
-Drachenversuch in größerem Maßstabe im Sommer des Jahres 1753. Er ließ
-einen Drachen von 7½ Fuß Höhe an einer 780 Fuß langen, um einen
-Eisendraht gesponnenen Schnur 550 Fuß hoch emporsteigen. Die Schnur war
-an einer Blechröhre befestigt, aus der acht Fuß lange Funken gezogen
-wurden.
-
-Der Physiker *Richmann* in Petersburg (1711-1753) hatte eine Stange
-errichtet, an deren unterem Ende sich ein Elektroskop befand. Als er
-sich dem letzteren gelegentlich eines Gewitters näherte, wurde er von
-einem aus der Stange herausfahrenden Kugelblitz erschlagen.
-
-Von besonderer Wichtigkeit waren die Versuche des Franzosen *Le
-Monnier*. Diesem gelang im Jahre 1752 der Nachweis, daß die Atmosphäre
-auch elektrisch ist, wenn kein Gewitter, ja nicht einmal Wolken am
-Himmel stehen.
-
-Auch die chemische Wirkung der Elektrizität wurde schon in diesem
-Zeitraum, also noch vor der Erfindung der galvanischen Elemente,
-bekannt. Die Versuche *Beccarias* lieferten den Nachweis, daß sich
-mit Hilfe des Entladungsschlages aus Metalloxyden Metalle herstellen
-lassen. *Beccaria* erhielt auf diesem Wege Zink aus Zinkoxyd und
-Quecksilber aus Zinnober[29].
-
-Als man die Entladungen durch Flüssigkeiten hindurch vor sich
-gehen ließ, bemerkte man gleichfalls chemische Wirkungen. So fand
-*Priestley* im Jahre 1774, daß sich mit Hilfe der Elektrizität aus
-einigen Flüssigkeiten, z. B. aus Alkohol, Wasserstoff abspalten läßt.
-Unter allen Flüssigkeiten hatte stets das Wasser in seinem Verhalten
-gegenüber der Elektrizität am lebhaftesten interessiert. *Priestleys*
-Versuche wurden daher durch den holländischen Chemiker *van Troostwyk*
-im Jahre 1789 mit Wasser angestellt. Der Wunsch, vielleicht auf diesem
-Wege Aufschluß über die chemische Natur des Wassers zu erhalten, war
-besonders durch *Lavoisiers* Untersuchungen über die Bildung von
-Wasser aus Wasserstoff und Metalloxyden[30] hervorgerufen worden. Das
-Ergebnis *van Troostwyks* entsprach demjenigen *Lavoisiers* vollkommen.
-Als *van Troostwyk* die Entladung einer Leydener Flasche wiederholt
-durch destilliertes Wasser vor sich gehen ließ, fand eine Zerlegung
-der Flüssigkeit in ihre gasförmigen Bestandteile statt[31]. Ließ er
-den elektrischen Funken durch das entstandene Gasgemisch schlagen, so
-verwandelte es sich wieder in Wasser.
-
-Waren somit auch die chemischen Wirkungen der Elektrizität schon lange
-vor der Erfindung der galvanischen Elemente bekannt, so handelte
-es sich doch zunächst mehr um gelegentliche Beobachtungen, die nur
-geringe Beachtung fanden, da sich mit Hilfe der Leydener Flasche nur
-unerhebliche chemische Umsetzungen hervorrufen ließen. Erst als man in
-der Berührungselektrizität eine weit geeignetere Quelle für chemische
-Zerlegungen entdeckt hatte, eröffnete sich in der Elektrochemie
-ein neues, weites, für die Wissenschaft wie für die Technik gleich
-wichtiges Forschungsgebiet.
-
-Durch eine Reihe von Versuchen war man auch mit der physiologischen
-Wirkung der Elektrizität bekannt geworden. Vor allem hatte die
-heftige Erschütterung, welche die Leydener Flasche bewirkt, wenn die
-Entladung durch den Körper vor sich geht, das Interesse der Forscher
-wie der Laien hervorgerufen. Die Ärzte versprachen sich von diesen
-Erschütterungen die günstigsten Erfolge. Man verordnete gelähmten
-Kranken ein »elektrisches Bad«, indem man sie auf einer isolierenden
-Unterlage Platz nehmen und den Konduktor der Elektrisiermaschine
-berühren ließ. Nach der Erfindung der Leydener Flasche glaubte man,
-nicht nur Lähmungen, sondern auch alle möglichen anderen Krankheiten
-durch elektrische Kuren heilen zu können. Aus der Mitte des 18.
-Jahrhunderts liegen darüber eine Anzahl günstiger Krankenberichte
-vor[32]. Selbst an Versuchen, Tote mit Hilfe der Elektrizität wieder zu
-erwecken, hat es nicht gefehlt.
-
-So rasch wie die Elektrizität als Allheilmittel in Aufnahme gekommen
-war, ebenso schnell kam sie aus der Mode, bis unsere Zeit sie wieder
-in richtiger Beschränkung als therapeutisch wertvolles Mittel benutzen
-gelernt hat. Ganz unbekannt waren übrigens selbst den Alten die
-elektrischen Kuren nicht. Es wird nämlich berichtet, daß sie die
-tierische Elektrizität gegen nervöse Leiden anwandten, indem sie den
-Kranken mit dem Zitterrochen in Berührung brachten, natürlich ohne im
-entferntesten die Quelle des eigentümlichen Verhaltens dieses Tieres zu
-ahnen.
-
-Unter den deutschen Zeitgenossen *Franklins* ragen *Wilke* und
-*Aepinus* als Elektriker hervor.
-
-*Johann Karl Wilke* (Wilcke) wurde am 6. September 1732 in Wismar,
-das damals noch zu Schweden gehörte, geboren. *Wilke* studierte
-in Upsala, Göttingen und Rostock, wo er 1757 eine Dissertation
-über die entgegengesetzten Elektrizitäten, eine bedeutende Arbeit,
-herausgab[33]. Später wurde *Wilke* Sekretär der schwedischen
-Akademie der Wissenschaften. In dieser Stellung hielt er in Stockholm
-physikalische Vorlesungen. Er starb am 18. April 1796.
-
-In seiner Arbeit vom Jahre 1757 lieferte *Wilke* den wichtigen
-Nachweis, daß beim Aneinanderreiben zweier Körper stets beide
-Elektrizitätsarten entstehen. *Wilke* brachte darauf die untersuchten
-Stoffe in eine Reihe, in welcher jedes Glied, mit einem darauf
-folgenden gerieben, positiv-elektrisch, mit einem vorangehenden
-gerieben, dagegen negativ elektrisch wird. Einige Glieder dieser
-Reihe sind: Glas, Wolle, Holz, Lack, Metalle, Schwefel. Dieser ersten
-Reibungs- oder Spannungsreihe sind später zahlreiche Anordnungen
-gefolgt, die unter sich jedoch hin und wieder auffallende Abweichungen
-zeigen. Dies rührt daher, daß nicht nur die Art des Stoffes, sondern
-auch seine Oberflächenbeschaffenheit für die Stelle, die er innerhalb
-der Spannungsreihe einnimmt, mitbestimmend ist. Am bekanntesten sind
-die Reihen von *Young*[34] und die von *Faraday* geworden. Erstere
-mag hier noch Platz finden. Sie lautet: Glas, Wolle, Federn, Holz,
-Siegellack, Metalle, Harz, Seide, Schwefel.
-
-*Wilke* entdeckte ferner im Jahre 1757 eine neue Art der
-Elektrizitätserregung. Er fand nämlich, daß Schwefel und Harz, wenn man
-sie in einer Porzellanschale erstarren läßt, stark negativ elektrisch
-werden. Von *Wilke* rührt auch die erste Karte über die magnetische
-Inklination her. Von seinen Verdiensten um die Entwicklung der
-Wärmelehre werden wir im nächsten Abschnitt hören.
-
-Neben der durch Reibung und durch atmosphärische Vorgänge erzeugten
-Elektrizität lernte man auch die Erregung dieser Kraft durch
-physiologische Vorgänge und durch Wärmezufuhr kennen. Um die Mitte
-des 18. Jahrhunderts tauchte die Vermutung auf, daß man es in der
-schon von den Schriftstellern des Altertums erwähnten eigentümlichen
-Wirkung des Zitterrochens (Raja torpedo) auf den Menschen und andere
-lebende Wesen mit einer elektrischen Erscheinung zu tun habe[35].
-Seit *Richers* Anwesenheit in Cayenne war man auch mit dem Zitteraal
-(Gymnotus electricus) der südamerikanischen Gewässer bekannt
-geworden. Indes erst ein Jahrhundert, nachdem *Richer*[36] über dieses
-eigentümliche Geschöpf berichtet, hatte sich die Elektrizitätslehre
-soweit entwickelt, daß man die Identität jener physiologischen und
-der durch Reibung erzeugten Erscheinungen nachzuweisen vermochte.
-Dies geschah einmal dadurch, daß man den Impuls durch eine Kette von
-Personen leitete, wobei die erste und die letzte den Fisch an der
-Ober-, beziehungsweise an der Unterseite berührten. Alle empfingen
-dann einen Erschütterungsschlag, wie ihn die Leydener Flasche erteilt.
-Der zweite Nachweis bestand darin, daß man die Entladung durch einen
-auf Glas geklebten Stanniolstreifen vor sich gehen ließ, der eine
-Unterbrechung besaß. An der Stelle, wo sich diese befand, sah man
-bei jedem Schlage, den der Fisch bewirkte, einen elektrischen Funken
-überspringen[37].
-
-Die erste wissenschaftliche Untersuchung über die tierische
-Elektrizität wurde im Jahre 1773 von *Walsh* veröffentlicht. *Walsh*
-erbrachte nicht nur die soeben erwähnten Nachweise, sondern er zeigte
-auch, daß der Zitterrochen Elektrizität in einem ganz bestimmten
-Organ erzeugt, während der übrige Körper wie die Gewebe jedes Tieres
-nur leitend ist. Das elektrische Organ liegt, wie *Walsh* erkannte,
-zwischen dem Kopf und den Brustflossen (s. Abb. 3). Es besteht aus
-vielen Säulen, deren jede etwa 1/3 Zoll Durchmesser hat. *Walsh* zählte
-bei einigen Zitterrochen über 1000 solcher Säulen. Den kräftigsten
-elektrischen Schlag erhielt *Walsh* bei seinen Versuchen, wenn er eine
-leitende Verbindung zwischen dem Rücken und dem Bauch des Fisches
-herstellte[38].
-
-[Illustration: Abb. 3. Querschnitt durch den Torpedo nach der Zeichnung
-*Hunters*, der zuerst das elektrische Organ des Torpedos genauer
-untersuchte. (Philos. Transact. Vol. LXIII. Tab. XX. Fig. 3.)
-
-AA die obere Fläche des Fisches; BB die durchschnittenen Muskeln
-des Rückens; C das Rückenmark; D der Schlund; E die linke Kieme,
-gespalten, um den Vorlauf des sie durchziehenden Nerven zu zeigen;
-F die atmende Oberfläche der rechten Kieme; GG die Flossen; HH die
-senkrechten Säulen, welche das elektrische Organ zusammensetzen mit
-ihren horizontal verlaufenden Abteilungen; I einer der Nerven, welche
-das elektrische Organ versorgen, mit seinen Verzweigungen.]
-
-Noch eine zweite, schon lange bekannte Erscheinung wurde um die
-Mitte des 18. Jahrhunderts als eine elektrische erkannt. Bei der von
-den Juwelieren an Edelsteinen üblichen Feuerprobe konnte es nicht
-lange verborgen bleiben, daß der Turmalin, wenn er auf glühende
-Kohlen gelegt wird, Aschenteilchen anzieht und wieder von sich
-stößt[39]. Dieses eigentümliche, an das elektrische Pendel erinnernde
-Verhalten leichter Körper dem erwärmten Turmalin gegenüber wurde von
-*Aepinus*[40] genauer untersucht. Letzterer fand, daß die Erscheinung
-nur bei ungleicher Erwärmung der beiden Enden des Kristalls eintritt,
-sowie daß diese dabei entgegengesetzt elektrisch werden. Ein solcher
-Kristall, meint *Aepinus*, sei einem Magneten zu vergleichen, der ja
-auch an den beiden Polen ein entgegengesetztes Verhalten zeige[41].
-Er habe am Turmalin eine doppelte Elektrizität entdeckt und deutlich
-unterschieden, »davon die erstere auf die gewöhnliche Art durch Reiben,
-die andere aber durch einen gewissen Grad der Wärme, die man dem Steine
-beibringe, erweckt werde«. Diejenige Elektrizität, welche der Stein
-durch Reiben bekommt, war von der Elektrizität der glasartigen Körper
-nicht zu unterscheiden. Wurde der Turmalin aber erwärmt, so wurde
-die eine Seite positiv, die andere negativ elektrisch. Der erwärmte
-Turmalin zeigte also, »wie der Magnet eine doppelte Magnetkraft
-besitzt, beide Arten der Elektrizität zugleich«[42].
-
-Eine weitere Analogie zwischen einem Magneten und einem elektrisierten
-Körper entdeckte *Aepinus* in der Influenz. Wie ein Eisenstab in der
-Nähe eines Magneten magnetisch werde, so bringe ein elektrisierter
-Körper an einem benachbarten ähnliche Wirkungen hervor. *Aepinus* nahm
-einen Metallstab, der auf gläsernen Unterlagen ruhte und brachte an
-das eine Ende einen elektrisierten Körper heran, doch so, daß der Stab
-in einiger Entfernung davon blieb. Dasjenige Ende des Metallstabes,
-welches dem elektrisierten Körper zugewendet war, bekam dann die
-entgegengesetzte, das entferntere Ende dagegen dieselbe Elektrizität,
-welche der elektrisierte Körper besaß, mit dem man den Versuch
-anstellte. Bei einer geringen Abänderung des Versuches wurde jedoch
-eine große Verschiedenheit der Erscheinungen wahrgenommen. *Aepinus*
-brachte nämlich einen metallenen, auf gläserner Unterlage befindlichen
-Stab einem elektrisierten Körper so nahe, daß eine unmittelbare
-Berührung stattfand. Dann erhielt der zu elektrisierende Stab seiner
-ganzen Länge nach nur diejenige Art von Elektrizität, welche derjenige
-Körper besaß, mit dem man ihn berührt hatte.
-
-Die Beobachtung, daß sowohl der durch Erwärmung wie der durch Influenz
-elektrisierte Körper an beiden Enden entgegengesetzte Elektrizitäten
-aufweist, veranlaßte *Aepinus*, eine Analogie zwischen den elektrischen
-und den magnetischen Erscheinungen, bei denen bekanntlich stets eine
-solche Polarität wahrgenommen wird, zu behaupten. Die Zeit, den innigen
-Zusammenhang dieser Naturkräfte zu erkennen, war jedoch noch nicht
-gekommen. Es war dies vielmehr eine der wichtigsten Aufgaben, welche
-der naturwissenschaftlichen Forschung des 19. Jahrhunderts vorbehalten
-blieb[43].
-
-Sehr zutreffend waren auch die Ansichten, welche *Aepinus* über das
-Verhältnis zwischen Leitern und Nichtleitern entwickelte. Zwischen
-beiden Gruppen von Stoffen besteht nach ihm kein grundsätzlicher
-Unterschied. Dieser beruht nur auf den Unterschieden, den der
-Widerstand und in Verbindung damit die Leitungsgeschwindigkeit für die
-verschiedenen Körper aufweisen. Leiter sind danach solche Stoffe, deren
-Widerstand sehr klein, Nichtleiter solche, deren Widerstand sehr groß
-ist. Deshalb erfordert die Entladung durch letztere weit mehr Zeit. Auf
-diese Anschauung hat später *Faraday* seine Theorie vom elektrischen
-Rückstand gegründet.
-
-Mit der Pyroelektrizität des Turmalins hat sich von den Zeitgenossen
-des *Aepinus* besonders der Chemiker und Mineraloge *Tobern Bergman*
-beschäftigt. *Bergman* (1735-1784) war Professor der Chemie zu
-Upsala. Er zeigte, daß der Turmalin nicht durch die Erwärmung als
-solche, sondern durch das Hervorrufen einer Temperaturdifferenz
-elektrisch wird. War die Temperatur des Kristalls konstant, so war er
-unelektrisch, mochte die Temperatur hoch oder niedrig sein. Während
-der Temperaturzunahme war das eine Ende positiv, das andere negativ.
-Während der Abkühlung kehrten sich die Pole um. In einem späteren, der
-Mineralogie gewidmeten Abschnitt wird uns das an dem Turmalin entdeckte
-pyroelektrische Verhalten weiter beschäftigen.
-
-Einen gewissen Abschluß fanden die Entdeckungen auf dem Gebiete der
-statischen Elektrizität durch *Coulombs* erfolgreiche Bemühungen,
-messend an die bis dahin vorzugsweise nur in der Art ihrer Wirkungen
-erforschte Naturkraft heranzutreten.
-
-*Charles Augustin Coulomb* wurde am 14. Juni 1736 in Angoulème geboren.
-Sein Entwicklungsgang hat eine gewisse Ähnlichkeit mit demjenigen
-*Otto von Guerickes*. Wie letzterer war nämlich *Coulomb* ausgehend
-von der Ingenieurkunst zur Behandlung wissenschaftlicher Fragen
-gekommen. Die physikalischen Untersuchungen *Coulombs* knüpfen, wie
-wir gleich sehen werden, sämtlich an technische Probleme an. *Coulomb*
-studierte in Paris, wurde Offizier des Geniekorps und kam als solcher
-nach Martinique, wo er die Anlage von Befestigungen leitete. Im
-Jahre 1776 kehrte er nach Frankreich zurück und begann dort, sich
-mit technisch-mechanischen Untersuchungen zu befassen. Insbesondere
-beschäftigte er sich mit der Reibung, der Torsion und der Festigkeit
-der Körper. Seine erste Abhandlung betraf die Festigkeit eines
-horizontalen, mit dem einen Ende eingemauerten und am anderen Ende
-belasteten Balkens von rechteckigem Querschnitt. Für das Gewicht Q, bei
-welchem der Balken zerbricht, fand *Coulomb* den Wert 1/6k(bh^2)/l,
-wenn k den Koeffizienten der Zugfestigkeit, b die Breite, h die Höhe
-des Querschnittes und l die Länge des Balkens bedeutet. Ähnliche
-Untersuchungen stellte *Coulomb* über die Festigkeit von Säulen, die
-in der Richtung ihrer Achse belastet werden, sowie über den Erddruck
-bei Futtermauern an. Auch die Theorie der einfachen Maschinen machte
-*Coulomb* unter Berücksichtigung der Steifigkeit der Seile und der
-Reibung zum Gegenstande einer Abhandlung. Letztere trug ihm im Jahre
-1781 einen Preis und die Mitgliedschaft der Akademie der Wissenschaften
-ein. Um den Reibungskoeffizienten zu bestimmen, ließ *Coulomb*
-die zu untersuchende Substanz auf einer Unterlage von gleichem
-Material gleiten und ermittelte die zur Fortbewegung erforderliche
-Zugkraft[44].
-
-[Illustration: Abb. 4. *Coulombs* elektrische Wage.]
-
-Auf das Gebiet des Magnetismus und der Elektrizitätslehre wurde
-*Coulomb* dadurch geführt, daß die Akademie einen Preis für die
-beste Konstruktion des Schiffskompasses aussetzte. Im Anschluß an
-eine dadurch angeregte Untersuchung und unter Verwertung seiner
-Forschungen über die Festigkeit in allen ihren Formen, insbesondere
-die Torsionsfestigkeit, erfand *Coulomb* im Jahre 1785 seine Torsions-
-oder Drehwage. Von der Einrichtung und dem Gebrauch dieses Instruments
-gibt uns die nebenstehende Abb. 4 Kenntnis[45]. Ein Glaszylinder
-ABCD von etwa 30 cm Höhe wurde mit einer doppelt durchbohrten
-Glasplatte bedeckt. Durch ihre Mitte ist ein frei hängender, an der
-Scheibe *op* befestigter Silberdraht *qp* geführt, der an seinem
-unteren Ende die zu elektrisierende, möglichst isolierte Kugel a trägt.
-Ein Scheibchen g hat nur die Aufgabe, der Kugel a das Gegengewicht
-zu halten. Die Verbindung zwischen a und g besteht aus einem mit
-Siegellack überzogenen Seidenfaden. Die Scheibe *op*, welche den
-Silberfaden trägt, und der Umfang des großen Glaszylinders besitzen
-Gradeinteilungen. Die in der Abbildung rechts dargestellten Teile (H
-dient zur Fassung der Gradscheibe G) werden beim Gebrauch der Drehwage
-vereinigt und in der über dem Zylinder befindlichen, etwa einen halben
-Meter langen Glasröhre untergebracht. Durch die seitliche Öffnung
-des Glasdeckels werden elektrisierte Kugeln (d) eingeführt, deren
-Wirkung auf den in der Schwebe befindlichen elektrisierten Körper a
-man messen will. Ein Maß für die abstoßenden Kräfte ist in der Torsion
-des Silberdrahtes gegeben. Die Größe dieser Torsion, welche die Kugel
-a in ihre ursprüngliche Lage zurückzudrehen strebt, kann an der
-Gradeinteilung abgelesen werden.
-
-[Illustration: Abb. 5. *Coulombs* Untersuchung der Torsion.]
-
-Seine Arbeiten über die Torsion von Fäden und Metalldrähten hatte
-*Coulomb* ein Jahr vor der Erfindung der Drehwage veröffentlicht[46].
-Die Methode, welche er anwandte, ist diejenige der Schwingungen oder
-Oszillationen. Er wies nämlich nach, daß die Schwingungen eines
-schweren, an einem Faden aufgehängten Körpers (Abb. 5) isochron sind.
-Ist dies der Fall, dann muß auch die Torsionskraft dem Torsionswinkel
-proportional sein. Das Ergebnis seiner Beobachtungen an Drähten
-verschiedener Länge (l) und Dicke (D) konnte *Coulomb* durch folgende
-Formel darstellen: Das Drehungsmoment der Torsionskraft ist μ·B·D^4/l.
-In dieser Formel bedeutet μ eine charakteristische Konstante des
-Materials und B den Torsionswinkel. *Coulombs* Torsionswage beruht auf
-der von ihm entdeckten Eigenschaft der Drähte, eine dem Torsionswinkel
-proportionale Gegenkraft zu besitzen. Um die feinsten elektrischen
-und magnetischen Wirkungen messen zu können, wählte *Coulomb* den
-Torsionsdraht so fein, daß ein Torsionswinkel von einem Grad einer
-Torsionskraft von 1/100,000 Gran entsprach. Wurde der Aufhängefaden
-einem Kokon entnommen, so genügte schon eine Kraft von 1/60,000 Gran,
-um den Faden um 360 Grade zu tordieren.
-
-Das wichtigste Ergebnis der *Coulomb*schen Versuche besteht in dem
-Nachweise, daß »die abstoßende Kraft zweier kleiner, gleichartig
-elektrisierter Kugeln im umgekehrten Verhältnis zum Quadrat des
-Abstandes der Mittelpunkte beider Kugeln steht«[47].
-
-Den Nachweis dieses wichtigen Grundgesetzes lieferte *Coulomb* in
-folgender Weise. Er stellte die Scheibe *op* (siehe Abb. 5) so ein,
-daß die Kugel a unter der seitlichen Öffnung des Glasdeckels stand.
-Elektrisiert man nun die Kugel d und führt sie durch die Öffnung bis
-zur Berührung mit der beweglichen Kugel a ein, so nehmen beide Kugeln
-die gleiche elektrische Ladung von gleicher Dichtigkeit an. Es erfolgt
-Abstoßung um 36 Grade. Jetzt wird der Torsionskreis entgegengesetzt
-zur Ablenkung gedreht, bis letztere nur noch 18 Grad beträgt. Die
-Entfernung beträgt somit die Hälfte, während die Torsion jetzt 126°
-+ 18° = 144°, also das Vierfache beträgt. Um die Kugeln auf 1/4 der
-ursprünglichen Entfernung einander zu nähern, mußte man die Torsion des
-Aufhängefadens auf 576 Grad, mithin auf das Sechszehnfache bringen. Aus
-diesen Versuchen folgt das oben erwähnte Grundgesetz.
-
-In seiner zweiten Abhandlung vom Jahre 1785 dehnte *Coulomb* seine
-Untersuchung auf die anziehende Kraft elektrisierter Körper und auf die
-abstoßende und anziehende Kraft magnetisierter Körper aus. Er gelangte
-zu folgenden Ergebnissen:
-
-1. Die abstoßende wie die anziehende Wirkung zweier elektrisierten
-Kugeln und folglich zweier elektrischen Moleküle steht im geraden
-Verhältnis der Dichtigkeit der Elektrizität und ist umgekehrt
-proportional dem Quadrate der Entfernung.
-
-2. Die anziehende und abstoßende Kraft des Magnetismus steht
-gleichfalls im geraden Verhältnis zu den Dichtigkeiten und im
-umgekehrten Verhältnis zum Quadrat des Abstandes der magnetischen
-Moleküle.
-
-Eine Fehlerquelle der ersten Versuche bestand in dem im Verlaufe
-des Versuches vor sich gehenden Elektrizitätsverlust. Um den durch
-Abgabe an die Luft und die Aufhängevorrichtung entstehenden Verlust
-an Elektrizität in Rechnung ziehen zu können, war eine weitere
-Untersuchung erforderlich, die in der dritten Abhandlung vom Jahre
-1785 mitgeteilt wurde. Aus dieser Untersuchung ergab sich, daß die
-Zerstreuung mit dem Wassergehalt der Luft wächst. Und zwar ergab
-sich der Zerstreuungskoeffizient direkt proportional den Graden
-des von *Saussure* erfundenen, an anderer Stelle beschriebenen
-Haarhygrometers[48].
-
-Schließlich wandte sich *Coulomb* noch der Verteilung der Elektrizität
-zu. Er bedeckte eine isolierte Metallkugel mit zwei halbkugelförmigen
-Schalen, die mit isolierenden Handhaben versehen waren. Nachdem er das
-Ganze elektrisiert hatte, nahm er die Schalen fort. Es zeigte sich,
-daß die Kugel völlig unelektrisch, die Schalen dagegen elektrisch
-waren[49]. Wurde die Kugel allein elektrisiert und wurden die Schalen
-dann darauf gesetzt, so erhielt man nach der Trennung dasselbe
-Ergebnis, wie beim ersten Versuch[50].
-
-[Illustration: Abb. 6. *Coulombs* Versuch über die Verteilung der
-Elektrizität.]
-
-Die beiden Grundgesetze über die Verteilung der Elektrizität sprach
-*Coulomb* in folgender Fassung aus: 1. Die Elektrizität verbreitet
-sich in allen leitenden Körpern gemäß ihrer Gestalt, ohne daß sie eine
-auswählende Anziehung für einen Körper gegenüber einem anderen zu haben
-scheint. 2. In einem elektrisierten leitenden Körper verbreitet sich
-die Elektrizität auf der Oberfläche des Körpers, dringt aber nicht in
-das Innere ein.
-
-Sowohl *Coulomb* wie auch *Cavendish* erkannten, daß die Eigenschaft
-der Elektrizität, sich auf der Oberfläche der leitenden Körper
-auszubreiten und nicht in das Innere dieser Körper einzudringen, eine
-Folge des Gesetzes von der Abstoßung nach dem umgekehrten Quadrat der
-Entfernung sei.
-
-Mit *Coulomb* findet die erste Periode in der Entwicklung der
-Elektrizitätslehre ihren Abschluß. Seine Arbeiten galten der
-Elektrostatik und brachten dieses Gebiet zu hoher Vollendung. Auf das
-die Wirkung der elektrischen Kräfte vermittelnde Dielektrikum nahm
-*Coulomb* noch keine Rücksicht. Das geschah erst in der neuesten, durch
-*Faraday* eröffneten Periode der Elektrizitätslehre. Für *Coulomb*
-waren die elektrische Anziehung und Abstoßung wie die *Newton*sche
-Gravitation Fernkräfte, die momentan durch den leeren Raum hindurch
-wirken. Dieser Umstand tut indessen dem Wert der *Coulomb*schen
-Arbeiten keinen Abbruch, da sie nur den Anspruch erheben, mustergültige
-Messungen unter Ausschluß jeder Spekulation zu sein. Als solche
-bildeten sie die Grundlage, auf welche die nachfolgende Generation die
-mathematische Theorie der elektrischen und magnetischen Erscheinungen
-aufzubauen vermochte, eine Aufgabe, die mit Hilfe der höheren Analysis,
-insbesondere der Potentialtheorie, in den ersten Jahrzehnten des 19.
-Jahrhunderts gelöst wurde[51].
-
-
-
-
-3. Praktische und theoretische Fortschritte auf dem Gebiete der
-Wärmelehre.
-
-
-Während der Hauptanreiz zum Studium der elektrischen Phänomene in dem
-Wunderbaren und Außergewöhnlichen lag, das sich in ihnen offenbart,
-wandte man sich den Erscheinungen der Wärme mit wachsendem Interesse
-zu, seitdem man die bewegende Kraft des Dampfes kennen und verwerten
-gelernt hatte. Durch die Versuche *Herons von Alexandrien* war schon
-das Altertum mit den Äußerungen dieser Kraft bekannt geworden. Dazu
-waren seit Beginn der neueren Zeit die Bemühungen *Portas* und anderer
-gekommen. Der grundlegende Versuch, der zur Erfindung der Dampfmaschine
-führte, von welcher doch erst die Rede sein konnte, sobald die unter
-dem Namen der einfachen Maschinen bekannten Mechanismen durch den
-Dampf in Bewegung gesetzt wurden, rührt von *Papin* her. Es ist dies
-ein Versuch, der noch heute im elementaren Physikunterricht angestellt
-wird. *Papin* verdampfte Wasser in einem zylindrischen Gefäß, in dem
-sich ein luftdicht schließender, beweglicher Kolben befand (siehe
-Abbildung 7). Dieser Kolben wurde beim Erhitzen durch den Dampf
-emporgehoben, bei einer darauf folgenden Abkühlung aber infolge des
-Luftdruckes wieder abwärts bewegt. Die Lösung, welche *Papin* gab,
-war indes mehr eine theoretische als eine praktisch verwertbare. Die
-von *Papin* ersonnene Vorrichtung wird uns durch seine in Abb. 7
-wiedergegebene Zeichnung erläutert.
-
-*Papin* veröffentlichte[52] seine Erfindung unter dem Titel: »Neues
-Verfahren, bedeutende bewegende Kräfte zu billigen Preisen zu
-erhalten«. Der erhoffte Erfolg trat erst ein, als der englische
-Mechaniker *Newcomen* auf Veranlassung der Royal Society sich mit
-dem *Papin*schen Entwurf beschäftigte. Die wesentlichste Verbesserung,
-die *Newcomen* an der atmosphärischen Maschine anbrachte, bestand in
-der Verbindung der Kolbenstange mit einem Balancier. *Papins* Bemühen
-war darauf gerichtet gewesen, die geradlinige Bewegung des Kolbens in
-eine kreisförmige umzusetzen, um auf diese Weise ein von ihm erbautes
-Räderboot zu treiben[53].
-
-[Illustration: Abb. 7. *Papins* erste Dampfmaschine.
-
-AA ist der eiserne Zylinder, BB der Kolben, DD die Kolbenstange, II
-der Deckel des Zylinders. Der um F drehbare Hebel EE wurde durch
-die Kolbenstange in Bewegung gesetzt. Eine Feder G drückt den Hebel
-fortwährend in eine Nut der Kolbenstange. Der Kolben besaß eine
-Durchbohrung, um beim erstmaligen Herabdrücken die im Zylinder
-befindliche Luft entweichen zu lassen. MM ist eine Stange, welche die
-erwähnte Durchbohrung nach dem Herabdrücken des Kolbens verschloß. Beim
-Erhitzen drückte der Dampf den Kolben nach oben, beim Abkühlen wirkte
-nur der Luftdruck. Die Maschine war also eine atmosphärische.]
-
-Technische Erfindungen von epochemachender Bedeutung lassen sich meist
-auf ein zwingendes Bedürfnis zurückführen. Ein solches war es auch, das
-eine brauchbare Dampfmaschine gerade zur rechten Zeit und an rechter
-Stelle ins Leben treten ließ. In England war man schon im Mittelalter
-auf die Schätze aufmerksam geworden, den der Boden in den mineralischen
-Brennstoffen enthält. In dem Maße, in welchem das Land den Schmuck
-seiner Wälder einbüßte, nahm der Abbau der Steinkohle an Umfang zu.
-Man mußte die vorhandenen Flöze bis in immer größere Tiefen verfolgen
-und befand sich schließlich der Unmöglichkeit gegenüber, durch Tier-
-und Menschenkraft die Wasserhaltung in den Gruben zu bewerkstelligen.
-Diesem Zwecke wurde nun im 18. Jahrhundert der Dampf dienstbar gemacht.
-Nach vielen mühsamen Versuchen gelang es *Newcomen*, im Jahre 1712 eine
-nach *Papins* Idee gebaute Maschine in Gang zu setzen. Sie machte zwar
-nur zehn Hube in der Minute, förderte aber schon eine Wassermenge,
-zu deren Bewältigung vorher 50 Pferde und die sechsfachen Kosten
-erforderlich waren. Bei der Maschine *Newcomens* (siehe Abbildung
-8) fiel wie bei derjenigen *Papins* dem Dampf nur die Aufgabe zu,
-den Kolben t emporzuheben und durch Vermittlung des Balanciers das
-Pumpengestänge hinabzulassen. Die weit größere bewegende Kraft, die zum
-Heben des Wassers erforderlich ist, rührte nicht vom Druck des Dampfes,
-sondern von dem nach seiner Verdichtung auf den Kolben wirkenden
-Luftdruck her. War nämlich der Kolben gehoben und das Ventil bei d
-geschlossen, so wurde der Dampf dadurch verdichtet, daß man Kühlwasser
-auf den Kolben goß.
-
-[Illustration: Abb. 8. *Newcomens* Dampfmaschine.]
-
-Alsbald zeigte es sich, daß Maschinen mit geringen Undichtigkeiten,
-bei denen das Kühlwasser unter den Kolben trat und dadurch mit dem
-Dampf in unmittelbare Berührung kam, weit schneller arbeiteten. Diese
-Beobachtung führte dazu, daß man das Wasser absichtlich in den mit
-Dampf gefüllten Raum einspritzte, ein Geschäft, das zunächst einen
-besonderen Wärter erforderte. Später kam man auf den Gedanken, die
-Hähne mit dem Balancier zu verbinden, durch dessen Spiel sie fortan
-geöffnet und geschlossen wurden[54].
-
-In der ihr von *Newcomen* gegebenen Gestalt leistete die Dampfmaschine
-den Kohlengruben Englands bis über die Mitte des 18. Jahrhunderts
-wichtige Dienste, ohne die Aufmerksamkeit der Physiker sonderlich zu
-erregen. Da erhielt ein junger Mechaniker namens *James Watt*[55],
-den die Universität Glasgow mit der Instandhaltung ihrer Apparate
-betraut hatte, den Auftrag, das Modell der *Newcomen*schen Maschine
-auszubessern. Der kleine Apparat fesselte *Watt* in solchem Grade, daß
-er sein Leben der Vervollkommnung der Dampfmaschine widmete. Als den
-größten Mangel erkannte er den Umstand, daß die Wände des Cylinders
-durch das eingeführte Wasser immer wieder abgekühlt wurden und nach
-jedem Hube durch den einströmenden Dampf von neuem erwärmt werden
-mußten. Diesen Übelstand beseitigte *Watt* dadurch, daß er den Dampf
-außerhalb des Zylinders in einem besonderen Kondensator verdichtete,
-so daß der Zylinder, der außerdem mit schlechten Wärmeleitern
-umgeben wurde, die Temperatur des Dampfes beibehielt. Durch diese
-Verbesserungen, die *Watt* im Jahre 1765 anbrachte, wurde eine
-beträchtliche Ersparnis an Brennmaterial erzielt. Einige Jahre später
-erfolgte die grundsätzliche Änderung der Maschine[56], indem *Watt*
-hochgespannten Dampf abwechselnd von beiden Seiten auf den Kolben
-wirken und so aus der atmosphärischen die eigentliche Dampfmaschine
-entstehen ließ. Weitere Verbesserungen betrafen die Anwendung von
-Öl und Wachs als Mittel zum Abdichten der Maschinenteile, sowie die
-Regelung des Ganges vermittelst des Zentrifugalpendels. Ein weites
-Feld für neue Anwendungen eröffnete sich, nachdem es *Watt* gelungen
-war, die geradlinige Bewegung der Kolbenstange in eine drehende
-umzusetzen. Nun erst konnte an eine Übertragung der Kraft auf größere
-Entfernungen, sowie an eine Fortbewegung von Schiffen und Wagen
-vermittelst der Dampfmaschine gedacht werden. Letztere wurde bald eins
-der wichtigsten Mittel zur Belebung des Gewerbfleißes und damit zur
-Förderung der gesamten Kultur.
-
-Noch bevor *James Watt* am 19. August des Jahres 1819 starb, hatte
-*Fultons* Dampfschiff die Fluten des Hudson durchfurcht[57] und
-*Stephenson* seine erste Lokomotive laufen lassen. Letzteres geschah
-am 25. Juli 1814. Diese Lokomotive lief auf einer Kohlenbahn und
-zog 8 Wagen von 30000 kg Gewicht bei einer Steigung von 1 : 450. Die
-Geschwindigkeit betrug 6,4 km in der Stunde[58]. Schon 6 Jahre früher
-hatte ein anderer Engländer seinen Landsleuten eine kleine Lokomotive
-vorgeführt, die bei einem Dampfdruck von nahezu 3 Atmosphären 24
-km in der Stunde zurücklegte und den Namen »Catch me, who can!«
-erhielt[59]. Trotzdem wurde erst im Jahre 1830 die erste, dem Verkehr
-dienende Eisenbahnlinie Liverpool-Manchester von *Stephenson*
-fertiggestellt.
-
-Der Aufschwung, den Gewerbe, Handel und Verkehr durch Männer erfuhren,
-die gleich *Watt* und *Stephenson* eine auf den Grundlagen der Physik
-beruhende Technik schufen, kam mittelbar in stetig wachsendem Maße
-der Wissenschaft wieder zugute. So ließ es sich beispielsweise schon
-*Watt* angelegen sein, das vor ihm nicht bekannte Volumverhältnis
-des Wassers im flüssigen und im dampfförmigen Zustande zu ermitteln.
-Mußte es ihm doch darauf ankommen zu wissen, wie oft sein Zylinder
-durch das Verdampfen einer bestimmten Wassermenge mit gespanntem Dampf
-gefüllt werden konnte. *Watt* ermittelte, daß sich das Wasser bei der
-Umwandlung in Dampf etwa auf das 1700fache seines Volumens ausdehnt.
-Eine Untersuchung über die Verdichtung des Dampfes ließ *Watt* schon
-erkennen, daß die Kondensationswärme des Wasserdampfes sich auf 534
-Wärmeeinheiten beläuft. *Watt* bediente sich nur niedriger Spannungen.
-Er gelangte indessen schon dazu, die Expansion des Dampfes zu
-verwerten. Um die Expansion verfolgen und dadurch ein Urteil über die
-Arbeitsleistung des Dampfes gewinnen zu können, konstruierte *Watt* den
-heute noch bei der Aufnahme von Diagrammen üblichen Federindikator.
-
-Dem Andenken *Watts* wurde in der Westminsterabtei ein Denkmal mit
-folgender Inschrift errichtet:
-
- Nicht um einen Namen zu verewigen,
- Der dauern wird, so lange die Künste des Friedens blühen,
- Sondern, um zu zeigen,
- Daß die Menschheit denjenigen Ehre zollt,
- Denen sie Dank schuldet,
- Haben der König, seine Diener, sowie zahlreiche Edle
- Und Bürger des Königreichs
- *James Watt* dieses Denkmal errichtet.
- Seinem Genie gelang es,
- Auf dem Wege des Versuches
- Die Dampfmaschine zu verbessern.
- Er hob dadurch den Reichtum seines Vaterlandes,
- Vergrößerte die Macht der Menschen
- Und stieg zu hohem Range
- Unter den großen Förderern der Wissenschaft,
- Den wahren Wohltätern der Menschheit.
-
-Gleich der Dampfmaschine empfing im Laufe des 18. Jahrhunderts ein
-zweites, aus dem Studium der Wärmeerscheinungen hervorgegangenes
-Werkzeug seine endgültige Gestalt. Es war das Thermometer. Wir
-haben die Verdienste *Galileis* und der Accademia del Cimento um
-die Erfindung dieses Instrumentes kennen gelernt[60]. Von seiner
-Vervollkommnung hingen die Fortschritte auf dem Gebiete der Wärmelehre
-in erster Linie ab. Ja, das Streben nach einer solchen Vervollkommnung
-allein hat eine ganze Anzahl von wichtigen Entdeckungen zur Folge
-gehabt. Die Mitglieder der Accademia del Cimento hatten sich bei
-ihren Untersuchungen zwar schon wirklicher, auf der Ausdehnung von
-Weingeist beruhender Thermometer, indes noch einer willkürlichen Skala
-bedient. Durch ein Mitglied der Accademia del Cimento[61] erfolgte
-1694 der Vorschlag, den Gefrier- und den Siedepunkt des Wassers als
-Fixpunkte zu benutzen. Daß diese Temperaturpunkte konstant sind,
-erkannten gegen das Ende des 17. Jahrhunderts mehrere Forscher. So
-machte *Halley* 1693 auf die Beständigkeit des Siedepunktes aufmerksam.
-Noch früher war die Konstanz des Schmelzpunktes den Mitgliedern der
-Accademia aufgefallen. Trotzdem kamen die Florentiner Physiker nicht
-auf den Gedanken, diese Punkte zur Einrichtung einer Thermometerskala
-zu verwenden. Und ebensowenig dachten *Halley* und *Hooke*, die sich in
-England eingehend mit Thermometrie beschäftigten, an eine Verwendung
-der erwähnten Fixpunkte.
-
-Es handelte sich zunächst darum, den Gang der Ausdehnung von Weingeist,
-Wasser, Quecksilber und anderen Flüssigkeiten näher zu untersuchen,
-eine Aufgabe, mit der sich vor allem *Halley*[62] befaßt hat. Als
-Ausdehnungskoeffizienten des Quecksilbers für eine Temperaturerhöhung
-vom Schmelzpunkt bis zum Siedepunkt des Wassers fand *Halley* 1/74.
-Diese Ausdehnung hielt er für so gering, daß er Bedenken trug, das
-Quecksilber als Thermometerflüssigkeit in Vorschlag zu bringen.
-Andererseits machte er darauf aufmerksam, daß die Ausdehnung des
-Quecksilbers die Angaben des Barometers beeinflussen müsse, ohne daß
-er indessen die Notwendigkeit einer Wärmekorrektur dieses Instrumentes
-schon hervorgehoben hätte.
-
-Als oberen Fixpunkt brachte *Halley* die Siedetemperatur des Alkohols
-in Vorschlag, als unteren empfahl er die Temperatur tiefer Keller,
-weil er diese Temperatur für leichter bestimmbar hielt als diejenige
-schmelzender Flüssigkeiten.
-
-Die Aufgabe, wirklich gut vergleichbare, für den wissenschaftlichen
-Gebrauch geeignete Thermometer zu schaffen, hat kein gelehrter
-Physiker, sondern ein Mann von praktischem Blick und Geschick, der
-Deutsche *Fahrenheit*, gelöst.
-
-*Fahrenheit* wurde 1686 in Danzig geboren. Er kam als Kaufmann
-nach Holland, wo die Kunst, Glasapparate für den praktischen und
-wissenschaftlichen Gebrauch zu verfertigen, seit Alters in Blüte stand.
-*Fahrenheit* widmete sich dieser Kunst. Er starb in Amsterdam im Jahre
-1736.
-
-*Fahrenheits* Aufgabe, die er mit allen ihm zu Gebote stehenden
-wissenschaftlichen Mitteln, aber im geschäftlichen Interesse verfolgte,
-betraf die Verfertigung brauchbarer Thermometer. Seine ersten
-Thermometer waren mit Weingeist gefüllt und schon vor 1710 in vielen
-nördlichen Städten Europas in Gebrauch. Es wird berichtet[63], daß der
-Philosoph *Christian Wolf* in Halle sich über den übereinstimmenden
-Gang zweier Thermometer, die er von *Fahrenheit* erhalten hatte, nicht
-genug wundern konnte.
-
-*Fahrenheit* hatte gelesen, daß die Höhe der Quecksilbersäule im
-Barometer von der Temperatur abhängig sei. Dies brachte ihn um 1720 auf
-den Gedanken, das Quecksilber als Thermometerflüssigkeit anzuwenden.
-Seiner Skala legte er drei Punkte zugrunde:
-
-1. Den Punkt »strengster Kälte, wie man ihn durch Mischung von Wasser,
-Eis und Salmiak erhält«. Er bezeichnete diesen Punkt mit Null und hielt
-ihn für den absoluten Wärmenullpunkt.
-
-2. Den Schmelzpunkt des Eises, den er mit 32 bezeichnete.
-
-3. Die Temperatur im Innern des Mundes oder die Blutwärme, auf deren
-Beständigkeit schon die Florentiner aufmerksam geworden waren[64].
-*Fahrenheit* bezeichnete diesen Wärmegrad mit 96.
-
-Wahrscheinlich hat er außerdem bei der Regelung der Skala den
-Siedepunkt des Wassers verwertet[65], diesen Umstand indessen, und
-zwar wohl aus geschäftlichen Rücksichten, verschwiegen. *Fahrenheit*
-bestimmte auch die Siedepunkte verschiedener Flüssigkeiten. Er
-veröffentlichte über diesen Gegenstand im Jahre 1724 eine Tafel, aus
-der folgende Werte mitgeteilt seien:
-
- Alkohol 176
- Reines Wasser 212
- Schwefelsäure 546.
-
-Für die untersuchten Flüssigkeiten wurden die spezifischen Gewichte
-genau ermittelt, damit die erhaltenen Angaben mit späteren
-Untersuchungen vergleichbar seien[66]. Daß für reines Wasser der
-Siedepunkt nach dieser Skala 212 und daß der Fundamentalabstand 180
-Grade beträgt, war nicht, wie man oft meint, eine ursprüngliche
-Festsetzung, sondern diese Zahlen folgen erst aus den angenommenen
-Fixpunkten 0, 32, 96.
-
-Die Angabe, daß der Siedepunkt des Wassers 212 Grad betrage, wird von
-*Fahrenheit* in einer Abhandlung, die gleichfalls aus dem Jahre 1724
-stammt, durch eine wichtige Entdeckung eingeschränkt. *Fahrenheit*
-teilt darin[67] nämlich mit, er habe erkannt, daß jener Punkt »bei
-derselben Schwere der Atmosphäre fest sei, daß er sich aber bei
-veränderter Schwere der Atmosphäre in verschiedenem Sinne ändere«.
-Auch die unter dem Namen der Überkaltung bekannte Erscheinung, daß in
-völliger Ruhe befindliches Wasser erheblich unter den Gefrierpunkt
-abgekühlt werden kann, ohne zu erstarren, entdeckte *Fahrenheit*
-gelegentlich seiner thermometrischen Untersuchungen[68]. Er war, wie
-er erzählt, begierig zu erforschen, welches die Wirkung der Kälte sein
-werde, wenn man das Wasser in ein evakuiertes Gefäß bringe. Zu diesem
-Zwecke wurde eine Glaskugel zur Hälfte mit reinem Wasser gefüllt,
-luftleer gemacht und eine Nacht einer Temperatur von etwa -10° C
-ausgesetzt. Am folgenden Morgen bemerkte *Fahrenheit*, daß das Wasser
-noch immer flüssig war. Er schrieb dieses unvorhergesehene Verhalten
-zunächst der Abwesenheit der Luft zu. In dieser irrigen Annahme wurde
-er noch bestärkt, als er zu seinem Erstaunen beim Öffnen des Gefäßes
-sah, daß sich die ganze Wassermasse, unter Erhöhung der Temperatur bis
-zum Gefrierpunkt, mit Eisnadeln durchsetzte.
-
-Voll Eifer setzte *Fahrenheit* die Untersuchung dieser wunderbaren
-Erscheinung fort. Zunächst stellte er sich die Frage, ob das Gefrieren
-auch im Vakuum zustande kommen könne. Der Versuch wurde wiederholt und
-das überkaltete Wasser geschüttelt, ohne daß der Luft vorher Zutritt
-gegeben war. Bei heftiger Erschütterung wurde auch jetzt die ganze
-Wassermasse fast in demselben Augenblick von Eislamellen durchsetzt[69].
-
-Die Herstellung von Thermometern mit vergleichbaren Skalen hat auch den
-Franzosen *Réaumur* beschäftigt. Die Ergebnisse seiner umfangreichen
-Abhandlung sind indessen nur gering gewesen[70]. *Réaumur* wollte
-die Grade des Thermometers durch die relative Volumveränderung
-bestimmen, welche der Weingeist bei Temperaturschwankungen erfährt.
-Selbstverständlich mußte man, um vergleichbare Resultate zu erhalten,
-Weingeist von ganz bestimmter Konzentration nehmen. *Réaumur* schlug
-vor, für sämtliche nach seinem Verfahren hergestellte Thermometer einen
-Weingeist zu wählen, dessen Volumen »beim Gefrieren des Wassers 1000
-und, durch siedendes Wasser ausgedehnt, 1080 Raumteile beträgt«[71].
-Von diesem Vorschlage rührt die bekannte Zahl 80 der *Réaumur*schen
-Skala her.
-
-Gelegentlich seiner thermometrischen Untersuchungen machte *Réaumur*
-die wichtige Entdeckung, daß das Volumen eines Flüssigkeitsgemisches
-kleiner sein kann als die Summe der Teilvolumina[72]. *Réaumur* machte
-diese Entdeckung, als er Weingeist von bestimmter Konzentration
-herstellen wollte, der zur Füllung seiner Thermometer bestimmt war. Als
-er 50 Maß Wasser mit 50 Maß reinem Weingeist mischte, erhielt er statt
-100 nur 98 Maß verdünnten Weingeist. Die Raumverminderung betrug somit
-1/50.
-
-*Réaumur* dehnte diese Untersuchung auf die verschiedenartigsten
-Flüssigkeiten aus. Beim Mischen von Leinöl und Terpentinöl trat keine
-Raumverminderung ein; auch Milch und Wasser mischten sich ohne eine
-solche. Dagegen war die Raumverminderung beim Zusammenbringen von
-Wasser und Schwefelsäure »vielleicht die größte, welche sich erzielen
-läßt«. Es verbanden sich nämlich 40 Maß Wasser mit 10 Maß Schwefelsäure
-zu 48 Maß der Mischung. Die Volumabnahme betrug somit 1/25.
-
-Auch auf die mit der Volumabnahme Hand in Hand gehende Wärmeentwicklung
-richtete *Réaumur* seine Aufmerksamkeit. Die Erscheinung selbst
-versuchte er aus der molekularen Zusammensetzung zu erklären. Er nahm
-nämlich an, daß zwischen den Molekülen noch Lücken vorhanden seien,
-welche die Moleküle einer zweiten Substanz auszufüllen vermöchten.
-Folgender Vergleich soll diesen Vorgang begreiflich machen: »Mischt
-man«, sagt *Réaumur*, »ein Maß Bleikugeln und ein gleich großes Maß
-sehr kleiner Bleikörner, so werden diese nicht zwei Maß geben. Die
-kleinen Körner werden nämlich die Räume einnehmen, die zwischen den
-großen Kugeln leer blieben, und je kleiner die kleinen Kugeln im
-Verhältnis zu den großen sind, um so weniger wird die Mischung an
-Volumen zunehmen.«
-
-Dasjenige Thermometer, das heute in der Wissenschaft allein Geltung
-besitzt und auch im Leben die übrigen immer mehr verdrängt, rührt von
-*Celsius* her. Es beruht auf der scharfen Erfassung der Fixpunkte
-und der Einteilung des gewonnenen Fundamentalabstandes in 100 Grade.
-*Celsius* setzte den Zylinder seines Thermometers in klebrigen Schnee
-und vermerkte genau den Stand des Quecksilbers. Dann beobachtete
-er, welchen Stand das Quecksilber in siedendem Wasser bei einer
-Barometerhöhe von 25 Zoll und 3 Linien annimmt. Den Abstand teilte er
-in hundert gleiche Teile, und diese Teilung wurde über die Fixpunkte
-hinaus fortgesetzt[73]. Die Bezeichnung des Gefrierpunktes mit 0° und
-des Siedepunktes mit 100° rührt wahrscheinlich von *Linné* her, der in
-den Warmhäusern des botanischen Gartens in Upsala das *Celsius*sche
-Thermometer benutzte[74].
-
-Während *Réaumur* dem Weingeist als Thermometerflüssigkeit den
-Vorzug gab und die Temperaturgrade der Volumzunahme seiner
-Thermometerflüssigkeit proportional setzte, bediente sich *Celsius*,
-wie auch *Fahrenheit* bei seinen späteren Versuchen, des Quecksilbers,
-das höhere Temperaturen zu messen gestattet. *Celsius* hatte auch
-beobachtet, daß der Siedepunkt des Wassers nur dann derselbe bleibt,
-wenn sich der Barometerstand nicht ändert. Bei der Anfertigung
-seiner Thermometer verfuhr er folgendermaßen: Er setzte die Kugel
-des Thermometers in schmelzenden Schnee und merkte den Stand des
-Quecksilbers an. Um den zweiten Fundamentalpunkt zu bestimmen, tauchte
-er die Kugel in siedendes Wasser, während die Barometerhöhe ihren
-mittleren Wert besaß. Die erhaltene Strecke wurde in hundert gleiche
-Teile oder Grade geteilt. Diese Gradeinteilung wurde dann von beiden
-Fundamentalpunkten aus nach oben und nach unten fortgesetzt[75].
-Auch das Luftthermometer und das Pyrometer sind Erfindungen jenes
-Zeitraumes, so daß die Methoden der Messung des Wärmezustandes zu einem
-gewissen Abschluß gebracht wurden.
-
-Auf den Änderungen des Volumens, welche die Luft infolge von
-Temperaturschwankungen erfährt, beruhte bekanntlich schon der Apparat,
-dessen sich *Galilei* zum Messen der Wärme bediente. Brauchbar war
-dieses Verfahren indessen erst, als es gelang, die Einwirkung der
-Luftdruckschwankungen entweder auszuschließen oder zu berücksichtigen.
-Um die Verwirklichung dieses Problems haben sich besonders der Franzose
-*Amontons* (1663-1705), der Deutsche *Lambert* (1728-1777) und später
-*Regnault* und *Magnus* Verdienste erworben.
-
-*Amontons*' Luftthermometer besteht aus einer Kugel von etwa 8
-cm Durchmesser. Diese Kugel ist zum Teil mit Luft, zum Teil mit
-Quecksilber gefüllt und mit einer etwa einen Meter langen, engen
-Röhre verbunden. Die Durchmesser der Kugel und der Röhre sind so
-gewählt (etwa 1 : 60), daß eine geringe Volumvergrößerung der Luft
-ein bedeutendes Ansteigen der Quecksilbersäule in der engeren Röhre
-bewirkt. Die Temperatur wird also bei einem solchen Instrument nicht
-durch die Vergrößerung des Volumens, das ja im wesentlichen dasselbe
-bleibt, sondern durch die Änderung der Spannkraft der eingeschlossenen
-Luft gemessen. *Amontons* berücksichtigte bei seinen Messungen noch
-den Barometerstand. Ferner mußte er, da er die Spannkraft der Luft
-als Maß der Temperatur benutzte, schon auf den Gedanken kommen, den
-niedrigsten Wärmegrad in dem Zustande der Luft zu erblicken, in welchem
-ihre Spannkraft Null ist[76]. Zählt man von diesem absoluten Nullpunkt
-an, so verhält sich, wie *Amontons* mit hinlänglicher Genauigkeit
-berechnet, die größte Kälte zur größten Hitze in Paris wie 5 : 6.
-
-[Illustration: Abb. 9. *Amontons*' Luftthermometer.]
-
-Auch *Lambert* verwertete die Spannung der Luft zur Ermittlung der
-Temperaturen. Er wählte für sein Luftthermometer den Schmelzpunkt
-und den Siedepunkt des Wassers als Fundamentalpunkte. Setzte er dann
-für den Schmelzpunkt die Spannung der Luft gleich 1000, so ergab
-sich für den Siedepunkt in guter Übereinstimmung mit den späteren
-Bestimmungen von *Gay-Lussac* die Spannung gleich 1375, woraus als
-Ausdehnungskoeffizient 0,375 folgen würde[77].
-
-Aus dem Bemühen, höhere Temperaturen zu messen, als es die gewöhnlichen
-Thermometer gestatten, erwuchs das Pyrometer und die Pyrometrie.
-*Musschenbroek* suchte für diesen Zweck schon 1725 die Ausdehnung der
-Metalle zu verwerten. Ein Metallstab wurde auf ein Gestell gelegt.
-Das eine Ende des Stabes war mit dem Gestell verbunden, während sich
-das andere Ende gegen eine Zahnstange legte. Beim Erwärmen wurde die
-Zahnstange infolge der Ausdehnung des Metallstabes verschoben. Die
-Zahnstange wirkte auf ein Zahnrad. An diesem war ein Zeiger befestigt,
-welcher das Maß der Ausdehnung, beziehungsweise den Wärmegrad,
-abzulesen gestattete[78]. Das von *Wedgwood* im Jahre 1782 empfohlene
-Pyrometer gründete sich auf dem Vermögen des Tons, in der Hitze zu
-schwinden, ohne sich beim späteren Erkalten wieder auszudehnen[79].
-Besondere Verdienste auf diesem Gebiete erwarb sich der schon genannte
-*Lambert* durch eine 1779 erschienene Schrift, welche er »Pyrometrie
-oder vom Maß des Feuers und der Wärme« betitelte. *Lambert* bediente
-sich für seine Messungen, wie erwähnt, des Luftthermometers. Dehnte
-sich die Luft um 1/1000 desjenigen Volumens aus, das sie bei der
-Temperatur des schmelzenden Schnees einnimmt, so entsprach dies
-einem Grade seines Instruments. Der Siedetemperatur des Wassers
-entsprachen somit 375 Grade, da sich die Luft beim Erwärmen von der
-Gefriertemperatur bis zur Siedetemperatur nach *Lamberts* Ermittlung
-von 1000 auf 1375, also um 375/1000 ihres Volumens ausdehnt.
-
-[Illustration: Abb. 10. *Saussures* Haarhygrometer.]
-
-Daß mit dem Wärmezustand der Luft ihr Vermögen, Feuchtigkeit
-aufzunehmen, Änderungen unterworfen ist, wurde gleichfalls in diesem
-Zeitraum und zwar insbesondere durch *Lambert* und durch *Saussure*
-festgestellt. Dem Gedanken, die Luftfeuchtigkeit zu bestimmen, sind wir
-schon bei *Nikolaus von Cusa* und *Lionardo da Vinci*[80] begegnet.
-Beide bemerkten, daß trockene Wolle die Feuchtigkeit aus der Luft
-anzieht. Später benutzte man als hygroskopische Substanz Schwefelsäure,
-die in einem Gefäß auf einer Wage tariert war (*Gould* 1683)[81].
-*Lambert* wandte (1772) eine Darmsaite an; sie wurde an ihrem oberen
-Ende befestigt und am unteren mit einem über einer Teilung spielenden
-Zeiger verbunden. Zu einem erfolgreichen Abschluß kamen die Bemühungen,
-die Luftfeuchtigkeit mit Hilfe hygroskopischer Substanzen zu messen,
-erst durch die Erfindung des *Saussure*schen Haarhygrometers.
-
-*Horace Bénédicte de Saussure*, berühmt durch seine geologische
-Durchforschung der Alpen und seine Besteigungen des Mont-Blanc und
-des Monte Rosa, bemerkte, daß ein Haar sich verlängert, wenn es
-feucht wird, und sich verkürzt, wenn es austrocknet. Entfettete man
-das Haar, so betrug die Längenänderung das Vier- bis Fünffache der
-an dem rohen Haar beobachteten. Diese Entdeckung führte *Saussure*
-auf die Konstruktion eines Apparates, der nebenstehend abgebildet
-ist (Abb. 10). Die Einrichtung ist die folgende. Das untere Ende des
-Haares *ab* wird von dem Schraubenkloben b gehalten. Das andere Ende
-des Haares wird von dem Kloben a gehalten. Der obere Kloben steht
-mit einer horizontalen Welle d in Verbindung. Sie trägt den Zeiger
-und ein Gegengewicht g. Dies Gegengewicht ist etwas schwerer als der
-Kloben a, damit das Haar eine geringe Spannung erhält. Ferner ist das
-Gegengewicht an einem seidenen Faden befestigt, der sich um die Welle
-schlingt und sie in Drehung versetzt.
-
-Die Graduierung des Instruments erfolgte, indem *Saussure* zunächst
-den Punkt der größten Feuchtigkeit bestimmte. Zu diesem Zwecke wurde
-der Apparat unter eine Glocke gebracht, die auf einem mit Wasser
-bedeckten Teller stand, so daß die Luft unter der Glocke sich mit
-Feuchtigkeit sättigen mußte. Um den Punkt der äußersten Trockenheit zu
-bestimmen, brachte er unter den Rezipienten geschmolzenes, stark Wasser
-anziehendes Alkali. Nach einiger Zeit kam der Zeiger auf einen festen,
-der völlig trockenen Luft entsprechenden Stand. Der Raum zwischen den
-beiden so erhaltenen Fixpunkten wurde in 100 gleiche Teile eingeteilt.
-
-*Saussures* Hygrometer hat sich bis auf den heutigen Tag als eins der
-wichtigsten meteorologischen Instrumente erhalten. Es wurde samt einer
-Theorie der Hygrometrie von dem Erfinder im Jahre 1783 bekannt gegeben.
-*Saussures* Werk über die Hygrometrie, das *Cuvier* zu den besten
-zählte, um das die Wissenschaft im 18. Jahrhundert bereichert worden
-sei, erschien vor kurzem in deutscher Übersetzung[82].
-
-Der Wärme selbst schrieben die meisten Forscher im 18. Jahrhundert
-gleich dem Lichte stoffliche Natur zu, eine Auffassung, welche durch
-die Untersuchungen von *Black*[83] und *Wilke*[84] eine Stütze zu
-erhalten schien. Diese Forscher hatten nämlich entdeckt, daß beim
-Schmelzen des Eises eine bestimmte Menge Wärme für das Gefühl verloren
-geht, die sich scheinbar mit dem Eise bei seinem Übergang in Wasser
-verbindet. So gelangte man dazu, von gebundener (latenter) und freier
-Wärme zu reden, Namen, die zur Erhaltung der irrtümlichen Vorstellung
-von der Natur der Wärme jedenfalls mitgewirkt haben und dem Emporkommen
-neuer richtiger Anschauungen hinderlich gewesen sind. Doch trat neben
-den Mathematikern Daniel *Bernoulli I* und *Euler* besonders der
-Chemiker *Lomonossow*[85] schon um die Mitte des 18. Jahrhunderts
-dafür ein, daß die Wärme eine innere Bewegung des Stoffes sei. Wegen
-der geringen Größe der die Körper zusammensetzenden Korpuskeln könne
-man jene innere Bewegung zwar nicht sehen, sie verrate sich aber durch
-zahlreiche Erscheinungen. *Lomonossow* nahm an, daß die Wärme in einer
-kreisenden Bewegung der Korpuskeln oder Teilchen bestehe. Der tiefste
-mögliche Wärmegrad ist ihm ein absolutes Aufhören jener Bewegung.
-Einen höchsten Wärmegrad könne man sich nicht vorstellen, da es für
-die Geschwindigkeit der Bewegung keine Grenze gebe. So in richtiger
-Vorahnung der späteren Entwicklung *Lomonossow*[86]. Die ersten
-Beobachtungen über die Schmelzwärme wurden gleichfalls um die Mitte des
-18. Jahrhunderts gemacht. Ein französischer Forscher[87] ließ Wasser
-in einem Gefäß gefrieren, in das er zuvor ein Thermometer gestellt
-hatte. Wurde das Gefäß erwärmt, so stieg die Temperatur, bis das Eis
-zu schmelzen begann. Von diesem Augenblicke an blieb das Thermometer
-auf dem Schmelzpunkt stehen, so lange schmelzendes Eis in dem Gefäße
-vorhanden war. Die während dieses Zeitraums zugeführte Wärme wurde
-sozusagen verschluckt, gebunden oder latent.
-
-Ähnliche Ergebnisse erhielt man beim Mischen von Eis mit Wasser. Man
-war zunächst von der Voraussetzung ausgegangen, daß beim Mischen
-von Stoffen die Temperaturen sich unter Berücksichtigung der
-Flüssigkeitsmengen einfach ausgleichen müßten. Danach würde es sich in
-solchen Fällen also nur um eine leicht zu lösende rechnerische Aufgabe
-gehandelt haben[88]; und es müßten, um den einfachsten Fall zu wählen,
-gleiche Mengen beim Mischen eine mittlere Temperatur annehmen.
-
-Hier setzte *Black* ein, dessen Untersuchungen über die Eisschmelzung
-zu denjenigen gehören, die für das Gebiet der Wärmelehre am meisten
-aufklärend gewirkt haben[89]. Durch seine Untersuchungen über die
-Gewichtszunahme, welche die Metalle bei ihrer Verkalkung erfahren,
-wurde er gleich *Mayow* zum Vorläufer *Lavoisiers*. Er entdeckte,
-unabhängig von *Wilke*, die spezifische Wärme und die latente Wärme des
-Wassers und des Dampfes.
-
-*Blacks* entscheidender Versuch war folgender. Er brachte zu einer
-Eismasse von 32° F eine dem Gewichte nach genau gleiche Wassermasse
-von 172° F. Nach der oben erwähnten Mischungsregel hätte man eine
-Temperatur von 102° F erwarten sollen. Trotzdem behielt die Mischung
-die Temperatur des Eises von 32°. Letzteres war aber völlig in Wasser
-umgewandelt worden.
-
-»Das schmelzende Eis,« bemerkte *Black* zu diesem Versuch, »nimmt sehr
-viel Wärme in sich auf. Aber diese Wärme hat nur die Wirkung, das Eis
-in Wasser zu verwandeln. Und dieses Wasser ist um nichts wärmer, als
-vorher das Eis gewesen.« *Black* wies ferner darauf hin, daß auch beim
-Sieden des Wassers eine bestimmte Wärmemenge verbraucht wird, ohne daß
-die Temperatur sich erhöht. Er war es auch, der auf diese Vorgänge den
-Ausdruck »latente Wärme« anwandte.
-
-Wenn man diesen Fortschritt in der Erfassung der Wärmevorgänge würdigen
-will, muß man erwägen, daß vor *Black* die Verflüssigung einer
-bis zum Schmelzpunkt erwärmten Substanz als die Folge einer sehr
-geringfügigen Wärmezufuhr angesehen wurde. *Black* erkannte auch, daß
-beim Erstarren einer Flüssigkeit die Abgabe einer bestimmten Wärmemenge
-stattfindet. Als Beweis hierfür betrachtete er vor allem das Verhalten
-unterkühlter Flüssigkeiten[90]. *Black* wies darauf hin, daß z. B.
-auf -4° abgekühltes Wasser beim Schütteln plötzlich teilweise fest
-wird, während gleichzeitig die Temperatur der ganzen Masse auf 0°
-steigt. Erst *Black* vermochte dies Verhalten genügend aufzuklären.
-Gleichzeitig gewannen dadurch seine Ansichten aber eine Stütze. Ist
-das Gefrieren des unterkühlten Wassers eingeleitet, so gefriert, wie
-*Black* sehr richtig bemerkt, so viel, daß durch die frei werdende
-Wärme die Temperatur der ganzen Masse bis auf 0° steigt. Ist dieser
-Gleichgewichtszustand erreicht, so hört die Temperatursteigerung auf,
-weil die Bedingung des weiteren Gefrierens nicht mehr vorhanden ist.
-
-Die Vorstellung von der latenten Schmelzwärme dehnte *Black* von
-seinen zunächst am Wasser angestellten Beobachtungen und Versuchen auf
-die bei Lösungen und Kältemischungen auftretenden Wärmeerscheinungen
-aus. Danach nehmen die Bestandteile einer Kältemischung die zu ihrer
-Verflüssigung erforderliche Wärmemenge aus ihrem eigenen Wärmevorrat,
-wodurch ein bedeutendes Sinken der Temperatur innerhalb der Mischung
-veranlaßt wird.
-
-Die Schmelzwärme des Wassers bestimmte *Black* mit ziemlicher
-Genauigkeit und auf verschiedenen Wegen zu 77-78 Wärmeeinheiten (statt
-80). So wurden gleiche Mengen Wasser und Eis von 0° in zwei ganz
-gleichen Gefäßen in einen Raum von 20° gebracht. In der Zeit, in der
-sich das Wasser auf 4° erwärmte, war in dem zweiten Gefäß 1/20 des
-Eises geschmolzen, ohne daß die Temperatur gestiegen wäre. Trotzdem
-waren offenbar beiden Gefäßen die gleichen Wärmemengen zugeführt. In
-dem zweiten Gefäß würde danach völlige Schmelzung eingetreten sein,
-wenn es die zwanzigfache Wärmezufuhr erfahren hätte. Eine solche
-Wärmezufuhr würde, wie der Versuch mit dem ersten Gefäße zeigte, eine
-gleiche Wassermenge von 0° auf 80° erwärmt haben.
-
-*Black* hat als erster die Methode der Eisschmelzung zur Bestimmung
-von spezifischen Wärmen benutzt. Er brachte die auf eine bestimmte
-Temperatur erwärmte Substanz in die Höhlung eines Eisblocks, verschloß
-sie und wog das entstandene Schmelzwasser.
-
-Zu dem gleichen Ergebnis wie durch seine Versuche über die Schmelzung
-wurde *Black* durch seine wertvollen Arbeiten über die Verdampfung
-geführt. Wie die Versuche des mit ihm befreundeten *Watt*, so ergaben
-auch diejenigen *Blacks*, daß es nicht nur eine ganz bestimmte
-Schmelzwärme, sondern eine gleichfalls ihrer Größe nach bestimmte
-Verdampfungswärme gibt. *Black* stellte zunächst fest, daß unter
-Verhältnissen, die eine konstante Wärmezufuhr bedingen, die verdampfte
-Wassermenge der Zeit des Kochens proportional ist. Angenommen, 1 kg
-Wasser von 0° würde in einer bestimmten Zeit über einem konstanten
-Feuer zum Sieden und die Wassermenge würde darauf bei stets gleich
-bleibender Wärmezufuhr innerhalb der vierundeinhalbfachen Zeit zur
-Verdampfung gebracht, so würde dazu ein Aufwand von 450 Wärmeeinheiten
-erforderlich gewesen sein. Diese Zahlen entsprechen der zwar nur rohen,
-in ihrem Ergebnis jedoch von der Wahrheit nicht allzusehr abweichenden
-Bestimmung der Verdampfungswärme, wie sie *Black* anstellte. Die
-späteren, genaueren Ermittlungen haben 536 Wärmeeinheiten ergeben. Daß
-der Wert bei *Black* zu klein ausfiel, ist daraus leicht erklärlich,
-daß beim Fortschreiten des Verdampfens die Umstände sich etwas ändern,
-indem das Wasser eine im Verhältnis zu seiner Masse immer größere
-Oberfläche einnimmt und infolgedessen rascher verdampft.
-
-*Blacks* Versuche über die Verdampfungswärme wurden um dieselbe Zeit
-durch die Beobachtung[91] ergänzt, daß verdunstende Flüssigkeiten die
-zur Verflüchtigung erforderliche Wärme, wenn sie nicht rasch genug
-von außen zugeführt wird, ihrem eigenen Wärmevorrat entnehmen. In der
-überraschendsten Weise zeigte sich dies bei einem Luftpumpenversuch.
-Man hatte Äther in einem Gefäß unter den Rezipienten der Luftpumpe
-gebracht und beobachtete, daß zufällig an der Außenwand des Gefäßes
-hängende Wassertröpfchen sich in Eis verwandelten.
-
-Es erhob sich nun die Frage, ob die beim Verdampfen latent gewordene
-Wärme, ähnlich wie beim Erstarren von Flüssigkeiten, ihrem vollen
-Betrage nach zurückerhalten werden kann, wenn der Dampf in den
-flüssigen Zustand zurückkehrt. Um hierüber zu entscheiden, leitete
-*Black* eine bestimmte Menge Wasserdampf durch einen Schlangenkühler,
-in dem sich die hundertfache Menge Wasser befand. Die Temperatur des
-letzteren wurde bei der Kondensation des Dampfes um 5,25° C erhöht.
-Daraus ergab sich für die bei der Kondensation in die Erscheinung
-tretende, vorher latente Wärme des Dampfes der beträchtliche Wert von
-525 Wärmeeinheiten. *Watt* hat dieses Ergebnis bestätigt, während
-*Lavoisier* die Bestimmung nach der Eisschmelzungsmethode wiederholte
-und einen etwas höheren Wert (550) fand. Die späteren Versuche
-*Regnaults* haben, bei einer Spannung des Dampfes von 760 mm, für die
-Kondensationswärme den Wert von 536 Wärmeeinheiten ergeben.
-
-*Black* verstand es vortrefflich, seine Versuche mit den Beobachtungen
-des alltäglichen Lebens zu verknüpfen und dadurch ihre Beweiskraft
-eindringlicher zu gestalten. So bemerkt er bezüglich der Dampfwärme,
-sie müsse sehr groß sein, weil ein Dampfstrahl, der kaum die Hand
-feucht mache, die ganze Haut mit Brandblasen überziehe, wozu eine
-viel größere Menge kochenden Wassers nicht imstande sei. Auch hätten
-diejenigen, die Weingeist destillierten, erhebliche Mühe und Kosten
-aufzuwenden, daß das Kühlfaß genügend mit kaltem Wasser versorgt werde.
-
-*Black* erörterte sowohl die Bewegungs- wie die Stofftheorie der
-Wärme. Letztere schien ihm besser die von ihm beobachteten Vorgänge
-zu erklären. Indessen erwiesen sich alle Bemühungen, das Gewicht
-des zugeführten hypothetischen Wärmestoffes festzustellen, ebenso
-erfolglos[92], wie es bezüglich des elektrischen Fluidums der Fall
-gewesen war. Trotzdem gab es Physiker, denen die Annahme eines einzigen
-Stoffes zur Erklärung der Wärmeerscheinungen noch nicht genügte. Wie
-man zwei entgegengesetzte elektrische Fluida annahm, so sollte es
-neben der Wärme einen besonderen Kältestoff geben, der z. B. in den
-zur Herstellung von Kältemischungen dienenden Salzen vorhanden sei.
-Dieser Auffassung war schon *Mariotte*[93] entgegengetreten. Er ließ
-die Kälte nur als Mindermaß an Wärme gelten und unterschied durch klare
-Darlegung und Versuche die strahlende von der Körperwärme. Daß die
-erstere die Luft und manche anderen Substanzen durchdringt, ohne die
-Temperatur wesentlich zu erhöhen, wies er nach, indem er Schießpulver
-mittelst einer aus Eis bestehenden Linse entzündete. Auch gelangte man
-schon damals zu der Erkenntnis, daß die Wärmestrahlen wie das Licht
-sich mit großer Geschwindigkeit ausbreiten. Der Franzose *Pictet*[94]
-brachte in den Brennpunkt eines aus Metall verfertigten Hohlspiegels
-eine erhitzte, indessen nicht leuchtende Metallkugel, während sich in
-dem Brennpunkt eines gegenüber befindlichen zweiten Hohlspiegels ein
-empfindliches Luftthermometer befand. Zwischen beiden Spiegeln, deren
-Abstand etwa 25 m betrug, war ein Schirm aufgestellt. Entfernte man
-diesen, so begann die Absperrflüssigkeit des Thermometers in demselben
-Augenblicke zu steigen. Es begegnet uns schon hier ein Experiment,
-das mit geringen Abänderungen (Schießbaumwolle an Stelle des
-Luftthermometers) noch heute zu den beliebtesten Vorlesungsversuchen
-zählt.
-
-*Pictet* unterschied auf Grund seines Hohlspiegelversuchs die
-strahlende Wärme von der fortgeleiteten. Letztere schreite nur langsam
-von Teilchen zu Teilchen fort, während sich die Wärmestrahlung
-geradlinig und mit großer Geschwindigkeit, vielleicht ebenso schnell
-wie das Licht, ausbreite[95]. Aus der Tatsache, daß die Luft für
-Wärmestrahlen sehr durchlässig ist, ließ sich auch leicht die auf hohen
-Bergen wahrzunehmende geringe Temperatur erklären[96].
-
-Die geschilderten Fortschritte auf dem Gebiet der Wärmelehre hatten zur
-Folge, daß man sich dem chemischen Prozeß als einer der Hauptquellen
-der Wärme mit verdoppeltem Interesse zuwandte, sowie den Einfluß
-der Wärme auf den Verlauf der chemischen Vorgänge in Betracht zog.
-Damit wuchs zugleich die Einsicht in das Wesen und den Ursprung der
-animalischen Wärme. Letztere hatte man bisher wohl aus der Reibung
-des in den Gefäßen zirkulierenden Blutes zu erklären gesucht, während
-man die Atmung, in völliger Verkennung der Tatsachen, als ein Mittel
-zur Abkühlung des Blutes betrachtete. *Stahl*, der Begründer der
-Phlogistontheorie, und *Hales*, dessen große Verdienste um die
-Physiologie wir kennen lernen werden, erklärten jetzt die tierische
-Wärme als eine Folge der Atmung. Der Zirkulation des Blutes schrieben
-sie die Aufgabe zu, die nach ihrer Meinung schon in den Lungen erzeugte
-Wärme dem übrigen Körper mitzuteilen. Es wurde also zum erstenmal der
-Atmungsprozeß mit der Verbrennung in Parallele gestellt, wenn es auch
-dem Zeitalter *Lavoisiers* vorbehalten blieb, das Wesen beider Vorgänge
-schärfer zu erfassen. Auch im übrigen stehen die Leistungen der Chemie
-seit der Mitte des 18. Jahrhunderts mit der großen Tat *Lavoisiers* in
-solch inniger Verknüpfung, daß wir es vorziehen, Verbrennung und Atmung
-im Zusammenhange mit *Lavoisiers* chemischen Ansichten zu betrachten.
-
-*Lavoisier* hat sich auch um die Messung der Verbrennungswärme und der
-spezifischen Wärme Verdienste erworben, indem er in Gemeinschaft mit
-*Laplace* ein sehr zweckmäßiges Eiskalorimeter konstruierte[97] und mit
-diesem wertvolle Untersuchungen anstellte. Zunächst definieren beide
-Forscher den Begriff der spezifischen Wärme recht klar in folgenden
-Worten: »Wenn man zwei Substanzen von gleicher Masse und gleicher
-Temperatur voraussetzt, so ist die Wärmemenge, die erforderlich ist,
-um ihre Temperatur um 1° zu erhöhen, dennoch nicht für beide Körper
-dieselbe. Wenn man als Einheit diejenige Wärmemenge nimmt, welche
-die Temperatur der Gewichtseinheit Wasser um 1° erhöht, so können
-alle anderen Wärmemengen, die sich auf verschiedene Stoffe beziehen,
-in Teilen dieser Einheit ausgedrückt werden. Unter dem Ausdruck
-spezifische Wärme ist dieses Verhältnis der Wärmemengen zu verstehen.«
-
-Für ihre Untersuchung bedienten sich *Laplace* und *Lavoisier* des von
-*Black* herrührenden Verfahrens der Eisschmelzung. Der Grundgedanke
-dieses Verfahrens ist folgender: Im Innern einer Hohlkugel aus Eis von
-0 Grad Temperatur befinde sich ein Körper, der auf irgend einen Grad
-erhitzt ist. Die äußere Wärme kann in den Hohlraum einer solchen Kugel
-nicht eindringen. Die Wärme des Körpers dagegen kann sich nicht nach
-außen zerstreuen, sondern sie wird auf die innere Fläche der Höhlung
-beschränkt bleiben, von der sie so lange das Eis abschmelzen wird, bis
-die Temperatur des Körpers auf diejenige des Eises heruntergegangen ist.
-
-Will man die spezifische Wärme eines festen Körpers kennen lernen,
-so wird man also seine Temperatur um eine gewisse Anzahl von Graden
-erhöhen, ihn dann in das Innere der Eiskugel bringen und ihn darin
-lassen, bis seine Temperatur auf 0° gesunken ist. Dann wird man das
-Wasser sammeln, das sich infolge der Wärmeabgabe des Körpers gebildet
-hat. Diese Wassermenge, dividiert durch das Produkt aus der Masse des
-Körpers und der Anzahl von Graden, die seine ursprüngliche Temperatur
-angibt, wird seiner spezifischen Wärme proportional sein[98].
-
-[Illustration: Abb. 11. *Lavoisiers* Eiskalorimeter.]
-
-Auch die bei chemischen Vorgängen auftretenden Wärmemengen haben
-*Lavoisier* und *Laplace* mit ihrem Apparat gemessen. Um die Wärmemenge
-kennen zu lernen, die bei der Verbindung mehrerer Substanzen erzeugt
-wird, wurden sie sämtlich ebenso wie die Gefäße, in denen sie
-eingeschlossen waren, auf 0° abgekühlt. Ihre Mischung wurde dann
-sofort in das Innere der Eiskugel gebracht und darin gelassen, bis
-die Temperatur der Mischung wieder 0° war. Die Wassermenge, die
-bei diesem Versuche gesammelt wurde, ist das Maß für die bei der
-Verbindung entwickelte Wärme. Die Bestimmung der Wärmemengen, die bei
-der Verbrennung und der Atmung erzeugt werden, verursachte nicht mehr
-Schwierigkeiten. Man verbrannte die Körper im Innern der Eiskugel
-und ließ die Tiere innerhalb derselben atmen. Da aber die Erneuerung
-der Luft bei diesen Operationen unumgänglich nötig ist, so wurde
-eine Verbindung zwischen dem Innern der Kugel und der umgebenden
-Atmosphäre hergestellt. Damit ferner die Einführung der neuen Luft
-keinen merklichen Fehler veranlaßte, mußte man diese Versuche bei einer
-Temperatur von 0° machen oder mindestens die Luft, die man einführte,
-auf diese Temperatur abkühlen.
-
-Bei der Ausführung der Versuche wurde die Eiskugel durch einen
-zweckmäßigeren Apparat ersetzt, dessen senkrechter Schnitt in Abb. 11
-dargestellt ist. Der Hohlraum des Apparates ist in drei Teile geteilt.
-Die innere Höhlung besteht aus einem Eisendrahtgeflecht. In diese
-Höhlung bringt man die Körper, welche dem Versuche unterworfen werden
-sollen. Die obere Öffnung kann vermittelst eines Deckels geschlossen
-werden. Er ist in Abb. 11, HJ besonders dargestellt. Dieser Deckel
-ist oben offen; sein Boden wird durch ein Netz von Eisendraht gebildet.
-Der mittlere Raum *bbbb* des Kalorimeters ist dazu bestimmt, das Eis
-aufzunehmen, das den inneren Raum umgeben und durch die Wärme der dem
-Versuche unterworfenen Körper geschmolzen werden soll. Dieses Eis wird
-getragen und zurückgehalten durch einen Rost *mm*, unter dem sich ein
-Sieb befindet. In dem Maße, wie das Eis geschmolzen wird, läuft das
-Wasser durch den Rost und das Sieb, gelangt sodann in den Kegel *ccd*
-und die Röhre *xy*; endlich sammelt es sich in dem Gefäße P, das unter
-den Apparat gestellt wird. Die äußere Höhlung *aaaa* ist dazu bestimmt,
-dasjenige Eis aufzunehmen, welches den Einfluß der von außen kommenden
-Wärme abhalten soll. Das durch das Schmelzen dieses Eises entstandene
-Wasser fließt durch die Röhre ST zur Seite ab. Der ganze Apparat wird
-mit dem Deckel FG (Abb. 11) bedeckt.
-
-Um den Apparat in Gebrauch zu nehmen, füllt man die mittlere Höhlung
-und den Deckel HJ der mittleren Höhlung mit gestoßenem Eis, ebenso
-die äußere Höhlung und den Deckel FG des ganzen Apparates. Man
-läßt darauf das Eis der mittleren Höhlung abtropfen. Dann öffnet
-man den Apparat, um den Körper, mit dem man experimentieren will,
-hineinzubringen und schließt ihn sofort wieder. Man wartet, bis der
-Körper vollkommen abgekühlt ist und der Apparat gut abgetropft hat.
-Dann wägt man das aufgesammelte Wasser; sein Gewicht ist ein genaues
-Maß der von dem Körper abgegebenen Wärme.
-
-Weit größere Schwierigkeiten bereitete den beiden Forschern die
-Ermittlung der spezifischen Wärme von Gasen. Doch scheuten sie auch
-vor dieser Aufgabe nicht zurück. Sie ließen bestimmte Mengen der zu
-untersuchenden Gase durch ihr Eiskalorimeter strömen und bestimmten die
-Temperatur vor dem Eintritt und nach dem Ausströmen, sowie die Menge
-des geschmolzenen Eises. Damit waren zwar die Daten für eine Berechnung
-gegeben, doch erhielt man sehr ungenaue Ergebnisse[99].
-
-Zum Schlusse seien einige der von *Lavoisier* und *Laplace* gefundenen
-spezifischen Wärmen mitgeteilt unter Angabe der heute als richtig
-geltenden Werte in Klammern:
-
- Gewöhnliches Wasser 1 (1)
- Eisen 0,109 (0,113)
- Quecksilber 0,029 (0,033)
- Blei 0,028 (0,031)
- Schwefel 0,208 (0,202)
-
-Desgleichen seien die Ergebnisse einiger Versuche zur Bestimmung der
-Verbrennungswärme angegeben:
-
-Mengen des geschmolzenen Eises durch die Verbrennung von
-
- 1 Pfund Phosphor 100 Pfund
- 1 " Faulbaumkohle 96 "
- 1 " Olivenöl 148 "
-
-Die Abweichung von späteren Bestimmungen ist hier eine bedeutende,
-so entwickelt 1 kg Phosphor 5747 Kalorien und liefert demnach nur
-5747/80 = 71,8 kg Wasser, während nach *Lavoisier* und *Laplace* 1 Teil
-Phosphor bei seiner Verbrennung 100 Teile Schmelzwasser liefern soll.
-
-Von *Lavoisier* und *Laplace* rühren auch die ersten genauen Messungen
-der Ausdehnungskoeffizienten fester Körper her. Sie benutzten
-bei ihren Versuchen ein Fernrohr, das von den sich beim Erwärmen
-ausdehnenden Körpern gedreht wurde. Als Stützpunkte für die letzteren
-gebrauchten sie Pfeiler aus Stein, deren Form durch die Wärme nicht
-merklich verändert wird.
-
-Grundlegend auf dem Gebiete der Wärmelehre waren auch die
-Untersuchungen *Blagdens* über die Gesetze der Überkaltung und der
-Gefrierpunktserniedrigung. *Blagden*[100] veröffentlichte seine
-Arbeiten über diesen Gegenstand im Jahre 1788. Die erste dieser
-Arbeiten bringt eine Anzahl wichtiger Versuche über die Abkühlung
-des Wassers bis unter seinen Gefrierpunkt. *Blagden* zeigte, daß das
-Wasser, dessen Gefrierpunkt bei 32° Fahrenheit liegt, unter Umständen
-erst bei 24°, ja selbst bei 21° F in den festen Zustand übergeht. Die
-Überkaltung war auch möglich, wenn man dem Wasser Salze beimengte,
-die an sich schon den Gefrierpunkt herabsetzen. Eine Kochsalzlösung,
-deren Gefrierpunkt 28° F betrug, wurde auf 18½° abgekühlt. Erst bei
-weiterer Entziehung von Wärme wurde sie fest. Eine Salpeterlösung mit
-dem Gefrierpunkt 27° F wurde bis auf 16°, also 11° unter den neuen
-Gefrierpunkt »überkaltet«. Das merkwürdige Phänomen der Überkaltung
-hatte die Aufmerksamkeit einzelner Physiker schon vor *Blagden* erregt,
-keiner hat es aber so sorgfältig untersucht wie dieser. Eingehend
-befaßt er sich mit den Bedingungen der Überkaltung und der Ursache
-des plötzlichen Erstarrens überkalteter Flüssigkeiten. Rieb *Blagden*
-mit einem Glasstab an der Innenwand des Gefäßes, in welchem sich
-überkaltetes Wasser befand, so wurde das Wasser, das andere Bewegungen
-wohl vertrug, zum Erstarren gebracht. Überraschend war der Versuch, bei
-dem überkaltetes Wasser mit einem noch so winzigen Eisstück berührt
-wurde. Es trat sofortiges Gefrieren ein, indem die Eiskristalle von
-der Stelle aus, wo sich das Eisstückchen befand, durch die ganze Masse
-anschossen. Gleichzeitig erwärmte sich die ganze Masse bis zum normalen
-Gefrierpunkt des Wassers[101].
-
-Durch den beschriebenen Versuch erklärte sich auch die Erscheinung, daß
-die Überkaltung sicherer gelingt, wenn man das Gefäß leicht mit Papier
-bedeckt. *Blagden* nahm an, daß winzige erstarrte Wasserteilchen bei
-Frostwetter in der Luft schweben und auf das sich abkühlende Wasser
-fallen, dessen Erstarrung sie dann bewirken, während diese Teilchen im
-anderen Falle von dem Papier zurückgehalten werden.
-
-Als zweite Ursache, welche den Gefrierpunkt von Flüssigkeiten
-herabsetzt, hatte man den Zusatz von Salzen und Säuren erkannt. Die
-erste quantitative Untersuchung dieses Verhaltens rührt gleichfalls von
-*Blagden* her[102]. Für die erste Versuchsreihe diente das Kochsalz.
-Es ergab sich, daß das Salz den Gefrierpunkt nach dem einfachen
-Verhältnis, in welchem es zu dem Wasser der Lösung steht, erniedrigt.
-Man hat vorgeschlagen, dieses Gesetz das *Blagden*sche zu nennen[103].
-
-Weitere Versuchsreihen lieferten Salpeter, Salmiak, Glaubersalz
-und weinsaures Natrium-Kalium. Für alle entsprach die
-Gefrierpunktserniedrigung dem einfachen Verhältnisse von Salz zu
-Wasser[104]. Setzte *Blagden* Säuren, Alkalien oder Alkohol zum Wasser,
-so ließ sich keine solch einfache Beziehung nachweisen, doch schienen
-ihm gleiche Zutaten dieser Flüssigkeiten den Gefrierpunkt des Wassers
-in einem zunehmenden Verhältnis zu erniedrigen.
-
-*Blagdens* Untersuchung über diesen Gegenstand geriet zunächst ganz in
-Vergessenheit; man wurde auf sie erst wieder aufmerksam, als man in der
-neuesten Zeit in der Gefrierpunktserniedrigung, welche Salze und auch
-indifferente organische Stoffe bewirken, ein Mittel zur Bestimmung des
-Molekulargewichtes kennen lernte. Vorahnend bemerkt schon *Blagden*,
-man möge doch Untersuchungen wie die seine nicht für unwichtig halten,
-da man auf diesem Wege zu einer Kenntnis des inneren Gefüges gelangen
-werde, auf dem die Eigenschaften des Körpers beruhen.
-
-
-
-
-4. Die Naturbeschreibung unter der Herrschaft des künstlichen Systems.
-
-
-Wir haben an die Spitze dieses in seinem ersten Teile vornehmlich
-die Entwicklung während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
-schildernden Bandes die großen Fortschritte der Physik gestellt. Die
-nächsten Abschnitte sollen zeigen, wie sich die übrigen Wissenszweige
-entwickelt und sich wechselseitig befruchtet haben. Dabei tritt
-besonders in die Erscheinung, daß der Einfluß der physikalischen
-Lehren und vor allem der physikalischen Forschungsweise sich in immer
-höherem Maße auf die übrigen Disziplinen ausdehnt. Die Physik wurde
-das gemeinsame Band, das sie alle umschlang. Durch die Ausdehnung
-ihres quantitativen Verfahrens auf das Gebiet der stofflichen
-Veränderungen nahm die Chemie eine ganz neue Gestalt an. Gleichzeitig
-mit ihr wurde die Mineralogie auf neue Grundlagen gestellt. Auch
-die Lebenserscheinungen suchte man nach physikalischer Methode
-zu erforschen. Wenn auch die Zoologen und die Botaniker des 18.
-Jahrhunderts ihre Hauptaufgabe noch in einer auf das Äußere gerichteten
-Beschreibung und in der Systematik der Tiere und der Pflanzen
-erblickten, so fehlte es doch nicht an Untersuchungen, in den inneren
-Bau und die Verrichtungen der Organe einzudringen.
-
-Durch das genauere Studium der Pflanzen- und der Tierwelt Europas,
-sowie der übrigen Weltteile war das Material, welches der Systematik
-zu Gebote stand, schon im Beginn des 18. Jahrhunderts kaum mehr zu
-bewältigen. Die Bearbeitung dieses Materials wurde immer schwieriger,
-weil eine klare, auf scharfer Gliederung beruhende Nomenklatur noch
-nicht geschaffen war und die bisherigen Versuche zur Aufstellung
-eines umfassenden Systems sich stets als unzureichend erwiesen
-hatten. Der Mann, der zur rechten Zeit erschien und nach den beiden
-angegebenen Richtungen Abhilfe schuf, war der schwedische Naturforscher
-*Linné*. *Karl von Linné* wurde am 23. Mai des Jahres 1707 in dem
-Dorfe Råshult in Småland geboren. Sein Vater, ein Pfarrer, besaß für
-Gartenbau und Pflanzenkunde eine große Liebhaberei, die sich auf den
-Sohn übertrug. Als der junge *Linné* in einem benachbarten Städtchen
-die Schule besuchte, botanisierte er, anstatt seinen nächstliegenden
-Pflichten nachzukommen. Darüber erzürnte der Vater und gab ihn einem
-Schuhmacher in die Lehre. Ein Arzt, der *Linnés* botanische Neigungen
-unterstützte, vermochte jedoch den Vater zu versöhnen. *Linné*
-erhielt die Erlaubnis, sich dem Studium der Medizin zu widmen. Er
-bezog die Universität Lund, die er später mit Upsala vertauschte. Da
-*Linné* in ärmlichen Verhältnissen lebte, war er gezwungen, seinen
-Unterhalt durch Abschreiben und Unterricht zu verdienen. In Upsala
-nahm sich schließlich der Professor der Botanik *Rudbeck* seiner an.
-Er übertrug ihm die Aufsicht über den botanischen Garten, sowie die
-Stellvertretung bei seinen Vorlesungen. Im Jahre 1732 erhielt *Linné*
-den Auftrag, die nördlichsten Teile Schwedens zu durchforschen. Nachdem
-er von seiner während des Sommers 1732 unternommenen Lapplandreise
-zurückgekehrt war, beabsichtigte er, in Upsala Vorlesungen über
-Botanik zu halten. Eifersüchtige Nebenbuhler wußten indes sein
-Vorhaben durch den Einspruch, daß er noch nicht promoviert sei, zu
-verhindern. Da es damals Brauch war, den Doktorhut im Auslande zu
-erwerben, ging *Linné* zu diesem Zwecke im Jahre 1735 nach Holland.
-Dort wurde er mit *Clifford* bekannt, der in Harlem einen Garten besaß
-und *Linnés* Rat und Hilfe in botanischen Dingen zu schätzen wußte.
-In Holland gab *Linné* im Jahre 1735 neben einem größeren Werk über
-den *Clifford*schen Garten eine kleine, in Tabellenform verfaßte
-Schrift heraus, die er »Systema naturae« nannte. Dieses Büchlein,
-das die Früchte seiner bisherigen, sich über alle drei Naturreiche
-erstreckenden Bemühungen um die Systematik enthielt, wurde später
-wiederholt von neuem aufgelegt und wuchs dabei zu einem mehrbändigen
-Werke an[105].
-
-*Linnés* »System der Natur« erregte durch seine Übersichtlichkeit und
-Klarheit sofort große Bewunderung. Es war in seinem ganzen Umfange
-auf die Sexualität der Pflanzen begründet. Mit der Sexualtheorie
-war *Linné*, wie er selbst hervorhebt, durch die Engländer bekannt
-geworden. Letztere hatten ihrerseits die Anregung aus Deutschland
-empfangen.
-
-Bald nach 1735 erschienen *Linnés* Schriften, in denen er
-seine Grundsätze für die Bestimmung und Benennung der Pflanzen
-entwickelte[106]. Unter Berücksichtigung aller wesentlichen Merkmale
-bestimmte er mit großer Schärfe die Charaktere von nahezu 1000
-Gattungen. Nachdem *Linné* Reisen nach England und nach Frankreich
-unternommen hatte -- in Paris ernannte man ihn zum korrespondierenden
-Mitgliede der Akademie der Wissenschaften -- kehrte er nach Stockholm
-zurück. Hier nahm man ihn mit großen Ehrenbezeugungen auf. *Linné*,
-der sich zunächst dem ärztlichen Beruf zuwandte, wurde Leibarzt
-des Königs und Präsident der Akademie der Wissenschaften. Im Jahre
-1741 siedelte er nach dem nahen Upsala über. Während der beiden
-Jahrzehnte, die *Linné* dort als anregender Lehrer und unermüdlicher
-Forscher zubrachte, erlebte die Naturbeschreibung ihre Glanzperiode.
-Der botanische Garten wurde in seinem Geiste erneuert und mit einem
-naturhistorischen Museum verbunden. Im Jahre 1746 gab *Linné* ein Werk
-über die Tierwelt Schwedens heraus, einige Jahre später erschien seine
-allgemeine Botanik[107], das botanische Hauptwerk *Linnés*. 1762 wurde
-*Linné* in den Adelsstand erhoben. Seit dieser Zeit nannte er sich *von
-Linné*, während sein Name ursprünglich *Linnaeus* lautete. Er starb am
-10. Januar 1778[108].
-
-*Linnés* Verdienst bestand nicht in epochemachenden Entdeckungen, die
-späteren Geschlechtern unmittelbare Anregung zu weiterem Forschen
-gegeben hätten, sondern er erblickte seine Aufgabe vornehmlich in
-der systematischen Bearbeitung des gesamten, von seinen Vorgängern
-übermittelten naturgeschichtlichen Wissens. Hierin hat er Bedeutendes
-geleistet und sich einer Mühe unterzogen, deren Bewältigung im
-Interesse des weiteren Fortschritts lag. Daß seine Nachfolger das
-System überschätzten und die Einordnung der neu beschriebenen Formen
-für die hauptsächlichste Aufgabe der Wissenschaft hielten, darf man dem
-Begründer dieses Systems nicht zur Last legen. In der Botanik brachte
-*Linné* die seit *Caesalpin* auf die Aufstellung eines künstlichen
-Systems gerichteten Bestrebungen zum Abschluß. Die Kenntnis von der
-Sexualität der Pflanzen, auf welcher seine Einteilung fußte, verdankte
-er vor allem den Untersuchungen des Deutschen *Camerarius*[109],
-wie auch seine binäre Nomenklatur auf den Vorgang anderer Botaniker
-(*Jungius* und *Ray*) zurückzuführen ist.
-
-Der sogenannte Schlüssel, nach dem *Linné* in seinem System das ganze
-Pflanzenreich in Klassen einteilte, ist folgender:
-
- =A. Pflanzen mit Blüten.=
-
- Aa. *Mit lauter Zwitterblüten.*
-
- aa. Mit freien Staubfäden.
-
- aaa. Mit Staubfäden von unbestimmter Länge.
-
- 1. Klasse mit einem Staubfaden *Monandria*[110].
-
- 2. " " zwei Staubfäden *Diandria*.
-
- 3. " " drei " *Triandria*.
-
- 4. " " vier " *Tetrandria*.
-
- 5. " " fünf " *Pentandria*.
-
- 6. " " sechs " *Hexandria*.
-
- 7. " " sieben " *Heptandria*.
-
- 8. " " acht " *Octandria*.
-
- 9. " " neun " *Enneandria*.
-
- 10. " " zehn " *Decandria*.
-
- 11. " " 12-19 " *Dodecandria*.
-
- 12. Klasse mit 20 oder mehr Staubfäden,
- die nicht auf dem
- Fruchtboden, sondern auf der
- inneren Seite des Kelches sitzen *Icosandria*.
-
- 13. Klasse mit 20 oder mehr Staubfäden,
- die auf dem Fruchtboden
- sitzen *Polyandria*.
-
- abb. Mit Staubfäden von bestimmter
- Verschiedenheit in der Länge.
-
- 14. Klasse, Pflanzen mit vier Staubfäden,
- von denen zwei nebeneinander
- stehende länger und
- zwei kürzer sind *Didynamia*.
-
- 15. Klasse, Pflanzen mit sechs Staubfäden,
- von denen vier länger,
- zwei einander gegenüberstehende
- aber kürzer sind *Tetradynamia*[111].
-
- ab. Mit verwachsenen Staubfäden oder
- verwachsenen Staubbeuteln.
-
- 16. Klasse, Pflanzen mit Staubfäden,
- die unten zusammengewachsen
- sind *Monadelphia*.
-
- 17. Klasse, Pflanzen, deren Staubfäden
- zu zwei Bündeln verwachsen
- sind *Diadelphia*.
-
- 18. Klasse, Pflanzen, deren Staubfäden
- zu drei oder mehr Bündeln
- verwachsen sind *Polyadelphia*[112].
-
- 19. Klasse, Pflanzen, deren Staubbeutel
- zu einem Zylinder zusammengewachsen
- sind *Syngenesia*[113].
-
- 20. Klasse, Pflanzen, deren Staubfäden
- mit den Griffeln verwachsen
- sind *Gynandria*[114].
-
- Ab. *Mit getrennten Geschlechtern.*
-
- 21. Klasse, männliche und weibliche
- Blüten befinden sich an
- einer Pflanze *Monoecia*.
-
- 22. Klasse, männliche und weibliche
- Blüten befinden sich auf
- verschiedenen Pflanzen *Dioecia*[115].
-
- 23. Klasse, außer den Zwitterblumen
- befinden sich noch männliche
- oder weibliche Blüten oder
- beide zugleich an einer oder
- an verschiedenen Pflanzen *Polygamia*[116].
-
- =B. Pflanzen, bei denen weder Staubfäden noch Stempel,
- welche bei den übrigen Pflanzen wesentliche Teile
- der Blüte sind, in die Augen fallen.=
-
- 24. Klasse *Cryptogamia*[117].
-
-*Linnés* System fand anfangs viel Widerspruch. Entweder wurde die
-Sexualität der Pflanzen trotz aller unzweifelhaften Beweise geleugnet,
-oder man erhob den Einwand, daß »die neue Lehre zu unzüchtigen Gedanken
-reize«. Deutschlands großer Systematiker *Gleditsch*, der im Auftrage
-der Akademie zu Berlin den dortigen botanischen Garten gründete, mußte
-sich alle Mühe geben, um den Einwurf, daß die Lehre von der Befruchtung
-der Pflanzen unsittlich sei, zu widerlegen[118].
-
-Zu der Folgerichtigkeit, mit der *Linné* sein System durchführte,
-gesellte sich die umfassendste Kenntnis einheimischer und fremder
-Pflanzen. Seine Übersicht[119] der Arten enthielt 7300 Nummern und
-wurde neun Jahre später um weitere 1500 Nummern vermehrt. Am wenigsten
-gründlich durchforschte *Linné* die Pflanzen, welche der Kleinheit
-ihrer Organe wegen den Gebrauch von Vergrößerungsgläsern notwendig
-machten, wie die Doldengewächse und die Kryptogamen.
-
-*Linné* selbst war dem physiologischen Experiment, sowie der Anwendung
-des Mikroskopes wenig zugetan. Sehr selten begegnen wir bei ihm
-dem Bestreben, Erscheinungen auf ihre Ursachen zurückzuführen.
-Er begnügte sich damit, alles gehörig zu klassifizieren. Der
-mikroskopischen Forschung war das gesamte 18. Jahrhundert wenig
-hold. *Grews* und *Malpighis* epochemachende Untersuchungen über den
-inneren Bau der Pflanzen wurden nicht fortgesetzt. Ja, es fehlte
-sogar nicht an gewichtigen Stimmen, welche die bisherigen Ergebnisse
-der Pflanzenanatomie als unrichtig und trügerisch zu verdächtigen
-suchten[120].
-
-*Linnés* Art, etwas durch logisches Zergliedern klarzustellen, ohne die
-Natur selbst hinreichend zu befragen, erinnert häufig an *Aristoteles*.
-Daß sein Pflanzensystem in erster Linie auf die Erfüllung eines
-praktischen Bedürfnisses hinauslief und keine naturgemäße Gruppierung
-ergab, wußte *Linné* sehr wohl, während es seine Nachbeter später
-gänzlich vergessen zu haben schienen und in dem von *Linné*
-geschaffenen System die Krönung des naturgeschichtlichen Lehrgebäudes
-erblickten.
-
-In späteren Jahren hat sich *Linné* auch dem natürlichen System
-zugewandt. Schon in seiner Philosophie der Botanik[121] verlangte er,
-»die Fragmente der natürlichen Methode fleißig aufzusuchen«. Dies sei
-das erste und letzte, was man in der Botanik erstreben müsse, denn die
-Natur mache keine Sprünge. Ja, noch früher, nämlich im Jahre 1738[122],
-stellte *Linné* als Grundsatz eines natürlichen Systems die Forderung
-auf, sämtliche Teile der Pflanzen, insbesondere aber die Frucht, den
-Samen, die Lage des Embryos usw. systematisch zu verwerten. Auch muß
-anerkannt werden, daß *Linné* mit dem Wort natürliche Verwandtschaft
-einen besseren Begriff verband als die meisten seiner Vorgänger. Besaß
-dieser Begriff bei *Linné* zwar ebensowenig eine reale Bedeutung wie
-bei den übrigen Systematikern des 18. Jahrhunderts, so paßt sich
-seine Vorstellung der späteren Theorie der Abstammung der Arten doch
-weit besser an. Während nämlich der Satz, daß die Natur keine Sprünge
-mache, die meisten dazu verleitete, sich die organische Schöpfung als
-eine einzige aufsteigende Reihe vorzustellen, dachte sich *Linné* die
-Verwandtschaft der Formen unter dem Bilde eines vielmaschigen Netzes.
-»Alle Pflanzen,« sagt er, »zeigen eine Verwandtschaft nach allen
-Seiten.«
-
-*Linné* selbst hat ein Verzeichnis derjenigen Gruppen aufgestellt,
-die er als natürliche betrachtete. Der erste Versuch, von der
-Erfassung solcher Gruppen zur systematischen Gliederung des gesamten
-Pflanzenreiches zu gelangen, ging von den Franzosen aus. Die
-schwedischen, deutschen und englischen Botaniker dagegen verfolgten die
-von *Linné* eingeschlagene Richtung bis zur Einseitigkeit und suchten
-ihren Ruhm in der Kenntnis einer möglichst großen Zahl von Arten. Erst
-mit der Aufstellung des natürlichen Systems durch die beiden *Jussieu*
-und *Decandolle* wurde die Grundlage für den weiteren Fortschritt
-geschaffen.
-
-Wie auf dem botanischen, so war auch auf zoologischem Gebiete *Linnés*
-Wirken fast ausschließlich nach der beschreibenden und systematischen
-Seite gerichtet. Sein Tiersystem entsprach indes weit mehr der
-natürlichen Verwandtschaft, als dies hinsichtlich seiner Gruppierung
-der Pflanzen der Fall war. Die Einteilung der niederen Tiere, deren
-innerer Bau erst in der nächsten Periode eingehender studiert wurde,
-fußte jedoch noch auf ganz oberflächlichen Ähnlichkeiten. Das gesamte
-Tierreich zerfiel nach *Linné* in sechs Klassen, von denen nur
-diejenigen der Säugetiere und der Vögel ihren Wert und Umfang auch
-heute noch besitzen. Die Amphibien wurden noch mit den Reptilien zu
-einer Gruppe vereinigt. Die vierte Klasse umfaßte die Fische. Die
-Insekten bildeten die fünfte Klasse. Sie zerfielen in die noch heute
-geltenden Ordnungen, während die letzte Klasse der Würmer alles das
-umfaßte, was *Linné* anderweitig nicht unterzubringen vermochte.
-Hier finden wir z. B. die Weichtiere mit den Aufgußtierchen und die
-Eingeweidewürmer mit den Pflanzentieren vereinigt. Über die animalische
-Natur der letzteren ist *Linné* noch nicht völlig im klaren. Er
-bezeichnet sie als Pflanzen mit tierisch belebten Blüten. Mancher
-Widerspruch erhob sich gegen seinen Schritt, den Menschen als besondere
-Gattung an die Spitze des Systems zu stellen und ihn mit den höheren
-Affen zur Ordnung der Primaten zu vereinen. Man muß jedoch anerkennen,
-daß dieser Schritt die Naturgeschichte des Menschen als besonderen
-Wissenszweig angebahnt hat, so daß *Blumenbach*, als er die neuere
-Anthropologie begründete, nur der Auffassung *Linnés* zu folgen
-brauchte.
-
-Von besonderer Wichtigkeit für die Systematik war die von *Linné*
-herrührende strenge Durchführung der binären Nomenklatur. Anstatt
-weitschweifiger Definitionen, die man neu entdeckten Formen beilegte,
-erhielt jede Art zwei der lateinischen Sprache entnommene Namen, von
-denen der erste die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gattung, der
-zweite dagegen, meist in Form eines Eigenschaftsworts hinzutretend,
-die Art bezeichnete. Letztere erschien *Linné* als der durchaus
-unveränderliche Ausgangspunkt seines Systems. »Tot numeramus
-species, quot creavit ab initio infinitum ens« lautet sein bekannter
-Ausspruch, »wir zählen soviel Arten, wie Gott im Anbeginn erschaffen
-hat«. Diese Ansicht, welche die Beziehungen im anatomischen Bau der
-Lebewesen völlig unerklärt läßt und die Worte Verwandtschaft und
-Zusammengehörigkeit nur im bildlichen Sinne anzuwenden gestattet,
-erstarkte in der Folge zu einem Dogma, das nicht nur die Lehre von den
-heute lebenden Formen, sondern auch die Paläontologie bis zum Beginn
-des 19. Jahrhunderts vollständig beherrschte und erst in der zweiten
-Hälfte des letzteren zu Fall gebracht wurde.
-
-*Linnés* Bemühen, alles zu systematisieren, erstreckte sich auch
-auf das Mineralreich. Da er jedoch auch hier in erster Linie die
-äußere Beschaffenheit ins Auge faßte, so war der Erfolg nur gering.
-Eigentümliche Ansichten, die sich später als zum Teil begründet
-erwiesen, entwickelte *Linné* in seiner Abhandlung über das Anwachsen
-der Erde[123]. Danach bildeten sich die Schichten nicht aus zerriebenem
-Urgestein, sondern sie sind Erzeugnisse der Lebewelt. Das Kalkgebirge
-ist nach *Linné* aus Muscheln und Korallen entstanden, während die
-Pflanzen tonige Ablagerungen, die später zu Schiefer erstarrten,
-gebildet haben sollten.
-
-
-
-
-5. Die Ausdehnung der physikalischen Methoden auf das Gebiet der
-Pflanzenphysiologie.
-
-
-Wenn auch auf dem Gebiete der Botanik während des 18. Jahrhunderts die
-systematische Richtung überwog, so fällt doch in diesen Zeitraum die
-Begründung einiger wichtigen Zweige der Pflanzenphysiologie, um deren
-weiteren Ausbau man sich dann allerdings zunächst so wenig kümmerte wie
-um die Fortsetzung der pflanzenanatomischen Arbeiten eines *Grew* und
-*Malpighi*. Es sind dies die Arbeiten von *Hales* über die Bewegung
-des Pflanzensaftes und die Aufdeckung der Beziehungen zwischen Blumen
-und Insekten durch *Konrad Sprengel*, dessen Forschungen erst in
-neuerer Zeit, seit *Darwin* demselben Gegenstande seine Aufmerksamkeit
-zuwandte, zur vollen Würdigung gelangt sind.
-
-Auch an Versuchen einen gewissen Einblick in den Vorgang der Ernährung
-der Pflanze zu erhalten, hat es im 17. und 18. Jahrhundert nicht
-gefehlt. Solche Versuche wurden schon dadurch veranlaßt, daß sich
-*Aristoteles* über die Ernährung der Pflanzen geäußert hatte. Seine
-Meinung ging dahin, daß die Pflanzen ihre Nahrung fertig aus der Erde
-aufnähmen und daher auch keine Exkremente von sich gäben[124]. Da die
-neuere Naturwissenschaft die Haltlosigkeit derartiger, aus allgemeinen
-philosophischen Gründen entwickelter Urteile in zahlreichen Fällen
-nachgewiesen hatte, so wandte sie das Hilfsmittel, das ihr in allen
-diesen Fällen zum Siege verholfen, das experimentelle Verfahren
-nämlich, auch auf diese Frage an.
-
-Einer der ersten, der, wenn auch auf Grund nur mangelhafter
-chemischer und anatomischer Kenntnisse, die Frage der Ernährung der
-Pflanze vom naturwissenschaftlichen Standpunkte in Angriff nahm, war
-*Mariotte*. Wir haben ihn an anderer Stelle als einen der Begründer
-der Physik der Gase kennen gelernt[125]. *Mariotte* war, wie alle
-Gegner der aristotelischen Art der Naturerklärung, Anhänger der
-Korpuskulartheorie. Diese nahm bei ihren Erklärungsversuchen die
-Bewegung kleinster Teilchen oder Korpuskeln zu Hilfe. Die Ursache der
-Bewegung erblickte sie in anziehenden und abstoßenden Kräften.
-
-*Mariotte* hat seine Ansichten im Jahre 1679 zusammengefaßt[126]. Nach
-ihm nimmt die Pflanze aus dem Boden gewisse Stoffe -- »Prinzipien«
-sagt *Mariotte* -- auf. Solche Stoffe sind Salz, Salpeter, Schwefel,
-Wasser und Erden. Auch die Luftteilchen spielen nach *Mariotte* bei der
-Ernährung der Pflanze eine Rolle. Sie werden durch den Blitz verbrannt
-und mit dem Wasser dem Boden zugeführt. Erst viel spätere Forschungen
-haben bewiesen, daß diese Ansichten im allgemeinen das Richtige trafen.
-Eigentliche pflanzenchemische Versuche vermochte *Mariotte* nämlich
-noch nicht anzustellen. Um die Irrigkeit der aristotelischen Meinungen
-darzutun, waren solche auch nicht einmal nötig. Daß die Pflanzen die
-Bestandteile, aus denen sie sich zusammensetzen, nicht fertig aus dem
-Boden aufnehmen, beweist nach *Mariotte* schon die Tatsache, daß sich
-in derselben Handvoll Erde tausende von Pflanzen aufziehen lassen, die
-alle in ihrer chemischen Zusammensetzung Besonderheiten darbieten. Auch
-daß sich auf einen Stamm die verschiedensten Pfropfreiser aufpflanzen
-lassen, und daß diese gleichfalls aus offenbar doch ein und demselben,
-aus dem Boden eintretenden Saft Erzeugnisse der verschiedensten
-chemischen Art hervorbringen, beweist, wie *Mariotte* ganz richtig
-hervorhebt, daß sich aus den verschiedenen Prinzipien die pflanzlichen
-Substanzen durch passende Vereinigung aufbauen.
-
-Zu ähnlichen Anschauungen gelangte *Chr. Wolf*, der die
-*Leibniz*sche Philosophie fortsetzte und durch seine Bemühungen, die
-Korpuskulartheorie zur Erklärung der Naturerscheinungen zu verwerten,
-auch auf die Entwicklung der Chemie anregend gewirkt hat[127]. *Wolf*
-gab im Jahre 1723 eine allgemeine Naturlehre[128] heraus. In diesem
-Buche gibt er eine zusammenhängende Darstellung der Lehre von der
-Ernährung der Pflanzen. Auch *Wolf* vertritt die Ansicht, daß die
-Pflanze die in sie eintretenden Stoffe chemisch verändere. Dies wird
-daraus geschlossen, daß jede Pflanze eigenartige chemische Bestandteile
-(»ihr besonderes Öl«) enthält. Die Pflanze entnimmt nach *Wolf* ihre
-Nährstoffe nicht nur dem Boden, sondern auch der Luft.
-
-Im ganzen genommen bemerken wir also im 17. und in der ersten
-Hälfte des 18. Jahrhunderts zwar einen erheblichen Fortschritt
-gegen *Aristoteles* und van *Helmont*. Es fehlte aber noch an einer
-genügenden chemischen Grundlage, um einen wirklichen Einblick in diesen
-Teil des pflanzlichen Lebens zu gewinnen.
-
-Mit weit besserem Erfolge ließen sich die physikalischen
-Forschungsmittel auf die Probleme der Pflanzenphysiologie anwenden. Die
-Physik hatte während des 17. Jahrhunderts die glänzendste Periode ihrer
-Entwicklung gehabt. Sie bediente sich auf allen ihren Gebieten der
-quantitativen Untersuchungsweise. Letztere zuerst auf die Erscheinungen
-des pflanzlichen Lebens angewandt zu haben, ist das große Verdienst von
-*Hales*.
-
-*Stephan Hales* wurde am 17. September 1677 in der Nähe von Kent
-geboren. Er studierte in Cambridge Theologie. Gleichzeitig betrieb er
-mit großer Vorliebe Mathematik und Naturwissenschaften. Die Zeit, die
-ihm sein Pfarramt übrig ließ, verwandte er auf die Verwirklichung eines
-hohen Zieles, nämlich der Ausdehnung der physikalischen Forschungs-
-und Betrachtungsweise auf das Gebiet der Lebensvorgänge. Im Jahre 1718
-wurde *Hales* Mitglied der Royal Society; er starb am 4. Januar 1761.
-
-In seinem Hauptwerke, der Statik der Gewächse[129], versuchte *Hales*,
-auf Grund der bis dahin gewonnenen mechanischen und chemischen
-Kenntnisse, durch Versuche eine Einsicht in den Lebensprozeß der
-Pflanze zu gewinnen. *Harveys* Entdeckung des Blutkreislaufes
-hatte die Frage angeregt, ob im Pflanzenkörper ein entsprechender
-Vorgang stattfinde. Diese Frage ist es, welche *Hales* durch seine
-Versuche zu entscheiden suchte. Wie in der Physiologie des Tieres die
-Flüssigkeiten, deren Geschwindigkeiten, die Kräfte, welche auf sie
-wirken, sowie die Menge trockener und flüssiger Nahrung die größte
-Rolle spielen, so erhält, wie *Hales* des näheren ausführt, die
-Mechanik auch das Leben der Pflanzen und bringt deren Wachstum zuwege.
-Die Ähnlichkeit zwischen Pflanzen und Tieren sei so groß, daß, wenn
-man beide nach gleicher Methode untersuche, wichtige Entdeckungen
-zu erhoffen seien. Das Verfahren, das *Hales* zum erstenmale auf
-das Studium der Pflanzen anwendet, besteht in Zählen, Messen und
-Wägen. Der Einfluß der Physik war es, der sich auf immer weitere
-Gebiete erstreckte. »Durch Zählen und Messen«, sagt *Hales* in seinem
-Hauptwerk, »hat der große *Newton* die Regeln, nach denen die Gestirne
-ihren Lauf beschreiben, zu bestimmen vermocht. Der allweise Schöpfer
-hat sich nämlich die Richtschnur gesetzt, alles nach Zahl, Maß und
-Gewicht zu erschaffen. Damit nun auch wir seine Werke ergründen
-können, kommt es auf Zählen, Messen und Wägen an. Man geht dadurch den
-vernünftigsten und sichersten Weg. Und der so ungemein große Erfolg,
-den dieses Verfahren gezeitigt hat, muß uns anreizen, es anzuwenden.«
-
-*Hales'* Untersuchungen befassen sich zunächst mit der Feststellung
-der Flüssigkeitsmenge, die von den Pflanzen aus dem Boden aufgenommen
-und durch die Blätter wieder abgedunstet wird. Eine 3½ Fuß hohe
-Sonnenblume wurde in einen Topf gepflanzt, der durch eine Bleiplatte
-nach Möglichkeit gegen Verdunstung geschützt war. Durch diese Platte
-führte ein Rohr, das zum Nachfüllen von Wasser diente. Der infolge
-der Transpiration eintretende Gewichtsverlust betrug für die zwölf
-Stunden von morgens bis abends an heißen Tagen 1 Pfund 14 Unzen,
-während der Verlust desselben Topfes, nachdem die Pflanze abgeschnitten
-und der Stumpf verklebt war, unter im übrigen gleichen Umständen nur
-zwei Unzen[130] betrug. In einer warmen, trockenen Nacht betrug die
-Ausdünstung der Sonnenblume drei Unzen; wenn Tau auftrat, unterblieb
-sie ganz.
-
-Darauf stellte sich *Hales* die Aufgabe, die gesamte, oberhalb und
-unterhalb des Bodens befindliche Fläche der Sonnenblume zu messen.
-Zunächst wurden sämtliche Blätter abgeschnitten und der Größe nach in
-Gruppen geordnet. Sodann wurde ein Drahtnetz mit Maschen von bekannter
-Größe auf die einem jeden Haufen entnommenen Blätter gelegt und durch
-Abzählen der deckenden Maschen die Oberfläche bestimmt. Auf diese
-Weise fand *Hales* die Gesamtgröße der abdunstenden Fläche gleich 5616
-Quadratzoll, während er die Oberfläche der Wurzeln zu 2286 Quadratzoll
-und deren Gesamtlänge zu 1448 Fuß ermittelte. Innerhalb zwölf Stunden
-ging durch den Stamm eine Flüssigkeitsmenge von 34 Kubikzoll. Der Stamm
-besaß einen Quadratzoll Querschnitt. Dies ergab unter der Annahme,
-daß der Stamm sich wie ein hohles Rohr verhält, für den aufsteigenden
-Saft eine Geschwindigkeit von 34 Zoll. Die wahre Geschwindigkeit
-mußte, wie *Hales* bemerkte, viel größer sein, da der Raum des Stammes
-zum größten Teil mit fester Materie ausgefüllt ist. *Hales* fand,
-daß der immergrüne Zitronenbaum viel weniger transpiriert als die
-Sonnenblume, der Weinstock und andere Pflanzen, die ihre Blätter im
-Winter verlieren. Spätere Versuche, die sich auf zwölf immergrüne Bäume
-erstreckten, bestätigten die am Zitronenbaum gemachte Erfahrung[131].
-
-Von besonderem Interesse ist es, daß *Hales* das Ergebnis seiner mit
-den Pflanzen angestellten Versuche fortgesetzt mit den an Tieren und
-Menschen gemachten Beobachtungen verglich. So ergaben die Berechnungen,
-die er an seine Arbeit über die Transpiration der Sonnenblume
-anknüpfte, daß diese Pflanze in derselben Zeit unter Berücksichtigung
-des Körpergewichts 17mal so viel Flüssigkeit aufnimmt und abgibt wie
-der Mensch. Diesen Unterschied sieht *Hales* mit Recht darin begründet,
-daß die Flüssigkeit, welche die Pflanzen aus dem Boden einsaugen, nicht
-soviel Nährsubstanz enthält wie der Saft, der aus dem Verdauungskanal
-in den Körper des Tieres übergeht[132].
-
-[Illustration: Abb. 12. Der Wurzel Ziehen oder Saugen (*Hales*, Statik
-der Gewächse, Tab. III, Fig. X).]
-
-Da die Bewegung des Pflanzensaftes nicht wie bei den Tieren durch ein
-besonderes Triebwerk hervorgerufen wird und, wie *Hales* vermutete,
-nur nach einer Richtung vor sich geht, jedenfalls aber nicht in einem
-Kreislauf innerhalb der Gefäße besteht, so suchte er zunächst die Kraft
-ausfindig zu machen, durch welche die Pflanzen Flüssigkeiten in sich
-ziehen. Neben einem vollbeblätterten Baum wurde eine Grube hergestellt.
-Ein kräftiger Wurzelast wurde abgeschnitten, mit einer Röhre versehen
-und in ein mit Quecksilber gefülltes Becken getaucht (siehe Abb.
-12). Die Wurzel zog alsdann mit solcher Kraft, daß das Quecksilber
-in der Röhre bis zu einer beträchtlichen Höhe emporstieg[133]. Die
-gleiche Wirkung äußerte ein transpirierender Ast, wenn man das mit
-seinem abgeschnittenen Ende verbundene Rohr in Quecksilber tauchte.
-So wurde, um eins der vielen Beispiele zu erwähnen, ein frischer
-Zweig eines jungen Apfelbaums mit einer Röhre verbunden; diese wurde
-sodann mit Wasser gefüllt und in Quecksilber getaucht. Letzteres
-stieg in 7 Minuten um 12 Zoll (Abb. 13). In anderen Fällen wurde das
-Quecksilber jedoch nur wenig gehoben, sodaß *Hales* selbst das infolge
-der Transpiration ausgeübte Saugen der Zweige allein zur Erklärung
-der Wasserbewegung größerer Pflanzen für nicht ausreichend erachtete.
-Er nahm daher als weitere bewegende Kräfte die Kapillarität und den
-Wurzeldruck, den er durch viele Experimente messend verfolgt hat, in
-Anspruch.
-
-Die Erscheinung birgt indes selbst für die heutige Pflanzenphysiologie
-noch manches Rätsel. *Hales* schließt seine Untersuchung mit den
-Worten: »Die Pflanzen ziehen durch ihre kleinen Haarröhrchen die
-Feuchtigkeit so stark an, wie wir es gesehen haben. Die Feuchtigkeit
-verfliegt durch die Transpiration. Diese bewirkt, daß die Saftgefäße
-leer werden und infolgedessen neue Nahrung an sich ziehen.« Seine
-Ansicht, daß es sich bei diesem Vorgang nur um physikalische Kräfte
-handele, suchte er durch Versuche mit anorganischen, porösen Substanzen
-zu stützen. So wurde z. B. eine lange Glasröhre mit Mennige gefüllt
-und in derselben Weise wie die Wurzel mit Wasser und Quecksilber in
-Verbindung gesetzt. Auch in diesem Falle stieg nicht nur das Wasser
-in die poröse Masse empor, sondern das Quecksilber folgte bis zu
-einer Höhe von 8 Zoll. Nachdem man später die saugende Wirkung und
-die Kapillarität als unzureichend erkannt hatte, um das Wasser zu
-nennenswerter Höhe emporzuschaffen, hat man den Sitz der anziehenden
-Kräfte wohl in die Zellwand oder in den Zellinhalt verlegt, ohne daß
-bisher eine nach jeder Richtung befriedigende Erklärung des in Frage
-stehenden Vorgangs gelungen wäre.
-
-[Illustration: Abb. 13. *Hales'* Versuch über das Saugen eines
-transpirierenden Zweiges.]
-
-Die meisterhaften Untersuchungen eines *Hales* haben auch für die
-Aufhellung einer zweiten Reihe von Erscheinungen Grundlagen geschaffen,
-auf denen die Pflanzenphysiologie noch heute fußt. Es sind dies die
-unter dem Namen des Blutens[134] oder Tränens bekannten Vorgänge,
-welche durch den Wurzeldruck veranlaßt werden. *Hales* schnitt einen
-Weinstock 7 Zoll über der Erde ab. Der übriggebliebene Stumpf, Abb. 14
-c, besaß keine Äste, er war 4 bis 5 Jahre alt und 3/4 Zoll dick. An der
-Spitze dieses Stumpfes befestigte *Hales* vermittelst der Hülse b eine
-gläserne Röhre *bf* von 7 Fuß Länge und 1/4 Zoll Durchmesser. Die Fuge
-b dichtete er mit einer Masse aus Wachs und Terpentin, die er mit einer
-nassen Blase gut zuband. Er fügte dann eine zweite Röhre *fg* an die
-erste und fügte an die zweite noch eine dritte *ga*, so daß alle drei
-ein Rohr von 25 Fuß Länge bildeten.
-
-Zunächst sog der Stumpf Wasser ein. Bald darauf drang aber Saft aus
-dem Weinstock und die Flüssigkeit hatte nach wenigen Tagen eine Höhe
-von mehr als 20 Fuß erreicht, so daß *Hales* auf den Gedanken kam, den
-erzeugten Druck durch das soviel schwerere Quecksilber zu messen.
-
-Zu diesem Zwecke schnitt er einen Weinstock, bei a in Abb. 14, einige
-Fuß über der Erde ab. Der Stumpf *ab* besaß keine Zweige und war etwa
-einen Zoll dick. Daran befestigte er die Röhre *ayz* und goß in diese
-Quecksilber. Noch an demselben Tage stieg das Quecksilber bis z und
-stand 15 Zoll höher als im Schenkel x.
-
-[Illustration: Abb. 14. Das Steigen des Pflanzensaftes in einer 25 Fuß
-langen Röhre (*Hales'* Statik der Gewächse, Tab. IV, Fig. 17).]
-
-Einige Tage später betrug die Höhe des Quecksilbers 32½ Zoll. Sie
-würde noch mehr betragen haben, wenn mehr Quecksilber in der Röhre
-gewesen wäre. Die Versuche wurden im April angestellt. Im Verlauf
-des Monats Mai nahm die Kraft des Saftes nach und nach ab. Als die
-Quecksilberhöhe 32½ Zoll betrug, war diese Kraft dem Drucke einer
-36 Fuß 5 Zoll hohen Wassersäule gleich. Bei einem anderen derartigen
-Versuch hob diese Kraft des Saftes das Quecksilber auf 38 Zoll, was dem
-Drucke einer 43 Fuß 3 Zoll hohen Wassersäule entsprach.
-
-*Hales* wies darauf nach, daß diese Kraft etwa fünfmal so groß ist
-wie der Druck des Blutes in einer Pulsader des Pferdes und siebenmal
-größer als der Blutdruck beim Hunde. Den Druck des Blutes ermittelte
-er dadurch, daß er die Tiere lebend auf dem Rücken festband und eine
-große Pulsader öffnete. Darauf verband er diese Ader mit einem Glasrohr
-von 10 Fuß Länge und 1/8 Zoll Durchmesser. In diesem Rohr stieg das
-Blut eines Pferdes 8 Fuß 3 Zoll, dasjenige eines kleinen Hundes dagegen
-6½ Fuß hoch empor.
-
-Die Ansicht, daß in der Pflanze ein Kreislauf der Flüssigkeit wie in
-dem Gefäßsystem der Tiere stattfinde, suchte *Hales* gleichfalls durch
-Versuche zu widerlegen. So brachte er an transpirierenden Pflanzen oder
-Ästen geeignete Einschnitte übereinander an, die sämtlich bis zum Marke
-gingen und nach den vier Himmelsgegenden gerichtet waren. »Obgleich
-auf solche Weise dem Safte wiederholt der gerade Weg benommen war,
-sagt *Hales*, ging dennoch eine erhebliche Menge Feuchtigkeit durch
-den transpirierenden Ast hindurch. Auch wurde die obere Fläche der
-Einschnitte nicht etwa feucht, was doch bei einem Kreislauf des Saftes
-hätte eintreten müssen.«
-
-[Illustration: Abb. 15. Die Bestimmung des Wurzeldruckes mittelst des
-Quecksilbermanometers (*Hales*, Statik der Gewächse, Tab. IV, Fig. 18).]
-
-*Hales* dehnte seine Messungen von der Pflanze ausgehend auf den
-Boden aus. Er entnahm dem Boden Proben aus verschiedener Tiefe
-und bestimmte seinen Feuchtigkeitsgehalt. Ferner bestimmte er die
-Ausdünstung des Bodens ihrer Größe nach und verglich die gewonnenen
-Zahlen mit der Verdunstung des Wassers. Wenn auch die erhaltenen Werte
-noch mit manchen Fehlern behaftet, die Versuche zum Teil roh und die
-Versuchsbedingungen nicht sämtlich bekannt waren, so verdient es doch
-die größte Anerkennung, daß uns hier zum ersten Male das Streben
-begegnet, mit wissenschaftlicher Gründlichkeit ein bisher gänzlich
-unbekanntes Gebiet der Forschung zu erschließen. *Hales* wird daher mit
-Recht als der eigentliche Vater der Pflanzenphysiologie betrachtet. Er
-hat nicht nur den Flüssigkeitsverbrauch, sondern auch den Gaswechsel
-der Pflanze nach wissenschaftlichem Verfahren zu erforschen gesucht und
-zwar mit solchem Erfolge, daß wir ihm auch einen wesentlichen Anteil
-an der Begründung der neueren Chemie zusprechen müssen. Ist es doch
-*Hales*, dem diese Wissenschaft eins ihrer wichtigsten Hilfsmittel, die
-pneumatische Wanne nämlich, sowie wertvolle Untersuchungen über die
-Atmung und die Verbrennung verdankt. Allerdings wurden die Ergebnisse
-seines Forschens dadurch sehr getrübt, daß er noch nicht imstande war,
-die Gasarten zu unterscheiden. Für *Hales* war noch jeder elastisch
-flüssige Stoff, sei es, daß er durch Destillation, durch Gärung
-oder bei der Lösung entstand, durch verschiedenartige Beimengungen
-verunreinigte Luft. Schon früher hatte man bemerkt, daß Pflanzenteile,
-die sich längere Zeit unter einer mit Wasser gefüllten Glocke
-befinden, Gas entwickeln. Hieraus schloß *Hales*, daß die Luft an der
-Zusammensetzung der Pflanzen teilnimmt. Daß sie das Holz durchdringt,
-wies er vermittelst der Luftpumpe nach, auch erwähnt er die von *Grew*
-beschriebenen Dunstlöcher (Spaltöffnungen) und ihre Ähnlichkeit mit
-den Schweißporen. Durch diese Dunstlöcher dringe die zur Ernährung der
-Pflanze nötige Luft in den Stamm und die Blätter ein.
-
-[Illustration: Abb. 16. *Hales'* Versuche über die trockene
-Destillation mit Benutzung der pneumatischen Wanne (*Hales*, Statik,
-Tafel IX, Fig. 38).]
-
-Um das Gas zu untersuchen, das die Pflanzen bei ihrer Zersetzung
-liefern, bediente *Hales* sich gläserner Gefäße, die mit Wasser gefüllt
-und in größeren Behältern umgestülpt wurden (s. Abb. 16). Diese unter
-dem Namen der pneumatischen Wanne bekannte Vorrichtung hat in der Folge
-das Studium der Gase außerordentlich gefördert. Bei der trockenen
-Destillation von 398 Gran Erbsen erhielt *Hales* 396 Kubikzoll Gas, das
-sich an einem Licht entzündete. In einem zweiten Versuch gab ein halber
-Kubikzoll oder 135 Gran von dem Holz einer Eiche 128 Kubikzoll Gas. Das
-entstandene Gas nahm einen bedeutend größeren Raum ein. Es hatte sich
-aus einem Viertel des angewandten Holzes gebildet[135].
-
-Sehr wichtig ist, daß *Hales* seinen Apparat auch auf die Untersuchung
-der Steinkohle anwandte. Durch die trockene Destillation von 158 Gran
-Steinkohle erhielt er 180 Kubikzoll brennbare Luft. *Hales* war wohl
-der Erste, der auf solche Weise die experimentelle Grundlage für die
-Fabrikation des Leuchtgases schuf. An eine praktische Verwertung seines
-Ergebnisses hat man erst hundert Jahre später gedacht.
-
-Daß *Hales* nicht nur Pflanzenphysiologe war, geht aus seinen oben
-erwähnten Versuchen über die Größe des Blutdruckes hervor. *Hales*
-ermittelte, daß der Druck des Blutes in den größeren Arterien den
-Blutdruck in den großen Venen um viele Male (nach seinen Bestimmungen
-10 bis 12mal) übertrifft. Er maß ferner die Kraft, mit der die Lunge
-bei der Atmung sich ausdehnt, an einem der Vivisektion unterworfenen
-Hunde[136]. Er bestimmte den Durchmesser der Lungenbläschen und
-berechnete daraus für die Lunge die innere Gesamtfläche, die er viele
-Male größer als die Oberfläche des betreffenden Tieres fand. An seine
-Versuche über die Atmung knüpfte er ferner hygienische Winke über
-die Heizung und die Ventilation der Wohnräume an. Er konstruierte
-sogar einen Ventilator, um Abhilfe für die ungesunden Zustände
-herbeizuführen, welche damals auf den englischen Kriegsschiffen
-herrschten[137]. *Hales* wurde von dem Gedanken geleitet, daß seine
-Untersuchungen insbesondere dem Ackerbau Nutzen gewähren möchten. Es
-ist ohne Zweifel ein Ausfluß baconischer Philosophie, wenn er sein
-Werk, durchdrungen von der Bedeutung seiner Entdeckungen, mit den
-Worten schließt: »Wenn doch diejenigen, die ihre Zeit und ihr Vermögen
-damit verschwenden daß sie, einer leeren Einbildung folgend, alles in
-Gold verwandeln wollen, an der Erforschung dieser Vorgänge arbeiteten,
-so würden sie, anstatt Wind zu ernten, die Lorbeeren erlangen, mit
-denen nützliche Entdeckungen belohnt werden.« Wichtig ist, wie
-*Hales* seine wenn auch noch unvollkommene Erkenntnis, daß die Luft
-in die Bildung des Pflanzenkörpers eingeht und dabei ihre Elastizität
-verliert, durch das Studium chemischer Vorgänge zu erläutern und
-zu unterstützen sucht. So begegnet uns bei ihm schon jener für die
-spätere Analyse der Atmosphäre wichtige Versuch, daß Phosphor in
-einer abgeschlossenen Luftmenge verbrannt und eine dabei eintretende
-Raumverminderung nachgewiesen wird. Von diesem Versuche und den
-ähnlichen Versuchen *Guerickes*[138] bis zur Entdeckung der Tatsache,
-daß die von dem Phosphor gebundene Luft zu der übrig bleibenden
-Luftmenge stets in einem bestimmten Verhältnis steht, die Luft also
-aus *zwei* Gemengteilen zusammengesetzt ist, war nur noch ein Schritt.
-Auch daß Blei bei seiner Umwandlung in Mennige Luft verschlucke, die
-sich mit dem Blei vereinige und zur Schwere der Mennige beitrage, führt
-*Hales* als Beispiel an. Ja, er erzeugt diese Luft auch durch Erhitzen
-in seiner Retorte wieder, stellt also schon denselben Versuch an, der
-*Priestley* später zur Entdeckung des Sauerstoffs und *Lavoisier* zur
-richtigen Deutung des Verbrennungsprozesses geführt hat. *Hales* besaß
-somit, wie *Black* und andere Zeitgenossen, schon die experimentelle
-Grundlage für diese Deutung. Dennoch konnte man sich von den älteren
-Vorstellungen nicht frei machen. Das Verschwinden der Luft war für
-*Hales* nicht so wesentlich wie die vermeintliche Aufnahme aus dem
-Feuer herrührender Teilchen.
-
-Nach ihrer chemischen Seite ließ sich die Pflanzenphysiologie erst
-fördern, nachdem die Chemie selbst erhebliche Fortschritte gemacht
-hatte. Dies geschah durch die Arbeiten *Priestleys*, *Scheeles* und
-*Lavoisiers* im Verlauf der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
-Auf diese Arbeiten fußten *Ingen-Housz* und *de Saussure*, die wir
-in einem späteren Abschnitt als die eigentlichen Begründer der
-Ernährungsphysiologie kennen lernen werden.
-
-
-
-
-6. Der Ausbau der im 17. Jahrhundert begründeten Sexualtheorie.
-
-
-Außer den im vorigen Abschnitte geschilderten Schritten zur Begründung
-der Ernährungsphysiologie zeitigte das 18. Jahrhundert auf botanischem
-Gebiete auch hervorragende Arbeiten, welche den weiteren Ausbau der von
-*Camerarius* geschaffenen Sexualtheorie bezweckten. Es sind dies die
-Bastardierungsversuche *Kölreuters*, welche das Wesen der pflanzlichen
-Sexualität in das hellste Licht stellten, und *Sprengels* Nachweis der
-wichtigen Rolle, welche die Insekten bei der Befruchtung spielen.
-
-Zwischen dem Erscheinen der Schrift des *Camerarius* über das
-Geschlecht der Pflanzen (1694) und dem Werk *Kölreuters* über den
-gleichen Gegenstand liegt ein Zeitraum von etwa siebzig Jahren.
-Innerhalb dieses ausgedehnten Zeitraums wurde zwar für und gegen
-die neue Lehre viel gestritten, jedoch nur selten der allein den
-Fortschritt bedingende Weg des Versuches weiter verfolgt. So schreibt
-*Leibniz* 1701, die Blüten hätten offenbar die genaueste Beziehung zur
-Fortpflanzung, und es sei von großem Nutzen in der Fortpflanzungsweise
-Unterschiede aufzufinden. *Leibniz* mit seiner Vielgeschäftigkeit war
-indessen nicht der Mann, um mühevolle, zeitraubende Versuche nach der
-erwähnten Richtung anzustellen.
-
-Erwähnenswert für diesen Zeitraum sind die Versuche *Bradleys*[139],
-der zuerst mit Zwitterblüten experimentierte. *Bradley* pflanzte zwölf
-Tulpen und sorgte dafür, daß sich in der Nachbarschaft keine Tulpen
-befanden. Er beseitigte darauf die Staubgefäße dieser Pflanzen, bevor
-sie sich öffneten. Der Erfolg bestand darin, daß keine von den zwölf
-Pflanzen Samen entwickelte.
-
-Ein weiterer Fortschritt in der Erkenntnis der Sexualität der Pflanzen
-war es, daß man wenn auch zunächst vereinzelte Wahrnehmungen über die
-Bestäubung durch Insekten machte. Man[140] bemerkte z. B. bei einer
-Wiederholung des soeben erwähnten Versuches, daß Bienen von einem
-benachbarten Tulpenbeet Blütenstaub auf die der Staubgefäße beraubten
-Blüten übertrugen, und daß letztere dann reife Samen bildeten. Daneben
-beschäftigte man sich mit der Frage, wie der Pollen die Entstehung des
-von der Narbe oft so weit entfernten Samens bewirke. Man kam jedoch
-hierüber zu keinem Ergebnis.
-
-Das Beste, was in dem Zeitraum zwischen *Camerarius* und *Kölreuter*
-über die Sexualität der Pflanzen veröffentlicht wurde, ist wohl
-die Abhandlung von *Gleditsch* vom Jahre 1749[141]. Die Berliner
-Akademie der Wissenschaften ließ seit dem Beginn der ihr so günstigen
-Regierung Friedrichs des Großen der Botanik ihre besondere Förderung
-angedeihen. Ihr Mitglied *Gleditsch* schuf in Jahrzehnte währender,
-unermüdlicher Arbeit einen botanischen Garten, der als ein Muster
-für derartige Unternehmungen gelten konnte. Es wurden Vorlesungen
-über Forstwissenschaft eingerichtet und in einem von *Gleditsch*
-verfaßten Werk entstand das erste wissenschaftliche Lehrbuch für diese
-Disziplin. In gleicher Weise war man in Preußen unter der Führung
-von *Gleditsch* auch für die Landwirtschaft tätig. Man bemühte sich
-nicht nur, die Methoden zu verbessern, sondern war auch auf den Anbau
-neuer Nutzpflanzen bedacht. Es ist erklärlich, daß unter solchen
-Verhältnissen in Preußen auch die wissenschaftliche Botanik manchen
-Fortschritt aufwies. Besonders war es wieder *Gleditsch*, der zu
-Versuchen mit Pflanzen riet und zahlreiche Pflanzenversuche selbst
-anstellte. An dieser Stelle sind vor allem die sich über Jahre und
-zahlreiche Arten erstreckenden Versuche hervorzuheben, über die
-*Gleditsch* in der erwähnten Abhandlung berichtet. Er wählte als
-Versuchsobjekte die diözischen Bäume. Am bekanntesten ist seine
-Befruchtung einer Palme des Berliner botanischen Gartens durch den
-Pollen eines in Leipzig wachsenden männlichen Exemplars derselben Art
-geworden. *Gleditsch* bringt hierüber folgenden Bericht. Die Berliner
-Palme sei achtzig Jahre alt und weiblich; sie habe niemals Früchte
-getragen, auch habe es in Berlin keinen männlichen Baum derselben
-Art gegeben, wohl aber in Leipzig. *Gleditsch* ließ sich darauf die
-Staubgefäßblüten aus Leipzig kommen und streute deren Pollen auf die
-in Berlin blühende weibliche Pflanze. Das Ergebnis war der deutlichste
-Beweis für die Richtigkeit der Lehre von der Sexualität der Pflanzen.
-Der bis dahin völlig sterile Baum setzte nämlich Früchte an, die im
-Winter reiften und im darauf folgenden Frühjahr keimten.
-
-In den Jahrzehnten, die zwischen *Camerarius* und dem großen Vollender
-seines Werkes, *Kölreuter*, liegen, schuf *Linné* sein Pflanzensystem.
-Letzteres gründete sich zwar auf die Zahl und die Beschaffenheit der
-Staubgefäße und der Stempel, hat aber im Grunde genommen mit der
-Feststellung der Sexualität selbst nichts zu tun. Auf mikroskopische
-und experimentelle Forschungen, die hier allein entscheidend sind, hat
-*Linné* zufolge seiner ganzen Richtung wenig Gewicht gelegt.
-
-Mit der Entwicklung der Vorstellungen über die Sexualität der Pflanzen
-haben wir uns an anderen Stellen[142] wiederholt beschäftigt. Die Frage
-war nur auf experimentellem Wege zu lösen, und die Versuche, sie zu
-entscheiden, mehrten sich, nachdem die Entdeckung der Samenfäden[143]
-das Interesse für das Wesen des geschlechtlichen Vorganges auf das
-höchste gesteigert hatte. Im Anschluß an diese Entdeckung hatte
-*Leeuwenhoek* die Lehre aufgestellt, das bewegliche männliche Element
-sei der eigentliche Kernpunkt, aus dem sich der neue Organismus
-entwickle. Für die Botaniker erhob sich infolgedessen die Frage, wie
-dieses Element durch den Griffel in die Höhlung des Fruchtknotens
-gelange. In dem Bestreben, den Befruchtungsvorgang zu erforschen,
-wandte man sich auch mit Eifer den blütenlosen Pflanzen zu. In
-Deutschland wurde insbesondere die Naturgeschichte der Algen, Flechten
-und Moose gefördert[144].
-
-Ein neuer großer Fortschritt in der Enträtselung dieser Fragen erfolgte
-durch *Kölreuter*. Ist zur Erzeugung von keimfähigen Samen eine Wirkung
-des Pollens auf den Stempel erforderlich, die sich auf eine zunächst
-nicht näher zu erklärende Weise der Samenknospe mitteilt, so mußte
-sich die Frage erheben, welchen Anteil das männliche und das weibliche
-Element an dem Zustandekommen eines neuen Pflanzenindividuums besitzen.
-Da letzteres bei normaler Befruchtung den elterlichen Pflanzen
-gleicht, so war diese Frage nur durch die Übertragung des Pollens einer
-Pflanzenart auf die Narbe einer zweiten Art zu entscheiden, wie es
-schon *Camerarius* in Vorschlag gebracht hatte. Gelang dieser Versuch,
-so erwuchs daraus zugleich auch für die Richtigkeit der Sexualtheorie
-eine neue Bestätigung. Der erste, der auf diesem Wege Erfolg hatte
-und die Grundlage für alle in der gleichen Richtung sich bewegenden
-Arbeiten schuf, war der erwähnte *Kölreuter*[145]. *Kölreuters*
-Werk erhebt sich über alle früheren und gleichzeitigen botanischen
-Schriften. Es stellt eine mit großem Scharfsinn und außerordentlicher
-Mühe geschaffene, im Geiste modern wissenschaftlicher Forschung
-geschriebene Abhandlung dar, auf der alle späteren Untersuchungen über
-Sexualität und Bastardbildung fußen.
-
-*Kölreuter* geht von dem Bau des Pollens und den Veränderungen aus,
-die mit dem Pollen nach der Bestäubung vor sich gehen. Trotz der
-damals noch unentwickelten, den feineren Strukturverhältnissen nicht
-gewachsenen mikroskopischen Technik sah er, daß das Pollenkorn eine
-äußere dicke Haut und ein dünneres, darunter liegendes, ungleich
-schwächeres Häutchen besitzt. Das Innere erkannte er als eine körnige,
-im reifen Zustande gleichmäßige, flüssige und durchsichtige Masse
-(Protoplasma). Er bemerkte ferner die Stacheln und das Aufspringen der
-äußeren Haut, sah die Deckel, die sich von den in ihr entstehenden
-Löchern abheben, ja er sah endlich die innere Haut als Ausstülpung aus
-diesen Löchern hervortreten, beobachtete somit wenigstens den Beginn
-der Pollenschlauchbildung. Weiter vermochte *Kölreuter* den Vorgang
-nicht zu verfolgen. Der gewonnene Einblick war also nur unvollständig.
-Da *Kölreuter* trotzdem, losgelöst von der Erfahrung, weiterschritt,
-so konnte die von ihm geschaffene Theorie des Befruchtungsvorganges
-das Wesen des letzteren nicht aufhellen. Nach *Kölreuter* findet die
-Befruchtung schon auf der Narbe statt, indem sich die dort befindliche
-Flüssigkeit, die er für den weiblichen Zeugungstoff hielt, mit der
-öligen, männlichen Flüssigkeit des Pollenkorns vermische. Diese
-Mischung werde von der Narbe und dem Griffel aufgesogen und gelange
-dadurch in den Fruchtknoten, um dort in den Samenanlagen die Keimlinge
-zu erzeugen.
-
-Den Schleier von diesem für das Verständnis der organischen Welt
-grundlegenden Vorgang zu lüften, gelang erst den vereinten, mühevollen
-Anstrengungen zahlreicher Forscher des 19. Jahrhunderts.
-
-Die weiteren Untersuchungen *Kölreuters* befaßten sich mit der Frage,
-wie viel Pollenkörner zur Befruchtung nötig seien. Er wies nach, daß
-ein einziges Pollenkorn genügt, um einen einsamigen Fruchtknoten
-zu befruchten. Daraus schloß *Kölreuter*, daß die Zahl der für die
-Befruchtung nötigen Staubkörner im Verhältnis zu den in der Blüte
-vorhandenen Staubkörnern sehr gering sei. Er bewies dies durch
-folgenden Versuch. In einer Blüte von Hibiscus venetianus zählte
-*Kölreuter* 4863 Pollenkörner. Die Samenkapsel dieser Pflanze enthält
-aber bei der vollkommenen natürlichen Befruchtung nur etwa 30 Samen. Um
-letztere zu erzeugen, waren 50-60 Staubkörner erforderlich. Übertrug
-*Kölreuter* die zehnfache Menge auf die Narbe der Pflanze, so erhielt
-er deswegen nicht mehr und auch nicht etwa vollkommenere Samen. Man
-sieht, es waren ins kleinste gehende und dennoch für das Verständnis
-des Befruchtungsvorganges höchst wichtige Versuche, die wir *Kölreuter*
-verdanken.
-
-*Kölreuter* erörtert darauf die Möglichkeit, daß der Pollen der
-einen Art auf die Narbe der anderen gelange, erklärt aber als echter
-Naturforscher sofort, daß über den Erfolg einer solch widernatürlichen
-Vermischung nur der Versuch entscheiden könne. Von vornherein nimmt
-*Kölreuter* an, daß diese Vermischung etwas Außergewöhnliches sei.
-Die Natur, meint er, die jederzeit auch bei scheinbarer Unordnung die
-schönste Ordnung beobachte, habe dieser Verwirrung bei den Tieren außer
-durch andere Mittel besonders durch die natürlichen Triebe vorgebeugt.
-Man müsse daher annehmen, daß die Natur bei den Pflanzen, bei denen
-der Wind und die Insekten zu einer widernatürlichen Vermischung häufig
-Gelegenheit gäben, den Wirkungen dieser Vermischung durch ebenso
-sichere Mittel ihre Kraft zu benehmen gewußt habe. Am ehesten werde
-diese Vermischung in den botanischen Gärten vorkommen können, besonders
-wenn die Pflanzen dort so geordnet wären, daß die ähnlichsten am
-meisten benachbart seien -- bei einer Gruppierung nach dem natürlichen
-System würden wir heute sagen.
-
-Die erste Bastardierung gelang nach vielen vergeblichen Versuchen
-im Jahre 1760 an zwei Tabaksarten. »Weil ich schon lange von dem
-Geschlecht der Pflanzen überzeugt war,« sagt *Kölreuter*[146] darüber,
-»und an der Möglichkeit einer Bastarderzeugung niemals gezweifelt
-hatte, so ließ ich mich durch nichts abhalten, Versuche darüber
-anzustellen, in der Hoffnung, daß ich vielleicht einmal so glücklich
-sein würde, eine Bastardpflanze zu Wege zu bringen. Ich habe es endlich
-auch bei der Nicotiana paniculata und der Nicotiana rustica soweit
-gebracht, daß ich mit dem Pollen der ersteren den Stempel der anderen
-befruchtet, vollkommene Samen erhalten und aus diesen noch in demselben
-Jahre junge Pflanzen gezogen habe.«
-
-Da *Kölreuter* diesen Versuch bei vielen Blumen zu verschiedenen
-Zeiten und mit aller nur möglichen Vorsicht angestellt und jedesmal
-vollkommenen Samen erhalten hatte, waren jeder Irrtum und die
-Möglichkeit eines Versehens ausgeschlossen. Einen weiteren Beweis, daß
-die künstliche Bastardierung gelungen sei, brachte die Aussaat der
-durch jene Versuche erhaltenen Samen.
-
-*Kölreuter* bemerkte nämlich zu seiner größten Genugtuung, daß die aus
-dem Samen des Bastards gezogenen Pflanzen nicht nur in der Ausbreitung
-ihrer Äste und der Farbe der Blumen, sondern auch bezüglich fast
-aller zur Blume gehörenden Teile die Mitte zwischen beiden Stammarten
-innehielten. Dieses Ergebnis war mit der im 18. Jahrhundert von vielen
-gehegten, unter dem Namen der Evolutionstheorie bekannten Lehre, daß
-die Embryonen fertig in den weiblichen Organen vorhanden seien und
-es zu ihrer Belebung nur eines Anstoßes durch den Pollen oder Samen
-bedürfe, wie auch *Kölreuter* hervorhebt, ganz unvereinbar. Durch seine
-Versuche, meint er mit Recht, sei die alte aristotelische Lehre von der
-Erzeugung durch zweierlei Zeugungsstoff vollkommen bestätigt.
-
-In einem Punkte zeigte der Bastard jedoch ein bemerkenswertes
-Verhalten. Seine Staubgefäße waren auffallend klein und enthielten
-weniger Blütenstaub. Dieser war auch nicht mit Flüssigkeit gefüllt,
-sondern bestand aus leeren Bälgen, die eine Befruchtung nicht
-hervorzurufen vermochten. »Es ist also«, ruft *Kölreuter* aus[147],
-»diese Pflanze im eigentlichen Sinne ein wahrer und, soviel mir
-bekannt, der erste botanische Maulesel, der auf künstlichem Wege
-hervorgebracht worden ist.« Obgleich der Bastardtabak durch seinen
-eigenen Staub nicht befruchtet werden konnte, gelang es doch, ihn mit
-dem Pollen seiner Stammarten, sei es die Vater- oder die Mutterpflanze,
-zu befruchten. In beiden Fällen erhielt *Kölreuter* vollkommene
-Samen, wenn auch in einer ungleich geringeren Zahl als bei den nicht
-bastardierten Pflanzen durch »eine der Ordnung der Natur gemäße
-Befruchtung« erzeugt werden.
-
-Das Nächstliegende war nun, den Versuch sozusagen umzukehren und
-die Narbe von Nicotiana paniculata mit dem Pollen der Nicotiana
-rustica zu bestäuben. Zwar fand auch dieses Mal eine Befruchtung
-statt; doch waren die erhaltenen Samen kleiner als die natürlichen, und
-von sechzig dieser künstlich erhaltenen Samen ging nicht einer auf.
-Indessen übertrafen sie die unbefruchteten Samen, welche man von einer
-Blume erhält, die überhaupt keinen Pollen empfangen hat, bei weitem.
-*Kölreuter* schloß daraus, daß in ihnen trotz ihrer Unfruchtbarkeit
-doch etwas von einer Befruchtung und etwas von einem darauf erfolgten
-Wachstum vor sich gegangen sein müsse.
-
-Daß Pflanzenbastarde möglich seien, hatte *Linné* aus »philosophischen
-Gründen« angenommen, ohne je ein Experiment nach dieser Richtung zu
-machen. So leitete er eine Veronikaart von zwei anderen Arten derselben
-Pflanze ab, nur weil alle drei Formen in demselben Gebiet vorkamen.
-Die Gattung Saponaria sollte durch Bestäubung mit dem Pollen einer
-Gentiana, eine Actaeaart, mit Rhus toxicodendron Bastardformen
-liefern. Diesen vagen Vermutungen *Linnés* gegenüber wies *Kölreuter*
-durch zahlreiche Versuche nach, daß Bastardpflanzen sich nicht so
-leicht erzeugen lassen und daß die Bastardierung eine weit größere
-Ähnlichkeit der betreffenden Arten voraussetzt, als man bisher wohl
-angenommen hatte. Bei vielen Pflanzen ergab sich trotz ihrer nahen
-Verwandtschaft bei *Kölreuters* Bastardierungsversuchen nicht der
-geringste Erfolg.
-
-Auf die epochemachende Veröffentlichung *Kölreuters* von 1761 folgte
-die zweite Abhandlung im Jahre 1763. Sie brachte eine Fülle von
-neuem, die erste Mitteilung ergänzenden Material. Von 60 Samen des
-Bastards von Nicotiana paniculata (♀) und Nicotiana rustica
-(♂), die *Kölreuter* ausgesät hatte, war, wie 1761 erwähnt, kein
-einziger aufgegangen[148]. Eine Wiederholung brachte ein teilweises
-Gelingen. *Kölreuter* erhielt nämlich von vier Kapseln, deren Samen
-er zu verschiedener Zeit gesät hatte, acht Pflanzen, eine Zahl, die
-allerdings im Verhältnis zur Zahl der in den vier Kapseln befindlichen
-Samenkörner nur gering war.
-
-Grundlegend waren auch die Versuche, die Bastarde durch wiederholte
-Bestäubung mit dem Blütenstaub der väterlichen Urform in diese
-zurückzuführen. Wurde die Narbe eines Bastards von Nicot. rustica ♀
-und Nicot. panic. ♂ dem Pollen von Nicotiana rustica ♂ bestäubt, so
-näherte sich die aus dieser Vermischung hervorgehende Generation wieder
-der Nicotiana rustica; und diese Annäherung trat bei einer weiteren
-durch abermalige Bestäubung mit dem Pollen von Nicotiana rustica
-erzeugten Generation noch mehr in die Erscheinung.
-
-Weitere Bastarde rief *Kölreuter* innerhalb der Gattungen Dianthus,
-Hyoscyamus, Verbascum, Mattiola und anderen ins Leben. Ferner
-gelang ihm die Erzeugung von zusammengesetzten, d. h. aus drei oder
-mehr Arten hervorgegangenen Bastarden. So erfolgte die Vermischung von
-drei Nicotianaarten nach folgendem Schema:
-
- Nicot. rustica ♀ }
- Nicot. panic. ♂ } ♀ }
- Nicot. panic. ♂ } ♀
- Nicot. glut. ♂
-
-Zu den merkwürdigsten Versuchen gehört *Kölreuters* Erzeugung von
-Bastarden höheren Grades oder die »gänzlich vollbrachte Verwandlung
-einer natürlichen Pflanzenart in eine andere«. So gelingt die
-Verwandlung der Nicotiana rustica in Nicotiana paniculata nach
-folgendem Schema:
-
- Nicot. rustica ♀ }
- Nicot. panic. ♂ } ♀ }
- Nicot. panic. ♂ } ♀ }
- Nicot. panic. ♂ } ♀ }
- Nicot. panic. ♂ } ♀
-
-Es wurde also durch vier Generationen, ausgehend von Nicotiana
-rustica, zur Bestäubung stets wieder der Pollen von Nicotiana
-paniculata benutzt. Das Ergebnis war, daß die vierte so erzeugte
-Generation in allen Eigenschaften Pflanzen der Nicotiana paniculata
-waren. Um gänzlich verwandelt zu werden, mußten einige Pflanzen
-wohl einige Grade mehr durchlaufen. Bei anderen wiederum ließ sich
-die völlige Umwandlung schon in der zweiten oder dritten Generation
-erreichen. Ähnlich verhielt es sich mit der Zurückführung einer bereits
-verwandelten Art in die ursprüngliche Mutterpflanze. Die Ergebnisse
-waren so wunderbar, daß *Kölreuter* selbst sagt, die Möglichkeit
-solcher Vorgänge würde ihm zu Beginn seiner Versuche nicht einmal im
-Traume eingefallen sein.
-
-Daß die Bastardbildung in der Natur keinen solchen Umfang besitzt,
-als man nach diesen Versuchen vermuten sollte, hat, wie *Kölreuter*
-gleichfalls experimentell nachwies, seinen guten Grund. Kommt nämlich
-fremder und von derselben Art herrührender Blütenstaub auf die Narbe,
-so wirkt auch bei naher Verwandtschaft nur der letztere. Trotzdem
-ist, wie neuere Forschungen[149] dargetan haben, die Bastardbildung
-vielleicht eins der Mittel, die zur Entstehung neuer Arten führen.
-Wenn auch durch den Wind und durch die Insekten zu jeder Zeit und
-aller Orten Verwechslungen des Pollens bewirkt werden, so hat, wie
-*Kölreuter* sich ausdrückt, der Schöpfer »durch ein in die Natur
-gelegtes Gesetz, das wir nicht genug bewundern können, doch jeder zu
-besorgenden Unordnung und Verwirrung vorgebeugt. Dies Gesetz besteht
-darin, daß wenn eigener und fremder Samenstaub etwa zu gleicher Zeit
-auf die Narbe kommen, der eigene männliche Staub nur allein angenommen,
-der fremde hingegen gänzlich von der Befruchtung ausgeschlossen wird«.
-
-Durchdrungen von der Bedeutung dieser Ergebnisse meint *Kölreuter*,
-man habe die Verwandlung der Metalle ineinander seit uralten Zeiten
-für möglich gehalten, es sei aber keinem Menschen eingefallen, eine
-Pflanze in eine andere oder ein Tier in ein anderes zu verwandeln,
-vermutlich weil man dies für schwieriger angesehen. Dennoch habe er
-das letztere Problem in wenig Jahren gelöst, während man seit vielen
-Jahrhunderten die Metallverwandlung vergeblich zu bewerkstelligen
-suche. *Kölreuter* kam auch auf den Gedanken, das gleiche Problem auf
-die Tierwelt zu übertragen. Auch hier, meinte er, werde sich aller
-Wahrscheinlichkeit nach die Verwandlung auf die gleichen Gesetze
-gründen und sich ebenso gewiß wie bei den Pflanzen bewerkstelligen
-lassen. »Warum sollte man,« ruft er aus, »einen Kanarienvogel nicht in
-einen Hänfling verwandeln können.« Wenn man erwäge, daß durch seine
-Bastardierungen die Umwandlung einer Pflanzenart in eine zweite von
-wesentlich anderem Aussehen gelungen sei, so dürfe man etwas Ähnliches
-in der Tierwelt nicht für unmöglich halten. Unter Anspielung auf
-*Ovids* »Metamorphosen« bemerkt *Kölreuter*, daß die ihm gelungenen
-Umwandlungen den Vorzug besäßen, nicht nur in der Einbildung eines
-Dichters, sondern in der Wirklichkeit zu bestehen.
-
-Mit der künstlichen Züchtung von Bastarden aus verschiedenen
-Tierarten hat sich zuerst eingehender der italienische Physiologe
-*Spallanzani*[150] beschäftigt. Seine Versuche erstreckten sich
-besonders auf Amphibien und Insekten. Dabei bediente sich *Spallanzani*
-des Hilfsmittels der künstlichen Befruchtung.
-
-Wir haben bei *Kölreuters* Arbeiten etwas länger verweilt, weil sie zu
-den besten und lehrreichsten physiologischen Versuchen zählen. Seine
-Schrift wird nie veralten[151]. Sie mutet uns an, als ob sie unserer
-Zeit gehört und bildet die Grundlage alles dessen, was wir über die
-Sexualität der Pflanzen wissen. Mehr beiläufig machte *Kölreuter*
-einige sehr wichtige Beobachtungen, die er jedoch nicht weiter
-verfolgte. Sie bildeten vielmehr den Ausgangspunkt für die Erschließung
-weiter neuer Gebiete durch *Sprengel* und spätere Forscher. So erkannte
-*Kölreuter* die Dichogamie von Epilobium, die Reizbewegungen gewisser
-Staubgefäße und Narben, sowie an Verbascum die Tatsache, daß der
-Blütenstaub nicht befruchtend auf dieselbe Blüte wirkt. Das Seltsamste,
-sagt er bei der Schilderung der Sexualvorgänge von Verbascum, sei ihm
-gewesen, daß sich die Blüte durch ihren eigenen Staub nicht befruchten
-ließ. Zuerst wollte er nicht an die Richtigkeit seiner Beobachtung
-glauben. Fortgesetzte Versuche bestätigten sie jedoch. »Ich halte mich
-aber,« sagt er, »da ich keinen sicheren Grund davon zu geben weiß,
-nicht länger dabei auf.«
-
-Die Entdeckung, daß der Pollen nicht nur durch den Wind, sondern auch
-durch Insekten auf die Narben übertragen wird, während diese Tiere
-dem in den Blüten enthaltenen Nektar nachgehen, rührt gleichfalls von
-*Kölreuter* her. »Bei allen Kürbisgewächsen, Schwertlilien und nicht
-wenigen Malvenarten,« sagt er[152], »geschieht die Bestäubung allein
-durch Insekten. Ich erstaunte, als ich diese Entdeckung an einer der
-genannten Pflanzen machte und sah, daß die Natur eine so wichtige
-Sache wie die Fortpflanzung einem bloßen Ungefähr, einem glücklichen
-Zufall überlassen habe. Mein Erstaunen verwandelte sich aber bei
-fortgesetzter Beobachtung in die Bewunderung eines dem ersten Anschein
-nach zufälligen, in der Tat aber sichersten Mittels, dessen sich hier
-der weise Schöpfer bei der Fortpflanzung bedient.«
-
-»Zwar verrieten,« fährt er fort, »die Bewegungen der Insekten nicht die
-Absicht, die Bestäubung zu verrichten, obgleich sie nicht nur für die
-Blumen, sondern auch für die Erhaltung jener Tiere die allerwichtigste
-Handlung ist.« *Kölreuter* erkannte, daß zahlreiche Blumen einen
-zuckerhaltigen Saft, den Nektar, absondern und daß diesem der Besuch
-der Insekten gilt.
-
-Von besonderem Interesse ist *Kölreuters* Aufhellung des
-Zusammenwirkens von Tier und Pflanze bei der Mistel[153]. Die
-Bestäubung der weiblichen Misteln, sie mögen nun mit den männlichen
-auf einem Baume stehen oder in großer Entfernung auf anderen Bäumen
-wachsen, geschieht nach *Kölreuter* allein durch Insekten und zwar
-durch gewisse Fliegen, die eine in den männlichen wie auch in den
-weiblichen Blüten befindliche süße Flüssigkeit aufsuchen. Ziehe man
-die Beschaffenheit und die Menge des Blütenstaubes in Betracht,
-so müsse man einsehen, daß man hier die Bestäubung durch den Wind
-vergebens erwarten müßte. Wie die Befruchtung von Insekten, so hänge
-die Verbreitung der Samen der Mistel von Vögeln ab. Es liege hier also
-der bis dahin ganz unbekannte Fall vor, daß das Bestehen einer Pflanze
-an die Existenz von zwei ganz verschiedenen Tierklassen geknüpft sei.
-Andererseits sei die Erhaltung der in Betracht kommenden Insekten und
-Vögel wieder auf das Dasein der Mistel gegründet, ein Beispiel, »woraus
-die genaue und notwendige Verbindung aller Dinge untereinander sattsam
-erhelle«.
-
-Die Entdeckung *Kölreuters* über die Beziehungen zwischen Blumen
-und Insekten weiter verfolgt und im einzelnen den Nachweis des
-Zusammenwirkens der Tier- und Pflanzenwelt erbracht zu haben, ist das
-große Verdienst *Sprengels*, von dem mit Recht behauptet wurde[154],
-daß er an Kühnheit des Gedankens und an Genialität des Forschens weit
-über *Camerarius*, ja selbst über *Kölreuter* hinausragte. Leider
-hatte dies zur Folge, daß er von seinen Zeitgenossen und Epigonen noch
-weniger verstanden wurde als jene Männer.
-
-*Christian Konrad Sprengel* wurde im Jahre 1750 als der Sohn eines
-Geistlichen in Brandenburg a. d. H. geboren. Nachdem er Theologie
-und Philologie studiert hatte, wurde er zunächst Lehrer in Berlin
-und darauf in Spandau (1780) Rektor einer Schule. *Sprengel* widmete
-sich der Botanik mit solchem Eifer, daß ihm schließlich von seiten
-des ihm vorgesetzten kirchlichen Superintendenten und der Spandauer
-Bürgerschaft Widerwärtigkeiten erwuchsen. Der Superintendent als
-Inspektor der Schule konnte es *Sprengel* nicht verzeihen, daß er
-am Sonntag botanische Exkursionen machte und darüber die Predigt
-versäumte. Im Jahre 1794, ein Jahr nach der Herausgabe seines Werkes,
-schied er daher aus dem Amte.
-
-Die zeitgenössischen Botaniker vermochten die Ergebnisse der Arbeiten
-*Sprengels* nicht zu würdigen. Sein Buch fand nur geringen Beifall.
-Dies bewog ihn leider, seine Forschungen ganz aufzugeben und sich
-wieder der Philologie zu widmen. Einsam, verkannt und verarmt starb er
-am 7. April des Jahres 1816. *Sprengels* Werk, sowie sein Name gerieten
-in Vergessenheit, bis kein geringerer als *Darwin*, dessen Forschungen
-auf die Beziehungen zwischen Blumen und Insekten ein neues Licht
-geworfen haben, wieder auf *Sprengel* und dessen »eigentümliches Buch
-mit dem sonderbaren Titel« aufmerksam machte[155].
-
-Daß Blütenstaub auf die Narbe gelangen muß, wenn sich aus dem
-Fruchtknoten eine mit keimfähigen Samenkörnern gefüllte Samenkapsel
-bilden soll, war durch frühere Forschungen nachgewiesen. *Sprengel*
-blieb der Nachweis vorbehalten, »daß die Befruchtung des Fruchtknotens
-der Endzweck ist, auf den sich der ganze Aufbau der Saftblume bezieht
-und aus dem er sich völlig erklären läßt«[156]. Über den Vorgang der
-Befruchtung selbst konnten erst die mikroskopischen Untersuchungen des
-19. Jahrhunderts Aufschluß bringen[157]. Auch die Mikroskopiker jener
-Zeit, wie *Ledermüller*[158], bemühten sich vergeblich, die Vorgänge,
-die nach der Bestäubung der Blüten eintreten und zur Befruchtung
-führen, zu verfolgen. »Ich habe mir,« sagt *Ledermüller*[159], »alle
-Mühe gegeben, Öffnungen auf der Narbe zu sehen, in welche die Körner
-des Blütenstaubes kommen möchten, allein ich habe solche nicht
-entdecken können. Ich glaube daher, daß nicht der Staub selbst,
-sondern vielmehr die in seinen Körnern eingeschlossene Substanz die
-Befruchtung veranlaßt.« Jedoch ist *Ledermüller* wohl bekannt, daß
-sich in manchen Fällen in dem Griffel ein Kanal nachweisen läßt[160].
-Er erwähnt auch, daß von anderer Seite ein Eindringen des Staubes
-in diesen Kanal behauptet und der Befruchtungsvorgang in dieser
-Erscheinung erblickt werde.
-
-*Sprengel* glaubte, daß ein aus den Pollenkörnern hervorschwitzendes Öl
-die befruchtende Substanz sei. Wenn der Staub auf die Narbe gekommen
-ist, meint *Sprengel*, so dringt zwar nicht er selbst, da er viel zu
-grob sei, wohl aber das feine, befruchtende Wesen, welches er enthält,
-durch die Narbe hindurch in das Innere des Fruchtknotens und wirkt dort
-auf die Samenanlagen. Wegen der Ähnlichkeit dieser Befruchtungsart
-mit derjenigen im Tierreich nenne man mit Recht die Staubgefäße den
-männlichen, den Stempel dagegen den weiblichen Befruchtungsteil. Und es
-sei leicht einzusehen, daß dieses die wesentlichsten Teile der Blume
-seien. Die Klarstellung dieser Verhältnisse blieb jedoch, wie schon
-erwähnt, dem 19. Jahrhundert vorbehalten.
-
-[Illustration: Abb. 17. Die Blüte des Sumpfstorchschnabels. (Aus
-*Sprengel*, das entdeckte Geheimnis der Natur.)]
-
-Auf die Anpassung der Blüten an die Bestäubung durch Insekten wurde
-*Sprengel* besonders durch das Studium der Nektar absondernden
-Organe geführt. Als er im Sommer des Jahres 1787 die Blume des
-Waldstorchschnabels (Geranium silvaticum) aufmerksam betrachtete,
-fand er, daß der unterste Teil ihrer Kronenblätter auf der inneren
-Seite und an den beiden Rändern mit feinen Haaren versehen ist. Unter
-diesen Haaren erblickte er fünf Drüsen und fünf von diesen Drüsen
-abgesonderte Safttröpfchen, die, wie er erkannte, gewissen Insekten
-zur Nahrung dienen. *Sprengel* schloß, daß durch die Haare dafür
-gesorgt sei, daß der Saft nicht vom Regen verdorben werde. Da die
-Blume des Storchschnabels aufrecht steht und ziemlich groß ist, so
-könne es vorkommen, daß Regentropfen in sie hineinfallen. Es könne
-aber kein Tropfen zu einem Safttröpfchen gelangen und sich mit ihm
-vermischen, weil jeder Tropfen von den Haaren, die sich darüber
-befinden, aufgehalten werde. Ein Insekt dagegen werde durch diese Haare
-nicht daran gehindert, zu den Safttröpfchen zu gelangen. Dies war
-das Ergebnis von *Sprengels* Untersuchung des Sumpfstorchschnabels.
-Ähnliche Beobachtungen stellte er an anderen Saftblumen an. Er fand sie
-alle so eingerichtet, daß zwar die Insekten leicht zum Saft gelangen
-können, der Regen ihn aber nicht verderben kann. *Sprengel* schloß
-daraus, daß der Saft um der Insekten willen abgesondert werde, und daß
-der Saft, damit die Insekten ihn rein und unverdorben genießen könnten,
-gegen den Regen gesichert sei. Daß die Haare nicht immer als Schutz
-gegen Regen dienen, sondern in manchen Fällen auch die Aufgabe haben,
-unberufene Gäste von den Blumen fern zu halten, ist *Sprengel* noch
-entgangen.
-
-Später untersuchte *Sprengel* das Vergißmeinnicht (Myosotis
-palustris). Er fand, daß auch bei dieser Blume der Saft gegen den
-Regen völlig gesichert ist. Zugleich fiel ihm der gelbe Ring auf,
-welcher die Öffnung der Kronenröhre umgibt und gegen die blaue Farbe
-des Kronensaums so schön absticht. Sollte wohl, dachte er, dieser
-Umstand sich auch auf die Insekten beziehen und die Natur diesen Ring
-deshalb so auffallend gefärbt haben, damit er den Insekten den Weg
-zum Safthalter zeige? *Sprengel* untersuchte mit Rücksicht auf diese
-Annahme andere Blumen. Er erkannte, daß sich solche Flecken, Figuren,
-Linien oder Tüpfel von besonderer Farbe dort zeigen, wo sich der
-Eingang zum Safthalter befindet. Nun schloß er: »Wenn die Krone wegen
-der Insekten an einer besonderen Stelle besonders gefärbt ist, so ist
-sie überhaupt der Insekten wegen gefärbt; und wenn jene besondere
-Farbe eines Teiles der Krone dazu dient, daß ein Insekt, das sich auf
-die Blume gesetzt hat, den rechten Weg zum Saft leicht finden kann,
-so dient die Farbe der Krone dazu, daß die Blumen den Insekten als
-Saftbehältnisse schon von weitem in die Augen fallen.«
-
-Als *Sprengel* einige Arten der Iris untersuchte, fand er, daß ihre
-Blumen gar nicht anders befruchtet werden können als durch Insekten. Er
-untersuchte, ob auch andere Blumen so gebaut seien und überzeugte sich,
-daß viele, ja vielleicht alle Saftblumen, von den Insekten, die sich
-von dem Safte nähren, befruchtet werden. »Dann wäre«, sagt er, »diese
-Ernährung der Insekten zwar in Ansehung ihrer selbst Endzweck, in
-Ansehung der Blumen aber nur das Mittel zu deren Befruchtung.«
-
-Ferner entdeckte *Sprengel*, daß die Staubgefäße sich mitunter früher
-entwickeln als die Stempel, eine Beobachtung, die er zum ersten
-Male am schmalblättrigen Weidenröschen (Epilobium angustifolium)
-machte. Das Gegenteil lernte er an der gemeinen Wolfsmilch (Euphorbia
-Cyparissias) kennen. Er fand, daß bei dieser Pflanze zunächst der
-Griffel aus der Blume hervorragt, während von den Staubgefäßen noch
-nichts zu sehen ist. Die Staubgefäße befinden sich während dieses
-Zustandes noch am Grunde der Krone und enthalten noch nicht einmal
-fertig gebildeten Staub. Nach einigen Tagen strecken sie sich und
-versenden ihren Staub. Wenn die Insekten in eine ältere Blume
-hineinkriechen, so streifen sie diesen Staub ab. Besuchen sie dann eine
-jüngere Blume, so gelangt der Staub dort auf die Narbe und übt seine
-befruchtende Wirkung aus[161].
-
-Die als Dichogamie bezeichnete ungleichzeitige Entwicklung der
-Staubgefäße und der Stempel ist, wie auch alle späteren Forschungen
-dargetan haben, das gewöhnlichste und einfachste Mittel, um die
-Selbstbefruchtung einer Zwitterblume zu verhindern. Öffnen sich
-die Staubbeutel, wenn die Narben noch unentwickelt sind, so heißt
-die Pflanze protandrisch. Wird die Narbe vor der Verstäubung
-empfängnisfähig, so kann sie nur den Blütenstaub älterer Blumen
-empfangen. Die Pflanze wird dann protogynisch genannt. Auf die im
-vorstehenden kurz geschilderten Hauptentdeckungen *Sprengels* gründete
-er die Theorie, daß der ganze Bau der Saftblumen in allen ihren
-Einzelheiten der Bestäubung durch Insekten angepaßt sei.
-
-Von Interesse sind auch *Sprengels* Ausführungen über seine von dem
-Herkommen völlig abweichende Art des botanischen Studiums. Wer sich
-Blumen vom Felde hole und sie auf dem Zimmer untersuche, der werde
-nicht den Plan der Natur im Bau der Blumen entdecken. Man müsse die
-Pflanzen vielmehr an ihrem Standort untersuchen und darauf achten, ob
-sie von Insekten und von welchen Insekten sie besucht werden, wie sich
-die Insekten verhalten, ob sie die Staubbeutel oder die Narbe berühren.
-Kurz, man müsse die Natur auf der Tat zu ertappen suchen.
-
-Wie *Sprengel* eine der bekanntesten Anpassungen solcher Art im
-einzelnen aufdeckt, zeigt seine Untersuchung der Osterluzzei
-(Aristolochia Clematitis), einer in Gebirgswäldern häufig
-vorkommenden protogynischen Pflanze. *Sprengel* hatte fast jedesmal
-kleine Fliegen in dem Kessel (Abb. 18, k) der aufrecht stehenden Krone
-A gefunden, während in dem Kessel einer herabhängenden Krone (B)
-keine einzige Fliege war. *Sprengel* glaubte zuerst, das Innere der
-Krone sei glatt, so daß die Insekten, wenn die Blume sich nach unten
-kehrt, herausfielen. Als diese Vermutung indessen nicht bestätigt
-wurde, schnitt er die Krone auf. Da sah er, »daß die Röhre der
-aufrechtstehenden Blume mit steifen, fadenförmigen Haaren besetzt
-ist. Diese Haare sind mit ihrer Spitze nicht der Öffnung der Krone,
-sondern dem Kessel zugekehrt und bilden eine kleine Reuse, durch
-welche die Fliegen zwar leicht in den Kessel hinein, aber nicht wieder
-herauskriechen können. In der herabhängenden Blume sind dagegen die
-Haare verwelkt. Hierdurch war also das Gefängnis geöffnet worden, und
-die Fliegen hatten nicht gesäumt, sich wieder ins Freie zu begeben.«
-
-[Illustration: Abb. 18. Blüte der Osterluzzei. A vor und B nach der
-Bestäubung[162].]
-
-*Sprengel* zeigte, daß die Blume der Aristolochia drei verschiedene
-Zustände durchläuft. Nachdem sie eine bestimmte Größe erlangt und sich
-geöffnet hat, scheint sie zwar zu blühen, sie ist aber trotzdem nicht
-fähig, befruchtet zu werden, weil zunächst weder ein Staubgefäß seine
-gehörige Reife noch die Narbe ihre völlige Ausbildung erhalten haben.
-Während dieses Zustandes fängt die Blume eine Anzahl Fliegen ein,
-von denen sie im zweiten Stadium ihrer Entwicklung befruchtet wird.
-Sobald die Natur diesen Endzweck erreicht hat, versetzt sie die Blume
-in den dritten Zustand. Die Blume kehrt sich nämlich um, die kleine
-Reuse verschwindet, und die Fliegen erhalten ihre Freiheit wieder. Daß
-bei der Osterluzzei Fremdbestäubung stattfindet, indem die befreiten,
-mit dem Pollen bedeckten Insekten die früher als die Staubbeutel sich
-entfaltende Narbe einer jüngeren Blume bestäuben, hat *Sprengel*
-übersehen. Im übrigen war er der erste, der bei anderen Pflanzen auf
-die Fremdbestäubung aufmerksam gemacht und die Dichogamie als das
-sicherste Mittel zur Erreichung der Fremdbestäubung nachgewiesen
-hat. »Da viele Blumen«, sagt er, »getrennten Geschlechtes und viele
-Zwitterblumen dichogam sind, so scheint die Natur es nicht haben zu
-wollen, daß irgend eine Blume durch ihren eigenen Staub befruchtet
-wird«[163].
-
-Von den wunderbaren Einrichtungen, die *Sprengel* auf jenen Zweck
-zurückführte, seien noch diejenigen erwähnt, welche die Blüten der
-Berberitze, des Wiesensalbeis (siehe Abb. 19) und der Orchideen
-aufweisen.
-
-Bei Berberis beschreibt *Sprengel* das Verhalten der Staubgefäße, die
-sich bei der Berührung durch ein Insekt gegen den Stempel bewegen.
-Allerdings glaubte er, daß dieses Verhalten auf eine Selbstbestäubung
-hindeute, während tatsächlich das die Blüte besuchende Insekt durch
-die reizbaren Staubfäden mit Blütenstaub bedeckt wird und ihn auf eine
-andere Blüte überträgt.
-
-[Illustration: Abb. 19. *Sprengels* Abbildung der Befruchtung einer
-Salbeiblüte (Salvia pratensis). 18. Die Blume in natürlicher
-Stellung. 24. Die Blume wird von einer Hummel besucht, bestäubt und
-dadurch befruchtet. Dabei wird das Insekt, indem es die Staubgefäße
-herabdrückt und mit dem Rücken streift, von neuem mit Blütenstaub
-beladen, den es auf eine andere Narbe bringt[164].]
-
-Den Blütenbau und die Bestäubungseinrichtungen der Orchideen
-untersuchte *Sprengel* zuerst eingehend am breitblättrigen Knabenkraut
-(Orchis latifolia). Er wies nach, daß die Staubkölbchen, gegen Regen
-geschützt, in zwei Fächern verborgen sind. Daran, daß sie von selbst
-aus diesen Fächern herausfallen oder daß der Wind sie herauswehen
-könne, sei nicht zu denken. Führte *Sprengel* einen Grashalm in die
-Orchideenblüte ein, so sah er voll Verwunderung, daß sich auf diese
-Weise ein Kölbchen herausholen ließ. »Eine Anthere,« sagt er, »ist es
-zwar, einen Staubbeutel kann man es aber nicht nennen, da das Kölbchen
-nicht eine Haut um sich hat, sondern aus lauter Staub besteht.«
-Den Bestäubungsvorgang selbst hat *Sprengel* nicht beobachtet. Er
-nahm an, daß Fliegen ihn vollzögen, während es sich in der Tat um
-Fremdbestäubung durch Bienen handelt.
-
-Daß die Bienen und andere Insekten, indem sie ihrer Nahrung nachgehen,
-zugleich, ohne es zu wollen und zu wissen, die Blumen befruchten und
-dadurch den Grund zu ihrer und ihrer Nachkommen zukünftiger Erhaltung
-legen, erklärt *Sprengel* mit Recht als eine der bewundernswürdigsten
-Veranstaltungen der Natur.
-
-Was andere Insekten anbetrifft, so gebührt *Sprengel* auch das
-Verdienst, zuerst auf die Beziehungen zwischen Ameisen und Pflanzen
-aufmerksam gemacht zu haben. Wir können ihn als den Entdecker der heute
-als Myrmekophylie bezeichneten Erscheinung betrachten. *Sprengel*
-beschrieb sie an der Zaunwicke (Vicia sepium). Er beobachtete,
-daß diese Pflanze nicht nur in ihren Blumen, sondern auch in ihren
-Blattwinkeln Saft bereitet und daß die großen Waldameisen diesem Saft
-nachgehen. Deshalb finde man den Saft nur selten, wenn man die Pflanzen
-an ihrem Standorte untersuche. Nehme man aber einige Stengel mit nach
-Hause und stelle man sie in Wasser, so seien nach einigen Tagen die
-Blattwinkel voll Saft.
-
-Eine auf das Dogma von der Konstanz der Arten gegründete Botanik wußte
-zu all diesen merkwürdigen Ergebnissen keine Stellung zu nehmen. Man
-zog es daher vor, sie mit Stillschweigen zu übergehen. Erst als man
-jenes Dogma aufgegeben, wurde das Interesse an blütenbiologischen
-Untersuchungen, welche der Lehre von der allmählichen Entwicklung der
-Arten eine wesentliche Stütze verliehen haben, von neuem lebendig.
-
-Auch an den Pflanzen, welche durch den Wind befruchtet werden,
-stellte *Sprengel* Untersuchungen an. So wies er darauf hin, daß bei
-den Windblütern bei weitem mehr Staub bereitet werden müsse, als
-zur Befruchtung nötig sei. Denn der Wind wehe nicht jederzeit den
-Staub gerade auf die weiblichen Blütenteile zu und bringe auch nicht
-jedes Stäubchen gerade auf eine Blume, die noch nicht befruchtet
-sei. Auch wasche der Regen nicht nur viel Staub von den Staubbeuteln
-ab, da letztere dem Regen bei dergleichen Blumen sehr ausgesetzt
-seien, sondern er schlage auch den schon abgeflogenen und in der Luft
-befindlichen Staub nieder. Als Beispiel führt *Sprengel* die Kiefer an,
-die so viel Staub verstreue, daß es während ihrer Blütezeit, wie das
-Volk sage, zuweilen Schwefel regne.
-
-
-
-
-7. Fortschritte der Zoologie im 18. Jahrhundert.
-
-
-Auch hinsichtlich der Zoologie muß die Zeit, die wir zu schildern
-suchen, als eine Periode des Überwiegens der Systematik bezeichnet
-werden. Doch mehren sich die Bestrebungen, in den Bau, die Lebensweise
-und die Entwicklung insbesondere der niederen Tiere einzudringen.
-Während z. B. noch die Systematiker des 17. Jahrhunderts, darunter
-Männer wie *Ray*[165], die Korallen für Pflanzen hielten, taucht in
-den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts zum erstenmal die Ansicht
-auf, daß die vermeintlichen Blüten der Polypenstöcke Tiere und die
-Hartteile, welche Veranlassung zu der Bezeichnung »steinerne Pflanzen«
-gegeben hatten, deren Absonderungsprodukte seien, eine Ansicht, der
-freilich die Zoologen jener Zeit mit Spott begegneten. Selbst *Linné*
-war noch im Zweifel, ob er sich für die animalische Natur der Zoophyten
-(Pflanzentiere) entscheiden sollte.
-
-Der erste, der mit den triftigsten Gründen für die richtige Auffassung
-dieser Lebewesen eintrat, war der Franzose *Peyssonnel*. Er stellte in
-den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts an den Küsten Südfrankreichs
-und Nordafrikas genaue Untersuchungen an lebenden Polypenstöcken an und
-zeigte, daß alle Lebensäußerungen an den vermeintlichen Blüten mit der
-Annahme, daß es sich hier um Pflanzen handle, unvereinbar seien.
-
-Ein helles Licht verbreiteten über diesen Gegenstand etwa 20 Jahre
-später die Arbeiten *Trembleys* (1710-1784), mit deren Erscheinen *K.
-E. von Baer* eine neue Epoche der Physiologie beginnen ließ. *Trembley*
-stellte seine Untersuchungen an einem den Korallentieren und Schwämmen
-nahe verwandten Geschöpf unserer Binnengewässer, dem Süßwasserpolypen,
-an. Einige der von ihm erhaltenen Ergebnisse, und zwar diejenigen, die
-sich auf das außerordentliche Reproduktionsvermögen dieses Tieres
-beziehen, mögen hier Erwähnung finden.
-
-Wurde ein Süßwasserpolyp querdurch in zwei, drei oder mehr Teile
-zerschnitten, so entstand aus jedem Teile nach kurzer Zeit ein
-vollständiger, neuer Polyp. Die einer, auf beiden Seiten offenen Röhre
-gleichenden mittleren Stücke schlossen sich an dem einen Ende, während
-die gegenüber befindliche Öffnung zur Mundöffnung wurde und alsbald
-wieder mit einem Kranz von neuentstandenen Fangarmen umgeben war. Wurde
-ein Polyp der Länge nach halbiert, so erhielt man zwei Hautlappen.
-Diese verwandelten sich sofort in Röhren, indem die Ränder sich
-zusammenlegten und verwuchsen, so daß aus den Polypenhälften wieder
-vollständige Tiere wurden.
-
-[Illustration: Abb. 20. Der Süßwasserpolyp mit Knospen (c) auf einer
-Wasserpflanze.]
-
-Darauf schlitzte *Trembley* einen Polypen auf, breitete ihn aus
-und zerhackte ihn in viele kleine Stücke. Alle diese Stücke, sie
-mochten Arme haben oder nicht, wurden wieder vollkommene Polypen. Das
-wunderbarste Experiment bestand darin, daß *Trembley* den Polypen
-wie einen Handschuhfinger umstülpte. Dieser Versuch möge mit den
-Worten *Trembleys* geschildert werden: »Ich beginne damit, daß ich
-dem Polypen, den ich umkehren will, einen Wurm zu fressen gebe. Hat
-er diesen verschluckt, so drücke ich den Polypen am hinteren Ende
-und treibe dadurch den Wurm aus dem Magen nach dem Maule zu, bis ein
-Stück des Wurmes herauskommt. Dann nehme ich eine ziemlich dicke,
-stumpfe Schweinsborste, bringe sie an das hintere Ende des Polypen
-und drücke sie gegen den Magen, der hier leer und sehr erweitert ist.
-Hierauf drücke ich die Schweinsborste immer weiter voran; je weiter
-sie eindringt, um so mehr kehrt sich der Polyp um. Kommt die Borste
-bis an den Wurm, der das Maul des Polypen offen hält, so drückt sie
-diesen entweder heraus oder sie geht daneben aus dem Maule heraus
-und ist jetzt von dem hinteren Teile des Polypen bedeckt, der auf
-diese Weise umgekehrt ist. Es erübrigt nichts weiter, als ihn von der
-Schweinsborste abzustreifen.
-
-Sobald dies geschehen ist, verschließt sich der Mund. Später kehren
-sich die Lippen nach außen, als wenn sich der Polyp wieder umkrempeln
-und in seinen vorigen Zustand zurückkehren wollte. Dies versucht er
-auch in der Tat, und oft glückt es ihm. Meine Hauptaufgabe war daher,
-den Polypen umgekehrt zu erhalten, um zu sehen, ob er auch in diesem
-Zustande leben kann. Ein sicheres Mittel besteht darin, daß man das
-umgekrempelte Tier dicht hinter dem Kopfe mit einer Schweinsborste
-durchstößt. Ich habe dies mit umgewendeten Polypen getan, ohne daß es
-sie am Fressen und an ihrer Vermehrung gehindert hätte.«
-
-In der geschilderten Weise wurde durch *Trembley* die experimentelle
-Forschungsweise auf ein Gebiet übertragen, das sich kaum der
-deskriptiven Behandlung erschlossen hatte. Ein Forscher der neueren
-Zeit, dem der Süßwasserpolyp den Stoff zu einer ausgezeichneten
-Monographie geboten hat[166], rühmt von *Trembley*, daß alle
-Nachfolger seine Untersuchungen kaum in ihrer Vollständigkeit zu
-wiederholen vermocht hätten. Nur der später erfolgte Nachweis einer
-geschlechtlichen Fortpflanzung dieser Tiere ist als ein wesentlicher
-Fortschritt zu betrachten. *Trembley* hat wohl die Eier und Samen
-bereitenden Organe wahrgenommen, ohne jedoch ihre Bedeutung zu
-erkennen. Den Vorgang der Knospung (siehe Abb. 20) hatte schon
-*Leeuwenhoek*[167] am Süßwasserpolypen beobachtet.
-
-Das durch *Trembleys* Versuche erschlossene Studium der Regeneration
-wurde von *Spallanzani* auf höhere Tiere ausgedehnt. (*Spallanzani*,
-Über die Wiedererzeugung verloren gegangener Teile und über die
-Zeugung.) Der italienische Forscher zeigte am Wassersalamander, daß
-auch dieses Geschöpf ein ganz außerordentliches Regenerationsvermögen
-besitzt. Wurden die Augen, der Unterkiefer oder die Gliedmaßen
-abgetrennt, so entstanden sie binnen kurzem in ursprünglicher Form
-von neuem. Diese Regeneration trat wiederholt ein, wenn die neu
-entstandenen Organe nochmals wieder entfernt wurden.
-
-Das durch *Leeuwenhoek* erschlossene Gebiet der mikroskopischen
-Durchforschung von Aufgüssen oder »Infusionen« wurde während des 18.
-Jahrhunderts mehr von Liebhabern der Mikroskopie, die daran ihr »Gemüt
-ergötzen« wollten, als von eigentlichen Zoologen angebaut. Trotzdem
-wurde hierdurch die Formenkenntnis, sowie das Wissen von dem Leben
-der niederen Tiere außerordentlich bereichert. So entstanden die
-»Mikroskopischen Gemüts- und Augenergötzungen« *Ledermüllers*[168],
-ein reichillustriertes Werk, das sich gleich den »Arcana naturae«
-*Leeuwenhoeks*, ohne ein bestimmtes Ziel allem zuwendet, was die
-Wißbegierde des dilettantischen Mikroskopikers reizt. Dennoch birgt
-*Ledermüllers* Buch die Kunde von mancher wichtigen Entdeckung.
-In buntem Wechsel führen uns seine Tafeln Schimmelbildungen,
-Kristallisationen, Kleisterälchen, Haare, Schweißporen, Würmer,
-Stacheln, Zangen usw. vor. Auch die Nerven werden untersucht.
-*Ledermüller* (1719-1769) nennt sie »erschreckliche Folterwerkzeuge
-für den Menschen« und widerlegt die Ansicht, daß sie hohl seien.
-Wie *Ledermüller* berichtet, beschäftigte sich im Jahre 1727 auch
-die Petersburger Akademie mit dem Bau der Nerven. Sie dehnte ihre
-Untersuchung sogar auf den Elefanten aus und fand, daß die Nerven
-dieses Tieres weder hohl noch erheblich dicker seien als diejenigen der
-übrigen Säugetiere.
-
-Ein besonderes Interesse wandte *Ledermüller* den Aufgußtierchen zu,
-denen er den Namen Infusorien beilegte. Abbildung 21 ist die Wiedergabe
-einer Tafel seines Werkes[169], auf der er einige von ihm als
-Schalmeientierchen (i, k), Deckeltierchen (y, w, x), Glockentierlein
-(l) bezeichnete, den Gattungen Stentor und Vorticella angehörende
-Infusorienarten zur Darstellung brachte.
-
-*Ledermüllers* »Gemüts- und Augenergötzungen« sind die
-»Insektenbelustigungen« *Rosenhofs* an die Seite zu stellen. *Rösel
-von Rosenhof* (1705-1759) war seines Zeichens Kupferstecher. Er lebte
-in Nürnberg und widmete sich wie *Swammerdam* mit großer Ausdauer der
-Erforschung des Baues und der Lebensweise der kleinsten Organismen,
-insbesondere der Insekten. *Rosenhof* wurde dabei, wie manche
-Naturforscher des 18. Jahrhunderts, von dem Bestreben geleitet, in
-den Wundern, die uns gerade die niedere Lebewelt in so reichem Maße
-enthüllt, einen Beweis für die Weisheit und Güte des Schöpfers zu
-finden.
-
-Während die Mehrzahl der Zoologen sich bei dem Studium der Insekten auf
-die Beschreibung des Äußeren beschränkte und nur den Zweck verfolgte,
-jeder Art den ihr zukommenden Platz im System und in der Sammlung
-anzuweisen, hat *Rösel*, wie vor ihm *Réaumur*, seine Beobachtungen
-besonders auf die Entwicklung und die Lebensverhältnisse der Insekten
-gerichtet. Sein Werk ist daher für alle nachfolgenden Generationen
-eine der wichtigsten Fundgruben über das behandelte Gebiet geworden.
-Es führt den Titel »Monatlich herausgegebene Insektenbelustigung« und
-erschien seit 1746. Was den Wert des vier starke Bände umfassenden
-Werkes besonders erhöht, sind die zahlreichen, ihm beigefügten, in
-Farbendruck hergestellten Kupfertafeln. Sie geben die Insekten in
-einer selbst heute an Naturtreue kaum übertroffenen Ausführung wieder.
-
-[Illustration: Abb. 21. *Ledermüllers* Abbildung von Aufgußtierchen.]
-
-*Rösel* lieferte ferner eine Naturgeschichte der Frösche. Auch dieses
-Werk zeichnet sich weniger durch das Neue, das es über den Bau dieser
-Gruppe bringt, als durch die Fülle feiner Beobachtungen über die
-Entwicklung und die Lebensweise aus.
-
-*Trembleys* Arbeit über den Süßwasserpolypen regte *Rosenhof* zu einer
-Nachprüfung an. Er bestätigte nicht nur *Trembleys* Beobachtungen,
-sondern er förderte auch viel Neues über die verschiedenen Polypenarten
-zutage und stellte es in prächtigen Tafeln dar. *Rösel* betitelt den
-betreffenden Abschnitt seines Werkes »Historie der Polypen und anderer
-kleiner Wasserinsekten«[170]. Er macht darin auch Mitteilungen über
-die Naiden. Das sind im süßen Wasser lebende Würmer, an denen *Rösel*
-beobachtete, daß sie nicht nur durch Zerschneiden vermehrt werden
-können, sondern daß sie sich sogar durch eigene Teilung vervielfältigen.
-
-[Illustration: Abb. 22. *Rösel von Rosenhofs* Darstellung der Bewegung
-und der Teilung einer Amöbe. (Gezeichnet nach Tafel 101 des III. Teiles
-seiner Insektenbelustigungen.)]
-
-Ferner finden wir bei ihm wohl eine der ersten Schilderungen der
-amöboiden Bewegung, die wir hier mit den zugehörigen Abbildungen (Abb.
-22) wiedergeben wollen. *Rösel* beschreibt eine Amöbe unter dem Namen
-Proteus mit etwa folgenden Worten: »Mein Proteus ist ein sehr kleines
-Tier. Es begibt sich sehr langsam von einer Stelle zur anderen, wobei
-es fortwährend seine Gestalt verändert. Ich beobachtete die Tierchen
-in größerer Anzahl unter dem zusammengesetzten Mikroskop und bemühte
-mich, an ihnen eine gewisse Gestalt wahrzunehmen oder etwas an ihnen zu
-sehen, was einem Kopf, einem Schwanz oder Gliedmaßen gliche, ohne daß
-mir dies indessen gelungen wäre. Endlich betrachtete ich eins dieser
-Tiere allein und habe daran folgendes bemerkt: Das Tier besteht aus
-lauter ungleich großen Körnern. Nachdem es eine Zeitlang einer Kugel
-geglichen hatte, stellte es sich mir in der Form der mit C bezeichneten
-Figur dar, sah also einem Kleeblatt ähnlich. Kaum war aber eine halbe
-Minute verflossen, so sah es wie in D aus. Bald darauf wurde es länger,
-wie E zeigt. Diese Verlängerung dauerte so lange, daß es aussah, als
-wollte sich das Tier in zwei Teile teilen. Dies geschah auch wirklich
-nicht lange danach, indem sich die beiden Teile F und F bei G trennten.
-Nun hatte ich statt des einen Tieres deren zwei, von denen jedes bald
-wieder eine andere Gestalt annahm, wie H und I zeigen[171].«
-
-Auch die Frage nach der Entstehung der kleinsten Lebewesen wurde damals
-lebhaft erörtert. Während von der einen Seite die von *Swammerdam* und
-*Redi* hinsichtlich der Insekten widerlegte Urzeugung zur Erklärung des
-so rätselhaften Auftretens der Infusorien wieder in Anspruch genommen
-wurde, nahm *Spallanzani* (1729-1799) eine Fortpflanzung durch Eier
-und Keime an. Diese sollten sich in den zur Herstellung des Aufgusses
-benutzten Stoffen befinden[172]. Da ein Nachweis dieser Keime aber
-äußerst schwierig war, so konnte die Lehre von der Urzeugung, zumal
-sie in *Buffon* einen angesehenen und eifrigen Vertreter fand, sich
-bis ins 19. Jahrhundert hinein erhalten. Ihre endgültige Beseitigung
-erfolgte erst durch die Experimente *Pasteurs*. Die an anderer Stelle
-wiedergegebene Abhandlung dieses Forschers ist auch geeignet, den Leser
-mit dem im 18. Jahrhundert zwischen *Spallanzani* und seinen Gegnern
-geführten Streit bekannt zu machen[173].
-
-Für die niedersten Pflanzen, wie die Pilze und Flechten, hatte
-*Caesalpin*[174] gleichfalls Urzeugung angenommen. »Manche Pflanzen«,
-sagt *Caesalpin*, »haben überhaupt keinen Samen, sie entstehen nur
-durch Fäulnis und sind gewissermaßen ein Mittelding zwischen den
-Pflanzen und der unbelebten Natur.« *Jungius*, der aufgeklärteste
-Botaniker des 17. Jahrhunderts[175], auf den sich *Linné* ganz
-besonders stützte, bezweifelt dies jedoch, während *Linné* meinte,
-daß »auch bei den untersten Stufen der Gewächse Blumen und Früchte
-vorhanden seien, obgleich sie ihrer Kleinheit wegen nicht deutlich
-wahrgenommen werden«. Aus dieser Ansicht erklärt sich die von *Linné*
-für die niederen Pflanzen angewandte Bezeichnung »Kryptogamen«
-(Verborgenblütige). Die Einsicht in diejenigen Vorgänge, welche die
-Fortpflanzung der Kryptogamen ausmachen, blieb gleichfalls der neuesten
-Periode vorbehalten.
-
-Neben der Lehre von der Urzeugung wurde das Gebiet der Biologie während
-des 18. Jahrhunderts noch durch eine zweite Irrlehre verdunkelt, die
-uns heute fast noch sonderbarer anmutet. Es ist die von *Harvey*
-ausgehende und von dem großen Anatomen und Physiologen *Albrecht von
-Haller* gestützte Evolutions- oder Einschachtelungstheorie. Das Studium
-der Befruchtung und der Entwicklung hatte die Frage nach der Erklärung
-dieser Vorgänge angeregt. So nahm *Harvey* an, das Ei enthalte die
-vollständige Anlage desjenigen Wesens, welches daraus hervorgeht.
-Dadurch kamen wieder Philosophen und Naturkundige des 18. Jahrhunderts
-auf den Gedanken, daß folgerichtig nach der Lehre *Harveys* das Ei auch
-das nächstfolgende, sowie alle späteren Geschlechter enthalten müsse.
-Diese Einschachtelungstheorie, gegen welche vor allem auch die von
-*Kölreuter* bei seinen Bastardierungsversuchen erhaltenen Ergebnisse
-sprachen, wurde durch *Wolff* in seiner Theoria generationis vom
-Jahre 1759 vollständig widerlegt[176]. Mit *Wolff* beginnt die neuere
-Entwicklungsgeschichte, die den Vorgang der Entstehung als ein
-Werden oder einen Wachstumsprozeß betrachtet und ihn teils aus der
-Stammesgeschichte, teils aus mechanischen Ursachen zu erklären sucht.
-
-*Kaspar Friedrich Wolff* wurde im Jahre 1733 in Berlin geboren. Als
-junger Mediziner wandte er sich mit großer Vorliebe der Anatomie
-und der Botanik zu. In Halle geriet er unter den Einfluß der
-Philosophie des Leibnizianers *Christian Wolf*. So kam es, daß er
-bei seinen naturwissenschaftlichen Untersuchungen sich mitunter
-allzusehr von vorgefaßten Meinungen leiten ließ und häufig aus
-unzulänglichen, ungenauen Beobachtungen zuweitgehende philosophische
-Verallgemeinerungen zog. Da *Wolff* in Preußen nicht die gehoffte
-Anerkennung fand -- er wurde bei der Besetzung von Lehrstühlen mehrfach
-übergangen --, so folgte er im Jahre 1766, wie es auch *Euler* getan,
-einem Rufe an die Petersburger Akademie der Wissenschaften. *Wolff*
-blieb auch dort mit anatomischen und entwicklungsgeschichtlichen
-Arbeiten beschäftigt. Hervorzuheben ist seine Untersuchung über die
-Entwicklung des Darmes. Nach einem zurückgezogenen, der Wissenschaft
-gewidmeten Leben starb *Wolff* in Petersburg im Jahre 1794.
-
-*Wolffs* Theoria generationis geht von der Untersuchung der Pflanze
-aus, um auf diese Weise »die Richtschnur klarzulegen, an die man sich
-bei der Behandlung der viel schwierigeren zoologischen Verhältnisse zu
-halten hat«. *Wolffs* Untersuchungen über den Bau und die Entwicklung
-der Pflanze sind für die Geschichte der Pflanzenanatomie von nicht
-geringer Bedeutung. Es war das erste Mal, daß nach der Begründung
-dieses Wissenszweiges durch *Malpighi* und *Grew* sich wieder jemand
-eingehender mit diesem Gegenstand beschäftigte. Waren die Ergebnisse
-*Wolffs* auch noch sehr ungenau und fehlerhaft, so sicherten dennoch
-manche von den Verallgemeinerungen, die er an sie knüpfte, seiner
-Arbeit eine nachhaltige Wirkung. Vor allem wurde durch *Wolff* die
-Frage nach der Entstehung des zelligen Baues der Pflanze angeregt,
-wenn auch die Lösung, die er selbst zu bieten suchte, unrichtig war.
-*Wolff* nahm nämlich an, die Pflanzensubstanz in der Vegetationsspitze
-sei zunächst gallertartig. In dieser Gallerte sollten sich kleine
-Bläschen ausscheiden. Diese sollten sich in der Weise vergrößern, daß
-die zwischen den Bläschen befindliche Zwischensubstanz später als ein
-Maschwerk von Zellwänden erscheine. Das Wachstum geschehe durch die
-Ausdehnung der Bläschen und dadurch, daß neue Bläschen zwischen den
-alten entständen und sich gleichfalls vergrößerten. *Wolff* bemerkte
-ganz richtig, daß Fasern und Gefäße nicht etwa schon in der Anlage
-vorhanden sind. Die jungen Pflanzenteile seien aus gleichartigen
-Bläschen zusammengesetzt. Mitunter beständen sie aber aus einer
-gleichförmigen Substanz ohne alle Bläschen. Auf dieser letzteren
-irrtümlichen Beobachtung beruht seine unrichtige Theorie von der
-Zellenbildung, nach welcher die Zellen etwa so entstehen würden, wie
-die Hohlräume des Brotes in dem ursprünglich zusammenhängenden Teig,
-allerdings mit dem Unterschiede, daß die Hohlräume in der Pflanze nicht
-leer, sondern mit dem in ihnen sich ansammelnden Nahrungssaft erfüllt
-sein würden. Von letzterem sagt er, daß er »durch die Substanz der
-Bläschen hindurchkrieche«, ja daß er »die feste Pflanzensubstanz ebenso
-leicht durchdringen könne, wie dies mit Hilfe der Gefäße geschehe«.
-Er nimmt also für die Erklärung der Saftbewegung in der Pflanze
-das Verhalten zur Hilfe, das wir heute als Diffusion bezeichnen.
-Ähnlich wie die Zellen aus der Vergrößerung eines ruhenden Tropfens
-Nahrungssaft hervorgehen sollen, läßt *Wolff* die Gefäße durch die
-Fortbewegung eines solchen Tropfens durch die ursprünglich gleichartige
-Grundsubstanz entstehen. »Ein Flüssigkeitstropfen«, sagt *Wolff*[177],
-»der durch die feste Substanz hindurch fortschreitet und sich seinen
-Weg selbst bahnt, kann nicht eine kugelförmige Spur zurücklassen; er
-bildet vielmehr einen Kanal, der -- nach *Wolffs* Annahme -- infolge
-einer Erstarrungsfähigkeit des Nährsaftes erhalten bleibt.« Diese
-Erstarrungsfähigkeit des Nährsaftes wird nicht nur der pflanzlichen,
-sondern auch der tierischen Substanz zugeschrieben. Diese Fähigkeit,
-zusammen mit einer »wesentlichen Kraft«, wie *Wolff* sein formgebendes
-Prinzip nennt, sollte nun den Vorgang der Entwicklung organischer Wesen
-erklären. Die »wesentliche Kraft« ist nach ihm jene Kraft, durch welche
-die Flüssigkeiten im Organismus verteilt und ausgeschieden werden.
-»Die wesentliche Kraft«, sagt er, »und die Erstarrungsfähigkeit des
-Nährsaftes sind ein hinreichendes Prinzip jeder Entwicklung, sowohl bei
-den Pflanzen als auch bei den Tieren.«
-
-Aus dieser Übereinstimmung zwischen den beiden Naturreichen folgerte
-*Wolff* fast ein Jahrhundert, bevor *Schwann* den zelligen Bau der
-Lebewesen als allgemeines Prinzip erkannte, daß sich in den Tieren wie
-in den Pflanzen nicht nur Zellgewebe finde, sondern daß es sich auch
-auf dem gleichen Wege entwickle. Wenn *Wolff* auch über den Vorgang
-der Bildung von Zellgewebe, wie wir sahen, noch nicht zu richtigen
-Vorstellungen gelangt war, so hebt er doch zutreffend hervor, daß das
-Zellgewebe der Tiere »ebenso gebildet wird, wie das Zellgewebe und die
-Bläschenstruktur bei Pflanzen[178]«.
-
-Als typisches Beispiel hebt *Wolff*, wie es auch später von *Schwann*
-geschehen, die Knochen hervor. »Ihr innerer Bau, sagt er, ist zellig
-und entsteht ebenso wie das übrige Zellgewebe«.
-
-Bei der Untersuchung des tierischen Organismus kommt es *Wolff* vor
-allem darauf an, die Ansicht der Evolutionisten zu widerlegen, daß die
-Organe ursprünglich vorhanden und nur wegen ihrer unendlichen Kleinheit
-verborgen seien. Eine Widerlegung dieser Ansicht erblickt *Wolff* mit
-Recht schon darin, daß die Teilchen, welche alle tierischen Organe bei
-ihrer ersten Anlage zusammensetzen, Kügelchen sind, die man schon mit
-einem Mikroskop von mittlerer Vergrößerungskraft unterscheiden könne.
-»Wie kann man nun behaupten«, ruft er aus, »einen Körper wegen seiner
-Kleinheit nicht sehen zu können, wenn doch die Teile, aus denen er sich
-zusammensetzt, sehr wohl zu unterscheiden sind?«
-
-[Illustration: Abb. 23. *Wolffs* Abbildung eines Embryos.]
-
-Die nebenstehende Abbildung aus *Wolffs* Theoria generationis zeigt
-einen Embryo nach 36stündiger Bebrütung. Man erkennt die Teile des
-Gehirns, die Augen mit den Sehnerven, das Rückenmark (h), das Herz (k),
-die vorderen schon recht deutlichen (f) und die hinteren noch in der
-Absonderung begriffenen Wirbel (e und d). Die ernährenden Teile gehen
-aus dem Ei, dessen Dotter durch die Wärme aufgelöst und zerstört werde,
-in den Embryo über. Dazu, sagt *Wolff*, gehört wie bei den Pflanzen
-eine die Nährsäfte bewegende »wesentliche Kraft«. Daß diese Kraft und
-diese Flüssigkeitsbewegung auch im erwachsenen Körper tätig sei, dafür
-spreche z. B. das Wachstum der Nägel und der Haare. Zu dieser Kraft
-tritt dann nach *Wolff* als zweites, die Formgebung bedingendes Prinzip
-die Erstarrungsfähigkeit der jungen gallertigen Gewebe, eine Fähigkeit,
-die allerdings bei den Tieren geringer sei als bei den Pflanzen.
-
-Die Gefäßbildung im Embryo läßt *Wolff* in ähnlicher Weise wie die
-Entstehung der Gefäße in den Pflanzen vor sich gehen. Die bewegten
-Flüssigkeiten bahnen sich dort Wege, wo sie einen geringeren Widerstand
-finden. Die erste Anlage des Hauptstammes aller Gefäße, des Herzens,
-zeigt uns *Wolffs* nebenstehende, der Theoria generationis
-entnommene Abbildung (Abb. 24 c). Sie läßt uns auch die erste Anlage
-der Gliedmaßen erkennen. Als plumpe Höcker (r) heben sie sich aus der
-übrigen Masse hervor. Und zwar bestehen auch sie aus einer Substanz,
-die *Wolff* als zellig bezeichnet. Anfangs sind die Gliedmaßen ohne
-Gefäße. Letztere wachsen aus der zuerst entstehenden Hauptader oder
-Aorta in die Gliedmaßen hinein.
-
-Daß die Nieren erst entstehen, nachdem sich die Wirbelsäule gebildet
-hat, wird von *Wolff* besonders hervorgehoben. Er zeigt, daß die Nieren
-aus einem zelligen Gewebe hervorgehen, das erst am dritten Tage der
-Entwicklung unter der Wirbelsäule erscheint. Daß dieses Gewebe zunächst
-keine Spur von einem Organ enthält, ließ sich leicht feststellen, da es
-vollkommen durchsichtig ist.
-
-Durch all diese Beobachtungen war die insbesondere von
-*Haller* vertretene, indessen auch von *Leibniz* gebilligte
-Einschachtelungstheorie vollkommen widerlegt. Der einzige Weg, auf
-dem dies geschehen konnte, war der von *Wolff* betretene. Er wandte
-sich behufs Entscheidung der Streitfragen an die Natur selbst und
-untersuchte zum ersten Male genauer die Anlagen der einzelnen Organe
-im Embryo hinsichtlich ihrer Form und der Zeit ihres Entstehens.
-Das Ergebnis war, daß die Teile des Organismus weder präformiert
-sind, noch sich gleichzeitig entwickeln, sondern daß sie aus einer
-gleichartigen, zelligen Substanz nacheinander hervorgehen. Trotz
-zahlreicher Beobachtungsfehler, die *Wolff* im einzelnen gemacht hat,
-war damit für alle späteren entwicklungsgeschichtlichen Forschungen
-die Grundlage gewonnen. *Wolff* ist somit der Begründer der modernen
-Entwicklungsgeschichte. Das ist und bleibt sein unsterblicher
-Ruhmestitel.
-
-Auch der Gedanke der Metamorphose der Pflanze rührt von *Wolff* her.
-Das Nähere hierüber, sowie die Fortbildung, welche dieser Gedanke bei
-*Goethe* und anderen fand, bleibt späterer Erörterung vorbehalten.
-
-[Illustration: Abb. 24. *Wolffs* Darstellung der Entstehung des Herzens
-und der Gliedmaßen.]
-
-Die Frage nach den Vorgängen der Zeugung und der Entwicklung war zwar
-eine hervorragend wichtige, es war aber nur eine unter den vielen
-die Physiologie im 18. Jahrhundert beschäftigenden Fragen. Hat dieser
-Zeitraum doch den größten Physiologen in *Haller* hervorgebracht, um
-dessen Forschergestalt sich alles gruppieren läßt, was die weitere
-Entwicklung der Physiologie in dem erwähnten Zeitraum anbetrifft.
-
-*Albrecht von Haller* wurde am 16. Oktober 1708 in Bern geboren. Er
-verwaiste frühzeitig und wuchs bei einem Arzte auf, dem er seine
-Neigung für die Naturwissenschaften und ihre Anwendung auf das Gebiet
-der Heilkunde verdankte. *Haller* studierte in Tübingen Anatomie und
-Botanik, worin ihn *Camerarius* unterwies. Später hielt er sich in
-Leyden, wo *Boerhave* auf ihn einwirkte, sowie in London und in Paris
-auf. Nachdem *Haller* in Basel und in Bern Vorlesungen über Anatomie
-gehalten, siedelte er 1736 nach Göttingen über. Dort entfaltete er eine
-einzigartige Wirksamkeit. 1753 kehrte er in seine Heimatstadt zurück,
-wo er am 12. Dezember 1777 starb. In Göttingen hielt *Haller* an der
-neu gegründeten Universität Vorlesungen über Botanik, Anatomie und
-Chirurgie, begründete eine anatomische Sammlung und einen botanischen
-Garten, dessen Leitung er übernahm. Er rief die Göttinger Königliche
-Gesellschaft der Wissenschaften ins Leben und zog viele Schüler an sich
-heran, welche die Wissenschaft in der von ihm eingeschlagenen Richtung
-weiterführten.
-
-*Haller* wurde stets von dem Gedanken geleitet, daß die Anatomie als
-die wichtigste Grundlage der Physiologie zu betrachten sei, und zwar
-nicht nur die Anatomie des Menschen, sondern nicht minder diejenige der
-Tiere.
-
-Ferner gab er dem Experiment am lebenden Tiere eine Ausdehnung, wie sie
-vor ihm nicht bestand. »So grausam das Verfahren der Vivisektion auch
-erscheint«, sagt *Haller*, »so darf man doch nicht außer acht lassen,
-daß es der Physiologie mehr Nutzen schafft als alle übrigen Methoden
-und daß ein einziges derartiges Experiment oft die aus der Arbeit von
-Jahren entstandenen Irrtümer beseitigt hat.«
-
-*Haller* lieferte, durchdrungen von dem Gedanken, daß man mit dem
-Bau eines Organismus bekannt sein muß, wenn man seine Verrichtungen
-erforschen will, viele wertvolle Beiträge zur vergleichenden Anatomie.
-Über den Wert dieser Wissenschaft für die physiologische Forschung sagt
-er: »Täglich mache ich die Erfahrung, daß man über die Tätigkeit der
-meisten Organe des lebenden Körpers kein Urteil fällen kann, wenn man
-sich nicht über den Bau des betreffenden Organs vollkommene Klarheit
-verschafft hat und zwar nicht nur durch eine Untersuchung am Menschen,
-sondern auch durch eine solche an verschiedenen Vierfüßlern, Vögeln,
-Fischen, ja oft auch an niederen Tieren«.
-
-Das wichtigste allgemeine Ergebnis dieser Forschungen war *Hallers*
-Lehre von der Reizbarkeit und der Empfindung (der Irritabilität und der
-Sensibilität). Er betrachtete sie als besondere, mit physikalischen
-Kräften nicht zu verwechselnde Fähigkeiten der belebten Substanz. Wir
-erinnern uns, daß *Borelli* die Tätigkeit der Muskeln einer Elastizität
-dieser Organe zugeschrieben hatte. *Haller* dagegen erklärte die
-Fähigkeit sich zusammenzuziehen als eine den Muskeln innewohnende
-Eigenschaft und nannte diese Organe reizbar oder irritabel. Der
-gewöhnliche Reiz, welcher die Verkürzung der Muskeln bewirkt, gehe zwar
-von den Nerven aus, doch könnten an dessen Stelle auch andere Reize
-treten. Letztere können, wie *Haller* zeigte, noch eine Kontraktion des
-Muskels hervorrufen, wenn die Verbindung des letzteren mit dem Nerven
-unterbrochen ist, ein offenbar für seine Lehre günstiges Experiment.
-
-Wie die Irritabilität ausschließlich an die Muskeln gebunden ist, so
-ist die Sensibilität nur in den Nerven anzutreffen. Sie vermittelt
-die Veränderungen, welche äußere Reize hervorrufen, dem Bewußtsein.
-Wie das geschieht, blieb zunächst unerklärt. *Haller* war indessen
-geneigt, ein feines, in den Nerven sich bewegendes Fluidum nach dem
-Vorgange *Malpighis*[179] anzunehmen. Selbst *Kant* huldigte dieser
-ziemlich grob materialistischen Anschauung von dem Zustandekommen
-der Empfindungen[180]. Die weit zutreffendere Vorstellung, daß die
-Tätigkeit der Nerven in einer vibrierenden Bewegung bestehe, vermochte
-*Haller* nicht anzuerkennen. Trotzdem ist in seiner Darstellung von der
-Sensibilität dieser Organe die später von *Johannes Müller* ausführlich
-entwickelte Lehre von den spezifischen Energien der Sinnesorgane schon
-im Keime enthalten. Besonders zeigt sich dies in der Darstellung,
-die *Haller* von der Physiologie des Auges gab. Danach rufen die vom
-Gegenstande kommenden Lichtstrahlen ein Bild auf der Netzhaut hervor,
-das eine Reizung des Sehnerven veranlaßt. Was wir empfinden, ist
-nicht der Gegenstand selbst, sondern der Eindruck, den dieser auf den
-Sehnerven ausübt. Es folgt daraus, daß die Empfindungen und die darauf
-sich aufbauenden Vorstellungen subjektiver Art sind. Trotzdem denkt
-*Haller* nicht daran, das Vorhandensein der Außenwelt zu leugnen. Die
-Erfahrung ist es, der nach ihm die Aufgabe zufällt, aus dem subjektiven
-Eindruck ein Urteil über die Natur der wahrgenommenen Gegenstände
-zu bilden. Mit dieser Lehre stimmten die Beobachtungen überein, daß
-auch mechanische Reize aller Art eine Lichtempfindung hervorzurufen
-vermögen. Daß die Netzhaut der Sitz der Lichtempfindung sei, war,
-wie wir erfuhren, von *Mariotte* auf Grund seines Versuches über den
-blinden Fleck[181] angezweifelt worden. *Haller* hielt jedoch an der
-früheren, schon von *Kepler* begründeten Ansicht fest. Er hob mit Recht
-hervor, daß die Aderhaut, die nach *Mariotte* das Sehen vermitteln
-sollte, keine Nerven enthält. Dagegen sei die Netzhaut ein Geflecht
-von Nervenfasern, welchen im ganzen Organismus die Vermittlung der
-Empfindungen zukomme.
-
-Die besonderen Leistungen *Hallers* betreffen die Physiologie des
-Gefäßsystems und des Stimmorgans. Sie sind in seinem Meisterwerke, den
-Elementa physiologiae corporis humani, das 1757 und in den folgenden
-Jahren erschien, niedergelegt worden[182].
-
-*Haller* erforschte besonders den Klappenapparat des Herzens und
-die Bewegungen dieses Organes und seines flüssigen Inhalts. Seine
-Untersuchung betraf ferner die Bewegung und die Geschwindigkeit des
-Blutes in den Arterien, sowie den Einfluß, den die Wandungen der
-letzteren auf den Blutstrom ausüben, und vieles andere mehr.
-
-Hervorzuheben sind die Versuche, die beweisen sollten, daß der
-Pulsschlag im ganzen arteriellen System gleichzeitig erfolgt. An diese
-Versuche hat später *E. H. Weber* seine Anwendung der Wellenlehre auf
-die Lehre vom Kreislauf des Blutes angeknüpft und gefunden, daß die von
-*Haller* behauptete völlige Gleichzeitigkeit nicht besteht. Doch ergab
-sich, daß der Zeitunterschied nur den Bruchteil einer Sekunde ausmacht.
-*Haller* begründete seine Ansicht folgendermaßen: »Wenn man bei einem
-Menschen die rechte Hand auf die Gegend legt, wo das Herz liegt, und
-die linke an die Schläfenarterie oder an die Kniekehlenarterie bringt,
-so wird man finden, daß das Herz in dem nämlichen Augenblick gegen
-die Rippen stößt, in welchem es in allen genannten Arterien den Puls
-hervorbringt«[183].
-
-Zu erwähnen sind auch die Versuche *Hallers*, welche darin bestanden,
-Stoffe in den Blutstrom einzuführen, um deren physiologische und
-therapeutische Wirkung zu untersuchen. Dieses unter dem Namen
-Gefäßinfusion bekannte Verfahren kam zwar schon im 17. Jahrhundert
-infolge der Entdeckung des Blutkreislaufes auf. Es wurde aber zuerst
-durch *Haller* und einen seiner Schüler auf zahlreiche Chemikalien
-(Pflanzengifte, Säuren, Arsenverbindungen, Kupfersalze usw.) ausgedehnt
-und schließlich von den Ärzten jener Zeit mit sehr ungünstigem Erfolge,
-wie sich begreifen läßt, zu therapeutischen Zwecken angewandt. Immerhin
-ist das Verfahren erwähnenswert, weil die in neuerer Zeit mit besserem
-Erfolge geübte subkutane Injektion darauf zurückzuführen ist.
-
-Sehr eingehend und stets auf vergleichend anatomischer und
-physikalischer Grundlage fußend, untersuchte *Haller* den Kehlkopf
-und die Erzeugung der Stimme. Er wies nicht nur, wie es schon vor ihm
-geschehen, auf die Rolle der Stimmbänder hin, sondern er stellte vor
-allem auch fest, welche Aufgaben die einzelnen Kehlkopfknorpel, sowie
-die Mund- und die Nasenhöhle bei der Stimmbildung zu erfüllen haben.
-
-Nicht so glücklich wie auf dem Gebiete der Physiologie war *Hallers*
-Wirken auf demjenigen der Entwicklungsgeschichte. Hier ist er unter
-den Verteidigern der sonderbaren, auf *Harvey* zurückgehenden Lehre
-von der Evolution[184] zu nennen, nach welcher jedes neu entstehende
-Wesen als im Keime vorgebildet (präformiert) gedacht wurde. Obgleich
-schon 1759 *Caspar Friedrich Wolff* die Lehre von der Epigenesis,
-d. h. der folgeweisen Entwicklung der Organe aus einfacheren Teilen
-(Zellen und Zellschichten) an Stelle der Evolutionstheorie setzte, fand
-letztere durch die Autorität *Hallers* eine solche Stütze, daß *Wolffs*
-Anschauungen dagegen nicht aufkommen konnten. Sie gerieten fast in
-Vergessenheit und gelangten erst ein halbes Jahrhundert später zur
-Anerkennung, nachdem für die Entwicklungsgeschichte durch *Meckel*, *v.
-Baer* und andere Forscher eine neue Aera angebrochen war.
-
-Trotz dieses ablehnenden Verhaltens *Wolff* gegenüber hat *Haller* sich
-um die Entwicklungsgeschichte des Gefäßsystems und der Knochen bemüht
-und hierüber einige verdienstvolle Abhandlungen geschrieben (Sur la
-formation du coeur dans le poulet. 1758).
-
-Die Anatomie hatte während des 17. Jahrhunderts in Holland, wo
-*Swammerdam* und *Boerhave* wirkten, einen bedeutenden Aufschwung
-genommen. Sie erlebte im 18. Jahrhundert auch in Deutschland eine
-kräftige Förderung. Vor allem ist hier *Lieberkühn* als derjenige
-zu nennen, der die anatomische Kunst von Holland nach Deutschland
-verpflanzte. *Lieberkühn*, ein Schüler *Boerhaves*, kam 1740
-nach Berlin und wurde dort Mitglied der Preußischen Akademie der
-Wissenschaften. Vergeblich waren die Bemühungen dieser Gesellschaft,
-auch den großen Physiologen *Albrecht von Haller* zu gewinnen und
-so Berlin zum Mittelpunkt der medizinischen Wissenschaften zu
-machen. *Lieberkühn* war nicht nur ein eifriger Präparator, sondern
-er lehrte die Deutschen auch mit Hilfe des Mikroskops den feineren
-Bau der tierischen Gewebe untersuchen. Er verstand es meisterhaft,
-die Methode der Gefäßinjektion zu handhaben. Die bedeutendste
-Entdeckung *Lieberkühns* war diejenige der Darmzotten, jener winzigen
-Ausstülpungen der Darmwandung, die man später wohl als die inneren
-Wurzeln des Tieres bezeichnet hat[185].
-
-*Lieberkühns* Schüler und sein Nachfolger in der Preußischen Akademie
-war *Johann Friedrich Meckel*, der Ältere, dem die Nervenanatomie
-manche Entdeckung verdankt. Die Familie *Meckel* nahm auf dem Gebiete
-der Anatomie durch mehrere Generationen eine führende Stellung ein.
-Vor allem war es *Johann Friedrich Meckel* der Jüngere, der auf den
-Vorarbeiten seines Vaters und seines Großvaters fußend zu Beginn des
-19. Jahrhunderts der vergleichenden Anatomie in Deutschland eine
-Heimstätte bereitete. Dabei vermochte er sich auf eine von seinem
-Großvater begründete und von seinem Vater unter Aufwendung bedeutender
-Mittel erweiterte Sammlung zu stützen, die zu den ersten des 18.
-Jahrhunderts zählte.
-
-
-
-
-8. Die neuere Mathematik und ihre Beziehungen zu den
-Naturwissenschaften.
-
-
-Das 18. Jahrhundert war auf den Gebieten der Astronomie und der Physik
-vorzugsweise mit der Lösung der aus der *Newton*-*Huygens*periode
-übernommenen Probleme beschäftigt. Fast ausschließlich in das
-18. Jahrhundert fiel auch der Aufschwung, den die Lehre von der
-Reibungselektrizität nahm. Hier waren die beiden vorangehenden
-Perioden kaum über die seit alters bekannten einfachsten Wahrnehmungen
-hinausgekommen. Auf dem Gebiete der Chemie wurde durch zahlreiche
-Beobachtungen die große Tat vorbereitet, welche dieser Wissenschaft
-im Beginn der neuesten Zeit ein gänzlich verändertes Aussehen geben
-sollte, während in der Zoologie und in der Botanik die systematische
-Richtung überwog und nur hin und wieder das experimentelle Verfahren
-zum Durchbruch kam. Daß dieses Verfahren auf allen Gebieten Platz
-greift und daß man es überall mit der mathematischen Behandlungsweise
-zu verknüpfen sucht, kennzeichnet die gegen das Ende des 18.
-Jahrhunderts beginnende Periode in der Entwicklung der Wissenschaften,
-deren Betrachtung wir uns jetzt zuwenden.
-
-Daß sich die Natur aus der Mechanik der Atome erklären lasse, galt
-den meisten Forschern als ausgemacht. Die atomistisch-mechanische
-Behandlungsweise fand ihren weitgehendsten Ausdruck durch *Laplace*.
-»Ein Geist«, sagt er, »der für einen gegebenen Augenblick alle
-Kräfte kennt, welche die Natur beleben und die gegenseitige Lage der
-Wesen, aus denen sie besteht und diese Angaben der mathematischen
-Analyse unterwirft, könnte in dieselbe Formel die Bewegungen der
-größten Weltkörper und des leichtesten Atoms einbegreifen. Zukunft
-und Vergangenheit wären seinem Blicke gegenwärtig.« Der menschliche
-Verstand, fügt *Laplace* hinzu, biete in der Vollendung, die er der
-Astronomie gegeben, ein schwaches Abbild eines solchen Geistes dar.
-
-Für Deutschland ging die Anregung, die Mathematik auf die gesamte
-Naturlehre anzuwenden, besonders auf *Leibniz* und seinen Schüler
-*Wolf*[186] zurück. Während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts war
-die *Leibniz-Wolf*sche Philosophie die herrschende. In ihr wurzelt auch
-die darauf folgende Zeit der Aufklärung, mit der in Deutschland wie in
-Frankreich die Hauptzweige der bisherigen Entwicklung der Philosophie,
-der idealistische und der realistische nämlich, zu einem gewissen
-Abschluß kamen, indem sie beide in eine verflachende Popularphilosophie
-ausmündeten.
-
-In dem Bestreben, die Naturerscheinungen auf Bewegungen zurückzuführen
-und sie auf diese Weise der mathematischen und der mechanischen
-Erklärung zugänglich zu machen, hatte das 17. Jahrhundert die alte
-Lehre von der atomistischen Zusammensetzung als Korpuskulartheorie
-zu neuem Leben erweckt. Die Korpuskeln oder Partikeln spielten
-für die Erklärung der physikalischen Vorgänge eine große Rolle.
-Angeregt durch Christian *Wolf* versuchte *Lomonossow* die
-Korpuskulartheorie auf die Chemie auszudehnen, um dadurch auch diese
-Wissenschaft der mathematischen Behandlungsweise zugänglich zu
-machen. *Lomonossows*[187] Gedankengang war etwa der folgende: Alle
-Änderungen kommen nach der Lehre *Wolfs* durch Bewegungen zustande.
-Das gilt auch von den Änderungen der zusammengesetzten Körper,
-der chemischen Verbindungen, wie wir heute sagen würden. Mit den
-Bewegungen befaßt sich die Mechanik. Folglich müssen die Änderungen der
-zusammengesetzten Körper, d. h. die chemischen Vorgänge, mechanisch
-erklärt werden können. Nur so lasse sich die Chemie zu einer exakten
-Wissenschaft machen. Des weiteren fordert *Lomonossow*, die chemischen
-Veränderungen auf Grund der Versuche und Gesetze der Physik zu erklären
-und damit einen neuen Wissenszweig zu schaffen, den er schon als
-»physikalische Chemie« bezeichnet. Es blieb aber bei der Aufstellung
-von Forderungen und Zielen, von deren Verwirklichung die Wissenschaft
-noch weit entfernt war. Immerhin hat *Lomonossow* das Verdienst, jene
-Forderungen erhoben und jene Ziele erkannt und ausgesprochen zu haben.
-Auch auf dem Gebiete der Wärmelehre und der Oxydationsvorgänge war
-*Lomonossow* ein Vorläufer derjenigen Männer, die hier die neueren
-Grundlagen schufen[188]. Die Bestrebungen, die Mathematik auf die
-Chemie auszudehnen, ruhten jetzt nicht mehr. Und gerade im Herzen
-Deutschlands, wo *Wolf* gelehrt und *Lomonossow* studiert hatte,
-zeitigten diese Bestrebungen die ersten Früchte, indem *Wenzel* und
-*Richter* die Anfänge der Stöchiometrie schufen. Daß diesen Männern
-das ein halbes Jahrhundert früher gesteckte Ziel vorschwebte, leuchtet
-schon ans den Titeln ihrer stöchiometrischen Schriften hervor[189].
-
-Die Vorstellung von der atomistischen und molekularen Konstitution der
-Materie gewann noch größere Bedeutung, nachdem sie *Dalton* um 1800
-zu einer wohlbegründeten Theorie ausgestaltet hatte. Auf Grund dieser
-Theorie suchte man jetzt unter der Annahme von molekularen Fernkräften,
-für welche das *Newton*sche Gravitationsgesetz ein Analogon darbot, die
-Naturerscheinungen der mathematischen Analyse zu unterwerfen. Das Ziel
-indessen, das *Laplace* und seinen Zeitgenossen vorschwebte, und das
-in der Forderung gipfelte, aus möglichst wenigen Voraussetzungen den
-Gesamtverlauf der Naturerscheinungen mechanisch zu erklären, hat sich
-nicht verwirklichen lassen. An seine Stelle setzte die neuere Mechanik,
-um mit den Worten *Kirchhoffs* zu reden, die bescheidenere Aufgabe, den
-Ablauf der Vorgänge auf die einfachste Weise möglichst vollständig zu
-beschreiben.
-
-Die Mathematik hatte sich bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts Hand in
-Hand mit den Naturwissenschaften entwickelt. *Descartes*, *Galilei*,
-*Kepler*, *Newton*, *Leibniz*, sie alle hatten auf beiden Gebieten
-Hervorragendes geleistet, weil sie von dem Gedanken des innigen
-Zusammenhanges beider Wissenschaften durchdrungen waren. Zwar tauchten
-auch mathematische Probleme auf, die zunächst außer Beziehung zur
-realen Welt zu stehen schienen. Und sie wurden von den Mathematikern
-darum nicht etwa hintangesetzt. Doch kannte man jene im 19. Jahrhundert
-lange herrschende Richtung, die sich so stolz als »reine Mathematik«
-bezeichnete und schließlich jede Fühlung mit der Wirklichkeit verlor,
-weder im 17. noch im 18. Jahrhundert. Wir haben in einem früheren
-Abschnitt erfahren, wie *Bernoulli*, *Lagrange* und *Euler* die
-Infinitesimalrechnung zu einem der allerwichtigsten Hilfsmittel,
-sozusagen zum Handwerkszeug des Naturforschers, ausgestalteten. Um die
-Wende des 18. zum 19. Jahrhundert erlangen zwei neue mathematische
-Zweige für die Naturwissenschaften und ganz besonders für ihre
-Anwendungen eine ähnliche Bedeutung. Es sind das die darstellende und
-die projektivische Geometrie. In ihren Anfängen reichen beide zwar in
-weit frühere Perioden zurück.
-
-Die darstellende Geometrie, deren Aufgabe es ist, Raumgebilde in der
-Ebene darzustellen und aus diesen Darstellungen mit vollkommener
-Genauigkeit wieder zu rekonstruieren, wird gewöhnlich als eine
-Schöpfung von *Monge* betrachtet. Man darf aber nicht vergessen, daß
-die Benutzung von Grund- und Aufrißzeichnungen so alt ist, wie die
-Baukunst. Papyrusfunde haben bewiesen, daß die Ägypter für ihre Bauten
-derartige Zeichnungen anfertigten. Und *Vitruvius* gibt in seinem
-zur Zeit des Augustus entstandenen Werke über die Architektur eine
-ausführliche Darstellung des von den römischen Baumeistern geübten
-Grundriß- und Aufrißverfahrens. Seine Weiterentwicklung erfuhr dieses
-aus unmittelbaren Bedürfnissen entstandene Wissen nicht am Schreibtisch
-des Gelehrten, sondern an den Stätten der Praxis, vor allem in den
-Bauhütten des Mittelalters. Die wunderbaren architektonischen Werke
-jener Zeit konnten nur entstehen, wenn ihre Schöpfer Aufgaben der
-darstellenden Geometrie, wie sie besonders für den Schnitt der Gewölbe
-in Betracht kamen, zu lösen vermochten. Ohne Zweifel wurde manche der
-erforderlichen Konstruktionen empirisch gefunden und verwendet, ohne
-daß man den mathematischen Beweis für ihre Richtigkeit erbracht hätte.
-Dies geht z. B. auch daraus hervor, daß manche Schriften des 16. und
-17. Jahrhunderts für die Baukunst wichtige Konstruktionen mitteilen,
-ohne auch nur den Versuch eines Beweises zu machen.
-
-Ein nicht minder großes Interesse an der Entwicklung des Verfahrens,
-körperliche Gebilde in der Ebene richtig darzustellen, besaßen die
-Maler. Es kann daher nicht Wunder nehmen, daß das erste deutsche Buch
-über diesen Gegenstand von einem Maler und zwar von unserem großen
-*Albrecht Dürer* herstammt. Er verdient deshalb nicht minder als
-Lionardo da Vinci einen Platz in der Geschichte der Wissenschaften.
-
-*Dürers* Schrift erschien 1525; sie führt den Titel: »Underweysung
-der messung mit dem zirckel und richtscheyt in Linien, ebenen und
-gantzen corporen.« Die Bedeutung dieser Schrift besteht weniger
-in den Konstruktionen, die sie lehrt, als in der Forderung, die
-perspektivische Grundlage eines Bildes nicht wie bisher aus freier
-Hand zu fertigen, wobei grobe Fehler ganz unvermeidlich seien, sondern
-die perspektivische Zeichnung nach mathematischen Vorschriften zu
-machen. *Dürer* ist dadurch zum Begründer der Lehre von der Perspektive
-geworden.
-
-*Monge* dagegen gebührt das große Verdienst, die im Verlaufe einer
-langen Entwicklung entstandenen Ansätze, von denen hier nur einige
-Erwähnung finden konnten, nicht nur vermehrt, sondern zu einem, auf
-strenge Beweisführung gegründeten, wissenschaftlichen Lehrgebäude, der
-heutigen deskriptiven oder darstellenden Geometrie, ausgestaltet zu
-haben.
-
-In dem äußeren wie dem inneren Leben von *Monge* spiegeln sich die
-geistigen, politischen und kulturellen Zustände seiner Ära, des
-Zeitalters der französischen Revolution, die bald zu einer europäischen
-werden sollte, mit besonderer Deutlichkeit wieder.
-
-*Gaspard Monge* ging aus dem durch die Revolution erst zur Geltung
-gelangenden dritten Stand, der in geistiger Beziehung bald der erste
-werden sollte, hervor. *Monge* wurde 1746 in einem burgundischen
-Städtchen als der Sohn eines armen Handwerkers geboren, der
-sich die größten Entbehrungen auferlegte, um seinen Söhnen eine
-wissenschaftliche Ausbildung zu geben. Mit 16 Jahren wirkte *Monge*
-schon als Lehrer der Physik in Lyon. Später lehrte er an einer Schule
-für Militäringenieure Baukonstruktionslehre. Aus der Beschäftigung
-mit diesem Gegenstande schuf *Monge* in dem Bestreben, die teils
-umständlichen, teils noch empirischen älteren Methoden zu vereinfachen
-und wissenschaftlich zu begründen, seit 1770 etwa seine darstellende
-Geometrie. Veröffentlicht hat *Monge* sein Lebenswerk erst 1798[190],
-weil ihm, solange er an der Militärschule wirkte, die Geheimhaltung
-seines genialen Lehrganges zur Pflicht gemacht worden war.
-
-*Monge* gehörte, wenn er politisch auch weniger hervortrat, zu den
-großen Männern der französischen Revolution. Der Konvent ernannte ihn
-zum Leiter der Geschützgießereien. In dieser Stellung verfaßte er ein
-Werk über die Anfertigung von Kanonen. Während der Schreckensherrschaft
-wurde er in den Anklagezustand gesetzt. Er floh daher ins Ausland,
-kehrte aber bald nach Frankreich zurück und fand Gelegenheit, bei
-der Gründung der École polytechnique, dem großartigen Vorbilde
-für die technischen Schulen des 19. Jahrhunderts, einen maßgebenden
-Einfluß auf die Gestaltung des gewerblichen Unterrichtswesens[191]
-auszuüben. Die damals von *Monge* erhobenen Forderungen, nämlich
-naturwissenschaftlicher Unterricht, Übung der Schüler im Gebrauch
-wissenschaftlicher Instrumente, Pflege des wissenschaftlich begründeten
-Zeichnens, Anwendung der darstellenden Geometrie auf die Bau- und
-Maschinenkonstruktionslehre, sind für die Folge die wichtigsten
-Grundlagen geblieben, auf denen allein die moderne Technik zu der sie
-heute auszeichnenden Vollendung emporwachsen konnte.
-
-Aus dem späteren Leben von *Monge* verdient noch Erwähnung, daß er
-neben *Berthollet* der hervorragendste Gelehrte war, der sich an
-*Napoleons* Expedition nach Ägypten beteiligte. *Napoleon*, welcher
-die Bedeutung der exakten Wissenschaften wie kein anderer Herrscher
-zu würdigen verstand, überhäufte *Monge* mit Ehren. Auch während des
-Kaiserreichs war *Monge* an der École polytechnique als Lehrer tätig.
-Nach der Rückkehr der Bourbonen wurde er seiner Ämter entsetzt. Er
-verfiel infolgedessen in geistige Umnachtung, von der ihn jedoch ein
-baldiger Tod im Jahre 1818 erlöste.
-
-Unter den mathematischen und mechanischen Schriften, die wir *Monge*
-verdanken, nimmt seine »Darstellende Geometrie«, durch welche er diese
-Disziplin wissenschaftlich begründete, die erste Stelle ein. Ihre
-Aufgabe ist nach *Monge* eine doppelte. Einmal gilt es, alle Gebilde
-von drei Dimensionen auf Gebilde von zwei Dimensionen, die sich auf dem
-Zeichenblatte darstellen lassen, zurückzuführen. Zweitens lehrt die
-darstellende Geometrie aus der Zeichnung alle Beziehungen ableiten,
-die aus der Gestalt und der gegenseitigen Lage der in der Ebene
-dargestellten Raumgebilde entspringen.
-
-Die von *Monge* zur Lösung dieser Aufgaben angewandte
-Projektionsmethode geht von der Voraussetzung aus, daß die Lage
-eines Punktes im Raume mathematisch bestimmt ist, wenn man seine
-Projektionen auf zwei zu einander senkrechten Ebenen kennt. Unter der
-Projektion eines Punktes auf eine Ebene versteht *Monge* den Fußpunkt
-des von dem Punkte auf die Ebene gefällten Lotes. Sehr übersichtlich
-wurde das Projektionsverfahren vor allem dadurch gemacht, daß *Monge*
-sich die vertikale Ebene um ihre Schnittlinie mit der horizontalen
-Ebene gedreht denkt, bis sie mit der letzteren zusammenfällt. Die
-vertikale Ebene wird also mit den Projektionen, welche sie enthält,
-auf demselben Blatt gezeichnet, das für die horizontale Projektion
-dient. Beide Ebenen sind nur durch eine Schnittlinie (Projektionsachse)
-getrennt. Und man muß sich stets daran erinnern, daß die vertikale
-Ebene um diese Schnittlinie wie um ein Scharnier um 90 Grad gedreht
-werden muß, um in ihre eigentliche Stellung zu kommen. Dieser
-treffliche Grundgedanke bot eine Menge von Vereinfachungen und
-Vorteilen. So erkennt man ohne weiteres, daß die beiden Projektionen
-jedes Punktes in ein- und derselben, senkrecht zur Schnittlinie
-gezogenen Geraden liegen, daß eine Ebene durch ihre beiden Schnitte
-mit den Projektionsebenen (ihren Spuren) vollständig bestimmt ist, und
-daß diese Spuren die Schnittlinie der beiden Projektionsebenen (die
-Projektionsachse) in ein- und demselben Punkte treffen.
-
-Auf das Werk von *Monge* noch weiter einzugehen, verbietet sich von
-selbst. Es trägt die einzelnen Aufgaben über die Darstellung ebener
-und krummer Flächen, ihrer Schnitte, der wichtigsten Körper und ihrer
-Durchdringungen nach Umfang und Form in der noch heute üblichen Weise
-vor. Eine Weiterentwicklung hat die darstellende Geometrie erst in der
-neuesten Zeit durch ihre innigere Verknüpfung mit der von *Poncelet*
-und *Steiner* begründeten neueren synthetischen Geometrie erfahren.
-
-Die ersten Untersuchungen, durch welche die neuere synthetische
-Geometrie vorbereitet wurde, reichen bis ins 17. Jahrhundert zurück.
-Sie rühren von zwei Zeitgenossen und Landsleuten des *Descartes*, von
-*Desargues* und von *Pascal*, her. *Desargues*[192] zeigte in seiner
-Schrift Ȇber die Tatsachen, zu welchen der Schnitt eines Kegels durch
-eine Ebene Veranlassung gibt,« daß für die Kegelschnitte eine zu den
-allgemeinsten Sätzen führende Betrachtungsweise möglich ist. Denkt man
-sich das Auge in der Spitze des Kegels, so erscheint ein elliptischer
-Schnitt in dieser Perspektive in der Form eines Kreises. *Desargues*
-stellte sich die Aufgabe, aus den Eigenschaften dieses Kreises die
-Eigenschaften der Kegelschnitte durch eine Art perspektivischer
-Beweisführung abzuleiten und gelangte so zuerst zu Sätzen, die für alle
-Arten der Kegelschnitte gelten. Einer dieser für alle Kegelschnitte
-gültigen Sätze wird noch heute als der Satz von *Desargues*
-bezeichnet[193].
-
-Unter seinen Zeitgenossen wurde *Desargues* wohl nur von *Pascal*
-verstanden. *Desargues* Satz vom Sehnenviereck fügte *Pascal* den
-Satz vom *Pascal*schen Sechseck hinzu. Dieser besagt von jedem einem
-Kegelschnitte einbeschriebenen Sechseck, daß die drei Punkte, in
-welchen sich je zwei gegenüberliegende Seiten schneiden, auf einer
-geraden Linie liegen. Auch dieser Satz wurde zunächst für den Kreis
-bewiesen. Aus dem perspektivischen Zusammenhange zwischen dem Kreis und
-den Kegelschnitten wurde dann erst seine Verallgemeinerung abgeleitet.
-
-Der weitere Ausbau der perspektivischen, oder, wie sie auch wohl
-genannt wird, der projektiven Geometrie erfolgte im 19. Jahrhundert.
-Die erste systematische Zusammenfassung rührt wieder von einem
-Franzosen und zwar von *Poncelet* her, einem der genialsten Vertreter
-der angewandten Mathematik.
-
-*Jean Victor Poncelet* wurde 1788 als Sohn armer Eltern in Metz
-geboren. Er starb 1867. Als Zögling der École polytechnique genoß er
-den Unterricht eines Ampère, Fourier, Légendre und anderer Zierden der
-Wissenschaft, mit denen Frankreich um die Wende zum 19. Jahrhundert so
-reich gesegnet war. Als Genieoffizier nahm *Poncelet* an dem Feldzuge
-gegen Rußland teil. Er fiel in die Hände der Russen, und es folgten
-zwei Jahre Kriegsgefangenschaft. Diese unfreiwillige Muße füllte
-*Poncelet* damit aus, daß er die Grundzüge seines Verfahrens zu einem
-der bedeutendsten mathematischen Werke, dem »Traité des propriétés
-projectives des figures« entwickelte[194]. Durch dieses Buch ist
-*Poncelet* der Schöpfer der neueren synthetischen oder projektivischen
-Geometrie geworden. Dem Grundgedanken der neuen Betrachtungsweise sind
-wir schon im 17. Jahrhundert begegnet[195]. Sie unterscheidet sich von
-dem Verfahren der darstellenden Geometrie[196], das *Monge* ausbildete,
-in folgendem. Während *Monge* die Gebilde vermittelst paralleler
-Linien auf zwei zu einander senkrechte Ebenen projiziert, betrachtet
-*Poncelet* ihr perspektivisches Bild. Ein solches entsteht, wenn man
-von dem betrachtenden, als Punkt gedachten Auge aus Strahlen nach den
-Punkten des zu untersuchenden Gebildes zieht und in den Weg dieser
-Strahlen eine Fläche, in der Regel eine Ebene, bringt. Die Punkte, in
-welchen die Strahlen jene Ebene schneiden, bilden das perspektivische
-Bild. Aus diesem ergeben sich die Eigenschaften der zu untersuchenden
-und verwandter Gebilde oft mit überraschender Einfachheit. Zudem ist
-das Verfahren *Poncelets* in solchem Grade rein geometrisch, d. h.
-es verzichtet so gänzlich auf alle besonderen Hilfsmittel, daß es in
-dieser Hinsicht alle anderen Methoden übertrifft. Während wir uns in
-der analytischen Geometrie der Koordinaten und des Kalküls und in der
-darstellenden Geometrie des Auf- und Grundrisses bedienen, operiert
-*Poncelet* lediglich mit den Objekten selbst.
-
-Nach der Veröffentlichung seiner projektivischen Geometrie war
-*Poncelet* als Lehrer der technischen Wissenschaften in seiner
-Vaterstadt und später in Paris tätig. Dieser Umstand und die Angriffe,
-die seine mathematischen Arbeiten aus kleinlichen Beweggründen
-erfuhren, bewogen ihn, sich vorwiegend mit angewandter Mathematik zu
-beschäftigen. Auch auf diesem Gebiete reihen sich seine Leistungen
-den höchsten an. Was *Poncelet* in der Hydromechanik und in der
-Maschinentheorie geschaffen, wird noch heute zu den »Grundsäulen«
-dieser Wissenszweige gerechnet[197]. Erwähnt sei nur, daß *Poncelet*
-die Wasserräder verbesserte (*Poncelet*rad) und das Kilogrammmeter als
-Einheit für die mechanische Arbeit, deren Äquivalenz mit der lebendigen
-Kraft er besonders hervorhob, einführte.
-
-Zehn Jahre nach dem Erscheinen der projektivischen Geometrie
-*Poncelets* fand diese Wissenschaft in Deutschland die hervorragendste
-Förderung durch *Steiners* »Systematische Entwicklung der Abhängigkeit
-geometrischer Gestalten voneinander«[198].
-
-*Jakob Steiner* wurde 1796 als Sohn eines armen Bauern in der Nähe
-von Solothurn geboren[199]. Er empfing den ersten Unterricht in einer
-Dorfschule und besuchte darauf Pestalozzis Erziehungsanstalt. Hier,
-sowie in Heidelberg, wo *Steiner* drei Jahre seinen Lebensunterhalt
-durch Privatstunden erwarb, fand er für seine wissenschaftliche
-Richtung kaum irgend welche Anregung. Er war vielmehr auf seinem
-Gebiete, da es in Deutschland dafür zu jener Zeit kaum einen Vertreter
-gab, vorwiegend Autodidakt. Nachdem *Steiner* Heidelberg verlassen,
-wirkte er als Lehrer an einer Erziehungsanstalt in Berlin. Dort wurde
-er durch einen Zufall mit *Alexander von Humboldt* bekannt. Einer
-der schönsten Züge *Humboldts* bestand darin, daß er junge Talente
-sozusagen entdeckte und sie vermöge der hervorragenden Stellung, in die
-ihn Geburt und Verdienst gewiesen, neidlos förderte. *Steiner* wurde
-durch Vermittlung *Humboldts* an der Berliner Gewerbeschule angestellt,
-an der auch der Chemiker *Wöhler* wirkte. Später erhielt *Steiner*
-auf die Empfehlung *Humboldts* und *Jacobis* hin eine Professur an
-der Berliner Universität. Durch das Zusammenwirken von *Steiner* mit
-*Crelle* und dem in den zwanziger Jahren gleichfalls in Berlin lebenden
-nordischen Mathematiker *Abel* entstand 1826 Deutschlands bedeutendste
-mathematische Zeitschrift, das *Crelle*sche Journal für reine und
-angewandte Mathematik.
-
-Zu den ersten Beiträgen *Steiners* für diese Zeitschrift gehört seine
-unter dem Titel »Einige geometrische Betrachtungen« veröffentlichte
-Abhandlung vom Jahre 1826[200]. In dieser Abhandlung beschäftigt
-sich *Steiner*, angeregt durch das *Malfatti*sche Problem, besonders
-mit Kreisberührungsaufgaben. Auf den Inhalt kann hier nicht näher
-eingegangen werden. Erwähnung verdient jedoch *Steiners* von ihm
-selbst geschilderte Art, wissenschaftlich zu arbeiten. *Steiner* sagt
-nämlich, er pflege über eine Aufgabe oder einen Gegenstand sich nicht
-eher aus den Schriften anderer zu unterrichten, bis er eine Auflösung
-oder einen Weg durch eigenes Nachdenken gefunden habe. Erst dann
-vergleiche er seine Resultate mit den schon vorhandenen[201]. Es ist
-das zwar nicht ein Verfahren für jedermann. Es ist aber dasjenige, das
-am sichersten den Fortschritt der Wissenschaft verbürgt.
-
-In einer zweiten Abhandlung löst *Steiner* die Aufgabe, einzig mit
-Hilfe eines Lineals ohne Anwendung des Zirkels alle geometrischen
-Konstruktionen auszuführen, wenn nur irgend ein fester Hilfskreis
-gegeben ist. Die ältere Geometrie benötigte nämlich für die Mehrzahl
-ihrer Aufgaben des Lineals und des Zirkels. Die betreffende
-Abhandlung[202] *Steiners* bringt die Lehre von den harmonischen
-Strahlen und Punkten, von den harmonischen Eigenschaften des Kreises,
-den Ähnlichkeitspunkten, Potenzen von Kreisen und schließlich die
-Lösung aller geometrischen Aufgaben mittelst des Lineals, wenn ein
-fester Kreis gegeben ist.
-
-Wir gelangen endlich zu dem für die neuere Geometrie grundlegend
-gewordenen Hauptwerk *Steiners*, seiner »Systematischen Entwicklung
-der Abhängigkeit geometrischer Gestalten voneinander«[203]. Das Werk
-läßt sich als der erste Versuch bezeichnen, die Geometrie von einem
-Keime aus nach allen Richtungen organisch zu entwickeln[204], sodaß an
-Stelle des Heeres von auseinander gerissenen Eigentümlichkeiten eine
-umfassende und klare Übersicht gewonnen wurde.
-
-Auf dem bisher üblichen Wege gelangte man wohl zu einer Sammlung
-scharfsinniger Kunststücke, aber nicht zu einem innerlich
-zusammenhängenden Ganzen. Durch die Aneignung der Grundbeziehungen,
-so lauten *Steiners* Ausführungen über das Ziel seines Unternehmens,
-mache man sich zum Herrn des ganzen Gegenstandes. »Es tritt Ordnung
-in dem Chaos ein, und man sieht, wie alle Teile naturgemäß ineinander
-greifen und zu wohlbegrenzten Gruppen sich vereinigen. Der Kern der
-Sache besteht darin, daß die Abhängigkeit der Gestalten voneinander
-und die Art und Weise aufgedeckt wird, wie ihre Eigenschaften von den
-einfacheren Figuren zu den zusammengesetzteren sich fortpflanzen.
-Eigenschaften der Figuren, wie die konjugierten Durchmesser der
-Kegelschnitte und das mystische Sechseck und Sechsseit[205], von deren
-Vorhandensein man sich sonst durch künstliche Beweise überzeugen mußte,
-und die, wenn sie gefunden waren, als etwas Wunderbares dastanden,
-zeigen sich nun als notwendige Folgen der unscheinbarsten Eigenschaften
-der aufgefundenen Grundelemente.«
-
-Wenn wir es uns auch versagen müssen, *Steiners* »Systematische
-Entwicklung« im einzelnen zu erörtern, so wollen wir doch bei seiner
-Behandlung der Kegelschnitte, jenes Gebietes, das die Mathematiker
-seit der Zeit des *Menächmos* und des *Apollonios* bis auf den
-heutigen Tag beschäftigt, noch etwas verweilen. Erst bei der
-Erzeugung der Kegelschnitte durch projektivische Gebilde ergaben sich
-fundamentale Sätze, d. h. Sätze, die so umfassend sind, daß die übrigen
-Eigenschaften der Kegelschnitte klar aus ihnen folgen. *Steiner*
-folgerte z. B. aus seinen Fundamentalsätzen[206], daß durch fünf
-beliebige Tangenten oder durch irgend fünf Punkte in einer Ebene ein
-Kegelschnitt bestimmt ist. Fünf beliebige Gerade in einer Ebene können
-also stets von einem, aber auch nur von einem einzigen Kegelschnitt
-berührt werden. Oder auch: Fünf beliebige Punkte in einer Ebene liegen
-jedesmal in einem, aber auch nur in einem einzigen Kegelschnitte.
-
-In ganz neuer Beleuchtung und der Eigenschaft des Wunderbaren
-entkleidet erschienen nun auch die Sätze vom *Pascal*schen und
-*Brianchon*schen Sechseck. Zahlreiche Mathematiker hatten Beweise für
-diese Sätze beigebracht und die Lehre von den Kegelschnitten in mehr
-oder minder umfassender Weise darauf zu begründen versucht. *Pascals*
-Satz lautet, daß bei jedem einem Kegelschnitt umschriebenen Sechseck
-die Linien, welche die gegenüber liegenden Ecken verbinden, in einem
-Punkte zusammentreffen. Der Satz von *Brianchon* besagt, daß bei jedem
-einem Kegelschnitte eingeschriebenen Sechseck die drei Schnittpunkte
-der gegenüber liegenden Seiten in einer geraden Linie liegen.
-*Steiner* zeigte, daß beide Sätze nicht die eigentliche Grundlage für
-die Untersuchung der Kegelschnitte bilden, sondern daß sie zugleich mit
-vielen anderen Eigenschaften aus einer umfassenderen Quelle, nämlich
-aus der Beziehung projektivischer Gebilde fließen.
-
-Von der Behandlung der Kegelschnitte nach projektivischer Methode
-wendet sich *Steiner* zur Erzeugung projektivischer Raumgebilde[207].
-Die Untersuchung dreht sich besonders um die Eigenschaften der
-Paraboloide und der Hyperboloide.
-
-Konnten *Steiners* Verdienste um die neueste Entwicklung der Geometrie
-hier auch nur angedeutet werden, so geht aus dem Gesagten doch
-hervor, daß durch ihn die Lehre von den Kegelschnitten, die wir ihrer
-Beziehungen zur Naturwissenschaft und zur Technik wegen an manchen
-Stellen dieses Werkes in Betracht gezogen haben, im wesentlichen und
-auf allgemeinster Grundlage zum Abschluß kam. »Was seitdem noch in
-dieser Beziehung geleistet worden ist, beschränkt sich auf die weitere
-Durcharbeitung und die formale Vollendung«[208].
-
-Trotz dieser großen Erfolge der projektivischen Geometrie wurde die
-analytische Behandlung geometrischer Probleme keineswegs gänzlich
-beiseite geschoben. Wie die synthetische, so gewann auch die
-analytische Geometrie in der Neuzeit einen erhöhten Standpunkt.
-Dies geschah besonders durch *Plückers* »System der analytischen
-Geometrie«[209]. *Plückers* Verfahren bedeutet eine Loslösung von den
-zwei oder drei Achsen, auf die bisher die Flächen- oder die Raumgebilde
-bezogen wurden. Anstatt der Koordinaten führte er lineare Funktionen
-ein, welche den Strahlenbüscheln *Steiners* entsprechen. Die neueren
-Methoden der synthetischen und der analytischen Geometrie laufen daher,
-weil man sich auf beiden Gebieten beweglicher Elemente an Stelle der
-bisher üblichen festliegenden Grundgebilde bedient, auf eine Annäherung
-hinaus, die zu einer immer größeren, wechselseitigen Durchdringung und
-Befruchtung geführt hat[210].
-
-Die Erkenntnis, daß gewisse Axiome der gewöhnlichen (Euklidischen)
-Geometrie sich nicht beweisen lassen, führte im Verlaufe des 19.
-Jahrhunderts zu einer neuen, nichteuklidischen Geometrie. Eine der
-ersten, früher nie angezweifelten Grundlagen der elementaren Geometrie
-ist das Parallelenaxiom. Es besagt, daß man durch einen Punkt außerhalb
-einer Geraden in der durch den Punkt und die Gerade festgelegten Ebene
-nur eine einzige Gerade ziehen kann, welche die erste Gerade nicht
-schneidet.
-
-Bezweifelt man das Parallelenaxiom, so wankt auch der Satz, daß die
-Summe der Winkel eines Dreiecks gleich zwei Rechten ist. Kurz, die
-wichtigsten Grundlagen der Geometrie scheinen mit einer gewissen
-Unsicherheit behaftet zu sein, die eben daraus entspringt, daß man
-das Parallelenaxiom nicht beweisen kann. *Gauß* sprach daher, weil
-er die Unzulänglichkeit der zur Sicherstellung des Parallelenaxioms
-unternommenen Beweise erkannte, den Gedanken aus, daß es für die reine
-Mathematik von großem Wert sein müsse, eine Geometrie zu schaffen,
-die sich nicht auf jenes Axiom stützt. Was *Gauß* nur angedeutet,
-führte *Lobatschefskij*[211] aus. Er schuf in seiner Pangeometrie eine
-neue umfassendere Lehre, welche die gewöhnliche Geometrie als einen
-besonderen Fall, der unserer Auffassung vom Raume am vollkommensten
-entspricht, in sich einschließt[212]. Näher auf dieses Gebiet
-einzugehen, liegt nicht im Rahmen dieses Werkes, das die Mathematik
-nur insofern berücksichtigen kann, als sie die Entwicklung der
-Naturwissenschaften beeinflußt hat.
-
-Das Ergebnis seiner Untersuchungen veröffentlichte *Lobatschefskij*
-1856. Sein Urteil über die Bedeutung der nichteuklidischen Geometrie
-geht dahin, daß sie, auch wenn sie in der Natur keine Geltung hat,
-doch in unserer Vorstellung bestehen und ein neues weites Feld für
-mathematische Untersuchungen erschließen kann.
-
-Nachdem wir einen Blick auf die Entwicklung geworfen, welche die
-Geometrie in ihrer jüngsten Phase genommen hat, wollen wir in aller
-Kürze auch einige wichtige Fortschritte des Kalküls erörtern. Seit
-dem frühen Altertum beschäftigten sich die Mathematiker mit der Lehre
-von den Gleichungen. Das Eindringen in ihre Probleme war besonders
-mühselig und setzte alle Kräfte in Bewegung. Wie lange dauerte es,
-bis man das Wesen der negativen Wurzeln und vor allem den Zusammenhang
-der Wurzeln mit den Koeffizienten erkannt hatte. Erst die Mathematiker
-des 18. Jahrhunderts (*Euler*, *Lagrange* 1772, *Gauß* 1799) bewiesen,
-daß jede Gleichung sich in soviel reelle oder imaginäre Faktoren
-auflösen läßt, als ihr Grad anzeigt. Trotzdem vermochten selbst *Euler*
-und *Lagrange* es nicht, Gleichungen aufzulösen, welche den vierten
-Grad überschreiten. Schon *Gauß* äußerte daher die Ansicht, daß die
-allgemeine Gleichung fünften Grades wahrscheinlich nicht lösbar
-sei. Den Beweis für diese Tatsache brachte der große norwegische
-Mathematiker *Abel*, mit dessen Bedeutung für die neueste Entwicklung
-des Kalküls wir uns zunächst zu beschäftigen haben.
-
-*Niels Henrik Abel* wurde 1802 als der Sohn eines norwegischen
-Dorfpfarrers geboren. Er studierte in Christiania Mathematik und wurde
-seiner ungewöhnlichen Begabung wegen von der norwegischen Regierung
-mit einem Stipendium bedacht, um seine Studien in Deutschland und in
-Frankreich fortzusetzen. In Berlin gehörte *Abel* nebst *Steiner* zu
-den ersten Mitarbeitern des neu gegründeten *Crelle*schen Journals für
-die reine und angewandte Mathematik[213]. *Abel* starb mit 26 Jahren an
-einem Lungenleiden. Seine Berufung an die Berliner Universität traf ihn
-nicht mehr lebend an.
-
-Von *Abels* Arbeiten verdient zunächst eine Untersuchung über die
-binomische Reihe Erwähnung[214]. *Abel* untersuchte diese Reihe zuerst
-für komplexe Werte und summierte sie für diese. Seine Arbeit ist für
-das Gebiet der unendlichen Reihen ein Muster exakter Beweisführung
-geworden.
-
-Wichtiger als die erwähnte Arbeit ist *Abels* Nachweis, daß eine
-algebraische Gleichung von höherem als dem vierten Grade sich nicht
-allgemein auflösen läßt[215]. Einige Jahre später zeigte *Abel*, daß
-es trotzdem für jeden Grad eine besondere Klasse von Gleichungen
-gibt, deren algebraische Auflösung möglich ist. Die Auflösung dieser
-Gleichungen, die man später als »*Abel*sche Gleichungen« bezeichnet
-hat, ist dadurch möglich, daß zwischen ihren Wurzeln gewisse
-Beziehungen bestehen[216].
-
-Von dem großen Verdienst endlich, das sich *Abel* um die Mitbegründung
-der Theorie der elliptischen Funktionen erworben hat, wird an anderer
-Stelle die Rede sein. Hier gilt es zunächst, die weitere Entwicklung
-der Lehre von den Gleichungen zu verfolgen. Diese Entwicklung ist
-insbesondere den französischen Mathematikern *Fourier* und *Sturm* zu
-danken.
-
-Mit *Fouriers* Verdiensten um die mathematische Physik werden wir
-uns an anderer Stelle beschäftigen. Hier haben wir es nur mit seiner
-wichtigsten rein mathematischen Schrift zu tun, die 1831 unter dem
-Titel »Die Auflösung der bestimmten Gleichungen« erschien[217].
-*Fourier* lehrte darin die reellen Wurzeln finden, die zwischen
-zwei beliebigen Werten von x liegen, und verbesserte *Newtons*
-Berechnungsmethode wesentlich. An sein Theorem über die Bestimmung
-von Intervallen für die reellen Wurzeln einer Gleichung knüpfte
-*Charles Sturm* an (geboren 1803 in Genf, Professor an der École
-polytechnique. Er starb 1855). Seine Abhandlung über die Auflösung der
-numerischen Gleichungen (1835) zeigte, wie sich vermittelst des nach
-ihm benannten Theorems auf die einfachste Weise die Anzahl der reellen
-Wurzeln erkennen und ihre Begrenzung finden läßt. Sie bedeutet deshalb
-den hervorragendsten Fortschritt in dem Verfahren der numerischen
-Auflösung algebraischer Gleichungen mit reellen Koeffizienten[218].
-
-Als das hervorragendste mathematische Hilfsmittel der Naturwissenschaft
-erwies sich auch im 19. Jahrhundert in stetig wachsendem Maße die
-Differential- und Integralrechnung. Unter den zahlreichen Arbeiten,
-welche diese mathematische Disziplin während des ersten Zeitraums des
-19. Jahrhunderts förderten, verdienen die Abhandlungen von *Pfaff* und
-von *Cauchy* besondere Erwähnung.
-
-*Pfaff*[219] löste zuerst das Integrationsproblem der partiellen
-Differentialgleichungen, um welches *Euler* und *Lagrange* sich
-vergeblich bemüht hatten, in voller Allgemeinheit[220]. *Euler*
-vermochte nicht einmal für den einfachsten Fall, der mit der partiellen
-Differentialgleichung erster Ordnung mit zwei Veränderlichen gegeben
-ist, zu einer allgemeinen Theorie zu gelangen. *Lagrange* war zwar
-bis zur Integration solcher Gleichungen vorgedrungen; er hatte
-sich indessen auf den Fall beschränken müssen, daß die partiellen
-Differentialquotienten, falls mehr als drei Veränderliche in Betracht
-kommen, darin nur linearisch auftreten.
-
-Auch um die Reihenlehre, die Kombinationslehre und die Anwendung der
-letzteren auf die Probleme der höheren Analysis hat sich *Pfaff*
-verdient gemacht. Seine neue Summationsmethode für unendliche Reihen
-(1788) besteht darin, daß er die Glieder der unendlichen Reihe, deren
-Summe gesucht wird, wieder in unendliche Reihen verwandelt und deren
-Glieder so verbindet, daß neue summierbare Reihen entstehen.
-
-Unabhängig von *Pfaff* fand auch der französische Mathematiker *Cauchy*
-eine allgemeine Methode, um die partiellen Differentialgleichungen
-erster Ordnung zu integrieren, »welches auch die Zahl der unabhängigen
-Veränderlichen sein möge«[221]. *Augustin Louis Cauchy* wurde 1789
-in Paris geboren. Er wurde Zögling der »École polytechnique« und
-zeichnete sich schon als Knabe, ähnlich *Pascal* und *Clairaut*,
-durch eine solch hervorragende mathematische Beanlagung aus, daß
-sogar der große *Lagrange* auf ihn aufmerksam wurde. Später wirkte
-*Cauchy* als Lehrer an der »École polytechnique«. Er starb nach
-manchen, durch politische Ereignisse hervorgerufenen Wechselfällen im
-Jahre 1857. Unter den mathematischen Abhandlungen *Cauchys* verdient
-diejenige vom Jahre 1825 besondere Erwähnung, da er darin »den Grad
-der Allgemeinheit« feststellte, den ein bestimmtes Integral zwischen
-imaginären Grenzen zuläßt und die Zahl der Werte, die es annehmen kann,
-ermittelte[222]. In welchem Maße die mathematischen Untersuchungen
-*Cauchys* durch ihn und andere der theoretischen Physik, vor allem der
-Optik, zugute gekommen sind, wird an anderer Stelle gezeigt werden.
-
-Für die Entwicklung der höheren Analysis war ferner die Neugestaltung
-der Theorie der elliptischen Funktionen von der größten Wichtigkeit.
-Sie erfolgte durch *Abel*, dessen Verdienste um die Theorie der Reihen
-und der Gleichungen wir schon kennen lernten, und durch den großen
-deutschen Mathematiker *Jacobi*.
-
-*Karl Gustav Jacobi* wurde 1804 in Potsdam geboren. Er widmete sich
-zunächst unter *Böckh* der klassischen Philologie, entschied sich aber,
-angeregt durch die Werke von *Euler*, *Lagrange*, *Laplace* und *Gauß*
-bald darauf für das Studium der Mathematik. Mit 21 Jahren wurde er
-Dozent für dieses Fach an der Berliner Universität. Dann wirkte er in
-Königsberg, um schließlich nach Berlin zurückzukehren, wo er schon 1851
-starb.
-
-*Jacobis* erste Untersuchungen betrafen die elliptischen Funktionen. Im
-Jahre 1829 erschien sein großes Hauptwerk über diesen Gegenstand[223].
-Das Werk hat ihm die Hälfte des großen Preises eingetragen, den die
-Pariser Akademie für den bedeutendsten Fortschritt auf diesem Gebiete
-ausgesetzt hatte[224].
-
-Die ersten Anfänge der Theorie der elliptischen Funktionen begegnen uns
-bei *Euler*. Dieser suchte einen rechnerischen Ausdruck für den Bogen
-einer Ellipse zu gewinnen und wurde dabei durch folgende Überlegung
-geleitet. Da der Kreis ein besonderer Fall der Ellipse ist, so läßt
-sich der Bogen der letzteren vielleicht durch allgemeinere Funktionen
-ausdrücken, welche die Kreisfunktionen als besonderen Fall in sich
-einschließen. Das Problem wurde von *Legendre* wieder aufgenommen
-und weiter geführt. Er war es, der zuerst den Ausdruck »elliptische
-Funktionen« gebrauchte. Allerdings bezeichnete er, abweichend vom
-heutigen Gebrauch, mit diesem Ausdruck die Integrale, welche die
-Bogen der Ellipse und der Hyperbel ausdrücken. *Legendre* widmete
-diesem Gegenstande die Arbeit von Jahrzehnten und veröffentlichte das
-Ergebnis, als ihm eine weitere Fortbildung nicht möglich schien, in
-seiner zusammenfassenden Arbeit vom Jahre 1827[225]. Kaum war dies
-geschehen, da mußte *Legendre* gestehen, daß seine eigenen Forschungen
-durch *Abel* und *Jacobi* weit überholt worden seien. »Nachdem ich
-mich«, so schrieb *Legendre*, »eine lange Reihe von Jahren mit der
-Theorie der elliptischen Funktionen befaßt, für welche der unsterbliche
-*Euler* das Fundament geschaffen, glaubte ich die Ergebnisse in einem
-umfangreichen Werke herausgeben zu müssen. Kaum ist aber der Titel
-dieses Werkes bekannt geworden, und schon zeigt es sich, daß zwei
-junge Mathematiker, *Jacobi* und *Abel*, die Theorie der elliptischen
-Funktionen durch neue Untersuchungen beträchtlich vervollkommnet haben.«
-
-Unabhängig voneinander waren *Abel* und *Jacobi* auf den Gedanken
-gekommen, in diese Theorie das Imaginäre einzuführen. Dadurch wurden
-alle Rätsel der älteren Theorie gelöst und die elliptischen Funktionen
-gleichzeitig zu den Kreisfunktionen und den Exponentialgrößen in nahe
-Beziehung gesetzt.
-
-*Jacobi* drang aber noch tiefer in das Wesen der elliptischen
-Funktionen ein und erkannte, daß sie als Folgerungen gewisser
-Funktionen aufgefaßt werden können, die man seitdem als
-Theta-Funktionen bezeichnet hat. Während ferner die elliptischen
-Funktionen als die Umkehrungen der elliptischen Integrale nur zwei
-Perioden zulassen, schuf *Jacobi* später die Theorie der mehrfach
-periodischen Funktionen, welche als die Umkehrungsfunktionen der
-algebraischen Integrale auftreten. Die Abhandlung, in welcher die
-Natur dieser neuen Funktionen im hellsten Lichte erscheint, wurde
-neuerdings in deutscher Sprache zugänglich gemacht[226]. Um die
-Darstellung der vierfach periodischen Funktionen haben sich unter den
-deutschen Mathematikern später noch *Göpel* und *Rosenhain* besondere
-Verdienste erworben. Auch ihre Abhandlungen erschienen als Teile der
-*Ostwald*schen Sammlung in deutscher Übersetzung[227].
-
-Von den neu entdeckten Funktionen haben besonders die elliptischen und
-die durch *Legendre* eingeführten Kugelfunktionen der mathematischen
-Physik und der theoretischen Astronomie wertvolle Dienste geleistet.
-Um den weiteren Ausbau der höheren Analysis und ihre Anwendung auf
-das abstrakte Gebiet der Zahlentheorie, nicht minder aber auf die
-wichtigsten Probleme der mathematischen Physik hat sich der deutsche
-Mathematiker *Lejeune-Dirichlet* die größten Verdienste erworben.
-
-*Gustav Peter Lejeune-Dirichlet* wurde 1805 in Düren geboren[228].
-Anknüpfend an die Disquisitiones arithmeticae von *Gauß* verstand er
-es, die Zahlentheorie mit der Infinitesimalrechnung in Beziehung zu
-setzen und beide bis dahin getrennten Zweige der Mathematik vermöge der
-Durchführung dieses Gedankens zu bereichern. Einige Anwendungen dieser
-Methode veröffentlichte er in den Jahren 1839 und 1840. Die betreffende
-Abhandlung[229] bringt eine Frage, mit welcher sich schon *Lagrange*,
-*Legendre* und *Gauß* befaßten, zur Lösung, die Frage nämlich nach dem
-Zusammenhang zwischen der Anzahl der quadratischen Formen und einer
-gegebenen Determinante.
-
-In einer anderen, der *Ostwald*schen Sammlung einverleibten Abhandlung
-unternimmt *Dirichlet* die Darstellung ganz willkürlicher Funktionen
-durch Sinus- und Cosinusreihen[230]. Zu dieser für die Entwicklung der
-mathematischen Physik sehr wertvollen Untersuchung war *Dirichlet*
-dadurch gelangt, daß *Fourier*, mit dem der deutsche Forscher während
-eines längeren Studiums in Paris in enge Fühlung trat, durch seine
-analytischen Beiträge zur Wärmelehre auf trigonometrische Reihen
-geführt worden war.
-
-Nach dem Erfolge, den *Dirichlet* durch seine Untersuchung der
-*Fourier*schen Reihen errungen, stellte er mit Vorliebe sein
-mathematisches Können in den Dienst der theoretischen Physik. Er
-erfand eine besondere Integrationsmethode zur leichteren Bewältigung
-der bestimmten Integrale und wandte diese neue Methode auf
-Attraktionsprobleme an.
-
-Die betreffende Abhandlung erschien 1839 und wurde neuerdings durch
-*Ostwalds* Klassiker zugänglicher gemacht[231]. Nachdem *Riemann*
-gezeigt hatte, wie durch die von ihm vorgeschlagene Transformation die
-schwierigsten Integrationen vereinfacht werden, wählte *Dirichlet* das
-so oft von früheren Mathematikern (*Laplace*, *Gauß* u. a.) behandelte
-Beispiel der Attraktion der Ellipsoide. Während bis dahin das Problem
-des äußeren und des inneren Punktes unabhängig voneinander und mit
-verschiedenen Mitteln behandelt worden waren, zeigte *Dirichlet*, daß
-das Problem eine gleichförmige Behandlung zuläßt. Außerdem ist sein
-Verfahren nicht auf die Voraussetzung beschränkt, daß die Attraktion
-dem Quadrat der Entfernung umgekehrt proportional ist, sondern es
-bleibt auch für jede andere ganze oder gebrochene Potenz der Entfernung
-anwendbar. Endlich braucht auch die Dichtigkeit der anziehenden Masse
-nicht als konstant vorausgesetzt zu werden, sondern sie kann auch durch
-irgend eine rationale ganze Funktion der drei Koordinaten ausgedrückt
-sein. Indem *Dirichlet* ferner die Wirkung der nach dem Gesetze
-*Newtons* wirkenden Kräfte von neuem der höheren Analysis unterwarf,
-förderte er gleichzeitig die Potentialtheorie[232].
-
-Im Anschluß an *Dirichlet* hat sich besonders *Riemann* mit der
-Darstellung von Funktionen durch trigonometrische Reihen und dem Ausbau
-der Potentialtheorie beschäftigt[233]. Die Gestaltung, welche die
-Funktionenlehre durch *Riemann* erlangte, indem er die komplexe, d. h.
-aus einem reellen und einem imaginären Teile bestehende Veränderliche,
-einführte, hat der höheren Analysis in ihrer Anwendung auf die
-Naturwissenschaften während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
-Ziel und Richtung gegeben.
-
-
-
-
-9. Die wissenschaftliche Chemie von ihrer Begründung durch *Boyle* bis
-zu ihrer Erneuerung durch *Lavoisier*.
-
-
-Eine Reihe von Jahrzehnten war seit der Begründung der neueren Physik
-verflossen, ehe die Chemie ihr mittelalterliches Gewand abstreifte und
-unter der Führung von *Boyle* einem rein wissenschaftlichen Ziele,
-nämlich der Erforschung der Zusammensetzung der Körper, nachzustreben
-begann. *Boyle* hatte den Begriff des chemischen Elementes aufgestellt
-und der analytischen Chemie eine sichere Grundlage gegeben. Auch
-hatte er sowohl das experimentelle Studium als auch die Erklärung
-der Verbrennungserscheinungen in Angriff genommen. Während der
-erste Teil dieser Aufgabe durch *Boyle* und seine Nachfolger sehr
-gefördert und ein großes, auf den Vorgang der Verbrennung bezügliches
-Tatsachenmaterial herbeigeschafft wurde, blieb das gesamte von *Boyle*
-bis *Lavoisier* reichende Zeitalter bezüglich aller Erklärungsversuche
-in dem Banne der von *Stahl* begründeten Phlogistontheorie befangen.
-Selbst als *Lavoisier* seine antiphlogistische Lehre bis in ihre
-Einzelheiten ausgeführt hatte, vermochten jene Männer, auf die er sich
-besonders stützte, wie *Priestley* und *Scheele*, der älteren Theorie,
-die sie bei ihren großen Entdeckungen geleitet, nicht zu entsagen.
-Mit *Dalton*, *Berzelius* und *Gay-Lussac* trat indes ein neues
-Geschlecht von Forschern auf den Schauplatz. Indem diese an *Lavoisier*
-anknüpften, begann für die Chemie das Zeitalter der quantitativen
-Untersuchungen. Dadurch wurden die Beziehungen zur Physik immer engere,
-was sich auch darin aussprach, daß die Mehrzahl der damaligen Forscher
-auf beiden Gebieten hervorragende Leistungen aufzuweisen hatten. Die
-Chemie erhielt somit in dieser, den letzten Teil des 18. und den Beginn
-des 19. Jahrhunderts umfassenden Periode im wesentlichen ihre heutige
-Richtung und Gestalt.
-
-Die Einsicht in den Vorgang der Verbrennung wurde erst dadurch
-ermöglicht, daß *Priestley* die Erforschung der Gase in die Hand
-nahm und *Scheele* die Zusammensetzung der atmosphärischen Luft aus
-zwei Bestandteilen nachwies. Bis zur Zeit *van Helmonts* hatte man
-die Gasarten, von denen insbesondere der Wasserstoff, sowie das
-Kohlendioxyd bekannt geworden waren, noch nicht unter sich und von der
-atmosphärischen Luft unterschieden, sondern jeden gasförmigen Körper
-mit der Luft identifiziert und die beobachteten Verschiedenheiten auf
-Beimengungen zurückgeführt. Ein erfolgreiches Studium der Gase begann
-erst mit der von *Hales* herrührenden Erfindung der pneumatischen
-Wanne und der Verwendung des Quecksilbers als Absperrflüssigkeit. Das
-letztgenannte Verfahren ermöglichte *Priestley* die Entdeckung der im
-Wasser löslichen Gasarten, wie des Ammoniaks und des Chlorwasserstoffs.
-Klare Ansichten über die chemische Natur der Gase kamen jedoch erst
-mit *Lavoisier* auf, welcher Sauerstoff und Wasserstoff als Elemente
-ansprach.
-
-*Joseph Priestley*, auf dessen Untersuchungen *Lavoisier* ganz
-besonders die neuere Chemie begründete, wurde im Jahre 1733 in der Nähe
-von Leeds geboren. Er studierte Theologie. Infolge seiner Stellung
-zur englischen Kirche und seines exzentrischen Wesens führte er ein
-unstätes Leben. Er wirkte bald als Prediger, bald als Schul- oder
-Hauslehrer und siedelte endlich nach Nordamerika über, wo er 1804
-starb. Trotzdem *Priestley* eine gründliche naturwissenschaftliche
-Vorbildung fehlte, hat er mit großem Erfolge das schwierige Gebiet
-der pneumatischen Chemie eigentlich erst erschlossen. *Priestley*
-glich nämlich den erwähnten Mangel dadurch aus, daß er ein ganz
-außergewöhnliches Geschick zum Experimentieren besaß. Die Ergebnisse
-seiner mühevollen, auf die Gase bezüglichen Untersuchungen legte er
-in einer Anzahl seit dem Jahre 1772 veröffentlichter Abhandlungen
-nieder, die zum Teil zu einem größeren Werke[234] vereinigt wurden.
-Zunächst befaßt sich *Priestley* in diesen Schriften mit dem von ihm
-als fixe Luft bezeichneten Kohlendioxyd[235]. Er entnimmt dieses Gas,
-das sich bei der Gärung bildet, den Brauereien, oder er stellt es durch
-Übergießen von Kreide mit Säuren her. Die Untersuchungen *Priestleys*
-betreffen auch die Löslichkeit des Kohlendioxyds im Wasser.
-Gleichzeitig gibt er Anweisung über die durch Sättigen des Wassers mit
-Kohlendioxyd zu bewerkstelligende Gewinnung künstlicher Säuerlinge.
-Von der praktischen Verwertbarkeit der Ergebnisse wissenschaftlichen
-Forschens war *Priestley* tief durchdrungen. »Da wir selbst Teile des
-Systems sind,« heißt es in seiner Naturlehre, »so ergibt sich, daß,
-je vollkommener unsere Kenntnisse von den Naturgesetzen sind, wir um
-so mehr Gewalt über die Natur haben, und daß wir um so geschickter
-sind, solche Einrichtungen in der Welt zu treffen, die uns am meisten
-zusagen. Wenn die Wissenschaft wie bisher immer größere Fortschritte
-macht, so wird das menschliche Geschlecht nach einigen Jahrhunderten
-uns ebenso sehr übertreffen, wie wir jetzt die Wilden übertreffen, denn
-die Natur ist unerschöpflich, sie gleicht einer Erzgrube, in der sich
-immer neue Anbrüche zeigen[236].«
-
-Auf das Vorhandensein von »fixer Luft« in der Atmosphäre hatten
-schon *Black*[237], sowie der schwedische Naturforscher *Bergman*
-hingewiesen. Beide machten darauf aufmerksam, daß sich Kalkwasser an
-der Luft mit einer weißen, festen Masse bedeckt, aus der sich durch
-Übergießen mit Säure die »fixe Luft« wieder freimachen läßt[238].
-
-*Priestleys* weitere Bemühungen liefen insbesondere darauf hinaus, die
-Säuren in Luftarten zu verwandeln. So erzeugte er aus Schwefelsäure die
-»vitriolsaure Luft« (SO_{2}) und aus Salpetersäure »die salpetersaure
-Luft« (NO). Er bemerkte, daß letztere sich mit Sauerstoff unter
-Verminderung des Gesamtvolumens verbindet, und gründete hierauf
-ein Verfahren, die atmosphärische Luft zu analysieren. *Priestley*
-wies ferner nach, daß die beim Zusammenbringen von Kochsalz und
-Schwefelsäure auftretenden Dämpfe aus einer in Wasser außerordentlich
-löslichen Luftart bestehen. Es gelang ihm, dieses salzsaure Gas (HCl),
-wie auch die beim Zusammenbringen von Salmiak und Kalk auftretende
-»laugenartige Luft« (NH_{3}) über Quecksilber aufzufangen. Auch das
-Stickoxydul oder Lachgas (N_{2}O) und das Kohlenmonoxyd (CO) wurden von
-*Priestley* dargestellt. Am folgenreichsten war die ihm im Jahre 1771
-gelungene Entdeckung des Sauerstoffs, den *Priestley* durch Erhitzen
-von rotem Quecksilberoxyd bereitete. Den Ruhm dieser Entdeckung hat er
-allerdings, wie wir gleich sehen werden, mit *Scheele* zu teilen[239].
-
-Bevor sich *Priestley* seinen Arbeiten über die Gase zuwandte, befaßte
-er sich insbesondere mit elektrischen Versuchen. Sein Buch über die
-Geschichte und die Lehre von der Elektrizität[240] hatte großen Anklang
-gefunden und ihm die Mitgliedschaft der Royal Society eingetragen.
-Es ist nun von Interesse zu sehen, wie *Priestley* seine auf diesem
-Gebiete erworbenen Kenntnisse bei der experimentellen Erforschung der
-Gase verwertet. So schloß er atmosphärische Luft in eine Glasröhre
-über Wasser ein und ließ den Funken wiederholt hindurchschlagen. Dabei
-zeigte es sich, daß sich das Luftvolumen verminderte. War das in der
-Röhre befindliche Wasser mit Lackmus blau gefärbt, so nahm es eine
-rote Farbe an[241]. Das umgekehrte Verhalten zeigte Ammoniak oder
-»laugenhaftes Gas« (NH_{3}). Unter der fortgesetzten Einwirkung des
-elektrischen Funkens vergrößerte es nämlich sein Volumen. *Priestley*
-nahm auch wahr, daß hierbei eine tiefgreifende chemische Veränderung
-mit dem Ammoniakgas vor sich geht. »Vorher wurde es,« so berichtet er,
-»vom Wasser leicht verschluckt. Mit »elektrischer Materie« überladen,
-scheint es keine Verwandtschaft mehr zum Wasser zu haben. Es ist in
-eine eigene Art »zündbare Luft« verwandelt«[242]. Auch die Analyse
-von Gasen durch Detonation (Verpuffung) rührt von *Priestley* her.
-Brennbare Gase oder Gasgemenge mischte er über Quecksilber mit
-Sauerstoff. Durch den elektrischen Funken wurde dann eine Verpuffung
-herbeigeführt und darauf der Rückstand untersucht. So fand *Priestley*,
-daß diejenige zündbare Luft, die man erhält, wenn man Alkoholdampf
-durch eine glühende Röhre leitet oder Holz der trockenen Destillation
-unterwirft, nach dem Verpuffen mit Sauerstoff einen Rückstand von
-fixer Luft (CO_{2}) hinterläßt[243], während dies beim Detonieren der
-aus Eisen und Schwefelsäure hergestellten »zündbaren Luft« (H) nicht
-der Fall ist. All diese Errungenschaften eines ganz hervorragenden
-experimentellen Geschicks sind für die Entwicklung der Chemie von
-größter Bedeutung gewesen. Doch kleidet *Priestley* seine Ergebnisse
-noch in das Gewand der phlogistischen Theorie. Die Verbrennung besteht
-bei ihm in einem Entweichen von Phlogiston. Letzteres wird nach
-*Priestleys* Meinung von den die Verbrennung unterhaltenden Luftarten
-aufgenommen und zwar um so energischer, je weniger diese Luftarten
-selbst an Phlogiston besitzen. Sauerstoff unterhält die Verbrennung am
-besten, weil er gar kein Phlogiston enthält. *Priestley* nennt dieses
-Gas deshalb »dephlogistisierte Luft.« Wasserstoff ist dagegen reines
-Phlogiston, da es besonders geeignet ist, die erhitzten Metalloxyde
-in Metalle zurückzuverwandeln. Die atmosphärische Luft stellt sich
-nach dieser Theorie als ein Gemenge von »dephlogistisierter« (O) und
-»phlogistischer« Luft (N) dar. Durch die bei der Verbrennung vor sich
-gehende Zufuhr von Phlogiston verwandelt sich die atmosphärische
-Luft ganz in phlogistische. Auf den Widerspruch, der darin liegt,
-daß bei der Verbrennung die atmosphärische Luft ihrem Volumen,
-sowie ihrem Gewichte nach vermindert wird, ist *Priestley* nicht
-eingegangen. Auch die Entdeckung, daß bei der Vereinigung von reinem
-Phlogiston (H) mit reiner dephlogistisierter Luft (O) keine Spur von
-phlogistischer Luft (N), sondern Wasser auftritt, ließ ihn an der
-eingewurzelten Theorie nicht irre werden. Auf den nahe liegenden
-Gedanken, das Gewicht des vermeintlich zugeführten Phlogistons in den
-aus Metallkalk entstandenen Metallen zu ermitteln, einen Gedanken,
-dessen Ausführung auf einen weiteren Widerspruch geführt haben würde,
-ist *Priestley* zwar gekommen. Wie er sagt, ist er jedoch außer stande
-gewesen, die Frage, ob das Metalloxyd bei seiner Umwandlung in Metall
-schwerer oder leichter wird, zu entscheiden, da immer eine teilweise
-Sublimation stattgefunden habe. Er verfolgt die Sache daher trotz ihrer
-ausschlaggebenden Bedeutung nicht weiter, sondern entscheidet sie
-im Sinne der von ihm vertretenen Lehre. An ihm, sowie an *Scheele*,
-der gleichfalls das gesamte zur Aufstellung der wahren chemischen
-Theorie erforderliche Material in den Händen hielt, erwies sich recht
-eigentlich die Wahrheit des Wortes von *Laplace*, daß die Entdeckungen
-in der richtigen Verknüpfung derjenigen Ideen bestehen, die zueinander
-passen.
-
-Während sich *Priestley* wesentlich auf die Erforschung der Gase
-beschränkte, erfuhren zur selben Zeit sämtliche Teile der Chemie eine
-Bereicherung durch *Scheele*, wie sie kaum jemals wieder in solchem
-Maße von einem einzigen Manne ausging. *Scheele* war seiner Abstammung
-und Sprache nach ein Deutscher, wenn ihn auch die Schweden mit gleichem
-Rechte als den Ihrigen betrachten und seine Verdienste vor einer Reihe
-von Jahren durch die feierliche Begehung seines hundertundfünfzigsten
-Geburtstages und die Errichtung eines Standbildes gewürdigt haben. Wie
-aus den von *Nordenskjöld* herausgegebenen[244], an *Gahn*, *Bergman*
-und andere gerichteten Briefen *Scheeles* hervorgeht, hat sich dieser
-in seinen Briefen und in seinen Laboratoriumsnotizen der deutschen
-Sprache bedient. Eine Ausnahme bilden nur die Briefe, welche an
-Personen gerichtet sind, bei denen *Scheele* die Kenntnis des Deutschen
-nicht voraussetzen konnte.
-
-*Karl Wilhelm Scheele* wurde am 9. Dezember 1742 in dem damals
-schwedischen Stralsund geboren. Im 14. Lebensjahre widmete er sich
-der Apothekerlaufbahn. Nachdem er in mehreren schwedischen Städten
-seine Lehr- und Gehilfenjahre zugebracht und während dieser Zeit durch
-unermüdliches Experimentieren zu den hauptsächlichsten Ergebnissen
-seiner Forschertätigkeit gelangt war, übernahm er 1775 eine eigene
-Apotheke[245]. Er starb am 21. Mai des Jahres 1786.
-
-Über seine auf den Sauerstoff und die atmosphärische Luft bezüglichen
-Entdeckungen hat *Scheele* in einer wichtigen Schrift berichtet, die
-*Ostwald* als 58. Bändchen seiner Klassiker herausgegeben hat. Sie
-führt den Titel »Chemische Abhandlung von der Luft und dem Feuer« und
-erschien im Jahre 1777. Die Versuche, welche *Scheele* darin mitteilt,
-wurden jedoch schon in der Zeit von 1768-1773 angestellt. Aus
-*Scheeles* vor kurzem veröffentlichten Briefwechsel[246] geht, hervor,
-daß er schon im Jahre 1770 mit der Darstellung von Chlorwasserstoff,
-Ammoniak und Stickoxyd bekannt war.
-
-*Scheele* beginnt seine Abhandlung mit den Worten: »Die Körper
-geschickt in ihre Bestandteile zu zerlegen, ihre Eigenschaften zu
-entdecken und die Körper auf verschiedene Art zusammenzusetzen, ist der
-Hauptzweck der Chemie.« Die meisten Schwierigkeiten und Widersprüche
-habe indessen die Erklärung der Verbrennung hervorgerufen. Er habe
-daher von allen bisherigen Erklärungen abgesehen und eine Menge von
-Versuchen angestellt, um die Verbrennungserscheinungen so viel wie
-möglich zu ergründen. Dabei habe sich herausgestellt, daß man ohne eine
-genaue Untersuchung der Luft über die Erscheinungen, welche das Feuer
-darbietet, kein wahres Urteil fällen könne.
-
-Nachdem *Scheele* die Eigenschaften, welche die Luft von den anderen
-Gasen unterscheidet, genau gekennzeichnet hatte, stellte er eine Reihe
-von Versuchen an, die alle beweisen sollten, daß die Luft aus zwei
-verschiedenen Gasen zusammengesetzt ist.
-
-Sein Verfahren bestand darin, daß er ein bestimmtes Quantum Luft mit
-einem Stoff behandelte, welcher den einen Teil der Luft absorbierte.
-Dabei zeigte es sich, daß der andere Teil stets in der gleichen Menge
-und mit denselben Eigenschaften zurückblieb. So schloß er eine Lösung
-von Schwefelleber[247] in eine leere Flasche ein, drehte diese um und
-setzte den Hals in ein kleines Gefäß mit Wasser. In dieser Stellung
-beließ er die Flasche 14 Tage. Darauf öffnete er sie umgekehrt unter
-Wasser. Sogleich drang das Wasser in die Flasche ein; und es zeigte
-sich, daß vier Teile von 20 Teilen Luft absorbiert waren. Annähernd
-dieselbe Volumverminderung trat ein, als *Scheele* den Versuch
-unter Anwendung von Phosphor, Eisenfeile oder einer geeigneten
-Eisenverbindung an Stelle der Schwefelleber wiederholte.
-
-Auch bei der Verbrennung von Wasserstoff in einer abgeschlossenen
-Luftmenge (s. Abb. 25) fand eine Raumverminderung um 1/5 statt. Die
-zurückbleibende Luftart unterhielt die Verbrennung nicht.
-
-[Illustration: Abb. 25. *Scheele* analysiert die Luft.]
-
-[Illustration: Abb. 26. *Scheeles* Darstellung von Sauerstoff.]
-
-Zur Herstellung von Sauerstoff wandte *Scheele* folgendes Verfahren
-an. Er mischte konzentrierte Schwefelsäure mit fein zerriebenem
-Braunstein. Diese Mischung wurde in einer kleinen Retorte erhitzt. Zum
-Auffangen des Gases diente eine luftleere Blase. Sobald der Boden der
-Retorte glühte, ging eine Luftart über, welche die Blase nach und nach
-ausdehnte. *Scheele* füllte ein Glas mit dieser Luftart und brachte
-ein kleines angezündetes Licht hinein. »Kaum war dies geschehen, so
-fing das Licht an, mit einer großen Flamme zu brennen, wobei es einen
-so hellen Schein von sich gab, daß es die Augen blendete.« Mischte
-*Scheele* das aus dem Braunstein hergestellte Gas[248] mit derjenigen
-Luft, in welcher das Feuer bei den obigen Versuchen nicht mehr brennen
-wollte, so erhielt er eine Luft, die der gewöhnlichen in allen Stücken
-gleich war. Den Sauerstoff nannte er Feuerluft. Die andere Luftart, die
-zur Unterhaltung der Verbrennung ungeeignet ist, bezeichnete er mit den
-Namen »verdorbene Luft.« Später wurde sie Stickstoff genannt.
-
-Auch beim Erhitzen von Salpeter in einer gläsernen Retorte wurde
-die Blase von einem Gase ausgedehnt, das sich als reine »Feuerluft«
-erwies. *Scheele* wiederholte darauf die Versuche, die er zuerst mit
-Schwefelleber, Phosphor usw. und gewöhnlicher Luft angestellt hatte,
-unter Anwendung von »Feuerluft.« Es zeigte sich, daß jetzt kein
-Rückstand blieb, sondern das gesamte Gas absorbiert wurde. Mischte
-er aber die verdorbene Luft mit Feuerluft, und brachte er ein Stück
-Phosphor in diese Luftmischung, so wurde auch nur der auf die Feuerluft
-entfallende Teil absorbiert.
-
-All diese Versuche bewiesen somit, daß die Feuerluft das Gas ist,
-vermittelst dessen das Feuer in der atmosphärischen Luft unterhalten
-wird. »Sie ist darin«, sagt *Scheele*, »nur mit einer Luftart
-vermischt, die zum Brennbaren gar keine Anziehung zu haben scheint; und
-diese ist es, welche der sonst zu schnellen und heftigen Entzündung
-etwas Hinderung in den Weg legt.«
-
-Den Sauerstoff stellte er nicht nur durch Erhitzen eines Gemenges
-von Braunstein und Schwefelsäure, sowie aus Salpeter her, sondern er
-bereitete ihn auch durch Glühen leicht zersetzbarer Oxyde, wie des
-Goldoxyds und des roten Quecksilberoxyds, dessen sich auch *Priestley*
-bediente[249].
-
-*Scheeles* Arbeit über den Braunstein lehrte außer dem Sauerstoff noch
-Mangan, Chlor und Baryterde (BaO) kennen. Letztere war in den von ihm
-untersuchten Braunsteinsorten als Beimengung enthalten. Eine Lösung
-von Baryterde benutzte er, wie es noch heute geschieht, zum Nachweise
-der Schwefelsäure, während man sich vorher zu diesem Zwecke der viel
-weniger geeigneten Kalklösung bedient hatte.
-
-*Scheele* und *Bergman* gelang ferner die Aufschließung der Silikate,
-indem sie diese im Mineralreich eine so große Bedeutung beanspruchenden
-Verbindungen durch Zusammenschmelzen mit kohlensaurem Alkali in den
-löslichen Zustand überführten. Die Untersuchungen über die Silikate
-lehrten auch den Unterschied zwischen löslicher und unlöslicher
-Kieselsäure kennen. Große Verdienste erwarb sich *Scheele* auch um den
-Nachweis der Magnesium-, der Kupfer- und der Quecksilberverbindungen.
-Diese Fülle von Einzelbeobachtungen wußte *Scheeles* Freund *Bergman*
-jedoch besser systematisch zu verwerten als jener, sodaß *Bergman*
-besonders das Verdienst davontrug, die Grundlagen der qualitativen
-Analyse geschaffen zu haben. Nicht minder eifrig widmete sich *Scheele*
-dem Studium der Gase, von denen manche, deren Auffindung man wohl
-*Priestley* und anderen zugeschrieben hat, schon ihm bekannt waren.
-Es sind vor allem außer dem Sauerstoff, dem Stickstoff und dem
-Kohlendioxyd noch Chlorwasserstoff, Schwefelwasserstoff, Ammoniak und
-Stickoxyd, auf die sich *Scheeles* Untersuchungen erstrecken. Zum
-Auffangen der Gase bediente er sich nicht wie *Hales* und *Priestley*
-einer Wanne, sondern er brachte die Entwicklungsflasche mit tierischen
-Blasen in Verbindung, die er zuvor durch Zusammendrücken luftleer
-gemacht hatte. An solchen Blasen entdeckte *Scheele* die Erscheinung
-der Gasdiffusion. »Sind die Blasen oder auch nur die sie umgebende Luft
-feucht,« sagt *Scheele* bei der Beschreibung seines Apparats[250], »so
-dringen die darin befindlichen Gase in wenigen Tagen gänzlich durch die
-Blasen. Sind letztere und die Luft dagegen trocken, so geschieht dies
-nicht.«
-
-Ferner machte *Scheele* die Entdeckung, daß die beiden Bestandteile
-der Luft, die er als Feuerluft und als verdorbene Luft bezeichnete, in
-sehr verschiedenem Grade in Wasser löslich sind. Das Wasser habe die
-besondere Eigenschaft, die Bestandteile der Luft zu trennen, indem es
-die Feuerluft leichter aufnehme. Letztere sei den im Wasser lebenden
-Tieren unentbehrlich. Der Lebensprozeß dieser Tiere beruhe darauf,
-daß sie die Feuerluft verbrauchten und Luftsäure (CO_{2}) abschieden.
-Das ausgeschiedene Gas würde jedoch in die Atmosphäre abgedünstet und
-das Wasser dadurch befähigt, von neuem Feuerluft aufzulösen und sie
-den Tieren zuzuführen[251]. Zu dieser in den Grundzügen zutreffenden
-Darstellung war *Scheele* durch eine Reihe von Versuchen gelangt.
-Leider beziehen sich diese Versuche, wie es *Scheeles* Art war,
-vorwiegend auf den qualitativen Verlauf des Vorganges. *Scheele* würde
-sonst wahrscheinlich bezüglich der Bedeutung der »Feuerluft« zu den
-gleichen Ergebnissen wie *Lavoisier* gelangt sein.
-
-Nicht minder bedeutend als das bisher Erwähnte waren *Scheeles*
-Verdienste um die vor ihm kaum als Wissenszweig bestehende organische
-Chemie. Aus den sauren Pflanzensäften erhielt er durch Zusatz von Kalk-
-oder Bleilösung Niederschläge, die er als die Salze gewisser Säuren
-erkannte. Durch Zersetzen dieser Niederschläge mittelst Schwefelsäure
-gelang ihm die Herstellung der wichtigsten organischen Verbindungen,
-wie der Wein-, der Zitronen-, der Äpfel- und der Oxalsäure. Letztere
-stellte er nicht nur aus dem Sauerklee, sondern auch durch die
-Einwirkung von Salpetersäure auf Zucker her. Die Untersuchung von
-Harnsteinen führte ihn zur Auffindung der Harnsäure. Die Milchsäure war
-zwar schon vor ihm bekannt; auf *Scheele* ist indessen die genauere
-Kenntnis dieser Verbindung zurückzuführen.
-
-Die Zersetzung von Blutlaugensalz durch Schwefelsäure führte ihn
-im Jahre 1782 zur Entdeckung der Blausäure. Er widmete ihr eine
-mustergültige Untersuchung, die ihm einen ziemlich klaren Einblick
-in die Zusammensetzung dieser Verbindung erschloß. Auch auf das
-seit alters bekannte Verhalten der Fette gegen die Alkalien warfen
-seine Arbeiten das erste Licht. Es gelang ihm, aus Olivenöl durch
-die Einwirkung von Bleioxyd das von ihm »Ölsüß« genannte Glyzerin
-abzuscheiden.
-
-Alles dies sind Ergebnisse, die, wie wir sehen werden, für die
-Arbeiten späterer Forscher grundlegend gewesen sind. Der Umstand,
-daß die Untersuchungen unter dem Einfluß der Phlogistontheorie
-geführt wurden, ist durchaus nicht imstande, den Wert dieser
-Untersuchungen zu beeinträchtigen, zumal *Scheele* wie kein anderer
-der antiphlogistischen Lehre den Boden bereiten half. Gipfelt doch
-dasjenige, was er von der Luft und dem Feuer geschrieben, in der klaren
-Erkenntnis, daß die Luft aus zwei verschiedenen Gasen zusammengesetzt
-ist, von denen nur der Sauerstoff, den er als »Feuerluft« bezeichnet,
-die Verbrennung und alle der Verbrennung analogen Vorgänge unterhält.
-*Scheele* lehrte ferner, wie wir sahen, die Mittel kennen, um der
-Luft diesen wirksamen Bestandteil zu entziehen; er fand, daß das
-zurückbleibende Gas etwa vier Fünftel der gesamten Luft ausmacht.
-Letztere stellte er durch Mischen der beiden Bestandteile mit allen
-ihren Eigenschaften wieder her.
-
-Daß dem Meister der chemischen Experimentierkunst auch manche Ausbeute
-auf dem Gebiete der Physik zuteil wurde, läßt sich denken. *Scheeles*
-mehr gelegentliche Beobachtungen über die Löslichkeit und die Diffusion
-der Gase fanden schon Erwähnung. Zu systematischen Untersuchungen über
-die Wärme und das Licht führten ihn seine Bemühungen, den chemischen
-Vorgang der Verbrennung aufzuhellen. So gehört *Scheele* zu den ersten
-Naturforschern, die zu einer klaren Unterscheidung der Körperwärme
-und der strahlenden Wärme gelangten[252]. Nach *Scheele* ist die im
-Ofen aufsteigende und dem Ofen mitgeteilte Wärme von der in den Raum
-gestrahlten wohl zu unterscheiden. Letztere entferne sich in geraden
-Linien von ihrem Erzeugungspunkte und werde von poliertem Metall so
-zurückgeworfen, daß der Eintrittswinkel dem Austrittswinkel gleich sei.
-Diese strahlende Wärme werde von der Luft nicht absorbiert und durch
-Luftströmungen nicht abgelenkt, sie stimme also in mancher Hinsicht mit
-dem Lichte überein. Daß die strahlende Wärme sich leicht in Körperwärme
-verwandeln lasse, indem sie sich mit gewissen Körpern vereinige,
-erkenne man an einem mit Ruß überzogenen, metallenen Hohlspiegel.
-
-*Scheele* war auch einer der ersten, welcher der chemischen Wirkung des
-Lichtes seine Aufmerksamkeit zuwandte. Die älteste Beobachtung über
-die Lichtempfindlichkeit der Silber enthaltenden Niederschläge machte
-1727 der Professor der Medizin *J. H. Schulze*[253] in Halle. *Scheele*
-experimentierte mit reinem Chlorsilber und wies nach, daß dieses im
-Sonnenlichte zu Silber reduziert wird. Die Beobachtung, daß die das
-weiße Licht zusammensetzenden Strahlen auf Silbersalze verschieden
-wirken, rührt gleichfalls von *Scheele* her. Seinen hierauf bezüglichen
-wichtigen Versuch, in dem man die Anfänge der Spektralphotographie
-erblicken kann, beschreibt er mit folgenden Worten: »Man setze ein
-gläsernes Prisma vor das Fenster und lasse das gebrochene Licht auf die
-Erde fallen. In dieses farbige Licht bringe man ein Stück Papier, das
-mit Chlorsilber überzogen ist. Diese Verbindung wird in der violetten
-Farbe weit eher als in den anderen schwarz werden.«
-
-Die Reduktion bestand nach der Auffassung der Phlogistiker
-bekanntlich[254] in einer Zuführung von Phlogiston. Um die reduzierende
-Wirkung des Lichtes zu erklären, schrieb *Scheele* auch diesem einen
-Gehalt an Phlogiston zu. Das Phlogiston ist für ihn ein Element, das
-unter Herbeiführung wichtiger Veränderungen von einem Körper in den
-anderen übergeht. Auch mit der »Feuerluft« geht das Phlogiston nach
-*Scheeles* Auffassung eine Verbindung ein. Aus dieser Vereinigung
-läßt *Scheele* das Licht und die Wärme hervorgehen. Beide Kräfte faßt
-er noch als etwas durchaus Stoffliches auf. Das Phlogiston wurde
-dadurch noch unbegreiflicher, daß man seine Darstellung für unmöglich
-erklärte. Es sollte sich nämlich von keinem Körper scheiden, wenn nicht
-ein anderer Körper zugegen sei, der es sofort aufnehme.
-
-Gegen den Ausgang des phlogistischen Zeitalters wurde der Versuch
-wieder aufgenommen, das Wesen der chemischen Vorgänge aus einer
-Kraft zu erklären, die man seit alters als Affinität oder chemische
-Verwandtschaft bezeichnet hat. Dies geschah vor allem seit etwa 1775
-durch den schwedischen Chemiker und Mineralogen *Bergman*, dessen
-Ansichten bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts die herrschenden blieben.
-*Bergman* nahm an, daß je zwei beliebige Stoffe eine Anziehung
-zueinander äußern müßten, die ihrer Größe nach bestimmbar sei. Zu
-ein und demselben Stoffe besitzen danach verschiedene Stoffe eine
-größere oder geringere Anziehung. »Wenn man«, sagt *Bergman*, »auf
-eine Verbindung AB einen dritten Stoff C wirken läßt, welcher B aus
-der Verbindung ausscheidet und an Stelle von B mit A in Verbindung
-tritt, so erhält man statt AB eine neue Verbindung AC.« Um
-daher die Verwandtschaft zweier Stoffe B und C gegen einen dritten
-A zu bestimmen, sei es nur nötig, zu untersuchen, ob einer dieser
-Stoffe den anderen aus seiner Verbindung mit dem dritten ausscheide.
-*Bergmans* ganze Vorstellungsart beruht auf der Annahme, daß die
-Affinität eine unveränderliche Kraft sei, derart, daß ein Stoff, der
-aus einer Verbindung durch einen anderen ausgeschieden wird, nicht
-wieder umgekehrt durch den verdrängten Stoff ausgeschieden werden
-könne. Durch eine große Zahl genauer, auch abgesehen von theoretischen
-Erwägungen wertvoller Versuche gelangte *Bergman* zur Aufstellung von
-nicht weniger als 59 Verwandtschaftstafeln. Eine dieser Tafeln möge als
-Beispiel hier Platz finden.
-
-
-Kali
-
- in der Lösung: beim Zusammenschmelzen:
-
- Schwefelsäure Phosphorsäure
- Salpetersäure Borsäure
- Salzsäure Arsensäure
- Phosphorsäure Schwefelsäure
- Arsensäure Salpetersäure
- Essigsäure Salzsäure
- Borsäure Essigsäure.
- Schweflige Säure
- Kohlensäure
-
-Das Kali besitzt danach bei gewöhnlicher Temperatur die größte
-Anziehung zur Schwefelsäure. Letztere ist infolgedessen imstande,
-alle übrigen Säuren aus ihrer Verbindung mit Kali abzuscheiden.
-Mit der Gegenüberstellung der beiden Reihen wollte *Bergman* keine
-Abhängigkeit der Affinität von der Temperatur zum Ausdruck bringen. Die
-Verwandtschaftsgrade sind zwar, wie die zweite Reihe erkennen läßt,
-andere, wenn man die Körper nicht durch Lösungsmittel, sondern durch
-Wärmezufuhr flüssig macht, sie ändern sich aber nach *Bergman* nicht
-allmählich, sondern sind innerhalb jeder Gruppe, d. h. unter gleichen
-Bedingungen konstant, vor allem, so nahm *Bergman* an, sind sie von der
-Menge der chemisch aufeinander wirkenden Stoffe unabhängig.
-
-*Bergman* führte auch den Begriff der doppelten Wahlverwandtschaft[255]
-ein. Doch waren Erscheinungen, die unter diesen Begriff fallen,
-schon weit früher bekannt und richtig gedeutet worden[256]. Seine
-Bemühungen, die Größe der Verwandtschaft ihrem absoluten Werte nach zu
-bestimmen, d. h. sie ziffernmäßig auszudrücken, wurden von ihm selbst
-als fruchtlos aufgegeben. Die doppelte Verwandtschaft, die Erscheinung
-nämlich, daß zwei Verbindungen sich gegenseitig nach dem Schema AB + CD
-= AC + BD zersetzen, untersuchte *Bergman* für zahlreiche Einzelfälle.
-Nach seiner Lehre wird sie dadurch bedingt, daß die Summe der zwischen
-A und C oder B und D wirkenden Anziehungen größer ist als die Summe
-der zwischen A und B, beziehungsweise C und D wirkenden chemischen
-Kräfte. Letztere betrachtete er ihrem Wesen nach als identisch mit der
-allgemeinen Anziehung oder der Schwerkraft. Sie sollte nur durch die
-Gestalt und die Größe der Moleküle beeinflußt sein und infolgedessen
-als chemische Anziehung von wechselnder, indessen für die einzelnen
-Elemente gleichbleibender Stärke in die Erscheinung treten.
-
-Nach dem Sturz der Phlogistontheorie wurde auch *Bergmans*
-Verwandtschaftslehre einer Revision unterzogen. Dies geschah durch
-*Berthollet*, mit dessen Ansichten über die Affinität und deren
-Ursachen wir uns in einem späteren Abschnitt beschäftigen werden.
-
-*Bergman* verdient nicht nur als Theoretiker, sondern auch als
-Entdecker neuer wichtiger Tatsachen und Methoden Beachtung. Zunächst
-einiges über seinen Lebensgang. *Tobern Bergman* wurde 1735 in einem
-kleinen Orte Westgothlands geboren. Er studierte in Upsala unter
-*Linnés* Einfluß sämtliche Zweige der Naturwissenschaften. Im Jahre
-1767 erhielt er dort die Professur für Chemie, ohne bis dahin Arbeiten
-über dies Gebiet veröffentlicht zu haben. Von diesem Zeitpunkte an
-bis zu seinem durch Überanstrengung allzu früh herbeigeführten Tode
-(1784) hat *Bergman* die Chemie durch eine große Reihe wichtiger
-Untersuchungen gefördert. Sein Ruf drang auch ins Ausland. *Friedrich
-der Große* bemühte sich, *Bergman* für die Berliner Akademie zu
-gewinnen. Letzterer lehnte jedoch ab.
-
-Den Anfängen der Analyse auf nassem Wege, bei der man den zu
-untersuchenden Stoff zunächst in Lösung bringt, sind wir im 17.
-Jahrhundert bei *Boyle* begegnet. Dem 18. Jahrhundert, und zwar
-vornehmlich *Bergman*, blieb es vorbehalten, dies Verfahren zu
-einem wissenschaftlichen Hilfsmittel ersten Ranges auszubilden. Er
-gestaltete die Analyse auf nassem Wege im wesentlichen in der Weise,
-wie man sie noch heute handhabt. Insbesondere wandte er sie auf die
-Untersuchung von Mineralien an[257]. Vermochte er eine Substanz nicht
-in Wasser zu lösen, so setzte er sie in fein gepulvertem Zustande
-der Wirkung von Salz-, Salpeter- oder Schwefelsäure aus. Für die
-wenigen Fälle, in welchen diese Mittel versagten, erfand *Bergman* die
-Methode des Aufschließens. Sie besteht darin, daß man die Substanz
-vor dem Hinzusetzen von Säuren mit kohlensaurem Alkali (Pottasche)
-zusammenschmilzt. Erst durch diesen wichtigen Fortschritt in der Kunst
-der Analyse wurde es möglich, in die Zusammensetzung der Silikate
-einzudringen.
-
-Eine andere wichtige Neuerung ist der Grundsatz, daß die Analyse nicht
-die Bestandteile der zu untersuchenden Substanz völlig zu isolieren
-hat, sondern daß es genügt, die Bestandteile in leicht kenntliche,
-ihrer Zusammensetzung nach bekannte Verbindungen überzuführen. So
-bestimmte *Bergman* Kohlensäure durch Kalkwasser, Schwefelsäure
-durch Chlorbarium, manche Metalle nach der Fällung mit Alkali oder
-kohlensaurem Alkali in der Form von Hydroxyden oder Karbonaten, die
-Metallkalke als kohlensaure Salze usw. Endlich hat *Bergman* das
-Verdienst, unter Anwendung des Lösungsverfahrens die quantitative
-Analyse begründet zu haben. Unabhängig von *Lavoisier*, dem oft allein
-die Begründung der quantitativen chemischen Untersuchung zugeschrieben
-wird, hat *Bergman* von der Wage schon eine ausgedehnte Anwendung
-gemacht. Daß jene ersten, von *Bergman* ausgeführten quantitativen
-Analysen zum Teil recht ungenau waren, darf nicht Wunder nehmen. So
-fand er erhebliche Mengen von Wasser in Mineralien, die chemisch
-gebundenes Wasser garnicht enthalten, z. B. im Kalkspat (11%) und
-im Witherit (28%). Offenbar rührte dies daher, daß *Bergman* die zu
-untersuchende Substanz noch nicht genügend von der ihr in wechselndem
-Verhältnis beigemengten Feuchtigkeit befreite.
-
-Einige seiner Analysen weisen indes schon einen ziemlichen Grad von
-Genauigkeit auf. So fand er für Kristallsoda und Gips folgende Werte:
-
- Soda Gips
- Basis 20 (statt 21,8) Basis 32 (statt 32,9)
- Säure 16 ( " 15,4) Säure 46 ( " 46,3)
- Wasser 64 ( " 62,8) Wasser 22 ( " 20,8)
- ---------------- -----------------
- 100 (100) 100 (100)
-
-Die Ergebnisse der meisten von *Bergman* angestellten Mineralanalysen
-weichen jedoch von den richtigen Werten so sehr ab, daß sie wertlos
-sind und man in ihnen nur *Bergmans* Bemühen achten muß, als erster
-sich mit so schwierigen Aufgaben, wie sie die quantitative Analyse der
-Mineralien darbietet, befaßt zu haben.
-
-Wir haben *Bergmans* Verdienste um die Chemie im allgemeinen kennen
-gelernt. Einige seiner Einzeluntersuchungen dürfen aber auch nicht
-unerwähnt bleiben, weil man ihnen die ersten wichtigen Aufschlüsse
-verdankt. Sie betreffen den Salzgehalt der Mineralwässer und des
-Meeres, sowie die chemische Zusammensetzung der drei Eisensorten,
-Schmiedeeisen, Gußeisen und Stahl.
-
-Zur Untersuchung der Mineralwässer[258] benutzte *Bergman* eine große
-Zahl von Reagentien. Er zeigte, daß Blutlaugensalz daraus Eisen als
-blauen, Kupfer als braunen und Mangan als weißen Niederschlag fällt,
-daß Kalk durch Oxalsäure, Chlor durch Silberlösung, Schwefelsäure
-durch Chlorbarium ausgefällt werden. Er suchte die Bestandteile
-der Mineralwässer in unlösliche Verbindungen überzuführen, trennte
-verschiedene Salze durch Zusatz von Weingeist usw.
-
-*Bergman* untersuchte ferner zuerst den Salzgehalt des Seewassers
-unter dem Gesichtspunkte, daß er es verschiedenen Tiefen entnahm und
-den Gehalt verglich. Neben Kochsalz fand er auch Chlormagnesium und
-Calciumsulfat als Bestandteile des Meerwassers.
-
-Grundlegend für das Verständnis der Eisenarten war seine vergleichende
-Untersuchung von Schmiedeeisen, Stahl und Gußeisen. Er behandelte
-je eine Probe dieser drei Eisensorten mit Säure und fand, daß
-Schmiedeeisen am meisten, Stahl weniger und Gußeisen am wenigsten
-Wasserstoff freimacht. Daraus schloß er, daß Schmiedeeisen das reinste
-und Gußeisen das am wenigsten reine Eisen ist, während Stahl eine
-mittlere Stelle einnimmt. In Übereinstimmung hiermit hinterblieb
-denn auch beim Lösen von Schmiedeeisen der geringste, beim Lösen von
-Gußeisen der größte Rückstand. Letzteren erkannte er als Graphit. Er
-faßte dementsprechend die Eisenarten ganz richtig als Vereinigungen
-von Eisen mit mehr oder weniger Kohlenstoff auf. *Bergman* wies
-ferner nach, daß die sogenannte »Kaltbrüchigkeit« des Eisens von
-einem Phosphorgehalt herrührt[259]. Es ist bemerkenswert, daß die
-Entphosphorung des Eisens durch Zusatz von Kalk, ein Verfahren, auf dem
-der heute in so großartigem Maßstabe eingeführte Thomasprozeß beruht,
-schon um jene Zeit in Schweden in Vorschlag gebracht wurde[260].
-
-
-
-
-10. Der Eintritt der Chemie in das Zeitalter der quantitativen
-Untersuchungsweise.
-
-
-Eins der größten Ereignisse in der Entwicklung der Chemie war
-die den Beginn einer neuen Epoche bedeutende Aufklärung des
-Verbrennungsprozesses durch *Lavoisier*. Zwar hatte *John Mayow* schon
-im 17. Jahrhundert die Verbrennung der Metalle ganz richtig als einen
-unter Gewichtszunahme erfolgenden Hinzutritt eines Bestandteiles der
-Luft zu dem Metall betrachtet. *Mayows* Versuchen und Ausführungen
-fehlte jedoch noch die durchschlagende Beweiskraft, wie sie nur auf
-quantitativer Grundlage erwachsen konnte. Auch fanden seine Arbeiten
-nicht die verdiente Beachtung, ja sie waren in dem Zeitraum, der
-uns jetzt beschäftigt, fast in Vergessenheit geraten, obgleich die
-Erklärung des Verbrennungsprozesses gerade der Angelpunkt blieb, um den
-sich seitdem die chemische Forschung gedreht hatte.
-
-Daß *Scheele* nicht zum Verständnis der von ihm so musterhaft
-durchforschten Erscheinungen hindurchdrang, lag daran, daß auch er
-nicht in genügendem Maße die quantitativen Beziehungen, die zwischen
-ihnen obwalten, berücksichtigte. Sobald dies geschah, mußte bei der
-Stufe, auf welche die Chemie durch ihn und *Priestley* gelangt war,
-der Schleier, der die Wahrheit verhüllte, mit einem Male fallen. Es
-bedurfte hierzu keiner neuen Entdeckung, sondern nur der folgerichtigen
-Anwendung des Messens und des Wägens auf den bekannt gewordenen Verlauf
-der Erscheinungen. Diesen wichtigen Schritt getan zu haben, ist das
-unbestreitbare, große Verdienst des Franzosen *Lavoisier*.
-
-Die Verschiedenheit in dem Verfahren *Lavoisiers* und *Scheeles* tritt
-am deutlichsten hervor, wo wir beide Forscher mit der Untersuchung
-desselben Gegenstandes beschäftigt finden. Während des 17. Jahrhunderts
-hatte sich besonders auf Grund eines durch *van Helmont* bekannt
-gegebenen Versuches[261] die Meinung gebildet, daß sich Wasser in
-feste, erdige Stoffe verwandeln lasse. Im 18. Jahrhundert waren Zweifel
-hiergegen laut geworden. Sowohl *Scheele*, wie auch *Lavoisier* ließen
-es sich angelegen sein, die Entscheidung auf dem Wege des Experiments
-herbeizuführen. »Ich goß«, sagt ersterer[262], »ein halbes Lot
-destilliertes Schneewasser in einen gläsernen Kolben, der mit einem
-dünnen, eine Elle langen Halse versehen war, und verschloß ihn mit
-einem genau passenden Kork. Darauf hing ich diesen Kolben über einer
-brennenden Lampe auf und unterhielt das Wasser zwölf Tage und Nächte
-in beständigem Kochen. Als es zwei Tage gekocht, hatte es ein etwas
-weißliches Aussehen erhalten. Nach sechs Tagen war es wie Milch, und
-am zwölften Tage schien es schon dick zu sein.« Der Kolben zeigte
-sich auf seiner inneren Fläche, soweit das kochende Wasser gestanden
-hatte, korrodiert. Und die das Wasser trübende, zum Teil darin gelöste
-Substanz enthielt, wie die qualitative Untersuchung ergab, die
-Bestandteile, welche das Glas zusammensetzen, nämlich Alkali, Kalk und
-Kieselsäure. »Konnte ich«, fährt *Scheele* fort, »wohl länger zweifeln,
-daß das Wasser durch das beständige Kochen das Glas zersetzen kann?
-Die Erde, die ich erhielt, war von nichts weniger als aus dem Wasser
-entstanden.«
-
-Ganz anders verfährt *Lavoisier*[263] und gelangt dennoch zu dem
-gleichen Ergebnis. Ihm würde die qualitative Analyse der im Wasser
-befindlichen Stoffe große Schwierigkeiten bereitet haben. *Lavoisier*
-bedarf einer solchen aber auch garnicht, sondern er entscheidet die
-Frage auf rein quantitativem Wege. Er bringt Wasser in ein Glasgefäß,
-wägt und verschließt es und erhält den Inhalt etwa 100 Tage auf
-Siedewärme. Darauf zeigt es sich, daß das entleerte Gefäß gerade so
-viel an Gewicht verloren hat, wie die von dem Wasser gelösten und nach
-dem Verdampfen zurückbleibenden Stoffe wiegen.
-
-Wie in diesem Falle, so verfuhr *Lavoisier* bei allen Untersuchungen.
-Die qualitative Seite der von ihm studierten Vorgänge war meist durch
-die Arbeiten der Phlogistiker genügend bekannt geworden. Durch die
-Genauigkeit seiner Messungen und Wägungen, sowie durch die logische
-Schärfe der daran sich anschließenden Folgerungen verstand es
-*Lavoisier*, das verknüpfende Band zu finden und ein chemisches System,
-sowie eine Nomenklatur zu schaffen, welche die Einreihung und die
-Beschreibung aller bekannten und der später entdeckten Erscheinungen
-leicht ermöglichten.
-
-*Antoine Laurent Lavoisier* wurde am 26. August des Jahres
-1743 zu Paris geboren. Sein Vater, welcher durch den Handel zu
-bedeutendem Vermögen gelangt war, besaß ein großes Interesse für die
-Naturwissenschaften und ließ seinen Sohn durch ausgezeichnete Gelehrte
-darin unterrichten. Insbesondere fesselte den jungen *Lavoisier*, der
-auch eine vorzügliche mathematische Ausbildung erhielt, die Chemie in
-ihrer Anwendung auf das praktische Leben. Kaum 20 Jahre alt, löste er
-eine von der französischen Regierung gestellte technische Aufgabe.
-Großmütig überließ er den ihm zugefallenen Preis seinen Mitbewerbern,
-um diesen die ihnen erwachsenen Unkosten zu ersetzen, und begnügte sich
-mit der gleichfalls an den Preis geknüpften Denkmünze. Mit 25 Jahren
-(1768) wurde *Lavoisier* Mitglied der Akademie der Wissenschaften.
-Bald darauf erhielt er die Stelle eines Generalpächters. Die hohen
-Einkünfte, die damit verbunden waren, verwandte er auf seine,
-bedeutende Mittel erfordernden Experimentalarbeiten. Später übertrug
-man ihm die Verwaltung der Salpeter- und der Pulverfabriken, eine
-Stellung für die *Lavoisier* seiner chemischen Kenntnisse und seines
-Scharfblickes in allen praktischen Dingen wegen hervorragend geeignet
-war.
-
-Der wichtigste Vorläufer *Lavoisiers* war *Mayow*. Wir haben uns mit
-seinen Versuchen und Anschauungen schon an früherer Stelle eingehend
-beschäftigt (Bd. II, S. 190). Eine Untersuchung der Gewichtszunahme,
-welche die Metalle beim Verkalken erfahren, rührt von dem französischen
-Arzt *Jean Rey* († 1645) her. Die Abhandlung *Reys* erschien im Jahre
-1630[264]. *Rey* wurde zu seiner Untersuchung durch eine Mitteilung
-eines Apothekers angeregt. Letzterer hatte das Zinn, das er in einem
-eisernen Kessel schmelzen und verkalken wollte, vorher gewogen. Nachdem
-sich alles Zinn in den weißen Kalk verwandelt hatte, wog er die Masse
-wieder und fand zu seinem Erstaunen, daß sie erheblich mehr wog als
-das in den Kessel geschüttete Zinn. Er wandte sich deshalb an *Rey*
-mit der Bitte um eine Erklärung dieser merkwürdigen Tatsache. *Rey*
-erkannte wohl, daß die Luft bei der Verkalkung eine Rolle spielt.
-Er schrieb der Luft Schwere zu, bevor *Torricelli* und *Guericke*
-ihre grundlegenden Versuche über den Druck und das Gewicht der Luft
-angestellt hatten. Trotzdem kam *Rey* noch nicht auf den Gedanken, daß
-die Verkalkung in der Vereinigung der Luft mit dem Metall besteht. Er
-ist vielmehr der Ansicht, »die Luft vermische sich mit dem Kalk und
-hänge nun fest an dessen kleinsten Teilchen«[265].
-
-*Lavoisier* hatte bei *Boyle* gelesen, daß Blei und Zinn, wenn man
-sie in mit Luft gefüllten, verschlossenen Gefäßen erhitzt, unter
-Zunahme ihres Gewichtes in die entsprechenden Metallkalke übergehen.
-Da sich diese Erscheinung mit der herrschenden Theorie garnicht
-vereinigen ließ, faßte *Lavoisier* den Entschluß, die Verkalkung durch
-Versuche und deren vorurteilsfreie Deutung auf ihre wahre Ursache
-zurückzuführen. Er brachte eine abgewogene Menge Zinn in eine Retorte,
-verschloß sie vollkommen und erhitzte, bis das Zinn verkalkt war.
-Wurde die Retorte nach dem Erkalten von neuem gewogen, so zeigte es
-sich, daß ihr Gewicht dasselbe geblieben. Die Annahme *Boyles*, die
-Verkalkung bestehe darin, daß ein hypothetischer Stoff die Wände
-der Retorte durchdringe und mit dem Metall eine Verbindung eingehe,
-erwies sich somit als unhaltbar. Nach dieser Feststellung wurde die
-Retorte geöffnet; es drang Luft in sie hinein, und die Retorte besaß
-infolgedessen jetzt ein größeres Gewicht. Die entstandene Zinnasche
-wurde nun gewogen und es zeigte sich, daß der Zuwachs an Gewicht,
-den die Retorte durch das Eindringen der Luft erfuhr, genau so
-groß war, wie diejenige Zunahme, die vorher das Zinn innerhalb der
-Retorte erfahren hatte. Diese Versuche ließen für die Verkalkung der
-Metalle keine andere Deutung zu, als daß sich diese Stoffe unter
-entsprechender Vermehrung ihres Gewichtes mit der Luft verbinden. Im
-Jahre 1772 berichtete *Lavoisier* der Akademie über diese Ergebnisse.
-Die gewonnene Erkenntnis mußte jedoch unzulänglich bleiben, solange
-*Lavoisier* die Zusammensetzung der Atmosphäre nicht bekannt war. Erst
-als *Priestley* 1774 bei einem Besuche in Paris *Lavoisier* mit dem
-Sauerstoff und dessen Darstellung aus rotem Quecksilberoxyd vertraut
-gemacht hatte, war dem französischen Forscher der Schlüssel zum vollen
-Verständnis seiner Versuche gegeben.
-
-Bald darauf erschien denn auch die Arbeit *Lavoisiers*, die das Wesen
-der Verbrennung und der Reduktion in das klarste Licht stellte.
-Die Verbrennung, welcher die Verkalkung der Metalle analog ist,
-besteht danach in der Vereinigung des brennbaren Körpers mit dem
-einen, die Verbrennung unterhaltenden Bestandteil der Luft, der
-»dephlogistisierten« oder »Feuerluft« der früheren Chemiker, die
-*Lavoisier* zunächst als »reine Luft« und später, nachdem er ihre
-Bedeutung für die Bildung der Säuren erkannt hatte, als Sauerstoff
-bezeichnete.
-
-»Die Chemie gibt«, sagt *Lavoisier* bei der Schilderung seiner
-Versuche, »im allgemeinen zwei Mittel an die Hand, die Zusammensetzung
-einer Substanz zu bestimmen, die Synthese und die Analyse. Man darf
-sich nicht eher zufrieden geben, bis man diese beiden Arten der Prüfung
-hat vereinigen können. Diesen Vorteil bietet die Untersuchung der
-atmosphärischen Luft; sie läßt sich zerlegen und wieder zusammensetzen.«
-
-[Illustration: Abb. 27. Kolben zur Analyse der atmosphärischen Luft.
-
-(*Lavoisier*, Oeuvres. Tome I, Pl. II, Fig. 14.)]
-
-[Illustration: Abb. 28. Die Analyse der atmosphärischen Luft durch
-Erhitzen von Quecksilber in einer abgeschlossenen Luftmenge.
-
-(*Lavoisier*, Oeuvres, Tome I, Pl. IV, Fig. 2.)]
-
-*Lavoisier* nahm einen langhalsigen Kolben (Abb. 27) von etwa 36
-Kubikzoll Inhalt. Er bog ihn in der Weise, daß er in einen Ofen MMNN
-gelegt werden konnte, während das Ende E unter der Glocke FG in eine
-Quecksilberwanne RR mündete (Abb. 28). In diesen Kolben brachte er 4
-Unzen sehr reines Quecksilber. Darauf führte er einen Heber unter die
-Glocke FG und sog, bis sich das Quecksilber bis LL gehoben hatte.
-Er bezeichnete dieses Niveau sorgfältig und beobachtete genau den
-Barometerstand und die Temperatur.
-
-Nachdem diese Vorbereitungen getroffen waren, zündete *Lavoisier* in
-dem Ofen ein Feuer an und erhitzte das Quecksilber ununterbrochen zwölf
-Tage lang bis zu seinem Siedepunkte.
-
-Während des ersten Tages ereignete sich nichts Bemerkenswertes. Am
-zweiten Tage sah er, wie auf der Oberfläche des Quecksilbers kleine
-rote Flecken auftraten. Sie nahmen bis zum fünften Tage an Zahl und
-Größe zu. Darauf hörten sie auf zu wachsen und verblieben in demselben
-Zustande. Sobald die Verkalkung des Quecksilbers keinen Fortschritt
-mehr machte, ließ *Lavoisier* das Feuer ausgehen und die Gefäße
-erkalten. Das Volumen der gesamten Luft, die sich in dem Kolben und
-unter der Glocke befand, betrug, auf einen Druck von 28 Zoll und 10°
-Temperatur reduziert, vor dem Versuche fünfzig Kubikzoll. Nach der
-Beendigung des Versuches waren unter den gleichen Temperatur- und
-Druckverhältnissen nur noch 42-43 Kubikzoll vorhanden. Es hatte demnach
-eine Verminderung des Volumens um etwa 1/6 stattgefunden. *Lavoisier*
-sammelte darauf die rote Masse, die sich gebildet hatte, sorgfältig und
-befreite sie, so viel wie möglich, vom Quecksilber. Ihr Gewicht betrug
-45 Gran[266].
-
-Die Luft, welche nach diesem Versuch zurückblieb und durch die
-Verkalkung des Quecksilbers auf 5/6 ihres ursprünglichen Volumens
-vermindert war, erwies sich weder zur Atmung, noch zur Verbrennung
-mehr geeignet. Tiere, die man hineinbrachte, starben nach wenigen
-Augenblicken, und ein Licht erlosch darin sofort.
-
-Darauf brachte *Lavoisier* die 45 Gran der entstandenen roten
-Substanz in ein kleines Glasgefäß. Letzteres setzte er mit einem zum
-Auffangen etwaiger flüssiger und gasförmiger Produkte geeigneten
-Apparat in Verbindung. Als er das Gefäß erhitzte, begann der rote
-Körper an Umfang zu verlieren und in wenigen Minuten war er ganz
-verschwunden. Gleichzeitig hatten sich in dem kleinen Rezipienten
-41½ Gran flüssiges Quecksilber verdichtet, und unter der Glocke
-waren 7-8 Kubikzoll eines Gases aufgetreten, das viel besser als die
-atmosphärische Luft die Verbrennung und Atmung zu unterhalten imstande
-war.
-
-»Diesem Gas«, sagt *Lavoisier*, »das *Priestley*, *Scheele* und ich
-fast gleichzeitig entdeckten, will ich den Namen Sauerstoff geben,
-weil es eine seiner wichtigsten Eigenschaften ist, Säuren zu bilden,
-indem es sich mit den meisten Substanzen vereinigt. Beim Nachdenken
-über die Umstände dieses Versuches erkennt man, daß das Quecksilber,
-indem es sich verkalkt, den respirablen Teil der Luft aufnimmt, und daß
-der Teil der Luft, der übrig bleibt, unfähig ist, die Verbrennung und
-die Atmung zu unterhalten. Die atmosphärische Luft ist also aus zwei
-Gasen von verschiedener, man möchte fast sagen entgegengesetzter, Natur
-zusammengesetzt.«
-
-Die Probe auf diese wichtige Entdeckung machte *Lavoisier* in folgender
-Weise: Er vereinigte die beiden Gase wieder in dem aufgefundenen
-Verhältnis (42 : 8) und erhielt auf diese Weise ein Gas, das in jeder
-Hinsicht mit der atmosphärischen Luft übereinstimmt und in demselben
-Maße wie diese geeignet ist, die Verbrennung, die Atmung und die
-Verkalkung der Metalle zu unterhalten.
-
-Erhitzte *Lavoisier* die rote Quecksilberasche nicht für sich, sondern
-unter Zusatz von Kohle, so bildete sich an Stelle von Sauerstoff
-»fixe Luft«. Letztere, so folgerte *Lavoisier*, kann also nur in der
-Vereinigung von Kohlenstoff und Sauerstoff bestehen. Dieser Schluß
-findet eine weitere Bestätigung, indem *Lavoisier* beim Verbrennen
-von Holzkohle in Sauerstoff gleichfalls »fixe Luft« (CO_{2}) erhält.
-Dasselbe Gas trat auf, als er anstatt Holzkohle Diamant nahm, der
-vermittelst großer Brennspiegel in einem mit Sauerstoff gefüllten
-Glasgefäß entzündet wurde. Erst durch diese Abänderung des etwa 100
-Jahre früher in Florenz gemachten Versuches war das Wesen jenes
-merkwürdigen Minerals erkannt; der Diamant war danach nichts als
-kristallisierter Kohlenstoff. Eine andere merkwürdige Erscheinung, die
-man mit dem Florentiner Versuch gar nicht in Einklang bringen konnte,
-die Erscheinung nämlich, daß der Diamant, in Kohlenpulver verpackt,
-der größten Hitze ausgesetzt werden kann, ohne sich zu verändern,
-fand jetzt gleichfalls ihre Erklärung. Der Diamant ist eben eine
-unschmelzbare Substanz, welche durch die Hitze nicht etwa als solche
-verflüchtigt wird, sondern sich nur bei Gegenwart von Sauerstoff in
-eine gasförmige Verbindung, in »fixe Luft« oder Kohlendioxyd verwandelt.
-
-In einer die Verkalkung betreffenden, an *Boyle* anknüpfenden
-quantitativen Arbeit vom Jahre 1772 hatte *Lavoisier* seine
-Untersuchung auch auf Phosphor und Schwefel ausgedehnt und für diese
-Körper eine analoge, mit ihrer Verbrennung Hand in Hand gehende
-Vermehrung des Gewichtes festgestellt. Was lag näher, als diese
-Vermehrung gleichfalls auf eine Vereinigung mit dem Sauerstoff
-zurückzuführen? *Lavoisier* brachte deshalb in eine durch Quecksilber
-abgesperrte Luftmenge Phosphor, den er zum Teil verbrannte. Nach
-Beendigung dieser Verbrennung ließ sich der übrige Phosphor schmelzen
-und ins Sieden bringen, ohne daß wieder eine Entzündung eingetreten
-wäre. Letztere erfolgte erst, wenn von neuem Luft unter die Glocke
-gelangt war.
-
-[Illustration: Abb. 29. Die Verbrennung von Phosphor unter einer
-Glasglocke.
-
-(*Lavoisier*, Oeuvres. Tome I. Pl. IV, Fig. 3).]
-
-Die Verbrennung des Phosphors in reinem Sauerstoff bewerkstelligte
-*Lavoisier* folgendermaßen: Er füllte eine Glasglocke von etwa 6 Litern
-Inhalt mit Sauerstoff und brachte 61½ Gran Phosphor hinein. Das
-Quecksilber stand in der Glocke auf der Höhe EF. Darauf entzündete
-*Lavoisier* den Phosphor mit einem gebogenen, erhitzten Eisen. Die
-Verbrennung vollzog sich sehr rasch unter bedeutender Entwicklung von
-Wärme und Licht. Im ersten Augenblicke fand infolge der Erwärmung
-eine beträchtliche Ausdehnung des Sauerstoffes statt; bald aber stieg
-das Quecksilber über sein früheres Niveau hinaus, und es trat eine
-beträchtliche Abnahme ein. Gleichzeitig bedeckte sich das ganze Innere
-der Glocke mit weißen Flocken.
-
-Die Menge des Sauerstoffs betrug unter Berücksichtigung aller
-Korrekturen zu Beginn des Versuches 162 Kubikzoll; am Ende desselben
-waren nur noch 23¼ Kubikzoll vorhanden; die absorbierte Menge
-betrug also 138¾ Kubikzoll oder 69,375 Gran. Der Phosphor war nicht
-gänzlich verbrannt, es verblieben in dem Schälchen einige Stücke,
-die gewaschen wurden, um sie von den entstandenen weißen Flocken zu
-trennen. Sie ergaben getrocknet ein Gewicht von etwa 16¼ Gran.
-
-Die Menge des verbrannten Phosphors ergab sich demnach gleich 45
-Gran. Bei diesem Versuch hatten sich also 45 Gran Phosphor mit
-69,375 Gran Sauerstoff verbunden. Da nichts Wägbares durch das Glas
-entweichen konnte, so mußte das Gewicht der Substanz, welche bei dieser
-Verbrennung entstanden war und sich in weißen Flocken abgesetzt hatte,
-gleich der Summe der Gewichte des Sauerstoffs und des Phosphors sein,
-also gleich 114,375 Gran.
-
-Diese Beispiele zeigen uns, wie *Lavoisier* bestrebt war, jeden Vorgang
-qualitativ und quantitativ zu verfolgen. Die erhaltenen Ergebnisse
-weichen allerdings oft von den heutigen Werten nicht unbeträchtlich
-ab. Über die qualitative Seite des zuletzt geschilderten Vorgangs
-berichtet *Lavoisier* folgendes: »Der Phosphor verwandelt sich infolge
-seiner Verbrennung, mag sie in gewöhnlicher Luft oder in Sauerstoff
-stattfinden, wie erwähnt, in eine weiße, flockige Substanz und erhält
-ganz neue Eigenschaften. Er wird nicht nur löslich in Wasser, während
-er vorher darin unlöslich war, sondern er zieht auch die in der Luft
-enthaltene Feuchtigkeit erstaunlich schnell an und wird zu einer
-Flüssigkeit von viel größerem spezifischem Gewicht als Wasser. Vor
-seiner Verbrennung ist der Phosphor fast geschmacklos; durch seine
-Vereinigung mit Sauerstoff nimmt er einen stark sauren Geschmack an. Er
-geht endlich aus der Klasse der brennbaren Substanzen in diejenige der
-unverbrennlichen über und wird das, was man eine Säure nennt.«
-
-Da sich bei der Vereinigung von Phosphor und Schwefel mit Sauerstoff
-die Anhydride von Phosphorsäure und schwefliger Säure bilden,
-von denen das letztere durch weitere Oxydation und Zutritt von
-Wasser in Schwefelsäure übergeht, so wurde das bisher als reine
-Luft bezeichnete Gas von *Lavoisier* als säurebildendes Prinzip
-angesprochen. Diese Ansicht, welche später, als man in der Salz- und
-in der Blausäure sauerstofffreie Verbindungen kennen lernte, eine
-wesentliche Einschränkung erfuhr, fand durch *Lavoisiers* Untersuchung
-der Salpetersäure[267] eine wesentliche Stütze. *Lavoisier* löste
-eine abgewogene Menge Quecksilber in Salpetersäure (HNO_{3}) auf;
-dabei entwickelte sich das von *Priestley* als Salpeterluft (NO_{2})
-bezeichnete Gas. Wurde die nach dem Eindampfen erhaltene Verbindung
-(Hg[NO_{3}]_{2}) erhitzt, so fand eine weitere Entwicklung von
-Salpeterluft statt, und es blieb rotes Quecksilberoxyd zurück[268],
-das beim Glühen in Sauerstoff und ein der angewandten Menge gleiches
-Quantum Quecksilber zerfiel. Da das Quecksilber völlig wieder
-erhalten wurde, konnten der Sauerstoff und die Salpeterluft nur
-der Salpetersäure entstammen. Durch die Vereinigung dieser beiden
-Gase mit Wasser gelang es *Lavoisier*, auch die Salpetersäure
-wiederherzustellen und so durch die Synthese seinen Schlüssen doppeltes
-Gewicht zu verleihen.
-
-Völlig aufgeklärt wurde die chemische Natur der Salpetersäure durch
-das Hinzutreten einer wichtigen, von dem Phlogistiker *Cavendish*
-herrührenden Entdeckung. Ausgehend von *Priestleys* Beobachtung, daß
-die Luft durch fortgesetzte Einwirkung des elektrischen Funkens eine
-chemische Veränderung erleidet, zeigte *Cavendish*, daß sich hierbei
-die Gemengteile der Luft zu Salpetersäure verbinden[269]. Durch diesen
-synthetischen Versuch und die von *Lavoisier* herrührende Analyse
-war die hinsichtlich der Salpetersäure gestellte Aufgabe gelöst. Daß
-der durch Sättigen von Salpetersäure mit Alkali erhaltene Salpeter
-gleichfalls Sauerstoff enthält, wies *Lavoisier* dadurch nach, daß sich
-beim Erhitzen von Salpeter mit Kohle fixe Luft (CO_{2}) entwickelt.
-
-Wie die Verbrennung, so wurde durch die neue Theorie auch die Atmung
-in das rechte Licht gestellt. Sie besteht nach *Lavoisier* in der
-Verbindung von Sauerstoff mit den Bestandteilen der organischen
-Substanz. Wie bei der Verbrennung, so wird auch hierbei Wärme frei.
-In dem wesentlichsten Erzeugnis der Atmung, dem Kohlendioxyd, stammt
-der Kohlenstoff aus dem Organismus, der Sauerstoff dagegen aus der
-Atmosphäre. Die Analogie zwischen beiden Vorgängen wird von *Lavoisier*
-ferner daraus erschlossen, daß er Kohlendioxyd und Wasser auch bei
-der Verbrennung organischer Substanzen, wie Alkohol, Öl und Wachs,
-erhielt. Indem *Lavoisier* aus der Menge des entstandenen Kohlendioxyds
-und Wassers den Kohlenstoff- und Wasserstoffgehalt der verbrannten
-Substanzen ermittelte, wurde er zum Begründer der Elementaranalyse.
-
-Den Vorgang der Gärung faßte *Lavoisier* ganz richtig auf als den
-Zerfall einer ternären, d. h. einer aus drei Elementen (C, H und O)
-bestehenden organischen Verbindung, des Zuckers nämlich, in den eine
-relativ geringere Menge Sauerstoff enthaltenden Alkohol und das binäre,
-an Sauerstoff reiche Kohlendioxyd. Ließe sich eine Vereinigung des
-Alkohols mit dem Kohlendioxyd bewirken, so müßte sich, wie *Lavoisier*
-ganz richtig ausführt, wieder Zucker ergeben.
-
-Sein weiteres Bemühen war darauf gerichtet, für die von ihm
-untersuchten Substanzen das Gewichtsverhältnis ihrer Bestandteile
-festzustellen. So bestimmte er die quantitative Zusammensetzung des
-Kohlendioxyds, indem er eine abgewogene Menge Kohle vermittelst Mennige
-oxydierte. Aus dem Gewichtsverlust, den die Mennige dabei erlitt,
-berechnete er für Kohlendioxyd 72,1% Sauerstoff, ein Ergebnis, das dem
-wahren Wert (72,7%) ziemlich nahe kommt.
-
-Zu Beginn der 80er Jahre des 18. Jahrhunderts gelangte *Lavoisier*
-durch seine eigenen und die von *Cavendish* geführten Untersuchungen
-auch über die Natur des Wassers vollkommen ins reine. *Cavendish*
-hatte 1781 den Nachweis geliefert, daß sich bei der Vereinigung von
-Wasserstoff und Sauerstoff ausschließlich Wasser bildet, wobei sich
-100 Raumteile Sauerstoff mit 201,5 Raumteilen Wasserstoff verbinden
-sollten. Erst viel später erkannte man, daß in Wahrheit das einfache
-Verhältnis 100 : 200 obwaltet. Auf die Synthese ließ *Lavoisier* die
-Analyse des Wassers folgen, indem er Dampf durch eine Röhre leitete, in
-der sich glühendes Eisen befand. Bei diesem Versuche wurde das Eisen
-unter Freiwerden von Wasserstoff oxydiert. Die Zersetzung von 100
-Gewichtsteilen Wasser ergab eine durch den Sauerstoff des letzteren
-bewirkte Zunahme des Eisens um 85 Teile, während 15 Teile Wasserstoff
-aufgefangen wurden, ein Resultat, das von der Wahrheit erheblich
-abwich, da spätere Versuche für die Elemente des Wassers das Verhältnis
-89 : 11 ergeben haben.
-
-In der Mitte der 80er Jahre stand die antiphlogistische Theorie,
-deren Entwicklung wir in vorstehendem kennen gelernt haben, in
-ihren Grundzügen vollendet da. Einige Jahre später erfuhr sie durch
-*Lavoisier* eine lichtvolle Darstellung in seinem Lehrbuch der Chemie,
-dem die im vorstehenden mitgeteilten Proben seiner Experimentierkunst
-entnommen sind.
-
-Alles Bemühen, die Phlogistontheorie zu retten, war vergeblich; sie
-wurde mit *Scheele* und *Priestley* zu Grabe getragen. Indes sollte
-*Lavoisier* die allgemeine Anerkennung der neuen Lehre nicht mehr
-erleben[270]. Das Jahr, in welchem sein soeben erwähntes Lehrbuch
-erschien, war auch das Geburtsjahr der französischen Revolution. Die
-konstituierende Nationalversammlung hatte noch *Lavoisiers* Dienste
-in Anspruch genommen. Während der Schreckenszeit erinnerte man sich
-aber der einflußreichen Stellung, die er unter dem Königtum bekleidet
-hatte, und verurteilte ihn auf die nichtige Anklage hin, daß die von
-ihm verwaltete Regie den Tabak verschlechtert habe, zum Tode. Als ein
-Freund den Mut besaß, den Richtern gegenüber *Lavoisiers* Verdienste
-um die Wissenschaft hervorzuheben, erhielt er die den tollen Geist
-des Aufruhrs kennzeichnende Antwort: »Nous n'avons plus besoin des
-savants.« So starb denn *Lavoisier* gefaßt und ruhig am 8. Mai des
-Jahres 1794.
-
-Der Einfluß, welchen die von ihm geschaffenen Lehren und Methoden
-ausgeübt haben, ist ein gewaltiger gewesen. Die Chemie trat jetzt
-der Astronomie und der Physik, die gleichfalls ihr Emporblühen der
-Befolgung des quantitativen Verfahrens verdankten, als ebenbürtig an
-die Seite. Mit dem Auftreten *Lavoisiers* gelangte ferner ein Grundsatz
-zu allgemeiner Anerkennung, der für das quantitative Verfahren eine
-unerläßliche Vorbedingung bildet. Es ist dies der Satz, daß bei
-chemischen Vorgängen nichts entsteht und nichts vergeht, sondern daß
-die Summe der in den Prozeß eintretenden Stoffe eine unveränderliche
-Größe ist. Gegen diesen Satz, der fast selbstverständlich zu sein
-scheint und dennoch das Ergebnis der Erfahrung ist, wurde sogar noch
-von hervorragenden Chemikern des 18. Jahrhunderts gefehlt[271].
-
-Mit gleicher Schärfe erfaßte *Lavoisier* den von *Boyle* herrührenden
-Begriff des chemischen Elementes. Er versteht darunter jede Substanz,
-die nicht in einfachere zerlegt werden kann. Als Elemente in diesem
-Sinne gelten ihm die damals allein bekannten schweren Metalle und
-die als Metalloide bezeichneten Grundstoffe, nämlich Sauerstoff,
-Wasserstoff, Stickstoff, Kohlenstoff, Schwefel und Phosphor. Die
-Alkalien und die Erden hätten der gegebenen Erklärung gemäß zwar auch
-als Elemente betrachtet werden müssen, doch spricht *Lavoisier* schon
-die Vermutung aus, daß diese in mancher Hinsicht den Metallkalken
-ähnlichen Stoffe Verbindungen bisher unbekannter Metalle mit Sauerstoff
-seien, eine Vermutung, welche durch die späteren elektrochemischen
-Forschungen eine glänzende Bestätigung erhalten sollte.
-
-*Lavoisier* stand mit seinen Ansichten lange allein. Zuerst neigten
-sich seiner Lehre bedeutende Physiker und Mathematiker zu, unter
-denen vor allem *Laplace* zu nennen ist. Es fehlte diesen Männern
-jedoch auf dem Gebiete der Chemie die erforderliche Autorität,
-um den neuen, umwälzenden Anschauungen zum Siege zu verhelfen.
-Der erste hervorragende Vertreter dieser Wissenschaft, der sich
-zur antiphlogistischen Theorie bekannte, war *Berthollet*. Seine
-Untersuchungen über die chemische Verwandtschaft sind für die spätere
-Entwicklung der physikalischen Chemie von großer Wichtigkeit gewesen.
-
-*Berthollets* Leben ist mehr als dasjenige irgend eines anderen
-Forschers mit den großen politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen
-verknüpft gewesen, die Frankreich im Revolutionszeitalter erfuhr. Eine
-Schilderung dieser Gelehrtenlaufbahn läßt erkennen, in welchem Grade
-der gewaltige Aufschwung und die Entfaltung aller Volkskräfte des
-damaligen Frankreichs mit dem Emporblühen der Experimentalwissenschaft
-und der Technik Hand in Hand gingen.
-
-*Claude Louis Berthollet* wurde 1748 in Savoyen geboren. Er widmete
-sich zunächst dem Studium der Medizin und wurde 1772 in Paris Leibarzt
-des Herzogs von Orleans. In dieser Stellung fand er Muße, sich
-eingehend mit chemischen Untersuchungen zu beschäftigen. Letztere
-betrafen wie diejenigen *Lavoisiers* die Rolle der atmosphärischen
-Luft und trugen *Berthollet* im Jahre 1780 die Mitgliedschaft der
-Akademie der Wissenschaften ein. Bald darauf übertrug ihm die Regierung
-die technische Aufsicht über ihre Färbereien. Die Folge davon war,
-daß diese Betriebe mit vielen Verbesserungen versehen wurden, die
-*Berthollet* in einem Werke zusammenfassend dargestellt hat. Zu diesen
-Verbesserungen gehörte, um eine der bekanntesten zu erwähnen, die
-Anwendung des Chlors als Bleichmittel.
-
-Eine ganz hervorragende Tätigkeit auf dem Gebiete der technischen
-Chemie entfaltete *Berthollet*, als sein Vaterland infolge des
-Ausbruchs der Revolutionskriege vom Auslande abgeschnitten und ganz auf
-seine eigenen Hilfsquellen angewiesen war. Insbesondere waren es die
-Stahlbereitung und die Salpeterfabrikation, die unter *Berthollets*
-Führung einen großen Aufschwung nahmen. Die Revolutionsstürme würden
-*Berthollet* wie *Lavoisier* vernichtet haben, wenn ihn die damaligen
-Machthaber nicht für unentbehrlich gehalten hätten. *Berthollet* wurde
-im Jahre 1792 zum Leiter des Münzwesens und bald darauf zum Mitglied
-einer Kommission ernannt, der es oblag, die Wohlfahrt des Landes durch
-die Pflege der Gewerbe und der Landwirtschaft zu heben. Gleichzeitig
-wurde *Berthollet* zum Lehrer der Chemie an die École normale berufen.
-
-Nach der Eroberung Italiens sandte das Direktorium *Berthollet*
-dorthin, um unter den wissenschaftlichen Werken jenes Landes diejenigen
-auszusuchen, die nach Paris gesandt werden sollten. Bei dieser
-Gelegenheit wurde *Berthollet* mit Napoleon bekannt, der gleich
-Friedrich dem Großen den exakten Wissenschaften im wohlverstandenen
-eigenen Interesse stets eine rege Anteilnahme und Förderung angedeihen
-ließ. *Berthollet* hat Napoleon Vorträge über Chemie gehalten und ihn
-auf seinem Zuge nach Ägypten begleitet. Trotz aller Gunstbezeugungen,
-mit denen Napoleon nach seiner Krönung den großen Forscher überhäufte,
-erniedrigte sich dieser niemals zum schmeichlerischen Höfling, sondern
-bewahrte sich die biedere und furchtlose Ehrenhaftigkeit, die ihn auch
-während der wildesten Erregung der Revolutionszeit nicht verlassen
-hatte. Nach dem Sturze des Kaisers zog sich *Berthollet* auf einen
-Landsitz in dem nahe bei Paris gelegenen Arcueil zurück. Dieser kleine
-Ort hat dadurch in der Geschichte der Wissenschaften einen Namen
-erhalten, daß sich dort um *Berthollet* die hervorragendsten Gelehrten
-des Landes zu einer wissenschaftlichen Gesellschaft, der Société
-d'Arcueil, vereinigten. In den Abhandlungen dieser Gesellschaft[272]
-ist manche hervorragende Experimentaluntersuchung jener Zeit
-veröffentlicht worden. *Berthollet* starb im Jahre 1822.
-
-Daß *Berthollet* der erste Chemiker war, welcher der antiphlogistischen
-Lehre beipflichtete, wurde schon hervorgehoben. Seine eigenen Arbeiten
-hatten ihn im Beginn der achtziger Jahre des 18. Jahrhunderts zu
-der Erkenntnis geführt, daß Phosphor, Arsen und Schwefel sich unter
-Gewichtszunahme mit Sauerstoff zu Säuren verbinden. *Berthollet*
-war es auch, welcher die chemische Natur des Ammoniaks, des
-Schwefelwasserstoffs und der Blausäure durch grundlegende Versuche
-erschloß. Nachdem *Priestley* nachgewiesen, daß das Ammoniakgas
-unter der Einwirkung elektrischer Entladungen sein Volum vergrößert,
-bestimmte *Berthollet* jene Volumvergrößerung (es findet bekanntlich
-eine Verdopplung des Volumens statt). Er wies nach, daß sich dabei
-das Ammoniak in Wasserstoff und Stickstoff spaltet. Dieses Ergebnis
-hat später *Gay-Lussac* verwertet, als er die Volumverhältnisse
-untersuchte, nach denen die Gase sich zu chemischen Verbindungen
-vereinigen[273]. Auch für *Gay-Lussacs* Untersuchung über die
-Cyanverbindungen hat *Berthollet* die Grundlage geschaffen, indem er
-feststellte, daß die Blausäure (HCN) nur aus Kohlenstoff, Stickstoff
-und Wasserstoff zusammengesetzt ist. Daß Schwefelwasserstoff (H_{2}S)
-nur aus Schwefel und Wasserstoff besteht und nicht, wie man vorher
-angenommen, auch Sauerstoff enthält, wurde gleichfalls von *Berthollet*
-entdeckt. Seine Arbeiten über das Chlor, die wir an anderer Stelle als
-die Vorarbeiten zu *Davys* Theorie der Wasserstoffsäuren zu betrachten
-haben, führten ihn zur Entdeckung des Kaliumchlorats (KClO_{3}) und der
-diesem Salz zugrunde liegenden Säure.
-
-Nicht minder wie die Experimentalchemie und die chemische Technik wurde
-die theoretische Chemie durch *Berthollet* gefördert. Hier waren es vor
-allem seine umfangreichen Untersuchungen über das Wesen der chemischen
-Verwandtschaft, die seinen Ruhm begründeten.
-
-Die früheren Bemühungen, zu einiger Klarheit über die Affinität oder
-chemische Verwandtschaft zu gelangen, führten zu keinem Ergebnis,
-weil man die bei den chemischen Vorgängen obwaltenden physikalischen
-Bedingungen nicht berücksichtigte. Gegen diese Einseitigkeit bedeuten
-*Berthollets* »Untersuchungen über die Gesetze der Verwandtschaft«[274]
-trotz der Mängel und Unrichtigkeiten, welche dieser Arbeit anhaften,
-einen erfolgreichen Protest. »Sollen wir«, beginnt *Berthollet*, »zu
-einer wohlbegründeten Theorie der Verwandtschaft und dadurch zu einer
-Erklärung der chemischen Erscheinungen gelangen, so werden wir alle
-Umstände, welche auf diese Erscheinungen Einfluß haben, in Erwägung
-ziehen müssen.«
-
-Bis sich *Berthollet* mit diesem Gegenstande beschäftigte, galten
-die seit 1775 auf zahlreiche Versuche gegründeten Ansichten
-*Bergmans*[275], nach denen die Affinität als eine konstante, von
-äußeren Bedingungen wenig beeinflußte Größe betrachtet wurde.
-Demgegenüber bestand das Ziel der *Berthollet*schen Untersuchung darin
-zu beweisen, »daß die Wahlverwandtschaften nicht als absolute Kräfte
-wirken«. Man müsse, fügt *Berthollet* hinzu, wenn man die Wirksamkeit
-zweier Stoffe vergleichen wolle, sowohl auf die Verwandtschaftskraft
-als auch auf die Menge sehen. Daß *Berthollet* gerade auf die
-Bedeutung des letzteren Faktors ein solch großes Gewicht legte, daß
-er schließlich auch zu unrichtigen Folgerungen sich verleiten ließ,
-wird aus seiner Erklärung der Affinität begreiflich. Er betrachtete
-sie nämlich als identisch mit der Schwerkraft. Und wie diese durch die
-Massen bestimmt sei, so müsse auch die *chemische* Anziehung als ein
-besonderer Fall jener allgemeinen Kraft von den Massen der aufeinander
-wirkenden Stoffe abhängig sein. Die allgemeine Anziehung wirke bei
-den chemischen Umsetzungen anders wie zwischen entfernten Massen,
-weil sie im ersteren Falle durch die Gestalt und vor allem durch den
-Zusammenhang der Teilchen, ihr Verhalten zu Lösungsmitteln, ihre
-Flüchtigkeit usw. bedingt werde.
-
-Den zuletzt erwähnten Einfluß, die Flüchtigkeit nämlich, erörtert
-*Berthollet* in durchaus zutreffender Weise. Wenn ein Stoff, so führt
-er aus, im Augenblicke seiner Abscheidung aus einer Verbindung in den
-flüchtigen Zustand übergehe, so trage der in Gasform entwichene Teil
-nicht mehr zum Widerstande bei; er wirke daher nicht mehr durch seine
-Masse. Der wirkende Stoff könne dann eine vollständige Zersetzung
-hervorrufen. Man brauche daher nicht mehr davon anzuwenden, als gerade
-zu der Verbindung, in die er übergeführt werden solle, nötig sei. Ein
-Beispiel biete die leicht flüchtige Kohlensäure, wenn sie mit irgend
-einer Basis verbunden sei, und ihr eine andere, weniger flüchtige Säure
-entgegengesetzt werde. Diese andere Säure sei imstande, selbst wenn sie
-eine schwächere Verwandtschaft gegen die Basis besitze, die Kohlensäure
-aus ihrer Verbindung abzuscheiden.
-
-Die frühere Klassifikation der Verwandtschaften, die auf der
-Voraussetzung beruhte, daß eine Säure die andere nur durch die als eine
-absolute Kraft wirkende Verwandtschaft ausscheide, wurde durch die
-Betonung dieses neuen Gesichtspunktes erheblich ins Wanken gebracht,
-zumal als zweites bestimmendes Moment für chemische Umsetzungen durch
-*Berthollet* die Löslichkeit oder die Unlöslichkeit der entstehenden
-Verbindungen erkannt wurde. Wie sich *Berthollet* die Rolle der
-Schwerlöslichkeit -- Kohäsion lautet sein Ausdruck -- dachte, möge
-folgende Betrachtung lehren.
-
-Wirkt auf eine Verbindung *ab*, z. B. schwefelsaures Natrium, ein Stoff
-*c*, der imstande ist, mit einem Bestandteil jener Verbindung einen
-unlöslichen Körper zu bilden, z. B. Barium in irgend einer löslichen
-Verbindung, so wird *ab* durch *c* vollkommen zersetzt, und es bildet
-sich in unserem Falle Bariumsulfat, weil diese Verbindung unlöslich
-ist, niederfällt und damit in ähnlicher Weise aus dem Bereich der
-Affinitätswirkungen ausscheidet, wie es andere Verbindungen infolge
-ihrer Flüchtigkeit tun. Daß *c* sich mit dem Bestandteil *a* der Verbindung
-*ab* in Form eines Niederschlags *ac* abscheidet, beweist somit
-durchaus noch nicht, daß *c* eine größere Affinität zu *a* besitzt als *b*.
-Wirkten die Affinitäten allein, so würde sich *c* auf *a* und *b* verteilen.
-Der Teil von *c*, der sich mit *a* verbindet, scheidet aber infolge seiner
-Unlöslichkeit jedesmal aus, so daß endlich *a* völlig an *c* gebunden wird,
-wenn letzteres im Überschusse wirkt. Wenn also in einem Stoffe dadurch,
-daß er sich mit einem anderen in einem bestimmten Verhältnis verbindet,
-ein Bestreben in den Zustand der Festigkeit überzugehen entsteht, so
-wird durch eben dieses Bestreben notwendig eine Abscheidung jener
-Verbindung unabhängig von dem Spiel der Affinitäten bewirkt.
-
-Den Einfluß derartiger physikalischer Verhältnisse, wie sie in der
-Flüchtigkeit und im Verhalten zu Lösungsmitteln gegeben sind, bei der
-Betrachtung der Verwandtschaftserscheinungen zuerst gewürdigt zu haben,
-ist das bleibende Verdienst *Berthollets*.
-
-Auch der Wirkung der Wärme wird in durchaus zutreffender Weise
-Rechnung getragen, ohne daß die theoretischen Ansichten *Berthollets*
-über die Natur der Wärme hierbei von Belang wären. Ein Beispiel möge
-dies dartun. Vergegenwärtigen wir uns die oben[276] mitgeteilte
-Verwandtschaftstafel *Bergmans*, so besitzt danach die Phosphorsäure
-zum Kali, wenn die Umsetzung auf nassem Wege vor sich geht, eine
-geringere Affinität als Schwefelsäure, während die Schwefelsäure in
-ihrer Verwandtschaft zum Kali der Phosphorsäure nachsteht, wenn die
-Reaktion auf trockenem Wege, d. h. beim Schmelzfluß, erfolgt. Diese
-Verschiedenheit des Verhaltens führt *Berthollet* vollkommen richtig
-auf die Flüchtigkeit der einen und die Feuerbeständigkeit der anderen
-Säure zurück. »Es ist,« sagt er, »eine Wirkung der Wärme, daß alle
-feuerbeständigen Säuren diejenigen, die flüchtig sind, bei hinlänglich
-erhöhter Temperatur aus ihren Verbindungen austreiben. Und da sie
-untereinander in Ansehung dieser Eigenschaft sehr verschieden sind,
-so sind gewisse Säuren in Ansehung auf einige Säuren als beständig,
-in bezug auf andere dagegen als flüchtig zu betrachten.« Eine solche
-Mittelstellung nimmt z. B. die Schwefelsäure ein. Sie scheidet bei
-mittlerer Temperatur Salzsäure und Salpetersäure aus ihren Salzen aus,
-während sie selbst bei höherer Wärme aus ihren Verbindungen durch
-Phosphorsäure befreit wird. Und zwar geschieht dies, wie *Berthollet*
-hinzufügt, unabhängig von dem Grade der Verwandtschaft. Letztere wird
-am vollkommensten dann wirken, wenn sich kein Stoff durch Fällung oder
-durch die Annahme des gasförmigen Zustandes der chemischen Reaktion
-entzieht, nämlich dann, wenn die entstehenden Verbindungen in Lösung
-bleiben. Mischt man z. B. schwefelsaures Kalium mit einer Basis, so
-wird sich der Säurerest, wenn alles gelöst bleibt, im Verhältnis der
-wirkenden Affinitäten, aber auch im Verhältnis der wirkenden Mengen
-auf die Metalle verteilen. Oder, ein ähnlicher Fall, setzen wir zu
-gelöstem schwefelsaurem Kalium Salpetersäure, so wird ebenfalls, wenn
-alles gelöst bleibt, nach dem Gesetz der chemischen Massen, d. h. des
-Faktors, der sich aus der Affinität und der Menge des wirkenden Stoffes
-ergibt, eine Verteilung des einen Stoffes auf die beiden anderen
-stattfinden. »Wenn zwei Basen«, so lautet *Berthollets* Ausdruck für
-den ersten Fall, »auf eine Säure wirken, so verteilt sich die Säure im
-Verhältnis der chemischen Kräfte der Basen«[277].
-
-Durch übertriebene Betonung dieser Prinzipien, die *Berthollet* in
-seinem großen Werke über die chemische Statik weiter ausführte, kam
-er zu der irrigen Ansicht, daß zwei Stoffe sich auch nach stetig
-sich ändernden Verhältnissen verbinden. Der sich hieraus ergebende
-Widerspruch mit der von *Dalton* und *Proust* bald darauf begründeten
-Lehre von den festen und multiplen Proportionen wird an anderer Stelle
-erörtert werden.
-
-*Berthollets* großes Verdienst bleibt der Nachweis der Massenwirkung,
-d. h. der Tatsache, daß der Verlauf einer Reaktion nicht allein durch
-die Natur der Stoffe bestimmt wird, sondern auch durch die bei einer
-Reaktion obwaltenden Mengenverhältnisse, durch die mitunter geradezu
-Umkehrungen von Reaktionen herbeigeführt werden. »Der Umstand«,
-bemerkt *Berthollet* bei der Erläuterung derartiger Fälle, »der
-beweist, daß die chemischen Wirkungen ebensowohl von der Menge als
-von der Verwandtschaft der Stoffe abhängen, ist dieser, daß man, um
-entgegengesetzte Resultate zu erhalten, oft nur die Quantität der
-Stoffe zu ändern braucht.«
-
-Eine wichtige Rolle spielte zu Beginn des antiphlogistischen Zeitalters
-der Kampf der Meinungen über die chemische Natur des Chlors. *Scheele*
-hatte diesen merkwürdigen Stoff entdeckt, als er Salzsäure auf
-Braunstein wirken ließ. Er bezeichnete das Chlor vom Standpunkte
-der Phlogistontheorie als »dephlogistisierte Salzsäure«. *Scheele*
-nahm nämlich an, die Salzsäure enthalte »Phlogiston«. Und dieser
-hypothetische Stoff[278] sollte der Salzsäure durch den Braunstein
-entzogen werden. Durch *Lavoisier* wurden die Vorgänge der Oxydation
-und der Reduktion ihrem eigentlichen Wesen nach erkannt. *Lavoisier*
-hielt den Sauerstoff für das säurebildende Prinzip. Wie die Säuren
-des Phosphors, des Schwefels und anderer Radikale oder Elemente, so
-sollte auch die Salzsäure eine Verbindung des Sauerstoffs mit einem dem
-Phosphor oder Schwefel entsprechenden Radikal (radical muriatique)
-sein.
-
-Einige Versuche schienen darauf hinzudeuten, daß auch das Chlor eine
-Sauerstoffverbindung sei. So hatte *Berthollet* die Abscheidung von
-Sauerstoff unter gleichzeitiger Bildung von Salzsäure beobachtet,
-als er in Wasser gelöstes Chlor dem Sonnenlichte aussetzte. Dieser
-Versuch wurde als eine Zerlegung des Chlors in Sauerstoff und Salzsäure
-gedeutet. Chlor erschien somit als ein höheres Oxyd des Radikals der
-Salzsäure. Aus diesem Grunde wurde das Chlor als oxydierte Salzsäure
-bezeichnet.
-
-Den Nachweis, daß Chlor keinen Sauerstoff enthält, sondern ein
-Grundstoff ist, führten erst *Gay-Lussac*[279] im Jahre 1808 und *Davy*
-1809. Als *Gay-Lussac* aus dem Chlor durch Reduktion mittelst Phosphor
-Salzsäure abzuspalten suchte, traten weder das Oxyd des Phosphors noch
-Salzsäure in die Erscheinung. Das Chlor verband sich vielmehr mit dem
-Phosphor zu einer neuen, als Chlorphosphor bezeichneten Substanz.
-Ähnlich verhielt sich, wie *Davy* nachwies, das reine Chlor gegen
-Metalle. Wurden z. B. Zinn und Chlor zusammengebracht, so verschwanden
-beide, und es entstand eine helle Flüssigkeit (Chlorzinn, SnCl_{4}).
-Für die elementare Natur des Chlors sprach auch der Umstand, daß sich
-das Chlor nicht veränderte, wenn man es in Gefäßen, auf die es chemisch
-nicht zu wirken vermochte, einer sehr hohen Temperatur aussetzte.
-Die Schwierigkeit, über die chemische Natur des Chlors ins reine
-zu kommen, war dadurch hervorgerufen worden, daß man mit Chlor bei
-Gegenwart von Wasser experimentiert hatte. Sobald man wasserfreie
-Reagenzien benutzte, trat bei Versuchen mit Chlor auch keine Salzsäure
-auf. Die irrtümliche Bezeichnung »oxydierte Salzsäure« mußte also
-in Fortfall kommen. Sie wurde von *Davy* durch den Namen Chlor (von
-χλωρός, grün) ersetzt[280].
-
-
-
-
-11. Die Aufstellung der atomistischen Hypothese und ihre experimentelle
-Begründung.
-
-
-Als *Lavoisier* und *Cavendish* die Mengenverhältnisse, nach denen die
-Elemente zu chemischen Verbindungen zusammentreten, in den Bereich
-ihrer Untersuchung zogen, machten sie schon stillschweigend die
-Voraussetzung, daß diese Verhältnisse für scharf charakterisierte
-Verbindungen unveränderliche Größen seien. Das Quantitative konnte ja
-nur dann die Grundlage für die weitere Entwicklung der Chemie abgeben,
-wenn es die Bedeutung eines Naturgesetzes besaß. Demnach mußte die
-erste Aufgabe eines neuen Zeitalters in dem Nachweis bestehen, daß
-dies der Fall sei. Daran knüpfte sich dann weiter der Versuch einer
-ursächlichen Erklärung der chemischen Vorgänge und der bei diesen
-auftretenden Gesetzmäßigkeiten.
-
-Um den Nachweis des Gesetzes von der Konstanz der Gewichtsverhältnisse
-hat sich der Franzose *Proust*[281] sehr verdient gemacht. Ihm gelang
-es, die entgegengesetzte, von seinem Landsmann *Berthollet*[282]
-vertretene Ansicht, daß die Elemente in veränderlichen, von äußeren
-Umständen abhängenden Verhältnissen sich verbinden, nach langem
-Streite und auf Grund zahlreicher Analysen zu widerlegen. Die Ansicht
-*Berthollets*, daß zwischen zwei Verbindungen, wie sie z. B. Schwefel
-und Eisen (FeS, FeS_{2}) oder Zinn und Sauerstoff (SnO, SNO_{2})
-bilden, alle Übergänge möglich seien, ließ *Proust* nicht gelten.
-Er führte diesen Irrtum darauf zurück, daß *Berthollet* anstatt der
-vermeintlichen Übergangsstadien Gemenge jener Verbindungen in der
-Hand gehabt habe, und lieferte den Nachweis, daß, wenn zwischen
-zwei Elementen mehrere Verbindungen bestehen, die Änderung in der
-Zusammensetzung nicht allmählich, sondern sprungweise erfolgt. Geht
-z. B. Zinnoxydul, das 11,9% Sauerstoff enthält, durch weitere Aufnahme
-dieses Elementes in Zinnoxyd über, so erfolgt dieser Übergang durch
-einen Sprung auf eine andere bestimmte Menge Sauerstoff, nämlich
-auf 21,3%. Dasselbe Verhalten zeigten auch Metalle, die sich in
-mehreren Verhältnissen mit Schwefel verbinden. *Proust* dehnte seine
-Untersuchung auch auf die Verbindungen von Kupfer, Eisen, Nickel,
-Antimon, Gold, Silber, Quecksilber, sowie auf die organischen
-Substanzen aus. Für alle in Betracht gezogenen Fälle ergab sich
-das Vorhandensein jener von ihm behaupteten Gesetzmäßigkeit. Für
-die Vereinigung von Säuren und Basen unter Bildung von Salzen war
-die Konstanz der Gewichtsverhältnisse schon vor *Proust* durch den
-deutschen Chemiker *Richter* nachgewiesen worden; doch war die Arbeit
-dieses Mannes insbesondere ihrer dunklen Ausdrucksweise wegen zunächst
-fast unbeachtet geblieben. Die ersten Versuche, durch die Analyse
-eines Stoffes das Verhältnis seiner Bestandteile zu ermitteln, gingen
-wahrscheinlich von der alten philosophischen Ansicht aus, daß alles
-nach Maß und Gewicht geordnet sei. Die früheste wissenschaftliche
-Arbeit, die sich mit dem Nachweise bestimmter Verhältnisse beschäftigt,
-rührt von *Wenzel*[283] her. Sie erschien 1777 unter dem Titel
-»Lehre von der Verwandtschaft der Körper« und befaßte sich mit den
-Gewichtsverhältnissen, nach denen sich Säuren und Basen zu Salzen
-vereinigen. An *Wenzels* Untersuchungen knüpfte *Richter* an. Bei
-*Wenzel* findet sich auch schon das Massenwirkungsgesetz angedeutet. In
-diesem Punkte erscheint er als der Vorläufer *Berthollets*[284]. Erst
-später, als *Berzelius* die Gewichtsverhältnisse der Atome bestimmte,
-zeigte sich die grundlegende Bedeutung der Untersuchungen *Wenzels* und
-*Richters*.
-
-*Jeremias Benjamin Richter* wurde 1762 in Schlesien geboren[285].
-Er wirkte zuerst als Bergwerksbeamter in Breslau und darauf als
-Angestellter der Königlichen Porzellanmanufaktur in Berlin. Die
-Eigenart *Richters* besteht darin, daß fast alle seine Arbeiten auf
-eine Anwendung der Mathematik auf die Chemie abzielen. Dies spricht
-sich schon in dem Titel seiner Erstlingsarbeit aus[286]. *Richter*
-ging so weit, daß er die Chemie für einen Teil der angewandten
-Mathematik erklärte. Sein Hauptwerk führt den Titel »Stöchiometrie oder
-Meßkunst chymischer Elemente«[287]. Es erschien 1792-1802.
-
-*Richters* Verdienst besteht darin, daß er für die Säuren und die
-Basen den Äquivalentbegriff schuf. Der Gang seiner Untersuchung war
-der folgende. Er bestimmte die Gewichtsmengen der ihm bekannten
-Basen, welche ein und dieselbe Menge, z. B. 1000 Gewichtsteile,
-Schwefelsäure gerade neutralisieren. Die erhaltenen Werte nannte er die
-Neutralitätsreihe der Basen. Diese Werte mögen für einige Basen, nach
-*Richters* Angaben auf 1000 Teile Schwefelsäure berechnet, hier folgen.
-Sie sind in hohem Grade ungenau und nur dadurch von Wert, daß sie die
-erste Tafel der Äquivalentgewichte darstellen:
-
- Ammoniak 672
- Kalk 793
- Natron 859
- Kali 1605
- usw.
-
-Das Zweite war, daß *Richter* eine ähnliche »Neutralitätsreihe« der
-ihm bekannten Säuren mit Bezug auf eine bestimmte Menge einer Basis
-ermittelte. Sei die Basis Kalk, von dem nach ihm 793 Gewichtsteile
-durch 1000 Gewichtsteile Schwefelsäure neutralisiert werden, so ergeben
-sich für einige der übrigen bekannten Säuren folgende Äquivalente für
-die zugrunde liegende Basis:
-
- Kohlensäure 577
- Salpetersäure 1405
- Oxalsäure 755
- Schwefelsäure 1000
- usw.
-
-Den Wert solcher Tafeln erblickte *Richter* darin, daß sie die
-Zusammensetzung aller aus der Verbindung je einer Basis mit je einer
-Säure entstehenden neutralen Salze zu berechnen gestatten, wenn nur die
-Äquivalente der Basen und der Säuren in den beiden Tafeln enthalten
-sind. So würde z. B. salpetersaurer Kalk die Basis und die Säure im
-Verhältnis 793 : 1405 enthalten, da 1000 Gewichtsteile Schwefelsäure,
-die 793 Teile Kalk sättigen, 1405 Teilen Salpetersäure äquivalent sind.
-
-Eine Fortsetzung und Erweiterung fanden die stöchiometrischen
-Untersuchungen durch *Dalton*, mit dessen Hauptwerk, dem »Neuen System
-der chemischen Wissenschaft« wir uns jetzt näher befassen müssen.
-
-*John Dalton* wurde im Jahre 1766[288] als Sohn eines armen englischen
-Webers geboren. Nachdem er die Schule verlassen hatte, erteilte er
-in seinem Heimatsorte Elementarunterricht. Es gelang ihm, sich so
-weit fortzubilden, daß er mit 27 Jahren eine Stelle als Lehrer der
-Mathematik und der Physik am »New College« in Manchester einnehmen
-konnte. Später gab er diese Stelle auf und erwarb sich seinen
-Unterhalt, indem er in den größeren Städten Englands Vorlesungen über
-die Fortschritte der Naturwissenschaften hielt. Äußere Ehren hat
-*Dalton* nicht gesucht. Selbst als sein Ruhm weit über die Grenzen
-des Vaterlandes hinaus gedrungen war, blieb er der bescheidene
-Privatgelehrte, der in dem Forschen nach der Wahrheit seine größte
-Befriedigung fand. *Dalton* war Mitglied der Royal Society. Als das
-Alter herannahte, wurde ihm vom Könige eine kleine Pension ausgesetzt.
-*Dalton* starb im Jahre 1844 in Manchester.
-
-*Proust* hatte bei seinen Analysen der verschiedenen Oxydations-
-und Schwefelungsstufen eines und desselben Elementes die Ergebnisse
-in Prozenten angegeben. Vergleicht man die so erhaltenen Zahlen, z.
-B. für die oben erwähnten Oxyde des Zinns[289] (11,9% und 21,3%),
-so lassen sie keine einfache Beziehung erkennen. *Dalton*, welcher
-den Nachweis der konstanten Gewichtsverhältnisse insbesondere auf
-gasförmige Verbindungen auszudehnen suchte, kam auf den glücklichen
-Gedanken, die Zusammensetzung für gleiche Gewichtsmengen des mit
-Sauerstoff verbundenen Elementes zu berechnen. Dann ergeben sich z.
-B. für die Oxyde des Zinns, auf 100 Gewichtsteile dieses Elementes
-berechnet, 13,5, bezw. 27 Gewichtsteile Sauerstoff, oder für die Oxyde
-des Stickstoffs, mit welchen *Dalton* sich vorzugsweise beschäftigte,
-auf 14 Gewichtsteile Stickstoff 8, 16, 24, 32, 40 Gewichtsteile
-Sauerstoff. Indem *Dalton* diese Mengen verglich, entdeckte er eins
-der wichtigsten Gesetze der Chemie. Es zeigte sich nämlich, daß die
-Gewichtsmengen Sauerstoff, die mit einer bestimmten Menge Zinn oder
-Stickstoff zu Oxyden zusammentreten, unter sich in einem einfachen
-Verhältnis stehen. Diese Gewichte verhalten sich nämlich wie die Zahlen
-1, 2, 3, 4, 5. Oder die in die höheren Oxydationsstufen eingehenden
-Mengen sind einfache Multipla derjenigen Menge, die in der niedersten
-Oxydationsstufe enthalten ist. *Dalton* hat diese Untersuchungen,
-die um 1802 stattfanden, mit demselben Erfolge auf die Oxyde des
-Kohlenstoffs, sowie auf die Verbindungen des Kohlenstoffs mit
-Wasserstoff ausgedehnt. Von den Kohlenstoffverbindungen analysierte
-er das kurz vorher[290] entdeckte Äthylen (C_{2}H_{4}) und das
-Grubengas (CH_{4}). Er fand, daß sich darin die mit der gleichen Menge
-Kohlenstoff verbundenen Wasserstoffmengen wie 1 : 2 verhalten.
-
-Damit war trotz der großen Mängel, welche der analytischen Chemie
-und ihren Ergebnissen um 1800 noch anhafteten, durch *Dalton* das
-zweite Fundamentalgesetz der Chemie entdeckt, das alle späteren
-Untersuchungen nur bestätigen konnten. Dies »Gesetz von den multiplen
-Proportionen« besagt, daß verschiedene Mengen eines Elementes (in dem
-letzten Beispiel Wasserstoff), die sich mit der gleich bleibenden Menge
-eines anderen (in dem letzten Beispiel Kohlenstoff) zu chemischen
-Verbindungen vereinigen, unter sich einfache Multipla sind.
-
-An die Entdeckung wichtiger Gesetze hat sich jederzeit das Bemühen
-geknüpft, eine Vorstellung über die Natur der Dinge zu gewinnen, die
-mit den entdeckten Regeln so weit in Einklang steht, daß letztere als
-eine notwendige Folge jener Vorstellung erscheinen. Diesen wichtigen
-Schritt auf der Bahn der Erkenntnis an die Auffindung des Gesetzes von
-den Multiplen angeschlossen zu haben, ist gleichfalls das Verdienst
-*Daltons*, welcher dadurch eine der Grundlagen aller seitherigen
-naturwissenschaftlichen Betrachtung schuf.
-
-»Schon die Beobachtungen über die verschiedenen Aggregatszustände,«
-sagt *Dalton*, »müssen zu dem Schlusse führen, daß alle Körper aus
-einer ungeheuren Anzahl von äußerst kleinen Teilchen oder Atomen
-bestehen, die miteinander durch eine je nach den Umständen stärkere
-oder schwächere Anziehungskraft verbunden sind.«
-
-Ob die letzten Teilchen eines Stoffes, z. B. des Wassers, alle gleich
-sind, d. h. von derselben Gestalt, demselben Gewicht usw., ist dann
-die zweite Frage. Man habe indessen, meint *Dalton*, keinen Grund,
-eine Verschiedenheit dieser Teile anzunehmen. Bestände eine solche
-z. B. beim Wasser, so müßte sie gleicherweise in den Elementen, die
-das Wasser bilden, hervortreten. Wären einige Wasserteilchen leichter
-als andere, und würde ein Teil der Flüssigkeit bei irgend einer
-Gelegenheit aus solchen leichteren Teilchen gebildet, so müßte dies
-das spezifische Gewicht des Wassers beeinflussen, ein Umstand, der
-indessen nicht bekannt sei. Ähnlich verhalte es sich mit jeder anderen
-Verbindung. Daraus müsse man schließen, daß die letzten Teilchen aller
-homogenen Stoffe in Gewicht, Gestalt usw. völlig gleich sind. Die
-Zahl dieser Teilchen könne aber keine unendliche, sondern sie müsse
-in einem gegebenen Volumen eine begrenzte sein, wie auch in einem
-gegebenen Teile des Weltalls die Zahl der Gestirne nicht unbegrenzt
-sein könne. Die chemische Synthese und Analyse besteht nach *Dalton*
-in einer Trennung und Wiedervereinigung der Atome. Neuerschaffung
-oder Zerstörung eines Stoffes sind unmöglich. »Wir können,« sagt
-*Dalton*, »ebensowohl versuchen, einen neuen Planeten dem Sonnensystem
-einzuverleiben oder einen vorhandenen zu vernichten, als ein Atom
-Wasserstoff zu erschaffen oder zu zerstören. Alle Änderungen, die wir
-hervorbringen können, bestehen in der Trennung von Atomen, die vorher
-verbunden und in der Vereinigung solcher, die vorher getrennt waren.«
-
-Aus diesen Betrachtungen ergibt sich die Aufgabe, das Gewicht der Atome
-zu bestimmen. Atomgewichte nach ihrer absoluten Größe zu ermitteln,
-war *Dalton* zwar nicht in der Lage; wohl aber versuchte er auf Grund
-gewisser Annahmen die verhältnismäßige Schwere der kleinsten Teilchen
-festzustellen. Gibt es z. B. zwischen zwei Stoffen nur eine chemische
-Verbindung, so besteht die einfachste Annahme darin, daß sie sich
-durch Aneinanderlagerung von je einem Atom des einen und je einem
-Atom des anderen Elementes gebildet habe. In diesem Falle würde das
-Mengenverhältnis mit dem relativen Gewicht der Atome übereinstimmen.
-Nach *Dalton* trifft jene Voraussetzung z. B. für Wasser und
-Ammoniak zu; es war nämlich damals nur eine Wasserstoffverbindung
-des Sauerstoffs, sowie des Stickstoffs bekannt. Unter der Annahme,
-daß diese Verbindungen sich durch Aneinanderlagerung von je zwei
-Teilchen der betreffenden Elemente bilden, ergab sich das Atomgewicht
-des Sauerstoffs = 7 und dasjenige des Stickstoffs = 5. Genauere
-Analysen würden die Werte 8 und 4,6 geliefert haben. Wir bezeichnen
-diese Mengen, die einem Gewichtsteil Wasserstoff entsprechen, als
-Äquivalentgewichte. Sie ergeben erst mit der Valenz der betreffenden
-Elemente multipliziert die Atomgewichte. So ist das Atomgewicht des
-zweiwertigen Sauerstoffs 16 (2 × 8) und dasjenige des dreiwertigen
-Stickstoffs 14 (3 × 4,6).
-
-Wie das Gesetz von der Konstanz der Gewichtsverhältnisse, so erscheint
-auch das Gesetz von den multiplen Proportionen als eine Folge der
-atomistischen Hypothese. Gibt es nämlich zwischen zwei Elementen
-mehrere Verbindungen, so wird man annehmen dürfen, daß sich je ein
-Atom des ersten Elementes mit je einem, zwei, drei Atomen des zweiten
-vereinigt. Die zweite Verbindung muß dann, weil ja die Atome unter
-sich gleich schwer sind, in bezug auf die unverändert gebliebene Menge
-des ersten Elementes die zweifache, die dritte Verbindung dagegen die
-dreifache Gewichtsmenge des zweiten Elementes besitzen. So ist das
-Kohlenoxyd eine binäre Verbindung, die aus einem Atom Sauerstoff und
-einem Atom Kohlenstoff besteht. Die ternäre[291] Kohlensäure dagegen
-besteht aus einem Atom Kohlenstoff und zwei Atomen Sauerstoff, da mit
-der gleichen Gewichtsmenge des ersten die doppelte Menge des zweiten
-Elementes verbunden ist.
-
-Ein weiterer Fortschritt bestand darin, daß *Dalton* Symbole in die
-Chemie einführte. So bezeichnete er z. B. Wasserstoff mit ⊙, Sauerstoff
-mit ⃝, Schwefel mit ⊕; Schwefelsäureanhydrid bekam das Zeichen
-⃝/⊕/⃝⃝, da jedes seiner Teilchen aus einem Atom Schwefel und drei
-Atomen Sauerstoff zusammengesetzt ist. Die heutige Bezeichnungsweise,
-Wasserstoff = H, Sauerstoff = O, Schwefel = S, Schwefelsäureanhydrid =
-SO_{3} rührt von *Berzelius* her.
-
-Die von *Dalton* ermittelten Atomgewichte waren noch sehr ungenau.
-Einige der wichtigsten sind:
-
- Atomgewicht von nach *Dalton* richtiger Wert
-
- Sauerstoff 7 8 (16)
- Natrium 21 23
- Kalium 35 39
- Silber 100 108
-
-Für Natron und Kali, die *Dalton* in seiner Atomgewichtstafel noch als
-Elemente aufzählte, ergaben sich aus ihren Verbindungen mit Säuren
-die Zahlen 28 und 42. Nach *Davys* Entdeckung sind Natron und Kali
-Metalloxyde[292]. Natron mußte daher als eine Verbindung von einem Atom
-Metall (21) mit einem Atom Sauerstoff (7) angesehen werden, während
-Kali aus einem Atom Metall (35) und einem Atom Sauerstoff (7) bestand.
-
-Das Gesetz von den multiplen Proportionen wurde fast zur selben
-Zeit, als *Dalton* seine Theorie begründete, auch von dem Engländer
-*Wollaston* an den Salzen der Oxalsäure nachgewiesen. Daß sich die
-Oxal- oder die Kleesäure, die wir als zweibasische Säure kennen
-
- (COOH)
- (| ),
- (COOH)
-
-mit einigen Basen in verschiedenen Verhältnissen verbindet, war
-schon bekannt. *Wollaston*[293] stellte sich die Aufgabe, die mit
-der gleichen Menge Basis sich verbindenden Säuremengen zu ermitteln
-und durch die Ausdehnung seiner Untersuchung auf zahlreiche Fälle
-festzustellen, ob sich in den ermittelten Zahlenverhältnissen eine
-Regelmäßigkeit, ein Gesetz, kundgibt. *Wollastons* Befunde bejahten
-diese Frage. Er wies z. B. nach, daß sich die Mengen Kleesäure, die
-sich mit der in allen drei Fällen gleichen Menge Kali verbinden, genau
-wie 1 : 2 : 4 verhalten[294].
-
-Die Abhandlung, in der *Wollaston* über seine Versuche berichtet,
-ist auch deshalb von großem Interesse, weil uns darin schon an
-der Wiege der Atomtheorie die Frage nach der räumlichen Anordnung
-der Atome begegnet, eine Frage, die später in den Mittelpunkt der
-chemischen Spekulation gerückt wurde. *Wollaston* macht nämlich bei
-der Besprechung des übersauren oxalsauren Kaliums, bei dem auf ein
-Äquivalent Kali vier Äquivalente Säure kommen, folgende Bemerkung. Wenn
-auf ein Atom der einen Art (das Wort Atom wurde damals auch für die
-kleinsten Teile der Verbindungen gebraucht) vier Atome der anderen Art
-kämen, so könne stabiles Gleichgewicht eintreten, wenn das erste Atom
-die Mitte und die vier anderen die Ecken eines regulären Tetraeders
-bildeten. *Wollaston* schuf also genau dieselbe Vorstellung, nach der
-sich der Begründer der Stereochemie, *van't Hoff*, im Grubengase die
-vier Wasserstoffatome um das vierwertige Kohlenstoffatom gruppiert
-dachte.
-
-*Wollaston* ist jedoch vorsichtig genug, die von ihm ersonnene
-geometrische Anordnung der Grundbestandteile einer Verbindung als ganz
-hypothetisch hinzustellen. Ihre Bestätigung oder Ablehnung sei erst von
-späteren Beobachtungen zu erwarten. Ja, es sei vielleicht zu kühn, zu
-hoffen, daß die geometrische Anordnung der Atome jemals bekannt sein
-werde.
-
-Nachdem die atomistische Hypothese Geltung gefunden, bestand die
-nächste Aufgabe der Experimentalchemie in einer möglichst genauen
-Bestimmung der Äquivalente. Eine solche mußte nicht nur für die Analyse
-von der größten Wichtigkeit sein, sondern auch die Grundlage für alle
-weiteren Spekulationen bilden. Galt es doch, die Frage zu entscheiden,
-ob die erhaltenen Zahlen die wahren relativen Gewichte der Atome seien
-und ob ferner, dies vorausgesetzt, sich einfache Beziehungen zwischen
-den Atomgewichten ergeben würden.
-
-Spekulationen, die sich nicht auf eine hinreichend sichere Grundlage
-stützen, haben sich fast immer als übereilt erwiesen. Dies lehrt
-auch die weitere Entwicklung der Atomtheorie. Vergleicht man die
-von *Dalton* 1803 veröffentlichte Tabelle mit der später in seinem
-»neuen Systeme« mitgeteilten, so muß auffallen, daß die hier gegebenen
-Atomgewichte durchweg ganze Zahlen sind, während die Tabelle vom
-Jahre 1803, abgesehen von dem als Einheit geltenden Atomgewicht des
-Wasserstoffs, solche überhaupt nicht enthält.
-
-So lauten seine Verhältniszahlen:
-
- 1803 1808
-
- für Wasserstoff 1 1
- " Stickstoff 4,2 5
- " Kohlenstoff 4,3 5
- " Sauerstoff 5,5 7
- " Phosphor 7,2 9
-
-Diesen Abrundungen wurde durch den Engländer *Prout*, der sich um die
-Experimentalchemie kaum verdient gemacht hat, eine reale Bedeutung
-beigelegt. *Prout* nahm an, daß die wahren Atomgewichte ganze Zahlen
-und daß die Abweichungen, welche die Analyse ergibt, auf Fehler
-zurückzuführen seien. Auf Grund dieser irrigen Voraussetzung, die
-lediglich aus der weitgehenden Unsicherheit der analytischen Ergebnisse
-entsprang, führte *Prout* sämtliche Elemente auf den Wasserstoff
-als Urmaterie zurück. Die Atome der Grundstoffe sollten sich durch
-Aneinanderlagern einer verschieden großen Zahl von Wasserstoffatomen
-gebildet haben, woraus dann notwendig folgen würde, daß die
-Atomgewichte einfache Multipla desjenigen von Wasserstoff sind. Diese
-Hypothese *Prouts*, in der man zuerst das wahre Grundgesetz der Chemie
-erblicken wollte, ließ sich mit den späteren Ergebnissen der Analyse
-jedoch nicht vereinigen. Sie hat aber das Gute im Gefolge gehabt, daß
-sie zu immer schärferen Bestimmungen der Atomgewichte anregte. Der
-Mann, der sich dieser Aufgabe besonders unterzog, weil er erkannt
-hatte, daß über den Wert oder Unwert einer Hypothese nur die Tatsachen
-entscheiden können, war *Berzelius*.
-
-*Johann Jakob Berzelius*[295] wurde am 29. August des Jahres 1779 als
-Sohn eines Lehrers in Schweden geboren. Er studierte unter manchen
-Entbehrungen in Upsala Medizin und Chemie. Seine ersten Arbeiten
-betrafen die Analyse einer Heilquelle und die Wirkung der damals soeben
-entdeckten galvanischen Elektrizität auf chemische Verbindungen. Seit
-dem Jahre 1807 bekleidete *Berzelius* eine Lehrstelle für Chemie und
-Pharmazie an der medizinischen Schule in Stockholm. Einige Jahre später
-wurde er zum Präsidenten der dortigen Akademie der Wissenschaften
-ernannt. *Berzelius*[296] hat wie kein anderer ausländischer Forscher
-die Entwicklung der Chemie in Deutschland beeinflußt. *Mitscherlich*,
-*Heinrich* und *Gustav Rose*, *Magnus*, *Wöhler* und viele andere
-haben in seinem Laboratorium gearbeitet und zwar zu einer Zeit, als
-wissenschaftliche Werkstätten in Deutschland noch kaum anzutreffen
-waren. Selbst in dem Laboratorium, das *Berzelius* eingerichtet hatte,
-waren die zum Forschen nötigen Hilfsmittel noch so unvollkommen
-und spärlich, daß man kaum begreift, wie *Berzelius* zu der ihm
-nachzurühmenden Genauigkeit seiner Ergebnisse gelangen konnte. Mit
-den deutschen Forschern blieb *Berzelius* in engster persönlicher und
-wissenschaftlicher Fühlung. Davon zeugen seine wiederholten Besuche
-in Deutschland und vor allem der ausgedehnte Briefwechsel, den er mit
-*Wöhler* unterhielt[297].
-
-*Berzelius* starb am 7. August des Jahres 1848. Seine Verdienste um
-die gesamte Chemie und um die Mineralogie sind ganz hervorragend. Sie
-müssen aber zum größten Teil an anderer Stelle betrachtet werden.
-Hier fesselt nur seine Mitarbeit an dem Ausbau der Atomtheorie, in
-deren experimenteller Begründung *Berzelius* seine wichtigste Aufgabe
-erblickte. »Ich überzeugte mich bald durch neue Versuche,« sagt
-er[298], »daß *Daltons* Zahlen die Genauigkeit fehlte, die für die
-praktische Anwendung seiner Theorie erforderlich war. Ich erkannte, daß
-zuerst die Atomgewichte einer möglichst großen Zahl von Grundstoffen,
-vor allem der gewöhnlichen, mit möglichster Genauigkeit ermittelt
-werden müßten. Ohne eine solche Arbeit konnte auf die Morgenröte kein
-Tag folgen. Es war dies damals der wichtigste Gegenstand der chemischen
-Forschung, und ich widmete mich ihm in rastloser Arbeit. Nach
-zehnjährigen Mühen konnte ich im Jahre 1818 eine Tabelle herausgeben,
-die nach meinen Versuchen berechnete Atomgewichte und Angaben über die
-Zusammensetzung von etwa 2000 Verbindungen enthält.«
-
-Einige Werte aus dieser Tabelle mögen dem Leser einen Begriff von der
-Genauigkeit der *Berzelius*schen Untersuchungen geben[299].
-
- Kohlenstoff 12,12 (11,97),
- Sauerstoff 16,00 (15,96),
- Schwefel 32,3 (31,98),
- Stickstoff 14,18 (14,00),
- Chlor 35,47 (35,4),
- Blei 207,4 (207),
- Kupfer 63,4 (63,3).
-
-Es möge hier in aller Kürze gezeigt werden, wie *Berzelius* die
-Gewichtsverhältnisse und das Gesetz von den multiplen Proportionen
-an den drei Oxyden des Bleis nachwies. 10 g Blei wurden in reiner
-Salpetersäure aufgelöst[300]. Die Lösung wurde in einen abgewogenen
-Kolben gegossen und eingedampft. Der Rückstand wurde geglüht. Es
-entstanden 10,78 g Bleioxyd[301]. Es würden somit 100 Teile Blei, um
-sich in Bleiglätte (Bleioxyd) zu verwandeln, 7,8 Teile Sauerstoff
-aufnehmen. Für die Mennige ergab ein umständliches Verfahren, daß sie
-aus 100 Teilen Blei und 11,07 Teilen Sauerstoff zusammengesetzt ist.
-Durch Behandeln von Mennige mit Salpetersäure stellte *Berzelius*
-eine dritte Bleiverbindung, das braune Bleioxyd, her[302]. Fünf
-Gramm braunes Bleioxyd, das durch Auswaschen von allem anhängenden
-salpetersauren Blei befreit und getrocknet war, wurde in einem
-gewogenen Platintiegel geglüht. Es verlor dadurch 0,325 g Sauerstoff.
-Die rückständigen 4,675 g gelbes Oxyd hinterließen beim Auflösen in
-Essig schwefelsaures Blei und Kieselerde, die geglüht 0,13 g wogen.
-Die übrigen 4,545 g gelbes Oxyd enthielten 0,33 g Sauerstoff oder bis
-auf 0,005 g das nämliche, was das braune Oxyd durch Glühen verloren
-hatte. Es nehmen also 100 Teile Blei, um sich in braunes Oxyd zu
-verwandeln, doppelt so viel Sauerstoff auf, als sich im gelben Bleioxyd
-befindet[303].
-
-Auf die Erforschung der Gewichtsverhältnisse und der darin sich
-aussprechenden Gesetzmäßigkeiten wurde *Berzelius*, bevor er mit
-*Daltons* Theorie bekannt geworden war, schon durch das Studium der
-halb vergessenen Schriften des deutschen Chemikers *Richter* geführt.
-*Richter* hatte um 1790 die Lehre von den chemischen Proportionen
-durch seine an früherer Stelle[304] erwähnten Untersuchungen über
-die Gewichtsverhältnisse, nach denen Säuren und Basen in Verbindung
-treten, begründet. *Berzelius* erkannte die Wichtigkeit dieser Arbeit
-und bemühte sich, durch die möglichst genaue Analyse einiger Salze die
-Zusammensetzung anderer Salze, die aus den ersteren hergestellt werden
-können, abzuleiten. Er hatte nämlich im Anschluß an *Richter* gezeigt,
-daß für alle Salze derselben Säure das Verhältnis der in der Basis und
-in der Säure enthaltenen Sauerstoffmengen konstant ist[305].
-
-Für die atomistische Auffassung wichtig war auch der von *Berzelius*
-geführte Nachweis, daß das schwefelsaure Eisen (FeSO_{4}) die Elemente
-Schwefel und Eisen genau in dem gleichen Verhältnis enthält, in welchem
-sie das Schwefeleisen (FeS) zusammensetzen.
-
-Das wichtigste Ergebnis der Untersuchungen von *Berzelius*, die mit
-zahlreichen Verbesserungen der bestehenden Methoden, sowie mit der
-Erfindung mancher neuen analytischen Methode Hand in Hand gingen,
-war die durchgängige Bestätigung des Gesetzes von den multiplen
-Proportionen und der Nachweis, daß die *Prout*sche Hypothese sich
-nicht mit den Tatsachen vereinigen läßt.
-
-Durch das in vorstehendem betrachtete Lebenswerk eines *Lavoisier*,
-*Dalton* und *Berzelius*, sowie die Bemühungen zahlreicher anderen
-Forscher hatte die Chemie im Verlauf von wenigen Jahrzehnten eine neue
-Gestalt und eine sichere Grundlage für ihre Fortentwicklung gewonnen;
-sie war der Physik als ebenbürtig an die Seite getreten. Auch hatten
-die Beziehungen zwischen diesen beiden Wissenschaften eine stete
-Vermehrung gefunden, insbesondere seitdem man die Elektrizität als
-chemisch wirksame Kraft kennen gelernt hatte. Bevor wir den weiteren
-Verlauf der chemisch-physikalischen Forschung betrachten, ist es
-deshalb erforderlich, die mit der Begründung des antiphlogistischen
-Systems und der Aufstellung der Atomtheorie zusammenfallende großartige
-Erweiterung, welche die Elektrizitätslehre durch *Galvani* und *Volta*
-erfuhr, ins Auge zu fassen.
-
-
-
-
-12. Die Entdeckung der galvanischen Elektrizität.
-
-
-Neben der seit alters bekannten Elektrizitätserregung durch
-Reiben hatte das 18. Jahrhundert das Auftreten von Elektrizität
-durch Wärmezufuhr, sowie infolge atmosphärischer Vorgänge kennen
-gelernt[306]; auch hatte man die elektrische Natur der von dem
-Zitterrochen ausgehenden Wirkung entdeckt. Zu diesen vier Arten
-gesellte sich jetzt eine fünfte, die Berührungs- oder die galvanische
-Elektrizität, mit der man gegen den Schluß des 18. Jahrhunderts bekannt
-wurde, während der Ausbau der Lehre vom Galvanismus wohl als die
-wichtigste Tat des 19. Jahrhunderts anzusehen ist.
-
-Daß die bloße Berührung zweier Metalle eine eigentümliche, später
-als elektrisch erkannte Wirkung hervorruft, wurde zum erstenmal um
-das Jahr 1750 von einem Deutschen namens *Sulzer*[307] beobachtet.
-Dieser brachte die Spitze seiner Zunge zwischen ein Stück Blei und
-ein Stück Silber, die sich mit ihren Rändern berührten. Dabei nahm
-er eine prickelnde, an den Geschmack des Eisenvitriols erinnernde
-Empfindung wahr, die Blei oder Silber für sich nicht hervorzubringen
-vermögen[308]. Es sei doch nicht wahrscheinlich, meint *Sulzer*, daß
-bei der Berührung jener beiden Metalle eine Auflösung vor sich gehe.
-Man müsse vielmehr schließen, daß diese Vereinigung eine zitternde
-Bewegung der Teilchen verursache, welche die Nerven der Zunge anrege
-und dadurch den erwähnten Geschmack hervorbringe.
-
-Später wurde der Versuch in folgender Weise abgeändert. Man nahm einen
-Becher aus Zinn oder Zink, stellte ihn auf einen silbernen Fuß und
-füllte ihn mit Wasser. Wenn nun jemand die Spitze der Zunge ans Wasser
-brachte, fand er es völlig geschmacklos, solange er den silbernen Fuß
-nicht berührte. Sobald er diesen aber zwischen die benetzten Hände
-preßte, empfand die Zunge einen deutlichen Geschmack.
-
-[Illustration: Abb. 30. *Galvanis* Versuche an Froschschenkeln.]
-
-Da die Beobachtung *Sulzers* ganz vereinzelt blieb, ging es ihr,
-wie es in solchen Fällen meist zu gehen pflegt, sie wurde nicht
-beachtet und schließlich vergessen, bis die weitere Entwicklung der
-Wissenschaft ein Zurückgreifen auf jene Entdeckung erforderlich
-machte. Die eigentliche Erforschung der Berührungselektrizität beginnt
-mit der zufällig gemachten Beobachtung, daß ein frisch präparierter
-Froschschenkel jedesmal in Zuckungen gerät, wenn in seiner Nähe eine
-elektrische Entladung stattfindet. *Galvani* hatte jenes Verhalten
-des Froschschenkels um das Jahr 1780 kennen gelernt. Daß an toten
-Tieren Zuckungen der Muskeln unter dem unmittelbaren Einfluß von
-elektrischen Entladungen eintreten, war zwar längst bekannt; auch
-hatte man bemerkt, daß ein Zitterrochen leblose Fische zu Bewegungen
-veranlaßt. Was *Galvanis* Erstaunen hervorrief, war indes der Umstand,
-daß jene Zuckungen eintraten, ohne daß eine Verbindung zwischen der
-Elektrisiermaschine und dem Froschpräparat vorhanden war.
-
-*Galvani* präparierte einen Frosch, wie es in Abb. 30 Fig. 2
-dargestellt ist, und legte ihn auf einen Tisch, auf dem eine
-Elektrisiermaschine stand. Als darauf die eine von den Personen, die
-ihm zur Hand gingen, mit der Spitze eines Messers die Schenkelnerven
-DD des Frosches zufällig ganz leicht berührte, zogen sich alle
-Muskeln an den Gelenken derartig zusammen, als wären sie von heftigen
-Krämpfen befallen. Dies geschah, während dem Konduktor der Maschine ein
-Funke entlockt wurde.
-
-Wir haben es in dieser Erscheinung noch nicht mit einer Wirkung
-der Berührungselektrizität zu tun, sondern mit einem sogenannten
-Rückschlag. Ein solcher besteht darin, daß die infolge des Ladens
-der Maschine in dem Schenkel stattfindende elektrische Verteilung in
-dem Augenblicke des Entladens eine Änderung erfährt. Die elektrische
-Verteilung, sowie ihr Ausgleich tritt bei größerer Entfernung von dem
-Konduktor der Elektrisiermaschine nur dann in hinreichendem Maße ein,
-wenn der Schenkel mit der Erde in leitender Verbindung steht, was bei
-dem Versuch *Galvanis* durch eine anfangs zufällige, nachher jedoch
-absichtlich herbeigeführte Berührung des Schenkels mit einem leitenden
-Gegenstand bewirkt wurde (s. Abbildung 30). Das Erstaunen, in das
-*Galvani* über seine Beobachtung geriet, ist der erste Schritt zu einer
-fast endlosen Reihe der wichtigsten Entdeckungen gewesen. »Ich wurde«,
-sagt er, »von einem unglaublichen Eifer entflammt, dasjenige ans Licht
-zu ziehen, was hinter dieser Erscheinung verborgen war[309].« Bevor
-wir jedoch *Galvani* auf seinem Wege folgen, wollen wir uns einige
-Augenblicke mit dem Leben dieses Mannes beschäftigen, dessen Glück und
-Verdienst der Wissenschaft ein neues, großes Gebiet erschließen sollte.
-
-*Aloisio Galvani* wurde am 9. September 1737 in Bologna geboren. Er
-studierte an der Universität seiner Vaterstadt Medizin und heiratete
-die Tochter eines der dortigen Professoren, der legendenhafte Berichte
-einen hervorragenden, wenn nicht gar den Hauptanteil an der Entdeckung
-des Galvanismus zugeschrieben haben[310]. Die ersten wissenschaftlichen
-Arbeiten *Galvanis* betrafen das Gebiet der Anatomie. Seit dem Jahre
-1775 sehen wir ihn in Bologna eine Professur für dieses Fach bekleiden.
-Seine Versuche über die Wirkung der Elektrizität auf Froschschenkel
-begannen im Jahre 1780. *Galvani* führte darüber zunächst nur ein
-Tagebuch. Erst ein Jahrzehnt später vereinigte er die Ergebnisse seiner
-Untersuchungen zu einer Abhandlung über die Wirkung der Elektrizität
-auf die Muskelbewegung[311].
-
-Nachdem *Galvani* die Wirkung des Entladens auf einen in der Nähe der
-Elektrisiermaschine befindlichen Froschschenkel nachgewiesen, suchte
-er festzustellen, ob sich das gleiche, ihm zunächst ganz unerklärliche
-Phänomen auch durch den Einfluß der atmosphärischen Elektrizität
-hervorrufen lasse. Die hierauf bezüglichen Versuche sind im zweiten
-Teile jener Abhandlung vom Jahre 1791 beschrieben. Die präparierten
-Frösche, sowie Schenkel von Warmblütern wurden bei einem Gewitter
-an den Nerven aufgehängt, während ein Eisendraht die Füße mit der
-Erde verband. Die erwartete Wirkung blieb nicht aus. In demselben
-Augenblick, in welchem der Schein eines Blitzes das Auge traf, gerieten
-die Muskeln in lebhafte Zuckungen.
-
-»Nachdem wir die Kräfte der Gewitterelektrizität kennen gelernt
-hatten, brannte unser Herz vor Begierde, auch die Macht der täglichen
-ruhigen Elektrizität der Atmosphäre zu erforschen.« Mit diesen
-Worten beginnt *Galvani* den dritten Teil seiner Schrift, in dem wir
-mit den Erscheinungen der nach ihm benannten, ganz neuen Art der
-Elektrizitätserregung vertraut gemacht werden.
-
-Da *Galvani* bemerkt hatte, daß präparierte Frösche, die an einem
-Eisengitter an Messinghaken aufgehängt waren, nicht nur beim Gewitter,
-sondern auch bei heiterem Himmel gelegentlich in Zuckungen verfielen,
-so meinte er, die Ursache dieser Zuckungen sei in Veränderungen der
-atmosphärischen Elektrizität zu suchen. Deshalb beobachtete er zu
-verschiedenen Stunden des Tages passend hergerichtete Tiere. Aber nur
-selten trat eine Bewegung in den Muskeln ein. Schließlich drückte er,
-des Wartens müde, die Haken, die in dem Rückenmark befestigt waren,
-gegen das eiserne Gitter. Dabei beobachtete er häufig Zuckungen, die er
-zunächst der atmosphärischen Elektrizität zuzuschreiben geneigt war.
-
-Als er das Tier in das geschlossene Zimmer gebracht, auf eine
-Eisenplatte gelegt und den im Rückenmark befindlichen Messinghaken
-gegen die Eisenplatte zu gedrückt hatte, bemerkte er die gleichen
-Zuckungen.
-
-Jetzt erkannte er, daß es sich hier um ein ganz neues, unerwartetes
-Phänomen handelt, das mit den Änderungen der atmosphärischen
-Elektrizität in gar keinem Zusammenhange steht. *Galvani* änderte
-darauf den Versuch in der Weise ab, daß er den Frosch auf eine die
-Elektrizität nicht leitende Glasplatte legte und den Messinghaken
-mit den Füßen des Tieres verband. Bestand die Verbindung aus einem
-Metall, so traten Zuckungen ein, während sie bei Anwendung einer
-nicht leitenden Substanz ausblieben. Mit den von *Galvani* ersonnenen
-Abänderungen dieses Fundamentalversuches macht uns die dritte Figur
-seiner Abhandlung (Abb. 31) bekannt.
-
-Von besonderem Interesse ist das elektrische Froschpendel, das
-*Galvani* in der Figur 11 (s. S. 194) abbildet und folgendermaßen
-beschreibt: »Der Frosch wird an einem Beine in die Höhe gehalten, so
-daß der in dem Rückenmark befestigte Haken eine Silberplatte berührt,
-das andere Bein aber frei auf der Platte gleiten kann. Sowie dies Bein
-die Platte berührt, werden die Muskeln zusammengezogen, wodurch sich
-das Bein hebt. Bald aber erschlaffen die Muskeln von selbst, das Bein
-sinkt und kommt wieder mit der Platte in Berührung. Infolgedessen wird
-es wieder hochgehoben und fährt so fort, sich zu heben und zu senken,
-so daß es einem elektrischen Pendel gleicht.« Die Platte dient dabei
-gewissermaßen als Bogen, der den Kreislauf der Elektrizität ermöglicht,
-wenn das Bein auf die Platte niederfällt, für den Kreislauf aber nicht
-mehr vorhanden ist, wenn das Bein sich von der Platte entfernt hat.
-
-Für die merkwürdige Erscheinung selbst gab es nur zwei Erklärungen.
-Entweder war sie in dem Wesen des tierischen Organismus begründet,
-oder es handelte sich um einen auf die Berührung der Metalle
-zurückzuführenden elektrischen Vorgang, bei dem der Froschschenkel
-nur die Rolle eines empfindlichen Elektroskopes spielt. *Galvani*
-entschied sich für die erstere Ansicht, indem er die beschriebenen
-Erscheinungen als Betätigungen einer tierischen Elektrizität
-auffaßte. Diese sollte vom Gehirn aus durch die Nerven dem Muskel
-zufließen. Letzteren verglich er mit der Leydener Flasche, indem er
-sich vorstellte, daß die Oberfläche und das Innere eines Muskels
-entgegengesetzt geladen seien. Brachte man demgemäß den Nerven, als den
-Konduktor dieser Flasche, mit der Oberfläche eines Muskels, die dem
-äußeren Belag entsprechen sollte, in leitende Verbindung, so fand eine
-Entladung statt, als deren Folge die Zusammenziehung der Muskelsubstanz
-aufgefaßt wurde.
-
-[Illustration: Abb. 31. Zuckungen der Froschschenkel bei der Berührung
-mit verschiedenartigen Metallen. (Aus *Galvanis* Abhandlung über die
-Kräfte der Elektrizität.)
-
- Fig. 9. _A_ Stanniolblatt über der Wirbelsäule des präparierten
- Frosches.
- _BB_ Die Tierschenkel.
- _C_ Ein anderes Metallblatt aus Messing.
- _D_ Ein eherner mit Silber überzogener Bogen.
- _F_ Glasplatte, auf welcher das Tier liegt.
-
- Fig. 10. _AA_ Zwei Bogen, die in den Zylinder B aus Glas oder Harz
- gesteckt sind.
- _C_ Ein mit dem Rückenmark verbundener Haken.
-
- Fig. 11. Ein präparierter Frosch, der an einem Bein aufgehängt wird,
- während das andere samt dem mit dem Rückgrat verbundenen Haken
- die Fläche der silbernen Kapsel E berührt.
-
- Fig. 12. _FF_ Zwei Metallbögen, der eine aus Kupfer, der andere aus
- Silber.
-
- Fig. 13. _GG_ Metallkonduktoren, von denen der eine mit der oberen, der
- andere mit der unteren Belegung des Quadrates in Verbindung
- steht.
- _H_ Nerven, die so über den Rand des Quadrates hingestreckt
- sind, daß sie zugleich mit dem Rückenmark die untere Belegung
- berühren.
-
- Fig. 14. _K_ Eine mit verschiedenen Flüssigkeiten anzufüllende Glasröhre.
-
- Fig. 15. Schenkel, voneinander getrennt.
-
- Fig. 16. Schenkel, voneinander getrennt, samt dem in zwei Teile
- gespaltenen Rückgrat.
-
-]
-
-Natürlich erregten *Galvanis* Versuche und seine Lehre, die zunächst
-allgemeine Anerkennung fand, das größte Aufsehen. »Der Sturm, den
-das Erscheinen von *Galvanis* Abhandlung in der Welt der Physiker,
-der Physiologen und Ärzte erregte«, sagt ein hervorragender
-Geschichtsschreiber des Galvanismus[312], »kann nur mit demjenigen
-verglichen werden, der zur selben Zeit am politischen Horizont Europas
-heraufzog. Wo es Frösche gab und wo sich zwei Stücke ungleichartigen
-Metalls erschwingen ließen, wollte jedermann sich von der wunderbaren
-Wiederbelebung der verstümmelten Gliedmaßen durch den Augenschein
-überzeugen.«
-
-*Galvanis* wissenschaftliche Tätigkeit hatte mit dem Erscheinen
-seiner »Abhandlung über die Kräfte der Elektrizität« ihren Höhepunkt
-erreicht. Die Führung auf dem neu erschlossenen Gebiete übernahm jetzt
-*Alessandro Volta*, während sich *Galvani* darauf beschränkte, seine
-Theorie gegen die ihr von *Volta* bereiteten Angriffe zu verteidigen.
-Die letzten Lebensjahre verbrachte *Galvani* in einem Zustande tiefster
-Niedergeschlagenheit, den der Tod der Gattin und die Amtsentsetzung
-herbeigeführt hatten. Letztere erfolgte, weil *Galvani* sich weigerte,
-den bei der Gründung der cisalpinischen Republik von ihm geforderten,
-seiner Überzeugung zuwiderlaufenden Eid zu leisten. Er starb am 4.
-Dezember 1798. Die Erfindung der *Volta*schen Säule, welche den
-gänzlichen Untergang der älteren Theorie herbeiführte, sollte er nicht
-mehr erleben.
-
-*Alessandro Volta* wurde am 18. Februar 1745 zu Como geboren. Fast
-30 Jahre alt, wurde er Professor der Physik an dem Gymnasium seiner
-Vaterstadt. In derselben Eigenschaft berief man ihn fünf Jahre später
-an die Universität Padua, wo er bis zum Jahre 1819 wirkte. Die letzte
-Zeit seines Lebens verbrachte *Volta* in der Zurückgezogenheit; er
-starb am 5. März des Jahres 1827 in Como.
-
-Als *Galvanis* berühmte Abhandlung erschien, hatte *Volta*, der während
-der ersten Zeit seiner wissenschaftlichen Laufbahn mit Vorliebe das
-Verhalten der Gase untersuchte, sich schon hervorragende Verdienste
-um die Elektrizitätslehre erworben. In dem Kondensator, den er mit
-dem Strohhalmelektrometer verband, hatte er ein Mittel zum Nachweis
-geringer Elektrizitätsmengen ersonnen[313], das bei der späteren
-Untersuchung der kontaktelektrischen Phänomene von größtem Werte sein
-sollte. Die Royal Society hatte ihn dafür zu ihrem Mitgliede ernannt
-und ihn durch die Verleihung einer Medaille ausgezeichnet.
-
-Über sein Elektrometer macht *Volta* folgende Angaben. Es sei von
-großer Bedeutung, daß man die früheren Elektrometer ändere und an
-Stelle der feinen Metalldrähte zwei sehr feine und trockene Strohhalme
-von etwa 2 Zoll Länge anwende, die man mittelst kleiner Ringe sehr
-beweglich aufhängen müsse. Diese Halme müßten sich im unelektrischen
-Zustande ihrer ganzen Länge nach berühren.
-
-Anfangs war auch *Volta* von der Richtigkeit der Ansichten *Galvanis*
-überzeugt. Die Zuckungen, meinte er, müßten von dem Mißverhältnis
-herrühren, das zwischen der Elektrizität des Muskels und jener des
-Nerven bestehe. Die metallische Verbindung habe nur die Aufgabe,
-das Gleichgewicht wiederherzustellen. Einige Jahre später erkannte
-er jedoch, daß von einem Vergleich des Muskels mit der Leydener
-Flasche nicht die Rede sein könne. Der Froschschenkel geriet nämlich
-auch in Zuckungen, wenn ein elektrischer Ausgleich lediglich durch
-den Nerven hindurch erfolgte und die Muskeln gänzlich außerhalb
-des leitenden Kreises blieben. Ähnlich wie bei dem von *Sulzer*
-herrührenden Versuch[314] gelang es *Volta*, durch Anlegen von zwei
-verschiedenartigen Metallstücken an Mund und Auge nicht nur eine
-Geschmackserregung, sondern auch Lichtempfindung hervorzurufen.
-
-Diesen fundamentalen Versuch, der bewies, daß der Einfluß einer
-elektrischen Entladung nicht nur Zuckungen, sondern auch eine Erregung
-der Empfindungsnerven hervorrufen kann, stellte *Volta* folgendermaßen
-an. Ein breites Stück Zinnfolie wurde auf die Zungenspitze gelegt.
-Auf den Rücken der Zunge wurde eine Silbermünze gebracht. Beide
-Metalle brachte *Volta* vermittelst eines Kupferdrahtes in Verbindung.
-Er empfand dann einen stark sauren Geschmack. Wenn der Kupferdraht
-vermieden wurde und nur Silber und Zinn zur Anwendung kamen, war das
-Ergebnis dasselbe. *Volta* erzielte dies[315], indem er keine Münze,
-sondern einen silbernen Löffel nahm, diesen auf den Rücken der Zunge
-legte und mit dem Stiel das Stanniolblatt, das auf der Zungenspitze
-lag, berührte.
-
-Daß sich eine Lichtempfindung durch galvanische Elektrizität
-hervorrufen läßt, wies *Volta* nach, indem er den Schließungsbogen
-aus verschiedenen Metallen mit der Stirn und dem Gaumen in Berührung
-brachte. Das Auge empfand dann im Augenblicke der Berührung einen
-hellen Schein.
-
-Auf diese Weise gewann in *Volta* die Vorstellung immer mehr an Raum,
-daß man es in den Metallen nicht mit bloßen Leitern, sondern mit
-den eigentlichen Erregern der Elektrizität zu tun habe. Im Anschluß
-an die Schilderung der soeben erwähnten physiologischen Versuche
-gelangte *Volta* daher um 1792 zu einer Änderung seiner ursprünglichen
-Ansichten[316]. Es sei klar, meinte er, daß bei diesen Versuchen
-die Nerven nur erregt würden und daß die Ursache des elektrischen
-Stromes, der diese Erregung veranlasse, in den Metallen selbst zu
-suchen sei. »Sie sind«, sagt er, »im eigentlichen Sinne die Erreger der
-Elektrizität, während die Nerven selbst passiv sind.« Zur selben Zeit
-machte *Volta* die wichtige Entdeckung, daß die Kohle bei galvanischen
-Versuchen an Stelle eines Metalles gebraucht werden kann. »Ich habe«,
-sagte er[317], »gefunden, daß Holzkohle, die schon früher als ein guter
-Leiter bekannt war, wenig oder gar nicht den Metallen nachsteht und
-sich auch darin wie diese verhält, daß sie ein Erreger der Elektrizität
-ist.«
-
-In einer Schrift vom Jahre 1794 bekennt sich *Volta* offen als Gegner
-der Lehre von der tierischen Elektrizität. Er braucht für die hierher
-gehörigen Erscheinungen fortan das Wort metallische Elektrizität. Die
-ganze Wirkung rühre von den Metallen her, die irgend einen feuchten
-Körper berühren. Die Elektrizität werde dadurch in einen Kreislauf
-gebracht. Gehe der Strom durch Nerven, die noch einen Rest von Leben
-besäßen, so würden die den Nerven gehorchenden Muskeln dadurch in
-Zuckungen versetzt. Diese Bewegungen und die beschriebenen Geschmacks-
-und Lichtempfindungen fand *Volta* bei seinem unausgesetzten,
-mühevollen Forschen je nach der Natur der angewandten Metalle sehr
-verschieden. Die Wirkungen waren um so lebhafter, je weiter die Metalle
-in folgender, von *Volta* 1799 aufgestellten Reihe[318] voneinander
-abstehen:
-
- Zink,
- Zinn,
- Blei,
- Eisen,
- Kupfer,
- Platin,
- Gold,
- Silber,
- Graphit,
- Holzkohle.
-
-Diese erste Spannungsreihe wurde bald darauf um zahlreiche Glieder
-vermehrt, indem auch Mineralien, wie Schwefelkies, Bleiglanz,
-Kupferkies, in sie eingefügt wurden.
-
-*Volta* suchte darauf der Mitwirkung von Nerv und Muskel gänzlich zu
-entraten. Er brachte die Metalle mit allen möglichen feuchten Stoffen,
-wie Papier, Tuch usw. in Berührung. Um den hierbei eintretenden
-elektrischen Ausgleich, der sich bisher in den Zuckungen der Muskeln
-geltend gemacht hatte, unzweifelhaft darzutun, bediente er sich
-eines Kondensators, mit dem sich die geringsten Elektrizitätsmengen
-nachweisen ließen.
-
-Auf die Konstruktion des als elektrischer Ansammlungsapparat dienenden
-Kondensators war *Volta* durch fortgesetzte Untersuchungen am
-Elektrophor gekommen. Schon in seiner ersten Schrift vom Jahre 1769
-befaßte er sich mit der elektrischen Anziehung. In einer Abhandlung
-vom Jahre 1771 beschreibt er unter dem Namen elettroforo perpetuo den
-Apparat, der auch heute noch in derselben Ausführung als Elektrophor
-bekannt ist. Er besteht aus einer Metallschale, aus dem Kuchen, d. i.
-eine Scheibe von nichtleitender Substanz (Harz, Pech) und aus einer
-an isolierenden seidenen Schnüren befestigten Metallplatte (Abb. 33).
-Um den Kuchen zu erhalten, schmolz *Volta* drei Teile Terpentin, zwei
-Teile Harz und einen Teil Wachs zusammen. Wie die Elektrisiermaschinen,
-so erreichten auch die Elektrophore im 18. Jahrhundert riesige Ausmaße
-(bis zu 7 Fuß Durchmesser). Die Wirkungsweise des Elektrophors
-besteht darin, daß die dem Kuchen mitgeteilte Elektrizität durch
-Influenz auf den Deckel wirkt und daß die abgestoßene Elektrizität des
-letzteren durch kurze Berührung entfernt wird. In seiner Wirkungsweise
-stimmt, wie *Wilke* dargetan[319], somit das Elektrophor mit der
-*Franklin*schen Tafel überein[320].
-
-[Illustration: Abb. 32. *Voltas* Kondensator.]
-
-[Illustration: Abb. 33. *Voltas* Elektrophor.]
-
-Ausgehend vom Elektrophor gelangte *Volta* im Jahre 1782
-zur Konstruktion des von ihm als Kondensator bezeichneten
-Ansammlungsapparats. Der Kondensator ist im Grunde genommen ein
-Elektrophor mit äußerst dünner Harzschicht an Stelle des bislang
-gebrauchten dicken Harzkuchens. Wurde auf diese dünne Harzschicht
-ein Deckel gelegt und dieser dann mit einer sehr schwachen
-Elektrizitätsquelle, z. B. einer schon entladenen Flasche in Berührung
-gebracht, an welcher durch andere Mittel keine Elektrizität mehr
-nachgewiesen werden konnte, so war der Deckel nach dem Abheben deutlich
-elektrisch geworden. Aus diesem Grunde bezeichnete *Volta* den neuen
-Apparat als Kondensator. Es war von Wichtigkeit, die Harzschicht vor
-Beginn jedes Versuches wieder vollständig zu entladen. Bei der Lösung
-dieser Aufgabe entdeckte schon *Volta* eine wichtige Beziehung zwischen
-der Elektrizität und dem Lichte. Er fand nämlich, daß die Entladung
-sich rasch und vollständig bewirken ließ, wenn er die Harzschicht in
-die Sonne stellte[321].
-
-Aus den Bemühungen *Voltas* ging der Kondensator schließlich in der
-Form hervor, wie er noch heute gebraucht wird. Es wurden nämlich zwei
-gleiche Metallplatten, von denen die eine direkt mit dem Elektroskop
-verbunden ist, mit einer möglichst gleichmäßigen, dünnen Firnisschicht
-überzogen (Abb. 32). Die Wirkung dieses Apparates ergibt sich aus den
-von *Aepinus* und *Wilke* entdeckten Influenzgesetzen. Der oberen
-Platte wird z. B. positive Elektrizität mitgeteilt. Legt man sie dann
-auf die untere Platte, von welcher sie durch die doppelte Firnisschicht
-getrennt ist, so wird sich auf dem der oberen Platte zugewandten Teile
-der unteren Platte negative, auf dem abgewandten positive Elektrizität
-befinden. Letztere wird abgeleitet. Hebt man dann die obere, auch wohl
-Kollektor genannte Platte ab, so breitet sich die negative Elektrizität
-über die ganze untere Scheibe, die Kondensatorscheibe, aus. Durch
-häufigere Wiederholung dieses Verfahrens läßt sich die Ansammlung der
-negativen Elektrizität auf der unteren Platte und die Wirkung auf das
-mit dieser Platte verbundene Elektroskop erheblich steigern.
-
-Erst diese Vorversuche setzten *Volta* in den Stand, seinen berühmten
-Fundamentalversuch der Kontaktelektrizität anzustellen. Letzterer
-bestand darin, daß man das Auftreten entgegengesetzter Elektrizitäten
-durch die bloße Berührung zweier Metalle bewirkte, ohne dazu einer
-feuchten Zwischensubstanz, sei letztere animalisch oder nicht, zu
-bedürfen. *Volta* beschreibt diesen Versuch, zu dem er nichts weiter
-benötigte als Platten von verschiedenen Metallen mit isolierenden
-Handhaben, einen Kondensator und ein Elektrometer mit Streifen vom
-feinsten Blattgold, mit folgenden Worten[322]: »Bringt man die
-miteinander in Berührung gewesenen Platten an das sehr empfindliche
-Elektrometer, so werden die Goldblättchen etwas auseinandergehen und
-dadurch einige Elektrizität anzeigen, die positiv oder negativ sein
-wird, je nach der Natur des Metalles, das man untersucht, und des
-anderen, mit dem dieses vorher in Berührung stand.« Nahm *Volta* z. B.
-eine Zink- und eine Kupferscheibe, so erwies sich nach der Berührung
-erstere als positiv, letztere als negativ elektrisch. Brachte man das
-Kupfer mit Zinn oder Eisen zusammen, so wurde es gleichfalls, indes
-in weit geringerem Maße, negativ elektrisch, während das Zinn und
-das Eisen sich wie das Zink in dem ersten Versuch verhielten. Wurden
-endlich Gold oder Silber mit Kupfer berührt, so wurde das letztere
-diesmal positiv, Gold und Silber dagegen wurden negativ elektrisch.
-
-*Volta* beschreibt seinen Fundamentalversuch in einem Brief vom Jahre
-1797[323]. Eine solch beträchtliche Elektrizität durch einfache
-Berührung verschiedener Metalle zu erhalten, fügt *Volta* hinzu, sei
-gewiß etwas Bewundernswürdiges und alle Sachverständigen, denen er
-seinen Versuch gezeigt habe, seien erstaunt darüber.
-
-Welcher Art die Elektrizität der verschiedenen Metalle nach der
-Berührung ist, findet *Volta*, indem er dem Elektrometer, dem er die
-Elektrizität mitgeteilt hat, eine geriebene Glas- und eine geriebene
-Harzstange nähert und darauf achtet, ob die Divergenz der Goldblättchen
-zu- oder abnimmt. Wurden z. B. Zink und Kupfer in Berührung gebracht,
-so war nach der Trennung das Zink positiv, denn bei Annäherung der
-positiven Glasstange nahm die Divergenz des Pendel zu, während sie sich
-bei Annäherung der mit negativer Elektrizität geladenen Harzstange
-verminderte.
-
-Indem *Volta* auf solche Weise seinen Fundamentalversuch vielfach
-abänderte, gelangte er zur Aufstellung der folgenden elektrischen
-Spannungsreihe:
-
- +
- Zink
- Blei
- Zinn
- Eisen
- Kupfer
- Silber
- Gold
- Graphit
- -
-
-Diese Reihe enthält Graphit und die bekanntesten Metalle in einer
-solchen Anordnung, daß jedes vorhergehende Glied, mit einem der
-nachfolgenden in Berührung gebracht, positiv elektrisch wird, während
-das spätere Glied stets den negativ elektrischen Zustand annimmt. Dabei
-stellte sich beim Messen mit dem Strohhalmelektrometer heraus, daß der
-elektrische Unterschied zwischen je zwei Gliedern dieser Reihe um so
-größer ist, je weiter die Glieder voneinander entfernt sind. So ergaben
-sich[324] für die ersten vier Glieder der Reihe folgende Differenzen:
-
- Zink | Blei = 5
- Blei | Zinn = 1
- Zinn | Eisen = 3
-
-Für Zink | Eisen erhielt man den Wert 9 (= 5 + 1 + 3). Damit war das
-Gesetz gefunden, daß der elektrische Unterschied für zwei Glieder der
-Spannungsreihe gleich der Summe der Unterschiede aller dazwischen
-liegenden Glieder ist, so daß in einer geschlossenen Kette von
-Metallen, in der z. B. Zink mit Blei, dieses mit Zinn, dieses mit Eisen
-und das letztere wieder mit Zink verbunden wird, die elektrischen
-Unterschiede sich ausgleichen und die Spannung infolgedessen Null ist.
-
-*Volta* hatte auf Grund dieser Versuche angenommen, daß die erregende
-Kraft ausschließlich an der Berührungsstelle der Metalle ihren
-Sitz habe und die animalischen oder andere Feuchtigkeiten nur als
-Leiter dienen. Weitere Versuche belehrten ihn jedoch, daß auch bei
-der Berührung zwischen Metall und Flüssigkeit eine erregende oder
-elektromotorische Kraft auftritt. Isolierte Platten von Silber, Zinn,
-Zink usw. wurden mit feuchtem Holz, Papier oder feuchten Ziegeln in
-Berührung gebracht. Nach dem Abheben erwiesen sich die Metallplatten
-als negativ elektrisch. Die Metalle wurden Elektromotoren erster, die
-Flüssigkeiten, die sich nicht in die Spannungsreihe eingliedern lassen,
-Elektromotoren oder Leiter zweiter Klasse genannt.
-
-»Die Berührung verschiedener Leiter«, sagt *Volta* in einem Schreiben
-vom Jahre 1796[325], »die ich trockne Leiter oder Leiter der ersten
-Klasse nenne, mit feuchten oder Leitern der zweiten Klasse erregt
-das elektrische Fluidum und gibt ihm einen gewissen Antrieb. Fragen
-Sie noch nicht, wie dies geschieht; es ist vorläufig genug, daß es
-geschieht und daß es sich um ein allgemeines Verhalten handelt.«
-
-*Volta* zeigte, daß in einem nur aus Elektromotoren erster Klasse
-bestehenden Kreise keine Bewegung der Elektrizitäten, kein Strom
-entsteht. Er zeigte ferner, daß ein solcher hervorgerufen wird, wenn
-zwei Elektromotoren erster Klasse mit einem feuchten Leiter der zweiten
-Klasse und unter sich, entweder unmittelbar oder vermittelst eines
-dritten Leiters, in Verbindung stehen und auf diese Weise einen Kreis
-von Leitern bilden. Eine derartige Vereinigung wurde ein galvanisches
-Element genannt. Die Wirkung des letzteren vervielfältigte *Volta*,
-indem er eine größere Anzahl solcher Elemente zu seiner Säule verband.
-
-[Illustration: Abb. 34. *Voltas* erste Säule.]
-
-[Illustration: Abb. 35. *Voltas* aus zwei Teilen zusammengesetzte
-Säule.]
-
-Den ersten Bericht über diese, an Wichtigkeit von keiner anderen
-übertroffene Erfindung erstattete *Volta* im Jahre 1800[326]. Er teilte
-darin mit, daß es ihm im Verfolg seiner Versuche über die Erzeugung von
-Elektrizität durch bloße Berührung gelungen sei, einen neuen Apparat
-herzurichten. Dieser habe in sehr schwachem Maße die Wirkung der
-Leydener Flasche, andererseits übertreffe er die letztere darin, daß
-er nicht vorher mit fremder Elektrizität geladen werden müsse, sondern
-jedesmal wirke, wenn man ihn in geeigneter Weise berühre. Der Apparat
-besitze seiner Wirkung und auch seiner Einrichtung nach eine gewisse
-Ähnlichkeit mit dem elektrischen Organ des Zitterrochens. Abb. 34 zeigt
-die erste Säule *Voltas*. Ihre Herstellung wird mit folgenden Worten
-beschrieben[327]: »Dreißig, vierzig, sechzig oder mehr Stücke Silber,
-von denen jedes auf ein Stück Zink gelegt wird, und die gleiche Anzahl
-mit Salzwasser oder Lauge getränkter Tuchstücke, diese Stücke zwischen
-jede Verbindung der beiden Metalle geschaltet, eine derartige Folge der
-drei Leiter in stets gleicher Anordnung: das ist alles, woraus der neue
-Apparat besteht.« Außer der leichten Erschütterung, die man erhielt,
-wenn man die oberste Platte berührte und die andere Hand in das Gefäß
-b tauchte und so den Stromkreis schloß, ließ sich auch eine Wirkung
-dieses Apparates auf die Geschmacks-, Gesichts- und die Gehörnerven
-nachweisen.
-
-[Illustration: Abb. 36. *Voltas* Becherapparat.]
-
-Bei einer größeren Zahl von Platten war *Volta* gezwungen, entweder die
-Säule mit Stützen zu umgeben oder sie, wie es Abb. 35 zeigt, in mehrere
-Teile zu zerlegen. Eine Säule besaß nämlich die Unvollkommenheit, daß
-die Metallstücke durch ihr Gewicht die Tuchscheiben auspreßten, so daß
-die darin enthaltene Flüssigkeit schließlich die ganze Säule überzog
-und unwirksam machte. *Volta* war daher auf eine Anordnung bedacht,
-welche diesen Übelstand vermeidet: Er stellte eine Reihe von Bechern
-auf, die aus einem nichtmetallischen Stoff wie Holz, Ton oder Glas
-bestanden. Diese Becher füllte er zur Hälfte mit Salzwasser oder Lauge.
-Dann setzte er sie sämtlich in Verbindung, so daß sie eine Art Kette
-bildeten. Dies geschah vermittelst einer gleichen Zahl metallischer
-Bögen. Der Teil A, der in einen der Becher tauchte, war aus Kupfer
-oder aus versilbertem Kupfer hergestellt, während der andere Teil Z,
-der in den folgenden Becher tauchte, aus Zinn oder aus Zink bestand.
-Die beiden Metalle wurden an irgend einer Stelle oberhalb des Teiles,
-der in die Flüssigkeit tauchte, zusammengelötet. Damit die letztere
-mit einer hinreichend großen Fläche der Metalle in Berührung kam, gab
-*Volta* den Metallen die Form von Platten.
-
-»Eine Folge von 30, 40 oder 60 dieser auf solche Weise verbundenen
-Becher,« sagt *Volta*, »die entweder in einer geraden Linie oder in
-einer beliebigen Kurve angeordnet sein können: das ist alles, woraus
-dieser neue Apparat besteht. Im Prinzip und in Anbetracht der ihn
-bildenden Substanzen stimmt er mit dem oben beschriebenen Säulenapparat
-überein.«
-
-Um eine Erschütterung zu erhalten, genügte es, die eine Hand in einen
-der Becher und einen Finger der anderen Hand in einen zweiten Becher
-zu tauchen. Die Erschütterung war um so stärker, je weiter die beiden
-Becher von einander entfernt waren. *Volta* erhielt folglich den
-stärksten Schlag, wenn er das erste und das letzte Glied der Kette
-berührte.
-
-Die Wirkungen, die ein aus 40 oder 50 Plattenpaaren hergestellter
-Apparat hervorrief, beschränkten sich nicht auf Erschütterungen. Der
-Apparat erregte auch die Organe des Geschmacks-, des Gesichts-, des
-Gehör- und des eigentlichen Gefühlssinnes und rief in ihnen die einem
-jeden entsprechenden Empfindungen hervor, eine Tatsache, die für die
-Physiologie der Sinnesorgane von der größten Bedeutung war und später
-*Johannes Müller* zur Aufstellung seiner Lehre von den spezifischen
-Energien dieser Organe geführt hat.
-
-Die Wirkungen auf die Haut schildert *Volta* mit folgenden Worten: »Ich
-fühle in dem Augenblicke, in welchem der leitende Kreis geschlossen
-wird, an der berührten Stelle der Haut und ein wenig darüber hinaus
-einen Schlag und einen Stich, die schnell vorübergehen und sich so
-oft wiederholen, wie man den Kreis öffnet und schließt. Wenn dieser
-Wechsel häufig stattfindet, so ruft er ein sehr unangenehmes Prickeln
-und Stechen hervor. Bleibt jedoch die Verbindung bestehen, so fühlt
-man einige Augenblicke nichts mehr; darauf entsteht aber in dem von
-dem Drahtende berührten Körperteil eine andere Empfindung, nämlich
-ein scharfer, ohne Erschütterung auftretender Schmerz, der sich auf
-die berührte Stelle beschränkt, ein Brennen, das nicht nur andauert,
-sondern immer stärker und schließlich unerträglich wird und das erst
-aufhört, wenn man den Kreis unterbricht. Welch ein augenscheinlicher
-Beweis dafür, daß der elektrische Strom andauert, solange die leitenden
-Substanzen in Verbindung stehen, und daß erst, wenn wir diese
-Verbindung aufheben, der Strom unterbrochen wird. Daß das elektrische
-Fluidum unaufhörlich kreist, kann paradox erscheinen und unerklärlich
-sein. Nichtsdestoweniger ist es tatsächlich so; es läßt sich sozusagen
-mit den Händen greifen.«
-
-Die Erfindung der *Volta*schen Säule erregte nicht nur in England,
-sondern auch in Frankreich das größte Aufsehen. Auf Veranlassung
-des ersten Konsuls erschien *Volta* in Paris, wo er im November des
-Jahres 1801 einen Vortrag hielt. Die hervorragendsten französischen
-Gelehrten bildeten darauf einen Ausschuß, der Bericht erstatten
-mußte[328]. Napoleon ließ für *Volta* eine goldene Medaille prägen und
-stiftete einen Ehrenpreis für die besten Arbeiten auf dem Gebiete der
-galvanischen Elektrizität.
-
-Daß die beiden Pole der Säule eine anziehende Wirkung ausüben, bewies
-der Deutsche *Ritter* auf folgende Weise. Er verband die Pole der Säule
-mit zwei Drähten. An den Drahtenden befestigte er Goldplattstreifen und
-näherte sie einander. Die Streifen zogen sich darauf gegenseitig an,
-bis sie sich schließlich berührten und so die Kette schlossen[329].
-
-Bevor wir uns mit den chemischen, thermischen und dynamischen Wirkungen
-der von *Galvani* und *Volta* entdeckten Naturkraft näher befassen,
-wollen wir die weitere Entwicklung der galvanischen Ketten, für welche
-*Voltas* Apparat das Vorbild gewesen ist, verfolgen.
-
-Von Verbesserungen und Entdeckungen, die bald nach ihrer Erfindung
-an der *Volta*schen Säule in rascher Folge gemacht wurden, sind vor
-allem folgende erwähnenswert. Um die Berührung der Metallplatten
-vollständiger zu machen, lötete man sie zusammen[330]. Daß die
-physiologische Wirkung der Säule proportional der Anzahl der Platten
-sei, hatte schon *Volta* nachgewiesen; *Nicholson* fand dies auch
-für die chemische Wirkung bestätigt. Es lag nahe, den Einfluß des
-Durchmessers der Platten auf die Art der Wirkung zu untersuchen. Das
-Ergebnis war, daß eine Vergrößerung des Plattendurchmessers die Funken
-intensiver machte. Eine Säule von fünf großen Platten gab stärkere
-Funken als eine solche von 80 kleinen, dagegen war die physiologische
-Wirkung der fünf Platten sehr gering[331]. Der Zusammenhang der
-thermischen Wirkung des galvanischen Stromes mit der Zahl und Größe
-der Platten wurde eingehend im Jahre 1805 untersucht[332]. Man fand,
-daß große Platten leichter Drähte zum Erglühen bringen. Während z.
-B. eine Säule von 400 Plattenpaaren von 4 Zoll Durchmesser nur einen
-Eisendraht von 2 Zoll Länge zum Erglühen brachte, war eine zweite Säule
-von nur 100 Paaren, die aber einen Durchmesser von 8 Zoll besaßen,
-imstande, ein 32 Zoll langes Stück desselben Eisendrahtes glühend zu
-machen. Unter einen gemeinsamen Gesichtspunkt gebracht wurden diese
-Erscheinungen erst weit später durch das Gesetz von *Ohm* über den
-Zusammenhang der Stromstärke mit der elektromotorischen Kraft und dem
-Widerstande.
-
-Einen Vorläufer besaß *Ohm* in *Ritter*[333], der schon 1805 zu dem
-Ergebnis gelangte, daß »der Effekt der Säule bei gleicher Spannung
-von der Summe der Leitung in der Säule und dem schließenden Bogen
-abhänge«[334]. Bezeichnen wir die Spannung (elektromotorische Kraft)
-mit E, den Effekt (Intensität) mit i und den inneren und äußeren
-Leitungswiderstand mit W und w, so drückt das *Ohm*sche Gesetz die
-Beziehung zwischen den genannten Größen durch die Formel i = E/(W+w)
-aus, und diese Beziehung finden wir in dem von *Ritter* ausgesprochenen
-Satze angedeutet.
-
-Nachdem *Volta* seinen Fundamentalversuch angestellt hatte, lag der
-Gedanke nahe, eine galvanische Säule ohne Flüssigkeit zu konstruieren
-und dadurch der Kontaktheorie gegenüber der chemischen Erklärungsweise
-eine größere Stütze zu verleihen. Dieser Gedanke führte *Behrens* zur
-Konstruktion des Säulenelektroskops und *Zamboni* zur Herstellung der
-Trockensäule.
-
-*Behrens* brachte ein isoliert aufgehängtes Goldblättchen zwischen
-die entgegengesetzten Pole zweier aus Goldpapier und Stanniol
-aufgeschichteten gleichen Säulen. Da die anziehenden Kräfte gleich
-stark waren, befand sich das isolierte Goldblättchen zunächst in
-senkrechter Lage. Wurde dem Knopfe, an welchem das Goldblättchen hing,
-ein elektrisierter Körper genähert, so wurde es entweder vom positiven
-Pole der einen oder vom negativen Pole der anderen Säule angezogen, je
-nachdem der genäherte Körper positiv oder negativ war[335].
-
-Zweckmäßiger ist die Einrichtung, die später *Rieß*[336] dem
-Säulenelektroskop gegeben hat. *Rieß* benutzte nur eine aus Gold-
-und Silberpapier geschichtete Säule, deren Pole mit zwei einander
-gegenüberstehenden Metallplatten in Verbindung stehen. Die
-Elektrizitäten dieser Platten (Abb. 37) sind gleich stark. Zwischen
-den Platten hängt das isolierte Goldblättchen. Wird diesem nur die
-geringste Spur Elektrizität mitgeteilt, so wird es sich nach der einen
-oder der anderen Platte bewegen und dadurch nicht nur die Elektrizität
-selbst, sondern auch ihre Art anzeigen.
-
-[Illustration: Abb. 37. Das Säulenelektroskop.]
-
-Unabhängig von *Behrens*, dessen Erfindung zunächst wenig Beachtung
-fand, konstruierte der Italiener *Zamboni* Trockensäulen aus Gold- und
-Silberpapierscheiben, die er tausendfach übereinander aufschichtete.
-Sie gaben ihm Funken von einem halben Zoll Länge[337]. *Zamboni*
-suchte mit Hilfe seiner Säule eine Art Perpetuum mobile herzustellen.
-Hatte *Behrens* zwischen zwei Trockensäulen einen Goldblattstreifen
-aufgehängt, so brachte *Zamboni* zwischen den entgegengesetzten Polen
-DD seiner Säulen (s. Abb. 38) eine Magnetnadel *ccc* an. Das obere
-Ende dieser Nadel wurde von DD abwechselnd angezogen und wieder
-abgestoßen, so daß die Nadel fortwährend hin und her pendelte.
-
-Die Erfindung der Trockensäulen schien zunächst den Sieg der
-Kontakttheorie zu bedeuten, bis 1807 durch *Erman* gezeigt wurde, daß
-die Trockensäule ihre Wirkung einbüßt, wenn sie in völlig trockene Luft
-gebracht wird, so daß das hygroskopische Papier seine Feuchtigkeit
-verliert. Brachte man die Säule aus dem Chlorkalziumtrockenapparat,
-dessen sich *Erman*[338] bediente, wieder in gewöhnliche Luft, so wurde
-sie wieder wirksam.
-
-Kehren wir zur eigentlichen galvanischen Säule zurück. Schon das Jahr
-1802 brachte eine weitere grundlegende Entdeckung. Jemand brachte die
-Platindrähte eines Wasserzersetzungsapparats, nachdem durch letzteren
-eine Zeitlang der Strom geschickt war, an die Zunge. Der Apparat
-wirkte jetzt wie ein galvanisches Element, da sich die bekannte
-Geschmacksempfindung einstellte. Man hatte die Polarisation und den
-durch sie hervorgerufenen Polarisationsstrom entdeckt[339].
-
-[Illustration: Abb. 38. *Zambonis* Trockensäule.]
-
-Eine der soeben erwähnten ganz analoge Beobachtung machte der schon
-wiederholt genannte *Ritter*. Er hatte eine Säule ausschließlich aus
-Silber und angefeuchteten Tuchscheiben ohne Zuhilfenahme eines zweiten
-Metalles zusammengesetzt. Diese Säule gab natürlich zunächst keinen
-Strom. Nachdem er sie aber einige Zeit der Wirkung einer *Volta*schen
-Säule ausgesetzt und die Verbindung darauf gelöst hatte, gab die
-vorerwähnte nur ein Metall enthaltende »Ladungssäule« einen Strom.
-*Ritter* glaubte zuerst eine neue Art von Kondensator erfunden zu
-haben, bis *Volta*[340] nachwies, daß man es hier nicht mit einer
-bloßen Ansammlung von Elektrizität, sondern mit einer chemischen
-Zersetzung des Wassers zu tun habe. Infolgedessen überziehe sich jede
-Silberplatte mit einer Wasserstoffschicht auf der dem positiven Pole
-zugekehrten und mit einer Sauerstoffschicht auf der dem negativen Pole
-zugekehrten Seite. Eine solche aus zwei gasförmigen Flüssigkeiten und
-einem Metall bestehende Säule wirke so lange, bis das zersetzte Wasser
-sich zurückgebildet habe. Die Ladungssäule *Ritters* ist somit die
-erste Form des Akkumulators und *Volta* hatte mit vorstehenden Worten
-das Prinzip der Polarisation, das später *Planté* zur Konstruktion der
-sekundären Elemente oder Akkumulatoren führte, ganz richtig dargestellt.
-
-*Ritter* fand auch, daß durch Einschalten einer Ladungssäule der
-Strom der *Volta*schen Säule rasch geschwächt wird, eine Erscheinung,
-welche daher rührt, daß der von der Ladungssäule ausgehende Strom
-dem Ladestrom der *Volta*schen Säule entgegengesetzt ist. Man
-erkannte, daß aus demselben Grunde, d. h. infolge des Auftretens
-von Zersetzungsprodukten, die *Volta*sche Säule geschwächt werden
-muß, selbst wenn sie gar nicht mit einer »Ladungssäule« oder einem
-Wasserzersetzungsapparat in Verbindung steht. Das Bestreben, hier
-Abhilfe zu schaffen, führte zur Konstruktion der »konstanten Elemente«.
-
-
-
-
-13. Die Begründung der Elektrochemie.
-
-
-Wie bei so vielen großen Entdeckungen wurden auch bezüglich der
-chemischen Wirkung der galvanischen Elektrizität die ersten
-Beobachtungen gemacht, ohne daß man ihnen gleich die verdiente
-Bedeutung beigelegt und sie weiter verfolgt hätte. So wurde schon
-im Jahre 1795 darauf hingewiesen, daß, wenn Zink und Silber in
-Wasser tauchen, das Zink von einer Oxydschicht überzogen wird[341].
-*A. v. Humboldt* wiederholte diesen Versuch und sah am Silber
-Blasen aufsteigen, die aus Wasserstoff bestanden[342]. Übrigens war
-*Humboldt* ein Hauptgegner *Voltas*. *Humboldt* gab 1797-1799 ein
-Werk über die tierische Elektrizität heraus, das er »Versuche über
-die gereizte Nerven- und Muskelfaser« betitelte. Darin vertrat er
-die Ansicht, die galvanischen Erscheinungen würden durch ein Fluidum
-hervorgerufen, das in den tierischen Organen angehäuft sei. Ob dieses
-Fluidum, wie *Galvani* angenommen, elektrischer Natur sei, hielt
-*Humboldt* sogar noch für zweifelhaft. Eine bessere Aufnahme fanden
-die Forschungsergebnisse *Galvanis* und *Voltas* jenseits des Kanals.
-Sobald die Kunde von der Erfindung der *Volta*schen Säule nach England
-gelangt war, beeilten sich die dortigen Physiker, *Voltas* Apparat
-zusammenzustellen und damit zu experimentieren. Dabei richtete sich
-ihre Aufmerksamkeit auf die von *Volta* übersehenen, vielleicht auch
-in seiner Voreingenommenheit für die von ihm begründete Kontakttheorie
-nicht genügend beachteten chemischen Vorgänge.
-
-Der erste, der in England eine Säule nach *Voltas* Angaben
-zusammensetzte, war *Carlisle*[343]. Um eine bessere Berührung des
-Schließungsdrahtes mit der oberen Platte zu bewerkstelligen, hatte
-*Carlisle* die letztere mit einem Tropfen Wasser angefeuchtet. Dabei
-bemerkte er, daß sich um den Draht herum Gasbläschen bildeten. Um diese
-Erscheinung genauer zu verfolgen, führte *Carlisle* in Gemeinschaft
-mit *Nicholson*[344] im Mai des Jahres 1800 den galvanischen Strom
-unter Anwendung von zwei Messingdrähten durch eine mit Wasser gefüllte
-Röhre[345]. Der Abstand zwischen den Enden der Drähte betrug 1¾
-Zoll. Sogleich erhob sich an dem mit dem Silber verbundenen Drahte ein
-Strom kleiner Gasblasen, während die Spitze des anderen Drahtes anlief.
-Jenes Gas wurde als Wasserstoff erkannt. Der Sauerstoff des Wassers
-hatte sich dagegen mit der Substanz desjenigen Drahtes verbunden,
-der zum Zink führte, und ein Anlaufen des Endes verursacht. Als man
-anstatt der Messingdrähte solche aus Platin wählte, einem Metall,
-mit dem der Sauerstoff sich nicht direkt verbindet, gelang es, beide
-Gase als solche aus dem Wasser abzuscheiden. Dieses war die erste,
-vollständige und deutliche, mit Hilfe des galvanischen Stromes bewirkte
-Zerlegung einer chemischen Verbindung, deren zusammengesetzte Natur
-man allerdings schon vorher erkannt hatte. Zwar besaßen *Carlisle* und
-*Nicholson* in *von Humboldt* und einigen anderen Vorläufer, die schon
-auf gewisse Erscheinungen hingewiesen hatten, die offenbar chemische
-Wirkungen des Stromes waren. Ja, es tauchte schon vor der Erfindung der
-*Volta*schen Säule die Ansicht auf, daß vielleicht chemische Änderungen
-nicht die Folge, sondern die Ursache der Elektrizitätsentwicklung
-sein möchten[346]. Dennoch gebührt den beiden englischen Forschern
-das Verdienst, die Zerlegung des Wassers durch den galvanischen Strom
-zum ersten Male durch eine planvolle und ergebnisreiche Untersuchung
-dargetan zu haben. Nichts lag daher näher, als das neue Hilfsmittel auf
-Stoffe bislang unbekannter chemischer Zusammensetzung anzuwenden, ein
-Weg, den wir wenige Jahre nach der Anstellung der soeben beschriebenen
-ersten Elektrolyse mit dem größten Erfolge den Engländer *Davy*
-beschreiten sehen. Wie *Nicholson* und *Carlisle* in *v. Humboldt*, so
-besaß *Davy* auf diesem Gebiete einen Vorläufer in dem schon erwähnten
-Deutschen *Ritter*[347]. Im September des Jahres 1800[348] teilte
-dieser mit, daß er mit einer aus 64 Plattenpaaren bestehenden Säule
-nicht nur Wasser, sondern auch Kupfervitriol unter Abscheidung von
-Kupfer zersetzt habe. *Ritter* ließ den Strom auch auf Ammoniak wirken.
-Er gelangte schließlich zu der Ansicht, es gebe keine Flüssigkeit, die
-nicht durch den galvanischen Strom zersetzt werden könne.
-
-Es ist für uns Deutsche ruhmvoll, daß bei uns so oft in aller Stille
-und Verborgenheit die Erschließung neuer Wissensgebiete stattgefunden
-hat. Es ist dagegen eine fast beschämende, indessen aus den früheren
-Zuständen und dem Nationalcharakter erklärliche Tatsache, daß der
-weitere Ausbau der erschlossenen Gebiete und die praktische Verwertung
-der gewonnenen Kenntnisse, sowie infolgedessen häufig genug auch
-der Ruhm der Entdeckung dem Auslande vorbehalten blieb. Im Beginn
-des 19. Jahrhunderts herrschte zudem eine die empirische Forschung
-unterschätzende Naturphilosophie in Deutschland, in deren Banden sich
-*Ritter* und in seinen jüngeren Jahren auch *von Humboldt* befand. Sie
-hat der Naturforschung auf deutschem Boden mehr geschadet, als es in
-Frankreich die Wirren der französischen Revolution vermocht haben. Von
-beiden Hemmnissen blieben die Forscher Englands verschont. Und so sehen
-wir hier *Davy* mit Entdeckungen auf dem neuen Gebiete hervortreten,
-welche denjenigen *Voltas* nicht nachstehen.
-
-*Humphry Davy* wurde am 17. Dezember 1778 in Cornwall geboren[349].
-In ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen -- sein Vater sorgte für
-sich und die Seinen durch Herstellung von Holzschnitten -- wurde der
-junge *Davy* Gehilfe bei einem Chirurgen. Diesem mußte er auch bei
-der Herstellung von Arzneien zur Hand gehen. Auf solche Weise wurde
-in ihm ein Interesse an chemischen Vorgängen erweckt, das für seine
-spätere Laufbahn bestimmend werden sollte. Im Alter von 20 Jahren
-erhielt *Davy* eine Anstellung an einem Institut, das man in Bristol
-zu dem Zweck ins Leben gerufen hatte, um die Wirkungen gasförmiger
-Körper auf den Organismus zu prüfen[350]. *Davy* machte hier die
-Beobachtung, daß das von *Priestley* um 1772 entdeckte Stickoxydul
-(Lachgas) berauschend und betäubend wirkt[351]. Ferner stellte er
-Versuche über die physiologischen Wirkungen von Wasserstoff und
-Kohlendioxyd an und gelangte dadurch in den Ruf eines vorzüglichen
-Experimentators. Infolgedessen wurde *Davy*, bald nachdem die Kunde
-von *Voltas* Entdeckungen nach England gekommen war, als Professor
-der Chemie an die Royal Institution nach London berufen und zum
-Mitglied der Royal Society gewählt. Hier sehen wir ihn während
-des ersten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts eine außerordentliche
-Wirksamkeit entfalten, durch die er der Lehre vom Galvanismus
-eine neue Richtung gab. Nur die hervorragende, gleichzeitig das
-physikalische, wie das chemische Gebiet umfassende Forschertätigkeit
-eines *Davy* war imstande, die zahlreichen Irrtümer, welche jener
-Lehre infolge unrichtiger Auslegung der beobachteten elektrochemischen
-Vorgänge anhafteten, zu beseitigen. Der Elektrizität wurde damals
-alles Mögliche und Unmögliche zugeschrieben. Hielten es doch viele
-für ausgemacht, daß aus reinem Wasser und dem elektrischen Fluidum
-Salpetersäure, Salzsäure, Natron oder gar eine besondere elektrische
-Säure entstehen könne. *Davy* lieferte den Nachweis, daß in solchen
-Fällen das Wasser Verunreinigungen enthielt, durch deren Zersetzung
-die genannten Verbindungen entstanden waren, oder daß in anderen
-Fällen unter dem Einfluß der Elektrizität Bestandteile des Gefäßes
-an das Wasser abgegeben und zersetzt wurden[352]. Er zeigte ferner,
-daß chemisch reines Wasser sich durch die Elektrizität einzig und
-allein in Sauerstoff und Wasserstoff zersetzt[353]. Darauf folgten
-eine Anzahl Versuche über »Das Hinüberführen gewisser Bestandteile
-der Körper durch Elektrizität,« ein Vorgang, den man später als das
-Wandern der Ionen bezeichnet und durch die Annahme von freien, positiv
-oder negativ geladenen Ionen erklärt hat. *Davy* spricht das Ergebnis
-dieser Versuche etwa folgendermaßen aus: Wasserstoff und die Metalle
-würden von den negativ elektrischen Metallflächen angezogen, von den
-positiv elektrischen dagegen zurückgestoßen. Dagegen würden Sauerstoff
-und die Säuren (die Säurereste würden wir heute sagen) von den
-positiven Metallflächen angezogen, von den negativen abgestoßen. Diese
-anziehenden und zurückstoßenden Kräfte seien energisch genug, um die
-Wirkung der Wahlverwandtschaft zu zerstören.
-
-Die Schwierigkeit, daß die Bestandteile der Verbindungen an den weit
-voneinander entfernten Elektroden jeder für sich in die Erscheinung
-treten, erklärt *Davy*, indem er das Wasser als Beispiel wählt, auf
-folgende Weise. Da der Wasserstoff von der positiven Metallfläche
-(die Bezeichnung Elektrode hat erst *Faraday* eingeführt) und der
-Sauerstoff von der negativen Fläche abgestoßen würden, so müsse in
-der Mitte des flüssigen Leiters eine Verbindung der zurückgestoßenen
-Stoffe vor sich gehen, oder -- ein Gedanke, den später[354] *Grothuss*
-wieder aufgenommen -- es finde eine Reihe von Zersetzungen und
-Wiedervereinigungen von der einen Metallfläche bis zur anderen statt.
-
-Über eine Entdeckung von weittragendster Bedeutung berichtete *Davy*
-der Royal Society im Jahre 1807. Schon *Lavoisier* hatte die
-Vermutung ausgesprochen, daß man in den Alkalien und den Erden den
-Metallkalken ähnliche Verbindungen des Sauerstoffs mit bis dahin
-unbekannten Elementen zu erblicken habe. Alkali war auch die Substanz,
-die aus der Wand des Glasgefäßes in das Wasser überging, wenn letzteres
-in einem solchen der Elektrolyse unterworfen wurde. Was lag daher
-näher, als die zersetzende Kraft des galvanischen Stromes auf das
-Alkali selbst wirken zu lassen, um so das Dunkel, welches die chemische
-Natur dieser Verbindung einhüllte, zu lichten!
-
-*Davy* versuchte zuerst Kali und Natron in ihren wässerigen,
-bei gewöhnlicher Temperatur gesättigten Lösungen mit Hilfe der
-stärksten galvanischen Apparate, die ihm zu Gebote standen, zu
-zerlegen. Bei aller Intensität der Wirkung wurde jedoch das Wasser
-allein angegriffen, und unter großer Hitze und heftigem Aufbrausen
-entwickelten sich nur Wasserstoff und Sauerstoff. *Davy* schmolz daher
-bei seinen späteren Versuchen das Kali und das Natron, indem er sie in
-einen Platinlöffel legte und die Elektrizität zugleich als Schmelzungs-
-und Zersetzungsmittel wirken ließ.
-
-Das Kali, das er durch Glühen vollkommen getrocknet hatte, leitet
-zwar die Elektrizität nicht. Es wird aber schon leitend durch ein
-wenig Feuchtigkeit, welche den festen Zustand des Kalis nicht merklich
-ändert. In diesem Zustande wird es durch eine energische elektrische
-Einwirkung geschmolzen und zersetzt. *Davy* nahm ein kleines Stück
-reines Kali, ließ es einige Sekunden mit der Atmosphäre in Berührung,
-wodurch es an der Oberfläche durch Wasseranziehung leitend wurde,
-legte es auf eine isolierte Platinscheibe, die mit dem negativen Ende
-einer Batterie von 250 Plattenpaaren verbunden war, und berührte die
-Oberfläche des Kali mit dem positiven Platindrahte. Sogleich zeigte
-sich eine sehr lebhafte Wirkung. Das Kali begann zu schmelzen. An der
-oberen Fläche sah *Davy* ein heftiges Aufbrausen. An der unteren oder
-negativen Fläche war keine Gasentwicklung wahrzunehmen. Doch entdeckte
-*Davy* dort kleine Kügelchen, die einen sehr lebhaften Metallglanz
-hatten und völlig wie Quecksilber aussahen. Eine Menge von Versuchen
-bewiesen ihm alsbald, daß diese Kügelchen die Substanz waren, nach der
-er suchte, nämlich ein brennbarer Körper eigentümlicher Art, und zwar
-das dem Kali zugrunde liegende Metall. *Davy* fand, daß die Gegenwart
-von Platin ohne Einfluß auf das Resultat ist, und daß dieses Metall
-nur die Elektrizität zuführt, welche die Zersetzung bewirken soll. Es
-entstand nämlich immer dieselbe Substanz, er mochte den Stromkreis
-durch Stücke Kupfer, Silber, Gold, Graphit oder Kohle schließen. Natron
-gab ähnliche Resultate wie das Kali, wenn man es auf dieselbe Art
-behandelte.
-
-Bei allen Zersetzungen chemischer Verbindungen, welche *Davy* früher
-untersucht hatte, waren stets die brennbaren Elemente am negativen
-Pole entbunden worden, während der Sauerstoff am positiven Pole
-zum Vorschein kam oder dort in Verbindung trat. Es war daher ein
-naheliegender Gedanke, daß bei der Einwirkung der Elektrizität auf die
-Alkalien die neuen Substanzen auf ganz ähnliche Weise erzeugt werden.
-
-*Davy*[355] stellte deshalb in einem durch Quecksilber abgesperrten
-Apparat mehrere Versuche an, bei denen die äußere Luft ausgeschlossen
-war. Diese Versuche bewiesen, daß sich die Sache in der Tat so verhält.
-Als er nämlich festes Kali oder Natron, die so viel Feuchtigkeit
-eingesogen hatten, daß sie die Elektrizität leiteten, in Glasröhren
-einschloß, die mit Platindrähten versehen waren, und den Strom
-hindurchleitete, dann entstanden die neuen Substanzen an der negativen
-Metallspitze. Das Gas, das sich gleichzeitig an der positiven
-Metallspitze entwickelte, war reiner Sauerstoff. Am negativen Pole
-erschien gar kein Gas, außer wenn Wasser in größerer Menge vorhanden
-war. Dann wurde nämlich durch die Einwirkung des entstandenen Kaliums
-auf das Wasser Wasserstoff entwickelt.
-
-Um den Beweis, daß die Alkalien nur durch die Vereinigung von
-Sauerstoff mit den entdeckten Metallen entstanden sind, zu einem
-einwandfreien zu erheben, schloß *Davy* an seine durch das neue
-Hilfsmittel vollzogene Analyse (Elektrolyse) die Synthese der Alkalien
-an. In besonders dazu hergerichteten, durch Quecksilber abgesperrten
-Glasröhren wurden einige Kügelchen Kalium mit Sauerstoff in Berührung
-gebracht. Sie verschluckten augenblicklich den Sauerstoff und überzogen
-sich mit einer Rinde von Kaliumoxyd. Der Grundstoff des Natrons, das
-Element Natrium, verhielt sich ähnlich und lieferte wieder Natron.
-Wurden die aus Kali und aus Natron erhaltenen Elemente in einer
-gegebenen Menge Sauerstoff erhitzt, so verbrannten sie schnell mit
-weißer, glänzender Flamme und die metallischen Kügelchen verwandelten
-sich in eine feste, weiße Masse, die aus Kali oder aus Natron bestand,
-je nachdem man Kalium oder Natrium zu dem Versuch genommen hatte.
-Dabei wurde Sauerstoff verschluckt. Die Oxyde, die bei dem Versuche
-entstanden, übertrafen an Gewicht dasjenige der verbrannten Substanzen
-bedeutend.
-
-Diese Tatsachen berechtigten *Davy* anzunehmen, daß Kali und Natron aus
-Sauerstoff und zwei eigentümlichen Grundstoffen bestehen. Die Affinität
-der Alkalimetalle zu Sauerstoff erwies sich als so groß, daß *Davy* die
-entdeckten Elemente nur unter Steinöl aufbewahren konnte. Wasser wurde
-von ihnen so heftig unter Entwicklung von Wasserstoff zersetzt, daß die
-geringe Menge Wasser, welche im Alkohol und im Äther nach sorgfältiger
-Reinigung dieser Flüssigkeiten noch enthalten ist, zerstört wurde[356].
-
-Metalloxyde, die man mit Kalium erhitzte, wurden ihres Sauerstoffs
-beraubt (reduziert). Als *Davy* ein wenig Eisenoxyd mit Kalium
-erwärmte, erfolgte eine lebhafte Einwirkung. Es entstand Kali neben
-Teilchen eines grauen Metalls, das sich als Eisen erwies. Bleioxyd
-und Zinnoxyd wurden noch schneller reduziert. War Kalium im Überfluß
-vorhanden, so verband sich das entstehende Metall mit dem Kalium zu
-einer Legierung. Das chemische Verhalten des Natriums fand *Davy* im
-ganzen dem des Kaliums ähnlich, doch zeigten sich charakteristische
-Verschiedenheiten.
-
-*Davy* kam nach Abschluß dieser Untersuchung sofort auf die Vermutung,
-daß die alkalischen Erden, wie Baryt und Strontian, Verbindungen
-derselben Art wie die Alkalien seien, d. h. metallische Grundstoffe
-von hoher Brennbarkeit verbunden mit Sauerstoff[357]. Wie Baryt und
-Strontian, so besitzen auch Kalk, Magnesia, Tonerde und Kieselerde
-manche Ähnlichkeit mit den Alkalien[358]. Man durfte deshalb hoffen,
-daß auch diese widerspenstigen Stoffe der Einwirkung mächtiger
-Batterien nicht widerstehen und daß sich ihre Bestandteile mit Hilfe
-der neuen Methode abscheiden lassen würden[359].
-
-Die Verwandtschaftskräfte der neuen Metalle, die in den Alkalien
-enthalten sind, führten zu einer nicht zu ermessenden Menge von
-Versuchen. Diese Metalle wurden mächtige Agentien für die chemische
-Analyse. Und da sie an Verwandtschaft zum Sauerstoff alle bekannten
-Stoffe übertrafen, so konnten sie bei manchen Zerlegungen die
-Elektrizität ersetzen. So wurden, wie wir später sehen werden, die
-Grundstoffe der Kieselerde und der Tonerde, das Silizium und das
-Aluminium nämlich, zuerst durch die Einwirkung der Alkalimetalle
-aus ihren Verbindungen abgeschieden. Die Gewinnung des Aluminiums
-vermittelst des galvanischen Stromes erfolgte erst später.
-
-Die Elektrolyse von Kalk, Baryt, Strontian und Magnesia gelang, ganz
-wie *Davy* es vorausgesehen. Schon ein Jahr nach der Entdeckung der
-Alkalimetalle konnte er den staunenden Zeitgenossen von diesem neuen
-Erfolg berichten.
-
-Vor allem hatten die Untersuchungen *Davys* das wichtige Ergebnis,
-daß die Bedeutung, welche der Sauerstoff als Bestandteil chemischer
-Verbindungen beansprucht, in einem ganz anderen Umfange erkannt
-wurde. Hatte *Lavoisier* dieses Element als das säurebildende Prinzip
-angesprochen, so konnte man es jetzt mit der gleichen Berechtigung als
-ganz wesentlich für das Zustandekommen der Alkalien hinstellen. *Davy*
-erklärte infolgedessen am Schluß seiner Untersuchung: »Sauerstoff ist
-in allen wahren Alkalien vorhanden. Denselben Stoff, den die Franzosen
-als das Prinzip der Azidität charakterisieren, kann man daher auch
-das Prinzip der Alkalisierung nennen.« Nach den heutigen Anschauungen
-werden bekanntlich die basischen Eigenschaften durch das Vorhandensein
-der Hydroxylgruppe OH bedingt.
-
-Es ist begreiflich, daß *Davy*, nachdem er diese neue Rolle des
-Sauerstoffs erkannt hatte, sich auch dem flüchtigen Alkali, dem
-Ammoniak, zuwandte. Hier begegnete ihm nun der Irrtum, daß er den
-Sauerstoff, den er in dem Ammoniakgas (NH_{3}) vorhanden glaubte,
-auch wirklich fand, obgleich dies Element in dem völlig reinen, gut
-getrockneten Ammoniakgase fehlt. Indessen macht bekanntlich auch hier
-der Sauerstoff das Wesen der Alkalinität aus, indem das Ammoniakgas
-sich mit dem Wasserstoff und der Hydroxylgruppe des Wassers erst zur
-eigentlichen Basis verbindet (NH_{3} + HOH = NH_{4} . OH). *Davy* faßte
-das Verhältnis des Ammoniaks zu den fixen Alkalien auch ganz richtig
-auf, indem er sagte, es würde zu letzteren wohl in derselben Beziehung
-stehen wie die Pflanzensäuren mit zusammengesetztem Radikal zu den
-mineralischen Säuren von einfacherer Zusammensetzung. Dem Kalium würde
-also nach dieser noch heute geltenden Auffassung die Gruppe NH_{4}
-entsprechen.
-
-Selten ist die Chemie mit einer solchen Fülle neuer Tatsachen
-bereichert worden, wie es innerhalb eines so kurzen Zeitraumes durch
-die Ergebnisse der elektrochemischen Untersuchungen *Davys* geschah.
-In dem galvanischen Strom hatte man das gewaltigste Agens für die
-chemische Analyse kennen gelernt. Neben der zersetzenden Wirkung der
-*Volta*schen Säule wandte sich das Interesse in steigendem Maße auch
-den innerhalb der Säule zwischen den Metallen und den angewandten
-Flüssigkeiten vor sich gehenden chemischen Veränderungen zu. Während
-man letztere zuerst als etwas Nebensächliches betrachtet hatte, begann
-man jetzt in dem innerhalb der Kette sich abspielenden chemischen
-Vorgang die Ursache des elektrischen Stromes zu erblicken.
-
-Zwar erkannte schon *Davy*, daß nicht *jeder* chemische Vorgang
-elektromotorisch wirksam ist. Wurde Eisen in Sauerstoff verbrannt,
-während das Metall mit einem Elektrometer verbunden war, so erhielt
-letzteres während des Prozesses keine Spur von Ladung. Salpeter
-und Holzkohle wirkten, während sie unter Verpuffung zur Verbindung
-gebracht wurden, ebensowenig auf das Elektrometer. Auch bei der
-Verbindung von festem Alkali und Schwefelsäure machte sich kein
-Auftreten von Elektrizität bemerkbar[360]. Trotzdem suchte *Davy* die
-chemische Verwandtschaft auf elektrische Anziehungen und Abstoßungen
-zurückzuführen, so daß wir ihn als den Begründer einer elektrischen
-Theorie der chemischen Verbindungen betrachten müssen, einer
-Theorie, die ihren weiteren Ausbau durch *Berzelius* erfuhr und nach
-der Aufnahme mancher Verbesserungen die Grundlage für die neueren
-Anschauungen geworden ist.
-
-Ursprünglich war *Davy* Anhänger der rein chemischen Theorie, während
-er später gleichzeitig der Kontakttheorie Rechnung zu tragen suchte.
-Er nahm nämlich an, daß die Atome bei ihrer Berührung entgegengesetzt
-elektrisch würden und sich infolgedessen anzögen, während nach
-*Berzelius* eine verschiedenartige elektrische Ladung den Atomen
-ursprünglich eigen ist und sich bei ihrer Verbindung ausgleicht. »Alle
-Körper die sich chemisch miteinander verbinden,« so führt *Davy* seine
-Ansicht des näheren aus, »geben bei ihrer Berührung entgegengesetzte
-elektrische Zustände. Angenommen die kleinsten elementaren Teilchen
-können sich frei bewegen, so werden sie sich deshalb infolge ihrer
-bei der Berührung auftretenden elektrischen Kräfte anziehen müssen.«
-*Davy* meint, der Zusammenhang der Elektrizität mit der chemischen
-Verwandtschaft liege also ziemlich klar zutage. Man dürfe vielleicht
-annehmen, daß beide im Grunde genommen dasselbe seien. Daraus erklärt
-sich das Problem, das *Davy* aufwirft, nämlich »eine Stufenleiter der
-elektrischen Kräfte der Körper aufzufinden, wie sie den Graden der
-Verwandtschaft entsprechen[361].« Auch dieser Gedanke *Davys* ist in
-der Folge, nachdem man eine Untersuchung der Beziehungen zwischen dem
-elektrischen und dem chemischen Potential in Angriff genommen, von
-großer Tragweite gewesen[362].
-
-Auch die Wärme- und die Lichtwirkung der galvanischen Elektrizität
-konnten, als man die Zahl der Platten vergrößerte, nicht verborgen
-bleiben. Daß beim Öffnen und Schließen des galvanischen Stromes
-mehr oder minder kräftige Funken auftreten, gehörte zu den ersten
-Beobachtungen, die man an den neuen Apparaten machte. Als *Davy* den
-Strom seiner aus einigen hundert Plattenpaaren zusammengesetzten
-Batterie durch Alkali leitete, war die Wärmewirkung groß genug, um
-letzteres zu schmelzen. Und als derselbe Forscher später eine Batterie
-von 2000 Elementen benutzte, zeigte sich an der Unterbrechungsstelle,
-zumal bei Anwendung von Kohlenspitzen, ein äußerst blendendes
-Licht, das jedoch erst in der neueren Zeit, seitdem man billigere
-Elektrizitätsquellen kennen gelernt hatte, als Bogenlicht zu
-Beleuchtungszwecken Verwendung finden konnte. Es ist nicht ganz
-zutreffend, *Davy* als den Entdecker des Bogenlichtes zu bezeichnen.
-Dem Öffnungsfunken hatte sich schon länger das Interesse der Physiker
-zugewandt. Man hatte sein Zustandekommen aus dem Auftreten erglühender,
-abgerissener Metallteilchen erklärt und auch den einen Pol mit einem
-Kohlenstift verbunden, um dadurch stärkere Funken zu erhalten. Der
-erste, der zwei Kohlenstifte anwandte und so im Jahre 1820 ein Licht
-erzielte, das die Augen der Zuschauer blendete, war *de la Rive*.
-*Davy* machte seinen Versuch erst ein Jahr später bekannt[363]. Und es
-ist nicht einmal sicher, ob er unabhängig von *de la Rive*, der mit
-380 Elementen experimentierte, auf den Gedanken gekommen ist, zwei
-Kohlenspitzen zu verwenden.
-
-Als *Davy* die Kohlenspitzen nach der Unterbrechung des Stromes
-untersuchte, fand er, daß die mit dem positiven Pol verbundene Spitze
-ausgehöhlt, der gegenüberstehende Kohlenstift dagegen zugespitzt
-erschien. Es hatte somit eine Wanderung der Kohlenteilchen vom
-positiven zum negativen Pole stattgefunden. Dies zeigte sich noch
-deutlicher, als *Davy* die Verbrennung der hinüberwandernden Teilchen
-dadurch aufhob, daß er den Lichtbogen im luftleeren Raum entstehen ließ.
-
-Viele Entdeckungen *Davys* sind dem praktischen Leben zugute gekommen.
-Während seine Sicherheitslampe die Zahl der in den Kohlengruben
-stattfindenden Unglücksfälle erheblich verringerte, zeigte später
-das von ihm entdeckte Kalium dem in dunkler Nacht ins Meer gespülten
-Schiffer den Weg zur Rettung[364]. Zu erwähnen sind auch *Davys*
-Untersuchungen über das Leitungsvermögen. Er zeigte, daß dieses mit
-steigender Temperatur abnimmt und daß die schlechten Leiter leichter
-erglühen als die besseren. Um dies in augenfälliger Weise darzutun,
-verfertigte *Davy* eine Kette, deren Glieder abwechselnd aus Silber-
-und aus Platindraht bestanden. Leitete er durch diese Kette einen
-elektrischen Strom von zunehmender Stärke, so konnte er bewirken,
-daß die Platinstücke glühten, während das Silber kalt blieb, ein
-Experiment, das noch heute zu den beliebtesten Vorlesungsversuchen
-gehört.
-
-Nach ihrem Leitungsvermögen ordnete *Davy*, mit dem schlechtesten
-Leiter beginnend, die bekannten Metalle in folgende Reihe: Eisen,
-Platin, Zinn, Zink, Gold, Kupfer, Silber. Daß das Leitungsvermögen
-nicht von der Größe der Oberfläche, sondern von der Größe des
-Querschnitts abhängt, bewies er auf folgende Weise. Er ließ einen
-zylindrischen Draht, dessen Leitfähigkeit er geprüft hatte, zu einem
-Bande auswalzen. Obgleich die Oberfläche dadurch sechsmal so groß
-geworden war, besaß der Draht noch dasselbe Leitungsvermögen. Endlich
-ging aus *Davys* Untersuchung noch hervor, daß das Leitungsvermögen der
-Länge des eingeschalteten Drahtes umgekehrt proportional ist.
-
-Für *Davys* unvergleichliche Leistungen ist ihm reiche Anerkennung
-zuteil geworden. Napoleon verlieh, obgleich er damals mit England
-im Kriege lag, dem genialen Manne einen jener Preise, die er für
-hervorragende Arbeiten auf dem Gebiete der galvanischen Elektrizität
-gestiftet hatte. In seinem Vaterlande wurde *Davy* geadelt und zum
-Präsidenten der Royal Society gewählt, ein Amt, das er bekleidete,
-bis zunehmende Schwäche des Körpers ihn zum Rücktritt zwang. Auf einer
-zur Wiederherstellung der Gesundheit unternommenen Reise verschlimmerte
-sich sein Leiden. Er starb in Genf am 29. Mai des Jahres 1829[365].
-
-
-
-
-14. Die Erforschung der elektromagnetischen und der elektrodynamischen
-Grunderscheinungen.
-
-
-Die ersten Beobachtungen, die auf eine Beziehung zwischen der
-galvanischen Elektrizität und dem Magnetismus hindeuteten, wurden
-gleichfalls von *Davy* gemacht. Er fand nämlich, daß der zwischen
-den Kohleelektroden erzeugte Lichtbogen durch die Pole eines starken
-Magneten angezogen und abgestoßen wird, ja sogar in eine Drehung
-versetzt werden kann[366]. Besonders schön gelang dieser Versuch, wenn
-der Bogen sich im luftverdünnten Raum befand und darin auf eine Länge
-von 3-4 Zoll gebracht war. Es lag nahe, nun auch umgekehrt die Wirkung
-eines Stromes auf einen beweglich angebrachten Magneten nachzuweisen.
-Dies gelang dem dänischen Physiker *Oersted*.
-
-*Hans Christian Oersted* wurde am 14. August des Jahres 1777 auf
-Langeland geboren. Er war zunächst wie sein Vater Apotheker. Später
-wurde er Professor der Physik an der Universität zu Kopenhagen.
-*Oersted* befaßte sich besonders mit chemischen Versuchen. So stellte
-er zuerst Chloraluminium her und ermöglichte dadurch *Wöhler* die
-Darstellung des metallischen Aluminiums[367]. *Oersted* starb in
-Kopenhagen im Jahre 1851. Seine so überaus wichtige Entdeckung des
-Elektromagnetismus datiert vom 21. Juli 1820. Sie ging aus Versuchen
-hervor, welche *Oersted* anstellte, um die schon lange geahnte
-Beziehung zwischen den beiden so geheimnisvollen Naturkräften
-nachzuweisen. Die Erzählung, daß sein Diener das Schwanken der Nadel
-zufällig bemerkt und ihn darauf aufmerksam gemacht habe, ist unter die
-wissenschaftlichen Legenden zu verweisen.
-
-In einer 1820 an die hervorragendsten Physiker und Gesellschaften
-gesandten kurzen Mitteilung[368] berichtet *Oersted* über seine
-Versuche und deren Ergebnisse. Er brachte ein geradliniges Stück eines
-vom galvanischen Strom durchflossenen Drahtes in horizontaler Lage über
-eine gewöhnliche Magnetnadel, so daß der Draht der Nadel parallel war.
-Die Magnetnadel kam dann in Bewegung; und zwar wich ihr Nordpol, wenn
-er zum negativen Pole des galvanischen Apparates zeigte, nach Westen
-ab. War die Entfernung des Drahtes von der Magnetnadel nicht mehr
-als 5/4 Zoll, so betrug diese Abweichung ungefähr 45°. Bei größerer
-Entfernung nahmen die Winkel ab. Auch war die Abweichung verschieden je
-nach der Stärke des galvanischen Apparates.
-
-Die Natur des Metalles hatte auf den Erfolg keinen Einfluß. *Oersted*
-hat Drähte aus Platin, Gold, Silber, Messing und Eisen, ferner Zinn-
-und Bleistreifen, sowie Quecksilber mit gleichem Erfolge angewandt.
-Der stromdurchflossene Draht wirkte auf die Magnetnadel durch Glas,
-Metalle, Holz, Wasser und Harz, durch Tongefäße und durch Steine
-hindurch. Als *Oersted* zwischen den Leiter und die Nadel eine
-Glastafel, eine Metallplatte oder ein Brett gebracht hatte, blieb
-der Erfolg nicht aus. Selbst alle drei Substanzen vereinigt schienen
-die Wirkung kaum zu schwächen; ebensowenig ein irdenes Gefäß, selbst
-wenn es voll Wasser war. Die erwähnten Wirkungen traten sogar ein,
-als *Oersted* eine Magnetnadel anwandte, die sich in einer mit Wasser
-gefüllten Messingbüchse befand.
-
-Wenn der Leiter in einer horizontalen Ebene unter der Magnetnadel
-angebracht war, so gingen alle angegebenen Wirkungen nach
-entgegengesetzter Richtung vor sich. Drehte er den Leiter in der
-horizontalen Ebene, so daß er allmählich immer größere Winkel mit dem
-magnetischen Meridian machte, so wurde die Abweichung der Magnetnadel
-vom magnetischen Meridian vermehrt, wenn das Drehen des Drahtes der
-Lage der Magnetnadel zu gerichtet war. Die Abweichung nahm dagegen ab,
-wenn die Drehung von der Magnetnadel fort erfolgte. Hiervon ausgehend
-verfertigte *Pouillet* im Jahre 1837 die zur Messung der Stromstärke
-dienende Sinusboussole. Bei diesem Apparat wird der Leiter so
-lange gedreht, bis er mit der Nadel wieder in eine Ebene fällt. Die
-Stromstärke ist dann dem Sinus des Drehungswinkels proportional.
-
-*Oersted* folgerte aus seinen Versuchen, daß der Strom »nicht in dem
-Draht eingeschlossen ist, sondern sich zugleich in dem umgebenden Raum
-weithin ausbreitet«.
-
-Die Kunde von *Oersteds* großer Entdeckung nahm, weil *Oersted*
-allen namhaften Physikern seine Abhandlung zugehen ließ, sofort die
-wissenschaftliche Welt in Anspruch. Überall wurden seine Versuche
-nachgeprüft, bestätigt und durch neue Entdeckungen vervollständigt.
-So fand *Gay-Lussac* sofort, daß der Strom den Magneten nicht nur
-ablenkt, sondern eine vorher unmagnetische Stahlnadel in einen Magneten
-verwandelt. Die magnetisierende Wirkung zeigte sich besonders, wenn
-die Nadel in eine vom galvanischen Strom durchflossene Drahtspirale
-gebracht wurde. *Gay-Lussac* wurde dadurch auf den Gedanken gebracht,
-daß der stromdurchflossene Leiter selbst als ein Magnet betrachtet
-werden könne. Infolgedessen entdeckte er die anziehende Wirkung, welche
-der Leiter auf Eisenfeilspäne ausübt. Die gleiche Entdeckung machte
-unabhängig von *Gay-Lussac* der deutsche Physiker *Seebeck*.
-
-Besonders durch die Arbeiten *Seebecks* fanden diejenigen *Oersteds*
-ihre Fortsetzung. *Seebeck* gab noch im Jahre der *Oersted*schen
-Entdeckung und im darauffolgenden Jahre 1821 seine Versuche ȟber den
-Magnetismus der galvanischen Kette« bekannt[369].
-
-Thomas Johann *Seebeck*, dessen Hauptverdienst die später zu
-besprechende Entdeckung der Thermoelektrizität ist, wurde am 9. April
-1770 in Reval, wo sein Vater Kaufmann war, geboren. *Seebeck* studierte
-Medizin und lebte von 1802 bis 1810 in Jena, wo er auch mit *Goethe* in
-wissenschaftlichem Verkehr stand. Nachdem *Seebeck* zum Mitglied der
-Preußischen Akademie der Wissenschaften ernannt war, siedelte er nach
-Berlin über. Er starb am 10. Dezember des Jahres 1831.
-
-In *Seebecks* Arbeit »Über den Magnetismus der galvanischen Kette«
-wurde die magnetische Wirkung, die sich *Oersted* in der Umgebung des
-Stromleiters gezeigt hatte, eingehender untersucht. Das magnetische
-Feld oder, wie *Seebeck* sich ausdrückte, »die magnetische Atmosphäre«,
-wurde besonders durch die so bekannt gewordenen Versuche mit
-Eisenfeilspänen nachgewiesen und, wie es später *Faraday* tat, durch
-Kraftlinien dargestellt.
-
-*Seebeck* zeigte, wie seine nebenstehende Abbildung erläutert, (s. Abb.
-39), daß sich Eisenfeilspäne um lotrecht gestellte Schließungsdrähte
-kreisförmig ordnen. Er fand, daß die Späne konzentrische Kreise bilden,
-und zwar Kreise von desto größerem Durchmesser, je stärker die Spannung
-ist. Über und unter horizontal liegenden Stromleitern ordneten sich
-dagegen die Feilspäne in parallelen, senkrecht zur Längsrichtung
-stehenden Linien. Diese Feilstaub-Figuren bildeten sich am leichtesten
-um Stäbe von einigen Linien Durchmesser, minder deutlich an dünnen
-Drähten.
-
-[Illustration: Abb. 39. Der Nachweis des magnetischen Feldes.]
-
-[Illustration: Abb. 40. Der Nachweis der magnetischen Kraftlinien.]
-
-Auch die Beeinflussung der Kraftlinien des einen Leiters durch einen
-benachbarten Leiter wies *Seebeck* zum ersten Male nach. Er bediente
-sich dazu zweier stromdurchflossener Stahlbänder, deren Querschnitt in
-der nebenstehenden, von ihm herrührenden Zeichnung durch die beiden
-dicken Striche angedeutet ist[370]. Um diese Anordnung zu erhalten,
-brauchte er nur ein längeres Stahlband zu biegen und durch die beiden
-parallel zu einander verlaufenden Schenkel des Bogens den Strom zu
-senden. Waren die Schenkel dieses Bogens erheblich von einander
-entfernt, so ordnete sich der Eisenstaub um jeden Schenkel kreisförmig.
-Wurden sie jedoch einander genähert, so änderte sich der Verlauf der
-»magnetischen Linien«. Sie nahmen das in der Abbildung 40 dargestellte
-Aussehen an.
-
-Fast gleichzeitig mit dem französischen Physiker *Arago*, dem die
-Priorität gebührt, beobachtete *Seebeck* Erscheinungen, die man
-zunächst den bisherigen Forschungsergebnissen nicht anzugliedern
-vermochte und die erst in der neuen, durch *Faradays* Entdeckung der
-Induktion herbeigeführten Epoche der Elektrizitätslehre ihre Erklärung
-fanden. Es handelte sich um Vorgänge, die man später mit dem Worte
-»Dämpfung« bezeichnet hat. Am 9. Juni 1825 veröffentlichte *Seebeck*
-eine Abhandlung, in der das Theorem der Dämpfung folgenden klaren
-Ausdruck fand:
-
-1. Die Pendelschwingungen eines Magnetstabes werden durch benachbarte
-Metallmassen ebenso gehemmt, als wenn eine dichtere Luft den Stab
-umgäbe.
-
-2. Schwingt eine Kupfermasse über oder zwischen den Polen eines
-Magneten pendelförmig, so wird sie früher eine Verminderung der
-Schwingungsweite erleiden als eine frei schwebende Kupfermasse.
-
-Auch die Versuche *Seebecks* über Stromverzweigung gehören zu den
-ersten auf diesem Gebiete.
-
-Einer Wirkung des Stromes auf den Magneten, wie sie *Oersted* entdeckt
-hatte, mußte nach dem von *Newton* ausgesprochenen Grundgesetz eine
-gleichgroße Gegenwirkung des Magneten auf den Strom entsprechen. Von
-diesem Gedanken geleitet, bemühte sich der französische Physiker
-*Ampère* eine Beziehung zwischen der Elektrizität und dem Magnetismus
-nachzuweisen.
-
-André-Marie *Ampère* wurde am 20. Januar 1775 in Lyon geboren, wo
-sein Vater Kaufmann war. *Ampère* verriet schon frühzeitig eine ganz
-hervorragende mathematisch-naturwissenschaftliche Befähigung. Mit elf
-Jahren beherrschte er die Elementarmathematik, und als zwölfjähriger
-Knabe wurde er mit der Differentialrechnung bekannt. Später vertiefte
-er sich in die Werke von *Lagrange*, *Euler* und *Bernoulli*.
-
-Eine jähe Unterbrechung erlitt dieser so vielversprechende Studiengang
-durch die französische Revolution. *Ampères* Vater wurde ein Opfer
-der auch in Lyon errichteten, in zahllosen politischen Morden ihre
-Betätigung suchenden Schreckensherrschaft. Dies Ereignis machte auf den
-jungen *Ampère* einen solch niederschmetternden Eindruck, daß er ein
-volles Jahr in dumpfer Verzweiflung dahinbrütete. Erst als *Rousseaus*
-Briefe über die Botanik[371] in seine Hände gerieten, belebte sich sein
-Sinn für die Wissenschaft aufs Neue.
-
-Im Jahre 1802 veröffentlichte *Ampère* Betrachtungen über
-die mathematische Theorie des Spiels. Die Schrift lenkte die
-Aufmerksamkeit des großen Astronomen und Geodäten *Delambre* auf ihn
-und hatte seine Anstellung in Lyon, wo *Ampère* am Lyceum Mathematik
-zu lehren hatte, und später (1805) seine Berufung nach Paris zur
-Folge. Hier hatte *Ampère* an der polytechnischen Schule Differential-
-und Integralrechnung zu lehren. Gleichzeitig befaßte er sich mit den
-Problemen der Naturwissenschaften und der Philosophie.
-
-Die Anregung, sich sehr eingebend und fast ausschließlich mit der
-Erforschung der elektrischen Erscheinungen zu beschäftigen, empfing
-*Ampère* durch *Oersteds* Entdeckung der Wirkung des Stromes auf
-den Magneten. Im Herbst des Jahres 1820, bald nach Empfang der
-*Oersted*schen Mitteilung, prüfte *Ampère* *Oersteds* Versuche
-nach. Und eine Woche später konnte er schon mit wichtigen eigenen
-Entdeckungen hervortreten, die er in seiner berühmten, für das Gebiet
-der Elektrodynamik grundlegend gewordenen Abhandlung desselben Jahres
-veröffentlichte[372].
-
-In dieser Abhandlung führte *Ampère* die wichtige, seitdem allgemein
-üblich gewordene Bestimmung ein, *als Richtung des Stromes diejenige
-der strömenden positiven Elektrizität zu betrachten*. Dann folgt seine
-bekannte Regel, nach welcher die Richtung des Stromes aus der Ablenkung
-der Nadel sich mit Leichtigkeit bestimmen läßt. Sie lautet: *»Man denke
-sich in den elektrischen Strom versetzt, sodaß dessen Richtung von den
-Füßen zum Kopfe geht und habe das Gesicht der Nadel zugekehrt, dann ist
-der Pol der Nadel, der nach Norden zeigt, stets durch die ausgestreckte
-linke Hand gegeben.«* (*Ampères Schwimmerregel*[373]).
-
-Um den Einfluß eines Magneten auf den Strom nachzuweisen, kam *Ampère*
-auf den Gedanken, den Stromleiter beweglich zu machen. Dies gelang
-in der in Abb. 41 angegebenen Weise, eine Abbildung, die wir dem von
-*Ampère* und *Babinet* im Jahre 1822 gegebenen Bericht[374] über
-*Ampères* Entdeckungen entnehmen. Dieser Bericht wurde auch der
-nachfolgenden Darstellung der *Ampère*schen Forschungsergebnisse zu
-Grunde gelegt. Der Stromleiter wurde, wie die Abbildung 41 zeigt,
-dadurch leicht beweglich gemacht, daß man ihn in die Form eines
-Quadrats oder Rechtecks (DFGM) brachte. An beide Enden des Drahtes
-wurden bei A und B senkrechte Stahlspitzen angelötet. Diese Spitzen
-tauchen in die etwas Quecksilber enthaltenden Näpfchen neben A und B.
-Der Strom tritt bei der mit dem positiven Ende der Säule verbundenen
-Kapsel Z in den Apparat ein, durchfließt den gebogenen Schaft ZA und
-gelangt in die Kapsel A, in welcher das Quecksilber die Verbindung mit
-dem beweglichen Drahtbügel herstellt. Dieser wird dann in der Richtung
-ADFGMB durchflossen. In dem mit Quecksilber gefüllten Napfe B verläßt
-der Strom den Bügel und geht durch einen zweiten gebogenen Schaft Q zu
-der Kapsel C, die mit dem negativen Ende der Säule in Verbindung steht.
-
-[Illustration: Abb. 41. *Ampères* beweglicher Stromleiter[375].]
-
-[Illustration: Abb. 42. *Ampères* Vorrichtung zum Aufhängen seines
-beweglichen Stromleiters[376].]
-
-Mit Hilfe dieser sinnreichen Vorrichtung zeigte *Ampère* folgendes:
-Ließ er einen Magneten auf den beweglichen Leiter wirken, so fand er,
-daß der Leiter nach einigen Schwingungen in einer Lage zur Ruhe kommt,
-in welcher er mit der Verbindungslinie der Pole einen rechten Winkel
-bildet. Dabei bemerkte *Ampère*, daß sich der Südpol des Magneten nach
-Einnahme der Ruhelage stets zur Linken des Stromes befindet.
-
-[Illustration: Abb. 43. *Ampères* Apparat zum Nachweis, daß sich ein
-Stromleiter senkrecht zur Inklinationsnadel einstellt[377].]
-
-*Ampère* zeigte darauf, daß infolgedessen der Leiter, wenn nur der
-Erdmagnetismus auf ihn wirkt, eine Stellung einnimmt, in welcher
-seine Ebene den magnetischen Meridian senkrecht schneidet[378]. Diese
-Entdeckung erregte ein Aufsehen wie wenig andere[379]. *Ampère*
-beschreibt sie mit folgenden Worten: »Hängt man in der in Abbildung
-41 dargestellten Weise einen beweglichen Leiter auf, ohne daß in der
-Nähe dieses Leiters ein anderer Teil des Stromkreises sich befindet.
-(Wir müssen uns also in der Abbildung 41 das Drahtstück CILB, das
-auf den beweglichen Bügel einen richtenden Einfluß ausübt, entfernt
-denken), verbindet man hierauf die Kapseln C und Z mit den Polen der
-galvanischen Batterie, so sieht man den Bügel sich drehen, bis seine
-Ebene zu derjenigen des magnetischen Meridians NS senkrecht steht
-und der Strom in dem unteren Teil des Leiters, also in FG, von Ost
-nach West gerichtet ist, das Südende der Magnetnadel also zur Linken
-liegt.« Ließ *Ampère* den Strom in umgekehrter Richtung durch den Bügel
-gehen, so drehte sich dieser um einen Halbkreis zurück, um endlich
-nach einigen Schwingungen sich wieder senkrecht zur Richtung NS
-einzustellen.
-
-Eine der Neigung der Magnetnadel entsprechende Wirkung rief *Ampère*
-durch den in nebenstehender Abbildung 43 wiedergegebenen Apparat
-hervor. Der rechteckig gebogene Leiter ABCDEF, der durch einen
-Holzkörper VIZ daran gehindert wird, daß er sich biegt, wurde so
-angebracht, daß er sich um eine horizontale Achse XY drehen kann. Die
-Teile des Leiters waren so abgeglichen, daß in jeder Lage Gleichgewicht
-vorhanden war. Die Achse XY wurde dann senkrecht zum magnetischen
-Meridian gestellt und der Strom durch das Rechteck geleitet. Letzteres
-kam in Bewegung, nahm aber endlich eine Ruhelage ein, in welcher seine
-Ebene zur Richtung der Inklinationsnadel senkrecht stand.
-
-Fast noch merkwürdiger als diese Resultate war der von *Ampère* kurze
-Zeit nach der Entdeckung *Oersteds* erbrachte Nachweis, daß zwei
-galvanische Ströme anziehend oder abstoßend auf einander wirken, je
-nachdem sie gleich oder entgegengesetzt gerichtet sind.
-
-Wie durch einen Magneten und durch den Erdmagnetismus so wurde
-nämlich auch durch einen benachbarten Strom der bewegliche Leiter in
-Drehung versetzt. Die zum Nachweis dieses Verhaltens erforderliche
-Versuchsanordnung zeigt uns Abbildung 41. Nachdem der Strom den
-rechteckigen Bügel durchlaufen hat, wird er von C aus über IL
-parallel zur Seite DF des Bügels abwärts geführt. Durch die
-parallelen Metalldrähte IL und DF laufen somit gleichgerichtete
-elektrische Ströme. Und es zeigt sich, daß zwischen ihnen Anziehung
-stattfindet. Der Bügel dreht sich nämlich solange, bis die Seite DF
-dem Drahtstück IL möglichst nahe gekommen ist. Wird der Bügel um 180°
-gedreht, so daß das Stück MG, in welchem der Strom von unten nach
-oben fließt, sich dem in entgegengesetzter Richtung durchflossenen
-Leiter IL gegenüber befindet, so erfolgt Abstoßung.
-
-Kurz gefaßt lautet das so wichtige, von *Ampère* gefundene Grundgesetz
-der Elektrodynamik: *Zwei parallel und gleichgerichtete Ströme ziehen
-einander an, während zwei parallel und entgegengesetzt gerichtete
-Ströme einander abstoßen.*
-
-Die im ersteren Falle auftretenden anziehenden Kräfte zeigten sich als
-so beträchtlich, daß zwei von gleichgerichteten Strömen durchflossene
-Drahtstücke, zur Berührung gebracht, fest aneinander hafteten.
-
-*Ampère* wurde anfangs entgegengehalten, daß es sich hier um die längst
-bekannten Erscheinungen der Anziehung und Abstoßung elektrisierter
-Körper handle. Diesen Einwurf vermochte *Ampère* indessen schon durch
-den Hinweis zu entkräften, daß sich entgegengesetzt elektrisierte
-Körper anziehen, während sich entgegengesetzt gerichtete Ströme
-abstoßen.
-
-Wenn wir die in den vorstehenden Abschnitten in aller Kürze und
-mit Fortlassung zahlreicher Abänderungen und Nebenergebnisse
-dargestellten großen Entdeckungen *Ampères* überblicken, müssen wir
-anerkennen, daß hier eine Reihe von sinnvollen, logisch verknüpften
-und grundlegenden Versuchen vorliegt, wie sie vorher kaum und nachher
-nur selten uns wieder begegnen. Mit Recht hat man daher *Ampères*
-Fundamentaluntersuchung über den Zusammenhang zwischen den magnetischen
-und den elektrischen Erscheinungen als eins der hervorragendsten Muster
-einer wissenschaftlichen Untersuchung bezeichnet[380].
-
-Nach der experimentellen Erforschung der elektrodynamischen
-Grunderscheinungen galt es, auch hier einen mathematischen Ausdruck für
-die dabei obwaltenden quantitativen Beziehungen zu finden, ähnlich wie
-es *Coulomb* für das Gebiet der statischen Elektrizität getan hatte.
-Diese Aufgabe löste *Ampère* mit Hilfe des analytischen Kalküls. Er
-ging dabei von zwei kleinen, irgendwo im Raume liegenden Stromelementen
-aus, deren Länge er gleich *ds* und *ds^1* setzte, während mit i und
-i^1 die bezüglichen Intensitäten der Ströme bezeichnet wurden. Die
-anziehende oder abstoßende Kraft wurde proportional der Intensität und
-der Länge der Stromelemente angenommen.
-
-Den Abstand nannte *Ampère* r und setzte voraus, daß die Anziehung
-oder Abstoßung im umgekehrten Verhältnis zu r oder einer Potenz von r
-erfolge. Die weitere Untersuchung ergab, daß es sich nur um die zweite
-Potenz handeln konnte. Der erste Ausdruck des von *Ampère* gesuchten
-elektrodynamischen Grundgesetzes[381] lautete somit für die Wirkung w,
-welche die Stromelemente aufeinander ausüben:
-
- (i · i^1 · ds, ds^1)
- w = ------------------------------ .
- r^2
-
-Dabei galt als Voraussetzung, daß die Stromelemente parallel gerichtet
-sind. Für beliebig gerichtete Stromelemente ergab die Ableitung als
-elektrodynamisches Grundgesetz für die Wechselwirkung der Elemente in
-der Verbindungslinie ihrer Mittelpunkte
-
- i · i^1 · ds · ds^1 ( d^2r dr dr )
- w = ------------------- (r --------- - 1/2 -- · ----)
- r^2 ( ds · ds^1 ds ds^1)
-
-An dieses von *Ampère* gefundene Gesetz anknüpfend, hat, wie wir
-sehen werden, später *Weber* den allgemeinsten Ausdruck für das
-elektrodynamische Grundgesetz abgeleitet. Bezüglich der Ableitung des
-*Ampère*schen Gesetzes muß auf die Originalabhandlung oder auf ein
-Handbuch der Physik verwiesen werden[382].
-
-Wir sahen, zu welcher Fülle von Beobachtungen und Folgerungen der
-Kunstgriff dem Stromleiter die Form eines leicht beweglichen Bügels
-zu geben, *Ampère* geführt hat. Es war nun ein naheliegender, sehr
-fruchtbarer Gedanke, der sich *Ampère* fast aufdrängen mußte, an Stelle
-des nur eine Windung darstellenden rechteckigen oder kreisförmigen
-Bügels einen vielfach gewundenen beweglichen Leiter, den Schraubendraht
-oder nach *Ampères* Bezeichnung das Solenoid, in die experimentelle
-Physik einzuführen.
-
-Die von ihm entdeckten Beziehungen zwischen der Elektrizität und dem
-Magnetismus führten *Ampère* zu der Auffassung, die Teilchen eines
-Magneten seien von galvanischen Strömen umflossen und das Magnetisieren
-sei nichts weiter als ein Parallelmachen jener molekularen Ströme.
-Ein dieser Auffassung entsprechendes Bild des Magneten gibt *Ampères*
-Solenoid, jene beweglich aufgehängte, vom Strom durchflossene
-Drahtspirale. Letztere stellt sich den von *Ampère* entdeckten
-Gesetzen zufolge so ein, daß ihre Achse mit dem magnetischen Meridian
-zusammenfällt.
-
-Um das weitere Verhalten der Solenoide kennen zu lernen, galt es, die
-Wirkung des Erdmagnetismus auszuschalten. Dies erreichte *Ampère* durch
-die in umstehender Abbildung 44 dargestellte Versuchsanordnung. Der
-Leiter ABCDEF ist ein einziger Draht, der mit seinen Enden A und F
-in der bekannten *Ampère*schen Aufhängevorrichtung angebracht werden
-kann. Von A ist der Draht nach der Mitte einer Röhre geführt und dann
-um diese nach links gewunden. Nach einigen größeren Windungen wird
-der Draht durch die Röhre nach dem rechten Ende D und von hier in
-entgegengesetzt verlaufenden Windungen nach der Mitte und schließlich
-nach F zurückgeführt. Infolge dieser Anordnung der Windungen sucht der
-Erdmagnetismus ein derartiges Solenoid entgegengesetzt zu drehen und
-kann ihm folglich keine Bewegung mitteilen.
-
-Dies Solenoid verhielt sich einem Magneten gegenüber genau so wie ein
-zweiter Magnet. Wurde ein und derselbe Pol des Magneten nacheinander
-den beiden Enden des Solenoids genähert, so zog er das eine Ende an,
-während er das andere abstieß. Wurde die Spirale befestigt und ein
-beweglicher Magnet herangebracht, so fand gleichfalls Anziehung und
-Abstoßung statt.
-
-Versuche mit zwei Solenoiden ergaben, daß ihre Pole den
-elektrodynamischen Gesetzen zufolge eine abstoßende oder anziehende
-Wirkung äußern, je nachdem das Kreisen der Ströme an den gegenüber
-befindlichen Enden in entgegengesetzter oder in gleicher Richtung
-erfolgt. Ein vorübergeführter Strom lenkte eine solche Spirale nach
-der von *Ampère* aufgestellten Schwimmerregel ab. Kurz, das Solenoid
-verhielt sich, wie *Ampère* zur Bekräftigung seiner Theorie zeigen
-wollte, in jeder Hinsicht wie ein wahrer Magnet.
-
-[Illustration: Abb. 44. *Ampères* von dem Einfluß des Erdmagnetismus
-befreites Solenoid[383].]
-
-[Illustration: Abb. 45. *Ampères* astatische Magnetnadel[384].]
-
-Wie *Ampère* den Erdmagnetismus bei der Konstruktion seiner Solenoide
-auszuschalten vermochte (siehe Abb. 44), so gelang es ihm durch eine
-ähnliche geschickte Anordnung diese Kraft bei der Magnetnadel auf
-ein sehr kleines Maß zurückzuführen und der Nadel dadurch einen sehr
-hohen Grad von Empfindlichkeit gegenüber dem elektrischen Strome
-zu verleihen. *Ampère* verband nämlich, wie es die seiner Schrift
-entnommene Abbildung 45 zeigt, zwei gleiche, getrennte und annähernd
-gleich starke Magnetnadeln in der Weise, daß die gleichnamigen Pole
-entgegengesetzt gerichtet waren. So wurde die richtende Kraft der Erde
-auf die eine Nadel durch die entgegengesetzte Wirkung, welche diese
-Kraft auf die andere Nadel ausübt, nahezu aufgehoben[385].
-
-Bestand die Ursache des Magnetismus, wie *Ampère* annahm, in
-elektrischen Strömen, welche den Magneten senkrecht zur magnetischen
-Achse umkreisen, so mußte der Erdmagnetismus aus der gleichen Ursache
-erklärt werden. *Ampère* setzte deshalb ein Strömen der Elektrizität
-um die Erde voraus. Aus dem Verhalten der Solenoide zum Erdmagnetismus
-mußte man schließen, daß der Erdstrom von Ost nach West gerichtet und
-somit der Bewegung der Erde entgegengesetzt sei. *Ampère* zweifelte
-nicht daran, daß der Erdstrom und somit der Erdmagnetismus mit
-dieser Bewegung und der dadurch bewirkten periodischen Erwärmung
-der Erdhälften durch die Sonne in Beziehung zu setzen sei. Da zwei
-Körper von ein und derselben Natur, verschieden erwärmt, galvanisch
-aufeinander wirken, sei es wahrscheinlich, daß die Ströme der
-Erdkugel von der Erwärmung durch die Sonne herrührten[386]. Zu
-ähnlichen Anschauungen gelangte auch *Seebeck*, der Entdecker der
-Thermoelektrizität. Außer der Erwärmung durch die Sonne nahm *Ampère*
-auch eine galvanische Wirkung der verschiedenartigen Stoffe, aus denen
-die Erde besteht, zur Erklärung des Erdstroms in Anspruch.
-
-Zur selben Zeit, als *Ampère* seine epochemachenden Untersuchungen
-anstellte, erfuhr die Lehre vom Elektromagnetismus auch manche
-Bereicherung durch *Arago*.
-
-*Dominique François Jean Arago*, einer der vielseitigsten französischen
-Gelehrten, wurde am 26. Februar 1786 in der Nähe von Perpignan geboren.
-Er studierte in Paris, wurde Professor der Mathematik und Geodäsie
-an der dortigen polytechnischen Schule und gab mit *Gay-Lussac* die
-Annales de Chimie et de Physique heraus. Er starb in Paris am 2.
-Oktober 1853.
-
-*Arago* hat sich auf den Gebieten der Astronomie, der Optik und des
-Elektromagnetismus die hervorragendsten Verdienste erworben.
-
-So rührt von ihm das Verfahren her, Stahlnadeln dauernd zu
-magnetisieren, indem man sie in eine vom Strom durchflossene
-Drahtspule (Solenoid) einschließt. Um diese Wirkung auf Stahlnadeln zu
-erzielen, bedurfte es, wie *Arago* des weiteren zeigte, nicht einmal
-der dauernden Wirkung des galvanischen Stromes, sondern es genügte die
-einmalige, momentan erfolgende Entladung einer *Leydener* Flasche.
-
-Als *Arago* dem Schließungsdrahte einer Batterie Eisenfeilspäne
-näherte, entdeckte er eine weitere elektromagnetische Wirkung, welche
-darin bestand, daß die Eisenfeilspäne vom Drahte angezogen wurden.
-Diese Beobachtungen führten *Arago* zu der auch *Seebeck*[387]
-beherrschenden Vorstellung, daß ein vom Strom durchflossener Leiter
-selbst ein Magnet sei. Die wichtigsten, zum Teil in Gemeinschaft mit
-*Gay-Lussac* gemachten Entdeckungen über die magnetisierende Wirkung
-des Stromes veröffentlichte *Arago* im Jahre 1820[388].
-
-Einige Jahre später entdeckte *Arago* eine merkwürdige, zunächst ganz
-unerklärliche Erscheinung, die er als Rotationsmagnetismus bezeichnete.
-*Arago* fand nämlich, daß eine schwingende Magnetnadel über einer
-Metallfläche viel schneller zur Ruhe kommt als über einem Nichtleiter,
-wie Glas oder Marmor. Befand sich die Magnetnadel in der Ruhelage und
-setzte er dann die Metallscheibe in Drehung, so erfolgte eine Ablenkung
-der Nadel im Sinne der Rotation. Ja, die Nadel, konnte schließlich mit
-zur Rotation gebracht werden. Auch zeigte es sich, daß der Magnet je
-nach seiner Lage von der rotierenden Scheibe abgestoßen oder angezogen
-wurde[389]. Diese Versuche *Aragos* blieben unerklärt, bis *Faraday*
-sie als Ausgangspunkt zur Erforschung der Induktionserscheinungen
-benutzte[390].
-
-
-
-
-15. Die Entdeckung der Thermoelektrizität.
-
-
-[Illustration: Abb. 46. Die Entdeckung der Thermoelektrizität.]
-
-Kaum hatte man sich mit den hauptsächlichsten Wirkungen des
-galvanischen Stromes vertraut gemacht, als man auch schon eine neue
-Art der Elektrizitätserregung kennen lernte. Fast zur selben Zeit
-als *Oersted* und *Ampère* ihre grundlegenden Versuche machten,
-entdeckte der deutsche Physiker *Seebeck* die Stromerzeugung durch
-ungleichmäßige Erwärmung eines aus verschiedenen Metallen bestehenden
-Kreises. *Seebeck*[391] war auf den Gedanken gekommen, ob auch zwei
-Metalle für sich, ohne die Mitwirkung eines feuchten Leiters einen
-Strom hervorrufen könnten. Als *Seebeck* eine Wismutscheibe (Abb.
-46 B) unmittelbar auf eine Kupferscheibe K legte und beide Scheiben
-zwischen die Enden *ab* eines im magnetischen Meridian liegenden,
-spiralförmig gewundenen Kupferstreifens brachte, zeigte die in
-der Spirale befindliche Magnetnadel (*ns*) bei der Schließung des
-Kreises eine deutliche Ablenkung. Dies war ein Beweis, daß hierbei
-ein elektrischer Ausgleich stattfand. Die Wirkung war am stärksten,
-wenn die Schließung unmittelbar mit der Hand bewirkt wurde; sie blieb
-dagegen aus, wenn man sich beim Zusammendrücken einer Glasstange oder
-eines längeren Holzstückes bediente, während sich noch eine schwache
-Wirkung zeigte, wenn man dünne Zwischenkörper anwandte[392]. Es fiel
-aber jede Wirkung auf die Magnetnadel weg, wenn *Seebeck* die Enden
-der Spirale mit einer zwei Fuß langen Glas-, Holz- oder Metallstange
-auf die Wismutscheibe niederdrückte. Nach diesen Beobachtungen mußte
-sich der Gedanke aufdrängen, daß nur die Wärme die sich der berührten
-Stelle von der Hand mitteilt, die Ursache jenes durch den Ausschlag
-der Nadel sich verratenden elektrischen Ausgleichs ist. Danach war zu
-erwarten, daß ein höherer Grad der Temperatur als derjenige, welcher
-den Metallen durch die Berührung mitgeteilt wurde, auch eine größere
-Wirkung hervorrufen werde. Der Versuch bestätigte dies. Wurden Wismut-
-oder Antimonscheiben an dem einen Ende erwärmt und dann mit der Spirale
-in Berührung gebracht, so war die Abweichung der Nadel viel bedeutender
-als bei den früheren Versuchen.
-
-Künstliche Abkühlung eines der beiden Berührungspunkte ergab denselben
-Erfolg. Eine Wismutstange, deren Ende in einer Mischung von Salz
-und Schnee abgekühlt wurde, während das andere Ende die gewöhnliche
-Temperatur besaß, verhielt sich in Verbindung mit der Kupferspirale
-ganz so, als wenn der Temperaturunterschied beider Enden durch
-Erwärmung hervorgerufen worden wäre. Der Ausschlag der Nadel betrug
-beim Schließen des Kreises dreißig Grad.
-
-[Illustration: Abb. 47. *Seebecks* Thermoelement.]
-
-Die Wirkung dieser metallischen Ketten war um so stärker, je größer der
-Temperaturunterschied an den Berührungspunkten der verschiedenartigen
-Metalle war. Wurde ein Blatt Papier oder eine Haut zwischen die beiden
-Metalle geschoben, z. B. zwischen Antimon und Kupfer in a (Abb. 47),
-während der Berührungspunkt b mit einer Weingeistlampe erwärmt wurde,
-so zeigte sich gar keine Wirkung auf die Magnetnadel *ns*. Unmittelbare
-Berührung der Metalle war demnach eine wesentliche Bedingung, um
-Elektrizität durch Temperaturdifferenz zu erzeugen. Je vollkommener
-*Seebeck* diese Verbindung herstellte, desto stärker zeigte sich die
-Wirkung. Apparate, in welchen Stäbe von Antimon und Wismut durch Lötung
-verbunden waren, zeigten bei gleicher Temperaturdifferenz eine weit
-stärkere Ablenkung der Nadel als solche, in denen sich die Metalle nur
-äußerlich berührten.
-
-Auch gelegentlich der Entdeckung der Thermoelektrizität ergab es sich,
-daß die Entdeckung neuer Wirkungen und Beziehungen in der Regel
-zunächst in ihrer Tragweite überschätzt wird. So glaubte *Seebeck*
-den Erdmagnetismus aus der durch vulkanische Wärme hervorgerufenen
-ungleichen Erwärmung der Erdkugel erklären zu können. Eine Verwendung
-fanden die Thermoströme nach zwei Richtungen, nämlich als Stromquelle
-und zum Messen der Temperaturen.
-
-Da die innige Berührung der Metalle neben dem Vorhandensein eines
-Temperaturunterschieds die wesentliche Bedingung des Gelingens
-war, hatte *Seebeck* seine Stäbe zusammengelötet und so das erste
-Thermoelement geschaffen. War dieses zunächst auch nicht geeignet,
-einen ergiebigen Strom zu liefern, so wurde es doch im Jahre 1834 in
-den Händen *Nobilis*, der eine Anzahl solcher Elemente zur Thermosäule
-vereinigte, zu einem brauchbaren Instrument, um Wärmestrahlungen
-nachzuweisen und durch den Ausschlag eines empfindlichen Galvanometers
-zu messen. Ein solches erhielt *Nobili*, als er nach dem Vorgang
-*Ampères* zwei Nadeln von nahezu gleicher magnetischer Stärke zu einem
-astatischen Nadelpaare verband[393]. Mit dieser unter dem Namen des
-Thermomultiplikators bekannten Vereinigung beider Apparate hat später
-*Melloni* seine Versuche über die Wärmestrahlung angestellt[394].
-Zum Messen der Körperwärme wurde seit 1840 etwa ein Thermoelement
-aus schwerer schmelzbaren Metallen, gewöhnlich Eisen und Neusilber,
-gebraucht, dessen Lötstelle man in den Körper steckte.
-
-Eine andere Verwertung der Thermoströme suchte schon *Seebeck*
-anzubahnen, indem er aus mehreren, hintereinander geschalteten
-Elementen eine thermoelektrische Säule konstruierte. Doch fand er, daß
-die erhaltene Stromstärke nicht proportional der Anzahl der erwärmten
-Berührungsstellen wuchs. Es schien vielmehr ein Teil verloren zu
-gehen. Seitdem sind viele Thermosäulen konstruiert worden, so die von
-*Noë* aus Neusilberdrähten und Stäben einer Zinkantimonlegierung und
-neuerdings diejenige von *Gülcher*, der Antimon und Kupfer verwendet.
-Zur Erzeugung starker Ströme haben sich alle ersonnenen Einrichtungen
-jedoch nicht brauchbar erwiesen. Sie haben vor den galvanischen
-Elementen nur die bequemere Handhabung und eine größere Beständigkeit
-voraus.
-
-Vergegenwärtigen wir uns noch einmal den Inhalt der letzten Abschnitte,
-so finden wir, daß zu Beginn der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts
-die wesentlichsten Gebiete der Elektrizitätslehre mit Ausnahme der
-Induktion erschlossen waren. Die Entdeckung der letzteren sollte der
-unvergleichlichen Experimentierkunst eines *Faraday* vorbehalten
-bleiben, mit dessen grundlegenden Arbeiten wir uns im nächsten Bande
-beschäftigen werden.
-
-
-
-
-16. Der insbesondere durch Laplace und Herschel bewirkte Aufschwung der
-Astronomie.
-
-
-Eine so weitgehende Umgestaltung, beziehungsweise Erschließung neuer
-Gebiete, wie sie die Chemie und die Physik erfuhren, hat die Astronomie
-um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert nicht aufzuweisen. Ihr
-Lehrgebäude war durch die Arbeiten des 17. und des 18. Jahrhunderts
-so festbegründet, daß es sich im wesentlichen nur noch um den Ausbau
-im einzelnen und späterhin um eine Anwendung der physikalischen und
-chemischen Forschungsergebnisse auf kosmische Erscheinungen handeln
-konnte.
-
-Die Hauptvertreter der Astronomie waren gegen das Ende des 18. und
-zu Beginn des 19. Jahrhunderts *Laplace* und *Herschel*. Während der
-erstere seine Untersuchungen vorwiegend auf unser Planetensystem
-beschränkte und hier das Erbe *Newtons* vervielfältigte, hat
-*Herschel*, wie *Humboldt* sich einmal ausdrückt[395], das Senkblei
-zuerst in die Tiefen des Himmels geworfen. Wir werden ihn als den
-eigentlichen Begründer der Astronomie der Fixsterne kennen lernen.
-
-*Pierre Simon Laplace* wurde am 28. März 1749 in einer kleinen Stadt
-der Normandie[396] als der Sohn eines armen Landmannes geboren. Die
-außerordentliche Begabung, die *Laplace* auszeichnete, leuchtet schon
-daraus hervor, daß er von seinem 18. bis zur Vollendung des 20.
-Lebensjahres mehrere Abhandlungen aus dem Gebiete der Integralrechnung
-veröffentlichte, die ihm den Ruf eines bedeutenden Mathematikers
-eintrugen.
-
-*Laplace* wurde infolgedessen zum Lehrer der Mathematik ernannt. Als
-solcher wirkte er zunächst in seiner Vaterstadt; bald darauf berief
-man ihn an die Militärschule zu Paris. Seit dieser Zeit stellte
-*Laplace* seine außerordentliche mathematische Befähigung vorzugsweise
-in den Dienst der theoretischen Astronomie, die erst durch seine
-Untersuchungen in den Stand gesetzt wurde, eine befriedigende Erklärung
-der in unserem Planetensystem auftretenden säkularen Änderungen zu
-geben. Während manche Astronomen schon geneigt waren, gewisser, bei
-der Bewegung der Planeten in die Erscheinung tretender Umstände wegen
-eine nur annähernde Gültigkeit des *Newton*schen Gravitationsgesetzes
-anzunehmen, lieferte *Laplace*, der sich dabei auf die Vorarbeiten
-*Eulers* stützen konnte, den Nachweis, daß, unter dem Gesichtspunkte
-des Problems von den drei Körpern, jene scheinbaren Abweichungen von
-der Regel letztere erst vollauf bestätigen. *Newton* selbst hatte
-nämlich nur die Bewegung eines Planeten um seinen Zentralkörper
-untersucht und gezeigt, daß sie in einem Kegelschnitte erfolgen muß.
-Das Problem der drei Körper war damit gegeben, daß bei dem Umlauf
-des Mondes um die Erde der Einfluß der Sonne in Rechnung zu stellen
-ist, um zu einer Übereinstimmung zwischen Theorie und Beobachtung zu
-gelangen. Diese Untersuchung hatte schon *Euler* beschäftigt und ihn
-zu Ergebnissen geführt, die später den von *Tobias Mayer* entworfenen
-Mondtafeln als Unterlage dienten[397]. Das Hauptverdienst von *Laplace*
-bestand darin, daß er das Problem von den drei Körpern auch auf die
-Planeten und die Kometen ausdehnte und eine Theorie der Störungen,
-d. h. der Abweichungen, welche diese Himmelskörper durch ihre
-wechselseitige Anziehung erfahren, lieferte. Die strenge Lösung des
-Problems der drei Körper, die auch heute noch die Kräfte der höheren
-Analysis übersteigt, vermochte *Laplace* jedoch nicht zu geben.
-
-Eine seiner frühesten Abhandlungen aus dem Bereich der theoretischen
-Astronomie lieferte den wichtigen Nachweis, daß die mittlere Entfernung
-der Planeten von der Sonne zwar Änderungen erleidet, im Mittel jedoch
-konstant ist. Bald darauf wurde *Laplace*, kaum 24 Jahre alt, zum
-Mitglied der Akademie der Wissenschaften gewählt. Nachdem er ein
-Lehramt an der École normale erhalten, sehen wir ihn an den großen
-Aufgaben, mit denen sich damals die französische Nation trotz der
-politischen Gärung beschäftigte, den hervorragendsten Anteil nehmen. So
-gehörte *Laplace* der aus dem Schoße der Akademie gewählten Kommission
-für Maß und Gewicht an. Diese erhielt von der Nationalversammlung im
-Jahre 1790 den Auftrag, eine unveränderliche Grundlage für ein neues
-Maß- und Gewichtssystem in Vorschlag zu bringen. Die Bemühungen, das
-schon von *Huygens* hierfür in Aussicht genommene Sekundenpendel zu
-wählen, wurden durch *Laplace* gekreuzt. Letzterer, der offenbar
-eine neue Gradmessung wünschte, bestimmte die Kommission, von dem
-Meridianquadranten auszugehen. Die Akademie brachte daher im Jahre 1791
-den zehnmillionsten Teil dieses Quadranten als Meter in Vorschlag.
-
-Unter dem Vorsitz von *Laplace* wurde die École polytechnique,
-eine der hervorragendsten Pflanzstätten der Wissenschaft und Technik
-umgestaltet. Napoleon übertrug *Laplace*, den er sehr schätzte, sogar
-das Ministerium des Innern und erhob ihn in den Grafenstand. Auch nach
-der Restauration wurde *Laplace* mit Ehren überhäuft. Er schied am 5.
-März des Jahres 1827 mit den Worten aus dem Leben: »Was wir wissen, ist
-wenig, aber was wir nicht wissen, ist ungeheuer viel.«
-
-Von den Schriften dieses größten Astronomen, den Frankreich
-hervorgebracht, wurde später auf öffentliche Kosten eine Ausgabe
-veranstaltet[398]. Die ersten fünf Bände enthalten das von 1799
-bis 1825 erschienene Hauptwerk von *Laplace*, die »Mécanique
-céleste«. Ein hervorragender Geschichtsschreiber der Astronomie[399]
-bezeichnet es als »eine unendlich ausgedehnte und bereicherte
-Ausgabe von *Newtons* Prinzipien«. Nach einer Ableitung der aus dem
-Gravitationsgesetze folgenden allgemeinen Gleichungen für die Bewegung
-der Himmelskörper entwickelte *Laplace* in diesem Werke seine schon
-erwähnte Theorie der Störungen. Hierbei boten ihm die Beobachtungen an
-den großen Planeten Saturn und Jupiter, deren Ungleichheiten er auf den
-Einfluß, den diese Himmelskörper aufeinander ausüben, zurückführte,
-sowie die Beobachtungen an den Jupitermonden die willkommenste
-Unterlage für seine theoretischen Erwägungen.
-
-Da die Jupitertrabanten mit ihrem Zentralkörper ein Ganzes ausmachen,
-das dem Planetensystem sehr ähnlich ist, die Umläufe hier aber in
-verhältnismäßig kurzer Zeit erfolgen, so ließen diese *Laplace* in
-einem kurzen Zeitraume alle jene großen Veränderungen erkennen, die
-sich im Planetensystem im Verlaufe von Jahrhunderten abspielen. War
-*Newton* noch geneigt, die trotz aller gegenseitigen Störungen
-im Sonnensystem offenbar vorhandene Stabilität auf übernatürliche
-Einflüsse zurückzuführen, so gelang es *Laplace*, diese Stabilität als
-eine Notwendigkeit nachzuweisen und damit die der Gravitationsmechanik
-gestellte Aufgabe erst endgültig zu lösen[400].
-
-Auch das Problem der Gezeiten, für das *Newton* die erste, indes in
-mancher Hinsicht mit den Tatsachen noch nicht im Einklang stehende
-theoretische Ableitung gegeben hatte, wurde durch *Laplace* zu einem
-gewissen Abschluß gebracht. Dabei stand ihm in den über mehrere Jahre
-sich erstreckenden täglichen Beobachtungen, die auf Veranlassung der
-Akademie der Wissenschaften in den französischen Häfen, insbesondere in
-Brest, stattgefunden hatten, ein vortreffliches Material zur Verfügung,
-das er unter Anwendung der zur Zeit *Newtons* noch nicht entwickelten
-Prinzipien der Hydrodynamik bearbeitete. Es gelang ihm, Linien gleicher
-Flutzeit, die sogenannten Isorachien, zu ermitteln. Eine befriedigende
-Theorie der Gezeiten vermochte jedoch erst die vereinte Arbeit
-zahlreicher Beobachter und Theoretiker der neueren Zeit zu geben.
-
-Einige Jahre vor dem Erscheinen der Mécanique céleste suchte
-*Laplace* die Ergebnisse der astronomischen Forschung in allgemein
-verständlicher Weise weiteren Kreisen zugänglich zu machen. So
-entstand seine »Darstellung des Weltsystems«, ein Buch, in dem er
-unter anderem seine Ansichten von der Bildung der Welt aus einem
-chaotischen Urnebel entwickelte. Zunächst setzt *Laplace* auseinander,
-daß die Glieder des Planetensystems, obgleich sie selbständig sind,
-dennoch sehr merkwürdige Beziehungen zu einander aufweisen, die uns
-über den Ursprung des Systems aufklären können. Man bemerke nämlich,
-daß sämtliche Planeten fast in derselben Ebene von West nach Ost um
-die Sonne kreisen. Die Monde bewegten sich ferner um die Planeten
-im gleichen Sinne und fast in derselben Ebene wie die letzteren.
-Endlich drehten sich Sonne, Planeten und Monde sämtlich in einerlei
-Richtung um ihre Achse, und zwar geschehe dies fast in der Ebene ihrer
-Umlaufsbewegungen. Eine solch außergewöhnliche Erscheinung könne kein
-Spiel des Zufalls sein; sie deute auf eine gemeinsame Ursache hin.
-*Buffon* hatte zur Erklärung dieser merkwürdigen Gesetzmäßigkeiten
-angenommen, daß ein Komet in seinem Falle auf die Sonne einen Strom
-Materie von dieser losgerissen habe, der sich dann zu größeren
-und kleineren, von der Sonne verschieden weit abstehenden Kugeln
-zusammengeballt hätte. Diese Hypothese erklärt nach *Laplace* indessen
-nur eine der erwähnten Erscheinungen. Denn es sei einleuchtend, daß
-alle auf solche Weise entstandenen Körper sich ungefähr in derjenigen
-Ebene bewegen müßten, welche durch den Mittelpunkt der Sonne und den
-Weg des materiellen Stromes gehe, der jene Körper erzeugt habe. Die
-anderen Erscheinungen können, wie *Laplace* ausführt, aus der Hypothese
-*Buffons* nicht erklärt werden. Ja, die geringe Exzentrizität der
-Planetenbahnen spricht geradezu gegen diese Hypothese. Denn nach der
-Theorie der Zentralkräfte wird ein Körper, der sich um die Sonne bewegt
-und dabei ihre Oberfläche streift, bei jedem seiner Umläufe dahin
-zurückkehren müssen. Wären also die Planeten ursprünglich von der
-Sonne losgerissen worden, so würden sie die Sonne nach jedem Umlauf
-berühren. Ihre Bahnen wären also nicht nahezu kreisförmig, sondern
-stark exzentrisch.
-
-Eine Ursache, welche die Bewegungen der Planeten und der Monde
-veranlaßte, mußte sich, welches auch ihre Natur war, auf alle diese
-Körper erstrecken. In Anbetracht der gewaltigen Zwischenräume, welche
-die Planeten trennen, kann diese Ursache, so führt *Laplace* aus, nur
-in einem Fluidum von ungeheurer Ausdehnung bestanden haben. Sollte
-dieses Fluidum den Planeten fast kreisförmige, gleich gerichtete
-Bewegungen um die Sonne verleihen, so mußte es die Sonne wie eine
-Atmosphäre umgeben. Durch diese Überlegungen wurde *Laplace* zu der
-Annahme geführt, daß die Sonnenatmosphäre sich uranfänglich über
-sämtliche Planetenbahnen hinaus erstreckt habe und allmählich bis auf
-ihren jetzigen Umfang zusammengeschrumpft sei.
-
-Die große Exzentrizität der Kometenbahnen führte *Laplace* zu
-demselben Ergebnis. Die Kometen sind nach ihm Weltkörper, die sich
-zu jener Zeit, als die Bildung der Planeten vor sich ging, außerhalb
-jenes Fluidums befanden. Die Bahnen der Kometen sind so verschieden,
-als wären diese Körper aufs Geratewohl geschleudert worden, weil
-eben die Sonnenatmosphäre keinen Einfluß auf ihre Bewegungen haben
-konnte. Um zu erklären, wie die Sonnenatmosphäre den Umlauf und
-die Rotation der Planeten hervorrief, nahm *Laplace* an, daß die
-Planeten an den aufeinander folgenden Grenzen jener Atmosphäre durch
-die Verdichtung derjenigen Zonen entstanden seien, die sich in der
-Äquatorebene infolge von Abkühlung und Zusammenziehung bilden mußten.
-Die Monde sollten auf ähnliche Weise aus der Atmosphäre der Planeten
-hervorgegangen sein. Die beobachteten Erscheinungen erklärten sich also
-sämtlich ungezwungen aus dieser Annahme, welche durch die Saturnringe
-eine weitere Stütze erhielt.
-
-Ein Versuch, auf deduktivem Wege zu einer Vorstellung von dem
-Weltbildungsprozesse, insbesondere der Entstehung unseres
-Planetensystems zu gelangen, wurde schon mehrere Jahrzehnte vor
-*Laplace* in Deutschland durch *Immanuel Kant* (1724-1804) gemacht.
-In seiner »allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels[401]«,
-vom Jahre 1755 nimmt *Kant* als Urzustand die feinste Verteilung der
-Materie durch den ganzen Weltraum an, weshalb man seine Ansicht auch
-als Nebularhypothese bezeichnet hat. Infolge der Gravitation bildeten
-sich dann Zentralkörper. Die benachbarte Materie verdichtete sich
-gleichfalls um besondere Bildungsmittelpunkte und näherte sich, durch
-die allgemeine Anziehung getrieben, dem Zentrum. Gäbe es nur Anziehung,
-so müßte eine Vereinigung des Zentralkörpers mit den um besondere
-Punkte sich anhäufenden Massen stattgefunden haben. Unter dem Einfluß
-einer der Materie gleichfalls innewohnenden abstoßenden Kraft wurden
-die herabsinkenden Massen indessen abgelenkt. Der Fall schlug in eine
-Wirbelbewegung um, woraus nach *Kant* die Tatsache ihre Erklärung
-findet, daß sämtliche Planeten in nahezu einer Ebene und in derselben
-Richtung um die Sonne kreisen.
-
-In Wahrheit ist die erste Ursache der Rotation durch *Kants* Annahme
-nicht erklärt. *Laplace* gesteht die Unzulänglichkeit seiner Hypothese
-in diesem Punkte zu. Er gibt für das Zustandekommen der Rotation keine
-Erklärung, sondern geht von einem in Drehung begriffenen Gasball aus,
-gelangt aber, wie wir sahen, im wesentlichen zu demselben Ergebnis wie
-*Kant*.
-
-*Kant* selbst war zu seinen Spekulationen durch die Schrift des
-Engländers *Wright* angeregt worden[402]. Auf diesen ist wohl die
-Beobachtung zurückzuführen, daß die Fixsterne nicht ohne Gesetz
-zerstreut, sondern auf eine Ebene zu beziehen sind. *Wright* sagt
-nämlich: »Die Sterne stehen um so dichter, je mehr wir uns der
-Milchstraße nähern, so daß von den 2000 Sternen, die das unbewaffnete
-Auge wahrnimmt, der größte Teil in einer nicht gar breiten Zone, deren
-Mitte die Milchstraße bildet, angetroffen wird.« Auch *Lambert* hat,
-wie wir an anderer Stelle schon erwähnten, diesen Gedanken weiter
-ausgeführt und begründet[403]. Eine wertvolle Stütze erhielt *Kants*
-Theorie dadurch, daß gewisse Ableitungen, die *Kant* anstellte, durch
-spätere Beobachtungen bestätigt wurden. Das schönste Beispiel ist
-*Kants* Berechnung der Rotation der Saturnringe[404]. *Kant* nahm
-an, daß die Materie dieser Ringe sich von dem Äquator des Planeten
-losgelöst habe und infolgedessen auch eine rotierende Bewegung
-besitze. Seine Berechnung ergab für den inneren Rand des Ringes
-eine Rotationsdauer von »etwa zehn Stunden«. Nach den Beobachtungen
-*Herschels*, die 34 Jahre später angestellt wurden, ergab sich für die
-Rotationszeit der Wert von 10½ Stunden. Die Ansicht *Kants*, daß
-die Ringe des Saturn aus einer Häufung einzelner Teilchen bestehen,
-haben gleichfalls spätere teils analytische, teils photometrische
-Untersuchungen bestätigt. Auch die Vorstellung, daß das Zodiakallicht
-auf einen die Sonne umgebenden und von ihr erleuchteten Ring von
-kosmischem Staub zurückzuführen sei, hat *Kant* in Anlehnung an seine
-Betrachtungen über den Saturnring entwickelt[405].
-
-*Kant* erörtert auch die Frage, ob die Achsendrehung der Weltkörper
-durch irgend welche Umstände vermindert oder ganz aufgezehrt werden
-könne. Sollte z. B., meint er, der Mond sich nicht früher schneller
-um seine Achse gedreht haben und durch irgend welche Ursachen seine
-Bewegung auf das jetzige Maß herabgemindert worden sein[406]. Eine
-nähere Untersuchung dieses Problems hat *Kant* zu der Annahme geführt,
-daß die Flutwelle eine solche hemmende Wirkung ausübe. *Kant* ist
-auch darin bahnbrechend und glücklich gewesen. Er zeigte, daß die
-Rotation der Erde eine Verlangsamung erfahren müsse, weil sich unser
-Planet unter den durch Mond und Sonne erzeugten Flutwellen wie in
-einem Friktionshemmschuh bewege. Die Rotation des Mondes sei so sehr
-vermindert und habe sich schließlich dem Umlauf dieses Weltkörpers um
-die Erde vollkommen angepaßt, weil die Erdwirkung, die auf dem Monde
-eine Flut erzeugte, 3600 mal so groß sei als diejenige, welche der
-Mond auf die Gewässer der Erde ausübt. Diese Annahmen *Kants* sind
-durch spätere, streng mathematische Ableitungen bestätigt worden[407].
-So stellte sich denn *Kants* Hypothese als ein zwar kühner, aber doch
-glücklicher Griff dar, weil sich nach allen Seiten Wechselbeziehungen
-und Bestätigungen ergaben[408].
-
-Am Schlusse seiner Abhandlung wendet sich *Kant* noch gegen die
-religiösen Bedenken, die vielleicht gegen seine Ansichten geltend
-gemacht werden könnten. Seien doch viele der Meinung, es heiße Gott
-die Regierung der Welt streitig machen, wenn man den Ursprung des
-Geschehens in den Naturkräften suche. Wenn die Ordnung der Welt, so
-betont demgegenüber *Kant*, aus allgemeinen Naturgesetzen herfließen
-konnte, so ist die ganze Natur notwendig eine Wirkung der höchsten
-Weisheit. *Kant* zieht indessen aus seiner Lehre nicht die letzten
-Folgerungen. Er beschränkt nämlich die mechanische Naturerklärung auf
-die Vorgänge der unorganischen Welt und hält sie für die Erklärung auch
-des einfachsten Organismus nicht für ausreichend. Die Ausdehnung der
-mechanischen Naturerklärung auf das gesamte Geschehen wurde besonders
-im 19. Jahrhundert versucht, ohne jedoch in das Verhältnis der Psyche
-zur Materie einen befriedigenden Einblick vermitteln zu können.
-
-Mit dem Ausbau der Theorie ging eine beträchtliche Erweiterung der
-Kenntnis des Planetensystems Hand in Hand. Schon *Kepler* hatte auf
-den verhältnismäßig großen Abstand hingewiesen, der sich zwischen den
-Bahnen des Mars und des Jupiter befindet. Angeregt durch Spekulationen,
-die darauf abzielten, eine die Abstände der Planeten beherrschende
-Gesetzmäßigkeit zu finden, begann man mit dem Jahre 1800 den Tierkreis
-nach kleineren Wandelsternen zu durchsuchen. Den ersten Erfolg nach
-dieser Richtung hatte *Piazzi*[409] zu verzeichnen.
-
-Dieser Astronom beobachtete anfangs Januar 1801 einen Stern 8. Größe,
-der sich im Stier befand. Als er den Stern an den nächsten Abenden
-von neuem aufsuchte, zeigte es sich, daß er seine Stellung zu den
-benachbarten Sternen verändert hatte, also offenbar ein Planet war.
-Das neue Gestirn erhielt den Namen »Ceres«. Es wurde, nachdem *Piazzi*
-es aus den Augen verloren, *Gauß* aber seine Stellung wieder berechnet
-hatte, von neuem durch *Olbers* entdeckt und in die Lücke zwischen Mars
-und Jupiter verwiesen. Dasselbe geschah mit einem zweiten, von *Olbers*
-aufgefundenen Planeten, der Pallas. An diese reihten sich noch 1804
-die Juno und 1807 die Vesta. Damit war der Anfang zur Entdeckung eines
-zwischen Mars und Jupiter befindlichen Planetenoidenringes gemacht,
-dessen Glieder, wie man nach der Anfertigung genauerer, die Sterne bis
-zur neunten Größe umfassender Himmelskarten erkannte, nach hunderten
-zählen.
-
-Eine andere Erweiterung der Kenntnis vom Planetensystem erfolgte
-durch den zweiten großen Vertreter, den die Astronomie in dieser
-Periode hatte, durch *Wilhelm Herschel*. Diese Erweiterung bestand
-in der Entdeckung des Uranus. Da *Herschel* wie kein anderer den
-Blick über die Grenzen des Planetensystems hinaus gerichtet hat und
-damit zum eigentlichen Begründer der Fixsternastronomie geworden ist,
-wollen wir uns mit seinem außergewöhnlichen Lebenslauf und seinen
-wissenschaftlichen Taten etwas eingehender beschäftigen.
-
-*Friedrich Wilhelm Herschel* wurde am 15. November 1738 in Hannover
-geboren. Sein Vater war ein armer, mit zahlreichen Nachkommen
-gesegneter Musiker, der eine große Bewunderung für die Astronomie an
-den Tag legte. *Herschels* Schwester, deren Aufzeichnungen[410] wir
-fast alles verdanken, was über die Jugend des großen Astronomen bekannt
-geworden ist, erzählt, der Vater habe sie und ihre Geschwister in
-einer klaren Nacht auf die Straße geführt, um sie mit den schönsten
-Sternbildern bekannt zu machen. Auch sei er ihrem Bruder Wilhelm bei
-seinen Studien an die Hand gegangen.
-
-Letzterer war gleichfalls zum Musiker bestimmt. Ein lebhaftes Interesse
-für die Theorie seiner Kunst veranlaßte ihn, sich eingehend mit der
-Mathematik zu befassen. Fünfzehn Jahre alt, wurde Wilhelm Mitglied
-der Kapelle eines Regiments, mit dem er bald darauf[411] nach England
-ging. Nachdem er seinen Dienst aufgegeben, bekleidete er eine
-Organistenstelle in Bath, wohin ihm seine Schwester Karoline folgte.
-Letztere hing mit schwärmerischer Bewunderung an dem Bruder und half
-ihm als treue Mitarbeiterin den Ruhm gewinnen, der seinen Namen später
-verherrlichen sollte. Trotzdem *Herschel* durch seine Stellung in
-Bath sehr in Anspruch genommen war, fand er doch Zeit zur Fortsetzung
-seiner Studien. Der Umstand, daß der Mann, der auf musiktheoretischem
-Gebiete[412] sein Lieblingsschriftsteller war, auch ein Werk über Optik
-geschrieben, im Verein mit den Anregungen, die er in seiner Jugendzeit
-empfangen, führten *Herschel* dazu, daß er sich mit immer größerem
-Eifer und Verständnis der Astronomie zuwandte. »Als ich mit dieser
-Wissenschaft bekannt wurde«, schrieb er später[413], »faßte ich den
-Entschluß, nichts auf Treu und Glauben anzunehmen, sondern alles, was
-andere vor mir erblickt hatten, mit meinen eigenen Augen zu sehen.«
-Da indessen die Kosten der Anschaffung eines Fernrohres zu bedeutend
-waren, beschloß *Herschel*, selbst ein solches anzufertigen. Nach
-vielen Mühen brachte er im 37. Jahre seines Lebens ein Spiegelteleskop
-zu stande, mit dem man den Saturnring erblicken konnte. *Herschels*
-Fleiß verdoppelte sich jetzt; sein ganzer Stolz bestand darin,
-Teleskope zu liefern, von denen immer eins das andere übertraf.
-
-Einige kleinere astronomische Abhandlungen waren schon aus seiner Feder
-hervorgegangen, als er mit einem Schlage durch die Entdeckung eines
-neuen, jenseits des Saturn umlaufenden Planeten zum berühmten Manne
-wurde. Diese Entdeckung des Uranus erfolgte am 13. Mai des Jahres
-1781. Es war ein astronomisches Ereignis, dem sich nichts Ähnliches
-zur Seite stellen ließ. König Georg III., der eine Sternwarte besaß,
-ernannte *Herschel*, nachdem er dessen Teleskop gesehen und nachdem
-sich herausgestellt hatte, daß es die besten Instrumente übertraf, zum
-königlichen Astronomen.
-
-*Herschel* gab jetzt seine Stellung als Musiker auf und verließ Bath
-im Jahre 1782, um sich ausschließlich der Erforschung des Himmels
-zu widmen. Mit reichen Mitteln -- der König stellte 4000 Pfund zur
-Verfügung -- wurde ein Riesenteleskop geschaffen, dessen Bau mehrere
-Jahre (1785-1789) in Anspruch nahm. Die Konstruktion, die *Herschel*
-hierbei wählte, war eine eigenartige (siehe Abb. 48). Das neue
-Instrument besaß nämlich nur einen Spiegel, der beiläufig etwa 2000
-Pfund wog und einen Durchmesser von 4 Fuß besaß. Dieser Spiegel M war
-gegen die Achse des Instruments ein wenig geneigt, so daß das Bild
-*ab* am unteren Rande der Öffnung entstand und dort durch das Okular
-betrachtet werden konnte. Allerdings ging hierbei ein Teil des Lichtes
-verloren, da der Beobachter von vorn in das Rohr hineinschauen mußte.
-Doch war dieser Verlust bei genügendem Durchmesser des Spiegels nicht
-so beträchtlich, um die Konstruktion in Frage zu stellen.
-
-[Illustration: Abb. 48. Schema des von *Herschel* konstruierten
-Spiegelteleskops.]
-
-Bis zu seinem am 25. August des Jahres 1822 erfolgten Tode blieb
-*Herschel* auf der in der Nähe von Windsor errichteten Sternwarte
-unermüdlich mit der Durchmusterung des Himmels beschäftigt. Diese
-Arbeitsstätte verließ er nur, um von Zeit zu Zeit der Royal Society
-über die Ergebnisse seiner Forschungen, denen wir uns jetzt zuwenden
-wollen, zu berichten.
-
-Zunächst reihte sich an die Auffindung des Uranus noch manche
-wertvolle, unser Planetensystem betreffende Beobachtung. So entdeckte
-*Herschel* mehrere Trabanten dieses Hauptplaneten, sowie den ersten und
-den zweiten Mond des Saturn. Für diesen Planeten hatte *Huygens* zuerst
-das Vorhandensein eines Trabanten, und zwar des sechsten, nachgewiesen.
-Die gleichfalls von *Huygens* entdeckten weißen Flecke an den Marspolen
-fand *Herschel* abhängig von den Jahreszeiten des Mars, für den er
-eine an irdische Verhältnisse erinnernde Beschaffenheit nachzuweisen
-suchte[414]. Während schon *Cassini* imstande war, die Rotationszeit
-des Jupiter aus der Beobachtung gewisser Flecken dieses Planeten zu
-ermitteln, gelang erst *Herschel* die Lösung der gleichen Aufgabe für
-den Saturn[415].
-
-[Illustration: Abb. 49. Der von *Herschel* in den Jahren 1785-1789
-erbaute vierzigfüßige Reflektor[416].]
-
-Zum Zentralkörper unseres Systems übergehend, suchte *Herschel* sowohl
-dessen physische Natur als dessen Bewegung und Stellung im Weltraum zu
-bestimmen. Seine Theorie über die Beschaffenheit des Sonnenkörpers,
-welche er auf die Beobachtung der Flecken gründete, hat jedoch die
-Mitte des 19. Jahrhunderts nicht überlebt. *Herschel* verließ nämlich
-die alte, heute wieder als richtig geltende Ansicht, daß wir es in
-der Sonne mit einem Körper von sehr hoher Temperatur zu tun haben.
-Er nahm an, daß sie aus einem festen, nicht leuchtenden, vielleicht
-bewohnbaren Kern bestehe, der von einer durchsichtigen Atmosphäre
-und einer darüber befindlichen lichtspendenden Photosphäre umgeben
-sei. *Herschels* Theorie gemäß entsteht ein Sonnenfleck, indem jene
-Photosphäre infolge aufsteigender Dämpfe zerreißt und der dunkle Körper
-der Sonne zum Vorschein kommt.
-
-Da es gelungen war, an den Fixsternen eine Eigenbewegung nachzuweisen,
-so lag der Gedanke nahe, daß auch unsere Sonne mit all' ihren
-Planeten, Monden und Kometen eine nach einem bestimmten Punkte
-des Himmels gerichtete Bewegung besitze. Eine solche würde ein
-scheinbares Auseinanderweichen der in der Richtung dieser Bewegung
-befindlichen Fixsterne, sowie ein Zusammenrücken der Sterne in der
-Nähe des entgegengesetzten Himmelspunktes zur Folge haben. Es gelang
-*Herschel*[417], derartige Veränderungen, die ein Fortschreiten
-des Sonnensystems erkennen lassen und sich mit den wirklichen
-Eigenbewegungen der Fixsterne kombinieren, nachzuweisen. Der von ihm
-ermittelte Punkt, dem sich die Sonne nähert, liegt im Sternbilde des
-Herkules. Obgleich die Größe der Sonnenbewegung wahrscheinlich mehrere
-tausend Meilen in der Stunde beträgt, werden doch noch lange Zeiträume
-verfließen, bis der vielleicht um einen weit entfernten Schwerpunkt
-erfolgende Umlauf unseres Zentralkörpers erkannt sein wird.
-
-Eng verknüpft mit dem Problem der Sonnenbewegung ist der gleichfalls
-von *Herschel* erbrachte Nachweis, daß die von den früheren Astronomen
-für nur scheinbar benachbart gehaltenen Doppelsterne, wirklich
-zusammengehören und binäre Systeme bilden. *Herschel* hat nicht
-weniger als 846 Doppelsterne katalogisiert. Spätere Forschungen haben
-ergeben, daß die Bewegung innerhalb solcher binären Systeme nach dem
-Gravitationsgesetz erfolgt, das damit erst als das wahre Weltgesetz
-erkannt war.
-
-Bislang hatte man die Fixsterne wenigstens so betrachtet, als ob sie
-über die Fläche einer Kugel verteilt wären. Seit *Herschel* beginnt
-die Astronomie sich mit der räumlichen Verteilung dieser Weltkörper zu
-beschäftigen. Schon vor ihm hatte die Milchstraße und die Anordnung
-der außerhalb der Milchstraße befindlichen Sterne das Nachdenken
-eines *Kant*[418] erregt. Jedoch erst *Herschel* setzte an die Stelle
-bloßer Vermutungen den auf systematisch angestellten Beobachtungen,
-seinen sogenannten Aichungen, gegründeten Nachweis, daß die deutlich
-sichtbaren Sterne samt der Milchstraße -- ein Komplex von etwa 20
-Millionen Weltkörpern -- einen linsenförmigen Haufen bilden und daß die
-Sonne sich etwas außerhalb der Mitte jenes Haufens befindet. Diesen
-Nachweis lieferte er in einer »Über den Bau des Himmels« betitelten
-Schrift[419].
-
-*Messiers* etwa 100 Nummern enthaltendes Verzeichnis von Nebelflecken
-und Sternhaufen veranlaßte *Herschel*, sein zwanzigfüßiges
-Spiegelteleskop von 12 Zoll Öffnung auf diese Himmelskörper zu richten.
-Dabei sah er zu seiner größten Freude, daß die meisten Nebelflecken der
-Stärke seines Instrumentes unterlagen und in Sterne aufgelöst wurden.
-Es ergab sich, daß sie entweder nichts als lauter Sterne sind. Oder
-sie enthielten wenigstens Sterne. Den in *Messiers* Verzeichnis[420]
-erwähnten »Nebelfleck ohne Stern«, der sich nahe dem Haupthaar der
-Berenice befindet, erblickte *Herschel* als einen Haufen dicht
-gedrängter Sterne. »Es ist dies«, sagt *Herschel*, »einer der schönsten
-Gegenstände, die ich mich erinnere, am Himmel gesehen zu haben. Der
-Haufen erscheint unter der Gestalt einer Kugel aus kleinen, in einen
-einzigen Lichtglanz zusammengedrängten Sternen samt einer Anzahl, die
-ringsum stehen und in der Hauptmasse deutlich zu unterscheiden sind«
-(siehe Abbildung 50).
-
-[Illustration: Abb. 50. *Herschels* Abbildung eines Nebelfleckes[421].]
-
-Als *Herschel* seine Beobachtungen begann, vermutete er, daß manche
-Nebelflecken noch unentdeckt geblieben seien. Er gab sich daher der
-Hoffnung hin, zu den von *Messier* verzeichneten 100 Sternhaufen und
-Nebelflecken eine schätzbare Zugabe liefern zu können. Der Erfolg
-bewies, daß seine Erwartungen begründet waren. Während *Halley* nur
-sechs Nebel kannte und *Messiers* Verzeichnis, wie erwähnt, nur etwa
-100 Nummern enthielt, wurden in den Jahren 1786 bis 1802 von *Herschel*
-nahezu 2500 Nebelflecke katalogisiert, beschrieben und gezeichnet. Eine
-Fortsetzung dieser Studien verdanken wir *Herschels* Sohn John, der auf
-einer Expedition nach dem Kap der guten Hoffnung[422] eine fast ebenso
-große Zahl von Nebelflecken am südlichen Himmel entdeckte.
-
-[Illustration: Abb 51. *Herschels* Ableitung der Gestalt der
-Milchstraße[423].]
-
-Die mühevollen Studien über die Nebelflecken führten *Herschel* zu der
-Erkenntnis, daß auch die Milchstraße nichts anderes als eine Schicht
-von Fixsternen ist, innerhalb deren sich die Sonne, wenn auch nicht
-genau im Mittelpunkte, befindet. Es läßt sich dies nach *Herschel*
-aus der Gestalt der Milchstraße entnehmen, die sich in einem größten
-Kreise um den gesamten Himmel ziehen muß, wenn sich die Sonne innerhalb
-dieser Sternenschicht befindet. Nehmen wir mit *Herschel* an, eine
-Anzahl Sterne sei zwischen zwei, in einem gegebenen Abstande einander
-parallel laufenden, weit ausgedehnten Ebenen angeordnet, so wird
-ein Beobachter, der sich irgendwo innerhalb einer solchen Schicht
-befindet, sämtliche zu ihr gehörigen Sterne in einem großen Kreise
-sehen. Letzterer wird nach Maßgabe der Anhäufung der Sterne sich mehr
-oder weniger hell zeigen, während es scheinen wird, als ob die übrigen
-Gegenden des Himmels nur mit Sternbildern bestreut wären. So würde
-ein Auge bei S (siehe Abb. 51) innerhalb der Schicht *ab* die in der
-Richtung des Verlaufes der Schicht befindlichen Sterne als einen hellen
-Kreis ABCD sehen, während die Sterne an den Seiten *mv*, *nw* über
-den übrigen Teil des Himmels bei MVNW zerstreut erscheinen würden.
-
-Stände der Beobachter irgendwo außerhalb der Schicht, so würde die
-Schicht die Gestalt einer Scheibe annehmen, die nach Maßgabe der
-Entfernung des Beobachters mehr oder weniger groß sein würde. Und nähme
-dieser Abstand über alles Maß zu, so müßte die ganze Sternenschicht
-zuletzt in einen lichten Fleck zusammenschrumpfen.
-
-Nehmen wir nun weiter mit *Herschel* an, daß eine kleinere Schicht
-aus der ersteren nach einer bestimmten Richtung hin ausläuft und
-gleichfalls von zwei parallelen Ebenen, die sich ins Unbestimmte
-ausdehnen, eingeschlossen ist. Befindet sich der Beobachter in der
-großen Schicht irgendwo in der Nähe der Abzweigung, dann wird diese
-zweite Schicht nicht einen Kreis darstellen, sondern wie ein lichter
-Zweig erscheinen, der von dem Kreise ausgeht und in einer gewissen
-Entfernung wieder zu ihm zurückkehrt. So werden in Abb. 51 die Sterne
-in der kleinen Schicht *pq* in einem hellen Bogen PRRP gesehen
-werden, der nach der Absonderung vom Kreise sich mit ihm wieder
-vereinigt.
-
-Aus dem Bilde, das uns die Milchstraße bietet, folgerte *Herschel*
-deshalb, daß sich die Sonne in einer großen Fixsternschicht nicht fern
-von der Stelle befinde, von der eine kleinere Schicht als ein Zweig der
-größeren ausläuft.
-
-Anfangs hielt *Herschel* sämtliche Nebelflecke für Sternhaufen. Als er
-jedoch auch deutliche Sterne entdeckte, die von einem Nebel umgeben
-sind, der offenbar zu dem Sterne in Beziehung steht, nahm er an, daß
-es sich hier um leuchtende Gasmassen handele, die auch, ohne einen
-Stern zu umschließen, existieren und der Urstoff für die Bildung neuer
-Himmelskörper seien. Dementsprechend glaubte er, in dem Zustande, den
-uns der Fixsternhimmel gegenwärtig darbietet, sämtliche Stufen des
-Weltbildungsprozesses nachweisen zu können. Spätere, insbesondere
-spektroskopische Forschungen haben die Richtigkeit dieser kühnen
-Schlüsse dargetan.
-
-Die Betrachtungen, welche *Herschel* über die Abmessungen des mit
-seinem Teleskop durchforschten Raumes anstellte, lieferten den
-Nachweis, daß das Licht, um von den entferntesten Objekten des Himmels
-zu uns zu gelangen, viele tausend Jahre gebraucht, so daß unsere
-Teleskope nicht allein den Raum, sondern auch die Zeit durchdringen.
-Anknüpfend an die von *Herschel* erhaltenen Ergebnisse konnte deshalb
-*Humboldt*[424] wohl sagen, daß das Licht der fernsten Weltkörper das
-älteste sinnliche Zeugnis von dem Dasein der Materie sei.
-
-Als zur Jahrhundertfeier der Uranusentdeckung eine Biographie
-*Herschels*[425] erschien, wurde darin mit Recht hervorgehoben, daß
-an *Herschels* Ansicht über den Bau des Himmels nur wenig zu ändern
-gewesen sei. »Jede astronomische Entdeckung«, heißt es dort[426], »und
-jede gut beobachtete physikalische Tatsache gibt Material für die
-Ausarbeitung der Einzelheiten oder für die Verbesserung untergeordneter
-Punkte dieser Ansicht. Als wissenschaftliche Auffassung ist sie
-vielleicht die großartigste, die jemals der menschliche Geist gewonnen
-hat.«
-
-Den Ansichten, die fast gleichzeitig *Herschel* und *Laplace* und vor
-ihnen schon *Kant* über die Entstehung der Welt entwickelten, ist der
-Gedanke gemeinsam, daß die Gestirne, die sich die früheren Zeitalter
-aus ganz besonderem Stoff gebildet dachten, in materieller Hinsicht
-untereinander und von der Erde nicht wesentlich verschieden sind.
-Dieses Ergebnis einer denkenden Naturbetrachtung sollte nicht nur durch
-die spätere spektroskopische Untersuchung, sondern auch durch die noch
-im Zeitalter von *Herschel* und *Laplace* erfolgte richtige Deutung der
-Meteoriten ihre Bestätigung finden.
-
-Nachrichten über vom Himmel gefallene Stein- und Eisenmassen reichen
-bis ins graue Altertum zurück, ohne daß dadurch bis gegen das 18.
-Jahrhundert das wissenschaftliche Interesse rege geworden wäre. Um
-die Mitte jenes Zeitabschnitts waren zwei auffallende Tatsachen zu
-verzeichnen. Der Sibirien bereisende deutsche Naturforscher *Pallas*
-entdeckte 1749 in der Nähe des Jenissei eine 1600 Pfund schwere
-Eisenmasse, deren Beschaffenheit darauf hinwies, daß man es in ihr
-mit einem Naturerzeugnis zu tun habe[427]. Ferner hatte in Agram im
-Jahre 1751 einer der am besten beglaubigten Meteoreisenfälle[428]
-stattgefunden. Das dort gefallene Stück war ausgegraben und dem Wiener
-Naturalienkabinet einverleibt worden. Der Leiter dieses Instituts wies
-jedoch die Meinung, daß die Masse überhaupt gefallen sei, mit Spott
-zurück. Seiner Ansicht nach sollte sich das Eisen unter dem Einfluß
-der atmosphärischen Elektrizität aus Bestandteilen des Bodens gebildet
-haben.
-
-In einer 1794 erschienenen Abhandlung wagte es der deutsche Physiker
-*Chladni*, im Gegensatz zu allen gelehrten Zeitgenossen, für die
-Feuerkugeln einen kosmischen Ursprung zu behaupten und die von
-*Pallas*[429] entdeckte und ähnliche Eisenmassen als den Stoff solcher
-niedergefallenen Feuerkugeln in Anspruch zu nehmen.
-
-*Chladni* wies zunächst auf folgende, gut beobachteten und
-wissenschaftlich erörterten Meteorsteinfälle des 18. Jahrhunderts hin.
-
-Am 17. Mai 1719 erschien eine Feuerkugel in England[430]; sie durchlief
-300 Meilen in einer Minute und zersprang mit einem Getöse, bei welchem
-Türen, Fenster und ganze Häuser erschüttert wurden.
-
-Am 11. November 1761 sah man eine Feuerkugel[431] in Frankreich; sie
-zersprang mit heftigem Getöse in viele kleine Stücke; manche Personen
-glaubten Feuer neben sich gesehen zu haben. Ein Stück ist[432] in ein
-Haus gefallen und hat dieses entzündet.
-
-Am 23. Juli 1762 wurde eine Feuerkugel, die *Silberschlag* in seiner
-»Theorie der am 23. Juli 1762 erschienenen Feuerkugel, Magdeburg 1764«
-beschrieb[433], ungefähr senkrecht über der Gegend zwischen Leipzig
-und Zeitz in Gestalt eines kleinen Sternes sichtbar. Sie nahm an
-scheinbarer Größe zu, ging über Wittenberg und Potsdam und zersprang
-einige Meilen hinter Potsdam mit einem lauten Knall. Ihr Licht ist sehr
-weiß gewesen und hat einen Umfang von wenigstens 60 deutschen Meilen
-erleuchtet. Die Höhe war im Beginn der Beobachtung etwa 19 und beim
-Zerspringen über 4 Meilen.
-
-*Chladni* wies die früheren Erklärungsarten, nach denen man es in den
-Meteoren mit elektrischen Entladungen, mit brennbaren gasförmigen
-Anhäufungen, kurz mit Erscheinungen irdischen Ursprungs zu tun hätte,
-als unvereinbar mit den von ihm zusammengestellten Befunden zurück.
-Nach *Chladnis* heute keinen Widerspruch mehr findenden Meinung
-sind unzählige kleine Massen, die zu keinem größeren Weltkörper in
-unmittelbarer Beziehung stehen, im Weltraume zerstreut. Sie bewegen
-sich, durch Wurfkräfte oder Anziehung getrieben, so lange fort, bis
-sie der Erde oder einem anderen Weltkörper nahekommen und, von ihrer
-Anziehungskraft ergriffen, darauf niederfallen. Bei ihrer schnellen
-Bewegung muß infolge der heftigen Reibung mit der Atmosphäre eine sehr
-starke Hitze erzeugt werden, wodurch sie in Gluthitze geraten und
-Dämpfe im Innern entwickeln, welche die Masse zum Zerspringen bringen.
-
-Die Frage, wie diese Massen entstanden oder in einen solch isolierten
-Zustand gekommen sind, wäre, meint *Chladni*, dasselbe wie die Frage
-nach der Entstehung der Weltkörper. Man müsse doch entweder annehmen,
-daß die Weltkörper, abgesehen von Revolutionen auf ihrer Oberfläche,
-immer das gewesen sind und sein werden, was sie jetzt sind, oder daß es
-Kräfte gäbe, die imstande seien, Weltkörper und ganze Weltsysteme zu
-bilden, zu zerstören und aus ihrem Stoffe wieder neue hervorzubringen.
-Für diese Meinung sprächen wohl mehr Gründe als für die erstere. Ein
-solches Entstehen der Weltkörper ließe sich aber wohl nicht anders
-denken, als daß entweder materielle Teile, die vorher zerstreut gewesen
-sind, sich durch die Anziehungskraft zu großen Massen angehäuft hätten,
-oder daß eine Zerstückelung einer größeren Masse stattgefunden habe.
-
-Die isoliert gebliebenen Massen müßten ihre Bewegung durch den Weltraum
-fortsetzen, bis sie von der Anziehung eines Weltkörpers ergriffen
-würden und die Erscheinungen der Feuerkugeln hervorriefen.
-
-Die gleiche Entstehung nahm *Chladni* für die von *Pallas* und anderen
-Reisenden gefundenen Eisenmassen in Anspruch. Eine solche 300 Zentner
-schwere Masse war z. B. im südlichen Amerika gefunden worden, und zwar
-an einer Stelle, wo in einem Umkreise von 100 Meilen keine Eisenerze,
-ja nicht einmal Steine anzutreffen sind.
-
-*Chladni* wies nach, daß diese Eisenmassen weder auf nassem Wege, noch
-durch die Wirkung des Blitzes entstanden sein könnten, auch nicht
-vulkanischen Ursprungs seien. Es sei merkwürdig, meint er, daß das
-Eisen der Hauptbestandteil der bisher gefundenen Meteoriten sei. Man
-könne daher vermuten, daß das Eisen hauptsächlich zur Bildung der
-Weltkörper beigetragen habe[434]. Auch sei wahrscheinlich, daß die
-anderen, in manchen herabgefallenen Massen enthaltenen Stoffe, wie
-Schwefel, Kieselerde, Bittererde usw. nicht unserer Erde allein eigen
-seien, sondern zu den Stoffen gezählt werden müßten, die sich an der
-Bildung der Weltkörper beteiligt hätten[435].
-
-*Chladni* wurde zunächst mit Hohn überschüttet. Die französische
-Akademie sprach sich trotz aller gut beglaubigten Fälle dahin aus, daß
-die Nachrichten über derartige Naturerscheinungen in das Gebiet der
-Fabel zu verweisen seien. Sie wurde indes sehr bald durch die Tatsachen
-selbst eines Besseren belehrt. In der Normandie ereignete sich nämlich
-am 26. April des Jahres 1803 ein großer Steinfall, der von hunderten
-beobachtet und von den Abgesandten der Akademie selbst in seinen
-Einzelheiten festgestellt wurde[436]. Die Ausführungen *Chladnis*
-wurden darauf allgemein als richtig anerkannt. Ja, man ging jetzt so
-weit, daß man sich die Weltkörper durch die Anhäufung von Meteoriten
-entstanden dachte[437].
-
-Die chemische Analyse war weit genug fortgeschritten, um an den
-Meteoriten unter der Voraussetzung ihres kosmischen Ursprungs den
-Nachweis zu führen, daß außerhalb der Erde befindlicher Weltstoff
-in seiner elementaren Zusammensetzung mit der irdischen Materie
-übereinstimmt. So entdeckte man[438], daß das Meteoreisen stets
-mehr oder weniger Nickel (bis zu 35%) enthält, und lernte den
-Gehalt an diesem Metall, sowie die beim Anätzen auftretenden
-*Widmannstätten*schen Figuren (von *Widmannstätten* 1808 entdeckt;
-er druckte mit den geätzten Flächen die Figuren naturgetreu ab)[439]
-als besondere Eigentümlichkeit des Meteoreisens kennen. Nachdem
-man neben Nickel auch Kobalt und Kupfer darin aufgefunden hatte,
-wurden durch eine Arbeit, die *Berzelius* über die Meteoriten
-veröffentlichte, sechs neue Elemente in ihnen nachgewiesen; es waren
-dies Phosphor, Kohlenstoff, Silizium, Magnesium, Zinn und Mangan.
-Spätere Untersuchungen haben die Zahl der Bestandteile, die sämtlich
-mit irdischen Grundstoffen übereinstimmen, noch vermehrt.
-
-Was *Chladni* für die Meteoriten leistete, gelang zwei anderen
-Deutschen namens *Benzenberg*[440] und *Brandes*[441] hinsichtlich der
-Sternschnuppen. Durch gleichzeitig an verschiedenen Orten angestellte
-Beobachtungen gelang es ihnen, auch für diese Phänomene, die man bis
-dahin auf schweflige Dünste oder brennbare Gase zurückgeführt hatte,
-einen kosmischen Ursprung nachzuweisen. *Benzenberg* und *Brandes*
-beobachteten Sternschnuppenfälle von den Endpunkten einer 27000 Pariser
-Fuß langen Standlinie. Indem sie den Ort und die Zeit des Verschwindens
-genau anmerkten, vermochten sie in vielen Fällen die Identität der
-beobachteten Erscheinungen nachzuweisen und aus den gewonnenen Daten
-planetarische Geschwindigkeiten, sowie auf einen kosmischen Ursprung
-hinweisende Höhen zu ermitteln[442].
-
-War es in der vorhergehenden Periode durch *Bradleys* Entdeckung der
-Aberration gelungen, einen sinnlichen Beweis für die Bewegung der Erde
-um die Sonne zu erbringen, so vermochte *Benzenberg* einen solchen
-Nachweis auch für die Rotation zu führen. Bekanntlich lautete einer
-der Scheingründe gegen die koppernikanische Weltansicht dahin, ein
-frei fallender Körper müsse, weil die Erde sich unter ihm fortbewege,
-einen westlich von seinem Ausgangspunkt gelegenen Ort treffen.
-*Newton* wies im Jahre 1679 darauf hin, daß bei dem freien Fall
-infolge des Beharrungsvermögens und der größeren Geschwindigkeit in
-tangentialer Richtung, welche der Körper zu Beginn der Fallbewegung
-besitzt, im Gegenteil eine östliche Abweichung zu erwarten sei. Die
-Royal Society beschloß durch genaue Fallversuche *Newtons* Annahme
-auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Da man jedoch mit zu geringen Höhen
-experimentierte, verlief die Angelegenheit ergebnislos. Es dauerte
-länger als ein Jahrhundert, bis neue Untersuchungen und zwar mit
-besserem Erfolge angestellt wurden. Dies geschah durch *Guglielmini* in
-Bologna in einem Turme, der schon den Fallversuchen *Ricciolis*[443]
-gedient hatte.
-
-*Guglielmini*[444] wählte diesen Turm, weil sein Inneres für derartige
-Versuche wie gemacht war und sich darin Fallhöhen von 240 Par. Fuß
-erreichen ließen. Die Versuche erforderten manche Vorsichtsmaßregel,
-da jeder Luftzug, sowie Erschütterungen des Gebäudes oder der Kugel
-selbst im Augenblicke des Loslassens ausgeschlossen sein mußten.
-*Guglielminis* Versuche, über welche *Benzenberg* eingehend berichtet,
-sind zwar ein schöner Beweis unermüdlicher Ausdauer, sie ließen auch
-deutlich eine östliche Abweichung erkennen, trotzdem waren sie noch
-nicht so frei von Fehlern, daß sie eine genügende Übereinstimmung
-zwischen der Theorie und der Beobachtung erkennen ließen. Mit großer
-Spannung sah die gelehrte Welt einer endgültigen Entscheidung der von
-*Guglielmini* wieder angeregten, Jahrhunderte alten Frage entgegen.
-Diese Entscheidung brachten unabhängig voneinander zwei deutsche
-Physiker *Benzenberg* und *Reich*.
-
-Den Nachweis der von der Theorie geforderten Abweichung führte
-*Benzenberg* durch seine 1802 im Michaelisturm zu Hamburg, sowie in
-einem rheinischen Kohlenschachte angestellten Fallversuche[445]. Bei
-einer Höhe von 235, beziehungsweise 262 Fuß ergab sich eine deutliche
-Abweichung von mehreren Linien. Die zu dem gleichen Zwecke angestellten
-Versuche[446] *Reichs* zeigten bei einer Fallhöhe von 488 Fuß eine
-östliche, der Theorie ihrer Größe nach genau entsprechende Abweichung
-von 12,6 Linien.
-
-Die Astronomie war in dieser von uns nach *Laplace* und *Herschel*
-benannten Periode noch wesentlich Himmelsmechanik. Für ein Studium
-der Himmelskörper, das über die Fragen nach der Form, der Verteilung
-und der Bewegung hinausging, fehlten noch fast alle physikalischen
-und chemischen Grundlagen. Sie erwuchsen erst im 19. Jahrhundert
-auf den Gebieten der Wärmelehre und der Optik. Erst nachdem wir auf
-diesen Gebieten die weitere Entwicklung verfolgt haben, können wir zur
-Astronomie zurückkehren und ihre Ausgestaltung zu einer kosmischen
-Physik und Chemie verfolgen.
-
-
-
-
-17. Die Grundlagen der mechanischen Wärmetheorie.
-
-
-Die Neubegründung der Chemie durch *Lavoisier*, sowie die Entdeckung
-der galvanischen Elektrizität und ihrer hauptsächlichsten Wirkungen
-waren Umwälzungen und Erweiterungen von solcher Bedeutung, daß sie
-wohl imstande waren, eine neue Epoche zu eröffnen. Letztere ist
-unter anderem auch dadurch gekennzeichnet, daß die Physik und die
-Chemie, seitdem man den Zusammenhang zwischen chemischen Vorgängen
-und elektrischen Erscheinungen erkannt hatte, in immer engere Fühlung
-traten. Dies hatte eine Fülle von grundlegenden Entdeckungen zur Folge,
-die uns in den nächsten Abschnitten beschäftigen sollen, Entdeckungen,
-auf denen die um die Mitte des 19. Jahrhunderts entstehende großartige
-Konzeption von der Einheit der Kraft, sowie unsere heutigen
-Vorstellungen von dem Wesen der Materie in erster Linie beruhen. Im
-engsten Anschluß an diesen Fortschritt erwuchsen ferner Theorien, die
-sich zu einem bleibenden Besitz der Wissenschaft entwickelt haben.
-Diese Theorien betrafen insbesondere die Wärmelehre und die Optik,
-Gebiete, auf denen die frühere Lehre von den Imponderabilien durch eine
-auf mechanischen Grundlagen fußende Erklärung ersetzt wurde.
-
-Die Vorstellung, daß wir es in der Wärme nicht mit einem Stoff, sondern
-mit einer Bewegung der kleinsten Teilchen zu tun haben, begegnet uns
-schon im Beginn des 18. Jahrhunderts[447]. Die ersten, für die seit
-der Mitte des 19. Jahrhunderts zur Herrschaft gelangende, mechanische
-Theorie der Wärme als grundlegend zu betrachtenden Versuche und
-Folgerungen gehören indes jener Zeit an, in welcher gegen das Ende des
-18. Jahrhunderts der hier geschilderte großartige Aufschwung der Chemie
-und der Physik beginnt. Am erfolgreichsten nach dieser Richtung waren
-die Bemühungen *Rumfords*[448].
-
-*Rumford* wurde 1753 in Nordamerika geboren. Er stand während des
-Befreiungskampfes auf englischer Seite und kam 1776 nach London.
-*Rumford* war ein sehr geschickter, wissenschaftlich und praktisch
-gleich hervorragender Mensch, der besonders durch sein Bemühen, im
-Kriegswesen und im sozialen Leben Neuerungen einzuführen, überall die
-Aufmerksamkeit der Machthaber auf sich lenkte. Eine Reihe von Jahren
-war *Rumford* in Bayern tätig. Er richtete dort Werkstätten ein,
-brachte es bis zum Kriegsminister und wurde schließlich in Anerkennung
-seiner Verdienste in den Grafenstand erhoben. 1800 rief er in London
-die Royal Institution ins Leben. Einige Jahre später siedelte er nach
-Paris über. Dort heiratete er die Witwe *Lavoisiers*, deren Salon den
-Sammelpunkt der gelehrten Welt bildete. Von Bonaparte, zu dessen großen
-Zügen seine Vorliebe für die Wissenschaft und seine Achtung gegenüber
-ihren Vertretern gehören, wurde auch *Rumford* mit Auszeichnung
-behandelt. Er starb in Paris im Jahre 1814.
-
-*Rumford* wiederholte zunächst den schon von *Boyle* angestellten,
-gegen die Stoffnatur der Wärme gedeuteten Wägungsversuch. Er setzte
-zwei Flaschen, die gleiche Mengen Quecksilber und Wasser enthielten,
-genau ins Gleichgewicht, während die Temperatur der Umgebung 61°
-betrug. Das Ganze wurde dann in ein Zimmer gebracht, das eine
-Temperatur von 34° besaß. Obgleich die spezifische Wärme des Wassers
-etwa 30mal so groß ist wie diejenige des Quecksilbers, das Wasser also
-eine viel größere Wärmemenge abgegeben hatte, zeigte sich nicht der
-geringste Ausschlag[449].
-
-Wollte man trotzdem an der stofflichen Beschaffenheit der Wärme
-festhalten, so mußte man wenigstens annehmen, daß ein isoliertes System
-von Körpern nicht beständig der Umgebung Wärme mitteilen kann, ohne
-allmählich erschöpft zu werden. Indem *Rumford* durch den Versuch
-bewies, daß durch gegenseitige Reibung zweier Körper unbegrenzte
-Wärmemengen erzeugt werden können, entzog er der soeben erwähnten
-Voraussetzung von der stofflichen Natur der Wärme den Boden. Über
-diesen berühmt gewordenen Versuch berichtet *Rumford* der Royal
-Society im Jahre 1798[450]. »Da ich seit kurzem«, beginnt er, »die
-Oberaufsicht beim Kanonenbohren im Zeughause zu München hatte, so
-überraschte mich der beträchtliche Wärmegrad, den eine Kanone in kurzer
-Zeit beim Bohren erhält.« Wäre die spezifische Wärme der Späne eine
-geringere als diejenige des zusammenhängenden Metalles, so hätte man
-das Auftreten der Wärme auf einen solchen Unterschied der Kapazitäten
-zurückführen können. Der Versuch ergab jedoch, daß Stücke und feine
-Spänchen eines Metalles dieselbe spezifische Wärme besitzen. Brachte
-man nämlich gleiche Mengen der Spänchen und der Stücke, welche auf
-die Temperatur des kochenden Wassers erhitzt waren, in gleiche Mengen
-kalten Wassers, so erfuhr das letztere in beiden Fällen dieselbe
-Temperaturerhöhung.
-
-[Illustration: Abb. 52. Die für *Rumfords* Versuch hergerichtete und in
-die Bohrmaschine gespannte Kanone. Die Stange w verbindet die Kanone
-mit dem Göpel.]
-
-Da chemische Vorgänge, sowie irgend welche Zuleitung von Wärme bei den
-Bohrversuchen ausgeschlossen waren, so blieb nichts anderes übrig, als
-die Ursache der Wärmeentwicklung in der Bewegung zu erblicken. Die
-weiteren Versuche bezweckten den Nachweis, daß diese Wärmequelle nicht
-versiegt, solange die Bewegung dauert. Hieran schloß sich schon das
-erste Aufdämmern der Erkenntnis, daß einem gewissen Aufwand an Arbeit
-eine bestimmte Menge erzeugter Wärme entspricht. *Rumford* ließ nämlich
-einen aus Kanonenmetall bestehenden Zylinder von 112,13 Pfund Gewicht
-in einem Kasten (Abb. 53) rotieren, der 18,77 Pfund Wasser enthielt.
-Wurde die Drehung, bei der ein stumpfer eiserner Bohrer m n gegen das
-Metall gepreßt wurde, durch die Kraft eines Pferdes bewerkstelligt,
-so kochte das Wasser nach 2 Stunden und 30 Minuten. »Die Überraschung
-und das Staunen der Umstehenden, solch eine Wassermasse ohne Feuer
-zum Kochen gebracht zu sehen, war über alle Beschreibung groß«, heißt
-es in dem Berichte *Rumfords*[451]. Die Rechnung ergab, daß die ganze
-Menge der erzeugten Wärme, die sich auf das Wasser und die Metallstücke
-verteilte, hinreichend war, um 26,58 Pfund eiskalten Wassers zum Sieden
-zu bringen, ungerechnet diejenige Wärme, die während des Versuches
-verloren ging. Diese Wärmemenge entspricht nach *Rumford* einer
-Pferdekraft. Da nach *Watt* die letztere imstande ist, 33 000 Pfund in
-der Minute einen Fuß hoch zu heben, so würde eine weitere Berechnung
-gezeigt haben, daß diejenige Wärme, die ein Pfund Wasser um 1° erwärmt,
-einer mechanischen Leistung von 1034 Fußpfund entspricht. Spätere,
-genauere Untersuchungen, welche der Engländer *Joule* anstellte,
-haben für dieses Äquivalent den Wert von 772 Fußpfund ergeben. Der
-beträchtliche Unterschied wird daraus erklärlich, daß *Rumford* die
-Verluste nicht in Rechnung zog, und daß bezüglich des Arbeitsaufwandes
-nur eine rohe Annäherung an die von *Watt* als eine Pferdekraft
-bestimmte Größe vorlag.
-
-[Illustration: Abb. 53. Der vor der Mündung der Kanone angebrachte
-hölzerne Kasten. Der stumpfe Bohrer m n wird gegen den Boden des
-ausgebohrten hohlen Zylinders gepreßt, welcher durch einen kurzen Hals
-mit dem Ende der Kanone verbunden ist.
-
-Die Abbildungen 52 und 53 sind der unten erwähnten Abhandlung
-*Rumfords* entnommen.]
-
-Von gleicher Beweiskraft für die Immaterialität der Wärme wie der
-*Rumford*sche Versuch war ein von *Davy* angestelltes Experiment. In
-seinen 1799 veröffentlichten[452] »Untersuchungen über Wärme, Licht
-und Atmung« teilte dieser Forscher mit, daß er bei 29° Fahrenheit,
-also einer unter dem Gefrierpunkt liegenden Temperatur, zwei an Stäben
-befestigte Eisstücke durch gegenseitige Reibung zum Schmelzen gebracht
-habe[453]. Obgleich die Wärmekapazität des Schmelzwassers größer
-ist als diejenige von Eis, zeigte das erhaltene Wasser dennoch eine
-Temperatur von 35° Fahrenheit. Auch *Davy* schloß hieraus, daß die
-Wärme kein Stoff, sondern eine unmittelbare Folge der Bewegung sei.
-Er dachte sich die Materie von zwei Kräften, der Anziehung und der
-Abstoßung, beherrscht. Die Erscheinungen der Wärme rühren nach *Davy*,
-dessen Vorstellungen sich im wesentlichen mit den heute geltenden
-Anschauungen decken, von einer besonderen Bewegung der Körperteilchen
-her. Alle festen Körper werden durch heftiges Reiben ausgedehnt, indem
-ihre Teilchen in schwingende Bewegung kommen und sich voneinander
-entfernen. Die verschiedenen Aggregatszustände werden gleichfalls ganz
-im Sinne der neueren Physik aus dem Verhältnis zwischen Anziehung und
-Abstoßung erklärt. Je nachdem die erstere oder die letztere überwiegt
-oder beide nahezu gleich sind, ist der Körper fest, gasförmig oder
-flüssig. Die Abstoßung kann durch chemische Vorgänge oder durch
-Mitteilung des Bewegungszustandes benachbarter Körper erregt werden. In
-letzterem Falle ist die Bewegungsgröße, die der eine Körper gewinnt,
-genau gleich derjenigen, welche der andere verliert.
-
-*Davy* gehört zu jenen Vorläufern von *Mayer*, *Joule* und *Helmholtz*,
-die von der Allgemeingültigkeit des Prinzips von der Erhaltung
-der Kraft schon eine deutliche Ahnung hatten. Dafür zeugt auch
-sein Ausspruch: »Es läßt sich keine erhabenere Vorstellung von den
-Bewegungen der Materie gewinnen, als daß die verschiedenen Arten der
-Bewegung sich fortwährend ineinander umwandeln.«
-
-*Rumford* und *Davy* waren jedoch ihrer Zeit vorausgeeilt. Die von
-ihnen entwickelte Lehre sollte erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts
-durch die zuerst genannten Männer erneuert und fortentwickelt werden.
-
-Die weitere Entwicklung der Prinzipien der Thermodynamik knüpft
-besonders an Entdeckungen an, die man über das Verhalten der Gase bei
-Temperatur- und Volumenveränderungen und über die Beziehungen zwischen
-beiden machte.
-
-Gegen das Ende des 18. Jahrhunderts wurden die Physiker darauf
-aufmerksam, daß zusammengepreßte Luft bei ihrer Ausdehnung sich
-abkühlt. Man entdeckte diese Tatsache, als man die Luft aus einer
-Windbüchse gegen ein Thermometer strömen ließ und dabei ein Fallen des
-Quecksilbers beobachtete[454]. Auch glaubte man hieraus die niedrige
-Temperatur auf hohen Bergen erklären zu können. Dies war allerdings
-in dieser Allgemeinheit ein Fehlschluß, da die Abkühlung nur im
-Augenblicke der Verdünnung und im Zusammenhange mit einer mechanischen
-Leistung auftritt, mit diesem mechanischen Vorgange also in engster
-Beziehung steht. Verdünnte Luft ist also nicht etwa an sich kälter
-als dichtere. Dagegen hat die Meteorologie die Temperaturänderungen
-aufsteigender und niedersinkender Luftmassen zur Erklärung mancher
-Witterungserscheinung verwerten können. Ein welch wesentlicher Faktor
-mit der neuen Erkenntnis gewonnen war, läßt sich daraus ermessen, daß
-die Abkühlung für trockene aufsteigende Luft bei 100 Metern Steighöhe
-sich schon auf einen Grad beläuft. Niedersinkende Luft erfährt eine
-entsprechende Temperaturzunahme, und diese Wärmeschwankungen sind
-wieder für den relativen Feuchtigkeitsgehalt der Luft bedingend.
-
-Systematische Untersuchungen über die bei der Verdünnung und der
-Ausdehnung der Luft eintretenden Wärmeschwankungen stellte zuerst
-*Dalton*[455] an, doch war er weit davon entfernt, sie auf ihre wahre
-Ursache zurückzuführen. Er glaubte nämlich, dichtere Luft besitze
-eine geringere Wärmekapazität als verdünnte. Eine solche Annahme
-mußte auf den sonderbaren Schluß führen, daß dem Vakuum die größte
-Wärmekapazität zukomme. Um dieselbe Zeit, als *Dalton* seine Versuche
-bekannt gab, wurde die gelehrte Welt in hohem Grade durch die
-Entdeckung überrascht, daß durch eine plötzliche Verdichtung der Luft
-Stoffe, wie der Zündschwamm, auf die Entzündungstemperatur gebracht
-werden können[456]. Die Annahme *Daltons*, daß diese Erscheinung auf
-eine Änderung der Wärmekapazität zurückzuführen sei, wurde durch einen
-entscheidenden Versuch *Gay-Lussacs* widerlegt. Nebenbei bemerkt,
-hatte man bei den Versuchen *Rumfords* auch zuerst an eine Änderung
-der Wärmekapazität gedacht[457]. *Gay-Lussac* stellte den erwähnten
-Versuch in folgender Weise an. Der Behälter A sei mit einem Gas
-gefüllt, B sei evakuiert. Stellt man nun zwischen beiden Behältern
-eine Verbindung her, so verdoppelt das Gas sein Volumen. *Gay-Lussac*
-erwartete, eine Abkühlung eintreten zu sehen und war überrascht, daß
-im ganzen keine Temperaturveränderung stattfand[458]. Der nach B
-überströmende Teil des Gases wurde nämlich um ebenso viel erwärmt, wie
-der in A zurückbleibende abgekühlt wurde. Die spezifische Wärme oder
-die Wärmekapazität konnte sich also durch die Volumvergrößerung nicht
-geändert haben.
-
-[Illustration: Abb. 54. *Gay-Lussacs* Versuch zur Thermodynamik der
-Gase.]
-
-Da die Ausdehnung eines Gases unter Wärmeverbrauch vor sich geht, so
-mußte man mehr Wärme zuführen, um das Gas auf eine bestimmte Temperatur
-zu erhitzen, wenn die Erwärmung unter gleichzeitiger Ausdehnung
-erfolgte, als wenn sie bei konstantem Volumen vor sich ging. In
-letzterem Falle nahm mit der Erwähnung der Druck des eingeschlossenen
-Gases zu.
-
-Es galt nun zu untersuchen, ob sich für diese zunächst nur nach ihrer
-qualitativen Natur erkannte Eigenart der Gase auch eine quantitative
-Beziehung finden läßt, d. h. ob der Wärmeverbrauch bei konstantem Druck
-und einer entsprechenden Ausdehnung des Gases und der Wärmeverbrauch
-bei konstantem Volumen in einem bestimmten Verhältnis stehen. Ohne
-hier näher auf den Gang der Untersuchung einzugehen, sei bemerkt,
-daß man dies Verhältnis der spezifischen Wärme bei konstantem Druck
-zur spezifischen Wärme bei konstantem Volumen gleich etwa 1,4 : 1
-ermittelte. So erhielt man für die damals als permanent betrachteten
-Gase folgende Werte:
-
- Sauerstoff 1,415
- Stickstoff 1,420
- Wasserstoff 1,405
- Luft 1,421
-
-Die übrigen Gase zeigten für dieses Verhältnis etwas niedrigere Werte,
-z. B.
-
- Kohlendioxyd 1,340
- Kohlenmonoxyd 1,423
- Stickoxyd 1,343
-
-Es gelang erst einer späteren Periode, den Mehrbedarf an Wärme mit
-der Arbeit in Beziehung zu bringen, welche das Gas leistet, wenn es
-sich unter konstantem Druck ausdehnt. Wir werden sehen, wie *Robert
-Mayer* aus dem Wert 1,421 das Wärmeäquivalent berechnete. Die weitere
-Entwicklung der Thermodynamik wurde bis *Mayer* am meisten dadurch
-gehindert, daß man an der alten Stofftheorie festhielt. Man dachte
-sich die ihr Volumen »ändernden Körper« ähnlich einem Schwamm, der
-beim Zusammenpressen den Wärmestoff von sich gibt und ihn bei seiner
-Ausdehnung wieder aufsaugt[459]. Auch *Carnot*, mit dessen Verdiensten
-um die Begründung der Thermodynamik wir uns in einem späteren Abschnitt
-beschäftigen werden, hielt an der Stofftheorie fest, vermittelte aber
-durch seine Arbeit den Übergang zu der durch *Mayer*, *Joule* und
-*Helmholtz* gewonnenen Einsicht in die Umwandlungsfähigkeit von Wärme
-und Arbeit.
-
-
-
-
-18. Fortschritte der Optik und Sieg der Wellentheorie.
-
-
-Daß die Teile des Spektrums nicht nur hinsichtlich der Wärmewirkung,
-wie *Herschel* nachgewiesen, sondern auch hinsichtlich des chemischen
-Verhaltens große Unterschiede zeigen, war schon durch *Scheele*
-nachgewiesen worden. Dieser brachte in das Spektrum ein Stück Papier,
-das er mit Chlorsilber überzogen hatte. Von dieser Substanz wußte man,
-daß sie am Lichte allmählich geschwärzt wird. *Scheele* bemerkte[460],
-daß das Chlorsilber im Violett weit eher schwarz wird als in den
-anderen Farben. Dieser einfache Versuch läßt sich als der Anfang
-der heute so hoch entwickelten Spektralphotographie betrachten. Die
-Analogie des von *Scheele* erhaltenen Befundes mit den Ergebnissen
-*Herschels* trat noch deutlicher hervor, als 1801 das Vorkommen von
-chemisch wirksamen Strahlen über das Violett hinaus nachgewiesen
-wurde[461]. Auch in diesem Falle ergab sich, daß das Maximum der
-Wirkung jenseits des sichtbaren Teiles gelegen ist, da die Zersetzung
-des Chlorsilbers hier energischer als im Violett selbst vor sich geht.
-Die ultravioletten Strahlen wurden daher seit der Zeit auch wohl als
-chemische Strahlen bezeichnet.
-
-Wieder ein Jahr später (1802) wurde die Kenntnis von der Beschaffenheit
-des Spektrums um eine Entdeckung von der allergrößten Tragweite
-bereichert. Der Engländer *Wollaston*[462], der sich gleichfalls
-um den Nachweis der ultravioletten Strahlen verdient gemacht hat,
-bemerkte, daß das hinter einem feinen Spalt erzeugte Sonnenspektrum vom
-zahlreichen dunklen Linien durchzogen ist[463]. Wie diese Entdeckung
-von *Fraunhofer* erneuert und zur Grundlage der Spektralanalyse gemacht
-wurde, soll in einem späteren Abschnitt gezeigt werden.
-
-In diesem Zeitraum, in welchem die Optik um so manchen wichtigen
-Fortschritt bereichert wurde, sollte auch der alte, an die Namen
-*Newton* und *Huygens* sich knüpfende Streit über das Wesen des Lichtes
-zu gunsten der von letzterem vertretenen Theorie entschieden und damit
-in die Lehre von den Imponderabilien eine zweite Bresche gelegt werden.
-Der erste Angriff auf die Emanationstheorie erfolgte im Vaterlande
-*Newtons* durch *Young*[464], welcher die von *Hooke* begonnene und von
-*Newton* fortgesetzte Untersuchung der Farben dünner Blättchen wieder
-aufnahm.
-
-Jene Folge von hellen und dunklen Streifen oder Ringen, die *Newton* im
-gleichartigen Lichte beobachtet hatte, ohne dafür eine Erklärung finden
-zu können, die mehr als eine bloße Umschreibung war, führte *Young* auf
-das Zusammentreffen der von der ersten und zweiten begrenzenden Fläche
-zurückgeworfenen Strahlen zurück. Er bezeichnete diese Erscheinung
-mit dem noch jetzt dafür gebräuchlichen Namen als Interferenz und
-suchte darzutun, daß ein Hinzufügen von Licht zu Licht in ähnlicher
-Weise Dunkelheit zur Folge haben könne, wie durch das Zusammentreffen
-von gleichen aber entgegengesetzten Bewegungen, z. B. Schwingungen
-verschiedener Phase, Ruhe entsteht.
-
-*Young* gelang sogar der Nachweis, daß die Interferenz sich auch auf
-den unsichtbaren, ultravioletten Teil des Spektrums erstreckt. Er
-erreichte dies durch folgende Versuchsanordnung[465]. Der ultraviolette
-Teil des Spektrums wurde auf eine dünne, zur Erzeugung der farbigen
-Ringe geeignete Schicht geworfen und von den begrenzenden Flächen
-so reflektiert, daß der unsichtbare Reflex auf ein mit Silberlösung
-getränktes Papier fiel. Nach einiger Zeit entstanden auf letzterem
-die bekannten dunklen Ringe. Das dieser Erscheinung zugrunde liegende
-Prinzip der Interferenz sprach *Young* in folgenden Worten aus[466]:
-»Wenn zwei Wellen verschiedenen Ursprungs sich in gleicher oder in
-nahezu gleicher Richtung fortpflanzen, so besteht ihre Gesamtwirkung in
-der Vereinigung der einer jeden entsprechenden Bewegung.«
-
-Die Bewegungen, welche das Licht zur Folge haben, geschehen nach
-*Young* in einem dünnen, außerordentlich elastischen Äther, der das
-Weltall erfüllt. Die Verschiedenheit der Farben erklärt *Young* aus
-der Häufigkeit der Schwingungen, welche durch jene Bewegung des Äthers
-in der Netzhaut erzeugt werden. Letztere denkt er sich aus drei
-verschiedenartigen, die Empfindung der drei Grundfarben vermittelnden
-Nervenelementen zusammengesetzt. Die Erregung der einen Art von Fasern
-soll demgemäß die Empfindung Rot, die der zweiten die Empfindung Grün
-zur Folge haben, während die dritte Art vorzugsweise durch das violette
-Licht gereizt werden soll. So wird z. B. homogenes rotes Licht die
-rotempfindenden Nervenfasern stark erregen, während es auf die beiden
-anderen Arten nur eine schwache Wirkung ausübt. Werden alle drei Arten
-in gleicher Stärke getroffen, so entsteht der Eindruck Weiß. Diese
-Lehre *Youngs* wurde später von *Helmholtz* wieder aufgenommen und
-eingehender begründet[467].
-
-Wie das Licht so wird auch die strahlende Wärme nach *Young* auf die
-Bewegung des Äthers zurückgeführt. Nach ihm unterscheiden sich die
-Wärmeschwingungen einzig durch ihre Länge und die ihnen zukommende
-Schwingungszahl von den Lichtschwingungen. Die wesentlichste Schwäche
-der von *Young* entwickelten Lehre bestand in der schon von *Huygens*
-gemachten Annahme, die schwingende Bewegung erfolge longitudinal,
-d. h. in der Fortpflanzungsrichtung. Daß eine solche Annahme die
-ursprüngliche war, ist begreiflich, da man zu einer Wellentheorie des
-Lichtes gelangte, indem man die Licht- und die Schallerscheinungen als
-analoge Vorgänge betrachtete. Der Schall war aber schon längst auf
-longitudinale Schwingungen der Luftteilchen zurückgeführt.
-
-Jene Schwäche der von *Young* entwickelten Lehre trat besonders
-zutage, als *Malus* die Polarisation durch Reflexion entdeckte. Wird
-ein Lichtstrahl reflektiert oder gebrochen, so werden bekanntlich
-seine physikalischen Eigenschaften im allgemeinen nicht geändert,
-sondern er verhält sich geradeso, als ob er von dem leuchtenden Körper
-käme. Bei der Brechung findet zwar in der Regel eine Zerlegung des
-zusammengesetzten Lichtes statt, doch besitzt jede der erhaltenen
-Komponenten ihre konstante Eigenschaft, was schon *Newton* dadurch
-nachwies, daß er aus diesen Komponenten den weißen Strahl in seiner
-früheren Beschaffenheit wieder zusammensetzte. Von dieser Eigenschaft
-des gewöhnlichen Lichtes gänzlich abweichend ist dagegen, wie auch
-*Newton* erkannte, das Verhalten eines Lichtstrahls, welcher die zu
-*Newtons* Zeiten an dem Kalkspat entdeckte Doppelbrechung erlitten hat.
-Die erhaltenen Strahlen gehen nämlich bei einer bestimmten Lage durch
-einen zweiten Kalkspatkristall hindurch, ohne wieder zerlegt zu werden,
-während bei einer anderen Lage des zweiten Kristalles eine nochmalige
-Teilung stattfindet. Hieran knüpfte *Newton* die Bemerkung, ein solcher
-Lichtstrahl möge wohl verschiedene Seiten besitzen, die mit voneinander
-abweichenden Eigenschaften begabt seien[468].
-
-Nahezu ein Jahrhundert sollte es dauern, bis ein Zufall lehrte, daß
-derartiges polarisiertes Licht keine vereinzelte, nur an gewissen
-Mineralien auftretende Erscheinung ist. Es war im Jahre 1808, als der
-französische Physiker *Malus*[469] eines Tages durch einen isländischen
-Doppelspat nach den von der untergehenden Sonne beleuchteten Fenstern
-des Palais du Luxembourg blickte. *Malus* drehte den Kristall und
-nahm dabei zu seinem Erstaunen wahr, daß die Bilder, welche dieser
-lieferte, abwechselnd ihre Stärke veränderten. Zuerst dachte er an
-eine Beeinflussung des Sonnenlichtes bei seinem Durchgang durch
-die Atmosphäre. Später erkannte er jedoch, daß in diesem Falle
-die Reflexion die einzige Ursache der Polarisation des Lichtes
-ist[470]. *Malus* fand, daß unter einem bestimmten, von der Natur des
-reflektierten Stoffes abhängigen Winkel die Polarisation in solchem
-Grade stattfindet, daß von den Doppelbildern, welche der Kalkspat
-liefert, das eine bei einer gewissen Lage des Kalkspats verschwindet.
-Diese Versuche vermochte *Young* aus seiner Lehre infolge der erwähnten
-Schwäche nicht zu erklären, worüber *Malus*, ein unerschütterlicher
-Anhänger der Emissionstheorie, große Freude empfand[471].
-
-Die endgültige Beseitigung dieser Theorie gelang erst dem Franzosen
-*Fresnel*[472]. *Fresnel* begann seine optischen Untersuchungen im
-Jahre 1815. Noch im selben Jahre veröffentlichte er eine Arbeit,
-die mit einem Preise gekrönt wurde. Sie handelte von der Beugung
-des Lichtes[473]. Schon in dieser Abhandlung erklärte *Fresnel* die
-bei der Beugung auftretenden Fransen aus der Undulationstheorie des
-Lichtes. »Man begreift leicht«, heißt es in jener Schrift, »daß die
-Schwingungen zweier Lichtstrahlen, die sich unter einem sehr kleinen
-Winkel kreuzen, einander aufheben können. Und zwar geschieht dies, wenn
-die Knoten des einen Strahles mit den Schwingungsbäuchen des anderen
-zusammenfallen.« Aus der in diesen Worten ausgesprochenen Theorie
-der Interferenz erklärte *Fresnel* auch die Farben dünner Blättchen.
-Von ausschlaggebender Bedeutung waren seine Interferenzversuche mit
-polarisiertem Licht. Sie zeigten, daß zwei polarisierte Strahlen
-nur dann interferieren, wenn ihre Polarisationsebenen parallel zu
-einander sind. Lagen die Polarisationsebenen senkrecht zu einander,
-so traten keine Interferenzerscheinungen ein. Dies Verhalten war mit
-der Annahme longitudinaler Schwingungen des Äthers nicht vereinbar. Es
-läßt sich aber leicht begreifen, wenn man voraussetzt, daß das Licht
-in transversalen Ätherschwingungen besteht. Unter dieser Annahme
-können nämlich benachbarte Strahlen, wenn ihre Schwingungen in zwei
-zueinander senkrecht stehenden Ebenen erfolgen, sich nicht gegenseitig
-beeinflussen. Zu der Theorie, daß das Licht in transversalen
-Schwingungen des Äthers bestehe, gelangte *Fresnel* um 1820. In
-ihren allgemeinen Grundzügen hat er diese Theorie im Jahre 1823
-entwickelt[474].
-
-In der Fassung, welche *Fresnel* der Undulationstheorie verliehen,
-ist sie in den Besitz der Wissenschaft übergegangen. Ihre Herrschaft
-erschien um so mehr gesichert, als es gelang, nicht nur die später
-entdeckten Erscheinungen aus dieser Theorie zu deuten, sondern sogar
-Vorgänge zu beschreiben, deren Stattfinden erst spätere Versuche
-dargetan haben[475].
-
-Die von *Young* und *Fresnel* entwickelten theoretischen Anschauungen
-erhielten eine wertvolle Stütze durch die analytischen Untersuchungen
-über die Wellenbewegung, welche der bedeutende französische
-Mathematiker *Cauchy* anstellte. Schon im Jahre 1815 hatte dieser
-für eine Arbeit über die »Theorie der Wellen« den großen Preis der
-Akademie erhalten. Seit dem Jahre 1829 hat er zahlreiche Beiträge zur
-Befestigung der Wellentheorie des Lichtes geliefert. Bis dahin war
-es nicht gelungen, die Dispersion aus dieser Theorie zu folgern. Den
-Grund erkannte *Fresnel* darin, daß der Einfluß der Körpermoleküle auf
-den Äther noch zu berücksichtigen blieb. *Cauchy* gelang es, diese
-Lücke auszufüllen und damit den Schlußstein in die Undulationstheorie
-zu fügen. Indem er das Verhältnis der Wellenlänge zum Abstand der
-Ätherteilchen berücksichtigte, gelangte er zu einem Ausdruck für die
-Geschwindigkeit des Lichtes, der für verschiedenfarbiges Licht eine
-verschieden große Brechung ergab. *Cauchy* setzte bei seiner Ableitung
-voraus, daß das Licht sich in optisch dichteren Mitteln mit geringerer
-Geschwindigkeit fortpflanze. *Foucaults* experimenteller Nachweis,
-daß dies wirklich zutrifft[476], sowie *Fraunhofers* Messungen der
-Wellenlängen[477] haben *Cauchys* Annahme bestätigt und somit zur
-weiteren Befestigung der theoretischen Optik beigetragen.
-
-Während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann sich der
-umgestaltende Einfluß, den die Dampfkraft auf die Entwicklung des
-Verkehrs und der Gewerbe gewinnen sollte, mehr und mehr geltend zu
-machen. Es kann daher nicht Wunder nehmen, daß sich die Physiker mit
-der bewegenden Kraft der Wärme eingehender beschäftigten. So entstanden
-im Beginn der zwanziger Jahre *Carnots* epochemachende Betrachtungen
-über die bewegende Kraft des Feuers[478], in denen dieser Forscher als
-ein Vorläufer von *R. Mayer*, *Joule* und *Helmholtz*, den Begründern
-der mechanischen Wärmetheorie, erscheint.
-
-*Sadi Carnot* wurde 1796 in Paris als Sohn des großen Revolutionsmannes
-geboren. Er war Zögling der École polytechnique und gehörte später
-der Armee als Genieoffizier an. Die Abhandlung, welche uns beschäftigt,
-ist die einzige abgerundete Arbeit, die *Carnot* veröffentlicht hat.
-Er starb in noch jugendlichem Alter (1832). *Carnot* machte darauf
-aufmerksam, daß die Erzeugung von Bewegung bei den Wärmemaschinen stets
-an eine Wiederherstellung des Gleichgewichts der Wärme gebunden ist, d.
-h. an einen Übergang der Wärme von einem Körper mit mehr oder weniger
-erhöhter Temperatur auf einen anderen, dessen Temperatur niedriger ist.
-Bei einer in Tätigkeit befindlichen Dampfmaschine z. B. durchdringt
-die in der Feuerung durch Verbrennung entwickelte Wärme die Wände des
-Kessels und erzeugt den Dampf; dieser nimmt die Wärme mit sich, führt
-sie zum Zylinder, wo sie irgend einen Dienst tut und von dort in den
-Kondensator. In letzter Linie bemächtigt sich daher das kalte Wasser
-des Kondensators der durch die Verbrennung erzeugten Wärme.
-
-»Überall, wo ein Temperaturunterschied besteht,« sagt *Carnot*, »und wo
-daher die Wiederherstellung des Gleichgewichts der Wärme eintritt, kann
-auch die Erzeugung von bewegender Kraft stattfinden. Der Wasserdampf
-ist ein Mittel, aber er ist nicht das einzige; alle Stoffe können zu
-diesem Zwecke benutzt werden. Alle sind fähig, Zusammenziehung und
-Ausdehnung durch den Wechsel von Kälte und Wärme zu erfahren. Bei
-diesen Volumänderungen vermögen die Körper bestimmte Widerstände zu
-überwinden und auf diese Weise bewegende Kraft zu entwickeln. Ein
-fester Körper, beispielsweise ein Metallstab, vermehrt und vermindert
-seine Länge, wenn er abwechselnd erwärmt und abgekühlt wird, und vermag
-Körper zu bewegen, die an seinen Enden befestigt sind. Eine gasförmige
-Flüssigkeit kann durch Temperaturänderungen erhebliche Änderungen des
-Volumens erfahren. Wenn sie sich in einem mit einem Kolben versehenen
-Zylinder befindet, kann sie ausgedehnte Bewegungen hervorbringen.
-Die Dämpfe aller Stoffe vermögen denselben Dienst zu leisten wie der
-Wasserdampf.«
-
-Aber, auch umgekehrt sei es stets möglich, wo man eine Bewegung
-anwende, Temperaturunterschiede entstehen zu lassen. So seien der Stoß
-und die Reibung Mittel, die Temperatur der Körper zu erhöhen. Bei dem
-geschilderten Ausgleich dachte *Carnot* zunächst nur an eine Bewegung
-der Wärme, deren materielle Natur er noch voraussetzte. Er hat jedoch,
-wie aus seinem Nachlaß hervorgeht[479], später die Annahme einer
-Konstanz der Wärme aufgegeben und sogar das mechanische Wärmeäquivalent
-ziemlich genau bestimmt[480]. Zu den Grundlagen der mechanischen
-Wärmetheorie gehört vor allem *Carnots* Konzeption des Kreisprozesses.
-*Carnot* geht von der Tatsache aus, daß die Temperatur eines Gases
-zunimmt, wenn es zusammengedrückt wird, daß sie dagegen fällt, wenn man
-das Gas rasch ausdehnt. Will man daher ein Gas nach dem Zusammendrücken
-auf seine ursprüngliche Temperatur zurückführen, so muß man ihm Wärme
-entziehen. Ebenso kann man bei der Ausdehnung eines Gases seine
-Temperaturerniedrigung vermeiden, wenn man ihm eine bestimmte Menge
-Wärme zuführt.
-
-[Illustration: Abb. 55. *Carnots* Erläuterung des Kreisprozesses.]
-
-An diese Tatsachen knüpft *Carnot* folgende Überlegung, die man ein
-Gedankenexperiment nennen kann[481], weil sich die Durchführung in
-der Wirklichkeit nur annäherungsweise bewerkstelligen läßt. A sei
-ein Körper von der Temperatur t_{1}. Die Temperatur eines zweiten
-Körpers B, der von A durch einen nichtleitenden Stoff getrennt ist,
-sei niedriger und zwar gleich t_{2}. In dem Zylinder *abgh* befinde
-sich eine elastische Flüssigkeit, z. B. Luft und ein beweglicher Kolben
-*cd*. Man stelle sich nun mit *Carnot* folgende Reihe von Veränderungen
-vor:
-
-1. Der Zylinder, dessen Wand ab die Wärme leicht durchlassen soll,
-befinde sich auf dem wärmeren Körper A. Das eingeschlossene Gas nimmt
-infolgedessen die Temperatur t_{1} an, die wir A zugeschrieben haben,
-und der Kolben erhebt sich aus seiner Anfangsstellung *cd* bis zur
-Stellung *ef*. Infolge der Wärmezufuhr, welche das Gas dabei von A
-empfängt, behält dieses trotz der Ausdehnung die Temperatur t_{1}.
-
-2. Der Zylinder wird jetzt von A entfernt, so daß ihm keine Wärme mehr
-zugeführt wird. Dehnt sich das Gas nun weiter aus, so sinkt bei dieser
-Volumverminderung seine Temperatur. Sie möge auf t_{2}, d. i. die
-Temperatur des kälteren Körpers B, gesunken sein, wenn der Kolben die
-Stellung *gh* einnimmt.
-
-3. Der Zylinder wird auf B gebracht und das Gas, das ja bei der
-Kolbenstellung *gh* die Temperatur von B besitzt, zusammengedrückt. Die
-so erzeugte Wärme wird dabei sofort von B, dessen Temperatur konstant
-t_{2} bleiben soll, aufgenommen. Voraussetzung ist, wenn sich die
-Temperatur von A und B trotz Abgabe und Zufuhr von Wärme nicht ändern
-soll, daß beide Körper eine ungeheure Wärmekapazität haben.
-
-4. Hat der Kolben die Stellung *cd* erreicht, so entfernt man den
-Zylinder von B und komprimiert ohne Wärmeabgabe weiter. Die Temperatur
-der eingeschlossenen Luft wird jetzt steigen und es möge der Kolben die
-Stellung *ik* angenommen haben, wenn die Temperatur des Gases wieder
-gleich derjenigen von A, nämlich gleich t_{1}, ist.
-
-Damit ist der Kreislauf abgeschlossen. Denn bringen wir jetzt den
-Zylinder auf A, so können die beschriebenen Vorgänge in vollkommen
-gleicher Weise sich, so oft wir wollen, wiederholen. Der beschriebene
-Kreisprozeß kann aber auch umgekehrt werden, indem man auf d zunächst
-c, dann b und endlich wieder a folgen läßt. Bei dieser Umkehrung wird
-aber eben soviel »bewegende Kraft« (Arbeit) verbraucht, als bei dem
-Ablauf der Vorgänge in der zuerst geschilderten Folge (a, b, c, d)
-gewonnen wurde.
-
-Fast zur selben Zeit, als *Rumford* und *Davy* ihre über die Natur
-der Körperwärme entscheidenden Versuche anstellten, wurde auch
-die Lehre von der strahlenden Wärme, die man schon länger von der
-körperlichen unterschieden hatte[482], um eine wichtige Entdeckung
-bereichert. *Wilhelm Herschel* bediente sich bei der Beobachtung der
-Sonne verschiedenartig gefärbter Gläser. Dabei fiel ihm auf, daß
-hinter gewissen Gläsern, die weniger Licht durchlassen, mitunter eine
-stärkere Wärmeempfindung stattfand, als hinter anderen helleren[483],
-so daß die erwärmende Kraft durchaus nicht von der Stärke des
-Lichtes abzuhängen schien. Um die Frage zu entscheiden, ob die
-Wärme etwa ungleichmäßig über die verschiedenen Strahlengattungen
-verteilt sei, erzeugte *Herschel* das Sonnenspektrum und brachte ein
-Thermometer mit geschwärzter Kugel in die verschiedenen Farben, die
-er nacheinander durch eine Öffnung fallen ließ. Ein zweites, etwas
-entferntes Thermometer zeigte die Wärme der umgebenden Luft an[484].
-*Herschel* verglich dann die Temperaturerhöhung, welche das Thermometer
-in gleichen Zeiträumen in den verschiedenen Teilen des Spektrums
-erfuhr. In derselben Zeit, in der es unter im übrigen gleichen
-Verhältnissen im violetten Teil des Spektrums um 2° stieg, betrug die
-Zunahme im Grün 3¼° und im Rot, wo sie am größten war, 6-7/8°.
-*Herschel* setzte diese Untersuchung fort und konnte schon einen Monat
-später[485] das merkwürdige Ergebnis mitteilen, daß ein ultraroter
-Teil des Spektrums bestehe, der aus unsichtbaren, Wärme spendenden
-Strahlen zusammengesetzt ist. Ja, es ergab sich, daß das Maximum der
-Wärmewirkung innerhalb dieser unsichtbaren Region liegt.
-
-
-
-
-19. Die Chemie und die Physik treten in engere Wechselbeziehungen.
-
-
-Sehr viele von den Errungenschaften, die auf chemischem und
-physikalischem Gebiete zu Beginn der neueren Zeit gewonnen wurden,
-knüpfen sich an den Namen *Gay-Lussacs*, so daß es gerechtfertigt
-erscheint, diese Forschergestalt unter den vielen, die sich um den
-Ausbau und die Verknüpfung der genannten Wissenszweige verdient gemacht
-haben, besonders hervortreten zu lassen.
-
-*Louis Joseph Gay-Lussac* wurde am 6. September 1778 in einer
-kleinen Stadt[486] des mittleren Frankreichs geboren. Da er zu den
-ausgezeichnetsten Schülern der École polytechnique gehörte, wählte
-ihn der Chemiker *Berthollet* zu seinem Gehilfen. Die ersten Lorbeeren,
-die sich *Gay-Lussac* auf dem Felde der Wissenschaft verdiente, hatte
-er einem eigentümlichen Umstande zu verdanken. Durch die alltägliche
-Beobachtung, daß der Rauch unter dem Einfluß warmer Luft im Kamin
-emporsteigt, waren die Gebrüder *Montgolfier* auf den Gedanken
-gekommen, eine Papierhülle durch ein darunter befindliches Feuer zum
-Emporsteigen zu bringen. Ihrem berühmt gewordenen Versuch vom Jahre
-1783, bei dem sich eine derartige Hülle von 22000 Kubikfuß Rauminhalt
-durch ein darunter befindliches Strohfeuer auf eine Höhe von etwa 2000
-Metern erhob, waren zahlreiche, von mehr oder weniger Erfolg begleitete
-Aufstiege gefolgt. Der Physiker *Charles* war noch in demselben Jahre
-zur Füllung der Ballons mit Wasserstoff übergegangen. Trotzdem blieb
-eine Luftreise bei dem Fehlen der heutigen Sicherheitsvorrichtungen
-zunächst ein sehr gewagtes Unternehmen. Als sich die Pariser
-Akademie im Anfang des 19. Jahrhunderts entschloß, Aufstiege zu
-wissenschaftlichen Zwecken zu veranstalten, galt es daher, einige
-jüngere, beherzte Forscher zu gewinnen. Die Wahl fiel auf *Gay-Lussac*
-und *Biot*, die im Sommer des Jahres 1804 einen gemeinschaftlichen
-Aufstieg unternahmen, dem bald darauf eine von *Gay-Lussac* allein
-ausgeführte Luftreise folgte. In der von dem letzteren erreichten Höhe
-von 7000 Metern betrug die Temperatur -9,5°, während zur selben Zeit
-in Paris ein im Schatten befindliches Thermometer +27,5° zeigte. Die
-atmosphärische Luft war nach den Analysen *Gay-Lussacs* in den oberen
-Schichten der Atmosphäre von derselben Zusammensetzung wie in der Nähe
-der Erdoberfläche. Auch wies *Gay-Lussac* nach, daß die Luft nicht
-etwa in größeren Höhen einen Gehalt von dem so leichten Wasserstoffgas
-besitze, wie einige Physiker zur Erklärung des Gewitters, das in
-Knallgasexplosionen bestehen sollte, angenommen hatten. Insbesondere
-war die Aufmerksamkeit *Gay-Lussacs* auf das Verhalten gerichtet,
-welches die Magnetnadel in größerer Entfernung vom Erdboden zeigt. Die
-angestellten Schwingungsbeobachtungen ergaben, daß ein Höhenunterschied
-von mehreren tausend Metern die magnetische Kraft nicht merklich
-beeinflußt. »*Biots* und *Gay-Lussacs* Luftfahrten«, schrieb später
-*Arago*[487], »werden im Andenken der Menschen fortleben als die
-ersten derartigen Unternehmungen, die behufs Lösung wissenschaftlicher
-Aufgaben mit entschiedenem Erfolge ausgeführt wurden«.
-
-Die Analyse der atmosphärischen Luft und die Zuverlässigkeit der
-hierfür benutzten Mittel waren zu der Zeit, als *Gay-Lussac* seine
-Tätigkeit begann, viel umstritten. Insbesondere war der Glaube
-verbreitet, daß der Gehalt an Sauerstoff schwankend und für die Güte
-der Luft bestimmend sei. Die zur Ermittlung des Sauerstoffgehaltes
-ersonnenen Apparate wurden daher Eudiometer (Luftgütemesser) genannt.
-Das erste Eudiometer rührt von *Priestley* her. Es beruhte auf dem
-Verhalten von Stickoxyd gegen Sauerstoff[488] und wurde von *Fontana*
-(1774) verbessert. Weit bessere Ergebnisse erhielt man bei dem von
-*Lavoisier* in Vorschlag gebrachten Verfahren[489]. Es besteht
-darin, daß eine gemessene Luftmenge über Quecksilber abgesperrt
-und mit Phosphor in Berührung gebracht wird. Durch die langsame
-Oxydation dieser Substanz wird der Sauerstoff völlig gebunden, und
-die Luft erleidet eine entsprechende Volumverminderung. Aber selbst
-*Lavoisiers* Versuchsfehler waren noch so groß, daß er für den
-Sauerstoffgehalt Schwankungen von 18 auf 25% annahm. Im wesentlichen
-auf dem gleichen Prinzip beruht das von *Volta* vorgeschlagene
-Eudiometer. Die zu untersuchende Luft wird mit Wasserstoff
-zusammengebracht. Ist dieses Gas in hinreichender Menge vorhanden, so
-reißt es bei der durch einen elektrischen Funken bewirkten Explosion
-des Gasgemisches den gesamten Sauerstoff der Luft an sich und verbindet
-sich damit zu Wasser.
-
-Auch *Alexander von Humboldt* beschäftigte sich mit eudiometrischen
-Bestimmungen. Nachdem er in Paris mit *Gay-Lussac* bekannt geworden
-war, schlossen beide, ihrer außerordentlichen Leistungen wegen
-gefeierten Männer ein enges Freundschaftsbündnis. Die schönste
-Frucht desselben war eine gemeinsame, im Jahre 1805 veröffentlichte
-Arbeit über die eudiometrischen Mittel und über das Verhältnis der
-Bestandteile der Atmosphäre[490]. Diese Arbeit ergab, daß *Voltas*
-Eudiometer das schätzbarste Instrument für die Analyse der Luft
-ist. Ein wichtiges Nebenergebnis war der Nachweis, daß sich der
-Sauerstoff mit dem Wasserstoff nach dem unveränderlichen und einfachen
-Volumverhältnis 1 : 2 verbindet. Nach den früheren Versuchen von
-*Cavendish* schien dies Verhältnis kein einfaches zu sein.
-
-Während sich der vielseitige *von Humboldt* neuen Aufgaben zuwandte,
-vertiefte sich *Gay-Lussac* in das Studium der Gase, über deren
-chemisches und physikalisches Verhalten wir ihm eine Fülle von
-Entdeckungen verdanken. Seine erste Arbeit über diesen Gegenstand war
-im Jahre 1802 auf *Berthollets* Anregung entstanden. Diese Arbeit
-handelte von der Ausdehnung gas- und dampfförmiger Körper[491] und
-lieferte den nicht nur in praktischer Hinsicht, sondern auch für die
-Theorie sehr wichtigen Nachweis, daß »alle Gasarten und Dämpfe bei
-derselben Temperaturerhöhung, unter im übrigen gleichen Umständen,
-in gleichem Grade ausgedehnt werden.« *Gay-Lussacs* Untersuchung
-erstreckte sich auf Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Ammoniak,
-Schwefeldioxyd Kohlendioxyd und Ätherdampf. Nach seinen Messungen
-beträgt die Volumzunahme dieser Gase bei einer Temperaturerhöhung
-von 0 auf 100 Grad 0,375 des ursprünglichen Volumens. Durch spätere
-Bestimmungen ist dieser Ausdehnungskoeffizient zu 0,366 (oder für eine
-Temperatursteigerung von 0° auf 1° zu 0,00366 = 1/273) ermittelt worden.
-
-*Gay-Lussacs* Untersuchung über die Ausdehnung der Gase war älteren
-Untersuchungen gegenüber besonders deshalb ein großer Fortschritt, weil
-er die gasförmigen Körper, an denen er Messungen anstellen wollte,
-vorher vermittelst Chlorkalzium trocknete und damit eine wesentliche
-Fehlerquelle beseitigte. Daß *Gay-Lussacs* Bestimmung dennoch mit einem
-nicht unerheblichen Fehler behaftet blieb, ist darauf zurückzuführen,
-daß das Trocknen der Gefäße und der Gase noch in nicht genügendem Maße
-stattfand.
-
-Das von *Gay-Lussac* beim Messen des Ausdehnungskoeffizienten
-eingeschlagene Verfahren wird aus der beistehenden, seiner Abhandlung
-entnommenen Abbildung ersichtlich. Der Ballon D wird über Quecksilber
-mit dem zu untersuchenden Gase gefüllt. Der ganze, in Abb. 57
-dargestellte Apparat wird in ein Wasserbad getaucht und auf 100°
-erhitzt. Dabei entweicht ein Teil des Gases durch das zweimal gebogene
-Rohr B, dessen Öffnung durch Quecksilber gesperrt ist. Hat der Ballon
-die Temperatur des siedenden Wassers angenommen, so wird die Glasröhre
-B entfernt und das Wasserbad auf die Temperatur des schmelzenden
-Eises abgekühlt. Das Quecksilber steigt dann, entsprechend der
-Zusammenziehung des Gases, den graduierten Hals des Ballons hinauf. Man
-erhält so die Größe des Luftvolumens, das durch die Erwärmung aus dem
-Ballon von bekanntem Inhalt entwichen ist.
-
-[Illustration: Abb. 56. Apparat *Gay-Lussacs* zur Bestimmung des
-Ausdehnungskoeffizienten der Gase.]
-
-Bei den Versuchen *Gay-Lussacs* dehnten sich die nachstehend
-aufgeführten vier Gase beim Erhitzen von 0° auf 100° in folgender Weise
-aus:
-
- 100 Teile dehnen sich aus um
-
- Atmosphärische Luft 37,5 Teile
- Wasserstoff 37,52 "
- Sauerstoff 37,49 "
- Stickstoff 37,49 "
-
-Um zu untersuchen, ob der Ausdehnungskoeffizient der Dämpfe derselbe
-sei, erwärmte *Gay-Lussac* Ätherdampf von 60° auf 100°. Er hatte die
-Genugtuung wahrzunehmen, daß sowohl beim Expandieren als auch bei
-der Raumverminderung durch Abkühlung der Ätherdampf gleichen Schritt
-mit der atmosphärischen Luft hielt, die er in einem zweiten Apparate
-denselben Bedingungen ausgesetzt hatte.
-
-Aus seinen Versuchen schloß *Gay-Lussac*, daß die Ausdehnung der Gase
-und der Dämpfe nicht auf der besonderen Natur der Stoffe, sondern
-lediglich darauf beruht, daß diese Körper sich im elastisch-flüssigen
-Zustande befinden[492].
-
-In dieser Untersuchung *Gay-Lussacs* findet sich keine Angabe darüber,
-ob auch die Ausdehnung des Glasgefäßes bei der Berechnung der
-Ergebnisse berücksichtigt wurde. In einer zweiten Untersuchung ist dies
-geschehen. Trotzdem weicht der gefundene Koeffizient (0,375) für die
-Erwärmung von 0° auf 100°, der fast vierzig Jahre in Geltung blieb,
-nicht unerheblich von dem wahren Werte (0,365) ab[493].
-
-Das Freundschaftsbündnis zwischen *Gay-Lussac* und *Alexander von
-Humboldt* wurde zu einem besonders vertrauten durch eine gemeinsame,
-im Jahre 1805 unternommene Reise nach Italien. Von Rom, für dessen
-Kunstschätze sich ihnen im Verkehr mit einem *Rauch* und einem
-*Thorwaldsen* der Sinn erschloß, machten die Freunde in Begleitung
-des Geologen *Leopold von Buch* einen Abstecher nach Neapel, wo sie
-Zeugen eines großartigen, von einem furchtbaren Erdbeben begleiteten
-Ausbruch des Vesuvs wurden. Auch in chemischer Hinsicht war diese Reise
-nicht ohne Ausbeute. So machte *Gay-Lussac* in Neapel die Beobachtung,
-daß die im Wasser gelöste Luft einen weit größeren Sauerstoffgehalt
-(etwa 30%) als die atmosphärische Luft (21%) besitzt[494]. Nachdem
-die Reisenden vor dem Verlassen des italienischen Bodens noch *Volta*
-aufgesucht hatten, trafen sie in Berlin ein, wo beide im Hause *von
-Humboldts* den Winter verlebten. Nach Paris zurückgekehrt, beschäftigte
-sich *Gay-Lussac* zunächst mit der Frage, ob seine Vermutung zutreffend
-sei, daß nicht nur Wasserstoff und Sauerstoff, sondern auch die übrigen
-Gasarten sich nach einfachen Raumverhältnissen miteinander verbinden.
-
-*Gay-Lussac* wählte zunächst salzsaures Gas und verband es mit
-Ammoniakgas. Es sättigten 100 Maß salzsaures Gas genau 100 Maß
-Ammoniakgas, und das entstehende Salz war vollkommen neutral[495].
-Brachte er kohlensaures Gas mit Ammoniak zusammen, so verbanden sich
-mit 100 Maß kohlensaurem Gas genau 200 Maß Ammoniakgas. Es ergab sich
-ferner, daß Schwefelsäureanhydrid auf 100 Maß schwefligsaures Gas 50
-Maß Sauerstoffgas enthält, daß somit auch die beiden zuletzt genannten
-Gase sich nach einem einfachen Verhältnis verbinden[496].
-
-Bei einem anderen Versuch vereinigten sich 50 Maß Sauerstoffgas mit 100
-Maß gasförmigem Kohlenstoffoxyd. Beide Gasarten verschwanden völlig,
-und es fanden sich an ihrer Stelle 100 Maß kohlensaures Gas. Schon vor
-*Gay-Lussac* hatte *Berthollet* gezeigt, daß im Ammoniak auf 100 Maß
-Stickstoff genau 300 Maß Wasserstoff kommen.
-
-Nach diesen Beweisen war es offenbar, daß zwei Gasarten, die auf
-einander chemisch einwirken, sich in den allereinfachsten Verhältnissen
-verbinden. In den untersuchten Fällen geschieht dies nach den
-Verhältnissen 1 : 1 oder 1 : 2 oder 1 : 3, während sich kein einfaches
-Verhältnis zwischen den Elementen einer Verbindung zeigt, wenn man auf
-die Gewichte sieht.
-
-Weitere Versuche ließen erkennen, daß die Gasarten sich nicht bloß
-mit einander nach sehr einfachen Verhältnissen verbinden, sondern
-daß die Raumverminderung, die sie bei der Vereinigung erleiden, auch
-immer in einem sehr einfachen Verhältnisse zu dem Volumen steht,
-das die Gase vor ihrer Vereinigung einnahmen[497]. So hatte schon
-*Berthollet* gefunden, daß 100 Maß gasförmiges Kohlenstoffoxyd, wenn
-sie sich mit 50 Maß Sauerstoff verbinden, dabei 100 Maß kohlensaures
-Gas geben[498]. Beide Gasarten ziehen sich also bei ihrer Verbindung
-um einen Raum zusammen, der gerade so groß ist wie derjenige, den das
-hinzugefügte Sauerstoffgas vorher besaß. Auch der Wasserdampf, der
-sich durch das Zusammentreten von zwei Raumteilen Wasserstoff und
-einem Raumteil Sauerstoff bildete, nahm unter gleichen Druck- und
-Temperaturbedingungen 2 Volumina ein, so daß bei seiner Entstehung
-eine Verdichtung von 3 auf 2 stattfindet, während sich bei der Bildung
-von Ammoniak eine Zusammenziehung von 2 auf 1 nachweisen läßt. Dieses
-von *Gay-Lussac* entdeckte Volumgesetz ist die Grundlage für die
-Avogadrosche Hypothese und damit für die weitere Entwicklung der
-theoretischen Chemie geworden[499].
-
-Wir kommen jetzt zu den hervorragenden Untersuchungen, durch welche
-*Gay-Lussac* die anorganische, die technische und die organische Chemie
-gefördert hat.
-
-Als die Kunde von der Entdeckung der Alkalimetalle nach Frankreich
-gekommen war, stellte Napoleon der polytechnischen Schule die Mittel
-zur Beschaffung einer gewaltigen Voltaschen Säule zur Verfügung.
-Noch bevor diese Säule in Tätigkeit gesetzt werden konnte, gelang es
-*Gay-Lussac* in Gemeinschaft mit *Thenard*, Kalium und Natrium durch
-Erhitzen von Kali und von Natron mit Eisen, also auf rein chemischem
-Wege, ohne Zuhilfenahme der Elektrizität darzustellen[500]. Beide
-Forscher veröffentlichten ihr Verfahren im Mai des Jahres 1808.
-Anstatt des Eisens nahmen sie auch Kohle, erzielten damit aber ein
-weniger günstiges Ergebnis. Besser gelang die Darstellung von Kalium
-und Natrium mittelst Kohle, als man kohlensaures Alkali mit Kohle und
-Leinöl mischte und dies Gemenge der Glühhitze aussetzte[501].
-
-Als eine der besten Monographien, die je über ein Element geschrieben
-wurden, gilt *Gay-Lussacs* mustergültige Abhandlung über das Jod und
-die Jodide. *Gay-Lussac* stellte in dieser Abhandlung den Begriff der
-Hydrosäure im Gegensatz zur Sauerstoffsäure auf. Das Jod lieferte
-nämlich, wie er nachwies, zwei Säuren, die eine in Verbindung mit
-Sauerstoff, die zweite in Verbindung mit Wasserstoff. Da die Säuren,
-welche das Chlor, das Jod und der Schwefel mit dem Wasserstoff
-bilden[502], die Eigenschaften der sauerstoffhaltigen Säuren besitzen,
-so mußten beide Arten von Verbindungen in eine Klasse gestellt werden.
-Um die Wasserstoffsäuren von den eigentlichen Säuren zu unterscheiden,
-bediente sich *Gay-Lussac* der Vorsilbe Hydro. Die sauren Verbindungen
-des Wasserstoffs mit dem Chlor und dem Jod erhielten also die Namen
-Hydrochlorsäure und Hydrojodsäure. Den sauren Verbindungen des
-Sauerstoffs mit denselben Elementen blieb dagegen die Bezeichnung
-Chlorsäure und Jodsäure[503] vorbehalten.
-
-Unter den zahlreichen Verbindungen, die *Gay-Lussac* in seiner
-Abhandlung über das Jod kennen lehrte, ist besonders das Jodäthyl
-hervorzuheben, ein Stoff, der vermöge seiner großen Reaktionsfähigkeit
-von großer Bedeutung für die organische Chemie geworden ist.
-
-Von wichtigen Reaktionen, zu denen das Studium des Jods *Gay-Lussac*
-geführt hat, verdienen noch folgende erwähnt zu werden. Jod wurde
-mit Phosphor zu Jodphosphor verbunden. Letzterer zerfiel unter der
-Einwirkung von Wasser in Jodwasserstoff und phosphorige Säure:
-
- PJ_{3} + 3H_{2}O = H_{3}PO_{3} + 3HJ.
-
-Durch Berührung mit Quecksilber wurde Jodwasserstoff unter Bildung von
-Jodquecksilber und Freiwerden von Wasserstoff zersetzt. Dabei ergab
-sich die volumetrische Gesetzmäßigkeit, daß der Wasserstoff genau die
-Hälfte des Raumes einnahm, den vorher der Jodwasserstoff ausgefüllt
-hatte.
-
-Wurde Jodwasserstoff der Rotglühhitze ausgesetzt, so fand eine
-teilweise Zersetzung in Jod und Wasserstoff statt. Andererseits gelang
-die Synthese von Jodwasserstoff, wenn *Gay-Lussac* das Gemenge von
-Jod und Wasserstoff auf Rotglut erhitzte. Diese Beobachtung war eine
-der ersten, welche über die Umkehrung einer Reaktion gemacht wurde.
-Indessen legte ihr *Gay-Lussac* weiter keine Bedeutung bei.
-
-Die Ähnlichkeit des Jodwasserstoffs mit der Salzsäure ergab sich
-auch aus dem Verhalten gegen Metalle. Letztere machten aus beiden
-Verbindungen unter Bildung salzartiger Körper Wasserstoff frei. Mit
-Ammoniak verband sich Jodwasserstoff unter Entstehung eines dem Salmiak
-ähnlichen Stoffes. Die Vereinigung erfolgte nach gleichen Raummengen,
-so daß sich nach jeder Richtung eine so weit gehende Analogie zwischen
-dem neu entdeckten Jod und dem schon länger bekannten Chlor zeigte,
-wie sie bis dahin zwischen zwei Elementen noch nicht nachgewiesen
-war. Diese Analogie wurde später auf das 1826 von *Balard* in der
-Mutterlauge des Meerwassers aufgefundene Brom ausgedehnt. Der Vergleich
-von Chlor, Brom und Jod führte *Döbereiner* später zur Aufstellung
-seiner Theorie von den Triaden, d. h. zu der Annahme, daß das System
-der Elemente sich in Gruppen von je drei sehr ähnlichen Grundstoffen
-gliedern lasse, ein Gedanke, durch den *Döbereiner* zum Begründer einer
-Systematik der Elemente und damit zum Vorläufer eines *Mendelejeff* und
-*Lothar Meyer* geworden ist[504].
-
-Die Aufdeckung der Analogie zwischen Chlor und Jod hat dahin
-mitgewirkt, daß die lange geltende Annahme, das Chlor sei eine
-Sauerstoffverbindung[505], allgemein aufgegeben wurde.
-
-Waren ferner die Reaktionen, welche das Jod zu anderen Elementen und
-Verbindungen äußerte, zwar denen des Chlors sehr ähnlich, so ging
-doch aus der ganzen Untersuchung *Gay-Lussacs* hervor, daß letzteres
-Element »mächtiger ist als das Jod«. Um die Dichte des Joddampfes zu
-bestimmen, ging *Gay-Lussac* von der Dichte des Jodwasserstoffes aus.
-Er ermittelte, indem er das von ihm entdeckte Volumgesetz zugrunde
-legte, daß der Dampf des Jods 117mal dichter als Wasserstoff ist, also
-von allen Dämpfen, die größte Dichtigkeit besitzt[506].
-
-*Gay-Lussacs* Arbeiten über die Schwefelsäure, um deren fabrikmäßige
-Darstellung er sich durch die Einführung des sogenannten
-*Gay-Lussac*-Turmes sehr verdient gemacht hat, sowie die durch ihn
-erfolgte Begründung des Titrierverfahrens sind auf die Entwicklung der
-chemischen Technik von größtem Einfluß gewesen.
-
-Auch die Chemie der organischen Verbindungen erfuhr durch *Gay-Lussac*
-eine bedeutende Förderung. Für die Analyse dieser Stoffe, die
-vor ihm in den Kinderschuhen stak, brachte er das Kupferoxyd als
-Verbrennungsmittel in Anwendung, während seine Arbeit über die
-Cyanverbindungen ein Muster für spätere Untersuchungen organischer
-Körper gewesen ist[507]. *Gay-Lussac* lieferte in dieser Arbeit
-den Nachweis, daß die von *Scheele* aus dem gelben Blutlaugensalz
-gewonnene Blausäure (HCN) eine dem Chlorwasserstoff (HCl) entsprechende
-Hydrosäure ist, in welcher ein aus Kohlenstoff und Stickstoff
-bestehendes Radikal CN, das den Namen Cyan erhielt, an die Stelle von
-Chlor tritt. Indem er weiter zeigte, daß dieses Radikal auch in anderen
-Verbindungen die Stelle eines Elements vertritt, eröffnete er die Reihe
-jener Untersuchungen, die darauf hinausliefen, sämtliche organischen
-Verbindungen auf Atomgruppen zurückzuführen. Dieses Bestreben hat dann
-später seinen Höhepunkt in der Forschertätigkeit *Liebigs* erreicht,
-welcher die organische Chemie als die Chemie der zusammengesetzten
-Radikale bezeichnete[508].
-
-Auch der Vorgang der Gärung, auf den die Untersuchungen *Lavoisiers*
-das erste Licht geworfen hatten[509], zog *Gay-Lussac* in den Bereich
-seiner Forschungen. Er wies nach, daß neben Kohlendioxyd und Alkohol
-als wesentliche Produkte der Gärung Glyzerin und Bernsteinsäure
-auftreten. Auch versuchte er diesen Vorgang, der später als ein
-physiologischer aufgefaßt wurde, in eine chemische Gleichung
-einzukleiden.
-
-Wie erwähnt, war *Gay-Lussac* aus der École polytechnique
-hervorgegangen, an der er zunächst als Repetent, später (1809) als
-Professor der Chemie angestellt wurde. Gleichzeitig bekleidete er an
-der Sorbonne die Professur für Physik. Auch im öffentlichen Leben
-Frankreichs nahm *Gay-Lussac* eine hervorragende Stelle ein. Er wirkte
-in zahlreichen, für gewerbliche oder Verwaltungszwecke ernannten
-Kommissionen, in denen er seiner chemischen und physikalischen
-Kenntnisse wegen das größte Ansehen genoß, wurde wiederholt zum
-Abgeordneten gewählt und endlich zum Pair ernannt. Ein nicht
-vollendetes, die Philosophie der Chemie betiteltes Werk ließ er vor
-seinem Tode verbrennen.
-
-Am 9. Mai des Jahres 1850 starb *Gay-Lussac*. Sein Leben ist reich an
-wissenschaftlichen, durch stete Arbeit erzielten Erfolgen gewesen. Es
-konnte aber auch in jeder anderen Hinsicht als vorbildlich gelten.
-*Arago*, der in der Akademie *Gay-Lussac* einen Nachruf widmete, schloß
-mit dem schönen Lobe: »Er ehrte Frankreich durch seine moralischen
-Eigenschaften und diese Akademie durch seine Entdeckungen. Sein Name
-wird mit Bewunderung und Hochachtung in allen Ländern genannt werden,
-in denen man die Wissenschaften pflegt«[510].
-
-Die Physik der gasförmigen Körper wurde vor allem durch Untersuchungen
-über die Absorption der Gase durch Flüssigkeiten gefördert. Zunächst
-fand der englische Chemiker *Henry*[511], daß die von einer Flüssigkeit
-absorbierte Gasmenge proportional dem Drucke ist, unter dem die
-Absorption erfolgt. Voraussetzung ist dabei, daß die Umstände im
-übrigen gleich sind und vor allem, daß die Gase und die Flüssigkeiten
-nicht chemisch aufeinander wirken[512].
-
-Eine Erweiterung der Untersuchung *Henrys* lieferte *Dalton* mit seiner
-Abhandlung Ȇber die Absorption der Gasarten durch Wasser und andere
-Flüssigkeiten«[513]. Diese Schrift ist auch dadurch geschichtlich
-interessant, daß sie die erste Atomgewichtstabelle enthält. *Dalton*
-suchte nämlich die verschiedene Löslichkeit der Gase aus der von ihm
-begründeten Atomtheorie[514] abzuleiten.
-
-Als Kennzeichen, daß ein Gas von einer Flüssigkeit nur absorbiert und
-nicht gebunden wird, galt *Dalton* der Umstand, daß es im ersteren
-Fall, wenn man den Druck unter Anwendung der Luftpumpe aufhebt, aus der
-Flüssigkeit wieder entweicht.
-
-*Dalton* ergänzte *Henrys* Untersuchung dahin, daß er sie auf
-Gasgemenge ausdehnte. Wurde z. B. Wasser, das von Luft befreit war, mit
-einer Mischung von zwei oder mehr Gasarten geschüttelt, so verschluckte
-es von jeder dieser Gasarten soviel, als es von ihnen einzeln bei
-derselben Dichtigkeit der Gasart aufgenommen haben würde. Bei den von
-*Dalton* behaupteten Gesetzmäßigkeiten handelt es sich jedoch mitunter
-um bloße Annäherungen, zum Teil auch um Unrichtigkeiten.
-
-Zum Schluß erhebt *Dalton* die Frage nach der Ursache der für die
-verschiedenen Gase so verschiedenen Löslichkeit. Es ist von hohem
-Interesse zu sehen, wie *Dalton* diese Frage aus seiner Atomtheorie
-zu beantworten sucht. Er habe gefunden, daß das relative Gewicht der
-kleinsten Teilchen der Körper sehr verschieden sei. Und nun zeige sich,
-daß diejenigen Gasarten, die leichtere Teilchen besäßen, weniger leicht
-absorbiert würden. Beides mache es wahrscheinlich, daß die Löslichkeit
-mit dem Atomgewicht in einem ursächlichen Zusammenhange stehe.
-
-*Dalton* war auch einer der ersten, der Messungen über die Spannkraft
-der Gase und der Dämpfe anstellte. So fand er, daß die Spannkraft
-der feuchten Luft gleich derjenigen der trockenen vermehrt um die
-Spannkraft des beigemengten Wasserdampfes ist. Auch diese Untersuchung
-dehnte *Dalton* auf Gasgemenge aus. Er bemerkte, daß Gase sich
-miteinander vollkommen mischen, auch wenn ein leichtes Gas sich über
-einem schwereren befindet (Diffusion). Dann zeigte er, daß der Druck
-eines Gasgemisches, auf das gleiche Volumen bezogen, der Summe der
-von den einzelnen Bestandteilen ausgeübten Spannungen gleich ist.
-Voraussetzung ist auch hier wieder, daß nur eine physikalische Mischung
-und keine chemische Verbindung stattgefunden hat.
-
-Endlich suchte *Dalton* zu bestimmen, wie die Spannkraft gesättigter
-Dämpfe von der Temperatur abhängt. Sein Verfahren ist noch heute im
-Gebrauch. Er brachte die in Dampf zu verwandelnde Flüssigkeit in den
-leeren Raum über dem Quecksilber eines Barometers. Dann wurde das
-Barometer in eine Glasröhre eingeschlossen und darin durch erwärmtes
-Wasser auf den gewünschten Wärmegrad gebracht. Die Spannung der
-entwickelten Dämpfe wurde durch das Herabsinken der Quecksilbersäule
-gemessen. Überstieg die Spannung den Druck einer Atmosphäre, so
-benutzte *Dalton* eine Röhre mit einem kürzeren geschlossenen und einem
-längeren offenen Schenkel, wie sie *Mariotte* zum Nachweis des von
-ihm und *Boyle* entdeckten Gesetzes gebraucht hatte. Die Flüssigkeit,
-deren Dampfspannung gemessen werden sollte, wurde in dem kürzeren
-geschlossenen Schenkel erhitzt, während in dem längeren die Spannung
-durch die von dem Dampf getragene Quecksilbersäule gemessen wurde. Auf
-große Genauigkeit konnten die ersten auf diesem Gebiete unternommenen
-Untersuchungen zwar keinen Anspruch machen. Sie verdienen aber doch
-Erwähnung, weil sie die Grundgedanken aufweisen, die später zu
-exakteren Messungen geführt haben.
-
-Am genauesten hat *Dalton* die Beziehung zwischen der Temperatur und
-der Spannung des gesättigten Wasserdampfes ermittelt. Er stellte seine
-Messungen innerhalb der weiten Grenzen von -40° bis +325° Fahrenheit an
-und glaubte auch den Zusammenhang von Temperatur und Spannung auf eine
-geometrische Reihe zurückführen zu können. Es hat sich jedoch ergeben,
-daß ein einfacher mathematischer Ausdruck für die hier obwaltende
-Beziehung nicht vorhanden ist.
-
-*Lavoisier* hatte den Satz aufgestellt, daß der Sauerstoff das Säure
-bildende Prinzip sei und daß in den Salzen wie in den Säuren dieses
-Element nie fehle. *Lavoisiers* Theorie der Sauerstoffsäuren fand zu
-Beginn des 19. Jahrhunderts besonders in *Berzelius* einen Verteidiger.
-Durch ihn wurde das dualistische, auf die Ergebnisse der Elektrolyse
-sich stützende System der chemischen Verbindungen ins Leben gerufen.
-Nach dieser Auffassung erhielt z. B. schwefelsaures Zink die Formel
-
- ZnO . SO_{3},
- + -
-
-welche andeuten sollte, daß diese Verbindung aus der Basis ZnO als
-positivem und der Schwefelsäure SO_{3} als negativem Bestandteil
-zusammengesetzt sei. Was wir heute als Säure bezeichnen und als
-einheitliche Verbindung betrachten, wurde als Säurehydrat aufgefaßt,
-z. B. galt die Schwefelsäure (H_{2}SO_{4}) als die Vereinigung des
-negativen Bestandteils SO_{3} mit dem schwach elektropositiven Wasser
-
- (SO_{3} . H_{2}O).
- - +
-
-Letzterem wurde eine Doppelnatur beigelegt, da es den stark positiven
-Metalloxyden gegenüber in die Bildung von basischen Hydraten als
-negativer Bestandteil eingeht
-
- (CuO + H_{2}O = CuO . H_{2}O).
- + -
-
-Der erste, der *Lavoisiers* Lehre erschütterte, war sein großer
-Zeitgenosse *Berthollet*. Er entdeckte, daß die Blausäure (HCN) und
-auch der Schwefelwasserstoff (H_{2}S) ausgesprochen die Eigenschaften
-von Säuren besitzen und dennoch keinen Sauerstoff enthalten.
-*Berthollet* hätte diesen Verbindungen die Salzsäure (HCl) hinzufügen
-können, wenn er nicht das Chlor als eine Sauerstoffverbindung
-betrachtet hätte[515]. Für diesen die Chemie Jahrzehnte beherrschenden
-Irrtum brachte er sogar eine vermeintliche Stütze in der von ihm
-unrichtig gedeuteten Beobachtung bei, daß sich aus einer Chlorlösung im
-Lichte Sauerstoff entwickelt. *Berthollet* schloß nämlich daraus, daß
-das Chlor als höhere Oxydationsstufe dabei in die vermeintlich weniger
-Sauerstoff enthaltende Salzsäure und Sauerstoff zerfallen sei, während
-doch der Vorgang sich tatsächlich als eine Zerlegung des Wassers
-darstellt (2 Cl + H_{2}O = 2 HCl + O). Als dritte Oxydationsstufe
-betrachtete man die sehr sauerstoffhaltige Verbindung, die wir heute
-als Chlorsäure bezeichnen.
-
-Die erste große Umgestaltung, welche das System *Lavoisiers* erfuhr,
-ging von *Davy* aus. Dieser hatte gefunden, daß das Salzsäuregas durch
-das von ihm entdeckte Kalium unter Entwicklung von Wasserstoff zersetzt
-wird. Dabei entstand Chlorkalium. Weiter zeigte *Davy*, daß aus Chlor
-nicht Salzsäure durch Entziehung von Sauerstoff entsteht, sondern
-daß sich die Salzsäure aus Chlor nur bildet, wenn dieses Element
-auf Wasserstoff oder auf eine Wasserstoff enthaltende Verbindung
-wirkt. Diese Tatsachen führten *Davy* zu der Annahme, daß das Chlor
-ein Element sei und die Salzsäure in einer Verbindung von Chlor mit
-Wasserstoff, die Salze der Salzsäure aber in einer Verbindung von Chlor
-mit den betreffenden Metallen bestehen. Bald darauf wies *Gay-Lussac*
-ein völlig analoges Verhalten für das Jod und den Jodwasserstoff nach.
-*Gay-Lussac* führte, nachdem er auch für die Blausäure dargetan hatte,
-daß der Sauerstoff an ihrer Zusammensetzung nicht beteiligt ist, für
-die der Salzsäure entsprechend zusammengesetzten Säuren die Bezeichnung
-Wasserstoffsäuren ein. Hartnäckig wurde an der alten Lehre von einem
-Teile der Chemiker, an deren Spitze *Berzelius* stand, festgehalten.
-Endlich um 1820 gab dieser seinen Widerstand auf, weil die Annahme, daß
-in den Halogenen und ihren Salzen doch ein, wenn auch experimentell
-nicht nachweisbarer Sauerstoffgehalt vorhanden sei, doch zu willkürlich
-und gekünstelt schien.
-
-*Gay-Lussac* hatte dem Chlor als analoges Element das Jod zur Seite
-gestellt. Im Jahre 1826 entdeckte *Balard* das Brom in der Mutterlauge
-des Meerwassers. Er stellte sofort eine ausgedehnte Untersuchung dieses
-Elementes an und erkannte, daß es dem Chlor und Jod vollkommen analog
-sei. Daß auch das Fluor in diese Gruppe gehört und Fluorwasserstoff
-(Flußsäure) dem Chlorwasserstoff entsprechend zusammengesetzt ist,
-sprach zuerst *Ampère* aus. Die Bemühungen, das Fluor zu isolieren,
-hatten der außerordentlichen Affinität dieses Elementes wegen
-zunächst keinen Erfolg. Dieser Versuch, um den sich sowohl *Davy* als
-*Gay-Lussac* vergeblich abmühten, gelang erst *Moissan* durch eine
-passend ausgeführte elektrolytische Zersetzung der Flußsäure. Immerhin
-ist die Erkenntnis der vier Halogene als einer scharf charakterisierten
-Gruppe von Elementen schon während der ersten Jahrzehnte des 19.
-Jahrhunderts erfolgt. Die Erforschung ihrer Glieder ist für die weitere
-Entwicklung der theoretischen nicht minder als der technischen Chemie
-von großer Bedeutung gewesen.
-
-
-
-
-20. Fortschritte in der Anwendung der Mathematik auf die
-Naturwissenschaften.
-
-
-Eine ähnliche Förderung und Durchdringung, wie sie die Physik und die
-Chemie vor allem durch *Gay-Lussac* erfuhr, vollzog sich zwischen der
-Physik und der Mathematik besonders durch *Gauß*.
-
-*Carl Friedrich Gauß* wurde am 30. April 1777 in Braunschweig
-geboren. Sein Vater war Baumeister und Kassenverwalter. Er wird als
-ein sehr tätiger und willensstarker Mann geschildert. Die Mutter war
-fleißig und sorgsam. Sie entstammte gleich dem Vater einer einfachen
-Handwerkerfamilie. Trotz aller vortrefflichen Eigenschaften gelang
-es den Eltern des frühreifen Knaben nicht, zu einigem Wohlstand zu
-gelangen. *Gauß* hätte daher nicht die Gelehrtenlaufbahn einschlagen
-können, wenn ihm nicht von seinem 14. Lebensjahre ab die Unterstützung
-seines Landesfürsten, des Herzogs Ferdinand von Braunschweig, zu Teil
-geworden wäre. Nachdem er das Gymnasium seiner Vaterstadt und das
-dortige Collegium Carolinum besucht hatte, bezog er im Jahre 1795
-die Universität Göttingen. Ihr ist *Gauß* trotz aller aus Berlin und
-Petersburg an ihn herantretenden Verlockungen bis an sein Lebensende
-treugeblieben.
-
-Seine Lehrmeister waren vor allem die Werke von *Newton*, *Euler*
-und *Lagrange*. In seine von 1795 bis 1798 dauernde Studienzeit
-fallen schon einige hervorragende mathematische Entdeckungen. So
-fand er bei seiner Beschäftigung mit der Kreisteilung, kaum 18
-Jahre alt, die Konstruktion des regelmäßigen Siebzehnecks. Er löste
-damit ein Problem, das den Mathematikern seit den Zeiten *Euklids*
-Schwierigkeiten bereitet hatte. Eine ähnliche Bereicherung erfuhr die
-Algebra durch seine 1799 erschienene Abhandlung über »die Zerlegung
-ganzer algebraischer Funktionen in reelle Faktoren ersten oder zweiten
-Grades«[516]. Es handelte sich um den Beweis, daß jede Gleichung m ten
-Grades, also ein Ausdruck von der Form:
-
- X^m + Ax^{m-1} + Bx^{m-2} + .... + M = 0
-
-stets m Wurzeln besitzt, oder daß sie, was dasselbe bedeutet, in m
-Faktoren (x - α), (x - β), (x - γ) usw. zerlegt werden kann, deren
-Produkt der linken Seite des obigen Ausdrucks gleich ist. Dieser
-wichtigste Satz der Theorie der algebraischen Gleichungen, auf dem die
-ganze höhere Algebra beruht, hatte zwar schon *d'Alembert*, *Euler* und
-andere Mathematiker beschäftigt. Der vollkommen strenge Beweis gelang
-indes erst *Gauß*.
-
-Zwei Jahre später folgte das arithmetische Hauptwerk des großen
-Mathematikers, die Disquisitiones arithmeticae (1801). Dies Werk, das
-er seinem hohen Gönner, dem Herzog Ferdinand von Braunschweig widmete,
-besitzt für die Zahlentheorie eine geradezu grundlegende Bedeutung.
-Einige Abschnitte der Disquisitiones wurden neuerdings in deutscher
-Übersetzung herausgegeben[517].
-
-In demselben Jahre, in welchem die Disquisitiones erschienen,
-wurde das unvergleichliche Genie eines *Gauß* auf das astronomische
-Gebiet gelenkt. Am 1. Januar 1801 hatte *Piazzi* den ersten
-Planetoiden entdeckt, den er Ceres nannte. *Piazzi* verfolgte das
-neue Gestirn durch einen Bogen von 9 Graden. Dann verschwand es
-in der Abenddämmerung, und es war sehr fraglich, ob man es bei
-der mangelhaften Kenntnis seiner Bahnelemente wieder auffinden
-werde. *Gauß* hörte von dem Problem, und da er sich gerade mit
-theoretisch-astronomischen Untersuchungen befaßte, so berechnete er
-die Bahn des neuen Planeten nach einer von ihm herrührenden Methode
-und sandte sein Ergebnis an eine astronomische Zeitschrift, welche
-als Sammelstelle[518] alle ihr eingesandten, die Ceres betreffenden
-Berechnungen veröffentlichte. Es war nämlich sehr wichtig, die
-Ephemeride dieses Planeten für den Zeitpunkt zu kennen, wenn man
-seinen Wiederhervortritt aus den Strahlen der Sonne erwarten durfte.
-Die Ephemeride von *Gauß* wurde mit dem wenig schmeichelhaften Zusatz
-veröffentlicht, daß die Redaktion auch ihren Abdruck für geboten halte,
-weil man eben nicht wissen könne, welche Berechnung die richtige sei.
-
-Man kann sich die Überraschung ausmalen, als die Ceres gerade auf Grund
-der Ephemeride von *Gauß*, der den Astronomen noch ganz unbekannt
-war, wieder aufgefunden wurde. Jetzt galt es, die Bahnelemente
-dieses Planeten zu berichtigen. Und wieder war es *Gauß*, der nach
-jedem Bekanntwerden neuer Daten verbesserte Bahnelemente an jene
-astronomische Zeitschrift einsandte. Gewiß nicht ohne das Gefühl
-einer gewissen Beschämung bemerkte die Redaktion schließlich, *Gauß*
-müsse eine völlig neue Methode besitzen, die ihm dasjenige, wozu
-sonst eine umfangreiche Rechnung nötig sei, in wenigen Zügen liefere.
-Diesmal hatte man das Richtige getroffen. Einmal befand sich *Gauß*
-schon damals im Besitze seiner Methode der kleinsten Quadrate, die es
-ihm ermöglichte, in einer Reihe von Beobachtungen den der Wahrheit
-am nächsten kommenden Wert zu berechnen. Ferner hatte er auch neue
-astronomische Methoden gefunden, die es ihm gestatteten, innerhalb
-einer Stunde eine Bahnberechnung auszuführen, zu welcher *Euler* noch
-drei Tage gebraucht hatte[519]. Zur Veröffentlichung dieser neuen
-Methoden schritt *Gauß* erst, nachdem er (1807) zum Professor der
-Mathematik und zum Leiter der Sternwarte in Göttingen ernannt war. Die
-Veröffentlichung erfolgte unter dem Titel: Theoria motus corporum
-coelestium in sectionibus conicis Solem ambientium. Eine deutsche
-Bearbeitung dieses Fundamentalwerkes, das *Gauß* übrigens ursprünglich
-in deutscher Sprache abgefaßt hat, erschien erst 1865[520]. Mit der
-Veröffentlichung der »Theoria motus« begann für die rechnende
-Astronomie ein neues Zeitalter. Man verließ allgemein die älteren
-Methoden, um diejenigen von *Gauß* in Gebrauch zu nehmen. In der
-»Theoria motus« gab *Gauß* auch seine Methode der kleinsten Quadrate
-bekannt, in deren Besitz er sich schon, wie er selbst angab, seit
-1795 befand. Inzwischen war auch *Légendre* auf die gleiche Methode
-gekommen. Er hat sie 1806 in den Worten ausgesprochen[521]: »Sind durch
-Beobachtungen mehr Gleichungen gegeben, als Unbekannte zu bestimmen
-sind, so sind die richtigsten Werte der letzteren diejenigen, für
-welche die Summe der Fehlerquadrate ein Minimum ist.« Von französischer
-Seite wurden deshalb Prioritätsansprüche hinsichtlich dieser Methode
-erhoben und, wenn das Datum der Veröffentlichung allein darüber zu
-entscheiden hätte, gewiß mit Recht. *Gauß* gebührt indessen außer der
-selbständigen und seinen eigenen Angaben nach viel früheren Entdeckung
-das Verdienst, daß er es war, der diese Methode in einem fundamentalen
-Werke[522] wissenschaftlich begründete und die Begriffe schuf, auf
-denen alle neueren Arbeiten über diese Methode beruhen.
-
-Von hervorragender Wichtigkeit sind die Abschnitte der
-Disquisitiones, welche die Rechnung mit Determinanten betreffen[523].
-Die ersten Anfänge dieses wichtigen Hilfsmittels der neueren Mathematik
-finden sich schon bei *Leibniz*. *Leibniz* machte zuerst darauf
-aufmerksam, daß die Kombinationslehre der Algebra bei der Auflösung
-von Gleichungen wertvolle Dienste zu leisten vermöge. Der eigentliche
-Begründer der Determinantenlehre war *Cramer*. Er veröffentlichte 1750
-eine neue Methode, um mit Hilfe der Permutationsrechnung n Gleichungen
-ersten Grades mit n Unbekannten aufzulösen. *Laplace*, sowie *Lagrange*
-knüpften an diese Arbeit weitere Untersuchungen an. Der bedeutendste
-Fortschritt auf dem neu erschlossenen Gebiete erfolgte jedoch durch
-*Gauß*. Von ihm rührt auch der Ausdruck Determinante her. Die neueste
-Entwicklung der Determinantenlehre knüpft an *Jacobi* an, doch müssen
-wir uns auf die bloße Erwähnung seiner Abhandlungen über diesen
-Gegenstand beschränken[524].
-
-Unter den späteren mathematischen Arbeiten von *Gauß* sind besonders
-zwei, wenn auch in aller Kürze, zu berücksichtigen, weil sie sich
-mit physikalischen Problemen befassen. Es sind dies eine Abhandlung
-über die Gestalt von Flüssigkeiten und ein grundlegender Beitrag zur
-Entwicklung der für die neuere mathematische Physik so wichtigen
-Potentialtheorie.
-
-Die Theorie der Flüssigkeiten hatte *Laplace* in einem Anhange zu
-seiner »Mécanique céleste« behandelt. Er hatte angenommen, daß
-zwischen den Flüssigkeitsteilen außer der gewöhnlichen Anziehung,
-welche dem Quadrate des Abstandes umgekehrt proportional ist, noch
-andere anziehende Kräfte wirken. Dieser zweite Teil der Anziehung sei
-ganz unmerklich, sobald es sich um meßbare, wenn auch sehr kleine
-Abstände handele. Dagegen könne diese zweite, Molekularanziehung
-genannte Kraft in unmeßbar kleinen Entfernungen die gewöhnliche
-Anziehung bei weitem übertreffen.
-
-*Laplace* hatte unter dieser Voraussetzung die Eigenschaften der
-Molekularkräfte der Rechnung unterworfen und war auf diesem Wege
-zu einer Erklärung der Kapillarität, sowie der Oberflächenform der
-Flüssigkeiten gelangt. Diese Untersuchungen[525], welche *Gauß* zu den
-»schönsten Bereicherungen« zählte, welche die Naturwissenschaften dem
-großen französischen Mathematiker zu verdanken hätten, waren jedoch in
-wesentlichen Punkten unzureichend und unvollständig geblieben. *Gauß*
-suchte deshalb von neuem, welche Gleichgewichtsform Flüssigkeiten
-annehmen, wenn sie unter dem Einfluß der Schwere und dem Einfluß der
-von ihnen selbst und dem Gefäße ausgeübten Molekularkräfte stehen[526].
-Er verfuhr dabei wesentlich anders als *Laplace*, indem er sich,
-ausgehend von den Grundlagen der Dynamik, des Prinzips der virtuellen
-Bewegungen bediente. Aus der auf diesem Wege abgeleiteten Formel
-vermochte *Gauß* mit Leichtigkeit das Grundphänomen der Kapillarität
-abzuleiten, daß nämlich in zylindrischen Kapillarröhren die Senkung
-oder Hebung einer Flüssigkeit dem Durchmesser des Rohres umgekehrt
-proportional ist. Das zweite der erwähnten mathematischen Werke zeigt
-*Gauß* in engster Beziehung zu einer Theorie, die für die neuere
-mathematische Physik mehr wie jede andere grundlegend geworden ist,
-Es ist die in ihren Anfängen bis in die siebziger Jahre des 18.
-Jahrhunderts zurückreichende Potentialtheorie. Damit der hervorragende
-Anteil, den *Gauß* an der Schöpfung dieser Theorie genommen, gewürdigt
-werden kann, ist es nötig, in aller Kürze auf die Arbeiten seiner
-Vorgänger zurückzugreifen.
-
-Der Ausgangspunkt für die Entwicklung der erwähnten neuen
-mathematischen Disziplin ist *Newtons* Gravitationsgesetz. Mit der
-Auffindung dieses Gesetzes war nämlich eine Reihe von Problemen
-gegeben, die für die Weiterentwicklung der Mathematik eine treibende
-Kraft bedeuteten. Das Gravitationsgesetz, nach welchem die Anziehung
-durch den Ausdruck (m · m')/r^2 bestimmt ist, galt zunächst für zwei
-materielle Punkte oder für zwei materielle Systeme, deren Ausdehnung
-gegenüber der sie trennenden Entfernung nicht in Betracht kommt.
-Solche Systeme ließen sich so betrachten, als ob ihre Massen in den
-beiden Schwerpunkten vereinigt wären und von diesen Punkten in der
-Richtung der Verbindungslinie wirkten. Sobald man aber die Körper als
-materielle Systeme auffaßte, bei denen jeder der unendlich vielen
-Teile dem *Newton*schen Gesetze gemäß auf andere materielle Systeme
-oder, um den einfacheren Fall vorwegzunehmen, auf einen materiellen
-Punkt wirkt, so war damit eine Fülle von Problemen, im wesentlichen
-mathematischer Art, gegeben, die mit den bisherigen Hilfsmitteln
-nicht gelöst werden konnten. Es bedurfte der Einführung einer für die
-Attraktionsrechnung charakteristischen Funktion, die sich auf die
-Summe oder das Integral sämtlicher wirkenden Massenteilchen beziehen
-mußte und die man später als das Potential der Massen bezeichnet hat.
-Vor allem galt es, die Anziehung von Ellipsoiden -- denn mit solchen
-und nicht mit Kugeln hatte es die Astronomie zu tun -- auf einen
-materiellen Punkt zu bestimmen. *Newton* beharrte auch hier bei seinem
-synthetisch-geometrischen Verfahren und fand z. B., daß eine von zwei
-ähnlichen, konzentrischen Ellipsoiden begrenzte homogene Schale auf
-einen beliebigen, in ihrem Innern befindlichen Punkt keine Anziehung
-ausübt.
-
-Ein Fortschritt in der Lösung derartiger Probleme[527] erfolgte
-indessen erst, als *Lagrange* das analytische Verfahren auf die
-zahlreichen, aus dem Attraktionsgesetz entspringenden Aufgaben
-anwandte. *Lagrange* suchte einen allgemeinen Ausdruck für die Kraft,
-mit der ein beliebig gestalteter Körper einen beliebig gelegenen
-Punkt anzieht. Er zeigte, daß die Anziehung, die ein aus einzelnen
-materiellen Punkten bestehendes System ausübt, sich in Komponenten
-zerlegen läßt, die sich als die partiellen Differentialquotienten
-einer Funktion darstellen lassen[528]. Gleichzeitig führte er, um
-die Lösung der Attraktionsaufgaben zu erleichtern, nach dem Vorgange
-*Bernoullis*, Polarkoordinaten ein. Das Ergebnis dieser Bemühungen
-war, daß *Lagrange* die meisten der bis dahin bekannt gewordenen Sätze
-über die Attraktion analytisch zu beweisen vermochte. Auf *Lagrange*
-folgt *Laplace*. Er wandte die von *Lagrange* aufgestellte Funktion
-zuerst auf zusammenhängende Massen an und löste in seiner Théorie
-des attractions des sphéroides et de la figure des planètes[529] das
-vielumworbene Ellipsenproblem, indem er die Anziehung dreiachsiger
-Ellipsoide auf einen außerhalb gelegenen Punkt bestimmte. *Laplace*
-gelangte zu einer Gleichung für die zweiten partiellen Derivierten der
-von *Lagrange* entdeckten und von *Laplace* mit dem noch jetzt üblichen
-Buchstaben V bezeichneten Funktion. Dieser noch heute als *Laplace*sche
-Gleichung bezeichnete Ausdruck lautet:
-
- δ^2V/δx^2 + δ^2V/δy^2 + δ^2V/δz^2 = 0.
-
-In ungeahntem Maße wuchs die Bedeutung des von *Lagrange* und *Laplace*
-geschaffenen Algorithmus, als *Coulomb* nachgewiesen hatte, daß auch
-die magnetischen und die elektrischen Anziehungen dem *Newton*schen
-Gravitationsgesetz entsprechend vor sich gehen. Ein Versuch, die
-Analyse unter Anwendung des Potentialbegriffes auf die Elektrizität und
-den Magnetismus anzuwenden, rührt von dem Engländer *Green* (1793-1841)
-her[530]. Dieser Versuch datiert vom Jahre 1828. Vorangegangen war
-nur *Poisson*, der in einer analytischen Untersuchung die Verteilung
-der Elektrizität an der Oberfläche leitender Körper bestimmt und die
-Herrschaft der Analysis auch auf das Gebiet des Magnetismus auszudehnen
-versucht hatte. An diese Arbeiten *Poissons* und an die von *Laplace*
-gewonnene Differentialgleichung zweiter Ordnung, deren Wichtigkeit
-für alle nach dem *Newton*schen Gesetze wirkenden Kräfte er erkannte,
-knüpfte *Green* an. Ihn beseelte der Wunsch, eine Kraft von solch
-allgemeiner Wirksamkeit wie die Elektrizität, soweit wie möglich, der
-Rechnung zu unterwerfen. Dazu bediente er sich der Analysis, einmal, um
-die »außerordentliche Macht dieses wunderbaren Gedankenwerkzeugs« zu
-offenbaren; dann aber auch, um diese Macht zu vergrößern.
-
-*Green* gebrauchte den Ausdruck Potentialfunktion für jene Funktion,
-die *Laplace* mit V bezeichnete und die *Gauß* später Potential genannt
-hat. Fast alle anziehenden und abstoßenden Kräfte sind nach *Green*
-so geartet, daß folgende Beziehung stattfindet: Wirkt ein Körper auf
-einen materiellen Punkt, so kann die auf diesen Punkt in einer gewissen
-Richtung wirkende Kraft durch einen partiellen Differentialquotienten
-einer gewissen Funktion der Koordinaten, welche die Lage des Punktes im
-Raume darstellen, ausgedrückt werden. Die Betrachtung dieser Funktion
-ist für viele Untersuchungen von großer Bedeutung, deshalb wurde sie
-von *Green* mit einem besonderen Namen bezeichnet[531].
-
-*Green* geht von der *Laplace*schen Gleichung
-
- δ^2V/δx^2 + δ^2V/δy^2 + δ^2V/δz^2 = 0
-
-aus. Sie gilt für jeden außerhalb des Körpers liegenden Punkt, dessen
-Koordinaten x, y, z sind. *Green* führt für diese Gleichung das kürzere
-Symbol δV = 0 ein und zeigt zunächst, daß für einen Punkt im Innern
-des Körpers die Gleichung δV + 4πρ = 0 besteht, δV somit den Wert -4πρ
-annimmt. Dabei ist unter ρ die elektrische Dichtigkeit im Punkte p zu
-verstehen. Die *Laplace*sche Gleichung für einen äußeren Punkt stellte
-sich danach nur als einen speziellen Fall der neuen Gleichung δV +
-4πρ = 0 dar, da ρ für einen äußeren Punkt = 0 wird. Beim Durchgange
-durch die Oberfläche macht somit die Potentialfunktion einen Sprung
-um 4πρ. Das Ergebnis der *Green*schen Untersuchung gipfelt darin,
-daß sich die elektrische Dichtigkeit aus der Potentialfunktion und
-letztere aus jener berechnen läßt. Nachdem *Green* die allgemeinsten
-Grundlehren der Elektrizitätstheorie und im Zusammenhange damit
-wichtige funktionstheoretische Sätze[532] entwickelt hatte, ging er
-zu einigen besonderen Fällen über. Die erste Anwendung betraf die
-*Leydener* Flasche. Es ergab sich folgendes: Grenzt man durch eine
-geschlossene Kurve ein Stück der inneren Belegung ab, und schneidet man
-ferner ein korrespondierendes Stück aus der äußeren Belegung heraus,
-indem man längs der ganzen Kurve Normalen errichtet, so ist die Summe
-der Ladungen auf diesen korrespondierenden Flächenstücken gleich Null.
-Die Flächenstücke haben nämlich gleiche und entgegengesetzte Ladungen,
-die sich gegenseitig genau neutralisieren[533].
-
-Mit den experimentell gefundenen Tatsachen vollkommen übereinstimmende
-Ergebnisse erhielt *Green* ferner, als er seine Theorie auf die
-Influenzerscheinungen anwandte. *Green* betrachtet zunächst den Fall,
-daß eine vollkommen leitende, hohle Schale von irgend welcher Form und
-Dicke der Wirkung beliebiger, außerhalb befindlicher, elektrischer
-Körper ausgesetzt ist. In der Schale wird dann ein elektrischer
-Zustand induziert, dessen Wirkung auf einen im Innern befindlichen,
-mit Elektrizität geladenen Punkt, wie *Green* berechnet, gleich Null
-ist[534].
-
-*Green* betrachtet dann den Fall, daß zwei Kugeln von verschiedenem
-Radius durch einen dünnen langen Draht verbunden werden. Er untersucht
-das Verhältnis ihrer Ladungen beim Gleichgewicht. Die Rechnung ergibt,
-daß sich die mittleren elektrischen Dichtigkeiten umgekehrt wie die
-Radien der Kugeln verhalten. Läßt man den Radius der einen Kugel
-darauf unendlich klein werden, so hat man den besonderen Fall der
-Spitzenwirkung[535].
-
-*Greens* Arbeit hatte ein merkwürdiges Schicksal. Da *Green* in
-ländlicher Abgeschiedenheit das Geschäft seines Vaters verwaltete
-und der gelehrten Welt unbekannt blieb, so wurden seine Abhandlungen
-weder in England noch auf dem Festlande beachtet. Sie gerieten in
-Vergessenheit, bis die in ihnen enthaltenen wichtigen Ergebnisse durch
-*Gauß* von neuem entdeckt wurden. Erst dann lenkte der Physiker *W.
-Thomson*, um seinem Lande die Priorität zu wahren, die Aufmerksamkeit
-auf *Greens* Abhandlungen und veröffentlichte die wichtigste von
-neuem[536]. Eine deutsche Übersetzung erschien in *Ostwalds*
-Klassikern[537].
-
-Die neueste Entwicklung der Potentialtheorie als einer selbständigen
-mathematischen Disziplin beginnt im Jahre 1849 mit dem Erscheinen der
-grundlegenden Abhandlung von *Gauß*[538]. Dem großen Deutschen gelang
-es, nicht nur die wichtigsten von ihm gefundenen Sätze zum ersten Male
-streng zu beweisen, sondern die Theorie durch neue wichtige Sätze
-in solchem Grade zu bereichern, daß sie für die Physik und für die
-Funktionenlehre fortan die größte Bedeutung besaß.
-
-*Gauß* entwickelte in jener Abhandlung allgemeine Sätze, die sowohl
-für die Gravitation als auch für die wichtigsten elektrischen und
-magnetischen Erscheinungen gelten. In dem Ausdruck (mm')/r^2 bedeuten
-also m und m' entweder ponderable Materie oder die Mengen einer
-magnetischen oder drittens die Mengen einer elektrischen Flüssigkeit,
-die aufeinander eine, sei es anziehende, sei es abstoßende Kraft
-ausüben. Ausgeschlossen blieb die Wirkung des galvanischen Stromes auf
-das magnetische Fluidum, weil hier die Kraft nicht in der verbindenden
-Geraden wirkt und weil ihre Stärke nicht allein von der Entfernung,
-sondern auch von einem Winkel abhängt. Ausgeschlossen blieb auch die
-Wirkung, welche zwei Stromelemente aufeinander ausüben. Und zwar
-geschah dies wegen der Abhängigkeit der Erscheinungen von der Richtung
-der Stromelemente, die im übrigen in der verbindenden Geraden und dem
-Quadrate der Entfernung umgekehrt proportional aufeinander einwirken.
-*Gauß* beschränkt sich also auf die drei zuerst genannten Fälle und
-versteht unter Masse nichts weiter als dasjenige, wovon Anziehung oder
-Abstoßung ausgeht.
-
-Wirken solche anziehenden oder abstoßenden Kräfte m^0, m', m'' usw. auf
-denselben Punkt aus den Entfernungen r^0, r', r'' usw., so existiert
-eine Funktion V, die gleich der Summe aller m/r ist. Diese Funktion
-nennt *Gauß* das Potential der Massen. Es ist, in Worten ausgedrückt,
-die Summe aller wirkenden Massenteilchen, jedes durch seine Entfernung
-von jenem Punkte dividiert. Aus ihr lassen sich die Komponenten der
-ganzen auf den Punkt wirkenden Kraft ableiten. Diese Kraft p ist
-gegeben durch den Ausdruck:
-
- p = √ ((δdV/δx)^2 + (δV/δy)^2 + (δV/δz)^2).
-
-*Gauß* führte darauf einen Begriff ein, der in seinen und den späteren
-Untersuchungen für die Potentialtheorie von der größten Bedeutung
-wurde. Er dachte sich durch alle Punkte, in denen das Potential ein und
-denselben Wert hat, eine Fläche gelegt. Eine solche Fläche scheidet den
-Raum, in welchem das Potential kleiner ist von demjenigen, wo es größer
-ist als der in jener Fläche herrschende Wert. Die Richtung der Kraft
-wird ferner in jedem Punkte einer solchen »Gleichgewichtsfläche« gegen
-die Fläche selbst normal sein. Die von *Gauß* als Gleichgewichtsflächen
-bezeichneten Flächen konstanten Potentials werden heute als
-»Niveauflächen« und die senkrecht zu einer Folge solcher Flächen
-stehenden Linien (die orthogonalen Trajektorien) als »Kraftlinien«
-bezeichnet.
-
-*Gauß* zeigte auch, daß für alle Punkte des Raumes, die außerhalb
-der wirkenden Massen liegen, die *Laplace*sche Gleichung gilt. Liegt
-ein Punkt von der Dichte k im Innern des Körpers, so ergab sich in
-Übereinstimmung mit *Green*, daß der *Laplace*sche Ausdruck die Form
--4πk annimmt. Bis dahin bietet *Gauß* also wenig Neues, doch sind seine
-Ableitungen bekannter Sätze einfacher und strenger als die früheren.
-
-Unter den vielen neuen Sätzen, die *Gauß* entdeckte, ist einer
-der wichtigsten derjenige, den man den Satz von der äquivalenten
-Massentransportation genannt hat. Er lautet: Anstatt einer beliebigen
-gegebenen Massenverteilung D, die entweder bloß auf den inneren von
-einer geschlossenen Fläche S begrenzten Raum beschränkt ist oder bloß
-auf den äußeren Raum, läßt sich eine Massenverteilung E bloß auf die
-Fläche selbst substituieren. Dies hat zur Folge, daß die Wirkung von
-E der Wirkung von D gleich wird in allen Punkten des äußeren Raumes
-für den ersten Fall oder in allen Punkten des inneren Raumes für den
-zweiten. Von diesem Satze hat *Gauß*, wie wir sogleich des näheren
-sehen werden, in seiner berühmten Abhandlung über die Intensität des
-Erdmagnetismus eine Anwendung gemacht.
-
-Wir gelangen damit zu einer neuen Phase in der wissenschaftlichen
-Entwicklung des großen Forschers. Durch *Alexander von Humboldt* war
-*Gauß* mit dem Physiker *Wilhelm Weber* bekannt geworden. Nachdem
-*Gauß* bewirkt hatte, daß *Weber* nach Göttingen berufen wurde,
-entstand zwischen beiden Männern ein ähnliches Verhältnis, wie es
-später zwischen *Kirchhoff* und *Bunsen* geherrscht hat.
-
-*Gauß* und *Weber* nahmen gemeinsam, ihren Fähigkeiten entsprechend
-und sich dadurch gegenseitig ergänzend, ein Gebiet in Angriff, das
-der wissenschaftlichen Bearbeitung noch wenig erschlossen war. Es
-war das Gebiet des Erdmagnetismus. Existierten doch für diese Kraft
-damals weder geeignete Meßapparate, noch zusammenhängende, planmäßig an
-verschiedenen Orten angestellte Beobachtungen. Eine Änderung wurde erst
-durch das Vorgehen von *Gauß* und *Weber* herbeigeführt. In Göttingen
-entstand das erste magnetische Observatorium. Im Verein mit *Humboldt*
-vermochten *Gauß* und *Weber* nicht nur die deutschen, sondern auch
-die auswärtigen Regierungen für die Sache zu gewinnen. Infolgedessen
-wurde ein magnetischer Verein gegründet und ein Netz von Observatorien,
-die sämtlich nach dem Vorbilde der Göttinger Anstalt errichtet waren,
-über die ganze Erde ausgebreitet. Die Übereinstimmung ging so weit, daß
-nicht nur mit den Apparaten und nach den Angaben von *Gauß* beobachtet
-wurde, sondern daß man sich auf allen Observatorien der Göttinger Zeit
-bediente und sämtliche Beobachtungsergebnisse nach Göttingen sandte, wo
-sie von 1836-1841 als »Resultate aus den Beobachtungen des magnetischen
-Vereins« veröffentlicht wurden. Auf diese Resultate baute *Gauß* seine
-allgemeine Theorie des Erdmagnetismus[539] auf. Es wurde zum ersten
-Male das magnetische Moment der Erde nach absolutem Maße bestimmt
-und für die Lehre vom Erdmagnetismus das geschaffen, was *Newton*
-in seinen »Prinzipien« für die Gravitationstheorie geleistet hatte.
-Ferner erschien auf Grund der vom magnetischen Verein gesammelten
-Beobachtungen im Jahre 1840 ein »Atlas des Erdmagnetismus.«
-
-Die theoretische Grundlage für die sämtlichen, ein Jahrzehnt
-umfassenden und so viele Kräfte beanspruchenden erdmagnetischen
-Untersuchungen hat *Gauß* in seiner Abhandlung über die Intensität der
-erdmagnetischen Kraft geschaffen. Für die Messungen selbst schuf er in
-seinem Bifilarmagnetometer das geeignetste Werkzeug.
-
-Die Abhandlung erschien im Jahre 1832. Sie besitzt nicht nur für das
-Gebiet des Magnetismus, sondern, da sie die Grundzüge des absoluten
-Maßsystems enthält, für die gesamte Physik eine solch außerordentliche
-Bedeutung, daß wir uns etwas eingehender mit ihrem Inhalt beschäftigen
-müssen[540].
-
-Zur vollständigen Bestimmung der erdmagnetischen Kraft an einem
-gegebenen Orte sind drei Elemente erforderlich, die Deklination, die
-Inklination und die Stärke (Intensität). Die größte Aufmerksamkeit
-hatte man ihrer Bedeutung für die Schiffahrt wegen der Deklination
-geschenkt; geringere Beachtung hatte die Inklination gefunden. Auf
-die Stärke des Erdmagnetismus als drittes, zunächst übersehenes
-Element, wurde besonders von *Alexander v. Humboldt* hingewiesen.
-Dieser hatte auf seinen Reisen festgestellt, daß ein und dieselbe
-Magnetnadel an verschiedenen Orten schneller oder langsamer schwingt.
-Er hatte daraus geschlossen, daß die Intensität der die Schwingungen
-veranlassenden erdmagnetischen Kraft bald größer, bald geringer sei
-und im allgemeinen mit der Annäherung gegen die magnetischen Pole
-zunehme. Das von *Humboldt* vorgeschlagene Verfahren gestattete aber
-nur relative Messungen und war außerdem mit manchen Fehlerquellen
-behaftet. Infolgedessen konnte es auf wissenschaftliche Zuverlässigkeit
-keinen Anspruch machen. Die Anzahl der Schwingungen, die eine Nadel
-macht, hängt nämlich nicht nur von der erdmagnetischen Kraft, sondern
-ebensosehr von dem magnetischen Zustand der Nadel und endlich auch von
-dem jeder Nadel zukommenden Trägheitsmomente ab. Wählte man zu den
-Schwingungsversuchen auch dieselbe Nadel, um Verschiedenheiten des
-Trägheitsmomentes auszuschließen, so konnte doch bei längeren Reisen
-die magnetische Kraft der Nadel eine Schwächung erfahren. Dieser
-Umstand würde auch ohne eine Verminderung der Kraft des Erdmagnetismus
-eine Verlangsamung der Schwingungen herbeiführen und zu falschen
-Schlüssen Anlaß geben. Endlich ließ sich vermuten, daß nicht nur die
-Deklination und die Inklination, sondern daß auch die Intensität für
-ein und denselben Ort langsame Änderungen erfährt. Offenbar verlor,
-sobald es sich um diese Frage handelte, das *Humboldt*sche Verfahren
-jede Gültigkeit.
-
-*Gauß* mußte daher, nachdem er diese Mängel der vergleichenden Methode
-erkannt hatte, an ihre Stelle eine neue setzen. Und zwar galt es, sich
-von den zufälligen Verschiedenheiten der Nadeln unabhängig zu machen
-und die Intensität des Erdmagnetismus auf feststehende Einheiten
-zurückzuführen. *Gauß* verfuhr dabei nach folgenden Gesichtspunkten.
-Die Anzahl der Schwingungen, die eine Nadel in einer gegebenen
-Zeit ausführt, hängt von drei Größen ab, nämlich von der Stärke
-des Erdmagnetismus, von dem Moment des in der Nadel enthaltenen
-freien Magnetismus und endlich von ihrem Trägheitsmomente. Besaß der
-schwingende Körper eine bestimmte Form und war er in seiner Masse
-überall von gleicher Beschaffenheit, so ließ sich das Trägheitsmoment
-nach bekannten Methoden berechnen. *Gauß* zog es jedoch vor, das
-Trägheitsmoment auf empirischem Wege zu bestimmen. Und zwar geschah
-dies, indem er die Nadel unter der Wirkung ein und derselben Kraft
-einmal im belasteten und dann im unbelasteten Zustande schwingen ließ.
-Die Verzögerung in der Schwingungsdauer, welche eine bekannte Last
-in einer bestimmten Entfernung von der Achse hervorrief, gab ihm ein
-Mittel an die Hand, das Trägheitsmoment der Nadel aufs genaueste zu
-bestimmen, auch wenn diese mit einer verwickelten Zurüstung, z. B.
-einem Spiegel zum Ablesen der Schwingungen, versehen war.
-
-Größere Schwierigkeiten bot die Bestimmung des magnetischen Moments
-der Nadel. Sie ließen sich nur durch die Einführung des absoluten
-Maßsystems bewältigen. *Gauß* bediente sich hierbei der bekannten
-Vorstellung von den magnetischen Flüssigkeiten. Der hypothetische
-Charakter einer solchen Annahme hatte auf den Gang und die Ergebnisse
-seiner Untersuchung keinen Einfluß. Die magnetischen Flüssigkeiten
-lassen sich nur an ihren Wirkungen erkennen und messen. Diese Wirkungen
-sind bewegende Kräfte, die einer bestimmten Masse eine gewisse
-Beschleunigung erteilen. Als Grundeinheiten für Länge, Masse und Zeit
-wählte *Gauß* das Millimeter, das Milligramm und die Sekunde[541].
-*Gauß* dehnte das für die Mechanik auf solche Grundeinheiten schon vor
-ihm aufgebaute System zum ersten Male auf magnetische Messungen aus. Er
-tat dies, indem er als Einheit der magnetischen Flüssigkeit diejenige
-Menge definierte, deren abstoßende Wirkung auf eine andere, ihr
-gleiche, in der Einheit der Entfernung befindliche Menge magnetischer
-Flüssigkeit gleich 1 ist, d. h. gleich der Wirkung der beschleunigenden
-Kraft 1 auf die Masse 1. Sind die Magnetismen verschiedenartig,
-so tritt unter im übrigen gleichen Verhältnissen an Stelle der
-Abstoßung eine gleich große Anziehung. Daß für diese Wirkungen der von
-*Coulomb* gefundene Ausdruck (mm')/r^2 gilt, wurde von *Gauß* zunächst
-vorausgesetzt, später aber durch seine Beobachtungen selbst bestätigt.
-
-Für die Beurteilung des magnetischen Zustandes der Nadel war das
-von *Gauß* in seinen »allgemeinen Lehrsätzen« bewiesene Theorem
-der Massentransportation[542] ausschlaggebend. Es lautet in seiner
-Anwendung auf das in Frage stehende Gebiet: Wie auch immer die
-Verteilung des freien Magnetismus innerhalb eines Körpers sich
-verhalten mag, stets kann man an deren Stelle eine andere Verteilung
-an der Oberfläche des Körpers setzen, die auf ein außerhalb gelegenes
-Element magnetischer Flüssigkeit vollständig dieselben Kräfte ausübt
-wie jene vorhandene Verteilung.
-
-Es galt, nach der Festsetzung der magnetischen Einheit die Intensität
-des Erdmagnetismus durch diejenige bewegende Kraft auszudrücken, welche
-der Erdmagnetismus auf jene Einheit ausübt. Man konnte sich dabei auf
-die Bestimmung der Horizontalintensität beschränken. Dividierte man
-diese durch den Cosinus der Inklination, so erhielt man den gesuchten
-vollen Wert für die Kraft des Erdmagnetismus.
-
-Zu seinem Ziele gelangte *Gauß* durch folgenden Kunstgriff: Er
-verglich[543] die Wirkung des Erdmagnetismus auf eine bewegliche Nadel
-mit derjenigen Wirkung, die eine zweite Nadel auf die erste im Zustande
-der Bewegung oder im Zustande des Gleichgewichts hervorruft.
-
-Als Wert der Intensität der horizontalen magnetischen Kraft ergab sich
-z. B. für Göttingen und für den 18. September des Jahres 1832
-
- T = 1,7821.
-
-Das bedeutet in Worten: Sie war für einen mit der Einheit des freien
-Magnetismus versehenen Magnetstab gleich dem Drucke, den 1,7821
-Krafteinheiten an einem Hebelarme von einem Millimeter Länge bewirken.
-Unter Krafteinheit ist nach dem von *Gauß* aufgestellten absoluten
-Maßsystem diejenige Kraft zu verstehen, welche der Masse eines
-Milligramms in der Sekunde die Geschwindigkeit von einem Millimeter
-erteilt.
-
-Um die ganze Intensität zu finden, war der gefundene Wert von 1,7821
-Krafteinheiten noch durch den Cosinus der Inklination zu dividieren.
-Letztere betrug im Sommer des Jahres 1832 in Göttingen 68°22'52''.
-
-Die auf Anregung von *Gauß* und *Weber* über alle Erdteile ausgedehnten
-Messungen der erdmagnetischen Kraft lieferten das allgemeine Ergebnis,
-daß diese Kraft mit der Annäherung gegen die Pole zunimmt und in der
-Nähe der magnetischen Pole etwa 1,5mal so groß ist wie am magnetischen
-Äquator. Auch zeigte sich, wie zu erwarten war, daß die Intensität
-an ein und demselben Orte wie die Deklination und die Inklination
-täglichen und säkularen Schwankungen unterworfen ist.
-
-Mit Recht sagt *Gauß* am Schlusse seiner Abhandlung, indem er die
-*Ampère*sche Theorie des Magnetismus streift, welche Auffassung man
-auch künftig von den magnetischen Erscheinungen hegen werde, sie müsse
-zu demselben Ergebnis führen, zu dem er mit Hilfe der Theorie von den
-magnetischen Flüssigkeiten gelangt sei. »Was auf Grund dieser Theorie«,
-mit diesen Worten schließt er, »in der vorliegenden Abhandlung
-entwickelt wurde, kann nur in der Form, nicht aber im Wesen geändert
-werden«.
-
-Ein Wort sei noch den technischen Schwierigkeiten gewidmet, die *Gauß*
-und *Weber* bei der Durchführung ihrer erdmagnetischen Messungen
-zu überwinden hatten. Vor allem mußten sich ihre Bemühungen darauf
-richten, daß sie die Schwingungszeiten und die Richtungen der Nadeln
-weit genauer bestimmten, als es bisher geschehen war. Sie erfanden
-daher die bei erdmagnetischen Messungen zuerst erprobte Methode der
-Winkelmessung mit Spiegel, Skala und Fernrohr, eine Methode, welche
-für die moderne Beobachtungskunst von bleibendem, unvergleichlich
-hohem Wert geworden ist. Ferner galt es, die zur Anwendung kommenden
-Meßapparate vor jedem Luftzug und vor allem vor der Einwirkung von
-Eisen zu schützen. Bei dem Bau von magnetischen Observatorien wurde
-deshalb dem Vorschlag von *Gauß* und *Weber* entsprochen und jede
-Verwendung von Eisen ausgeschlossen. Auf diese Weise gelang es ihnen,
-ihren Messungen, wie *Gauß* sich ausdrückt, die Schärfe astronomischer
-Beobachtungen zu geben.
-
-Endlich sei noch einiges über den von *Gauß* für die Ausführung seiner
-Versuche geschaffenen Apparat, das Magnetometer, gesagt. Es besteht
-aus einem hängenden Magnetstabe (s. Abb. 57) und einem Fernrohr zum
-Beobachten der Schwingungen. Der Magnetstab ist mit einem Spiegel (a)
-versehen, der genau senkrecht zur Achse angebracht ist. Dem Spiegel
-gegenüber befindet sich in einiger Entfernung von dem Magneten das
-Fernrohr, dessen optische Achse gegen die Mitte des Spiegels gerichtet
-ist. Unter dem Fernrohr ist eine Skala (SS) angebracht. Sie bildet
-mit dem magnetischen Meridian einen rechten Winkel, ist also parallel
-zum horizontalen Durchmesser des Spiegels gerichtet. Der Mittelpunkt
-jener Skala und die optische Achse des Fernrohrs liegen in derselben
-Vertikalebene. Die Skala ist ferner so angebracht, daß ihre Teilpunkte
-durch den Spiegel in das Fernrohr geworfen werden.
-
-[Illustration: Abb. 57. Das von *Gauß* zum Messen der erdmagnetischen
-Kraft erfundene Magnetometer.]
-
-Der Gebrauch dieses Apparates ist hiernach leicht verständlich. Man
-versetzt den Magneten durch Annäherung eines zweiten Magneten in
-kleine Schwingungen. In dem Fernrohr erscheinen dann nacheinander die
-Teilstriche der Skala. Die Dauer einer Schwingung ergibt sich, wenn
-man die Zeit bestimmt, die bis zum Wiedererscheinen eines bestimmten
-Teilstrichs im Fadenkreuz des Fernrohrs verfließt.
-
-Neben der Astronomie und der Physik gibt es noch ein drittes Gebiet,
-welches durch das mathematische Genie von *Gauß* in hohem Grade
-gefördert wurde. Es ist die der Astronomie so nahe verwandte Geodäsie.
-*Gauß* wurde dieser Wissenschaft durch folgende Veranlassung zugeführt.
-Der ihm befreundete dänische Astronom *Schumacher* (1780 in Holstein
-geboren, also der Stammeszugehörigkeit nach ein Deutscher) hatte im
-Auftrage seiner Regierung eine Triangulation von Schleswig-Holstein
-vorgenommen. Man beschloß nun in Hannover die Fortsetzung dieses
-Unternehmens von Altona bis zu den südlichen Grenzen des Königreiches
-und beauftragte *Gauß* mit der Ausführung dieser gewaltigen, den
-Zeitraum von 24 Jahren in Anspruch nehmenden Arbeit, der sich *Gauß*
-von 1821-1827 fast ausschließlich widmete. Das Ergebnis war ein
-Verzeichnis von nicht weniger als 2578 festgelegten Punkten. Wichtiger
-als dieser praktische, nur einem kleinen Lande erwiesene Dienst war
-die Förderung, welche die Geodäsie durch die mit dieser Vermessung
-verknüpfte Bereicherung an neuen Methoden erfuhr. *Gauß* selbst bemerkt
-in dieser Hinsicht, daß er nicht nur in bezug auf die Art, wie die
-Messungen angestellt wurden, sondern noch mehr in bezug auf ihre
-nachherige Verarbeitung und mathematische Behandlung Wege eingeschlagen
-habe, die von den sonst gebräuchlichen erheblich abwichen[544].
-
-Zunächst ist hervorzuheben, daß *Gauß* seine Methode der kleinsten
-Quadrate für geodätische Zwecke in die Form brachte, in der sie seitdem
-in der Geodäsie allgemein angewandt wird.
-
-Mit den Aufgaben der höheren Geodäsie hängen zwei wichtige
-mathematische Abhandlungen zusammen, die *Gauß* in den zwanziger
-Jahren des 19. Jahrhunderts veröffentlichte. Die erste dieser
-Abhandlungen steht mit der Kartenprojektion in enger Beziehung. Sie
-wurde durch eine von der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu
-Kopenhagen im Jahre 1822 gestellte Preisaufgabe veranlaßt und enthält
-die allgemeine Lösung folgender Aufgabe: Die Teile einer gegebenen
-Fläche sind auf einer anderen gegebenen Fläche so abzubilden, daß
-die Abbildung dem Abgebildeten in den kleinsten Teilen ähnlich wird.
-Diese für die Kartographie grundlegende Aufgabe hatte sich schon
-*Lambert* gestellt[545]. Er hatte sich jedoch auf die Kugeloberfläche
-und die Ebene beschränkt und eine allgemeine Lösung nicht zu geben
-vermocht. Sie blieb den großen Mathematikern *Lagrange* und *Gauß*
-vorbehalten[546]. Die geforderte Art der Abbildung hat *Gauß* als
-»konform« (neuerdings sagt man »winkeltreu«) bezeichnet. Nachdem *Gauß*
-die allgemeine Auflösung des Problems gegeben, betrachtet er einige
-besondere Fälle. Er untersucht die konforme Abbildung von ebenen
-Flächenstücken aufeinander und zeigt, wie man eine Karte, die in den
-Einzelheiten gut, im ganzen aber etwas verzerrt ist, in eine bessere
-verwandeln kann, wenn man die richtige Lage einer Anzahl von Punkten
-kennt. Es folgen die Darstellung eines Kegels, einer Kugel und eines
-Rotationsellipsoids in der Ebene. Den Schluß bildet die Darstellung
-des Rotationsellipsoids auf einer Kugelfläche. Durch diese Ableitungen
-von konformen Abbildungen wurden die umständlichen Rechnungen auf dem
-Erdsphäroid weit einfacher gestaltet als es bei den bisherigen Methoden
-möglich war.
-
-In einem, wenn auch weniger engen Zusammenhange mit den Aufgaben der
-höheren Geodäsie steht die von *Gauß* im Jahre 1827 herausgegebene
-Flächentheorie[547]. *Gauß* beschäftigt sich in dieser Abhandlung
-besonders mit der Krümmung der Flächen. Er führt vor allem den Begriff
-des Krümmungsmaßes ein, indem er die Teile der krummen Fläche mit dem
-entsprechenden Oberflächenstück einer festen Hilfskugel vergleicht. Es
-ist leicht ersichtlich, daß letzteres Stück um so kleiner sein wird,
-je weniger das entsprechende Stück der krummen Fläche von der Ebene
-abweicht. Außer dem Krümmungsmaß betrachtet *Gauß* in der erwähnten
-Abhandlung die Konstruktion von Figuren auf krummen Flächen, die
-Winkel und den Flächeninhalt solcher Figuren, die Verbindung von
-Flächenpunkten durch kürzeste Linien usw., alles Aufgaben, die für
-die Geodäsie von der größten Bedeutung sind. Insbesondere gilt dies
-von der Untersuchung der durch kürzeste Linien gebildeten Dreiecke,
-durch welche die sphärische Trigonometrie gefördert wurde. Solche
-Linien hat man geodätische Linien und die aus ihnen gebildeten
-Dreiecke geodätische Dreiecke genannt. Von den *Gauß*schen Sätzen über
-geodätische Linien und Dreiecke sind vor allem folgende wichtig: Wenn
-auf einer krummen Fläche von einem Punkte aus ein System geodätischer
-Linien von gleicher Länge gezogen wird, so steht die ihre Endpunkte
-verbindende Linie zu allen Linien des Systems senkrecht[548]. Zieht man
-auf einer krummen Fläche eine beliebige Linie und läßt man von dieser
-Linie unter rechten Winkeln und nach derselben Seite hin ein System
-geodätischer Linien von gleicher Länge ausgehen. so schneidet die
-Kurve, welche ihre Endpunkte verbindet, sämtliche geodätische Linien
-rechtwinklig[549].
-
-Besondere Erwähnung verdient auch der Satz, daß der Überschuß der
-Summe der Winkel eines aus geodätischen Linien gebildeten Dreiecks
-über zwei Rechte der Gesamtkrümmung des Dreiecks gleich ist[550].
-Für eine ganze Reihe weiterer geodätischer Untersuchungen ist der am
-Schlusse der Abhandlung geführte Vergleich der geodätischen Dreiecke
-mit geradlinigen Dreiecken von gleicher Seitenlänge grundlegend gewesen.
-
-Die beiden soeben nach Ziel und Inhalt kurz charakterisierten
-Abhandlungen über die konforme Abbildung von Flächen (Kartenprojektion)
-und die Linien und Stücke krummer Flächen (geodätische Linien und
-Dreiecke) können als Bruchstücke eines größeren Werkes betrachtet
-werden, das *Gauß* über die Geodäsie zu schreiben gedachte. Dies Werk
-sollte nach Art des von ihm geschaffenen astronomischen Hauptwerkes,
-der Theoria motus corporum coelestium vom Jahre 1809, die gesamten
-Grundlagen der Geodäsie entwickeln und die Triangulation des
-Königsreichs Hannover als großes Beispiel, an welchem die Theorien
-erläutert werden sollten, enthalten. Leider ist dieser Plan nicht zur
-Ausführung gekommen. Trotzdem sind die Verdienste, die sich *Gauß*
-um die Entwicklung der Geodäsie erworben, unübertroffen. Durch ihn
-wurde diese Wissenschaft, die bisher nicht viel mehr als gewöhnliche
-Feldmeßkunst gewesen, der Astronomie im Range gleichgestellt. So
-wurde z. B. bei jener Triangulation das sphärische Dreieck, dessen
-Fläche sich auf 53 Quadratmeilen belief, mit einer solchen Genauigkeit
-gemessen, daß die wirkliche Winkelsumme von der berechneten nur um zwei
-Zehntel Sekunden abwich[551]. Um Dreiecke von solcher Größe ausmessen
-zu können, schuf *Gauß* in dem Heliotrop einen neuen geodätischen
-Apparat. Seine Konstruktion stützt sich auf einen katoptrischen Satz,
-der aus Abb. 58 leicht ersichtlich ist. Er lautet: Wenn von einem
-genügend weit entfernten, leuchtenden Punkte ein Strahl SA auf zwei
-zu einander senkrecht stehende Spiegel (MN und PQ) fällt, so wird
-er nach entgegengesetzten Richtungen AC und AB reflektiert[552].
-
-Eine solche Spiegelkombination brachte *Gauß* vor seinem bei
-Vermessungen dienenden Fernrohr an. Die Kombination wurde so gedreht,
-daß der eine Strahl, z. B. AC, in die Achse des Fernrohrs gelangte.
-In diesem Falle wurde der andere Strahl AB nach dem Orte hingeworfen,
-nach dem das Fernrohr gerichtet war und konnte dort zur Einstellung
-eines zweiten Fernrohrs benutzt werden. Natürlich mußten in dem
-Spiegelapparat geeignete Öffnungen freigelassen werden, durch welche
-die Achse des Fernrohrs hindurchging. *Gauß* erfand das Heliotrop im
-Jahre 1821. Er konnte es also für die vorzunehmende Triangulation
-sofort zur Verfügung stellen.
-
-[Illustration: Abb. 58. Das dem *Gauß'*schen Heliotrop zu Grunde
-liegende Gesetz.]
-
-Nicht nur die Meßkunst, sondern auch das praktische Rechnen erfuhr
-durch *Gauß* eine wesentliche Förderung. Dies geschah dadurch, daß
-er Tafeln zur bequemen Berechnung der Logarithmen von Summen oder
-Differenzen zweier Größen, die selbst nur durch ihre Logarithmen
-gegeben sind, herausgab. *Gauß* wandte sich auch gegen den zwecklosen
-Gebrauch vielstelliger Logarithmentafeln. Es kamen zehn-, vierzehn-,
-selbst zwanzigstellige vor. *Gauß* sprach sich für den Gebrauch von
-fünfstelligen Tafeln aus, weil die Fälle, wo sie ausreichen, häufig,
-ja die häufigsten seien und so scharfe Rechnungen, welche den Gebrauch
-vielstelliger Tafeln rechtfertigen würden, in der Praxis des Astronomen
-nicht vorkämen.
-
-Von *Gauß* hat man gesagt, er habe lange auf einsamer Höhe gewandelt.
-Es lag das daran, daß er es nicht verstand, die Ergebnisse seiner
-Forschungen zum Allgemeingut zu machen. Seiner wissenschaftlichen
-Tätigkeit gegenüber trat bei ihm das akademische Lehramt sehr zurück.
-Er besaß nur wenige Schüler, da ihm nur wenige zu folgen vermochten.
-Auch seine Schriften wurden von den zeitgenössischen Fachleuten
-zu wenig beachtet; ferner blieben wichtige Entdeckungen mitunter
-Jahrzehnte in seinem Schreibpult vergraben. Dieser sonderbare Egoismus
-in wissenschaftlichen Dingen -- wohl die einzige Schattenseite des
-Geistesriesen -- ging so weit, daß er wiederholt erklärte, er stelle
-seine Untersuchungen nur seiner selbst wegen an, und es sei für ihn
-von untergeordneter Bedeutung, ob seine Arbeiten zur Belehrung anderer
-später im Druck erschienen[553]. *Gauß* veröffentlichte nichts, was er
-nicht zum Abschluß gebracht hatte. Daher erscheint jede seiner Arbeiten
-als ein vollendetes Kunstwerk, an welchem man von den Zurüstungen und
-Hilfsmitteln, die zu dem Aufbau führten, nichts mehr bemerkt. Dieser
-Umstand hat das Studium der *Gauß*schen Schriften sehr erschwert. Als
-man einst dem Verfasser den Vorwurf allzu großer Schwierigkeit machte,
-erklärte er, man dürfe dem fertigen Gebäude nichts mehr vom Baugerüst
-ansehen. Mit Recht ist ihm darauf erwidert worden, daß man doch
-wenigstens eine Tür zu sehen wünsche, um hineinzugelangen.
-
-Im Jahre 1855 verschied *Gauß*. Eine zur Erinnerung an ihn vom König
-gestiftete Denkmünze trägt die Inschrift: Dem Könige der Mathematiker.
-Nach seinem Tode sind die Werke von *Gauß* dadurch zugänglicher
-geworden, daß sie von vielen Seiten kommentiert wurden. Sie erschienen
-von 1863-1874 in einer Gesamtausgabe[554]. Wir verlassen *Gauß* mit
-einigen Worten eines Nachrufs den ihm einer der bedeutendsten unter den
-neueren Mathematikern[555] gewidmet hat: »Unter allen Werken von *Gauß*
-ist keins, das nicht in dem betreffenden Fache einen wesentlichen
-Fortschritt durch neue Methoden und neue Ergebnisse begründete.
-Sie sind Meisterwerke, welche den Stempel der Mustergültigkeit an
-sich tragen. Dies bürgt dafür, daß sie für alle Zeiten nicht nur
-geschichtlichen Wert besitzen, sondern auch künftigen Geschlechtern als
-Grundlage jedes tieferen Studiums und als reiche Fundgrube fruchtbarer
-Gedanken dienen werden«.
-
-Die letzten Abschnitte ließen uns erkennen, in welch außerordentlichem
-Maße der mathematische Genius die Astronomie, die Physik und die
-Geodäsie zu befruchten vermochte. Der Einfluß der Mathematik auf die
-Naturwissenschaften ist seit den Zeiten eines *Gauß* nicht geringer
-geworden, wenn es auch kaum noch einen Mathematiker gab, der sich
-in gleicher Weise neben dem Ausbau seines Forschungsgebietes der
-Verknüpfung der Mathematik mit anderen Wissenszweigen gewidmet hätte.
-Selbst *Helmholtz*, der unter den neueren am meisten an *Gauß*
-heranreichte, war doch in erster Linie Physiker, der die Mathematik als
-Hilfswissenschaft und weniger ihrer selbst willen betrieb.
-
-Um das Verhältnis der höheren Mathematik zur reinen und angewandten
-Naturwissenschaft, wie es sich im 19. Jahrhundert herausgebildet,
-kennen zu lernen, richtete sich unser Blick zuerst auf Frankreich.
-Hier war es, wo während der Revolutions- und der Kaiserzeit durch eine
-Reihe bedeutender Männer die Wechselbeziehung zwischen den genannten
-Gebieten am klarsten erkannt und am nachhaltigsten gefördert wurde.
-Und zwar geschah dies zu einer Zeit, als Deutschland an bedeutenderen
-Mathematikern so arm war, daß *Gauß* nicht verstanden und Vorlesungen
-über höhere Mathematik an deutschen Universitäten für unnütz erklärt
-und daher nur selten gehalten wurden. Die große Zeit, welche die
-Mathematik und die exakten Naturwissenschaften in Frankreich erlebten,
-knüpft an die Namen *Laplace*, *Lagrange* und *Lavoisier* an. Wir
-lernten den ersten als den Schöpfer der Mécanique céleste, den
-zweiten als den Verfasser der Mécanique analytique und *Lavoisier*
-als den Begründer der neueren Chemie kennen.
-
-Erst als in den von *Gauß* eröffneten Bahnen Männer wie *Dirichlet*,
-sein Nachfolger auf dem Göttinger Lehrstuhl, wie *Jacobi* und *Riemann*
-die Mathematik fortsetzten, während in Frankreich ihre Entwicklung
-nachließ, gelang es Deutschland, die Führung auf diesem Gebiete zu
-erhalten.
-
-
-
-
-21. Die Begründung der physikalischen Erdbeschreibung.
-
-
-Durch den außerordentlichen Aufschwung, den die gesamten
-Naturwissenschaften in der neueren Zeit erfuhren, wurde von den übrigen
-Wissenschaften keine in solchem Maße in ihrem Ziel und ihrem Inhalt
-umgestaltet wie die Erdkunde. Zwar hatte ihr das Zeitalter der großen
-geographischen Entdeckungen einen gewaltigen Anstoß gegeben, sie war
-aber im wesentlichen bloße Erdbeschreibung geblieben. Die Geographie
-als Lehre von dem inneren Zusammenhange der tellurischen Erscheinungen
-und ihrer Abhängigkeit von kosmischen Vorgängen entwickelte sich
-erst während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Während dieses
-Zeitraumes entstanden als die wichtigsten Grundlagen einer den
-Naturwissenschaften ebenbürtigen, in ihrem Geiste und nach ihren
-Methoden schaffenden Erdkunde vor allem die tellurische Physik und die
-Tier- und Pflanzengeographie. Um die Begründung dieser Wissenszweige
-hat sich in jenem Zeitraume kaum jemand solch hervorragende Verdienste
-erworben wie *Alexander von Humboldt*.
-
-Die Meteorologie konnte erst zu einer auf allgemeineren Grundlagen
-beruhenden Wissenschaft werden, wenn sie ihre Beobachtungen, die
-sich bisher im wesentlichen auf Europa beschränkt hatten, über die
-gesamte Erde ausdehnte. Und daß dies geschah, ist das Verdienst *von
-Humboldts*. Er machte zuerst die tropischen Witterungsverhältnisse zum
-Gegenstande eingehender Untersuchung und vertrat die Überzeugung, daß
-nicht nur die tropischen, sondern auch die in mittleren und höheren
-Breiten sich abspielenden meteorologischen Vorgänge von gesetzmäßig
-wirkenden Ursachen, deren Kenntnis sich auf die Dauer der Forschung
-nicht entziehen könne, beherrscht seien.
-
-Dadurch, daß *Humboldt* die Isothermen oder die Linien gleicher
-Jahrestemperatur einführte, wurde er zu einem der Begründer einer
-wissenschaftlichen Klimalehre. Sie verdankt ihm außer jenem Verfahren
-der graphischen Darstellung ihrer Elemente[556] auch die wichtigen
-Begriffe des Küsten- und Kontinentalklimas, sowie des Höhen- und
-Tiefenklimas. *Humboldt* erkannte ferner, daß die Linien gleicher
-Sommerwärme (die Isothermen) wesentlich anders als die Linien gleicher
-Winterwärme (die Isochimenen) verlaufen[557]. Die weitere Ausgestaltung
-dieses Forschungsmittels, das wie eine Offenbarung wirkte, ist vor
-allem zwei Deutschen zu verdanken, nämlich *Dove*, der den Begriff
-der isanomalen Linien aufstellte und *Berghaus*, der zuerst (1838) in
-seinem physikalischen Atlas ein umfangreiches kartographisches Material
-zusammenbrachte.
-
-Jetzt erst gelangte man zu einer klaren Erkenntnis der Abhängigkeit des
-Klimas von der Verteilung von Wasser und Land, der Richtung und der
-Höhe der Gebirge und den vorherrschenden Luft- und Meeresströmungen.
-Ihres historischen Wertes wegen verdient die von *Humboldt* entworfene
-und seiner Abhandlung vom Jahre 1817 beigegebene, Isothermenkarte
-immer noch Beachtung. Daß er die Idee *Halley* verdankt, hat er selbst
-mitgeteilt. Es ist gewiß verwunderlich, daß während des langen von
-*Halley* bis *Humboldt* reichenden Zeitraums[558] niemand darauf
-verfallen ist, *Halleys* so außerordentlich glücklichen und fruchtbaren
-Gedanken auf andere Gebiete zu übertragen. Eine Erweiterung des
-Verfahrens, die wir *Dove* verdanken, bestand darin, daß er nicht die
-Orte gleicher Werte, sondern diejenigen gleicher Abweichung von einem
-nach theoretischen Voraussetzungen berechneten Mittel durch seine
-Kurven, die Isanomalen, verband und dadurch neue, wertvolle Aufschlüsse
-über die Ursachen der Temperaturerniedrigung oder -erhöhung, die
-bestimmte Teile der Erdoberfläche aufweisen, erhielt.
-
-Auch auf die ungleiche Verteilung der Wärme in vertikaler Richtung und
-die Gesetzmäßigkeiten, welche dieser Erscheinung zugrunde liegen, hat
-neben dem Alpenforscher *Saussure* und dem Veranstalter der ersten
-wissenschaftlichen Ballonfahrt, *Gay-Lussac*, besonders *Humboldt*
-hingewiesen. Nach seinen Angaben[559] findet eine durchschnittliche
-Verminderung der mittleren Jahreswärme um 1° C statt, wenn man um etwa
-85 Toisen in die Höhe steigt. Doch bestätigte sich andererseits die
-schon von *Saussure* ausgesprochene Vermutung, daß der Winter auf Höhen
-verhältnismäßig milder ist als in der Ebene.
-
-Die Erklärung der Passate und der Monsune hatte schon *Halley*
-beschäftigt. Doch wurde die Lehre von den Luftströmungen erst
-eingehender durch *Dove* begründet. *Dove* wies nach, daß der Wind mit
-ziemlicher Regelmäßigkeit, von West ausgehend, durch Nord und Ost und
-Süd nach West zurückkehrt, während sich auf der südlichen Halbkugel
-die entgegengesetzte Drehung zeigt. Etwa ein Vierteljahrhundert später
-erkannte man, daß *Doves* Regel nur ein unvollkommener Ausdruck des
-barischen Windgesetzes[560] ist. Letzteres spricht die enge Beziehung
-zwischen Luftdruck und Luftbewegung folgendermaßen aus: Die Luft
-bewegt sich stets von einem Orte höheren nach dem nächstliegenden Orte
-niederen Luftdrucks hin. Dabei wird sie auf der nördlichen Halbkugel
-nach rechts, auf der südlichen nach links abgelenkt. Jede Luftbewegung,
-ob sanft oder heftig, erfolgt danach in der Form einer Spirale
-(Zyklone) und zwar ist die Spiralbewegung in der Nähe eines Minimums
-derjenigen in der Nähe eines Maximums entgegengesetzt (zyklonal und
-antizyklonal). Auf dieser Grundlage hat sich die heutige Meteorologie
-mit ihren synoptischen Karten, ihrer Wetterprognose und dem so
-wertvollen Sturmwarnungswesen entwickelt.
-
-Außer dem Netz von Stern- und Wetterwarten, mit dem im 19. Jahrhundert
-der ganze Erdball überzogen wurde, ist auch der zahlreichen,
-während dieses Zeitraums ins Leben gerufenen erdmagnetischen und
-seismologischen Observatorien zu gedenken. Welche Verdienste sich um
-das Zustandekommen der erdmagnetischen Warten und um die Erforschung
-des magnetischen Zustandes der Erde *Gauß* und *von Humboldt* erworben
-haben, ist schon an früherer Stelle erwähnt worden[561].
-
-Eine ähnliche zentrale Stellung, wie sie *Gauß* während der ersten
-Hälfte des 19. Jahrhunderts für das Gebiet der reinen und der
-angewandten Mathematik einnahm, besaß *Alexander von Humboldt* während
-dieses Zeitraums für das gesamte weite Gebiet der Naturwissenschaften,
-wenn auch die Fortschritte, die wir ihm verdanken, weniger in die Tiefe
-gingen, sondern vorzugsweise auf die Verknüpfung der verschiedenen
-Wissensgebiete durch gemeinsame Gesichtspunkte und wechselseitige
-Durchdringung abzweckten. Dieser Bedeutung *von Humboldts*, der in
-seiner Geistesart mehr an *Aristoteles* und *Leibniz* wie an einen
-*Newton* und einen *Gauß* erinnert, soll hier eingehender Rechnung
-getragen werden.
-
-*Alexander von Humboldt* wurde am 14. September 1769 als Sprößling
-eines altadeligen preußischen Geschlechtes in Berlin geboren und dort
-und auf dem elterlichen Gute in Tegel gemeinsam mit seinem Bruder
-*Wilhelm* durch Privatunterricht vorgebildet. *Alexander von Humboldt*
-widmete sich zunächst dem Studium der Verwaltungsfächer, da er den
-Traditionen seiner Familie folgen und eine Staatsanstellung bekleiden
-sollte. Innere Neigung und der Verkehr mit seinem Freunde *Willdenow*
-führten ihn jedoch bald den Naturwissenschaften zu. Mit 19 Jahren
-sehen wir ihn schon mit der Abfassung eines größeren botanischen
-Werkes beschäftigt[562]. Sein Interesse für die Naturwissenschaften
-wurde besonders angefacht, als er die Universität Göttingen bezog,
-wo damals die hervorragendsten deutschen Vertreter dieser Fächer
-lehrten. Den Einfluß, welchen der Physiker *Lichtenberg*, der Chemiker
-*Gmelin* und der Anatom *Blumenbach* dort auf ihn ausgeübt haben,
-hat *Humboldt* stets dankbar anerkannt. In Göttingen lernte er auch
-*Georg Forster* kennen, der *Cook* auf seiner zweiten Weltumsegelung
-begleitet und sich als ein Meister in der Naturschilderung einen Namen
-erworben hatte. *Forster*, der eine ganz außergewöhnlich vielseitige
-wissenschaftliche Begabung besaß, ist für *Alexander von Humboldt*
-vorbildlich gewesen und hat auf seinen ferneren Studien- und Lebensgang
-einen entscheidenden Einfluß ausgeübt[563]. In Gemeinschaft mit
-*Forster* unternahm *Humboldt* im Sommer 1790 seine erste größere
-Reise nach Holland, England und Frankreich. Sie wurde für ihn unter
-der Anleitung des Weltumseglers zur Vorschule für seine eigenen
-großen Entdeckungsreisen. Diese Reise, auf welcher die Leidenschaft
-für das Seewesen und tropische Länder in *Humboldt* erwachte, hat er
-oft als ein besonderes Glück bezeichnet[564]. Seine Studien setzte
-*Humboldt* zunächst an der Bergakademie zu Freiberg fort, wo er zu
-den begeistertsten Schülern des Mineralogen *Werner* zählte, des
-Hauptvertreters der später von *Humboldt* und von *L. v. Buch* so
-eifrig befehdeten neptunistischen Richtung.
-
-Aus allen Teilen der Welt kamen damals Mineralogen, Geologen und
-Bergleute nach Freiberg, um *Werner* zu hören. *Humboldt* fand bei ihm
-eine besonders gute Aufnahme, da er sich durch seine »Beobachtungen
-über einige Basalte am Rhein« (1790) schon einen Namen gemacht hatte.
-Noch drei Jahrzehnte nach dieser Zeit sprach *Humboldt* seinem
-verdienten Lehrer in folgenden Worten seine Anerkennung aus: »*Werner*
-erkannte mit bewundernswertem Scharfsinn alle Beziehungen, die bei der
-Betrachtung der geologischen Formationen beachtet werden müssen. Er
-lehrte, was man zu wissen und was man zu beobachten habe. Er hat in
-Gegenden, deren Untersuchung ihm nicht vergönnt gewesen, einen Teil
-der Entdeckungen vorbereitet. Da nämlich die Formationen unabhängig
-sind von dem Wechsel der geographischen Breite und vom Klima, so kann
-irgend ein sehr beschränkter Raum der Erdfeste, in welchem die Natur
-viele Formationen vereinigt hat, gleich einem wahrhaften Mikrokosmos
-im Geiste eines bewährten Beobachters sehr richtige Gedanken über die
-Grundwahrheiten der Geologie erwecken«[565]. Nach seinem Fortgange
-von Freiberg war *Humboldt* einige Jahre als Bergassessor und als
-Bergmeister im Fichtelgebirge tätig. Während dieser Zeit kam er auch
-wiederholt mit dem Weimar-Jena-Kreise, dem sein Bruder *Wilhelm* seit
-1794 angehörte, in Berührung.
-
-Wie *Wilhelm* zu *Schiller* so trat *Alexander* zu *Goethe* in nähere
-Beziehungen. Die Naturwissenschaften waren damals in Weimar Mode.
-Alles trieb Mineralogie. Selbst die Damen des Hofes legten sich
-naturwissenschaftliche Sammlungen an, und *Goethe* war in seinem
-Eifer für Mineralogie und Geognosie kein Berg zu hoch, kein Schacht
-zu tief, kein Stollen zu niedrig und keine Höhle labyrinthisch
-genug[566]. Auch an *Humboldts* Versuchen über den galvanischen Reiz
-der Nerven und Muskelfaser hat sich *Goethe* lebhaft beteiligt. Das
-von *Humboldt* über diesen Gegenstand veröffentlichte Werk war zwar
-durch manchen Versuch wertvoll, es blieb aber in der Tendenz verfehlt,
-da es die Reaktionen der Muskeln nicht als Wirkungen des galvanischen
-Stromes, sondern als die Äußerungen einer eigentümlichen Lebenskraft
-hinstellte[567].
-
-Auch die Arbeiten *Goethes* über die vergleichende Anatomie,
-insbesondere die vergleichende Osteologie, kamen zwischen ihm, der
-schon im Jahre 1786 über das Zwischenkieferbein geschrieben, und
-*Alexander von Humboldt* zur Sprache. "Meine naturwissenschaftlichen
-Arbeiten", schrieb *Goethe* damals, "sind durch *Humboldt* aus ihrem
-Winterschlafe geweckt worden". Nach verbürgten Zeugnissen hat der
-Dichterfürst es dankbar anerkannt, daß die Gebrüder *Humboldt* mit
-ihrem jugendlichen, frischen Streben den größten Einfluß auf ihn
-ausgeübt hätten, als er selbst schon begonnen habe, an der Welt müde zu
-werden.
-
-Auch *Schiller* kam mit *Alexander von Humboldt* häufiger in
-persönliche Berührung. Es ist nun interessant zu sehen, wie sehr seine
-Beurteilung des Forschers von derjenigen *Goethes* abwich. Nachdem
-er dem Bruder *Wilhelm* alle Anerkennung gespendet, schreibt er über
-*Alexander*: »Bei allem ungeheuren Reichtum des Stoffes finde ich
-in ihm eine Dürftigkeit des Sinnes, der bei dem Gegenstande, den er
-behandelt, das schlimmste Übel ist. Es ist der nackte schneidende
-Verstand, der die Natur, die immer unfaßlich und ehrwürdig ist,
-schamlos ausgemessen haben will und mit einer Frechheit, die ich
-nicht begreife, seine Formeln, die oft nur leere Worte und immer nur
-enge Begriffe sind, zu ihrem Maßstabe macht. Kurz, mir scheint er
-für seinen Gegenstand ein viel zu grobes Organ und dabei ein viel zu
-beschränkter Verstandesmensch zu sein. Er hat keine Einbildungskraft,
-und so fehlt ihm nach meinem Urteil das notwendigste Vermögen zu seiner
-Wissenschaft, denn die Natur muß angeschaut und empfunden werden in
-ihren einzelnsten Erscheinungen wie in ihren höchsten Gesetzen.« Wie
-würden die heutige Naturwissenschaft und ihre Vertreter vor diesem von
-übertriebenem Idealismus diktierten Urteil *Schillers* wohl bestehen!
-Andererseits ist die in Schillers Worten zum Ausdruck kommende,
-durchaus subjektive Art, über die Mittel und Ziele der Naturforschung
-zu urteilen, durch die gesamte Entwicklung, die Philosophie und
-Wissenschaft im 19. Jahrhundert genommen haben, in ihrer Haltlosigkeit
-und inneren Unwahrheit dargetan worden. Doch darf nicht vergessen
-werden, daß es auch Extreme in der naturwissenschaftlichen Methode
-gibt, von denen *Humboldt* sich aber -- und darin besteht das Irrige
-des *Schiller*schen Urteils -- weit entfernt hielt, Extreme, vor
-denen das idealistische und philosophische Denken ein Recht hat, den
-Warnungsruf ertönen zu lassen.
-
-Erwähnt sei noch, daß in späteren Jahren *Goethe* *Alexander von
-Humboldt*, als der letztere die Bedeutung des Vulkanismus erkannte,
-nicht zu folgen vermochte, sondern an den veralteten neptunistischen
-Ansichten festhielt. *Goethe* begegnete den Vertretern der neueren
-Geologie nicht nur mit Spott, wovon manche Stellen seiner poetischen
-Schöpfungen Zeugnis ablegen[568], sondern fast mit einem Groll, der
-erst gegen sein Lebensende einer gewissen Resignation in dieser
-wissenschaftlichen Frage Platz machte.
-
-Das bedeutendste Ereignis und gleichzeitig die größte wissenschaftliche
-Tat in dem Leben *Alexander von Humboldts* war seine amerikanische
-Forschungsreise, die erste große wissenschaftliche Expedition, die für
-alle späteren Unternehmungen dieser Art vorbildlich gewesen ist. Nach
-jahrelangen Vorbereitungen und vielen Mühen und Enttäuschungen, von
-denen wir uns heute, im Zeitalter des Verkehrs, keinen Begriff machen
-können, erfolgte *Humboldts* Abreise von Coruña im Juni des Jahres
-1799. Sein Reisegefährte war der Botaniker *Bonpland*, ein Schüler
-*Jussieus*.
-
-Über die Erfolge dieser Reise hat später einer der Berufensten, der
-große Geograph Carl *Ritter*, die Worte geäußert: »Es war, als wäre
-eine neue Sonne voll Licht und Wärme im Westen über der Neuen Welt
-emporgestiegen, um auf die alte Welt wohltätig zurückzustrahlen«[569].
-Eine Reihe von Umständen und Voraussetzungen haben zusammengewirkt,
-um *Humboldt* durch seine amerikanische Reise zum Begründer einer
-neuen Epoche der physischen Erdbeschreibung, der innigsten Verknüpfung
-von Naturwissenschaft und Geographie zu machen. Für eine Vorbereitung
-durch vielseitige und eifrige Studien und eine Ausrüstung mit den
-besten astronomischen und physikalischen Apparaten war zunächst Sorge
-getragen. Dazu gesellte sich das Streben, den zu erforschenden Teil
-der Erde als ein Ganzes zum Gegenstande des Studiums zu machen. Es
-galt zwar zunächst Einzelheiten zu erforschen, aber ihre Verknüpfung,
-die Erkenntnis ihres gesetzmäßigen Zusammenhanges wurde stets als das
-höhere Ziel ins Auge gefaßt.
-
-Wir können hier *von Humboldt* nicht auf seinen Kreuz- und Querzügen
-durch Süd- und Mittelamerika folgen, da aber seine Reise epochemachend
-für alle späteren Expeditionen in das Innere großer Kontinente gewesen
-ist, so wollen wir doch in einigen Punkten untersuchen, wie er der
-Fülle der ihm gestellten Aufgaben gerecht geworden ist.
-
-Von Coruña ging die Fahrt nach Teneriffa. Dort erfolgte die erste zu
-wissenschaftlichen Zwecken unternommene Besteigung eines innerhalb
-der subtropischen Zone liegenden Berges. An seinem Fuße wurde ein
-Drachenbaum von 45 Fuß Umfang gefunden, den *Humboldt* für einen der
-ältesten Bewohner der Erde erklärte. Am Abhange des nur im Winter mit
-Schnee bedeckten Piks zeigte sich eine Eishöhle. Der Gipfel selbst
-besaß den Charakter einer Solfatara. Ferner unterschied *von Humboldt*
-fünf Pflanzenzonen, die sich an dem Pik von seinem mit Weinreben
-geschmückten Fuß bis zu dem Gipfel, wo die Flechten an der Zersetzung
-der vulkanischen Schlacken arbeiten, wie Stockwerke übereinander
-aufbauen.
-
-Den ersten längeren Aufenthalt nahm *Humboldt* in Cumana, das seit
-Jahrhunderten als ein Herd der furchtbarsten Erdbeben galt. Erst
-zwei Jahre vor seiner Ankunft hatte ein solches die Stadt gänzlich
-zerstört. *Humboldt* verwandte mehrere Wochen darauf, die Spuren jenes
-furchtbaren Elementarereignisses eingehend zu erforschen. Wenige Monate
-nach seiner Ankunft in Cumana fand an diesem Orte ein neues Erdbeben
-statt. Es war das erste, das unser Forscher miterlebte. Und von dem
-tiefen Eindruck, den es auf ihn machte, legt seine Schilderung Zeugnis
-ab[570].
-
-Nicht minder bekannt geworden ist die Schilderung des großen
-Sternschnuppenfalls, den *Humboldt* im November des Jahres 1799 in
-Cumana beobachtete. Innerhalb weniger Stunden vermochte er tausende von
-Sternschnuppen und Feuerkugeln zu zählen.
-
-Im Anfang des Jahres 1800 drangen die Reisenden tiefer in den
-südamerikanischen Kontinent ein. Sie erforschten das Stromnetz des
-Orinoko, durchstreiften die einförmigen Llanos, die sich an die
-Waldregion der großen Ströme anschließen, und stellten Untersuchungen
-über den Zitteraal (Gymnotus electricus), dessen Fang *von Humboldt*
-so anschaulich schilderte, und über die Reizbarkeit der Mimosen an.
-
-Um die Cordilleren zu erforschen, hielt sich *von Humboldt* lange
-Zeit in Quito auf. Von dort unternahm er die berühmte Besteigung des
-Chimborazo, der damals für den höchsten Berg der Erde gehalten wurde.
-*Von Humboldt* erreichte eine Höhe[571], die vor ihm noch kein Mensch
-erklommen hatte.
-
-Nach der Durchforschung Mexikos und einem kurzen Aufenthalt in den
-Vereinigten Staaten hielt sich *von Humboldt* fast zwei Jahrzehnte[572]
-in Paris auf. Noch länger dauerte die Abfassung des monumentalen
-Werkes über seine Reise[573]. Daneben fand *Humboldt* noch Zeit, sich
-mit erdmagnetischen und in Gemeinschaft mit *Gay-Lussac* sich mit
-eudiometrischen Untersuchungen[574] zu beschäftigen.
-
-Die deutsche Forschung ist zu Beginn des 19. Jahrhunderts von keinem
-Lande so sehr wie von Frankreich angeregt und befruchtet worden. Von
-dort ist nicht nur in die europäische Staatenentwicklung, sondern
-auch für das Gebiet der exakten Forschung der erfrischende Luftzug
-gekommen, der die Periode der neuesten Entwicklung einleitete. In
-Frankreichs Hauptstadt hatten große Meister der Forschung, wie
-*Cuvier*, *Lavoisier*, *Laplace*, *Ampère*, *Gay-Lussac* und viele
-andere, diejenige grundlegende Tätigkeit entfaltet, welche den Boden
-für die neueste Entwicklung der Naturwissenschaften bereitet hat.
-Eine wichtige Rolle bei der Vermittlung zwischen der französischen
-und der emporstrebenden deutschen Wissenschaft hat *Alexander von
-Humboldt* ausgeübt. Man darf nicht so kleinlich sein und *Humboldt*
-daraus den Vorwurf machen, daß in ihm der Patriot hinter dem Forscher
-zurückgetreten sei. Die Wissenschaft darf sich nicht hinter nationalen
-Grenzen verschanzen. Sie muß das Gute nehmen, wo sie es findet. Wer
-ihre Geschichte schreibt, darf das Verdienst des Auslandes gegenüber
-dem des eigenen Landes nicht zu verkleinern suchen. Wir müssen
-deshalb Frankreich die Anerkennung zollen, daß ohne die Schulung,
-welche die deutschen Forscher dort während der ersten Jahrzehnte
-des 19. Jahrhunderts erfuhren, Deutschland schwerlich so rasch, wie
-es geschehen, in wissenschaftlichen Wettbewerb mit Frankreich hätte
-treten, geschweige denn es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
-überflügeln können, wie auch von französischer Seite mitunter neidlos
-anerkannt worden ist.
-
-Über den Inhalt des gewaltigen *Humboldt*schen Reisewerkes, an dessen
-Abfassung sich viele Kräfte beteiligten, möge noch einiges hier Platz
-finden. Es umfaßt sechs Abteilungen, von denen jede aus mehreren Bänden
-besteht. Die erste Abteilung (Rélation historique) enthält neben
-dem von *Humboldt* selbst verfaßten Reisebericht eine Geschichte der
-geographischen Erschließung des neuen Kontinents und einen aus 39
-Karten bestehenden Atlas.
-
-Die zweite Abteilung ist der Zoologie und der vergleichenden Anatomie
-gewidmet. Bei ihrer Abfassung zählten die Reisenden *Cuvier*,
-*Latreille* (für die Insekten) und *Valenciennes* (für die Fische und
-die Weichtiere) zu ihren Mitarbeitern.
-
-Die dritte Abteilung behandelt die politische Geographie der spanischen
-Besitzungen in Amerika, die sich damals vom 38. Grade nördlicher bis
-zum 42. Grade südlicher Breite erstreckten.
-
-Die vierte Abteilung enthält die astronomischen, trigonometrischen
-und barometrischen Messungen, während die fünfte die Geologie und die
-Pflanzengeographie der erforschten Länder zum Gegenstande hat.
-
-Ausschließlich botanischen Inhalts ist endlich die sechste Abteilung.
-Sie enthält eine Übersicht über sämtliche gesammelten Pflanzen
-und beschäftigt sich außerdem in monographischer Behandlung mit
-den Mimosen, den neu entdeckten Gräsern und der in Südamerika in
-zahlreichen Arten vorkommenden tropischen Familie der Melastomeen[575].
-
-Im Jahre 1827 vertauschte von *Humboldt* das ihm so lieb gewordene
-Paris auf den dringenden Wunsch seines Königs mit der an geistiger
-Bedeutung hinter Paris damals weit zurückstehenden preußischen
-Hauptstadt. Jetzt begann für den fast Sechzigjährigen eine neue
-Lebensaufgabe, die er durch die Verwirklichung des schon lange
-gehegten Planes einer physischen Weltbeschreibung erfüllte. Bevor
-sich jedoch von *Humboldt* an die Abfassung seines »Kosmos« begab,
-unternahm er im Auftrage des russischen Herrschers, begleitet von
-dem Zoologen *Ehrenberg* und dem Mineralogen *Rose* eine kurze, aber
-ergebnisreiche Expedition ins asiatische Rußland. *Humboldt* und seine
-Begleiter besuchten die Erzlagerstätten des Altai, überschritten die
-chinesische Grenze und durchzogen von dort die ungeheure Steppe, um den
-südlichen Ural zu erreichen. An die geologische Durchforschung dieses
-Gebirgszuges knüpft die berühmt gewordene Voraussage *Humboldts*,
-daß der Ural mit seinen Gold- und Platinschätzen ein wahres Dorado
-sei[576]. Zahlreiche Beobachtungen wurden auch an den Besuch des
-Kaspischen Meeres geknüpft und Material für das von *Cuvier* und
-*Valenciennes* bearbeitete große Werk über die Fische gesammelt.
-
-Wir gelangen zu dem reifsten Werke von *Humboldts*, das seinen Namen
-populär gemacht hat, dem »Kosmos«, wie er seinen Entwurf einer
-physischen Weltbeschreibung nannte. Hervorgegangen ist das Werk
-aus Vorlesungen, die er nach seinem Eintreffen in Berlin vor einem
-großen Kreise im Beisein des Königs und des Hofes hielt und die als
-ein Ereignis des Winters 1827/28 galten. Der Kosmos ist nicht minder
-als das große Reisewerk epochemachend nicht nur für die deutsche,
-sondern für die Weltliteratur[577] gewesen und wird, wenn auch manche
-Einzelheiten veraltet sind oder sich als irrig erwiesen haben, als
-Ganzes immer seinen Wert besitzen. Einen solchen besitzt das Werk nicht
-nur nach der wissenschaftlichen, sondern auch nach der sprachlichen und
-allgemein literarischen Seite. Mag dem heutigen Geschlecht, das die
-Natur oft mit zu nüchternem Verstande betrachtet, *Humboldts* Ausdruck
-pathetisch und seine Sprache allzu reich an Bildern erscheinen, eins
-darf man nicht vergessen: war es doch *Humboldt*, der die Deutschen
-wissenschaftliche Dinge in formvollendeter Sprache behandeln
-lehrte. Um das zu würdigen, muß man die trostlose Dürre der meisten
-früheren naturwissenschaftlichen Schriftsteller und die hohlen, von
-unverständlicher Mystik triefenden Phrasen der während des ersten
-Viertels des 19. Jahrhunderts den deutschen Geist beherrschenden, ja
-knebelnden naturphilosophischen Schule genossen haben.
-
-Auch die Vorlesungen, aus denen der Kosmos entstanden ist, waren in
-gewisser Hinsicht epochemachend. Sie stellen nämlich den ersten und
-gelungensten Versuch dar, die Kluft, welche die große Masse des Volkes
-von der Wissenschaft trennt, zu überbrücken. Etwa tausend Zuhörer aller
-Kreise »vom Könige bis zum einfachen Maurer« folgten den Ausführungen
-*Humboldts* mit der größten Spannung.
-
-Der Plan zum »Kosmos« entstand in *Humboldt* schon in den neunziger
-Jahren des von universellem Streben beherrschten 18. Jahrhunderts,
-wahrscheinlich unter der Einwirkung des Weimar-Jena-Kreises[578]. »Am
-späten Abend eines vielbewegten Lebens«, so lauten von *Humboldts*
-einleitende Worte, »übergebe ich der Öffentlichkeit ein Werk, das
-in unbestimmten Umrissen mir ein halbes Jahrhundert vor der Seele
-schwebte.«
-
-Den ersten Band bezeichnet er als ein allgemeines Naturgemälde,
-das von den fernsten Nebelflecken des Weltraums und den kreisenden
-Doppelsternen stufenweise zu der Sternschicht herabsteigt, der unser
-Sonnensystem angehört, zu dem luft- und meerumflossenen Erdsphäroid,
-seiner Gestaltung, Temperatur und magnetischen Spannung bis zu der
-Lebensfülle, die vom Lichte angeregt sich an seiner Oberfläche
-entfaltet. Die Aufgabe war dem Umfang nach eine weitgespannte, dem
-Ziele nach entsprach sie als ein »Gemälde«, eine »Weltbeschreibung«,
-indessen nicht mehr der Forderung des nach tieferer Erkenntnis des
-kausalen Zusammenhanges strebenden 19. Jahrhunderts, dessen wichtigste
-Aufgabe in der Fortentwicklung der mathematischen Physik und der
-Aufstellung des Energieprinzips gelöst wurde.
-
-Was *Humboldt* mit seinem Kosmos leisten wollte, war die Befriedigung
-eines Gefühles, das man wohl als Natur-Ästhetik bezeichnet, eines
-Gefühls, in dem auch Goethes Naturanschauung wurzelt und dem er an
-vielen Stellen seiner Faustdichtung einen solch tiefen und ergreifenden
-Ausdruck verliehen hat. Diese Aufgabe hat *Humboldt* mit dem ersten
-Bande seines Werkes eigentlich schon gelöst. Wie sehr er sich aber
-unter dem Einfluß einer solchen Grundstimmung befunden, gesteht er ein,
-wenn er an einer Stelle von *Goethe* sagt: »Wer hat beredter als er
-seine Zeitgenossen angeregt, des Weltalls heilige Rätsel zu lösen und
-das Bündnis zu erneuern, das im Jugendalter der Menschheit Philosophie,
-Naturlehre und Dichtkunst umschlang.«
-
-In dem zweiten Bande stellt sich *Humboldt* eine andere, mit der
-physischen Weltbeschreibung allerdings in engem Zusammenhange stehende
-Aufgabe. Er gibt darin eine Geschichte der physischen Weltanschauung
-und verfolgt durch alle Zeitalter das »Streben der Menschheit, das
-Zusammenwirken der Kräfte im Erd- und Himmelsraume zu begreifen.« Die
-Arbeit, welche *Humboldt* dadurch für die Begründung einer Geschichte
-der Naturwissenschaften geleistet hat, ist eine bedeutende; sie
-besitzt auch, wie es bei einer auf zuverlässigen Quellen gegründeten
-geschichtlichen Darstellung in der Natur der Sache liegt, vor allen
-anderen einen bleibenden Wert. Als die Hauptmomente einer Geschichte
-der physischen Weltanschauung stellt *Humboldt* die Kultur der
-Hellenen, die vermittelnde Tätigkeit der Araber und die Erfindungen und
-Entdeckungen der süd- und westeuropäischen Völker in ein solch klares
-Licht, daß seine Darstellung dieser Verhältnisse wertvoll für alle
-Zeiten genannt werden muß.
-
-In den weiteren Bänden des »Kosmos« ändert sich der Charakter des
-Werkes noch mehr. Es wird daraus erklärlich, daß sich seine Abfassung
-über einen Zeitraum von Jahrzehnten erstreckte, innerhalb dessen
-die Wissenschaft selbst durch die Entdeckung des Prinzips von der
-Erhaltung der Kraft, eine neue Epoche erlebte. *Humboldt* suchte
-sich mit der neuen Richtung, in die er sich indessen nicht mehr
-einzuleben vermochte, auseinanderzusetzen. Indessen überkam seine
-Zeitgenossen und auch ihn selbst immer mehr das Gefühl, daß seine
-Art der Weltbetrachtung einer neuen weichen mußte, die als die wahre
-Fortsetzung des von *Newton*, *Huygens* und den führenden Geistern des
-18. Jahrhunderts geschaffenen Werkes gelten durfte.
-
-Die letzten Bände sind vorwiegend der Astronomie und der Geophysik
-gewidmet; sie besitzen einen gelehrten Grundzug und treten in
-literarischer Beziehung gegen die ersten Bände, die als Muster für eine
-nach Popularität im edelsten Sinne des Wortes strebende Ausdrucksweise
-gelten können, sehr zurück. Während *von Humboldt* noch mit der
-Abfassung eines fünften Bandes seines Kosmos beschäftigt war, ereilte
-den Unermüdlichen, fast Neunzigjährigen, am 21. April 1859 der Tod.
-
-In rein wissenschaftlicher Beziehung liegt *v. Humboldts*
-Hauptverdienst auf dem Gebiete der Pflanzengeographie. Er beschränkte
-sich nicht auf die floristische Erforschung der von ihm bereisten
-Länder. Sein Bestreben ging vielmehr dahin, die Pflanzenwelt in ihrer
-Abhängigkeit vom Klima und vom Boden zu verstehen und die allgemeinen
-Bedingungen für dieses Verhältnis aufzudecken.
-
-Bevor wir *Humboldts* Verdienst um die Pflanzengeographie würdigen,
-müssen wir des Mannes gedenken, dem er hier die meisten Anregungen und
-Vorarbeiten zu verdanken hatte. Es war das *Willdenow*[579], ein Neffe
-des an früherer Stelle erwähnten *Gleditsch*[580] und sein Nachfolger
-in der Leitung des Berliner botanischen Gartens. *Willdenow* war mit
-*Humboldt* eng befreundet und hat ihn der Botanik zugeführt. Er ist als
-der geistige Urheber *von Humboldts* Schrift »Ideen zu einer Geographie
-der Pflanzen« zu betrachten. *Willdenow* hatte die hier *von Humboldt*
-behandelten Fragen bereits in seinem Grundriß der Kräuterkunde
-aufgeworfen und beleuchtet. Er war es, der die Grenze zwischen der
-mitteleuropäischen und der Mittelmeerflora zog und die drei großen
-Gebiete unterschied, die wir als boreale, tropische und australische
-Flora bezeichnen. Ferner hat schon *Willdenow* die Abhängigkeit der
-Pflanzenverbreitung vom Klima, von der Bodenbeschaffenheit und von
-der Wandertätigkeit, das was die Wissenschaft als klimatologisches,
-als geologisches und als migratorisches Moment zu bezeichnen pflegt,
-deutlich hervorgehoben.
-
-Ganz neue Bahnen wurden dadurch erschlossen, daß man die Verbreitung
-des Lebens über die Erde aus gesetzmäßig wirkenden Ursachen, und zwar
-vor allem aus den herrschenden physischen Bedingungen zu erforschen
-strebte. In dieser Hinsicht bahnbrechend gewirkt zu haben, ist wohl
-das bedeutendste unter den rein wissenschaftlichen Verdiensten *von
-Humboldts*. »Die Ideen zu einer Geographie der Pflanzen« sind die erste
-Veröffentlichung nach seiner Rückkehr aus Südamerika. Sie erschienen
-(1805) nebst einem Naturgemälde der Tropenländer. Den meisten Stoff
-für die neue, bislang kaum dem Namen nach vorhandene Wissenschaft
-der Pflanzengeographie sammelte *von Humboldt* auf jener Reise. So
-kam es, daß die »Ideen« zum größten Teile am Fuße des Chimborazo
-niedergeschrieben wurden.
-
-Der Gedanke, die räumliche Verbreitung der Pflanzen festzustellen,
-begegnet uns zwar schon früher. *Von Humboldt* erstrebte aber weit mehr
-als dies. Es galt ihm, die Verteilung und die typische Organisation der
-Pflanzen im Zusammenhange mit allen gegenwärtig auf die Erdoberfläche
-wirkenden Kräften und mit der Geschichte unseres Planeten[581] zu
-ergründen.
-
-Was *Humboldt* vorfand, waren nur wenige bescheidene Ansätze. Und
-was er zu schaffen vermochte, waren im wesentlichen auch nur die
-Grundlinien und die Bezeichnung der Ziele der neuen Wissenschaft, zumal
-die Erdgeschichte einen lebensvollen Inhalt erst nach dem Siege der
-Entwicklungslehre über das Dogma von der Konstanz der Arten gewinnen
-konnte. Das Problem der Entwicklungslehre begegnet uns in *Humboldts*
-Worten, die Pflanzengeographie habe zu untersuchen, ob es unter den
-zahllosen Gewächsen der Erde gewisse Urformen gäbe. Vielleicht könne
-man die Verschiedenheit der Arten als die Wirkung der Ausartung und als
-Abweichungen von solchen Urformen betrachten[582].
-
-Zwar, fügt er hinzu, schienen alle Pflanzen und Tiere, welche
-gegenwärtig die Erde bewohnen, seit Jahrtausenden ihre
-charakteristische Form nicht verloren zu haben. So sei der Ibis, den
-man in den ägyptischen Gräbern finde, identisch mit dem, der
-gegenwärtig am Ufer des Niles fischt[583]. Andererseits weist
-*Humboldt* auf die Veränderungen hin, welche die Erde im Laufe
-ihrer, ungeheure Zeiträume umfassenden Geschichte durchgemacht hat
-und mit denen Änderungen in der Tier- und Pflanzenwelt Hand in
-Hand gehen mußten. Die Geographie der Pflanzen sei deshalb an die
-Geologie anzuknüpfen[584], um Licht über die Urgeschichte der Erde zu
-verbreiten. Um ein Urteil über die ehemalige Verbindung nahegelegener
-Ländermassen zu gewinnen, verwerte die Geologie die Ähnlichkeit in der
-Schichtung und Lagerung der Küstengebirge und die Tiefenverhältnisse
-der trennenden Meeresabschnitte. Für die Entscheidung dieser Frage
-könne aber die Geographie der Pflanzen nicht minder wichtige
-Anhaltspunkte liefern. Sie mache es z. B. wahrscheinlich, daß
-Südamerika sich vor der Entwicklung organischer Wesen von Afrika
-getrennt habe. Durch die Pflanzengeographie geleitet könne man in
-das Dunkel eindringen, das den frühesten Zustand unseres Planeten
-einhülle. So gelte es zu entscheiden, ob die Erdrinde an vielen Orten
-zugleich mit verschiedenen Arten bedeckt worden sei, oder ob alle Keime
-sich zuerst in einer Gegend entwickelten und von dort auf schwer zu
-ergründenden Wegen nach anderen Weltteilen wanderten.
-
-*Humboldt* erwägt dann die Umstände, durch welche das ursprüngliche
-Wohngebiet einer Pflanzenart sich erweitern konnte. Als solche werden
-insbesondere die Strömungen der Atmosphäre und des Wassers und der
-Transport durch Tiere betrachtet. So groß indessen diese Einflüsse auch
-sind, sie verschwinden nach *Humboldt* gegenüber dem Einfluß, den der
-Mensch auf die Verbreitung der Gewächse ausübt. »Pflanzen, welche der
-Gegenstand des Garten- und des Ackerbaues sind, haben das wandernde
-Menschengeschlecht seit den fernsten Jahrhunderten begleitet«[585].
-Daher bleibe ihr erstes und ursprüngliches Vaterland oft ein ebenso
-rätselhaftes Problem wie das Vaterland der verschiedenen Menschenrassen
-selbst. Treffend führt *Humboldt* dann weiter aus, wie der Ackerbau
-die Herrschaft fremder eingewanderter Pflanzen über die einheimischen
-begründet und letztere nach und nach auf einen immer enger werdenden
-Raum zusammengedrängt habe. Für die Tropenwelt dagegen konnte
-*Humboldt* damals noch zutreffend sagen, die menschliche Kraft sei zu
-schwach, um eine Vegetation zu besiegen, die nichts unbedeckt lasse und
-den Boden unseren Augen entziehe.
-
-Zum ersten Male wurde durch *Humboldt* die Aufmerksamkeit der Botaniker
-ferner auf diejenigen Erscheinungen der Vegetation gelenkt, welche die
-Physiognomie der Landschaft bestimmen. Eine physiognomische Einteilung
-der Pflanzen nach der Entwicklungsweise ihrer Vegetationsorgane
-begründet zu haben, gilt als eine der wichtigsten Leistungen *von
-Humboldts*[586].
-
-Die Physiognomie einer Flora verdient indessen nicht nur eine
-ästhetische Würdigung, sondern in ihr spricht sich die innige
-Wechselbeziehung zwischen der gesamten Form und den physischen
-Bedingungen viel schärfer aus als in den Charakteren, welche der
-systematischen Einteilung des Pflanzenreiches zugrunde gelegt werden.
-
-In der zahllosen Menge von Pflanzenarten unterschied *Humboldt* nach
-dem erwähnten Gesichtspunkt etwa zwanzig verschiedene Grundgestalten,
-auf die man wahrscheinlich alle Arten zurückführen könne. Die
-wichtigsten unter diesen Vegetationsformen sind die Bananenform,
-die Palmenform, die Formen der Baumfarne, der Nadelhölzer und der
-Orchideen. Ferner seien genannt die Mimosenform mit ihren fein
-gefiederten Blättern, die Lilienform mit ihren einfachen, zart
-gestreiften Blättern, die Kaktusform mit ihren blattlosen, gestachelten
-Stämmen und die Grasform. Unter den blütenlosen Pflanzen werden
-die Formen der Laubmoose, der Blätterflechten und der Hutschwämme
-unterschieden. Mitunter decken sich diese Formen mit großen Abteilungen
-des natürlichen Pflanzensystems. Häufiger jedoch begegnet uns der
-gleiche, durch das Klima und die Bodenbeschaffenheit bedingte Habitus
-bei Pflanzen, die im Bau ihrer Blüten und Früchte weit voneinander
-abstehen.
-
-Untersuchungen über die Verteilung der Pflanzen auf verschiedene
-Höhengürtel hat zuerst *H. B. de Saussure* in den Alpen angestellt.
-Auch fehlte es nicht an dem gelegentlichen Hinweis, daß die Pflanzen
-eines Gebirges, z. B. der Pyrenäen, mit den Pflanzen höherer Breiten
-manche Ähnlichkeit aufweisen. Als allgemeine Gesetzmäßigkeit wurde
-diese Verknüpfung der Höhen mit entfernten, in höherer Breite liegenden
-Tiefebenen indes zuerst von *Humboldt* ausgesprochen[587]. Das reiche,
-ihm zu Gebote stehende Beobachtungsmaterial setzte ihn auch in den
-Stand, für die Tropen die Folge der beim Emporsteigen uns begegnenden
-Pflanzengürtel zu bestimmen. Als Beispiel diene uns die Übersicht der
-Pflanzenregionen, die *Humboldt* an den Abhängen der Cordillere von
-Quito unterschied[588].
-
-Die unterste Region ist diejenige der Palmen und Pisanggewächse. Sie
-steigt von der Meeresfläche bis zu einer Höhe von 1000 Metern empor.
-Unmittelbar darüber liegt die Region der Baumfarne. Dann folgen die
-Region der Eichen (bis 3000 Meter) und diejenige der Alpenkräuter.
-Letztere werden zwischen 4100 und 4600 Meter von den alpinen Gräsern,
-den letzten Blütenpflanzen abgelöst. Von dort bis zur Schneegrenze
-beleben nur Steinflechten die verwitternde Rinde des nackten
-Gesteins[589].
-
-Auch in den Anden Mexikos und am Pik von Teneriffa hat *Humboldt* die
-Aufeinanderfolge bestimmter Pflanzengürtel nachgewiesen.
-
-Dieser kurze Abriß läßt die großen Verdienste, die sich *Humboldt* um
-die Begründung der Pflanzengeographie erworben, zur Genüge erkennen.
-Das meiste, was ihn hier beschäftigte, blieb zwar zunächst Problem.
-Indessen mit vollem Rechte muß man fragen[590], ob sich nicht
-derjenige, der Fragen aufzuwerfen versteht, welche die Arbeit kommender
-Geschlechter auf bestimmte fruchtbare Bahnen lenken, ein ebenso großes
-Verdienst erwirbt, wie der Forscher, der einzelne wissenschaftliche
-Fragen erledigt.
-
-Ähnliches, wie er es in der Aufstellung der Pflanzenregionen geleistet,
-hielt *Humboldt* auch auf dem Gebiete der Zoologie für erstrebenswert.
-»Es wäre interessant«, sagt er, »in einem Profil die Höhen zu
-bestimmen, zu welchen sich die Tiere in den Gebirgsländern erheben.«
-Was ihm dabei vorschwebte, war die Abhängigkeit des Tierlebens von
-meteorologischen Bedingungen, wie er überhaupt der Zoologie weniger
-durch Einzeluntersuchungen als durch den steten Hinweis auf den innigen
-Zusammenhang des Tierlebens mit seinen physischen Bedingungen genützt
-hat.
-
-Auch auf dem Gebiete der Geologie ist *Humboldts* Verdienst vor allem
-in seiner Betonung der allgemeinen Gesichtspunkte zu suchen. Er
-verstand es nämlich, die Geologie in ähnlicher Weise mit der Erdkunde
-in Verbindung zu setzen, wie es ihm so trefflich für diese Wissenschaft
-und die Botanik gelungen war.
-
-Im Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn stand *Humboldt* ganz
-unter dem Einfluß der neptunistischen, von seinem Lehrer *Werner*
-gegründeten Geologenschule. Zwischen ihren Anhängern und den
-Vulkanisten wurde besonders über die Entstehungsart des Basalts
-heftig gestritten. *Humboldts* erste Arbeit betraf gleichfalls diese
-Frage[591]. Er glaubte sie in Übereinstimmung mit *Werner* dahin
-entscheiden zu müssen, daß nach seinen Beobachtungen an den Basalten in
-der Nähe von Linz und Unkel nichts auf vulkanische Wirkungen schließen
-lasse.
-
-Etwa ein Jahrzehnt später begann *Humboldt* seine amerikanische Reise,
-deren Aufgabe und deren Ergebnisse zum großen Teil auf geologischem
-Gebiete lagen. Während der Erforschung der Cordilleren und der
-Verarbeitung des reichen, dort gefundenen Materials vollzog sich in
-ihm und besonders durch ihn ein völliger Umschwung in den geologischen
-Anschauungen. Die Folge war, daß nicht nur für den Basalt, sondern auch
-für den Granit, sowie die Trachyte und Porphyre, eine Entstehung auf
-feurig flüssigem Wege angenommen wurde. Die feinere mechanische Analyse
-des Basalts ergab für dies Gestein trotz seines scheinbar gleichartigen
-Aussehens, daß es ein Gemenge von Mineralien und dem Granit in seiner
-Zusammensetzung nicht unähnlich ist[592].
-
-Grundlegend für die Lehre vom Vulkanismus war vor allem *Humboldts*
-Beobachtung, daß in den Gebirgen Amerikas Trachyte in der Nachbarschaft
-von Vulkanen auftreten und diese gleichsam anzukündigen scheinen.
-*Humboldt* machte ferner auf den mitunter anzutreffenden allmählichen
-Übergang von Trachyt in Gesteine von glasiger und schlackiger
-Beschaffenheit aufmerksam. Da letztere (Obsidian, Bimsstein) noch heute
-als Erzeugnisse tätiger Vulkane angetroffen werden, so war der Schluß
-auf den eruptiven Ursprung der ohne scharfe Grenze in sie übergehenden
-Massengesteine wohl berechtigt.
-
-Die Erkenntnis, daß die Eruptivgesteine eine viel größere Verbreitung
-besitzen, als man früher geahnt hatte, führte bei *Humboldt* und seinem
-Mitarbeiter *L. v. Buch*, zu einer großen Überschätzung der Wirkungen
-der Eruptivgesteine. So nahm *von Buch* an, daß die Alpenkette und die
-Mehrzahl der übrigen Gebirge durch den Porphyr bei seinem Hervorbrechen
-aus dem Erdinnern emporgehoben sei[593]. Selbst der Dolomit sollte
-unter der Wirkung vulkanischer Kräfte in der Weise entstanden sein, daß
-dampfförmiges Magnesiumoxyd in den Kalkstein eindrang und damit ein
-Calcium-Magnesiumkarbonat bildete.
-
-Aus ähnlichen Voraussetzungen erklärte *Humboldt* die Entstehung der
-amerikanischen Gebirge. Die Ketten der Anden und Venezuelas sollten
-sich über langgestreckten Erdspalten, die Gebirgsgruppen dagegen
-über einem Netz von Spalten erhoben haben. Dabei habe ein von innen
-nach außen wirkender Druck die starren Massen gehoben und feurig
-flüssiges Material emporgepreßt. Die Gebirge erschienen nach dieser
-Auffassung als Zeugen großer Katastrophen, als Zeugnisse gewaltiger
-Erdrevolutionen. Doch suchte *Humboldt* das Katastrophenartige
-dieser etwa die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts beherrschenden
-Erklärungsweise dadurch zu mildern, daß er auf die verhältnismäßig
-geringe Masse des emporgehobenen Materials hinwies. So würden die
-Alpen, über das flache Land verteilt, Europa nur um 20 Fuß erhöhen.
-
-Auch die Vulkane, deren reihenförmige Anordnung *Humboldts* Erforschung
-des südamerikanischen Kontinents unzweifelhaft dargetan, sollten nach
-seiner und *von Buchs* Ansicht durch Erhebung entstehen. Aus der
-Anordnung der Vulkane wurde mit Recht auf das Vorhandensein von Spalten
-in der Erdkruste geschlossen. Über diesen Spalten entstanden nach der
-damals herrschenden Vorstellung die Vulkane aber weniger durch die
-Anhäufung von Schlacken und Lavaschichten. Sondern die vulkanische
-Tätigkeit sollte »formgebend und gestaltend[594] durch Erhebung des
-Bodens« wirken. Durch diese Tätigkeit entstehe eine blasenförmige
-Auftreibung des Bodens und endlich durch Sprengung des höchsten
-Teiles der »Erhebungskrater«. Die großen Vulkane dachten sich somit
-beide Forscher nicht durch Aufschüttung von Schlacken und Anhäufung
-von Laven, sondern gewissermaßen aus einem Stück erzeugt. Erst durch
-den großen Umschwung, den die Geologie durch *Lyell* und seine
-Schüler erfuhr, wurde die Bildung der Vulkane nicht aus plötzlichen
-Katastrophen, sondern durch einen allmählichen Aufbau erklärt.
-
-Mit den Vulkanen brachte *Humboldt* die Erscheinung des Erdbebens
-in engsten Zusammenhang, insofern er beide auf die gleiche Ursache
-zurückführte. Die in der Tiefe eingeschlossenen Dämpfe, denen die
-Entstehung und die Ausbrüche der Vulkane zugeschrieben wurden, sollten,
-wo sie keinen Ausgang finden, die Erschütterungen hervorrufen. Daher
-rührt auch sein auf eine Vorstellung *Strabons* zurückzuführendes Wort,
-daß die Vulkane als Sicherheitsventile zu betrachten seien. *Humboldt*
-führt als Beispiel einen südamerikanischen Vulkan an, dessen Tätigkeit
-plötzlich erlosch, während gleichzeitig in seiner Nachbarschaft eins
-der furchtbarsten Erdbeben stattfand.
-
-Haben sich auch manche Anschauungen über die Ursachen geologischer
-Vorgänge seit den Zeiten *Humboldts* und *Buchs* geändert, so dürfen
-wir doch nicht vergessen, daß diese Männer die wissenschaftliche
-Erforschung der Vulkane und der Erdbeben erst in Angriff genommen
-haben. Vor *Humboldts* südamerikanischer Reise waren der Vesuv
-und der Ätna die einzigen genauer untersuchten Vulkane[595]. Und
-hinsichtlich der Erdbeben hatte man weniger an die Erforschung der
-geologischen und der physischen Umstände als an die Aufzeichnung
-ihrer zerstörenden Wirkungen gedacht. *Humboldt* mit seinem auf
-Verallgemeinerung gerichteten Gedankenflug war es vor allem, der die
-verschiedenartigsten tellurischen Erscheinungen unter der Bezeichnung
-des Vulkanismus als die Ausflüsse ein und derselben Ursache auffassen
-lehrte. Sie alle bestanden in der Reaktion des heißen Erdinnern
-gegen die Rinde, mochten sie sich nun als bloße Erschütterungen, als
-Thermalquellen, Gasexhalationen, Schlamm- oder Vulkanausbrüche geltend
-machen. *Humboldt* lehrte all diese Erscheinungen als Abstufungen der
-vulkanischen Lebenstätigkeit unseres Planeten auffassen und verstand es
-von diesem hohen Gesichtspunkt aus, der Wissenschaft eine solche Fülle
-von Einzelbeobachtungen zuzuführen, wie es kaum ein anderer vor und
-nach ihm vermocht hat.
-
-
-
-
-22. Die Mineralogie unter dem Einfluß der chemisch-physikalischen
-Forschung.
-
-
-Wir befaßten uns mit der Mineralogie zuletzt im Schlußabschnitt des
-vorigen Bandes. Für *Linné* und *Werner* war die Mineralogie in der
-Hauptsache Mineralbeschreibung. Gegen das Ende des 18. Jahrhunderts
-wandten *Scheele* und *Bergman* ihre Aufmerksamkeit vorzugsweise der
-chemischen Zusammensetzung der anorganischen Naturkörper zu. Die
-großen Fortschritte der Physik und der Chemie, die wir in den ersten
-Abschnitten dieses Bandes kennen lernten, beeinflußten die weitere
-Entwicklung der Mineralogie in hohem Grade. Zwar beanspruchte nach wie
-vor die Form der Mineralien ein großes Interesse. An die Stelle der
-bloßen Beschreibung trat jetzt aber das Bestreben, die verwirrende
-Vielheit der Gestalten auf wenige Grundgesetze zurückzuführen.
-Gefördert wurde dieses Streben dadurch, daß in dem von *Wollaston*
-erfundenen Reflexionsgoniometer (1809) ein Werkzeug[596] zur genauen
-Untersuchung auch der kleineren Kristalle entstand.
-
-Von Bedeutung waren auch die Lehren *Hauys*. Nach *Hauy*[597]
-hängen das Gefüge und die Form eines Kristalles nur von der Gestalt
-der ihn zusammensetzenden Teilchen, sowie von deren Anordnung ab.
-Unter den Formen, in denen ein kristallisierter Stoff auftritt,
-gibt es nach ihm eine, die als die primitive betrachtet werden muß.
-Aus dieser lassen sich sämtliche Gestalten als sekundäre Formen
-ableiten. Als primitiv betrachtete *Hauy* die aus der Zertrümmerung
-des Kristalls hervorgehende Spaltform, auf deren Unveränderlichkeit
-er hinwies. Abb. 59 u. 60 zeigen, wie das Rhombendodekaeder und das
-Pentagondodekaeder durch verschiedenartigen Aufbau aus dem Würfel
-hervorgehen können[598]. Solche Betrachtungen führten *Hauy* zu der
-Entdeckung des die Kristallwelt beherrschenden Grundgesetzes von der
-Rationalität der Achsenabschnitte. Nach diesem Gesetz sind die Zahlen,
-nach denen die sekundären Formen aus der Grundform abgeleitet werden,
-stets rational und sehr einfach, z. B. 2, 3, 3/2 u. s. f. So läuft
-bei der am häufigsten vorkommenden Art des Pyramidenwürfels jede der
-24 Kristallflächen einer Achse parallel und schneidet die beiden
-anderen Achsen im Verhältnis 1 : 2. Die Bezeichnung für diese Form ist
-dementsprechend a : 2a: ∞a. Ferner kommen vor die Pyramidenwürfel a :
-3a : ∞a und a : 3/2a : ∞a (allgemein a : na : ∞a oder nach *Naumann*scher
-Bezeichnungsweise ∞ O n).
-
-[Illustration: Abb. 59. *Hauys* Ableitung des Rhombendodekaeders
-(*Hauy*, Traité de minéralogie. V. Pl. VIII).]
-
-[Illustration: Abb. 60. *Hauys* Ableitung des Pentagondodekaeders
-(*Hauy*, Traité de minéralogie. V. Pl. VIII.)]
-
-Während der ersten Dezennien des neunzehnten Jahrhunderts vollzog sich
-die festere Begründung der Kristallographie. *Weiß* entdeckte das
-Gesetz der Hemiedrie, nachdem schon vor ihm die Bemerkung gemacht
-worden war[599], das Pentagondodekaeder ((∞ O n)/2, n = 2, 3/2, 3 u.
-s. f.) mit seinen 12 Flächen gehe aus dem vierundzwanzigflächigen
-Pyramidenwürfel (∞ O n) hervor, wenn »die Gesetze nur zur Hälfte
-wirken«.
-
-*Weiß* und *Naumann* schufen fast zur selben Zeit, als *Berzelius*
-die chemische Zeichensprache ins Leben rief, jene einfachen, auf
-der Annahme von Achsen begründeten Bezeichnungen, die einen klaren
-Überblick über die Ergebnisse der kristallographischen Forschung
-ermöglichten und noch heute im Gebrauch sind.
-
-Seitdem in der mineralogischen Systematik die besonders durch
-*Berzelius*, *Bergman* und *Klaproth* geförderte chemische Richtung
-gesiegt hatte, lehrte die mit vielem Eifer betriebene Analyse
-zahlreiche neue Mineralien kennen, so daß ihre Zahl sich in dem
-Zeitraum von dem Tode *Werners* bis zum Erscheinen der Geschichte der
-Mineralogie *v. Kobells* (1817-1864) fast verdreifachte.
-
-Durch das Zusammenwirken von Analyse und Kristallbeschreibung
-gelangte man auch zur Entdeckung neuer wichtiger Beziehungen. Zwei
-bekannte Mineralien, Kalkspat und Aragonit, die man bis dahin oft
-verwechselt hatte, treten, wie *Hauy* nachwies, in Formen auf, die
-nicht aufeinander zurückgeführt werden können. Nun zeigte der um die
-Mineralanalyse sehr verdiente *Klaproth*[600], der Entdecker der
-Zirkon-, Uran- und Titanerde, daß beide Mineralien ihrer chemischen
-Natur nach dasselbe, nämlich Kalziumkarbonat, sind. Daß ein und
-dieselbe Substanz zwei verschiedene Mineralien bilden könne, wurde
-damals von vielen geradezu für unmöglich gehalten. Auch *Hauy*
-vermochte eine solche Annahme mit den von ihm entwickelten Ansichten
-nicht zu vereinigen. Man dachte daher zunächst, die Verschiedenheit
-in der Form und in den physikalischen Eigenschaften von Kalkspat und
-Aragonit werde durch Beimengungen hervorgebracht, und frohlockte, als
-man in dem Strontium einen regelmäßigen Bestandteil des Aragonits
-nachgewiesen zu haben glaubte. Bald darauf fand man jedoch Aragonit
-ohne einen Gehalt an Strontium und konnte sich nun nicht länger
-sträuben, die neuentdeckte Tatsache, welche man als Dimorphie
-bezeichnete, anzuerkennen.
-
-Auch das entgegengesetzte Verhalten, daß zwei Mineralien von
-verschiedener Zusammensetzung, wie Kalkspat und Eisenspat, in derselben
-Form kristallisieren, wurde beobachtet. *Hauy* glaubte indessen
-mathematisch beweisen zu können, daß verschiedene Stoffe, abgesehen
-von denjenigen, die regulär kristallisieren, nicht dieselbe Form
-besitzen können. Nach ihm sollte sich der Kalkspat unter Beibehaltung
-der Gestalt in Eisenspat umwandeln, also eine ähnliche Entstehung
-nehmen wie das versteinerte Holz. Daß es sich indessen hier nicht um
-Zufälligkeiten handelt, sondern daß die Kristallform enge Beziehungen
-zur chemischen Konstitution aufweist, diese Entdeckung und ihre
-allseitige Begründung verdanken wir dem genialen *Mitscherlich*, der
-auf fast allen Gebieten der Chemie und Mineralogie der Forschung neue
-Bahnen gewiesen hat.
-
-*Eilhard Mitscherlich* wurde 1794 in der Nähe von Jever geboren.
-Er wandte sich, angeregt durch den Historiker *Schlosser*, der auf
-dem Gymnasium zu Jever sein Lehrer war, zunächst der Philologie
-und der Geschichte zu. Mehr nebenbei betrieb er das Studium der
-Naturwissenschaften. *Mitscherlich* hatte das Glück, auf diesem
-Gebiete, wenige Jahre nachdem er es betreten, eine der wichtigsten
-Entdeckungen zu machen, die seinem ganzen ferneren Leben Richtung und
-Inhalt verliehen hat. Es war die schon erwähnte, später noch genauer
-zu besprechende Isomorphie ähnlich zusammengesetzter Mineralien und
-Präparate. *Mitscherlich* machte diese Entdeckung im Jahre 1818 in
-Berlin, wo bald darauf der große nordische Chemiker *Berzelius*
-vorübergehend weilte. Letzterer erkannte sofort die Bedeutung des
-jugendlichen Fachgenossen und bewog ihn, in Stockholm in seinem
-Laboratorium die in Berlin begonnenen Untersuchungen fortzusetzen.
-Im Jahre 1821 kehrte *Mitscherlich* nach Berlin zurück, wo man
-den 27jährigen Forscher dadurch zu fesseln wußte, daß man ihm die
-Mitgliedschaft der Akademie und die durch *Klaproths* Ableben erledigte
-Professur der Chemie übertrug. *Mitscherlich* starb in Berlin im Jahre
-1863.
-
-An früheren Beobachtungen, die zu *Mitscherlichs* Lehre von der
-Isomorphie hinüberleiten, ist kein Mangel. *Gay-Lussac* hatte gefunden,
-daß Kupfervitriol in der Form des Eisenvitriols kristallisiert, wenn
-letzterer in geringer Menge der Kupferlösung zugesetzt wird. Ferner
-war bekannt, daß im Alaun das Kalium durch Ammonium und durch Natrium
-vertreten werden kann. Anknüpfend an diese Erscheinung wies man darauf
-hin, daß auch im Mineralreich ein ähnliches Verhältnis vorkommt, das
-man mit dem Worte Vikariieren, d. h. sich gegenseitig vertreten,
-bezeichnete[601].
-
-Später (1819) zeigte *Mitscherlich*, daß die vikariierenden
-Bestandteile der Mineralien von analoger atomistischer Zusammensetzung
-sind und daß diese Analogie Gleichheit oder annähernde Gleichheit
-der Kristallform bedingt. *Mitscherlich* wies diese von ihm als
-Isomorphie bezeichnete Erscheinung besonders an künstlich dargestellten
-Verbindungen, z. B. an den Salzen, welche Phosphorsäure und Arsensäure
-mit demselben Metalle[602] bilden, nach. Auch Eisensulfat und
-Kobaltsulfat, sowie die mit 7 Molekülen Wasser kristallisierenden
-Sulfate von Magnesium, Nickel und Zink stimmen nach der Untersuchung
-*Mitscherlichs*[603] in ihrer Form vollkommen überein. An den Eisenspat
-schlossen sich Zink- und Manganspat als gleichfalls dem Kalkspat
-isomorphe Mineralien an. Aus den angeführten Beispielen geht schon
-zur Genüge hervor, daß es Verbindungen von ähnlicher chemischer
-Zusammensetzung sind, an denen sich Isomorphie beobachten läßt.
-
-Auf die Untersuchung der phosphorsauren und der arsensauren Salze
-wurde *Mitscherlich* dadurch geführt, daß *Berzelius* bei der
-Untersuchung der Säuren (Säureanhydride) des Phosphors und des
-Arsens eine Abweichung von der allgemeinen Regel gefunden hatte. Die
-Sauerstoffmengen, mit denen sich beide Elemente zu Säuren verbinden,
-verhalten sich nämlich, wie *Berzelius* fand, wie 3 zu 5 (P_{2}O_{3},
-P_{2}O_{5}; As_{2}O_{3}, As_{2}O_{5}).
-
-Als *Mitscherlich* im Jahre 1818 im Laboratorium zu Berlin mit der
-Nachprüfung dieser Proportionen beschäftigt war und zu diesem Zwecke
-auch die Salze der betreffenden Säuren untersuchte, war er überrascht,
-zu sehen, daß diese Salze sich in der Form zu gleichen schienen.
-*Mitscherlich* war damals mit den Methoden der Kristallographie
-noch nicht bekannt. Er bat deshalb *G. Rose*, den später so berühmt
-gewordenen Mineralogen, ihm bei der weiteren Untersuchung behilflich
-zu sein. In gemeinsamer Arbeit stellten beide darauf fest, daß
-phosphorsaure und arsensaure Salze von analoger Zusammensetzung in der
-Kristallform übereinstimmen.
-
-*Mitscherlich* kam durch seine Untersuchung zu dem allgemeinen
-Ergebnis[604], daß eine gleiche Anzahl von Atomen, wenn sie auf gleiche
-Weise verbunden sind, gleiche Kristallform hervorbringen, daß also
-die Kristallform nicht auf der Natur der Atome, sondern auf ihrer
-Anzahl und Verbindungsweise beruhe. Später erkannte er jedoch, daß
-neben der Zahl der elementaren Teilchen deren chemische Natur doch
-*mitbestimmend* ist.
-
-»Ich hoffe,« schloß *Mitscherlich* seine berühmte Abhandlung, in
-welcher er die Lehre von der Isomorphie begründete, »daß das Studium
-der Kristallisation ebenso bestimmt wie die chemische Analyse das
-Verhältnis der Bestandteile der Körper angeben wird.« Die Isomorphie
-wurde seitdem von *Mitscherlich* und von *Berzelius* auch umgekehrt
-dazu benutzt, um eine Übereinstimmung in dem atomistischen Aufbau der
-untersuchten Verbindungen nachzuweisen. Demgemäß erblickte *Berzelius*,
-welcher die Isomorphie als die wichtigste seit der Aufstellung der
-Lehre von den Proportionen gemachte Entdeckung bezeichnete, in den
-Mengen der sich entsprechenden Elemente (z. B. Kobalt und Eisen in
-ihren Sulfaten), die mit einer bestimmten Menge Sauerstoff verbunden
-sind, die relativen Atomgewichte. *Berzelius* wandte das neue
-Hilfsmittel auch als Prüfstein für die Zuverlässigkeit seiner eigenen
-Atomgewichtsbestimmungen in ausgedehnter Weise an. Das Ergebnis war
-sein berichtigtes Atomgewichtssystem vom Jahre 1821.
-
-*Mitscherlich* ist der Nachweis zu verdanken, daß die Dimorphie
-gleichfalls künstlich hervorgerufen werden kann und daß sie von den
-physikalischen Umständen abhängt, unter denen die Kristallisation
-vor sich geht[605]. So erhielt er Schwefel in verschiedenen Formen,
-je nachdem dies Element aus einer Lösung oder aus dem Schmelzfluß
-erstarrte. Ähnlich wurde später die Dimorphie von Calziumkarbonat
-erklärt[606]. Fällt man diese Substanz bei gewöhnlicher Temperatur,
-so weist sie die Gestalt des Kalkspats auf, während sich
-Aragonitkriställchen bilden, wenn der Niederschlag aus einer heißen
-Lösung entsteht.
-
-Eine neue Erweiterung erfuhr die Kristallographie durch *Mitscherlichs*
-Entdeckung, daß die Kristallform sich stetig, wenn auch wenig mit der
-Temperatur ändert und daß diese Änderung wieder in naher Beziehung
-zur Form der Kristalle, insbesondere zur Lage der Achsen steht. Die
-Untersuchung ergab im einzelnen folgendes: Die Kristalle des regulären
-Systems werden durch die Wärme nach allen Richtungen gleichstark
-ausgedehnt. Ihre Winkel wurden daher nicht geändert. Die Kristalle
-des hexagonalen Systems zeigen dagegen, wie *Mitscherlich* aus der
-Größe der beim Erwärmen eintretenden Winkeländerung bestimmte, in der
-Richtung der Hauptachse ein anderes Verhalten wie in der Richtung der
-Nebenachsen. Die Kristalle des rhombischen Systems endlich werden
-entsprechend der Verschiedenheit ihrer drei Achsen auch nach allen drei
-Richtungen von der Wärme in verschiedenem Maße beeinflußt. Durch diese
-thermische Untersuchung der Kristalle, welche durch die Prüfung ihres
-optischen Verhaltens seitens anderer Forscher eine Ergänzung erfuhr,
-wurde eine der Grundlagen für die physikalische Kristallographie
-geschaffen.
-
-Auch die so junge, aber erfolgreiche Wissenschaft der Mineralsynthese,
-die sich mit der künstlichen Erzeugung von Mineralien beschäftigt,
-um die Bedingungen kennen zu lernen, unter denen ihre natürliche
-Entstehung vor sich geht, wurde durch *Mitscherlich* mitbegründet[607].
-Als ein wichtiges Mittel für die Mineralsynthese erkannte er den
-Schmelzfluß. Er wies nach, daß die in den Schlacken vorkommenden
-Kristallbildungen häufig mit bekannten Mineralien, wie Glimmer und
-Augit, identisch sind.
-
-Hand in Hand mit all diesen Untersuchungen ging eine stete Verbesserung
-der Methoden und der Apparate. Unter letzteren ist insbesondere
-*Mitscherlichs* Fernrohrgoniometer zu nennen, das an Genauigkeit der
-Winkelmessungen das *Wollaston*sche Goniometer erheblich übertraf.
-
-*Mitscherlichs* Arbeiten auf dem Gebiete der reinen Chemie betrafen vor
-allem die organischen Verbindungen; sie werden an anderer Stelle zu
-behandeln sein. Hier sei jedoch noch seine Untersuchung des Mangans
-erwähnt, welche die Mangansäure und die Übermangansäure kennen lehrte.
-
-Die Verdienste *Klaproths* liegen in erster Linie auf dem Gebiete
-der Mineralchemie. Wir wollen ihrer hier noch im einzelnen gedenken,
-wie wir es soeben hinsichtlich *Mitscherlichs* Arbeiten getan haben.
-Das Wirken dieser beiden Männer zeigt am besten, welch hohe Stufe
-die chemische und die mineralogische Forschung am Ende des 18. und
-während der ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts auch in Deutschland
-erreicht hatten. Martin Heinrich *Klaproth* wurde 1743 in Wernigerode
-geboren. Er ist wie viele große Chemiker der früheren Zeit aus der
-pharmazeutischen Laufbahn hervorgegangen. *Klaproth* wirkte in Berlin
-als Apotheker und hielt dort Vorlesungen über Chemie. Nach der Gründung
-der Berliner Universität im Jahre 1810 wurde ihm die erste Professur
-für Chemie an dieser Hochschule übertragen. Gleichzeitig war er
-Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Er starb in Berlin im Jahre
-1817.
-
-*Klaproth* hat für die Mineralchemie fast dieselbe Bedeutung, wie
-sie *Lavoisier* für die allgemeine Chemie besitzt. Er eröffnete auf
-jenem Gebiete, dem er sich seit dem Jahre 1785 mit unermüdlichem Eifer
-widmete, das Zeitalter der quantitativen Untersuchungsweise. Nachdem
-die antiphlogistische Theorie in Deutschland bekannt geworden, war
-*Klaproth* einer der ersten, der sie einer gründlichen Nachprüfung
-unterwarf und seitdem -- es war im Jahre 1792 -- für die Beseitigung
-der in Deutschland herrschenden *Stahl*schen Lehre eintrat. Zu den
-ersten, die *Klaproth* von der Richtigkeit der *Lavoisier*schen Lehre
-zu überzeugen vermochte, gehörte *Alexander von Humboldt*.
-
-An Genauigkeit der Arbeitsweise und Gewissenhaftigkeit kommt unter den
-Forschern, die im Beginn des 19. Jahrhunderts die Führung übernahmen,
-dem Deutschen *Klaproth* nur der Schwede *Berzelius* gleich. Wie
-letzterer durch tausende von sorgfältigen Analysen sichere Grundlagen
-für das Gebiet der allgemeinen Chemie zu schaffen wußte, so war
-*Klaproth* mit gleichem Erfolge auf der enger begrenzten Domäne
-der Mineralchemie tätig. Bei diesen Untersuchungen konnte es nicht
-ausbleiben, daß er das Lehrgebäude der allgemeinen Chemie um manche
-wichtige Tatsache bereicherte. Hatte er doch das Glück, bei seinen
-Untersuchungen seltener Mineralien vier neue Elemente zu entdecken.
-»Wenn man bedenkt, wie selten einem Chemiker das Glück zuteil wird,
-ein einziges Element aufzufinden, so wird es begreiflich erscheinen,
-wie sehr *Klaproths* Entdeckung von vier Elementen seinen Zeitgenossen
-imponieren mußte«[608]. Es war im Jahre 1789, als *Klaproth* in der
-neuerdings durch die Radiumforschung so bekannt gewordenen Pechblende
-ein neues Metall entdeckte. Er nannte es zur Erinnerung an die in
-jenen Zeitraum fallende Auffindung des Planeten Uranus Uranium. In
-Wahrheit handelte es sich allerdings bei *Klaproths* Arbeit um eine
-Sauerstoffverbindung dieses Metalles, dessen Reindarstellung erst im
-Jahre 1842 gelang[609]. Im Jahre 1789 entdeckte *Klaproth* in dem
-Mineral Zirkon die Zirkonerde. Die Abscheidung des Metalles Zirkonium
-gelang *Berzelius* vermittelst einer Methode, welche auf der ganz
-außerordentlichen Fähigkeit des Kaliums, die Verbindungen anderer
-Metalle zu zersetzen, beruht. Etwas später (1795) entdeckte *Klaproth*
-einen neuen Metallkalk in dem Mineral Rutil. Er nannte das dem Kalk
-zugrunde liegende Metall Titanium. Aus der Titanverbindung das Metall
-abzuscheiden, gelang gleichfalls erst *Berzelius* mit Hilfe der
-erwähnten Methode. In dem in Schweden vorkommenden Silikat Cerit fanden
-beide Forscher gleichzeitig (1795) die Cererde, die jedoch wieder erst
-*Berzelius* als das Oxyd eines Metalls erkannte.
-
-Erwähnenswert sind ferner *Klaproths* Versuche, bei denen er eine
-Anzahl von Mineralien der höchsten ihm zu Gebote stehenden Glut des
-Porzellanofens aussetzte. Dabei zeigte es sich, daß man gewisse
-Stoffe, wie Kalk und Bittererde, bislang nur deshalb für schmelzbar
-gehalten hatte, weil sie sich mit der Masse des Schmelztiegels zu
-einer in der Weißglut schmelzenden Substanz verbinden. Für mehr als
-200 Mineralien hat *Klaproth* die sorgfältigsten Analysen angestellt.
-Die betreffenden, in der Literatur zerstreuten Arbeiten wurden zu
-einem umfangreichen Werk vereinigt, das er (1795-1810) unter dem
-Titel: »Beiträge zur chemischen Kenntnis der Mineralkörper« herausgab.
-Damit hat *Klaproth* den Grund zu der Gruppierung der Mineralien nach
-chemischen Gesichtspunkten gelegt.
-
-Auch einen wichtigen methodischen Fortschritt verdankt man *Klaproth*.
-Vor ihm war es die Gepflogenheit der Analytiker, als Ergebnis ihrer
-Untersuchungen korrigierte Werte und nicht die unmittelbar durch den
-Versuch gewonnenen Daten mitzuteilen. *Klaproth* dagegen teilte seine
-Analysen ohne jede Voreingenommenheit und ohne den Versuch einer
-Abrundung mit. Auf diese Weise ließ sich das Gewicht der Bestandteile
-mit dem Gesamtgewicht der untersuchten Substanz vergleichen. Verluste
-oder Überschüsse waren jedem Fachgenossen ersichtlich und dadurch war
-einer Kritik der angewandten Methode die beste Handhabe gegeben. Aus
-dieser Kritik -- und das war die günstige Rückwirkung, welche die
-Verbesserung der Methode hier wie in allen ähnlichen Fällen auf die
-Wissenschaft ausgeübt hat -- entsprangen neue Untersuchungen, die zur
-Verbesserung des analytischen Verfahrens, zur Berichtigung von Fehlern,
-zu immer neuen Entdeckungen, kurz zur Vertiefung und Vermehrung des
-Wissensschatzes führten.
-
-Wie der chemische Aufbau, so wurde auch das physikalische und zwar
-insbesondere das optische Verhalten mit der Form der Mineralien in
-Beziehung gebracht. Als *Huygens* seine Abhandlung über das Licht
-schrieb, war die Doppelbrechung nur am isländischen Kalkspat und am
-Quarz bekannt. Später entdeckte man sie auch an anderen Substanzen,
-indem man von kleinen Körpern, z. B. von der Spitze einer Nadel, ein
-doppeltes Bild erhielt. War der Richtungsunterschied der Strahlen
-nur klein, so entging er entweder gänzlich der Beobachtung, oder
-das Ergebnis war ein zweifelhaftes. Dies wurde anders, als *Arago*
-die chromatische Polarisation auffand[610]. Jetzt genügte es, ein
-dünnes Blättchen im polarisierten Licht zu untersuchen, um über die
-Beschaffenheit des betreffenden Minerales Aufschluß zu erlangen.
-
-Die Beziehung zwischen der Kristallform und dem optischen Verhalten
-konnte seitdem nicht länger verborgen bleiben. Man erkannte, daß
-alle regulären Substanzen das Licht einfach brechen, aber durch
-Zusammenpressen doppeltbrechend gemacht werden können. Eine derartige
-gewaltsame Änderung konnte nur bewirkt haben, daß die Moleküle in der
-einen Richtung einander genähert, in einer dazu senkrechten voneinander
-entfernt wurden, daraus schloß man, daß die Anordnung der Moleküle die
-Ursache des optischen Verhaltens der doppeltbrechenden Kristalle sei.
-
-
-
-
-23. Die Aufstellung eines natürlichen Pflanzensystems.
-
-
-Wie für die chemisch-physikalische Forschung, so begann auch für die
-beschreibenden Naturwissenschaften gegen das Ende des 18. Jahrhunderts
-eine neue Zeit. Während der auf *Linné* folgenden Jahrzehnte waren alle
-Bemühungen so sehr auf die Ausfeilung des von diesem Manne geschaffenen
-Systems gerichtet, daß das eigentliche Ziel der Naturforschung, welches
-doch in der Erkenntnis des Zusammenhanges der Erscheinungen besteht,
-darüber fast aus dem Auge verloren wurde. Endlich besann man sich,
-daß man in dem künstlichen System nichts mehr als ein bloßes Register
-besitze und von der Erreichung jenes Zieles noch unendlich weit
-entfernt sei. Diese Einsicht begegnet uns zunächst nur in einzelnen
-hervorragenden Köpfen. Wie die Neugestaltung der Chemie, so nahm die
-Umbildung der beschreibenden Naturwissenschaften ihren Ursprung in
-Frankreich, dem Lande, das gleichzeitig mit der größten Entfaltung
-seiner Volkskraft den belebendsten Einfluß auf die Wissenschaften
-ausgeübt hat.
-
-Die Forderung, daß das System die Verwandtschaft zum Ausdruck bringen
-solle, hatte schon *Linné* erhoben. Er bildete bereits eine Anzahl von
-Gruppen, die natürlichen Verwandtschaftskreisen entsprachen. Diese
-Gruppen umfaßten jedoch nicht das gesamte Pflanzenreich. Sie wurden
-von *Linné* ferner nur benannt und aufgezählt. Kurz, das Ganze war
-ein bloßer Versuch, der zu einer Fortsetzung in der eingeschlagenen
-Richtung ermuntern sollte.
-
-*Linnés* System hatte in Frankreich weniger Eingang gefunden als in
-anderen Ländern. In Frankreich waren es besonders *Adanson*, sowie
-der ältere und der jüngere *de Jussieu*, welche die Grundlagen des
-natürlichen Pflanzensystems schufen.
-
-*Adanson*[611] versuchte, durch eine außerordentlich umfassende
-Induktion zu einem Einblick in die natürliche Verwandtschaft zu
-gelangen. Er ordnete die Pflanzen zunächst nach der Beschaffenheit
-eines Organs und erhielt dadurch ein künstliches System. Dann
-gruppierte er die Pflanzen ein zweites Mal, indem er ein anderes Organ
-zugrunde legte. Indem er dies oft wiederholte, gelangte er jedesmal
-zu einem neuen künstlichen System[612]. Sein leitender Gedanke
-war nun der, daß die natürliche Verwandtschaft aus dem Vergleich
-dieser künstlichen Systeme hervorleuchten müsse. In je mehr Systemen
-nämlich die Arten nahe beieinander ständen, um so größer sei ihre
-Verwandtschaft. Bei *Adanson* begegnet uns auch schon die Ansicht, daß
-die Arten durchaus nicht unveränderliche Formen seien.
-
-Im engen Anschluß an den von *Linné* herrührenden Versuch stellte
-*Bernard de Jussieu* (1699-1777, Professor am Jardin royal in Trianon)
-seine Gruppen auf. *Jussieu* dehnte die Einteilung nach natürlichen
-Verwandtschaftsverhältnissen, die er auch in den Anpflanzungen des
-Jardin royal zum Ausdruck brachte, mit den Kryptogamen beginnend
-und daran die Monokotylen, die Dikotylen und endlich die Koniferen
-anschließend, über das gesamte Pflanzenreich aus. Sein System umfaßte
-14 Klassen. Die erste enthielt sämtliche Kryptogamen, die er als
-Akotyledonen bezeichnete. Die Monokotyledonen wurden, je nachdem
-die Staubfäden auf dem Blütenboden stehen, mit der Blütenhülle oder
-mit dem Fruchtknoten (Orchideen) verwachsen sind, in drei Klassen
-eingeteilt. Die Dikotyledonen zerfielen in die großen, nach der
-Beschaffenheit der Krone gebildeten Unterabteilungen der Apetalen
-(Blumenblattlose), der Monopetalen (Blumenkrone aus einem Stück
-bestehend) und der Polypetalen (mit mehreren Kronenblättern). Sie
-wurden nach den Stellungsverhältnissen von Blumenkrone, Staubgefäßen
-und Fruchtknoten wieder in Klassen eingeteilt. Das System *Bernard
-de Jussieus* beruhte auf der Verknüpfung der natürlichen mit einer
-künstlichen Anordnung. Es wurde durch seinen Neffen *Antoine Laurent
-de Jussieu* weiter ausgebaut. *Antoine Laurent de Jussieu* (1748-1836)
-war Professor am Jardin des Plantes zu Paris. Sein Verdienst besteht
-darin, daß er die Anzahl der natürlichen Gruppen (Familien) nicht nur
-vergrößerte, sondern die jeder Gruppe gemeinschaftlichen Merkmale, die
-Familiencharaktere, klar erkannte und scharf hervorhob.
-
-Ihre wertvollste Stütze erhielten die Bemühungen *A. L. de Jussieus*
-durch den deutschen Botaniker *Gärtner*, der gleich *Kölreuter* und
-*Sprengel* im eigenen Vaterlande kaum verstanden und gewürdigt wurde.
-
-*Joseph Gärtner*[613] hat in dem Bestreben, das natürliche System
-begründen zu helfen, die erste wissenschaftliche Morphologie der
-Früchte und der Samen geliefert. Die Zahl der von ihm hinsichtlich
-dieser Teile genau untersuchten Pflanzengattungen beläuft sich auf
-über tausend. Zu den wichtigsten Ergebnissen seiner Arbeit gehört
-die Erkenntnis, daß die Sporen der Kryptogamen und die Samen der
-Blütenpflanzen grundverschiedene Gebilde sind. Er zeigte, daß die
-eigentlichen Samen stets einen Embryo (Keimling) enthalten. Die
-Lage dieses Keimlings, die Richtung seiner Wurzel und die Zahl und
-Gestalt der Keimblätter machte er zum Gegenstande der eingehendsten
-Untersuchung, um auf die gefundenen Besonderheiten dann wieder
-Familiencharaktere zu gründen. Dabei verfiel er nie in einseitige
-Bevorzugung der von ihm auf diese Weise gefundenen Merkmale, sondern er
-betrachtete sie als zwar wichtige, indessen keineswegs als die einzigen
-für die natürliche Einteilung der Pflanzenwelt zu verwertenden Mittel.
-Erwähnt sei noch, daß bei dieser, im übrigen ganz im Sinne der modernen
-Naturwissenschaft geführten Untersuchung, stets nur die fertigen
-Gebilde betrachtet wurden und *Gärtner* kaum daran dachte, auch die
-Entwicklung der von ihm untersuchten Organe zu verfolgen[614]. Dieser
-Weg, auf dem sich die tiefste Einsicht in die verwandtschaftlichen
-Beziehungen der Organismen eröffnen sollte, blieb einem späteren
-Zeitalter vorbehalten.
-
-*Gärtners* großes Werk mit seinen zahlreichen, sorgfältig ausgeführten
-Kupfertafeln, dem er die Arbeit seines Lebens gewidmet, fand in
-Frankreich die höchste Anerkennung. Geradezu mit Begeisterung wurde es
-von *A. L. de Jussieu* aufgenommen, der bei seinen Untersuchungen über
-die Gattungs- und Familiencharaktere sehr oft auf *Gärtners* Werk »Über
-die Früchte und Samen der Pflanzen« zurückgriff.
-
-*A. L. de Jussieus* System beginnt mit den Akotyledonen (Kryptogamen),
-welche die Gruppen der Pilze, Algen, Moose und Farne umfassen.
-Die Monokotyledonen werden nach der Stellung der Staubgefäße zu
-dem Fruchtknoten in drei Reihen zerlegt. Sie umfassen insgesamt 16
-Familien, von denen wir als die bekanntesten die Gräser, Palmen,
-Lilien, Narzissen und Orchideen anführen. Die Dikotyledonen teilt
-*Jussieu* zunächst nach der Beschaffenheit der Blumenkrone in die
-Hauptgruppen der Apetalen, Monopetalen und Polypetalen, je nachdem die
-Kronenblätter fehlen, verwachsen oder frei sind. Nach der Stellung
-des Fruchtknotens zur Krone oder den Staubgefäßen zerfallen diese
-Hauptgruppen dann wieder in Unterabteilungen.
-
-So gehören die Lippenblüter (Labiatae) mit 14 anderen Familien
-zu einer solchen Unterabteilung. Einige von diesen Familien sind
-die Nachtschattengewächse, die Rauhblättrigen (Borragineen), die
-Windengewächse, die Enziangewächse (Gentianeen) usw. Das Gemeinsame
-dieser 15 Familien besteht darin, daß die Krone der Blütenachse
-unterhalb des Fruchtknotens eingefügt ist. Gleichzeitig ist die Krone
-bei diesen 15 Familien verwachsenblättrig; letztere werden daher mit
-anderen Gruppen von Familien zur Abteilung der Verwachsenblättrigen
-(Monopetalen) zusammengefaßt. Den Monopetalen gleichwertig sind die
-Polypetalen (Vielkronenblättrige) und die Apetalen (Kronenblattlose).
-Das System nennt unter den Polypetalen die Doldengewächse
-(Umbelliferae), die Hahnenfußgewächse (Ranunculaceae), die
-Kreuzblüter (Cruciferae), die Rosengewächse (Rosaceae), die
-Schmetterlingsblüter (Papilionaceae) und andere hervorragend wichtige
-natürliche Gruppen. Im ganzen umfaßt es 100 solcher Familien, von denen
-auf die Vielkronenblättrigen allein fast die Hälfte entfallen. Die
-letzte Familie bilden die Coniferen.
-
-Dieses System vom Jahre 1789 hat zwar manche Verbesserung erfahren, ist
-aber doch die Grundlage für alle späteren systematischen Anordnungen
-geblieben, unter denen diejenige Decandolles in erster Linie
-hervorgehoben werden muß.
-
-*Augustin Pyrame Decandolle* wurde 1778 in Genf geboren. Seine
-Vorfahren stammten aus Südfrankreich. In Genf wirkten um 1800 eine
-Anzahl hervorragender Naturforscher, die sich mit physikalischen und
-physiologischen Untersuchungen beschäftigten. Unter ihnen sind vor
-allem *de Saussure* und *Senebier* zu nennen. Durch diese Männer
-wurde *Decandolle* der Pflanzenphysiologie zugeführt. Ein Jahrzehnt
-(1798-1808) verbrachte *Decandolle* in Paris, das damals der glänzende
-Mittelpunkt der exakten Naturforschung war. Ihrem Geist und ihrer
-Methode konnte sich auch die Botanik nicht länger entziehen. Und
-*Decandolle* war es vor allem zu danken, daß sich diese Wandlung nicht
-auf die Physiologie beschränkte, sondern sich auch auf die Morphologie
-ausdehnte. Von letzterer aus wurde endlich auch die Systematik mit
-dem Geiste echter Naturforschung befruchtet, der in Frankreich an
-der Schwelle des 19. Jahrhunderts auf so vielen Gebieten und in so
-zahlreichen Männern sieghaft und die letzten Spuren der Scholastik
-hinwegfegend zum Durchbruch kam.
-
-An *Decandolles* Pariser Aufenthalt schlossen sich botanische Reisen
-durch Frankreich und die benachbarten Länder. Die letzten 25 Jahre
-seines Lebens verbrachte er wieder in Genf. Er starb dort 1841.
-
-Wir haben in diesem Abschnitt *Decandolles* Verdienste um die
-Entwicklung der morphologischen Grundbegriffe und um die Systematik zu
-betrachten und werden uns erst an späterer Stelle mit den Ergebnissen
-seiner pflanzenphysiologischen Arbeiten beschäftigen.
-
-Die Grundlagen für die heutige Morphologie veröffentlichte
-*Decandolle* im Jahre 1813 in seinen »Theoretischen Anfangsgründen
-der Botanik«[615]. Eine erweiterte Darstellung unter gleichzeitiger
-Berücksichtigung der Pflanzenanatomie erfuhren diese Grundzüge 1827
-in der Organographie[616]. Wir wollen der hier folgenden Darstellung
-dieses spätere Werk zugrunde legen. *Decandolle* vermehrte die Zahl
-der Familien von 100 (*Jussieu*) auf 161 und lieferte in Gemeinschaft
-mit einer Anzahl Fachgenossen eine ausführliche Beschreibung aller
-bis dahin bekannt gewordenen Pflanzenarten, das großartigste
-Unternehmen, welches die botanische Systematik aufzuweisen hat. In
-diesem, Prodromus systematis naturalis betitelten Sammelwerk hat
-*Decandolle* allein etwa 100 Familien bearbeitet. Das Erscheinen des
-Werkes erstreckte sich über eine Reihe von Jahrzehnten (1824-1873). Die
-Fortführung übernahm mit dem 8. Bande *Decandolles* Sohn *Alphons*,
-dem er sein Herbarium und seine Bibliothek vermacht hatte. Den
-Wert dieser umfangreichen systematischen Arbeit erkennt einer der
-hervorragendsten Geschichtsschreiber der neueren Botanik mit folgenden
-Worten an: »Es ist nicht wohl möglich, von dem in solchen Arbeiten
-liegenden Verdienst in Kürze Rechenschaft zu geben. Sie bilden eben die
-eigentlich empirische Grundlage der gesamten Botanik, und je besser
-und umsichtiger diese gelegt ist, desto größere Sicherheit gewinnt die
-ganze Wissenschaft in ihren Fundamenten«[617].
-
-Es gelang *Decandolle* indes ebensowenig wie *Jussieu*, eine scharfe
-Bestimmung und richtige Bewertung der Hauptgruppen des Pflanzenreiches
-zu geben. Dieses wurde erst dadurch ermöglicht, daß man sich nach dem
-Wiederaufleben der lange vernachlässigten mikroskopischen Forschung den
-schwer zugänglichen Formverhältnissen der Kryptogamen zuwandte. Jetzt
-erst wurde es klar, daß die schon von *Ray* in Vorschlag gebrachte
-Gegenüberstellung dieser Gruppe der Gesamtheit der übrigen Pflanzen
-gegenüber berechtigt ist und daß die großen Abteilungen, in welche
-die Kryptogamen zerfallen, den Monokotyledonen und den Dikotyledonen
-gleichwertig sind.
-
-*Decandolles* Mißgriff bestand darin, daß er seine Gruppierung auf das
-Vorhandensein und das Fehlen von Gefäßbündeln gründete. So kam es,
-daß in seinem System den Monokotylen die Gefäßkryptogamen beigesellt
-wurden. Bei diesen beiden Gruppen erblickte er das Gemeinsame in dem
-Umstande, daß sie nicht wie die Dikotylen ein am Umfange des Stammes
-vor sich gehendes Dickenwachstum aufweisen. Die Dikotylen wurden aus
-diesem Grunde als exogen, die beiden anderen Gruppen, für die er
-ein im Innern des Stammes vor sich gehendes, wenn auch beschränktes
-Dickwachstum annahm, als endogen bezeichnet.
-
-Die größte aller Gruppen des Pflanzenreichs, die Dikotylen, wurde
-wieder nach der Beschaffenheit der Blütenhülle (einfach oder doppelt)
-in zwei Untergruppen eingeteilt. War das gewählte Merkmal auch ein
-künstliches, so waren doch innerhalb dieser Untergruppen Vereinigungen
-von Familien (Reihen) möglich, die natürliche Verwandtschaft zu
-besitzen schienen.
-
-Den Begriffen »natürliches System« und »natürliche Verwandtschaft«
-fehlte indes gänzlich der reale Sinn, den erst die moderne
-Abstammungslehre in sie hineintragen konnte. Dazu kam, daß sich
-*Decandolle* die Beziehungen der von ihm geschaffenen Gruppen unter
-einem Bilde vorstellte, das recht ungeeignet war, den Gedanken an eine
-wirkliche, durch Abstammung bedingte Verwandtschaft vorzubereiten oder
-gar aufkommen zu lassen. Während man sich vor ihm das System wohl unter
-dem Bilde einer geraden Linie vorgestellt hatte, verglich *Decandolle*
-es nämlich mit einer geographischen Karte, in welcher die Erdteile den
-größten, the Staaten, Provinzen usw. den kleineren Gruppen entsprächen.
-Nach diesen Ausführungen stellt sich das von *Decandolle* geschaffene
-Pflanzensystem folgendermaßen dar:
-
- I. *Gefäßpflanzen.*
-
- 1. Exogene Pflanzen (Dikotylen).
-
- A. mit Kelch und Krone
-
- α) Kronenblätter frei und über dem Fruchtknoten
- stehend.
-
- β) Kronenblätter frei und um den Fruchtknoten stehend.
-
- γ) Kronenblätter verwachsen.
-
- B. mit einfachem Perigon
-
- 2. Endogene Gefäßpflanzen.
-
- α) Die Monokotylen.
-
- β) Die Gefäßkryptogamen.
-
- II. *Zellenpflanzen.*
-
- α) Beblätterte Zellenpflanzen (Moose).
-
- β) Blattlose Zellenpflanzen (Tallophyten).
-
-Die Lehre von der Sexualität der Pflanzen tauchte gegen das Ende des
-17. Jahrhunderts auf und errang nach vielem Widerstreit in der ersten
-Hälfte des 18. Jahrhunderts allgemeine Anerkennung. Schon in diesem
-Zeitraum setzen die Bemühungen ein, die Gültigkeit der Sexualtheorie
-auch für die an letzter Stelle genannten Gefäßkryptogamen, Moose
-und Tallophyten nachzuweisen. Man suchte Staubgefäße zwischen den
-Lamellen der Blätterpilze[618], deutete gewisse Teile der Moose als
-Fortpflanzungsorgane und glaubte auch deutliche Anzeichen für die
-Sexualität der Tange bemerkt zu haben[619]. Ihre volle Aufklärung fand
-die Frage nach der Fortpflanzung der Kryptogamen jedoch erst durch die
-erhöhte Leistungsfähigkeit der Mikroskope und die damit Hand in Hand
-gehende Ausbildung der mikroskopischen Technik im Verlaufe des 19.
-Jahrhunderts.
-
-Das Verständnis für die natürliche Verwandtschaft, die bei *Jussieu*
-und *Decandolle* ein bloßer, mit dem Dogma von der Konstanz
-der Arten schwer vereinbarer Begriff geblieben war, wurde erst
-ermöglicht, als das in den vierziger Jahren beginnende Studium der
-Entwicklungsgeschichte im Verein mit der Lehre vom Transformismus dem
-Worte »Verwandtschaft« einen neuen Sinn verlieh und das System als das
-Endergebnis einer zusammenhängenden, von einem gemeinsamen Ursprung
-ausgehenden Folge von Entwicklungsvorgängen erschien.
-
-Auch durch die vergleichende Betrachtung der Formen kam man auf dem
-Gebiete der Botanik zu wertvollen Ergebnissen. Während *Jussieu* und
-*Decandolle* durch eine solche sich über die Gesamtheit der Arten
-erstreckende Betrachtung zur Aufstellung des natürlichen Systems
-gelangten, spürten *Wolff* und *Goethe* den Beziehungen zwischen den
-einzelnen Organen der Pflanze nach und brachten diese Beziehungen in
-ihrer Lehre von der Metamorphose zum Ausdruck. Den Grundgedanken dieser
-Lehre hat *Wolff* in folgenden Worten ausgesprochen: »In der ganzen
-Pflanze, deren Teile wir beim ersten Anblick als so außerordentlich
-mannigfaltig bewundern, sehe ich, nachdem ich alles reiflich erwogen,
-schließlich nichts anderes als Blätter und Stengel«.
-
-Die Wurzel faßte *Wolff* als einen Teil, gleichsam als die Fortsetzung,
-des Stengels auf und auch die Kotyledonen wurden von ihm als
-blattartige Gebilde, nämlich als die ersten und untersten Blätter
-gedeutet. Derselbe Gedanke[620] wurde von *Goethe* in seinem »Versuch
-über die Metamorphose der Pflanzen« bis ins einzelne ausgeführt[621].
-
-Ein jeder, der das Wachstum der Pflanzen sorgfältig beobachtet, sagt
-*Goethe*, werde leicht bemerken, daß gewisse äußere Teile sich
-manchmal verwandeln und in die Gestalt der nächstliegenden Teile bald
-ganz, bald mehr oder weniger übergehen. So verändere sich z. B. die
-einfache Blume in eine gefüllte, wenn sich anstatt der Staubgefäße
-Blumenblätter entwickeln. Die Samenlappen lassen sich nur als die
-ersten, meist noch sehr einfachen Blätter des ersten Knotens deuten.
-Die Ausbildung des Blattes schreitet nach oben von Knoten zu Knoten
-fort. Daß die Teile des Kelches dieselben Organe sind, die sich
-vorher als Stengelblätter sehen lassen, erkenne man deutlich. Auch
-die Verwandtschaft der Krone mit den Stengelblättern lasse sich nicht
-verkennen.
-
-Selbst in den Samenbehältern könne man, schließt *Goethe* seine
-Betrachtung, ungeachtet ihrer mannigfaltigen Bildung, ihrer besonderen
-Bestimmung und Verbindung die Blattgestalt nicht verkennen. »So wäre
-z. B. die Hülse ein einfaches, an den Rändern verwachsenes Blatt. Die
-zusammengesetzten Gehäuse erklären sich aus mehreren Blättern, die sich
-um einen Mittelpunkt vereinigt und ihre Ränder miteinander verbunden
-haben.«
-
-Diese Gedanken sind auch noch heute der Ausgangspunkt der
-morphologischen Betrachtungsweise, so daß *Goethe*, dessen
-naturwissenschaftliche Arbeiten zum Teil erhebliche Schwächen[622]
-aufweisen und überhaupt nur unter Berücksichtigung der Eigenart
-ihres Verfassers betrachtet werden dürfen, sich hier ein bleibendes
-Verdienst erworben hat. *Wolff* und *Goethe* haben den Begriff
-»Metamorphose«, wie die gleichzeitig lebenden Systematiker den Begriff
-»Verwandtschaft«, zunächst als etwas Bildliches aufgefaßt[623]. Doch
-läßt sich nicht verkennen, daß *Goethe* mit seinem intuitiven Denken
-später den Transformismus, d. h. die Lehre von dem wirklichen, im Lauf
-der Zeit erfolgten Entstehen der einen Form aus der anderen vorahnte.
-So heißt es in seiner »Geschichte meines botanischen Studiums«: »Das
-Wechselhafte der Pflanzengestalt erweckte bei mir die Vorstellung, die
-uns umgebenden Pflanzenformen seien nicht ursprünglich determiniert
-und festgestellt, ihnen sei vielmehr eine glückliche Mobilität und
-Biegsamkeit verliehen, um in so viele Bedingungen, die über den
-Erdkreis auf sie einwirken, sich zu fügen und danach sich bilden und
-umbilden zu können.«
-
-
-
-
-24. Die Physiologie der Pflanzen unter dem Einfluß der neueren
-chemisch-physikalischen Forschung.
-
-
-Im Anschluß an die Systematik und die Morphologie der Pflanzen wenden
-wir uns jetzt der Physiologie dieser Lebewesen zu. Unter den Forschern,
-die sich bemühten, die Abhängigkeit des pflanzlichen Organismus von
-physikalischen Kräften darzutun, ist besonders *Knight* zu nennen.
-An seinen Namen knüpft sich die Entdeckung der als Geotropismus,
-Hydrotropismus und Heliotropismus bekannten Erscheinungen.
-
-*Thomas Andrew Knight* wurde 1759 in einer kleinen Ortschaft des
-westlichen Englands geboren. Nachdem er in Oxford studiert hatte,
-übernahm er ein kleines Gut und widmete sich dem Gartenbau und der
-Landwirtschaft. Im Verkehr mit *Banks*, dem Präsidenten der Royal
-Society, und anderen Naturforschern bemerkte *Knight*, daß er bei
-seiner engen und steten Fühlung mit der Natur vieles beobachtet habe,
-was den zünftigen Forschern bisher entgangen war. *Banks* regte
-*Knight* darauf an, seine Untersuchungen in den Abhandlungen der Royal
-Society zu veröffentlichen. Die pflanzenphysiologischen Arbeiten
-*Knigths* wurden neuerdings ins Deutsche übersetzt[624]. *Knight* starb
-im Jahre 1838.
-
-Seine für die Lehre vom Geotropismus grundlegende Arbeit »über die
-Richtung der jungen Wurzel und des jungen Stengels bei der Keimung«
-erschien im Jahre 1806. Als Ursache der Erscheinung, daß die
-Wurzel nach dem Mittelpunkt der Erde, der Stengel dagegen nach der
-entgegengesetzten Richtung wächst, hatte man schon vor *Knight* die
-Schwerkraft vermutet. Der experimentelle Nachweis hierfür, sagte sich
-dieser Forscher, wird sich am sichersten dadurch führen lassen, daß
-man die wachsende Pflanze bei Ausschluß der Schwerkraft untersucht. Da
-die Schwerkraft eine Wirkung nur hervorrufen kann, wenn der Keimling
-in Ruhe bleibt, so wird nach *Knights* Verfahren ihr Einfluß durch
-einen steten Wechsel der Lage des keimenden Samens aufgehoben. Den
-entscheidenden Versuch stellte *Knight* in folgender Weise an. An
-dem Umfang eines senkrecht stehenden Rades befestigte er kleine,
-nach der Radachse und nach außen offene Behälter. Diese wurden mit
-feuchtem Moos gefüllt. In das Moos jedes Behälters pflanzte er Samen
-der Gartenbohne. Das Rad wurde durch ein kleines Wasserwerk 150mal
-in der Minute um seine Achse gedreht. Auf diese Weise wurde die Lage
-der Samen zum Erdradius so oft gänzlich verändert, daß *Knight*
-den Einfluß der Schwerkraft als beseitigt betrachten durfte. Nach
-einigen Tagen begannen die Samen zu keimen, und man beobachtete,
-daß die Wurzeln, in welcher Richtung sie auch nach der jeweiligen
-Lage der Samen hervortraten, ihre Spitzen vom Radkranze in radialer
-Richtung nach außen kehrten, während die Stengel in entgegengesetzter
-Richtung wuchsen, bis sich schließlich ihre Spitzen im Mittelpunkte
-des Rades vereinigten. Wuchsen die Stengel über diesen Punkt hinaus,
-so kehrten sich ihre Spitzen bald wieder um, um wieder in der Mitte
-des Rades zusammenzutreffen. Die Zentrifugalkraft bestimmte somit die
-Wachstumsrichtung genau so, wie es bei den ruhenden Samen durch die
-Schwerkraft geschieht.
-
-Zu dieser Erkenntnis gesellte sich später der Nachweis[625], daß die
-Wurzeln sich nicht etwa infolge ihres Eigengewichtes nach abwärts
-krümmen, da sie eine Last, die größer als ihr Eigengewicht ist, bei
-ihrer Krümmung in Bewegung zu setzen vermögen.
-
-Bei einem zweiten Versuch vereinigte *Knight* die Wirkung der
-Zentrifugalkraft mit derjenigen der Schwerkraft. Er brachte die
-Samen in ähnlicher Weise, wie schon beschrieben, auf dem Kranz eines
-diesmal horizontal liegenden Rades an und setzte es in Drehung. Bei
-80 Umdrehungen wuchsen die Wurzeln unter einem Winkel von 45° nach
-unten, die Stengel dagegen unter dem gleichen Winkel nach oben. Dabei
-entfernten die Wurzeln ihre Spitzen von der Radachse, während die
-Stengel sich gegen die Achse hinneigten. Steigerte *Knight* die Zahl
-der Umdrehungen auf 250, so wichen die Wurzeln und die Stengel um
-einen noch viel höheren Betrag (um 80°) von der vertikalen Richtung ab,
-die sie in der Ruhelage eingenommen haben würden.
-
-Durch diese Versuche war der Beweis geliefert, daß durch eine bestimmte
-äußere Ursache und nicht infolge der inneren Eigenschaft des Organismus
-die Pflanzenteile veranlaßt werden, dasjenige Verhalten zu zeigen, das
-wir als positiven und negativen Geotropismus bezeichnen.
-
-Als eine weitere Ursache, welche die Richtung und das Wachstum der
-Wurzeln beeinflußt, erkannte *Knight* die Feuchtigkeitsunterschiede. Er
-zeigte, daß sie diejenigen Reaktionen der Pflanze herbeiführen, die man
-heute als Hydrotropismus bezeichnet.
-
-*Knight* ging[626] von folgender Beobachtung aus: Verpflanzt man einen
-Baum, der viel Feuchtigkeit nötig hat, in einen Boden, der erst in
-einiger Entfernung reichlich Wasser enthält, so wendet sich die Wurzel
-dem Wasser zu. Verlangt dagegen ein Baum einer anderen Art trockenen
-Boden, so entfernt sich seine Wurzel von dem Wasser. Es hat den
-Anschein, als ob die Pflanzen gewissermaßen planmäßige Anstrengungen
-machen, um günstige Feuchtigkeitsverhältnisse zu erlangen. Es gehörte
-damals, als die Lehre von der Lebenskraft in voller Blüte stand
-und man geneigt war, derartige Erscheinungen auf mystische Triebe
-und Begierden zurückzuführen, eine gewisse Kühnheit dazu, diese
-Erscheinungen aus mechanischen Ursachen erklären zu wollen. Dennoch
-versuchte dies *Knight*, überall wohin sein Forschen sich richtete. Er
-setzte dadurch das Werk seines großen Landsmannes *Hales*[627] fort,
-der ein halbes Jahrhundert vor ihm zuerst den Versuch gemacht hatte,
-die experimentelle, mechanische Erklärungsweise in die Physiologie
-einzuführen. »Ich wage«, sagte *Knight*, »aus meinen Versuchen zu
-schließen, daß die Wurzeln nur durch die unmittelbare Einwirkung der
-sie umgebenden Körper, nicht aber durch irgend eine Art von Begierde,
-ähnlich derjenigen der Tiere, beeinflußt werden.«
-
-Bemerkenswert war ein Versuch, bei dem die Wurzeln oben mit feuchter
-und unten mit trockener Erde in Berührung waren. *Knight* pflanzte
-nämlich Bohnen in Töpfe. Nach einiger Zeit kehrte er die Töpfe um
-und führte ihnen soviel Wasser durch den Boden zu, daß nur die dem
-Boden benachbarte, also jetzt über dem keimenden Samen befindliche
-Erde feucht war. Und siehe da, nach wenigen Tagen sandten die Pflanzen
-zahlreiche Wurzeln nach aufwärts in die feuchtere Erde hinein, als ob
-sie von den Instinkten eines tierischen Wesens geleitet würden. Dem
-Einfluß der Schwerkraft war bei diesem Versuche durch die Trockenheit
-auf der unteren Seite in ähnlicher Weise entgegengewirkt worden, wie
-es bei dem Versuche mit dem horizontalen rotierenden Rade durch die
-Zentrifugalkraft geschehen war. Offenbar handelte es sich in dem einen
-wie in dem anderen Falle nicht um instinktmäßige Triebe, sondern
-um rein mechanische Ursachen. Wie *Knight* des Näheren ausführt,
-entwickeln sich die Organe anfangs nach allen Richtungen. Es wachsen
-aber nur diejenigen weiter, die günstige Bedingungen finden. So bekommt
-es den Anschein, als ob die Wurzeln der einen Pflanze das in der Nähe
-befindliche Wasser suchen, diejenigen der anderen dagegen es vermeiden
-wollen.
-
-Eine größere Zahl von Versuchen stellte *Knight* über die
-Rankenbewegungen der Pflanzen an[628]. Diese Versuche ergaben, daß auch
-das Ranken aus reiner Notwendigkeit erfolgt und nicht durch irgend eine
-Art von Verstandeskräften bedingt wird. Seine Versuche stellte *Knight*
-besonders an der Erbse, dem Epheu, dem gewöhnlichen und dem wilden
-Wein an. Die Bewegungen, welche die Ranken machen, werden zunächst
-genau beschrieben und dann auf zwei Umstände zurückgeführt. Diese
-Umstände sind Besonderheiten im inneren Bau, man könnte dafür auch
-sagen eine bestimmte Reizbarkeit, und zweitens die Einwirkung äußerer
-Ursachen, unter denen das Licht und der mechanische Druck in erster
-Linie zu nennen sind. Nach *Knight* bewirken diese Reize Änderungen in
-der Saftverteilung und im Gefolge davon Wachstumsvorgänge. Der Druck,
-meint er, der auf die eine Seite einer Ranke ausgeübt wird, verdrängt
-wahrscheinlich den Saft, die gedrückte Seite zieht sich infolgedessen
-zusammen. Die so entstehende Bewegung wird dadurch noch verstärkt, daß
-der Saft, indem er nach den nicht gedrückten Stellen wandert, diese
-zu lebhafterem Wachstum veranlaßt. Infolgedessen umschlinge die Ranke
-einen dünnen Holz- und Metallstab. Trotz aller Unzulänglichkeit dieser
-Erklärung ist sie doch als der erste Versuch einer Zurückführung der
-an den Ranken beobachteten Erscheinungen auf mechanische Ursachen
-anzuerkennen.
-
-Von Wichtigkeit waren auch *Knights* Versuche über den von ihm
-entdeckten negativen Heliotropismus der Ranken des wilden Weins. Diese
-Pflanze wurde den Sonnenstrahlen voll ausgesetzt. Außerdem wurde ein
-Stück schwarzes Papier auf der einen Seite in der Nähe der Pflanze so
-angebracht, daß die Ranken es erreichen konnten. Die Ranken wurden
-dann von dem schwarzen Papier sozusagen angezogen. Brachte man das
-Papier auf die entgegengesetzte Seite, so folgten die Ranken bald auch
-dorthin. Brachte man an Stelle des Papieres eine Glasplatte an, die das
-Sonnenlicht so zurückwarf, daß es fortwährend auf die Ranken fiel, so
-wandten sie sich von dem Glase fort; und es schien so, als ob sie von
-dem Glase zurückgestoßen würden. Für die Haftwurzeln des Epheus wies
-*Knight* nach, daß sie nicht nur dem Lichte ausweichen, sondern sich
-auch nur an der Schattenseite des Stammes bilden.
-
-Auch dies Verhalten suchte *Knight* auf mechanische Gründe
-zurückzuführen, indem er beim negativen Heliotropismus eine Ausdehnung,
-beim positiven dagegen eine Zusammenziehung der belichteten
-Rindensubstanz annahm. Hier wie überall besteht das Unzulängliche der
-von *Knight* begründeten Phytodynamik darin, daß sie auf die innere
-Organisation der Pflanze keine genügende Rücksicht nehmen konnte, weil
-diese noch zu wenig der Erkenntnis erschlossen war. Besteht doch dieser
-Mangel selbst heute noch in solchem Grade, daß die neuere Wissenschaft
-an Stelle der Erklärungsversuche *Knights* trotz der Erkenntnis ihrer
-Unzulänglichkeit kaum etwas besseres zu setzen gewußt hat.
-
-Von dem Gedanken geleitet, daß das Studium der in den Gewächsen
-sich abspielenden Veränderungen am ehesten die Erkenntnis des
-Lebensprozesses ermöglichen werde, hatte *Stephan Hales* die ersten
-Schritte zur Begründung einer Ernährungsphysiologie der Pflanzen
-unternommen. Ein erfolgreiches Eindringen in diesen Gegenstand war
-jedoch erst möglich, nachdem die Rolle des Sauerstoffs erkannt und die
-Chemie auf eine wissenschaftliche Grundlage erhoben war. Schon vor der
-Entdeckung des Sauerstoffes hatte *Priestley* beobachtet, daß die durch
-die Atmung oder durch ein brennendes Licht »verdorbene« Luft wieder
-»heilsam« gemacht werde, wenn Pflanzen darin wachsen. Das heißt: Luft,
-in der ein Licht erlosch, wurde durch die Pflanzen in solchem Grade
-verbessert, daß das Licht wieder darin fortbrannte. Im Zusammenhange
-mit dieser Tatsache fand *Priestley*, daß die in den Blasen des
-Seetangs befindliche Luft sogar »besser« als die atmosphärische
-Luft ist. Als ein Anzeichen für die »Güte« der Luft diente ihm
-die Zusammenziehung, die sich in seinem Salpetergaseudiometer
-einstellte[629].
-
-Der eigentliche Entdecker der Assimilation und der Atmung der Pflanzen
-ist der Holländer *Ingenhouß* (1730-1799). Er veröffentlichte im Jahre
-1769 eine ausführliche Arbeit[630] über diesen Gegenstand. Darin findet
-sich der Nachweis, daß die meisten Pflanzen die »verdorbene Luft«
-im Sonnenlichte schnell verbessern, daß sie dagegen zur Nachtzeit
-Kohlendioxyd ausscheiden oder die Luft »unrein« machen, wie es damals,
-bevor die antiphlogistische Lehre bekannt geworden war, noch hieß. Die
-Verbesserung der Luft geht nach *Ingenhouß* jedoch nur von den grünen
-Stengeln und Blättern, und zwar besonders von der unteren Seite der
-letzteren aus; sie besteht in der Abscheidung von Sauerstoff, welcher
-das zur Nachtzeit ausgeatmete Kohlendioxyd (von *Ingenhouß* noch als
-schädliche Luft bezeichnet) an Menge mehrere hundert Mal übertrifft.
-Hieran schloß sich die Erkenntnis[631], daß der ausgeschiedene
-Sauerstoff von der Zersetzung des Kohlendioxyds herrührt, welches
-durch die Prozesse der Verbrennung, der Atmung und der Gärung in die
-atmosphärische Luft gelangt[632].
-
-Durch andere Versuche wurde dargetan, daß sich die Pflanzen allein
-mit Hilfe gasförmiger, flüssiger und in Flüssigkeiten gelöster Stoffe
-entwickeln können. Man ließ z. B. Pflanzen zwischen Moos, Baumwolle
-oder ausschließlich in Flußwasser wachsen, das eine genügende Menge von
-Mineralbestandteilen in Lösung enthielt. Auf solche Weise gelangte man
-schon gegen den Ausgang des 18. Jahrhunderts zu einer Kenntnis der
-qualitativen Seite der Ernährungsphysiologie.
-
-Nachdem für die Chemie das Zeitalter der quantitativen
-Untersuchungsweise gekommen war, galt es, die neue Methode auf
-die ihrem qualitativen Verlaufe nach erkannten Vorgänge der
-Ernährungsphysiologie anzuwenden. Dies geschah besonders durch
-*Saussure*. Wie *Knight* die Phytodynamik, so begründete er die Lehre
-von der Ernährung der Pflanzen, für welche *Ingenhouß* und *Senebier*
-nur einige sich auf den Gasaustausch erstreckende Vorarbeiten geliefert
-hatten.
-
-*Nicolas Théodore de Saussure* war der Sohn des durch seine
-Montblanc-Besteigung bekannt gewordenen Alpenforschers *Horace Benedict
-de Saussure*. Letzterer bekleidete ein Lehramt in Genf, wo *Théodore*
-im Jahre 1767 geboren wurde. *Théodore de Saussure* beteiligte sich
-zunächst an den Forschungen seines Vaters. Seit dem Jahre 1797 wandte
-er sich pflanzenphysiologischen Untersuchungen zu. Er starb in Genf im
-Jahre 1845.
-
-*Saussure* stellte sich die Aufgabe, die Rolle des Wassers, der Luft
-und des Humus bei der Ernährung der Gewächse und die Veränderungen
-der Atmosphäre durch die Pflanzen genauer zu erforschen. Insbesondere
-lenkte sich sein Augenmerk auf die Bedeutung, welche das Kohlendioxyd
-für das pflanzliche Leben besitzt.
-
-Er entwickelt sein Programm mit den Worten: »Ich werde Fragen erörtern,
-welche durch das Experiment entschieden werden können und verzichte
-auf bloße Mutmaßungen, denn die Tatsachen allein führen in der
-Naturwissenschaft zur Wahrheit«. Diesem Vorsatz ist *Saussure* treu
-geblieben. Stets werden in seiner meisterhaft geführten Untersuchung
-die Fragen bestimmt gestellt und ebenso bestimmt beantwortet. Hatten
-frühere die Ernährungsvorgänge in den allgemeinsten Grundzügen und
-ausschließlich nach der qualitativen Seite untersucht, so war er es,
-der zuerst durch quantitative Bestimmungen eine »Bilanz herstellte
-zwischen dem, was die Pflanze aufnimmt und dem, was sie abgibt und
-daher selbst erwirbt[633].« Durch dies Verfahren gelangte er zu dem
-Ergebnis, daß neben dem Kohlenstoff der Luft gleichzeitig die Elemente
-des Wassers und gewisse Bestandteile des Bodens sich am Aufbau der
-Pflanzensubstanz beteiligen.
-
-Der Gang seiner Untersuchung ist der folgende: Zunächst stellte er
-aus kohlensaurem Gas und gewöhnlicher Luft eine künstliche Atmosphäre
-her, welche 7½% kohlensaures Gas enthielt. Dieses Luftgemisch wurde
-in einen Behälter eingeschlossen und darin sieben Immergrünpflanzen
-(Vinca minor L.), von denen jede 20 cm hoch war, untergebracht. Die
-Wurzeln dieser Pflanzen tauchten in ein besonderes Gefäß, das 15 ccm
-Wasser enthielt. Dieser Apparat wurde sechs Tage hintereinander von 5
-bis 11 Uhr morgens den Sonnenstrahlen ausgesetzt. Am siebenten Tage
-nahm *Saussure* die Pflanzen heraus. Unter Berücksichtigung aller
-Korrekturen hatte sich das Volumen der Atmosphäre nicht verändert. Auch
-aus späteren Versuchen hat sich ergeben, daß das Gesamtvolumen einer
-Atmosphäre, in welcher die Pflanzen assimilieren, nahezu unverändert
-bleibt, da ein dem zersetzten Kohlendioxyd annähernd gleiches Volumen
-Sauerstoff ausgeschieden wird, während sich der Gehalt an Stickstoff im
-allgemeinen nicht verändert.
-
-Ein vergleichender Versuch zeigte, daß sieben Immergrünpflanzen,
-wie sie *Saussure* benutzt hatte, trocken vor der Zersetzung des
-kohlensauren Gases, 2,707 g wogen, und daß sie bei der Verkohlung im
-geschlossenen Gefäße 528 mg Kohle lieferten. Die Pflanzen, welche
-kohlensaures Gas zersetzt hatten, gaben, als sie getrocknet und nach
-demselben Verfahren verkohlt wurden, 649 mg Kohle. Die Zersetzung des
-kohlensauren Gases ergab also einen Gewinn von 120 mg Kohlenstoff.
-*Saussure* ließ dann Immergrünpflanzen, die in kohlensäurefreier
-Luft gewachsen waren, verkohlen und fand, daß sich der Gehalt an
-Kohle während des Aufenthaltes unter dem Behälter eher vermindert als
-vermehrt hatte.
-
-*Saussure* erkannte ferner, daß die Pflanzen, während sie Kohlenstoff
-assimilieren, gleichzeitig die Elemente des Wassers aufnehmen,
-welches dabei seinen flüssigen Zustand verliert und zur Vermehrung
-der Trockensubstanz beiträgt. Zunächst überzeugte er sich davon, daß
-100 Gewichtsteile der Pfefferminzpflanze 40,29 Teile Trockensubstanz
-enthielten, von denen nach der Verkohlung 10,56 Teile Kohle übrig
-blieben. Die 100 Gewichtsteile Pfefferminze wogen, nachdem sie zwei und
-einen halben Monat in freier Luft vegetiert hatten, 216 Teile. Zunächst
-lehrte diese Gewichtszunahme nichts, da sie vielleicht der Vermehrung
-des Vegetationswassers zuzuschreiben war. Durch das Trocknen ging das
-Gewicht auf 62 Teile zurück. Die Pflanzen vergrößerten also mit Hilfe
-von Luft und Wasser ihre Trockensubstanz um 21,71 Teile. Die 62 Teile
-lieferten bei der Verkohlung 15,78 Teile Kohle oder 4,82 Teile mehr
-als zuvor. Die übrige Zunahme war auf Rechnung des chemisch gebundenen
-Wassers zu setzen.
-
-Von entscheidender Wichtigkeit sind *Saussures* Versuche über das
-Verhalten der Pflanzen in den verschiedensten sauerstofffreien Medien
-gewesen. Sie führten zu dem Ergebnis, daß die Pflanzen Stickstoff und
-Wasserstoff im elementaren Zustande, sowie Kohlenoxydgas nicht zu
-assimilieren vermögen.
-
-Die Frage, ob Wasser und Luft als Nahrungsmittel ausreichen und die
-vollständige Entwicklung der Pflanzen bewirken können, wurde durch
-*Saussures* Versuche entschieden verneint. Die weitere Frage, welche
-Elemente oder Verbindungen zum Wasser und zur Luft hinzukommen müssen,
-um das erwähnte Ziel zu erreichen, ließ sich nur durch ausgedehnte
-Versuche in Nährlösungen entscheiden, ein Forschungsmittel, dessen sich
-*Saussure* in ausgedehnterem Maße bediente.
-
-Auch diese Versuche waren von grundlegender Wichtigkeit. Zunächst
-wurden den Versuchspflanzen Lösungen dargeboten, die nur je ein
-Salz enthielten. Der Gang der Untersuchung und das Ergebnis ist
-sehr lehrreich. Jede Lösung bestand aus 40 Kubikzoll Wasser und
-enthielt 100 Teile desjenigen Salzes, dessen Verhalten zur Pflanze
-(Polygonum persicaria) man prüfen wollte. Der Versuch wurde jedesmal
-unterbrochen, wenn die Hälfte der Lösung von der Pflanze aufgenommen
-war. Es ergab sich durch die Analyse der zurückgebliebenen Hälfte, daß
-Polygonum von den gebotenen 100 Teilen folgende Mengen aufgenommen
-hatte:
-
- Chlorkalium 14,7 Teile,
- Schwefelsaures Natrium 14,4 "
- Chlornatrium 13 "
- Chlorammonium 12 "
- Essigsauren Kalk 8 "
- Salpetersauren Kalk 4 "
- usw.
-
-Andere Pflanzen nahmen die Salze in anderen Mengen auf. Im allgemeinen
-bemerkte man, wie in dem hier durch Zahlen belegten Falle, daß das
-Wasser viel leichter in die Pflanze eindringt als der darin gelöste
-Körper. Blieben doch z. B., wenn 4 Teile salpetersaurer Kalk in die
-Pflanze eindrangen, 46 Teile dieses Salzes in der Lösung zurück, deren
-Gehalt an Salz sich infolgedessen relativ erheblich steigerte.
-
-*De Saussure* ging auch dazu über, der Pflanze, den natürlichen
-Verhältnissen entsprechend, gleichzeitig mehrere Salze in einer Lösung
-darzubieten. Auch diesmal stellte er Nährlösungen von ganz bestimmter
-Zusammensetzung her und analysierte sie, wenn sie bis zur Hälfte ihres
-ursprünglichen Volumens aufgenommen waren. So erhielt er einwandfreie,
-vergleichbare Zahlenwerte. Ein Beispiel hier für viele. Enthielt
-ein und dieselbe Lösung 100 Teile Chlornatrium neben 100 Teilen
-schwefelsaurem Natrium, so nahm Polygonum daraus 22 Teile von ersterem
-und 11,7 Teile von dem zweiten Salz auf. Damit war die wichtige, für
-alle späteren Untersuchungen dieser Art grundlegende Tatsache erwiesen,
-daß eine Pflanze aus einer Lösung von mehreren Stoffen bestimmte Stoffe
-bevorzugt. Durch die Veraschung der Versuchspflanzen überzeugte sich
-*de Saussure* davon, daß die aus der Lösung verschwundene Salzmenge
-wirklich in die Pflanze eingedrungen war. Von zwei Polygonumpflanzen
-von genau gleichem Gewicht ließ er die eine in destilliertem Wasser,
-die andere in einer Chlorkaliumlösung wachsen. Für letztere ergab
-sich bei der Verbrennung beider Pflanzen, daß sie ihren Aschengehalt
-um diejenige Chlorkaliummenge vergrößert hatte, die aus der Lösung
-verschwunden war. Derartige Versuche waren zu einer Zeit, in welcher
-wissenschaftlich gebildete Männer noch glaubten, die Pflanzen besäßen
-die Fähigkeit, Elemente zu erzeugen und ineinander umzuwandeln, von
-entscheidender Wichtigkeit.
-
-Weit größere Schwierigkeiten bot es bei dem damals noch unentwickelten
-Zustande der Mineralanalyse über die Zusammensetzung und die Bedeutung
-der aus dem Boden aufgenommenen Aschenbestandteile ins Reine zu
-kommen. Es war eine verbreitete Ansicht, daß die Mineralstoffe, die
-man in den Gewächsen fand, dort nur zufällig vorhanden und keineswegs
-für ihre Existenz nötig seien. Ja, man ging sogar noch weiter und
-schloß aus dem Umstande, daß einige Salze gewissen Pflanzen schädlich
-sind, daß alle Salze der Vegetation nicht nur keinen Nutzen brächten,
-sondern in mehr oder minder hohem Grade schädlich seien. *Saussures*
-Untersuchungen vermochten hier wenigstens die gröbsten Irrlehren zu
-beseitigen. Daß die geringe Menge der Pflanzenasche ein Anzeichen
-für ihre Nutzlosigkeit sei, widerlegte er durch den Hinweis auf den
-in den Tieren enthaltenen phosphorsauren Kalk. Dieser mache nur
-einen sehr geringfügigen Teil des Gewichtes der Tiere aus. Dennoch
-zweifle niemand daran, daß das Salz für den Aufbau der Knochen
-durchaus notwendig sei. *Saussure* fand dieses Salz in der Asche
-aller von ihm darauf untersuchten Pflanzen und vertrat die Ansicht,
-daß sie ohne phosphorsauren Kalk nicht bestehen könnten. Als die
-wichtigsten Bestandteile der Pflanzenasche erkannte *Saussure* außer
-dem phosphorsauren Kalk die Verbindungen von Magnesium und Eisen, sowie
-die Kieselsäure. Trotz dieser, durch zahlreiche Aschenanalysen, die
-lange als unübertroffen galten, gestützten wichtigen Ergebnisse der
-*Saussure*schen Untersuchungen blieben Zweifel an der Notwendigkeit der
-Aschenbestandteile bestehen, bis *Liebig* in den dreißiger Jahren des
-19. Jahrhunderts diese Frage endgültig im Sinne *Saussures* entschied.
-
-Die Frage nach der Aufnahme des Stickstoffes wurde noch später durch
-*Boussingault* zur Entscheidung gebracht. Zwar hatte *Saussure*
-nachgewiesen, daß der atmosphärische Stickstoff von der Pflanze nicht
-assimiliert wird. Woher aber der beträchtliche Gehalt der Pflanze
-an diesem Elemente stammt, blieb eine offene Frage. *Saussure*
-beschränkte sich auf die Annahme, daß er aus den tierischen und
-pflanzlichen Bestandteilen des Bodens stammen könne. Offenbar eine
-verhängnisvolle, an die unbegreiflich törichte Humustheorie erinnernde
-Gedankenlosigkeit, da ja die Quelle aufzuweisen war, woher eben die
-Tiere und Pflanzen den Stickstoff beziehen.
-
-Eine Anzahl wichtiger Versuche stellte *Saussure* endlich an, um die
-wichtige, schon von *Ingenhouß* angedeutete Rolle zu erkennen, welche
-der Sauerstoff bei dem Stoffwechsel der Pflanze spielt. Zunächst
-stellte er fest, daß zum Keimen Sauerstoff und Wasser erforderlich
-sind. Das Wasser allein vergrößere zwar die Samen, indem es in das
-Zellgewebe eindringe, es bringe sie aber ohne die Mitwirkung von
-Sauerstoff nicht zum Keimen. Weiter zeigte *Saussure*, daß beim Keimen
-Sauerstoff verschwindet und durch Kohlendioxyd ersetzt wird, ohne daß
-eine Änderung des Gesamtvolumens stattfindet. Die keimenden Samen
-änderten nämlich ebensowenig wie der brennende Kohlenstoff das Volumen
-des Sauerstoffgases, das sie in kohlensaures Gas verwandelten. Daß
-dieser der Atmung der Tiere analoge Vorgang auch in den fertigen
-Pflanzenteilen vor sich geht, zeigte *Saussure* durch mannigfache
-Versuche.
-
-Wurden z. B. frische Blätter gesammelt und während der Nacht unter
-einen mit Luft gefüllten Recipienten gestellt, so verschwand der
-Sauerstoffgehalt der Luft, und es bildete sich Kohlendioxyd, dessen
-Volumen allerdings geringer war als dasjenige des während des Versuches
-aufgezehrten Sauerstoffs. Wurden die Blätter am darauffolgenden Tage
-wieder der Sonne ausgesetzt, so schieden sie fast dieselbe Menge
-Sauerstoff wieder ab, die sie während der Nacht aufgenommen hatten. War
-ihre Lebenskraft so groß, daß sie mehrere Tage gesund blieben, so bot
-sich ein wunderbares Schauspiel dar. Die Blätter verringerten nämlich
-jede Nacht ihre Atmosphäre, um sie jeden Tag beinahe in demselben Maße
-zu vergrößern.
-
-*Saussure* dehnte die Untersuchung über den Einfluß des Sauerstoffs
-auf die Pflanzen auch auf die Stengel, die Wurzeln und die Blüten
-aus. Er zeigte, daß dieses Gas für die nicht-grünen Teile wesentlich
-ist, und daß letztere, indem sie Sauerstoff verbrauchen, Kohlendioxyd
-abscheiden, ohne dieses Produkt, wie es die grünen Pflanzenteile
-vermögen, wieder in Sauerstoff zurückverwandeln zu können. Zu
-diesen Beobachtungen kam noch der Nachweis, daß bei der Atmung die
-Pflanzensubstanz einen Gewichtsverlust erleidet, der dem Gewicht
-des ausgeschiedenen Kohlenstoffs entspricht. Auch darauf wurde
-schon *Saussure* aufmerksam, daß Pflanzenteile, die eine regere
-Lebenstätigkeit entfalten, wie Keimlinge und sich entfaltende Blüten
-mehr Sauerstoff gebrauchen als minder tätige. Ja, es gelang ihm sogar
-später[634], die Beziehung zwischen dem Sauerstoffverbrauch und eine
-dadurch bedingte Erwärmung der Blüten festzustellen.
-
-Durch diese Forschungsergebnisse war die Lehre von der Atmung der
-Pflanzen in ihren allerersten Grundlagen geschaffen und zwischen
-dem Pflanzen- und dem Tierreich eine wichtige Brücke geschlagen.
-Durchdrungen von dieser Erkenntnis äußerte sich *Saussure*
-folgendermaßen: Prüfe man als Anatom die Pflanzen und die Tiere, so
-komme man nicht auf den Gedanken, sie miteinander zu vergleichen.
-Vergegenwärtige man sich aber die großen physiologischen Züge, wie
-die Ernährung, die Absonderungen, den Einfluß des Sauerstoffs usw.,
-so müsse man eine auffallende Übereinstimmung zwischen Tieren und
-Pflanzen zugeben.
-
-Wir haben die Arbeit *Saussures* etwas eingehender erörtert, weil
-ein in gleicher Weise bahnbrechendes Werk auf dem Gebiete der
-Ernährungsphysiologie kaum wieder erschienen ist. Das sorgfältige
-Studium der *Saussure*schen, durch klare Fragestellung, sowie durch
-treffliche Methoden gleich ausgezeichneten »Untersuchungen« kann nicht
-genug empfohlen werden[635].
-
-Als besonderer, alle Vegetationsvorgänge behandelnder Zweig der Botanik
-wurde die Pflanzenphysiologie zuerst von *Decandolle* bearbeitet, mit
-dessen Verdiensten um die Morphologie und um die Systematik wir uns
-schon beschäftigt haben[636]. *Decandolle* stellte sich die Aufgabe,
-die Pflanzenphysiologie auf Grund der physikalischen, chemischen,
-anatomischen und biologischen Forschungsergebnisse als »abgeschlossene,
-eigenartige Wissenschaft darzustellen und so ein vollständiges und
-allseitiges Bild des Pflanzenlebens zu gewinnen«. Dies Unternehmen
-stand ohne Vorläufer da. Deshalb ist auch das Werk, in welchem
-*Decandolle* seine Aufgabe löste, von ganz außergewöhnlicher Bedeutung.
-Sie besteht weniger in der Mitteilung neuer Entdeckungen als in der
-Verknüpfung der bisher bekannt gewordenen Tatsachen, durch welche aus
-dem zerstreuten Wissen erst die Wissenschaft in der ihr eigenen und im
-wesentlichen auch bleibenden Gestalt und Richtung hervorgegangen ist.
-
-Die folgenden Abschnitte sollen dieser grundlegenden Bedeutung des von
-*Decandolle* verfaßten Werkes gerecht zu werden suchen. Es erschien
-1832 unter der Bezeichnung »Pflanzenphysiologie oder Darstellung der
-Lebenskräfte und Lebensverrichtungen der Gewächse«[637].
-
-Hatte *Decandolle* in seiner Organographie die Teile beschrieben, aus
-denen die Pflanzenmaschine besteht, so galt es in der »Physiologie«
-diese Maschine in ihrer Tätigkeit zu schildern und die sie bewegenden
-Kräfte sowohl wie das Ergebnis dieser Kräfte zu untersuchen. Als solche
-gelten ihm die physikalischen Kräfte, die chemische Verwandtschaft
-und die Lebenskraft. Letztere betrachtet er als die Ursache der
-physiologischen Vorgänge. Zu diesen Kräften sollten bei den Tieren
-noch die Beseelung als Ursache der psychologischen Vorgänge im
-weitesten Sinne treten. *Decandolle* nahm an, daß die Beseelung
-ausschließlich auf das Tierreich beschränkt sei.
-
-Unter der Lebenskraft versteht *Decandolle* diejenige Ursache, die
-während des Lebens der Pflanze Erscheinungen veranlaßt, die aus den
-bekannten Kräften allein nicht erklärt werden können. Indessen sucht
-*Decandolle*, soweit wie möglich, mit den physikalisch-chemischen
-Kräften auszukommen. Die Lebenskraft ist ihm der unerklärliche Rest,
-der trotz alles Strebens nach einer rein mechanischen Erklärungsweise
-auch für die heutige Physiologie noch nicht gänzlich getilgt ist und es
-in absehbarer Zeit auch nicht sein wird. »Wenn wir«, sagt *Decandolle*,
-»alle bekannten physikalischen und chemischen Ursachen, die eine
-gewisse Wirkung hervorzubringen vermögen, der Reihe nach geprüft haben,
-so werden wir den Teil der Erscheinung, der noch unerklärt bleibt, dem
-verborgenen Einfluß des Lebens zuschreiben«.
-
-Als Äußerungen der lebenden tierischen Gewebe unterscheidet
-*Decandolle* drei Stufen, die Ernährungs- und Wachstumsvorgänge, die
-Reizbarkeit und die Empfindung. Er untersucht dann, in welchem Grade
-diese Eigenschaften auch den Pflanzen zukommen und bemerkt, daß sich
-zwischen beiden Reichen natürliche Grenzen schwer ziehen lassen, so daß
-man nicht entscheiden könne, ob gewisse Kryptogamen oder Pflanzentiere
-Pflanzen oder Tiere seien.
-
-Die Untersuchung der Ernährungsvorgänge gipfelt in dem Nachweis, daß
-die einzelnen Erscheinungen, welche sie darbieten, und die Reihenfolge,
-in der sie ablaufen, für die beiden organischen Reiche ganz analog
-sind. Die Unterschiede werden mehr oder weniger als die unmittelbare
-Folge der tierischen Beweglichkeit und der pflanzlichen Unbeweglichkeit
-betrachtet.
-
-Jene bei Pflanzen und Tieren parallel verlaufende Reihe von
-Ernährungsvorgängen bietet nach *Decandolle* folgendes Bild: Zunächst
-wird der Nahrungsstoff dem Organismus in flüssiger oder fester Form
-zugeführt. Darauf gelangt die Nahrung in die Organe, in denen sie
-verarbeitet werden soll (Magen, Blätter). Der erhaltene Nahrungssaft
-wird in beiden Reichen der atmosphärischen Luft ausgesetzt, um Stoffe
-durch Ausdünstung abzugeben und Sauerstoff -- bei der assimilierenden
-Pflanze außerdem Kohlendioxyd -- aufzunehmen. Der so vorbereitete
-Nahrungssaft gelangt hauptsächlich zu den tätigsten Teilen des
-Organismus, um dort seine Bestandteile im Zellgewebe abzusetzen. Ein
-Teil der zubereiteten Nahrung wird auch wohl in besonderen Organen
-niedergelegt (Knollen als Reservestoffbehälter der Pflanzen). Endlich
-besitzen andere eigentümliche Organe, die man Drüsen nennt, die
-Fähigkeit, aus dem Nahrungssafte besondere Stoffe abzuscheiden, sei
-es, um den Körper von ihnen zu befreien, sei es, um dadurch besondere
-Zwecke zu erfüllen.
-
-*Decandolle* handelt dann von diesen Vorgängen im einzelnen. Er erwägt,
-welche Kräfte das Einsaugen der ernährenden Flüssigkeit bewirken; er
-untersucht die Zusammensetzung der Nährlösung, die Wege, auf denen
-sie in den Pflanzen emporsteigt, die Ursachen des Emporsteigens, die
-Geschwindigkeit, Kraft und Menge des Nahrungssaftes, die Rolle, welche
-die Atmosphäre bei der Ernährung spielt usw. Aus dem Zusammenwirken
-dieser Vorgänge entsteht nach *Decandolle* ein neuer Saft. Seine
-Existenz falle allerdings weniger in die Augen als diejenige des
-aufsteigenden Saftes, könne aber nicht bezweifelt werden.
-
-Die Ansicht, die Pflanzen besäßen einen dem Blutkreislauf der Tiere
-analogen Kreislauf der Säfte, wurde von *Decandolle* endgültig
-beseitigt. Zwar gibt es in den Pflanzen nach ihm einen Saft, welcher
-dem Blute der Tiere darin entspricht, daß er das Wachstum und die
-Ernährung der Organe bedingt. Dieser Saft nimmt seine Entstehung
-in den blattartigen Teilen. Dort wird die dem Boden entstammende
-Nährlösung konzentriert, indem die Blätter reines Wasser aushauchen und
-alle mineralischen Bestandteile, welche das Wasser mit sich führte,
-zurückhalten[638]. In den Blättern wird der konzentrierte Saft von den
-Sonnenstrahlen getroffen und dadurch das im Nahrungssafte gleichfalls
-gelöste Kohlendioxyd, das teils aus dem Boden, teils aus der Atmosphäre
-stammt, zersetzt. Als erstes Assimilationsprodukt betrachtet
-*Decandolle* Gummi. Dieser bestehe aus einem Molekül Wasser und einem
-Atom Kohlenstoff (CH_{2}O) und könne durch sehr geringe Umänderungen in
-Stärkemehl, Zucker oder Cellulose verwandelt werden.
-
-Der so entstandene Bildungssaft müsse offenbar die Pflanze bis in
-die Wurzel hinab durchdringen, um in den wachsenden Teilen, den
-Reservestoffbehältern und in sezernierenden Geweben Verwendung zu
-finden, oder weitere Umwandlungen zu erleiden.
-
-Es sind das, wie wir sehen, die Grundzüge der durch alle späteren
-Forschungen bestätigten Ernährungslehre der Pflanzen, wie sehr auch
-später das Bild im einzelnen verändert oder vervollständigt worden
-ist. Die Leistungen auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie, welche
-Deutschland[639] um jene Zeit aufzuweisen hatte, können sich nicht
-entfernt mit denen *Decandolles* messen. Man suchte unter dem Einfluß
-der Naturphilosophie alle Vorgänge auf das Wirken der Lebenskraft
-zurückzuführen. Auch besaßen die deutschen Pflanzenphysiologen[640]
-jener Zeit nicht die erforderliche exaktwissenschaftliche Vorbildung,
-wie sie *Decandolle* unter der Einwirkung der Genfer und Pariser
-Physiker und Chemiker sich erworben hatte. Nur auf dieser Grundlage,
-die auch für die Erneuerung der Chemie durch *Lavoisier* das
-Bestimmende war, konnte für die Physiologie der große Schritt zur
-messenden und wägenden, stets induktiv verfahrenden Naturwissenschaft
-geschehen. Bei dem Fortschreiten in dieser Richtung hat sich dann
-während des weiteren Verlaufs des 19. Jahrhunderts Deutschland auch auf
-diesem Gebiete, wie wir des Näheren noch erfahren werden, die größten
-Verdienste erworben.
-
-
-
-
-25. Die Fortschritte der Zoologie und ihre Verschmelzung mit der
-vergleichenden Anatomie.
-
-
-Auf zoologischem Gebiete hatte *Buffon*, der in seiner
-Naturgeschichte[641] nicht nur vortrefflich zu schildern, sondern auch
-allgemeine Gesichtspunkte hervorzuheben verstand, den Gedanken eines
-einheitlichen, das gesamte Tierreich beherrschenden Planes aufgestellt.
-*Buffon* ging sogar noch weiter. Nach seiner Meinung[642] gibt es
-keinen wesentlichen Unterschied zwischen Tier und Pflanze, sondern es
-besteht eine ununterbrochene Stufenfolge zwischen dem vollkommensten
-Tiere und dem niedrigsten pflanzlichen Lebewesen. Jener Plan, nach dem
-der Mensch und die übrigen Geschöpfe gebaut sein sollten, läßt nach
-*Buffon* erkennen, daß alle Wesen nach einem Urbild geschaffen und,
-unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, die Glieder einer großen Familie
-sind. *Buffons* Ausführungen blieben, weil die damaligen anatomischen
-Kenntnisse unzureichend waren, um in dieser Frage einen Entscheid
-herbeizuführen, zunächst nichts weiter als eine geistreiche Annahme.
-
-Nach *Buffon* fand der Gedanke von der Einheit der tierischen
-Organisation in *Geoffroy Saint-Hilaire*[643] einen eifrigen
-Verfechter. Wenn auch ein *Goethe* diesem Gedanken Beifall zollte,
-so konnte er den Ergebnissen der anatomischen Forschung *Cuviers*
-gegenüber doch nicht standhalten.
-
-Faßt man die Fortschritte der Zoologie, der vergleichenden Anatomie
-und der Paläontologie während der neuesten, mit dem 19. Jahrhundert
-beginnenden Entwicklung dieser Wissenschaften ins Auge, so wird sich
-das Interesse in erster Linie dem zuletztgenannten Manne zuwenden, dem
-wir deshalb wie *Gay-Lussac*, dem Meister der chemisch-physikalischen
-Forschung jener Zeit, eine etwas ausführlichere Darstellung widmen
-wollen.
-
-*Georg Cuvier* wurde 1769 zu Mömpelgard (Montbéliard), welches
-damals eine württembergische Enklave der Franche Comté war, geboren.
-Er starb in Paris im Jahre 1832. *Cuvier* zeigte schon als Knabe
-außergewöhnliche Anlagen. Nachdem er das Gymnasium verlassen hatte,
-wurde der Herzog Karl Eugen, der gern junge Talente förderte, auf ihn
-aufmerksam. So kam *Cuvier* 1784 zur Karlsakademie, um dort Rechtskunde
-zu studieren. Schon vorher hatte er sich, angeregt durch das Lesen der
-Werke *Buffons*, mit großer Liebe den Naturwissenschaften zugewandt.
-Auf der Karlsschule fand er neben seinen Berufsstudien noch Zeit, unter
-den Zöglingen einen naturwissenschaftlichen Verein ins Leben zu rufen,
-der sich die Aufgabe stellte, die Pflanzen und die Tiere der Umgegend
-zu sammeln und sie nach *Linnés* »Systema naturae« zu bestimmen.
-
-Im Jahre 1788 verließ *Cuvier* die Akademie und wurde Hauslehrer in der
-Normandie. *Cuvier* fand hier Gelegenheit und Muße, seine Forschungen
-auf die Tierwelt des Meeres auszudehnen. Er untersuchte den inneren Bau
-der Weichtiere, Krebse, Seesterne, Seeigel, usw. und gelangte zu der
-Überzeugung, daß die Vereinigung dieser so verschiedenartigen Geschöpfe
-in eine Klasse, wie sie *Linné* vorgenommen, sich nicht aufrecht
-erhalten ließ.
-
-Nachdem *Cuvier* vier Jahre in der Stille gearbeitet hatte, wurde
-er von einem durch die Stürme der Revolution nach der Normandie
-verschlagenen Pariser Gelehrten sozusagen erst entdeckt. Dieser schrieb
-an seine wissenschaftlichen Freunde, einen tüchtigeren Mann für
-vergleichende Anatomie wie *Cuvier* würde man nicht gewinnen können.
-So kam denn letzterer im Jahre 1795 nach Paris, wo er Professor an der
-École centrale wurde.
-
-Nachdem man gegen das Ende des 18. Jahrhunderts den Reichtum des
-Pariser Beckens an Resten von Säugetieren und Vögeln kennen gelernt
-hatte, war das Bemühen um die geologische Durchforschung dieser Gegend
-in hohem Grade rege geworden. Auch *Cuvier* wurde einige Jahre nach
-seiner Ankunft in Paris in diese Aufgabe hineingezogen, um schon nach
-kurzer Zeit auch hier die Führung zu übernehmen. Den ersten Anlaß bot
-ihm die Zusendung einiger Knochen, die man in den Gipsbrüchen des
-Montmartre gefunden hatte. *Cuviers* Kenntnis der lebenden Tierformen
-war so umfassend, daß er jenen Überresten gleich einen vorweltlichen
-Ursprung zuschreiben konnte. Alle Funde der Gipsbrüche gelangten
-jetzt an *Cuvier*, welcher durch seine Untersuchung jener Funde der
-Paläontologie einen Weg eröffnete, auf dem bisher nur wenige Schritte
-geschehen waren.
-
-»Als Altertumsforscher ganz neuer Art«, sagt *Cuvier*[644], »mußte
-ich diese Zeugen vorübergegangener Umwälzungen zu ergänzen und
-ihre eigentliche Bedeutung zu entziffern suchen. Ich hatte ihre
-zerbröckelten Trümmer zu sammeln und in ihrer ursprünglichen Ordnung
-zusammenzulegen, die Geschöpfe, denen sie angehörten, gleichsam zu
-rekonstruieren und sie mit denjenigen der Gegenwart zu vergleichen.«
-Bei der Ausübung dieser Tätigkeit ließ *Cuvier* sich von dem durch ihn
-klar ausgesprochenen Prinzip von der Korrelation der Organe leiten.
-Jeder Organismus bildet danach ein geschlossenes Ganzes, dessen Teile
-dergestalt miteinander in engster Wechselbeziehung stehen, daß kein
-Organ eine Abänderung aufweisen kann, ohne daß entsprechende Änderungen
-sich in allen übrigen Teilen finden.
-
-Sehen wir, wie *Cuvier* unter diesem Gesichtspunkt bei der Bestimmung
-fossiler Knochen verfuhr[645]: »Wenn die Eingeweide eines Tieres
-so beschaffen sind, daß sie nur Fleisch verdauen können, so müssen
-auch seine Kiefer zum Fressen, seine Klauen zum Festhalten und zum
-Zerreißen, seine Zähne zum Zerschneiden und Zerkleinern, das ganze
-System der Bewegungsorgane zum Verfolgen und Einholen der Beute, die
-Sinnesorgane zur Wahrnehmung der letzteren eingerichtet sein. Jedoch
-unter diesen allgemeinen Bedingungen sind auch noch einige besondere
-begriffen. Damit z. B. das Tier seine Beute forttragen könne, ist
-eine bestimmte Kraft derjenigen Muskeln erforderlich, durch welche
-der Kopf aufgerichtet wird; dieses setzt eine bestimmte Form der
-Wirbel, an denen die Muskeln entspringen, und des Hinterkopfes, wo
-sie sich anheften, voraus.« Des weiteren wird ausgeführt, daß dem
-Vorderarm eines seine Beute ergreifenden Tieres eine gegebene Form
-zukommen muß, die ihrerseits wieder die Gestalt des Oberarmknochens
-bestimmt. Kurz, es ergibt sich, daß die Form des Zahnes diejenige des
-Hinterhaupthöckers, der Gliedmaßenknochen, der Klauen usw. bedingt,
-so daß bei gründlicher Kenntnis dieser gegenseitigen Abhängigkeit
-aus einem dieser Teile das ganze Tier gewissermaßen rekonstruiert
-werden kann. Eine solche Tätigkeit konnte aber nur ein Meister auf
-dem Gebiete der vergleichenden Anatomie ausüben. *Cuvier* ist als
-der eigentliche Begründer dieses Wissenszweiges zu betrachten,
-wenn es auch an anerkennenswerten Vorläufern nicht gefehlt hat. Er
-war der erste, der das ganze Tierreich dem Skalpell unterwarf, und
-zwar mit solch vollendeter Meisterschaft, daß seine Arbeiten für
-alle Zeiten als Muster gelten können. So entstand sein anatomisches
-Hauptwerk[646], das neben einem Reichtum neuer Entdeckungen eine
-Verknüpfung des gesamten Tatsachenmaterials und dadurch einen Einblick
-in die Gesetze der tierischen Organisation vermittelt, wie es kein
-früheres und wenige spätere Werke in gleichem Grade vermocht haben. Von
-Einzeluntersuchungen *Cuviers* sind besonders seine Arbeiten über den
-unteren Kehlkopf der Vögel, über die Anatomie der Schnecke und über den
-Kreislauf der wirbellosen Tiere hervorzuheben.
-
-*Cuvier* war unterdessen Professor der vergleichenden Anatomie am
-Jardin des Plantes[647] und bald darauf Sekretär der Akademie geworden.
-Sein großes Lebenswerk wurde nicht nur dadurch gefördert, daß ihm diese
-höchsten wissenschaftlichen Stellungen eine Fülle von Hilfsmitteln
-erschlossen, sondern die gesamten Zeitumstände waren für ihn äußerst
-günstig. Die Machthaber Frankreichs, welche nach den ersten Stürmen
-der Revolutionszeit auftraten, brachten der großen Bedeutung der
-exakten Wissenschaften ein volles Verständnis entgegen. Schon unter dem
-Direktorium hatte man die von dem Nationalkonvent als gelehrten Plunder
-aufgehobene Akademie wieder eingerichtet. Napoleon ließ sich zu ihrem
-Mitgliede ernennen und trat zu *Cuvier*, den er besonders schätzte,
-in ein nahes persönliches Verhältnis. Letzterer wurde vom Kaiser mit
-der Reorganisation des arg in Unordnung geratenen Unterrichtswesens
-betraut. Diese Stellung brachte es mit sich, daß der große Gelehrte,
-dessen amtliche Tätigkeit sich auch auf die italienischen Universitäten
-erstreckte, weite Reisen unternahm und auswärtige Museen kennen
-lernte. Zum Mittelpunkt der naturwissenschaftlichen Sammeltätigkeit
-wurde aber Paris gemacht, wohin durch die französischen Eroberungszüge
-nicht nur die hervorragendsten Kunstschätze, sondern auch ein reiches
-wissenschaftliches Material gelangte. Paris war damals nicht nur das
-politische, sondern auch das geistige Zentrum der Welt.
-
-Nachdem *Cuvier* die Grundlagen der vergleichenden Anatomie geschaffen,
-ging sein ganzes Streben darauf hinaus, diese Wissenschaft mit der
-Zoologie zu verschmelzen und eine Anordnung der Formen zu treffen,
-welche der genaue und vollständige Ausdruck der Natur sein sollte[648].
-»Als ich anfing«, sagt er[649], »herrschte das *Linné*sche System.
-Es gab zwar ausgedehnte Arbeiten über einzelne Tierklassen. Die
-Bearbeiter hatten aber nur die äußeren Beziehungen der Arten
-berücksichtigt; niemand hatte sich damit abgegeben, die Klassen und
-ihre Unterabteilungen nach der Gesamtheit der inneren und äußeren
-Kennzeichen gegeneinander abzuwägen. Ich mußte also in der Anatomie und
-in der Zoologie mit dem Zergliedern und dem Einteilen von vorn anfangen
-und aus der gegenseitigen Befruchtung dieser beiden Wissenschaften das
-zoologische System hervorgehen lassen.« Die Grundzüge des letzteren
-veröffentlichte *Cuvier* in der berühmten Abhandlung vom Jahre 1812.
-Sie führt den Titel: »Über eine neue Anordnung der Klassen, welche das
-Tierreich zusammensetzen«[650].
-
-*Cuviers* System bedeutet den größten Fortschritt der Zoologie seit
-der Zeit des Aristoteles. *Linné* hatte als »Würmer« zahlreiche
-verschiedengestaltige Tiere beisammen gelassen, für die es unmöglich
-war, irgend ein gemeinsames Kennzeichen anzugeben. Während *Cuvier*
-an seinen ersten Abhandlungen zur vergleichenden Anatomie arbeitete,
-befand er sich der Unmöglichkeit gegenüber, irgend etwas allgemein
-Zutreffendes über die Würmer zu sagen, sei es über ihr Nervensystem,
-sei es über ihren Blutkreislauf, ihre Atmungs-, Fortpflanzungs- oder
-über ihre Verdauungsorgane. Dadurch wurde ihm denn klar, daß diese
-Klasse nicht gleich den übrigen auf positive Merkmale gegründet sei.
-Er machte deshalb 1795 den Vorschlag, die »Würmer« in vier Klassen
-zu teilen, welche auf ebenso deutliche Verschiedenheiten gegründet
-wären, wie die Klassen der Wirbeltiere. Während nämlich die Klassen
-der Wirbeltiere eine große Anzahl von Zügen gemeinsam haben, gilt für
-die wirbellosen Tiere nicht dasselbe. »Die Klassen der Wirbeltiere«,
-sagt *Cuvier*, »sind gewissermaßen nach demselben Plane gebaut. Will
-man aber ein Organsystem der wirbellosen Tiere beschreiben, so ist
-man gezwungen, fast ebensoviel Schemata zu entwerfen, als man Klassen
-innerhalb der Wirbellosen aufgestellt hat.« *Cuvier* gelangte so dahin,
-gewisse Klassen der letzteren der gesamten Reihe der Wirbeltiere als
-gleichwertig an die Seite zu stellen. Das Ergebnis war, daß er vier
-Hauptpläne nachwies, nach denen ihm sämtliche Tiere gebaut zu sein
-schienen. Die Unterabteilungen der so gewonnenen vier Hauptgruppen
-oder Kreise werden nach ihm dadurch bedingt, daß geringe Abänderungen
-durch die Entwicklung und das Hinzutreten gewisser Teile hervorgerufen
-werden, die indessen an den Grundzügen des Planes nichts ändern.
-
-Nach einer genauen Kennzeichnung der anatomischen Grundzüge jedes
-Kreises, gelangt *Cuvier* zu folgender Einteilung des Tierreiches:
-
- I. Kreis. Wirbeltiere.
-
- 1. Klasse Säugetiere.
- 2. " Vögel.
- 3. " Kriechtiere (Reptilien und Amphibien).
- 4. " Fische.
-
-
- II. Kreis. Weichtiere.
-
- 1. Klasse Kopffüßer oder Cephalopoden.
- 2. " Bauchfüßer oder Gasteropoden.
- 3. " Flossenfüßer oder Pteropoden.
- 4. " Muscheln oder Acephalen.
-
-
- III. Kreis. Gliedertiere.
-
- 1. Klasse Ringelwürmer oder Anneliden.
- 2. " Krebstiere oder Crustaceen.
- 3. " Spinnen oder Arachniden.
- 4. " Kerbtiere oder Insekten.
-
-
- IV. Kreis. Radiärtiere.
-
- 1. Klasse Stachelhäuter oder Echinodermen.
- 2. " Eingeweidewürmer.
- 3. " Pflanzentiere oder Polypen.
- 4. " Aufgußtiere oder Infusorien.
-
-Diese Einteilung *Cuviers* bildet auch heute noch im wesentlichen
-die Grundlage des natürlichen Systems. Doch ist die Zahl der
-Kreise auf sieben vermehrt worden. Zuerst wurde durch Abtrennung
-der Infusorien von den Radiärtieren der Kreis der Urtiere oder
-Protozoen gebildet. Sodann wurden die Stachelhäuter, welche einen Darm
-besitzen, als besonderer Kreis den darmlosen Radiärtieren (Korallen,
-Seerosen usw.) gegenübergestellt. Endlich wurden die Ringelwürmer
-mit den Eingeweidewürmern und anderen niederen Formen zum Kreise
-der Würmer vereinigt. Außerdem gestattet die Entdeckung zahlreicher
-Verbindungsglieder zwischen den einzelnen Kreisen, das gesamte
-Tierreich als eine Einheit im höchsten Sinne zu betrachten.
-
-Die Ergebnisse von *Cuviers* vergleichend anatomischen Untersuchungen
-widersprachen der von der naturphilosophischen Schule vorausgesetzten
-Einheit der tierischen Organisation. Seine durch Jahrzehnte
-fortgesetzten Arbeiten hatten den nicht hinwegzuleugnenden Nachweis
-geliefert, daß sich die scheinbar unendliche Mannigfaltigkeit der
-Lebewesen auf mehrere Typen oder allgemeinen Baupläne zurückführen
-läßt. Das von *Cuvier* geschaffene System, vor allem aber der
-Grundgedanke, daß es solche allgemeinen Baupläne gibt, ist durch
-weitere, insbesondere entwicklungsgeschichtliche Forschungen im
-wesentlichen bestätigt worden. Sah man sich auch gezwungen, die
-Zahl der Typen zu vermehren, sowie die Existenz von Zwischenformen
-anzunehmen, so wurde dadurch der Begriff des Typus doch nicht
-erschüttert. Und vollends haben sich Lehren, wie diejenige von
-*Geoffroy St. Hilaire*, nach welcher die Insekten mit ihrem
-bauchständigen Mark als umgekehrte Wirbeltiere betrachtet wurden, als
-unhaltbar erwiesen.
-
-*Cuviers* Untersuchungen über die fossilen Tiere berühren sich mit
-den Ergebnissen seiner zoologischen Arbeiten. Die Hauptpläne, die er
-für die lebenden Tiere erkannt hatte, fanden sich nämlich auch an den
-untergegangenen Formen verwirklicht, so daß sich die früheren mit den
-jetzigen Lebewesen zu einem großen System vereinigen ließen.
-
-Mit der Erkenntnis, daß die ausgestorbenen Wirbeltiere, auf die sich
-*Cuviers* paläontologische Forschungen insbesondere erstreckten, von
-den heutigen in solchem Maße abweichen, daß sie mit ihnen höchstens
-unter denselben Gattungsbegriff gestellt werden dürfen, konnte man
-das Dogma von der Konstanz der Arten nicht wohl vereinigen. So nahm
-denn *Cuvier* an, daß jede einer geologischen Epoche eigentümliche
-Lebewelt auf einen besonderen Schöpfungsvorgang zurückzuführen
-sei, während die Harmonie der gesamten Schöpfung in dem Einhalten
-der von ihm nachgewiesenen Baupläne zum Ausdruck gelangen sollte.
-Jeder Neuschöpfung sollte eine Beseitigung der vorhandenen Wesen
-vorangegangen sein. Hierfür nahm *Cuvier* gewaltige geologische
-Umwälzungen in Anspruch, deren Spuren er in den Veränderungen, welche
-die ursprünglich horizontalen, versteinerungsführenden Schichten
-erlitten haben, aufdecken zu können glaubte. Die Entwicklung der
-Paläontologie und der Geologie unter dem Einfluß dieser Anschauungen
-*Cuviers* und seiner Zeitgenossen wird uns in einem späteren Abschnitt
-beschäftigen.
-
-Erwähnen wir noch, daß *Cuvier* im Jahre 1817 unter dem Titel das
-»Tierreich« ein umfassendes Werk[651] herausgab, so ist damit die
-Bedeutung dieses außerordentlichen Mannes zwar nicht erschöpft, doch
-in den wesentlichsten Punkten gewürdigt. Am 13. Mai des Jahres 1832
-wurde er nach kurzer Krankheit seiner großartigen Tätigkeit durch den
-Tod entrissen. »Solange die Welt steht«, äußerte ein hervorragender
-Zeitgenosse in einem *Cuvier* gewidmeten Nachruf[652], »wird der
-Verstorbene als hellleuchtendes Gestirn am naturhistorischen Himmel
-glänzen und die Augen der Nachkommenden auf sich ziehen, um bei seinem
-Scheine den Reichtum der Natur zu bewundern, zu untersuchen, zu
-scheiden, zu ordnen, zu begreifen und zu benutzen.«
-
-Nachdem in der Anatomie die vergleichende Richtung über die einseitig
-beschreibende gesiegt hatte, konnte es nicht ausbleiben, daß auch der
-menschliche Organismus unter allgemeineren Gesichtspunkten betrachtet
-wurde. Schon *Linné* hatte dem Menschen einen Platz in seinem System,
-und zwar innerhalb der Ordnung der Primaten, angewiesen und dazu
-bemerkt, er habe bislang kein anatomisches Kennzeichen nachweisen
-können, wodurch der Körperbau des Menschen vom demjenigen des Affen
-unterschieden sei. Aus dem Bemühen, den von *Linné* vermißten
-»Charakter der Humanität« aufzufinden, überhaupt den Menschen als
-ein Naturgeschöpf zu würdigen und zu verstehen, entsprang die neuere
-Anthropologie, die sich seit dem Erscheinen von *Blumenbachs* Ȇber die
-angeborene Verschiedenheit im Menschengeschlecht« datieren läßt[653].
-In dieser Schrift sucht *Blumenbach* den Nachweis zu führen, daß die
-Menschheit aus Rassen bestehe, die aus einem gemeinschaftlichen Stamme
-hervorgegangen seien, ähnlich wie dies für die Spielarten der Haustiere
-zutrifft. Obgleich *Blumenbach* durchaus nicht verkennt, daß derartige
-Spielarten durch kaum merkliche Übergänge ineinander überfließen,
-gelangt er doch zur Aufstellung seiner bekannten fünf Hauptrassen
-(Kaukasier, Mongolen, Aethiopier, Amerikaner, Malayen[654]).
-
-Als ein wesentliches anatomisches Merkmal, das den Menschen vom höheren
-Tiere, insbesondere vom Affen unterscheidet, betrachtet *Blumenbach*,
-den wir als einen der frühesten vergleichenden Anatomen und den
-Begründer der ethnographischen Schädellehre gelten lassen müssen,
-das vortretende Kinn und die dadurch bedingte aufrechte Stellung der
-unteren Vorderzähne. Der gleichfalls auf dem Gebiete der vergleichenden
-Anatomie schon vor *Cuvier* tätige Holländer *Peter Camper* (1722-1789)
-wies in einer vortrefflichen Arbeit über den Orang-Utang darauf hin,
-daß der Gesichtswinkel dieses höchststehenden Affen beträchtlich
-kleiner als derjenige der am tiefsten stehenden menschlichen Rassen
-sei.
-
-
-
-
-26. Geologie und Paläontologie unter der Herrschaft der
-Katastrophenlehre.
-
-
-Schon *Hutton* hatte in seiner »Theorie der Erde« die heute herrschende
-Ansicht entwickelt, daß der gegenwärtige Zustand der Erde aus den noch
-jetzt wirkenden Kräften unter Zuhilfenahme ausgedehnter Zeiträume
-erklärt werden müsse. Die Mehrzahl der Geologen nahm aber für die
-früheren Epochen der Erdentwicklung außergewöhnliche Kräfte und
-Begebenheiten in Anspruch.
-
-Häufig wurde diese unter dem Namen der Katastrophentheorie bekannte
-Ansicht selbst bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein von dem Streben
-getragen, die Wissenschaft mit der biblischen Überlieferung in Einklang
-zu bringen. Manche wollten sogar in der Sintflut die letzte große
-Katastrophe erblicken. Zu den Anhängern der Katastrophentheorie gehörte
-auch *Cuvier*. Wir haben die hervorragenden Leistungen dieses Mannes
-um die vergleichende Anatomie und Zoologie schon kennen gelernt.
-Ausgehend von diesen Wissenszweigen hatte *Cuvier* die Paläontologie
-reformiert. In der allgemeinen Geologie blieben *Cuviers* Anschauungen
-und Kenntnisse jedoch weit hinter denen eines *Hutton* und *Füchsel*
-zurück. Trotzdem wurden diese Anschauungen, gestützt durch die große
-Autorität, die *Cuvier* auf den zu der Geologie in engster Beziehung
-stehenden Wissenszweigen genoß, zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts
-die herrschenden.
-
-Auch der Umstand, daß der große französische Forscher seine
-allgemeingeologischen Lehren seinem epochemachenden paläontologischen
-Werk[655], als eine Art Vorrede voranschickte, verlieh ihnen die
-besondere Beachtung der Zeitgenossen.
-
-Nachdem *Cuvier* die Beschaffenheit der uns zugänglichen Teile der
-Erde und die gegenwärtig noch tätigen geologischen Kräfte geschildert,
-kommt er zu dem Ergebnis, daß diese Kräfte nicht ausreichen, um die
-Veränderungen hervorzubringen, deren Spuren uns die Erdkruste darbietet.
-
-Die Veränderungen, die im Verlaufe der Erdgeschichte in der organischen
-Welt stattfanden, wurden nach *Cuvier* durch einen Wechsel in der
-Beschaffenheit des Mediums veranlaßt oder gingen einem solchen
-wenigstens parallel. Dieser Wechsel erfolgte nach ihm nicht allmählich,
-sondern plötzlich, katastrophenartig. Da inmitten der Meeresbildungen
-Schichten vorkommen, die mit tierischen und pflanzlichen Erzeugnissen
-des Festlandes und des süßen Wassers angefüllt sind, so müsse man
-schließen, daß zu wiederholten Malen schon aufs Trockene gesetzte
-Teile der Erde wieder überflutet wurden. Für die Behauptung, daß
-dieser Wechsel plötzlich erfolgte, dienten *Cuvier* besonders die
-im Eise Sibiriens entdeckten Leichen des Mammuts als Beweis. Die
-letzte Katastrophe, meint er, habe im hohen Norden Leichen gewaltiger
-Vierfüßer zurückgelassen, die vom Eise eingeschlossen wurden und
-bis auf unsere Tage mit Haut und Haar erhalten blieben. Wären das
-Einfrieren und der Tod nicht zur selben Zeit erfolgt, so würden
-die Tiere der Zersetzung anheim gefallen sein. Andererseits könne
-dieser ewige Frost vorher nicht an den Orten, wo die Tiere von ihm
-ergriffen wurden, geherrscht haben, denn sie hätten unter solchen
-Temperaturverhältnissen nicht leben können. Es sei also derselbe
-Augenblick, welcher den Tod dieser Tiere herbeigeführt und das Land,
-das sie bewohnten, mit Eis überzogen habe. Dies müsse plötzlich und
-nicht etwa nach und nach eingetreten sein. Und was sich so offenbar für
-diese letzte Katastrophe dartun lasse, sei kaum weniger ersichtlich für
-die vorangegangenen. Die Zerreißungen, Biegungen und Kippungen, welche
-die ältesten Schichten aufweisen, riefen in *Cuvier* die Überzeugung
-hervor, daß plötzliche und heftig wirkende Ursachen die Schichten in
-den Zustand versetzt hätten, in dem wir sie jetzt erblicken.
-
-*Cuviers* Irrtum entsprang zum Teil daraus, daß er die Zeitdauer der
-geologischen Entwicklung unterschätzte. So nahm er z. B. an, daß die
-letzte Erdrevolution vor nicht mehr als 5000 Jahren stattfand. Während
-*Cuviers* irrige Vorstellungen auf dem Gebiete der allgemeinen Geologie
-eine ähnliche Rolle gespielt haben wie *Newtons* Emanationslehre
-in der Optik, sind seine Verdienste um die Paläontologie von der
-größten Bedeutung. Ihm gelang es, dieser Wissenschaft durch die enge
-Verbindung, in die er sie mit der Zoologie und der vergleichenden
-Anatomie brachte, einen völlig neuen Geist, der sie seitdem belebt hat,
-einzuhauchen.
-
-Die Umgegend von Paris, die *Cuvier* für seine paläontologischen
-Forschungen das meiste Material lieferte, ist an fossilen
-Säugetierresten besonders reich. Die größte Schwierigkeit ergab sich
-aber daraus, daß vollständige Skelette äußerst selten gefunden werden,
-die einzelnen Knochen vielmehr ohne alle Ordnung und meist zerbrochen
-in den Gesteinsschichten sich vorfinden. All diese Schwierigkeiten
-schwanden, als *Cuvier* das schon früher erwähnte[656] Grundgesetz der
-allgemeinen Anatomie, das Prinzip der Korrelation der Organe aussprach.
-Nach diesem Prinzip regelt sich das gegenseitige Verhältnis der Formen
-in den organischen Geschöpfen in der Weise, daß jeder Organismus schon
-aus der Beschaffenheit eines seiner Teile in seiner ganzen Eigenart
-erkannt werden kann.
-
-Unter Anwendung dieses Prinzips und durch steten Vergleich mit
-den Skeletten lebender Tiergattungen gelang es *Cuvier*, aus den
-zerstreuten Knochen, die sich im Pariser Gips fanden, die erloschenen
-Gattungen, Paläotherium und Anoplotherium, zu rekonstruieren. Diese
-Gattungen der mittleren Tertiärzeit (Oligozän) erwiesen sich beim
-näheren Studium als ziemlich artenreich. Das Paläotherium mit seinen
-drei gleich starken Hufen wurde als ein Vorläufer unseres Pferdes
-erkannt, während das Anoplotherium den Urtypus eines Wiederkäuers
-darstellt. Auch Raubtiere, Beuteltiere, Vögel, Reptilien und Fische
-ließen sich in ihren Überresten im Gips des Montmartre nachweisen.
-Fast kein Block dieser tertiären Gesteinsmasse war frei von solchen
-zerstreuten Resten, die *Cuvier* auf mehr als 150 verschiedene Arten
-zurückzuführen vermochte. Von diesen Arten waren mehr als 90 vor
-*Cuvier* den Naturforschern gänzlich unbekannt.
-
-Auf Grund seiner Einzeluntersuchungen gelangte *Cuvier* zu einer
-klareren Einsicht in die geologische Zeitfolge der Organismen, als sie
-vor ihm möglich war. Er hob hervor, daß die Fische und die eierlegenden
-Vierfüßer früher auf der Erde erschienen als die Säugetiere und daß die
-erloschenen Gattungen der letzteren in älteren Schichten vorkommen als
-die Gattungen, von denen noch heute Arten existieren.
-
-Die Ichthyosauren, Plesiosauren, mehrere Schildkröten und Krokodile,
-schrieb *Cuvier* über das Verhältnis der Arten zu den Formationen,
-fänden sich unterhalb des Kreidegebietes in den Schichten des
-sogenannten Jura. Die zahlreichen Fische des Thüringer Kupferschiefers
-seien noch älter. In der Kreide selbst begegnen uns riesige Saurier
-und Schildkröten. Aber, fährt er fort, Knochen von Landsäugetieren
-finden sich außer den Beuteltierkiefern im Jura weder in älteren
-Gebirgsschichten noch in der Kreide. Trotz dieser im allgemeinen
-zutreffenden Erkenntnis von der geologischen Aufeinanderfolge der
-großen Gruppen der Organismen ahnte *Cuvier* nicht den genetischen
-Zusammenhang, der zwischen den vergangenen Lebewelten und der
-gegenwärtigen besteht.
-
-Von Einfluß auf die weitere Entwicklung der Geologie war die
-hervorragende Tätigkeit, welche Deutschlands größter Geologe, *von
-Buch*, entfaltete. *Leopold von Buch* wurde 1774 in der Uckermark
-geboren[657]. Gleichzeitig mit *Humboldt* wurde er auf der Bergakademie
-zu Freiberg durch *Werner* in die Mineralogie und in die Geognosie
-eingeführt. Wir haben *Werner* als den Begründer dieser Wissenschaft
-und den wichtigsten Verfechter der neptunistischen Lehre kennen
-gelernt[658]. Als *Buch* seine Forschungsreisen auf die vulkanischen
-Gebiete der Auvergne und Italiens ausdehnte, kamen ihm Zweifel an der
-Richtigkeit jener Lehre *Werners*, der seine Beobachtungen auf das
-mittlere Deutschland beschränkt hatte. Darauf vollzog sich bei *Buch*
-wie bei dem ihm befreundeten *Humboldt* ein entschiedener Abfall von
-*Werner*.
-
-Hochwichtige Ergebnisse förderte *v. Buchs* Durchforschung der
-skandinavischen Halbinsel zutage (1806-1808). Er untersuchte vor allem
-die Lagerungsverhältnisse der Massengesteine und fand, daß der Granit
-nicht immer das älteste Gestein sei, da er mitunter auf Versteinerungen
-führendem Kalk auflagere, wie z. B. bei Christiania. Als die älteste
-Grundlage betrachtete man nunmehr den *Gneiß*.
-
-Diese Entdeckung rief allgemeines Erstaunen hervor und veranlaßte den
-für geologische Fragen sich stets lebhaft interessierenden *Goethe* zu
-der Bemerkung, daß der Sohn zum Vater geworden sei. Auch der nordische
-Ursprung der deutschen Findlingsblöcke wurde durch *Buch* eingehender
-begründet. Endlich gelang es ihm, durch den Nachweis von Strandlinien
-die langsame Erhebung Skandinaviens aus dem Schoß des Meeres
-nachzuweisen und damit die neuere Lehre von den säkularen Hebungen und
-Senkungen zu begründen. Auf die Änderungen der Küsten jenes Landes
-hatte zwar schon *Celsius* im Jahre 1740 hingewiesen, sie aber aus
-einem langsamen Sinken des Meeresspiegels zu erklären gesucht.
-
-Von nicht geringerer Bedeutung für die Entwicklung der geologischen
-Vorstellungen als *Buchs* Werk über Skandinavien, war seine
-»Physikalische Beschreibung der kanarischen Inseln«[659]. Es lehrte
-die Unterscheidung von Zentral- und Reihenvulkanen, sowie die
-Entstehung der letzteren auf den großen Spalten der Erdrinde kennen,
-welche den Begrenzungen der Kontinente entsprechen. Gleichzeitig
-entwickelte *Buch* eine Theorie der Erhebung von Bergketten und ganzen
-Kontinentalmassen durch vulkanische Kräfte. War diese Theorie in
-ihren Einzelheiten auch nicht stichhaltig, so hat sie doch die heute
-geltenden Lehren der Gebirgsbildung vorbereitet.
-
-Dem Studium des Vulkanismus war auch *Humboldts* amerikanische
-Forschungsreise, soweit sie geologische Erscheinungen betraf, in erster
-Linie gewidmet. So machte es *Humboldt* schon wahrscheinlich, daß sich
-die gewaltigen Vulkane Mittelamerikas über einer 150 Meilen langen
-Erdspalte befinden.
-
-Die Ausdehnung der geologischen Forschung auf die außereuropäischen
-Erdteile, wie sie besonders *Humboldt* einleitete, war vor allem
-nötig, um die Allgemeingültigkeit der in Mitteleuropa an einem nur
-beschränkten Material zuerst ins Leben gerufenen Lehren über die
-Schichtenfolge darzutun und die ursächliche Begründung dieser Lehren zu
-ermöglichen.
-
-
-
-
-27. Fortschritte auf dem Gebiete der Entwicklungslehre.
-
-
-Um das Studium der Entwicklung des Tierindividuums hatte sich im
-18. Jahrhundert *Wolff* das größte Verdienst erworben[660]. Seine
-Ansichten vermochten der Evolutionstheorie gegenüber zunächst nicht
-durchzudringen. Im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts erfuhr die
-Entwicklungsgeschichte durch eine Reihe deutscher Forscher jedoch
-einen außerordentlichen Aufschwung, wobei *Wolffs* Lehre von der
-Epigenesis den Sieg davontrug. »Der Deutsche«, sagt *Hyrtl*, »darf mit
-Stolz sagen, daß alles, was in diesem Fache Großes geschah, von seinem
-Vaterlande ausging«. Die Männer, welche diesen Umschwung herbeiführten,
-waren außer dem Anatomen *Meckel*, der durch seine Übersetzung
-von *Wolffs* Schrift über die Bildung des Darmkanals (1812) die
-Aufmerksamkeit der Zoologen und Physiologen von neuem auf dieses Gebiet
-gelenkt hatte, vor allem *Pander* und *von Baer*.
-
-Die neue Ära wurde eingeleitet durch *Panders* Beiträge zur
-Entwicklungsgeschichte des Hühnchens im Ei. Es ist dies eine klassisch
-zu nennende Arbeit und zwar bis dahin die bei weitem bedeutendste auf
-diesem Gebiete. Daß die Bildung des Embryos von einer blattförmigen
-Schicht ausgeht, hatte *Wolff* schon angedeutet. »*Pander*[661] zeigte,
-daß in der Bildung der Keimhaut die ganze Entwicklung des Hühnchens
-begründet ist«. Alles, was weiter geschieht, sagt er, ist nichts
-anderes »als eine Metamorphose dieser mit einer unerschöpflichen Fülle
-des Bildungstriebes begabten Membran und ihrer Blätter«. *Pander*
-wies nach, daß sich das Keimblatt zunächst und zwar schon während der
-ersten 24 Stunden in drei übereinander liegende Blätter spaltet. Das
-äußerste nannte er das seröse, das innere das Schleimblatt und das
-zwischen beiden liegende das Gefäßblatt. Den eigentümlichen Gang der
-Entwicklung, den jedes dieser Primitivgebilde einschlägt, hat *Pander*
-auch schon in Betracht gezogen. Die Fortsetzung der Arbeit nach dieser
-Richtung blieb indessen vor allem *von Baer* vorbehalten, der sich den
-Ehrentitel des größten Embryologen aller Zeiten erworben hat.
-
-*Karl Ernst von Baer*[662] wurde am 28. Februar 1792 in Esthland
-geboren und studierte zunächst in Dorpat und später in Würzburg
-bei *Döllinger*, dem sowohl er als auch *Pander* die Anregung zu
-ihren embryologischen Arbeiten verdankten. *Döllinger* hatte den
-Wunsch geäußert, daß einer seiner Schüler sich der mühevollen Arbeit
-unterziehen möge, die Entwicklung des Hühnchens von Stunde zu Stunde
-zu verfolgen. Er wandte sich damit zuerst an *von Baer*, der seinen
-Genossen *Pander* zur Übernahme dieses Auftrages bewog. *Von Baer*
-wurde Professor der Naturgeschichte in Königsberg, folgte aber später
-einem Rufe an die Petersburger Akademie der Wissenschaften.
-
-*Von Baer* ist vor allem dadurch berühmt geworden, daß er die Frage
-nach dem Ei der Säugetiere, insbesondere des Menschen, um die sich
-Jahrtausende vergeblich bemüht hatten, zum Abschluß brachte. Um die
-Mitte des 17. Jahrhunderts wurde die Vermutung geäußert, daß diejenigen
-weiblichen Organe, die unter dem Namen Ovarien bekannt sind, die
-Bildungsstätte der Säugetiereier und der menschlichen Eier seien. Der
-Niederländer *de Graaf* entdeckte die seitdem als *Graaf*sche Follikel
-bezeichneten, mit Flüssigkeit gefüllten Bläschen. Manche Anatomen
-hielten sie für die Eier, was zur Bezeichnung Eierstock oder Ovarium
-für das sie erzeugende Organ geführt hat.
-
-*De Graaf* selbst sprach die Vermutung aus, daß sich das Ei in dem
-Follikel befinde. Die Richtigkeit dieser Ansicht bewies erst *von Baer*
-im Jahre 1827[663]. Einige Jahre vorher hatte man im unbebrüteten Ei
-des Vogels das Keimbläschen entdeckt, ein einzelliges Gebilde, von dem,
-wie man bemerkte, die Bildung der Keimhaut ihren Ausgang nimmt[664].
-
-*Von Baer* wies das Vorkommen dieses Keimbläschens in den Eiern der
-übrigen eierlegenden Tiere, wie der Frösche, Mollusken, Würmer und
-Gliedertiere, nach und zeigte, wie aus diesem einzelligen Gebilde
-durch einen Furchungsprozeß die Keimhäute als erste Anlage des Embryos
-hervorgehen und daß die Hauptsubstanz des früher als Ei bezeichneten
-Gebildes, der Dotter, nur den Nährstoff für das sich entwickelnde
-Lebewesen vorstellt.
-
-Damit war für das gesamte Tierreich eine die Entwicklung beherrschende
-Gesetzmäßigkeit gefunden, welche dahin lautet, daß jedes, auch das am
-höchsten stehende, Geschöpf sein Leben als einzelliges Gebilde beginnt.
-Mit der Entdeckung der Eizelle und des Furchungsprozesses[665] war
-nicht nur *Harveys* Ausspruch omne vivum ex ovo erst zur Wahrheit
-geworden, sondern es war durch diese Entdeckungen die wichtige
-Grundlage für die bald darauf von *Schwann* errichtete Zellenlehre[666]
-geschaffen.
-
-Schon im Jahre nach der Entdeckung des Säugetiereies ließ *von Baer*
-den ersten Band seines berühmten Werkes »Über die Entwicklung der
-Tiere« erscheinen. (1828. Der zweite Band erschien 1837.) Anknüpfend
-an die Untersuchungen *Panders* über die Bildung der drei Keimblätter
-zeigte *von Baer*, wie aus diesen Primitivgebilden die einzelnen
-Organe und Organsysteme des Embryos sich entwickeln. Während ferner
-*Pander* sich nach althergebrachter Weise auf die Entwicklung des
-Hühnchens beschränkt hatte, dehnte *von Baer* seine Untersuchung, indem
-er nach der in der Anatomie schon zum Durchbruch gelangten Methode
-vergleichend verfuhr, auf sämtliche Gruppen der Wirbeltiere aus. *Von
-Baer* verfolgte zunächst die Umwandlung der Keimblätter zum Nervenrohr
-und Darmrohr und zeigte, wie am ersteren die Sonderung in Hirn und
-Rückenmark, sowie durch Ausstülpung die Bildung der Sinnesorgane
-vor sich geht, während sich am Darmrohre eine ähnliche Sonderung in
-einzelne Abschnitte (Mundhöhle, Mitteldarm usw.) ausbildet. Auch
-daß die Entstehung des Atmungsorgans und der Leber vom Darmrohr aus
-beginnt, wurde durch *von Baer* nachgewiesen.
-
-Von allgemeinen Ergebnissen, zu denen er durch den Vergleich
-zahlreicher Einzelvorgänge gelangte, seien noch folgende hervorgehoben:
-Die ursprüngliche Keimesanlage der Wirbeltiere ist die gleiche.
-Die Entwicklung nimmt aber je nach dem Typus, der sich im Bau des
-fertigen Tieres ausspricht, alsbald eine verschiedene Richtung. Ein
-auffallender Unterschied besteht, wie weiter betont wird, in der
-Entwicklung der höheren und der niederen Wirbeltiere. Dieser Umstand
-mache sich besonders dadurch bemerkbar, daß letzteren Amnion und
-Allantois fehlen, während diese Embryonalorgane für die höheren
-Wirbeltiere charakteristisch sind. Die Frage nach dem Zusammenhang des
-Säugetierembryos mit der Mutter machte *von Baer* zum Gegenstand einer
-besonderen Untersuchung[667].
-
-Zahlreiche Forscher, auf deren Arbeiten hier jedoch nicht eingegangen
-werden kann, haben das von *Pander* und *von Baer* begonnene Werk
-fortgesetzt. Genannt sei nur *Rathke*[668], der über die Entwicklung
-der Geschlechtsorgane der Wirbeltiere das erste Licht verbreitete und
-das Vorhandensein von Kiemenanlagen, der sogenannten Schlundspalten,
-auch bei den Embryonen der Vögel und der Säugetiere entdeckte.
-*Rathke* war es ferner, welcher die Untersuchung über die Bildung der
-Keimanlagen aus der Eizelle auf das Gebiet der Wirbellosen ausdehnte.
-Vor allem ist hier sein Werk über die Entwicklung des Flußkrebses
-(1829) grundlegend gewesen.
-
-
-
-
-Fußnoten
-
-
-[1] Siehe *Dannemann*, Aus der Werkstatt großer Forscher, Abschn. 14.
-
-[2] Der Engländer *Wall* in den Philosoph. Transact. v. 1698. *Wall*
-rieb ein großes Stück Bernstein mit Wolle und erhielt einen Funken von
-fast einem Zoll Länge. Dabei trat ein Knall auf, als ob Steinkohle im
-Ofen zerspränge.
-
-[3] Eine Zusammenfassung seiner Untersuchungen ist die Schrift
-Physico-mechanical experiments. London 1709.
-
-[4] Vier Abhandlungen über die Elektrizität und den Magnetismus von
-*Coulomb* (1785-1786). (*Ostwalds* Klassiker Nr. 13.) Leipzig, Wilhelm
-Engelmann. 1890.
-
-[5] *Galilei*, Unterredungen und mathematische Demonstrationen
-(*Ostwalds* Klassiker Nr. 24, S. 80.)
-
-[6] Six Mémoires sur l'électricité, erschienen in den Memoiren der
-Pariser Akademie von 1733 und 1734.
-
-[7] Siehe auch die Ausführungen von *Aepinus* in *Dannemann*, Aus der
-Werkstatt großer Forscher, S. 177.
-
-[8] *Musschenbroek* und *Cunaeus*.
-
-[9] *Kleist* teilte seine Entdeckung am 4. November 1745 dem Anatomen
-*Lieberkühn* mit. Die Leydener Versuche fanden erst im Januar 1746
-statt. Es ist anzunehmen, daß den Leydener Physikern die *Kleist*sche
-Entdeckung nicht bekannt war (Mitteilungen zur Geschichte der Medizin
-und der Naturwissenschaften. IV. Bd. Nr. 1, S. 95).
-
-[10] Versuche und Abhandlungen der naturforschenden Gesellschaft zu
-Danzig, I. S. 442.
-
-[11] Durch *Wilson* um 1750.
-
-[12] 1755.
-
-[13] Journal de Phys. 1788.
-
-[14] *v. Marum*, Description d'une très-grande machine électrique et
-des expériences faites par le moyen de cette machine. 1785.
-
-[15] *Gralath* schrieb auch eine Geschichte der Elektrizität.
-
-[16] *Watson* in Philos. Transact. 1748. Vol. 45, N. 485, S. 92.
-
-[17] *Van Marum*, Über das Elektrisieren. 1777.
-
-[18] *J. C. Fischer*, Geschichte der Physik. 1801-1808. V. 483.
-
-[19] *Eulers* Briefe an eine deutsche Prinzessin. Leipzig 1773. Bd. II.
-S. 245 ff.
-
-[20] In dem ersten der an *Collinson* gerichteten Briefe vom 28. III.
-1747.
-
-[21] *Eulers* Briefe an eine deutsche Prinzessin. 1773. Bd. II. S. 287.
-
-[22] Die Stärke der elektrischen Kraft des Wassers in gläsernen
-Gefäßen. Leipzig 1746. S. 137 u. f.
-
-[23] Das Bestreben, die Ursache dieses »elektrischen« Geruches zu
-ermitteln, führte später zur Entdeckung des Ozons. Siehe *Dannemann*,
-Aus der Werkstatt großer Forscher. 1908. S. 375.
-
-[24] *Franklin* in seinem 5. Briefe an *Collinson*.
-
-[25] *Franklins* Brief an *Kinnersley* vom 20. II. 1762.
-
-[26] So etwa lauten die Worte, mit denen *Franklin* seine Ansicht in
-seinen Briefen entwickelt.
-
-[27] Den ersten Blitzableiter errichtete *Franklin* im Jahre 1752. In
-England begann man (*Watson*) 1762, in Deutschland 1769 Blitzableiter
-zu errichten. In Deutschland war es ein Arzt (*Reimarus*), der in
-Hamburg für die praktische Verwendung der neuen Erfindung eintrat.
-Durch *Reimarus* wurde der Physiker *Lichtenberg* veranlaßt, in
-Göttingen Blitzableiter anzulegen. *Lichtenberg* versah gemeinsam mit
-*Kästner* die Universitätsbibliothek mit einem Blitzableiter. (Siehe
-die Mitteilungen zur Geschichte der Medizin und der Naturw. Bd. IV. Nr.
-1. S. 104.)
-
-[28] Er entriß dem Himmel den Blitz und das Zepter den Tyrannen.
-
-[29] *Beccaria*, Lettere dell' elettricismo, pg. 282. Siehe *J. C.
-Fischer*, Geschichte der Physik (1801-1808). Bd. V. 753.
-
-[30] Siehe an späterer Stelle dieses Bandes.
-
-[31] *Fischer*, Geschichte der Physik, VIII. S. 541.
-
-[32] Siehe *Priestleys* Geschichte der Elektrizität, S. 261 u. f. und
-*Fischers* Geschichte der Physik, Bd. V. S. 837.
-
-[33] Dissertatio inauguralis de electricitatibus contrariis. Rostock
-1757.
-
-[34] *Th. Young*, Lectures on natural philosophy. London 1807. Bd. II.
-
-[35] War doch die Ähnlichkeit der Schläge, welche die Leydener Flasche
-und jener Fisch erteilen, eine zu auffallende.
-
-[36] Im Jahre 1671.
-
-[37] *Fischer*, Geschichte der Physik. Bd. V. S. 867.
-
-[38] Eine Bestätigung fanden diese Untersuchungen durch den Anatomen
-*John Hunter*, welcher das eigentümliche Organ der elektrischen Fische
-in den Phil. Transactions v. 1773 genauer beschrieb.
-
-Der genauere Titel der Abhandlung von *Walsh* lautet: On the
-electric Property of the Torpedo. In a letter from *John Walsh* to
-*Benjamin Franklin* (Juli 12. 1772). *Walsh* berichtet darin über
-Untersuchungen, die er in La Rochelle an dort gefangenen Zitterrochen
-anstellte. Diese Untersuchungen ergaben, daß »die Wirkung des Torpedos
-eine durchaus elektrische« sei. Die Schläge wurden durch eine Kette von
-Personen, sowie durch einen Draht geleitet.
-
-[39] Der Turmalin wurde daher auch als Aschenzieher bezeichnet.
-
-[40] *Franz Ulrich Theodor Aepinus*, der Entdecker der Influenz und
-der Thermoelektrizität, wurde im Jahre 1724 in Rostock geboren. Er
-studierte dort, wurde später Professor der Astronomie an der Akademie
-zu Berlin, folgte aber von dort einem Rufe nach Petersburg, wo er
-Physik lehrte und die Aufsicht über die russischen Normalschulen
-ausübte. Er starb 1802 in Dorpat.
-
-[41] *Aepinus*, Akademische Rede von der Ähnlichkeit der elektrischen
-und magnetischen Kraft. Leipzig 1760. Siehe auch *Dannemann*, Aus der
-Werkstatt großer Forscher. Leipzig 1908. Abschnitt 37.
-
-[42] Diese durch Erwärmung erregte Elektrizität, die an gewissen
-Kristallen auftritt, hat man als Pyroelektrizität bezeichnet. Bei der
-Abkühlung kehren sich die beiden Pole um; ist dagegen die Temperatur
-bleibend geworden, so ist der Kristall wieder unelektrisch. Später hat
-man diese Erscheinung auch an anderen Mineralien wahrgenommen, so am
-Kalkspat, Gips, Feldspat, Flußspat, Diamant usw.
-
-[43] Erst *Faraday* gelang es, eine so weitgehende Verknüpfung
-der elektrischen und der magnetischen Erscheinungen nachzuweisen,
-dass beide als Äußerungen ein- und derselben Naturkraft gelten.
-Elektrizität, Magnetismus, strahlende Wärme und Licht wurden auf
-Grund von *Maxwells* elektromagnetischer Theorie des Lichtes, sowie
-der Versuche von *Hertz* auf Zustände des Äthers zurückgeführt.
-Ausführlicheres darüber enthalten spätere Abschnitte dieses Werkes.
-
-[44] Nebenbei sei erwähnt, daß *Coulomb* durch mechanische
-Untersuchungen bewies, daß die Kraft des Menschen völlig unzulänglich
-sei, um ihn mittelst Flügel in die Lüfte zu erheben.
-
-[45] Vier Abhandlungen über die Elektrizität und den Magnetismus von
-*Coulomb*, übersetzt und herausgegeben von *Walter König*. (*Ostwalds*
-Klassiker der exakten Wissenschaften Nr. 13. Leipzig, Verlag von
-Wilhelm Engelmann, 1890). Fig. 1-5.
-
-[46] Mémoires de l'Académie royale, 1784. pg. 229 u. f.
-
-[47] *Ostwalds* Klassiker Nr. 13, S. 7.
-
-[48] Siehe *Ostwalds* Klassiker Nr. 115.
-
-[49] Mém. de l'Académie royale 1788. pg. 620 u. f.
-
-[50] Diese Fundamentalversuche über die Verteilung der Elektrizität hat
-*Cavendish*, wie aus seinen neuerdings veröffentlichten Untersuchungen
-über die Elektrizität hervorgeht, schon vor *Coulomb* angestellt.
-
-[51] Siehe *G. Green*, Ein Versuch, die mathematische Analysis auf die
-Theorien der Elektrizität und des Magnetismus anzuwenden. *Ostwalds*
-Klassiker der exakten Wissenschaften Nr. 64. Herausgegeben von *von
-Oettingen* und *Wangerin*. Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann, 1895.
-
-[52] Acta eruditorum. 1690. *Denis Papin* wurde 1647 in Blois
-geboren und starb 1712 in London. Er hielt sich viele Jahre in Hessen
-(Marburg und Kassel) auf und stand mit *Huygens* und *Leibniz* in regem
-wissenschaftlichen Verkehr.
-
-[53] *Ernst Jäger*, *Denis Papin* und seine Nachfolger in der Erfindung
-der Dampfmaschine. Stuttgart 1902. Siehe auch das Werk von *C.
-Matschoß*, Geschichte der Dampfmaschine, mit 118 Abbildungen, Berlin,
-Springer, sowie auch *Ernouf*, *Denis Papin*, sa vie et son œuvre. 4.
-Aufl., Paris, Hachette 1888.
-
-[54] Eine ausführliche Geschichte der Dampfmaschine hat *C. Matschoß*
-im Anschluß an sein auf S. 54 zitiertes Werk im Auftrage des Vereins
-deutscher Ingenieure geschrieben. Sie erschien 1908 bei J. Springer
-in Berlin, umfaßt 2 Bände und führt den Titel: *C. Matschoß*, Die
-Entwicklung der Dampfmaschine. Eine Geschichte der ortsfesten
-Dampfmaschine und der Lokomobile, der Schiffsmaschine und Lokomotive.
-
-[55] Geboren am 19. Januar 1736 in Greenock. Näheres über das Leben und
-die Bedeutung von *James Watt* enthält das Werk von *A. Ernst*: *James
-Watt* und die Grundlagen des modernen Dampfmaschinenbaus. Mit einem
-Bildnis von *James Watt* und 27 Textfiguren. Berlin, J. Springer, 1897.
-
-[56] Das Patent datiert vom 5. Januar 1769.
-
-[57] Im Jahre 1807.
-
-[58] Engineering 1894, I, S. 644.
-
-[59] *Berndt*, Die Entwicklung der Lokomotive. Darmstadt 1896.
-
-[60] Siehe Bd. II, S. 73.
-
-[61] *Renaldini*.
-
-[62] *Halley*, An account of several experiments, made to examine the
-nature of the expansion and contraction of fluids, by heat and cold,
-in order to ascertain the divisions of the thermometer (Philos.
-Transact. 1693).
-
-[63] *Fischer*, Gesch. d. Phys. III. 221.
-
-[64] Und zwar hat *Borelli*, den wir als Mitbegründer der neueren
-Physiologie kennen lernten, darauf hingewiesen.
-
-[65] *E. Mach*, Die Prinzipien der Wärmelehre. 1896.
-
-[66] *Daniel Gabriel Fahrenheit*, Versuche über den Siedepunkt einiger
-Flüssigkeiten. 1724. Im 57. Bande von *Ostwalds* Klassiker der exakten
-Wissenschaften, neu herausgegeben von *A. J. v. Oettingen*. Leipzig,
-Verlag von W. Engelmann. 1894.
-
-[67] *Ostwalds* Klassiker. Bd. 57. S. 17.
-
-[68] Siehe *Fahrenheits* Abhandlungen über Thermometrie (*Ostwalds*
-Klassiker, Nr. 57).
-
-[69] *Fahrenheit*, Experimente und Beobachtungen über das Gefrieren des
-Wassers im Vakuum. *Ostwalds* Klassiker, Bd. 57, S. 6 u. f.
-
-[70] *Réaumur*, Regeln zur Konstruktion von Thermometern mit
-vergleichbaren Skalen, 1730, 1731, im 57. Bande von *Ostwalds*
-Klassiker, herausgegeben von *A. J. v. Oettingen*. Leipzig, W.
-Engelmann, 1894. *Réaumur* (1683-1757) hat zahlreiche Abhandlungen aus
-den Gebieten der Physik, der Zoologie und der Botanik veröffentlicht.
-
-[71] *Ostwalds* Klassiker, Bd. 57, S. 49.
-
-[72] *Ostwalds* Klassiker, Bd. 57, S. 100 u. f. bringt eine Übersetzung
-der betreffenden Abhandlung *Réaumurs* vom Jahre 1733. Ihr Titel
-lautet: Über das Volumen der Flüssigkeitsgemische.
-
-[73] Abhandlungen der schwedischen Akademie. Bd. IV. 1742.
-
-[74] *R. Börnstein*, Zur Geschichte der hundertteiligen
-Thermometerskala. Physikal. Zeitschrift, Bd. 8, Nr. 23.
-
-Siehe auch die Notiz von *Rompel* im 53. Bande (1907) von Natur und
-Offenbarung. S. 749. Danach ist sichergestellt, daß *Linné* in Upsala
-im Jahre 1745 ein Thermometer benutzte, das den Gefrierpunkt mit 0° und
-den Siedepunkt mit 100° bezeichnet, besaß.
-
-[75] *Celsius* selbst hat den Siedepunkt mit 0 und den Gefrierpunkt
-mit 100 bezeichnet. Anders *Celsius* (1701-1744) war Professor der
-Astronomie in Upsala. Seine Abhandlung über das Thermometer erschien
-1742. Sie wurde im 57. Bande von *Ostwalds* Klassikern von neuem
-veröffentlicht. Leipzig, W. Engelmann. 1894.
-
-[76] Mémoires de l'Académie. Paris, 1703. S. 50 u. f. Siehe auch
-die Studie *Gerlands* in den Beiträgen aus der Geschichte der Chemie,
-herausgegeben von *P. Diergart*, 1909. S. 350-360: *Ernst Gerland*, Die
-Entdeckung der Gasgesetze und des absoluten Nullpunktes der Temperatur
-durch *Boyle* und *Amontons*.
-
-[77] Nach *Lambert* ist der absolute Nullpunkt dadurch definiert,
-daß bei diesem Punkt die Luft, da sie sich mit der Temperaturabnahme
-gleichmäßig zusammenzieht, fast keinen Raum mehr einnimmt. Nach den
-Angaben *Lamberts* tritt dieser Zustand bei der Abkühlung auf -270,3°
-Celsius ein. Die Abweichung von dem heute geltenden Wert (-273°)
-ist also nur gering. Aus des Daten *Amontons*' ergibt sich für den
-absoluten Nullpunkt der Wert von -293,5° Celsius.
-
-[78] Siehe das in *Gerland* und *Traumüller*, Gesch. d. phys.
-Experimentierkunst in Fig. 312 abgebildete und dort beschriebene
-Instrument.
-
-[79] Philos. Transact. Vol. LXXII.
-
-[80] Siehe Band I. S. 302.
-
-[81] Philos. Transact. 1683/84. Nr. 156. S. 304.
-
-[82] *De Saussure*, Versuch über die Hygrometrie, herausgegeben von *A.
-J. v. Öttingen*. Bd. 115 und 119 von *Ostwalds* Klassikern der exakten
-Wissenschaften. Leipzig, Verlag von W. Engelmann, 1900.
-
-[83] *Joseph Black* war schottischer Abkunft. Er wirkte als Professor
-der Chemie in Glasgow und später in Edinburg, wo er am 26. November
-1799 starb (Geburtsjahr 1728). *Blacks* chemische Arbeiten haben
-mehrere für die Begründung der neueren Chemie sehr wichtige Tatsachen
-zu Tage gefördert. (Siehe darüber an anderer Stelle.)
-
-[84] *Johann Karl Wilke* (*Wilcke*) wurde 1732 in Wismar (damals
-schwedisch) geboren und starb im Jahre 1796 in Stockholm, wo er die
-Stelle eines Mitgliedes und Sekretärs der Akademie der Wissenschaften
-bekleidete. Von ihm rührt die erste Inklinationskarte her (Försök
-till en magnetisk inclinationskarta. Stockholm 1768). Über *Wilkes*
-Verdienste um den Ausbau der Elektrizitätslehre wurde schon an anderer
-Stelle berichtet. (Siehe S. 22.)
-
-[85] Meditationes de caloris et frigoris causa (Abhandlungen der
-Petersburger Akademie von 1747 und 1748).
-
-[86] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 178. S. 19 u. f.
-
-[87] *Deluc* (1754).
-
-[88] Sind die Mengen m und m^1 und die Temperaturen t und t^1, so ist
-die Temperatur der Mischung, wenn nur ein Ausgleich stattfindet, T =
-(mt + m^1t^1)/(m + m^1).
-
-[89] *Mach*, Prinzipien der Wärmelehre. 1896. S. 162.
-
-[90] Siehe S. 41.
-
-[91] Durch *W. Cullen* (1710-1790) Professor der Chemie in Glasgow.
-*Cullen* veröffentlichte seine grundlegenden Versuche über die
-Verdunstungskälte (1755) in den Berichten der Edinburger Gesellschaft
-(Bd. II) unter dem Titel: On the cold produced by evaporating fluids
-and of some other means of producing cold. Siehe auch *E. Mach*, Die
-Prinzipien der Wärmelehre, historisch-kritisch dargestellt, 1896. S.
-177.
-
-[92] *J. C. Fischer*, Geschichte der Physik (1801-1808) V, 4.
-
-[93] *Mariotte*, Essai du chaud et du froid, 1679.
-
-[94] *M. A. Pictet* (1752-1825) war Professor und Präsident der
-Akademie der Wissenschaften in Genf.
-
-[95] *Pictet*, Essai sur le feu. Génève 1790. S. 83.
-
-[96] Hierauf wurde von *Black* hingewiesen. Siehe auch *E. Mach*,
-»Einfache Versuche über strahlende Wärme« (Zeitschr. für den phys. und
-chem. Unterricht VII, 3).
-
-[97] Die Abhandlungen von *Lavoisier* und *Laplace* über die Wärme
-wurden in den Mémoires de l'Académie veröffentlicht und im 2. Bande
-der gesammelten Werke *Lavoisiers* wieder abgedruckt. Die wichtigsten
-Ergebnisse sind im 40. Bande der *Ostwald*schen Sammlung enthalten.
-Zwei Abhandlungen über die Wärme von *A. L. Lavoisier* und *P. S. de
-Laplace* herausgegeben von *J. Rosenthal*. Leipzig, Verlag von W.
-Engelmann, 1892.
-
-[98] Zur Erläuterung diene folgendes Beispiel: Um 1 kg Eis von 0° in 1
-kg Wasser von 0° zu verwandeln, sind 80 Wärmeeinheiten erforderlich.
-Die Substanz, deren spezifische Wärme bestimmt werden soll, wiege 2 kg
-und sei auf 10° erhitzt, die Menge des Schmelzwassers betrage 1/10 kg.
-Daraus folgt, daß die 2 kg, als sie von 10° auf 0° abgekühlt wurden,
-um sie von 0° auf 10° zu erhitzen. Um demnach 1 kg von 0° auf 10° zu
-erwärmen, würden 4 Wärmeeinheiten, ((1/10)·80)/2, um es von 0° auf 1°
-zu erwärmen, würden dagegen nur 0,4 Wärmeeinheiten, ((1/10)·80)/(2·10),
-erforderlich sein.
-
-[99] Diese Untersuchung wurde später von verschiedenen Physikern wieder
-aufgenommen (Ann. de chimie et de physique, Bd. 85, S. 72, 1813),
-indessen erst durch *Regnault* (1840) unter Beobachtung aller in
-Betracht kommenden Umstände zu einem gewissen Abschluß gebracht.
-
-[100] Sir *Charles Blagden* (1748-1820) war Arzt in der englischen
-Armee und Mitglied der Royal Society. Seine Abhandlungen wurden
-neuerdings in deutscher Übersetzung von *A. J. v. Oettingen*
-herausgegeben (*Ostwalds* Klassiker der exakten Wissenschaften Nr. 56).
-Leipzig, Verlag von W. Engelmann, 1894.
-
-[101] Die letzte Beobachtung hatte schon *Fahrenheit* gemacht. S. S. 41.
-
-[102] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 56. S. 19 u. f.
-
-[103] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 56. S. 49.
-
-[104] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 56. S. 32.
-
-[105] Systema naturae. 1. Ausgabe von 1735 sehr selten und nur
-14 Seiten umfassend. 12. Ausgabe von *Müller*. 8 Bde. 13. Ausgabe
-von *Gmelin*. 10 Bände. Leipzig 1788-1793. Die 13. Ausgabe ist das
-letzte Werk, das alle zur Zeit seiner Herausgabe bekannten Tier- und
-Pflanzenarten beschreibt. Ein Neudruck der 10. Ausgabe wurde von der
-Deutschen zoologischen Gesellschaft veranstaltet (W. Engelmann, Leipzig
-1894).
-
-[106] Fundamenta botanica 1736. Critica botanica 1737.
-
-[107] Philosophia botanica.
-
-[108] Eine ausführliche Biographie *Linnés* veröffentlichte *Th. M.
-Fries* (Stockholm 1903). Auf dieses Werk gründet sich eine kürzere
-Darstellung, die *R. E. Fries* zur Erinnerung an die 200. Wiederkehr
-des Geburtstages *Linnés* herausgab. Sie erschien in *Englers*
-botanischen Jahrbüchern (1907 Heft 1, S. 1-54) und wurde auch gesondert
-herausgegeben. (Im Verlage von W. Engelmann in Leipzig.)
-
-Am ausführlichsten wurde *Carl von Linnés* Bedeutung als Naturforscher
-und Arzt in einem Sammelwerk der Schwedischen Akademie der
-Wissenschaften geschildert. Auch für diese Veröffentlichung (Jena,
-Gustav Fischer) bot die 200. Wiederkehr des Geburtstages *Linnés* die
-Veranlassung. Der Band enthält sechs von verschiedenen Bearbeitern
-herrührende Abschnitte, in denen *Linné* als Arzt, als Entomologe,
-als Geologe, als Mineraloge, als botanischer Forscher und *Linnés*
-Verdienste um die Zoologie der Wirbeltiere geschildert werden.
-
-[109] Siehe Bd. II, S. 348-352.
-
-[110] Verdeutscht lauten die Namen der ersten 10 Klassen Ein-, Zwei-,
-Drei- usw. Zehnmännige, der 11. Klasse Zwölfmännige, der 12. Klasse
-Zwanzigmännige, der 13. Vielmännige.
-
-Manche Klassen des *Linné*schen Systems, das sich wegen seiner
-Brauchbarkeit zum Bestimmen der Pflanzen neben dem in der Wissenschaft
-allein geltenden natürlichen System erhalten hat, fallen mit den
-Familien des letzteren ganz oder teilweise zusammen. So die 12. Klasse
-mit den Mandel-, Apfelbaum- und Rosengewächsen und die 13. Klasse mit
-den Mohn- und Hahnenfußgewächsen.
-
-[111] Die 14. Klasse (Zweimächtige) umfaßt die Mehrzahl der
-Lippenblüter, die 15. Klasse (Viermächtige) fällt mit der Familie der
-Kreuzblüter zusammen.
-
-[112] 16., 17., 18. Klasse = Ein-, Zwei-, Vielbrüdrige. Für die 16.
-Klasse bieten die Malven, für die 18. das Johanniskraut ein Beispiel.
-
-[113] Zusammengewachsene, so genannt, weil die Staubbeutel der unter
-diesem Namen vereinigten Pflanzen zu einer Röhre verwachsen sind.
-Die 19. Klasse fällt mit der Familie der Korbblüter oder Kompositen
-zusammen.
-
-[114] Weibermännige; hierzu gehören die Orchideen.
-
-[115] 21. und 22. Klasse = Einhäusige und Zweihäusige; für die ersteren
-bieten die Kiefern, für die zweiten die Weiden bekannte Beispiele.
-
-[116] Vielehige; hierher gehören die Ahornarten.
-
-[117] Blütenlose. *Linné* teilte sie in Algen, Schwämme, Moose und
-Farnkräuter ein. Für die weitere Einteilung der Klassen 1-23 in
-Unterabteilungen, die *Linné* Ordnungen nannte, waren vor allem die
-Zahl der Griffel, die Beschaffenheit der Früchte und die Anordnung der
-Blüten maßgebend.
-
-[118] Ein Petersburger Botaniker, den *Linné* selbst in einem zuerst in
-den Mitteilungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften
-(1907, S. 25) gedruckten lateinischen Brief abfertigte, schrieb
-folgendes. Gott würde niemals innerhalb des Pflanzenreiches eine so
-abscheuliche Unzucht zulassen, daß mehrere Männer (Staubgefäße) eine
-gemeinsame Frau (Frucht, Knoten) besäßen. Ein solch unkeusches System
-dürfte der studierenden Jugend nicht mitgeteilt werden.
-
-Diese Auffassung, der sich andere Botaniker anschlossen, ist gewiß für
-manche Sittlichkeitswächter bezeichnend. »Ich hatte gehofft, dem Reinen
-sei alles rein«, schrieb *Linné* in dem erwähnten Briefe, »ich werde
-mich nicht verteidigen, denn die Jahrhunderte werden urteilen.«
-
-[119] Veröffentlicht 1753.
-
-[120] So *Fontenelle*: Histoire de l'Académie 1711, S. 43. Eine
-Ausnahme machte der deutsche Philosoph und Physiker *Christian Wolf*,
-der sich mit einer anatomischen und physikalischen Untersuchung
-des Pflanzeninneren, sowie mit Fragen der Ernährungsphysiologie
-beschäftigte. *Wolfs* Ergebnisse blieben aber weit hinter denen von
-*Stephan Hales* zurück.
-
-[121] Philosophia botanica, 1751. S. 27.
-
-[122] Classes plantarum, p. 487.
-
-[123] *Linnés* Oratio de telluris habitabilis incremento.
-
-[124] *Meyer*, Geschichte der Botanik. Bd. I. S. 120.
-
-[125] Siehe Bd. II. S. 178.
-
-[126] Siehe den Abschnitt: Sur le sujet des plantes in Oeuvres de
-Mariotte.
-
-[127] Siehe an anderer Stelle dieses Bandes.
-
-[128] *Wolf*, Vernünftige Gedanken von den Wirkungen der Natur. Halle
-1723.
-
-[129] *Hales*, Statik der Gewächse. Halle 1748. Die englische Ausgabe
-war 1727 in London erschienen.
-
-[130] 1 Pfund = 16 Unzen.
-
-[131] *Hales*, Statik der Gewächse. S. 6. I. Hauptstück, 1. Erfahrung.
-
-[132] *Hales*, Statik. S. 49. II. Hauptstück, 21. Erfahrung.
-
-[133] *Hales*, Statik, I. Hauptstück, 5. Erfahrung.
-
-[134] Das Bluten der Rebe wurde in neuerer Zeit von *Ernst Brücke* in
-meisterhafter Weise wieder untersucht. Siehe *Brückes* Abhandlung in
-*Ostwalds* »Klassiker der exakten Wissenschaften« Nr. 95. Leipzig,
-Verlag von W. Engelmann, 1898.
-
-[135] *Hales*, Statik, S. 102 u. 103. VI. Hauptstück, 55. u. 57.
-Erfahrung.
-
-[136] *Hales*, Statik der Gewächse. VI. Hauptstück, 113. Erfahrung.
-
-[137] *Hales* berichtet darüber 1741 in der Royal Society.
-
-[138] Siehe Bd. II, S. 175.
-
-[139] New improvements in gardening. 1717. I. S. 20.
-
-[140] Die Beobachtung machte *Müller* im Jahre 1751.
-
-[141] Erschienen in den Abhandlungen der Berliner Akademie vom Jahre
-1751.
-
-[142] Siehe Bd. I. S. 112 und Bd. II. S. 348-352.
-
-[143] Siehe Bd. II. S. 338.
-
-[144] Durch *Dillenius*, der darüber ein epochemachendes Werk mit 85
-Kupfertafeln veröffentlichte: Historia muscorum 1741.
-
-*Dillenius* wurde 1687 in Darmstadt geboren, war Professor der Botanik
-in Oxford und starb im Jahre 1747.
-
-[145] *J. G. Kölreuter* wurde 1733 zu Sulz am Neckar geboren. Er starb
-1806 in Karlsruhe, wo er Professor der Naturgeschichte war. Fast
-zwanzig Jahre bekleidete er außerdem die Stelle eines Oberaufsehers des
-botanischen Hofgartens. Seine Ergebnisse hat er in einigen 1761-1766
-erschienenen Abhandlungen niedergelegt. *Kölreuters* Schrift wurde
-durch *W. Pfeffer* als 41. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten
-Wissenschaften (Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann, 1893) wieder
-herausgegeben. Ihr Titel lautet: Vorläufige Nachricht von einigen das
-Geschlecht der Pflanzen betreffenden Versuchen und Beobachtungen.
-
-[146] *Ostwalds* Klassiker Nr. 41. S. 30.
-
-[147] *Ostwalds* Klassiker Nr. 41. S. 31.
-
-[148] Der Zusatz ♂ bezeichnet die männliche, der Zusatz ♀ die weibliche
-Pflanze.
-
-[149] Besonders die von *Focke*.
-
-[150] Siehe S. 101 u. 105 dieses Bandes.
-
-[151] *Sachs*, Gesch. d. Bot. S. 440.
-
-[152] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 41, S. 20.
-
-[153] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 41, S. 83.
-
-[154] *Sachs*, Gesch. d. Botanik. S. 448.
-
-[155] *Christian Konrad Sprengel*, Das entdeckte Geheimnis der Natur
-im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin 1793. Als Nr. 48-51
-von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften herausgegeben von
-*Paul Knuth*. Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann, 1894.
-
-[156] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 48, S. 31.
-
-[157] Daß aus dem Staubkorn ein Pollenschlauch hervorwächst, der den
-Griffel durchdringt und sich mit der Samenknospe vereinigt, wurde erst
-seit dem Jahre 1823 durch *Amici* und andere festgestellt.
-
-[158] Geboren 1719 in Nürnberg, starb daselbst 1769, war von Beruf
-Jurist.
-
-[159] Mikroskopische Gemüts- und Augenergötzungen. 1761. S. 46.
-
-[160] Z. B. bei Butomus und Viola.
-
-[161] Spätere Forschungen haben dies im wesentlichen bestätigt, doch
-hat sich herausgestellt, daß bei Euphorbia spontane Selbstbestäubung
-vorkommt, wenn der Insektenbesuch ausbleibt.
-
-[162] *Sachs* Lehrbuch der Botanik. 4. Aufl. Leipzig 1874. Fig. 489.
-
-[163] *Ostwalds* Klassiker Nr. 48. S. 56.
-
-[164] *Ostwalds* Klassiker Nr. 48. S. 73 u. f.
-
-[165] *John Ray* (1628-1705). Hervorragender Systematiker des 17.
-Jahrhunderts; lehnte sich aber noch sehr an *Aristoteles* an.
-
-[166] *N. Kleinenberg*, Hydra. Eine
-anatomisch-entwicklungsgeschichtliche Untersuchung. Leipzig, Wilhelm
-Engelmann, 1872.
-
-[167] Siehe Bd. II. S. 335.
-
-[168] *Ledermüller*, Mikroskopische Gemüts- und Augenergötzungen.
-Nürnberg 1763.
-
-[169] *Ledermüller*, Mikroskopische Gemüts- und Augenergötzungen 1761.
-II. Bd. Tafel LXXXVIII.
-
-[170] Siehe *Rösels* Insektenbelustigung. III. Teil. S. 433 u. f.
-
-[171] Insektenbelustigungen III. S. 622.
-
-[172] *Spallanzani*, Entstehung der Infusionstiere aus Keimen, durch
-Experimente bewiesen. 1765.
-
-[173] *Dannemann*, Aus der Werkstatt großer Forscher, 1908. Abschn. 75.
-
-[174] Siehe S. 198 des II. Bandes.
-
-[175] *Jungius* wurde 1587 in Lübeck geboren und starb im Jahre 1657.
-
-[176] Übersetzt und herausgegeben von Dr. *Paul Samassa* als 84. und
-85. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften. Leipzig,
-Verlag von Wilhelm Engelmann. 1896.
-
-[177] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 84, S. 18.
-
-[178] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 85, S. 12.
-
-[179] Siehe Bd. II dieses Werkes, S. 334.
-
-[180] *Hirsch*, Geschichte der med. Wissenschaften, S. 212.
-
-[181] Siehe Bd. II dieses Werkes, S. 279.
-
-[182] Buch II-IV handelt vom Gefäßsystem, Buch IX von der Mechanik des
-Stimmorgans. Von *Hallers* Elementen der Physiologie sagt *Hirsch*,
-daß alle Zeitgenossen und Nachfolger daraus geschöpft haben. Auch nach
-*Cruveilhier* sind viele neuere Entdeckungen im Keime in diesem Werke
-enthalten.
-
-[183] *Haller*, Elementa physiologiae, IV. § 42.
-
-[184] Siehe S. 106 dieses Bandes.
-
-[185] *Lieberkühns* betreffende Abhandlung vom Jahre 1745 führt den
-Titel: De fabrica et actione villorum intestinarum tenuinum (Bau und
-Tätigkeit der feinen Zotten des Darmes).
-
-[186] *Christian von Wolf* (1679-1754) war Philosoph, Mathematiker und
-Physiker. Er wirkte in Halle, wurde wegen Irreligiosität ausgewiesen,
-von Friedrich dem Großen 1740 aber zurückberufen.
-
-[187] *Michael Wassiljewitsch Lomonossow* wurde 1711 in der Nähe von
-Archangelsk geboren. Er studierte zunächst in Rußland und dann mehrere
-Jahre in Deutschland. Seit 1746 wirkte er als Professor der Chemie in
-Petersburg, wo er 1765 starb.
-
-*Lomonossows* wichtigste Abhandlungen erschienen vor kurzem in
-deutscher Übersetzung (*Ostwalds* Klassiker, Nr. 178. Leipzig. W.
-Engelmann. 1910).
-
-[188] Siehe S. 48 dieses Bandes.
-
-[189] Siehe an anderer Stelle dieses Bandes.
-
-[190] *G. Monge*, Darstellende Geometrie. Als 117. Band von *Ostwalds*
-Klassikern der exakten Wissenschaften übersetzt und herausgegeben von
-*R. Haussner*. Leipzig, Verlag von W. Engelmann, 1900.
-
-[191] Im einzelnen weicht die Organisation des deutschen technischen
-Unterrichtswesens von der des französischen darin ab, daß die École
-polytechnique eine technische Hochschule im deutschen Sinne nur
-durch ihr Zusammenwirken mit der Schule für Bergbau, der Schule für
-Brücken- und Wegebau und anderen Fachschulen ist, denen sie insofern
-als Vorbereitungsanstalt dient, als sie die technische Allgemeinbildung
-vermittelt.
-
-[192] *Desargues* wurde in Lyon geboren und wirkte als Baumeister
-(1593-1662).
-
-[193] Er besagt, daß die Seiten jedes einem Kegelschnitte
-einbeschriebenen Vierecks eine beliebige, durch den Kegelschnitt
-gehende Linie so schneiden, daß die erhaltenen 6 Schnittpunkte eine
-Involution bilden, die abgeteilten Strecken also gewisse Beziehungen
-aufweisen.
-
-[194] Das Buch erschien erst 1822.
-
-[195] Siehe Bd. II. S. 148.
-
-[196] Siehe S. 121 dieses Bandes.
-
-[197] *Reuleaux*, Theoretische Kinematik, S. 13. *Poncelets*
-wichtigstes Werk über die theoretische Maschinenlehre ist seine
-Mécanique appliquée aux machines.
-
-[198] *Jakob Steiner*, Systematische Entwicklung der Abhängigkeit
-geometrischer Gestalten von einander mit Berücksichtigung der Arbeiten
-alter und neuer Geometer etc. Berlin 1832. Neu herausgegeben von *A. J.
-v. Oettingen* als 82. und 83. Band von *Ostwalds* Klassikern. Leipzig,
-W. Engelmann, 1896.
-
-[199] Er starb im Jahre 1863.
-
-[200] Vor kurzem als 123. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten
-Wissenschaften, neu herausgegeben von *R. Sturm*. Leipzig, Verlag von
-W. Engelmann, 1901.
-
-[201] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 123, S. 3.
-
-[202] Die geometrischen Konstruktionen ausgeführt mittelst der geraden
-Linie und eines festen Kreises von *Jakob Steiner*. Als 60. Band von
-*Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften, herausgegeben von *A.
-J. v. Oettingen*. Leipzig, Engelmann, 1895.
-
-[203] *Ostwalds* Klassiker, Bd. 82 und 83. Das erste Erscheinen des
-*Steiner*schen Werkes fällt in das Jahr 1832.
-
-[204] *Arneth*, Geschichte der Mathematik. S. 286.
-
-[205] Gemeint sind die Sätze von *Pascal* und *Brianchon* über die den
-Kegelschnitten ein- und umschriebenen Sechsecke. *Pascal* nannte sein
-Sechseck Hexagrammum mysticum.
-
-[206] *Steiner*, Systematische Entwicklung. § 38, III, IV.
-
-[207] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 83, S. 43 u. f.
-
-[208] *Hankel*, Die Elemente der projektivischen Geometrie. S. 27.
-
-[209] Berlin 1835; *Plücker* lebte 1801-1868. Er wirkte als Professor
-der Mathematik und der Physik in Halle und in Bonn.
-
-[210] *Arneth*, Die Geschichte der reinen Mathematik. S. 288.
-
-[211] *Lobatschefskij* (1793-1856) Professor der Mathematik in Kasan.
-Er war ein Schüler des in Rußland wirkenden deutschen Mathematikers
-*Bartels*, und letzterer stand wieder in engster Verbindung mit
-*Gauß*. Die dem Russen gelungene Schöpfung fußt also auf dem Boden der
-deutschen Mathematik.
-
-[212] *J. N. Lobatschefskij*, Pangeometrie 1856. Übersetzt und als
-130. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften,
-herausgegeben von *H. Liebmann*. Leipzig, W. Engelmann 1902.
-
-[213] Siehe S. 125 dieses Bandes.
-
-[214] Untersuchungen über die Reihe: 1 + mx + m(m-1)/(1·2) · x^2 +...
-von *N. H. Abel* (*Crelles* Journal, Bd. I. 1826). Diese Abhandlung
-wurde neuerdings von *A. Wangerin* als 71. Bändchen von *Ostwalds*
-Klassikern von neuem herausgegeben. Leipzig, Verlag von W. Engelmann,
-1895.
-
-[215] Sie erschien im 1. Bande des *Crelle*schen Journals und führt den
-Titel: Démonstration de l'impossibilité de la résolution algébraique
-des équations générales qui passent le quatrième degré.
-
-[216] *N. H. Abel*, Abhandlung über eine besondere Klasse algebraisch
-auflösbarer Gleichungen. *Crelles* Journal, Bd. IV. 1829. Als 111. Band
-von *Ostwalds* Klassikern von neuem und mit Anmerkungen herausgegeben
-von *A. Loewy*. Leipzig, W. Engelmann, 1900.
-
-[217] Als 127. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten
-Wissenschaften, übersetzt und herausgegeben von *Alfred Loewy*.
-Leipzig, Verlag von W. Engelmann, 1902.
-
-[218] *C. Sturms* Abhandlung wurde aus dem Französischen übersetzt und
-als 143. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften von
-*Alfred Loewy* herausgegeben. Leipzig, W. Engelmann, 1904.
-
-[219] *Johann Friedrich Pfaff* wurde 1765 geboren. Er bekleidete die
-Professur für Mathematik in Halle und starb dort 1825.
-
-[220] *J. F. Pfaff*, Allgemeine Methode partielle
-Differentialgleichungen zu integrieren. Aus dem Lateinischen übersetzt
-und als 129. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften
-herausgegeben von *Gerhard Kowalewski*. Leipzig, W. Engelmann, 1902.
-
-[221] *Cauchy*, Über die Integration der partiellen
-Differentialgleichungen erster Ordnung in einer beliebigen Zahl
-von Veränderlichen (1819). Im 113. Bande von *Ostwalds* Klassikern
-herausgegeben von *G. Kowalewski*. Leipzig, W. Engelmann, 1900.
-
-[222] Diese bisher schwer zugängliche, für die weitere Entwicklung der
-Funktionentheorie aber entscheidende Arbeit wurde neuerdings durch *P.
-Stäckel* als 112. Band von *Ostwalds* Klassikern wieder herausgegeben:
-*Cauchy*, Über bestimmte Integrale zwischen imaginären Grenzen.
-Leipzig, W. Engelmann, 1900.
-
-[223] Fundamenta nova theoriae functionum ellipticarum. Königsberg
-1829.
-
-[224] Die andere Hälfte erhielten die Angehörigen des schon 1829
-verstorbenen *Abel*.
-
-[225] *Legendre*, Traité des fonctions elliptiques.
-
-[226] *C. G. J. Jacobi*, Über die vierfach periodischen Funktionen
-zweier Variabeln (*Crelles* Journal f. r. u. angew. Math. 1834). Als
-Band 64 von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften aus dem
-Lateinischen übersetzt von *A. Witting* und herausgegeben von *H.
-Weber*. Leipzig, W. Engelmann, 1895.
-
-[227] *A. Göpel*, Entwurf einer Theorie der *Abel*schen Transzendenten
-erster Ordnung (*Crelles* Journal, Bd. 35, 1847). Aus dem Lateinischen
-übersetzt von *A. Witting* und als 67. Band von *Ostwalds* Klassikern
-der exakten Wissenschaften herausgegeben von *H. Weber*. Leipzig, W.
-Engelmann, 1895.
-
-*G. Rosenhain*, Abhandlung über die Funktionen zweier Variabeln mit
-vier Perioden (Mém. des savants, 1851). Aus dem Französischen
-übersetzt von *A. Witting* und als 65. Band von *Ostwalds* Klassikern
-herausgegeben von *H. Weber*. Leipzig, W. Engelmann, 1895.
-
-[228] Er starb 1859 in Göttingen.
-
-[229] *G. Lejeune Dirichlet*, Untersuchungen über verschiedene
-Anwendungen der Infinitesimalanalysis auf die Zahlentheorie (*Crelles*
-Journal, Bd. 19 u. 21). Als 91. Band von *Ostwalds* Klassikern
-herausgegeben von *R. Haussner*. Leipzig, W. Engelmann, 1897.
-
-[230] *Lejeune Dirichlet*, Die Darstellung ganz willkürlicher
-Funktionen durch Sinus- und Kosinusreihen, 1837. Im 116. Bande von
-*Ostwalds* Klassikern, herausgegeben von *H. Liebmann*. Leipzig, W.
-Engelmann, 1900.
-
-[231] Die letzte Abhandlung des 19. von der Anziehung homogener
-Ellipsoide handelnden Bandes von *Ostwalds* Klassikern. Diese
-Abhandlung *Dirichlets* führt den Titel »Über eine neue Methode zur
-Bestimmung vielfacher Integrale«.
-
-[232] *Lejeune Dirichlet*, Vorlesungen über die im umgekehrten
-Verhältnis des Quadrates der Entfernung wirkenden Kräfte, herausgegeben
-von *G. Grube*, Leipzig 1876.
-
-[233] *Schwere*, Elektrizität und Magnetismus. Nach Vorträgen von *B.
-Riemann*, bearbeitet von *K. Hattendorff*, Hannover 1876.
-
-[234] *Priestley*, Experiments and observations on different kinds of
-air. 3 vol. 1774-1777, übersetzt von *Ludewig*, 1778.
-
-[235] Philosophical Transactions. LXII. 1772.
-
-[236] *Priestley*, Versuche und Beobachtungen über verschiedene Teile
-der Naturlehre. Deutsche Übersetzung vom Jahre 1780. Bd. III. Vorrede.
-
-[237] *Joseph Black*, 1728-1799, Professor der Chemie zu Glasgow und
-Edinburg.
-
-[238] Abhandlungen der schwedischen Akademie d. Wissensch. XXXV.
-
-[239] Daß *Priestley* und *Scheele* unabhängig voneinander schon so
-früh den Sauerstoff dargestellt und seine wichtigsten Eigenschaften
-erkannt haben, wurde von *G. W. A. Kahlbaum* dargetan (Basel,
-Verhandlungen 1897 Bd. 12, S. 9.)
-
-[240] History and present state of electricity with original
-experiments. London 1767. Übersetzt von *Krünitz*. Stralsund 1772.
-
-[241] *Cavendish* wiederholte diesen Versuch und lieferte den Nachweis,
-daß hierbei durch die Vereinigung von Sauerstoff und Stickstoff
-Salpetersäure entsteht. Als absorbierende Flüssigkeit wandte er Alkali
-an, mit dem die entstandene Säure Salpeter bildet. *Cavendish* machte
-schon die Beobachtung, daß bei diesem Versuch trotz genügender Zufuhr
-von Sauerstoff ein nicht absorbierbarer Rest zurückbleibt. Diese
-eigentümliche Erscheinung hat erst im Jahre 1894 dadurch ihre Erklärung
-gefunden, daß *Rayleigh* und *Ramsay* als dritten wesentlichen
-Bestandteil der Atmosphäre das Argon nachwiesen, ein Element, das mit
-dem Sauerstoff unter der Einwirkung des elektrischen Funkens keine
-Verbindung eingeht.
-
-[242] Es ist dies die noch jetzt bei Vorlesungen beliebte Analyse
-des Ammoniaks, welches dabei unter Verdoppelung seines Volumens in
-Stickstoff und »zündbaren« Wasserstoff zerfällt.
-
-[243] Beim Hindurchleiten durch ein glühendes Rohr zerfällt der Alkohol
-in ein Gasgemisch, das vorzugsweise aus Kohlenwasserstoffverbindungen,
-wie Methan, Äthylen, Benzol usw., besteht und bei seiner Verpuffung mit
-Sauerstoff infolgedessen Kohlendioxyd (CO_{2}) liefert.
-
-[244] Stockholm, 1892.
-
-[245] In Köping.
-
-[246] Herausgegeben von *v. Nordenskjöld*. Siehe Naturwissenschaftliche
-Rundschau, VIII, S. 519.
-
-[247] Ein durch Zusammenschmelzen von Schwefel und Pottasche
-(K_{2}CO_{3}) erhaltenes Präparat, das im wesentlichen aus
-Schwefelkalium besteht und begierig Sauerstoff aufnimmt. *Scheele*
-benutzte auch eine Fällung von Eisenvitriol durch Kalilauge. Er
-erhielt so Ferrohydroxyd: FeSO_{4} + 2 KOH = Fe(OH)_{2} + K_{2}SO_{4}.
-Ferrohydroxyd geht unter Aufnahme von Wasser und Sauerstoff leicht in
-Ferrihydroxyd über: 2 Fe(OH)_{2} + 2 H_{2}O + O = 2 Fe(OH)_{3}.
-
-[248] Sauerstoff, der sich aus Braunstein durch Einwirkung der
-Schwefelsäure nach folgender Gleichung entwickelt:
-
-MnO_{2} + H_{2}SO_{4} = MnSO_{4} + H_{2}O + O.
-
-[249] Siehe S. 140 dieses Bandes.
-
-[250] *Ostwalds* Klassiker Nr. 58. S. 27.
-
-[251] *Ostwalds* Klassiker Nr. 58. S. 92.
-
-[252] *Ostwalds* Klassiker Nr. 58. S. 43 u. f.
-
-[253] Experimentum curiosum de effectu radiorum solarium (Act. Acad.
-Nat. Cur. I. 1727).
-
-[254] Siehe S. 142 dieses Bandes.
-
-[255] Attractio electiva duplex lautet sein Ausdruck.
-
-[256] z. B. von *Glauber* (siehe Bd. II, S. 187).
-
-[257] Dissertatio metallurgica de minerarum docimasia humida, 1780.
-
-[258] De analysi aquarum. 1778.
-
-[259] *Gmelin*, Geschichte der Chemie III. 1001.
-
-[260] Auch hierüber berichtet *Gmelin* a. a. O.
-
-[261] Siehe Bd. II, S. 183.
-
-[262] *Ostwalds* Klassiker Nr. 58, S. 5.
-
-[263] *Lavoisier*, Sur la nature de l'eau. Mémoir. de Paris, 1770.
-
-[264] Sie wurde neuerdings deutsch und mit Anmerkungen versehen als
-172. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften wieder
-herausgegeben (Leipzig, W. Engelmann 1909).
-
-[265] *Ostwalds* Klassiker Nr. 172. S. 28.
-
-[266] Das Medizinalpfund betrug 12 Unzen; jede Unze war gleich 480 Gran
-(1 Gran etwa = 0,06 g).
-
-[267] Sur l'existence de l'air dans l'acide nitreux. Mém. de Paris,
-1776.
-
-[268] Hg(NO_{3})_{2} = HgO + 2 NO_{2} + O.
-
-[269] *Cavendish*, welcher die entstandene Salpetersäure durch
-Kalilauge absorbieren ließ, bemerkte, daß ein nicht absorbierbarer Rest
-zurückbleibt, eine Tatsache, die erst 1894 durch die Entdeckung des
-Argons ihre Erklärung fand.
-
-[270] *G. W. A. Kahlbaum* und *A. Hoffmann*: Die Einführung der
-*Lavoisier*schen Theorie im besonderen in Deutschland (Monographien
-aus der Geschichte der Chemie. I. Heft. Leipzig 1897). Danach ist die
-Annahme, daß Deutschland sich länger als die übrigen Länder gegen die
-Annahme der Lehren *Lavoisiers* verschlossen habe, nicht gerechtfertigt.
-
-[271] Einen klaren Ausdruck dieses Prinzips von der Unzerstörbarkeit
-des Stoffes finden wir schon bei *Galilei* in seinem Dialog über die
-beiden Weltsysteme. (Ausg. v. *Strauß*, S. 47). Siehe auch Bd. II
-dieses Werkes, S. 25.
-
-[272] Mémoires de la Société d'Arcueil.
-
-[273] *Dannemann*, Aus der Werkstatt großer Forscher, 1908, S. 265.
-
-[274] *Berthollet*, Untersuchungen über die Gesetze der Verwandtschaft
-(1801). Als 74. Band von *Ostwalds* Klassikern erschienen bei W.
-Engelmann in Leipzig.
-
-[275] Siehe S. 150 dieses Bandes.
-
-[276] Siehe S. 150 dieses Bandes.
-
-[277] *Ostwalds* Klassiker Nr. 74, S. 51.
-
-[278] Näheres über die Phlogistontheorie. Siehe S. 142 dieses Bandes.
-
-[279] Gemeinsam mit *Thenard*. Mémoires de la Société d'Arcueil.
-Paris 1809, S. 295 u. f.
-
-[280] Aus der Geschichte des Chlors sei noch erwähnt, daß *Fourcroy*
-die ersten Verbrennungen in Chlor anstellte. (Annales de Chimie.
-Bd. IV. 1788. S. 249.) *Fourcroy* fand, daß ein Licht in Chlor weiter
-brennt und daß Phosphor in Chlor lebhafter brennt als in der Luft.
-
-Diese Versuche wurden von *Westrumb* auf fast alle Metalle und einige
-Metallsulfide ausgedehnt (Ann. de chimie. Bd. VI. S. 240). *Westrumb*
-entdeckte, daß die Metalle und die Metallsulfide in feiner Verteilung
-sich im Chlor sofort entzünden. Er wies dies z. B. an Antimon, Arsen,
-Wismut, Zinn, Blei, Antimonsulfid und Arsensulfid nach.
-
-[281] *Joseph Louis Proust* wurde 1755 in Angers geboren, wo er (1826)
-starb. Er war Apotheker in Paris; später bekleidete er eine Professur
-für Chemie, auch war er Mitglied der Akademie der Wissenschaften in
-Paris.
-
-[282] Siehe den vorigen Abschnitt, S. 170 u. f.
-
-[283] *Karl Friedrich Wenzel* wurde 1740 in Dresden geboren. Er war wie
-*Richter* zunächst im Hüttenwesen und später in einer Porzellanfabrik
-(Meißen) tätig. *Wenzel* starb im Jahre 1793 in Freiberg.
-
-[284] Siehe S. 170 dieses Bandes.
-
-[285] Er starb 1807.
-
-[286] De usu matheseos in chymia. 1789.
-
-[287] Der Ausdruck Stöchiometrie (στοιχεῖον heißt Grundstoff) rührt von
-*Richter* her.
-
-[288] Zu Eaglesfield in Cumberland am 5. September 1766.
-
-[289] Siehe S. 176 dieses Bandes.
-
-[290] Das Äthylen oder ölbildende Gas (so genannt, weil es sich mit
-Chlor zu einer ölartigen Flüssigkeit C_{2}H_{4}Cl_{2} vereinigt) wurde
-1795 von holländischen Chemikern entdeckt.
-
-[291] Die Ausdrücke binär, ternär, quaternär werden in der heutigen
-Chemie für Verbindungen aus je zwei, je drei oder je vier Elementen
-gebraucht, ohne Rücksicht auf die Anzahl der Atome, die eine solche
-Verbindung zusammensetzen.
-
-[292] Na_{2}O und K_{2}O nach heutiger Bezeichnungsweise.
-
-[293] *Wollaston*, Über übersaure und untersaure Salze. Philos.
-Transact. 1808.
-
-Diese Abhandlung wurde im 3. Bande von *Ostwalds* Klassikern der
-exakten Wissenschaften wieder herausgegeben.
-
-[294] Zum Verständnis dieser Salzbildung sei hinzugefügt, daß die Oxal-
-oder Kleesäure die stärkste organische Säure ist. Sie bildet z. B. mit
-Kalium ein neutrales Salz, in welchem K_{2}O mit C_{2}O_{3} (d. i.
-Oxalsäure nach Abzug des Konstitutionswassers) verbunden ist. Seine
-Formel lautet
-
- COOK
- |
- COOK
-
-Die Zusammensetzung des saures Salzes wird durch die Formel
-
- COOK
- |
- COOH
-
-ausgedrückt.
-
-Auf ein Äquivalent Kali (K_{2}O) kommen in diesem Falle 2 Äquivalente
-C_{2}O_{3} (2 KHC_{2}O_{4} = H_{2}O. K_{2}O. 2 C_{2}O_{3}). Ähnlich
-drückt die Formel für das übersaure Salz
-
- COOK COOH
- |
- COOH COOH
-
-aus, daß auf K_{2}O vier Äquivalente C_{2}O_{3} kommen.
-
- ( COOK COOH )
- (2 | . = 3 H_{2}O . K_{2}O . 4 C_{2}O_{3}).
- ( COOH COOH )
-
-Die drei Salze sind auch durch ihr kristallographisches Verhalten gut
-charakterisiert.
-
-[295] Am besten wird man sich über den Lebensgang von *Berzelius* durch
-seine selbstbiographischen Aufzeichnungen unterrichten lassen. Sie
-wurden im Auftrage der Schwedischen Akademie der Wissenschaften von
-*H. G. Söderbaum* herausgegeben. Eine deutsche Bearbeitung verdankt
-man *G. W. A. Kahlbaum* (Monographien aus der Geschichte der Chemie,
-Heft 7). Seine wissenschaftlichen Arbeiten hat *Berzelius* in der
-Selbstbiographie allerdings nur gelegentlich erwähnt. Etwas eingehender
-kommt er auf die Untersuchungen über die bestimmten Proportionen zu
-sprechen. Dies geschieht unter besonderer Anerkennung der Verdienste
-*Richters* (siehe S. 176 u. f. dieses Bandes).
-
-[296] Einen wichtigen Einblick in die Geschichte der neueren Chemie
-gewährt auch der Briefwechsel von *F. Wöhler* und *J. Berzelius*.
-Herausgegeben von O. Wallach, Leipzig. Verlag von Wilhelm Engelmann,
-1901. 2 Bände. Dieser Briefwechsel umfaßt den für die Entwicklung der
-Chemie hochwichtigen Zeitraum von 1824 bis 1848. Die Briefe enthalten
-zwar viel Persönliches, sie bieten aber auch zahlreiche Aufschlüsse
-über die Vorgeschichte wichtiger Entdeckungen, sowie über die
-Gedankengänge und die Arbeitsweise der beiden großen Forscher. Näheres
-darüber siehe im 4. Bande dieses Werkes bei *Wöhler*.
-
-[297] Dieser für die genauere Kenntnis der Entwicklung, welche die
-neuere Chemie genommen, sehr wertvolle »Briefwechsel« wurde im Auftrage
-der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen von *O.
-Wallach* in zwei umfangreichen Bänden herausgegeben.
-
-[298] *Berzelius*, Lehrbuch der Chemie, Bd. III, 1161. 5. Aufl.
-
-[299] Die heute geltenden Zahlen sind in Klammern beigefügt.
-
-[300] Es bildet sich salpetersaures Blei, dessen Zusammensetzung durch
-die Formel Pb(NO_{3})_{2} wiedergegeben wird.
-
-[301] Das salpetersaure Blei zerfällt beim Erhitzen in Bleioxyd,
-Sauerstoff und Stickstofftetroxyd: Pb(NO_{3})_{2} = PbO + N_{2}O_{4} +
-O.
-
-[302] Das braune Oxyd oder Bleisuperoxyd ist nach der Formel PbO_{2}
-zusammengesetzt; es bildet sich durch Behandeln von Mennige mit
-Salpetersäure: Pb_{3}O_{4} + 4 HNO_{3} = 2 Pb(NO_{3})_{2} + PbO_{2} +
-2 H_{2}O. Die Mennige läßt sich als eine Verbindung von Bleioxyd und
-Bleisuperoxyd auffassen: Pb_{3}O_{4} = 2 PbO . Pb_O{2}.
-
-[303] Daher lauten die entsprechenden Formeln für das gelbe und das
-braune Oxyd PbO und PbO_{2}. Mennige besitzt eine etwas schwankende
-Zusammensetzung. Die Formel Pb_{3}O_{4}, die man der Mennige beilegt,
-würde auf 100 Teile Blei nur 10,3 Teile Sauerstoff ergeben.
-
-[304] Siehe S. 176 u. f. dieses Bandes.
-
-[305] So verhalten sich in den salpetersauren Salzen diese Mengen wie
-1 : 5. Die ältere Schreibweise ihrer Formeln macht dies Verhältnis
-sofort ersichtlich: K_{2}O . N_{2}O_{5}; Na_{2}O . N_{2}O_{5};
-CuO . N_{2}O_{5}; CaO . N_{2}O_{5}.
-
-[306] Siehe Abschnitt 2 dieses Bandes.
-
-[307] *Johann Georg Sulzer* (1720-1779), Professor der Mathematik am
-Joachimsthalschen Gymnasium in Berlin.
-
-[308] *Sulzer*, Theorie der angenehmen und unangenehmen
-Geschmacksempfindungen. Berlin 1762. (Zuerst in den Mém. de Berlin
-1751/52.)
-
-[309] *Ostwalds* Klassiker Nr. 52, S. 4.
-
-[310] In einem von *Alibert*, dem Biographen *Galvanis* (*Alibert*,
-Éloge de *Galvani*, Paris, 1806) mitgeteilten Sonett lautet die
-zweite Strophe in der von *Emil du Bois Reymond* herrührenden
-Übersetzung:
-
- War sie es nicht, die neue Lebenstriebe
- In hautentblößter Frösche Gliedern fand,
- Wenn hier der Nerven wunderbar Getriebe,
- Dort funkensprüh'nden Leiter traf die Hand?
-
-
-
-[311] *Galvanis* Schrift führt den Titel: De viribus electricitatis
-in motu musculari commentatio. 1791. Sie erschien neuerdings unter
-dem Titel: Abhandlung über die Kräfte der Elektrizität bei der
-Muskelbewegung, herausgegeben von *A. J. v. Oettingen*, als 52. Band
-von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften. Leipzig, Verlag
-von Wilhelm Engelmann, 1894.
-
-[312] *E. du Bois-Reymond*, Untersuchungen über tierische Elektrizität.
-Berlin 1848. Bd. I. S. 50.
-
-[313] *Volta*, Del modo di rendere sensibilissima la più debole
-elettricità sia artificiale, sia naturale. 1784.
-
-*Voltas* sämtliche Werke erschienen unter dem Titel: Collezioni dell'
-Opere del Cavalieri Conte Allessandro Volta, Patrizio Comasco. Firenze
-1816, in drei Bänden und fünf Teilen herausgegeben von V. Antinori.
-
-[314] Siehe S. 189 dieses Bandes.
-
-[315] *Alessandro Volta*, Briefe über tierische Elektrizität.
-1792-1795. Als 114. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten
-Wissenschaften in deutscher Übersetzung herausgegeben von A. J. von
-Öttingen. S. 101.
-
-[316] *Ostwalds* Klassiker Nr. 114, S. 99.
-
-[317] *Ostwalds* Klassiker Nr. 114, S. 104.
-
-[318] *Ostwalds* Klassiker Nr. 114, S. 107.
-
-[319] Abhandlungen der schwed. Akademie der Wissenschaften. 29, 1777.
-
-[320] Siehe S. 10 dieses Bandes.
-
-[321] Phil. Transact. 1782, S. 242.
-
-[322] In *Voltas* dritten Brief an *Gren* vom Jahre 1797.
-
-[323] *Ostwalds* Klassiker Nr. 118, S. 54 u. f.
-
-[324] *Volta*, Gilberts Annalen, Bd. X, S. 443.
-
-[325] *Ostwalds* Klassiker Nr. 118, S. 4.
-
-[326] In einem an *Banks*, den Präsidenten der Royal Society,
-gerichteten Brief vom 20. März jenes Jahres. Dieser Brief wurde in den
-Philosophical Transactions, 1800, S. 403 veröffentlicht.
-
-[327] Brief an *Banks*, Philosophical Transactions, 1800, S. 403.
-
-Der berühmte Brief an *Banks* wurde mit einigen anderen bis zum Jahre
-1796 zurückreichenden Schriften *Voltas* als 118. Band von *Ostwalds*
-Klassikern in deutscher Übersetzung durch *A. J. v. Oettingen*
-herausgegeben. Leipzig, W. Engelmann. 1900.
-
-[328] Bericht an die mathematisch-physikalische Klasse des
-französischen Nationalinstituts über *Voltas* galvanische Versuche.
-Siehe *Gilberts* Annalen X, 1802, S. 389 ff. Ein Auszug des von *Volta*
-in Paris gehaltenen Vortrags in deutscher Übersetzung findet sich
-gleichfalls in *Gilberts* Annalen. Bd. X, S. 421.
-
-[329] *Gilberts* Annalen VIII, S. 390.
-
-[330] *Gilberts* Annalen XI, S. 132.
-
-[331] *Gilberts* Annalen IX, S. 385.
-
-[332] *Gilberts* Annalen XIX, S. 45.
-
-[333] *Johann Wilhelm Ritter* (1776-1810) lebte als Privatgelehrter
-in Gotha und Weimar. Im Jahre 1804 wurde *Ritter* an die bayerische
-Akademie nach München berufen. *Ritter* war einer der ersten Forscher
-auf dem Gebiete der galvanischen Elektrizität.
-
-[334] *Gilberts* Annalen XIX, 1805, S. 22.
-
-[335] *Gilberts* Annalen XXIII. S. 25.
-
-[336] *Rieß*, Die Lehre von der Reibungselektrizität. Bd. I, S. 18.
-Berlin 1853.
-
-[337] *Zamboni*, Della pila elettrica a secco. Verona 1812. Siehe
-auch *Schweiggers* Journal für Chemie und Physik. X. S. 129.
-
-[338] *Paul Erman* (1764-1851) war Professor der Physik in Berlin
-und veröffentlichte zahlreiche Arbeiten aus dem Gebiet der
-Elektrizitätslehre.
-
-[339] *Voigts* Magazin f. d. Neueste. Bd. 4. 1802. S. 832.
-
-[340] *Gilberts* Annalen, XIX, S. 490.
-
-[341] *Fischer*, Gesch. VIII, 649.
-
-[342] *Fischer*, VIII, 654.
-
-[343] *Anthony Carlisle* (1768-1840), Professor der Anatomie in London.
-
-[344] *William Nicholson* (1753-1815), als Ingenieur und Schriftsteller
-in London tätig, auch bekannt als Erfinder des Gewichtsaräometers.
-
-[345] *Gilberts* Annalen, 1800, VI, 340.
-
-[346] *Hoppe*, Gesch. d. Elektr. S. 137.
-
-[347] *Johann Wilhelm Ritter* (1776-1810) war Mitglied der bayerischen
-Akademie der Wissenschaften.
-
-[348] *Gilbert*, Annalen der Physik, VI, 1800, S. 470.
-
-[349] Die wissenschaftlichen Abhandlungen *Davys* wurden von seinem
-Bruder gesammelt und in 10 Bänden herausgegeben: The collected works
-of Sir Humphry Davy edited by his brother John Davy. London 1839-1841.
-
-[350] Die Pneumatic Institution des Dr. *Beddoes*.
-
-[351] Siehe *E. Cohen*, Das Lachgas. Eine chemisch-kulturhistorische
-Skizze. Leipzig, W. Engelmann. 1907.
-
-[352] Die Abhandlung wurde 1893 unter dem Titel Ȇber einige chemische
-Wirkungen der Elektrizität« im 45. Bande von *Ostwalds* Klassikern der
-exakten Wissenschaften herausgegeben. Leipzig, Verlag von W. Engelmann.
-
-[353] *Ostwalds* Klassiker Nr. 45. S. 12.
-
-[354] Ann. de Chimie 58, 54. 1806.
-
-[355] *Davy*, On some new Phenomena of chemical changes produced by
-electricity, particularly the decomposition of the fixed alkalies. Die
-Abhandlung wurde 1893 unter dem Titel »Elektrochemische Untersuchungen
-von *Humphry Davy*« als 45. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten
-Wissenschaften herausgegeben. Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann.
-
-[356] Aus diesem Grunde fand das Natrium Verwendung, um absoluten
-Alkohol zu bereiten, d. h. dem Alkohol die letzten Spuren Wasser zu
-entziehen.
-
-[357] Unter dem Namen alkalische Erden werden die Oxyde der Metalle
-Calcium, Strontium und Barium (CaO, SrO, BaO) zusammengefaßt. Diese
-Oxyde wurden früher als Kalk, Strontian und Baryt bezeichnet.
-
-[358] Magnesia, Tonerde, Kieselerde sind die Oxyde von Magnesium,
-Aluminium und Silicium (MgO, Al_{2}O_{3}, SiO_{2}).
-
-[359] Barium, Strontium, Calcium und Magnesium wurden bald darauf von
-*Davy* selbst isoliert. Silicium wurde zuerst von *Berzelius* 1823
-hergestellt. Die Abscheidung des Aluminiums aus der Tonerde gelang
-*Wöhler* im Jahre 1827.
-
-[360] *Ostwalds* Klassiker Nr. 45, S. 44.
-
-[361] *Ostwalds* Klassiker Nr. 45, S. 37.
-
-[362] *Ostwalds* Klassiker Nr. 45, S. 91, sowie auch *Ostwalds*
-Geschichte der Elektrochemie. S. 992 u. f.
-
-[363] Phil. Transact. v. 1821.
-
-[364] Eine mit Kalium gefüllte Büchse wurde mit dem Rettungsgürtel
-verbunden. Das Kalium entzündete sich, sobald es mit dem Wasser in
-Berührung kam.
-
-[365] Intimeres aus dem Leben *Davys* enthält die Skizze über
-*Berzelius* und *Davy*, welche *Kahlbaum* im III. Bande der
-Mitteilungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften
-veröffentlichte. 1904. S. 277 u. f.
-
-[366] *Gilberts* Annalen 1822, LXXI, S. 244.
-
-[367] *Dannemann*, Aus der Werkstatt großer Forscher, 1908, S. 280.
-
-[368] *Ostwalds* Klassiker der exakten Wissenschaften Nr. 63.
-Herausgegeben von *J. A. v. Oettingen*. Leipzig. Verlag von Wilh.
-Engelmann 1895.
-
-Die Abhandlung *H. C. Oersteds* erschien im Jahre 1820 unter dem Titel
-»Experimenta circa effectum conflictus electrici in acum magneticam«.
-Sie wurde von *Gilbert* übersetzt und in seinen Annalen (Bd. LXVI)
-veröffentlicht. Diese Übersetzung wurde mit geringen stilistischen
-Änderungen und wesentlich gekürzt der Neuausgabe zugrunde gelegt.
-
-[369] *Ostwalds* Klassiker Nr. 63, S. 9 u. f.
-
-[370] Man muß sich die Stahlbänder senkrecht zur Ebene der Zeichnung
-verlaufend vorstellen.
-
-[371] *J. J. Rousseaus* Briefe über die Anfangsgründe der Botanik. Sie
-fesselten auch *Goethe* in hohem Grade und erschienen in deutscher
-Übersetzung (M. Möbius) in Leipzig bei J. A. Barth. 1903.
-
-[372] Annales de Chimie et de Physique XV, 1820, S. 59 u. 170.
-
-[373] Annales XV, S. 67: Si l'on se place par la pensée dans la
-direction du courant, de manière qu'il soit dirigé des pieds à la tête
-de l'observateur, et que celuici ait la face tournée vers l'aiguille;
-c'est constamment à sa gauche que l'action du courant écartera de sa
-position ordinaire celle des ses extrémités qui se dirige vers le nord.
-
-[374] Übersetzt herausgegeben im Jahre 1822 bei Leopold Voß in Leipzig.
-
-[375] *Ampère* und *Babinet*. Tafel I, Fig. 3.
-
-[376] *Ampère* und *Babinet*. Tafel I, Fig. 2.
-
-[377] *Ampère* und *Babinet*. Tafel I. Fig. 12.
-
-[378] *Ampère*, Annales de chimie et phys. XV. S. 188 ff.
-
-[379] Siehe *Heller*, Gesch. d. Phys. II, S. 609.
-
-[380] *Heller*, Geschichte der Physik II, S. 609.
-
-[381] *Ampère*, Mémoire sur la théorie mathématique des phénomènes
-électrodynamiques uniquement déduite de l'expérience. Ann. de Chimie et
-de Phys. Bd. 20, S. 60.
-
-[382] *Wüllner*, Lehrb. d. Experim. Physik. IV, S. 673 u. f.
-
-[383] *Ampère* und *Babinet*. Tafel II, Fig. 29.
-
-[384] *Ampère* und *Babinet*. Tafel II, Fig. 14.
-
-[385] Ann. de Chimie et de Phys. Bd. 18, 1821, S. 320-322.
-
-[386] *Ampère* und *Babinet*. 1822. S. 115.
-
-[387] Siehe S. 1 dieses Bandes.
-
-[388] Annales de Chimie et de Physique XV. S. 93 u 110.
-
-[389] Annales de Chimie et de Physique. Bd. 27, 1824, S. 363.
-
-[390] Siehe an späterer Stelle.
-
-[391] *Thomas Johann Seebeck* wurde 1770 in Reval geboren. Er wurde
-1818 Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Berlin und starb dort
-1831.
-
-[392] *Th. J. Seebeck*, Magnetische Polarisation der Metalle und Erze
-durch Temperaturdifferenz. Siehe *Ostwalds* Klassiker der exakten
-Wissenschaften Nr. 70, S. 8 u. f. Die Abhandlung erschien zuerst in den
-Berichten der Berliner Akademie der Wissenschaften von 1822/23. Die
-Entdeckung der Thermoelektrizität erfolgte 1822.
-
-[393] *Nobili*, Sur un nouveau galvanomètre (Bibl. univ. XXV. 1824.)
-*Leopoldo Nobili* wurde 1781 in der Nähe von Reggio geboren. Er war
-Professor der Physik am großherzoglichen Museum in Florenz und starb
-dort 1835.
-
-[394] *Melloni*, La Thermochrôse ou la coloration calorifique. Neapel
-1850. *Macedonio Melloni* wurde 1798 in Parma geboren. Er war dort
-Professor der Physik. Später lebte er in Paris; zuletzt leitete er das
-Observatorium auf dem Vesuv. *Melloni* starb im Jahre 1854.
-
-[395] *Humboldt*, Kosmos. Bd. I. Abschn. 3.
-
-[396] Zu Beaumont en Auge.
-
-[397] Siehe S. 361 des II. Bandes dieses Werkes.
-
-[398] Laut Gesetz vom Jahre 1842. *Laplace*, Oeuvres complètes. 7
-Bde. 1843-1848.
-
-[399] *Wolf*, Geschichte der Astronomie. S. 510.
-
-[400] Eine ausführliche Darstellung der Entwicklung der
-Gravitationsmechanik von *Newton* bis *Laplace* enthält das Werk von
-*Todhunter*, A history of the mathematical theories of attraction
-and the figure of the earth from the time of *Newton* to that of
-*Laplace*. London, Macmillan and Co.
-
-[401] Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels oder
-Versuch von der Verfassung und dem mechanischen Ursprunge des
-ganzen Weltgebäudes, nach *Newton*schen Grundsätzen abgehandelt von
-*Immanuel Kant*. Als 12. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten
-Wissenschaften herausgegeben von *A. J. von Oettingen*. 2. Aufl.
-Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann, 1898.
-
-[402] *Thomas Wright*, Theory of the Universe. London 1750. *Wrights*
-Bedeutung wurde neuerdings durch *Jacobi* gewürdigt. (*Max Jacobi*,
-Ein Vorläufer der *Kant-Laplace*schen Theorie von der Weltentstehung.
-Preußische Jahrbücher, Bd. 117, 2. Heft).
-
-Der genauere Titel der Schrift von *Wright* lautet: An Original Theory
-or New Hypothesis of the Universe founded upon the laws of Nature.
-*Kant* hatte von dem Buche *Wrights* durch eine Besprechung in einer
-deutschen Zeitschrift Kenntnis erhalten.
-
-*Wright* wurde 1711 geboren. Er nahm an der Expedition teil, welche die
-Royal Society im Jahre 1769 zur Beobachtung des Venusdurchganges nach
-Kanada sandte. *Wright* starb im Jahre 1786.
-
-[403] Siehe Bd. II, S. 394.
-
-[404] *Ostwalds* Klassiker Nr. 12, S. 41 u. f.
-
-[405] *Ostwalds* Klassiker Nr. 12, S. 53 u. f.
-
-[406] *Ostwalds* Klassiker Nr. 12, S. 38.
-
-[407] *G. H. Darwin*, On the tidal friction of a planet attended by
-several satellites. Phil. Trans. London, 1881. II. p. 491 f.
-
-[408] *H. v. Helmholtz* (Vorträge II, S. 84).
-
-[409] *Piazzi* wurde 1746 geboren. Er erbaute und leitete die
-Sternwarte in Palermo und starb 1826 in Neapel.
-
-[410] *Karoline Herschels* Memoiren und Briefwechsel. Deutsch von
-*Scheibe*. Berlin 1877.
-
-[411] Im Jahre 1757.
-
-[412] *Smith*, Harmonics.
-
-[413] In einem Brief vom 15. Februar 1783, abgedruckt im Göttinger
-Magazin der Wissenschaften und Literatur. III, 584.
-
-[414] *Herschel*, On the remarkable appearances at the polar regions of
-the Planet Mars. 1784.
-
-[415] Nach seiner Angabe beträgt die Rotationszeit des Saturn 10
-Stunden 29 Minuten.
-
-[416] Philosoph. Transactions 1795, II. Tab. XXIV.
-
-[417] *Herschel*, On the proper motion of the Sun and the Solar
-System. 1783.
-
-[418] Siehe S. 246 dieses Bandes.
-
-[419] *Herschel*, On the construction of the heavens. Phil. Trans.
-1784. Eine Übersetzung mit einem nach *Kants* Durchsicht hergestellten
-Auszug aus *Kants* Naturgeschichte des Himmels erschien 1791.
-
-[420] *Messier* in den Abhandlungen der Pariser Akademie der
-Wissenschaften vom Jahre 1771. S. 435. Catalogue des nébuleuses et des
-amas d'étoiles, observées à Paris par *M. Messier*.
-
-[421] *W. Herschel*, Über den Bau des Himmels; übersetzt von *J. W.
-Pfaff*. Leipzig 1850. Taf. I, Fig. 2. (Nr. 53 des Verzeichnisses von
-*Messier*.)
-
-[422] 1834-1838.
-
-[423] *W. Herschel*, Über den Bau des Himmels. Taf. II, Fig. 16.
-
-[424] *Kosmos*, Bd. I, Abschn. 3.
-
-[425] *Holden*, *Wilhelm Herschel*, Sein Leben und seine Werke.
-Übersetzt von *Valentiner*. Berlin 1882.
-
-[426] A. a. O. S. 214.
-
-[427] Über den Ursprung der von *Pallas* gefundenen und anderer ihr
-ähnlichen Eisenmassen und über einige damit in Verbindung stehende
-Naturerscheinungen von *Chladni*. Riga 1794.
-
-[428] *Dannemann*, Aus der Werkstatt großer Forscher, 1908. S. 169.
-
-[429] Ein großes Stück des Pallaseisens befindet sich in den
-Königlichen Sammlungen zu Berlin.
-
-[430] Von dieser gibt *Halley* Nachricht; Philosophical transactions,
-n. 360. S. 978.
-
-[431] Von der in der Histoire de l'académie des sciences, 1761, S. 28
-Nachricht gegeben wurde.
-
-[432] Wie in den Mémoires de l'académie de Dijon, Bd. I. S. 42
-erzählt wird.
-
-[433] *Silberschlag* (1721-1791), Oberbaurat und Mitglied der
-Akademie in Berlin, nahm an, daß diese Feuerkugel aus den Dünsten der
-zahlreichen Leichen entstanden sei, die im Sommer des Jahres 1762 die
-Schlachtfelder bedeckten. (!!)
-
-[434] Diese Vermutung *Chladnis* ist später durch die
-spektralanalytische Untersuchung der Gestirne bestätigt worden.
-
-[435] Neuere Untersuchungen haben zu dem Ergebnis geführt, daß sich
-zahlreiche Elemente, die sämtlich auch an der Zusammensetzung der
-Erde beteiligt sind, als Bestandteile der Meteoriten nachweisen
-lassen. Die Annahme *Chladnis*, daß das Universum im wesentlichen
-überall die gleiche chemische Zusammensetzung hat, steht auch mit der
-*Kant*-*Laplace*schen Hypothese im Einklang und hat durch die moderne
-Astrophysik ihre Bestätigung gefunden.
-
-[436] *Gilberts* Annalen 15,74 und 16,44, 70.
-
-[437] *Bieberstein*, 1802.
-
-[438] *Howard*, 1802.
-
-[439] *G. Rose*, Abhandlungen der Berliner Akademie der Wissenschaften
-1863. S. 33.
-
-[440] *Johann Friedrich Benzenberg*, 1777-1846.
-
-[441] *Heinrich Wilhelm Brandes*, 1777-1834.
-
-[442] *Benzenberg* und *Brandes*, Versuch, die Entfernung, die
-Geschwindigkeit und die Bahnen der Sternschnuppen zu bestimmen, 1800.
-
-[443] Siehe Band II S. 80.
-
-[444] *J. Bapt. Guglielmini* de diurno terrae motu experimentis
-physico-mathematicis confirmato. Bologna 1792.
-
-[445] Versuche über das Gesetz des Falles. Dortmund 1804.
-
-[446] Von *Reich* in einem Schacht bei Freiberg.
-
-[447] Zu den ersten Physikern, welche die Wärme ohne die Annahme eines
-besonderen Stoffes zu erklären suchten, gehörte *Daniel Bernoulli I*.
-(Siehe *Bernoullis* im Jahre 1716 erschienene Schrift: Phoronomia
-sive de Viribus et Motibus corporum solidorum et fluidorum). Man hat
-*Bernoulli* auf Grund der von ihm entwickelten Ansichten als einen der
-Begründer der kinetischen Gastheorie hingestellt (*Rühlmann*, Handbuch
-der mechanischen Wärmetheorie. Bd. I. 1876. S. 72).
-
-Dieselbe Ansicht von der Natur der Wärme entwickelte ein Jahrzehnt
-später der große *Euler* in einer in den Abhandlungen der Petersburger
-Akademie vom Jahre 1727 erschienenen Arbeit »Tentamen explicationis
-phaenomenorum aeris«.
-
-Soweit es sich um bloße Andeutungen handelt, läßt sich die mechanische
-Wärmetheorie bis auf *Bacon* und auf *Hooke* (Micrography, London
-1667. S. 12) zurückverfolgen.
-
-[448] Sein eigentlicher Name ist *Benjamin Thompson*.
-
-[449] Philosophical Transactions. 1799.
-
-[450] Philosophical Transactions. 25. I. 1798.
-
-[451] *Rumford*, Untersuchung der durch Friktion hervorgebrachten
-Wärme, vorgelesen in der Königl. Sozietät der Wissenschaften, den 25.
-Januar 1798.
-
-[452] In den »Contributions to phys. and medic. knowledge« collect. by
-Beddoes. 1799.
-
-[453] Der Versuch wurde von *Davy* in der Weise angestellt, daß
-zwei Eisstücke unter einer luftleeren Glasglocke bei einer unter
-dem Gefrierpunkte liegenden Temperatur vermittelst eines Uhrwerkes
-aneinander gerieben wurden.
-
-[454] *Erasmus Darwin* (der Großvater von *Charles Darwin*), Frigoric
-experiments on the mechanical expansion of air. Phil. Trans. 1788.
-
-[455] *J. Dalton*, Experiments and Observations on the Heat and Cold
-produced by the mechanical condensation and rarefaction of air. Manch.
-Soc. V, p. II (1802).
-
-[456] Ein Arbeiter einer Gewehrfabrik soll diese Entdeckung bei
-Versuchen mit der Windbüchse gemacht haben. *Rosenberger*, Geschichte
-der Physik Bd. III. S. 224.
-
-[457] Siehe S. 266 dieses Bandes.
-
-[458] Mém. de la Société d'Arcueil I, 180 (1807).
-
-[459] *Mach*, Prinzipien der Wärmelehre, S. 210.
-
-[460] *Scheele*, Chemische Abhandlung von der Luft und dem Feuer.
-(*Ostwalds* Klassiker, Nr. 58, S. 54).
-
-[461] Durch *Ritter*. Siehe *Gilberts* Annalen VII, 1801. S. 525.
-
-[462] Philosoph. Transact. 1802.
-
-[463] *William Hyde Wollaston* wurde 1766 geboren. Er war Mitglied
-der Royal Society und starb 1828 in London. *Wollaston* entdeckte
-das Rhodium und das Palladium. Seine Erfindung, Platin zu schmieden,
-brachte ihm so reiche Mittel ein, daß er davon als Privatmann leben
-konnte.
-
-[464] *Thomas Young* wurde 1773 geboren. Er wirkte als Professor
-der Physik an der Royal Institution in London und war Mitglied
-der Royal Society. *Young* starb 1829 in London. Er gehörte zu
-den vielseitigsten Menschen, die je gelebt haben. *Young* war Arzt,
-Philosoph, Mathematiker, Physiker, Archäologe und gleichzeitig ein
-Weltmann, der in den vornehmsten Kreisen Londons einen Ruf als Reiter,
-Musiker und Maler genoß. Derselbe *Young*, der auf den Gebieten der
-Physik und der Physiologie so Hervorragendes leistete, gehörte zu den
-ersten Archäologen, denen die Enträtselung der Hieroglyphen gelang.
-
-[465] Philos. Transact. 1804. S. 1.
-
-[466] *Young*, On the theory of light and colours. Phil. Transact.
-1802. Seite 12.
-
-[467] *Helmholtz*, Handbuch der physiologischen Optik. Leipzig 1876. S.
-291 u. f.
-
-[468] *Newton*, Optice. Lib. III. Quaestio XXVI: Annon radiorum
-luminis diversa sunt latera, diversis proprietatibus congenitis
-praedita?
-
-[469] *Étienne Louis Malus* wurde 1775 in Paris geboren. Er
-besuchte dort die Schule für Militäringenieure und später die
-École polytechnique, wo *Monge* auf ihn aufmerksam wurde. (Über
-*Monge* s. S. 120 u. f.). Schon damals wandte sich *Malus* optischen
-Untersuchungen zu. Seine wissenschaftliche Tätigkeit wurde durch den
-Feldzug nach Ägypten und andere napoleonische Kriege unterbrochen.
-Später wirkte *Malus* an der École polytechnique in Paris, wo er
-schon im Jahre 1812 starb.
-
-[470] Sur une propriété de la lumière réfléchie par les corps
-diaphanes. Gelesen 1808. Veröffentlicht in den Mémoires d'Arcueil
-II. 143 (1809).
-
-[471] *Aragos* Werke. Bd. III. S. 117.
-
-[472] *Augustin Jean Fresnel* wurde 1788 in der Normandie geboren.
-Er besuchte die École polytechnique zu Paris und starb dort 1827.
-*Fresnel* wirkte an der École polytechnique und als Mitglied
-einer Leuchtturmkommission. In dieser Stellung hat er sich um
-die Verbesserung der Leuchtvorrichtungen sehr verdient gemacht
-(*Fresnel*scher Prismenapparat).
-
-[473] *Fresnel*, Mémoire sur la diffraction de la lumière (Annales
-chim.-phys. I. 1816 et XI, 1819).
-
-[474] Mémoire sur la loi des modifications, que la reflexion imprime à
-la lumière polarisée.
-
-[475] Z. B. die von *Hamilton* abgeleitete und von *Lloyd* am Aragonit
-nachgewiesene konische Refraktion. *Hamilton* in *Poggendorffs* Annalen
-Bd. XXVIII. *Lloyd* ebenda.
-
-[476] *Foucault*, Sur les vitesses relatives de la lumière dans l'air
-et dans l'eau (Annales chim. phys. XLI. 1854).
-
-[477] Siehe an späterer Stelle.
-
-[478] Betrachtungen über die bewegende Kraft des Feuers und die
-zur Entwicklung dieser Kraft geeigneten Maschinen von *S. Carnot*.
-Übersetzt und herausgegeben von *W. Ostwald*. *Ostwalds* Klassiker der
-exakten Wissenschaften Nr. 37. Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,
-1892. Der Titel des Originals lautet: Réflexions sur la puissance
-motrice du feu et sur les machines propres à développer cette puissance
-par *S. Carnot*. Paris 1824.
-
-[479] Dieser wurde samt der Abhandlung im Jahre 1878 von *Carnots*
-Bruder herausgegeben (Paris, Gauthier Villars).
-
-[480] *Mach*, Prinzipien der Wärmelehre. S. 215.
-
-[481] *Mach*, S. 218.
-
-[482] Siehe S. 52 dieses Bandes.
-
-[483] *Gilberts* Annalen VII. 1801. S. 137.
-
-[484] Philos. Transact. 27. III. 1800, S. 255. Investigation of the
-Powers of the prismatic Colours to heat and illuminate Objects.
-
-[485] Philos. Trans. 24. IV. 1800, S. 284. Experiments on the
-Refrangibility of the invisible Rays of the Sun.
-
-[486] *St. Léonard* in Limousin.
-
-[487] *Aragos* Werke, Bd. III. S. 14.
-
-[488] Siehe S. 140 dieses Bandes.
-
-[489] Annales de chimie IX. 1791. S. 239.
-
-[490] Journal de Physique, 60. S. 129-158. Neuerdings veröffentlicht
-im 42. Bande von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften.
-Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann, 1893.
-
-[491] Recherche sur la dilatation des gases et des vapeurs (Ann. chim.
-et phys. XLIII, 1802). Die Abhandlung wurde neuerdings im 44. Bande
-von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften in deutscher
-Übersetzung herausgegeben.
-
-[492] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 44, S. 24.
-
-[493] Siehe Bd. IV dieses Werkes.
-
-[494] Daß Sauerstoff löslicher ist als Stickstoff, wußte schon
-*Scheele*. Siehe S. 147.
-
-[495] NH_{3} + HCl = NH_{4}Cl (Salmiak).
-
-[496] SO_{2} + O = SO_{3}.
-
-[497] Mémoire sur la combinaison des substances gazeuses, les
-unes avec les autres (Mém. de la société d'Arcueil, 1809). In der
-Übersetzung herausgegeben in *Ostwalds* Klassikern der exakten
-Wissenschaften, Bd. 42. Leipzig, Engelmann, 1893.
-
-[498] CO + O = CO_{2}.
-
-[499] Sie besagt, daß die Volumeinheit aller Gase bei gleichem Druck
-und gleicher Temperatur dieselbe Anzahl von Molekülen enthält. Siehe
-*Avogadros* Abhandlung vom Jahre 1811 in *Ostwalds* Klassikern der
-exakten Wissenschaften. Bd. 8. Wilhelm Engelmann, Leipzig, 1889.
-
-[500] *Kopp*, Gesch. d. Chemie IV. S. 13.
-
-[501] Näheres hierüber siehe *Kopp*, Gesch. d. Chemie IV. S. 13.
-
-[502] HCl, HJ, H_{2}S.
-
-[503] HClO_{3} und HJO_{3}, deren Säureanhydride Cl_{2}O_{5} und
-J_{2}O_{5} sind.
-
-[504] Näheres siehe im IV. Bande dieses Werkes.
-
-[505] Siehe S. 173 dieses Bandes.
-
-[506] *Ostwalds* Klassiker Nr. 4. S. 9.
-
-[507] *Gay-Lussac*, Recherches sur l'acide prussique. Annales de
-chim. 1815. S. 136-231.
-
-[508] *Liebig*, Handbuch der organischen Chemie. S. 1.
-
-[509] Siehe S. 164 dieses Bandes.
-
-[510] *Aragos* Werke. Bd. III. S. 57.
-
-[511] *William Henry*, geboren 1775 zu Manchester; gestorben 1836.
-
-[512] Philos. Transact. 1803 und *Gilberts* Annalen XX. S. 147.
-
-[513] Im 3. Bande von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften
-herausgegeben von *W. Ostwald*. Leipzig, Verlag von W. Engelmann, 1889.
-
-[514] Siehe S. 180 dieses Bandes.
-
-[515] Siehe hierüber S. 173 dieses Bandes.
-
-[516] Die betreffende Abhandlung von *Gauß* wurde im 14. Bande von
-*Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften von *E. Netto* in
-deutscher Übersetzung herausgegeben. Siehe dort S. 3-36. *Gauß* kam auf
-denselben Gegenstand noch dreimal zurück. Sämtliche 4 Arbeiten finden
-sich im 14. Bd. der Klassiker vereinigt. Leipzig, W. Engelmann, 1900.
-
-[517] Erster und zweiter Beweis der Fundamentaltheorien über
-quadratische Reste. Im 122. Bande von *Ostwalds* Klassikern der exakten
-Wissenschaften herausgegeben von *Eugen Netto*. Leipzig, W. Engelmann,
-1901.
-
-[518] *Zachs* astronomische Korrespondenz.
-
-[519] *Gauß* Werke, Bd. VI. S. 65.
-
-[520] Sie rührt von *Hasse* her und ist in Hannover erschienen. In
-der Übersetzung lautet der Titel des *Gauß*schen Werkes: Theorie
-der Bewegung derjenigen Himmelskörper, die sich um die Sonne in
-Kegelschnitten bewegen.
-
-[521] *Légendre*, Nouvelles méthodes pour la détermination des orbites
-des comètes.
-
-[522] Theoria combinationis observationum erroribus minimis obnoxiae.
-1821.
-
-[523] Nr. 159 und 270.
-
-[524] *C. G. J. Jacobi*, Über die Bildung und die Eigenschaften der
-Determinanten und über die Funktionaldeterminanten. Beide Abhandlungen
-erschienen 1841 im *Crelle*schen Journal. Sie wurden 1896 als 77. und
-78. Bd. von *Ostwalds* Klassikern durch *P. Stäckel* mit Anmerkungen
-herausgegeben.
-
-[525] *Laplace*, Théorie capillaire im Anhang zum 10. Buche der
-Mécanique céleste. Siehe auch *Gilberts* Annalen XXXIII.
-
-[526] *C. F. Gauß*, Allgemeine Grundlagen einer Theorie der Gestalt
-von Flüssigkeiten im Zustande des Gleichgewichts, 1830. In deutscher
-Übersetzung herausgegeben von *H. Weber* als 135. Band von *Ostwalds*
-Klassikern. Leipzig, W. Engelmann, 1903.
-
-[527] Eine vortreffliche Geschichte der Attraktionstheorie rührt von
-*J. Todhunter* her. Siehe Anm. 1 auf S. 244 dieses Bandes.
-
-[528] Mém. de Berlin. 1777. S. 155.
-
-[529] Mémoires de l'académie roy. de Paris 1782. S. 113-196. Die
-Abhandlung wurde teilweise in der Mécanique céleste aufgenommen.
-Dieser Abschnitt der Mécanique céleste erschien in deutscher
-Übersetzung im 19. Bande von *Ostwalds* Klassikern. Leipzig, W.
-Engelmann, 1890.
-
-[530] *G. Green*, Ein Versuch, die mathematische Analysis auf die
-Theorien der Elektrizität und des Magnetismus anzuwenden. In deutscher
-Übersetzung und mit Erläuterungen herausgegeben von *Wangerin* und *v.
-Oettingen*. *Ostwalds* Klassiker Nr. 61. Leipzig, W. Engelmann, 1895.
-
-[531] Für Kräfte, die nicht nach dem *Newton*schen Gesetze wirken, hat
-man später den Ausdruck Kräftefunktion eingeführt.
-
-[532] Der wichtigste dieser Sätze, der noch heute bei der Anwendung
-der Potentialtheorie eine große Rolle spielt, wird der »Satz von
-*Green*« genannt. Er findet sich im dritten Abschnitt seiner Abhandlung
-entwickelt (*Ostwalds* Klassiker, Bd. 61, S. 24-28) und betrifft den
-Fall, daß U und V zwei Funktionen von x, y, z bedeuten, deren Werte für
-jeden Punkt im Innern eines Raumes als gegeben angesehen werden können.
-
-Der von *Green* für diesen Fall entdeckte Satz lautet unter der
-Annahme, daß die Funktionen von U und V, sowie die ersten Derivierten
-von U und V im Innern des betreffenden Raumes endlich und stetig
-variabel sind:
-
- ∭dx · dy · dz · U · δV + ∫dσ · U(dV/dw) =
-
- ∭dx · dy · dz · VδU + ∫dσ · V(dU/dw)
-
-dV und dU sind die bekannten Abkürzungen für den Ausdruck in der
-*Laplace*schen Gleichung, dσ ein Oberflächenelement und dw ein
-Linienelement senkrecht zu dσ und nach dem Innern des Körpers gemessen.
-Näheres siehe auch *Riemann*-*Hattendorff*, Schwere, Elektrizität und
-Magnetismus § 20.
-
-[533] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 61, S. 45.
-
-[534] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 61, S. 48.
-
-[535] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 61, S. 62.
-
-[536] *Grelles* Journal für Mathematik 1850.
-
-[537] Siehe Anmerkung auf S. 302 dieses Bandes.
-
-[538] *C. F. Gauß*, Allgemeine Lehrsätze in Beziehung auf die im
-verkehrten Verhältnisse des Quadrates der Entfernung wirkenden
-Anziehungs- und Abstoßungskräfte. Als 2. Band von *Ostwalds* Klassikern
-der exakten Wissenschaften, herausgegeben von *A. Wangerin*. Leipzig,
-Verlag von W. Engelmann, 1902.
-
-[539] *Gauß'* Werke Bd. V. S. 119.
-
-[540] *C. F. Gauß*, Die Intensität der erdmagnetischen Kraft auf
-absolutes Maß zurückgeführt. 1832. Als 53. Band von *Ostwalds*
-Klassikern der exakten Wissenschaften, herausgegeben von *E. Dorn*.
-Leipzig, Verlag von W. Engelmann. 1894.
-
-[541] An Stelle dieser Einheiten traten später nach dem Beschlusse der
-Pariser Konferenz vom Jahre 1881 das Zentimeter, das Gramm und die
-Sekunde.
-
-[542] Siehe S. 306 dieses Bandes.
-
-[543] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 53, S. 27.
-
-[544] *Gauß* Werke. Bd. IV. S. 259. Göttingen 1873.
-
-[545] Siehe Band II, S. 395.
-
-[546] Die betreffendes Abhandlungen von *Lagrange* (1779) und *Gauß*
-(1822) wurden durch *A. Wangerin* als 55. Band von *Ostwalds*
-Klassikern der exakten Wissenschaften von neuem herausgegeben. Leipzig,
-Verlag von W. Engelmann. 1894.
-
-[547] *C. F. Gauß*, Allgemeine Flächentheorie (1827). Deutsch
-herausgegeben von *A. Wangerin* als 5. Band von *Ostwalds* Klassikern
-der exakten Wissenschaften. Leipzig, W. Engelmann, 1889.
-
-[548] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 5, S. 29.
-
-[549] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 5, S. 30.
-
-[550] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 5, S. 36.
-
-[551] Dieses größte Dreieck, das gemessen wurde, besaß die Winkelpunkte
-Brocken, Inselsberg, Hohenhagen. Die Entfernungen dieser Punkte
-betragen 106702 m, 84957 m und 69195 m. Die Winkelsumme belief sich auf
-180° 0' 14,85''. Der sphärische Exzeß betrug also 14,85''.
-
-Näheres über die trigonometrische Vermessung des Königreichs Hannover
-enthält die Schrift »*C. F. Gauß*, Untersuchungen über Gegenstände der
-höheren Geodäsie.« Sie wurde als 177. Band von *Ostwalds* Klassikern
-neu herausgegeben von *S. Frischauf* (Leipzig, W. Engelmann, 1910).
-Nicht die Resultate jener Messung, sondern der Allgemeinwert des
-von *Gauß* dabei befolgten Weges rechtfertigt die Neuausgabe jener
-Abhandlung.
-
-[552] Es ist nämlich α + γ = 90° = β + δ. Folglich ist α + β + γ + δ =
-2 R.
-
-[553] *Sartorius von Waltershausen*, *Gauß* zum Gedächtnis. Leipzig
-1856. S. 78.
-
-[554] Die wichtigsten Abhandlungen von *Gauß* sind in folgenden Nummern
-von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften bei W. Engelmann
-in Leipzig erschienen: 2, 5, 14, 19, 53, 55, 122, 135, 177.
-
-[555] *Kummer*.
-
-[556] Das graphische Verfahren zur übersichtlichen Darstellung
-tellurischer Erscheinungen hat zuerst *Halley* angewandt, als er die
-Orte gleicher Deklination verband.
-
-[557] Die betreffende Arbeit *Humboldts* erschien in den Mémoires
-de la Société d'Arcueil unter dem Titel: Des lignes isothermes et
-de la distribution de la chaleur sur le globe 1817. III. 462 u. f.
-Siehe auch die Abhandlung vom Juli 1827 in den Berichten der Berliner
-Akademie der Wissenschaften.
-
-[558] 1683-1811.
-
-[559] *Peschel*, Geschichte der Erdkunde 1865. S. 654.
-
-[560] *Buys-Ballot* 1851.
-
-[561] Siehe S. 307 dieses Bandes.
-
-[562] *Bruhns*, *Alexander von Humboldt*. I. S. 67.
-
-[563] *Bruhns*, I. S. 95.
-
-[564] *Bruhns*, I. S. 103.
-
-[565] *Humboldt*, Essai géognostique. Übersetzt von *Leonhardt*. 1823.
-
-[566] *Böttiger*, Literarische Zustände und Zeitgenossen. I. 22.
-
-[567] *A. v. Humboldt*, Versuche über die gereizte Nerven- und
-Muskelfaser nebst Vermutungen über den chemischen Prozeß des Lebens in
-der Tier- und Pflanzenwelt. 2 Bde. 1797-1799.
-
-Eine poesievolle Darstellung seiner Auffassung von der Lebenskraft gab
-von *Humboldt* in Schillers Horen (1795) unter der Überschrift: Die
-Lebenskraft oder der rhodische Genius.
-
-[568] In sehr bezeichnender Weise äußert sich diese Stimmung Goethes in
-folgenden Versen:
-
- Basalt, der schwarze Teufelsmoor,
- Aus tiefster Hölle bricht hervor,
- Zerspaltet Fels, Gestein und Erden,
- Omega muß zum Alpha werden:
- Und so wär denn die liebe Welt
- Geognostisch auf den Kopf gestellt.
-
-
-
-[569] Festrede bei der Humboldtfeier am 5. Aug. 1844.
-
-[570] Reise in die Äquinoktialgegenden des neuen Kontinents in den
-Jahren 1799-1804. Eine deutsche Übersetzung des von *Bonpland* und *von
-Humboldt* verfaßten Berichtes erschien 1818-1829 bei J. G. Cotta.
-
-[571] Nach der barometrischen Formel 18096 Pariser Fuß.
-
-[572] Von 1808-1826.
-
-[573] Von 1805-1834. Der Preis des ganzen Werkes betrug 9500 Franken.
-Die Kosten der Reise, die *von Humboldt* aus eigenen Mitteln bestritten
-hatte, beliefen sich auf etwa 100000 Mark.
-
-[574] Siehe S. 284, sowie *Ostwalds* Klassiker der exakten
-Wissenschaften Nr. 42.
-
-[575] Eine genaue Inhaltsangabe des gesamten Werkes, dessen Herausgabe
-den Rest des *Humboldt*schen Vermögens verschlang, enthält die große
-von *Bruhns* im Verein mit *Dove*, *Peschel*, *Griesebach*, *Carus*
-und anderen Gelehrten herausgegebene wissenschaftliche Biographie über
-*Alexander von Humboldt*. 3 Bände, Brockhaus 1872. Manche Abschnitte
-sind auch in deutscher Übersetzung erschienen, so die Reisebeschreibung
-unter Mitwirkung *Humboldts* in 4 Bänden. (Stuttgart 1859-1860.)
-
-[576] Ein von dem russischen Finanzminister im Jahre 1827 gefordertes
-Gutachten über die Verwendung des im Ural entdeckten Platins ist die
-Veranlassung zu *Humboldts* asiatischer Reise gewesen.
-
-[577] Der Kosmos ist in elf fremde Sprachen übersetzt worden.
-
-[578] *Bruhns.* Bd. II. S. 357.
-
-[579] *Karl Ludwig Willdenow*, Berlin, 1765-1812.
-
-[580] Siehe S. 81 dieses Bandes.
-
-[581] Ideen, S. 2.
-
-[582] Ideen, S. 10.
-
-[583] Ideen, S. 21.
-
-[584] Ideen, S. 15.
-
-[585] Ideen, S. 17.
-
-[586] *Bruhns* (*Grisebach*) III. 248.
-
-[587] Rélation historique I. 600.
-
-[588] Naturgemälde der Tropenländer, S. 58-76.
-
-[589] Naturgemälde, S. 76.
-
-[590] *Bruhns*, III. 236.
-
-[591] Mineralogische Beobachtungen über einige Basalte am Rhein. 1790.
-
-[592] *Cordier*, 1815, Journ. Min. XXXVIII.
-
-[593] Annales de Chimie. 1823.
-
-[594] *Kosmos*, Bd. IV, S. 270.
-
-[595] *Bruhns*, III. S. 184.
-
-[596] Description of a reflective Goniometer. Philos. Transactions
-1809.
-
-[597] *Hauy*, Essai d'une théorie sur la structure des cristaux.
-Paris 1784.
-
-[598] Siehe auch *Hauy*, Exposition de la structure des cristaux in
-den Annales de Chimie 1793 (17. Bd.) S. 225 u. f.
-
-Einige Jahre früher hatte *Hauy* die schwierigen
-Kristallisationsverhältnisse, welche der Staurolith darbietet, genauer
-beschrieben. Siehe Annales de Chimie. Bd. IV (1790).
-
-[599] *Bernhardi*, Über die Kristallisation des Arsenkieses. *Gehlens*
-Journal für die Chemie und Physik. 1807. III.
-
-[600] *Martin Heinrich Klaproth* wurde 1743 in Wernigerode geboren. Er
-erlernte die Pharmazie. Seit der Begründung der Berliner Universität
-(1810) wirkte er dort als Professor der Chemie. *Klaproth* starb 1817
-in Berlin.
-
-[601] *Fuchs* in *Schweiggers* Journal vom Jahre 1815.
-
-[602] Die Metalle, die er in beide Säuren eintreten ließ, waren Kalium,
-Natrium, Barium, Blei.
-
-[603] *Mitscherlich*, Über die Kristallisation der Salze. Abhandlungen
-der Berliner Akademie 1818/19. *Mitscherlichs* im Jahre 1821
-veröffentlichte Untersuchung über das Verhältnis zwischen der
-chemischen Zusammensetzung und der Kristallform arseniksaurer und
-phosphorsaurer Salze erschien als 94. Band von *Ostwalds* Klassikern
-der exakten Wissenschaften. Leipzig 1898.
-
-[604] *Ostwalds* Klassiker Nr. 94. S. 54.
-
-[605] Abhandlungen der Berliner Akademie 1822/23. S. 43 ff.
-
-[606] *G. Rose*, 1837. *Poggendorffs* Annalen XLII.
-
-[607] Abhandlungen der Berliner Akademie von 1822/23.
-
-[608] *A. W. Hofmann*, Ein Jahrhundert chemischer Forschung unter dem
-Schirme der Hohenzollern.
-
-[609] *Péligot*, Annales chim. phys. V, 1842 und XII, 1844.
-
-[610] *Arago*, Mémoires de l'Institut de France. 1811.
-
-[611] *Michael Adanson* wurde 1727 in Aix geboren. Er war Mitglied der
-Akademie der Wissenschaften in Paris und starb dort 1806.
-
-[612] Er stellte deren nicht weniger als 65 auf.
-
-[613] Geboren 1732 in Württemberg. *Gärtner* bekleidete ein Lehramt
-in Tübingen und später in Petersburg. Seit 1770 lebte er wieder
-in Württemberg, ganz mit der Abfassung seines wissenschaftlichen
-Hauptwerkes beschäftigt. Letzteres erschien 1788-1791 unter dem Titel:
-De fructibus et seminibus plantarum. *Gärtner* starb im Jahre 1791.
-
-[614] Nur hin und wieder griff *Gärtner* auf die früheren
-Formverhältnisse zurück.
-
-[615] Unter diesem Titel wurde das epochemachende Buch ins Deutsche
-übersetzt (durch Dr. *Römer*, Zürich 1815). Der vollständige Titel des
-Originales lautet: Théorie élémentaire de la botanique ou exposition
-des principes de la classification naturelle et de l'art d'écrire et
-d'étudier les végétaux, Paris 1813.
-
-[616] Organographie végétale, Paris 1827. 2 Bände. Eine deutsche
-Bearbeitung gab *C. F. Meisner* 1828 heraus. Ihr Titel lautet:
-Organographie der Gewächse oder kritische Beschreibung der
-Pflanzenorgane. Eine Fortsetzung und Entwicklung der Anfangsgründe der
-Botanik und Einleitung zur Pflanzenphysiologie und der Beschreibung der
-Familien.
-
-[617] *Sachs*, in seiner Geschichte der Botanik.
-
-[618] So *Gleditsch*: Mém. de l'Académie de Berlin, 1748. S. 60.
-
-[619] *Sprengel*, Geschichte der Botanik II. 249.
-
-[620] *A. Kirchhoff*, Die Idee der Pflanzenmetamorphose bei *Wolff* und
-*Goethe*. 1867.
-
-[621] Siehe *Dannemann*, Aus der Werkstatt großer Forscher 1908. S. 227.
-
-[622] Daß *Goethes* umfangreiche, im ganzen als verfehlt zu
-betrachtende Farbenlehre (sie umfaßt allein fünf Bände der großen
-Weimarer Goetheausgabe) manchen trefflichen Gedanken aufweist,
-hat vor einigen Jahren *E. v. Lippmann* gezeigt (Zeitschrift für
-Naturwissenschaften, Bd. 74, 1901). Die Hauptschwäche der *Goethe*schen
-physikalischen Untersuchungen besteht darin, daß er das experimentelle
-und mathematische Rüstzeug des Physikers nicht nur nicht genügend
-kannte, sondern es auch allzu gering einschätzte. Von seinem Mißerfolg
-ließ sich *Goethe* nicht überzeugen; er betrachtete vielmehr seine
-Farbenlehre als sein verdienstvollstes Werk, dem gegenüber er sich »auf
-alles, was er als Poet geleistet, nichts einbildete.«
-
-[623] *Goethes* Metamorphosenlehre hat vor kurzem *A. Hansen* in
-ihrer Bedeutung und in ihrem Zusammenhange mit den Arbeiten *Wolffs*
-gewürdigt. Siehe *A. Hansen*, *Goethes* Metamorphose der Pflanzen.
-*Goethe*, Jahrbuch XXVII. Band 1906. S. 207-225 und das unter dem
-gleichen Titel erschienene ausführlichere Werk *Hansens*.
-
-[624] Sechs pflanzenphysiologische Abhandlungen von *Thomas Andrew
-Knight* (1803-1812); übersetzt und herausgegeben von *H. Ambronn*.
-*Ostwalds* Klassiker der exakten Wissenschaften. Band 62. Leipzig, W.
-Engelmann, 1895.
-
-[625] Durch *Johnson* im Jahre 1823.
-
-[626] Abhandlung vom Jahre 1811.
-
-[627] Siehe Abschnitt 5 dieses Bandes.
-
-[628] Abhandlung vom Jahre 1812.
-
-[629] Siehe Seite 140 dieses Bandes.
-
-[630] *Ingenhouß*, Versuche mit Pflanzen; übersetzt von *Scherer*, 1786.
-
-[631] Durch *Senebier*.
-
-[632] Eine Würdigung der Verdienste des Arztes und Naturforschers
-*Ingenhouß* erfolgte neuerdings durch *J. Wiesner*: *Jan. Ingenhouß.*
-Sein Leben und sein Wirken. Wien, 1905.
-
-Nach seiner Promotion zum Doktor der Medizin studierte *Ingenhouß*
-Physik und Chemie in Leyden. Er ging also wohl vorbereitet an die große
-Aufgabe heran, einen Einblick in den Gasaustausch und die chemischen
-Vorgänge der Pflanze zu erlangen.
-
-An Einzelheiten teilt *Wiesner* mit, daß *Ingenhouß* das Deckgläschen
-in die mikroskopische Technik eingeführt und zuerst eine Uhrfeder in
-Sauerstoff verbrannt habe. Auch der Ersatz der Glaskugel oder Walze
-der älteren Elektrisiermaschinen durch eine Glasscheibe wird auf
-*Ingenhouß* zurückgeführt.
-
-[633] *Théodore de Saussure*, Recherches chimiques sur la végétation.
-Paris 1804. Übersetzt herausgegeben von Dr. *A. Wieler* als 15. und 16.
-Band von *Ostwalds* Klassikern.
-
-[634] 1822.
-
-[635] Siehe *Ostwalds* Klassiker Nr. 15 und 16.
-
-[636] Siehe S. 353 dieses Bandes.
-
-[637] Die Übersetzung rührt von *Röper* her (Cottasche Buchhandlung,
-1833). Der Titel des Originals lautet: Physiologie végétale, ou
-exposition des forces et des fonctions vitales des végétaux par *A. P.
-De Candolle*. Paris 1832.
-
-[638] *Decandolle*, Bd. I. S. 421.
-
-[639] Hier kommt besonders *Treviranus* in Betracht, der 1835 eine
-Physiologie der Gewächse herausgab.
-
-[640] *Meyen*, Neues System der Pflanzenphysiologie. 1838.
-
-[641] *Buffon*, Histoire naturelle, générale et particulière,
-1749-1788.
-
-[642] Histoire naturelle, II, 4.
-
-[643] *Geoffroy Saint-Hilaire* wurde 1772 in der Nähe von Paris
-geboren. Er wirkte als Professor der Zoologie am Jardin des Plantes in
-Paris und starb dort 1844.
-
-[644] *Cuvier*, Discours sur les révolutions de la surface du globe.
-I, 1.
-
-[645] *Cuvier*, Discours sur les révolutions. I, 87.
-
-[646] Leçons d'anatomie comparée. 1805. Übersetzt von *Froriep* und
-*Meckel*. 4 Bde. Leipzig 1809.
-
-[647] 1802.
-
-[648] Règne animal. 2. Afl. I, 10.
-
-[649] In der Vorrede zur 1. Auflage d. Règne animal.
-
-[650] »Sur un nouveau rapprochement à établir entre les classes, qui
-composent le règne animal«. Annales du Muséum d'histoire naturelle.
-Tome XIX. 1812. pag. 73 ff.
-
-[651] *Cuvier*, Règne animal.
-
-[652] *Oken* in der Zeitschrift »Isis«. Jahrgang 1832, Seite 1303.
-
-[653] De generis humani varietate nativa. Göttingen, 1775.
-
-[654] Näheres siehe in *Dannemann*, Aus der Werkstatt großer Forscher.
-1908. Seite 251.
-
-[655] Recherches sur les ossements fossiles 1811. Der erste, die
-Grundzüge der Katastrophenlehre enthaltende Abschnitt führt darin
-die Überschrift Discours préliminaire. In der zweiten Auflage der
-Recherches (1821-1824) wird dieser Abschnitt als Discours sur les
-révolutions de la surface du globe bezeichnet. Dieser Abschnitt wurde
-mehrfach in deutscher Bearbeitung herausgegeben, so z. B. von *C. G.
-Giebel* unter dem Titel »Die Erdumwälzungen« von *Georg Cuvier*.
-
-[656] Siehe S. 378 dieses Bandes.
-
-[657] Er starb im Jahre 1852 in Berlin.
-
-[658] Siehe Band II, S. 411 u. f.
-
-[659] Das Werk erschien 1826, während die Erforschung dieser
-Inselgruppe durch *Buch* etwa ein Jahrzehnt früher stattfand.
-
-[660] Siehe S. 106 u. f. dieses Bandes.
-
-[661] *Christian Heinrich Pander* (1794-1865) ließ seine Arbeit,
-die er auf Anregung seines Lehrers *Döllinger* unternahm, 1817 als
-Dissertation erscheinen. Später gab er eine deutsche Bearbeitung
-heraus, der 16 musterhaft gestochene Kupfertafeln beigefügt sind.
-*Pander* war gleich so vielen hervorragenden Deutschen des 18. und 19.
-Jahrhunderts Mitglied der Akademie in Petersburg.
-
-[662] Eine Auswahl aus den Schriften *von Baers* enthält das Buch:
-*Remigius Stölzle*, *Karl Ernst von Baers* Schriften. Stuttgart,
-Greiner und Pfeiffer. VI. 230 S. Das Buch schildert das Wirken *von
-Baers* als Lehrer, Forscher und Philosoph. Die Auswahl ist besonders
-seinen »Reden« entnommen. In ihnen behandelt *von Baer* Stoffe aus der
-Naturphilosophie, der Anthropologie und der Entwicklungslehre.
-
-Eine Biographie *von Baers* veröffentlichte *Wilhelm Haacke* als
-dritten Band der »Klassiker der Naturwissenschaften« (Leipzig,
-Th. Thomas, 1905. 175 S.). *Haacke* macht die umfassende
-naturwissenschaftliche Weltanschauung *von Baers* zum Hauptgegenstande
-seiner Darstellung.
-
-[663] *Von Baer*, De ovi et animalium genesi epistola.
-
-[664] *J. C. Purkinje* (1787-1869), Professor in Breslau. Symbolae ad
-ovi avium historiam ante incubationem. 1825.
-
-[665] Erwähnt sei, daß die ersten Beobachtungen über die Furchung
-von *Prevost* und *Dumas* 1824 am Froschei gemacht wurden (Ann. des
-sciences nat. Bd. 2. S. 110).
-
-[666] S. Bd. IV dieses Werkes.
-
-[667] *Von Baer*, Untersuchungen über die Gefäßverbindungen zwischen
-Mutter und Frucht in den Säugetieren. 1828.
-
-[668] *Martin Heinrich Rathke*, Professor der Zoologie in Königsberg
-(1793-1860).
-
-
-
-
-Namenverzeichnis.
-
-
- A.
-
- Abel 125, 130-134.
-
- Adanson 350, 351.
-
- Aepinus 7, 8, 22, 25, 26.
-
- d'Alembert 19, 297.
-
- Amontons 44, 55.
-
- Ampère 227-235, 236.
-
- Arago 226, 235, 236, 283, 291, 349.
-
- Aristoteles 69.
-
-
- B.
-
- Babinet 228.
-
- v. Baer 99, 114, 391-393.
-
- Balard 290, 295.
-
- Beccaria 20.
-
- Behrens 207, 208.
-
- Benzenberg 261, 262.
-
- Bergmann 26, 140, 143, 146, 150-154, 169, 171, 340, 342.
-
- Berghaus 320.
-
- Bernoulli, Daniel 48, 301.
-
- Berthollet 151, 167-173, 175, 282, 284, 387, 294.
-
- Berzelius 138, 176, 184-188, 294, 295, 342-348.
-
- Biot 283.
-
- Black 48-52, 54, 140.
-
- Blagden 58, 59.
-
- Blumenbach 68, 322, 383, 384.
-
- Boerhave 111, 115.
-
- Bonpland 325.
-
- Borelli 40, 112.
-
- Bose 11.
-
- Boussingault 370.
-
- Boyle 138, 158, 161, 166, 265, 293.
-
- Bradley 80.
-
- Brandes 261.
-
- Brücke 75.
-
- v. Buch 286, 323, 337, 338, 388, 389.
-
- Buffon 376.
-
- Buys-Ballot 321.
-
-
- C.
-
- Caesalpin 63, 105.
-
- Camerarius 63, 80-83, 111.
-
- Camper 384.
-
- Carlisle 211, 212.
-
- Carnot 271, 278-280.
-
- Cassini 252.
-
- Cavendish 31, 32, 141, 164, 165, 175, 284.
-
- Celsius 43, 389.
-
- Charles 282.
-
- Chladni 258-261.
-
- Collinson 15, 17.
-
- Cordier 337.
-
- Coulomb 27-32, 232, 302, 310.
-
- Cramer 299.
-
- Crelle 125.
-
- Cullen 51.
-
- Cunaeus 9.
-
- Cusa 46.
-
- Cuvier 328, 329, 376-388.
-
-
- D.
-
- Dalton 118, 138, 172, 178-183, 269, 292, 293.
-
- Ch. Darwin 91.
-
- E. Darwin 269.
-
- Davy 13, 169, 173, 174, 212-223, 268, 269, 295.
-
- Decandolle 67, 353-357, 372-374.
-
- Delambre 228.
-
- Dela Rive 221.
-
- Deluc 48.
-
- Desargues 122, 123.
-
- Descartes 15, 122.
-
- Dillenius 82.
-
- Döbereiner 290.
-
- v. Döllinger 391.
-
- Dove 320, 321.
-
- Du Fay 7, 8.
-
- Dürer 119, 120.
-
-
- E.
-
- Ehrenberg 329.
-
- Erman 209.
-
- Euler 14, 15, 48, 130, 133, 134, 242, 297.
-
-
- F.
-
- Fahrenheit 39-41, 43, 58.
-
- Faraday 22, 26, 215, 226.
-
- Fontana 283.
-
- Forster 322.
-
- Foucault 277.
-
- Fourcroy 174.
-
- Fourier 131, 136.
-
- Franklin 7, 10, 14-20, 22.
-
- Fraunhofer 273, 277.
-
- Fresnel 276, 277.
-
- Füchsel 385.
-
- Fulton 37.
-
-
- G.
-
- Gahn 143.
-
- Galilei 7, 38.
-
- Galvani 190-196.
-
- Gärtner 352.
-
- Gauß 129, 130, 249, 296-298, 303 bis 318, 321.
-
- Gay-Lussac 45, 138, 169, 173, 225, 235, 236, 270, 282-291, 295, 320,
- 327, 343.
-
- Gilbert 6.
-
- Gleditsch 65, 81.
-
- Gmelin 322.
-
- Göpel 135.
-
- Goethe 110, 225, 323-325, 357, 358, 376.
-
- Gould 46.
-
- de Graaf 391, 392.
-
- Gralath 10, 12.
-
- Green 302, 303-306.
-
- Grew 66, 77.
-
- Grey 8, 9.
-
- Grothuß 215.
-
- Grummert 13.
-
- Guericke 6, 8, 10.
-
- Guglielmini 262.
-
- Gülcher 239.
-
-
- H.
-
- Hales 53, 66, 71-79, 139, 147, 364.
-
- von Haller 106, 110-115.
-
- Halley 38, 39, 254, 320, 321.
-
- Hamilton 277.
-
- Harvey 71, 106, 114.
-
- Hausen 11.
-
- Hauy 340-343.
-
- Hawksbee 6, 7, 10.
-
- Helmholtz 274, 318.
-
- v. Helmont 139, 155.
-
- Henry 292.
-
- J. Herschel 255.
-
- W. Herschel 241, 247-257, 272, 281.
-
- Hooke 39.
-
- A. v. Humboldt 125, 211-213, 257, 284, 286, 307, 308, 319-339, 347,
- 388, 389.
-
- W. v. Humboldt 224.
-
- Hunter 24.
-
- Hutton 385.
-
- Huygens 14, 251, 274.
-
-
- J.
-
- Jacobi 133, 134, 299.
-
- Ingenhouß 365.
-
- Joule 267.
-
- Jungius 63, 106.
-
- A. L. de Jussieu 67, 351-353.
-
- B. de Jussieu 67, 351.
-
-
- K.
-
- Kant 246-248, 257.
-
- Kästner 18.
-
- Kepler 113.
-
- Kienmayer 11.
-
- Kinnersley 16, 17.
-
- Kirchhoff 118.
-
- Klaproth 342, 343, 348, 349.
-
- v. Kleist 9.
-
- Knight 360-364.
-
- v. Kobell 342.
-
- Kölreuter 80, 82-90, 106.
-
-
- L.
-
- Lagrange 130, 299, 301, 302, 313.
-
- Lambert 44, 45, 46, 247, 313.
-
- Laplace 54-57, 116, 118, 143, 241 bis 246, 257, 299, 300, 302.
-
- Lavoisier 21, 52, 54-57, 79, 138, 139, 147, 152, 155-168, 173, 175,
- 215, 264, 283, 291, 294, 295.
-
- Le Monnier 12, 20.
-
- Ledermüller 91, 92, 102, 103.
-
- Leeuwenhoek 82, 101, 102.
-
- Legendre 134, 135, 298.
-
- Leibniz 110, 299.
-
- Lejeune-Dirichlet 135-137.
-
- Lichtenberg 18, 322.
-
- Lieberkühn 115.
-
- Liebig 191.
-
- Linné 60-68, 82, 86, 99, 106, 340, 350, 383.
-
- Lionardo da Vinci 46.
-
- Lloyd 277.
-
- Lobatschefskij 122.
-
- Lomonossow 48, 117, 118.
-
-
- M.
-
- Magnus 185.
-
- Malpighi 66, 112.
-
- Malus 275, 276.
-
- Mariotte 52, 69, 70, 113, 293.
-
- v. Marum 12.
-
- T. Mayer 242.
-
- R. Mayer 271.
-
- Mayow 49, 155, 157.
-
- Meckel 114, 115, 390.
-
- Melloni 239.
-
- Mendelejeff 290.
-
- Messier 254.
-
- L. Meyer 290.
-
- Mitscherlich 185, 343-347.
-
- Moissan 295.
-
- Monge 119-124.
-
- Montgolfier 282.
-
- Müller, Johannes v. 112, 205.
-
- Musschenbroek 9, 45.
-
-
- N.
-
- Naumann 342.
-
- Newcomen 33-36.
-
- Newton 244, 262, 275, 301.
-
- Nicholson 206, 212.
-
- Nobili 239.
-
- Noë 239.
-
-
- O.
-
- Oersted 223-228, 231, 236.
-
- Ohm 207.
-
- Olbers 249.
-
-
- P.
-
- Pallas 258.
-
- Pander 390-393.
-
- Papin 33-35.
-
- Pascal 122.
-
- Peyssonel 99.
-
- Pfaff 132.
-
- Piazzi 249, 297.
-
- Picard 6.
-
- Pictet 53.
-
- Planté 210.
-
- Plücker 128.
-
- Poisson 302.
-
- Poncelet 122-124.
-
- Pouillet 224.
-
- Priestley 20, 79, 138-143, 146, 147, 155, 158, 160, 163, 165, 168, 213,
- 283, 364.
-
- Proust 175, 176, 178.
-
- Prout 184.
-
-
- R.
-
- Ramsay 141.
-
- Rathke 393.
-
- Ray 63, 99.
-
- Rayleigh 141.
-
- Réaumur 21, 41, 103.
-
- Redi 105.
-
- Regnault 52.
-
- Reich 262.
-
- Reimarus 18.
-
- Renaldini 38.
-
- Rey 157.
-
- Richer 23.
-
- Richmann 20.
-
- Richter 118, 176, 177, 187.
-
- Riemann 136, 137.
-
- Rieß 208.
-
- Ritter 206, 207, 209, 210, 212, 213.
-
- de Romas 20.
-
- Rose 185, 329.
-
- Rosenhain 135.
-
- Rösel von Rosenhof 102, 104.
-
- Rousseau 227.
-
- Rumford 13, 265-270.
-
-
- S.
-
- G. Saint-Hilaire 370, 382.
-
- Th. de Saussure 353, 366-372.
-
- H. B. de Saussure 31, 46, 47, 320, 321, 335, 366.
-
- Scheele 138, 139, 143-149, 155, 156, 160, 165, 173, 272, 291, 340.
-
- Schulze 149.
-
- Schumacher 312.
-
- Schwann 108, 392.
-
- Seebeck 225-227, 235-239.
-
- Senebier 353.
-
- Silberschlag 258, 259.
-
- Spallanzani 89, 101, 105.
-
- Sprengel 89-98.
-
- Stahl 53, 138.
-
- Steiner 122, 125-128.
-
- Stephenson 37.
-
- Sturm 131.
-
- Sulzer 189.
-
- Swammerdam 102, 105, 115.
-
- Symmer 15.
-
-
- T.
-
- Thenard 288.
-
- Trembley 99, 100, 101, 104.
-
- Treviranus 375.
-
- van Troostwyk 21.
-
-
- V.
-
- Valenciennes 328, 329.
-
- Vitruvius 119.
-
- Volta 195-207, 210, 211.
-
-
- W.
-
- Wall 16.
-
- Walsh 23, 24.
-
- Watson 12, 13.
-
- Watt 36-38, 52, 267.
-
- E. H. Weber 113.
-
- W. Weber 233, 307, 311.
-
- Wedgwood 45.
-
- Weiß 342.
-
- Wenzel 118, 176.
-
- Werner 323, 340, 388.
-
- Westrumb 174.
-
- Widmanstätten 261.
-
- Wilke 22, 23, 48, 49, 199.
-
- Willdenow 322, 332.
-
- Wilson 11.
-
- Winkler 16.
-
- Wöhler 185, 223.
-
- Wolf, Christian 39, 70, 71, 106, 117, 118.
-
- Wolff, K. Fr. 106-110, 114, 115, 357, 358, 390.
-
- Wollaston 182, 183, 272, 273, 340.
-
- Wright 246, 247.
-
-
- Y.
-
- Young 22, 273-277.
-
-
- Z.
-
- Zamboni 207, 208.
-
-
-
-
-Verzeichnis der Abbildungen.
-
-
- Figur | aus
- -----------------------------------+-------------------------------------
- |
- 1. Elektrisiermaschine aus dem | Gerland und Traumüller, Geschichte
- Jahre 1744 | der physikalischen
- | Experimentierkunst. Leipzig 1899.
- | Abb. 319.
- |
- 2. Watsons Versuch, die | Philosophical Transactions. 1748.
- Geschwindigkeit der Elektrizität | Bd. 45.
- zu bestimmen |
- |
- 3. Querschnitt durch den | Philosoph. Transact. 1773. Bd.
- Zitterrochen | 63.
- |
- 4. Coulombs elektrische Wage | Ostwalds Klassiker der exakten
- | Wissenschaften. Nr. 13. Fig. 1
- | bis 5.
- |
- 5. Coulombs Untersuchung der | Wüllner, Lehrbuch der
- Torsion | Experimentalphysik. Bd. I. 1882.
- | Abb. 60.
- |
- 6. Coulombs Versuch über die | Wüllner, Lehrbuch der
- Verteilung der Elektrizität | Experimentalphysik. Bd. IV. 1875.
- | Abb. 52.
- |
- 7. Papins erste Dampfmaschine | Acta eruditorum 1690.
- |
- 8. Newcomens Dampfmaschine | Gehlers Physikalisches Wörterbuch.
- | Bd. II. Tab. XIII. Fig. 133.
- |
- 9. Amontons' Luftthermometer |
- |
- 10. Saussures Haarhygrometer | Ostwalds Klassiker. Nr. 115.
- | Fig. 1.
- |
- 11. Lavoisiers Eiskalorimeter | Ostwalds Klassiker. Nr. 40.
- |
- 12. Der Wurzel Ziehen oder Saugen | Hales, Statik der Gewächse.
- | Tab. III. Fig. X.
- |
- 13. Hales Versuch über das Saugen | Hales, Statik der Gewächse. Tab.
- eines transpirierenden Zweiges. | III. Fig. XI.
- |
- 14. Das Steigen des Pflanzensaftes | Hales, Statik der Gewächse. Tab.
- | IV. Fig. XVII.
- |
- 15. Die Bestimmung des | Hales, Statik d. Gewächse. Tab.
- Wurzeldruckes | IV. Fig. 18.
- |
- 16. Hales pneumatische Wanne | Hales, Statik. Tab. IX. Fig. 38.
- |
- 17. Die Blüte des | Sprengel, Das entdeckte Geheimnis
- Sumpfstorchschnabels | der Natur.
- |
- 18. Blüte der Osterluzzei | Sachs, Lehrbuch der Botanik.
- | 4. Aufl. Leipz. 1874. Fig. 489.
- |
- 19. Die Befruchtung der Salbeiblüte| Ostwalds Klassiker Nr. 48. S. 73.
- |
- 20. Der Süßwasserpolyp | Leunis Synopsis. II. Bd. 3. Aufl.
- |
- 21. Ledermüllers Abbildung von | Ledermüller, Mikroskopische
- Aufgußtierchen | Gemüts- und Augenergötzungen.
- | II. Bd. 88. Tafel.
- |
- 22. Bewegung und Teilung der Amöbe | Rösel von Rosenhof,
- | Insektenbelustigungen. III. Teil.
- | 101 Taf.
- |
- 23. Wolffs Abbildung eines Embryos | Aus Wolffs Theoria generationis
- | (Ostwalds Klassiker Nr. 85.
- | Tafel II. Fig. 5.)
- |
- 24. Entstehung des Herzens und der | Ostwalds Klassiker Nr. 85. Taf.
- Gliedmaßen | II. Fig. 11.
- |
- 25. Scheele analysiert die Luft | Aus Scheeles Abhandlung von
- | der Luft und dem Feuer.
- |
- 26. Scheeles Darstellung von | do.
- Sauerstoff |
- |
- 27. Lavoisiers Analyse der Luft | Lavoisier, Oeuvres, Tome I. Pl.
- | II. Fig. 14.
- |
- 28. Lavoisiers Analyse der Luft | Lavoisier, Oeuvres, Tome I. Pl.
- | IV. Fig. 2.
- |
- 29. Die Verbrennung von Phosphor | Lavoisier, Oeuvres, Tome I. Pl.
- | IV. Fig. 3.
- |
- 30. Galvanis Versuche mit | Aus dem 52. Bande von Ostwalds
- Froschschenkeln | Klassikern der exakten
- | Wissenschaften.
- |
- 31. Physiologischer Nachweis der | do.
- galvanischen Elektrizität |
- |
- 32. Voltas Kondensator | Wüllners Lehrbuch der
- | Experimentalphysik. 3. Aufl. IV.
- | Bd. Fig. 70.
- |
- 33. Voltas Elektrophor | ebendort Fig. 67.
- |
- 34. Voltas erste Säule | Philos. Transact. 1800. Pl.
- | XVII.
- |
- 35. Voltas zweiteilige Säule | do.
- |
- 36. Voltas Becherapparat | do.
- |
- 37. Das Säulenelektroskop | Rieß, Die Lehre von der
- | Reibungselektrizität. Bd. I,
- | S. 18.
- |
- 38. Zambonis Trockensäule | Gilberts Annalen von 1815. Bd. 49.
- |
- 39. Seebecks Nachweis des | Ostwalds Klassiker. Nr. 63. Fig 7.
- magnetischen Feldes |
- |
- 40. Seebecks Nachweis der | Ostwalds Klassiker. Nr. 63. Abb. 22.
- magnetischen Kraftlinien |
- |
- 41. Ampères beweglicher | Ampère und Babinet, Darstellung
- Stromleiter | der neuen Entdeckungen über
- | die Elektrizität und den
- | Magnetismus. Tafel I. Fig. 2.
- |
- 42. Ampères Vorrichtung zum | Ampère und Babinet, Tafel I.
- Aufhängen seines beweglichen | Fig. 3.
- Stromleiters |
- |
- 43. Ampères Nachweis, daß sich ein | Ampère und Babinet, Tafel I.
- Stromleiter senkrecht zur | Fig. 12.
- Inklinationsnadel einstellt |
- |
- 44. Ampères vom Einfluß des | Ampère und Babinet, Tafel I.
- Erdmagnetismus befreites Solenoid | Fig. 29.
- |
- 45. Ampères astatische Magnetnadel | Ampère und Babinet, Tafel I.
- | Fig. 14.
- |
- 46. Die Entdeckung der | Ostwalds Klassiker. Nr. 70. Abb. 1.
- Thermoelektrizität |
- |
- 47. Seebecks Thermoelement | Ostwalds Klassiker. Nr. 70. Abb. 4.
- |
- 48. Schema des von Herschel |
- konstruierten Spiegelteleskops |
- |
- 49. Herschels vierzigfüßiger | Philosophical Transactions. 1795.
- Reflektor | II. Tab. XXIV.
- |
- 50. Herschels Abbildung eines | W. Herschel, Über den Bau des
- Nebelflecks | Himmels. Tafel I. Fig. 2.
- |
- 51. Herschels Ableitung der Gestalt| W. Herschel, Über den Bau des
- der Milchstraße | Himmels. Tafel II. Fig. 16.
- |
- 52. Rumfords Versuch über | Philosophical Transactions. 1798.
- Wärmeerzeugung durch Reibung |
- |
- 53. Teileinrichtung zu Rumfords | Philosophical Transactions. 1798.
- Versuch |
- |
- 54. Gay-Lussacs Versuch zur | Mach, die Prinzipien der Wärmelehre.
- Thermodynamik der Gase. | Abb. 66.
- |
- 55. Zur Erläuterung des | Ostwalds Klassiker. Nr. 37. Abb. 1.
- Kreisprozesses |
- |
- 56. Gay-Lussacs Apparat zur | Ostwalds Klassiker. Nr. 44. Abb. 3.
- Bestimmung des |
- Ausdehnungskoeffizienten der Gase |
- |
- 57. Das von Gauß zum Messen der | Wüllner, Lehrbuch der
- erdmagnetischen Kraft erfundene | Experimentalphysik. Bd. IV. (1875).
- Magnetometer | S. 36.
- |
- 58. Das dem Heliotrop von Gauß | Hunaeus, Die geometrischen
- zugrunde liegende Gesetz | Instrumente. Fig. 129.
- |
- 59. Hauys Ableitung des | Hauy, Traité de minéralogie. V.
- Rhombendodekaeders | Pl. VIII.
- |
- 60. Hauys Ableitung des | Hauy, Traité de minéralogie. V.
- Pentagondodekaeders | Pl. VIII.
-
-
-
-
-Die Naturwissenschaften in ihrer Entwicklung und in ihrem Zusammenhange
-
-dargestellt von =Friedrich Dannemann=.
-
-
-Erster Band:
-
-Von den Anfängen bis zum Wiederaufleben der Wissenschaften.
-
-Mit 50 Abbildungen im Text und einem Bildnis von Aristoteles.
-
-Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann 1910.
-
-_24 Bogen gr. 8°._
-
-_Preis geheftet =Mk. 9=, in Leinen gebunden =Mk. 10=._
-
-
-Zweiter Band:
-
-Von Galilei bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts.
-
-Mit 116 Abbildungen im Text und einem Bildnis von Galilei.
-
-Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann 1911.
-
-_27 Bogen gr. 8°._
-
-_Preis geheftet =Mk. 10=, in Leinen gebunden =Mk. 11=._
-
-
-Die vier Bände des Werkes sind einzeln käuflich. Jeder Band bildet ein
-in sich abgeschlossenes Ganzes.
-
-
-Inhalt des ersten Bandes.
-
- Seite
-
- 1. In Asien und in Ägypten entstehen die Anfänge der Wissenschaften 1
-
- 2. Die Weiterentwicklung der Wissenschaften bei den Griechen bis zum
- Zeitalter des Aristoteles 51
-
- 3. Aristoteles und seine Zeit 81
-
- 4. Archimedes 118
-
- 5. Die erste Blüte der alexandrinischen Schule 130
-
- 6. Die Naturwissenschaften bei den Römern 164
-
- 7. Die zweite Blütezeit der alexandrinischen Schule 188
-
- 8. Der Verfall der Wissenschaften zu Beginn des Mittelalters 213
-
- 9. Das arabische Zeitalter 223
-
- 10. Die Wissenschaften unter dem Einfluß der christlich-germanischen
- Kultur 258
-
- 11. Der Beginn des Wiederauflebens der Wissenschaften 288
-
- 12. Die Begründung des heliozentrischen Weltsystems durch Koppernikus 315
-
- 13. Die ersten Ansätze zur Neubegründung der experimentellen und der
- anorganischen Naturwissenschaften 328
-
- 14. Die ersten Ansätze zur Neubegründung der organischen
- Naturwissenschaften 348
-
-
-Inhalt des zweiten Bandes.
-
- Seite
-
- 1. Altertum und Neuzeit 1
-
- 2. Die Erfindung der optischen Instrumente 7
-
- 3. Galileis grundlegende Schöpfungen 15
-
- 4. Die Ausbreitung der induktiven Forschungsweise 71
-
- 5. Die Astronomie im Zeitalter Tychos und Keplers 101
-
- 6. Die Förderung der Naturwissenschaften durch die Fortschritte der
- Mathematik 136
-
- 7. Der Ausbau der Physik der flüssigen und der gasförmigen Körper 155
-
- 8. Die Iatrochemie und die Begründung der Chemie als Wissenschaft
- durch Boyle 180
-
- 9. Der Ausbau der Botanik und der Zoologie nach dem Wiederaufleben
- der Wissenschaften 194
-
- 10. Die Begründung der großen wissenschaftlichen Akademien 206
-
- 11. Newton 215
-
- 12. Huygens und die übrigen Zeitgenossen Newtons 244
-
- 13. Unter dem Einfluß der chemisch-physikalischen Forschung entstehen
- die Grundlagen der neueren Mineralogie und Geologie 297
-
- 14. Das Emporblühen der Anatomie und der Physiologie 313
-
- 15. Die ersten Ergebnisse der mikroskopischen Erforschung der niederen
- Tiere 322
-
- 16. Die Begründung der Pflanzenanatomie und der Lehre von der
- Sexualität der Pflanzen 340
-
- 17. Der Ausbau der Mechanik, Akustik und Optik im achtzehnten
- Jahrhundert 353
-
- 18. Die Fortschritte der Astronomie nach der Begründung der
- Gravitationsmechanik 386
-
- 19. Mineralogie und Geologie im 18. Jahrhundert 399
-
-
-Auszüge aus den Besprechungen des ersten und zweiten Bandes.
-
-Der Verfasser, längst schon rühmlichst bekannt durch seine Schriften
-»Aus der Werkstatt großer Forscher« und »Die Entwicklung der
-Naturwissenschaften«, hat sich durch die vorliegende erweiterte
-Neuausgabe des letzteren Buches (die im Ganzen auf vier Bände
-berechnet ist) ein nicht genug anzuerkennendes Verdienst erworben,
-denn er bringt in gänzlich unparteiischer Weise das Wichtigste aus
-allen Gebieten naturwissenschaftlichen Wissens, und zwar so, daß es
-nicht nur das Interesse des Historikers von Fach erweckt, sondern die
-Teilnahme jedes naturhistorisch Gebildeten. Auf Einzelheiten kann an
-dieser Stelle nicht eingegangen werden, und das bloße Aufzählen der
-Kapitel-Überschriften würde ermüdend wirken, ohne einen zureichenden
-Begriff vom Inhalte zu gewähren. Es genüge also, auf dessen
-unerschöpflichen Reichtum hinzuweisen und das neue Werk ganz besonders
-auch den Chemikern zu empfehlen, für die es eine Fülle von Belehrung
-und Anregung birgt. --
-
- (Edmund O. von Lippmann in der Chemikerzeitung Nr.
- 32. 1911).
-
-Aus diesen ganz kurzen Inhaltsangaben geht ohne weiteres hervor, daß
-wir es hier mit einem Werke zu tun haben, das die Naturwissenschaften
-als Ganzes in ihrem Werdegange verfolgt. Dieser Versuch, in einem Werke
-von verhältnismäßig geringem Umfang alles, auch für jemand, der nicht
-selbst auf dem Gebiet arbeitet, sondern sich im allgemeinen darüber
-unterrichten will, lesbar zusammenzufassen, ist sehr zu begrüßen.
-Denn wie der Verfasser in der Einleitung zum ersten Band hervorhebt,
-erhalten die zahllosen Einzelergebnisse der Forschung erst im
-Gesamtbild ihren vollen Wert. --
-
- (C. Matschoß in der Zeitschrift des Vereins
- deutscher Ingenieure Nr. 13. 1911).
-
-In kürzester Frist ist dem ersten Bande dieses ausgezeichneten Werkes
-der zweite gefolgt. Man weiß nicht, was man mehr bewundern soll,
-die überraschende Belesenheit des Autors oder seine Gabe, selbst
-die schwierigsten Probleme wissenschaftlicher Forschung nicht nur
-dem Kenner, sondern auch dem interessierten Laien leichtfaßlich
-in ernst-vornehmer Form vorzutragen. Ein Vorzug dieses zweiten
-Bandes gegenüber dem ersten liegt in der größeren Beigabe von guten
-Abbildungen.
-
- (Pharmazeutische Zeitung Nr. 13. 1911.)
-
-Besonders dankenswert erscheint, wie *Dannemann* in allen diesen
-Wissenschaften die verbindenden großen Gedanken herauszuschälen
-weiß, die im hohen Maße geeignet sind, die Vertreter der einzelnen
-naturwissenschaftlichen Disziplinen vor Einseitigkeit zu bewahren. Es
-handelt sich hier aber nicht um ein Werk für den Fachmann allein, jeder
-gebildete Mensch wird daraus reiche Anregung schöpfen.
-
- (Ärztliche Rundschau XX. Jahrgang Nr. 47. 1910.)
-
-Dem Techniker, dem Lehrer, dem Arzte, jedem, der sich lebhafter
-für Naturwissenschaften interessiert, vor allem also auch unseren
-Studierenden, dürfte das Buch eine unerschöpfliche Quelle des Genusses
-und der Anregung sein. Einen ganz besonderen Wert besitzt das Werk
-dadurch, daß es gewissermaßen den Rahmen für *Ostwalds* Klassiker der
-exakten Wissenschaften (jetzt 173 Bände) abgibt und so die Beziehungen
-aufweist, durch welche die einzelnen Gebiete sich gegenseitig
-beeinflußt haben.
-
-Für die Hebung der Kultur unseres Volkes kann dieses Buch, das die
-Wissenschaft und ihre Erfolge als etwas Werdendes vorstellt, von
-größtem Nutzen sein, da es die Erfolge fortschrittlichen Denkens
-gegenüber den Schwächen dogmatischer Gesinnung aufs deutlichste
-vergegenwärtigt.
-
- (Prometheus, XXII. Jahrgang. 26. Nov. 1910.)
-
-Das erfolgreiche Bestreben des Verfs., stets nur die für den
-Fortschritt der Wissenschaften wirklich bedeutungsvollen Ereignisse
-zu berücksichtigen und die Entwicklung der Naturwissenschaften in
-ihren Beziehungen zu den übrigen Wissenschaften, insbesondere zur
-Philosophie, Mathematik und Technik darzustellen, gereicht dem Werke zu
-besonderem Vorteil und macht es dienlich für jeden, der sich für die
-Naturwissenschaften interessiert.
-
- (W. May im Zoologischen Zentralblatt 18. Jahrgang
- Nr. 110.)
-
-Wenn die weiteren Bände (bei denen die Schwierigkeiten der Darstellung
-natürlich steigen, je mehr die Schilderung sich unserer Zeit nähert,
-wo der Stoff fast unübersehbar anschwillt) das halten, was der erste
-verspricht, so wird uns D. ein Werk schenken, das einzigartig dasteht.
-
- (Literarisches Zentralblatt für Deutschland Nr. 44.
- 1910.)
-
-Des Verfassers Grundriß einer Geschichte der Naturwissenschaften
-hat in zweiter Auflage *G. W. A. Kahlbaum* (I, 160 u. III, 75)
-in anerkennendster Weise besprochen und zugleich die Gefühle
-ausgesprochen, die angesichts der Erfolge dieses Werkes jeden
-Historiker der Naturwissenschaften beseelen müssen. Aus den
-gleichen Gründen begrüßen wir es heute freudigst, daß unser
-Gesellschaftsmitglied und Mitarbeiter den zweiten Teil dieses Buches zu
-einem vierbändigen Werke ausgestalten will und davon bereits den ersten
-Band vorzulegen vermag.
-
- (H. Stadler in den Mitteilungen zur Geschichte der
- Medizin und der Naturwissenschaften Bd. X. 2. Heft.)
-
-Der soeben erschienene 2. Band dieses großen Werkes behandelt die Zeit
-von Galilei bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, also jene Epoche, in
-welcher die Grundlagen der neueren Naturwissenschaft gelegt wurden.
-Auch in diesem Bande hat sich der Verfasser mit Erfolg bemüht, eine
-Darstellung zu schaffen, die nicht nur dem Historiker dient, sondern
-für jeden anregend ist, der sich überhaupt für die Naturwissenschaften
-interessiert.
-
- (Kölnische Zeitung 20. Februar 1911.)
-
-Der Verfasser sagt zu wenig von sich, wenn er seine Arbeit als
-Ergänzung zu *Ostwalds* großem Unternehmen einschätzt; sie hat
-einen ganz eminenten Eigenwert; sie zeigt zum ersten Male in
-zusammenfassender Weise den Arbeitsanteil einzelner Völkergruppen
-an der Ausbildung einer Wissenschaft, die, mehr als jede andere,
-unmittelbar zurückstrahlt auf die Gesamtkultur. Und dieser eigenartige
-Zusammenhang ist es, den der Verfasser mit Erfolg und bedeutender
-Sachkenntnis herausgehoben hat. So steckt er seinem Werk ein großes
-und weites Ziel. Ganz überraschende Schlaglichter fallen da auf die
-einzelnen Gebiete, die, in getrennter Einzeldarstellung, nie so
-plastisch herausgearbeitet werden konnten.
-
-Jeder Historiker wird sich dieses Werk aneignen müssen. Und abgesehen
-vom Fachmann sollte jeder, der sich für Kulturprobleme interessiert,
-sei er nun Lehrer, Student, Techniker, Arzt -- jeder Gebildete
-überhaupt -- sollte sich vom Verfasser in diese großen Zusammenhänge
-hineinführen lassen; denn erst in ihren Zusammenhängen wird uns das
-Wesen und die Wirkung einer Wissenschaft verständlich.
-
- (Badische Schulzeitung 21. Januar 1911.)
-
-Jeder Lehrer, dem daran gelegen ist, der wichtigen Forderung
-(Hineinziehung des geschichtlichen Elements in den
-exaktwissenschaftlichen Unterricht) gerecht zu werden, wird daher
-mit Freuden das Erscheinen eines neuen Werkes von *Dannemann*
-begrüßen, das dazu bestimmt ist, ein ausführliches Gesamtbild von dem
-Entwicklungsgange aller naturwissenschaftlichen Disziplinen im engen
-Zusammenhange mit der Mathematik und mit der allgemeinen Geschichte zu
-geben.
-
-Ähnlich wie *Cantors* Vorlesungen über Geschichte der Mathematik
-ein »standard work« allerersten Ranges bleiben werden, so wird
-auch *Dannemanns* Werk von bleibendem Wert sein, das für den
-Geschichtsforscher wie für den Mediziner, für den Lehrer wie für den
-Techniker großen Nutzen haben und dessen Lektüre für jeden, der sich
-für die Naturwissenschaften interessiert, eine Quelle hohen Genusses
-bilden wird.
-
- (Monatsschrift für höhere Schulen, 6. Heft 1911.)
-
-
-Dr. Fr. Dannemann,
-
-Aus der Werkstatt großer Forscher.
-
-Allgemeinverständliche erläuterte Abschnitte aus den Werken
-hervorragender Naturforscher aller Völker und Zeiten.
-
-3. Aufl., geb. =6,80 Mk.=
-
-Aus den Besprechungen der ersten Auflage.
-
-Der Leser gewinnt hierdurch *ein klares und anschauliches Bild nicht
-allein von der Bedeutung der Leistung des betreffenden Forschers,
-sondern auch von der Eigenart seiner Geistesarbeit und seiner
-Darstellungsweise und kann so die Entwicklung der Gesamtwissenschaft,
-wenn auch nur skizzenhaft, in objektiver Form verfolgen*.
-
- (Naturwissensch. Rundschau 1897. Nr. 26.)
-
-*Daß die Bekanntschaft mit den Quellen auch die reiferen Schüler nach
-jeder Richtung hin fördert und anregt, ist... anerkannt; demgemäß hat
-man eine Reihe von Hilfsmitteln solcher Art bereits in den Dienst der
-höheren Schule gestellt.* Dem Verf. vorliegenden Werkes ist es hoch
-anzurechnen, daß er eine solche, bis *dahin fehlende Quellensammlung
-aus dem Gesamtgebiet der Naturwissenschaften* veranstaltet und damit
-auch dem naturwissenschaftlichen Lehrer ein treffliches Anregungsmittel
-geboten hat.
-
- (Literarisches Zentralblatt 1896. Nr. 41.)
-
-Let us hope the English language will soon possess a like work.
-
- (Pharmaceutical Review 1896. Nr. 12.)
-
-The choice of material is excellent and too much has been offered in
-no case, the collection is as admirable for what it omits as for what
-it includes.
-
- (Journal of Physical Chemistry Nr. 3. 1896.)
-
-*Den Schülerbibliotheken sei die Anschaffung des Grundrisses in
-zahlreichen Exemplaren besonders empfohlen*, um diese beim Unterricht
-unter möglichst viele Schüler verteilen zu können. Ebenso wird das Buch
-zu Prämien nützlichste Verwendung finden.
-
- (Jahresberichte üb. d. höhere Schulwesen. XI.
- Jahrg.)
-
-Auch erfolgten Empfehlungen seitens höherer Schulbehörden wie des
-Großherzoglich Badischen Oberschulrates, der Königl. Württemb.
-Kultusministerial-Abteilung und des k. k. österr. Kultusministeriums.
-
-
-Inhalt.
-
- 1. Aristoteles begründet die Zoologie.
- 2. Theophrast begründet die Botanik.
- 3. Archimedes entwickelt die Prinzipien der Mechanik.
- 4. Des Archimedes Sandesrechnung.
- 5. Die Begründung der Mechanik der Gase und Dämpfe.
- 6. Die naturwissenschaftlichen Kenntnisse des Altertums werden von
- Plinius gesammelt.
- 7. Die Naturwissenschaften im Mittelalter.
- 8. Die Aufstellung des heliozentrischen Weltsystems.
- 9. Die Ausbreitung der Koppernikanischen Lehre durch Galilei.
- 10. Die Entdeckung der Jupitermonde und der Saturnringe.
- 11. Galilei als Begründer der Dynamik.
- 12. Der weitere Ausbau der Astronomie durch Kepler.
- 13. Kepler begründet die neuere Optik.
- 14. Gilbert erforscht die Natur des Magneten. 1600.
- 15. Bacons Eintreten für die induktive Forschungsweise. 1620.
- 16. Pascal entdeckt die Abhängigkeit des Barometerstandes von der Höhe
- des Ortes. 1648.
- 17. Die Erfindung der Luftpumpe.
- 18. Newton erforscht die Natur des Sonnenlichtes. 1670.
- 19. Newton entdeckt das Gravitationsgesetz. 1682.
- 20. Newton entwickelt die Prinzipien der Naturlehre.
- 21. Das Licht wird von Huygens für eine Wellenbewegung des Äthers
- erklärt. 1678.
- 22. Die Entdeckung des Mariotteschen Gesetzes.
- 23. Das Auftauchen der ersten klaren Vorstellungen über die Verbrennung
- und die Atmung.
- 24. Swammerdam zergliedert die Insekten.
- 25. Die Begründung der Pflanzenphysiologie.
- 26. Celsius führt die hundertteilige Thermometerskala ein.
- 27. Die Lehre von der Sexualität der Pflanzen.
- 28. Das künstliche Pflanzensystem Linnés.
- 29. Die Polypen werden als tierische Organismen erkannt.
- 30. Kant erklärt den Ursprung des Weltgebäudes. 1755.
- 31. Laplace entwickelt ähnliche Ansichten über den Ursprung des
- Weltgebäudes wie Kant. Kant-Laplacesche Hypothese. 1796.
- 32. Herschel begründet die Astronomie der Fixsterne.
- 33. Die Meteore werden als kosmische Massen erkannt. 1794.
- 34. Die Wellentheorie findet einen hervorragenden Verfechter. 1760.
- 35. Die photometrischen Grundbegriffe.
- 36. Die Erfindung des Blitzableiters. 1753.
- 37. Die Entdeckung der elektrischen Influenz und der Pyroelektrizität.
- 1758.
- 38. Scheele entdeckt den Sauerstoff und analysiert die atmosphärische
- Luft. 1773.
- 39. Lavoisier erklärt die Verbrennungserscheinungen. 1774.
- 40. Die Erfindung des Eiskalorimeters und die Bestimmung von spezifischen
- Wärmen und Verbrennungswärmen mittelst desselben. 1780.
- 41. a) Die Entdeckung der galvanischen Elektrizität.
- b) Volta, Über die Elektrizität, welche durch die bloße Berührung
- verschiedenartiger leitender Stoffe hervorgerufen wird.
- 42. Die Botanik unter dem Einflusse der Metamorphosenlehre.
- 43. Die Begründung der Blütenbiologie.
- 44. Saussure begründet die Ernährungsphysiologie der Pflanzen. 1800.
- 45. Das Menschengeschlecht wird in fünf Rassen eingeteilt.
- 46. Cuvier begründet durch Verschmelzung der Zoologie mit der
- vergleichenden Anatomie ein natürliches System. 1812.
- 47. Die Aufstellung der atomistischen Hypothese. 1808.
- 48. Gay-Lussac entdeckt das Volumgesetz. 1808.
- 49. Das von Courtois (1811) entdeckte Jod wird von Gay-Lussac eingehend
- untersucht.
- 50. Die Entdeckung von Natrium und Kalium. 1807.
- 51. Die Entdeckung des Aluminiums. 1827.
- 52. Cuviers Katastrophentheorie. 1812.
- 53. Lyell begründet die neuere Richtung der Geologie. 1830.
- 54. Die Entdeckung des Elektromagnetismus. 1820.
- 55. Die Entdeckung der galvanischen und der magnetischen Induktion. 1832.
- 56. Es werden die experimentellen Grundlagen für eine elektromagnetische
- Theorie des Lichtes gewonnen.
- 57. Die Entdeckung des Diamagnetismus.
- 58. Die Erfindung der Photographie.
- 59. Die Physiologie erhält durch Johannes Müller eine wissenschaftliche
- Grundlage.
- 60. Die Zelle wird als das Elementarorgan des tierischen und pflanzlichen
- Organismus erkannt. 1839.
- 61. Die Physiologie wendet sich gegen die Annahme einer besonderen
- Lebenskraft.
- 62. Liebig beantwortet die Frage nach der Ernährung der Pflanzen. 1840.
- 63. Die Kryptogamenkunde wird durch wichtige Beobachtungen über die
- Fortpflanzung der Algen bereichert.
- 64. Darwin erklärt die Entstehung der Koralleninseln.
- 65. Carnot entwickelt eine Theorie der Dampfmaschine. 1824.
- 66. Die erste Bestimmung der Entfernung eines Fixsterns. 1838.
- 67. Das Dopplersche Prinzip. 1842.
- 68. Das Prinzip von der Erhaltung der Kraft.
- 69. Die Entdeckung des Ozons. 1840.
- 70. Der rote Phosphor wird als eine Modifikation des Elementes Phosphor
- erkannt. 1850.
- 71. Alexander von Humboldt vereinigt die Summe des Naturwissens seiner
- Zeit zu einem Gesamtbilde. 1845.
- 72. Kirchhoff und Bunsen schaffen die Spektralanalyse.
- 73. Pasteur weist nach, daß auch die niedrigsten Organismen aus Keimen
- und nicht durch Urzeugung entstehen. 1860.
- 74. Das Protoplasma wird als die Grundlage des organischen Lebens
- erkannt.
- 75. Hertz erforscht die Beziehungen zwischen dem Licht und der
- Elektrizität.
-
-
-Nachdem wir beim Erscheinen der *dritten Auflage* des Werkes:
-*Dannemann*, Grundriß einer Geschichte der Naturwissenschaften den
-Preis für den I. Band:
-
-+Aus der Werkstatt großer Forscher+
-
-auf =6 Mk.= herabgesetzt haben, offerieren wir den II. Band
-
-Die Entwicklung der Naturwissenschaften
-
-zu dem gleichfalls herabgesetzten Preise von =8 Mk.= Beide Bände
-zusammen sind für =12,50 Mk.= (gebunden für =14,50 Mk.=) zu beziehen.
-
-
-Von demselben Verfasser erschienen ferner:
-
- +=Otto von Guerickes neue »Magdeburgische« Versuche über den leeren
- Raum=+ (Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften Nr. 59). Mit
- 15 Textfiguren. Leipzig, 1894. Verlag von *Wilhelm Engelmann*.
- Geb. M. 2.--.
-
- +=Leitfaden für den Unterricht im chemischen Laboratorium.=+ Vierte
- Auflage. 1909. *Hahn*sche Buchhandlung in Hannover und Leipzig.
- (Als Vorwort diene des Verfassers Abhandlung Ȇber die Bedeutung,
- Einrichtung und Leitung praktischer Übungen im Laboratorium.«
- *Fries* und *Meyer*, Lehrproben und Lehrgänge. Heft XXXV.) M. 1.80.
-
- +=Der naturwissenschaftliche Unterricht auf praktisch-heuristischer
- Grundlage.=+ brosch. M. 6.--. Dasselbe gebunden M. 6.80.
- *Hahn*sche Buchhandlung in Hannover und Leipzig. 1907.
-
- +=Naturlehre für höhere Lehranstalten, auf Schülerübungen
- gegründet.=+ 2 Teile. *Hahn*sche Buchhandlung in Hannover und
- Leipzig. 1908. geb. M. 6.40.
-
- Die »Naturlehre« ist nach den Gesichtspunkten verfaßt, die
- in dem Buche »=Der naturwissenschaftliche Unterricht auf
- praktisch-heuristischer Grundlage=« entwickelt wurden. Sie ist
- der erste Versuch, den Unterrichtsstoff =mit grundlegenden
- Schülerübungen in engste Verbindung zu setzen=. Der erste Teil
- enthält den Lehrstoff für Chemie und Mineralogie; zwei kurze
- Abschnitte bringen das Wichtigste aus der Geologie und eine
- Anleitung zu pflanzenphysiologischen Versuchen. Der zweite Teil
- bringt die Physik.
-
- +=Quellenbuch zur Geschichte der Naturwissenschaften in
- Deutschland.=+ (Deutsche Schulausgaben Nr. 39.) 158 Seiten. Geb.
- M. 1.20. Verlag von *L. Ehlermann* in Dresden.
-
-
-Bei der Transkription vorgenommene Änderungen und weitere Anmerkungen:
-
-In "Die Bestäubung der weiblichen Misteln, sie mögen nun mit den
-männlichen auf einem Baume stehen oder in großer Entfernung auf anderen
-Bäumen wachsen" stand "wirklichen" statt "weiblichen".
-
-Im Abschnitt "*Gauß* gebührt indessen außer der selbständigen und seinen
-eigenen Angaben nach viel früheren Entdeckung das Verdienst, daß er es
-war, der diese Methode in einem fundamentalen Werke wissenschaftlich
-begründete und die Begriffe schuf, auf denen alle neueren Arbeiten über
-diese Methode beruhen." fehlte ein Verweis auf die Fußnote "Theoria
-combinationis observationum erroribus minimis obnoxiae. 1821.". Dieser
-wurde nach "fundamentalen Werke" eingefügt.
-
-Im Absatz "*Ampère* zeigte darauf, daß infolgedessen der Leiter, wenn
-nur der Erdmagnetismus auf ihn wirkt, eine Stellung einnimmt, in
-welcher seine Ebene den magnetischen Meridian senkrecht schneidet[378].
-Diese Entdeckung erregte ein Aufsehen wie wenig andere[379]. *Ampère*
-beschreibt sie mit folgenden Worten: »Hängt man in der in Abbildung
-41 dargestellten Weise einen beweglichen Leiter auf, ohne daß in der
-Nähe dieses Leiters ein anderer Teil des Stromkreises sich befindet.
-(Wir müssen uns also in der Abbildung 41 das Drahtstück CILB, das
-auf den beweglichen Bügel einen richtenden Einfluß ausübt, entfernt
-denken), verbindet man hierauf die Kapseln C und Z mit den Polen der
-galvanischen Batterie, so sieht man den Bügel sich drehen, bis seine
-Ebene zu derjenigen des magnetischen Meridians NS senkrecht steht
-und der Strom in dem unteren Teil des Leiters, also in FG, von Ost
-nach West gerichtet ist, das Südende der Magnetnadel also zur Linken
-liegt.« Ließ *Ampère* den Strom in umgekehrter Richtung durch den
-Bügel gehen, so drehte sich dieser um einen Halbkreis zurück, um
-endlich nach einigen Schwingungen sich wieder senkrecht zur Richtung
-NS einzustellen." fehlte das Anführungszeichen, welches das Zitat
-abschließt. Nach Sinn- und Textzusammenhang wurde dieses hinter
-"liegt." eingefügt.
-
-Der Name "Légendre/Legendre" ist uneinheitlich geschrieben, es handelt
-sich aber offenbar nicht um Satzfehler, daher wurde die uneinheitliche
-Schreibweise beibehalten.
-
-Der Name "Stephen Grey" ist konsistent (falsch) als "Grey" geschrieben.
-
-In "Meine
-naturwissenschaftlichen Arbeiten", schrieb *Goethe* damals, "sind
-durch *Humboldt* aus ihrem Winterschlafe geweckt worden". fehlten die
-Anführungszeichen für das wörtliche Zitat.
-
-Der mit "Daraus folgt," beginnende Satz in Fußnote 98 ist auch im
-Original unvollständig.
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Die Naturwissenschaften in ihrer
-Entwicklung und in ihrem Zusamme, by Friedrich Dannemann
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE NATURWISSENSCHAFTEN IN ***
-
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+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 57952 ***
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+ DIE NATURWISSENSCHAFTEN
+
+ IN IHRER ENTWICKLUNG UND
+ IN IHREM ZUSAMMENHANGE
+
+ DARGESTELLT VON
+
+ FRIEDRICH DANNEMANN
+
+ DRITTER BAND:
+
+ DAS EMPORBLÜHEN DER MODERNEN NATURWISSENSCHAFTEN
+ BIS ZUR ENTDECKUNG
+ DES ENERGIEPRINZIPES
+
+ MIT 60 ABBILDUNGEN IM TEXT
+ UND EINEM BILDNIS VON GAUSS
+
+ Verlag von Wilhelm Engelmann in Leipzig · 1911
+
+ [Illustration: C. F. Gauß
+
+ (Nach einer Büste von *G. Eberlein*.)]
+
+
+
+
+ DIE NATURWISSENSCHAFTEN
+
+ IN IHRER ENTWICKLUNG UND
+ IN IHREM ZUSAMMENHANGE
+
+ DARGESTELLT VON
+
+ FRIEDRICH DANNEMANN
+
+ DRITTER BAND:
+
+ DAS EMPORBLÜHEN DER MODERNEN NATURWISSENSCHAFTEN
+ BIS ZUR ENTDECKUNG
+ DES ENERGIEPRINZIPES
+
+ MIT 60 ABBILDUNGEN IM TEXT UND
+ MIT EINEM BILDNIS VON GAUSS
+
+ LEIPZIG
+ VERLAG VON WILHELM ENGELMANN
+ 1911
+
+
+
+
+Copyright 1911 by Wilhelm Engelmann, Leipzig.
+
+Druck der Königl. Universitätsdruckerei H. Stürtz A. G., Würzburg.
+
+
+
+
+Vorwort.
+
+
+Der zweite Band schilderte das Entstehen der neueren Naturwissenschaft.
+Er umfaßt den Zeitraum vom Anfang des 17. bis zur Mitte des 18.
+Jahrhunderts. Mit dem Ende dieses Abschnitts beginnt die neueste Phase
+in der Entwicklung der Naturwissenschaften. Diese Phase bis zu den
+Aufgaben der Gegenwart in den Grundzügen darzustellen, ist das Ziel
+des 3. und des 4. Bandes des vorliegenden Werkes. Da es sich nicht
+um eine bloße Aufzählung der Geschehnisse, sondern um den Nachweis
+ihrer inneren Verknüpfung handelt, so ist bei dem Ineinandergreifen
+der verschiedenen Gebiete eine scharfe Gliederung nach chronologischen
+Gesichtspunkten nicht möglich. Will man eine Schranke ziehen, so
+würde sie etwa mit dem Zeitpunkt der Entdeckung des Energieprinzips
+zusammenfallen. In der Hauptsache schildert der vorliegende dritte
+Band den großen Umschwung, den die Naturwissenschaften durch die
+Begründung der neueren Chemie, der Elektrizitätslehre, den Ausbau der
+übrigen Teile der Physik, sowie die Ausdehnung der experimentellen
+Forschungsweise auf die Wissenschaft vom Leben erfuhren. Dem vierten
+und letzten Bande bleibt es vorbehalten, den großartigen Aufschwung zu
+schildern, den die Naturwissenschaften im weiteren Verlauf des 19. und
+im Beginn des gegenwärtigen Jahrhunderts genommen haben.
+
+Auch in dem vorliegenden Bande war es das Bestreben des Verfassers, die
+Schilderung im Rahmen der Gesamtentwicklung zu halten, die Beziehungen
+der Naturwissenschaften zu den Nachbargebieten aufzuweisen und vor
+allem nur dasjenige zu bringen, was zum tieferen Verständnis des
+heutigen Wissenschaftsgebäudes beiträgt.
+
+ Friedrich Dannemann.
+
+
+
+
+Inhalt.
+
+
+ Seite
+
+ 1. Wissenschaft und Weltgeschichte 1
+
+ 2. Das 18. Jahrhundert errichtet die Fundamente der
+ Elektrizitätslehre 6
+
+ 3. Praktische und theoretische Fortschritte auf dem Gebiete der
+ Wärmelehre 33
+
+ 4. Die Naturbeschreibung unter der Herrschaft des künstlichen
+ Systems 60
+
+ 5. Die Ausdehnung der physikalischen Methoden auf das Gebiet der
+ Pflanzenphysiologie 69
+
+ 6. Der Ausbau der im 17. Jahrhundert begründeten Sexualtheorie 80
+
+ 7. Fortschritte der Zoologie im 18. Jahrhundert 99
+
+ 8. Die neuere Mathematik und ihre Beziehungen zu den
+ Naturwissenschaften 116
+
+ 9. Die wissenschaftliche Chemie von ihrer Begründung durch Boyle
+ bis zu ihrer Erneuerung durch Lavoisier 138
+
+ 10. Der Eintritt der Chemie in das Zeitalter der quantitativen
+ Untersuchungsweise 155
+
+ 11. Die Aufstellung der atomistischen Hypothese und ihre
+ experimentelle Begründung 175
+
+ 12. Die Entdeckung der galvanischen Elektrizität 189
+
+ 13. Die Begründung der Elektrochemie 211
+
+ 14. Die Erforschung der elektromagnetischen und der
+ elektrodynamischen Grunderscheinungen 223
+
+ 15. Die Entdeckung der Thermoelektrizität 237
+
+ 16. Der insbesondere durch Laplace und Herschel bewirkte
+ Aufschwung der Astronomie 241
+
+ 17. Die Grundlagen der mechanischen Wärmetheorie 264
+
+ 18. Fortschritte der Optik und Sieg der Wellentheorie 272
+
+ 19. Die Chemie und die Physik treten in engere Wechselbeziehungen 282
+
+ 20. Fortschritte in der Anwendung der Mathematik auf die
+ Naturwissenschaften 296
+
+ 21. Die Begründung der physikalischen Erdkunde 319
+
+ 22. Die Mineralogie unter dem Einfluß der chemisch-physikalischen
+ Forschung 340
+
+ 23. Die Aufstellung eines natürlichen Pflanzensystems 350
+
+ 24. Die Physiologie der Pflanzen unter dem Einfluß der neueren
+ chemisch-physikalischen Forschung 360
+
+ 25. Die Verschmelzung der Zoologie mit der vergleichenden Anatomie
+ und das natürliche System der Tiere 376
+
+ 26. Geologie und Paläontologie unter der Herrschaft der
+ Katastrophenlehre 385
+
+ 27. Fortschritte in der Begründung der Ontogenie
+ (Entwicklungslehre) 390
+
+
+
+
+1. Wissenschaft und Weltgeschichte.
+
+
+Die bisherige Darstellung reicht bis etwa zur Mitte des 18.
+Jahrhunderts. Ein kurzer Rückblick im Rahmen der Weltgeschichte möge
+die Entwicklung vergegenwärtigen, welche die Naturwissenschaften
+bis zu jenem Zeitpunkt genommen. Die Grundlagen, auf denen sich die
+Wissenschaft wie die gesamte Kultur des Altertums erhoben, entstammten
+dem Orient. Dort wurde lange vor dem Beginn der griechischen
+Geschichte eine gewaltige, auf die Mathematik, die Astronomie, die
+Heilkunde und die drei Naturreiche sich beziehende Summe von Tatsachen
+bekannt. Den Griechen blieb es vorbehalten, die Einzelkenntnisse zu
+wissenschaftlichen Systemen zusammenzufassen und die Philosophie
+ins Leben zu rufen. Philosophie und Wissenschaft sahen wir seit der
+Blütezeit des griechischen Lebens die gleiche Aufgabe verfolgen. Sie
+lautet Welterklärung. Bei gleichem Ziele waren die Ausgangspunkte
+und folglich auch die Wege verschieden. Die Philosophie stellte
+das denkende Subjekt, die Wissenschaft die Summe der von außen
+herantretenden Erfahrungen in den Mittelpunkt der Betrachtung. Die
+philosophierende und die forschende Tätigkeit gingen während des
+Altertums Hand in Hand. Wir sahen sie sogar oft in derselben Person
+vereinigt. Das galt von Plato nicht minder als von Aristoteles, dem
+Schöpfer des größten philosophischen und naturwissenschaftlichen
+Systems, welches das Altertum hervorgebracht hat.
+
+Es war ein Mangel des Altertums, daß genaues Beobachten und überlegtes
+Experimentieren noch nicht genügend als die Grundlagen des Erkennens
+gewürdigt wurden. Dies führte zu Vorstellungen, die ihre Wurzel mehr
+in der Phantasie, als in der Erfahrung hatten. Beispiele hierfür bot
+uns insbesondere das Lehrgebäude des Aristoteles. Doch fehlte es auch
+nicht an Männern, die wie Archimedes im Sinne des modernen Forschers
+ihre Lehren auf Versuche und auf die Verknüpfung der Mathematik mit der
+Naturwissenschaft aufbauten. Auch die alexandrinischen Gelehrten haben
+durch ihre mehr auf die Gegenstände als auf das Allgemeine gerichtete
+Forschung Großes in der Astronomie, der Erdbeschreibung und der Physik
+geleistet. Eine wichtige Förderung der Naturkenntnis erwuchs dem
+Altertum aus der Technik. Auf diesem Gebiete sahen wir auch die mehr
+praktischen als wissenschaftlichen Zielen zugewandten Römer tätig.
+
+Das Ende der römischen Herrschaft bedeutet einen tiefen Einschnitt
+nicht nur in der Weltgeschichte, sondern auch in der Entwicklung der
+Naturwissenschaften. Sie fanden innerhalb der christlich-germanischen
+Kultur zunächst nicht den ihnen gebührenden Platz. Daß die Schöpfungen
+der Alten bis in die neuere Zeit erhalten blieben, ist das
+Hauptverdienst des arabischen Zeitalters. Erst im 13. Jahrhundert, nach
+der Berührung des Abendlandes mit dem Orient, lebten die Wissenschaften
+in Italien und in West- und Mitteleuropa wieder auf. Aus dem Studium
+des von den Arabern bearbeiteten astronomischen Hauptwerks des
+Altertums erwächst die neuere Astronomie. Durch ihre Verbindung mit
+der Nautik werden die Entdeckungsreisen ermöglicht. Die Ausdehnung
+des geographischen Gesichtskreises über den ganzen Erdball und die
+Befreiung von den Formen des mittelalterlichen Denkens und Fühlens
+bedingen einen Einschnitt von gleicher Wichtigkeit wie ein Jahrtausend
+vorher der Untergang der alten Welt. Als ein anderer, ein neuer, tritt
+der Mensch an die Natur heran. Er lernt die Fesseln der Autorität
+abstreifen und die Augen öffnen. Infolgedessen entstehen die ersten
+Ansätze zur Neubegründung der beschreibenden und der experimentellen
+Naturwissenschaften. Wie auf dem astronomischen Gebiete, so bilden auch
+hier die nach dem Fall Konstantinopels in größerer Zahl nach Westeuropa
+gelangenden Schriften der Alten den Stütz- und Ausgangspunkt für die
+Bestrebungen der Neuzeit. Eine weitere Stütze erwächst der neueren
+Wissenschaft in der Erfindung des Buchdrucks, dem Emporblühen des
+Städtewesens und der Umwandlung der mittelalterlichen Feudalherrschaft
+in den geordneten Staat.
+
+Ihren Höhepunkt erreicht diese Bewegung im 17. Jahrhundert. Die
+wohlhabenden italienischen Städte und die größeren europäischen
+Staaten, vor allem Frankreich und England, beginnen, die Pflege der
+Wissenschaft als eine ihrer Aufgaben zu erkennen. Die Hochschulen
+werden zu Stätten freierer Forschung. Wissenschaftliche Akademien
+treten ins Leben. Daß der Sieg des Neuen trotzdem kein leichter war,
+lehrte uns die Lebensgeschichte Galileis. Gestützt auf die Gunst
+der Mediceer und des venetianischen Senats vermochte es Galilei, die
+aristotelische Physik zu stürzen und auf ihren Trümmern die neuere
+Mechanik zu begründen. Was er begonnen, setzten in Italien zahlreiche
+Schüler fort. Sie riefen unter dem Namen der Akademie des Versuches
+eine Vereinigung ins Leben, die indessen bald infolge der in Italien
+herrschenden hierarchischen Strömung wieder aufgelöst wurde. Der
+Gegensatz zwischen Wissen und Glauben trat im 17. Jahrhundert, im
+Zeitalter der großen Religionskriege, in allen Ländern mit besonderer
+Schärfe hervor. Die protestantischen Teile Europas machten in dieser
+Hinsicht nicht etwa eine Ausnahme. Dieser Gegensatz war nicht nur das
+Verhängnis eines *Giordano Bruno* und eines *Galilei*, er griff gleich
+unheilvoll in das Leben *Keplers* ein.
+
+Jede Betätigung und jedes Bedürfnis zahlreicher einzelner findet seine
+Stütze in dem Staat, der ja nichts weiter ist als der Zusammenschluß
+der einzelnen. Zu den allgemeinsten Betätigungen gehören das Wissen
+und der Glauben. Für das, was sie hervorbringen, für die Wissenschaft
+und für die Religion, hatte der Staat seit alters in den Schulen
+und in der Kirche seine besonderen Veranstaltungen geschaffen. Das
+Mittel, durch welches Schule und Kirche bis zum 17. Jahrhundert sich
+vorzugsweise betätigt hatten, war die Lehre durch Schrift und Wort.
+Daher das Übergewicht der Autorität während dieses Zeitraums und der
+Mangel an innerem Wachstum. Ein solches konnte nur die von den Fesseln
+der Autorität befreite Forschung verleihen. Sie regte sich zuerst
+auf dem Gebiete der dem Wirklichen zugewandten Wissenschaft. Hier
+zeigt es sich, daß eine neue, auf den Versuch und eigene Beobachtung
+sich gründende Methode allein die Sicherheit bietet, das Richtige
+vom Unrichtigen, Wahrheit von Irrtum zu unterscheiden. Daher die
+überwältigende Macht, mit der die neuere Wissenschaft alle Hindernisse
+hinwegräumt und rasch die größten Erfolge erringt, während die dem
+Jenseits zugewandte Religion und ihre Institution, die Kirche, da es
+ihr an einem ähnlichen Mittel gebricht, an der Autorität festhält, ja,
+diese Autorität um so mehr hervorkehrt, je mehr die Wissenschaft sich
+ihrer zu entledigen sucht.
+
+Für die Naturwissenschaften kam noch der fördernde Umstand hinzu, daß
+man aus ihrer Pflege einen unmittelbaren Nutzen zu erzielen wußte. An
+der Pflege der Botanik und der Zoologie hatte die Heilkunde das größte
+Interesse. Die Ergebnisse der Physik, der Chemie und der Mineralogie
+kamen vielen Gewerben zugute. Die Astronomen hatten der Kartographie,
+der Zeitbestimmung und in neuerer Zeit vor allem der Nautik jedermann
+in die Augen springende Dienste erwiesen. Die Leistungen all dieser
+Zweige wurden seit der Erneuerung der Naturwissenschaften in hohem Maße
+gefördert durch die Erfindung zahlreicher Instrumente und durch die
+ausgedehnte Anwendung der Mathematik. Die Bewaffnung des Auges mit dem
+Fernrohr und mit dem Mikroskop, die Erfindung des Thermometers, der
+Luftpumpe, des Barometers und mancher anderen für die Forschung und für
+das Leben gleich wichtigen Instrumente ermöglichten die Schöpfung eines
+Weltbildes, das sich von dem mittelalterlichen in fast allen Teilen
+unterschied. In der Neugestaltung und der Verknüpfung der Mathematik
+mit den Naturwissenschaften leistete die *Newton-Huygens*-Periode das
+Hervorragendste. Ihr wertvollstes Ergebnis bestand in der Verknüpfung
+der Mechanik mit der Astronomie durch *Newtons* Weltgesetz. Die
+wichtigsten Pflegestätten der Wissenschaften waren in jenem Zeitalter
+England und die Niederlande. Hier genoß das Individuum zuerst diejenige
+Befreiung von staatlicher und kirchlicher Bevormundung, die als das
+Lebenselement der Wissenschaft betrachtet werden muß. In Frankreich
+dagegen war die Autorität des Staates und der Kirche damals so mächtig,
+daß ihr selbst der große *Huygens* das Feld räumte, nachdem er lange
+eine Zierde der Pariser Akademie gewesen. Deutschland litt unter den
+Folgen des dreißigjährigen Krieges. Und wenn auch einzelne Großes
+leisteten, vermochte dennoch hier die Wissenschaft als Ganzes nicht
+mit der geistigen Entwicklung der politisch erstarkten Länder gleichen
+Schritt zu halten.
+
+Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts machte sich auf allen Gebieten
+des geistigen, sowie des sozialen Lebens ein Umschwung bemerkbar,
+der für die gesamte Kulturentwicklung den Beginn einer neuen Phase
+bedeutete. In der Staatengeschichte erreichte dieser Vorgang seinen
+Höhepunkt in der französischen Revolution, mit welcher der Historiker
+die neueste Zeit beginnen läßt. Die Geschichte der Wissenschaften
+verzeichnet zwar gleichfalls einen mit der sozialen und politischen
+Entwicklung Schritt haltenden Wechsel; ihren Geschehnissen ist aber das
+scheinbar Unvermittelte bei weitem nicht in solchem Maße eigen wie den
+politischen Begebenheiten.
+
+Die Naturwissenschaften waren auf dem Punkte angelangt, daß zahlreiche
+Kräfte sich zu ihrem weiteren Ausbau die Hand reichen mußten,
+während in den vorhergehenden Perioden der einzelne noch einen
+überwiegenden Einfluß ausgeübt hatte. Das neueste Zeitalter in der
+Entwicklung der Wissenschaften, dem unsere weitere Darstellung gilt,
+wird dementsprechend auch nicht durch eine hervorragend wichtige
+Entdeckung oder durch das Auftreten eines bedeutenden Forschers
+eingeleitet. Während für die Chemie eine neue Epoche beginnt, wandeln
+die Astronomie und die Mechanik in den eingeschlagenen Bahnen weiter.
+Die Prinzipien der letzteren werden in immer höherem Maße auf die
+übrigen Teile der Physik angewandt, welcher sich mit der Entdeckung
+der galvanischen Elektrizität ein neues, wichtiges Gebiet erschließt.
+Auch die Zoologie und die Botanik werden von einem Wechsel betroffen.
+Auf das Vorherrschen der Systematik folgt eine Richtung, in der
+morphologische und bald darauf auch physiologische Fragen an die erste
+Stelle rücken. Etwa in die Mitte des 19. Jahrhunderts fällt dann die
+großartige Verallgemeinerung und Verknüpfung der gesamten bisherigen
+Forschungsergebnisse infolge der Durchführung des Prinzips von der
+Erhaltung der Kraft. Die Betrachtung der dann folgenden letzten
+Entwicklungsstufen wird uns bis zu den Aufgaben des Tages führen und
+schließlich einen Ausblick in eine verheißungsvolle Zukunft eröffnen.
+
+
+
+
+2. Das 18. Jahrhundert errichtet die Grundlagen der Elektrizitätslehre.
+
+
+Während die Physik im 17. Jahrhundert ihre Fortschritte vorzugsweise
+auf den Gebieten der Mechanik und der Optik, den ältesten Zweigen der
+Naturlehre, zu verzeichnen hatte, war das 18. Jahrhundert insbesondere
+dem Ausbau des von *Gilbert* und *Guericke* erschlossenen Gebietes
+der Reibungselektrizität gewidmet. *Gilbert* hatte zum erstenmal den
+Unterschied zwischen magnetischer und elektrischer Anziehung scharf
+hervorgehoben[1], während *Guericke* die elektrische Abstoßung entdeckt
+und die erste maschinelle Vorrichtung zur Erzeugung von Elektrizität
+ins Leben gerufen hatte. Leider wurde *Guerickes* Apparat zunächst
+nicht benutzt. Man begnügte sich damit, Elektrizität zu erzeugen,
+indem man Glas, Bernstein und andere geeignete Stoffe aus freier Hand
+rieb. Trotzdem gelang es, elektrische Entladungen von solcher Wirkung
+hervorzurufen, daß nicht nur ein Knistern, sondern auch das Auftreten
+von Funken bemerkt wurde. Ein Beobachter erwähnt sogar, »dieses Licht
+und Knistern scheine einigermaßen Blitz und Donner vorzustellen«[2].
+
+Auf das Studium der elektrischen Phänomene wurde man besonders
+durch eine merkwürdige Beobachtung am Quecksilberbarometer gelenkt.
+*Picard* bemerkte im Jahre 1675, daß sich bei völliger Dunkelheit
+beim Erschüttern der Quecksilbersäule in der *Torricelli*schen Leere
+ein eigentümliches phosphoreszierendes Leuchten zeigt. Die sonderbare
+Erscheinung erregte großes Aufsehen und rief eine umfangreiche
+Literatur hervor. Die richtige Erklärung fand *Francis Hawksbee*, ein
+Mitglied der Royal Society. *Hawksbee*, welcher seine Versuche
+über diesen Gegenstand seit dem Jahre 1705 in den Philosophical
+Transactions veröffentlichte[3], nahm an, daß man es hier mit einer
+durch die Reibung des Quecksilbers an dem Glase vor sich gehenden
+Elektrizitätserregung zu tun habe. Um seine Ansicht zu beweisen,
+stellte er eine hohle Glaskugel auf eine Achse und versetzte sie in
+rasche Drehung. Brachte er gleichzeitig die trockene, warme Hand an
+diese Kugel, so wurde sie so stark elektrisch, daß man zolllange
+Funken erhielt. Wurde die Kugel zuvor luftleer gemacht, so erschien
+in ihr dasselbe Leuchten, das man im Quecksilberbarometer beim
+Schütteln beobachtet hatte. *Hawksbee* ist somit als der Erfinder der
+Glaselektrisiermaschine zu betrachten. Allerdings kam diese Maschine
+erst viel später in allgemeinen Gebrauch. Obgleich *Hawksbee* auch
+Schwefelkugeln und Siegellackstangen elektrisierte, gelangte er
+noch nicht dazu, zwischen positiver und negativer Elektrizität zu
+unterscheiden.
+
+Der Fortschritt auf dem Gebiete der Reibungselektrizität mußte ein
+sehr langsamer bleiben, so lange es sich nur um zufällige, durch
+keine Theorie verknüpfte Beobachtungen handelte. Dieser allerersten
+Stufe jeder exakten Wissenschaft sollte keiner der Hauptzweige der
+Physik so spät entwachsen wie gerade die Elektrizitätslehre. Erst im
+Verlaufe des 18. Jahrhunderts tritt letztere in das zweite Stadium ein.
+Dieses ist dadurch gekennzeichnet, daß man zu einem planmäßigen, von
+hypothetischen Vorstellungen geleiteten Experimentieren übergeht. Als
+Vertreter jener ersten Stufe muß selbst noch ein *Du Fay* gelten. Seine
+Tätigkeit fällt in den Beginn des 18. Jahrhunderts, während *Aepinus*
+und *Franklin* auf den Schultern der Genannten stehen und dem zweiten
+Zeitraum angehören. Erst der gegen das Ende des 18. Jahrhunderts
+anhebenden Epoche blieb es vorbehalten, durch messende Beobachtung zu
+den Gesetzen der Reibungselektrizität vorzudringen[4]. Hieran reihte
+sich das deduktive, die Hilfsmittel der Mathematik und der Mechanik
+benutzende Verfahren, womit auch auf diesem Gebiete endlich diejenige
+Stufe erreicht war, welche der Wissenschaft nach einem Ausspruch
+*Galileis* in allen ihren Teilen erst eine würdevolle Behandlung
+verleiht[5].
+
+Dem erwähnten *Du Fay* verdankt die Elektrizitätslehre eine Anzahl
+grundlegender Versuche. *Charles François Du Fay* wurde 1698 in Paris
+geboren und starb daselbst im Jahre 1739. *Du Fay* beschäftigte sich
+mit magnetischen und elektrischen Versuchen, die in den Abhandlungen
+der Pariser Akademie beschrieben wurden[6]. Das wichtigste Ergebnis
+seiner Untersuchungen läßt sich in folgende Sätze zusammenfassen: 1.
+Ein elektrischer Körper zieht alle nichtelektrischen an und teilt
+ihnen Elektrizität mit, worauf er sie wieder abstößt. 2. Es gibt
+zwei entgegengesetzte Arten der Elektrizität, die Glas- und die
+Harzelektrizität. Zu der Entdeckung, daß es zwei Arten Elektrizität
+gibt, wurde *Du Fay* durch sein Blattgoldelektroskop geführt. *Du Fay*
+ging von der Annahme aus, daß ein mit dem Glasstab elektrisiertes
+Blättchen von jedem Körper, der durch Reiben in den elektrischen
+Zustand versetzt sei, abgestoßen werde. Diese Annahme bestätigte
+sich indessen nicht. Als *Du Fay* nämlich dem Blättchen geriebene
+Kopalstücke und andere geriebene harzartige Körper näherte, wurde es
+von diesen angezogen. *Du Fay* unterschied aus diesem Grunde zwei Arten
+von Elektrizität, die er als Harz- und Glaselektrizität bezeichnete.
+Später erkannte man indessen, daß diese Benennungen irreführend sind,
+da harzartige Körper mit Glaselektrizität, glasartige dagegen mit
+Harzelektrizität geladen werden können[7]. Deshalb wurden die Glas-
+und die Harzelektrizität als positive und negative Elektrizität
+unterschieden. *Du Fay* war es auch, der zuerst auf den Zusammenhang
+zwischen dem Leitungsvermögen und der Elektrisierbarkeit der Körper
+aufmerksam machte. Man fing nun an, die Nichtleiter in ausgedehnter
+Weise als Isolatoren zu benutzen. So gelang es dem genannten Forscher,
+einen an Haarschnüren oder an seidenen Stricken hängenden Menschen zu
+elektrisieren und ihm Funken zu entlocken.
+
+Die ersten Beobachtungen über die Fortleitung der Elektrizität rühren
+von *Guericke* her. Ausgedehntere Versuche über das Leitungsvermögen
+stellte ein Zeitgenosse *Du Fays*, der Engländer *Stephan Grey*, an.
+Er verschloß eine Glasröhre vermittelst eines Korkstopfens, um zu
+untersuchen, ob sie sich jetzt in gleicher Weise wie vorher durch
+Reiben elektrisieren lasse. *Grey* (er starb 1736 in London) bemerkte
+keinen Unterschied, fand aber, daß der Stopfen auch elektrisch
+geworden war, da er auf eine Feder wie die Glasröhre wirkte. Darauf
+steckte er in den Stopfen einen Holzstab, der am andern Ende eine
+Elfenbeinkugel trug. Wurde nun die Glasröhre gerieben, so zeigte sich
+diese Kugel gleichfalls elektrisch. Die Zustandsänderung hatte sich
+also von dem Glase aus durch den Stopfen und das Holz bis auf die Kugel
+fortgepflanzt. Um die Frage zu entscheiden, bis auf welche Entfernung
+eine solche Fortpflanzung möglich sei, ersetzte *Grey* den Holzstab
+durch einen ausgespannten Faden, der in seidenen Schleifen hing. Es
+gelang, eine Wirkung auf Entfernungen bis zu 700 Fuß nachzuweisen. Ließ
+man den Bindfaden nicht auf Seide, sondern auf Draht ruhen, so mißlang
+der Versuch. Auch hierdurch wurde man auf den Unterschied zwischen
+Leitern und Nichtleitern aufmerksam gemacht. Als letztere lernte man
+Haare, Seide, Harz und Glas kennen und zu ferneren Versuchen benutzen.
+*Grey* elektrisierte auch Personen, die auf einem Harzkuchen standen.
+Er ist also im Prinzip der Erfinder des Isolierschemels. *Grey* stellte
+eine Schale mit Wasser auf seine Isolierplatte. Wurde der Flüssigkeit
+ein elektrisierter Glasstab genähert, so erhob sie sich über ihr
+gewöhnliches Niveau. Dieser Versuch führte auf eine eigentümliche
+Entdeckung. Zwei Leydener Physiker[8] suchten Wasser, das sich in
+einem isolierenden Glasgefäß befand, zu elektrisieren, indem sie es
+vermittelst eines Drahtes mit einer geriebenen Glasröhre in Verbindung
+setzten. Als der eine von ihnen zufällig das Gefäß in der Hand hielt
+und zu gleicher Zeit die Röhre berührte, erhielt er einen kräftigen
+Schlag, der besonders im Arm und in der Brust zu spüren war. In der
+betreffenden Mitteilung vom Jahre 1746 hieß es, man sei in Leyden auf
+einen erschrecklichen Versuch geraten, dem sich die Erfinder nicht um
+die Krone Frankreichs zum zweitenmal aussetzen möchten. Die Priorität
+der Entdeckung gebührt jedoch nicht den Leydener Physikern, sondern
+dem in Pommern lebenden *von Kleist*[9]. Im Jahre 1745 machte dieser
+folgenden Versuch. Er stellte in eine Arzneiflasche einen eisernen
+Nagel und elektrisierte diesen. Als er darauf den Nagel mit der anderen
+Hand berührte, erhielt er einen heftigen Schlag, der noch verstärkt
+wurde, wenn sich etwas Quecksilber am Boden der Flasche befand. Die
+Entdeckung erregte großes Aufsehen und führte der Beschäftigung mit
+elektrischen Versuchen zahlreiche Dilettanten zu. Jene Vorrichtung,
+die man in der Folge als die Leydener Flasche bezeichnete, wurde
+in Frankreich im Beisein des Königs durch eine Kette von mehr als
+hundert Personen entladen. Das Wasser und die Hand, welche bei dem
+ursprünglichen Versuch die Rolle des inneren und des äußeren Belags
+gespielt hatten, wurden bald darauf durch Zinn ersetzt. Ferner machte
+man die Beobachtung, daß die Leydener Flasche die Elektrizität längere
+Zeit behält und daß sie sich nicht laden läßt, wenn sie isoliert ist.
+Zu einem Verständnis dieses Verhaltens gelangte erst *Franklin*. Als
+er eine, an einem Seidenfaden hängende, leichte Kugel dem inneren
+Belage näherte, wurde sie in der bekannten Weise zunächst angezogen,
+dann aber, nachdem sie gleichfalls elektrisch geworden war, wieder
+abgestoßen. Näherte er die Kugel jetzt dem äußeren Belag, so wurde sie
+angezogen. Es zeigte sich also, daß die Beläge entgegengesetzt geladen
+waren, und daß die Entladung der Flasche in dem Ausgleich dieser
+entgegengesetzten Elektrizitäten besteht. *Franklin* bediente sich bei
+seinen Versuchen einer auf beiden Seiten mit Zinn überzogenen Tafel,
+die nach ihm noch heute als *Franklin*sche Tafel bezeichnet wird.
+
+Die Vereinigung mehrerer Leydener Flaschen zu einer elektrischen
+Batterie bewerkstelligte zuerst der Danziger Bürgermeister
+*Gralath*[10]. Er nahm mehrere Glaskolben, füllte sie zur Hälfte mit
+Wasser und ließ einen eisernen, mit einer Kugel versehenen Draht aus
+der Flasche hervorragen. Sämtliche Kugeln wurden dann gleichzeitig mit
+dem Konduktor der Elektrisiermaschine verbunden. *Gralath* erhielt
+durch diese Vorrichtung einen sehr heftigen Schlag. Noch in demselben
+Jahre (1746) wurde die Wirkung der Batterie in solchem Maße verstärkt,
+daß man den Funken am hellen Tage 200 Schritte weit sah und die
+Entladung auf noch größere Entfernung zu hören vermochte.
+
+Die weitere Erforschung der Reibungselektrizität wurde dadurch
+außerordentlich gefördert, daß man nach dem Vorgange *Guerickes* und
+*Hawksbees* zur Anwendung maschineller Vorrichtungen schritt.
+
+Einem Leipziger Professor der Physik namens *Hausen* wurde im Jahre
+1743 von einem seiner Zuhörer der Vorschlag gemacht, sich das mühevolle
+Reiben der Glasröhre dadurch zu ersparen, daß er eine größere Glaskugel
+in Drehung versetze. Dieser Vorschlag erwies sich als über Erwarten
+praktisch, zumal ein Leipziger Handwerker den neuen Apparat mit dem
+ersten Reibzeug versah. Letzteres bestand aus einem wollenen Kissen.
+Bald darauf (1744) brachte der deutsche Physiker *Bose* neben der
+Glaskugel einen isolierten Metallkörper als Konduktor an. Diesen
+Konduktor finden wir schon wenige Jahre, nachdem *Hausen* seine
+Maschine gebaut, mit einem Saugkamm versehen[11], so daß noch vor
+Ablauf der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Elektrisiermaschine
+in ihrer noch jetzt gebräuchlichen Einrichtung den Physikern zu Gebote
+stand. Im weiteren Verlaufe des 18. Jahrhunderts ersetzte man die
+Glaskugel durch die handlichere Glasscheibe[12] und versah das Reibzeug
+mit dem bekannten, von *Kienmayer* empfohlenen Amalgam[13].
+
+[Illustration: Abb. 1. Elektrisiermaschine aus dem Jahre 1744.
+(Aus *Gerland* und *Traumüller*, Geschichte der physikalischen
+Experimentierkunst.)
+
+Als Reibzeug dient noch die Hand. Ihr gegenüber befindet sich als
+Konduktor eine auf seidenen Schnüren liegende Metallröhre AB, deren
+Ende A mit einem Bündel Fäden an Stelle des Saugkammes versehen ist. E
+steht auf einem mit isolierender Substanz (Pech) gefüllten Kasten. Aus
+der Spitze des Degens springt ein Funken über, welcher den im Löffel F
+befindlichen Weingeist entzündet.]
+
+Die Elektrisiermaschine kam nun sozusagen in Mode. Das Interesse,
+welches ihr bemittelte Dilettanten entgegenbrachten, bewirkte, daß
+sie schließlich gewaltige Dimensionen annahm[14]. In rascher Folge
+wurden jetzt die wichtigsten Erscheinungen der Reibungselektrizität
+entdeckt. Die zündende Wirkung des Funkens wurde an Schießpulver,
+Äther und anderen brennbaren Stoffen dargetan. Der Danziger
+Bürgermeister *Gralath*[15] entzündete ein eben ausgeblasenes Licht
+durch den elektrischen Funken. Ja, es gelang sogar, vermittelst eines
+elektrisierten Wasserstrahles Weingeist in Brand zu setzen.
+
+Ferner versuchte man die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Elektrizität
+zu bestimmen, indem man den Schlag einer Leydener Flasche durch
+einen mehrere tausend Meter langen Draht leitete (siehe Abb. 2).
+Derartige Versuche unternahm zuerst der Franzose *Le Monnier* und
+später der Engländer *Watson* (1715-1787). Da sich hierbei kein
+meßbarer Zeitunterschied ergab, so konnte man zunächst nur auf eine
+sehr große Geschwindigkeit schließen. Diese zu bestimmen, war eine
+neue, sinnreiche Methoden erfordernde Aufgabe der Experimentalphysik.
+Doch knüpfte man später an den der obigen Versuchsanordnung (Abb.
+2) zugrunde liegenden Gedanken wieder an, nur daß an Stelle der
+unmittelbaren Beobachtung der rasch rotierende Spiegel trat.
+
+[Illustration: Abb. 2. *Watsons* Versuch, die Geschwindigkeit der
+Elektrizität in einem Drahte zu bestimmen. Der innere Belag der
+Leydener Flasche C steht mit dem isoliert aufgehängten leitenden Stabe
+AD in Verbindung. Von dem äußeren Belag geht ein Draht nach der
+Kugel H. In F wird eine Person eingeschaltet. Obgleich das Drahtstück
+zwischen F und H etwa 12000 Fuß lang war, konnte der in F befindliche
+Beobachter doch keinen Zeitunterschied zwischen der empfangenen
+Erschütterung und dem Überspringen des Funkens bei H feststellen.]
+
+Auch der naheliegende Gedanke, das Verhalten des Funkens im Vakuum zu
+untersuchen, kam zur Ausführung[16]. Der erste, der darüber Versuche
+anstellte, war der Mechaniker *Grummert* (1719-1776) in Dresden.
+Es zeigte sich, daß die Elektrizität den luftleeren Raum auf eine
+beträchtliche Strecke durchdringt. Nach der Beschreibung *Watsons*,
+eines späteren Beobachters, erfüllte das elektrische Feuer die ganze
+Röhre, so daß man, so lange die Maschine in Bewegung blieb, eine
+ununterbrochene Lichterscheinung wahrnahm. Der weitere Verfolg dieses
+Versuches hat zur Erfindung der *Geißler*schen Röhre und endlich in der
+neuesten Zeit zur Entdeckung eigentümlicher Strahlengattungen geführt.
+Auch zur Erklärung des Nordlichts wurde das elektrische Leuchten in
+evakuierten Röhren herangezogen[17].
+
+Den neuen, wunderbaren Entdeckungen gegenüber, denen man nichts
+Ähnliches an die Seite stellen konnte, erhob sich schon bei den
+Physikern des 18. Jahrhunderts die Frage nach der Ursache der
+elektrischen Erscheinungen. War die Elektrizität ein Stoff, so
+ließ sich erwarten, daß die Körper durch das Elektrisieren eine
+Gewichtszunahme erfahren würden. Alle Versuche, die nach dieser
+Richtung hin angestellt wurden, blieben jedoch ohne Erfolg[18]. Zu
+dem gleichen Ergebnis war man hinsichtlich der Wärme gelangt, als man
+Gegenstände in erhitztem Zustande und bei gewöhnlicher Temperatur wog.
+
+Aus diesen Versuchen wurde nun keineswegs gefolgert, daß die
+Elektrizität und die Wärme bloße Zustände seien, sondern es wurde der
+Begriff des unwägbaren Stoffes oder der Imponderabilie, aus dem man ja
+auch die Lichterscheinungen zu erklären suchte, auf die elektrischen,
+die verwandten magnetischen und die kalorischen Vorgänge ausgedehnt.
+Die Lehre von den Imponderabilien hat die Physik bis in das 19.
+Jahrhunderte hinein beherrscht. Sie wurde hinsichtlich der Wärme zuerst
+von *Rumford* und *Davy* erschüttert. Ihre endgültige Beseitigung auf
+allen Gebieten ist eine Aufgabe, welche die Wissenschaft bis in die
+neueste Zeit beschäftigt hat.
+
+Obgleich die Lehre von den Imponderabilien nicht imstande war, einem
+vorgeschrittenen Kausalitätsbedürfnis zu genügen, bot sie bei der
+Stufe des Wissens, welche das 18. Jahrhundert erreicht hatte, doch die
+einzige Möglichkeit einer Erklärung. Wenn man die Lichterscheinungen
+auf die Fortbewegung eines besonderen Stoffes zurückführte, war man
+auch gezwungen, weitere Stoffe als Träger der Wärme, der elektrischen
+und der magnetischen Vorgänge anzunehmen. Einfacher gestaltete sich
+die Theorie der Elektrizität bei solchen Physikern, welche die
+Lichterscheinungen auf Wellenbewegung zurückführten. So besteht für
+*Euler* kein Zweifel, daß die Quelle aller elektrischen Vorgänge
+in dem Äther zu suchen sei, in dem sich nach ihm und *Huygens* das
+Licht fortpflanzt. Die Elektrizität, meint *Euler*, sei nichts als
+eine Störung im Gleichgewichte dieses Äthers, der in die Körper
+hineingepreßt oder aus ihnen herausgetrieben werde, je nachdem sie die
+eine oder die andere Art des Elektrizitätszustandes aufwiesen[19].
+
+Von einer ähnlichen Vorstellung ließ sich *Franklin* bei seinen
+Untersuchungen leiten. Die Körper waren für ihn positiv oder
+negativ elektrisch, je nachdem sie ein Zuviel oder ein Minder
+des hypothetischen elektrischen Fluidums enthielten, während sie
+unelektrisch seien, wenn sich dieses Fluidum außerhalb und innerhalb
+der Körper im Gleichgewicht befände.
+
+Nach *Franklin* durchdringt das elektrische Fluidum die ganze
+Körperwelt. Es ist die Ursache aller elektrischen Erscheinungen. Die
+Teilchen dieses Fluidums stoßen sich gegenseitig ab, werden aber
+von den Körperteilchen kräftig angezogen. Enthält der Körper soviel
+davon, als er aufnehmen kann, ohne daß etwas von dem Fluidum auf der
+Oberfläche des Körpers zurückbleibt, so ist dies nach *Franklin* der
+gewöhnliche Zustand, und der Körper erscheint uns unelektrisch.
+
+Andere wieder, wie *Symmer*, zogen es vor, die verschiedenen
+elektrischen Zustände aus der Annahme zweier Fluida zu erklären. Der
+hieraus entstehende Streit der Unitarier und Dualisten, so zwecklos er
+an sich auch war, bewirkte, daß die experimentelle Erforschung der in
+Frage kommenden Erscheinungen lebhaft gefördert wurde. Das Interesse
+dafür wurde ein solch allgemeines, daß den Physikern von Beruf mancher
+Bundesgenosse aus dem Laienkreise erstand. Der hervorragendste unter
+ihnen war der soeben genannte *Franklin*.
+
+*Benjamin Franklin* wurde am 17. Januar 1706 in Governors Island bei
+Boston geboren. Sein Vater hatte die englische Heimat verlassen, weil
+er dort nicht ungehindert seiner religiösen Überzeugung leben konnte.
+Da er sich und eine zahlreiche Familie durch Seifensieden nur mühsam
+ernährte, so wurde der junge Benjamin frühzeitig von der Schule
+genommen und seinem älteren Bruder, einem Buchdrucker, in die Lehre
+gegeben. Nachdem *Franklin* einige Zeit in England als Setzer tätig
+gewesen war, rief er in Philadelphia eine Zeitung und eine Druckerei
+ins Leben.
+
+Zur Beschäftigung mit der Elekrizitätslehre wurde *Franklin*
+dadurch angeregt, daß ein Londoner Kaufmann namens *Collinson* der
+Bibliotheksgesellschaft zu Philadelphia einige Gegenstände für
+elektrische Versuche übersandte. Ein Jahr später konnte *Franklin* an
+*Collinson* schreiben[20]: »Mein Eifer und meine Zeit wurden nie zuvor
+durch etwas in solchem Maße in Anspruch genommen. Ich stelle Versuche
+an, sobald ich allein sein kann, und wiederhole sie in Gegenwart meiner
+Freunde, die in Scharen kommen, um sie zu sehen. Ich habe kaum Zeit für
+irgend etwas anderes.«
+
+Die Ergebnisse, zu denen *Franklin* von 1747-1755 gelangte, legte er
+in zahlreichen Briefen nieder, die zum größten Teil an *Collinson*
+gerichtet sind, und von ihm der Royal Society mitgeteilt wurden. Im
+Jahre 1756 wurde *Franklin* Mitglied der Royal Society.
+
+*Franklins* erste Briefe handeln von der Ladung der Leydener Flasche
+und der unitarischen Lehre; spätere betreffen das Gebiet der
+atmosphärischen Elektrizität, welches durch *Franklins* Arbeiten erst
+erschlossen wurde. *Franklin* setzte seine wissenschaftliche Tätigkeit
+bis zum Jahre 1774 fort. Von diesem Zeitpunkt an widmete er sich
+ganz den Bestrebungen, die auf eine Loslösung der nordamerikanischen
+Kolonien von England abzielten. *Franklin* war bald einer der Führer in
+dieser gewaltigen politischen Bewegung.
+
+Als die griechische Philosophie an Stelle der mythischen Betrachtung
+eine ursächliche Erklärung des Naturgeschehens zu setzen suchte, führte
+man das Gewitter auf schweflige, brennbare Dünste zurück, die sich in
+den Wolken ansammeln und als Blitz die letzteren durchbrechen sollten.
+Selbst im 17. Jahrhundert ahnte noch niemand die wahre Natur der
+Erscheinung. Nach *Descartes* besteht das Gewitter in einem Herabfallen
+der oberen Wolken auf die darunter befindlichen. *Euler* erzählt, daß
+man die ersten, welche eine Ähnlichkeit zwischen den elektrischen
+Erscheinungen und dem Blitz zu finden glaubten, als Träumer angesehen
+habe[21]. Was noch im Beginn des 18. Jahrhunderts als bloße Vermutung
+geäußert wurde, erhob *Franklin* durch seine Untersuchungen auf den
+Boden der Gewißheit.
+
+Wenn wir von *Wall* absehen, der schon 1705 die gelegentliche Bemerkung
+gemacht hat, man könne die elektrische Entladung mit dem Blitz und dem
+Donner vergleichen, so besitzt *Franklin* mit seiner Gewittertheorie
+einen Vorläufer nur in dem Deutschen Winkler. Letzterer erörterte
+im Jahre 1746[22] die Frage: »ob Schlag und Funken der verstärkten
+Elektrizität (in *Kleist*schen Flaschen) für eine Art Blitz und Donner
+zu halten sind?« *Winkler* kam zu dem Ergebnis, daß das Gewitter und
+die künstlich herbeigeführte elektrische Entladung nur in der Stärke,
+indessen nicht in ihrem Wesen voneinander verschieden seien. Als die
+Quelle der Gewitterelektrizität betrachtete er die Verdunstung des
+Wassers und eine damit verbundene Reibung.
+
+*Franklin* sprach sich zuerst in seinem Briefe vom 7. November 1749
+für die elektrische Natur des Gewitters aus. Für die Übereinstimmung
+des Blitzes mit dem elektrischen Funken führte er folgende Gründe und
+Beweise an: 1. Die Ähnlichkeit des Lichtes, sowie des Geräusches und
+das fast Augenblickliche beider Erscheinungen. 2. Der Funke wie der
+Blitz sind imstande, Körper zu entzünden. 3. Beide vermögen lebende
+Wesen zu töten. (*Franklin* tötete ein Huhn durch die Entladung
+mehrerer Leydener Flaschen). 4. Beide rufen mechanische Zerstörungen
+hervor und erzeugen einen Geruch nach verbranntem Schwefel[23]. 5.
+Der Blitz und die Elektrizität folgen denselben Leitern und springen
+vorzugsweise auf die Spitzen über. 6. Beide sind imstande, den
+Magnetismus zu zerstören oder auch die Pole eines Magneten umzukehren.
+7. Durch den Funken können ebenso wie durch den Blitz Metalle zum
+Schmelzen gebracht werden.
+
+An die Versuche, durch welche *Franklin* den letzten Punkt
+dieser Aufzählung zu erweisen suchte, knüpfte sich eine
+Meinungsverschiedenheit mit seinem Freunde *Kinnersley*. Dieser
+befaßte sich gleichfalls mit elektrischen Versuchen und führte sie
+als wandernder Experimentator seinen Landsleuten vor. *Franklins*
+Verfahren, Metalle durch den Funken zu schmelzen, bestand darin, daß
+er dünne Blättchen von Zinn oder Gold zwischen zwei Glasscheiben legte
+und eine große Leydener Flasche durch diese Blättchen entlud[24]. Das
+Metall wurde dadurch in feinste Teilchen zerstiebt, ein Vorgang, den
+*Franklin* als kalte Schmelzung bezeichnete, da ihn sein Verfahren
+die bei der Entladung auftretende Wärme nicht erkennen ließ. Die
+kalte Schmelzung sollte nicht durch Hitze, sondern dadurch zustande
+kommen, daß das elektrische Fluidum in die Zwischenräume der Teilchen
+eindringe und auf diese Weise den Zusammenhang der Körper zerstöre.
+Demgegenüber zeigte *Kinnersley*, indem er die Entladung einer Batterie
+von 35 Flaschen durch einen Draht vor sich gehen ließ, daß Metalle
+zum Erglühen und sogar zum Schmelzen gebracht werden können. »Ihr
+herrlicher Versuch,« schrieb darauf *Franklin*, »setzt außer Zweifel,
+daß unsere künstliche Elektrizität Hitze hervorbringt und daß, wenn sie
+Metalle schmilzt, dies nicht durch das geschieht, was ich als kalte
+Schmelzung bezeichnet habe[25].«
+
+Die Ursache der elektrischen Erscheinungen ist nach *Franklin* eine
+äußerst feine Flüssigkeit, welche die Körper durchdringt und sich
+in ihnen gleichmäßig verteilt aufhält. Wenn es sich infolge eines
+künstlich herbeigeführten oder eines natürlichen Vorganges ereignet,
+daß diese Flüssigkeit in dem einen Körper in größerer Menge vorhanden
+ist als in einem anderen, so teilt der Körper, welcher mehr davon
+enthält, sie demjenigen mit, der weniger besitzt, bis die Verteilung
+eine gleichmäßige geworden ist, Voraussetzung ist, daß der Abstand
+zwischen den Körpern nicht zu groß ist, oder daß Leiter vorhanden
+sind, welche diese Materie von dem einen zum anderen Körper zu führen
+vermögen. Erfolgt die Mitteilung durch die Luft, ohne Vermittlung eines
+Leiters, so sieht man eine glänzende Lichterscheinung zwischen den
+Körpern und vernimmt dabei ein Geräusch. Bei den großartigen, in der
+Natur stattfindenden Entladungen ist dieses Licht dasjenige, was wir
+Blitz nennen, und das Geräusch und sein Widerhall ist der Donner[26].
+
+Den unmittelbaren Nachweis der atmosphärischen Elektrizität lieferte
+*Franklin* durch seinen berühmt gewordenen Versuch mit dem Drachen.
+Letzterer besaß eine eiserne Spitze und wurde im Juni des Jahres
+1752 während eines Gewitters an einer Hanfschnur emporgelassen.
+Die Schnur war an einen Schlüssel geknüpft, der mit einem seidenen
+Tuche festgehalten wurde. Zuerst blieb der Erfolg aus. Als die Schnur
+jedoch feucht geworden war und eine Wolke an dem Drachen vorüberzog,
+sträubten sich die losen Fäden. Als *Franklin* jetzt die Knöchel
+seiner Hand dem Schlüssel näherte, vermochte er deutliche Funken aus
+ihm hervorzuziehen. Das zweite von *Franklin* in Vorschlag gebrachte
+Verfahren, welches indes in Europa früher zur Ausführung gelangte als
+in Amerika, bestand darin, daß man hohe Eisenstangen errichtete und
+diesen während eines Gewitters Elektrizität entzog, ein Versuch, den
+fast zur selben Zeit, als *Franklin* seinen Drachen steigen ließ,
+einige Franzosen in der Nähe von Paris dem Könige vorführten. Später
+entdeckte *Franklin*, daß die Wolken bald positiv, bald negativ geladen
+sind. Diese Untersuchungen führten ihn schließlich auf den Gedanken,
+jene Eisenstangen als Blitzableiter zum Schutze von Gebäuden zu
+empfehlen, ein Vorschlag, der in Amerika und bald darauf auch in Europa
+allseitige Beachtung fand.
+
+Die Überlegungen, die ihn zu seinem Vorschlag führten, legte *Franklin*
+in einem vom 12. IX. 1753 datierten Briefe dar. »Wird außerhalb
+des Gebäudes«, heißt es dort, »ein eiserner Stab angebracht, der
+ununterbrochen von dem höchsten Teile bis in das feuchte Erdreich
+geht, so nimmt dieser Stab den Blitz an seinem oberen Ende auf und
+bietet ihm eine gute Leitung bis in die Erde. Auf solche Weise wird
+die Beschädigung irgend eines Teiles des Gebäudes verhindert. Dabei
+ist eine geringe Menge Metall imstande, eine große Menge Elektrizität
+fortzuleiten. Ein eiserner Draht, der nicht stärker als eine Gänsefeder
+war, vermochte eine Elektrizitätsmenge fortzuführen, die an seinen
+beiden Enden eine schreckliche Zerstörung anrichtete[27].
+
+Der Stab muß an der Mauer, dem Schornstein usw. mit eisernen Klammern
+befestigt werden. Der Blitz wird den Stab, der ein guter Leiter ist,
+nicht verlassen, um durch diese Klammern in die Mauer zu fahren.
+
+Wenn das Gebäude sehr groß ist, so kann man der größeren Sicherheit
+wegen zwei oder mehr Stäbe an verschiedenen Stellen errichten.
+
+Das untere Ende des Stabes muß so tief in den Boden geführt werden,
+daß es eine feuchte Stelle erreicht. Wenn man den Stab dann biegt, um
+ihn horizontal sechs bis acht Fuß von der Mauer fortlaufen zu lassen,
+und ihn dann drei bis vier Fuß abwärts gehen läßt, so schützt er alle
+Steine des Fundamentes vor Beschädigung.«
+
+Auf die Einrichtung von Blitzableitern ist *Franklin* besonders durch
+seine Versuche über die Spitzenwirkung gekommen, die er zuerst zu
+erklären suchte. Dies geschah in seinem Briefe vom 29. Juli 1749.
+*Franklin* führt darin folgendes aus. Befinde sich die Elektrizität
+auf der Oberfläche einer Kugel, so habe kein Teilchen des elektrischen
+Fluidums mehr Neigung wie ein anderes, die Oberfläche zu verlassen,
+weil die Anziehung der Materie auf das elektrische Fluidum in diesem
+Falle überall gleich groß sei. Setze man an Stelle der Kugel einen
+Würfel, so werde die Elektrizität auf den Flächen mehr angezogen als
+an den Ecken. Die Teilchen der Elektrizität würden daher infolge der
+zwischen ihnen wirkenden Abstoßung nach den Ecken strömen. Je feiner
+die Spitze, desto mehr müsse diese Abstoßung, weil sich die Anziehung
+der Materie auf der Spitze vermindere, zur Geltung kommen und die
+Elektrizität dorthin strömen.
+
+Ebenso bekannt wie durch seine wissenschaftlichen Erfolge ist
+*Franklin* durch die Rolle geworden, die er in der politischen
+Geschichte seines Vaterlandes gespielt hat. Während des amerikanischen
+Unabhängigkeitskampfes hielt sich *Franklin* in Paris auf, wo er im
+Jahre 1783 die Friedensverhandlungen unterzeichnete. Die Bewunderung,
+welche dem schlichten und doch so bedeutenden Manne von ganz Frankreich
+gezollt wurde, fand einen beredten Ausdruck in dem von *d'Alembert* an
+ihn gerichteten Worte: Eripuit coelo fulmen sceptrumque tyrannis[28].
+
+Bevor *Franklin* nach Amerika zurückkehrte, schloß er noch
+Freundschafts- und Handelsverträge mit Schweden und Preußen. Im Jahre
+1788 zog er sich vom öffentlichen Leben zurück. *Franklin* starb am 17.
+April 1790. Sein Tod versetzte, wie die von Washington gehaltene Rede
+bekundet, sein Vaterland in tiefe Trauer. Auch Europa, wo Mirabeau ihm
+einen Nachruf widmete, nahm lebhaften Anteil. Es war ein Augenblick,
+in welchem das Gefühl der geistigen Zusammengehörigkeit zwischen der
+alten Welt und der jungen, neuen Stätte der Kultur voll zum Ausdruck
+kam. Zwar sollte die Mitarbeit des amerikanischen Volkes an den
+Aufgaben der Wissenschaft nicht sobald Platz greifen, wie man nach den
+Erfolgen eines *Franklin* hätte erwarten mögen. Es harrten eben noch zu
+viele andere Aufgaben ihrer Erledigung, so daß ein volles Jahrhundert
+verstreichen konnte, bis die Wissenschaft jenseits des Ozeans die
+gleiche Pflege fand, die sie in den alten Staaten Europas genießt.
+
+Erwähnenswerte Versuche über die atmosphärische Elektrizität wurden
+auch von *de Romas*, *Richmann* und *Le Monnier* angestellt.
+
+*De Romas* (starb 1776), ein Franzose, wiederholte *Franklins*
+Drachenversuch in größerem Maßstabe im Sommer des Jahres 1753. Er ließ
+einen Drachen von 7½ Fuß Höhe an einer 780 Fuß langen, um einen
+Eisendraht gesponnenen Schnur 550 Fuß hoch emporsteigen. Die Schnur war
+an einer Blechröhre befestigt, aus der acht Fuß lange Funken gezogen
+wurden.
+
+Der Physiker *Richmann* in Petersburg (1711-1753) hatte eine Stange
+errichtet, an deren unterem Ende sich ein Elektroskop befand. Als er
+sich dem letzteren gelegentlich eines Gewitters näherte, wurde er von
+einem aus der Stange herausfahrenden Kugelblitz erschlagen.
+
+Von besonderer Wichtigkeit waren die Versuche des Franzosen *Le
+Monnier*. Diesem gelang im Jahre 1752 der Nachweis, daß die Atmosphäre
+auch elektrisch ist, wenn kein Gewitter, ja nicht einmal Wolken am
+Himmel stehen.
+
+Auch die chemische Wirkung der Elektrizität wurde schon in diesem
+Zeitraum, also noch vor der Erfindung der galvanischen Elemente,
+bekannt. Die Versuche *Beccarias* lieferten den Nachweis, daß sich
+mit Hilfe des Entladungsschlages aus Metalloxyden Metalle herstellen
+lassen. *Beccaria* erhielt auf diesem Wege Zink aus Zinkoxyd und
+Quecksilber aus Zinnober[29].
+
+Als man die Entladungen durch Flüssigkeiten hindurch vor sich
+gehen ließ, bemerkte man gleichfalls chemische Wirkungen. So fand
+*Priestley* im Jahre 1774, daß sich mit Hilfe der Elektrizität aus
+einigen Flüssigkeiten, z. B. aus Alkohol, Wasserstoff abspalten läßt.
+Unter allen Flüssigkeiten hatte stets das Wasser in seinem Verhalten
+gegenüber der Elektrizität am lebhaftesten interessiert. *Priestleys*
+Versuche wurden daher durch den holländischen Chemiker *van Troostwyk*
+im Jahre 1789 mit Wasser angestellt. Der Wunsch, vielleicht auf diesem
+Wege Aufschluß über die chemische Natur des Wassers zu erhalten, war
+besonders durch *Lavoisiers* Untersuchungen über die Bildung von
+Wasser aus Wasserstoff und Metalloxyden[30] hervorgerufen worden. Das
+Ergebnis *van Troostwyks* entsprach demjenigen *Lavoisiers* vollkommen.
+Als *van Troostwyk* die Entladung einer Leydener Flasche wiederholt
+durch destilliertes Wasser vor sich gehen ließ, fand eine Zerlegung
+der Flüssigkeit in ihre gasförmigen Bestandteile statt[31]. Ließ er
+den elektrischen Funken durch das entstandene Gasgemisch schlagen, so
+verwandelte es sich wieder in Wasser.
+
+Waren somit auch die chemischen Wirkungen der Elektrizität schon lange
+vor der Erfindung der galvanischen Elemente bekannt, so handelte
+es sich doch zunächst mehr um gelegentliche Beobachtungen, die nur
+geringe Beachtung fanden, da sich mit Hilfe der Leydener Flasche nur
+unerhebliche chemische Umsetzungen hervorrufen ließen. Erst als man in
+der Berührungselektrizität eine weit geeignetere Quelle für chemische
+Zerlegungen entdeckt hatte, eröffnete sich in der Elektrochemie
+ein neues, weites, für die Wissenschaft wie für die Technik gleich
+wichtiges Forschungsgebiet.
+
+Durch eine Reihe von Versuchen war man auch mit der physiologischen
+Wirkung der Elektrizität bekannt geworden. Vor allem hatte die
+heftige Erschütterung, welche die Leydener Flasche bewirkt, wenn die
+Entladung durch den Körper vor sich geht, das Interesse der Forscher
+wie der Laien hervorgerufen. Die Ärzte versprachen sich von diesen
+Erschütterungen die günstigsten Erfolge. Man verordnete gelähmten
+Kranken ein »elektrisches Bad«, indem man sie auf einer isolierenden
+Unterlage Platz nehmen und den Konduktor der Elektrisiermaschine
+berühren ließ. Nach der Erfindung der Leydener Flasche glaubte man,
+nicht nur Lähmungen, sondern auch alle möglichen anderen Krankheiten
+durch elektrische Kuren heilen zu können. Aus der Mitte des 18.
+Jahrhunderts liegen darüber eine Anzahl günstiger Krankenberichte
+vor[32]. Selbst an Versuchen, Tote mit Hilfe der Elektrizität wieder zu
+erwecken, hat es nicht gefehlt.
+
+So rasch wie die Elektrizität als Allheilmittel in Aufnahme gekommen
+war, ebenso schnell kam sie aus der Mode, bis unsere Zeit sie wieder
+in richtiger Beschränkung als therapeutisch wertvolles Mittel benutzen
+gelernt hat. Ganz unbekannt waren übrigens selbst den Alten die
+elektrischen Kuren nicht. Es wird nämlich berichtet, daß sie die
+tierische Elektrizität gegen nervöse Leiden anwandten, indem sie den
+Kranken mit dem Zitterrochen in Berührung brachten, natürlich ohne im
+entferntesten die Quelle des eigentümlichen Verhaltens dieses Tieres zu
+ahnen.
+
+Unter den deutschen Zeitgenossen *Franklins* ragen *Wilke* und
+*Aepinus* als Elektriker hervor.
+
+*Johann Karl Wilke* (Wilcke) wurde am 6. September 1732 in Wismar,
+das damals noch zu Schweden gehörte, geboren. *Wilke* studierte
+in Upsala, Göttingen und Rostock, wo er 1757 eine Dissertation
+über die entgegengesetzten Elektrizitäten, eine bedeutende Arbeit,
+herausgab[33]. Später wurde *Wilke* Sekretär der schwedischen
+Akademie der Wissenschaften. In dieser Stellung hielt er in Stockholm
+physikalische Vorlesungen. Er starb am 18. April 1796.
+
+In seiner Arbeit vom Jahre 1757 lieferte *Wilke* den wichtigen
+Nachweis, daß beim Aneinanderreiben zweier Körper stets beide
+Elektrizitätsarten entstehen. *Wilke* brachte darauf die untersuchten
+Stoffe in eine Reihe, in welcher jedes Glied, mit einem darauf
+folgenden gerieben, positiv-elektrisch, mit einem vorangehenden
+gerieben, dagegen negativ elektrisch wird. Einige Glieder dieser
+Reihe sind: Glas, Wolle, Holz, Lack, Metalle, Schwefel. Dieser ersten
+Reibungs- oder Spannungsreihe sind später zahlreiche Anordnungen
+gefolgt, die unter sich jedoch hin und wieder auffallende Abweichungen
+zeigen. Dies rührt daher, daß nicht nur die Art des Stoffes, sondern
+auch seine Oberflächenbeschaffenheit für die Stelle, die er innerhalb
+der Spannungsreihe einnimmt, mitbestimmend ist. Am bekanntesten sind
+die Reihen von *Young*[34] und die von *Faraday* geworden. Erstere
+mag hier noch Platz finden. Sie lautet: Glas, Wolle, Federn, Holz,
+Siegellack, Metalle, Harz, Seide, Schwefel.
+
+*Wilke* entdeckte ferner im Jahre 1757 eine neue Art der
+Elektrizitätserregung. Er fand nämlich, daß Schwefel und Harz, wenn man
+sie in einer Porzellanschale erstarren läßt, stark negativ elektrisch
+werden. Von *Wilke* rührt auch die erste Karte über die magnetische
+Inklination her. Von seinen Verdiensten um die Entwicklung der
+Wärmelehre werden wir im nächsten Abschnitt hören.
+
+Neben der durch Reibung und durch atmosphärische Vorgänge erzeugten
+Elektrizität lernte man auch die Erregung dieser Kraft durch
+physiologische Vorgänge und durch Wärmezufuhr kennen. Um die Mitte
+des 18. Jahrhunderts tauchte die Vermutung auf, daß man es in der
+schon von den Schriftstellern des Altertums erwähnten eigentümlichen
+Wirkung des Zitterrochens (Raja torpedo) auf den Menschen und andere
+lebende Wesen mit einer elektrischen Erscheinung zu tun habe[35].
+Seit *Richers* Anwesenheit in Cayenne war man auch mit dem Zitteraal
+(Gymnotus electricus) der südamerikanischen Gewässer bekannt
+geworden. Indes erst ein Jahrhundert, nachdem *Richer*[36] über dieses
+eigentümliche Geschöpf berichtet, hatte sich die Elektrizitätslehre
+soweit entwickelt, daß man die Identität jener physiologischen und
+der durch Reibung erzeugten Erscheinungen nachzuweisen vermochte.
+Dies geschah einmal dadurch, daß man den Impuls durch eine Kette von
+Personen leitete, wobei die erste und die letzte den Fisch an der
+Ober-, beziehungsweise an der Unterseite berührten. Alle empfingen
+dann einen Erschütterungsschlag, wie ihn die Leydener Flasche erteilt.
+Der zweite Nachweis bestand darin, daß man die Entladung durch einen
+auf Glas geklebten Stanniolstreifen vor sich gehen ließ, der eine
+Unterbrechung besaß. An der Stelle, wo sich diese befand, sah man
+bei jedem Schlage, den der Fisch bewirkte, einen elektrischen Funken
+überspringen[37].
+
+Die erste wissenschaftliche Untersuchung über die tierische
+Elektrizität wurde im Jahre 1773 von *Walsh* veröffentlicht. *Walsh*
+erbrachte nicht nur die soeben erwähnten Nachweise, sondern er zeigte
+auch, daß der Zitterrochen Elektrizität in einem ganz bestimmten
+Organ erzeugt, während der übrige Körper wie die Gewebe jedes Tieres
+nur leitend ist. Das elektrische Organ liegt, wie *Walsh* erkannte,
+zwischen dem Kopf und den Brustflossen (s. Abb. 3). Es besteht aus
+vielen Säulen, deren jede etwa 1/3 Zoll Durchmesser hat. *Walsh* zählte
+bei einigen Zitterrochen über 1000 solcher Säulen. Den kräftigsten
+elektrischen Schlag erhielt *Walsh* bei seinen Versuchen, wenn er eine
+leitende Verbindung zwischen dem Rücken und dem Bauch des Fisches
+herstellte[38].
+
+[Illustration: Abb. 3. Querschnitt durch den Torpedo nach der Zeichnung
+*Hunters*, der zuerst das elektrische Organ des Torpedos genauer
+untersuchte. (Philos. Transact. Vol. LXIII. Tab. XX. Fig. 3.)
+
+AA die obere Fläche des Fisches; BB die durchschnittenen Muskeln
+des Rückens; C das Rückenmark; D der Schlund; E die linke Kieme,
+gespalten, um den Vorlauf des sie durchziehenden Nerven zu zeigen;
+F die atmende Oberfläche der rechten Kieme; GG die Flossen; HH die
+senkrechten Säulen, welche das elektrische Organ zusammensetzen mit
+ihren horizontal verlaufenden Abteilungen; I einer der Nerven, welche
+das elektrische Organ versorgen, mit seinen Verzweigungen.]
+
+Noch eine zweite, schon lange bekannte Erscheinung wurde um die
+Mitte des 18. Jahrhunderts als eine elektrische erkannt. Bei der von
+den Juwelieren an Edelsteinen üblichen Feuerprobe konnte es nicht
+lange verborgen bleiben, daß der Turmalin, wenn er auf glühende
+Kohlen gelegt wird, Aschenteilchen anzieht und wieder von sich
+stößt[39]. Dieses eigentümliche, an das elektrische Pendel erinnernde
+Verhalten leichter Körper dem erwärmten Turmalin gegenüber wurde von
+*Aepinus*[40] genauer untersucht. Letzterer fand, daß die Erscheinung
+nur bei ungleicher Erwärmung der beiden Enden des Kristalls eintritt,
+sowie daß diese dabei entgegengesetzt elektrisch werden. Ein solcher
+Kristall, meint *Aepinus*, sei einem Magneten zu vergleichen, der ja
+auch an den beiden Polen ein entgegengesetztes Verhalten zeige[41].
+Er habe am Turmalin eine doppelte Elektrizität entdeckt und deutlich
+unterschieden, »davon die erstere auf die gewöhnliche Art durch Reiben,
+die andere aber durch einen gewissen Grad der Wärme, die man dem Steine
+beibringe, erweckt werde«. Diejenige Elektrizität, welche der Stein
+durch Reiben bekommt, war von der Elektrizität der glasartigen Körper
+nicht zu unterscheiden. Wurde der Turmalin aber erwärmt, so wurde
+die eine Seite positiv, die andere negativ elektrisch. Der erwärmte
+Turmalin zeigte also, »wie der Magnet eine doppelte Magnetkraft
+besitzt, beide Arten der Elektrizität zugleich«[42].
+
+Eine weitere Analogie zwischen einem Magneten und einem elektrisierten
+Körper entdeckte *Aepinus* in der Influenz. Wie ein Eisenstab in der
+Nähe eines Magneten magnetisch werde, so bringe ein elektrisierter
+Körper an einem benachbarten ähnliche Wirkungen hervor. *Aepinus* nahm
+einen Metallstab, der auf gläsernen Unterlagen ruhte und brachte an
+das eine Ende einen elektrisierten Körper heran, doch so, daß der Stab
+in einiger Entfernung davon blieb. Dasjenige Ende des Metallstabes,
+welches dem elektrisierten Körper zugewendet war, bekam dann die
+entgegengesetzte, das entferntere Ende dagegen dieselbe Elektrizität,
+welche der elektrisierte Körper besaß, mit dem man den Versuch
+anstellte. Bei einer geringen Abänderung des Versuches wurde jedoch
+eine große Verschiedenheit der Erscheinungen wahrgenommen. *Aepinus*
+brachte nämlich einen metallenen, auf gläserner Unterlage befindlichen
+Stab einem elektrisierten Körper so nahe, daß eine unmittelbare
+Berührung stattfand. Dann erhielt der zu elektrisierende Stab seiner
+ganzen Länge nach nur diejenige Art von Elektrizität, welche derjenige
+Körper besaß, mit dem man ihn berührt hatte.
+
+Die Beobachtung, daß sowohl der durch Erwärmung wie der durch Influenz
+elektrisierte Körper an beiden Enden entgegengesetzte Elektrizitäten
+aufweist, veranlaßte *Aepinus*, eine Analogie zwischen den elektrischen
+und den magnetischen Erscheinungen, bei denen bekanntlich stets eine
+solche Polarität wahrgenommen wird, zu behaupten. Die Zeit, den innigen
+Zusammenhang dieser Naturkräfte zu erkennen, war jedoch noch nicht
+gekommen. Es war dies vielmehr eine der wichtigsten Aufgaben, welche
+der naturwissenschaftlichen Forschung des 19. Jahrhunderts vorbehalten
+blieb[43].
+
+Sehr zutreffend waren auch die Ansichten, welche *Aepinus* über das
+Verhältnis zwischen Leitern und Nichtleitern entwickelte. Zwischen
+beiden Gruppen von Stoffen besteht nach ihm kein grundsätzlicher
+Unterschied. Dieser beruht nur auf den Unterschieden, den der
+Widerstand und in Verbindung damit die Leitungsgeschwindigkeit für die
+verschiedenen Körper aufweisen. Leiter sind danach solche Stoffe, deren
+Widerstand sehr klein, Nichtleiter solche, deren Widerstand sehr groß
+ist. Deshalb erfordert die Entladung durch letztere weit mehr Zeit. Auf
+diese Anschauung hat später *Faraday* seine Theorie vom elektrischen
+Rückstand gegründet.
+
+Mit der Pyroelektrizität des Turmalins hat sich von den Zeitgenossen
+des *Aepinus* besonders der Chemiker und Mineraloge *Tobern Bergman*
+beschäftigt. *Bergman* (1735-1784) war Professor der Chemie zu
+Upsala. Er zeigte, daß der Turmalin nicht durch die Erwärmung als
+solche, sondern durch das Hervorrufen einer Temperaturdifferenz
+elektrisch wird. War die Temperatur des Kristalls konstant, so war er
+unelektrisch, mochte die Temperatur hoch oder niedrig sein. Während
+der Temperaturzunahme war das eine Ende positiv, das andere negativ.
+Während der Abkühlung kehrten sich die Pole um. In einem späteren, der
+Mineralogie gewidmeten Abschnitt wird uns das an dem Turmalin entdeckte
+pyroelektrische Verhalten weiter beschäftigen.
+
+Einen gewissen Abschluß fanden die Entdeckungen auf dem Gebiete der
+statischen Elektrizität durch *Coulombs* erfolgreiche Bemühungen,
+messend an die bis dahin vorzugsweise nur in der Art ihrer Wirkungen
+erforschte Naturkraft heranzutreten.
+
+*Charles Augustin Coulomb* wurde am 14. Juni 1736 in Angoulème geboren.
+Sein Entwicklungsgang hat eine gewisse Ähnlichkeit mit demjenigen
+*Otto von Guerickes*. Wie letzterer war nämlich *Coulomb* ausgehend
+von der Ingenieurkunst zur Behandlung wissenschaftlicher Fragen
+gekommen. Die physikalischen Untersuchungen *Coulombs* knüpfen, wie
+wir gleich sehen werden, sämtlich an technische Probleme an. *Coulomb*
+studierte in Paris, wurde Offizier des Geniekorps und kam als solcher
+nach Martinique, wo er die Anlage von Befestigungen leitete. Im
+Jahre 1776 kehrte er nach Frankreich zurück und begann dort, sich
+mit technisch-mechanischen Untersuchungen zu befassen. Insbesondere
+beschäftigte er sich mit der Reibung, der Torsion und der Festigkeit
+der Körper. Seine erste Abhandlung betraf die Festigkeit eines
+horizontalen, mit dem einen Ende eingemauerten und am anderen Ende
+belasteten Balkens von rechteckigem Querschnitt. Für das Gewicht Q, bei
+welchem der Balken zerbricht, fand *Coulomb* den Wert 1/6k(bh^2)/l,
+wenn k den Koeffizienten der Zugfestigkeit, b die Breite, h die Höhe
+des Querschnittes und l die Länge des Balkens bedeutet. Ähnliche
+Untersuchungen stellte *Coulomb* über die Festigkeit von Säulen, die
+in der Richtung ihrer Achse belastet werden, sowie über den Erddruck
+bei Futtermauern an. Auch die Theorie der einfachen Maschinen machte
+*Coulomb* unter Berücksichtigung der Steifigkeit der Seile und der
+Reibung zum Gegenstande einer Abhandlung. Letztere trug ihm im Jahre
+1781 einen Preis und die Mitgliedschaft der Akademie der Wissenschaften
+ein. Um den Reibungskoeffizienten zu bestimmen, ließ *Coulomb*
+die zu untersuchende Substanz auf einer Unterlage von gleichem
+Material gleiten und ermittelte die zur Fortbewegung erforderliche
+Zugkraft[44].
+
+[Illustration: Abb. 4. *Coulombs* elektrische Wage.]
+
+Auf das Gebiet des Magnetismus und der Elektrizitätslehre wurde
+*Coulomb* dadurch geführt, daß die Akademie einen Preis für die
+beste Konstruktion des Schiffskompasses aussetzte. Im Anschluß an
+eine dadurch angeregte Untersuchung und unter Verwertung seiner
+Forschungen über die Festigkeit in allen ihren Formen, insbesondere
+die Torsionsfestigkeit, erfand *Coulomb* im Jahre 1785 seine Torsions-
+oder Drehwage. Von der Einrichtung und dem Gebrauch dieses Instruments
+gibt uns die nebenstehende Abb. 4 Kenntnis[45]. Ein Glaszylinder
+ABCD von etwa 30 cm Höhe wurde mit einer doppelt durchbohrten
+Glasplatte bedeckt. Durch ihre Mitte ist ein frei hängender, an der
+Scheibe *op* befestigter Silberdraht *qp* geführt, der an seinem
+unteren Ende die zu elektrisierende, möglichst isolierte Kugel a trägt.
+Ein Scheibchen g hat nur die Aufgabe, der Kugel a das Gegengewicht
+zu halten. Die Verbindung zwischen a und g besteht aus einem mit
+Siegellack überzogenen Seidenfaden. Die Scheibe *op*, welche den
+Silberfaden trägt, und der Umfang des großen Glaszylinders besitzen
+Gradeinteilungen. Die in der Abbildung rechts dargestellten Teile (H
+dient zur Fassung der Gradscheibe G) werden beim Gebrauch der Drehwage
+vereinigt und in der über dem Zylinder befindlichen, etwa einen halben
+Meter langen Glasröhre untergebracht. Durch die seitliche Öffnung
+des Glasdeckels werden elektrisierte Kugeln (d) eingeführt, deren
+Wirkung auf den in der Schwebe befindlichen elektrisierten Körper a
+man messen will. Ein Maß für die abstoßenden Kräfte ist in der Torsion
+des Silberdrahtes gegeben. Die Größe dieser Torsion, welche die Kugel
+a in ihre ursprüngliche Lage zurückzudrehen strebt, kann an der
+Gradeinteilung abgelesen werden.
+
+[Illustration: Abb. 5. *Coulombs* Untersuchung der Torsion.]
+
+Seine Arbeiten über die Torsion von Fäden und Metalldrähten hatte
+*Coulomb* ein Jahr vor der Erfindung der Drehwage veröffentlicht[46].
+Die Methode, welche er anwandte, ist diejenige der Schwingungen oder
+Oszillationen. Er wies nämlich nach, daß die Schwingungen eines
+schweren, an einem Faden aufgehängten Körpers (Abb. 5) isochron sind.
+Ist dies der Fall, dann muß auch die Torsionskraft dem Torsionswinkel
+proportional sein. Das Ergebnis seiner Beobachtungen an Drähten
+verschiedener Länge (l) und Dicke (D) konnte *Coulomb* durch folgende
+Formel darstellen: Das Drehungsmoment der Torsionskraft ist μ·B·D^4/l.
+In dieser Formel bedeutet μ eine charakteristische Konstante des
+Materials und B den Torsionswinkel. *Coulombs* Torsionswage beruht auf
+der von ihm entdeckten Eigenschaft der Drähte, eine dem Torsionswinkel
+proportionale Gegenkraft zu besitzen. Um die feinsten elektrischen
+und magnetischen Wirkungen messen zu können, wählte *Coulomb* den
+Torsionsdraht so fein, daß ein Torsionswinkel von einem Grad einer
+Torsionskraft von 1/100,000 Gran entsprach. Wurde der Aufhängefaden
+einem Kokon entnommen, so genügte schon eine Kraft von 1/60,000 Gran,
+um den Faden um 360 Grade zu tordieren.
+
+Das wichtigste Ergebnis der *Coulomb*schen Versuche besteht in dem
+Nachweise, daß »die abstoßende Kraft zweier kleiner, gleichartig
+elektrisierter Kugeln im umgekehrten Verhältnis zum Quadrat des
+Abstandes der Mittelpunkte beider Kugeln steht«[47].
+
+Den Nachweis dieses wichtigen Grundgesetzes lieferte *Coulomb* in
+folgender Weise. Er stellte die Scheibe *op* (siehe Abb. 5) so ein,
+daß die Kugel a unter der seitlichen Öffnung des Glasdeckels stand.
+Elektrisiert man nun die Kugel d und führt sie durch die Öffnung bis
+zur Berührung mit der beweglichen Kugel a ein, so nehmen beide Kugeln
+die gleiche elektrische Ladung von gleicher Dichtigkeit an. Es erfolgt
+Abstoßung um 36 Grade. Jetzt wird der Torsionskreis entgegengesetzt
+zur Ablenkung gedreht, bis letztere nur noch 18 Grad beträgt. Die
+Entfernung beträgt somit die Hälfte, während die Torsion jetzt 126°
++ 18° = 144°, also das Vierfache beträgt. Um die Kugeln auf 1/4 der
+ursprünglichen Entfernung einander zu nähern, mußte man die Torsion des
+Aufhängefadens auf 576 Grad, mithin auf das Sechszehnfache bringen. Aus
+diesen Versuchen folgt das oben erwähnte Grundgesetz.
+
+In seiner zweiten Abhandlung vom Jahre 1785 dehnte *Coulomb* seine
+Untersuchung auf die anziehende Kraft elektrisierter Körper und auf die
+abstoßende und anziehende Kraft magnetisierter Körper aus. Er gelangte
+zu folgenden Ergebnissen:
+
+1. Die abstoßende wie die anziehende Wirkung zweier elektrisierten
+Kugeln und folglich zweier elektrischen Moleküle steht im geraden
+Verhältnis der Dichtigkeit der Elektrizität und ist umgekehrt
+proportional dem Quadrate der Entfernung.
+
+2. Die anziehende und abstoßende Kraft des Magnetismus steht
+gleichfalls im geraden Verhältnis zu den Dichtigkeiten und im
+umgekehrten Verhältnis zum Quadrat des Abstandes der magnetischen
+Moleküle.
+
+Eine Fehlerquelle der ersten Versuche bestand in dem im Verlaufe
+des Versuches vor sich gehenden Elektrizitätsverlust. Um den durch
+Abgabe an die Luft und die Aufhängevorrichtung entstehenden Verlust
+an Elektrizität in Rechnung ziehen zu können, war eine weitere
+Untersuchung erforderlich, die in der dritten Abhandlung vom Jahre
+1785 mitgeteilt wurde. Aus dieser Untersuchung ergab sich, daß die
+Zerstreuung mit dem Wassergehalt der Luft wächst. Und zwar ergab
+sich der Zerstreuungskoeffizient direkt proportional den Graden
+des von *Saussure* erfundenen, an anderer Stelle beschriebenen
+Haarhygrometers[48].
+
+Schließlich wandte sich *Coulomb* noch der Verteilung der Elektrizität
+zu. Er bedeckte eine isolierte Metallkugel mit zwei halbkugelförmigen
+Schalen, die mit isolierenden Handhaben versehen waren. Nachdem er das
+Ganze elektrisiert hatte, nahm er die Schalen fort. Es zeigte sich,
+daß die Kugel völlig unelektrisch, die Schalen dagegen elektrisch
+waren[49]. Wurde die Kugel allein elektrisiert und wurden die Schalen
+dann darauf gesetzt, so erhielt man nach der Trennung dasselbe
+Ergebnis, wie beim ersten Versuch[50].
+
+[Illustration: Abb. 6. *Coulombs* Versuch über die Verteilung der
+Elektrizität.]
+
+Die beiden Grundgesetze über die Verteilung der Elektrizität sprach
+*Coulomb* in folgender Fassung aus: 1. Die Elektrizität verbreitet
+sich in allen leitenden Körpern gemäß ihrer Gestalt, ohne daß sie eine
+auswählende Anziehung für einen Körper gegenüber einem anderen zu haben
+scheint. 2. In einem elektrisierten leitenden Körper verbreitet sich
+die Elektrizität auf der Oberfläche des Körpers, dringt aber nicht in
+das Innere ein.
+
+Sowohl *Coulomb* wie auch *Cavendish* erkannten, daß die Eigenschaft
+der Elektrizität, sich auf der Oberfläche der leitenden Körper
+auszubreiten und nicht in das Innere dieser Körper einzudringen, eine
+Folge des Gesetzes von der Abstoßung nach dem umgekehrten Quadrat der
+Entfernung sei.
+
+Mit *Coulomb* findet die erste Periode in der Entwicklung der
+Elektrizitätslehre ihren Abschluß. Seine Arbeiten galten der
+Elektrostatik und brachten dieses Gebiet zu hoher Vollendung. Auf das
+die Wirkung der elektrischen Kräfte vermittelnde Dielektrikum nahm
+*Coulomb* noch keine Rücksicht. Das geschah erst in der neuesten, durch
+*Faraday* eröffneten Periode der Elektrizitätslehre. Für *Coulomb*
+waren die elektrische Anziehung und Abstoßung wie die *Newton*sche
+Gravitation Fernkräfte, die momentan durch den leeren Raum hindurch
+wirken. Dieser Umstand tut indessen dem Wert der *Coulomb*schen
+Arbeiten keinen Abbruch, da sie nur den Anspruch erheben, mustergültige
+Messungen unter Ausschluß jeder Spekulation zu sein. Als solche
+bildeten sie die Grundlage, auf welche die nachfolgende Generation die
+mathematische Theorie der elektrischen und magnetischen Erscheinungen
+aufzubauen vermochte, eine Aufgabe, die mit Hilfe der höheren Analysis,
+insbesondere der Potentialtheorie, in den ersten Jahrzehnten des 19.
+Jahrhunderts gelöst wurde[51].
+
+
+
+
+3. Praktische und theoretische Fortschritte auf dem Gebiete der
+Wärmelehre.
+
+
+Während der Hauptanreiz zum Studium der elektrischen Phänomene in dem
+Wunderbaren und Außergewöhnlichen lag, das sich in ihnen offenbart,
+wandte man sich den Erscheinungen der Wärme mit wachsendem Interesse
+zu, seitdem man die bewegende Kraft des Dampfes kennen und verwerten
+gelernt hatte. Durch die Versuche *Herons von Alexandrien* war schon
+das Altertum mit den Äußerungen dieser Kraft bekannt geworden. Dazu
+waren seit Beginn der neueren Zeit die Bemühungen *Portas* und anderer
+gekommen. Der grundlegende Versuch, der zur Erfindung der Dampfmaschine
+führte, von welcher doch erst die Rede sein konnte, sobald die unter
+dem Namen der einfachen Maschinen bekannten Mechanismen durch den
+Dampf in Bewegung gesetzt wurden, rührt von *Papin* her. Es ist dies
+ein Versuch, der noch heute im elementaren Physikunterricht angestellt
+wird. *Papin* verdampfte Wasser in einem zylindrischen Gefäß, in dem
+sich ein luftdicht schließender, beweglicher Kolben befand (siehe
+Abbildung 7). Dieser Kolben wurde beim Erhitzen durch den Dampf
+emporgehoben, bei einer darauf folgenden Abkühlung aber infolge des
+Luftdruckes wieder abwärts bewegt. Die Lösung, welche *Papin* gab,
+war indes mehr eine theoretische als eine praktisch verwertbare. Die
+von *Papin* ersonnene Vorrichtung wird uns durch seine in Abb. 7
+wiedergegebene Zeichnung erläutert.
+
+*Papin* veröffentlichte[52] seine Erfindung unter dem Titel: »Neues
+Verfahren, bedeutende bewegende Kräfte zu billigen Preisen zu
+erhalten«. Der erhoffte Erfolg trat erst ein, als der englische
+Mechaniker *Newcomen* auf Veranlassung der Royal Society sich mit
+dem *Papin*schen Entwurf beschäftigte. Die wesentlichste Verbesserung,
+die *Newcomen* an der atmosphärischen Maschine anbrachte, bestand in
+der Verbindung der Kolbenstange mit einem Balancier. *Papins* Bemühen
+war darauf gerichtet gewesen, die geradlinige Bewegung des Kolbens in
+eine kreisförmige umzusetzen, um auf diese Weise ein von ihm erbautes
+Räderboot zu treiben[53].
+
+[Illustration: Abb. 7. *Papins* erste Dampfmaschine.
+
+AA ist der eiserne Zylinder, BB der Kolben, DD die Kolbenstange, II
+der Deckel des Zylinders. Der um F drehbare Hebel EE wurde durch
+die Kolbenstange in Bewegung gesetzt. Eine Feder G drückt den Hebel
+fortwährend in eine Nut der Kolbenstange. Der Kolben besaß eine
+Durchbohrung, um beim erstmaligen Herabdrücken die im Zylinder
+befindliche Luft entweichen zu lassen. MM ist eine Stange, welche die
+erwähnte Durchbohrung nach dem Herabdrücken des Kolbens verschloß. Beim
+Erhitzen drückte der Dampf den Kolben nach oben, beim Abkühlen wirkte
+nur der Luftdruck. Die Maschine war also eine atmosphärische.]
+
+Technische Erfindungen von epochemachender Bedeutung lassen sich meist
+auf ein zwingendes Bedürfnis zurückführen. Ein solches war es auch, das
+eine brauchbare Dampfmaschine gerade zur rechten Zeit und an rechter
+Stelle ins Leben treten ließ. In England war man schon im Mittelalter
+auf die Schätze aufmerksam geworden, den der Boden in den mineralischen
+Brennstoffen enthält. In dem Maße, in welchem das Land den Schmuck
+seiner Wälder einbüßte, nahm der Abbau der Steinkohle an Umfang zu.
+Man mußte die vorhandenen Flöze bis in immer größere Tiefen verfolgen
+und befand sich schließlich der Unmöglichkeit gegenüber, durch Tier-
+und Menschenkraft die Wasserhaltung in den Gruben zu bewerkstelligen.
+Diesem Zwecke wurde nun im 18. Jahrhundert der Dampf dienstbar gemacht.
+Nach vielen mühsamen Versuchen gelang es *Newcomen*, im Jahre 1712 eine
+nach *Papins* Idee gebaute Maschine in Gang zu setzen. Sie machte zwar
+nur zehn Hube in der Minute, förderte aber schon eine Wassermenge,
+zu deren Bewältigung vorher 50 Pferde und die sechsfachen Kosten
+erforderlich waren. Bei der Maschine *Newcomens* (siehe Abbildung
+8) fiel wie bei derjenigen *Papins* dem Dampf nur die Aufgabe zu,
+den Kolben t emporzuheben und durch Vermittlung des Balanciers das
+Pumpengestänge hinabzulassen. Die weit größere bewegende Kraft, die zum
+Heben des Wassers erforderlich ist, rührte nicht vom Druck des Dampfes,
+sondern von dem nach seiner Verdichtung auf den Kolben wirkenden
+Luftdruck her. War nämlich der Kolben gehoben und das Ventil bei d
+geschlossen, so wurde der Dampf dadurch verdichtet, daß man Kühlwasser
+auf den Kolben goß.
+
+[Illustration: Abb. 8. *Newcomens* Dampfmaschine.]
+
+Alsbald zeigte es sich, daß Maschinen mit geringen Undichtigkeiten,
+bei denen das Kühlwasser unter den Kolben trat und dadurch mit dem
+Dampf in unmittelbare Berührung kam, weit schneller arbeiteten. Diese
+Beobachtung führte dazu, daß man das Wasser absichtlich in den mit
+Dampf gefüllten Raum einspritzte, ein Geschäft, das zunächst einen
+besonderen Wärter erforderte. Später kam man auf den Gedanken, die
+Hähne mit dem Balancier zu verbinden, durch dessen Spiel sie fortan
+geöffnet und geschlossen wurden[54].
+
+In der ihr von *Newcomen* gegebenen Gestalt leistete die Dampfmaschine
+den Kohlengruben Englands bis über die Mitte des 18. Jahrhunderts
+wichtige Dienste, ohne die Aufmerksamkeit der Physiker sonderlich zu
+erregen. Da erhielt ein junger Mechaniker namens *James Watt*[55],
+den die Universität Glasgow mit der Instandhaltung ihrer Apparate
+betraut hatte, den Auftrag, das Modell der *Newcomen*schen Maschine
+auszubessern. Der kleine Apparat fesselte *Watt* in solchem Grade, daß
+er sein Leben der Vervollkommnung der Dampfmaschine widmete. Als den
+größten Mangel erkannte er den Umstand, daß die Wände des Cylinders
+durch das eingeführte Wasser immer wieder abgekühlt wurden und nach
+jedem Hube durch den einströmenden Dampf von neuem erwärmt werden
+mußten. Diesen Übelstand beseitigte *Watt* dadurch, daß er den Dampf
+außerhalb des Zylinders in einem besonderen Kondensator verdichtete,
+so daß der Zylinder, der außerdem mit schlechten Wärmeleitern
+umgeben wurde, die Temperatur des Dampfes beibehielt. Durch diese
+Verbesserungen, die *Watt* im Jahre 1765 anbrachte, wurde eine
+beträchtliche Ersparnis an Brennmaterial erzielt. Einige Jahre später
+erfolgte die grundsätzliche Änderung der Maschine[56], indem *Watt*
+hochgespannten Dampf abwechselnd von beiden Seiten auf den Kolben
+wirken und so aus der atmosphärischen die eigentliche Dampfmaschine
+entstehen ließ. Weitere Verbesserungen betrafen die Anwendung von
+Öl und Wachs als Mittel zum Abdichten der Maschinenteile, sowie die
+Regelung des Ganges vermittelst des Zentrifugalpendels. Ein weites
+Feld für neue Anwendungen eröffnete sich, nachdem es *Watt* gelungen
+war, die geradlinige Bewegung der Kolbenstange in eine drehende
+umzusetzen. Nun erst konnte an eine Übertragung der Kraft auf größere
+Entfernungen, sowie an eine Fortbewegung von Schiffen und Wagen
+vermittelst der Dampfmaschine gedacht werden. Letztere wurde bald eins
+der wichtigsten Mittel zur Belebung des Gewerbfleißes und damit zur
+Förderung der gesamten Kultur.
+
+Noch bevor *James Watt* am 19. August des Jahres 1819 starb, hatte
+*Fultons* Dampfschiff die Fluten des Hudson durchfurcht[57] und
+*Stephenson* seine erste Lokomotive laufen lassen. Letzteres geschah
+am 25. Juli 1814. Diese Lokomotive lief auf einer Kohlenbahn und
+zog 8 Wagen von 30000 kg Gewicht bei einer Steigung von 1 : 450. Die
+Geschwindigkeit betrug 6,4 km in der Stunde[58]. Schon 6 Jahre früher
+hatte ein anderer Engländer seinen Landsleuten eine kleine Lokomotive
+vorgeführt, die bei einem Dampfdruck von nahezu 3 Atmosphären 24
+km in der Stunde zurücklegte und den Namen »Catch me, who can!«
+erhielt[59]. Trotzdem wurde erst im Jahre 1830 die erste, dem Verkehr
+dienende Eisenbahnlinie Liverpool-Manchester von *Stephenson*
+fertiggestellt.
+
+Der Aufschwung, den Gewerbe, Handel und Verkehr durch Männer erfuhren,
+die gleich *Watt* und *Stephenson* eine auf den Grundlagen der Physik
+beruhende Technik schufen, kam mittelbar in stetig wachsendem Maße
+der Wissenschaft wieder zugute. So ließ es sich beispielsweise schon
+*Watt* angelegen sein, das vor ihm nicht bekannte Volumverhältnis
+des Wassers im flüssigen und im dampfförmigen Zustande zu ermitteln.
+Mußte es ihm doch darauf ankommen zu wissen, wie oft sein Zylinder
+durch das Verdampfen einer bestimmten Wassermenge mit gespanntem Dampf
+gefüllt werden konnte. *Watt* ermittelte, daß sich das Wasser bei der
+Umwandlung in Dampf etwa auf das 1700fache seines Volumens ausdehnt.
+Eine Untersuchung über die Verdichtung des Dampfes ließ *Watt* schon
+erkennen, daß die Kondensationswärme des Wasserdampfes sich auf 534
+Wärmeeinheiten beläuft. *Watt* bediente sich nur niedriger Spannungen.
+Er gelangte indessen schon dazu, die Expansion des Dampfes zu
+verwerten. Um die Expansion verfolgen und dadurch ein Urteil über die
+Arbeitsleistung des Dampfes gewinnen zu können, konstruierte *Watt* den
+heute noch bei der Aufnahme von Diagrammen üblichen Federindikator.
+
+Dem Andenken *Watts* wurde in der Westminsterabtei ein Denkmal mit
+folgender Inschrift errichtet:
+
+ Nicht um einen Namen zu verewigen,
+ Der dauern wird, so lange die Künste des Friedens blühen,
+ Sondern, um zu zeigen,
+ Daß die Menschheit denjenigen Ehre zollt,
+ Denen sie Dank schuldet,
+ Haben der König, seine Diener, sowie zahlreiche Edle
+ Und Bürger des Königreichs
+ *James Watt* dieses Denkmal errichtet.
+ Seinem Genie gelang es,
+ Auf dem Wege des Versuches
+ Die Dampfmaschine zu verbessern.
+ Er hob dadurch den Reichtum seines Vaterlandes,
+ Vergrößerte die Macht der Menschen
+ Und stieg zu hohem Range
+ Unter den großen Förderern der Wissenschaft,
+ Den wahren Wohltätern der Menschheit.
+
+Gleich der Dampfmaschine empfing im Laufe des 18. Jahrhunderts ein
+zweites, aus dem Studium der Wärmeerscheinungen hervorgegangenes
+Werkzeug seine endgültige Gestalt. Es war das Thermometer. Wir
+haben die Verdienste *Galileis* und der Accademia del Cimento um
+die Erfindung dieses Instrumentes kennen gelernt[60]. Von seiner
+Vervollkommnung hingen die Fortschritte auf dem Gebiete der Wärmelehre
+in erster Linie ab. Ja, das Streben nach einer solchen Vervollkommnung
+allein hat eine ganze Anzahl von wichtigen Entdeckungen zur Folge
+gehabt. Die Mitglieder der Accademia del Cimento hatten sich bei
+ihren Untersuchungen zwar schon wirklicher, auf der Ausdehnung von
+Weingeist beruhender Thermometer, indes noch einer willkürlichen Skala
+bedient. Durch ein Mitglied der Accademia del Cimento[61] erfolgte
+1694 der Vorschlag, den Gefrier- und den Siedepunkt des Wassers als
+Fixpunkte zu benutzen. Daß diese Temperaturpunkte konstant sind,
+erkannten gegen das Ende des 17. Jahrhunderts mehrere Forscher. So
+machte *Halley* 1693 auf die Beständigkeit des Siedepunktes aufmerksam.
+Noch früher war die Konstanz des Schmelzpunktes den Mitgliedern der
+Accademia aufgefallen. Trotzdem kamen die Florentiner Physiker nicht
+auf den Gedanken, diese Punkte zur Einrichtung einer Thermometerskala
+zu verwenden. Und ebensowenig dachten *Halley* und *Hooke*, die sich in
+England eingehend mit Thermometrie beschäftigten, an eine Verwendung
+der erwähnten Fixpunkte.
+
+Es handelte sich zunächst darum, den Gang der Ausdehnung von Weingeist,
+Wasser, Quecksilber und anderen Flüssigkeiten näher zu untersuchen,
+eine Aufgabe, mit der sich vor allem *Halley*[62] befaßt hat. Als
+Ausdehnungskoeffizienten des Quecksilbers für eine Temperaturerhöhung
+vom Schmelzpunkt bis zum Siedepunkt des Wassers fand *Halley* 1/74.
+Diese Ausdehnung hielt er für so gering, daß er Bedenken trug, das
+Quecksilber als Thermometerflüssigkeit in Vorschlag zu bringen.
+Andererseits machte er darauf aufmerksam, daß die Ausdehnung des
+Quecksilbers die Angaben des Barometers beeinflussen müsse, ohne daß
+er indessen die Notwendigkeit einer Wärmekorrektur dieses Instrumentes
+schon hervorgehoben hätte.
+
+Als oberen Fixpunkt brachte *Halley* die Siedetemperatur des Alkohols
+in Vorschlag, als unteren empfahl er die Temperatur tiefer Keller,
+weil er diese Temperatur für leichter bestimmbar hielt als diejenige
+schmelzender Flüssigkeiten.
+
+Die Aufgabe, wirklich gut vergleichbare, für den wissenschaftlichen
+Gebrauch geeignete Thermometer zu schaffen, hat kein gelehrter
+Physiker, sondern ein Mann von praktischem Blick und Geschick, der
+Deutsche *Fahrenheit*, gelöst.
+
+*Fahrenheit* wurde 1686 in Danzig geboren. Er kam als Kaufmann
+nach Holland, wo die Kunst, Glasapparate für den praktischen und
+wissenschaftlichen Gebrauch zu verfertigen, seit Alters in Blüte stand.
+*Fahrenheit* widmete sich dieser Kunst. Er starb in Amsterdam im Jahre
+1736.
+
+*Fahrenheits* Aufgabe, die er mit allen ihm zu Gebote stehenden
+wissenschaftlichen Mitteln, aber im geschäftlichen Interesse verfolgte,
+betraf die Verfertigung brauchbarer Thermometer. Seine ersten
+Thermometer waren mit Weingeist gefüllt und schon vor 1710 in vielen
+nördlichen Städten Europas in Gebrauch. Es wird berichtet[63], daß der
+Philosoph *Christian Wolf* in Halle sich über den übereinstimmenden
+Gang zweier Thermometer, die er von *Fahrenheit* erhalten hatte, nicht
+genug wundern konnte.
+
+*Fahrenheit* hatte gelesen, daß die Höhe der Quecksilbersäule im
+Barometer von der Temperatur abhängig sei. Dies brachte ihn um 1720 auf
+den Gedanken, das Quecksilber als Thermometerflüssigkeit anzuwenden.
+Seiner Skala legte er drei Punkte zugrunde:
+
+1. Den Punkt »strengster Kälte, wie man ihn durch Mischung von Wasser,
+Eis und Salmiak erhält«. Er bezeichnete diesen Punkt mit Null und hielt
+ihn für den absoluten Wärmenullpunkt.
+
+2. Den Schmelzpunkt des Eises, den er mit 32 bezeichnete.
+
+3. Die Temperatur im Innern des Mundes oder die Blutwärme, auf deren
+Beständigkeit schon die Florentiner aufmerksam geworden waren[64].
+*Fahrenheit* bezeichnete diesen Wärmegrad mit 96.
+
+Wahrscheinlich hat er außerdem bei der Regelung der Skala den
+Siedepunkt des Wassers verwertet[65], diesen Umstand indessen, und
+zwar wohl aus geschäftlichen Rücksichten, verschwiegen. *Fahrenheit*
+bestimmte auch die Siedepunkte verschiedener Flüssigkeiten. Er
+veröffentlichte über diesen Gegenstand im Jahre 1724 eine Tafel, aus
+der folgende Werte mitgeteilt seien:
+
+ Alkohol 176
+ Reines Wasser 212
+ Schwefelsäure 546.
+
+Für die untersuchten Flüssigkeiten wurden die spezifischen Gewichte
+genau ermittelt, damit die erhaltenen Angaben mit späteren
+Untersuchungen vergleichbar seien[66]. Daß für reines Wasser der
+Siedepunkt nach dieser Skala 212 und daß der Fundamentalabstand 180
+Grade beträgt, war nicht, wie man oft meint, eine ursprüngliche
+Festsetzung, sondern diese Zahlen folgen erst aus den angenommenen
+Fixpunkten 0, 32, 96.
+
+Die Angabe, daß der Siedepunkt des Wassers 212 Grad betrage, wird von
+*Fahrenheit* in einer Abhandlung, die gleichfalls aus dem Jahre 1724
+stammt, durch eine wichtige Entdeckung eingeschränkt. *Fahrenheit*
+teilt darin[67] nämlich mit, er habe erkannt, daß jener Punkt »bei
+derselben Schwere der Atmosphäre fest sei, daß er sich aber bei
+veränderter Schwere der Atmosphäre in verschiedenem Sinne ändere«.
+Auch die unter dem Namen der Überkaltung bekannte Erscheinung, daß in
+völliger Ruhe befindliches Wasser erheblich unter den Gefrierpunkt
+abgekühlt werden kann, ohne zu erstarren, entdeckte *Fahrenheit*
+gelegentlich seiner thermometrischen Untersuchungen[68]. Er war, wie
+er erzählt, begierig zu erforschen, welches die Wirkung der Kälte sein
+werde, wenn man das Wasser in ein evakuiertes Gefäß bringe. Zu diesem
+Zwecke wurde eine Glaskugel zur Hälfte mit reinem Wasser gefüllt,
+luftleer gemacht und eine Nacht einer Temperatur von etwa -10° C
+ausgesetzt. Am folgenden Morgen bemerkte *Fahrenheit*, daß das Wasser
+noch immer flüssig war. Er schrieb dieses unvorhergesehene Verhalten
+zunächst der Abwesenheit der Luft zu. In dieser irrigen Annahme wurde
+er noch bestärkt, als er zu seinem Erstaunen beim Öffnen des Gefäßes
+sah, daß sich die ganze Wassermasse, unter Erhöhung der Temperatur bis
+zum Gefrierpunkt, mit Eisnadeln durchsetzte.
+
+Voll Eifer setzte *Fahrenheit* die Untersuchung dieser wunderbaren
+Erscheinung fort. Zunächst stellte er sich die Frage, ob das Gefrieren
+auch im Vakuum zustande kommen könne. Der Versuch wurde wiederholt und
+das überkaltete Wasser geschüttelt, ohne daß der Luft vorher Zutritt
+gegeben war. Bei heftiger Erschütterung wurde auch jetzt die ganze
+Wassermasse fast in demselben Augenblick von Eislamellen durchsetzt[69].
+
+Die Herstellung von Thermometern mit vergleichbaren Skalen hat auch den
+Franzosen *Réaumur* beschäftigt. Die Ergebnisse seiner umfangreichen
+Abhandlung sind indessen nur gering gewesen[70]. *Réaumur* wollte
+die Grade des Thermometers durch die relative Volumveränderung
+bestimmen, welche der Weingeist bei Temperaturschwankungen erfährt.
+Selbstverständlich mußte man, um vergleichbare Resultate zu erhalten,
+Weingeist von ganz bestimmter Konzentration nehmen. *Réaumur* schlug
+vor, für sämtliche nach seinem Verfahren hergestellte Thermometer einen
+Weingeist zu wählen, dessen Volumen »beim Gefrieren des Wassers 1000
+und, durch siedendes Wasser ausgedehnt, 1080 Raumteile beträgt«[71].
+Von diesem Vorschlage rührt die bekannte Zahl 80 der *Réaumur*schen
+Skala her.
+
+Gelegentlich seiner thermometrischen Untersuchungen machte *Réaumur*
+die wichtige Entdeckung, daß das Volumen eines Flüssigkeitsgemisches
+kleiner sein kann als die Summe der Teilvolumina[72]. *Réaumur* machte
+diese Entdeckung, als er Weingeist von bestimmter Konzentration
+herstellen wollte, der zur Füllung seiner Thermometer bestimmt war. Als
+er 50 Maß Wasser mit 50 Maß reinem Weingeist mischte, erhielt er statt
+100 nur 98 Maß verdünnten Weingeist. Die Raumverminderung betrug somit
+1/50.
+
+*Réaumur* dehnte diese Untersuchung auf die verschiedenartigsten
+Flüssigkeiten aus. Beim Mischen von Leinöl und Terpentinöl trat keine
+Raumverminderung ein; auch Milch und Wasser mischten sich ohne eine
+solche. Dagegen war die Raumverminderung beim Zusammenbringen von
+Wasser und Schwefelsäure »vielleicht die größte, welche sich erzielen
+läßt«. Es verbanden sich nämlich 40 Maß Wasser mit 10 Maß Schwefelsäure
+zu 48 Maß der Mischung. Die Volumabnahme betrug somit 1/25.
+
+Auch auf die mit der Volumabnahme Hand in Hand gehende Wärmeentwicklung
+richtete *Réaumur* seine Aufmerksamkeit. Die Erscheinung selbst
+versuchte er aus der molekularen Zusammensetzung zu erklären. Er nahm
+nämlich an, daß zwischen den Molekülen noch Lücken vorhanden seien,
+welche die Moleküle einer zweiten Substanz auszufüllen vermöchten.
+Folgender Vergleich soll diesen Vorgang begreiflich machen: »Mischt
+man«, sagt *Réaumur*, »ein Maß Bleikugeln und ein gleich großes Maß
+sehr kleiner Bleikörner, so werden diese nicht zwei Maß geben. Die
+kleinen Körner werden nämlich die Räume einnehmen, die zwischen den
+großen Kugeln leer blieben, und je kleiner die kleinen Kugeln im
+Verhältnis zu den großen sind, um so weniger wird die Mischung an
+Volumen zunehmen.«
+
+Dasjenige Thermometer, das heute in der Wissenschaft allein Geltung
+besitzt und auch im Leben die übrigen immer mehr verdrängt, rührt von
+*Celsius* her. Es beruht auf der scharfen Erfassung der Fixpunkte
+und der Einteilung des gewonnenen Fundamentalabstandes in 100 Grade.
+*Celsius* setzte den Zylinder seines Thermometers in klebrigen Schnee
+und vermerkte genau den Stand des Quecksilbers. Dann beobachtete
+er, welchen Stand das Quecksilber in siedendem Wasser bei einer
+Barometerhöhe von 25 Zoll und 3 Linien annimmt. Den Abstand teilte er
+in hundert gleiche Teile, und diese Teilung wurde über die Fixpunkte
+hinaus fortgesetzt[73]. Die Bezeichnung des Gefrierpunktes mit 0° und
+des Siedepunktes mit 100° rührt wahrscheinlich von *Linné* her, der in
+den Warmhäusern des botanischen Gartens in Upsala das *Celsius*sche
+Thermometer benutzte[74].
+
+Während *Réaumur* dem Weingeist als Thermometerflüssigkeit den
+Vorzug gab und die Temperaturgrade der Volumzunahme seiner
+Thermometerflüssigkeit proportional setzte, bediente sich *Celsius*,
+wie auch *Fahrenheit* bei seinen späteren Versuchen, des Quecksilbers,
+das höhere Temperaturen zu messen gestattet. *Celsius* hatte auch
+beobachtet, daß der Siedepunkt des Wassers nur dann derselbe bleibt,
+wenn sich der Barometerstand nicht ändert. Bei der Anfertigung
+seiner Thermometer verfuhr er folgendermaßen: Er setzte die Kugel
+des Thermometers in schmelzenden Schnee und merkte den Stand des
+Quecksilbers an. Um den zweiten Fundamentalpunkt zu bestimmen, tauchte
+er die Kugel in siedendes Wasser, während die Barometerhöhe ihren
+mittleren Wert besaß. Die erhaltene Strecke wurde in hundert gleiche
+Teile oder Grade geteilt. Diese Gradeinteilung wurde dann von beiden
+Fundamentalpunkten aus nach oben und nach unten fortgesetzt[75].
+Auch das Luftthermometer und das Pyrometer sind Erfindungen jenes
+Zeitraumes, so daß die Methoden der Messung des Wärmezustandes zu einem
+gewissen Abschluß gebracht wurden.
+
+Auf den Änderungen des Volumens, welche die Luft infolge von
+Temperaturschwankungen erfährt, beruhte bekanntlich schon der Apparat,
+dessen sich *Galilei* zum Messen der Wärme bediente. Brauchbar war
+dieses Verfahren indessen erst, als es gelang, die Einwirkung der
+Luftdruckschwankungen entweder auszuschließen oder zu berücksichtigen.
+Um die Verwirklichung dieses Problems haben sich besonders der Franzose
+*Amontons* (1663-1705), der Deutsche *Lambert* (1728-1777) und später
+*Regnault* und *Magnus* Verdienste erworben.
+
+*Amontons*' Luftthermometer besteht aus einer Kugel von etwa 8
+cm Durchmesser. Diese Kugel ist zum Teil mit Luft, zum Teil mit
+Quecksilber gefüllt und mit einer etwa einen Meter langen, engen
+Röhre verbunden. Die Durchmesser der Kugel und der Röhre sind so
+gewählt (etwa 1 : 60), daß eine geringe Volumvergrößerung der Luft
+ein bedeutendes Ansteigen der Quecksilbersäule in der engeren Röhre
+bewirkt. Die Temperatur wird also bei einem solchen Instrument nicht
+durch die Vergrößerung des Volumens, das ja im wesentlichen dasselbe
+bleibt, sondern durch die Änderung der Spannkraft der eingeschlossenen
+Luft gemessen. *Amontons* berücksichtigte bei seinen Messungen noch
+den Barometerstand. Ferner mußte er, da er die Spannkraft der Luft
+als Maß der Temperatur benutzte, schon auf den Gedanken kommen, den
+niedrigsten Wärmegrad in dem Zustande der Luft zu erblicken, in welchem
+ihre Spannkraft Null ist[76]. Zählt man von diesem absoluten Nullpunkt
+an, so verhält sich, wie *Amontons* mit hinlänglicher Genauigkeit
+berechnet, die größte Kälte zur größten Hitze in Paris wie 5 : 6.
+
+[Illustration: Abb. 9. *Amontons*' Luftthermometer.]
+
+Auch *Lambert* verwertete die Spannung der Luft zur Ermittlung der
+Temperaturen. Er wählte für sein Luftthermometer den Schmelzpunkt
+und den Siedepunkt des Wassers als Fundamentalpunkte. Setzte er dann
+für den Schmelzpunkt die Spannung der Luft gleich 1000, so ergab
+sich für den Siedepunkt in guter Übereinstimmung mit den späteren
+Bestimmungen von *Gay-Lussac* die Spannung gleich 1375, woraus als
+Ausdehnungskoeffizient 0,375 folgen würde[77].
+
+Aus dem Bemühen, höhere Temperaturen zu messen, als es die gewöhnlichen
+Thermometer gestatten, erwuchs das Pyrometer und die Pyrometrie.
+*Musschenbroek* suchte für diesen Zweck schon 1725 die Ausdehnung der
+Metalle zu verwerten. Ein Metallstab wurde auf ein Gestell gelegt.
+Das eine Ende des Stabes war mit dem Gestell verbunden, während sich
+das andere Ende gegen eine Zahnstange legte. Beim Erwärmen wurde die
+Zahnstange infolge der Ausdehnung des Metallstabes verschoben. Die
+Zahnstange wirkte auf ein Zahnrad. An diesem war ein Zeiger befestigt,
+welcher das Maß der Ausdehnung, beziehungsweise den Wärmegrad,
+abzulesen gestattete[78]. Das von *Wedgwood* im Jahre 1782 empfohlene
+Pyrometer gründete sich auf dem Vermögen des Tons, in der Hitze zu
+schwinden, ohne sich beim späteren Erkalten wieder auszudehnen[79].
+Besondere Verdienste auf diesem Gebiete erwarb sich der schon genannte
+*Lambert* durch eine 1779 erschienene Schrift, welche er »Pyrometrie
+oder vom Maß des Feuers und der Wärme« betitelte. *Lambert* bediente
+sich für seine Messungen, wie erwähnt, des Luftthermometers. Dehnte
+sich die Luft um 1/1000 desjenigen Volumens aus, das sie bei der
+Temperatur des schmelzenden Schnees einnimmt, so entsprach dies
+einem Grade seines Instruments. Der Siedetemperatur des Wassers
+entsprachen somit 375 Grade, da sich die Luft beim Erwärmen von der
+Gefriertemperatur bis zur Siedetemperatur nach *Lamberts* Ermittlung
+von 1000 auf 1375, also um 375/1000 ihres Volumens ausdehnt.
+
+[Illustration: Abb. 10. *Saussures* Haarhygrometer.]
+
+Daß mit dem Wärmezustand der Luft ihr Vermögen, Feuchtigkeit
+aufzunehmen, Änderungen unterworfen ist, wurde gleichfalls in diesem
+Zeitraum und zwar insbesondere durch *Lambert* und durch *Saussure*
+festgestellt. Dem Gedanken, die Luftfeuchtigkeit zu bestimmen, sind wir
+schon bei *Nikolaus von Cusa* und *Lionardo da Vinci*[80] begegnet.
+Beide bemerkten, daß trockene Wolle die Feuchtigkeit aus der Luft
+anzieht. Später benutzte man als hygroskopische Substanz Schwefelsäure,
+die in einem Gefäß auf einer Wage tariert war (*Gould* 1683)[81].
+*Lambert* wandte (1772) eine Darmsaite an; sie wurde an ihrem oberen
+Ende befestigt und am unteren mit einem über einer Teilung spielenden
+Zeiger verbunden. Zu einem erfolgreichen Abschluß kamen die Bemühungen,
+die Luftfeuchtigkeit mit Hilfe hygroskopischer Substanzen zu messen,
+erst durch die Erfindung des *Saussure*schen Haarhygrometers.
+
+*Horace Bénédicte de Saussure*, berühmt durch seine geologische
+Durchforschung der Alpen und seine Besteigungen des Mont-Blanc und
+des Monte Rosa, bemerkte, daß ein Haar sich verlängert, wenn es
+feucht wird, und sich verkürzt, wenn es austrocknet. Entfettete man
+das Haar, so betrug die Längenänderung das Vier- bis Fünffache der
+an dem rohen Haar beobachteten. Diese Entdeckung führte *Saussure*
+auf die Konstruktion eines Apparates, der nebenstehend abgebildet
+ist (Abb. 10). Die Einrichtung ist die folgende. Das untere Ende des
+Haares *ab* wird von dem Schraubenkloben b gehalten. Das andere Ende
+des Haares wird von dem Kloben a gehalten. Der obere Kloben steht
+mit einer horizontalen Welle d in Verbindung. Sie trägt den Zeiger
+und ein Gegengewicht g. Dies Gegengewicht ist etwas schwerer als der
+Kloben a, damit das Haar eine geringe Spannung erhält. Ferner ist das
+Gegengewicht an einem seidenen Faden befestigt, der sich um die Welle
+schlingt und sie in Drehung versetzt.
+
+Die Graduierung des Instruments erfolgte, indem *Saussure* zunächst
+den Punkt der größten Feuchtigkeit bestimmte. Zu diesem Zwecke wurde
+der Apparat unter eine Glocke gebracht, die auf einem mit Wasser
+bedeckten Teller stand, so daß die Luft unter der Glocke sich mit
+Feuchtigkeit sättigen mußte. Um den Punkt der äußersten Trockenheit zu
+bestimmen, brachte er unter den Rezipienten geschmolzenes, stark Wasser
+anziehendes Alkali. Nach einiger Zeit kam der Zeiger auf einen festen,
+der völlig trockenen Luft entsprechenden Stand. Der Raum zwischen den
+beiden so erhaltenen Fixpunkten wurde in 100 gleiche Teile eingeteilt.
+
+*Saussures* Hygrometer hat sich bis auf den heutigen Tag als eins der
+wichtigsten meteorologischen Instrumente erhalten. Es wurde samt einer
+Theorie der Hygrometrie von dem Erfinder im Jahre 1783 bekannt gegeben.
+*Saussures* Werk über die Hygrometrie, das *Cuvier* zu den besten
+zählte, um das die Wissenschaft im 18. Jahrhundert bereichert worden
+sei, erschien vor kurzem in deutscher Übersetzung[82].
+
+Der Wärme selbst schrieben die meisten Forscher im 18. Jahrhundert
+gleich dem Lichte stoffliche Natur zu, eine Auffassung, welche durch
+die Untersuchungen von *Black*[83] und *Wilke*[84] eine Stütze zu
+erhalten schien. Diese Forscher hatten nämlich entdeckt, daß beim
+Schmelzen des Eises eine bestimmte Menge Wärme für das Gefühl verloren
+geht, die sich scheinbar mit dem Eise bei seinem Übergang in Wasser
+verbindet. So gelangte man dazu, von gebundener (latenter) und freier
+Wärme zu reden, Namen, die zur Erhaltung der irrtümlichen Vorstellung
+von der Natur der Wärme jedenfalls mitgewirkt haben und dem Emporkommen
+neuer richtiger Anschauungen hinderlich gewesen sind. Doch trat neben
+den Mathematikern Daniel *Bernoulli I* und *Euler* besonders der
+Chemiker *Lomonossow*[85] schon um die Mitte des 18. Jahrhunderts
+dafür ein, daß die Wärme eine innere Bewegung des Stoffes sei. Wegen
+der geringen Größe der die Körper zusammensetzenden Korpuskeln könne
+man jene innere Bewegung zwar nicht sehen, sie verrate sich aber durch
+zahlreiche Erscheinungen. *Lomonossow* nahm an, daß die Wärme in einer
+kreisenden Bewegung der Korpuskeln oder Teilchen bestehe. Der tiefste
+mögliche Wärmegrad ist ihm ein absolutes Aufhören jener Bewegung.
+Einen höchsten Wärmegrad könne man sich nicht vorstellen, da es für
+die Geschwindigkeit der Bewegung keine Grenze gebe. So in richtiger
+Vorahnung der späteren Entwicklung *Lomonossow*[86]. Die ersten
+Beobachtungen über die Schmelzwärme wurden gleichfalls um die Mitte des
+18. Jahrhunderts gemacht. Ein französischer Forscher[87] ließ Wasser
+in einem Gefäß gefrieren, in das er zuvor ein Thermometer gestellt
+hatte. Wurde das Gefäß erwärmt, so stieg die Temperatur, bis das Eis
+zu schmelzen begann. Von diesem Augenblicke an blieb das Thermometer
+auf dem Schmelzpunkt stehen, so lange schmelzendes Eis in dem Gefäße
+vorhanden war. Die während dieses Zeitraums zugeführte Wärme wurde
+sozusagen verschluckt, gebunden oder latent.
+
+Ähnliche Ergebnisse erhielt man beim Mischen von Eis mit Wasser. Man
+war zunächst von der Voraussetzung ausgegangen, daß beim Mischen
+von Stoffen die Temperaturen sich unter Berücksichtigung der
+Flüssigkeitsmengen einfach ausgleichen müßten. Danach würde es sich in
+solchen Fällen also nur um eine leicht zu lösende rechnerische Aufgabe
+gehandelt haben[88]; und es müßten, um den einfachsten Fall zu wählen,
+gleiche Mengen beim Mischen eine mittlere Temperatur annehmen.
+
+Hier setzte *Black* ein, dessen Untersuchungen über die Eisschmelzung
+zu denjenigen gehören, die für das Gebiet der Wärmelehre am meisten
+aufklärend gewirkt haben[89]. Durch seine Untersuchungen über die
+Gewichtszunahme, welche die Metalle bei ihrer Verkalkung erfahren,
+wurde er gleich *Mayow* zum Vorläufer *Lavoisiers*. Er entdeckte,
+unabhängig von *Wilke*, die spezifische Wärme und die latente Wärme des
+Wassers und des Dampfes.
+
+*Blacks* entscheidender Versuch war folgender. Er brachte zu einer
+Eismasse von 32° F eine dem Gewichte nach genau gleiche Wassermasse
+von 172° F. Nach der oben erwähnten Mischungsregel hätte man eine
+Temperatur von 102° F erwarten sollen. Trotzdem behielt die Mischung
+die Temperatur des Eises von 32°. Letzteres war aber völlig in Wasser
+umgewandelt worden.
+
+»Das schmelzende Eis,« bemerkte *Black* zu diesem Versuch, »nimmt sehr
+viel Wärme in sich auf. Aber diese Wärme hat nur die Wirkung, das Eis
+in Wasser zu verwandeln. Und dieses Wasser ist um nichts wärmer, als
+vorher das Eis gewesen.« *Black* wies ferner darauf hin, daß auch beim
+Sieden des Wassers eine bestimmte Wärmemenge verbraucht wird, ohne daß
+die Temperatur sich erhöht. Er war es auch, der auf diese Vorgänge den
+Ausdruck »latente Wärme« anwandte.
+
+Wenn man diesen Fortschritt in der Erfassung der Wärmevorgänge würdigen
+will, muß man erwägen, daß vor *Black* die Verflüssigung einer
+bis zum Schmelzpunkt erwärmten Substanz als die Folge einer sehr
+geringfügigen Wärmezufuhr angesehen wurde. *Black* erkannte auch, daß
+beim Erstarren einer Flüssigkeit die Abgabe einer bestimmten Wärmemenge
+stattfindet. Als Beweis hierfür betrachtete er vor allem das Verhalten
+unterkühlter Flüssigkeiten[90]. *Black* wies darauf hin, daß z. B.
+auf -4° abgekühltes Wasser beim Schütteln plötzlich teilweise fest
+wird, während gleichzeitig die Temperatur der ganzen Masse auf 0°
+steigt. Erst *Black* vermochte dies Verhalten genügend aufzuklären.
+Gleichzeitig gewannen dadurch seine Ansichten aber eine Stütze. Ist
+das Gefrieren des unterkühlten Wassers eingeleitet, so gefriert, wie
+*Black* sehr richtig bemerkt, so viel, daß durch die frei werdende
+Wärme die Temperatur der ganzen Masse bis auf 0° steigt. Ist dieser
+Gleichgewichtszustand erreicht, so hört die Temperatursteigerung auf,
+weil die Bedingung des weiteren Gefrierens nicht mehr vorhanden ist.
+
+Die Vorstellung von der latenten Schmelzwärme dehnte *Black* von
+seinen zunächst am Wasser angestellten Beobachtungen und Versuchen auf
+die bei Lösungen und Kältemischungen auftretenden Wärmeerscheinungen
+aus. Danach nehmen die Bestandteile einer Kältemischung die zu ihrer
+Verflüssigung erforderliche Wärmemenge aus ihrem eigenen Wärmevorrat,
+wodurch ein bedeutendes Sinken der Temperatur innerhalb der Mischung
+veranlaßt wird.
+
+Die Schmelzwärme des Wassers bestimmte *Black* mit ziemlicher
+Genauigkeit und auf verschiedenen Wegen zu 77-78 Wärmeeinheiten (statt
+80). So wurden gleiche Mengen Wasser und Eis von 0° in zwei ganz
+gleichen Gefäßen in einen Raum von 20° gebracht. In der Zeit, in der
+sich das Wasser auf 4° erwärmte, war in dem zweiten Gefäß 1/20 des
+Eises geschmolzen, ohne daß die Temperatur gestiegen wäre. Trotzdem
+waren offenbar beiden Gefäßen die gleichen Wärmemengen zugeführt. In
+dem zweiten Gefäß würde danach völlige Schmelzung eingetreten sein,
+wenn es die zwanzigfache Wärmezufuhr erfahren hätte. Eine solche
+Wärmezufuhr würde, wie der Versuch mit dem ersten Gefäße zeigte, eine
+gleiche Wassermenge von 0° auf 80° erwärmt haben.
+
+*Black* hat als erster die Methode der Eisschmelzung zur Bestimmung
+von spezifischen Wärmen benutzt. Er brachte die auf eine bestimmte
+Temperatur erwärmte Substanz in die Höhlung eines Eisblocks, verschloß
+sie und wog das entstandene Schmelzwasser.
+
+Zu dem gleichen Ergebnis wie durch seine Versuche über die Schmelzung
+wurde *Black* durch seine wertvollen Arbeiten über die Verdampfung
+geführt. Wie die Versuche des mit ihm befreundeten *Watt*, so ergaben
+auch diejenigen *Blacks*, daß es nicht nur eine ganz bestimmte
+Schmelzwärme, sondern eine gleichfalls ihrer Größe nach bestimmte
+Verdampfungswärme gibt. *Black* stellte zunächst fest, daß unter
+Verhältnissen, die eine konstante Wärmezufuhr bedingen, die verdampfte
+Wassermenge der Zeit des Kochens proportional ist. Angenommen, 1 kg
+Wasser von 0° würde in einer bestimmten Zeit über einem konstanten
+Feuer zum Sieden und die Wassermenge würde darauf bei stets gleich
+bleibender Wärmezufuhr innerhalb der vierundeinhalbfachen Zeit zur
+Verdampfung gebracht, so würde dazu ein Aufwand von 450 Wärmeeinheiten
+erforderlich gewesen sein. Diese Zahlen entsprechen der zwar nur rohen,
+in ihrem Ergebnis jedoch von der Wahrheit nicht allzusehr abweichenden
+Bestimmung der Verdampfungswärme, wie sie *Black* anstellte. Die
+späteren, genaueren Ermittlungen haben 536 Wärmeeinheiten ergeben. Daß
+der Wert bei *Black* zu klein ausfiel, ist daraus leicht erklärlich,
+daß beim Fortschreiten des Verdampfens die Umstände sich etwas ändern,
+indem das Wasser eine im Verhältnis zu seiner Masse immer größere
+Oberfläche einnimmt und infolgedessen rascher verdampft.
+
+*Blacks* Versuche über die Verdampfungswärme wurden um dieselbe Zeit
+durch die Beobachtung[91] ergänzt, daß verdunstende Flüssigkeiten die
+zur Verflüchtigung erforderliche Wärme, wenn sie nicht rasch genug
+von außen zugeführt wird, ihrem eigenen Wärmevorrat entnehmen. In der
+überraschendsten Weise zeigte sich dies bei einem Luftpumpenversuch.
+Man hatte Äther in einem Gefäß unter den Rezipienten der Luftpumpe
+gebracht und beobachtete, daß zufällig an der Außenwand des Gefäßes
+hängende Wassertröpfchen sich in Eis verwandelten.
+
+Es erhob sich nun die Frage, ob die beim Verdampfen latent gewordene
+Wärme, ähnlich wie beim Erstarren von Flüssigkeiten, ihrem vollen
+Betrage nach zurückerhalten werden kann, wenn der Dampf in den
+flüssigen Zustand zurückkehrt. Um hierüber zu entscheiden, leitete
+*Black* eine bestimmte Menge Wasserdampf durch einen Schlangenkühler,
+in dem sich die hundertfache Menge Wasser befand. Die Temperatur des
+letzteren wurde bei der Kondensation des Dampfes um 5,25° C erhöht.
+Daraus ergab sich für die bei der Kondensation in die Erscheinung
+tretende, vorher latente Wärme des Dampfes der beträchtliche Wert von
+525 Wärmeeinheiten. *Watt* hat dieses Ergebnis bestätigt, während
+*Lavoisier* die Bestimmung nach der Eisschmelzungsmethode wiederholte
+und einen etwas höheren Wert (550) fand. Die späteren Versuche
+*Regnaults* haben, bei einer Spannung des Dampfes von 760 mm, für die
+Kondensationswärme den Wert von 536 Wärmeeinheiten ergeben.
+
+*Black* verstand es vortrefflich, seine Versuche mit den Beobachtungen
+des alltäglichen Lebens zu verknüpfen und dadurch ihre Beweiskraft
+eindringlicher zu gestalten. So bemerkt er bezüglich der Dampfwärme,
+sie müsse sehr groß sein, weil ein Dampfstrahl, der kaum die Hand
+feucht mache, die ganze Haut mit Brandblasen überziehe, wozu eine
+viel größere Menge kochenden Wassers nicht imstande sei. Auch hätten
+diejenigen, die Weingeist destillierten, erhebliche Mühe und Kosten
+aufzuwenden, daß das Kühlfaß genügend mit kaltem Wasser versorgt werde.
+
+*Black* erörterte sowohl die Bewegungs- wie die Stofftheorie der
+Wärme. Letztere schien ihm besser die von ihm beobachteten Vorgänge
+zu erklären. Indessen erwiesen sich alle Bemühungen, das Gewicht
+des zugeführten hypothetischen Wärmestoffes festzustellen, ebenso
+erfolglos[92], wie es bezüglich des elektrischen Fluidums der Fall
+gewesen war. Trotzdem gab es Physiker, denen die Annahme eines einzigen
+Stoffes zur Erklärung der Wärmeerscheinungen noch nicht genügte. Wie
+man zwei entgegengesetzte elektrische Fluida annahm, so sollte es
+neben der Wärme einen besonderen Kältestoff geben, der z. B. in den
+zur Herstellung von Kältemischungen dienenden Salzen vorhanden sei.
+Dieser Auffassung war schon *Mariotte*[93] entgegengetreten. Er ließ
+die Kälte nur als Mindermaß an Wärme gelten und unterschied durch klare
+Darlegung und Versuche die strahlende von der Körperwärme. Daß die
+erstere die Luft und manche anderen Substanzen durchdringt, ohne die
+Temperatur wesentlich zu erhöhen, wies er nach, indem er Schießpulver
+mittelst einer aus Eis bestehenden Linse entzündete. Auch gelangte man
+schon damals zu der Erkenntnis, daß die Wärmestrahlen wie das Licht
+sich mit großer Geschwindigkeit ausbreiten. Der Franzose *Pictet*[94]
+brachte in den Brennpunkt eines aus Metall verfertigten Hohlspiegels
+eine erhitzte, indessen nicht leuchtende Metallkugel, während sich in
+dem Brennpunkt eines gegenüber befindlichen zweiten Hohlspiegels ein
+empfindliches Luftthermometer befand. Zwischen beiden Spiegeln, deren
+Abstand etwa 25 m betrug, war ein Schirm aufgestellt. Entfernte man
+diesen, so begann die Absperrflüssigkeit des Thermometers in demselben
+Augenblicke zu steigen. Es begegnet uns schon hier ein Experiment,
+das mit geringen Abänderungen (Schießbaumwolle an Stelle des
+Luftthermometers) noch heute zu den beliebtesten Vorlesungsversuchen
+zählt.
+
+*Pictet* unterschied auf Grund seines Hohlspiegelversuchs die
+strahlende Wärme von der fortgeleiteten. Letztere schreite nur langsam
+von Teilchen zu Teilchen fort, während sich die Wärmestrahlung
+geradlinig und mit großer Geschwindigkeit, vielleicht ebenso schnell
+wie das Licht, ausbreite[95]. Aus der Tatsache, daß die Luft für
+Wärmestrahlen sehr durchlässig ist, ließ sich auch leicht die auf hohen
+Bergen wahrzunehmende geringe Temperatur erklären[96].
+
+Die geschilderten Fortschritte auf dem Gebiet der Wärmelehre hatten zur
+Folge, daß man sich dem chemischen Prozeß als einer der Hauptquellen
+der Wärme mit verdoppeltem Interesse zuwandte, sowie den Einfluß
+der Wärme auf den Verlauf der chemischen Vorgänge in Betracht zog.
+Damit wuchs zugleich die Einsicht in das Wesen und den Ursprung der
+animalischen Wärme. Letztere hatte man bisher wohl aus der Reibung
+des in den Gefäßen zirkulierenden Blutes zu erklären gesucht, während
+man die Atmung, in völliger Verkennung der Tatsachen, als ein Mittel
+zur Abkühlung des Blutes betrachtete. *Stahl*, der Begründer der
+Phlogistontheorie, und *Hales*, dessen große Verdienste um die
+Physiologie wir kennen lernen werden, erklärten jetzt die tierische
+Wärme als eine Folge der Atmung. Der Zirkulation des Blutes schrieben
+sie die Aufgabe zu, die nach ihrer Meinung schon in den Lungen erzeugte
+Wärme dem übrigen Körper mitzuteilen. Es wurde also zum erstenmal der
+Atmungsprozeß mit der Verbrennung in Parallele gestellt, wenn es auch
+dem Zeitalter *Lavoisiers* vorbehalten blieb, das Wesen beider Vorgänge
+schärfer zu erfassen. Auch im übrigen stehen die Leistungen der Chemie
+seit der Mitte des 18. Jahrhunderts mit der großen Tat *Lavoisiers* in
+solch inniger Verknüpfung, daß wir es vorziehen, Verbrennung und Atmung
+im Zusammenhange mit *Lavoisiers* chemischen Ansichten zu betrachten.
+
+*Lavoisier* hat sich auch um die Messung der Verbrennungswärme und der
+spezifischen Wärme Verdienste erworben, indem er in Gemeinschaft mit
+*Laplace* ein sehr zweckmäßiges Eiskalorimeter konstruierte[97] und mit
+diesem wertvolle Untersuchungen anstellte. Zunächst definieren beide
+Forscher den Begriff der spezifischen Wärme recht klar in folgenden
+Worten: »Wenn man zwei Substanzen von gleicher Masse und gleicher
+Temperatur voraussetzt, so ist die Wärmemenge, die erforderlich ist,
+um ihre Temperatur um 1° zu erhöhen, dennoch nicht für beide Körper
+dieselbe. Wenn man als Einheit diejenige Wärmemenge nimmt, welche
+die Temperatur der Gewichtseinheit Wasser um 1° erhöht, so können
+alle anderen Wärmemengen, die sich auf verschiedene Stoffe beziehen,
+in Teilen dieser Einheit ausgedrückt werden. Unter dem Ausdruck
+spezifische Wärme ist dieses Verhältnis der Wärmemengen zu verstehen.«
+
+Für ihre Untersuchung bedienten sich *Laplace* und *Lavoisier* des von
+*Black* herrührenden Verfahrens der Eisschmelzung. Der Grundgedanke
+dieses Verfahrens ist folgender: Im Innern einer Hohlkugel aus Eis von
+0 Grad Temperatur befinde sich ein Körper, der auf irgend einen Grad
+erhitzt ist. Die äußere Wärme kann in den Hohlraum einer solchen Kugel
+nicht eindringen. Die Wärme des Körpers dagegen kann sich nicht nach
+außen zerstreuen, sondern sie wird auf die innere Fläche der Höhlung
+beschränkt bleiben, von der sie so lange das Eis abschmelzen wird, bis
+die Temperatur des Körpers auf diejenige des Eises heruntergegangen ist.
+
+Will man die spezifische Wärme eines festen Körpers kennen lernen,
+so wird man also seine Temperatur um eine gewisse Anzahl von Graden
+erhöhen, ihn dann in das Innere der Eiskugel bringen und ihn darin
+lassen, bis seine Temperatur auf 0° gesunken ist. Dann wird man das
+Wasser sammeln, das sich infolge der Wärmeabgabe des Körpers gebildet
+hat. Diese Wassermenge, dividiert durch das Produkt aus der Masse des
+Körpers und der Anzahl von Graden, die seine ursprüngliche Temperatur
+angibt, wird seiner spezifischen Wärme proportional sein[98].
+
+[Illustration: Abb. 11. *Lavoisiers* Eiskalorimeter.]
+
+Auch die bei chemischen Vorgängen auftretenden Wärmemengen haben
+*Lavoisier* und *Laplace* mit ihrem Apparat gemessen. Um die Wärmemenge
+kennen zu lernen, die bei der Verbindung mehrerer Substanzen erzeugt
+wird, wurden sie sämtlich ebenso wie die Gefäße, in denen sie
+eingeschlossen waren, auf 0° abgekühlt. Ihre Mischung wurde dann
+sofort in das Innere der Eiskugel gebracht und darin gelassen, bis
+die Temperatur der Mischung wieder 0° war. Die Wassermenge, die
+bei diesem Versuche gesammelt wurde, ist das Maß für die bei der
+Verbindung entwickelte Wärme. Die Bestimmung der Wärmemengen, die bei
+der Verbrennung und der Atmung erzeugt werden, verursachte nicht mehr
+Schwierigkeiten. Man verbrannte die Körper im Innern der Eiskugel
+und ließ die Tiere innerhalb derselben atmen. Da aber die Erneuerung
+der Luft bei diesen Operationen unumgänglich nötig ist, so wurde
+eine Verbindung zwischen dem Innern der Kugel und der umgebenden
+Atmosphäre hergestellt. Damit ferner die Einführung der neuen Luft
+keinen merklichen Fehler veranlaßte, mußte man diese Versuche bei einer
+Temperatur von 0° machen oder mindestens die Luft, die man einführte,
+auf diese Temperatur abkühlen.
+
+Bei der Ausführung der Versuche wurde die Eiskugel durch einen
+zweckmäßigeren Apparat ersetzt, dessen senkrechter Schnitt in Abb. 11
+dargestellt ist. Der Hohlraum des Apparates ist in drei Teile geteilt.
+Die innere Höhlung besteht aus einem Eisendrahtgeflecht. In diese
+Höhlung bringt man die Körper, welche dem Versuche unterworfen werden
+sollen. Die obere Öffnung kann vermittelst eines Deckels geschlossen
+werden. Er ist in Abb. 11, HJ besonders dargestellt. Dieser Deckel
+ist oben offen; sein Boden wird durch ein Netz von Eisendraht gebildet.
+Der mittlere Raum *bbbb* des Kalorimeters ist dazu bestimmt, das Eis
+aufzunehmen, das den inneren Raum umgeben und durch die Wärme der dem
+Versuche unterworfenen Körper geschmolzen werden soll. Dieses Eis wird
+getragen und zurückgehalten durch einen Rost *mm*, unter dem sich ein
+Sieb befindet. In dem Maße, wie das Eis geschmolzen wird, läuft das
+Wasser durch den Rost und das Sieb, gelangt sodann in den Kegel *ccd*
+und die Röhre *xy*; endlich sammelt es sich in dem Gefäße P, das unter
+den Apparat gestellt wird. Die äußere Höhlung *aaaa* ist dazu bestimmt,
+dasjenige Eis aufzunehmen, welches den Einfluß der von außen kommenden
+Wärme abhalten soll. Das durch das Schmelzen dieses Eises entstandene
+Wasser fließt durch die Röhre ST zur Seite ab. Der ganze Apparat wird
+mit dem Deckel FG (Abb. 11) bedeckt.
+
+Um den Apparat in Gebrauch zu nehmen, füllt man die mittlere Höhlung
+und den Deckel HJ der mittleren Höhlung mit gestoßenem Eis, ebenso
+die äußere Höhlung und den Deckel FG des ganzen Apparates. Man
+läßt darauf das Eis der mittleren Höhlung abtropfen. Dann öffnet
+man den Apparat, um den Körper, mit dem man experimentieren will,
+hineinzubringen und schließt ihn sofort wieder. Man wartet, bis der
+Körper vollkommen abgekühlt ist und der Apparat gut abgetropft hat.
+Dann wägt man das aufgesammelte Wasser; sein Gewicht ist ein genaues
+Maß der von dem Körper abgegebenen Wärme.
+
+Weit größere Schwierigkeiten bereitete den beiden Forschern die
+Ermittlung der spezifischen Wärme von Gasen. Doch scheuten sie auch
+vor dieser Aufgabe nicht zurück. Sie ließen bestimmte Mengen der zu
+untersuchenden Gase durch ihr Eiskalorimeter strömen und bestimmten die
+Temperatur vor dem Eintritt und nach dem Ausströmen, sowie die Menge
+des geschmolzenen Eises. Damit waren zwar die Daten für eine Berechnung
+gegeben, doch erhielt man sehr ungenaue Ergebnisse[99].
+
+Zum Schlusse seien einige der von *Lavoisier* und *Laplace* gefundenen
+spezifischen Wärmen mitgeteilt unter Angabe der heute als richtig
+geltenden Werte in Klammern:
+
+ Gewöhnliches Wasser 1 (1)
+ Eisen 0,109 (0,113)
+ Quecksilber 0,029 (0,033)
+ Blei 0,028 (0,031)
+ Schwefel 0,208 (0,202)
+
+Desgleichen seien die Ergebnisse einiger Versuche zur Bestimmung der
+Verbrennungswärme angegeben:
+
+Mengen des geschmolzenen Eises durch die Verbrennung von
+
+ 1 Pfund Phosphor 100 Pfund
+ 1 " Faulbaumkohle 96 "
+ 1 " Olivenöl 148 "
+
+Die Abweichung von späteren Bestimmungen ist hier eine bedeutende,
+so entwickelt 1 kg Phosphor 5747 Kalorien und liefert demnach nur
+5747/80 = 71,8 kg Wasser, während nach *Lavoisier* und *Laplace* 1 Teil
+Phosphor bei seiner Verbrennung 100 Teile Schmelzwasser liefern soll.
+
+Von *Lavoisier* und *Laplace* rühren auch die ersten genauen Messungen
+der Ausdehnungskoeffizienten fester Körper her. Sie benutzten
+bei ihren Versuchen ein Fernrohr, das von den sich beim Erwärmen
+ausdehnenden Körpern gedreht wurde. Als Stützpunkte für die letzteren
+gebrauchten sie Pfeiler aus Stein, deren Form durch die Wärme nicht
+merklich verändert wird.
+
+Grundlegend auf dem Gebiete der Wärmelehre waren auch die
+Untersuchungen *Blagdens* über die Gesetze der Überkaltung und der
+Gefrierpunktserniedrigung. *Blagden*[100] veröffentlichte seine
+Arbeiten über diesen Gegenstand im Jahre 1788. Die erste dieser
+Arbeiten bringt eine Anzahl wichtiger Versuche über die Abkühlung
+des Wassers bis unter seinen Gefrierpunkt. *Blagden* zeigte, daß das
+Wasser, dessen Gefrierpunkt bei 32° Fahrenheit liegt, unter Umständen
+erst bei 24°, ja selbst bei 21° F in den festen Zustand übergeht. Die
+Überkaltung war auch möglich, wenn man dem Wasser Salze beimengte,
+die an sich schon den Gefrierpunkt herabsetzen. Eine Kochsalzlösung,
+deren Gefrierpunkt 28° F betrug, wurde auf 18½° abgekühlt. Erst bei
+weiterer Entziehung von Wärme wurde sie fest. Eine Salpeterlösung mit
+dem Gefrierpunkt 27° F wurde bis auf 16°, also 11° unter den neuen
+Gefrierpunkt »überkaltet«. Das merkwürdige Phänomen der Überkaltung
+hatte die Aufmerksamkeit einzelner Physiker schon vor *Blagden* erregt,
+keiner hat es aber so sorgfältig untersucht wie dieser. Eingehend
+befaßt er sich mit den Bedingungen der Überkaltung und der Ursache
+des plötzlichen Erstarrens überkalteter Flüssigkeiten. Rieb *Blagden*
+mit einem Glasstab an der Innenwand des Gefäßes, in welchem sich
+überkaltetes Wasser befand, so wurde das Wasser, das andere Bewegungen
+wohl vertrug, zum Erstarren gebracht. Überraschend war der Versuch, bei
+dem überkaltetes Wasser mit einem noch so winzigen Eisstück berührt
+wurde. Es trat sofortiges Gefrieren ein, indem die Eiskristalle von
+der Stelle aus, wo sich das Eisstückchen befand, durch die ganze Masse
+anschossen. Gleichzeitig erwärmte sich die ganze Masse bis zum normalen
+Gefrierpunkt des Wassers[101].
+
+Durch den beschriebenen Versuch erklärte sich auch die Erscheinung, daß
+die Überkaltung sicherer gelingt, wenn man das Gefäß leicht mit Papier
+bedeckt. *Blagden* nahm an, daß winzige erstarrte Wasserteilchen bei
+Frostwetter in der Luft schweben und auf das sich abkühlende Wasser
+fallen, dessen Erstarrung sie dann bewirken, während diese Teilchen im
+anderen Falle von dem Papier zurückgehalten werden.
+
+Als zweite Ursache, welche den Gefrierpunkt von Flüssigkeiten
+herabsetzt, hatte man den Zusatz von Salzen und Säuren erkannt. Die
+erste quantitative Untersuchung dieses Verhaltens rührt gleichfalls von
+*Blagden* her[102]. Für die erste Versuchsreihe diente das Kochsalz.
+Es ergab sich, daß das Salz den Gefrierpunkt nach dem einfachen
+Verhältnis, in welchem es zu dem Wasser der Lösung steht, erniedrigt.
+Man hat vorgeschlagen, dieses Gesetz das *Blagden*sche zu nennen[103].
+
+Weitere Versuchsreihen lieferten Salpeter, Salmiak, Glaubersalz
+und weinsaures Natrium-Kalium. Für alle entsprach die
+Gefrierpunktserniedrigung dem einfachen Verhältnisse von Salz zu
+Wasser[104]. Setzte *Blagden* Säuren, Alkalien oder Alkohol zum Wasser,
+so ließ sich keine solch einfache Beziehung nachweisen, doch schienen
+ihm gleiche Zutaten dieser Flüssigkeiten den Gefrierpunkt des Wassers
+in einem zunehmenden Verhältnis zu erniedrigen.
+
+*Blagdens* Untersuchung über diesen Gegenstand geriet zunächst ganz in
+Vergessenheit; man wurde auf sie erst wieder aufmerksam, als man in der
+neuesten Zeit in der Gefrierpunktserniedrigung, welche Salze und auch
+indifferente organische Stoffe bewirken, ein Mittel zur Bestimmung des
+Molekulargewichtes kennen lernte. Vorahnend bemerkt schon *Blagden*,
+man möge doch Untersuchungen wie die seine nicht für unwichtig halten,
+da man auf diesem Wege zu einer Kenntnis des inneren Gefüges gelangen
+werde, auf dem die Eigenschaften des Körpers beruhen.
+
+
+
+
+4. Die Naturbeschreibung unter der Herrschaft des künstlichen Systems.
+
+
+Wir haben an die Spitze dieses in seinem ersten Teile vornehmlich
+die Entwicklung während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
+schildernden Bandes die großen Fortschritte der Physik gestellt. Die
+nächsten Abschnitte sollen zeigen, wie sich die übrigen Wissenszweige
+entwickelt und sich wechselseitig befruchtet haben. Dabei tritt
+besonders in die Erscheinung, daß der Einfluß der physikalischen
+Lehren und vor allem der physikalischen Forschungsweise sich in immer
+höherem Maße auf die übrigen Disziplinen ausdehnt. Die Physik wurde
+das gemeinsame Band, das sie alle umschlang. Durch die Ausdehnung
+ihres quantitativen Verfahrens auf das Gebiet der stofflichen
+Veränderungen nahm die Chemie eine ganz neue Gestalt an. Gleichzeitig
+mit ihr wurde die Mineralogie auf neue Grundlagen gestellt. Auch
+die Lebenserscheinungen suchte man nach physikalischer Methode
+zu erforschen. Wenn auch die Zoologen und die Botaniker des 18.
+Jahrhunderts ihre Hauptaufgabe noch in einer auf das Äußere gerichteten
+Beschreibung und in der Systematik der Tiere und der Pflanzen
+erblickten, so fehlte es doch nicht an Untersuchungen, in den inneren
+Bau und die Verrichtungen der Organe einzudringen.
+
+Durch das genauere Studium der Pflanzen- und der Tierwelt Europas,
+sowie der übrigen Weltteile war das Material, welches der Systematik
+zu Gebote stand, schon im Beginn des 18. Jahrhunderts kaum mehr zu
+bewältigen. Die Bearbeitung dieses Materials wurde immer schwieriger,
+weil eine klare, auf scharfer Gliederung beruhende Nomenklatur noch
+nicht geschaffen war und die bisherigen Versuche zur Aufstellung
+eines umfassenden Systems sich stets als unzureichend erwiesen
+hatten. Der Mann, der zur rechten Zeit erschien und nach den beiden
+angegebenen Richtungen Abhilfe schuf, war der schwedische Naturforscher
+*Linné*. *Karl von Linné* wurde am 23. Mai des Jahres 1707 in dem
+Dorfe Råshult in Småland geboren. Sein Vater, ein Pfarrer, besaß für
+Gartenbau und Pflanzenkunde eine große Liebhaberei, die sich auf den
+Sohn übertrug. Als der junge *Linné* in einem benachbarten Städtchen
+die Schule besuchte, botanisierte er, anstatt seinen nächstliegenden
+Pflichten nachzukommen. Darüber erzürnte der Vater und gab ihn einem
+Schuhmacher in die Lehre. Ein Arzt, der *Linnés* botanische Neigungen
+unterstützte, vermochte jedoch den Vater zu versöhnen. *Linné*
+erhielt die Erlaubnis, sich dem Studium der Medizin zu widmen. Er
+bezog die Universität Lund, die er später mit Upsala vertauschte. Da
+*Linné* in ärmlichen Verhältnissen lebte, war er gezwungen, seinen
+Unterhalt durch Abschreiben und Unterricht zu verdienen. In Upsala
+nahm sich schließlich der Professor der Botanik *Rudbeck* seiner an.
+Er übertrug ihm die Aufsicht über den botanischen Garten, sowie die
+Stellvertretung bei seinen Vorlesungen. Im Jahre 1732 erhielt *Linné*
+den Auftrag, die nördlichsten Teile Schwedens zu durchforschen. Nachdem
+er von seiner während des Sommers 1732 unternommenen Lapplandreise
+zurückgekehrt war, beabsichtigte er, in Upsala Vorlesungen über
+Botanik zu halten. Eifersüchtige Nebenbuhler wußten indes sein
+Vorhaben durch den Einspruch, daß er noch nicht promoviert sei, zu
+verhindern. Da es damals Brauch war, den Doktorhut im Auslande zu
+erwerben, ging *Linné* zu diesem Zwecke im Jahre 1735 nach Holland.
+Dort wurde er mit *Clifford* bekannt, der in Harlem einen Garten besaß
+und *Linnés* Rat und Hilfe in botanischen Dingen zu schätzen wußte.
+In Holland gab *Linné* im Jahre 1735 neben einem größeren Werk über
+den *Clifford*schen Garten eine kleine, in Tabellenform verfaßte
+Schrift heraus, die er »Systema naturae« nannte. Dieses Büchlein,
+das die Früchte seiner bisherigen, sich über alle drei Naturreiche
+erstreckenden Bemühungen um die Systematik enthielt, wurde später
+wiederholt von neuem aufgelegt und wuchs dabei zu einem mehrbändigen
+Werke an[105].
+
+*Linnés* »System der Natur« erregte durch seine Übersichtlichkeit und
+Klarheit sofort große Bewunderung. Es war in seinem ganzen Umfange
+auf die Sexualität der Pflanzen begründet. Mit der Sexualtheorie
+war *Linné*, wie er selbst hervorhebt, durch die Engländer bekannt
+geworden. Letztere hatten ihrerseits die Anregung aus Deutschland
+empfangen.
+
+Bald nach 1735 erschienen *Linnés* Schriften, in denen er
+seine Grundsätze für die Bestimmung und Benennung der Pflanzen
+entwickelte[106]. Unter Berücksichtigung aller wesentlichen Merkmale
+bestimmte er mit großer Schärfe die Charaktere von nahezu 1000
+Gattungen. Nachdem *Linné* Reisen nach England und nach Frankreich
+unternommen hatte -- in Paris ernannte man ihn zum korrespondierenden
+Mitgliede der Akademie der Wissenschaften -- kehrte er nach Stockholm
+zurück. Hier nahm man ihn mit großen Ehrenbezeugungen auf. *Linné*,
+der sich zunächst dem ärztlichen Beruf zuwandte, wurde Leibarzt
+des Königs und Präsident der Akademie der Wissenschaften. Im Jahre
+1741 siedelte er nach dem nahen Upsala über. Während der beiden
+Jahrzehnte, die *Linné* dort als anregender Lehrer und unermüdlicher
+Forscher zubrachte, erlebte die Naturbeschreibung ihre Glanzperiode.
+Der botanische Garten wurde in seinem Geiste erneuert und mit einem
+naturhistorischen Museum verbunden. Im Jahre 1746 gab *Linné* ein Werk
+über die Tierwelt Schwedens heraus, einige Jahre später erschien seine
+allgemeine Botanik[107], das botanische Hauptwerk *Linnés*. 1762 wurde
+*Linné* in den Adelsstand erhoben. Seit dieser Zeit nannte er sich *von
+Linné*, während sein Name ursprünglich *Linnaeus* lautete. Er starb am
+10. Januar 1778[108].
+
+*Linnés* Verdienst bestand nicht in epochemachenden Entdeckungen, die
+späteren Geschlechtern unmittelbare Anregung zu weiterem Forschen
+gegeben hätten, sondern er erblickte seine Aufgabe vornehmlich in
+der systematischen Bearbeitung des gesamten, von seinen Vorgängern
+übermittelten naturgeschichtlichen Wissens. Hierin hat er Bedeutendes
+geleistet und sich einer Mühe unterzogen, deren Bewältigung im
+Interesse des weiteren Fortschritts lag. Daß seine Nachfolger das
+System überschätzten und die Einordnung der neu beschriebenen Formen
+für die hauptsächlichste Aufgabe der Wissenschaft hielten, darf man dem
+Begründer dieses Systems nicht zur Last legen. In der Botanik brachte
+*Linné* die seit *Caesalpin* auf die Aufstellung eines künstlichen
+Systems gerichteten Bestrebungen zum Abschluß. Die Kenntnis von der
+Sexualität der Pflanzen, auf welcher seine Einteilung fußte, verdankte
+er vor allem den Untersuchungen des Deutschen *Camerarius*[109],
+wie auch seine binäre Nomenklatur auf den Vorgang anderer Botaniker
+(*Jungius* und *Ray*) zurückzuführen ist.
+
+Der sogenannte Schlüssel, nach dem *Linné* in seinem System das ganze
+Pflanzenreich in Klassen einteilte, ist folgender:
+
+ =A. Pflanzen mit Blüten.=
+
+ Aa. *Mit lauter Zwitterblüten.*
+
+ aa. Mit freien Staubfäden.
+
+ aaa. Mit Staubfäden von unbestimmter Länge.
+
+ 1. Klasse mit einem Staubfaden *Monandria*[110].
+
+ 2. " " zwei Staubfäden *Diandria*.
+
+ 3. " " drei " *Triandria*.
+
+ 4. " " vier " *Tetrandria*.
+
+ 5. " " fünf " *Pentandria*.
+
+ 6. " " sechs " *Hexandria*.
+
+ 7. " " sieben " *Heptandria*.
+
+ 8. " " acht " *Octandria*.
+
+ 9. " " neun " *Enneandria*.
+
+ 10. " " zehn " *Decandria*.
+
+ 11. " " 12-19 " *Dodecandria*.
+
+ 12. Klasse mit 20 oder mehr Staubfäden,
+ die nicht auf dem
+ Fruchtboden, sondern auf der
+ inneren Seite des Kelches sitzen *Icosandria*.
+
+ 13. Klasse mit 20 oder mehr Staubfäden,
+ die auf dem Fruchtboden
+ sitzen *Polyandria*.
+
+ abb. Mit Staubfäden von bestimmter
+ Verschiedenheit in der Länge.
+
+ 14. Klasse, Pflanzen mit vier Staubfäden,
+ von denen zwei nebeneinander
+ stehende länger und
+ zwei kürzer sind *Didynamia*.
+
+ 15. Klasse, Pflanzen mit sechs Staubfäden,
+ von denen vier länger,
+ zwei einander gegenüberstehende
+ aber kürzer sind *Tetradynamia*[111].
+
+ ab. Mit verwachsenen Staubfäden oder
+ verwachsenen Staubbeuteln.
+
+ 16. Klasse, Pflanzen mit Staubfäden,
+ die unten zusammengewachsen
+ sind *Monadelphia*.
+
+ 17. Klasse, Pflanzen, deren Staubfäden
+ zu zwei Bündeln verwachsen
+ sind *Diadelphia*.
+
+ 18. Klasse, Pflanzen, deren Staubfäden
+ zu drei oder mehr Bündeln
+ verwachsen sind *Polyadelphia*[112].
+
+ 19. Klasse, Pflanzen, deren Staubbeutel
+ zu einem Zylinder zusammengewachsen
+ sind *Syngenesia*[113].
+
+ 20. Klasse, Pflanzen, deren Staubfäden
+ mit den Griffeln verwachsen
+ sind *Gynandria*[114].
+
+ Ab. *Mit getrennten Geschlechtern.*
+
+ 21. Klasse, männliche und weibliche
+ Blüten befinden sich an
+ einer Pflanze *Monoecia*.
+
+ 22. Klasse, männliche und weibliche
+ Blüten befinden sich auf
+ verschiedenen Pflanzen *Dioecia*[115].
+
+ 23. Klasse, außer den Zwitterblumen
+ befinden sich noch männliche
+ oder weibliche Blüten oder
+ beide zugleich an einer oder
+ an verschiedenen Pflanzen *Polygamia*[116].
+
+ =B. Pflanzen, bei denen weder Staubfäden noch Stempel,
+ welche bei den übrigen Pflanzen wesentliche Teile
+ der Blüte sind, in die Augen fallen.=
+
+ 24. Klasse *Cryptogamia*[117].
+
+*Linnés* System fand anfangs viel Widerspruch. Entweder wurde die
+Sexualität der Pflanzen trotz aller unzweifelhaften Beweise geleugnet,
+oder man erhob den Einwand, daß »die neue Lehre zu unzüchtigen Gedanken
+reize«. Deutschlands großer Systematiker *Gleditsch*, der im Auftrage
+der Akademie zu Berlin den dortigen botanischen Garten gründete, mußte
+sich alle Mühe geben, um den Einwurf, daß die Lehre von der Befruchtung
+der Pflanzen unsittlich sei, zu widerlegen[118].
+
+Zu der Folgerichtigkeit, mit der *Linné* sein System durchführte,
+gesellte sich die umfassendste Kenntnis einheimischer und fremder
+Pflanzen. Seine Übersicht[119] der Arten enthielt 7300 Nummern und
+wurde neun Jahre später um weitere 1500 Nummern vermehrt. Am wenigsten
+gründlich durchforschte *Linné* die Pflanzen, welche der Kleinheit
+ihrer Organe wegen den Gebrauch von Vergrößerungsgläsern notwendig
+machten, wie die Doldengewächse und die Kryptogamen.
+
+*Linné* selbst war dem physiologischen Experiment, sowie der Anwendung
+des Mikroskopes wenig zugetan. Sehr selten begegnen wir bei ihm
+dem Bestreben, Erscheinungen auf ihre Ursachen zurückzuführen.
+Er begnügte sich damit, alles gehörig zu klassifizieren. Der
+mikroskopischen Forschung war das gesamte 18. Jahrhundert wenig
+hold. *Grews* und *Malpighis* epochemachende Untersuchungen über den
+inneren Bau der Pflanzen wurden nicht fortgesetzt. Ja, es fehlte
+sogar nicht an gewichtigen Stimmen, welche die bisherigen Ergebnisse
+der Pflanzenanatomie als unrichtig und trügerisch zu verdächtigen
+suchten[120].
+
+*Linnés* Art, etwas durch logisches Zergliedern klarzustellen, ohne die
+Natur selbst hinreichend zu befragen, erinnert häufig an *Aristoteles*.
+Daß sein Pflanzensystem in erster Linie auf die Erfüllung eines
+praktischen Bedürfnisses hinauslief und keine naturgemäße Gruppierung
+ergab, wußte *Linné* sehr wohl, während es seine Nachbeter später
+gänzlich vergessen zu haben schienen und in dem von *Linné*
+geschaffenen System die Krönung des naturgeschichtlichen Lehrgebäudes
+erblickten.
+
+In späteren Jahren hat sich *Linné* auch dem natürlichen System
+zugewandt. Schon in seiner Philosophie der Botanik[121] verlangte er,
+»die Fragmente der natürlichen Methode fleißig aufzusuchen«. Dies sei
+das erste und letzte, was man in der Botanik erstreben müsse, denn die
+Natur mache keine Sprünge. Ja, noch früher, nämlich im Jahre 1738[122],
+stellte *Linné* als Grundsatz eines natürlichen Systems die Forderung
+auf, sämtliche Teile der Pflanzen, insbesondere aber die Frucht, den
+Samen, die Lage des Embryos usw. systematisch zu verwerten. Auch muß
+anerkannt werden, daß *Linné* mit dem Wort natürliche Verwandtschaft
+einen besseren Begriff verband als die meisten seiner Vorgänger. Besaß
+dieser Begriff bei *Linné* zwar ebensowenig eine reale Bedeutung wie
+bei den übrigen Systematikern des 18. Jahrhunderts, so paßt sich
+seine Vorstellung der späteren Theorie der Abstammung der Arten doch
+weit besser an. Während nämlich der Satz, daß die Natur keine Sprünge
+mache, die meisten dazu verleitete, sich die organische Schöpfung als
+eine einzige aufsteigende Reihe vorzustellen, dachte sich *Linné* die
+Verwandtschaft der Formen unter dem Bilde eines vielmaschigen Netzes.
+»Alle Pflanzen,« sagt er, »zeigen eine Verwandtschaft nach allen
+Seiten.«
+
+*Linné* selbst hat ein Verzeichnis derjenigen Gruppen aufgestellt,
+die er als natürliche betrachtete. Der erste Versuch, von der
+Erfassung solcher Gruppen zur systematischen Gliederung des gesamten
+Pflanzenreiches zu gelangen, ging von den Franzosen aus. Die
+schwedischen, deutschen und englischen Botaniker dagegen verfolgten die
+von *Linné* eingeschlagene Richtung bis zur Einseitigkeit und suchten
+ihren Ruhm in der Kenntnis einer möglichst großen Zahl von Arten. Erst
+mit der Aufstellung des natürlichen Systems durch die beiden *Jussieu*
+und *Decandolle* wurde die Grundlage für den weiteren Fortschritt
+geschaffen.
+
+Wie auf dem botanischen, so war auch auf zoologischem Gebiete *Linnés*
+Wirken fast ausschließlich nach der beschreibenden und systematischen
+Seite gerichtet. Sein Tiersystem entsprach indes weit mehr der
+natürlichen Verwandtschaft, als dies hinsichtlich seiner Gruppierung
+der Pflanzen der Fall war. Die Einteilung der niederen Tiere, deren
+innerer Bau erst in der nächsten Periode eingehender studiert wurde,
+fußte jedoch noch auf ganz oberflächlichen Ähnlichkeiten. Das gesamte
+Tierreich zerfiel nach *Linné* in sechs Klassen, von denen nur
+diejenigen der Säugetiere und der Vögel ihren Wert und Umfang auch
+heute noch besitzen. Die Amphibien wurden noch mit den Reptilien zu
+einer Gruppe vereinigt. Die vierte Klasse umfaßte die Fische. Die
+Insekten bildeten die fünfte Klasse. Sie zerfielen in die noch heute
+geltenden Ordnungen, während die letzte Klasse der Würmer alles das
+umfaßte, was *Linné* anderweitig nicht unterzubringen vermochte.
+Hier finden wir z. B. die Weichtiere mit den Aufgußtierchen und die
+Eingeweidewürmer mit den Pflanzentieren vereinigt. Über die animalische
+Natur der letzteren ist *Linné* noch nicht völlig im klaren. Er
+bezeichnet sie als Pflanzen mit tierisch belebten Blüten. Mancher
+Widerspruch erhob sich gegen seinen Schritt, den Menschen als besondere
+Gattung an die Spitze des Systems zu stellen und ihn mit den höheren
+Affen zur Ordnung der Primaten zu vereinen. Man muß jedoch anerkennen,
+daß dieser Schritt die Naturgeschichte des Menschen als besonderen
+Wissenszweig angebahnt hat, so daß *Blumenbach*, als er die neuere
+Anthropologie begründete, nur der Auffassung *Linnés* zu folgen
+brauchte.
+
+Von besonderer Wichtigkeit für die Systematik war die von *Linné*
+herrührende strenge Durchführung der binären Nomenklatur. Anstatt
+weitschweifiger Definitionen, die man neu entdeckten Formen beilegte,
+erhielt jede Art zwei der lateinischen Sprache entnommene Namen, von
+denen der erste die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gattung, der
+zweite dagegen, meist in Form eines Eigenschaftsworts hinzutretend,
+die Art bezeichnete. Letztere erschien *Linné* als der durchaus
+unveränderliche Ausgangspunkt seines Systems. »Tot numeramus
+species, quot creavit ab initio infinitum ens« lautet sein bekannter
+Ausspruch, »wir zählen soviel Arten, wie Gott im Anbeginn erschaffen
+hat«. Diese Ansicht, welche die Beziehungen im anatomischen Bau der
+Lebewesen völlig unerklärt läßt und die Worte Verwandtschaft und
+Zusammengehörigkeit nur im bildlichen Sinne anzuwenden gestattet,
+erstarkte in der Folge zu einem Dogma, das nicht nur die Lehre von den
+heute lebenden Formen, sondern auch die Paläontologie bis zum Beginn
+des 19. Jahrhunderts vollständig beherrschte und erst in der zweiten
+Hälfte des letzteren zu Fall gebracht wurde.
+
+*Linnés* Bemühen, alles zu systematisieren, erstreckte sich auch
+auf das Mineralreich. Da er jedoch auch hier in erster Linie die
+äußere Beschaffenheit ins Auge faßte, so war der Erfolg nur gering.
+Eigentümliche Ansichten, die sich später als zum Teil begründet
+erwiesen, entwickelte *Linné* in seiner Abhandlung über das Anwachsen
+der Erde[123]. Danach bildeten sich die Schichten nicht aus zerriebenem
+Urgestein, sondern sie sind Erzeugnisse der Lebewelt. Das Kalkgebirge
+ist nach *Linné* aus Muscheln und Korallen entstanden, während die
+Pflanzen tonige Ablagerungen, die später zu Schiefer erstarrten,
+gebildet haben sollten.
+
+
+
+
+5. Die Ausdehnung der physikalischen Methoden auf das Gebiet der
+Pflanzenphysiologie.
+
+
+Wenn auch auf dem Gebiete der Botanik während des 18. Jahrhunderts die
+systematische Richtung überwog, so fällt doch in diesen Zeitraum die
+Begründung einiger wichtigen Zweige der Pflanzenphysiologie, um deren
+weiteren Ausbau man sich dann allerdings zunächst so wenig kümmerte wie
+um die Fortsetzung der pflanzenanatomischen Arbeiten eines *Grew* und
+*Malpighi*. Es sind dies die Arbeiten von *Hales* über die Bewegung
+des Pflanzensaftes und die Aufdeckung der Beziehungen zwischen Blumen
+und Insekten durch *Konrad Sprengel*, dessen Forschungen erst in
+neuerer Zeit, seit *Darwin* demselben Gegenstande seine Aufmerksamkeit
+zuwandte, zur vollen Würdigung gelangt sind.
+
+Auch an Versuchen einen gewissen Einblick in den Vorgang der Ernährung
+der Pflanze zu erhalten, hat es im 17. und 18. Jahrhundert nicht
+gefehlt. Solche Versuche wurden schon dadurch veranlaßt, daß sich
+*Aristoteles* über die Ernährung der Pflanzen geäußert hatte. Seine
+Meinung ging dahin, daß die Pflanzen ihre Nahrung fertig aus der Erde
+aufnähmen und daher auch keine Exkremente von sich gäben[124]. Da die
+neuere Naturwissenschaft die Haltlosigkeit derartiger, aus allgemeinen
+philosophischen Gründen entwickelter Urteile in zahlreichen Fällen
+nachgewiesen hatte, so wandte sie das Hilfsmittel, das ihr in allen
+diesen Fällen zum Siege verholfen, das experimentelle Verfahren
+nämlich, auch auf diese Frage an.
+
+Einer der ersten, der, wenn auch auf Grund nur mangelhafter
+chemischer und anatomischer Kenntnisse, die Frage der Ernährung der
+Pflanze vom naturwissenschaftlichen Standpunkte in Angriff nahm, war
+*Mariotte*. Wir haben ihn an anderer Stelle als einen der Begründer
+der Physik der Gase kennen gelernt[125]. *Mariotte* war, wie alle
+Gegner der aristotelischen Art der Naturerklärung, Anhänger der
+Korpuskulartheorie. Diese nahm bei ihren Erklärungsversuchen die
+Bewegung kleinster Teilchen oder Korpuskeln zu Hilfe. Die Ursache der
+Bewegung erblickte sie in anziehenden und abstoßenden Kräften.
+
+*Mariotte* hat seine Ansichten im Jahre 1679 zusammengefaßt[126]. Nach
+ihm nimmt die Pflanze aus dem Boden gewisse Stoffe -- »Prinzipien«
+sagt *Mariotte* -- auf. Solche Stoffe sind Salz, Salpeter, Schwefel,
+Wasser und Erden. Auch die Luftteilchen spielen nach *Mariotte* bei der
+Ernährung der Pflanze eine Rolle. Sie werden durch den Blitz verbrannt
+und mit dem Wasser dem Boden zugeführt. Erst viel spätere Forschungen
+haben bewiesen, daß diese Ansichten im allgemeinen das Richtige trafen.
+Eigentliche pflanzenchemische Versuche vermochte *Mariotte* nämlich
+noch nicht anzustellen. Um die Irrigkeit der aristotelischen Meinungen
+darzutun, waren solche auch nicht einmal nötig. Daß die Pflanzen die
+Bestandteile, aus denen sie sich zusammensetzen, nicht fertig aus dem
+Boden aufnehmen, beweist nach *Mariotte* schon die Tatsache, daß sich
+in derselben Handvoll Erde tausende von Pflanzen aufziehen lassen, die
+alle in ihrer chemischen Zusammensetzung Besonderheiten darbieten. Auch
+daß sich auf einen Stamm die verschiedensten Pfropfreiser aufpflanzen
+lassen, und daß diese gleichfalls aus offenbar doch ein und demselben,
+aus dem Boden eintretenden Saft Erzeugnisse der verschiedensten
+chemischen Art hervorbringen, beweist, wie *Mariotte* ganz richtig
+hervorhebt, daß sich aus den verschiedenen Prinzipien die pflanzlichen
+Substanzen durch passende Vereinigung aufbauen.
+
+Zu ähnlichen Anschauungen gelangte *Chr. Wolf*, der die
+*Leibniz*sche Philosophie fortsetzte und durch seine Bemühungen, die
+Korpuskulartheorie zur Erklärung der Naturerscheinungen zu verwerten,
+auch auf die Entwicklung der Chemie anregend gewirkt hat[127]. *Wolf*
+gab im Jahre 1723 eine allgemeine Naturlehre[128] heraus. In diesem
+Buche gibt er eine zusammenhängende Darstellung der Lehre von der
+Ernährung der Pflanzen. Auch *Wolf* vertritt die Ansicht, daß die
+Pflanze die in sie eintretenden Stoffe chemisch verändere. Dies wird
+daraus geschlossen, daß jede Pflanze eigenartige chemische Bestandteile
+(»ihr besonderes Öl«) enthält. Die Pflanze entnimmt nach *Wolf* ihre
+Nährstoffe nicht nur dem Boden, sondern auch der Luft.
+
+Im ganzen genommen bemerken wir also im 17. und in der ersten
+Hälfte des 18. Jahrhunderts zwar einen erheblichen Fortschritt
+gegen *Aristoteles* und van *Helmont*. Es fehlte aber noch an einer
+genügenden chemischen Grundlage, um einen wirklichen Einblick in diesen
+Teil des pflanzlichen Lebens zu gewinnen.
+
+Mit weit besserem Erfolge ließen sich die physikalischen
+Forschungsmittel auf die Probleme der Pflanzenphysiologie anwenden. Die
+Physik hatte während des 17. Jahrhunderts die glänzendste Periode ihrer
+Entwicklung gehabt. Sie bediente sich auf allen ihren Gebieten der
+quantitativen Untersuchungsweise. Letztere zuerst auf die Erscheinungen
+des pflanzlichen Lebens angewandt zu haben, ist das große Verdienst von
+*Hales*.
+
+*Stephan Hales* wurde am 17. September 1677 in der Nähe von Kent
+geboren. Er studierte in Cambridge Theologie. Gleichzeitig betrieb er
+mit großer Vorliebe Mathematik und Naturwissenschaften. Die Zeit, die
+ihm sein Pfarramt übrig ließ, verwandte er auf die Verwirklichung eines
+hohen Zieles, nämlich der Ausdehnung der physikalischen Forschungs-
+und Betrachtungsweise auf das Gebiet der Lebensvorgänge. Im Jahre 1718
+wurde *Hales* Mitglied der Royal Society; er starb am 4. Januar 1761.
+
+In seinem Hauptwerke, der Statik der Gewächse[129], versuchte *Hales*,
+auf Grund der bis dahin gewonnenen mechanischen und chemischen
+Kenntnisse, durch Versuche eine Einsicht in den Lebensprozeß der
+Pflanze zu gewinnen. *Harveys* Entdeckung des Blutkreislaufes
+hatte die Frage angeregt, ob im Pflanzenkörper ein entsprechender
+Vorgang stattfinde. Diese Frage ist es, welche *Hales* durch seine
+Versuche zu entscheiden suchte. Wie in der Physiologie des Tieres die
+Flüssigkeiten, deren Geschwindigkeiten, die Kräfte, welche auf sie
+wirken, sowie die Menge trockener und flüssiger Nahrung die größte
+Rolle spielen, so erhält, wie *Hales* des näheren ausführt, die
+Mechanik auch das Leben der Pflanzen und bringt deren Wachstum zuwege.
+Die Ähnlichkeit zwischen Pflanzen und Tieren sei so groß, daß, wenn
+man beide nach gleicher Methode untersuche, wichtige Entdeckungen
+zu erhoffen seien. Das Verfahren, das *Hales* zum erstenmale auf
+das Studium der Pflanzen anwendet, besteht in Zählen, Messen und
+Wägen. Der Einfluß der Physik war es, der sich auf immer weitere
+Gebiete erstreckte. »Durch Zählen und Messen«, sagt *Hales* in seinem
+Hauptwerk, »hat der große *Newton* die Regeln, nach denen die Gestirne
+ihren Lauf beschreiben, zu bestimmen vermocht. Der allweise Schöpfer
+hat sich nämlich die Richtschnur gesetzt, alles nach Zahl, Maß und
+Gewicht zu erschaffen. Damit nun auch wir seine Werke ergründen
+können, kommt es auf Zählen, Messen und Wägen an. Man geht dadurch den
+vernünftigsten und sichersten Weg. Und der so ungemein große Erfolg,
+den dieses Verfahren gezeitigt hat, muß uns anreizen, es anzuwenden.«
+
+*Hales'* Untersuchungen befassen sich zunächst mit der Feststellung
+der Flüssigkeitsmenge, die von den Pflanzen aus dem Boden aufgenommen
+und durch die Blätter wieder abgedunstet wird. Eine 3½ Fuß hohe
+Sonnenblume wurde in einen Topf gepflanzt, der durch eine Bleiplatte
+nach Möglichkeit gegen Verdunstung geschützt war. Durch diese Platte
+führte ein Rohr, das zum Nachfüllen von Wasser diente. Der infolge
+der Transpiration eintretende Gewichtsverlust betrug für die zwölf
+Stunden von morgens bis abends an heißen Tagen 1 Pfund 14 Unzen,
+während der Verlust desselben Topfes, nachdem die Pflanze abgeschnitten
+und der Stumpf verklebt war, unter im übrigen gleichen Umständen nur
+zwei Unzen[130] betrug. In einer warmen, trockenen Nacht betrug die
+Ausdünstung der Sonnenblume drei Unzen; wenn Tau auftrat, unterblieb
+sie ganz.
+
+Darauf stellte sich *Hales* die Aufgabe, die gesamte, oberhalb und
+unterhalb des Bodens befindliche Fläche der Sonnenblume zu messen.
+Zunächst wurden sämtliche Blätter abgeschnitten und der Größe nach in
+Gruppen geordnet. Sodann wurde ein Drahtnetz mit Maschen von bekannter
+Größe auf die einem jeden Haufen entnommenen Blätter gelegt und durch
+Abzählen der deckenden Maschen die Oberfläche bestimmt. Auf diese
+Weise fand *Hales* die Gesamtgröße der abdunstenden Fläche gleich 5616
+Quadratzoll, während er die Oberfläche der Wurzeln zu 2286 Quadratzoll
+und deren Gesamtlänge zu 1448 Fuß ermittelte. Innerhalb zwölf Stunden
+ging durch den Stamm eine Flüssigkeitsmenge von 34 Kubikzoll. Der Stamm
+besaß einen Quadratzoll Querschnitt. Dies ergab unter der Annahme,
+daß der Stamm sich wie ein hohles Rohr verhält, für den aufsteigenden
+Saft eine Geschwindigkeit von 34 Zoll. Die wahre Geschwindigkeit
+mußte, wie *Hales* bemerkte, viel größer sein, da der Raum des Stammes
+zum größten Teil mit fester Materie ausgefüllt ist. *Hales* fand,
+daß der immergrüne Zitronenbaum viel weniger transpiriert als die
+Sonnenblume, der Weinstock und andere Pflanzen, die ihre Blätter im
+Winter verlieren. Spätere Versuche, die sich auf zwölf immergrüne Bäume
+erstreckten, bestätigten die am Zitronenbaum gemachte Erfahrung[131].
+
+Von besonderem Interesse ist es, daß *Hales* das Ergebnis seiner mit
+den Pflanzen angestellten Versuche fortgesetzt mit den an Tieren und
+Menschen gemachten Beobachtungen verglich. So ergaben die Berechnungen,
+die er an seine Arbeit über die Transpiration der Sonnenblume
+anknüpfte, daß diese Pflanze in derselben Zeit unter Berücksichtigung
+des Körpergewichts 17mal so viel Flüssigkeit aufnimmt und abgibt wie
+der Mensch. Diesen Unterschied sieht *Hales* mit Recht darin begründet,
+daß die Flüssigkeit, welche die Pflanzen aus dem Boden einsaugen, nicht
+soviel Nährsubstanz enthält wie der Saft, der aus dem Verdauungskanal
+in den Körper des Tieres übergeht[132].
+
+[Illustration: Abb. 12. Der Wurzel Ziehen oder Saugen (*Hales*, Statik
+der Gewächse, Tab. III, Fig. X).]
+
+Da die Bewegung des Pflanzensaftes nicht wie bei den Tieren durch ein
+besonderes Triebwerk hervorgerufen wird und, wie *Hales* vermutete,
+nur nach einer Richtung vor sich geht, jedenfalls aber nicht in einem
+Kreislauf innerhalb der Gefäße besteht, so suchte er zunächst die Kraft
+ausfindig zu machen, durch welche die Pflanzen Flüssigkeiten in sich
+ziehen. Neben einem vollbeblätterten Baum wurde eine Grube hergestellt.
+Ein kräftiger Wurzelast wurde abgeschnitten, mit einer Röhre versehen
+und in ein mit Quecksilber gefülltes Becken getaucht (siehe Abb.
+12). Die Wurzel zog alsdann mit solcher Kraft, daß das Quecksilber
+in der Röhre bis zu einer beträchtlichen Höhe emporstieg[133]. Die
+gleiche Wirkung äußerte ein transpirierender Ast, wenn man das mit
+seinem abgeschnittenen Ende verbundene Rohr in Quecksilber tauchte.
+So wurde, um eins der vielen Beispiele zu erwähnen, ein frischer
+Zweig eines jungen Apfelbaums mit einer Röhre verbunden; diese wurde
+sodann mit Wasser gefüllt und in Quecksilber getaucht. Letzteres
+stieg in 7 Minuten um 12 Zoll (Abb. 13). In anderen Fällen wurde das
+Quecksilber jedoch nur wenig gehoben, sodaß *Hales* selbst das infolge
+der Transpiration ausgeübte Saugen der Zweige allein zur Erklärung
+der Wasserbewegung größerer Pflanzen für nicht ausreichend erachtete.
+Er nahm daher als weitere bewegende Kräfte die Kapillarität und den
+Wurzeldruck, den er durch viele Experimente messend verfolgt hat, in
+Anspruch.
+
+Die Erscheinung birgt indes selbst für die heutige Pflanzenphysiologie
+noch manches Rätsel. *Hales* schließt seine Untersuchung mit den
+Worten: »Die Pflanzen ziehen durch ihre kleinen Haarröhrchen die
+Feuchtigkeit so stark an, wie wir es gesehen haben. Die Feuchtigkeit
+verfliegt durch die Transpiration. Diese bewirkt, daß die Saftgefäße
+leer werden und infolgedessen neue Nahrung an sich ziehen.« Seine
+Ansicht, daß es sich bei diesem Vorgang nur um physikalische Kräfte
+handele, suchte er durch Versuche mit anorganischen, porösen Substanzen
+zu stützen. So wurde z. B. eine lange Glasröhre mit Mennige gefüllt
+und in derselben Weise wie die Wurzel mit Wasser und Quecksilber in
+Verbindung gesetzt. Auch in diesem Falle stieg nicht nur das Wasser
+in die poröse Masse empor, sondern das Quecksilber folgte bis zu
+einer Höhe von 8 Zoll. Nachdem man später die saugende Wirkung und
+die Kapillarität als unzureichend erkannt hatte, um das Wasser zu
+nennenswerter Höhe emporzuschaffen, hat man den Sitz der anziehenden
+Kräfte wohl in die Zellwand oder in den Zellinhalt verlegt, ohne daß
+bisher eine nach jeder Richtung befriedigende Erklärung des in Frage
+stehenden Vorgangs gelungen wäre.
+
+[Illustration: Abb. 13. *Hales'* Versuch über das Saugen eines
+transpirierenden Zweiges.]
+
+Die meisterhaften Untersuchungen eines *Hales* haben auch für die
+Aufhellung einer zweiten Reihe von Erscheinungen Grundlagen geschaffen,
+auf denen die Pflanzenphysiologie noch heute fußt. Es sind dies die
+unter dem Namen des Blutens[134] oder Tränens bekannten Vorgänge,
+welche durch den Wurzeldruck veranlaßt werden. *Hales* schnitt einen
+Weinstock 7 Zoll über der Erde ab. Der übriggebliebene Stumpf, Abb. 14
+c, besaß keine Äste, er war 4 bis 5 Jahre alt und 3/4 Zoll dick. An der
+Spitze dieses Stumpfes befestigte *Hales* vermittelst der Hülse b eine
+gläserne Röhre *bf* von 7 Fuß Länge und 1/4 Zoll Durchmesser. Die Fuge
+b dichtete er mit einer Masse aus Wachs und Terpentin, die er mit einer
+nassen Blase gut zuband. Er fügte dann eine zweite Röhre *fg* an die
+erste und fügte an die zweite noch eine dritte *ga*, so daß alle drei
+ein Rohr von 25 Fuß Länge bildeten.
+
+Zunächst sog der Stumpf Wasser ein. Bald darauf drang aber Saft aus
+dem Weinstock und die Flüssigkeit hatte nach wenigen Tagen eine Höhe
+von mehr als 20 Fuß erreicht, so daß *Hales* auf den Gedanken kam, den
+erzeugten Druck durch das soviel schwerere Quecksilber zu messen.
+
+Zu diesem Zwecke schnitt er einen Weinstock, bei a in Abb. 14, einige
+Fuß über der Erde ab. Der Stumpf *ab* besaß keine Zweige und war etwa
+einen Zoll dick. Daran befestigte er die Röhre *ayz* und goß in diese
+Quecksilber. Noch an demselben Tage stieg das Quecksilber bis z und
+stand 15 Zoll höher als im Schenkel x.
+
+[Illustration: Abb. 14. Das Steigen des Pflanzensaftes in einer 25 Fuß
+langen Röhre (*Hales'* Statik der Gewächse, Tab. IV, Fig. 17).]
+
+Einige Tage später betrug die Höhe des Quecksilbers 32½ Zoll. Sie
+würde noch mehr betragen haben, wenn mehr Quecksilber in der Röhre
+gewesen wäre. Die Versuche wurden im April angestellt. Im Verlauf
+des Monats Mai nahm die Kraft des Saftes nach und nach ab. Als die
+Quecksilberhöhe 32½ Zoll betrug, war diese Kraft dem Drucke einer
+36 Fuß 5 Zoll hohen Wassersäule gleich. Bei einem anderen derartigen
+Versuch hob diese Kraft des Saftes das Quecksilber auf 38 Zoll, was dem
+Drucke einer 43 Fuß 3 Zoll hohen Wassersäule entsprach.
+
+*Hales* wies darauf nach, daß diese Kraft etwa fünfmal so groß ist
+wie der Druck des Blutes in einer Pulsader des Pferdes und siebenmal
+größer als der Blutdruck beim Hunde. Den Druck des Blutes ermittelte
+er dadurch, daß er die Tiere lebend auf dem Rücken festband und eine
+große Pulsader öffnete. Darauf verband er diese Ader mit einem Glasrohr
+von 10 Fuß Länge und 1/8 Zoll Durchmesser. In diesem Rohr stieg das
+Blut eines Pferdes 8 Fuß 3 Zoll, dasjenige eines kleinen Hundes dagegen
+6½ Fuß hoch empor.
+
+Die Ansicht, daß in der Pflanze ein Kreislauf der Flüssigkeit wie in
+dem Gefäßsystem der Tiere stattfinde, suchte *Hales* gleichfalls durch
+Versuche zu widerlegen. So brachte er an transpirierenden Pflanzen oder
+Ästen geeignete Einschnitte übereinander an, die sämtlich bis zum Marke
+gingen und nach den vier Himmelsgegenden gerichtet waren. »Obgleich
+auf solche Weise dem Safte wiederholt der gerade Weg benommen war,
+sagt *Hales*, ging dennoch eine erhebliche Menge Feuchtigkeit durch
+den transpirierenden Ast hindurch. Auch wurde die obere Fläche der
+Einschnitte nicht etwa feucht, was doch bei einem Kreislauf des Saftes
+hätte eintreten müssen.«
+
+[Illustration: Abb. 15. Die Bestimmung des Wurzeldruckes mittelst des
+Quecksilbermanometers (*Hales*, Statik der Gewächse, Tab. IV, Fig. 18).]
+
+*Hales* dehnte seine Messungen von der Pflanze ausgehend auf den
+Boden aus. Er entnahm dem Boden Proben aus verschiedener Tiefe
+und bestimmte seinen Feuchtigkeitsgehalt. Ferner bestimmte er die
+Ausdünstung des Bodens ihrer Größe nach und verglich die gewonnenen
+Zahlen mit der Verdunstung des Wassers. Wenn auch die erhaltenen Werte
+noch mit manchen Fehlern behaftet, die Versuche zum Teil roh und die
+Versuchsbedingungen nicht sämtlich bekannt waren, so verdient es doch
+die größte Anerkennung, daß uns hier zum ersten Male das Streben
+begegnet, mit wissenschaftlicher Gründlichkeit ein bisher gänzlich
+unbekanntes Gebiet der Forschung zu erschließen. *Hales* wird daher mit
+Recht als der eigentliche Vater der Pflanzenphysiologie betrachtet. Er
+hat nicht nur den Flüssigkeitsverbrauch, sondern auch den Gaswechsel
+der Pflanze nach wissenschaftlichem Verfahren zu erforschen gesucht und
+zwar mit solchem Erfolge, daß wir ihm auch einen wesentlichen Anteil
+an der Begründung der neueren Chemie zusprechen müssen. Ist es doch
+*Hales*, dem diese Wissenschaft eins ihrer wichtigsten Hilfsmittel, die
+pneumatische Wanne nämlich, sowie wertvolle Untersuchungen über die
+Atmung und die Verbrennung verdankt. Allerdings wurden die Ergebnisse
+seines Forschens dadurch sehr getrübt, daß er noch nicht imstande war,
+die Gasarten zu unterscheiden. Für *Hales* war noch jeder elastisch
+flüssige Stoff, sei es, daß er durch Destillation, durch Gärung
+oder bei der Lösung entstand, durch verschiedenartige Beimengungen
+verunreinigte Luft. Schon früher hatte man bemerkt, daß Pflanzenteile,
+die sich längere Zeit unter einer mit Wasser gefüllten Glocke
+befinden, Gas entwickeln. Hieraus schloß *Hales*, daß die Luft an der
+Zusammensetzung der Pflanzen teilnimmt. Daß sie das Holz durchdringt,
+wies er vermittelst der Luftpumpe nach, auch erwähnt er die von *Grew*
+beschriebenen Dunstlöcher (Spaltöffnungen) und ihre Ähnlichkeit mit
+den Schweißporen. Durch diese Dunstlöcher dringe die zur Ernährung der
+Pflanze nötige Luft in den Stamm und die Blätter ein.
+
+[Illustration: Abb. 16. *Hales'* Versuche über die trockene
+Destillation mit Benutzung der pneumatischen Wanne (*Hales*, Statik,
+Tafel IX, Fig. 38).]
+
+Um das Gas zu untersuchen, das die Pflanzen bei ihrer Zersetzung
+liefern, bediente *Hales* sich gläserner Gefäße, die mit Wasser gefüllt
+und in größeren Behältern umgestülpt wurden (s. Abb. 16). Diese unter
+dem Namen der pneumatischen Wanne bekannte Vorrichtung hat in der Folge
+das Studium der Gase außerordentlich gefördert. Bei der trockenen
+Destillation von 398 Gran Erbsen erhielt *Hales* 396 Kubikzoll Gas, das
+sich an einem Licht entzündete. In einem zweiten Versuch gab ein halber
+Kubikzoll oder 135 Gran von dem Holz einer Eiche 128 Kubikzoll Gas. Das
+entstandene Gas nahm einen bedeutend größeren Raum ein. Es hatte sich
+aus einem Viertel des angewandten Holzes gebildet[135].
+
+Sehr wichtig ist, daß *Hales* seinen Apparat auch auf die Untersuchung
+der Steinkohle anwandte. Durch die trockene Destillation von 158 Gran
+Steinkohle erhielt er 180 Kubikzoll brennbare Luft. *Hales* war wohl
+der Erste, der auf solche Weise die experimentelle Grundlage für die
+Fabrikation des Leuchtgases schuf. An eine praktische Verwertung seines
+Ergebnisses hat man erst hundert Jahre später gedacht.
+
+Daß *Hales* nicht nur Pflanzenphysiologe war, geht aus seinen oben
+erwähnten Versuchen über die Größe des Blutdruckes hervor. *Hales*
+ermittelte, daß der Druck des Blutes in den größeren Arterien den
+Blutdruck in den großen Venen um viele Male (nach seinen Bestimmungen
+10 bis 12mal) übertrifft. Er maß ferner die Kraft, mit der die Lunge
+bei der Atmung sich ausdehnt, an einem der Vivisektion unterworfenen
+Hunde[136]. Er bestimmte den Durchmesser der Lungenbläschen und
+berechnete daraus für die Lunge die innere Gesamtfläche, die er viele
+Male größer als die Oberfläche des betreffenden Tieres fand. An seine
+Versuche über die Atmung knüpfte er ferner hygienische Winke über
+die Heizung und die Ventilation der Wohnräume an. Er konstruierte
+sogar einen Ventilator, um Abhilfe für die ungesunden Zustände
+herbeizuführen, welche damals auf den englischen Kriegsschiffen
+herrschten[137]. *Hales* wurde von dem Gedanken geleitet, daß seine
+Untersuchungen insbesondere dem Ackerbau Nutzen gewähren möchten. Es
+ist ohne Zweifel ein Ausfluß baconischer Philosophie, wenn er sein
+Werk, durchdrungen von der Bedeutung seiner Entdeckungen, mit den
+Worten schließt: »Wenn doch diejenigen, die ihre Zeit und ihr Vermögen
+damit verschwenden daß sie, einer leeren Einbildung folgend, alles in
+Gold verwandeln wollen, an der Erforschung dieser Vorgänge arbeiteten,
+so würden sie, anstatt Wind zu ernten, die Lorbeeren erlangen, mit
+denen nützliche Entdeckungen belohnt werden.« Wichtig ist, wie
+*Hales* seine wenn auch noch unvollkommene Erkenntnis, daß die Luft
+in die Bildung des Pflanzenkörpers eingeht und dabei ihre Elastizität
+verliert, durch das Studium chemischer Vorgänge zu erläutern und
+zu unterstützen sucht. So begegnet uns bei ihm schon jener für die
+spätere Analyse der Atmosphäre wichtige Versuch, daß Phosphor in
+einer abgeschlossenen Luftmenge verbrannt und eine dabei eintretende
+Raumverminderung nachgewiesen wird. Von diesem Versuche und den
+ähnlichen Versuchen *Guerickes*[138] bis zur Entdeckung der Tatsache,
+daß die von dem Phosphor gebundene Luft zu der übrig bleibenden
+Luftmenge stets in einem bestimmten Verhältnis steht, die Luft also
+aus *zwei* Gemengteilen zusammengesetzt ist, war nur noch ein Schritt.
+Auch daß Blei bei seiner Umwandlung in Mennige Luft verschlucke, die
+sich mit dem Blei vereinige und zur Schwere der Mennige beitrage, führt
+*Hales* als Beispiel an. Ja, er erzeugt diese Luft auch durch Erhitzen
+in seiner Retorte wieder, stellt also schon denselben Versuch an, der
+*Priestley* später zur Entdeckung des Sauerstoffs und *Lavoisier* zur
+richtigen Deutung des Verbrennungsprozesses geführt hat. *Hales* besaß
+somit, wie *Black* und andere Zeitgenossen, schon die experimentelle
+Grundlage für diese Deutung. Dennoch konnte man sich von den älteren
+Vorstellungen nicht frei machen. Das Verschwinden der Luft war für
+*Hales* nicht so wesentlich wie die vermeintliche Aufnahme aus dem
+Feuer herrührender Teilchen.
+
+Nach ihrer chemischen Seite ließ sich die Pflanzenphysiologie erst
+fördern, nachdem die Chemie selbst erhebliche Fortschritte gemacht
+hatte. Dies geschah durch die Arbeiten *Priestleys*, *Scheeles* und
+*Lavoisiers* im Verlauf der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
+Auf diese Arbeiten fußten *Ingen-Housz* und *de Saussure*, die wir
+in einem späteren Abschnitt als die eigentlichen Begründer der
+Ernährungsphysiologie kennen lernen werden.
+
+
+
+
+6. Der Ausbau der im 17. Jahrhundert begründeten Sexualtheorie.
+
+
+Außer den im vorigen Abschnitte geschilderten Schritten zur Begründung
+der Ernährungsphysiologie zeitigte das 18. Jahrhundert auf botanischem
+Gebiete auch hervorragende Arbeiten, welche den weiteren Ausbau der von
+*Camerarius* geschaffenen Sexualtheorie bezweckten. Es sind dies die
+Bastardierungsversuche *Kölreuters*, welche das Wesen der pflanzlichen
+Sexualität in das hellste Licht stellten, und *Sprengels* Nachweis der
+wichtigen Rolle, welche die Insekten bei der Befruchtung spielen.
+
+Zwischen dem Erscheinen der Schrift des *Camerarius* über das
+Geschlecht der Pflanzen (1694) und dem Werk *Kölreuters* über den
+gleichen Gegenstand liegt ein Zeitraum von etwa siebzig Jahren.
+Innerhalb dieses ausgedehnten Zeitraums wurde zwar für und gegen
+die neue Lehre viel gestritten, jedoch nur selten der allein den
+Fortschritt bedingende Weg des Versuches weiter verfolgt. So schreibt
+*Leibniz* 1701, die Blüten hätten offenbar die genaueste Beziehung zur
+Fortpflanzung, und es sei von großem Nutzen in der Fortpflanzungsweise
+Unterschiede aufzufinden. *Leibniz* mit seiner Vielgeschäftigkeit war
+indessen nicht der Mann, um mühevolle, zeitraubende Versuche nach der
+erwähnten Richtung anzustellen.
+
+Erwähnenswert für diesen Zeitraum sind die Versuche *Bradleys*[139],
+der zuerst mit Zwitterblüten experimentierte. *Bradley* pflanzte zwölf
+Tulpen und sorgte dafür, daß sich in der Nachbarschaft keine Tulpen
+befanden. Er beseitigte darauf die Staubgefäße dieser Pflanzen, bevor
+sie sich öffneten. Der Erfolg bestand darin, daß keine von den zwölf
+Pflanzen Samen entwickelte.
+
+Ein weiterer Fortschritt in der Erkenntnis der Sexualität der Pflanzen
+war es, daß man wenn auch zunächst vereinzelte Wahrnehmungen über die
+Bestäubung durch Insekten machte. Man[140] bemerkte z. B. bei einer
+Wiederholung des soeben erwähnten Versuches, daß Bienen von einem
+benachbarten Tulpenbeet Blütenstaub auf die der Staubgefäße beraubten
+Blüten übertrugen, und daß letztere dann reife Samen bildeten. Daneben
+beschäftigte man sich mit der Frage, wie der Pollen die Entstehung des
+von der Narbe oft so weit entfernten Samens bewirke. Man kam jedoch
+hierüber zu keinem Ergebnis.
+
+Das Beste, was in dem Zeitraum zwischen *Camerarius* und *Kölreuter*
+über die Sexualität der Pflanzen veröffentlicht wurde, ist wohl
+die Abhandlung von *Gleditsch* vom Jahre 1749[141]. Die Berliner
+Akademie der Wissenschaften ließ seit dem Beginn der ihr so günstigen
+Regierung Friedrichs des Großen der Botanik ihre besondere Förderung
+angedeihen. Ihr Mitglied *Gleditsch* schuf in Jahrzehnte währender,
+unermüdlicher Arbeit einen botanischen Garten, der als ein Muster
+für derartige Unternehmungen gelten konnte. Es wurden Vorlesungen
+über Forstwissenschaft eingerichtet und in einem von *Gleditsch*
+verfaßten Werk entstand das erste wissenschaftliche Lehrbuch für diese
+Disziplin. In gleicher Weise war man in Preußen unter der Führung
+von *Gleditsch* auch für die Landwirtschaft tätig. Man bemühte sich
+nicht nur, die Methoden zu verbessern, sondern war auch auf den Anbau
+neuer Nutzpflanzen bedacht. Es ist erklärlich, daß unter solchen
+Verhältnissen in Preußen auch die wissenschaftliche Botanik manchen
+Fortschritt aufwies. Besonders war es wieder *Gleditsch*, der zu
+Versuchen mit Pflanzen riet und zahlreiche Pflanzenversuche selbst
+anstellte. An dieser Stelle sind vor allem die sich über Jahre und
+zahlreiche Arten erstreckenden Versuche hervorzuheben, über die
+*Gleditsch* in der erwähnten Abhandlung berichtet. Er wählte als
+Versuchsobjekte die diözischen Bäume. Am bekanntesten ist seine
+Befruchtung einer Palme des Berliner botanischen Gartens durch den
+Pollen eines in Leipzig wachsenden männlichen Exemplars derselben Art
+geworden. *Gleditsch* bringt hierüber folgenden Bericht. Die Berliner
+Palme sei achtzig Jahre alt und weiblich; sie habe niemals Früchte
+getragen, auch habe es in Berlin keinen männlichen Baum derselben
+Art gegeben, wohl aber in Leipzig. *Gleditsch* ließ sich darauf die
+Staubgefäßblüten aus Leipzig kommen und streute deren Pollen auf die
+in Berlin blühende weibliche Pflanze. Das Ergebnis war der deutlichste
+Beweis für die Richtigkeit der Lehre von der Sexualität der Pflanzen.
+Der bis dahin völlig sterile Baum setzte nämlich Früchte an, die im
+Winter reiften und im darauf folgenden Frühjahr keimten.
+
+In den Jahrzehnten, die zwischen *Camerarius* und dem großen Vollender
+seines Werkes, *Kölreuter*, liegen, schuf *Linné* sein Pflanzensystem.
+Letzteres gründete sich zwar auf die Zahl und die Beschaffenheit der
+Staubgefäße und der Stempel, hat aber im Grunde genommen mit der
+Feststellung der Sexualität selbst nichts zu tun. Auf mikroskopische
+und experimentelle Forschungen, die hier allein entscheidend sind, hat
+*Linné* zufolge seiner ganzen Richtung wenig Gewicht gelegt.
+
+Mit der Entwicklung der Vorstellungen über die Sexualität der Pflanzen
+haben wir uns an anderen Stellen[142] wiederholt beschäftigt. Die Frage
+war nur auf experimentellem Wege zu lösen, und die Versuche, sie zu
+entscheiden, mehrten sich, nachdem die Entdeckung der Samenfäden[143]
+das Interesse für das Wesen des geschlechtlichen Vorganges auf das
+höchste gesteigert hatte. Im Anschluß an diese Entdeckung hatte
+*Leeuwenhoek* die Lehre aufgestellt, das bewegliche männliche Element
+sei der eigentliche Kernpunkt, aus dem sich der neue Organismus
+entwickle. Für die Botaniker erhob sich infolgedessen die Frage, wie
+dieses Element durch den Griffel in die Höhlung des Fruchtknotens
+gelange. In dem Bestreben, den Befruchtungsvorgang zu erforschen,
+wandte man sich auch mit Eifer den blütenlosen Pflanzen zu. In
+Deutschland wurde insbesondere die Naturgeschichte der Algen, Flechten
+und Moose gefördert[144].
+
+Ein neuer großer Fortschritt in der Enträtselung dieser Fragen erfolgte
+durch *Kölreuter*. Ist zur Erzeugung von keimfähigen Samen eine Wirkung
+des Pollens auf den Stempel erforderlich, die sich auf eine zunächst
+nicht näher zu erklärende Weise der Samenknospe mitteilt, so mußte
+sich die Frage erheben, welchen Anteil das männliche und das weibliche
+Element an dem Zustandekommen eines neuen Pflanzenindividuums besitzen.
+Da letzteres bei normaler Befruchtung den elterlichen Pflanzen
+gleicht, so war diese Frage nur durch die Übertragung des Pollens einer
+Pflanzenart auf die Narbe einer zweiten Art zu entscheiden, wie es
+schon *Camerarius* in Vorschlag gebracht hatte. Gelang dieser Versuch,
+so erwuchs daraus zugleich auch für die Richtigkeit der Sexualtheorie
+eine neue Bestätigung. Der erste, der auf diesem Wege Erfolg hatte
+und die Grundlage für alle in der gleichen Richtung sich bewegenden
+Arbeiten schuf, war der erwähnte *Kölreuter*[145]. *Kölreuters*
+Werk erhebt sich über alle früheren und gleichzeitigen botanischen
+Schriften. Es stellt eine mit großem Scharfsinn und außerordentlicher
+Mühe geschaffene, im Geiste modern wissenschaftlicher Forschung
+geschriebene Abhandlung dar, auf der alle späteren Untersuchungen über
+Sexualität und Bastardbildung fußen.
+
+*Kölreuter* geht von dem Bau des Pollens und den Veränderungen aus,
+die mit dem Pollen nach der Bestäubung vor sich gehen. Trotz der
+damals noch unentwickelten, den feineren Strukturverhältnissen nicht
+gewachsenen mikroskopischen Technik sah er, daß das Pollenkorn eine
+äußere dicke Haut und ein dünneres, darunter liegendes, ungleich
+schwächeres Häutchen besitzt. Das Innere erkannte er als eine körnige,
+im reifen Zustande gleichmäßige, flüssige und durchsichtige Masse
+(Protoplasma). Er bemerkte ferner die Stacheln und das Aufspringen der
+äußeren Haut, sah die Deckel, die sich von den in ihr entstehenden
+Löchern abheben, ja er sah endlich die innere Haut als Ausstülpung aus
+diesen Löchern hervortreten, beobachtete somit wenigstens den Beginn
+der Pollenschlauchbildung. Weiter vermochte *Kölreuter* den Vorgang
+nicht zu verfolgen. Der gewonnene Einblick war also nur unvollständig.
+Da *Kölreuter* trotzdem, losgelöst von der Erfahrung, weiterschritt,
+so konnte die von ihm geschaffene Theorie des Befruchtungsvorganges
+das Wesen des letzteren nicht aufhellen. Nach *Kölreuter* findet die
+Befruchtung schon auf der Narbe statt, indem sich die dort befindliche
+Flüssigkeit, die er für den weiblichen Zeugungstoff hielt, mit der
+öligen, männlichen Flüssigkeit des Pollenkorns vermische. Diese
+Mischung werde von der Narbe und dem Griffel aufgesogen und gelange
+dadurch in den Fruchtknoten, um dort in den Samenanlagen die Keimlinge
+zu erzeugen.
+
+Den Schleier von diesem für das Verständnis der organischen Welt
+grundlegenden Vorgang zu lüften, gelang erst den vereinten, mühevollen
+Anstrengungen zahlreicher Forscher des 19. Jahrhunderts.
+
+Die weiteren Untersuchungen *Kölreuters* befaßten sich mit der Frage,
+wie viel Pollenkörner zur Befruchtung nötig seien. Er wies nach, daß
+ein einziges Pollenkorn genügt, um einen einsamigen Fruchtknoten
+zu befruchten. Daraus schloß *Kölreuter*, daß die Zahl der für die
+Befruchtung nötigen Staubkörner im Verhältnis zu den in der Blüte
+vorhandenen Staubkörnern sehr gering sei. Er bewies dies durch
+folgenden Versuch. In einer Blüte von Hibiscus venetianus zählte
+*Kölreuter* 4863 Pollenkörner. Die Samenkapsel dieser Pflanze enthält
+aber bei der vollkommenen natürlichen Befruchtung nur etwa 30 Samen. Um
+letztere zu erzeugen, waren 50-60 Staubkörner erforderlich. Übertrug
+*Kölreuter* die zehnfache Menge auf die Narbe der Pflanze, so erhielt
+er deswegen nicht mehr und auch nicht etwa vollkommenere Samen. Man
+sieht, es waren ins kleinste gehende und dennoch für das Verständnis
+des Befruchtungsvorganges höchst wichtige Versuche, die wir *Kölreuter*
+verdanken.
+
+*Kölreuter* erörtert darauf die Möglichkeit, daß der Pollen der
+einen Art auf die Narbe der anderen gelange, erklärt aber als echter
+Naturforscher sofort, daß über den Erfolg einer solch widernatürlichen
+Vermischung nur der Versuch entscheiden könne. Von vornherein nimmt
+*Kölreuter* an, daß diese Vermischung etwas Außergewöhnliches sei.
+Die Natur, meint er, die jederzeit auch bei scheinbarer Unordnung die
+schönste Ordnung beobachte, habe dieser Verwirrung bei den Tieren außer
+durch andere Mittel besonders durch die natürlichen Triebe vorgebeugt.
+Man müsse daher annehmen, daß die Natur bei den Pflanzen, bei denen
+der Wind und die Insekten zu einer widernatürlichen Vermischung häufig
+Gelegenheit gäben, den Wirkungen dieser Vermischung durch ebenso
+sichere Mittel ihre Kraft zu benehmen gewußt habe. Am ehesten werde
+diese Vermischung in den botanischen Gärten vorkommen können, besonders
+wenn die Pflanzen dort so geordnet wären, daß die ähnlichsten am
+meisten benachbart seien -- bei einer Gruppierung nach dem natürlichen
+System würden wir heute sagen.
+
+Die erste Bastardierung gelang nach vielen vergeblichen Versuchen
+im Jahre 1760 an zwei Tabaksarten. »Weil ich schon lange von dem
+Geschlecht der Pflanzen überzeugt war,« sagt *Kölreuter*[146] darüber,
+»und an der Möglichkeit einer Bastarderzeugung niemals gezweifelt
+hatte, so ließ ich mich durch nichts abhalten, Versuche darüber
+anzustellen, in der Hoffnung, daß ich vielleicht einmal so glücklich
+sein würde, eine Bastardpflanze zu Wege zu bringen. Ich habe es endlich
+auch bei der Nicotiana paniculata und der Nicotiana rustica soweit
+gebracht, daß ich mit dem Pollen der ersteren den Stempel der anderen
+befruchtet, vollkommene Samen erhalten und aus diesen noch in demselben
+Jahre junge Pflanzen gezogen habe.«
+
+Da *Kölreuter* diesen Versuch bei vielen Blumen zu verschiedenen
+Zeiten und mit aller nur möglichen Vorsicht angestellt und jedesmal
+vollkommenen Samen erhalten hatte, waren jeder Irrtum und die
+Möglichkeit eines Versehens ausgeschlossen. Einen weiteren Beweis, daß
+die künstliche Bastardierung gelungen sei, brachte die Aussaat der
+durch jene Versuche erhaltenen Samen.
+
+*Kölreuter* bemerkte nämlich zu seiner größten Genugtuung, daß die aus
+dem Samen des Bastards gezogenen Pflanzen nicht nur in der Ausbreitung
+ihrer Äste und der Farbe der Blumen, sondern auch bezüglich fast
+aller zur Blume gehörenden Teile die Mitte zwischen beiden Stammarten
+innehielten. Dieses Ergebnis war mit der im 18. Jahrhundert von vielen
+gehegten, unter dem Namen der Evolutionstheorie bekannten Lehre, daß
+die Embryonen fertig in den weiblichen Organen vorhanden seien und
+es zu ihrer Belebung nur eines Anstoßes durch den Pollen oder Samen
+bedürfe, wie auch *Kölreuter* hervorhebt, ganz unvereinbar. Durch seine
+Versuche, meint er mit Recht, sei die alte aristotelische Lehre von der
+Erzeugung durch zweierlei Zeugungsstoff vollkommen bestätigt.
+
+In einem Punkte zeigte der Bastard jedoch ein bemerkenswertes
+Verhalten. Seine Staubgefäße waren auffallend klein und enthielten
+weniger Blütenstaub. Dieser war auch nicht mit Flüssigkeit gefüllt,
+sondern bestand aus leeren Bälgen, die eine Befruchtung nicht
+hervorzurufen vermochten. »Es ist also«, ruft *Kölreuter* aus[147],
+»diese Pflanze im eigentlichen Sinne ein wahrer und, soviel mir
+bekannt, der erste botanische Maulesel, der auf künstlichem Wege
+hervorgebracht worden ist.« Obgleich der Bastardtabak durch seinen
+eigenen Staub nicht befruchtet werden konnte, gelang es doch, ihn mit
+dem Pollen seiner Stammarten, sei es die Vater- oder die Mutterpflanze,
+zu befruchten. In beiden Fällen erhielt *Kölreuter* vollkommene
+Samen, wenn auch in einer ungleich geringeren Zahl als bei den nicht
+bastardierten Pflanzen durch »eine der Ordnung der Natur gemäße
+Befruchtung« erzeugt werden.
+
+Das Nächstliegende war nun, den Versuch sozusagen umzukehren und
+die Narbe von Nicotiana paniculata mit dem Pollen der Nicotiana
+rustica zu bestäuben. Zwar fand auch dieses Mal eine Befruchtung
+statt; doch waren die erhaltenen Samen kleiner als die natürlichen, und
+von sechzig dieser künstlich erhaltenen Samen ging nicht einer auf.
+Indessen übertrafen sie die unbefruchteten Samen, welche man von einer
+Blume erhält, die überhaupt keinen Pollen empfangen hat, bei weitem.
+*Kölreuter* schloß daraus, daß in ihnen trotz ihrer Unfruchtbarkeit
+doch etwas von einer Befruchtung und etwas von einem darauf erfolgten
+Wachstum vor sich gegangen sein müsse.
+
+Daß Pflanzenbastarde möglich seien, hatte *Linné* aus »philosophischen
+Gründen« angenommen, ohne je ein Experiment nach dieser Richtung zu
+machen. So leitete er eine Veronikaart von zwei anderen Arten derselben
+Pflanze ab, nur weil alle drei Formen in demselben Gebiet vorkamen.
+Die Gattung Saponaria sollte durch Bestäubung mit dem Pollen einer
+Gentiana, eine Actaeaart, mit Rhus toxicodendron Bastardformen
+liefern. Diesen vagen Vermutungen *Linnés* gegenüber wies *Kölreuter*
+durch zahlreiche Versuche nach, daß Bastardpflanzen sich nicht so
+leicht erzeugen lassen und daß die Bastardierung eine weit größere
+Ähnlichkeit der betreffenden Arten voraussetzt, als man bisher wohl
+angenommen hatte. Bei vielen Pflanzen ergab sich trotz ihrer nahen
+Verwandtschaft bei *Kölreuters* Bastardierungsversuchen nicht der
+geringste Erfolg.
+
+Auf die epochemachende Veröffentlichung *Kölreuters* von 1761 folgte
+die zweite Abhandlung im Jahre 1763. Sie brachte eine Fülle von
+neuem, die erste Mitteilung ergänzenden Material. Von 60 Samen des
+Bastards von Nicotiana paniculata (♀) und Nicotiana rustica
+(♂), die *Kölreuter* ausgesät hatte, war, wie 1761 erwähnt, kein
+einziger aufgegangen[148]. Eine Wiederholung brachte ein teilweises
+Gelingen. *Kölreuter* erhielt nämlich von vier Kapseln, deren Samen
+er zu verschiedener Zeit gesät hatte, acht Pflanzen, eine Zahl, die
+allerdings im Verhältnis zur Zahl der in den vier Kapseln befindlichen
+Samenkörner nur gering war.
+
+Grundlegend waren auch die Versuche, die Bastarde durch wiederholte
+Bestäubung mit dem Blütenstaub der väterlichen Urform in diese
+zurückzuführen. Wurde die Narbe eines Bastards von Nicot. rustica ♀
+und Nicot. panic. ♂ dem Pollen von Nicotiana rustica ♂ bestäubt, so
+näherte sich die aus dieser Vermischung hervorgehende Generation wieder
+der Nicotiana rustica; und diese Annäherung trat bei einer weiteren
+durch abermalige Bestäubung mit dem Pollen von Nicotiana rustica
+erzeugten Generation noch mehr in die Erscheinung.
+
+Weitere Bastarde rief *Kölreuter* innerhalb der Gattungen Dianthus,
+Hyoscyamus, Verbascum, Mattiola und anderen ins Leben. Ferner
+gelang ihm die Erzeugung von zusammengesetzten, d. h. aus drei oder
+mehr Arten hervorgegangenen Bastarden. So erfolgte die Vermischung von
+drei Nicotianaarten nach folgendem Schema:
+
+ Nicot. rustica ♀ }
+ Nicot. panic. ♂ } ♀ }
+ Nicot. panic. ♂ } ♀
+ Nicot. glut. ♂
+
+Zu den merkwürdigsten Versuchen gehört *Kölreuters* Erzeugung von
+Bastarden höheren Grades oder die »gänzlich vollbrachte Verwandlung
+einer natürlichen Pflanzenart in eine andere«. So gelingt die
+Verwandlung der Nicotiana rustica in Nicotiana paniculata nach
+folgendem Schema:
+
+ Nicot. rustica ♀ }
+ Nicot. panic. ♂ } ♀ }
+ Nicot. panic. ♂ } ♀ }
+ Nicot. panic. ♂ } ♀ }
+ Nicot. panic. ♂ } ♀
+
+Es wurde also durch vier Generationen, ausgehend von Nicotiana
+rustica, zur Bestäubung stets wieder der Pollen von Nicotiana
+paniculata benutzt. Das Ergebnis war, daß die vierte so erzeugte
+Generation in allen Eigenschaften Pflanzen der Nicotiana paniculata
+waren. Um gänzlich verwandelt zu werden, mußten einige Pflanzen
+wohl einige Grade mehr durchlaufen. Bei anderen wiederum ließ sich
+die völlige Umwandlung schon in der zweiten oder dritten Generation
+erreichen. Ähnlich verhielt es sich mit der Zurückführung einer bereits
+verwandelten Art in die ursprüngliche Mutterpflanze. Die Ergebnisse
+waren so wunderbar, daß *Kölreuter* selbst sagt, die Möglichkeit
+solcher Vorgänge würde ihm zu Beginn seiner Versuche nicht einmal im
+Traume eingefallen sein.
+
+Daß die Bastardbildung in der Natur keinen solchen Umfang besitzt,
+als man nach diesen Versuchen vermuten sollte, hat, wie *Kölreuter*
+gleichfalls experimentell nachwies, seinen guten Grund. Kommt nämlich
+fremder und von derselben Art herrührender Blütenstaub auf die Narbe,
+so wirkt auch bei naher Verwandtschaft nur der letztere. Trotzdem
+ist, wie neuere Forschungen[149] dargetan haben, die Bastardbildung
+vielleicht eins der Mittel, die zur Entstehung neuer Arten führen.
+Wenn auch durch den Wind und durch die Insekten zu jeder Zeit und
+aller Orten Verwechslungen des Pollens bewirkt werden, so hat, wie
+*Kölreuter* sich ausdrückt, der Schöpfer »durch ein in die Natur
+gelegtes Gesetz, das wir nicht genug bewundern können, doch jeder zu
+besorgenden Unordnung und Verwirrung vorgebeugt. Dies Gesetz besteht
+darin, daß wenn eigener und fremder Samenstaub etwa zu gleicher Zeit
+auf die Narbe kommen, der eigene männliche Staub nur allein angenommen,
+der fremde hingegen gänzlich von der Befruchtung ausgeschlossen wird«.
+
+Durchdrungen von der Bedeutung dieser Ergebnisse meint *Kölreuter*,
+man habe die Verwandlung der Metalle ineinander seit uralten Zeiten
+für möglich gehalten, es sei aber keinem Menschen eingefallen, eine
+Pflanze in eine andere oder ein Tier in ein anderes zu verwandeln,
+vermutlich weil man dies für schwieriger angesehen. Dennoch habe er
+das letztere Problem in wenig Jahren gelöst, während man seit vielen
+Jahrhunderten die Metallverwandlung vergeblich zu bewerkstelligen
+suche. *Kölreuter* kam auch auf den Gedanken, das gleiche Problem auf
+die Tierwelt zu übertragen. Auch hier, meinte er, werde sich aller
+Wahrscheinlichkeit nach die Verwandlung auf die gleichen Gesetze
+gründen und sich ebenso gewiß wie bei den Pflanzen bewerkstelligen
+lassen. »Warum sollte man,« ruft er aus, »einen Kanarienvogel nicht in
+einen Hänfling verwandeln können.« Wenn man erwäge, daß durch seine
+Bastardierungen die Umwandlung einer Pflanzenart in eine zweite von
+wesentlich anderem Aussehen gelungen sei, so dürfe man etwas Ähnliches
+in der Tierwelt nicht für unmöglich halten. Unter Anspielung auf
+*Ovids* »Metamorphosen« bemerkt *Kölreuter*, daß die ihm gelungenen
+Umwandlungen den Vorzug besäßen, nicht nur in der Einbildung eines
+Dichters, sondern in der Wirklichkeit zu bestehen.
+
+Mit der künstlichen Züchtung von Bastarden aus verschiedenen
+Tierarten hat sich zuerst eingehender der italienische Physiologe
+*Spallanzani*[150] beschäftigt. Seine Versuche erstreckten sich
+besonders auf Amphibien und Insekten. Dabei bediente sich *Spallanzani*
+des Hilfsmittels der künstlichen Befruchtung.
+
+Wir haben bei *Kölreuters* Arbeiten etwas länger verweilt, weil sie zu
+den besten und lehrreichsten physiologischen Versuchen zählen. Seine
+Schrift wird nie veralten[151]. Sie mutet uns an, als ob sie unserer
+Zeit gehört und bildet die Grundlage alles dessen, was wir über die
+Sexualität der Pflanzen wissen. Mehr beiläufig machte *Kölreuter*
+einige sehr wichtige Beobachtungen, die er jedoch nicht weiter
+verfolgte. Sie bildeten vielmehr den Ausgangspunkt für die Erschließung
+weiter neuer Gebiete durch *Sprengel* und spätere Forscher. So erkannte
+*Kölreuter* die Dichogamie von Epilobium, die Reizbewegungen gewisser
+Staubgefäße und Narben, sowie an Verbascum die Tatsache, daß der
+Blütenstaub nicht befruchtend auf dieselbe Blüte wirkt. Das Seltsamste,
+sagt er bei der Schilderung der Sexualvorgänge von Verbascum, sei ihm
+gewesen, daß sich die Blüte durch ihren eigenen Staub nicht befruchten
+ließ. Zuerst wollte er nicht an die Richtigkeit seiner Beobachtung
+glauben. Fortgesetzte Versuche bestätigten sie jedoch. »Ich halte mich
+aber,« sagt er, »da ich keinen sicheren Grund davon zu geben weiß,
+nicht länger dabei auf.«
+
+Die Entdeckung, daß der Pollen nicht nur durch den Wind, sondern auch
+durch Insekten auf die Narben übertragen wird, während diese Tiere
+dem in den Blüten enthaltenen Nektar nachgehen, rührt gleichfalls von
+*Kölreuter* her. »Bei allen Kürbisgewächsen, Schwertlilien und nicht
+wenigen Malvenarten,« sagt er[152], »geschieht die Bestäubung allein
+durch Insekten. Ich erstaunte, als ich diese Entdeckung an einer der
+genannten Pflanzen machte und sah, daß die Natur eine so wichtige
+Sache wie die Fortpflanzung einem bloßen Ungefähr, einem glücklichen
+Zufall überlassen habe. Mein Erstaunen verwandelte sich aber bei
+fortgesetzter Beobachtung in die Bewunderung eines dem ersten Anschein
+nach zufälligen, in der Tat aber sichersten Mittels, dessen sich hier
+der weise Schöpfer bei der Fortpflanzung bedient.«
+
+»Zwar verrieten,« fährt er fort, »die Bewegungen der Insekten nicht die
+Absicht, die Bestäubung zu verrichten, obgleich sie nicht nur für die
+Blumen, sondern auch für die Erhaltung jener Tiere die allerwichtigste
+Handlung ist.« *Kölreuter* erkannte, daß zahlreiche Blumen einen
+zuckerhaltigen Saft, den Nektar, absondern und daß diesem der Besuch
+der Insekten gilt.
+
+Von besonderem Interesse ist *Kölreuters* Aufhellung des
+Zusammenwirkens von Tier und Pflanze bei der Mistel[153]. Die
+Bestäubung der weiblichen Misteln, sie mögen nun mit den männlichen
+auf einem Baume stehen oder in großer Entfernung auf anderen Bäumen
+wachsen, geschieht nach *Kölreuter* allein durch Insekten und zwar
+durch gewisse Fliegen, die eine in den männlichen wie auch in den
+weiblichen Blüten befindliche süße Flüssigkeit aufsuchen. Ziehe man
+die Beschaffenheit und die Menge des Blütenstaubes in Betracht,
+so müsse man einsehen, daß man hier die Bestäubung durch den Wind
+vergebens erwarten müßte. Wie die Befruchtung von Insekten, so hänge
+die Verbreitung der Samen der Mistel von Vögeln ab. Es liege hier also
+der bis dahin ganz unbekannte Fall vor, daß das Bestehen einer Pflanze
+an die Existenz von zwei ganz verschiedenen Tierklassen geknüpft sei.
+Andererseits sei die Erhaltung der in Betracht kommenden Insekten und
+Vögel wieder auf das Dasein der Mistel gegründet, ein Beispiel, »woraus
+die genaue und notwendige Verbindung aller Dinge untereinander sattsam
+erhelle«.
+
+Die Entdeckung *Kölreuters* über die Beziehungen zwischen Blumen
+und Insekten weiter verfolgt und im einzelnen den Nachweis des
+Zusammenwirkens der Tier- und Pflanzenwelt erbracht zu haben, ist das
+große Verdienst *Sprengels*, von dem mit Recht behauptet wurde[154],
+daß er an Kühnheit des Gedankens und an Genialität des Forschens weit
+über *Camerarius*, ja selbst über *Kölreuter* hinausragte. Leider
+hatte dies zur Folge, daß er von seinen Zeitgenossen und Epigonen noch
+weniger verstanden wurde als jene Männer.
+
+*Christian Konrad Sprengel* wurde im Jahre 1750 als der Sohn eines
+Geistlichen in Brandenburg a. d. H. geboren. Nachdem er Theologie
+und Philologie studiert hatte, wurde er zunächst Lehrer in Berlin
+und darauf in Spandau (1780) Rektor einer Schule. *Sprengel* widmete
+sich der Botanik mit solchem Eifer, daß ihm schließlich von seiten
+des ihm vorgesetzten kirchlichen Superintendenten und der Spandauer
+Bürgerschaft Widerwärtigkeiten erwuchsen. Der Superintendent als
+Inspektor der Schule konnte es *Sprengel* nicht verzeihen, daß er
+am Sonntag botanische Exkursionen machte und darüber die Predigt
+versäumte. Im Jahre 1794, ein Jahr nach der Herausgabe seines Werkes,
+schied er daher aus dem Amte.
+
+Die zeitgenössischen Botaniker vermochten die Ergebnisse der Arbeiten
+*Sprengels* nicht zu würdigen. Sein Buch fand nur geringen Beifall.
+Dies bewog ihn leider, seine Forschungen ganz aufzugeben und sich
+wieder der Philologie zu widmen. Einsam, verkannt und verarmt starb er
+am 7. April des Jahres 1816. *Sprengels* Werk, sowie sein Name gerieten
+in Vergessenheit, bis kein geringerer als *Darwin*, dessen Forschungen
+auf die Beziehungen zwischen Blumen und Insekten ein neues Licht
+geworfen haben, wieder auf *Sprengel* und dessen »eigentümliches Buch
+mit dem sonderbaren Titel« aufmerksam machte[155].
+
+Daß Blütenstaub auf die Narbe gelangen muß, wenn sich aus dem
+Fruchtknoten eine mit keimfähigen Samenkörnern gefüllte Samenkapsel
+bilden soll, war durch frühere Forschungen nachgewiesen. *Sprengel*
+blieb der Nachweis vorbehalten, »daß die Befruchtung des Fruchtknotens
+der Endzweck ist, auf den sich der ganze Aufbau der Saftblume bezieht
+und aus dem er sich völlig erklären läßt«[156]. Über den Vorgang der
+Befruchtung selbst konnten erst die mikroskopischen Untersuchungen des
+19. Jahrhunderts Aufschluß bringen[157]. Auch die Mikroskopiker jener
+Zeit, wie *Ledermüller*[158], bemühten sich vergeblich, die Vorgänge,
+die nach der Bestäubung der Blüten eintreten und zur Befruchtung
+führen, zu verfolgen. »Ich habe mir,« sagt *Ledermüller*[159], »alle
+Mühe gegeben, Öffnungen auf der Narbe zu sehen, in welche die Körner
+des Blütenstaubes kommen möchten, allein ich habe solche nicht
+entdecken können. Ich glaube daher, daß nicht der Staub selbst,
+sondern vielmehr die in seinen Körnern eingeschlossene Substanz die
+Befruchtung veranlaßt.« Jedoch ist *Ledermüller* wohl bekannt, daß
+sich in manchen Fällen in dem Griffel ein Kanal nachweisen läßt[160].
+Er erwähnt auch, daß von anderer Seite ein Eindringen des Staubes
+in diesen Kanal behauptet und der Befruchtungsvorgang in dieser
+Erscheinung erblickt werde.
+
+*Sprengel* glaubte, daß ein aus den Pollenkörnern hervorschwitzendes Öl
+die befruchtende Substanz sei. Wenn der Staub auf die Narbe gekommen
+ist, meint *Sprengel*, so dringt zwar nicht er selbst, da er viel zu
+grob sei, wohl aber das feine, befruchtende Wesen, welches er enthält,
+durch die Narbe hindurch in das Innere des Fruchtknotens und wirkt dort
+auf die Samenanlagen. Wegen der Ähnlichkeit dieser Befruchtungsart
+mit derjenigen im Tierreich nenne man mit Recht die Staubgefäße den
+männlichen, den Stempel dagegen den weiblichen Befruchtungsteil. Und es
+sei leicht einzusehen, daß dieses die wesentlichsten Teile der Blume
+seien. Die Klarstellung dieser Verhältnisse blieb jedoch, wie schon
+erwähnt, dem 19. Jahrhundert vorbehalten.
+
+[Illustration: Abb. 17. Die Blüte des Sumpfstorchschnabels. (Aus
+*Sprengel*, das entdeckte Geheimnis der Natur.)]
+
+Auf die Anpassung der Blüten an die Bestäubung durch Insekten wurde
+*Sprengel* besonders durch das Studium der Nektar absondernden
+Organe geführt. Als er im Sommer des Jahres 1787 die Blume des
+Waldstorchschnabels (Geranium silvaticum) aufmerksam betrachtete,
+fand er, daß der unterste Teil ihrer Kronenblätter auf der inneren
+Seite und an den beiden Rändern mit feinen Haaren versehen ist. Unter
+diesen Haaren erblickte er fünf Drüsen und fünf von diesen Drüsen
+abgesonderte Safttröpfchen, die, wie er erkannte, gewissen Insekten
+zur Nahrung dienen. *Sprengel* schloß, daß durch die Haare dafür
+gesorgt sei, daß der Saft nicht vom Regen verdorben werde. Da die
+Blume des Storchschnabels aufrecht steht und ziemlich groß ist, so
+könne es vorkommen, daß Regentropfen in sie hineinfallen. Es könne
+aber kein Tropfen zu einem Safttröpfchen gelangen und sich mit ihm
+vermischen, weil jeder Tropfen von den Haaren, die sich darüber
+befinden, aufgehalten werde. Ein Insekt dagegen werde durch diese Haare
+nicht daran gehindert, zu den Safttröpfchen zu gelangen. Dies war
+das Ergebnis von *Sprengels* Untersuchung des Sumpfstorchschnabels.
+Ähnliche Beobachtungen stellte er an anderen Saftblumen an. Er fand sie
+alle so eingerichtet, daß zwar die Insekten leicht zum Saft gelangen
+können, der Regen ihn aber nicht verderben kann. *Sprengel* schloß
+daraus, daß der Saft um der Insekten willen abgesondert werde, und daß
+der Saft, damit die Insekten ihn rein und unverdorben genießen könnten,
+gegen den Regen gesichert sei. Daß die Haare nicht immer als Schutz
+gegen Regen dienen, sondern in manchen Fällen auch die Aufgabe haben,
+unberufene Gäste von den Blumen fern zu halten, ist *Sprengel* noch
+entgangen.
+
+Später untersuchte *Sprengel* das Vergißmeinnicht (Myosotis
+palustris). Er fand, daß auch bei dieser Blume der Saft gegen den
+Regen völlig gesichert ist. Zugleich fiel ihm der gelbe Ring auf,
+welcher die Öffnung der Kronenröhre umgibt und gegen die blaue Farbe
+des Kronensaums so schön absticht. Sollte wohl, dachte er, dieser
+Umstand sich auch auf die Insekten beziehen und die Natur diesen Ring
+deshalb so auffallend gefärbt haben, damit er den Insekten den Weg
+zum Safthalter zeige? *Sprengel* untersuchte mit Rücksicht auf diese
+Annahme andere Blumen. Er erkannte, daß sich solche Flecken, Figuren,
+Linien oder Tüpfel von besonderer Farbe dort zeigen, wo sich der
+Eingang zum Safthalter befindet. Nun schloß er: »Wenn die Krone wegen
+der Insekten an einer besonderen Stelle besonders gefärbt ist, so ist
+sie überhaupt der Insekten wegen gefärbt; und wenn jene besondere
+Farbe eines Teiles der Krone dazu dient, daß ein Insekt, das sich auf
+die Blume gesetzt hat, den rechten Weg zum Saft leicht finden kann,
+so dient die Farbe der Krone dazu, daß die Blumen den Insekten als
+Saftbehältnisse schon von weitem in die Augen fallen.«
+
+Als *Sprengel* einige Arten der Iris untersuchte, fand er, daß ihre
+Blumen gar nicht anders befruchtet werden können als durch Insekten. Er
+untersuchte, ob auch andere Blumen so gebaut seien und überzeugte sich,
+daß viele, ja vielleicht alle Saftblumen, von den Insekten, die sich
+von dem Safte nähren, befruchtet werden. »Dann wäre«, sagt er, »diese
+Ernährung der Insekten zwar in Ansehung ihrer selbst Endzweck, in
+Ansehung der Blumen aber nur das Mittel zu deren Befruchtung.«
+
+Ferner entdeckte *Sprengel*, daß die Staubgefäße sich mitunter früher
+entwickeln als die Stempel, eine Beobachtung, die er zum ersten
+Male am schmalblättrigen Weidenröschen (Epilobium angustifolium)
+machte. Das Gegenteil lernte er an der gemeinen Wolfsmilch (Euphorbia
+Cyparissias) kennen. Er fand, daß bei dieser Pflanze zunächst der
+Griffel aus der Blume hervorragt, während von den Staubgefäßen noch
+nichts zu sehen ist. Die Staubgefäße befinden sich während dieses
+Zustandes noch am Grunde der Krone und enthalten noch nicht einmal
+fertig gebildeten Staub. Nach einigen Tagen strecken sie sich und
+versenden ihren Staub. Wenn die Insekten in eine ältere Blume
+hineinkriechen, so streifen sie diesen Staub ab. Besuchen sie dann eine
+jüngere Blume, so gelangt der Staub dort auf die Narbe und übt seine
+befruchtende Wirkung aus[161].
+
+Die als Dichogamie bezeichnete ungleichzeitige Entwicklung der
+Staubgefäße und der Stempel ist, wie auch alle späteren Forschungen
+dargetan haben, das gewöhnlichste und einfachste Mittel, um die
+Selbstbefruchtung einer Zwitterblume zu verhindern. Öffnen sich
+die Staubbeutel, wenn die Narben noch unentwickelt sind, so heißt
+die Pflanze protandrisch. Wird die Narbe vor der Verstäubung
+empfängnisfähig, so kann sie nur den Blütenstaub älterer Blumen
+empfangen. Die Pflanze wird dann protogynisch genannt. Auf die im
+vorstehenden kurz geschilderten Hauptentdeckungen *Sprengels* gründete
+er die Theorie, daß der ganze Bau der Saftblumen in allen ihren
+Einzelheiten der Bestäubung durch Insekten angepaßt sei.
+
+Von Interesse sind auch *Sprengels* Ausführungen über seine von dem
+Herkommen völlig abweichende Art des botanischen Studiums. Wer sich
+Blumen vom Felde hole und sie auf dem Zimmer untersuche, der werde
+nicht den Plan der Natur im Bau der Blumen entdecken. Man müsse die
+Pflanzen vielmehr an ihrem Standort untersuchen und darauf achten, ob
+sie von Insekten und von welchen Insekten sie besucht werden, wie sich
+die Insekten verhalten, ob sie die Staubbeutel oder die Narbe berühren.
+Kurz, man müsse die Natur auf der Tat zu ertappen suchen.
+
+Wie *Sprengel* eine der bekanntesten Anpassungen solcher Art im
+einzelnen aufdeckt, zeigt seine Untersuchung der Osterluzzei
+(Aristolochia Clematitis), einer in Gebirgswäldern häufig
+vorkommenden protogynischen Pflanze. *Sprengel* hatte fast jedesmal
+kleine Fliegen in dem Kessel (Abb. 18, k) der aufrecht stehenden Krone
+A gefunden, während in dem Kessel einer herabhängenden Krone (B)
+keine einzige Fliege war. *Sprengel* glaubte zuerst, das Innere der
+Krone sei glatt, so daß die Insekten, wenn die Blume sich nach unten
+kehrt, herausfielen. Als diese Vermutung indessen nicht bestätigt
+wurde, schnitt er die Krone auf. Da sah er, »daß die Röhre der
+aufrechtstehenden Blume mit steifen, fadenförmigen Haaren besetzt
+ist. Diese Haare sind mit ihrer Spitze nicht der Öffnung der Krone,
+sondern dem Kessel zugekehrt und bilden eine kleine Reuse, durch
+welche die Fliegen zwar leicht in den Kessel hinein, aber nicht wieder
+herauskriechen können. In der herabhängenden Blume sind dagegen die
+Haare verwelkt. Hierdurch war also das Gefängnis geöffnet worden, und
+die Fliegen hatten nicht gesäumt, sich wieder ins Freie zu begeben.«
+
+[Illustration: Abb. 18. Blüte der Osterluzzei. A vor und B nach der
+Bestäubung[162].]
+
+*Sprengel* zeigte, daß die Blume der Aristolochia drei verschiedene
+Zustände durchläuft. Nachdem sie eine bestimmte Größe erlangt und sich
+geöffnet hat, scheint sie zwar zu blühen, sie ist aber trotzdem nicht
+fähig, befruchtet zu werden, weil zunächst weder ein Staubgefäß seine
+gehörige Reife noch die Narbe ihre völlige Ausbildung erhalten haben.
+Während dieses Zustandes fängt die Blume eine Anzahl Fliegen ein,
+von denen sie im zweiten Stadium ihrer Entwicklung befruchtet wird.
+Sobald die Natur diesen Endzweck erreicht hat, versetzt sie die Blume
+in den dritten Zustand. Die Blume kehrt sich nämlich um, die kleine
+Reuse verschwindet, und die Fliegen erhalten ihre Freiheit wieder. Daß
+bei der Osterluzzei Fremdbestäubung stattfindet, indem die befreiten,
+mit dem Pollen bedeckten Insekten die früher als die Staubbeutel sich
+entfaltende Narbe einer jüngeren Blume bestäuben, hat *Sprengel*
+übersehen. Im übrigen war er der erste, der bei anderen Pflanzen auf
+die Fremdbestäubung aufmerksam gemacht und die Dichogamie als das
+sicherste Mittel zur Erreichung der Fremdbestäubung nachgewiesen
+hat. »Da viele Blumen«, sagt er, »getrennten Geschlechtes und viele
+Zwitterblumen dichogam sind, so scheint die Natur es nicht haben zu
+wollen, daß irgend eine Blume durch ihren eigenen Staub befruchtet
+wird«[163].
+
+Von den wunderbaren Einrichtungen, die *Sprengel* auf jenen Zweck
+zurückführte, seien noch diejenigen erwähnt, welche die Blüten der
+Berberitze, des Wiesensalbeis (siehe Abb. 19) und der Orchideen
+aufweisen.
+
+Bei Berberis beschreibt *Sprengel* das Verhalten der Staubgefäße, die
+sich bei der Berührung durch ein Insekt gegen den Stempel bewegen.
+Allerdings glaubte er, daß dieses Verhalten auf eine Selbstbestäubung
+hindeute, während tatsächlich das die Blüte besuchende Insekt durch
+die reizbaren Staubfäden mit Blütenstaub bedeckt wird und ihn auf eine
+andere Blüte überträgt.
+
+[Illustration: Abb. 19. *Sprengels* Abbildung der Befruchtung einer
+Salbeiblüte (Salvia pratensis). 18. Die Blume in natürlicher
+Stellung. 24. Die Blume wird von einer Hummel besucht, bestäubt und
+dadurch befruchtet. Dabei wird das Insekt, indem es die Staubgefäße
+herabdrückt und mit dem Rücken streift, von neuem mit Blütenstaub
+beladen, den es auf eine andere Narbe bringt[164].]
+
+Den Blütenbau und die Bestäubungseinrichtungen der Orchideen
+untersuchte *Sprengel* zuerst eingehend am breitblättrigen Knabenkraut
+(Orchis latifolia). Er wies nach, daß die Staubkölbchen, gegen Regen
+geschützt, in zwei Fächern verborgen sind. Daran, daß sie von selbst
+aus diesen Fächern herausfallen oder daß der Wind sie herauswehen
+könne, sei nicht zu denken. Führte *Sprengel* einen Grashalm in die
+Orchideenblüte ein, so sah er voll Verwunderung, daß sich auf diese
+Weise ein Kölbchen herausholen ließ. »Eine Anthere,« sagt er, »ist es
+zwar, einen Staubbeutel kann man es aber nicht nennen, da das Kölbchen
+nicht eine Haut um sich hat, sondern aus lauter Staub besteht.«
+Den Bestäubungsvorgang selbst hat *Sprengel* nicht beobachtet. Er
+nahm an, daß Fliegen ihn vollzögen, während es sich in der Tat um
+Fremdbestäubung durch Bienen handelt.
+
+Daß die Bienen und andere Insekten, indem sie ihrer Nahrung nachgehen,
+zugleich, ohne es zu wollen und zu wissen, die Blumen befruchten und
+dadurch den Grund zu ihrer und ihrer Nachkommen zukünftiger Erhaltung
+legen, erklärt *Sprengel* mit Recht als eine der bewundernswürdigsten
+Veranstaltungen der Natur.
+
+Was andere Insekten anbetrifft, so gebührt *Sprengel* auch das
+Verdienst, zuerst auf die Beziehungen zwischen Ameisen und Pflanzen
+aufmerksam gemacht zu haben. Wir können ihn als den Entdecker der heute
+als Myrmekophylie bezeichneten Erscheinung betrachten. *Sprengel*
+beschrieb sie an der Zaunwicke (Vicia sepium). Er beobachtete,
+daß diese Pflanze nicht nur in ihren Blumen, sondern auch in ihren
+Blattwinkeln Saft bereitet und daß die großen Waldameisen diesem Saft
+nachgehen. Deshalb finde man den Saft nur selten, wenn man die Pflanzen
+an ihrem Standorte untersuche. Nehme man aber einige Stengel mit nach
+Hause und stelle man sie in Wasser, so seien nach einigen Tagen die
+Blattwinkel voll Saft.
+
+Eine auf das Dogma von der Konstanz der Arten gegründete Botanik wußte
+zu all diesen merkwürdigen Ergebnissen keine Stellung zu nehmen. Man
+zog es daher vor, sie mit Stillschweigen zu übergehen. Erst als man
+jenes Dogma aufgegeben, wurde das Interesse an blütenbiologischen
+Untersuchungen, welche der Lehre von der allmählichen Entwicklung der
+Arten eine wesentliche Stütze verliehen haben, von neuem lebendig.
+
+Auch an den Pflanzen, welche durch den Wind befruchtet werden,
+stellte *Sprengel* Untersuchungen an. So wies er darauf hin, daß bei
+den Windblütern bei weitem mehr Staub bereitet werden müsse, als
+zur Befruchtung nötig sei. Denn der Wind wehe nicht jederzeit den
+Staub gerade auf die weiblichen Blütenteile zu und bringe auch nicht
+jedes Stäubchen gerade auf eine Blume, die noch nicht befruchtet
+sei. Auch wasche der Regen nicht nur viel Staub von den Staubbeuteln
+ab, da letztere dem Regen bei dergleichen Blumen sehr ausgesetzt
+seien, sondern er schlage auch den schon abgeflogenen und in der Luft
+befindlichen Staub nieder. Als Beispiel führt *Sprengel* die Kiefer an,
+die so viel Staub verstreue, daß es während ihrer Blütezeit, wie das
+Volk sage, zuweilen Schwefel regne.
+
+
+
+
+7. Fortschritte der Zoologie im 18. Jahrhundert.
+
+
+Auch hinsichtlich der Zoologie muß die Zeit, die wir zu schildern
+suchen, als eine Periode des Überwiegens der Systematik bezeichnet
+werden. Doch mehren sich die Bestrebungen, in den Bau, die Lebensweise
+und die Entwicklung insbesondere der niederen Tiere einzudringen.
+Während z. B. noch die Systematiker des 17. Jahrhunderts, darunter
+Männer wie *Ray*[165], die Korallen für Pflanzen hielten, taucht in
+den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts zum erstenmal die Ansicht
+auf, daß die vermeintlichen Blüten der Polypenstöcke Tiere und die
+Hartteile, welche Veranlassung zu der Bezeichnung »steinerne Pflanzen«
+gegeben hatten, deren Absonderungsprodukte seien, eine Ansicht, der
+freilich die Zoologen jener Zeit mit Spott begegneten. Selbst *Linné*
+war noch im Zweifel, ob er sich für die animalische Natur der Zoophyten
+(Pflanzentiere) entscheiden sollte.
+
+Der erste, der mit den triftigsten Gründen für die richtige Auffassung
+dieser Lebewesen eintrat, war der Franzose *Peyssonnel*. Er stellte in
+den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts an den Küsten Südfrankreichs
+und Nordafrikas genaue Untersuchungen an lebenden Polypenstöcken an und
+zeigte, daß alle Lebensäußerungen an den vermeintlichen Blüten mit der
+Annahme, daß es sich hier um Pflanzen handle, unvereinbar seien.
+
+Ein helles Licht verbreiteten über diesen Gegenstand etwa 20 Jahre
+später die Arbeiten *Trembleys* (1710-1784), mit deren Erscheinen *K.
+E. von Baer* eine neue Epoche der Physiologie beginnen ließ. *Trembley*
+stellte seine Untersuchungen an einem den Korallentieren und Schwämmen
+nahe verwandten Geschöpf unserer Binnengewässer, dem Süßwasserpolypen,
+an. Einige der von ihm erhaltenen Ergebnisse, und zwar diejenigen, die
+sich auf das außerordentliche Reproduktionsvermögen dieses Tieres
+beziehen, mögen hier Erwähnung finden.
+
+Wurde ein Süßwasserpolyp querdurch in zwei, drei oder mehr Teile
+zerschnitten, so entstand aus jedem Teile nach kurzer Zeit ein
+vollständiger, neuer Polyp. Die einer, auf beiden Seiten offenen Röhre
+gleichenden mittleren Stücke schlossen sich an dem einen Ende, während
+die gegenüber befindliche Öffnung zur Mundöffnung wurde und alsbald
+wieder mit einem Kranz von neuentstandenen Fangarmen umgeben war. Wurde
+ein Polyp der Länge nach halbiert, so erhielt man zwei Hautlappen.
+Diese verwandelten sich sofort in Röhren, indem die Ränder sich
+zusammenlegten und verwuchsen, so daß aus den Polypenhälften wieder
+vollständige Tiere wurden.
+
+[Illustration: Abb. 20. Der Süßwasserpolyp mit Knospen (c) auf einer
+Wasserpflanze.]
+
+Darauf schlitzte *Trembley* einen Polypen auf, breitete ihn aus
+und zerhackte ihn in viele kleine Stücke. Alle diese Stücke, sie
+mochten Arme haben oder nicht, wurden wieder vollkommene Polypen. Das
+wunderbarste Experiment bestand darin, daß *Trembley* den Polypen
+wie einen Handschuhfinger umstülpte. Dieser Versuch möge mit den
+Worten *Trembleys* geschildert werden: »Ich beginne damit, daß ich
+dem Polypen, den ich umkehren will, einen Wurm zu fressen gebe. Hat
+er diesen verschluckt, so drücke ich den Polypen am hinteren Ende
+und treibe dadurch den Wurm aus dem Magen nach dem Maule zu, bis ein
+Stück des Wurmes herauskommt. Dann nehme ich eine ziemlich dicke,
+stumpfe Schweinsborste, bringe sie an das hintere Ende des Polypen
+und drücke sie gegen den Magen, der hier leer und sehr erweitert ist.
+Hierauf drücke ich die Schweinsborste immer weiter voran; je weiter
+sie eindringt, um so mehr kehrt sich der Polyp um. Kommt die Borste
+bis an den Wurm, der das Maul des Polypen offen hält, so drückt sie
+diesen entweder heraus oder sie geht daneben aus dem Maule heraus
+und ist jetzt von dem hinteren Teile des Polypen bedeckt, der auf
+diese Weise umgekehrt ist. Es erübrigt nichts weiter, als ihn von der
+Schweinsborste abzustreifen.
+
+Sobald dies geschehen ist, verschließt sich der Mund. Später kehren
+sich die Lippen nach außen, als wenn sich der Polyp wieder umkrempeln
+und in seinen vorigen Zustand zurückkehren wollte. Dies versucht er
+auch in der Tat, und oft glückt es ihm. Meine Hauptaufgabe war daher,
+den Polypen umgekehrt zu erhalten, um zu sehen, ob er auch in diesem
+Zustande leben kann. Ein sicheres Mittel besteht darin, daß man das
+umgekrempelte Tier dicht hinter dem Kopfe mit einer Schweinsborste
+durchstößt. Ich habe dies mit umgewendeten Polypen getan, ohne daß es
+sie am Fressen und an ihrer Vermehrung gehindert hätte.«
+
+In der geschilderten Weise wurde durch *Trembley* die experimentelle
+Forschungsweise auf ein Gebiet übertragen, das sich kaum der
+deskriptiven Behandlung erschlossen hatte. Ein Forscher der neueren
+Zeit, dem der Süßwasserpolyp den Stoff zu einer ausgezeichneten
+Monographie geboten hat[166], rühmt von *Trembley*, daß alle
+Nachfolger seine Untersuchungen kaum in ihrer Vollständigkeit zu
+wiederholen vermocht hätten. Nur der später erfolgte Nachweis einer
+geschlechtlichen Fortpflanzung dieser Tiere ist als ein wesentlicher
+Fortschritt zu betrachten. *Trembley* hat wohl die Eier und Samen
+bereitenden Organe wahrgenommen, ohne jedoch ihre Bedeutung zu
+erkennen. Den Vorgang der Knospung (siehe Abb. 20) hatte schon
+*Leeuwenhoek*[167] am Süßwasserpolypen beobachtet.
+
+Das durch *Trembleys* Versuche erschlossene Studium der Regeneration
+wurde von *Spallanzani* auf höhere Tiere ausgedehnt. (*Spallanzani*,
+Über die Wiedererzeugung verloren gegangener Teile und über die
+Zeugung.) Der italienische Forscher zeigte am Wassersalamander, daß
+auch dieses Geschöpf ein ganz außerordentliches Regenerationsvermögen
+besitzt. Wurden die Augen, der Unterkiefer oder die Gliedmaßen
+abgetrennt, so entstanden sie binnen kurzem in ursprünglicher Form
+von neuem. Diese Regeneration trat wiederholt ein, wenn die neu
+entstandenen Organe nochmals wieder entfernt wurden.
+
+Das durch *Leeuwenhoek* erschlossene Gebiet der mikroskopischen
+Durchforschung von Aufgüssen oder »Infusionen« wurde während des 18.
+Jahrhunderts mehr von Liebhabern der Mikroskopie, die daran ihr »Gemüt
+ergötzen« wollten, als von eigentlichen Zoologen angebaut. Trotzdem
+wurde hierdurch die Formenkenntnis, sowie das Wissen von dem Leben
+der niederen Tiere außerordentlich bereichert. So entstanden die
+»Mikroskopischen Gemüts- und Augenergötzungen« *Ledermüllers*[168],
+ein reichillustriertes Werk, das sich gleich den »Arcana naturae«
+*Leeuwenhoeks*, ohne ein bestimmtes Ziel allem zuwendet, was die
+Wißbegierde des dilettantischen Mikroskopikers reizt. Dennoch birgt
+*Ledermüllers* Buch die Kunde von mancher wichtigen Entdeckung.
+In buntem Wechsel führen uns seine Tafeln Schimmelbildungen,
+Kristallisationen, Kleisterälchen, Haare, Schweißporen, Würmer,
+Stacheln, Zangen usw. vor. Auch die Nerven werden untersucht.
+*Ledermüller* (1719-1769) nennt sie »erschreckliche Folterwerkzeuge
+für den Menschen« und widerlegt die Ansicht, daß sie hohl seien.
+Wie *Ledermüller* berichtet, beschäftigte sich im Jahre 1727 auch
+die Petersburger Akademie mit dem Bau der Nerven. Sie dehnte ihre
+Untersuchung sogar auf den Elefanten aus und fand, daß die Nerven
+dieses Tieres weder hohl noch erheblich dicker seien als diejenigen der
+übrigen Säugetiere.
+
+Ein besonderes Interesse wandte *Ledermüller* den Aufgußtierchen zu,
+denen er den Namen Infusorien beilegte. Abbildung 21 ist die Wiedergabe
+einer Tafel seines Werkes[169], auf der er einige von ihm als
+Schalmeientierchen (i, k), Deckeltierchen (y, w, x), Glockentierlein
+(l) bezeichnete, den Gattungen Stentor und Vorticella angehörende
+Infusorienarten zur Darstellung brachte.
+
+*Ledermüllers* »Gemüts- und Augenergötzungen« sind die
+»Insektenbelustigungen« *Rosenhofs* an die Seite zu stellen. *Rösel
+von Rosenhof* (1705-1759) war seines Zeichens Kupferstecher. Er lebte
+in Nürnberg und widmete sich wie *Swammerdam* mit großer Ausdauer der
+Erforschung des Baues und der Lebensweise der kleinsten Organismen,
+insbesondere der Insekten. *Rosenhof* wurde dabei, wie manche
+Naturforscher des 18. Jahrhunderts, von dem Bestreben geleitet, in
+den Wundern, die uns gerade die niedere Lebewelt in so reichem Maße
+enthüllt, einen Beweis für die Weisheit und Güte des Schöpfers zu
+finden.
+
+Während die Mehrzahl der Zoologen sich bei dem Studium der Insekten auf
+die Beschreibung des Äußeren beschränkte und nur den Zweck verfolgte,
+jeder Art den ihr zukommenden Platz im System und in der Sammlung
+anzuweisen, hat *Rösel*, wie vor ihm *Réaumur*, seine Beobachtungen
+besonders auf die Entwicklung und die Lebensverhältnisse der Insekten
+gerichtet. Sein Werk ist daher für alle nachfolgenden Generationen
+eine der wichtigsten Fundgruben über das behandelte Gebiet geworden.
+Es führt den Titel »Monatlich herausgegebene Insektenbelustigung« und
+erschien seit 1746. Was den Wert des vier starke Bände umfassenden
+Werkes besonders erhöht, sind die zahlreichen, ihm beigefügten, in
+Farbendruck hergestellten Kupfertafeln. Sie geben die Insekten in
+einer selbst heute an Naturtreue kaum übertroffenen Ausführung wieder.
+
+[Illustration: Abb. 21. *Ledermüllers* Abbildung von Aufgußtierchen.]
+
+*Rösel* lieferte ferner eine Naturgeschichte der Frösche. Auch dieses
+Werk zeichnet sich weniger durch das Neue, das es über den Bau dieser
+Gruppe bringt, als durch die Fülle feiner Beobachtungen über die
+Entwicklung und die Lebensweise aus.
+
+*Trembleys* Arbeit über den Süßwasserpolypen regte *Rosenhof* zu einer
+Nachprüfung an. Er bestätigte nicht nur *Trembleys* Beobachtungen,
+sondern er förderte auch viel Neues über die verschiedenen Polypenarten
+zutage und stellte es in prächtigen Tafeln dar. *Rösel* betitelt den
+betreffenden Abschnitt seines Werkes »Historie der Polypen und anderer
+kleiner Wasserinsekten«[170]. Er macht darin auch Mitteilungen über
+die Naiden. Das sind im süßen Wasser lebende Würmer, an denen *Rösel*
+beobachtete, daß sie nicht nur durch Zerschneiden vermehrt werden
+können, sondern daß sie sich sogar durch eigene Teilung vervielfältigen.
+
+[Illustration: Abb. 22. *Rösel von Rosenhofs* Darstellung der Bewegung
+und der Teilung einer Amöbe. (Gezeichnet nach Tafel 101 des III. Teiles
+seiner Insektenbelustigungen.)]
+
+Ferner finden wir bei ihm wohl eine der ersten Schilderungen der
+amöboiden Bewegung, die wir hier mit den zugehörigen Abbildungen (Abb.
+22) wiedergeben wollen. *Rösel* beschreibt eine Amöbe unter dem Namen
+Proteus mit etwa folgenden Worten: »Mein Proteus ist ein sehr kleines
+Tier. Es begibt sich sehr langsam von einer Stelle zur anderen, wobei
+es fortwährend seine Gestalt verändert. Ich beobachtete die Tierchen
+in größerer Anzahl unter dem zusammengesetzten Mikroskop und bemühte
+mich, an ihnen eine gewisse Gestalt wahrzunehmen oder etwas an ihnen zu
+sehen, was einem Kopf, einem Schwanz oder Gliedmaßen gliche, ohne daß
+mir dies indessen gelungen wäre. Endlich betrachtete ich eins dieser
+Tiere allein und habe daran folgendes bemerkt: Das Tier besteht aus
+lauter ungleich großen Körnern. Nachdem es eine Zeitlang einer Kugel
+geglichen hatte, stellte es sich mir in der Form der mit C bezeichneten
+Figur dar, sah also einem Kleeblatt ähnlich. Kaum war aber eine halbe
+Minute verflossen, so sah es wie in D aus. Bald darauf wurde es länger,
+wie E zeigt. Diese Verlängerung dauerte so lange, daß es aussah, als
+wollte sich das Tier in zwei Teile teilen. Dies geschah auch wirklich
+nicht lange danach, indem sich die beiden Teile F und F bei G trennten.
+Nun hatte ich statt des einen Tieres deren zwei, von denen jedes bald
+wieder eine andere Gestalt annahm, wie H und I zeigen[171].«
+
+Auch die Frage nach der Entstehung der kleinsten Lebewesen wurde damals
+lebhaft erörtert. Während von der einen Seite die von *Swammerdam* und
+*Redi* hinsichtlich der Insekten widerlegte Urzeugung zur Erklärung des
+so rätselhaften Auftretens der Infusorien wieder in Anspruch genommen
+wurde, nahm *Spallanzani* (1729-1799) eine Fortpflanzung durch Eier
+und Keime an. Diese sollten sich in den zur Herstellung des Aufgusses
+benutzten Stoffen befinden[172]. Da ein Nachweis dieser Keime aber
+äußerst schwierig war, so konnte die Lehre von der Urzeugung, zumal
+sie in *Buffon* einen angesehenen und eifrigen Vertreter fand, sich
+bis ins 19. Jahrhundert hinein erhalten. Ihre endgültige Beseitigung
+erfolgte erst durch die Experimente *Pasteurs*. Die an anderer Stelle
+wiedergegebene Abhandlung dieses Forschers ist auch geeignet, den Leser
+mit dem im 18. Jahrhundert zwischen *Spallanzani* und seinen Gegnern
+geführten Streit bekannt zu machen[173].
+
+Für die niedersten Pflanzen, wie die Pilze und Flechten, hatte
+*Caesalpin*[174] gleichfalls Urzeugung angenommen. »Manche Pflanzen«,
+sagt *Caesalpin*, »haben überhaupt keinen Samen, sie entstehen nur
+durch Fäulnis und sind gewissermaßen ein Mittelding zwischen den
+Pflanzen und der unbelebten Natur.« *Jungius*, der aufgeklärteste
+Botaniker des 17. Jahrhunderts[175], auf den sich *Linné* ganz
+besonders stützte, bezweifelt dies jedoch, während *Linné* meinte,
+daß »auch bei den untersten Stufen der Gewächse Blumen und Früchte
+vorhanden seien, obgleich sie ihrer Kleinheit wegen nicht deutlich
+wahrgenommen werden«. Aus dieser Ansicht erklärt sich die von *Linné*
+für die niederen Pflanzen angewandte Bezeichnung »Kryptogamen«
+(Verborgenblütige). Die Einsicht in diejenigen Vorgänge, welche die
+Fortpflanzung der Kryptogamen ausmachen, blieb gleichfalls der neuesten
+Periode vorbehalten.
+
+Neben der Lehre von der Urzeugung wurde das Gebiet der Biologie während
+des 18. Jahrhunderts noch durch eine zweite Irrlehre verdunkelt, die
+uns heute fast noch sonderbarer anmutet. Es ist die von *Harvey*
+ausgehende und von dem großen Anatomen und Physiologen *Albrecht von
+Haller* gestützte Evolutions- oder Einschachtelungstheorie. Das Studium
+der Befruchtung und der Entwicklung hatte die Frage nach der Erklärung
+dieser Vorgänge angeregt. So nahm *Harvey* an, das Ei enthalte die
+vollständige Anlage desjenigen Wesens, welches daraus hervorgeht.
+Dadurch kamen wieder Philosophen und Naturkundige des 18. Jahrhunderts
+auf den Gedanken, daß folgerichtig nach der Lehre *Harveys* das Ei auch
+das nächstfolgende, sowie alle späteren Geschlechter enthalten müsse.
+Diese Einschachtelungstheorie, gegen welche vor allem auch die von
+*Kölreuter* bei seinen Bastardierungsversuchen erhaltenen Ergebnisse
+sprachen, wurde durch *Wolff* in seiner Theoria generationis vom
+Jahre 1759 vollständig widerlegt[176]. Mit *Wolff* beginnt die neuere
+Entwicklungsgeschichte, die den Vorgang der Entstehung als ein
+Werden oder einen Wachstumsprozeß betrachtet und ihn teils aus der
+Stammesgeschichte, teils aus mechanischen Ursachen zu erklären sucht.
+
+*Kaspar Friedrich Wolff* wurde im Jahre 1733 in Berlin geboren. Als
+junger Mediziner wandte er sich mit großer Vorliebe der Anatomie
+und der Botanik zu. In Halle geriet er unter den Einfluß der
+Philosophie des Leibnizianers *Christian Wolf*. So kam es, daß er
+bei seinen naturwissenschaftlichen Untersuchungen sich mitunter
+allzusehr von vorgefaßten Meinungen leiten ließ und häufig aus
+unzulänglichen, ungenauen Beobachtungen zuweitgehende philosophische
+Verallgemeinerungen zog. Da *Wolff* in Preußen nicht die gehoffte
+Anerkennung fand -- er wurde bei der Besetzung von Lehrstühlen mehrfach
+übergangen --, so folgte er im Jahre 1766, wie es auch *Euler* getan,
+einem Rufe an die Petersburger Akademie der Wissenschaften. *Wolff*
+blieb auch dort mit anatomischen und entwicklungsgeschichtlichen
+Arbeiten beschäftigt. Hervorzuheben ist seine Untersuchung über die
+Entwicklung des Darmes. Nach einem zurückgezogenen, der Wissenschaft
+gewidmeten Leben starb *Wolff* in Petersburg im Jahre 1794.
+
+*Wolffs* Theoria generationis geht von der Untersuchung der Pflanze
+aus, um auf diese Weise »die Richtschnur klarzulegen, an die man sich
+bei der Behandlung der viel schwierigeren zoologischen Verhältnisse zu
+halten hat«. *Wolffs* Untersuchungen über den Bau und die Entwicklung
+der Pflanze sind für die Geschichte der Pflanzenanatomie von nicht
+geringer Bedeutung. Es war das erste Mal, daß nach der Begründung
+dieses Wissenszweiges durch *Malpighi* und *Grew* sich wieder jemand
+eingehender mit diesem Gegenstand beschäftigte. Waren die Ergebnisse
+*Wolffs* auch noch sehr ungenau und fehlerhaft, so sicherten dennoch
+manche von den Verallgemeinerungen, die er an sie knüpfte, seiner
+Arbeit eine nachhaltige Wirkung. Vor allem wurde durch *Wolff* die
+Frage nach der Entstehung des zelligen Baues der Pflanze angeregt,
+wenn auch die Lösung, die er selbst zu bieten suchte, unrichtig war.
+*Wolff* nahm nämlich an, die Pflanzensubstanz in der Vegetationsspitze
+sei zunächst gallertartig. In dieser Gallerte sollten sich kleine
+Bläschen ausscheiden. Diese sollten sich in der Weise vergrößern, daß
+die zwischen den Bläschen befindliche Zwischensubstanz später als ein
+Maschwerk von Zellwänden erscheine. Das Wachstum geschehe durch die
+Ausdehnung der Bläschen und dadurch, daß neue Bläschen zwischen den
+alten entständen und sich gleichfalls vergrößerten. *Wolff* bemerkte
+ganz richtig, daß Fasern und Gefäße nicht etwa schon in der Anlage
+vorhanden sind. Die jungen Pflanzenteile seien aus gleichartigen
+Bläschen zusammengesetzt. Mitunter beständen sie aber aus einer
+gleichförmigen Substanz ohne alle Bläschen. Auf dieser letzteren
+irrtümlichen Beobachtung beruht seine unrichtige Theorie von der
+Zellenbildung, nach welcher die Zellen etwa so entstehen würden, wie
+die Hohlräume des Brotes in dem ursprünglich zusammenhängenden Teig,
+allerdings mit dem Unterschiede, daß die Hohlräume in der Pflanze nicht
+leer, sondern mit dem in ihnen sich ansammelnden Nahrungssaft erfüllt
+sein würden. Von letzterem sagt er, daß er »durch die Substanz der
+Bläschen hindurchkrieche«, ja daß er »die feste Pflanzensubstanz ebenso
+leicht durchdringen könne, wie dies mit Hilfe der Gefäße geschehe«.
+Er nimmt also für die Erklärung der Saftbewegung in der Pflanze
+das Verhalten zur Hilfe, das wir heute als Diffusion bezeichnen.
+Ähnlich wie die Zellen aus der Vergrößerung eines ruhenden Tropfens
+Nahrungssaft hervorgehen sollen, läßt *Wolff* die Gefäße durch die
+Fortbewegung eines solchen Tropfens durch die ursprünglich gleichartige
+Grundsubstanz entstehen. »Ein Flüssigkeitstropfen«, sagt *Wolff*[177],
+»der durch die feste Substanz hindurch fortschreitet und sich seinen
+Weg selbst bahnt, kann nicht eine kugelförmige Spur zurücklassen; er
+bildet vielmehr einen Kanal, der -- nach *Wolffs* Annahme -- infolge
+einer Erstarrungsfähigkeit des Nährsaftes erhalten bleibt.« Diese
+Erstarrungsfähigkeit des Nährsaftes wird nicht nur der pflanzlichen,
+sondern auch der tierischen Substanz zugeschrieben. Diese Fähigkeit,
+zusammen mit einer »wesentlichen Kraft«, wie *Wolff* sein formgebendes
+Prinzip nennt, sollte nun den Vorgang der Entwicklung organischer Wesen
+erklären. Die »wesentliche Kraft« ist nach ihm jene Kraft, durch welche
+die Flüssigkeiten im Organismus verteilt und ausgeschieden werden.
+»Die wesentliche Kraft«, sagt er, »und die Erstarrungsfähigkeit des
+Nährsaftes sind ein hinreichendes Prinzip jeder Entwicklung, sowohl bei
+den Pflanzen als auch bei den Tieren.«
+
+Aus dieser Übereinstimmung zwischen den beiden Naturreichen folgerte
+*Wolff* fast ein Jahrhundert, bevor *Schwann* den zelligen Bau der
+Lebewesen als allgemeines Prinzip erkannte, daß sich in den Tieren wie
+in den Pflanzen nicht nur Zellgewebe finde, sondern daß es sich auch
+auf dem gleichen Wege entwickle. Wenn *Wolff* auch über den Vorgang
+der Bildung von Zellgewebe, wie wir sahen, noch nicht zu richtigen
+Vorstellungen gelangt war, so hebt er doch zutreffend hervor, daß das
+Zellgewebe der Tiere »ebenso gebildet wird, wie das Zellgewebe und die
+Bläschenstruktur bei Pflanzen[178]«.
+
+Als typisches Beispiel hebt *Wolff*, wie es auch später von *Schwann*
+geschehen, die Knochen hervor. »Ihr innerer Bau, sagt er, ist zellig
+und entsteht ebenso wie das übrige Zellgewebe«.
+
+Bei der Untersuchung des tierischen Organismus kommt es *Wolff* vor
+allem darauf an, die Ansicht der Evolutionisten zu widerlegen, daß die
+Organe ursprünglich vorhanden und nur wegen ihrer unendlichen Kleinheit
+verborgen seien. Eine Widerlegung dieser Ansicht erblickt *Wolff* mit
+Recht schon darin, daß die Teilchen, welche alle tierischen Organe bei
+ihrer ersten Anlage zusammensetzen, Kügelchen sind, die man schon mit
+einem Mikroskop von mittlerer Vergrößerungskraft unterscheiden könne.
+»Wie kann man nun behaupten«, ruft er aus, »einen Körper wegen seiner
+Kleinheit nicht sehen zu können, wenn doch die Teile, aus denen er sich
+zusammensetzt, sehr wohl zu unterscheiden sind?«
+
+[Illustration: Abb. 23. *Wolffs* Abbildung eines Embryos.]
+
+Die nebenstehende Abbildung aus *Wolffs* Theoria generationis zeigt
+einen Embryo nach 36stündiger Bebrütung. Man erkennt die Teile des
+Gehirns, die Augen mit den Sehnerven, das Rückenmark (h), das Herz (k),
+die vorderen schon recht deutlichen (f) und die hinteren noch in der
+Absonderung begriffenen Wirbel (e und d). Die ernährenden Teile gehen
+aus dem Ei, dessen Dotter durch die Wärme aufgelöst und zerstört werde,
+in den Embryo über. Dazu, sagt *Wolff*, gehört wie bei den Pflanzen
+eine die Nährsäfte bewegende »wesentliche Kraft«. Daß diese Kraft und
+diese Flüssigkeitsbewegung auch im erwachsenen Körper tätig sei, dafür
+spreche z. B. das Wachstum der Nägel und der Haare. Zu dieser Kraft
+tritt dann nach *Wolff* als zweites, die Formgebung bedingendes Prinzip
+die Erstarrungsfähigkeit der jungen gallertigen Gewebe, eine Fähigkeit,
+die allerdings bei den Tieren geringer sei als bei den Pflanzen.
+
+Die Gefäßbildung im Embryo läßt *Wolff* in ähnlicher Weise wie die
+Entstehung der Gefäße in den Pflanzen vor sich gehen. Die bewegten
+Flüssigkeiten bahnen sich dort Wege, wo sie einen geringeren Widerstand
+finden. Die erste Anlage des Hauptstammes aller Gefäße, des Herzens,
+zeigt uns *Wolffs* nebenstehende, der Theoria generationis
+entnommene Abbildung (Abb. 24 c). Sie läßt uns auch die erste Anlage
+der Gliedmaßen erkennen. Als plumpe Höcker (r) heben sie sich aus der
+übrigen Masse hervor. Und zwar bestehen auch sie aus einer Substanz,
+die *Wolff* als zellig bezeichnet. Anfangs sind die Gliedmaßen ohne
+Gefäße. Letztere wachsen aus der zuerst entstehenden Hauptader oder
+Aorta in die Gliedmaßen hinein.
+
+Daß die Nieren erst entstehen, nachdem sich die Wirbelsäule gebildet
+hat, wird von *Wolff* besonders hervorgehoben. Er zeigt, daß die Nieren
+aus einem zelligen Gewebe hervorgehen, das erst am dritten Tage der
+Entwicklung unter der Wirbelsäule erscheint. Daß dieses Gewebe zunächst
+keine Spur von einem Organ enthält, ließ sich leicht feststellen, da es
+vollkommen durchsichtig ist.
+
+Durch all diese Beobachtungen war die insbesondere von
+*Haller* vertretene, indessen auch von *Leibniz* gebilligte
+Einschachtelungstheorie vollkommen widerlegt. Der einzige Weg, auf
+dem dies geschehen konnte, war der von *Wolff* betretene. Er wandte
+sich behufs Entscheidung der Streitfragen an die Natur selbst und
+untersuchte zum ersten Male genauer die Anlagen der einzelnen Organe
+im Embryo hinsichtlich ihrer Form und der Zeit ihres Entstehens.
+Das Ergebnis war, daß die Teile des Organismus weder präformiert
+sind, noch sich gleichzeitig entwickeln, sondern daß sie aus einer
+gleichartigen, zelligen Substanz nacheinander hervorgehen. Trotz
+zahlreicher Beobachtungsfehler, die *Wolff* im einzelnen gemacht hat,
+war damit für alle späteren entwicklungsgeschichtlichen Forschungen
+die Grundlage gewonnen. *Wolff* ist somit der Begründer der modernen
+Entwicklungsgeschichte. Das ist und bleibt sein unsterblicher
+Ruhmestitel.
+
+Auch der Gedanke der Metamorphose der Pflanze rührt von *Wolff* her.
+Das Nähere hierüber, sowie die Fortbildung, welche dieser Gedanke bei
+*Goethe* und anderen fand, bleibt späterer Erörterung vorbehalten.
+
+[Illustration: Abb. 24. *Wolffs* Darstellung der Entstehung des Herzens
+und der Gliedmaßen.]
+
+Die Frage nach den Vorgängen der Zeugung und der Entwicklung war zwar
+eine hervorragend wichtige, es war aber nur eine unter den vielen
+die Physiologie im 18. Jahrhundert beschäftigenden Fragen. Hat dieser
+Zeitraum doch den größten Physiologen in *Haller* hervorgebracht, um
+dessen Forschergestalt sich alles gruppieren läßt, was die weitere
+Entwicklung der Physiologie in dem erwähnten Zeitraum anbetrifft.
+
+*Albrecht von Haller* wurde am 16. Oktober 1708 in Bern geboren. Er
+verwaiste frühzeitig und wuchs bei einem Arzte auf, dem er seine
+Neigung für die Naturwissenschaften und ihre Anwendung auf das Gebiet
+der Heilkunde verdankte. *Haller* studierte in Tübingen Anatomie und
+Botanik, worin ihn *Camerarius* unterwies. Später hielt er sich in
+Leyden, wo *Boerhave* auf ihn einwirkte, sowie in London und in Paris
+auf. Nachdem *Haller* in Basel und in Bern Vorlesungen über Anatomie
+gehalten, siedelte er 1736 nach Göttingen über. Dort entfaltete er eine
+einzigartige Wirksamkeit. 1753 kehrte er in seine Heimatstadt zurück,
+wo er am 12. Dezember 1777 starb. In Göttingen hielt *Haller* an der
+neu gegründeten Universität Vorlesungen über Botanik, Anatomie und
+Chirurgie, begründete eine anatomische Sammlung und einen botanischen
+Garten, dessen Leitung er übernahm. Er rief die Göttinger Königliche
+Gesellschaft der Wissenschaften ins Leben und zog viele Schüler an sich
+heran, welche die Wissenschaft in der von ihm eingeschlagenen Richtung
+weiterführten.
+
+*Haller* wurde stets von dem Gedanken geleitet, daß die Anatomie als
+die wichtigste Grundlage der Physiologie zu betrachten sei, und zwar
+nicht nur die Anatomie des Menschen, sondern nicht minder diejenige der
+Tiere.
+
+Ferner gab er dem Experiment am lebenden Tiere eine Ausdehnung, wie sie
+vor ihm nicht bestand. »So grausam das Verfahren der Vivisektion auch
+erscheint«, sagt *Haller*, »so darf man doch nicht außer acht lassen,
+daß es der Physiologie mehr Nutzen schafft als alle übrigen Methoden
+und daß ein einziges derartiges Experiment oft die aus der Arbeit von
+Jahren entstandenen Irrtümer beseitigt hat.«
+
+*Haller* lieferte, durchdrungen von dem Gedanken, daß man mit dem
+Bau eines Organismus bekannt sein muß, wenn man seine Verrichtungen
+erforschen will, viele wertvolle Beiträge zur vergleichenden Anatomie.
+Über den Wert dieser Wissenschaft für die physiologische Forschung sagt
+er: »Täglich mache ich die Erfahrung, daß man über die Tätigkeit der
+meisten Organe des lebenden Körpers kein Urteil fällen kann, wenn man
+sich nicht über den Bau des betreffenden Organs vollkommene Klarheit
+verschafft hat und zwar nicht nur durch eine Untersuchung am Menschen,
+sondern auch durch eine solche an verschiedenen Vierfüßlern, Vögeln,
+Fischen, ja oft auch an niederen Tieren«.
+
+Das wichtigste allgemeine Ergebnis dieser Forschungen war *Hallers*
+Lehre von der Reizbarkeit und der Empfindung (der Irritabilität und der
+Sensibilität). Er betrachtete sie als besondere, mit physikalischen
+Kräften nicht zu verwechselnde Fähigkeiten der belebten Substanz. Wir
+erinnern uns, daß *Borelli* die Tätigkeit der Muskeln einer Elastizität
+dieser Organe zugeschrieben hatte. *Haller* dagegen erklärte die
+Fähigkeit sich zusammenzuziehen als eine den Muskeln innewohnende
+Eigenschaft und nannte diese Organe reizbar oder irritabel. Der
+gewöhnliche Reiz, welcher die Verkürzung der Muskeln bewirkt, gehe zwar
+von den Nerven aus, doch könnten an dessen Stelle auch andere Reize
+treten. Letztere können, wie *Haller* zeigte, noch eine Kontraktion des
+Muskels hervorrufen, wenn die Verbindung des letzteren mit dem Nerven
+unterbrochen ist, ein offenbar für seine Lehre günstiges Experiment.
+
+Wie die Irritabilität ausschließlich an die Muskeln gebunden ist, so
+ist die Sensibilität nur in den Nerven anzutreffen. Sie vermittelt
+die Veränderungen, welche äußere Reize hervorrufen, dem Bewußtsein.
+Wie das geschieht, blieb zunächst unerklärt. *Haller* war indessen
+geneigt, ein feines, in den Nerven sich bewegendes Fluidum nach dem
+Vorgange *Malpighis*[179] anzunehmen. Selbst *Kant* huldigte dieser
+ziemlich grob materialistischen Anschauung von dem Zustandekommen
+der Empfindungen[180]. Die weit zutreffendere Vorstellung, daß die
+Tätigkeit der Nerven in einer vibrierenden Bewegung bestehe, vermochte
+*Haller* nicht anzuerkennen. Trotzdem ist in seiner Darstellung von der
+Sensibilität dieser Organe die später von *Johannes Müller* ausführlich
+entwickelte Lehre von den spezifischen Energien der Sinnesorgane schon
+im Keime enthalten. Besonders zeigt sich dies in der Darstellung,
+die *Haller* von der Physiologie des Auges gab. Danach rufen die vom
+Gegenstande kommenden Lichtstrahlen ein Bild auf der Netzhaut hervor,
+das eine Reizung des Sehnerven veranlaßt. Was wir empfinden, ist
+nicht der Gegenstand selbst, sondern der Eindruck, den dieser auf den
+Sehnerven ausübt. Es folgt daraus, daß die Empfindungen und die darauf
+sich aufbauenden Vorstellungen subjektiver Art sind. Trotzdem denkt
+*Haller* nicht daran, das Vorhandensein der Außenwelt zu leugnen. Die
+Erfahrung ist es, der nach ihm die Aufgabe zufällt, aus dem subjektiven
+Eindruck ein Urteil über die Natur der wahrgenommenen Gegenstände
+zu bilden. Mit dieser Lehre stimmten die Beobachtungen überein, daß
+auch mechanische Reize aller Art eine Lichtempfindung hervorzurufen
+vermögen. Daß die Netzhaut der Sitz der Lichtempfindung sei, war,
+wie wir erfuhren, von *Mariotte* auf Grund seines Versuches über den
+blinden Fleck[181] angezweifelt worden. *Haller* hielt jedoch an der
+früheren, schon von *Kepler* begründeten Ansicht fest. Er hob mit Recht
+hervor, daß die Aderhaut, die nach *Mariotte* das Sehen vermitteln
+sollte, keine Nerven enthält. Dagegen sei die Netzhaut ein Geflecht
+von Nervenfasern, welchen im ganzen Organismus die Vermittlung der
+Empfindungen zukomme.
+
+Die besonderen Leistungen *Hallers* betreffen die Physiologie des
+Gefäßsystems und des Stimmorgans. Sie sind in seinem Meisterwerke, den
+Elementa physiologiae corporis humani, das 1757 und in den folgenden
+Jahren erschien, niedergelegt worden[182].
+
+*Haller* erforschte besonders den Klappenapparat des Herzens und
+die Bewegungen dieses Organes und seines flüssigen Inhalts. Seine
+Untersuchung betraf ferner die Bewegung und die Geschwindigkeit des
+Blutes in den Arterien, sowie den Einfluß, den die Wandungen der
+letzteren auf den Blutstrom ausüben, und vieles andere mehr.
+
+Hervorzuheben sind die Versuche, die beweisen sollten, daß der
+Pulsschlag im ganzen arteriellen System gleichzeitig erfolgt. An diese
+Versuche hat später *E. H. Weber* seine Anwendung der Wellenlehre auf
+die Lehre vom Kreislauf des Blutes angeknüpft und gefunden, daß die von
+*Haller* behauptete völlige Gleichzeitigkeit nicht besteht. Doch ergab
+sich, daß der Zeitunterschied nur den Bruchteil einer Sekunde ausmacht.
+*Haller* begründete seine Ansicht folgendermaßen: »Wenn man bei einem
+Menschen die rechte Hand auf die Gegend legt, wo das Herz liegt, und
+die linke an die Schläfenarterie oder an die Kniekehlenarterie bringt,
+so wird man finden, daß das Herz in dem nämlichen Augenblick gegen
+die Rippen stößt, in welchem es in allen genannten Arterien den Puls
+hervorbringt«[183].
+
+Zu erwähnen sind auch die Versuche *Hallers*, welche darin bestanden,
+Stoffe in den Blutstrom einzuführen, um deren physiologische und
+therapeutische Wirkung zu untersuchen. Dieses unter dem Namen
+Gefäßinfusion bekannte Verfahren kam zwar schon im 17. Jahrhundert
+infolge der Entdeckung des Blutkreislaufes auf. Es wurde aber zuerst
+durch *Haller* und einen seiner Schüler auf zahlreiche Chemikalien
+(Pflanzengifte, Säuren, Arsenverbindungen, Kupfersalze usw.) ausgedehnt
+und schließlich von den Ärzten jener Zeit mit sehr ungünstigem Erfolge,
+wie sich begreifen läßt, zu therapeutischen Zwecken angewandt. Immerhin
+ist das Verfahren erwähnenswert, weil die in neuerer Zeit mit besserem
+Erfolge geübte subkutane Injektion darauf zurückzuführen ist.
+
+Sehr eingehend und stets auf vergleichend anatomischer und
+physikalischer Grundlage fußend, untersuchte *Haller* den Kehlkopf
+und die Erzeugung der Stimme. Er wies nicht nur, wie es schon vor ihm
+geschehen, auf die Rolle der Stimmbänder hin, sondern er stellte vor
+allem auch fest, welche Aufgaben die einzelnen Kehlkopfknorpel, sowie
+die Mund- und die Nasenhöhle bei der Stimmbildung zu erfüllen haben.
+
+Nicht so glücklich wie auf dem Gebiete der Physiologie war *Hallers*
+Wirken auf demjenigen der Entwicklungsgeschichte. Hier ist er unter
+den Verteidigern der sonderbaren, auf *Harvey* zurückgehenden Lehre
+von der Evolution[184] zu nennen, nach welcher jedes neu entstehende
+Wesen als im Keime vorgebildet (präformiert) gedacht wurde. Obgleich
+schon 1759 *Caspar Friedrich Wolff* die Lehre von der Epigenesis,
+d. h. der folgeweisen Entwicklung der Organe aus einfacheren Teilen
+(Zellen und Zellschichten) an Stelle der Evolutionstheorie setzte, fand
+letztere durch die Autorität *Hallers* eine solche Stütze, daß *Wolffs*
+Anschauungen dagegen nicht aufkommen konnten. Sie gerieten fast in
+Vergessenheit und gelangten erst ein halbes Jahrhundert später zur
+Anerkennung, nachdem für die Entwicklungsgeschichte durch *Meckel*, *v.
+Baer* und andere Forscher eine neue Aera angebrochen war.
+
+Trotz dieses ablehnenden Verhaltens *Wolff* gegenüber hat *Haller* sich
+um die Entwicklungsgeschichte des Gefäßsystems und der Knochen bemüht
+und hierüber einige verdienstvolle Abhandlungen geschrieben (Sur la
+formation du coeur dans le poulet. 1758).
+
+Die Anatomie hatte während des 17. Jahrhunderts in Holland, wo
+*Swammerdam* und *Boerhave* wirkten, einen bedeutenden Aufschwung
+genommen. Sie erlebte im 18. Jahrhundert auch in Deutschland eine
+kräftige Förderung. Vor allem ist hier *Lieberkühn* als derjenige
+zu nennen, der die anatomische Kunst von Holland nach Deutschland
+verpflanzte. *Lieberkühn*, ein Schüler *Boerhaves*, kam 1740
+nach Berlin und wurde dort Mitglied der Preußischen Akademie der
+Wissenschaften. Vergeblich waren die Bemühungen dieser Gesellschaft,
+auch den großen Physiologen *Albrecht von Haller* zu gewinnen und
+so Berlin zum Mittelpunkt der medizinischen Wissenschaften zu
+machen. *Lieberkühn* war nicht nur ein eifriger Präparator, sondern
+er lehrte die Deutschen auch mit Hilfe des Mikroskops den feineren
+Bau der tierischen Gewebe untersuchen. Er verstand es meisterhaft,
+die Methode der Gefäßinjektion zu handhaben. Die bedeutendste
+Entdeckung *Lieberkühns* war diejenige der Darmzotten, jener winzigen
+Ausstülpungen der Darmwandung, die man später wohl als die inneren
+Wurzeln des Tieres bezeichnet hat[185].
+
+*Lieberkühns* Schüler und sein Nachfolger in der Preußischen Akademie
+war *Johann Friedrich Meckel*, der Ältere, dem die Nervenanatomie
+manche Entdeckung verdankt. Die Familie *Meckel* nahm auf dem Gebiete
+der Anatomie durch mehrere Generationen eine führende Stellung ein.
+Vor allem war es *Johann Friedrich Meckel* der Jüngere, der auf den
+Vorarbeiten seines Vaters und seines Großvaters fußend zu Beginn des
+19. Jahrhunderts der vergleichenden Anatomie in Deutschland eine
+Heimstätte bereitete. Dabei vermochte er sich auf eine von seinem
+Großvater begründete und von seinem Vater unter Aufwendung bedeutender
+Mittel erweiterte Sammlung zu stützen, die zu den ersten des 18.
+Jahrhunderts zählte.
+
+
+
+
+8. Die neuere Mathematik und ihre Beziehungen zu den
+Naturwissenschaften.
+
+
+Das 18. Jahrhundert war auf den Gebieten der Astronomie und der Physik
+vorzugsweise mit der Lösung der aus der *Newton*-*Huygens*periode
+übernommenen Probleme beschäftigt. Fast ausschließlich in das
+18. Jahrhundert fiel auch der Aufschwung, den die Lehre von der
+Reibungselektrizität nahm. Hier waren die beiden vorangehenden
+Perioden kaum über die seit alters bekannten einfachsten Wahrnehmungen
+hinausgekommen. Auf dem Gebiete der Chemie wurde durch zahlreiche
+Beobachtungen die große Tat vorbereitet, welche dieser Wissenschaft
+im Beginn der neuesten Zeit ein gänzlich verändertes Aussehen geben
+sollte, während in der Zoologie und in der Botanik die systematische
+Richtung überwog und nur hin und wieder das experimentelle Verfahren
+zum Durchbruch kam. Daß dieses Verfahren auf allen Gebieten Platz
+greift und daß man es überall mit der mathematischen Behandlungsweise
+zu verknüpfen sucht, kennzeichnet die gegen das Ende des 18.
+Jahrhunderts beginnende Periode in der Entwicklung der Wissenschaften,
+deren Betrachtung wir uns jetzt zuwenden.
+
+Daß sich die Natur aus der Mechanik der Atome erklären lasse, galt
+den meisten Forschern als ausgemacht. Die atomistisch-mechanische
+Behandlungsweise fand ihren weitgehendsten Ausdruck durch *Laplace*.
+»Ein Geist«, sagt er, »der für einen gegebenen Augenblick alle
+Kräfte kennt, welche die Natur beleben und die gegenseitige Lage der
+Wesen, aus denen sie besteht und diese Angaben der mathematischen
+Analyse unterwirft, könnte in dieselbe Formel die Bewegungen der
+größten Weltkörper und des leichtesten Atoms einbegreifen. Zukunft
+und Vergangenheit wären seinem Blicke gegenwärtig.« Der menschliche
+Verstand, fügt *Laplace* hinzu, biete in der Vollendung, die er der
+Astronomie gegeben, ein schwaches Abbild eines solchen Geistes dar.
+
+Für Deutschland ging die Anregung, die Mathematik auf die gesamte
+Naturlehre anzuwenden, besonders auf *Leibniz* und seinen Schüler
+*Wolf*[186] zurück. Während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts war
+die *Leibniz-Wolf*sche Philosophie die herrschende. In ihr wurzelt auch
+die darauf folgende Zeit der Aufklärung, mit der in Deutschland wie in
+Frankreich die Hauptzweige der bisherigen Entwicklung der Philosophie,
+der idealistische und der realistische nämlich, zu einem gewissen
+Abschluß kamen, indem sie beide in eine verflachende Popularphilosophie
+ausmündeten.
+
+In dem Bestreben, die Naturerscheinungen auf Bewegungen zurückzuführen
+und sie auf diese Weise der mathematischen und der mechanischen
+Erklärung zugänglich zu machen, hatte das 17. Jahrhundert die alte
+Lehre von der atomistischen Zusammensetzung als Korpuskulartheorie
+zu neuem Leben erweckt. Die Korpuskeln oder Partikeln spielten
+für die Erklärung der physikalischen Vorgänge eine große Rolle.
+Angeregt durch Christian *Wolf* versuchte *Lomonossow* die
+Korpuskulartheorie auf die Chemie auszudehnen, um dadurch auch diese
+Wissenschaft der mathematischen Behandlungsweise zugänglich zu
+machen. *Lomonossows*[187] Gedankengang war etwa der folgende: Alle
+Änderungen kommen nach der Lehre *Wolfs* durch Bewegungen zustande.
+Das gilt auch von den Änderungen der zusammengesetzten Körper,
+der chemischen Verbindungen, wie wir heute sagen würden. Mit den
+Bewegungen befaßt sich die Mechanik. Folglich müssen die Änderungen der
+zusammengesetzten Körper, d. h. die chemischen Vorgänge, mechanisch
+erklärt werden können. Nur so lasse sich die Chemie zu einer exakten
+Wissenschaft machen. Des weiteren fordert *Lomonossow*, die chemischen
+Veränderungen auf Grund der Versuche und Gesetze der Physik zu erklären
+und damit einen neuen Wissenszweig zu schaffen, den er schon als
+»physikalische Chemie« bezeichnet. Es blieb aber bei der Aufstellung
+von Forderungen und Zielen, von deren Verwirklichung die Wissenschaft
+noch weit entfernt war. Immerhin hat *Lomonossow* das Verdienst, jene
+Forderungen erhoben und jene Ziele erkannt und ausgesprochen zu haben.
+Auch auf dem Gebiete der Wärmelehre und der Oxydationsvorgänge war
+*Lomonossow* ein Vorläufer derjenigen Männer, die hier die neueren
+Grundlagen schufen[188]. Die Bestrebungen, die Mathematik auf die
+Chemie auszudehnen, ruhten jetzt nicht mehr. Und gerade im Herzen
+Deutschlands, wo *Wolf* gelehrt und *Lomonossow* studiert hatte,
+zeitigten diese Bestrebungen die ersten Früchte, indem *Wenzel* und
+*Richter* die Anfänge der Stöchiometrie schufen. Daß diesen Männern
+das ein halbes Jahrhundert früher gesteckte Ziel vorschwebte, leuchtet
+schon ans den Titeln ihrer stöchiometrischen Schriften hervor[189].
+
+Die Vorstellung von der atomistischen und molekularen Konstitution der
+Materie gewann noch größere Bedeutung, nachdem sie *Dalton* um 1800
+zu einer wohlbegründeten Theorie ausgestaltet hatte. Auf Grund dieser
+Theorie suchte man jetzt unter der Annahme von molekularen Fernkräften,
+für welche das *Newton*sche Gravitationsgesetz ein Analogon darbot, die
+Naturerscheinungen der mathematischen Analyse zu unterwerfen. Das Ziel
+indessen, das *Laplace* und seinen Zeitgenossen vorschwebte, und das
+in der Forderung gipfelte, aus möglichst wenigen Voraussetzungen den
+Gesamtverlauf der Naturerscheinungen mechanisch zu erklären, hat sich
+nicht verwirklichen lassen. An seine Stelle setzte die neuere Mechanik,
+um mit den Worten *Kirchhoffs* zu reden, die bescheidenere Aufgabe, den
+Ablauf der Vorgänge auf die einfachste Weise möglichst vollständig zu
+beschreiben.
+
+Die Mathematik hatte sich bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts Hand in
+Hand mit den Naturwissenschaften entwickelt. *Descartes*, *Galilei*,
+*Kepler*, *Newton*, *Leibniz*, sie alle hatten auf beiden Gebieten
+Hervorragendes geleistet, weil sie von dem Gedanken des innigen
+Zusammenhanges beider Wissenschaften durchdrungen waren. Zwar tauchten
+auch mathematische Probleme auf, die zunächst außer Beziehung zur
+realen Welt zu stehen schienen. Und sie wurden von den Mathematikern
+darum nicht etwa hintangesetzt. Doch kannte man jene im 19. Jahrhundert
+lange herrschende Richtung, die sich so stolz als »reine Mathematik«
+bezeichnete und schließlich jede Fühlung mit der Wirklichkeit verlor,
+weder im 17. noch im 18. Jahrhundert. Wir haben in einem früheren
+Abschnitt erfahren, wie *Bernoulli*, *Lagrange* und *Euler* die
+Infinitesimalrechnung zu einem der allerwichtigsten Hilfsmittel,
+sozusagen zum Handwerkszeug des Naturforschers, ausgestalteten. Um die
+Wende des 18. zum 19. Jahrhundert erlangen zwei neue mathematische
+Zweige für die Naturwissenschaften und ganz besonders für ihre
+Anwendungen eine ähnliche Bedeutung. Es sind das die darstellende und
+die projektivische Geometrie. In ihren Anfängen reichen beide zwar in
+weit frühere Perioden zurück.
+
+Die darstellende Geometrie, deren Aufgabe es ist, Raumgebilde in der
+Ebene darzustellen und aus diesen Darstellungen mit vollkommener
+Genauigkeit wieder zu rekonstruieren, wird gewöhnlich als eine
+Schöpfung von *Monge* betrachtet. Man darf aber nicht vergessen, daß
+die Benutzung von Grund- und Aufrißzeichnungen so alt ist, wie die
+Baukunst. Papyrusfunde haben bewiesen, daß die Ägypter für ihre Bauten
+derartige Zeichnungen anfertigten. Und *Vitruvius* gibt in seinem
+zur Zeit des Augustus entstandenen Werke über die Architektur eine
+ausführliche Darstellung des von den römischen Baumeistern geübten
+Grundriß- und Aufrißverfahrens. Seine Weiterentwicklung erfuhr dieses
+aus unmittelbaren Bedürfnissen entstandene Wissen nicht am Schreibtisch
+des Gelehrten, sondern an den Stätten der Praxis, vor allem in den
+Bauhütten des Mittelalters. Die wunderbaren architektonischen Werke
+jener Zeit konnten nur entstehen, wenn ihre Schöpfer Aufgaben der
+darstellenden Geometrie, wie sie besonders für den Schnitt der Gewölbe
+in Betracht kamen, zu lösen vermochten. Ohne Zweifel wurde manche der
+erforderlichen Konstruktionen empirisch gefunden und verwendet, ohne
+daß man den mathematischen Beweis für ihre Richtigkeit erbracht hätte.
+Dies geht z. B. auch daraus hervor, daß manche Schriften des 16. und
+17. Jahrhunderts für die Baukunst wichtige Konstruktionen mitteilen,
+ohne auch nur den Versuch eines Beweises zu machen.
+
+Ein nicht minder großes Interesse an der Entwicklung des Verfahrens,
+körperliche Gebilde in der Ebene richtig darzustellen, besaßen die
+Maler. Es kann daher nicht Wunder nehmen, daß das erste deutsche Buch
+über diesen Gegenstand von einem Maler und zwar von unserem großen
+*Albrecht Dürer* herstammt. Er verdient deshalb nicht minder als
+Lionardo da Vinci einen Platz in der Geschichte der Wissenschaften.
+
+*Dürers* Schrift erschien 1525; sie führt den Titel: »Underweysung
+der messung mit dem zirckel und richtscheyt in Linien, ebenen und
+gantzen corporen.« Die Bedeutung dieser Schrift besteht weniger
+in den Konstruktionen, die sie lehrt, als in der Forderung, die
+perspektivische Grundlage eines Bildes nicht wie bisher aus freier
+Hand zu fertigen, wobei grobe Fehler ganz unvermeidlich seien, sondern
+die perspektivische Zeichnung nach mathematischen Vorschriften zu
+machen. *Dürer* ist dadurch zum Begründer der Lehre von der Perspektive
+geworden.
+
+*Monge* dagegen gebührt das große Verdienst, die im Verlaufe einer
+langen Entwicklung entstandenen Ansätze, von denen hier nur einige
+Erwähnung finden konnten, nicht nur vermehrt, sondern zu einem, auf
+strenge Beweisführung gegründeten, wissenschaftlichen Lehrgebäude, der
+heutigen deskriptiven oder darstellenden Geometrie, ausgestaltet zu
+haben.
+
+In dem äußeren wie dem inneren Leben von *Monge* spiegeln sich die
+geistigen, politischen und kulturellen Zustände seiner Ära, des
+Zeitalters der französischen Revolution, die bald zu einer europäischen
+werden sollte, mit besonderer Deutlichkeit wieder.
+
+*Gaspard Monge* ging aus dem durch die Revolution erst zur Geltung
+gelangenden dritten Stand, der in geistiger Beziehung bald der erste
+werden sollte, hervor. *Monge* wurde 1746 in einem burgundischen
+Städtchen als der Sohn eines armen Handwerkers geboren, der
+sich die größten Entbehrungen auferlegte, um seinen Söhnen eine
+wissenschaftliche Ausbildung zu geben. Mit 16 Jahren wirkte *Monge*
+schon als Lehrer der Physik in Lyon. Später lehrte er an einer Schule
+für Militäringenieure Baukonstruktionslehre. Aus der Beschäftigung
+mit diesem Gegenstande schuf *Monge* in dem Bestreben, die teils
+umständlichen, teils noch empirischen älteren Methoden zu vereinfachen
+und wissenschaftlich zu begründen, seit 1770 etwa seine darstellende
+Geometrie. Veröffentlicht hat *Monge* sein Lebenswerk erst 1798[190],
+weil ihm, solange er an der Militärschule wirkte, die Geheimhaltung
+seines genialen Lehrganges zur Pflicht gemacht worden war.
+
+*Monge* gehörte, wenn er politisch auch weniger hervortrat, zu den
+großen Männern der französischen Revolution. Der Konvent ernannte ihn
+zum Leiter der Geschützgießereien. In dieser Stellung verfaßte er ein
+Werk über die Anfertigung von Kanonen. Während der Schreckensherrschaft
+wurde er in den Anklagezustand gesetzt. Er floh daher ins Ausland,
+kehrte aber bald nach Frankreich zurück und fand Gelegenheit, bei
+der Gründung der École polytechnique, dem großartigen Vorbilde
+für die technischen Schulen des 19. Jahrhunderts, einen maßgebenden
+Einfluß auf die Gestaltung des gewerblichen Unterrichtswesens[191]
+auszuüben. Die damals von *Monge* erhobenen Forderungen, nämlich
+naturwissenschaftlicher Unterricht, Übung der Schüler im Gebrauch
+wissenschaftlicher Instrumente, Pflege des wissenschaftlich begründeten
+Zeichnens, Anwendung der darstellenden Geometrie auf die Bau- und
+Maschinenkonstruktionslehre, sind für die Folge die wichtigsten
+Grundlagen geblieben, auf denen allein die moderne Technik zu der sie
+heute auszeichnenden Vollendung emporwachsen konnte.
+
+Aus dem späteren Leben von *Monge* verdient noch Erwähnung, daß er
+neben *Berthollet* der hervorragendste Gelehrte war, der sich an
+*Napoleons* Expedition nach Ägypten beteiligte. *Napoleon*, welcher
+die Bedeutung der exakten Wissenschaften wie kein anderer Herrscher
+zu würdigen verstand, überhäufte *Monge* mit Ehren. Auch während des
+Kaiserreichs war *Monge* an der École polytechnique als Lehrer tätig.
+Nach der Rückkehr der Bourbonen wurde er seiner Ämter entsetzt. Er
+verfiel infolgedessen in geistige Umnachtung, von der ihn jedoch ein
+baldiger Tod im Jahre 1818 erlöste.
+
+Unter den mathematischen und mechanischen Schriften, die wir *Monge*
+verdanken, nimmt seine »Darstellende Geometrie«, durch welche er diese
+Disziplin wissenschaftlich begründete, die erste Stelle ein. Ihre
+Aufgabe ist nach *Monge* eine doppelte. Einmal gilt es, alle Gebilde
+von drei Dimensionen auf Gebilde von zwei Dimensionen, die sich auf dem
+Zeichenblatte darstellen lassen, zurückzuführen. Zweitens lehrt die
+darstellende Geometrie aus der Zeichnung alle Beziehungen ableiten,
+die aus der Gestalt und der gegenseitigen Lage der in der Ebene
+dargestellten Raumgebilde entspringen.
+
+Die von *Monge* zur Lösung dieser Aufgaben angewandte
+Projektionsmethode geht von der Voraussetzung aus, daß die Lage
+eines Punktes im Raume mathematisch bestimmt ist, wenn man seine
+Projektionen auf zwei zu einander senkrechten Ebenen kennt. Unter der
+Projektion eines Punktes auf eine Ebene versteht *Monge* den Fußpunkt
+des von dem Punkte auf die Ebene gefällten Lotes. Sehr übersichtlich
+wurde das Projektionsverfahren vor allem dadurch gemacht, daß *Monge*
+sich die vertikale Ebene um ihre Schnittlinie mit der horizontalen
+Ebene gedreht denkt, bis sie mit der letzteren zusammenfällt. Die
+vertikale Ebene wird also mit den Projektionen, welche sie enthält,
+auf demselben Blatt gezeichnet, das für die horizontale Projektion
+dient. Beide Ebenen sind nur durch eine Schnittlinie (Projektionsachse)
+getrennt. Und man muß sich stets daran erinnern, daß die vertikale
+Ebene um diese Schnittlinie wie um ein Scharnier um 90 Grad gedreht
+werden muß, um in ihre eigentliche Stellung zu kommen. Dieser
+treffliche Grundgedanke bot eine Menge von Vereinfachungen und
+Vorteilen. So erkennt man ohne weiteres, daß die beiden Projektionen
+jedes Punktes in ein- und derselben, senkrecht zur Schnittlinie
+gezogenen Geraden liegen, daß eine Ebene durch ihre beiden Schnitte
+mit den Projektionsebenen (ihren Spuren) vollständig bestimmt ist, und
+daß diese Spuren die Schnittlinie der beiden Projektionsebenen (die
+Projektionsachse) in ein- und demselben Punkte treffen.
+
+Auf das Werk von *Monge* noch weiter einzugehen, verbietet sich von
+selbst. Es trägt die einzelnen Aufgaben über die Darstellung ebener
+und krummer Flächen, ihrer Schnitte, der wichtigsten Körper und ihrer
+Durchdringungen nach Umfang und Form in der noch heute üblichen Weise
+vor. Eine Weiterentwicklung hat die darstellende Geometrie erst in der
+neuesten Zeit durch ihre innigere Verknüpfung mit der von *Poncelet*
+und *Steiner* begründeten neueren synthetischen Geometrie erfahren.
+
+Die ersten Untersuchungen, durch welche die neuere synthetische
+Geometrie vorbereitet wurde, reichen bis ins 17. Jahrhundert zurück.
+Sie rühren von zwei Zeitgenossen und Landsleuten des *Descartes*, von
+*Desargues* und von *Pascal*, her. *Desargues*[192] zeigte in seiner
+Schrift Ȇber die Tatsachen, zu welchen der Schnitt eines Kegels durch
+eine Ebene Veranlassung gibt,« daß für die Kegelschnitte eine zu den
+allgemeinsten Sätzen führende Betrachtungsweise möglich ist. Denkt man
+sich das Auge in der Spitze des Kegels, so erscheint ein elliptischer
+Schnitt in dieser Perspektive in der Form eines Kreises. *Desargues*
+stellte sich die Aufgabe, aus den Eigenschaften dieses Kreises die
+Eigenschaften der Kegelschnitte durch eine Art perspektivischer
+Beweisführung abzuleiten und gelangte so zuerst zu Sätzen, die für alle
+Arten der Kegelschnitte gelten. Einer dieser für alle Kegelschnitte
+gültigen Sätze wird noch heute als der Satz von *Desargues*
+bezeichnet[193].
+
+Unter seinen Zeitgenossen wurde *Desargues* wohl nur von *Pascal*
+verstanden. *Desargues* Satz vom Sehnenviereck fügte *Pascal* den
+Satz vom *Pascal*schen Sechseck hinzu. Dieser besagt von jedem einem
+Kegelschnitte einbeschriebenen Sechseck, daß die drei Punkte, in
+welchen sich je zwei gegenüberliegende Seiten schneiden, auf einer
+geraden Linie liegen. Auch dieser Satz wurde zunächst für den Kreis
+bewiesen. Aus dem perspektivischen Zusammenhange zwischen dem Kreis und
+den Kegelschnitten wurde dann erst seine Verallgemeinerung abgeleitet.
+
+Der weitere Ausbau der perspektivischen, oder, wie sie auch wohl
+genannt wird, der projektiven Geometrie erfolgte im 19. Jahrhundert.
+Die erste systematische Zusammenfassung rührt wieder von einem
+Franzosen und zwar von *Poncelet* her, einem der genialsten Vertreter
+der angewandten Mathematik.
+
+*Jean Victor Poncelet* wurde 1788 als Sohn armer Eltern in Metz
+geboren. Er starb 1867. Als Zögling der École polytechnique genoß er
+den Unterricht eines Ampère, Fourier, Légendre und anderer Zierden der
+Wissenschaft, mit denen Frankreich um die Wende zum 19. Jahrhundert so
+reich gesegnet war. Als Genieoffizier nahm *Poncelet* an dem Feldzuge
+gegen Rußland teil. Er fiel in die Hände der Russen, und es folgten
+zwei Jahre Kriegsgefangenschaft. Diese unfreiwillige Muße füllte
+*Poncelet* damit aus, daß er die Grundzüge seines Verfahrens zu einem
+der bedeutendsten mathematischen Werke, dem »Traité des propriétés
+projectives des figures« entwickelte[194]. Durch dieses Buch ist
+*Poncelet* der Schöpfer der neueren synthetischen oder projektivischen
+Geometrie geworden. Dem Grundgedanken der neuen Betrachtungsweise sind
+wir schon im 17. Jahrhundert begegnet[195]. Sie unterscheidet sich von
+dem Verfahren der darstellenden Geometrie[196], das *Monge* ausbildete,
+in folgendem. Während *Monge* die Gebilde vermittelst paralleler
+Linien auf zwei zu einander senkrechte Ebenen projiziert, betrachtet
+*Poncelet* ihr perspektivisches Bild. Ein solches entsteht, wenn man
+von dem betrachtenden, als Punkt gedachten Auge aus Strahlen nach den
+Punkten des zu untersuchenden Gebildes zieht und in den Weg dieser
+Strahlen eine Fläche, in der Regel eine Ebene, bringt. Die Punkte, in
+welchen die Strahlen jene Ebene schneiden, bilden das perspektivische
+Bild. Aus diesem ergeben sich die Eigenschaften der zu untersuchenden
+und verwandter Gebilde oft mit überraschender Einfachheit. Zudem ist
+das Verfahren *Poncelets* in solchem Grade rein geometrisch, d. h.
+es verzichtet so gänzlich auf alle besonderen Hilfsmittel, daß es in
+dieser Hinsicht alle anderen Methoden übertrifft. Während wir uns in
+der analytischen Geometrie der Koordinaten und des Kalküls und in der
+darstellenden Geometrie des Auf- und Grundrisses bedienen, operiert
+*Poncelet* lediglich mit den Objekten selbst.
+
+Nach der Veröffentlichung seiner projektivischen Geometrie war
+*Poncelet* als Lehrer der technischen Wissenschaften in seiner
+Vaterstadt und später in Paris tätig. Dieser Umstand und die Angriffe,
+die seine mathematischen Arbeiten aus kleinlichen Beweggründen
+erfuhren, bewogen ihn, sich vorwiegend mit angewandter Mathematik zu
+beschäftigen. Auch auf diesem Gebiete reihen sich seine Leistungen
+den höchsten an. Was *Poncelet* in der Hydromechanik und in der
+Maschinentheorie geschaffen, wird noch heute zu den »Grundsäulen«
+dieser Wissenszweige gerechnet[197]. Erwähnt sei nur, daß *Poncelet*
+die Wasserräder verbesserte (*Poncelet*rad) und das Kilogrammmeter als
+Einheit für die mechanische Arbeit, deren Äquivalenz mit der lebendigen
+Kraft er besonders hervorhob, einführte.
+
+Zehn Jahre nach dem Erscheinen der projektivischen Geometrie
+*Poncelets* fand diese Wissenschaft in Deutschland die hervorragendste
+Förderung durch *Steiners* »Systematische Entwicklung der Abhängigkeit
+geometrischer Gestalten voneinander«[198].
+
+*Jakob Steiner* wurde 1796 als Sohn eines armen Bauern in der Nähe
+von Solothurn geboren[199]. Er empfing den ersten Unterricht in einer
+Dorfschule und besuchte darauf Pestalozzis Erziehungsanstalt. Hier,
+sowie in Heidelberg, wo *Steiner* drei Jahre seinen Lebensunterhalt
+durch Privatstunden erwarb, fand er für seine wissenschaftliche
+Richtung kaum irgend welche Anregung. Er war vielmehr auf seinem
+Gebiete, da es in Deutschland dafür zu jener Zeit kaum einen Vertreter
+gab, vorwiegend Autodidakt. Nachdem *Steiner* Heidelberg verlassen,
+wirkte er als Lehrer an einer Erziehungsanstalt in Berlin. Dort wurde
+er durch einen Zufall mit *Alexander von Humboldt* bekannt. Einer
+der schönsten Züge *Humboldts* bestand darin, daß er junge Talente
+sozusagen entdeckte und sie vermöge der hervorragenden Stellung, in die
+ihn Geburt und Verdienst gewiesen, neidlos förderte. *Steiner* wurde
+durch Vermittlung *Humboldts* an der Berliner Gewerbeschule angestellt,
+an der auch der Chemiker *Wöhler* wirkte. Später erhielt *Steiner*
+auf die Empfehlung *Humboldts* und *Jacobis* hin eine Professur an
+der Berliner Universität. Durch das Zusammenwirken von *Steiner* mit
+*Crelle* und dem in den zwanziger Jahren gleichfalls in Berlin lebenden
+nordischen Mathematiker *Abel* entstand 1826 Deutschlands bedeutendste
+mathematische Zeitschrift, das *Crelle*sche Journal für reine und
+angewandte Mathematik.
+
+Zu den ersten Beiträgen *Steiners* für diese Zeitschrift gehört seine
+unter dem Titel »Einige geometrische Betrachtungen« veröffentlichte
+Abhandlung vom Jahre 1826[200]. In dieser Abhandlung beschäftigt
+sich *Steiner*, angeregt durch das *Malfatti*sche Problem, besonders
+mit Kreisberührungsaufgaben. Auf den Inhalt kann hier nicht näher
+eingegangen werden. Erwähnung verdient jedoch *Steiners* von ihm
+selbst geschilderte Art, wissenschaftlich zu arbeiten. *Steiner* sagt
+nämlich, er pflege über eine Aufgabe oder einen Gegenstand sich nicht
+eher aus den Schriften anderer zu unterrichten, bis er eine Auflösung
+oder einen Weg durch eigenes Nachdenken gefunden habe. Erst dann
+vergleiche er seine Resultate mit den schon vorhandenen[201]. Es ist
+das zwar nicht ein Verfahren für jedermann. Es ist aber dasjenige, das
+am sichersten den Fortschritt der Wissenschaft verbürgt.
+
+In einer zweiten Abhandlung löst *Steiner* die Aufgabe, einzig mit
+Hilfe eines Lineals ohne Anwendung des Zirkels alle geometrischen
+Konstruktionen auszuführen, wenn nur irgend ein fester Hilfskreis
+gegeben ist. Die ältere Geometrie benötigte nämlich für die Mehrzahl
+ihrer Aufgaben des Lineals und des Zirkels. Die betreffende
+Abhandlung[202] *Steiners* bringt die Lehre von den harmonischen
+Strahlen und Punkten, von den harmonischen Eigenschaften des Kreises,
+den Ähnlichkeitspunkten, Potenzen von Kreisen und schließlich die
+Lösung aller geometrischen Aufgaben mittelst des Lineals, wenn ein
+fester Kreis gegeben ist.
+
+Wir gelangen endlich zu dem für die neuere Geometrie grundlegend
+gewordenen Hauptwerk *Steiners*, seiner »Systematischen Entwicklung
+der Abhängigkeit geometrischer Gestalten voneinander«[203]. Das Werk
+läßt sich als der erste Versuch bezeichnen, die Geometrie von einem
+Keime aus nach allen Richtungen organisch zu entwickeln[204], sodaß an
+Stelle des Heeres von auseinander gerissenen Eigentümlichkeiten eine
+umfassende und klare Übersicht gewonnen wurde.
+
+Auf dem bisher üblichen Wege gelangte man wohl zu einer Sammlung
+scharfsinniger Kunststücke, aber nicht zu einem innerlich
+zusammenhängenden Ganzen. Durch die Aneignung der Grundbeziehungen,
+so lauten *Steiners* Ausführungen über das Ziel seines Unternehmens,
+mache man sich zum Herrn des ganzen Gegenstandes. »Es tritt Ordnung
+in dem Chaos ein, und man sieht, wie alle Teile naturgemäß ineinander
+greifen und zu wohlbegrenzten Gruppen sich vereinigen. Der Kern der
+Sache besteht darin, daß die Abhängigkeit der Gestalten voneinander
+und die Art und Weise aufgedeckt wird, wie ihre Eigenschaften von den
+einfacheren Figuren zu den zusammengesetzteren sich fortpflanzen.
+Eigenschaften der Figuren, wie die konjugierten Durchmesser der
+Kegelschnitte und das mystische Sechseck und Sechsseit[205], von deren
+Vorhandensein man sich sonst durch künstliche Beweise überzeugen mußte,
+und die, wenn sie gefunden waren, als etwas Wunderbares dastanden,
+zeigen sich nun als notwendige Folgen der unscheinbarsten Eigenschaften
+der aufgefundenen Grundelemente.«
+
+Wenn wir es uns auch versagen müssen, *Steiners* »Systematische
+Entwicklung« im einzelnen zu erörtern, so wollen wir doch bei seiner
+Behandlung der Kegelschnitte, jenes Gebietes, das die Mathematiker
+seit der Zeit des *Menächmos* und des *Apollonios* bis auf den
+heutigen Tag beschäftigt, noch etwas verweilen. Erst bei der
+Erzeugung der Kegelschnitte durch projektivische Gebilde ergaben sich
+fundamentale Sätze, d. h. Sätze, die so umfassend sind, daß die übrigen
+Eigenschaften der Kegelschnitte klar aus ihnen folgen. *Steiner*
+folgerte z. B. aus seinen Fundamentalsätzen[206], daß durch fünf
+beliebige Tangenten oder durch irgend fünf Punkte in einer Ebene ein
+Kegelschnitt bestimmt ist. Fünf beliebige Gerade in einer Ebene können
+also stets von einem, aber auch nur von einem einzigen Kegelschnitt
+berührt werden. Oder auch: Fünf beliebige Punkte in einer Ebene liegen
+jedesmal in einem, aber auch nur in einem einzigen Kegelschnitte.
+
+In ganz neuer Beleuchtung und der Eigenschaft des Wunderbaren
+entkleidet erschienen nun auch die Sätze vom *Pascal*schen und
+*Brianchon*schen Sechseck. Zahlreiche Mathematiker hatten Beweise für
+diese Sätze beigebracht und die Lehre von den Kegelschnitten in mehr
+oder minder umfassender Weise darauf zu begründen versucht. *Pascals*
+Satz lautet, daß bei jedem einem Kegelschnitt umschriebenen Sechseck
+die Linien, welche die gegenüber liegenden Ecken verbinden, in einem
+Punkte zusammentreffen. Der Satz von *Brianchon* besagt, daß bei jedem
+einem Kegelschnitte eingeschriebenen Sechseck die drei Schnittpunkte
+der gegenüber liegenden Seiten in einer geraden Linie liegen.
+*Steiner* zeigte, daß beide Sätze nicht die eigentliche Grundlage für
+die Untersuchung der Kegelschnitte bilden, sondern daß sie zugleich mit
+vielen anderen Eigenschaften aus einer umfassenderen Quelle, nämlich
+aus der Beziehung projektivischer Gebilde fließen.
+
+Von der Behandlung der Kegelschnitte nach projektivischer Methode
+wendet sich *Steiner* zur Erzeugung projektivischer Raumgebilde[207].
+Die Untersuchung dreht sich besonders um die Eigenschaften der
+Paraboloide und der Hyperboloide.
+
+Konnten *Steiners* Verdienste um die neueste Entwicklung der Geometrie
+hier auch nur angedeutet werden, so geht aus dem Gesagten doch
+hervor, daß durch ihn die Lehre von den Kegelschnitten, die wir ihrer
+Beziehungen zur Naturwissenschaft und zur Technik wegen an manchen
+Stellen dieses Werkes in Betracht gezogen haben, im wesentlichen und
+auf allgemeinster Grundlage zum Abschluß kam. »Was seitdem noch in
+dieser Beziehung geleistet worden ist, beschränkt sich auf die weitere
+Durcharbeitung und die formale Vollendung«[208].
+
+Trotz dieser großen Erfolge der projektivischen Geometrie wurde die
+analytische Behandlung geometrischer Probleme keineswegs gänzlich
+beiseite geschoben. Wie die synthetische, so gewann auch die
+analytische Geometrie in der Neuzeit einen erhöhten Standpunkt.
+Dies geschah besonders durch *Plückers* »System der analytischen
+Geometrie«[209]. *Plückers* Verfahren bedeutet eine Loslösung von den
+zwei oder drei Achsen, auf die bisher die Flächen- oder die Raumgebilde
+bezogen wurden. Anstatt der Koordinaten führte er lineare Funktionen
+ein, welche den Strahlenbüscheln *Steiners* entsprechen. Die neueren
+Methoden der synthetischen und der analytischen Geometrie laufen daher,
+weil man sich auf beiden Gebieten beweglicher Elemente an Stelle der
+bisher üblichen festliegenden Grundgebilde bedient, auf eine Annäherung
+hinaus, die zu einer immer größeren, wechselseitigen Durchdringung und
+Befruchtung geführt hat[210].
+
+Die Erkenntnis, daß gewisse Axiome der gewöhnlichen (Euklidischen)
+Geometrie sich nicht beweisen lassen, führte im Verlaufe des 19.
+Jahrhunderts zu einer neuen, nichteuklidischen Geometrie. Eine der
+ersten, früher nie angezweifelten Grundlagen der elementaren Geometrie
+ist das Parallelenaxiom. Es besagt, daß man durch einen Punkt außerhalb
+einer Geraden in der durch den Punkt und die Gerade festgelegten Ebene
+nur eine einzige Gerade ziehen kann, welche die erste Gerade nicht
+schneidet.
+
+Bezweifelt man das Parallelenaxiom, so wankt auch der Satz, daß die
+Summe der Winkel eines Dreiecks gleich zwei Rechten ist. Kurz, die
+wichtigsten Grundlagen der Geometrie scheinen mit einer gewissen
+Unsicherheit behaftet zu sein, die eben daraus entspringt, daß man
+das Parallelenaxiom nicht beweisen kann. *Gauß* sprach daher, weil
+er die Unzulänglichkeit der zur Sicherstellung des Parallelenaxioms
+unternommenen Beweise erkannte, den Gedanken aus, daß es für die reine
+Mathematik von großem Wert sein müsse, eine Geometrie zu schaffen,
+die sich nicht auf jenes Axiom stützt. Was *Gauß* nur angedeutet,
+führte *Lobatschefskij*[211] aus. Er schuf in seiner Pangeometrie eine
+neue umfassendere Lehre, welche die gewöhnliche Geometrie als einen
+besonderen Fall, der unserer Auffassung vom Raume am vollkommensten
+entspricht, in sich einschließt[212]. Näher auf dieses Gebiet
+einzugehen, liegt nicht im Rahmen dieses Werkes, das die Mathematik
+nur insofern berücksichtigen kann, als sie die Entwicklung der
+Naturwissenschaften beeinflußt hat.
+
+Das Ergebnis seiner Untersuchungen veröffentlichte *Lobatschefskij*
+1856. Sein Urteil über die Bedeutung der nichteuklidischen Geometrie
+geht dahin, daß sie, auch wenn sie in der Natur keine Geltung hat,
+doch in unserer Vorstellung bestehen und ein neues weites Feld für
+mathematische Untersuchungen erschließen kann.
+
+Nachdem wir einen Blick auf die Entwicklung geworfen, welche die
+Geometrie in ihrer jüngsten Phase genommen hat, wollen wir in aller
+Kürze auch einige wichtige Fortschritte des Kalküls erörtern. Seit
+dem frühen Altertum beschäftigten sich die Mathematiker mit der Lehre
+von den Gleichungen. Das Eindringen in ihre Probleme war besonders
+mühselig und setzte alle Kräfte in Bewegung. Wie lange dauerte es,
+bis man das Wesen der negativen Wurzeln und vor allem den Zusammenhang
+der Wurzeln mit den Koeffizienten erkannt hatte. Erst die Mathematiker
+des 18. Jahrhunderts (*Euler*, *Lagrange* 1772, *Gauß* 1799) bewiesen,
+daß jede Gleichung sich in soviel reelle oder imaginäre Faktoren
+auflösen läßt, als ihr Grad anzeigt. Trotzdem vermochten selbst *Euler*
+und *Lagrange* es nicht, Gleichungen aufzulösen, welche den vierten
+Grad überschreiten. Schon *Gauß* äußerte daher die Ansicht, daß die
+allgemeine Gleichung fünften Grades wahrscheinlich nicht lösbar
+sei. Den Beweis für diese Tatsache brachte der große norwegische
+Mathematiker *Abel*, mit dessen Bedeutung für die neueste Entwicklung
+des Kalküls wir uns zunächst zu beschäftigen haben.
+
+*Niels Henrik Abel* wurde 1802 als der Sohn eines norwegischen
+Dorfpfarrers geboren. Er studierte in Christiania Mathematik und wurde
+seiner ungewöhnlichen Begabung wegen von der norwegischen Regierung
+mit einem Stipendium bedacht, um seine Studien in Deutschland und in
+Frankreich fortzusetzen. In Berlin gehörte *Abel* nebst *Steiner* zu
+den ersten Mitarbeitern des neu gegründeten *Crelle*schen Journals für
+die reine und angewandte Mathematik[213]. *Abel* starb mit 26 Jahren an
+einem Lungenleiden. Seine Berufung an die Berliner Universität traf ihn
+nicht mehr lebend an.
+
+Von *Abels* Arbeiten verdient zunächst eine Untersuchung über die
+binomische Reihe Erwähnung[214]. *Abel* untersuchte diese Reihe zuerst
+für komplexe Werte und summierte sie für diese. Seine Arbeit ist für
+das Gebiet der unendlichen Reihen ein Muster exakter Beweisführung
+geworden.
+
+Wichtiger als die erwähnte Arbeit ist *Abels* Nachweis, daß eine
+algebraische Gleichung von höherem als dem vierten Grade sich nicht
+allgemein auflösen läßt[215]. Einige Jahre später zeigte *Abel*, daß
+es trotzdem für jeden Grad eine besondere Klasse von Gleichungen
+gibt, deren algebraische Auflösung möglich ist. Die Auflösung dieser
+Gleichungen, die man später als »*Abel*sche Gleichungen« bezeichnet
+hat, ist dadurch möglich, daß zwischen ihren Wurzeln gewisse
+Beziehungen bestehen[216].
+
+Von dem großen Verdienst endlich, das sich *Abel* um die Mitbegründung
+der Theorie der elliptischen Funktionen erworben hat, wird an anderer
+Stelle die Rede sein. Hier gilt es zunächst, die weitere Entwicklung
+der Lehre von den Gleichungen zu verfolgen. Diese Entwicklung ist
+insbesondere den französischen Mathematikern *Fourier* und *Sturm* zu
+danken.
+
+Mit *Fouriers* Verdiensten um die mathematische Physik werden wir
+uns an anderer Stelle beschäftigen. Hier haben wir es nur mit seiner
+wichtigsten rein mathematischen Schrift zu tun, die 1831 unter dem
+Titel »Die Auflösung der bestimmten Gleichungen« erschien[217].
+*Fourier* lehrte darin die reellen Wurzeln finden, die zwischen
+zwei beliebigen Werten von x liegen, und verbesserte *Newtons*
+Berechnungsmethode wesentlich. An sein Theorem über die Bestimmung
+von Intervallen für die reellen Wurzeln einer Gleichung knüpfte
+*Charles Sturm* an (geboren 1803 in Genf, Professor an der École
+polytechnique. Er starb 1855). Seine Abhandlung über die Auflösung der
+numerischen Gleichungen (1835) zeigte, wie sich vermittelst des nach
+ihm benannten Theorems auf die einfachste Weise die Anzahl der reellen
+Wurzeln erkennen und ihre Begrenzung finden läßt. Sie bedeutet deshalb
+den hervorragendsten Fortschritt in dem Verfahren der numerischen
+Auflösung algebraischer Gleichungen mit reellen Koeffizienten[218].
+
+Als das hervorragendste mathematische Hilfsmittel der Naturwissenschaft
+erwies sich auch im 19. Jahrhundert in stetig wachsendem Maße die
+Differential- und Integralrechnung. Unter den zahlreichen Arbeiten,
+welche diese mathematische Disziplin während des ersten Zeitraums des
+19. Jahrhunderts förderten, verdienen die Abhandlungen von *Pfaff* und
+von *Cauchy* besondere Erwähnung.
+
+*Pfaff*[219] löste zuerst das Integrationsproblem der partiellen
+Differentialgleichungen, um welches *Euler* und *Lagrange* sich
+vergeblich bemüht hatten, in voller Allgemeinheit[220]. *Euler*
+vermochte nicht einmal für den einfachsten Fall, der mit der partiellen
+Differentialgleichung erster Ordnung mit zwei Veränderlichen gegeben
+ist, zu einer allgemeinen Theorie zu gelangen. *Lagrange* war zwar
+bis zur Integration solcher Gleichungen vorgedrungen; er hatte
+sich indessen auf den Fall beschränken müssen, daß die partiellen
+Differentialquotienten, falls mehr als drei Veränderliche in Betracht
+kommen, darin nur linearisch auftreten.
+
+Auch um die Reihenlehre, die Kombinationslehre und die Anwendung der
+letzteren auf die Probleme der höheren Analysis hat sich *Pfaff*
+verdient gemacht. Seine neue Summationsmethode für unendliche Reihen
+(1788) besteht darin, daß er die Glieder der unendlichen Reihe, deren
+Summe gesucht wird, wieder in unendliche Reihen verwandelt und deren
+Glieder so verbindet, daß neue summierbare Reihen entstehen.
+
+Unabhängig von *Pfaff* fand auch der französische Mathematiker *Cauchy*
+eine allgemeine Methode, um die partiellen Differentialgleichungen
+erster Ordnung zu integrieren, »welches auch die Zahl der unabhängigen
+Veränderlichen sein möge«[221]. *Augustin Louis Cauchy* wurde 1789
+in Paris geboren. Er wurde Zögling der »École polytechnique« und
+zeichnete sich schon als Knabe, ähnlich *Pascal* und *Clairaut*,
+durch eine solch hervorragende mathematische Beanlagung aus, daß
+sogar der große *Lagrange* auf ihn aufmerksam wurde. Später wirkte
+*Cauchy* als Lehrer an der »École polytechnique«. Er starb nach
+manchen, durch politische Ereignisse hervorgerufenen Wechselfällen im
+Jahre 1857. Unter den mathematischen Abhandlungen *Cauchys* verdient
+diejenige vom Jahre 1825 besondere Erwähnung, da er darin »den Grad
+der Allgemeinheit« feststellte, den ein bestimmtes Integral zwischen
+imaginären Grenzen zuläßt und die Zahl der Werte, die es annehmen kann,
+ermittelte[222]. In welchem Maße die mathematischen Untersuchungen
+*Cauchys* durch ihn und andere der theoretischen Physik, vor allem der
+Optik, zugute gekommen sind, wird an anderer Stelle gezeigt werden.
+
+Für die Entwicklung der höheren Analysis war ferner die Neugestaltung
+der Theorie der elliptischen Funktionen von der größten Wichtigkeit.
+Sie erfolgte durch *Abel*, dessen Verdienste um die Theorie der Reihen
+und der Gleichungen wir schon kennen lernten, und durch den großen
+deutschen Mathematiker *Jacobi*.
+
+*Karl Gustav Jacobi* wurde 1804 in Potsdam geboren. Er widmete sich
+zunächst unter *Böckh* der klassischen Philologie, entschied sich aber,
+angeregt durch die Werke von *Euler*, *Lagrange*, *Laplace* und *Gauß*
+bald darauf für das Studium der Mathematik. Mit 21 Jahren wurde er
+Dozent für dieses Fach an der Berliner Universität. Dann wirkte er in
+Königsberg, um schließlich nach Berlin zurückzukehren, wo er schon 1851
+starb.
+
+*Jacobis* erste Untersuchungen betrafen die elliptischen Funktionen. Im
+Jahre 1829 erschien sein großes Hauptwerk über diesen Gegenstand[223].
+Das Werk hat ihm die Hälfte des großen Preises eingetragen, den die
+Pariser Akademie für den bedeutendsten Fortschritt auf diesem Gebiete
+ausgesetzt hatte[224].
+
+Die ersten Anfänge der Theorie der elliptischen Funktionen begegnen uns
+bei *Euler*. Dieser suchte einen rechnerischen Ausdruck für den Bogen
+einer Ellipse zu gewinnen und wurde dabei durch folgende Überlegung
+geleitet. Da der Kreis ein besonderer Fall der Ellipse ist, so läßt
+sich der Bogen der letzteren vielleicht durch allgemeinere Funktionen
+ausdrücken, welche die Kreisfunktionen als besonderen Fall in sich
+einschließen. Das Problem wurde von *Legendre* wieder aufgenommen
+und weiter geführt. Er war es, der zuerst den Ausdruck »elliptische
+Funktionen« gebrauchte. Allerdings bezeichnete er, abweichend vom
+heutigen Gebrauch, mit diesem Ausdruck die Integrale, welche die
+Bogen der Ellipse und der Hyperbel ausdrücken. *Legendre* widmete
+diesem Gegenstande die Arbeit von Jahrzehnten und veröffentlichte das
+Ergebnis, als ihm eine weitere Fortbildung nicht möglich schien, in
+seiner zusammenfassenden Arbeit vom Jahre 1827[225]. Kaum war dies
+geschehen, da mußte *Legendre* gestehen, daß seine eigenen Forschungen
+durch *Abel* und *Jacobi* weit überholt worden seien. »Nachdem ich
+mich«, so schrieb *Legendre*, »eine lange Reihe von Jahren mit der
+Theorie der elliptischen Funktionen befaßt, für welche der unsterbliche
+*Euler* das Fundament geschaffen, glaubte ich die Ergebnisse in einem
+umfangreichen Werke herausgeben zu müssen. Kaum ist aber der Titel
+dieses Werkes bekannt geworden, und schon zeigt es sich, daß zwei
+junge Mathematiker, *Jacobi* und *Abel*, die Theorie der elliptischen
+Funktionen durch neue Untersuchungen beträchtlich vervollkommnet haben.«
+
+Unabhängig voneinander waren *Abel* und *Jacobi* auf den Gedanken
+gekommen, in diese Theorie das Imaginäre einzuführen. Dadurch wurden
+alle Rätsel der älteren Theorie gelöst und die elliptischen Funktionen
+gleichzeitig zu den Kreisfunktionen und den Exponentialgrößen in nahe
+Beziehung gesetzt.
+
+*Jacobi* drang aber noch tiefer in das Wesen der elliptischen
+Funktionen ein und erkannte, daß sie als Folgerungen gewisser
+Funktionen aufgefaßt werden können, die man seitdem als
+Theta-Funktionen bezeichnet hat. Während ferner die elliptischen
+Funktionen als die Umkehrungen der elliptischen Integrale nur zwei
+Perioden zulassen, schuf *Jacobi* später die Theorie der mehrfach
+periodischen Funktionen, welche als die Umkehrungsfunktionen der
+algebraischen Integrale auftreten. Die Abhandlung, in welcher die
+Natur dieser neuen Funktionen im hellsten Lichte erscheint, wurde
+neuerdings in deutscher Sprache zugänglich gemacht[226]. Um die
+Darstellung der vierfach periodischen Funktionen haben sich unter den
+deutschen Mathematikern später noch *Göpel* und *Rosenhain* besondere
+Verdienste erworben. Auch ihre Abhandlungen erschienen als Teile der
+*Ostwald*schen Sammlung in deutscher Übersetzung[227].
+
+Von den neu entdeckten Funktionen haben besonders die elliptischen und
+die durch *Legendre* eingeführten Kugelfunktionen der mathematischen
+Physik und der theoretischen Astronomie wertvolle Dienste geleistet.
+Um den weiteren Ausbau der höheren Analysis und ihre Anwendung auf
+das abstrakte Gebiet der Zahlentheorie, nicht minder aber auf die
+wichtigsten Probleme der mathematischen Physik hat sich der deutsche
+Mathematiker *Lejeune-Dirichlet* die größten Verdienste erworben.
+
+*Gustav Peter Lejeune-Dirichlet* wurde 1805 in Düren geboren[228].
+Anknüpfend an die Disquisitiones arithmeticae von *Gauß* verstand er
+es, die Zahlentheorie mit der Infinitesimalrechnung in Beziehung zu
+setzen und beide bis dahin getrennten Zweige der Mathematik vermöge der
+Durchführung dieses Gedankens zu bereichern. Einige Anwendungen dieser
+Methode veröffentlichte er in den Jahren 1839 und 1840. Die betreffende
+Abhandlung[229] bringt eine Frage, mit welcher sich schon *Lagrange*,
+*Legendre* und *Gauß* befaßten, zur Lösung, die Frage nämlich nach dem
+Zusammenhang zwischen der Anzahl der quadratischen Formen und einer
+gegebenen Determinante.
+
+In einer anderen, der *Ostwald*schen Sammlung einverleibten Abhandlung
+unternimmt *Dirichlet* die Darstellung ganz willkürlicher Funktionen
+durch Sinus- und Cosinusreihen[230]. Zu dieser für die Entwicklung der
+mathematischen Physik sehr wertvollen Untersuchung war *Dirichlet*
+dadurch gelangt, daß *Fourier*, mit dem der deutsche Forscher während
+eines längeren Studiums in Paris in enge Fühlung trat, durch seine
+analytischen Beiträge zur Wärmelehre auf trigonometrische Reihen
+geführt worden war.
+
+Nach dem Erfolge, den *Dirichlet* durch seine Untersuchung der
+*Fourier*schen Reihen errungen, stellte er mit Vorliebe sein
+mathematisches Können in den Dienst der theoretischen Physik. Er
+erfand eine besondere Integrationsmethode zur leichteren Bewältigung
+der bestimmten Integrale und wandte diese neue Methode auf
+Attraktionsprobleme an.
+
+Die betreffende Abhandlung erschien 1839 und wurde neuerdings durch
+*Ostwalds* Klassiker zugänglicher gemacht[231]. Nachdem *Riemann*
+gezeigt hatte, wie durch die von ihm vorgeschlagene Transformation die
+schwierigsten Integrationen vereinfacht werden, wählte *Dirichlet* das
+so oft von früheren Mathematikern (*Laplace*, *Gauß* u. a.) behandelte
+Beispiel der Attraktion der Ellipsoide. Während bis dahin das Problem
+des äußeren und des inneren Punktes unabhängig voneinander und mit
+verschiedenen Mitteln behandelt worden waren, zeigte *Dirichlet*, daß
+das Problem eine gleichförmige Behandlung zuläßt. Außerdem ist sein
+Verfahren nicht auf die Voraussetzung beschränkt, daß die Attraktion
+dem Quadrat der Entfernung umgekehrt proportional ist, sondern es
+bleibt auch für jede andere ganze oder gebrochene Potenz der Entfernung
+anwendbar. Endlich braucht auch die Dichtigkeit der anziehenden Masse
+nicht als konstant vorausgesetzt zu werden, sondern sie kann auch durch
+irgend eine rationale ganze Funktion der drei Koordinaten ausgedrückt
+sein. Indem *Dirichlet* ferner die Wirkung der nach dem Gesetze
+*Newtons* wirkenden Kräfte von neuem der höheren Analysis unterwarf,
+förderte er gleichzeitig die Potentialtheorie[232].
+
+Im Anschluß an *Dirichlet* hat sich besonders *Riemann* mit der
+Darstellung von Funktionen durch trigonometrische Reihen und dem Ausbau
+der Potentialtheorie beschäftigt[233]. Die Gestaltung, welche die
+Funktionenlehre durch *Riemann* erlangte, indem er die komplexe, d. h.
+aus einem reellen und einem imaginären Teile bestehende Veränderliche,
+einführte, hat der höheren Analysis in ihrer Anwendung auf die
+Naturwissenschaften während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
+Ziel und Richtung gegeben.
+
+
+
+
+9. Die wissenschaftliche Chemie von ihrer Begründung durch *Boyle* bis
+zu ihrer Erneuerung durch *Lavoisier*.
+
+
+Eine Reihe von Jahrzehnten war seit der Begründung der neueren Physik
+verflossen, ehe die Chemie ihr mittelalterliches Gewand abstreifte und
+unter der Führung von *Boyle* einem rein wissenschaftlichen Ziele,
+nämlich der Erforschung der Zusammensetzung der Körper, nachzustreben
+begann. *Boyle* hatte den Begriff des chemischen Elementes aufgestellt
+und der analytischen Chemie eine sichere Grundlage gegeben. Auch
+hatte er sowohl das experimentelle Studium als auch die Erklärung
+der Verbrennungserscheinungen in Angriff genommen. Während der
+erste Teil dieser Aufgabe durch *Boyle* und seine Nachfolger sehr
+gefördert und ein großes, auf den Vorgang der Verbrennung bezügliches
+Tatsachenmaterial herbeigeschafft wurde, blieb das gesamte von *Boyle*
+bis *Lavoisier* reichende Zeitalter bezüglich aller Erklärungsversuche
+in dem Banne der von *Stahl* begründeten Phlogistontheorie befangen.
+Selbst als *Lavoisier* seine antiphlogistische Lehre bis in ihre
+Einzelheiten ausgeführt hatte, vermochten jene Männer, auf die er sich
+besonders stützte, wie *Priestley* und *Scheele*, der älteren Theorie,
+die sie bei ihren großen Entdeckungen geleitet, nicht zu entsagen.
+Mit *Dalton*, *Berzelius* und *Gay-Lussac* trat indes ein neues
+Geschlecht von Forschern auf den Schauplatz. Indem diese an *Lavoisier*
+anknüpften, begann für die Chemie das Zeitalter der quantitativen
+Untersuchungen. Dadurch wurden die Beziehungen zur Physik immer engere,
+was sich auch darin aussprach, daß die Mehrzahl der damaligen Forscher
+auf beiden Gebieten hervorragende Leistungen aufzuweisen hatten. Die
+Chemie erhielt somit in dieser, den letzten Teil des 18. und den Beginn
+des 19. Jahrhunderts umfassenden Periode im wesentlichen ihre heutige
+Richtung und Gestalt.
+
+Die Einsicht in den Vorgang der Verbrennung wurde erst dadurch
+ermöglicht, daß *Priestley* die Erforschung der Gase in die Hand
+nahm und *Scheele* die Zusammensetzung der atmosphärischen Luft aus
+zwei Bestandteilen nachwies. Bis zur Zeit *van Helmonts* hatte man
+die Gasarten, von denen insbesondere der Wasserstoff, sowie das
+Kohlendioxyd bekannt geworden waren, noch nicht unter sich und von der
+atmosphärischen Luft unterschieden, sondern jeden gasförmigen Körper
+mit der Luft identifiziert und die beobachteten Verschiedenheiten auf
+Beimengungen zurückgeführt. Ein erfolgreiches Studium der Gase begann
+erst mit der von *Hales* herrührenden Erfindung der pneumatischen
+Wanne und der Verwendung des Quecksilbers als Absperrflüssigkeit. Das
+letztgenannte Verfahren ermöglichte *Priestley* die Entdeckung der im
+Wasser löslichen Gasarten, wie des Ammoniaks und des Chlorwasserstoffs.
+Klare Ansichten über die chemische Natur der Gase kamen jedoch erst
+mit *Lavoisier* auf, welcher Sauerstoff und Wasserstoff als Elemente
+ansprach.
+
+*Joseph Priestley*, auf dessen Untersuchungen *Lavoisier* ganz
+besonders die neuere Chemie begründete, wurde im Jahre 1733 in der Nähe
+von Leeds geboren. Er studierte Theologie. Infolge seiner Stellung
+zur englischen Kirche und seines exzentrischen Wesens führte er ein
+unstätes Leben. Er wirkte bald als Prediger, bald als Schul- oder
+Hauslehrer und siedelte endlich nach Nordamerika über, wo er 1804
+starb. Trotzdem *Priestley* eine gründliche naturwissenschaftliche
+Vorbildung fehlte, hat er mit großem Erfolge das schwierige Gebiet
+der pneumatischen Chemie eigentlich erst erschlossen. *Priestley*
+glich nämlich den erwähnten Mangel dadurch aus, daß er ein ganz
+außergewöhnliches Geschick zum Experimentieren besaß. Die Ergebnisse
+seiner mühevollen, auf die Gase bezüglichen Untersuchungen legte er
+in einer Anzahl seit dem Jahre 1772 veröffentlichter Abhandlungen
+nieder, die zum Teil zu einem größeren Werke[234] vereinigt wurden.
+Zunächst befaßt sich *Priestley* in diesen Schriften mit dem von ihm
+als fixe Luft bezeichneten Kohlendioxyd[235]. Er entnimmt dieses Gas,
+das sich bei der Gärung bildet, den Brauereien, oder er stellt es durch
+Übergießen von Kreide mit Säuren her. Die Untersuchungen *Priestleys*
+betreffen auch die Löslichkeit des Kohlendioxyds im Wasser.
+Gleichzeitig gibt er Anweisung über die durch Sättigen des Wassers mit
+Kohlendioxyd zu bewerkstelligende Gewinnung künstlicher Säuerlinge.
+Von der praktischen Verwertbarkeit der Ergebnisse wissenschaftlichen
+Forschens war *Priestley* tief durchdrungen. »Da wir selbst Teile des
+Systems sind,« heißt es in seiner Naturlehre, »so ergibt sich, daß,
+je vollkommener unsere Kenntnisse von den Naturgesetzen sind, wir um
+so mehr Gewalt über die Natur haben, und daß wir um so geschickter
+sind, solche Einrichtungen in der Welt zu treffen, die uns am meisten
+zusagen. Wenn die Wissenschaft wie bisher immer größere Fortschritte
+macht, so wird das menschliche Geschlecht nach einigen Jahrhunderten
+uns ebenso sehr übertreffen, wie wir jetzt die Wilden übertreffen, denn
+die Natur ist unerschöpflich, sie gleicht einer Erzgrube, in der sich
+immer neue Anbrüche zeigen[236].«
+
+Auf das Vorhandensein von »fixer Luft« in der Atmosphäre hatten
+schon *Black*[237], sowie der schwedische Naturforscher *Bergman*
+hingewiesen. Beide machten darauf aufmerksam, daß sich Kalkwasser an
+der Luft mit einer weißen, festen Masse bedeckt, aus der sich durch
+Übergießen mit Säure die »fixe Luft« wieder freimachen läßt[238].
+
+*Priestleys* weitere Bemühungen liefen insbesondere darauf hinaus, die
+Säuren in Luftarten zu verwandeln. So erzeugte er aus Schwefelsäure die
+»vitriolsaure Luft« (SO_{2}) und aus Salpetersäure »die salpetersaure
+Luft« (NO). Er bemerkte, daß letztere sich mit Sauerstoff unter
+Verminderung des Gesamtvolumens verbindet, und gründete hierauf
+ein Verfahren, die atmosphärische Luft zu analysieren. *Priestley*
+wies ferner nach, daß die beim Zusammenbringen von Kochsalz und
+Schwefelsäure auftretenden Dämpfe aus einer in Wasser außerordentlich
+löslichen Luftart bestehen. Es gelang ihm, dieses salzsaure Gas (HCl),
+wie auch die beim Zusammenbringen von Salmiak und Kalk auftretende
+»laugenartige Luft« (NH_{3}) über Quecksilber aufzufangen. Auch das
+Stickoxydul oder Lachgas (N_{2}O) und das Kohlenmonoxyd (CO) wurden von
+*Priestley* dargestellt. Am folgenreichsten war die ihm im Jahre 1771
+gelungene Entdeckung des Sauerstoffs, den *Priestley* durch Erhitzen
+von rotem Quecksilberoxyd bereitete. Den Ruhm dieser Entdeckung hat er
+allerdings, wie wir gleich sehen werden, mit *Scheele* zu teilen[239].
+
+Bevor sich *Priestley* seinen Arbeiten über die Gase zuwandte, befaßte
+er sich insbesondere mit elektrischen Versuchen. Sein Buch über die
+Geschichte und die Lehre von der Elektrizität[240] hatte großen Anklang
+gefunden und ihm die Mitgliedschaft der Royal Society eingetragen.
+Es ist nun von Interesse zu sehen, wie *Priestley* seine auf diesem
+Gebiete erworbenen Kenntnisse bei der experimentellen Erforschung der
+Gase verwertet. So schloß er atmosphärische Luft in eine Glasröhre
+über Wasser ein und ließ den Funken wiederholt hindurchschlagen. Dabei
+zeigte es sich, daß sich das Luftvolumen verminderte. War das in der
+Röhre befindliche Wasser mit Lackmus blau gefärbt, so nahm es eine
+rote Farbe an[241]. Das umgekehrte Verhalten zeigte Ammoniak oder
+»laugenhaftes Gas« (NH_{3}). Unter der fortgesetzten Einwirkung des
+elektrischen Funkens vergrößerte es nämlich sein Volumen. *Priestley*
+nahm auch wahr, daß hierbei eine tiefgreifende chemische Veränderung
+mit dem Ammoniakgas vor sich geht. »Vorher wurde es,« so berichtet er,
+»vom Wasser leicht verschluckt. Mit »elektrischer Materie« überladen,
+scheint es keine Verwandtschaft mehr zum Wasser zu haben. Es ist in
+eine eigene Art »zündbare Luft« verwandelt«[242]. Auch die Analyse
+von Gasen durch Detonation (Verpuffung) rührt von *Priestley* her.
+Brennbare Gase oder Gasgemenge mischte er über Quecksilber mit
+Sauerstoff. Durch den elektrischen Funken wurde dann eine Verpuffung
+herbeigeführt und darauf der Rückstand untersucht. So fand *Priestley*,
+daß diejenige zündbare Luft, die man erhält, wenn man Alkoholdampf
+durch eine glühende Röhre leitet oder Holz der trockenen Destillation
+unterwirft, nach dem Verpuffen mit Sauerstoff einen Rückstand von
+fixer Luft (CO_{2}) hinterläßt[243], während dies beim Detonieren der
+aus Eisen und Schwefelsäure hergestellten »zündbaren Luft« (H) nicht
+der Fall ist. All diese Errungenschaften eines ganz hervorragenden
+experimentellen Geschicks sind für die Entwicklung der Chemie von
+größter Bedeutung gewesen. Doch kleidet *Priestley* seine Ergebnisse
+noch in das Gewand der phlogistischen Theorie. Die Verbrennung besteht
+bei ihm in einem Entweichen von Phlogiston. Letzteres wird nach
+*Priestleys* Meinung von den die Verbrennung unterhaltenden Luftarten
+aufgenommen und zwar um so energischer, je weniger diese Luftarten
+selbst an Phlogiston besitzen. Sauerstoff unterhält die Verbrennung am
+besten, weil er gar kein Phlogiston enthält. *Priestley* nennt dieses
+Gas deshalb »dephlogistisierte Luft.« Wasserstoff ist dagegen reines
+Phlogiston, da es besonders geeignet ist, die erhitzten Metalloxyde
+in Metalle zurückzuverwandeln. Die atmosphärische Luft stellt sich
+nach dieser Theorie als ein Gemenge von »dephlogistisierter« (O) und
+»phlogistischer« Luft (N) dar. Durch die bei der Verbrennung vor sich
+gehende Zufuhr von Phlogiston verwandelt sich die atmosphärische
+Luft ganz in phlogistische. Auf den Widerspruch, der darin liegt,
+daß bei der Verbrennung die atmosphärische Luft ihrem Volumen,
+sowie ihrem Gewichte nach vermindert wird, ist *Priestley* nicht
+eingegangen. Auch die Entdeckung, daß bei der Vereinigung von reinem
+Phlogiston (H) mit reiner dephlogistisierter Luft (O) keine Spur von
+phlogistischer Luft (N), sondern Wasser auftritt, ließ ihn an der
+eingewurzelten Theorie nicht irre werden. Auf den nahe liegenden
+Gedanken, das Gewicht des vermeintlich zugeführten Phlogistons in den
+aus Metallkalk entstandenen Metallen zu ermitteln, einen Gedanken,
+dessen Ausführung auf einen weiteren Widerspruch geführt haben würde,
+ist *Priestley* zwar gekommen. Wie er sagt, ist er jedoch außer stande
+gewesen, die Frage, ob das Metalloxyd bei seiner Umwandlung in Metall
+schwerer oder leichter wird, zu entscheiden, da immer eine teilweise
+Sublimation stattgefunden habe. Er verfolgt die Sache daher trotz ihrer
+ausschlaggebenden Bedeutung nicht weiter, sondern entscheidet sie
+im Sinne der von ihm vertretenen Lehre. An ihm, sowie an *Scheele*,
+der gleichfalls das gesamte zur Aufstellung der wahren chemischen
+Theorie erforderliche Material in den Händen hielt, erwies sich recht
+eigentlich die Wahrheit des Wortes von *Laplace*, daß die Entdeckungen
+in der richtigen Verknüpfung derjenigen Ideen bestehen, die zueinander
+passen.
+
+Während sich *Priestley* wesentlich auf die Erforschung der Gase
+beschränkte, erfuhren zur selben Zeit sämtliche Teile der Chemie eine
+Bereicherung durch *Scheele*, wie sie kaum jemals wieder in solchem
+Maße von einem einzigen Manne ausging. *Scheele* war seiner Abstammung
+und Sprache nach ein Deutscher, wenn ihn auch die Schweden mit gleichem
+Rechte als den Ihrigen betrachten und seine Verdienste vor einer Reihe
+von Jahren durch die feierliche Begehung seines hundertundfünfzigsten
+Geburtstages und die Errichtung eines Standbildes gewürdigt haben. Wie
+aus den von *Nordenskjöld* herausgegebenen[244], an *Gahn*, *Bergman*
+und andere gerichteten Briefen *Scheeles* hervorgeht, hat sich dieser
+in seinen Briefen und in seinen Laboratoriumsnotizen der deutschen
+Sprache bedient. Eine Ausnahme bilden nur die Briefe, welche an
+Personen gerichtet sind, bei denen *Scheele* die Kenntnis des Deutschen
+nicht voraussetzen konnte.
+
+*Karl Wilhelm Scheele* wurde am 9. Dezember 1742 in dem damals
+schwedischen Stralsund geboren. Im 14. Lebensjahre widmete er sich
+der Apothekerlaufbahn. Nachdem er in mehreren schwedischen Städten
+seine Lehr- und Gehilfenjahre zugebracht und während dieser Zeit durch
+unermüdliches Experimentieren zu den hauptsächlichsten Ergebnissen
+seiner Forschertätigkeit gelangt war, übernahm er 1775 eine eigene
+Apotheke[245]. Er starb am 21. Mai des Jahres 1786.
+
+Über seine auf den Sauerstoff und die atmosphärische Luft bezüglichen
+Entdeckungen hat *Scheele* in einer wichtigen Schrift berichtet, die
+*Ostwald* als 58. Bändchen seiner Klassiker herausgegeben hat. Sie
+führt den Titel »Chemische Abhandlung von der Luft und dem Feuer« und
+erschien im Jahre 1777. Die Versuche, welche *Scheele* darin mitteilt,
+wurden jedoch schon in der Zeit von 1768-1773 angestellt. Aus
+*Scheeles* vor kurzem veröffentlichten Briefwechsel[246] geht, hervor,
+daß er schon im Jahre 1770 mit der Darstellung von Chlorwasserstoff,
+Ammoniak und Stickoxyd bekannt war.
+
+*Scheele* beginnt seine Abhandlung mit den Worten: »Die Körper
+geschickt in ihre Bestandteile zu zerlegen, ihre Eigenschaften zu
+entdecken und die Körper auf verschiedene Art zusammenzusetzen, ist der
+Hauptzweck der Chemie.« Die meisten Schwierigkeiten und Widersprüche
+habe indessen die Erklärung der Verbrennung hervorgerufen. Er habe
+daher von allen bisherigen Erklärungen abgesehen und eine Menge von
+Versuchen angestellt, um die Verbrennungserscheinungen so viel wie
+möglich zu ergründen. Dabei habe sich herausgestellt, daß man ohne eine
+genaue Untersuchung der Luft über die Erscheinungen, welche das Feuer
+darbietet, kein wahres Urteil fällen könne.
+
+Nachdem *Scheele* die Eigenschaften, welche die Luft von den anderen
+Gasen unterscheidet, genau gekennzeichnet hatte, stellte er eine Reihe
+von Versuchen an, die alle beweisen sollten, daß die Luft aus zwei
+verschiedenen Gasen zusammengesetzt ist.
+
+Sein Verfahren bestand darin, daß er ein bestimmtes Quantum Luft mit
+einem Stoff behandelte, welcher den einen Teil der Luft absorbierte.
+Dabei zeigte es sich, daß der andere Teil stets in der gleichen Menge
+und mit denselben Eigenschaften zurückblieb. So schloß er eine Lösung
+von Schwefelleber[247] in eine leere Flasche ein, drehte diese um und
+setzte den Hals in ein kleines Gefäß mit Wasser. In dieser Stellung
+beließ er die Flasche 14 Tage. Darauf öffnete er sie umgekehrt unter
+Wasser. Sogleich drang das Wasser in die Flasche ein; und es zeigte
+sich, daß vier Teile von 20 Teilen Luft absorbiert waren. Annähernd
+dieselbe Volumverminderung trat ein, als *Scheele* den Versuch
+unter Anwendung von Phosphor, Eisenfeile oder einer geeigneten
+Eisenverbindung an Stelle der Schwefelleber wiederholte.
+
+Auch bei der Verbrennung von Wasserstoff in einer abgeschlossenen
+Luftmenge (s. Abb. 25) fand eine Raumverminderung um 1/5 statt. Die
+zurückbleibende Luftart unterhielt die Verbrennung nicht.
+
+[Illustration: Abb. 25. *Scheele* analysiert die Luft.]
+
+[Illustration: Abb. 26. *Scheeles* Darstellung von Sauerstoff.]
+
+Zur Herstellung von Sauerstoff wandte *Scheele* folgendes Verfahren
+an. Er mischte konzentrierte Schwefelsäure mit fein zerriebenem
+Braunstein. Diese Mischung wurde in einer kleinen Retorte erhitzt. Zum
+Auffangen des Gases diente eine luftleere Blase. Sobald der Boden der
+Retorte glühte, ging eine Luftart über, welche die Blase nach und nach
+ausdehnte. *Scheele* füllte ein Glas mit dieser Luftart und brachte
+ein kleines angezündetes Licht hinein. »Kaum war dies geschehen, so
+fing das Licht an, mit einer großen Flamme zu brennen, wobei es einen
+so hellen Schein von sich gab, daß es die Augen blendete.« Mischte
+*Scheele* das aus dem Braunstein hergestellte Gas[248] mit derjenigen
+Luft, in welcher das Feuer bei den obigen Versuchen nicht mehr brennen
+wollte, so erhielt er eine Luft, die der gewöhnlichen in allen Stücken
+gleich war. Den Sauerstoff nannte er Feuerluft. Die andere Luftart, die
+zur Unterhaltung der Verbrennung ungeeignet ist, bezeichnete er mit den
+Namen »verdorbene Luft.« Später wurde sie Stickstoff genannt.
+
+Auch beim Erhitzen von Salpeter in einer gläsernen Retorte wurde
+die Blase von einem Gase ausgedehnt, das sich als reine »Feuerluft«
+erwies. *Scheele* wiederholte darauf die Versuche, die er zuerst mit
+Schwefelleber, Phosphor usw. und gewöhnlicher Luft angestellt hatte,
+unter Anwendung von »Feuerluft.« Es zeigte sich, daß jetzt kein
+Rückstand blieb, sondern das gesamte Gas absorbiert wurde. Mischte
+er aber die verdorbene Luft mit Feuerluft, und brachte er ein Stück
+Phosphor in diese Luftmischung, so wurde auch nur der auf die Feuerluft
+entfallende Teil absorbiert.
+
+All diese Versuche bewiesen somit, daß die Feuerluft das Gas ist,
+vermittelst dessen das Feuer in der atmosphärischen Luft unterhalten
+wird. »Sie ist darin«, sagt *Scheele*, »nur mit einer Luftart
+vermischt, die zum Brennbaren gar keine Anziehung zu haben scheint; und
+diese ist es, welche der sonst zu schnellen und heftigen Entzündung
+etwas Hinderung in den Weg legt.«
+
+Den Sauerstoff stellte er nicht nur durch Erhitzen eines Gemenges
+von Braunstein und Schwefelsäure, sowie aus Salpeter her, sondern er
+bereitete ihn auch durch Glühen leicht zersetzbarer Oxyde, wie des
+Goldoxyds und des roten Quecksilberoxyds, dessen sich auch *Priestley*
+bediente[249].
+
+*Scheeles* Arbeit über den Braunstein lehrte außer dem Sauerstoff noch
+Mangan, Chlor und Baryterde (BaO) kennen. Letztere war in den von ihm
+untersuchten Braunsteinsorten als Beimengung enthalten. Eine Lösung
+von Baryterde benutzte er, wie es noch heute geschieht, zum Nachweise
+der Schwefelsäure, während man sich vorher zu diesem Zwecke der viel
+weniger geeigneten Kalklösung bedient hatte.
+
+*Scheele* und *Bergman* gelang ferner die Aufschließung der Silikate,
+indem sie diese im Mineralreich eine so große Bedeutung beanspruchenden
+Verbindungen durch Zusammenschmelzen mit kohlensaurem Alkali in den
+löslichen Zustand überführten. Die Untersuchungen über die Silikate
+lehrten auch den Unterschied zwischen löslicher und unlöslicher
+Kieselsäure kennen. Große Verdienste erwarb sich *Scheele* auch um den
+Nachweis der Magnesium-, der Kupfer- und der Quecksilberverbindungen.
+Diese Fülle von Einzelbeobachtungen wußte *Scheeles* Freund *Bergman*
+jedoch besser systematisch zu verwerten als jener, sodaß *Bergman*
+besonders das Verdienst davontrug, die Grundlagen der qualitativen
+Analyse geschaffen zu haben. Nicht minder eifrig widmete sich *Scheele*
+dem Studium der Gase, von denen manche, deren Auffindung man wohl
+*Priestley* und anderen zugeschrieben hat, schon ihm bekannt waren.
+Es sind vor allem außer dem Sauerstoff, dem Stickstoff und dem
+Kohlendioxyd noch Chlorwasserstoff, Schwefelwasserstoff, Ammoniak und
+Stickoxyd, auf die sich *Scheeles* Untersuchungen erstrecken. Zum
+Auffangen der Gase bediente er sich nicht wie *Hales* und *Priestley*
+einer Wanne, sondern er brachte die Entwicklungsflasche mit tierischen
+Blasen in Verbindung, die er zuvor durch Zusammendrücken luftleer
+gemacht hatte. An solchen Blasen entdeckte *Scheele* die Erscheinung
+der Gasdiffusion. »Sind die Blasen oder auch nur die sie umgebende Luft
+feucht,« sagt *Scheele* bei der Beschreibung seines Apparats[250], »so
+dringen die darin befindlichen Gase in wenigen Tagen gänzlich durch die
+Blasen. Sind letztere und die Luft dagegen trocken, so geschieht dies
+nicht.«
+
+Ferner machte *Scheele* die Entdeckung, daß die beiden Bestandteile
+der Luft, die er als Feuerluft und als verdorbene Luft bezeichnete, in
+sehr verschiedenem Grade in Wasser löslich sind. Das Wasser habe die
+besondere Eigenschaft, die Bestandteile der Luft zu trennen, indem es
+die Feuerluft leichter aufnehme. Letztere sei den im Wasser lebenden
+Tieren unentbehrlich. Der Lebensprozeß dieser Tiere beruhe darauf,
+daß sie die Feuerluft verbrauchten und Luftsäure (CO_{2}) abschieden.
+Das ausgeschiedene Gas würde jedoch in die Atmosphäre abgedünstet und
+das Wasser dadurch befähigt, von neuem Feuerluft aufzulösen und sie
+den Tieren zuzuführen[251]. Zu dieser in den Grundzügen zutreffenden
+Darstellung war *Scheele* durch eine Reihe von Versuchen gelangt.
+Leider beziehen sich diese Versuche, wie es *Scheeles* Art war,
+vorwiegend auf den qualitativen Verlauf des Vorganges. *Scheele* würde
+sonst wahrscheinlich bezüglich der Bedeutung der »Feuerluft« zu den
+gleichen Ergebnissen wie *Lavoisier* gelangt sein.
+
+Nicht minder bedeutend als das bisher Erwähnte waren *Scheeles*
+Verdienste um die vor ihm kaum als Wissenszweig bestehende organische
+Chemie. Aus den sauren Pflanzensäften erhielt er durch Zusatz von Kalk-
+oder Bleilösung Niederschläge, die er als die Salze gewisser Säuren
+erkannte. Durch Zersetzen dieser Niederschläge mittelst Schwefelsäure
+gelang ihm die Herstellung der wichtigsten organischen Verbindungen,
+wie der Wein-, der Zitronen-, der Äpfel- und der Oxalsäure. Letztere
+stellte er nicht nur aus dem Sauerklee, sondern auch durch die
+Einwirkung von Salpetersäure auf Zucker her. Die Untersuchung von
+Harnsteinen führte ihn zur Auffindung der Harnsäure. Die Milchsäure war
+zwar schon vor ihm bekannt; auf *Scheele* ist indessen die genauere
+Kenntnis dieser Verbindung zurückzuführen.
+
+Die Zersetzung von Blutlaugensalz durch Schwefelsäure führte ihn
+im Jahre 1782 zur Entdeckung der Blausäure. Er widmete ihr eine
+mustergültige Untersuchung, die ihm einen ziemlich klaren Einblick
+in die Zusammensetzung dieser Verbindung erschloß. Auch auf das
+seit alters bekannte Verhalten der Fette gegen die Alkalien warfen
+seine Arbeiten das erste Licht. Es gelang ihm, aus Olivenöl durch
+die Einwirkung von Bleioxyd das von ihm »Ölsüß« genannte Glyzerin
+abzuscheiden.
+
+Alles dies sind Ergebnisse, die, wie wir sehen werden, für die
+Arbeiten späterer Forscher grundlegend gewesen sind. Der Umstand,
+daß die Untersuchungen unter dem Einfluß der Phlogistontheorie
+geführt wurden, ist durchaus nicht imstande, den Wert dieser
+Untersuchungen zu beeinträchtigen, zumal *Scheele* wie kein anderer
+der antiphlogistischen Lehre den Boden bereiten half. Gipfelt doch
+dasjenige, was er von der Luft und dem Feuer geschrieben, in der klaren
+Erkenntnis, daß die Luft aus zwei verschiedenen Gasen zusammengesetzt
+ist, von denen nur der Sauerstoff, den er als »Feuerluft« bezeichnet,
+die Verbrennung und alle der Verbrennung analogen Vorgänge unterhält.
+*Scheele* lehrte ferner, wie wir sahen, die Mittel kennen, um der
+Luft diesen wirksamen Bestandteil zu entziehen; er fand, daß das
+zurückbleibende Gas etwa vier Fünftel der gesamten Luft ausmacht.
+Letztere stellte er durch Mischen der beiden Bestandteile mit allen
+ihren Eigenschaften wieder her.
+
+Daß dem Meister der chemischen Experimentierkunst auch manche Ausbeute
+auf dem Gebiete der Physik zuteil wurde, läßt sich denken. *Scheeles*
+mehr gelegentliche Beobachtungen über die Löslichkeit und die Diffusion
+der Gase fanden schon Erwähnung. Zu systematischen Untersuchungen über
+die Wärme und das Licht führten ihn seine Bemühungen, den chemischen
+Vorgang der Verbrennung aufzuhellen. So gehört *Scheele* zu den ersten
+Naturforschern, die zu einer klaren Unterscheidung der Körperwärme
+und der strahlenden Wärme gelangten[252]. Nach *Scheele* ist die im
+Ofen aufsteigende und dem Ofen mitgeteilte Wärme von der in den Raum
+gestrahlten wohl zu unterscheiden. Letztere entferne sich in geraden
+Linien von ihrem Erzeugungspunkte und werde von poliertem Metall so
+zurückgeworfen, daß der Eintrittswinkel dem Austrittswinkel gleich sei.
+Diese strahlende Wärme werde von der Luft nicht absorbiert und durch
+Luftströmungen nicht abgelenkt, sie stimme also in mancher Hinsicht mit
+dem Lichte überein. Daß die strahlende Wärme sich leicht in Körperwärme
+verwandeln lasse, indem sie sich mit gewissen Körpern vereinige,
+erkenne man an einem mit Ruß überzogenen, metallenen Hohlspiegel.
+
+*Scheele* war auch einer der ersten, welcher der chemischen Wirkung des
+Lichtes seine Aufmerksamkeit zuwandte. Die älteste Beobachtung über
+die Lichtempfindlichkeit der Silber enthaltenden Niederschläge machte
+1727 der Professor der Medizin *J. H. Schulze*[253] in Halle. *Scheele*
+experimentierte mit reinem Chlorsilber und wies nach, daß dieses im
+Sonnenlichte zu Silber reduziert wird. Die Beobachtung, daß die das
+weiße Licht zusammensetzenden Strahlen auf Silbersalze verschieden
+wirken, rührt gleichfalls von *Scheele* her. Seinen hierauf bezüglichen
+wichtigen Versuch, in dem man die Anfänge der Spektralphotographie
+erblicken kann, beschreibt er mit folgenden Worten: »Man setze ein
+gläsernes Prisma vor das Fenster und lasse das gebrochene Licht auf die
+Erde fallen. In dieses farbige Licht bringe man ein Stück Papier, das
+mit Chlorsilber überzogen ist. Diese Verbindung wird in der violetten
+Farbe weit eher als in den anderen schwarz werden.«
+
+Die Reduktion bestand nach der Auffassung der Phlogistiker
+bekanntlich[254] in einer Zuführung von Phlogiston. Um die reduzierende
+Wirkung des Lichtes zu erklären, schrieb *Scheele* auch diesem einen
+Gehalt an Phlogiston zu. Das Phlogiston ist für ihn ein Element, das
+unter Herbeiführung wichtiger Veränderungen von einem Körper in den
+anderen übergeht. Auch mit der »Feuerluft« geht das Phlogiston nach
+*Scheeles* Auffassung eine Verbindung ein. Aus dieser Vereinigung
+läßt *Scheele* das Licht und die Wärme hervorgehen. Beide Kräfte faßt
+er noch als etwas durchaus Stoffliches auf. Das Phlogiston wurde
+dadurch noch unbegreiflicher, daß man seine Darstellung für unmöglich
+erklärte. Es sollte sich nämlich von keinem Körper scheiden, wenn nicht
+ein anderer Körper zugegen sei, der es sofort aufnehme.
+
+Gegen den Ausgang des phlogistischen Zeitalters wurde der Versuch
+wieder aufgenommen, das Wesen der chemischen Vorgänge aus einer
+Kraft zu erklären, die man seit alters als Affinität oder chemische
+Verwandtschaft bezeichnet hat. Dies geschah vor allem seit etwa 1775
+durch den schwedischen Chemiker und Mineralogen *Bergman*, dessen
+Ansichten bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts die herrschenden blieben.
+*Bergman* nahm an, daß je zwei beliebige Stoffe eine Anziehung
+zueinander äußern müßten, die ihrer Größe nach bestimmbar sei. Zu
+ein und demselben Stoffe besitzen danach verschiedene Stoffe eine
+größere oder geringere Anziehung. »Wenn man«, sagt *Bergman*, »auf
+eine Verbindung AB einen dritten Stoff C wirken läßt, welcher B aus
+der Verbindung ausscheidet und an Stelle von B mit A in Verbindung
+tritt, so erhält man statt AB eine neue Verbindung AC.« Um
+daher die Verwandtschaft zweier Stoffe B und C gegen einen dritten
+A zu bestimmen, sei es nur nötig, zu untersuchen, ob einer dieser
+Stoffe den anderen aus seiner Verbindung mit dem dritten ausscheide.
+*Bergmans* ganze Vorstellungsart beruht auf der Annahme, daß die
+Affinität eine unveränderliche Kraft sei, derart, daß ein Stoff, der
+aus einer Verbindung durch einen anderen ausgeschieden wird, nicht
+wieder umgekehrt durch den verdrängten Stoff ausgeschieden werden
+könne. Durch eine große Zahl genauer, auch abgesehen von theoretischen
+Erwägungen wertvoller Versuche gelangte *Bergman* zur Aufstellung von
+nicht weniger als 59 Verwandtschaftstafeln. Eine dieser Tafeln möge als
+Beispiel hier Platz finden.
+
+
+Kali
+
+ in der Lösung: beim Zusammenschmelzen:
+
+ Schwefelsäure Phosphorsäure
+ Salpetersäure Borsäure
+ Salzsäure Arsensäure
+ Phosphorsäure Schwefelsäure
+ Arsensäure Salpetersäure
+ Essigsäure Salzsäure
+ Borsäure Essigsäure.
+ Schweflige Säure
+ Kohlensäure
+
+Das Kali besitzt danach bei gewöhnlicher Temperatur die größte
+Anziehung zur Schwefelsäure. Letztere ist infolgedessen imstande,
+alle übrigen Säuren aus ihrer Verbindung mit Kali abzuscheiden.
+Mit der Gegenüberstellung der beiden Reihen wollte *Bergman* keine
+Abhängigkeit der Affinität von der Temperatur zum Ausdruck bringen. Die
+Verwandtschaftsgrade sind zwar, wie die zweite Reihe erkennen läßt,
+andere, wenn man die Körper nicht durch Lösungsmittel, sondern durch
+Wärmezufuhr flüssig macht, sie ändern sich aber nach *Bergman* nicht
+allmählich, sondern sind innerhalb jeder Gruppe, d. h. unter gleichen
+Bedingungen konstant, vor allem, so nahm *Bergman* an, sind sie von der
+Menge der chemisch aufeinander wirkenden Stoffe unabhängig.
+
+*Bergman* führte auch den Begriff der doppelten Wahlverwandtschaft[255]
+ein. Doch waren Erscheinungen, die unter diesen Begriff fallen,
+schon weit früher bekannt und richtig gedeutet worden[256]. Seine
+Bemühungen, die Größe der Verwandtschaft ihrem absoluten Werte nach zu
+bestimmen, d. h. sie ziffernmäßig auszudrücken, wurden von ihm selbst
+als fruchtlos aufgegeben. Die doppelte Verwandtschaft, die Erscheinung
+nämlich, daß zwei Verbindungen sich gegenseitig nach dem Schema AB + CD
+= AC + BD zersetzen, untersuchte *Bergman* für zahlreiche Einzelfälle.
+Nach seiner Lehre wird sie dadurch bedingt, daß die Summe der zwischen
+A und C oder B und D wirkenden Anziehungen größer ist als die Summe
+der zwischen A und B, beziehungsweise C und D wirkenden chemischen
+Kräfte. Letztere betrachtete er ihrem Wesen nach als identisch mit der
+allgemeinen Anziehung oder der Schwerkraft. Sie sollte nur durch die
+Gestalt und die Größe der Moleküle beeinflußt sein und infolgedessen
+als chemische Anziehung von wechselnder, indessen für die einzelnen
+Elemente gleichbleibender Stärke in die Erscheinung treten.
+
+Nach dem Sturz der Phlogistontheorie wurde auch *Bergmans*
+Verwandtschaftslehre einer Revision unterzogen. Dies geschah durch
+*Berthollet*, mit dessen Ansichten über die Affinität und deren
+Ursachen wir uns in einem späteren Abschnitt beschäftigen werden.
+
+*Bergman* verdient nicht nur als Theoretiker, sondern auch als
+Entdecker neuer wichtiger Tatsachen und Methoden Beachtung. Zunächst
+einiges über seinen Lebensgang. *Tobern Bergman* wurde 1735 in einem
+kleinen Orte Westgothlands geboren. Er studierte in Upsala unter
+*Linnés* Einfluß sämtliche Zweige der Naturwissenschaften. Im Jahre
+1767 erhielt er dort die Professur für Chemie, ohne bis dahin Arbeiten
+über dies Gebiet veröffentlicht zu haben. Von diesem Zeitpunkte an
+bis zu seinem durch Überanstrengung allzu früh herbeigeführten Tode
+(1784) hat *Bergman* die Chemie durch eine große Reihe wichtiger
+Untersuchungen gefördert. Sein Ruf drang auch ins Ausland. *Friedrich
+der Große* bemühte sich, *Bergman* für die Berliner Akademie zu
+gewinnen. Letzterer lehnte jedoch ab.
+
+Den Anfängen der Analyse auf nassem Wege, bei der man den zu
+untersuchenden Stoff zunächst in Lösung bringt, sind wir im 17.
+Jahrhundert bei *Boyle* begegnet. Dem 18. Jahrhundert, und zwar
+vornehmlich *Bergman*, blieb es vorbehalten, dies Verfahren zu
+einem wissenschaftlichen Hilfsmittel ersten Ranges auszubilden. Er
+gestaltete die Analyse auf nassem Wege im wesentlichen in der Weise,
+wie man sie noch heute handhabt. Insbesondere wandte er sie auf die
+Untersuchung von Mineralien an[257]. Vermochte er eine Substanz nicht
+in Wasser zu lösen, so setzte er sie in fein gepulvertem Zustande
+der Wirkung von Salz-, Salpeter- oder Schwefelsäure aus. Für die
+wenigen Fälle, in welchen diese Mittel versagten, erfand *Bergman* die
+Methode des Aufschließens. Sie besteht darin, daß man die Substanz
+vor dem Hinzusetzen von Säuren mit kohlensaurem Alkali (Pottasche)
+zusammenschmilzt. Erst durch diesen wichtigen Fortschritt in der Kunst
+der Analyse wurde es möglich, in die Zusammensetzung der Silikate
+einzudringen.
+
+Eine andere wichtige Neuerung ist der Grundsatz, daß die Analyse nicht
+die Bestandteile der zu untersuchenden Substanz völlig zu isolieren
+hat, sondern daß es genügt, die Bestandteile in leicht kenntliche,
+ihrer Zusammensetzung nach bekannte Verbindungen überzuführen. So
+bestimmte *Bergman* Kohlensäure durch Kalkwasser, Schwefelsäure
+durch Chlorbarium, manche Metalle nach der Fällung mit Alkali oder
+kohlensaurem Alkali in der Form von Hydroxyden oder Karbonaten, die
+Metallkalke als kohlensaure Salze usw. Endlich hat *Bergman* das
+Verdienst, unter Anwendung des Lösungsverfahrens die quantitative
+Analyse begründet zu haben. Unabhängig von *Lavoisier*, dem oft allein
+die Begründung der quantitativen chemischen Untersuchung zugeschrieben
+wird, hat *Bergman* von der Wage schon eine ausgedehnte Anwendung
+gemacht. Daß jene ersten, von *Bergman* ausgeführten quantitativen
+Analysen zum Teil recht ungenau waren, darf nicht Wunder nehmen. So
+fand er erhebliche Mengen von Wasser in Mineralien, die chemisch
+gebundenes Wasser garnicht enthalten, z. B. im Kalkspat (11%) und
+im Witherit (28%). Offenbar rührte dies daher, daß *Bergman* die zu
+untersuchende Substanz noch nicht genügend von der ihr in wechselndem
+Verhältnis beigemengten Feuchtigkeit befreite.
+
+Einige seiner Analysen weisen indes schon einen ziemlichen Grad von
+Genauigkeit auf. So fand er für Kristallsoda und Gips folgende Werte:
+
+ Soda Gips
+ Basis 20 (statt 21,8) Basis 32 (statt 32,9)
+ Säure 16 ( " 15,4) Säure 46 ( " 46,3)
+ Wasser 64 ( " 62,8) Wasser 22 ( " 20,8)
+ ---------------- -----------------
+ 100 (100) 100 (100)
+
+Die Ergebnisse der meisten von *Bergman* angestellten Mineralanalysen
+weichen jedoch von den richtigen Werten so sehr ab, daß sie wertlos
+sind und man in ihnen nur *Bergmans* Bemühen achten muß, als erster
+sich mit so schwierigen Aufgaben, wie sie die quantitative Analyse der
+Mineralien darbietet, befaßt zu haben.
+
+Wir haben *Bergmans* Verdienste um die Chemie im allgemeinen kennen
+gelernt. Einige seiner Einzeluntersuchungen dürfen aber auch nicht
+unerwähnt bleiben, weil man ihnen die ersten wichtigen Aufschlüsse
+verdankt. Sie betreffen den Salzgehalt der Mineralwässer und des
+Meeres, sowie die chemische Zusammensetzung der drei Eisensorten,
+Schmiedeeisen, Gußeisen und Stahl.
+
+Zur Untersuchung der Mineralwässer[258] benutzte *Bergman* eine große
+Zahl von Reagentien. Er zeigte, daß Blutlaugensalz daraus Eisen als
+blauen, Kupfer als braunen und Mangan als weißen Niederschlag fällt,
+daß Kalk durch Oxalsäure, Chlor durch Silberlösung, Schwefelsäure
+durch Chlorbarium ausgefällt werden. Er suchte die Bestandteile
+der Mineralwässer in unlösliche Verbindungen überzuführen, trennte
+verschiedene Salze durch Zusatz von Weingeist usw.
+
+*Bergman* untersuchte ferner zuerst den Salzgehalt des Seewassers
+unter dem Gesichtspunkte, daß er es verschiedenen Tiefen entnahm und
+den Gehalt verglich. Neben Kochsalz fand er auch Chlormagnesium und
+Calciumsulfat als Bestandteile des Meerwassers.
+
+Grundlegend für das Verständnis der Eisenarten war seine vergleichende
+Untersuchung von Schmiedeeisen, Stahl und Gußeisen. Er behandelte
+je eine Probe dieser drei Eisensorten mit Säure und fand, daß
+Schmiedeeisen am meisten, Stahl weniger und Gußeisen am wenigsten
+Wasserstoff freimacht. Daraus schloß er, daß Schmiedeeisen das reinste
+und Gußeisen das am wenigsten reine Eisen ist, während Stahl eine
+mittlere Stelle einnimmt. In Übereinstimmung hiermit hinterblieb
+denn auch beim Lösen von Schmiedeeisen der geringste, beim Lösen von
+Gußeisen der größte Rückstand. Letzteren erkannte er als Graphit. Er
+faßte dementsprechend die Eisenarten ganz richtig als Vereinigungen
+von Eisen mit mehr oder weniger Kohlenstoff auf. *Bergman* wies
+ferner nach, daß die sogenannte »Kaltbrüchigkeit« des Eisens von
+einem Phosphorgehalt herrührt[259]. Es ist bemerkenswert, daß die
+Entphosphorung des Eisens durch Zusatz von Kalk, ein Verfahren, auf dem
+der heute in so großartigem Maßstabe eingeführte Thomasprozeß beruht,
+schon um jene Zeit in Schweden in Vorschlag gebracht wurde[260].
+
+
+
+
+10. Der Eintritt der Chemie in das Zeitalter der quantitativen
+Untersuchungsweise.
+
+
+Eins der größten Ereignisse in der Entwicklung der Chemie war
+die den Beginn einer neuen Epoche bedeutende Aufklärung des
+Verbrennungsprozesses durch *Lavoisier*. Zwar hatte *John Mayow* schon
+im 17. Jahrhundert die Verbrennung der Metalle ganz richtig als einen
+unter Gewichtszunahme erfolgenden Hinzutritt eines Bestandteiles der
+Luft zu dem Metall betrachtet. *Mayows* Versuchen und Ausführungen
+fehlte jedoch noch die durchschlagende Beweiskraft, wie sie nur auf
+quantitativer Grundlage erwachsen konnte. Auch fanden seine Arbeiten
+nicht die verdiente Beachtung, ja sie waren in dem Zeitraum, der
+uns jetzt beschäftigt, fast in Vergessenheit geraten, obgleich die
+Erklärung des Verbrennungsprozesses gerade der Angelpunkt blieb, um den
+sich seitdem die chemische Forschung gedreht hatte.
+
+Daß *Scheele* nicht zum Verständnis der von ihm so musterhaft
+durchforschten Erscheinungen hindurchdrang, lag daran, daß auch er
+nicht in genügendem Maße die quantitativen Beziehungen, die zwischen
+ihnen obwalten, berücksichtigte. Sobald dies geschah, mußte bei der
+Stufe, auf welche die Chemie durch ihn und *Priestley* gelangt war,
+der Schleier, der die Wahrheit verhüllte, mit einem Male fallen. Es
+bedurfte hierzu keiner neuen Entdeckung, sondern nur der folgerichtigen
+Anwendung des Messens und des Wägens auf den bekannt gewordenen Verlauf
+der Erscheinungen. Diesen wichtigen Schritt getan zu haben, ist das
+unbestreitbare, große Verdienst des Franzosen *Lavoisier*.
+
+Die Verschiedenheit in dem Verfahren *Lavoisiers* und *Scheeles* tritt
+am deutlichsten hervor, wo wir beide Forscher mit der Untersuchung
+desselben Gegenstandes beschäftigt finden. Während des 17. Jahrhunderts
+hatte sich besonders auf Grund eines durch *van Helmont* bekannt
+gegebenen Versuches[261] die Meinung gebildet, daß sich Wasser in
+feste, erdige Stoffe verwandeln lasse. Im 18. Jahrhundert waren Zweifel
+hiergegen laut geworden. Sowohl *Scheele*, wie auch *Lavoisier* ließen
+es sich angelegen sein, die Entscheidung auf dem Wege des Experiments
+herbeizuführen. »Ich goß«, sagt ersterer[262], »ein halbes Lot
+destilliertes Schneewasser in einen gläsernen Kolben, der mit einem
+dünnen, eine Elle langen Halse versehen war, und verschloß ihn mit
+einem genau passenden Kork. Darauf hing ich diesen Kolben über einer
+brennenden Lampe auf und unterhielt das Wasser zwölf Tage und Nächte
+in beständigem Kochen. Als es zwei Tage gekocht, hatte es ein etwas
+weißliches Aussehen erhalten. Nach sechs Tagen war es wie Milch, und
+am zwölften Tage schien es schon dick zu sein.« Der Kolben zeigte
+sich auf seiner inneren Fläche, soweit das kochende Wasser gestanden
+hatte, korrodiert. Und die das Wasser trübende, zum Teil darin gelöste
+Substanz enthielt, wie die qualitative Untersuchung ergab, die
+Bestandteile, welche das Glas zusammensetzen, nämlich Alkali, Kalk und
+Kieselsäure. »Konnte ich«, fährt *Scheele* fort, »wohl länger zweifeln,
+daß das Wasser durch das beständige Kochen das Glas zersetzen kann?
+Die Erde, die ich erhielt, war von nichts weniger als aus dem Wasser
+entstanden.«
+
+Ganz anders verfährt *Lavoisier*[263] und gelangt dennoch zu dem
+gleichen Ergebnis. Ihm würde die qualitative Analyse der im Wasser
+befindlichen Stoffe große Schwierigkeiten bereitet haben. *Lavoisier*
+bedarf einer solchen aber auch garnicht, sondern er entscheidet die
+Frage auf rein quantitativem Wege. Er bringt Wasser in ein Glasgefäß,
+wägt und verschließt es und erhält den Inhalt etwa 100 Tage auf
+Siedewärme. Darauf zeigt es sich, daß das entleerte Gefäß gerade so
+viel an Gewicht verloren hat, wie die von dem Wasser gelösten und nach
+dem Verdampfen zurückbleibenden Stoffe wiegen.
+
+Wie in diesem Falle, so verfuhr *Lavoisier* bei allen Untersuchungen.
+Die qualitative Seite der von ihm studierten Vorgänge war meist durch
+die Arbeiten der Phlogistiker genügend bekannt geworden. Durch die
+Genauigkeit seiner Messungen und Wägungen, sowie durch die logische
+Schärfe der daran sich anschließenden Folgerungen verstand es
+*Lavoisier*, das verknüpfende Band zu finden und ein chemisches System,
+sowie eine Nomenklatur zu schaffen, welche die Einreihung und die
+Beschreibung aller bekannten und der später entdeckten Erscheinungen
+leicht ermöglichten.
+
+*Antoine Laurent Lavoisier* wurde am 26. August des Jahres
+1743 zu Paris geboren. Sein Vater, welcher durch den Handel zu
+bedeutendem Vermögen gelangt war, besaß ein großes Interesse für die
+Naturwissenschaften und ließ seinen Sohn durch ausgezeichnete Gelehrte
+darin unterrichten. Insbesondere fesselte den jungen *Lavoisier*, der
+auch eine vorzügliche mathematische Ausbildung erhielt, die Chemie in
+ihrer Anwendung auf das praktische Leben. Kaum 20 Jahre alt, löste er
+eine von der französischen Regierung gestellte technische Aufgabe.
+Großmütig überließ er den ihm zugefallenen Preis seinen Mitbewerbern,
+um diesen die ihnen erwachsenen Unkosten zu ersetzen, und begnügte sich
+mit der gleichfalls an den Preis geknüpften Denkmünze. Mit 25 Jahren
+(1768) wurde *Lavoisier* Mitglied der Akademie der Wissenschaften.
+Bald darauf erhielt er die Stelle eines Generalpächters. Die hohen
+Einkünfte, die damit verbunden waren, verwandte er auf seine,
+bedeutende Mittel erfordernden Experimentalarbeiten. Später übertrug
+man ihm die Verwaltung der Salpeter- und der Pulverfabriken, eine
+Stellung für die *Lavoisier* seiner chemischen Kenntnisse und seines
+Scharfblickes in allen praktischen Dingen wegen hervorragend geeignet
+war.
+
+Der wichtigste Vorläufer *Lavoisiers* war *Mayow*. Wir haben uns mit
+seinen Versuchen und Anschauungen schon an früherer Stelle eingehend
+beschäftigt (Bd. II, S. 190). Eine Untersuchung der Gewichtszunahme,
+welche die Metalle beim Verkalken erfahren, rührt von dem französischen
+Arzt *Jean Rey* († 1645) her. Die Abhandlung *Reys* erschien im Jahre
+1630[264]. *Rey* wurde zu seiner Untersuchung durch eine Mitteilung
+eines Apothekers angeregt. Letzterer hatte das Zinn, das er in einem
+eisernen Kessel schmelzen und verkalken wollte, vorher gewogen. Nachdem
+sich alles Zinn in den weißen Kalk verwandelt hatte, wog er die Masse
+wieder und fand zu seinem Erstaunen, daß sie erheblich mehr wog als
+das in den Kessel geschüttete Zinn. Er wandte sich deshalb an *Rey*
+mit der Bitte um eine Erklärung dieser merkwürdigen Tatsache. *Rey*
+erkannte wohl, daß die Luft bei der Verkalkung eine Rolle spielt.
+Er schrieb der Luft Schwere zu, bevor *Torricelli* und *Guericke*
+ihre grundlegenden Versuche über den Druck und das Gewicht der Luft
+angestellt hatten. Trotzdem kam *Rey* noch nicht auf den Gedanken, daß
+die Verkalkung in der Vereinigung der Luft mit dem Metall besteht. Er
+ist vielmehr der Ansicht, »die Luft vermische sich mit dem Kalk und
+hänge nun fest an dessen kleinsten Teilchen«[265].
+
+*Lavoisier* hatte bei *Boyle* gelesen, daß Blei und Zinn, wenn man
+sie in mit Luft gefüllten, verschlossenen Gefäßen erhitzt, unter
+Zunahme ihres Gewichtes in die entsprechenden Metallkalke übergehen.
+Da sich diese Erscheinung mit der herrschenden Theorie garnicht
+vereinigen ließ, faßte *Lavoisier* den Entschluß, die Verkalkung durch
+Versuche und deren vorurteilsfreie Deutung auf ihre wahre Ursache
+zurückzuführen. Er brachte eine abgewogene Menge Zinn in eine Retorte,
+verschloß sie vollkommen und erhitzte, bis das Zinn verkalkt war.
+Wurde die Retorte nach dem Erkalten von neuem gewogen, so zeigte es
+sich, daß ihr Gewicht dasselbe geblieben. Die Annahme *Boyles*, die
+Verkalkung bestehe darin, daß ein hypothetischer Stoff die Wände
+der Retorte durchdringe und mit dem Metall eine Verbindung eingehe,
+erwies sich somit als unhaltbar. Nach dieser Feststellung wurde die
+Retorte geöffnet; es drang Luft in sie hinein, und die Retorte besaß
+infolgedessen jetzt ein größeres Gewicht. Die entstandene Zinnasche
+wurde nun gewogen und es zeigte sich, daß der Zuwachs an Gewicht,
+den die Retorte durch das Eindringen der Luft erfuhr, genau so
+groß war, wie diejenige Zunahme, die vorher das Zinn innerhalb der
+Retorte erfahren hatte. Diese Versuche ließen für die Verkalkung der
+Metalle keine andere Deutung zu, als daß sich diese Stoffe unter
+entsprechender Vermehrung ihres Gewichtes mit der Luft verbinden. Im
+Jahre 1772 berichtete *Lavoisier* der Akademie über diese Ergebnisse.
+Die gewonnene Erkenntnis mußte jedoch unzulänglich bleiben, solange
+*Lavoisier* die Zusammensetzung der Atmosphäre nicht bekannt war. Erst
+als *Priestley* 1774 bei einem Besuche in Paris *Lavoisier* mit dem
+Sauerstoff und dessen Darstellung aus rotem Quecksilberoxyd vertraut
+gemacht hatte, war dem französischen Forscher der Schlüssel zum vollen
+Verständnis seiner Versuche gegeben.
+
+Bald darauf erschien denn auch die Arbeit *Lavoisiers*, die das Wesen
+der Verbrennung und der Reduktion in das klarste Licht stellte.
+Die Verbrennung, welcher die Verkalkung der Metalle analog ist,
+besteht danach in der Vereinigung des brennbaren Körpers mit dem
+einen, die Verbrennung unterhaltenden Bestandteil der Luft, der
+»dephlogistisierten« oder »Feuerluft« der früheren Chemiker, die
+*Lavoisier* zunächst als »reine Luft« und später, nachdem er ihre
+Bedeutung für die Bildung der Säuren erkannt hatte, als Sauerstoff
+bezeichnete.
+
+»Die Chemie gibt«, sagt *Lavoisier* bei der Schilderung seiner
+Versuche, »im allgemeinen zwei Mittel an die Hand, die Zusammensetzung
+einer Substanz zu bestimmen, die Synthese und die Analyse. Man darf
+sich nicht eher zufrieden geben, bis man diese beiden Arten der Prüfung
+hat vereinigen können. Diesen Vorteil bietet die Untersuchung der
+atmosphärischen Luft; sie läßt sich zerlegen und wieder zusammensetzen.«
+
+[Illustration: Abb. 27. Kolben zur Analyse der atmosphärischen Luft.
+
+(*Lavoisier*, Oeuvres. Tome I, Pl. II, Fig. 14.)]
+
+[Illustration: Abb. 28. Die Analyse der atmosphärischen Luft durch
+Erhitzen von Quecksilber in einer abgeschlossenen Luftmenge.
+
+(*Lavoisier*, Oeuvres, Tome I, Pl. IV, Fig. 2.)]
+
+*Lavoisier* nahm einen langhalsigen Kolben (Abb. 27) von etwa 36
+Kubikzoll Inhalt. Er bog ihn in der Weise, daß er in einen Ofen MMNN
+gelegt werden konnte, während das Ende E unter der Glocke FG in eine
+Quecksilberwanne RR mündete (Abb. 28). In diesen Kolben brachte er 4
+Unzen sehr reines Quecksilber. Darauf führte er einen Heber unter die
+Glocke FG und sog, bis sich das Quecksilber bis LL gehoben hatte.
+Er bezeichnete dieses Niveau sorgfältig und beobachtete genau den
+Barometerstand und die Temperatur.
+
+Nachdem diese Vorbereitungen getroffen waren, zündete *Lavoisier* in
+dem Ofen ein Feuer an und erhitzte das Quecksilber ununterbrochen zwölf
+Tage lang bis zu seinem Siedepunkte.
+
+Während des ersten Tages ereignete sich nichts Bemerkenswertes. Am
+zweiten Tage sah er, wie auf der Oberfläche des Quecksilbers kleine
+rote Flecken auftraten. Sie nahmen bis zum fünften Tage an Zahl und
+Größe zu. Darauf hörten sie auf zu wachsen und verblieben in demselben
+Zustande. Sobald die Verkalkung des Quecksilbers keinen Fortschritt
+mehr machte, ließ *Lavoisier* das Feuer ausgehen und die Gefäße
+erkalten. Das Volumen der gesamten Luft, die sich in dem Kolben und
+unter der Glocke befand, betrug, auf einen Druck von 28 Zoll und 10°
+Temperatur reduziert, vor dem Versuche fünfzig Kubikzoll. Nach der
+Beendigung des Versuches waren unter den gleichen Temperatur- und
+Druckverhältnissen nur noch 42-43 Kubikzoll vorhanden. Es hatte demnach
+eine Verminderung des Volumens um etwa 1/6 stattgefunden. *Lavoisier*
+sammelte darauf die rote Masse, die sich gebildet hatte, sorgfältig und
+befreite sie, so viel wie möglich, vom Quecksilber. Ihr Gewicht betrug
+45 Gran[266].
+
+Die Luft, welche nach diesem Versuch zurückblieb und durch die
+Verkalkung des Quecksilbers auf 5/6 ihres ursprünglichen Volumens
+vermindert war, erwies sich weder zur Atmung, noch zur Verbrennung
+mehr geeignet. Tiere, die man hineinbrachte, starben nach wenigen
+Augenblicken, und ein Licht erlosch darin sofort.
+
+Darauf brachte *Lavoisier* die 45 Gran der entstandenen roten
+Substanz in ein kleines Glasgefäß. Letzteres setzte er mit einem zum
+Auffangen etwaiger flüssiger und gasförmiger Produkte geeigneten
+Apparat in Verbindung. Als er das Gefäß erhitzte, begann der rote
+Körper an Umfang zu verlieren und in wenigen Minuten war er ganz
+verschwunden. Gleichzeitig hatten sich in dem kleinen Rezipienten
+41½ Gran flüssiges Quecksilber verdichtet, und unter der Glocke
+waren 7-8 Kubikzoll eines Gases aufgetreten, das viel besser als die
+atmosphärische Luft die Verbrennung und Atmung zu unterhalten imstande
+war.
+
+»Diesem Gas«, sagt *Lavoisier*, »das *Priestley*, *Scheele* und ich
+fast gleichzeitig entdeckten, will ich den Namen Sauerstoff geben,
+weil es eine seiner wichtigsten Eigenschaften ist, Säuren zu bilden,
+indem es sich mit den meisten Substanzen vereinigt. Beim Nachdenken
+über die Umstände dieses Versuches erkennt man, daß das Quecksilber,
+indem es sich verkalkt, den respirablen Teil der Luft aufnimmt, und daß
+der Teil der Luft, der übrig bleibt, unfähig ist, die Verbrennung und
+die Atmung zu unterhalten. Die atmosphärische Luft ist also aus zwei
+Gasen von verschiedener, man möchte fast sagen entgegengesetzter, Natur
+zusammengesetzt.«
+
+Die Probe auf diese wichtige Entdeckung machte *Lavoisier* in folgender
+Weise: Er vereinigte die beiden Gase wieder in dem aufgefundenen
+Verhältnis (42 : 8) und erhielt auf diese Weise ein Gas, das in jeder
+Hinsicht mit der atmosphärischen Luft übereinstimmt und in demselben
+Maße wie diese geeignet ist, die Verbrennung, die Atmung und die
+Verkalkung der Metalle zu unterhalten.
+
+Erhitzte *Lavoisier* die rote Quecksilberasche nicht für sich, sondern
+unter Zusatz von Kohle, so bildete sich an Stelle von Sauerstoff
+»fixe Luft«. Letztere, so folgerte *Lavoisier*, kann also nur in der
+Vereinigung von Kohlenstoff und Sauerstoff bestehen. Dieser Schluß
+findet eine weitere Bestätigung, indem *Lavoisier* beim Verbrennen
+von Holzkohle in Sauerstoff gleichfalls »fixe Luft« (CO_{2}) erhält.
+Dasselbe Gas trat auf, als er anstatt Holzkohle Diamant nahm, der
+vermittelst großer Brennspiegel in einem mit Sauerstoff gefüllten
+Glasgefäß entzündet wurde. Erst durch diese Abänderung des etwa 100
+Jahre früher in Florenz gemachten Versuches war das Wesen jenes
+merkwürdigen Minerals erkannt; der Diamant war danach nichts als
+kristallisierter Kohlenstoff. Eine andere merkwürdige Erscheinung, die
+man mit dem Florentiner Versuch gar nicht in Einklang bringen konnte,
+die Erscheinung nämlich, daß der Diamant, in Kohlenpulver verpackt,
+der größten Hitze ausgesetzt werden kann, ohne sich zu verändern,
+fand jetzt gleichfalls ihre Erklärung. Der Diamant ist eben eine
+unschmelzbare Substanz, welche durch die Hitze nicht etwa als solche
+verflüchtigt wird, sondern sich nur bei Gegenwart von Sauerstoff in
+eine gasförmige Verbindung, in »fixe Luft« oder Kohlendioxyd verwandelt.
+
+In einer die Verkalkung betreffenden, an *Boyle* anknüpfenden
+quantitativen Arbeit vom Jahre 1772 hatte *Lavoisier* seine
+Untersuchung auch auf Phosphor und Schwefel ausgedehnt und für diese
+Körper eine analoge, mit ihrer Verbrennung Hand in Hand gehende
+Vermehrung des Gewichtes festgestellt. Was lag näher, als diese
+Vermehrung gleichfalls auf eine Vereinigung mit dem Sauerstoff
+zurückzuführen? *Lavoisier* brachte deshalb in eine durch Quecksilber
+abgesperrte Luftmenge Phosphor, den er zum Teil verbrannte. Nach
+Beendigung dieser Verbrennung ließ sich der übrige Phosphor schmelzen
+und ins Sieden bringen, ohne daß wieder eine Entzündung eingetreten
+wäre. Letztere erfolgte erst, wenn von neuem Luft unter die Glocke
+gelangt war.
+
+[Illustration: Abb. 29. Die Verbrennung von Phosphor unter einer
+Glasglocke.
+
+(*Lavoisier*, Oeuvres. Tome I. Pl. IV, Fig. 3).]
+
+Die Verbrennung des Phosphors in reinem Sauerstoff bewerkstelligte
+*Lavoisier* folgendermaßen: Er füllte eine Glasglocke von etwa 6 Litern
+Inhalt mit Sauerstoff und brachte 61½ Gran Phosphor hinein. Das
+Quecksilber stand in der Glocke auf der Höhe EF. Darauf entzündete
+*Lavoisier* den Phosphor mit einem gebogenen, erhitzten Eisen. Die
+Verbrennung vollzog sich sehr rasch unter bedeutender Entwicklung von
+Wärme und Licht. Im ersten Augenblicke fand infolge der Erwärmung
+eine beträchtliche Ausdehnung des Sauerstoffes statt; bald aber stieg
+das Quecksilber über sein früheres Niveau hinaus, und es trat eine
+beträchtliche Abnahme ein. Gleichzeitig bedeckte sich das ganze Innere
+der Glocke mit weißen Flocken.
+
+Die Menge des Sauerstoffs betrug unter Berücksichtigung aller
+Korrekturen zu Beginn des Versuches 162 Kubikzoll; am Ende desselben
+waren nur noch 23¼ Kubikzoll vorhanden; die absorbierte Menge
+betrug also 138¾ Kubikzoll oder 69,375 Gran. Der Phosphor war nicht
+gänzlich verbrannt, es verblieben in dem Schälchen einige Stücke,
+die gewaschen wurden, um sie von den entstandenen weißen Flocken zu
+trennen. Sie ergaben getrocknet ein Gewicht von etwa 16¼ Gran.
+
+Die Menge des verbrannten Phosphors ergab sich demnach gleich 45
+Gran. Bei diesem Versuch hatten sich also 45 Gran Phosphor mit
+69,375 Gran Sauerstoff verbunden. Da nichts Wägbares durch das Glas
+entweichen konnte, so mußte das Gewicht der Substanz, welche bei dieser
+Verbrennung entstanden war und sich in weißen Flocken abgesetzt hatte,
+gleich der Summe der Gewichte des Sauerstoffs und des Phosphors sein,
+also gleich 114,375 Gran.
+
+Diese Beispiele zeigen uns, wie *Lavoisier* bestrebt war, jeden Vorgang
+qualitativ und quantitativ zu verfolgen. Die erhaltenen Ergebnisse
+weichen allerdings oft von den heutigen Werten nicht unbeträchtlich
+ab. Über die qualitative Seite des zuletzt geschilderten Vorgangs
+berichtet *Lavoisier* folgendes: »Der Phosphor verwandelt sich infolge
+seiner Verbrennung, mag sie in gewöhnlicher Luft oder in Sauerstoff
+stattfinden, wie erwähnt, in eine weiße, flockige Substanz und erhält
+ganz neue Eigenschaften. Er wird nicht nur löslich in Wasser, während
+er vorher darin unlöslich war, sondern er zieht auch die in der Luft
+enthaltene Feuchtigkeit erstaunlich schnell an und wird zu einer
+Flüssigkeit von viel größerem spezifischem Gewicht als Wasser. Vor
+seiner Verbrennung ist der Phosphor fast geschmacklos; durch seine
+Vereinigung mit Sauerstoff nimmt er einen stark sauren Geschmack an. Er
+geht endlich aus der Klasse der brennbaren Substanzen in diejenige der
+unverbrennlichen über und wird das, was man eine Säure nennt.«
+
+Da sich bei der Vereinigung von Phosphor und Schwefel mit Sauerstoff
+die Anhydride von Phosphorsäure und schwefliger Säure bilden,
+von denen das letztere durch weitere Oxydation und Zutritt von
+Wasser in Schwefelsäure übergeht, so wurde das bisher als reine
+Luft bezeichnete Gas von *Lavoisier* als säurebildendes Prinzip
+angesprochen. Diese Ansicht, welche später, als man in der Salz- und
+in der Blausäure sauerstofffreie Verbindungen kennen lernte, eine
+wesentliche Einschränkung erfuhr, fand durch *Lavoisiers* Untersuchung
+der Salpetersäure[267] eine wesentliche Stütze. *Lavoisier* löste
+eine abgewogene Menge Quecksilber in Salpetersäure (HNO_{3}) auf;
+dabei entwickelte sich das von *Priestley* als Salpeterluft (NO_{2})
+bezeichnete Gas. Wurde die nach dem Eindampfen erhaltene Verbindung
+(Hg[NO_{3}]_{2}) erhitzt, so fand eine weitere Entwicklung von
+Salpeterluft statt, und es blieb rotes Quecksilberoxyd zurück[268],
+das beim Glühen in Sauerstoff und ein der angewandten Menge gleiches
+Quantum Quecksilber zerfiel. Da das Quecksilber völlig wieder
+erhalten wurde, konnten der Sauerstoff und die Salpeterluft nur
+der Salpetersäure entstammen. Durch die Vereinigung dieser beiden
+Gase mit Wasser gelang es *Lavoisier*, auch die Salpetersäure
+wiederherzustellen und so durch die Synthese seinen Schlüssen doppeltes
+Gewicht zu verleihen.
+
+Völlig aufgeklärt wurde die chemische Natur der Salpetersäure durch
+das Hinzutreten einer wichtigen, von dem Phlogistiker *Cavendish*
+herrührenden Entdeckung. Ausgehend von *Priestleys* Beobachtung, daß
+die Luft durch fortgesetzte Einwirkung des elektrischen Funkens eine
+chemische Veränderung erleidet, zeigte *Cavendish*, daß sich hierbei
+die Gemengteile der Luft zu Salpetersäure verbinden[269]. Durch diesen
+synthetischen Versuch und die von *Lavoisier* herrührende Analyse
+war die hinsichtlich der Salpetersäure gestellte Aufgabe gelöst. Daß
+der durch Sättigen von Salpetersäure mit Alkali erhaltene Salpeter
+gleichfalls Sauerstoff enthält, wies *Lavoisier* dadurch nach, daß sich
+beim Erhitzen von Salpeter mit Kohle fixe Luft (CO_{2}) entwickelt.
+
+Wie die Verbrennung, so wurde durch die neue Theorie auch die Atmung
+in das rechte Licht gestellt. Sie besteht nach *Lavoisier* in der
+Verbindung von Sauerstoff mit den Bestandteilen der organischen
+Substanz. Wie bei der Verbrennung, so wird auch hierbei Wärme frei.
+In dem wesentlichsten Erzeugnis der Atmung, dem Kohlendioxyd, stammt
+der Kohlenstoff aus dem Organismus, der Sauerstoff dagegen aus der
+Atmosphäre. Die Analogie zwischen beiden Vorgängen wird von *Lavoisier*
+ferner daraus erschlossen, daß er Kohlendioxyd und Wasser auch bei
+der Verbrennung organischer Substanzen, wie Alkohol, Öl und Wachs,
+erhielt. Indem *Lavoisier* aus der Menge des entstandenen Kohlendioxyds
+und Wassers den Kohlenstoff- und Wasserstoffgehalt der verbrannten
+Substanzen ermittelte, wurde er zum Begründer der Elementaranalyse.
+
+Den Vorgang der Gärung faßte *Lavoisier* ganz richtig auf als den
+Zerfall einer ternären, d. h. einer aus drei Elementen (C, H und O)
+bestehenden organischen Verbindung, des Zuckers nämlich, in den eine
+relativ geringere Menge Sauerstoff enthaltenden Alkohol und das binäre,
+an Sauerstoff reiche Kohlendioxyd. Ließe sich eine Vereinigung des
+Alkohols mit dem Kohlendioxyd bewirken, so müßte sich, wie *Lavoisier*
+ganz richtig ausführt, wieder Zucker ergeben.
+
+Sein weiteres Bemühen war darauf gerichtet, für die von ihm
+untersuchten Substanzen das Gewichtsverhältnis ihrer Bestandteile
+festzustellen. So bestimmte er die quantitative Zusammensetzung des
+Kohlendioxyds, indem er eine abgewogene Menge Kohle vermittelst Mennige
+oxydierte. Aus dem Gewichtsverlust, den die Mennige dabei erlitt,
+berechnete er für Kohlendioxyd 72,1% Sauerstoff, ein Ergebnis, das dem
+wahren Wert (72,7%) ziemlich nahe kommt.
+
+Zu Beginn der 80er Jahre des 18. Jahrhunderts gelangte *Lavoisier*
+durch seine eigenen und die von *Cavendish* geführten Untersuchungen
+auch über die Natur des Wassers vollkommen ins reine. *Cavendish*
+hatte 1781 den Nachweis geliefert, daß sich bei der Vereinigung von
+Wasserstoff und Sauerstoff ausschließlich Wasser bildet, wobei sich
+100 Raumteile Sauerstoff mit 201,5 Raumteilen Wasserstoff verbinden
+sollten. Erst viel später erkannte man, daß in Wahrheit das einfache
+Verhältnis 100 : 200 obwaltet. Auf die Synthese ließ *Lavoisier* die
+Analyse des Wassers folgen, indem er Dampf durch eine Röhre leitete, in
+der sich glühendes Eisen befand. Bei diesem Versuche wurde das Eisen
+unter Freiwerden von Wasserstoff oxydiert. Die Zersetzung von 100
+Gewichtsteilen Wasser ergab eine durch den Sauerstoff des letzteren
+bewirkte Zunahme des Eisens um 85 Teile, während 15 Teile Wasserstoff
+aufgefangen wurden, ein Resultat, das von der Wahrheit erheblich
+abwich, da spätere Versuche für die Elemente des Wassers das Verhältnis
+89 : 11 ergeben haben.
+
+In der Mitte der 80er Jahre stand die antiphlogistische Theorie,
+deren Entwicklung wir in vorstehendem kennen gelernt haben, in
+ihren Grundzügen vollendet da. Einige Jahre später erfuhr sie durch
+*Lavoisier* eine lichtvolle Darstellung in seinem Lehrbuch der Chemie,
+dem die im vorstehenden mitgeteilten Proben seiner Experimentierkunst
+entnommen sind.
+
+Alles Bemühen, die Phlogistontheorie zu retten, war vergeblich; sie
+wurde mit *Scheele* und *Priestley* zu Grabe getragen. Indes sollte
+*Lavoisier* die allgemeine Anerkennung der neuen Lehre nicht mehr
+erleben[270]. Das Jahr, in welchem sein soeben erwähntes Lehrbuch
+erschien, war auch das Geburtsjahr der französischen Revolution. Die
+konstituierende Nationalversammlung hatte noch *Lavoisiers* Dienste
+in Anspruch genommen. Während der Schreckenszeit erinnerte man sich
+aber der einflußreichen Stellung, die er unter dem Königtum bekleidet
+hatte, und verurteilte ihn auf die nichtige Anklage hin, daß die von
+ihm verwaltete Regie den Tabak verschlechtert habe, zum Tode. Als ein
+Freund den Mut besaß, den Richtern gegenüber *Lavoisiers* Verdienste
+um die Wissenschaft hervorzuheben, erhielt er die den tollen Geist
+des Aufruhrs kennzeichnende Antwort: »Nous n'avons plus besoin des
+savants.« So starb denn *Lavoisier* gefaßt und ruhig am 8. Mai des
+Jahres 1794.
+
+Der Einfluß, welchen die von ihm geschaffenen Lehren und Methoden
+ausgeübt haben, ist ein gewaltiger gewesen. Die Chemie trat jetzt
+der Astronomie und der Physik, die gleichfalls ihr Emporblühen der
+Befolgung des quantitativen Verfahrens verdankten, als ebenbürtig an
+die Seite. Mit dem Auftreten *Lavoisiers* gelangte ferner ein Grundsatz
+zu allgemeiner Anerkennung, der für das quantitative Verfahren eine
+unerläßliche Vorbedingung bildet. Es ist dies der Satz, daß bei
+chemischen Vorgängen nichts entsteht und nichts vergeht, sondern daß
+die Summe der in den Prozeß eintretenden Stoffe eine unveränderliche
+Größe ist. Gegen diesen Satz, der fast selbstverständlich zu sein
+scheint und dennoch das Ergebnis der Erfahrung ist, wurde sogar noch
+von hervorragenden Chemikern des 18. Jahrhunderts gefehlt[271].
+
+Mit gleicher Schärfe erfaßte *Lavoisier* den von *Boyle* herrührenden
+Begriff des chemischen Elementes. Er versteht darunter jede Substanz,
+die nicht in einfachere zerlegt werden kann. Als Elemente in diesem
+Sinne gelten ihm die damals allein bekannten schweren Metalle und
+die als Metalloide bezeichneten Grundstoffe, nämlich Sauerstoff,
+Wasserstoff, Stickstoff, Kohlenstoff, Schwefel und Phosphor. Die
+Alkalien und die Erden hätten der gegebenen Erklärung gemäß zwar auch
+als Elemente betrachtet werden müssen, doch spricht *Lavoisier* schon
+die Vermutung aus, daß diese in mancher Hinsicht den Metallkalken
+ähnlichen Stoffe Verbindungen bisher unbekannter Metalle mit Sauerstoff
+seien, eine Vermutung, welche durch die späteren elektrochemischen
+Forschungen eine glänzende Bestätigung erhalten sollte.
+
+*Lavoisier* stand mit seinen Ansichten lange allein. Zuerst neigten
+sich seiner Lehre bedeutende Physiker und Mathematiker zu, unter
+denen vor allem *Laplace* zu nennen ist. Es fehlte diesen Männern
+jedoch auf dem Gebiete der Chemie die erforderliche Autorität,
+um den neuen, umwälzenden Anschauungen zum Siege zu verhelfen.
+Der erste hervorragende Vertreter dieser Wissenschaft, der sich
+zur antiphlogistischen Theorie bekannte, war *Berthollet*. Seine
+Untersuchungen über die chemische Verwandtschaft sind für die spätere
+Entwicklung der physikalischen Chemie von großer Wichtigkeit gewesen.
+
+*Berthollets* Leben ist mehr als dasjenige irgend eines anderen
+Forschers mit den großen politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen
+verknüpft gewesen, die Frankreich im Revolutionszeitalter erfuhr. Eine
+Schilderung dieser Gelehrtenlaufbahn läßt erkennen, in welchem Grade
+der gewaltige Aufschwung und die Entfaltung aller Volkskräfte des
+damaligen Frankreichs mit dem Emporblühen der Experimentalwissenschaft
+und der Technik Hand in Hand gingen.
+
+*Claude Louis Berthollet* wurde 1748 in Savoyen geboren. Er widmete
+sich zunächst dem Studium der Medizin und wurde 1772 in Paris Leibarzt
+des Herzogs von Orleans. In dieser Stellung fand er Muße, sich
+eingehend mit chemischen Untersuchungen zu beschäftigen. Letztere
+betrafen wie diejenigen *Lavoisiers* die Rolle der atmosphärischen
+Luft und trugen *Berthollet* im Jahre 1780 die Mitgliedschaft der
+Akademie der Wissenschaften ein. Bald darauf übertrug ihm die Regierung
+die technische Aufsicht über ihre Färbereien. Die Folge davon war,
+daß diese Betriebe mit vielen Verbesserungen versehen wurden, die
+*Berthollet* in einem Werke zusammenfassend dargestellt hat. Zu diesen
+Verbesserungen gehörte, um eine der bekanntesten zu erwähnen, die
+Anwendung des Chlors als Bleichmittel.
+
+Eine ganz hervorragende Tätigkeit auf dem Gebiete der technischen
+Chemie entfaltete *Berthollet*, als sein Vaterland infolge des
+Ausbruchs der Revolutionskriege vom Auslande abgeschnitten und ganz auf
+seine eigenen Hilfsquellen angewiesen war. Insbesondere waren es die
+Stahlbereitung und die Salpeterfabrikation, die unter *Berthollets*
+Führung einen großen Aufschwung nahmen. Die Revolutionsstürme würden
+*Berthollet* wie *Lavoisier* vernichtet haben, wenn ihn die damaligen
+Machthaber nicht für unentbehrlich gehalten hätten. *Berthollet* wurde
+im Jahre 1792 zum Leiter des Münzwesens und bald darauf zum Mitglied
+einer Kommission ernannt, der es oblag, die Wohlfahrt des Landes durch
+die Pflege der Gewerbe und der Landwirtschaft zu heben. Gleichzeitig
+wurde *Berthollet* zum Lehrer der Chemie an die École normale berufen.
+
+Nach der Eroberung Italiens sandte das Direktorium *Berthollet*
+dorthin, um unter den wissenschaftlichen Werken jenes Landes diejenigen
+auszusuchen, die nach Paris gesandt werden sollten. Bei dieser
+Gelegenheit wurde *Berthollet* mit Napoleon bekannt, der gleich
+Friedrich dem Großen den exakten Wissenschaften im wohlverstandenen
+eigenen Interesse stets eine rege Anteilnahme und Förderung angedeihen
+ließ. *Berthollet* hat Napoleon Vorträge über Chemie gehalten und ihn
+auf seinem Zuge nach Ägypten begleitet. Trotz aller Gunstbezeugungen,
+mit denen Napoleon nach seiner Krönung den großen Forscher überhäufte,
+erniedrigte sich dieser niemals zum schmeichlerischen Höfling, sondern
+bewahrte sich die biedere und furchtlose Ehrenhaftigkeit, die ihn auch
+während der wildesten Erregung der Revolutionszeit nicht verlassen
+hatte. Nach dem Sturze des Kaisers zog sich *Berthollet* auf einen
+Landsitz in dem nahe bei Paris gelegenen Arcueil zurück. Dieser kleine
+Ort hat dadurch in der Geschichte der Wissenschaften einen Namen
+erhalten, daß sich dort um *Berthollet* die hervorragendsten Gelehrten
+des Landes zu einer wissenschaftlichen Gesellschaft, der Société
+d'Arcueil, vereinigten. In den Abhandlungen dieser Gesellschaft[272]
+ist manche hervorragende Experimentaluntersuchung jener Zeit
+veröffentlicht worden. *Berthollet* starb im Jahre 1822.
+
+Daß *Berthollet* der erste Chemiker war, welcher der antiphlogistischen
+Lehre beipflichtete, wurde schon hervorgehoben. Seine eigenen Arbeiten
+hatten ihn im Beginn der achtziger Jahre des 18. Jahrhunderts zu
+der Erkenntnis geführt, daß Phosphor, Arsen und Schwefel sich unter
+Gewichtszunahme mit Sauerstoff zu Säuren verbinden. *Berthollet*
+war es auch, welcher die chemische Natur des Ammoniaks, des
+Schwefelwasserstoffs und der Blausäure durch grundlegende Versuche
+erschloß. Nachdem *Priestley* nachgewiesen, daß das Ammoniakgas
+unter der Einwirkung elektrischer Entladungen sein Volum vergrößert,
+bestimmte *Berthollet* jene Volumvergrößerung (es findet bekanntlich
+eine Verdopplung des Volumens statt). Er wies nach, daß sich dabei
+das Ammoniak in Wasserstoff und Stickstoff spaltet. Dieses Ergebnis
+hat später *Gay-Lussac* verwertet, als er die Volumverhältnisse
+untersuchte, nach denen die Gase sich zu chemischen Verbindungen
+vereinigen[273]. Auch für *Gay-Lussacs* Untersuchung über die
+Cyanverbindungen hat *Berthollet* die Grundlage geschaffen, indem er
+feststellte, daß die Blausäure (HCN) nur aus Kohlenstoff, Stickstoff
+und Wasserstoff zusammengesetzt ist. Daß Schwefelwasserstoff (H_{2}S)
+nur aus Schwefel und Wasserstoff besteht und nicht, wie man vorher
+angenommen, auch Sauerstoff enthält, wurde gleichfalls von *Berthollet*
+entdeckt. Seine Arbeiten über das Chlor, die wir an anderer Stelle als
+die Vorarbeiten zu *Davys* Theorie der Wasserstoffsäuren zu betrachten
+haben, führten ihn zur Entdeckung des Kaliumchlorats (KClO_{3}) und der
+diesem Salz zugrunde liegenden Säure.
+
+Nicht minder wie die Experimentalchemie und die chemische Technik wurde
+die theoretische Chemie durch *Berthollet* gefördert. Hier waren es vor
+allem seine umfangreichen Untersuchungen über das Wesen der chemischen
+Verwandtschaft, die seinen Ruhm begründeten.
+
+Die früheren Bemühungen, zu einiger Klarheit über die Affinität oder
+chemische Verwandtschaft zu gelangen, führten zu keinem Ergebnis,
+weil man die bei den chemischen Vorgängen obwaltenden physikalischen
+Bedingungen nicht berücksichtigte. Gegen diese Einseitigkeit bedeuten
+*Berthollets* »Untersuchungen über die Gesetze der Verwandtschaft«[274]
+trotz der Mängel und Unrichtigkeiten, welche dieser Arbeit anhaften,
+einen erfolgreichen Protest. »Sollen wir«, beginnt *Berthollet*, »zu
+einer wohlbegründeten Theorie der Verwandtschaft und dadurch zu einer
+Erklärung der chemischen Erscheinungen gelangen, so werden wir alle
+Umstände, welche auf diese Erscheinungen Einfluß haben, in Erwägung
+ziehen müssen.«
+
+Bis sich *Berthollet* mit diesem Gegenstande beschäftigte, galten
+die seit 1775 auf zahlreiche Versuche gegründeten Ansichten
+*Bergmans*[275], nach denen die Affinität als eine konstante, von
+äußeren Bedingungen wenig beeinflußte Größe betrachtet wurde.
+Demgegenüber bestand das Ziel der *Berthollet*schen Untersuchung darin
+zu beweisen, »daß die Wahlverwandtschaften nicht als absolute Kräfte
+wirken«. Man müsse, fügt *Berthollet* hinzu, wenn man die Wirksamkeit
+zweier Stoffe vergleichen wolle, sowohl auf die Verwandtschaftskraft
+als auch auf die Menge sehen. Daß *Berthollet* gerade auf die
+Bedeutung des letzteren Faktors ein solch großes Gewicht legte, daß
+er schließlich auch zu unrichtigen Folgerungen sich verleiten ließ,
+wird aus seiner Erklärung der Affinität begreiflich. Er betrachtete
+sie nämlich als identisch mit der Schwerkraft. Und wie diese durch die
+Massen bestimmt sei, so müsse auch die *chemische* Anziehung als ein
+besonderer Fall jener allgemeinen Kraft von den Massen der aufeinander
+wirkenden Stoffe abhängig sein. Die allgemeine Anziehung wirke bei
+den chemischen Umsetzungen anders wie zwischen entfernten Massen,
+weil sie im ersteren Falle durch die Gestalt und vor allem durch den
+Zusammenhang der Teilchen, ihr Verhalten zu Lösungsmitteln, ihre
+Flüchtigkeit usw. bedingt werde.
+
+Den zuletzt erwähnten Einfluß, die Flüchtigkeit nämlich, erörtert
+*Berthollet* in durchaus zutreffender Weise. Wenn ein Stoff, so führt
+er aus, im Augenblicke seiner Abscheidung aus einer Verbindung in den
+flüchtigen Zustand übergehe, so trage der in Gasform entwichene Teil
+nicht mehr zum Widerstande bei; er wirke daher nicht mehr durch seine
+Masse. Der wirkende Stoff könne dann eine vollständige Zersetzung
+hervorrufen. Man brauche daher nicht mehr davon anzuwenden, als gerade
+zu der Verbindung, in die er übergeführt werden solle, nötig sei. Ein
+Beispiel biete die leicht flüchtige Kohlensäure, wenn sie mit irgend
+einer Basis verbunden sei, und ihr eine andere, weniger flüchtige Säure
+entgegengesetzt werde. Diese andere Säure sei imstande, selbst wenn sie
+eine schwächere Verwandtschaft gegen die Basis besitze, die Kohlensäure
+aus ihrer Verbindung abzuscheiden.
+
+Die frühere Klassifikation der Verwandtschaften, die auf der
+Voraussetzung beruhte, daß eine Säure die andere nur durch die als eine
+absolute Kraft wirkende Verwandtschaft ausscheide, wurde durch die
+Betonung dieses neuen Gesichtspunktes erheblich ins Wanken gebracht,
+zumal als zweites bestimmendes Moment für chemische Umsetzungen durch
+*Berthollet* die Löslichkeit oder die Unlöslichkeit der entstehenden
+Verbindungen erkannt wurde. Wie sich *Berthollet* die Rolle der
+Schwerlöslichkeit -- Kohäsion lautet sein Ausdruck -- dachte, möge
+folgende Betrachtung lehren.
+
+Wirkt auf eine Verbindung *ab*, z. B. schwefelsaures Natrium, ein Stoff
+*c*, der imstande ist, mit einem Bestandteil jener Verbindung einen
+unlöslichen Körper zu bilden, z. B. Barium in irgend einer löslichen
+Verbindung, so wird *ab* durch *c* vollkommen zersetzt, und es bildet
+sich in unserem Falle Bariumsulfat, weil diese Verbindung unlöslich
+ist, niederfällt und damit in ähnlicher Weise aus dem Bereich der
+Affinitätswirkungen ausscheidet, wie es andere Verbindungen infolge
+ihrer Flüchtigkeit tun. Daß *c* sich mit dem Bestandteil *a* der Verbindung
+*ab* in Form eines Niederschlags *ac* abscheidet, beweist somit
+durchaus noch nicht, daß *c* eine größere Affinität zu *a* besitzt als *b*.
+Wirkten die Affinitäten allein, so würde sich *c* auf *a* und *b* verteilen.
+Der Teil von *c*, der sich mit *a* verbindet, scheidet aber infolge seiner
+Unlöslichkeit jedesmal aus, so daß endlich *a* völlig an *c* gebunden wird,
+wenn letzteres im Überschusse wirkt. Wenn also in einem Stoffe dadurch,
+daß er sich mit einem anderen in einem bestimmten Verhältnis verbindet,
+ein Bestreben in den Zustand der Festigkeit überzugehen entsteht, so
+wird durch eben dieses Bestreben notwendig eine Abscheidung jener
+Verbindung unabhängig von dem Spiel der Affinitäten bewirkt.
+
+Den Einfluß derartiger physikalischer Verhältnisse, wie sie in der
+Flüchtigkeit und im Verhalten zu Lösungsmitteln gegeben sind, bei der
+Betrachtung der Verwandtschaftserscheinungen zuerst gewürdigt zu haben,
+ist das bleibende Verdienst *Berthollets*.
+
+Auch der Wirkung der Wärme wird in durchaus zutreffender Weise
+Rechnung getragen, ohne daß die theoretischen Ansichten *Berthollets*
+über die Natur der Wärme hierbei von Belang wären. Ein Beispiel möge
+dies dartun. Vergegenwärtigen wir uns die oben[276] mitgeteilte
+Verwandtschaftstafel *Bergmans*, so besitzt danach die Phosphorsäure
+zum Kali, wenn die Umsetzung auf nassem Wege vor sich geht, eine
+geringere Affinität als Schwefelsäure, während die Schwefelsäure in
+ihrer Verwandtschaft zum Kali der Phosphorsäure nachsteht, wenn die
+Reaktion auf trockenem Wege, d. h. beim Schmelzfluß, erfolgt. Diese
+Verschiedenheit des Verhaltens führt *Berthollet* vollkommen richtig
+auf die Flüchtigkeit der einen und die Feuerbeständigkeit der anderen
+Säure zurück. »Es ist,« sagt er, »eine Wirkung der Wärme, daß alle
+feuerbeständigen Säuren diejenigen, die flüchtig sind, bei hinlänglich
+erhöhter Temperatur aus ihren Verbindungen austreiben. Und da sie
+untereinander in Ansehung dieser Eigenschaft sehr verschieden sind,
+so sind gewisse Säuren in Ansehung auf einige Säuren als beständig,
+in bezug auf andere dagegen als flüchtig zu betrachten.« Eine solche
+Mittelstellung nimmt z. B. die Schwefelsäure ein. Sie scheidet bei
+mittlerer Temperatur Salzsäure und Salpetersäure aus ihren Salzen aus,
+während sie selbst bei höherer Wärme aus ihren Verbindungen durch
+Phosphorsäure befreit wird. Und zwar geschieht dies, wie *Berthollet*
+hinzufügt, unabhängig von dem Grade der Verwandtschaft. Letztere wird
+am vollkommensten dann wirken, wenn sich kein Stoff durch Fällung oder
+durch die Annahme des gasförmigen Zustandes der chemischen Reaktion
+entzieht, nämlich dann, wenn die entstehenden Verbindungen in Lösung
+bleiben. Mischt man z. B. schwefelsaures Kalium mit einer Basis, so
+wird sich der Säurerest, wenn alles gelöst bleibt, im Verhältnis der
+wirkenden Affinitäten, aber auch im Verhältnis der wirkenden Mengen
+auf die Metalle verteilen. Oder, ein ähnlicher Fall, setzen wir zu
+gelöstem schwefelsaurem Kalium Salpetersäure, so wird ebenfalls, wenn
+alles gelöst bleibt, nach dem Gesetz der chemischen Massen, d. h. des
+Faktors, der sich aus der Affinität und der Menge des wirkenden Stoffes
+ergibt, eine Verteilung des einen Stoffes auf die beiden anderen
+stattfinden. »Wenn zwei Basen«, so lautet *Berthollets* Ausdruck für
+den ersten Fall, »auf eine Säure wirken, so verteilt sich die Säure im
+Verhältnis der chemischen Kräfte der Basen«[277].
+
+Durch übertriebene Betonung dieser Prinzipien, die *Berthollet* in
+seinem großen Werke über die chemische Statik weiter ausführte, kam
+er zu der irrigen Ansicht, daß zwei Stoffe sich auch nach stetig
+sich ändernden Verhältnissen verbinden. Der sich hieraus ergebende
+Widerspruch mit der von *Dalton* und *Proust* bald darauf begründeten
+Lehre von den festen und multiplen Proportionen wird an anderer Stelle
+erörtert werden.
+
+*Berthollets* großes Verdienst bleibt der Nachweis der Massenwirkung,
+d. h. der Tatsache, daß der Verlauf einer Reaktion nicht allein durch
+die Natur der Stoffe bestimmt wird, sondern auch durch die bei einer
+Reaktion obwaltenden Mengenverhältnisse, durch die mitunter geradezu
+Umkehrungen von Reaktionen herbeigeführt werden. »Der Umstand«,
+bemerkt *Berthollet* bei der Erläuterung derartiger Fälle, »der
+beweist, daß die chemischen Wirkungen ebensowohl von der Menge als
+von der Verwandtschaft der Stoffe abhängen, ist dieser, daß man, um
+entgegengesetzte Resultate zu erhalten, oft nur die Quantität der
+Stoffe zu ändern braucht.«
+
+Eine wichtige Rolle spielte zu Beginn des antiphlogistischen Zeitalters
+der Kampf der Meinungen über die chemische Natur des Chlors. *Scheele*
+hatte diesen merkwürdigen Stoff entdeckt, als er Salzsäure auf
+Braunstein wirken ließ. Er bezeichnete das Chlor vom Standpunkte
+der Phlogistontheorie als »dephlogistisierte Salzsäure«. *Scheele*
+nahm nämlich an, die Salzsäure enthalte »Phlogiston«. Und dieser
+hypothetische Stoff[278] sollte der Salzsäure durch den Braunstein
+entzogen werden. Durch *Lavoisier* wurden die Vorgänge der Oxydation
+und der Reduktion ihrem eigentlichen Wesen nach erkannt. *Lavoisier*
+hielt den Sauerstoff für das säurebildende Prinzip. Wie die Säuren
+des Phosphors, des Schwefels und anderer Radikale oder Elemente, so
+sollte auch die Salzsäure eine Verbindung des Sauerstoffs mit einem dem
+Phosphor oder Schwefel entsprechenden Radikal (radical muriatique)
+sein.
+
+Einige Versuche schienen darauf hinzudeuten, daß auch das Chlor eine
+Sauerstoffverbindung sei. So hatte *Berthollet* die Abscheidung von
+Sauerstoff unter gleichzeitiger Bildung von Salzsäure beobachtet,
+als er in Wasser gelöstes Chlor dem Sonnenlichte aussetzte. Dieser
+Versuch wurde als eine Zerlegung des Chlors in Sauerstoff und Salzsäure
+gedeutet. Chlor erschien somit als ein höheres Oxyd des Radikals der
+Salzsäure. Aus diesem Grunde wurde das Chlor als oxydierte Salzsäure
+bezeichnet.
+
+Den Nachweis, daß Chlor keinen Sauerstoff enthält, sondern ein
+Grundstoff ist, führten erst *Gay-Lussac*[279] im Jahre 1808 und *Davy*
+1809. Als *Gay-Lussac* aus dem Chlor durch Reduktion mittelst Phosphor
+Salzsäure abzuspalten suchte, traten weder das Oxyd des Phosphors noch
+Salzsäure in die Erscheinung. Das Chlor verband sich vielmehr mit dem
+Phosphor zu einer neuen, als Chlorphosphor bezeichneten Substanz.
+Ähnlich verhielt sich, wie *Davy* nachwies, das reine Chlor gegen
+Metalle. Wurden z. B. Zinn und Chlor zusammengebracht, so verschwanden
+beide, und es entstand eine helle Flüssigkeit (Chlorzinn, SnCl_{4}).
+Für die elementare Natur des Chlors sprach auch der Umstand, daß sich
+das Chlor nicht veränderte, wenn man es in Gefäßen, auf die es chemisch
+nicht zu wirken vermochte, einer sehr hohen Temperatur aussetzte.
+Die Schwierigkeit, über die chemische Natur des Chlors ins reine
+zu kommen, war dadurch hervorgerufen worden, daß man mit Chlor bei
+Gegenwart von Wasser experimentiert hatte. Sobald man wasserfreie
+Reagenzien benutzte, trat bei Versuchen mit Chlor auch keine Salzsäure
+auf. Die irrtümliche Bezeichnung »oxydierte Salzsäure« mußte also
+in Fortfall kommen. Sie wurde von *Davy* durch den Namen Chlor (von
+χλωρός, grün) ersetzt[280].
+
+
+
+
+11. Die Aufstellung der atomistischen Hypothese und ihre experimentelle
+Begründung.
+
+
+Als *Lavoisier* und *Cavendish* die Mengenverhältnisse, nach denen die
+Elemente zu chemischen Verbindungen zusammentreten, in den Bereich
+ihrer Untersuchung zogen, machten sie schon stillschweigend die
+Voraussetzung, daß diese Verhältnisse für scharf charakterisierte
+Verbindungen unveränderliche Größen seien. Das Quantitative konnte ja
+nur dann die Grundlage für die weitere Entwicklung der Chemie abgeben,
+wenn es die Bedeutung eines Naturgesetzes besaß. Demnach mußte die
+erste Aufgabe eines neuen Zeitalters in dem Nachweis bestehen, daß
+dies der Fall sei. Daran knüpfte sich dann weiter der Versuch einer
+ursächlichen Erklärung der chemischen Vorgänge und der bei diesen
+auftretenden Gesetzmäßigkeiten.
+
+Um den Nachweis des Gesetzes von der Konstanz der Gewichtsverhältnisse
+hat sich der Franzose *Proust*[281] sehr verdient gemacht. Ihm gelang
+es, die entgegengesetzte, von seinem Landsmann *Berthollet*[282]
+vertretene Ansicht, daß die Elemente in veränderlichen, von äußeren
+Umständen abhängenden Verhältnissen sich verbinden, nach langem
+Streite und auf Grund zahlreicher Analysen zu widerlegen. Die Ansicht
+*Berthollets*, daß zwischen zwei Verbindungen, wie sie z. B. Schwefel
+und Eisen (FeS, FeS_{2}) oder Zinn und Sauerstoff (SnO, SNO_{2})
+bilden, alle Übergänge möglich seien, ließ *Proust* nicht gelten.
+Er führte diesen Irrtum darauf zurück, daß *Berthollet* anstatt der
+vermeintlichen Übergangsstadien Gemenge jener Verbindungen in der
+Hand gehabt habe, und lieferte den Nachweis, daß, wenn zwischen
+zwei Elementen mehrere Verbindungen bestehen, die Änderung in der
+Zusammensetzung nicht allmählich, sondern sprungweise erfolgt. Geht
+z. B. Zinnoxydul, das 11,9% Sauerstoff enthält, durch weitere Aufnahme
+dieses Elementes in Zinnoxyd über, so erfolgt dieser Übergang durch
+einen Sprung auf eine andere bestimmte Menge Sauerstoff, nämlich
+auf 21,3%. Dasselbe Verhalten zeigten auch Metalle, die sich in
+mehreren Verhältnissen mit Schwefel verbinden. *Proust* dehnte seine
+Untersuchung auch auf die Verbindungen von Kupfer, Eisen, Nickel,
+Antimon, Gold, Silber, Quecksilber, sowie auf die organischen
+Substanzen aus. Für alle in Betracht gezogenen Fälle ergab sich
+das Vorhandensein jener von ihm behaupteten Gesetzmäßigkeit. Für
+die Vereinigung von Säuren und Basen unter Bildung von Salzen war
+die Konstanz der Gewichtsverhältnisse schon vor *Proust* durch den
+deutschen Chemiker *Richter* nachgewiesen worden; doch war die Arbeit
+dieses Mannes insbesondere ihrer dunklen Ausdrucksweise wegen zunächst
+fast unbeachtet geblieben. Die ersten Versuche, durch die Analyse
+eines Stoffes das Verhältnis seiner Bestandteile zu ermitteln, gingen
+wahrscheinlich von der alten philosophischen Ansicht aus, daß alles
+nach Maß und Gewicht geordnet sei. Die früheste wissenschaftliche
+Arbeit, die sich mit dem Nachweise bestimmter Verhältnisse beschäftigt,
+rührt von *Wenzel*[283] her. Sie erschien 1777 unter dem Titel
+»Lehre von der Verwandtschaft der Körper« und befaßte sich mit den
+Gewichtsverhältnissen, nach denen sich Säuren und Basen zu Salzen
+vereinigen. An *Wenzels* Untersuchungen knüpfte *Richter* an. Bei
+*Wenzel* findet sich auch schon das Massenwirkungsgesetz angedeutet. In
+diesem Punkte erscheint er als der Vorläufer *Berthollets*[284]. Erst
+später, als *Berzelius* die Gewichtsverhältnisse der Atome bestimmte,
+zeigte sich die grundlegende Bedeutung der Untersuchungen *Wenzels* und
+*Richters*.
+
+*Jeremias Benjamin Richter* wurde 1762 in Schlesien geboren[285].
+Er wirkte zuerst als Bergwerksbeamter in Breslau und darauf als
+Angestellter der Königlichen Porzellanmanufaktur in Berlin. Die
+Eigenart *Richters* besteht darin, daß fast alle seine Arbeiten auf
+eine Anwendung der Mathematik auf die Chemie abzielen. Dies spricht
+sich schon in dem Titel seiner Erstlingsarbeit aus[286]. *Richter*
+ging so weit, daß er die Chemie für einen Teil der angewandten
+Mathematik erklärte. Sein Hauptwerk führt den Titel »Stöchiometrie oder
+Meßkunst chymischer Elemente«[287]. Es erschien 1792-1802.
+
+*Richters* Verdienst besteht darin, daß er für die Säuren und die
+Basen den Äquivalentbegriff schuf. Der Gang seiner Untersuchung war
+der folgende. Er bestimmte die Gewichtsmengen der ihm bekannten
+Basen, welche ein und dieselbe Menge, z. B. 1000 Gewichtsteile,
+Schwefelsäure gerade neutralisieren. Die erhaltenen Werte nannte er die
+Neutralitätsreihe der Basen. Diese Werte mögen für einige Basen, nach
+*Richters* Angaben auf 1000 Teile Schwefelsäure berechnet, hier folgen.
+Sie sind in hohem Grade ungenau und nur dadurch von Wert, daß sie die
+erste Tafel der Äquivalentgewichte darstellen:
+
+ Ammoniak 672
+ Kalk 793
+ Natron 859
+ Kali 1605
+ usw.
+
+Das Zweite war, daß *Richter* eine ähnliche »Neutralitätsreihe« der
+ihm bekannten Säuren mit Bezug auf eine bestimmte Menge einer Basis
+ermittelte. Sei die Basis Kalk, von dem nach ihm 793 Gewichtsteile
+durch 1000 Gewichtsteile Schwefelsäure neutralisiert werden, so ergeben
+sich für einige der übrigen bekannten Säuren folgende Äquivalente für
+die zugrunde liegende Basis:
+
+ Kohlensäure 577
+ Salpetersäure 1405
+ Oxalsäure 755
+ Schwefelsäure 1000
+ usw.
+
+Den Wert solcher Tafeln erblickte *Richter* darin, daß sie die
+Zusammensetzung aller aus der Verbindung je einer Basis mit je einer
+Säure entstehenden neutralen Salze zu berechnen gestatten, wenn nur die
+Äquivalente der Basen und der Säuren in den beiden Tafeln enthalten
+sind. So würde z. B. salpetersaurer Kalk die Basis und die Säure im
+Verhältnis 793 : 1405 enthalten, da 1000 Gewichtsteile Schwefelsäure,
+die 793 Teile Kalk sättigen, 1405 Teilen Salpetersäure äquivalent sind.
+
+Eine Fortsetzung und Erweiterung fanden die stöchiometrischen
+Untersuchungen durch *Dalton*, mit dessen Hauptwerk, dem »Neuen System
+der chemischen Wissenschaft« wir uns jetzt näher befassen müssen.
+
+*John Dalton* wurde im Jahre 1766[288] als Sohn eines armen englischen
+Webers geboren. Nachdem er die Schule verlassen hatte, erteilte er
+in seinem Heimatsorte Elementarunterricht. Es gelang ihm, sich so
+weit fortzubilden, daß er mit 27 Jahren eine Stelle als Lehrer der
+Mathematik und der Physik am »New College« in Manchester einnehmen
+konnte. Später gab er diese Stelle auf und erwarb sich seinen
+Unterhalt, indem er in den größeren Städten Englands Vorlesungen über
+die Fortschritte der Naturwissenschaften hielt. Äußere Ehren hat
+*Dalton* nicht gesucht. Selbst als sein Ruhm weit über die Grenzen
+des Vaterlandes hinaus gedrungen war, blieb er der bescheidene
+Privatgelehrte, der in dem Forschen nach der Wahrheit seine größte
+Befriedigung fand. *Dalton* war Mitglied der Royal Society. Als das
+Alter herannahte, wurde ihm vom Könige eine kleine Pension ausgesetzt.
+*Dalton* starb im Jahre 1844 in Manchester.
+
+*Proust* hatte bei seinen Analysen der verschiedenen Oxydations-
+und Schwefelungsstufen eines und desselben Elementes die Ergebnisse
+in Prozenten angegeben. Vergleicht man die so erhaltenen Zahlen, z.
+B. für die oben erwähnten Oxyde des Zinns[289] (11,9% und 21,3%),
+so lassen sie keine einfache Beziehung erkennen. *Dalton*, welcher
+den Nachweis der konstanten Gewichtsverhältnisse insbesondere auf
+gasförmige Verbindungen auszudehnen suchte, kam auf den glücklichen
+Gedanken, die Zusammensetzung für gleiche Gewichtsmengen des mit
+Sauerstoff verbundenen Elementes zu berechnen. Dann ergeben sich z.
+B. für die Oxyde des Zinns, auf 100 Gewichtsteile dieses Elementes
+berechnet, 13,5, bezw. 27 Gewichtsteile Sauerstoff, oder für die Oxyde
+des Stickstoffs, mit welchen *Dalton* sich vorzugsweise beschäftigte,
+auf 14 Gewichtsteile Stickstoff 8, 16, 24, 32, 40 Gewichtsteile
+Sauerstoff. Indem *Dalton* diese Mengen verglich, entdeckte er eins
+der wichtigsten Gesetze der Chemie. Es zeigte sich nämlich, daß die
+Gewichtsmengen Sauerstoff, die mit einer bestimmten Menge Zinn oder
+Stickstoff zu Oxyden zusammentreten, unter sich in einem einfachen
+Verhältnis stehen. Diese Gewichte verhalten sich nämlich wie die Zahlen
+1, 2, 3, 4, 5. Oder die in die höheren Oxydationsstufen eingehenden
+Mengen sind einfache Multipla derjenigen Menge, die in der niedersten
+Oxydationsstufe enthalten ist. *Dalton* hat diese Untersuchungen,
+die um 1802 stattfanden, mit demselben Erfolge auf die Oxyde des
+Kohlenstoffs, sowie auf die Verbindungen des Kohlenstoffs mit
+Wasserstoff ausgedehnt. Von den Kohlenstoffverbindungen analysierte
+er das kurz vorher[290] entdeckte Äthylen (C_{2}H_{4}) und das
+Grubengas (CH_{4}). Er fand, daß sich darin die mit der gleichen Menge
+Kohlenstoff verbundenen Wasserstoffmengen wie 1 : 2 verhalten.
+
+Damit war trotz der großen Mängel, welche der analytischen Chemie
+und ihren Ergebnissen um 1800 noch anhafteten, durch *Dalton* das
+zweite Fundamentalgesetz der Chemie entdeckt, das alle späteren
+Untersuchungen nur bestätigen konnten. Dies »Gesetz von den multiplen
+Proportionen« besagt, daß verschiedene Mengen eines Elementes (in dem
+letzten Beispiel Wasserstoff), die sich mit der gleich bleibenden Menge
+eines anderen (in dem letzten Beispiel Kohlenstoff) zu chemischen
+Verbindungen vereinigen, unter sich einfache Multipla sind.
+
+An die Entdeckung wichtiger Gesetze hat sich jederzeit das Bemühen
+geknüpft, eine Vorstellung über die Natur der Dinge zu gewinnen, die
+mit den entdeckten Regeln so weit in Einklang steht, daß letztere als
+eine notwendige Folge jener Vorstellung erscheinen. Diesen wichtigen
+Schritt auf der Bahn der Erkenntnis an die Auffindung des Gesetzes von
+den Multiplen angeschlossen zu haben, ist gleichfalls das Verdienst
+*Daltons*, welcher dadurch eine der Grundlagen aller seitherigen
+naturwissenschaftlichen Betrachtung schuf.
+
+»Schon die Beobachtungen über die verschiedenen Aggregatszustände,«
+sagt *Dalton*, »müssen zu dem Schlusse führen, daß alle Körper aus
+einer ungeheuren Anzahl von äußerst kleinen Teilchen oder Atomen
+bestehen, die miteinander durch eine je nach den Umständen stärkere
+oder schwächere Anziehungskraft verbunden sind.«
+
+Ob die letzten Teilchen eines Stoffes, z. B. des Wassers, alle gleich
+sind, d. h. von derselben Gestalt, demselben Gewicht usw., ist dann
+die zweite Frage. Man habe indessen, meint *Dalton*, keinen Grund,
+eine Verschiedenheit dieser Teile anzunehmen. Bestände eine solche
+z. B. beim Wasser, so müßte sie gleicherweise in den Elementen, die
+das Wasser bilden, hervortreten. Wären einige Wasserteilchen leichter
+als andere, und würde ein Teil der Flüssigkeit bei irgend einer
+Gelegenheit aus solchen leichteren Teilchen gebildet, so müßte dies
+das spezifische Gewicht des Wassers beeinflussen, ein Umstand, der
+indessen nicht bekannt sei. Ähnlich verhalte es sich mit jeder anderen
+Verbindung. Daraus müsse man schließen, daß die letzten Teilchen aller
+homogenen Stoffe in Gewicht, Gestalt usw. völlig gleich sind. Die
+Zahl dieser Teilchen könne aber keine unendliche, sondern sie müsse
+in einem gegebenen Volumen eine begrenzte sein, wie auch in einem
+gegebenen Teile des Weltalls die Zahl der Gestirne nicht unbegrenzt
+sein könne. Die chemische Synthese und Analyse besteht nach *Dalton*
+in einer Trennung und Wiedervereinigung der Atome. Neuerschaffung
+oder Zerstörung eines Stoffes sind unmöglich. »Wir können,« sagt
+*Dalton*, »ebensowohl versuchen, einen neuen Planeten dem Sonnensystem
+einzuverleiben oder einen vorhandenen zu vernichten, als ein Atom
+Wasserstoff zu erschaffen oder zu zerstören. Alle Änderungen, die wir
+hervorbringen können, bestehen in der Trennung von Atomen, die vorher
+verbunden und in der Vereinigung solcher, die vorher getrennt waren.«
+
+Aus diesen Betrachtungen ergibt sich die Aufgabe, das Gewicht der Atome
+zu bestimmen. Atomgewichte nach ihrer absoluten Größe zu ermitteln,
+war *Dalton* zwar nicht in der Lage; wohl aber versuchte er auf Grund
+gewisser Annahmen die verhältnismäßige Schwere der kleinsten Teilchen
+festzustellen. Gibt es z. B. zwischen zwei Stoffen nur eine chemische
+Verbindung, so besteht die einfachste Annahme darin, daß sie sich
+durch Aneinanderlagerung von je einem Atom des einen und je einem
+Atom des anderen Elementes gebildet habe. In diesem Falle würde das
+Mengenverhältnis mit dem relativen Gewicht der Atome übereinstimmen.
+Nach *Dalton* trifft jene Voraussetzung z. B. für Wasser und
+Ammoniak zu; es war nämlich damals nur eine Wasserstoffverbindung
+des Sauerstoffs, sowie des Stickstoffs bekannt. Unter der Annahme,
+daß diese Verbindungen sich durch Aneinanderlagerung von je zwei
+Teilchen der betreffenden Elemente bilden, ergab sich das Atomgewicht
+des Sauerstoffs = 7 und dasjenige des Stickstoffs = 5. Genauere
+Analysen würden die Werte 8 und 4,6 geliefert haben. Wir bezeichnen
+diese Mengen, die einem Gewichtsteil Wasserstoff entsprechen, als
+Äquivalentgewichte. Sie ergeben erst mit der Valenz der betreffenden
+Elemente multipliziert die Atomgewichte. So ist das Atomgewicht des
+zweiwertigen Sauerstoffs 16 (2 × 8) und dasjenige des dreiwertigen
+Stickstoffs 14 (3 × 4,6).
+
+Wie das Gesetz von der Konstanz der Gewichtsverhältnisse, so erscheint
+auch das Gesetz von den multiplen Proportionen als eine Folge der
+atomistischen Hypothese. Gibt es nämlich zwischen zwei Elementen
+mehrere Verbindungen, so wird man annehmen dürfen, daß sich je ein
+Atom des ersten Elementes mit je einem, zwei, drei Atomen des zweiten
+vereinigt. Die zweite Verbindung muß dann, weil ja die Atome unter
+sich gleich schwer sind, in bezug auf die unverändert gebliebene Menge
+des ersten Elementes die zweifache, die dritte Verbindung dagegen die
+dreifache Gewichtsmenge des zweiten Elementes besitzen. So ist das
+Kohlenoxyd eine binäre Verbindung, die aus einem Atom Sauerstoff und
+einem Atom Kohlenstoff besteht. Die ternäre[291] Kohlensäure dagegen
+besteht aus einem Atom Kohlenstoff und zwei Atomen Sauerstoff, da mit
+der gleichen Gewichtsmenge des ersten die doppelte Menge des zweiten
+Elementes verbunden ist.
+
+Ein weiterer Fortschritt bestand darin, daß *Dalton* Symbole in die
+Chemie einführte. So bezeichnete er z. B. Wasserstoff mit ⊙, Sauerstoff
+mit ⃝, Schwefel mit ⊕; Schwefelsäureanhydrid bekam das Zeichen
+⃝/⊕/⃝⃝, da jedes seiner Teilchen aus einem Atom Schwefel und drei
+Atomen Sauerstoff zusammengesetzt ist. Die heutige Bezeichnungsweise,
+Wasserstoff = H, Sauerstoff = O, Schwefel = S, Schwefelsäureanhydrid =
+SO_{3} rührt von *Berzelius* her.
+
+Die von *Dalton* ermittelten Atomgewichte waren noch sehr ungenau.
+Einige der wichtigsten sind:
+
+ Atomgewicht von nach *Dalton* richtiger Wert
+
+ Sauerstoff 7 8 (16)
+ Natrium 21 23
+ Kalium 35 39
+ Silber 100 108
+
+Für Natron und Kali, die *Dalton* in seiner Atomgewichtstafel noch als
+Elemente aufzählte, ergaben sich aus ihren Verbindungen mit Säuren
+die Zahlen 28 und 42. Nach *Davys* Entdeckung sind Natron und Kali
+Metalloxyde[292]. Natron mußte daher als eine Verbindung von einem Atom
+Metall (21) mit einem Atom Sauerstoff (7) angesehen werden, während
+Kali aus einem Atom Metall (35) und einem Atom Sauerstoff (7) bestand.
+
+Das Gesetz von den multiplen Proportionen wurde fast zur selben
+Zeit, als *Dalton* seine Theorie begründete, auch von dem Engländer
+*Wollaston* an den Salzen der Oxalsäure nachgewiesen. Daß sich die
+Oxal- oder die Kleesäure, die wir als zweibasische Säure kennen
+
+ (COOH)
+ (| ),
+ (COOH)
+
+mit einigen Basen in verschiedenen Verhältnissen verbindet, war
+schon bekannt. *Wollaston*[293] stellte sich die Aufgabe, die mit
+der gleichen Menge Basis sich verbindenden Säuremengen zu ermitteln
+und durch die Ausdehnung seiner Untersuchung auf zahlreiche Fälle
+festzustellen, ob sich in den ermittelten Zahlenverhältnissen eine
+Regelmäßigkeit, ein Gesetz, kundgibt. *Wollastons* Befunde bejahten
+diese Frage. Er wies z. B. nach, daß sich die Mengen Kleesäure, die
+sich mit der in allen drei Fällen gleichen Menge Kali verbinden, genau
+wie 1 : 2 : 4 verhalten[294].
+
+Die Abhandlung, in der *Wollaston* über seine Versuche berichtet,
+ist auch deshalb von großem Interesse, weil uns darin schon an
+der Wiege der Atomtheorie die Frage nach der räumlichen Anordnung
+der Atome begegnet, eine Frage, die später in den Mittelpunkt der
+chemischen Spekulation gerückt wurde. *Wollaston* macht nämlich bei
+der Besprechung des übersauren oxalsauren Kaliums, bei dem auf ein
+Äquivalent Kali vier Äquivalente Säure kommen, folgende Bemerkung. Wenn
+auf ein Atom der einen Art (das Wort Atom wurde damals auch für die
+kleinsten Teile der Verbindungen gebraucht) vier Atome der anderen Art
+kämen, so könne stabiles Gleichgewicht eintreten, wenn das erste Atom
+die Mitte und die vier anderen die Ecken eines regulären Tetraeders
+bildeten. *Wollaston* schuf also genau dieselbe Vorstellung, nach der
+sich der Begründer der Stereochemie, *van't Hoff*, im Grubengase die
+vier Wasserstoffatome um das vierwertige Kohlenstoffatom gruppiert
+dachte.
+
+*Wollaston* ist jedoch vorsichtig genug, die von ihm ersonnene
+geometrische Anordnung der Grundbestandteile einer Verbindung als ganz
+hypothetisch hinzustellen. Ihre Bestätigung oder Ablehnung sei erst von
+späteren Beobachtungen zu erwarten. Ja, es sei vielleicht zu kühn, zu
+hoffen, daß die geometrische Anordnung der Atome jemals bekannt sein
+werde.
+
+Nachdem die atomistische Hypothese Geltung gefunden, bestand die
+nächste Aufgabe der Experimentalchemie in einer möglichst genauen
+Bestimmung der Äquivalente. Eine solche mußte nicht nur für die Analyse
+von der größten Wichtigkeit sein, sondern auch die Grundlage für alle
+weiteren Spekulationen bilden. Galt es doch, die Frage zu entscheiden,
+ob die erhaltenen Zahlen die wahren relativen Gewichte der Atome seien
+und ob ferner, dies vorausgesetzt, sich einfache Beziehungen zwischen
+den Atomgewichten ergeben würden.
+
+Spekulationen, die sich nicht auf eine hinreichend sichere Grundlage
+stützen, haben sich fast immer als übereilt erwiesen. Dies lehrt
+auch die weitere Entwicklung der Atomtheorie. Vergleicht man die
+von *Dalton* 1803 veröffentlichte Tabelle mit der später in seinem
+»neuen Systeme« mitgeteilten, so muß auffallen, daß die hier gegebenen
+Atomgewichte durchweg ganze Zahlen sind, während die Tabelle vom
+Jahre 1803, abgesehen von dem als Einheit geltenden Atomgewicht des
+Wasserstoffs, solche überhaupt nicht enthält.
+
+So lauten seine Verhältniszahlen:
+
+ 1803 1808
+
+ für Wasserstoff 1 1
+ " Stickstoff 4,2 5
+ " Kohlenstoff 4,3 5
+ " Sauerstoff 5,5 7
+ " Phosphor 7,2 9
+
+Diesen Abrundungen wurde durch den Engländer *Prout*, der sich um die
+Experimentalchemie kaum verdient gemacht hat, eine reale Bedeutung
+beigelegt. *Prout* nahm an, daß die wahren Atomgewichte ganze Zahlen
+und daß die Abweichungen, welche die Analyse ergibt, auf Fehler
+zurückzuführen seien. Auf Grund dieser irrigen Voraussetzung, die
+lediglich aus der weitgehenden Unsicherheit der analytischen Ergebnisse
+entsprang, führte *Prout* sämtliche Elemente auf den Wasserstoff
+als Urmaterie zurück. Die Atome der Grundstoffe sollten sich durch
+Aneinanderlagern einer verschieden großen Zahl von Wasserstoffatomen
+gebildet haben, woraus dann notwendig folgen würde, daß die
+Atomgewichte einfache Multipla desjenigen von Wasserstoff sind. Diese
+Hypothese *Prouts*, in der man zuerst das wahre Grundgesetz der Chemie
+erblicken wollte, ließ sich mit den späteren Ergebnissen der Analyse
+jedoch nicht vereinigen. Sie hat aber das Gute im Gefolge gehabt, daß
+sie zu immer schärferen Bestimmungen der Atomgewichte anregte. Der
+Mann, der sich dieser Aufgabe besonders unterzog, weil er erkannt
+hatte, daß über den Wert oder Unwert einer Hypothese nur die Tatsachen
+entscheiden können, war *Berzelius*.
+
+*Johann Jakob Berzelius*[295] wurde am 29. August des Jahres 1779 als
+Sohn eines Lehrers in Schweden geboren. Er studierte unter manchen
+Entbehrungen in Upsala Medizin und Chemie. Seine ersten Arbeiten
+betrafen die Analyse einer Heilquelle und die Wirkung der damals soeben
+entdeckten galvanischen Elektrizität auf chemische Verbindungen. Seit
+dem Jahre 1807 bekleidete *Berzelius* eine Lehrstelle für Chemie und
+Pharmazie an der medizinischen Schule in Stockholm. Einige Jahre später
+wurde er zum Präsidenten der dortigen Akademie der Wissenschaften
+ernannt. *Berzelius*[296] hat wie kein anderer ausländischer Forscher
+die Entwicklung der Chemie in Deutschland beeinflußt. *Mitscherlich*,
+*Heinrich* und *Gustav Rose*, *Magnus*, *Wöhler* und viele andere
+haben in seinem Laboratorium gearbeitet und zwar zu einer Zeit, als
+wissenschaftliche Werkstätten in Deutschland noch kaum anzutreffen
+waren. Selbst in dem Laboratorium, das *Berzelius* eingerichtet hatte,
+waren die zum Forschen nötigen Hilfsmittel noch so unvollkommen
+und spärlich, daß man kaum begreift, wie *Berzelius* zu der ihm
+nachzurühmenden Genauigkeit seiner Ergebnisse gelangen konnte. Mit
+den deutschen Forschern blieb *Berzelius* in engster persönlicher und
+wissenschaftlicher Fühlung. Davon zeugen seine wiederholten Besuche
+in Deutschland und vor allem der ausgedehnte Briefwechsel, den er mit
+*Wöhler* unterhielt[297].
+
+*Berzelius* starb am 7. August des Jahres 1848. Seine Verdienste um
+die gesamte Chemie und um die Mineralogie sind ganz hervorragend. Sie
+müssen aber zum größten Teil an anderer Stelle betrachtet werden.
+Hier fesselt nur seine Mitarbeit an dem Ausbau der Atomtheorie, in
+deren experimenteller Begründung *Berzelius* seine wichtigste Aufgabe
+erblickte. »Ich überzeugte mich bald durch neue Versuche,« sagt
+er[298], »daß *Daltons* Zahlen die Genauigkeit fehlte, die für die
+praktische Anwendung seiner Theorie erforderlich war. Ich erkannte, daß
+zuerst die Atomgewichte einer möglichst großen Zahl von Grundstoffen,
+vor allem der gewöhnlichen, mit möglichster Genauigkeit ermittelt
+werden müßten. Ohne eine solche Arbeit konnte auf die Morgenröte kein
+Tag folgen. Es war dies damals der wichtigste Gegenstand der chemischen
+Forschung, und ich widmete mich ihm in rastloser Arbeit. Nach
+zehnjährigen Mühen konnte ich im Jahre 1818 eine Tabelle herausgeben,
+die nach meinen Versuchen berechnete Atomgewichte und Angaben über die
+Zusammensetzung von etwa 2000 Verbindungen enthält.«
+
+Einige Werte aus dieser Tabelle mögen dem Leser einen Begriff von der
+Genauigkeit der *Berzelius*schen Untersuchungen geben[299].
+
+ Kohlenstoff 12,12 (11,97),
+ Sauerstoff 16,00 (15,96),
+ Schwefel 32,3 (31,98),
+ Stickstoff 14,18 (14,00),
+ Chlor 35,47 (35,4),
+ Blei 207,4 (207),
+ Kupfer 63,4 (63,3).
+
+Es möge hier in aller Kürze gezeigt werden, wie *Berzelius* die
+Gewichtsverhältnisse und das Gesetz von den multiplen Proportionen
+an den drei Oxyden des Bleis nachwies. 10 g Blei wurden in reiner
+Salpetersäure aufgelöst[300]. Die Lösung wurde in einen abgewogenen
+Kolben gegossen und eingedampft. Der Rückstand wurde geglüht. Es
+entstanden 10,78 g Bleioxyd[301]. Es würden somit 100 Teile Blei, um
+sich in Bleiglätte (Bleioxyd) zu verwandeln, 7,8 Teile Sauerstoff
+aufnehmen. Für die Mennige ergab ein umständliches Verfahren, daß sie
+aus 100 Teilen Blei und 11,07 Teilen Sauerstoff zusammengesetzt ist.
+Durch Behandeln von Mennige mit Salpetersäure stellte *Berzelius*
+eine dritte Bleiverbindung, das braune Bleioxyd, her[302]. Fünf
+Gramm braunes Bleioxyd, das durch Auswaschen von allem anhängenden
+salpetersauren Blei befreit und getrocknet war, wurde in einem
+gewogenen Platintiegel geglüht. Es verlor dadurch 0,325 g Sauerstoff.
+Die rückständigen 4,675 g gelbes Oxyd hinterließen beim Auflösen in
+Essig schwefelsaures Blei und Kieselerde, die geglüht 0,13 g wogen.
+Die übrigen 4,545 g gelbes Oxyd enthielten 0,33 g Sauerstoff oder bis
+auf 0,005 g das nämliche, was das braune Oxyd durch Glühen verloren
+hatte. Es nehmen also 100 Teile Blei, um sich in braunes Oxyd zu
+verwandeln, doppelt so viel Sauerstoff auf, als sich im gelben Bleioxyd
+befindet[303].
+
+Auf die Erforschung der Gewichtsverhältnisse und der darin sich
+aussprechenden Gesetzmäßigkeiten wurde *Berzelius*, bevor er mit
+*Daltons* Theorie bekannt geworden war, schon durch das Studium der
+halb vergessenen Schriften des deutschen Chemikers *Richter* geführt.
+*Richter* hatte um 1790 die Lehre von den chemischen Proportionen
+durch seine an früherer Stelle[304] erwähnten Untersuchungen über
+die Gewichtsverhältnisse, nach denen Säuren und Basen in Verbindung
+treten, begründet. *Berzelius* erkannte die Wichtigkeit dieser Arbeit
+und bemühte sich, durch die möglichst genaue Analyse einiger Salze die
+Zusammensetzung anderer Salze, die aus den ersteren hergestellt werden
+können, abzuleiten. Er hatte nämlich im Anschluß an *Richter* gezeigt,
+daß für alle Salze derselben Säure das Verhältnis der in der Basis und
+in der Säure enthaltenen Sauerstoffmengen konstant ist[305].
+
+Für die atomistische Auffassung wichtig war auch der von *Berzelius*
+geführte Nachweis, daß das schwefelsaure Eisen (FeSO_{4}) die Elemente
+Schwefel und Eisen genau in dem gleichen Verhältnis enthält, in welchem
+sie das Schwefeleisen (FeS) zusammensetzen.
+
+Das wichtigste Ergebnis der Untersuchungen von *Berzelius*, die mit
+zahlreichen Verbesserungen der bestehenden Methoden, sowie mit der
+Erfindung mancher neuen analytischen Methode Hand in Hand gingen,
+war die durchgängige Bestätigung des Gesetzes von den multiplen
+Proportionen und der Nachweis, daß die *Prout*sche Hypothese sich
+nicht mit den Tatsachen vereinigen läßt.
+
+Durch das in vorstehendem betrachtete Lebenswerk eines *Lavoisier*,
+*Dalton* und *Berzelius*, sowie die Bemühungen zahlreicher anderen
+Forscher hatte die Chemie im Verlauf von wenigen Jahrzehnten eine neue
+Gestalt und eine sichere Grundlage für ihre Fortentwicklung gewonnen;
+sie war der Physik als ebenbürtig an die Seite getreten. Auch hatten
+die Beziehungen zwischen diesen beiden Wissenschaften eine stete
+Vermehrung gefunden, insbesondere seitdem man die Elektrizität als
+chemisch wirksame Kraft kennen gelernt hatte. Bevor wir den weiteren
+Verlauf der chemisch-physikalischen Forschung betrachten, ist es
+deshalb erforderlich, die mit der Begründung des antiphlogistischen
+Systems und der Aufstellung der Atomtheorie zusammenfallende großartige
+Erweiterung, welche die Elektrizitätslehre durch *Galvani* und *Volta*
+erfuhr, ins Auge zu fassen.
+
+
+
+
+12. Die Entdeckung der galvanischen Elektrizität.
+
+
+Neben der seit alters bekannten Elektrizitätserregung durch
+Reiben hatte das 18. Jahrhundert das Auftreten von Elektrizität
+durch Wärmezufuhr, sowie infolge atmosphärischer Vorgänge kennen
+gelernt[306]; auch hatte man die elektrische Natur der von dem
+Zitterrochen ausgehenden Wirkung entdeckt. Zu diesen vier Arten
+gesellte sich jetzt eine fünfte, die Berührungs- oder die galvanische
+Elektrizität, mit der man gegen den Schluß des 18. Jahrhunderts bekannt
+wurde, während der Ausbau der Lehre vom Galvanismus wohl als die
+wichtigste Tat des 19. Jahrhunderts anzusehen ist.
+
+Daß die bloße Berührung zweier Metalle eine eigentümliche, später
+als elektrisch erkannte Wirkung hervorruft, wurde zum erstenmal um
+das Jahr 1750 von einem Deutschen namens *Sulzer*[307] beobachtet.
+Dieser brachte die Spitze seiner Zunge zwischen ein Stück Blei und
+ein Stück Silber, die sich mit ihren Rändern berührten. Dabei nahm
+er eine prickelnde, an den Geschmack des Eisenvitriols erinnernde
+Empfindung wahr, die Blei oder Silber für sich nicht hervorzubringen
+vermögen[308]. Es sei doch nicht wahrscheinlich, meint *Sulzer*, daß
+bei der Berührung jener beiden Metalle eine Auflösung vor sich gehe.
+Man müsse vielmehr schließen, daß diese Vereinigung eine zitternde
+Bewegung der Teilchen verursache, welche die Nerven der Zunge anrege
+und dadurch den erwähnten Geschmack hervorbringe.
+
+Später wurde der Versuch in folgender Weise abgeändert. Man nahm einen
+Becher aus Zinn oder Zink, stellte ihn auf einen silbernen Fuß und
+füllte ihn mit Wasser. Wenn nun jemand die Spitze der Zunge ans Wasser
+brachte, fand er es völlig geschmacklos, solange er den silbernen Fuß
+nicht berührte. Sobald er diesen aber zwischen die benetzten Hände
+preßte, empfand die Zunge einen deutlichen Geschmack.
+
+[Illustration: Abb. 30. *Galvanis* Versuche an Froschschenkeln.]
+
+Da die Beobachtung *Sulzers* ganz vereinzelt blieb, ging es ihr,
+wie es in solchen Fällen meist zu gehen pflegt, sie wurde nicht
+beachtet und schließlich vergessen, bis die weitere Entwicklung der
+Wissenschaft ein Zurückgreifen auf jene Entdeckung erforderlich
+machte. Die eigentliche Erforschung der Berührungselektrizität beginnt
+mit der zufällig gemachten Beobachtung, daß ein frisch präparierter
+Froschschenkel jedesmal in Zuckungen gerät, wenn in seiner Nähe eine
+elektrische Entladung stattfindet. *Galvani* hatte jenes Verhalten
+des Froschschenkels um das Jahr 1780 kennen gelernt. Daß an toten
+Tieren Zuckungen der Muskeln unter dem unmittelbaren Einfluß von
+elektrischen Entladungen eintreten, war zwar längst bekannt; auch
+hatte man bemerkt, daß ein Zitterrochen leblose Fische zu Bewegungen
+veranlaßt. Was *Galvanis* Erstaunen hervorrief, war indes der Umstand,
+daß jene Zuckungen eintraten, ohne daß eine Verbindung zwischen der
+Elektrisiermaschine und dem Froschpräparat vorhanden war.
+
+*Galvani* präparierte einen Frosch, wie es in Abb. 30 Fig. 2
+dargestellt ist, und legte ihn auf einen Tisch, auf dem eine
+Elektrisiermaschine stand. Als darauf die eine von den Personen, die
+ihm zur Hand gingen, mit der Spitze eines Messers die Schenkelnerven
+DD des Frosches zufällig ganz leicht berührte, zogen sich alle
+Muskeln an den Gelenken derartig zusammen, als wären sie von heftigen
+Krämpfen befallen. Dies geschah, während dem Konduktor der Maschine ein
+Funke entlockt wurde.
+
+Wir haben es in dieser Erscheinung noch nicht mit einer Wirkung
+der Berührungselektrizität zu tun, sondern mit einem sogenannten
+Rückschlag. Ein solcher besteht darin, daß die infolge des Ladens
+der Maschine in dem Schenkel stattfindende elektrische Verteilung in
+dem Augenblicke des Entladens eine Änderung erfährt. Die elektrische
+Verteilung, sowie ihr Ausgleich tritt bei größerer Entfernung von dem
+Konduktor der Elektrisiermaschine nur dann in hinreichendem Maße ein,
+wenn der Schenkel mit der Erde in leitender Verbindung steht, was bei
+dem Versuch *Galvanis* durch eine anfangs zufällige, nachher jedoch
+absichtlich herbeigeführte Berührung des Schenkels mit einem leitenden
+Gegenstand bewirkt wurde (s. Abbildung 30). Das Erstaunen, in das
+*Galvani* über seine Beobachtung geriet, ist der erste Schritt zu einer
+fast endlosen Reihe der wichtigsten Entdeckungen gewesen. »Ich wurde«,
+sagt er, »von einem unglaublichen Eifer entflammt, dasjenige ans Licht
+zu ziehen, was hinter dieser Erscheinung verborgen war[309].« Bevor
+wir jedoch *Galvani* auf seinem Wege folgen, wollen wir uns einige
+Augenblicke mit dem Leben dieses Mannes beschäftigen, dessen Glück und
+Verdienst der Wissenschaft ein neues, großes Gebiet erschließen sollte.
+
+*Aloisio Galvani* wurde am 9. September 1737 in Bologna geboren. Er
+studierte an der Universität seiner Vaterstadt Medizin und heiratete
+die Tochter eines der dortigen Professoren, der legendenhafte Berichte
+einen hervorragenden, wenn nicht gar den Hauptanteil an der Entdeckung
+des Galvanismus zugeschrieben haben[310]. Die ersten wissenschaftlichen
+Arbeiten *Galvanis* betrafen das Gebiet der Anatomie. Seit dem Jahre
+1775 sehen wir ihn in Bologna eine Professur für dieses Fach bekleiden.
+Seine Versuche über die Wirkung der Elektrizität auf Froschschenkel
+begannen im Jahre 1780. *Galvani* führte darüber zunächst nur ein
+Tagebuch. Erst ein Jahrzehnt später vereinigte er die Ergebnisse seiner
+Untersuchungen zu einer Abhandlung über die Wirkung der Elektrizität
+auf die Muskelbewegung[311].
+
+Nachdem *Galvani* die Wirkung des Entladens auf einen in der Nähe der
+Elektrisiermaschine befindlichen Froschschenkel nachgewiesen, suchte
+er festzustellen, ob sich das gleiche, ihm zunächst ganz unerklärliche
+Phänomen auch durch den Einfluß der atmosphärischen Elektrizität
+hervorrufen lasse. Die hierauf bezüglichen Versuche sind im zweiten
+Teile jener Abhandlung vom Jahre 1791 beschrieben. Die präparierten
+Frösche, sowie Schenkel von Warmblütern wurden bei einem Gewitter
+an den Nerven aufgehängt, während ein Eisendraht die Füße mit der
+Erde verband. Die erwartete Wirkung blieb nicht aus. In demselben
+Augenblick, in welchem der Schein eines Blitzes das Auge traf, gerieten
+die Muskeln in lebhafte Zuckungen.
+
+»Nachdem wir die Kräfte der Gewitterelektrizität kennen gelernt
+hatten, brannte unser Herz vor Begierde, auch die Macht der täglichen
+ruhigen Elektrizität der Atmosphäre zu erforschen.« Mit diesen
+Worten beginnt *Galvani* den dritten Teil seiner Schrift, in dem wir
+mit den Erscheinungen der nach ihm benannten, ganz neuen Art der
+Elektrizitätserregung vertraut gemacht werden.
+
+Da *Galvani* bemerkt hatte, daß präparierte Frösche, die an einem
+Eisengitter an Messinghaken aufgehängt waren, nicht nur beim Gewitter,
+sondern auch bei heiterem Himmel gelegentlich in Zuckungen verfielen,
+so meinte er, die Ursache dieser Zuckungen sei in Veränderungen der
+atmosphärischen Elektrizität zu suchen. Deshalb beobachtete er zu
+verschiedenen Stunden des Tages passend hergerichtete Tiere. Aber nur
+selten trat eine Bewegung in den Muskeln ein. Schließlich drückte er,
+des Wartens müde, die Haken, die in dem Rückenmark befestigt waren,
+gegen das eiserne Gitter. Dabei beobachtete er häufig Zuckungen, die er
+zunächst der atmosphärischen Elektrizität zuzuschreiben geneigt war.
+
+Als er das Tier in das geschlossene Zimmer gebracht, auf eine
+Eisenplatte gelegt und den im Rückenmark befindlichen Messinghaken
+gegen die Eisenplatte zu gedrückt hatte, bemerkte er die gleichen
+Zuckungen.
+
+Jetzt erkannte er, daß es sich hier um ein ganz neues, unerwartetes
+Phänomen handelt, das mit den Änderungen der atmosphärischen
+Elektrizität in gar keinem Zusammenhange steht. *Galvani* änderte
+darauf den Versuch in der Weise ab, daß er den Frosch auf eine die
+Elektrizität nicht leitende Glasplatte legte und den Messinghaken
+mit den Füßen des Tieres verband. Bestand die Verbindung aus einem
+Metall, so traten Zuckungen ein, während sie bei Anwendung einer
+nicht leitenden Substanz ausblieben. Mit den von *Galvani* ersonnenen
+Abänderungen dieses Fundamentalversuches macht uns die dritte Figur
+seiner Abhandlung (Abb. 31) bekannt.
+
+Von besonderem Interesse ist das elektrische Froschpendel, das
+*Galvani* in der Figur 11 (s. S. 194) abbildet und folgendermaßen
+beschreibt: »Der Frosch wird an einem Beine in die Höhe gehalten, so
+daß der in dem Rückenmark befestigte Haken eine Silberplatte berührt,
+das andere Bein aber frei auf der Platte gleiten kann. Sowie dies Bein
+die Platte berührt, werden die Muskeln zusammengezogen, wodurch sich
+das Bein hebt. Bald aber erschlaffen die Muskeln von selbst, das Bein
+sinkt und kommt wieder mit der Platte in Berührung. Infolgedessen wird
+es wieder hochgehoben und fährt so fort, sich zu heben und zu senken,
+so daß es einem elektrischen Pendel gleicht.« Die Platte dient dabei
+gewissermaßen als Bogen, der den Kreislauf der Elektrizität ermöglicht,
+wenn das Bein auf die Platte niederfällt, für den Kreislauf aber nicht
+mehr vorhanden ist, wenn das Bein sich von der Platte entfernt hat.
+
+Für die merkwürdige Erscheinung selbst gab es nur zwei Erklärungen.
+Entweder war sie in dem Wesen des tierischen Organismus begründet,
+oder es handelte sich um einen auf die Berührung der Metalle
+zurückzuführenden elektrischen Vorgang, bei dem der Froschschenkel
+nur die Rolle eines empfindlichen Elektroskopes spielt. *Galvani*
+entschied sich für die erstere Ansicht, indem er die beschriebenen
+Erscheinungen als Betätigungen einer tierischen Elektrizität
+auffaßte. Diese sollte vom Gehirn aus durch die Nerven dem Muskel
+zufließen. Letzteren verglich er mit der Leydener Flasche, indem er
+sich vorstellte, daß die Oberfläche und das Innere eines Muskels
+entgegengesetzt geladen seien. Brachte man demgemäß den Nerven, als den
+Konduktor dieser Flasche, mit der Oberfläche eines Muskels, die dem
+äußeren Belag entsprechen sollte, in leitende Verbindung, so fand eine
+Entladung statt, als deren Folge die Zusammenziehung der Muskelsubstanz
+aufgefaßt wurde.
+
+[Illustration: Abb. 31. Zuckungen der Froschschenkel bei der Berührung
+mit verschiedenartigen Metallen. (Aus *Galvanis* Abhandlung über die
+Kräfte der Elektrizität.)
+
+ Fig. 9. _A_ Stanniolblatt über der Wirbelsäule des präparierten
+ Frosches.
+ _BB_ Die Tierschenkel.
+ _C_ Ein anderes Metallblatt aus Messing.
+ _D_ Ein eherner mit Silber überzogener Bogen.
+ _F_ Glasplatte, auf welcher das Tier liegt.
+
+ Fig. 10. _AA_ Zwei Bogen, die in den Zylinder B aus Glas oder Harz
+ gesteckt sind.
+ _C_ Ein mit dem Rückenmark verbundener Haken.
+
+ Fig. 11. Ein präparierter Frosch, der an einem Bein aufgehängt wird,
+ während das andere samt dem mit dem Rückgrat verbundenen Haken
+ die Fläche der silbernen Kapsel E berührt.
+
+ Fig. 12. _FF_ Zwei Metallbögen, der eine aus Kupfer, der andere aus
+ Silber.
+
+ Fig. 13. _GG_ Metallkonduktoren, von denen der eine mit der oberen, der
+ andere mit der unteren Belegung des Quadrates in Verbindung
+ steht.
+ _H_ Nerven, die so über den Rand des Quadrates hingestreckt
+ sind, daß sie zugleich mit dem Rückenmark die untere Belegung
+ berühren.
+
+ Fig. 14. _K_ Eine mit verschiedenen Flüssigkeiten anzufüllende Glasröhre.
+
+ Fig. 15. Schenkel, voneinander getrennt.
+
+ Fig. 16. Schenkel, voneinander getrennt, samt dem in zwei Teile
+ gespaltenen Rückgrat.
+
+]
+
+Natürlich erregten *Galvanis* Versuche und seine Lehre, die zunächst
+allgemeine Anerkennung fand, das größte Aufsehen. »Der Sturm, den
+das Erscheinen von *Galvanis* Abhandlung in der Welt der Physiker,
+der Physiologen und Ärzte erregte«, sagt ein hervorragender
+Geschichtsschreiber des Galvanismus[312], »kann nur mit demjenigen
+verglichen werden, der zur selben Zeit am politischen Horizont Europas
+heraufzog. Wo es Frösche gab und wo sich zwei Stücke ungleichartigen
+Metalls erschwingen ließen, wollte jedermann sich von der wunderbaren
+Wiederbelebung der verstümmelten Gliedmaßen durch den Augenschein
+überzeugen.«
+
+*Galvanis* wissenschaftliche Tätigkeit hatte mit dem Erscheinen
+seiner »Abhandlung über die Kräfte der Elektrizität« ihren Höhepunkt
+erreicht. Die Führung auf dem neu erschlossenen Gebiete übernahm jetzt
+*Alessandro Volta*, während sich *Galvani* darauf beschränkte, seine
+Theorie gegen die ihr von *Volta* bereiteten Angriffe zu verteidigen.
+Die letzten Lebensjahre verbrachte *Galvani* in einem Zustande tiefster
+Niedergeschlagenheit, den der Tod der Gattin und die Amtsentsetzung
+herbeigeführt hatten. Letztere erfolgte, weil *Galvani* sich weigerte,
+den bei der Gründung der cisalpinischen Republik von ihm geforderten,
+seiner Überzeugung zuwiderlaufenden Eid zu leisten. Er starb am 4.
+Dezember 1798. Die Erfindung der *Volta*schen Säule, welche den
+gänzlichen Untergang der älteren Theorie herbeiführte, sollte er nicht
+mehr erleben.
+
+*Alessandro Volta* wurde am 18. Februar 1745 zu Como geboren. Fast
+30 Jahre alt, wurde er Professor der Physik an dem Gymnasium seiner
+Vaterstadt. In derselben Eigenschaft berief man ihn fünf Jahre später
+an die Universität Padua, wo er bis zum Jahre 1819 wirkte. Die letzte
+Zeit seines Lebens verbrachte *Volta* in der Zurückgezogenheit; er
+starb am 5. März des Jahres 1827 in Como.
+
+Als *Galvanis* berühmte Abhandlung erschien, hatte *Volta*, der während
+der ersten Zeit seiner wissenschaftlichen Laufbahn mit Vorliebe das
+Verhalten der Gase untersuchte, sich schon hervorragende Verdienste
+um die Elektrizitätslehre erworben. In dem Kondensator, den er mit
+dem Strohhalmelektrometer verband, hatte er ein Mittel zum Nachweis
+geringer Elektrizitätsmengen ersonnen[313], das bei der späteren
+Untersuchung der kontaktelektrischen Phänomene von größtem Werte sein
+sollte. Die Royal Society hatte ihn dafür zu ihrem Mitgliede ernannt
+und ihn durch die Verleihung einer Medaille ausgezeichnet.
+
+Über sein Elektrometer macht *Volta* folgende Angaben. Es sei von
+großer Bedeutung, daß man die früheren Elektrometer ändere und an
+Stelle der feinen Metalldrähte zwei sehr feine und trockene Strohhalme
+von etwa 2 Zoll Länge anwende, die man mittelst kleiner Ringe sehr
+beweglich aufhängen müsse. Diese Halme müßten sich im unelektrischen
+Zustande ihrer ganzen Länge nach berühren.
+
+Anfangs war auch *Volta* von der Richtigkeit der Ansichten *Galvanis*
+überzeugt. Die Zuckungen, meinte er, müßten von dem Mißverhältnis
+herrühren, das zwischen der Elektrizität des Muskels und jener des
+Nerven bestehe. Die metallische Verbindung habe nur die Aufgabe,
+das Gleichgewicht wiederherzustellen. Einige Jahre später erkannte
+er jedoch, daß von einem Vergleich des Muskels mit der Leydener
+Flasche nicht die Rede sein könne. Der Froschschenkel geriet nämlich
+auch in Zuckungen, wenn ein elektrischer Ausgleich lediglich durch
+den Nerven hindurch erfolgte und die Muskeln gänzlich außerhalb
+des leitenden Kreises blieben. Ähnlich wie bei dem von *Sulzer*
+herrührenden Versuch[314] gelang es *Volta*, durch Anlegen von zwei
+verschiedenartigen Metallstücken an Mund und Auge nicht nur eine
+Geschmackserregung, sondern auch Lichtempfindung hervorzurufen.
+
+Diesen fundamentalen Versuch, der bewies, daß der Einfluß einer
+elektrischen Entladung nicht nur Zuckungen, sondern auch eine Erregung
+der Empfindungsnerven hervorrufen kann, stellte *Volta* folgendermaßen
+an. Ein breites Stück Zinnfolie wurde auf die Zungenspitze gelegt.
+Auf den Rücken der Zunge wurde eine Silbermünze gebracht. Beide
+Metalle brachte *Volta* vermittelst eines Kupferdrahtes in Verbindung.
+Er empfand dann einen stark sauren Geschmack. Wenn der Kupferdraht
+vermieden wurde und nur Silber und Zinn zur Anwendung kamen, war das
+Ergebnis dasselbe. *Volta* erzielte dies[315], indem er keine Münze,
+sondern einen silbernen Löffel nahm, diesen auf den Rücken der Zunge
+legte und mit dem Stiel das Stanniolblatt, das auf der Zungenspitze
+lag, berührte.
+
+Daß sich eine Lichtempfindung durch galvanische Elektrizität
+hervorrufen läßt, wies *Volta* nach, indem er den Schließungsbogen
+aus verschiedenen Metallen mit der Stirn und dem Gaumen in Berührung
+brachte. Das Auge empfand dann im Augenblicke der Berührung einen
+hellen Schein.
+
+Auf diese Weise gewann in *Volta* die Vorstellung immer mehr an Raum,
+daß man es in den Metallen nicht mit bloßen Leitern, sondern mit
+den eigentlichen Erregern der Elektrizität zu tun habe. Im Anschluß
+an die Schilderung der soeben erwähnten physiologischen Versuche
+gelangte *Volta* daher um 1792 zu einer Änderung seiner ursprünglichen
+Ansichten[316]. Es sei klar, meinte er, daß bei diesen Versuchen
+die Nerven nur erregt würden und daß die Ursache des elektrischen
+Stromes, der diese Erregung veranlasse, in den Metallen selbst zu
+suchen sei. »Sie sind«, sagt er, »im eigentlichen Sinne die Erreger der
+Elektrizität, während die Nerven selbst passiv sind.« Zur selben Zeit
+machte *Volta* die wichtige Entdeckung, daß die Kohle bei galvanischen
+Versuchen an Stelle eines Metalles gebraucht werden kann. »Ich habe«,
+sagte er[317], »gefunden, daß Holzkohle, die schon früher als ein guter
+Leiter bekannt war, wenig oder gar nicht den Metallen nachsteht und
+sich auch darin wie diese verhält, daß sie ein Erreger der Elektrizität
+ist.«
+
+In einer Schrift vom Jahre 1794 bekennt sich *Volta* offen als Gegner
+der Lehre von der tierischen Elektrizität. Er braucht für die hierher
+gehörigen Erscheinungen fortan das Wort metallische Elektrizität. Die
+ganze Wirkung rühre von den Metallen her, die irgend einen feuchten
+Körper berühren. Die Elektrizität werde dadurch in einen Kreislauf
+gebracht. Gehe der Strom durch Nerven, die noch einen Rest von Leben
+besäßen, so würden die den Nerven gehorchenden Muskeln dadurch in
+Zuckungen versetzt. Diese Bewegungen und die beschriebenen Geschmacks-
+und Lichtempfindungen fand *Volta* bei seinem unausgesetzten,
+mühevollen Forschen je nach der Natur der angewandten Metalle sehr
+verschieden. Die Wirkungen waren um so lebhafter, je weiter die Metalle
+in folgender, von *Volta* 1799 aufgestellten Reihe[318] voneinander
+abstehen:
+
+ Zink,
+ Zinn,
+ Blei,
+ Eisen,
+ Kupfer,
+ Platin,
+ Gold,
+ Silber,
+ Graphit,
+ Holzkohle.
+
+Diese erste Spannungsreihe wurde bald darauf um zahlreiche Glieder
+vermehrt, indem auch Mineralien, wie Schwefelkies, Bleiglanz,
+Kupferkies, in sie eingefügt wurden.
+
+*Volta* suchte darauf der Mitwirkung von Nerv und Muskel gänzlich zu
+entraten. Er brachte die Metalle mit allen möglichen feuchten Stoffen,
+wie Papier, Tuch usw. in Berührung. Um den hierbei eintretenden
+elektrischen Ausgleich, der sich bisher in den Zuckungen der Muskeln
+geltend gemacht hatte, unzweifelhaft darzutun, bediente er sich
+eines Kondensators, mit dem sich die geringsten Elektrizitätsmengen
+nachweisen ließen.
+
+Auf die Konstruktion des als elektrischer Ansammlungsapparat dienenden
+Kondensators war *Volta* durch fortgesetzte Untersuchungen am
+Elektrophor gekommen. Schon in seiner ersten Schrift vom Jahre 1769
+befaßte er sich mit der elektrischen Anziehung. In einer Abhandlung
+vom Jahre 1771 beschreibt er unter dem Namen elettroforo perpetuo den
+Apparat, der auch heute noch in derselben Ausführung als Elektrophor
+bekannt ist. Er besteht aus einer Metallschale, aus dem Kuchen, d. i.
+eine Scheibe von nichtleitender Substanz (Harz, Pech) und aus einer
+an isolierenden seidenen Schnüren befestigten Metallplatte (Abb. 33).
+Um den Kuchen zu erhalten, schmolz *Volta* drei Teile Terpentin, zwei
+Teile Harz und einen Teil Wachs zusammen. Wie die Elektrisiermaschinen,
+so erreichten auch die Elektrophore im 18. Jahrhundert riesige Ausmaße
+(bis zu 7 Fuß Durchmesser). Die Wirkungsweise des Elektrophors
+besteht darin, daß die dem Kuchen mitgeteilte Elektrizität durch
+Influenz auf den Deckel wirkt und daß die abgestoßene Elektrizität des
+letzteren durch kurze Berührung entfernt wird. In seiner Wirkungsweise
+stimmt, wie *Wilke* dargetan[319], somit das Elektrophor mit der
+*Franklin*schen Tafel überein[320].
+
+[Illustration: Abb. 32. *Voltas* Kondensator.]
+
+[Illustration: Abb. 33. *Voltas* Elektrophor.]
+
+Ausgehend vom Elektrophor gelangte *Volta* im Jahre 1782
+zur Konstruktion des von ihm als Kondensator bezeichneten
+Ansammlungsapparats. Der Kondensator ist im Grunde genommen ein
+Elektrophor mit äußerst dünner Harzschicht an Stelle des bislang
+gebrauchten dicken Harzkuchens. Wurde auf diese dünne Harzschicht
+ein Deckel gelegt und dieser dann mit einer sehr schwachen
+Elektrizitätsquelle, z. B. einer schon entladenen Flasche in Berührung
+gebracht, an welcher durch andere Mittel keine Elektrizität mehr
+nachgewiesen werden konnte, so war der Deckel nach dem Abheben deutlich
+elektrisch geworden. Aus diesem Grunde bezeichnete *Volta* den neuen
+Apparat als Kondensator. Es war von Wichtigkeit, die Harzschicht vor
+Beginn jedes Versuches wieder vollständig zu entladen. Bei der Lösung
+dieser Aufgabe entdeckte schon *Volta* eine wichtige Beziehung zwischen
+der Elektrizität und dem Lichte. Er fand nämlich, daß die Entladung
+sich rasch und vollständig bewirken ließ, wenn er die Harzschicht in
+die Sonne stellte[321].
+
+Aus den Bemühungen *Voltas* ging der Kondensator schließlich in der
+Form hervor, wie er noch heute gebraucht wird. Es wurden nämlich zwei
+gleiche Metallplatten, von denen die eine direkt mit dem Elektroskop
+verbunden ist, mit einer möglichst gleichmäßigen, dünnen Firnisschicht
+überzogen (Abb. 32). Die Wirkung dieses Apparates ergibt sich aus den
+von *Aepinus* und *Wilke* entdeckten Influenzgesetzen. Der oberen
+Platte wird z. B. positive Elektrizität mitgeteilt. Legt man sie dann
+auf die untere Platte, von welcher sie durch die doppelte Firnisschicht
+getrennt ist, so wird sich auf dem der oberen Platte zugewandten Teile
+der unteren Platte negative, auf dem abgewandten positive Elektrizität
+befinden. Letztere wird abgeleitet. Hebt man dann die obere, auch wohl
+Kollektor genannte Platte ab, so breitet sich die negative Elektrizität
+über die ganze untere Scheibe, die Kondensatorscheibe, aus. Durch
+häufigere Wiederholung dieses Verfahrens läßt sich die Ansammlung der
+negativen Elektrizität auf der unteren Platte und die Wirkung auf das
+mit dieser Platte verbundene Elektroskop erheblich steigern.
+
+Erst diese Vorversuche setzten *Volta* in den Stand, seinen berühmten
+Fundamentalversuch der Kontaktelektrizität anzustellen. Letzterer
+bestand darin, daß man das Auftreten entgegengesetzter Elektrizitäten
+durch die bloße Berührung zweier Metalle bewirkte, ohne dazu einer
+feuchten Zwischensubstanz, sei letztere animalisch oder nicht, zu
+bedürfen. *Volta* beschreibt diesen Versuch, zu dem er nichts weiter
+benötigte als Platten von verschiedenen Metallen mit isolierenden
+Handhaben, einen Kondensator und ein Elektrometer mit Streifen vom
+feinsten Blattgold, mit folgenden Worten[322]: »Bringt man die
+miteinander in Berührung gewesenen Platten an das sehr empfindliche
+Elektrometer, so werden die Goldblättchen etwas auseinandergehen und
+dadurch einige Elektrizität anzeigen, die positiv oder negativ sein
+wird, je nach der Natur des Metalles, das man untersucht, und des
+anderen, mit dem dieses vorher in Berührung stand.« Nahm *Volta* z. B.
+eine Zink- und eine Kupferscheibe, so erwies sich nach der Berührung
+erstere als positiv, letztere als negativ elektrisch. Brachte man das
+Kupfer mit Zinn oder Eisen zusammen, so wurde es gleichfalls, indes
+in weit geringerem Maße, negativ elektrisch, während das Zinn und
+das Eisen sich wie das Zink in dem ersten Versuch verhielten. Wurden
+endlich Gold oder Silber mit Kupfer berührt, so wurde das letztere
+diesmal positiv, Gold und Silber dagegen wurden negativ elektrisch.
+
+*Volta* beschreibt seinen Fundamentalversuch in einem Brief vom Jahre
+1797[323]. Eine solch beträchtliche Elektrizität durch einfache
+Berührung verschiedener Metalle zu erhalten, fügt *Volta* hinzu, sei
+gewiß etwas Bewundernswürdiges und alle Sachverständigen, denen er
+seinen Versuch gezeigt habe, seien erstaunt darüber.
+
+Welcher Art die Elektrizität der verschiedenen Metalle nach der
+Berührung ist, findet *Volta*, indem er dem Elektrometer, dem er die
+Elektrizität mitgeteilt hat, eine geriebene Glas- und eine geriebene
+Harzstange nähert und darauf achtet, ob die Divergenz der Goldblättchen
+zu- oder abnimmt. Wurden z. B. Zink und Kupfer in Berührung gebracht,
+so war nach der Trennung das Zink positiv, denn bei Annäherung der
+positiven Glasstange nahm die Divergenz des Pendel zu, während sie sich
+bei Annäherung der mit negativer Elektrizität geladenen Harzstange
+verminderte.
+
+Indem *Volta* auf solche Weise seinen Fundamentalversuch vielfach
+abänderte, gelangte er zur Aufstellung der folgenden elektrischen
+Spannungsreihe:
+
+ +
+ Zink
+ Blei
+ Zinn
+ Eisen
+ Kupfer
+ Silber
+ Gold
+ Graphit
+ -
+
+Diese Reihe enthält Graphit und die bekanntesten Metalle in einer
+solchen Anordnung, daß jedes vorhergehende Glied, mit einem der
+nachfolgenden in Berührung gebracht, positiv elektrisch wird, während
+das spätere Glied stets den negativ elektrischen Zustand annimmt. Dabei
+stellte sich beim Messen mit dem Strohhalmelektrometer heraus, daß der
+elektrische Unterschied zwischen je zwei Gliedern dieser Reihe um so
+größer ist, je weiter die Glieder voneinander entfernt sind. So ergaben
+sich[324] für die ersten vier Glieder der Reihe folgende Differenzen:
+
+ Zink | Blei = 5
+ Blei | Zinn = 1
+ Zinn | Eisen = 3
+
+Für Zink | Eisen erhielt man den Wert 9 (= 5 + 1 + 3). Damit war das
+Gesetz gefunden, daß der elektrische Unterschied für zwei Glieder der
+Spannungsreihe gleich der Summe der Unterschiede aller dazwischen
+liegenden Glieder ist, so daß in einer geschlossenen Kette von
+Metallen, in der z. B. Zink mit Blei, dieses mit Zinn, dieses mit Eisen
+und das letztere wieder mit Zink verbunden wird, die elektrischen
+Unterschiede sich ausgleichen und die Spannung infolgedessen Null ist.
+
+*Volta* hatte auf Grund dieser Versuche angenommen, daß die erregende
+Kraft ausschließlich an der Berührungsstelle der Metalle ihren
+Sitz habe und die animalischen oder andere Feuchtigkeiten nur als
+Leiter dienen. Weitere Versuche belehrten ihn jedoch, daß auch bei
+der Berührung zwischen Metall und Flüssigkeit eine erregende oder
+elektromotorische Kraft auftritt. Isolierte Platten von Silber, Zinn,
+Zink usw. wurden mit feuchtem Holz, Papier oder feuchten Ziegeln in
+Berührung gebracht. Nach dem Abheben erwiesen sich die Metallplatten
+als negativ elektrisch. Die Metalle wurden Elektromotoren erster, die
+Flüssigkeiten, die sich nicht in die Spannungsreihe eingliedern lassen,
+Elektromotoren oder Leiter zweiter Klasse genannt.
+
+»Die Berührung verschiedener Leiter«, sagt *Volta* in einem Schreiben
+vom Jahre 1796[325], »die ich trockne Leiter oder Leiter der ersten
+Klasse nenne, mit feuchten oder Leitern der zweiten Klasse erregt
+das elektrische Fluidum und gibt ihm einen gewissen Antrieb. Fragen
+Sie noch nicht, wie dies geschieht; es ist vorläufig genug, daß es
+geschieht und daß es sich um ein allgemeines Verhalten handelt.«
+
+*Volta* zeigte, daß in einem nur aus Elektromotoren erster Klasse
+bestehenden Kreise keine Bewegung der Elektrizitäten, kein Strom
+entsteht. Er zeigte ferner, daß ein solcher hervorgerufen wird, wenn
+zwei Elektromotoren erster Klasse mit einem feuchten Leiter der zweiten
+Klasse und unter sich, entweder unmittelbar oder vermittelst eines
+dritten Leiters, in Verbindung stehen und auf diese Weise einen Kreis
+von Leitern bilden. Eine derartige Vereinigung wurde ein galvanisches
+Element genannt. Die Wirkung des letzteren vervielfältigte *Volta*,
+indem er eine größere Anzahl solcher Elemente zu seiner Säule verband.
+
+[Illustration: Abb. 34. *Voltas* erste Säule.]
+
+[Illustration: Abb. 35. *Voltas* aus zwei Teilen zusammengesetzte
+Säule.]
+
+Den ersten Bericht über diese, an Wichtigkeit von keiner anderen
+übertroffene Erfindung erstattete *Volta* im Jahre 1800[326]. Er teilte
+darin mit, daß es ihm im Verfolg seiner Versuche über die Erzeugung von
+Elektrizität durch bloße Berührung gelungen sei, einen neuen Apparat
+herzurichten. Dieser habe in sehr schwachem Maße die Wirkung der
+Leydener Flasche, andererseits übertreffe er die letztere darin, daß
+er nicht vorher mit fremder Elektrizität geladen werden müsse, sondern
+jedesmal wirke, wenn man ihn in geeigneter Weise berühre. Der Apparat
+besitze seiner Wirkung und auch seiner Einrichtung nach eine gewisse
+Ähnlichkeit mit dem elektrischen Organ des Zitterrochens. Abb. 34 zeigt
+die erste Säule *Voltas*. Ihre Herstellung wird mit folgenden Worten
+beschrieben[327]: »Dreißig, vierzig, sechzig oder mehr Stücke Silber,
+von denen jedes auf ein Stück Zink gelegt wird, und die gleiche Anzahl
+mit Salzwasser oder Lauge getränkter Tuchstücke, diese Stücke zwischen
+jede Verbindung der beiden Metalle geschaltet, eine derartige Folge der
+drei Leiter in stets gleicher Anordnung: das ist alles, woraus der neue
+Apparat besteht.« Außer der leichten Erschütterung, die man erhielt,
+wenn man die oberste Platte berührte und die andere Hand in das Gefäß
+b tauchte und so den Stromkreis schloß, ließ sich auch eine Wirkung
+dieses Apparates auf die Geschmacks-, Gesichts- und die Gehörnerven
+nachweisen.
+
+[Illustration: Abb. 36. *Voltas* Becherapparat.]
+
+Bei einer größeren Zahl von Platten war *Volta* gezwungen, entweder die
+Säule mit Stützen zu umgeben oder sie, wie es Abb. 35 zeigt, in mehrere
+Teile zu zerlegen. Eine Säule besaß nämlich die Unvollkommenheit, daß
+die Metallstücke durch ihr Gewicht die Tuchscheiben auspreßten, so daß
+die darin enthaltene Flüssigkeit schließlich die ganze Säule überzog
+und unwirksam machte. *Volta* war daher auf eine Anordnung bedacht,
+welche diesen Übelstand vermeidet: Er stellte eine Reihe von Bechern
+auf, die aus einem nichtmetallischen Stoff wie Holz, Ton oder Glas
+bestanden. Diese Becher füllte er zur Hälfte mit Salzwasser oder Lauge.
+Dann setzte er sie sämtlich in Verbindung, so daß sie eine Art Kette
+bildeten. Dies geschah vermittelst einer gleichen Zahl metallischer
+Bögen. Der Teil A, der in einen der Becher tauchte, war aus Kupfer
+oder aus versilbertem Kupfer hergestellt, während der andere Teil Z,
+der in den folgenden Becher tauchte, aus Zinn oder aus Zink bestand.
+Die beiden Metalle wurden an irgend einer Stelle oberhalb des Teiles,
+der in die Flüssigkeit tauchte, zusammengelötet. Damit die letztere
+mit einer hinreichend großen Fläche der Metalle in Berührung kam, gab
+*Volta* den Metallen die Form von Platten.
+
+»Eine Folge von 30, 40 oder 60 dieser auf solche Weise verbundenen
+Becher,« sagt *Volta*, »die entweder in einer geraden Linie oder in
+einer beliebigen Kurve angeordnet sein können: das ist alles, woraus
+dieser neue Apparat besteht. Im Prinzip und in Anbetracht der ihn
+bildenden Substanzen stimmt er mit dem oben beschriebenen Säulenapparat
+überein.«
+
+Um eine Erschütterung zu erhalten, genügte es, die eine Hand in einen
+der Becher und einen Finger der anderen Hand in einen zweiten Becher
+zu tauchen. Die Erschütterung war um so stärker, je weiter die beiden
+Becher von einander entfernt waren. *Volta* erhielt folglich den
+stärksten Schlag, wenn er das erste und das letzte Glied der Kette
+berührte.
+
+Die Wirkungen, die ein aus 40 oder 50 Plattenpaaren hergestellter
+Apparat hervorrief, beschränkten sich nicht auf Erschütterungen. Der
+Apparat erregte auch die Organe des Geschmacks-, des Gesichts-, des
+Gehör- und des eigentlichen Gefühlssinnes und rief in ihnen die einem
+jeden entsprechenden Empfindungen hervor, eine Tatsache, die für die
+Physiologie der Sinnesorgane von der größten Bedeutung war und später
+*Johannes Müller* zur Aufstellung seiner Lehre von den spezifischen
+Energien dieser Organe geführt hat.
+
+Die Wirkungen auf die Haut schildert *Volta* mit folgenden Worten: »Ich
+fühle in dem Augenblicke, in welchem der leitende Kreis geschlossen
+wird, an der berührten Stelle der Haut und ein wenig darüber hinaus
+einen Schlag und einen Stich, die schnell vorübergehen und sich so
+oft wiederholen, wie man den Kreis öffnet und schließt. Wenn dieser
+Wechsel häufig stattfindet, so ruft er ein sehr unangenehmes Prickeln
+und Stechen hervor. Bleibt jedoch die Verbindung bestehen, so fühlt
+man einige Augenblicke nichts mehr; darauf entsteht aber in dem von
+dem Drahtende berührten Körperteil eine andere Empfindung, nämlich
+ein scharfer, ohne Erschütterung auftretender Schmerz, der sich auf
+die berührte Stelle beschränkt, ein Brennen, das nicht nur andauert,
+sondern immer stärker und schließlich unerträglich wird und das erst
+aufhört, wenn man den Kreis unterbricht. Welch ein augenscheinlicher
+Beweis dafür, daß der elektrische Strom andauert, solange die leitenden
+Substanzen in Verbindung stehen, und daß erst, wenn wir diese
+Verbindung aufheben, der Strom unterbrochen wird. Daß das elektrische
+Fluidum unaufhörlich kreist, kann paradox erscheinen und unerklärlich
+sein. Nichtsdestoweniger ist es tatsächlich so; es läßt sich sozusagen
+mit den Händen greifen.«
+
+Die Erfindung der *Volta*schen Säule erregte nicht nur in England,
+sondern auch in Frankreich das größte Aufsehen. Auf Veranlassung
+des ersten Konsuls erschien *Volta* in Paris, wo er im November des
+Jahres 1801 einen Vortrag hielt. Die hervorragendsten französischen
+Gelehrten bildeten darauf einen Ausschuß, der Bericht erstatten
+mußte[328]. Napoleon ließ für *Volta* eine goldene Medaille prägen und
+stiftete einen Ehrenpreis für die besten Arbeiten auf dem Gebiete der
+galvanischen Elektrizität.
+
+Daß die beiden Pole der Säule eine anziehende Wirkung ausüben, bewies
+der Deutsche *Ritter* auf folgende Weise. Er verband die Pole der Säule
+mit zwei Drähten. An den Drahtenden befestigte er Goldplattstreifen und
+näherte sie einander. Die Streifen zogen sich darauf gegenseitig an,
+bis sie sich schließlich berührten und so die Kette schlossen[329].
+
+Bevor wir uns mit den chemischen, thermischen und dynamischen Wirkungen
+der von *Galvani* und *Volta* entdeckten Naturkraft näher befassen,
+wollen wir die weitere Entwicklung der galvanischen Ketten, für welche
+*Voltas* Apparat das Vorbild gewesen ist, verfolgen.
+
+Von Verbesserungen und Entdeckungen, die bald nach ihrer Erfindung
+an der *Volta*schen Säule in rascher Folge gemacht wurden, sind vor
+allem folgende erwähnenswert. Um die Berührung der Metallplatten
+vollständiger zu machen, lötete man sie zusammen[330]. Daß die
+physiologische Wirkung der Säule proportional der Anzahl der Platten
+sei, hatte schon *Volta* nachgewiesen; *Nicholson* fand dies auch
+für die chemische Wirkung bestätigt. Es lag nahe, den Einfluß des
+Durchmessers der Platten auf die Art der Wirkung zu untersuchen. Das
+Ergebnis war, daß eine Vergrößerung des Plattendurchmessers die Funken
+intensiver machte. Eine Säule von fünf großen Platten gab stärkere
+Funken als eine solche von 80 kleinen, dagegen war die physiologische
+Wirkung der fünf Platten sehr gering[331]. Der Zusammenhang der
+thermischen Wirkung des galvanischen Stromes mit der Zahl und Größe
+der Platten wurde eingehend im Jahre 1805 untersucht[332]. Man fand,
+daß große Platten leichter Drähte zum Erglühen bringen. Während z.
+B. eine Säule von 400 Plattenpaaren von 4 Zoll Durchmesser nur einen
+Eisendraht von 2 Zoll Länge zum Erglühen brachte, war eine zweite Säule
+von nur 100 Paaren, die aber einen Durchmesser von 8 Zoll besaßen,
+imstande, ein 32 Zoll langes Stück desselben Eisendrahtes glühend zu
+machen. Unter einen gemeinsamen Gesichtspunkt gebracht wurden diese
+Erscheinungen erst weit später durch das Gesetz von *Ohm* über den
+Zusammenhang der Stromstärke mit der elektromotorischen Kraft und dem
+Widerstande.
+
+Einen Vorläufer besaß *Ohm* in *Ritter*[333], der schon 1805 zu dem
+Ergebnis gelangte, daß »der Effekt der Säule bei gleicher Spannung
+von der Summe der Leitung in der Säule und dem schließenden Bogen
+abhänge«[334]. Bezeichnen wir die Spannung (elektromotorische Kraft)
+mit E, den Effekt (Intensität) mit i und den inneren und äußeren
+Leitungswiderstand mit W und w, so drückt das *Ohm*sche Gesetz die
+Beziehung zwischen den genannten Größen durch die Formel i = E/(W+w)
+aus, und diese Beziehung finden wir in dem von *Ritter* ausgesprochenen
+Satze angedeutet.
+
+Nachdem *Volta* seinen Fundamentalversuch angestellt hatte, lag der
+Gedanke nahe, eine galvanische Säule ohne Flüssigkeit zu konstruieren
+und dadurch der Kontaktheorie gegenüber der chemischen Erklärungsweise
+eine größere Stütze zu verleihen. Dieser Gedanke führte *Behrens* zur
+Konstruktion des Säulenelektroskops und *Zamboni* zur Herstellung der
+Trockensäule.
+
+*Behrens* brachte ein isoliert aufgehängtes Goldblättchen zwischen
+die entgegengesetzten Pole zweier aus Goldpapier und Stanniol
+aufgeschichteten gleichen Säulen. Da die anziehenden Kräfte gleich
+stark waren, befand sich das isolierte Goldblättchen zunächst in
+senkrechter Lage. Wurde dem Knopfe, an welchem das Goldblättchen hing,
+ein elektrisierter Körper genähert, so wurde es entweder vom positiven
+Pole der einen oder vom negativen Pole der anderen Säule angezogen, je
+nachdem der genäherte Körper positiv oder negativ war[335].
+
+Zweckmäßiger ist die Einrichtung, die später *Rieß*[336] dem
+Säulenelektroskop gegeben hat. *Rieß* benutzte nur eine aus Gold-
+und Silberpapier geschichtete Säule, deren Pole mit zwei einander
+gegenüberstehenden Metallplatten in Verbindung stehen. Die
+Elektrizitäten dieser Platten (Abb. 37) sind gleich stark. Zwischen
+den Platten hängt das isolierte Goldblättchen. Wird diesem nur die
+geringste Spur Elektrizität mitgeteilt, so wird es sich nach der einen
+oder der anderen Platte bewegen und dadurch nicht nur die Elektrizität
+selbst, sondern auch ihre Art anzeigen.
+
+[Illustration: Abb. 37. Das Säulenelektroskop.]
+
+Unabhängig von *Behrens*, dessen Erfindung zunächst wenig Beachtung
+fand, konstruierte der Italiener *Zamboni* Trockensäulen aus Gold- und
+Silberpapierscheiben, die er tausendfach übereinander aufschichtete.
+Sie gaben ihm Funken von einem halben Zoll Länge[337]. *Zamboni*
+suchte mit Hilfe seiner Säule eine Art Perpetuum mobile herzustellen.
+Hatte *Behrens* zwischen zwei Trockensäulen einen Goldblattstreifen
+aufgehängt, so brachte *Zamboni* zwischen den entgegengesetzten Polen
+DD seiner Säulen (s. Abb. 38) eine Magnetnadel *ccc* an. Das obere
+Ende dieser Nadel wurde von DD abwechselnd angezogen und wieder
+abgestoßen, so daß die Nadel fortwährend hin und her pendelte.
+
+Die Erfindung der Trockensäulen schien zunächst den Sieg der
+Kontakttheorie zu bedeuten, bis 1807 durch *Erman* gezeigt wurde, daß
+die Trockensäule ihre Wirkung einbüßt, wenn sie in völlig trockene Luft
+gebracht wird, so daß das hygroskopische Papier seine Feuchtigkeit
+verliert. Brachte man die Säule aus dem Chlorkalziumtrockenapparat,
+dessen sich *Erman*[338] bediente, wieder in gewöhnliche Luft, so wurde
+sie wieder wirksam.
+
+Kehren wir zur eigentlichen galvanischen Säule zurück. Schon das Jahr
+1802 brachte eine weitere grundlegende Entdeckung. Jemand brachte die
+Platindrähte eines Wasserzersetzungsapparats, nachdem durch letzteren
+eine Zeitlang der Strom geschickt war, an die Zunge. Der Apparat
+wirkte jetzt wie ein galvanisches Element, da sich die bekannte
+Geschmacksempfindung einstellte. Man hatte die Polarisation und den
+durch sie hervorgerufenen Polarisationsstrom entdeckt[339].
+
+[Illustration: Abb. 38. *Zambonis* Trockensäule.]
+
+Eine der soeben erwähnten ganz analoge Beobachtung machte der schon
+wiederholt genannte *Ritter*. Er hatte eine Säule ausschließlich aus
+Silber und angefeuchteten Tuchscheiben ohne Zuhilfenahme eines zweiten
+Metalles zusammengesetzt. Diese Säule gab natürlich zunächst keinen
+Strom. Nachdem er sie aber einige Zeit der Wirkung einer *Volta*schen
+Säule ausgesetzt und die Verbindung darauf gelöst hatte, gab die
+vorerwähnte nur ein Metall enthaltende »Ladungssäule« einen Strom.
+*Ritter* glaubte zuerst eine neue Art von Kondensator erfunden zu
+haben, bis *Volta*[340] nachwies, daß man es hier nicht mit einer
+bloßen Ansammlung von Elektrizität, sondern mit einer chemischen
+Zersetzung des Wassers zu tun habe. Infolgedessen überziehe sich jede
+Silberplatte mit einer Wasserstoffschicht auf der dem positiven Pole
+zugekehrten und mit einer Sauerstoffschicht auf der dem negativen Pole
+zugekehrten Seite. Eine solche aus zwei gasförmigen Flüssigkeiten und
+einem Metall bestehende Säule wirke so lange, bis das zersetzte Wasser
+sich zurückgebildet habe. Die Ladungssäule *Ritters* ist somit die
+erste Form des Akkumulators und *Volta* hatte mit vorstehenden Worten
+das Prinzip der Polarisation, das später *Planté* zur Konstruktion der
+sekundären Elemente oder Akkumulatoren führte, ganz richtig dargestellt.
+
+*Ritter* fand auch, daß durch Einschalten einer Ladungssäule der
+Strom der *Volta*schen Säule rasch geschwächt wird, eine Erscheinung,
+welche daher rührt, daß der von der Ladungssäule ausgehende Strom
+dem Ladestrom der *Volta*schen Säule entgegengesetzt ist. Man
+erkannte, daß aus demselben Grunde, d. h. infolge des Auftretens
+von Zersetzungsprodukten, die *Volta*sche Säule geschwächt werden
+muß, selbst wenn sie gar nicht mit einer »Ladungssäule« oder einem
+Wasserzersetzungsapparat in Verbindung steht. Das Bestreben, hier
+Abhilfe zu schaffen, führte zur Konstruktion der »konstanten Elemente«.
+
+
+
+
+13. Die Begründung der Elektrochemie.
+
+
+Wie bei so vielen großen Entdeckungen wurden auch bezüglich der
+chemischen Wirkung der galvanischen Elektrizität die ersten
+Beobachtungen gemacht, ohne daß man ihnen gleich die verdiente
+Bedeutung beigelegt und sie weiter verfolgt hätte. So wurde schon
+im Jahre 1795 darauf hingewiesen, daß, wenn Zink und Silber in
+Wasser tauchen, das Zink von einer Oxydschicht überzogen wird[341].
+*A. v. Humboldt* wiederholte diesen Versuch und sah am Silber
+Blasen aufsteigen, die aus Wasserstoff bestanden[342]. Übrigens war
+*Humboldt* ein Hauptgegner *Voltas*. *Humboldt* gab 1797-1799 ein
+Werk über die tierische Elektrizität heraus, das er »Versuche über
+die gereizte Nerven- und Muskelfaser« betitelte. Darin vertrat er
+die Ansicht, die galvanischen Erscheinungen würden durch ein Fluidum
+hervorgerufen, das in den tierischen Organen angehäuft sei. Ob dieses
+Fluidum, wie *Galvani* angenommen, elektrischer Natur sei, hielt
+*Humboldt* sogar noch für zweifelhaft. Eine bessere Aufnahme fanden
+die Forschungsergebnisse *Galvanis* und *Voltas* jenseits des Kanals.
+Sobald die Kunde von der Erfindung der *Volta*schen Säule nach England
+gelangt war, beeilten sich die dortigen Physiker, *Voltas* Apparat
+zusammenzustellen und damit zu experimentieren. Dabei richtete sich
+ihre Aufmerksamkeit auf die von *Volta* übersehenen, vielleicht auch
+in seiner Voreingenommenheit für die von ihm begründete Kontakttheorie
+nicht genügend beachteten chemischen Vorgänge.
+
+Der erste, der in England eine Säule nach *Voltas* Angaben
+zusammensetzte, war *Carlisle*[343]. Um eine bessere Berührung des
+Schließungsdrahtes mit der oberen Platte zu bewerkstelligen, hatte
+*Carlisle* die letztere mit einem Tropfen Wasser angefeuchtet. Dabei
+bemerkte er, daß sich um den Draht herum Gasbläschen bildeten. Um diese
+Erscheinung genauer zu verfolgen, führte *Carlisle* in Gemeinschaft
+mit *Nicholson*[344] im Mai des Jahres 1800 den galvanischen Strom
+unter Anwendung von zwei Messingdrähten durch eine mit Wasser gefüllte
+Röhre[345]. Der Abstand zwischen den Enden der Drähte betrug 1¾
+Zoll. Sogleich erhob sich an dem mit dem Silber verbundenen Drahte ein
+Strom kleiner Gasblasen, während die Spitze des anderen Drahtes anlief.
+Jenes Gas wurde als Wasserstoff erkannt. Der Sauerstoff des Wassers
+hatte sich dagegen mit der Substanz desjenigen Drahtes verbunden,
+der zum Zink führte, und ein Anlaufen des Endes verursacht. Als man
+anstatt der Messingdrähte solche aus Platin wählte, einem Metall,
+mit dem der Sauerstoff sich nicht direkt verbindet, gelang es, beide
+Gase als solche aus dem Wasser abzuscheiden. Dieses war die erste,
+vollständige und deutliche, mit Hilfe des galvanischen Stromes bewirkte
+Zerlegung einer chemischen Verbindung, deren zusammengesetzte Natur
+man allerdings schon vorher erkannt hatte. Zwar besaßen *Carlisle* und
+*Nicholson* in *von Humboldt* und einigen anderen Vorläufer, die schon
+auf gewisse Erscheinungen hingewiesen hatten, die offenbar chemische
+Wirkungen des Stromes waren. Ja, es tauchte schon vor der Erfindung der
+*Volta*schen Säule die Ansicht auf, daß vielleicht chemische Änderungen
+nicht die Folge, sondern die Ursache der Elektrizitätsentwicklung
+sein möchten[346]. Dennoch gebührt den beiden englischen Forschern
+das Verdienst, die Zerlegung des Wassers durch den galvanischen Strom
+zum ersten Male durch eine planvolle und ergebnisreiche Untersuchung
+dargetan zu haben. Nichts lag daher näher, als das neue Hilfsmittel auf
+Stoffe bislang unbekannter chemischer Zusammensetzung anzuwenden, ein
+Weg, den wir wenige Jahre nach der Anstellung der soeben beschriebenen
+ersten Elektrolyse mit dem größten Erfolge den Engländer *Davy*
+beschreiten sehen. Wie *Nicholson* und *Carlisle* in *v. Humboldt*, so
+besaß *Davy* auf diesem Gebiete einen Vorläufer in dem schon erwähnten
+Deutschen *Ritter*[347]. Im September des Jahres 1800[348] teilte
+dieser mit, daß er mit einer aus 64 Plattenpaaren bestehenden Säule
+nicht nur Wasser, sondern auch Kupfervitriol unter Abscheidung von
+Kupfer zersetzt habe. *Ritter* ließ den Strom auch auf Ammoniak wirken.
+Er gelangte schließlich zu der Ansicht, es gebe keine Flüssigkeit, die
+nicht durch den galvanischen Strom zersetzt werden könne.
+
+Es ist für uns Deutsche ruhmvoll, daß bei uns so oft in aller Stille
+und Verborgenheit die Erschließung neuer Wissensgebiete stattgefunden
+hat. Es ist dagegen eine fast beschämende, indessen aus den früheren
+Zuständen und dem Nationalcharakter erklärliche Tatsache, daß der
+weitere Ausbau der erschlossenen Gebiete und die praktische Verwertung
+der gewonnenen Kenntnisse, sowie infolgedessen häufig genug auch
+der Ruhm der Entdeckung dem Auslande vorbehalten blieb. Im Beginn
+des 19. Jahrhunderts herrschte zudem eine die empirische Forschung
+unterschätzende Naturphilosophie in Deutschland, in deren Banden sich
+*Ritter* und in seinen jüngeren Jahren auch *von Humboldt* befand. Sie
+hat der Naturforschung auf deutschem Boden mehr geschadet, als es in
+Frankreich die Wirren der französischen Revolution vermocht haben. Von
+beiden Hemmnissen blieben die Forscher Englands verschont. Und so sehen
+wir hier *Davy* mit Entdeckungen auf dem neuen Gebiete hervortreten,
+welche denjenigen *Voltas* nicht nachstehen.
+
+*Humphry Davy* wurde am 17. Dezember 1778 in Cornwall geboren[349].
+In ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen -- sein Vater sorgte für
+sich und die Seinen durch Herstellung von Holzschnitten -- wurde der
+junge *Davy* Gehilfe bei einem Chirurgen. Diesem mußte er auch bei
+der Herstellung von Arzneien zur Hand gehen. Auf solche Weise wurde
+in ihm ein Interesse an chemischen Vorgängen erweckt, das für seine
+spätere Laufbahn bestimmend werden sollte. Im Alter von 20 Jahren
+erhielt *Davy* eine Anstellung an einem Institut, das man in Bristol
+zu dem Zweck ins Leben gerufen hatte, um die Wirkungen gasförmiger
+Körper auf den Organismus zu prüfen[350]. *Davy* machte hier die
+Beobachtung, daß das von *Priestley* um 1772 entdeckte Stickoxydul
+(Lachgas) berauschend und betäubend wirkt[351]. Ferner stellte er
+Versuche über die physiologischen Wirkungen von Wasserstoff und
+Kohlendioxyd an und gelangte dadurch in den Ruf eines vorzüglichen
+Experimentators. Infolgedessen wurde *Davy*, bald nachdem die Kunde
+von *Voltas* Entdeckungen nach England gekommen war, als Professor
+der Chemie an die Royal Institution nach London berufen und zum
+Mitglied der Royal Society gewählt. Hier sehen wir ihn während
+des ersten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts eine außerordentliche
+Wirksamkeit entfalten, durch die er der Lehre vom Galvanismus
+eine neue Richtung gab. Nur die hervorragende, gleichzeitig das
+physikalische, wie das chemische Gebiet umfassende Forschertätigkeit
+eines *Davy* war imstande, die zahlreichen Irrtümer, welche jener
+Lehre infolge unrichtiger Auslegung der beobachteten elektrochemischen
+Vorgänge anhafteten, zu beseitigen. Der Elektrizität wurde damals
+alles Mögliche und Unmögliche zugeschrieben. Hielten es doch viele
+für ausgemacht, daß aus reinem Wasser und dem elektrischen Fluidum
+Salpetersäure, Salzsäure, Natron oder gar eine besondere elektrische
+Säure entstehen könne. *Davy* lieferte den Nachweis, daß in solchen
+Fällen das Wasser Verunreinigungen enthielt, durch deren Zersetzung
+die genannten Verbindungen entstanden waren, oder daß in anderen
+Fällen unter dem Einfluß der Elektrizität Bestandteile des Gefäßes
+an das Wasser abgegeben und zersetzt wurden[352]. Er zeigte ferner,
+daß chemisch reines Wasser sich durch die Elektrizität einzig und
+allein in Sauerstoff und Wasserstoff zersetzt[353]. Darauf folgten
+eine Anzahl Versuche über »Das Hinüberführen gewisser Bestandteile
+der Körper durch Elektrizität,« ein Vorgang, den man später als das
+Wandern der Ionen bezeichnet und durch die Annahme von freien, positiv
+oder negativ geladenen Ionen erklärt hat. *Davy* spricht das Ergebnis
+dieser Versuche etwa folgendermaßen aus: Wasserstoff und die Metalle
+würden von den negativ elektrischen Metallflächen angezogen, von den
+positiv elektrischen dagegen zurückgestoßen. Dagegen würden Sauerstoff
+und die Säuren (die Säurereste würden wir heute sagen) von den
+positiven Metallflächen angezogen, von den negativen abgestoßen. Diese
+anziehenden und zurückstoßenden Kräfte seien energisch genug, um die
+Wirkung der Wahlverwandtschaft zu zerstören.
+
+Die Schwierigkeit, daß die Bestandteile der Verbindungen an den weit
+voneinander entfernten Elektroden jeder für sich in die Erscheinung
+treten, erklärt *Davy*, indem er das Wasser als Beispiel wählt, auf
+folgende Weise. Da der Wasserstoff von der positiven Metallfläche
+(die Bezeichnung Elektrode hat erst *Faraday* eingeführt) und der
+Sauerstoff von der negativen Fläche abgestoßen würden, so müsse in
+der Mitte des flüssigen Leiters eine Verbindung der zurückgestoßenen
+Stoffe vor sich gehen, oder -- ein Gedanke, den später[354] *Grothuss*
+wieder aufgenommen -- es finde eine Reihe von Zersetzungen und
+Wiedervereinigungen von der einen Metallfläche bis zur anderen statt.
+
+Über eine Entdeckung von weittragendster Bedeutung berichtete *Davy*
+der Royal Society im Jahre 1807. Schon *Lavoisier* hatte die
+Vermutung ausgesprochen, daß man in den Alkalien und den Erden den
+Metallkalken ähnliche Verbindungen des Sauerstoffs mit bis dahin
+unbekannten Elementen zu erblicken habe. Alkali war auch die Substanz,
+die aus der Wand des Glasgefäßes in das Wasser überging, wenn letzteres
+in einem solchen der Elektrolyse unterworfen wurde. Was lag daher
+näher, als die zersetzende Kraft des galvanischen Stromes auf das
+Alkali selbst wirken zu lassen, um so das Dunkel, welches die chemische
+Natur dieser Verbindung einhüllte, zu lichten!
+
+*Davy* versuchte zuerst Kali und Natron in ihren wässerigen,
+bei gewöhnlicher Temperatur gesättigten Lösungen mit Hilfe der
+stärksten galvanischen Apparate, die ihm zu Gebote standen, zu
+zerlegen. Bei aller Intensität der Wirkung wurde jedoch das Wasser
+allein angegriffen, und unter großer Hitze und heftigem Aufbrausen
+entwickelten sich nur Wasserstoff und Sauerstoff. *Davy* schmolz daher
+bei seinen späteren Versuchen das Kali und das Natron, indem er sie in
+einen Platinlöffel legte und die Elektrizität zugleich als Schmelzungs-
+und Zersetzungsmittel wirken ließ.
+
+Das Kali, das er durch Glühen vollkommen getrocknet hatte, leitet
+zwar die Elektrizität nicht. Es wird aber schon leitend durch ein
+wenig Feuchtigkeit, welche den festen Zustand des Kalis nicht merklich
+ändert. In diesem Zustande wird es durch eine energische elektrische
+Einwirkung geschmolzen und zersetzt. *Davy* nahm ein kleines Stück
+reines Kali, ließ es einige Sekunden mit der Atmosphäre in Berührung,
+wodurch es an der Oberfläche durch Wasseranziehung leitend wurde,
+legte es auf eine isolierte Platinscheibe, die mit dem negativen Ende
+einer Batterie von 250 Plattenpaaren verbunden war, und berührte die
+Oberfläche des Kali mit dem positiven Platindrahte. Sogleich zeigte
+sich eine sehr lebhafte Wirkung. Das Kali begann zu schmelzen. An der
+oberen Fläche sah *Davy* ein heftiges Aufbrausen. An der unteren oder
+negativen Fläche war keine Gasentwicklung wahrzunehmen. Doch entdeckte
+*Davy* dort kleine Kügelchen, die einen sehr lebhaften Metallglanz
+hatten und völlig wie Quecksilber aussahen. Eine Menge von Versuchen
+bewiesen ihm alsbald, daß diese Kügelchen die Substanz waren, nach der
+er suchte, nämlich ein brennbarer Körper eigentümlicher Art, und zwar
+das dem Kali zugrunde liegende Metall. *Davy* fand, daß die Gegenwart
+von Platin ohne Einfluß auf das Resultat ist, und daß dieses Metall
+nur die Elektrizität zuführt, welche die Zersetzung bewirken soll. Es
+entstand nämlich immer dieselbe Substanz, er mochte den Stromkreis
+durch Stücke Kupfer, Silber, Gold, Graphit oder Kohle schließen. Natron
+gab ähnliche Resultate wie das Kali, wenn man es auf dieselbe Art
+behandelte.
+
+Bei allen Zersetzungen chemischer Verbindungen, welche *Davy* früher
+untersucht hatte, waren stets die brennbaren Elemente am negativen
+Pole entbunden worden, während der Sauerstoff am positiven Pole
+zum Vorschein kam oder dort in Verbindung trat. Es war daher ein
+naheliegender Gedanke, daß bei der Einwirkung der Elektrizität auf die
+Alkalien die neuen Substanzen auf ganz ähnliche Weise erzeugt werden.
+
+*Davy*[355] stellte deshalb in einem durch Quecksilber abgesperrten
+Apparat mehrere Versuche an, bei denen die äußere Luft ausgeschlossen
+war. Diese Versuche bewiesen, daß sich die Sache in der Tat so verhält.
+Als er nämlich festes Kali oder Natron, die so viel Feuchtigkeit
+eingesogen hatten, daß sie die Elektrizität leiteten, in Glasröhren
+einschloß, die mit Platindrähten versehen waren, und den Strom
+hindurchleitete, dann entstanden die neuen Substanzen an der negativen
+Metallspitze. Das Gas, das sich gleichzeitig an der positiven
+Metallspitze entwickelte, war reiner Sauerstoff. Am negativen Pole
+erschien gar kein Gas, außer wenn Wasser in größerer Menge vorhanden
+war. Dann wurde nämlich durch die Einwirkung des entstandenen Kaliums
+auf das Wasser Wasserstoff entwickelt.
+
+Um den Beweis, daß die Alkalien nur durch die Vereinigung von
+Sauerstoff mit den entdeckten Metallen entstanden sind, zu einem
+einwandfreien zu erheben, schloß *Davy* an seine durch das neue
+Hilfsmittel vollzogene Analyse (Elektrolyse) die Synthese der Alkalien
+an. In besonders dazu hergerichteten, durch Quecksilber abgesperrten
+Glasröhren wurden einige Kügelchen Kalium mit Sauerstoff in Berührung
+gebracht. Sie verschluckten augenblicklich den Sauerstoff und überzogen
+sich mit einer Rinde von Kaliumoxyd. Der Grundstoff des Natrons, das
+Element Natrium, verhielt sich ähnlich und lieferte wieder Natron.
+Wurden die aus Kali und aus Natron erhaltenen Elemente in einer
+gegebenen Menge Sauerstoff erhitzt, so verbrannten sie schnell mit
+weißer, glänzender Flamme und die metallischen Kügelchen verwandelten
+sich in eine feste, weiße Masse, die aus Kali oder aus Natron bestand,
+je nachdem man Kalium oder Natrium zu dem Versuch genommen hatte.
+Dabei wurde Sauerstoff verschluckt. Die Oxyde, die bei dem Versuche
+entstanden, übertrafen an Gewicht dasjenige der verbrannten Substanzen
+bedeutend.
+
+Diese Tatsachen berechtigten *Davy* anzunehmen, daß Kali und Natron aus
+Sauerstoff und zwei eigentümlichen Grundstoffen bestehen. Die Affinität
+der Alkalimetalle zu Sauerstoff erwies sich als so groß, daß *Davy* die
+entdeckten Elemente nur unter Steinöl aufbewahren konnte. Wasser wurde
+von ihnen so heftig unter Entwicklung von Wasserstoff zersetzt, daß die
+geringe Menge Wasser, welche im Alkohol und im Äther nach sorgfältiger
+Reinigung dieser Flüssigkeiten noch enthalten ist, zerstört wurde[356].
+
+Metalloxyde, die man mit Kalium erhitzte, wurden ihres Sauerstoffs
+beraubt (reduziert). Als *Davy* ein wenig Eisenoxyd mit Kalium
+erwärmte, erfolgte eine lebhafte Einwirkung. Es entstand Kali neben
+Teilchen eines grauen Metalls, das sich als Eisen erwies. Bleioxyd
+und Zinnoxyd wurden noch schneller reduziert. War Kalium im Überfluß
+vorhanden, so verband sich das entstehende Metall mit dem Kalium zu
+einer Legierung. Das chemische Verhalten des Natriums fand *Davy* im
+ganzen dem des Kaliums ähnlich, doch zeigten sich charakteristische
+Verschiedenheiten.
+
+*Davy* kam nach Abschluß dieser Untersuchung sofort auf die Vermutung,
+daß die alkalischen Erden, wie Baryt und Strontian, Verbindungen
+derselben Art wie die Alkalien seien, d. h. metallische Grundstoffe
+von hoher Brennbarkeit verbunden mit Sauerstoff[357]. Wie Baryt und
+Strontian, so besitzen auch Kalk, Magnesia, Tonerde und Kieselerde
+manche Ähnlichkeit mit den Alkalien[358]. Man durfte deshalb hoffen,
+daß auch diese widerspenstigen Stoffe der Einwirkung mächtiger
+Batterien nicht widerstehen und daß sich ihre Bestandteile mit Hilfe
+der neuen Methode abscheiden lassen würden[359].
+
+Die Verwandtschaftskräfte der neuen Metalle, die in den Alkalien
+enthalten sind, führten zu einer nicht zu ermessenden Menge von
+Versuchen. Diese Metalle wurden mächtige Agentien für die chemische
+Analyse. Und da sie an Verwandtschaft zum Sauerstoff alle bekannten
+Stoffe übertrafen, so konnten sie bei manchen Zerlegungen die
+Elektrizität ersetzen. So wurden, wie wir später sehen werden, die
+Grundstoffe der Kieselerde und der Tonerde, das Silizium und das
+Aluminium nämlich, zuerst durch die Einwirkung der Alkalimetalle
+aus ihren Verbindungen abgeschieden. Die Gewinnung des Aluminiums
+vermittelst des galvanischen Stromes erfolgte erst später.
+
+Die Elektrolyse von Kalk, Baryt, Strontian und Magnesia gelang, ganz
+wie *Davy* es vorausgesehen. Schon ein Jahr nach der Entdeckung der
+Alkalimetalle konnte er den staunenden Zeitgenossen von diesem neuen
+Erfolg berichten.
+
+Vor allem hatten die Untersuchungen *Davys* das wichtige Ergebnis,
+daß die Bedeutung, welche der Sauerstoff als Bestandteil chemischer
+Verbindungen beansprucht, in einem ganz anderen Umfange erkannt
+wurde. Hatte *Lavoisier* dieses Element als das säurebildende Prinzip
+angesprochen, so konnte man es jetzt mit der gleichen Berechtigung als
+ganz wesentlich für das Zustandekommen der Alkalien hinstellen. *Davy*
+erklärte infolgedessen am Schluß seiner Untersuchung: »Sauerstoff ist
+in allen wahren Alkalien vorhanden. Denselben Stoff, den die Franzosen
+als das Prinzip der Azidität charakterisieren, kann man daher auch
+das Prinzip der Alkalisierung nennen.« Nach den heutigen Anschauungen
+werden bekanntlich die basischen Eigenschaften durch das Vorhandensein
+der Hydroxylgruppe OH bedingt.
+
+Es ist begreiflich, daß *Davy*, nachdem er diese neue Rolle des
+Sauerstoffs erkannt hatte, sich auch dem flüchtigen Alkali, dem
+Ammoniak, zuwandte. Hier begegnete ihm nun der Irrtum, daß er den
+Sauerstoff, den er in dem Ammoniakgas (NH_{3}) vorhanden glaubte,
+auch wirklich fand, obgleich dies Element in dem völlig reinen, gut
+getrockneten Ammoniakgase fehlt. Indessen macht bekanntlich auch hier
+der Sauerstoff das Wesen der Alkalinität aus, indem das Ammoniakgas
+sich mit dem Wasserstoff und der Hydroxylgruppe des Wassers erst zur
+eigentlichen Basis verbindet (NH_{3} + HOH = NH_{4} . OH). *Davy* faßte
+das Verhältnis des Ammoniaks zu den fixen Alkalien auch ganz richtig
+auf, indem er sagte, es würde zu letzteren wohl in derselben Beziehung
+stehen wie die Pflanzensäuren mit zusammengesetztem Radikal zu den
+mineralischen Säuren von einfacherer Zusammensetzung. Dem Kalium würde
+also nach dieser noch heute geltenden Auffassung die Gruppe NH_{4}
+entsprechen.
+
+Selten ist die Chemie mit einer solchen Fülle neuer Tatsachen
+bereichert worden, wie es innerhalb eines so kurzen Zeitraumes durch
+die Ergebnisse der elektrochemischen Untersuchungen *Davys* geschah.
+In dem galvanischen Strom hatte man das gewaltigste Agens für die
+chemische Analyse kennen gelernt. Neben der zersetzenden Wirkung der
+*Volta*schen Säule wandte sich das Interesse in steigendem Maße auch
+den innerhalb der Säule zwischen den Metallen und den angewandten
+Flüssigkeiten vor sich gehenden chemischen Veränderungen zu. Während
+man letztere zuerst als etwas Nebensächliches betrachtet hatte, begann
+man jetzt in dem innerhalb der Kette sich abspielenden chemischen
+Vorgang die Ursache des elektrischen Stromes zu erblicken.
+
+Zwar erkannte schon *Davy*, daß nicht *jeder* chemische Vorgang
+elektromotorisch wirksam ist. Wurde Eisen in Sauerstoff verbrannt,
+während das Metall mit einem Elektrometer verbunden war, so erhielt
+letzteres während des Prozesses keine Spur von Ladung. Salpeter
+und Holzkohle wirkten, während sie unter Verpuffung zur Verbindung
+gebracht wurden, ebensowenig auf das Elektrometer. Auch bei der
+Verbindung von festem Alkali und Schwefelsäure machte sich kein
+Auftreten von Elektrizität bemerkbar[360]. Trotzdem suchte *Davy* die
+chemische Verwandtschaft auf elektrische Anziehungen und Abstoßungen
+zurückzuführen, so daß wir ihn als den Begründer einer elektrischen
+Theorie der chemischen Verbindungen betrachten müssen, einer
+Theorie, die ihren weiteren Ausbau durch *Berzelius* erfuhr und nach
+der Aufnahme mancher Verbesserungen die Grundlage für die neueren
+Anschauungen geworden ist.
+
+Ursprünglich war *Davy* Anhänger der rein chemischen Theorie, während
+er später gleichzeitig der Kontakttheorie Rechnung zu tragen suchte.
+Er nahm nämlich an, daß die Atome bei ihrer Berührung entgegengesetzt
+elektrisch würden und sich infolgedessen anzögen, während nach
+*Berzelius* eine verschiedenartige elektrische Ladung den Atomen
+ursprünglich eigen ist und sich bei ihrer Verbindung ausgleicht. »Alle
+Körper die sich chemisch miteinander verbinden,« so führt *Davy* seine
+Ansicht des näheren aus, »geben bei ihrer Berührung entgegengesetzte
+elektrische Zustände. Angenommen die kleinsten elementaren Teilchen
+können sich frei bewegen, so werden sie sich deshalb infolge ihrer
+bei der Berührung auftretenden elektrischen Kräfte anziehen müssen.«
+*Davy* meint, der Zusammenhang der Elektrizität mit der chemischen
+Verwandtschaft liege also ziemlich klar zutage. Man dürfe vielleicht
+annehmen, daß beide im Grunde genommen dasselbe seien. Daraus erklärt
+sich das Problem, das *Davy* aufwirft, nämlich »eine Stufenleiter der
+elektrischen Kräfte der Körper aufzufinden, wie sie den Graden der
+Verwandtschaft entsprechen[361].« Auch dieser Gedanke *Davys* ist in
+der Folge, nachdem man eine Untersuchung der Beziehungen zwischen dem
+elektrischen und dem chemischen Potential in Angriff genommen, von
+großer Tragweite gewesen[362].
+
+Auch die Wärme- und die Lichtwirkung der galvanischen Elektrizität
+konnten, als man die Zahl der Platten vergrößerte, nicht verborgen
+bleiben. Daß beim Öffnen und Schließen des galvanischen Stromes
+mehr oder minder kräftige Funken auftreten, gehörte zu den ersten
+Beobachtungen, die man an den neuen Apparaten machte. Als *Davy* den
+Strom seiner aus einigen hundert Plattenpaaren zusammengesetzten
+Batterie durch Alkali leitete, war die Wärmewirkung groß genug, um
+letzteres zu schmelzen. Und als derselbe Forscher später eine Batterie
+von 2000 Elementen benutzte, zeigte sich an der Unterbrechungsstelle,
+zumal bei Anwendung von Kohlenspitzen, ein äußerst blendendes
+Licht, das jedoch erst in der neueren Zeit, seitdem man billigere
+Elektrizitätsquellen kennen gelernt hatte, als Bogenlicht zu
+Beleuchtungszwecken Verwendung finden konnte. Es ist nicht ganz
+zutreffend, *Davy* als den Entdecker des Bogenlichtes zu bezeichnen.
+Dem Öffnungsfunken hatte sich schon länger das Interesse der Physiker
+zugewandt. Man hatte sein Zustandekommen aus dem Auftreten erglühender,
+abgerissener Metallteilchen erklärt und auch den einen Pol mit einem
+Kohlenstift verbunden, um dadurch stärkere Funken zu erhalten. Der
+erste, der zwei Kohlenstifte anwandte und so im Jahre 1820 ein Licht
+erzielte, das die Augen der Zuschauer blendete, war *de la Rive*.
+*Davy* machte seinen Versuch erst ein Jahr später bekannt[363]. Und es
+ist nicht einmal sicher, ob er unabhängig von *de la Rive*, der mit
+380 Elementen experimentierte, auf den Gedanken gekommen ist, zwei
+Kohlenspitzen zu verwenden.
+
+Als *Davy* die Kohlenspitzen nach der Unterbrechung des Stromes
+untersuchte, fand er, daß die mit dem positiven Pol verbundene Spitze
+ausgehöhlt, der gegenüberstehende Kohlenstift dagegen zugespitzt
+erschien. Es hatte somit eine Wanderung der Kohlenteilchen vom
+positiven zum negativen Pole stattgefunden. Dies zeigte sich noch
+deutlicher, als *Davy* die Verbrennung der hinüberwandernden Teilchen
+dadurch aufhob, daß er den Lichtbogen im luftleeren Raum entstehen ließ.
+
+Viele Entdeckungen *Davys* sind dem praktischen Leben zugute gekommen.
+Während seine Sicherheitslampe die Zahl der in den Kohlengruben
+stattfindenden Unglücksfälle erheblich verringerte, zeigte später
+das von ihm entdeckte Kalium dem in dunkler Nacht ins Meer gespülten
+Schiffer den Weg zur Rettung[364]. Zu erwähnen sind auch *Davys*
+Untersuchungen über das Leitungsvermögen. Er zeigte, daß dieses mit
+steigender Temperatur abnimmt und daß die schlechten Leiter leichter
+erglühen als die besseren. Um dies in augenfälliger Weise darzutun,
+verfertigte *Davy* eine Kette, deren Glieder abwechselnd aus Silber-
+und aus Platindraht bestanden. Leitete er durch diese Kette einen
+elektrischen Strom von zunehmender Stärke, so konnte er bewirken,
+daß die Platinstücke glühten, während das Silber kalt blieb, ein
+Experiment, das noch heute zu den beliebtesten Vorlesungsversuchen
+gehört.
+
+Nach ihrem Leitungsvermögen ordnete *Davy*, mit dem schlechtesten
+Leiter beginnend, die bekannten Metalle in folgende Reihe: Eisen,
+Platin, Zinn, Zink, Gold, Kupfer, Silber. Daß das Leitungsvermögen
+nicht von der Größe der Oberfläche, sondern von der Größe des
+Querschnitts abhängt, bewies er auf folgende Weise. Er ließ einen
+zylindrischen Draht, dessen Leitfähigkeit er geprüft hatte, zu einem
+Bande auswalzen. Obgleich die Oberfläche dadurch sechsmal so groß
+geworden war, besaß der Draht noch dasselbe Leitungsvermögen. Endlich
+ging aus *Davys* Untersuchung noch hervor, daß das Leitungsvermögen der
+Länge des eingeschalteten Drahtes umgekehrt proportional ist.
+
+Für *Davys* unvergleichliche Leistungen ist ihm reiche Anerkennung
+zuteil geworden. Napoleon verlieh, obgleich er damals mit England
+im Kriege lag, dem genialen Manne einen jener Preise, die er für
+hervorragende Arbeiten auf dem Gebiete der galvanischen Elektrizität
+gestiftet hatte. In seinem Vaterlande wurde *Davy* geadelt und zum
+Präsidenten der Royal Society gewählt, ein Amt, das er bekleidete,
+bis zunehmende Schwäche des Körpers ihn zum Rücktritt zwang. Auf einer
+zur Wiederherstellung der Gesundheit unternommenen Reise verschlimmerte
+sich sein Leiden. Er starb in Genf am 29. Mai des Jahres 1829[365].
+
+
+
+
+14. Die Erforschung der elektromagnetischen und der elektrodynamischen
+Grunderscheinungen.
+
+
+Die ersten Beobachtungen, die auf eine Beziehung zwischen der
+galvanischen Elektrizität und dem Magnetismus hindeuteten, wurden
+gleichfalls von *Davy* gemacht. Er fand nämlich, daß der zwischen
+den Kohleelektroden erzeugte Lichtbogen durch die Pole eines starken
+Magneten angezogen und abgestoßen wird, ja sogar in eine Drehung
+versetzt werden kann[366]. Besonders schön gelang dieser Versuch, wenn
+der Bogen sich im luftverdünnten Raum befand und darin auf eine Länge
+von 3-4 Zoll gebracht war. Es lag nahe, nun auch umgekehrt die Wirkung
+eines Stromes auf einen beweglich angebrachten Magneten nachzuweisen.
+Dies gelang dem dänischen Physiker *Oersted*.
+
+*Hans Christian Oersted* wurde am 14. August des Jahres 1777 auf
+Langeland geboren. Er war zunächst wie sein Vater Apotheker. Später
+wurde er Professor der Physik an der Universität zu Kopenhagen.
+*Oersted* befaßte sich besonders mit chemischen Versuchen. So stellte
+er zuerst Chloraluminium her und ermöglichte dadurch *Wöhler* die
+Darstellung des metallischen Aluminiums[367]. *Oersted* starb in
+Kopenhagen im Jahre 1851. Seine so überaus wichtige Entdeckung des
+Elektromagnetismus datiert vom 21. Juli 1820. Sie ging aus Versuchen
+hervor, welche *Oersted* anstellte, um die schon lange geahnte
+Beziehung zwischen den beiden so geheimnisvollen Naturkräften
+nachzuweisen. Die Erzählung, daß sein Diener das Schwanken der Nadel
+zufällig bemerkt und ihn darauf aufmerksam gemacht habe, ist unter die
+wissenschaftlichen Legenden zu verweisen.
+
+In einer 1820 an die hervorragendsten Physiker und Gesellschaften
+gesandten kurzen Mitteilung[368] berichtet *Oersted* über seine
+Versuche und deren Ergebnisse. Er brachte ein geradliniges Stück eines
+vom galvanischen Strom durchflossenen Drahtes in horizontaler Lage über
+eine gewöhnliche Magnetnadel, so daß der Draht der Nadel parallel war.
+Die Magnetnadel kam dann in Bewegung; und zwar wich ihr Nordpol, wenn
+er zum negativen Pole des galvanischen Apparates zeigte, nach Westen
+ab. War die Entfernung des Drahtes von der Magnetnadel nicht mehr
+als 5/4 Zoll, so betrug diese Abweichung ungefähr 45°. Bei größerer
+Entfernung nahmen die Winkel ab. Auch war die Abweichung verschieden je
+nach der Stärke des galvanischen Apparates.
+
+Die Natur des Metalles hatte auf den Erfolg keinen Einfluß. *Oersted*
+hat Drähte aus Platin, Gold, Silber, Messing und Eisen, ferner Zinn-
+und Bleistreifen, sowie Quecksilber mit gleichem Erfolge angewandt.
+Der stromdurchflossene Draht wirkte auf die Magnetnadel durch Glas,
+Metalle, Holz, Wasser und Harz, durch Tongefäße und durch Steine
+hindurch. Als *Oersted* zwischen den Leiter und die Nadel eine
+Glastafel, eine Metallplatte oder ein Brett gebracht hatte, blieb
+der Erfolg nicht aus. Selbst alle drei Substanzen vereinigt schienen
+die Wirkung kaum zu schwächen; ebensowenig ein irdenes Gefäß, selbst
+wenn es voll Wasser war. Die erwähnten Wirkungen traten sogar ein,
+als *Oersted* eine Magnetnadel anwandte, die sich in einer mit Wasser
+gefüllten Messingbüchse befand.
+
+Wenn der Leiter in einer horizontalen Ebene unter der Magnetnadel
+angebracht war, so gingen alle angegebenen Wirkungen nach
+entgegengesetzter Richtung vor sich. Drehte er den Leiter in der
+horizontalen Ebene, so daß er allmählich immer größere Winkel mit dem
+magnetischen Meridian machte, so wurde die Abweichung der Magnetnadel
+vom magnetischen Meridian vermehrt, wenn das Drehen des Drahtes der
+Lage der Magnetnadel zu gerichtet war. Die Abweichung nahm dagegen ab,
+wenn die Drehung von der Magnetnadel fort erfolgte. Hiervon ausgehend
+verfertigte *Pouillet* im Jahre 1837 die zur Messung der Stromstärke
+dienende Sinusboussole. Bei diesem Apparat wird der Leiter so
+lange gedreht, bis er mit der Nadel wieder in eine Ebene fällt. Die
+Stromstärke ist dann dem Sinus des Drehungswinkels proportional.
+
+*Oersted* folgerte aus seinen Versuchen, daß der Strom »nicht in dem
+Draht eingeschlossen ist, sondern sich zugleich in dem umgebenden Raum
+weithin ausbreitet«.
+
+Die Kunde von *Oersteds* großer Entdeckung nahm, weil *Oersted*
+allen namhaften Physikern seine Abhandlung zugehen ließ, sofort die
+wissenschaftliche Welt in Anspruch. Überall wurden seine Versuche
+nachgeprüft, bestätigt und durch neue Entdeckungen vervollständigt.
+So fand *Gay-Lussac* sofort, daß der Strom den Magneten nicht nur
+ablenkt, sondern eine vorher unmagnetische Stahlnadel in einen Magneten
+verwandelt. Die magnetisierende Wirkung zeigte sich besonders, wenn
+die Nadel in eine vom galvanischen Strom durchflossene Drahtspirale
+gebracht wurde. *Gay-Lussac* wurde dadurch auf den Gedanken gebracht,
+daß der stromdurchflossene Leiter selbst als ein Magnet betrachtet
+werden könne. Infolgedessen entdeckte er die anziehende Wirkung, welche
+der Leiter auf Eisenfeilspäne ausübt. Die gleiche Entdeckung machte
+unabhängig von *Gay-Lussac* der deutsche Physiker *Seebeck*.
+
+Besonders durch die Arbeiten *Seebecks* fanden diejenigen *Oersteds*
+ihre Fortsetzung. *Seebeck* gab noch im Jahre der *Oersted*schen
+Entdeckung und im darauffolgenden Jahre 1821 seine Versuche ȟber den
+Magnetismus der galvanischen Kette« bekannt[369].
+
+Thomas Johann *Seebeck*, dessen Hauptverdienst die später zu
+besprechende Entdeckung der Thermoelektrizität ist, wurde am 9. April
+1770 in Reval, wo sein Vater Kaufmann war, geboren. *Seebeck* studierte
+Medizin und lebte von 1802 bis 1810 in Jena, wo er auch mit *Goethe* in
+wissenschaftlichem Verkehr stand. Nachdem *Seebeck* zum Mitglied der
+Preußischen Akademie der Wissenschaften ernannt war, siedelte er nach
+Berlin über. Er starb am 10. Dezember des Jahres 1831.
+
+In *Seebecks* Arbeit »Über den Magnetismus der galvanischen Kette«
+wurde die magnetische Wirkung, die sich *Oersted* in der Umgebung des
+Stromleiters gezeigt hatte, eingehender untersucht. Das magnetische
+Feld oder, wie *Seebeck* sich ausdrückte, »die magnetische Atmosphäre«,
+wurde besonders durch die so bekannt gewordenen Versuche mit
+Eisenfeilspänen nachgewiesen und, wie es später *Faraday* tat, durch
+Kraftlinien dargestellt.
+
+*Seebeck* zeigte, wie seine nebenstehende Abbildung erläutert, (s. Abb.
+39), daß sich Eisenfeilspäne um lotrecht gestellte Schließungsdrähte
+kreisförmig ordnen. Er fand, daß die Späne konzentrische Kreise bilden,
+und zwar Kreise von desto größerem Durchmesser, je stärker die Spannung
+ist. Über und unter horizontal liegenden Stromleitern ordneten sich
+dagegen die Feilspäne in parallelen, senkrecht zur Längsrichtung
+stehenden Linien. Diese Feilstaub-Figuren bildeten sich am leichtesten
+um Stäbe von einigen Linien Durchmesser, minder deutlich an dünnen
+Drähten.
+
+[Illustration: Abb. 39. Der Nachweis des magnetischen Feldes.]
+
+[Illustration: Abb. 40. Der Nachweis der magnetischen Kraftlinien.]
+
+Auch die Beeinflussung der Kraftlinien des einen Leiters durch einen
+benachbarten Leiter wies *Seebeck* zum ersten Male nach. Er bediente
+sich dazu zweier stromdurchflossener Stahlbänder, deren Querschnitt in
+der nebenstehenden, von ihm herrührenden Zeichnung durch die beiden
+dicken Striche angedeutet ist[370]. Um diese Anordnung zu erhalten,
+brauchte er nur ein längeres Stahlband zu biegen und durch die beiden
+parallel zu einander verlaufenden Schenkel des Bogens den Strom zu
+senden. Waren die Schenkel dieses Bogens erheblich von einander
+entfernt, so ordnete sich der Eisenstaub um jeden Schenkel kreisförmig.
+Wurden sie jedoch einander genähert, so änderte sich der Verlauf der
+»magnetischen Linien«. Sie nahmen das in der Abbildung 40 dargestellte
+Aussehen an.
+
+Fast gleichzeitig mit dem französischen Physiker *Arago*, dem die
+Priorität gebührt, beobachtete *Seebeck* Erscheinungen, die man
+zunächst den bisherigen Forschungsergebnissen nicht anzugliedern
+vermochte und die erst in der neuen, durch *Faradays* Entdeckung der
+Induktion herbeigeführten Epoche der Elektrizitätslehre ihre Erklärung
+fanden. Es handelte sich um Vorgänge, die man später mit dem Worte
+»Dämpfung« bezeichnet hat. Am 9. Juni 1825 veröffentlichte *Seebeck*
+eine Abhandlung, in der das Theorem der Dämpfung folgenden klaren
+Ausdruck fand:
+
+1. Die Pendelschwingungen eines Magnetstabes werden durch benachbarte
+Metallmassen ebenso gehemmt, als wenn eine dichtere Luft den Stab
+umgäbe.
+
+2. Schwingt eine Kupfermasse über oder zwischen den Polen eines
+Magneten pendelförmig, so wird sie früher eine Verminderung der
+Schwingungsweite erleiden als eine frei schwebende Kupfermasse.
+
+Auch die Versuche *Seebecks* über Stromverzweigung gehören zu den
+ersten auf diesem Gebiete.
+
+Einer Wirkung des Stromes auf den Magneten, wie sie *Oersted* entdeckt
+hatte, mußte nach dem von *Newton* ausgesprochenen Grundgesetz eine
+gleichgroße Gegenwirkung des Magneten auf den Strom entsprechen. Von
+diesem Gedanken geleitet, bemühte sich der französische Physiker
+*Ampère* eine Beziehung zwischen der Elektrizität und dem Magnetismus
+nachzuweisen.
+
+André-Marie *Ampère* wurde am 20. Januar 1775 in Lyon geboren, wo
+sein Vater Kaufmann war. *Ampère* verriet schon frühzeitig eine ganz
+hervorragende mathematisch-naturwissenschaftliche Befähigung. Mit elf
+Jahren beherrschte er die Elementarmathematik, und als zwölfjähriger
+Knabe wurde er mit der Differentialrechnung bekannt. Später vertiefte
+er sich in die Werke von *Lagrange*, *Euler* und *Bernoulli*.
+
+Eine jähe Unterbrechung erlitt dieser so vielversprechende Studiengang
+durch die französische Revolution. *Ampères* Vater wurde ein Opfer
+der auch in Lyon errichteten, in zahllosen politischen Morden ihre
+Betätigung suchenden Schreckensherrschaft. Dies Ereignis machte auf den
+jungen *Ampère* einen solch niederschmetternden Eindruck, daß er ein
+volles Jahr in dumpfer Verzweiflung dahinbrütete. Erst als *Rousseaus*
+Briefe über die Botanik[371] in seine Hände gerieten, belebte sich sein
+Sinn für die Wissenschaft aufs Neue.
+
+Im Jahre 1802 veröffentlichte *Ampère* Betrachtungen über
+die mathematische Theorie des Spiels. Die Schrift lenkte die
+Aufmerksamkeit des großen Astronomen und Geodäten *Delambre* auf ihn
+und hatte seine Anstellung in Lyon, wo *Ampère* am Lyceum Mathematik
+zu lehren hatte, und später (1805) seine Berufung nach Paris zur
+Folge. Hier hatte *Ampère* an der polytechnischen Schule Differential-
+und Integralrechnung zu lehren. Gleichzeitig befaßte er sich mit den
+Problemen der Naturwissenschaften und der Philosophie.
+
+Die Anregung, sich sehr eingebend und fast ausschließlich mit der
+Erforschung der elektrischen Erscheinungen zu beschäftigen, empfing
+*Ampère* durch *Oersteds* Entdeckung der Wirkung des Stromes auf
+den Magneten. Im Herbst des Jahres 1820, bald nach Empfang der
+*Oersted*schen Mitteilung, prüfte *Ampère* *Oersteds* Versuche
+nach. Und eine Woche später konnte er schon mit wichtigen eigenen
+Entdeckungen hervortreten, die er in seiner berühmten, für das Gebiet
+der Elektrodynamik grundlegend gewordenen Abhandlung desselben Jahres
+veröffentlichte[372].
+
+In dieser Abhandlung führte *Ampère* die wichtige, seitdem allgemein
+üblich gewordene Bestimmung ein, *als Richtung des Stromes diejenige
+der strömenden positiven Elektrizität zu betrachten*. Dann folgt seine
+bekannte Regel, nach welcher die Richtung des Stromes aus der Ablenkung
+der Nadel sich mit Leichtigkeit bestimmen läßt. Sie lautet: *»Man denke
+sich in den elektrischen Strom versetzt, sodaß dessen Richtung von den
+Füßen zum Kopfe geht und habe das Gesicht der Nadel zugekehrt, dann ist
+der Pol der Nadel, der nach Norden zeigt, stets durch die ausgestreckte
+linke Hand gegeben.«* (*Ampères Schwimmerregel*[373]).
+
+Um den Einfluß eines Magneten auf den Strom nachzuweisen, kam *Ampère*
+auf den Gedanken, den Stromleiter beweglich zu machen. Dies gelang
+in der in Abb. 41 angegebenen Weise, eine Abbildung, die wir dem von
+*Ampère* und *Babinet* im Jahre 1822 gegebenen Bericht[374] über
+*Ampères* Entdeckungen entnehmen. Dieser Bericht wurde auch der
+nachfolgenden Darstellung der *Ampère*schen Forschungsergebnisse zu
+Grunde gelegt. Der Stromleiter wurde, wie die Abbildung 41 zeigt,
+dadurch leicht beweglich gemacht, daß man ihn in die Form eines
+Quadrats oder Rechtecks (DFGM) brachte. An beide Enden des Drahtes
+wurden bei A und B senkrechte Stahlspitzen angelötet. Diese Spitzen
+tauchen in die etwas Quecksilber enthaltenden Näpfchen neben A und B.
+Der Strom tritt bei der mit dem positiven Ende der Säule verbundenen
+Kapsel Z in den Apparat ein, durchfließt den gebogenen Schaft ZA und
+gelangt in die Kapsel A, in welcher das Quecksilber die Verbindung mit
+dem beweglichen Drahtbügel herstellt. Dieser wird dann in der Richtung
+ADFGMB durchflossen. In dem mit Quecksilber gefüllten Napfe B verläßt
+der Strom den Bügel und geht durch einen zweiten gebogenen Schaft Q zu
+der Kapsel C, die mit dem negativen Ende der Säule in Verbindung steht.
+
+[Illustration: Abb. 41. *Ampères* beweglicher Stromleiter[375].]
+
+[Illustration: Abb. 42. *Ampères* Vorrichtung zum Aufhängen seines
+beweglichen Stromleiters[376].]
+
+Mit Hilfe dieser sinnreichen Vorrichtung zeigte *Ampère* folgendes:
+Ließ er einen Magneten auf den beweglichen Leiter wirken, so fand er,
+daß der Leiter nach einigen Schwingungen in einer Lage zur Ruhe kommt,
+in welcher er mit der Verbindungslinie der Pole einen rechten Winkel
+bildet. Dabei bemerkte *Ampère*, daß sich der Südpol des Magneten nach
+Einnahme der Ruhelage stets zur Linken des Stromes befindet.
+
+[Illustration: Abb. 43. *Ampères* Apparat zum Nachweis, daß sich ein
+Stromleiter senkrecht zur Inklinationsnadel einstellt[377].]
+
+*Ampère* zeigte darauf, daß infolgedessen der Leiter, wenn nur der
+Erdmagnetismus auf ihn wirkt, eine Stellung einnimmt, in welcher
+seine Ebene den magnetischen Meridian senkrecht schneidet[378]. Diese
+Entdeckung erregte ein Aufsehen wie wenig andere[379]. *Ampère*
+beschreibt sie mit folgenden Worten: »Hängt man in der in Abbildung
+41 dargestellten Weise einen beweglichen Leiter auf, ohne daß in der
+Nähe dieses Leiters ein anderer Teil des Stromkreises sich befindet.
+(Wir müssen uns also in der Abbildung 41 das Drahtstück CILB, das
+auf den beweglichen Bügel einen richtenden Einfluß ausübt, entfernt
+denken), verbindet man hierauf die Kapseln C und Z mit den Polen der
+galvanischen Batterie, so sieht man den Bügel sich drehen, bis seine
+Ebene zu derjenigen des magnetischen Meridians NS senkrecht steht
+und der Strom in dem unteren Teil des Leiters, also in FG, von Ost
+nach West gerichtet ist, das Südende der Magnetnadel also zur Linken
+liegt.« Ließ *Ampère* den Strom in umgekehrter Richtung durch den Bügel
+gehen, so drehte sich dieser um einen Halbkreis zurück, um endlich
+nach einigen Schwingungen sich wieder senkrecht zur Richtung NS
+einzustellen.
+
+Eine der Neigung der Magnetnadel entsprechende Wirkung rief *Ampère*
+durch den in nebenstehender Abbildung 43 wiedergegebenen Apparat
+hervor. Der rechteckig gebogene Leiter ABCDEF, der durch einen
+Holzkörper VIZ daran gehindert wird, daß er sich biegt, wurde so
+angebracht, daß er sich um eine horizontale Achse XY drehen kann. Die
+Teile des Leiters waren so abgeglichen, daß in jeder Lage Gleichgewicht
+vorhanden war. Die Achse XY wurde dann senkrecht zum magnetischen
+Meridian gestellt und der Strom durch das Rechteck geleitet. Letzteres
+kam in Bewegung, nahm aber endlich eine Ruhelage ein, in welcher seine
+Ebene zur Richtung der Inklinationsnadel senkrecht stand.
+
+Fast noch merkwürdiger als diese Resultate war der von *Ampère* kurze
+Zeit nach der Entdeckung *Oersteds* erbrachte Nachweis, daß zwei
+galvanische Ströme anziehend oder abstoßend auf einander wirken, je
+nachdem sie gleich oder entgegengesetzt gerichtet sind.
+
+Wie durch einen Magneten und durch den Erdmagnetismus so wurde
+nämlich auch durch einen benachbarten Strom der bewegliche Leiter in
+Drehung versetzt. Die zum Nachweis dieses Verhaltens erforderliche
+Versuchsanordnung zeigt uns Abbildung 41. Nachdem der Strom den
+rechteckigen Bügel durchlaufen hat, wird er von C aus über IL
+parallel zur Seite DF des Bügels abwärts geführt. Durch die
+parallelen Metalldrähte IL und DF laufen somit gleichgerichtete
+elektrische Ströme. Und es zeigt sich, daß zwischen ihnen Anziehung
+stattfindet. Der Bügel dreht sich nämlich solange, bis die Seite DF
+dem Drahtstück IL möglichst nahe gekommen ist. Wird der Bügel um 180°
+gedreht, so daß das Stück MG, in welchem der Strom von unten nach
+oben fließt, sich dem in entgegengesetzter Richtung durchflossenen
+Leiter IL gegenüber befindet, so erfolgt Abstoßung.
+
+Kurz gefaßt lautet das so wichtige, von *Ampère* gefundene Grundgesetz
+der Elektrodynamik: *Zwei parallel und gleichgerichtete Ströme ziehen
+einander an, während zwei parallel und entgegengesetzt gerichtete
+Ströme einander abstoßen.*
+
+Die im ersteren Falle auftretenden anziehenden Kräfte zeigten sich als
+so beträchtlich, daß zwei von gleichgerichteten Strömen durchflossene
+Drahtstücke, zur Berührung gebracht, fest aneinander hafteten.
+
+*Ampère* wurde anfangs entgegengehalten, daß es sich hier um die längst
+bekannten Erscheinungen der Anziehung und Abstoßung elektrisierter
+Körper handle. Diesen Einwurf vermochte *Ampère* indessen schon durch
+den Hinweis zu entkräften, daß sich entgegengesetzt elektrisierte
+Körper anziehen, während sich entgegengesetzt gerichtete Ströme
+abstoßen.
+
+Wenn wir die in den vorstehenden Abschnitten in aller Kürze und
+mit Fortlassung zahlreicher Abänderungen und Nebenergebnisse
+dargestellten großen Entdeckungen *Ampères* überblicken, müssen wir
+anerkennen, daß hier eine Reihe von sinnvollen, logisch verknüpften
+und grundlegenden Versuchen vorliegt, wie sie vorher kaum und nachher
+nur selten uns wieder begegnen. Mit Recht hat man daher *Ampères*
+Fundamentaluntersuchung über den Zusammenhang zwischen den magnetischen
+und den elektrischen Erscheinungen als eins der hervorragendsten Muster
+einer wissenschaftlichen Untersuchung bezeichnet[380].
+
+Nach der experimentellen Erforschung der elektrodynamischen
+Grunderscheinungen galt es, auch hier einen mathematischen Ausdruck für
+die dabei obwaltenden quantitativen Beziehungen zu finden, ähnlich wie
+es *Coulomb* für das Gebiet der statischen Elektrizität getan hatte.
+Diese Aufgabe löste *Ampère* mit Hilfe des analytischen Kalküls. Er
+ging dabei von zwei kleinen, irgendwo im Raume liegenden Stromelementen
+aus, deren Länge er gleich *ds* und *ds^1* setzte, während mit i und
+i^1 die bezüglichen Intensitäten der Ströme bezeichnet wurden. Die
+anziehende oder abstoßende Kraft wurde proportional der Intensität und
+der Länge der Stromelemente angenommen.
+
+Den Abstand nannte *Ampère* r und setzte voraus, daß die Anziehung
+oder Abstoßung im umgekehrten Verhältnis zu r oder einer Potenz von r
+erfolge. Die weitere Untersuchung ergab, daß es sich nur um die zweite
+Potenz handeln konnte. Der erste Ausdruck des von *Ampère* gesuchten
+elektrodynamischen Grundgesetzes[381] lautete somit für die Wirkung w,
+welche die Stromelemente aufeinander ausüben:
+
+ (i · i^1 · ds, ds^1)
+ w = ------------------------------ .
+ r^2
+
+Dabei galt als Voraussetzung, daß die Stromelemente parallel gerichtet
+sind. Für beliebig gerichtete Stromelemente ergab die Ableitung als
+elektrodynamisches Grundgesetz für die Wechselwirkung der Elemente in
+der Verbindungslinie ihrer Mittelpunkte
+
+ i · i^1 · ds · ds^1 ( d^2r dr dr )
+ w = ------------------- (r --------- - 1/2 -- · ----)
+ r^2 ( ds · ds^1 ds ds^1)
+
+An dieses von *Ampère* gefundene Gesetz anknüpfend, hat, wie wir
+sehen werden, später *Weber* den allgemeinsten Ausdruck für das
+elektrodynamische Grundgesetz abgeleitet. Bezüglich der Ableitung des
+*Ampère*schen Gesetzes muß auf die Originalabhandlung oder auf ein
+Handbuch der Physik verwiesen werden[382].
+
+Wir sahen, zu welcher Fülle von Beobachtungen und Folgerungen der
+Kunstgriff dem Stromleiter die Form eines leicht beweglichen Bügels
+zu geben, *Ampère* geführt hat. Es war nun ein naheliegender, sehr
+fruchtbarer Gedanke, der sich *Ampère* fast aufdrängen mußte, an Stelle
+des nur eine Windung darstellenden rechteckigen oder kreisförmigen
+Bügels einen vielfach gewundenen beweglichen Leiter, den Schraubendraht
+oder nach *Ampères* Bezeichnung das Solenoid, in die experimentelle
+Physik einzuführen.
+
+Die von ihm entdeckten Beziehungen zwischen der Elektrizität und dem
+Magnetismus führten *Ampère* zu der Auffassung, die Teilchen eines
+Magneten seien von galvanischen Strömen umflossen und das Magnetisieren
+sei nichts weiter als ein Parallelmachen jener molekularen Ströme.
+Ein dieser Auffassung entsprechendes Bild des Magneten gibt *Ampères*
+Solenoid, jene beweglich aufgehängte, vom Strom durchflossene
+Drahtspirale. Letztere stellt sich den von *Ampère* entdeckten
+Gesetzen zufolge so ein, daß ihre Achse mit dem magnetischen Meridian
+zusammenfällt.
+
+Um das weitere Verhalten der Solenoide kennen zu lernen, galt es, die
+Wirkung des Erdmagnetismus auszuschalten. Dies erreichte *Ampère* durch
+die in umstehender Abbildung 44 dargestellte Versuchsanordnung. Der
+Leiter ABCDEF ist ein einziger Draht, der mit seinen Enden A und F
+in der bekannten *Ampère*schen Aufhängevorrichtung angebracht werden
+kann. Von A ist der Draht nach der Mitte einer Röhre geführt und dann
+um diese nach links gewunden. Nach einigen größeren Windungen wird
+der Draht durch die Röhre nach dem rechten Ende D und von hier in
+entgegengesetzt verlaufenden Windungen nach der Mitte und schließlich
+nach F zurückgeführt. Infolge dieser Anordnung der Windungen sucht der
+Erdmagnetismus ein derartiges Solenoid entgegengesetzt zu drehen und
+kann ihm folglich keine Bewegung mitteilen.
+
+Dies Solenoid verhielt sich einem Magneten gegenüber genau so wie ein
+zweiter Magnet. Wurde ein und derselbe Pol des Magneten nacheinander
+den beiden Enden des Solenoids genähert, so zog er das eine Ende an,
+während er das andere abstieß. Wurde die Spirale befestigt und ein
+beweglicher Magnet herangebracht, so fand gleichfalls Anziehung und
+Abstoßung statt.
+
+Versuche mit zwei Solenoiden ergaben, daß ihre Pole den
+elektrodynamischen Gesetzen zufolge eine abstoßende oder anziehende
+Wirkung äußern, je nachdem das Kreisen der Ströme an den gegenüber
+befindlichen Enden in entgegengesetzter oder in gleicher Richtung
+erfolgt. Ein vorübergeführter Strom lenkte eine solche Spirale nach
+der von *Ampère* aufgestellten Schwimmerregel ab. Kurz, das Solenoid
+verhielt sich, wie *Ampère* zur Bekräftigung seiner Theorie zeigen
+wollte, in jeder Hinsicht wie ein wahrer Magnet.
+
+[Illustration: Abb. 44. *Ampères* von dem Einfluß des Erdmagnetismus
+befreites Solenoid[383].]
+
+[Illustration: Abb. 45. *Ampères* astatische Magnetnadel[384].]
+
+Wie *Ampère* den Erdmagnetismus bei der Konstruktion seiner Solenoide
+auszuschalten vermochte (siehe Abb. 44), so gelang es ihm durch eine
+ähnliche geschickte Anordnung diese Kraft bei der Magnetnadel auf
+ein sehr kleines Maß zurückzuführen und der Nadel dadurch einen sehr
+hohen Grad von Empfindlichkeit gegenüber dem elektrischen Strome
+zu verleihen. *Ampère* verband nämlich, wie es die seiner Schrift
+entnommene Abbildung 45 zeigt, zwei gleiche, getrennte und annähernd
+gleich starke Magnetnadeln in der Weise, daß die gleichnamigen Pole
+entgegengesetzt gerichtet waren. So wurde die richtende Kraft der Erde
+auf die eine Nadel durch die entgegengesetzte Wirkung, welche diese
+Kraft auf die andere Nadel ausübt, nahezu aufgehoben[385].
+
+Bestand die Ursache des Magnetismus, wie *Ampère* annahm, in
+elektrischen Strömen, welche den Magneten senkrecht zur magnetischen
+Achse umkreisen, so mußte der Erdmagnetismus aus der gleichen Ursache
+erklärt werden. *Ampère* setzte deshalb ein Strömen der Elektrizität
+um die Erde voraus. Aus dem Verhalten der Solenoide zum Erdmagnetismus
+mußte man schließen, daß der Erdstrom von Ost nach West gerichtet und
+somit der Bewegung der Erde entgegengesetzt sei. *Ampère* zweifelte
+nicht daran, daß der Erdstrom und somit der Erdmagnetismus mit
+dieser Bewegung und der dadurch bewirkten periodischen Erwärmung
+der Erdhälften durch die Sonne in Beziehung zu setzen sei. Da zwei
+Körper von ein und derselben Natur, verschieden erwärmt, galvanisch
+aufeinander wirken, sei es wahrscheinlich, daß die Ströme der
+Erdkugel von der Erwärmung durch die Sonne herrührten[386]. Zu
+ähnlichen Anschauungen gelangte auch *Seebeck*, der Entdecker der
+Thermoelektrizität. Außer der Erwärmung durch die Sonne nahm *Ampère*
+auch eine galvanische Wirkung der verschiedenartigen Stoffe, aus denen
+die Erde besteht, zur Erklärung des Erdstroms in Anspruch.
+
+Zur selben Zeit, als *Ampère* seine epochemachenden Untersuchungen
+anstellte, erfuhr die Lehre vom Elektromagnetismus auch manche
+Bereicherung durch *Arago*.
+
+*Dominique François Jean Arago*, einer der vielseitigsten französischen
+Gelehrten, wurde am 26. Februar 1786 in der Nähe von Perpignan geboren.
+Er studierte in Paris, wurde Professor der Mathematik und Geodäsie
+an der dortigen polytechnischen Schule und gab mit *Gay-Lussac* die
+Annales de Chimie et de Physique heraus. Er starb in Paris am 2.
+Oktober 1853.
+
+*Arago* hat sich auf den Gebieten der Astronomie, der Optik und des
+Elektromagnetismus die hervorragendsten Verdienste erworben.
+
+So rührt von ihm das Verfahren her, Stahlnadeln dauernd zu
+magnetisieren, indem man sie in eine vom Strom durchflossene
+Drahtspule (Solenoid) einschließt. Um diese Wirkung auf Stahlnadeln zu
+erzielen, bedurfte es, wie *Arago* des weiteren zeigte, nicht einmal
+der dauernden Wirkung des galvanischen Stromes, sondern es genügte die
+einmalige, momentan erfolgende Entladung einer *Leydener* Flasche.
+
+Als *Arago* dem Schließungsdrahte einer Batterie Eisenfeilspäne
+näherte, entdeckte er eine weitere elektromagnetische Wirkung, welche
+darin bestand, daß die Eisenfeilspäne vom Drahte angezogen wurden.
+Diese Beobachtungen führten *Arago* zu der auch *Seebeck*[387]
+beherrschenden Vorstellung, daß ein vom Strom durchflossener Leiter
+selbst ein Magnet sei. Die wichtigsten, zum Teil in Gemeinschaft mit
+*Gay-Lussac* gemachten Entdeckungen über die magnetisierende Wirkung
+des Stromes veröffentlichte *Arago* im Jahre 1820[388].
+
+Einige Jahre später entdeckte *Arago* eine merkwürdige, zunächst ganz
+unerklärliche Erscheinung, die er als Rotationsmagnetismus bezeichnete.
+*Arago* fand nämlich, daß eine schwingende Magnetnadel über einer
+Metallfläche viel schneller zur Ruhe kommt als über einem Nichtleiter,
+wie Glas oder Marmor. Befand sich die Magnetnadel in der Ruhelage und
+setzte er dann die Metallscheibe in Drehung, so erfolgte eine Ablenkung
+der Nadel im Sinne der Rotation. Ja, die Nadel, konnte schließlich mit
+zur Rotation gebracht werden. Auch zeigte es sich, daß der Magnet je
+nach seiner Lage von der rotierenden Scheibe abgestoßen oder angezogen
+wurde[389]. Diese Versuche *Aragos* blieben unerklärt, bis *Faraday*
+sie als Ausgangspunkt zur Erforschung der Induktionserscheinungen
+benutzte[390].
+
+
+
+
+15. Die Entdeckung der Thermoelektrizität.
+
+
+[Illustration: Abb. 46. Die Entdeckung der Thermoelektrizität.]
+
+Kaum hatte man sich mit den hauptsächlichsten Wirkungen des
+galvanischen Stromes vertraut gemacht, als man auch schon eine neue
+Art der Elektrizitätserregung kennen lernte. Fast zur selben Zeit
+als *Oersted* und *Ampère* ihre grundlegenden Versuche machten,
+entdeckte der deutsche Physiker *Seebeck* die Stromerzeugung durch
+ungleichmäßige Erwärmung eines aus verschiedenen Metallen bestehenden
+Kreises. *Seebeck*[391] war auf den Gedanken gekommen, ob auch zwei
+Metalle für sich, ohne die Mitwirkung eines feuchten Leiters einen
+Strom hervorrufen könnten. Als *Seebeck* eine Wismutscheibe (Abb.
+46 B) unmittelbar auf eine Kupferscheibe K legte und beide Scheiben
+zwischen die Enden *ab* eines im magnetischen Meridian liegenden,
+spiralförmig gewundenen Kupferstreifens brachte, zeigte die in
+der Spirale befindliche Magnetnadel (*ns*) bei der Schließung des
+Kreises eine deutliche Ablenkung. Dies war ein Beweis, daß hierbei
+ein elektrischer Ausgleich stattfand. Die Wirkung war am stärksten,
+wenn die Schließung unmittelbar mit der Hand bewirkt wurde; sie blieb
+dagegen aus, wenn man sich beim Zusammendrücken einer Glasstange oder
+eines längeren Holzstückes bediente, während sich noch eine schwache
+Wirkung zeigte, wenn man dünne Zwischenkörper anwandte[392]. Es fiel
+aber jede Wirkung auf die Magnetnadel weg, wenn *Seebeck* die Enden
+der Spirale mit einer zwei Fuß langen Glas-, Holz- oder Metallstange
+auf die Wismutscheibe niederdrückte. Nach diesen Beobachtungen mußte
+sich der Gedanke aufdrängen, daß nur die Wärme die sich der berührten
+Stelle von der Hand mitteilt, die Ursache jenes durch den Ausschlag
+der Nadel sich verratenden elektrischen Ausgleichs ist. Danach war zu
+erwarten, daß ein höherer Grad der Temperatur als derjenige, welcher
+den Metallen durch die Berührung mitgeteilt wurde, auch eine größere
+Wirkung hervorrufen werde. Der Versuch bestätigte dies. Wurden Wismut-
+oder Antimonscheiben an dem einen Ende erwärmt und dann mit der Spirale
+in Berührung gebracht, so war die Abweichung der Nadel viel bedeutender
+als bei den früheren Versuchen.
+
+Künstliche Abkühlung eines der beiden Berührungspunkte ergab denselben
+Erfolg. Eine Wismutstange, deren Ende in einer Mischung von Salz
+und Schnee abgekühlt wurde, während das andere Ende die gewöhnliche
+Temperatur besaß, verhielt sich in Verbindung mit der Kupferspirale
+ganz so, als wenn der Temperaturunterschied beider Enden durch
+Erwärmung hervorgerufen worden wäre. Der Ausschlag der Nadel betrug
+beim Schließen des Kreises dreißig Grad.
+
+[Illustration: Abb. 47. *Seebecks* Thermoelement.]
+
+Die Wirkung dieser metallischen Ketten war um so stärker, je größer der
+Temperaturunterschied an den Berührungspunkten der verschiedenartigen
+Metalle war. Wurde ein Blatt Papier oder eine Haut zwischen die beiden
+Metalle geschoben, z. B. zwischen Antimon und Kupfer in a (Abb. 47),
+während der Berührungspunkt b mit einer Weingeistlampe erwärmt wurde,
+so zeigte sich gar keine Wirkung auf die Magnetnadel *ns*. Unmittelbare
+Berührung der Metalle war demnach eine wesentliche Bedingung, um
+Elektrizität durch Temperaturdifferenz zu erzeugen. Je vollkommener
+*Seebeck* diese Verbindung herstellte, desto stärker zeigte sich die
+Wirkung. Apparate, in welchen Stäbe von Antimon und Wismut durch Lötung
+verbunden waren, zeigten bei gleicher Temperaturdifferenz eine weit
+stärkere Ablenkung der Nadel als solche, in denen sich die Metalle nur
+äußerlich berührten.
+
+Auch gelegentlich der Entdeckung der Thermoelektrizität ergab es sich,
+daß die Entdeckung neuer Wirkungen und Beziehungen in der Regel
+zunächst in ihrer Tragweite überschätzt wird. So glaubte *Seebeck*
+den Erdmagnetismus aus der durch vulkanische Wärme hervorgerufenen
+ungleichen Erwärmung der Erdkugel erklären zu können. Eine Verwendung
+fanden die Thermoströme nach zwei Richtungen, nämlich als Stromquelle
+und zum Messen der Temperaturen.
+
+Da die innige Berührung der Metalle neben dem Vorhandensein eines
+Temperaturunterschieds die wesentliche Bedingung des Gelingens
+war, hatte *Seebeck* seine Stäbe zusammengelötet und so das erste
+Thermoelement geschaffen. War dieses zunächst auch nicht geeignet,
+einen ergiebigen Strom zu liefern, so wurde es doch im Jahre 1834 in
+den Händen *Nobilis*, der eine Anzahl solcher Elemente zur Thermosäule
+vereinigte, zu einem brauchbaren Instrument, um Wärmestrahlungen
+nachzuweisen und durch den Ausschlag eines empfindlichen Galvanometers
+zu messen. Ein solches erhielt *Nobili*, als er nach dem Vorgang
+*Ampères* zwei Nadeln von nahezu gleicher magnetischer Stärke zu einem
+astatischen Nadelpaare verband[393]. Mit dieser unter dem Namen des
+Thermomultiplikators bekannten Vereinigung beider Apparate hat später
+*Melloni* seine Versuche über die Wärmestrahlung angestellt[394].
+Zum Messen der Körperwärme wurde seit 1840 etwa ein Thermoelement
+aus schwerer schmelzbaren Metallen, gewöhnlich Eisen und Neusilber,
+gebraucht, dessen Lötstelle man in den Körper steckte.
+
+Eine andere Verwertung der Thermoströme suchte schon *Seebeck*
+anzubahnen, indem er aus mehreren, hintereinander geschalteten
+Elementen eine thermoelektrische Säule konstruierte. Doch fand er, daß
+die erhaltene Stromstärke nicht proportional der Anzahl der erwärmten
+Berührungsstellen wuchs. Es schien vielmehr ein Teil verloren zu
+gehen. Seitdem sind viele Thermosäulen konstruiert worden, so die von
+*Noë* aus Neusilberdrähten und Stäben einer Zinkantimonlegierung und
+neuerdings diejenige von *Gülcher*, der Antimon und Kupfer verwendet.
+Zur Erzeugung starker Ströme haben sich alle ersonnenen Einrichtungen
+jedoch nicht brauchbar erwiesen. Sie haben vor den galvanischen
+Elementen nur die bequemere Handhabung und eine größere Beständigkeit
+voraus.
+
+Vergegenwärtigen wir uns noch einmal den Inhalt der letzten Abschnitte,
+so finden wir, daß zu Beginn der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts
+die wesentlichsten Gebiete der Elektrizitätslehre mit Ausnahme der
+Induktion erschlossen waren. Die Entdeckung der letzteren sollte der
+unvergleichlichen Experimentierkunst eines *Faraday* vorbehalten
+bleiben, mit dessen grundlegenden Arbeiten wir uns im nächsten Bande
+beschäftigen werden.
+
+
+
+
+16. Der insbesondere durch Laplace und Herschel bewirkte Aufschwung der
+Astronomie.
+
+
+Eine so weitgehende Umgestaltung, beziehungsweise Erschließung neuer
+Gebiete, wie sie die Chemie und die Physik erfuhren, hat die Astronomie
+um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert nicht aufzuweisen. Ihr
+Lehrgebäude war durch die Arbeiten des 17. und des 18. Jahrhunderts
+so festbegründet, daß es sich im wesentlichen nur noch um den Ausbau
+im einzelnen und späterhin um eine Anwendung der physikalischen und
+chemischen Forschungsergebnisse auf kosmische Erscheinungen handeln
+konnte.
+
+Die Hauptvertreter der Astronomie waren gegen das Ende des 18. und
+zu Beginn des 19. Jahrhunderts *Laplace* und *Herschel*. Während der
+erstere seine Untersuchungen vorwiegend auf unser Planetensystem
+beschränkte und hier das Erbe *Newtons* vervielfältigte, hat
+*Herschel*, wie *Humboldt* sich einmal ausdrückt[395], das Senkblei
+zuerst in die Tiefen des Himmels geworfen. Wir werden ihn als den
+eigentlichen Begründer der Astronomie der Fixsterne kennen lernen.
+
+*Pierre Simon Laplace* wurde am 28. März 1749 in einer kleinen Stadt
+der Normandie[396] als der Sohn eines armen Landmannes geboren. Die
+außerordentliche Begabung, die *Laplace* auszeichnete, leuchtet schon
+daraus hervor, daß er von seinem 18. bis zur Vollendung des 20.
+Lebensjahres mehrere Abhandlungen aus dem Gebiete der Integralrechnung
+veröffentlichte, die ihm den Ruf eines bedeutenden Mathematikers
+eintrugen.
+
+*Laplace* wurde infolgedessen zum Lehrer der Mathematik ernannt. Als
+solcher wirkte er zunächst in seiner Vaterstadt; bald darauf berief
+man ihn an die Militärschule zu Paris. Seit dieser Zeit stellte
+*Laplace* seine außerordentliche mathematische Befähigung vorzugsweise
+in den Dienst der theoretischen Astronomie, die erst durch seine
+Untersuchungen in den Stand gesetzt wurde, eine befriedigende Erklärung
+der in unserem Planetensystem auftretenden säkularen Änderungen zu
+geben. Während manche Astronomen schon geneigt waren, gewisser, bei
+der Bewegung der Planeten in die Erscheinung tretender Umstände wegen
+eine nur annähernde Gültigkeit des *Newton*schen Gravitationsgesetzes
+anzunehmen, lieferte *Laplace*, der sich dabei auf die Vorarbeiten
+*Eulers* stützen konnte, den Nachweis, daß, unter dem Gesichtspunkte
+des Problems von den drei Körpern, jene scheinbaren Abweichungen von
+der Regel letztere erst vollauf bestätigen. *Newton* selbst hatte
+nämlich nur die Bewegung eines Planeten um seinen Zentralkörper
+untersucht und gezeigt, daß sie in einem Kegelschnitte erfolgen muß.
+Das Problem der drei Körper war damit gegeben, daß bei dem Umlauf
+des Mondes um die Erde der Einfluß der Sonne in Rechnung zu stellen
+ist, um zu einer Übereinstimmung zwischen Theorie und Beobachtung zu
+gelangen. Diese Untersuchung hatte schon *Euler* beschäftigt und ihn
+zu Ergebnissen geführt, die später den von *Tobias Mayer* entworfenen
+Mondtafeln als Unterlage dienten[397]. Das Hauptverdienst von *Laplace*
+bestand darin, daß er das Problem von den drei Körpern auch auf die
+Planeten und die Kometen ausdehnte und eine Theorie der Störungen,
+d. h. der Abweichungen, welche diese Himmelskörper durch ihre
+wechselseitige Anziehung erfahren, lieferte. Die strenge Lösung des
+Problems der drei Körper, die auch heute noch die Kräfte der höheren
+Analysis übersteigt, vermochte *Laplace* jedoch nicht zu geben.
+
+Eine seiner frühesten Abhandlungen aus dem Bereich der theoretischen
+Astronomie lieferte den wichtigen Nachweis, daß die mittlere Entfernung
+der Planeten von der Sonne zwar Änderungen erleidet, im Mittel jedoch
+konstant ist. Bald darauf wurde *Laplace*, kaum 24 Jahre alt, zum
+Mitglied der Akademie der Wissenschaften gewählt. Nachdem er ein
+Lehramt an der École normale erhalten, sehen wir ihn an den großen
+Aufgaben, mit denen sich damals die französische Nation trotz der
+politischen Gärung beschäftigte, den hervorragendsten Anteil nehmen. So
+gehörte *Laplace* der aus dem Schoße der Akademie gewählten Kommission
+für Maß und Gewicht an. Diese erhielt von der Nationalversammlung im
+Jahre 1790 den Auftrag, eine unveränderliche Grundlage für ein neues
+Maß- und Gewichtssystem in Vorschlag zu bringen. Die Bemühungen, das
+schon von *Huygens* hierfür in Aussicht genommene Sekundenpendel zu
+wählen, wurden durch *Laplace* gekreuzt. Letzterer, der offenbar
+eine neue Gradmessung wünschte, bestimmte die Kommission, von dem
+Meridianquadranten auszugehen. Die Akademie brachte daher im Jahre 1791
+den zehnmillionsten Teil dieses Quadranten als Meter in Vorschlag.
+
+Unter dem Vorsitz von *Laplace* wurde die École polytechnique,
+eine der hervorragendsten Pflanzstätten der Wissenschaft und Technik
+umgestaltet. Napoleon übertrug *Laplace*, den er sehr schätzte, sogar
+das Ministerium des Innern und erhob ihn in den Grafenstand. Auch nach
+der Restauration wurde *Laplace* mit Ehren überhäuft. Er schied am 5.
+März des Jahres 1827 mit den Worten aus dem Leben: »Was wir wissen, ist
+wenig, aber was wir nicht wissen, ist ungeheuer viel.«
+
+Von den Schriften dieses größten Astronomen, den Frankreich
+hervorgebracht, wurde später auf öffentliche Kosten eine Ausgabe
+veranstaltet[398]. Die ersten fünf Bände enthalten das von 1799
+bis 1825 erschienene Hauptwerk von *Laplace*, die »Mécanique
+céleste«. Ein hervorragender Geschichtsschreiber der Astronomie[399]
+bezeichnet es als »eine unendlich ausgedehnte und bereicherte
+Ausgabe von *Newtons* Prinzipien«. Nach einer Ableitung der aus dem
+Gravitationsgesetze folgenden allgemeinen Gleichungen für die Bewegung
+der Himmelskörper entwickelte *Laplace* in diesem Werke seine schon
+erwähnte Theorie der Störungen. Hierbei boten ihm die Beobachtungen an
+den großen Planeten Saturn und Jupiter, deren Ungleichheiten er auf den
+Einfluß, den diese Himmelskörper aufeinander ausüben, zurückführte,
+sowie die Beobachtungen an den Jupitermonden die willkommenste
+Unterlage für seine theoretischen Erwägungen.
+
+Da die Jupitertrabanten mit ihrem Zentralkörper ein Ganzes ausmachen,
+das dem Planetensystem sehr ähnlich ist, die Umläufe hier aber in
+verhältnismäßig kurzer Zeit erfolgen, so ließen diese *Laplace* in
+einem kurzen Zeitraume alle jene großen Veränderungen erkennen, die
+sich im Planetensystem im Verlaufe von Jahrhunderten abspielen. War
+*Newton* noch geneigt, die trotz aller gegenseitigen Störungen
+im Sonnensystem offenbar vorhandene Stabilität auf übernatürliche
+Einflüsse zurückzuführen, so gelang es *Laplace*, diese Stabilität als
+eine Notwendigkeit nachzuweisen und damit die der Gravitationsmechanik
+gestellte Aufgabe erst endgültig zu lösen[400].
+
+Auch das Problem der Gezeiten, für das *Newton* die erste, indes in
+mancher Hinsicht mit den Tatsachen noch nicht im Einklang stehende
+theoretische Ableitung gegeben hatte, wurde durch *Laplace* zu einem
+gewissen Abschluß gebracht. Dabei stand ihm in den über mehrere Jahre
+sich erstreckenden täglichen Beobachtungen, die auf Veranlassung der
+Akademie der Wissenschaften in den französischen Häfen, insbesondere in
+Brest, stattgefunden hatten, ein vortreffliches Material zur Verfügung,
+das er unter Anwendung der zur Zeit *Newtons* noch nicht entwickelten
+Prinzipien der Hydrodynamik bearbeitete. Es gelang ihm, Linien gleicher
+Flutzeit, die sogenannten Isorachien, zu ermitteln. Eine befriedigende
+Theorie der Gezeiten vermochte jedoch erst die vereinte Arbeit
+zahlreicher Beobachter und Theoretiker der neueren Zeit zu geben.
+
+Einige Jahre vor dem Erscheinen der Mécanique céleste suchte
+*Laplace* die Ergebnisse der astronomischen Forschung in allgemein
+verständlicher Weise weiteren Kreisen zugänglich zu machen. So
+entstand seine »Darstellung des Weltsystems«, ein Buch, in dem er
+unter anderem seine Ansichten von der Bildung der Welt aus einem
+chaotischen Urnebel entwickelte. Zunächst setzt *Laplace* auseinander,
+daß die Glieder des Planetensystems, obgleich sie selbständig sind,
+dennoch sehr merkwürdige Beziehungen zu einander aufweisen, die uns
+über den Ursprung des Systems aufklären können. Man bemerke nämlich,
+daß sämtliche Planeten fast in derselben Ebene von West nach Ost um
+die Sonne kreisen. Die Monde bewegten sich ferner um die Planeten
+im gleichen Sinne und fast in derselben Ebene wie die letzteren.
+Endlich drehten sich Sonne, Planeten und Monde sämtlich in einerlei
+Richtung um ihre Achse, und zwar geschehe dies fast in der Ebene ihrer
+Umlaufsbewegungen. Eine solch außergewöhnliche Erscheinung könne kein
+Spiel des Zufalls sein; sie deute auf eine gemeinsame Ursache hin.
+*Buffon* hatte zur Erklärung dieser merkwürdigen Gesetzmäßigkeiten
+angenommen, daß ein Komet in seinem Falle auf die Sonne einen Strom
+Materie von dieser losgerissen habe, der sich dann zu größeren
+und kleineren, von der Sonne verschieden weit abstehenden Kugeln
+zusammengeballt hätte. Diese Hypothese erklärt nach *Laplace* indessen
+nur eine der erwähnten Erscheinungen. Denn es sei einleuchtend, daß
+alle auf solche Weise entstandenen Körper sich ungefähr in derjenigen
+Ebene bewegen müßten, welche durch den Mittelpunkt der Sonne und den
+Weg des materiellen Stromes gehe, der jene Körper erzeugt habe. Die
+anderen Erscheinungen können, wie *Laplace* ausführt, aus der Hypothese
+*Buffons* nicht erklärt werden. Ja, die geringe Exzentrizität der
+Planetenbahnen spricht geradezu gegen diese Hypothese. Denn nach der
+Theorie der Zentralkräfte wird ein Körper, der sich um die Sonne bewegt
+und dabei ihre Oberfläche streift, bei jedem seiner Umläufe dahin
+zurückkehren müssen. Wären also die Planeten ursprünglich von der
+Sonne losgerissen worden, so würden sie die Sonne nach jedem Umlauf
+berühren. Ihre Bahnen wären also nicht nahezu kreisförmig, sondern
+stark exzentrisch.
+
+Eine Ursache, welche die Bewegungen der Planeten und der Monde
+veranlaßte, mußte sich, welches auch ihre Natur war, auf alle diese
+Körper erstrecken. In Anbetracht der gewaltigen Zwischenräume, welche
+die Planeten trennen, kann diese Ursache, so führt *Laplace* aus, nur
+in einem Fluidum von ungeheurer Ausdehnung bestanden haben. Sollte
+dieses Fluidum den Planeten fast kreisförmige, gleich gerichtete
+Bewegungen um die Sonne verleihen, so mußte es die Sonne wie eine
+Atmosphäre umgeben. Durch diese Überlegungen wurde *Laplace* zu der
+Annahme geführt, daß die Sonnenatmosphäre sich uranfänglich über
+sämtliche Planetenbahnen hinaus erstreckt habe und allmählich bis auf
+ihren jetzigen Umfang zusammengeschrumpft sei.
+
+Die große Exzentrizität der Kometenbahnen führte *Laplace* zu
+demselben Ergebnis. Die Kometen sind nach ihm Weltkörper, die sich
+zu jener Zeit, als die Bildung der Planeten vor sich ging, außerhalb
+jenes Fluidums befanden. Die Bahnen der Kometen sind so verschieden,
+als wären diese Körper aufs Geratewohl geschleudert worden, weil
+eben die Sonnenatmosphäre keinen Einfluß auf ihre Bewegungen haben
+konnte. Um zu erklären, wie die Sonnenatmosphäre den Umlauf und
+die Rotation der Planeten hervorrief, nahm *Laplace* an, daß die
+Planeten an den aufeinander folgenden Grenzen jener Atmosphäre durch
+die Verdichtung derjenigen Zonen entstanden seien, die sich in der
+Äquatorebene infolge von Abkühlung und Zusammenziehung bilden mußten.
+Die Monde sollten auf ähnliche Weise aus der Atmosphäre der Planeten
+hervorgegangen sein. Die beobachteten Erscheinungen erklärten sich also
+sämtlich ungezwungen aus dieser Annahme, welche durch die Saturnringe
+eine weitere Stütze erhielt.
+
+Ein Versuch, auf deduktivem Wege zu einer Vorstellung von dem
+Weltbildungsprozesse, insbesondere der Entstehung unseres
+Planetensystems zu gelangen, wurde schon mehrere Jahrzehnte vor
+*Laplace* in Deutschland durch *Immanuel Kant* (1724-1804) gemacht.
+In seiner »allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels[401]«,
+vom Jahre 1755 nimmt *Kant* als Urzustand die feinste Verteilung der
+Materie durch den ganzen Weltraum an, weshalb man seine Ansicht auch
+als Nebularhypothese bezeichnet hat. Infolge der Gravitation bildeten
+sich dann Zentralkörper. Die benachbarte Materie verdichtete sich
+gleichfalls um besondere Bildungsmittelpunkte und näherte sich, durch
+die allgemeine Anziehung getrieben, dem Zentrum. Gäbe es nur Anziehung,
+so müßte eine Vereinigung des Zentralkörpers mit den um besondere
+Punkte sich anhäufenden Massen stattgefunden haben. Unter dem Einfluß
+einer der Materie gleichfalls innewohnenden abstoßenden Kraft wurden
+die herabsinkenden Massen indessen abgelenkt. Der Fall schlug in eine
+Wirbelbewegung um, woraus nach *Kant* die Tatsache ihre Erklärung
+findet, daß sämtliche Planeten in nahezu einer Ebene und in derselben
+Richtung um die Sonne kreisen.
+
+In Wahrheit ist die erste Ursache der Rotation durch *Kants* Annahme
+nicht erklärt. *Laplace* gesteht die Unzulänglichkeit seiner Hypothese
+in diesem Punkte zu. Er gibt für das Zustandekommen der Rotation keine
+Erklärung, sondern geht von einem in Drehung begriffenen Gasball aus,
+gelangt aber, wie wir sahen, im wesentlichen zu demselben Ergebnis wie
+*Kant*.
+
+*Kant* selbst war zu seinen Spekulationen durch die Schrift des
+Engländers *Wright* angeregt worden[402]. Auf diesen ist wohl die
+Beobachtung zurückzuführen, daß die Fixsterne nicht ohne Gesetz
+zerstreut, sondern auf eine Ebene zu beziehen sind. *Wright* sagt
+nämlich: »Die Sterne stehen um so dichter, je mehr wir uns der
+Milchstraße nähern, so daß von den 2000 Sternen, die das unbewaffnete
+Auge wahrnimmt, der größte Teil in einer nicht gar breiten Zone, deren
+Mitte die Milchstraße bildet, angetroffen wird.« Auch *Lambert* hat,
+wie wir an anderer Stelle schon erwähnten, diesen Gedanken weiter
+ausgeführt und begründet[403]. Eine wertvolle Stütze erhielt *Kants*
+Theorie dadurch, daß gewisse Ableitungen, die *Kant* anstellte, durch
+spätere Beobachtungen bestätigt wurden. Das schönste Beispiel ist
+*Kants* Berechnung der Rotation der Saturnringe[404]. *Kant* nahm
+an, daß die Materie dieser Ringe sich von dem Äquator des Planeten
+losgelöst habe und infolgedessen auch eine rotierende Bewegung
+besitze. Seine Berechnung ergab für den inneren Rand des Ringes
+eine Rotationsdauer von »etwa zehn Stunden«. Nach den Beobachtungen
+*Herschels*, die 34 Jahre später angestellt wurden, ergab sich für die
+Rotationszeit der Wert von 10½ Stunden. Die Ansicht *Kants*, daß
+die Ringe des Saturn aus einer Häufung einzelner Teilchen bestehen,
+haben gleichfalls spätere teils analytische, teils photometrische
+Untersuchungen bestätigt. Auch die Vorstellung, daß das Zodiakallicht
+auf einen die Sonne umgebenden und von ihr erleuchteten Ring von
+kosmischem Staub zurückzuführen sei, hat *Kant* in Anlehnung an seine
+Betrachtungen über den Saturnring entwickelt[405].
+
+*Kant* erörtert auch die Frage, ob die Achsendrehung der Weltkörper
+durch irgend welche Umstände vermindert oder ganz aufgezehrt werden
+könne. Sollte z. B., meint er, der Mond sich nicht früher schneller
+um seine Achse gedreht haben und durch irgend welche Ursachen seine
+Bewegung auf das jetzige Maß herabgemindert worden sein[406]. Eine
+nähere Untersuchung dieses Problems hat *Kant* zu der Annahme geführt,
+daß die Flutwelle eine solche hemmende Wirkung ausübe. *Kant* ist
+auch darin bahnbrechend und glücklich gewesen. Er zeigte, daß die
+Rotation der Erde eine Verlangsamung erfahren müsse, weil sich unser
+Planet unter den durch Mond und Sonne erzeugten Flutwellen wie in
+einem Friktionshemmschuh bewege. Die Rotation des Mondes sei so sehr
+vermindert und habe sich schließlich dem Umlauf dieses Weltkörpers um
+die Erde vollkommen angepaßt, weil die Erdwirkung, die auf dem Monde
+eine Flut erzeugte, 3600 mal so groß sei als diejenige, welche der
+Mond auf die Gewässer der Erde ausübt. Diese Annahmen *Kants* sind
+durch spätere, streng mathematische Ableitungen bestätigt worden[407].
+So stellte sich denn *Kants* Hypothese als ein zwar kühner, aber doch
+glücklicher Griff dar, weil sich nach allen Seiten Wechselbeziehungen
+und Bestätigungen ergaben[408].
+
+Am Schlusse seiner Abhandlung wendet sich *Kant* noch gegen die
+religiösen Bedenken, die vielleicht gegen seine Ansichten geltend
+gemacht werden könnten. Seien doch viele der Meinung, es heiße Gott
+die Regierung der Welt streitig machen, wenn man den Ursprung des
+Geschehens in den Naturkräften suche. Wenn die Ordnung der Welt, so
+betont demgegenüber *Kant*, aus allgemeinen Naturgesetzen herfließen
+konnte, so ist die ganze Natur notwendig eine Wirkung der höchsten
+Weisheit. *Kant* zieht indessen aus seiner Lehre nicht die letzten
+Folgerungen. Er beschränkt nämlich die mechanische Naturerklärung auf
+die Vorgänge der unorganischen Welt und hält sie für die Erklärung auch
+des einfachsten Organismus nicht für ausreichend. Die Ausdehnung der
+mechanischen Naturerklärung auf das gesamte Geschehen wurde besonders
+im 19. Jahrhundert versucht, ohne jedoch in das Verhältnis der Psyche
+zur Materie einen befriedigenden Einblick vermitteln zu können.
+
+Mit dem Ausbau der Theorie ging eine beträchtliche Erweiterung der
+Kenntnis des Planetensystems Hand in Hand. Schon *Kepler* hatte auf
+den verhältnismäßig großen Abstand hingewiesen, der sich zwischen den
+Bahnen des Mars und des Jupiter befindet. Angeregt durch Spekulationen,
+die darauf abzielten, eine die Abstände der Planeten beherrschende
+Gesetzmäßigkeit zu finden, begann man mit dem Jahre 1800 den Tierkreis
+nach kleineren Wandelsternen zu durchsuchen. Den ersten Erfolg nach
+dieser Richtung hatte *Piazzi*[409] zu verzeichnen.
+
+Dieser Astronom beobachtete anfangs Januar 1801 einen Stern 8. Größe,
+der sich im Stier befand. Als er den Stern an den nächsten Abenden
+von neuem aufsuchte, zeigte es sich, daß er seine Stellung zu den
+benachbarten Sternen verändert hatte, also offenbar ein Planet war.
+Das neue Gestirn erhielt den Namen »Ceres«. Es wurde, nachdem *Piazzi*
+es aus den Augen verloren, *Gauß* aber seine Stellung wieder berechnet
+hatte, von neuem durch *Olbers* entdeckt und in die Lücke zwischen Mars
+und Jupiter verwiesen. Dasselbe geschah mit einem zweiten, von *Olbers*
+aufgefundenen Planeten, der Pallas. An diese reihten sich noch 1804
+die Juno und 1807 die Vesta. Damit war der Anfang zur Entdeckung eines
+zwischen Mars und Jupiter befindlichen Planetenoidenringes gemacht,
+dessen Glieder, wie man nach der Anfertigung genauerer, die Sterne bis
+zur neunten Größe umfassender Himmelskarten erkannte, nach hunderten
+zählen.
+
+Eine andere Erweiterung der Kenntnis vom Planetensystem erfolgte
+durch den zweiten großen Vertreter, den die Astronomie in dieser
+Periode hatte, durch *Wilhelm Herschel*. Diese Erweiterung bestand
+in der Entdeckung des Uranus. Da *Herschel* wie kein anderer den
+Blick über die Grenzen des Planetensystems hinaus gerichtet hat und
+damit zum eigentlichen Begründer der Fixsternastronomie geworden ist,
+wollen wir uns mit seinem außergewöhnlichen Lebenslauf und seinen
+wissenschaftlichen Taten etwas eingehender beschäftigen.
+
+*Friedrich Wilhelm Herschel* wurde am 15. November 1738 in Hannover
+geboren. Sein Vater war ein armer, mit zahlreichen Nachkommen
+gesegneter Musiker, der eine große Bewunderung für die Astronomie an
+den Tag legte. *Herschels* Schwester, deren Aufzeichnungen[410] wir
+fast alles verdanken, was über die Jugend des großen Astronomen bekannt
+geworden ist, erzählt, der Vater habe sie und ihre Geschwister in
+einer klaren Nacht auf die Straße geführt, um sie mit den schönsten
+Sternbildern bekannt zu machen. Auch sei er ihrem Bruder Wilhelm bei
+seinen Studien an die Hand gegangen.
+
+Letzterer war gleichfalls zum Musiker bestimmt. Ein lebhaftes Interesse
+für die Theorie seiner Kunst veranlaßte ihn, sich eingehend mit der
+Mathematik zu befassen. Fünfzehn Jahre alt, wurde Wilhelm Mitglied
+der Kapelle eines Regiments, mit dem er bald darauf[411] nach England
+ging. Nachdem er seinen Dienst aufgegeben, bekleidete er eine
+Organistenstelle in Bath, wohin ihm seine Schwester Karoline folgte.
+Letztere hing mit schwärmerischer Bewunderung an dem Bruder und half
+ihm als treue Mitarbeiterin den Ruhm gewinnen, der seinen Namen später
+verherrlichen sollte. Trotzdem *Herschel* durch seine Stellung in
+Bath sehr in Anspruch genommen war, fand er doch Zeit zur Fortsetzung
+seiner Studien. Der Umstand, daß der Mann, der auf musiktheoretischem
+Gebiete[412] sein Lieblingsschriftsteller war, auch ein Werk über Optik
+geschrieben, im Verein mit den Anregungen, die er in seiner Jugendzeit
+empfangen, führten *Herschel* dazu, daß er sich mit immer größerem
+Eifer und Verständnis der Astronomie zuwandte. »Als ich mit dieser
+Wissenschaft bekannt wurde«, schrieb er später[413], »faßte ich den
+Entschluß, nichts auf Treu und Glauben anzunehmen, sondern alles, was
+andere vor mir erblickt hatten, mit meinen eigenen Augen zu sehen.«
+Da indessen die Kosten der Anschaffung eines Fernrohres zu bedeutend
+waren, beschloß *Herschel*, selbst ein solches anzufertigen. Nach
+vielen Mühen brachte er im 37. Jahre seines Lebens ein Spiegelteleskop
+zu stande, mit dem man den Saturnring erblicken konnte. *Herschels*
+Fleiß verdoppelte sich jetzt; sein ganzer Stolz bestand darin,
+Teleskope zu liefern, von denen immer eins das andere übertraf.
+
+Einige kleinere astronomische Abhandlungen waren schon aus seiner Feder
+hervorgegangen, als er mit einem Schlage durch die Entdeckung eines
+neuen, jenseits des Saturn umlaufenden Planeten zum berühmten Manne
+wurde. Diese Entdeckung des Uranus erfolgte am 13. Mai des Jahres
+1781. Es war ein astronomisches Ereignis, dem sich nichts Ähnliches
+zur Seite stellen ließ. König Georg III., der eine Sternwarte besaß,
+ernannte *Herschel*, nachdem er dessen Teleskop gesehen und nachdem
+sich herausgestellt hatte, daß es die besten Instrumente übertraf, zum
+königlichen Astronomen.
+
+*Herschel* gab jetzt seine Stellung als Musiker auf und verließ Bath
+im Jahre 1782, um sich ausschließlich der Erforschung des Himmels
+zu widmen. Mit reichen Mitteln -- der König stellte 4000 Pfund zur
+Verfügung -- wurde ein Riesenteleskop geschaffen, dessen Bau mehrere
+Jahre (1785-1789) in Anspruch nahm. Die Konstruktion, die *Herschel*
+hierbei wählte, war eine eigenartige (siehe Abb. 48). Das neue
+Instrument besaß nämlich nur einen Spiegel, der beiläufig etwa 2000
+Pfund wog und einen Durchmesser von 4 Fuß besaß. Dieser Spiegel M war
+gegen die Achse des Instruments ein wenig geneigt, so daß das Bild
+*ab* am unteren Rande der Öffnung entstand und dort durch das Okular
+betrachtet werden konnte. Allerdings ging hierbei ein Teil des Lichtes
+verloren, da der Beobachter von vorn in das Rohr hineinschauen mußte.
+Doch war dieser Verlust bei genügendem Durchmesser des Spiegels nicht
+so beträchtlich, um die Konstruktion in Frage zu stellen.
+
+[Illustration: Abb. 48. Schema des von *Herschel* konstruierten
+Spiegelteleskops.]
+
+Bis zu seinem am 25. August des Jahres 1822 erfolgten Tode blieb
+*Herschel* auf der in der Nähe von Windsor errichteten Sternwarte
+unermüdlich mit der Durchmusterung des Himmels beschäftigt. Diese
+Arbeitsstätte verließ er nur, um von Zeit zu Zeit der Royal Society
+über die Ergebnisse seiner Forschungen, denen wir uns jetzt zuwenden
+wollen, zu berichten.
+
+Zunächst reihte sich an die Auffindung des Uranus noch manche
+wertvolle, unser Planetensystem betreffende Beobachtung. So entdeckte
+*Herschel* mehrere Trabanten dieses Hauptplaneten, sowie den ersten und
+den zweiten Mond des Saturn. Für diesen Planeten hatte *Huygens* zuerst
+das Vorhandensein eines Trabanten, und zwar des sechsten, nachgewiesen.
+Die gleichfalls von *Huygens* entdeckten weißen Flecke an den Marspolen
+fand *Herschel* abhängig von den Jahreszeiten des Mars, für den er
+eine an irdische Verhältnisse erinnernde Beschaffenheit nachzuweisen
+suchte[414]. Während schon *Cassini* imstande war, die Rotationszeit
+des Jupiter aus der Beobachtung gewisser Flecken dieses Planeten zu
+ermitteln, gelang erst *Herschel* die Lösung der gleichen Aufgabe für
+den Saturn[415].
+
+[Illustration: Abb. 49. Der von *Herschel* in den Jahren 1785-1789
+erbaute vierzigfüßige Reflektor[416].]
+
+Zum Zentralkörper unseres Systems übergehend, suchte *Herschel* sowohl
+dessen physische Natur als dessen Bewegung und Stellung im Weltraum zu
+bestimmen. Seine Theorie über die Beschaffenheit des Sonnenkörpers,
+welche er auf die Beobachtung der Flecken gründete, hat jedoch die
+Mitte des 19. Jahrhunderts nicht überlebt. *Herschel* verließ nämlich
+die alte, heute wieder als richtig geltende Ansicht, daß wir es in
+der Sonne mit einem Körper von sehr hoher Temperatur zu tun haben.
+Er nahm an, daß sie aus einem festen, nicht leuchtenden, vielleicht
+bewohnbaren Kern bestehe, der von einer durchsichtigen Atmosphäre
+und einer darüber befindlichen lichtspendenden Photosphäre umgeben
+sei. *Herschels* Theorie gemäß entsteht ein Sonnenfleck, indem jene
+Photosphäre infolge aufsteigender Dämpfe zerreißt und der dunkle Körper
+der Sonne zum Vorschein kommt.
+
+Da es gelungen war, an den Fixsternen eine Eigenbewegung nachzuweisen,
+so lag der Gedanke nahe, daß auch unsere Sonne mit all' ihren
+Planeten, Monden und Kometen eine nach einem bestimmten Punkte
+des Himmels gerichtete Bewegung besitze. Eine solche würde ein
+scheinbares Auseinanderweichen der in der Richtung dieser Bewegung
+befindlichen Fixsterne, sowie ein Zusammenrücken der Sterne in der
+Nähe des entgegengesetzten Himmelspunktes zur Folge haben. Es gelang
+*Herschel*[417], derartige Veränderungen, die ein Fortschreiten
+des Sonnensystems erkennen lassen und sich mit den wirklichen
+Eigenbewegungen der Fixsterne kombinieren, nachzuweisen. Der von ihm
+ermittelte Punkt, dem sich die Sonne nähert, liegt im Sternbilde des
+Herkules. Obgleich die Größe der Sonnenbewegung wahrscheinlich mehrere
+tausend Meilen in der Stunde beträgt, werden doch noch lange Zeiträume
+verfließen, bis der vielleicht um einen weit entfernten Schwerpunkt
+erfolgende Umlauf unseres Zentralkörpers erkannt sein wird.
+
+Eng verknüpft mit dem Problem der Sonnenbewegung ist der gleichfalls
+von *Herschel* erbrachte Nachweis, daß die von den früheren Astronomen
+für nur scheinbar benachbart gehaltenen Doppelsterne, wirklich
+zusammengehören und binäre Systeme bilden. *Herschel* hat nicht
+weniger als 846 Doppelsterne katalogisiert. Spätere Forschungen haben
+ergeben, daß die Bewegung innerhalb solcher binären Systeme nach dem
+Gravitationsgesetz erfolgt, das damit erst als das wahre Weltgesetz
+erkannt war.
+
+Bislang hatte man die Fixsterne wenigstens so betrachtet, als ob sie
+über die Fläche einer Kugel verteilt wären. Seit *Herschel* beginnt
+die Astronomie sich mit der räumlichen Verteilung dieser Weltkörper zu
+beschäftigen. Schon vor ihm hatte die Milchstraße und die Anordnung
+der außerhalb der Milchstraße befindlichen Sterne das Nachdenken
+eines *Kant*[418] erregt. Jedoch erst *Herschel* setzte an die Stelle
+bloßer Vermutungen den auf systematisch angestellten Beobachtungen,
+seinen sogenannten Aichungen, gegründeten Nachweis, daß die deutlich
+sichtbaren Sterne samt der Milchstraße -- ein Komplex von etwa 20
+Millionen Weltkörpern -- einen linsenförmigen Haufen bilden und daß die
+Sonne sich etwas außerhalb der Mitte jenes Haufens befindet. Diesen
+Nachweis lieferte er in einer »Über den Bau des Himmels« betitelten
+Schrift[419].
+
+*Messiers* etwa 100 Nummern enthaltendes Verzeichnis von Nebelflecken
+und Sternhaufen veranlaßte *Herschel*, sein zwanzigfüßiges
+Spiegelteleskop von 12 Zoll Öffnung auf diese Himmelskörper zu richten.
+Dabei sah er zu seiner größten Freude, daß die meisten Nebelflecken der
+Stärke seines Instrumentes unterlagen und in Sterne aufgelöst wurden.
+Es ergab sich, daß sie entweder nichts als lauter Sterne sind. Oder
+sie enthielten wenigstens Sterne. Den in *Messiers* Verzeichnis[420]
+erwähnten »Nebelfleck ohne Stern«, der sich nahe dem Haupthaar der
+Berenice befindet, erblickte *Herschel* als einen Haufen dicht
+gedrängter Sterne. »Es ist dies«, sagt *Herschel*, »einer der schönsten
+Gegenstände, die ich mich erinnere, am Himmel gesehen zu haben. Der
+Haufen erscheint unter der Gestalt einer Kugel aus kleinen, in einen
+einzigen Lichtglanz zusammengedrängten Sternen samt einer Anzahl, die
+ringsum stehen und in der Hauptmasse deutlich zu unterscheiden sind«
+(siehe Abbildung 50).
+
+[Illustration: Abb. 50. *Herschels* Abbildung eines Nebelfleckes[421].]
+
+Als *Herschel* seine Beobachtungen begann, vermutete er, daß manche
+Nebelflecken noch unentdeckt geblieben seien. Er gab sich daher der
+Hoffnung hin, zu den von *Messier* verzeichneten 100 Sternhaufen und
+Nebelflecken eine schätzbare Zugabe liefern zu können. Der Erfolg
+bewies, daß seine Erwartungen begründet waren. Während *Halley* nur
+sechs Nebel kannte und *Messiers* Verzeichnis, wie erwähnt, nur etwa
+100 Nummern enthielt, wurden in den Jahren 1786 bis 1802 von *Herschel*
+nahezu 2500 Nebelflecke katalogisiert, beschrieben und gezeichnet. Eine
+Fortsetzung dieser Studien verdanken wir *Herschels* Sohn John, der auf
+einer Expedition nach dem Kap der guten Hoffnung[422] eine fast ebenso
+große Zahl von Nebelflecken am südlichen Himmel entdeckte.
+
+[Illustration: Abb 51. *Herschels* Ableitung der Gestalt der
+Milchstraße[423].]
+
+Die mühevollen Studien über die Nebelflecken führten *Herschel* zu der
+Erkenntnis, daß auch die Milchstraße nichts anderes als eine Schicht
+von Fixsternen ist, innerhalb deren sich die Sonne, wenn auch nicht
+genau im Mittelpunkte, befindet. Es läßt sich dies nach *Herschel*
+aus der Gestalt der Milchstraße entnehmen, die sich in einem größten
+Kreise um den gesamten Himmel ziehen muß, wenn sich die Sonne innerhalb
+dieser Sternenschicht befindet. Nehmen wir mit *Herschel* an, eine
+Anzahl Sterne sei zwischen zwei, in einem gegebenen Abstande einander
+parallel laufenden, weit ausgedehnten Ebenen angeordnet, so wird
+ein Beobachter, der sich irgendwo innerhalb einer solchen Schicht
+befindet, sämtliche zu ihr gehörigen Sterne in einem großen Kreise
+sehen. Letzterer wird nach Maßgabe der Anhäufung der Sterne sich mehr
+oder weniger hell zeigen, während es scheinen wird, als ob die übrigen
+Gegenden des Himmels nur mit Sternbildern bestreut wären. So würde
+ein Auge bei S (siehe Abb. 51) innerhalb der Schicht *ab* die in der
+Richtung des Verlaufes der Schicht befindlichen Sterne als einen hellen
+Kreis ABCD sehen, während die Sterne an den Seiten *mv*, *nw* über
+den übrigen Teil des Himmels bei MVNW zerstreut erscheinen würden.
+
+Stände der Beobachter irgendwo außerhalb der Schicht, so würde die
+Schicht die Gestalt einer Scheibe annehmen, die nach Maßgabe der
+Entfernung des Beobachters mehr oder weniger groß sein würde. Und nähme
+dieser Abstand über alles Maß zu, so müßte die ganze Sternenschicht
+zuletzt in einen lichten Fleck zusammenschrumpfen.
+
+Nehmen wir nun weiter mit *Herschel* an, daß eine kleinere Schicht
+aus der ersteren nach einer bestimmten Richtung hin ausläuft und
+gleichfalls von zwei parallelen Ebenen, die sich ins Unbestimmte
+ausdehnen, eingeschlossen ist. Befindet sich der Beobachter in der
+großen Schicht irgendwo in der Nähe der Abzweigung, dann wird diese
+zweite Schicht nicht einen Kreis darstellen, sondern wie ein lichter
+Zweig erscheinen, der von dem Kreise ausgeht und in einer gewissen
+Entfernung wieder zu ihm zurückkehrt. So werden in Abb. 51 die Sterne
+in der kleinen Schicht *pq* in einem hellen Bogen PRRP gesehen
+werden, der nach der Absonderung vom Kreise sich mit ihm wieder
+vereinigt.
+
+Aus dem Bilde, das uns die Milchstraße bietet, folgerte *Herschel*
+deshalb, daß sich die Sonne in einer großen Fixsternschicht nicht fern
+von der Stelle befinde, von der eine kleinere Schicht als ein Zweig der
+größeren ausläuft.
+
+Anfangs hielt *Herschel* sämtliche Nebelflecke für Sternhaufen. Als er
+jedoch auch deutliche Sterne entdeckte, die von einem Nebel umgeben
+sind, der offenbar zu dem Sterne in Beziehung steht, nahm er an, daß
+es sich hier um leuchtende Gasmassen handele, die auch, ohne einen
+Stern zu umschließen, existieren und der Urstoff für die Bildung neuer
+Himmelskörper seien. Dementsprechend glaubte er, in dem Zustande, den
+uns der Fixsternhimmel gegenwärtig darbietet, sämtliche Stufen des
+Weltbildungsprozesses nachweisen zu können. Spätere, insbesondere
+spektroskopische Forschungen haben die Richtigkeit dieser kühnen
+Schlüsse dargetan.
+
+Die Betrachtungen, welche *Herschel* über die Abmessungen des mit
+seinem Teleskop durchforschten Raumes anstellte, lieferten den
+Nachweis, daß das Licht, um von den entferntesten Objekten des Himmels
+zu uns zu gelangen, viele tausend Jahre gebraucht, so daß unsere
+Teleskope nicht allein den Raum, sondern auch die Zeit durchdringen.
+Anknüpfend an die von *Herschel* erhaltenen Ergebnisse konnte deshalb
+*Humboldt*[424] wohl sagen, daß das Licht der fernsten Weltkörper das
+älteste sinnliche Zeugnis von dem Dasein der Materie sei.
+
+Als zur Jahrhundertfeier der Uranusentdeckung eine Biographie
+*Herschels*[425] erschien, wurde darin mit Recht hervorgehoben, daß
+an *Herschels* Ansicht über den Bau des Himmels nur wenig zu ändern
+gewesen sei. »Jede astronomische Entdeckung«, heißt es dort[426], »und
+jede gut beobachtete physikalische Tatsache gibt Material für die
+Ausarbeitung der Einzelheiten oder für die Verbesserung untergeordneter
+Punkte dieser Ansicht. Als wissenschaftliche Auffassung ist sie
+vielleicht die großartigste, die jemals der menschliche Geist gewonnen
+hat.«
+
+Den Ansichten, die fast gleichzeitig *Herschel* und *Laplace* und vor
+ihnen schon *Kant* über die Entstehung der Welt entwickelten, ist der
+Gedanke gemeinsam, daß die Gestirne, die sich die früheren Zeitalter
+aus ganz besonderem Stoff gebildet dachten, in materieller Hinsicht
+untereinander und von der Erde nicht wesentlich verschieden sind.
+Dieses Ergebnis einer denkenden Naturbetrachtung sollte nicht nur durch
+die spätere spektroskopische Untersuchung, sondern auch durch die noch
+im Zeitalter von *Herschel* und *Laplace* erfolgte richtige Deutung der
+Meteoriten ihre Bestätigung finden.
+
+Nachrichten über vom Himmel gefallene Stein- und Eisenmassen reichen
+bis ins graue Altertum zurück, ohne daß dadurch bis gegen das 18.
+Jahrhundert das wissenschaftliche Interesse rege geworden wäre. Um
+die Mitte jenes Zeitabschnitts waren zwei auffallende Tatsachen zu
+verzeichnen. Der Sibirien bereisende deutsche Naturforscher *Pallas*
+entdeckte 1749 in der Nähe des Jenissei eine 1600 Pfund schwere
+Eisenmasse, deren Beschaffenheit darauf hinwies, daß man es in ihr
+mit einem Naturerzeugnis zu tun habe[427]. Ferner hatte in Agram im
+Jahre 1751 einer der am besten beglaubigten Meteoreisenfälle[428]
+stattgefunden. Das dort gefallene Stück war ausgegraben und dem Wiener
+Naturalienkabinet einverleibt worden. Der Leiter dieses Instituts wies
+jedoch die Meinung, daß die Masse überhaupt gefallen sei, mit Spott
+zurück. Seiner Ansicht nach sollte sich das Eisen unter dem Einfluß
+der atmosphärischen Elektrizität aus Bestandteilen des Bodens gebildet
+haben.
+
+In einer 1794 erschienenen Abhandlung wagte es der deutsche Physiker
+*Chladni*, im Gegensatz zu allen gelehrten Zeitgenossen, für die
+Feuerkugeln einen kosmischen Ursprung zu behaupten und die von
+*Pallas*[429] entdeckte und ähnliche Eisenmassen als den Stoff solcher
+niedergefallenen Feuerkugeln in Anspruch zu nehmen.
+
+*Chladni* wies zunächst auf folgende, gut beobachteten und
+wissenschaftlich erörterten Meteorsteinfälle des 18. Jahrhunderts hin.
+
+Am 17. Mai 1719 erschien eine Feuerkugel in England[430]; sie durchlief
+300 Meilen in einer Minute und zersprang mit einem Getöse, bei welchem
+Türen, Fenster und ganze Häuser erschüttert wurden.
+
+Am 11. November 1761 sah man eine Feuerkugel[431] in Frankreich; sie
+zersprang mit heftigem Getöse in viele kleine Stücke; manche Personen
+glaubten Feuer neben sich gesehen zu haben. Ein Stück ist[432] in ein
+Haus gefallen und hat dieses entzündet.
+
+Am 23. Juli 1762 wurde eine Feuerkugel, die *Silberschlag* in seiner
+»Theorie der am 23. Juli 1762 erschienenen Feuerkugel, Magdeburg 1764«
+beschrieb[433], ungefähr senkrecht über der Gegend zwischen Leipzig
+und Zeitz in Gestalt eines kleinen Sternes sichtbar. Sie nahm an
+scheinbarer Größe zu, ging über Wittenberg und Potsdam und zersprang
+einige Meilen hinter Potsdam mit einem lauten Knall. Ihr Licht ist sehr
+weiß gewesen und hat einen Umfang von wenigstens 60 deutschen Meilen
+erleuchtet. Die Höhe war im Beginn der Beobachtung etwa 19 und beim
+Zerspringen über 4 Meilen.
+
+*Chladni* wies die früheren Erklärungsarten, nach denen man es in den
+Meteoren mit elektrischen Entladungen, mit brennbaren gasförmigen
+Anhäufungen, kurz mit Erscheinungen irdischen Ursprungs zu tun hätte,
+als unvereinbar mit den von ihm zusammengestellten Befunden zurück.
+Nach *Chladnis* heute keinen Widerspruch mehr findenden Meinung
+sind unzählige kleine Massen, die zu keinem größeren Weltkörper in
+unmittelbarer Beziehung stehen, im Weltraume zerstreut. Sie bewegen
+sich, durch Wurfkräfte oder Anziehung getrieben, so lange fort, bis
+sie der Erde oder einem anderen Weltkörper nahekommen und, von ihrer
+Anziehungskraft ergriffen, darauf niederfallen. Bei ihrer schnellen
+Bewegung muß infolge der heftigen Reibung mit der Atmosphäre eine sehr
+starke Hitze erzeugt werden, wodurch sie in Gluthitze geraten und
+Dämpfe im Innern entwickeln, welche die Masse zum Zerspringen bringen.
+
+Die Frage, wie diese Massen entstanden oder in einen solch isolierten
+Zustand gekommen sind, wäre, meint *Chladni*, dasselbe wie die Frage
+nach der Entstehung der Weltkörper. Man müsse doch entweder annehmen,
+daß die Weltkörper, abgesehen von Revolutionen auf ihrer Oberfläche,
+immer das gewesen sind und sein werden, was sie jetzt sind, oder daß es
+Kräfte gäbe, die imstande seien, Weltkörper und ganze Weltsysteme zu
+bilden, zu zerstören und aus ihrem Stoffe wieder neue hervorzubringen.
+Für diese Meinung sprächen wohl mehr Gründe als für die erstere. Ein
+solches Entstehen der Weltkörper ließe sich aber wohl nicht anders
+denken, als daß entweder materielle Teile, die vorher zerstreut gewesen
+sind, sich durch die Anziehungskraft zu großen Massen angehäuft hätten,
+oder daß eine Zerstückelung einer größeren Masse stattgefunden habe.
+
+Die isoliert gebliebenen Massen müßten ihre Bewegung durch den Weltraum
+fortsetzen, bis sie von der Anziehung eines Weltkörpers ergriffen
+würden und die Erscheinungen der Feuerkugeln hervorriefen.
+
+Die gleiche Entstehung nahm *Chladni* für die von *Pallas* und anderen
+Reisenden gefundenen Eisenmassen in Anspruch. Eine solche 300 Zentner
+schwere Masse war z. B. im südlichen Amerika gefunden worden, und zwar
+an einer Stelle, wo in einem Umkreise von 100 Meilen keine Eisenerze,
+ja nicht einmal Steine anzutreffen sind.
+
+*Chladni* wies nach, daß diese Eisenmassen weder auf nassem Wege, noch
+durch die Wirkung des Blitzes entstanden sein könnten, auch nicht
+vulkanischen Ursprungs seien. Es sei merkwürdig, meint er, daß das
+Eisen der Hauptbestandteil der bisher gefundenen Meteoriten sei. Man
+könne daher vermuten, daß das Eisen hauptsächlich zur Bildung der
+Weltkörper beigetragen habe[434]. Auch sei wahrscheinlich, daß die
+anderen, in manchen herabgefallenen Massen enthaltenen Stoffe, wie
+Schwefel, Kieselerde, Bittererde usw. nicht unserer Erde allein eigen
+seien, sondern zu den Stoffen gezählt werden müßten, die sich an der
+Bildung der Weltkörper beteiligt hätten[435].
+
+*Chladni* wurde zunächst mit Hohn überschüttet. Die französische
+Akademie sprach sich trotz aller gut beglaubigten Fälle dahin aus, daß
+die Nachrichten über derartige Naturerscheinungen in das Gebiet der
+Fabel zu verweisen seien. Sie wurde indes sehr bald durch die Tatsachen
+selbst eines Besseren belehrt. In der Normandie ereignete sich nämlich
+am 26. April des Jahres 1803 ein großer Steinfall, der von hunderten
+beobachtet und von den Abgesandten der Akademie selbst in seinen
+Einzelheiten festgestellt wurde[436]. Die Ausführungen *Chladnis*
+wurden darauf allgemein als richtig anerkannt. Ja, man ging jetzt so
+weit, daß man sich die Weltkörper durch die Anhäufung von Meteoriten
+entstanden dachte[437].
+
+Die chemische Analyse war weit genug fortgeschritten, um an den
+Meteoriten unter der Voraussetzung ihres kosmischen Ursprungs den
+Nachweis zu führen, daß außerhalb der Erde befindlicher Weltstoff
+in seiner elementaren Zusammensetzung mit der irdischen Materie
+übereinstimmt. So entdeckte man[438], daß das Meteoreisen stets
+mehr oder weniger Nickel (bis zu 35%) enthält, und lernte den
+Gehalt an diesem Metall, sowie die beim Anätzen auftretenden
+*Widmannstätten*schen Figuren (von *Widmannstätten* 1808 entdeckt;
+er druckte mit den geätzten Flächen die Figuren naturgetreu ab)[439]
+als besondere Eigentümlichkeit des Meteoreisens kennen. Nachdem
+man neben Nickel auch Kobalt und Kupfer darin aufgefunden hatte,
+wurden durch eine Arbeit, die *Berzelius* über die Meteoriten
+veröffentlichte, sechs neue Elemente in ihnen nachgewiesen; es waren
+dies Phosphor, Kohlenstoff, Silizium, Magnesium, Zinn und Mangan.
+Spätere Untersuchungen haben die Zahl der Bestandteile, die sämtlich
+mit irdischen Grundstoffen übereinstimmen, noch vermehrt.
+
+Was *Chladni* für die Meteoriten leistete, gelang zwei anderen
+Deutschen namens *Benzenberg*[440] und *Brandes*[441] hinsichtlich der
+Sternschnuppen. Durch gleichzeitig an verschiedenen Orten angestellte
+Beobachtungen gelang es ihnen, auch für diese Phänomene, die man bis
+dahin auf schweflige Dünste oder brennbare Gase zurückgeführt hatte,
+einen kosmischen Ursprung nachzuweisen. *Benzenberg* und *Brandes*
+beobachteten Sternschnuppenfälle von den Endpunkten einer 27000 Pariser
+Fuß langen Standlinie. Indem sie den Ort und die Zeit des Verschwindens
+genau anmerkten, vermochten sie in vielen Fällen die Identität der
+beobachteten Erscheinungen nachzuweisen und aus den gewonnenen Daten
+planetarische Geschwindigkeiten, sowie auf einen kosmischen Ursprung
+hinweisende Höhen zu ermitteln[442].
+
+War es in der vorhergehenden Periode durch *Bradleys* Entdeckung der
+Aberration gelungen, einen sinnlichen Beweis für die Bewegung der Erde
+um die Sonne zu erbringen, so vermochte *Benzenberg* einen solchen
+Nachweis auch für die Rotation zu führen. Bekanntlich lautete einer
+der Scheingründe gegen die koppernikanische Weltansicht dahin, ein
+frei fallender Körper müsse, weil die Erde sich unter ihm fortbewege,
+einen westlich von seinem Ausgangspunkt gelegenen Ort treffen.
+*Newton* wies im Jahre 1679 darauf hin, daß bei dem freien Fall
+infolge des Beharrungsvermögens und der größeren Geschwindigkeit in
+tangentialer Richtung, welche der Körper zu Beginn der Fallbewegung
+besitzt, im Gegenteil eine östliche Abweichung zu erwarten sei. Die
+Royal Society beschloß durch genaue Fallversuche *Newtons* Annahme
+auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Da man jedoch mit zu geringen Höhen
+experimentierte, verlief die Angelegenheit ergebnislos. Es dauerte
+länger als ein Jahrhundert, bis neue Untersuchungen und zwar mit
+besserem Erfolge angestellt wurden. Dies geschah durch *Guglielmini* in
+Bologna in einem Turme, der schon den Fallversuchen *Ricciolis*[443]
+gedient hatte.
+
+*Guglielmini*[444] wählte diesen Turm, weil sein Inneres für derartige
+Versuche wie gemacht war und sich darin Fallhöhen von 240 Par. Fuß
+erreichen ließen. Die Versuche erforderten manche Vorsichtsmaßregel,
+da jeder Luftzug, sowie Erschütterungen des Gebäudes oder der Kugel
+selbst im Augenblicke des Loslassens ausgeschlossen sein mußten.
+*Guglielminis* Versuche, über welche *Benzenberg* eingehend berichtet,
+sind zwar ein schöner Beweis unermüdlicher Ausdauer, sie ließen auch
+deutlich eine östliche Abweichung erkennen, trotzdem waren sie noch
+nicht so frei von Fehlern, daß sie eine genügende Übereinstimmung
+zwischen der Theorie und der Beobachtung erkennen ließen. Mit großer
+Spannung sah die gelehrte Welt einer endgültigen Entscheidung der von
+*Guglielmini* wieder angeregten, Jahrhunderte alten Frage entgegen.
+Diese Entscheidung brachten unabhängig voneinander zwei deutsche
+Physiker *Benzenberg* und *Reich*.
+
+Den Nachweis der von der Theorie geforderten Abweichung führte
+*Benzenberg* durch seine 1802 im Michaelisturm zu Hamburg, sowie in
+einem rheinischen Kohlenschachte angestellten Fallversuche[445]. Bei
+einer Höhe von 235, beziehungsweise 262 Fuß ergab sich eine deutliche
+Abweichung von mehreren Linien. Die zu dem gleichen Zwecke angestellten
+Versuche[446] *Reichs* zeigten bei einer Fallhöhe von 488 Fuß eine
+östliche, der Theorie ihrer Größe nach genau entsprechende Abweichung
+von 12,6 Linien.
+
+Die Astronomie war in dieser von uns nach *Laplace* und *Herschel*
+benannten Periode noch wesentlich Himmelsmechanik. Für ein Studium
+der Himmelskörper, das über die Fragen nach der Form, der Verteilung
+und der Bewegung hinausging, fehlten noch fast alle physikalischen
+und chemischen Grundlagen. Sie erwuchsen erst im 19. Jahrhundert
+auf den Gebieten der Wärmelehre und der Optik. Erst nachdem wir auf
+diesen Gebieten die weitere Entwicklung verfolgt haben, können wir zur
+Astronomie zurückkehren und ihre Ausgestaltung zu einer kosmischen
+Physik und Chemie verfolgen.
+
+
+
+
+17. Die Grundlagen der mechanischen Wärmetheorie.
+
+
+Die Neubegründung der Chemie durch *Lavoisier*, sowie die Entdeckung
+der galvanischen Elektrizität und ihrer hauptsächlichsten Wirkungen
+waren Umwälzungen und Erweiterungen von solcher Bedeutung, daß sie
+wohl imstande waren, eine neue Epoche zu eröffnen. Letztere ist
+unter anderem auch dadurch gekennzeichnet, daß die Physik und die
+Chemie, seitdem man den Zusammenhang zwischen chemischen Vorgängen
+und elektrischen Erscheinungen erkannt hatte, in immer engere Fühlung
+traten. Dies hatte eine Fülle von grundlegenden Entdeckungen zur Folge,
+die uns in den nächsten Abschnitten beschäftigen sollen, Entdeckungen,
+auf denen die um die Mitte des 19. Jahrhunderts entstehende großartige
+Konzeption von der Einheit der Kraft, sowie unsere heutigen
+Vorstellungen von dem Wesen der Materie in erster Linie beruhen. Im
+engsten Anschluß an diesen Fortschritt erwuchsen ferner Theorien, die
+sich zu einem bleibenden Besitz der Wissenschaft entwickelt haben.
+Diese Theorien betrafen insbesondere die Wärmelehre und die Optik,
+Gebiete, auf denen die frühere Lehre von den Imponderabilien durch eine
+auf mechanischen Grundlagen fußende Erklärung ersetzt wurde.
+
+Die Vorstellung, daß wir es in der Wärme nicht mit einem Stoff, sondern
+mit einer Bewegung der kleinsten Teilchen zu tun haben, begegnet uns
+schon im Beginn des 18. Jahrhunderts[447]. Die ersten, für die seit
+der Mitte des 19. Jahrhunderts zur Herrschaft gelangende, mechanische
+Theorie der Wärme als grundlegend zu betrachtenden Versuche und
+Folgerungen gehören indes jener Zeit an, in welcher gegen das Ende des
+18. Jahrhunderts der hier geschilderte großartige Aufschwung der Chemie
+und der Physik beginnt. Am erfolgreichsten nach dieser Richtung waren
+die Bemühungen *Rumfords*[448].
+
+*Rumford* wurde 1753 in Nordamerika geboren. Er stand während des
+Befreiungskampfes auf englischer Seite und kam 1776 nach London.
+*Rumford* war ein sehr geschickter, wissenschaftlich und praktisch
+gleich hervorragender Mensch, der besonders durch sein Bemühen, im
+Kriegswesen und im sozialen Leben Neuerungen einzuführen, überall die
+Aufmerksamkeit der Machthaber auf sich lenkte. Eine Reihe von Jahren
+war *Rumford* in Bayern tätig. Er richtete dort Werkstätten ein,
+brachte es bis zum Kriegsminister und wurde schließlich in Anerkennung
+seiner Verdienste in den Grafenstand erhoben. 1800 rief er in London
+die Royal Institution ins Leben. Einige Jahre später siedelte er nach
+Paris über. Dort heiratete er die Witwe *Lavoisiers*, deren Salon den
+Sammelpunkt der gelehrten Welt bildete. Von Bonaparte, zu dessen großen
+Zügen seine Vorliebe für die Wissenschaft und seine Achtung gegenüber
+ihren Vertretern gehören, wurde auch *Rumford* mit Auszeichnung
+behandelt. Er starb in Paris im Jahre 1814.
+
+*Rumford* wiederholte zunächst den schon von *Boyle* angestellten,
+gegen die Stoffnatur der Wärme gedeuteten Wägungsversuch. Er setzte
+zwei Flaschen, die gleiche Mengen Quecksilber und Wasser enthielten,
+genau ins Gleichgewicht, während die Temperatur der Umgebung 61°
+betrug. Das Ganze wurde dann in ein Zimmer gebracht, das eine
+Temperatur von 34° besaß. Obgleich die spezifische Wärme des Wassers
+etwa 30mal so groß ist wie diejenige des Quecksilbers, das Wasser also
+eine viel größere Wärmemenge abgegeben hatte, zeigte sich nicht der
+geringste Ausschlag[449].
+
+Wollte man trotzdem an der stofflichen Beschaffenheit der Wärme
+festhalten, so mußte man wenigstens annehmen, daß ein isoliertes System
+von Körpern nicht beständig der Umgebung Wärme mitteilen kann, ohne
+allmählich erschöpft zu werden. Indem *Rumford* durch den Versuch
+bewies, daß durch gegenseitige Reibung zweier Körper unbegrenzte
+Wärmemengen erzeugt werden können, entzog er der soeben erwähnten
+Voraussetzung von der stofflichen Natur der Wärme den Boden. Über
+diesen berühmt gewordenen Versuch berichtet *Rumford* der Royal
+Society im Jahre 1798[450]. »Da ich seit kurzem«, beginnt er, »die
+Oberaufsicht beim Kanonenbohren im Zeughause zu München hatte, so
+überraschte mich der beträchtliche Wärmegrad, den eine Kanone in kurzer
+Zeit beim Bohren erhält.« Wäre die spezifische Wärme der Späne eine
+geringere als diejenige des zusammenhängenden Metalles, so hätte man
+das Auftreten der Wärme auf einen solchen Unterschied der Kapazitäten
+zurückführen können. Der Versuch ergab jedoch, daß Stücke und feine
+Spänchen eines Metalles dieselbe spezifische Wärme besitzen. Brachte
+man nämlich gleiche Mengen der Spänchen und der Stücke, welche auf
+die Temperatur des kochenden Wassers erhitzt waren, in gleiche Mengen
+kalten Wassers, so erfuhr das letztere in beiden Fällen dieselbe
+Temperaturerhöhung.
+
+[Illustration: Abb. 52. Die für *Rumfords* Versuch hergerichtete und in
+die Bohrmaschine gespannte Kanone. Die Stange w verbindet die Kanone
+mit dem Göpel.]
+
+Da chemische Vorgänge, sowie irgend welche Zuleitung von Wärme bei den
+Bohrversuchen ausgeschlossen waren, so blieb nichts anderes übrig, als
+die Ursache der Wärmeentwicklung in der Bewegung zu erblicken. Die
+weiteren Versuche bezweckten den Nachweis, daß diese Wärmequelle nicht
+versiegt, solange die Bewegung dauert. Hieran schloß sich schon das
+erste Aufdämmern der Erkenntnis, daß einem gewissen Aufwand an Arbeit
+eine bestimmte Menge erzeugter Wärme entspricht. *Rumford* ließ nämlich
+einen aus Kanonenmetall bestehenden Zylinder von 112,13 Pfund Gewicht
+in einem Kasten (Abb. 53) rotieren, der 18,77 Pfund Wasser enthielt.
+Wurde die Drehung, bei der ein stumpfer eiserner Bohrer m n gegen das
+Metall gepreßt wurde, durch die Kraft eines Pferdes bewerkstelligt,
+so kochte das Wasser nach 2 Stunden und 30 Minuten. »Die Überraschung
+und das Staunen der Umstehenden, solch eine Wassermasse ohne Feuer
+zum Kochen gebracht zu sehen, war über alle Beschreibung groß«, heißt
+es in dem Berichte *Rumfords*[451]. Die Rechnung ergab, daß die ganze
+Menge der erzeugten Wärme, die sich auf das Wasser und die Metallstücke
+verteilte, hinreichend war, um 26,58 Pfund eiskalten Wassers zum Sieden
+zu bringen, ungerechnet diejenige Wärme, die während des Versuches
+verloren ging. Diese Wärmemenge entspricht nach *Rumford* einer
+Pferdekraft. Da nach *Watt* die letztere imstande ist, 33 000 Pfund in
+der Minute einen Fuß hoch zu heben, so würde eine weitere Berechnung
+gezeigt haben, daß diejenige Wärme, die ein Pfund Wasser um 1° erwärmt,
+einer mechanischen Leistung von 1034 Fußpfund entspricht. Spätere,
+genauere Untersuchungen, welche der Engländer *Joule* anstellte,
+haben für dieses Äquivalent den Wert von 772 Fußpfund ergeben. Der
+beträchtliche Unterschied wird daraus erklärlich, daß *Rumford* die
+Verluste nicht in Rechnung zog, und daß bezüglich des Arbeitsaufwandes
+nur eine rohe Annäherung an die von *Watt* als eine Pferdekraft
+bestimmte Größe vorlag.
+
+[Illustration: Abb. 53. Der vor der Mündung der Kanone angebrachte
+hölzerne Kasten. Der stumpfe Bohrer m n wird gegen den Boden des
+ausgebohrten hohlen Zylinders gepreßt, welcher durch einen kurzen Hals
+mit dem Ende der Kanone verbunden ist.
+
+Die Abbildungen 52 und 53 sind der unten erwähnten Abhandlung
+*Rumfords* entnommen.]
+
+Von gleicher Beweiskraft für die Immaterialität der Wärme wie der
+*Rumford*sche Versuch war ein von *Davy* angestelltes Experiment. In
+seinen 1799 veröffentlichten[452] »Untersuchungen über Wärme, Licht
+und Atmung« teilte dieser Forscher mit, daß er bei 29° Fahrenheit,
+also einer unter dem Gefrierpunkt liegenden Temperatur, zwei an Stäben
+befestigte Eisstücke durch gegenseitige Reibung zum Schmelzen gebracht
+habe[453]. Obgleich die Wärmekapazität des Schmelzwassers größer
+ist als diejenige von Eis, zeigte das erhaltene Wasser dennoch eine
+Temperatur von 35° Fahrenheit. Auch *Davy* schloß hieraus, daß die
+Wärme kein Stoff, sondern eine unmittelbare Folge der Bewegung sei.
+Er dachte sich die Materie von zwei Kräften, der Anziehung und der
+Abstoßung, beherrscht. Die Erscheinungen der Wärme rühren nach *Davy*,
+dessen Vorstellungen sich im wesentlichen mit den heute geltenden
+Anschauungen decken, von einer besonderen Bewegung der Körperteilchen
+her. Alle festen Körper werden durch heftiges Reiben ausgedehnt, indem
+ihre Teilchen in schwingende Bewegung kommen und sich voneinander
+entfernen. Die verschiedenen Aggregatszustände werden gleichfalls ganz
+im Sinne der neueren Physik aus dem Verhältnis zwischen Anziehung und
+Abstoßung erklärt. Je nachdem die erstere oder die letztere überwiegt
+oder beide nahezu gleich sind, ist der Körper fest, gasförmig oder
+flüssig. Die Abstoßung kann durch chemische Vorgänge oder durch
+Mitteilung des Bewegungszustandes benachbarter Körper erregt werden. In
+letzterem Falle ist die Bewegungsgröße, die der eine Körper gewinnt,
+genau gleich derjenigen, welche der andere verliert.
+
+*Davy* gehört zu jenen Vorläufern von *Mayer*, *Joule* und *Helmholtz*,
+die von der Allgemeingültigkeit des Prinzips von der Erhaltung
+der Kraft schon eine deutliche Ahnung hatten. Dafür zeugt auch
+sein Ausspruch: »Es läßt sich keine erhabenere Vorstellung von den
+Bewegungen der Materie gewinnen, als daß die verschiedenen Arten der
+Bewegung sich fortwährend ineinander umwandeln.«
+
+*Rumford* und *Davy* waren jedoch ihrer Zeit vorausgeeilt. Die von
+ihnen entwickelte Lehre sollte erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts
+durch die zuerst genannten Männer erneuert und fortentwickelt werden.
+
+Die weitere Entwicklung der Prinzipien der Thermodynamik knüpft
+besonders an Entdeckungen an, die man über das Verhalten der Gase bei
+Temperatur- und Volumenveränderungen und über die Beziehungen zwischen
+beiden machte.
+
+Gegen das Ende des 18. Jahrhunderts wurden die Physiker darauf
+aufmerksam, daß zusammengepreßte Luft bei ihrer Ausdehnung sich
+abkühlt. Man entdeckte diese Tatsache, als man die Luft aus einer
+Windbüchse gegen ein Thermometer strömen ließ und dabei ein Fallen des
+Quecksilbers beobachtete[454]. Auch glaubte man hieraus die niedrige
+Temperatur auf hohen Bergen erklären zu können. Dies war allerdings
+in dieser Allgemeinheit ein Fehlschluß, da die Abkühlung nur im
+Augenblicke der Verdünnung und im Zusammenhange mit einer mechanischen
+Leistung auftritt, mit diesem mechanischen Vorgange also in engster
+Beziehung steht. Verdünnte Luft ist also nicht etwa an sich kälter
+als dichtere. Dagegen hat die Meteorologie die Temperaturänderungen
+aufsteigender und niedersinkender Luftmassen zur Erklärung mancher
+Witterungserscheinung verwerten können. Ein welch wesentlicher Faktor
+mit der neuen Erkenntnis gewonnen war, läßt sich daraus ermessen, daß
+die Abkühlung für trockene aufsteigende Luft bei 100 Metern Steighöhe
+sich schon auf einen Grad beläuft. Niedersinkende Luft erfährt eine
+entsprechende Temperaturzunahme, und diese Wärmeschwankungen sind
+wieder für den relativen Feuchtigkeitsgehalt der Luft bedingend.
+
+Systematische Untersuchungen über die bei der Verdünnung und der
+Ausdehnung der Luft eintretenden Wärmeschwankungen stellte zuerst
+*Dalton*[455] an, doch war er weit davon entfernt, sie auf ihre wahre
+Ursache zurückzuführen. Er glaubte nämlich, dichtere Luft besitze
+eine geringere Wärmekapazität als verdünnte. Eine solche Annahme
+mußte auf den sonderbaren Schluß führen, daß dem Vakuum die größte
+Wärmekapazität zukomme. Um dieselbe Zeit, als *Dalton* seine Versuche
+bekannt gab, wurde die gelehrte Welt in hohem Grade durch die
+Entdeckung überrascht, daß durch eine plötzliche Verdichtung der Luft
+Stoffe, wie der Zündschwamm, auf die Entzündungstemperatur gebracht
+werden können[456]. Die Annahme *Daltons*, daß diese Erscheinung auf
+eine Änderung der Wärmekapazität zurückzuführen sei, wurde durch einen
+entscheidenden Versuch *Gay-Lussacs* widerlegt. Nebenbei bemerkt,
+hatte man bei den Versuchen *Rumfords* auch zuerst an eine Änderung
+der Wärmekapazität gedacht[457]. *Gay-Lussac* stellte den erwähnten
+Versuch in folgender Weise an. Der Behälter A sei mit einem Gas
+gefüllt, B sei evakuiert. Stellt man nun zwischen beiden Behältern
+eine Verbindung her, so verdoppelt das Gas sein Volumen. *Gay-Lussac*
+erwartete, eine Abkühlung eintreten zu sehen und war überrascht, daß
+im ganzen keine Temperaturveränderung stattfand[458]. Der nach B
+überströmende Teil des Gases wurde nämlich um ebenso viel erwärmt, wie
+der in A zurückbleibende abgekühlt wurde. Die spezifische Wärme oder
+die Wärmekapazität konnte sich also durch die Volumvergrößerung nicht
+geändert haben.
+
+[Illustration: Abb. 54. *Gay-Lussacs* Versuch zur Thermodynamik der
+Gase.]
+
+Da die Ausdehnung eines Gases unter Wärmeverbrauch vor sich geht, so
+mußte man mehr Wärme zuführen, um das Gas auf eine bestimmte Temperatur
+zu erhitzen, wenn die Erwärmung unter gleichzeitiger Ausdehnung
+erfolgte, als wenn sie bei konstantem Volumen vor sich ging. In
+letzterem Falle nahm mit der Erwähnung der Druck des eingeschlossenen
+Gases zu.
+
+Es galt nun zu untersuchen, ob sich für diese zunächst nur nach ihrer
+qualitativen Natur erkannte Eigenart der Gase auch eine quantitative
+Beziehung finden läßt, d. h. ob der Wärmeverbrauch bei konstantem Druck
+und einer entsprechenden Ausdehnung des Gases und der Wärmeverbrauch
+bei konstantem Volumen in einem bestimmten Verhältnis stehen. Ohne
+hier näher auf den Gang der Untersuchung einzugehen, sei bemerkt,
+daß man dies Verhältnis der spezifischen Wärme bei konstantem Druck
+zur spezifischen Wärme bei konstantem Volumen gleich etwa 1,4 : 1
+ermittelte. So erhielt man für die damals als permanent betrachteten
+Gase folgende Werte:
+
+ Sauerstoff 1,415
+ Stickstoff 1,420
+ Wasserstoff 1,405
+ Luft 1,421
+
+Die übrigen Gase zeigten für dieses Verhältnis etwas niedrigere Werte,
+z. B.
+
+ Kohlendioxyd 1,340
+ Kohlenmonoxyd 1,423
+ Stickoxyd 1,343
+
+Es gelang erst einer späteren Periode, den Mehrbedarf an Wärme mit
+der Arbeit in Beziehung zu bringen, welche das Gas leistet, wenn es
+sich unter konstantem Druck ausdehnt. Wir werden sehen, wie *Robert
+Mayer* aus dem Wert 1,421 das Wärmeäquivalent berechnete. Die weitere
+Entwicklung der Thermodynamik wurde bis *Mayer* am meisten dadurch
+gehindert, daß man an der alten Stofftheorie festhielt. Man dachte
+sich die ihr Volumen »ändernden Körper« ähnlich einem Schwamm, der
+beim Zusammenpressen den Wärmestoff von sich gibt und ihn bei seiner
+Ausdehnung wieder aufsaugt[459]. Auch *Carnot*, mit dessen Verdiensten
+um die Begründung der Thermodynamik wir uns in einem späteren Abschnitt
+beschäftigen werden, hielt an der Stofftheorie fest, vermittelte aber
+durch seine Arbeit den Übergang zu der durch *Mayer*, *Joule* und
+*Helmholtz* gewonnenen Einsicht in die Umwandlungsfähigkeit von Wärme
+und Arbeit.
+
+
+
+
+18. Fortschritte der Optik und Sieg der Wellentheorie.
+
+
+Daß die Teile des Spektrums nicht nur hinsichtlich der Wärmewirkung,
+wie *Herschel* nachgewiesen, sondern auch hinsichtlich des chemischen
+Verhaltens große Unterschiede zeigen, war schon durch *Scheele*
+nachgewiesen worden. Dieser brachte in das Spektrum ein Stück Papier,
+das er mit Chlorsilber überzogen hatte. Von dieser Substanz wußte man,
+daß sie am Lichte allmählich geschwärzt wird. *Scheele* bemerkte[460],
+daß das Chlorsilber im Violett weit eher schwarz wird als in den
+anderen Farben. Dieser einfache Versuch läßt sich als der Anfang
+der heute so hoch entwickelten Spektralphotographie betrachten. Die
+Analogie des von *Scheele* erhaltenen Befundes mit den Ergebnissen
+*Herschels* trat noch deutlicher hervor, als 1801 das Vorkommen von
+chemisch wirksamen Strahlen über das Violett hinaus nachgewiesen
+wurde[461]. Auch in diesem Falle ergab sich, daß das Maximum der
+Wirkung jenseits des sichtbaren Teiles gelegen ist, da die Zersetzung
+des Chlorsilbers hier energischer als im Violett selbst vor sich geht.
+Die ultravioletten Strahlen wurden daher seit der Zeit auch wohl als
+chemische Strahlen bezeichnet.
+
+Wieder ein Jahr später (1802) wurde die Kenntnis von der Beschaffenheit
+des Spektrums um eine Entdeckung von der allergrößten Tragweite
+bereichert. Der Engländer *Wollaston*[462], der sich gleichfalls
+um den Nachweis der ultravioletten Strahlen verdient gemacht hat,
+bemerkte, daß das hinter einem feinen Spalt erzeugte Sonnenspektrum vom
+zahlreichen dunklen Linien durchzogen ist[463]. Wie diese Entdeckung
+von *Fraunhofer* erneuert und zur Grundlage der Spektralanalyse gemacht
+wurde, soll in einem späteren Abschnitt gezeigt werden.
+
+In diesem Zeitraum, in welchem die Optik um so manchen wichtigen
+Fortschritt bereichert wurde, sollte auch der alte, an die Namen
+*Newton* und *Huygens* sich knüpfende Streit über das Wesen des Lichtes
+zu gunsten der von letzterem vertretenen Theorie entschieden und damit
+in die Lehre von den Imponderabilien eine zweite Bresche gelegt werden.
+Der erste Angriff auf die Emanationstheorie erfolgte im Vaterlande
+*Newtons* durch *Young*[464], welcher die von *Hooke* begonnene und von
+*Newton* fortgesetzte Untersuchung der Farben dünner Blättchen wieder
+aufnahm.
+
+Jene Folge von hellen und dunklen Streifen oder Ringen, die *Newton* im
+gleichartigen Lichte beobachtet hatte, ohne dafür eine Erklärung finden
+zu können, die mehr als eine bloße Umschreibung war, führte *Young* auf
+das Zusammentreffen der von der ersten und zweiten begrenzenden Fläche
+zurückgeworfenen Strahlen zurück. Er bezeichnete diese Erscheinung
+mit dem noch jetzt dafür gebräuchlichen Namen als Interferenz und
+suchte darzutun, daß ein Hinzufügen von Licht zu Licht in ähnlicher
+Weise Dunkelheit zur Folge haben könne, wie durch das Zusammentreffen
+von gleichen aber entgegengesetzten Bewegungen, z. B. Schwingungen
+verschiedener Phase, Ruhe entsteht.
+
+*Young* gelang sogar der Nachweis, daß die Interferenz sich auch auf
+den unsichtbaren, ultravioletten Teil des Spektrums erstreckt. Er
+erreichte dies durch folgende Versuchsanordnung[465]. Der ultraviolette
+Teil des Spektrums wurde auf eine dünne, zur Erzeugung der farbigen
+Ringe geeignete Schicht geworfen und von den begrenzenden Flächen
+so reflektiert, daß der unsichtbare Reflex auf ein mit Silberlösung
+getränktes Papier fiel. Nach einiger Zeit entstanden auf letzterem
+die bekannten dunklen Ringe. Das dieser Erscheinung zugrunde liegende
+Prinzip der Interferenz sprach *Young* in folgenden Worten aus[466]:
+»Wenn zwei Wellen verschiedenen Ursprungs sich in gleicher oder in
+nahezu gleicher Richtung fortpflanzen, so besteht ihre Gesamtwirkung in
+der Vereinigung der einer jeden entsprechenden Bewegung.«
+
+Die Bewegungen, welche das Licht zur Folge haben, geschehen nach
+*Young* in einem dünnen, außerordentlich elastischen Äther, der das
+Weltall erfüllt. Die Verschiedenheit der Farben erklärt *Young* aus
+der Häufigkeit der Schwingungen, welche durch jene Bewegung des Äthers
+in der Netzhaut erzeugt werden. Letztere denkt er sich aus drei
+verschiedenartigen, die Empfindung der drei Grundfarben vermittelnden
+Nervenelementen zusammengesetzt. Die Erregung der einen Art von Fasern
+soll demgemäß die Empfindung Rot, die der zweiten die Empfindung Grün
+zur Folge haben, während die dritte Art vorzugsweise durch das violette
+Licht gereizt werden soll. So wird z. B. homogenes rotes Licht die
+rotempfindenden Nervenfasern stark erregen, während es auf die beiden
+anderen Arten nur eine schwache Wirkung ausübt. Werden alle drei Arten
+in gleicher Stärke getroffen, so entsteht der Eindruck Weiß. Diese
+Lehre *Youngs* wurde später von *Helmholtz* wieder aufgenommen und
+eingehender begründet[467].
+
+Wie das Licht so wird auch die strahlende Wärme nach *Young* auf die
+Bewegung des Äthers zurückgeführt. Nach ihm unterscheiden sich die
+Wärmeschwingungen einzig durch ihre Länge und die ihnen zukommende
+Schwingungszahl von den Lichtschwingungen. Die wesentlichste Schwäche
+der von *Young* entwickelten Lehre bestand in der schon von *Huygens*
+gemachten Annahme, die schwingende Bewegung erfolge longitudinal,
+d. h. in der Fortpflanzungsrichtung. Daß eine solche Annahme die
+ursprüngliche war, ist begreiflich, da man zu einer Wellentheorie des
+Lichtes gelangte, indem man die Licht- und die Schallerscheinungen als
+analoge Vorgänge betrachtete. Der Schall war aber schon längst auf
+longitudinale Schwingungen der Luftteilchen zurückgeführt.
+
+Jene Schwäche der von *Young* entwickelten Lehre trat besonders
+zutage, als *Malus* die Polarisation durch Reflexion entdeckte. Wird
+ein Lichtstrahl reflektiert oder gebrochen, so werden bekanntlich
+seine physikalischen Eigenschaften im allgemeinen nicht geändert,
+sondern er verhält sich geradeso, als ob er von dem leuchtenden Körper
+käme. Bei der Brechung findet zwar in der Regel eine Zerlegung des
+zusammengesetzten Lichtes statt, doch besitzt jede der erhaltenen
+Komponenten ihre konstante Eigenschaft, was schon *Newton* dadurch
+nachwies, daß er aus diesen Komponenten den weißen Strahl in seiner
+früheren Beschaffenheit wieder zusammensetzte. Von dieser Eigenschaft
+des gewöhnlichen Lichtes gänzlich abweichend ist dagegen, wie auch
+*Newton* erkannte, das Verhalten eines Lichtstrahls, welcher die zu
+*Newtons* Zeiten an dem Kalkspat entdeckte Doppelbrechung erlitten hat.
+Die erhaltenen Strahlen gehen nämlich bei einer bestimmten Lage durch
+einen zweiten Kalkspatkristall hindurch, ohne wieder zerlegt zu werden,
+während bei einer anderen Lage des zweiten Kristalles eine nochmalige
+Teilung stattfindet. Hieran knüpfte *Newton* die Bemerkung, ein solcher
+Lichtstrahl möge wohl verschiedene Seiten besitzen, die mit voneinander
+abweichenden Eigenschaften begabt seien[468].
+
+Nahezu ein Jahrhundert sollte es dauern, bis ein Zufall lehrte, daß
+derartiges polarisiertes Licht keine vereinzelte, nur an gewissen
+Mineralien auftretende Erscheinung ist. Es war im Jahre 1808, als der
+französische Physiker *Malus*[469] eines Tages durch einen isländischen
+Doppelspat nach den von der untergehenden Sonne beleuchteten Fenstern
+des Palais du Luxembourg blickte. *Malus* drehte den Kristall und
+nahm dabei zu seinem Erstaunen wahr, daß die Bilder, welche dieser
+lieferte, abwechselnd ihre Stärke veränderten. Zuerst dachte er an
+eine Beeinflussung des Sonnenlichtes bei seinem Durchgang durch
+die Atmosphäre. Später erkannte er jedoch, daß in diesem Falle
+die Reflexion die einzige Ursache der Polarisation des Lichtes
+ist[470]. *Malus* fand, daß unter einem bestimmten, von der Natur des
+reflektierten Stoffes abhängigen Winkel die Polarisation in solchem
+Grade stattfindet, daß von den Doppelbildern, welche der Kalkspat
+liefert, das eine bei einer gewissen Lage des Kalkspats verschwindet.
+Diese Versuche vermochte *Young* aus seiner Lehre infolge der erwähnten
+Schwäche nicht zu erklären, worüber *Malus*, ein unerschütterlicher
+Anhänger der Emissionstheorie, große Freude empfand[471].
+
+Die endgültige Beseitigung dieser Theorie gelang erst dem Franzosen
+*Fresnel*[472]. *Fresnel* begann seine optischen Untersuchungen im
+Jahre 1815. Noch im selben Jahre veröffentlichte er eine Arbeit,
+die mit einem Preise gekrönt wurde. Sie handelte von der Beugung
+des Lichtes[473]. Schon in dieser Abhandlung erklärte *Fresnel* die
+bei der Beugung auftretenden Fransen aus der Undulationstheorie des
+Lichtes. »Man begreift leicht«, heißt es in jener Schrift, »daß die
+Schwingungen zweier Lichtstrahlen, die sich unter einem sehr kleinen
+Winkel kreuzen, einander aufheben können. Und zwar geschieht dies, wenn
+die Knoten des einen Strahles mit den Schwingungsbäuchen des anderen
+zusammenfallen.« Aus der in diesen Worten ausgesprochenen Theorie
+der Interferenz erklärte *Fresnel* auch die Farben dünner Blättchen.
+Von ausschlaggebender Bedeutung waren seine Interferenzversuche mit
+polarisiertem Licht. Sie zeigten, daß zwei polarisierte Strahlen
+nur dann interferieren, wenn ihre Polarisationsebenen parallel zu
+einander sind. Lagen die Polarisationsebenen senkrecht zu einander,
+so traten keine Interferenzerscheinungen ein. Dies Verhalten war mit
+der Annahme longitudinaler Schwingungen des Äthers nicht vereinbar. Es
+läßt sich aber leicht begreifen, wenn man voraussetzt, daß das Licht
+in transversalen Ätherschwingungen besteht. Unter dieser Annahme
+können nämlich benachbarte Strahlen, wenn ihre Schwingungen in zwei
+zueinander senkrecht stehenden Ebenen erfolgen, sich nicht gegenseitig
+beeinflussen. Zu der Theorie, daß das Licht in transversalen
+Schwingungen des Äthers bestehe, gelangte *Fresnel* um 1820. In
+ihren allgemeinen Grundzügen hat er diese Theorie im Jahre 1823
+entwickelt[474].
+
+In der Fassung, welche *Fresnel* der Undulationstheorie verliehen,
+ist sie in den Besitz der Wissenschaft übergegangen. Ihre Herrschaft
+erschien um so mehr gesichert, als es gelang, nicht nur die später
+entdeckten Erscheinungen aus dieser Theorie zu deuten, sondern sogar
+Vorgänge zu beschreiben, deren Stattfinden erst spätere Versuche
+dargetan haben[475].
+
+Die von *Young* und *Fresnel* entwickelten theoretischen Anschauungen
+erhielten eine wertvolle Stütze durch die analytischen Untersuchungen
+über die Wellenbewegung, welche der bedeutende französische
+Mathematiker *Cauchy* anstellte. Schon im Jahre 1815 hatte dieser
+für eine Arbeit über die »Theorie der Wellen« den großen Preis der
+Akademie erhalten. Seit dem Jahre 1829 hat er zahlreiche Beiträge zur
+Befestigung der Wellentheorie des Lichtes geliefert. Bis dahin war
+es nicht gelungen, die Dispersion aus dieser Theorie zu folgern. Den
+Grund erkannte *Fresnel* darin, daß der Einfluß der Körpermoleküle auf
+den Äther noch zu berücksichtigen blieb. *Cauchy* gelang es, diese
+Lücke auszufüllen und damit den Schlußstein in die Undulationstheorie
+zu fügen. Indem er das Verhältnis der Wellenlänge zum Abstand der
+Ätherteilchen berücksichtigte, gelangte er zu einem Ausdruck für die
+Geschwindigkeit des Lichtes, der für verschiedenfarbiges Licht eine
+verschieden große Brechung ergab. *Cauchy* setzte bei seiner Ableitung
+voraus, daß das Licht sich in optisch dichteren Mitteln mit geringerer
+Geschwindigkeit fortpflanze. *Foucaults* experimenteller Nachweis,
+daß dies wirklich zutrifft[476], sowie *Fraunhofers* Messungen der
+Wellenlängen[477] haben *Cauchys* Annahme bestätigt und somit zur
+weiteren Befestigung der theoretischen Optik beigetragen.
+
+Während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann sich der
+umgestaltende Einfluß, den die Dampfkraft auf die Entwicklung des
+Verkehrs und der Gewerbe gewinnen sollte, mehr und mehr geltend zu
+machen. Es kann daher nicht Wunder nehmen, daß sich die Physiker mit
+der bewegenden Kraft der Wärme eingehender beschäftigten. So entstanden
+im Beginn der zwanziger Jahre *Carnots* epochemachende Betrachtungen
+über die bewegende Kraft des Feuers[478], in denen dieser Forscher als
+ein Vorläufer von *R. Mayer*, *Joule* und *Helmholtz*, den Begründern
+der mechanischen Wärmetheorie, erscheint.
+
+*Sadi Carnot* wurde 1796 in Paris als Sohn des großen Revolutionsmannes
+geboren. Er war Zögling der École polytechnique und gehörte später
+der Armee als Genieoffizier an. Die Abhandlung, welche uns beschäftigt,
+ist die einzige abgerundete Arbeit, die *Carnot* veröffentlicht hat.
+Er starb in noch jugendlichem Alter (1832). *Carnot* machte darauf
+aufmerksam, daß die Erzeugung von Bewegung bei den Wärmemaschinen stets
+an eine Wiederherstellung des Gleichgewichts der Wärme gebunden ist, d.
+h. an einen Übergang der Wärme von einem Körper mit mehr oder weniger
+erhöhter Temperatur auf einen anderen, dessen Temperatur niedriger ist.
+Bei einer in Tätigkeit befindlichen Dampfmaschine z. B. durchdringt
+die in der Feuerung durch Verbrennung entwickelte Wärme die Wände des
+Kessels und erzeugt den Dampf; dieser nimmt die Wärme mit sich, führt
+sie zum Zylinder, wo sie irgend einen Dienst tut und von dort in den
+Kondensator. In letzter Linie bemächtigt sich daher das kalte Wasser
+des Kondensators der durch die Verbrennung erzeugten Wärme.
+
+»Überall, wo ein Temperaturunterschied besteht,« sagt *Carnot*, »und wo
+daher die Wiederherstellung des Gleichgewichts der Wärme eintritt, kann
+auch die Erzeugung von bewegender Kraft stattfinden. Der Wasserdampf
+ist ein Mittel, aber er ist nicht das einzige; alle Stoffe können zu
+diesem Zwecke benutzt werden. Alle sind fähig, Zusammenziehung und
+Ausdehnung durch den Wechsel von Kälte und Wärme zu erfahren. Bei
+diesen Volumänderungen vermögen die Körper bestimmte Widerstände zu
+überwinden und auf diese Weise bewegende Kraft zu entwickeln. Ein
+fester Körper, beispielsweise ein Metallstab, vermehrt und vermindert
+seine Länge, wenn er abwechselnd erwärmt und abgekühlt wird, und vermag
+Körper zu bewegen, die an seinen Enden befestigt sind. Eine gasförmige
+Flüssigkeit kann durch Temperaturänderungen erhebliche Änderungen des
+Volumens erfahren. Wenn sie sich in einem mit einem Kolben versehenen
+Zylinder befindet, kann sie ausgedehnte Bewegungen hervorbringen.
+Die Dämpfe aller Stoffe vermögen denselben Dienst zu leisten wie der
+Wasserdampf.«
+
+Aber, auch umgekehrt sei es stets möglich, wo man eine Bewegung
+anwende, Temperaturunterschiede entstehen zu lassen. So seien der Stoß
+und die Reibung Mittel, die Temperatur der Körper zu erhöhen. Bei dem
+geschilderten Ausgleich dachte *Carnot* zunächst nur an eine Bewegung
+der Wärme, deren materielle Natur er noch voraussetzte. Er hat jedoch,
+wie aus seinem Nachlaß hervorgeht[479], später die Annahme einer
+Konstanz der Wärme aufgegeben und sogar das mechanische Wärmeäquivalent
+ziemlich genau bestimmt[480]. Zu den Grundlagen der mechanischen
+Wärmetheorie gehört vor allem *Carnots* Konzeption des Kreisprozesses.
+*Carnot* geht von der Tatsache aus, daß die Temperatur eines Gases
+zunimmt, wenn es zusammengedrückt wird, daß sie dagegen fällt, wenn man
+das Gas rasch ausdehnt. Will man daher ein Gas nach dem Zusammendrücken
+auf seine ursprüngliche Temperatur zurückführen, so muß man ihm Wärme
+entziehen. Ebenso kann man bei der Ausdehnung eines Gases seine
+Temperaturerniedrigung vermeiden, wenn man ihm eine bestimmte Menge
+Wärme zuführt.
+
+[Illustration: Abb. 55. *Carnots* Erläuterung des Kreisprozesses.]
+
+An diese Tatsachen knüpft *Carnot* folgende Überlegung, die man ein
+Gedankenexperiment nennen kann[481], weil sich die Durchführung in
+der Wirklichkeit nur annäherungsweise bewerkstelligen läßt. A sei
+ein Körper von der Temperatur t_{1}. Die Temperatur eines zweiten
+Körpers B, der von A durch einen nichtleitenden Stoff getrennt ist,
+sei niedriger und zwar gleich t_{2}. In dem Zylinder *abgh* befinde
+sich eine elastische Flüssigkeit, z. B. Luft und ein beweglicher Kolben
+*cd*. Man stelle sich nun mit *Carnot* folgende Reihe von Veränderungen
+vor:
+
+1. Der Zylinder, dessen Wand ab die Wärme leicht durchlassen soll,
+befinde sich auf dem wärmeren Körper A. Das eingeschlossene Gas nimmt
+infolgedessen die Temperatur t_{1} an, die wir A zugeschrieben haben,
+und der Kolben erhebt sich aus seiner Anfangsstellung *cd* bis zur
+Stellung *ef*. Infolge der Wärmezufuhr, welche das Gas dabei von A
+empfängt, behält dieses trotz der Ausdehnung die Temperatur t_{1}.
+
+2. Der Zylinder wird jetzt von A entfernt, so daß ihm keine Wärme mehr
+zugeführt wird. Dehnt sich das Gas nun weiter aus, so sinkt bei dieser
+Volumverminderung seine Temperatur. Sie möge auf t_{2}, d. i. die
+Temperatur des kälteren Körpers B, gesunken sein, wenn der Kolben die
+Stellung *gh* einnimmt.
+
+3. Der Zylinder wird auf B gebracht und das Gas, das ja bei der
+Kolbenstellung *gh* die Temperatur von B besitzt, zusammengedrückt. Die
+so erzeugte Wärme wird dabei sofort von B, dessen Temperatur konstant
+t_{2} bleiben soll, aufgenommen. Voraussetzung ist, wenn sich die
+Temperatur von A und B trotz Abgabe und Zufuhr von Wärme nicht ändern
+soll, daß beide Körper eine ungeheure Wärmekapazität haben.
+
+4. Hat der Kolben die Stellung *cd* erreicht, so entfernt man den
+Zylinder von B und komprimiert ohne Wärmeabgabe weiter. Die Temperatur
+der eingeschlossenen Luft wird jetzt steigen und es möge der Kolben die
+Stellung *ik* angenommen haben, wenn die Temperatur des Gases wieder
+gleich derjenigen von A, nämlich gleich t_{1}, ist.
+
+Damit ist der Kreislauf abgeschlossen. Denn bringen wir jetzt den
+Zylinder auf A, so können die beschriebenen Vorgänge in vollkommen
+gleicher Weise sich, so oft wir wollen, wiederholen. Der beschriebene
+Kreisprozeß kann aber auch umgekehrt werden, indem man auf d zunächst
+c, dann b und endlich wieder a folgen läßt. Bei dieser Umkehrung wird
+aber eben soviel »bewegende Kraft« (Arbeit) verbraucht, als bei dem
+Ablauf der Vorgänge in der zuerst geschilderten Folge (a, b, c, d)
+gewonnen wurde.
+
+Fast zur selben Zeit, als *Rumford* und *Davy* ihre über die Natur
+der Körperwärme entscheidenden Versuche anstellten, wurde auch
+die Lehre von der strahlenden Wärme, die man schon länger von der
+körperlichen unterschieden hatte[482], um eine wichtige Entdeckung
+bereichert. *Wilhelm Herschel* bediente sich bei der Beobachtung der
+Sonne verschiedenartig gefärbter Gläser. Dabei fiel ihm auf, daß
+hinter gewissen Gläsern, die weniger Licht durchlassen, mitunter eine
+stärkere Wärmeempfindung stattfand, als hinter anderen helleren[483],
+so daß die erwärmende Kraft durchaus nicht von der Stärke des
+Lichtes abzuhängen schien. Um die Frage zu entscheiden, ob die
+Wärme etwa ungleichmäßig über die verschiedenen Strahlengattungen
+verteilt sei, erzeugte *Herschel* das Sonnenspektrum und brachte ein
+Thermometer mit geschwärzter Kugel in die verschiedenen Farben, die
+er nacheinander durch eine Öffnung fallen ließ. Ein zweites, etwas
+entferntes Thermometer zeigte die Wärme der umgebenden Luft an[484].
+*Herschel* verglich dann die Temperaturerhöhung, welche das Thermometer
+in gleichen Zeiträumen in den verschiedenen Teilen des Spektrums
+erfuhr. In derselben Zeit, in der es unter im übrigen gleichen
+Verhältnissen im violetten Teil des Spektrums um 2° stieg, betrug die
+Zunahme im Grün 3¼° und im Rot, wo sie am größten war, 6-7/8°.
+*Herschel* setzte diese Untersuchung fort und konnte schon einen Monat
+später[485] das merkwürdige Ergebnis mitteilen, daß ein ultraroter
+Teil des Spektrums bestehe, der aus unsichtbaren, Wärme spendenden
+Strahlen zusammengesetzt ist. Ja, es ergab sich, daß das Maximum der
+Wärmewirkung innerhalb dieser unsichtbaren Region liegt.
+
+
+
+
+19. Die Chemie und die Physik treten in engere Wechselbeziehungen.
+
+
+Sehr viele von den Errungenschaften, die auf chemischem und
+physikalischem Gebiete zu Beginn der neueren Zeit gewonnen wurden,
+knüpfen sich an den Namen *Gay-Lussacs*, so daß es gerechtfertigt
+erscheint, diese Forschergestalt unter den vielen, die sich um den
+Ausbau und die Verknüpfung der genannten Wissenszweige verdient gemacht
+haben, besonders hervortreten zu lassen.
+
+*Louis Joseph Gay-Lussac* wurde am 6. September 1778 in einer
+kleinen Stadt[486] des mittleren Frankreichs geboren. Da er zu den
+ausgezeichnetsten Schülern der École polytechnique gehörte, wählte
+ihn der Chemiker *Berthollet* zu seinem Gehilfen. Die ersten Lorbeeren,
+die sich *Gay-Lussac* auf dem Felde der Wissenschaft verdiente, hatte
+er einem eigentümlichen Umstande zu verdanken. Durch die alltägliche
+Beobachtung, daß der Rauch unter dem Einfluß warmer Luft im Kamin
+emporsteigt, waren die Gebrüder *Montgolfier* auf den Gedanken
+gekommen, eine Papierhülle durch ein darunter befindliches Feuer zum
+Emporsteigen zu bringen. Ihrem berühmt gewordenen Versuch vom Jahre
+1783, bei dem sich eine derartige Hülle von 22000 Kubikfuß Rauminhalt
+durch ein darunter befindliches Strohfeuer auf eine Höhe von etwa 2000
+Metern erhob, waren zahlreiche, von mehr oder weniger Erfolg begleitete
+Aufstiege gefolgt. Der Physiker *Charles* war noch in demselben Jahre
+zur Füllung der Ballons mit Wasserstoff übergegangen. Trotzdem blieb
+eine Luftreise bei dem Fehlen der heutigen Sicherheitsvorrichtungen
+zunächst ein sehr gewagtes Unternehmen. Als sich die Pariser
+Akademie im Anfang des 19. Jahrhunderts entschloß, Aufstiege zu
+wissenschaftlichen Zwecken zu veranstalten, galt es daher, einige
+jüngere, beherzte Forscher zu gewinnen. Die Wahl fiel auf *Gay-Lussac*
+und *Biot*, die im Sommer des Jahres 1804 einen gemeinschaftlichen
+Aufstieg unternahmen, dem bald darauf eine von *Gay-Lussac* allein
+ausgeführte Luftreise folgte. In der von dem letzteren erreichten Höhe
+von 7000 Metern betrug die Temperatur -9,5°, während zur selben Zeit
+in Paris ein im Schatten befindliches Thermometer +27,5° zeigte. Die
+atmosphärische Luft war nach den Analysen *Gay-Lussacs* in den oberen
+Schichten der Atmosphäre von derselben Zusammensetzung wie in der Nähe
+der Erdoberfläche. Auch wies *Gay-Lussac* nach, daß die Luft nicht
+etwa in größeren Höhen einen Gehalt von dem so leichten Wasserstoffgas
+besitze, wie einige Physiker zur Erklärung des Gewitters, das in
+Knallgasexplosionen bestehen sollte, angenommen hatten. Insbesondere
+war die Aufmerksamkeit *Gay-Lussacs* auf das Verhalten gerichtet,
+welches die Magnetnadel in größerer Entfernung vom Erdboden zeigt. Die
+angestellten Schwingungsbeobachtungen ergaben, daß ein Höhenunterschied
+von mehreren tausend Metern die magnetische Kraft nicht merklich
+beeinflußt. »*Biots* und *Gay-Lussacs* Luftfahrten«, schrieb später
+*Arago*[487], »werden im Andenken der Menschen fortleben als die
+ersten derartigen Unternehmungen, die behufs Lösung wissenschaftlicher
+Aufgaben mit entschiedenem Erfolge ausgeführt wurden«.
+
+Die Analyse der atmosphärischen Luft und die Zuverlässigkeit der
+hierfür benutzten Mittel waren zu der Zeit, als *Gay-Lussac* seine
+Tätigkeit begann, viel umstritten. Insbesondere war der Glaube
+verbreitet, daß der Gehalt an Sauerstoff schwankend und für die Güte
+der Luft bestimmend sei. Die zur Ermittlung des Sauerstoffgehaltes
+ersonnenen Apparate wurden daher Eudiometer (Luftgütemesser) genannt.
+Das erste Eudiometer rührt von *Priestley* her. Es beruhte auf dem
+Verhalten von Stickoxyd gegen Sauerstoff[488] und wurde von *Fontana*
+(1774) verbessert. Weit bessere Ergebnisse erhielt man bei dem von
+*Lavoisier* in Vorschlag gebrachten Verfahren[489]. Es besteht
+darin, daß eine gemessene Luftmenge über Quecksilber abgesperrt
+und mit Phosphor in Berührung gebracht wird. Durch die langsame
+Oxydation dieser Substanz wird der Sauerstoff völlig gebunden, und
+die Luft erleidet eine entsprechende Volumverminderung. Aber selbst
+*Lavoisiers* Versuchsfehler waren noch so groß, daß er für den
+Sauerstoffgehalt Schwankungen von 18 auf 25% annahm. Im wesentlichen
+auf dem gleichen Prinzip beruht das von *Volta* vorgeschlagene
+Eudiometer. Die zu untersuchende Luft wird mit Wasserstoff
+zusammengebracht. Ist dieses Gas in hinreichender Menge vorhanden, so
+reißt es bei der durch einen elektrischen Funken bewirkten Explosion
+des Gasgemisches den gesamten Sauerstoff der Luft an sich und verbindet
+sich damit zu Wasser.
+
+Auch *Alexander von Humboldt* beschäftigte sich mit eudiometrischen
+Bestimmungen. Nachdem er in Paris mit *Gay-Lussac* bekannt geworden
+war, schlossen beide, ihrer außerordentlichen Leistungen wegen
+gefeierten Männer ein enges Freundschaftsbündnis. Die schönste
+Frucht desselben war eine gemeinsame, im Jahre 1805 veröffentlichte
+Arbeit über die eudiometrischen Mittel und über das Verhältnis der
+Bestandteile der Atmosphäre[490]. Diese Arbeit ergab, daß *Voltas*
+Eudiometer das schätzbarste Instrument für die Analyse der Luft
+ist. Ein wichtiges Nebenergebnis war der Nachweis, daß sich der
+Sauerstoff mit dem Wasserstoff nach dem unveränderlichen und einfachen
+Volumverhältnis 1 : 2 verbindet. Nach den früheren Versuchen von
+*Cavendish* schien dies Verhältnis kein einfaches zu sein.
+
+Während sich der vielseitige *von Humboldt* neuen Aufgaben zuwandte,
+vertiefte sich *Gay-Lussac* in das Studium der Gase, über deren
+chemisches und physikalisches Verhalten wir ihm eine Fülle von
+Entdeckungen verdanken. Seine erste Arbeit über diesen Gegenstand war
+im Jahre 1802 auf *Berthollets* Anregung entstanden. Diese Arbeit
+handelte von der Ausdehnung gas- und dampfförmiger Körper[491] und
+lieferte den nicht nur in praktischer Hinsicht, sondern auch für die
+Theorie sehr wichtigen Nachweis, daß »alle Gasarten und Dämpfe bei
+derselben Temperaturerhöhung, unter im übrigen gleichen Umständen,
+in gleichem Grade ausgedehnt werden.« *Gay-Lussacs* Untersuchung
+erstreckte sich auf Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Ammoniak,
+Schwefeldioxyd Kohlendioxyd und Ätherdampf. Nach seinen Messungen
+beträgt die Volumzunahme dieser Gase bei einer Temperaturerhöhung
+von 0 auf 100 Grad 0,375 des ursprünglichen Volumens. Durch spätere
+Bestimmungen ist dieser Ausdehnungskoeffizient zu 0,366 (oder für eine
+Temperatursteigerung von 0° auf 1° zu 0,00366 = 1/273) ermittelt worden.
+
+*Gay-Lussacs* Untersuchung über die Ausdehnung der Gase war älteren
+Untersuchungen gegenüber besonders deshalb ein großer Fortschritt, weil
+er die gasförmigen Körper, an denen er Messungen anstellen wollte,
+vorher vermittelst Chlorkalzium trocknete und damit eine wesentliche
+Fehlerquelle beseitigte. Daß *Gay-Lussacs* Bestimmung dennoch mit einem
+nicht unerheblichen Fehler behaftet blieb, ist darauf zurückzuführen,
+daß das Trocknen der Gefäße und der Gase noch in nicht genügendem Maße
+stattfand.
+
+Das von *Gay-Lussac* beim Messen des Ausdehnungskoeffizienten
+eingeschlagene Verfahren wird aus der beistehenden, seiner Abhandlung
+entnommenen Abbildung ersichtlich. Der Ballon D wird über Quecksilber
+mit dem zu untersuchenden Gase gefüllt. Der ganze, in Abb. 57
+dargestellte Apparat wird in ein Wasserbad getaucht und auf 100°
+erhitzt. Dabei entweicht ein Teil des Gases durch das zweimal gebogene
+Rohr B, dessen Öffnung durch Quecksilber gesperrt ist. Hat der Ballon
+die Temperatur des siedenden Wassers angenommen, so wird die Glasröhre
+B entfernt und das Wasserbad auf die Temperatur des schmelzenden
+Eises abgekühlt. Das Quecksilber steigt dann, entsprechend der
+Zusammenziehung des Gases, den graduierten Hals des Ballons hinauf. Man
+erhält so die Größe des Luftvolumens, das durch die Erwärmung aus dem
+Ballon von bekanntem Inhalt entwichen ist.
+
+[Illustration: Abb. 56. Apparat *Gay-Lussacs* zur Bestimmung des
+Ausdehnungskoeffizienten der Gase.]
+
+Bei den Versuchen *Gay-Lussacs* dehnten sich die nachstehend
+aufgeführten vier Gase beim Erhitzen von 0° auf 100° in folgender Weise
+aus:
+
+ 100 Teile dehnen sich aus um
+
+ Atmosphärische Luft 37,5 Teile
+ Wasserstoff 37,52 "
+ Sauerstoff 37,49 "
+ Stickstoff 37,49 "
+
+Um zu untersuchen, ob der Ausdehnungskoeffizient der Dämpfe derselbe
+sei, erwärmte *Gay-Lussac* Ätherdampf von 60° auf 100°. Er hatte die
+Genugtuung wahrzunehmen, daß sowohl beim Expandieren als auch bei
+der Raumverminderung durch Abkühlung der Ätherdampf gleichen Schritt
+mit der atmosphärischen Luft hielt, die er in einem zweiten Apparate
+denselben Bedingungen ausgesetzt hatte.
+
+Aus seinen Versuchen schloß *Gay-Lussac*, daß die Ausdehnung der Gase
+und der Dämpfe nicht auf der besonderen Natur der Stoffe, sondern
+lediglich darauf beruht, daß diese Körper sich im elastisch-flüssigen
+Zustande befinden[492].
+
+In dieser Untersuchung *Gay-Lussacs* findet sich keine Angabe darüber,
+ob auch die Ausdehnung des Glasgefäßes bei der Berechnung der
+Ergebnisse berücksichtigt wurde. In einer zweiten Untersuchung ist dies
+geschehen. Trotzdem weicht der gefundene Koeffizient (0,375) für die
+Erwärmung von 0° auf 100°, der fast vierzig Jahre in Geltung blieb,
+nicht unerheblich von dem wahren Werte (0,365) ab[493].
+
+Das Freundschaftsbündnis zwischen *Gay-Lussac* und *Alexander von
+Humboldt* wurde zu einem besonders vertrauten durch eine gemeinsame,
+im Jahre 1805 unternommene Reise nach Italien. Von Rom, für dessen
+Kunstschätze sich ihnen im Verkehr mit einem *Rauch* und einem
+*Thorwaldsen* der Sinn erschloß, machten die Freunde in Begleitung
+des Geologen *Leopold von Buch* einen Abstecher nach Neapel, wo sie
+Zeugen eines großartigen, von einem furchtbaren Erdbeben begleiteten
+Ausbruch des Vesuvs wurden. Auch in chemischer Hinsicht war diese Reise
+nicht ohne Ausbeute. So machte *Gay-Lussac* in Neapel die Beobachtung,
+daß die im Wasser gelöste Luft einen weit größeren Sauerstoffgehalt
+(etwa 30%) als die atmosphärische Luft (21%) besitzt[494]. Nachdem
+die Reisenden vor dem Verlassen des italienischen Bodens noch *Volta*
+aufgesucht hatten, trafen sie in Berlin ein, wo beide im Hause *von
+Humboldts* den Winter verlebten. Nach Paris zurückgekehrt, beschäftigte
+sich *Gay-Lussac* zunächst mit der Frage, ob seine Vermutung zutreffend
+sei, daß nicht nur Wasserstoff und Sauerstoff, sondern auch die übrigen
+Gasarten sich nach einfachen Raumverhältnissen miteinander verbinden.
+
+*Gay-Lussac* wählte zunächst salzsaures Gas und verband es mit
+Ammoniakgas. Es sättigten 100 Maß salzsaures Gas genau 100 Maß
+Ammoniakgas, und das entstehende Salz war vollkommen neutral[495].
+Brachte er kohlensaures Gas mit Ammoniak zusammen, so verbanden sich
+mit 100 Maß kohlensaurem Gas genau 200 Maß Ammoniakgas. Es ergab sich
+ferner, daß Schwefelsäureanhydrid auf 100 Maß schwefligsaures Gas 50
+Maß Sauerstoffgas enthält, daß somit auch die beiden zuletzt genannten
+Gase sich nach einem einfachen Verhältnis verbinden[496].
+
+Bei einem anderen Versuch vereinigten sich 50 Maß Sauerstoffgas mit 100
+Maß gasförmigem Kohlenstoffoxyd. Beide Gasarten verschwanden völlig,
+und es fanden sich an ihrer Stelle 100 Maß kohlensaures Gas. Schon vor
+*Gay-Lussac* hatte *Berthollet* gezeigt, daß im Ammoniak auf 100 Maß
+Stickstoff genau 300 Maß Wasserstoff kommen.
+
+Nach diesen Beweisen war es offenbar, daß zwei Gasarten, die auf
+einander chemisch einwirken, sich in den allereinfachsten Verhältnissen
+verbinden. In den untersuchten Fällen geschieht dies nach den
+Verhältnissen 1 : 1 oder 1 : 2 oder 1 : 3, während sich kein einfaches
+Verhältnis zwischen den Elementen einer Verbindung zeigt, wenn man auf
+die Gewichte sieht.
+
+Weitere Versuche ließen erkennen, daß die Gasarten sich nicht bloß
+mit einander nach sehr einfachen Verhältnissen verbinden, sondern
+daß die Raumverminderung, die sie bei der Vereinigung erleiden, auch
+immer in einem sehr einfachen Verhältnisse zu dem Volumen steht,
+das die Gase vor ihrer Vereinigung einnahmen[497]. So hatte schon
+*Berthollet* gefunden, daß 100 Maß gasförmiges Kohlenstoffoxyd, wenn
+sie sich mit 50 Maß Sauerstoff verbinden, dabei 100 Maß kohlensaures
+Gas geben[498]. Beide Gasarten ziehen sich also bei ihrer Verbindung
+um einen Raum zusammen, der gerade so groß ist wie derjenige, den das
+hinzugefügte Sauerstoffgas vorher besaß. Auch der Wasserdampf, der
+sich durch das Zusammentreten von zwei Raumteilen Wasserstoff und
+einem Raumteil Sauerstoff bildete, nahm unter gleichen Druck- und
+Temperaturbedingungen 2 Volumina ein, so daß bei seiner Entstehung
+eine Verdichtung von 3 auf 2 stattfindet, während sich bei der Bildung
+von Ammoniak eine Zusammenziehung von 2 auf 1 nachweisen läßt. Dieses
+von *Gay-Lussac* entdeckte Volumgesetz ist die Grundlage für die
+Avogadrosche Hypothese und damit für die weitere Entwicklung der
+theoretischen Chemie geworden[499].
+
+Wir kommen jetzt zu den hervorragenden Untersuchungen, durch welche
+*Gay-Lussac* die anorganische, die technische und die organische Chemie
+gefördert hat.
+
+Als die Kunde von der Entdeckung der Alkalimetalle nach Frankreich
+gekommen war, stellte Napoleon der polytechnischen Schule die Mittel
+zur Beschaffung einer gewaltigen Voltaschen Säule zur Verfügung.
+Noch bevor diese Säule in Tätigkeit gesetzt werden konnte, gelang es
+*Gay-Lussac* in Gemeinschaft mit *Thenard*, Kalium und Natrium durch
+Erhitzen von Kali und von Natron mit Eisen, also auf rein chemischem
+Wege, ohne Zuhilfenahme der Elektrizität darzustellen[500]. Beide
+Forscher veröffentlichten ihr Verfahren im Mai des Jahres 1808.
+Anstatt des Eisens nahmen sie auch Kohle, erzielten damit aber ein
+weniger günstiges Ergebnis. Besser gelang die Darstellung von Kalium
+und Natrium mittelst Kohle, als man kohlensaures Alkali mit Kohle und
+Leinöl mischte und dies Gemenge der Glühhitze aussetzte[501].
+
+Als eine der besten Monographien, die je über ein Element geschrieben
+wurden, gilt *Gay-Lussacs* mustergültige Abhandlung über das Jod und
+die Jodide. *Gay-Lussac* stellte in dieser Abhandlung den Begriff der
+Hydrosäure im Gegensatz zur Sauerstoffsäure auf. Das Jod lieferte
+nämlich, wie er nachwies, zwei Säuren, die eine in Verbindung mit
+Sauerstoff, die zweite in Verbindung mit Wasserstoff. Da die Säuren,
+welche das Chlor, das Jod und der Schwefel mit dem Wasserstoff
+bilden[502], die Eigenschaften der sauerstoffhaltigen Säuren besitzen,
+so mußten beide Arten von Verbindungen in eine Klasse gestellt werden.
+Um die Wasserstoffsäuren von den eigentlichen Säuren zu unterscheiden,
+bediente sich *Gay-Lussac* der Vorsilbe Hydro. Die sauren Verbindungen
+des Wasserstoffs mit dem Chlor und dem Jod erhielten also die Namen
+Hydrochlorsäure und Hydrojodsäure. Den sauren Verbindungen des
+Sauerstoffs mit denselben Elementen blieb dagegen die Bezeichnung
+Chlorsäure und Jodsäure[503] vorbehalten.
+
+Unter den zahlreichen Verbindungen, die *Gay-Lussac* in seiner
+Abhandlung über das Jod kennen lehrte, ist besonders das Jodäthyl
+hervorzuheben, ein Stoff, der vermöge seiner großen Reaktionsfähigkeit
+von großer Bedeutung für die organische Chemie geworden ist.
+
+Von wichtigen Reaktionen, zu denen das Studium des Jods *Gay-Lussac*
+geführt hat, verdienen noch folgende erwähnt zu werden. Jod wurde
+mit Phosphor zu Jodphosphor verbunden. Letzterer zerfiel unter der
+Einwirkung von Wasser in Jodwasserstoff und phosphorige Säure:
+
+ PJ_{3} + 3H_{2}O = H_{3}PO_{3} + 3HJ.
+
+Durch Berührung mit Quecksilber wurde Jodwasserstoff unter Bildung von
+Jodquecksilber und Freiwerden von Wasserstoff zersetzt. Dabei ergab
+sich die volumetrische Gesetzmäßigkeit, daß der Wasserstoff genau die
+Hälfte des Raumes einnahm, den vorher der Jodwasserstoff ausgefüllt
+hatte.
+
+Wurde Jodwasserstoff der Rotglühhitze ausgesetzt, so fand eine
+teilweise Zersetzung in Jod und Wasserstoff statt. Andererseits gelang
+die Synthese von Jodwasserstoff, wenn *Gay-Lussac* das Gemenge von
+Jod und Wasserstoff auf Rotglut erhitzte. Diese Beobachtung war eine
+der ersten, welche über die Umkehrung einer Reaktion gemacht wurde.
+Indessen legte ihr *Gay-Lussac* weiter keine Bedeutung bei.
+
+Die Ähnlichkeit des Jodwasserstoffs mit der Salzsäure ergab sich
+auch aus dem Verhalten gegen Metalle. Letztere machten aus beiden
+Verbindungen unter Bildung salzartiger Körper Wasserstoff frei. Mit
+Ammoniak verband sich Jodwasserstoff unter Entstehung eines dem Salmiak
+ähnlichen Stoffes. Die Vereinigung erfolgte nach gleichen Raummengen,
+so daß sich nach jeder Richtung eine so weit gehende Analogie zwischen
+dem neu entdeckten Jod und dem schon länger bekannten Chlor zeigte,
+wie sie bis dahin zwischen zwei Elementen noch nicht nachgewiesen
+war. Diese Analogie wurde später auf das 1826 von *Balard* in der
+Mutterlauge des Meerwassers aufgefundene Brom ausgedehnt. Der Vergleich
+von Chlor, Brom und Jod führte *Döbereiner* später zur Aufstellung
+seiner Theorie von den Triaden, d. h. zu der Annahme, daß das System
+der Elemente sich in Gruppen von je drei sehr ähnlichen Grundstoffen
+gliedern lasse, ein Gedanke, durch den *Döbereiner* zum Begründer einer
+Systematik der Elemente und damit zum Vorläufer eines *Mendelejeff* und
+*Lothar Meyer* geworden ist[504].
+
+Die Aufdeckung der Analogie zwischen Chlor und Jod hat dahin
+mitgewirkt, daß die lange geltende Annahme, das Chlor sei eine
+Sauerstoffverbindung[505], allgemein aufgegeben wurde.
+
+Waren ferner die Reaktionen, welche das Jod zu anderen Elementen und
+Verbindungen äußerte, zwar denen des Chlors sehr ähnlich, so ging
+doch aus der ganzen Untersuchung *Gay-Lussacs* hervor, daß letzteres
+Element »mächtiger ist als das Jod«. Um die Dichte des Joddampfes zu
+bestimmen, ging *Gay-Lussac* von der Dichte des Jodwasserstoffes aus.
+Er ermittelte, indem er das von ihm entdeckte Volumgesetz zugrunde
+legte, daß der Dampf des Jods 117mal dichter als Wasserstoff ist, also
+von allen Dämpfen, die größte Dichtigkeit besitzt[506].
+
+*Gay-Lussacs* Arbeiten über die Schwefelsäure, um deren fabrikmäßige
+Darstellung er sich durch die Einführung des sogenannten
+*Gay-Lussac*-Turmes sehr verdient gemacht hat, sowie die durch ihn
+erfolgte Begründung des Titrierverfahrens sind auf die Entwicklung der
+chemischen Technik von größtem Einfluß gewesen.
+
+Auch die Chemie der organischen Verbindungen erfuhr durch *Gay-Lussac*
+eine bedeutende Förderung. Für die Analyse dieser Stoffe, die
+vor ihm in den Kinderschuhen stak, brachte er das Kupferoxyd als
+Verbrennungsmittel in Anwendung, während seine Arbeit über die
+Cyanverbindungen ein Muster für spätere Untersuchungen organischer
+Körper gewesen ist[507]. *Gay-Lussac* lieferte in dieser Arbeit
+den Nachweis, daß die von *Scheele* aus dem gelben Blutlaugensalz
+gewonnene Blausäure (HCN) eine dem Chlorwasserstoff (HCl) entsprechende
+Hydrosäure ist, in welcher ein aus Kohlenstoff und Stickstoff
+bestehendes Radikal CN, das den Namen Cyan erhielt, an die Stelle von
+Chlor tritt. Indem er weiter zeigte, daß dieses Radikal auch in anderen
+Verbindungen die Stelle eines Elements vertritt, eröffnete er die Reihe
+jener Untersuchungen, die darauf hinausliefen, sämtliche organischen
+Verbindungen auf Atomgruppen zurückzuführen. Dieses Bestreben hat dann
+später seinen Höhepunkt in der Forschertätigkeit *Liebigs* erreicht,
+welcher die organische Chemie als die Chemie der zusammengesetzten
+Radikale bezeichnete[508].
+
+Auch der Vorgang der Gärung, auf den die Untersuchungen *Lavoisiers*
+das erste Licht geworfen hatten[509], zog *Gay-Lussac* in den Bereich
+seiner Forschungen. Er wies nach, daß neben Kohlendioxyd und Alkohol
+als wesentliche Produkte der Gärung Glyzerin und Bernsteinsäure
+auftreten. Auch versuchte er diesen Vorgang, der später als ein
+physiologischer aufgefaßt wurde, in eine chemische Gleichung
+einzukleiden.
+
+Wie erwähnt, war *Gay-Lussac* aus der École polytechnique
+hervorgegangen, an der er zunächst als Repetent, später (1809) als
+Professor der Chemie angestellt wurde. Gleichzeitig bekleidete er an
+der Sorbonne die Professur für Physik. Auch im öffentlichen Leben
+Frankreichs nahm *Gay-Lussac* eine hervorragende Stelle ein. Er wirkte
+in zahlreichen, für gewerbliche oder Verwaltungszwecke ernannten
+Kommissionen, in denen er seiner chemischen und physikalischen
+Kenntnisse wegen das größte Ansehen genoß, wurde wiederholt zum
+Abgeordneten gewählt und endlich zum Pair ernannt. Ein nicht
+vollendetes, die Philosophie der Chemie betiteltes Werk ließ er vor
+seinem Tode verbrennen.
+
+Am 9. Mai des Jahres 1850 starb *Gay-Lussac*. Sein Leben ist reich an
+wissenschaftlichen, durch stete Arbeit erzielten Erfolgen gewesen. Es
+konnte aber auch in jeder anderen Hinsicht als vorbildlich gelten.
+*Arago*, der in der Akademie *Gay-Lussac* einen Nachruf widmete, schloß
+mit dem schönen Lobe: »Er ehrte Frankreich durch seine moralischen
+Eigenschaften und diese Akademie durch seine Entdeckungen. Sein Name
+wird mit Bewunderung und Hochachtung in allen Ländern genannt werden,
+in denen man die Wissenschaften pflegt«[510].
+
+Die Physik der gasförmigen Körper wurde vor allem durch Untersuchungen
+über die Absorption der Gase durch Flüssigkeiten gefördert. Zunächst
+fand der englische Chemiker *Henry*[511], daß die von einer Flüssigkeit
+absorbierte Gasmenge proportional dem Drucke ist, unter dem die
+Absorption erfolgt. Voraussetzung ist dabei, daß die Umstände im
+übrigen gleich sind und vor allem, daß die Gase und die Flüssigkeiten
+nicht chemisch aufeinander wirken[512].
+
+Eine Erweiterung der Untersuchung *Henrys* lieferte *Dalton* mit seiner
+Abhandlung Ȇber die Absorption der Gasarten durch Wasser und andere
+Flüssigkeiten«[513]. Diese Schrift ist auch dadurch geschichtlich
+interessant, daß sie die erste Atomgewichtstabelle enthält. *Dalton*
+suchte nämlich die verschiedene Löslichkeit der Gase aus der von ihm
+begründeten Atomtheorie[514] abzuleiten.
+
+Als Kennzeichen, daß ein Gas von einer Flüssigkeit nur absorbiert und
+nicht gebunden wird, galt *Dalton* der Umstand, daß es im ersteren
+Fall, wenn man den Druck unter Anwendung der Luftpumpe aufhebt, aus der
+Flüssigkeit wieder entweicht.
+
+*Dalton* ergänzte *Henrys* Untersuchung dahin, daß er sie auf
+Gasgemenge ausdehnte. Wurde z. B. Wasser, das von Luft befreit war, mit
+einer Mischung von zwei oder mehr Gasarten geschüttelt, so verschluckte
+es von jeder dieser Gasarten soviel, als es von ihnen einzeln bei
+derselben Dichtigkeit der Gasart aufgenommen haben würde. Bei den von
+*Dalton* behaupteten Gesetzmäßigkeiten handelt es sich jedoch mitunter
+um bloße Annäherungen, zum Teil auch um Unrichtigkeiten.
+
+Zum Schluß erhebt *Dalton* die Frage nach der Ursache der für die
+verschiedenen Gase so verschiedenen Löslichkeit. Es ist von hohem
+Interesse zu sehen, wie *Dalton* diese Frage aus seiner Atomtheorie
+zu beantworten sucht. Er habe gefunden, daß das relative Gewicht der
+kleinsten Teilchen der Körper sehr verschieden sei. Und nun zeige sich,
+daß diejenigen Gasarten, die leichtere Teilchen besäßen, weniger leicht
+absorbiert würden. Beides mache es wahrscheinlich, daß die Löslichkeit
+mit dem Atomgewicht in einem ursächlichen Zusammenhange stehe.
+
+*Dalton* war auch einer der ersten, der Messungen über die Spannkraft
+der Gase und der Dämpfe anstellte. So fand er, daß die Spannkraft
+der feuchten Luft gleich derjenigen der trockenen vermehrt um die
+Spannkraft des beigemengten Wasserdampfes ist. Auch diese Untersuchung
+dehnte *Dalton* auf Gasgemenge aus. Er bemerkte, daß Gase sich
+miteinander vollkommen mischen, auch wenn ein leichtes Gas sich über
+einem schwereren befindet (Diffusion). Dann zeigte er, daß der Druck
+eines Gasgemisches, auf das gleiche Volumen bezogen, der Summe der
+von den einzelnen Bestandteilen ausgeübten Spannungen gleich ist.
+Voraussetzung ist auch hier wieder, daß nur eine physikalische Mischung
+und keine chemische Verbindung stattgefunden hat.
+
+Endlich suchte *Dalton* zu bestimmen, wie die Spannkraft gesättigter
+Dämpfe von der Temperatur abhängt. Sein Verfahren ist noch heute im
+Gebrauch. Er brachte die in Dampf zu verwandelnde Flüssigkeit in den
+leeren Raum über dem Quecksilber eines Barometers. Dann wurde das
+Barometer in eine Glasröhre eingeschlossen und darin durch erwärmtes
+Wasser auf den gewünschten Wärmegrad gebracht. Die Spannung der
+entwickelten Dämpfe wurde durch das Herabsinken der Quecksilbersäule
+gemessen. Überstieg die Spannung den Druck einer Atmosphäre, so
+benutzte *Dalton* eine Röhre mit einem kürzeren geschlossenen und einem
+längeren offenen Schenkel, wie sie *Mariotte* zum Nachweis des von
+ihm und *Boyle* entdeckten Gesetzes gebraucht hatte. Die Flüssigkeit,
+deren Dampfspannung gemessen werden sollte, wurde in dem kürzeren
+geschlossenen Schenkel erhitzt, während in dem längeren die Spannung
+durch die von dem Dampf getragene Quecksilbersäule gemessen wurde. Auf
+große Genauigkeit konnten die ersten auf diesem Gebiete unternommenen
+Untersuchungen zwar keinen Anspruch machen. Sie verdienen aber doch
+Erwähnung, weil sie die Grundgedanken aufweisen, die später zu
+exakteren Messungen geführt haben.
+
+Am genauesten hat *Dalton* die Beziehung zwischen der Temperatur und
+der Spannung des gesättigten Wasserdampfes ermittelt. Er stellte seine
+Messungen innerhalb der weiten Grenzen von -40° bis +325° Fahrenheit an
+und glaubte auch den Zusammenhang von Temperatur und Spannung auf eine
+geometrische Reihe zurückführen zu können. Es hat sich jedoch ergeben,
+daß ein einfacher mathematischer Ausdruck für die hier obwaltende
+Beziehung nicht vorhanden ist.
+
+*Lavoisier* hatte den Satz aufgestellt, daß der Sauerstoff das Säure
+bildende Prinzip sei und daß in den Salzen wie in den Säuren dieses
+Element nie fehle. *Lavoisiers* Theorie der Sauerstoffsäuren fand zu
+Beginn des 19. Jahrhunderts besonders in *Berzelius* einen Verteidiger.
+Durch ihn wurde das dualistische, auf die Ergebnisse der Elektrolyse
+sich stützende System der chemischen Verbindungen ins Leben gerufen.
+Nach dieser Auffassung erhielt z. B. schwefelsaures Zink die Formel
+
+ ZnO . SO_{3},
+ + -
+
+welche andeuten sollte, daß diese Verbindung aus der Basis ZnO als
+positivem und der Schwefelsäure SO_{3} als negativem Bestandteil
+zusammengesetzt sei. Was wir heute als Säure bezeichnen und als
+einheitliche Verbindung betrachten, wurde als Säurehydrat aufgefaßt,
+z. B. galt die Schwefelsäure (H_{2}SO_{4}) als die Vereinigung des
+negativen Bestandteils SO_{3} mit dem schwach elektropositiven Wasser
+
+ (SO_{3} . H_{2}O).
+ - +
+
+Letzterem wurde eine Doppelnatur beigelegt, da es den stark positiven
+Metalloxyden gegenüber in die Bildung von basischen Hydraten als
+negativer Bestandteil eingeht
+
+ (CuO + H_{2}O = CuO . H_{2}O).
+ + -
+
+Der erste, der *Lavoisiers* Lehre erschütterte, war sein großer
+Zeitgenosse *Berthollet*. Er entdeckte, daß die Blausäure (HCN) und
+auch der Schwefelwasserstoff (H_{2}S) ausgesprochen die Eigenschaften
+von Säuren besitzen und dennoch keinen Sauerstoff enthalten.
+*Berthollet* hätte diesen Verbindungen die Salzsäure (HCl) hinzufügen
+können, wenn er nicht das Chlor als eine Sauerstoffverbindung
+betrachtet hätte[515]. Für diesen die Chemie Jahrzehnte beherrschenden
+Irrtum brachte er sogar eine vermeintliche Stütze in der von ihm
+unrichtig gedeuteten Beobachtung bei, daß sich aus einer Chlorlösung im
+Lichte Sauerstoff entwickelt. *Berthollet* schloß nämlich daraus, daß
+das Chlor als höhere Oxydationsstufe dabei in die vermeintlich weniger
+Sauerstoff enthaltende Salzsäure und Sauerstoff zerfallen sei, während
+doch der Vorgang sich tatsächlich als eine Zerlegung des Wassers
+darstellt (2 Cl + H_{2}O = 2 HCl + O). Als dritte Oxydationsstufe
+betrachtete man die sehr sauerstoffhaltige Verbindung, die wir heute
+als Chlorsäure bezeichnen.
+
+Die erste große Umgestaltung, welche das System *Lavoisiers* erfuhr,
+ging von *Davy* aus. Dieser hatte gefunden, daß das Salzsäuregas durch
+das von ihm entdeckte Kalium unter Entwicklung von Wasserstoff zersetzt
+wird. Dabei entstand Chlorkalium. Weiter zeigte *Davy*, daß aus Chlor
+nicht Salzsäure durch Entziehung von Sauerstoff entsteht, sondern
+daß sich die Salzsäure aus Chlor nur bildet, wenn dieses Element
+auf Wasserstoff oder auf eine Wasserstoff enthaltende Verbindung
+wirkt. Diese Tatsachen führten *Davy* zu der Annahme, daß das Chlor
+ein Element sei und die Salzsäure in einer Verbindung von Chlor mit
+Wasserstoff, die Salze der Salzsäure aber in einer Verbindung von Chlor
+mit den betreffenden Metallen bestehen. Bald darauf wies *Gay-Lussac*
+ein völlig analoges Verhalten für das Jod und den Jodwasserstoff nach.
+*Gay-Lussac* führte, nachdem er auch für die Blausäure dargetan hatte,
+daß der Sauerstoff an ihrer Zusammensetzung nicht beteiligt ist, für
+die der Salzsäure entsprechend zusammengesetzten Säuren die Bezeichnung
+Wasserstoffsäuren ein. Hartnäckig wurde an der alten Lehre von einem
+Teile der Chemiker, an deren Spitze *Berzelius* stand, festgehalten.
+Endlich um 1820 gab dieser seinen Widerstand auf, weil die Annahme, daß
+in den Halogenen und ihren Salzen doch ein, wenn auch experimentell
+nicht nachweisbarer Sauerstoffgehalt vorhanden sei, doch zu willkürlich
+und gekünstelt schien.
+
+*Gay-Lussac* hatte dem Chlor als analoges Element das Jod zur Seite
+gestellt. Im Jahre 1826 entdeckte *Balard* das Brom in der Mutterlauge
+des Meerwassers. Er stellte sofort eine ausgedehnte Untersuchung dieses
+Elementes an und erkannte, daß es dem Chlor und Jod vollkommen analog
+sei. Daß auch das Fluor in diese Gruppe gehört und Fluorwasserstoff
+(Flußsäure) dem Chlorwasserstoff entsprechend zusammengesetzt ist,
+sprach zuerst *Ampère* aus. Die Bemühungen, das Fluor zu isolieren,
+hatten der außerordentlichen Affinität dieses Elementes wegen
+zunächst keinen Erfolg. Dieser Versuch, um den sich sowohl *Davy* als
+*Gay-Lussac* vergeblich abmühten, gelang erst *Moissan* durch eine
+passend ausgeführte elektrolytische Zersetzung der Flußsäure. Immerhin
+ist die Erkenntnis der vier Halogene als einer scharf charakterisierten
+Gruppe von Elementen schon während der ersten Jahrzehnte des 19.
+Jahrhunderts erfolgt. Die Erforschung ihrer Glieder ist für die weitere
+Entwicklung der theoretischen nicht minder als der technischen Chemie
+von großer Bedeutung gewesen.
+
+
+
+
+20. Fortschritte in der Anwendung der Mathematik auf die
+Naturwissenschaften.
+
+
+Eine ähnliche Förderung und Durchdringung, wie sie die Physik und die
+Chemie vor allem durch *Gay-Lussac* erfuhr, vollzog sich zwischen der
+Physik und der Mathematik besonders durch *Gauß*.
+
+*Carl Friedrich Gauß* wurde am 30. April 1777 in Braunschweig
+geboren. Sein Vater war Baumeister und Kassenverwalter. Er wird als
+ein sehr tätiger und willensstarker Mann geschildert. Die Mutter war
+fleißig und sorgsam. Sie entstammte gleich dem Vater einer einfachen
+Handwerkerfamilie. Trotz aller vortrefflichen Eigenschaften gelang
+es den Eltern des frühreifen Knaben nicht, zu einigem Wohlstand zu
+gelangen. *Gauß* hätte daher nicht die Gelehrtenlaufbahn einschlagen
+können, wenn ihm nicht von seinem 14. Lebensjahre ab die Unterstützung
+seines Landesfürsten, des Herzogs Ferdinand von Braunschweig, zu Teil
+geworden wäre. Nachdem er das Gymnasium seiner Vaterstadt und das
+dortige Collegium Carolinum besucht hatte, bezog er im Jahre 1795
+die Universität Göttingen. Ihr ist *Gauß* trotz aller aus Berlin und
+Petersburg an ihn herantretenden Verlockungen bis an sein Lebensende
+treugeblieben.
+
+Seine Lehrmeister waren vor allem die Werke von *Newton*, *Euler*
+und *Lagrange*. In seine von 1795 bis 1798 dauernde Studienzeit
+fallen schon einige hervorragende mathematische Entdeckungen. So
+fand er bei seiner Beschäftigung mit der Kreisteilung, kaum 18
+Jahre alt, die Konstruktion des regelmäßigen Siebzehnecks. Er löste
+damit ein Problem, das den Mathematikern seit den Zeiten *Euklids*
+Schwierigkeiten bereitet hatte. Eine ähnliche Bereicherung erfuhr die
+Algebra durch seine 1799 erschienene Abhandlung über »die Zerlegung
+ganzer algebraischer Funktionen in reelle Faktoren ersten oder zweiten
+Grades«[516]. Es handelte sich um den Beweis, daß jede Gleichung m ten
+Grades, also ein Ausdruck von der Form:
+
+ X^m + Ax^{m-1} + Bx^{m-2} + .... + M = 0
+
+stets m Wurzeln besitzt, oder daß sie, was dasselbe bedeutet, in m
+Faktoren (x - α), (x - β), (x - γ) usw. zerlegt werden kann, deren
+Produkt der linken Seite des obigen Ausdrucks gleich ist. Dieser
+wichtigste Satz der Theorie der algebraischen Gleichungen, auf dem die
+ganze höhere Algebra beruht, hatte zwar schon *d'Alembert*, *Euler* und
+andere Mathematiker beschäftigt. Der vollkommen strenge Beweis gelang
+indes erst *Gauß*.
+
+Zwei Jahre später folgte das arithmetische Hauptwerk des großen
+Mathematikers, die Disquisitiones arithmeticae (1801). Dies Werk, das
+er seinem hohen Gönner, dem Herzog Ferdinand von Braunschweig widmete,
+besitzt für die Zahlentheorie eine geradezu grundlegende Bedeutung.
+Einige Abschnitte der Disquisitiones wurden neuerdings in deutscher
+Übersetzung herausgegeben[517].
+
+In demselben Jahre, in welchem die Disquisitiones erschienen,
+wurde das unvergleichliche Genie eines *Gauß* auf das astronomische
+Gebiet gelenkt. Am 1. Januar 1801 hatte *Piazzi* den ersten
+Planetoiden entdeckt, den er Ceres nannte. *Piazzi* verfolgte das
+neue Gestirn durch einen Bogen von 9 Graden. Dann verschwand es
+in der Abenddämmerung, und es war sehr fraglich, ob man es bei
+der mangelhaften Kenntnis seiner Bahnelemente wieder auffinden
+werde. *Gauß* hörte von dem Problem, und da er sich gerade mit
+theoretisch-astronomischen Untersuchungen befaßte, so berechnete er
+die Bahn des neuen Planeten nach einer von ihm herrührenden Methode
+und sandte sein Ergebnis an eine astronomische Zeitschrift, welche
+als Sammelstelle[518] alle ihr eingesandten, die Ceres betreffenden
+Berechnungen veröffentlichte. Es war nämlich sehr wichtig, die
+Ephemeride dieses Planeten für den Zeitpunkt zu kennen, wenn man
+seinen Wiederhervortritt aus den Strahlen der Sonne erwarten durfte.
+Die Ephemeride von *Gauß* wurde mit dem wenig schmeichelhaften Zusatz
+veröffentlicht, daß die Redaktion auch ihren Abdruck für geboten halte,
+weil man eben nicht wissen könne, welche Berechnung die richtige sei.
+
+Man kann sich die Überraschung ausmalen, als die Ceres gerade auf Grund
+der Ephemeride von *Gauß*, der den Astronomen noch ganz unbekannt
+war, wieder aufgefunden wurde. Jetzt galt es, die Bahnelemente
+dieses Planeten zu berichtigen. Und wieder war es *Gauß*, der nach
+jedem Bekanntwerden neuer Daten verbesserte Bahnelemente an jene
+astronomische Zeitschrift einsandte. Gewiß nicht ohne das Gefühl
+einer gewissen Beschämung bemerkte die Redaktion schließlich, *Gauß*
+müsse eine völlig neue Methode besitzen, die ihm dasjenige, wozu
+sonst eine umfangreiche Rechnung nötig sei, in wenigen Zügen liefere.
+Diesmal hatte man das Richtige getroffen. Einmal befand sich *Gauß*
+schon damals im Besitze seiner Methode der kleinsten Quadrate, die es
+ihm ermöglichte, in einer Reihe von Beobachtungen den der Wahrheit
+am nächsten kommenden Wert zu berechnen. Ferner hatte er auch neue
+astronomische Methoden gefunden, die es ihm gestatteten, innerhalb
+einer Stunde eine Bahnberechnung auszuführen, zu welcher *Euler* noch
+drei Tage gebraucht hatte[519]. Zur Veröffentlichung dieser neuen
+Methoden schritt *Gauß* erst, nachdem er (1807) zum Professor der
+Mathematik und zum Leiter der Sternwarte in Göttingen ernannt war. Die
+Veröffentlichung erfolgte unter dem Titel: Theoria motus corporum
+coelestium in sectionibus conicis Solem ambientium. Eine deutsche
+Bearbeitung dieses Fundamentalwerkes, das *Gauß* übrigens ursprünglich
+in deutscher Sprache abgefaßt hat, erschien erst 1865[520]. Mit der
+Veröffentlichung der »Theoria motus« begann für die rechnende
+Astronomie ein neues Zeitalter. Man verließ allgemein die älteren
+Methoden, um diejenigen von *Gauß* in Gebrauch zu nehmen. In der
+»Theoria motus« gab *Gauß* auch seine Methode der kleinsten Quadrate
+bekannt, in deren Besitz er sich schon, wie er selbst angab, seit
+1795 befand. Inzwischen war auch *Légendre* auf die gleiche Methode
+gekommen. Er hat sie 1806 in den Worten ausgesprochen[521]: »Sind durch
+Beobachtungen mehr Gleichungen gegeben, als Unbekannte zu bestimmen
+sind, so sind die richtigsten Werte der letzteren diejenigen, für
+welche die Summe der Fehlerquadrate ein Minimum ist.« Von französischer
+Seite wurden deshalb Prioritätsansprüche hinsichtlich dieser Methode
+erhoben und, wenn das Datum der Veröffentlichung allein darüber zu
+entscheiden hätte, gewiß mit Recht. *Gauß* gebührt indessen außer der
+selbständigen und seinen eigenen Angaben nach viel früheren Entdeckung
+das Verdienst, daß er es war, der diese Methode in einem fundamentalen
+Werke[522] wissenschaftlich begründete und die Begriffe schuf, auf
+denen alle neueren Arbeiten über diese Methode beruhen.
+
+Von hervorragender Wichtigkeit sind die Abschnitte der
+Disquisitiones, welche die Rechnung mit Determinanten betreffen[523].
+Die ersten Anfänge dieses wichtigen Hilfsmittels der neueren Mathematik
+finden sich schon bei *Leibniz*. *Leibniz* machte zuerst darauf
+aufmerksam, daß die Kombinationslehre der Algebra bei der Auflösung
+von Gleichungen wertvolle Dienste zu leisten vermöge. Der eigentliche
+Begründer der Determinantenlehre war *Cramer*. Er veröffentlichte 1750
+eine neue Methode, um mit Hilfe der Permutationsrechnung n Gleichungen
+ersten Grades mit n Unbekannten aufzulösen. *Laplace*, sowie *Lagrange*
+knüpften an diese Arbeit weitere Untersuchungen an. Der bedeutendste
+Fortschritt auf dem neu erschlossenen Gebiete erfolgte jedoch durch
+*Gauß*. Von ihm rührt auch der Ausdruck Determinante her. Die neueste
+Entwicklung der Determinantenlehre knüpft an *Jacobi* an, doch müssen
+wir uns auf die bloße Erwähnung seiner Abhandlungen über diesen
+Gegenstand beschränken[524].
+
+Unter den späteren mathematischen Arbeiten von *Gauß* sind besonders
+zwei, wenn auch in aller Kürze, zu berücksichtigen, weil sie sich
+mit physikalischen Problemen befassen. Es sind dies eine Abhandlung
+über die Gestalt von Flüssigkeiten und ein grundlegender Beitrag zur
+Entwicklung der für die neuere mathematische Physik so wichtigen
+Potentialtheorie.
+
+Die Theorie der Flüssigkeiten hatte *Laplace* in einem Anhange zu
+seiner »Mécanique céleste« behandelt. Er hatte angenommen, daß
+zwischen den Flüssigkeitsteilen außer der gewöhnlichen Anziehung,
+welche dem Quadrate des Abstandes umgekehrt proportional ist, noch
+andere anziehende Kräfte wirken. Dieser zweite Teil der Anziehung sei
+ganz unmerklich, sobald es sich um meßbare, wenn auch sehr kleine
+Abstände handele. Dagegen könne diese zweite, Molekularanziehung
+genannte Kraft in unmeßbar kleinen Entfernungen die gewöhnliche
+Anziehung bei weitem übertreffen.
+
+*Laplace* hatte unter dieser Voraussetzung die Eigenschaften der
+Molekularkräfte der Rechnung unterworfen und war auf diesem Wege
+zu einer Erklärung der Kapillarität, sowie der Oberflächenform der
+Flüssigkeiten gelangt. Diese Untersuchungen[525], welche *Gauß* zu den
+»schönsten Bereicherungen« zählte, welche die Naturwissenschaften dem
+großen französischen Mathematiker zu verdanken hätten, waren jedoch in
+wesentlichen Punkten unzureichend und unvollständig geblieben. *Gauß*
+suchte deshalb von neuem, welche Gleichgewichtsform Flüssigkeiten
+annehmen, wenn sie unter dem Einfluß der Schwere und dem Einfluß der
+von ihnen selbst und dem Gefäße ausgeübten Molekularkräfte stehen[526].
+Er verfuhr dabei wesentlich anders als *Laplace*, indem er sich,
+ausgehend von den Grundlagen der Dynamik, des Prinzips der virtuellen
+Bewegungen bediente. Aus der auf diesem Wege abgeleiteten Formel
+vermochte *Gauß* mit Leichtigkeit das Grundphänomen der Kapillarität
+abzuleiten, daß nämlich in zylindrischen Kapillarröhren die Senkung
+oder Hebung einer Flüssigkeit dem Durchmesser des Rohres umgekehrt
+proportional ist. Das zweite der erwähnten mathematischen Werke zeigt
+*Gauß* in engster Beziehung zu einer Theorie, die für die neuere
+mathematische Physik mehr wie jede andere grundlegend geworden ist,
+Es ist die in ihren Anfängen bis in die siebziger Jahre des 18.
+Jahrhunderts zurückreichende Potentialtheorie. Damit der hervorragende
+Anteil, den *Gauß* an der Schöpfung dieser Theorie genommen, gewürdigt
+werden kann, ist es nötig, in aller Kürze auf die Arbeiten seiner
+Vorgänger zurückzugreifen.
+
+Der Ausgangspunkt für die Entwicklung der erwähnten neuen
+mathematischen Disziplin ist *Newtons* Gravitationsgesetz. Mit der
+Auffindung dieses Gesetzes war nämlich eine Reihe von Problemen
+gegeben, die für die Weiterentwicklung der Mathematik eine treibende
+Kraft bedeuteten. Das Gravitationsgesetz, nach welchem die Anziehung
+durch den Ausdruck (m · m')/r^2 bestimmt ist, galt zunächst für zwei
+materielle Punkte oder für zwei materielle Systeme, deren Ausdehnung
+gegenüber der sie trennenden Entfernung nicht in Betracht kommt.
+Solche Systeme ließen sich so betrachten, als ob ihre Massen in den
+beiden Schwerpunkten vereinigt wären und von diesen Punkten in der
+Richtung der Verbindungslinie wirkten. Sobald man aber die Körper als
+materielle Systeme auffaßte, bei denen jeder der unendlich vielen
+Teile dem *Newton*schen Gesetze gemäß auf andere materielle Systeme
+oder, um den einfacheren Fall vorwegzunehmen, auf einen materiellen
+Punkt wirkt, so war damit eine Fülle von Problemen, im wesentlichen
+mathematischer Art, gegeben, die mit den bisherigen Hilfsmitteln
+nicht gelöst werden konnten. Es bedurfte der Einführung einer für die
+Attraktionsrechnung charakteristischen Funktion, die sich auf die
+Summe oder das Integral sämtlicher wirkenden Massenteilchen beziehen
+mußte und die man später als das Potential der Massen bezeichnet hat.
+Vor allem galt es, die Anziehung von Ellipsoiden -- denn mit solchen
+und nicht mit Kugeln hatte es die Astronomie zu tun -- auf einen
+materiellen Punkt zu bestimmen. *Newton* beharrte auch hier bei seinem
+synthetisch-geometrischen Verfahren und fand z. B., daß eine von zwei
+ähnlichen, konzentrischen Ellipsoiden begrenzte homogene Schale auf
+einen beliebigen, in ihrem Innern befindlichen Punkt keine Anziehung
+ausübt.
+
+Ein Fortschritt in der Lösung derartiger Probleme[527] erfolgte
+indessen erst, als *Lagrange* das analytische Verfahren auf die
+zahlreichen, aus dem Attraktionsgesetz entspringenden Aufgaben
+anwandte. *Lagrange* suchte einen allgemeinen Ausdruck für die Kraft,
+mit der ein beliebig gestalteter Körper einen beliebig gelegenen
+Punkt anzieht. Er zeigte, daß die Anziehung, die ein aus einzelnen
+materiellen Punkten bestehendes System ausübt, sich in Komponenten
+zerlegen läßt, die sich als die partiellen Differentialquotienten
+einer Funktion darstellen lassen[528]. Gleichzeitig führte er, um
+die Lösung der Attraktionsaufgaben zu erleichtern, nach dem Vorgange
+*Bernoullis*, Polarkoordinaten ein. Das Ergebnis dieser Bemühungen
+war, daß *Lagrange* die meisten der bis dahin bekannt gewordenen Sätze
+über die Attraktion analytisch zu beweisen vermochte. Auf *Lagrange*
+folgt *Laplace*. Er wandte die von *Lagrange* aufgestellte Funktion
+zuerst auf zusammenhängende Massen an und löste in seiner Théorie
+des attractions des sphéroides et de la figure des planètes[529] das
+vielumworbene Ellipsenproblem, indem er die Anziehung dreiachsiger
+Ellipsoide auf einen außerhalb gelegenen Punkt bestimmte. *Laplace*
+gelangte zu einer Gleichung für die zweiten partiellen Derivierten der
+von *Lagrange* entdeckten und von *Laplace* mit dem noch jetzt üblichen
+Buchstaben V bezeichneten Funktion. Dieser noch heute als *Laplace*sche
+Gleichung bezeichnete Ausdruck lautet:
+
+ δ^2V/δx^2 + δ^2V/δy^2 + δ^2V/δz^2 = 0.
+
+In ungeahntem Maße wuchs die Bedeutung des von *Lagrange* und *Laplace*
+geschaffenen Algorithmus, als *Coulomb* nachgewiesen hatte, daß auch
+die magnetischen und die elektrischen Anziehungen dem *Newton*schen
+Gravitationsgesetz entsprechend vor sich gehen. Ein Versuch, die
+Analyse unter Anwendung des Potentialbegriffes auf die Elektrizität und
+den Magnetismus anzuwenden, rührt von dem Engländer *Green* (1793-1841)
+her[530]. Dieser Versuch datiert vom Jahre 1828. Vorangegangen war
+nur *Poisson*, der in einer analytischen Untersuchung die Verteilung
+der Elektrizität an der Oberfläche leitender Körper bestimmt und die
+Herrschaft der Analysis auch auf das Gebiet des Magnetismus auszudehnen
+versucht hatte. An diese Arbeiten *Poissons* und an die von *Laplace*
+gewonnene Differentialgleichung zweiter Ordnung, deren Wichtigkeit
+für alle nach dem *Newton*schen Gesetze wirkenden Kräfte er erkannte,
+knüpfte *Green* an. Ihn beseelte der Wunsch, eine Kraft von solch
+allgemeiner Wirksamkeit wie die Elektrizität, soweit wie möglich, der
+Rechnung zu unterwerfen. Dazu bediente er sich der Analysis, einmal, um
+die »außerordentliche Macht dieses wunderbaren Gedankenwerkzeugs« zu
+offenbaren; dann aber auch, um diese Macht zu vergrößern.
+
+*Green* gebrauchte den Ausdruck Potentialfunktion für jene Funktion,
+die *Laplace* mit V bezeichnete und die *Gauß* später Potential genannt
+hat. Fast alle anziehenden und abstoßenden Kräfte sind nach *Green*
+so geartet, daß folgende Beziehung stattfindet: Wirkt ein Körper auf
+einen materiellen Punkt, so kann die auf diesen Punkt in einer gewissen
+Richtung wirkende Kraft durch einen partiellen Differentialquotienten
+einer gewissen Funktion der Koordinaten, welche die Lage des Punktes im
+Raume darstellen, ausgedrückt werden. Die Betrachtung dieser Funktion
+ist für viele Untersuchungen von großer Bedeutung, deshalb wurde sie
+von *Green* mit einem besonderen Namen bezeichnet[531].
+
+*Green* geht von der *Laplace*schen Gleichung
+
+ δ^2V/δx^2 + δ^2V/δy^2 + δ^2V/δz^2 = 0
+
+aus. Sie gilt für jeden außerhalb des Körpers liegenden Punkt, dessen
+Koordinaten x, y, z sind. *Green* führt für diese Gleichung das kürzere
+Symbol δV = 0 ein und zeigt zunächst, daß für einen Punkt im Innern
+des Körpers die Gleichung δV + 4πρ = 0 besteht, δV somit den Wert -4πρ
+annimmt. Dabei ist unter ρ die elektrische Dichtigkeit im Punkte p zu
+verstehen. Die *Laplace*sche Gleichung für einen äußeren Punkt stellte
+sich danach nur als einen speziellen Fall der neuen Gleichung δV +
+4πρ = 0 dar, da ρ für einen äußeren Punkt = 0 wird. Beim Durchgange
+durch die Oberfläche macht somit die Potentialfunktion einen Sprung
+um 4πρ. Das Ergebnis der *Green*schen Untersuchung gipfelt darin,
+daß sich die elektrische Dichtigkeit aus der Potentialfunktion und
+letztere aus jener berechnen läßt. Nachdem *Green* die allgemeinsten
+Grundlehren der Elektrizitätstheorie und im Zusammenhange damit
+wichtige funktionstheoretische Sätze[532] entwickelt hatte, ging er
+zu einigen besonderen Fällen über. Die erste Anwendung betraf die
+*Leydener* Flasche. Es ergab sich folgendes: Grenzt man durch eine
+geschlossene Kurve ein Stück der inneren Belegung ab, und schneidet man
+ferner ein korrespondierendes Stück aus der äußeren Belegung heraus,
+indem man längs der ganzen Kurve Normalen errichtet, so ist die Summe
+der Ladungen auf diesen korrespondierenden Flächenstücken gleich Null.
+Die Flächenstücke haben nämlich gleiche und entgegengesetzte Ladungen,
+die sich gegenseitig genau neutralisieren[533].
+
+Mit den experimentell gefundenen Tatsachen vollkommen übereinstimmende
+Ergebnisse erhielt *Green* ferner, als er seine Theorie auf die
+Influenzerscheinungen anwandte. *Green* betrachtet zunächst den Fall,
+daß eine vollkommen leitende, hohle Schale von irgend welcher Form und
+Dicke der Wirkung beliebiger, außerhalb befindlicher, elektrischer
+Körper ausgesetzt ist. In der Schale wird dann ein elektrischer
+Zustand induziert, dessen Wirkung auf einen im Innern befindlichen,
+mit Elektrizität geladenen Punkt, wie *Green* berechnet, gleich Null
+ist[534].
+
+*Green* betrachtet dann den Fall, daß zwei Kugeln von verschiedenem
+Radius durch einen dünnen langen Draht verbunden werden. Er untersucht
+das Verhältnis ihrer Ladungen beim Gleichgewicht. Die Rechnung ergibt,
+daß sich die mittleren elektrischen Dichtigkeiten umgekehrt wie die
+Radien der Kugeln verhalten. Läßt man den Radius der einen Kugel
+darauf unendlich klein werden, so hat man den besonderen Fall der
+Spitzenwirkung[535].
+
+*Greens* Arbeit hatte ein merkwürdiges Schicksal. Da *Green* in
+ländlicher Abgeschiedenheit das Geschäft seines Vaters verwaltete
+und der gelehrten Welt unbekannt blieb, so wurden seine Abhandlungen
+weder in England noch auf dem Festlande beachtet. Sie gerieten in
+Vergessenheit, bis die in ihnen enthaltenen wichtigen Ergebnisse durch
+*Gauß* von neuem entdeckt wurden. Erst dann lenkte der Physiker *W.
+Thomson*, um seinem Lande die Priorität zu wahren, die Aufmerksamkeit
+auf *Greens* Abhandlungen und veröffentlichte die wichtigste von
+neuem[536]. Eine deutsche Übersetzung erschien in *Ostwalds*
+Klassikern[537].
+
+Die neueste Entwicklung der Potentialtheorie als einer selbständigen
+mathematischen Disziplin beginnt im Jahre 1849 mit dem Erscheinen der
+grundlegenden Abhandlung von *Gauß*[538]. Dem großen Deutschen gelang
+es, nicht nur die wichtigsten von ihm gefundenen Sätze zum ersten Male
+streng zu beweisen, sondern die Theorie durch neue wichtige Sätze
+in solchem Grade zu bereichern, daß sie für die Physik und für die
+Funktionenlehre fortan die größte Bedeutung besaß.
+
+*Gauß* entwickelte in jener Abhandlung allgemeine Sätze, die sowohl
+für die Gravitation als auch für die wichtigsten elektrischen und
+magnetischen Erscheinungen gelten. In dem Ausdruck (mm')/r^2 bedeuten
+also m und m' entweder ponderable Materie oder die Mengen einer
+magnetischen oder drittens die Mengen einer elektrischen Flüssigkeit,
+die aufeinander eine, sei es anziehende, sei es abstoßende Kraft
+ausüben. Ausgeschlossen blieb die Wirkung des galvanischen Stromes auf
+das magnetische Fluidum, weil hier die Kraft nicht in der verbindenden
+Geraden wirkt und weil ihre Stärke nicht allein von der Entfernung,
+sondern auch von einem Winkel abhängt. Ausgeschlossen blieb auch die
+Wirkung, welche zwei Stromelemente aufeinander ausüben. Und zwar
+geschah dies wegen der Abhängigkeit der Erscheinungen von der Richtung
+der Stromelemente, die im übrigen in der verbindenden Geraden und dem
+Quadrate der Entfernung umgekehrt proportional aufeinander einwirken.
+*Gauß* beschränkt sich also auf die drei zuerst genannten Fälle und
+versteht unter Masse nichts weiter als dasjenige, wovon Anziehung oder
+Abstoßung ausgeht.
+
+Wirken solche anziehenden oder abstoßenden Kräfte m^0, m', m'' usw. auf
+denselben Punkt aus den Entfernungen r^0, r', r'' usw., so existiert
+eine Funktion V, die gleich der Summe aller m/r ist. Diese Funktion
+nennt *Gauß* das Potential der Massen. Es ist, in Worten ausgedrückt,
+die Summe aller wirkenden Massenteilchen, jedes durch seine Entfernung
+von jenem Punkte dividiert. Aus ihr lassen sich die Komponenten der
+ganzen auf den Punkt wirkenden Kraft ableiten. Diese Kraft p ist
+gegeben durch den Ausdruck:
+
+ p = √ ((δdV/δx)^2 + (δV/δy)^2 + (δV/δz)^2).
+
+*Gauß* führte darauf einen Begriff ein, der in seinen und den späteren
+Untersuchungen für die Potentialtheorie von der größten Bedeutung
+wurde. Er dachte sich durch alle Punkte, in denen das Potential ein und
+denselben Wert hat, eine Fläche gelegt. Eine solche Fläche scheidet den
+Raum, in welchem das Potential kleiner ist von demjenigen, wo es größer
+ist als der in jener Fläche herrschende Wert. Die Richtung der Kraft
+wird ferner in jedem Punkte einer solchen »Gleichgewichtsfläche« gegen
+die Fläche selbst normal sein. Die von *Gauß* als Gleichgewichtsflächen
+bezeichneten Flächen konstanten Potentials werden heute als
+»Niveauflächen« und die senkrecht zu einer Folge solcher Flächen
+stehenden Linien (die orthogonalen Trajektorien) als »Kraftlinien«
+bezeichnet.
+
+*Gauß* zeigte auch, daß für alle Punkte des Raumes, die außerhalb
+der wirkenden Massen liegen, die *Laplace*sche Gleichung gilt. Liegt
+ein Punkt von der Dichte k im Innern des Körpers, so ergab sich in
+Übereinstimmung mit *Green*, daß der *Laplace*sche Ausdruck die Form
+-4πk annimmt. Bis dahin bietet *Gauß* also wenig Neues, doch sind seine
+Ableitungen bekannter Sätze einfacher und strenger als die früheren.
+
+Unter den vielen neuen Sätzen, die *Gauß* entdeckte, ist einer
+der wichtigsten derjenige, den man den Satz von der äquivalenten
+Massentransportation genannt hat. Er lautet: Anstatt einer beliebigen
+gegebenen Massenverteilung D, die entweder bloß auf den inneren von
+einer geschlossenen Fläche S begrenzten Raum beschränkt ist oder bloß
+auf den äußeren Raum, läßt sich eine Massenverteilung E bloß auf die
+Fläche selbst substituieren. Dies hat zur Folge, daß die Wirkung von
+E der Wirkung von D gleich wird in allen Punkten des äußeren Raumes
+für den ersten Fall oder in allen Punkten des inneren Raumes für den
+zweiten. Von diesem Satze hat *Gauß*, wie wir sogleich des näheren
+sehen werden, in seiner berühmten Abhandlung über die Intensität des
+Erdmagnetismus eine Anwendung gemacht.
+
+Wir gelangen damit zu einer neuen Phase in der wissenschaftlichen
+Entwicklung des großen Forschers. Durch *Alexander von Humboldt* war
+*Gauß* mit dem Physiker *Wilhelm Weber* bekannt geworden. Nachdem
+*Gauß* bewirkt hatte, daß *Weber* nach Göttingen berufen wurde,
+entstand zwischen beiden Männern ein ähnliches Verhältnis, wie es
+später zwischen *Kirchhoff* und *Bunsen* geherrscht hat.
+
+*Gauß* und *Weber* nahmen gemeinsam, ihren Fähigkeiten entsprechend
+und sich dadurch gegenseitig ergänzend, ein Gebiet in Angriff, das
+der wissenschaftlichen Bearbeitung noch wenig erschlossen war. Es
+war das Gebiet des Erdmagnetismus. Existierten doch für diese Kraft
+damals weder geeignete Meßapparate, noch zusammenhängende, planmäßig an
+verschiedenen Orten angestellte Beobachtungen. Eine Änderung wurde erst
+durch das Vorgehen von *Gauß* und *Weber* herbeigeführt. In Göttingen
+entstand das erste magnetische Observatorium. Im Verein mit *Humboldt*
+vermochten *Gauß* und *Weber* nicht nur die deutschen, sondern auch
+die auswärtigen Regierungen für die Sache zu gewinnen. Infolgedessen
+wurde ein magnetischer Verein gegründet und ein Netz von Observatorien,
+die sämtlich nach dem Vorbilde der Göttinger Anstalt errichtet waren,
+über die ganze Erde ausgebreitet. Die Übereinstimmung ging so weit, daß
+nicht nur mit den Apparaten und nach den Angaben von *Gauß* beobachtet
+wurde, sondern daß man sich auf allen Observatorien der Göttinger Zeit
+bediente und sämtliche Beobachtungsergebnisse nach Göttingen sandte, wo
+sie von 1836-1841 als »Resultate aus den Beobachtungen des magnetischen
+Vereins« veröffentlicht wurden. Auf diese Resultate baute *Gauß* seine
+allgemeine Theorie des Erdmagnetismus[539] auf. Es wurde zum ersten
+Male das magnetische Moment der Erde nach absolutem Maße bestimmt
+und für die Lehre vom Erdmagnetismus das geschaffen, was *Newton*
+in seinen »Prinzipien« für die Gravitationstheorie geleistet hatte.
+Ferner erschien auf Grund der vom magnetischen Verein gesammelten
+Beobachtungen im Jahre 1840 ein »Atlas des Erdmagnetismus.«
+
+Die theoretische Grundlage für die sämtlichen, ein Jahrzehnt
+umfassenden und so viele Kräfte beanspruchenden erdmagnetischen
+Untersuchungen hat *Gauß* in seiner Abhandlung über die Intensität der
+erdmagnetischen Kraft geschaffen. Für die Messungen selbst schuf er in
+seinem Bifilarmagnetometer das geeignetste Werkzeug.
+
+Die Abhandlung erschien im Jahre 1832. Sie besitzt nicht nur für das
+Gebiet des Magnetismus, sondern, da sie die Grundzüge des absoluten
+Maßsystems enthält, für die gesamte Physik eine solch außerordentliche
+Bedeutung, daß wir uns etwas eingehender mit ihrem Inhalt beschäftigen
+müssen[540].
+
+Zur vollständigen Bestimmung der erdmagnetischen Kraft an einem
+gegebenen Orte sind drei Elemente erforderlich, die Deklination, die
+Inklination und die Stärke (Intensität). Die größte Aufmerksamkeit
+hatte man ihrer Bedeutung für die Schiffahrt wegen der Deklination
+geschenkt; geringere Beachtung hatte die Inklination gefunden. Auf
+die Stärke des Erdmagnetismus als drittes, zunächst übersehenes
+Element, wurde besonders von *Alexander v. Humboldt* hingewiesen.
+Dieser hatte auf seinen Reisen festgestellt, daß ein und dieselbe
+Magnetnadel an verschiedenen Orten schneller oder langsamer schwingt.
+Er hatte daraus geschlossen, daß die Intensität der die Schwingungen
+veranlassenden erdmagnetischen Kraft bald größer, bald geringer sei
+und im allgemeinen mit der Annäherung gegen die magnetischen Pole
+zunehme. Das von *Humboldt* vorgeschlagene Verfahren gestattete aber
+nur relative Messungen und war außerdem mit manchen Fehlerquellen
+behaftet. Infolgedessen konnte es auf wissenschaftliche Zuverlässigkeit
+keinen Anspruch machen. Die Anzahl der Schwingungen, die eine Nadel
+macht, hängt nämlich nicht nur von der erdmagnetischen Kraft, sondern
+ebensosehr von dem magnetischen Zustand der Nadel und endlich auch von
+dem jeder Nadel zukommenden Trägheitsmomente ab. Wählte man zu den
+Schwingungsversuchen auch dieselbe Nadel, um Verschiedenheiten des
+Trägheitsmomentes auszuschließen, so konnte doch bei längeren Reisen
+die magnetische Kraft der Nadel eine Schwächung erfahren. Dieser
+Umstand würde auch ohne eine Verminderung der Kraft des Erdmagnetismus
+eine Verlangsamung der Schwingungen herbeiführen und zu falschen
+Schlüssen Anlaß geben. Endlich ließ sich vermuten, daß nicht nur die
+Deklination und die Inklination, sondern daß auch die Intensität für
+ein und denselben Ort langsame Änderungen erfährt. Offenbar verlor,
+sobald es sich um diese Frage handelte, das *Humboldt*sche Verfahren
+jede Gültigkeit.
+
+*Gauß* mußte daher, nachdem er diese Mängel der vergleichenden Methode
+erkannt hatte, an ihre Stelle eine neue setzen. Und zwar galt es, sich
+von den zufälligen Verschiedenheiten der Nadeln unabhängig zu machen
+und die Intensität des Erdmagnetismus auf feststehende Einheiten
+zurückzuführen. *Gauß* verfuhr dabei nach folgenden Gesichtspunkten.
+Die Anzahl der Schwingungen, die eine Nadel in einer gegebenen
+Zeit ausführt, hängt von drei Größen ab, nämlich von der Stärke
+des Erdmagnetismus, von dem Moment des in der Nadel enthaltenen
+freien Magnetismus und endlich von ihrem Trägheitsmomente. Besaß der
+schwingende Körper eine bestimmte Form und war er in seiner Masse
+überall von gleicher Beschaffenheit, so ließ sich das Trägheitsmoment
+nach bekannten Methoden berechnen. *Gauß* zog es jedoch vor, das
+Trägheitsmoment auf empirischem Wege zu bestimmen. Und zwar geschah
+dies, indem er die Nadel unter der Wirkung ein und derselben Kraft
+einmal im belasteten und dann im unbelasteten Zustande schwingen ließ.
+Die Verzögerung in der Schwingungsdauer, welche eine bekannte Last
+in einer bestimmten Entfernung von der Achse hervorrief, gab ihm ein
+Mittel an die Hand, das Trägheitsmoment der Nadel aufs genaueste zu
+bestimmen, auch wenn diese mit einer verwickelten Zurüstung, z. B.
+einem Spiegel zum Ablesen der Schwingungen, versehen war.
+
+Größere Schwierigkeiten bot die Bestimmung des magnetischen Moments
+der Nadel. Sie ließen sich nur durch die Einführung des absoluten
+Maßsystems bewältigen. *Gauß* bediente sich hierbei der bekannten
+Vorstellung von den magnetischen Flüssigkeiten. Der hypothetische
+Charakter einer solchen Annahme hatte auf den Gang und die Ergebnisse
+seiner Untersuchung keinen Einfluß. Die magnetischen Flüssigkeiten
+lassen sich nur an ihren Wirkungen erkennen und messen. Diese Wirkungen
+sind bewegende Kräfte, die einer bestimmten Masse eine gewisse
+Beschleunigung erteilen. Als Grundeinheiten für Länge, Masse und Zeit
+wählte *Gauß* das Millimeter, das Milligramm und die Sekunde[541].
+*Gauß* dehnte das für die Mechanik auf solche Grundeinheiten schon vor
+ihm aufgebaute System zum ersten Male auf magnetische Messungen aus. Er
+tat dies, indem er als Einheit der magnetischen Flüssigkeit diejenige
+Menge definierte, deren abstoßende Wirkung auf eine andere, ihr
+gleiche, in der Einheit der Entfernung befindliche Menge magnetischer
+Flüssigkeit gleich 1 ist, d. h. gleich der Wirkung der beschleunigenden
+Kraft 1 auf die Masse 1. Sind die Magnetismen verschiedenartig,
+so tritt unter im übrigen gleichen Verhältnissen an Stelle der
+Abstoßung eine gleich große Anziehung. Daß für diese Wirkungen der von
+*Coulomb* gefundene Ausdruck (mm')/r^2 gilt, wurde von *Gauß* zunächst
+vorausgesetzt, später aber durch seine Beobachtungen selbst bestätigt.
+
+Für die Beurteilung des magnetischen Zustandes der Nadel war das
+von *Gauß* in seinen »allgemeinen Lehrsätzen« bewiesene Theorem
+der Massentransportation[542] ausschlaggebend. Es lautet in seiner
+Anwendung auf das in Frage stehende Gebiet: Wie auch immer die
+Verteilung des freien Magnetismus innerhalb eines Körpers sich
+verhalten mag, stets kann man an deren Stelle eine andere Verteilung
+an der Oberfläche des Körpers setzen, die auf ein außerhalb gelegenes
+Element magnetischer Flüssigkeit vollständig dieselben Kräfte ausübt
+wie jene vorhandene Verteilung.
+
+Es galt, nach der Festsetzung der magnetischen Einheit die Intensität
+des Erdmagnetismus durch diejenige bewegende Kraft auszudrücken, welche
+der Erdmagnetismus auf jene Einheit ausübt. Man konnte sich dabei auf
+die Bestimmung der Horizontalintensität beschränken. Dividierte man
+diese durch den Cosinus der Inklination, so erhielt man den gesuchten
+vollen Wert für die Kraft des Erdmagnetismus.
+
+Zu seinem Ziele gelangte *Gauß* durch folgenden Kunstgriff: Er
+verglich[543] die Wirkung des Erdmagnetismus auf eine bewegliche Nadel
+mit derjenigen Wirkung, die eine zweite Nadel auf die erste im Zustande
+der Bewegung oder im Zustande des Gleichgewichts hervorruft.
+
+Als Wert der Intensität der horizontalen magnetischen Kraft ergab sich
+z. B. für Göttingen und für den 18. September des Jahres 1832
+
+ T = 1,7821.
+
+Das bedeutet in Worten: Sie war für einen mit der Einheit des freien
+Magnetismus versehenen Magnetstab gleich dem Drucke, den 1,7821
+Krafteinheiten an einem Hebelarme von einem Millimeter Länge bewirken.
+Unter Krafteinheit ist nach dem von *Gauß* aufgestellten absoluten
+Maßsystem diejenige Kraft zu verstehen, welche der Masse eines
+Milligramms in der Sekunde die Geschwindigkeit von einem Millimeter
+erteilt.
+
+Um die ganze Intensität zu finden, war der gefundene Wert von 1,7821
+Krafteinheiten noch durch den Cosinus der Inklination zu dividieren.
+Letztere betrug im Sommer des Jahres 1832 in Göttingen 68°22'52''.
+
+Die auf Anregung von *Gauß* und *Weber* über alle Erdteile ausgedehnten
+Messungen der erdmagnetischen Kraft lieferten das allgemeine Ergebnis,
+daß diese Kraft mit der Annäherung gegen die Pole zunimmt und in der
+Nähe der magnetischen Pole etwa 1,5mal so groß ist wie am magnetischen
+Äquator. Auch zeigte sich, wie zu erwarten war, daß die Intensität
+an ein und demselben Orte wie die Deklination und die Inklination
+täglichen und säkularen Schwankungen unterworfen ist.
+
+Mit Recht sagt *Gauß* am Schlusse seiner Abhandlung, indem er die
+*Ampère*sche Theorie des Magnetismus streift, welche Auffassung man
+auch künftig von den magnetischen Erscheinungen hegen werde, sie müsse
+zu demselben Ergebnis führen, zu dem er mit Hilfe der Theorie von den
+magnetischen Flüssigkeiten gelangt sei. »Was auf Grund dieser Theorie«,
+mit diesen Worten schließt er, »in der vorliegenden Abhandlung
+entwickelt wurde, kann nur in der Form, nicht aber im Wesen geändert
+werden«.
+
+Ein Wort sei noch den technischen Schwierigkeiten gewidmet, die *Gauß*
+und *Weber* bei der Durchführung ihrer erdmagnetischen Messungen
+zu überwinden hatten. Vor allem mußten sich ihre Bemühungen darauf
+richten, daß sie die Schwingungszeiten und die Richtungen der Nadeln
+weit genauer bestimmten, als es bisher geschehen war. Sie erfanden
+daher die bei erdmagnetischen Messungen zuerst erprobte Methode der
+Winkelmessung mit Spiegel, Skala und Fernrohr, eine Methode, welche
+für die moderne Beobachtungskunst von bleibendem, unvergleichlich
+hohem Wert geworden ist. Ferner galt es, die zur Anwendung kommenden
+Meßapparate vor jedem Luftzug und vor allem vor der Einwirkung von
+Eisen zu schützen. Bei dem Bau von magnetischen Observatorien wurde
+deshalb dem Vorschlag von *Gauß* und *Weber* entsprochen und jede
+Verwendung von Eisen ausgeschlossen. Auf diese Weise gelang es ihnen,
+ihren Messungen, wie *Gauß* sich ausdrückt, die Schärfe astronomischer
+Beobachtungen zu geben.
+
+Endlich sei noch einiges über den von *Gauß* für die Ausführung seiner
+Versuche geschaffenen Apparat, das Magnetometer, gesagt. Es besteht
+aus einem hängenden Magnetstabe (s. Abb. 57) und einem Fernrohr zum
+Beobachten der Schwingungen. Der Magnetstab ist mit einem Spiegel (a)
+versehen, der genau senkrecht zur Achse angebracht ist. Dem Spiegel
+gegenüber befindet sich in einiger Entfernung von dem Magneten das
+Fernrohr, dessen optische Achse gegen die Mitte des Spiegels gerichtet
+ist. Unter dem Fernrohr ist eine Skala (SS) angebracht. Sie bildet
+mit dem magnetischen Meridian einen rechten Winkel, ist also parallel
+zum horizontalen Durchmesser des Spiegels gerichtet. Der Mittelpunkt
+jener Skala und die optische Achse des Fernrohrs liegen in derselben
+Vertikalebene. Die Skala ist ferner so angebracht, daß ihre Teilpunkte
+durch den Spiegel in das Fernrohr geworfen werden.
+
+[Illustration: Abb. 57. Das von *Gauß* zum Messen der erdmagnetischen
+Kraft erfundene Magnetometer.]
+
+Der Gebrauch dieses Apparates ist hiernach leicht verständlich. Man
+versetzt den Magneten durch Annäherung eines zweiten Magneten in
+kleine Schwingungen. In dem Fernrohr erscheinen dann nacheinander die
+Teilstriche der Skala. Die Dauer einer Schwingung ergibt sich, wenn
+man die Zeit bestimmt, die bis zum Wiedererscheinen eines bestimmten
+Teilstrichs im Fadenkreuz des Fernrohrs verfließt.
+
+Neben der Astronomie und der Physik gibt es noch ein drittes Gebiet,
+welches durch das mathematische Genie von *Gauß* in hohem Grade
+gefördert wurde. Es ist die der Astronomie so nahe verwandte Geodäsie.
+*Gauß* wurde dieser Wissenschaft durch folgende Veranlassung zugeführt.
+Der ihm befreundete dänische Astronom *Schumacher* (1780 in Holstein
+geboren, also der Stammeszugehörigkeit nach ein Deutscher) hatte im
+Auftrage seiner Regierung eine Triangulation von Schleswig-Holstein
+vorgenommen. Man beschloß nun in Hannover die Fortsetzung dieses
+Unternehmens von Altona bis zu den südlichen Grenzen des Königreiches
+und beauftragte *Gauß* mit der Ausführung dieser gewaltigen, den
+Zeitraum von 24 Jahren in Anspruch nehmenden Arbeit, der sich *Gauß*
+von 1821-1827 fast ausschließlich widmete. Das Ergebnis war ein
+Verzeichnis von nicht weniger als 2578 festgelegten Punkten. Wichtiger
+als dieser praktische, nur einem kleinen Lande erwiesene Dienst war
+die Förderung, welche die Geodäsie durch die mit dieser Vermessung
+verknüpfte Bereicherung an neuen Methoden erfuhr. *Gauß* selbst bemerkt
+in dieser Hinsicht, daß er nicht nur in bezug auf die Art, wie die
+Messungen angestellt wurden, sondern noch mehr in bezug auf ihre
+nachherige Verarbeitung und mathematische Behandlung Wege eingeschlagen
+habe, die von den sonst gebräuchlichen erheblich abwichen[544].
+
+Zunächst ist hervorzuheben, daß *Gauß* seine Methode der kleinsten
+Quadrate für geodätische Zwecke in die Form brachte, in der sie seitdem
+in der Geodäsie allgemein angewandt wird.
+
+Mit den Aufgaben der höheren Geodäsie hängen zwei wichtige
+mathematische Abhandlungen zusammen, die *Gauß* in den zwanziger
+Jahren des 19. Jahrhunderts veröffentlichte. Die erste dieser
+Abhandlungen steht mit der Kartenprojektion in enger Beziehung. Sie
+wurde durch eine von der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu
+Kopenhagen im Jahre 1822 gestellte Preisaufgabe veranlaßt und enthält
+die allgemeine Lösung folgender Aufgabe: Die Teile einer gegebenen
+Fläche sind auf einer anderen gegebenen Fläche so abzubilden, daß
+die Abbildung dem Abgebildeten in den kleinsten Teilen ähnlich wird.
+Diese für die Kartographie grundlegende Aufgabe hatte sich schon
+*Lambert* gestellt[545]. Er hatte sich jedoch auf die Kugeloberfläche
+und die Ebene beschränkt und eine allgemeine Lösung nicht zu geben
+vermocht. Sie blieb den großen Mathematikern *Lagrange* und *Gauß*
+vorbehalten[546]. Die geforderte Art der Abbildung hat *Gauß* als
+»konform« (neuerdings sagt man »winkeltreu«) bezeichnet. Nachdem *Gauß*
+die allgemeine Auflösung des Problems gegeben, betrachtet er einige
+besondere Fälle. Er untersucht die konforme Abbildung von ebenen
+Flächenstücken aufeinander und zeigt, wie man eine Karte, die in den
+Einzelheiten gut, im ganzen aber etwas verzerrt ist, in eine bessere
+verwandeln kann, wenn man die richtige Lage einer Anzahl von Punkten
+kennt. Es folgen die Darstellung eines Kegels, einer Kugel und eines
+Rotationsellipsoids in der Ebene. Den Schluß bildet die Darstellung
+des Rotationsellipsoids auf einer Kugelfläche. Durch diese Ableitungen
+von konformen Abbildungen wurden die umständlichen Rechnungen auf dem
+Erdsphäroid weit einfacher gestaltet als es bei den bisherigen Methoden
+möglich war.
+
+In einem, wenn auch weniger engen Zusammenhange mit den Aufgaben der
+höheren Geodäsie steht die von *Gauß* im Jahre 1827 herausgegebene
+Flächentheorie[547]. *Gauß* beschäftigt sich in dieser Abhandlung
+besonders mit der Krümmung der Flächen. Er führt vor allem den Begriff
+des Krümmungsmaßes ein, indem er die Teile der krummen Fläche mit dem
+entsprechenden Oberflächenstück einer festen Hilfskugel vergleicht. Es
+ist leicht ersichtlich, daß letzteres Stück um so kleiner sein wird,
+je weniger das entsprechende Stück der krummen Fläche von der Ebene
+abweicht. Außer dem Krümmungsmaß betrachtet *Gauß* in der erwähnten
+Abhandlung die Konstruktion von Figuren auf krummen Flächen, die
+Winkel und den Flächeninhalt solcher Figuren, die Verbindung von
+Flächenpunkten durch kürzeste Linien usw., alles Aufgaben, die für
+die Geodäsie von der größten Bedeutung sind. Insbesondere gilt dies
+von der Untersuchung der durch kürzeste Linien gebildeten Dreiecke,
+durch welche die sphärische Trigonometrie gefördert wurde. Solche
+Linien hat man geodätische Linien und die aus ihnen gebildeten
+Dreiecke geodätische Dreiecke genannt. Von den *Gauß*schen Sätzen über
+geodätische Linien und Dreiecke sind vor allem folgende wichtig: Wenn
+auf einer krummen Fläche von einem Punkte aus ein System geodätischer
+Linien von gleicher Länge gezogen wird, so steht die ihre Endpunkte
+verbindende Linie zu allen Linien des Systems senkrecht[548]. Zieht man
+auf einer krummen Fläche eine beliebige Linie und läßt man von dieser
+Linie unter rechten Winkeln und nach derselben Seite hin ein System
+geodätischer Linien von gleicher Länge ausgehen. so schneidet die
+Kurve, welche ihre Endpunkte verbindet, sämtliche geodätische Linien
+rechtwinklig[549].
+
+Besondere Erwähnung verdient auch der Satz, daß der Überschuß der
+Summe der Winkel eines aus geodätischen Linien gebildeten Dreiecks
+über zwei Rechte der Gesamtkrümmung des Dreiecks gleich ist[550].
+Für eine ganze Reihe weiterer geodätischer Untersuchungen ist der am
+Schlusse der Abhandlung geführte Vergleich der geodätischen Dreiecke
+mit geradlinigen Dreiecken von gleicher Seitenlänge grundlegend gewesen.
+
+Die beiden soeben nach Ziel und Inhalt kurz charakterisierten
+Abhandlungen über die konforme Abbildung von Flächen (Kartenprojektion)
+und die Linien und Stücke krummer Flächen (geodätische Linien und
+Dreiecke) können als Bruchstücke eines größeren Werkes betrachtet
+werden, das *Gauß* über die Geodäsie zu schreiben gedachte. Dies Werk
+sollte nach Art des von ihm geschaffenen astronomischen Hauptwerkes,
+der Theoria motus corporum coelestium vom Jahre 1809, die gesamten
+Grundlagen der Geodäsie entwickeln und die Triangulation des
+Königsreichs Hannover als großes Beispiel, an welchem die Theorien
+erläutert werden sollten, enthalten. Leider ist dieser Plan nicht zur
+Ausführung gekommen. Trotzdem sind die Verdienste, die sich *Gauß*
+um die Entwicklung der Geodäsie erworben, unübertroffen. Durch ihn
+wurde diese Wissenschaft, die bisher nicht viel mehr als gewöhnliche
+Feldmeßkunst gewesen, der Astronomie im Range gleichgestellt. So
+wurde z. B. bei jener Triangulation das sphärische Dreieck, dessen
+Fläche sich auf 53 Quadratmeilen belief, mit einer solchen Genauigkeit
+gemessen, daß die wirkliche Winkelsumme von der berechneten nur um zwei
+Zehntel Sekunden abwich[551]. Um Dreiecke von solcher Größe ausmessen
+zu können, schuf *Gauß* in dem Heliotrop einen neuen geodätischen
+Apparat. Seine Konstruktion stützt sich auf einen katoptrischen Satz,
+der aus Abb. 58 leicht ersichtlich ist. Er lautet: Wenn von einem
+genügend weit entfernten, leuchtenden Punkte ein Strahl SA auf zwei
+zu einander senkrecht stehende Spiegel (MN und PQ) fällt, so wird
+er nach entgegengesetzten Richtungen AC und AB reflektiert[552].
+
+Eine solche Spiegelkombination brachte *Gauß* vor seinem bei
+Vermessungen dienenden Fernrohr an. Die Kombination wurde so gedreht,
+daß der eine Strahl, z. B. AC, in die Achse des Fernrohrs gelangte.
+In diesem Falle wurde der andere Strahl AB nach dem Orte hingeworfen,
+nach dem das Fernrohr gerichtet war und konnte dort zur Einstellung
+eines zweiten Fernrohrs benutzt werden. Natürlich mußten in dem
+Spiegelapparat geeignete Öffnungen freigelassen werden, durch welche
+die Achse des Fernrohrs hindurchging. *Gauß* erfand das Heliotrop im
+Jahre 1821. Er konnte es also für die vorzunehmende Triangulation
+sofort zur Verfügung stellen.
+
+[Illustration: Abb. 58. Das dem *Gauß'*schen Heliotrop zu Grunde
+liegende Gesetz.]
+
+Nicht nur die Meßkunst, sondern auch das praktische Rechnen erfuhr
+durch *Gauß* eine wesentliche Förderung. Dies geschah dadurch, daß
+er Tafeln zur bequemen Berechnung der Logarithmen von Summen oder
+Differenzen zweier Größen, die selbst nur durch ihre Logarithmen
+gegeben sind, herausgab. *Gauß* wandte sich auch gegen den zwecklosen
+Gebrauch vielstelliger Logarithmentafeln. Es kamen zehn-, vierzehn-,
+selbst zwanzigstellige vor. *Gauß* sprach sich für den Gebrauch von
+fünfstelligen Tafeln aus, weil die Fälle, wo sie ausreichen, häufig,
+ja die häufigsten seien und so scharfe Rechnungen, welche den Gebrauch
+vielstelliger Tafeln rechtfertigen würden, in der Praxis des Astronomen
+nicht vorkämen.
+
+Von *Gauß* hat man gesagt, er habe lange auf einsamer Höhe gewandelt.
+Es lag das daran, daß er es nicht verstand, die Ergebnisse seiner
+Forschungen zum Allgemeingut zu machen. Seiner wissenschaftlichen
+Tätigkeit gegenüber trat bei ihm das akademische Lehramt sehr zurück.
+Er besaß nur wenige Schüler, da ihm nur wenige zu folgen vermochten.
+Auch seine Schriften wurden von den zeitgenössischen Fachleuten
+zu wenig beachtet; ferner blieben wichtige Entdeckungen mitunter
+Jahrzehnte in seinem Schreibpult vergraben. Dieser sonderbare Egoismus
+in wissenschaftlichen Dingen -- wohl die einzige Schattenseite des
+Geistesriesen -- ging so weit, daß er wiederholt erklärte, er stelle
+seine Untersuchungen nur seiner selbst wegen an, und es sei für ihn
+von untergeordneter Bedeutung, ob seine Arbeiten zur Belehrung anderer
+später im Druck erschienen[553]. *Gauß* veröffentlichte nichts, was er
+nicht zum Abschluß gebracht hatte. Daher erscheint jede seiner Arbeiten
+als ein vollendetes Kunstwerk, an welchem man von den Zurüstungen und
+Hilfsmitteln, die zu dem Aufbau führten, nichts mehr bemerkt. Dieser
+Umstand hat das Studium der *Gauß*schen Schriften sehr erschwert. Als
+man einst dem Verfasser den Vorwurf allzu großer Schwierigkeit machte,
+erklärte er, man dürfe dem fertigen Gebäude nichts mehr vom Baugerüst
+ansehen. Mit Recht ist ihm darauf erwidert worden, daß man doch
+wenigstens eine Tür zu sehen wünsche, um hineinzugelangen.
+
+Im Jahre 1855 verschied *Gauß*. Eine zur Erinnerung an ihn vom König
+gestiftete Denkmünze trägt die Inschrift: Dem Könige der Mathematiker.
+Nach seinem Tode sind die Werke von *Gauß* dadurch zugänglicher
+geworden, daß sie von vielen Seiten kommentiert wurden. Sie erschienen
+von 1863-1874 in einer Gesamtausgabe[554]. Wir verlassen *Gauß* mit
+einigen Worten eines Nachrufs den ihm einer der bedeutendsten unter den
+neueren Mathematikern[555] gewidmet hat: »Unter allen Werken von *Gauß*
+ist keins, das nicht in dem betreffenden Fache einen wesentlichen
+Fortschritt durch neue Methoden und neue Ergebnisse begründete.
+Sie sind Meisterwerke, welche den Stempel der Mustergültigkeit an
+sich tragen. Dies bürgt dafür, daß sie für alle Zeiten nicht nur
+geschichtlichen Wert besitzen, sondern auch künftigen Geschlechtern als
+Grundlage jedes tieferen Studiums und als reiche Fundgrube fruchtbarer
+Gedanken dienen werden«.
+
+Die letzten Abschnitte ließen uns erkennen, in welch außerordentlichem
+Maße der mathematische Genius die Astronomie, die Physik und die
+Geodäsie zu befruchten vermochte. Der Einfluß der Mathematik auf die
+Naturwissenschaften ist seit den Zeiten eines *Gauß* nicht geringer
+geworden, wenn es auch kaum noch einen Mathematiker gab, der sich
+in gleicher Weise neben dem Ausbau seines Forschungsgebietes der
+Verknüpfung der Mathematik mit anderen Wissenszweigen gewidmet hätte.
+Selbst *Helmholtz*, der unter den neueren am meisten an *Gauß*
+heranreichte, war doch in erster Linie Physiker, der die Mathematik als
+Hilfswissenschaft und weniger ihrer selbst willen betrieb.
+
+Um das Verhältnis der höheren Mathematik zur reinen und angewandten
+Naturwissenschaft, wie es sich im 19. Jahrhundert herausgebildet,
+kennen zu lernen, richtete sich unser Blick zuerst auf Frankreich.
+Hier war es, wo während der Revolutions- und der Kaiserzeit durch eine
+Reihe bedeutender Männer die Wechselbeziehung zwischen den genannten
+Gebieten am klarsten erkannt und am nachhaltigsten gefördert wurde.
+Und zwar geschah dies zu einer Zeit, als Deutschland an bedeutenderen
+Mathematikern so arm war, daß *Gauß* nicht verstanden und Vorlesungen
+über höhere Mathematik an deutschen Universitäten für unnütz erklärt
+und daher nur selten gehalten wurden. Die große Zeit, welche die
+Mathematik und die exakten Naturwissenschaften in Frankreich erlebten,
+knüpft an die Namen *Laplace*, *Lagrange* und *Lavoisier* an. Wir
+lernten den ersten als den Schöpfer der Mécanique céleste, den
+zweiten als den Verfasser der Mécanique analytique und *Lavoisier*
+als den Begründer der neueren Chemie kennen.
+
+Erst als in den von *Gauß* eröffneten Bahnen Männer wie *Dirichlet*,
+sein Nachfolger auf dem Göttinger Lehrstuhl, wie *Jacobi* und *Riemann*
+die Mathematik fortsetzten, während in Frankreich ihre Entwicklung
+nachließ, gelang es Deutschland, die Führung auf diesem Gebiete zu
+erhalten.
+
+
+
+
+21. Die Begründung der physikalischen Erdbeschreibung.
+
+
+Durch den außerordentlichen Aufschwung, den die gesamten
+Naturwissenschaften in der neueren Zeit erfuhren, wurde von den übrigen
+Wissenschaften keine in solchem Maße in ihrem Ziel und ihrem Inhalt
+umgestaltet wie die Erdkunde. Zwar hatte ihr das Zeitalter der großen
+geographischen Entdeckungen einen gewaltigen Anstoß gegeben, sie war
+aber im wesentlichen bloße Erdbeschreibung geblieben. Die Geographie
+als Lehre von dem inneren Zusammenhange der tellurischen Erscheinungen
+und ihrer Abhängigkeit von kosmischen Vorgängen entwickelte sich
+erst während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Während dieses
+Zeitraumes entstanden als die wichtigsten Grundlagen einer den
+Naturwissenschaften ebenbürtigen, in ihrem Geiste und nach ihren
+Methoden schaffenden Erdkunde vor allem die tellurische Physik und die
+Tier- und Pflanzengeographie. Um die Begründung dieser Wissenszweige
+hat sich in jenem Zeitraume kaum jemand solch hervorragende Verdienste
+erworben wie *Alexander von Humboldt*.
+
+Die Meteorologie konnte erst zu einer auf allgemeineren Grundlagen
+beruhenden Wissenschaft werden, wenn sie ihre Beobachtungen, die
+sich bisher im wesentlichen auf Europa beschränkt hatten, über die
+gesamte Erde ausdehnte. Und daß dies geschah, ist das Verdienst *von
+Humboldts*. Er machte zuerst die tropischen Witterungsverhältnisse zum
+Gegenstande eingehender Untersuchung und vertrat die Überzeugung, daß
+nicht nur die tropischen, sondern auch die in mittleren und höheren
+Breiten sich abspielenden meteorologischen Vorgänge von gesetzmäßig
+wirkenden Ursachen, deren Kenntnis sich auf die Dauer der Forschung
+nicht entziehen könne, beherrscht seien.
+
+Dadurch, daß *Humboldt* die Isothermen oder die Linien gleicher
+Jahrestemperatur einführte, wurde er zu einem der Begründer einer
+wissenschaftlichen Klimalehre. Sie verdankt ihm außer jenem Verfahren
+der graphischen Darstellung ihrer Elemente[556] auch die wichtigen
+Begriffe des Küsten- und Kontinentalklimas, sowie des Höhen- und
+Tiefenklimas. *Humboldt* erkannte ferner, daß die Linien gleicher
+Sommerwärme (die Isothermen) wesentlich anders als die Linien gleicher
+Winterwärme (die Isochimenen) verlaufen[557]. Die weitere Ausgestaltung
+dieses Forschungsmittels, das wie eine Offenbarung wirkte, ist vor
+allem zwei Deutschen zu verdanken, nämlich *Dove*, der den Begriff
+der isanomalen Linien aufstellte und *Berghaus*, der zuerst (1838) in
+seinem physikalischen Atlas ein umfangreiches kartographisches Material
+zusammenbrachte.
+
+Jetzt erst gelangte man zu einer klaren Erkenntnis der Abhängigkeit des
+Klimas von der Verteilung von Wasser und Land, der Richtung und der
+Höhe der Gebirge und den vorherrschenden Luft- und Meeresströmungen.
+Ihres historischen Wertes wegen verdient die von *Humboldt* entworfene
+und seiner Abhandlung vom Jahre 1817 beigegebene, Isothermenkarte
+immer noch Beachtung. Daß er die Idee *Halley* verdankt, hat er selbst
+mitgeteilt. Es ist gewiß verwunderlich, daß während des langen von
+*Halley* bis *Humboldt* reichenden Zeitraums[558] niemand darauf
+verfallen ist, *Halleys* so außerordentlich glücklichen und fruchtbaren
+Gedanken auf andere Gebiete zu übertragen. Eine Erweiterung des
+Verfahrens, die wir *Dove* verdanken, bestand darin, daß er nicht die
+Orte gleicher Werte, sondern diejenigen gleicher Abweichung von einem
+nach theoretischen Voraussetzungen berechneten Mittel durch seine
+Kurven, die Isanomalen, verband und dadurch neue, wertvolle Aufschlüsse
+über die Ursachen der Temperaturerniedrigung oder -erhöhung, die
+bestimmte Teile der Erdoberfläche aufweisen, erhielt.
+
+Auch auf die ungleiche Verteilung der Wärme in vertikaler Richtung und
+die Gesetzmäßigkeiten, welche dieser Erscheinung zugrunde liegen, hat
+neben dem Alpenforscher *Saussure* und dem Veranstalter der ersten
+wissenschaftlichen Ballonfahrt, *Gay-Lussac*, besonders *Humboldt*
+hingewiesen. Nach seinen Angaben[559] findet eine durchschnittliche
+Verminderung der mittleren Jahreswärme um 1° C statt, wenn man um etwa
+85 Toisen in die Höhe steigt. Doch bestätigte sich andererseits die
+schon von *Saussure* ausgesprochene Vermutung, daß der Winter auf Höhen
+verhältnismäßig milder ist als in der Ebene.
+
+Die Erklärung der Passate und der Monsune hatte schon *Halley*
+beschäftigt. Doch wurde die Lehre von den Luftströmungen erst
+eingehender durch *Dove* begründet. *Dove* wies nach, daß der Wind mit
+ziemlicher Regelmäßigkeit, von West ausgehend, durch Nord und Ost und
+Süd nach West zurückkehrt, während sich auf der südlichen Halbkugel
+die entgegengesetzte Drehung zeigt. Etwa ein Vierteljahrhundert später
+erkannte man, daß *Doves* Regel nur ein unvollkommener Ausdruck des
+barischen Windgesetzes[560] ist. Letzteres spricht die enge Beziehung
+zwischen Luftdruck und Luftbewegung folgendermaßen aus: Die Luft
+bewegt sich stets von einem Orte höheren nach dem nächstliegenden Orte
+niederen Luftdrucks hin. Dabei wird sie auf der nördlichen Halbkugel
+nach rechts, auf der südlichen nach links abgelenkt. Jede Luftbewegung,
+ob sanft oder heftig, erfolgt danach in der Form einer Spirale
+(Zyklone) und zwar ist die Spiralbewegung in der Nähe eines Minimums
+derjenigen in der Nähe eines Maximums entgegengesetzt (zyklonal und
+antizyklonal). Auf dieser Grundlage hat sich die heutige Meteorologie
+mit ihren synoptischen Karten, ihrer Wetterprognose und dem so
+wertvollen Sturmwarnungswesen entwickelt.
+
+Außer dem Netz von Stern- und Wetterwarten, mit dem im 19. Jahrhundert
+der ganze Erdball überzogen wurde, ist auch der zahlreichen,
+während dieses Zeitraums ins Leben gerufenen erdmagnetischen und
+seismologischen Observatorien zu gedenken. Welche Verdienste sich um
+das Zustandekommen der erdmagnetischen Warten und um die Erforschung
+des magnetischen Zustandes der Erde *Gauß* und *von Humboldt* erworben
+haben, ist schon an früherer Stelle erwähnt worden[561].
+
+Eine ähnliche zentrale Stellung, wie sie *Gauß* während der ersten
+Hälfte des 19. Jahrhunderts für das Gebiet der reinen und der
+angewandten Mathematik einnahm, besaß *Alexander von Humboldt* während
+dieses Zeitraums für das gesamte weite Gebiet der Naturwissenschaften,
+wenn auch die Fortschritte, die wir ihm verdanken, weniger in die Tiefe
+gingen, sondern vorzugsweise auf die Verknüpfung der verschiedenen
+Wissensgebiete durch gemeinsame Gesichtspunkte und wechselseitige
+Durchdringung abzweckten. Dieser Bedeutung *von Humboldts*, der in
+seiner Geistesart mehr an *Aristoteles* und *Leibniz* wie an einen
+*Newton* und einen *Gauß* erinnert, soll hier eingehender Rechnung
+getragen werden.
+
+*Alexander von Humboldt* wurde am 14. September 1769 als Sprößling
+eines altadeligen preußischen Geschlechtes in Berlin geboren und dort
+und auf dem elterlichen Gute in Tegel gemeinsam mit seinem Bruder
+*Wilhelm* durch Privatunterricht vorgebildet. *Alexander von Humboldt*
+widmete sich zunächst dem Studium der Verwaltungsfächer, da er den
+Traditionen seiner Familie folgen und eine Staatsanstellung bekleiden
+sollte. Innere Neigung und der Verkehr mit seinem Freunde *Willdenow*
+führten ihn jedoch bald den Naturwissenschaften zu. Mit 19 Jahren
+sehen wir ihn schon mit der Abfassung eines größeren botanischen
+Werkes beschäftigt[562]. Sein Interesse für die Naturwissenschaften
+wurde besonders angefacht, als er die Universität Göttingen bezog,
+wo damals die hervorragendsten deutschen Vertreter dieser Fächer
+lehrten. Den Einfluß, welchen der Physiker *Lichtenberg*, der Chemiker
+*Gmelin* und der Anatom *Blumenbach* dort auf ihn ausgeübt haben,
+hat *Humboldt* stets dankbar anerkannt. In Göttingen lernte er auch
+*Georg Forster* kennen, der *Cook* auf seiner zweiten Weltumsegelung
+begleitet und sich als ein Meister in der Naturschilderung einen Namen
+erworben hatte. *Forster*, der eine ganz außergewöhnlich vielseitige
+wissenschaftliche Begabung besaß, ist für *Alexander von Humboldt*
+vorbildlich gewesen und hat auf seinen ferneren Studien- und Lebensgang
+einen entscheidenden Einfluß ausgeübt[563]. In Gemeinschaft mit
+*Forster* unternahm *Humboldt* im Sommer 1790 seine erste größere
+Reise nach Holland, England und Frankreich. Sie wurde für ihn unter
+der Anleitung des Weltumseglers zur Vorschule für seine eigenen
+großen Entdeckungsreisen. Diese Reise, auf welcher die Leidenschaft
+für das Seewesen und tropische Länder in *Humboldt* erwachte, hat er
+oft als ein besonderes Glück bezeichnet[564]. Seine Studien setzte
+*Humboldt* zunächst an der Bergakademie zu Freiberg fort, wo er zu
+den begeistertsten Schülern des Mineralogen *Werner* zählte, des
+Hauptvertreters der später von *Humboldt* und von *L. v. Buch* so
+eifrig befehdeten neptunistischen Richtung.
+
+Aus allen Teilen der Welt kamen damals Mineralogen, Geologen und
+Bergleute nach Freiberg, um *Werner* zu hören. *Humboldt* fand bei ihm
+eine besonders gute Aufnahme, da er sich durch seine »Beobachtungen
+über einige Basalte am Rhein« (1790) schon einen Namen gemacht hatte.
+Noch drei Jahrzehnte nach dieser Zeit sprach *Humboldt* seinem
+verdienten Lehrer in folgenden Worten seine Anerkennung aus: »*Werner*
+erkannte mit bewundernswertem Scharfsinn alle Beziehungen, die bei der
+Betrachtung der geologischen Formationen beachtet werden müssen. Er
+lehrte, was man zu wissen und was man zu beobachten habe. Er hat in
+Gegenden, deren Untersuchung ihm nicht vergönnt gewesen, einen Teil
+der Entdeckungen vorbereitet. Da nämlich die Formationen unabhängig
+sind von dem Wechsel der geographischen Breite und vom Klima, so kann
+irgend ein sehr beschränkter Raum der Erdfeste, in welchem die Natur
+viele Formationen vereinigt hat, gleich einem wahrhaften Mikrokosmos
+im Geiste eines bewährten Beobachters sehr richtige Gedanken über die
+Grundwahrheiten der Geologie erwecken«[565]. Nach seinem Fortgange
+von Freiberg war *Humboldt* einige Jahre als Bergassessor und als
+Bergmeister im Fichtelgebirge tätig. Während dieser Zeit kam er auch
+wiederholt mit dem Weimar-Jena-Kreise, dem sein Bruder *Wilhelm* seit
+1794 angehörte, in Berührung.
+
+Wie *Wilhelm* zu *Schiller* so trat *Alexander* zu *Goethe* in nähere
+Beziehungen. Die Naturwissenschaften waren damals in Weimar Mode.
+Alles trieb Mineralogie. Selbst die Damen des Hofes legten sich
+naturwissenschaftliche Sammlungen an, und *Goethe* war in seinem
+Eifer für Mineralogie und Geognosie kein Berg zu hoch, kein Schacht
+zu tief, kein Stollen zu niedrig und keine Höhle labyrinthisch
+genug[566]. Auch an *Humboldts* Versuchen über den galvanischen Reiz
+der Nerven und Muskelfaser hat sich *Goethe* lebhaft beteiligt. Das
+von *Humboldt* über diesen Gegenstand veröffentlichte Werk war zwar
+durch manchen Versuch wertvoll, es blieb aber in der Tendenz verfehlt,
+da es die Reaktionen der Muskeln nicht als Wirkungen des galvanischen
+Stromes, sondern als die Äußerungen einer eigentümlichen Lebenskraft
+hinstellte[567].
+
+Auch die Arbeiten *Goethes* über die vergleichende Anatomie,
+insbesondere die vergleichende Osteologie, kamen zwischen ihm, der
+schon im Jahre 1786 über das Zwischenkieferbein geschrieben, und
+*Alexander von Humboldt* zur Sprache. "Meine naturwissenschaftlichen
+Arbeiten", schrieb *Goethe* damals, "sind durch *Humboldt* aus ihrem
+Winterschlafe geweckt worden". Nach verbürgten Zeugnissen hat der
+Dichterfürst es dankbar anerkannt, daß die Gebrüder *Humboldt* mit
+ihrem jugendlichen, frischen Streben den größten Einfluß auf ihn
+ausgeübt hätten, als er selbst schon begonnen habe, an der Welt müde zu
+werden.
+
+Auch *Schiller* kam mit *Alexander von Humboldt* häufiger in
+persönliche Berührung. Es ist nun interessant zu sehen, wie sehr seine
+Beurteilung des Forschers von derjenigen *Goethes* abwich. Nachdem
+er dem Bruder *Wilhelm* alle Anerkennung gespendet, schreibt er über
+*Alexander*: »Bei allem ungeheuren Reichtum des Stoffes finde ich
+in ihm eine Dürftigkeit des Sinnes, der bei dem Gegenstande, den er
+behandelt, das schlimmste Übel ist. Es ist der nackte schneidende
+Verstand, der die Natur, die immer unfaßlich und ehrwürdig ist,
+schamlos ausgemessen haben will und mit einer Frechheit, die ich
+nicht begreife, seine Formeln, die oft nur leere Worte und immer nur
+enge Begriffe sind, zu ihrem Maßstabe macht. Kurz, mir scheint er
+für seinen Gegenstand ein viel zu grobes Organ und dabei ein viel zu
+beschränkter Verstandesmensch zu sein. Er hat keine Einbildungskraft,
+und so fehlt ihm nach meinem Urteil das notwendigste Vermögen zu seiner
+Wissenschaft, denn die Natur muß angeschaut und empfunden werden in
+ihren einzelnsten Erscheinungen wie in ihren höchsten Gesetzen.« Wie
+würden die heutige Naturwissenschaft und ihre Vertreter vor diesem von
+übertriebenem Idealismus diktierten Urteil *Schillers* wohl bestehen!
+Andererseits ist die in Schillers Worten zum Ausdruck kommende,
+durchaus subjektive Art, über die Mittel und Ziele der Naturforschung
+zu urteilen, durch die gesamte Entwicklung, die Philosophie und
+Wissenschaft im 19. Jahrhundert genommen haben, in ihrer Haltlosigkeit
+und inneren Unwahrheit dargetan worden. Doch darf nicht vergessen
+werden, daß es auch Extreme in der naturwissenschaftlichen Methode
+gibt, von denen *Humboldt* sich aber -- und darin besteht das Irrige
+des *Schiller*schen Urteils -- weit entfernt hielt, Extreme, vor
+denen das idealistische und philosophische Denken ein Recht hat, den
+Warnungsruf ertönen zu lassen.
+
+Erwähnt sei noch, daß in späteren Jahren *Goethe* *Alexander von
+Humboldt*, als der letztere die Bedeutung des Vulkanismus erkannte,
+nicht zu folgen vermochte, sondern an den veralteten neptunistischen
+Ansichten festhielt. *Goethe* begegnete den Vertretern der neueren
+Geologie nicht nur mit Spott, wovon manche Stellen seiner poetischen
+Schöpfungen Zeugnis ablegen[568], sondern fast mit einem Groll, der
+erst gegen sein Lebensende einer gewissen Resignation in dieser
+wissenschaftlichen Frage Platz machte.
+
+Das bedeutendste Ereignis und gleichzeitig die größte wissenschaftliche
+Tat in dem Leben *Alexander von Humboldts* war seine amerikanische
+Forschungsreise, die erste große wissenschaftliche Expedition, die für
+alle späteren Unternehmungen dieser Art vorbildlich gewesen ist. Nach
+jahrelangen Vorbereitungen und vielen Mühen und Enttäuschungen, von
+denen wir uns heute, im Zeitalter des Verkehrs, keinen Begriff machen
+können, erfolgte *Humboldts* Abreise von Coruña im Juni des Jahres
+1799. Sein Reisegefährte war der Botaniker *Bonpland*, ein Schüler
+*Jussieus*.
+
+Über die Erfolge dieser Reise hat später einer der Berufensten, der
+große Geograph Carl *Ritter*, die Worte geäußert: »Es war, als wäre
+eine neue Sonne voll Licht und Wärme im Westen über der Neuen Welt
+emporgestiegen, um auf die alte Welt wohltätig zurückzustrahlen«[569].
+Eine Reihe von Umständen und Voraussetzungen haben zusammengewirkt,
+um *Humboldt* durch seine amerikanische Reise zum Begründer einer
+neuen Epoche der physischen Erdbeschreibung, der innigsten Verknüpfung
+von Naturwissenschaft und Geographie zu machen. Für eine Vorbereitung
+durch vielseitige und eifrige Studien und eine Ausrüstung mit den
+besten astronomischen und physikalischen Apparaten war zunächst Sorge
+getragen. Dazu gesellte sich das Streben, den zu erforschenden Teil
+der Erde als ein Ganzes zum Gegenstande des Studiums zu machen. Es
+galt zwar zunächst Einzelheiten zu erforschen, aber ihre Verknüpfung,
+die Erkenntnis ihres gesetzmäßigen Zusammenhanges wurde stets als das
+höhere Ziel ins Auge gefaßt.
+
+Wir können hier *von Humboldt* nicht auf seinen Kreuz- und Querzügen
+durch Süd- und Mittelamerika folgen, da aber seine Reise epochemachend
+für alle späteren Expeditionen in das Innere großer Kontinente gewesen
+ist, so wollen wir doch in einigen Punkten untersuchen, wie er der
+Fülle der ihm gestellten Aufgaben gerecht geworden ist.
+
+Von Coruña ging die Fahrt nach Teneriffa. Dort erfolgte die erste zu
+wissenschaftlichen Zwecken unternommene Besteigung eines innerhalb
+der subtropischen Zone liegenden Berges. An seinem Fuße wurde ein
+Drachenbaum von 45 Fuß Umfang gefunden, den *Humboldt* für einen der
+ältesten Bewohner der Erde erklärte. Am Abhange des nur im Winter mit
+Schnee bedeckten Piks zeigte sich eine Eishöhle. Der Gipfel selbst
+besaß den Charakter einer Solfatara. Ferner unterschied *von Humboldt*
+fünf Pflanzenzonen, die sich an dem Pik von seinem mit Weinreben
+geschmückten Fuß bis zu dem Gipfel, wo die Flechten an der Zersetzung
+der vulkanischen Schlacken arbeiten, wie Stockwerke übereinander
+aufbauen.
+
+Den ersten längeren Aufenthalt nahm *Humboldt* in Cumana, das seit
+Jahrhunderten als ein Herd der furchtbarsten Erdbeben galt. Erst
+zwei Jahre vor seiner Ankunft hatte ein solches die Stadt gänzlich
+zerstört. *Humboldt* verwandte mehrere Wochen darauf, die Spuren jenes
+furchtbaren Elementarereignisses eingehend zu erforschen. Wenige Monate
+nach seiner Ankunft in Cumana fand an diesem Orte ein neues Erdbeben
+statt. Es war das erste, das unser Forscher miterlebte. Und von dem
+tiefen Eindruck, den es auf ihn machte, legt seine Schilderung Zeugnis
+ab[570].
+
+Nicht minder bekannt geworden ist die Schilderung des großen
+Sternschnuppenfalls, den *Humboldt* im November des Jahres 1799 in
+Cumana beobachtete. Innerhalb weniger Stunden vermochte er tausende von
+Sternschnuppen und Feuerkugeln zu zählen.
+
+Im Anfang des Jahres 1800 drangen die Reisenden tiefer in den
+südamerikanischen Kontinent ein. Sie erforschten das Stromnetz des
+Orinoko, durchstreiften die einförmigen Llanos, die sich an die
+Waldregion der großen Ströme anschließen, und stellten Untersuchungen
+über den Zitteraal (Gymnotus electricus), dessen Fang *von Humboldt*
+so anschaulich schilderte, und über die Reizbarkeit der Mimosen an.
+
+Um die Cordilleren zu erforschen, hielt sich *von Humboldt* lange
+Zeit in Quito auf. Von dort unternahm er die berühmte Besteigung des
+Chimborazo, der damals für den höchsten Berg der Erde gehalten wurde.
+*Von Humboldt* erreichte eine Höhe[571], die vor ihm noch kein Mensch
+erklommen hatte.
+
+Nach der Durchforschung Mexikos und einem kurzen Aufenthalt in den
+Vereinigten Staaten hielt sich *von Humboldt* fast zwei Jahrzehnte[572]
+in Paris auf. Noch länger dauerte die Abfassung des monumentalen
+Werkes über seine Reise[573]. Daneben fand *Humboldt* noch Zeit, sich
+mit erdmagnetischen und in Gemeinschaft mit *Gay-Lussac* sich mit
+eudiometrischen Untersuchungen[574] zu beschäftigen.
+
+Die deutsche Forschung ist zu Beginn des 19. Jahrhunderts von keinem
+Lande so sehr wie von Frankreich angeregt und befruchtet worden. Von
+dort ist nicht nur in die europäische Staatenentwicklung, sondern
+auch für das Gebiet der exakten Forschung der erfrischende Luftzug
+gekommen, der die Periode der neuesten Entwicklung einleitete. In
+Frankreichs Hauptstadt hatten große Meister der Forschung, wie
+*Cuvier*, *Lavoisier*, *Laplace*, *Ampère*, *Gay-Lussac* und viele
+andere, diejenige grundlegende Tätigkeit entfaltet, welche den Boden
+für die neueste Entwicklung der Naturwissenschaften bereitet hat.
+Eine wichtige Rolle bei der Vermittlung zwischen der französischen
+und der emporstrebenden deutschen Wissenschaft hat *Alexander von
+Humboldt* ausgeübt. Man darf nicht so kleinlich sein und *Humboldt*
+daraus den Vorwurf machen, daß in ihm der Patriot hinter dem Forscher
+zurückgetreten sei. Die Wissenschaft darf sich nicht hinter nationalen
+Grenzen verschanzen. Sie muß das Gute nehmen, wo sie es findet. Wer
+ihre Geschichte schreibt, darf das Verdienst des Auslandes gegenüber
+dem des eigenen Landes nicht zu verkleinern suchen. Wir müssen
+deshalb Frankreich die Anerkennung zollen, daß ohne die Schulung,
+welche die deutschen Forscher dort während der ersten Jahrzehnte
+des 19. Jahrhunderts erfuhren, Deutschland schwerlich so rasch, wie
+es geschehen, in wissenschaftlichen Wettbewerb mit Frankreich hätte
+treten, geschweige denn es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
+überflügeln können, wie auch von französischer Seite mitunter neidlos
+anerkannt worden ist.
+
+Über den Inhalt des gewaltigen *Humboldt*schen Reisewerkes, an dessen
+Abfassung sich viele Kräfte beteiligten, möge noch einiges hier Platz
+finden. Es umfaßt sechs Abteilungen, von denen jede aus mehreren Bänden
+besteht. Die erste Abteilung (Rélation historique) enthält neben
+dem von *Humboldt* selbst verfaßten Reisebericht eine Geschichte der
+geographischen Erschließung des neuen Kontinents und einen aus 39
+Karten bestehenden Atlas.
+
+Die zweite Abteilung ist der Zoologie und der vergleichenden Anatomie
+gewidmet. Bei ihrer Abfassung zählten die Reisenden *Cuvier*,
+*Latreille* (für die Insekten) und *Valenciennes* (für die Fische und
+die Weichtiere) zu ihren Mitarbeitern.
+
+Die dritte Abteilung behandelt die politische Geographie der spanischen
+Besitzungen in Amerika, die sich damals vom 38. Grade nördlicher bis
+zum 42. Grade südlicher Breite erstreckten.
+
+Die vierte Abteilung enthält die astronomischen, trigonometrischen
+und barometrischen Messungen, während die fünfte die Geologie und die
+Pflanzengeographie der erforschten Länder zum Gegenstande hat.
+
+Ausschließlich botanischen Inhalts ist endlich die sechste Abteilung.
+Sie enthält eine Übersicht über sämtliche gesammelten Pflanzen
+und beschäftigt sich außerdem in monographischer Behandlung mit
+den Mimosen, den neu entdeckten Gräsern und der in Südamerika in
+zahlreichen Arten vorkommenden tropischen Familie der Melastomeen[575].
+
+Im Jahre 1827 vertauschte von *Humboldt* das ihm so lieb gewordene
+Paris auf den dringenden Wunsch seines Königs mit der an geistiger
+Bedeutung hinter Paris damals weit zurückstehenden preußischen
+Hauptstadt. Jetzt begann für den fast Sechzigjährigen eine neue
+Lebensaufgabe, die er durch die Verwirklichung des schon lange
+gehegten Planes einer physischen Weltbeschreibung erfüllte. Bevor
+sich jedoch von *Humboldt* an die Abfassung seines »Kosmos« begab,
+unternahm er im Auftrage des russischen Herrschers, begleitet von
+dem Zoologen *Ehrenberg* und dem Mineralogen *Rose* eine kurze, aber
+ergebnisreiche Expedition ins asiatische Rußland. *Humboldt* und seine
+Begleiter besuchten die Erzlagerstätten des Altai, überschritten die
+chinesische Grenze und durchzogen von dort die ungeheure Steppe, um den
+südlichen Ural zu erreichen. An die geologische Durchforschung dieses
+Gebirgszuges knüpft die berühmt gewordene Voraussage *Humboldts*,
+daß der Ural mit seinen Gold- und Platinschätzen ein wahres Dorado
+sei[576]. Zahlreiche Beobachtungen wurden auch an den Besuch des
+Kaspischen Meeres geknüpft und Material für das von *Cuvier* und
+*Valenciennes* bearbeitete große Werk über die Fische gesammelt.
+
+Wir gelangen zu dem reifsten Werke von *Humboldts*, das seinen Namen
+populär gemacht hat, dem »Kosmos«, wie er seinen Entwurf einer
+physischen Weltbeschreibung nannte. Hervorgegangen ist das Werk
+aus Vorlesungen, die er nach seinem Eintreffen in Berlin vor einem
+großen Kreise im Beisein des Königs und des Hofes hielt und die als
+ein Ereignis des Winters 1827/28 galten. Der Kosmos ist nicht minder
+als das große Reisewerk epochemachend nicht nur für die deutsche,
+sondern für die Weltliteratur[577] gewesen und wird, wenn auch manche
+Einzelheiten veraltet sind oder sich als irrig erwiesen haben, als
+Ganzes immer seinen Wert besitzen. Einen solchen besitzt das Werk nicht
+nur nach der wissenschaftlichen, sondern auch nach der sprachlichen und
+allgemein literarischen Seite. Mag dem heutigen Geschlecht, das die
+Natur oft mit zu nüchternem Verstande betrachtet, *Humboldts* Ausdruck
+pathetisch und seine Sprache allzu reich an Bildern erscheinen, eins
+darf man nicht vergessen: war es doch *Humboldt*, der die Deutschen
+wissenschaftliche Dinge in formvollendeter Sprache behandeln
+lehrte. Um das zu würdigen, muß man die trostlose Dürre der meisten
+früheren naturwissenschaftlichen Schriftsteller und die hohlen, von
+unverständlicher Mystik triefenden Phrasen der während des ersten
+Viertels des 19. Jahrhunderts den deutschen Geist beherrschenden, ja
+knebelnden naturphilosophischen Schule genossen haben.
+
+Auch die Vorlesungen, aus denen der Kosmos entstanden ist, waren in
+gewisser Hinsicht epochemachend. Sie stellen nämlich den ersten und
+gelungensten Versuch dar, die Kluft, welche die große Masse des Volkes
+von der Wissenschaft trennt, zu überbrücken. Etwa tausend Zuhörer aller
+Kreise »vom Könige bis zum einfachen Maurer« folgten den Ausführungen
+*Humboldts* mit der größten Spannung.
+
+Der Plan zum »Kosmos« entstand in *Humboldt* schon in den neunziger
+Jahren des von universellem Streben beherrschten 18. Jahrhunderts,
+wahrscheinlich unter der Einwirkung des Weimar-Jena-Kreises[578]. »Am
+späten Abend eines vielbewegten Lebens«, so lauten von *Humboldts*
+einleitende Worte, »übergebe ich der Öffentlichkeit ein Werk, das
+in unbestimmten Umrissen mir ein halbes Jahrhundert vor der Seele
+schwebte.«
+
+Den ersten Band bezeichnet er als ein allgemeines Naturgemälde,
+das von den fernsten Nebelflecken des Weltraums und den kreisenden
+Doppelsternen stufenweise zu der Sternschicht herabsteigt, der unser
+Sonnensystem angehört, zu dem luft- und meerumflossenen Erdsphäroid,
+seiner Gestaltung, Temperatur und magnetischen Spannung bis zu der
+Lebensfülle, die vom Lichte angeregt sich an seiner Oberfläche
+entfaltet. Die Aufgabe war dem Umfang nach eine weitgespannte, dem
+Ziele nach entsprach sie als ein »Gemälde«, eine »Weltbeschreibung«,
+indessen nicht mehr der Forderung des nach tieferer Erkenntnis des
+kausalen Zusammenhanges strebenden 19. Jahrhunderts, dessen wichtigste
+Aufgabe in der Fortentwicklung der mathematischen Physik und der
+Aufstellung des Energieprinzips gelöst wurde.
+
+Was *Humboldt* mit seinem Kosmos leisten wollte, war die Befriedigung
+eines Gefühles, das man wohl als Natur-Ästhetik bezeichnet, eines
+Gefühls, in dem auch Goethes Naturanschauung wurzelt und dem er an
+vielen Stellen seiner Faustdichtung einen solch tiefen und ergreifenden
+Ausdruck verliehen hat. Diese Aufgabe hat *Humboldt* mit dem ersten
+Bande seines Werkes eigentlich schon gelöst. Wie sehr er sich aber
+unter dem Einfluß einer solchen Grundstimmung befunden, gesteht er ein,
+wenn er an einer Stelle von *Goethe* sagt: »Wer hat beredter als er
+seine Zeitgenossen angeregt, des Weltalls heilige Rätsel zu lösen und
+das Bündnis zu erneuern, das im Jugendalter der Menschheit Philosophie,
+Naturlehre und Dichtkunst umschlang.«
+
+In dem zweiten Bande stellt sich *Humboldt* eine andere, mit der
+physischen Weltbeschreibung allerdings in engem Zusammenhange stehende
+Aufgabe. Er gibt darin eine Geschichte der physischen Weltanschauung
+und verfolgt durch alle Zeitalter das »Streben der Menschheit, das
+Zusammenwirken der Kräfte im Erd- und Himmelsraume zu begreifen.« Die
+Arbeit, welche *Humboldt* dadurch für die Begründung einer Geschichte
+der Naturwissenschaften geleistet hat, ist eine bedeutende; sie
+besitzt auch, wie es bei einer auf zuverlässigen Quellen gegründeten
+geschichtlichen Darstellung in der Natur der Sache liegt, vor allen
+anderen einen bleibenden Wert. Als die Hauptmomente einer Geschichte
+der physischen Weltanschauung stellt *Humboldt* die Kultur der
+Hellenen, die vermittelnde Tätigkeit der Araber und die Erfindungen und
+Entdeckungen der süd- und westeuropäischen Völker in ein solch klares
+Licht, daß seine Darstellung dieser Verhältnisse wertvoll für alle
+Zeiten genannt werden muß.
+
+In den weiteren Bänden des »Kosmos« ändert sich der Charakter des
+Werkes noch mehr. Es wird daraus erklärlich, daß sich seine Abfassung
+über einen Zeitraum von Jahrzehnten erstreckte, innerhalb dessen
+die Wissenschaft selbst durch die Entdeckung des Prinzips von der
+Erhaltung der Kraft, eine neue Epoche erlebte. *Humboldt* suchte
+sich mit der neuen Richtung, in die er sich indessen nicht mehr
+einzuleben vermochte, auseinanderzusetzen. Indessen überkam seine
+Zeitgenossen und auch ihn selbst immer mehr das Gefühl, daß seine
+Art der Weltbetrachtung einer neuen weichen mußte, die als die wahre
+Fortsetzung des von *Newton*, *Huygens* und den führenden Geistern des
+18. Jahrhunderts geschaffenen Werkes gelten durfte.
+
+Die letzten Bände sind vorwiegend der Astronomie und der Geophysik
+gewidmet; sie besitzen einen gelehrten Grundzug und treten in
+literarischer Beziehung gegen die ersten Bände, die als Muster für eine
+nach Popularität im edelsten Sinne des Wortes strebende Ausdrucksweise
+gelten können, sehr zurück. Während *von Humboldt* noch mit der
+Abfassung eines fünften Bandes seines Kosmos beschäftigt war, ereilte
+den Unermüdlichen, fast Neunzigjährigen, am 21. April 1859 der Tod.
+
+In rein wissenschaftlicher Beziehung liegt *v. Humboldts*
+Hauptverdienst auf dem Gebiete der Pflanzengeographie. Er beschränkte
+sich nicht auf die floristische Erforschung der von ihm bereisten
+Länder. Sein Bestreben ging vielmehr dahin, die Pflanzenwelt in ihrer
+Abhängigkeit vom Klima und vom Boden zu verstehen und die allgemeinen
+Bedingungen für dieses Verhältnis aufzudecken.
+
+Bevor wir *Humboldts* Verdienst um die Pflanzengeographie würdigen,
+müssen wir des Mannes gedenken, dem er hier die meisten Anregungen und
+Vorarbeiten zu verdanken hatte. Es war das *Willdenow*[579], ein Neffe
+des an früherer Stelle erwähnten *Gleditsch*[580] und sein Nachfolger
+in der Leitung des Berliner botanischen Gartens. *Willdenow* war mit
+*Humboldt* eng befreundet und hat ihn der Botanik zugeführt. Er ist als
+der geistige Urheber *von Humboldts* Schrift »Ideen zu einer Geographie
+der Pflanzen« zu betrachten. *Willdenow* hatte die hier *von Humboldt*
+behandelten Fragen bereits in seinem Grundriß der Kräuterkunde
+aufgeworfen und beleuchtet. Er war es, der die Grenze zwischen der
+mitteleuropäischen und der Mittelmeerflora zog und die drei großen
+Gebiete unterschied, die wir als boreale, tropische und australische
+Flora bezeichnen. Ferner hat schon *Willdenow* die Abhängigkeit der
+Pflanzenverbreitung vom Klima, von der Bodenbeschaffenheit und von
+der Wandertätigkeit, das was die Wissenschaft als klimatologisches,
+als geologisches und als migratorisches Moment zu bezeichnen pflegt,
+deutlich hervorgehoben.
+
+Ganz neue Bahnen wurden dadurch erschlossen, daß man die Verbreitung
+des Lebens über die Erde aus gesetzmäßig wirkenden Ursachen, und zwar
+vor allem aus den herrschenden physischen Bedingungen zu erforschen
+strebte. In dieser Hinsicht bahnbrechend gewirkt zu haben, ist wohl
+das bedeutendste unter den rein wissenschaftlichen Verdiensten *von
+Humboldts*. »Die Ideen zu einer Geographie der Pflanzen« sind die erste
+Veröffentlichung nach seiner Rückkehr aus Südamerika. Sie erschienen
+(1805) nebst einem Naturgemälde der Tropenländer. Den meisten Stoff
+für die neue, bislang kaum dem Namen nach vorhandene Wissenschaft
+der Pflanzengeographie sammelte *von Humboldt* auf jener Reise. So
+kam es, daß die »Ideen« zum größten Teile am Fuße des Chimborazo
+niedergeschrieben wurden.
+
+Der Gedanke, die räumliche Verbreitung der Pflanzen festzustellen,
+begegnet uns zwar schon früher. *Von Humboldt* erstrebte aber weit mehr
+als dies. Es galt ihm, die Verteilung und die typische Organisation der
+Pflanzen im Zusammenhange mit allen gegenwärtig auf die Erdoberfläche
+wirkenden Kräften und mit der Geschichte unseres Planeten[581] zu
+ergründen.
+
+Was *Humboldt* vorfand, waren nur wenige bescheidene Ansätze. Und
+was er zu schaffen vermochte, waren im wesentlichen auch nur die
+Grundlinien und die Bezeichnung der Ziele der neuen Wissenschaft, zumal
+die Erdgeschichte einen lebensvollen Inhalt erst nach dem Siege der
+Entwicklungslehre über das Dogma von der Konstanz der Arten gewinnen
+konnte. Das Problem der Entwicklungslehre begegnet uns in *Humboldts*
+Worten, die Pflanzengeographie habe zu untersuchen, ob es unter den
+zahllosen Gewächsen der Erde gewisse Urformen gäbe. Vielleicht könne
+man die Verschiedenheit der Arten als die Wirkung der Ausartung und als
+Abweichungen von solchen Urformen betrachten[582].
+
+Zwar, fügt er hinzu, schienen alle Pflanzen und Tiere, welche
+gegenwärtig die Erde bewohnen, seit Jahrtausenden ihre
+charakteristische Form nicht verloren zu haben. So sei der Ibis, den
+man in den ägyptischen Gräbern finde, identisch mit dem, der
+gegenwärtig am Ufer des Niles fischt[583]. Andererseits weist
+*Humboldt* auf die Veränderungen hin, welche die Erde im Laufe
+ihrer, ungeheure Zeiträume umfassenden Geschichte durchgemacht hat
+und mit denen Änderungen in der Tier- und Pflanzenwelt Hand in
+Hand gehen mußten. Die Geographie der Pflanzen sei deshalb an die
+Geologie anzuknüpfen[584], um Licht über die Urgeschichte der Erde zu
+verbreiten. Um ein Urteil über die ehemalige Verbindung nahegelegener
+Ländermassen zu gewinnen, verwerte die Geologie die Ähnlichkeit in der
+Schichtung und Lagerung der Küstengebirge und die Tiefenverhältnisse
+der trennenden Meeresabschnitte. Für die Entscheidung dieser Frage
+könne aber die Geographie der Pflanzen nicht minder wichtige
+Anhaltspunkte liefern. Sie mache es z. B. wahrscheinlich, daß
+Südamerika sich vor der Entwicklung organischer Wesen von Afrika
+getrennt habe. Durch die Pflanzengeographie geleitet könne man in
+das Dunkel eindringen, das den frühesten Zustand unseres Planeten
+einhülle. So gelte es zu entscheiden, ob die Erdrinde an vielen Orten
+zugleich mit verschiedenen Arten bedeckt worden sei, oder ob alle Keime
+sich zuerst in einer Gegend entwickelten und von dort auf schwer zu
+ergründenden Wegen nach anderen Weltteilen wanderten.
+
+*Humboldt* erwägt dann die Umstände, durch welche das ursprüngliche
+Wohngebiet einer Pflanzenart sich erweitern konnte. Als solche werden
+insbesondere die Strömungen der Atmosphäre und des Wassers und der
+Transport durch Tiere betrachtet. So groß indessen diese Einflüsse auch
+sind, sie verschwinden nach *Humboldt* gegenüber dem Einfluß, den der
+Mensch auf die Verbreitung der Gewächse ausübt. »Pflanzen, welche der
+Gegenstand des Garten- und des Ackerbaues sind, haben das wandernde
+Menschengeschlecht seit den fernsten Jahrhunderten begleitet«[585].
+Daher bleibe ihr erstes und ursprüngliches Vaterland oft ein ebenso
+rätselhaftes Problem wie das Vaterland der verschiedenen Menschenrassen
+selbst. Treffend führt *Humboldt* dann weiter aus, wie der Ackerbau
+die Herrschaft fremder eingewanderter Pflanzen über die einheimischen
+begründet und letztere nach und nach auf einen immer enger werdenden
+Raum zusammengedrängt habe. Für die Tropenwelt dagegen konnte
+*Humboldt* damals noch zutreffend sagen, die menschliche Kraft sei zu
+schwach, um eine Vegetation zu besiegen, die nichts unbedeckt lasse und
+den Boden unseren Augen entziehe.
+
+Zum ersten Male wurde durch *Humboldt* die Aufmerksamkeit der Botaniker
+ferner auf diejenigen Erscheinungen der Vegetation gelenkt, welche die
+Physiognomie der Landschaft bestimmen. Eine physiognomische Einteilung
+der Pflanzen nach der Entwicklungsweise ihrer Vegetationsorgane
+begründet zu haben, gilt als eine der wichtigsten Leistungen *von
+Humboldts*[586].
+
+Die Physiognomie einer Flora verdient indessen nicht nur eine
+ästhetische Würdigung, sondern in ihr spricht sich die innige
+Wechselbeziehung zwischen der gesamten Form und den physischen
+Bedingungen viel schärfer aus als in den Charakteren, welche der
+systematischen Einteilung des Pflanzenreiches zugrunde gelegt werden.
+
+In der zahllosen Menge von Pflanzenarten unterschied *Humboldt* nach
+dem erwähnten Gesichtspunkt etwa zwanzig verschiedene Grundgestalten,
+auf die man wahrscheinlich alle Arten zurückführen könne. Die
+wichtigsten unter diesen Vegetationsformen sind die Bananenform,
+die Palmenform, die Formen der Baumfarne, der Nadelhölzer und der
+Orchideen. Ferner seien genannt die Mimosenform mit ihren fein
+gefiederten Blättern, die Lilienform mit ihren einfachen, zart
+gestreiften Blättern, die Kaktusform mit ihren blattlosen, gestachelten
+Stämmen und die Grasform. Unter den blütenlosen Pflanzen werden
+die Formen der Laubmoose, der Blätterflechten und der Hutschwämme
+unterschieden. Mitunter decken sich diese Formen mit großen Abteilungen
+des natürlichen Pflanzensystems. Häufiger jedoch begegnet uns der
+gleiche, durch das Klima und die Bodenbeschaffenheit bedingte Habitus
+bei Pflanzen, die im Bau ihrer Blüten und Früchte weit voneinander
+abstehen.
+
+Untersuchungen über die Verteilung der Pflanzen auf verschiedene
+Höhengürtel hat zuerst *H. B. de Saussure* in den Alpen angestellt.
+Auch fehlte es nicht an dem gelegentlichen Hinweis, daß die Pflanzen
+eines Gebirges, z. B. der Pyrenäen, mit den Pflanzen höherer Breiten
+manche Ähnlichkeit aufweisen. Als allgemeine Gesetzmäßigkeit wurde
+diese Verknüpfung der Höhen mit entfernten, in höherer Breite liegenden
+Tiefebenen indes zuerst von *Humboldt* ausgesprochen[587]. Das reiche,
+ihm zu Gebote stehende Beobachtungsmaterial setzte ihn auch in den
+Stand, für die Tropen die Folge der beim Emporsteigen uns begegnenden
+Pflanzengürtel zu bestimmen. Als Beispiel diene uns die Übersicht der
+Pflanzenregionen, die *Humboldt* an den Abhängen der Cordillere von
+Quito unterschied[588].
+
+Die unterste Region ist diejenige der Palmen und Pisanggewächse. Sie
+steigt von der Meeresfläche bis zu einer Höhe von 1000 Metern empor.
+Unmittelbar darüber liegt die Region der Baumfarne. Dann folgen die
+Region der Eichen (bis 3000 Meter) und diejenige der Alpenkräuter.
+Letztere werden zwischen 4100 und 4600 Meter von den alpinen Gräsern,
+den letzten Blütenpflanzen abgelöst. Von dort bis zur Schneegrenze
+beleben nur Steinflechten die verwitternde Rinde des nackten
+Gesteins[589].
+
+Auch in den Anden Mexikos und am Pik von Teneriffa hat *Humboldt* die
+Aufeinanderfolge bestimmter Pflanzengürtel nachgewiesen.
+
+Dieser kurze Abriß läßt die großen Verdienste, die sich *Humboldt* um
+die Begründung der Pflanzengeographie erworben, zur Genüge erkennen.
+Das meiste, was ihn hier beschäftigte, blieb zwar zunächst Problem.
+Indessen mit vollem Rechte muß man fragen[590], ob sich nicht
+derjenige, der Fragen aufzuwerfen versteht, welche die Arbeit kommender
+Geschlechter auf bestimmte fruchtbare Bahnen lenken, ein ebenso großes
+Verdienst erwirbt, wie der Forscher, der einzelne wissenschaftliche
+Fragen erledigt.
+
+Ähnliches, wie er es in der Aufstellung der Pflanzenregionen geleistet,
+hielt *Humboldt* auch auf dem Gebiete der Zoologie für erstrebenswert.
+»Es wäre interessant«, sagt er, »in einem Profil die Höhen zu
+bestimmen, zu welchen sich die Tiere in den Gebirgsländern erheben.«
+Was ihm dabei vorschwebte, war die Abhängigkeit des Tierlebens von
+meteorologischen Bedingungen, wie er überhaupt der Zoologie weniger
+durch Einzeluntersuchungen als durch den steten Hinweis auf den innigen
+Zusammenhang des Tierlebens mit seinen physischen Bedingungen genützt
+hat.
+
+Auch auf dem Gebiete der Geologie ist *Humboldts* Verdienst vor allem
+in seiner Betonung der allgemeinen Gesichtspunkte zu suchen. Er
+verstand es nämlich, die Geologie in ähnlicher Weise mit der Erdkunde
+in Verbindung zu setzen, wie es ihm so trefflich für diese Wissenschaft
+und die Botanik gelungen war.
+
+Im Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn stand *Humboldt* ganz
+unter dem Einfluß der neptunistischen, von seinem Lehrer *Werner*
+gegründeten Geologenschule. Zwischen ihren Anhängern und den
+Vulkanisten wurde besonders über die Entstehungsart des Basalts
+heftig gestritten. *Humboldts* erste Arbeit betraf gleichfalls diese
+Frage[591]. Er glaubte sie in Übereinstimmung mit *Werner* dahin
+entscheiden zu müssen, daß nach seinen Beobachtungen an den Basalten in
+der Nähe von Linz und Unkel nichts auf vulkanische Wirkungen schließen
+lasse.
+
+Etwa ein Jahrzehnt später begann *Humboldt* seine amerikanische Reise,
+deren Aufgabe und deren Ergebnisse zum großen Teil auf geologischem
+Gebiete lagen. Während der Erforschung der Cordilleren und der
+Verarbeitung des reichen, dort gefundenen Materials vollzog sich in
+ihm und besonders durch ihn ein völliger Umschwung in den geologischen
+Anschauungen. Die Folge war, daß nicht nur für den Basalt, sondern auch
+für den Granit, sowie die Trachyte und Porphyre, eine Entstehung auf
+feurig flüssigem Wege angenommen wurde. Die feinere mechanische Analyse
+des Basalts ergab für dies Gestein trotz seines scheinbar gleichartigen
+Aussehens, daß es ein Gemenge von Mineralien und dem Granit in seiner
+Zusammensetzung nicht unähnlich ist[592].
+
+Grundlegend für die Lehre vom Vulkanismus war vor allem *Humboldts*
+Beobachtung, daß in den Gebirgen Amerikas Trachyte in der Nachbarschaft
+von Vulkanen auftreten und diese gleichsam anzukündigen scheinen.
+*Humboldt* machte ferner auf den mitunter anzutreffenden allmählichen
+Übergang von Trachyt in Gesteine von glasiger und schlackiger
+Beschaffenheit aufmerksam. Da letztere (Obsidian, Bimsstein) noch heute
+als Erzeugnisse tätiger Vulkane angetroffen werden, so war der Schluß
+auf den eruptiven Ursprung der ohne scharfe Grenze in sie übergehenden
+Massengesteine wohl berechtigt.
+
+Die Erkenntnis, daß die Eruptivgesteine eine viel größere Verbreitung
+besitzen, als man früher geahnt hatte, führte bei *Humboldt* und seinem
+Mitarbeiter *L. v. Buch*, zu einer großen Überschätzung der Wirkungen
+der Eruptivgesteine. So nahm *von Buch* an, daß die Alpenkette und die
+Mehrzahl der übrigen Gebirge durch den Porphyr bei seinem Hervorbrechen
+aus dem Erdinnern emporgehoben sei[593]. Selbst der Dolomit sollte
+unter der Wirkung vulkanischer Kräfte in der Weise entstanden sein, daß
+dampfförmiges Magnesiumoxyd in den Kalkstein eindrang und damit ein
+Calcium-Magnesiumkarbonat bildete.
+
+Aus ähnlichen Voraussetzungen erklärte *Humboldt* die Entstehung der
+amerikanischen Gebirge. Die Ketten der Anden und Venezuelas sollten
+sich über langgestreckten Erdspalten, die Gebirgsgruppen dagegen
+über einem Netz von Spalten erhoben haben. Dabei habe ein von innen
+nach außen wirkender Druck die starren Massen gehoben und feurig
+flüssiges Material emporgepreßt. Die Gebirge erschienen nach dieser
+Auffassung als Zeugen großer Katastrophen, als Zeugnisse gewaltiger
+Erdrevolutionen. Doch suchte *Humboldt* das Katastrophenartige
+dieser etwa die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts beherrschenden
+Erklärungsweise dadurch zu mildern, daß er auf die verhältnismäßig
+geringe Masse des emporgehobenen Materials hinwies. So würden die
+Alpen, über das flache Land verteilt, Europa nur um 20 Fuß erhöhen.
+
+Auch die Vulkane, deren reihenförmige Anordnung *Humboldts* Erforschung
+des südamerikanischen Kontinents unzweifelhaft dargetan, sollten nach
+seiner und *von Buchs* Ansicht durch Erhebung entstehen. Aus der
+Anordnung der Vulkane wurde mit Recht auf das Vorhandensein von Spalten
+in der Erdkruste geschlossen. Über diesen Spalten entstanden nach der
+damals herrschenden Vorstellung die Vulkane aber weniger durch die
+Anhäufung von Schlacken und Lavaschichten. Sondern die vulkanische
+Tätigkeit sollte »formgebend und gestaltend[594] durch Erhebung des
+Bodens« wirken. Durch diese Tätigkeit entstehe eine blasenförmige
+Auftreibung des Bodens und endlich durch Sprengung des höchsten
+Teiles der »Erhebungskrater«. Die großen Vulkane dachten sich somit
+beide Forscher nicht durch Aufschüttung von Schlacken und Anhäufung
+von Laven, sondern gewissermaßen aus einem Stück erzeugt. Erst durch
+den großen Umschwung, den die Geologie durch *Lyell* und seine
+Schüler erfuhr, wurde die Bildung der Vulkane nicht aus plötzlichen
+Katastrophen, sondern durch einen allmählichen Aufbau erklärt.
+
+Mit den Vulkanen brachte *Humboldt* die Erscheinung des Erdbebens
+in engsten Zusammenhang, insofern er beide auf die gleiche Ursache
+zurückführte. Die in der Tiefe eingeschlossenen Dämpfe, denen die
+Entstehung und die Ausbrüche der Vulkane zugeschrieben wurden, sollten,
+wo sie keinen Ausgang finden, die Erschütterungen hervorrufen. Daher
+rührt auch sein auf eine Vorstellung *Strabons* zurückzuführendes Wort,
+daß die Vulkane als Sicherheitsventile zu betrachten seien. *Humboldt*
+führt als Beispiel einen südamerikanischen Vulkan an, dessen Tätigkeit
+plötzlich erlosch, während gleichzeitig in seiner Nachbarschaft eins
+der furchtbarsten Erdbeben stattfand.
+
+Haben sich auch manche Anschauungen über die Ursachen geologischer
+Vorgänge seit den Zeiten *Humboldts* und *Buchs* geändert, so dürfen
+wir doch nicht vergessen, daß diese Männer die wissenschaftliche
+Erforschung der Vulkane und der Erdbeben erst in Angriff genommen
+haben. Vor *Humboldts* südamerikanischer Reise waren der Vesuv
+und der Ätna die einzigen genauer untersuchten Vulkane[595]. Und
+hinsichtlich der Erdbeben hatte man weniger an die Erforschung der
+geologischen und der physischen Umstände als an die Aufzeichnung
+ihrer zerstörenden Wirkungen gedacht. *Humboldt* mit seinem auf
+Verallgemeinerung gerichteten Gedankenflug war es vor allem, der die
+verschiedenartigsten tellurischen Erscheinungen unter der Bezeichnung
+des Vulkanismus als die Ausflüsse ein und derselben Ursache auffassen
+lehrte. Sie alle bestanden in der Reaktion des heißen Erdinnern
+gegen die Rinde, mochten sie sich nun als bloße Erschütterungen, als
+Thermalquellen, Gasexhalationen, Schlamm- oder Vulkanausbrüche geltend
+machen. *Humboldt* lehrte all diese Erscheinungen als Abstufungen der
+vulkanischen Lebenstätigkeit unseres Planeten auffassen und verstand es
+von diesem hohen Gesichtspunkt aus, der Wissenschaft eine solche Fülle
+von Einzelbeobachtungen zuzuführen, wie es kaum ein anderer vor und
+nach ihm vermocht hat.
+
+
+
+
+22. Die Mineralogie unter dem Einfluß der chemisch-physikalischen
+Forschung.
+
+
+Wir befaßten uns mit der Mineralogie zuletzt im Schlußabschnitt des
+vorigen Bandes. Für *Linné* und *Werner* war die Mineralogie in der
+Hauptsache Mineralbeschreibung. Gegen das Ende des 18. Jahrhunderts
+wandten *Scheele* und *Bergman* ihre Aufmerksamkeit vorzugsweise der
+chemischen Zusammensetzung der anorganischen Naturkörper zu. Die
+großen Fortschritte der Physik und der Chemie, die wir in den ersten
+Abschnitten dieses Bandes kennen lernten, beeinflußten die weitere
+Entwicklung der Mineralogie in hohem Grade. Zwar beanspruchte nach wie
+vor die Form der Mineralien ein großes Interesse. An die Stelle der
+bloßen Beschreibung trat jetzt aber das Bestreben, die verwirrende
+Vielheit der Gestalten auf wenige Grundgesetze zurückzuführen.
+Gefördert wurde dieses Streben dadurch, daß in dem von *Wollaston*
+erfundenen Reflexionsgoniometer (1809) ein Werkzeug[596] zur genauen
+Untersuchung auch der kleineren Kristalle entstand.
+
+Von Bedeutung waren auch die Lehren *Hauys*. Nach *Hauy*[597]
+hängen das Gefüge und die Form eines Kristalles nur von der Gestalt
+der ihn zusammensetzenden Teilchen, sowie von deren Anordnung ab.
+Unter den Formen, in denen ein kristallisierter Stoff auftritt,
+gibt es nach ihm eine, die als die primitive betrachtet werden muß.
+Aus dieser lassen sich sämtliche Gestalten als sekundäre Formen
+ableiten. Als primitiv betrachtete *Hauy* die aus der Zertrümmerung
+des Kristalls hervorgehende Spaltform, auf deren Unveränderlichkeit
+er hinwies. Abb. 59 u. 60 zeigen, wie das Rhombendodekaeder und das
+Pentagondodekaeder durch verschiedenartigen Aufbau aus dem Würfel
+hervorgehen können[598]. Solche Betrachtungen führten *Hauy* zu der
+Entdeckung des die Kristallwelt beherrschenden Grundgesetzes von der
+Rationalität der Achsenabschnitte. Nach diesem Gesetz sind die Zahlen,
+nach denen die sekundären Formen aus der Grundform abgeleitet werden,
+stets rational und sehr einfach, z. B. 2, 3, 3/2 u. s. f. So läuft
+bei der am häufigsten vorkommenden Art des Pyramidenwürfels jede der
+24 Kristallflächen einer Achse parallel und schneidet die beiden
+anderen Achsen im Verhältnis 1 : 2. Die Bezeichnung für diese Form ist
+dementsprechend a : 2a: ∞a. Ferner kommen vor die Pyramidenwürfel a :
+3a : ∞a und a : 3/2a : ∞a (allgemein a : na : ∞a oder nach *Naumann*scher
+Bezeichnungsweise ∞ O n).
+
+[Illustration: Abb. 59. *Hauys* Ableitung des Rhombendodekaeders
+(*Hauy*, Traité de minéralogie. V. Pl. VIII).]
+
+[Illustration: Abb. 60. *Hauys* Ableitung des Pentagondodekaeders
+(*Hauy*, Traité de minéralogie. V. Pl. VIII.)]
+
+Während der ersten Dezennien des neunzehnten Jahrhunderts vollzog sich
+die festere Begründung der Kristallographie. *Weiß* entdeckte das
+Gesetz der Hemiedrie, nachdem schon vor ihm die Bemerkung gemacht
+worden war[599], das Pentagondodekaeder ((∞ O n)/2, n = 2, 3/2, 3 u.
+s. f.) mit seinen 12 Flächen gehe aus dem vierundzwanzigflächigen
+Pyramidenwürfel (∞ O n) hervor, wenn »die Gesetze nur zur Hälfte
+wirken«.
+
+*Weiß* und *Naumann* schufen fast zur selben Zeit, als *Berzelius*
+die chemische Zeichensprache ins Leben rief, jene einfachen, auf
+der Annahme von Achsen begründeten Bezeichnungen, die einen klaren
+Überblick über die Ergebnisse der kristallographischen Forschung
+ermöglichten und noch heute im Gebrauch sind.
+
+Seitdem in der mineralogischen Systematik die besonders durch
+*Berzelius*, *Bergman* und *Klaproth* geförderte chemische Richtung
+gesiegt hatte, lehrte die mit vielem Eifer betriebene Analyse
+zahlreiche neue Mineralien kennen, so daß ihre Zahl sich in dem
+Zeitraum von dem Tode *Werners* bis zum Erscheinen der Geschichte der
+Mineralogie *v. Kobells* (1817-1864) fast verdreifachte.
+
+Durch das Zusammenwirken von Analyse und Kristallbeschreibung
+gelangte man auch zur Entdeckung neuer wichtiger Beziehungen. Zwei
+bekannte Mineralien, Kalkspat und Aragonit, die man bis dahin oft
+verwechselt hatte, treten, wie *Hauy* nachwies, in Formen auf, die
+nicht aufeinander zurückgeführt werden können. Nun zeigte der um die
+Mineralanalyse sehr verdiente *Klaproth*[600], der Entdecker der
+Zirkon-, Uran- und Titanerde, daß beide Mineralien ihrer chemischen
+Natur nach dasselbe, nämlich Kalziumkarbonat, sind. Daß ein und
+dieselbe Substanz zwei verschiedene Mineralien bilden könne, wurde
+damals von vielen geradezu für unmöglich gehalten. Auch *Hauy*
+vermochte eine solche Annahme mit den von ihm entwickelten Ansichten
+nicht zu vereinigen. Man dachte daher zunächst, die Verschiedenheit
+in der Form und in den physikalischen Eigenschaften von Kalkspat und
+Aragonit werde durch Beimengungen hervorgebracht, und frohlockte, als
+man in dem Strontium einen regelmäßigen Bestandteil des Aragonits
+nachgewiesen zu haben glaubte. Bald darauf fand man jedoch Aragonit
+ohne einen Gehalt an Strontium und konnte sich nun nicht länger
+sträuben, die neuentdeckte Tatsache, welche man als Dimorphie
+bezeichnete, anzuerkennen.
+
+Auch das entgegengesetzte Verhalten, daß zwei Mineralien von
+verschiedener Zusammensetzung, wie Kalkspat und Eisenspat, in derselben
+Form kristallisieren, wurde beobachtet. *Hauy* glaubte indessen
+mathematisch beweisen zu können, daß verschiedene Stoffe, abgesehen
+von denjenigen, die regulär kristallisieren, nicht dieselbe Form
+besitzen können. Nach ihm sollte sich der Kalkspat unter Beibehaltung
+der Gestalt in Eisenspat umwandeln, also eine ähnliche Entstehung
+nehmen wie das versteinerte Holz. Daß es sich indessen hier nicht um
+Zufälligkeiten handelt, sondern daß die Kristallform enge Beziehungen
+zur chemischen Konstitution aufweist, diese Entdeckung und ihre
+allseitige Begründung verdanken wir dem genialen *Mitscherlich*, der
+auf fast allen Gebieten der Chemie und Mineralogie der Forschung neue
+Bahnen gewiesen hat.
+
+*Eilhard Mitscherlich* wurde 1794 in der Nähe von Jever geboren.
+Er wandte sich, angeregt durch den Historiker *Schlosser*, der auf
+dem Gymnasium zu Jever sein Lehrer war, zunächst der Philologie
+und der Geschichte zu. Mehr nebenbei betrieb er das Studium der
+Naturwissenschaften. *Mitscherlich* hatte das Glück, auf diesem
+Gebiete, wenige Jahre nachdem er es betreten, eine der wichtigsten
+Entdeckungen zu machen, die seinem ganzen ferneren Leben Richtung und
+Inhalt verliehen hat. Es war die schon erwähnte, später noch genauer
+zu besprechende Isomorphie ähnlich zusammengesetzter Mineralien und
+Präparate. *Mitscherlich* machte diese Entdeckung im Jahre 1818 in
+Berlin, wo bald darauf der große nordische Chemiker *Berzelius*
+vorübergehend weilte. Letzterer erkannte sofort die Bedeutung des
+jugendlichen Fachgenossen und bewog ihn, in Stockholm in seinem
+Laboratorium die in Berlin begonnenen Untersuchungen fortzusetzen.
+Im Jahre 1821 kehrte *Mitscherlich* nach Berlin zurück, wo man
+den 27jährigen Forscher dadurch zu fesseln wußte, daß man ihm die
+Mitgliedschaft der Akademie und die durch *Klaproths* Ableben erledigte
+Professur der Chemie übertrug. *Mitscherlich* starb in Berlin im Jahre
+1863.
+
+An früheren Beobachtungen, die zu *Mitscherlichs* Lehre von der
+Isomorphie hinüberleiten, ist kein Mangel. *Gay-Lussac* hatte gefunden,
+daß Kupfervitriol in der Form des Eisenvitriols kristallisiert, wenn
+letzterer in geringer Menge der Kupferlösung zugesetzt wird. Ferner
+war bekannt, daß im Alaun das Kalium durch Ammonium und durch Natrium
+vertreten werden kann. Anknüpfend an diese Erscheinung wies man darauf
+hin, daß auch im Mineralreich ein ähnliches Verhältnis vorkommt, das
+man mit dem Worte Vikariieren, d. h. sich gegenseitig vertreten,
+bezeichnete[601].
+
+Später (1819) zeigte *Mitscherlich*, daß die vikariierenden
+Bestandteile der Mineralien von analoger atomistischer Zusammensetzung
+sind und daß diese Analogie Gleichheit oder annähernde Gleichheit
+der Kristallform bedingt. *Mitscherlich* wies diese von ihm als
+Isomorphie bezeichnete Erscheinung besonders an künstlich dargestellten
+Verbindungen, z. B. an den Salzen, welche Phosphorsäure und Arsensäure
+mit demselben Metalle[602] bilden, nach. Auch Eisensulfat und
+Kobaltsulfat, sowie die mit 7 Molekülen Wasser kristallisierenden
+Sulfate von Magnesium, Nickel und Zink stimmen nach der Untersuchung
+*Mitscherlichs*[603] in ihrer Form vollkommen überein. An den Eisenspat
+schlossen sich Zink- und Manganspat als gleichfalls dem Kalkspat
+isomorphe Mineralien an. Aus den angeführten Beispielen geht schon
+zur Genüge hervor, daß es Verbindungen von ähnlicher chemischer
+Zusammensetzung sind, an denen sich Isomorphie beobachten läßt.
+
+Auf die Untersuchung der phosphorsauren und der arsensauren Salze
+wurde *Mitscherlich* dadurch geführt, daß *Berzelius* bei der
+Untersuchung der Säuren (Säureanhydride) des Phosphors und des
+Arsens eine Abweichung von der allgemeinen Regel gefunden hatte. Die
+Sauerstoffmengen, mit denen sich beide Elemente zu Säuren verbinden,
+verhalten sich nämlich, wie *Berzelius* fand, wie 3 zu 5 (P_{2}O_{3},
+P_{2}O_{5}; As_{2}O_{3}, As_{2}O_{5}).
+
+Als *Mitscherlich* im Jahre 1818 im Laboratorium zu Berlin mit der
+Nachprüfung dieser Proportionen beschäftigt war und zu diesem Zwecke
+auch die Salze der betreffenden Säuren untersuchte, war er überrascht,
+zu sehen, daß diese Salze sich in der Form zu gleichen schienen.
+*Mitscherlich* war damals mit den Methoden der Kristallographie
+noch nicht bekannt. Er bat deshalb *G. Rose*, den später so berühmt
+gewordenen Mineralogen, ihm bei der weiteren Untersuchung behilflich
+zu sein. In gemeinsamer Arbeit stellten beide darauf fest, daß
+phosphorsaure und arsensaure Salze von analoger Zusammensetzung in der
+Kristallform übereinstimmen.
+
+*Mitscherlich* kam durch seine Untersuchung zu dem allgemeinen
+Ergebnis[604], daß eine gleiche Anzahl von Atomen, wenn sie auf gleiche
+Weise verbunden sind, gleiche Kristallform hervorbringen, daß also
+die Kristallform nicht auf der Natur der Atome, sondern auf ihrer
+Anzahl und Verbindungsweise beruhe. Später erkannte er jedoch, daß
+neben der Zahl der elementaren Teilchen deren chemische Natur doch
+*mitbestimmend* ist.
+
+»Ich hoffe,« schloß *Mitscherlich* seine berühmte Abhandlung, in
+welcher er die Lehre von der Isomorphie begründete, »daß das Studium
+der Kristallisation ebenso bestimmt wie die chemische Analyse das
+Verhältnis der Bestandteile der Körper angeben wird.« Die Isomorphie
+wurde seitdem von *Mitscherlich* und von *Berzelius* auch umgekehrt
+dazu benutzt, um eine Übereinstimmung in dem atomistischen Aufbau der
+untersuchten Verbindungen nachzuweisen. Demgemäß erblickte *Berzelius*,
+welcher die Isomorphie als die wichtigste seit der Aufstellung der
+Lehre von den Proportionen gemachte Entdeckung bezeichnete, in den
+Mengen der sich entsprechenden Elemente (z. B. Kobalt und Eisen in
+ihren Sulfaten), die mit einer bestimmten Menge Sauerstoff verbunden
+sind, die relativen Atomgewichte. *Berzelius* wandte das neue
+Hilfsmittel auch als Prüfstein für die Zuverlässigkeit seiner eigenen
+Atomgewichtsbestimmungen in ausgedehnter Weise an. Das Ergebnis war
+sein berichtigtes Atomgewichtssystem vom Jahre 1821.
+
+*Mitscherlich* ist der Nachweis zu verdanken, daß die Dimorphie
+gleichfalls künstlich hervorgerufen werden kann und daß sie von den
+physikalischen Umständen abhängt, unter denen die Kristallisation
+vor sich geht[605]. So erhielt er Schwefel in verschiedenen Formen,
+je nachdem dies Element aus einer Lösung oder aus dem Schmelzfluß
+erstarrte. Ähnlich wurde später die Dimorphie von Calziumkarbonat
+erklärt[606]. Fällt man diese Substanz bei gewöhnlicher Temperatur,
+so weist sie die Gestalt des Kalkspats auf, während sich
+Aragonitkriställchen bilden, wenn der Niederschlag aus einer heißen
+Lösung entsteht.
+
+Eine neue Erweiterung erfuhr die Kristallographie durch *Mitscherlichs*
+Entdeckung, daß die Kristallform sich stetig, wenn auch wenig mit der
+Temperatur ändert und daß diese Änderung wieder in naher Beziehung
+zur Form der Kristalle, insbesondere zur Lage der Achsen steht. Die
+Untersuchung ergab im einzelnen folgendes: Die Kristalle des regulären
+Systems werden durch die Wärme nach allen Richtungen gleichstark
+ausgedehnt. Ihre Winkel wurden daher nicht geändert. Die Kristalle
+des hexagonalen Systems zeigen dagegen, wie *Mitscherlich* aus der
+Größe der beim Erwärmen eintretenden Winkeländerung bestimmte, in der
+Richtung der Hauptachse ein anderes Verhalten wie in der Richtung der
+Nebenachsen. Die Kristalle des rhombischen Systems endlich werden
+entsprechend der Verschiedenheit ihrer drei Achsen auch nach allen drei
+Richtungen von der Wärme in verschiedenem Maße beeinflußt. Durch diese
+thermische Untersuchung der Kristalle, welche durch die Prüfung ihres
+optischen Verhaltens seitens anderer Forscher eine Ergänzung erfuhr,
+wurde eine der Grundlagen für die physikalische Kristallographie
+geschaffen.
+
+Auch die so junge, aber erfolgreiche Wissenschaft der Mineralsynthese,
+die sich mit der künstlichen Erzeugung von Mineralien beschäftigt,
+um die Bedingungen kennen zu lernen, unter denen ihre natürliche
+Entstehung vor sich geht, wurde durch *Mitscherlich* mitbegründet[607].
+Als ein wichtiges Mittel für die Mineralsynthese erkannte er den
+Schmelzfluß. Er wies nach, daß die in den Schlacken vorkommenden
+Kristallbildungen häufig mit bekannten Mineralien, wie Glimmer und
+Augit, identisch sind.
+
+Hand in Hand mit all diesen Untersuchungen ging eine stete Verbesserung
+der Methoden und der Apparate. Unter letzteren ist insbesondere
+*Mitscherlichs* Fernrohrgoniometer zu nennen, das an Genauigkeit der
+Winkelmessungen das *Wollaston*sche Goniometer erheblich übertraf.
+
+*Mitscherlichs* Arbeiten auf dem Gebiete der reinen Chemie betrafen vor
+allem die organischen Verbindungen; sie werden an anderer Stelle zu
+behandeln sein. Hier sei jedoch noch seine Untersuchung des Mangans
+erwähnt, welche die Mangansäure und die Übermangansäure kennen lehrte.
+
+Die Verdienste *Klaproths* liegen in erster Linie auf dem Gebiete
+der Mineralchemie. Wir wollen ihrer hier noch im einzelnen gedenken,
+wie wir es soeben hinsichtlich *Mitscherlichs* Arbeiten getan haben.
+Das Wirken dieser beiden Männer zeigt am besten, welch hohe Stufe
+die chemische und die mineralogische Forschung am Ende des 18. und
+während der ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts auch in Deutschland
+erreicht hatten. Martin Heinrich *Klaproth* wurde 1743 in Wernigerode
+geboren. Er ist wie viele große Chemiker der früheren Zeit aus der
+pharmazeutischen Laufbahn hervorgegangen. *Klaproth* wirkte in Berlin
+als Apotheker und hielt dort Vorlesungen über Chemie. Nach der Gründung
+der Berliner Universität im Jahre 1810 wurde ihm die erste Professur
+für Chemie an dieser Hochschule übertragen. Gleichzeitig war er
+Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Er starb in Berlin im Jahre
+1817.
+
+*Klaproth* hat für die Mineralchemie fast dieselbe Bedeutung, wie
+sie *Lavoisier* für die allgemeine Chemie besitzt. Er eröffnete auf
+jenem Gebiete, dem er sich seit dem Jahre 1785 mit unermüdlichem Eifer
+widmete, das Zeitalter der quantitativen Untersuchungsweise. Nachdem
+die antiphlogistische Theorie in Deutschland bekannt geworden, war
+*Klaproth* einer der ersten, der sie einer gründlichen Nachprüfung
+unterwarf und seitdem -- es war im Jahre 1792 -- für die Beseitigung
+der in Deutschland herrschenden *Stahl*schen Lehre eintrat. Zu den
+ersten, die *Klaproth* von der Richtigkeit der *Lavoisier*schen Lehre
+zu überzeugen vermochte, gehörte *Alexander von Humboldt*.
+
+An Genauigkeit der Arbeitsweise und Gewissenhaftigkeit kommt unter den
+Forschern, die im Beginn des 19. Jahrhunderts die Führung übernahmen,
+dem Deutschen *Klaproth* nur der Schwede *Berzelius* gleich. Wie
+letzterer durch tausende von sorgfältigen Analysen sichere Grundlagen
+für das Gebiet der allgemeinen Chemie zu schaffen wußte, so war
+*Klaproth* mit gleichem Erfolge auf der enger begrenzten Domäne
+der Mineralchemie tätig. Bei diesen Untersuchungen konnte es nicht
+ausbleiben, daß er das Lehrgebäude der allgemeinen Chemie um manche
+wichtige Tatsache bereicherte. Hatte er doch das Glück, bei seinen
+Untersuchungen seltener Mineralien vier neue Elemente zu entdecken.
+»Wenn man bedenkt, wie selten einem Chemiker das Glück zuteil wird,
+ein einziges Element aufzufinden, so wird es begreiflich erscheinen,
+wie sehr *Klaproths* Entdeckung von vier Elementen seinen Zeitgenossen
+imponieren mußte«[608]. Es war im Jahre 1789, als *Klaproth* in der
+neuerdings durch die Radiumforschung so bekannt gewordenen Pechblende
+ein neues Metall entdeckte. Er nannte es zur Erinnerung an die in
+jenen Zeitraum fallende Auffindung des Planeten Uranus Uranium. In
+Wahrheit handelte es sich allerdings bei *Klaproths* Arbeit um eine
+Sauerstoffverbindung dieses Metalles, dessen Reindarstellung erst im
+Jahre 1842 gelang[609]. Im Jahre 1789 entdeckte *Klaproth* in dem
+Mineral Zirkon die Zirkonerde. Die Abscheidung des Metalles Zirkonium
+gelang *Berzelius* vermittelst einer Methode, welche auf der ganz
+außerordentlichen Fähigkeit des Kaliums, die Verbindungen anderer
+Metalle zu zersetzen, beruht. Etwas später (1795) entdeckte *Klaproth*
+einen neuen Metallkalk in dem Mineral Rutil. Er nannte das dem Kalk
+zugrunde liegende Metall Titanium. Aus der Titanverbindung das Metall
+abzuscheiden, gelang gleichfalls erst *Berzelius* mit Hilfe der
+erwähnten Methode. In dem in Schweden vorkommenden Silikat Cerit fanden
+beide Forscher gleichzeitig (1795) die Cererde, die jedoch wieder erst
+*Berzelius* als das Oxyd eines Metalls erkannte.
+
+Erwähnenswert sind ferner *Klaproths* Versuche, bei denen er eine
+Anzahl von Mineralien der höchsten ihm zu Gebote stehenden Glut des
+Porzellanofens aussetzte. Dabei zeigte es sich, daß man gewisse
+Stoffe, wie Kalk und Bittererde, bislang nur deshalb für schmelzbar
+gehalten hatte, weil sie sich mit der Masse des Schmelztiegels zu
+einer in der Weißglut schmelzenden Substanz verbinden. Für mehr als
+200 Mineralien hat *Klaproth* die sorgfältigsten Analysen angestellt.
+Die betreffenden, in der Literatur zerstreuten Arbeiten wurden zu
+einem umfangreichen Werk vereinigt, das er (1795-1810) unter dem
+Titel: »Beiträge zur chemischen Kenntnis der Mineralkörper« herausgab.
+Damit hat *Klaproth* den Grund zu der Gruppierung der Mineralien nach
+chemischen Gesichtspunkten gelegt.
+
+Auch einen wichtigen methodischen Fortschritt verdankt man *Klaproth*.
+Vor ihm war es die Gepflogenheit der Analytiker, als Ergebnis ihrer
+Untersuchungen korrigierte Werte und nicht die unmittelbar durch den
+Versuch gewonnenen Daten mitzuteilen. *Klaproth* dagegen teilte seine
+Analysen ohne jede Voreingenommenheit und ohne den Versuch einer
+Abrundung mit. Auf diese Weise ließ sich das Gewicht der Bestandteile
+mit dem Gesamtgewicht der untersuchten Substanz vergleichen. Verluste
+oder Überschüsse waren jedem Fachgenossen ersichtlich und dadurch war
+einer Kritik der angewandten Methode die beste Handhabe gegeben. Aus
+dieser Kritik -- und das war die günstige Rückwirkung, welche die
+Verbesserung der Methode hier wie in allen ähnlichen Fällen auf die
+Wissenschaft ausgeübt hat -- entsprangen neue Untersuchungen, die zur
+Verbesserung des analytischen Verfahrens, zur Berichtigung von Fehlern,
+zu immer neuen Entdeckungen, kurz zur Vertiefung und Vermehrung des
+Wissensschatzes führten.
+
+Wie der chemische Aufbau, so wurde auch das physikalische und zwar
+insbesondere das optische Verhalten mit der Form der Mineralien in
+Beziehung gebracht. Als *Huygens* seine Abhandlung über das Licht
+schrieb, war die Doppelbrechung nur am isländischen Kalkspat und am
+Quarz bekannt. Später entdeckte man sie auch an anderen Substanzen,
+indem man von kleinen Körpern, z. B. von der Spitze einer Nadel, ein
+doppeltes Bild erhielt. War der Richtungsunterschied der Strahlen
+nur klein, so entging er entweder gänzlich der Beobachtung, oder
+das Ergebnis war ein zweifelhaftes. Dies wurde anders, als *Arago*
+die chromatische Polarisation auffand[610]. Jetzt genügte es, ein
+dünnes Blättchen im polarisierten Licht zu untersuchen, um über die
+Beschaffenheit des betreffenden Minerales Aufschluß zu erlangen.
+
+Die Beziehung zwischen der Kristallform und dem optischen Verhalten
+konnte seitdem nicht länger verborgen bleiben. Man erkannte, daß
+alle regulären Substanzen das Licht einfach brechen, aber durch
+Zusammenpressen doppeltbrechend gemacht werden können. Eine derartige
+gewaltsame Änderung konnte nur bewirkt haben, daß die Moleküle in der
+einen Richtung einander genähert, in einer dazu senkrechten voneinander
+entfernt wurden, daraus schloß man, daß die Anordnung der Moleküle die
+Ursache des optischen Verhaltens der doppeltbrechenden Kristalle sei.
+
+
+
+
+23. Die Aufstellung eines natürlichen Pflanzensystems.
+
+
+Wie für die chemisch-physikalische Forschung, so begann auch für die
+beschreibenden Naturwissenschaften gegen das Ende des 18. Jahrhunderts
+eine neue Zeit. Während der auf *Linné* folgenden Jahrzehnte waren alle
+Bemühungen so sehr auf die Ausfeilung des von diesem Manne geschaffenen
+Systems gerichtet, daß das eigentliche Ziel der Naturforschung, welches
+doch in der Erkenntnis des Zusammenhanges der Erscheinungen besteht,
+darüber fast aus dem Auge verloren wurde. Endlich besann man sich,
+daß man in dem künstlichen System nichts mehr als ein bloßes Register
+besitze und von der Erreichung jenes Zieles noch unendlich weit
+entfernt sei. Diese Einsicht begegnet uns zunächst nur in einzelnen
+hervorragenden Köpfen. Wie die Neugestaltung der Chemie, so nahm die
+Umbildung der beschreibenden Naturwissenschaften ihren Ursprung in
+Frankreich, dem Lande, das gleichzeitig mit der größten Entfaltung
+seiner Volkskraft den belebendsten Einfluß auf die Wissenschaften
+ausgeübt hat.
+
+Die Forderung, daß das System die Verwandtschaft zum Ausdruck bringen
+solle, hatte schon *Linné* erhoben. Er bildete bereits eine Anzahl von
+Gruppen, die natürlichen Verwandtschaftskreisen entsprachen. Diese
+Gruppen umfaßten jedoch nicht das gesamte Pflanzenreich. Sie wurden
+von *Linné* ferner nur benannt und aufgezählt. Kurz, das Ganze war
+ein bloßer Versuch, der zu einer Fortsetzung in der eingeschlagenen
+Richtung ermuntern sollte.
+
+*Linnés* System hatte in Frankreich weniger Eingang gefunden als in
+anderen Ländern. In Frankreich waren es besonders *Adanson*, sowie
+der ältere und der jüngere *de Jussieu*, welche die Grundlagen des
+natürlichen Pflanzensystems schufen.
+
+*Adanson*[611] versuchte, durch eine außerordentlich umfassende
+Induktion zu einem Einblick in die natürliche Verwandtschaft zu
+gelangen. Er ordnete die Pflanzen zunächst nach der Beschaffenheit
+eines Organs und erhielt dadurch ein künstliches System. Dann
+gruppierte er die Pflanzen ein zweites Mal, indem er ein anderes Organ
+zugrunde legte. Indem er dies oft wiederholte, gelangte er jedesmal
+zu einem neuen künstlichen System[612]. Sein leitender Gedanke
+war nun der, daß die natürliche Verwandtschaft aus dem Vergleich
+dieser künstlichen Systeme hervorleuchten müsse. In je mehr Systemen
+nämlich die Arten nahe beieinander ständen, um so größer sei ihre
+Verwandtschaft. Bei *Adanson* begegnet uns auch schon die Ansicht, daß
+die Arten durchaus nicht unveränderliche Formen seien.
+
+Im engen Anschluß an den von *Linné* herrührenden Versuch stellte
+*Bernard de Jussieu* (1699-1777, Professor am Jardin royal in Trianon)
+seine Gruppen auf. *Jussieu* dehnte die Einteilung nach natürlichen
+Verwandtschaftsverhältnissen, die er auch in den Anpflanzungen des
+Jardin royal zum Ausdruck brachte, mit den Kryptogamen beginnend
+und daran die Monokotylen, die Dikotylen und endlich die Koniferen
+anschließend, über das gesamte Pflanzenreich aus. Sein System umfaßte
+14 Klassen. Die erste enthielt sämtliche Kryptogamen, die er als
+Akotyledonen bezeichnete. Die Monokotyledonen wurden, je nachdem
+die Staubfäden auf dem Blütenboden stehen, mit der Blütenhülle oder
+mit dem Fruchtknoten (Orchideen) verwachsen sind, in drei Klassen
+eingeteilt. Die Dikotyledonen zerfielen in die großen, nach der
+Beschaffenheit der Krone gebildeten Unterabteilungen der Apetalen
+(Blumenblattlose), der Monopetalen (Blumenkrone aus einem Stück
+bestehend) und der Polypetalen (mit mehreren Kronenblättern). Sie
+wurden nach den Stellungsverhältnissen von Blumenkrone, Staubgefäßen
+und Fruchtknoten wieder in Klassen eingeteilt. Das System *Bernard
+de Jussieus* beruhte auf der Verknüpfung der natürlichen mit einer
+künstlichen Anordnung. Es wurde durch seinen Neffen *Antoine Laurent
+de Jussieu* weiter ausgebaut. *Antoine Laurent de Jussieu* (1748-1836)
+war Professor am Jardin des Plantes zu Paris. Sein Verdienst besteht
+darin, daß er die Anzahl der natürlichen Gruppen (Familien) nicht nur
+vergrößerte, sondern die jeder Gruppe gemeinschaftlichen Merkmale, die
+Familiencharaktere, klar erkannte und scharf hervorhob.
+
+Ihre wertvollste Stütze erhielten die Bemühungen *A. L. de Jussieus*
+durch den deutschen Botaniker *Gärtner*, der gleich *Kölreuter* und
+*Sprengel* im eigenen Vaterlande kaum verstanden und gewürdigt wurde.
+
+*Joseph Gärtner*[613] hat in dem Bestreben, das natürliche System
+begründen zu helfen, die erste wissenschaftliche Morphologie der
+Früchte und der Samen geliefert. Die Zahl der von ihm hinsichtlich
+dieser Teile genau untersuchten Pflanzengattungen beläuft sich auf
+über tausend. Zu den wichtigsten Ergebnissen seiner Arbeit gehört
+die Erkenntnis, daß die Sporen der Kryptogamen und die Samen der
+Blütenpflanzen grundverschiedene Gebilde sind. Er zeigte, daß die
+eigentlichen Samen stets einen Embryo (Keimling) enthalten. Die
+Lage dieses Keimlings, die Richtung seiner Wurzel und die Zahl und
+Gestalt der Keimblätter machte er zum Gegenstande der eingehendsten
+Untersuchung, um auf die gefundenen Besonderheiten dann wieder
+Familiencharaktere zu gründen. Dabei verfiel er nie in einseitige
+Bevorzugung der von ihm auf diese Weise gefundenen Merkmale, sondern er
+betrachtete sie als zwar wichtige, indessen keineswegs als die einzigen
+für die natürliche Einteilung der Pflanzenwelt zu verwertenden Mittel.
+Erwähnt sei noch, daß bei dieser, im übrigen ganz im Sinne der modernen
+Naturwissenschaft geführten Untersuchung, stets nur die fertigen
+Gebilde betrachtet wurden und *Gärtner* kaum daran dachte, auch die
+Entwicklung der von ihm untersuchten Organe zu verfolgen[614]. Dieser
+Weg, auf dem sich die tiefste Einsicht in die verwandtschaftlichen
+Beziehungen der Organismen eröffnen sollte, blieb einem späteren
+Zeitalter vorbehalten.
+
+*Gärtners* großes Werk mit seinen zahlreichen, sorgfältig ausgeführten
+Kupfertafeln, dem er die Arbeit seines Lebens gewidmet, fand in
+Frankreich die höchste Anerkennung. Geradezu mit Begeisterung wurde es
+von *A. L. de Jussieu* aufgenommen, der bei seinen Untersuchungen über
+die Gattungs- und Familiencharaktere sehr oft auf *Gärtners* Werk »Über
+die Früchte und Samen der Pflanzen« zurückgriff.
+
+*A. L. de Jussieus* System beginnt mit den Akotyledonen (Kryptogamen),
+welche die Gruppen der Pilze, Algen, Moose und Farne umfassen.
+Die Monokotyledonen werden nach der Stellung der Staubgefäße zu
+dem Fruchtknoten in drei Reihen zerlegt. Sie umfassen insgesamt 16
+Familien, von denen wir als die bekanntesten die Gräser, Palmen,
+Lilien, Narzissen und Orchideen anführen. Die Dikotyledonen teilt
+*Jussieu* zunächst nach der Beschaffenheit der Blumenkrone in die
+Hauptgruppen der Apetalen, Monopetalen und Polypetalen, je nachdem die
+Kronenblätter fehlen, verwachsen oder frei sind. Nach der Stellung
+des Fruchtknotens zur Krone oder den Staubgefäßen zerfallen diese
+Hauptgruppen dann wieder in Unterabteilungen.
+
+So gehören die Lippenblüter (Labiatae) mit 14 anderen Familien
+zu einer solchen Unterabteilung. Einige von diesen Familien sind
+die Nachtschattengewächse, die Rauhblättrigen (Borragineen), die
+Windengewächse, die Enziangewächse (Gentianeen) usw. Das Gemeinsame
+dieser 15 Familien besteht darin, daß die Krone der Blütenachse
+unterhalb des Fruchtknotens eingefügt ist. Gleichzeitig ist die Krone
+bei diesen 15 Familien verwachsenblättrig; letztere werden daher mit
+anderen Gruppen von Familien zur Abteilung der Verwachsenblättrigen
+(Monopetalen) zusammengefaßt. Den Monopetalen gleichwertig sind die
+Polypetalen (Vielkronenblättrige) und die Apetalen (Kronenblattlose).
+Das System nennt unter den Polypetalen die Doldengewächse
+(Umbelliferae), die Hahnenfußgewächse (Ranunculaceae), die
+Kreuzblüter (Cruciferae), die Rosengewächse (Rosaceae), die
+Schmetterlingsblüter (Papilionaceae) und andere hervorragend wichtige
+natürliche Gruppen. Im ganzen umfaßt es 100 solcher Familien, von denen
+auf die Vielkronenblättrigen allein fast die Hälfte entfallen. Die
+letzte Familie bilden die Coniferen.
+
+Dieses System vom Jahre 1789 hat zwar manche Verbesserung erfahren, ist
+aber doch die Grundlage für alle späteren systematischen Anordnungen
+geblieben, unter denen diejenige Decandolles in erster Linie
+hervorgehoben werden muß.
+
+*Augustin Pyrame Decandolle* wurde 1778 in Genf geboren. Seine
+Vorfahren stammten aus Südfrankreich. In Genf wirkten um 1800 eine
+Anzahl hervorragender Naturforscher, die sich mit physikalischen und
+physiologischen Untersuchungen beschäftigten. Unter ihnen sind vor
+allem *de Saussure* und *Senebier* zu nennen. Durch diese Männer
+wurde *Decandolle* der Pflanzenphysiologie zugeführt. Ein Jahrzehnt
+(1798-1808) verbrachte *Decandolle* in Paris, das damals der glänzende
+Mittelpunkt der exakten Naturforschung war. Ihrem Geist und ihrer
+Methode konnte sich auch die Botanik nicht länger entziehen. Und
+*Decandolle* war es vor allem zu danken, daß sich diese Wandlung nicht
+auf die Physiologie beschränkte, sondern sich auch auf die Morphologie
+ausdehnte. Von letzterer aus wurde endlich auch die Systematik mit
+dem Geiste echter Naturforschung befruchtet, der in Frankreich an
+der Schwelle des 19. Jahrhunderts auf so vielen Gebieten und in so
+zahlreichen Männern sieghaft und die letzten Spuren der Scholastik
+hinwegfegend zum Durchbruch kam.
+
+An *Decandolles* Pariser Aufenthalt schlossen sich botanische Reisen
+durch Frankreich und die benachbarten Länder. Die letzten 25 Jahre
+seines Lebens verbrachte er wieder in Genf. Er starb dort 1841.
+
+Wir haben in diesem Abschnitt *Decandolles* Verdienste um die
+Entwicklung der morphologischen Grundbegriffe und um die Systematik zu
+betrachten und werden uns erst an späterer Stelle mit den Ergebnissen
+seiner pflanzenphysiologischen Arbeiten beschäftigen.
+
+Die Grundlagen für die heutige Morphologie veröffentlichte
+*Decandolle* im Jahre 1813 in seinen »Theoretischen Anfangsgründen
+der Botanik«[615]. Eine erweiterte Darstellung unter gleichzeitiger
+Berücksichtigung der Pflanzenanatomie erfuhren diese Grundzüge 1827
+in der Organographie[616]. Wir wollen der hier folgenden Darstellung
+dieses spätere Werk zugrunde legen. *Decandolle* vermehrte die Zahl
+der Familien von 100 (*Jussieu*) auf 161 und lieferte in Gemeinschaft
+mit einer Anzahl Fachgenossen eine ausführliche Beschreibung aller
+bis dahin bekannt gewordenen Pflanzenarten, das großartigste
+Unternehmen, welches die botanische Systematik aufzuweisen hat. In
+diesem, Prodromus systematis naturalis betitelten Sammelwerk hat
+*Decandolle* allein etwa 100 Familien bearbeitet. Das Erscheinen des
+Werkes erstreckte sich über eine Reihe von Jahrzehnten (1824-1873). Die
+Fortführung übernahm mit dem 8. Bande *Decandolles* Sohn *Alphons*,
+dem er sein Herbarium und seine Bibliothek vermacht hatte. Den
+Wert dieser umfangreichen systematischen Arbeit erkennt einer der
+hervorragendsten Geschichtsschreiber der neueren Botanik mit folgenden
+Worten an: »Es ist nicht wohl möglich, von dem in solchen Arbeiten
+liegenden Verdienst in Kürze Rechenschaft zu geben. Sie bilden eben die
+eigentlich empirische Grundlage der gesamten Botanik, und je besser
+und umsichtiger diese gelegt ist, desto größere Sicherheit gewinnt die
+ganze Wissenschaft in ihren Fundamenten«[617].
+
+Es gelang *Decandolle* indes ebensowenig wie *Jussieu*, eine scharfe
+Bestimmung und richtige Bewertung der Hauptgruppen des Pflanzenreiches
+zu geben. Dieses wurde erst dadurch ermöglicht, daß man sich nach dem
+Wiederaufleben der lange vernachlässigten mikroskopischen Forschung den
+schwer zugänglichen Formverhältnissen der Kryptogamen zuwandte. Jetzt
+erst wurde es klar, daß die schon von *Ray* in Vorschlag gebrachte
+Gegenüberstellung dieser Gruppe der Gesamtheit der übrigen Pflanzen
+gegenüber berechtigt ist und daß die großen Abteilungen, in welche
+die Kryptogamen zerfallen, den Monokotyledonen und den Dikotyledonen
+gleichwertig sind.
+
+*Decandolles* Mißgriff bestand darin, daß er seine Gruppierung auf das
+Vorhandensein und das Fehlen von Gefäßbündeln gründete. So kam es,
+daß in seinem System den Monokotylen die Gefäßkryptogamen beigesellt
+wurden. Bei diesen beiden Gruppen erblickte er das Gemeinsame in dem
+Umstande, daß sie nicht wie die Dikotylen ein am Umfange des Stammes
+vor sich gehendes Dickenwachstum aufweisen. Die Dikotylen wurden aus
+diesem Grunde als exogen, die beiden anderen Gruppen, für die er
+ein im Innern des Stammes vor sich gehendes, wenn auch beschränktes
+Dickwachstum annahm, als endogen bezeichnet.
+
+Die größte aller Gruppen des Pflanzenreichs, die Dikotylen, wurde
+wieder nach der Beschaffenheit der Blütenhülle (einfach oder doppelt)
+in zwei Untergruppen eingeteilt. War das gewählte Merkmal auch ein
+künstliches, so waren doch innerhalb dieser Untergruppen Vereinigungen
+von Familien (Reihen) möglich, die natürliche Verwandtschaft zu
+besitzen schienen.
+
+Den Begriffen »natürliches System« und »natürliche Verwandtschaft«
+fehlte indes gänzlich der reale Sinn, den erst die moderne
+Abstammungslehre in sie hineintragen konnte. Dazu kam, daß sich
+*Decandolle* die Beziehungen der von ihm geschaffenen Gruppen unter
+einem Bilde vorstellte, das recht ungeeignet war, den Gedanken an eine
+wirkliche, durch Abstammung bedingte Verwandtschaft vorzubereiten oder
+gar aufkommen zu lassen. Während man sich vor ihm das System wohl unter
+dem Bilde einer geraden Linie vorgestellt hatte, verglich *Decandolle*
+es nämlich mit einer geographischen Karte, in welcher die Erdteile den
+größten, the Staaten, Provinzen usw. den kleineren Gruppen entsprächen.
+Nach diesen Ausführungen stellt sich das von *Decandolle* geschaffene
+Pflanzensystem folgendermaßen dar:
+
+ I. *Gefäßpflanzen.*
+
+ 1. Exogene Pflanzen (Dikotylen).
+
+ A. mit Kelch und Krone
+
+ α) Kronenblätter frei und über dem Fruchtknoten
+ stehend.
+
+ β) Kronenblätter frei und um den Fruchtknoten stehend.
+
+ γ) Kronenblätter verwachsen.
+
+ B. mit einfachem Perigon
+
+ 2. Endogene Gefäßpflanzen.
+
+ α) Die Monokotylen.
+
+ β) Die Gefäßkryptogamen.
+
+ II. *Zellenpflanzen.*
+
+ α) Beblätterte Zellenpflanzen (Moose).
+
+ β) Blattlose Zellenpflanzen (Tallophyten).
+
+Die Lehre von der Sexualität der Pflanzen tauchte gegen das Ende des
+17. Jahrhunderts auf und errang nach vielem Widerstreit in der ersten
+Hälfte des 18. Jahrhunderts allgemeine Anerkennung. Schon in diesem
+Zeitraum setzen die Bemühungen ein, die Gültigkeit der Sexualtheorie
+auch für die an letzter Stelle genannten Gefäßkryptogamen, Moose
+und Tallophyten nachzuweisen. Man suchte Staubgefäße zwischen den
+Lamellen der Blätterpilze[618], deutete gewisse Teile der Moose als
+Fortpflanzungsorgane und glaubte auch deutliche Anzeichen für die
+Sexualität der Tange bemerkt zu haben[619]. Ihre volle Aufklärung fand
+die Frage nach der Fortpflanzung der Kryptogamen jedoch erst durch die
+erhöhte Leistungsfähigkeit der Mikroskope und die damit Hand in Hand
+gehende Ausbildung der mikroskopischen Technik im Verlaufe des 19.
+Jahrhunderts.
+
+Das Verständnis für die natürliche Verwandtschaft, die bei *Jussieu*
+und *Decandolle* ein bloßer, mit dem Dogma von der Konstanz
+der Arten schwer vereinbarer Begriff geblieben war, wurde erst
+ermöglicht, als das in den vierziger Jahren beginnende Studium der
+Entwicklungsgeschichte im Verein mit der Lehre vom Transformismus dem
+Worte »Verwandtschaft« einen neuen Sinn verlieh und das System als das
+Endergebnis einer zusammenhängenden, von einem gemeinsamen Ursprung
+ausgehenden Folge von Entwicklungsvorgängen erschien.
+
+Auch durch die vergleichende Betrachtung der Formen kam man auf dem
+Gebiete der Botanik zu wertvollen Ergebnissen. Während *Jussieu* und
+*Decandolle* durch eine solche sich über die Gesamtheit der Arten
+erstreckende Betrachtung zur Aufstellung des natürlichen Systems
+gelangten, spürten *Wolff* und *Goethe* den Beziehungen zwischen den
+einzelnen Organen der Pflanze nach und brachten diese Beziehungen in
+ihrer Lehre von der Metamorphose zum Ausdruck. Den Grundgedanken dieser
+Lehre hat *Wolff* in folgenden Worten ausgesprochen: »In der ganzen
+Pflanze, deren Teile wir beim ersten Anblick als so außerordentlich
+mannigfaltig bewundern, sehe ich, nachdem ich alles reiflich erwogen,
+schließlich nichts anderes als Blätter und Stengel«.
+
+Die Wurzel faßte *Wolff* als einen Teil, gleichsam als die Fortsetzung,
+des Stengels auf und auch die Kotyledonen wurden von ihm als
+blattartige Gebilde, nämlich als die ersten und untersten Blätter
+gedeutet. Derselbe Gedanke[620] wurde von *Goethe* in seinem »Versuch
+über die Metamorphose der Pflanzen« bis ins einzelne ausgeführt[621].
+
+Ein jeder, der das Wachstum der Pflanzen sorgfältig beobachtet, sagt
+*Goethe*, werde leicht bemerken, daß gewisse äußere Teile sich
+manchmal verwandeln und in die Gestalt der nächstliegenden Teile bald
+ganz, bald mehr oder weniger übergehen. So verändere sich z. B. die
+einfache Blume in eine gefüllte, wenn sich anstatt der Staubgefäße
+Blumenblätter entwickeln. Die Samenlappen lassen sich nur als die
+ersten, meist noch sehr einfachen Blätter des ersten Knotens deuten.
+Die Ausbildung des Blattes schreitet nach oben von Knoten zu Knoten
+fort. Daß die Teile des Kelches dieselben Organe sind, die sich
+vorher als Stengelblätter sehen lassen, erkenne man deutlich. Auch
+die Verwandtschaft der Krone mit den Stengelblättern lasse sich nicht
+verkennen.
+
+Selbst in den Samenbehältern könne man, schließt *Goethe* seine
+Betrachtung, ungeachtet ihrer mannigfaltigen Bildung, ihrer besonderen
+Bestimmung und Verbindung die Blattgestalt nicht verkennen. »So wäre
+z. B. die Hülse ein einfaches, an den Rändern verwachsenes Blatt. Die
+zusammengesetzten Gehäuse erklären sich aus mehreren Blättern, die sich
+um einen Mittelpunkt vereinigt und ihre Ränder miteinander verbunden
+haben.«
+
+Diese Gedanken sind auch noch heute der Ausgangspunkt der
+morphologischen Betrachtungsweise, so daß *Goethe*, dessen
+naturwissenschaftliche Arbeiten zum Teil erhebliche Schwächen[622]
+aufweisen und überhaupt nur unter Berücksichtigung der Eigenart
+ihres Verfassers betrachtet werden dürfen, sich hier ein bleibendes
+Verdienst erworben hat. *Wolff* und *Goethe* haben den Begriff
+»Metamorphose«, wie die gleichzeitig lebenden Systematiker den Begriff
+»Verwandtschaft«, zunächst als etwas Bildliches aufgefaßt[623]. Doch
+läßt sich nicht verkennen, daß *Goethe* mit seinem intuitiven Denken
+später den Transformismus, d. h. die Lehre von dem wirklichen, im Lauf
+der Zeit erfolgten Entstehen der einen Form aus der anderen vorahnte.
+So heißt es in seiner »Geschichte meines botanischen Studiums«: »Das
+Wechselhafte der Pflanzengestalt erweckte bei mir die Vorstellung, die
+uns umgebenden Pflanzenformen seien nicht ursprünglich determiniert
+und festgestellt, ihnen sei vielmehr eine glückliche Mobilität und
+Biegsamkeit verliehen, um in so viele Bedingungen, die über den
+Erdkreis auf sie einwirken, sich zu fügen und danach sich bilden und
+umbilden zu können.«
+
+
+
+
+24. Die Physiologie der Pflanzen unter dem Einfluß der neueren
+chemisch-physikalischen Forschung.
+
+
+Im Anschluß an die Systematik und die Morphologie der Pflanzen wenden
+wir uns jetzt der Physiologie dieser Lebewesen zu. Unter den Forschern,
+die sich bemühten, die Abhängigkeit des pflanzlichen Organismus von
+physikalischen Kräften darzutun, ist besonders *Knight* zu nennen.
+An seinen Namen knüpft sich die Entdeckung der als Geotropismus,
+Hydrotropismus und Heliotropismus bekannten Erscheinungen.
+
+*Thomas Andrew Knight* wurde 1759 in einer kleinen Ortschaft des
+westlichen Englands geboren. Nachdem er in Oxford studiert hatte,
+übernahm er ein kleines Gut und widmete sich dem Gartenbau und der
+Landwirtschaft. Im Verkehr mit *Banks*, dem Präsidenten der Royal
+Society, und anderen Naturforschern bemerkte *Knight*, daß er bei
+seiner engen und steten Fühlung mit der Natur vieles beobachtet habe,
+was den zünftigen Forschern bisher entgangen war. *Banks* regte
+*Knight* darauf an, seine Untersuchungen in den Abhandlungen der Royal
+Society zu veröffentlichen. Die pflanzenphysiologischen Arbeiten
+*Knigths* wurden neuerdings ins Deutsche übersetzt[624]. *Knight* starb
+im Jahre 1838.
+
+Seine für die Lehre vom Geotropismus grundlegende Arbeit »über die
+Richtung der jungen Wurzel und des jungen Stengels bei der Keimung«
+erschien im Jahre 1806. Als Ursache der Erscheinung, daß die
+Wurzel nach dem Mittelpunkt der Erde, der Stengel dagegen nach der
+entgegengesetzten Richtung wächst, hatte man schon vor *Knight* die
+Schwerkraft vermutet. Der experimentelle Nachweis hierfür, sagte sich
+dieser Forscher, wird sich am sichersten dadurch führen lassen, daß
+man die wachsende Pflanze bei Ausschluß der Schwerkraft untersucht. Da
+die Schwerkraft eine Wirkung nur hervorrufen kann, wenn der Keimling
+in Ruhe bleibt, so wird nach *Knights* Verfahren ihr Einfluß durch
+einen steten Wechsel der Lage des keimenden Samens aufgehoben. Den
+entscheidenden Versuch stellte *Knight* in folgender Weise an. An
+dem Umfang eines senkrecht stehenden Rades befestigte er kleine,
+nach der Radachse und nach außen offene Behälter. Diese wurden mit
+feuchtem Moos gefüllt. In das Moos jedes Behälters pflanzte er Samen
+der Gartenbohne. Das Rad wurde durch ein kleines Wasserwerk 150mal
+in der Minute um seine Achse gedreht. Auf diese Weise wurde die Lage
+der Samen zum Erdradius so oft gänzlich verändert, daß *Knight*
+den Einfluß der Schwerkraft als beseitigt betrachten durfte. Nach
+einigen Tagen begannen die Samen zu keimen, und man beobachtete,
+daß die Wurzeln, in welcher Richtung sie auch nach der jeweiligen
+Lage der Samen hervortraten, ihre Spitzen vom Radkranze in radialer
+Richtung nach außen kehrten, während die Stengel in entgegengesetzter
+Richtung wuchsen, bis sich schließlich ihre Spitzen im Mittelpunkte
+des Rades vereinigten. Wuchsen die Stengel über diesen Punkt hinaus,
+so kehrten sich ihre Spitzen bald wieder um, um wieder in der Mitte
+des Rades zusammenzutreffen. Die Zentrifugalkraft bestimmte somit die
+Wachstumsrichtung genau so, wie es bei den ruhenden Samen durch die
+Schwerkraft geschieht.
+
+Zu dieser Erkenntnis gesellte sich später der Nachweis[625], daß die
+Wurzeln sich nicht etwa infolge ihres Eigengewichtes nach abwärts
+krümmen, da sie eine Last, die größer als ihr Eigengewicht ist, bei
+ihrer Krümmung in Bewegung zu setzen vermögen.
+
+Bei einem zweiten Versuch vereinigte *Knight* die Wirkung der
+Zentrifugalkraft mit derjenigen der Schwerkraft. Er brachte die
+Samen in ähnlicher Weise, wie schon beschrieben, auf dem Kranz eines
+diesmal horizontal liegenden Rades an und setzte es in Drehung. Bei
+80 Umdrehungen wuchsen die Wurzeln unter einem Winkel von 45° nach
+unten, die Stengel dagegen unter dem gleichen Winkel nach oben. Dabei
+entfernten die Wurzeln ihre Spitzen von der Radachse, während die
+Stengel sich gegen die Achse hinneigten. Steigerte *Knight* die Zahl
+der Umdrehungen auf 250, so wichen die Wurzeln und die Stengel um
+einen noch viel höheren Betrag (um 80°) von der vertikalen Richtung ab,
+die sie in der Ruhelage eingenommen haben würden.
+
+Durch diese Versuche war der Beweis geliefert, daß durch eine bestimmte
+äußere Ursache und nicht infolge der inneren Eigenschaft des Organismus
+die Pflanzenteile veranlaßt werden, dasjenige Verhalten zu zeigen, das
+wir als positiven und negativen Geotropismus bezeichnen.
+
+Als eine weitere Ursache, welche die Richtung und das Wachstum der
+Wurzeln beeinflußt, erkannte *Knight* die Feuchtigkeitsunterschiede. Er
+zeigte, daß sie diejenigen Reaktionen der Pflanze herbeiführen, die man
+heute als Hydrotropismus bezeichnet.
+
+*Knight* ging[626] von folgender Beobachtung aus: Verpflanzt man einen
+Baum, der viel Feuchtigkeit nötig hat, in einen Boden, der erst in
+einiger Entfernung reichlich Wasser enthält, so wendet sich die Wurzel
+dem Wasser zu. Verlangt dagegen ein Baum einer anderen Art trockenen
+Boden, so entfernt sich seine Wurzel von dem Wasser. Es hat den
+Anschein, als ob die Pflanzen gewissermaßen planmäßige Anstrengungen
+machen, um günstige Feuchtigkeitsverhältnisse zu erlangen. Es gehörte
+damals, als die Lehre von der Lebenskraft in voller Blüte stand
+und man geneigt war, derartige Erscheinungen auf mystische Triebe
+und Begierden zurückzuführen, eine gewisse Kühnheit dazu, diese
+Erscheinungen aus mechanischen Ursachen erklären zu wollen. Dennoch
+versuchte dies *Knight*, überall wohin sein Forschen sich richtete. Er
+setzte dadurch das Werk seines großen Landsmannes *Hales*[627] fort,
+der ein halbes Jahrhundert vor ihm zuerst den Versuch gemacht hatte,
+die experimentelle, mechanische Erklärungsweise in die Physiologie
+einzuführen. »Ich wage«, sagte *Knight*, »aus meinen Versuchen zu
+schließen, daß die Wurzeln nur durch die unmittelbare Einwirkung der
+sie umgebenden Körper, nicht aber durch irgend eine Art von Begierde,
+ähnlich derjenigen der Tiere, beeinflußt werden.«
+
+Bemerkenswert war ein Versuch, bei dem die Wurzeln oben mit feuchter
+und unten mit trockener Erde in Berührung waren. *Knight* pflanzte
+nämlich Bohnen in Töpfe. Nach einiger Zeit kehrte er die Töpfe um
+und führte ihnen soviel Wasser durch den Boden zu, daß nur die dem
+Boden benachbarte, also jetzt über dem keimenden Samen befindliche
+Erde feucht war. Und siehe da, nach wenigen Tagen sandten die Pflanzen
+zahlreiche Wurzeln nach aufwärts in die feuchtere Erde hinein, als ob
+sie von den Instinkten eines tierischen Wesens geleitet würden. Dem
+Einfluß der Schwerkraft war bei diesem Versuche durch die Trockenheit
+auf der unteren Seite in ähnlicher Weise entgegengewirkt worden, wie
+es bei dem Versuche mit dem horizontalen rotierenden Rade durch die
+Zentrifugalkraft geschehen war. Offenbar handelte es sich in dem einen
+wie in dem anderen Falle nicht um instinktmäßige Triebe, sondern
+um rein mechanische Ursachen. Wie *Knight* des Näheren ausführt,
+entwickeln sich die Organe anfangs nach allen Richtungen. Es wachsen
+aber nur diejenigen weiter, die günstige Bedingungen finden. So bekommt
+es den Anschein, als ob die Wurzeln der einen Pflanze das in der Nähe
+befindliche Wasser suchen, diejenigen der anderen dagegen es vermeiden
+wollen.
+
+Eine größere Zahl von Versuchen stellte *Knight* über die
+Rankenbewegungen der Pflanzen an[628]. Diese Versuche ergaben, daß auch
+das Ranken aus reiner Notwendigkeit erfolgt und nicht durch irgend eine
+Art von Verstandeskräften bedingt wird. Seine Versuche stellte *Knight*
+besonders an der Erbse, dem Epheu, dem gewöhnlichen und dem wilden
+Wein an. Die Bewegungen, welche die Ranken machen, werden zunächst
+genau beschrieben und dann auf zwei Umstände zurückgeführt. Diese
+Umstände sind Besonderheiten im inneren Bau, man könnte dafür auch
+sagen eine bestimmte Reizbarkeit, und zweitens die Einwirkung äußerer
+Ursachen, unter denen das Licht und der mechanische Druck in erster
+Linie zu nennen sind. Nach *Knight* bewirken diese Reize Änderungen in
+der Saftverteilung und im Gefolge davon Wachstumsvorgänge. Der Druck,
+meint er, der auf die eine Seite einer Ranke ausgeübt wird, verdrängt
+wahrscheinlich den Saft, die gedrückte Seite zieht sich infolgedessen
+zusammen. Die so entstehende Bewegung wird dadurch noch verstärkt, daß
+der Saft, indem er nach den nicht gedrückten Stellen wandert, diese
+zu lebhafterem Wachstum veranlaßt. Infolgedessen umschlinge die Ranke
+einen dünnen Holz- und Metallstab. Trotz aller Unzulänglichkeit dieser
+Erklärung ist sie doch als der erste Versuch einer Zurückführung der
+an den Ranken beobachteten Erscheinungen auf mechanische Ursachen
+anzuerkennen.
+
+Von Wichtigkeit waren auch *Knights* Versuche über den von ihm
+entdeckten negativen Heliotropismus der Ranken des wilden Weins. Diese
+Pflanze wurde den Sonnenstrahlen voll ausgesetzt. Außerdem wurde ein
+Stück schwarzes Papier auf der einen Seite in der Nähe der Pflanze so
+angebracht, daß die Ranken es erreichen konnten. Die Ranken wurden
+dann von dem schwarzen Papier sozusagen angezogen. Brachte man das
+Papier auf die entgegengesetzte Seite, so folgten die Ranken bald auch
+dorthin. Brachte man an Stelle des Papieres eine Glasplatte an, die das
+Sonnenlicht so zurückwarf, daß es fortwährend auf die Ranken fiel, so
+wandten sie sich von dem Glase fort; und es schien so, als ob sie von
+dem Glase zurückgestoßen würden. Für die Haftwurzeln des Epheus wies
+*Knight* nach, daß sie nicht nur dem Lichte ausweichen, sondern sich
+auch nur an der Schattenseite des Stammes bilden.
+
+Auch dies Verhalten suchte *Knight* auf mechanische Gründe
+zurückzuführen, indem er beim negativen Heliotropismus eine Ausdehnung,
+beim positiven dagegen eine Zusammenziehung der belichteten
+Rindensubstanz annahm. Hier wie überall besteht das Unzulängliche der
+von *Knight* begründeten Phytodynamik darin, daß sie auf die innere
+Organisation der Pflanze keine genügende Rücksicht nehmen konnte, weil
+diese noch zu wenig der Erkenntnis erschlossen war. Besteht doch dieser
+Mangel selbst heute noch in solchem Grade, daß die neuere Wissenschaft
+an Stelle der Erklärungsversuche *Knights* trotz der Erkenntnis ihrer
+Unzulänglichkeit kaum etwas besseres zu setzen gewußt hat.
+
+Von dem Gedanken geleitet, daß das Studium der in den Gewächsen
+sich abspielenden Veränderungen am ehesten die Erkenntnis des
+Lebensprozesses ermöglichen werde, hatte *Stephan Hales* die ersten
+Schritte zur Begründung einer Ernährungsphysiologie der Pflanzen
+unternommen. Ein erfolgreiches Eindringen in diesen Gegenstand war
+jedoch erst möglich, nachdem die Rolle des Sauerstoffs erkannt und die
+Chemie auf eine wissenschaftliche Grundlage erhoben war. Schon vor der
+Entdeckung des Sauerstoffes hatte *Priestley* beobachtet, daß die durch
+die Atmung oder durch ein brennendes Licht »verdorbene« Luft wieder
+»heilsam« gemacht werde, wenn Pflanzen darin wachsen. Das heißt: Luft,
+in der ein Licht erlosch, wurde durch die Pflanzen in solchem Grade
+verbessert, daß das Licht wieder darin fortbrannte. Im Zusammenhange
+mit dieser Tatsache fand *Priestley*, daß die in den Blasen des
+Seetangs befindliche Luft sogar »besser« als die atmosphärische
+Luft ist. Als ein Anzeichen für die »Güte« der Luft diente ihm
+die Zusammenziehung, die sich in seinem Salpetergaseudiometer
+einstellte[629].
+
+Der eigentliche Entdecker der Assimilation und der Atmung der Pflanzen
+ist der Holländer *Ingenhouß* (1730-1799). Er veröffentlichte im Jahre
+1769 eine ausführliche Arbeit[630] über diesen Gegenstand. Darin findet
+sich der Nachweis, daß die meisten Pflanzen die »verdorbene Luft«
+im Sonnenlichte schnell verbessern, daß sie dagegen zur Nachtzeit
+Kohlendioxyd ausscheiden oder die Luft »unrein« machen, wie es damals,
+bevor die antiphlogistische Lehre bekannt geworden war, noch hieß. Die
+Verbesserung der Luft geht nach *Ingenhouß* jedoch nur von den grünen
+Stengeln und Blättern, und zwar besonders von der unteren Seite der
+letzteren aus; sie besteht in der Abscheidung von Sauerstoff, welcher
+das zur Nachtzeit ausgeatmete Kohlendioxyd (von *Ingenhouß* noch als
+schädliche Luft bezeichnet) an Menge mehrere hundert Mal übertrifft.
+Hieran schloß sich die Erkenntnis[631], daß der ausgeschiedene
+Sauerstoff von der Zersetzung des Kohlendioxyds herrührt, welches
+durch die Prozesse der Verbrennung, der Atmung und der Gärung in die
+atmosphärische Luft gelangt[632].
+
+Durch andere Versuche wurde dargetan, daß sich die Pflanzen allein
+mit Hilfe gasförmiger, flüssiger und in Flüssigkeiten gelöster Stoffe
+entwickeln können. Man ließ z. B. Pflanzen zwischen Moos, Baumwolle
+oder ausschließlich in Flußwasser wachsen, das eine genügende Menge von
+Mineralbestandteilen in Lösung enthielt. Auf solche Weise gelangte man
+schon gegen den Ausgang des 18. Jahrhunderts zu einer Kenntnis der
+qualitativen Seite der Ernährungsphysiologie.
+
+Nachdem für die Chemie das Zeitalter der quantitativen
+Untersuchungsweise gekommen war, galt es, die neue Methode auf
+die ihrem qualitativen Verlaufe nach erkannten Vorgänge der
+Ernährungsphysiologie anzuwenden. Dies geschah besonders durch
+*Saussure*. Wie *Knight* die Phytodynamik, so begründete er die Lehre
+von der Ernährung der Pflanzen, für welche *Ingenhouß* und *Senebier*
+nur einige sich auf den Gasaustausch erstreckende Vorarbeiten geliefert
+hatten.
+
+*Nicolas Théodore de Saussure* war der Sohn des durch seine
+Montblanc-Besteigung bekannt gewordenen Alpenforschers *Horace Benedict
+de Saussure*. Letzterer bekleidete ein Lehramt in Genf, wo *Théodore*
+im Jahre 1767 geboren wurde. *Théodore de Saussure* beteiligte sich
+zunächst an den Forschungen seines Vaters. Seit dem Jahre 1797 wandte
+er sich pflanzenphysiologischen Untersuchungen zu. Er starb in Genf im
+Jahre 1845.
+
+*Saussure* stellte sich die Aufgabe, die Rolle des Wassers, der Luft
+und des Humus bei der Ernährung der Gewächse und die Veränderungen
+der Atmosphäre durch die Pflanzen genauer zu erforschen. Insbesondere
+lenkte sich sein Augenmerk auf die Bedeutung, welche das Kohlendioxyd
+für das pflanzliche Leben besitzt.
+
+Er entwickelt sein Programm mit den Worten: »Ich werde Fragen erörtern,
+welche durch das Experiment entschieden werden können und verzichte
+auf bloße Mutmaßungen, denn die Tatsachen allein führen in der
+Naturwissenschaft zur Wahrheit«. Diesem Vorsatz ist *Saussure* treu
+geblieben. Stets werden in seiner meisterhaft geführten Untersuchung
+die Fragen bestimmt gestellt und ebenso bestimmt beantwortet. Hatten
+frühere die Ernährungsvorgänge in den allgemeinsten Grundzügen und
+ausschließlich nach der qualitativen Seite untersucht, so war er es,
+der zuerst durch quantitative Bestimmungen eine »Bilanz herstellte
+zwischen dem, was die Pflanze aufnimmt und dem, was sie abgibt und
+daher selbst erwirbt[633].« Durch dies Verfahren gelangte er zu dem
+Ergebnis, daß neben dem Kohlenstoff der Luft gleichzeitig die Elemente
+des Wassers und gewisse Bestandteile des Bodens sich am Aufbau der
+Pflanzensubstanz beteiligen.
+
+Der Gang seiner Untersuchung ist der folgende: Zunächst stellte er
+aus kohlensaurem Gas und gewöhnlicher Luft eine künstliche Atmosphäre
+her, welche 7½% kohlensaures Gas enthielt. Dieses Luftgemisch wurde
+in einen Behälter eingeschlossen und darin sieben Immergrünpflanzen
+(Vinca minor L.), von denen jede 20 cm hoch war, untergebracht. Die
+Wurzeln dieser Pflanzen tauchten in ein besonderes Gefäß, das 15 ccm
+Wasser enthielt. Dieser Apparat wurde sechs Tage hintereinander von 5
+bis 11 Uhr morgens den Sonnenstrahlen ausgesetzt. Am siebenten Tage
+nahm *Saussure* die Pflanzen heraus. Unter Berücksichtigung aller
+Korrekturen hatte sich das Volumen der Atmosphäre nicht verändert. Auch
+aus späteren Versuchen hat sich ergeben, daß das Gesamtvolumen einer
+Atmosphäre, in welcher die Pflanzen assimilieren, nahezu unverändert
+bleibt, da ein dem zersetzten Kohlendioxyd annähernd gleiches Volumen
+Sauerstoff ausgeschieden wird, während sich der Gehalt an Stickstoff im
+allgemeinen nicht verändert.
+
+Ein vergleichender Versuch zeigte, daß sieben Immergrünpflanzen,
+wie sie *Saussure* benutzt hatte, trocken vor der Zersetzung des
+kohlensauren Gases, 2,707 g wogen, und daß sie bei der Verkohlung im
+geschlossenen Gefäße 528 mg Kohle lieferten. Die Pflanzen, welche
+kohlensaures Gas zersetzt hatten, gaben, als sie getrocknet und nach
+demselben Verfahren verkohlt wurden, 649 mg Kohle. Die Zersetzung des
+kohlensauren Gases ergab also einen Gewinn von 120 mg Kohlenstoff.
+*Saussure* ließ dann Immergrünpflanzen, die in kohlensäurefreier
+Luft gewachsen waren, verkohlen und fand, daß sich der Gehalt an
+Kohle während des Aufenthaltes unter dem Behälter eher vermindert als
+vermehrt hatte.
+
+*Saussure* erkannte ferner, daß die Pflanzen, während sie Kohlenstoff
+assimilieren, gleichzeitig die Elemente des Wassers aufnehmen,
+welches dabei seinen flüssigen Zustand verliert und zur Vermehrung
+der Trockensubstanz beiträgt. Zunächst überzeugte er sich davon, daß
+100 Gewichtsteile der Pfefferminzpflanze 40,29 Teile Trockensubstanz
+enthielten, von denen nach der Verkohlung 10,56 Teile Kohle übrig
+blieben. Die 100 Gewichtsteile Pfefferminze wogen, nachdem sie zwei und
+einen halben Monat in freier Luft vegetiert hatten, 216 Teile. Zunächst
+lehrte diese Gewichtszunahme nichts, da sie vielleicht der Vermehrung
+des Vegetationswassers zuzuschreiben war. Durch das Trocknen ging das
+Gewicht auf 62 Teile zurück. Die Pflanzen vergrößerten also mit Hilfe
+von Luft und Wasser ihre Trockensubstanz um 21,71 Teile. Die 62 Teile
+lieferten bei der Verkohlung 15,78 Teile Kohle oder 4,82 Teile mehr
+als zuvor. Die übrige Zunahme war auf Rechnung des chemisch gebundenen
+Wassers zu setzen.
+
+Von entscheidender Wichtigkeit sind *Saussures* Versuche über das
+Verhalten der Pflanzen in den verschiedensten sauerstofffreien Medien
+gewesen. Sie führten zu dem Ergebnis, daß die Pflanzen Stickstoff und
+Wasserstoff im elementaren Zustande, sowie Kohlenoxydgas nicht zu
+assimilieren vermögen.
+
+Die Frage, ob Wasser und Luft als Nahrungsmittel ausreichen und die
+vollständige Entwicklung der Pflanzen bewirken können, wurde durch
+*Saussures* Versuche entschieden verneint. Die weitere Frage, welche
+Elemente oder Verbindungen zum Wasser und zur Luft hinzukommen müssen,
+um das erwähnte Ziel zu erreichen, ließ sich nur durch ausgedehnte
+Versuche in Nährlösungen entscheiden, ein Forschungsmittel, dessen sich
+*Saussure* in ausgedehnterem Maße bediente.
+
+Auch diese Versuche waren von grundlegender Wichtigkeit. Zunächst
+wurden den Versuchspflanzen Lösungen dargeboten, die nur je ein
+Salz enthielten. Der Gang der Untersuchung und das Ergebnis ist
+sehr lehrreich. Jede Lösung bestand aus 40 Kubikzoll Wasser und
+enthielt 100 Teile desjenigen Salzes, dessen Verhalten zur Pflanze
+(Polygonum persicaria) man prüfen wollte. Der Versuch wurde jedesmal
+unterbrochen, wenn die Hälfte der Lösung von der Pflanze aufgenommen
+war. Es ergab sich durch die Analyse der zurückgebliebenen Hälfte, daß
+Polygonum von den gebotenen 100 Teilen folgende Mengen aufgenommen
+hatte:
+
+ Chlorkalium 14,7 Teile,
+ Schwefelsaures Natrium 14,4 "
+ Chlornatrium 13 "
+ Chlorammonium 12 "
+ Essigsauren Kalk 8 "
+ Salpetersauren Kalk 4 "
+ usw.
+
+Andere Pflanzen nahmen die Salze in anderen Mengen auf. Im allgemeinen
+bemerkte man, wie in dem hier durch Zahlen belegten Falle, daß das
+Wasser viel leichter in die Pflanze eindringt als der darin gelöste
+Körper. Blieben doch z. B., wenn 4 Teile salpetersaurer Kalk in die
+Pflanze eindrangen, 46 Teile dieses Salzes in der Lösung zurück, deren
+Gehalt an Salz sich infolgedessen relativ erheblich steigerte.
+
+*De Saussure* ging auch dazu über, der Pflanze, den natürlichen
+Verhältnissen entsprechend, gleichzeitig mehrere Salze in einer Lösung
+darzubieten. Auch diesmal stellte er Nährlösungen von ganz bestimmter
+Zusammensetzung her und analysierte sie, wenn sie bis zur Hälfte ihres
+ursprünglichen Volumens aufgenommen waren. So erhielt er einwandfreie,
+vergleichbare Zahlenwerte. Ein Beispiel hier für viele. Enthielt
+ein und dieselbe Lösung 100 Teile Chlornatrium neben 100 Teilen
+schwefelsaurem Natrium, so nahm Polygonum daraus 22 Teile von ersterem
+und 11,7 Teile von dem zweiten Salz auf. Damit war die wichtige, für
+alle späteren Untersuchungen dieser Art grundlegende Tatsache erwiesen,
+daß eine Pflanze aus einer Lösung von mehreren Stoffen bestimmte Stoffe
+bevorzugt. Durch die Veraschung der Versuchspflanzen überzeugte sich
+*de Saussure* davon, daß die aus der Lösung verschwundene Salzmenge
+wirklich in die Pflanze eingedrungen war. Von zwei Polygonumpflanzen
+von genau gleichem Gewicht ließ er die eine in destilliertem Wasser,
+die andere in einer Chlorkaliumlösung wachsen. Für letztere ergab
+sich bei der Verbrennung beider Pflanzen, daß sie ihren Aschengehalt
+um diejenige Chlorkaliummenge vergrößert hatte, die aus der Lösung
+verschwunden war. Derartige Versuche waren zu einer Zeit, in welcher
+wissenschaftlich gebildete Männer noch glaubten, die Pflanzen besäßen
+die Fähigkeit, Elemente zu erzeugen und ineinander umzuwandeln, von
+entscheidender Wichtigkeit.
+
+Weit größere Schwierigkeiten bot es bei dem damals noch unentwickelten
+Zustande der Mineralanalyse über die Zusammensetzung und die Bedeutung
+der aus dem Boden aufgenommenen Aschenbestandteile ins Reine zu
+kommen. Es war eine verbreitete Ansicht, daß die Mineralstoffe, die
+man in den Gewächsen fand, dort nur zufällig vorhanden und keineswegs
+für ihre Existenz nötig seien. Ja, man ging sogar noch weiter und
+schloß aus dem Umstande, daß einige Salze gewissen Pflanzen schädlich
+sind, daß alle Salze der Vegetation nicht nur keinen Nutzen brächten,
+sondern in mehr oder minder hohem Grade schädlich seien. *Saussures*
+Untersuchungen vermochten hier wenigstens die gröbsten Irrlehren zu
+beseitigen. Daß die geringe Menge der Pflanzenasche ein Anzeichen
+für ihre Nutzlosigkeit sei, widerlegte er durch den Hinweis auf den
+in den Tieren enthaltenen phosphorsauren Kalk. Dieser mache nur
+einen sehr geringfügigen Teil des Gewichtes der Tiere aus. Dennoch
+zweifle niemand daran, daß das Salz für den Aufbau der Knochen
+durchaus notwendig sei. *Saussure* fand dieses Salz in der Asche
+aller von ihm darauf untersuchten Pflanzen und vertrat die Ansicht,
+daß sie ohne phosphorsauren Kalk nicht bestehen könnten. Als die
+wichtigsten Bestandteile der Pflanzenasche erkannte *Saussure* außer
+dem phosphorsauren Kalk die Verbindungen von Magnesium und Eisen, sowie
+die Kieselsäure. Trotz dieser, durch zahlreiche Aschenanalysen, die
+lange als unübertroffen galten, gestützten wichtigen Ergebnisse der
+*Saussure*schen Untersuchungen blieben Zweifel an der Notwendigkeit der
+Aschenbestandteile bestehen, bis *Liebig* in den dreißiger Jahren des
+19. Jahrhunderts diese Frage endgültig im Sinne *Saussures* entschied.
+
+Die Frage nach der Aufnahme des Stickstoffes wurde noch später durch
+*Boussingault* zur Entscheidung gebracht. Zwar hatte *Saussure*
+nachgewiesen, daß der atmosphärische Stickstoff von der Pflanze nicht
+assimiliert wird. Woher aber der beträchtliche Gehalt der Pflanze
+an diesem Elemente stammt, blieb eine offene Frage. *Saussure*
+beschränkte sich auf die Annahme, daß er aus den tierischen und
+pflanzlichen Bestandteilen des Bodens stammen könne. Offenbar eine
+verhängnisvolle, an die unbegreiflich törichte Humustheorie erinnernde
+Gedankenlosigkeit, da ja die Quelle aufzuweisen war, woher eben die
+Tiere und Pflanzen den Stickstoff beziehen.
+
+Eine Anzahl wichtiger Versuche stellte *Saussure* endlich an, um die
+wichtige, schon von *Ingenhouß* angedeutete Rolle zu erkennen, welche
+der Sauerstoff bei dem Stoffwechsel der Pflanze spielt. Zunächst
+stellte er fest, daß zum Keimen Sauerstoff und Wasser erforderlich
+sind. Das Wasser allein vergrößere zwar die Samen, indem es in das
+Zellgewebe eindringe, es bringe sie aber ohne die Mitwirkung von
+Sauerstoff nicht zum Keimen. Weiter zeigte *Saussure*, daß beim Keimen
+Sauerstoff verschwindet und durch Kohlendioxyd ersetzt wird, ohne daß
+eine Änderung des Gesamtvolumens stattfindet. Die keimenden Samen
+änderten nämlich ebensowenig wie der brennende Kohlenstoff das Volumen
+des Sauerstoffgases, das sie in kohlensaures Gas verwandelten. Daß
+dieser der Atmung der Tiere analoge Vorgang auch in den fertigen
+Pflanzenteilen vor sich geht, zeigte *Saussure* durch mannigfache
+Versuche.
+
+Wurden z. B. frische Blätter gesammelt und während der Nacht unter
+einen mit Luft gefüllten Recipienten gestellt, so verschwand der
+Sauerstoffgehalt der Luft, und es bildete sich Kohlendioxyd, dessen
+Volumen allerdings geringer war als dasjenige des während des Versuches
+aufgezehrten Sauerstoffs. Wurden die Blätter am darauffolgenden Tage
+wieder der Sonne ausgesetzt, so schieden sie fast dieselbe Menge
+Sauerstoff wieder ab, die sie während der Nacht aufgenommen hatten. War
+ihre Lebenskraft so groß, daß sie mehrere Tage gesund blieben, so bot
+sich ein wunderbares Schauspiel dar. Die Blätter verringerten nämlich
+jede Nacht ihre Atmosphäre, um sie jeden Tag beinahe in demselben Maße
+zu vergrößern.
+
+*Saussure* dehnte die Untersuchung über den Einfluß des Sauerstoffs
+auf die Pflanzen auch auf die Stengel, die Wurzeln und die Blüten
+aus. Er zeigte, daß dieses Gas für die nicht-grünen Teile wesentlich
+ist, und daß letztere, indem sie Sauerstoff verbrauchen, Kohlendioxyd
+abscheiden, ohne dieses Produkt, wie es die grünen Pflanzenteile
+vermögen, wieder in Sauerstoff zurückverwandeln zu können. Zu
+diesen Beobachtungen kam noch der Nachweis, daß bei der Atmung die
+Pflanzensubstanz einen Gewichtsverlust erleidet, der dem Gewicht
+des ausgeschiedenen Kohlenstoffs entspricht. Auch darauf wurde
+schon *Saussure* aufmerksam, daß Pflanzenteile, die eine regere
+Lebenstätigkeit entfalten, wie Keimlinge und sich entfaltende Blüten
+mehr Sauerstoff gebrauchen als minder tätige. Ja, es gelang ihm sogar
+später[634], die Beziehung zwischen dem Sauerstoffverbrauch und eine
+dadurch bedingte Erwärmung der Blüten festzustellen.
+
+Durch diese Forschungsergebnisse war die Lehre von der Atmung der
+Pflanzen in ihren allerersten Grundlagen geschaffen und zwischen
+dem Pflanzen- und dem Tierreich eine wichtige Brücke geschlagen.
+Durchdrungen von dieser Erkenntnis äußerte sich *Saussure*
+folgendermaßen: Prüfe man als Anatom die Pflanzen und die Tiere, so
+komme man nicht auf den Gedanken, sie miteinander zu vergleichen.
+Vergegenwärtige man sich aber die großen physiologischen Züge, wie
+die Ernährung, die Absonderungen, den Einfluß des Sauerstoffs usw.,
+so müsse man eine auffallende Übereinstimmung zwischen Tieren und
+Pflanzen zugeben.
+
+Wir haben die Arbeit *Saussures* etwas eingehender erörtert, weil
+ein in gleicher Weise bahnbrechendes Werk auf dem Gebiete der
+Ernährungsphysiologie kaum wieder erschienen ist. Das sorgfältige
+Studium der *Saussure*schen, durch klare Fragestellung, sowie durch
+treffliche Methoden gleich ausgezeichneten »Untersuchungen« kann nicht
+genug empfohlen werden[635].
+
+Als besonderer, alle Vegetationsvorgänge behandelnder Zweig der Botanik
+wurde die Pflanzenphysiologie zuerst von *Decandolle* bearbeitet, mit
+dessen Verdiensten um die Morphologie und um die Systematik wir uns
+schon beschäftigt haben[636]. *Decandolle* stellte sich die Aufgabe,
+die Pflanzenphysiologie auf Grund der physikalischen, chemischen,
+anatomischen und biologischen Forschungsergebnisse als »abgeschlossene,
+eigenartige Wissenschaft darzustellen und so ein vollständiges und
+allseitiges Bild des Pflanzenlebens zu gewinnen«. Dies Unternehmen
+stand ohne Vorläufer da. Deshalb ist auch das Werk, in welchem
+*Decandolle* seine Aufgabe löste, von ganz außergewöhnlicher Bedeutung.
+Sie besteht weniger in der Mitteilung neuer Entdeckungen als in der
+Verknüpfung der bisher bekannt gewordenen Tatsachen, durch welche aus
+dem zerstreuten Wissen erst die Wissenschaft in der ihr eigenen und im
+wesentlichen auch bleibenden Gestalt und Richtung hervorgegangen ist.
+
+Die folgenden Abschnitte sollen dieser grundlegenden Bedeutung des von
+*Decandolle* verfaßten Werkes gerecht zu werden suchen. Es erschien
+1832 unter der Bezeichnung »Pflanzenphysiologie oder Darstellung der
+Lebenskräfte und Lebensverrichtungen der Gewächse«[637].
+
+Hatte *Decandolle* in seiner Organographie die Teile beschrieben, aus
+denen die Pflanzenmaschine besteht, so galt es in der »Physiologie«
+diese Maschine in ihrer Tätigkeit zu schildern und die sie bewegenden
+Kräfte sowohl wie das Ergebnis dieser Kräfte zu untersuchen. Als solche
+gelten ihm die physikalischen Kräfte, die chemische Verwandtschaft
+und die Lebenskraft. Letztere betrachtet er als die Ursache der
+physiologischen Vorgänge. Zu diesen Kräften sollten bei den Tieren
+noch die Beseelung als Ursache der psychologischen Vorgänge im
+weitesten Sinne treten. *Decandolle* nahm an, daß die Beseelung
+ausschließlich auf das Tierreich beschränkt sei.
+
+Unter der Lebenskraft versteht *Decandolle* diejenige Ursache, die
+während des Lebens der Pflanze Erscheinungen veranlaßt, die aus den
+bekannten Kräften allein nicht erklärt werden können. Indessen sucht
+*Decandolle*, soweit wie möglich, mit den physikalisch-chemischen
+Kräften auszukommen. Die Lebenskraft ist ihm der unerklärliche Rest,
+der trotz alles Strebens nach einer rein mechanischen Erklärungsweise
+auch für die heutige Physiologie noch nicht gänzlich getilgt ist und es
+in absehbarer Zeit auch nicht sein wird. »Wenn wir«, sagt *Decandolle*,
+»alle bekannten physikalischen und chemischen Ursachen, die eine
+gewisse Wirkung hervorzubringen vermögen, der Reihe nach geprüft haben,
+so werden wir den Teil der Erscheinung, der noch unerklärt bleibt, dem
+verborgenen Einfluß des Lebens zuschreiben«.
+
+Als Äußerungen der lebenden tierischen Gewebe unterscheidet
+*Decandolle* drei Stufen, die Ernährungs- und Wachstumsvorgänge, die
+Reizbarkeit und die Empfindung. Er untersucht dann, in welchem Grade
+diese Eigenschaften auch den Pflanzen zukommen und bemerkt, daß sich
+zwischen beiden Reichen natürliche Grenzen schwer ziehen lassen, so daß
+man nicht entscheiden könne, ob gewisse Kryptogamen oder Pflanzentiere
+Pflanzen oder Tiere seien.
+
+Die Untersuchung der Ernährungsvorgänge gipfelt in dem Nachweis, daß
+die einzelnen Erscheinungen, welche sie darbieten, und die Reihenfolge,
+in der sie ablaufen, für die beiden organischen Reiche ganz analog
+sind. Die Unterschiede werden mehr oder weniger als die unmittelbare
+Folge der tierischen Beweglichkeit und der pflanzlichen Unbeweglichkeit
+betrachtet.
+
+Jene bei Pflanzen und Tieren parallel verlaufende Reihe von
+Ernährungsvorgängen bietet nach *Decandolle* folgendes Bild: Zunächst
+wird der Nahrungsstoff dem Organismus in flüssiger oder fester Form
+zugeführt. Darauf gelangt die Nahrung in die Organe, in denen sie
+verarbeitet werden soll (Magen, Blätter). Der erhaltene Nahrungssaft
+wird in beiden Reichen der atmosphärischen Luft ausgesetzt, um Stoffe
+durch Ausdünstung abzugeben und Sauerstoff -- bei der assimilierenden
+Pflanze außerdem Kohlendioxyd -- aufzunehmen. Der so vorbereitete
+Nahrungssaft gelangt hauptsächlich zu den tätigsten Teilen des
+Organismus, um dort seine Bestandteile im Zellgewebe abzusetzen. Ein
+Teil der zubereiteten Nahrung wird auch wohl in besonderen Organen
+niedergelegt (Knollen als Reservestoffbehälter der Pflanzen). Endlich
+besitzen andere eigentümliche Organe, die man Drüsen nennt, die
+Fähigkeit, aus dem Nahrungssafte besondere Stoffe abzuscheiden, sei
+es, um den Körper von ihnen zu befreien, sei es, um dadurch besondere
+Zwecke zu erfüllen.
+
+*Decandolle* handelt dann von diesen Vorgängen im einzelnen. Er erwägt,
+welche Kräfte das Einsaugen der ernährenden Flüssigkeit bewirken; er
+untersucht die Zusammensetzung der Nährlösung, die Wege, auf denen
+sie in den Pflanzen emporsteigt, die Ursachen des Emporsteigens, die
+Geschwindigkeit, Kraft und Menge des Nahrungssaftes, die Rolle, welche
+die Atmosphäre bei der Ernährung spielt usw. Aus dem Zusammenwirken
+dieser Vorgänge entsteht nach *Decandolle* ein neuer Saft. Seine
+Existenz falle allerdings weniger in die Augen als diejenige des
+aufsteigenden Saftes, könne aber nicht bezweifelt werden.
+
+Die Ansicht, die Pflanzen besäßen einen dem Blutkreislauf der Tiere
+analogen Kreislauf der Säfte, wurde von *Decandolle* endgültig
+beseitigt. Zwar gibt es in den Pflanzen nach ihm einen Saft, welcher
+dem Blute der Tiere darin entspricht, daß er das Wachstum und die
+Ernährung der Organe bedingt. Dieser Saft nimmt seine Entstehung
+in den blattartigen Teilen. Dort wird die dem Boden entstammende
+Nährlösung konzentriert, indem die Blätter reines Wasser aushauchen und
+alle mineralischen Bestandteile, welche das Wasser mit sich führte,
+zurückhalten[638]. In den Blättern wird der konzentrierte Saft von den
+Sonnenstrahlen getroffen und dadurch das im Nahrungssafte gleichfalls
+gelöste Kohlendioxyd, das teils aus dem Boden, teils aus der Atmosphäre
+stammt, zersetzt. Als erstes Assimilationsprodukt betrachtet
+*Decandolle* Gummi. Dieser bestehe aus einem Molekül Wasser und einem
+Atom Kohlenstoff (CH_{2}O) und könne durch sehr geringe Umänderungen in
+Stärkemehl, Zucker oder Cellulose verwandelt werden.
+
+Der so entstandene Bildungssaft müsse offenbar die Pflanze bis in
+die Wurzel hinab durchdringen, um in den wachsenden Teilen, den
+Reservestoffbehältern und in sezernierenden Geweben Verwendung zu
+finden, oder weitere Umwandlungen zu erleiden.
+
+Es sind das, wie wir sehen, die Grundzüge der durch alle späteren
+Forschungen bestätigten Ernährungslehre der Pflanzen, wie sehr auch
+später das Bild im einzelnen verändert oder vervollständigt worden
+ist. Die Leistungen auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie, welche
+Deutschland[639] um jene Zeit aufzuweisen hatte, können sich nicht
+entfernt mit denen *Decandolles* messen. Man suchte unter dem Einfluß
+der Naturphilosophie alle Vorgänge auf das Wirken der Lebenskraft
+zurückzuführen. Auch besaßen die deutschen Pflanzenphysiologen[640]
+jener Zeit nicht die erforderliche exaktwissenschaftliche Vorbildung,
+wie sie *Decandolle* unter der Einwirkung der Genfer und Pariser
+Physiker und Chemiker sich erworben hatte. Nur auf dieser Grundlage,
+die auch für die Erneuerung der Chemie durch *Lavoisier* das
+Bestimmende war, konnte für die Physiologie der große Schritt zur
+messenden und wägenden, stets induktiv verfahrenden Naturwissenschaft
+geschehen. Bei dem Fortschreiten in dieser Richtung hat sich dann
+während des weiteren Verlaufs des 19. Jahrhunderts Deutschland auch auf
+diesem Gebiete, wie wir des Näheren noch erfahren werden, die größten
+Verdienste erworben.
+
+
+
+
+25. Die Fortschritte der Zoologie und ihre Verschmelzung mit der
+vergleichenden Anatomie.
+
+
+Auf zoologischem Gebiete hatte *Buffon*, der in seiner
+Naturgeschichte[641] nicht nur vortrefflich zu schildern, sondern auch
+allgemeine Gesichtspunkte hervorzuheben verstand, den Gedanken eines
+einheitlichen, das gesamte Tierreich beherrschenden Planes aufgestellt.
+*Buffon* ging sogar noch weiter. Nach seiner Meinung[642] gibt es
+keinen wesentlichen Unterschied zwischen Tier und Pflanze, sondern es
+besteht eine ununterbrochene Stufenfolge zwischen dem vollkommensten
+Tiere und dem niedrigsten pflanzlichen Lebewesen. Jener Plan, nach dem
+der Mensch und die übrigen Geschöpfe gebaut sein sollten, läßt nach
+*Buffon* erkennen, daß alle Wesen nach einem Urbild geschaffen und,
+unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, die Glieder einer großen Familie
+sind. *Buffons* Ausführungen blieben, weil die damaligen anatomischen
+Kenntnisse unzureichend waren, um in dieser Frage einen Entscheid
+herbeizuführen, zunächst nichts weiter als eine geistreiche Annahme.
+
+Nach *Buffon* fand der Gedanke von der Einheit der tierischen
+Organisation in *Geoffroy Saint-Hilaire*[643] einen eifrigen
+Verfechter. Wenn auch ein *Goethe* diesem Gedanken Beifall zollte,
+so konnte er den Ergebnissen der anatomischen Forschung *Cuviers*
+gegenüber doch nicht standhalten.
+
+Faßt man die Fortschritte der Zoologie, der vergleichenden Anatomie
+und der Paläontologie während der neuesten, mit dem 19. Jahrhundert
+beginnenden Entwicklung dieser Wissenschaften ins Auge, so wird sich
+das Interesse in erster Linie dem zuletztgenannten Manne zuwenden, dem
+wir deshalb wie *Gay-Lussac*, dem Meister der chemisch-physikalischen
+Forschung jener Zeit, eine etwas ausführlichere Darstellung widmen
+wollen.
+
+*Georg Cuvier* wurde 1769 zu Mömpelgard (Montbéliard), welches
+damals eine württembergische Enklave der Franche Comté war, geboren.
+Er starb in Paris im Jahre 1832. *Cuvier* zeigte schon als Knabe
+außergewöhnliche Anlagen. Nachdem er das Gymnasium verlassen hatte,
+wurde der Herzog Karl Eugen, der gern junge Talente förderte, auf ihn
+aufmerksam. So kam *Cuvier* 1784 zur Karlsakademie, um dort Rechtskunde
+zu studieren. Schon vorher hatte er sich, angeregt durch das Lesen der
+Werke *Buffons*, mit großer Liebe den Naturwissenschaften zugewandt.
+Auf der Karlsschule fand er neben seinen Berufsstudien noch Zeit, unter
+den Zöglingen einen naturwissenschaftlichen Verein ins Leben zu rufen,
+der sich die Aufgabe stellte, die Pflanzen und die Tiere der Umgegend
+zu sammeln und sie nach *Linnés* »Systema naturae« zu bestimmen.
+
+Im Jahre 1788 verließ *Cuvier* die Akademie und wurde Hauslehrer in der
+Normandie. *Cuvier* fand hier Gelegenheit und Muße, seine Forschungen
+auf die Tierwelt des Meeres auszudehnen. Er untersuchte den inneren Bau
+der Weichtiere, Krebse, Seesterne, Seeigel, usw. und gelangte zu der
+Überzeugung, daß die Vereinigung dieser so verschiedenartigen Geschöpfe
+in eine Klasse, wie sie *Linné* vorgenommen, sich nicht aufrecht
+erhalten ließ.
+
+Nachdem *Cuvier* vier Jahre in der Stille gearbeitet hatte, wurde
+er von einem durch die Stürme der Revolution nach der Normandie
+verschlagenen Pariser Gelehrten sozusagen erst entdeckt. Dieser schrieb
+an seine wissenschaftlichen Freunde, einen tüchtigeren Mann für
+vergleichende Anatomie wie *Cuvier* würde man nicht gewinnen können.
+So kam denn letzterer im Jahre 1795 nach Paris, wo er Professor an der
+École centrale wurde.
+
+Nachdem man gegen das Ende des 18. Jahrhunderts den Reichtum des
+Pariser Beckens an Resten von Säugetieren und Vögeln kennen gelernt
+hatte, war das Bemühen um die geologische Durchforschung dieser Gegend
+in hohem Grade rege geworden. Auch *Cuvier* wurde einige Jahre nach
+seiner Ankunft in Paris in diese Aufgabe hineingezogen, um schon nach
+kurzer Zeit auch hier die Führung zu übernehmen. Den ersten Anlaß bot
+ihm die Zusendung einiger Knochen, die man in den Gipsbrüchen des
+Montmartre gefunden hatte. *Cuviers* Kenntnis der lebenden Tierformen
+war so umfassend, daß er jenen Überresten gleich einen vorweltlichen
+Ursprung zuschreiben konnte. Alle Funde der Gipsbrüche gelangten
+jetzt an *Cuvier*, welcher durch seine Untersuchung jener Funde der
+Paläontologie einen Weg eröffnete, auf dem bisher nur wenige Schritte
+geschehen waren.
+
+»Als Altertumsforscher ganz neuer Art«, sagt *Cuvier*[644], »mußte
+ich diese Zeugen vorübergegangener Umwälzungen zu ergänzen und
+ihre eigentliche Bedeutung zu entziffern suchen. Ich hatte ihre
+zerbröckelten Trümmer zu sammeln und in ihrer ursprünglichen Ordnung
+zusammenzulegen, die Geschöpfe, denen sie angehörten, gleichsam zu
+rekonstruieren und sie mit denjenigen der Gegenwart zu vergleichen.«
+Bei der Ausübung dieser Tätigkeit ließ *Cuvier* sich von dem durch ihn
+klar ausgesprochenen Prinzip von der Korrelation der Organe leiten.
+Jeder Organismus bildet danach ein geschlossenes Ganzes, dessen Teile
+dergestalt miteinander in engster Wechselbeziehung stehen, daß kein
+Organ eine Abänderung aufweisen kann, ohne daß entsprechende Änderungen
+sich in allen übrigen Teilen finden.
+
+Sehen wir, wie *Cuvier* unter diesem Gesichtspunkt bei der Bestimmung
+fossiler Knochen verfuhr[645]: »Wenn die Eingeweide eines Tieres
+so beschaffen sind, daß sie nur Fleisch verdauen können, so müssen
+auch seine Kiefer zum Fressen, seine Klauen zum Festhalten und zum
+Zerreißen, seine Zähne zum Zerschneiden und Zerkleinern, das ganze
+System der Bewegungsorgane zum Verfolgen und Einholen der Beute, die
+Sinnesorgane zur Wahrnehmung der letzteren eingerichtet sein. Jedoch
+unter diesen allgemeinen Bedingungen sind auch noch einige besondere
+begriffen. Damit z. B. das Tier seine Beute forttragen könne, ist
+eine bestimmte Kraft derjenigen Muskeln erforderlich, durch welche
+der Kopf aufgerichtet wird; dieses setzt eine bestimmte Form der
+Wirbel, an denen die Muskeln entspringen, und des Hinterkopfes, wo
+sie sich anheften, voraus.« Des weiteren wird ausgeführt, daß dem
+Vorderarm eines seine Beute ergreifenden Tieres eine gegebene Form
+zukommen muß, die ihrerseits wieder die Gestalt des Oberarmknochens
+bestimmt. Kurz, es ergibt sich, daß die Form des Zahnes diejenige des
+Hinterhaupthöckers, der Gliedmaßenknochen, der Klauen usw. bedingt,
+so daß bei gründlicher Kenntnis dieser gegenseitigen Abhängigkeit
+aus einem dieser Teile das ganze Tier gewissermaßen rekonstruiert
+werden kann. Eine solche Tätigkeit konnte aber nur ein Meister auf
+dem Gebiete der vergleichenden Anatomie ausüben. *Cuvier* ist als
+der eigentliche Begründer dieses Wissenszweiges zu betrachten,
+wenn es auch an anerkennenswerten Vorläufern nicht gefehlt hat. Er
+war der erste, der das ganze Tierreich dem Skalpell unterwarf, und
+zwar mit solch vollendeter Meisterschaft, daß seine Arbeiten für
+alle Zeiten als Muster gelten können. So entstand sein anatomisches
+Hauptwerk[646], das neben einem Reichtum neuer Entdeckungen eine
+Verknüpfung des gesamten Tatsachenmaterials und dadurch einen Einblick
+in die Gesetze der tierischen Organisation vermittelt, wie es kein
+früheres und wenige spätere Werke in gleichem Grade vermocht haben. Von
+Einzeluntersuchungen *Cuviers* sind besonders seine Arbeiten über den
+unteren Kehlkopf der Vögel, über die Anatomie der Schnecke und über den
+Kreislauf der wirbellosen Tiere hervorzuheben.
+
+*Cuvier* war unterdessen Professor der vergleichenden Anatomie am
+Jardin des Plantes[647] und bald darauf Sekretär der Akademie geworden.
+Sein großes Lebenswerk wurde nicht nur dadurch gefördert, daß ihm diese
+höchsten wissenschaftlichen Stellungen eine Fülle von Hilfsmitteln
+erschlossen, sondern die gesamten Zeitumstände waren für ihn äußerst
+günstig. Die Machthaber Frankreichs, welche nach den ersten Stürmen
+der Revolutionszeit auftraten, brachten der großen Bedeutung der
+exakten Wissenschaften ein volles Verständnis entgegen. Schon unter dem
+Direktorium hatte man die von dem Nationalkonvent als gelehrten Plunder
+aufgehobene Akademie wieder eingerichtet. Napoleon ließ sich zu ihrem
+Mitgliede ernennen und trat zu *Cuvier*, den er besonders schätzte,
+in ein nahes persönliches Verhältnis. Letzterer wurde vom Kaiser mit
+der Reorganisation des arg in Unordnung geratenen Unterrichtswesens
+betraut. Diese Stellung brachte es mit sich, daß der große Gelehrte,
+dessen amtliche Tätigkeit sich auch auf die italienischen Universitäten
+erstreckte, weite Reisen unternahm und auswärtige Museen kennen
+lernte. Zum Mittelpunkt der naturwissenschaftlichen Sammeltätigkeit
+wurde aber Paris gemacht, wohin durch die französischen Eroberungszüge
+nicht nur die hervorragendsten Kunstschätze, sondern auch ein reiches
+wissenschaftliches Material gelangte. Paris war damals nicht nur das
+politische, sondern auch das geistige Zentrum der Welt.
+
+Nachdem *Cuvier* die Grundlagen der vergleichenden Anatomie geschaffen,
+ging sein ganzes Streben darauf hinaus, diese Wissenschaft mit der
+Zoologie zu verschmelzen und eine Anordnung der Formen zu treffen,
+welche der genaue und vollständige Ausdruck der Natur sein sollte[648].
+»Als ich anfing«, sagt er[649], »herrschte das *Linné*sche System.
+Es gab zwar ausgedehnte Arbeiten über einzelne Tierklassen. Die
+Bearbeiter hatten aber nur die äußeren Beziehungen der Arten
+berücksichtigt; niemand hatte sich damit abgegeben, die Klassen und
+ihre Unterabteilungen nach der Gesamtheit der inneren und äußeren
+Kennzeichen gegeneinander abzuwägen. Ich mußte also in der Anatomie und
+in der Zoologie mit dem Zergliedern und dem Einteilen von vorn anfangen
+und aus der gegenseitigen Befruchtung dieser beiden Wissenschaften das
+zoologische System hervorgehen lassen.« Die Grundzüge des letzteren
+veröffentlichte *Cuvier* in der berühmten Abhandlung vom Jahre 1812.
+Sie führt den Titel: »Über eine neue Anordnung der Klassen, welche das
+Tierreich zusammensetzen«[650].
+
+*Cuviers* System bedeutet den größten Fortschritt der Zoologie seit
+der Zeit des Aristoteles. *Linné* hatte als »Würmer« zahlreiche
+verschiedengestaltige Tiere beisammen gelassen, für die es unmöglich
+war, irgend ein gemeinsames Kennzeichen anzugeben. Während *Cuvier*
+an seinen ersten Abhandlungen zur vergleichenden Anatomie arbeitete,
+befand er sich der Unmöglichkeit gegenüber, irgend etwas allgemein
+Zutreffendes über die Würmer zu sagen, sei es über ihr Nervensystem,
+sei es über ihren Blutkreislauf, ihre Atmungs-, Fortpflanzungs- oder
+über ihre Verdauungsorgane. Dadurch wurde ihm denn klar, daß diese
+Klasse nicht gleich den übrigen auf positive Merkmale gegründet sei.
+Er machte deshalb 1795 den Vorschlag, die »Würmer« in vier Klassen
+zu teilen, welche auf ebenso deutliche Verschiedenheiten gegründet
+wären, wie die Klassen der Wirbeltiere. Während nämlich die Klassen
+der Wirbeltiere eine große Anzahl von Zügen gemeinsam haben, gilt für
+die wirbellosen Tiere nicht dasselbe. »Die Klassen der Wirbeltiere«,
+sagt *Cuvier*, »sind gewissermaßen nach demselben Plane gebaut. Will
+man aber ein Organsystem der wirbellosen Tiere beschreiben, so ist
+man gezwungen, fast ebensoviel Schemata zu entwerfen, als man Klassen
+innerhalb der Wirbellosen aufgestellt hat.« *Cuvier* gelangte so dahin,
+gewisse Klassen der letzteren der gesamten Reihe der Wirbeltiere als
+gleichwertig an die Seite zu stellen. Das Ergebnis war, daß er vier
+Hauptpläne nachwies, nach denen ihm sämtliche Tiere gebaut zu sein
+schienen. Die Unterabteilungen der so gewonnenen vier Hauptgruppen
+oder Kreise werden nach ihm dadurch bedingt, daß geringe Abänderungen
+durch die Entwicklung und das Hinzutreten gewisser Teile hervorgerufen
+werden, die indessen an den Grundzügen des Planes nichts ändern.
+
+Nach einer genauen Kennzeichnung der anatomischen Grundzüge jedes
+Kreises, gelangt *Cuvier* zu folgender Einteilung des Tierreiches:
+
+ I. Kreis. Wirbeltiere.
+
+ 1. Klasse Säugetiere.
+ 2. " Vögel.
+ 3. " Kriechtiere (Reptilien und Amphibien).
+ 4. " Fische.
+
+
+ II. Kreis. Weichtiere.
+
+ 1. Klasse Kopffüßer oder Cephalopoden.
+ 2. " Bauchfüßer oder Gasteropoden.
+ 3. " Flossenfüßer oder Pteropoden.
+ 4. " Muscheln oder Acephalen.
+
+
+ III. Kreis. Gliedertiere.
+
+ 1. Klasse Ringelwürmer oder Anneliden.
+ 2. " Krebstiere oder Crustaceen.
+ 3. " Spinnen oder Arachniden.
+ 4. " Kerbtiere oder Insekten.
+
+
+ IV. Kreis. Radiärtiere.
+
+ 1. Klasse Stachelhäuter oder Echinodermen.
+ 2. " Eingeweidewürmer.
+ 3. " Pflanzentiere oder Polypen.
+ 4. " Aufgußtiere oder Infusorien.
+
+Diese Einteilung *Cuviers* bildet auch heute noch im wesentlichen
+die Grundlage des natürlichen Systems. Doch ist die Zahl der
+Kreise auf sieben vermehrt worden. Zuerst wurde durch Abtrennung
+der Infusorien von den Radiärtieren der Kreis der Urtiere oder
+Protozoen gebildet. Sodann wurden die Stachelhäuter, welche einen Darm
+besitzen, als besonderer Kreis den darmlosen Radiärtieren (Korallen,
+Seerosen usw.) gegenübergestellt. Endlich wurden die Ringelwürmer
+mit den Eingeweidewürmern und anderen niederen Formen zum Kreise
+der Würmer vereinigt. Außerdem gestattet die Entdeckung zahlreicher
+Verbindungsglieder zwischen den einzelnen Kreisen, das gesamte
+Tierreich als eine Einheit im höchsten Sinne zu betrachten.
+
+Die Ergebnisse von *Cuviers* vergleichend anatomischen Untersuchungen
+widersprachen der von der naturphilosophischen Schule vorausgesetzten
+Einheit der tierischen Organisation. Seine durch Jahrzehnte
+fortgesetzten Arbeiten hatten den nicht hinwegzuleugnenden Nachweis
+geliefert, daß sich die scheinbar unendliche Mannigfaltigkeit der
+Lebewesen auf mehrere Typen oder allgemeinen Baupläne zurückführen
+läßt. Das von *Cuvier* geschaffene System, vor allem aber der
+Grundgedanke, daß es solche allgemeinen Baupläne gibt, ist durch
+weitere, insbesondere entwicklungsgeschichtliche Forschungen im
+wesentlichen bestätigt worden. Sah man sich auch gezwungen, die
+Zahl der Typen zu vermehren, sowie die Existenz von Zwischenformen
+anzunehmen, so wurde dadurch der Begriff des Typus doch nicht
+erschüttert. Und vollends haben sich Lehren, wie diejenige von
+*Geoffroy St. Hilaire*, nach welcher die Insekten mit ihrem
+bauchständigen Mark als umgekehrte Wirbeltiere betrachtet wurden, als
+unhaltbar erwiesen.
+
+*Cuviers* Untersuchungen über die fossilen Tiere berühren sich mit
+den Ergebnissen seiner zoologischen Arbeiten. Die Hauptpläne, die er
+für die lebenden Tiere erkannt hatte, fanden sich nämlich auch an den
+untergegangenen Formen verwirklicht, so daß sich die früheren mit den
+jetzigen Lebewesen zu einem großen System vereinigen ließen.
+
+Mit der Erkenntnis, daß die ausgestorbenen Wirbeltiere, auf die sich
+*Cuviers* paläontologische Forschungen insbesondere erstreckten, von
+den heutigen in solchem Maße abweichen, daß sie mit ihnen höchstens
+unter denselben Gattungsbegriff gestellt werden dürfen, konnte man
+das Dogma von der Konstanz der Arten nicht wohl vereinigen. So nahm
+denn *Cuvier* an, daß jede einer geologischen Epoche eigentümliche
+Lebewelt auf einen besonderen Schöpfungsvorgang zurückzuführen
+sei, während die Harmonie der gesamten Schöpfung in dem Einhalten
+der von ihm nachgewiesenen Baupläne zum Ausdruck gelangen sollte.
+Jeder Neuschöpfung sollte eine Beseitigung der vorhandenen Wesen
+vorangegangen sein. Hierfür nahm *Cuvier* gewaltige geologische
+Umwälzungen in Anspruch, deren Spuren er in den Veränderungen, welche
+die ursprünglich horizontalen, versteinerungsführenden Schichten
+erlitten haben, aufdecken zu können glaubte. Die Entwicklung der
+Paläontologie und der Geologie unter dem Einfluß dieser Anschauungen
+*Cuviers* und seiner Zeitgenossen wird uns in einem späteren Abschnitt
+beschäftigen.
+
+Erwähnen wir noch, daß *Cuvier* im Jahre 1817 unter dem Titel das
+»Tierreich« ein umfassendes Werk[651] herausgab, so ist damit die
+Bedeutung dieses außerordentlichen Mannes zwar nicht erschöpft, doch
+in den wesentlichsten Punkten gewürdigt. Am 13. Mai des Jahres 1832
+wurde er nach kurzer Krankheit seiner großartigen Tätigkeit durch den
+Tod entrissen. »Solange die Welt steht«, äußerte ein hervorragender
+Zeitgenosse in einem *Cuvier* gewidmeten Nachruf[652], »wird der
+Verstorbene als hellleuchtendes Gestirn am naturhistorischen Himmel
+glänzen und die Augen der Nachkommenden auf sich ziehen, um bei seinem
+Scheine den Reichtum der Natur zu bewundern, zu untersuchen, zu
+scheiden, zu ordnen, zu begreifen und zu benutzen.«
+
+Nachdem in der Anatomie die vergleichende Richtung über die einseitig
+beschreibende gesiegt hatte, konnte es nicht ausbleiben, daß auch der
+menschliche Organismus unter allgemeineren Gesichtspunkten betrachtet
+wurde. Schon *Linné* hatte dem Menschen einen Platz in seinem System,
+und zwar innerhalb der Ordnung der Primaten, angewiesen und dazu
+bemerkt, er habe bislang kein anatomisches Kennzeichen nachweisen
+können, wodurch der Körperbau des Menschen vom demjenigen des Affen
+unterschieden sei. Aus dem Bemühen, den von *Linné* vermißten
+»Charakter der Humanität« aufzufinden, überhaupt den Menschen als
+ein Naturgeschöpf zu würdigen und zu verstehen, entsprang die neuere
+Anthropologie, die sich seit dem Erscheinen von *Blumenbachs* Ȇber die
+angeborene Verschiedenheit im Menschengeschlecht« datieren läßt[653].
+In dieser Schrift sucht *Blumenbach* den Nachweis zu führen, daß die
+Menschheit aus Rassen bestehe, die aus einem gemeinschaftlichen Stamme
+hervorgegangen seien, ähnlich wie dies für die Spielarten der Haustiere
+zutrifft. Obgleich *Blumenbach* durchaus nicht verkennt, daß derartige
+Spielarten durch kaum merkliche Übergänge ineinander überfließen,
+gelangt er doch zur Aufstellung seiner bekannten fünf Hauptrassen
+(Kaukasier, Mongolen, Aethiopier, Amerikaner, Malayen[654]).
+
+Als ein wesentliches anatomisches Merkmal, das den Menschen vom höheren
+Tiere, insbesondere vom Affen unterscheidet, betrachtet *Blumenbach*,
+den wir als einen der frühesten vergleichenden Anatomen und den
+Begründer der ethnographischen Schädellehre gelten lassen müssen,
+das vortretende Kinn und die dadurch bedingte aufrechte Stellung der
+unteren Vorderzähne. Der gleichfalls auf dem Gebiete der vergleichenden
+Anatomie schon vor *Cuvier* tätige Holländer *Peter Camper* (1722-1789)
+wies in einer vortrefflichen Arbeit über den Orang-Utang darauf hin,
+daß der Gesichtswinkel dieses höchststehenden Affen beträchtlich
+kleiner als derjenige der am tiefsten stehenden menschlichen Rassen
+sei.
+
+
+
+
+26. Geologie und Paläontologie unter der Herrschaft der
+Katastrophenlehre.
+
+
+Schon *Hutton* hatte in seiner »Theorie der Erde« die heute herrschende
+Ansicht entwickelt, daß der gegenwärtige Zustand der Erde aus den noch
+jetzt wirkenden Kräften unter Zuhilfenahme ausgedehnter Zeiträume
+erklärt werden müsse. Die Mehrzahl der Geologen nahm aber für die
+früheren Epochen der Erdentwicklung außergewöhnliche Kräfte und
+Begebenheiten in Anspruch.
+
+Häufig wurde diese unter dem Namen der Katastrophentheorie bekannte
+Ansicht selbst bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein von dem Streben
+getragen, die Wissenschaft mit der biblischen Überlieferung in Einklang
+zu bringen. Manche wollten sogar in der Sintflut die letzte große
+Katastrophe erblicken. Zu den Anhängern der Katastrophentheorie gehörte
+auch *Cuvier*. Wir haben die hervorragenden Leistungen dieses Mannes
+um die vergleichende Anatomie und Zoologie schon kennen gelernt.
+Ausgehend von diesen Wissenszweigen hatte *Cuvier* die Paläontologie
+reformiert. In der allgemeinen Geologie blieben *Cuviers* Anschauungen
+und Kenntnisse jedoch weit hinter denen eines *Hutton* und *Füchsel*
+zurück. Trotzdem wurden diese Anschauungen, gestützt durch die große
+Autorität, die *Cuvier* auf den zu der Geologie in engster Beziehung
+stehenden Wissenszweigen genoß, zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts
+die herrschenden.
+
+Auch der Umstand, daß der große französische Forscher seine
+allgemeingeologischen Lehren seinem epochemachenden paläontologischen
+Werk[655], als eine Art Vorrede voranschickte, verlieh ihnen die
+besondere Beachtung der Zeitgenossen.
+
+Nachdem *Cuvier* die Beschaffenheit der uns zugänglichen Teile der
+Erde und die gegenwärtig noch tätigen geologischen Kräfte geschildert,
+kommt er zu dem Ergebnis, daß diese Kräfte nicht ausreichen, um die
+Veränderungen hervorzubringen, deren Spuren uns die Erdkruste darbietet.
+
+Die Veränderungen, die im Verlaufe der Erdgeschichte in der organischen
+Welt stattfanden, wurden nach *Cuvier* durch einen Wechsel in der
+Beschaffenheit des Mediums veranlaßt oder gingen einem solchen
+wenigstens parallel. Dieser Wechsel erfolgte nach ihm nicht allmählich,
+sondern plötzlich, katastrophenartig. Da inmitten der Meeresbildungen
+Schichten vorkommen, die mit tierischen und pflanzlichen Erzeugnissen
+des Festlandes und des süßen Wassers angefüllt sind, so müsse man
+schließen, daß zu wiederholten Malen schon aufs Trockene gesetzte
+Teile der Erde wieder überflutet wurden. Für die Behauptung, daß
+dieser Wechsel plötzlich erfolgte, dienten *Cuvier* besonders die
+im Eise Sibiriens entdeckten Leichen des Mammuts als Beweis. Die
+letzte Katastrophe, meint er, habe im hohen Norden Leichen gewaltiger
+Vierfüßer zurückgelassen, die vom Eise eingeschlossen wurden und
+bis auf unsere Tage mit Haut und Haar erhalten blieben. Wären das
+Einfrieren und der Tod nicht zur selben Zeit erfolgt, so würden
+die Tiere der Zersetzung anheim gefallen sein. Andererseits könne
+dieser ewige Frost vorher nicht an den Orten, wo die Tiere von ihm
+ergriffen wurden, geherrscht haben, denn sie hätten unter solchen
+Temperaturverhältnissen nicht leben können. Es sei also derselbe
+Augenblick, welcher den Tod dieser Tiere herbeigeführt und das Land,
+das sie bewohnten, mit Eis überzogen habe. Dies müsse plötzlich und
+nicht etwa nach und nach eingetreten sein. Und was sich so offenbar für
+diese letzte Katastrophe dartun lasse, sei kaum weniger ersichtlich für
+die vorangegangenen. Die Zerreißungen, Biegungen und Kippungen, welche
+die ältesten Schichten aufweisen, riefen in *Cuvier* die Überzeugung
+hervor, daß plötzliche und heftig wirkende Ursachen die Schichten in
+den Zustand versetzt hätten, in dem wir sie jetzt erblicken.
+
+*Cuviers* Irrtum entsprang zum Teil daraus, daß er die Zeitdauer der
+geologischen Entwicklung unterschätzte. So nahm er z. B. an, daß die
+letzte Erdrevolution vor nicht mehr als 5000 Jahren stattfand. Während
+*Cuviers* irrige Vorstellungen auf dem Gebiete der allgemeinen Geologie
+eine ähnliche Rolle gespielt haben wie *Newtons* Emanationslehre
+in der Optik, sind seine Verdienste um die Paläontologie von der
+größten Bedeutung. Ihm gelang es, dieser Wissenschaft durch die enge
+Verbindung, in die er sie mit der Zoologie und der vergleichenden
+Anatomie brachte, einen völlig neuen Geist, der sie seitdem belebt hat,
+einzuhauchen.
+
+Die Umgegend von Paris, die *Cuvier* für seine paläontologischen
+Forschungen das meiste Material lieferte, ist an fossilen
+Säugetierresten besonders reich. Die größte Schwierigkeit ergab sich
+aber daraus, daß vollständige Skelette äußerst selten gefunden werden,
+die einzelnen Knochen vielmehr ohne alle Ordnung und meist zerbrochen
+in den Gesteinsschichten sich vorfinden. All diese Schwierigkeiten
+schwanden, als *Cuvier* das schon früher erwähnte[656] Grundgesetz der
+allgemeinen Anatomie, das Prinzip der Korrelation der Organe aussprach.
+Nach diesem Prinzip regelt sich das gegenseitige Verhältnis der Formen
+in den organischen Geschöpfen in der Weise, daß jeder Organismus schon
+aus der Beschaffenheit eines seiner Teile in seiner ganzen Eigenart
+erkannt werden kann.
+
+Unter Anwendung dieses Prinzips und durch steten Vergleich mit
+den Skeletten lebender Tiergattungen gelang es *Cuvier*, aus den
+zerstreuten Knochen, die sich im Pariser Gips fanden, die erloschenen
+Gattungen, Paläotherium und Anoplotherium, zu rekonstruieren. Diese
+Gattungen der mittleren Tertiärzeit (Oligozän) erwiesen sich beim
+näheren Studium als ziemlich artenreich. Das Paläotherium mit seinen
+drei gleich starken Hufen wurde als ein Vorläufer unseres Pferdes
+erkannt, während das Anoplotherium den Urtypus eines Wiederkäuers
+darstellt. Auch Raubtiere, Beuteltiere, Vögel, Reptilien und Fische
+ließen sich in ihren Überresten im Gips des Montmartre nachweisen.
+Fast kein Block dieser tertiären Gesteinsmasse war frei von solchen
+zerstreuten Resten, die *Cuvier* auf mehr als 150 verschiedene Arten
+zurückzuführen vermochte. Von diesen Arten waren mehr als 90 vor
+*Cuvier* den Naturforschern gänzlich unbekannt.
+
+Auf Grund seiner Einzeluntersuchungen gelangte *Cuvier* zu einer
+klareren Einsicht in die geologische Zeitfolge der Organismen, als sie
+vor ihm möglich war. Er hob hervor, daß die Fische und die eierlegenden
+Vierfüßer früher auf der Erde erschienen als die Säugetiere und daß die
+erloschenen Gattungen der letzteren in älteren Schichten vorkommen als
+die Gattungen, von denen noch heute Arten existieren.
+
+Die Ichthyosauren, Plesiosauren, mehrere Schildkröten und Krokodile,
+schrieb *Cuvier* über das Verhältnis der Arten zu den Formationen,
+fänden sich unterhalb des Kreidegebietes in den Schichten des
+sogenannten Jura. Die zahlreichen Fische des Thüringer Kupferschiefers
+seien noch älter. In der Kreide selbst begegnen uns riesige Saurier
+und Schildkröten. Aber, fährt er fort, Knochen von Landsäugetieren
+finden sich außer den Beuteltierkiefern im Jura weder in älteren
+Gebirgsschichten noch in der Kreide. Trotz dieser im allgemeinen
+zutreffenden Erkenntnis von der geologischen Aufeinanderfolge der
+großen Gruppen der Organismen ahnte *Cuvier* nicht den genetischen
+Zusammenhang, der zwischen den vergangenen Lebewelten und der
+gegenwärtigen besteht.
+
+Von Einfluß auf die weitere Entwicklung der Geologie war die
+hervorragende Tätigkeit, welche Deutschlands größter Geologe, *von
+Buch*, entfaltete. *Leopold von Buch* wurde 1774 in der Uckermark
+geboren[657]. Gleichzeitig mit *Humboldt* wurde er auf der Bergakademie
+zu Freiberg durch *Werner* in die Mineralogie und in die Geognosie
+eingeführt. Wir haben *Werner* als den Begründer dieser Wissenschaft
+und den wichtigsten Verfechter der neptunistischen Lehre kennen
+gelernt[658]. Als *Buch* seine Forschungsreisen auf die vulkanischen
+Gebiete der Auvergne und Italiens ausdehnte, kamen ihm Zweifel an der
+Richtigkeit jener Lehre *Werners*, der seine Beobachtungen auf das
+mittlere Deutschland beschränkt hatte. Darauf vollzog sich bei *Buch*
+wie bei dem ihm befreundeten *Humboldt* ein entschiedener Abfall von
+*Werner*.
+
+Hochwichtige Ergebnisse förderte *v. Buchs* Durchforschung der
+skandinavischen Halbinsel zutage (1806-1808). Er untersuchte vor allem
+die Lagerungsverhältnisse der Massengesteine und fand, daß der Granit
+nicht immer das älteste Gestein sei, da er mitunter auf Versteinerungen
+führendem Kalk auflagere, wie z. B. bei Christiania. Als die älteste
+Grundlage betrachtete man nunmehr den *Gneiß*.
+
+Diese Entdeckung rief allgemeines Erstaunen hervor und veranlaßte den
+für geologische Fragen sich stets lebhaft interessierenden *Goethe* zu
+der Bemerkung, daß der Sohn zum Vater geworden sei. Auch der nordische
+Ursprung der deutschen Findlingsblöcke wurde durch *Buch* eingehender
+begründet. Endlich gelang es ihm, durch den Nachweis von Strandlinien
+die langsame Erhebung Skandinaviens aus dem Schoß des Meeres
+nachzuweisen und damit die neuere Lehre von den säkularen Hebungen und
+Senkungen zu begründen. Auf die Änderungen der Küsten jenes Landes
+hatte zwar schon *Celsius* im Jahre 1740 hingewiesen, sie aber aus
+einem langsamen Sinken des Meeresspiegels zu erklären gesucht.
+
+Von nicht geringerer Bedeutung für die Entwicklung der geologischen
+Vorstellungen als *Buchs* Werk über Skandinavien, war seine
+»Physikalische Beschreibung der kanarischen Inseln«[659]. Es lehrte
+die Unterscheidung von Zentral- und Reihenvulkanen, sowie die
+Entstehung der letzteren auf den großen Spalten der Erdrinde kennen,
+welche den Begrenzungen der Kontinente entsprechen. Gleichzeitig
+entwickelte *Buch* eine Theorie der Erhebung von Bergketten und ganzen
+Kontinentalmassen durch vulkanische Kräfte. War diese Theorie in
+ihren Einzelheiten auch nicht stichhaltig, so hat sie doch die heute
+geltenden Lehren der Gebirgsbildung vorbereitet.
+
+Dem Studium des Vulkanismus war auch *Humboldts* amerikanische
+Forschungsreise, soweit sie geologische Erscheinungen betraf, in erster
+Linie gewidmet. So machte es *Humboldt* schon wahrscheinlich, daß sich
+die gewaltigen Vulkane Mittelamerikas über einer 150 Meilen langen
+Erdspalte befinden.
+
+Die Ausdehnung der geologischen Forschung auf die außereuropäischen
+Erdteile, wie sie besonders *Humboldt* einleitete, war vor allem
+nötig, um die Allgemeingültigkeit der in Mitteleuropa an einem nur
+beschränkten Material zuerst ins Leben gerufenen Lehren über die
+Schichtenfolge darzutun und die ursächliche Begründung dieser Lehren zu
+ermöglichen.
+
+
+
+
+27. Fortschritte auf dem Gebiete der Entwicklungslehre.
+
+
+Um das Studium der Entwicklung des Tierindividuums hatte sich im
+18. Jahrhundert *Wolff* das größte Verdienst erworben[660]. Seine
+Ansichten vermochten der Evolutionstheorie gegenüber zunächst nicht
+durchzudringen. Im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts erfuhr die
+Entwicklungsgeschichte durch eine Reihe deutscher Forscher jedoch
+einen außerordentlichen Aufschwung, wobei *Wolffs* Lehre von der
+Epigenesis den Sieg davontrug. »Der Deutsche«, sagt *Hyrtl*, »darf mit
+Stolz sagen, daß alles, was in diesem Fache Großes geschah, von seinem
+Vaterlande ausging«. Die Männer, welche diesen Umschwung herbeiführten,
+waren außer dem Anatomen *Meckel*, der durch seine Übersetzung
+von *Wolffs* Schrift über die Bildung des Darmkanals (1812) die
+Aufmerksamkeit der Zoologen und Physiologen von neuem auf dieses Gebiet
+gelenkt hatte, vor allem *Pander* und *von Baer*.
+
+Die neue Ära wurde eingeleitet durch *Panders* Beiträge zur
+Entwicklungsgeschichte des Hühnchens im Ei. Es ist dies eine klassisch
+zu nennende Arbeit und zwar bis dahin die bei weitem bedeutendste auf
+diesem Gebiete. Daß die Bildung des Embryos von einer blattförmigen
+Schicht ausgeht, hatte *Wolff* schon angedeutet. »*Pander*[661] zeigte,
+daß in der Bildung der Keimhaut die ganze Entwicklung des Hühnchens
+begründet ist«. Alles, was weiter geschieht, sagt er, ist nichts
+anderes »als eine Metamorphose dieser mit einer unerschöpflichen Fülle
+des Bildungstriebes begabten Membran und ihrer Blätter«. *Pander*
+wies nach, daß sich das Keimblatt zunächst und zwar schon während der
+ersten 24 Stunden in drei übereinander liegende Blätter spaltet. Das
+äußerste nannte er das seröse, das innere das Schleimblatt und das
+zwischen beiden liegende das Gefäßblatt. Den eigentümlichen Gang der
+Entwicklung, den jedes dieser Primitivgebilde einschlägt, hat *Pander*
+auch schon in Betracht gezogen. Die Fortsetzung der Arbeit nach dieser
+Richtung blieb indessen vor allem *von Baer* vorbehalten, der sich den
+Ehrentitel des größten Embryologen aller Zeiten erworben hat.
+
+*Karl Ernst von Baer*[662] wurde am 28. Februar 1792 in Esthland
+geboren und studierte zunächst in Dorpat und später in Würzburg
+bei *Döllinger*, dem sowohl er als auch *Pander* die Anregung zu
+ihren embryologischen Arbeiten verdankten. *Döllinger* hatte den
+Wunsch geäußert, daß einer seiner Schüler sich der mühevollen Arbeit
+unterziehen möge, die Entwicklung des Hühnchens von Stunde zu Stunde
+zu verfolgen. Er wandte sich damit zuerst an *von Baer*, der seinen
+Genossen *Pander* zur Übernahme dieses Auftrages bewog. *Von Baer*
+wurde Professor der Naturgeschichte in Königsberg, folgte aber später
+einem Rufe an die Petersburger Akademie der Wissenschaften.
+
+*Von Baer* ist vor allem dadurch berühmt geworden, daß er die Frage
+nach dem Ei der Säugetiere, insbesondere des Menschen, um die sich
+Jahrtausende vergeblich bemüht hatten, zum Abschluß brachte. Um die
+Mitte des 17. Jahrhunderts wurde die Vermutung geäußert, daß diejenigen
+weiblichen Organe, die unter dem Namen Ovarien bekannt sind, die
+Bildungsstätte der Säugetiereier und der menschlichen Eier seien. Der
+Niederländer *de Graaf* entdeckte die seitdem als *Graaf*sche Follikel
+bezeichneten, mit Flüssigkeit gefüllten Bläschen. Manche Anatomen
+hielten sie für die Eier, was zur Bezeichnung Eierstock oder Ovarium
+für das sie erzeugende Organ geführt hat.
+
+*De Graaf* selbst sprach die Vermutung aus, daß sich das Ei in dem
+Follikel befinde. Die Richtigkeit dieser Ansicht bewies erst *von Baer*
+im Jahre 1827[663]. Einige Jahre vorher hatte man im unbebrüteten Ei
+des Vogels das Keimbläschen entdeckt, ein einzelliges Gebilde, von dem,
+wie man bemerkte, die Bildung der Keimhaut ihren Ausgang nimmt[664].
+
+*Von Baer* wies das Vorkommen dieses Keimbläschens in den Eiern der
+übrigen eierlegenden Tiere, wie der Frösche, Mollusken, Würmer und
+Gliedertiere, nach und zeigte, wie aus diesem einzelligen Gebilde
+durch einen Furchungsprozeß die Keimhäute als erste Anlage des Embryos
+hervorgehen und daß die Hauptsubstanz des früher als Ei bezeichneten
+Gebildes, der Dotter, nur den Nährstoff für das sich entwickelnde
+Lebewesen vorstellt.
+
+Damit war für das gesamte Tierreich eine die Entwicklung beherrschende
+Gesetzmäßigkeit gefunden, welche dahin lautet, daß jedes, auch das am
+höchsten stehende, Geschöpf sein Leben als einzelliges Gebilde beginnt.
+Mit der Entdeckung der Eizelle und des Furchungsprozesses[665] war
+nicht nur *Harveys* Ausspruch omne vivum ex ovo erst zur Wahrheit
+geworden, sondern es war durch diese Entdeckungen die wichtige
+Grundlage für die bald darauf von *Schwann* errichtete Zellenlehre[666]
+geschaffen.
+
+Schon im Jahre nach der Entdeckung des Säugetiereies ließ *von Baer*
+den ersten Band seines berühmten Werkes »Über die Entwicklung der
+Tiere« erscheinen. (1828. Der zweite Band erschien 1837.) Anknüpfend
+an die Untersuchungen *Panders* über die Bildung der drei Keimblätter
+zeigte *von Baer*, wie aus diesen Primitivgebilden die einzelnen
+Organe und Organsysteme des Embryos sich entwickeln. Während ferner
+*Pander* sich nach althergebrachter Weise auf die Entwicklung des
+Hühnchens beschränkt hatte, dehnte *von Baer* seine Untersuchung, indem
+er nach der in der Anatomie schon zum Durchbruch gelangten Methode
+vergleichend verfuhr, auf sämtliche Gruppen der Wirbeltiere aus. *Von
+Baer* verfolgte zunächst die Umwandlung der Keimblätter zum Nervenrohr
+und Darmrohr und zeigte, wie am ersteren die Sonderung in Hirn und
+Rückenmark, sowie durch Ausstülpung die Bildung der Sinnesorgane
+vor sich geht, während sich am Darmrohre eine ähnliche Sonderung in
+einzelne Abschnitte (Mundhöhle, Mitteldarm usw.) ausbildet. Auch
+daß die Entstehung des Atmungsorgans und der Leber vom Darmrohr aus
+beginnt, wurde durch *von Baer* nachgewiesen.
+
+Von allgemeinen Ergebnissen, zu denen er durch den Vergleich
+zahlreicher Einzelvorgänge gelangte, seien noch folgende hervorgehoben:
+Die ursprüngliche Keimesanlage der Wirbeltiere ist die gleiche.
+Die Entwicklung nimmt aber je nach dem Typus, der sich im Bau des
+fertigen Tieres ausspricht, alsbald eine verschiedene Richtung. Ein
+auffallender Unterschied besteht, wie weiter betont wird, in der
+Entwicklung der höheren und der niederen Wirbeltiere. Dieser Umstand
+mache sich besonders dadurch bemerkbar, daß letzteren Amnion und
+Allantois fehlen, während diese Embryonalorgane für die höheren
+Wirbeltiere charakteristisch sind. Die Frage nach dem Zusammenhang des
+Säugetierembryos mit der Mutter machte *von Baer* zum Gegenstand einer
+besonderen Untersuchung[667].
+
+Zahlreiche Forscher, auf deren Arbeiten hier jedoch nicht eingegangen
+werden kann, haben das von *Pander* und *von Baer* begonnene Werk
+fortgesetzt. Genannt sei nur *Rathke*[668], der über die Entwicklung
+der Geschlechtsorgane der Wirbeltiere das erste Licht verbreitete und
+das Vorhandensein von Kiemenanlagen, der sogenannten Schlundspalten,
+auch bei den Embryonen der Vögel und der Säugetiere entdeckte.
+*Rathke* war es ferner, welcher die Untersuchung über die Bildung der
+Keimanlagen aus der Eizelle auf das Gebiet der Wirbellosen ausdehnte.
+Vor allem ist hier sein Werk über die Entwicklung des Flußkrebses
+(1829) grundlegend gewesen.
+
+
+
+
+Fußnoten
+
+
+[1] Siehe *Dannemann*, Aus der Werkstatt großer Forscher, Abschn. 14.
+
+[2] Der Engländer *Wall* in den Philosoph. Transact. v. 1698. *Wall*
+rieb ein großes Stück Bernstein mit Wolle und erhielt einen Funken von
+fast einem Zoll Länge. Dabei trat ein Knall auf, als ob Steinkohle im
+Ofen zerspränge.
+
+[3] Eine Zusammenfassung seiner Untersuchungen ist die Schrift
+Physico-mechanical experiments. London 1709.
+
+[4] Vier Abhandlungen über die Elektrizität und den Magnetismus von
+*Coulomb* (1785-1786). (*Ostwalds* Klassiker Nr. 13.) Leipzig, Wilhelm
+Engelmann. 1890.
+
+[5] *Galilei*, Unterredungen und mathematische Demonstrationen
+(*Ostwalds* Klassiker Nr. 24, S. 80.)
+
+[6] Six Mémoires sur l'électricité, erschienen in den Memoiren der
+Pariser Akademie von 1733 und 1734.
+
+[7] Siehe auch die Ausführungen von *Aepinus* in *Dannemann*, Aus der
+Werkstatt großer Forscher, S. 177.
+
+[8] *Musschenbroek* und *Cunaeus*.
+
+[9] *Kleist* teilte seine Entdeckung am 4. November 1745 dem Anatomen
+*Lieberkühn* mit. Die Leydener Versuche fanden erst im Januar 1746
+statt. Es ist anzunehmen, daß den Leydener Physikern die *Kleist*sche
+Entdeckung nicht bekannt war (Mitteilungen zur Geschichte der Medizin
+und der Naturwissenschaften. IV. Bd. Nr. 1, S. 95).
+
+[10] Versuche und Abhandlungen der naturforschenden Gesellschaft zu
+Danzig, I. S. 442.
+
+[11] Durch *Wilson* um 1750.
+
+[12] 1755.
+
+[13] Journal de Phys. 1788.
+
+[14] *v. Marum*, Description d'une très-grande machine électrique et
+des expériences faites par le moyen de cette machine. 1785.
+
+[15] *Gralath* schrieb auch eine Geschichte der Elektrizität.
+
+[16] *Watson* in Philos. Transact. 1748. Vol. 45, N. 485, S. 92.
+
+[17] *Van Marum*, Über das Elektrisieren. 1777.
+
+[18] *J. C. Fischer*, Geschichte der Physik. 1801-1808. V. 483.
+
+[19] *Eulers* Briefe an eine deutsche Prinzessin. Leipzig 1773. Bd. II.
+S. 245 ff.
+
+[20] In dem ersten der an *Collinson* gerichteten Briefe vom 28. III.
+1747.
+
+[21] *Eulers* Briefe an eine deutsche Prinzessin. 1773. Bd. II. S. 287.
+
+[22] Die Stärke der elektrischen Kraft des Wassers in gläsernen
+Gefäßen. Leipzig 1746. S. 137 u. f.
+
+[23] Das Bestreben, die Ursache dieses »elektrischen« Geruches zu
+ermitteln, führte später zur Entdeckung des Ozons. Siehe *Dannemann*,
+Aus der Werkstatt großer Forscher. 1908. S. 375.
+
+[24] *Franklin* in seinem 5. Briefe an *Collinson*.
+
+[25] *Franklins* Brief an *Kinnersley* vom 20. II. 1762.
+
+[26] So etwa lauten die Worte, mit denen *Franklin* seine Ansicht in
+seinen Briefen entwickelt.
+
+[27] Den ersten Blitzableiter errichtete *Franklin* im Jahre 1752. In
+England begann man (*Watson*) 1762, in Deutschland 1769 Blitzableiter
+zu errichten. In Deutschland war es ein Arzt (*Reimarus*), der in
+Hamburg für die praktische Verwendung der neuen Erfindung eintrat.
+Durch *Reimarus* wurde der Physiker *Lichtenberg* veranlaßt, in
+Göttingen Blitzableiter anzulegen. *Lichtenberg* versah gemeinsam mit
+*Kästner* die Universitätsbibliothek mit einem Blitzableiter. (Siehe
+die Mitteilungen zur Geschichte der Medizin und der Naturw. Bd. IV. Nr.
+1. S. 104.)
+
+[28] Er entriß dem Himmel den Blitz und das Zepter den Tyrannen.
+
+[29] *Beccaria*, Lettere dell' elettricismo, pg. 282. Siehe *J. C.
+Fischer*, Geschichte der Physik (1801-1808). Bd. V. 753.
+
+[30] Siehe an späterer Stelle dieses Bandes.
+
+[31] *Fischer*, Geschichte der Physik, VIII. S. 541.
+
+[32] Siehe *Priestleys* Geschichte der Elektrizität, S. 261 u. f. und
+*Fischers* Geschichte der Physik, Bd. V. S. 837.
+
+[33] Dissertatio inauguralis de electricitatibus contrariis. Rostock
+1757.
+
+[34] *Th. Young*, Lectures on natural philosophy. London 1807. Bd. II.
+
+[35] War doch die Ähnlichkeit der Schläge, welche die Leydener Flasche
+und jener Fisch erteilen, eine zu auffallende.
+
+[36] Im Jahre 1671.
+
+[37] *Fischer*, Geschichte der Physik. Bd. V. S. 867.
+
+[38] Eine Bestätigung fanden diese Untersuchungen durch den Anatomen
+*John Hunter*, welcher das eigentümliche Organ der elektrischen Fische
+in den Phil. Transactions v. 1773 genauer beschrieb.
+
+Der genauere Titel der Abhandlung von *Walsh* lautet: On the
+electric Property of the Torpedo. In a letter from *John Walsh* to
+*Benjamin Franklin* (Juli 12. 1772). *Walsh* berichtet darin über
+Untersuchungen, die er in La Rochelle an dort gefangenen Zitterrochen
+anstellte. Diese Untersuchungen ergaben, daß »die Wirkung des Torpedos
+eine durchaus elektrische« sei. Die Schläge wurden durch eine Kette von
+Personen, sowie durch einen Draht geleitet.
+
+[39] Der Turmalin wurde daher auch als Aschenzieher bezeichnet.
+
+[40] *Franz Ulrich Theodor Aepinus*, der Entdecker der Influenz und
+der Thermoelektrizität, wurde im Jahre 1724 in Rostock geboren. Er
+studierte dort, wurde später Professor der Astronomie an der Akademie
+zu Berlin, folgte aber von dort einem Rufe nach Petersburg, wo er
+Physik lehrte und die Aufsicht über die russischen Normalschulen
+ausübte. Er starb 1802 in Dorpat.
+
+[41] *Aepinus*, Akademische Rede von der Ähnlichkeit der elektrischen
+und magnetischen Kraft. Leipzig 1760. Siehe auch *Dannemann*, Aus der
+Werkstatt großer Forscher. Leipzig 1908. Abschnitt 37.
+
+[42] Diese durch Erwärmung erregte Elektrizität, die an gewissen
+Kristallen auftritt, hat man als Pyroelektrizität bezeichnet. Bei der
+Abkühlung kehren sich die beiden Pole um; ist dagegen die Temperatur
+bleibend geworden, so ist der Kristall wieder unelektrisch. Später hat
+man diese Erscheinung auch an anderen Mineralien wahrgenommen, so am
+Kalkspat, Gips, Feldspat, Flußspat, Diamant usw.
+
+[43] Erst *Faraday* gelang es, eine so weitgehende Verknüpfung
+der elektrischen und der magnetischen Erscheinungen nachzuweisen,
+dass beide als Äußerungen ein- und derselben Naturkraft gelten.
+Elektrizität, Magnetismus, strahlende Wärme und Licht wurden auf
+Grund von *Maxwells* elektromagnetischer Theorie des Lichtes, sowie
+der Versuche von *Hertz* auf Zustände des Äthers zurückgeführt.
+Ausführlicheres darüber enthalten spätere Abschnitte dieses Werkes.
+
+[44] Nebenbei sei erwähnt, daß *Coulomb* durch mechanische
+Untersuchungen bewies, daß die Kraft des Menschen völlig unzulänglich
+sei, um ihn mittelst Flügel in die Lüfte zu erheben.
+
+[45] Vier Abhandlungen über die Elektrizität und den Magnetismus von
+*Coulomb*, übersetzt und herausgegeben von *Walter König*. (*Ostwalds*
+Klassiker der exakten Wissenschaften Nr. 13. Leipzig, Verlag von
+Wilhelm Engelmann, 1890). Fig. 1-5.
+
+[46] Mémoires de l'Académie royale, 1784. pg. 229 u. f.
+
+[47] *Ostwalds* Klassiker Nr. 13, S. 7.
+
+[48] Siehe *Ostwalds* Klassiker Nr. 115.
+
+[49] Mém. de l'Académie royale 1788. pg. 620 u. f.
+
+[50] Diese Fundamentalversuche über die Verteilung der Elektrizität hat
+*Cavendish*, wie aus seinen neuerdings veröffentlichten Untersuchungen
+über die Elektrizität hervorgeht, schon vor *Coulomb* angestellt.
+
+[51] Siehe *G. Green*, Ein Versuch, die mathematische Analysis auf die
+Theorien der Elektrizität und des Magnetismus anzuwenden. *Ostwalds*
+Klassiker der exakten Wissenschaften Nr. 64. Herausgegeben von *von
+Oettingen* und *Wangerin*. Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann, 1895.
+
+[52] Acta eruditorum. 1690. *Denis Papin* wurde 1647 in Blois
+geboren und starb 1712 in London. Er hielt sich viele Jahre in Hessen
+(Marburg und Kassel) auf und stand mit *Huygens* und *Leibniz* in regem
+wissenschaftlichen Verkehr.
+
+[53] *Ernst Jäger*, *Denis Papin* und seine Nachfolger in der Erfindung
+der Dampfmaschine. Stuttgart 1902. Siehe auch das Werk von *C.
+Matschoß*, Geschichte der Dampfmaschine, mit 118 Abbildungen, Berlin,
+Springer, sowie auch *Ernouf*, *Denis Papin*, sa vie et son œuvre. 4.
+Aufl., Paris, Hachette 1888.
+
+[54] Eine ausführliche Geschichte der Dampfmaschine hat *C. Matschoß*
+im Anschluß an sein auf S. 54 zitiertes Werk im Auftrage des Vereins
+deutscher Ingenieure geschrieben. Sie erschien 1908 bei J. Springer
+in Berlin, umfaßt 2 Bände und führt den Titel: *C. Matschoß*, Die
+Entwicklung der Dampfmaschine. Eine Geschichte der ortsfesten
+Dampfmaschine und der Lokomobile, der Schiffsmaschine und Lokomotive.
+
+[55] Geboren am 19. Januar 1736 in Greenock. Näheres über das Leben und
+die Bedeutung von *James Watt* enthält das Werk von *A. Ernst*: *James
+Watt* und die Grundlagen des modernen Dampfmaschinenbaus. Mit einem
+Bildnis von *James Watt* und 27 Textfiguren. Berlin, J. Springer, 1897.
+
+[56] Das Patent datiert vom 5. Januar 1769.
+
+[57] Im Jahre 1807.
+
+[58] Engineering 1894, I, S. 644.
+
+[59] *Berndt*, Die Entwicklung der Lokomotive. Darmstadt 1896.
+
+[60] Siehe Bd. II, S. 73.
+
+[61] *Renaldini*.
+
+[62] *Halley*, An account of several experiments, made to examine the
+nature of the expansion and contraction of fluids, by heat and cold,
+in order to ascertain the divisions of the thermometer (Philos.
+Transact. 1693).
+
+[63] *Fischer*, Gesch. d. Phys. III. 221.
+
+[64] Und zwar hat *Borelli*, den wir als Mitbegründer der neueren
+Physiologie kennen lernten, darauf hingewiesen.
+
+[65] *E. Mach*, Die Prinzipien der Wärmelehre. 1896.
+
+[66] *Daniel Gabriel Fahrenheit*, Versuche über den Siedepunkt einiger
+Flüssigkeiten. 1724. Im 57. Bande von *Ostwalds* Klassiker der exakten
+Wissenschaften, neu herausgegeben von *A. J. v. Oettingen*. Leipzig,
+Verlag von W. Engelmann. 1894.
+
+[67] *Ostwalds* Klassiker. Bd. 57. S. 17.
+
+[68] Siehe *Fahrenheits* Abhandlungen über Thermometrie (*Ostwalds*
+Klassiker, Nr. 57).
+
+[69] *Fahrenheit*, Experimente und Beobachtungen über das Gefrieren des
+Wassers im Vakuum. *Ostwalds* Klassiker, Bd. 57, S. 6 u. f.
+
+[70] *Réaumur*, Regeln zur Konstruktion von Thermometern mit
+vergleichbaren Skalen, 1730, 1731, im 57. Bande von *Ostwalds*
+Klassiker, herausgegeben von *A. J. v. Oettingen*. Leipzig, W.
+Engelmann, 1894. *Réaumur* (1683-1757) hat zahlreiche Abhandlungen aus
+den Gebieten der Physik, der Zoologie und der Botanik veröffentlicht.
+
+[71] *Ostwalds* Klassiker, Bd. 57, S. 49.
+
+[72] *Ostwalds* Klassiker, Bd. 57, S. 100 u. f. bringt eine Übersetzung
+der betreffenden Abhandlung *Réaumurs* vom Jahre 1733. Ihr Titel
+lautet: Über das Volumen der Flüssigkeitsgemische.
+
+[73] Abhandlungen der schwedischen Akademie. Bd. IV. 1742.
+
+[74] *R. Börnstein*, Zur Geschichte der hundertteiligen
+Thermometerskala. Physikal. Zeitschrift, Bd. 8, Nr. 23.
+
+Siehe auch die Notiz von *Rompel* im 53. Bande (1907) von Natur und
+Offenbarung. S. 749. Danach ist sichergestellt, daß *Linné* in Upsala
+im Jahre 1745 ein Thermometer benutzte, das den Gefrierpunkt mit 0° und
+den Siedepunkt mit 100° bezeichnet, besaß.
+
+[75] *Celsius* selbst hat den Siedepunkt mit 0 und den Gefrierpunkt
+mit 100 bezeichnet. Anders *Celsius* (1701-1744) war Professor der
+Astronomie in Upsala. Seine Abhandlung über das Thermometer erschien
+1742. Sie wurde im 57. Bande von *Ostwalds* Klassikern von neuem
+veröffentlicht. Leipzig, W. Engelmann. 1894.
+
+[76] Mémoires de l'Académie. Paris, 1703. S. 50 u. f. Siehe auch
+die Studie *Gerlands* in den Beiträgen aus der Geschichte der Chemie,
+herausgegeben von *P. Diergart*, 1909. S. 350-360: *Ernst Gerland*, Die
+Entdeckung der Gasgesetze und des absoluten Nullpunktes der Temperatur
+durch *Boyle* und *Amontons*.
+
+[77] Nach *Lambert* ist der absolute Nullpunkt dadurch definiert,
+daß bei diesem Punkt die Luft, da sie sich mit der Temperaturabnahme
+gleichmäßig zusammenzieht, fast keinen Raum mehr einnimmt. Nach den
+Angaben *Lamberts* tritt dieser Zustand bei der Abkühlung auf -270,3°
+Celsius ein. Die Abweichung von dem heute geltenden Wert (-273°)
+ist also nur gering. Aus des Daten *Amontons*' ergibt sich für den
+absoluten Nullpunkt der Wert von -293,5° Celsius.
+
+[78] Siehe das in *Gerland* und *Traumüller*, Gesch. d. phys.
+Experimentierkunst in Fig. 312 abgebildete und dort beschriebene
+Instrument.
+
+[79] Philos. Transact. Vol. LXXII.
+
+[80] Siehe Band I. S. 302.
+
+[81] Philos. Transact. 1683/84. Nr. 156. S. 304.
+
+[82] *De Saussure*, Versuch über die Hygrometrie, herausgegeben von *A.
+J. v. Öttingen*. Bd. 115 und 119 von *Ostwalds* Klassikern der exakten
+Wissenschaften. Leipzig, Verlag von W. Engelmann, 1900.
+
+[83] *Joseph Black* war schottischer Abkunft. Er wirkte als Professor
+der Chemie in Glasgow und später in Edinburg, wo er am 26. November
+1799 starb (Geburtsjahr 1728). *Blacks* chemische Arbeiten haben
+mehrere für die Begründung der neueren Chemie sehr wichtige Tatsachen
+zu Tage gefördert. (Siehe darüber an anderer Stelle.)
+
+[84] *Johann Karl Wilke* (*Wilcke*) wurde 1732 in Wismar (damals
+schwedisch) geboren und starb im Jahre 1796 in Stockholm, wo er die
+Stelle eines Mitgliedes und Sekretärs der Akademie der Wissenschaften
+bekleidete. Von ihm rührt die erste Inklinationskarte her (Försök
+till en magnetisk inclinationskarta. Stockholm 1768). Über *Wilkes*
+Verdienste um den Ausbau der Elektrizitätslehre wurde schon an anderer
+Stelle berichtet. (Siehe S. 22.)
+
+[85] Meditationes de caloris et frigoris causa (Abhandlungen der
+Petersburger Akademie von 1747 und 1748).
+
+[86] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 178. S. 19 u. f.
+
+[87] *Deluc* (1754).
+
+[88] Sind die Mengen m und m^1 und die Temperaturen t und t^1, so ist
+die Temperatur der Mischung, wenn nur ein Ausgleich stattfindet, T =
+(mt + m^1t^1)/(m + m^1).
+
+[89] *Mach*, Prinzipien der Wärmelehre. 1896. S. 162.
+
+[90] Siehe S. 41.
+
+[91] Durch *W. Cullen* (1710-1790) Professor der Chemie in Glasgow.
+*Cullen* veröffentlichte seine grundlegenden Versuche über die
+Verdunstungskälte (1755) in den Berichten der Edinburger Gesellschaft
+(Bd. II) unter dem Titel: On the cold produced by evaporating fluids
+and of some other means of producing cold. Siehe auch *E. Mach*, Die
+Prinzipien der Wärmelehre, historisch-kritisch dargestellt, 1896. S.
+177.
+
+[92] *J. C. Fischer*, Geschichte der Physik (1801-1808) V, 4.
+
+[93] *Mariotte*, Essai du chaud et du froid, 1679.
+
+[94] *M. A. Pictet* (1752-1825) war Professor und Präsident der
+Akademie der Wissenschaften in Genf.
+
+[95] *Pictet*, Essai sur le feu. Génève 1790. S. 83.
+
+[96] Hierauf wurde von *Black* hingewiesen. Siehe auch *E. Mach*,
+»Einfache Versuche über strahlende Wärme« (Zeitschr. für den phys. und
+chem. Unterricht VII, 3).
+
+[97] Die Abhandlungen von *Lavoisier* und *Laplace* über die Wärme
+wurden in den Mémoires de l'Académie veröffentlicht und im 2. Bande
+der gesammelten Werke *Lavoisiers* wieder abgedruckt. Die wichtigsten
+Ergebnisse sind im 40. Bande der *Ostwald*schen Sammlung enthalten.
+Zwei Abhandlungen über die Wärme von *A. L. Lavoisier* und *P. S. de
+Laplace* herausgegeben von *J. Rosenthal*. Leipzig, Verlag von W.
+Engelmann, 1892.
+
+[98] Zur Erläuterung diene folgendes Beispiel: Um 1 kg Eis von 0° in 1
+kg Wasser von 0° zu verwandeln, sind 80 Wärmeeinheiten erforderlich.
+Die Substanz, deren spezifische Wärme bestimmt werden soll, wiege 2 kg
+und sei auf 10° erhitzt, die Menge des Schmelzwassers betrage 1/10 kg.
+Daraus folgt, daß die 2 kg, als sie von 10° auf 0° abgekühlt wurden,
+um sie von 0° auf 10° zu erhitzen. Um demnach 1 kg von 0° auf 10° zu
+erwärmen, würden 4 Wärmeeinheiten, ((1/10)·80)/2, um es von 0° auf 1°
+zu erwärmen, würden dagegen nur 0,4 Wärmeeinheiten, ((1/10)·80)/(2·10),
+erforderlich sein.
+
+[99] Diese Untersuchung wurde später von verschiedenen Physikern wieder
+aufgenommen (Ann. de chimie et de physique, Bd. 85, S. 72, 1813),
+indessen erst durch *Regnault* (1840) unter Beobachtung aller in
+Betracht kommenden Umstände zu einem gewissen Abschluß gebracht.
+
+[100] Sir *Charles Blagden* (1748-1820) war Arzt in der englischen
+Armee und Mitglied der Royal Society. Seine Abhandlungen wurden
+neuerdings in deutscher Übersetzung von *A. J. v. Oettingen*
+herausgegeben (*Ostwalds* Klassiker der exakten Wissenschaften Nr. 56).
+Leipzig, Verlag von W. Engelmann, 1894.
+
+[101] Die letzte Beobachtung hatte schon *Fahrenheit* gemacht. S. S. 41.
+
+[102] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 56. S. 19 u. f.
+
+[103] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 56. S. 49.
+
+[104] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 56. S. 32.
+
+[105] Systema naturae. 1. Ausgabe von 1735 sehr selten und nur
+14 Seiten umfassend. 12. Ausgabe von *Müller*. 8 Bde. 13. Ausgabe
+von *Gmelin*. 10 Bände. Leipzig 1788-1793. Die 13. Ausgabe ist das
+letzte Werk, das alle zur Zeit seiner Herausgabe bekannten Tier- und
+Pflanzenarten beschreibt. Ein Neudruck der 10. Ausgabe wurde von der
+Deutschen zoologischen Gesellschaft veranstaltet (W. Engelmann, Leipzig
+1894).
+
+[106] Fundamenta botanica 1736. Critica botanica 1737.
+
+[107] Philosophia botanica.
+
+[108] Eine ausführliche Biographie *Linnés* veröffentlichte *Th. M.
+Fries* (Stockholm 1903). Auf dieses Werk gründet sich eine kürzere
+Darstellung, die *R. E. Fries* zur Erinnerung an die 200. Wiederkehr
+des Geburtstages *Linnés* herausgab. Sie erschien in *Englers*
+botanischen Jahrbüchern (1907 Heft 1, S. 1-54) und wurde auch gesondert
+herausgegeben. (Im Verlage von W. Engelmann in Leipzig.)
+
+Am ausführlichsten wurde *Carl von Linnés* Bedeutung als Naturforscher
+und Arzt in einem Sammelwerk der Schwedischen Akademie der
+Wissenschaften geschildert. Auch für diese Veröffentlichung (Jena,
+Gustav Fischer) bot die 200. Wiederkehr des Geburtstages *Linnés* die
+Veranlassung. Der Band enthält sechs von verschiedenen Bearbeitern
+herrührende Abschnitte, in denen *Linné* als Arzt, als Entomologe,
+als Geologe, als Mineraloge, als botanischer Forscher und *Linnés*
+Verdienste um die Zoologie der Wirbeltiere geschildert werden.
+
+[109] Siehe Bd. II, S. 348-352.
+
+[110] Verdeutscht lauten die Namen der ersten 10 Klassen Ein-, Zwei-,
+Drei- usw. Zehnmännige, der 11. Klasse Zwölfmännige, der 12. Klasse
+Zwanzigmännige, der 13. Vielmännige.
+
+Manche Klassen des *Linné*schen Systems, das sich wegen seiner
+Brauchbarkeit zum Bestimmen der Pflanzen neben dem in der Wissenschaft
+allein geltenden natürlichen System erhalten hat, fallen mit den
+Familien des letzteren ganz oder teilweise zusammen. So die 12. Klasse
+mit den Mandel-, Apfelbaum- und Rosengewächsen und die 13. Klasse mit
+den Mohn- und Hahnenfußgewächsen.
+
+[111] Die 14. Klasse (Zweimächtige) umfaßt die Mehrzahl der
+Lippenblüter, die 15. Klasse (Viermächtige) fällt mit der Familie der
+Kreuzblüter zusammen.
+
+[112] 16., 17., 18. Klasse = Ein-, Zwei-, Vielbrüdrige. Für die 16.
+Klasse bieten die Malven, für die 18. das Johanniskraut ein Beispiel.
+
+[113] Zusammengewachsene, so genannt, weil die Staubbeutel der unter
+diesem Namen vereinigten Pflanzen zu einer Röhre verwachsen sind.
+Die 19. Klasse fällt mit der Familie der Korbblüter oder Kompositen
+zusammen.
+
+[114] Weibermännige; hierzu gehören die Orchideen.
+
+[115] 21. und 22. Klasse = Einhäusige und Zweihäusige; für die ersteren
+bieten die Kiefern, für die zweiten die Weiden bekannte Beispiele.
+
+[116] Vielehige; hierher gehören die Ahornarten.
+
+[117] Blütenlose. *Linné* teilte sie in Algen, Schwämme, Moose und
+Farnkräuter ein. Für die weitere Einteilung der Klassen 1-23 in
+Unterabteilungen, die *Linné* Ordnungen nannte, waren vor allem die
+Zahl der Griffel, die Beschaffenheit der Früchte und die Anordnung der
+Blüten maßgebend.
+
+[118] Ein Petersburger Botaniker, den *Linné* selbst in einem zuerst in
+den Mitteilungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften
+(1907, S. 25) gedruckten lateinischen Brief abfertigte, schrieb
+folgendes. Gott würde niemals innerhalb des Pflanzenreiches eine so
+abscheuliche Unzucht zulassen, daß mehrere Männer (Staubgefäße) eine
+gemeinsame Frau (Frucht, Knoten) besäßen. Ein solch unkeusches System
+dürfte der studierenden Jugend nicht mitgeteilt werden.
+
+Diese Auffassung, der sich andere Botaniker anschlossen, ist gewiß für
+manche Sittlichkeitswächter bezeichnend. »Ich hatte gehofft, dem Reinen
+sei alles rein«, schrieb *Linné* in dem erwähnten Briefe, »ich werde
+mich nicht verteidigen, denn die Jahrhunderte werden urteilen.«
+
+[119] Veröffentlicht 1753.
+
+[120] So *Fontenelle*: Histoire de l'Académie 1711, S. 43. Eine
+Ausnahme machte der deutsche Philosoph und Physiker *Christian Wolf*,
+der sich mit einer anatomischen und physikalischen Untersuchung
+des Pflanzeninneren, sowie mit Fragen der Ernährungsphysiologie
+beschäftigte. *Wolfs* Ergebnisse blieben aber weit hinter denen von
+*Stephan Hales* zurück.
+
+[121] Philosophia botanica, 1751. S. 27.
+
+[122] Classes plantarum, p. 487.
+
+[123] *Linnés* Oratio de telluris habitabilis incremento.
+
+[124] *Meyer*, Geschichte der Botanik. Bd. I. S. 120.
+
+[125] Siehe Bd. II. S. 178.
+
+[126] Siehe den Abschnitt: Sur le sujet des plantes in Oeuvres de
+Mariotte.
+
+[127] Siehe an anderer Stelle dieses Bandes.
+
+[128] *Wolf*, Vernünftige Gedanken von den Wirkungen der Natur. Halle
+1723.
+
+[129] *Hales*, Statik der Gewächse. Halle 1748. Die englische Ausgabe
+war 1727 in London erschienen.
+
+[130] 1 Pfund = 16 Unzen.
+
+[131] *Hales*, Statik der Gewächse. S. 6. I. Hauptstück, 1. Erfahrung.
+
+[132] *Hales*, Statik. S. 49. II. Hauptstück, 21. Erfahrung.
+
+[133] *Hales*, Statik, I. Hauptstück, 5. Erfahrung.
+
+[134] Das Bluten der Rebe wurde in neuerer Zeit von *Ernst Brücke* in
+meisterhafter Weise wieder untersucht. Siehe *Brückes* Abhandlung in
+*Ostwalds* »Klassiker der exakten Wissenschaften« Nr. 95. Leipzig,
+Verlag von W. Engelmann, 1898.
+
+[135] *Hales*, Statik, S. 102 u. 103. VI. Hauptstück, 55. u. 57.
+Erfahrung.
+
+[136] *Hales*, Statik der Gewächse. VI. Hauptstück, 113. Erfahrung.
+
+[137] *Hales* berichtet darüber 1741 in der Royal Society.
+
+[138] Siehe Bd. II, S. 175.
+
+[139] New improvements in gardening. 1717. I. S. 20.
+
+[140] Die Beobachtung machte *Müller* im Jahre 1751.
+
+[141] Erschienen in den Abhandlungen der Berliner Akademie vom Jahre
+1751.
+
+[142] Siehe Bd. I. S. 112 und Bd. II. S. 348-352.
+
+[143] Siehe Bd. II. S. 338.
+
+[144] Durch *Dillenius*, der darüber ein epochemachendes Werk mit 85
+Kupfertafeln veröffentlichte: Historia muscorum 1741.
+
+*Dillenius* wurde 1687 in Darmstadt geboren, war Professor der Botanik
+in Oxford und starb im Jahre 1747.
+
+[145] *J. G. Kölreuter* wurde 1733 zu Sulz am Neckar geboren. Er starb
+1806 in Karlsruhe, wo er Professor der Naturgeschichte war. Fast
+zwanzig Jahre bekleidete er außerdem die Stelle eines Oberaufsehers des
+botanischen Hofgartens. Seine Ergebnisse hat er in einigen 1761-1766
+erschienenen Abhandlungen niedergelegt. *Kölreuters* Schrift wurde
+durch *W. Pfeffer* als 41. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten
+Wissenschaften (Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann, 1893) wieder
+herausgegeben. Ihr Titel lautet: Vorläufige Nachricht von einigen das
+Geschlecht der Pflanzen betreffenden Versuchen und Beobachtungen.
+
+[146] *Ostwalds* Klassiker Nr. 41. S. 30.
+
+[147] *Ostwalds* Klassiker Nr. 41. S. 31.
+
+[148] Der Zusatz ♂ bezeichnet die männliche, der Zusatz ♀ die weibliche
+Pflanze.
+
+[149] Besonders die von *Focke*.
+
+[150] Siehe S. 101 u. 105 dieses Bandes.
+
+[151] *Sachs*, Gesch. d. Bot. S. 440.
+
+[152] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 41, S. 20.
+
+[153] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 41, S. 83.
+
+[154] *Sachs*, Gesch. d. Botanik. S. 448.
+
+[155] *Christian Konrad Sprengel*, Das entdeckte Geheimnis der Natur
+im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin 1793. Als Nr. 48-51
+von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften herausgegeben von
+*Paul Knuth*. Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann, 1894.
+
+[156] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 48, S. 31.
+
+[157] Daß aus dem Staubkorn ein Pollenschlauch hervorwächst, der den
+Griffel durchdringt und sich mit der Samenknospe vereinigt, wurde erst
+seit dem Jahre 1823 durch *Amici* und andere festgestellt.
+
+[158] Geboren 1719 in Nürnberg, starb daselbst 1769, war von Beruf
+Jurist.
+
+[159] Mikroskopische Gemüts- und Augenergötzungen. 1761. S. 46.
+
+[160] Z. B. bei Butomus und Viola.
+
+[161] Spätere Forschungen haben dies im wesentlichen bestätigt, doch
+hat sich herausgestellt, daß bei Euphorbia spontane Selbstbestäubung
+vorkommt, wenn der Insektenbesuch ausbleibt.
+
+[162] *Sachs* Lehrbuch der Botanik. 4. Aufl. Leipzig 1874. Fig. 489.
+
+[163] *Ostwalds* Klassiker Nr. 48. S. 56.
+
+[164] *Ostwalds* Klassiker Nr. 48. S. 73 u. f.
+
+[165] *John Ray* (1628-1705). Hervorragender Systematiker des 17.
+Jahrhunderts; lehnte sich aber noch sehr an *Aristoteles* an.
+
+[166] *N. Kleinenberg*, Hydra. Eine
+anatomisch-entwicklungsgeschichtliche Untersuchung. Leipzig, Wilhelm
+Engelmann, 1872.
+
+[167] Siehe Bd. II. S. 335.
+
+[168] *Ledermüller*, Mikroskopische Gemüts- und Augenergötzungen.
+Nürnberg 1763.
+
+[169] *Ledermüller*, Mikroskopische Gemüts- und Augenergötzungen 1761.
+II. Bd. Tafel LXXXVIII.
+
+[170] Siehe *Rösels* Insektenbelustigung. III. Teil. S. 433 u. f.
+
+[171] Insektenbelustigungen III. S. 622.
+
+[172] *Spallanzani*, Entstehung der Infusionstiere aus Keimen, durch
+Experimente bewiesen. 1765.
+
+[173] *Dannemann*, Aus der Werkstatt großer Forscher, 1908. Abschn. 75.
+
+[174] Siehe S. 198 des II. Bandes.
+
+[175] *Jungius* wurde 1587 in Lübeck geboren und starb im Jahre 1657.
+
+[176] Übersetzt und herausgegeben von Dr. *Paul Samassa* als 84. und
+85. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften. Leipzig,
+Verlag von Wilhelm Engelmann. 1896.
+
+[177] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 84, S. 18.
+
+[178] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 85, S. 12.
+
+[179] Siehe Bd. II dieses Werkes, S. 334.
+
+[180] *Hirsch*, Geschichte der med. Wissenschaften, S. 212.
+
+[181] Siehe Bd. II dieses Werkes, S. 279.
+
+[182] Buch II-IV handelt vom Gefäßsystem, Buch IX von der Mechanik des
+Stimmorgans. Von *Hallers* Elementen der Physiologie sagt *Hirsch*,
+daß alle Zeitgenossen und Nachfolger daraus geschöpft haben. Auch nach
+*Cruveilhier* sind viele neuere Entdeckungen im Keime in diesem Werke
+enthalten.
+
+[183] *Haller*, Elementa physiologiae, IV. § 42.
+
+[184] Siehe S. 106 dieses Bandes.
+
+[185] *Lieberkühns* betreffende Abhandlung vom Jahre 1745 führt den
+Titel: De fabrica et actione villorum intestinarum tenuinum (Bau und
+Tätigkeit der feinen Zotten des Darmes).
+
+[186] *Christian von Wolf* (1679-1754) war Philosoph, Mathematiker und
+Physiker. Er wirkte in Halle, wurde wegen Irreligiosität ausgewiesen,
+von Friedrich dem Großen 1740 aber zurückberufen.
+
+[187] *Michael Wassiljewitsch Lomonossow* wurde 1711 in der Nähe von
+Archangelsk geboren. Er studierte zunächst in Rußland und dann mehrere
+Jahre in Deutschland. Seit 1746 wirkte er als Professor der Chemie in
+Petersburg, wo er 1765 starb.
+
+*Lomonossows* wichtigste Abhandlungen erschienen vor kurzem in
+deutscher Übersetzung (*Ostwalds* Klassiker, Nr. 178. Leipzig. W.
+Engelmann. 1910).
+
+[188] Siehe S. 48 dieses Bandes.
+
+[189] Siehe an anderer Stelle dieses Bandes.
+
+[190] *G. Monge*, Darstellende Geometrie. Als 117. Band von *Ostwalds*
+Klassikern der exakten Wissenschaften übersetzt und herausgegeben von
+*R. Haussner*. Leipzig, Verlag von W. Engelmann, 1900.
+
+[191] Im einzelnen weicht die Organisation des deutschen technischen
+Unterrichtswesens von der des französischen darin ab, daß die École
+polytechnique eine technische Hochschule im deutschen Sinne nur
+durch ihr Zusammenwirken mit der Schule für Bergbau, der Schule für
+Brücken- und Wegebau und anderen Fachschulen ist, denen sie insofern
+als Vorbereitungsanstalt dient, als sie die technische Allgemeinbildung
+vermittelt.
+
+[192] *Desargues* wurde in Lyon geboren und wirkte als Baumeister
+(1593-1662).
+
+[193] Er besagt, daß die Seiten jedes einem Kegelschnitte
+einbeschriebenen Vierecks eine beliebige, durch den Kegelschnitt
+gehende Linie so schneiden, daß die erhaltenen 6 Schnittpunkte eine
+Involution bilden, die abgeteilten Strecken also gewisse Beziehungen
+aufweisen.
+
+[194] Das Buch erschien erst 1822.
+
+[195] Siehe Bd. II. S. 148.
+
+[196] Siehe S. 121 dieses Bandes.
+
+[197] *Reuleaux*, Theoretische Kinematik, S. 13. *Poncelets*
+wichtigstes Werk über die theoretische Maschinenlehre ist seine
+Mécanique appliquée aux machines.
+
+[198] *Jakob Steiner*, Systematische Entwicklung der Abhängigkeit
+geometrischer Gestalten von einander mit Berücksichtigung der Arbeiten
+alter und neuer Geometer etc. Berlin 1832. Neu herausgegeben von *A. J.
+v. Oettingen* als 82. und 83. Band von *Ostwalds* Klassikern. Leipzig,
+W. Engelmann, 1896.
+
+[199] Er starb im Jahre 1863.
+
+[200] Vor kurzem als 123. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten
+Wissenschaften, neu herausgegeben von *R. Sturm*. Leipzig, Verlag von
+W. Engelmann, 1901.
+
+[201] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 123, S. 3.
+
+[202] Die geometrischen Konstruktionen ausgeführt mittelst der geraden
+Linie und eines festen Kreises von *Jakob Steiner*. Als 60. Band von
+*Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften, herausgegeben von *A.
+J. v. Oettingen*. Leipzig, Engelmann, 1895.
+
+[203] *Ostwalds* Klassiker, Bd. 82 und 83. Das erste Erscheinen des
+*Steiner*schen Werkes fällt in das Jahr 1832.
+
+[204] *Arneth*, Geschichte der Mathematik. S. 286.
+
+[205] Gemeint sind die Sätze von *Pascal* und *Brianchon* über die den
+Kegelschnitten ein- und umschriebenen Sechsecke. *Pascal* nannte sein
+Sechseck Hexagrammum mysticum.
+
+[206] *Steiner*, Systematische Entwicklung. § 38, III, IV.
+
+[207] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 83, S. 43 u. f.
+
+[208] *Hankel*, Die Elemente der projektivischen Geometrie. S. 27.
+
+[209] Berlin 1835; *Plücker* lebte 1801-1868. Er wirkte als Professor
+der Mathematik und der Physik in Halle und in Bonn.
+
+[210] *Arneth*, Die Geschichte der reinen Mathematik. S. 288.
+
+[211] *Lobatschefskij* (1793-1856) Professor der Mathematik in Kasan.
+Er war ein Schüler des in Rußland wirkenden deutschen Mathematikers
+*Bartels*, und letzterer stand wieder in engster Verbindung mit
+*Gauß*. Die dem Russen gelungene Schöpfung fußt also auf dem Boden der
+deutschen Mathematik.
+
+[212] *J. N. Lobatschefskij*, Pangeometrie 1856. Übersetzt und als
+130. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften,
+herausgegeben von *H. Liebmann*. Leipzig, W. Engelmann 1902.
+
+[213] Siehe S. 125 dieses Bandes.
+
+[214] Untersuchungen über die Reihe: 1 + mx + m(m-1)/(1·2) · x^2 +...
+von *N. H. Abel* (*Crelles* Journal, Bd. I. 1826). Diese Abhandlung
+wurde neuerdings von *A. Wangerin* als 71. Bändchen von *Ostwalds*
+Klassikern von neuem herausgegeben. Leipzig, Verlag von W. Engelmann,
+1895.
+
+[215] Sie erschien im 1. Bande des *Crelle*schen Journals und führt den
+Titel: Démonstration de l'impossibilité de la résolution algébraique
+des équations générales qui passent le quatrième degré.
+
+[216] *N. H. Abel*, Abhandlung über eine besondere Klasse algebraisch
+auflösbarer Gleichungen. *Crelles* Journal, Bd. IV. 1829. Als 111. Band
+von *Ostwalds* Klassikern von neuem und mit Anmerkungen herausgegeben
+von *A. Loewy*. Leipzig, W. Engelmann, 1900.
+
+[217] Als 127. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten
+Wissenschaften, übersetzt und herausgegeben von *Alfred Loewy*.
+Leipzig, Verlag von W. Engelmann, 1902.
+
+[218] *C. Sturms* Abhandlung wurde aus dem Französischen übersetzt und
+als 143. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften von
+*Alfred Loewy* herausgegeben. Leipzig, W. Engelmann, 1904.
+
+[219] *Johann Friedrich Pfaff* wurde 1765 geboren. Er bekleidete die
+Professur für Mathematik in Halle und starb dort 1825.
+
+[220] *J. F. Pfaff*, Allgemeine Methode partielle
+Differentialgleichungen zu integrieren. Aus dem Lateinischen übersetzt
+und als 129. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften
+herausgegeben von *Gerhard Kowalewski*. Leipzig, W. Engelmann, 1902.
+
+[221] *Cauchy*, Über die Integration der partiellen
+Differentialgleichungen erster Ordnung in einer beliebigen Zahl
+von Veränderlichen (1819). Im 113. Bande von *Ostwalds* Klassikern
+herausgegeben von *G. Kowalewski*. Leipzig, W. Engelmann, 1900.
+
+[222] Diese bisher schwer zugängliche, für die weitere Entwicklung der
+Funktionentheorie aber entscheidende Arbeit wurde neuerdings durch *P.
+Stäckel* als 112. Band von *Ostwalds* Klassikern wieder herausgegeben:
+*Cauchy*, Über bestimmte Integrale zwischen imaginären Grenzen.
+Leipzig, W. Engelmann, 1900.
+
+[223] Fundamenta nova theoriae functionum ellipticarum. Königsberg
+1829.
+
+[224] Die andere Hälfte erhielten die Angehörigen des schon 1829
+verstorbenen *Abel*.
+
+[225] *Legendre*, Traité des fonctions elliptiques.
+
+[226] *C. G. J. Jacobi*, Über die vierfach periodischen Funktionen
+zweier Variabeln (*Crelles* Journal f. r. u. angew. Math. 1834). Als
+Band 64 von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften aus dem
+Lateinischen übersetzt von *A. Witting* und herausgegeben von *H.
+Weber*. Leipzig, W. Engelmann, 1895.
+
+[227] *A. Göpel*, Entwurf einer Theorie der *Abel*schen Transzendenten
+erster Ordnung (*Crelles* Journal, Bd. 35, 1847). Aus dem Lateinischen
+übersetzt von *A. Witting* und als 67. Band von *Ostwalds* Klassikern
+der exakten Wissenschaften herausgegeben von *H. Weber*. Leipzig, W.
+Engelmann, 1895.
+
+*G. Rosenhain*, Abhandlung über die Funktionen zweier Variabeln mit
+vier Perioden (Mém. des savants, 1851). Aus dem Französischen
+übersetzt von *A. Witting* und als 65. Band von *Ostwalds* Klassikern
+herausgegeben von *H. Weber*. Leipzig, W. Engelmann, 1895.
+
+[228] Er starb 1859 in Göttingen.
+
+[229] *G. Lejeune Dirichlet*, Untersuchungen über verschiedene
+Anwendungen der Infinitesimalanalysis auf die Zahlentheorie (*Crelles*
+Journal, Bd. 19 u. 21). Als 91. Band von *Ostwalds* Klassikern
+herausgegeben von *R. Haussner*. Leipzig, W. Engelmann, 1897.
+
+[230] *Lejeune Dirichlet*, Die Darstellung ganz willkürlicher
+Funktionen durch Sinus- und Kosinusreihen, 1837. Im 116. Bande von
+*Ostwalds* Klassikern, herausgegeben von *H. Liebmann*. Leipzig, W.
+Engelmann, 1900.
+
+[231] Die letzte Abhandlung des 19. von der Anziehung homogener
+Ellipsoide handelnden Bandes von *Ostwalds* Klassikern. Diese
+Abhandlung *Dirichlets* führt den Titel »Über eine neue Methode zur
+Bestimmung vielfacher Integrale«.
+
+[232] *Lejeune Dirichlet*, Vorlesungen über die im umgekehrten
+Verhältnis des Quadrates der Entfernung wirkenden Kräfte, herausgegeben
+von *G. Grube*, Leipzig 1876.
+
+[233] *Schwere*, Elektrizität und Magnetismus. Nach Vorträgen von *B.
+Riemann*, bearbeitet von *K. Hattendorff*, Hannover 1876.
+
+[234] *Priestley*, Experiments and observations on different kinds of
+air. 3 vol. 1774-1777, übersetzt von *Ludewig*, 1778.
+
+[235] Philosophical Transactions. LXII. 1772.
+
+[236] *Priestley*, Versuche und Beobachtungen über verschiedene Teile
+der Naturlehre. Deutsche Übersetzung vom Jahre 1780. Bd. III. Vorrede.
+
+[237] *Joseph Black*, 1728-1799, Professor der Chemie zu Glasgow und
+Edinburg.
+
+[238] Abhandlungen der schwedischen Akademie d. Wissensch. XXXV.
+
+[239] Daß *Priestley* und *Scheele* unabhängig voneinander schon so
+früh den Sauerstoff dargestellt und seine wichtigsten Eigenschaften
+erkannt haben, wurde von *G. W. A. Kahlbaum* dargetan (Basel,
+Verhandlungen 1897 Bd. 12, S. 9.)
+
+[240] History and present state of electricity with original
+experiments. London 1767. Übersetzt von *Krünitz*. Stralsund 1772.
+
+[241] *Cavendish* wiederholte diesen Versuch und lieferte den Nachweis,
+daß hierbei durch die Vereinigung von Sauerstoff und Stickstoff
+Salpetersäure entsteht. Als absorbierende Flüssigkeit wandte er Alkali
+an, mit dem die entstandene Säure Salpeter bildet. *Cavendish* machte
+schon die Beobachtung, daß bei diesem Versuch trotz genügender Zufuhr
+von Sauerstoff ein nicht absorbierbarer Rest zurückbleibt. Diese
+eigentümliche Erscheinung hat erst im Jahre 1894 dadurch ihre Erklärung
+gefunden, daß *Rayleigh* und *Ramsay* als dritten wesentlichen
+Bestandteil der Atmosphäre das Argon nachwiesen, ein Element, das mit
+dem Sauerstoff unter der Einwirkung des elektrischen Funkens keine
+Verbindung eingeht.
+
+[242] Es ist dies die noch jetzt bei Vorlesungen beliebte Analyse
+des Ammoniaks, welches dabei unter Verdoppelung seines Volumens in
+Stickstoff und »zündbaren« Wasserstoff zerfällt.
+
+[243] Beim Hindurchleiten durch ein glühendes Rohr zerfällt der Alkohol
+in ein Gasgemisch, das vorzugsweise aus Kohlenwasserstoffverbindungen,
+wie Methan, Äthylen, Benzol usw., besteht und bei seiner Verpuffung mit
+Sauerstoff infolgedessen Kohlendioxyd (CO_{2}) liefert.
+
+[244] Stockholm, 1892.
+
+[245] In Köping.
+
+[246] Herausgegeben von *v. Nordenskjöld*. Siehe Naturwissenschaftliche
+Rundschau, VIII, S. 519.
+
+[247] Ein durch Zusammenschmelzen von Schwefel und Pottasche
+(K_{2}CO_{3}) erhaltenes Präparat, das im wesentlichen aus
+Schwefelkalium besteht und begierig Sauerstoff aufnimmt. *Scheele*
+benutzte auch eine Fällung von Eisenvitriol durch Kalilauge. Er
+erhielt so Ferrohydroxyd: FeSO_{4} + 2 KOH = Fe(OH)_{2} + K_{2}SO_{4}.
+Ferrohydroxyd geht unter Aufnahme von Wasser und Sauerstoff leicht in
+Ferrihydroxyd über: 2 Fe(OH)_{2} + 2 H_{2}O + O = 2 Fe(OH)_{3}.
+
+[248] Sauerstoff, der sich aus Braunstein durch Einwirkung der
+Schwefelsäure nach folgender Gleichung entwickelt:
+
+MnO_{2} + H_{2}SO_{4} = MnSO_{4} + H_{2}O + O.
+
+[249] Siehe S. 140 dieses Bandes.
+
+[250] *Ostwalds* Klassiker Nr. 58. S. 27.
+
+[251] *Ostwalds* Klassiker Nr. 58. S. 92.
+
+[252] *Ostwalds* Klassiker Nr. 58. S. 43 u. f.
+
+[253] Experimentum curiosum de effectu radiorum solarium (Act. Acad.
+Nat. Cur. I. 1727).
+
+[254] Siehe S. 142 dieses Bandes.
+
+[255] Attractio electiva duplex lautet sein Ausdruck.
+
+[256] z. B. von *Glauber* (siehe Bd. II, S. 187).
+
+[257] Dissertatio metallurgica de minerarum docimasia humida, 1780.
+
+[258] De analysi aquarum. 1778.
+
+[259] *Gmelin*, Geschichte der Chemie III. 1001.
+
+[260] Auch hierüber berichtet *Gmelin* a. a. O.
+
+[261] Siehe Bd. II, S. 183.
+
+[262] *Ostwalds* Klassiker Nr. 58, S. 5.
+
+[263] *Lavoisier*, Sur la nature de l'eau. Mémoir. de Paris, 1770.
+
+[264] Sie wurde neuerdings deutsch und mit Anmerkungen versehen als
+172. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften wieder
+herausgegeben (Leipzig, W. Engelmann 1909).
+
+[265] *Ostwalds* Klassiker Nr. 172. S. 28.
+
+[266] Das Medizinalpfund betrug 12 Unzen; jede Unze war gleich 480 Gran
+(1 Gran etwa = 0,06 g).
+
+[267] Sur l'existence de l'air dans l'acide nitreux. Mém. de Paris,
+1776.
+
+[268] Hg(NO_{3})_{2} = HgO + 2 NO_{2} + O.
+
+[269] *Cavendish*, welcher die entstandene Salpetersäure durch
+Kalilauge absorbieren ließ, bemerkte, daß ein nicht absorbierbarer Rest
+zurückbleibt, eine Tatsache, die erst 1894 durch die Entdeckung des
+Argons ihre Erklärung fand.
+
+[270] *G. W. A. Kahlbaum* und *A. Hoffmann*: Die Einführung der
+*Lavoisier*schen Theorie im besonderen in Deutschland (Monographien
+aus der Geschichte der Chemie. I. Heft. Leipzig 1897). Danach ist die
+Annahme, daß Deutschland sich länger als die übrigen Länder gegen die
+Annahme der Lehren *Lavoisiers* verschlossen habe, nicht gerechtfertigt.
+
+[271] Einen klaren Ausdruck dieses Prinzips von der Unzerstörbarkeit
+des Stoffes finden wir schon bei *Galilei* in seinem Dialog über die
+beiden Weltsysteme. (Ausg. v. *Strauß*, S. 47). Siehe auch Bd. II
+dieses Werkes, S. 25.
+
+[272] Mémoires de la Société d'Arcueil.
+
+[273] *Dannemann*, Aus der Werkstatt großer Forscher, 1908, S. 265.
+
+[274] *Berthollet*, Untersuchungen über die Gesetze der Verwandtschaft
+(1801). Als 74. Band von *Ostwalds* Klassikern erschienen bei W.
+Engelmann in Leipzig.
+
+[275] Siehe S. 150 dieses Bandes.
+
+[276] Siehe S. 150 dieses Bandes.
+
+[277] *Ostwalds* Klassiker Nr. 74, S. 51.
+
+[278] Näheres über die Phlogistontheorie. Siehe S. 142 dieses Bandes.
+
+[279] Gemeinsam mit *Thenard*. Mémoires de la Société d'Arcueil.
+Paris 1809, S. 295 u. f.
+
+[280] Aus der Geschichte des Chlors sei noch erwähnt, daß *Fourcroy*
+die ersten Verbrennungen in Chlor anstellte. (Annales de Chimie.
+Bd. IV. 1788. S. 249.) *Fourcroy* fand, daß ein Licht in Chlor weiter
+brennt und daß Phosphor in Chlor lebhafter brennt als in der Luft.
+
+Diese Versuche wurden von *Westrumb* auf fast alle Metalle und einige
+Metallsulfide ausgedehnt (Ann. de chimie. Bd. VI. S. 240). *Westrumb*
+entdeckte, daß die Metalle und die Metallsulfide in feiner Verteilung
+sich im Chlor sofort entzünden. Er wies dies z. B. an Antimon, Arsen,
+Wismut, Zinn, Blei, Antimonsulfid und Arsensulfid nach.
+
+[281] *Joseph Louis Proust* wurde 1755 in Angers geboren, wo er (1826)
+starb. Er war Apotheker in Paris; später bekleidete er eine Professur
+für Chemie, auch war er Mitglied der Akademie der Wissenschaften in
+Paris.
+
+[282] Siehe den vorigen Abschnitt, S. 170 u. f.
+
+[283] *Karl Friedrich Wenzel* wurde 1740 in Dresden geboren. Er war wie
+*Richter* zunächst im Hüttenwesen und später in einer Porzellanfabrik
+(Meißen) tätig. *Wenzel* starb im Jahre 1793 in Freiberg.
+
+[284] Siehe S. 170 dieses Bandes.
+
+[285] Er starb 1807.
+
+[286] De usu matheseos in chymia. 1789.
+
+[287] Der Ausdruck Stöchiometrie (στοιχεῖον heißt Grundstoff) rührt von
+*Richter* her.
+
+[288] Zu Eaglesfield in Cumberland am 5. September 1766.
+
+[289] Siehe S. 176 dieses Bandes.
+
+[290] Das Äthylen oder ölbildende Gas (so genannt, weil es sich mit
+Chlor zu einer ölartigen Flüssigkeit C_{2}H_{4}Cl_{2} vereinigt) wurde
+1795 von holländischen Chemikern entdeckt.
+
+[291] Die Ausdrücke binär, ternär, quaternär werden in der heutigen
+Chemie für Verbindungen aus je zwei, je drei oder je vier Elementen
+gebraucht, ohne Rücksicht auf die Anzahl der Atome, die eine solche
+Verbindung zusammensetzen.
+
+[292] Na_{2}O und K_{2}O nach heutiger Bezeichnungsweise.
+
+[293] *Wollaston*, Über übersaure und untersaure Salze. Philos.
+Transact. 1808.
+
+Diese Abhandlung wurde im 3. Bande von *Ostwalds* Klassikern der
+exakten Wissenschaften wieder herausgegeben.
+
+[294] Zum Verständnis dieser Salzbildung sei hinzugefügt, daß die Oxal-
+oder Kleesäure die stärkste organische Säure ist. Sie bildet z. B. mit
+Kalium ein neutrales Salz, in welchem K_{2}O mit C_{2}O_{3} (d. i.
+Oxalsäure nach Abzug des Konstitutionswassers) verbunden ist. Seine
+Formel lautet
+
+ COOK
+ |
+ COOK
+
+Die Zusammensetzung des saures Salzes wird durch die Formel
+
+ COOK
+ |
+ COOH
+
+ausgedrückt.
+
+Auf ein Äquivalent Kali (K_{2}O) kommen in diesem Falle 2 Äquivalente
+C_{2}O_{3} (2 KHC_{2}O_{4} = H_{2}O. K_{2}O. 2 C_{2}O_{3}). Ähnlich
+drückt die Formel für das übersaure Salz
+
+ COOK COOH
+ |
+ COOH COOH
+
+aus, daß auf K_{2}O vier Äquivalente C_{2}O_{3} kommen.
+
+ ( COOK COOH )
+ (2 | . = 3 H_{2}O . K_{2}O . 4 C_{2}O_{3}).
+ ( COOH COOH )
+
+Die drei Salze sind auch durch ihr kristallographisches Verhalten gut
+charakterisiert.
+
+[295] Am besten wird man sich über den Lebensgang von *Berzelius* durch
+seine selbstbiographischen Aufzeichnungen unterrichten lassen. Sie
+wurden im Auftrage der Schwedischen Akademie der Wissenschaften von
+*H. G. Söderbaum* herausgegeben. Eine deutsche Bearbeitung verdankt
+man *G. W. A. Kahlbaum* (Monographien aus der Geschichte der Chemie,
+Heft 7). Seine wissenschaftlichen Arbeiten hat *Berzelius* in der
+Selbstbiographie allerdings nur gelegentlich erwähnt. Etwas eingehender
+kommt er auf die Untersuchungen über die bestimmten Proportionen zu
+sprechen. Dies geschieht unter besonderer Anerkennung der Verdienste
+*Richters* (siehe S. 176 u. f. dieses Bandes).
+
+[296] Einen wichtigen Einblick in die Geschichte der neueren Chemie
+gewährt auch der Briefwechsel von *F. Wöhler* und *J. Berzelius*.
+Herausgegeben von O. Wallach, Leipzig. Verlag von Wilhelm Engelmann,
+1901. 2 Bände. Dieser Briefwechsel umfaßt den für die Entwicklung der
+Chemie hochwichtigen Zeitraum von 1824 bis 1848. Die Briefe enthalten
+zwar viel Persönliches, sie bieten aber auch zahlreiche Aufschlüsse
+über die Vorgeschichte wichtiger Entdeckungen, sowie über die
+Gedankengänge und die Arbeitsweise der beiden großen Forscher. Näheres
+darüber siehe im 4. Bande dieses Werkes bei *Wöhler*.
+
+[297] Dieser für die genauere Kenntnis der Entwicklung, welche die
+neuere Chemie genommen, sehr wertvolle »Briefwechsel« wurde im Auftrage
+der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen von *O.
+Wallach* in zwei umfangreichen Bänden herausgegeben.
+
+[298] *Berzelius*, Lehrbuch der Chemie, Bd. III, 1161. 5. Aufl.
+
+[299] Die heute geltenden Zahlen sind in Klammern beigefügt.
+
+[300] Es bildet sich salpetersaures Blei, dessen Zusammensetzung durch
+die Formel Pb(NO_{3})_{2} wiedergegeben wird.
+
+[301] Das salpetersaure Blei zerfällt beim Erhitzen in Bleioxyd,
+Sauerstoff und Stickstofftetroxyd: Pb(NO_{3})_{2} = PbO + N_{2}O_{4} +
+O.
+
+[302] Das braune Oxyd oder Bleisuperoxyd ist nach der Formel PbO_{2}
+zusammengesetzt; es bildet sich durch Behandeln von Mennige mit
+Salpetersäure: Pb_{3}O_{4} + 4 HNO_{3} = 2 Pb(NO_{3})_{2} + PbO_{2} +
+2 H_{2}O. Die Mennige läßt sich als eine Verbindung von Bleioxyd und
+Bleisuperoxyd auffassen: Pb_{3}O_{4} = 2 PbO . Pb_O{2}.
+
+[303] Daher lauten die entsprechenden Formeln für das gelbe und das
+braune Oxyd PbO und PbO_{2}. Mennige besitzt eine etwas schwankende
+Zusammensetzung. Die Formel Pb_{3}O_{4}, die man der Mennige beilegt,
+würde auf 100 Teile Blei nur 10,3 Teile Sauerstoff ergeben.
+
+[304] Siehe S. 176 u. f. dieses Bandes.
+
+[305] So verhalten sich in den salpetersauren Salzen diese Mengen wie
+1 : 5. Die ältere Schreibweise ihrer Formeln macht dies Verhältnis
+sofort ersichtlich: K_{2}O . N_{2}O_{5}; Na_{2}O . N_{2}O_{5};
+CuO . N_{2}O_{5}; CaO . N_{2}O_{5}.
+
+[306] Siehe Abschnitt 2 dieses Bandes.
+
+[307] *Johann Georg Sulzer* (1720-1779), Professor der Mathematik am
+Joachimsthalschen Gymnasium in Berlin.
+
+[308] *Sulzer*, Theorie der angenehmen und unangenehmen
+Geschmacksempfindungen. Berlin 1762. (Zuerst in den Mém. de Berlin
+1751/52.)
+
+[309] *Ostwalds* Klassiker Nr. 52, S. 4.
+
+[310] In einem von *Alibert*, dem Biographen *Galvanis* (*Alibert*,
+Éloge de *Galvani*, Paris, 1806) mitgeteilten Sonett lautet die
+zweite Strophe in der von *Emil du Bois Reymond* herrührenden
+Übersetzung:
+
+ War sie es nicht, die neue Lebenstriebe
+ In hautentblößter Frösche Gliedern fand,
+ Wenn hier der Nerven wunderbar Getriebe,
+ Dort funkensprüh'nden Leiter traf die Hand?
+
+
+
+[311] *Galvanis* Schrift führt den Titel: De viribus electricitatis
+in motu musculari commentatio. 1791. Sie erschien neuerdings unter
+dem Titel: Abhandlung über die Kräfte der Elektrizität bei der
+Muskelbewegung, herausgegeben von *A. J. v. Oettingen*, als 52. Band
+von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften. Leipzig, Verlag
+von Wilhelm Engelmann, 1894.
+
+[312] *E. du Bois-Reymond*, Untersuchungen über tierische Elektrizität.
+Berlin 1848. Bd. I. S. 50.
+
+[313] *Volta*, Del modo di rendere sensibilissima la più debole
+elettricità sia artificiale, sia naturale. 1784.
+
+*Voltas* sämtliche Werke erschienen unter dem Titel: Collezioni dell'
+Opere del Cavalieri Conte Allessandro Volta, Patrizio Comasco. Firenze
+1816, in drei Bänden und fünf Teilen herausgegeben von V. Antinori.
+
+[314] Siehe S. 189 dieses Bandes.
+
+[315] *Alessandro Volta*, Briefe über tierische Elektrizität.
+1792-1795. Als 114. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten
+Wissenschaften in deutscher Übersetzung herausgegeben von A. J. von
+Öttingen. S. 101.
+
+[316] *Ostwalds* Klassiker Nr. 114, S. 99.
+
+[317] *Ostwalds* Klassiker Nr. 114, S. 104.
+
+[318] *Ostwalds* Klassiker Nr. 114, S. 107.
+
+[319] Abhandlungen der schwed. Akademie der Wissenschaften. 29, 1777.
+
+[320] Siehe S. 10 dieses Bandes.
+
+[321] Phil. Transact. 1782, S. 242.
+
+[322] In *Voltas* dritten Brief an *Gren* vom Jahre 1797.
+
+[323] *Ostwalds* Klassiker Nr. 118, S. 54 u. f.
+
+[324] *Volta*, Gilberts Annalen, Bd. X, S. 443.
+
+[325] *Ostwalds* Klassiker Nr. 118, S. 4.
+
+[326] In einem an *Banks*, den Präsidenten der Royal Society,
+gerichteten Brief vom 20. März jenes Jahres. Dieser Brief wurde in den
+Philosophical Transactions, 1800, S. 403 veröffentlicht.
+
+[327] Brief an *Banks*, Philosophical Transactions, 1800, S. 403.
+
+Der berühmte Brief an *Banks* wurde mit einigen anderen bis zum Jahre
+1796 zurückreichenden Schriften *Voltas* als 118. Band von *Ostwalds*
+Klassikern in deutscher Übersetzung durch *A. J. v. Oettingen*
+herausgegeben. Leipzig, W. Engelmann. 1900.
+
+[328] Bericht an die mathematisch-physikalische Klasse des
+französischen Nationalinstituts über *Voltas* galvanische Versuche.
+Siehe *Gilberts* Annalen X, 1802, S. 389 ff. Ein Auszug des von *Volta*
+in Paris gehaltenen Vortrags in deutscher Übersetzung findet sich
+gleichfalls in *Gilberts* Annalen. Bd. X, S. 421.
+
+[329] *Gilberts* Annalen VIII, S. 390.
+
+[330] *Gilberts* Annalen XI, S. 132.
+
+[331] *Gilberts* Annalen IX, S. 385.
+
+[332] *Gilberts* Annalen XIX, S. 45.
+
+[333] *Johann Wilhelm Ritter* (1776-1810) lebte als Privatgelehrter
+in Gotha und Weimar. Im Jahre 1804 wurde *Ritter* an die bayerische
+Akademie nach München berufen. *Ritter* war einer der ersten Forscher
+auf dem Gebiete der galvanischen Elektrizität.
+
+[334] *Gilberts* Annalen XIX, 1805, S. 22.
+
+[335] *Gilberts* Annalen XXIII. S. 25.
+
+[336] *Rieß*, Die Lehre von der Reibungselektrizität. Bd. I, S. 18.
+Berlin 1853.
+
+[337] *Zamboni*, Della pila elettrica a secco. Verona 1812. Siehe
+auch *Schweiggers* Journal für Chemie und Physik. X. S. 129.
+
+[338] *Paul Erman* (1764-1851) war Professor der Physik in Berlin
+und veröffentlichte zahlreiche Arbeiten aus dem Gebiet der
+Elektrizitätslehre.
+
+[339] *Voigts* Magazin f. d. Neueste. Bd. 4. 1802. S. 832.
+
+[340] *Gilberts* Annalen, XIX, S. 490.
+
+[341] *Fischer*, Gesch. VIII, 649.
+
+[342] *Fischer*, VIII, 654.
+
+[343] *Anthony Carlisle* (1768-1840), Professor der Anatomie in London.
+
+[344] *William Nicholson* (1753-1815), als Ingenieur und Schriftsteller
+in London tätig, auch bekannt als Erfinder des Gewichtsaräometers.
+
+[345] *Gilberts* Annalen, 1800, VI, 340.
+
+[346] *Hoppe*, Gesch. d. Elektr. S. 137.
+
+[347] *Johann Wilhelm Ritter* (1776-1810) war Mitglied der bayerischen
+Akademie der Wissenschaften.
+
+[348] *Gilbert*, Annalen der Physik, VI, 1800, S. 470.
+
+[349] Die wissenschaftlichen Abhandlungen *Davys* wurden von seinem
+Bruder gesammelt und in 10 Bänden herausgegeben: The collected works
+of Sir Humphry Davy edited by his brother John Davy. London 1839-1841.
+
+[350] Die Pneumatic Institution des Dr. *Beddoes*.
+
+[351] Siehe *E. Cohen*, Das Lachgas. Eine chemisch-kulturhistorische
+Skizze. Leipzig, W. Engelmann. 1907.
+
+[352] Die Abhandlung wurde 1893 unter dem Titel Ȇber einige chemische
+Wirkungen der Elektrizität« im 45. Bande von *Ostwalds* Klassikern der
+exakten Wissenschaften herausgegeben. Leipzig, Verlag von W. Engelmann.
+
+[353] *Ostwalds* Klassiker Nr. 45. S. 12.
+
+[354] Ann. de Chimie 58, 54. 1806.
+
+[355] *Davy*, On some new Phenomena of chemical changes produced by
+electricity, particularly the decomposition of the fixed alkalies. Die
+Abhandlung wurde 1893 unter dem Titel »Elektrochemische Untersuchungen
+von *Humphry Davy*« als 45. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten
+Wissenschaften herausgegeben. Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann.
+
+[356] Aus diesem Grunde fand das Natrium Verwendung, um absoluten
+Alkohol zu bereiten, d. h. dem Alkohol die letzten Spuren Wasser zu
+entziehen.
+
+[357] Unter dem Namen alkalische Erden werden die Oxyde der Metalle
+Calcium, Strontium und Barium (CaO, SrO, BaO) zusammengefaßt. Diese
+Oxyde wurden früher als Kalk, Strontian und Baryt bezeichnet.
+
+[358] Magnesia, Tonerde, Kieselerde sind die Oxyde von Magnesium,
+Aluminium und Silicium (MgO, Al_{2}O_{3}, SiO_{2}).
+
+[359] Barium, Strontium, Calcium und Magnesium wurden bald darauf von
+*Davy* selbst isoliert. Silicium wurde zuerst von *Berzelius* 1823
+hergestellt. Die Abscheidung des Aluminiums aus der Tonerde gelang
+*Wöhler* im Jahre 1827.
+
+[360] *Ostwalds* Klassiker Nr. 45, S. 44.
+
+[361] *Ostwalds* Klassiker Nr. 45, S. 37.
+
+[362] *Ostwalds* Klassiker Nr. 45, S. 91, sowie auch *Ostwalds*
+Geschichte der Elektrochemie. S. 992 u. f.
+
+[363] Phil. Transact. v. 1821.
+
+[364] Eine mit Kalium gefüllte Büchse wurde mit dem Rettungsgürtel
+verbunden. Das Kalium entzündete sich, sobald es mit dem Wasser in
+Berührung kam.
+
+[365] Intimeres aus dem Leben *Davys* enthält die Skizze über
+*Berzelius* und *Davy*, welche *Kahlbaum* im III. Bande der
+Mitteilungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften
+veröffentlichte. 1904. S. 277 u. f.
+
+[366] *Gilberts* Annalen 1822, LXXI, S. 244.
+
+[367] *Dannemann*, Aus der Werkstatt großer Forscher, 1908, S. 280.
+
+[368] *Ostwalds* Klassiker der exakten Wissenschaften Nr. 63.
+Herausgegeben von *J. A. v. Oettingen*. Leipzig. Verlag von Wilh.
+Engelmann 1895.
+
+Die Abhandlung *H. C. Oersteds* erschien im Jahre 1820 unter dem Titel
+»Experimenta circa effectum conflictus electrici in acum magneticam«.
+Sie wurde von *Gilbert* übersetzt und in seinen Annalen (Bd. LXVI)
+veröffentlicht. Diese Übersetzung wurde mit geringen stilistischen
+Änderungen und wesentlich gekürzt der Neuausgabe zugrunde gelegt.
+
+[369] *Ostwalds* Klassiker Nr. 63, S. 9 u. f.
+
+[370] Man muß sich die Stahlbänder senkrecht zur Ebene der Zeichnung
+verlaufend vorstellen.
+
+[371] *J. J. Rousseaus* Briefe über die Anfangsgründe der Botanik. Sie
+fesselten auch *Goethe* in hohem Grade und erschienen in deutscher
+Übersetzung (M. Möbius) in Leipzig bei J. A. Barth. 1903.
+
+[372] Annales de Chimie et de Physique XV, 1820, S. 59 u. 170.
+
+[373] Annales XV, S. 67: Si l'on se place par la pensée dans la
+direction du courant, de manière qu'il soit dirigé des pieds à la tête
+de l'observateur, et que celuici ait la face tournée vers l'aiguille;
+c'est constamment à sa gauche que l'action du courant écartera de sa
+position ordinaire celle des ses extrémités qui se dirige vers le nord.
+
+[374] Übersetzt herausgegeben im Jahre 1822 bei Leopold Voß in Leipzig.
+
+[375] *Ampère* und *Babinet*. Tafel I, Fig. 3.
+
+[376] *Ampère* und *Babinet*. Tafel I, Fig. 2.
+
+[377] *Ampère* und *Babinet*. Tafel I. Fig. 12.
+
+[378] *Ampère*, Annales de chimie et phys. XV. S. 188 ff.
+
+[379] Siehe *Heller*, Gesch. d. Phys. II, S. 609.
+
+[380] *Heller*, Geschichte der Physik II, S. 609.
+
+[381] *Ampère*, Mémoire sur la théorie mathématique des phénomènes
+électrodynamiques uniquement déduite de l'expérience. Ann. de Chimie et
+de Phys. Bd. 20, S. 60.
+
+[382] *Wüllner*, Lehrb. d. Experim. Physik. IV, S. 673 u. f.
+
+[383] *Ampère* und *Babinet*. Tafel II, Fig. 29.
+
+[384] *Ampère* und *Babinet*. Tafel II, Fig. 14.
+
+[385] Ann. de Chimie et de Phys. Bd. 18, 1821, S. 320-322.
+
+[386] *Ampère* und *Babinet*. 1822. S. 115.
+
+[387] Siehe S. 1 dieses Bandes.
+
+[388] Annales de Chimie et de Physique XV. S. 93 u 110.
+
+[389] Annales de Chimie et de Physique. Bd. 27, 1824, S. 363.
+
+[390] Siehe an späterer Stelle.
+
+[391] *Thomas Johann Seebeck* wurde 1770 in Reval geboren. Er wurde
+1818 Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Berlin und starb dort
+1831.
+
+[392] *Th. J. Seebeck*, Magnetische Polarisation der Metalle und Erze
+durch Temperaturdifferenz. Siehe *Ostwalds* Klassiker der exakten
+Wissenschaften Nr. 70, S. 8 u. f. Die Abhandlung erschien zuerst in den
+Berichten der Berliner Akademie der Wissenschaften von 1822/23. Die
+Entdeckung der Thermoelektrizität erfolgte 1822.
+
+[393] *Nobili*, Sur un nouveau galvanomètre (Bibl. univ. XXV. 1824.)
+*Leopoldo Nobili* wurde 1781 in der Nähe von Reggio geboren. Er war
+Professor der Physik am großherzoglichen Museum in Florenz und starb
+dort 1835.
+
+[394] *Melloni*, La Thermochrôse ou la coloration calorifique. Neapel
+1850. *Macedonio Melloni* wurde 1798 in Parma geboren. Er war dort
+Professor der Physik. Später lebte er in Paris; zuletzt leitete er das
+Observatorium auf dem Vesuv. *Melloni* starb im Jahre 1854.
+
+[395] *Humboldt*, Kosmos. Bd. I. Abschn. 3.
+
+[396] Zu Beaumont en Auge.
+
+[397] Siehe S. 361 des II. Bandes dieses Werkes.
+
+[398] Laut Gesetz vom Jahre 1842. *Laplace*, Oeuvres complètes. 7
+Bde. 1843-1848.
+
+[399] *Wolf*, Geschichte der Astronomie. S. 510.
+
+[400] Eine ausführliche Darstellung der Entwicklung der
+Gravitationsmechanik von *Newton* bis *Laplace* enthält das Werk von
+*Todhunter*, A history of the mathematical theories of attraction
+and the figure of the earth from the time of *Newton* to that of
+*Laplace*. London, Macmillan and Co.
+
+[401] Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels oder
+Versuch von der Verfassung und dem mechanischen Ursprunge des
+ganzen Weltgebäudes, nach *Newton*schen Grundsätzen abgehandelt von
+*Immanuel Kant*. Als 12. Band von *Ostwalds* Klassikern der exakten
+Wissenschaften herausgegeben von *A. J. von Oettingen*. 2. Aufl.
+Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann, 1898.
+
+[402] *Thomas Wright*, Theory of the Universe. London 1750. *Wrights*
+Bedeutung wurde neuerdings durch *Jacobi* gewürdigt. (*Max Jacobi*,
+Ein Vorläufer der *Kant-Laplace*schen Theorie von der Weltentstehung.
+Preußische Jahrbücher, Bd. 117, 2. Heft).
+
+Der genauere Titel der Schrift von *Wright* lautet: An Original Theory
+or New Hypothesis of the Universe founded upon the laws of Nature.
+*Kant* hatte von dem Buche *Wrights* durch eine Besprechung in einer
+deutschen Zeitschrift Kenntnis erhalten.
+
+*Wright* wurde 1711 geboren. Er nahm an der Expedition teil, welche die
+Royal Society im Jahre 1769 zur Beobachtung des Venusdurchganges nach
+Kanada sandte. *Wright* starb im Jahre 1786.
+
+[403] Siehe Bd. II, S. 394.
+
+[404] *Ostwalds* Klassiker Nr. 12, S. 41 u. f.
+
+[405] *Ostwalds* Klassiker Nr. 12, S. 53 u. f.
+
+[406] *Ostwalds* Klassiker Nr. 12, S. 38.
+
+[407] *G. H. Darwin*, On the tidal friction of a planet attended by
+several satellites. Phil. Trans. London, 1881. II. p. 491 f.
+
+[408] *H. v. Helmholtz* (Vorträge II, S. 84).
+
+[409] *Piazzi* wurde 1746 geboren. Er erbaute und leitete die
+Sternwarte in Palermo und starb 1826 in Neapel.
+
+[410] *Karoline Herschels* Memoiren und Briefwechsel. Deutsch von
+*Scheibe*. Berlin 1877.
+
+[411] Im Jahre 1757.
+
+[412] *Smith*, Harmonics.
+
+[413] In einem Brief vom 15. Februar 1783, abgedruckt im Göttinger
+Magazin der Wissenschaften und Literatur. III, 584.
+
+[414] *Herschel*, On the remarkable appearances at the polar regions of
+the Planet Mars. 1784.
+
+[415] Nach seiner Angabe beträgt die Rotationszeit des Saturn 10
+Stunden 29 Minuten.
+
+[416] Philosoph. Transactions 1795, II. Tab. XXIV.
+
+[417] *Herschel*, On the proper motion of the Sun and the Solar
+System. 1783.
+
+[418] Siehe S. 246 dieses Bandes.
+
+[419] *Herschel*, On the construction of the heavens. Phil. Trans.
+1784. Eine Übersetzung mit einem nach *Kants* Durchsicht hergestellten
+Auszug aus *Kants* Naturgeschichte des Himmels erschien 1791.
+
+[420] *Messier* in den Abhandlungen der Pariser Akademie der
+Wissenschaften vom Jahre 1771. S. 435. Catalogue des nébuleuses et des
+amas d'étoiles, observées à Paris par *M. Messier*.
+
+[421] *W. Herschel*, Über den Bau des Himmels; übersetzt von *J. W.
+Pfaff*. Leipzig 1850. Taf. I, Fig. 2. (Nr. 53 des Verzeichnisses von
+*Messier*.)
+
+[422] 1834-1838.
+
+[423] *W. Herschel*, Über den Bau des Himmels. Taf. II, Fig. 16.
+
+[424] *Kosmos*, Bd. I, Abschn. 3.
+
+[425] *Holden*, *Wilhelm Herschel*, Sein Leben und seine Werke.
+Übersetzt von *Valentiner*. Berlin 1882.
+
+[426] A. a. O. S. 214.
+
+[427] Über den Ursprung der von *Pallas* gefundenen und anderer ihr
+ähnlichen Eisenmassen und über einige damit in Verbindung stehende
+Naturerscheinungen von *Chladni*. Riga 1794.
+
+[428] *Dannemann*, Aus der Werkstatt großer Forscher, 1908. S. 169.
+
+[429] Ein großes Stück des Pallaseisens befindet sich in den
+Königlichen Sammlungen zu Berlin.
+
+[430] Von dieser gibt *Halley* Nachricht; Philosophical transactions,
+n. 360. S. 978.
+
+[431] Von der in der Histoire de l'académie des sciences, 1761, S. 28
+Nachricht gegeben wurde.
+
+[432] Wie in den Mémoires de l'académie de Dijon, Bd. I. S. 42
+erzählt wird.
+
+[433] *Silberschlag* (1721-1791), Oberbaurat und Mitglied der
+Akademie in Berlin, nahm an, daß diese Feuerkugel aus den Dünsten der
+zahlreichen Leichen entstanden sei, die im Sommer des Jahres 1762 die
+Schlachtfelder bedeckten. (!!)
+
+[434] Diese Vermutung *Chladnis* ist später durch die
+spektralanalytische Untersuchung der Gestirne bestätigt worden.
+
+[435] Neuere Untersuchungen haben zu dem Ergebnis geführt, daß sich
+zahlreiche Elemente, die sämtlich auch an der Zusammensetzung der
+Erde beteiligt sind, als Bestandteile der Meteoriten nachweisen
+lassen. Die Annahme *Chladnis*, daß das Universum im wesentlichen
+überall die gleiche chemische Zusammensetzung hat, steht auch mit der
+*Kant*-*Laplace*schen Hypothese im Einklang und hat durch die moderne
+Astrophysik ihre Bestätigung gefunden.
+
+[436] *Gilberts* Annalen 15,74 und 16,44, 70.
+
+[437] *Bieberstein*, 1802.
+
+[438] *Howard*, 1802.
+
+[439] *G. Rose*, Abhandlungen der Berliner Akademie der Wissenschaften
+1863. S. 33.
+
+[440] *Johann Friedrich Benzenberg*, 1777-1846.
+
+[441] *Heinrich Wilhelm Brandes*, 1777-1834.
+
+[442] *Benzenberg* und *Brandes*, Versuch, die Entfernung, die
+Geschwindigkeit und die Bahnen der Sternschnuppen zu bestimmen, 1800.
+
+[443] Siehe Band II S. 80.
+
+[444] *J. Bapt. Guglielmini* de diurno terrae motu experimentis
+physico-mathematicis confirmato. Bologna 1792.
+
+[445] Versuche über das Gesetz des Falles. Dortmund 1804.
+
+[446] Von *Reich* in einem Schacht bei Freiberg.
+
+[447] Zu den ersten Physikern, welche die Wärme ohne die Annahme eines
+besonderen Stoffes zu erklären suchten, gehörte *Daniel Bernoulli I*.
+(Siehe *Bernoullis* im Jahre 1716 erschienene Schrift: Phoronomia
+sive de Viribus et Motibus corporum solidorum et fluidorum). Man hat
+*Bernoulli* auf Grund der von ihm entwickelten Ansichten als einen der
+Begründer der kinetischen Gastheorie hingestellt (*Rühlmann*, Handbuch
+der mechanischen Wärmetheorie. Bd. I. 1876. S. 72).
+
+Dieselbe Ansicht von der Natur der Wärme entwickelte ein Jahrzehnt
+später der große *Euler* in einer in den Abhandlungen der Petersburger
+Akademie vom Jahre 1727 erschienenen Arbeit »Tentamen explicationis
+phaenomenorum aeris«.
+
+Soweit es sich um bloße Andeutungen handelt, läßt sich die mechanische
+Wärmetheorie bis auf *Bacon* und auf *Hooke* (Micrography, London
+1667. S. 12) zurückverfolgen.
+
+[448] Sein eigentlicher Name ist *Benjamin Thompson*.
+
+[449] Philosophical Transactions. 1799.
+
+[450] Philosophical Transactions. 25. I. 1798.
+
+[451] *Rumford*, Untersuchung der durch Friktion hervorgebrachten
+Wärme, vorgelesen in der Königl. Sozietät der Wissenschaften, den 25.
+Januar 1798.
+
+[452] In den »Contributions to phys. and medic. knowledge« collect. by
+Beddoes. 1799.
+
+[453] Der Versuch wurde von *Davy* in der Weise angestellt, daß
+zwei Eisstücke unter einer luftleeren Glasglocke bei einer unter
+dem Gefrierpunkte liegenden Temperatur vermittelst eines Uhrwerkes
+aneinander gerieben wurden.
+
+[454] *Erasmus Darwin* (der Großvater von *Charles Darwin*), Frigoric
+experiments on the mechanical expansion of air. Phil. Trans. 1788.
+
+[455] *J. Dalton*, Experiments and Observations on the Heat and Cold
+produced by the mechanical condensation and rarefaction of air. Manch.
+Soc. V, p. II (1802).
+
+[456] Ein Arbeiter einer Gewehrfabrik soll diese Entdeckung bei
+Versuchen mit der Windbüchse gemacht haben. *Rosenberger*, Geschichte
+der Physik Bd. III. S. 224.
+
+[457] Siehe S. 266 dieses Bandes.
+
+[458] Mém. de la Société d'Arcueil I, 180 (1807).
+
+[459] *Mach*, Prinzipien der Wärmelehre, S. 210.
+
+[460] *Scheele*, Chemische Abhandlung von der Luft und dem Feuer.
+(*Ostwalds* Klassiker, Nr. 58, S. 54).
+
+[461] Durch *Ritter*. Siehe *Gilberts* Annalen VII, 1801. S. 525.
+
+[462] Philosoph. Transact. 1802.
+
+[463] *William Hyde Wollaston* wurde 1766 geboren. Er war Mitglied
+der Royal Society und starb 1828 in London. *Wollaston* entdeckte
+das Rhodium und das Palladium. Seine Erfindung, Platin zu schmieden,
+brachte ihm so reiche Mittel ein, daß er davon als Privatmann leben
+konnte.
+
+[464] *Thomas Young* wurde 1773 geboren. Er wirkte als Professor
+der Physik an der Royal Institution in London und war Mitglied
+der Royal Society. *Young* starb 1829 in London. Er gehörte zu
+den vielseitigsten Menschen, die je gelebt haben. *Young* war Arzt,
+Philosoph, Mathematiker, Physiker, Archäologe und gleichzeitig ein
+Weltmann, der in den vornehmsten Kreisen Londons einen Ruf als Reiter,
+Musiker und Maler genoß. Derselbe *Young*, der auf den Gebieten der
+Physik und der Physiologie so Hervorragendes leistete, gehörte zu den
+ersten Archäologen, denen die Enträtselung der Hieroglyphen gelang.
+
+[465] Philos. Transact. 1804. S. 1.
+
+[466] *Young*, On the theory of light and colours. Phil. Transact.
+1802. Seite 12.
+
+[467] *Helmholtz*, Handbuch der physiologischen Optik. Leipzig 1876. S.
+291 u. f.
+
+[468] *Newton*, Optice. Lib. III. Quaestio XXVI: Annon radiorum
+luminis diversa sunt latera, diversis proprietatibus congenitis
+praedita?
+
+[469] *Étienne Louis Malus* wurde 1775 in Paris geboren. Er
+besuchte dort die Schule für Militäringenieure und später die
+École polytechnique, wo *Monge* auf ihn aufmerksam wurde. (Über
+*Monge* s. S. 120 u. f.). Schon damals wandte sich *Malus* optischen
+Untersuchungen zu. Seine wissenschaftliche Tätigkeit wurde durch den
+Feldzug nach Ägypten und andere napoleonische Kriege unterbrochen.
+Später wirkte *Malus* an der École polytechnique in Paris, wo er
+schon im Jahre 1812 starb.
+
+[470] Sur une propriété de la lumière réfléchie par les corps
+diaphanes. Gelesen 1808. Veröffentlicht in den Mémoires d'Arcueil
+II. 143 (1809).
+
+[471] *Aragos* Werke. Bd. III. S. 117.
+
+[472] *Augustin Jean Fresnel* wurde 1788 in der Normandie geboren.
+Er besuchte die École polytechnique zu Paris und starb dort 1827.
+*Fresnel* wirkte an der École polytechnique und als Mitglied
+einer Leuchtturmkommission. In dieser Stellung hat er sich um
+die Verbesserung der Leuchtvorrichtungen sehr verdient gemacht
+(*Fresnel*scher Prismenapparat).
+
+[473] *Fresnel*, Mémoire sur la diffraction de la lumière (Annales
+chim.-phys. I. 1816 et XI, 1819).
+
+[474] Mémoire sur la loi des modifications, que la reflexion imprime à
+la lumière polarisée.
+
+[475] Z. B. die von *Hamilton* abgeleitete und von *Lloyd* am Aragonit
+nachgewiesene konische Refraktion. *Hamilton* in *Poggendorffs* Annalen
+Bd. XXVIII. *Lloyd* ebenda.
+
+[476] *Foucault*, Sur les vitesses relatives de la lumière dans l'air
+et dans l'eau (Annales chim. phys. XLI. 1854).
+
+[477] Siehe an späterer Stelle.
+
+[478] Betrachtungen über die bewegende Kraft des Feuers und die
+zur Entwicklung dieser Kraft geeigneten Maschinen von *S. Carnot*.
+Übersetzt und herausgegeben von *W. Ostwald*. *Ostwalds* Klassiker der
+exakten Wissenschaften Nr. 37. Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,
+1892. Der Titel des Originals lautet: Réflexions sur la puissance
+motrice du feu et sur les machines propres à développer cette puissance
+par *S. Carnot*. Paris 1824.
+
+[479] Dieser wurde samt der Abhandlung im Jahre 1878 von *Carnots*
+Bruder herausgegeben (Paris, Gauthier Villars).
+
+[480] *Mach*, Prinzipien der Wärmelehre. S. 215.
+
+[481] *Mach*, S. 218.
+
+[482] Siehe S. 52 dieses Bandes.
+
+[483] *Gilberts* Annalen VII. 1801. S. 137.
+
+[484] Philos. Transact. 27. III. 1800, S. 255. Investigation of the
+Powers of the prismatic Colours to heat and illuminate Objects.
+
+[485] Philos. Trans. 24. IV. 1800, S. 284. Experiments on the
+Refrangibility of the invisible Rays of the Sun.
+
+[486] *St. Léonard* in Limousin.
+
+[487] *Aragos* Werke, Bd. III. S. 14.
+
+[488] Siehe S. 140 dieses Bandes.
+
+[489] Annales de chimie IX. 1791. S. 239.
+
+[490] Journal de Physique, 60. S. 129-158. Neuerdings veröffentlicht
+im 42. Bande von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften.
+Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann, 1893.
+
+[491] Recherche sur la dilatation des gases et des vapeurs (Ann. chim.
+et phys. XLIII, 1802). Die Abhandlung wurde neuerdings im 44. Bande
+von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften in deutscher
+Übersetzung herausgegeben.
+
+[492] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 44, S. 24.
+
+[493] Siehe Bd. IV dieses Werkes.
+
+[494] Daß Sauerstoff löslicher ist als Stickstoff, wußte schon
+*Scheele*. Siehe S. 147.
+
+[495] NH_{3} + HCl = NH_{4}Cl (Salmiak).
+
+[496] SO_{2} + O = SO_{3}.
+
+[497] Mémoire sur la combinaison des substances gazeuses, les
+unes avec les autres (Mém. de la société d'Arcueil, 1809). In der
+Übersetzung herausgegeben in *Ostwalds* Klassikern der exakten
+Wissenschaften, Bd. 42. Leipzig, Engelmann, 1893.
+
+[498] CO + O = CO_{2}.
+
+[499] Sie besagt, daß die Volumeinheit aller Gase bei gleichem Druck
+und gleicher Temperatur dieselbe Anzahl von Molekülen enthält. Siehe
+*Avogadros* Abhandlung vom Jahre 1811 in *Ostwalds* Klassikern der
+exakten Wissenschaften. Bd. 8. Wilhelm Engelmann, Leipzig, 1889.
+
+[500] *Kopp*, Gesch. d. Chemie IV. S. 13.
+
+[501] Näheres hierüber siehe *Kopp*, Gesch. d. Chemie IV. S. 13.
+
+[502] HCl, HJ, H_{2}S.
+
+[503] HClO_{3} und HJO_{3}, deren Säureanhydride Cl_{2}O_{5} und
+J_{2}O_{5} sind.
+
+[504] Näheres siehe im IV. Bande dieses Werkes.
+
+[505] Siehe S. 173 dieses Bandes.
+
+[506] *Ostwalds* Klassiker Nr. 4. S. 9.
+
+[507] *Gay-Lussac*, Recherches sur l'acide prussique. Annales de
+chim. 1815. S. 136-231.
+
+[508] *Liebig*, Handbuch der organischen Chemie. S. 1.
+
+[509] Siehe S. 164 dieses Bandes.
+
+[510] *Aragos* Werke. Bd. III. S. 57.
+
+[511] *William Henry*, geboren 1775 zu Manchester; gestorben 1836.
+
+[512] Philos. Transact. 1803 und *Gilberts* Annalen XX. S. 147.
+
+[513] Im 3. Bande von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften
+herausgegeben von *W. Ostwald*. Leipzig, Verlag von W. Engelmann, 1889.
+
+[514] Siehe S. 180 dieses Bandes.
+
+[515] Siehe hierüber S. 173 dieses Bandes.
+
+[516] Die betreffende Abhandlung von *Gauß* wurde im 14. Bande von
+*Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften von *E. Netto* in
+deutscher Übersetzung herausgegeben. Siehe dort S. 3-36. *Gauß* kam auf
+denselben Gegenstand noch dreimal zurück. Sämtliche 4 Arbeiten finden
+sich im 14. Bd. der Klassiker vereinigt. Leipzig, W. Engelmann, 1900.
+
+[517] Erster und zweiter Beweis der Fundamentaltheorien über
+quadratische Reste. Im 122. Bande von *Ostwalds* Klassikern der exakten
+Wissenschaften herausgegeben von *Eugen Netto*. Leipzig, W. Engelmann,
+1901.
+
+[518] *Zachs* astronomische Korrespondenz.
+
+[519] *Gauß* Werke, Bd. VI. S. 65.
+
+[520] Sie rührt von *Hasse* her und ist in Hannover erschienen. In
+der Übersetzung lautet der Titel des *Gauß*schen Werkes: Theorie
+der Bewegung derjenigen Himmelskörper, die sich um die Sonne in
+Kegelschnitten bewegen.
+
+[521] *Légendre*, Nouvelles méthodes pour la détermination des orbites
+des comètes.
+
+[522] Theoria combinationis observationum erroribus minimis obnoxiae.
+1821.
+
+[523] Nr. 159 und 270.
+
+[524] *C. G. J. Jacobi*, Über die Bildung und die Eigenschaften der
+Determinanten und über die Funktionaldeterminanten. Beide Abhandlungen
+erschienen 1841 im *Crelle*schen Journal. Sie wurden 1896 als 77. und
+78. Bd. von *Ostwalds* Klassikern durch *P. Stäckel* mit Anmerkungen
+herausgegeben.
+
+[525] *Laplace*, Théorie capillaire im Anhang zum 10. Buche der
+Mécanique céleste. Siehe auch *Gilberts* Annalen XXXIII.
+
+[526] *C. F. Gauß*, Allgemeine Grundlagen einer Theorie der Gestalt
+von Flüssigkeiten im Zustande des Gleichgewichts, 1830. In deutscher
+Übersetzung herausgegeben von *H. Weber* als 135. Band von *Ostwalds*
+Klassikern. Leipzig, W. Engelmann, 1903.
+
+[527] Eine vortreffliche Geschichte der Attraktionstheorie rührt von
+*J. Todhunter* her. Siehe Anm. 1 auf S. 244 dieses Bandes.
+
+[528] Mém. de Berlin. 1777. S. 155.
+
+[529] Mémoires de l'académie roy. de Paris 1782. S. 113-196. Die
+Abhandlung wurde teilweise in der Mécanique céleste aufgenommen.
+Dieser Abschnitt der Mécanique céleste erschien in deutscher
+Übersetzung im 19. Bande von *Ostwalds* Klassikern. Leipzig, W.
+Engelmann, 1890.
+
+[530] *G. Green*, Ein Versuch, die mathematische Analysis auf die
+Theorien der Elektrizität und des Magnetismus anzuwenden. In deutscher
+Übersetzung und mit Erläuterungen herausgegeben von *Wangerin* und *v.
+Oettingen*. *Ostwalds* Klassiker Nr. 61. Leipzig, W. Engelmann, 1895.
+
+[531] Für Kräfte, die nicht nach dem *Newton*schen Gesetze wirken, hat
+man später den Ausdruck Kräftefunktion eingeführt.
+
+[532] Der wichtigste dieser Sätze, der noch heute bei der Anwendung
+der Potentialtheorie eine große Rolle spielt, wird der »Satz von
+*Green*« genannt. Er findet sich im dritten Abschnitt seiner Abhandlung
+entwickelt (*Ostwalds* Klassiker, Bd. 61, S. 24-28) und betrifft den
+Fall, daß U und V zwei Funktionen von x, y, z bedeuten, deren Werte für
+jeden Punkt im Innern eines Raumes als gegeben angesehen werden können.
+
+Der von *Green* für diesen Fall entdeckte Satz lautet unter der
+Annahme, daß die Funktionen von U und V, sowie die ersten Derivierten
+von U und V im Innern des betreffenden Raumes endlich und stetig
+variabel sind:
+
+ ∭dx · dy · dz · U · δV + ∫dσ · U(dV/dw) =
+
+ ∭dx · dy · dz · VδU + ∫dσ · V(dU/dw)
+
+dV und dU sind die bekannten Abkürzungen für den Ausdruck in der
+*Laplace*schen Gleichung, dσ ein Oberflächenelement und dw ein
+Linienelement senkrecht zu dσ und nach dem Innern des Körpers gemessen.
+Näheres siehe auch *Riemann*-*Hattendorff*, Schwere, Elektrizität und
+Magnetismus § 20.
+
+[533] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 61, S. 45.
+
+[534] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 61, S. 48.
+
+[535] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 61, S. 62.
+
+[536] *Grelles* Journal für Mathematik 1850.
+
+[537] Siehe Anmerkung auf S. 302 dieses Bandes.
+
+[538] *C. F. Gauß*, Allgemeine Lehrsätze in Beziehung auf die im
+verkehrten Verhältnisse des Quadrates der Entfernung wirkenden
+Anziehungs- und Abstoßungskräfte. Als 2. Band von *Ostwalds* Klassikern
+der exakten Wissenschaften, herausgegeben von *A. Wangerin*. Leipzig,
+Verlag von W. Engelmann, 1902.
+
+[539] *Gauß'* Werke Bd. V. S. 119.
+
+[540] *C. F. Gauß*, Die Intensität der erdmagnetischen Kraft auf
+absolutes Maß zurückgeführt. 1832. Als 53. Band von *Ostwalds*
+Klassikern der exakten Wissenschaften, herausgegeben von *E. Dorn*.
+Leipzig, Verlag von W. Engelmann. 1894.
+
+[541] An Stelle dieser Einheiten traten später nach dem Beschlusse der
+Pariser Konferenz vom Jahre 1881 das Zentimeter, das Gramm und die
+Sekunde.
+
+[542] Siehe S. 306 dieses Bandes.
+
+[543] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 53, S. 27.
+
+[544] *Gauß* Werke. Bd. IV. S. 259. Göttingen 1873.
+
+[545] Siehe Band II, S. 395.
+
+[546] Die betreffendes Abhandlungen von *Lagrange* (1779) und *Gauß*
+(1822) wurden durch *A. Wangerin* als 55. Band von *Ostwalds*
+Klassikern der exakten Wissenschaften von neuem herausgegeben. Leipzig,
+Verlag von W. Engelmann. 1894.
+
+[547] *C. F. Gauß*, Allgemeine Flächentheorie (1827). Deutsch
+herausgegeben von *A. Wangerin* als 5. Band von *Ostwalds* Klassikern
+der exakten Wissenschaften. Leipzig, W. Engelmann, 1889.
+
+[548] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 5, S. 29.
+
+[549] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 5, S. 30.
+
+[550] *Ostwalds* Klassiker, Nr. 5, S. 36.
+
+[551] Dieses größte Dreieck, das gemessen wurde, besaß die Winkelpunkte
+Brocken, Inselsberg, Hohenhagen. Die Entfernungen dieser Punkte
+betragen 106702 m, 84957 m und 69195 m. Die Winkelsumme belief sich auf
+180° 0' 14,85''. Der sphärische Exzeß betrug also 14,85''.
+
+Näheres über die trigonometrische Vermessung des Königreichs Hannover
+enthält die Schrift »*C. F. Gauß*, Untersuchungen über Gegenstände der
+höheren Geodäsie.« Sie wurde als 177. Band von *Ostwalds* Klassikern
+neu herausgegeben von *S. Frischauf* (Leipzig, W. Engelmann, 1910).
+Nicht die Resultate jener Messung, sondern der Allgemeinwert des
+von *Gauß* dabei befolgten Weges rechtfertigt die Neuausgabe jener
+Abhandlung.
+
+[552] Es ist nämlich α + γ = 90° = β + δ. Folglich ist α + β + γ + δ =
+2 R.
+
+[553] *Sartorius von Waltershausen*, *Gauß* zum Gedächtnis. Leipzig
+1856. S. 78.
+
+[554] Die wichtigsten Abhandlungen von *Gauß* sind in folgenden Nummern
+von *Ostwalds* Klassikern der exakten Wissenschaften bei W. Engelmann
+in Leipzig erschienen: 2, 5, 14, 19, 53, 55, 122, 135, 177.
+
+[555] *Kummer*.
+
+[556] Das graphische Verfahren zur übersichtlichen Darstellung
+tellurischer Erscheinungen hat zuerst *Halley* angewandt, als er die
+Orte gleicher Deklination verband.
+
+[557] Die betreffende Arbeit *Humboldts* erschien in den Mémoires
+de la Société d'Arcueil unter dem Titel: Des lignes isothermes et
+de la distribution de la chaleur sur le globe 1817. III. 462 u. f.
+Siehe auch die Abhandlung vom Juli 1827 in den Berichten der Berliner
+Akademie der Wissenschaften.
+
+[558] 1683-1811.
+
+[559] *Peschel*, Geschichte der Erdkunde 1865. S. 654.
+
+[560] *Buys-Ballot* 1851.
+
+[561] Siehe S. 307 dieses Bandes.
+
+[562] *Bruhns*, *Alexander von Humboldt*. I. S. 67.
+
+[563] *Bruhns*, I. S. 95.
+
+[564] *Bruhns*, I. S. 103.
+
+[565] *Humboldt*, Essai géognostique. Übersetzt von *Leonhardt*. 1823.
+
+[566] *Böttiger*, Literarische Zustände und Zeitgenossen. I. 22.
+
+[567] *A. v. Humboldt*, Versuche über die gereizte Nerven- und
+Muskelfaser nebst Vermutungen über den chemischen Prozeß des Lebens in
+der Tier- und Pflanzenwelt. 2 Bde. 1797-1799.
+
+Eine poesievolle Darstellung seiner Auffassung von der Lebenskraft gab
+von *Humboldt* in Schillers Horen (1795) unter der Überschrift: Die
+Lebenskraft oder der rhodische Genius.
+
+[568] In sehr bezeichnender Weise äußert sich diese Stimmung Goethes in
+folgenden Versen:
+
+ Basalt, der schwarze Teufelsmoor,
+ Aus tiefster Hölle bricht hervor,
+ Zerspaltet Fels, Gestein und Erden,
+ Omega muß zum Alpha werden:
+ Und so wär denn die liebe Welt
+ Geognostisch auf den Kopf gestellt.
+
+
+
+[569] Festrede bei der Humboldtfeier am 5. Aug. 1844.
+
+[570] Reise in die Äquinoktialgegenden des neuen Kontinents in den
+Jahren 1799-1804. Eine deutsche Übersetzung des von *Bonpland* und *von
+Humboldt* verfaßten Berichtes erschien 1818-1829 bei J. G. Cotta.
+
+[571] Nach der barometrischen Formel 18096 Pariser Fuß.
+
+[572] Von 1808-1826.
+
+[573] Von 1805-1834. Der Preis des ganzen Werkes betrug 9500 Franken.
+Die Kosten der Reise, die *von Humboldt* aus eigenen Mitteln bestritten
+hatte, beliefen sich auf etwa 100000 Mark.
+
+[574] Siehe S. 284, sowie *Ostwalds* Klassiker der exakten
+Wissenschaften Nr. 42.
+
+[575] Eine genaue Inhaltsangabe des gesamten Werkes, dessen Herausgabe
+den Rest des *Humboldt*schen Vermögens verschlang, enthält die große
+von *Bruhns* im Verein mit *Dove*, *Peschel*, *Griesebach*, *Carus*
+und anderen Gelehrten herausgegebene wissenschaftliche Biographie über
+*Alexander von Humboldt*. 3 Bände, Brockhaus 1872. Manche Abschnitte
+sind auch in deutscher Übersetzung erschienen, so die Reisebeschreibung
+unter Mitwirkung *Humboldts* in 4 Bänden. (Stuttgart 1859-1860.)
+
+[576] Ein von dem russischen Finanzminister im Jahre 1827 gefordertes
+Gutachten über die Verwendung des im Ural entdeckten Platins ist die
+Veranlassung zu *Humboldts* asiatischer Reise gewesen.
+
+[577] Der Kosmos ist in elf fremde Sprachen übersetzt worden.
+
+[578] *Bruhns.* Bd. II. S. 357.
+
+[579] *Karl Ludwig Willdenow*, Berlin, 1765-1812.
+
+[580] Siehe S. 81 dieses Bandes.
+
+[581] Ideen, S. 2.
+
+[582] Ideen, S. 10.
+
+[583] Ideen, S. 21.
+
+[584] Ideen, S. 15.
+
+[585] Ideen, S. 17.
+
+[586] *Bruhns* (*Grisebach*) III. 248.
+
+[587] Rélation historique I. 600.
+
+[588] Naturgemälde der Tropenländer, S. 58-76.
+
+[589] Naturgemälde, S. 76.
+
+[590] *Bruhns*, III. 236.
+
+[591] Mineralogische Beobachtungen über einige Basalte am Rhein. 1790.
+
+[592] *Cordier*, 1815, Journ. Min. XXXVIII.
+
+[593] Annales de Chimie. 1823.
+
+[594] *Kosmos*, Bd. IV, S. 270.
+
+[595] *Bruhns*, III. S. 184.
+
+[596] Description of a reflective Goniometer. Philos. Transactions
+1809.
+
+[597] *Hauy*, Essai d'une théorie sur la structure des cristaux.
+Paris 1784.
+
+[598] Siehe auch *Hauy*, Exposition de la structure des cristaux in
+den Annales de Chimie 1793 (17. Bd.) S. 225 u. f.
+
+Einige Jahre früher hatte *Hauy* die schwierigen
+Kristallisationsverhältnisse, welche der Staurolith darbietet, genauer
+beschrieben. Siehe Annales de Chimie. Bd. IV (1790).
+
+[599] *Bernhardi*, Über die Kristallisation des Arsenkieses. *Gehlens*
+Journal für die Chemie und Physik. 1807. III.
+
+[600] *Martin Heinrich Klaproth* wurde 1743 in Wernigerode geboren. Er
+erlernte die Pharmazie. Seit der Begründung der Berliner Universität
+(1810) wirkte er dort als Professor der Chemie. *Klaproth* starb 1817
+in Berlin.
+
+[601] *Fuchs* in *Schweiggers* Journal vom Jahre 1815.
+
+[602] Die Metalle, die er in beide Säuren eintreten ließ, waren Kalium,
+Natrium, Barium, Blei.
+
+[603] *Mitscherlich*, Über die Kristallisation der Salze. Abhandlungen
+der Berliner Akademie 1818/19. *Mitscherlichs* im Jahre 1821
+veröffentlichte Untersuchung über das Verhältnis zwischen der
+chemischen Zusammensetzung und der Kristallform arseniksaurer und
+phosphorsaurer Salze erschien als 94. Band von *Ostwalds* Klassikern
+der exakten Wissenschaften. Leipzig 1898.
+
+[604] *Ostwalds* Klassiker Nr. 94. S. 54.
+
+[605] Abhandlungen der Berliner Akademie 1822/23. S. 43 ff.
+
+[606] *G. Rose*, 1837. *Poggendorffs* Annalen XLII.
+
+[607] Abhandlungen der Berliner Akademie von 1822/23.
+
+[608] *A. W. Hofmann*, Ein Jahrhundert chemischer Forschung unter dem
+Schirme der Hohenzollern.
+
+[609] *Péligot*, Annales chim. phys. V, 1842 und XII, 1844.
+
+[610] *Arago*, Mémoires de l'Institut de France. 1811.
+
+[611] *Michael Adanson* wurde 1727 in Aix geboren. Er war Mitglied der
+Akademie der Wissenschaften in Paris und starb dort 1806.
+
+[612] Er stellte deren nicht weniger als 65 auf.
+
+[613] Geboren 1732 in Württemberg. *Gärtner* bekleidete ein Lehramt
+in Tübingen und später in Petersburg. Seit 1770 lebte er wieder
+in Württemberg, ganz mit der Abfassung seines wissenschaftlichen
+Hauptwerkes beschäftigt. Letzteres erschien 1788-1791 unter dem Titel:
+De fructibus et seminibus plantarum. *Gärtner* starb im Jahre 1791.
+
+[614] Nur hin und wieder griff *Gärtner* auf die früheren
+Formverhältnisse zurück.
+
+[615] Unter diesem Titel wurde das epochemachende Buch ins Deutsche
+übersetzt (durch Dr. *Römer*, Zürich 1815). Der vollständige Titel des
+Originales lautet: Théorie élémentaire de la botanique ou exposition
+des principes de la classification naturelle et de l'art d'écrire et
+d'étudier les végétaux, Paris 1813.
+
+[616] Organographie végétale, Paris 1827. 2 Bände. Eine deutsche
+Bearbeitung gab *C. F. Meisner* 1828 heraus. Ihr Titel lautet:
+Organographie der Gewächse oder kritische Beschreibung der
+Pflanzenorgane. Eine Fortsetzung und Entwicklung der Anfangsgründe der
+Botanik und Einleitung zur Pflanzenphysiologie und der Beschreibung der
+Familien.
+
+[617] *Sachs*, in seiner Geschichte der Botanik.
+
+[618] So *Gleditsch*: Mém. de l'Académie de Berlin, 1748. S. 60.
+
+[619] *Sprengel*, Geschichte der Botanik II. 249.
+
+[620] *A. Kirchhoff*, Die Idee der Pflanzenmetamorphose bei *Wolff* und
+*Goethe*. 1867.
+
+[621] Siehe *Dannemann*, Aus der Werkstatt großer Forscher 1908. S. 227.
+
+[622] Daß *Goethes* umfangreiche, im ganzen als verfehlt zu
+betrachtende Farbenlehre (sie umfaßt allein fünf Bände der großen
+Weimarer Goetheausgabe) manchen trefflichen Gedanken aufweist,
+hat vor einigen Jahren *E. v. Lippmann* gezeigt (Zeitschrift für
+Naturwissenschaften, Bd. 74, 1901). Die Hauptschwäche der *Goethe*schen
+physikalischen Untersuchungen besteht darin, daß er das experimentelle
+und mathematische Rüstzeug des Physikers nicht nur nicht genügend
+kannte, sondern es auch allzu gering einschätzte. Von seinem Mißerfolg
+ließ sich *Goethe* nicht überzeugen; er betrachtete vielmehr seine
+Farbenlehre als sein verdienstvollstes Werk, dem gegenüber er sich »auf
+alles, was er als Poet geleistet, nichts einbildete.«
+
+[623] *Goethes* Metamorphosenlehre hat vor kurzem *A. Hansen* in
+ihrer Bedeutung und in ihrem Zusammenhange mit den Arbeiten *Wolffs*
+gewürdigt. Siehe *A. Hansen*, *Goethes* Metamorphose der Pflanzen.
+*Goethe*, Jahrbuch XXVII. Band 1906. S. 207-225 und das unter dem
+gleichen Titel erschienene ausführlichere Werk *Hansens*.
+
+[624] Sechs pflanzenphysiologische Abhandlungen von *Thomas Andrew
+Knight* (1803-1812); übersetzt und herausgegeben von *H. Ambronn*.
+*Ostwalds* Klassiker der exakten Wissenschaften. Band 62. Leipzig, W.
+Engelmann, 1895.
+
+[625] Durch *Johnson* im Jahre 1823.
+
+[626] Abhandlung vom Jahre 1811.
+
+[627] Siehe Abschnitt 5 dieses Bandes.
+
+[628] Abhandlung vom Jahre 1812.
+
+[629] Siehe Seite 140 dieses Bandes.
+
+[630] *Ingenhouß*, Versuche mit Pflanzen; übersetzt von *Scherer*, 1786.
+
+[631] Durch *Senebier*.
+
+[632] Eine Würdigung der Verdienste des Arztes und Naturforschers
+*Ingenhouß* erfolgte neuerdings durch *J. Wiesner*: *Jan. Ingenhouß.*
+Sein Leben und sein Wirken. Wien, 1905.
+
+Nach seiner Promotion zum Doktor der Medizin studierte *Ingenhouß*
+Physik und Chemie in Leyden. Er ging also wohl vorbereitet an die große
+Aufgabe heran, einen Einblick in den Gasaustausch und die chemischen
+Vorgänge der Pflanze zu erlangen.
+
+An Einzelheiten teilt *Wiesner* mit, daß *Ingenhouß* das Deckgläschen
+in die mikroskopische Technik eingeführt und zuerst eine Uhrfeder in
+Sauerstoff verbrannt habe. Auch der Ersatz der Glaskugel oder Walze
+der älteren Elektrisiermaschinen durch eine Glasscheibe wird auf
+*Ingenhouß* zurückgeführt.
+
+[633] *Théodore de Saussure*, Recherches chimiques sur la végétation.
+Paris 1804. Übersetzt herausgegeben von Dr. *A. Wieler* als 15. und 16.
+Band von *Ostwalds* Klassikern.
+
+[634] 1822.
+
+[635] Siehe *Ostwalds* Klassiker Nr. 15 und 16.
+
+[636] Siehe S. 353 dieses Bandes.
+
+[637] Die Übersetzung rührt von *Röper* her (Cottasche Buchhandlung,
+1833). Der Titel des Originals lautet: Physiologie végétale, ou
+exposition des forces et des fonctions vitales des végétaux par *A. P.
+De Candolle*. Paris 1832.
+
+[638] *Decandolle*, Bd. I. S. 421.
+
+[639] Hier kommt besonders *Treviranus* in Betracht, der 1835 eine
+Physiologie der Gewächse herausgab.
+
+[640] *Meyen*, Neues System der Pflanzenphysiologie. 1838.
+
+[641] *Buffon*, Histoire naturelle, générale et particulière,
+1749-1788.
+
+[642] Histoire naturelle, II, 4.
+
+[643] *Geoffroy Saint-Hilaire* wurde 1772 in der Nähe von Paris
+geboren. Er wirkte als Professor der Zoologie am Jardin des Plantes in
+Paris und starb dort 1844.
+
+[644] *Cuvier*, Discours sur les révolutions de la surface du globe.
+I, 1.
+
+[645] *Cuvier*, Discours sur les révolutions. I, 87.
+
+[646] Leçons d'anatomie comparée. 1805. Übersetzt von *Froriep* und
+*Meckel*. 4 Bde. Leipzig 1809.
+
+[647] 1802.
+
+[648] Règne animal. 2. Afl. I, 10.
+
+[649] In der Vorrede zur 1. Auflage d. Règne animal.
+
+[650] »Sur un nouveau rapprochement à établir entre les classes, qui
+composent le règne animal«. Annales du Muséum d'histoire naturelle.
+Tome XIX. 1812. pag. 73 ff.
+
+[651] *Cuvier*, Règne animal.
+
+[652] *Oken* in der Zeitschrift »Isis«. Jahrgang 1832, Seite 1303.
+
+[653] De generis humani varietate nativa. Göttingen, 1775.
+
+[654] Näheres siehe in *Dannemann*, Aus der Werkstatt großer Forscher.
+1908. Seite 251.
+
+[655] Recherches sur les ossements fossiles 1811. Der erste, die
+Grundzüge der Katastrophenlehre enthaltende Abschnitt führt darin
+die Überschrift Discours préliminaire. In der zweiten Auflage der
+Recherches (1821-1824) wird dieser Abschnitt als Discours sur les
+révolutions de la surface du globe bezeichnet. Dieser Abschnitt wurde
+mehrfach in deutscher Bearbeitung herausgegeben, so z. B. von *C. G.
+Giebel* unter dem Titel »Die Erdumwälzungen« von *Georg Cuvier*.
+
+[656] Siehe S. 378 dieses Bandes.
+
+[657] Er starb im Jahre 1852 in Berlin.
+
+[658] Siehe Band II, S. 411 u. f.
+
+[659] Das Werk erschien 1826, während die Erforschung dieser
+Inselgruppe durch *Buch* etwa ein Jahrzehnt früher stattfand.
+
+[660] Siehe S. 106 u. f. dieses Bandes.
+
+[661] *Christian Heinrich Pander* (1794-1865) ließ seine Arbeit,
+die er auf Anregung seines Lehrers *Döllinger* unternahm, 1817 als
+Dissertation erscheinen. Später gab er eine deutsche Bearbeitung
+heraus, der 16 musterhaft gestochene Kupfertafeln beigefügt sind.
+*Pander* war gleich so vielen hervorragenden Deutschen des 18. und 19.
+Jahrhunderts Mitglied der Akademie in Petersburg.
+
+[662] Eine Auswahl aus den Schriften *von Baers* enthält das Buch:
+*Remigius Stölzle*, *Karl Ernst von Baers* Schriften. Stuttgart,
+Greiner und Pfeiffer. VI. 230 S. Das Buch schildert das Wirken *von
+Baers* als Lehrer, Forscher und Philosoph. Die Auswahl ist besonders
+seinen »Reden« entnommen. In ihnen behandelt *von Baer* Stoffe aus der
+Naturphilosophie, der Anthropologie und der Entwicklungslehre.
+
+Eine Biographie *von Baers* veröffentlichte *Wilhelm Haacke* als
+dritten Band der »Klassiker der Naturwissenschaften« (Leipzig,
+Th. Thomas, 1905. 175 S.). *Haacke* macht die umfassende
+naturwissenschaftliche Weltanschauung *von Baers* zum Hauptgegenstande
+seiner Darstellung.
+
+[663] *Von Baer*, De ovi et animalium genesi epistola.
+
+[664] *J. C. Purkinje* (1787-1869), Professor in Breslau. Symbolae ad
+ovi avium historiam ante incubationem. 1825.
+
+[665] Erwähnt sei, daß die ersten Beobachtungen über die Furchung
+von *Prevost* und *Dumas* 1824 am Froschei gemacht wurden (Ann. des
+sciences nat. Bd. 2. S. 110).
+
+[666] S. Bd. IV dieses Werkes.
+
+[667] *Von Baer*, Untersuchungen über die Gefäßverbindungen zwischen
+Mutter und Frucht in den Säugetieren. 1828.
+
+[668] *Martin Heinrich Rathke*, Professor der Zoologie in Königsberg
+(1793-1860).
+
+
+
+
+Namenverzeichnis.
+
+
+ A.
+
+ Abel 125, 130-134.
+
+ Adanson 350, 351.
+
+ Aepinus 7, 8, 22, 25, 26.
+
+ d'Alembert 19, 297.
+
+ Amontons 44, 55.
+
+ Ampère 227-235, 236.
+
+ Arago 226, 235, 236, 283, 291, 349.
+
+ Aristoteles 69.
+
+
+ B.
+
+ Babinet 228.
+
+ v. Baer 99, 114, 391-393.
+
+ Balard 290, 295.
+
+ Beccaria 20.
+
+ Behrens 207, 208.
+
+ Benzenberg 261, 262.
+
+ Bergmann 26, 140, 143, 146, 150-154, 169, 171, 340, 342.
+
+ Berghaus 320.
+
+ Bernoulli, Daniel 48, 301.
+
+ Berthollet 151, 167-173, 175, 282, 284, 387, 294.
+
+ Berzelius 138, 176, 184-188, 294, 295, 342-348.
+
+ Biot 283.
+
+ Black 48-52, 54, 140.
+
+ Blagden 58, 59.
+
+ Blumenbach 68, 322, 383, 384.
+
+ Boerhave 111, 115.
+
+ Bonpland 325.
+
+ Borelli 40, 112.
+
+ Bose 11.
+
+ Boussingault 370.
+
+ Boyle 138, 158, 161, 166, 265, 293.
+
+ Bradley 80.
+
+ Brandes 261.
+
+ Brücke 75.
+
+ v. Buch 286, 323, 337, 338, 388, 389.
+
+ Buffon 376.
+
+ Buys-Ballot 321.
+
+
+ C.
+
+ Caesalpin 63, 105.
+
+ Camerarius 63, 80-83, 111.
+
+ Camper 384.
+
+ Carlisle 211, 212.
+
+ Carnot 271, 278-280.
+
+ Cassini 252.
+
+ Cavendish 31, 32, 141, 164, 165, 175, 284.
+
+ Celsius 43, 389.
+
+ Charles 282.
+
+ Chladni 258-261.
+
+ Collinson 15, 17.
+
+ Cordier 337.
+
+ Coulomb 27-32, 232, 302, 310.
+
+ Cramer 299.
+
+ Crelle 125.
+
+ Cullen 51.
+
+ Cunaeus 9.
+
+ Cusa 46.
+
+ Cuvier 328, 329, 376-388.
+
+
+ D.
+
+ Dalton 118, 138, 172, 178-183, 269, 292, 293.
+
+ Ch. Darwin 91.
+
+ E. Darwin 269.
+
+ Davy 13, 169, 173, 174, 212-223, 268, 269, 295.
+
+ Decandolle 67, 353-357, 372-374.
+
+ Delambre 228.
+
+ Dela Rive 221.
+
+ Deluc 48.
+
+ Desargues 122, 123.
+
+ Descartes 15, 122.
+
+ Dillenius 82.
+
+ Döbereiner 290.
+
+ v. Döllinger 391.
+
+ Dove 320, 321.
+
+ Du Fay 7, 8.
+
+ Dürer 119, 120.
+
+
+ E.
+
+ Ehrenberg 329.
+
+ Erman 209.
+
+ Euler 14, 15, 48, 130, 133, 134, 242, 297.
+
+
+ F.
+
+ Fahrenheit 39-41, 43, 58.
+
+ Faraday 22, 26, 215, 226.
+
+ Fontana 283.
+
+ Forster 322.
+
+ Foucault 277.
+
+ Fourcroy 174.
+
+ Fourier 131, 136.
+
+ Franklin 7, 10, 14-20, 22.
+
+ Fraunhofer 273, 277.
+
+ Fresnel 276, 277.
+
+ Füchsel 385.
+
+ Fulton 37.
+
+
+ G.
+
+ Gahn 143.
+
+ Galilei 7, 38.
+
+ Galvani 190-196.
+
+ Gärtner 352.
+
+ Gauß 129, 130, 249, 296-298, 303 bis 318, 321.
+
+ Gay-Lussac 45, 138, 169, 173, 225, 235, 236, 270, 282-291, 295, 320,
+ 327, 343.
+
+ Gilbert 6.
+
+ Gleditsch 65, 81.
+
+ Gmelin 322.
+
+ Göpel 135.
+
+ Goethe 110, 225, 323-325, 357, 358, 376.
+
+ Gould 46.
+
+ de Graaf 391, 392.
+
+ Gralath 10, 12.
+
+ Green 302, 303-306.
+
+ Grew 66, 77.
+
+ Grey 8, 9.
+
+ Grothuß 215.
+
+ Grummert 13.
+
+ Guericke 6, 8, 10.
+
+ Guglielmini 262.
+
+ Gülcher 239.
+
+
+ H.
+
+ Hales 53, 66, 71-79, 139, 147, 364.
+
+ von Haller 106, 110-115.
+
+ Halley 38, 39, 254, 320, 321.
+
+ Hamilton 277.
+
+ Harvey 71, 106, 114.
+
+ Hausen 11.
+
+ Hauy 340-343.
+
+ Hawksbee 6, 7, 10.
+
+ Helmholtz 274, 318.
+
+ v. Helmont 139, 155.
+
+ Henry 292.
+
+ J. Herschel 255.
+
+ W. Herschel 241, 247-257, 272, 281.
+
+ Hooke 39.
+
+ A. v. Humboldt 125, 211-213, 257, 284, 286, 307, 308, 319-339, 347,
+ 388, 389.
+
+ W. v. Humboldt 224.
+
+ Hunter 24.
+
+ Hutton 385.
+
+ Huygens 14, 251, 274.
+
+
+ J.
+
+ Jacobi 133, 134, 299.
+
+ Ingenhouß 365.
+
+ Joule 267.
+
+ Jungius 63, 106.
+
+ A. L. de Jussieu 67, 351-353.
+
+ B. de Jussieu 67, 351.
+
+
+ K.
+
+ Kant 246-248, 257.
+
+ Kästner 18.
+
+ Kepler 113.
+
+ Kienmayer 11.
+
+ Kinnersley 16, 17.
+
+ Kirchhoff 118.
+
+ Klaproth 342, 343, 348, 349.
+
+ v. Kleist 9.
+
+ Knight 360-364.
+
+ v. Kobell 342.
+
+ Kölreuter 80, 82-90, 106.
+
+
+ L.
+
+ Lagrange 130, 299, 301, 302, 313.
+
+ Lambert 44, 45, 46, 247, 313.
+
+ Laplace 54-57, 116, 118, 143, 241 bis 246, 257, 299, 300, 302.
+
+ Lavoisier 21, 52, 54-57, 79, 138, 139, 147, 152, 155-168, 173, 175,
+ 215, 264, 283, 291, 294, 295.
+
+ Le Monnier 12, 20.
+
+ Ledermüller 91, 92, 102, 103.
+
+ Leeuwenhoek 82, 101, 102.
+
+ Legendre 134, 135, 298.
+
+ Leibniz 110, 299.
+
+ Lejeune-Dirichlet 135-137.
+
+ Lichtenberg 18, 322.
+
+ Lieberkühn 115.
+
+ Liebig 191.
+
+ Linné 60-68, 82, 86, 99, 106, 340, 350, 383.
+
+ Lionardo da Vinci 46.
+
+ Lloyd 277.
+
+ Lobatschefskij 122.
+
+ Lomonossow 48, 117, 118.
+
+
+ M.
+
+ Magnus 185.
+
+ Malpighi 66, 112.
+
+ Malus 275, 276.
+
+ Mariotte 52, 69, 70, 113, 293.
+
+ v. Marum 12.
+
+ T. Mayer 242.
+
+ R. Mayer 271.
+
+ Mayow 49, 155, 157.
+
+ Meckel 114, 115, 390.
+
+ Melloni 239.
+
+ Mendelejeff 290.
+
+ Messier 254.
+
+ L. Meyer 290.
+
+ Mitscherlich 185, 343-347.
+
+ Moissan 295.
+
+ Monge 119-124.
+
+ Montgolfier 282.
+
+ Müller, Johannes v. 112, 205.
+
+ Musschenbroek 9, 45.
+
+
+ N.
+
+ Naumann 342.
+
+ Newcomen 33-36.
+
+ Newton 244, 262, 275, 301.
+
+ Nicholson 206, 212.
+
+ Nobili 239.
+
+ Noë 239.
+
+
+ O.
+
+ Oersted 223-228, 231, 236.
+
+ Ohm 207.
+
+ Olbers 249.
+
+
+ P.
+
+ Pallas 258.
+
+ Pander 390-393.
+
+ Papin 33-35.
+
+ Pascal 122.
+
+ Peyssonel 99.
+
+ Pfaff 132.
+
+ Piazzi 249, 297.
+
+ Picard 6.
+
+ Pictet 53.
+
+ Planté 210.
+
+ Plücker 128.
+
+ Poisson 302.
+
+ Poncelet 122-124.
+
+ Pouillet 224.
+
+ Priestley 20, 79, 138-143, 146, 147, 155, 158, 160, 163, 165, 168, 213,
+ 283, 364.
+
+ Proust 175, 176, 178.
+
+ Prout 184.
+
+
+ R.
+
+ Ramsay 141.
+
+ Rathke 393.
+
+ Ray 63, 99.
+
+ Rayleigh 141.
+
+ Réaumur 21, 41, 103.
+
+ Redi 105.
+
+ Regnault 52.
+
+ Reich 262.
+
+ Reimarus 18.
+
+ Renaldini 38.
+
+ Rey 157.
+
+ Richer 23.
+
+ Richmann 20.
+
+ Richter 118, 176, 177, 187.
+
+ Riemann 136, 137.
+
+ Rieß 208.
+
+ Ritter 206, 207, 209, 210, 212, 213.
+
+ de Romas 20.
+
+ Rose 185, 329.
+
+ Rosenhain 135.
+
+ Rösel von Rosenhof 102, 104.
+
+ Rousseau 227.
+
+ Rumford 13, 265-270.
+
+
+ S.
+
+ G. Saint-Hilaire 370, 382.
+
+ Th. de Saussure 353, 366-372.
+
+ H. B. de Saussure 31, 46, 47, 320, 321, 335, 366.
+
+ Scheele 138, 139, 143-149, 155, 156, 160, 165, 173, 272, 291, 340.
+
+ Schulze 149.
+
+ Schumacher 312.
+
+ Schwann 108, 392.
+
+ Seebeck 225-227, 235-239.
+
+ Senebier 353.
+
+ Silberschlag 258, 259.
+
+ Spallanzani 89, 101, 105.
+
+ Sprengel 89-98.
+
+ Stahl 53, 138.
+
+ Steiner 122, 125-128.
+
+ Stephenson 37.
+
+ Sturm 131.
+
+ Sulzer 189.
+
+ Swammerdam 102, 105, 115.
+
+ Symmer 15.
+
+
+ T.
+
+ Thenard 288.
+
+ Trembley 99, 100, 101, 104.
+
+ Treviranus 375.
+
+ van Troostwyk 21.
+
+
+ V.
+
+ Valenciennes 328, 329.
+
+ Vitruvius 119.
+
+ Volta 195-207, 210, 211.
+
+
+ W.
+
+ Wall 16.
+
+ Walsh 23, 24.
+
+ Watson 12, 13.
+
+ Watt 36-38, 52, 267.
+
+ E. H. Weber 113.
+
+ W. Weber 233, 307, 311.
+
+ Wedgwood 45.
+
+ Weiß 342.
+
+ Wenzel 118, 176.
+
+ Werner 323, 340, 388.
+
+ Westrumb 174.
+
+ Widmanstätten 261.
+
+ Wilke 22, 23, 48, 49, 199.
+
+ Willdenow 322, 332.
+
+ Wilson 11.
+
+ Winkler 16.
+
+ Wöhler 185, 223.
+
+ Wolf, Christian 39, 70, 71, 106, 117, 118.
+
+ Wolff, K. Fr. 106-110, 114, 115, 357, 358, 390.
+
+ Wollaston 182, 183, 272, 273, 340.
+
+ Wright 246, 247.
+
+
+ Y.
+
+ Young 22, 273-277.
+
+
+ Z.
+
+ Zamboni 207, 208.
+
+
+
+
+Verzeichnis der Abbildungen.
+
+
+ Figur | aus
+ -----------------------------------+-------------------------------------
+ |
+ 1. Elektrisiermaschine aus dem | Gerland und Traumüller, Geschichte
+ Jahre 1744 | der physikalischen
+ | Experimentierkunst. Leipzig 1899.
+ | Abb. 319.
+ |
+ 2. Watsons Versuch, die | Philosophical Transactions. 1748.
+ Geschwindigkeit der Elektrizität | Bd. 45.
+ zu bestimmen |
+ |
+ 3. Querschnitt durch den | Philosoph. Transact. 1773. Bd.
+ Zitterrochen | 63.
+ |
+ 4. Coulombs elektrische Wage | Ostwalds Klassiker der exakten
+ | Wissenschaften. Nr. 13. Fig. 1
+ | bis 5.
+ |
+ 5. Coulombs Untersuchung der | Wüllner, Lehrbuch der
+ Torsion | Experimentalphysik. Bd. I. 1882.
+ | Abb. 60.
+ |
+ 6. Coulombs Versuch über die | Wüllner, Lehrbuch der
+ Verteilung der Elektrizität | Experimentalphysik. Bd. IV. 1875.
+ | Abb. 52.
+ |
+ 7. Papins erste Dampfmaschine | Acta eruditorum 1690.
+ |
+ 8. Newcomens Dampfmaschine | Gehlers Physikalisches Wörterbuch.
+ | Bd. II. Tab. XIII. Fig. 133.
+ |
+ 9. Amontons' Luftthermometer |
+ |
+ 10. Saussures Haarhygrometer | Ostwalds Klassiker. Nr. 115.
+ | Fig. 1.
+ |
+ 11. Lavoisiers Eiskalorimeter | Ostwalds Klassiker. Nr. 40.
+ |
+ 12. Der Wurzel Ziehen oder Saugen | Hales, Statik der Gewächse.
+ | Tab. III. Fig. X.
+ |
+ 13. Hales Versuch über das Saugen | Hales, Statik der Gewächse. Tab.
+ eines transpirierenden Zweiges. | III. Fig. XI.
+ |
+ 14. Das Steigen des Pflanzensaftes | Hales, Statik der Gewächse. Tab.
+ | IV. Fig. XVII.
+ |
+ 15. Die Bestimmung des | Hales, Statik d. Gewächse. Tab.
+ Wurzeldruckes | IV. Fig. 18.
+ |
+ 16. Hales pneumatische Wanne | Hales, Statik. Tab. IX. Fig. 38.
+ |
+ 17. Die Blüte des | Sprengel, Das entdeckte Geheimnis
+ Sumpfstorchschnabels | der Natur.
+ |
+ 18. Blüte der Osterluzzei | Sachs, Lehrbuch der Botanik.
+ | 4. Aufl. Leipz. 1874. Fig. 489.
+ |
+ 19. Die Befruchtung der Salbeiblüte| Ostwalds Klassiker Nr. 48. S. 73.
+ |
+ 20. Der Süßwasserpolyp | Leunis Synopsis. II. Bd. 3. Aufl.
+ |
+ 21. Ledermüllers Abbildung von | Ledermüller, Mikroskopische
+ Aufgußtierchen | Gemüts- und Augenergötzungen.
+ | II. Bd. 88. Tafel.
+ |
+ 22. Bewegung und Teilung der Amöbe | Rösel von Rosenhof,
+ | Insektenbelustigungen. III. Teil.
+ | 101 Taf.
+ |
+ 23. Wolffs Abbildung eines Embryos | Aus Wolffs Theoria generationis
+ | (Ostwalds Klassiker Nr. 85.
+ | Tafel II. Fig. 5.)
+ |
+ 24. Entstehung des Herzens und der | Ostwalds Klassiker Nr. 85. Taf.
+ Gliedmaßen | II. Fig. 11.
+ |
+ 25. Scheele analysiert die Luft | Aus Scheeles Abhandlung von
+ | der Luft und dem Feuer.
+ |
+ 26. Scheeles Darstellung von | do.
+ Sauerstoff |
+ |
+ 27. Lavoisiers Analyse der Luft | Lavoisier, Oeuvres, Tome I. Pl.
+ | II. Fig. 14.
+ |
+ 28. Lavoisiers Analyse der Luft | Lavoisier, Oeuvres, Tome I. Pl.
+ | IV. Fig. 2.
+ |
+ 29. Die Verbrennung von Phosphor | Lavoisier, Oeuvres, Tome I. Pl.
+ | IV. Fig. 3.
+ |
+ 30. Galvanis Versuche mit | Aus dem 52. Bande von Ostwalds
+ Froschschenkeln | Klassikern der exakten
+ | Wissenschaften.
+ |
+ 31. Physiologischer Nachweis der | do.
+ galvanischen Elektrizität |
+ |
+ 32. Voltas Kondensator | Wüllners Lehrbuch der
+ | Experimentalphysik. 3. Aufl. IV.
+ | Bd. Fig. 70.
+ |
+ 33. Voltas Elektrophor | ebendort Fig. 67.
+ |
+ 34. Voltas erste Säule | Philos. Transact. 1800. Pl.
+ | XVII.
+ |
+ 35. Voltas zweiteilige Säule | do.
+ |
+ 36. Voltas Becherapparat | do.
+ |
+ 37. Das Säulenelektroskop | Rieß, Die Lehre von der
+ | Reibungselektrizität. Bd. I,
+ | S. 18.
+ |
+ 38. Zambonis Trockensäule | Gilberts Annalen von 1815. Bd. 49.
+ |
+ 39. Seebecks Nachweis des | Ostwalds Klassiker. Nr. 63. Fig 7.
+ magnetischen Feldes |
+ |
+ 40. Seebecks Nachweis der | Ostwalds Klassiker. Nr. 63. Abb. 22.
+ magnetischen Kraftlinien |
+ |
+ 41. Ampères beweglicher | Ampère und Babinet, Darstellung
+ Stromleiter | der neuen Entdeckungen über
+ | die Elektrizität und den
+ | Magnetismus. Tafel I. Fig. 2.
+ |
+ 42. Ampères Vorrichtung zum | Ampère und Babinet, Tafel I.
+ Aufhängen seines beweglichen | Fig. 3.
+ Stromleiters |
+ |
+ 43. Ampères Nachweis, daß sich ein | Ampère und Babinet, Tafel I.
+ Stromleiter senkrecht zur | Fig. 12.
+ Inklinationsnadel einstellt |
+ |
+ 44. Ampères vom Einfluß des | Ampère und Babinet, Tafel I.
+ Erdmagnetismus befreites Solenoid | Fig. 29.
+ |
+ 45. Ampères astatische Magnetnadel | Ampère und Babinet, Tafel I.
+ | Fig. 14.
+ |
+ 46. Die Entdeckung der | Ostwalds Klassiker. Nr. 70. Abb. 1.
+ Thermoelektrizität |
+ |
+ 47. Seebecks Thermoelement | Ostwalds Klassiker. Nr. 70. Abb. 4.
+ |
+ 48. Schema des von Herschel |
+ konstruierten Spiegelteleskops |
+ |
+ 49. Herschels vierzigfüßiger | Philosophical Transactions. 1795.
+ Reflektor | II. Tab. XXIV.
+ |
+ 50. Herschels Abbildung eines | W. Herschel, Über den Bau des
+ Nebelflecks | Himmels. Tafel I. Fig. 2.
+ |
+ 51. Herschels Ableitung der Gestalt| W. Herschel, Über den Bau des
+ der Milchstraße | Himmels. Tafel II. Fig. 16.
+ |
+ 52. Rumfords Versuch über | Philosophical Transactions. 1798.
+ Wärmeerzeugung durch Reibung |
+ |
+ 53. Teileinrichtung zu Rumfords | Philosophical Transactions. 1798.
+ Versuch |
+ |
+ 54. Gay-Lussacs Versuch zur | Mach, die Prinzipien der Wärmelehre.
+ Thermodynamik der Gase. | Abb. 66.
+ |
+ 55. Zur Erläuterung des | Ostwalds Klassiker. Nr. 37. Abb. 1.
+ Kreisprozesses |
+ |
+ 56. Gay-Lussacs Apparat zur | Ostwalds Klassiker. Nr. 44. Abb. 3.
+ Bestimmung des |
+ Ausdehnungskoeffizienten der Gase |
+ |
+ 57. Das von Gauß zum Messen der | Wüllner, Lehrbuch der
+ erdmagnetischen Kraft erfundene | Experimentalphysik. Bd. IV. (1875).
+ Magnetometer | S. 36.
+ |
+ 58. Das dem Heliotrop von Gauß | Hunaeus, Die geometrischen
+ zugrunde liegende Gesetz | Instrumente. Fig. 129.
+ |
+ 59. Hauys Ableitung des | Hauy, Traité de minéralogie. V.
+ Rhombendodekaeders | Pl. VIII.
+ |
+ 60. Hauys Ableitung des | Hauy, Traité de minéralogie. V.
+ Pentagondodekaeders | Pl. VIII.
+
+
+
+
+Die Naturwissenschaften in ihrer Entwicklung und in ihrem Zusammenhange
+
+dargestellt von =Friedrich Dannemann=.
+
+
+Erster Band:
+
+Von den Anfängen bis zum Wiederaufleben der Wissenschaften.
+
+Mit 50 Abbildungen im Text und einem Bildnis von Aristoteles.
+
+Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann 1910.
+
+_24 Bogen gr. 8°._
+
+_Preis geheftet =Mk. 9=, in Leinen gebunden =Mk. 10=._
+
+
+Zweiter Band:
+
+Von Galilei bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts.
+
+Mit 116 Abbildungen im Text und einem Bildnis von Galilei.
+
+Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann 1911.
+
+_27 Bogen gr. 8°._
+
+_Preis geheftet =Mk. 10=, in Leinen gebunden =Mk. 11=._
+
+
+Die vier Bände des Werkes sind einzeln käuflich. Jeder Band bildet ein
+in sich abgeschlossenes Ganzes.
+
+
+Inhalt des ersten Bandes.
+
+ Seite
+
+ 1. In Asien und in Ägypten entstehen die Anfänge der Wissenschaften 1
+
+ 2. Die Weiterentwicklung der Wissenschaften bei den Griechen bis zum
+ Zeitalter des Aristoteles 51
+
+ 3. Aristoteles und seine Zeit 81
+
+ 4. Archimedes 118
+
+ 5. Die erste Blüte der alexandrinischen Schule 130
+
+ 6. Die Naturwissenschaften bei den Römern 164
+
+ 7. Die zweite Blütezeit der alexandrinischen Schule 188
+
+ 8. Der Verfall der Wissenschaften zu Beginn des Mittelalters 213
+
+ 9. Das arabische Zeitalter 223
+
+ 10. Die Wissenschaften unter dem Einfluß der christlich-germanischen
+ Kultur 258
+
+ 11. Der Beginn des Wiederauflebens der Wissenschaften 288
+
+ 12. Die Begründung des heliozentrischen Weltsystems durch Koppernikus 315
+
+ 13. Die ersten Ansätze zur Neubegründung der experimentellen und der
+ anorganischen Naturwissenschaften 328
+
+ 14. Die ersten Ansätze zur Neubegründung der organischen
+ Naturwissenschaften 348
+
+
+Inhalt des zweiten Bandes.
+
+ Seite
+
+ 1. Altertum und Neuzeit 1
+
+ 2. Die Erfindung der optischen Instrumente 7
+
+ 3. Galileis grundlegende Schöpfungen 15
+
+ 4. Die Ausbreitung der induktiven Forschungsweise 71
+
+ 5. Die Astronomie im Zeitalter Tychos und Keplers 101
+
+ 6. Die Förderung der Naturwissenschaften durch die Fortschritte der
+ Mathematik 136
+
+ 7. Der Ausbau der Physik der flüssigen und der gasförmigen Körper 155
+
+ 8. Die Iatrochemie und die Begründung der Chemie als Wissenschaft
+ durch Boyle 180
+
+ 9. Der Ausbau der Botanik und der Zoologie nach dem Wiederaufleben
+ der Wissenschaften 194
+
+ 10. Die Begründung der großen wissenschaftlichen Akademien 206
+
+ 11. Newton 215
+
+ 12. Huygens und die übrigen Zeitgenossen Newtons 244
+
+ 13. Unter dem Einfluß der chemisch-physikalischen Forschung entstehen
+ die Grundlagen der neueren Mineralogie und Geologie 297
+
+ 14. Das Emporblühen der Anatomie und der Physiologie 313
+
+ 15. Die ersten Ergebnisse der mikroskopischen Erforschung der niederen
+ Tiere 322
+
+ 16. Die Begründung der Pflanzenanatomie und der Lehre von der
+ Sexualität der Pflanzen 340
+
+ 17. Der Ausbau der Mechanik, Akustik und Optik im achtzehnten
+ Jahrhundert 353
+
+ 18. Die Fortschritte der Astronomie nach der Begründung der
+ Gravitationsmechanik 386
+
+ 19. Mineralogie und Geologie im 18. Jahrhundert 399
+
+
+Auszüge aus den Besprechungen des ersten und zweiten Bandes.
+
+Der Verfasser, längst schon rühmlichst bekannt durch seine Schriften
+»Aus der Werkstatt großer Forscher« und »Die Entwicklung der
+Naturwissenschaften«, hat sich durch die vorliegende erweiterte
+Neuausgabe des letzteren Buches (die im Ganzen auf vier Bände
+berechnet ist) ein nicht genug anzuerkennendes Verdienst erworben,
+denn er bringt in gänzlich unparteiischer Weise das Wichtigste aus
+allen Gebieten naturwissenschaftlichen Wissens, und zwar so, daß es
+nicht nur das Interesse des Historikers von Fach erweckt, sondern die
+Teilnahme jedes naturhistorisch Gebildeten. Auf Einzelheiten kann an
+dieser Stelle nicht eingegangen werden, und das bloße Aufzählen der
+Kapitel-Überschriften würde ermüdend wirken, ohne einen zureichenden
+Begriff vom Inhalte zu gewähren. Es genüge also, auf dessen
+unerschöpflichen Reichtum hinzuweisen und das neue Werk ganz besonders
+auch den Chemikern zu empfehlen, für die es eine Fülle von Belehrung
+und Anregung birgt. --
+
+ (Edmund O. von Lippmann in der Chemikerzeitung Nr.
+ 32. 1911).
+
+Aus diesen ganz kurzen Inhaltsangaben geht ohne weiteres hervor, daß
+wir es hier mit einem Werke zu tun haben, das die Naturwissenschaften
+als Ganzes in ihrem Werdegange verfolgt. Dieser Versuch, in einem Werke
+von verhältnismäßig geringem Umfang alles, auch für jemand, der nicht
+selbst auf dem Gebiet arbeitet, sondern sich im allgemeinen darüber
+unterrichten will, lesbar zusammenzufassen, ist sehr zu begrüßen.
+Denn wie der Verfasser in der Einleitung zum ersten Band hervorhebt,
+erhalten die zahllosen Einzelergebnisse der Forschung erst im
+Gesamtbild ihren vollen Wert. --
+
+ (C. Matschoß in der Zeitschrift des Vereins
+ deutscher Ingenieure Nr. 13. 1911).
+
+In kürzester Frist ist dem ersten Bande dieses ausgezeichneten Werkes
+der zweite gefolgt. Man weiß nicht, was man mehr bewundern soll,
+die überraschende Belesenheit des Autors oder seine Gabe, selbst
+die schwierigsten Probleme wissenschaftlicher Forschung nicht nur
+dem Kenner, sondern auch dem interessierten Laien leichtfaßlich
+in ernst-vornehmer Form vorzutragen. Ein Vorzug dieses zweiten
+Bandes gegenüber dem ersten liegt in der größeren Beigabe von guten
+Abbildungen.
+
+ (Pharmazeutische Zeitung Nr. 13. 1911.)
+
+Besonders dankenswert erscheint, wie *Dannemann* in allen diesen
+Wissenschaften die verbindenden großen Gedanken herauszuschälen
+weiß, die im hohen Maße geeignet sind, die Vertreter der einzelnen
+naturwissenschaftlichen Disziplinen vor Einseitigkeit zu bewahren. Es
+handelt sich hier aber nicht um ein Werk für den Fachmann allein, jeder
+gebildete Mensch wird daraus reiche Anregung schöpfen.
+
+ (Ärztliche Rundschau XX. Jahrgang Nr. 47. 1910.)
+
+Dem Techniker, dem Lehrer, dem Arzte, jedem, der sich lebhafter
+für Naturwissenschaften interessiert, vor allem also auch unseren
+Studierenden, dürfte das Buch eine unerschöpfliche Quelle des Genusses
+und der Anregung sein. Einen ganz besonderen Wert besitzt das Werk
+dadurch, daß es gewissermaßen den Rahmen für *Ostwalds* Klassiker der
+exakten Wissenschaften (jetzt 173 Bände) abgibt und so die Beziehungen
+aufweist, durch welche die einzelnen Gebiete sich gegenseitig
+beeinflußt haben.
+
+Für die Hebung der Kultur unseres Volkes kann dieses Buch, das die
+Wissenschaft und ihre Erfolge als etwas Werdendes vorstellt, von
+größtem Nutzen sein, da es die Erfolge fortschrittlichen Denkens
+gegenüber den Schwächen dogmatischer Gesinnung aufs deutlichste
+vergegenwärtigt.
+
+ (Prometheus, XXII. Jahrgang. 26. Nov. 1910.)
+
+Das erfolgreiche Bestreben des Verfs., stets nur die für den
+Fortschritt der Wissenschaften wirklich bedeutungsvollen Ereignisse
+zu berücksichtigen und die Entwicklung der Naturwissenschaften in
+ihren Beziehungen zu den übrigen Wissenschaften, insbesondere zur
+Philosophie, Mathematik und Technik darzustellen, gereicht dem Werke zu
+besonderem Vorteil und macht es dienlich für jeden, der sich für die
+Naturwissenschaften interessiert.
+
+ (W. May im Zoologischen Zentralblatt 18. Jahrgang
+ Nr. 110.)
+
+Wenn die weiteren Bände (bei denen die Schwierigkeiten der Darstellung
+natürlich steigen, je mehr die Schilderung sich unserer Zeit nähert,
+wo der Stoff fast unübersehbar anschwillt) das halten, was der erste
+verspricht, so wird uns D. ein Werk schenken, das einzigartig dasteht.
+
+ (Literarisches Zentralblatt für Deutschland Nr. 44.
+ 1910.)
+
+Des Verfassers Grundriß einer Geschichte der Naturwissenschaften
+hat in zweiter Auflage *G. W. A. Kahlbaum* (I, 160 u. III, 75)
+in anerkennendster Weise besprochen und zugleich die Gefühle
+ausgesprochen, die angesichts der Erfolge dieses Werkes jeden
+Historiker der Naturwissenschaften beseelen müssen. Aus den
+gleichen Gründen begrüßen wir es heute freudigst, daß unser
+Gesellschaftsmitglied und Mitarbeiter den zweiten Teil dieses Buches zu
+einem vierbändigen Werke ausgestalten will und davon bereits den ersten
+Band vorzulegen vermag.
+
+ (H. Stadler in den Mitteilungen zur Geschichte der
+ Medizin und der Naturwissenschaften Bd. X. 2. Heft.)
+
+Der soeben erschienene 2. Band dieses großen Werkes behandelt die Zeit
+von Galilei bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, also jene Epoche, in
+welcher die Grundlagen der neueren Naturwissenschaft gelegt wurden.
+Auch in diesem Bande hat sich der Verfasser mit Erfolg bemüht, eine
+Darstellung zu schaffen, die nicht nur dem Historiker dient, sondern
+für jeden anregend ist, der sich überhaupt für die Naturwissenschaften
+interessiert.
+
+ (Kölnische Zeitung 20. Februar 1911.)
+
+Der Verfasser sagt zu wenig von sich, wenn er seine Arbeit als
+Ergänzung zu *Ostwalds* großem Unternehmen einschätzt; sie hat
+einen ganz eminenten Eigenwert; sie zeigt zum ersten Male in
+zusammenfassender Weise den Arbeitsanteil einzelner Völkergruppen
+an der Ausbildung einer Wissenschaft, die, mehr als jede andere,
+unmittelbar zurückstrahlt auf die Gesamtkultur. Und dieser eigenartige
+Zusammenhang ist es, den der Verfasser mit Erfolg und bedeutender
+Sachkenntnis herausgehoben hat. So steckt er seinem Werk ein großes
+und weites Ziel. Ganz überraschende Schlaglichter fallen da auf die
+einzelnen Gebiete, die, in getrennter Einzeldarstellung, nie so
+plastisch herausgearbeitet werden konnten.
+
+Jeder Historiker wird sich dieses Werk aneignen müssen. Und abgesehen
+vom Fachmann sollte jeder, der sich für Kulturprobleme interessiert,
+sei er nun Lehrer, Student, Techniker, Arzt -- jeder Gebildete
+überhaupt -- sollte sich vom Verfasser in diese großen Zusammenhänge
+hineinführen lassen; denn erst in ihren Zusammenhängen wird uns das
+Wesen und die Wirkung einer Wissenschaft verständlich.
+
+ (Badische Schulzeitung 21. Januar 1911.)
+
+Jeder Lehrer, dem daran gelegen ist, der wichtigen Forderung
+(Hineinziehung des geschichtlichen Elements in den
+exaktwissenschaftlichen Unterricht) gerecht zu werden, wird daher
+mit Freuden das Erscheinen eines neuen Werkes von *Dannemann*
+begrüßen, das dazu bestimmt ist, ein ausführliches Gesamtbild von dem
+Entwicklungsgange aller naturwissenschaftlichen Disziplinen im engen
+Zusammenhange mit der Mathematik und mit der allgemeinen Geschichte zu
+geben.
+
+Ähnlich wie *Cantors* Vorlesungen über Geschichte der Mathematik
+ein »standard work« allerersten Ranges bleiben werden, so wird
+auch *Dannemanns* Werk von bleibendem Wert sein, das für den
+Geschichtsforscher wie für den Mediziner, für den Lehrer wie für den
+Techniker großen Nutzen haben und dessen Lektüre für jeden, der sich
+für die Naturwissenschaften interessiert, eine Quelle hohen Genusses
+bilden wird.
+
+ (Monatsschrift für höhere Schulen, 6. Heft 1911.)
+
+
+Dr. Fr. Dannemann,
+
+Aus der Werkstatt großer Forscher.
+
+Allgemeinverständliche erläuterte Abschnitte aus den Werken
+hervorragender Naturforscher aller Völker und Zeiten.
+
+3. Aufl., geb. =6,80 Mk.=
+
+Aus den Besprechungen der ersten Auflage.
+
+Der Leser gewinnt hierdurch *ein klares und anschauliches Bild nicht
+allein von der Bedeutung der Leistung des betreffenden Forschers,
+sondern auch von der Eigenart seiner Geistesarbeit und seiner
+Darstellungsweise und kann so die Entwicklung der Gesamtwissenschaft,
+wenn auch nur skizzenhaft, in objektiver Form verfolgen*.
+
+ (Naturwissensch. Rundschau 1897. Nr. 26.)
+
+*Daß die Bekanntschaft mit den Quellen auch die reiferen Schüler nach
+jeder Richtung hin fördert und anregt, ist... anerkannt; demgemäß hat
+man eine Reihe von Hilfsmitteln solcher Art bereits in den Dienst der
+höheren Schule gestellt.* Dem Verf. vorliegenden Werkes ist es hoch
+anzurechnen, daß er eine solche, bis *dahin fehlende Quellensammlung
+aus dem Gesamtgebiet der Naturwissenschaften* veranstaltet und damit
+auch dem naturwissenschaftlichen Lehrer ein treffliches Anregungsmittel
+geboten hat.
+
+ (Literarisches Zentralblatt 1896. Nr. 41.)
+
+Let us hope the English language will soon possess a like work.
+
+ (Pharmaceutical Review 1896. Nr. 12.)
+
+The choice of material is excellent and too much has been offered in
+no case, the collection is as admirable for what it omits as for what
+it includes.
+
+ (Journal of Physical Chemistry Nr. 3. 1896.)
+
+*Den Schülerbibliotheken sei die Anschaffung des Grundrisses in
+zahlreichen Exemplaren besonders empfohlen*, um diese beim Unterricht
+unter möglichst viele Schüler verteilen zu können. Ebenso wird das Buch
+zu Prämien nützlichste Verwendung finden.
+
+ (Jahresberichte üb. d. höhere Schulwesen. XI.
+ Jahrg.)
+
+Auch erfolgten Empfehlungen seitens höherer Schulbehörden wie des
+Großherzoglich Badischen Oberschulrates, der Königl. Württemb.
+Kultusministerial-Abteilung und des k. k. österr. Kultusministeriums.
+
+
+Inhalt.
+
+ 1. Aristoteles begründet die Zoologie.
+ 2. Theophrast begründet die Botanik.
+ 3. Archimedes entwickelt die Prinzipien der Mechanik.
+ 4. Des Archimedes Sandesrechnung.
+ 5. Die Begründung der Mechanik der Gase und Dämpfe.
+ 6. Die naturwissenschaftlichen Kenntnisse des Altertums werden von
+ Plinius gesammelt.
+ 7. Die Naturwissenschaften im Mittelalter.
+ 8. Die Aufstellung des heliozentrischen Weltsystems.
+ 9. Die Ausbreitung der Koppernikanischen Lehre durch Galilei.
+ 10. Die Entdeckung der Jupitermonde und der Saturnringe.
+ 11. Galilei als Begründer der Dynamik.
+ 12. Der weitere Ausbau der Astronomie durch Kepler.
+ 13. Kepler begründet die neuere Optik.
+ 14. Gilbert erforscht die Natur des Magneten. 1600.
+ 15. Bacons Eintreten für die induktive Forschungsweise. 1620.
+ 16. Pascal entdeckt die Abhängigkeit des Barometerstandes von der Höhe
+ des Ortes. 1648.
+ 17. Die Erfindung der Luftpumpe.
+ 18. Newton erforscht die Natur des Sonnenlichtes. 1670.
+ 19. Newton entdeckt das Gravitationsgesetz. 1682.
+ 20. Newton entwickelt die Prinzipien der Naturlehre.
+ 21. Das Licht wird von Huygens für eine Wellenbewegung des Äthers
+ erklärt. 1678.
+ 22. Die Entdeckung des Mariotteschen Gesetzes.
+ 23. Das Auftauchen der ersten klaren Vorstellungen über die Verbrennung
+ und die Atmung.
+ 24. Swammerdam zergliedert die Insekten.
+ 25. Die Begründung der Pflanzenphysiologie.
+ 26. Celsius führt die hundertteilige Thermometerskala ein.
+ 27. Die Lehre von der Sexualität der Pflanzen.
+ 28. Das künstliche Pflanzensystem Linnés.
+ 29. Die Polypen werden als tierische Organismen erkannt.
+ 30. Kant erklärt den Ursprung des Weltgebäudes. 1755.
+ 31. Laplace entwickelt ähnliche Ansichten über den Ursprung des
+ Weltgebäudes wie Kant. Kant-Laplacesche Hypothese. 1796.
+ 32. Herschel begründet die Astronomie der Fixsterne.
+ 33. Die Meteore werden als kosmische Massen erkannt. 1794.
+ 34. Die Wellentheorie findet einen hervorragenden Verfechter. 1760.
+ 35. Die photometrischen Grundbegriffe.
+ 36. Die Erfindung des Blitzableiters. 1753.
+ 37. Die Entdeckung der elektrischen Influenz und der Pyroelektrizität.
+ 1758.
+ 38. Scheele entdeckt den Sauerstoff und analysiert die atmosphärische
+ Luft. 1773.
+ 39. Lavoisier erklärt die Verbrennungserscheinungen. 1774.
+ 40. Die Erfindung des Eiskalorimeters und die Bestimmung von spezifischen
+ Wärmen und Verbrennungswärmen mittelst desselben. 1780.
+ 41. a) Die Entdeckung der galvanischen Elektrizität.
+ b) Volta, Über die Elektrizität, welche durch die bloße Berührung
+ verschiedenartiger leitender Stoffe hervorgerufen wird.
+ 42. Die Botanik unter dem Einflusse der Metamorphosenlehre.
+ 43. Die Begründung der Blütenbiologie.
+ 44. Saussure begründet die Ernährungsphysiologie der Pflanzen. 1800.
+ 45. Das Menschengeschlecht wird in fünf Rassen eingeteilt.
+ 46. Cuvier begründet durch Verschmelzung der Zoologie mit der
+ vergleichenden Anatomie ein natürliches System. 1812.
+ 47. Die Aufstellung der atomistischen Hypothese. 1808.
+ 48. Gay-Lussac entdeckt das Volumgesetz. 1808.
+ 49. Das von Courtois (1811) entdeckte Jod wird von Gay-Lussac eingehend
+ untersucht.
+ 50. Die Entdeckung von Natrium und Kalium. 1807.
+ 51. Die Entdeckung des Aluminiums. 1827.
+ 52. Cuviers Katastrophentheorie. 1812.
+ 53. Lyell begründet die neuere Richtung der Geologie. 1830.
+ 54. Die Entdeckung des Elektromagnetismus. 1820.
+ 55. Die Entdeckung der galvanischen und der magnetischen Induktion. 1832.
+ 56. Es werden die experimentellen Grundlagen für eine elektromagnetische
+ Theorie des Lichtes gewonnen.
+ 57. Die Entdeckung des Diamagnetismus.
+ 58. Die Erfindung der Photographie.
+ 59. Die Physiologie erhält durch Johannes Müller eine wissenschaftliche
+ Grundlage.
+ 60. Die Zelle wird als das Elementarorgan des tierischen und pflanzlichen
+ Organismus erkannt. 1839.
+ 61. Die Physiologie wendet sich gegen die Annahme einer besonderen
+ Lebenskraft.
+ 62. Liebig beantwortet die Frage nach der Ernährung der Pflanzen. 1840.
+ 63. Die Kryptogamenkunde wird durch wichtige Beobachtungen über die
+ Fortpflanzung der Algen bereichert.
+ 64. Darwin erklärt die Entstehung der Koralleninseln.
+ 65. Carnot entwickelt eine Theorie der Dampfmaschine. 1824.
+ 66. Die erste Bestimmung der Entfernung eines Fixsterns. 1838.
+ 67. Das Dopplersche Prinzip. 1842.
+ 68. Das Prinzip von der Erhaltung der Kraft.
+ 69. Die Entdeckung des Ozons. 1840.
+ 70. Der rote Phosphor wird als eine Modifikation des Elementes Phosphor
+ erkannt. 1850.
+ 71. Alexander von Humboldt vereinigt die Summe des Naturwissens seiner
+ Zeit zu einem Gesamtbilde. 1845.
+ 72. Kirchhoff und Bunsen schaffen die Spektralanalyse.
+ 73. Pasteur weist nach, daß auch die niedrigsten Organismen aus Keimen
+ und nicht durch Urzeugung entstehen. 1860.
+ 74. Das Protoplasma wird als die Grundlage des organischen Lebens
+ erkannt.
+ 75. Hertz erforscht die Beziehungen zwischen dem Licht und der
+ Elektrizität.
+
+
+Nachdem wir beim Erscheinen der *dritten Auflage* des Werkes:
+*Dannemann*, Grundriß einer Geschichte der Naturwissenschaften den
+Preis für den I. Band:
+
++Aus der Werkstatt großer Forscher+
+
+auf =6 Mk.= herabgesetzt haben, offerieren wir den II. Band
+
+Die Entwicklung der Naturwissenschaften
+
+zu dem gleichfalls herabgesetzten Preise von =8 Mk.= Beide Bände
+zusammen sind für =12,50 Mk.= (gebunden für =14,50 Mk.=) zu beziehen.
+
+
+Von demselben Verfasser erschienen ferner:
+
+ +=Otto von Guerickes neue »Magdeburgische« Versuche über den leeren
+ Raum=+ (Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften Nr. 59). Mit
+ 15 Textfiguren. Leipzig, 1894. Verlag von *Wilhelm Engelmann*.
+ Geb. M. 2.--.
+
+ +=Leitfaden für den Unterricht im chemischen Laboratorium.=+ Vierte
+ Auflage. 1909. *Hahn*sche Buchhandlung in Hannover und Leipzig.
+ (Als Vorwort diene des Verfassers Abhandlung Ȇber die Bedeutung,
+ Einrichtung und Leitung praktischer Übungen im Laboratorium.«
+ *Fries* und *Meyer*, Lehrproben und Lehrgänge. Heft XXXV.) M. 1.80.
+
+ +=Der naturwissenschaftliche Unterricht auf praktisch-heuristischer
+ Grundlage.=+ brosch. M. 6.--. Dasselbe gebunden M. 6.80.
+ *Hahn*sche Buchhandlung in Hannover und Leipzig. 1907.
+
+ +=Naturlehre für höhere Lehranstalten, auf Schülerübungen
+ gegründet.=+ 2 Teile. *Hahn*sche Buchhandlung in Hannover und
+ Leipzig. 1908. geb. M. 6.40.
+
+ Die »Naturlehre« ist nach den Gesichtspunkten verfaßt, die
+ in dem Buche »=Der naturwissenschaftliche Unterricht auf
+ praktisch-heuristischer Grundlage=« entwickelt wurden. Sie ist
+ der erste Versuch, den Unterrichtsstoff =mit grundlegenden
+ Schülerübungen in engste Verbindung zu setzen=. Der erste Teil
+ enthält den Lehrstoff für Chemie und Mineralogie; zwei kurze
+ Abschnitte bringen das Wichtigste aus der Geologie und eine
+ Anleitung zu pflanzenphysiologischen Versuchen. Der zweite Teil
+ bringt die Physik.
+
+ +=Quellenbuch zur Geschichte der Naturwissenschaften in
+ Deutschland.=+ (Deutsche Schulausgaben Nr. 39.) 158 Seiten. Geb.
+ M. 1.20. Verlag von *L. Ehlermann* in Dresden.
+
+
+Bei der Transkription vorgenommene Änderungen und weitere Anmerkungen:
+
+In "Die Bestäubung der weiblichen Misteln, sie mögen nun mit den
+männlichen auf einem Baume stehen oder in großer Entfernung auf anderen
+Bäumen wachsen" stand "wirklichen" statt "weiblichen".
+
+Im Abschnitt "*Gauß* gebührt indessen außer der selbständigen und seinen
+eigenen Angaben nach viel früheren Entdeckung das Verdienst, daß er es
+war, der diese Methode in einem fundamentalen Werke wissenschaftlich
+begründete und die Begriffe schuf, auf denen alle neueren Arbeiten über
+diese Methode beruhen." fehlte ein Verweis auf die Fußnote "Theoria
+combinationis observationum erroribus minimis obnoxiae. 1821.". Dieser
+wurde nach "fundamentalen Werke" eingefügt.
+
+Im Absatz "*Ampère* zeigte darauf, daß infolgedessen der Leiter, wenn
+nur der Erdmagnetismus auf ihn wirkt, eine Stellung einnimmt, in
+welcher seine Ebene den magnetischen Meridian senkrecht schneidet[378].
+Diese Entdeckung erregte ein Aufsehen wie wenig andere[379]. *Ampère*
+beschreibt sie mit folgenden Worten: »Hängt man in der in Abbildung
+41 dargestellten Weise einen beweglichen Leiter auf, ohne daß in der
+Nähe dieses Leiters ein anderer Teil des Stromkreises sich befindet.
+(Wir müssen uns also in der Abbildung 41 das Drahtstück CILB, das
+auf den beweglichen Bügel einen richtenden Einfluß ausübt, entfernt
+denken), verbindet man hierauf die Kapseln C und Z mit den Polen der
+galvanischen Batterie, so sieht man den Bügel sich drehen, bis seine
+Ebene zu derjenigen des magnetischen Meridians NS senkrecht steht
+und der Strom in dem unteren Teil des Leiters, also in FG, von Ost
+nach West gerichtet ist, das Südende der Magnetnadel also zur Linken
+liegt.« Ließ *Ampère* den Strom in umgekehrter Richtung durch den
+Bügel gehen, so drehte sich dieser um einen Halbkreis zurück, um
+endlich nach einigen Schwingungen sich wieder senkrecht zur Richtung
+NS einzustellen." fehlte das Anführungszeichen, welches das Zitat
+abschließt. Nach Sinn- und Textzusammenhang wurde dieses hinter
+"liegt." eingefügt.
+
+Der Name "Légendre/Legendre" ist uneinheitlich geschrieben, es handelt
+sich aber offenbar nicht um Satzfehler, daher wurde die uneinheitliche
+Schreibweise beibehalten.
+
+Der Name "Stephen Grey" ist konsistent (falsch) als "Grey" geschrieben.
+
+In "Meine
+naturwissenschaftlichen Arbeiten", schrieb *Goethe* damals, "sind
+durch *Humboldt* aus ihrem Winterschlafe geweckt worden". fehlten die
+Anführungszeichen für das wörtliche Zitat.
+
+Der mit "Daraus folgt," beginnende Satz in Fußnote 98 ist auch im
+Original unvollständig.
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Die Naturwissenschaften in ihrer
+Entwicklung und in ihrem Zusamme, by Friedrich Dannemann
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 57952 ***
diff --git a/57952-h/57952-h.htm b/57952-h/57952-h.htm
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-
-The Project Gutenberg EBook of Die Naturwissenschaften in ihrer
-Entwicklung und in ihrem Zusamme, by Friedrich Dannemann
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
-to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
-
-Title: Die Naturwissenschaften in ihrer Entwicklung und in ihrem Zusammenhange
- Dritter Band: Das Emporblühen der modernen
- Naturwissenschaften bis zur Entdeckung des Energieprinzipes
-
-Author: Friedrich Dannemann
-
-Release Date: September 22, 2018 [EBook #57952]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE NATURWISSENSCHAFTEN IN ***
-
-
-
-
-Produced by Peter Becker, Heike Leichsenring and the Online
-Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This
-file was produced from images generously made available
-by The Internet Archive)
-
-
-
-
-
-
-</pre>
+<div>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 57952 ***</div>
@@ -21212,382 +21173,7 @@ Original unvollständig.</p>
-<pre>
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Die Naturwissenschaften in ihrer
-Entwicklung und in ihrem Zusamme, by Friedrich Dannemann
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE NATURWISSENSCHAFTEN IN ***
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-Produced by Peter Becker, Heike Leichsenring and the Online
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-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
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-exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
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-remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
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-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
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-
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-
-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
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-Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
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-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation
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-Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
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-
-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
-Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
-freely shared with anyone. For forty years, he produced and
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